Bernd W. Wirtz Multi-Channel-Marketing
Bernd W. Wirtz
Multi-ChannelMarketing Grundlagen – Instrumente – Prozesse
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Bernd W. Wirtz Multi-Channel-Marketing
Bernd W. Wirtz
Multi-ChannelMarketing Grundlagen – Instrumente – Prozesse
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Univ.-Prof. Dr. Bernd W. Wirtz ist Inhaber des Lehrstuhls für Informations- und Kommunikationsmanagement an der DHV Speyer.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Susanne Kramer | Renate Schilling Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0214-6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Vor dem Hintergrund steigender Kundenansprüche und Innovationen im Internetvertrieb kommt dem Management und der Ausgestaltung multipler Absatzkanäle eine hohe Bedeutung zu. In den letzten Jahren ist bei vielen Unternehmen eine Verbreiterung ihrer distributiven Basis zu erkennen. Die absatzkanalbezogene Erreichung der Kunden auf unterschiedlichen Wegen ermöglicht den Unternehmen die Erzielung herausragender WettbewerbsvorȬ teile. Das MultiȬChannelȬMarketing erfährt vor diesem Hintergrund einen erȬ heblichen Bedeutungszuwachs. Das vorliegende Lehrbuch versteht MultiȬChannelȬMarketing als ein integraȬ tives Marketingsystem. Die Strukturierung des Buches in sechs Kapitel soll dem Leser einen verständlichen Zugang zu dem komplexen Bereich des MultiȬChannelȬMarketings bieten. Das Buch richtet sich dabei hauptsächlich an Studenten, wobei die Kombination aus theoretischen Erkenntnissen und Praxisbezug sowie die Breite des Themenspektrums auch die Verwendung in der Praxis sinnvoll erscheinen lassen. Bei der Erstellung dieses Lehrbuchs erhielt ich vielfältige konzeptionelle Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern und DoktoranȬ den des Lehrstuhls, Herrn DiplomȬKaufmann Timo Defren, Herrn DiplomȬ Kaufmann Johannes C. Kerner, Herrn DiplomȬKaufmann Sebastian Lütje, Frau DiplomȬKauffrau Verena Pannenbäcker, Herrn Dr. Oliver Schilke und Herrn Sebastian Ullrich, M.A. für ihr hervorragendes Engagement. SchließȬ lich gilt mein Dank dem Gabler Verlag für die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung des Buchs. Die wissenschaftliche Entwicklung eines Themenbereichs lebt wesentlich von der kritischen Auseinandersetzung und Diskussion der Konzepte und Inhalte. Vor diesem Hintergrund wäre ich für Verbesserungsvorschläge außerordentlich dankbar.
Speyer, im Oktober 2007 BERND W. WIRTZ
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsübersicht
Vorwort.................................................................................................................... V
Teil A: Einführung ...............................................................................1 Teil B: Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings.....................7 1 Einführung ....................................................................................................... 9 2 Terminologische Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings ............... 11 3 Akteure, Strukturen und Beziehungen ...................................................... 22 4 Rahmenbedingungen des MultiȬChannelȬMarketings............................. 44 5 Zielsystem und Anforderungen des MultiȬChannelȬMarketings ........... 63 6 Theoretische Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings ...................... 86
Teil C: Strategisches MultiȬChannelȬMarketing........................119 1 Einführung ................................................................................................... 121 2 Analyse der strategischen Unternehmenssituation ................................ 124 3 Marktsegmentierung im MultiȬChannelȬMarketing .............................. 133 4 Strategiedefinition im MultiȬChannelȬMarketing ................................... 143 5 Design des Mehrkanalsystems .................................................................. 155
Teil D: Operatives MultiȬChannelȬMarketing ...........................199 1 Einführung ................................................................................................... 201 2 Kontrahierungspolitik ................................................................................ 203 3 Produktpolitik............................................................................................. 219 4 Kommunikationspolitik ............................................................................. 238 5 Distributionspolitik..................................................................................... 255 6 Fallbeispiel Otto........................................................................................... 271
VII
1
Inhaltsübersicht
Teil E: Koordination des MultiȬChannelȬMarketings.............. 283 1 Einführung ................................................................................................... 285 2 InformationsȬ und Kommunikationssysteme im MultiȬChannelȬ Marketing ..................................................................................................... 287 3 ChannelȬRelationshipȬManagement......................................................... 310 4 Organisationsformen des MultiȬChannelȬMarketings ........................... 333 5 Komplexitätsmanagement ......................................................................... 354
Teil F: Controlling ........................................................................... 363 1 MultiȬChannelȬSystemȬAudit .................................................................... 365 2 KostenȬȱund Wirtschaftlichkeitsanalysen................................................. 373 Literaturverzeichnis............................................................................................ 387 Stichwortverzeichnis .......................................................................................... 407
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.................................................................................................................... V
Teil A: Einführung ...............................................................................1 Teil B: Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings.....................7 1 Einführung ....................................................................................................... 9 2 Terminologische Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings ............... 11 2.1 Entwicklung von Vertrieb und Handel .............................................. 12 2.2 Terminologie des MultiȬChannelȬMarketings ................................... 13 2.2.1 Marketing..................................................................................... 14 2.2.2 Marketingkanal ........................................................................... 15 2.2.3 Mehrkanalsystem........................................................................ 18 2.2.4 Definition des MultiȬChannelȬMarketings .............................. 19 3 Akteure, Strukturen und Beziehungen ...................................................... 22 3.1 Vertikale Struktur eines Marketingkanals.......................................... 23 3.1.1 Definition der vertikalen Struktur ............................................ 23 3.1.2 Distributionsstufen im Marketingkanal................................... 24 3.1.2.1 Hersteller ........................................................................ 25 3.1.2.2 Absatzmittler ................................................................. 26 3.2 Horizontale Strukturen......................................................................... 30 3.2.1 Akteure auf Großhandelsebene ................................................ 30 3.2.2 Akteure auf Einzelhandelsebene .............................................. 33 3.2.3 Formen des Direktvertriebs ....................................................... 35 3.2.4 Absatzhelfer................................................................................. 36 ȱ ȱ ȱ
IX
Inhaltsverzeichnis
3.3 ChannelȬFlows im MultiȬChannelȬMarketing................................... 39 3.3.1 Güterströme................................................................................. 41 3.3.2 Informationsflüsse ...................................................................... 42 3.3.3 Geldflüsse .................................................................................... 43 4 Rahmenbedingungen des MultiȬChannelȬMarketings............................. 44 4.1 Kaufverhalten ........................................................................................ 45 4.1.1 Konsumentenverhalten.............................................................. 45 4.1.2 Absatzmittlerverhalten .............................................................. 48 4.2 MarktȬȱund Wettbewerbsumfeld......................................................... 50 4.2.1 Marktbedingungen ..................................................................... 50 4.2.2 Wettbewerbsbedingungen ......................................................... 51 4.3 Technologische Rahmenbedingungen................................................ 53 4.3.1 EȬCommerce ................................................................................ 54 4.3.2 ITȬ T Anwendungen in Marketingkanälen .................................. 55 4.4 Rechtliche Rahmenbedingungen ........................................................ 57 4.4.1 Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen......................... 58 4.4.2 Behinderungspraktiken.............................................................. 59 4.4.3 Rechtliche Rahmenbedingungen ausgewählter Vertriebsformen .......................................................................... 61 5 Zielsystem und Anforderungen des MultiȬChannelȬMarketings ........... 63 5.1 Zielsystem des MultiȬChannelȬMarketings ....................................... 64 5.1.1 Zielhierarchie............................................................................... 65 5.1.2 Übergeordnetes Ziel des MultiȬChannelȬMarketings ............ 69 5.2 Anforderungen des MultiȬChannelȬMarketings ............................... 71 5.2.1 Chancen des MultiȬChannelȬMarketings................................. 72 5.2.2 Risiken des MultiȬChannelȬMarketings ................................... 74 5.2.3 Herausforderungen des MultiȬChannelȬMarketings ............. 78 5.2.3.1 Erreichung eines ChannelȬFits..................................... 79 5.2.3.2 Optimierung der Geschäftsbeziehung ....................... 80 5.2.3.3 Optimierung der Customer Touchpoints................... 81 X
Inhaltsverzeichnis
6 Theoretische Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings ...................... 86 6.1 Entscheidungsorientierter Ansatz....................................................... 87 6.2 Systemtheoretischer Ansatz ................................................................. 91 6.2.1 Soziologische Systemtheorie ..................................................... 91 6.2.2 Kybernetik.................................................................................... 95 6.3 Verhaltenswissenschaftliche Ansätze ................................................. 98 6.3.1 Das SȬOȬRȬModell ....................................................................... 98 6.3.1.1 Aktivierende Prozesse .................................................. 99 6.3.1.2 Kognitive Prozesse ...................................................... 101 6.3.2 AnreizȬBeitragsȬTheorie ........................................................... 103 6.4 Neue Institutionenökonomik............................................................. 105 6.4.1 Transaktionskostentheorie ....................................................... 106 6.4.2 PrinzipalȬAgentȬAnsatz ........................................................... 111 6.5 Ressourcentheoretischer Ansatz........................................................ 113
Teil C: Strategisches MultiȬChannelȬMarketing........................119 1 Einführung ................................................................................................... 121 2 Analyse der strategischen Unternehmenssituation ................................ 124 2.1 Unternehmensexterne Einflussfaktoren........................................... 125 2.2 Unternehmensinterne Einflussfaktoren ........................................... 128 2.3 SWOTȬ T Analyse .................................................................................... 130 3 Marktsegmentierung im MultiȬChannelȬMarketing .............................. 133 3.1 Geografische Marktsegmentierung................................................... 134 3.2 Soziodemografische Marktsegmentierung ...................................... 136 3.3 Verhaltensorientierte Marktsegmentierung..................................... 137 3.4 Psychografische Marktsegmentierung ............................................. 138 3.5 Nutzenorientierte Marktsegmentierung .......................................... 141 4 Strategiedefinition im MultiȬChannelȬMarketing ................................... 143 4.1 Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie............... 144 4.1.1 Undifferenzierte Marktbearbeitungsstrategie....................... 145
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Inhaltsverzeichnis
4.1.2 Differenzierte Marktbearbeitungsstrategie ........................... 147 4.1.3 Konzentrierte Marktbearbeitungsstrategie............................ 148 4.2 Definition der konkurrenzȬ und abnehmergerichteten Strategien.............................................................................................. 150 4.2.1 Konkurrenzgerichtete Strategien ............................................ 150 4.2.2 Abnehmergerichtete Strategien .............................................. 153 5 Design des Mehrkanalsystems .................................................................. 155 5.1 Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie.............. 156 5.1.1 Anpassungsstrategie ................................................................ 159 5.1.2 Umgehungsstrategie................................................................. 159 5.1.3 Konfliktstrategie........................................................................ 160 5.1.4 Kooperationsstrategie .............................................................. 162 5.2 Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems............................... 163 5.2.1 Bestimmung der Stufenzahl .................................................... 164 5.2.2 Entscheidung bezüglich der Positionierung ......................... 166 5.2.3 Bestimmung des Differenzierungsgrads ............................... 167 5.3 Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems .................................. 169 5.3.1 Bestimmungsfaktoren der Marketingkanalselektion ........... 169 5.3.2 Qualitative Verfahren der Marketingkanalselektion............ 173 5.3.3 Quantitative Verfahren der Marketingkanalselektion ......... 176 5.3.4 Selektionsentscheidung und Berücksichtigung des Anpassungsbedarfs .................................................................. 177 5.4 Selektion der Absatzmittler................................................................ 179 5.4.1 Identifikation potenzieller Absatzmittler .............................. 179 5.4.2 Kriterien zur Absatzmittlersegmentierung ........................... 181 5.4.3 Qualitative Verfahren der Absatzmittlerselektion................ 182 5.4.4 Quantitative Verfahren der Absatzmittlerselektion ............. 185 5.4.5 Bestimmung der Distributionsintensität................................ 187 ȱ ȱ XII
Inhaltsverzeichnis
5.5 Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern......... 190 5.5.1 Kommissionsvertrieb................................................................ 192 5.5.2 VertragshändlerȬ und Franchisesysteme................................ 193 5.5.3 VertriebsbindungsȬ und Alleinvertriebssysteme ................... 194 5.5.4 Strategische Vertriebsallianzen und Partnerschaften ........... 196 5.5.5 Netzwerke.................................................................................. 197
Teil D: Operatives MultiȬChannelȬMarketing ...........................199 1 Einführung ................................................................................................... 201 2 Kontrahierungspolitik ................................................................................ 203 2.1 Grundlagen der Kontrahierungspolitik ........................................... 204 2.1.1 Preispolitik................................................................................. 204 2.1.2 Konditionenpolitik.................................................................... 207 2.2 Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing ............................. 209 2.2.1 Preispolitik im vertikalen Marketing ..................................... 210 2.2.2 Konditionenpolitik im vertikalen Marketing ........................ 212 2.3 Kontrahierungspolitik im MultiȬChannelȬMarketing .................... 214 2.3.1 Preispolitik in Mehrkanalsystemen ........................................ 214 2.3.2 Konditionenpolitik im Mehrkanalsystem.............................. 218 3 Produktpolitik............................................................................................. 219 3.1 Grundlagen der Produktpolitik......................................................... 220 3.1.1 Produktbegriff ........................................................................... 220 3.1.2 Aufgabenbereiche der Produktpolitik ................................... 221 3.2 Produktpolitik im vertikalen Marketing .......................................... 224 3.2.1 Produktentwicklung................................................................. 224 3.2.2 Management des Produktlebenszyklus ................................. 226 3.2.3 Verpackungsgestaltung............................................................ 227 3.2.4 Markenpolitik ............................................................................ 228 3.2.5 Servicepolitik ............................................................................. 229 3.3 Produktpolitik im MultiȬChannelȬMarketing.................................. 230
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4 Kommunikationspolitik ............................................................................. 238 4.1 Grundlagen .......................................................................................... 239 4.1.1 Allgemeiner Ablauf eines Kommunikationsprozesses ........ 239 4.1.2 Instrumente der Kommunikationspolitik.............................. 240 4.2 Kommunikation im vertikalen Marketing ....................................... 242 4.2.1 Unterschiedliche Kommunikation gegenüber AbsatzȬ mittlern und Endkunden ......................................................... 242 4.2.2 Basisstrategien der Kommunikationspolitik ......................... 244 4.3 Kommunikationspolitik im MultiȬChannelȬMarketing ................. 247 5 Distributionspolitik..................................................................................... 255 5.1 Grundlagen der Distributionspolitik................................................ 255 5.1.1 Inhalte und Ziele der Distributionspolitik............................. 256 5.1.2 Einflussfaktoren auf die Distributionsstruktur..................... 258 5.2 Distributionspolitik im vertikalen Marketing ................................. 259 5.2.1 Lagerhaltung ............................................................................. 260 5.2.2 Kommissionierung und Verpackung ..................................... 262 5.2.3 Transport.................................................................................... 263 5.2.4 Auftragsabwicklung................................................................. 264 5.3 Distributionspolitik im MultiȬChannelȬMarketing......................... 266 6 Fallbeispiel Otto .......................................................................................... 271 6.1 Einführung ........................................................................................... 271 6.2 MarktȬȱund Wettbewerbsposition ..................................................... 272 6.3 MultiȬChannelȬMarketing in der Otto Group ................................. 275 6.4 Ausgestaltung des MultiȬChannelȬMarketings............................... 276 6.4.1 ProduktȬ und Programmpolitik .............................................. 276 6.4.2 PreisȬ und Konditionenpolitik ................................................ 278 6.4.3 Kommunikationspolitik........................................................... 278 6.4.4 Distributionspolitik .................................................................. 279 6.5 Fazit....................................................................................................... 280
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Inhaltsverzeichnis
Teil E: Koordination des MultiȬChannelȬMarketings ..............283 1 Einführung ................................................................................................... 285 2 InformationsȬ und Kommunikationssysteme im MultiȬChannelȬ Marketing ..................................................................................................... 287 2.1 Einführung ........................................................................................... 288 2.1.1 Aufgaben und Aufbau von InformationsȬ und Kommunikationssystemen ...................................................... 288 2.1.2 Informationsressourcen im MultiȬChannelȬMarketing........ 290 2.2 ECR im MultiȬChannelȬMarketing.................................................... 294 2.2.1 Category Management ............................................................. 296 2.2.2 Effiziente Warenversorgung .................................................... 301 2.2.3 Effiziente Verkaufsförderung .................................................. 303 2.2.4 Kooperative Neuproduktentwicklung................................... 305 2.3 Technische Ausgestaltung von InformationsȬ und Kommunikationssystemen ................................................................ 306 2.3.1 Datenaustausch im MultiȬChannelȬMarketing ..................... 308 2.3.2 Datenintegration im MultiȬChannelȬMarketing ................... 309 3 ChannelȬRelationshipȬManagement ......................................................... 310 3.1 Verhaltensbeziehungen im MultiȬChannelȬMarketing .................. 311 3.1.1 Vertrauen und Commitment ................................................... 311 3.1.2 Macht .......................................................................................... 313 3.2 Instrumente der Verhaltenssteuerung .............................................. 317 3.2.1 Rollenvergabe ............................................................................ 318 3.2.2 Anreizgestaltung....................................................................... 322 3.3 Konfliktmanagement im MultiȬChannelȬMarketing ...................... 325 3.3.1 Konfliktursachen, Ȭformen und –folgen................................. 325 3.3.2 Formen des Konfliktmanagements......................................... 328 4 Organisationsformen des MultiȬChannelȬMarketings ........................... 333 4.1 Organisationsfelder des MultiȬChannelȬMarketings...................... 334 ȱ
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4.2 Organisatorische Differenzierung..................................................... 336 4.2.1 Verrichtungsorientierte Organisation .................................... 337 4.2.2 Objektorientierte Organisation ............................................... 339 4.3 Organisatorische Integration ............................................................. 343 4.3.1 Hierarchie .................................................................................. 343 4.3.1.1 Einlinienorganisation.................................................. 344 4.3.1.2 Mehrlinienorganisation .............................................. 347 4.3.2 Programme und Pläne ............................................................. 349 4.3.3 Selbstabstimmung..................................................................... 351 5 Komplexitätsmanagement ......................................................................... 354 5.1 Ursachen der Komplexität ................................................................. 354 5.2 Folgen der Komplexität...................................................................... 357 5.3 Komplexitätsreduktion undȱȬbeherrschung .................................... 360
Teil F: Controlling ........................................................................... 363 1 MultiȬChannelȬSystemȬAudit .................................................................... 365 1.1 Prozess eines MultiȬChannelȬSystemȬAudits .................................. 366 1.2 Scorecards für ein MultiȬChannelȬSystemȬAudit............................ 369 2 KostenȬ und Wirtschaftlichkeitsanalysen................................................. 373 2.1 ROIȬKennzahlensystem...................................................................... 373 2.2 AbsatzmittlerȬ und Kundenwert....................................................... 375 2.2.1 Absatzmittlerwert ..................................................................... 375 2.2.2 Kundenwert............................................................................... 381 2.3 Absatzsegmentrechnungen................................................................ 383 2.4 Prozesskostenrechnungen.................................................................. 385 Literaturverzeichnis............................................................................................ 387 Stichwortverzeichnis .......................................................................................... 407
XVI
Teil A Einführung
Einführung
Das MultiȬChannelȬMarketing hat in den letzten Jahren erheblich an BedeuȬ tung gewonnen. Nur wenige Unternehmen bieten ihr Leistungsangebot über lediglich einen Marketingkanal an. Zunehmend werden Produkte oder Dienstleistungen durch den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Kanäle vertrieȬ ben. Hierbei greifen Unternehmen sowohl auf traditionelle als auch auf innovative neue Kanäle zurück. Die zunehmende Bedeutung des Mehrkanalvertriebs ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Insbesondere durch neuere Entwicklungen im Bereich der InformationsȬȱund Kommunikationstechnologien ist der Vertrieb über das Internet für viele Unternehmen mittlerweile zu einem wichtigen Standbein geworden. So hat das OnlineȬShopping in Deutschland zehn Jahre nach seinem Start Rekordumsätze zu verzeichnen. Geringe Kosten bei gleichzeitig potenziell hoher Reichweite senken die Marktzugangsbarrieren auch für kleinere Hersteller; sie rücken das Internet aber gleichzeitig auch für etablierte Hersteller als eine attraktive Möglichkeit, einen Direktvertrieb zu realisieren, in den Fokus. Tradierte Wertschöpfungsstrukturen werden dabei in Frage gestellt und etablierte Konstellationen zwischen Hersteller und Handel von innovativen Vertriebsformen abgelöst. Darüber hinaus hat sich das Kundenverhalten in den letzten Jahren stark verändert. Demnach greift der Kunde zu Kaufanlässen zunehmend auf einen persönlichen KanalȬMix zurück, mit dessen Hilfe er sich zunächst informiert und beraten lässt und dann schließlich kauft und beliefert wird. Hierzu werden nicht selten verschiedene Kanäle beansprucht. Um den speȬ zifischen Anforderungen in der jeweiligen Kaufphase zu entsprechen und die InformationsȬ und Conveniencebedürfnisse gleichermaßen zu berückȬ sichtigen, muss ein Hersteller eine breite Palette an Kanälen anbieten. Im Zuge der zunehmenden Globalisierung und der durch fortschreitende technische Entwicklungen sich verkürzende Produktlebenszyklen müssen Unternehmen zudem bestrebt sein, sich den wechselnden Bedingungen anzupassen, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Für Unternehmen wird es zunehmend schwieriger sich alleine über Produkte und Dienstleistungen vom Wettbewerb zu differenzieren, da sich Qualität, Funktionalität und Preise der Konkurrenzprodukte zunehmend angleichen. Hierdurch ist die Gefahr einer erhöhten Wechselbereitschaft der Kunden aufgrund der AusȬ tauschbarkeit von Gütern gegeben. Durch die Ausweitung der KanalausstatȬ tung kann das Unternehmen durch eine Individualisierung der KundenbeȬ ziehung dieser Gefahr begegnen. Eine wesentliche Herausforderung im Rahmen des MultiȬChannelȬ Marketings stellt die Einführung eines neuen Marketingkanals in ein besteȬ henden Kanalsystem dar. Hierbei muss das Unternehmen abschätzen, inȬ wieweit der neue Kanal in die Gesamtunternehmensstrategie hineinpasst
3
Einführung
bzw. welche Anpassungen vorgenommen werden müssen. Aufgrund der mit der Integration eines neuen Kanals zunehmenden Komplexität eines Mehrkanalsystems wird die Koordination der verschiedenen Kanäle zur zentralen Aufgabe für das MultiȬChannelȬManagement. In diesem ZusamȬ menhang ist z. B. die Abstimmung des MarketingȬMix, die Kooperation mit den Absatzmittlern oder die Vermeidung von Konflikten von hoher BedeuȬ tung. Vor dem Hintergrund der dynamischen Veränderungen im MultiȬChannelȬ Marketing sowie unter Berücksichtigung der Potenziale innovativer InforȬ mationsȬȱ und Kommunikationstechnologien und hier besonders den ChanȬ cen und Risiken onlineȬbasierter Direktkanäle ist das Lehrbuch auf der ersȬ ten Gliederungsebene in fünf Teile gegliedert: Grundlagen des MultiȬ ChannelȬMarketings, strategisches MultiȬChannelȬMarketing, operatives MultiȬChannelȬMarketing, Koordination im MultiȬChannelȬMarketing und Controlling im MultiȬChannelȬMarketing. Teil B: GrundlaȬ gen des MultiȬ ChannelȬ Marketings
Teil B „Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings“ geht insbesondere auf Fragen der Terminologie, auf Akteure, Strukturen und Beziehungen, auf Rahmenbedingungen des MultiȬChannelȬMarketings sowie auf das ZielsysȬ tem und damit verbunden die Anforderungen und zuletzt auf die theoretiȬ schen Grundlagen des MultiȬChannelȬMarketings ein. Die terminologischen Grundlagen beinhalten neben einer Einführung zu Entwicklungen in Vertrieb und Handel vor allem die terminologische HinȬ führung zum Begriff des MultiȬChannelȬMarketings. Das zweite Kapitel befasst sich mit vertikalen und horizontalen Strukturen in Kanalsystemen und dem Modell der ChannelȬFlows. Die Rahmenbedingungen des MultiȬ ChannelȬMarketings werden anschließend in den Bereichen Kaufverhalten, MarktȬȱ und Wettbewerbsumfeld, technologische Rahmenbedingungen soȬ wie den rechtlichen Rahmenbedingungen vertieft. Das vierte Kapitel widȬ met sich dem Zielsystem sowie den Anforderungen des MultiȬChannelȬ Marketings. Das fünfte und letzte Kapitel im Grundlagenteil führt ausgeȬ wählte theoretische Bezugspunkt des MultiȬChannelȬMarketings aus Ȭ dies sind der entscheidungsorientierte Ansatz, der systemtheoretische Ansatz, der verhaltenswissenschaftliche Ansatz, die Institutionenökonomik und der ressourcentheoretische Ansatz.
Teil C: StrategiȬ sches MultiȬ ChannelȬ Marketing
Teil C „Strategisches MultiȬChannelȬMarketing“ widmet sich zunächst dem Strategieprozess bestehend aus den Phasen „Analyse der strategischen AusȬ gangssituation“, „Marktsegmentierung“, und „Strategiedefinition“. AnȬ schließend wird der Prozess des Designs des Mehrkanalsystems beschrieȬ ben. Die erste Phase des strategischen Analyseprozesses beinhaltet dabei die Analyse unternehmensinterner und Ȭexterner Faktoren sowie deren AggreȬ gation in der SWOTȬ T Analyse. Darauf aufbauend werden gängige Methoden
4
Einführung
der Marktsegmentierung im Kontext des MultiȬChannelȬMarketings vorgeȬ stellt. Dies sind im Einzelnen die geografische Marktsegmentierung, die soziodemografische Marksegmentierung, die verhaltensorientierte MarktȬ segmentierung, die Segmentierung anhand psychografischer Merkmale und schließlich die nutzenorientierte Marktsegmentierung. Ausgehend von der Segmentierung wird in der sich anschließenden Phase zunächst die MarktȬ bearbeitungsstrategie definiert, um dann die Definition der konkurrenzȬȱund absatzmittlergerichteten Strategie vorzunehmen. Der strategische MultiȬChannelȬProzess schließt mit der Designphase. Diese umfasst zunächst die Ermittlung potenzieller Kanäle und damit verbunden die Festlegung der absatzmittlergerichteten Strategie. Anschließend gilt es die Form des Mehrkanalsystems festzulegen. Ausgehend von der jeweiligen gewählten Form können dann spezifische Kanäle respektive Absatzmittler selektiert werden. Die Designphase endet mit der Bestimmung der gegenȬ über spezifischen Absatzmittlern zu verfolgenden Kooperationsstrategien. Teil D „Operatives MultiȬChannelȬMarketing“ beinhaltet Ausführungen zu den Marketinginstrumenten, explizit zur Produktpolitik, zur Preispolitik, zur Kommunikationspolitik und zur Distributionspolitik im MultiȬChannelȬ Marketing. Dabei werden in den einzelnen Kapiteln zunächst die GrundlaȬ gen in Bezug auf das jeweilige Marketingpolitikfeld gelegt. Anschließend werden Ausgestaltungsmöglichkeiten im vertikalen Marketing diskutiert. Die Kapitel enden mit der Analyse des Instrumentariums im Kontext des MultiȬChannelȬMarketings.
Teil D: OperaȬ tives MultiȬ ChannelȬ Marketing
Teil E des Lehrbuchs widmet sich verschiedenen Aspekten der Koordination im MultiȬChannelȬMarketing. Im Einzelnen sind dies der Einsatz von InforȬ mationsȬȱ und Kommunikationstechnologie, das ChannelȬRelationshipȬ Management, die Organisation im MultiȬChannelȬMarketing und das KomȬ plexitätsmanagement. Im Rahmen der InformationsȬȱund KommunikationsȬ systeme wird mit dem ECR (Efficient Consumer Response) ein übergreifenȬ des Anwendungskonzept von IuKȬTechnologie im Kontext des MultiȬ ChannelȬMarketings vorgestellt. Das nächste Kapitel beschreibt wichtige Aspekte der Verhaltensbeziehungen im MultiȬChannelȬMarketing, die InȬ strumente der Verhaltenssteuerung sowie Formen des KonfliktmanageȬ ments. Danach werden die Organisationsfelder des MultiȬChannelȬ Marketings sowie die organisatorische Differenzierung und Integration dargestellt. Das letzte Kapitel geht auf Ursachen und Folgen der KomplexiȬ tät sowie die zentralen Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion ein.
Teil E: KoordinaȬ tion im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Teil F „Controlling im MultiȬChannelȬMarketing“ befasst sich mit den MarketingȬChannelȬAudits sowie KostenȬ und WirtschaftlichkeitsanalyȬ sen. Im ersten Kapitel wird der prototypische, prozesshafte Ablauf eines ChannelȬAudits vorgestellt und dann anhand spezifischer AuditȬAnalysen
Teil F: ControlȬ ling im MultiȬ ChannelȬ Marketing
5
Einführung
weiter konkretisiert. Das zweite Kapitel untersucht Funktion und Eignung des ROIȬKennzahlensystems, der Steuerung mittels Absatzmittlerwert, der Absatzsegmentrechnung und der Prozesskostenrechnung im Kontext des MultiȬChannelȬMarketings. Die Struktur des Buches ist in Abbildung 0Ȭ1 dargestellt.
Abbildung 0Ȭ1
Struktur des Buches Akteure und Strukturen
Strategisches Multi-Channel-Marketing Situationsanalyse
Zieldefinition
Marktsegmentierung
Strategiedefinition
Design
Produktpolitik Distributionspolitik
Operatives Multi-ChannelMarketing
Kontrahierungspolitik
Kommunikationspolitik Theoretische Grundlagen
Rahmenbedingungen
Koordination des Multi-Channel-Marketing g Informations- und Kommunikationssysteme ChannelRelationshipManagement
Komplexitätsmanagement Organisatorische Koordination
Kontrolle des Multi-Channel-Marketing Marketing-Channel-SystemM k ti Ch lS t Audits
K t Kostenund d Wi Wirtschaftt h ft lichkeitsanalysen
Chancen und Risiken
6
Teil B Grundlagen des MultiȬ ChannelȬMarketings
Entwicklung von Vertrieb und Handel
2.1
1 Einführung Teil B behandelt Grundlagen zum komplexen Themenfeld des MultiȬChanȬ nelȬMarketing. Hier werden zunächst Begriffsabgrenzungen erarbeitet und die grundlegenden Terminologien des MultiȬChannelȬMarketings definiert. Weiterhin werden die Rahmenbedingungen vorgestellt und ein Verständnis für die Beziehungen zwischen den Beteiligten in einem Mehrkanalsystem entwickelt. Anschließend wird das übergeordnete Zielsystem und die speziȬ fischen Anforderungen an das MultiȬChannelȬMarketing erläutert, bevor der Teil mit einer umfangreichen Überblick zu relevanten Theorien im MultiȬ ChannelȬMarketing Kontext abschließt. Dieser Teil stellt somit die Basis für das Verständnis diese Buch und der folgenden Erläuterungen dar und wird zusammenfassend in Abbildung 1Ȭ1 dargestellt.
Abbildung 1Ȭ1
Struktur des Teils B
Terminologische Grundlagen
Akteure, Strukturen und Beziehungen
• Entwicklung in Vertrieb und Handel
• Vertikale Struktur eines Marketingkanals
• Terminologie des MultiChannel-Marketings
• Horizontale Strukturen • Channel-Flows
Rahmenbedingungen
Zielsystem und Anforderungen
Wissenschaftstheoretische Grundlagen
• Zielsystem des Multi• Entscheidungstheoretischer Ansatz • Markt- und Wettbewerbs- Channel-Marketings umfeld • Anforderungen des Multi- • Systemtheoretischer Channel-Marketings Ansatz • Technologische • Kaufverhalten
Rahmenbedingungen • Rechtliche Rahmenbedingungen
• Verhaltenswissenschaftliche Ansätze • Neue Institutionenökonomik • Ressourcentheoretischer Ansatz
Zunächst wird in Kapitel 2 das Marketing und seine Herausforderungen in den Kontext der Entwicklung von Vertrieb und Handel eingeordnet. Anschließend werden aufeinander aufbauende Definitionen der Begriffe Marketing, MarkeȬ tingkanal und Mehrkanalsystem erarbeitet, um schließlich die für dieses Buch relevante Definition des MultiȬChannelȬMarketings abzuleiten.
Terminologische Grundlagen
Kapitel 3 setzt direkt an der Definition des Mehrkanalsystems an und stellt nun die beteiligten Akteure, Strukturen und Beziehungen eines Mehrkanalsystems in den Fokus der Betrachtung. Dabei geht es zunächst um vertikale Strukturen innerhalb eines Marketingkanals sowie anschließend um horizontale BezieȬ hungen zwischen den Kanälen eines Mehrkanalsystems. Die Betrachtung der spezifischen Flows in den einzelnen Kanaltypen rundet das Kapitel ab.
Akteure, StruktuȬ ren und BezieȬ hungen
9
1
Einführung
RahmenȬ bedingungen
Die Rahmenbedingungen, denen sich ein Unternehmen, das ein MultiȬ ChannelȬMarketingsystem betreibt oder plant, ausgesetzt sieht werden in Kapitel 4 thematisiert. Diese reichen vom Verhalten von Konsumenten und Wettbewerbern über technologische bis hin zu rechtlichen RahmenbedinȬ gungen. Somit werden die vorgestellten Charakteristika und die internen Beziehungen eines Mehrkanalsystems in diesem Kapitel nun um BeziehunȬ gen zur Umwelt ergänzt.
Zielsystem und Anforderungen
Die Herausforderung für Unternehmen besteht letztlich darin, ein MehrkaȬ nalsystem erfolgsorientiert zu managen. Dazu müssen die Ziele eines solȬ chen Systems jedoch detailliert erarbeitet werden. Deshalb sind Fragen nach dem Zielsystem bzw. der Zielhierarchie eines Mehrkanalsystem sowie nach den Anforderungen an die Leistungsfähigkeit, verbunden mit daraus erȬ wachsenden Chancen und Risiken Gegenstand des Kapitels 5.
Theoretische Grundlagen
Im abschließenden Kapitel 6 werden einige in der betriebswirtschaftlichen Forschung angewandte Theorien zur Erklärung der Zusammenhänge im MultiȬChannelȬMarketing vorgestellt. Dazu werden z. B. entscheidungsoriȬ entierte, systemtheoretische und verhaltenswissenschaftliche Ansätze dargeȬ stellt und um Ansätze der neuen Institutionenökonomie sowie dem ressourȬ centheoretischen Ansatz ergänzt.
10
Entwicklung von Vertrieb und Handel
2.1
2 Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
In der Marketingliteratur existieren im Zusammenhang mit dem MultiȬ ChannelȬMarketing eine Vielzahl von Begriffen und Definitionen, wie z. B. MultiȬChannelȬDistribution, MultiȬChannelȬRetailing oder MehrkanalȬ vertrieb. Da ihre Bedeutungen zum Teil erheblich von einander abweichen, ist es das primäre Ziel dieses Kapitels, die einzelnen in der Literatur vorȬ handenen Definitionen voneinander abzugrenzen und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Auf der Basis eines ganzheitlichen MarketingverständnisȬ ses wird daraus eine Definition des MultiȬChannelȬMarketings abgeleitet, die als Basis für die weiteren Ausführungen dient. Um die Ausführungen zur terminologischen Basis kontextuell zu verankern wird einleitend zunächst auf die Entwicklung von Vertrieb und Handel eingegangen (Abschnitt 2.1). Anschließend wird die Definition des Begriffs MultiȬChannelȬMarketing vorgenommen (Abschnitt 2.2). Abbildung 2Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels grafisch dar.
Abbildung 2Ȭ1
Struktur des Kapitels
Entwicklungen in Handel und Vertrieb • Umfassender Wandel bei Marke tingkanälen n durch moderne IuK Technologien
Terminologie des Multi-Channel-Marketings • Definition Marketing • Definition Marketingkanal • Definition Mehrkanalsystem • Definition Multi-Channel-Marketing
11
2
Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
2.1
Entwicklung von Vertrieb und Handel
Spricht man von Vertrieb und Handel, so spricht man über einen Bereich menschlicher Lebensgestaltung, der auf eine weit längere Tradition als jedwede Form staatlicher Organisation zurückblicken kann.1 Unterlag der Handel in der historischen Betrachtung Veränderungen, die sich über JahrȬ zehnte oder gar Jahrhunderte hinzogen, so sind diese Zeiträume heute auf Jahre oder sogar nur auf Monate geschrumpft. GroßȬ und Einzelhandel spielen eine wichtige Rolle im MultiȬChannelȬMarketing. Die MarktȬȱ und Wettbewerbssituation dieser Akteure wird deshalb an dieser Stelle einleiȬ tend skizziert. Entwicklungen im Großhandel
Die jüngste Entwicklung im Bereich des Großhandels lässt mit der TertiariȬ sierung und Virtualisierung zwei bedeutende Trends erkennen. TertiarisieȬ rung bezeichnet dabei eine partielle Abkehr von klassischen GroßhandelsȬ kernleistungen hin zu Serviceaufgaben im Rahmen der gewerblichen VerȬ sorgung.2 Virtualisierung weist dagegen auf die zunehmende Verwendung elektronischer InformationsȬ und Kommunikationssysteme (IuKȬSysteme) auch im Großhandel hin.3 Neben dem Einsatz internetbasierter Shops ist in diesem Zusammenhang der stetige Leistungsfortschritt beispielsweise bei EnterpriȬ seȬRessourceȬPlanningȬ oder Warenwirtschaftssystemen erwähnenswert.4 In Bezug auf die Gesamtstruktur des Großhandels in Deutschland lässt sich weiterhin eine effizienzgetriebene Tendenz zur Kostenreduzierung insbeȬ sondere im Personalbereich beobachten. Die Zahl der Unternehmen (ohne KfZȬHandel) nahm zwar zwischen 1998 und Ende 2003 von rund 71.000 auf etwa 99.000 zu und der Umsatz des Großhandels stieg im selben Zeitraum von rund 570 Milliarden € auf 633 Milliarden €. Die Zahl der Beschäftigten sank jedoch leicht von 1,25 Millionen auf 1,22 Millionen, d. h. ein deutlich höherer Umsatz wird von tendenziell weniger Mitarbeitern erwirtschaftet.5
Dynamischer Wandel im Einzelhandel
Umfassende Veränderungen lassen sich auch im Einzelhandel beobachten. Wiederum sind hier insbesondere die modernen IuKȬTechnologien als TreiȬ ber der Veränderungen zu nennen. InternetȬShops erfreuen sich bei den Konsumenten stetig wachsender Beliebtheit, was sich nicht zuletzt in einem rasanten Marktwachstum bei Internethändlern widerspiegelt. Darüber hinȬ aus setzten auch traditionelle Handelsunternehmen zunehmend auf das Internet als zusätzliche Form des Vertriebs.
1 2 3 4 5
12
Vgl. Zentes (2006), S. 5. Vgl. Tietz/Greipl (1994), S. 295 f. Vgl. Wirtz (1995), S. 46 ff. Vgl. Hertel (2006), S. 921 f. Vgl. Statistisches Bundesamt (2000), S. 242 f.; Statistisches Bundesamt (2006), S. 400.
Terminologie des Multi-Channel-Marketings
Der Wandel bleibt jedoch nicht auf den Bereich des Internets beschränkt, auch im stationären endkundengerichteten Handel sind Veränderungen zu beobachten. Neben innovativen Formen des stationären Handels, wie z. B. ConvenienceȬStores oder experimentellen Fillialkonzepten, sind hierbei vor allem moderne Konzepte des stationären Direktvertriebs zu nennen. Dazu zählen der Fabrikverkauf, FactoryȬOutletȬCenter sowie FlagshipȬStores. Strukturell zeichnet sich im deutschen Einzelhandel ein dem Großhandel ähnliches Bild ab: Die Zahl der Unternehmen (ohne KFZȬHandel und TankȬ stellen) nahm zwischen 1998 und Ende 2003 von rund 280.000 auf etwa 293.000 zu. Der Umsatz stieg im selben Zeitraum von rund 310 Milliarden € auf 346 Milliarden €. Die Zahl der Beschäftigten stieg sogar insgesamt leicht von 2,58 Millionen auf 2,62 Millionen.1 Innerhalb des Einzelhandelsbereiches kam es jedoch zu deutlichen NachfraȬ geverschiebungen. So stiegen die Anteile der Konsumausgaben privater Haushalte für Wohnen inklusive Strom und Heizung sowie die Leistungen des Gesundheitssektors zwischen 1991 und 2004 tendenziell an. Vom verȬ fügbaren Einkommen wurde 2004 anteilsmäßig weniger für Nahrungsmittel und Bekleidung ausgegeben als 1991.2 Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen ist eine VerlangsaȬ mung des Wandels indes nicht zu erwarten. Mit dem Mobile Commerce, also dem Vertrieb über mobile Endgeräte oder aber dem interaktiven ShopȬ pingȬTV, zeichnen sich bereits neue Treiber des Wandels ab.
2.2
Terminologie des Multi-ChannelMarketings
Im folgenden Kapitel werden die zentralen Termini, die im Kontext des MultiȬChannelȬMarketings relevant sind, definiert. Dabei werden systemaȬ tisch subjektbezogene, funktionale und teleologische Aspekte berücksichtigt. Subjektbezogene Aspekte beziehen sich auf den Gegenstand und die StrukȬ tur der jeweils zu erläuternden Begriffsinhalte, funktionale Aspekte auf deren Funktion oder Wirkungsweise. Bei der Betrachtung teleologischer Aspekte stehen Zielsetzungen und Zweckbestimmungen im Vordergrund. In Abschnitt 2.2.1 wird zunächst auf den grundlegenden Marketingbegriff, auf dem die weiteren Ausführungen basieren, eingegangen. Anschließend werden in Abschnitt 2.2.2 verschiedene in der Literatur vorhandene BeȬ 1 2
Vgl. Statistisches Bundesamt (2000), S. 245 f.; Statistisches Bundesamt (2006), S. 401. Vgl. Täger (2006), S. 100 f.
13
2.2
2
Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
griffsverständnisse des Begriffs Marketingkanal aufgezeigt und unter EinbeȬ ziehung des zuvor dargestellten Marketingverständnisses in eine Definition überführt. An diese Überlegungen anknüpfend, werden in Abschnitt 2.2.3 Mehrkanalsysteme erläutert, von Einkanalsystemen abgegrenzt und die Erkenntnisse abschließend in eine Definition eingebracht. Abschließend wird unter Berücksichtigung der zuvor definierten Begriffe in Abschnitt 2.2.4 das MultiȬChannelȬMarketing definiert.
2.2.1
Marketing
Ganzheitliches Marketing
Das Marketing stellt ein Leitkonzept der Unternehmensführung dar, welȬ ches sich auf das gesamte unternehmerische Denken und Handeln auswirkt. Im Spannungsfeld zwischen Konsumenten, Handel und Wettbewerbern soll demzufolge eine marktorientierte Koordination aller Funktionsbereiche sichergestellt werden.1 Dementsprechend liegt den folgenden Ausführungen ein ganzheitliches Marketingverständnis zu Grunde. Dieses umfasst sämtliȬ che marktorientierten Aktivitäten eines Unternehmens sowie die BetrachȬ tung des vollständigen MarketingȬȬInstrumentariums. In der Literatur werȬ den die vier zentralen MarketingȬInstrumente häufig auch als die „4P“ (ProȬ duct, Price, Place, Promotion) bezeichnet.2 Diese lassen sich unter dem Begriff MarketingȬMix subsumieren, der „[...] Kombination aus den MarkeȬ tinginstrumenten, die das Unternehmen zur Erreichung seiner MarketingȬ ziele auf dem Zielmarkt einsetzt.“3
Produktpolitik
Die ProduktȬ und Programmpolitik („Product“) bezieht sich auf die BefrieȬ digung der Bedürfnisse der Kunden mit Hilfe der Produkte bzw. DienstleisȬ tungen des Unternehmens. Sie stellt das grundlegende Element des MarkeȬ tingȬMix dar, da sie das konkrete Leistungsangebot umfasst, einschließlich der Ausstattungsmerkmale, der Verpackung, des Markenimages, des KunȬ dendienstes und bestimmter Zusatzdienstleistungen wie Reparaturen.
Preispolitik
Die PreisȬ und Konditionenpolitik („Price“) spiegelt sich in allen vertragliȬ chen Vereinbarungen eines Unternehmens mit Kunden, Lieferanten und Partnern. Hierzu zählen neben der reinen Preispolitik beispielsweise die RabattȬ und Zugabenpolitik, die Kreditpolitik sowie die Ausgestaltung der LieferȬ und Zahlungsbedingungen.
DistributionsȬ politik
Die Distributionspolitik („Place“) beinhaltet sämtliche Marketingaktivitäten eines Unternehmens, die sich mit der Übertragung der Leistung vom UnterȬ nehmen zum Abnehmer beschäftigen. Die Distributionspolitik kann weiter 1 2 3
14
Vgl. Meffert (2000), S. 6 ff. Vgl. auch im Folgenden Meffert (2000), S. 14; Kotler/Bliemel (2001), S. 150. Kotler/Bliemel (2001), S. 149.
Terminologie des Multi-Channel-Marketings
2.2
in die akquisitorische sowie die logistische Distribution unterteilt werden. Die akquisitorische Distribution umfasst die Anbahnung und den Abschluss von Transaktionen, die logistische dagegen die physische Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen.1 Primäres Ziel der Kommunikationspolitik („Promotion“) ist die BeeinflusȬ sung des Käuferverhaltens mit Hilfe kommunikativer Maßnahmen (z. B. Werbung, Verkaufsförderung, Public Relations). Aufgrund multipler wechȬ selseitiger Beziehungen zu den anderen Instrumenten dient die KommuniȬ kationspolitik zudem als koordinierender Mittler zwischen den Maßnahmen des MarketingȬMix.2
KommuniȬ kationspolitik
Neben dieser instrumentalen Sichtweise des Marketings, lässt sich auch eine prozessorientierte Interpretation vornehmen. Dabei kann der MarketingȬ Prozess in Anlehnung an den PlanungsȬ und Kontrollzyklus in die Phasen Planung, Implementierung und Controlling unterteilt werden.3 Die einzelȬ nen Phasen beinhalten wiederum spezifische Aktivitäten, auf die in den folgenden Teilen detailliert eingegangen wird. Auf Basis des beschriebenen ganzheitlichen Marketingsverständnisses wird der Marketingbegriff in AnȬ lehnung an Meffert (2000) wie folgt definiert:
MarketingȬ g prozess
Definition Marketing
Tabelle 2Ȭ1
Marketing ist die bewusst marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens oder marktorientiertes Entscheidungsverhalten in der Unternehmung. [...] Die Planung, Durchführung und Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten soll eine dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse und die Verwirklichung der Unternehmensziele sicherstellen.
2.2.2
Marketingkanal
Der Gegenstand des Begriffs des Marketingkanals existiert vor allem in der englischsprachigen Literatur, dort als MarketingȬChannel. In deutschspraȬ chigen Veröffentlichungen werden daneben Begriffe wie Absatzkanal, DistȬ ributionskanal und Vertriebskanal häufig synonym verwendet. Vielfach wird in diesem Zusammenhang auch an Stelle des Begriffs Kanal der Begriff Weg benutzt. Tabelle 2Ȭ2 gibt einen Überblick über verschiedene in der LiteȬ ratur vorhandene Begriffe und deren Definitionen, die im Folgenden hinȬ sichtlich subjektbezogener, funktionaler und teleologischer Aspekte analyȬ siert werden. 1 2 3
Vgl. Specht (1998), S. 14. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 150; Bruhn (2003a), S. 8 ff.; Gabler (2004), S. 1706. Vgl. Meffert (2000), S. 14 ff.; Wirtz (2005c), S. 202 f.
15
2 Tabelle 2Ȭ2
Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Definitionen Absatzkanal, Distributionskanal, Marketingkanal und Vertriebskanal Autor
Definition
McCalley (1996), A [marketing channel is a] business structure, reaching from the S. 4. point of product origin to the consumer, through which a manufacturer or marketer motivates, communicates, sells, ships, stores, delivers, and services the customer’s expectations and the product’s needs.
Subjektbezogene Aspekte
Meffert (2000), S. 600.
Die Absatzkanäle beziehungsweise Absatzwege umfassen die rechtlichen, ökonomischen und kommunikativ-sozialen Beziehungen aller am Distributionsprozess beteiligten Personen beziehungsweise Institutionen.
Coughlan et al. (2001), S. 3.
A marketing channel is a set of interdependent organizations involved in the process of making a product or service available for use or consumption.
Kotler/Bliemel (2001), S. 1074.
Ein Distributionskanal ist die Gesamtheit aller ineinander greifender Organisationen, die am Prozess beteiligt sind, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zur Verwendung oder zum Verbrauch verfügbar zu machen.
Pelton/Strutton/ Lumpkin (2002), S. 6.
A marketing channel can be defined as exchange relationships that create customer value in the acquisition, consumption, and disposition of products and services. This definition implies that exchange relationships emerge from market needs as a way of serving market needs.
American Marketing Association (2004)
Marketing channel - A set of institutions necessary to transfer the title to goods and to move goods from the point of production to the point of consumption and, as such, which consists of all the institutions and all the marketing activities in the marketing process.
Rosenbloom (2004), S. 8.
The marketing channel may be defined as: The external contractual organization that management operates to achieve its distribution objectives.
Die aufgeführten Definitionen weisen in Bezug auf die subjektbezogene Aspekte teils deutliche Unterschiede auf. Meffert (2000) definiert beispielsȬ weise den Absatzkanal als Beziehungsgeflecht. Diese Perspektive teilen Pelton/Strutton/Lumpkin (2002) durch Hervorhebung einer ZweckbezieȬ hung zur Erfüllung von Marktbedürfnissen. Auch Rosenbloom (2004) betont in diesem Zusammenhang die Kontakte der Mitglieder einer Organisation, welche nach McCalley (1996) eine Struktur bilden. Dies stellt eine ErweiteȬ rung der Ansicht Mefferts (2000) und Pelton/Strutton/Lumpkin (2002) um eine übergreifende Systemperspektive dar. Ähnlich charakterisieren Coughlan et al. (2001) sowie Kotler/Bliemel (2001) den Marketingkanal als System unabhängiger, zusammenarbeitender Organisationen. 16
Terminologie des Multi-Channel-Marketings
2.2
Ähnlich unterschiedlich wie bei der subjektbezogenen Sichtweise stellen sich die Ansichten bezüglich der Funktion der Marketingkanäle dar. So beziehen Kotler/Bliemel (2001) ihre relativ eng gefasste Kanaldefinition implizit auf die Distributionsfunktion Logistik. Pelton/Strutton/Lumpkin (2002) hinȬ gegen betonen die Verhandlungen im Kontext von Kauf, Verkauf und ÜberȬ tragung von Produkten und Dienstleistungen. Diese Perspektive wird von Rosenbloom (2004) sowie Coughlan et al. (2001) geteilt. Meffert (2000) erȬ gänzt dies um kommunikative und soziale Beziehungen. Eine noch umfasȬ sendere Sicht vertritt McCalley (1996), welche den Marketingkanälen ein breites Funktionsspektrum zuschreiben: Motivation, Kommunikation, VerȬ kauf, Logistik und Service. Die American Marketing Association (2004) schließlich stellt heraus, dass alle Marketingaktivitäten elementare BestandȬ teile eines Marketingkanals sind.
Funktionale Aspekte
Hinsichtlich teleologischer Aspekte, also ZielȬ bzw. Zweckgerichtetheit von Marketingkanälen, weisen alle Definitionen im Begriffsumfeld MarketingȬ kanal eine ähnliche Sichtweise auf. Die Zweckgerichtetheit bezieht sich daȬ bei auf die Übermittlung von materiellen bzw. immateriellen Leistungen vom Hersteller über die Glieder der Absatzkette bis hin zum Endkäufer. Demnach stellt die erfolgreiche Distribution der Leistung den Hauptzweck eines Marketingkanals dar.
Teleologische Aspekte
Wie in Abschnitt 2.2.1 erläutert, wird hier ein ganzheitliches MarketingverȬ ständnis zu Grunde gelegt. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Marketingkanal, ähnlich wie bei McCalley (1996) und der American Marketing Association (2004), sowohl alle Akteure und Institutionen als auch sämtliche MarketingȬInstrumente umfasst. Darüber hinaus bedeutet diese ganzheitliche Sichtweise, dass der gesamte Distributionsprozess, also der Transfer des Eigentumstitels ebenso wie der physische Transport vom Ort der Herstellung bis zum Ort der Letztverwendung, betrachtet wird. Tabelle 2Ȭ3 fasst die Definition des Begriffs Marketingkanal auf der Basis der vorangegangenen Ausführungen zusammen.
Synthese
Definition Marketingkanal
Tabelle 2Ȭ3
Ein Marketingkanal ist die Menge von Akteuren, die den Eigentumstransfer und den Transport von Gütern vom Ort der Herstellung zum Ort der Letztverwendung gewährleisten und die dabei anfallenden Marketingaktivitäten ausführen.
Auf der Basis dieser Definition des Marketingkanals lässt sich also jede vollȬ ständige Verbindung eines Herstellers mit einem Letztverwender als eigenȬ ständiger Marketingkanal verstehen. Je nach Analyseziel lässt sich ein MarȬ ketingkanal dabei auf verschiedenen Abstraktionsniveaus beschreiben. Um 17
Analyseebenen
2
Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
globale Phänomene wie DisȬȱ und Reintermediation zu erklären ist es beiȬ spielsweise sinnvoll, einen Marketingkanal durch die Distributionsstufen, die er umfasst, zu definieren. Geht es hingegen um die Ausgestaltung eines konkreten zusätzlichen Marketingkanals, so wird eine Analyse zwar auf abstrakter Ebene beginnen, jedoch mit der Auswahl spezifischer einzusetȬ zender Akteure abschließen. Die MarketingkanalȬStrukturen werden im Kapitel 3 ausführlich betrachtet.
2.2.3
Mehrkanalsystem
Da Unternehmen für die Vermarktung ihrer Produkte vielfach mehr als einen Marketingkanal einsetzen, existieren so genannte Mehrkanalsysteme, für die es in der Literatur verschiedene Definitionen und verwandte Begriffe, wie z. B. Absatzhybriden oder Multikanalsysteme, gibt.1 In Tabelle 2Ȭ4 sind ausgewählte Definitionen für Mehrkanalsysteme aufgeführt.
Tabelle 2Ȭ4
Definitionen Mehrkanalsystem Autor
Definition
Bowersox/Cooper (1992), S. 11.
A marketing strategy of dual distribution (multi channel distributions) implies that a manufacturer has selected to simultaneously cultivate alternative channels for the same basic products.
Berman (1996), S. 17.
In dual distribution (multi channel distribution) … the same good or service is sold through different channel arrangements.
Pelton/Strutton/ Lumpkin (2002), S. 80
… occurs when a single firm uses two or more marketing channels to reach one or more market segments. This practice is also called dual distribution.
Homburg/Krohmer (2006), S. 881
Nutzt ein Anbieter dagegen gleichzeitig mehrere Vertriebswege für den Absatz seiner Produkte, so spricht man von einem Mehrkanalsystem.
Rosenbloom (2004), S. 96.
Dual distribution (multi channel distribution) refers to the practice whereby a producer or manufacturer uses two or more different channel structures for distributing the same product to his target market.
In der Literatur wird übereinstimmend der gleichzeitige Einsatz zweier oder mehrerer Marketingkanäle zum Vertrieb des selben Produktes durch einen Hersteller als konstituierendes Merkmal eines Mehrkanalsystems angeseȬ hen. Diese Marketingkanäle können sich dabei beispielsweise an unterȬ schiedliche Kundensegmente richten. 1
18
Vgl. Stern (1988), S. 1; Zentes/Swoboda (2001), S. 388; Rosenbloom (2004), S. 96.
Terminologie des Multi-Channel-Marketings
2.2
Hinsichtlich der Zielsetzung eines Mehrkanalsystems weisen die DefinitioȬ nen ähnliche Sichtweisen auf. Pelton/Strutton/Lumpkin (2002) betonen beiȬ spielsweise als Zweck von Mehrkanalsystemen die Ansprache mehrere Kundensegmente über verschiedene Kanäle. Rosenbloom (2004) spricht vom „Zielmarkt“, was durchaus mit der Vorstellung einer segmentierter KundenȬ struktur in Einklang steht. Es lässt sich somit für den Terminus MehrkanalȬ system folgende Definition ableiten:
Tabelle 2Ȭ5
Definition Mehrkanalsystem Ein Mehrkanalsystem liegt vor, wenn mindestens zwei unterschiedliche Marketingkanäle zur Distribution von Produkten oder Dienstleistungen genutzt werden.
2.2.4
Definition des Multi-Channel-Marketings
Aufbauend auf den Begriffsdefinitionen des Marketings, des MarketingkaȬ nals und des Mehrkanalsystems wird nun die Definition des Begriffs MultiȬ ChannelȬMarketing entwickelt. Dazu werden ausgewählte Definitionen des MultiȬChannelȬMarketings analog der zuvor erarbeiteten Definitionen hinȬ sichtlich subjektbezogener, funktionaler und teleologischer Aspekte analyȬ siert. Tabelle 2Ȭ6 gibt einen Überblick zu den einzelnen Definitionen.
Tabelle 2Ȭ6
Definitionen MultiȬChannelȬMarketing/ȬRetailing/ȬManagement Autor
Definition
Hurth (2001), S. 464 f.
Multi-Channel-Marketing verkörpert somit den Vertrieb von Produkten und/oder Dienstleistungen unter einem Markennamen über mehrere stationäre oder nicht-stationäre Vertriebskanäle überwiegend an Endverbraucher. Die Kanäle sind dabei miteinander verknüpft mit dem Ziel, positive Wechselwirkungen zu erzeugen.
Wirtz (2002), S. 677.
Multi-Channel-Management kann als die integrierte und koordinierte Entwicklung, Gestaltung und Steuerung von Produkt- und Informationsflüssen über multiple Vertriebskanäle zur Optimierung des Distributionsmanagements verstanden werden.
Ahlert/Hesse (2003), S. 17.
Der integrierte, koordinierte Einsatz kommunikativer Maßnahmen im Absatz- und Kommunikationssystem einer Unternehmung zeichnet ein Multi-Channel-Marketing aus. [...] Zusammenfassend geht es beim Multi-Channel-Marketing vor allem darum, die verschiedenen Kommunikations- und Distributionskanäle optimal aufeinander abzustimmen und zu nutzen, um neue Dialogmöglichkeiten zu erschließen, den Vertrieb respektive die Absatzkanäle effizienter zu gestalten und Kosten zu senken.
19
2
Subjektbezogene Aspekte
Tabelle 2Ȭ7
Terminologische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Passenheim (2003), S. 122.
Multi-Channel-Retailing bedeutet zum einen den Auftritt eines Unternehmens unter einem einheitlichen Namen und zum anderen die dem Endverbraucher und Handelsunternehmen nutzbringende Verknüpfung der Leistung in den stationären oder nichtstationären Vertriebskanälen.
Schramm-Klein (2003), S. 21.
Unter Multi-Channel-Retailing wird eine spezifische Ausprägungsform von Mehrbetriebstypenunternehmen verstanden, bei der ein paralleler Einsatz mehrerer, nicht zwingend inhaltlichkonzeptionell unterschiedlicher Betriebs- und/oder Vertriebstypen erfolgt. Zwischen den alternativen Absatzkanälen des MultiChannel-Systems besteht ein wesentlicher Sortimentszusammenhang bzw. eine wesentliche Sortimentsüberlappung. Anhand der unterschiedlichen Betriebs- bzw. Vertriebstypen ist somit die Ansprache der gleichen, aber auch unterschiedlicher Kundensegmente (bzw. Zielgruppen) und/ oder Kundenbedürfnisse möglich.
Winkelmann (2003), S. 468.
Mehrkanalvertrieb (Multi-Channel-Marketing) ist die abgestimmte Steuerung paralleler Vertriebskanäle.
Ahlert (2004), S. 7 f.
Multi-Channel-Marketing umfasst im Gegensatz zum MultiChannel-Retailing die gleichzeitige Koordination von Kommunikations- und Vertriebskanälen sowie Preismanagement und Markenführung.
Bachem (2004), S. 34.
Durch die Beschreibung der drei Kanalfunktionen Ansprache, Vertrieb und Service wurde bereits deutlich, dass Multichannel Marketing nicht nur einem integrativen, sondern auch einem übergreifenden Konzept folgt, das mehrere Marketingdisziplinen vereint.
Bezüglich subjektbezogener Aspekte kann das MultiȬChannelȬMarketing von dem so genannten MultiȬChannelȬRetailing abgegrenzt werden (siehe Tabelle 2Ȭ7). Beim MultiȬChannelȬRetailing wird hauptsächlich die DistribuȬ tionspolitik – nur teilweise auch die Kommunikationspolitik Ȭ jedoch nicht der vollständige Marketingmix betrachtet. Charakteristisch für das MultiȬ ChannelȬMarketing hingegen ist, dass das vollständige MarketinginstruȬ mentarium mit ins Kalkül gezogen wird.
Strukturelle Ausprägung verschiedener MultiȬChannelȬBegriffsverständnisse
Multi-ChannelRetailing
20
Spezifika
Autoren
Nur Distributionspolitik
Hurth (2001) Ahlert/Hesse (2003) Passenheim (2003) Winkelmann (2003)
Terminologie des Multi-Channel-Marketings
Multi-ChannelMarketing
Sämtliche Marketinginstrumente („4P“)
2.2
Wirtz (2002) Ahlert (2004) Bachem (2004)
In der Literatur werden vielfältige funktionale Aspekte des MultiȬChannelȬ Marketings aufgeführt. Bachem (2004) definiert beispielsweise mit der DarȬ stellung der Funktionen Ansprache (Information), Vertrieb und (AfterȬ Sales)ȬService den gesamten Absatzprozess als zentrale Funktion des MultiȬ ChannelȬMarketings. Ahlert/Hesse (2003) schreiben dem MultiȬChannelȬ Marketing in einer erweiterten Sicht Wertschöpfung in KommunikationsȬ und Distributionskanälen zu, Ahlert (2004) ergänzt dies um PreismanageȬ ment und Passenheim (2003) um Markenführung.
Funktionale Aspekte
Hinsichtlich teleologischer Aspekte sind unterschiedliche Zielvorstellungen zu konstatieren. Berman (1996) stellt die Vorteile aus Sicht der Markenpolitik heraus, wonach Produkte eines Unternehmens durch ein Mehrkanalsystem unter verschiedenen Markennamen an GroßȬ und Endkunden vertrieben werden können.1 Ahlert/Hesse (2003) betonen als Zielsetzung EffizienzsteiȬ gerungen und Kostensenkungen sowie die Möglichkeit, durch Nutzung mehrerer Kanäle die Erschließung neuer, kundengerichteter DialogmöglichȬ keiten voranzutreiben. Hurth (2001) spricht bezüglich des Ziels des MultiȬ ChannelȬMarketings von der Möglichkeit, Synergieeffekte und CrossȬ SellingȬPotenziale zu realisieren.
Teleologische Aspekte
Auf eine Einengung des MultiȬChannelȬMarketingȬBegriffs hinsichtlich spezifischer Zielsetzungen wird hier bewusst verzichtet. Stattdessen wird auf das Eingangs vorgestellte Oberziel des Marketings, die „Verwirklichung der Unternehmensziele durch eine dauerhafte Befriedigung der KundenbeȬ dürfnisse“ rekurriert. Basierend auf den Definitionen der Begriffe Marketing, Marketingkanal und Mehrkanalsystem kann vor dem Hintergrund der bisherigen Einordnungen das MultiȬChannelȬMarketing wie folgt definiert werden:
Tabelle 2Ȭ8
Definition MultiȬChannelȬMarketing Unter Multi-Channel-Marketing versteht man den Prozess der Planung, Durchführung und Kontrolle aller Marketingaktivitäten in einem Mehrkanalsystem. Dabei sollen durch eine dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse die Unternehmensziele verwirklicht werden.
1
Vgl. Berman (1996), S. 485.
21
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
3 Akteure, Strukturen und Beziehungen
Hersteller haben ein Interesse daran, dass ihre Produkte kostenȬ und zeitefȬ fizient an die Endkunden abgesetzt werden. Dies kann auf unterschiedlichen Wegen, d. h. über unterschiedliche Kanäle, geschehen. Diese Kanäle lassen sich als eine vertikale Struktur veranschaulichen, deren Formen und SpezifiȬ ka im Abschnitt 3.1 betrachtet werden. Verfolgt der Hersteller eine MultiȬChannelȬMarketingȬStrategie, hat er die Möglichkeit, die einzelnen Stufen der (vertikalen) Marketingkanäle entspreȬ chend seiner MultiȬChannelȬMarketingȬZiele unterschiedlich auszugestalȬ ten, beispielsweise auf gleichen Distributionsstufen verschiedene Akteure einsetzen. Die Ausgestaltungsmöglichkeiten auf horizontaler Ebene werden in Abschnitt 3.2 genauer thematisiert. Bei der Distribution eines Produktes entlang eines Marketingkanals stehen die verschiedenen Akteure in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Diese Austauschbeziehungen lassen sich durch verschiedene so genannte ChannelȬFlows systematisieren. Das Management dieser ChannelȬFlows ist eine wesentliche Komponente eines integrierten und erfolgreichen MultiȬ ChannelȬMarketing. Mit den wesentlichen Formen von ChannelȬFlows im MultiȬChannelȬMarketing befasst sich Abschnitt 3.3. Abbildung 3Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels grafisch dar.
Abbildung 3Ȭ1
Struktur des Kapitels
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
• Definition der vertikalen Struktur eines Marketingkanals • Darstellung direkter und indirekter Kanäle • Ableitung der wesentlichen Distributionsstufen in einem Marketingkanal
22
Horizontale Strukturen
• Definition der horizontalen Struktur • Beschreibung unterschiedlicher Akteure auf horizontaler Ebene
Channel-Flows im Multi-ChannelMarketing • Beschreibung der unterschiedlichen Channel-Flows im Mulit-Channel-Marketing
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
3.1
3.1
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
Die vertikale Struktur eines Marketingkanals beschreibt den Weg eines ProȬ dukts vom Hersteller zum Endkunden und zeigt folglich die am Vertrieb eines Produktes beteiligten Distributionsstufen. Im Abschnitt 3.1.1 werden zunächst vertikale Strukturen eines Marketingkanals definiert und verschieȬ dene Formen aufgezeigt. Anschließend erfolgt in Abschnitt 3.1.2 eine nähere Beschreibung der einzelnen wesentlichen Distributionsstufen und der Rollen der Hersteller und Absatzmittler. Aus didaktischen Gründen werden die Endkunden etwas später, im Rahmen des Kapitels 4, behandelt.
3.1.1
Definition der vertikalen Struktur
Die vertikale Struktur eines Marketingkanals wird durch die DistributionsȬ stufen im Kanal, denen ein Spektrum an MarketingȬ und Vertriebsaufgaben zugeteilt ist, definiert.1 Die Vertriebsaufgaben sind im Interesse des HerstelȬ lers, aber auch der anderen Beteiligten Akteure, so auf die potenziellen StuȬ fen zu verteilen, dass das Produkt effizient, schnell und unversehrt zum Endkunden gelangt. Auf Basis dieser Überlegungen leitet sich die Planung der vertikalen Struktur eines Marketingkanals ab.
Definition
Die vertikale Marketingkanalstruktur lässt sich über verschiedenartige KriȬ terien bestimmen. Beispielsweise kann eine mögliche Unterteilung anhand des Stufengrads, d. h. nach der Zahl der eingeschalteten Distributionsstufen, eines Marketingkanals erfolgen.2 In einem zweistufigen Marketingkanal stellen Hersteller und Endkunden die einzigen Distributionsstufen dar. In Abhängigkeit zusätzlich eingeschalteter Distributionsstufen spricht man demnach beispielsweise von dreiȬ, vierȬ oder fünfstufige Marketingkanälen.3
Stufengrad als StrukturȬ r kriterium
Ein weiteres Kriterium zur Abgrenzung von Kanalstrukturen, das mit dem Stufengrad eng in Verbindung steht, stellt die Art der Beziehung zum EndȬ kunden dar. Hier kann grundsätzlich zwischen dem direkten und indirekten Vertrieb unterschieden werden. Charakteristisch für den Direktvertrieb ist, dass der Hersteller seine Produkte direkt an den Endkunden ohne die ZwiȬ schenschaltung eines Absatzmittlers absetzt. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die indirekte Vertriebsform durch die Einschaltung von Absatzmittlern in den Marketingkanal aus. Auf die Absatzmittler, bei denen es sich um
Kundenkontakt als StrukturȬ r kriterium
1 2 3
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 21. Vgl. Wirtz (2002), S. 677. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 20.
23
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
herstellereigene oderȱ Ȭfremde Verkaufsorgane handeln kann,1 wird im AbȬ schnitt 3.1.2.2 näher eingegangen. Abbildung 3Ȭ2 zeigt typische Formen mehrstufiger bzw. direkter und indirekter Marketingkanäle.
Abbildung 3Ȭ2
Unterscheidung von vertikalen Kanalstrukturen2 Hersteller
Direktvertrieb
Hersteller
Distributionsstufe
Großhändler Cash & carry Großhandel
Einzelhändler
Stationärer Handel Ladengeschäfte
Endkunden
...
Endkunde 1
...
Vermittler Herstellervermittler
Hersteller Fillialen Absatzhelfer
Großhandel
...
Versandhandel Universalversand
Endkunde 2
Ambulanter Handel ...
Endkunde 3
Straßenhandel
...
Endkunde 4
Absatzhelfer, auf die ausführlicher im Abschnitt 3.2.4 eingegangen wird, nehmen verkaufsunterstützende Vertriebsfunktionen wahr. Sie können auf jeder Distributionsstufe auftreten, stellen jedoch keine eigene Stufe dar, da sie kein Eigentum an der Ware erwerben und demnach auch kein AbsatzriȬ siko in Verbindung mit der Ware eingehen.3
3.1.2 DistributionsȬ stufen im direkȬ ten Vertrieb
Distributionsstufen im Marketingkanal
Die Unterscheidung in direkten und indirekten Vertrieb bildet die Grundlage der Identifikation der relevanten Distributionsstufen. Beim direkten Vertrieb liegt definitionsgemäß ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Hersteller und dem Endverbraucher vor. Diese beiden stellen demnach auch die einzigen beteiligten Distributionsstufen in einem direkten Marketingkanal dar. 1 2 3
24
Vgl. Meffert (2000), S. 615. In Anlehnung an Rosenbloom (2004), S. 20. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 32.
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
3.1
Der indirekte Vertrieb eines Produkts impliziert, dass mindestens ein AbȬ satzmittler zwischen Hersteller und Endkunde geschaltet ist. Absatzmittler sind in Abhängigkeit der Eigenschaft des Produkts und der DistributionszieȬ le verschiedenartig. Ihre Rollen lassen sich klassischerweise nach den DistriȬ butionsstufen GroßȬ und Einzelhandel differenzieren. Abbildung 3Ȭ3 stellt die unterschiedlichen Distributionsstufen als Schematisierung der in Abbildung 3Ȭ2 gezeigten Marketingkanäle dar.
DistributionsȬ stufen im indirekȬ ten Vertrieb
Distributionsstufen im Marketingkanal
Abbildung 3Ȭ3
Distributionsstufe Großhandel
Distributionsstufe Einzelhandel
Absatzhelfer
Distributionsstufe Hersteller
Distributionsstufe Endkunden
3.1.2.1
Hersteller
Ein Hersteller ist der Erzeuger eines Produkts oder einer Dienstleistung. Hersteller sind eine sehr heterogene Gruppe, die man beispielsweise nach der Anzahl an produzierten Gütern oder nach der Unternehmensgröße differenzieren kann. Dies lässt sich gut veranschaulichen, wenn man beiȬ spielsweise die Siemens AG mit ihrem sehr breiten Sortiment an Produkten mit der lediglich auf die Herstellung einiger weniger Produkte spezialisieren Porsche AG oder sogar mit einer kleinen Sparkasse als lokalem Anbieter von Finanzdienstleistungen vergleicht.
Vielzahl verȬ r schiedener HerȬ r steller
Eine klassische Unterscheidung ist die in Hersteller des produzierenden und des verarbeitenden Gewerbes. Letztere verwenden Vorprodukte anderer Hersteller für die eigene Produktion von Gütern. Tabelle 3Ȭ1 gibt einen ÜberȬ blick über die unterschiedlichen GewerbeȬ und Erzeugungsarten im produȬ zierenden und verarbeitenden Gewerbe.
Produzierendes und verarbeitenȬ des Gewerbe
25
3 Tabelle 3Ȭ1
Akteure, Strukturen und Beziehungen
GewerbeȬȱund Erzeugungsarten im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe1 Gewerbe- und Erzeugungsarten Produzierendes Gewerbe
Verarbeitendes Gewerbe
3.1.2.2
-
Erzeugung von Gebrauchsgütern
-
Erzeugung von Verbrauchsgütern
-
Energieerzeugung
-
Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung
-
Textil- und Bekleidungsgewerbe
-
Papier-, Verlags- und Druckgewerbe
-
Herstellung von chemischen Erzeugnissen
-
Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren
-
Glasgewerbe, Herstellung von Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden
-
Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik
-
Fahrzeugbau
Absatzmittler
Absatzmittler sind wirtschaftlich und rechtlich selbstständige HandelsunȬ ternehmen, die in eigenem Namen und auf eigene Rechnung am Markt auftreten2 und bei indirektem Vertrieb zwischen Hersteller und EndabnehȬ mer eingeschaltet sind. Je nach Kunden des Handelsunternehmens wird zwischen GroßȬȱund Einzelhandelsunternehmen unterschieden. Unterscheidung GroßȬ und Einzelhandel
Der Großhandel als eine Gruppe der Absatzmittler umfasst HandelsunterȬ nehmen, die in eigenem Namen auf eigene oder fremde Rechnung Waren kaufen und diese unverändert oder nach handelsüblicher Manipulation an andere Handelsunternehmen, Weiterverarbeiter oder gewerbliche VerwenȬ der absetzen.3 Der Großhandel verkauft seine Produkte also nicht an private Haushalte, sondern an geschäftliche Abnehmer. Der Einzelhandel als die zweite Gruppe der Absatzmittler umfasst Unternehmen, die wirtschaftliche Güter zum größten Teil an Konsumenten bzw. private Haushalte verkaufen.4 1 2 3 4
26
Vgl. Statistisches Bundesamt (2005). Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 106. Vgl. Tietz (1993), S. 10. Vgl. Berman (1996), S. 163.
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
3.1
Mit der Einführung des Internets traten Unternehmen zunehmend direkt mit den Kunden in Kontakt, um Geschäfte erfolgreicher abzuwickeln. In diesem Zusammenhang gewann der Begriff „Disintermediation“ (Abbau einer Absatzmittlerrolle) zunächst an Bedeutung. Damit ist gemeint, dass durch neue Technologien, wie z. B. das Internet und moderne ITȬ T Systeme, 1 die Absatzmittlerrolle teilweise überflüssig geworden ist. Allerdings zeigte sich für einige Unternehmen, dass dieser Weg nicht einfach zu begehen war und man auf Absatzmittler nicht gänzlich verzichten konnte. Dies hatte verschiedenartige Gründe, wie z. B. hohe Kosten bei der Abwicklung kleineȬ rer Bestellungen, die Beantwortung zahlreicher Kundenanfragen oder auch die zunehmende Konfrontation mit den Absatzmittlern.2 Die WiedereinfühȬ rung von Absatzmittlern, was auch als Reintermediation bezeichnet wird, war in solchen Fällen die Folge.
DisȬȱund ReinterȬ r mediation
Absatzmittler übernehmen in der Regel spezifische Aufgaben, die der HerȬ steller aus wirtschaftlichen Gründen nicht übernehmen will oder aus organiȬ satorischen Gründen nicht übernehmen kann. Dadurch verliert der HerstelȬ ler jedoch einen Teil seiner Kontrolle über den Vertriebsprozess und verzichȬ tet außerdem auf einen Teil der möglichen Gewinne.3 Die Bedeutung der Rolle der Absatzmittler lässt sich sowohl anhand von konsumentenbezogeȬ nen als auch anhand von herstellerbezogenen Aspekten darstellen.
Rolle derr Absatzmittler
Ein konsumentenbezogener Aspekt ist die in bestimmten Kundensegmenten nur sehr zögerliche Akzeptanz von neuen Technologien, die zur DisinterȬ mediation führen. Vor allem ältere Menschen stehen dem Internet immer noch mit einiger Skepsis gegenüber und bevorzugen in vielen Fällen den Einkauf bei einem Einzelhändler. Darüber hinaus gibt es bestimmte Güter, die eher eine Intermediation verlangen. So erfordern beispielsweise sehr komplexe Produkte oder auch Luxusgüter eine persönliche Beratung bzw. eine exklusive persönliche Atmosphäre, was oftmals nur mit der Hilfe von Absatzmittlern erreicht werden kann.
KonsumentenȬ bezogene Aspekte
Den kundenbezogenen Gründen für die Einbeziehung von Absatzmittlern ist auch die zum Teil hohe Marktmacht der Absatzmittler zuzurechnen, die einer Disintermediation im Wege stehen kann. Häufig verfügen ZwischenȬ händler über eine etablierte Infrastruktur, die für Hersteller nur mit erhebliȬ chen Investitionen replizierbar ist. Ein weiterer wichtiger Grund ist die kritiȬ sche Masse an Produkten, über die Absatzmittler verfügen. Durch die AgȬ gregation verschiedener Produkte unterschiedlicher Hersteller in einem ProduktȬPortfolio wird ihr Angebot attraktiv für Konsumenten. Diese kritiȬ sche Masse ist für Hersteller nur mit großem Aufwand erreichbar.4 1 2 3 4
Vgl. Wirtz (2001), S. 161; Rosenbloom (2004), S. 16. Vgl. Sen/King (2003), S. 154 f. Vgl. McCalley (1996), S. 6. Vgl. Meffert (2000), S. 924; Rosenbloom (2004), S. 438.
27
3 HerstellerȬ r bezogene Ursachenȱȱ
Akteure, Strukturen und Beziehungen
Seitens der Hersteller gibt es zwei Faktoren, die mit WirtschaftlichkeitsüberȬ legungen in Verbindung stehen und aus Herstellersicht eine ZwischenschalȬ tung von Absatzmittlern begründen.1 Der erste Faktor ist eng mit dem PrinȬ zip der Spezialisierung und Arbeitsteilung verbunden, während der zweite Faktor sich auf die Optimierung der Kontaktanzahl seitens des Herstellers bezieht und im Folgenden als Kontakteffizienz bezeichnet wird. Beide FakȬ toren haben Auswirkungen auf eine effizientere Gestaltung des VertriebsȬ prozesses. Absatzmittler übernehmen dabei wesentliche effizienzsteigernde Aufgaben. Im Rahmen der Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung werden einzelne AufgaȬ ben bestimmten Gruppen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Ressourcen übertragen. Durch die Erzielung von Lerneffekten seitens der Spezialisten kann die Gesamtaufgabe effizienter, d. h. schneller und kostengünstiger ausgeführt werden. Demzufolge übernimmt der Absatzmittler als Spezialist Aufgaben, wie z. B. die Kontaktherstellung zwischen Anbieter und EndkunȬ de, für die der Hersteller keine Ressourcen bzw. Expertise aufgebaut hat. Grundsätzlich können in diesem Zusammenhang verschiedene Modelle der Arbeitsteilung zwischen Hersteller und Absatzmittler umgesetzt werden. Je nach Grad der vertikalen Integration gibt es ein vielfältiges Spektrum an Zwischenformen. Beispielhafte Formen sind langfristige Verträge, strategiȬ sche Allianzen, Joint Ventures oder Franchising. ȱ Durch die Zwischenschaltung eines Absatzmittlers kann ein Hersteller seine Kontakteffizienz erhöhen.2 Möchte ein Hersteller seine Produkte z. B. an fünf Kunden verkaufen, muss er ohne einen Absatzmittler die einzelnen Kunden direkt kontaktieren und somit fünf Kontaktwege pflegen. Wird jedoch ein Absatzmittler zwischen Hersteller und Käufer geschaltet, verrinȬ gern sich die Kontaktwege auf einen, wobei der Hersteller dann nur noch zum Absatzmittler einen direkten Kontakt hätte (vgl. Abbildung 3Ȭ4).
1 2
28
Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 17 f. Vgl. Berman (1996), S. 11.
Vertikale Struktur eines Marketingkanals
Anzahl der Kontaktwege mit und ohne Absatzmittler1
Abbildung 3Ȭ4
V e r k a u f o h n e A b s a tz m ittle r H e rs te lle r
Kunden V e r k a u f ü b e r e in e n A b s a tz m ittle r H e rs te lle r A b s a tz m ittle r
Kunden
Die Anzahl der einzusetzenden Absatzmittler hängt sehr stark von der AnȬ zahl der Endkunden in einem Markt ab. Darüber hinaus sollte ein Hersteller berücksichtigen, dass nicht jeder Absatzmittler über die gleichen Fähigkeiten und Motivationen besitzt, seine Produkte zu verkaufen.2 Zudem gibt es Präferenzunterscheide einzelner Endkunden bezüglich der Auswahl eines Absatzmittlers, so dass eine größere Anzahl eingesetzter Absatzmittlern grundsätzlich das Absatzrisiko des Herstellers reduzieren kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Absatzmittler in der Distribution eine wichtige Rolle einnehmen. Durch sie wird in vielen Fällen ein entscheidender Mehrwert beim Vertrieb von Produkten geschaffen, der sich vor allem durch Kostenersparnisse und Effizienzsteigerungen zeigt. Vor allem die Übernahme spezifischer Aufgaben durch den Absatzmittler, für die der Hersteller keine Expertise bzw. Ressourcen besitzt, und die ErhöȬ hung der Kontakteffizienz durch die Zwischenschaltung eines AbsatzmittȬ lers stellen Mehrwert schaffende Faktoren in der Distribution dar.
1 2
3.1
In Anlehnung an Coughlan et al. (2001), S. 8. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 7.
29
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
3.2 Definition und Akteure der horiȬ zontalen Struktur
Horizontale Strukturen
Neben der Bestimmung verschiedener Distributionsstufen auf vertikaler Ebene hat der Hersteller zusätzlich verschiedene AusgestaltungsmöglichȬ keiten innerhalb einer bestimmten Stufe und zwar sowohl innerhalb eines Marketingkanals als auch, wie später gezeigt wird, zwischen mehreren Marketingkanälen auf Ebene der gleichen Distributionsstufe. Die horizontaȬ le Distributionsstruktur definiert die Art und Anzahl der Akteure auf jeder einzelnen Distributionsstufe.1 Beispiele für mögliche Typen von Akteuren innerhalb einer Distributionsstufe hat bereits die Abbildung 3Ȭ2 gezeigt. Auf die Akteure der Großhandelsstufe, den Großhändler, den Vermittler sowie die Herstellerfiliale, wird im Abschnitt 3.2.1 näher eingegangen. Auf der Einzelhandelsstufe lassen sich mit dem stationären Handel, dem VerȬ sandhandel und dem ambulanten Handel ebenfalls drei Akteure auf obersȬ ter Ebene betrachten, unter denen gegebenenfalls weitere Akteure im EinȬ zelhandel zu subsumieren sind. Die Akteure der Distributionsstufe des EinȬ zelhandels werden in Abschnitt 3.2.2 betrachtet. Obwohl es im direkten Vertrieb definitionsgemäß nur die HerstellerȬȱ und Endkundenebene gibt, hat der Hersteller im Rahmen des Direktvertriebs dennoch unterschiedliche Ausgestaltungsmöglichkeiten der MarketingkaȬ nalstruktur, wie im Abschnitt 3.2.3 gezeigt wird. Die Absatzhelfer werden aufgrund ihrer großen Bedeutung auf allen Distributionsstufen in Abschnitt 3.2.4 näher betrachtet.
3.2.1
Akteure auf Großhandelsebene
Auf der Großhandelsebene lassen sich die drei übergeordneten Akteure Großhändler, Vermittler und Herstellerfilialen unterscheiden.2 Eine DiffeȬ renzierungsmöglichkeit ist ihre jeweilige rechtliche Stellung zum Hersteller, weil sie u. a. auf die Machtverhältnisse zwischen Hersteller und AbsatzmittȬ ler schließen lässt. Daraus ergeben sich diejenigen, die gesellschaftsrechtlich unabhängig vom Hersteller sind und zum anderen solche Akteure, die sich im Eigentum des Herstellers befinden. Großhändler
Großhändler machen die Mehrheit der Großhandelsfirmen aus und vereinen den Hauptteil der im Großhandel erzielten Umsätze auf sich.3 Dabei handelt es sich um herstellerunabhängige Wiederverkäufer, d. h. Unternehmen, die
1 2 3
30
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 913. Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 40. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 39.
Horizontale Strukturen
3.2
Produkte in großen Mengen vom Hersteller kaufen, um sie an EinzelhanȬ delsunternehmen oder andere Großhandelsunternehmen weiterzuverkauȬ fen. Großhändler sind eigenständige Firmen, die Eigentum an der Ware erlangen und demzufolge das Risiko in Verbindung mit den Gütern tragen.1 Ihr Gewinn ergibt sich aus der Differenz zwischen dem VerkaufsȬȱund dem Einkaufspreis, der so genannten Handelsspanne. Großhändler lassen sich anhand der übernommenen Distributionsfunktionen weiter differenzieren. Abbildung 3Ȭ5 stellt auf dieser Basis verschiedene GroßhändlerȬTypen und die typischerweise von diesen wahrgenommenen Funktionen dar.
Typen der Großhändler und deren übernommene Distributionsfunktionen2
Transaktion
Lagerung
Transport
Finanzierung
Sortimentsbildung
Qualitätssicherung
Abbildung 3Ȭ5
Zustell-Großhändler
9
9
9
0
0
0
Cash-und-CarryGroßhändler
9
9
-
-
0
0
Strecken-Großhändler
9
-
-
-
-
0
Sortiments-Großhändler
9
0
0
0
0
0
Spezial-Großhändler
9
0
0
0
0
0
Funktionen
Akteur
9 Funktion ist spezifisches Akteursmerkmal -
Funktion wird von diesem Akteur nicht übernommen
0 Funktion kann übernommen werden
Dem ZustellȬ und Liefergroßhändler kommt eine große Bedeutung zu.3 Er liefert Waren auf Bestellung an Einzelhändler, Weiterverarbeiter in Industrie und Handwerk oder Gewerbliche Verbraucher, z. B. die Gastronomie. Ein 1 2 3
Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 41. In Anlehnung an Specht/Fritz (2005), S. 75. Vgl. im Folgenden Specht/Fritz (2005), S. 75 f.
31
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
Beispiel hierfür ist die Unternehmensgruppe „Lekkerland“. Im Gegensatz dazu arbeiten so genannte CashȬundȬCarryȬGroßhändler nach den PrinziȬ pien Selbstbedienung und Selbstabholung. Sie übernehmen keinen TransȬ port der Ware, kommen aber wie ZustellȬȱ und Liefergroßhändler für die Lagerung auf. Ein bekanntes Beispiel ist die Großhandelskette „Metro“. StreckenȬ, SortimentsȬ und Spezialgroßhändler grenzen sich von den beiden erstgenannten Akteuren dadurch ab, dass sie als spezifisches Merkmal nur die Transaktionsfunktion erfüllen und somit in der Regel nur am Geldfluss, jedoch nicht am physischen Warenfluss beteiligt sind. Funktionen wie LageȬ rung und Transport werden normalerweise nicht übernommen und erfolgen direkt zwischen Hersteller und Abnehmer. Beide können von SortimentsȬȱ und Spezialgroßhändlern allerdings auf Anfrage ausgeführt werden. Diese unterscheiden sich voneinander insbesondere durch das angebotene SortiȬ ment. Während sich der Sortimentsgroßhändler mit einem breiten und flaȬ chen Sortiment an den Sortimenten seiner Zielgruppe orientiert, führt der Spezialgroßhändler ein spezialisiertes Leistungsprofil in Form eines schmaȬ len und meist tiefen Warenprogramms. Zusätzliche Funktionen wie FinanȬ zierung, Sortimentsbildung und Qualitätssicherung werden nur von manȬ chen Großhändlern optional erfüllt. Vermittler mit Absatzrisiko
Zwischenhändler sind eine besondere Form der Vermittler. Sie sind ebenfalls unabhängige Absatzmittler, die jedoch im Unterschied zu Absatzhelfern selbst Absatzrisiken tragen. Ihre Leistung besteht in der Verkaufsanbahnung der Produkte des Herstellers, den sie aktiv vertreten.1 Die Kundennachfrage wird an den Hersteller zur Bearbeitung direkt weitergeleitet. Ein Beispiel bietet etwa die holzverarbeitende Industrie. Hier werden vielfach HalbferȬ tigprodukte, z. B. Bretter oder Leimholzplatten, aus Sägewerken oder WeiȬ terverarbeitungsstätten an Endprodukthersteller verkauft. Die Kontakte laufen hier, insbesondere im grenzüberschreitenden Handel, oft über selbstȬ ständige Zwischenhändler, die die erforderlichen Spezifikationen von z.B. Möbelherstellern an die Erzeuger von Brettern und Komponenten herantraȬ gen. Je nachdem, ob sie auf eigene oder fremde Rechnung auftreten, werden sie über eine Handelsspanne oder Provisionen vergütet.
Herstellerfiliale
Eine Herstellerfiliale befindet sich im Eigentum des Herstellers und wird von diesem gesteuert. Die Filiale ist physisch allerdings vom Werk des HerȬ stellers getrennt. Von dort aus wird die Ware im Großhandel vertrieben. Einige dieser Filialen haben zusätzlich ein Warenlager angeschlossen, wähȬ rend andere lediglich aus einem Verkaufsbüro bestehen.2 Herstellerfilialen sind häufig im Bereich der Modebranche anzutreffen.
1 2
32
Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 15. Vgl. Berman (1996), S. 163.
Horizontale Strukturen
3.2.2
3.2
Akteure auf Einzelhandelsebene
Akteure im Einzelhandel lassen sich anhand typischer Merkmale unterȬ scheiden und einordnen. Bei den Unterscheidungsmerkmalen handelt es sich beispielsweise um das Sortiment, die Betriebsgröße, das BedienungsȬ prinzip, die Distanzüberwindung, den Kundenkreis, die Verkaufsfläche oder die rechtliche Anbindung.1 Die Unterteilung in Versandhandel, den statioȬ nären Handel sowie den ambulanten Handel wird diesen UnterscheiȬ dungsmerkmalen gerecht.2 Unter dieser groben Segmentierung lassen sich Untergruppen bilden und einzelne, von den Konsumenten wahrnehmbare Akteure einordnen, deren wichtigste in Abbildung 3Ȭ6 dargestellt werden.
Akteure im Einzelhandel3
Abbildung 3Ȭ6
Einzelhandel
Stationärer Handel
Versandhandel
Universalversand
Spezialversand
Ambulanter Handel
Restlicher stationärer Handel
Hausierergewerbe
Superm arkt
Tankstelle
Rollender Verkaufswagen
Fachmarkt
Lagerhandel
Kaffeefahrt
SB-W arenhaus
Autom atenhandel
Verkaufsschiff
Ladengeschäfte
Straßenhandel Markthandel
Discounter Boutique Verbrauchermarkt Fach-/Spezialgeschäft W aren-/Kaufhaus Kiosk
Beim Versandhandel werden dem Kunden Produkte entweder per OnlineȬ oder Offlinemedien angeboten. Onlinemedien sind etwa das stationäre oder mobile Internet. Im Bereich der Offlinemedien stehen dem Anbieter beiȬ spielsweise Werbebriefe, CDȬROMȬKataloge, Printkataloge oder Handzettel zur Verfügung, um den Kontakt zum Kunden anzubahnen, Informationen
1 2 3
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 58. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 1014 ff. In Anlehnung an Rimpler (1995), S. 68.
33
Versandhandel
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
über seine Produkte zu verteilen und dadurch den Verkauf der Produkte zu fördern.1 Die Bestellung der gewünschten Produkte kann teilweise mündȬ lich (in der Regel telefonisch), schriftlich (als Fax oder klassisch per Post) oder auch im Internet getätigt werden. Die Zustellung erfolgt auf direktem Weg vom Versandhändler auf dem Postweg oder durch entsprechende Transportunternehmen. Die Bezahlung kann per Kreditkarte, Nachnahme, Vorabüberweisung, im Lastschriftverfahren oder auch auf Rechnung erfolgen. Elektronische BeȬ zahlverfahren, etwas das System PayPal der Auktionsplattform eBay, haben sich als Mittlerstufe im Zahlungsprozess etabliert. Letztlich wird auch hier über ein klassisches Verfahren, Kreditkarte oder Lastschrift, abgerechnet. Im Rahmen des Versandhandels können die beiden Erscheinungsformen UniversalȬ und Spezialversand voneinander getrennt werden. Sie unterȬ scheiden sich insbesondere in der Sortimentsbreite und Ȭtiefe. Quelle und Otto sind Beispiele eines Universalversandhandels mit sehr breiter AngeȬ botspalette. Spezialisiert auf den Radsportbedarf mit dafür sehr in die Tiefe gehender Angebotspalette ist zum Beispiel die „Rose Versand GmbH“. Stationärer Handel
Beim stationären Handel werden die Produkte an einem festen Ort angeboȬ ten. Klassischerweise sind das Ladengeschäfte, die sich je nach SortimentsȬȱ und Preispolitik unterscheiden. Das Warenhaus zeichnet sich durch ein umfassendes Sortiment aus, wohingegen ein Fachmarkt ein thematisch enȬ ges, aber tiefgehendes Sortiment aufweist. Ein Discounter zeichnet sich durch ein flaches Sortiment mit strategischem und kommunikativem Fokus auf günstigen Preisen aus. Zusätzlich zum traditionellen Ladenverkauf gibt es auch andere Formen des stationären Handels, wie z. B. den Automatenhandel oder so genannte „Convenience Stores“ in Tankstellen, die oft rund um die Uhr für die KunȬ den erreichbar sind.
Ambulanter Handel
Beim ambulanten (auch halbstationären) Handel findet der Verkauf an keiȬ nem festen Standort statt. Eine typische Form des ambulanten Handels stellt der StraßenȬȱoder Markthandel dar. Ein Beispiel für Straßenhandel sind die zahlreichen mobilen Verkaufsstände an LandȬ und Nebenstraßen, die je nach Saison Obst und Gemüse anbieten. Markthandel findet sich beispielsweise auf Wochenmärkten. Daneben gibt es gerade außerhalb der Ballungsgebiete zahlreiche „rollende Bäckerläden“ und sogar mobile Bankfilialen, die mit entsprechenden Fahrzeugen regelmäßig bestimmte Routen abfahren.
1
34
Vgl. Rimpler (1995), S. 289 ff.; Tomczak (1999), S. 71.
Horizontale Strukturen
3.2.3
3.2
Formen des Direktvertriebs
Beim direkten Vertrieb treten keine Absatzmittler auf. Dem Hersteller stehen verschiedene Möglichkeiten der Ausgestaltung des Direktvertriebs offen, wobei er die volle Kontrolle über alle Marketingaktivitäten in diesen KanäȬ len besitzt. Andererseits muss er alle Funktionen selbst übernehmen, die in indirekten Marketingkanälen durch Absatzmittler übernommen würden. Typische Formen des Direktvertriebs sowie deren unterschiedliche AusgesȬ taltungsmöglichkeiten werden im Folgenden aufgezeigt. Im vorangegangenen Abschnitt wurden Versandhändler als Akteure auf Einzelhandelsebene vorgestellt. Versandhandel kann jedoch auch vom HerȬ steller selbst vorgenommen werden. Der PCȬHersteller Dell wirbt beispielsȬ weise in unterschiedlichen Medien für seine Produkte. PC oder Notebooks können im Internet konfiguriert und bestellt werden. Der Versand erfolgt unmittelbar an den Kunden.
Versandhandel
Der Außendienst des Herstellers stellt eine weitere Form des Direktvertriebs dar. Dabei versucht ein Außendienstmitarbeiter des Herstellers, einen direkȬ ten Kontakt mit dem Kunden herzustellen und ihn durch bestimmte VerȬ kaufsförderungsmaßnahmen zum Kauf der Produkte zu bewegen. Der AuȬ ßendienstmitarbeiter, der in einem Angestelltenverhältnis steht, erhält ein vergleichsweise hohes Fixgehalt bei geringerer variabler Vergütung. Im Gegensatz dazu wird ein Handelsvertreter, der in fremdem Namen und auf fremde Rechnung agiert, stärker auf erfolgsabhängiger Basis vergütet.1
Außendienst
In den letzten Jahren haben sich vermehrt so genannte FactoryȬOutlets entȬ wickelt. Dabei handelt es sich um großflächige Verkaufsstellen von HerstelȬ lern, die in Direktverkaufszentren häufig in der Nähe von großen EinzugsȬ gebieten betrieben werden. Für den Kunden ergeben sich hierbei nicht unerȬ hebliche Preisvorteile gegenüber dem Handel. Diese resultieren daraus, dass normalerweise auf die im Einzelhandel übliche, bisweilen aufwändige WaȬ renpräsentation verzichtet und in der Regel Ware zweiter Wahl angeboten wird, z. B. Textilien der letzten Saison oder Auslaufmodelle. Ein Großteil der FactoryȬOutlets sind im Bekleidungsbereich angesiedelt. Ein bekanntes Beispiel in Deutschland stellt das FactoryȬOutlet von „Hugo Boss“ dar.
Factory r ȬOutlets
1
Vgl. Wirtz (2005b), S. 148.
35
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
3.2.4 Rolle derr Absatzhelfer
Absatzhelfer
Bei Absatzhelfern handelt es sich um wirtschaftlich und rechtlich selbststänȬ dige Unternehmen, die Hersteller und Absatzmittler beim Absatz von Produkten unterstützen.1 Sie grenzen sich von Absatzmittlern dadurch ab, dass sie nicht Eigentümer der Produkte werden und somit kein Absatzrisiko eingehen. Sie stehen somit nicht in der vertikalen Struktur eines MarkeȬ tingskanals, sind jedoch Teil der horizontalen Struktur, da sie auf jeder DistȬ ributionsstufe neben den in den vorangegangenen Abschnitten beschriebeȬ nen Akteuren auftreten können. Die Tatsache, dass Absatzhelfer bestimmte Aufgaben im Distributionsprozess und in anderen Teilbereichen des MarkeȬ tingȬMixes übernehmen, ist eng mit der Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung verbunden. Infolge dieser Arbeitsteilung können Absatzhelfer bestimmte Aufgaben, wie z. B. Transport, Lagerung, Kontaktanbahnung und FinanzieȬ rung, mit wesentlich höherer Effizienz ausführen, wenn die Hersteller und Absatzmittler hiefür keine Ressourcen bzw. Expertise besitzen.2 Bei spezialiȬ sierten Leistungen, wie etwa dem Transport, können zudem SynergieȬ und Skaleneffekte genutzt werden. Bezüglich der Absatzhelfer lassen sich drei übergeordnete Akteursgruppen nennen, nämlich Absatzhelfer in der Logistik, Absatzhelfer in der AkquisitiȬ on und leistungsergänzende Absatzhelfer.3 Diese lassen sich weiter differenȬ zieren, wie Abbildung 3Ȭ7 anhand von Beispielen zeigt.
Abbildung 3Ȭ7
Beispiele für Akteure im Bereich der Absatzhelfer
Absatzhelfer
Absatzhelfer in der Logistik
Absatzhelfer in der Akquisition
Leistungsergänzende Absatzhelfer
• Transportunternehmen
• Medien
• Werbeagenturen
• Lagerhaltungsunternehmen
• Messe- und Marktveranstalter
• Marktforschungsunternehmen
• Handelsvertreter und Kommissionäre
• Finanzdienstleistungsunternehmen.
• Informationsanbieter
1 2 3
36
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 106. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 107 f. Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 66; Specht/Fritz (2005), S. 108 f.
Horizontale Strukturen
Zu den Absatzhelfern in der Logistik gehören alle Unternehmen, die spezielȬ le TransportȬ und Lagerungsaufgaben übernehmen. Diese werden im allgeȬ meinen als TransportȬ bzw. Lagerungsunternehmen bezeichnet. Sie sind dafür verantwortlich, dass das Produkt vom Hersteller über den AbsatzmittȬ ler zum Endkunden gelangt.
3.2 Absatzhelfer in der Logistik
Transportunternehmen bieten allgemeine oder spezialisierte Leistungen mit unterschiedlichen Transportmitteln, wie z. B. Eisenbahn, Lastkraftwagen, Schiff und Flugzeug, an. Der Vorteil dieser Unternehmen ist, dass sie TransȬ portleistungen aufgrund der Erzielung von Skaleneffekten kostengünstiger und effizienter als Hersteller bzw. Absatzmittler ausführen können. Zudem bringen Sie Expertise mit, z. B. bei der Transportsicherung oder der ZollabȬ wicklung im Außenhandel. Lagerhaltungsunternehmen bieten Lagerräume und damit zusammenhänȬ gende Logistikleistungen an, die auch spezialisierte Leistungen, wie z. B. Tiefkühlung oder Lagerung gefährlicher Güter, beinhalten. Gerade in dünn besiedelten Gebieten ist die Betreibung eines Lagerhauses für den AbsatzȬ mittler unökonomisch. Die Übernahme dieser Aufgabe durch einen LagerbeȬ trieb erweist sich daher häufig als sinnvoll. Bei den Absatzhelfern in der Akquisition lassen sich zum einen die UnterȬ nehmen, die für die Kontaktanbahnung verantwortlich sind, und zum andeȬ ren die, die Vertragsabschlüsse herbeiführen, unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehören Institutionen wie Medien und Marktveranstalter, zur zweiȬ ten selbstständige Handelsvertreter und Kommissionäre. PresseȬ, FunkȬȱ und Fernsehgesellschaften sowie Marktveranstaltungen wie Messen, Ausstellungen und Warenbörsen sind Einrichtungen, die UnterstütȬ zungsleistung bei der Kontaktanbahnung bieten und dem Instrumentarium der Kommunikationspolitik zugerechnet werden.1 In ihrer Rolle als Absatzhelfer informieren Medien auf unterschiedliche Weise die Endkunden über Produkte und deren Eigenschaften, um NachfraȬ ge zu generieren. Diese Funktion übernehmen auch Informationsanbieter außerhalb des Einflussbereiches des Herstellers. So entsteht (positiv aber auch negativ besetzte) Aufmerksamkeit für ein Produkt z. B. auch durch unabhängige Testberichte oder die Ergebnisse von Preisvergleichsseiten im Internet. Insbesondere Marktveranstaltungen wie Messen und Ausstellungen gelten als geeignetes Instrument der persönlichen Kommunikation und stehen im engen Bezug zum persönlichen Verkauf.2 Durch beide Einrichtungen verȬ folgt der Anbieter insbesondere das Ziel der Information der Kunden über 1 2
Vgl. Rimpler (1995), S. 71. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 831.
37
Absatzhelfer in der Akquisition
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
das Leistungsangebot, der mittelbaren Verkaufsgespräche und Einholung von Aufträgen, der Konkurrenzanalyse, des allgemeinen ErfahrungsaustauȬ sches mit Interessenten, Kunden und Vertretern sowie der Repräsentation und Profilierung des Unternehmens im Markt.1 Vermittler
Selbstständige Handelsvertreter und Kommissionäre übernehmen VertragsȬ abschlussfunktionen für den Hersteller und schließen Verträge auf fremde Rechnung ab. Der Hersteller bleibt Eigentümer der Produkte und behält damit einen Großteil der Kontrollmöglichkeiten. Ein Handelsvertreter hanȬ delt im Namen und auf Rechnung eines oder mehrerer Hersteller, der Kommissionär in eigenem Namen auf Rechnung des Anbieters.2 Bei den Vermittlern lassen sich im Wesentlichen die drei Formen HerstellervermittȬ ler, Verkaufsvermittler und „Broker“ unterscheiden.3 Herstellervermittler nehmen die selbe Funktion wie ein herstellereigener Außendienst wahr. Ihre primäre Aufgabe besteht in der Abdeckung des Marktes in ihrem Verkaufsgebiet und der damit verbundenen Knüpfung von Kundenkontakten. Sie können in der Rolle des Handelsvertreters oder Kommissionärs auftreten. Verkaufsvermittler unterscheiden sich von den Herstellervermittlern daȬ durch, dass sie mehr Verantwortung übernehmen und zusätzliche Aufgaben für den Hersteller ausführen. Sie übernehmen in der Regel die gesamte Bandbreite an Marketingaufgaben, die in Verbindung mit dem Produkt steȬ hen, und sollen auf diese Weise als Marketingabteilung des Herstellers funȬ gieren. Sie besitzen eine hohe Entscheidungsgewalt bezüglich der FestleȬ gung verkaufsbezogener Faktoren wie z. B. des Preises oder der VertragsbeȬ dingungen. Eine weitere Art von Vermittlern, die durch den englischen Begriff „Broker“ beschrieben werden kann, sind Organe, die auf einem Markt Angebot und Nachfrage von Verkäufern, beispielsweise eines Herstellers, und Käufern zusammenführen. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Vermittlern erfolgt die Kompensation von Brokern in der Regel ausschließlich in Form einer variablen Komponente, wie beispielsweise einer Kommission auf getäȬ tigte Umsätze. Als typisches Beispiel kann der Aktienhändler genannt werȬ den, der den Kauf und Verkauf von Aktien zwischen institutionellen AnleȬ gern, wie Banken oder Versicherungen, ausführt.
LeistungsȬ ergänzende Absatzhelfer
In der Gruppe der leistungsergänzenden Absatzhelfer befinden sich all jene Unternehmen, die spezielle Dienste anbieten, welche von den anderen TeilȬ nehmern im Marketingkanal nicht übernommen werden und somit gewisse 1 2 3
38
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 382. Vgl. Meffert (2000), S. 634; Zentes/Swoboda (2001), S. 193. Vgl. im Folgenden Bowersox/Cooper (1992), S. 43.
Channel-Flows im Multi-Channel-Marketing
3.3
Leistungslücken darstellen. Diese Leistungslücken reichen von Werbung über Marktforschung bis hin zu Finanzierung und Absicherung gegen RisiȬ ken. Unternehmen, die dieser Klasse von Absatzhelfern angehören, sind z. B. Werbeagenturen, Marktforschungsunternehmen sowie Finanzdienstleister und Versicherungsgesellschaften. Werbeagenturen bieten Herstellern und Absatzmittlern Unterstützung im Zusammenhang mit der Vermarktung ihrer Produkte. Die Hilfe kann sich dabei von der bloßen Verfassung einer Werbeanzeige bis hin zur Gestaltung und Durchführung einer Werbekampagne erstrecken. Marktforschungsunternehmen haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Diese Firmen liefern ihren Kunden MarktinformaȬ tionen und Ȭanalysen. Der Fremdbezug von Marktforschungsleistungen ist nötig, wenn das Unternehmen nicht über eigene Marktforschungsressourcen verfügt. Es sind jedoch auch weitere Vorteile der Vergabe von MarktforȬ schungsaufträgen ersichtlich, z. B. Kostenvorteile, Methodenkenntnis und Erfahrung, Akzeptanz und Objektivität.1 Finanzdienstleister und Versicherungsgesellschaften unterstützen im BeȬ reich der Finanzierung bzw. der Absicherung gegen Risiken. Banken und Leasinggesellschaften übernehmen dabei finanzierungstechnische AufȬ gaben, wie beispielsweise die Kreditgewährung oder den Aufkauf von ForȬ derungen, während Versicherungsgesellschaften den Absatzmittler gegen Risiken, wie z. B. Brand, Verlust, aber auch Zahlungsausfälle absichern.
3.3
Channel-Flows im Multi-ChannelMarketing
In einem Marketingkanal werden in Bezug auf die Leistung unterschiedliche Aktivitäten von den Akteuren übernommen. Diese Aktivitäten verursachen bestimmte Bewegungen, die als ChannelȬFlows bezeichnet werden. Diese ChannelȬFlows charakterisieren Austauschbeziehungen zwischen den AkȬ teuren. Beispielsweise haben Berman (1996) und Rosenbloom (2004) verȬ schiedene ChannelȬFlows abgegrenzt. Zusammenfassend lassen sich die neun in Abbildung 3Ȭ8 dargestellten ChannelȬFlows unterscheiden. Die Pfeile geben die jeweilige Strömungsrichtung an. Zur Verdeutlichung wurȬ den jeweils alle potentiell in einem Kanal vorkommenden Akteure in die Grafik aufgenommen. Für den Fall, dass bestimmte Absatzmittler in einem Kanal nicht eingeschaltet werden (siehe Abschnitt 3.1) ändert sich an der zu 1
Vgl. Nijssen/Frambach (1998), S. 306; Homburg/Krohmer (2006), S. 259 f.
39
Management der ChannelȬFlows Ȭ erfolgskritisch
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
Grunde liegenden Logik der Flows nichts. Die Marketingkanäle sind entȬ sprechend um die nicht einbezogenen Stellen zu verkürzen. Um die MultiȬ ChannelȬMarketingȬZiele eines Unternehmens zu erreichen, ist dabei nicht nur die Koordination der physischen Bewegung eines Guts vom Hersteller bis zum Endkunden von entscheidender Bedeutung, sondern das erfolgreiȬ che Management aller ChannelȬFlows und zwar sowohl auf der vertikalenȬ wie auch der horizontalen Ebene.1
Abbildung 3Ȭ8
ChannelȬFlows2 Güter Produkt
Hersteller
Eigentum Risiko
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Hersteller
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Hersteller
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Spediteur
Informationen Verkaufsförderung
Hersteller
Verhandlung
Hersteller
Information
Hersteller
Bestellung
Hersteller
Werbefirma
Spediteur
Geld Finanzdienstleister
Zahlung
Hersteller
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Finanzierung
Hersteller
Großhandel
Einzelhandel
Endkunde
Finanzdienstleister
1 2
40
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 15 f. In Anlehnung an Berman (1996), S. 6; Rosenbloom (2004), S. 14.
Channel-Flows im Multi-Channel-Marketing
3.3
Es lassen sich drei übergeordnete „Flows“, nämlich der GüterȬȱoder WarenȬ strom, der Informationsfluss und der Geldfluss, zusammenfassen1. Die GüȬ terströme werden in Abschnitt 3.3.1 erläutert. Anschließend erfolgt eine Beschreibung der Informationsflüsse in Abschnitt 3.3.2. Auf die Geldflüsse wird abschließend in Abschnitt 3.3.3 eingegangen. Die Ausführungen zu den „Flows“ an dieser Stelle sind grundsätzlicher Natur. Die Bezüge zum Management der Flows in Mehrkanalsystemen werden in den folgenden Teilen des Buches aufgezeigt. In den Kapiteln D3 und D5 werden die ProduktȬ und Distributionspolitik dargestellt, die EinȬ fluss auf das Management der Güterströme nehmen. In diesem ZusammenȬ hang werden insbesondere die Herausforderungen im LogistikȬBereich analysiert. Anforderungen für das erfolgreiche Management der InformatiȬ onflüsse werden hauptsächlich in Teil E (Channel Relationship Mangement) erklärt, in dem auf die Verhaltensbeziehungen der einzelnen Akteure eingeȬ gangen wird. Dabei werden besonders Anreizsysteme vorgestellt, die die Beziehungen und damit auch die Informationsflüsse positiv gestalten sollen. Hintergrundinformationen zu den geldbezogenen Flows liefert Teil D, da hier die PreisȬȱund vor allem die Konditionenpolitik erläutert wird.
3.3.1
Güterströme
Den Güterströmen können die drei ChannelȬFlows physische Bewegung des Produkts an sich, die mit dem Produkt verbundene Eigentumsübertragung sowie die damit einhergehende Risikoübernahme zugerechnet werden. Unter dem Produktfluss versteht man die physische Bewegung des Produkts über verschiedene Akteure hinweg entlang des Marketingkanals. Die hieran beteiligten Akteure erlangen Besitz (aber nicht unbedingt auch Eigentum) am Produkt und übernehmen Leistungen wie z. B. Transport und Lagerung.
Produkt
Eng verbunden mit dem Verhandlungsfluss bezieht sich der Eigentumsfluss auf die Übertragung des Eigentums am Produkt entlang des MarketingkaȬ nals. Während der Hersteller ursprünglich das Eigentumsrecht inne hat, geht es über die Absatzmittler auf den Endkunden über, der schließlich die Verfügungsgewalt über das Produkt erlangt.
Eigentum
Der Risikofluss umfasst die Übernahme von Risiken, die mit der WahrnehȬ mung von Distributionsaufgaben in Verbindung stehen. Die Risiken sind z. B. Produktüberalterung, Saisonalitäten, Nachfrageschwankungen, hoher Wettbewerb oder auch Gefahren wie Feuer, Diebstahl oder Zahlungsausfall.
Risiko
1
Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 6; Coughlan et al. (2001), S. 89 f.; Kotler/Bliemel (2001), S. 1077; Rosenbloom (2004), S. 15.
41
3
Akteure, Strukturen und Beziehungen
3.3.2
Informationsflüsse
Unter dem Begriff des Informationsflusses können weitere vier ChannelȬ Flows subsumiert werden. So stellen der Einsatz von KommunikationsmitȬ teln, die mit den Verhandlungen verbundenen KaufȬ und VerkaufsfunktioȬ nen, der Austausch von Informationen sowie die getätigten Bestellungen seitens des Kunden die wichtigsten Informationsflüsse dar. VerkaufsfördeȬ rungsfluss
Der Verkaufsförderungsfluss bezieht sich auf den Einsatz von KommunikaȬ tionsmitteln, wie z. B. Werbung und „SalesȬPromotion“, an verschiedenen Stellen im Marketingkanal. In vielen Fällen wird dabei eine Werbeagentur zur Planung und Durchführung solcher Aktionen engagiert. Ziel ist es, den Abnehmer auf das Produkt aufmerksam zu machen, ihm die ProdukteigenȬ schaften näher zu bringen und Nachfrage zu generieren.
VerhandlungsȬ fluss
Verhandlungen finden auf allen Stufen des Marketingkanals jeweils zwiȬ schen Käufern und Verkäufern statt. Definitionsgemäß sind am VerhandȬ lungsfluss somit Hersteller, Absatzmittler und Endkunden, jedoch nicht Absatzhelfer beteiligt. Der Fluss der Verhandlungen ist dabei bidirektional gerichtet.
InformationsȬ fluss
Der Informationsfluss bezieht sich auf den Austausch von Informationen im Marketingkanal. Im Gegensatz zum ProduktȬȱund Eigentumsfluss läuft der Informationsfluss aber nicht nur in eine Richtung, sondern ist ebenfalls bidiȬ rektional. So fließen Informationen vom Hersteller an einen Absatzmittler, aber auch wieder vom Absatzmittler an den Hersteller zurück. Der HerstelȬ ler teilt dem Absatzmittler z. B. seine Verkaufspreise mit, möchte aber im Gegenzug vom Absatzmittler Informationen bezüglich der gewünschten Kaufmengen erhalten. Hier spielen die modernen InformationsȬ und KomȬ munikationsmedien eine entscheidende Rolle bezüglich der Menge und Geschwindigkeit des Informationsaustausches. Sie erleichtern ferner, die Strukturen der Flows aufzubrechen und Akteure innerhalb des MarketingȬ kanals zu überspringen, d. h. einen Informationsfluss z. B. über das Medium Internet direkt zwischen Hersteller und Endkunde zu ermöglichen.
Bestellfluss
Der Bestellfluss wird durch unterschiedliche Bedürfnisse der Endkunden hervorgerufen. Bestellungen können dabei auf unmittelbaren Bedürfnissen, aber auch auf dem Wunsch, ein Lager für eine erwartete Nachfrage aufzuȬ bauen, beruhen.
42
Channel-Flows im Multi-Channel-Marketing
3.3.3
3.3
Geldflüsse
Im Rahmen des Geldflusses können zwei weitere ChannelȬFlows dargestellt werden. Hierbei handelt es sich zum einen um die durch die Bezahlung der Produkte verursachten Zahlungsflüsse und zum anderen um die FinanzieȬ rung der Produkte. Der Zahlungsfluss bezieht sich auf die Bezahlung der Produkte durch den Käufer an den Verkäufer. Finanzdienstleister sind hier einerseits als techniȬ sche Abwickler des Zahlungsverkehrs einbezogen. Andererseits treten Sie auch als Übernehmer von Zahlungsrisiken auf, z. B. durch Stellung von Ausfallbürgschaften, Bankgarantien oder Kreditversicherungen. Am ZahȬ lungsfluss nehmen neben einem Finanzdienstleister alle Akteure teil, die am EigentumsȬȱund Verhandlungsfluss beteiligt sind und daraus eigene FordeȬ rungen beziehungsweise Verbindlichkeiten ableiten, also Endkunden, AbȬ satzmittler und Hersteller.
Zahlungsfluss
Beim Finanzierungsfluss geht es darum, wie und unter welchen BedingunȬ gen die Vorratshaltung der Produkte bei den einzelnen Akteuren im MarkeȬ tingkanal finanziert werden kann. Verbreitete Finanzierungsformen sind z. B. die Einräumung von Zahlungszielen, der Ankauf von Forderungen (Forfaitierung bzw. Factoring) oder die direkte Kreditgewährung an AbȬ satzmittler oder Endkunden. Hierzu werden in der Regel Kreditinstitute oder Finanzdienstleister eingeschaltet. Die mit der Finanzierung verbundeȬ nen Risiken des Zahlungsausfalls werden darüber hinaus von KreditversiȬ cherern übernommen.
FinanzierungsȬ fluss
43
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
4 Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Sowohl bei strategischen als auch bei operativen Entscheidungen ist es für das Management eines Mehrkanalsystems wichtig, externe RahmenbedinȬ gungen zu berücksichtigen. Die Besonderheit des MultiȬChannelȬMarketings liegt darin, Umwelteinflüsse nicht ausschließlich aus dem Blickwinkel eines einzelnen Unternehmens zu beurteilen, sondern vielmehr alle Mitglieder eines Marketingkanals in die Analyse der Auswirkungen von UmweltverȬ änderungen einzubeziehen.1 Relevante UmȬ weltdimensionen
Abbildung 4Ȭ1
In diesem Kapitel werden daher die Entwicklungen in Bezug auf die vier Umweltdimensionen, die besonderen Einfluss auf das Management von Mehrkanalsystemen haben, dargestellt. In Abschnitt 4.1 erfolgen zunächst Ausführungen zum Kaufverhalten. Danach befasst sich Abschnitt 4.2 mit dem MarktȬ und Wettbewerbsumfeld. Anschließend thematisiert Abschnitt 4.3 die technologischen Rahmenbedingungen, während Abschnitt 4.4 mit den Darstellungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen das Kapitel abschließt. Abbildung 4Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Struktur des Kapitels
Kaufverhalten
• Konsumentenverhalten • Absatzmittlerverhalten
Markt- und Wettbewerbsumfeld
Technologische Rahmenbedingungen
• Marktbedingungen
• E-Commerce
• Wettbewerbsbedingungen
• IT-Anwendungen in Marketingkanälen
Rechtliche Rahmenbedingungen • Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen • Behinderungspraktiken • EU-Wettbewerbsrecht • Rahmenbedingungen ausgewählter Vertriebsformen
1
44
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 75 f.
Kaufverhalten
4.1
Kaufverhalten
Das Kaufverhalten stellt eine wesentliche Rahmenbedingung für das MultiȬ ChannelȬMarketing dar. Allerdings muss ein Unternehmen bei der Analyse des Kaufverhaltens auf Grund stark voneinander abweichender VerhalȬ tensmuster zwischen zwei Kundengruppen unterscheiden, nämlich den Konsumenten und den Absatzmittlern. Konsumenten erwerben Güter aufȬ grund ihrer persönlichen Präferenzen zum Zwecke des Endverbrauchs. Im Vergleich dazu weist das Beschaffungsverhalten von Absatzmittlern BesonȬ derheiten in Bezug auf Bedürfnisse, Kaufverhalten und Kaufprozesse auf.1 Auf das Verhalten beider Kundengruppen soll daher im Folgenden separat eingegangen werden. Abschnitt 4.1.1 befasst sich zunächst mit dem KonsuȬ mentenverhalten, während Abschnitt 4.1.2 das Beschaffungsverhalten von Absatzmittlern thematisiert.
4.1.1
4.1 KonsumentenȬ und AbsatzmittȬ t lerverhalten
Konsumentenverhalten
Das Kaufverhalten der Konsumenten hat sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels stark geändert. Zum einen ist dies auf eine Veränderung der BevölȬ kerungsstruktur zurückzuführen, die durch einen wachsenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung gekennzeichnet ist. Zum anderen sind ein Trend zu SingleȬHaushalten, eine wachsende Individualisierung und damit einhergehend eine Mentalität, die schnelle Anbieter bevorzugt, festzuȬ stellen.2 Zusätzlich hat die kontinuierliche Weiterentwicklung neuer InforȬ mationsȬȱ und Kommunikationsmittel einen großen Einfluss auf das indiviȬ duelle Kaufverhalten, das sich in den letzten Jahrzehnten von einem konsiȬ stenten, über ein hybrides, zu einem multioptionalen Verhalten gewandelt hat.3
GesellschaftliȬ cher Wandel verȬ r ändert KonsuȬ mentenverhaltenȱȱ
Diese Entwicklung der Kaufverhaltensmuster beeinflusst auch das MultiȬ ChannelȬMarketing. Sie erfordert eine Anpassung des Kanalsystems und insbesondere eine Kundenansprache über mehrere Kanäle.4 Die unterȬ schiedlichen Kaufverhaltensmuster sind in Abbildung 4Ȭ2 dargestellt und werden im Folgenden erläutert.
Unterschiedliche KaufverhaltensȬ muster
1 2 3 4
Vgl. Meffert (2000), S. 1204 f. Vgl. Meffert (2000), S. 104 ff. Vgl. Passenheim (2003), S. 70 f. Vgl. Schögel (1997), S. 47 ff.
45
4 Abbildung 4Ȭ2
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Der Wandel im Kaufverhalten von Konsumenten1
Kaufverhalten
konsistent
hybride
multioptional
•
einheitliches Verhalten
•
differenziertes Verhalten
•
divergierendes Verhalten
•
eindimensional
•
bi-polar
•
mehrdimensional
•
stabil über die Zeit
•
relativ stabil
•
nicht mehr stabil
Konsistentes Kaufverhalten
Das Kaufverhalten der Konsumenten war historisch durch ein hohe StabiliȬ tät und Homogenität geprägt. Der Konsument wählte dabei in der Regel die gleichen Produktgruppen und änderte seine Einkaufspräferenzen, wie z. B. die Wahl des Marketingkanals, nicht. Sein Verhalten war über die Zeit geseȬ hen sehr stabil.
Hybrides Kaufverhalten
Hybrides Kaufverhalten äußert sich in einem stark differenzierten VerhalȬ tensmuster der Konsumenten: Güter des täglichen Bedarfs werden beiȬ spielsweise zu niedrigen Preisen bei Discountern, wie z. B. Aldi oder Lidl, gekauft, während gleichzeitig das Bedürfnis nach Luxusgütern über den Erwerb hochpreisiger Statussymbole, wie Luxusuhren undȱȬautomobile oder Markenkleidung, befriedigt wird.2 Dies führt zu einer Polarisierung der Konsumstruktur, d. h. einem Wachstum des HochȬ und NiedrigpreissegȬ ments bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust des mittleren Preissegments.3 Der Konsument wechselt häufig zwischen verschiedenen Einkaufsorten, um diese widersprüchlich erscheinenden Bedürfnisse zu befriedigen.4 InfolgeȬ dessen muss das Produktangebot in den Einkaufsstätten gezielt auf das Verhalten der Konsumenten abgestimmt werden. Eventuell ist es sogar erȬ forderlich, für jeden Kanal ein eigenes Sortiment zu entwickeln.
Multioptionales Kaufverhalten
Aus dem hybriden Kaufverhalten heraus entwickelte sich ein neues VerhalȬ ten, das häufig mit dem Begriff des multioptionalen KonsumentenverhalȬ tens bezeichnet wird.5 Dabei handelt sich um ein „intrapersonell mehrdiȬ mensionales Verhalten, das instabil über die Zeit, also keinem festen PrinȬ 1 2 3 4 5
46
Vgl. Passenheim (2003), S. 71. Vgl. Effert/Köhler (2004), S. 20. Vgl. Meffert (2000), S. 107. Vgl. Schögel (1997), S. 48. Vgl. SchrammȬKlein (2003), S. 38.
Kaufverhalten
4.1
zip zuzuordnen ist, sowie divergent über die Konsumentengruppen ist“.1 Konsumenten zeigen ein vielschichtiges und teilweise widersprüchliches Kaufverhalten. Es gibt verschiedenartige Motive, die zu multioptionalen Verhaltensweisen führen. Hierzu zählen beispielsweise Variety Seeking, Smart Shopping und Convenience Shopping, auf die im Folgenden eingeȬ gangen wird. Variety Seeking bezeichnet das Bedürfnis des Konsumenten nach AbwechsȬ lung und ist ein starkes Motiv für die Variation bei der Nutzung von ProȬ duktmarke und Einkaufsort.2 Ursachen für das Abwechslungsbedürfnis sind emotional bedingt und können Neugier, Langeweile oder Reizüberflutung sein. Der Konsument empfindet dabei Bedürfnisbefriedigung schon allein auf Grund der Abwechslung. Die Bedürfnisbefriedigung ist in diesem KonȬ text nicht auf funktionale Eigenschaften eines Produkts oder externe FaktoȬ ren, wie z. B. Rabatte oder Empfehlungen, zurückzuführen.3
Variety Seeking n
Das tatsächliche VarietyȬSeekingȬVerhalten der Konsumenten hängt von verschiedenen individuellen und produktspezifischen Merkmalen ab. Auf individueller Ebene wird das Wechselverhalten primär vom empfundenen Abwechslungsbedürfnis bestimmt. Hinsichtlich der Produktkategorien zeigen Kunden ein stärkeres VarietyȬSeekingȬVerhalten bei häufig gekauften Produkten, bezüglich derer sie keine ausgeprägte Präferenzstruktur haben und die sich hinsichtlich der Marke nur wenig unterscheiden.4 Aus Sicht der Anbieter führt das Abwechslungsbedürfnis zu einer geringeȬ ren MarkenȬȱund Geschäftstreue.5 Durch Produktvariationen, wie z. B. VerȬ packung und Design, oder durch neue Kommunikationsmaßnahmen, wie z. B. einen neuen TVȬ V Spot und Sponsoring, kann dem Abwechslungsbedürfnis der Kunden entsprochen werden. Häufig ist Variety Seeking ein Problem für die Konsumgüterindustrie, da die Konsumgüter tendenziell geringe StückȬ preise haben und Involvement der Kunden gering ist, so dass aus KonsuȬ mentensicht das empfundene Risiko, die Marke zu wechseln, nicht hoch ist. Bei erklärungsbedürftigen Produkten, wie z. B. technischen Geräten, ist das Involvement insgesamt ausgeprägter und das empfundene Risiko eines Markenwechsels höher, so dass ein geringeres Bedürfnis nach Variety SeeȬ king vorliegt.
Probleme des Variety Seeking
Smart Shopper zeichnen sich durch ein hohes Erfahrungswissen in bestimmȬ ten Produktkategorien aus. Sie vergleichen Angebote intensiv in Bezug auf Leistungsmerkmale und Preis. Durch Smart ShoppingȬVerhalten werden auf
Smart Shopping n
1 2 3 4 5
SchrammȬKlein (2003), S. 39. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 153. Vgl. Van Trijp (1996), S. 282. Vgl. Van Trijp (1996), S. 289. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 396.
47
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Seiten des Konsumenten emotionale Wirkungen wie ein gesteigertes SelbstȬ wertgefühl hervorgerufen.1 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Konsument glaubt, ein „gutes Geschäft“ sei maßgeblich auf seine eigene Aktivität zurückzuführen. Smart Shopper sind als Multiplikatoren und Zielgruppe besonders bedeutȬ sam. Sie neigen eher als andere Käufergruppen dazu, positive Erfahrungen bezüglich ihrer Kauferlebnisse weiterzugeben.2 Sie stellen jedoch hohe AnȬ forderungen an die Ausgestaltung des MultiȬChannelȬMarketings. So könȬ nen bei Smart Shoppern beispielsweise durch eine differenzierte Preispolitik in verschiedenen Marketingkanälen negative Emotionen entstehen. Dieser Gefahr kann z. B. durch eine Abstimmung der Kanäle oder eine gezielte Kommunikation der Gründe für die kanalspezifischen Preisunterschiede entgegnet werden. Convenience Shopping
Convenience Shopping ist vor allem auf das knapper werdende subjektive Zeitbudget zurückzuführen. Familiäre, berufliche und private VerpflichtunȬ gen schränken für viele Konsumenten das für Einkäufe zur Verfügung steȬ hende Zeitbudget ein. Für diese Zielgruppe gewinnen alternative MarkeȬ tingkanäle, wie z. B. Kioske, Tankstellen, Teleshopping oder Onlinevertrieb, an Bedeutung. Sie bieten den Konsumenten die Möglichkeit, Transaktionen unabhängig von Ladenöffnungszeiten und mit geringerem zeitlichem AufȬ wand abzuwickeln.
4.1.2 Merkmale des AbsatzmittlerȬ r verhaltens
Absatzmittlerverhalten
Das Kaufverhalten bei Absatzmittlern unterscheidet sich maßgeblich vom Kaufverhalten privater Konsumenten. In vielen Fällen werden BeschafȬ fungsentscheidungen als Kollektiventscheidungen getroffen.3 Der KaufproȬ zess nimmt einen längeren Zeitraum in Anspruch und ist häufig durch einen formalisierten Beschaffungsprozess gekennzeichnet. Von besonderer BedeuȬ tung für das MultiȬChannelȬMarketing ist die Entwicklung des strategischen Beschaffungsmanagements. Für die Ausrichtung der Marketingkanäle ist die Kenntniss dieses Beschaffungsmanagements der Absatzmittler und die RolȬ len der handelnden Personen von Bedeutung. Webster/Wind (1972) differenȬ zieren im Rahmen des BuyingȬCenterȬKonzeptes folgende fünf verschiedeȬ nen Rollen:4
1 2 3 4
48
Vgl. Schindler (1989), S. 447. Vgl. Schindler (1989), S. 450. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 143. Vgl. Webster/Wind (1972), S. 17.
Kaufverhalten
4.1
Einkäufer (Buyer, Purchasing Agent) sind Organisationsmitglieder, die aufgrund ihrer formalen Kompetenzen potentielle Lieferanten auswähȬ len und Einkaufsabschlüsse tätigen.
Verwender (User) sind jene Personen, die nach erfolgter Beschaffung ein bestimmtes Gut tatsächlich benutzen bzw. verbrauchen.
Beeinflusser (Influencer) sind Personen, die zwar nicht unmittelbar am Kaufprozeß beteiligt sind, aber indirekt über die Definition von AusȬ wahlkriterien zur Bewertung von Beschaffungsalternativen Einfluß auf den Entscheidungsablauf nehmen können.
Informationsselektierer (Gatekeeper) steuern und kontrollieren den Informationsfluß in das Buying Center. Sie haben die Möglichkeit, InȬ formationen zu filtern und Kontakte selektiv zu fördern.
Entscheider (Decider) sind Organisationsmitglieder, die durch ihre forȬ male Kompetenz autorisiert sind, eine Beschaffungsentscheidung verȬ bindlich zu treffen. In Bezug auf das strategische Beschaffungsmanagement werden von den Absatzmittlern in Abhängigkeit der zu beschaffenden Güter unterschiedliȬ che Beschaffungsstrategien eingesetzt. Im Rahmen von SingleȬSourcingȬ Strategien werden für komplexe Beschaffungsprodukte langfristige BezieȬ hungen zwischen Lieferanten und Abnehmern eingegangen, bei denen ein Wechsel der Beschaffungsquelle mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.1
Single Sourcing und System Sourcing
Dies geht oft mit dem so genannten System Sourcing einher, worunter der vollständige Bezug komplexer Baugruppen von einem Lieferanten, der dann die Koordination der Vorlieferanten übernimmt, verstanden wird. Dies hat für die Anbieter mehrere Folgen. Soweit sie als Lieferanten ganzer Systeme in Frage kommen, müssen sie sowohl ihre VertriebsȬ als auch ihre BeschafȬ fungsorganisation an den Anforderungen der Abnehmer ausrichten. So ist für komplexe Produkte oftmals ein hoch qualifizierter Außendienst erforderȬ lich, der zu wirtschaftlichen Problemlösungen der Kunden beitragen kann. Im Gegensatz zum Single und System Sourcing wird beim Global Sourcing für die Beschaffung einfacher Komponenten auf eine Vielzahl potenzieller Lieferanten zurückgegriffen.2 Häufig werden derartige Aufträge auch über elektronische Beschaffungsplattformen abgewickelt. Im Global Sourcing ist oftmals der Preis ein entscheidendes Auswahlkriterium, so dass ein intensiȬ ver Preiswettbewerb herrscht.
1 2
Vgl. Rießelmann (1998), S. 34. Vgl. Reeg (1998), S. 61.
49
Global Sourcing n
4 MehrkanalȬ systemeȱȬȱReakȬ tion auf BeschafȬ f fungsstrategien
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Die unterschiedlichen Beschaffungsstrategien zeigen, dass es für einen LiefeȬ ranten notwendig ist, seine Marketingkanäle an den Abnehmern auszurichȬ ten. Die Anforderungen an das Unternehmen sind jedoch bei den einzelnen Beschaffungsstrategien der Abnehmer unterschiedlich. Daher bietet es sich an, in Abhängigkeit der Beschaffungsstrategie des Abnehmers differenzierte Kanäle einzusetzen.1 Infolgedessen gewinnt das MultiȬChannelȬMarketing auch im Industriegüterbereich an Bedeutung.
4.2
Markt- und Wettbewerbsumfeld
Die Situation im MarktȬ und Wettbewerbsumfeld hat unmittelbaren Einfluss auf das MultiȬChannelȬMarketing. Zum einen sind die Marktbedingungen ein wichtiger Einflussfaktor, weil die Akteure in einem Mehrkanalsystem von Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Situation in unterschiedliȬ chem Ausmaß betroffen sind. Auf diesen Sachverhalt soll in Abschnitt 4.2.1 eingegangen werden. Zum anderen stellen auch die WettbewerbsbedingunȬ gen innerhalb einer Branche eine wichtige Einflussgröße für den Erfolg eines Mehrkanalsystems dar und müssen daher regelmäßig beobachtet werden. In Mehrkanalsystemen wird die Analyse der Wettbewerbssituation darüber hinaus durch die vielfältigen Wettbewerbsbeziehungen zwischen den einȬ zelnen Akteuren erschwert. Abschnitt 4.2.2 befasst sich mit den wesentlichen Wettbewerbsbedingungen.
4.2.1 NachfrageȬ schwankungen
Marktbedingungen
Schwankungen in der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage haben erhebliche Auswirkungen auf alle Mitglieder eines Marketingkanals. Dies gilt besonȬ ders im Fall eines Nachfragerückgangs während einer Rezession. Dadurch kommt es bei allen Kanalmitgliedern in der Regel zu Rückgängen bei UmȬ satz und Gewinn. Betroffen von Marktschwankungen sind insbesondere die Mitglieder, die zur Gewinnerzielung auf eine hohe UmschlaggeschwindigȬ keit der Waren angewiesen sind und plötzlich hohe Lagerbestände finanzieȬ ren müssen. Das Problem verschärft sich zusätzlich, wenn die Waren aufȬ grund von Saisonalitäten obsolet werden.2
1 2
50
Vgl. Schögel (1997), S. 53. Vgl. Meffert (2000), S. 658; Rosenbloom (2004), S. 76; Specht/Fritz (2005), S. 137 ff.
Markt- und Wettbewerbsumfeld
4.2
In diesem Fall müssen Kanalmitglieder auf einer anderen Handelsstufe unter Umständen Hilfsmaßnahmen ergreifen, um die Funktionsweise eines Marketingkanals nicht durch die Insolvenz von Absatzmittlern zu gefährȬ den. Ein Beispiel für eine derartige Hilfsaktion ist die Vorgehensweise der amerikanischen Automobilhersteller während der Rezession im Jahr 2001. Um die aufgrund nachlassender Verkäufe und hoher Lagerbestände zuȬ nehmende Insolvenzgefahr für viele Fahrzeughändler zu verringern, wurȬ den von den Herstellern attraktive Finanzierungsprogramme für Neuwagen aufgelegt. Auf diese Weise konnte die Nachfrage stabilisiert und damit auch die Existenz des Marketingkanals gesichert werden.1
Hilfe durch andere KanalȬ mitglieder
Deflationäre Tendenzen, d. h. ein Rückgang des Preisniveaus, stellen ebenȬ falls eine Gefahr für ein Mehrkanalsystem dar. Zwar sind gesamtwirtschaftȬ liche Deflationstendenzen außerordentlich selten, in einigen Sektoren einer Volkswirtschaft, wie z. B. bei Elektronik, ist allerdings zeitweilig ein sinkenȬ des Preisniveau festzustellen. Diese Entwicklung ist für das KanalmanageȬ ment vor allem dann problematisch, wenn Kostensteigerungen, wie z. B. Arbeitskosten, die zum Teil über mehrere Jahre vertraglich geregelt sind, von den Kanalmitgliedern nicht in Form von Preiserhöhungen an die KunȬ den weitergegeben werden können.
Deflation
4.2.2
Wettbewerbsbedingungen
Aufgrund der zahlreichen Akteure im MultiȬChannelȬMarketing ist eine Analyse der Wettbewerbsintensität mit Schwierigkeiten verbunden, weil unterschiedliche Wettbewerbsbeziehungen zwischen den einzelnen AkteuȬ ren auftreten können. Grundsätzlich kann jedoch zwischen vier WettbeȬ werbsformen unterschieden werden: Horizontaler Wettbewerb, vertikaler Wettbewerb, Kanalwettbewerb und Wettbewerb zwischen verschiedenen Betriebstypen.2 Abbildung 4Ȭ3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Wettbewerbsformen.
1 2
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 77. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 81.
51
WettbewerbsbeȬ ziehungen
4 Abbildung 4Ȭ3
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Wettbewerbsformen im MultiȬChannelȬMarketing Hersteller
Hersteller
Hersteller
Großhandel
Großhandel
Großhandel
Einzelhandel
Einzelhandel
Einzelhandel
Horizontaler Wettbewerb
Vertikaler Wettbewerb
Hersteller
Hersteller
Hersteller
Hersteller
Großhandel
Großhandel
Großhandel
Großhandel
Einzelhandel
Einzelhandel
Einzelhandel
Einzelhandell E
Kanalwettbewerb
Betriebstypen-Wettbewerb
Horizontaler und vertikaler WettȬ t bewerb
Bei horizontalem Wettbewerb besteht Konkurrenz zwischen den Mitgliedern auf jeweils einer Kanalstufe, z. B. zwischen Konsumgüterherstellern wie Nestlé und Krafft oder zwischen Absatzmittlern wie Obi und Praktiker. Vertikaler Wettbewerb entsteht zwischen den verschiedenen Stufen eines Mehrkanalsystems.1 Im TextilȬ und Lebensmittelhandel konkurrieren beiȬ spielsweise die Marken der Hersteller und die Handelsmarken der AbsatzȬ mittler sehr stark miteinander, so dass es zu einem Wettbewerb der verȬ schiedenen Absatzstufen untereinander kommt. Wettbewerb zwischen HerȬ stellern und EinzelȬ bzw. Großhandel ergibt sich zudem durch den verstärkten Einsatz des Onlinevertriebs durch Herstellerunternehmen, da beide Akteure dadurch in direktem Wettbewerb um den Endkunden stehen bzw. der Handel umgangen wird (Disintermediation).
KanalȬ wettbewerb
Eine Variante des horizontalen Wettbewerbs ist der so genannte KanalwettȬ bewerb, der entsteht, wenn vertikal integrierte Marketingkanäle im WettbeȬ werb aufeinander treffen. Er kann nur dann entstehen, wenn die MarketingȬ kanäle in sich geschlossene, aufeinander abgestimmte Systeme darstellen.2
1 2
52
Vgl. Mallen (1977), S. 174. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 82.
Technologische Rahmenbedingungen
4.3
Als Beispiel für den Kanalwettbewerb kann der Textileinzelhandel angeführt werden. Hier operieren mehrere vertikal integrierte Konzerne wie Zara, Esprit oder Benetton, die sowohl die Herstellung, die Logistik als auch die Distribution kontrollieren. Im Gegensatz zu anderen Kanalsystemen werden in diesen Systemen sowohl Hersteller als auch Absatzmittler zentral koordiȬ niert, so dass es zu weniger Konflikten innerhalb des Systems kommt. Zu einem Wettbewerb der Betriebstypen kommt es, wenn auf einer HanȬ delsstufe unterschiedliche Geschäftsmodelle aufeinander treffen, wie z. B. Supermärkte und Discounter. In den letzten Jahren haben sich die UmsatzȬ anteile der einzelnen Betriebstypen im deutschen Einzelhandel stark veränȬ dert. Besonders der Anteil der Discounter hat sich in der Zeit von 1985 bis 2002 von 16% auf 35% mehr als verdoppelt, während der Anteil klassischer Supermärkte im gleichen Zeitraum um zehn Prozent abnahm.1 Die Entstehung neuer Betriebstypen kann zu erheblichen Veränderungen der Marktstruktur führen. Das Auftreten spezialisierter Verbrauchermärkte wie „Media Markt“ oder „Toys’R’Us“ ging vor allem zu Lasten von WarenȬ häusern und Fachgeschäften.2 Daher mussten auch die Hersteller ihre Distribution an die Anforderungen dieser Absatzmittler anpassen. Für das MultiȬChannelȬMarketing ist es daher wichtig, derartige Entwicklungen zu beobachten und gegebenenfalls mit einer Anpassung der Marketingkanäle zu reagieren.
4.3
Technologische Rahmenbedingungen
Die dynamische Entwicklung der Informationstechnologie hat zu tiefgreiȬ fenden Veränderungen im MultiȬChannelȬMarketing geführt. Einer der wichtigsten Einflussfaktoren ist die zunehmende Etablierung des elektroniȬ schen Datenaustauschs zwischen Unternehmen und Konsumenten bzw. zwischen Unternehmen. Durch die Nutzung des Internets zu VertriebszweȬ cken können zusätzliche direkte Marketingkanäle geschaffen werden, die in ein Mehrkanalsystem integriert werden müssen. Weiterhin können durch die Nutzung des ITȬ T basierten Datenaustauschs zwischen den KanalmitglieȬ dern Effizienzsteigerungen erzielt werden.3 Beide Aspekte werden im FolȬ genden näher erörtert.
1 2 3
Vgl. Täger (2006), S. 100. Vgl. Schögel (1997), S. 57. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 199.
53
Wettbewerb der Betriebstypen
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
4.3.1
E-Commerce
InternetȬ t Direktvertrieb
Mit der Einführung des Internets hat sich für viele Unternehmen eine neue Form des Direktvertriebs eröffnet. Unter InternetȬDirektvertrieb wird die Anbahnung, Aushandlung und gegebenenfalls Abwicklung von TransaktioȬ nen zwischen Anbieter und Käufer auf Basis von Internettechnologien verȬ standen.1 In Deutschland wird das Internet von Unternehmen bereits intenȬ siv zur Distribution genutzt. So besitzt der InternetȬVersandhandel am GeȬ samtumsatz des deutschen Versandhandels einen erheblichen Anteil und weist darüber hinaus stark überdurchschnittliche Wachstumsraten auf.2
StrukturverändeȬ rungen in der Distribution
Der Direktvertrieb hat erhebliche strukturelle Veränderungen in der DistriȬ bution verursacht. So sind bei vielen Gütern die Distributionskosten in dieȬ sem Marketingkanal wesentlich niedriger als bei klassischen Kanälen. InsbeȬ sondere bei digitalisierbaren Produkten wie Medieninhalten sind die DistriȬ butionskosten sehr gering und haben zur Entstehung neuer Wettbewerber mit internetbasierten Geschäftsmodellen geführt.3 Etablierte Unternehmen haben darauf mit der Einführung eigener Direktvertriebe reagiert und damit Mehrkanalsysteme geschaffen, in denen sich traditionelle und neue MarkeȬ tingkanäle ergänzen.4
r Vorteile des VerȬ triebs über das Internet
Konsumenten bietet der Vertrieb über das Internet Vorteile wie schnelle ProduktȬȱ und Preisvergleiche unterschiedlicher Anbieter oder die MöglichȬ keit der sofortigen Auslieferung digitaler Produkte. Zudem können BestelȬ lungen unabhängig von zeitlichen und räumlichen Restriktionen getätigt werden. Ein wesentlicher Vorteil des Internets für den Anbieter besteht darȬ in, dass er die Marge oft mit keinem nachfolgenden Absatzmittler teilen muss und damit erhebliche Kosten sparen kann. Darüber hinaus stehen dem Unternehmen neue Möglichkeiten zur IntensiȬ vierung der Kundenbindung offen. Die Analyse von Kundendaten, die entȬ weder direkt erfasst oder durch die Aufzeichnung des Nutzerverhaltens gewonnen werden, erlaubt die Personalisierung von Angeboten bis hin zum kundenindividuellen „OneȬtoȬOneȬMarketing“.5 Neue Marketingkanäle, wie z. B. der InternetȬVersandhandel oder der Vertrieb über das Mobiltelefon, ergänzen die klassischen Kanäle und bieten die Möglichkeit, WettbewerbsȬ vorteile durch eine höhere Effektivität sowohl der Distribution als auch der direkten Kundenansprache zu erreichen. Durch eine aufeinander abgeȬ stimmte Kundenansprache über verschiedene Kanäle können zusätzliche Synergieeffekte erzielt werden. 1 2 3 4 5
54
Vgl. Wirtz (2005c), S. 143. Vgl. Wirtz (2005c), S. 155. Vgl. Wirtz (2005a), S. 617 f. Vgl. SchrammȬKlein (2003), S. 36. Vgl. Wirtz (2005c), S. 55.
Technologische Rahmenbedingungen
Im Zusammenhang mit dem Vertrieb über das Internet treten auch ProbleȬ me auf. So verläuft die logistische Abwicklung kleiner Bestellungen nicht immer effizient ab und verursacht dadurch höhere Kosten. Weiterhin hat sich durch eine Vielzahl an Herstellern ein Hyperwettbewerb gebildet, der es für den einzelnen Anbieter schwer macht, sich aus der Masse hervorzuȬ heben. Dies trägt zu einer erhöhten Bereitschaft zum Anbieterwechsel bei.1
4.3 Nachteile des Vertriebs über das Internet
Aus Kundensicht wird durch den Verkauf über das Internet nicht der soziale Aspekt des Einkaufens berücksichtigt. Der typische „Einkaufsbummel“ am Wochenende lässt sich durch das Internet nicht realisieren. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen sind die Sicherheitsbedenken einiger Kunden im ZuȬ sammenhang mit der Zahlungsabwicklung. Zudem kann der Kunde mit dem Produkt nicht in physischen Kontakt kommen, was sich besonders auf den Kauf von Produkten, bei denen die Kaufentscheidung von SinneseinȬ drücken beeinflusst wird, negativ auswirken kann.2 Der Aufbau und die Integration eines OnlineȬDirektvertriebs in ein besteȬ hendes Kanalsystem stellen eine Herausforderung für das MultiȬChannelȬ Marketing dar. Probleme entstehen beispielsweise dann, wenn die KompleȬ xität und der Investitionsbedarf unterschätzt werden, die Verantwortung für die Umsetzung einseitig verteilt und keine eigene Strategie für den DirektȬ vertrieb verfolgt wird.3 Die neuartigen Nutzendimensionen, die sich den Konsumenten mit der Verbreitung des InternetȬDirektvertriebs erschließen, müssen von den Unternehmen im Rahmen einer integrierten Planung beȬ rücksichtigt werden, die die Interdependenzen und komplementären WirȬ kungen zwischen den einzelnen Marketingkanälen erfassen.4
4.3.2
IT-Anwendungen in Marketingkanälen
In jüngerer Zeit haben sich zahlreiche Unternehmen sowohl auf KonsumȬ als auch auf Industriegütermärkten durch den Einsatz von ITȬ T Anwendungen innerhalb von Marketingkanälen Wettbewerbsvorteile verschafft. Der umȬ fassende Einsatz von IT wird in zunehmendem Maß durch ManagementȬ konzepte wie das Supply Chain Management (SCM) oder kundengerichtete Varianten wie Quick Response oder Efficient Consumer Response ergänzt.5
1 2 3 4 5
Vgl. Wirtz (2001), S. 181. Vgl. Holtrop/Döpfner/Wirtz (2004), S. 80. Vgl. Ahlert/Evanschitzky (2003), S. 4 f. Vgl. SchrammȬKlein (2003), S. 37. Vgl. Alvarado/Kotzab (2001), S. 184 f.; Hoffman/Mehra (2001), S. 367; Wirtz/Wecker (2007), S. 1 ff.
55
HerausforderunȬ gen des InternetȬ t Direktvertriebs
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
Ziel dieser Konzepte ist eine Optimierung der innerȬȱund zwischenbetriebliȬ chen Abläufe entlang der gesamten Wertschöpfungskette, um LagerbestänȬ de, LogistikȬȱund Marketingkosten sowie die Kapitalbindung zu senken. ITȬ T basiertes SCM C
Unter ITȬ T basiertem SCM versteht man die partnerschaftliche Gestaltung, Integration, Planung und Steuerung aller Elemente durchgängiger WertȬ schöpfungsketten von der Rohstoffbeschaffung bis zur Auslieferung an den Endkunden mit Hilfe von ITȬ T Anwendungen, wie z. B. Internettechnologien.1 Ziele dabei sind, Kosten zu senken und die logistischen Leistungsgrößen über alle Wertschöpfungsstufen zu optimieren. Wichtig ist für einen HerstelȬ ler in diesem Zusammenhang, neben der Integration entsprechender ITȬ T Systeme mit den Partnern in der SupplyȬChain ein gemeinschaftliches VerȬ ständnis für die Planung und Realisierung eines SupplyȬChainȬ Managements zu entwickeln.
Quick Response und Efficient Consumer ResȬ ponse
Unter der Quick Response bzw. Efficient Consumer Response versteht man eine strategische Kooperationsinitiative zwischen Herstellern und ihren Vertriebspartnern zur Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette.2 Sie basiert auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Akteuren im Marketingkanal und dem Austausch von Informationen. Durch den Einsatz von elektronischen Erfassungssystemen in der Lagerhaltung und am PointȬofȬSale ist es möglich, in Echtzeit Daten über Lagerbestände und AbȬ verkäufe zu erhalten und entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine wesentlich schnellere Reaktion auf Nachfrageschwankungen und MarktȬ entwicklungen zu erreichen.3
Anforderungen t an die KanalmitȬ glieder
Die Implementierung von ITȬ T Anwendungen stellt umfangreiche AnforderunȬ gen an alle Kanalmitglieder. Da sensible Daten zwischen den MarketingkaȬ nalmitgliedern geteilt werden müssen, ist ein hohes Maß an Vertrauen zwiȬ schen ihnen erforderlich. Besonders für die Hersteller sind hiermit VorȬȱ und Nachteile verbunden. Einerseits können sie durch den Zugriff auf die LagerȬ bestandsdaten und Absatzzahlen der Handelsstufen eine genauere ProȬ duktionsprogrammplanung durchführen. Andererseits ist der Handel wesentȬ lich schneller als bisher in der Lage, seine Bestellungen an das Kaufverhalten der Kunden anzupassen. Da es hierdurch häufiger zu SortimentsveränderunȬ gen und damit einhergehenden Anpassungen des Produktionsprogramms kommt, entstehen zusätzliche Unsicherheiten im Planungsprozess.4 ITȬ T basierte Managementkonzepte eignen sich im besonderen Maße auch für das MultiȬChannelȬMarketing. Durch eine Erfassung aller BestandsȬȱ und Verbrauchsdaten innerhalb eines Mehrkanalsystems können erhebliche 1 2 3 4
56
Vgl. Stich/Bruckner (2002), S. 46. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 304. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 90 f. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 91.
Rechtliche Rahmenbedingungen
4.4
Effizienzvorteile erzielt werden. Daher wird die Integration der DatenbeȬ stände der einzelnen Kanäle auch in Zukunft ein bedeutender Erfolgsfaktor des MultiȬChannelȬMarketings sein.
4.4
Rechtliche Rahmenbedingungen
Beim strategischen und operativen Management von Marketingkanälen wird der Aktionsspielraum des Marketings von rechtlichen RahmenbedinȬ gungen eingeschränkt. Zwar gibt es kaum Vorschriften, die sich explizit auf das MultiȬChannelȬMarketing beziehen, jedoch existiert zum Vertriebsrecht eine umfassende Rechtssprechung. Die entsprechenden gesetzgeberischen Richtlinien schränken auch den Einsatz bestimmter Instrumente zur UmsetȬ zung von MultiȬChannelȬStrategien und zur Abstimmung zwischen den Kanälen ein. Daher werden im Folgenden die wettbewerbspolitisch begrünȬ deten Eingriffe skizziert, die für das MultiȬChannelȬMarketing von BedeuȬ tung sind. Zusätzlich wird auf spezifische Rechtsnormen, die einen Einfluss auf ausgewählte Vertriebsformen haben, eingegangen.
WettbewerbsȬ politk als ReȬ striktion des MultiȬChannelȬ Marketings
Ziele der Wettbewerbspolitik sind der Schutz und die Förderung des WettȬ bewerbs.1 Wettbewerb wird sowohl als eigenständiges Ziel als auch als Mittel betrachtet, um ökonomische und gesellschaftliche Oberziele wie eine leisȬ tungsgerechte Einkommensverteilung, Konsumentensouveränität, eine effiȬ ziente Faktorallokation, technischen Fortschritt und Anpassungsflexibilität zu erreichen.2 Besteht Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, werȬ den von der Wettbewerbsaufsicht Maßnahmen ergriffen, die die Ursachen der Wettbewerbsgefährdung beseitigen sollen. Die Grundlagen für Eingriffe der Wettbewerbsbehörden sind in Deutschland das Gesetz gegen WettbeȬ werbsbeschränkungen (GWB) und das europäische Wettbewerbsrecht.
Ziele und GrundȬ lagen der WettȬ t bewerbspolitik
Die Instrumente der Wettbewerbspolitik umfassen die Eingriffe in die Marktstruktur und Beschränkungen des Verhaltens der Marktteilnehmer.3 Im Folgenden wird vor allem auf die Maßnahmen zur Einschränkung des Marktverhaltens eingegangen, weil sie den Einsatz unternehmerischer AktiȬ onsparameter in Mehrkanalsystemen beschränken. Dazu zählen das Verbot von und die Missbrauchsaufsicht über wettbewerbsbeschränkende VereinȬ barungen und Behinderungspraktiken.
Instrumente der WettbewerbsȬ politik
1 2 3
Vgl. Herdzina (1999), S. 11. Vgl. Schmidt (1999), S. 28. Vgl. Herdzina (1999), S. 115.
57
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
4.4.1
Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen
Verbot wettbeȬ werbsbeschränȬ kender VereinbaȬ rungen
§ 1 GWB definiert mutmaßlich wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. Dazu zählen Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von UnȬ ternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.
Freigestellte Vereinbarungen
Ausgenommen hiervon sind Vereinbarungen, die zur Verbesserung der Warenerzeugung oder Ȭverteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, jeweils unter angemessener BeteiliȬ gung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn. Wichtig hierbei ist allerdings, dass den beteiligten Unternehmen nicht die Möglichkeit eröffnet wird, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten bzw. wesentlich zu beinträchtigen. Darüber hinaus sind VerȬ einbarungen und Beschlüsse erlaubt, die dazu dienen, die WettbewerbsfäȬ higkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern.
Berücksichtigung von EUȬ U Recht
Neben dem nationalen Recht muss beim Management von MehrkanalȬ systemen auch das europäische Wettbewerbsrecht berücksichtigt werden. Gemäß Art. 81 EUȬVertrag sind alle Arten von horizontalen und vertikalen Vereinbarungen, Unternehmenszusammenschlüssen und Verhaltensweisen untersagt, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beschränken oder den Wettbewerb innerhalb der EU beeinträchtigen können. Eine solche VerȬ haltensweise wäre z. B. der Versuch eines Verbots von Reimporten von SeiȬ ten der Hersteller, was eine Beschränkung des innereuropäischen WarenverȬ kehrs darstellen würde. Für bestimmte Vertragstypen sind jedoch AusnahȬ men möglich, die im Rahmen so genannter Gruppenfreistellungen (GVO) in Art. 81 Abs. 3 des EUȬVertrages festgelegt sind.
AlleinvertriebsȬ vereinbarungen
Für das MultiȬChannelȬMarketing sind dabei besonders die GruppenfreistelȬ lungen für Alleinvertriebsvereinbarungen und für selektive VertriebssysteȬ me relevant. Alleinvertriebsvereinbarungen sind von Bedeutung, weil sie die Selektion von Absatzmittlern im Rahmen der grenzüberschreitenden DistriȬ bution ermöglichen. Hersteller können Verträge mit Absatzmittlern schlieȬ ßen, die ihren Auswahlkriterien entsprechen und so beispielsweise ein geȬ wisses Qualitätsniveau bei Service und Ersatzteilversorgung sicherstellen. Gemäß der Leitlinien der Europäischen Kommission für vertikale BeschränȬ kungen des Wettbewerbs aus dem Jahr 2000, welche die lange Jahre einȬ schlägige Verordnung Nr. 1983/83 ersetzt, sind diese AlleinvertriebsvereinȬ barungen zwischen Herstellern und Händlern mit dem Ziel einer besseren Warenversorgung freigestellt.
GruppenfreiȬ stellungen
Die Automobilbranche zeichnet sich im Gegensatz zu anderen Branchen durch ihre sehr selektiven Vertriebssysteme aus, was sich vor allem in der SortimentsȬ und Preispolitik, der Werbung und der Verkaufsförderung beȬ 58
Rechtliche Rahmenbedingungen
4.4
merkbar macht. Die Existenz dieser selektiven Vertriebssysteme, bei denen die Hersteller großen Einfluss auf die angeschlossenen Absatzmittler ausȬ üben, wird mit Rationalisierungseffekten begründet.1 Die Anwendung der GVO wurde im Rahmen der VO Nr. 1/2003 stark verȬ ändert.2 Unternehmen müssen ihre Absprachen nicht mehr im voraus anȬ melden, sondern eine behördliche oder gerichtliche Kontrolle findet nur exȬ post statt. Darüber hinaus ist nicht mehr alleine die europäische KommisȬ sion für die Freistellung zuständig, sondern auch nationale WettbewerbsbeȬ hörden und Gerichte haben Art. 83 Abs. 3 EGV anzuwenden. In der MissȬ brauchsaufsicht kann sich jedoch strengeres nationales Recht gegenüber dem EUȬWettbewerbsrecht durchsetzen.
Anwendung n
Für das MultiȬChannelȬMarketing bedeutet das Verbot wettbewerbsbeȬ schränkender Vereinbarungen, dass durch die möglichen Eingriffe der WettȬ bewerbsbehörden die Gefahr besteht, dass vertragliche Vereinbarungen zwischen Absatzmittlern und Herstellern angefochten werden. Dadurch kann unter Umständen die Abstimmung innerhalb eines Mehrkanalsystems erschwert werden, weil zwischen den Teilnehmern keine bindenden VerȬ pflichtungen mit entsprechenden Sanktionsmechanismen geschlossen werȬ den können.
Implikationen für das MultiȬ ChannelȬ Marketing
4.4.2
Behinderungspraktiken
Als wettbewerbswidrig werden Verhaltensweisen von Marktteilnehmern angesehen, die zu einer unbilligen Einschränkung der Freiheit anderer Marktteilnehmer führen. Bestimmte Verhaltensweisen wirken erst dann wettbewerbsgefährdend, wenn sie von marktbeherrschenden Unternehmen ausgeübt werden.3 Dies gilt insbesondere für Monopolunternehmen, aber auch für Unternehmen, die eine monopolähnliche Stellung innehaben und keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind (§ 19 GWB). Sie können auf Grund ihrer wirtschaftlichen Lage erheblichen Einfluss auf den Markt ausüben und müssen kaum Rücksicht auf Wettbewerber nehmen.4 Ein einȬ zelnes Unternehmen wird als marktbeherrschend angesehen, sobald es mindestens ein Drittel des relevanten Marktes kontrolliert.5
1 2 3 4 5
Vgl. Schmidt (1999), S. 227. Vgl. Monopolkommision (2004), S. 2. Vgl. Herdzina (1999), S. 167, 198 f. Vgl. Enzenhofer (2002), S. 85. Vgl. Schmidt (1999), S. 168.
59
WettbewerbsgeȬ fährdung durch marktbeherrȬ r schende UnterȬ r nehmen
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
MissbrauchsȬ verbot
Für marktbeherrschende Unternehmen gilt ein Missbrauchsverbot ihrer Marktmacht. D. h., dass sie ihre überlegene Marktstellung nicht in einer Form ausnutzen dürfen, die Wettbewerber in unbilliger Weise behindert (§ 19 I GWB). Zur Konkretisierung dieser Rechtsnorm werden im GWB einige Beispiele für wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen marktbeȬ herrschender Unternehmen angeführt. Dazu zählen neben den bereits beȬ schriebenen InhaltsȬȱ und Abschlussbindungen Verhaltensweisen, die als Diskriminierung von Marktteilnehmern aufgefasst werden können.
MissbrauchsverȬ r mutung g
Von besonderer Bedeutung sind daher Vorschriften, die die unterschiedliche Behandlung von Abnehmern regulieren und die BehinderungsȬȱ und AusȬ beutungsmissbrauch vorbeugen sollen.1 Maßgeblich ist dafür unter anderem § 19 GWB, in dem beispielhaft einige Missbrauchstatbestände konkretisiert werden. Nach § 19 IV GWB Nr. 1 ist ein Missbrauch einer marktbeherrȬ schenden Stellung zu vermuten, wenn ein Unternehmen die WettbewerbsȬ möglichkeiten anderer Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund einschränkt (Behinderungsmissbrauch). Ausbeutungsmissbrauch liegt nach § 19 IV Nr. 3 GWB vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung marktunübliche Preise oder Geschäftsbedingungen festsetzt.
Preispolitik und Ȭdifferenzierung
Als wettbewerbsbeschränkend im Sinne des § 19 GWB gelten darüber hinaus Kampfpreisunterbietungen, die das Ziel haben, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Weiterhin fällt darunter auch die Benachteiligung bestimmter Marketingkanäle durch eine sachlich nicht gerechtfertigte DiffeȬ renzierung der Abnahmepreise, wie z. B. die preisliche Benachteiligung freier Tankstellen durch Mineralölkonzerne bei der Abnahme von RaffineȬ riebenzin.2 Im MultiȬChannelȬMarketing ist die Ungleichbehandlung von Handelspartnern in verschiedenen Marketingkanälen durch unterschiedliȬ che Konditionensysteme daher unter Umständen als wettbewerbswidriger Behinderungsmissbrauch anzusehen.
LieferverȬ r weigerung
Vertriebspraktiken marktbeherrschender Unternehmen, die darauf abzielen, Absatzmittler zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, können ebenfalls wettbewerbswidrig sein. Untersagt sind insbesondere Boykotte und LieferȬ verweigerungen (§ 21 GWB). Ein Boykott wird von Herstellern häufig als Drohmittel gegenüber Absatzmittlern eingesetzt, um das Entstehen neuer Vertriebskanäle zu verhindern. So könnten beispielsweise Großhändler mit Boykottdrohungen daran gehindert werden, Waren auch an Discounter auszuliefern.3 Lieferverweigerungen dienen dazu, eine vertikale PreisbinȬ dung auf nichtȬvertraglichem Weg durchzusetzen. Bei Unterschreitung eines 1 2 3
60
Vgl. Schmidt (1999), S. 168 f. Vgl. Enzenhofer (2002), S. 85 f. Vgl. Schmidt (1999), S. 127.
Rechtliche Rahmenbedingungen
4.4
bestimmten Preisniveaus weigert sich der Hersteller, den Absatzmittler zu beliefern, um ihn zur Einhaltung der vom Hersteller vorgegebenen Preise zu zwingen.1 Ebenfalls untersagt ist die Erzwingung von VorzugsbehandȬ lungen im Einkauf durch marktbeherrschende Unternehmen.
4.4.3
Rechtliche Rahmenbedingungen ausgewählter Vertriebsformen
Besonders wichtig für das Management eines Mehrkanalsystems ist die Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich auf spezifiȬ sche Vertriebsformen bzw. Marketingkanäle beziehen, da diese ebenfalls erhebliche Einschränkungen für das MultiȬChannelȬMarketing darstellen. Stellvertretend für die an dieser Stelle nicht vollständig darstellbare Menge an relevanten Normen, wird im Folgenden beispielhaft auf Rechtsnormen eingegangen, die sich auf den Telefonverkauf, den Versandhandel sowie den stationären Einzelhandel beziehen. Beim Telefonverkauf wird dem Kunden direkt über das Telefon ein Angebot gemacht, um dadurch einen Vertragsabschluss herbeizuführen. Dieser VerȬ triebsform sind gesetzlich jedoch sehr enge Grenzen gesetzt, da sie nur zuȬ lässig ist, wenn bereits eine Vertragsbeziehung besteht und der Kunde zuvor ausdrücklich oder konkludent einer telefonischen Kontaktaufnahme zugeȬ stimmt hat.2 Dies gilt auch für Angebote, die unverlangt per Telefax oder per eȬMail gemacht werden.
RechtsbedingunȬ gen beim TelefonȬ verkauf
Da beim Versandhandel in der Regel Verträge unter Verwendung von FernȬ kommunikationsmitteln abgeschlossen werden, handelt es sich hierbei um so genannte Fernabsatzverträge. Seit dem Jahr 2000 ist das Fernabsatzgesetz in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) integriert worden und schreibt dem Verkäufer bestimmte Pflichten beim Fernabsatz vor.
Fernabsatzg zgesetz
So muss der Verkäufer den Verbraucher rechtzeitig vor Abschluss eines Vertrags in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenȬ den Weise klar und verständlich über die Einzelheiten und den geschäftliȬ chen Zweck des Vertrags informieren. Darüber hinaus steht dem VerbrauȬ cher bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht bzw. anstelle dessen auch ein Rückgaberecht zu. Für den stationären Einzelhandel stellt das Ladenöffnungszeitengesetz eine bestimmende rechtliche Rahmenbedingung dar. Dieses wurde in den letzten Jahren zunehmend gelockert und erlebte im Jahr 2006 eine weitere ÄndeȬ 1 2
Vgl. Schmidt (1999), S. 128, 279 f. Vgl. Wirtz (2005c), S. 177.
61
LadenöffnungsȬ zeitengesetz
4
Rahmenbedingungen des Multi-Channel-Marketings
rung. Demzufolge ist es dem stationären Einzelhandel in einigen BundesȬ ländern mittlerweile möglich, an Wochentagen durchgehend geöffnet zu haben. Derartige Rechtssprechungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels gegenüber anderen VertriebsȬ formen. So wird beispielsweise der Vorteil des Internetvertriebs, Produkte permanent anbieten zu können, abgeschwächt. Gleichzeitig stellt die ErmittȬ lung der geeigneten Öffnungszeiten für den einzelnen Händler eine wichtiȬ ge Herausforderung dar. Implikationen für Ziele, Chancen und Risiken
Zusammenfassend zeigen die geschilderten Rahmenbedingungen zahlreiche Beschränkungen und Gestaltungsspielräume für ein MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem. Diese sind wichtig, um Ziele des MultiȬChannelȬ Marketings realistisch zu setzen und Chancen und Risiken seriös zu beurteiȬ len. Auf diesem Grundverständnis aufbauend werden im nächsten Kapitel die Ziele sowie Chancen und Risiken des MultiȬChannelȬMarketings näher betrachet.
62
Rechtliche Rahmenbedingungen
4.4
5 Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Die Formulierung von Zielen ist für ein Unternehmen von hoher Bedeutung, um sicherzustellen, dass sich das Unternehmen in die vom Management gewünschte Richtung bewegt. Das Zielsystem eines Unternehmens bezieht sich dabei auf verschiedene Unternehmensebenen. So gibt es neben den Zielen auf Gesamtunternehmensebene auch Ziele, die sich nur auf einzelne Funktionsbereiche beziehen. Auch die Ziele im MultiȬChannelȬMarketing sind in diese Zielhierarchie integriert. In Abschnitt 5.1 wird das Zielsystem des MultiȬChannelȬMarketings näher ausgeführt. Dabei erfolgt zunächst eine Einordnung der Ziele des MultiȬ ChannelȬMarketings in die Zielhierarchie eines Unternehmens und darüber hinaus eine Darstellung des übergeordneten Ziels des MultiȬChannelȬ Marketings, an dem sich das Management eines Mehrkanalsystems orientieȬ ren sollte. In Verbindung mit den Zielen eines Mehrkanalsystems leiten sich bestimmte Chancen und Risiken für ein Unternehmen ab, wobei das ManaȬ gement gewisse Herausforderungen bewältigen muss, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Dieser Sachverhalt wird in Abschnitt 5.2 näher thematisiert. Abbildung 5Ȭ1 stellt überblickartig die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 5Ȭ1
Struktur des Kapitels
Zielsystem des MultiChannel-Marketings
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
•
Zielhierarchie
•
Chancen
•
Übergeordnetes Ziel des Multi-Channel-Marketings
•
Risiken
•
Herausforderungen
63
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.1
Zielsystem des Multi-ChannelMarketings
Das MultiȬChannelȬMarketing kann nicht isoliert betrachtet werden. VielȬ mehr gilt es, auf Grund seiner komplexen Verknüpfungen mit einer Vielzahl von Subsystemen einer Unternehmung immer den Blick auf das gesamte Unternehmen zu wahren. Aus dieser Tatsache lässt sich direkt die FordeȬ rung nach einer Integration der MultiȬChannelȬMarketingȬZiele in die GeȬ samtzielhierarchie eines Unternehmens ableiten. Abschnitt 5.1.1 stellt die Einbettung unterschiedlicher Zielebenen in die Zielhierarchie dar.
Abbildung 5Ȭ2
Zielhierarchie und übergeordnetes MultiȬChannelȬMarketingȬZiel
Übergeordnetes Ziel des Multi-Channel-Marketings
Zielhierarchie
MultiȬChannelȬ MarketingȬ g Ziele
•
Ziele des Unternehmens
•
Ziele des Marketings
•
Ziele des Multi-ChannelMarketings
•
Erhöhung des Endkunden- bzw. Absatzmittler-Equity
Unter MultiȬChannelȬMarketingȬZielen lassen sich dabei beabsichtigte Zustände verstehen, welche durch den Einsatz der MultiȬChannelȬ Marketing Instrumente herbeizuführen sind. Als Voraussetzung für die Zielerreichung ist eine sorgfältige Operationalisierung der Ziele anzusehen. Dabei gilt es, die Zieldimensionen Zielgröße, Zielniveau und Zeitbezug zu konkretisieren.1 Aus den verschiedenen Zielen ergibt sich in letzter KonseȬ quenz mit der Erhöhung des EndkundenȬȱ und AbsatzmittlerȬEquity ein übergeordnetes Ziel, dass als Hauptsteuerungsgröße im MultiȬChannelȬ Marketing fungieren kann. Auf dieses übergeordnete Ziel wird im AbȬ schnitt 5.1.2 genauer eingegangen.
1
64
Vgl. Adam (1996), S. 100.
Zielsystem des Multi-Channel-Marketings
5.1.1
5.1
Zielhierarchie
Auch im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings gelten die unternehmeriȬ schen Fundamentalziele, wie z. B. Gewinn, Umsatz, CashȬFlow, Return on Assets (RoA), Return on Investment (RoI), Wertsteigerung etc., als oberste Hierarchieebene und damit als übergeordnete Zielsetzung für alle MarkeȬ tingaktivitäten. Der besondere Vorteil der Unternehmensziele besteht in der einfachen Messbarkeit anhand monetärer und wirtschaftlicher Größen. DaȬ gegen ist der Nachteil der Ziele darin zu sehen, dass bei genauer BetrachȬ tung in der Regel keine Verbindung zu einzelnen Marketinginstrumenten gegeben ist und sich darüber hinaus keine konkreten HandlungsanweisunȬ gen für das Marketing ableiten lassen.
UnternehmensȬ ziele auf oberster Hierarchieebene
Daher sind auf der zweiten Hierarchieebene, der Ebene der Marketingziele, neben den fundamentalen ökonomischen Zielgrößen, wie z. B. dem KunȬ denwert, der Kundenbindung, dem Kundendeckungsbeitrag oder dem Marktanteil, auch psychografische Ziele bedeutsam. Hierunter fallen Ziele, wie beispielsweise die Steigerung des Bekanntheitsgrads, die Veränderung bestimmter Meinungen und Einstellungen sowie die Erweiterung des KunȬ denwissens über Produkte und Dienstleistungen. Charakteristisch für letztȬ genannte Ziele ist deren direkte Beeinflussbarkeit durch den zielgerichteten Einsatz der MarketingȬInstrumente.1 Sie haben einen indirekten Einfluss auf die Erreichung der ökonomischen Ziele, indem sie individuelle VerarbeiȬ tungsȬ und Bewertungsprozesse auslösen, die schließlich zur Kaufhandlung selbst führen. Die Messung des Zielerreichungsgrads erweist sich bei den psychografischen Zielen als schwierig, da eine allgemein anerkannte OperaȬ tionalisierung bisher nicht existiert.2
Marketingziele auf zweiter HieȬ rarchieebene
Die Ziele des MultiȬChannelȬMarketings wiederum sind eingebettet in die übergeordneten Ziele des Marketings und damit in zweiter Instanz mit den Fundamentalzielen eines Unternehmens abzugleichen. Besonders auf dieser abstrakten Ebene sind Zielkonflikte unter allen Umständen zu vermeiden. Andernfalls besteht die Gefahr hoher Kosten sowie permanenter ImageȬ schäden, sollten konfliktäre Ziele durch entgegengesetzt wirkende MaßȬ nahmen verfolgt werden.
MultiȬChannelȬ MarketingȬ g Ziele auf dritter HieȬ rarchieebene
Auch auf der Ebene der MultiȬChannelȬMarketingȬZiele kann die oben beȬ schriebene Zielaufteilung in ökonomische und psychografische Ziele angeȬ wandt werden. Hinsichtlich der ökonomischen Ziele können beispielsweise die Reduzierung der Vertriebskosten, die Vermeidung von Preiserosion durch Konkurrenz der Marketingkanäle, die Neukundengewinnung oder die Erhöhung von CrossȬSellingȬRaten als ökonomische Ziele im MultiȬ ChannelȬMarketing aufgefasst werden.
Ökonomische Ziele des MultiȬ ChannelȬ Marketings
1 2
Vgl. Meffert (2000), S. 76 ff., S. 601. Vgl. Bruhn (1997), S. 502 f.; Meffert (2000), S. 78.
65
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Psychografische Ziele des MultiȬ ChannelȬ Marketings
Neben den ökonomischen Zielen spielen im MultiȬChannelȬMarketing auch die psychografischen Ziele eine bedeutende Rolle. Zu diesen Zielen gehören beispielsweise die Verbesserung des Images, die Erhöhung der MarkenȬ reichweite, die Steigerung der Kundenerreichbarkeit oder auch die SteigeȬ rung des Gesamtnutzens eines Produkts für einen Endkunden bzw. AbȬ satzmittler. Der Einsatz der MarketingȬInstrumente kann zum Erreichen dieser psychografischen Ziele beitragen. Auf diesem Weg besteht auch ein indirekter Beitrag zur Erfüllung der ökonomischen Ziele.
KundenwertsteiȬ gerung als überȬ r geordnetes Ziel
Insgesamt besteht eine Vielzahl an verschieden ökonomischen und psychoȬ grafischen Zielen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die einzelnen Ziele des MultiȬChannelȬMarketings in letzter Konsequenz an dem übergeȬ ordneten Ziel der Kundenwertsteigerung in Form des EndkundenȬEquity bzw. AbsatzmittlerȬEquity ausgerichtet sind. Die Erreichung dieses übergeȬ ordneten Ziels ist demnach mit der Erreichung anderer untergeordneter Ziele einhergehend. Auf die Zielgröße des EndkundenȬ und AbsatzmittlerȬ Equity wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen. Zusammenfassend lässt sich das Zielsystem des MultiȬChannelȬMarketings als eine dreistufige Hierarchie verstehen. Die Einbettung der MultiȬChannelȬ MarketingȬZiele in das gesamte unternehmerische Zielsystem wird in Abbildung 5Ȭ3 dargestellt, wobei die Ziele auf den jeweiligen HierarchieebeȬ nen beispielhaft und keinesfalls erschöpfend sind.
66
Zielsystem des Multi-Channel-Marketings
5.1 Abbildung 5Ȭ3
Zielhierarchie des MultiȬChannelȬMarketings
Unternehmensziele • Gewinn • Umsatz • RoA, RoI • Wertsteigerung • ...
Ökonomische Marketingziele
Psychografische Marketingziele
• Kundenwertsteigerung • Kundenbindung • Kundendeckungsbeitrag • Marktanteil • ...
• Steigerung des Bekanntheitsgrads • Meinungsbildung • Wissenserweiterung (des Kunden) • ...
Ökonomische MCM-Ziele
Psychografische MCM-Ziele
• • • • •
• • • •
Optimierung der Vertriebskosten Vermeidung von Preiserosionen Neukundengewinnung Erhöhung von Cross-Selling-Raten Verbesserung der Lieferzeit, -treue, -fähigkeit, -qualität etc. • ...
Verbesserung des Images Erhöhung der Markenreichweite Erhöhung des Gesamtnutzens für Kunden ...
Endkunden- und Absatzmittlerwertsteigerung als übergeordnetes Ziel
Diesen relativ abstrakt formulierten Ziele liegen wiederum konkreter formuȬ lierte Zielkomponenten zu Grunde. Eine solche Zielkomponente ist etwa die Verbesserung der Logistikleistung. Dieser kommt eine besondere Bedeutung in MultiȬChannelȬMarketingȬSystemen zu und wird daher im Folgenden vertieft betrachtet. Gerade vor dem Hintergrund schwindender Differenzierungspotenziale in Bezug auf die Qualität eines Produkts hat die Logistikleistung eines UnterȬ nehmens einen großen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und folglich auch auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.1 In einem MehrkanalȬ system stellt die Abstimmung verschiedener Marketingkanäle in Bezug auf die Logistik und deren Einzelkomponenten eine besondere HerausfordeȬ rung dar.
1
Vgl. Stich/Bruckner (2002), S. 11.
67
Logistikleistung als wichtiges ökonomisches MCMȬ M Teilziel
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Komponenten und Ziel der Logistik
Die Logistikleistung kann insbesondere über sieben verschiedene EinzelȬ komponenten operationalisiert werden.1 Dabei handelt es sich um die LieȬ ferzeit, Lieferfähigkeit, Lieferbereitschaft, Liefertreue, Lieferqualität, LieferȬ flexibilität und Informationsbereitschaft. Ziel des MultiȬChannelȬMarketingȬ Managements muss es sein, die Einzelkomponenten der Logistikleistung bei gleichzeitiger Kostenreduzierung zu optimieren.2 Abbildung 5Ȭ4 stellt dieȬ sen Zusammenhang dar.
Abbildung 5Ȭ4
Komponenten und Ziele der Logistikleistung3
Lieferzeit Ziel Informationsbereitschaft
Lieferqualität Komponenten der Logistikleistung
Lieferfähigkeit
Lieferbereitschaft
Liefertreue
Optimierung der Logistikleistung bei gleichzeitiger Kostenreduzierung
Lieferflexibilität
Lieferzeit und Lieferfähigkeit
Bei der Lieferzeit handelt es sich um die Zeitspanne von der AuftragserteiȬ lung bis zum Zeitpunkt der Auftragserfüllung und wird dann zum WettbeȬ werbsvorteil, wenn die Lieferzeiten der Konkurrenten unterboten werden können. Die Lieferfähigkeit beschreibt dagegen die Übereinstimmung zwiȬ schen dem Kundenwunschtermin und dem zugesicherten AuftragserfülȬ lungstermin des Unternehmens. Auch hier kommt der kurzfristigen LieferȬ fähigkeit eine immer größere Bedeutung zu.
Lieferbereitschaft und Liefertreue
Ob ein Unternehmen einen Auftrag ab Lager auch tatsächlich erfüllen kann, wird auch als Lieferbereitschaft definiert und über den LieferbereitschaftsȬ grad, als Anteil der lieferbaren Mengeneinheiten bezogen auf die insgesamt nachgefragten Mengeneinheiten, angegeben. Die Liefertreue bezeichnet schließlich die Übereinstimmung zwischen zugesagtem und tatsächlichem Auftragserfüllungstermin.
1 2 3
68
Vgl. im Folgenden Stich/Bruckner (2002), S. 11 f.; Rosenbloom (2004), S. 394 f. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 389. In Anlehnung an Stich/Bruckner (2002), S. 11.
Zielsystem des Multi-Channel-Marketings
Die Lieferqualität gilt als Bewertungsmaßstab für den Anteil fehlerfrei ausȬ geführter Aufträge. Die Lieferflexibilität gibt an, welche kurzfristigen ÄndeȬ rungen durch den Kunden in Bezug auf Mengen oder Termine das UnterȬ nehmen erfüllen kann. Die Informationsbereitschaft bezeichnet die FähigȬ keit, Kundenanfragen zum Auftragsstand beantworten zu können.
5.1.2
5.1 Lieferqualität, Lieferflexibilität und InformatiȬ onsbereitschaft
Übergeordnetes Ziel des Multi-ChannelMarketings
Da das Zielsystem im MultiȬChannelȬMarketing aus vielen verschiedenen Zielen besteht, würde eine Steuerung sämtlicher ökonomischer und psychoȬ grafischer Ziele zu einer hohen Komplexität führen. Darüber hinaus fließen wesentliche Teile aller Ziele in das übergeordnete Ziel der Erhöhung des EndkundenȬȱ bzw. AbsatzmittlerȬEquity ein. Zur zentralen Steuerung eines Mehrkanalsystems sollte sich das Management verstärkt auf dieses übergeȬ ordnete Ziel fokussieren. EndkundenȬ und AbsatzmittlerȬEquity beziehen sich zwar auf verschiedene Distributionsstufen im Marketingkanal, unterscheiden sich jedoch bezüglich ihrer Berechnung und der zugrunde liegenden Komponenten nur wenig, weshalb diese beiden Größen nachfolgend gemeinsam erläutert werden. Ziel eines Herstellers ist es zunächst, den Wert eines einzelnen direkten Endkunden bzw. Absatzmittlers zu maximieren. Die einzelnen Kundenwerte bilden dann in der Summe den EndkundenȬ bzw. AbsatzmittlerȬEquity. Dabei spielen sowohl monetäre als auch psychografische Größen eine wichȬ tige Rolle, wobei letztere auf erstere einen Einfluss haben.1 Die wesentlichen monetären Treiber sind die kundenbezogenen Umsätze und Kosten, der Zeitraum, die kundenindividuelle Kauffrequenz sowie die WiederkaufȬȱbzw. Herstellerwahlwahrscheinlichkeit. In Bezug auf die psychografischen Größen sind der wertbezogene, der marȬ keninduzierte und der beziehungsorientierte Nutzen zentrale Größen. Sie können durch MarketingȬMixȬInstrumente beeinflusst werden und bilden den Gesamtnutzen eines Produkts für den Endkunden bzw. Absatzmittler. Dieser Gesamtnutzen hat einen wesentlichen Einfluss auf die WiederkaufȬ wahrscheinlichkeit eines Kunden und bestimmt somit den EndkundenȬ oder Absatzmittlerwert. Aus der Summe der Einzelwerte ergibt sich der EndkunȬ denȬ bzw. AbsatzmittlerȬEquity.2 Abbildung 5Ȭ5 stellt die einzelnen KompoȬ nenten dar.
1 2
Vgl. Burmann (2003), S. 116. Vgl. Rust/Lemon/Zeithaml (2004), S. 112.
69
Komponenten des EndkundenȬȱbzw. AbsatzmittlerȬ r Equity
5 Abbildung 5Ȭ5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Komponenten des EndkundenȬ und AbsatzmittlerȬEquity1
Psychografische Größen
Monetäre Größen
Endkunden-/Absatzmittler-Equity Kundenbezogener Umsatz Kundenbezogene Kosten
Maximierung des Endkunden-/Absatzmittlerwerts
Zeitraum Kauffrequenz
Wiederkauf-/Herstellerwahlwahrscheinlichkeit
Gesamtnutzen eines Produkts für den Endkunden/Absatzmittler
Wertbezogener Nutzen
Markeninduzierter Nutzen
Beziehungsorientierter Nutzen
Multi-Channel-Marketing-Instrumente: Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik
Erläuterung monetärer Größen
Im Rahmen der monetären Größen spiegeln sich kundenbezogene Umsätze und Kosten im Deckungsbeitrag je Kunde wider. Die Kauffrequenz definiert die Anzahl getätigter Käufe eines Endkunden oder Absatzmittlers in einem bestimmten Zeitraum, beispielsweise die Anzahl der Käufe je Quartal. Die WiederkaufȬ bzw. Herstellerwahlwahrscheinlichkeit drückt aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Endkunde bzw. Absatzmittler bei einem bestimmten Hersteller einen Einkauf tätigt.
Erläuterung psychografischer Größen
Hinsichtlich des wertbezogenen Nutzens kann ein Endkunde z. B. aus der Qualität eines Produkts einen Nutzen ziehen, wenn das jeweilige Produkt die Eigenschaften erfüllt, die im Vorfeld auch versprochen wurden. Ein Absatzmittler dagegen nimmt einen wertbezogenen Nutzen beispielsweise über sein mögliches Margenpotenzial wahr. Einen markeninduzierten NutȬ zen ziehen Endkunden daraus, dass die Nutzung spezifischer Marken zu Prestige führen und somit eine gesellschaftliche Bedeutung haben kann. Für einen Absatzmittler kann eine Herstellermarke einen positiven Effekt auf seine eigene Reputation haben. Beziehungsorientierten Nutzen erfährt ein Endkunde z. B. über Loyalitätsprogramme, wie beispielsweise eine KundenȬ karte oder einen Kundenclub. So erhält er beim Einkauf Rabatte auf den Verkaufspreis oder wird frühzeitig über Aktionen und Sonderangebote informiert. Absatzmittler können Vorteile über herstellerinitiierte SchulungsȬ maßnahmen oder herstellergeführte PointȬofȬSaleȬMaßnahmen erzielen.
1
70
In Anlehnung an Burmann (2003), S. 123.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
5.2
Anforderungen des Multi-ChannelMarketings
Durch den Einsatz mehrerer Marketingkanäle versprechen sich UnternehȬ men eine Reihe von Chancen. Hierbei handelt es sich um verschiedenste Aspekte, von denen ein Unternehmen mit Hilfe eines richtig ausgestalteten Mehrkanalsystems profitieren kann. Bei all diesen Möglichkeiten muss sich ein Unternehmen allerdings auch immer bewusst sein, dass der Aufbau eines solchen Systems kein „Selbstläufer“ darstellt. Die Risiken müssen jederzeit berücksichtigt und den Chancen gegenüber gestellt werden. DarȬ über hinaus ergeben sich aus den Chancen und Risiken bestimmte HerausȬ forderungen für das Management, die für den Erfolg eines MehrkanalsysȬ tems von entscheidender Bedeutung sind (vgl. Abbildung 5Ȭ6). Abschnitt 5.2.1 geht zunächst auf die Chancen ein, während sich Abschnitt 5.2.2 mit den Risiken beschäftigt. Danach erfolgt in Abschnitt 5.2.3 eine Darstellung der sich ergebenden zentralen Herausforderungen des MultiȬChannelȬ Marketings.
Abbildung 5Ȭ6
Chancen, Risiken und Herausforderungen des MultiȬChannelȬMarketings Chancen
Risiken
•
Erhöhte Marktabdeckung und Neukundengewinnung
•
Verwirrung/ Überforderung von Kunden
•
Kundenbindung durch umfassende Kundenbetreuung
•
Absatzkanalkonflikte
•
Komplexitätszunahme
•
Cross-Selling und höherer „Share of Wallet“
•
Kontrollverlust
•
Suboptimierungen
•
Verringerung von Abhängigkeiten
•
...
•
Optimierung der Vertriebskosten
•
Umsatz- und Gewinnsteigerungen
•
...
Herausforderungen •
Erreichung eines Channel-Fits
•
Optimierung der Geschäftsbeziehung
•
Optimierung der Customer Touchpoints
•
...
71
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2.1
Chancen des Multi-Channel-Marketings
Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings lassen sich mit der Erhöhung der Marktabdeckung, Verbesserung der Kundenbindung, Erhöhung des CrossȬ Selling, Verringerung von Abhängigkeiten, Optimierung der Vertriebskosten sowie UmsatzȬ und Gewinnsteigerungen zentrale Chancen nennen, auf die nachfolgend näher eingegangen wird.1 Erhöhte MarktȬ t abdeckung und NeukundengeȬ winnung
Durch den Vertrieb über mehrere Marketingkanäle kann die MarktabdeȬ ckung deutlich erhöht werden. Ein Mehrkanalsystem ermöglicht so die Erschließung neuer GeschäftsȬ und Kundenfelder, die über die bisherigen Kanäle nicht erreicht wurden und eröffnet dem Unternehmen die MöglichȬ keit, sich im Markt neu zu positionieren und möglicherweise neue Produkte anzubieten.2 Besonders mit Unterstützung des Internets lassen sich KundenȬ segmente erschließen, die in diesem Umfang zuvor nicht angesprochen werden konnten. Vor allem jüngere Kunden gewinnen durch das Internet für viele Unternehmen an Bedeutung. Hinzu kommt, dass Kunden, die sich im Netz informieren und im Warenhaus einkaufen, im Schnitt mehr Geld ausgeben als diejenigen, die nur in die Filiale gehen.3 Werden mehrere Marketingkanäle zum Vertrieb von Produkten eingesetzt, kann der Distributionsgrad erhöht werden, was ebenfalls in einer höheren Marktabdeckung resultiert. Unter dem Distributionsgrad wird eine KennȬ zahl verstanden, die ausdrückt, in welchem Ausmaß ein Produkt im Handel erhältlich ist. Durch einen höheren Distributionsgrad ist es z. B. möglich, die Gewinnschwelle schneller zu erreichen, da die überwiegend konstanten Fixkosten durch höhere Umsätze schneller kompensiert werden können.4
Kundenbindung durch umfassenȬ de Betreuung
Eine Studie bestätigte, dass die Hälfte der untersuchten Unternehmen durch MultiȬChannelȬMarketing die Kundenzufriedenheit, die ein wesentlicher Faktor der Kundenbindung ist, erheblich steigern konnte.5 Kundensegmente unterscheiden sich im Allgemeinen hinsichtlich ihrer Präferenzen, NutzenȬ vorstellungen und Bedürfnisse, denen anhand unterschiedlicher MarketingȬ kanäle Rechnung getragen werden kann.6 So können einzelne MarketingkaȬ näle im Mehrkanalsystem auf die einzelnen Kundengruppen spezifisch abgestimmte Leistungen bieten und dadurch den Kundennutzen erhöhen. Zudem müssen die Unternehmen der Entwicklung des Kunden zum „VarieȬ tyȬSeeking“ȬKunden nachkommen, der die Kanalgrenzen situativ und beȬ darfsgerecht überschreitet und gleichzeitig mehrere Kanäle nutzt.7 1 2 3 4 5 6 7
72
Vgl. Schögel (1997), S. 26 f.; Wirtz (2002), S. 681; Coelho/Easingwood (2004), S. 4. Vgl. Gronover (2003), S. 33. Vgl. Range (2002), S. 90. Vgl. Meffert (2000), S. 601; Schögel (2001), S. 13. Vgl. Wirtz/Schilke/Büttner (2004), S. 48. Vgl. Schögel (1997), S. 27; Sa Vinhas/Anderson (2005), S. 507. Vgl. Bachem (2004), S. 59.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
Durch die Schaffung kundengerechter Marketingkanäle bietet sich dem Hersteller die Möglichkeit, sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Nimmt der Kunde den Marketingkanal als Beitrag zur individuellen Problemlösung wahr, wirkt sich dies positiv auf seine Zufriedenheit aus, was schließlich in einer erhöhten Kundenbindung resultieren kann. Neben der Kundenbindung ist auch das Ausschöpfen bestehender CrossȬ SellingȬPotenziale zur Generierung kanalübergreifender ZusatzȬ und WieȬ derholungskäufe eine bedeutende Chance. So können dem Kunden bedarfsȬ gerechte komplementäre Zusatzangebote gemacht werden. Kauft ein Kunde beispielsweise einen PC über das Internet, kann man ihm zusätzlich relevanȬ te Softwarepakete über den gleichen Kanal oder aber über andere Kanäle anbieten.
Cross Selling und höherer Share of Wallet
Zeigt sich der Kunde mit dem Anbieter zufrieden, besteht eine große ChanȬ ce, dass er derartige Angebote in Anspruch nimmt. Ein systematisch betrieȬ benes CrossȬSellingȬManagement in Kombination mit ServiceȬȱund ProduktȬ bündelungsmöglichkeiten in Form eines kundenspezifischen ChannelȬMix wirkt sich daher positiv auf den so genannten „Share of Wallet“ aus, welcher den Anteil des Unternehmens am Einkaufsvolumen des Kunden ausdrückt. In den letzten Jahren ist die Verhandlungsmacht immer mehr von den HerȬ stellern auf den Handel übergegangen, was in einzelnen Marketingkanälen zu starken Abhängigkeiten des Herstellers von Absatzmittlern führte. Diese Entwicklung wird unter anderem mit der zunehmenden Zahl großer EinȬ zelhändler, z. B. Discounter, begründet, die einen großen Anteil am GeȬ samtmarkt und somit eine erhebliche Marktmacht besitzen und dadurch den Zugang des Herstellers zum Endverbrauchermarkt kontrollieren könȬ nen. Zudem verfolgen die meisten dieser Unternehmen im Kampf um weiteȬ re Marktanteile eine aggressive Preisstrategie. Da sich bei dieser Strategie nur sehr geringe Margen erzielen lassen, werden die Hersteller durch eine niedrige Preisbereitschaft der Händler stark unter Druck gesetzt.1 Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass der Hersteller bestimmte Produkte vom Markt nehmen muss, da aufgrund geringer Margen kein Gewinn erȬ zielt werden kann. Durch die Nutzung eines Mehrkanalsystems kann die Abhängigkeit von Absatzmittlern verringert werden. Die Absatzmittler sehen sich mitunter sogar von Disintermediation bedroht (siehe Abschnitt 3.1.2.2), wenn z. B. ein Direktvertriebssystem etabliert werden kann. Vor dem Hintergrund der geschilderten Entwicklung wird das Bedürfnis der Hersteller, durch MehrȬ kanalsysteme die Abhängigkeiten von einzelnen Absatzmittlern zu reduzieȬ ren, deutlich.
1
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 6.
73
Verringerung von Abhängigkeiten
5 Optimierung der Vertriebskosten
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Der Anteil der Vertriebskosten an den produktbezogenen Gemeinkosten kann in bestimmten Branchen bis zu 40% ausmachen.1 Ziel der UnternehȬ men, bei denen Vertriebskosten einen hohen Anteil ausmachen, muss es daher sein, Kostensenkungspotenziale im Vertrieb auszuschöpfen. Durch ein Mehrkanalsystem ist es möglich, die Wirtschaftlichkeit des Vertriebs durch Kosteneinsparungen zu erhöhen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass der Kunde anstatt auf einen kostenintensiveren Marketingkanal (z. B. der Vertrieb über den Außendienst) auf einen kostengünstigeren (z. B. InternetȬ Direktvertrieb) gelenkt wird.2 Die mit der Anpassung des MarketingkanalȬ mixes angestrebte Senkung der Distributionskosten beruht auf einer günstiȬ geren Ressourcenallokation der Kanäle gemäß kundenȬ, produktȬ und marȬ kenspezifischer Faktoren.3 Darüber hinaus stellt die Schaffung effizienter Prozesse, wie beispielsweise verkürzte Prozesslaufzeiten oder geringere Fehlerquoten, eine weitere MögȬ lichkeit dar, Kosten zu sparen. Um dies zu erreichen, geht daher in vielen Unternehmen der Weg hin zur Automatisierung von Aufgaben.4 Ein gutes Beispiel für einen automatisierten Prozess stellt das Onlinebanking dar. Der Kunde führt eine Überweisung über einen automatisierten Prozess durch. Der Prozess ist in der Regel schnell und wenig fehleranfällig. Kosten lassen sich dadurch sparen, dass die Ausgaben für den Bankmitarbeiter, der die Überweisung bisher in der Filiale übernommen hat, wegfallen.
UmsatzȬ und GewinnsteigeȬ rungen als Konsequenz
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Hersteller durch die Integration von Mehrkanalsystemen zum einen die Vertriebskosten erhebȬ lich senken und zum anderen auch auf der Umsatzseite positive Effekte erzielen kann.5 Das Potenzial, durch ein Mehrkanalsystem UmsatzsteigeȬ rungen zu erzielen und Vertriebskosten zu reduzieren, bietet den Firmen die Chance, durch ein erfolgreiches Management des Mehrkanalsystems den Gewinn erheblich zu steigern.
5.2.2
Risiken des Multi-Channel-Marketings
Obwohl sich einem Unternehmen durch ein Mehrkanalsystem erhebliche Chancen eröffnen, ist der Einsatz mehrerer Kanäle auch mit nicht zu unterȬ schätzenden Risiken verbunden. Dabei ergeben sich die Risiken insbesondere durch eine mangelhafte Eingliederung der verschiedenen Marketingkanäle in ein einheitliches, integriertes Mehrkanalsystem im Sinne eines integrierten 1 2 3 4 5
74
Vgl. Schögel (1997), S. 27; Rosenbloom (2004), S. 7. Vgl. Wirtz (2002), S. 681; Gronover (2003), S. 38. Vgl. Wirtz (2002), S. 681. Vgl. Gronover (2003), S. 39. Vgl. Coelho/Easingwood (2004), S. 5.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
MultiȬChannelȬMarketings. Im Einzelnen wird in diesem Abschnitt auf folȬ gende fünf Risiken näher eingegangen: Irritation der Kunden, Konflikte zwiȬ schen den Marketingkanälen, Komplexitätszunahme, Kontrollverlust und suboptimale strategische und operative Ausgestaltung der Marketingkanäle.1 Werden mehrere Kanäle gleichzeitig eingesetzt, kann es zur Irritation von Kundengruppen kommen, wenn die Kundenerwartungen an eine integrierȬ te, kanalübergreifende Betreuung nicht erfüllt werden. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn Erwartungen an den Kundenservice enttäuscht werden, weil dieser in verschiedenen Kanälen nicht einheitlich erfolgt.2 Darüber hinaus kann der Kunde unter Umständen gleiche Leistungen, die ihm über unterȬ schiedliche Kanäle angeboten werden, nicht mehr als solche erkennen bzw. die Unterschiede bezüglich Produkteigenschaften und Nutzwerten nicht mehr zuverlässig beurteilen. Er fühlt sich letztendlich verunsichert bzw. überfordert, mit negativen Folgen auf seine Kaufbereitschaft.
Irritation / ÜberȬ r forderung von Kunden
Empirische Untersuchungen zeigen aber auch, dass es sich bei vielen KunȬ den um so genannte „ChannelȬHopper“ handelt, die bei einem Kauf von Produkten und Dienstleistungen bis zu fünf Kanäle benutzen.3 In diesem Fall ist es besonders wichtig, dass das Unternehmen die einzelnen Kanäle synchronisiert und insbesondere den Austausch von Daten zwischen den Kanälen koordiniert. Viele Unternehmen sind auf einen Kanalwechsel der Kunden nicht eingestellt und können auf keine Datengrundlage zurückgreiȬ fen, die die Einheitlichkeit der Kundeninformationen in den unterschiedliȬ chen Marketingkanälen gewährleistet.4 Fehlt es an einem kanalübergreifenden Kundeninformationssystem, ist eine konsistente Interaktion mit den Kunden nicht gewährleistet. Der Kunde erhält beispielsweise bei Rückfragen das gleiche Informationsmaterial von verschiedenen Stellen und ist irritiert bzw. verärgert. Dies kann zu einem Imageschaden des Unternehmens führen. Konflikte stellen eine große Gefahr des Vertriebs über Mehrkanalsysteme dar. Neben den klassischen Konflikten im vertikalen Marketing, entstehen Kanalkonflikte zwischen den einzelnen Marketingkanälen, wenn diese unȬ tereinander in Konkurrenz stehen.5 Dabei können sowohl interne als auch externe Konflikte auftreten.
Konflikte zwiȬ schen den MarkeȬ tingkanälen
Der Aufbau zusätzlicher Marketingkanäle kann zu einer Umverteilung des Verkaufsvolumens zu Lasten bestehender Kanäle führen. In der Literatur wird dies auch als Kannibalisierungseffekt bezeichnet. Spannungen ergeben
Interne Konflikte
1 2 3 4 5
Vgl. Schögel (1997), S. 28 ff.; Wirtz (2002), S. 681; Coelho/Easingwood (2004), S. 4. Vgl. Wirtz (2002), S. 681; Coelho/Easingwood (2004), S. 10. Vgl. Gronover (2003), S. 37. Vgl. Ahlert/Evanschitzky (2003), S. 27. Vgl. Wirtz (2002), S. 681.
75
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
sich dann, wenn sich die Verteilung der unternehmensinternen Ressourcen (finanzielle Mittel, Humanressourcen, etc.) am Verkaufserfolg oder zuminȬ dest dem Absatzpotenzial orientiert.1 Zusätzlich können Konflikte dadurch entstehen, dass eine unterschiedliche Preisgestaltung zu Umverteilungseffekten führt, wenn beispielsweise das Preisniveau über den OnlineȬDirektvertrieb niedriger als über traditionelle Marketingkanäle ist. Werden z. B. zusätzlich zum Außendienst Produkte über ein Onlineportal vertrieben, geht dem Außendienst ein Teil der UmsätȬ ze verloren und er fühlt sich in seiner Position bedroht. Darüber hinaus ist es bei der Etablierung eines Mehrkanalsystems von entȬ scheidender Bedeutung, dass die Mitarbeiter den Anforderungen des neuen Systems gewachsen sind und zum Lernen sowie zur Wissensteilung bereit sind. Da es jedoch durch den Aufbau eines Mehrkanalsystems auch auf Mitarbeiterebene zu Umverteilungseffekten kommen kann, ist die BereitȬ schaft zu Veränderungen des Aufgabenspektrums jedoch unter Umständen begrenzt und eine Implementierung des Systems gefährdet.2 Externe Konflikte
Externe Konflikte treten dann auf, wenn ein Akteur im Marketingkanal die Erreichung seiner Ziele durch das Verhalten eines anderen Akteurs gefährȬ det sieht.3 Ein solcher Konflikt ergibt sich beispielsweise dann, wenn ein Unternehmen, dessen Vertriebsstruktur bisher auf Absatzmittler ausgerichȬ tet war, einen Direktvertrieb aufbauen möchte. Probleme im ZusammenȬ hang mit dem Eigenaufbau von Mehrkanalsystemen sind vor allem auf hohe Einführungskosten zurück zu führen.4 Subventioniert der Anbieter den neuen Marketingkanal daher durch Preisnachlässe, wird es zu KannibalisieȬ rungseffekten kommen, bei denen der Handel Umsatzverluste erleidet und seine Marktstellung gefährdet sieht. Dies hat zur Folge, dass sich die BezieȬ hungen zu den Handelsunternehmen verschlechtern. Das Ausmaß des Kanalkonflikts wird im Wesentlichen dadurch bestimmt, wie abhängig der Hersteller vom Handelsunternehmen ist. Liegt eine starke Abhängigkeit vor, so sind die möglichen Vergeltungsmaßnahmen des HändȬ lers sehr vielfältig. So hat der Händler die Möglichkeit, die Ware des HerstelȬ lers an weniger bevorzugten Stellen in den Regalen zu platzieren, er kann andere Hersteller beim Verkauf bevorzugen oder sogar die Produkte komȬ plett aus dem Sortiment nehmen.5 Eine weitere Gegenmaßnahme stellt die Entwicklung eigener Konkurrenzprodukte zum Hersteller dar.
1 2 3 4 5
76
Vgl. Gronover/Riempp (2001a), S. 20. Vgl. Gronover/Riempp (2001a), S. 20 f. Vgl. Brown/Fern (1992), S. 122. Vgl. Wirtz (2002), S. 681. Vgl. Ahlert/Evanschitzky (2003), S. 32 f.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Eine steigende Anzahl von Marketingkanälen hat zur Folge, dass die KomȬ plexität in der Distribution zunimmt. Dies kann sich negativ auf die WirtȬ schaftlichkeit auswirken, wenn die zunehmende Aufgabenvielfalt zu erhebȬ lichen Mehrkosten in den Infrastrukturen und der Führung des MehrkanalȬ systems führt. Eine Überkomplexität im Zusammenhang mit multiplen Kanälen ist vor allem auf eine zunehmende Variantenvielfalt in der DistribuȬ tion zurückzuführen.1 Mit jedem neuen Marketingkanal nimmt der SteueȬ rungsaufwand zu, da neue Schnittstellen und zusätzliche Aufgaben abzuȬ stimmen sind.
5.2 KomplexitätsȬ zunahme
Problematisch wird dies insbesondere dann, wenn der Hersteller seine ProȬ dukte – z. B. hinsichtlich bestimmter Produktbestandteile oder der PaȬ ckungsgröße – individuell für eine Vielzahl verschiedener EinzelȬȱ und Großhändler anpasst. In diesem Fall nimmt die Anzahl der ProduktvarianȬ ten zu und damit auch die Aufwendungen in der Distribution. Empirische Studien zeigen, dass sich bei einer Verdoppelung der Variantenzahl die Stückkosten um 20Ȭ30% erhöhen. Man spricht daher auch von einem „umȬ gekehrten Erfahrungskurveneffekt“.2 Weiterhin steigen mit zunehmender Komplexität die Kosten für die Abstimmung von Kanälen, Produkten und Kundengruppen. Je mehr Kanäle existieren, desto höher ist der Bedarf an Personal und Wissen. Dieser Mehrbedarf führt zu schwer kontrollierbaren Gemeinkosten in der Administration des Mehrkanalsystems.3 Im vorigen Abschnitt wurde die Etablierung eines Mehrkanalsystems als Chance betrachtet, zu großer Marktmacht eines Absatzmittlers zu begegnen. Die Risiken dieser Strategie bestehen darin, dass der Hersteller in einem neu etablierten Marketingkanal auf einen Absatzmittler mit großer Marktmacht trifft. Der Hersteller kann demnach durchaus unterschiedlichen Einfluss in den einzelnen Kanälen haben. Werden bestimmte Kanäle von mächtigen Absatzmittlern dominiert und herrscht darüber hinaus ein klarer GebietsȬ schutz für einzelne Absatzmittler vor, ist es für den Hersteller sehr schwieȬ rig, lokale Preisunterschiede durchzusetzen.4 In diesem Fall kann er beiȬ spielsweise auf Preisvorgaben durch starke Absatzmittler in einzelnen KanäȬ len und Verkaufsgebieten nur reagieren und muss sich einem bestimmten Preisniveau anpassen.
1 2 3 4
Vgl. Schögel (1997), S. 101. Vgl. Wildemann (1993), S. 392. Vgl. Schögel (1997), S. 102 f. Vgl. Gronover/Riempp (2001a), S. 22.
77
Kontrollverlust
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Die Höhe des Kontrollverlusts hängt im Wesentlichen davon ab, wie stark der Hersteller von einem Absatzmittler abhängig ist.1 Diese Abhängigkeit wird insbesondere durch zwei Faktoren bestimmt. Zum einen durch den Nutzen, den der Hersteller von einem Absatzmittler erfährt und zum andeȬ ren durch die Anzahl vorhandener Alternativen.2 SuboptiȬ mierungen
Jeder Marketingkanal in einem Mehrkanalsystem stellt in Abhängigkeit von den jeweils relevanten Kundengruppen unterschiedliche Anforderungen an seine Ausgestaltung.3 Dabei besteht die Aufgabe des Herstellers darin, in jedem Marketingkanal spezifische Aufgaben entsprechend der EigenschafȬ ten des Kanals zu erfüllen. Verschiedene Akteure in den Kanälen, z. B. AbȬ satzmittler, haben unterschiedliche Erwartungen und fordern daher kanalȬ spezifische Lösungen vom Hersteller. So unterscheiden sich beispielsweise GroßȬ und Einzelhandelsunternehmen u. a. dadurch, dass sie verschiedene Präferenzen bezüglich der nachgefragȬ ten Produktmengen haben. Werden die Kanäle allerdings ähnlich bearbeitet und einheitliche Produktmengen angeboten, können die Erwartungen nicht immer in idealer Weise erfüllt werden. Dadurch können mögliche Vorteile des Mehrkanalsystems, wie z. B. eine zunehmende Kundenorientierung, und eine Optimierung des Vertriebs, insgesamt nicht erreicht werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz der aufgezeigten Risiken die Strategie des MultiȬChannelȬMarketings die Möglichkeit eröffnet, besteȬ hende und potenzielle Kunden in einem größtmöglichen Maße zu erreichen. Dadurch lässt sich eine Verbreiterung der Kundenbasis und eine Vertiefung der bestehenden Kundenbeziehungen erreichen. Ein Mehrkanalsystem kann somit zur langfristigen Sicherung des Erfolgs eines Unternehmens beitragen.
5.2.3
Herausforderungen des Multi-ChannelMarketings
Damit die oben beschriebenen Chancen des Mehrkanalsystems genutzt und die angeführten Risiken vermieden werden können, gilt es für einen HerstelȬ ler, bestimmte Herausforderungen zu bewältigen. Für den Erfolg eines Mehrkanalsystem sind dabei besonders die Erreichung eines ChannelȬFits, die Optimierung der Geschäftsbeziehung sowie die Optimierung der KunȬ denschnittstellen, der sogenannten Customer Touchpoints, von großer BeȬ deutung. Auf diese drei Herausforderungen wird in den folgenden AbȬ schnitten näher eingegangen. 1 2 3
78
Vgl. Berman (1996), S. 558. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 203 f. Vgl. im Folgenden Schögel (1997), S. 29.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2.3.1
5.2
Erreichung eines Channel-Fits
Eine zentrale Herausforderung für das Management und einen entscheiȬ denden Erfolgsfaktor im MultiȬChannelȬMarketing stellt die Erreichung eines ChannelȬFits dar. Ziel muss es dabei sein, dass zum einen die Kanäle und zum anderen die Zielgruppen, Produkte und Marken optimal aufeinȬ ander abgestimmt sind. Der jeweilige Marketingkanal sollte sich sowohl für das Produkt als auch für die Zielgruppe eignen.1
ChannelȬFit Ȭ als Erfolgsfaktor
Obwohl eine flexible Kundenbetreuung über alle Marketingkanäle ermögȬ licht werden sollte, ist die Betreuung jedoch besonders an den Bedürfnissen der Hauptzielkundensegmente des jeweiligen Kanals auszurichten. UndiffeȬ renzierte MultiȬChannelȬAngebote können das Ziel der Steigerung der KunȬ denprofitabilität nachhaltig beinträchtigen. Es ist daher insbesondere darauf zu achten, dass die angebotenen Produkte, Services, der genutzte Kanal und die Kundenbedürfnisse aufeinander abgestimmt sind.2 Es zeigt sich also, dass die Herausforderung eines Mehrkanalsystems nicht nur in der isolierten Entscheidung für oder gegen einen Marketingkanal liegt, sondern insbesondere auch die Wechselbeziehungen zwischen den Kanälen als kritisch anzusehen sind. Dabei wird in diesem Zusammenhang der Begriff eines „doppelten Fits“ des Mehrkanalsystems verwendet, denn neben der primären Aufgabe, die Leistungen den Kunden marktgerecht zu liefern, müssen zudem die Beziehungen zwischen den Marketingkanälen berücksichtigt werden.3 Hierbei wird zwischen einem externen und internen Fit unterschieden.
„Doppelter Fit“ des MehrkanalȬ systems
Ein externer Fit liegt auf der einen Seite dann vor, wenn die MarketingkanäȬ le mit der MarktȬ und Wettbewerbssituation abgestimmt sind. Auf der andeȬ ren Seite besteht ein interner Fit dann, wenn die unterschiedlichen AktivitäȬ ten im Mehrkanalsystem aufeinander abgestimmt sind. Hierbei ist es AufȬ gabe des Managements, den Grad der Verbundenheit sowie das langfristige Zusammenspiel der Vertriebskanäle festzulegen.4 Gelingt es dem Hersteller, sowohl einem externen als auch einem internen Fit herzustellen, eröffnet sich dem Unternehmen die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzugrenȬ zen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen.5 Abbildung 5Ȭ7 stellt diesen ZuȬ sammenhang im Überblick dar.
Externer und interner Fit
1 2 3 4 5
Vgl. Wirtz/Schilke/Büttner (2004), S. 47. Vgl. Wirtz (2002), S. 679. Vgl. Schögel (1997), S. 30. Vgl. Adolphs (2004), S. 270. Vgl. Schögel (1997), S. 30.
79
5 Abbildung 5Ȭ7
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Chancen, Risiken und doppelter Fit eines Mehrkanalsystems Erhöhte Marktabdeckung und Neukundengewinnung g Irritation/Überforderung von Kunden Kundenbindung durch umfassende Betreuung Absatzkanalkonflikte
Erfolg eines Multikanalsystems durch doppelten Fit
Cross-Selling und höherer „Share of Wallet“
Chancen Verringerung von Abhängigkeiten
• der Absatzkanäle zur Marktund Wettbewerbssituation • der Absatzkanäle zueinander
Risiken
Komplexitätszunahme
Kontrollverlust Optimierung der Vertriebskosten Suboptimierungen Umsatz- und Gewinnsteigerungen
5.2.3.2
Optimierung der Geschäftsbeziehung
Herstellung opȬ timaler BezieȬ hungen wichtig
Eine weitere Herausforderung für einen Hersteller ist die Pflege der BezieȬ hungen zu den anderen Akteuren im Marketingkanal dar. Insbesondere ist hier die Beziehung zu den Absatzmittlern zu nennen. Die Art dieser GeȬ schäftsbeziehung kann einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg des HerȬ stellers haben. Hersteller und Absatzmittler verfolgen bestimmte Strategien, die nicht selten im Konflikt zueinander stehen. Vor allem im Rahmen der Preispolitik kann es zu Spannungen kommen, wenn der Absatzmittler eine Niedrigpreisstrategie verfolgt, die zu hohen Margeneinbußen beim HerstelȬ ler führen kann. Darüber hinaus kann es zu Problemen kommen, wenn der Absatzmittler die Produkte des Herstellers nicht nach dessen Vorstellungen im Verkaufsregal platziert.
RelationshipȬ Marketing als langfristige Herausforderungg
Um Spannungen zu Absatzmittlern zu mindern, ist es für den Hersteller empfehlenswert, eine partnerschaftliche Beziehung mit den wichtigsten Absatzmittlern einzugehen. In diesem Zusammenhang kommt dem RelatiȬ onshipȬMarketing eine wichtige Rolle zu. Damit ist eine Form der PartnerȬ schaftsstrategie gemeint, die darauf abzielt, durch den Aufbau von VertrauȬ en eine langfristige und dauerhafte Geschäftsbeziehung herzustellen.1 Sowohl Hersteller als auch Absatzmittler legen ihren Fokus nicht auf die Gewinnmaximierung einer einzelnen Transaktion, sondern auf eine dauerȬ haft rentable Kundenbeziehung, über den gesamten Lebenszyklus zu optiȬ 1
80
Vgl. Wehrli/Wirtz (1996), S. 24 ff.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
mieren gilt.1 Gerade unter Gewinnmaximierungsaspekten bietet eine geȬ meinschaftliche Zusammenarbeit langfristig größere Vorteile als eine ÜberȬ betonung kurzfristiger Taktierungsmaßnahmen.2 Insbesondere ergeben sich hierdurch umsatzȬ, kostenȬȱ und stabilitätsbezogene Vorteile.3 Kennzeichen einer partnerschaftlichen Geschäftsbeziehung sind beispielsweise die FördeȬ rung von Kommunikation zwischen Hersteller und Absatzmittler, die geȬ meinsame Produktentwicklung, der Austausch von Marktinformationen sowie die gemeinsame Lösung von Konflikten.4 Auch wenn der langfristigen Betrachtung einer Geschäftsbeziehung und demzufolge dem RelationshipȬMarketing eine entscheidende Rolle zuȬ kommt, muss der Hersteller vor dem Hintergrund der Herstellung optimaȬ ler Beziehungen genau analysieren, bei welchen Absatzmittlern er auf eine Intensivierung der Beziehung abzielt und bei welchen er eher den Fokus auf die einzelne Transaktion legt. Bei letzterem steht die kurzfristige MaximieȬ rung des eigenen Nutzens und die Verfolgung eigener Interessen im VorȬ dergrund. Der Hersteller verfolgt das Ziel, einen möglichst hohen VerkaufsȬ preis zu erzielen, um den Wert der einzelnen Transaktion zu maximieren. Diese Art von Beziehung ist dann angebracht, wenn Absatzmittler und HerȬ steller aufgrund stark unterschiedlicher Interessen nur selten miteinander Geschäfte abschließen und daher die Bedeutung einer langfristigen GeȬ schäftsbeziehung eher untergeordnet ist.
5.2.3.3
Optimierung der Customer Touchpoints
Der Erfolg eines Unternehmens wird maßgeblich durch sein Verhalten an den Schnittstellen zum Kunden, den so genannten Customer Touchpoints, geprägt. Diese Interaktionen sind entscheidend für die KundenzufriedenȬ heit, welche wiederum eine wichtige Voraussetzung für Kundenbindung und in letztlich für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens ist.5 Die Optimierung der Customer Touchpoints ist deswegen in einem MehrȬ kanalsystem besonders entscheidend, da Kunden und Unternehmer eine unterschiedliche Perspektive einnehmen (vgl. Abbildung 5Ȭ8). Das UnterȬ nehmen kann das beobachtbare Verhalten der Kunden in den einzelnen Kanälen interpretieren oder zielgruppenspezifische, z. B. demografische oder psychografische, Daten analysieren. Der Kunde hingegen nimmt das Unternehmen durch kurze Eindrücke an den Customer Touchpoints wahr. Aus der Summe vieler Momentaufnahmen setzt sich beim Kunden das GeȬ 1 2 3 4 5
Vgl. Wirtz (2005c), S. 16 f. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 165. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 525 f. Vgl. Hardy/Magrath (1988), S. 101. Vgl. Winkelmann (2003), S. 142, 168.
81
TransaktionsȬ Marketing zur Optimierung einzelner TransȬ aktionen
5
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
fühl von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit zusammen. Da ein MehrkanalȬ system eine Vielzahl verschiedener Customer Touchpoints besitzt, ist es von großer Bedeutung, diese optimal zu koordinieren, damit die Eindrücke ein konsistentes Bild ergeben.1 Je mehr Kanäle ein Mehrkanalsystem besitzt, desto komplexer wird das Management der Customer Touchpoints, da sämtliche Kanäle miteinander abgestimmt werden müssen.2
Abbildung 5Ȭ8
Unterschiedliche Perspektiven in Bezug auf die Customer Touchpoints3
Demographie Einstellungen
Verhalten Lifestyle
Lifestage
Unternehmensperspektive
Präferenzzzen Präferenze e
Life events
Direct mail/ E-mail
Kundenbindungsprogramm
Lieferung nach Hause
Guthaben
Kundenperspektive
Web Geschäft
Kundenservice Kiosk
Katalog
Arten von Customer TouchȬ points
Insgesamt kann bei den Customer Touchpoints zwischen den Customer Information Points, den Customer Points of Sale und den Customer Service Points unterschieden werden.4 Dabei erfolgt die Abgrenzung auf Grund der primären Funktion entlang des Absatzprozesses (PreȬSales bzw. InformatiȬ on, Verkauf, AfterȬSalesȬServices). Aufgabe der Customer Information Points ist primär die Informationsbereitstellung für den Kunden, wohingegen die primäre Aufgabe der Customer Points of Sale der Verkauf der UnternehȬ mensleistungen darstellt. Die Customer Service Points widmen sich schließȬ lich in erster Linie der Erbringung von PreȬSalesȬȱ und vor allem AfȬ terȬSalesȬServiceȬLeistungen. Alle drei Kategorien der Customer TouchȬ points können direkt durch das Unternehmen gesteuert werden.
1 2 3 4
82
Vgl. Rayport/Jaworski (2005), S. 172. Vgl. Rayport/Jaworski (2005), S. 172; Specht/Fritz (2005), S. 169. In Anlehnung an Experian (2006), S. 3. Vgl. Wirtz (2005c), S. 26.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
Neben diesen drei Arten von Customer Touchpoints existieren noch die so genannten Customer to Customer Reference Points (CCRP), welche sich auf die Beziehungen zwischen den Konsumenten beziehen. Obwohl die CCRPs sich weitgehend einer direkten Einflussnahme durch das Unternehmen entziehen, sind sie von erheblicher Bedeutung, da hier insbesondere WerturȬ teile über Unternehmensleistungen im Sinne der MundȬzuȬMundȬ Propaganda transferiert werden.1 Abbildung 5Ȭ9 stellt die Customer TouchȬ points des MultiȬChannelȬMarketings dar.
Customer Touchpoints Management2
Abbildung 5Ȭ9
Customer Information Points (CIP)
Customer Points of Sale (CPO)
Call Center
Internet--Shop Internet-Shop Internet p
Vertriebs--/Serviceauß Vertriebs-/Serviceaußendienst Vertriebs /Serviceaußendienst
Stat. Handel/Niederlassungen
Mobile
Teleshopping pp g
Call Center
Persö Persönlicher Pers önlicher Verkauf
Internet
Versandhandel/Katalog g
Stationä Stationärer Station ärer Handel
förderung Verkaufsförderung Verkaufsf g
Messen/Ausstellungen g
Event Marketing g
Direktkommunikation
Public Relations
Werbung g
Kundenwertorientiertes Customer Touchpoints Management
Customer Service Points (CSP)
Customer Touchpoints (CTP) Customer to Customer Reference Points (CCRP)
Customer to Customer Reference Points (CCRP)
Durch eine optimale Koordination der Customer Touchpoints kann dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden, verschiedene KundenschnittstelȬ len in unterschiedlichen Phasen des Kaufprozesses in Anspruch zu nehmen. So kann sich ein Kunde im Internet zunächst über Produkte informieren und sie dann im Ladengeschäft kaufen oder umgekehrt. Ein anderes Beispiel wäre zunächst eine Information über Kataloge, eine anschließende Beratung in einer Filiale und schließlich ein Kauf über das Internet. Bei sämtlichen möglichen Abläufen müssen an jedem in Anspruch genommenen Customer Touchpoint sämtliche Kundendaten vorliegen, so dass dem Kunden ein einheitliches Bild von dem Unternehmen geboten werden kann.3 1 2 3
Vgl. Reichheld (2003), S. 46 f. Vgl. Wirtz (2005c), S. 25 f. Vgl. Gronover (2003), S. 37.
83
KundenzufrieȬ denheit als Ziel
5 EffizienzȬ und EffektivitätsȬ vorteile als Ziel
Zielsystem und Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
Neben den Vorteilen, die ein erfolgreiches Management der Customer Touchpoints den Kunden bietet, existieren auch EffizienzȬ und EffektivitätsȬ vorteile für das Unternehmen. Eine einheitliche Gestaltung und integrierte Steuerung der Customer Touchpoints steigert durch reibungslose ÜbergänȬ ge die Synergieeffekte zwischen den Kanälen und kann gleichzeitig die Konkurrenz zwischen den Kanälen reduzieren.1 Durch die erfolgreiche Koordination der Customer Touchpoints in den einȬ zelnen Marketingkanälen lässt sich auch ein effektiver Ressourceneinsatz erreichen, was wiederum zu einer Steigerung der Effizienz und somit zu einer Senkung der Kosten führt. So können Ressourcen, wie beispielsweise Personal, SachȬȱ oder Finanzmittel, entsprechend der Auslastung und dem Bedarf an den einzelnen Customer Touchpoints eingesetzt werden. Darüber hinaus stellt die Schaffung effizienter Prozesse an den Customer TouchȬ points, wie beispielsweise verkürzte Prozesslaufzeiten oder geringere FehȬ lerquoten, eine weitere Möglichkeit dar, Kosten zu sparen.2
Erfolgsfaktoren
Die konkrete Ausgestaltung der Customer Touchpoints hängt maßgeblich vom einzelnen Unternehmen, den zu bedienenden Kundensegmenten oder den zu vertreibenden Produkten ab. Jedoch lassen sich einige zentrale ErȬ folgsfaktoren anführen, die als übergeordnete Erfolgsfaktoren des Customer Touchpoints Managements angesehen werden können und im Folgenden näher ausgeführt werden.3
Einheitlichkeit der KundeninȬ formationen
Ein erfolgreiches Management der Customer Touchpoints wird in hohem Maße dadurch bestimmt, wie es in einem Mehrkanalsystem gelingt, zeitnahe und zutreffende Informationen zu gewinnen, zu analysieren, zu bewerten und schließlich an die Customer Touchpoints weiterzugeben.4 In diesem Zusammenhang müssen an allen Customer Touchpoints sämtliche InformaȬ tionen vorliegen, damit ein detailliertes Bild vom Kunden und der zu ihm existierenden Geschäftsbeziehung entsteht. Voraussetzung dafür ist eine Datengrundlage, die die Einheitlichkeit der Kundeninformationen in den unterschiedlichen Marketingkanälen zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewährleistet.
Überlegter Einsatz von Technologie und Personal
Auf Grund der schnell voranschreitenden technologischen Entwicklungen stellt sich für ein Unternehmen grundsätzlich die Frage, inwieweit Customer Touchpoints automatisiert werden können und sollen. In diesem ZusamȬ menhang scheint es notwendig, neben den ökonomischen Überlegungen auch die Kundenseite bei der konkreten Ausgestaltung der Customer Touchpoints zu berücksichtigen. Moderne Technologien, wie z. B. OnlineȬ 1 2 3 4
84
Vgl. Gronover (2003), S. 39 ff. Vgl. Gronover (2003), S. 39. Vgl. im Folgenden Burke (2002), S. 426 ff. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 352.
Anforderungen des Multi-Channel-Marketings
5.2
Shops oder InȬStoreȬKiosksysteme, sind durchaus geeignet, einen positiven Wertbeitrag sowohl für den Kunden als auch für ein Unternehmen zu leisȬ ten. Dieser Effekt verkehrt sich jedoch in sein Gegenteil, wenn die RealisieȬ rung eines Customer Touchpoints ausschließlich unter dem Primat der KosȬ tenreduzierung steht. So lässt sich als Beispiel die Umsetzung eines CallȬ Centers anführen. Ein ausreichend groß dimensioniertes CallȬCenter, in dem kompetent Kundenanfragen beantwortet werden, trägt durchaus positiv zur Zufriedenheit des Kunden bei.1 Die Ansprüche der Kunden an Customer Touchpoints variieren mit den Produkten, auf die sich diese beziehen. Faktoren, wie z. B. die Komplexität eines Produkts, die Kauffrequenz oder dessen Preis, bestimmen, ob KonsuȬ menten detaillierte produktbezogene Informationen oder aber die GeȬ schwindigkeit bei einem Customer Touchpoint höher bewerten. Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings gilt es für die Verkäufer, die Präferenzen der Kunden hinsichtlich der Customer Touchpoints bei spezifischen Produkten zu berücksichtigen.
Berücksichtigung der ProduktȬ t eigenschaften
Die Präferenzen der Konsumenten hinsichtlich der Customer Touchpoints variieren nicht nur mit den Produkten, sondern sind darüber hinaus innerȬ halb des Kundenstamms unterschiedlich. Die besondere Stärke des MultiȬ ChannelȬMarketings liegt in der Erfassung und Berücksichtigung dieser individuellen Präferenzen, ohne dabei das ökonomische Kalkül aus den Augen zu verlieren. Die kundenindividuelle Optimierung des Customer Touchpoints, z. B. eines WebȬInterfaces, trägt so zur Verbesserung der KunȬ denzufriedenheit bei.
Berücksichtigung individueller KundenȬ präferenzen
1
Vgl. Rayport/Jaworski (2005), S. 190.
85
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
6 Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
In den Wirtschaftswissenschaften hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine große Anzahl von Theorieansätzen etabliert. Sie unterscheiden sich bezüglich ihrer Erkenntnisziele, Prämissen und Aussagensysteme, so dass sie grundsätzlich geeignet sind, Lösungsansätze für unterschiedliche ProbȬ lemstellungen des MultiȬChannelȬMarketings zu liefern. Zur theoretischen Fundierung werden wesentliche Aspekte einiger dieser Theorien sowie deren Bezugspunkte zum MultiȬChannelȬMarketing vorgestellt. Relevant für das MultiȬChannelȬMarketing sind hierbei unter anderem der entscheiȬ dungsorientierte Ansatz, die Systemtheorie, verhaltenswissenschaftliche Ansätze, die Neue Institutionenökonomik sowie der ressourcentheoretische Ansatz (vgl. Abbildung 6Ȭ1).
Abbildung 6Ȭ1
Struktur des Kapitels Entscheidungsorientierter Ansatz • Normative Analyse des Entscheidungsprozesses • Alternativenbewertung
86
Systemtheoretischer Ansatz • Soziologische Systemtheorie • Kybernetik
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
Ansätze der Neuen Institutionenökonomie
• Menschliches Entscheidungsverhalten
• Ökonomisch effiziente Organisation
• S-O-R-Modell
• Transaktionskostentheorie
• Anreiz-BeitragsTheorie
• Prinzipal-AgentAnsatz
Ressourcentheoretischer Ansatz • Ressourcebased View • Capabilitybased View • Dynamic Capabilities • Knowledgebased View
Entscheidungsorientierter Ansatz
6.1
6.1
Entscheidungsorientierter Ansatz
Der entscheidungsorientierte Ansatz ist einer der wichtigsten theoretischen Ansätze der deutschsprachigen Marketingforschung. Er rückt normative Aussagen über rationale Wahlhandlungen des Managements in den MittelȬ punkt der Betrachtung.1 Ziel des entscheidungsorientierten Ansatzes ist es, Entscheidungsprozesse in Unternehmen zu erklären, Entscheidungsträgern Hinweise zur Strukturierung dieser Entscheidungsprobleme zu geben und darauf aufbauend optimale Entscheidungen im Sinne der UnternehmenszieȬ le zu treffen.2
Dominierender Ansatz der MarȬ r ketingforschung
Dem entscheidungsorientierten Ansatz liegt das Prinzip der Bewertung von Handlungsalternativen zu Grunde.3 Da in der Realität Entscheidungen oftȬ mals unter Unsicherheit gefällt werden, muss der Entscheidungsträger soȬ wohl kontrollierbare als auch unkontrollierbare Variablen bzw. EntscheiȬ dungsdaten in sein Kalkül einbeziehen.4 Der gesamte Entscheidungsprozess von der Problemerkennung bis zur Lösungsimplementierung wird in der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre in mehrere Phasen unȬ tergliedert. Es werden dabei vier Einzelphasen unterschieden (vgl. Abbildung 6Ȭ2): Die AnregungsȬ, die SuchȬ, die EntscheidungsfindungsȬȱund die Durchsetzungsphase.5 Allerdings können diese Phasen in der Regel nicht linear durchlaufen werden, da es zu Rückkoppelungen zwischen den Teilaufgaben kommt.
Auswahl von HandlungsalterȬ r nativen
Ausgangspunkt des Prozesses ist die Problemerkennung durch die Analyse und Bewertung eines IstȬZustands, die zu einer eindeutigen ProblemformuȬ lierung führt (Anregungsphase). In der darauf folgenden Suchphase werden zunächst die Bewertungsmaßstäbe in Form betrieblicher Ziele definiert, denn sie liefern die Entscheidungskriterien zur Bewertung von AlternatiȬ ven.6 Außerdem müssen mögliche Handlungsalternativen (kontrollierbare Variablen, z. B. Aktionsparameter wie Preis oder Menge) und EntscheiȬ dungsdaten (unkontrollierbare Variablen, z. B. Nachfrage) gesammelt werȬ den, die als Input für die dritte Phase des Entscheidungsprozesses dienen.
Phasenmodell
In der Phase der Entscheidungsfindung werden die Zusammenhänge zwiȬ schen den Variablen und ihr Beitrag zur Problemlösung in PlanungsmodelȬ len zusammengefasst. Mithilfe der Modelle sollen die Konsequenzen der
1 2 3 4 5 6
Vgl. Meffert (2000), S. 22. Vgl. auch im Folgenden Heinen (1968), S. 1 ff.; Heinen (1971), S. 430 ff.; Kirsch (1978), S. 1 ff.; Homburg/Krohmer (2006), S. 172 ff. Vgl. Heinen (1971), S. 430. Vgl. Meffert (2000), S. 58. Vgl. dazu und im Folgenden Adam (1996), S. 31 f. Vgl. Heinen (1971), S. 430.
87
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
verschiedenen Handlungsalternativen prognostiziert werden.1 Durch eine Ergänzung der Planungsmodelle um Ziele werden daraus EntscheidungsȬ modelle.2 Anhand der Entscheidungsmodelle kann dann diejenige HandȬ lungsalternative mit dem höchsten Zielerreichungsgrad ausgewählt werden. Dazu werden in der Praxis häufig Methoden des Operations Research eingeȬ setzt.3 In der Durchsetzungsphase wird die gewählte Handlungsalternative im Unternehmen umgesetzt.
Abbildung 6Ȭ2
Phasenmodell des entscheidungsorientierten Ansatzes 1
Anregung • Problemerkennung • Problemformulierung Suche
2
• Zielbestimmung • Handlungsalternativen • Entscheidungdaten 3
Entscheidungsfindung • Planungsmodell • Entscheidungsmodell • Alternativenbewertung
4
Durchsetzung • Umsetzung • Kontrolle
VorȬ r und Nachteile des Ansatzes
Der Vorteil des Entscheidungsansatzes ist seine Eignung für eine Vielzahl betriebswirtschaftlicher Probleme, so auch innerhalb der MarketingforȬ schung. Durch die Fokussierung auf den Entscheidungsprozess stehen die Abläufe der Willensbildung und Willensdurchsetzung im Mittelpunkt, woȬ durch zwangsläufig eine interdisziplinäre Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Wissenschaftsbereichen wie der Soziologie oder der Psychologie entsteht.4 So ist es möglich, neben ökonomischen auch soziale und ökologiȬ sche Gesichtspunkte in die Analyse einfließen zu lassen und explizit situatiȬ ve Gegebenheiten zu berücksichtigen. Zu den Kritikpunkten gehören eine 1 2 3 4
88
Vgl. Heinen (1971), S. 432. Vgl. Heinen (1971), S. 432. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 172 ff. Vgl. Heinen (1968), S. 1; Heinen (1971), S. 430; Bruhn (2003b), S. 26 f.
Entscheidungsorientierter Ansatz
6.1
mangelnde Tiefgründigkeit und Genauigkeit, weshalb der entscheidungsȬ orientierte Ansatz häufig um andere theoretische Ansätze ergänzt wird, insbesondere um die Systemtheorie. Außerdem wird eine einseitige AusrichȬ tung auf Fragestellungen der Planung bemängelt, was eine VernachlässiȬ gung von Umsetzungsproblemen zur Folge hat.1 Der entscheidungsorientierte Ansatz bietet einen Bezugsrahmen im Sinne einer Entscheidungslogik, mit dessen Hilfe betriebliche Entscheidungsträger aus mehreren zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen die im HinȬ blick auf die Unternehmensziele optimale Auswahl treffen können.2 Damit eignet er sich auch für viele Entscheidungsprobleme des MultiȬChannelȬ Marketings. Dazu zählen beispielsweise Entscheidungen über die EinfühȬ rung zusätzlicher Marketingkanäle, die Wahl der Absatzmittler oder die Zusammensetzung des MarketingȬMix. Am Beispiel der für das MultiȬChannelȬMarketing typischen Entscheidung über die Einführung eines neuen Marketingkanals lassen sich das Vorgehen und die damit verbundenen Probleme des entscheidungsorientierten AnsatȬ zes verdeutlichen. In der Anregungsphase muss zunächst die ProblemstelȬ lung formuliert werden. Dabei kann sich unter Umständen herausstellen, dass die Einführung eines neuen Marketingkanals kein originäres EntscheiȬ dungsproblem darstellt, sondern vielmehr eine mögliche HandlungsalternaȬ tive zur Lösung eines zugrunde liegenden Problems, z. B. eines Rückgangs des Absatzvolumens. Dieses Beispiel zeigt, dass bereits die Formulierung der Problemstellung ein sehr wichtiger Teil des Entscheidungsprozesses ist, da durch eine zu eng gefasste Problemstellung mögliche HandlungsalternaȬ tiven schon im Vorhinein ausgeschlossen werden. In der Suchphase werden zunächst die Ziele definiert, die eine Bewertung der Handlungsalternativen ermöglichen. Im Falle der Einführung eines neuen Marketingkanals kann dies z. B. eine Umsatzerhöhung, die ErschlieȬ ßung neuer Kundengruppen oder eine Verbesserung des Kundenwerts sein. Falls mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt werden, resultiert daraus ein ZielȬ system.3 Schwierigkeiten treten in dieser Phase auf, wenn die Beziehungen zwischen den einzelnen Zielen konfliktär sind und deshalb eine gleichzeitiȬ ge Verfolgung mehrerer Ziele nicht möglich ist. So kann z. B. eine angestrebȬ te Erhöhung des Umsatzvolumens dem Ziel der Maximierung des durchȬ schnittlichen Kundenwertes zuwider laufen, wenn zur Umsatzsteigerung Marktsegmente mit nur unterdurchschnittlichem Kundenwert erschlossen werden. Unter Umständen kann bei konfliktären Zielbeziehungen eine opȬ
1 2 3
Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 12. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 172 ff. Vgl. Macharzina (1999), S. 157.
89
AnwendungsȬ beispiel „EinfühȬ rung eines neuen MarketingȬ g kanals“
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
timale Lösung im Hinblick auf alle Ziele nicht gefunden werden.1 Auch die Ermittlung der Handlungsalternativen und Entscheidungsparameter ist mit Problemen verbunden. Beispielsweise werden zur Erstellung von AbsatzȬ prognosen häufig qualitative Verfahren genutzt, die jedoch erhebliche ProbȬ leme bezüglich der Validität und Reliabilität aufweisen, so dass ihre ErgebȬ nisse nur mit Einschränkungen genutzt werden können.2 Die Ermittlung des zusätzlichen Absatzvolumens, das mit einem neuen Marketingkanal erzielt werden kann, unterliegt daher einer hohen Unsicherheit. Auch die Entwicklung von PlanungsȬȱ und Entscheidungsmodellen für die Einführung eines neuen Marketingkanals ist mit erheblichen SchwierigkeiȬ ten verbunden. Zum einen liegen bezüglich der Interdependenzen zwischen der ProduktȬ, PreisȬ, DistributionsȬȱ und Kommunikationspolitik eines UnȬ ternehmens nur wenige gesicherte Erkenntnisse vor.3 Die Folgen eines verȬ änderten Einsatzes dieser Instrumente im Fall einer Kanaleinführung könȬ nen daher nur unter Unsicherheit modelliert werden. Zum anderen enthält ein Mehrkanalsystem verschiedene Elemente wie Hersteller, Absatzmittler oder Logistikdienstleister, zwischen denen zahlreiche Beziehungen besteȬ hen. Die sich daraus ergebenden Entscheidungsmodelle, z. B. für die LogisȬ tik, sind so komplex, dass eine Lösung mithilfe optimierender mathematiȬ scher Verfahren in vielen Fällen nicht effizient ist. Stattdessen kommen heuȬ ristische Lösungsmethoden zum Einsatz, die zwar eine zulässige, aber nicht unbedingt optimale Lösung ermitteln können.4 In Bezug auf die Implementierung gibt der klassische entscheidungstheoȬ retische Ansatz nur wenige Hinweise und geht von teilweise unrealistiȬ schen Prämissen aus, insbesondere bezüglich der Vorhersehbarkeit und Gestaltbarkeit von Umwelt und Unternehmen.5 Trotzdem stellt der entȬ scheidungstheoretische Ansatz für das MultiȬChannelȬMarketing insgeȬ samt einen wichtigen theoretischen Ansatz dar. Besonders ist hierbei seine Funktion als Planungsinstrument hervorzuheben, mit dem in systematiȬ scher und strukturierter Weise unternehmerische Entscheidungen gefällt werden können.
1 2 3 4 5
90
Vgl. Adam (1996), S. 12. Vgl. Meffert (2000), S. 178 ff. Vgl. Meffert (2000), S. 973 f. Vgl. Adam (1996), S. 10 f. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 126 ff.
Systemtheoretischer Ansatz
6.2
6.2
Systemtheoretischer Ansatz
Das Forschungsinteresse der Systemtheorie ist es, das Auftreten und die strukturellen Gesetzmäßigkeiten unterschiedlicher Systeme mit Hilfe einȬ heitlicher Begriffe verstehbar und operationalisierbar zu machen. Statt das Handeln einzelner Individuen zu erklären, versucht die Systemtheorie, soziale Systeme als Ganzes zu analysieren. Hierbei bedienen sich die verȬ schiedenen Ansätze Verallgemeinerungen der von Bertalaffny um 1930 entȬ wickelten Theorie der Selbstregulierung offener, biologischer Systeme. Die heutige, allgemeine Systemtheorie lässt sich dabei in einen soziologischen und einen naturwissenschaftlichen Zweig, der auf die Kybernetik fokussiert, unterteilen.
6.2.1
Soziologische Systemtheorie
Wichtige Grundlagen der sozialwissenschaftlich ausgerichteten SystemtheoȬ rie bilden die Analyse von Organisationen als kooperative Systeme durch Barnard sowie die interaktionsorientierte Untersuchung von GruppenaktiviȬ täten durch Homans.1 Aufbauend auf diesen Arbeiten entwickelten unter anderem Parsons und Luhmann soziologische systemtheoretische BezugsȬ rahmen und Konstrukte, um die für sie zentralen Fragestellungen der OrdȬ nungsfunktion sozialer Systeme bzw. der Erfassung und Reduktion von Komplexität zu beantworten.2 Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie ist das soziale System. DieȬ ses ist definiert als eine Ansammlung von quantifizierbaren Elementen, den Akteuren, welche in gegenseitigen Wechselwirkungen stehen. In sozialen Systemen stellen Handlungen oder Kommunikationen der Akteure diese Wechselwirkungen dar. Die Elemente des Systems wirken in einem von der Systemumwelt abgeȬ grenzten Bereich sinnvoll und zielgerichtet zusammen.3 Ein System weist also eine Grenze zu seiner Umwelt auf. Es schließt gewisse Elemente ein, während es andere ausschließt. Die Umwelt des Systems ist durch hohe Komplexität gekennzeichnet, da dort mehr Akteure und damit auch mehr Wechselbeziehungen bestehen, als innerhalb des Systems, welches somit eine geringere Komplexität aufweist. Zur Umwelt existieren in einem so genannten offenen System zwar auch Wechselwirkungen, aber nicht zwiȬ 1 2 3
Vgl. Barnard (1938), S. 1 ff.; Homans (1958), S. 597 ff. Vgl. Parsons (1960), S. 1 ff.; Luhmann (1968), S. 1 ff. Vgl. Luhmann (1968), S. 120; Varela/Maturana/Uribe (1974), S. 187 ff.; Scholl (2003), S. 45 ff.
91
System und d Umwelt
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
schen jedem Akteur innerȬȱund außerhalb des Systems.1 Die Differenzierung zwischen System und Umwelt lässt sich also an der Komplexität festmachen. Abbildung 6Ȭ3 verdeutlicht dies grafisch.
Abbildung 6Ȭ3
System, Umwelt und Komplexität2 System
StrukturfunktioȬ nalismus
Umwelt
Die Existenz sozialer Systeme wird von Parsons, dem Begründer der sozioȬ logischen Systemtheorie, auf die Interaktionen der beteiligten Akteure zuȬ rückgeführt. Er geht davon aus, dass alle sozialen Erscheinungen Systeme sind, von den Handlungen verschiedener Personen über die von ihnen geȬ schaffenen Institutionen und Organisationen bis hin zur Kultur einer GesellȬ schaft.3 Jedes System existiert aufgrund einer bestimmten Funktion, die es erfüllt. Hierzu sind Rollen definiert, welche die Akteure einnehmen und welche die Art und Weise der Interaktion der Akteure determinieren. Die Rollen stellen normative Handlungsorientierungen dar, durch welche die Interaktionen im System Kontinuität erreichen. Durch diesen „StrukturfunkȬ tionalismus“ werden die Existenz und der Fortbestand der Systeme anhand ihrer Funktionserfüllung erklärt. Gleichzeitig bedeutet dies, dass ein soziales System nur weiter existiert, wenn es ihm gelingt, einen für die Akteure im System befriedigenden Zustand bzw. ein angemessenes Verhältnis zwischen System und Umwelt zu schaffen, da die Akteure das System sonst verlassen würden.4
1 2 3 4
92
Vgl. Krieger (1996), S. 11 ff. In Anlehnung an Becker/ReinhardtȬBecker (2001), S. 25. Vgl. auch im Folgenden Parsons (1961), S. 30 ff. Vgl. Parsons (1961), S. 26 ff.; Luhmann (2002), S. 18 ff.
Systemtheoretischer Ansatz
6.2
Nach Luhmann, der die Theorie Parsons weiterentwickelt hat, können sich Systeme in komplexen und dynamischen Umweltsituationen nur durch eine Stabilisierung ihrer InnenȬ/AußenȬDifferenz erhalten. Dies ermöglicht dem System die Beibehaltung reduzierter Komplexität und damit angemessenes Handeln trotz einer Vielzahl von Möglichkeiten. Je vielfältiger aber die Funktionen des Systems sind, desto komplexer wird das System selbst. Steigt diese Komplexität auf ein nicht mehr angemessenes Maß an, so könȬ nen sich nach Luhmann Subsysteme bilden. Diese Subsysteme können funkȬ tional unterschiedlich sein, weisen aber dennoch Merkmale des GesamtsysȬ tems auf, da sie innerhalb des Systems entstanden sind.1 Auf diese Weise kann die Komplexität in jedem einzelnen Subsystem auf einem entspreȬ chend niedrigen Niveau gehalten werden. Dadurch ist es dem System mögȬ lich, seine Funktionen auszuführen, eine Systemidentität zu schaffen und seinen Fortbestand zu sichern.2
Stabilität und KomplexitätsȬ reduktion
Ein System, dessen Grenzen zur Umwelt erhalten bleiben und Aktivitäten nur innerhalb dieser Grenzen stattfinden, wird als operationell geschlosseȬ nes System bezeichnet. Es bleibt jedoch insofern ein offenes System, als es von seiner Umwelt beeinflusst wird. Dieser Einfluss ist nach Luhmann weȬ niger direkt, sondern vielmehr eine Störung des Systems, auf die es mit internen Anpassungsprozessen reagieren muss, um die Systemintegrität nicht zu gefährden. Ein System ist somit selbstreferenziell und schafft sich in einem gewissen Sinn ständig neu. Luhmann bezeichnet diese auf die SelbstȬ erhaltung des Systems abzielenden Prozesse als Autopoiese. Diese ständige Reproduktion bzw. Reproduktionsfähigkeit, bei der die Umwelt lediglich einen Störfaktor darstellt, basiert auf interpersonaler Kommunikation und Interaktion.3 Durch die Kommunikation der Systemstrukturen, im organisaȬ torischen Kontext wären z. B. Rollen oder Best Practices zu nennen, werden diese weitergegeben, aufrechterhalten und mitunter leicht modifiziert reȬ produziert.
Operationelle Geschlossenheit und Autopoiese
Aus systemtheoretischer Sicht stellt ein Unternehmen ein seinen eigenen Fortbestand sicherndes System dar, welches von der Umwelt abgegrenzt ist und sich durch Kommunikationen und Interaktionen reproduziert. Für das MultiȬChannelȬMarketing lassen sich aus der soziologischen Systemtheorie insbesondere Gestaltungsempfehlungen für Maßnahmen zur Koordination und damit zur Komplexitätsreduktion ableiten. Im MultiȬChannelȬ Marketing liegt eine hohe Komplexität vor, da sehr viele Akteure beteiligt sind, deren Beziehungen auch Systemgrenzen überschreiten können. Somit wäre die vollständige Erfassung des gesamten Systems sehr aufwändig. Durch die Abgrenzung von Subsystemen können überschaubare, eigenstänȬ
Koordination und KomplexiȬ tätsreduktion
1 2 3
Vgl. Luhmann (1984), S. 259 ff. Vgl. Luhmann (1968), S. 120; Staehle (1999), S. 47. Vgl. Krieger (1996), S. 36 f.; Luhmann (2002), S. 78.
93
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
6
dige Einheiten gebildet werden, deren Interaktionen deutlich weniger komȬ plex und damit besser erfassbar sind. Voraussetzung hierfür ist die IdentifiȬ kation der relevanten MultiȬChannelȬMarketingȬSubsysteme sowie eine Interdependenzanalyse der zwischen diesen Systemelementen vorhandenen Austauschbeziehungen, Prozesse und Strukturen.1 Subsysteme im MultiȬChannelȬ Marketing
So stellen im MultiȬChannelȬMarketing alle am Marketingprozess beteiligten Akteure in ihrer Gesamtheit ein System dar, welches sich in einzelne SubsysȬ teme untergliedern lässt. Hierbei lassen sich drei unterschiedliche AnalyseȬ ebenen identifizieren: das gesamte MultiȬChannelȬMarketingȬSystem, die einzelnen Kanäle und die einzelnen Akteure. Durch diese Untergliederung lässt sich eine Strukturierung vornehmen, welche die Subsysteme aufzeigt, die es aufeinander abzustimmen gilt. So stellen unter anderem die AbsatzȬ mittler und –helfer im MultiȬChannelȬMarketing eigenständige Subsysteme dar, deren Interaktion kooordinierungsbedürftig ist. Die Notwendigkeit einer Abstimmung zwischen den Systemen variiert während der unterȬ schiedlichen Phasen des Marketingprozesses Planung, Implementierung und Kontrolle. Die Abstimmung erfolgt hier zwischen den einzelnen Stufen des Prozesses und soll die Akteure in den Subsystemen auf die Ziele und Strategien des Gesamtsystems ausrichten und ihre Handlungen dementȬ sprechend verknüpfen.2
Organisatorische Gestaltung des MultiȬChannelȬ Marketings
Die Abstimmung bezieht sich auf die Strukturen und Abläufe im MultiȬ ChannelȬMarketingȬProzess. Eine umfassende Abstimmung bedeutet eine Integration der einzelnen Schritte und ermöglicht eine funktional ausgeȬ richtete Organisation des MultiȬChannelȬMarketings. Organisation bedeuȬ tet die arbeitsteilige Strukturierung eines Systems und die Koordination der Handlungen der beteiligten Akteure.3 Hierbei wird durch die AusbilȬ dung von Subsystemen in einem Gesamtsystem eine hierarchische StrukȬ tur indiziert. Die soziologische Systemtheorie kann somit als Basis für die organisatorische Gestaltung des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems heranȬ gezogen werden.
Kritik
In einer kritischen Würdigung lässt sich resümieren, dass die soziologisch ausgerichtete Systemtheorie keine UrsacheȬWirkungsȬBeziehungen aufzudeȬ cken und zu erklären versucht, sondern vielmehr zeigt, wie Systeme zur LöȬ sung von Problemen, z. B. dem Umgang mit der Komplexität, genutzt werden können.4 Hierbei lässt die Theorie nur sehr abstrakte Aussagen mit geringem Detailierungsgrad zu und bildet eher allgemein gültige Kategorisierungen. Konkrete Managementimplikationen lassen sich kaum ableiten.5 Obwohl die 1 2 3 4 5
94
Vgl. Staehle (1999), S. 47 f. Vgl. Bruhn (2003b), S. 27. Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 17. Vgl. Krieger (1996), S. 18. Vgl. Staehle (1999), S. 41; Meffert (2000), S. 23.
Systemtheoretischer Ansatz
6.2
Systemtheorie so nur eine geringe operative Erklärungskraft besitzt, bleibt nichtsdestotrotz festzuhalten, dass die systemtheoretische Analyse zu einer ganzheitlichen und mehrdimensionalen Problemsichtweise führt, welche in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren und auf mögliche Potenziale zur Effizienzsteigerung und Komplexitätsreduktion hin zu unterȬ suchen. Im Folgenden wird auf die Kybernetik eingegangen, um die abstrakȬ ten Schemata der soziologischen Systemtheorie zu konkretisieren.
6.2.2
Kybernetik
In der naturwissenschaftlichen Ausprägung der Systemtheorie dominieren mit der Untersuchung von Mechanismen zur Steuerung und Regelung von Systemen kybernetisch ausgeprägte Ansätze. Der Begriff Kybernetik wurde 1947 von Wiener zur Bezeichnung von kreisȬkausal geschlossenen und rückȬ gekoppelten Mechanismen in sozialen und biologischen Systemen geschafȬ fen.1 Die Kybernetik entwickelte sich auf Grund der Kritik an statischen InputȬOutputȬModellen sozioȬtechnischer Systeme.2 Hier überwiegt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragestellungen zur Dynamik, Flexibilität, Autonomie und Selbstreferenz.3 Die Kybernetik fußt demnach auf denselben Grundannahmen wie die eben beschriebene soziologische Systemtheorie. Die zentrale Fragestellung der Kybernetik ist, wie die SteueȬ rung bzw. die Selbstregulierung eines Systems funktioniert. Der zentrale Gedanke der Kybernetik ist es, die Kausalitätsvorstellung bei einem Vorgang in einem System zu relativieren. Insbesondere in sozialen Systemen lassen sich Prozesse nicht durch aneinander gereihte UrsacheȬ WirkungsȬBeziehungen beschreiben; vielmehr entsprechen die Abläufe einem technischen Regelkreis.4 So haben die Handlungen in einem System Auswirkungen auf die Umwelt, die dem System nicht unbedingt bekannt sind. Dennoch erfährt das System eine gewisse Rückkopplung. Es weiß also, dass sich etwas verändert hat. Um seine Integrität zu wahren bzw. autark zu bleiben, muss es hierauf reagieren. Dieser Prozess lässt sich in einer RückȬ kopplungsschleife, einem Regelkreis, abbilden. Ein Regelkreis besteht aus einer Regelstrecke, welche von einem Stellglied beeinflusst wird. Ein KonȬ trollglied überprüft den IstȬZustand des Regelobjekts, der vom Regler mit dem Sollwert verglichen wird. Bei Abweichungen veranlasst der Regler Beeinflussungen durch das Stellglied, womit sich dieser Prozess stetig wieȬ derholt. Abbildung 6Ȭ4 stellt dies grafisch dar. 1 2 3 4
Vgl. Staehle (1999), S. 42. Vgl. zur grundlegenden Kritik Wiener (1948) und Beer (1959). Vgl. Varela/Maturana/Uribe (1974); Kirsch et al. (1975). Vgl. im Folgenden Asmus (2005).
95
RückkopplungsȬ schleifen
6 Abbildung 6Ȭ4
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Regelkreis
Soll
Regler
Sensor
Stellglied
Regelstrecke
Die Rückkopplung schafft die Möglichkeit einer Abweichungsanalyse, welȬ che als Basis für weitere Maßnahmen dienen kann. Ein solcher Regelkreis stellt ein zielgerichtetes autopoietisches System dar, wenn das System selbstȬ ständig darauf hinarbeitet, einen vorgegebenen Wert zu erreichen. Ein BeiȬ spiel soll dies illustrieren: Ein Unternehmen soll Gewinn erzielen. DiesbeȬ züglich erhält der Vorstand (Regler) Feedback zum Zustand des UnternehȬ mens vom Controlling (Sensor) und kann so Maßnahmen durch den zuständigen Marketingvorstand (Stellglied) in den Ressorts (Regelstrecke) veranlassen. Hierbei wird deutlich, dass sich dieser Regelprozess auf der nächsten Ebene wiederholt; der Marketingvorstand gibt Aufgaben an die Ressortmanager, diese wiederum an die Betriebsleiter und so weiter. Betrachtet man diese Regelkreise als Systeme, so besteht das Unternehmenssystem aus mehreren Subsystemen. Ein Marketingsystem kann auch als Menge von Systemen betrachtet werden, die sich wie hierarchisch gekoppelte kybernetische ReȬ gelkreise verhalten. Abbildung 6Ȭ5 verdeutlicht dies am Beispiel eines einfaȬ chen funktional gegliederten Marketingsystems.
96
Systemtheoretischer Ansatz
Dreistufige Hierarchie von Regelkreisen1
6.2 Abbildung 6Ȭ5
Gewinn
Vorstand
Controlling
Marketingvorstand
Ressorts
Kunden
€
Info
Werbung
Sales
Research
Controlling
Manager
Applications
Controlling
Manager
Produkte
Controlling
Manager
KundenK d gruppen gruppen
Durch diese Stückelung des Unternehmens in eine Menge interdependenter Subsysteme, welche jeweils für sich deutlich weniger komplex sind als das gesamte System, ist eine Erfassung und Deskription komplexer MultiȬ ChannelȬMarketingȬSysteme und der zwischen den Systemelementen besteȬ henden Austauschbeziehungen möglich. Die Selbstorganisation und – reproduktion führt zu gewisser Autarkie und Eigendynamik, was aber eine angemessene Beeinflussung nicht ausschließt. So wurde oben dargelegt, dass die Absatzmittler eigenständige Systeme darstellen, welche im Rahmen der Kybernetik einen ständigen Prozess durchlaufen, um eine bestimmte Zielgröße zu erreichen bzw. aufrecht zu erhalten. Durch eine Zielvorgabe kann die Eigensteuerung des Absatzmittlersystems im Interesse des HerstelȬ lerunternehmens beeinflusst werden. Bei der Vielzahl von Akteuren im MultiȬChannelȬMarketing ist eine Steuerung klassischer Prägung auf lineaȬ
1
In Anlehnung an Kirsch et al. (1975), S. 42 f.; Kotler/Bliemel (2001), S. 1241.
97
KomplexitätsȬ beherrschung
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
rer Basis aufgrund der hohen Komplexität der Strukturen nicht möglich, wodurch die Kybernetik einen bedeutenden Beitrag zur Ausgestaltung eines MultiȬChannelȬMarketingȬSystems liefert. Zusammenfassend betont die Kybernetik, ebenso wie die soziologische SysȬ temtheorie, ganzheitliches Denken in Systemen und die Notwendigkeit der Berücksichtigung wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Subsystemen und zwischen den Teilen und dem Gesamtsystem.1 Zu kritisieȬ ren ist die Mechanizität der Regelkreise. Es ist fraglich, ob derartige logischȬ mathematische Strukturen die Abläufe in der Realität adäquat beschreiben können und ob diese Systeme in der Realität auch wirklich existieren.2 Trotz dieser Metatheoretizität liefert die Kybernetik wertvolle Hinweise auf SteueȬ rungsmöglichkeiten undȱȬmechanismen im MultiȬChannelȬMarketing.
6.3
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
Der verhaltenswissenschaftliche Ansatz der Betriebswirtschaftslehre beȬ trachtet Entscheidungsprozesse nicht als Entscheidungslogik, sondern als menschliches Entscheidungsverhalten.3 Die Vertreter dieser ForschungsrichȬ tung versuchen, aus der Untersuchung menschlicher Verhaltensweisen allȬ gemeine Gesetzmäßigkeiten abzuleiten und Erklärungsmodelle zu entwiȬ ckeln, anhand derer das Verhalten der MarktȬ und Organisationsteilnehmer gezielt beeinflusst werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, bedienen sich die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze primär der Erkenntnisse der PsyȬ chologie und der Sozialwissenschaften. Für das MultiȬChannelȬMarketing sind die Analyse des Kaufverhaltens in Form des SȬOȬRȬModells und die AnreizȬBeitragsȬTheorie von besonderem Interesse.
6.3.1 Käuferverhalten
Das S-O-R-Modell
Die Erforschung des Käuferverhaltens ist ein wichtiger Teil der MarketingȬ forschung. Im MultiȬChannelȬMarketing kann das Käuferverhalten vor alȬ lem zur Gestaltung der Beziehung zwischen den Kanalmitgliedern und den Endkunden betrachtet werden. Zur Erklärung des Käuferverhaltens existieȬ ren verschiedene Modelle und Theorien, von denen das neobehavioristische SȬOȬRȬModell eine weite Verbreitung gefunden hat. Es entwickelte sich aus
1 2 3
98
Vgl. Staehle (1999), S. 44. Vgl. Ulrich/Probst (1988), S. 292; Stangl (1989), S. 18. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 201.
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
6.3
der behavioristischen Forschung, die untersucht, mit welchen VerhaltensȬ weisen (Response) Individuen auf bestimmte Reize (Stimulus) reagieren. Die bei der Reizverarbeitung ablaufenden Prozesse werden als „blackȬbox“ betrachtet (SȬRȬModell).1 Im Gegensatz zum behavioristischen SȬRȬModell bezieht das neobehaviorisȬ tische SȬOȬRȬModell die psychischen Vorgänge innerhalb des Individuums (Organism) explizit mit in die Analyse ein (vgl. Abbildung 6Ȭ6). AusgangsȬ punkt sind die Stimuli, die das Individuum aus seiner Umwelt empfängt. Zur physischen Umwelt zählen die natürliche Umwelt, z. B. das Klima, sowie die vom Menschen geschaffene Umwelt, z. B. Gebäude; die soziale Umwelt besteht aus Menschen und ihren Interaktionen.2 Die Anreize werȬ den vom Individuum durch aktivierende und kognitive Prozesse verarbeiȬ tet.3 Diese Prozesse stehen im Mittelpunkt verhaltenswissenschaftlicher Forschung und werden deshalb im Folgenden näher erörtert. Das Ergebnis dieser Prozesse sind beobachtbare Handlungen wie der Kauf oder Nichtkauf eines bestimmten Produkts oder die Wahl der Einkaufsstätte.
Abbildung 6Ȭ6
SȬOȬRȬModell Stimulus
Organism
Response
• Physische Umwelt
• Aktivierende Prozesse
• Kauf/Nichtkauf
• Soziale Umwelt
• Kognitive Prozesse
• Auswahl des Einkaufsorts
6.3.1.1
Aktivierende Prozesse
Die aktivierenden Prozesse beziehen sich auf menschliche Antriebskräfte. Unter Aktivierung wird ein Reizzustand verstanden, der den Konsumenten zu Handlungen anregt. Mit Zunahme der Aktivierung steigt auch die LeisȬ tungsfähigkeit des Individuums zunächst an.4 Als Bestandteile der aktivieȬ renden Prozesse werden die Konstrukte Emotion, Motivation und EinstelȬ lung betrachtet.5 Emotionen sind innere Erregungsvorgänge, die als angenehm oder unangeȬ nehm empfunden und mehr oder weniger bewusst erlebt werden. Das KäuȬ ferverhalten wird von Emotionen beeinflusst, denn hinter dem Kauf von Gütern im Allgemeinen steht das Streben nach emotionalen Erlebnissen bzw. nach der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse.6 1 2 3 4 5 6
Vgl. Staehle (1999), S. 154. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 409 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 30. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 30. Vgl. Trommsdorff (2003), S. 34; KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 50. Vgl. KroeberȬRiel (1995), S. 1242.
99
Emotionen
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Motivation
Das Konstrukt Motivation umfasst die Beweggründe, die ein Individuum dazu veranlassen, in bestimmter Form, d. h. in eine bestimmte Richtung und mit einer bestimmten Intensität, zu handeln. Motive richten das individuelle Verhalten auf ein Ziel aus. Insofern fokussiert dieses Konstrukt auf die Frage nach dem „Warum“ menschlichen Verhaltens.1
Einstellung n
Die Einstellung bezeichnet die innere Haltung gegenüber einem GegensȬ tand, einer Person oder einer Sache. Sie ist mit einer Wertung oder einer Erwartung verbunden. Es wird davon ausgegangen, dass eine positive EinȬ stellung gegenüber einem Objekt tendenziell eine positive Reaktion hervorȬ ruft, z. B. einen Kauf.2
Aktivierung n
Um Aktivierung auszulösen, werden in der Marketingpraxis am häufigsten emotionale Reize eingesetzt, z. B. durch Werbung. Die Vermittlung emotioȬ naler ProduktȬ, KaufȬ und Markenerlebnisse ist darüber hinaus eine wichtiȬ ge Marketingmaßnahme geworden, um die Kundenbindung zu erhöhen.3 Im MultiȬChannelȬMarketing eignen sich emotional basierte MarketingstraȬ tegien besonders zur Differenzierung der Kanäle. Durch kanalspezifische Kauferlebnisse kann die Bindung der Kunden an einen bestimmten MarkeȬ tingkanal gestärkt werden. So können z. B. im Filialbetrieb Umweltreize in Form von Musik und Gestaltung des Verkaufsraums Emotionen bewirken, das sich signifikant vom OnlineȬEinkauf unterscheidet. Hier werden aufȬ grund der eingeschränkten sensorischen Möglichkeiten des Konsumenten grafische „EyeȬCatcher“ wie PopȬUps eingesetzt, um die Aufmerksamkeit des Kunden zu beeinflussen. Durch die Ansprache unterschiedlicher Kaufmotive kann ebenfalls eine differenzierte Kanalpositionierung erreicht werden. Während z. B. der Kauf von Kleidung im Internet eher nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten getäȬ tigt wird, so kann durch den Kauf in repräsentativen Filialen das AnerkenȬ nungsbedürfnis anderer Käuferschichten angesprochen werden. Neben dem reinen Bedürfnis nach einem Kleidungsstück können den Konsumenten auch Motive wie Spaß am Einkaufsbummel, der Erlebniswert beim Besuch ansprechend gestalteter Boutiquen und der Mehrwert durch soziale InterakȬ tion mit anderen Menschen zum Kauf antreiben. Das Konstrukt der Einstellung ist eine der Variablen, die zur Erklärung des Kaufverhaltens besonders häufig herangezogen werden. So wird der Begriff „Image“ auch als mehrdimensionales Einstellungskonstrukt beschrieben.4 Einstellungsmessungen dienen der Erklärung und Prognose des KonsumenȬ tenverhaltens, der Erfolgskontrolle bezüglich des Einsatzes der MarketinginȬ 1 2 3 4
100
Vgl. Meffert (1992), S. 52; Bänsch (1996), S. 17. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 54 f. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 114 ff. Vgl. Meffert (2000), S. 118.
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
6.3
strumente, der Marktsegmentierung und der Positionierungsmessung.1 Für das MultiȬChannelȬMarketing sollte insbesondere die Möglichkeit des EinȬ stellungstransfers Beachtung finden.2 Dabei wird versucht, positive EinstelȬ lungen zu einem bestehenden Objekt, z. B. einem Produkt oder einer Marke, auf neue Objekte zu übertragen. Bei Etablierung eines neuen Kanals können beispielsweise mit positiven Einstellungen bewertete Objekte aus bereits bestehenden Kanälen eingesetzt werden, um diese positiven Einstellungen auf den neuen Kanal zu übertragen. Dabei kann es sich um CorporateȬ DesignȬElemente wie Farben oder Schriftzüge, Markennamen oder Produkte handeln.
6.3.1.2
Kognitive Prozesse
Kognitive Prozesse lassen sich als gedankliche, rationale Vorgänge charakȬ terisieren, mit deren Hilfe ein Individuum Kenntnis von seiner Umwelt und sich selbst erhält. Sie dienen in erster Linie der gedanklichen Kontrolle und willentlichen Steuerung des Verhaltens. Es wird zwischen den Prozessen der Informationsaufnahme, Ȭverarbeitung und Ȭspeicherung unterschieden.3 Die Informationsaufnahme umfasst die Übernahme einer Information in das Kurzzeitgedächtnis, wobei zwischen der externen und internen sowie der aktiven und passiven Informationsaufnahme differenziert werden kann.4 Bei der externen Informationsaufnahme werden Informationen von außen zugeȬ führt, z. B. durch Werbung. Bei der internen Informationsaufnahme werden hingegen Informationen, die bereits im Langzeitgedächtnis des Individuums gespeichert sind, in das Kurzzeitgedächtnis transferiert. Dies können beiȬ spielsweise Informationen aus früheren Kontakten mit einem bestimmten Produkt sein. Die aktive Informationsaufnahme wiederum bezeichnet die vom Individuum initiierte Suche nach Informationen, während die passive Informationsaufnahme ohne Absicht und willentliche Bemühung abläuft.5
InformationsaufȬ f nahme
Im Rahmen der Informationsverarbeitung werden Informationen im KurzȬ zeitgedächtnis des Konsumenten verarbeitet. Ein zentraler Prozess ist die Wahrnehmung, d. h. die subjektive Entschlüsselung der aufgenommenen internen und externen Informationen. Erst durch die Wahrnehmung ergeben die Informationen für das Individuum einen Sinn, indem es sie in Kontext zueinander setzt, interpretiert und zu einem inneren Gesamtbild verarbeiȬ tet.6 Informationsaufnahme und Ȭverarbeitung werden im starken Maße von
InformationsverȬ r arbeitung
1 2 3 4 5 6
Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 211 ff. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 212 f.; Meffert (2000), S. 865 ff. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 225. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 54 ff. Vgl. Solomon (1999), S. 274 f. Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 268 ff.
101
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
der Aufmerksamkeit des Individuums determiniert. Aufmerksamkeit kann als Bereitstellung von kognitiver Verarbeitungskapazität für einen Reiz verȬ standen werden. Sie bezeichnet die temporäre Sensibilisierung eines IndiviȬ duums gegenüber bestimmten Reizen, die mit einer gleichzeitigen HemȬ mung anderer Reize einhergeht. Daher werden nur solche Reize, die AufȬ merksamkeit erzeugen, aufgenommen und weiterverarbeitet. Generell kann beobachtet werden, dass die Aufmerksamkeit des Kunden umso höher ist, je eher ein Reiz den Bedürfnissen und Wünschen des Kunden entspricht.1 InformationsȬ speicherung
Die Informationsspeicherung bezieht sich auf den Vorgang des Lernens. Informationen werden im Langzeitgedächtnis akkumuliert und sind von dort aus dauerhaft abrufbar. Bei der Speicherung von Informationen im Langzeitgedächtnis treten eine Reihe gedanklicher Verarbeitungsvorgänge (oder auch Kodierungen) auf, welche die neuen Informationen mit den beȬ reits im Gedächtnis gespeicherten verknüpfen. Daher spielt das bereits vorȬ handene Wissen eine Schlüsselrolle für das Lernen.2
InformationsȬ überlastung
Für das MultiȬChannelȬMarketing stellt vor allem die stetig zunehmende Verfügbarkeit von Informationen ein Problem dar. Da die InformationsaufȬ nahmeȬ und Verarbeitungskapazität des Menschen beschränkt ist, kann es zu einer Informationsüberlastung (Information Overflow) der Individuen kommen. Die Konsequenz hieraus ist, dass bestimmte Informationen nicht mehr aufgenommen werden.3 Unter Informationsüberlastung werden zwei miteinander verbundene Begriffe subsumiert: Informationsüberschuss, also die Menge von Informationen, die zwar produziert und angeboten, aber nicht konsumiert wird, sowie der Informationsstress, d. h. das subjektive Gefühl, durch das umfangreiche Informationsangebot unter Druck zu stehen. Die Informationsüberlastung schränkt die Wirkung von MarketinginstruȬ menten, insbesondere der Kommunikationspolitik, stark ein. Durch die intensiven Werbeaktivitäten mehrerer Mitglieder eines Marketingkanals, z. B. von Herstellern und Verbrauchermärkten, wird der Verbraucher mit zahlreichen und teilweise widersprüchlichen Informationen konfrontiert. Dies ist unter anderem der Fall, wenn ein Produkt vom Hersteller als PremiumȬ produkt beworben und gleichzeitig von Absatzmittlern als günstiger Anreiz für den Absatz anderer Leistungen angeboten wird, wie es beispielsweise häufig im Markt für Mobiltelefone der Fall ist. Ähnliches ist bei unterschiedȬ licher Preissetzung für gleiche Leistungen in verschiedenen Kanälen zu beobachten. Widersprüchliche Informationen wirken auch auf Einstellungen ein, indem es zu Dissonanzeffekten kommt, die auf die Einstellung zu einem
1 2 3
102
Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 272 ff. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 96 ff.; KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 320 ff. Vgl. SchrammȬKlein (2003), S. 58 ff.
Verhaltenswissenschaftliche Ansätze
bestimmten Produkt negative Auswirkungen haben können.1 Eine AbstimȬ mung der Kommunikation zwischen Absatzmittlern und Herstellern und über verschiedene Kanäle erscheint als angebracht, dem Problem der InforȬ mationsüberlastung und möglichen negativen Einstellungseffekten entgegen zu wirken. Die Trennung von aktivierenden und kognitiven Prozessen ist zwar analyȬ tisch möglich, in der Realität sind diese Prozesse jedoch stark miteinander verwoben. So kann die Informationsaufnahme verbessert werden, wenn aktivierende Reize und Informationsübermittlung kombiniert werden. DarȬ aus lassen sich für das MultiȬChannelȬMarketing folgende SchlussfolgerunȬ gen ziehen:2
Reiszauswahl: Aufgrund der Vielzahl an Informationen stehen die AnȬ bieter in Aktivierungskonkurrenz. Um den Konsumenten dazu anzureȬ gen, Informationen aufzunehmen, kann sich das Unternehmen verschieȬ dener Reiztypen bedienen: Emotionale Reize, physisch intensive Reize (Lautstärke, Größe) sowie überraschende Reize.
Reizverminderung: Dem nachlassenden Informationsinteresse durch vermehrte Aktivierung entgegen zu wirken führt zu einer passiven, flüchtigen Informationsaufnahme. Daher sollte die Menge der InformatiȬ onen auf das Notwendige, Interessanteste und Wichtigste reduziert werȬ den. Die gedankliche Beanspruchung durch Textinformationen ist sehr hoch, weswegen diese vermehrt übergangen werden. Bilder können wesentlich schneller verarbeitet werden. Es sollten daher gezielt grafische KommunikaȬ tionstechniken eingesetzt werden, damit dem wenig interessierten KonsuȬ menten auch bei flüchtiger, passiver Informationsaufnahme die Botschaft verständlich wird.
6.3.2
Anreiz-Beitrags-Theorie
Die AnreizȬBeitragsȬTheorie beschäftigt sich mit der Frage, warum IndividuȬ en sich für die Teilnahme an einem sozialen System entscheiden.3 Sie beȬ trachtet Organisationen als offene Systeme, bei denen Teilnehmer jederzeit einȬȱund austreten können. Grundsätzlich haben die Individuen drei HandȬ lungsmöglichkeiten: Die Entscheidung zur Teilnahme an der Organisation, die Entscheidung über die Leistung von Beiträgen zur Erreichung der OrgaȬ 1 2 3
Vgl. KroeberȬRiel/Weinberg (2003), S. 182 ff. Vgl. auch im Folgenden KroeberȬRiel (1987), S. 257 f.; SchrammȬKlein (2003), S. 58 ff.; KroeberȬRiel/Esch (2004), S. 54 f. Vgl. im Folgenden Staehle (1999), S. 431.
103
6.3
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
nisationsziele und die Entscheidung zum Verlassen der Organisation.1 Sind die Anreize, die ein Individuum durch die Organisation erhält, mindestens so hoch wie die Beiträge, die es leisten muss, wird sich das Individuum zur Teilnahme an der Organisation entschließen. Sinkt jedoch das AnreizȬȱunter das Beitragsniveau, ist mit einer Reduzierung der individuellen Beiträge bis hin zum Verlassen der Organisation zu rechnen. Für den Erhalt der TeilȬ nahme eines Individuums an einem sozialen System müssen sich Anreize und Beiträge im Gleichgewicht befinden (vgl. Abbildung 6Ȭ7).2
Abbildung 6Ȭ7
AnreizȬBeitragsȬTheorie
Anreize
Individuum
Anreize
Individuum
Organisation Beiträge
Beiträge
Die AnreizȬBeitragsȬTheorie eignet sich auch zur Analyse der Beziehungen zwischen den Mitgliedern in einem Mehrkanalsystem.3 Demnach muss auch für die Mitglieder eines Mehrkanalsystems ein Gleichgewicht aus Anreizen und Beiträgen bestehen, um ihre Teilnahme am Mehrkanalsystem zu siȬ chern. Für den Absatzmittler liegt der Anreiz zur Teilnahme primär in der erzielbaren Handelsspanne, möglichen Imagevorteilen durch die KooperatiȬ on mit bekannten Herstellern und Sortimentseffekten. Dafür leistet er durch seine Übernahme eines wichtigen Teils der Distribution seinen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Mahrkanalsystems. Für die Hersteller sind vor allem der Zugang zu bestimmten Käufergruppen und die erzielbare DeckungsȬ spanne wichtige Anreize. Er leistet Beiträge in Form von marktgerechten Produkten und Zusatzleistungen an die Absatzmittler, z. B. Rabatte oder Werbekostenzuschüsse.4 Wenn das Anreizpotenzial innerhalb des Systems größer ist als die TeilnehȬ merbeiträge, wird dieser Überschuss als Slack bezeichnet.5 Slack kann zu Konflikten führen, wenn einige Kanalmitglieder versuchen, bei gleichen 1 2 3 4 5
104
Vgl. Staehle (1999), S. 433. Vgl. Kieser (2002), S. 136 ff. Vgl. Ahlert (1996), S. 92. Vgl. Ahlert (1996), S. 92. Vgl. Ahlert (1996), S. 93.
Neue Institutionenökonomik
Anreizen ihre Beiträge zu vermindern und so am Überschuss teilzuhaben. Es kommt dann zu Verteilungskämpfen innerhalb eines Systems. Diese Gefahr kann verringert werden, indem Beiträge möglichst eng an Anreize gekoppelt werden. Dies ist z. B. bei Rabatten der Fall, die in Abhängigkeit von einer bestimmten Absatzmenge gewährt werden. Um Verteilungskämpfe und Konflikte in Kanälen zu verringern, sollten daher bei Gestaltung der AnreizȬ systeme auf eine Koppelung der Beiträge an die Anreize geachtet werden.
6.4
Neue Institutionenökonomik
Die Neue Institutionenökonomik ist ein relativ junger Forschungsbereich, der ursprünglich der mikroökonomischen Theorie entstammt.1 AusgangsȬ punkt der Theorie war das Problem, dass die Existenz von Organisationen aus der neoklassischen Mikroökonomik nicht begründbar ist. Die Neue Institutionenökonomik bemüht sich um eine Erklärung der Gründe für die Existenz von Institutionen und beschäftigt sich mit der Frage, wie KoordinaȬ tionsprobleme zwischen Individuen ökonomisch effizient gelöst werden können.2 In der Marketingforschung wird die Neue Institutionenökonomik vor allem im Zusammenhang mit der Bewältigung marktbezogener InforȬ mationsȬ und Unsicherheitsprobleme eingesetzt.3 Die Neue Institutionenökonomik trifft bewusst weniger restriktive AnnahȬ men als die neoklassischen Theorie. Insbesondere die Prämissen, dass die Marktteilnehmer über vollständige Information verfügen und dass bei der Nutzung von Märkten keine Kosten anfallen, werden aufgrund ihrer PraxisȬ ferne von der Neuen Institutionenökonomik verworfen. Der Ansatz ist jeȬ doch durch spezifische Annahmen über das menschliche Verhalten geprägt. So wird davon ausgegangen, dass das Handeln des Menschen von individuȬ eller Nutzenmaximierung, begrenzter Rationalität und opportunistischem Verhalten geleitet wird. Die Verhaltensannahme des Opportunismus stellt eine Verschärfung des Konzepts der individuellen Nutzenmaximierung dar. Ein Transaktionspartner verhält sich dann opportunistisch, wenn er, um sich einen individuellen Vorteil zu verschaffen, akzeptiert, dass durch sein HanȬ deln gegebenenfalls andere Akteure einen Schaden oder Nachteile erleiden.4
1 2 3 4
Vgl. Williamson (1975), S. 1 ff. Vgl. Williamson (1996), S. 1; Kräkel (1999), S. 5 f. Vgl. Meffert (2000), S. 25. Vgl. Bea/Haas (2001), S. 377; Voigt (2002), S. 105.
105
6.4
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Die Neue Institutionenökonomik repräsentiert kein einheitliches TheoriegeȬ bäude. Sie umfasst vielmehr unterschiedliche, methodologisch verwandte Ansätze, die sich gegenseitig ergänzen und in Teilen überlappen. Zu diesen Ansätzen zählen die PropertyȬRightsȬTheorie, die Transaktionskostentheorie und der PrinzipalȬAgentȬAnsatz. Wichtige Implikationen für das MultiȬ ChannelȬMarketing liefern insbesondere die Transaktionskostentheorie und der PrinzipalȬAgentȬAnsatz, die deshalb im Folgenden näher betrachtet werden.
6.4.1
Transaktionskostentheorie
Die Transaktionskostentheorie basiert auf der Verwerfung der neoklassiȬ schen Annahme, dass Transaktionen kostenlos abgewickelt werden können.1 Williamson geht zudem von der Annahme aus, dass der Abschluss vollstänȬ diger Verträge aufgrund von Unsicherheit nicht möglich ist.2 Daher fallen Kosten zur Überwachung von Vereinbarungen an, die in einer hierarchiȬ schen Beziehung niedriger sein können als bei Markttransaktionen. Die Kosten, die bei der Anbahnung, Durchführung und Auflösung von Transaktionen anfallen, werden als Transaktionskosten bezeichnet. TransakȬ tionskosten sind im Wesentlichen InformationsȬ und KommuniȬ kationskosten und bestehen aus folgenden Bestandteilen:3
SuchȬȱbzw. Anbahnungskosten: Kosten für die Identifikation des TransȬ aktionspartners und dessen Konditionen,
Vereinbarungskosten: Opportunitätskosten der Zeit für die VerhandȬ lung, Einigung und Formulierung von Vertragsinhalten,
Kontrollkosten: Kosten der Überwachung der Einhaltung der vertragliȬ chen Vereinbarungen bezüglich Qualität, Menge, Preis und Liefertermin,
Durchsetzungskosten: Kosten für die Realisierung von impliziten und expliziten Vertragsansprüchen (z. B. vor Gericht),
Anpassungskosten: Kosten für die nachvertragliche Anpassung von VerȬ tragsinhalten (z. B. bei langfristig variablen Vertragsparametern).
1 2 3
106
Vgl. Coase (1937). Vgl. Williamson (1991), S. 284; Kräkel (1999), S. 8 ff. Vgl. im Folgenden Williamson (1985), S. 20 ff.; Woratschek/Roth (2004), S. 351.
Göbel (2002), S. 129 f.;
Neue Institutionenökonomik
Es ist zwischen Transaktionskosten, die bei Inanspruchnahme des Marktes entstehen und solchen, die bei der Koordination durch Hierarchie anfallen, zu unterscheiden.1 Zielsetzung der Transaktionskostentheorie ist es, EntȬ scheidungshilfen für die Auswahl transaktionskostenminimierender OrganiȬ sationsformen bereit zu stellen. Im Organizational Failure Framework von Williamson werden drei verschiedene Organisationsformen unterschieden: Markt, Hierarchie und Hybridformen. Nach Williamson determinieren die Merkmale Spezifität, Unsicherheit und Häufigkeit die Höhe der Kosten einer Transaktion.2 Je nach Ausprägung dieser Merkmale sollte sich der Akteur für eine der im Organizational Failure Framework aufgeführten Organisationsformen entscheiden.3 Abbildung 6Ȭ8 zeigt schematisch die Transaktionskostenverläufe der jeweiligen Koordinationsform und bei welȬ chen Merkmalswerten welche Form optimal ist.
Marktliche Koordination
Hybridform
Markt, HierarȬ r chie und HybridȬ form
Abbildung 6Ȭ8
Koordinationsformen in Abhängigkeit von Transaktionsmerkmalen Transaktionskosten
6.4
Hierarchische Koordination
Spezifität/ Unsicherheit
Bei unvollständigen Verträgen wird in Situationen, in denen eine Partei für die Abwicklung der Transaktion eine hohe spezifische Investition tätigt, die Abwicklung in der Organisation gegenüber der über den Markt Vorteile
1 2 3
Vgl. Kräkel (1999), S. 6 f.; Bea/Haas (2001), S. 374.ȱ Vgl. Williamson (1979), S. 233 ff. Vgl. auch im Folgenden Williamson (1975), S. 40;ȱWilliamson (1981), S. 1537 ff.;ȱ Williamson (1991), S. 269 ff.
107
Spezifität
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
bieten.1 Eine Investition ist als transaktionsspezifisch anzusehen, wenn sie außerhalb der vereinbarten Transaktion einen geringeren Wert besitzt.2 Der Grad der Spezifität der Transaktion wird als QuasiȬRente bezeichnet und berechnet sich als Differenz des Wertes der Investition in der vereinbarten Transaktion und der nächstbesten Verwendung außerhalb dieser TransaktiȬ on.3 Je höher der Spezifitätsgrad einer Transaktion ist, desto höher ist auch der Wertverlust, der entsteht, wenn die zur Aufgabenerfüllung erforderliȬ chen Ressourcen nicht der angestrebten, sondern ihrer zweitbesten VerwenȬ dung zugeführt werden müssen.4 HoldȬUp
Mit der Höhe der transaktionsspezifischen Investition steigt die Gefahr opportunistischen Verhaltens durch jenen Akteur, der nicht die transaktiȬ onsspezifische Investition unternommen hat. Der die transaktionsspezifische Investition tätigende Vertragspartner ist nach Durchführung dieser InvestiȬ tion (maximal) in der Höhe der QuasiȬRente durch den anderen Akteur erpressbar. Diese Situation wird als HoldȬupȬProblematik bezeichnet: Der Vertragspartner, der die transaktionsspezifische Investition eingegangen ist, wird als (begrenzt) rationaler Akteur so lange von der Transaktion nicht zurücktreten, bis die Einbußen durch den HoldȬup die Höhe der QuasiȬ Rente übersteigen.5
Unterinvestition
Der Akteur, der die transaktionsspezifische Investition durchführen müsste, wird die HoldȬupȬProblematik voraussehen und sich exȬante nicht dazu bereit erklären, die transaktionsspezifische Investition einzugehen. Daher dürfte es der Theorie zufolge bei Nutzung des Marktmechanismus in solȬ chen Situationen stets zu Unterinvestitionen kommen. Unter den zuvor genannten Prämissen kann daher in Fällen, in denen transakȬ tionsspezifische Investitionen getätigt werden müssen, die organisationsinȬ terne Lösung vorteilhafter sein. Indem die Transaktion nicht mehr über den Markt, sondern über eine Hierarchie innerhalb eines Unternehmens abgewiȬ ckelt wird, wird die HoldȬupȬProblematik beseitigt.6
Unsicherheit
Die Unsicherheit von Transaktionen beeinflusst den Umfang der notwendiȬ gen Anpassungen von Verträgen. Problematisch wird diese Einflussgröße unter Berücksichtigung der Verhaltensannahme der begrenzten Rationalität, d. h. sofern eine Überforderung der kognitiven Fähigkeiten zu steigenden exȬanteȬSuchȬȱbzw. exȬpostȬAnpassungskosten und damit zu einem Anstieg der Transaktionskosten führt. Aus Sicht der Transaktionskostentheorie sind für den Umgang mit hoher Unsicherheit hierarchische Koordinationsformen 1 2 3 4 5 6
108
Vgl. Bea/Haas (2001), S. 377. Vgl. Kräkel (1999), S. 10. Vgl. Bea/Haas (2001), S. 377. Vgl. Williamson (1985), S. 54. Vgl. Klein/Crawford/Alchian (1978), S. 302. Vgl. Kräkel (1999), S. 12.
Neue Institutionenökonomik
6.4
zunehmend geeigneter als marktliche: Während bei der Koordinationsform Markt aufwändige Nachverhandlungen zur Anpassung an neue Situationen nötig sind, kann in Hierarchien eine einfachere Änderung der VertragsbeȬ dingungen durchgeführt werden.1 Für die Transaktionshäufigkeit ist schließlich eine Interpretation dahingeȬ hend möglich, dass hierarchische Koordinationsformen nur dann angemesȬ sen sind, wenn sich die hiermit verbundenen Kosten amortisieren. Häufig wiederkehrende Transaktionen lassen daher die unternehmensinterne TransȬ aktionsabwicklung eher rentabel erscheinen.
TransaktionsȬ häufigkeit
Zusammenfassend lautet also die Empfehlung der TransaktionskostentheoȬ rie, Transaktionen mit geringer Unsicherheit, Spezifität und Häufigkeit tenȬ denziell über den Markt, solche mit mittlerer Ausprägung über HybridforȬ men, wie z. B. strategische Allianzen, und Transaktionen mit hoher UnsiȬ cherheit, Spezifität und Häufigkeit in Eigenerstellung durchzuführen.2 Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings eignet sich die TransaktionskosȬ tentheorie zur Analyse mehrerer Entscheidungsprobleme. Erstens können Aussagen über den optimalen vertikalen Integrationsgrad innerhalb der Kanäle getroffen werden. Zweitens gibt sie wertvolle Hinweise für die KonȬ figuration von Mehrkanalsystemen.
Konfiguration von MehrkanalȬ systemen
Die Entscheidung über den Grad der vertikalen Integration bezieht sich im MultiȬChannelȬMarketing vor allem auf die Frage, ob die Distribution an die Endkunden direkt oder mithilfe von Absatzmittlern erfolgen soll. InsbesonȬ dere das Merkmal Spezifität hat hohen Einfluss auf den vertikalen IntegratiȬ onsgrad in Marketingkanälen.3 Wenn der Aufbau eines Marketingkanals mit hohen spezifischen Investitionen von Seiten der Hersteller oder AbsatzmittȬ ler verbunden ist, ist eine vertikale Integration tendenziell vorteilhafter. Ist beispielsweise für die Auslieferung von Lebensmitteln eine ununterbrochene Kühlkette erforderlich, müssen spezifische Investitionen in Kühlhäuser, Kühlfahrzeuge und Verpackungsmaschinen getätigt werden. Aufgrund der HoldȬupȬProblematik wird es bei den Absatzmittlern oder LogistikȬ dienstleistern tendenziell zu einer Unterinvestition kommen, so dass eine vertikale Integration entlang der Logistikkette aus Sicht des Herstellers effiȬ zienter ist.
Grad der vertikaȬ len Integration
Bei hoher Unsicherheit der Transaktionen ist ebenfalls eine vertikale IntegraȬ tion innerhalb der Marketingkanäle vorteilhaft.4 So ist in vielen Fällen die Produktion von Leistungen mit hoher Unsicherheit bezüglich der KundenȬ
1 2 3 4
Vgl. Neus (2003), S. 127. Vgl. Williamson (1975), S. 21 ff. Vgl. Klein/Frazier/Roth (1990), S. 198. Vgl. Mols (2000), S. 236.
109
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
präferenzen verbunden, z. B. bei der Auftragsfertigung von Maschinen. Hohe Umweltunsicherheit führt ebenfalls zu stärkerer vertikaler Integration, weil so die Transaktionskosten der Anpassung an veränderte UmweltbedinȬ gungen reduziert werden können.1 Auch die Kontrollkosten können auf diese Weise verringert werden, weil die Änderungen nicht laufend auf ihre Durchführung beim Absatzmittler geprüft werden müssen. Anzahl der KanäȬ le in AbhängigȬ g keit von der InvestitionsspeȬ zifität
Im Rahmen der Entscheidung über die Anzahl der Marketingkanäle spielen transaktionskostentheoretische Überlegungen ebenfalls eine wichtige Rolle. Ansatzpunkt ist auch hier die Spezifität der notwendigen Investitionen. Bei Unternehmen mit heterogenem Produktionsprogramm unterscheidet sich häufig der Spezifitätsgrad der Investitionen, die für die Erstellung und den Absatz eines Produktes notwendig sind. Unterschiede im Spezifitätsniveau sind ein wichtiger Grund für den Einsatz unterschiedlicher MarketingȬ kanäle.2 Bei kundenindividuell gefertigten Produkten muss der Produzent oder der Absatzmittler hohe spezifische Investitionen in die Kundenbeziehung tätiȬ gen. Dazu gehört insbesondere KnowȬhow bezüglich der KundenbedürfnisȬ se, aber auch die Erstellung spezieller Designs oder Fertigungsmaschinen. Im Gegensatz dazu erfordern in Serie gefertigte Produkte weniger spezifiȬ sche Investitionen. Daher bietet es sich an, Marketingkanäle auch nach dem Grad der notwendigen Investitionspezifität zu differenzieren. So kann für kundenindividuelle Produkte ein Direktvertrieb mit eigenem Außendienst genutzt werden, während Serienprodukte über Absatzmittler vertrieben werden. Beispielhaft kann dies am Absatz von Finanzdienstleistungen illustriert werden. So werden z. B. unterschiedliche Marketingkanäle für den Vertrieb von Versicherungsleistungen genutzt. Versicherungspolicen für UnternehȬ men werden häufig von einem hoch spezialisierten Außendienst vertrieben, der über umfangreiches, kundenspezifisches KnowȬhow bezüglich unterȬ nehmensindividueller Versicherungsrisiken und Prämienmodelle verfügt. Würden für den Vertrieb Absatzmittler eingesetzt, können HoldȬupȬ Situationen entstehen, wenn der Absatzmittler sein Kundenwissen nutzt, um vom Versicherer günstigere Konditionen zu fordern. Diese Gefahr kann durch den Einsatz hierarchischer Koordination verringert werden. Im Privatkundenbereich hingegen nutzen viele Versicherer neben dem eigeȬ nen Außendienst auch Absatzmittler wie beispielsweise Strukturvertriebe. Versicherungsleistungen für Privatkunden sind Standardprodukte, die weȬ nig individuelles KnowȬhow erfordern, daher ist hier eine Abwicklung über den Markt effizienter als innerhalb einer Hierarchie. 1 2
110
Vgl. Klein/Frazier/Roth (1990), S. 205. Vgl. Mols (2000), S. 232.
Neue Institutionenökonomik
6.4.2
6.4
Prinzipal-Agent-Ansatz
Der PrinzipalȬAgentȬAnsatz wurde entwickelt, um ökonomische Beziehungen zu analysieren, die durch asymmetrische Informationsverteilung, Unsicherheit über das Eintreten bestimmter Umweltzustände und die Möglichkeit opporȬ tunistischen Verhaltens der beteiligten Parteien gekennzeichnet sind.1 Die ParȬ tei mit einem Informationsvorsprung wird dabei als Agent, die schlechter inȬ formierte Partei als Prinzipal bezeichnet.2 Ziel des PrinzipalȬAgentȬAnsatzes ist die Entwicklung optimaler Verträge zwischen Prinzipal und Agent. Primäres Untersuchungsobjekt des PrinzipalȬAgentȬAnsatzes ist damit eine Vertragsbeziehung, in der der Prinzipal EntscheidungsȬ und AusführungsȬ kompetenzen auf den Agenten überträgt. Das Verhalten des Agenten beeinȬ flusst nicht nur sein eigenes Nutzenniveau, sondern auch das des Prinzipals. Weil der Prinzipal sowohl über mögliche Umweltzustände als auch über mögliche Verhaltensweisen des Agenten nicht vollständig informiert ist, bietet sich für den Agenten ein Verhaltensspielraum, den er opportunistisch in seinem eigenen Interesse nutzen kann.3 Problematisch ist dies jedoch nur, wenn zwischen Prinzipal und Agent ein Interessenskonflikt besteht, denn bei gleichgerichteten Interessen kann der Prinzipal davon ausgehen, dass der Agent aus freien Stücken in seinem Sinn handelt.
UntersuchungsȬ objekt des PrinȬ zipalȬAgent Ȭ tȬ Ansatz
Für eine PrinzipalȬAgentȬBeziehung sind verschiedene Vertragsgestaltungen möglich. Grundsätzlich ist der Vertrag jedoch derart zu gestalten, dass sich der Agent nach Vertragsabschluss im Sinne des Prinzipals verhält.4 AußerȬ dem sollen durch die Vertragsgestaltung die so genannten AgencyȬKosten minimiert werden. Diese bestehen aus den ÜberwachungsȬ und KontrollkosȬ ten des Prinzipals, den SignalisierungsȬ und Garantiekosten des Agenten sowie den verbleibenden Wohlfahrtsverlusten. Aus der InformationsasymȬ metrie zwischen Prinzipal und Agent ergeben sich drei Problemfelder, die Einfluss auf die Vertragsgestaltung und die Höhe der AgencyȬKosten haben: Hidden Characteristics, Hidden Action und Hidden Intentions.
Ziele und ProȬ blemfelder
Von Informationsasymmetrien vor Vertragsschluss (Hidden Information bzw. Hidden Characteristics) wird gesprochen, wenn der Prinzipal vor Abschluss des Vertrages eine oder mehrere Eigenschaften bzw. Fähigkeiten (Characteristics) des Agenten oder der von ihm offerierten Leistungen nicht kennt.5 Er läuft dann Gefahr, einen schlechten Vertragspartner auszuwähȬ len (adverse selection). Zur Lösung dieses PrinzipalȬAgentȬProblems werȬ den zum einen SignallingȬAktivitäten des Agenten (der Agent legt gegenȬ
Hidden Characteristics
1 2 3 4 5
Vgl. Adler (1996), S. 5. Vgl. Kräkel (1999), S. 21. Vgl. Wenger/Terberger (1988), S. 506; Kräkel (1999), S. 21. Vgl. MasȬCollel/Whinston/Green (1995), S. 483. Vgl. Wirtz (2003), S. 31.
111
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
über dem Prinzipal seine Eigenschaften beispielsweise über Zeugnisse, Gütesiegel, Zertifizierungen etc. glaubhaft offen) und zum anderen ScreeȬ ningȬMaßnahmen des Prinzipals vorgeschlagen (der Prinzipal versucht, zusätzliche Informationen über den Agenten und dessen Glaubwürdigkeit einzuholen).1 Auswahl des Absatzmittlers
Der PrinzipalȬAgentȬAnsatz kann im Rahmen des MultiȬChannelȬ Marketings vor allem bei der Konfiguration von Mehrkanalsystemen eingeȬ setzt werden. Das Problem der Hidden Characteristics ergibt sich im MultiȬ ChannelȬMarketing beispielsweise bei der Auswahl der Absatzmittler. Dabei agiert der Absatzmittler als Agent im Auftrag des Herstellers (Prinzipal). Dem Hersteller sind vor Vertragsabschluss nicht alle Eigenschaften des AbȬ satzmittlers bekannt, so dass die Gefahr besteht, dass er aufgrund dieser Informationsasymmetrie einen Absatzmittler auswählt, der beispielsweise nicht seinen Anforderungen bezüglich Qualitätsstandards oder ZahlungsfäȬ higkeit genügt. Um einer adversen Selektion der Absatzmittler vorzubeugen, können vom Prinzipal verschiedene ScreeningȬInstrumente eingesetzt werden. BeispielȬ weise kann durch die Nutzung von Kreditratings (z. B. Moody’s, Standard & Poors) und Bonitätsauskünften (z. B. Creditreform) die InformationsasymȬ metrie bezüglich der Zahlungsfähigkeit verringert werden. Der Agent kann seinerseits dem Prinzipal durch den Einsatz von Zertifikaten ein Signal für ausreichende Leistungsqualität übermitteln. Dazu gehören z. B. Zertifikate für die Prozessqualität wie ISO 9200. Durch den Einsatz von Screening und Signalling wird die Informationsasymmetrie und somit die Unsicherheit bei der Auswahl der Absatzmittler reduziert.
Hidden Action
Die Problematik der Hidden Action entsteht durch Informationsasymmetrie nach dem Vertragsschluss, wenn der Prinzipal lediglich die Ergebnisse, nicht aber die Handlungen des Agenten kontrollieren kann. Hier besteht die GeȬ fahr eines so genannten Moral Harzard, d. h. dass der Agent seine SorgfaltsȬ pflicht vernachlässigt oder gegen die Interessen des Prinzipals handelt.2 Da der Agent nachvertraglich kein Interesse besitzen dürfte, seinen InformatiȬ onsvorsprung gegenüber dem Prinzipal zu verringern, beschränken sich die Maßnahmen zum Abbau der Informationsasymmetrie auf Aktivitäten des Prinzipals. Die PrinzipalȬAgentȬTheorie empfiehlt die Einrichtung von InȬ formationsȬ und Kontrollsystemen zur Beobachtung („Monitoring“) des Agenten oder die Herstellung von Zielkonvergenz zwischen Prinzipal und Agent durch entsprechende Anreizsysteme.3
1 2 3
112
Vgl. Spence (1973). Vgl. MasȬCollel/Whinston/Green (1995), S. 477. Vgl. Bea/Haas (2001), S. 374.
Ressourcentheoretischer Ansatz
6.5
Im Rahmen von Hidden Intention schließlich hat der Prinzipal unumȬ kehrbare, spezifische Investitionen in die Beziehung getätigt, die ihn von der zukünftigen Leistung des Agenten abhängig machen. Um zu vermeiden, dass der Agent diese Abhängigkeit zu seinem Vorteil ausnutzt (holdȬup), empfiehlt der PrinzipalȬAgentȬAnsatz, langfristige Verträge abzuschließen, vertikale Integrationen einzugehen oder die Interessen über gemeinsames Eigentum stärker zu vereinheitlichen.
Hidden Intention
In Bezug auf die Leistungsbeurteilung des Absatzmittlers herrscht beim Hersteller Unsicherheit, weil die Leistung nicht nur vom Verhalten des AbȬ satzmittlers, sondern auch von zahlreichen exogenen Faktoren abhängig ist (vgl. Kapitel B5). Zur Reduktion dieser Informationsasymmetrie bietet sich die Einrichtung eines eigenen, direkten Marketingkanals parallel zu den indirekten Kanälen an. So setzt McDonalds neben einem umfangreichen Franchisesystem auch eigene Restaurants zur Distribution ein.1 Durch die Nutzung eines direkten Marketingkanals kann der Hersteller die exogenen Einflüsse auf die Leistung des Absatzmittlers besser einschätzen und auf diese Weise die Informationsasymmetrie zwischen Prinzipal und Agent verringern. Das Problem der Hidden Action ist damit ein Treiber für die Verwendung verschiedener Marketingkanäle.
LeistungsbeurteiȬ lung des AbsatzȬ mittlers
6.5
Ressourcentheoretischer Ansatz
Der klassische ressourcentheoretische Ansatz, auch Ressourcentheorie oder ResourceȬbased View (RBV) genannt, versteht Unternehmen als Bündel von Ressourcen. Ferner geht er davon aus, dass sich Unternehmen durch ihre idiosynkratische, d. h. unternehmensspezifische Ressourcenausstattung voneinander unterscheiden. Die Annahme der Ressourcenheterogenität wird dabei auf Ineffizienzen der Faktormärkte zurückgeführt und ist im Rahmen des ResourceȬbased View insofern zentral, als Erfolgsunterschiede zwischen Unternehmen primär auf deren unterschiedliche ResȬ sourcenausstattung zurückgeführt werden. Der ressourcentheoretische AnȬ satz grenzt sich über seine interne Ausrichtung und die ResourcesȬConductȬ PerformanceȬWirkungskette klar vom StructureȬConductȬPerformanceȬParaȬ digma der klassischen Industrieökonomik ab.2
1 2
Vgl. Mols (2000), S. 227 f. Vgl. Wernerfelt (1984), S. 171 ff.; Peteraf (1993), S. 179 ff.; Penrose (1995), S. 5 ff.
113
Annahmen des ResourceȬbased View
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
Ressourcenbegriff f
Unter einem Produktionsfaktor werden im Rahmen des ResourceȬbased View undifferenzierte Inputgüter verstanden, die frei auf Faktormärkten erwerbbar sind.1 Sie bilden die notwendige Voraussetzung für sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens. Durch unternehmensinterne VeredelungsȬ prozesse werden aus Produktionsfaktoren Ressourcen entwickelt.2 RessourȬ cen bewirken nachhaltige Wettbewerbsvorteile und zeichnen sich gegenüber Produktionsfaktoren durch die Eigenschaften Werthaltigkeit, Knappheit, Langlebigkeit, begrenzte ImitierȬȱund Substituierbarkeit sowie unvollständiȬ ge Mobilität aus.3
CapabilityȬ based View
Der CapabilitiyȬbased View als spezifische Ausprägung des ressourcentheoȬ retischen Ansatzes gibt eine Antwort auf die Frage, wie ein ressourcenbaȬ sierter Wettbewerbsvorteil in überlegene Produkte und Leistungen am Markt übersetzt werden kann. Organisationale Fähigkeiten ermöglichen die geschickte Kombination von Ressourcen zur Generierung derartiger verȬ kaufsfähiger Produkte und Dienstleistungen, die sich von denen des WettȬ bewerbs unterscheiden und den Präferenzen der Nachfrager in besonderem Maß entsprechen.4 Organisationale Fähigkeiten stellen eine KoordinationsȬ leistung dar, die auf den sozialen Interaktionsmustern sowie dem Wissen und den Einzelfähigkeiten der Mitarbeiter basiert. Sie sind eine Form des regelbasierten kollektiven Verhaltens (Routine), welches durch wiederholte Ausübung erlernt wird und sich im Zeitverlauf entwickelt.
KernȬ kompetenzen
Eine besondere Art von Fähigkeiten sind die so genannten Kernkompetenzen, da ihnen überragende Wirkung zur Erzielung nachhaltiger WettbewerbsvorȬ teile und damit des langfristigen Unternehmenserfolgs zugesprochen wird. Kernkompetenzen zeichnen sich nach Ansicht von Prahalad und Hamel durch drei Merkmale aus.5 Zunächst eröffnet eine Kernkompetenz dem UnternehȬ men Zugang zu verschiedenen Geschäftsfeldern. Darüber hinaus sind sie auf eine Vielzahl von Produkten, Diensten und/oder Kundengruppen transferierȬ bar. Dabei bilden die Kernkompetenzen eines Unternehmens die Basis für dessen Kernprodukte. Diese Kernprodukte sind häufig selbst nur Inputgüter für die Endprodukte des Unternehmens (vgl. Abbildung 6Ȭ9). Prahalad und Hamel (1990) nennen hier exemplarisch die Kompetenz eines ElektionikunȬ ternehmens, Displays als Kernprodukte zu erstellen. Das Unternehmen könnte mit dieser Kompetenz z. B. die Märkte für Notebooks, Mobiltelefone, Handhelds und Fahrzeugcomputer bedienen.
1 2 3 4 5
114
Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 516. Vgl. Freiling (2001), S. 22. Vgl. Barney (1991), S. 101 ff. Vgl. im Folgenden Burmann (2002), S. 153 ff. Vgl. im Folgenden Prahalad/Hamel (1990), S. 79 ff.
Ressourcentheoretischer Ansatz
Kernkompetenzen1
6.5 Abbildung 6Ȭ9
Endprodukte/Endservices 1
2
3
Geschäftsfeld (GF) 1
4
5
6
7
Geschäftsfeld (GF) 2
8
9
10
11
12
Geschäftsfeld (GF) 3
Geschäftsfeld (GF) 4
Kernkompetenz 3
Kernkompetenz 4
Kern-Produkt/ Kern-Service 2
Kern-Produkt/ Kern-Service 1
Kernkompetenz 1
Kernkompetenz 2
Bei der Suche nach Ressourcen, die die Kriterien hohe Firmenspezifität, relative Knappheit, besondere Werthaltigkeit sowie schwere Imitierbarkeit und Substituierbarkeit in hohem Maße erfüllen und damit für den Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile genutzt werden können, wurde der Fokus vieler Forscher auf immaterielle Ressourcen – insbesondere die WissensresȬ source – gelenkt.2 Im KnowledgeȬbased View, einer Ausprägung des resȬ sourcenorientierten Ansatzes, wird Wissen als Grundlage von Core Assets und Kernkompetenzen und damit als wichtigste Quelle nachhaltiger WettȬ bewerbsvorteile für Unternehmen erachtet. Wissen wird von Individuen subjektiv konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen über UrsacheȬ Wirkungszusammenhänge.3 Es entsteht in der sozialen Interaktion und muss sich in dieser bewähren, um dann verworfen oder institutionalisiert zu werden.
KnowledgeȬbased View
Der Dynamic CapabilitiesȬAnsatz stellt eine Weiterentwicklung des ressourȬ centheoretischen Ansatzes dar. Er erweitert ihn um eine zeitraumȬȱ bzw. zeitpfadabhängige Dimension, wobei insbesondere organisationalen ProzesȬ sen eine erfolgskritische Bedeutung zugesprochen wird. Diese Prozesse sind in der Lage, neue Ressourcenkombinationen herbeizuführen und auf diese Weise eine Anpassung des Unternehmens an veränderte UmweltbedingunȬ
Dynamic CapaȬ bilitiesȬAnsatz Ȭ
1 2 3
In Anlehnung an Prahalad/Hamel (1990), S. 81. Vgl. Burmann (2002), S. 185. Vgl. Probst/Raub/Romhardt (1998), S. 44.
115
6
Theoretische Grundlagen des Multi-Channel-Marketings
gen zu realisieren.1 Unter den organisationalen Prozessen wiederum lassen sich KoordinationsȬ/IntegrationsȬ, LernȬ und Transformationsfähigkeiten subsumieren. Determiniert werden die organisationalen Prozesse von den Positionen und Pfaden des Unternehmens. Als organisationale Positionen werden beispielsweise technologische und strukturelle Assets aufgeführt, die den IstȬZustand der Organisation abbilden. Organisationale Pfade umȬ fassen zurück liegende Investitionen und das Spektrum verfügbarer RoutiȬ nen,2 d. h. die Wege, auf denen der IstȬZustand erreicht wurde und die von dieser Position aus möglichen Entwicklungspfade. Ressourcentheoretische Überlegungen sind grundsätzlich dazu geeignet, die Vorteilhaftigkeit von Mehrkanalstrategien zu begründen. So wird im Rahmen des Dynamic CapabilitiesȬAnsatzes die Bedeutung der Replikationsfähigkeit als spezifische dynamische Fähigkeit für den nachhaltigen UnternehmenserȬ folg betont. Unter Replikation wird dabei die Vervielfältigung bereits im UnȬ ternehmen vorhandener Ressourcen und Fähigkeiten verstanden.3 Zur RepliȬ kation nutzt ein Unternehmen seine bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten, um in neue Märkte zu expandieren.4 Im Zuge des Aufbaus neuer Marketingkanäle können bereits bestehende Ressourcen und Fähigkeiten eingesetzt werden. Das Unternehmen führt damit eine Replikation durch, transferiert also eine Ursache nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und hat so die Möglichkeit, auch in einem neuen Markt eine überlegene Wettbewerbsposition aufzubauen. Als Beispiel kann die Etablierung eines Onlinevertriebs durch KarstadtȬQuelle angeführt werden. Dort wurden eine bestehende Logistikinfrastruktur und eine etablierte Marktposition genutzt, um zusätzlich zum bestehenden VersandhandelsgeȬ schäft einen OnlineȬMarketingkanal zu schaffen, der zu den Marktführern im EȬCommerce in Deutschland gehört.5 Für Unternehmen, die Mehrkanalsysteme unterhalten, sind insbesondere die Kundenbeziehungsfähigkeit und die vertikale Kooperationsfähigkeit als zentȬ rale Fähigkeiten hervorzuheben.6 Kundenbeziehungsfähigkeit bezieht sich auf die Endabnehmer und bezeichnet die Fähigkeit, langfristige Beziehungen zu Kunden auszubauen und damit einen hohen Kundenwert zu generieren. Dazu sind z. B. im Industriegüterbereich intensive Kommunikation und KoȬ ordination mit den jeweiligen Kunden erforderlich.7 Eine KooperationsfähigȬ keit in der Distribution ist das Äquivalent der Kundenbeziehungsfähigkeit 1 2 3 4 5 6 7
116
Vgl. Eisenhardt/Martin (2000), S. 1107. Vgl. Teece/Pisano/Shuen (1997), S. 510 ff. Vgl. Burmann (2002), S. 187 ff. Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), S. 8. Vgl. Holtrop/Döpfner/Wirtz (2004), S. 168 ff. Vgl. Day (1994), S. 41. Vgl. Day (1994), S. 45.
Ressourcentheoretischer Ansatz
und betrifft die effektive und erfolgreiche Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittler.1 Wichtige Faktoren, die eine vertikale KooperationsfähigȬ keit konstituieren, sind beispielsweise die Identifikation potenzieller AbsatzȬ mittler sowie die Überwachung und Koordination der laufenden Beziehung.2 Die der Kooperationsfähigkeit zugrunde liegende Zielsetzung besteht in der Maximierung des Absatzmittlerwerts. Die Kanalbindungsfähigkeit betrifft die Kanalmitglieder und beschreibt die Fähigkeit, eine effiziente Koordination der Kanalmitglieder untereinander sicherzustellen. Die genannten Fähigkeiten können im MultiȬChannelȬMarketing beispielsȬ weise innerhalb einer MultiȬChannelȬMarketingȬAbteilung lokalisiert sein, deren Aufgabe in der Koordination der MarketingȬ und Vertriebsaktivitäten über mehrere Kanäle hinweg besteht (vgl. Kapitel E4).3 Die Fähigkeiten sind vor allem aufgrund der langen Zeiträume, die zu ihrem Aufbau benötigt werden und der Intransparenz der zugrunde liegenden Kausalbeziehungen von Wettbewerben nur schwer imitierbar und können daher eine Quelle langfristiger Wettbewerbsvorteile darstellen.
1 2 3
Vgl. Johnson/Sohi (2003), S. 757. Vgl. Simonin (1997), S. 1155. Vgl. Kale/Dyer/Singh (2002), S. 750.
117
6.5
Teil C Strategisches MultiȬ ChannelȬMarketing
Ressourcentheoretischer Ansatz
6.5
1 Einführung Die Zielsetzung von Teil C ist, den Prozess des strategischen MultiȬChannelȬ Marketings darzustellen. Der Prozess gliedert sich in vier Bereiche, die aufȬ einander aufbauend den gesamten Verlauf einer idealtypischen Entwicklung von Mehrkanalstrategien undȱȬsystemen aufzeigen. Kapitel 2 bis 4 orientieȬ ren sich überwiegend an der allgemeinen Vorgehensweise des PlanungsproȬ zesses für das strategische Marketing im Unternehmen. Als Ergebnisse reȬ sultieren sich die strategische Ausgangslage der Unternehmung, MarktsegȬ mentierungen sowie die Strategiedefinition im Mehrkanalsystem. Das fünfte Kapitel setzt direkt an der Strategiedefinition an und beinhaltet spezielle Planungsstufen für das Design des Mehrkanalsystems. Abbildung 1Ȭ1 veranȬ schaulicht, wie der übergeordnete Planungsprozess sich zum Designprozess des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems verdichtet.
Planungsprozess im strategischen MultiȬChannelȬ Marketingg
Prozess des strategischen MultiȬChannelȬMarketings
Abbildung 1Ȭ1
SWOT-Analyse Analyse der unternehmensexternen Einflussfaktoren
Analyse der unternehmensinternen Einflussfaktoren
Geografische Marktsegmentierung
Psychografische
Marktsegmentierung Nutzenorientierte Marktsegmentierung Soziodemografische Verhaltensorientierte Marktsegmentierung Marktsegmentierung Definition der Marktbearbeitungsstrategie
• Ermittlung zielgruppenspezifischer Kanäle
Bestimmung der Form des MCM-systems • Bestimmung der Stufenzahl
• Bedeutung absatzmittler- • Bestimmung der gerichteter Strategien Positionierung • Bestimmung des • Anpassungs-, Umgehungs-, Konflikt-, Differenzierungsgrads und Kooperationsstrategie
Selektion der Kanäle des MCM-Systems
Marktsegmentierungen
Strategiedefinition zur Ableitung der unternehmensindividuellen MCMStrategie
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategien
Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie
Analyse der strategischen Ausgangssituation
Auswahl der Channel-Mitglieder
• Kriterien zur Absatzkanalselektion
• Segmentierungsansätze auf Absatzmittlerebene
• Qualitative und quantitative Verfahren der Absatzkanalselektion
• Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
Design des MultiChannel-MarketingSystems
• Selektionsentscheidung und Berücksichtigung des Anpassungsbedarfs
121
1
Einführung
SituationsȬ analyse
Strategische Entscheidungen sind langfristig angelegt und sollen dazu beiȬ tragen, den Wettbewerbsvorteil der Unternehmung zu sichern oder auszuȬ bauen. Der Planungsprozess zur Strategieentwicklung im Marketing beginnt mit einer allgemeinen Unternehmensanalyse, um unternehmenseigene StärȬ ken und Schwächen sowie Chancen und Bedrohungen der Umwelt zu idenȬ tifizieren und dadurch einen möglichst vollständigen Überblick der AusȬ gangssituation zu erhalten.1 Diese sogenannte Situationsanalyse ist bei einer Mehrkanalstrategie besonders wichtig, um die speziellen Anforderungen an das MultiȬChannelȬMarketing zu verstehen und gegebenenfalls ZieldefinitiȬ onen und Planungsprozesse anzupassen.2 Dieses Vorgehen wird im zweiten Kapitel genauer dargestellt.
MarktȬ t segmentierung g
Aufbauend auf der strategischen Ausgangssituation erfolgt eine SegmentieȬ rung des Marktes, um eine zielgruppenspezifische, erfolgreiche MarktbearȬ beitung zu erreichen.3 Aus einer Vielzahl von möglichen SegmentierungskriȬ terien werden im dritten Kapitel die geografischen, soziodemgrafischen, verhaltensorientierten, psychografischen und nutzenorientierten Kriterien diskutiert und darüber hinaus Besonderheiten in Bezug auf das MultiȬ ChannelȬMarketing aufgezeigt.
StrategieȬ definition
Im vierten Kapitel folgt auf Basis der Marktsegmentierung die StrategiedefiȬ nition der Marktbearbeitung, um eine unternehmensindividuelle MultiȬ ChannelȬMarketingȬStrategie abzuleiten. Hierbei werden zwischen der unȬ differenzierten, differenzierten und konzentrierten Strategie unterschieden und allgemeine Strategien in Bezug auf Wettbewerber und Endabnehmer dargestellt.
MultiȬChannelȬ Designprozess
Das letzte Kapitel ist dem Design des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems gewidmet und orientiert sich an einem vierstufigen Planungsprozess. Im ersten Stritt werden aufbauend auf der Marktsegmentierung und der StrateȬ giedefinition potenzielle Marketingkanäle ermittelt und mit der absatzmittȬ lergerichteten Strategie abgeglichen. Im Anschluss wird die Form des MultiȬ ChannelȬMarketingȬSystems für die differenzierte Ausgestaltung der Kanäle bestimmt. Der dritte Schritt beschäftigt sich mit der Identifikation spezieller Anforderungen an die Kanäle, um auf dieser Basis eine gezielte KanalausȬ wahl vornehmen zu können. Der Designprozess schließt mit der Auswahl und Aufgabendefinition der beteiligten Absatzmittler ab, um deren FunktiȬ on im Mehrkanalsystem zu präzisieren. Abbildung 1Ȭ2 dient zur Übersicht der Struktur von Teil C und verdeutlicht den Prozess im strategischen MultiȬ ChannelȬMarketing.
1 2 3
122
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 460 f. Vgl. auch Kapitel 4 in Teil B. Vgl. Meffert (2000), S. 269.
Einführung
Abbildung 1Ȭ2
Struktur des Teils C Analyse der strategischen Unternehmenssituation
1
Marktsegmentierung im Multi-ChannelMarketing
Strategiedefinition des Multi-ChannelMarketings
Design des MultiChannel-MarketingSystems
• Unternehmensexterne Einflussfaktoren
• Geografische Marktsegmentierung
• Marktbearbeitungsstrategie
• Strategie im vertikalen Marketing
• Unternehmensinterne Einflussfaktoren
• Soziodemografische Marktsegmentierung
• SWOT-Analyse
• Verhaltensorientierte Marktsegmentierung
• Konkurrenz- und abnehmergerichtete Strategie
• Wahl der Form des MultiChannel-MarketingSystems
• Psychografische Marktsegmentierung • Nutzenorientierte Marktsegmentierung
• Selektion der Kanäle des Multi-Channel-MarketingSystems • Auswahl der ChannelMitglieder und der Kooperationsstrategie
123
2
Analyse der strategischen Unternehmenssituation
2 Analyse der strategischen Unternehmenssituation
Um eine unternehmensindividuelle MultiȬChannelȬMarketingȬStrategie abzuleiten, bedarf es zunächst einer systematischen Analyse der strategiȬ schen Unternehmenssituation. Diese kann durch eine Reihe verschiedener interner und externer Faktoren dargestellt werden. Hierbei finden in AbȬ schnitt 2.1 die im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings relevanten exterȬ nen Einflussfaktoren sowie in Abschnitt 2.2 die unternehmensinternen FakȬ toren eine angemessene Berücksichtigung. Die strategische Situationsanalyse vereint die Prognose möglicher VerändeȬ rungen von Rahmenbedingungen, die auf die MarketingȬ und DistributionsȬ strategie einwirken, die Ermittlung der dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume und die Abschätzung der Stärken und Schwächen des Unternehmens. Die Vollständigkeit und Genauigkeit der erfassten Informationen sind dabei wesentlich für die auf der SituationsanaȬ lyse aufbauenden strategischen Planung. Um die unternehmensinternen undȱ Ȭexternen Einflussfaktoren zusammenȬ zuführen und daraus strategische Implikationen für ein Unternehmen ableiȬ ten zu können, bietet sich mit der so genannten SWOTȬ T Analyse ein geeigneȬ tes Instrument an (vgl. Abschnitt 2.3). Die Untersuchung der externen und internen Faktoren ist dabei der Ausgangspunkt, um ein Verständnis der strategischen Situation zu erhalten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung T Abgleich aggregiert, um daraus StrategieoptiȬ werden dann in einem SWOTȬ onen zu gewinnen. Abbildung 2Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 2Ȭ1
Struktur des Kapitels Unternehmensexterne Einflussfaktoren
Unternehmensinterne Einflussfaktoren
• Identifikation von Chancen
• Identifikation von Stärken
• Identifikation von Risiken
• Identifikation von Schwächen
124
SWOT-Analyse
• Abgleich von Chancen/Risiken und Stärken/Schwächen
Unternehmensexterne Einflussfaktoren
2.1
2.1
Unternehmensexterne Einflussfaktoren
Ein konstituierendes Merkmal einer MulitȬChannelȬMarketingȬStrategie ist der Bezug zur unternehmerischen Umwelt. Ziel der Strategieentwicklung muss es sein, eine Anpassung des Unternehmens an die Umwelt zu erreiȬ chen oder, wenn möglich, die Umwelt im Sinne der Unternehmensziele zu beeinflussen.1 Ausgangspunkt der Strategieentwicklung ist daher die AnalyȬ se der Unternehmensumwelt. Mit ihrer Hilfe können Chancen (OpportuniȬ ties) und Bedrohungen (Threats) identifiziert werden, die aus VeränderunȬ gen im Unternehmensumfeld resultieren. Im Rahmen der Analyse der unȬ ternehmensexternen Einflussfaktoren wird zwischen der Makroumwelt und der Aufgabenumwelt unterschieden. Zur Makroumwelt gehören diejenigen Faktoren, die vom Management kaum beeinflussbar sind und daher als unkontrollierbare Variablen bzw. Entscheidungsdaten angesehen werden müssen. Dazu zählen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Aktionsspielraum des MultiȬ ChannelȬMarketings erheblich einschränken. Allgemein lassen sich EntwickȬ lungen in der Makroumwelt durch Frühwarnsysteme, Prognoseverfahren und Szenariotechniken antizipieren und beurteilen.
Makroumwelt
Die Faktoren, die unmittelbare Auswirkungen auf die UnternehmensaktiviȬ täten haben und zumindest in gewissem Maß durch das Unternehmen geȬ staltbar sind, werden als Aufgabenumwelt bezeichnet.2 Aufgrund der aktiȬ ven Beeinflussung durch das Management ist die Aufgabenumwelt SchwerȬ punkt dieses Abschnitts. Aus Sicht des MultiȬChannelȬMarketings sind das Nachfrageverhalten, die Wettbewerbssituation und das Potenzial eines MarȬ ketingkanals wichtige Faktoren der Aufgabenumwelt.3
Aufgabenumwelt
Durch Veränderungen auf den Absatzmärkten können erhebliche Chancen, aber auch Bedrohungen für das Unternehmen entstehen. Wenn sich das Einkaufsverhalten der Abnehmer ändert, die Konsumenten z. B. vermehrt OnlineȬShoppingȬMöglichkeiten nutzen, entsteht einerseits eine Bedrohung für traditionelle Marketingkanäle, weil mit Umsatzeinbußen zu rechnen ist. Andererseits bietet sich für einen Hersteller auch die Chance, durch die Etablierung eines eigenen Vertriebs über das Internet, an dieser UmsatzverȬ schiebung zu partizipieren und unter Umständen durch die Umgehung von Absatzmittlern höhere Margen zu erzielen.
Analyse des NachfrageȬ verhaltens
1 2 3
Vgl. Welge/AlȬLaham (2001), S. 183. Vgl. Meffert (2000), S. 29. Vgl. Ahlert (1996) S. 40; Specht (1998), S. 120 ff.
125
2
Analyse der strategischen Unternehmenssituation
Abgeleitete Nachfrage
Bestimmte Unternehmen sollten bei der Analyse der Absatzmärkte zusätzȬ lich beachten, dass sie einer abgeleiteten Nachfrage gegenüberstehen.1 Dies gilt z. B. für Automobilzulieferer, die ihre Produkte an Automobilhersteller liefern. Zwar sind die Hersteller ihre unmittelbaren Kunden, die Nachfrage nach Autoteilen leitet sich jedoch wesentlich aus der Endnachfrage nach Automobilen ab. Veränderungen der Präferenzstruktur auf den EndkunȬ denmärkten können erhebliche Auswirkungen auf die Vorlieferanten haben. Daher sollten diese Unternehmen den Endkundenmarkt bei der Analyse der Nachfrageentwicklung mit berücksichtigen.
WettbewerbsȬ analyse
Ziel der Wettbewerbsanalyse ist es, ein möglichst umfassendes Bild der Stärken und Schwächen der Hauptwettbewerber zu gewinnen. Dabei ist nicht nur die gegenwärtige Wettbewerbssituation, sondern auch die mögliȬ che zukünftige Entwicklung mit einzubeziehen, weil sich die Struktur des Wettbewerbsumfelds schnell wandeln kann. Eine der ausschlaggebenden Entwicklungen besonders für das MultiȬChannelȬMarketing war die EvoluȬ tion des Internets und der Telekommunikationstechnologien und die damit entstandenen Möglichkeiten, neue Marketingkanäle zu nutzen. Porter (1997) schlägt zur Vorhersage des Reaktionsprofils von Wettbewerbern vor, folgenȬ de vier Konkurrenzmerkmale zu untersuchen (vgl. auch Abbildung 2Ȭ2):2
Zukünftige Ziele: Der Vergleich zwischen der gegenwärtigen strategiȬ schen Position und den Zielen der Wettbewerber erlaubt Aussagen über ihre wahrscheinlichen zukünftigen Handlungen, z. B. einen StrategieȬ wechsel.
Annahmen der Wettbewerber: Das Verhalten der Wettbewerber wird von den Prämissen beeinflusst, die sie ihren Entscheidungsmodellen zugrunde legen. Darüber hinaus können Pfadabhängigkeiten durch EntȬ scheidungen in der Vergangenheit den Handlungsspielraum in der GeȬ genwart beeinträchtigen.
Strategie: Die derzeitig verfolgte Strategie bestimmt maßgeblich das derzeitige Handeln und sollte deshalb ein Schwerpunkt der KonkurȬ renzanalyse sein.
Ressourcen: Die Ressourcen der Wettbewerber determinieren die MögȬ lichkeiten, Strategiealternativen umsetzen zu können. Ihre Analyse erȬ möglicht eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der WettbewerȬ ber bestimmte Strategien verfolgen werden.
1 2
126
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 481 f. Vgl. Porter (1997), S. 78 ff.
Unternehmensexterne Einflussfaktoren
Wettbewerberanalyse nach Porter1
Abbildung 2Ȭ2
Ziele der Wettbewerber
Annahmen • Grundlage strategischer Entscheidungen
• Ziel-Position-Vergleich • Prognose zukünftiger Verhaltensweisen
Reaktionsprofil
Strategie • Gegenwärtige Strategie bestimmt derzeitiges Handeln
• Pfadabhängigkeiten
Ressourcen • Determinieren Umsetzung von Strategien
Die kontinuierliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Marketingkanäle ist vor dem Hintergrund zahlreicher Chancen und Bedrohungen ein zentraȬ ler Bestandteil der Situationsanalyse und Voraussetzung einer erfolgreichen Strategiefindung.2 Bei der Analyse des Marketingkanalpotenzials sind vor allem das wirtschaftliche Potenzial eines Kanals, die logistischen GegebenȬ heiten und die Eigenschaften der Absatzmittler zu berücksichtigen. Das wirtschaftliche Potenzial eines Kanals ergibt sich unter anderem aus dem gesamten Absatzvolumen und dem Absatzwachstum, der Zahl der verfügbaren Absatzmittler, der Kosteneffizienz und dem Image des gesamȬ ten Marketingkanals. Bei der Analyse der logistischen Gegebenheiten sind u. a. die verfügbaren Lagerkapazitäten, die Effizienz der LogistikabwickȬ lung, die Lieferqualität und die ITȬ T Ausstattung zu untersuchen. Darüber hinaus ist im Rahmen der Potenzialanalyse eines Kanals die UnterȬ suchung der Eigenschaften der Absatzmittler von Bedeutung. Dabei werden ökonomische Merkmale, wie z. B. die Größe und Finanzkraft, das Sortiment, das Image, der Standort, die Machtstellung im Marketingkanal sowie ManaȬ gementaspekte, wie z. B. Marketingerfahrung oder DistributionsȬKnowȬ how, zur Beurteilung herangezogen.3 Veränderungen bezüglich der MerkȬ male eines Absatzmittlers können auch für andere Mitglieder erhebliche Folgen haben. So hat z. B. die KarstadtQuelle AG im Rahmen des SanieȬ rungskonzepts im Jahr 2006 auch von den Lieferanten umfangreiche PreisȬ nachlässe als Beitrag zur Sanierung gefordert. Die nachlassende Finanzkraft eines Absatzmittlers kann auf diese Weise die Gewinnposition beeinträchtiȬ gen oder sogar die Existenz des Herstellers bedrohen.
1 2 3
2.1
Vgl. Porter (1997), S. 80. Vgl. Specht (1998), S. 122 f. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 204 f.
127
Analyse des MarketingkanalȬ potenzials
2
Analyse der strategischen Unternehmenssituation
2.2
Unternehmensinterne Einflussfaktoren
Die Unternehmensanalyse stellt einen weiteren wichtigen Baustein der straȬ tegischen Analyse dar. Sie soll dazu beitragen, Stärken und Schwächen des Unternehmens zu ermitteln, welche die Umsetzung von Strategien fördern oder behindern können. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist u. a. die IdentifikaȬ tion von unternehmensspezifischen Ressourcen und Fähigkeiten, die für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen geeignet sind.1 Analyse der Wertekette
Als Bezugsrahmen für die unternehmensinterne Analyse kann das Konzept der Wertekette genutzt werden. Die Wertekette dient der funktionalen StrukȬ turierung der innerbetrieblichen Abläufe, um Ansatzpunkte für die ErzieȬ lung von Wettbewerbsvorteilen zu identifizieren.2Hierbei werden die wertȬ schaffenden Aktivitäten in Primäraktivitäten und unterstützende Aktivitäten unterteilt (vgl. Abbildung 2Ȭ3).
Wertekette nach Porter im Kontext des MultiȬChannelȬMarketings3
Abbildung 2Ȭ3
Unternehmensinfrastruktur
Ge
Unterstützende Aktivitäten
Rechnungswesen; Finanzierung; Controlling; Geschäftsführung
P Personalwirtschaft f
ne an nsp win
Personalwirtschaft im Distributionsbereich: P i Z. B. Rekrutierung r von ChannelManagern, Zusammenstellung M u von Multi-Channel-Teams a
Technologieentwicklung h u Einsatz von IT-Systemen im E m Multi-Channel-Marketing: g Supply-Chain-Management, Warenwirtschaftssysteme m t
Beschaffung
Operationen (Produktion)
Relevante Tätigkeiten: Kanalspezifische Gestaltung des MarketingMix; Intra-Channel und Inter-ChannelIntegration
Kundendienst Relevante Tätigkeiten: z.B. Kundenbetreuung in der Nachkaufphase
wi
Relevante Tätigkeiten: z.B. Warenausgangslagerhaltung (Lagermengen, Umschlagsleistungsgrad, Warenhandling), Kommissionierung, Verpackung
Marketing & Vertrieb
nn s p ann e
Relevante Tätigkeiten: Kanalspezifische Abstimmung der Produktion
Ausgangslogistik
Ge
Eingangslogistik
Primäre Aktivitäten
Primäre und unterstützende Aktivitäten
Primäre Aktivitäten befassen sich mit der physischen Produktion und der Weiterleitung des Produkts an den Kunden. Dazu zählen der Eingang von Materialien, die Erstellung der Produkte, die Ausgangslogistik, die ProduktȬ vermarktung sowie die AfterȬSalesȬAktivitäten. Darüber hinaus gibt es unȬ 1 2 3
128
Vgl. Barney (1991), S. 99 ff. Vgl. Porter (1992). S. 62. Vgl. Porter (1992), S. 62.
Unternehmensinterne Einflussfaktoren
2.2
terstützende Aktivitäten, die während des gesamten WertschöpfungsprozesȬ ses notwendig sind und auf die einzelnen Primäraktivitäten einwirken. Dazu zählen insbesondere die Unternehmensbereiche Personal, TechnoloȬ gieentwicklung, Beschaffung und die Unternehmensinfrastruktur. Betrachtet man die einzelnen Wertaktivitäten in Abbildung 2Ȭ3, so kann festgestellt werden, dass nicht alle Unternehmensbereiche für die unternehȬ mensinterne Analyse von Stärken und Schwächen im MultiȬChannelȬ Marketing relevant sind. So sind z. B. die Aktivitäten in der Beschaffung und der Eingangslogistik für das Management von Mehrkanalsystemen von untergeordneter Bedeutung. Wesentlich wichtiger sind hingegen die AktiviȬ täten in Marketing und Vertrieb, in der Technologieentwicklung und in der Ausgangslogistik.
MehrkanalspeziȬ fische Aspekte der Wertekette
Stärken und Schwächen in Marketing und Vertrieb haben erhebliche AusȬ wirkungen auf Strategien in Mehrkanalsystemen. Wenn beispielsweise im Vertrieb kein ausreichendes KnowȬhow für die Einführung eines neuen Marketingkanals vorhanden ist, kann eine derartige Strategie unter UmȬ ständen aus eigenen Kräften nicht umgesetzt werden. Fehlende IntegratiȬ onskompetenz in der Marketingabteilung kann die Abstimmung zwischen den einzelnen Kanälen erheblich behindern. Eine Analyse der WertaktivitäȬ ten in Marketing und Vertrieb ist eine Möglichkeit, Schwächen aufzudecken und rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten, die eine Strategieumsetzung erȬ möglichen. In den angeführten Fällen ist es z. B. möglich, durch die EinȬ schaltung externer Berater oder den unternehmensinternen Aufbau eigener Kompetenzen Schwächen zu beheben. Innovative ITȬ T Entwicklungen in Marketingkanälen haben Unternehmen teilweise erhebliche Wettbewerbsvorteile verschafft. Dies gilt beispielsweise für ITȬ T basierte Logistikanwendungen, mit denen Lagerhaltungskosten und Kapitalbindung deutlich gesenkt werden können. Daher gewinnen die unȬ terstützenden Aktivitäten im Bereich der Technologieentwicklung im MultiȬ ChannelȬMarketing erheblich an Bedeutung. Fehlende Kompetenzen in diesen Bereichen führen nicht nur zu Nachteilen im Vergleich zu unmittelȬ baren Wettbewerbern. Sie machen ein Unternehmen auch für HandelspartȬ ner unattraktiv, wenn es nicht in der Lage ist, sich mit den ITȬ T Systemen der Abnehmer zu vernetzen. Die Ausgangslogistik ist in vielen Fällen eng an die Technologieentwicklung gekoppelt, da ITȬ T Systeme häufig als Treiber für neue Prozesse wirken. Im MultiȬChannelȬMarketing ist die Logistik ein zentraler Prozess, weil die Belieferungen verschiedener Kanäle koordiniert werden müssen. Schwächen in der Ausgangslogistik können zu Fehllieferungen oder LieferverzögerunȬ gen beitragen, was die Kundenzufriedenheit erheblich beeinträchtigt.
129
Bedeutung unterȬ r stützender WertȬ t aktivitäten
Abbildung 2Ȭ4
Nach der sorgfältigen Analyse bestehender Stärken und Schwächen innerȬ halb der für das MultiȬChannelȬMarketing relevanten Wertschöpfungsstufen lässt sich mit den Ergebnissen dieser Analyse ein detailliertes StärkenȬ SchwächenȬProfil erstellen. Ein solches Profil kann weiter als AusgangsȬ punkt dafür genutzt werden, bestehende Stärken weiter auszubauen, beȬ sonders aber um identifizierte Schwächen zu beseitigen. Abbildung 2Ȭ4 stellt beispielhaft ein StärkenȬSchwächenȬProfil für ausgewählte Aktivitäten mit den Implikationen für das MultiȬChannelȬMarketing dar.
StärkenȬSchwächenȬProfil Aktivität
Stärken
Das StärkenȬ SchwächenȬ Profill ȱ
Analyse der strategischen Unternehmenssituation
Schwächen
2
2.3
Art der Stärke/Schwäche
Implikationen für das MCM
• Technologieentwicklung
• Sehr fortschrittliches ITSystem, wie z. B. Warenwirtschaftssystem
• Möglichkeit, verschiedene Kanäle informationstechnologisch gut aufeinander abzustimmen
• Organisation/Kultur
• Flache Hierarchien • Offene Kultur
• Grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber Veränderungen, also auch gegenüber neuen Kanälen
• Ausgangslogistik
• Geringe Informationsweitergabe • Dezentrales Warenlager
• Probleme könnten sich verschärfen, wenn neue Kanäle hinzugefügt werden • Eventuell zentrales Warenlager empfehlenswert
• Kundendienst
• Lange Abwicklungszeiten bei Retourenabwicklungen • Ineffizienzen vorhanden
• Kundenunzufriedenheit kann sich weiter erhöhen, wenn neue Kanäle entstehen • Zentrale Kundendatenbank
SWOT-Analyse
Das Spiegeln des eigenen StärkenȬSchwächenȬProfils an Chancen und BeȬ drohungen bietet vor allem die Möglichkeit, eine Priorisierung bei der EntȬ wicklung firmeneigener Ressourcenpositionen vorzunehmen, um so SchwäȬ chen gezielt zu beseitigen bzw. Stärken weiterzuentwickeln.1 Dieser AbȬ gleich hat wiederum starke Implikationen für das Unternehmensziel, die Zieldefinition und den Planungsprozess und kann einerseits die offensive Marktentwicklung oder andererseits die defensive Absicherung der eigenen Wettbewerbsposition bedeuten.2 1 2
130
Vgl. Meffert (2000), S. 68. Vgl. Valentin (2001), S. 63.
SWOT-Analyse
Erschließen sich beispielsweise durch veränderte Rahmenbedingungen neue Geschäftsfelder (wenn z. B. die demografische Entwicklung die Nachfrage nach Altersvorsorge fördert), so kann eine starke Ressource wie ein dichtes Vertriebsnetz dazu genutzt werden, durch umfassende Beratung auf diese veränderten Rahmenbedingungen zu reagieren und den Absatz in den entȬ sprechenden Produktkategorien zu erhöhen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass Unternehmen eine sich entwickelnde Chance (den DirektȬ vertrieb) nicht profitabel nutzen können, weil sie sich der Sanktionsgefahr einflussreicher Absatzmittler ausgesetzt sehen. Als Gefahr für ein Unternehmen könnte ein Wechsel im Kundenverhalten gelten. So hat sich das SuchȬȱ und Kaufverhalten durch das Internet stark geändert, da Konsumenten vermehrt Informationen im Internet suchen, um dann im stationären Handel zu kaufen.1 Ein Unternehmen mit einem ausgeȬ prägten Mehrkanalsystem kann diese Gefahr jedoch dadurch abwenden, dass es durch verschiedene Marketingkanäle die entsprechenden KundenȬ wünsche erfüllt. Auf der anderen Seite kann eine Gefahr, wie z. B. die NachȬ frage eines besonders ertragsstarken Kundensegments nach einem leistungsȬ fähigen Internetvertrieb dann zum Problem werden, wenn das UnternehȬ men Schwächen, wie z. B. fehlende Ressourcen zum Aufbau eines Internetvertriebs, in diesem Bereich aufweist. Abbildung 2Ȭ5 fasst die aufgeȬ führten Beispiele in einem möglichen SWOTȬ T Abgleich im MultiȬChannelȬ Marketing noch einmal zusammen.
1
Vgl. Fritz (2004), S. 118 f.
131
2.3
Beispielhafte SWOTȬ T Analyse im Mehrkanalsystem
Unternehmensexterne Einflussfaktoren
Strength
Opportunities
Weaknesses
Abbildung 2Ȭ5
Analyse der strategischen Unternehmenssituation
Unternehmensinterne Einflussfaktoren
2
Threats
Ein Unternehmen mit einem dichten Vertriebsnetz profitiert von der demografischen Entwicklung.
Veränderungen im Such- und Kaufverhalten werden durch den bestehenden Kanalmix bedient.
(Chancen werden mit Unternehmensstärken ausgenutzt)
(Gefahren können mit Unternehmensstärken abgewehrt werden)
Ein profitabler Direktvertrieb kann aufgrund von Sanktionen durch Absatzmittler nicht wahrgenommen werden.
Ein ertragsstarkes Kundensegment fragt einen beim Unternehmen derzeit nicht bestehenden Internetvertrieb nach.
(Chancen werden aufgrund von Unternehmensschwächen nicht ausgenutzt)
(Gefahren bedrohen die aktuelle Schwächeposition)
Die angeführten Beispiele zeigen, dass der SWOTȬ T Analyse im komplexer werdenden Marktumfeld des MultiȬChannelȬMarketings eine besondere Bedeutung zukommt, um gezielt auf Veränderungen zu reagieren. Weiterhin hat sich gezeigt, dass es besonders auf eine zielgruppenspezifische AusgesȬ taltung des Mehrkanalsystems ankommt, da so differenzierte Strategien implementiert werden können. Um jedoch Zielgruppen systematisch zu bedienen, bedarf es einer Segmentierung des Marktes. Möglichkeiten der Segmentierung werden im folgenden Kapitel näher betrachtet.
132
SWOT-Analyse
2.3
3 Marktsegmentierung im MultiChannel-Marketing
Im Rahmen der Marktbearbeitung im MultiȬChannelȬMarketing ist es sinnȬ voll, den Gesamtmarkt anhand spezieller Kriterien in verschiedene ZielȬ gruppen einzuteilen bzw. zu segmentieren. Dies bildet die Voraussetzung für die optimale Auswahl der Kanäle des Mehrkanalsystems. Unter SegmenȬ tierung versteht man in diesem Zusammenhang die Aufteilung eines GeȬ samtmarktes in bezüglich ihrer Marktreaktion intern homogene und unterȬ einander heterogene Untergruppen (Marktsegmente).1
Identifikation verschiedener Zielgruppen
Für die Aufteilung des relevanten Marktes sind Kriterien erforderlich, die eine sinnvolle Abgrenzung von Marktsegmenten ermöglichen. Diese KriteȬ rien müssen eine Reihe von Anforderungen erfüllen.2 Im MultiȬChannelȬ Marketing sind das Kaufverhalten und die Erreichbarkeit der Kunden als besonders wichtige Anforderungen zu nennen. Das Kaufverhalten in Bezug auf die Wahl von Kanälen bietet die Möglichkeit, differenzierte VerhaltensȬ prognosen zu erstellen, um gezielt Produkte anbieten zu können. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich Konsumenten in einem Segment ähnlich verhalten.3
Anforderungen an SegmentieȬ rungskriterien
Ebenso ist die Erreichbarkeit der Kunden in speziellen Segmenten von beȬ sonderer Bedeutung, um gezielte kommunikationsȬ und distributionspolitiȬ schen Maßnahmen in den jeweiligen Kanälen zu ergreifen. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass der Nutzen der Segmentierung die anfallenden Kosten übersteigt und die Segmente eine ausreichende Trennschärfe aufweiȬ sen. Ferner müssen die ausgewählten Kriterien eine gewisse zeitliche StabiliȬ tät haben, so dass die Ergebnisse der Marktanalyse Gültigkeit für die DurchȬ führung und Wirkung der segmentspezifischen Marktbearbeitung besitzen. In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Segmentierungskriterien, die sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gruppieren lassen. Eine wichȬ tige Kriteriengruppe für das MultiȬChannelȬMarketing stellen die allgemeiȬ nen Verbrauchermerkmale dar, da sie Informationen über die allgemeinen Präferenzen bestimmter Kundengruppen gegenüber den verschiedenen Kanälen eines Mehrkanalsystems geben. Mit Hilfe dieser Merkmale lassen
1 2 3
Vgl. Meffert (2000), S.185 ff.; Coughlan et al. (2001), S. 31. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 485 ff. Vgl. Ahmad (2006), S. 375.
133
SegmentierungsȬ kriterien
3
Marktsegmentierung im Multi-Channel-Marketing
sich die Segmente weitgehend unabhängig von einem bestimmten Produkt bilden.1 Im Einzelnen werden nachfolgend fünf verschiedene Kriterien zur Marktsegmentierung vorgestellt. Abschnitt 3.1 widmet sich der geografiȬ schen Marktsegmentierung. Anschließend erfolgt in Abschnitt 3.2 die SegȬ mentierung auf Basis soziodemografischer Merkmale. Abschnitt 3.3 geht näher auf verhaltensorientierte Marktsegmentierungen ein. Die psychografiȬ sche Segmentierung wird dann in Abschnitt 3.4 vorgestellt. Das Kapitel endet schließlich mit der nutzenorientierten Marktsegmentierung in AbȬ schnitt 3.5. Abbildung 3Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 3Ȭ1
Struktur des Kapitels
Geografische Marktsegmentierung
3.1
Soziodemographische Marktsegmentierung
Verhaltensorientierte Marktsegmentierung
Psychografische Marktsegmentierung
Nutzenorientierte Marktsegmentierung
Geografische Marktsegmentierung
Die Marktsegmentierung kann aufgrund der Einteilung des Marktes in verschiedene geografische Einheiten erfolgen, wenn geografische Kriterien verschiedene Kundenbedürfnisse undȱȬverhaltensweisen unterscheiden. Das Unternehmen kann ein oder mehrere geografische Segmente bedienen und sollte dabei das MultiȬChannelȬMarketingȬSystem auf die Besonderheiten der jeweiligen geografischen Einheit abstimmen. Prinzipiell lässt sich hierbei eine makroȬȱund eine mikrogeografische Segmentierung unterscheiden. MakrogeografiȬ sche SegmentieȬ rung
Makrogeografische Einheiten sind z. B. Länder, Regionen, Landkreise und Städte. Länderspezifische Präferenzunterschiede bestehen beispielsweise im Breitbandbereich. So zeigen sich Unterschiede in den Präferenzen der KonȬ sumenten hinsichtlich der Breitbandnutzung zwischen den skandinavischen Ländern und Griechenland. Während in Ländern wie Dänemark, Norwegen oder Finnland eine hohe Breitbandpenetration vorliegt, ist diese in GriechenȬ land noch immer relativ niedrig. Der Aufbau eines Onlinevertriebs in GrieȬ chenland ist für einen Anbieter daher mit einem insgesamt höheren Risiko, gleichzeitig aber auch mit einem hohen Umsatzpotenzial verbunden. Die Marktsegmentierung auf Basis makrogeografischer Kriterien bietet den Vorteil, dass die notwendigen Daten vergleichsweise einfach gewonnen
1
134
Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 430.
Geografische Marktsegmentierung
3.1
werden können.1 Als Nachteil erweisen sich jedoch die indirekten bzw. groȬ ben Bezüge zum Kaufverhalten. Hier greift die feinere mikrogeografische Segmentierung.2 Mikrogeografische Kriterien stellen z. B. Stadtteile, Wohngebiete und StrasȬ sen(Ȭabschnitte) dar. Der mikrogeografischen Segmentierung liegt die ErfahȬ rung zugrunde, dass sich Menschen mit ähnlichem KonsumȬ und Lebensstil in bestimmten Wohngebieten gruppieren. Beispiele hierfür sind StudentenȬ, KünstlerȬ und Villenviertel, die sich nahezu in jeder größeren Stadt finden lassen. Diese Beobachtung wird auch mit dem Begriff der „NachbarschaftsȬ Affinität“ bezeichnet. Zurückzuführen ist der mikrogeografische SegmentieȬ rungsansatz auf das ACORNȬSystem (A Classification of Residential NeighȬ bourhoods), welches in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von einem britischen Beratungsunternehmen entwickelt wurde.
MikrogeografiȬ sche SegmentieȬ rung
Die mikrogeografische Segmentierung erfolgt durch die Integration von geografischen, soziodemografischen und psychografischen Merkmalen. Die Basis hierfür bildet die Identifikation von Wohngebietstypen, die sich z. B. hinsichtlich BeschäftigungsȬȱund Wirtschaftsstruktur sowie Flächennutzung unterscheiden. Werden diese mikrogeografischen Einheiten hinsichtlich soziodemografischer und psychografischer Besonderheiten sowie KaufverȬ haltenscharakteristika analysiert, dann lassen sich unterschiedliche MarktȬ segmente mit direkten Bezügen zum Kaufverhalten definieren.3 Tabelle 3Ȭ1 fasst die beschriebenen geografischen Segmentierungskriterien zusammen.
Tabelle 3Ȭ1
Übersicht geografischer Marktsegmentierung Makrogeografische Segmen- Mikrogeografische Segmentierung tierung Länder
-
Stadtteile
Regionen
-
Wohngebiete
-
Landkreise
-
Straßenabschnitte
-
Städte
-
...
-
...
Segmentierungs- kriterien -
1 2 3
Vgl. Meffert (2000), S. 189. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 189 f.; Kotler/Bliemel (2001), S. 433; Holland (2004), S. 81 ff. Vgl. Meffert (2000), S. 191.
135
3
Marktsegmentierung im Multi-Channel-Marketing
3.2
Soziodemografische Marktsegmentierung
VorȬ r und Nachteile der soziodemografiȬ schen MarktsegȬ g mentierung
Bei der Marktsegmentierung nach soziodemografischen Kriterien erfolgt die Identifikation von spezifischen Kundensegmenten anhand von demografiȬ schen sowie sozioökonomischen Merkmalen. Diese Merkmalsgruppen könȬ nen dabei einzeln oder in Kombination zum Einsatz kommen. Als Vorteil dieser Segmentierungsmethode lässt sich vor allem die einfache Anwendung anführen, da die Messgrößen in der Regel ohne übermäßigen Aufwand erfassbar sind.1 Der Nachteil dieses Vorgehens ist in der relativ geringen Erklärungskraft der einzelnen Segmentierungskriterien in Bezug auf das Konsumentenverhalten zu sehen. Aufgrund des geringen Aussagegehalts nimmt die Bedeutung der soziodemografischen Segmentierung eher ab.2
Kriterien der soziodemografiȬ schen MarktsegȬ g mentierung
Klassische Kriterien der demografischen Segmentierung sind neben Alter, Geschlecht und Familienstand die Haushaltsgröße sowie die Zahl der im Haushalt lebenden Kinder. Die Ausbildung, der Beruf oder das Einkommen sind dagegen der sozioökonomischen Segmentierung zuzuordnen. Für das MultiȬChannelȬMarketing ergeben sich z. B. sinnvolle Aussagen durch die Kombination der Segmentierungskriterien Alter und Einkommen. Ermittelt man etwa Präferenzen für bestimmte Kanäle von Konsumentengruppen mit spezifischen AltersȬEinkommensȬProfilen, so kann dieses Wissen zur weiteȬ ren Optimierung des Mehrkanalsystems verwendet werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass jüngere Kundengruppen mit weniger Einkommen, wie z. B. Schüler und Studenten, transaktionskostenȬ orientiert einkaufen und somit den direkten Vertrieb über das Internet beȬ vorzugen. Demgegenüber stehen Kundengruppen meist im fortgeschritteȬ nen Alter mit höherem Einkommen, die ihre Einkäufe eher transaktionsnutȬ zenorientiert gestalten und die bereit sind, für die intensive Beratung höhere Preise zu bezahlen. Zusammenfassend stellt Tabelle 3Ȭ2 die Kriterien der demografischen und sozioökonomischen Segmentierungdar.
1 2
136
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 486. Vgl. Meffert (2000), S. 192, S. 194 f.
Verhaltensorientierte Marktsegmentierung
Tabelle 3Ȭ2
Übersicht soziodemografische Marktsegmentierung Demografische Segmentierung Segmentierungs- í Alter kriterien í Geschlecht
3.3
Sozioökonomische Segmentierung í Ausbildung í Beruf
í Familienstand
í Einkommen
í Haushaltsgröße
í ...
í Zahl der Kinder í ...
3.3
Verhaltensorientierte Marktsegmentierung
Die verhaltensorientierte Marktsegmentierung hat die Beobachtung des tatsächlichen Konsumentenverhaltens zum Inhalt. Anhand der BeobachtunȬ gen ist es dann in einem zweiten Schritt möglich, auf das zukünftige VerhalȬ ten der Konsumenten zu schließen. Insgesamt lässt sich attestieren, dass die verhaltensorientierte Segmentierung eher der Beschreibung von KundenȬ segmenten dient. Als Problematisch erweist sich zum Teil die Ansprache innerhalb identifizierter Segmente.1 Im MultiȬChannelȬMarketing liegt es nahe, bei der Marktsegmentierung nach verhaltensorientierten Merkmalen in Bezug auf das SuchȬȱ und KaufȬ verhalten und damit auf die genutzten Kanäle abzustellen.2 So könnte beiȬ spielsweise das Einkaufsverhalten je nach gewählter Einkaufstätte oder aber die bevorzugten Wege der Kommunikation (z. B. Telefon vs. eȬMail) zur Segmentierung der Konsumenten herangezogen werden. Eine spezielle Kundensegmentierung im Mehrkanalsystem, die auf verhalȬ tensorientierten Kriterien beruht, wurde von der Wachovia Bank vorgeȬ nommen. 3 Als Segmentierungskriterien waren die aktuelle Rentabilität und das angenommene Wachstumspotenzial der Kundenbeziehung ausschlagȬ gebend. Auf diesem Weg konnten die Kunden in vier Gruppen unterteilt werden, denen verschiedene Marketingkanäle zugeordnet wurden. So überȬ nahmen z. B. PrivateȬ und RelationshipȬBanker hoch profitable Segmente
1 2 3
Vgl. Meffert (2000), S. 208 ff. Vgl. Shim/Eastlick/Lotz (2004), S. 33 ff. Vgl. Wayland/Cole (1997), S. 150 ff.
137
VerhaltensorienȬ tierte SegmentieȬ rungskriterien
3
Marktsegmentierung im Multi-Channel-Marketing
mit guten Wachstumschancen und hoher Rentabilität, weniger profitable Segmente mit wenig Wachstumschance und geringer Rentabilität wurden an CallȬCenter abgegeben. Tabelle 3Ȭ3 zeigt mögliche Kriterien der verhaltensȬ orientierten Marktsegmentierung.
Tabelle 3Ȭ3
Übersicht verhaltensorientierte Marktsegmentierung Verhaltensorientierte Marktsegmentierung Segmentierungskriterien
í Such- und Kaufverhalten von Konsumenten í Informations- und Kommunikationsverhalten í Einkaufstättenwahl í Produktbezogene Verhaltensweisen í ...
3.4
Psychografische Marktsegmentierung
Bei der Marktsegmentierung nach psychografischen Merkmalen werden überwiegend nicht direkt beobachtbare Faktoren zur Identifikation von Konsumentengruppen herangezogen. Dabei können drei verschiedene Vorgehensweisen unterschieden werden. Zum einen lassen sich KundenȬ segmente anhand übereinstimmender Einstellungen und Motive identifiȬ zieren. Daneben kann eine Unterteilung nach Persönlichkeitsmerkmalen zu bestimmten Kundengruppen führen und schließlich kann die SegmentieȬ rung auch auf Grundlage des Lebensstils vorgenommen werden.1 Diese drei Kriterien der psychografischen Segmentierung werden nachfolgend konkretisiert. Segmentierung anhand der EinȬ stellung
Die Segmentierung mittels Einstellungen basiert auf der spezifischen proȬ duktȬȱoder produktgruppenbezogenen Haltungen des Konsumenten. Dabei wird versucht, die Einstellung zu einem bestimmten Objekt durch eine aus verschiedenen Indikatoren bestehende Skala zu erfassen. Aus einer Vielzahl von erfassten „Einstellungen“ lassen sich dann Muster ableiten, die wiederȬ um zur Identifikation von Kundensegmenten herangezogen werden.2 Für das MultiȬChannelȬMarketing ist es vorstellbar, die Einstellung gegenüber verschiedenen Marketingkanälen abzufragen. Durch die OperationalisieȬ
1 2
138
Vgl. dazu auch im Folgenden Ahmad (2006), S. 376 ff.; Homburg/Krohmer (2006), S. 487. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 196 ff.
Psychografische Marktsegmentierung
3.4
rung der Einstellung mit Hilfe eines Sets von Indikatoren können in einem zweiten Schritt anhand spezifischer Einstellungsausprägungen identifizierȬ ten Kundensegmenten gezielt Angebote unterbreitet werden. Die zweite Möglichkeit der Marktsegmentierung nach psychografischen Merkmalen besteht in der Zuhilfenahme von Persönlichkeitsmerkmalen. Die Persönlichkeit kennzeichnet sich z. B. durch Merkmale wie Kontaktfähigkeit oder Fortschrittlichkeit.1 Der Nachteil der Segmentierung anhand dieser Merkmale stellt allerdings die schwierige Messbarkeit und damit die geringe Aussagekraft für das Kaufverhalten dar. Für das MultiȬChannelȬMarketing ergibt sich hier die Möglichkeit, Kunden anhand der technischen InnovatiȬ onsbereitschaft zu segmentieren, d. h. der Neigung, neue Wege des KonȬ sums (z. B. MobileȬCommerce) zu nutzen. Diese Informationen können dann genutzt werden, um neue Marketingkanäle für die Kunden anzubieten.
Segmentierung anhand von PersönlichkeitsȬ merkmalen
Eine weitere psychografische Segmentierungsmöglichkeit ist die der LifeȬ StyleȬTypologien, welche sich einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Bei der Segmentierung werden sowohl die beobachtbaren Verhaltensweisen (z. B. Freizeitverhalten) als auch die psychischen Variablen (z. B. Werte) genutzt, um GesamtȬ oder Teilmärkte zu segmentieren.2 Eine der meist verbreiteten Segmentierungen anhand des Lebensstils ist in Abbildung 3Ȭ2 dargestellt – der MilieuȬAnsatz des Heidelberger SINUSȬInstitutes. Für das MultiȬ ChannelȬMarketing besteht hier die besondere Chance, durch die milieuspeȬ zifische Ausgestaltung des Mehrkanalsystems Kundenwünsche gezielt zu befriedigen, um so die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
Segmentierung anhand des LeȬ bensstils
1 2
Vgl. Kassarjian (1971). Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 199 ff.
139
3 Abbildung 3Ȭ2
Marktsegmentierung im Multi-Channel-Marketing
SinusȬMilieus in Deutschland 20051
Oberschicht / Obere Mittelschicht
Sinus B1 Etablierte 10%
1
Sinus C12
Sinus A12 Sinus B12
Konservative ve 5%
Mittlere Mittelschicht
Moderne Performerr 9%
Sinus B2
2
Bürgerliche Mitte 16%
Sinus AB2 Sinus A23 Traditionsverwurzelte l 14%
Untere Mittelschicht / Unterschicht
Postmaterielle 10%
Sinus C2
DDRR-Nostalgische No ostalgische t che 6%
Experimentalisten E 8%
Sinus BC3 Sinus B3
3
Konsum-Materialisten 11%
Hedonisten 1 11%
© Sinus Sociovision 2005
Soziale Lage Grundorientierung
A
B
C
Traditionelle Werte
Modernisierung
Neuorientierung
Pflichterfüllung, Ordnung
Individualisierung, Selbstverwirklichung, Genuss
Multi-Optionalität, Experimentierfreude, Leben in Paradoxien
Welche Methode der psychografischen Segmentierungsmethoden zu bevorȬ zugen ist, kann nur im Kontext der aktuellen Entscheidungssituation festgeȬ legt werden. Es kann allerdings festgehalten werden, dass der SegmentieȬ rung anhand der Einstellung und des Lebensstils die größere Bedeutung zukommt. Tabelle 3Ȭ4 fasst alle drei Methoden der psychografischen SegȬ mentierung zusammen.
Tabelle 3Ȭ4
Übersicht psychografische Marktsegmentierung
Segmentierungskriterien
Segmentierung anhand der Einstellung
Segmentierung mittels Persönlichkeitsmerkmalen
Segmentierung anhand des Lebensstils
í Produktgruppenspezifische Einstellung
í Kontaktfähigkeit
í Verhalten
í Fortschrittlichkeit
í Meinungen
í Einstellungscluster í ...
í Innovationsbereitschaft í Risikofreude í ...
1
140
Vgl. Sinus Sociovision GmbH (2005).
í Werte í ...
Nutzenorientierte Marktsegmentierung
3.5
3.5
Nutzenorientierte Marktsegmentierung
Die nutzenorientierte Marktsegmentierung teilt Kunden hinsichtlich ihrer Nutzenvorstellungen ein. Nutzenkriterien können dabei der PreisȬ, QualiȬ tätsȬ, ServiceȬȱoder Imagenutzen eines Produktes oder Kanals sein.1 Im HinȬ blick auf das MultiȬChannelȬMarketing ist dies eine besonders aussagekräfȬ tige Methode, da die Segmentierungskriterien gleichzeitig Ansatzpunkte darstellen, den MarketingȬMix entsprechend der zur Segmentierung verȬ wendeten Nutzenvorstellungen auszurichten.2 Nutzt man beispielsweise die Präferenzen für spezifische Customer Touchpoints als SegmentierungskriteȬ rien, so wird offensichtlich, welchen Konsumenten die entsprechenden Customer Touchpoints anzubieten sind. Bei der praktischen Umsetzung der Segmentierung anhand von NutzenvorȬ stellungen erlangt die ConjointȬAnalyse besondere Bedeutung.3 Mit Hilfe dieser Analyse lässt sich bestimmen, inwieweit die Ausprägungen verschieȬ dener Produkteigenschaften die Nutzenwahrnehmung verschiedener KonȬ sumentensegmente bestimmen. Die Analyse lässt sich dabei in die folgenden vier Phasen zerlegen:4
Auswahl der nutzbringenden Eigenschaften: Mittels Fokusgruppen sind die Schlüsselfaktoren, die die Nutzenwahrnehmung der KonsumenȬ ten bestimmen, zu ermitteln und auf eine handhabbare Anzahl (zwiȬ schen vier und max. neun) zu reduzieren.
Datenerhebung: Eine geeignete Stichprobe zur Ermittlung der NutzwerȬ te ist festzulegen. Zudem ist über die Methode zu entscheiden, mittels derer die Konsumenten die einzelnen Ausprägungen der ProdukteigenȬ schaften vergleichen.
Berechnung der Teilnutzwerte: Mit Hilfe der gewonnen Daten lassen sich die aggregierten Teilnutzwerte bestimmen. Diese dienen als AusȬ gangsbasis zur Ermittlung der durch Nutzen charakterisierten Segmente.
Bestimmung spezifischer Konsumentensegmente: Mittels ClusterȬ Analyse lassen sich Konsumentengruppen identifizieren, die ähnliche Nutzenvorstellungen aufweisen. Empirische Untersuchungen in der Reisebranche haben gezeigt, dass die Möglichkeiten der Segmentierung mittels Nutzenvorstellungen für das MulȬ tiȬChannelȬMarketing besonders hoch sind. So konnte dargelegt werden,
1 2 3 4
Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2006), S. 36. Vgl. Haley (1995), S. 60; Botschen/Thelen (1999), S. 38. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 212. Vgl. Meffert (2000), S. 205 f.
141
ConjointȬ t Analyse
3
Marktsegmentierung im Multi-Channel-Marketing
dass Präferenzen von Kunden, wie z. B. das Preisniveau, der vorhandene Service oder die Größe des angebotenen Sortiments, sich auf die Kanalwahl niedergeschlagen. Die Informationen darüber, welche kanalspezifischen Eigenschaften für die Konsumenten Nutzen stiften, können dann gezielt bei der Kanalausgestaltung verwendet werden.1 Tabelle 3Ȭ5 gibt einen Überblick zu möglichen nutzenorientierten Marktsegmentierungen.
Tabelle 3Ȭ5
Übersicht nutzenorientierte Marktsegmentierung Nutzenorientierte Marktsegmentierung Segmentierungskriterien
í Preisnutzen í Qualitätsnutzen í Servicenutzen í Imagenutzen í ...
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die verschieden SegmentierungskriȬ terien dem Ziel der konkreten Marktsegmentierung auf unterschiedliche Weise gerecht werden. So erfüllen die geografischen und soziodemografiȬ schen Kriterien die Anforderung der segmentspezifischen Ansprache sehr gut, haben aber Nachteile in Bezug auf die Kaufverhaltensrelevanz. Genau entgegengesetzt verhält es sich bei den psychografischen, verhaltensȬȱ und nutzenorientierten Kriterien. Als Ausweg aus diesem Dilemma wird zumeist eine Kombination der Kriterien herangezogen.2
1 2
142
Vgl. Schmidt/Schögel/Schulten (2007), S. 126 ff. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 490.
Nutzenorientierte Marktsegmentierung
3.5
4 Strategiedefinition im MultiChannel-Marketing
Das Management muss im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings eine Entscheidung darüber treffen, auf welche Art und Weise es den Markt bearȬ beiten will und welche Strategien gegenüber dem Wettbewerb und den Abnehmern angewandt werden sollen. Damit wird direkt an der MarktsegȬ mentierung angesetzt, da in Bezug auf die Marktbearbeitung vor allem EntȬ scheidungen getroffen werden, welche die Anzahl der abzudeckenden Marktsegmente, die Art der Segmentbearbeitung und die Interdependenzen zwischen den Marketingkanälen berücksichtigen. Durch die Festlegung dieser Strategien wird der Grundstein für den Designprozess des MehrkaȬ nalsystems gelegt. In diesem Kapitel werden zuerst in Abschnitt 4.1 die unterschiedlichen Marktbearbeitungsstrategien beschrieben, auf deren Basis das Management anschließend entscheidet, wie das Unternehmen seinen Wettbewerbern und Endkunden gegenübertritt. Hierfür stehen dem Unternehmen verschiedene Strategien, die als konkurrenzȬ und abnehmergerichtete Strategien bezeichȬ net werden, zur Verfügung. Diese finden in Abschnitt 4.2 eine genauere Betrachtung. Abbildung 4Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 4Ȭ1
Struktur des Kapitels
Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategie
• Undifferenzierte Marktbearbeitungsstrategie
• Konkurrenzgerichtete Strategien
• Differenzierte Marktbearbeitungsstrategie
• Abnehmergerichtete Strategien
• Konzentrierte Marktbearbeitungsstrategie
143
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
4.1 Zwei Dimensionen der MarktȬ t bearbeitungsȬ strategie
Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie
Ein Unternehmen kann in Abhängigkeit seiner Marketingziele einen Markt mit unterschiedlichen Strategien bearbeiten. Hierbei kann es zwischen einer differenzierten, einer undifferenzierten und einer konzentrierten MarktbearȬ beitungsstrategie wählen.1 Die Unterscheidung basiert dabei auf zwei DiȬ mensionen, die sich im Entscheidungsspielraum des Unternehmens befinȬ den. Zum einen handelt es sich um den Grad der Differenzierung und zum anderen um die Marktabdeckung.2 In Bezug auf den Differenzierungsgrad muss das Management eines MehrȬ kanalsystems insbesondere klären, ob die verschiedenen MarketinginstruȬ mente des MarketingȬMix für alle Marketingkanäle identisch umgesetzt werden oder ob eine segmentspezifische Ausgestaltung der Instrumente erfolgen soll. Bezüglich der Abdeckung des Marktes ist zu ermitteln, wie viele der identifizierten Segmente bearbeitet werden sollen. Hierbei kann sich das Unternehmen entweder auf den Gesamtmarkt beziehen oder als Nischenanbieter in einem Teilmarkt positionieren. Eine für das MultiȬ ChannelȬMarketing wesentliche Überlegung im Zusammenhang mit der Marktabdeckung spielt die Frage, ob alle potenziellen Marketingkanäle benutzt werden oder ob sich das Unternehmen auf wenige Kanäle konzentȬ rieren soll. In den folgenden Abschnitten werden die verschiedenen MarktbearbeiȬ tungsstrategien im Einzelnen vorgestellt. Während Abschnitt 4.1.1 zunächst die spezifischen Merkmale einer undifferenzierten MarktbearbeitungsstraȬ tegie betrachtet, wird in Abschnitt 4.1.2 auf die differenzierte MarktbearbeiȬ tungsstrategie eingegangen. Abschnitt 4.1.3 thematisiert abschließend die Charakteristika einer konzentrierten Marktbearbeitungsstrategie. Abbildung 4Ȭ2 stellt die vier möglichen Strategien zur Segmentbearbeitung dar.
1 2
144
Vgl. Specht (1998), S. 138. Vgl. Meffert (2000), S. 216.
Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie
Segmentspezifische Marktbearbeitungsstrategien1 Grad der Differenzierung
4.1 Abbildung 4Ȭ2
Undifferenziert
Differenziert
Vollständig
Undifferenzierte Marktbearbeitung
Differenzierte Marktbearbeitung (Gesamtmarkt)
Teilweise
Konzentrierte Marktbearbeitung
Differenzierte Marktbearbeitung (Teilmarkt)
Marktabdeckung
4.1.1
Undifferenzierte Marktbearbeitungsstrategie
Die undifferenzierte Marktbearbeitungsstrategie zeichnet sich dadurch aus, dass Unterschiede zwischen einzelnen Marktsegmenten vernachlässigt werȬ den und nur ein Marketingprogramm konzipiert wird.2 Unterschiedliche Präferenzen der Kunden werden weitestgehend ignoriert und vielmehr auf die Gemeinsamkeiten in den Bedürfnissen der Kunden eingegangen, um einen möglichst großen Markt zu erreichen.3 Durch ein einheitliches AngeȬ bot, gekoppelt mit dem Einsatz von Massenvertriebswegen und MassenȬ werbung, wird ein Massenmarkt bearbeitet. Firmen, die mit einem undiffeȬ renzierten Marketingauftritt Produkte an den Gesamtmarkt verkaufen, sind z. B. Beiersdorf mit dem Traditionsprodukt „NiveaȬCreme“ oder die CocaȬ Cola Company. In beiden Fällen wird der Gesamtmarkt ohne jegliche SegȬ mentierung bearbeitet und die Werbung zielt auf allgemeine Eigenschaften der Marke ab, anstatt spezielle Kundengruppen anzusprechen.4
Definition der undifferenzierten MarktbearbeiȬ tungsstrategie
Eine undifferenzierte Marktbearbeitungsstrategie hat bestimmte AuswirȬ kungen auf das MultiȬChannelȬMarketing. So wird für alle Marketingkanäle in der Regel ein einheitliches Marketing angewandt. Diese Strategie ist dann sinnvoll, wenn eine Verbreitung des Absatzmarkts in einem relativ homogeȬ nen Kundenfeld erfolgen soll. In diesem Fall wäre eine differenzierte MarktȬ
Bedeutung für das MultiȬ ChannelȬ Marketing
1 2 3 4
In Anlehnung an Meffert (2000), S. 217. Vgl. Ahlert (1996), S. 188. Vgl. Specht (1998), S. 138. Vgl. im Folgenden Kotler et al. (2003), S. 481 ff.
145
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
bearbeitungsstrategie in den verschiedenen Segmenten unter Umständen überflüssig und es kann von Vorteil sein, den Gesamtmarkt mit einem einȬ heitlichen Marketingkonzept über alle Kanäle hinweg zu bearbeiten. Als Beispiel kann hier das Versandhandelsunternehmen Otto genannt werȬ den, welches ein sehr ausdifferenziertes Mehrkanalsystem besitzt, den Markt jedoch bezogen auf die ProduktȬ, KommunikationsȬ, und DistributiȬ onspolitik undifferenziert bearbeitet. Einzig die Preispolitik wird bei Otto spezifisch auf Kundensegmente abgestellt und variiert in den einzelnen Kanälen.1 Chancen einer undifferenzierten MarktbearbeiȬ tung
Das Verwenden einer undifferenzierten Marktbearbeitungsstrategie birgt einige Chancen für das Unternehmen, insbesondere durch die VereinheitliȬ chung des Marketingprogramms. Durch die undifferenzierte VorgehensweiȬ se in den einzelnen Marketingkanälen kann z. B. die gleiche KommunikatiȬ onsstrategie verwendet werden, was in einer Senkung des AbsatzfördeȬ rungsaufwands resultiert. Weiteres Einsparpotential kann es bei den ProduktionsȬ, LagerhaltungsȬ und Transportkosten geben, da Unternehmen sich auf einheitliche Produktlinien konzentrieren. Diese einheitliche MarktȬ bearbeitung lässt es auch zu, Kostenvorteile in der Marktforschung und Marketingplanung zu realisieren. Die so erzielte Summe aller Einsparungen ermöglicht es den Unternehmen, geringere Preise für Produkte zu verlanȬ gen, um insbesondere preissensitive Käufer zu gewinnen oder aber bei konȬ stanten Preisen den Gewinn zu steigern.
Risiken einer undifferenzierten MarktbearbeiȬ tung
Auf der anderen Seite gibt es in Verbindung mit einer undifferenzierten Marktbearbeitungsstrategie auch Risiken. In jungen Märkten kann diese Strategie für einen Massenmarkt ausreichen, jedoch ändern sich die AnsprüȬ che der Abnehmer mit der Reife eines Marktes zunehmend. Während anȬ fangs vereinheitlichte Massenprodukte für die Mehrheit der Abnehmer genügen, wird es mit der Zeit immer schwieriger, alle Kunden durch eine standardisierte Ansprache zu halten. Kommt es schließlich zu einer SättiȬ gung der Märkte, wird der Konkurrenzkampf um die Kunden härter. ZuȬ dem besteht aus Sicht des undifferenziert agierenden Unternehmens die Gefahr, dass andere Anbieter, die in dieser Phase mit segmentspezifischen Produkten und Programmen eine differenzierte Marktbearbeitungsstrategie verfolgen, Wettbewerbsvorteile erzielen.
Wechsel der MarktbearbeiȬ tungsstrategie
Durch den beschriebenen Konkurrenzdruck bewegen sich die Unternehmen immer mehr von einer undifferenzierten Marktbearbeitungsstrategie weg. Es wird somit immer stärker auf die spezifischen Bedürfnisse verschiedener Kundengruppen eingegangen und eine Reihe von differenzierten MaßnahȬ men eingeführt. Hierauf wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.
1
146
Vgl. Fallbeispiel Otto, Teil D6.
Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie
4.1.2
4.1
Differenzierte Marktbearbeitungsstrategie
Bei der differenzierten Marktbearbeitungsstrategie versucht ein UnternehȬ men, durch eine segmentspezifische Gestaltung des MarketingȬMix alle attraktiven Marktsegmente eines relevanten Produktmarktes zu versorgen.1 Dies kann sich in unterschiedlichen Produkten, Preisen, ZahlungsȬ und Lieferbedingungen, Kommunikationsbeziehungen etc. ausdrücken. GrundȬ sätzlich besteht im Rahmen der differenzierten Marktbearbeitungsstrategie die Möglichkeit, den Instrumenteneinsatz sowohl auf den Gesamtmarkt als auch auf ausgewählte Marktsegmente anzuwenden. Demzufolge stellt der Grad der Marktabdeckung ein Unterscheidungsmerkmal innerhalb des differenzierten Marketings dar.
Definition der differenzierten MarktbearbeiȬ tungsstrategie
Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings wird unter der Differenzierung zusätzlich die Anpassung des Marketings an die einzelnen Marketingkanäle verstanden und damit ein Abweichen von einem über alle Kanäle einheitliȬ chen Marketing.2 Diese strategische Ausrichtung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn ein Unternehmen über viele unterschiedliche Produkte verȬ fügt und ein sehr heterogenes Kundenfeld bedient.
Bedeutung für das MultiȬ ChannelȬ Marketingg
Bestimmte Kundensegmente werden über einen spezifischen MarketingkaȬ nal angesprochen und das Marketinginstrumentarium wird auf die jeweiliȬ gen Bedürfnisse abgestimmt. Forschungen zur Kundensegmentierung haben gezeigt, dass sehr klar definierte Kundengruppen im Mehrkanalumfeld bestehen, die z. B. anhand der Produktkategorie, ihrem Lebensstil, oder ihrer Preissensitivität unterschieden werden können.3 Es soll aber an dieser Stelle betont werden, dass sich nicht unbedingt jeder einzelne MarketingkaȬ nal auf nur ein Kundensegment beziehen muss, sondern dass auch mehrere Segmente über einen Kanal bedient werden können. In diesem Fall hat das Unternehmen die Möglichkeit, die verschiedenen Segmente innerhalb des Marketingkanals über eine unterschiedliche Ausgestaltung des MarketingȬ Mix differenziert anzusprechen. In Bezug auf die unterschiedlichen Differenzierungsstrategien in AbhängigȬ keit der Marktabdeckung kann im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings konstatiert werden, dass eine totale Marktabdeckung in der Regel durch eine intensive Nutzung aller potenziellen Marketingkanäle erfolgt, während sich der Hersteller bei der partiellen Marktabdeckung auf wenige Kanäle konzentriert. Bei der totalen Marktabdeckung werden alle Marktsegmente durch eine Vielzahl an Kanälen des Herstellers weitgehend abgedeckt, was dem Anbieter die Möglichkeit bietet, seine Abhängigkeiten von einzelnen Absatzmittlern zu reduzieren und eine Risikodiversifikation im MehrkanalȬ 1 2 3
Vgl. Meffert (2000), S. 217. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 97. Vgl. Neslin et al. (2006), S. 103.
147
Totale vs. partielȬ le Segmentierungg
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
system vorzunehmen. Bei der partiellen Segmentierung dagegen fokussiert sich der Hersteller i. d. R. bewusst auf ausgewählte Marketingkanäle, um die Führung des Mehrkanalsystems zu erleichtern, den Koordinationsaufwand zu reduzieren und einen selektiven bzw. exklusiven Vertrieb anzustreben.1 Chancen einer differenzierten MarktbearbeiȬ tung
Mit einer Strategie der differenzierten Marktbearbeitung ergeben sich für das Unternehmen einige Vorteile. Die differenzierte Behandlung der AkteuȬ re im Marketingkanal aufgrund ihrer spezifischen Präferenzen und LeistunȬ gen ruft unterschiedliche Reaktionen der einzelnen Segmente auf das eingeȬ setzte Marketinginstrumentarium hervor und ermöglicht insgesamt eine Erhöhung des akquisitorischen Potenzials.2 Dadurch lassen sich beim diffeȬ renzierten Marketing für das Unternehmen in der Regel höhere GesamtumȬ sätze erzielen, da z. B. durch PreisȬȱ und Qualitätsdifferenzierung verschieȬ denen Kundengruppen bedient werden können.3 Dieses Angebot von mehȬ reren Produktvarianten kann somit zu einer gefestigten Position in mehreren Marktsegmenten verhelfen.
Risiken einer differenzierten MarktȬ t bearbeitung g
Den Vorteilen der differenzierten Marktbearbeitung stehen allerdings auch einige Nachteile gegenüber. Mit einem zunehmenden Differenzierungsgrad erhöht sich der Einsatz von finanziellen, produktionstechnischen und verȬ waltungsmäßigen Ressourcen. Dies führt dazu, dass bestimmte Kosten in einzelnen Bereichen zunehmen z. B. Produktionsmodifikationskosten, ProȬ duktionskosten, Verwaltungskosten, Lagerhaltungskosten oder allgemeinen Absatzförderungskosten.
4.1.3 Definition der konzentrierten MarktbearbeiȬ tungsstrategie
Konzentrierte Marktbearbeitungsstrategie
Im Rahmen der konzentrierten Marktbearbeitungsstrategie verfolgt ein Unternehmen das Ziel, eine starke Position auf einem Teilmarkt oder in einer Marktnische zu erlangen. Die Marketinginstrumente werden daher auf ein besonders lukratives Marktsegment speziell ausgerichtet. Innerhalb des Segments wird allerdings undifferenziert vorgegangen, so dass sich eine konzentrierte Marktbearbeitungsstrategie lediglich von der undifferenzierȬ ten Marktbearbeitungsstrategie über das Ausmaß der Marktabdeckung abgrenzt. Ein Unternehmen, das eine derartige Strategie verfolgt, muss darauf achten, dass das ProduktȬ und Serviceangebot genau auf das Segment abgestimmt ist. Umfassende Kenntnisse der Segmentbedürfnisse und der Aufbau einer starken Marke sind hierfür Voraussetzung. Das Unternehmen erhofft sich 1 2 3
148
Vgl. Schögel (1997), S. 124 ff. Vgl. Specht (1998), S. 140. Vgl. Kotler et al. (2003), S. 482.
Definition und Formen der Marktbearbeitungsstrategie
4.1
dadurch, eine effektivere und effizientere Marktbearbeitung zu erreichen.1 Ein Beispiel für ein Unternehmen, dass eine konzentrierte MarktbearbeiȬ tungsstrategie verfolgt, ist die Porsche AG, das sich auf das Marktsegment für teure Sportwagen fokussiert. Für das MultiȬChannelȬMarketing gelten im Rahmen der konzentrierten Marktbearbeitungsstrategie ähnliche Aspekte wie bei der undifferenzierten Marktbearbeitungsstrategie. Auf eine kanalspezifische Ausgestaltung des Marketinginstrumentariums wird verzichtet und wiederum eher die Marke und das Image herausgestellt. Im Unterschied zur undifferenzierten BearbeiȬ tungsstrategie, die sich auf den Gesamtmarkt bezieht, werden im Rahmen des konzentrierten Marketings in der Regel nicht alle Marketingkanäle einȬ gesetzt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bedürfnisse eines TeilȬ marktes oftmals nur über bestimmte Kanäle befriedigt werden können.
Bedeutung für das MultiȬ ChannelȬ Marketing
Mit der Strategie der konzentrierten Marktbearbeitung sind einige Vorteile verbunden. Durch die Spezialisierung lassen sich Kostensenkungen in ProȬ duktion, Logistik und Vertrieb erreichen, da die Arbeitsläufe rationell gestalȬ tet werden können. Dadurch kann bei hoher Ausschöpfung des Segments eine hohe Kapitalrendite erwirtschaftet werden.2 Besonders für das MultiȬ ChannelȬMarketing ergibt sich hier die Möglichkeit, die Marketingkonzepte in optimaler Weise auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden im TeilȬ segment einzustellen, z. B. die bewusste Ausgestaltung des direkten OnlineȬ vertriebs. Darüber hinaus erleichtert ein enger Segmentbezug die BeschafȬ fung von detaillierten Informationen über den Teilmarkt erheblich.3
Chancen der konzentrierten MarktbearbeiȬ tungsstrategie
Die konzentrierte Marktbearbeitungsstrategie beinhaltet allerdings auch einige nicht zu vernachlässigende Risiken. Ein Problem dieser Strategie stellt die Gefahr von Absatzpotentialeinbußen dar, da aufgrund der Fokussierung auf nur ein Teilsegment und der undifferenzierten Marktbearbeitung auf erhebliche Gewinne verzichtet wird. Aufgrund der fehlenden RisikostreuȬ ung kann die Abhängigkeit von der Nachfrageentwicklung eines einzigen Teilmarkts dramatische Folgen für den Gesamtgewinn des Unternehmens haben. Daher sollte bei der Auswahl einer Marktnische stets darauf geachtet werden, dass diese Wachstumschancen bietet und möglichst wenig KonkurȬ renz vertreten ist. Allerdings erweist sich letzter Punkt in der Regel als illuȬ sorisch, da lukrative Nischenprodukte, wie z. B. die Herstellung des IȬPods, meist die Aufmerksamkeit von Großserienherstellern auf sich ziehen und daduch der Konkurrenzdruck steigt.
Risiken der konȬ zentrierten MarktbearbeiȬ tungsstrategie
1 2 3
Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 146. Vgl. im Folgenden Kotler et al. (2003), S. 483. Vgl. Meffert (2000), S. 216 ff.
149
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
4.2
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategien
Neben der grundsätzlichen Entscheidung für eine bestimmte MarktbearbeiȬ tungsstrategie muss ein Unternehmen entscheiden, mit welchen spezifischen Strategien es seiner Konkurrenz und seinen Endnutzern (Abnehmern) geȬ genübertritt. Hierzu stehen ihm mehrere Möglichkeiten offen. Im Folgenden wird daher auf mögliche konkurrenzȬ und abnehmergerichtete Strategien eingegangen. Abschnitt 4.2.1 widmet sich ausführlich den verschiedenen konkurrenzgerichteten Strategien, während sich Abschnitt 4.2.2 genauer mit den abnehmergerichteten Strategien befasst.
4.2.1
Konkurrenzgerichtete Strategien
Konkurrenzgerichtete Strategien beschäftigen sich mit der Frage, welche langfristigen Pläne ein Unternehmen in Bezug auf das eigene Verhalten gegenüber den Wettbewerbern verfolgt. Bei der Systematisierung dieser Strategien ist zunächst zwischen einem aktiven und passiven Verhalten des Unternehmens zu unterscheiden.1 Passives KonkurȬ r renzverhalten
Ein passives Verhalten liegt vor, wenn ein Unternehmen in keiner Weise die Aktivitäten der Wettbewerber in sein eigenes Entscheidungskalkül mit einȬ bezieht. In diesem Fall entwickelt es auch keine konkurrenzgerichteten StraȬ tegien und führt keine auf den Wettbewerber gerichteten Aktivitäten aus. Dieses Verhalten ist oftmals bei Unternehmen vorzufinden, die eine sehr dominante, monopolähnliche Marktposition inne haben und somit ein wettȬ bewerbsautonomes Verhalten verfolgen. Es ist allerdings auch denkbar, dass Unternehmen sich der Bedeutung der Konkurrenzanalyse nicht bewusst sind und daher ein wettbewerbsignorantes Verhalten zeigen.
Aktives KonkurȬ r renzverhalten und TypologisierungsȬ dimensionen
Bei einem aktiven Verhalten hingegen bezieht ein Unternehmen die AktiviȬ täten seiner Konkurrenten in seine Strategieplanung und Ȭumsetzung mit ein. Eine Typologisierung konkurrenzgerichteter Strategien kann anhand der zwei Typologisierungsdimensionen „innovativ versus imitativ“ und „wettbewerbsvermindernd versus wettbewerbsstellend“ erfolgen.2
Imitatives vs. Innovatives Verhalten
Die erste Dimension bezieht sich dabei auf die Art des Verhaltens der KonȬ kurrenten. Ist der Wettbewerbsprozess vornehmlich durch die Übernahme von Technologien und Verhalten sowie durch die Anpassung am langfristiȬ gen Gleichgewicht geprägt, so wird dies als Imitationsverfahren bezeichnet. 1 2
150
Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 282 ff. Vgl. Meffert (2000), S. 282.
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategien
4.2
Demgegenüber liegt ein innovatives Verhalten vor, wenn Unternehmen den technischen Fortschritt antreiben und Innovationen durchsetzen. In diesem Fall spricht man auch von einem Entdeckungsverfahren.1 In Bezug auf das MultiȬChannelȬMarketing sei besonders auf die in den letzten Jahren zuȬ nehmende Wichtigkeit des MobileȬMarketings verwiesen. Demnach können innovative Unternehmen mit Mehrkanalsystemen langfristig WettbewerbsȬ vorteile sichern, wenn sie einen funktionierenden mobilen Kanal frühzeitig etablieren. Die zweite Dimension bezieht sich auf den Zeitpunkt der eingeleiteten MaßȬ nahmen durch das Unternehmen.2 Bei einem wettbewerbsvermeidenden Verhalten werden Maßnahmen erst dann eingeleitet, wenn sich die WettbeȬ werbssituation durch ein offensives Vorgehen der Konkurrenz bereits verȬ ändert hat. Die Entscheidungen passen sich somit den Aktivitäten der WettȬ bewerber an. Dagegen zeichnet sich ein Unternehmen mit wettbewerbsstelȬ lendem Verhalten dadurch aus, dass es bereits auf erste schwache Signale von wettbewerblichen Anstrengungen der Konkurrenz reagiert. Es erkennt frühzeitig bestimmte Konsumentenbedürfnisse und kann dadurch einen Zeitvorteil gegenüber der Konkurrenz erlangen. Auf Basis dieser DimensioȬ nen lassen sich vier konkurrenzgerichtete Strategien ableiten, die in Tabelle 4Ȭ1 dargestellt sind.
WettbewerbsȬ vermeidendes vs. –stellendes Verhalten
Typologisierung konkurrenzgerichteten Verhaltens3
Tabelle 4Ȭ1
Verhaltensdimensionen
Wettbewerbsvermeidend Wettbewerbsstellend
Innovativ
Imitativ
Ausweichen
Anpassung
Konflikt
Kooperation
Im Rahmen der Konfliktstrategie nimmt ein Unternehmen die Konfrontation mit der Konkurrenz bewusst in Kauf. Das Unternehmen versucht dabei, durch innovatives Verhalten Marktanteile zu gewinnen und womöglich zum Marktführer aufzusteigen. Wird diese Strategie in ihrer aggressiven Form ausgeführt, wird der Wettbewerber durch Frontalangriffe auf möglichst vielen Gebieten angegangen. So erfolgt ein Angriff beispielsweise auf seine Produkte, Preise, Werbung, Vertriebssysteme etc. Dabei werden vor allem die Stärken des Konkurrenten attackiert mit dem Ziel, ihn aus dem Markt zu drängen bzw. ihn als Marktführer abzulösen.4
1 2 3 4
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 591. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 282 f. Vgl. Meffert (2000), S. 284; Zentes/Swoboda (2001), S. 592. Vgl. Kotler et al. (2003), S. 593.
151
Konfliktstrategie
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
KooperationsȬ strategie
Bei der Kooperationsstrategie werden langfristige Auseinandersetzungen mit der Konkurrenz gemieden, da das Unternehmen entweder keinen einȬ deutigen Wettbewerbsvorteil oder mangelnde Ressourcen für eine AuseiȬ nandersetzung hat.1 Vielmehr wird ein Einverständnis in Bezug auf beȬ stimmte Geschäftspolitiken einem aggressiven Wettbewerb vorgezogen und Partnerschaften mit anderen Unternehmen angestrebt. Besonders im MehrȬ kanalumfeld ist dieses Verhalten zu beobachten und kann durch Beispiele wie Obi@Otto oder der Kooperationen von Amazon.com und dem BuchȬ händler Borders in den USA verdeutlicht werden. So können Kunden bei Amazon.com bestellen und das Buch in einer nahe liegenden Filiale von Borders abholen.2
AusweichȬ strategie
Ausweichstrategien zeichnen sich dadurch aus, dass ein Unternehmen verȬ sucht, durch im Vergleich zur Konkurrenz innovative Aktivitäten einem erhöhten Wettbewerbsdruck zu entgehen. Anstatt den Konkurrenten direkt anzugreifen und dessen Produkt zu kopieren, begibt sich das Unternehmen in noch nicht bediente Märkte bzw. steigt in neue Technologien ein. Ziel ist, ein Produkt der nächsten Technologiegeneration zu entwickeln, um damit alte Produkte zuerst abzulösen.
AnpassungsȬ strategie
Die Anpassungsstrategie ist auf die bloße Erhaltung einer einmal erreichten Marktposition ausgerichtet. Das Verhalten zeichnet sich insbesondere daȬ durch aus, dass das Unternehmen so lange reaktiv bleibt und keine besonȬ deren Aktivitäten unternimmt, bis die eigene Position durch Vorstöße des Wettbewerbs bedroht wird.3
Bedeutung für das MultiȬ ChannelȬ Marketing
In Abhängigkeit der gewählten konkurrenzgerichteten Strategie durch ein Unternehmen ergeben sich bestimmte Konsequenzen für das MultiȬ ChannelȬMarketing.4 Im Rahmen der Konfliktstrategie versucht das UnterȬ nehmen, durch den offensiven Einsatz seiner Marketingkanäle die KonkurȬ renz anzugreifen. Mit innovativen Distributionskonzepten werden vom Hersteller aktiv neue Lösungen und Kanalalternativen gesucht. Bei der KoȬ operationsstrategie setzt der Hersteller seine Marketingkanäle ebenfalls offensiv ein, jedoch erfolgt deren Ausgestaltung in der Regel aufgrund von Kooperationen mit der Konkurrenz auf konventionelle Art. Die AusweichȬ strategie bewirkt den Einsatz relativ unkonventioneller und innovativer Kanäle, die jedoch nicht offensiv gegenüber der Konkurrenz eingesetzt werȬ den. Vielmehr wird versucht, Marktpotenziale mit neu entwickelten KonȬ zepten und Kanälen zu erschließen, die oftmals branchenunüblich sind. Bei der Anpassungsstrategie setzt der Hersteller sein Mehrkanalsystem defensiv
1 2 3 4
152
Vgl. im Folgenden Zentes/Swoboda (2001), S. 592. Vgl. Schröder (2005), S. 60. Vgl. Meffert (2000), S. 286 f. Vgl. im Folgenden Schögel (1997), S. 127 ff.
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategien
4.2
ein und konzentriert sich vornehmlich auf konventionelle und branchenübȬ liche Marketingkanäle. Dadurch wird vor allem auf die Erhaltung bestehenȬ der Kundengruppen abgezielt.
4.2.2
Abnehmergerichtete Strategien
Abnehmergerichtete Strategien zielen darauf ab, eine Vorzugsstellung beim Abnehmer zu erreichen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Abnehmer bei einer Kaufentscheidung diesen Hersteller auch bevorzugt. Neben dem Preiswettbewerb hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein Qualitätswettbewerb gebildet, der dazu geführt hat, dass es für die AnbieȬ terseite grundsätzlich zwei Strategien gibt, um das Käuferverhalten zu beȬ einflussen:1
Ziele von abnehȬ mergerichteten Strategien
Mit der Präferenzstrategie versucht ein Unternehmen, durch den Einsatz von nichtȬpreisbezogenen Aktionsparametern eine Vorzugsstellung beim Käufer zu erzielen. Dabei soll sich das eigene Produkt durch die Schaffung spezifischer Produktmerkmale vom Wettbewerb so differenzieren, dass der Anbieter bestimmte Präferenzen bezüglich des Produkts aufbaut und schließlich bereit ist, einen höheren Preis zu bezahlen. Im Rahmen der PreisȬ MengenȬStrategie werden dagegen alle Marketingaktivitäten auf preispolitiȬ sche Maßnahmen ausgerichtet. Der Käufer soll seine Kaufentscheidung in erster Linie vom Preis abhängig machen. Dadurch soll eine große Anzahl von Käufern den geringeren Stückgewinn ausgleichen.
PräferenzȬ und PreisȬMengen Ȭ Ȭ Strategien
Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings kommen abnehmergerichteten Strategien ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. So kann insbesondere durch eine PreisȬMengenȬStrategie erreicht werden, dass die Produkte in denjenigen Kanälen vermehrt angeboten werden, die geringere Kosten verȬ ursachen. Demnach bietet sich beispielsweise der direkte Vertrieb über das Internet für preispolitische Maßnahmen besonders an, da aufgrund eines geringen Ressourcenbedarfs in diesem Kanal weniger Kosten anfallen und somit geringere Preise verlangt werden können.
Bedeutung für das MultiȬChannelȬ Marketings
Eine ähnliche Systematik in Bezug auf abnehmergerichtete Strategien ist auf Porter zurückzuführen. Hiernach kann ein Unternehmen durch zwei grundȬ legende Stoßrichtungen, die als generische Wettbewerbsstrategien bezeichȬ net werden, beim Abnehmer eine Vorzugsstellung erlangen. Erstens kann es durch Kostenvorteile zur Konkurrenz eine Strategie der Kostenführerschaft anstreben und zweitens durch Differenzierungsmerkmale eigener LeistunȬ gen eine Qualitätsführerschaft verfolgen.2 Eine weitere Unterscheidung wird
AbnehmergerichȬ tete Strategien nach Porter
1 2
Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 269. Vgl. MüllerȬStewens/Lechner (2001), S. 198 ff.
153
4
Strategiedefinition im Multi-Channel-Marketing
darüber hinaus über den Grad der Marktabdeckung getroffen. Demzufolge kann sich ein Unternehmen auf den Gesamtmarkt ausbreiten oder aber als Nischenanbieter positionieren.1 Welche konkurrenzȬ oder abnehmergerichteten Strategien letztlich angeȬ wendet werden und in welcher Art und Weise der Markt bearbeitet wird, hängt sehr stark von der Marktsituation und der firmeneigenen ÜberzeuȬ gungen und Ausrichtung ab. Die Festlegung der Strategien ist jedoch ein überaus wichtiger Schritt im Prozess des strategischen MultiȬChannel MarȬ ketings, da durch diese Strategien der Designprozess determiniert wird. Auf diesen Prozess wird im folgenden Kapitel ausführlich eingegangen.
1
154
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 425 f.
Definition der konkurrenz- und abnehmergerichteten Strategien
5 Design des Mehrkanalsystems Nachdem die strategische Ausgangslage eines Unternehmens bestimmt sowie die Strategie im Mehrkanalsystem definiert worden ist, kommt es in einem nächsten Schritt zur Umsetzung dieser strategischen VorüberlegunȬ gen. Der Prozess der konkreten Ausgestaltung des Mehrkanalsystems wird auch als Designprozess bezeichnet und umfasst dabei sämtliche EntscheiȬ dungen, die die Entwicklung neuer Marketingkanäle und die Modifikation bereits existierender Kanäle innerhalb eines Mehrkanalsystems umfassen.1 Durch die richtige Ausgestaltung eines Mehrkanalsystems kann sich ein möglicher Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz dann ergeben, wenn das Kanalsystem den Absatzmittlern und Endkunden einen Mehrwert bietet.2 Dabei lässt sich der gesamte Designprozess in insgesamt fünf Phasen einteilen, worauf in den folgenden Abschnitten eingegangen wird. In der ersten Phase muss das Management potenziell geeignete MarketingȬ kanäle zur Erreichung der relevanten Zielgruppen ermitteln und diese mit der absatzmittlergerichteten Strategie abgleichen. Dies wird in Abschnitt 5.1 thematisiert. Danach wird die grundsätzliche Form, die das MehrkanalsysȬ tem annehmen soll, bestimmt, worauf in Abschnitt 5.2 näher eingegangen wird. Im nächsten Schritt erfolgt dann die Selektion spezifischer MarketingȬ kanäle, womit sich Abschnitt 5.3 genauer befasst. Anschließend muss das Management eine Auswahl der einzusetzenden Absatzmittler in einem Marketingkanal treffen. Die Vorgehensweise bei der Selektion von AbsatzȬ mittlern beschreibt Abschnitt 5.4. Im letzten Designprozessschritt muss der Hersteller schließlich die Kooperationsstrategie, die er gegenüber AbsatzȬ mittlern anwenden möchte, festlegen. Dieser Aspekt wird abschließend in Abschnitt 5.5 behandelt. Abbildung 5Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
1 2
Vgl. Venugopal (2001), S. 86. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 186; Wirtz/Lütje (2007), S. 175.
155
4.2
5 Abbildung 5Ȭ1
Design des Mehrkanalsystems
Struktur des Kapitels Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie • Ermittlung zielgruppenspezifischer Kanäle
Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems • Bestimmung der Stufenzahl
• Bedeutung absatzmittler- • Entscheidung bezüglich gerichteter Strategien der Positionierung • Anpassungs-, Umgehungs-, Konfliktund Kooperationsstrategie
• Bestimmung des Differenzierungsgrads
Selektion der Marketingkanäle
• Kriterien zur Kanalselektion
• Identifikation potenzieller • Kommissionsvertrieb Absatzmittler • Vertragshändler- und • Qualitative Verfahren der • Kriterien zur Absatzmittler- Franchisesysteme Kanalselektion segmentierung • Vertriebsbindungs- und • Quantitative Verfahren der Kanalselektion • Selektionsentscheidung und Anpassungsbedarf
• Qualitative Verfahren der Absatzmittlerselektion • • Quantitative Verfahren der Absatzmittlerselektion • Bestimmung der Distributionsintensität
5.1
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
Selektion der Absatzmittler
Alleinvertriebssysteme Strategische Vertriebsallianzen und Partnerschaften
• Netzwerke
Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie
Ermittlung potenziell geeigȬ g neter MarketingȬ g kanäle
Die Ausgestaltung eines Mehrkanalsystems beginnt damit, dass in einer ersten Phase zunächst alle zur Erreichung der relevanten Zielgruppen poȬ tenziell geeigneten Marketingkanäle ermittelt werden. Auf dieser Basis kann dann schrittweise anhand verschiedener Kriterien eine Auswahl der tatsächȬ lich einzusetzenden Kanäle erfolgen. Ausgangsbasis der Ermittlung potenȬ zieller Kanäle stellen die in den Kapiteln C3 und C4 beschriebenen MarktȬ segmentierungen und Strategiedefinitionen zur Ableitung der unternehȬ mensindividuellen MultiȬChannelȬMarketingȬStrategie dar. Eine vereinfachȬ te Struktur der potenziellen Marketingkanäle kann daher nur über die BilȬ dung homogener Gruppen auf Endkundenebene sowie die Einbeziehung verschiedener Strategien, wie der Marktbearbeitungsstrategie sowie der konkurrenzȬȱund abnehmergerichteten Strategie, abgeleitet werden.1
Großes AusȬ gangsspektrum an MarketingȬ g kanälen
Um entsprechende Endkunden anzusprechen, steht dem Hersteller grundȬ sätzlich ein großes Spektrum an potenziell geeigneten direkten und indirekȬ ten Marketingkanälen zur Verfügung. Die Ermittlung geeigneter Kanäle orientiert sich dabei insbesondere an den verschiedenen Bedürfnissen der Kunden und der Nachfrage nach bestimmten Produkten und DienstleistunȬ gen, die auch als Serviceleistungen bezeichnet werden.2 Diese Leistungen beinhalten neben dem Verkauf von Produkten u. a. die räumliche Nähe, das
1 2
156
Vgl. Schögel (1997), S. 33. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 31.
Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie
Angebot unterschiedlicher Produktmengen, bestimmte LieferȬ und WarteȬ zeiten, eine gewisse Auswahl und Vielfalt an Produkten etc. Ein Beispiel soll die unterschiedliche Nachfrage von zwei Zielgruppen nach Serviceleistungen und die daraus resultierende Ermittlung geeigneter MarȬ ketingkanäle verdeutlichen. Zum einen sei eine Person gegeben, die geleȬ gentlich größere Einkäufe auf Vorrat tätigt und zum anderen ein BüroangeȬ stellter, der in der Mittagspause ein Erfrischungsgetränk einnehmen möchte. Beide Zielgruppen unterscheiden sich signifikant bezüglich der oben geȬ nannten Ausprägungen der Serviceleistungen.
5.1 Beispiel für die Ermittlung zielȬ gruppenspezifiȬ scher MarketingȬ g kanäle
Die erstgenannte Person möchte größere Mengen eines Produkts kaufen, erwartet eine große Auswahl und Vielfalt, ist gewillt, ein nicht vorhandenes Produkt erst beim nächsten Einkauf zu beziehen und ist zusätzlich bereit, eine längere Strecke für den Einkauf zurückzulegen. Dahingegen möchte der Büroangestellte für seine Mittagspause lediglich eine Einheit des Produkts kaufen, die räumliche Nähe hat für ihn aufgrund seiner kurzen MittagspauȬ se hohe Priorität und eine große Auswahl an Erfrischungsgetränken ist für ihn weniger wichtig. Bei der Ermittlung geeigneter Marketingkanäle für beide Zielgruppen geht es nun darum, den Kanal zu identifizieren, der die Nachfrage nach den verschiedenen Serviceleistungen am besten deckt. Die Bedürfnisse der PerȬ son, die gelegentlich größere Einkäufe tätigen möchte, lassen sich daher am besten über den Verkauf über verschiedene Ladengeschäfte, wie z. B. einen Supermarkt oder einen Discounter, decken, während bei dem BüroangestellȬ ten der Verkauf über einen nahe seinem Büro positionierten GetränkeautoȬ maten geeignet erscheint. Die Anzahl der potenziell geeigneten Marketingkanäle, die in der ersten Designphase ermittelt wurden, wird in hohem Maße durch die längerfristiȬ gen Verhaltensweisen gegenüber den Absatzmittlern in einem MarketingkaȬ nal, die auch als absatzmittlergerichtete Strategien bezeichnet werden, beeinȬ flusst. In Abhängigkeit der gewählten absatzmittlergerichteten Strategie eines Herstellers können gewisse Marketingkanäle ausgeschlossen werden, wenn sie nicht im Einklang mit dieser Strategie stehen. Neben den Grundsatzentscheidungen über das unternehmenseigene Aktivitätsniveau in einem Kanal, sollten demnach auch Reaktionsmuster bezüglich der MarȬ ketingaktivitäten des Handels getroffen werden.1
1
Vgl. Meffert (2000), S. 605.
157
AbsatzmittlerȬ r gerichtete StrateȬ gien reduzieren mögliche Kanäle
5 Bedeutung absatzmittlerȬ r gerichteter Strategien Vier EntwickȬ lungstendenzen im vertikalen Marketing
Design des Mehrkanalsystems
Bevor die einzelnen absatzmittlergerichteten Strategien beschrieben werden, wird zunächst auf deren Bedeutung im vertikalen Marketing eingegangen. Diese hat in den letzten Jahren nicht zuletzt deshalb zugenommen, weil sich der Handel verstärkt als „Gatekeeper“ gegenüber den Herstellerunternehmen erweist. Hierfür sind vor allem vier Entwicklungstendenzen verantwortlich:1 Konzentration: Im Bereich der Absatzmittler ist eine fortschreitende Konzentration zu beobachten, die dazu führt, dass eine kleinere Anzahl an GroßȬ und Einzelhandelsunternehmen den Markt unter sich aufteilt und ein eigenständiges Handelsmarketing entwickelt. Die Margen der Hersteller geraten hierdurch stark unter Druck und die Abhängigkeit vom Handel erhöht sich zunehmend.
Konkurrenzkampf: Durch die Ausdifferenzierung zahlreicher Märkte und den Markteintritt neuer Anbieter aus dem InȬ und Ausland verstärkt sich bei eher stagnierender Nachfrage der Konkurrenzkampf um RegalȬ plätze bei Handelsunternehmen.
Einkaufsverhalten: Das Einkaufsverhalten der Kunden hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Kunde entwickelt sich immer mehr zum „Hybridkunden“, der die Kanalgrenzen situativ und bedarfsgerecht überschreitet und gleichzeitig mehrere Kanäle nutzt. Dies erschwert die Marketingkanalwahl und die Formulierung langfristig ausgerichteter Strategien für den Hersteller in erheblichem Maße.
PolitischȬrechtlicher Rahmen: Zuletzt wird der handelsgerichtete GesȬ taltungsspielraum der Hersteller von politischȬrechtlichen Maßnahmen beeinflusst. Zum einen verändert der europäische Binnenmarkt die Struktur vieler Mehrkanalsysteme und zum anderen führen zahlreiche Umweltschutzgesetze, wie z. B. Rücknahmeverpflichtungen des HanȬ dels, zu einer veränderten Ausgangssituation im Marketingkanal. In Abhängigkeit einer entweder aktiven oder passiven Verhaltensweise bezüglich der Ausgestaltung von Marketingkanälen und der Reaktion auf die Marketingaktivitäten des Handels ergeben sich insgesamt vier absatzȬ mittlergerichtete Strategieansätze.2 Abschnitt 5.1.1 geht zunächst auf die Anpassungsstrategie ein. Die Umgehungsstrategie wird in Abschnitt 5.1.2 näher erläutert. Abschnitt 5.1.3 befasst sich mit der Konfliktstrategie. AbȬ schließend wird in Abschnitt 5.1.4 die Kooperationsstrategie thematisiert.
1 2
158
Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 288 ff.; Bachem (2004), S. 59; Rosenbloom (2004), S. 6 f. Vgl. Meffert (2000), S. 290.
Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie
5.1.1
5.1
Anpassungsstrategie
Bei dieser Strategie passt sich der Hersteller der Marktführerschaft eines Handelsunternehmens im Marketingkanal an und beruft sich auf überwieȬ gend branchenübliche oder allgemein bewährte Kanäle. Diese Strategie ist demnach auf die bloße Erhaltung vorhandener Kanäle ausgerichtet und geht mit der Duldung des anderen Akteurs im Marketingkanal einher.1
Hersteller passt sich branchenübliȬ chen und bewährȬ r ten Kanälen an
Für die Ermittlung potenzieller Kanäle bedeutet dies, dass direkte Kanäle, auch wenn sie im Sinne der Marketingziele prinzipiell für das MehrkanalȬ system geeignet wären, keine größere Rolle beim Aufbau des Kanalsystems spielen. Der Hersteller weist demnach eine geringe Innovationsneigung bezüglich neuer Kanäle auf, wobei zusätzlich vor allem kleineren HerstelȬ lern meist die Ressourcen für den Aufbau z. B. eines direkten Kanals fehlen und die relative Marktdominanz des Handels ein aggressiveres Reagieren auf die Marketingaktivitäten der Handelsunternehmen nicht zulässt.2
Bedeutung für die Ermittlung poȬ tenzieller Kanäle
Verfolgt ein Hersteller aufgrund des Machtzuwachses des Handels eine derartige Anpassungsstrategie, hat dies zur Folge, dass der Hersteller in Bezug auf das Design eines Mehrkanalsystems relativ unflexibel ist und ihm nur geringe Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Da dieses VerhalȬ ten dem Prinzip marktorientierter Unternehmensführung eindeutig widerȬ spricht, muss der Hersteller konsequent die Situation im Marketingkanal beobachten und auf erfolgskritische Veränderungen, wie beispielsweise Verschiebungen im Sortiment oder Veränderungen der Platzierung, rechtzeiȬ tig reagieren.3
Rechtzeitiges Reagieren des Herstellers erforderlich
5.1.2
Umgehungsstrategie
Im Rahmen der Umgehungsstrategie verzichtet der Hersteller bewusst auf die Kooperation mit dem Handel. Durch die Umgehung des Handels verȬ folgt er das Ziel eines größeren Einflusses auf die MarktȬ und Konsumreife und einer Verminderung der Abhängigkeiten von bestimmten HandelsunȬ ternehmen. Dabei ist festzustellen, dass der Hersteller den Handel häufig nur partiell umgeht und somit indirekte Marketingkanäle nicht vollständig ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden.4
1 2 3 4
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 592. Vgl. Meffert (2000), S. 605; Homburg/Krohmer (2006), S. 520. Vgl. Meffert (2000), S. 291. Vgl. Schögel (1997), S. 89.
159
Hersteller schalȬ tet den Handel (partiell) aus
5
Design des Mehrkanalsystems
Der Hersteller besitzt verschiedene Möglichkeiten, den Handel zu umgeȬ hen.1 So kann er dieses Ziel beispielsweise über herstellereigene Filialen, wie den Fabrikverkauf oder Factory Outlets, über einen herstellereigenen AuȬ ßendienst oder aber über einen Internetdirektvertrieb erreichen. Gerade der Vertrieb über das Internet hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund seines hohen Kosteneinsparungspotenzials als Kanal zur Umgehung des Handels etabliert. Vorteile der UmȬ gehungsstrategie
Im Zusammenhang mit der Umgehungsstrategie ergeben sich für den HerȬ steller bestimmte VorȬȱund Nachteile. Die Vorteile der Strategie liegen insbeȬ sondere in der uneingeschränkten Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit aller Marketinginstrumente über den gesamten Marketingkanal hinweg.2 HierȬ durch kann direkt Einfluss auf die Endabnehmer und die beim Hersteller verbleibende Handelsspanne genommen werden.3
Nachteile der UmgehungsstraȬ tegie
Diesen Vorteilen stehen allerdings auch nicht zu vernachlässigende NachteiȬ le gegenüber. Übernimmt der Hersteller solche Aufgaben, die andernfalls ein Handelsunternehmen ausführen würde, ist mit höheren finanziellen und personellen Aufwendungen zu rechnen.4 Zudem besteht bei der Umgehung des Handels eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass der Hersteller an SortiȬ mentsȬȱ und Verbundeffekten verliert. Dies hätte möglicherweise zur Folge, dass weniger Endkunden angesprochen werden können und ein geringerer Distributionsgrad erreicht wird.5
Bedeutung für die Ermittlung poȬ tenzieller Kanäle
Die Umgehungsstrategie hat gewisse Implikationen für die Ermittlung poȬ tenziell geeigneter Marketingkanäle. Da aufgrund der Umgehung des HanȬ dels mit gewissen Kooperationsproblemen mit einzelnen Absatzmittlern zu rechnen ist, können bestimmte indirekte Kanäle im weiteren SelektionsproȬ zess nicht weiter berücksichtigt werden.
5.1.3 Voraussetzungen einer KonfliktȬ t strategie
Konfliktstrategie
Es gibt unterschiedliche Ursachen dafür, dass ein Hersteller eine KonfliktȬ strategie verfolgt. Voraussetzung einer solchen Strategie ist zunächst, dass ein oder mehrere Konflikte zwischen dem Hersteller und dem Händler vorliegen und dass der Hersteller über eine größere Machtbasis als der AbȬ satzmittler verfügt.
1 2 3 4 5
160
Vgl. Tomczak (1999), S. 69; Meffert (2000), S. 293. Vgl. Meffert (2000), S. 294. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 101. Vgl. Meffert (2000), S. 609. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 101.
Potenzielle Kanäle und absatzmittlergerichtete Strategie
Es gibt eine Vielzahl von Konfliktursachen. So können inkompatible Ziele der Akteure im Marketingkanal zu Konflikten führen, wenn z. B. ein HerȬ steller durch eine Niedrigpreisstrategie schnell wachsen möchte, während der Händler eher höhere Handelsspannen verfolgt.1 Weitere Konfliktfelder können darüber hinaus ein Direktvertrieb des Herstellers, die bevorzugte Verkaufsunterstützung des Händlers für die Produkte des Wettbewerbs und die Weitergabe von Marktinformationen durch den Händler sein.2
5.1 Beispielhafte Konflikte im Marketingkanal
Ein Konflikt kann zudem durch Wahrnehmungsunterschiede zwischen Hersteller und Händler entstehen. Beurteilt der Hersteller beispielsweise die wirtschaftliche Situation optimistischer als seine Händler, so wird er woȬ möglich von diesen verlangen, entgegen deren eigenen Einschätzung den Warenbestand zu erhöhen.3 Lassen sich dieser oder andere Konflikte nicht durch Kooperationen, Diplomatie und Schlichtungen lösen, stellt sich die Konfliktstrategie für den Hersteller möglicherweise als einzige sinnvolle Vorgehensweise dar. Bei der Konfliktstrategie verfolgt der Hersteller eine aktive Gestaltung der Marketingkanäle, indem er die Verhaltensweisen und Nachfragemacht der Absatzmittler bewusst übergeht und missachtet. Ziel des Herstellers ist die Marktführerschaft im Kanal.4 Da ein Unternehmen über die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfolgung einer KonfliktstraȬ tegie verfügen muss, handelt es sich dabei in der Regel um größere UnterȬ nehmen, die in der Lage sind, eine längerfristige Auseinandersetzung mit dem Handel zu führen.5 Diese verfügen zusätzlich häufig über starke MarȬ kenartikel und genießen zudem eine gute Reputation bei den Endkunden.
Hersteller strebt Führung im MarȬ r ketingkanal an
Die Marketingkanäle, die im ersten Schritt als potenziell geeignet ermittelt wurden, werden aufgrund der starken Machtposition des Herstellers kaum weiter reduziert, so dass ein breites Spektrum an potenziellen Kanälen für den weiteren Selektionsprozess übrig bleibt. Auch auf die Gefahr hin, dass der Aufbau eines Direktvertriebs zu Provokationen des Handels führt, kann der Hersteller mit der Konfliktstrategie grundsätzlich seine Interessen auch in indirekten Kanälen durchsetzen.
Bedeutung für die Ermittlung poȬ tenzieller Kanäle
1 2 3 4 5
Vgl. Kotler et al. (2003), S. 1121. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 59. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 248 f.; Kotler et al. (2003), S. 1121. Vgl. Meffert (2000), S. 292. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 592.
161
5 Konfliktstrategie führt langfristig zu alternativer Strategie
Design des Mehrkanalsystems
Eine Konfliktstrategie ist längerfristig für keinen der Beteiligten erstrebensȬ wert. Daher wird der Hersteller versuchen, durch ein aktives Reagieren auf die Marketingaktivitäten des Händlers seine Zielvorstellungen durchzusetȬ zen, was letztendlich in einer KooperationsȬȱoder Umgehungsstrategie resulȬ tieren wird.1 Der Übergang von einer KonfliktȬȱzu einer KooperationsstrateȬ gie ist oftmals fließend.
5.1.4
Kooperationsstrategie
Partnerschaften mit dem Handel soll den Erfolg maximieren
Im Rahmen der Kooperationsstrategie wird das absatzmittlergerichtete Beziehungsmarketing intensiviert und Partnerschaftssysteme zwischen Hersteller und Händler, die als eigenständige Marketingkanäle geführt werȬ den, entwickelt.2 Die Ausgestaltung einer herstellerinitiierten KooperationsȬ strategie verfolgt das Ziel, die Absatzmittler so zu beeinflussen, dass die Marketingaktivitäten wechselseitig koordiniert werden können und durch die gemeinsame Marktbearbeitung der Erfolg des gesamten MehrkanalsysȬ tems insgesamt maximiert wird.3
Mögliche KoopeȬ rationsfelder
Es gibt mehrere denkbare Kooperationsfelder zwischen Hersteller und AbȬ satzmittler. So können z. B. durch ein verbessertes Schnittstellenmanagement Prozesse effizienter gestaltet werden.4 Darüber hinaus können Absatzmittler in den Produktentwicklungsprozess integriert werden und wertvolle EinȬ wände in Bezug auf Marktentwicklungen und Kundenwünsche einbringen. Hierdurch kann der Vertriebspartner an das Produkt gebunden werden. Zudem kann er auch seine Vorstellungen über die Zusammensetzung des Sortiments äußern und bezüglich Kundenwünschen unterstützend sein.
Kooperationen unterscheiden sich in Umfang und Intensität
Die Kooperation zwischen einem Hersteller und seinen Vertriebspartnern kann sich in Umfang und Intensität unterscheiden. Hierbei erfolgt eine UnȬ terscheidung anhand der durch die Kooperation betroffenen FunktionsbeȬ reiche des Unternehmens und der Stärke der Zusammenarbeit in einem bestimmten Kooperationsfeld.5
Vier KooperaȬ tionsstrategien
Grundsätzlich gibt es vier Kooperationsstrategien, die ein Unternehmen verfolgen kann. Diese lassen sich anhand von zwei Dimensionen definieren. Bei den Dimensionen handelt es sich einerseits um die Kommunikation mit dem Vertriebspartner und andererseits um die Partizipation des VertriebsȬ partners an den Entscheidungen des Anbieters (vgl. Abbildung 5Ȭ2).6 1 2 3 4 5 6
162
Vgl. Meffert (2000), S. 606. Vgl. Schögel (1997), S. 88. Vgl. Meffert (2000), S. 606. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 60. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 298. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 60.
Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems
hoch
Abbildung 5Ȭ2
Vorsichtiges Annähern
Echte Kooperation
niedrig
Kommunikation mit dem Vertriebspartner
Kooperationsstrategien1
5.2
Transaktionsbeziehung
Machtbeziehung
niedrig
hoch
Partizipation des Vertriebspartners an Entscheidungen des Anbieters
Die Kooperationsstrategie des Herstellers hat gewisse Implikationen für die Ermittlung potenzieller Marketingkanäle. So müssen vor allem direkte KaȬ näle detailliert dahingehend überprüft werden, inwieweit sie mit der KoopeȬ rationsstrategie vereinbar sind. Möglicherweise muss zumindest teilweise vom Aufbau eines Direktvertriebs aus politischen Gründen abgerückt werȬ den, obwohl dieser sich grundsätzlich für das Mehrkanalsystem eignen würde. Hierbei spielen insbesondere Aspekte, wie z. B. die Möglichkeit der Rücksichtsnahme auf Interessen der anderen Partei, eine Rolle bei der weiteȬ ren Berücksichtigung von potenziellen Kanälen.
5.2
Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems
Nachdem das Management ein gewisses Spektrum an möglichen MarkeȬ tingkanälen, das im Einklang mit der absatzmittlergerichteten Strategie im vertikalen Marketing steht, ermittelt hat, gilt es im nächsten Schritt, die opȬ timale Form des Mehrkanalsystems zu bestimmen. Optimal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Marketingaufgaben im Sinne des langfrisȬ tigen Erfolgs effektiv und zu minimalen Kosten ausgeführt werden.
1
Bedeutung für die Ermittlung poȬ tenzieller Kanäle
In Anlehnung an Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 61.
163
Optimale Form des MehrkanalȬ systems
5 Bestimmung einer optimalen Form schwierig
Design des Mehrkanalsystems
Die Entscheidung für eine optimale Form ist für das Management allerdings nahezu unmöglich.1 Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen müsste das Management sämtliche potenziell möglichen Kanalsysteme berücksichtigen, was an den Faktoren Information und Zeit zumeist scheitert. Zum anderen ist die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit eines Systems sehr schwierig, da die zugrunde liegenden Annahmen und Variablen von hoher Unsicherheit geȬ prägt sind, so dass die Berechnung entscheidungsrelevanter Kriterien, wie z. %. des Gewinns, gewissen Fehlern unterworfen ist. Bei der Bestimmung der Form eines Mehrkanalsystems sollten drei zentrale Komponenten mit einbezogen werden. Erstens muss die Anzahl der DistriȬ butionsstufen in den einzelnen Marketingkanälen ermittelt werden, worauf in Abschnitt 5.3.1 eingegangen wird. Zweitens muss eine Entscheidung in Bezug auf die Positionierung des Mehrkanalsystems getroffen werden. Mit diesem Sachverhalt befasst sich Abschnitt 5.3.2 näher. Drittens muss sich das Management überlegen, welchen Grad der Differenzierung das MehrkanalȬ system annehmen soll. Dies wird in Abschnitt 5.3.3 thematisiert.
5.2.1
Bestimmung der Stufenzahl
Definition der Stufenzahl
Unter der Stufenzahl versteht man die Anzahl von Stufen, über die ein ProȬ dukt vom Hersteller zum Endkunden gelangt. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Stufenzahl wird grundsätzlich analysiert, auf welche Weise die verschiedenen Vertriebsaufgaben im Marketingkanal auf potenzielle AkteuȬ re zu verteilen sind, damit das Produkt effizient, d. h. kostengünstig, zum Endkunden gelangt. Der Hersteller hat dabei die Möglichkeit, sich zwischen zweistufigen (direkter Kanal) sowie dreiȬȱ und mehrstufigen (indirekter KaȬ nal) Marketingkanälen zu entscheiden.
Einflussfaktoren für die BestimȬ mung der StufenȬ zahl
Auf Basis effizienzȬ und effektivitätsbezogener Überlegungen gibt es einige Einflussfaktoren, die bei der Bestimmung der Stufenzahl eines MarketingȬ kanals eine bedeutsame Rolle spielen.2 Wesentliche Faktoren sind hierbei die Komplexität des Produkts, die Zahl der Endkunden, der monetäre Wert des Produkts, die Kontrolle der Vertriebsaktivitäten sowie die Kundennähe und Ȭloyalität.
Bestimmung der optimalen StuȬ fenzahl
Je nach Ausprägung dieser Faktoren sind für einzelne Marketingkanäle im konkreten Fall unterschiedliche Stufenzahlen vorzuziehen. Für den Fall, dass es sich um ein sehr komplexes bzw. beratungsintensives Produkt hanȬ delt, wie z. B. ein Bankprodukt, eine hohe Kundennähe undȱȬloyalität wichȬ tig sind, die Vertriebsaktivitäten kontrolliert werden sollen oder die GeȬ 1 2
164
Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 206. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 873 ff.
Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems
5.2
winnung kundenbezogener Information im Vordergrund steht, sollte sich ein Hersteller eher für einen zweistufigen bzw. direkten Marketingkanal entscheiden. Im Falle einer hohen Zahl an Endkunden und eines geringen monetären Werts des Produkts ist dagegen eher der indirekte Vertrieb bzw. ein mehrstuȬ figer Marketingkanal mit verschiedenen Absatzmittlern zu bevorzugen. Tabelle 5Ȭ1 stellt die Einflussfaktoren bei der Bestimmung der Stufenzahl dar.
Einflussfaktoren bei der Bestimmung der Stufenzahl1 Einflussfaktor
Effizienz-/ Effektivitätsüberlegung
Tabelle 5Ȭ1 Direkter Vertrieb
Indirekter Vertrieb
Hohe Komplexität des Produktes
Effizienzüberlegung
Hohe Zahl an Kunden
Effizienzüberlegung
X
Geringer monetärer Wert des Produktes
Effizienzüberlegung
X
X
Hohe Kundennähe und Kundenloyalität
Effektivitätsüberlegung
X
Kontrolle der Vertriebsaktivitäten
Effektivitätsüberlegung
X
Gewinnung kundenbezogener Informationen
Effektivitätsüberlegung
X
In der Praxis zeigt sich, dass in vielen Unternehmen auf Grund unterschiedȬ licher Ausprägungen oben genannter Einflussfaktoren kein MehrkanalsysȬ tem vorliegt, dass ausschließlich auf entweder direkten oder indirekten Marketingkanälen basiert. Vielmehr liegt eine Kombination aus verschieȬ denstufigen Kanälen vor, da das Unternehmen sowohl komplexe als auch weniger komplexe Produkte herstellt, in einigen Bereichen die VertriebsaktiȬ vitäten mehr und in anderen weniger kontrollieren möchte und bei beȬ stimmten Endkunden eine höhere Kundennähe als bei anderen verfolgt.
1
In Anlehung an Homburg/Krohmer (2006), S. 873 f.
165
Kanalsystem meist aus verȬ r schiedenstufigen Kanälen
5
Design des Mehrkanalsystems
5.2.2
Entscheidung bezüglich der Positionierung
Definition der Positionierungg
Bei der Bestimmung der Form eines Mehrkanalsystems spielt neben der Ermittlung der Stufenzahl auch die Entscheidung hinsichtlich der PositioȬ nierung des Kanalsystems eine wichtige Rolle. Unter der Positionierung wird dabei eine Art Reputation des Herstellers für die Bereitstellung von Produkten, Dienstleistungen, Systemen etc. verstanden.1
Ziele der Positionierung
Mit der Positionierung eines Mehrkanalsystems verfolgt ein Hersteller das Ziel, durch die Erlangung einer bestimmten Reputation bei Absatzmittlern einen Wettbewerbsvorteil zu realisieren.2 Schafft es der Hersteller, bei seinen Händlern durch eine differenzierte Positionierung zu einem bevorzugten Anbieter zu werden, kann er insoweit Vorteile erlangen, als dass die Händler die Produkte und Dienstleistungen des Herstellers gegenüber der KonkurȬ renz bevorzugen.3
MarketingȬ gȬMix bei der PositioȬ nierung mit einȬ beziehen
Bei der Positionierung eines Mehrkanalsystems gilt es ähnlich wie beiȬ spielsweise bei der Positionierung eines Produkts, die Instrumente des MarȬ ketingȬMix mit einzubeziehen. Anhand der vier MarketingȬMixȬ Komponenten können die einzelnen Marketingkanäle so ausgestaltet werȬ den, dass die Bedürfnisse der Abnehmer in hohem Maße befriedigt werden und somit das gesamte Mehrkanalsystem eine entsprechende Reputation erreicht.4
Partnerschaft als SchlüsselȬ komponente
Ein wichtiger Sachverhalt in Verbindung mit der Positionierung des MehrȬ kanalsystems ist die Haltung, die der Hersteller gegenüber den AbsatzmittȬ lern einnimmt. Das Management sollte die Beziehung zu den wichtigsten Absatzmittlern als langfristige Partnerschaft betrachten und dies bei der Positionierung des Kanalsystems auch berücksichtigen.5 Gerade unter GeȬ winnmaximierungsaspekten bietet eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit auf langfristige Sicht größere Vorteile als eine Überbetonung kurzfristiger Taktierungsmaßnahmen.6 Hinsichtlich der Erreichung eines möglichen Wettbewerbsvorteils ist bei der Positionierung des Mehrkanalsystems als partnerschaftlichem System wichtig, dass dieser Mehrwert auch als solcher von den relevanten Absatzmittlern wahrgenommen wird.
1 2 3 4 5 6
166
Vgl. Narus/Anderson (1988), 33. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 429. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 321 Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 33. Vgl. Hardy/Magrath (1988), S. 87. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 165.
Bestimmung der Form des Mehrkanalsystems
5.2.3
5.2
Bestimmung des Differenzierungsgrads
Im Rahmen der Entscheidung für eine bestimmte Form des MehrkanalȬ systems wird auf den Differenzierungsgrad des Systems als dritte und letzte Entscheidungskomponente eingegangen. Unter dem Differenzierungsgrad wird dabei die Varietät der im Mehrkanalsystem eingesetzten MarketingkaȬ näle verstanden.1 Der Differenzierungsgrad eines Mehrkanalsystems defiȬ niert sich also darüber, wie stark sich die Basisformen der einzelnen MarkeȬ tingkanäle voneinander unterscheiden.
DifferenzierungsȬ grad als Varietät der Kanäle
Ein niedriger Differenzierungsgrad liegt vor, wenn ähnliche MarketingkanäȬ le miteinander kombiniert werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn überwiegend gleichstufige Kanäle nebeneinander eingesetzt werden. Werden dagegen verschiedenstufige Marketingkanäle miteinander verbunȬ den, so spricht man von einem hohen Differenzierungsgrad.2 Dieser Fall liegt z. B. dann vor, wenn ein Hersteller neben einem eigenen Außendienst und einem Internetdirektvertrieb auch ein Netz an GroßȬȱ und EinzelhanȬ delsunternehmen in sein Mehrkanalsystem mit einbeziehen möchte.
Niedriger vs. hoher DifferenȬ zierungsgrad
Es gibt verschiedene Faktoren, die einen Einfluss auf die Varietät der im Mehrkanalsystem eingesetzten Marketingkanäle haben. Stellt sich z. B. das Kundenverhalten derart dar, dass ein Produkt nicht nur über einen Kanal nachfragt wird, ist ein höherer Differenzierungsgrad empfehlenswert, damit das gesamte Umsatzpotential ausgeschöpft werden kann.3 Eine Bank beiȬ spielsweise sollte seine Produkte daher über viele verschiedene MarketingȬ kanäle vertreiben, damit ein größerer Anteil an potenziellen Kunden angeȬ sprochen werden kann.
Einflussfaktoren auf den DifferenȬ zierungsgrad
Ein weiterer Faktor, der die Varietät eines Kanalsystems bestimmen kann, ist die mögliche Gefahr von Kanalkonflikten, die sich auf Grund von KannibaliȬ sierungseffekten durch den potenziellen Aufbau eines Direktvertriebs seiȬ tens des Herstellers ergeben können.4 Sieht sich ein Hersteller auf Grund einer dominanten Machtposition des Absatzmittlers gewissen VergeltungsȬ maßnahmen ausgesetzt, sollte er möglicherweise einen Direktvertrieb nicht durchsetzen, sondern weiterhin über ein indirektes Kanalsystem seine ProȬ dukte vertreiben. Die Folge wäre ein Mehrkanalsystem mit einem eher geȬ ringeren Differenzierungsgrad.
1 2 3 4
Vgl. Schögel (1997), S. 133. Vgl. Schögel (1997), S. 133. Vgl. Hardy/Magrath (1988), S. 14. Vgl. Coughlan et al. (2001).
167
5 VorȬ r und Nachteile eines hohen DifferenȬ zierungsgrads
Design des Mehrkanalsystems
Aus den unterschiedlichen Differenzierungsgraden ergeben sich für einen Hersteller sowohl VorȬ als auch Nachteile. Diese sind stark an die in Kapitel B5 aufgeführten Chancen und Risiken eines Mehrkanalsystems angelehnt. So ermöglicht eine höhere Varietät der Marketingkanäle eine insgesamt breitere Distribution und folglich eine größere Marktabdeckung.1 Dadurch können die Gesamtumsätze tendenziell erhöht werden. Auch eine größere CrossȬSellingȬRate sowie Verringerungen von Abhängigkeiten gehen mit einem höheren Differenzierungsgrad einher. Auf der anderen Seite stehen mit einer höheren Varietät der MarketingkanäȬ le auch bestimmte Nachteile in Verbindung. So nimmt der SteuerungsȬ und Koordinationsaufwand auf Grund einer erhöhten Komplexität bei vielen verschiedenen Kanälen stark zu. Eine weitere Gefahr besteht in einer mögliȬ chen Verwirrung von Endkunden sowie in potenziellen Konflikten mit dem Handel, insbesondere durch den Aufbau eines Direktvertriebs. Mit der Bestimmung des Differenzierungsgrads wird die Ermittlung einer optimalen Form des Mehrkanalsystems abgeschlossen. Dabei spielt die Varietät eine genauso große Rolle, wie die Bestimmung der Stufenzahlen verschiedener Marketingkanäle sowie die Entscheidung für eine bestimmte Positionierung des Kanalsystems. Alle drei Entscheidungskomponenten, die in die Bestimmung der Form eines Mehrkanalsystems gleichsam mit einflieȬ ßen, sind in Abbildung 5Ȭ3 dargestellt.
Abbildung 5Ȭ3
Bestimmung der Form eines Mehrkanalsystems Stufenzahl • Anzahl der Stufen, über die ein Produkt zum Endkunden gelangen soll • Auswahl zwischen mehrstufigen Marketingkanälen
Positionierung • Reputation des Herstellers für die Bereitstellung von Produkten, Dienstleistungen etc. • Ziel ist die Erreichung von Wettbewerbsvorteilen
Form des Mehrkanalsystems
1
168
Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 244.
Differenzierungsgrad • Varietät der im Mehrkanalsystem eingesetzten Marketingkanäle • Entscheidung zwischen hohem und niedrigem Differenzierungsgrad
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
5.3
5.3
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
Nachdem die potenziell geeigneten Marketingkanäle mit der grundsätzliȬ chen absatzmittlergerichteten Strategie im vertikalen Marketing abgeglichen sind und eine Entscheidung für eine Form des Mehrkanalsystems getroffen wurde, kommt es in der nächsten Phase des Designs eines MehrkanalsysȬ tems schließlich zur Selektion von Marketingkanälen. Durch die Auswahl spezifischer Kanäle nimmt das Mehrkanalsystem somit eine konkrete Form an und stellt im Hinblick auf die spätere Umsetzung des Kanalsystems einen entscheidenden Schritt dar. Die Auswahl von Marketingkanälen wird von verschiedenartigen Faktoren beeinflusst. Diese als Bestimmungsfaktoren der Kanalselektion bezeichneten Größen können als Grundlage der Entscheidung für bestimmte KanalausȬ gestaltungsformen dienen. Auf die verschiedenen Bestimmungsfaktoren wird in Abschnitt 5.3.1 näher eingegangen. Zur endgültigen Auswahl von Kanälen kann ein Hersteller schließlich auf verschiedene Verfahren zurückgreifen, die sich einerseits in qualitative und andererseits in quantitative Verfahren einteilen lassen. Während Abschnitt 5.3.2 zunächst die geläufigsten qualitativen Verfahren thematisiert, geht Abschnitt 5.3.3 auf die bekannteren quantitativen Verfahren ein. Trotz der langfristigen Orientierung eines Mehrkanalsystems ist ein regelmäßiger Anpassungsbedarf des bestehenden Systems und der Marketingkanäle unȬ umgänglich. Abschnitt 5.3.4 befasst sich hiermit genauer.
5.3.1
Bestimmungsfaktoren der Marketingkanalselektion
Grundsätzlich können drei unterschiedliche Bestimmungsfaktoren angeȬ führt werden, die die Selektion eines Marketingkanals beeinflussen.1 Hierbei handelt es sich um absatzmittlerbezogene Faktoren, um unternehmensȬ und konkurrenzbezogene Faktoren sowie um Faktoren, die sich nach dem ProȬ dukttyp richten (vgl. Abbildung 5Ȭ4).
1
Vgl. Ahlert (1991), S. 52 ff.
169
Drei Arten von BestimmungsfakȬ toren zur KanalȬ selektion
5 Abbildung 5Ȭ4
Design des Mehrkanalsystems
Bestimmungsfaktoren der Marketingkanalselektion Bestimmungsfaktoren der Kanalselektion
AbsatzmittlerbeȬ zogene BestimȬ mungsfaktoren
Absatzmittlerbezogen
Unternehmens- und konkurrenzbezogen
Produktbezogen
• Anzahl und Verfügbarkeit • Image des Händler • Marktabdeckung • Kreditwürdigkeit • ...
• Größe und finanzielle Situation des Herstellers • Konkurrenzverhalten • Substitutionalitätsgrad • ...
• Wiederbeschaffungsrate • Gewinnspanne • Anpassung an Kundenbedürfnisse • ...
Hinsichtlich der absatzmittlerbezogenen Faktoren stellen die Anzahl und Verfügbarkeit von Absatzmittlern im jeweiligen Marketingkanal einen wichȬ tigen Hinweis dafür dar, ob eine ausreichende Menge an HandelsunternehȬ men zur Kooperation bereit ist oder ob zuerst größere Aufwendungen für Neuakquisitionen getätigt werden müssten.1 Zusätzlich spielen auch die Fähigkeit und die Qualität der Absatzmittler zur Übernahme bestimmter Handelsaktivitäten, wie z. B. Umfang der HandelsȬ aktivitäten, Qualität der Funktionserfüllung, Image des Händlers und die Kooperationsbereitschaft, eine wichtige Rolle.2 So ist das Image des HändȬ lers insbesondere für einen Automobilhersteller auf Grund der Exklusivität seiner Produkte von großer Bedeutung. Darüber hinaus sind unmittelbar erfolgsbestimmende AbsatzmittlereigenȬ schaften, wie beispielsweise die Umsatzentwicklung, die Auftragsgröße, die Marktabdeckung, die Konditionenanforderungen, die Größe, die KreditȬ würdigkeit sowie das Wachstumspotenzial eine Auswahl wichtiger FaktoȬ ren, die die Marketingkanalwahl determinieren.3 Möchte ein Hersteller beispielsweise sehr schnell mit einem neuen Produkt expandieren, sollte ein Absatzmittler eine sehr hohe Reichweite vorweisen können.
UnternehmensȬ und konkurrenzȬ bezogene BestimȬ mungsfaktoren
Die zweite Gruppe von Bestimmungsfaktoren einer MarketingkanalselektiȬ on kann in unternehmensȬȱ und konkurrenzbezogene Faktoren unterteilt werden. Bezüglich der unternehmenbezogenen Faktoren können beispielsȬ weise der Standort und die Größe des Herstellers, die Breite und Tiefe des Absatzprogramms, das Managementfachwissen, der Kontrollwunsch sowie
1 2 3
170
Vgl. Ahlert (1991), S. 52; Berman (1996), S. 491. Vgl. Berman (1996), S. 491. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 233 ff.
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
5.3
die finanzielle Situation einen Einfluss auf die Auswahl eines geeigneten Marketingkanals haben.1 Ist die finanzielle Situation eines Herstellers beiȬ spielsweise angespannt, sollte der Aufbau eines Direktvertriebs auf Grund fehlender finanzieller Ressourcen nicht angegangen werden. Hinsichtlich der konkurrenzbezogenen Faktoren sollten unter anderem der Grad der Substitutionalität der Anbieterprodukte, das Konkurrenzverhalten sowie konkurrierende Mehrkanalsysteme bei der Marketingkanalauswahl ihre Beachtung finden.2 Auch die Anzahl der Konkurrenten, die Art der Konkurrenzprodukte sowie der Wettbewerbsdruck in bisherigen und neuen Marketingkanälen sollten berücksichtigt werden.3 Stellt sich die Konkurrenz in einem bestimmten Marketingkanal als sehr groß dar, sollte dieser Kanal möglicherweise von Anfang an gemieden werden. Ein dritter Bestimmungsfaktor der Kanalselektion basiert auf Aspinwall´s „Parallel Systems Theory“. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen stehen die Produkteigenschaften.4 Danach werden alle Produkte nach den Kriterien Wiederbeschaffungsrate, Gewinnspanne, VerbrauchsȬ und Suchzeit sowie Anpassung an Kundenbedürfnisse charakterisiert. 5
ProdukttypȬ bezogene BestimmungsȬ faktoren
Auf Basis dieser Produkteigenschaften können alle Produkte auf einem kontinuierlichen Farbspektrum von rot über orange bis gelb klassifiziert werden. Dabei weisen rote Produkte insbesondere eine hohe WiederbeschafȬ fungsrate und niedrige Werte bei den anderen vier Eigenschaften auf, wähȬ rend gelbe Produkte durch genau die entgegen gesetzten Werte charakteriȬ siert sind.6 Tabelle 5Ȭ2 stellt die Farbklassifikation in Abhängigkeit der AusȬ prägungen der Produkteigenschaften dar.
FarbklassifiȬ kation nach Aspinwalll
1 2 3 4 5 6
Vgl. Berman (1996), S. 488 f.; Meffert (2000), S. 623. Vgl. Ahlert (1991), S. 55. Vgl. Meffert (2000), S. 623. Vgl. Specht (1998), S. 161. Vgl. im Folgenden Berman (1996) S. 487; Rosenbloom (2004), S. 207. Vgl. Specht (1998), S. 161 f.
171
5 Tabelle 5Ȭ2
Design des Mehrkanalsystems
Farbklassifikation auf Basis der fünf Produkteigenschaften1 Farbklassifikation
Produkteigenschaft
Wiederbeschaffungsrate Gewinnspanne Verbrauchszeit Suchzeit Anpassung
FarbklassifikaȬ tion bestimmt Marketingkanal
Rote Produkte
Orange Produkte
Gelbe Produkte
hoch
mittel
niedrig
niedrig
mittel
hoch
niedrig
mittel
hoch
niedrig
mittel
hoch
niedrig
mittel
hoch
Die Klassifikation von Produkten in eine der drei Gruppen determiniert die Wahl eines Marketingkanals. Da es sich bei den „roten“ Produkten in der Regel um wertmäßig billigere Produkte handelt, die häufig von VerbrauȬ chern nachgefragt und als Verbrauchsgüter bezeichnet werden, bieten sich für derartige Güter vornehmlich indirekte Marketingkanäle an. Dagegen liegen bei „gelben“ Produkte vor allem Güter vor, die nur sehr unregelmäßig gekauft werden und auch als Gebrauchsgüter bezeichnet werden. Bei diesen Gütern wünscht der Kunde meist einen direkten Kontakt zum Hersteller, was den Vertrieb über einen direkten Marketingkanal impliȬ ziert.2 Bei den „orangenen“ Produkten liegen Güter vor, bei denen fallweise über den geeigneten Marketingkanal entschieden wird. Abbildung 5Ȭ5 stellt den Einfluss des Produkttyps auf die Kanalselektion dar.
Abbildung 5Ȭ5
Einfluss des Produkttyps auf die Marketingkanalselektion3 Produkttyp
rot
orange
gelb
Marketingkanal
indirekt
direkt/indirekt
direkt
1 2 3
172
In Anlehnung an Berman (1996), S. 487. Vgl. Berman (1996), S. 487. In Anlehnung an Rosenbloom (2004), S. 208.
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
5.3.2
5.3
Qualitative Verfahren der Marketingkanalselektion
Zur endgültigen Auswahl von Marketingkanälen kann das Management eines Mehrkanalsystems u. a. auf qualitative Verfahren zurückgreifen. Bei diesen Verfahren werden VorȬ und Nachteile potenziell geeigneter Kanäle gegenübergestellt und eine Entscheidung meist durch ein sukzessives AbarȬ beiten von Checklisten getroffen. Im Gegensatz zu quantitativen Methoden spielen die intuitiven Fähigkeiten und die subjektive Einschätzung des EntȬ scheidungsträgers eine wichtige Rolle.1 Im Einzelnen soll mit dem heuristiȬ schen Verfahren, dem Punktbewertungsverfahren und dem Absatzportfolio auf drei wichtige qualitative Verfahren näher eingegangen werden.
Drei qualitative Verfahren zur MarketingkanalȬ selektion
Heuristische Verfahren liefern eine relativ einfache Entscheidungsgrundlage für die Auswahl von Marketingkanälen. Aufgrund der jedoch sehr generiȬ schen Vorgehensweise bieten diese Verfahren eher allgemeine Hinweise für eine richtige Kanalauswahl. Es werden überwiegend eindimensionale EntȬ scheidungsheuristiken verwendet, die sich vor allem auf ein zentrales KriteȬ rium, wie z. B. Charakteristika der Produkte oder des Zielmarkts, stützen, da die Erfassung des gesamten Entscheidungskomplexes der MarketingkaȬ nalstruktur mittels Heuristiken nahezu unmöglich ist.2
Heuristische Verfahren
Ein Vorteil von heuristischen Verfahren stellt die unkomplizierte und schnelȬ le Durchführbarkeit dar.3 Eine Selektion von Marketingkanälen kann anȬ hand von wenigen zentralen Kriterien erfolgen. Darüber hinaus kann mit Heuristiken eine Art Vorauswahl relevanter Marketingkanäle getroffen werȬ den, indem irrelevante Alternativen von vornherein eliminiert werden. Durch die Einschränkung des Möglichkeitsraums kann das nachfolgende Entscheidungsproblem signifikant vereinfacht werden.4
Vorteile von heuristischen Verfahren
Nachteil der heuristischen Verfahren ist, dass viele Entscheidungen nur auf subjektiven Einschätzungen des Entscheidungsträgers basieren und so geȬ nannte Faustregeln darstellen, wodurch eine Optimierung des EntscheiȬ dungsproblems nur schwierig erreichbar ist. Da viele Zielgrößen nur geȬ schätzt und erahnt werden können, fehlt es demzufolge an Präzision und Genauigkeit.5
Nachteile von heuristischen Verfahren
Eine Möglichkeit zur Marketingkanalselektion stellen PunktbewertungsverȬ fahren oder so genannte „ScoringȬModelle“ dar. Dabei handelt es sich um eine Methode zur systematischen Alternativenauswahl, wobei sich die GeȬ
PunktbewerȬ r tungsverfahren
1 2 3 4 5
Vgl. Meffert (2000), S. 625. Vgl. Rimpler (1995), S. 230 f. Vgl. Specht (1998), S. 167. Vgl. Rimpler (1995), S. 231. Vgl. Specht (1998), S. 167; Rosenbloom (2004), S. 216.
173
5
Design des Mehrkanalsystems
samtbeurteilung einzelner Alternativen aus der gewichteten Summe von Teilbeurteilungen zusammensetzt. Die Beurteilung von Marketingkanälen erfolgt anhand verschiedener Merkmale, die in der Regel qualitativer Natur sind.1 Im Gegensatz zu einfachen Checklisten berücksichtigt diese Methode den Grad, zu dem ein Marketingkanal jeweils verschiedene Kriterien erfüllt.2 Vorgehensweise bei PunktbewerȬ r tungsverfahren
Die Erstellung eines ScoringȬModells läuft in mehreren Schritten ab.3 Zunächst werden erfolgsrelevante und hinreichend überschneidungsfreie BewertungskriȬ terien definiert und deren Gewichtung bestimmt. Danach wird ein MarketingȬ kanal in Bezug auf die Erfüllung der einzelnen Kriterien bewertet und abȬ schließend ein Gesamtwert zur Beurteilung des Kanals rechnerisch ermittelt.
Vorteile eines ScoringȬ gȬModells
Der Einsatz von ScoringȬModellen bringt einige Vorteile mit sich. HervorzuȬ heben ist insbesondere die Systematik, mit der eine Alternativenauswahl erfolgt. Gegenüber herkömmlichen Heuristiken basieren die EntscheidunȬ gen nicht auf subjektiven Einschätzungen. Ein weiterer Vorteil liegt in der Flexibilität und Einfachheit dieser Modelle.4 Auch die Anschaulichkeit der Modelle und die intersubjektive Vergleichbarkeit sind positiv zu bewerten.5 Zudem ermöglichen diese Modelle die Gewichtung einzelner Kriterien, wodurch die Bedeutung unterschiedlicher Faktoren berücksichtigt werden kann. Die Hinzunahme so genannter „KOȬKriterien“ kann sogar dazu fühȬ ren, dass ein bestimmter Marketingkanal unabhängig von den AusprägunȬ gen der anderen Kriterien als Alternative ausscheidet.6
Nachteile eines ScoringȬ gȬModells
Ein Nachteil der ScoringȬModelle stellt die Subjektivität bei der Anwendung dar. Insbesondere die Auswahl der relevanten Kriterien, die Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie die Bestimmung und Gewichtung der Kriterien liegen im Ermessungsspielraum des Entscheidungsträgers und erfolgen somit auf subjektiver Basis.7
Absatzportf tfolio
Abschließend soll auf das Absatzportfolio als drittes qualitative Verfahren der Marketingkanalselektion eingegangen werden. In Anlehnung an das Portfoliomodell von McKinsey werden durch die beiden Dimensionen „AttȬ raktivität des Marketingkanals und „Unternehmensposition im MarketingȬ kanal“ unter Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren gewichtete Punktwerte bestimmt, anhand derer die Positionierung verschiedener MarȬ ketingkanäle ermöglicht wird.8 1 2 3 4 5 6 7 8
174
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 463. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 583. Vgl. Rimpler (1995), S. 233 f.; Homburg/Krohmer (2006), S. 583. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 463; Homburg/Krohmer (2006), S. 583. Vgl. Meffert (2000), S. 625. Vgl. Rimpler (1995), S. 233. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 464. Vgl. Specht (1998), S. 169.
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
5.3
Die Attraktivität des Marketingkanals wird über Kanaleigenschaften, wie z. B. Wettbewerbsverhältnisse oder Margensituation, bestimmt. Die UnterȬ nehmensposition im Marketingkanal wird dagegen über unternehmensbeȬ stimmte Faktoren, wie beispielsweise Vertriebsressourcen des UnternehȬ mens oder Anpassungsvermögen an die Anforderungen im Marketingkanal, festgelegt.1 Auf Basis der Bewertung verschiedener Marketingkanäle anhand der vorgeȬ stellten Dimensionen und der Positionierung im Absatzportfolio können verschiedene Normstrategien abgeleitet werden. Grundsätzlich lassen sich dabei drei Strategien heranziehen.2 Für hohe Werte bezüglich der beiden Dimensionen ist ein Aufbau bzw. eine Erweiterung, für mittlere Werte ein selektives Vorgehen, also entweder ein AufȬ oder Abbau, und für niedrige Werte ein Abbau der Marketingkanäle empfehlenswert. Abbildung 5Ȭ6 stellt ein Absatzportfolio anhand von drei Marketingkanälen exemplarisch dar.
Ableitung von Normstrategien
Absatzportfolio zur Marketingkanalselektion3
Abbildung 5Ȭ6
Vertrieb über Außendienst
Unternehmensposition im Marketingkanal
stark InternetDirektvertrieb
Selektives Vorgehen
mittel
schwach
Vertrieb über Discounter
Aufbau
Abbau
niedrig
mittel
hoch
Attraktivität im Marketingkanal
1 2 3
Vgl. Rimpler (1995), S. 239. Vgl. Meffert (2000), S. 251. In Anlehnung an Rimpler (1995), S. 238.
175
5
Design des Mehrkanalsystems
5.3.3
Quantitative Verfahren der Marketingkanalselektion
Zwei quantitatiȬ ve Verfahren der MarketingkanalȬ selektion
Obwohl qualitative Verfahren aufgrund ihrer einfachen und schnellen AnȬ wendbarkeit eine praktische Entscheidungsunterstützung für die MarkeȬ tingkanalselektion darstellen, werden sie dennoch aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von intuitiven Fähigkeiten und subjektiven Einschätzungen des Entscheidungsträgers kritisiert. Dieser Problematik kann mit den quantiȬ tativen Verfahren entgegnet werden, da diese größtenteils auf objektive Kennzahlen zurückgreifen. Im Einzelnen sollen mit dem Finanzverfahren und dem betriebswirtschaftlichen Ansatz zwei bedeutende quantitative Verfahren ausführlicher thematisiert werden.
Finanzverfahren
Im Rahmen der Finanzverfahren stellen die dynamische und statische InvesȬ titionsrechnung mögliche Verfahren zur Marketingkanalselektion dar. NeȬ ben der Berücksichtung von Kapitalbindung, erwarteten EinȬ und AuszahȬ lungen sowie eingegangenem Risiko wird insbesondere bei den dynamiȬ schen Verfahren auch der zeitlich Anfall der Zahlungen berücksichtigt. Somit wird der Langfristigkeit einer absatzpolitischen Entscheidung RechȬ nung getragen, nämlich dass Geldströme zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Zukunft verschiedene Gegenwartswerte besitzen.1 Bei der Auswahl eines Marketingkanals muss zudem berücksichtigt werden, dass dieser Kanal nicht nur im Vergleich zu seinen Alternative vorteilhaft ist, sondern auch in Bezug auf die alternative Verwendung des einzusetzenden Kapitals.2 Im Rahmen der dynamischen Investitionsverfahren gibt es mit der KapitalwertȬ, der Endwert und der Amortisationsmethode drei anerkannte Methoden.
Vorteile von Finanzverfahren
Wie bereits erwähnt, liegt ein Vorteil der Finanzverfahren in der BerücksichȬ tigung der Langfristigkeit einer Investition sowie des damit verbundenen Mitteleinsatzes.3 Darüber hinaus führt die Einbeziehung des Zeitwertes des Geldes auch dazu, dass Investitionsentscheidungen unter relativ realtitätsȬ nahen Annahmen getroffen werden.
Nachteile von Finanzverfahren
Dagegen erweist sich im Allgemeinen die Informationsgewinnung relevanȬ ter Daten im Modell als problematisch. Aufgrund der Langfristigkeit von Marketingkanalentscheidungen müssen Erlöse und Kosten prognostiziert werden, die weit in der Zukunft liegen. Diese werden jedoch von externen Faktoren beeinflusst, die zum Teil außerhalb des Einflussbereichs des EntȬ scheidungsträgers liegen und somit nicht immer eindeutig zu prognostizieȬ ren sind. Als Abhilfe können hierfür die Entwicklung verschiedener SzenaȬ 1 2 3
176
Vgl. Rimpler (1995), S. 231. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 209. Vgl. Meffert (2000), S. 625.
Selektion der Kanäle des Mehrkanalsystems
5.3
rien oder die Durchführung von Sensitivitätsanalysen dienen, die die AbȬ hängigkeit des Kapitalwerts von den Schwankungen einer oder mehrerer Einflussgrößen aufzeigen. Die Darstellung der VorȬ und Nachteile zeigt, dass trotz der Nützlichkeit der Anwendung der Finanzverfahren erst eine Verbesserung der PrognosemeȬ thoden stattfinden muss, bevor diese Verfahren verstärkt zur MarketingkaȬ nalselektion in der Praxis eingesetzt werden können.1 In der Regel stellt dieses Verfahren eine Ergänzung dar und kommt dann zur Anwendung, wenn kein Kanal auf Basis eines anderen Verfahrens favorisiert wird.2
Finanzverfahren als ergänzendes Verfahren
Der betriebswissenschaftliche Ansatz stellt ein weiteres quantitative VerfahȬ ren der Marketingkanalselektion vor. Hierbei wird versucht, die komplexen distributionspolitischen Entscheidungen durch Verfahren der „Operations Research“, der Simulation oder der Entscheidungstheorie zu fundieren. Ziel dieser Programmierungsansätze ist es, eine optimale Kanalstruktur durch die gleichzeitige Bestimmung von ProduktionsȬ und Absatzmengen, AbȬ satzgebieten, Art und Zahl der Absatzmittler, Absatzwegen, ReisendeneinȬ satz oder Mindestauftragsgrößen abzuleiten.3
BetriebswissenȬ schaftlicher AnȬ satz
In der Vergangenheit wurden einige Versuche unternommen, anhand verȬ schiedenster mathematischer und quantitativer Methoden eine optimale Kanalstruktur zu entwickeln. Als positiv hat sich dabei die Berücksichtigung relevanter Aspekte aus unterschiedlichen Funktionsbereichen eines UnterȬ nehmens gezeigt. Als nachteilig hat sich allerdings der erhebliche InformatiȬ onsbedarf von betriebswissenschaftlichen Modellansätze erwiesen, der dazu führt, dass die praktische Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit sowie die innerbetriebliche Akzeptanz bisher eher begrenzt sind.4
Kritische WürdiȬ gung des betriebsȬ wissenschaftlichen Ansatzes
5.3.4
Selektionsentscheidung und Berücksichtigung des Anpassungsbedarfs
Anhand der verschiedenen qualitativen und quantitativen Verfahren muss das Management eines Mehrkanalsystems schließlich eine Entscheidung in Bezug auf die spezifische Kanalstruktur treffen, die unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren am besten den Anforderungen des Herstellers geȬ nügt. Auch wenn Selektionsentscheidungen langfristiger Natur sein sollten, ist die Struktur eines Mehrkanalsystems als nicht endgültig zu betrachten.
1 2 3 4
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 209. Vgl. Specht (1998), S. 169. Vgl. Meffert (2000), S. 626. Vgl. Meffert (2000), S. 626; Rosenbloom (2004), S. 212.
177
Kanalselektion als dynamischer Prozess
5
Design des Mehrkanalsystems
Vielmehr sollte hinter der Kanalselektion ein dynamischer Prozess stehen, der Anpassungen des Systems aufgrund der Veränderung interner und externer Faktoren unterstützt.1 „GapȬAnalyse“ Ȭ zur Abschätzung des AnpassungsȬ bedarfs
Die „GapȬAnalyse“ stellt ein Instrument für das Management dar, mögliche Diskrepanzen zwischen einem so genannten Idealsystem und dem existieȬ renden System aufzudecken und somit den Anpassungsbedarf abschätzen zu können.2 Dabei werden externe Faktoren, wie z. B. die Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen oder des Kaufverhaltens, und interne Faktoren, wie beispielsweise die Veränderungen des Personals oder der Zielvorstellungen des Managements, berücksichtigt.3
Strategische AnpassungsȬ optionen
In Abhängigkeit der Ausprägung dieser Faktoren kann schließlich das AusȬ maß der Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit des Mehrkanalsystems festgestellt werden, woraus sich unterschiedliche strategische Optionen in Bezug auf das bestehende Mehrkanalsystem bzw. die bestehenden MarkeȬ tingkanäle ergeben, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.4
Beibehaltung n
Erreicht ein Hersteller mit seinem aktuellen KanalȬMix die definierten Ziele bzw. werden die Marktsegmente mit bestehenden Marketingkanälen erȬ reicht, sollte er am bestehenden Mehrkanalsystems festhalten und gegebeȬ nenfalls nur Veränderungen gradueller Art vornehmen.
Umgestaltung n
Die Umgestaltung von Kanalsystemen bietet sich dann an, wenn veränderte Ansprüche und Bedürfnisse von Absatzmittlern und Endkunden nicht mehr durch bestehende Kanäle erfüllt werden können. Neue Kanäle können geȬ gebenenfalls auf das veränderte Kaufverhalten reagieren. Bei einer UmgesȬ taltung bleibt die Kernstruktur des Mehrkanalsystems jedoch erhalten und wird lediglich um zusätzliche Kanäle ergänzt.
N Neugestaltun ng
Bei einer Neugestaltung des Mehrkanalsystems werden nicht nur neue MarȬ ketingkanäle hinzugefügt, sondern die Konfiguration und Koordination des gesamten Systems neu definiert. Ursächlich für eine derartige NeuausrichȬ tung sind neben der Verfehlung der Distributionsziele auch grundlegende Veränderungen in der Marketingstrategie des Herstellers.
1 2 3 4
178
Vgl. Berman (1996), S. 507. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 129 f. Vgl. Specht (1998), S. 142; Coughlan et al. (2001), S. 130 ff. Vgl. im Folgenden Schögel (1997), S. 120 ff.
Selektion der Absatzmittler
5.4
5.4
Selektion der Absatzmittler
Nach der Selektion der Marketingkanäle des Mehrkanalsystems muss der Hersteller im nächsten Designprozessschritt geeignete Absatzmittler für die indirekten Kanäle auswählen. Primär geht es darum, horizontale StrukturȬ entscheidungen in einem Mehrkanalsystem zu treffen, indem die Art und Anzahl der einzuschaltenden Absatzmittler in einem Marketingkanal festgeȬ legt werden. Diese beiden Grunddimensionen werden auch als Tiefe und Breite einer Distributionsstufe bezeichnet. Dabei bezieht sich die Tiefe auf die Anzahl unterschiedlicher Absatzmittlertypen, während die Breite die Anzahl der Absatzmittler innerhalb eines einzelnen Typs angibt.1 Die folgenden Abschnitte sollen den Prozess der Absatzmittlerselektion, also die Entscheidung bezüglich der Tiefe und Breite der Distributionsstufe der Absatzmittler, näher bringen. Im ersten Schritt werden zunächst potenzielle Absatzmittler identifiziert, worauf in Abschnitt 5.4.1 genauer eingegangen wird. Die identifizierten Absatzmittler müssen anschließend anhand spezifiȬ scher Kriterien segmentiert werden. Abschnitt 5.4.2 befasst sich näher mit den Kriterien zur Absatzmittlersegmentierung. Auf Basis dieser Segmentierung werden danach konkrete Absatzmittler ausgewählt. Hierfür kommen verschiedene Verfahren zur Anwendung, die sich in qualitative und quantitative Verfahren unterscheiden lassen. WähȬ rend Abschnitt 5.4.3 die qualitativen Verfahren der Absatzmittlerselektion thematisiert, geht Abschnitt 5.4.4 auf die quantitativen Verfahren ein. Zum Abschluss der Auswahlentscheidung muss der Hersteller schließlich noch die Distributionsintensität im Marketingkanal festlegen. Dies wird in AbȬ schnitt 5.4.5 beschrieben.
5.4.1
Identifikation potenzieller Absatzmittler
Der erste Schritt im Rahmen der Absatzmittlerselektion besteht zunächst in der Identifikation grundsätzlich potenzieller Absatzmittler. Dabei hat die bereits vorher festgelegte Marketingkanalstruktur des Mehrkanalsystems einen Einfluss auf die Auswahl möglicher Absatzmittler und schränkt den Kreis der in Frage kommenden Distributionspartner a priori ein.2 Weiterhin sollten nur diejenigen Absatzmittler in das Untersuchungsfeld mit einbezoȬ gen werden, die sich für die spezifischen Distributionsaufgaben überhaupt eignen.
1 2
Vgl. Ahlert (1996), S. 155. Vgl. Rimpler (1995), S. 247 f.
179
Kanalstruktur beeinflusst die Vorauswahl von Absatzmittlern
5
Design des Mehrkanalsystems
So bieten sich beispielsweise für serviceintensive und erklärungsbedürftige Produkte überwiegend Fachgeschäfte an, für hochwertige Güter mit DiffeȬ renzierungsmerkmalen eher Spezialgeschäfte und für den Vertrieb von NahȬ rungsȬȱ und Genussmitteln vornehmlich Supermärkte, Verbrauchermärkte und Discountläden.1 Zusätzlich sollte das Management von Mehrkanalsystemen bei der VorausȬ wahl von Absatzmittlern mit einbeziehen, inwieweit die potenziellen DistriȬ butionspartner in den spezifischen Kontext des Mehrkanalsystems passen. Plant der Hersteller z. B. neben dem indirekten Vertrieb zusätzlich einen Direktvertrieb aufzubauen, der möglicherweise zu KannibalisierungseffekȬ ten und Absatzeinbußen für den Absatzmittler führt, sollten unter KonfliktȬ gesichtpunkten nur diejenigen Absatzmittler in die Vorauswahl genommen werden, die hierauf nicht mit drastischen Sanktionen reagieren würden. Quellen zur IdenȬ tifikation potenȬ zieller AbsatzȬ mittler
Nachdem das Untersuchungsfeld potenzieller Absatzmittler eingeschränkt werden konnte, muss das Management innerhalb dieses Suchraums mögliȬ che Distributionspartner identifizieren. Hierzu stehen ihm zahlreiche QuelȬ len zur Verfügung, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird:2
Außendienstmitarbeiter kennen in der Regel die verfügbaren DistribuȬ tionspartner in ihrer Absatzregion und haben Kontakt zum VertriebsmaȬ nagement oder zu den Außendienstmitarbeitern anderer Absatzmittler. Dadurch ist es ihnen möglich, wertvolle Informationen über aussichtsreiȬ che Absatzmittler zu erhalten.
Weitere Absatzmittler sind handelsbezogenen Quellen, wie z. B. HanȬ delsvereinigungen, Ȭpublikationen, Ȭverzeichnissen oder Ȭshows zu entȬ nehmen. Darüber hinaus sind Werbeanzeigen, die in bestimmten HanȬ delsverzeichnissen und Ȭpublikationen geschaltet werden, ein gutes MitȬ tel, um geeignete Absatzmittler anzusprechen.
Distributionspartner lassen sich über direkte Anfragen der AbsatzmittȬ ler, die am Vertrieb der Produkte des Herstellers besonders interessiert sind, identifizieren. Für viele Hersteller sind Absatzmittleranfragen die Hauptinformationsquelle für potenzielle neue Distributionsorgane.
Endkunden stellen ebenfalls eine wichtige Quelle für die Identifikation möglicher Absatzmittler dar. Anhand von Umfragen lassen sich wichtige Informationen über die Stärken und Schwächen von Absatzmittlern abȬ leiten, die der Hersteller selbst nur schwierig erhalten kann.
1 2
180
Vgl. Specht (1998), S. 171. Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 497 f.; Specht (1998), S. 171; Rosenbloom (2004), S. 225 ff.
Selektion der Absatzmittler
5.4.2
5.4
Kriterien zur Absatzmittlersegmentierung
Nachdem der Hersteller potenzielle Absatzmittler identifiziert hat, geht es im nächsten Schritt darum, eine Segmentierung dieser Gesamtmenge vorzuȬ nehmen, um im Hinblick auf die verfolgte Zielkonzeption des Herstellers bestimmte Segmente möglicherweise auszuschalten. Bei den auszuschaltenȬ den Segmenten kann es sich u. U. auch um Segmente handeln, die grundȬ sätzlich durch den Hersteller beliefert werden könnten, allerdings auf Grund strategischer Überlegungen nicht in das Profil des Herstellers passen.1
Segmentierung potenzieller Absatzmittler
Der Hersteller muss daher Segmentierungskriterien wählen, die mit den relevanten Zieldimensionen in einem möglichst engen Zusammenhang stehen. Im Folgenden soll kurz eine mögliche Auswahl an Kriterien vorgeȬ stellt werden, die sich besonders gut für eine Vorauswahl von potenziellen Absatzmittlern eignet:2
Kriterien zur AbsatzmittlerȬ r segmentierung
Intensität der Geschäftsbeziehung: Der Hersteller kann Absatzmittler auf Basis der beabsichtigten Kaufhäufigkeit segmentieren. Grob können hierbei VielȬ und Wenigkäufer unterschieden werden. Für einen HerstelȬ ler von geringwertigen Produkten ist in diesem Fall das Segment der Wenigkäufer eher uninteressant, da aufgrund der geringen absoluten Margen, die mit diesen Produkten erzielt werden, ein relativ hohes VoȬ lumen an Produkten abgesetzt werden muss, um hohe FixȬ und VerwalȬ tungskostenblöcke zu decken.
Sortimentsstruktur: Bei diesem Kriterium wird das Sortiment des HerȬ stellers mit dem des Absatzmittlers verglichen und auf Kompatibilität hin geprüft. So ist zu analysieren, ob das Sortiment des Absatzmittlers attraktiv genug ist, um die Zielgruppen des Herstellers anzusprechen. Hierbei spielen insbesondere Komplementaritäten eine bedeutende RolȬ le, die in Kaufverbünden ihren Ausdruck finden.
Marktabdeckung: Dieses Kriterium kann sich sowohl auf die räumliche als auch auf die zielgruppenspezifische Abdeckung beziehen. Hierbei sind für den Hersteller insbesondere solche Absatzmittler interessant, deren Marktabdeckung in einem richtigen Verhältnis zu den BedürfnisȬ sen des Herstellers steht. Ist das Einzugsgebiet eines Absatzmittlers zu klein, können bestimmte Kunden eventuell nicht angesprochen werden. Ist die Marktabdeckung dagegen zu groß, können Überlappungen mit anderen Absatzmittlern des Herstellers zu Kanalkonflikten führen.
1 2
Vgl. Ahlert (1996), S. 156. Vgl. im Folgenden Ahlert (1996), S. 156; Specht (1998), S. 172; Rosenbloom (2004), S. 234.
181
5
Design des Mehrkanalsystems
Art der Konditionenbeziehung: Im Rahmen dieses SegmentierungskriȬ teriums muss der Hersteller überlegen, inwieweit der Absatzmittler im Einklang mit der Konditionenpolitik des Herstellers steht. So gibt es AbȬ satzmittler, die entweder preisrabattȬ, naturalrabattȬ, kostensenkungsȬ oder auch werbeprämienorientiert sind. Für den Hersteller sind insbeȬ sondere diejenigen Distributionspartner interessant, die eine ähnliche Konditionenpolitik verfolgen.
Konfliktpotenzial: Dieses Kriterium spielt im Kontext eines MehrkanalȬ systems eine sehr wichtige Rolle. Das Management sollte mit einbezieȬ hen, inwieweit potenzielle Absatzmittler Konflikte im Kanalsystem verȬ ursachen könnten. Zum einen ist dabei das Konfliktpotenzial gegenüber anderen Absatzmittlern und zum anderen gegenüber direkten Kanälen des Herstellers zu beachten. Das Konfliktpotenzial lässt sich insbesondeȬ re anhand der sich ergebenden Kannibalisierungseffekte abschätzen. Die Absatzmittlersegmentierung auf Basis der oben beschriebenen Kriterien hilft dem Hersteller, aus der Menge der ursprünglich identifizierten DistriȬ butionsorgane nur noch diejenigen zu berücksichtigen, die in besonderer Weise seinem Anforderungsprofil entsprechen. Aus dieser verbleibenden Menge an Absatzmittlern wird schließlich eine endgültige SelektionsentȬ scheidung getroffen. Hierbei können sowohl qualitative als auch quantitatiȬ ve Verfahren herangezogen werden, auf die in den beiden folgenden AbȬ schnitten näher eingegangen werden soll.
5.4.3
Qualitative Verfahren der Absatzmittlerselektion
Drei qualitative Verfahren
Nach einer ersten Vorauswahl geeigneter Absatzmittler können qualitative Selektionsverfahren das Management des Herstellers bei der endgültigen Absatzmittlerselektion unterstützen. Dabei gibt es mit der Interviewtechnik, der Checkliste sowie der Detailanalyse vor allem drei unterschiedliche VerȬ fahren, die nacheinander durchgeführt werden sollten.
Interviews zur Bewertung der LeistungsfähigȬ g keitt
Die Interviewtechnik dient dazu, die in der engeren Auswahl stehenden Absatzmittler anhand bestimmter Kriterien auf ihre Eignung hin zu überȬ prüfen.1 Dabei sind die Kriterien nicht immer überschneidungsfrei mit den oben beschriebenen Kriterien der Absatzmittlersegmentierung. Prinzipiell
1
182
Vgl. Berman (1996), S. 500
Selektion der Absatzmittler
5.4
beziehen sich die Beurteilungskriterien in einem Interview aber verstärkt auf leistungsbezogene Faktoren und Fähigkeiten des Händlers. Typische BewerȬ tungskriterien in einem Interview werden im Folgenden kurz erläutert:1
Die finanzielle Situation zeigt die Überlebenschance, das WachstumsȬ potenzial und die Kreditwürdigkeit eines Absatzmittlers an. Dabei könȬ nen finanzielle Kennzahlen bei der Analyse der finanziellen Situation unȬ terstützen. Viele Herstellerunternehmen messen diesem Kriterium eine hohe Bedeutung bei.
Die Qualifikation des Managements und der Verkaufspersonen spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Allerdings ist eine Bewertung der FähigkeiȬ ten dieser Personengruppen nicht immer einfach, da auch so genannte „soft skills“, wie z. B. Teamfähigkeit, die nicht unmittelbar beobachtbar sind, mit einbezogen werden müssen.
Die Reputation des Absatzmittlers ist eine wichtige Komponente bei der Selektion, da das Image des Distributionspartners auch Auswirkungen auf das Image des Herstellers hat.
Umsatzentwicklung und Verkaufsstärke sind eng miteinander verbunȬ den und durch Kennzahlen einfach zu bestimmen. Die Umsatzzahlen können direkt von Finanzspezialisten erfragt oder aus entsprechenden Datenquellen entnommen werden. Auch die Verkaufsstärke lässt sich eher problemlos z. B. anhand der Zahl angestellter Verkaufspersonen oder der vergangenen Erfolge des Absatzmittlers beim Verkauf ähnlicher Produkte feststellen.
Größe des Absatzmittlers: Abschließend kann auch die Größe des AbȬ satzmittlers als Bewertungskriterium herangezogen werden. Im AllgeȬ meinen wird angenommen, dass die Größe mit dem Verkaufsvolumen der Herstellerprodukte korreliert. Dies ist damit zu erklären, dass größeȬ re Unternehmen besser mit Büros, Personal und sonstigen Einrichtungen ausgestattet sind als kleinere Unternehmen. Jedoch sollte immer berückȬ sichtigt werden, inwieweit die Größe des Absatzmittlers in den spezifiȬ schen Mehrkanalkontext des Herstellers hineinpasst. Besteht das bisheriȬ ge Händlernetz eher aus kleineren Distributionspartnern, könnte ein zu großer Partner aufgrund von Kannibalisierungseffekten zu erheblichen Kanalkonflikten führen. Checklisten schließen sich unmittelbar an die Interviewphase an und nehȬ men spezifische Bewertungskriterien aus den Interviews noch einmal auf. Dabei können die Kriterien je nach Bedeutung gewichtet und für alle DistriȬ
1
Vgl. im Folgenden Coviello/Dart/Boag (1989), S. 168; Berman (1996), S. 500; Specht (1998), S. 172; Rosenbloom (2004), S. 233 ff.
183
Checkliste als formale BewerȬ r tungsmethode
5
Design des Mehrkanalsystems
butionspartner vereinheitlicht werden, so dass ein direkter Vergleich der einzelnen Absatzmittler möglich ist.1 Insgesamt handelt es sich somit bei Checklisten um eine relativ formale Bewertungsmethode. Nach Bearbeitung der Checklisten sollten nur noch wenige aussichtsreiche Kandidaten übrig sein, die in der engen Auswahl stehen. Absatzmittler mit einer sehr guten Bewertung können u. U. direkt kontaktiert werden. Alle anderen verbliebenen Kandidaten sollten abschließend einer umfangreichen und detaillierten Analyse unterzogen werden. Detaillierte AbȬ schlussanalyse zur endgültigen Auswahl
Die detaillierte Abschlussuntersuchung zeichnet sich insbesondere durch ihre systematische Vorgehensweise aus. Dabei werden die Absatzmittler vor allem in Bezug auf zwei Kriterien genauer untersucht. Zum einen werden die Absatzmittlerkosten für verschiedene Umsatzniveaus und zum anderen die Fähigkeit des Absatzmittlers, Umsätze zu beeinflussen, ermittelt. Beide Aspekte sollen im Folgenden kurz erläutert werden.2
Berechnung der AbsatzmittlerȬ r kosten
Bei der Berechnung der Absatzmittlerkosten werden zum einen die Kosten für die einzelnen Absatzmittler verglichen und zum anderen eine GegenȬ überstellung des direkten und indirekten Vertriebs für unterschiedliche Umsatzniveaus vorgenommen. Auch wenn ein Absatzmittler bezüglich der Kosten im Vergleich zu anderen Distributionspartnern vorteilhaft ist, würde dieser für den Fall, dass z. B. ein herstellereigener Außendienst geringere Kosten verursachen würde, möglicherweise nicht ausgewählt werden. Allerdings kann eine Entscheidung nicht alleine auf Basis der Kosten erfolȬ gen, da auch andere Faktoren ihre Berücksichtigung finden müssen. So sollten ausgeführte Funktionen durch den Absatzmittler, wie z. B. LagerhalȬ tung, Kundenkontakt, Kreditgewährung, in die Entscheidung mit einfließen.
Fähigkeit der UmsatzbeeinȬ flussung
Eine wichtige Fähigkeit des Absatzmittlers stellt die Beeinflussung der UmȬ sätze des Herstellers dar. Verschiedene Händler sind unterschiedlich gut in der Lage, Umsätze zu steuern. Faktoren, die Rückschlüsse auf diese FähigȬ keit zulassen, sind z. B. die Abdeckung eines bestimmten geografischen Gebiets, die erzielten Gesamtumsätze innerhalb eines spezifischen ZielȬ markts oder auch der Verkauf komplementärer Produkte. Gerade letzteres hat große Auswirkungen auf die CrossȬSellingȬRate des Herstellers und folglich auf die Umsatzhöhe. Nach Durchführung einer detaillierten Abschlussanalyse sollte der HerstelȬ ler schließlich in der Lage sein, den oder die für ihn passenden Absatzmittler zu bestimmen. Der in den vorherigen Abschnitten beschriebene SelektionsȬ prozess gleicht dem eines Filters, bei dem aus einer anfangs großen Menge an potenziellen Absatzmittlern sukzessive nicht geeignete Partner anhand 1 2
184
Vgl. Berman (1996), S. 501. Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 501 ff.
Selektion der Absatzmittler
5.4
verschiedener Kriterien und Verfahren eliminiert werden, bis schließlich der für den Hersteller optimale Partner gefunden ist. Abbildung 5Ȭ7 stellt die Schritte der Absatzmittlerselektion im Rahmen qualitativer Verfahren dar.
Abbildung 5Ȭ7
Prozess der Absatzmittlerselektion im Rahmen qualitativer Verfahren Absatzmittler B
Absatzmittler C
Absatzmittler A
Absatzmittler D Identifikation potenzieller Absatzmittler Segmentierung der Absatzmittler bestanden Segment B
abgelehnt
Segment A
Segment C
Interviews
abgelehnt Absatzmittler A
bestanden Checklisten bestanden Umfangreiche und detaillierte Analyse y
abgelehnt Absatzmittler B
abgelehnt Absatzmittler C
bestanden
Auswahl von Absatzmittler D
5.4.4
Quantitative Verfahren der Absatzmittlerselektion
Neben den beschriebenen qualitativen Verfahren stehen dem Management zusätzlich quantitative Verfahren zur Absatzmittlerselektion zur Verfügung. Ausgangsbasis ist wie bei den qualitativen Verfahren eine bereits getroffene Vorauswahl interessanter Absatzmittler. Eines der geläufigsten quantitativen Verfahren stellt die Portfolioanalyse dar, die im Folgenden erläutert wird. Bei der Portfolioanalyse werden zwei Dimensionen verwendet, um potenȬ zielle Absatzmittler zu bewerten und zu beurteilen. Dabei handelt es sich zum einen um das Umsatzwachstum des Absatzmittlers und zum anderen um den Umsatzanteil des Herstellers am Umsatz des Absatzmittlers.1 ZuȬ
1
Vgl. Rimpler (1995), S. 249.
185
Portfolioanalyse
5
Design des Mehrkanalsystems
sätzlich zu potenziell neuen Absatzmittlern kann auch das schon bestehende Händlernetzwerk anhand dieser beiden Dimensionen bewertet werden. Als Kennzahl für die Marktposition potenziell neuer bzw. alter Absatzmittler wird in der Regel dessen Umsatzwachstum herangezogen. Die Beurteilung der Machtposition erfolgt über den prognostizierten bzw. bestehenden UmȬ satzanteil des Herstellers am Umsatz des Distributionspartners. Beispielhaftes Portfolio und Ableitung von Normstrategien
Die Absatzmittler werden auf Basis der beiden Dimensionen bewertet und als Kreise im Portfolio eingetragen. Dabei korreliert der Durchmesser der Kreise mit dem Umsatzanteil des jeweiligen Absatzmittlers am GesamtumȬ satz und drückt somit die Bedeutung der einzelnen Vertriebspartner aus.1 Auf Basis der Portfolioanalyse ergeben sich vier Normstrategien für die einzelnen Absatzmittler:
Investitionsstrategie: Absatzmittler B stellt einen stark wachsenden Partner dar, bei dem der Hersteller bisher nur einen geringen UmsatzanȬ teil erwirtschaftet. Da es sich bei diesem Absatzmittler um einen ausȬ sichtsreichen Kandidaten handelt, sollte die Position grundsätzlich einȬ gegangen bzw. ausgebaut werden. Ziel des Herstellers muss es allerȬ dings sein, den Umsatzanteil am Gesamtumsatz des Absatzmittlers schnell zu erhöhen, um dann den Ressourceneinsatz reduzieren zu könȬ nen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass andere Marketingkanäle aufȬ grund fehlender Mittel vernachlässigt werden und nur noch suboptimal wirtschaften.
Haltestrategie: Absatzmittler C zeichnet sich sowohl durch hohe WachsȬ tumsraten als auch hohe Umsatzanteile des Herstellers aus. Die Position sollte grundsätzlich gehalten werden. Aufgrund der guten Position sind weitere Investitionen nicht notwendig, so dass sich hierdurch insbesonȬ dere die Deckungsbeiträge maximieren lassen.
Rückzugsstrategie: Absatzmittler D weist ein geringes Umsatzwachstum auf, jedoch ist der Umsatzanteil des Herstellers relativ hoch. Neue PosiȬ tionen sollten nicht eingegangen und alte Positionen mittelfristig durch den Ersatz leistungsstärkerer Partner ersetzt werden. Allerdings sollte auch immer im Zusammenhang mit einem Mehrkanalsystem berückȬ sichtigt werden, welche Auswirkungen der Absatzmittler auf andere KaȬ näle hat. Zeichnet er sich z. B. durch ein gutes Image aus, kann dies einen positiven Effekt auf den Verkauf in anderen Kanälen haben, so dass das Management fallweise entscheiden muss.
Aufgabestrategie: Bei Absatzmittler A ist sowohl das Umsatzwachstum als auch der Umsatzanteil relativ schwach, so dass kein Engagement mit diesem Partner eingegangen werden sollte. Bestehende Positionen sollten 1
186
Vgl. Meffert (2000), S. 251.
Selektion der Absatzmittler
5.4
relativ zügig abgebaut werden, da der Ressourcenaufwand im Vergleich zum Ertrag unverhältnismäßig hoch ist. Abbildung 5Ȭ8 stellt ein AbsatzȬ mittlerportfolio für vier Absatzmittler dar.
Beispielhaftes Absatzmittlerportfolio1
Abbildung 5Ȭ8
60%
Umsatzwachstum des Absatzmittlers
Absatzmittler B
Absatzmittler C
40% Investition
Halten
20%
0% 10%
20%
30%
40%
-20%
50%
60%
Umsatzanteil des Herstellers am Umsatz des Absatzmittlers
Rückzug Aufgabe Absatzmittler D
-40% Absatzmittler A -60%
5.4.5
Bestimmung der Distributionsintensität
Nachdem der Hersteller die Anzahl unterschiedlicher Absatzmittlertypen, also die Tiefe des Mehrkanalsystems festgelegt hat, muss er abschließend die Breite, also die Anzahl der Absatzmittler innerhalb eines einzelnen Typs bestimmen. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch von der Bestimmung der Distributionsintensität gesprochen.2 Dabei kann der HerȬ steller seine Produkte intensiv, selektiv oder exklusiv vertreiben. Die drei Distributionsintensitäten werden im Folgenden beschrieben.
Breite bzw. DistȬ t ributionsintensiȬ tät des MehrȬ r kanalsystems
Im Rahmen der intensiven Distribution versucht der Hersteller, seine Produkte über möglichst viele Absatzmittler eines bestimmten Typs zu vertreiben, um eine möglichst breite Verfügbarkeit des Produkts zu erzielen.3 Es werden naheȬ zu alle Absatzmittler gewählt, die die minimalen Anforderungen, wie z. B. Kreditwürdigkeit, erfüllen. Dies führt zu einer insgesamt hohen MarktabdeȬ ckung und in Extremfällen zu einem Distributionsgrad von nahezu 100%.4
Intensive DistriȬ bution mit dem Ziel der ubiquitäȬ ren Verfügbarkeitt
1 2 3 4
In Anlehnung an Rimpler (1995), S. 250. Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 165. Vgl. Specht (1998), S. 139. Vgl. Ahlert (1996), S. 157.
187
5
Design des Mehrkanalsystems
Die intensive Distribution bietet sich vornehmlich für den Vertrieb von Verbrauchsgütern, wie z. B. Rasierklingen, an, bei dessen Einkauf der EndȬ kunde einen hohen Wert auf Bequemlichkeit und geringe Preise legt.1 Er erwartet, dass das Produkt nahezu überall verfügbar ist und der Kauf wenig Zeit in Anspruch nimmt. Darüber hinaus ist die intensive Distribution von Gütern vor allem auch dann sinnvoll, wenn der Verkaufszyklus des Produkts relativ kurz ist. So stellen Saisonartikel, wie z. B. Sonnebrillen oder Sonnencremes, Produkte dar, die in einem möglichst breiten Markt verkauft werden müssen, damit ein zur Gewinnerzielung notwendiges Verkaufsvolumen in kürzester Zeit erreicht werden kann.2 Nachteil der intensiven DistȬ t ribution
Nachteil der intensiven Distribution stellt der Kontrollverlust des Herstellers gegenüber seinen Distributionspartnern dar. Auch wenn der Hersteller beȬ wusst einen gewissen Grad an Kontrolle zu Gunsten einer höheren MarktȬ abdeckung aufgibt, kann es ab einer bestimmten Distributionsintensität zu Problemen kommen. Da die intensive Pflege von Kundenbeziehungen mit der Anzahl an Absatzmittlern schwieriger wird, nimmt die Loyalität des Distributionspartners gegenüber dem Hersteller sowie die Bereitschaft, das Produkt mit allen Anstrengungen zu verkaufen, womöglich ab.3 Die Folge können Umsatzrückgänge bzw. Marktanteilsverluste sein.
Selektive DistriȬ bution mit ausȬ gewählten AbȬ satzmittlern
Bei der selektiven Distribution schaltet der Hersteller nicht mehr alle mögliȬ chen, sondern nur noch eine nach qualitativen Gesichtspunkten begrenzte Anzahl von Händlern eines bestimmten Typs ein. Hierzu können sowohl objektive Kriterien, wie z. B. Schaufenstergröße oder KundendiensteinrichȬ tungen, als auch subjektive Kriterien, wie z. B. die Bereitschaft des Händlers zu einer kooperativen Verhaltensabstimmung oder der Verzicht auf LockvoȬ gelangebote, herangezogen werden.4 Typische selektiv vertriebene Produkte sind Markenhosen, Schmuck oder elektronische Geräte.
Vorteile der seȬ lektiven DistriȬ bution
Dadurch, dass der Hersteller seine Verkaufsanstrengungen auf weniger Absatzmittler verteilen kann, ist das Eingehen von engeren GeschäftsbezieȬ hungen möglich. Bei einer insgesamt angemessenen Marktabdeckung kann der Hersteller im Gegenzug überdurchschnittliche Verkaufsanstrengungen und Ȭunterstützungen durch den Absatzmittler erwarten. Zudem ist die Kontrolle der Vertriebsleistungen bei relativ geringen Überwachungskosten wesentlich einfacher als bei der intensiven Distribution.5
1 2 3 4 5
188
Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 165. Vgl. Hardy/Magrath (1988), S. 447. Vgl. Berman (1996), S. 484. Vgl. Ahlert (1996), S. 157. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1091.
Selektion der Absatzmittler
Bei der exklusiven Distribution wird neben der qualitativen auch eine quanȬ titative Selektion vorgenommen, indem für einen bestimmten Zielmarkt meist nur ein einziger Absatzmittler eingesetzt wird.1 Exklusive Distribution ist durch geringen Wettbewerb und eine geringe Marktabdeckung gekennȬ zeichnet. Diese Form der Distribution bietet sich vor allem bei ExklusivgüȬ tern, wie z. B. der Luxusmarke Rolls Royce, an. Hierbei muss der Hersteller eine enge Partnerschaft mit dem Distributionspartner anstreben, um erfolgȬ reich zu sein.2
5.4 Exklusive DistriȬ bution mit Fokus auf einem AbȬ satzmittler
Oftmals erhält der ausgewählte Absatzmittler das alleinige Recht, die ProȬ dukte des Herstellers zu beziehen und zu vertreiben. Der Hersteller verlangt auf der anderen Seite, dass der Händler keine Produkte von seinen WettbeȬ werbern führt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer ExȬ klusivvereinbarung.3 Die exklusive Distribution ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Hersteller eine FokussierungsȬȱ bzw. Differenzierungsstrategie verfolgt.4 Vorteile einer Exklusivdistribution sind die besseren KontrollȬ und SteueȬ rungsmöglichkeiten bei den Preisen, der Absatzförderung sowie den ServiȬ celeistungen bei den Distributionspartnern. Hieraus ergeben sich mit der Verbesserung des Produktimages sowie der Erhöhung von Handelsspannen weitere Vorteile.5
Vorteil der exklusiven Distribution
Dagegen kann negativ angemerkt werden, dass der Absatzmittler seine Monopolstellung gegenüber den Endkunden in Form höherer VerkaufspreiȬ se ausnutzen kann. Diese und weitere Unannehmlichkeiten für den EndȬ kunden, wie z. B. weitere Anfahrtswege zum Händler, können eine gewisse Unzufriedenheit beim Kunden hervorrufen.6
Nachteil der exklusiven Distribution
Die Entscheidung für eine bestimmte Distributionsintensität hängt von verȬ schiedenen Faktoren ab. Wichtiges Kriterium bei der Bestimmung der DistȬ ributionsintensität ist die Eigenschaft der Produkte. Dabei müssen auch die Produkte, die in anderen Marketingkanälen des Mehrkanalsystems vertrieȬ ben werden, berücksichtigt werden. Es muss ein Fit zwischen den in den einzelnen Kanälen abgesetzten Produkten bestehen.
Einflussfaktoren der DistributiȬ onsintensitätt
Handelt es sich beispielsweise um Produkte, bei denen der Kunde eher preissensitiv ist und eine geringe Suchbereitschaft zeigt, sollte eine intensive Distribution angestrebt werden.7 Allerdings muss dabei auch immer beachȬ 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Specht (1998), S. 140. Vgl. Berman (1996), S. 484. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1091. Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 166. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1091. Vgl. Berman (1996), S. 484. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 120.
189
5
Design des Mehrkanalsystems
tet werden, inwieweit durch das Einschalten von sehr vielen Absatzmittlern ein KontrollȬ und Machtverlust des Herstellers in Kauf genommen wird. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Distributionsintensität liegt demnach immer ein TradeȬOff zwischen der Schaffung eines für den Kunden leicht zugänglichen Markts und der Beibehaltung von KontrollȬȱ und SteuerungsȬ möglichkeiten vor.1
5.5
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
Der Designprozess des Mehrkanalsystems endet mit der Festlegung der Kooperationsstrategie und der anschließenden Akquisition der zuvor selekȬ tierten Absatzmittler. Um eine Kooperation mit einem Absatzmittler zu initiieren, muss der Hersteller die zuvor ausgewählten Absatzmittler zuȬ nächst zu einer erstmaligen Transaktion bewegen. Alle damit verbundenen Maßnahmen werden unter dem Begriff des Akquisitionskonzepts eingeordȬ net und beziehen sich somit auf den Beginn einer Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittler.2 Ziele von Kooperationen
Mit der Kooperation zwischen einem Hersteller und seinen Absatzmittlern werden verschiedenartige Ziele verfolgt. So lassen sich durch KooperationsȬ effekte wie der Vermeidung entgegen gerichteter Aktivitäten von DistributiȬ onspartnern, der Verhinderung von Duplizierungen sowie der Nutzung von Rationalisierungspotenzialen durch Arbeitsteilung und Spezialisierung erhebliche Effizienzsteigerungen erzielen.3 Darüber hinaus stehen für einen Hersteller die qualitative Verbesserung der Geschäftsbeziehung, wie z. B. der Abbau von Konflikten in den einzelnen Marketingkanälen, sowie die Steigerung der Effektivität der ZusammenarȬ beit im Vordergrund, um in letzter Konsequenz das Ziel der KostenreduktiȬ on und Profitabilitätssteigerung zu erreichen. Auch wenn eine engere Zusammenarbeit aus Performancegründen sicherȬ lich wünschenswert ist, kann diese u. U. negative Auswirkungen auf die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Herstellers auf veränderte WettȬ bewerbsȬ oder Marktbedingungen haben. Dies ist besonders bei hoher UnsiȬ cherheit der Umweltbedingungen wichtig.4
1 2 3 4
190
Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 278. Vgl. Meffert (2000), S. 646. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 291. Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 166 f.
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
5.5
Die Kooperation zwischen Hersteller und Absatzmittler kann grundsätzlich entweder mit oder ohne vertragliche Vereinbarungen zwischen den Partnern erfolgen. Allerdings lässt sich im Laufe der letzten Jahre ein eindeutiger Trend hin zu vertraglichen Regelungen der Beziehungen erkennen.1 Aus diesem Grund soll im Folgenden ausschließlich auf Kontraktkonzepte, d. h. auf die Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen zu Absatzmittlern, eingegangen werden.
Zunahme verȬ r traglicher BezieȬ hungen
Es gibt unterschiedliche Gründe für die Notwendigkeit einer vertraglichen Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen Hersteller und AbsatzȬ mittler. Prinzipiell wären solche Verträge nicht erforderlich, wenn beide Seiten einander völlig vertrauen könnten, jedoch ist ein lückenloses VertrauȬ en angesichts der hohen Anreize zum Verstoß gegen die Vereinbarung in der Realität ziemlich unwahrscheinlich.2 Daher sprechen folgende Gründe aus Herstellersicht für eine vertragliche Regelung:3
r Gründe für verȬ tragliche InstituȬ tionalisierungen
Erlangung einer umfassenden Einflussnahme im Marketingkanal trotz wachsender Nachfragemacht,
Sicherstellung der Einhaltung von Kooperationsvereinbarungen, wirksamer Schutz gegen Außenseiter bei lückenloser Vertragsgestaltung, organisatorische Erleichterungen der Verhaltensabstimmung durch schriftȬ liche Vertragsfassung und
Regelungen der Konsequenzen bei Verstößen gegen die KooperationsȬ vereinbarungen. Insgesamt gibt es ein breites Spektrum an vertraglichen Bindungsformen zwischen Herstellern und Absatzmittlern. Die im Folgenden beschrieben Kontraktkonzepte liegen dabei zwischen den beiden Extrempunkten völlig freier Beziehungen zwischen den Partnern einerseits und einer kompletten Bindung andererseits. In Abhängigkeit der Intensität der vertraglichen Beziehung verlaufen die Steuerungsmöglichkeiten des Herstellers sowie die Gestaltungsfreiräume des Absatzmittlers in entgegengesetzter Richtung. Stärkere vertragliche Regelungen erhöhen die Einflussnahme des Herstellers, während weniger intensive Vertragsbeziehungen eher die Gestaltungsspielräume der AbsatzȬ mittler erweitern.4 Abbildung 5Ȭ9 stellt diesen Zusammenhang anhand der in den folgenden Abschnitten erläuterten Kooperationsformen grafisch dar. 1 2 3 4
Vgl. Meffert (2000), S. 632. Vgl. Ahlert (1996), S: 192. Vgl. im Folgenden Ahlert (1996), S. 192; Specht (1998), S. 176; Zentes/Swoboda (2001), S. 297. Vgl. Meffert (2000), S. 632.
191
KontraktkonzepȬ te inmitten zweiȬ er extremer BinȬ dungsformen
5 Abbildung 5Ȭ9
Design des Mehrkanalsystems
Kooperationsformen zwischen Hersteller und Absatzmittler1 Steuerungsmöglichkeiten des Herstellers Gestaltungsfreiräume des Absatzmittlers Netzwerk
Strategische Vertriebsallianz/ Partnerschaft
Vertriebsbindungsund Alleinvertriebssystem
5.5.1
Kommissionsvertrieb
Vertragshändlerund Franchisesystem
Kommissionsvertrieb
Der Kommissionsvertrieb stellt eine klassische rechtliche AusgestaltungsȬ form einer Kooperation dar, bei dem der Kommissionär für den Hersteller Geschäfte in eigenem Namen, aber auf dessen Rechnung übernimmt.2 HierȬ aus ergeben sich vertraglich zu regelnde Aspekte, wie z. B. die Lagerführung oder Versicherungsansprüche. Rechte und Pflichten aus dem KommissiȬ onsvertrieb
Aus dem Gesetzestext selbst ergeben sich verschiedene Rechte und Pflichten des Herstellers (Kommittent) und Händlers (Kommissionär).3 Diese bezieȬ hen sich insbesondere auf die AusführungsȬ und Sorgfaltspflicht sowie die BenachrichtigungsȬȱ und Rechenschaftspflicht des Kommissionärs. Darüber hinaus ist hieraus die Verpflichtung des Kommissionärs zu entnehmen, den Weisungen des Kommittenten zu folgen, die Erlöse an ihn weiterzuleiten sowie dessen Interessen zu wahren.
Bedeutung des KommissionsȬ vertriebs für den Hersteller
Der Kommissionsvertrieb stellt für den Hersteller ein zentrales SteuerungsȬ element dar. Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Händler, z. B. durch Festlegung von Preisuntergrenzen oder durch Bestimmung der SorȬ timentspolitik, sind bei diesem Kontraktkonzept besonders groß.4 Diese Einflussnahme ist insofern von Bedeutung, da hierdurch mehr EntscheiȬ dungsfreiheit bei der Gestaltung alternativer Marketingkanäle gegeben ist. Da der Händler weisungsbefugt ist, kann er in nur geringem Maße auf abȬ satzpolitische Entscheidungen des Herstellers, wie z. B. dem Aufbau eines Direktvertriebs, Einfluss nehmen. Sanktionsmaßnahmen von Seiten des Händlers, wie die Bevorzugung anderer Hersteller, sind kaum umsetzbar.
1 2 3 4
192
In Anlehnung an Meffert (2000), S. 633. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 909. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 634. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 277.
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
Auf der anderen Seite sind insbesondere das große Finanzierungspotenzial sowie das relativ hohe Absatzrisiko, das beim Hersteller liegt, als erhebliche Nachteile des Kommissionsvertrieb zu nennen.1 Darüber hinaus ist es auȬ ßerordentlich schwierig, strategische Preisanpassungen durchzuführen sowie aktive, preisaggressive Händler zu gewinnen.
5.5.2
5.5 Nachteile des KommissionsȬ vertriebs
Vertragshändler- und Franchisesysteme
Kennzeichnend für VertragshändlerȬȱund Franchisehändlersysteme sind die intensive Kooperation sowie die detaillierte Bestimmung von Leistungen und Gegenleistungen. Im Rahmen dieser Systeme sind die GestaltungsfreiȬ räume der Absatzmittler weitestgehend begrenzt. Der Hersteller kann zum einen die Vorteile eines Filialsystems (vollständige und durchgängige SteuȬ erbarkeit) wahrnehmen, muss zum anderen aber nicht die damit verbundeȬ nen Nachteile (Kapitalbedarf, Motivationsproblem) hinnehmen. Daher wird im Zusammenhang mit einem VertragshändlerȬ und FranchisehändlersysȬ tem auch von einer QuasiȬFilialierung gesprochen.2
Intensive KoopeȬ ration und detailȬ lierte LeistungsȬ bestimmung
Bei einem Vertragshändlersystem liegt ein auf Dauer gerichteter Vertrag vor, bei dem der Händler den Kauf und Verkauf der Vertragsware im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführt, allerdings durch spezielle Verträge in die Vertriebsstrategie des Herstellers eingebunden ist. In der Praxis finden Vertragshändlersysteme insbesondere in der AutomobilbranȬ che (Markenautohäuser), bei Mineralölprodukten (Tankstellen) sowie im Gaststättengewerbe (Kopplung an eine Brauerei) ihre Anwendung.3
VertragshändlerȬ r system
Mit einem Vertragshändlersystem sind vier verschiedene Exklusivitäten verbunden. Bei der qualitativen Exklusivität verkauft der Hersteller seine Ware nur an Händler, die bestimmte Kriterien erfüllen. Im Rahmen der quantitativen Exklusivität hat der Hersteller das Recht, nur seine Produkte an eine Gruppe von Absatzmittlern zu verkaufen.4 Mit der MarkenexklusiviȬ tät verpflichtet sich der Vertriebshändler zum ausschließlichen Führen der Marken des Herstellers.5 Die Gebietsexklusivität regelt schließlich, dass der Vertragshändler lediglich in einem abgegrenzten Gebiet tätig sein darf.6
Vier ExklusivitäȬ ten des VertragsȬ händlersystems
Franchisesysteme führen zu einer noch engeren Vertriebspartnerbindung als Vertragshändlersysteme. Bei dieser Vertragsform hat der Franchisenehmer
Franchisesystem
1 2 3 4 5 6
Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 294. Vgl. Meffert (2000), S. 638. Vgl. Sander (2004), S. 675. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 930. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 868 f. Vgl. Winkelmann (2002), S. 382.
193
5
Design des Mehrkanalsystems
das Recht, aber auch gleichzeitig die Pflicht, sich am Marktauftritt des FranȬ chisegebers zu beteiligen und genau definierte Leistungen unter VerwenȬ dung von Namen, Warenzeichen und Ausstattung an Dritte zu vertreiben.1 Um sich dieses Recht zu erwerben, muss der Franchisenehmer in der Regel eine fixe Eintrittsgebühr bezahlen und in der Folge meist umsatzabhängige Zahlungen an den Anbieter leisten. VertragshändlerȬȱ r und FranchiseȬ systeme im MultiȬChannelȬ Marketing
VertragshändlerȬ und Franchisesysteme bieten sich insbesondere bei ProȬ dukten an, die über eine starke Marke verfügen und bei denen ein einheitliȬ cher Marktauftritt notwendig ist. Darüber hinaus können diese Verträge dann vorteilhaft sein, wenn neue Marketingkanäle dem bisherigen KanalsysȬ tem hinzugefügt werden sollen. Sind mit dem Aufbau von Kanälen meist höhere Investitionen verbunden, fallen bei VertragshändlerȬ und FranchiseȬ systemen nur geringe Anfangsinvestitionen und im Allgemeinen geringe Distributionskosten an. Dennoch ist es möglich, eine schnelle Expansion und einen hohen Distributionsgrad zu erzielen.2 Es sollte allerdings berücksichtigt werden, dass die Anpassungsfähigkeit auf veränderte WettbewerbsȬȱ oder Marktbedingungen bei dieser KooperationsȬ form äußerst gering ist und gerade bei hoher Unsicherheit der UmweltbeȬ dingungen von Nachteil für den Hersteller sein kann. Zudem sind hohe Managementqualifikationen der Führung sowie eine starke Marktstellung unerlässlich.3
5.5.3
Vertriebsbindungs- und Alleinvertriebssysteme
VertriebsbinȬ dungssysteme unterstützen Selektivvertrieb
Bei Vertriebsbindungssystemen können mittels so genannter VertriebsbinȬ dungen insbesondere Selektivvertriebskonzepte umgesetzt werden.4 Durch die Kombination verschiedener Vertriebsbindungsklauseln kann der HerȬ steller nur solche Absatzmittler in den Marketingkanal integrieren, die beȬ stimmte Anforderungen erfüllen. Zudem kann er genau festlegen, mit welȬ chen Partnern und in welchen Gebieten diese Geschäftsbeziehungen eingeȬ hen dürfen.5
VertriebsbinȬ dungsformen
Mit der zeitlichen, personellen und räumlichen Vertriebsbindung gibt es drei unterschiedliche Formen, die im Folgenden kurz erläutert werden soll:6
1 2 3 4 5 6
194
Vgl. Meffert (2000), S. 639; Specht/Fritz (2005), S. 176. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 298. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 298. Vgl. Ahlert (1996), S. 197. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 929. Vgl. im Folgenden Ahlert (1996), S. 198; Specht (1998), S. 180; Meffert (2000), S. 635.
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
5.5
Zeitliche Vertriebsbindungen beziehen sich auf prozessualȬzeitliche Aspekte der Warenlieferung und Ȭlagerung. Als Beispiele können TerȬ minklauseln oder auch maximale Lagerzeiten bei verderblichen Waren genannt werden.
Bei der personellen Vertriebsbindung wird dem Vertriebspartner vorȬ gegeben, an welche Gruppe von Personen bzw. Institutionen er die ProȬ dukte auf sowohl horizontaler als auch vertikaler Ebene absetzen darf. Eine Spezialhandelsbindung beispielsweise kann einen Händler dazu verpflichten, die Ware nur an Spezialhändler zu verkaufen.
Räumliche Vertriebsbindungen sollen das Absatzgebiet der AbsatzmittȬ ler durch Gebietsschutzklauseln begrenzen und deren Aktivitätsfeld auf dieses Gebiet beschränken. Eng in Verbindung mit den räumlichen Vertriebsbindungen steht das AlȬ leinvertriebssystem. Dieses zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass der Hersteller innerhalb eines bestimmten Absatzgebiets lediglich einen Händler zum Weiterverkauf der Ware auswählt.1 Über die in VertriebsbindungssysȬ temen vorgenommene Selektion anhand qualitativer Faktoren hinaus wird beim Alleinvertriebssystem daher zusätzlich nach quantitativen Kriterien selektiert.2 Der Hersteller sichert dem Händler eine exklusive Belieferung, wodurch Alleinvertriebssystemen vor allem im Rahmen des ExklusivverȬ triebs eine wichtige Rolle zukommt.3
AlleinvertriebsȬ system zur FörȬ r derung des ExȬ klusivvertriebs
Vertriebsbindungen haben im MultiȬChannelȬMarketing eine große BedeuȬ tung. So können sie potenzielle Konflikte zwischen alternativen Kanälen reduzieren. Beispielswiese kann das Problem überlappender Absatzgebiete und überhöhter Konkurrenzsituation unter den Absatzmittlern durch perȬ sonelle und räumliche Vertragsbindungen gelöst werden. Die effiziente und schnelle Einführung neuer Produkte sowie die Rationalisierung des VerȬ triebs sind mit dieser Strategie sehr gut zu erreichen.4
VertriebsbindunȬ gen im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Darüber hinaus kann eine gewünschte Distributionsintensität über entspreȬ chende Vertragsbindungen erreicht werden. Verfolgt ein Hersteller beiȬ spielsweise den Vertrieb eines exklusiven Produkts, sollte ein AlleinverȬ triebssystem als vertragliche Regelung eingesetzt werden. Möchte er das Produkt dagegen selektiv oder intensiv vertreiben, kann er entsprechende Regelungen über ein Vertriebsbindungssystem treffen.
1 2 3 4
Vgl. Sander (2004), S. 674 f. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 149. Vgl. Meffert (2000), S. 637. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 297.
195
5
Design des Mehrkanalsystems
5.5.4
Strategische Vertriebsallianzen und Partnerschaften
Langfristige Ausrichtung von Partnerschaften und Allianzen
Im Rahmen strategischer Allianzen und Partnerschaften bemühen sich soȬ wohl Hersteller als auch Absatzmittler um den Aufbau einer langfristigen Beziehung, die insbesondere durch Vertrauen gekennzeichnet ist.1 Beide Parteien haben genaue Vereinbarungen, z. B. beim Grad der VerkaufsfördeȬ rung durch den Händler und dessen Unterstützung bei der KundenakquisiȬ tion, bei technischen BeratungsȬȱund Servicelistungen sowie bei der AnwenȬ dung von Marktinformationen durch den Hersteller.2
Eigenschaften strategischer Allianzen
Neben der langfristigen Ausrichtung von strategischen Allianzen und PartȬ nerschaften gibt es eine Reihe weiterer Eigenschaften, die diese sehr enge Kooperationsform kennzeichnen. So wird die Verfolgung kurzfristiger GeȬ winne im Sinne der Erreichung langfristiger Ziele aufgegeben. Nicht die einzelne Transaktion steht im Vordergrund, sondern viele zukunftsgerichteȬ te Transaktionen. Gemeinsames Ziel ist die Erreichung einer starken KunȬ denbindung. Dadurch ist die Kommunikation zwischen den Partnern und das Engagement jedes einzelnen sehr hoch.3
Bedeutung straȬ tegischer AllianȬ zen
Strategische Allianzen können dem Management eines Mehrkanalsystems dabei helfen, durch die gemeinsame Nutzung von Marketingkanälen, AuȬ ßenȬȱ und Kundendienstorganisationen bestimmte Marketingaktivitäten mit dem Distributionshändler besser abzustimmen und durchzusetzen. Auch der Zugang zu neuen Märkten kann dem Hersteller in einer Partnerschaft mit einem einflussreichen Händler erleichtert werden. Zudem wird er in einer engen Zusammenarbeit in der Regel besser am Markt vertreten als in ungebundenen Beziehungen.4 Auf der anderen Seite können die eingegangen Verpflichtungen durch eine enge Bindung dazu führen, dass der Entscheidungsspielraum des HerstelȬ lers stark eingeschränkt wird. Die Folge kann sein, dass absatzpolitische Entscheidungen seitens des Herstellerunternehmens durch einen einflussȬ reichen Partner geblockt werden, wenn der Händler seine WettbewerbsposiȬ tion hierdurch gefährdet sieht. Der Aufbau eines Direktvertriebs durch den Hersteller wird beispielsweise nur sehr schwierig im Rahmen einer PartnerȬ schaft durchzusetzen sein, wenn der Distributionspartner MarktanteilsverȬ luste aufgrund von Kannibalisierungseffekten fürchtet.
1 2 3 4
196
Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 217. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1100. Vgl. Berman (1996), S. 205. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 319.
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
5.5.5
5.5
Netzwerke
Netzwerke als Kooperationsform haben gewisse Anknüpfungspunkte zur strategischen Allianz. Während bei letzterer in der Regel nur zwei UnterȬ nehmen zusammenarbeiten, besteht ein Netzwerk aus mehr als zwei UnterȬ nehmen. Dabei ist die langfristige Geschäftsbeziehung durch Interaktion verschiedener Hersteller und Distributionspartner gekennzeichnet.
Langfristige GeschäftsbezieȬ hung durch InterȬ r aktion
Meist übernehmen ein oder mehrere so genannte fokale Unternehmen die Rolle des Koordinators im Netzwerk. Sie kümmern sich um die DurchsetȬ zung bestimmter Strategien und bestimmen die Form der interorganisatioȬ nalen Beziehungen.1 Weitere Kennzeichen von Netzwerken sind die explizit formulierten Ziele, eine formale Struktur mit definierten Rollenzuweisungen sowie eine eigene spezifische Identität mit vertraglichen Regelungen.2 Der Aufbau eines Netzwerks kann die Wettbewerbsfähigkeit und KrisenfesȬ tigkeit von Herstellern und Händlern verbessern. Gerade in wettbewerbsinȬ tensiven Märkten kann eine langfristig eng ausgerichtete Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Absatzmittlern zu Wettbewerbsvorteilen führen.
Bedeutung von Netzwerken
Der Hersteller sollte bestrebt sein, die Position des fokalen Unternehmens im Netzwerk einzunehmen. Auch wenn Entscheidungen im Einklang mit den anderen Netzwerkpartnern getroffen werden, ist die Einflussnahme des fokalen Unternehmens relativ groß. Es betreibt eine Art Metakoordination der ökonomischen Aktivitäten und steuert den Vertriebsprozess mittels Selektionsentscheidungen, der Gestaltung von AnreizȬȱ und KontrollsysteȬ men sowie des Einsatzes von InformationsȬ und Kommunikationssystemen.3
Position des fokalen UnterȬ r nehmens wichtig
1 2 3
Vgl. Sander (2004), S. 849. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 1233. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 15.
197
Teil D Operatives MultiȬ ChannelȬMarketing
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
5.5
1 Einführung Aufbauend auf den Überlegungen zum strategischen Marketing im Teil C wird nachfolgend das operative Marketing in Mehrkanalsystemen erläutert. Dabei werden die klassischen Marketinginstrumente (4 P’s), KontrahieȬ rungsȬ, ProduktȬ, KommunikationsȬȱ und Distributionspolitik (Pricing, ProȬ duct, Promotion, Place) dargestellt, wobei eine Einführung in die jeweiligen Marketingaktivitäten gegeben wird. Auf diesen Grundlagen aufbauend werden dann die unterschiedlichen Handlungsfelder innerhalb der MarkeȬ tingbereiche im vertikalen Marketing und anschließend im MultiȬChannelȬ Marketing betrachtet. Teil D schließt mit einem Praxisbeispiel der Otto Group, ab. Die Struktur des Teils D ist in Abbildung 1Ȭ1 überblicksartig wiedergegeben.
Abbildung 1Ȭ1
Struktur des Teils D
Kontrahierungspolitik
Produktpolitik
• Preispolitische Maßnahmen im vertikalen und MulitChannel-Marketing
• Aufgabenbereiche der allgemeinen Produktpolitik
• Konditionenepolitische Maßnahmen im vertikalen und MulitChannel-Marketing
• Management des Produktlebenszyklus
• Produktentwicklung
• Verpackungsgestaltung • Markenpolitik • Servicepolitik • Produktzuordnung zu Marketingkanälen
Kommunikationspolitik
• Instrumente der Kommunikationspolitik
Distributionspolitik
• Inhalte und Ziele der Distributionspolitik
• Unterschiede in der • Einflussfaktoren auf die Kommunikation zwischen Distributionsstruktur Endkunden und • Lagerhaltung Absatzmittlern • Kommissionierung/ • Basisoptionen der Verpackung Kommunikationspolitik • Transport • Auftragsabwicklung
Fallbeispiel Otto
• Allgemeine Unternehmensinformationen • Relevanz des MultiChannel-Marketings • Markt- und Wettbewerbsposition • Entwicklung des MultiChannel-Marketings • Multi-ChannelMarketingpolitik von Otto
Kapitel 2 beschäftigt sich mit den Handlungsfeldern der KontrahierungspoȬ litik, also der PreisȬ und Konditionenpolitik, im MultiȬChannelȬMarketing. Es werden die VorȬȱund Nachteile der wichtigsten PreissetzungsmöglichkeiȬ ten, Preisänderungen und Ȭanpassungen beschreiben. Darüber hinaus beȬ fasst sich das Kapitel mit den Optionen von LieferȬȱund ZahlungsbedingunȬ gen, Rabatten und Absatzkrediten im Rahmen des MultiȬChannelȬ Marketing.
201
KontrahierungsȬ politik
1
Einführung
Produktpolitik
Die Produktpolitik im MultȬChannelȬMarketing wird im dritten Kapitel behandelt. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Möglichkeiten im Rahmen der Produktentwicklung, dem Management des Produktlebenszyklus, der VerȬ packungsgestaltung, der Markenpolitik, der Servicepolitik sowie der ProȬ duktzuordnung zu Marketingkanälen. Dabei nimmt letztgenanntes im MulȬ tiȬChannel Marketing eine besondere Rolle ein, insbesondere vor dem HinȬ tergrund, dass immer mehr Marketingkanäle für die Unternehmen zur Verfügung stehen.
KommunikatiȬ onspolitik
Kommunikationspolitik im MultiȬChannelȬMarketing wird in Kapitel 4 thematisiert. Hierbei stehen vor allem die klassischen KommunikationsinȬ strumente wie z. B. Werbung, Messen oder Verkaufsförderung im MittelȬ punkt der Betrachtungen. Darüber hinaus wird eine im MultiȬChannelȬ Marketing besonders wichtige Thematik der KommunikationsdifferenzieȬ rung und –harmonisierung behandelt, um die spezifischen MehrkanalprobȬ lematiken zu verdeutlichen.
DistributionsȬ politik
Der Vertrieb im MultiȬChannelȬMarketing, also die Distributionspolitik, wird im fünften Kapitel dargestellt. Dabei orientiert sich das Kapitel an der logistischen Distribution und erläutert Bereich wie z. B. Lagerhaltung, AufȬ tragsabwicklung oder den physischen Transport der Waren. Besonderheiten und Komplexitätsproblematiken in einem Multiplen Distributionssystem werden dabei ebenso behandelt wie EffizienzȬȱund Flexibilitätssteigerungen.
Fallbeispiel Otto
Teil D schließt mit einem Fallbeispiel ab. Anhand der MultiȬChannelȬ Aktivitäten der Otto Group, die ein beinahe durchgängig mit multiplen Marketingkanälen ausgestattetes Geschäftsmodell verfolgt, werden die zuȬ vor erläuterten Aufgabenbereiche des Marketings praxisnah und in einem aktuellen Unternehmenskontext verdeutlicht.
202
Bestimmung der Kooperationsstrategie mit Absatzmittlern
5.5
2 Kontrahierungspolitik Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings spielt die Kontrahierungspolitik, also die PreisȬ und Konditionenpolitik, eine wichtige Rolle. Zum einen wirȬ ken preisȬ und konditionenpolitische Entscheidungen sowohl auf die MenȬ genȬȱals auch auf die Wertkomponente des Umsatzes ein und haben dadurch einen doppelten Einfluss auf die Erreichung der obersten MarketingȬ und Unternehmensziele.1 Zum anderen ist das Management eines MehrkanalsysȬ tems gefordert, die Akteure im Marketingkanal mit in die preisȬ und kondiȬ tionenpolitischen Entscheidungen einzubeziehen, um die WechselbeziehunȬ gen zwischen Herstellern, Absatzmittlern und Endkunden zu berücksichtiȬ gen.2 In diesem Kapitel wird daher die PreisȬ und Konditionenpolitik im Bezug auf das MultiȬChannelȬMarketing dargestellt. Dazu werden im Abschnitt 2.1 die Grundlagen der Kontrahierungspolitik vorgestellt und auf die PreisȬ sowie Konditionenpolitik eingegangen. AbȬ schnitt 2.2 beschäftigt sich anschließend mit der Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing. Abschließend befasst sich Abschnitt 2.3 mit der KonȬ trahierungspolitik im MultiȬChannelȬMarketing.
Abbildung 2Ȭ1
Struktur des Kapitels
Grundlagen der Kontrahierungspolitik • Preispolitik • Konditionenpolitik
1 2
Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing
Kontrahierungspolitik im Multi-Channel-Marketing
• Preispolitik im vertikalen Marketing
• Preispolitik im Mehrkanalsystem
• Konditionenpolitik im vertikalen Marketing
• Konditionenpolitik im Mehrkanalsystem
Vgl. Meffert (2000), S. 484. Vgl. Berman (1996), S. 383.
203
2
Kontrahierungspolitik
2.1
Grundlagen der Kontrahierungspolitik
Die Kontrahierungspolitik beschäftigt sich mit den Bedingungen, zu denen Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens ihren Abnehmern anȬ geboten werden. Grundsätzlich besitzen die kontrahierungspolitischen EntȬ scheidungen eine kurzfristige Orientierung mit sehr variablen MaßnahmenȬ bündeln. Es kann konstatiert werden, dass die Kontrahierungspolitik durch diese Variabilität starke akquisitorische Effekte im kurzfristigen Bereich generiert, jedoch auch dazu beiträgt, langfristige Kundenbeziehungen zu festigen.1 Im Abschnitt 2.1.1 wird auf die verschiedenen AusgestaltungsȬ möglichkeiten und Strategien der Preispolitik eingegangen. Anschließend fokussiert Abschnitt 2.1.2 auf Strategien und Maßnahmen im Rahmen der Konditionenpolitik.
2.1.1
Preispolitik
Bedeutung der Preispolitik für Unternehmen
Die Preispolitik umfasst sämtliche Entscheidungen im Hinblick auf das vom Kunden für ein Produkt zu entrichtende Entgelt und stellt somit eine bedeuȬ tende Determinante des Absatzerfolgs für Unternehmen dar.2 Die PreispoliȬ tik ist einem stetigen Wandel unterzogen, wobei in den vergangenen Jahren auf Grund verschiedener Entwicklungen ein erheblicher BedeutungszuȬ wachs von preispolitischen Entscheidungen attestiert werden kann.3
Die Preispolitik beeinflussenden Entwicklungen
Viele Märkte zeigen SättigungsȬ und Stagnationstendenzen, die in einem Verdrängungswettbewerb resultieren, der vornehmlich über den Preis geȬ führt wird. Dieser extreme Preiswettbewerb ist auch in den existierenden Wachstumsmärkten zu beobachten und wird weiterhin durch die GlobalisieȬ rung der Märkte kontinuierlich verstärkt. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich konkurrierenden Produkte kaum mehr über die Qualität abgrenzen. Auf Grund dieser qualitativen Angleichung gewinnt der Preis als EntscheiȬ dungskriterium für den Kunden immer mehr an Bedeutung. Diese EntwickȬ lung wurde durch die Steigerung der Markttransparenz weiterhin unterȬ stützt, da Konsumenten nun schneller Preise und Qualität vergleichen könȬ nen. Faktoren, die zu dieser Transparenz beigetragen haben, sind u. a. das Internet sowie die europäische Währungsunion, die zur Vereinfachung eines länderübergreifenden Preisvergleichs und zur Senkung der TransaktionsȬ kosten geführt haben.
1 2 3
204
Vgl. Passenheim (2003), S. 172 f. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 483 f. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 669.
Grundlagen der Kontrahierungspolitik
2.1
Diese MarktȬȱ und Konsumentenentwicklung müssen bei preispolitischen Entscheidungen besonders berücksichtigt werden, da auf Grund der konstiȬ tuierenden Charakteristika der Preispolitik, der hohen WirkungsgeschwinȬ digkeit, der großen Wirkungsstärke, der schweren Revidierbarkeit und der schnellen Umsetzbarkeit die einmal getroffenen Entscheidungen meist graȬ vierende und nachhaltige Auswirkungen auf das Unternehmen haben.1
Charakteristika der Preispolitik
Unternehmen haben im preispolitischen Spektrum eine Vielzahl von mögliȬ chen Entscheidungsfeldern. Es bestehen z. B. Herausforderungen in der Festlegung der Preise für Neuprodukte oder aber in der Festlegung der geeigneten Strategie, um einen Markt sinnvoll zu bearbeiten. Für die weiteȬ ren Ausführung mit speziellem Fokus auf dem MultiȬChannelȬMarketing haben sich die Preisbestimmung, die Preisänderung und die PreisdifferenȬ zierung als besonders wichtig erwiesen und werden im Folgenden kurz beschrieben.2
EntscheidungsȬ felder der PreisȬ politik
Die Preisbestimmung kann grundsätzlich für einzelne Neuprodukte oder aber für gesamte Produktprogramme erfolgen. Bei Neuprodukten wird geȬ mäß des Produkttyps und des Innovationsgrads entweder eine SkimmingȬ strategie oder eine Penetrationstrategie angewendet. Bei der SkimmingȬ strategie, welche sich eher für hoch innovative Produkte eignet, wird der Preis bewusst hoch angesetzt, um die hohe Zahlungsbereitschaft der Kunden abzuschöpfen. Im weiteren Fortschreiten des Produktlebenszyklus wird jeȬ doch unter zunehmendem Druck von Substitutionsprodukten der Preis sukȬ zessive gesenkt. Im Gegensatz dazu wird bei der Penetrationstrategie direkt mit einem niedrigen Preis gestartet, um zügig eine möglichst hohe MarktȬ durchdringung zu erreichen und das Produkt als Standard zu etablieren.3
Preisbestimmung bei Neuprodukten
Ein weiteres Entscheidungsfeld stellt die Preisbestimmung für ProduktproȬ gramme dar. Grundlage dieser Überlegungen ist, dass viele Produkte von Kunden im Verbund mit anderen Produkten betrachtet werden und das Unternehmen somit dieses Spektrum an Verbundeffekten als EntscheiȬ dungsgrundlage heranziehen müssen, um gegebenenfalls daraus resultieȬ rende positive Effekte zu nutzen bzw. negative Effekte zu vermeiden. Der erste Schritt innerhalb dieses Entscheidungsfeldes ist, eine PreispositionieȬ rung einzelner Produktgruppen vorzunehmen. Das Unternehmen muss sich dabei überlegen, in welchen Bereichen, z. B. EconomyȬȱ oder PremiumbeȬ reich, die Produktgruppe angesiedelt werden soll. Darauf aufbauend muss die Entscheidung bezüglich des Preisgefüges getroffen werden, also ob zwischen den einzelnen Produktgruppen eher eine kleine oder große PreisȬ spanne bestehen soll.
Preisbestimmung für das ProduktȬ t programm
1 2 3
Vgl. Meffert (2000), S. 482; im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 669 f. Vgl. Schröder (2005), S. 192 ff. Vgl. Im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 670
205
2
Kontrahierungspolitik
Preisänderungen
Durch die beschrieben Entwicklungen werden die Preisänderungen zu eiȬ nem immer wichtigeren Bestandteil der preispolitischen EntscheidungsfelȬ der. Es lassen sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Preisänderung unterscheiden. Zum einen die dauerhafte Preisänderung, die z. B. eine AnȬ passung der Preise an Geldwertentwicklungen vornimmt oder bei der NeuȬ positionierung von Produkten Anwendung findet. Zum anderen bleibt den Unternehmen die Möglichkeit der vorübergehenden Preisänderung. Solche Preisänderungen sind oft saisonal oder zeitlich bedingt und stehen somit im engen Bezug zur Preisdifferenzierung.
PreisdifferenzieȬ rung
Unter Preisdifferenzierung versteht man, dass von Kunden verschiedene Preise für gleiche oder geringfügig unterschiedliche Produkte und DienstȬ leistungen verlangt werden.1 Der Preisdifferenzierung liegt zugrunde, dass verschiedene Kunden für eine bestimmte Leistung unterschiedliche ZahȬ lungsbereitschaften haben. Das zentrale Ziel der Preisdifferenzierung liegt daher in der Gewinnsteigerung durch Abschöpfung der so genannten KonȬ sumentenrente.2 Je stärker die Differenzierung ausfällt, desto besser lassen sich die Zahlungsbereitschaften der Kunden bzw. deren Konsumentenrenten abschöpfen.
Stufen der PreisȬ differenzierung
Es wird im Allgemeinen zwischen einer Preisdifferenzierung ersten, zweiten und dritten Grades unterschieden: 3
Preisdifferenzierung ersten Grades: Hierbei wird von jedem einzelnen Kunden genau der individuelle Maximalpreis gefordert und somit die gesamte Konsumentenrente abgeschöpft. ȱ
Preisdifferenzierung zweiten Grades: Hier werden vom Unternehmen Kundensegmente mit unterschiedlichen Maximalpreisen gebildet und für jedes Segment ein eigenes Preisniveau festgelegt. Die Kunden segȬ mentieren sich dabei selbst und sind in ihrer Kaufentscheidung frei.
Preisdifferenzierung dritten Grades: Zeichnet sich durch die IdentifikaȬ tion der Segmente anhand beobachtbarer Kriterien aus. Die Kunden sind in der Regel an ein Segment und folglich an einen Preis gebunden. Ein Wechsel zwischen den Segmenten findet normalerweise nicht statt oder ist mit Aufwand und Kosten verbunden.4
1 2 3 4
206
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 435. Vgl. Meffert (2000), S. 550. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 728. Vgl. Simon (1995), S. 107.
Grundlagen der Kontrahierungspolitik
2.1
In der Unternehmenspraxis kann eine Preisdifferenzierung anhand verȬ schiedener Kriterien umgesetzt werden. Grundsätzlich sind regionale, zeitliȬ che, persönliche und instrumenteneinsatzbedingte Preisdifferenzierungen zu unterscheiden (vgl. Abbildung 2Ȭ2).1
Arten der PreisȬ differenzierung g
Arten der Preisdifferenzierung2
Abbildung 2Ȭ2
Arten der Preisdifferenzierung
Regional • Gleiches Produkt wird in verschiedenen Regionen zu unterschiedlichen Preisen angeboten • Maßstab ist die regionenspezifische Preis-Absatzfunktion • Insbesondere bei ortsgebundenen Leistungen durchsetzbar
Zeitlich • Gleiches Produkt wird zu verschiedenen Zeiten zu unterschiedlichen Preisen angeboten • Maßstab sind die Tageszeit, der Wochentag oder die Jahreszeit • Insbesondere bei Dienstleistungen relevant
Persönlich • Gleiches Produkt wird verschiedenen Konsumenten zu unterschiedlichen Preisen angeboten • Maßstab sind Käufermerkmale und das Käuferverhalten • Insbesondere bei Dienstleistungen und in intransparenten Märkten durchsetzbar
Marketinginstrumente • Gleiches Produkt wird aufgrund des variierenden Einsatzes produkt- oder distributionspolitischer Instrumente zu unterschiedlichen Preisen angeboten • Einflussfaktoren können die Verrtriebskanal-, triebskanal -, Produkt- oder die Markendifferenzierung sein • Schwieriger durchsetzbar als andere Formen der Preisdifferenzierung
Priorität im Multi-ChannelMarketing
Die Koordination der unterschiedlichen Marketingkanäle ist bei der PreisdifȬ ferenzierung nach Marketinginstrumenten eine notwendige Bedingung um das komplexe Kanalgefüge erfolgsorientiert zu managen. Auf die BesonderȬ heiten des Preismanagements in und zwischen den jeweiligen Kanälen wird in den folgenden Abschnitten genauer eingegangen. Zuvor wird allerdings die Beschreibung des zweiten Teils der kontrahierungspolitischen GrundlaȬ gen, die Konditionenpolitik, betrachtet.
2.1.2
Konditionenpolitik
Mit der zunehmenden Bedeutung der Preispolitik hat auch die KonditioȬ nenpolitik stetig an Bedeutung gewonnen. Das Spektrum der konditionenȬ politischen Entscheidungen umfasst dabei alle Formen von Rabatten sowie LieferȬȱund Zahlungsbedingungen. Ebenso wie die Preispolitik hat auch die Konditionenpolitik zum Ziel, Anreize für die Abnahme von Produkten zu setzen und somit die Konsumenten zum Kauf der Produkte zu überzeugen. 1 2
Vgl. Meffert (2000), S. 556. In Anlehnung an Wirtz (2005b), S. 111.
207
Besonderheit der PreisdifferenzieȬ rung nach MarkeȬ tinginstrumenten
2 Rabatte
Kontrahierungspolitik
Rabatte sind Nachlässe auf Listenpreise. Diese Vergütungen werden zumeist bei Erfüllung bestimmter, mit dem Produkt in Verbindung stehender LeisȬ tungsanforderungen eingeräumt und stellen einen prozentualen oder absoȬ luten Abschlag auf den Preis dar1. Beispiele für Rabatte sind:
Ein Barzahlungsrabatt/Skonto ist ein Preisnachlass für Abnehmer, die ihre Rechnung für Leistungen unverzüglich oder innerhalb einer vorgeȬ gebenen kurzen Frist oder im Voraus begleichen.
Beim Mengenrabatt wird vom Abnehmer das mengenȬ oder wertmäßige Volumen eines Auftrags, einer Lieferung oder einer Periode vergütet.
Der Treuerabatt beinhaltet Konditionen, die die Bezugstreue eines KunȬ den oder eines Absatzmittlers in einem oder mehrerer Kanäle über einen längeren Zeitraum belohnt.
Bei einem Saisonrabatt handelt es sich um einen Preisnachlass auf ProȬ dukte, die außerhalb oder am Anfang der jeweiligen Saison in einem beȬ stimmten Kanal angeboten werden.ȱ LieferȬ r und ZahlungsbedinȬ gungen
LieferȬ und Zahlungsbedingungen sind der zweite große InstrumentenbeȬ reich innerhalb der Konditionenpolitik. Dabei handelt es sich im Rahmen eines Kaufvertrags um Bestimmungen, die Inhalt und Ausmaß der angeboȬ tenen bzw. erbrachten Leistungen genauer beschreiben.2 Diese BestimmunȬ gen sind in vielen Fällen in den allgemeinen Geschäftsbeziehungen des Kaufvertrags definiert.3 Das Hauptziel von LieferȬ und ZahlungsbedingunȬ gen ist, dass ein Handelsunternehmen sein Zahlungseingangsrisiko (KreditȬ risiko) minimiert und dass der Endkunde als Abnehmer sein Risiko in Bezug auf den Eingang der Warenlieferung (Lieferrisiko) reduziert.4 Die ZahlungsȬ bedingungen beinhalten diejenigen Bedingungen, die die Vertragspartner über die Fälligkeit, die Art und Weise der Zahlung, den Erfüllungsort sowie die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung einer Zahlschuld vereinbart haben. Beispiele für kurzfristige Zahlungsbedingungen sind Vorauszahlung, AnȬ zahlung, offenes Zahlungsziel, Zahlung durch Nachnahme etc. Wesentliche langfristige Zahlungsbedingungen sind beispielsweise Lieferantenkredite, Bestellerkredite und Leasingverträge.5
Absatzkredite
Als ein spezielles Instrument der Konditionenpolitik wird der Absatzkredit kurz erläutert, da er neben den Rabatten die häufigste Form der konditioȬ nenpolitischen Instrumente darstellt. Die Absatzkreditpolitik verfolgt durch Gewährung bzw. Vermittlung von Krediten oder Leasingangeboten das Ziel, 1 2 3 4 5
208
Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 585 ff. Vgl. Meffert (2000), S. 591. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 602. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 601. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 601 f.
Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing
2.2
potenzielle Kunden zum Kauf zu bewegen sowie das Absatzvolumen durch die Gewinnung neuer Kunden und durch die Steigerung der Kaufintensität bisheriger Kunden zu erhöhen. Mit einem Absatzkredit werden vor allem die Kunden angesprochen, die eine Kaufabsicht haben, jedoch zum ZeitȬ punkt des Kaufs nicht über die finanziellen Mittel verfügen. Auf Basis der Instrumente der Konditionenpolitik kann eine KonditionendifȬ ferenzierung anhand verschiedener Kriterien umgesetzt werden. Dabei lassen sich Parallelen zur Preisdifferenzierung erkennen, da auch im Bereich der Konditionenpolitik eine regionale, eine zeitliche, eine persönliche und eine instrumenteneinsatzbedingte Konditionendifferenzierung unterschieȬ den werden kann. Bei der regionalen Konditionendifferenzierung kann z. B. ein Handelsunternehmen seinen Kunden in verschiedenen Ländern unterȬ schiedliche Rabatte geben. Dies ist auf vielfältige Faktoren, wie z. B. eine unterschiedliche Kapazitätsauslastung in den Ländern, zurückzuführen. Im Rahmen der zeitlichen Konditionendifferenzierung werden gleiche ProdukȬ te zu verschiedenen Zeitpunkten zu unterschiedlichen Konditionen angeboȬ ten. So werden beispielsweise Wintersportartikel im März mit höheren RaȬ batten als im November verkauft. Die persönliche KonditionendifferenzieȬ rung zeichnet sich dadurch aus, dass für verschiedene Personen unterschiedliche Konditionen vergeben werden. Als Beispiel werden auf Absatzkredite unterschiedliche Kreditzinsen in Abhängigkeit der Bonität der Schuldner vergeben. Im Bereich der Rabatte kann sich die Höhe eines TreueȬ rabatts an der Wichtigkeit und Treue einer Geschäftsbeziehung orientieren.
2.2
Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing
Die Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing bezieht sich auf AbsatzȬ mittler, Geschäftskunden und Endkunden. Im Folgenden werden aus der Perspektive des Herstellers die Möglichkeiten des Einsatzes der Instrumente PreisȬ und Konditionenpolitik im vertikalen Marketing dargestellt. Dazu werden in Abschnitt 2.2.1 zunächst die spezifischen Möglichkeiten der Preispolitik erläutert. Anschließend wird in Abschnitt 2.2.2 auf MöglichkeiȬ ten der Ausgestaltung der Konditionenpolitik eingegangen. In Abbildung 2Ȭ 3 sind die für den Hersteller relevanten Koordinationsfelder für kontrahieȬ rungspolitische Maßnahmen im Rahmen des vertikalen Marketings dargeȬ stellt. Es existieren sowohl Koordinationsfelder zwischen den einzelnen Stufen als auch über alle Stufen hinweg.
209
KonditionenȬ differenzierung g
2 Abbildung 2Ȭ3
Kontrahierungspolitik
Koordinationsfelder der Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing Kanal Hersteller
Großhändler Koordination zwischen einzelnen Stufen in einem Marketingkanal Einzelhändler
Endkunde
Vertikale Koordination über alle Stufen in einem Marketingkanal
2.2.1
Preispolitik im vertikalen Marketing
Preisbestimmung bei mehrstufigem Vertrieb
Bei den preispolitischen Überlegungen im vertikalen Marketing, wie z. B. der Preisbestimmung eines Herstellers, ist eine besondere Sorgfalt geboten. Sofern eine, wie in Abbildung 2Ȭ3 beschriebene, mehrstufige Kanalstruktur vorliegt, darf der Hersteller seine preispolitischen Entscheidungen nicht ausschließlich am Markt, an der internen Kostenstruktur oder an konkurȬ renzbezogenen Faktoren orientieren. Vielmehr muss er bei der Festlegung der Preise und Preisstrategien immer auch den Effekt auf die beteiligten Absatzmittler und deren Reaktionen antizipieren.1 Schafft es der Hersteller, seine Preisvorstellungen am Endkundenmarkt in Einklang mit den anderen Akteuren zu bringen, kann er auf eine wesentlich höhere Form der KooperaȬ tion hoffen, als wenn er die Interessen der Kanalmitglieder ignoriert. Die fehlende Integration der Akteure im Rahmen der Preisbestimmung kann in extremen Fällen sogar zu Kanalkonflikten führen.
Preissenkungen im vertikalen Marketing
Preissenkungen seitens des Herstellers stellen unter Umsetzungsaspekten die in der Regel weniger konfliktträchtige Art der Preisänderung dar, führen jedoch mitunter auch zu Problemen mit Absatzmittlern und Endkunden.2 Zum einen resultiert der Widerstand durch den Handel aus möglichen UmȬ satzȬȱ und Gewinnrückgängen, zum anderen ergeben sich Probleme daȬ durch, dass die beim Handel vorhandenen Bestände durch eine PreissenȬ 1 2
210
Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 336. Vgl. im Folgenden Simon (1992), S. 658.
Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing
2.2
kung abgewertet werden. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der Handel in solchen Situationen unter Umständen Kompensationen forȬ dert. Zudem wird der Endkunde, der kurz vor der Preissenkung zu höheren Preisen gekauft hat, verärgert sein. Maßnahmen, die ein Hersteller in diesem Fall treffen kann, sind z. B. die frühzeitige Ankündigung einer Preissenkung oder auch die Durchführung zu bestimmten Regelterminen. Die UmȬȱund Durchsetzung von Preiserhöhungen erweist sich in der Regel als sehr schwierig für ein Unternehmen, da die übrigen Akteure unmittelbar hiervon betroffen sind. Besonders problematisch ist eine Preiserhöhung vor allem dann, wenn die höheren Preise entlang des Marketingkanals nicht bis zum Endkunden weitergegeben werden können und sich negativ auf die erzielten Margen von GroßȬ und Einzelhandel auswirken.1 Dies führt in nicht seltenen Fällen zu erheblichen Kanalkonflikten. Um diesen Konflikten entgegen zu wirken und höhere Preise mit Erfolg durchzusetzen, kann ein Unternehmen u. a. auf folgende Maßnahmen zurückgreifen: 2
Frühzeitige Ankündigung: Preiserhöhungen sollten frühzeitig angeȬ kündigt werden, damit der Kunde die Möglichkeit hat, vor der PreiserȬ höhung zu günstigeren Konditionen Vorratskäufe zu tätigen. So kann er die Auswirkungen höherer Preise aktiv abmildern.
Wahl des Zeitpunktes: Die Wahl des Zeitpunkts der Preiserhöhung ist so zu treffen, dass die Preiserhöhung möglichst glaubhaft und in enger Verbindung zu ihrer Ursache steht. Gute Zeitpunkte sind beispielsweise eine Tarifrunde, eine Erhöhung der Unternehmenssteuer oder eine RohȬ stoffverteuerung.
Ergänzende produktbezogene Maßnahmen: In Verbindung mit der Preiserhöhung kann der Hersteller produktbezogene Maßnahmen erȬ greifen und eine Produktverbesserung durchführen. Dies würde zuminȬ dest teilweise eine Preiserhöhung rechtfertigen und somit die AufmerkȬ samkeit etwas vom Preis ablenken.
Zahl und Taktung: Ein Unternehmen sollte sich Gedanken bezüglich der Zahl und Taktung von Preiserhöhungen machen. Häufig ist ein UnterȬ nehmen aus Akzeptanzgründen dazu gezwungen, mehrere kleine SchritȬ te durchzuführen, da Kunden Preiserhöhungen über einem bestimmten Prozentsatz grundsätzlich nicht hinnehmen. Richtet sich auf der anderen Seite der Widerstand verstärkt gegen eine Preiserhöhung als solche, sollȬ te das Unternehmen die Preise in wenigen Schritten erhöhen.
1 2
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 347. Vgl. im Folgenden Bowersox/Cooper (1992), S. 191; Simon (1992), S. 659 f.; Rosenbloom (2004), S. 348; Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 638.
211
Preiserhöhungen im vertikalen Marketingg
2
Kontrahierungspolitik
Preisgleitklauseln: Ein Unternehmen kann mit dem Kunden PreisgleitȬ klauseln vereinbaren, um das Risiko von Kostenerhöhungen in einer vorbestimmten Weise vom Kunden mittragen zu lassen. Dabei werden Preiserhöhungen an bestimmte Referenzpunkte, wie z. B. einen PreisinȬ dex oder Rohstoffpreise, gebunden. PreisdifferenzieȬ rung im vertikaȬ len Marketing
Im vertikalen Marketing beschränkt sich die Preisdifferenzierung auf die zeitlichen und regionalen Komponenten. Beispielsweise wird vor dem HinȬ tergrund hoher Einführungskosten neuer Kanalstrukturen eine DifferenzieȬ rung häufig von Unternehmen als Mittel eingesetzt, um in kurzer Zeit eine kritische Masse von Kunden zu erreichen.1 Darüber hinaus können DiffeȬ renzierungsmaßnahmen auch eine Möglichkeit sein, um die Nachfrage zeitȬ lich zu steuern. Ein Beispiel stellen hierbei zeitlich begrenzte Preisaktionen, z. B. saisonaler Abverkauf, gegenüber Endkunden dar. Im Rahmen der regionalen Preisdifferenzierung haben Hersteller die MögȬ lichkeit, unterschiedliche Preise für verschiedene Länder oder auch verȬ schiedene inländische Regionen zu setzen, um so gezielt die lokalen ZahȬ lungsbereitschaften abzuschöpfen.2 Wichtig im Zusammenhang mit der jeweiligen Preisdifferenzierung ist wiederum, dass rein endkundenorientierȬ te Differenzierungsmaßnahmen zu Problemen mit Absatzmittlern führen, wenn diese nicht in vollem Umfang informiert und in die DifferenzierungsȬ maßnahme integriert sind.3
2.2.2
Konditionenpolitik im vertikalen Marketing
KonditionenȬ gestaltung im mehrstufigen Vertrieb
Auch im Rahmen seiner konditionenpolitischen Entscheidungen ist der Hersteller gefordert, die übrigen Akteure im Marketingkanal in sein EntȬ scheidungskalkül mit einzubeziehen und eine möglichst offene KommuniȬ kation zu suchen. Nur so kann er auf die Kooperation und Unterstützung insbesondere seitens der Absatzmittler hoffen. Diese Zusammenarbeit ist für den Hersteller wichtig, um seine mit der Konditionenpolitik verbundenen Absatzziele zu erreichen und potenzielle Kanalkonflikte zu vermeiden.
Probleme bei der KonditionenpoliȬ tik im MarkeȬ tingkanall
Während der Endkunde sich bestimmter Konditionen erfreut, fehlt es von Seiten der Absatzmittler häufig an Akzeptanz gegenüber speziellen RabatȬ ten, Bonusprogrammen oder Lieferklauseln für die Herstellerprodukte.4 Dies ist darauf zurückzuführen, dass in vielen Fällen der Aufwand einer solchen Aktion in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Absatzmittler steht. 1 2 3 4
212
Vgl. Gronover/Riempp (2001b), S. 21. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 729. Vgl. Simon (1992), S. 658. Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 348 ff.
Kontrahierungspolitik im vertikalen Marketing
2.2
So muss der Absatzmittler beispielsweise eine Vielzahl von Koupons bearȬ beiten, die Preisschilder der Produkte abändern und viele weitere Details in Verbindung mit der konditionenpolitischen Maßnahme beachten. Oftmals reichen die geringen Umsatzsteigerungen nicht aus, um zusätzliche Kosten, wie höhere Lagerhaltung oder Verwaltungsaufwand, auszugleichen. Es besteht daher eine große Gefahr, dass der Absatzmittler zwar an der Aktion teilnimmt, diese jedoch nur halbherzig umsetzt. Ein weiteres Problem entsteht dann, wenn der Handel die Rabatte als eine Art Termingeschäft betrachtet. Dabei kauft er die Ware zu den günstigen Konditionen in großen Mengen ein, verkauft sie allerdings nicht zu denselȬ ben Konditionen an den Endkunden weiter, sondern veräußert sie schließȬ lich nach Ablauf der Aktion zu normalen Preisen. Der Handel kann hierȬ durch höhere Margen erzielen, wohingegen der eigentliche Zweck der AktiȬ on für den Hersteller verfehlt wird. Um die oben geschilderten Probleme zu beheben, muss der Hersteller dem Absatzmittler in einigen Punkten entgegenkommen. Das Problem des Mehraufwands für den Absatzmittler kann dadurch gelöst werden, dass Sonderaktionen so einfach wie möglich ausgestaltet werden. Dadurch kann der Absatzmittler mit einem Minimum an Zeit und Aufwand von derartigen Aktionen profitieren. Eine weitere Möglichkeit besteht seitens des HerstelȬ lers darin, die Sonderaktion optional zu gestalten, d. h. den betroffenen Absatzmittlern die Teilnahme an der Aktion frei zu stellen.
Lösungsansätze bei der KonditioȬ nenpolitik
Darüber hinaus sollte der Hersteller die Höhe der Konditionen berücksichtiȬ gen, die er dem Absatzmittler bieten muss, damit die Aktion für diesen wirtschaftlich sinnvoll ist. Unter Beachtung der anfallenden Mehrkosten müssen die Konditionen so ausgestaltet sein, dass sie sich unter Umständen als nicht mehr optimal für den Hersteller erweisen, allerdings die volle UnȬ terstützung seitens des Handels mit sich bringen. Abschließend wird auf den Bereich der Konditionendifferenzierung eingeȬ gangen, wobei sich im vertikalen Marketing besonders die persönliche DifȬ ferenzierung gegenüber Absatzmittlern und Geschäftskunden anbietet. Dabei erfolgt die Differenzierung der Konditionen zumeist über die abgeȬ nommene Menge oder die Stetigkeit der Geschäftsbeziehung. Klassische Maßnahmen in diesem Bereich sind MengenȬ respektive Treuerabatte1. Auch in diesem Zusammenhang ist wichtig, dass der Hersteller die nicht direkt betroffenen Kanalmitglieder und deren Interessen mit ins EntscheidungsȬ kalkül einbezieht, um präventiv potenzielle Konflikte innerhalb der vertikaȬ len Kanalstruktur zu vermeiden.
1
Vgl. Meffert (2000), S. 586.
213
KonditionendifȬ f ferenzierung
2
Kontrahierungspolitik
2.3 Bedeutungg der Koordination
Kontrahierungspolitik im MultiChannel-Marketing
Wie im vorherigen Abschnitt veranschaulicht, ist die Koordination kontraȬ hierungspolitischer Maßnahmen im vertikalen Einkanalvertrieb besonders wichtig, um den Ansprüchen aller Beteiligten gerecht zu werden. In MehrȬ kanalsystemen wird jedoch durch die Zunahme an Marketingkanälen, die wiederum zu einer steigenden Zahl von Koordinationsfeldern führen, die Komplexität dieser koordinatorischen Aufgaben verstärkt. Ziel muss es sein, sämtliche preisȬ und konditionenpolitische Maßnahmen optimal zwischen und innerhalb der Kanäle zu koordinieren, um so den Unternehmenserfolg positiv zu beeinflussen. Die in der Praxis vorherrschenden, zum Teil sehr komplexen MehrkanalsysȬ teme lassen sich aufgrund der vielfältigen Ausprägungsalternativen nicht vollständig und in allen möglichen Kombinationen abbilden. Daher wird hier abstrakt von Mehrkanalsystemen gesprochen die sowohl indirekte als auch direkte Marketingkanäle beinhalten können. Abschnitt 2.3.1 fokussiert in diesem Zusammenhang auf die Preispolitik in Mehrkanalsystemen, wähȬ rend Abschnitt 2.3.2 stellt die Konditionenpolitik in Mehrkanalstrukturen darstellt.
2.3.1
Preispolitik in Mehrkanalsystemen
Bei der Ausweitung der Kanalstrukturen hin zu einem Mehrkanalsystem tritt, wie in Abbildung 2Ȭ4 dargestellt, neben die Intrakanalkoordination auch die Interkanalkoordination. Der Hersteller hat einen größeren KoordiȬ nationsaufwand, um alle Maßnahmen zielkongruent zu planen und zu impȬ lementieren. Bei den preispolitischen Entscheidungen für Mehrkanalsysteme kommt es somit zu einer Vervielfachung der Reibungspunkte, wie sie bereits in Abschnitt 2.2. erläutert wurden. Bei der Preisgestaltung muss der HerstelȬ ler nun die unternehmensinternen undȱȬexternen Einflussfaktoren sowie die Wirkung auf und Wechselwirkung zwischen den beteiligten KanalmitglieȬ dern berücksichtigen. Nachfolgend wird auf einige positive Aspekte sowie Problemfelder der preispolitischen Maßnahmen in Mehrkanalstrukturen eingegangen.
214
Kontrahierungspolitik im Multi-Channel-Marketing
2.3 Abbildung 2Ȭ4
Koordinationsfelder bei Marketingkanalstrukturen Horizontale Koordination zwischen den Marketingkanälen Kanal 1
Kanal 2
Hersteller
Hersteller
Kanal n Hersteller
Großhändler
Einzelhändler
Endkunde E e
Einzelhändler
Endkunde
Vertikale Koordination über alle Stufen in einem Marketingkanal
E Endkunde e Vertikale Koordination über alle Stufen in einem Marketingkanal
Bei der Betrachtung preispolitischer Maßnahmen kann für die einzelnen in Abbildung 2Ȭ4 dargestellten Marketingkanäle eine unterschiedliche preispoȬ litische Flexibilität festgestellt werden. So sind indirekte Kanäle eher unfleȬ xibel, da viele Kanalmitglieder von den Maßnahmen überzeugt und zur Teilnahme motiviert werden müssen. Im Gegensatz dazu zeichnen sich vollständig vom Hersteller kontrollierte direkte Marketingkanäle durch eine enorme Flexibilität und Wirkungsgeschwindigkeit aus. Darüber hinaus stellt sich die preispolitischen Flexibilität auch zwischen verschiedenen direkten Marketingkanälen unterschiedlich dar. So besteht beispielsweise beim Versandhandel eine geringere Anpassungsflexibilität als im Vertrieb über das Internet. Auf Grund der hohen DruckȬ und VersandȬ kosten kann eine Preisänderungen oder Preisaktionen im Versandhandel nicht zeitnah umgesetzt werden. Auch der alternative Druck von SonderkaȬ talogen bindet zumeist ein hohes Maß an Unternehmensressourcen, was eine kurzfristige preispolitische Sonderaktion normalerweise ausschließt. Beim OnlineȬVersandhandel existiert ein wesentlich größerer Spielraum für preispolitische Entscheidungen. Preisaktionen können hier einfacher durchȬ geführt werden, zeigen eine hohe Wirkungsgeschwindigkeit, sind leicht revidierbar und können sehr flexible gestaltet werden.1
1
Vgl. Meffert (2000), S. 589; Schröder (2005), S. 197.
215
Unterschiedliche Preisflexibilität im MehrkanalȬ system
2 PreisdifferenzieȬ rungg im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Kontrahierungspolitik
Beim Einsatz von mehreren Marketingkanälen ergeben sich einige PreisdifȬ ferenzierungsmöglichkeiten zwischen den Kanälen. So kann z. B. über MaßȬ nahmen der zeitlichen Preisdifferenzierung die Nachfrage gezielt in den Vertrieb über das Internet gelenkt werden, um spezielle Kontingente frühȬ zeitig zu verkaufen (z. B. Preisdifferenzierung bei früher Buchung der SomȬ merreisen über das Internet). Eine weitere Möglichkeit besteht in einer Preisdifferenzierung zweiten Grades in Form der leistungsbezogenen DiffeȬ renzierung. Der Hersteller setzt die Preise dabei gemäß der erbrachten LeisȬ tung unterschiedlich. Da im stationären Einzelhandel eine intensivere BeraȬ tung stattfindet, werden dort die Preise tendenziell höher angesetzt als im direkten Vertrieb, der zumeist ohne persönliche Kundenberatung ausȬ kommt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Kunden diese DiffeȬ renzierung nachvollziehen und akzeptieren sowie den Absatzmittlern die Differenzierungsmaßnahmen frühzeitig kommuniziert werden.1 Auch bei indirekten Kanälen bieten sich Preisdifferenzierungsmaßnahmen gegenüber Absatzmittlern an. Vor allem die regionale und zeitliche PreisdifȬ ferenzierung kann hier als adäquat bezeichnet werden. Mehrkanalsysteme, die aus zwei oder mehreren indirekten Kanälen bestehen, sind hervorragend geeignet, um eine regionale Preisdifferenzierung in Form eines überregionaȬ len bzw. internationalen Vertriebes zu ermöglichen. Es kann konstatiert werden, dass der Koordinationsaufwand in Bezug auf Preissetzung und –differenzierung umso höher ist, je näher die Regionen zusammen liegen.2 So ist beispielsweise. die unterschiedliche Preissetzung zwischen verschieȬ denen nationalen Großstädten weitaus schwieriger durchzusetzen und ggf. zu rechtfertigen, als die differenzierte Preissetzung zwischen unterschiedliȬ chen Ländern.
KanalkannibaliȬ sierung im MehrȬ r kanalsystem
Ein nicht zu unterschätzender negativer Effekt bei der Preisdifferenzierung im Mehrkanalsystem besteht darin, dass bei mehreren Kanälen durch die evtl. unterschiedlich gesetzten Preise zwischen den Absatzmittlern eine Kanalkannibalisierung auftritt. Werden gleiche Produkte in verschiedenen Marketingkanälen zu unterschiedlichen Preisen angeboten, kauft der Kunde das gewohnte Produkt nicht zum Normalpreis, sondern in dem MarketingȬ kanal, der das Produkt zum günstigeren Preis anbietet.3
Verschiedene Effekte derr KanalkanniȬ balisierung
Dieser Mechanismus kann bei mehreren indirekten Kanälen langfristig zu einem massiven Preiswettbewerb zwischen den Absatzmittlern führen, was wiederum negative Auswirkungen auf die Marge anderer Absatzmittler und den Gewinn des Herstellers haben kann. Als Beispiel kann der Preiskampf der Elektronikartikeldiscounter angeführt werden, der die Hersteller von 1 2 3
216
Vgl. Schröder (2005), S. 203 ff. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 1121 f. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 77.
Kontrahierungspolitik im Multi-Channel-Marketing
2.3
Elektroartikeln massiv unter Druck setzt. Im Gegensatz zu den Problemen bei mehreren indirekten Kanälen birgt eine Kanalkannibalisierung durch direkte Kanäle erhebliches Konfliktpotenzial zwischen den Absatzmittlern und dem Hersteller. Wie stark diese Konflikte ausfallen ist dabei von der Position und den Beziehungen zwischen den Beteiligten abhängig. Hat der Hersteller eine ausreichend starke Position gegenüber den Absatzmittlern, z. B. durch eine starke Marke, kann er preispolitische Entscheidungen leichȬ ter gegen den Willen der Absatzmittler durchsetzten. Liegt die Macht jedoch bei den Absatzmittlern, so können diese die Produkte des Herstellers bloȬ ckieren, sobald dieser einen direkten Marketingkanal einführt. Die Koordination kontrahierungspolitischer Maßnahmen ist bei sehr komȬ plexen Mehrkanalsystemen von einem so starken Aufwand geprägt, dass Unternehmen zumeist einen MultiȬChannelȬManager einsetzen bzw. ganze MultiȬChannel Abteilungen unterhalten. Der Grund dafür ist, dass die preispolitischen Maßnahmen nun über eine Vielzahl von beteiligten AbȬ satzmittlern, dem eigenen Unternehmen und den externen Einflussfaktoren, wie z. B. der Konkurrenz abgestimmt werden müssen.1
Preispolitik bei sehr komplexen MehrkanalȬ systemen
Besonders die horizontale Ebene beinhaltet einen erheblichen Aufwand, da es sich um direkte Marketingkanäle, einfache indirekte Marketingkanäle inklusive Einzelhandel und um mehrstufige indirekte Marketingkanäle inklusive Großhandel und Einzelhandel handeln kann (vgl. Abbildung 2Ȭ4). Unternehmen die solche Mehrkanalstrukturen aufweisen sind z. B. die Deutsche Telekom AG oder die KarstadtQuelle AG. Der hohen Komplexität durch den Einsatz eines in Abbildung 2Ȭ4 dargestellȬ ten Mehrkanalsystems steht eine enorme Flexibilisierung der preispolitiȬ schen Maßnahmen gegenüber. So können durch den Einsatz von verschieȬ denen direkten und indirekten Marketingkanälen die preispolitischen ChaȬ rakteristika optimal ausgenutzt werden. Die Wirkungsweisen der Maßnahmen, die preispolitischen Optionen und mögliche Problemfelder sollen an einem Beispiel erläutert werden. Der Hersteller kann beispielsweise die Überlegung anstellen, welcher Kanal für seine preispolitischen Ziele den höchstmöglichen Nutzen bringt. Der Nutzen muss dabei nicht unbedingt und einseitig nur auf Kostenersparnis abzielen. So ist es möglich, dass der Hersteller bei der Preissetzung trotz direktem Kanal und stationärem Einzelhandel den Weg über den GroßhanȬ del sucht, um für sein Produkt eine schnelle Marktdurchdringung zu geȬ währleisten. Diese Penetrationsstrategie könnte dann wiederum nach geȬ lungener Markteinführung aufgegeben werden, um das Produkt in eigenen kostengünstigeren Kanälen direkt oder unter Auslassung einiger AbsatzȬ
1
Vgl. Teil E Kapitel 3.
217
Komplexität vs. Flexibilisierung
2
Kontrahierungspolitik
mittlerstufen zu vertreiben. Die Marge des Großhändlers könnte dann zuȬ sätzlich vom Preis abgezogen werden, damit die Nachfrage für das Produkt nicht einbricht und die Kunden in die unternehmenseigenen Kanäle geȬ lenkt werden.
2.3.2
Konditionenpolitik im Mehrkanalsystem
KonditionenpoliȬ tische Flexibilität
Konditionenpolitische Entscheidungen können, im Gegensatz zu den preisȬ politischen Maßnahmen, in allen direkten Kanälen sehr variabel gehandhabt werden. Obwohl beim Versandhandel, wie oben bereits beschreiben, die Preise für einen bestimmten Zeitraum fix sind, können Sonderaktionen bei LieferȬ und Zahlungsbedingungen, Absatzkrediten oder Rabattaktionen unabhängig vom Katalogpreis veranlasst werden, um z. B. die LagerbestänȬ de zu reduzieren oder das Lager für die Produkte der nachfolgenden Saison zu räumen. Dabei kann dieses Vorgehen gleichzeitig in allen betriebenen Marketingkanälen erfolgen oder auch auf einzelne Kanäle konzentriert werȬ den. Bei der Einbeziehung der indirekten Kanäle muss wiederum darauf geachtet werden, dass keine zu starken Konflikte zwischen den Interessen der Beteiligten auftreten, um das Ziel des Herstellers nicht zu gefährden.
KonditionenpoliȬ tik im komplexen MehrkanalsysȬ tem
Auch im Bereich der Konditionenpolitik kann konstatiert werden, dass zum einen der Koordinationsaufwand, jedoch auch die Flexibilität der MaßnahȬ men durch den Einsatz eines sehr komplexen Mehrkanalsystems steigt. Auf eine Wiederholung der jeweiligen Maßnahmen und Probleme aus obigen Abschnitten wird hier wiederum verzichtet, jedoch soll ein kurzes Beispiel eine mögliche Vorgehensweise aufzeigen. Hersteller versuchen über Rabatte oder Absatzkredite bestimmte, meist umsatzsteigernde, unternehmerische Ziele zu erreichen. So ist es durch den Einsatz eines komplexen Mehrkanalsystems möglich, die gleichen Produkte in verschiedenen Kanälen zu unterschiedlichen Rabatten oder AbsatzkreditȬ optionen anzubieten. Dies kann wie z. B. bei der Deutsche Telekom AG in der Art vorgenommen werden, dass bei der Onlinebuchung ein pauschaler monetärer Rabatt gewährt wird, beim unternehmenseigenen stationären Einzelhandel individuelle Rabatte je nach Kundensituation möglich sind und schließlich im unternehmensfremden stationären Einzelhandel über Großhändler keine Rabatte seitens der Deutsche Telekom AG vorgesehen sind. Auch im Bereich der Absatzkredite ist eine ähnliche Struktur möglich, indem Hersteller in direkten Kanälen die günstigsten Konditionen anbieten und beim Vertrieb über mehrstufige Absatzmittler die für den Endkunden schlechtesten Konditionen offeriert werden.
218
Kontrahierungspolitik im Multi-Channel-Marketing
3
2.3
Produktpolitik
Die von Unternehmen am Markt angebotenen Produkte und DienstleistunȬ gen sind die Ausgangsbasis für die Geschäftsbeziehungen mit AbsatzmittȬ lern und Endkunden. Dementsprechend bedeutend sind produktpolitische Maßnahmen auch für das MultiȬChannelȬMarketing.1 Dieses Kapitel beȬ schreibt daher die Besonderheiten der Produktpolitik im Kontext des MultiȬ ChannelȬMarketings. Dazu werden in Abschnitt 3.1 zunächst die GrundlaȬ gen der Produktpolitik dargestellt. Anschließend wird in 3.2 die ProduktpoȬ litik im vertikalen Marketing und abschließend in 3.3 im MultiȬChannelȬ Marketing erläutert. Abbildung 3Ȭ1 gibt einen Überblick über die Struktur des Kapitels.
Abbildung 3Ȭ1
Struktur des Kapitels
Grundlagen der Produktpolitik
1
Produktpolitik im vertikalen Marketing
Produktpolitik im Multi-Channel-Marketing
• Produktbegriff
• Produktentwicklung
• Produktentwicklung
• Aufgabenbereiche der allgemeinen Produktpolitik
• Management des Produktlebenszyklus
• Management des Produktlebenszyklus
• Verpackungsgestaltung
• Verpackungsgestaltung
• Markenpolitik
• Markenpolitik
• Servicepolitik
• Servicepolitik
• Produktzuordnung zu Marketingkanälen
• Produktzuordnung zu Marketingkanälen
Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 1; Kotler/Bliemel (2001), S. 715.
219
3
Produktpolitik
3.1 GrundverständȬ nis der ProduktȬ t politik
Grundlagen der Produktpolitik
Allgemein umfasst die Produktpolitik sämtliche Maßnahmen, die im ZuȬ sammenhang mit der marktgerechten Gestaltung der vom Unternehmen aktuell und zukünftig am Absatzmarkt angebotenen Leistungen stehen.1 Gegenstand der Produktpolitik sind somit die bestehenden als auch die zukünftigen Produkte des Unternehmens. In den letzten Jahrzehnten durchȬ lief die Produktpolitik mehrere Paradigmenwechsel.2 So waren z. B. die Unternehmen in den 60erȬJahren überwiegend auf die Massenproduktion weniger Produktvarianten bzw. Ȭlinien ausgerichtet. In den letzten JahrzehnȬ ten wurde jedoch aufgrund mehrerer externer Einflussfaktoren verstärkt auf Produktqualität und Variantenvielfalt umgestellt, um sich von der KonkurȬ renz abzuheben und die Marktposition zu verteidigen. Eine gezielte Auseinandersetzung mit der Produktpolitik im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings bedarf zunächst einer Klärung des ProduktbeȬ griffs, weshalb dieser in Abschnitt 3.1.1 dargestellt wird. Anschließend wird in Abschnitt 3.1.2 auf die Aufgabenbereiche der Produktpolitik eingegangen.
3.1.1
Produktbegriff
BedürfnisbefrieȬ digung als konȬ stituierendes Merkmall
Unter einem Produkt wird ein Bündel von Eigenschaften verstanden, das die Bedürfnisse und Ansprüche des Kunden befriedigen soll.3 Ein solches Begriffsverständnis folgt dem generischen Produktbegriff von Kotler (1972) und umfasst sowohl materielle (physischȬtechnische Produktmerkmale) als auch immaterielle Leistungsmerkmale (z. B. Dienstleistungen).4 Explizit mit einbezogen werden hierbei neben dem funktionalen Nutzen eines Produkts auch dessen soziale und emotionale Nutzenkomponente, wie sie beispielsȬ weise von einer Marke ausgeht.5
Produktkernȱȱ und erweitertes Produkt
Insgesamt können zwei Konzeptionsebenen für ein Produkt unterschieden werden: der Produktkern mit dem Kernnutzen und das erweiterte Produkt mit den zusätzlich Nutzen stiftenden Aspekten Verpackung, Marke und Serviceleistungen. In Abbildung 3Ȭ2 ist das den weiteren Ausführungen zugrunde liegende Produktverständnis grafisch dargestellt.
1 2 3 4 5
220
Vgl. Meffert (2000), S. 327. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 685 ff. Vgl. Brockhoff (1999), S. 13. Vgl. Kotler (1972), S. 46 ff. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 513.
Grundlagen der Produktpolitik
Produktkern und erweitertes Produkt1
3.1 Abbildung 3Ȭ2
Erweitertes Produkt Produktkern (das materielle Produkt bzw. die Dienstleistung) Verpackung
Marke
Service / Kundendienst
Bei der Produktpolitik können verschiedene Entscheidungsebenen unterȬ schieden werden: Produkt, Produktlinie und Produktprogramm.2 Die unȬ terste Ebene, die Produktebene, betrifft alle Aktivitäten und Entscheidungen in Bezug auf die einzelnen Produkte. Eine Produktlinie hingegen bezeichnet eine Gruppe von Produkten, die gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen und zueinander in Beziehung stehen (z. B. gleiche Produktionsprozesse oder gleiche Kundengruppe). Das Produktprogramm wiederum umfasst alle Produktlinien und Produkte eines Unternehmens.
Produkt, ProȬ duktlinie und ProduktproȬ gramm
Das Produktprogramm kann weiter durch die zwei Dimensionen ProȬ grammbreite (Anzahl der verschiedenen Produktlinien) und Programmtiefe (Zahl der verschiedenen Produkte und Produktvariationen) charakterisiert werden. Als Beispiel dient das Produktprogramm eines KonsumgüterherȬ stellers. Es könnte drei Produktlinien umfassen Ȭ ZahnȬ, HaarȬ und HautȬ pflege. Die Programmtiefe der jeweiligen Produktlinie würde verschiedene Varianten beinhalten. So könnte z. B. Haarpflege aus den Varianten ShamȬ poo, Spülung und Kur bestehen.3
Produktbreite und Produkttiefe
3.1.2
Aufgabenbereiche der Produktpolitik
Ziel der Produktpolitik ist es, das Produktprogramm derart zu gestalten, dass Bestand und Erfolg des Unternehmens gesichert werden. Primäre Aufgabe der Produktpolitik ist es, Leistungen anzubieten, die aus KundenȬ sicht einen relevanten Vorteil gegenüber den Leistungen der Konkurrenz bieten.4 Für die Erreichung dieser produktpolitischen Ziele stehen UnterȬ nehmen verschiedene Gestaltungsbereiche zur Verfügung. Hierzu zählen die Produktentwicklung, das Management des Produktlebenszyklus, die
1 2 3 4
In Anlehnung an Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 7. Vgl. Meffert (2000), S. 335. Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 216. Vgl. Weigand (1977), S. 95 ff.; Wirtz (2002), S. 676 ff.; Combs (2004), S. 9 ff.
221
3
Produktpolitik
Verpackungsgestaltung, die MarkenȬȱund Servicepolitik sowie die ProduktȬ zuordnung zu verfügbaren Marketingkanälen. In Abbildung 3Ȭ3 sind die Aufgabenbereiche der Produktpolitik dargestellt, auf die im Folgenden eingegangen wird.
Abbildung 3Ȭ3
Aufgabenbereiche der Produktpolitik1
Aufgabenbereiche der Produktpolitik
Produktentwicklung
Management des Produktlebenszyklus
Verpackungsgestaltung
Markenpolitik
Servicepolitik
Produktzuordnung zu den Kanälen
ProduktentwickȬ lung g
Die kontinuierliche Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte und Produktlinien ist für die meisten Unternehmen eine notwendige Aufgabe, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichern zu können.2 Technischer Fortschritt, sich wandelnde Kundenpräferenzen und sich änȬ dernde Wettbewerbssituationen führen in vielen Märkten dazu, dass sich Produktlebenszyklen tendenziell verkürzen und sich der Bedarf nach innoȬ vativen Produkten permanent erhöht. Dieser Notwendigkeit für ProduktinȬ novationen steht jedoch auch ein mit Produktinnovationen verbundenes hohes Risiko gegenüber.3
Management des ProduktlebensȬ zyklus
Das Konzept des Produktlebenszyklus (Abbildung 3Ȭ4) findet in der beȬ triebswirtschaftlichen Literatur in unterschiedlichen Kontexten und in vielen Modifikationen Verwendung. Es stellt die Phasen dar, die ein Produkt im Laufe der Zeit idealtypisch durchläuft. Hierbei können die EinführungsȬ, WachstumsȬ, ReifeȬ und Degenerationsphase unterschieden werden. Dabei gilt, dass die Dauer der jeweiligen Phasen stark schwanken kann und deren genaue Bestimmung in der Regel erst exȬpost möglich ist. Das Konzept unȬ terliegt noch weiteren Einschränkungen, weil es beispielsweise nicht empiȬ risch belegt ist und eine wechselseitige Beeinflussung von Lebenszyklus und Marketingaktivitäten meist nicht berücksichtigt.4 1 2 3 4
222
In Anlehnung an Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 12. Vgl. Nijssen/Frambach (1998), S. 305. Vgl. Erichson (2000), S. 387; Sivadas/Dwyer (2000), S. 31. Vgl. Meffert (2000), S. 343; Homburg/Krohmer (2006), S. 451.
Grundlagen der Produktpolitik
3.1 Abbildung 3Ȭ4
Phasen eines Produktlebenszyklus Umsatz
Zeit Einführung
Wachstum
Reife
Degeneration
Die Verpackungsgestaltung ist für viele materielle Produkte von großer Bedeutung, da die Endkunden sie als integralen Bestandteil der ProduktquaȬ lität wahrnehmen (z. B. bei DVDs oder Kosmetikartikeln wie Parfums und Lippenstiften).1 Allgemein stellt sie eine entfernbare, vollständige oder teilȬ weise Umhüllung des Produkts zum Schutz, zur TransportȬ, LagerungsȬ, GeȬȱ und Verbrauchserleichterung, zur Dimensionierung sowie zur Information und Warenpräsentation dar.2 Dabei bietet sie verschiedene GestaltungseleȬ mente, wie beispielsweise Material, Form und Funktionsweise sowie Grafik, Farbe und Text. Eine weitere Unterscheidung hinsichtlich der Verpackungen lässt sich nach ihrer Notwendigkeit treffen. So ist beispielsweise bei beȬ stimmten Produkten die Verkaufsverpackung unabdingbar (z. B. Joghurt und Getränke), während bei anderen Produkten eine Umverpackung ledigȬ lich der Dimensionierung in Verkaufseinheiten (z. B. Obst) oder der PräsenȬ tation bzw. Ästhetisierung des Produkts (z. B. Blisterverpackungen für Kleinstteile) dient.3
VerpackungsȬ gestaltung
Die Marke, unter der ein Produkt vertrieben wird, bildet eine Ergänzung des Kernprodukts und ist neben der Verpackung und dem Kundenservice ein Bestandteil des erweiterten Produktverständnisses.4 Somit stellt die MarȬ kenpolitik ein weiteres entscheidendes Gestaltungselement der ProduktpoliȬ tik dar. Unter einer Marke ist „ein in der Psyche des Konsumenten verankerȬ tes, unverwechselbares Vorstellungsbild von einem Produkt oder einer
Markenpolitik
1 2 3 4
Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 177 f. Vgl. Specht (1998), S. 111. Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 178. Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 194
223
3
Produktpolitik
Dienstleistung“1 zu verstehen. Marken sollen als emotionaler Reiz wirken, dadurch Kunden aktivieren und diese zu einer Kaufhandlung stimulieren. Für Kunden bieten Marken somit eine Orientierungshilfe im Kaufprozess. Servicepolitik
Serviceleistungen können als das Produkt erweiternde Dienstleistungen charakterisiert werden. Sie sind ebenso wie die Marke dem erweiterten ProȬ duktbegriff zuzurechnen.2 Die Servicepolitik hat in vielen Branchen eine hohe Bedeutung als Einflussfaktor auf die KaufȬ und Wiederkaufabsicht der Kunden. Eine umfassende und kundenfreundliche Servicepolitik steigert den Kundenutzen und trägt zur Differenzierung gegenüber der Konkurrenz bei.3 Serviceleistungen sind somit ein wichtiger Bestandteil und GestalȬ tungsbereich der Produktpolitik.
ProduktzuordȬ nung g zu MarkeȬ tingkanälen
Zusätzlich muss im Rahmen der Produktpolitik auch über die Zuordnung der Produkte zu passenden Marketingkanälen entschieden werden. Dabei ist besonders die funktionale Eignung des Produktes für den MarketingkaȬ nal und der ChannelȬProduktprogrammȬFit zu beachten, um das Produkt adäquat zu vermarkten und Synergieeffekte zu nutzen. Da dieser Prozess im MultiȬChannelȬMarketing jedoch einen besonderen Stellenwert besitzt, wird darauf in Abschnitt 3.3 gesondert eingegangen.
3.2
Produktpolitik im vertikalen Marketing
Die Produktpolitik im vertikalen Marketing bezieht sich auf Absatzmittler, GeschäftsȬȱ und Endkunden. Im Folgenden werden aus der Perspektive des Herstellers die Aufgabenbereiche im vertikalen Marketing dargestellt. Dabei orientiert sich die Struktur der Abschnitte an den in Abbildung 3Ȭ3 dargeȬ stellten allgemeinen Aufgabenbereichen der Produktpolitik.
3.2.1 Integration als besondere HerȬ r ausforderungg
Produktentwicklung
Die Herausforderung bei der Produktentwicklung im vertikalen Marketing liegt darin, sowohl Endkunden als auch Absatzmittler mit in die EntscheiȬ dung einzubeziehen. In Bezug auf Endkunden gilt es, frühzeitig die Motive und Wünsche zu verstehen und als Referenzpunkte in der ProduktentwickȬ lung zu berücksichtigen.4 Bei Absatzmittlern ist bei der Produktentwicklung 1 2 3 4
224
Meffert (2000), S. 847. Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 164. Vgl. Meffert (2000), S. 940. Vgl. Cooper (1979), S. 134.
Produktpolitik im vertikalen Marketing
3.2
darauf zu achten, dass eine generelle Kooperationsbereitschaft gegeben ist, da es ohne diese Kooperationsbereitschaft mitunter schwierig für einen Hersteller ist, neue Produkte zielgerecht am Markt zu platzieren. Das HerȬ stellerunternehmen sollte sich deshalb darum bemühen, mögliche, mit NeuȬ produkten verbundene Implikationen für die Kanalmitglieder frühzeitig zu analysieren und in die Planung und Entwicklung einfließen zu lassen.1 Abbildung 3Ȭ5 zeigt verschiedene Wechselbeziehungen die von Herstellern in Bezug auf die Produktneuentwicklung berücksichtigt werden müssen.
Abbildung 3Ȭ5
AbsatzmittlerȬ und endkundenorientierte Produktentwicklung
Absatzmittler- und endkundenorientierte Entwicklung von Neuprodukten Identifikation der Produktanforderungen
Berücksichtigung der verschiedenen Anforderungen
Neuprodukt mit bestimmten Eigenschaften
Absatz
Akzeptanz und Förderung
Absatzmittler mit verschiedenen Interessen
Identifikation der Produktanforderungen
Absatz
Informationen über Kundenbedürfnisse
Endkunde mit Bedürfnissen
In diesem Zusammenhang bieten sich für Herstellerunternehmen verschieȬ dene Maßnahmen an, mit denen sie die Interessen der Kanalmitglieder beȬ rücksichtigen und deren Kooperationsbereitschaft in Bezug auf eine ProȬ duktentwicklung erhöhen können. Hierzu zählen insbesondere:2
Integration der ChannelȬMitglieder: Die Integration der Kanalmitglieder in den Neuproduktentwicklungsprozess ist wichtig, da Absatzmittler z. B. besondere Kundeninformationen haben und evtl. CrossȬSelling Potenziale aufzeigen können, um die Produktentwicklung positiv zu beeinflussen.
Schaffung vorteilhafter Produkteigenschaften: Die Akzeptanz eines NeuȬ produkts auf Seiten der Absatzmittler kann durch Produkteigenschaften, die den Bedürfnissen der Händler entgegenkommen, gesteigert werden. Als Beispiel kann hier eine leichte LagerȬ oder Handhabbarkeit genannt werden. 1 2
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 307. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 307 ff.
225
Maßnahmen bei ProduktentȬ t wicklungen
3
Produktpolitik
Abstimmung des Produkts auf das Händlersortiment: Entscheidungen bei Produktentwicklungen werden u. a. von der Überlegung begleitet, wie sich das Neuprodukt in das bestehende Produktprogramm des Händlers einfügt. Passt ein Neuprodukt grundsätzlich nicht in die klassiȬ schen Händlersortimente der Branche, dann ist die Etablierung eines leistungsstarken Vertriebssystems mit erhöhtem Aufwand und SchwieȬ rigkeiten verbunden.
Neuproduktbezogene Schulungen der Absatzmittler: Um neue ProȬ dukte erfolgreich absetzen zu können sind häufig Schulungen der AbȬ satzmittler erforderlich. Der notwendige Schulungsaufwand bestimmt sich dabei maßgeblich aus der Neuheit und Komplexität des Produkts.
3.2.2 KoordinationsȬ bedarf in den einzelnen Phasen
Management des Produktlebenszyklus
Das Management des Produktlebenszyklus im vertikalen Marketing zeigt in allen Phasen einen Koordinationsbedarf des Herstellers bezüglich der einȬ zelnen Kanalmitglieder.1 So muss der Hersteller z. B. in der EinführungsȬ phase dafür sorgen, dass geeignete Absatzmittler für das Produkt identifiȬ ziert werden, um eine gute Marktabdeckung zu erreichen. In der WachsȬ tumsphase ist es im vertikalen Marketing u. a. wichtig, dass die steigende Nachfrage durch die Absatzmittler adäquat befriedigt werden kann, d. h. das Produkt ausreichend zur Verfügung steht. In der Reifephase, der zuȬ nehmenden Sättigung des Markts, besteht die Gefahr, dass die KanalmitȬ glieder ihre Aktivitäten in Bezug auf das Produkt langsam reduzieren. Die Kanalakteure müssen deshalb verstärkt für den Absatz des Produkts motiȬ viert werden, in dem diesen z. B. höhere Handelsspannen oder WerbezuȬ schüsse eingeräumt werden. Während der Degenerationsphase ist ein wichȬ tiges Koordinationsfeld des Herstellers die gezielte Elimination von AbȬ satzmittlern. In Abbildung 3Ȭ6 sind beispielhaft einige AufgabenȬ und Koordinationsfelder beim Management des Produktlebenszyklus eines HerȬ stellers im vertikalen Marketing dargestellt.
1
226
Vgl. im Folgenden Specht (1998), S. 191 ff.; Rosenbloom (2004), S. 313 ff.
Produktpolitik im vertikalen Marketing
Marketingaktivitäten im Produktlebenszyklus bei vertikaler Einkanalstruktur1
3.2 Abbildung 3Ȭ6
Umsatz
Zeit Einführung • Identifikation und Gewinnung einer ausreichenden Zahl geeigneter Kanalmitglieder
Wachstum
Reife
Degeneration
• Intensive Kommunikationsmaßnahmen mit den Kanalmitgliedern
• Verstärkte Motivation der Kanalmitglieder
• Selektion und Elimination von Absatzmittlern
• Möglicherweise Umstrukturierung der Kanalstrukturen und Akteure
• Möglicherweise Produktelimination und Aufgabe von Kanalstrukturen
• Monitoring des Verhaltens der • Intensiver Einsatz adäquater WerbeKanalmitglieder und Verkaufs• Sicherung ausförderungsmaßreichender Lanahmen gerbestände bei den Distributoren • Sicherung ausreichender Lagerbestände bei den Distributoren
3.2.3
• Motivation von beteiligten Absatzmittlern durch Verkaufsförderung
Verpackungsgestaltung
Die drei Bezugsgruppen ȬȱHersteller, Absatzmittler und Endunden – haben im vertikalen Marketing unterschiedliche Ansprüche an die Verpackung eines Produkts. Sind für Hersteller z. B. die Kosten und die Vermittlung intendierter PreisȬ und Qualitätsvorstellungen besonders bedeutend, so stehen beim Absatzmittler eine optimale Lagerbarkeit, eine leichte HandȬ habbarkeit, schnelle Identifizierbarkeit, optimale Nutzung der RegalȬ bzw. Verkaufsfläche, gute Eignung für die Verkaufsförderung und eine problemȬ lose Preisauszeichnung bzw. ScanningȬMöglichkeit im Vordergrund.2
1 2
In Anlehnung an Specht (1998), S. 192; Homburg/Krohmer (2006), S. 453; Rosenbloom (2004), S. 314. Vgl. im Folgenden Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 183 ff.
227
Komplexität durch verschiedeȬ ne Ansprüche
3
Produktpolitik
In Bezug auf die Endkunden ergänzen dann Faktoren der BenutzerfreundȬ lichkeit und der Verbrauchswirtschaftlichkeit die Überlegung. Darüber hinȬ aus muss die Verpackung gegenüber Endkunden in hohem Maße eine SigȬ nalȬ, PräsentationsȬ, Prestige, WiedererkennungsȬ und Informationsfunktion übernehmen.1 Abbildung 3Ȭ7 stellt die unterschiedlichen Ansprüche und Koordinationsfelder zusammenfassend dar.
Abbildung 3Ȭ7
Ansprüche an die Verpackungsgestaltung im vertikalen Marketing
Ansprüche des Herstellers • Schutz der Ware • Qualitätssignal • Kostenorientierung • ...
Ansprüche des Endkunden • Wiedererkennung • Prestigeausdruck • Informationen • ...
3.2.4 Absatzfördernde Wirkung von Marken
Verpackungsgestaltung im vertikalen Marketing
Ansprüche des Absatzmittler • Lagerhaltung • Problemlose Preisauszeichnung • Umweltfreundlichkeit • ...
Markenpolitik
Im vertikalen Marketing dienen Marken aus Sicht des Markenführers und der Absatzmittler in erster Linie der Absatzförderung. Eine Marke soll zum einen die Präferenzbildung bei den Konsumenten unterstützen und zum anderen zur Differenzierung gegenüber Konkurrenzprodukten beitragen. Der Hersteller kann hierdurch Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber schaffen. Je besser es einem Markenführer gelingt, seine Marke im vertikalen Kanalsystem gegenüber Konkurrenzmarken abzugrenzen und ein positives Markenimage zu erzeugen, desto stärker wird sich die Marke durchsetzen. Darüber hinaus schaffen etablierte Marken eine gute Ausgangsbasis für die Einführung neuer Produkte. Hierdurch kann dann wiederum der NeuproȬ dukterfolg gefördert und darüber hinaus eine einfachere Kooperation mit den Kanalmitgliedern erreicht werden.2 1 2
228
Vgl. Meffert (2000), S. 458. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 629.; Hansen/HennigȬ g Thurau/Schrader (2001), S. 197 ff.
Produktpolitik im vertikalen Marketing
Für Absatzmittler haben etablierte Marken klassischerweise eine Risiko mindernde Funktion. Besteht eine hohe Markenloyalität auf Kundenseite, dann verringert sich für den Absatzmittler das Absatzrisiko für Produkte dieser Marke. Weiterhin kann der Vertrieb von Waren mit positiv belegten Marken einen Imagetransfer von den Marken auf den Absatzmittler ermögȬ lichen. Der Absatzmittler profitiert somit von dem positiven Image der HerȬ stellermarken, die er in seinem Sortiment führt. Darüber hinaus erfüllen etablierte Marken eine Orientierungsfunktion, die den Aufwand des AbȬ satzmittlers vermindert. Wenn z. B. von einer Marke ein positives QualitätsȬ signal ausgeht, dann benötigen Kunden weniger Beratung, um sich von den Vorzügen dieses Produkts überzeugen zu lassen.
3.2.5
3.2 Besondere FunkȬ tion der Marke für die AbsatzȬ mittler
Servicepolitik
Im vertikalen Marketing spielt die Servicepolitik eine entscheidende Rolle. Da insbesondere im indirekten Absatz in vielen Fällen die Absatzmittler Serviceleistungen erbringen (z. B. Automobilvertragshändler oder ElektroȬ fachhandel) bzw. erste Anlaufstelle bei Problemen mit dem Kernprodukt sind (z. B. Abwicklung von Reklamationen und Warenumtausch), muss den Absatzmittlern im Rahmen der Gestaltung der Servicepolitik besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Für den Hersteller ist es von zentraler Bedeutung, dass die Serviceleistungen nach seinen Vorgaben und VorstelȬ lungen erbracht werden.1 Hierfür ist es wichtig, dass die Absatzmittler entȬ sprechend geschult, ausgestattet und motiviert sind.
Zentrale Bedeutung der Absatzmittler
Die verschiedenen Arten von Kundenservices im vertikalen Marketing lasȬ sen sich den drei Kaufphasen PreȬSales, Sales und AfterȬSales zuordnen.2 In Abbildung 3Ȭ8 sind Beispiele für verschiedene Kundenserviceleistungen in diesen drei Phasen aufgeführt. Vorkaufbezogene Services unterstützen und lenken den Kunden in der InformationsȬ und Selektionsphase. Hier wird ihm z. B. an den Customer Information Points die Möglichkeit zum Testen der Produkte gegeben. Kaufbezogene Serviceleistungen wiederum dienen der Stärkung des Kunden beim Kaufentschluss am CustomerȬPointȬ ofȬSale. Kostenlose Bringdienste und Finanzierungsdienstleistungen beispielsweise sollen dem Kunden den Kaufabschluss erleichtern. AfterȬSalesȬServices an den CustomerȬServiceȬPoints sind ein wichtiges KundenbindungsinstruȬ ment, sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang zur KundenzufrieȬ denheit. Zu den AfterȬSalesȬServices zählen z. B. MontageȬ, WartungsȬ und Reparaturleistungen, ein großzügiges Umtauschrecht sowie KundenschuȬ lungen. Wie bereits angedeutet, ist es von besonderer Bedeutung, dass die
PreȬSales, Sales und AfterȬ r Sales
1 2
Vgl. Meffert (2000), S. 953. Vgl. im Folgenden Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 165 f.
229
3
Produktpolitik
eingesetzten Absatzmittler besonders geschult und motiviert sind, um das Herstellerunternehmen an den jeweiligen Customer Touch Points adäquat zu repräsentieren.
Abbildung 3Ȭ8
Arten von Kundenservices an den verschiedenen Customer Touch Points1
Kundenservices an den Customer Touch Points
Customer Information Points
Customer Points of Sale
Customer Service Points
Pre-Sales-Services
Sales-Services
After-Sales-Services
Beispiele:
Beispiele:
Beispiele:
• Produktberatung
• Zusicherung von Garantien
• Reparatur
• Test und Vorführung des Produkts
• Finanzierungsdienstleistungen
• Umtauschrecht
• Aushändigung von Verkaufsbroschüren
• Zusicherung von Lieferservices
• ...
• ...
3.3
• Ersatzgeräte • Beratung zu Produktvarianten • ...
Produktpolitik im Multi-ChannelMarketing
Ziel der Produktpolitik im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings ist, das Produktprogramm derart zu gestalten, dass der Bestand und Erfolg des Unternehmens gesichert werden. Primäre Aufgabe ist es dabei, zum richtiȬ gen Zeitpunkt Leistungen über ein Mehrkanalsystem anzubieten, die aus Kundensicht einen relevanten Vorteil gegenüber den Leistungen der KonȬ kurrenz haben.2 Für die Erreichung dieser produktpolitischen Ziele stehen Unternehmen mit Mehrkanalsystemen verschiedene Gestaltungsbereiche zur Verfügung, die sich wiederum an denen in Abbildung 3Ȭ3 dargestellten Bereichen orientieren.
1 2
230
In Anlehnung an Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 167. Vgl. Weigand (1977), S. 95 ff.; Wirtz (2002), S. 676 ff.; Combs (2004), S. 9 ff.
Produktpolitik im Multi-Channel-Marketing
3.3
Bei der Produktentwicklung muss der Hersteller die jeweiligen spezifischen Kanalbedürfnisse, wie in Abschnitt 3.2.1 bereits an einem Kanal verdeutlicht, berücksichtigen. Durch den Einsatz verschiedener Marketingkanäle kann der Hersteller nun jedoch mehr Informationen generieren als es ihm in eiȬ nem Einkanalsystem gelingen würde. In diesem Zusammenhang ist der Einsatz der direkten Kanäle von besonderer Bedeutung, da der Hersteller durch den direkten Kundenkontakt die Kundenwünsche und Bedürfnisse direkt in den Produktentwicklungsprozess mit einfließen lassen kann und so die Endkundenintegration fördert. Problematisch ist allerdings, dass die beteiligten Absatzmittlerbedürfnisse in den indirekten Kanälen nicht explizit berücksichtigt werden, was zu Konflikten führen kann.1
ProduktentwickȬ lung bei mehreren Kanälen
Bei Mehrkanalsystemen fallen wichtige produktpolitische Entscheidungen im Rahmen des Managements der Produktlebenszyklen an, da sich mit der fortschreitenden Reife der Produkte die Wahl der Kanäle ändern kann.2 Dabei ist die Koordination der Maßnahmen während der einzelnen Phasen gegenüber den Absatzmittlern, und gegenüber den Endkunden von besonȬ derer Bedeutung.
ProduktlebensȬ zyklusmanageȬ ment im MehrkaȬ nalsystem
So ist bei hoch innovativen Produkten besonders in der Einführungsphase darauf zu achten, dass die Produkte, durch integrierte Servicemaßnahmen innerhalb der jeweiligen Kanäle, dem potenziellen Kunden am Customer Touch Point ausführlich erklärt und näher gebracht werden. Beim Übergang in die Wachstumsphase kann dann von beratungsintensiven Kanälen abgeȬ lassen werden, um das Produkt in kostengünstigere Kanäle mit stärkerem Distributionsgrad zu lenken. Ab der Reifephase kann der Hersteller dann die Überlegung anstellen, gewisse Kanäle wieder zu eliminieren, um der zurückgehenden Nachfrage zu entsprechen, bis er schließlich in der DegeneȬ rationsphase den Vertrieb entweder völlig einstellt oder aber über kostenȬ günstige direkte Kanäle die geringe Nachfrage weiter bedient.3 Eine weitere Besonderheit im MultiȬChannelȬMarketing liegt in der VerpaȬ ckungsgestaltung, da die Ansprüche der Absatzmittler und Endkunden an die Eigenschaften eines Produkts zwischen verschiedenen MarketingkanäȬ len variieren können. Hier lässt sich das Beispiel eines Getränkeherstellers anführen, der für den Einzelhandel möglichst endkundenfreundliche VerpaȬ ckungen und Verpackungseinheiten finden muss. Im Gastronomiebereich hingegen sind große Verpackungseinheiten sowie deren leichte HandhabȬ barkeit gefragt. Als ein weiteres Beispiel können die unterschiedlichen VerȬ packungsanforderungen in den verschiedenen Marketingkanälen angeführt werden. So sind die Verpackungen im Versandhandel prinzipiell darauf 1 2 3
Vgl. Rosenbloom (2004), S.307 ff. Vgl. Rangan/Menezes/Maier (1992), S. 69 ff.; Combs (2004), S. 9 ff. Vgl. Rosenbloom (2004), S.313 ff.
231
VerpackungsgesȬ taltung
3
Produktpolitik
ausgelegt, das Produkt unbeschadet vom Hersteller zum Kunden zu beförȬ dern, wohingegen im stationären Einzelhandel eine ansprechende VerpaȬ ckung Vorrang vor der Schutzfunktion hat.1 In Abbildung 3Ȭ9 sind die EinȬ flussfaktoren der Verpackungsgestaltung im Mehrkanalsystem dargestellt.
Abbildung 3Ȭ9
Einflussfaktoren auf die Verpackungsgestaltung im Mehrkanalsystem
Spezifische Ansprüche der Bezugsgruppen Hersteller, Absatzmittler und Kunde
Besondere Produktmerkmale (z. B. Auto vs. CD)
Markenpolitik im MehrkanalȬ system
Verpackungsgestaltung im Multi-ChannelMarketing
Besonderheiten der Marketingkanäle (z. B. Teleshopping vs. Selbstbedienungssupermarkt)
Eine weitere Herausforderung bei mehreren Marketingkanälen liegt in der Markenführung von Produkten. Ziel muss es sein, dass sich sämtliche proȬ duktpolitische Entscheidungen in den direkten als auch indirekten Kanälen an der Markenidentität orientieren, um das Ziel eines einheitlichen MarkenȬ bildes in den Kanälen zu pflegen. Eine Ähnlichkeit des Kanalimages, der Markenidentität und des Produktimages ist dabei eine elementare VorausȬ setzung.2 In Bezug auf die Ausgestaltung der Markenpolitik in Mehrkanalsystemen bieten sich grundsätzlich zwei verschiedene Gestaltungsansätze an. Es lässt sich die einheitliche, kanalübergreifende Markenführungsstrategie von der differenzierten, kanalspezifischen Markenführung unterscheiden. In Abbildung 3Ȭ10 sind die zwei grundsätzlichen Handlungsoptionen einander gegenüber gestellt.
1 2
232
Vgl. Hansen/HennigȬThurau/Schrader (2001), S. 184 ff. Vgl. Burmann/Wenske (2006), S. 195 ff.
Produktpolitik im Multi-Channel-Marketing
3.3 Abbildung 3Ȭ10
Markenführung in Mehrkanalsystemen Markenführungsstrategien in Mehrkanalsystemen
Einheitliche, kanalübergreifende Markenführung • Eine Marke in vielen verschiedenen Kanälen und/oder verschiedene Marken (Einzelmarken, Mehrmarken oder Familienmarken) parallel in einem Kanal
Beispiel:
Differenzierte, kanalspezifische Markenführung
• Bestimmte Marken in bestimmten Marketingkanälen
Beispiel:
Marke A
Kanal 1
Marke A
Marke B
Marke A
Marke B
Kanal 2 Marke C
Kanal 3
Marke A
Kanal 1
Marke B
Kanal 2
Marke C
Kanal 3
Vorteil der einheitlichen, kanalübergreifenden Markenführungsstrategie ist es, eine höhere Reichweite zu erzielen und damit die Markenbekanntheit zu steigern. Werden verschiedene Marken in denselben Kanälen vertrieben, so können mehrere unterschiedliche Käufergruppen gleichzeitig bedient werȬ den.1 Im Rahmen einer empirischen Studie konnte darüber hinaus nachgeȬ wiesen werden, dass sich eine integrierte und einheitliche Markenführung positiv auf den MultiȬChannelȬMarketingȬErfolg auswirkt.2
Vorteile einer einheitlichen Markenführung
Im Gegensatz dazu wird bei der differenzierten, kanalspezifischen MarkenȬ führung die Kombination von Marke und Kanal bewusst gestaltet und geȬ zielt abgestimmt. Bestimmte Marken werden hierbei nur in ausgewählten Kanälen geführt. So werden beispielsweise Premiummarken nur im ausgeȬ suchten Facheinzelhandel geführt und nicht über große Einzelhandelsketten oder das Internet vertrieben. Die verschiedenen Marketingkanäle und MarȬ ken eines Mehrkanalsystems sind dabei nicht einer unmittelbaren WettbeȬ werbssituation ausgesetzt, so dass die Gefahr von HerstellerȬAbatzmittlerȬ Konflikten und Kannibalisierungseffekten geringer ist.
Vorteile einer differenzierten Markenführung
Im MultiȬChannelȬMarketing variieren die Kundenserviceleistungen nicht nur mit den Kaufphasen, sondern häufig auch mit den Marketingkanälen. Ursächlich hierfür sind zumeist kanalspezifische Merkmale. Das Internet
Servicepolitik im MehrkanalȬ system
1 2
Vgl. im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 325. Vgl. Wirtz/Büttner/Schwarz (2003), S. 75 ff.
233
3
Produktpolitik
beispielsweise bietet spezifische Möglichkeiten für die Ausgestaltung des Kundenservices (z. B. Personalisierungsfunktionen und Echtzeitverfolgung des Auftragsbearbeitungsfortschritts), die in dieser Form in Offlinekanälen nicht angeboten werden können. KundenserviceȬ Strategien im MultiȬChannelȬ Marketing
Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings ist der Grad der Integration bzw. Abstimmung der unterschiedlichen Serviceleistungen in den verschiedenen Kanälen eine zentrale Aufgabe.1 Grundsätzlich bieten sich hierbei zwei GesȬ taltungsoptionen an. Zum einen kann die Strategie verfolgt werden, dass die kanalspezifischen Serviceleistungen exklusiv den Kunden in diesem Kanal vorbehalten sind. Zum anderen kann eine Integration angestrebt werden, so dass Kunden eines Kanals auch Services eines anderen Kanals in Anspruch nehmen können.
Integrierte Servicepolitik
Die Verfolgung einer Integrationsstrategie, d. h. Kunden wird die MöglichȬ keit eingeräumt, in den unterschiedlichen Kaufphasen Serviceleistungen in verschiedenen Kanälen zu nutzen, hat in vielen Fällen Konsequenzen für die Ausgestaltung des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems und die ZusammenȬ arbeit der Kanalmitglieder. Wenn Kunden beispielsweise die Möglichkeit geboten werden soll, LeistunȬ gen online zu beziehen und in der AfterȬSalesȬPhase ReparaturȬ und UmȬ tauschservices des stationären Handels zu nutzen, dann muss ein kanalȬ übergreifender Kundendateninformationsfluss gewährleistet werden. So ist es hilfreich, wenn Kundendaten zentral erfasst werden und alle MultiȬ ChannelȬAkteure im Bedarfsfall darauf zugreifen können. Auf diese Weise kann den Kunden in sämtlichen Kanälen ein individueller Kundenservice unter Berücksichtigung der Kundenhistorie angeboten werden. Darüber hinaus sollte auch eine Bereitschaft zur Kooperation unter den MultiȬ ChannelȬAkteuren bestehen. Diese kann u. a. durch ein kanalübergreifendes, gestaffeltes Anreizsystem gefördert werden. Das Prinzip der integrierten Servicepolitik im MultiȬChannelȬMarketing ist zusammenfassend in Abbildung 3Ȭ11 skizziert.
1
234
Vgl. im Folgenden Wirtz (2002), S. 679 f.
Produktpolitik im Multi-Channel-Marketing
Integrierte Servicepolitik im MultiȬChannelȬMarketing1
3.3 Abbildung 3Ȭ11
Integrationsfördernde Maßnahmen (z. B. zentrale Kudendatenerfassung und kanalübergreifendes Anreizsystem) Pre-SalesServices
SalesServices
After-SalesServices
Stationärer Handel/Niederlassungen Serviceaußendienst Internet
Integrierter MultiChannelKundenservice
Call-Center
Ein Kunde im Multi-Channel-System Wanderung des Kunden bei einer kanalübergreifenden Nutzung von Services im Multi-Channel-System
Die Produktzuordnung zu den Marketingkanälen stellt eine zentrale HerȬ ausforderung im MultiȬChannelȬMarketing dar. Hierbei gilt es, die geeigneȬ ten Marketingkanäle für das Produkt zu identifizieren und anschließend das Produkt optimal in das jeweilige Kanalsortiment zu integrieren.2 Zunächst bedarf es einer Klärung der grundsätzlichen Marketingziele und Ȭstrategien für ein Produkt, so dass bestimmte Kanäle von vornherein von der BetrachȬ tung ausgeschlossen werden können. Anschließend wird die funktionale Eignung und der ChannelȬProduktprogrammȬFit analysiert.3
ProduktzuordȬ nung bei MehrȬ r kanalsystemen
In Bezug auf die Marketingziele und –strategien für ein Produkt ist zu beȬ rücksichtigen, für welchen Marketingkanal das Produkt prinzipiell geeignet ist. Beispielsweise eignet sich der Vertrieb über einen Discounter nicht für den Absatz von Luxusprodukten, die im exklusiven Hochpreissegment positioniert werden sollen. Soll hingegen eine maximale Marktabdeckung z. B. für ein Erfrischungsgetränk erzielt werden, dann sind möglichst viele Marketingkanäle (z. B. Gastronomie und Getränkeautomaten) oder der flächendeckende Einzelhandel von Vorteil. So besteht die Möglichkeit, dass Kunden zu vielen Zeitpunkten an verschiedenen Orten Zugriff auf dieses Produkt haben.
Ziele und StrateȬ gien für ein ProȬ dukt
1 2 3
In Anlehnung an Schögel (1997), 197; Zentes/SchrammȬKlein (2007), S. 461. Vgl. Wirtz (2002), S. 679 f. Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 337; Wirtz (2002), S. 679 ff.
235
3
Produktpolitik
Funktionale Eignung
Nach der Klärung der Ziele erfolgt im nächsten Schritt die Analyse der funkȬ tionalen Eignung. Die funktionale Eignung beschreibt die Fähigkeit der Akteure eines Marketingkanals, sämtliche Marketingfunktionen für ein spezielles Produkt entsprechend der Marketingziele des Herstellers zu erfülȬ len. Hierzu zählen beispielsweise die Fähigkeiten der Kanalmitglieder, das Produkt zu bevorraten, zu verkaufen und dem Kunden zu übergeben, ServiȬ ceȬȱund Dienstleistungsfunktionen für das Produkt zu erbringen sowie den GeldȬȱund Informationsstrom zu bewältigen.
ChannelȬ ProduktproȬ grammȬFit Ȭ
Aufbauend auf den Überlegungen zur funktionalen Eignung wird bei der Frage nach dem ChannelȬProduktprogrammȬFit die Eignung eines MarkeȬ tingkanals für ein bestimmtes Produkt auf Grundlage des bestehenden ProȬ duktprogramms bzw. Sortiments im Marketingkanal und dessen potenzielȬ lem Fit mit dem Neuprodukt bestimmt. Durch eine optimale ProduktkomȬ bination in einem Kanal sollen möglichst hohe Verbundeffekte erzielt werden, wobei diese in den unterschiedlichsten Formen aufttreten können. Beispielsweise können Transportkosten eingespart und kooperative WerbeȬ aktionen durchgeführt werden, wenn in einem Kanal verschiedene Produkte desselben Herstellers abgesetzt werden.
Category y Management
In diesem Zusammenhang ist das Category Management von besonderer Bedeutung, welches die Ausnutzung von Verbundeffekten in konsequenter Form verfolgt. Das Category Management ist Teil des Efficient Consumer Response (ECR)1 und basiert auf einer engen Kooperation von Hersteller und Handel.2 Im Rahmen des Category Management werden ProduktgrupȬ pen vor allem nach kundenorientierten Gesichtspunkten gebildet und ähnȬ lich einer strategischen Geschäftseinheit gemanagt. Ziel ist es, steuerbare Gruppen von Waren zu bilden, die von den Konsumenten als zusammenȬ hängend empfunden werden und viele Kundenbedürfnisse bei reduzierten Suchkosten befriedigen können.3
Category ManaȬ gementt im MehrkanalȬ system
Categories können sich grundsätzlich an verschiedenen Bedarfsbereichen (z. B. Bündelung von Produkten), Erlebnisbereichen (z. B. Silvesterbedarf) oder Zielgruppen (z. B. Studenten) orientieren. Entsprechend der Vielfalt der Bedürfnisse und der Produkte ergibt sich eine Fülle möglicher Categories, was auch als 100.000 x 100.000 Kombinationenproblem bezeichnet wird. Diesem Problem steht der im stationären Handel begrenzte und teure Raum zur Warenpräsentation gegenüber. Im Gegensatz dazu sind die MöglichkeiȬ ten zur Bildung vielfältiger Categories in Onlinekanälen oftmals größer, da hier keine räumlichen Restriktionen im herkömmlichen Sinne bestehen. Zusätzlich können beim Onlinehandel vergleichsweise einfach auf Basis von 1 2 3
236
Vgl. dazu ausführlich Teil E, Abschnitt 2.2. Vgl. Specht (1998), S. 256. Vgl. Ahlert/Hesse (2003), S. 19 f.
Produktpolitik im Multi-Channel-Marketing
Personalisierungsprozessen kundenindividuelle Produktgruppen zusamȬ mengestellt werden, z. B. Produktempfehlungen bei Amazon.com. Bei dieȬ sen Überlegungen ist es jedoch generell nötig, die funktionale LeistungsfäȬ higkeit eines Kanals mit einzubeziehen und auf den Erfolg hin zu prüfen.
237
3.3
4
Kommunikationspolitik
4 Kommunikationspolitik Die Kommunikationspolitik spielt im Rahmen des MultiȬChannelȬ Marketings zwei entscheidende Rollen. Einerseits ist es ihre Rolle, die AbȬ satzmittler von den Produkten des Herstellers zu überzeugen, damit sie diese in ihr Sortiment aufnehmen und entsprechend am Point of Sale verȬ markten. Andererseits übernimmt sie Ȭ wie auch im herkömmlichen MarkeȬ ting Ȭȱ die entscheidende endkundenorientierte Rolle zur Stimulierung der Nachfrage. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass eine spezielle Herausforderung in der Sicherstellung einer integrierten Kommunikation liegt, da es durch eine zwischen den Marketingkanälen nicht abgestimmte Kommunikationspolitik zu Widersprüchen, Verwirrung und Überforderung der Endkunden kommen kann. All dies kann sich wiederum negativ auf die Nachfrage und damit negativ auf den Erfolg eines Unternehmens mit MehrȬ kanalsystem auswirken. Dabei kann die Ausgestaltung der Kommunikation differenziert oder über alle Kanäle einheitlich erfolgen. Um im Folgenden die Besonderheiten der Kommunikationspolitik im KonȬ text des MultiȬChannelȬMarketings schrittweise zu veranschaulichen, werȬ den zunächst in Abschnitt 4.1 die Grundlagen zur allgemeinen KommunikaȬ tionspolitik gelegt. Anschließend wird in 4.2 die Kommunikationspolitik im vertikalen Marketing und abschließend in 4.3 im MultiȬChannelȬMarketing erläutert. Abbildung 4Ȭ1 gibt einen Überblick zur Struktur des Kapitels.
Abbildung 4Ȭ1
Struktur des Kapitels
Grundlagen
• Allgemeiner Ablauf eines Kommunikationsprozesses • Instrumente der Kommunikationspolitik
Kommunikationspolitik im vertikalen Marketing • Unterschiede in der Kommunikation zwischen Endkunden und Absatzmittlern • Basisstrategien der Kommunikationspolitik im vertikalen Marketing
238
Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing • Standardisierung vs. Differenzierung • Bedeutung einer integrierten Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing • Integration von Absatzmittlern und Endkunden im MultiChannel-Marketing
Grundlagen
4.1
4.1
Grundlagen
Im Allgemeinen werden unter Kommunikationspolitik sämtliche zielgerichȬ tete Entscheidungen zusammengefasst, die die Gestaltung der KommunikaȬ tion eines Unternehmens zum Inhalt haben.1 In Anlehnung an Meffert (2000) wird in diesem Zusammenhang unter Kommunikation die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten mit dem Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen beȬ stimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen verstanden.2
Definition der KommunikatiȬ onspolitik
Das Verständnis des allgemeinen Kommunikationsprozesses und dessen Wirkung ist die Voraussetzung zur Gestaltung einer erfolgreichen KommuȬ nikation. Deshalb wird dieser Prozess als Grundlagenwissen zur KommuniȬ kation in Abschnitt 4.1.1 näher erläutert. Aufbauend auf diesen ErkenntnisȬ sen werden in Abschnitt 4.1.2 die zentralen Instrumente der KommunikatiȬ onspolitik dargestellt.
4.1.1
Allgemeiner Ablauf eines Kommunikationsprozesses
Die Kommunikation wird häufig als Prozess bzw. Vorgang dargestellt, der dazu dienen soll, Sender und Empfänger durch die Übermittlung von NachȬ richten zu verbinden. In diesem Zusammenhang kann die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger einstufig oder mehrstufig erfolgen. Im Rahmen der einstufigen Kommunikation richtet der Sender seine Botschaft direkt an den Empfänger. Die Nachricht wird dabei zunächst gestaltet (coȬ diert) und dann vom Empfänger interpretiert (decodiert). Anschließend kann der Empfänger mit einem Feedback reagieren. Bei der einstufigen Kommunikation kann zwischen Massenkommunikation (ein Sender erreicht viele Empfänger) und der persönlichen Kommunikation (ein Sender erreicht einen Empfänger) unterschieden werden.3
Einstufige Kommunikation
Im Gegensatz dazu übermittelt der Sender bei der mehrstufigen KommuniȬ kation zunächst eine Botschaft an so genannte Multiplikatoren, die diese dann an den Empfänger weitergeben. Bei dieser Weitergabe kann zum Teil die ursprüngliche Botschaft verändert und in ihren Aussagen abgeschwächt oder verstärkt werden.4 Diese Wirkungseffekte sind bei der Planung von Kommunikationsmaßnahmen zu berücksichtigen. In Abbildung 4Ȭ2 ist die Struktur eines mehrstufigen Kommunikationsprozesses dargestellt.
Mehrstufige Kommunikation
1 2 3 4
Vgl. Bruhn (2003a), S. 1. Vgl. Meffert (2000), S. 678; Bruhn (2003a), S. 1. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 763 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 764.
239
4 Abbildung 4Ȭ3
Kommunikationspolitik
Struktur eines mehrstufigen Kommunikationsprozesses1 Sender Codierung der Botschaft
1. Stufe
Botschaft Decodierung der Botschaft
Multiplikator
Rückmeldung (Feedback)
Codierung der Botschaft
2. Stufe
Botschaft Decodierung der Botschaft
Empfänger
Persönliche vs. unpersönliche Kommunikation
In enger Verbindung zur einȬ bzw. mehrstufigen Kommunikation steht die Art des Kontakts zwischen Sender und Empfänger im Rahmen der KommuȬ nikation. In diesem Zusammenhang kann unterschieden werden, ob die Kommunikation persönlich oder unpersönlich ist. Bei der persönlichen Kommunikation, die auch als direkte Kommunikation bezeichnet wird und der einstufigen Kommunikation entspricht, besteht ein unmittelbarer KonȬ takt zwischen dem Sender und Empfänger. Dagegen sind Sender und EmpȬ fänger bei der unpersönlichen Kommunikation räumlich und zeitlich vonȬ einander getrennt und haben nur einen unmittelbaren Kontakt. Diese Form der Kommunikation entspricht somit im Wesentlichen der mehrstufigen Kommunikation.
4.1.2 Vielfalt an KommunikatiȬ onsinstrumenten
Instrumente der Kommunikationspolitik
Im Rahmen der Kommunikationspolitik wird eine Vielfalt von KommunikaȬ tionsinstrumenten zur Gestaltung der Kommunikationsmaßnahmen eingeȬ setzt. Zu den zentralen Kommunikationsinstrumenten gehören dabei die klassische Werbung, die Verkaufsförderung, Public Relations, Sponsoring, Eventmarketing, Messen/Ausstellungen und Direktmarketing. Diese werden nachfolgend kurz erläutert und in Abbildung 4Ȭ4 im Überblick dargestellt:2 1 2
240
In Anlehnung an Homburg/Krohmer (2006), S. 764. Vgl. im Folgenden Meffert (2000), S. 684 f.; Kotler/Bliemel (2001), S. 882; Schröder (2005), S. 243 ff.; Homburg/Krohmer (2006), S. 792 ff.
Grundlagen
Klassische Werbung: Zielgerichtete Kommunikation unter Einsatz speȬ zieller Massenkommunikationsmittel, wie z. B. Fernsehen, Radio, ZeiȬ tung, Zeitschrift etc., mit denen beim Adressaten überdauernde VerhalȬ tensänderungen ausgelöst werden sollen,
Verkaufsförderung: Umfasst zeitlich befristete Maßnahmen, die der Unterstützung des Absatzes bei Absatzmittlern und Endkunden dienen sollen. Hauptfunktionen der händlerȬ und endkundenbezogenen VerȬ kaufsförderung sind die InformationsȬ, die MotivationsȬ und die VerȬ kaufsfunktion,
Public Relations: Planmäßige Gestaltung der KommunikationsbezieȬ hung zwischen der Unternehmung und seinen Anspruchsgruppen, wie z. B. Kunden, Aktionäre, Lieferanten, Arbeitnehmer. Inhaltlich beziehen sich Public Relations auf eine Organisation oder eine Person und weniger auf ein einzelnes Produkt.
Sponsoring: Aktivitäten zur Förderung von Personen oder OrganisatioȬ nen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt oder Medien durch den Einsatz von GeldȬ, SachȬ oder Dienstleistungen. Grundsätzlich gibt es mit SportȬ, ProgrammȬ, KulturȬ und Umweltsponsoring vier verschieȬ dene Sponsoringarten.
EventȬMarketing: Erlebnisorientierte Inszenierung von firmenbezogeȬ nen Veranstaltungen, um über emotional wirkende Reize eine hohe AkȬ tivierung der Veranstaltungsbesucher zu erzeugen. Dadurch soll ein perȬ sönlicher und direkter Kontakt mit den Angesprochenen in einer für sie zwanglosen, angenehmen Atmosphäre hergestellt werden.
Messen/Ausstellungen: Zeitlich begrenzte Veranstaltungen mit MarktȬ charakter, auf denen dem Marktbesucher umfassende Angebote eines oder mehrerer Wirtschaftszweige gemacht werden. Neben den wirtȬ schaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Funktionen bietet die Messe gute Präsentationsmöglichkeiten für die Aussteller.
Direktkommunikation: Umfasst sämtliche interaktive KommunikatiȬ onsmaßnahmen, wie z. B. DirectȬMailing oder Teleshopping, die eine inȬ dividuelle Ansprache des Kunden vorsehen. Die Instrumente der MultiȬ mediaȬKommunikation, wie z. B. die im Internet eingesetzten KommuȬ nikationsinstrumente Banner oder Blogs, werden in diesem ZusamȬ menhang der Direktkommunikation zugeordnet.
241
4.1
4 Abbildung 4Ȭ4
Kommunikationspolitik
Überblick zu den Instrumenten der Kommunikationspolitik1 Gesamtheitlicher Kommunikationsmix Klassische Werbung g
Verkaufsförderung
Public Relations s
Sponsoring
Event-Marketing
Messen/ Aus A usstellungen gen
Direktkommunikation
• Planung, Organi-- • Veranstaltungen • Kommunika• Systematische • Kommunikativerr • Kommunikative • Planmäßig zu mit Marktcharak-- tionsaktivitäten, sation und KonUnterstützung BeeinflussungsMaßnahmen zurr gestaltende Bebei denen der ter in regelmäßtrolle von erlebvon Personen, ziehung zwiprozess unter Unterstützung Versuch der igen Zyklen, die Zuhilfenahme schen dem UnInstitutionen oder nisorientierten eigener AbsatzBeeinflussung ein umfassenEreignissen im Veranstaltungen von Massenmeternehmen und organe und der in direktem des ProduktanRahmen der den Stakehol• Bedeutende Fordien Absatzmittler gebot einer oderr Kontakt zum Unternehmens• Werbung erfolgt sowie zur Beein-- dern (Kunden, men sind das Kunden erfolgt kommunikation mehrer BranSport-, Kulturin Zeitungen, flussung des Aktionäre, Lie• Ermöglichung chen bieten und sozio-ökoZeitschriften, Konsumenten feranten, Arbeiteines Dialogs logische Sponnehmer, InstituTV, Radio und bzw. einer InKino soring tionen und teraktion Staat)
4.2
Kommunikation im vertikalen Marketing
Die Kommunikationspolitik ist im vertikalen Marketing von den unterȬ schiedlichen Empfängern der Kommunikationsbotschaften geprägt. In AbȬ hängigkeit der Vertriebsform (direkt vs. indirekt) richtet der Hersteller seine Kommunikationsbotschaften entweder im Rahmen der einstufigen KomȬ munikation direkt an den Endkunden oder aber im Rahmen der zweistufiȬ gen Kommunikation zunächst an Absatzmittler (Multiplikatoren), die diese dann an den Endkunden weitergeben. In Bezug auf die absatzmittlerȬȱ und endkundengerichtete Kommunikation ergeben sich signifikante UnterschieȬ de, die in Abschnitt 4.2.1 erörtert werden. Danach werden in Abschnitt 4.2.2 die Basisstrategien der Kommunikationspolitik im vertikalen Marketing dargestellt. Hierbei wird auf die PushȬ bzw. Pullstrategie eingegangen. In diesem Zusammenhang werden auch die verschiedenen KommunikationsȬ instrumente in Bezug zu den Basisstrategien gesetzt.
4.2.1 EndkundenȬ gerichtete KomȬ munikationsziele
Unterschiedliche Kommunikation gegenüber Absatzmittlern und Endkunden
Die kommunikationspolitischen Ziele gegenüber Absatzmittlern und EndȬ kunden sind unterschiedlicher Natur. In Bezug auf die allgemeinen endȬ kundenorientierten Ziele der Kommunikation kann auf die so genannte AIDAȬFormel zurückgegriffen werden. Nach diesem Konzept werden die 1
242
In Anlehnung an Meffert (2000), S. 712 ff.
Kommunikation im vertikalen Marketing
4.2
kommunikationspolitischen Ziele einem Wirkungsprozess zugeordnet. Die einzelnen Ziele sind Attention („Aufmerksamkeit erhalten“), Interest („InteȬ resse aufrecht erhalten“), Desire („Verlangen nach dem Produkt aufbauen“) und Action („Handlung“). Die Handlung stellt bei der endkundenorientierȬ ten Kommunikation den Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung dar.1 Um diese endkundenorientierten Ziele zu erreichen, werden unterschiedliȬ che Instrumente der Kommunikation eingesetzt. Häufig werden InstrumenȬ te der klassischen Werbung mit einer hohen Reichweite, wie z. B. TV und Print, zur Bekanntmachung („Attention“ und „Interest“) und zum Aufbau des Verlangens („Desire“) genutzt. Auch Instrumente, wie z. B. Messen, Ausstellungen, Direktkommunikation oder VerkaufsförderungsmaßȬ nahmen, sollen die Aufmerksamkeit und das Interesse der Endkunden herȬ vorrufen sowie deren Verlangen nach dem Produkt aufbauen. Da sich die Entscheidung zum Kauf häufig erst am Point of Sales (PoS) herausstellt, sind aber auch die am PoS eingesetzten Kommunikationsinstrumente von BedeuȬ tung. Diese werden häufig in Kooperation mit den Absatzmittlern eingesetzt (z. B. Broschüren zu Produkten, Proben zu Produkten, Giveaways).2
EndkundengeȬ richtete KommuȬ nikationsinstruȬ mente
Im Gegensatz zur endkundenorientierten Kommunikation ist die KommuȬ nikation gegenüber den Absatzmittlern davon geprägt, dass die Produkte in das Sortiment des Absatzmittlers mit aufzunehmen sind. Hierbei spielen Kommunikationsinstrumente, wie z. B. Messen und Ausstellungen sowie die Direktkommunikation, eine wichtige Rolle. Darüber hinaus muss der Absatzmittler motiviert werden, die Produkte entsprechend zu vermarkten. Dabei werden in vielen Fällen Maßnahmen der Verkaufsförderung eingeȬ setzt. In diesem Zusammenhang sind häufig verwendete Instrumente z. B. die kooperative Werbung oder Verkaufswettbewerbe mit Incentives.3
AbsatzmittlerȬ r gerichtete Ziele
Bei der Sicherstellung einer erfolgreichen Vermarktung der Produkte durch die Absatzmittler ist auch eine entsprechende Markenkommunikation durch die Absatzmittler sicherzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass sämtliche Mitarbeiter am PoS die Marke entsprechend ihrer Identität kommunizieren. Dies verlangt vom Herstellerunternehmen eine Übermittlung der Inhalte der Markenidentität an die Absatzmittler. Ein wichtiger Erfolgsfaktor stellt dabei das so genannte Brand Commitment der Absatzmittler gegenüber der HerȬ stellermarke dar.4 In diesem Zusammenhang liegt eine zentrale HerausforȬ derung darin, wie die Herstellermarken neben anderen Marken des AbȬ
Brand d Commitmnt
1 2 3 4
Vgl. Meyer/Davidson (2001), S. 578; Rossiter/Percy (2005), Homburg/Krohmer (2006), S. 766. Vgl. Liebmann/Zentes (2001), S. 522; Rossiter/Percy (2005), S. 636. Vgl. Meffert (2000), S. 721. Vgl. Burmann (2005), S. 1025 ff.; Esch/Strödter (2007), S. 447 f.
S.
635;
243
4
Kommunikationspolitik
satzmittlersortiments und Handelsmarken entsprechend ihrer Identität überzeugend kommuniziert wird. Abbildung 4Ȭ5 stellt die unterschiedlichen Ziele gegenüber Absatzmittlern und Endkunden dar.
Abbildung 4Ȭ5
Ziele der Kommunikationspolitik Kommunikationsziele gegenüber Absatzmittlern • Aufnahme der Produkte und Dienstleistungen in das Sortiment des Absatzmittlers
• Produkte und Dienstleistungen bekanntmachen
• Vermarktung des Produkts
• Endkunden zum Kauf und Wiederkauf stimulieren
• Brand Commitment zur erfolgreichen Kommunikation der Markenidentität
Ziele derr Absatzmittler mit einbeziehen
• Marke bekanntmachen
• Marke pflegen
Zur Erreichung der unterschiedlichen Ziele der Kommunikationspolitik sind auch die Ziele der Absatzmittler mit einzubeziehen und eventuelle KooperaȬ tionspotenziale auszuschöpfen. Häufig betreiben auch Absatzmittler eigenes endkundenorientiertes Marketing, in dem sie die Produkte beispielsweise über Rundfunkwerbung, über das Internet, über Direktkommunikation (Mailings etc.) oder auch über PoSȬFernsehen anpreisen.1 Für HerstellerunȬ ternehmen bedeutet dies, dass die Kommunikationsbotschaften regelmäßig im Hinblick auf Produktaussagen und Markenwirkungen kontrolliert werȬ den sollten.
4.2.2 PushȬStrategie
Kommunikationsziele gegenüber Endkunden
Basisstrategien der Kommunikationspolitik
Im Rahmen der Kommunikationspolitik im vertikalen Marketing bieten sich dem Hersteller beim Vertrieb der Produkte prinzipiell zwei MöglichȬ keiten zur AbsatzmittlerȬ und Endkundenstimulierung an. Dabei kann zwischen einer PushȬ und einer PullȬStrategie unterschieden werden.2 Bei der PushȬStrategie wird jeder Abnehmer einzeln davon überzeugt, das Produkt zu kaufen. Im Rahmen eines indirekten mehrstufigen MarketingȬ kanals betreibt der Hersteller beispielsweise eine intensive großhandelsgeȬ richtete Kommunikationspolitik, der Großhandel eine intensive einzelhanȬ delsgerichtete Kommunikationspolitik und der Einzelhandel wiederum
1 2
244
Vgl. Foscht/Angerer (2006), S. 706 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 889.
Kommunikation im vertikalen Marketing
4.2
eine intensive Kommunikationspolitik an den Endkunden.1 Hierbei wird das Produkt gewissermaßen durch den Marketingkanal bis hin zum EndȬ kunden gedrückt. Im Gegensatz dazu wird bei der PullȬStrategie ein Nachfragesog auf Seiten des Endkunden erzeugt. Der Endabnehmer wird direkt vom Hersteller durch verschiedene Maßnahmen der Kommunikationspolitik zur Nachfrage stimuliert. Bei einer erfolgreichen PullȬStrategie fragen Kunden das Produkt intensiv bei den Absatzmittlern nach, so dass diese dazu bewegt werden, das Produkt ins Sortiment aufzunehmen und verstärkt beim Hersteller zu bestellen.2 In Abbildung 4Ȭ6 werden die Wirkungsmechanismen der PushȬ und PullȬStrategie einander gegenübergestellt.
PullȬStrategie
PushȬȱversus PullȬStrategie in der Kommunikationspolitikk3
Abbildung 4Ȭ6
Push-Strategie
Pull-Strategie
Hersteller Maßnahmen der Kommunikationspolitik
Hersteller
Verkaufsdruck Absatzmittler
Nachfragedruck Maßnahmen der Kommunikationspolitik
Verkaufsdruck Endkunde
Absatzmittler Nachfragedruck Endkunde
Im Rahmen der PushȬStrategie muss der Hersteller die ausgewählten AbȬ satzmittler motivieren, seine Produkte ins Sortiment aufzunehmen und aktiv zu verkaufen. Die Produkte des Herstellers werden durch den MarketingkaȬ nal „gepresst“. Die Verkaufsmotivation kann mittels verschiedener Anreize im Rahmen der Kommunikationspolitik erfolgen.4 Als KommunikationsȬ instrumente bieten sich hierfür insbesondere Verkaufsförderungen sowie Messen und Ausstellungen an.
1 2 3 4
Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 920. Vgl. Meffert (2000), S. 648 f. In Anlehnung an Kotler/Bliemel (2001), S. 921. Vgl. Specht (1998), S. 173, 209.
245
Instrumente der PushȬStrategie
4
Kommunikationspolitik
VerkaufsȬ förderung
Im Rahmen der Verkaufsförderung kann zwischen endkundenȬȱ und abȬ satzmittlerbezogener Verkaufsförderung unterschieden werden.1 Die endȬ kundenbezogene Verkaufsförderung kann sowohl vom Hersteller als auch vom Absatzmittler durchgeführt werden. Als Funktionen können dabei die Informationsfunktion (z. B. Handzettel, Prospekte), die Motivationsfunktion (z. B. Warenproben, Sonderaktionen) und die Verkaufsfunktion (z. B. GutȬ scheine) genannt werden. Im Rahmen der absatzmittlerbezogenen VerkaufsȬ förderung werden ähnliche Funktionen erfüllt, allerdings mit unterschiedliȬ chen Inhalten. So beinhaltet die Informationsfunktion z. B. Verkäuferbriefe, Seminare oder Ausbildungen, die Motivationsfunktion z. B. Prämiensysteme oder Beigaben, und die Verkaufsfunktion z. B. Handbücher, ArgumentatiȬ onshilfen oder Testergebnisse.
Messen und AusȬ stellungen
Messen und Ausstellungen bieten dem Hersteller die Möglichkeit, den KunȬ den direkt zu kontaktieren und zu informieren, das eigene Unternehmen zu repräsentieren, Aufträge zu generieren und somit den Vertrieb der eigenen Produkte aktiv zu beeinflussen. Auch hier werden die Kunden zu einem aktiven Kauf motiviert.
Instrumente der PullȬStrategie
Demgegenüber finden sich PullȬStrategien vornehmlich bei KonsumȬ und Verbrauchsgütern, für die eine hohe Markentreue erzielt werden kann und bei denen nur in geringem Umfang aktive Kundenberatungen notwendig sind.2 Hersteller müssen im Rahmen der PullȬStrategie eine effektive EndȬ kundennachfrage schaffen, so dass der Handel im Idealfall ohne weitere Bemühungen des Herstellers das Produkt ins Sortiment aufnimmt.3 TypiȬ sche Instrumente hierfür sind die klassische Werbung oder auch Sponsoring.
Klassische WerȬ r bung
Durch klassische Werbung soll beim Endabnehmer eine Nachfrage nach dem Produkt generiert und dadurch die Kooperation der zwischengeschalȬ teten Absatzmittler gesichert werden. Der Nachfragedruck geht in diesem Fall vom Endkunden direkt aus. Das Produkt wird somit quasi durch den Marketingkanal „gezogen“.
Sponsoring n
Ähnlich verhält es sich beim Sponsoring. Durch die systematische FördeȬ rung bestimmter Personenkreise im Bereich Sport, Kultur, Umwelt erwartet der Sponsor grundsätzlich eine Gegenleistung im Sinne eines Beitrags zur Erreichung seiner Kommunikationsziele. Dadurch soll ein Interesse beim Endkunden erzeugt werden, das optimalerweise in einem Vertragsabschluss durch den Kunden resultieren sollte.
1 2 3
246
Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 827 f. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 921. Vgl. Meffert (2000), S. 649.
Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing
PushȬȱund PullȬStrategien finden zumeist nicht absolut in ihrer reinen Form Anwendung, sondern werden miteinander kombiniert. Auch lassen sich Strategieänderungen im Laufe eines Produktlebenszyklus beobachten. So werden Neuprodukteinführungen häufig mit PushȬMaßnahmen begleitet und mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Produkts oder der Marke findet eine Verlagerung zu PullȬStrategien statt.1
4.3
4.3 Kombination von PushȬȱund PullȬ Strategien
Kommunikationspolitik im MultiChannel-Marketing
Die zentrale Herausforderung der Kommunikationspolitik im MultiȬ ChannelȬMarketing liegt darin, die kommunikativen Ziele gegenüber EndȬ kunden und Absatzmittlern auch bei vielen Marketingkanälen zu erreichen. Oberstes Ziel muss es in diesem Zusammenhang sein, mittels unterschiedliȬ cher Kommunikationsmaßnahmen die Nachfrage zu stimulieren und EndȬ kunden – aber auch Absatzmittler – langfristig an den Hersteller und seine Marke(n) zu binden. Durch eine Vielzahl verschiedener Marketingkanäle in einem MehrkanalsysȬ tem erhöht sich der Koordinationsaufwand im Vergleich zum Einkanalfall erheblich. Durch eine steigende Zahl von Koordinationsfeldern nimmt daȬ mit auch die Komplexität dieser koordinatorischen Aufgaben zu. Nunmehr müssen nicht nur die Kommunikationsziele innerhalb eines Kanals, sondern die Interdependenzen der Kommunikationsziele zwischen den Kanälen berücksichtigt werden. Ziel muss es sein, sämtliche kommunikationspolitiȬ sche Maßnahmen optimal zwischen und innerhalb der Kanäle zu koordinieȬ ren, um so den Erfolg des Mehrkanalsystems positiv zu beeinflussen.
Hoher KoordinaȬ tionsaufwand
Die folgenden Ausführungen befassen sich mit zentralen Aspekten im RahȬ men der Kommunikationspolitik in einem Mehrkanalsystem. Da es sich hierbei um teilweise sehr komplexe Systeme handelt, die in vielen verschieȬ denen Ausprägungsformen vorkommen, wird von einem Mehrkanalsystem ausgegangen, das sich aus einer bestimmten Anzahl direkter und indirekter Kanäle zusammensetzt. Grundsätzlich sollte sich ein Hersteller hinsichtlich seiner KommunikationsȬ maßnahmen klarmachen, ein über alle Kanäle einheitliches KommunikationsȬ konzept zu verfolgen oder aber die kommunikationspolitischen Botschaften an die Zielgruppen und Kanäle anzupassen. Während der erste Fall als StandardiȬ sierung bezeichnet wird, ist der zweite Fall als Differenzierung definiert.2 1 2
Vgl. Meffert (2000), S. 649. Vgl. Schröder (2005), S. 252.
247
Standardisierung vs. DifferenzieȬ rung
4
Kommunikationspolitik
Standardisierung bei Dallmayer
In Bezug auf die Standardisierung der Kommunikationspolitik bei verschieȬ denen Marketingkanälen lässt sich das Münchner KaffeeȬUnternehmen Dallmayer nennen. Es betreibt eine standardisierte Kommunikation über verschiedene direkte (z. B. OnlineȬPortal, Herstellerfiliale) und indirekte Marketingkanäle (z. B. Warenhäuser, Discounter) hinweg. Die KommunikaȬ tionsbotschaften sind einheitlich ausgestaltet.
Differenzierung bei Nike
Im Gegensatz dazu verfolgt das Unternehmen Nike eine differenzierte Kommunikationsstrategie. Über die direkten Kanäle von NIKEiD besteht die Möglichkeit, sich entsprechend einer Mass Customization die Produkte individuell zu konfigurieren. Beispiele hierfür sind das OnlineȬPortal und FlagshipȬStores. Entsprechend dieser Möglichkeiten ist auch die KommuniȬ kation durch Individualisierung und Interaktion geprägt. Im Gegensatz dazu ist die Kommunikation über indirekte Kanäle von einer größeren StanȬ dardisierung geprägt.
Vorteil der StanȬ dardisierung g
Die Vorteile einer Vereinheitlichung der Kommunikation bei mehren MarkeȬ tingkanälen liegen in der Effizienz und einer besseren Kontrollierbarkeit der Markenkommunikation durch Standardisierung. Besonders bei GroßkonȬ zernen kann bei Standardisierung der Kommunikation die Umsetzung der Maßnahmen durch interne Abteilungen und externe Agenturen besser konȬ trolliert werden.
Nachteil der Standardisierung
Der Nachteil (und damit der Vorteil der Differenzierung) liegt darin, dass sich spezifische Zielgruppen dadurch nicht erreichen lassen und es zu Streuverlusten kommen kann. In bestimmten Bereichen ist es allerdings von Bedeutung, dass die Kundenansprache kanalspezifisch erfolgt. So gibt es zum einen Marketingkanäle, die eher von jüngeren Menschen, und zum anderen Kanäle, die verstärkt von älteren Menschen genutzt werden. WähȬ rend jüngere Kunden vor allem das Internet nutzen, sind ältere Kunden immer noch mit dem klassischen Kauf in einer Filiale vertraut. Zudem reaȬ gieren ältere Zielgruppen meist stärker auf emotionale Werbung in beȬ stimmten Kanälen als jüngere Zielgruppen.1 Dieser Umstand sollte bei der Ausgestaltung des jeweiligen Kommunikationskonzepts beachtet werden.
Hohe Bedeutung einer integrierten Kommunikation
Sowohl bei der Standardisierung als auch bei der Differenzierung dürfen sich die kommunikativen Botschaften in den unterschiedlichen Kanälen nicht in ihren Aussagen widersprechen, damit die Wirkung der KommuniȬ kation nicht geschwächt und das Profil der HerstellerȬMarke nicht verwäsȬ sert wird.2 Insbesondere bei der differenzierten Kommunikation ist auf die Sicherstellung einer integrierten Kommunikation auch über mehrere Kanäle hinweg Wert zu legen. Unter integrierter Kommunikation versteht man dabei einen Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und 1 2
248
Vgl. Williams/Drolet (2005), S. 343 ff. Vgl. Esch/Strödter (2007), S. 447 f.
Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing
4.3
Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den verschiedenen Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herȬ zustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen bzw. ein Bezugsobjekt des UnterȬ nehmensȱȬȱauch über mehrere Kanäle hinweg und zwischen den AbsatzstuȬ fenȱȬȱzu vermitteln.1 Ziel der integrierten Kommunikation ist es, Widersprüche in der KommuniȬ kation des (HerstellerȬ)Unternehmens und die damit verbundene VerwirȬ rung und Überforderung des Kunden – zu vermeiden. So kann es beispielsȬ weise sein, dass ein Hersteller von Haargel ein bestimmtes Produkt sowohl im Einzelhandel als auch im OnlineȬShop verkauft, jedoch den OnlineȬShop als günstigen Kanal vermarktet. Da er die Nachfrage in den OnlineȬShop lenken möchte, kann er in diesem z. B. zwei Tuben zum Preis von 4 € anbieȬ ten, während eine Tube im Einzelhandel 3 € kostet. Entschließt er sich zu einem kurzfristigen Sonderangebot im Einzelhandel (1,50 € pro Tube), kann er den OnlineȬShop in dieser Zeit nicht als günstigsten Kanal ausgeben und muss dementsprechend sein Kommunikationskonzept anpassen. Schafft er es nicht, die Kommunikation zwischen den Kanälen abzustimmen, kann beim Kunden leicht der Eindruck entstehen, dass dieser mit Absicht in den teueren Onlinekanal gelenkt wird. Dies kann zu Unzufriedenheiten beim Kunden führen. Dieses Beispiel belegt, dass an sämtlichen Customer Touch Points widerspruchsfreie Informationen zu den Produkten und Leistungen sowie zur Marke vorliegen müssen und unterstreicht somit die Bedeutung einer integrierten Kommunikation. Die Integration der Kommunikation umfasst dabei verschiedene Mittel. So lassen sich die „Inhaltliche IntegratiȬ on“ und „Formale Integration“ als Instrumente unterscheiden.2
Ziele und AspekȬ te der integrierten Kommunikation
Die inhaltliche Integration befasst sich mit der thematischen Abstimmung der verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen. Die eingesetzten KommuȬ nikationsinstrumente und –mittel werden an Hand verbindender Elemente, wie beispielsweise Schlüsselbilder, Kernbotschaften oder Jingles, integriert und vor dem Hintergrund der Kommunikationsziele thematisch vernetzt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit mögliche Instrumente einen Beitrag zur Erfüllung grundlegender kommunikativer Ziele und AufȬ gaben wie Informationsvermittlung, Bekanntheitsgrad, Kaufanreiz etc. zu leisten in der Lage sind.3
Inhaltliche Integration
Darüber hinaus ist sowohl die thematische Abstimmung der verschiedenen auf einzelne Kanalstufen gerichteten Kommunikationsmaßnahmen sicherȬ zustellen (horizontale Integration; beispielsweise Abstimmung verschiedeȬ 1 2 3
Vgl. Bruhn (2003b), S. 17. Vgl. Esch/Strödter (2007), S. 443. Vgl. Meyer/Davidson (2001), S. 607 f.; Bruhn (2003b), S. 58 ff.; Foscht/Angerer (2006), S. 704.
249
4
Kommunikationspolitik
ner an Absatzmittler gerichteter Kommunikationsmaßnahmen) als auch auf eine Integration der Kommunikation über die verschiedenen Kanalstufen hinweg zu achten (vertikale Integration; beispielsweise Abstimmung der absatzmittlergerichteten mit der endkundengerichteten Kommunikation). Formalee Integration
Die formale Integration erfolgt über Gestaltungsprinzipien wie beispielsweiȬ se einheitliche Formatvorgaben (Farben, Schriftarten und Ȭgrößen) und insȬ besondere das Firmenlogo oder Markenzeichen. Zweck der formalen IntegȬ ration ist die Steigerung des Wiedererkennungseffekts sowie das Erreichen einer konsistenten Wahrnehmung des Unternehmens durch die Adressaten der Kommunikation. Diese Instrumente können in Bezug auf mehrere Dimensionen angewendet werden. Dazu gehören die Dimensionen „zeitlich“, „zwischen den KommuȬ nikationsmitteln“, „über die Kaufphasen“, „über alle Kontaktpunkte“ und „zwischen den Marketingkanälen. In Abbildung 4Ȭ7 sind die Dimensionen und Instrumente der integrierten Kommunikation dargestellt.
Dimensionen und Instrumente der integrierten Kommunikation1
Instrumente zur Integration Formale Integration
Inhaltliche Integration •
Design-Maßnahmen, Wort-BildZeichen, Präsenzsignale
Zeitlich
Dimensionen der Integration
Abbildung 4Ȭ7
Zwischen den Kommunikationsmitteln
Über die Kaufphasen
Über alle Kontaktpunkte
Zwischen den Marketingkanälen
1
250
Vgl. Esch/Strödter (2007), S. 443.
•
Sprachlich (identische oder semantisch gleiche Aussagen) Bildlich (gleicher Bildinhalt, Schlüsselbild)
Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing
4.3
Die integrierte Kommunikation ist insbesondere im Rahmen des Aufbaus und des Erhalts einer Marke bedeutsam. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass über alle Kontaktpunkte zwischen Hersteller und Endkunden sowie über alle bedienten Kanäle ein einheitliches Bild der Marke vermittelt wird und dass alle Instrumente des MarketingȬMix mit eingeschlossen werȬ den.1 Der Hersteller muss sich bewusst sein, ob er eine einheitliche Führung einer Marke über alle Kanäle oder aber eine kanalspezifische MarkenfühȬ rung vornimmt. Durch eine markenkonforme Gestaltung der MarketingkaȬ näle kann eine Verwässerung des Markenimages und somit ein Verlust an Markenwert verhindert werden.
Integrierte KomȬ munikation bei der MarkenfühȬ rung wichtig
Eine integrierte und abgestimmte Umsetzung der KommunikationsmaßnahȬ men ist nur dann möglich, wenn das Unternehmen sich die Unterstützung der verschiedenen Absatzmittler in den indirekten Kanälen sichert.2 Insbesondere bei Maßnahmen am PoS zur Stimulierung der Nachfrage ist die Unterstützung durch die Absatzmittler entscheidend. In diesem Zusammenhang können bei mehreren indirekten Kanälen verschiedene Instrumente der VerkaufsfördeȬ rung eingesetzt werden, die zu dem jeweiligen Image des jeweiligen Kanals passen. Dazu gehören beispielsweise Gewinnspiele, Produktpräsentationen, Shows, Giveaways, Treueprämien oder auch Preisnachlässe.3
Integration der Absatzmittlerr
Um die Absatzmittler von den Maßnahmen zu überzeugen, werden häufig Maßnahmen der handelsgerichteten Verkaufsförderung eingesetzt. Dazu gehören Instrumente, wie beispielsweise die kooperative Werbung oder Verkaufswettbewerbe unter den Kanalmitgliedern. Sie haben die UnterstütȬ zung und Steigerung der Marketingaktivitäten durch die Absatzmittler sowie die Verfestigung der Beziehung zu ihnen zur Aufgabe.4 In vielen Fällen werden Absatzmittler aber auch durch die Überlassung von HanȬ delsware in die kommunikationspolitischen Maßnahmen miteinbezogen. Dabei stehen die folgenden Gründe im Vordergrund: 5
Überzeugung der Absatzmittler
Produktplatzierung: Durch die Überlassung von Ware sollen die AbȬ satzmittler motiviert werden, den Hersteller werblich gemäß seiner GeȬ samtkommunikationsstrategie zu unterstützen, Produkte des Herstellers zu listen und ihnen ausreichend Regalfläche zur Verfügung zu stellen.
Abnahme von Mindestmengen: Die Überlassung von Handelsware erfolgt, wenn die Absatzmittler eine bestimmte Mindestmenge an Ware abnehmen oder sie dazu motiviert werden sollen, große Mengen der Produkte auf Lager zu halten. 1 2 3 4 5
Vgl. Shimp/DeLozier (1986), S. 4. Vgl. Kim/Staelin (1999), S. 73 f.; Rosenbloom (2004), S. 358. Vgl. Meffert (2000), S. 721; Kotler/Bliemel (2001), S. 985. Vgl. Meffert (2000), S. 721. Vgl. im Folgenden Kotler/Bliemel (2001), S. 993 f.
251
4
Kommunikationspolitik
Sonderaktionen: Der Hersteller überlässt dem Handel Ware, damit diese bestimmte Produktvarianten oder Packungsgrößen in besonderen AktioȬ nen werblich herausstellen. TrainingsȬ programme
Neben den Maßnahmen der Verkaufsförderung kommen beim Einsatz mehȬ rerer indirekter Kanäle auch Informationsmaßnahmen zur Steigerung der Produktkenntnis der Absatzmittler zur Anwendung. Wichtige Maßnahmen stellen dabei Trainingsprogramme, MessenȬ und Ausstellungen sowie missiȬ onarische Verkäufer dar. Trainingsprogramme haben die Verbesserung der Leistung der Akteure der jeweiligen Kanäle zum Ziel. Sie werden als eines der effizientesten Instrumente zur Sicherung der Kooperation der AbsatzȬ mittler bei Kommunikationsmaßnahmen gesehen und demonstrieren zuȬ dem die Unterstützung seitens des Herstellers.1 Dabei lassen sie sich nach dem Grad der Formalisierung unterscheiden.2 Informelle TrainingsproȬ gramme basieren zumeist auf Einzelgesprächen oder ProduktdemonstratioȬ nen. Formelle Trainingprogramme basieren auf Lehrgängen oder HandelsȬ seminaren.
Messen/ Ausstellungen
Eine entscheidende Plattform zur Information von Absatzmittlern mehrerer indirekter Kanäle sind auch Handelsmessen und Fachausstellungen.3 Auf ihr wird ein umfassendes Angebot einer oder mehrerer Branchen präsenȬ tiert. Dabei ist eine exakte Unterscheidung zwischen Messen und AusstelȬ lungen schwierig.4 Während der Schwerpunkt bei Messen auf dem Verkauf liegt, betonen Ausstellungen eher den Informationscharakter. Weiterhin wenden sich Ausstellungen im Gegensatz zu Messen eher an eine breite Öffentlichkeit oder an ein breites Fachpublikum.5
BeziehungsȬ pflege
Auf Handelsmessen und Fachausstellungen bietet sich für den Hersteller die Gelegenheit, mit verschiedenen Absatzmittlern zusammenzutreffen, sie über seine Produkte und Kommunikationsaktivitäten zu informieren und mit ihnen in einen Gedankenaustausch zu treten. Eines der wichtigsten Ziele von Handelsmessen ist es, auf die Produkte (insbesondere NeuȬ produkteinführungen) aufmerksam zu machen sowie sich die UnterstütȬ zung seitens der Absatzmittler zu sichern und neue Kanalmitglieder hinzuȬ zugewinnen.6
Bedeutung der DirektkommuȬ niktion nimmt zu
Hinsichtlich der Kommunikation gegenüber dem Endkunden nimmt die Direktkommunikation eine immer wichtigere Rolle ein. In diesem ZusamȬ menhang stehen dem Hersteller eine Reihe von KommunikationsinstrumenȬ 1 2 3 4 5 6
252
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 376. Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 432. Vgl. Kotler et al. (2003), S. 940. Vgl. Meffert (2000), S. 741. Vgl. MediaLine (2005). Vgl. Rosenbloom (2004), S. 378 f.
Kommunikationspolitik im Multi-Channel-Marketing
4.3
ten zur Verfügung, um den Kunden direkt und persönlich anzusprechen und somit eine gewisse Kundennähe zu erzielen. Die Bedeutung von direkȬ ten Marketingkanälen im Rahmen der Kommunikationspolitik gegenüber dem Endkunden nimmt daher zu. Endkunden können gleichzeitig über mehrere direkte Kanäle adressiert werden. So steht einem Hersteller z. B. der elektronische Weg oder aber der postalische Weg zur Verfügung. InsbesonȬ dere das Internet bietet in der Direktkommunikation größere Vorteile. NeȬ ben einer vergleichsweise kostengünstigen individualisierten KundenanȬ sprache ermöglicht das Internet vor allem auch ein individualisiertes ProȬ duktprogramm, so dass individuell auf Kundenwünsche reagiert werden kann.1 Wichtig ist jedoch im Rahmen einer endkundenadäquaten Ausgestaltung der Kommunikationspolitik, dass die einzelnen KommunikationsȬ maßnahmen aufeinander abgestimmt sind und zwischen den Kanälen keine Widersprüche aufweisen, so dass es zu Verwirrungen beim Endkunden kommt. Die Kommunikationspolitik sollte somit speziell auf die jeweilige Kombination der Kanäle abgestimmt sein.2
Integration der Endkunden
Diese Abstimmung der Kommunikationsmaßnahmen gegenüber AbsatzȬ mittler und Endkunden bedeutet die Sicherstellung einer integrierten KomȬ munikation und eine Orientierung an einer GesamtkommunikationsstrateȬ gie im Sinne einer Corporate Identity bzw. Corporate Communication. In diesem Zusammenhang werden in der Literatur häufig die Begriffe MarȬ kenkommunikation, integrierte Kommunikation und Corporate Identity nicht immer trennscharf verwendet.3 Die Corporate Identity soll als übergeȬ ordnetes Gesamtstrategiekonzept eines Unternehmens verstanden werden, dass sich in ihrer Ausgestaltung mit den jeweiligen Identitäten der UnterȬ nehmensmarken abstimmen muss.
GesamtkommuȬ nikationsstrateȬ gie
Im Rahmen des Einsatzes von komplexen Mehrkanalsystemen bedeutet dieses Konzept der dass sich sämtliche Maßnahmen der integrierten KomȬ munikation an den Vorgaben der Corporate Identity zu orientieren haben. Damit übernimmt die Corporate Identity die Aufgabe der Koordination sämtlicher Kommunikationsaktivitäten sowohl gegenüber Endkunden als auch gegenüber Absatzmittlern.4
Corporate Identity
1 2 3 4
Vgl. Wirtz/Büttner/Schwarz (2003), S. 73. Vgl. Wirtz/Büttner/Schwarz (2003), S. 73. Vgl. Meyer/Davidson (2001), S. 608; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 78; Homburg/Krohmer (2006), S. 839. Vgl. Meffert (2000), S. 705; Homburg/Krohmer (2006), S. 839.
253
4 Corporate Design, CommuȬ nication, Behavior
Kommunikationspolitik
Zu der Corporate Identity gehören die Bereiche Corporate Design (GestalȬ tung aller Elemente des visuellen Einscheinungsbildes eines Unternehmens und seiner Marken), die Corporate Communication (Gestaltung der KomȬ munikationsinstrumente im Hinblick auf die Kernaussagen und Slogans) und das Corporate Behavior (Verhalten der Unternehmensmitarbeiter – insbesondere gegenüber Kunden).1
1
254
Vgl. Meffert (2000), S. 707; Meyer/Davidson (2001), S. 608.
Grundlagen der Distributionspolitik
5.1
5 Distributionspolitik Die Distributionspolitik spielt im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings eine wichtige Rolle. Insbesondere vor dem Hintergrund schwindender DifȬ ferenzierungspotenziale in Bezug auf die Qualität eines Produkts hat die Distributionspolitik eines Unternehmens einen großen Einfluss auf die KunȬ denzufriedenheit und folglich auf die Verbesserung der WettbewerbsfähigȬ keit.1 Ziel dieses Kapitels ist es, die Besonderheiten der Distributionspolitik im MultiȬChannelȬMarketing darzustellen. Nach einer Einführung in die Grundlagen der Distributionspolitik in Abschnitt 5.1 wird in Abschnitt 5.2 die Distributionspolitik im vertikalen Marketing und abschließend in AbȬ schnitt 5.3 im MultiȬChannelȬMarketing erläutert. In Abbildung 5Ȭ1 sind die Inhalte und die Struktur des Kapitels dargestellt.
Abbildung 5Ȭ1
Struktur des Kapitels
Grundlagen der Distributionspolitik • Inhalte und Ziele der Distributionspolitik • Einflussfaktoren auf die Distributionsstruktur
5.1
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
Distributionspolitik im Multi-Channel-Marketing
• Lagerhaltung
• Lagerhaltung
• Kommissionierung/ Verpackung
• Kommissionierung/ Verpackung
• Transport
• Transport
• Auftragsabwicklung
• Auftragsabwicklung
Grundlagen der Distributionspolitik
Die zentralen Aspekte und Einflussfaktoren der Distributionspolitik stehen im Mittelpunkt der beiden folgenden Abschnitte. Dabei werden zunächst in Abschnitt 5.1.1 die wesentlichen Inhalte und Ziele der Distributionspolitik definiert. Danach wird in Abschnitt 5.1.2 dargestellt, welche Faktoren einen Einfluss auf die Distributionsstruktur haben können.
1
Vgl. Stich/Bruckner (2002), S. 11.
255
5
Distributionspolitik
5.1.1
Inhalte und Ziele der Distributionspolitik
Definition der DistributionsȬ politik
Die Distributionspolitik stellt alle Aktivitäten und Entscheidungen, die den Weg einer Leistung vom Hersteller zum Endabnehmer betreffen, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei spielt die Frage, wie die räumlichen Entfernungen zwischen Anbieter und Nachfrager kostengünstig, termingeȬ recht und sicher überwunden werden können, eine wichtige Rolle.
Ziele der DistriȬ butionspolitik
Wesentliches Ziel der Distributionspolitik ist somit die effiziente und effekȬ tive Auftragsabwicklung. Darunter ist zu verstehen, dass das richtige ProȬ dukt zur richtigen Zeit an einem mit dem Kunden vereinbarten Ort zu miniȬ malen Kosten bereitgestellt werden muss. Dieses Ziel steht in engem ZusamȬ menhang mit der Optimierung der Logistikleistung, welche aus sieben Einzelkomponenten, wie z. B. Lieferzeit, Lieferflexibilität oder Liefertreue, besteht und in Kapitel B5 genauer beschrieben wurde.
Inhalte der DistributionsȬ polititk
Im Rahmen distributionspolitischer Entscheidungen gibt es insbesondere vier Handlungsfelder, mit denen sich das Management auseinandersetzen muss. Diese stellen die zentralen Inhalte der Warenlogistik dar und stehen auch in den nachfolgenden Abschnitten im Mittelpunkt der Diskussion. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um die Lagerhaltung, die Kommissionierung und VerȬ packung, den Transport sowie die Auftragsabwicklung, die nachfolgend beȬ schrieben werden.1
Lagerhaltung n
Nahezu alle Produktkategorien unterliegen aufgrund der zeitlichen DispariȬ täten zwischen Produktion und Konsum dem Lagerhaltungsproblem.2 AusȬ nahmen bilden digitale Güter sowie persönliche Dienstleistungen, bei denen Leistungserstellung und –verbrauch gleichzeitig stattfinden. Die LagerhalȬ tung umfasst Problemstellungen, die sich mit der Lagerung und Bewegung von fertigen Produkten im Warenlager beschäftigen. Dabei sind EntscheiȬ dungen über Lagerstandorte, die Zwischenlager sowie die EigenȬ oder Fremdlagerung zu treffen.3 Weitere Entscheidungsprobleme im Rahmen der Lagerhaltung betreffen das zu lagernde Produktprogramm, die LagerbeȬ standshöhe, die Bestellmengen und die Bestellzeitpunkte.4
KommissionieȬ rung und VerpaȬ ckung
Im Einzelnen umfasst die Kommissionierung und Verpackung die EntnahȬ me der benötigten Waren aus dem Lager, die auftragsȬ und versandbezogeȬ ne Sortierung und die Übergabe der Kommissioniereinheiten an den VerȬ sand.5
1 2 3 4 5
256
Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 940 ff.; Zentes/SchrammȬKlein (2007), S. 460. Vgl. Schnoedt (1994), S. 31. Vgl. Meffert (2000), S. 666 ff. Vgl. Schnoedt (1994), S. 32. Vgl. Günther/Tempelmeier (1997), S. 278 ff.
Grundlagen der Distributionspolitik
5.1
Die wesentlichen Funktionen umfassen den Transportschutz, die LagerungsȬ, die TransportȬ und Umschlagsvereinfachung sowie Vorteile beim Verkauf und der Entsorgung.1 Der Transport ist das Basisproblem der Distribution, da die Wahl des TransȬ portmittels in letzter Konsequenz den Preis, die Liefertreue, den Zustand der Ware bei Übergabe und damit auch die Kundenzufriedenheit beeinȬ flusst.2 Diesen Anforderungen unterliegen nahezu alle Güter, die auf irgendȬ eine Art und Weise an ihren Bestimmungsort befördert werden müssen. Die wichtigsten Gestaltungsinstrumente beim Transport physischer Waren vom Verkäufer zum Kunden sind die Wahl zwischen EigenȬ oder FremdtransȬ portleistung, die Selektion des passenden Transportmittels und eine auf diesen Instrumenten aufbauende Tourenplanung der Warenströme.3
Transport
Gegenstand der Auftragsabwicklung ist es, den gesamten BestellȬ abwicklungszyklus zu verkürzen, also die Prozesse zwischen Bestellung des Kunden, und Erfüllung durch das Unternehmen sowie die Bezahlung durch den Kunden zu optimieren, um die Kundenzufriedenheit zu steigern.4 MaßȬ geblich wird der Bestellabwicklungszyklus, und somit auch der durch den Kunden bewertete Lieferservice des Unternehmens, durch die Integration der InformationsȬȱund Kommunikationssysteme zwischen Hersteller, Handel und Kunde optimiert.5 Abbildung 5Ȭ2 stellt die wesentlichen Inhalte und das zentȬ rale Ziel der Distributionspolitik überblicksartig dar.
AuftragsabwickȬ lung
Inhalte und Ziele der Distributionspolitik
Abbildung 5Ȭ2
Inhalte der Distributionspolitik
Lagerhaltung
Kommissionierung/ Verpackung
Transport
Auftragsabwicklung
Ziele der Distributionspolitik Effiziente und effektive Auftragsabwicklung
1 2 3 4 5
Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 156. Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 952. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 756. Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 948. Vgl. Schnoedt (1994), S. 34.
257
5
Distributionspolitik
5.1.2
Einflussfaktoren auf die Distributionsstruktur
Bei der Konzeptionalisierung eines Warenlogistiksystems gibt es eine VielȬ zahl verschiedener Einflussgrößen.1 Grundsätzlich können diese EinflussȬ faktoren jedoch zu produktspezifischen, organisationalen und externen Größen komprimiert werden, die wiederum die Distributionsstruktur beeinȬ flussen. ProduktspezifiȬ sche EinflussgröȬ ßen
Die Warenlogistik, ob als unternehmenseigene Dienstleistung oder unter Zuhilfenahme von Logistikdienstleistern, hängt in ihrer Ausgestaltung im besonderen Maße davon ab, um was für einen Gütertyp es sich handelt. Sperrige, große Güter oder leicht verderbliche Waren werden zumeist direkt vom Hersteller zum Endverbraucher transportiert, um unnötiges Umladen oder eine Produktzerstörung zu vermeiden. Ebenso ist die Logistik sehr stark vom Individualisierungsgrad des Produktes abhängig. Standardisierte Massenprodukte können ohne weitere Serviceleistungen zu den AbsatzmittȬ lern und Endkunden geliefert werden, wohingegen spezielle Produkte einen zusätzlichen Service und einer individuelleren Logistik bedürfen. Die Produkteigenschaften determinieren zudem die Auswahl von MarkeȬ tingkanälen. Der Kanal wiederum hat einen Einfluss auf die Ausgestaltung spezifischer Distributionskomponenten. Während in einem indirekten Kanal meist größere Mengen kommissioniert werden, werden beim Direktvertrieb häufig auch kleinere Mengen transportiert. Darüber hinaus bestimmen verȬ schiedene Produktspezfika den entsprechenden Zielmarkt. Unterschiedliche Zielmärkte, Flächenmärkte oder regional begrenzte Marktbearbeitung, impȬ lizieren ebenso unterschiedliche Ansätze der Distribution.
Organisationale Einflussgrößen
Neben diesen vor allem durch die Art der zu vertreibenden Produkte beeinȬ flussten Variablen hängt die Gestaltung der Warenlogistik zudem von den organisationalen Fähigkeiten eines Unternehmens ab. Hierzu zählen die logistische Kontrollspanne der Unternehmen, die InformationsȬȱ und KomȬ munikationsgeschwindigkeit, die LieferȬ beziehungsweise ReaktionsgeȬ schwindigkeit und die daraus resultierenden Kosten der Distribution. Unter logistischer Kontrollspanne wird in diesem Zusammenhang die tatsächliche Entscheidungsgewalt über die unterschiedlichen Stufen des WarenlogistikȬ systems verstanden.2
Externe EinflusȬ faktoren
Darüber hinaus sind externe Einflussgrößen, z. B. die Distributionspartner, die Konkurrenz oder die allgemeine Wirtschaftslage von besondere BedeuȬ tung für den Aufbau und das Management einer Distributionsstruktur. Durch die Stärke bzw. Schwäche der beteiligten Distributionspartner ist zumeist auch determiniert, wie der Hersteller bei den Endkunden wahrgeȬ 1 2
258
Vgl. im Folgenden Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 861 ff. Vgl. Schnoedt (1994), S. 26 ff.
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
nommen wird. Die erbrachten Leistungen werden häufig dem Hersteller selbst und nicht dem Distributionspartner zugeschrieben. Ebenso ist die Berücksichtigung der Konkurrenz wichtig, um geeignete DistributionsstraȬ tegien zu entwickeln und so die Marktposition zu festigen. Weiterhin ist die allgemeine Wirtschaftslage in Bezug auf gesetzliche Regelungen, die konȬ junkturellen Gegebenheiten usw. bei der Konzeptionalisierung eines DistriȬ butionssystems zu berücksichtigen.1 Diese Einflussfaktoren geben das Grundgerüst der Distribution vor. Die tatsächliche Ausgestaltung der Distributionslogistik im MultiȬChannelȬ Marketing soll jedoch anhand der vier zentralen HandlungsȬ und EntscheiȬ dungsfelderȱȬ Lagerhaltung, Kommissionierung/Verpackung, Transport und Auftragsabwicklung – dargestellt werden. Diese werden nachfolgend zuȬ nächst im vertikalen Kontext und anschließend im MultiȬChannelȬKontext betrachtet.
5.2
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
Die Distributionspolitik im vertikalen Marketing untersucht, wie Produkte auf effiziente Art in einem Marketingkanal vom Hersteller über mögliche Absatzmittler zum Endkunden gelangen. Dabei geht es um die Optimierung des physischen Warenwegs im Kanal. Bei der Entwicklung und Umsetzung eines Warenlogistiksystems muss neben der Kostenoptimierung auch ein bestmöglicher Kundenservices angestrebt werden.2 Abbildung 5Ȭ3 zeigt verschiedene physische Warenwege, wobei prinzipiell auch eine Auslassung einer oder mehrere dargestellter Stufen möglich ist.
1 2
Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 862 f. Vgl. Bowersox/Cooper (1992), S. 203.
259
5.2
5 Abbildung 5Ȭ3
Distributionspolitik
Physische Warenwege im vertikalen Marketing1
Hersteller
Logistikdienstleister Warenlager Logistikdienstleister Regionallager Logistikdienstleister Großhandel/Einzelhandel Logistikdienstleister
Endkunde
Im Folgenden werden aus der Perspektive des Herstellers die vier verschieȬ dene Entscheidungsfelder im vertikalen Marketing dargestellt, die im MitȬ telpunkt der Distributionspolitik stehen. Dazu wird in Abschnitt 5.2.1 zuȬ nächst auf die Lagerhaltung eingegangen. Danach thematisiert Abschnitt 5.2.2 die Kommissionierung bzw. Verpackung. Anschließend wird in AbȬ schnitt 5.2.3 der Transport der Ware näher erläutert, bevor sich Abschnitt 5.2.4 abschließend mit der Auftragsabwicklung befasst.
5.2.1
Lagerhaltung
Die Lagerhaltung umfasst sämtliche Problemstellungen die sich mit der Lagerung und Bewegung von fertigen Produkten im Warenlager beschäftiȬ gen. Die weiteren Ausführungen beschreiben die EntscheidungsproblematiȬ ken eines Herstellers in Bezug auf die Lagerstandorte, die EigenȬ oder Fremdlagerung, Bestimmung des zu lagernden Produktprogramms und der Lagerbestandshöhe mit Bezug auf die möglichen Absatzmittler und EndȬ kunden, die in diese Prozesse involviert sind.
1
260
In Anlehnung an Bowersox/Smykay/Lalonde (1969), S. 45.
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
5.2
Die Standortwahl für die Lagereinrichtungen wird insbesondere von der räumlichen Verteilung der KundenȬ und Absatzmittler, den lokalen StandortȬ kosten und den Transportkosten determiniert. Weiterhin ist eine gute InfraȬ struktur evtl. in Form von Bahn oder Luftverkehrsanbindung von Vorteil. Sollen beispielsweise standardisierte Produkte für den Einzelhandel bevorraȬ tet werden, ist es sinnvoll für den Hersteller, verschiedene Lager in der Nähe der Absatzmittler und deren Logistikdienstleistern zu unterhalten, um so kurze und kostengünstige Wege realisieren zu können. Auch die EntscheiȬ dung darüber, die Lagerhaltung in Eigenregie durchzuführen oder auszulaȬ gern, hängt in erster Linie von Kostenaspekten sowie von FlexibilitätsüberleȬ gungen und der zielkonformen Steuerbarkeit ab.1
Standortwahl
Kontrollmöglichkeiten sind bei der unternehmenseigenen Lagerung größer, binden jedoch Kapital und verringern die Flexibilität bei eventuell notwendiȬ gen Standortverlagerungen.2 Zwischenlagerstufen, bzw. die unternehmensȬ fremde Lagerung, können beispielsweise aufgrund der geografischen KunȬ denverteilung, der geringen Haltbarkeit von Produkten oder aufgrund gesetzȬ lichen Bestimmungen notwendig werden. Typische Formen von Zwischenlagern sind Werkslager und Regionallager wobei das AuslieferungsȬ lager die Endstufe bildet.3 Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, dass die eingesetzten AbsatzȬ bzw. Lagermittler den Anforderungen des Herstellers genügen. Dazu müssen diese die Ware insbesondere, bedarfsgerecht lagern, handhaben und auf Anweisung sofort weiter versenden.
Eigene vs. fremde Lagerhaltung
Bezüglich des zu lagernden Produktprogramms ist festzulegen, ob sämtliche in der Produktpalette des Unternehmens vertretenen Waren in allen Lagern bevorratet werden sollen oder ausgewählte Waren nur in speziell dafür bestimmten Lagern.4 Beispielsweise kann es für einen europaweit agierenȬ den Reifenhersteller angebracht sein, Winterreifen verstärkt in gebirgigen Gegenden und in Regionen mit häufigerem Schneefall vorzuhalten. WeiterȬ hin ist darauf zu achten, dass trotz dieser regionalen Unterschiede auch die kurzfrisitgen Wünsche von Endkunden bzw. Absatzmittlern ebenso kurzȬ fristig bedient werden können.
Festlegung des zu lagernden ProȬ duktprogramms
Eine weitere wichtige Aufgabe im Rahmen der Lagerhaltung bildet die BeȬ stimmung der Lagerbestandshöhen. Der Fertigwarenlagerbestand ist ein bedeutendes Instrument zur Gewährleistung der unmittelbaren LieferbereitȬ schaft.5 Ist dies nicht der Fall, besteht insbesondere bei massendistribuierten Gütern, wie z. B. CDs oder Büchern, die Gefahr, dass die Endkunden oder die eingesetzten Absatzmittler auf ein anderes Unternehmen ausweichen. Je
Bestimmung der LagerbestandsȬ höhen
1 2 3 4 5
Vgl. Robben (2000). Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 950 Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 746 f. Vgl. Meffert (2000), S. 667. Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 949 f.
261
5
Distributionspolitik
mehr es sich bei den Kaufobjekten um Nischenprodukte oder individualiȬ sierte Produkte handelt, desto mehr relativiert sich diese WechselbereitȬ schaft, so dass die Kaufentscheidungsdeterminanten Lieferbereitschaft und Lieferzeit relativ an Bedeutung verlieren.
5.2.2
Kommissionierung und Verpackung
Anforderungen an die KommisȬ sionierung
Das inzwischen in Teilbereichen zum Standard erhobene Prinzip der kunȬ denindividuellen Fertigung zieht einen hohen Individualisierungsgrad der bestellbaren Produktleistungsbündel nach sich. Diese Flexibilität für den Kunden stellt hohe Anforderungen an die Kommissionierungsprozesse. Aus einem häufig großen und heterogenen Produktsortiment müssen immer wieder neue Bestellkombinationen selektiert und verpackt werden. In dieȬ sem Zusammenhang sind wiederum z. B. technologische oder UmweltȬ schutzaspekte von Bedeutung, damit eine reibungslose und zufriedenstelȬ lende Leistungsübermittlung erfolgen kann.
Technologische Unterstützung
Unterstützung bieten dabei leistungsfähige Technologien, wie z. B. BarcodeȬ leser oder schnelle Regalbediengeräte. Diese sind aus den großen und stark frequentierten Distributionszentren nicht mehr wegzudenken. Sie helfen dabei, den Durchsatz zu erhöhen, die Kommissionierzeiten zu vermindern und Falschkommissionierungen sowie Betriebskosten zu reduzieren. HerȬ steller müssen dabei in Bezug auf das vertikale Marketing beachten, dass sie die möglichen Produktkombinationen mit den dazu passenden AuszeichȬ nungen versehen, damit die Logistikdientleister die von den verschiedenen Absatzmittlern und Endkunden georderten Kombinationen auch kosteneffiȬ zient und insbesondere korrekte ausliefern.1
Ökologische Aspekte
Die gestiegene Bedeutung von Umweltaspekten bei Endkunden hat gleichȬ zeitig dazu geführt, dass auch Absatzmittler und Endkunden diese berückȬ sichtigen müssen. Unter ökologischen Gesichtspunkten sollten VerpaȬ ckungsmittel daher so gewählt werden, dass die Güter je nach produktspeziȬ fischen Anforderungen geschützt transportiert und die daraus resultierenden Folgekosten der Entsorgung minimiert werden.2 Konkret bedeutet dies, dass unnötiges Verpackungsmaterial vermieden und so oft wie möglich auf Mehrwegverpackungen zurückgegriffen werden sollte. Zudem können die Verpackungsprozesse durch die Standardisierung von verwendetem VerpaȬ ckungsmaterial optimiert werden und durch gezielte Materialauswahl zu einem umweltschonenderen Verpackungsprozess beitragen.3
1 2 3
262
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 394. Vgl. Schnoedt (1994), S. 34. Vgl. Specht (1998), S. 112 f.
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
5.2.3
5.2
Transport
Der Transport ist in der Distribution eine der schwierigsten Aufgaben, da die Wahl der Transportmittel, wie bereits ausgeführt, u. a. den Preis, die Liefertreue sowie den Zustand der Ware beeinflusst. Im Folgenden wird auf die verschiedenen Gestaltungsinstrumente beim Transport physischer WaȬ ren eingegangen, z. B. EigenȬ oder Fremdtransport, die Selektion des pasȬ senden Transportmittels und eine Tourenplanung der Warenströme, wobei die Auswirkungen auf sowie die Wechselwirkungen mit den eingesetzten Absatzmittlern und Endkunden besonders berücksichtigt werden.
Besondere BedeuȬ tung des TransȬ ports
Im Eigentransport erfolgt die Auslieferung über den Einsatz einer unterȬ nehmenseigenen Fahrzeugflotte. Hieraus ergibt sich der Vorteil einer hohen Flexibilität bei der Ausgestaltung der Lieferprozesse. So können in dringenȬ den Fällen Prioritäten kurzfristig verschoben oder Sendungen umadressiert werden. Weitere Vorteile des Transports in Eigenleistung gegenüber der Fremdleistung sind eine leichtere SteuerȬȱ und Kontrollierbarkeit, bessere Möglichkeiten zur Qualitätssicherung sowie ein unmittelbarer EndkundenȬȱ bzw. Absatzmittlerkontakt.1 Nachteilig beim Eigentransport hingegen ist die hohe Fixkostenbelastung durch die Fahrzeuge sowie das entsprechend beȬ nötigte Personal. Zudem ist die Flexibilität bezüglich der KapazitätsauslasȬ tung stark beschränkt. Auslastungsspitzen müssen somit evtl. durch das Heranziehen von Fremddienstleistern abgedeckt werden und LeerkapazitäȬ ten führen zu Verlusten.
Der EigentransȬ port
Angesichts der Kapazitätsauslastungsprobleme sind auch Mischformen zu erwägen, bei denen das Mindesttransportvolumen selbstständig erbracht und das variable Transportaufkommen an externe Unternehmen ausgelagert wird. Bei diesem Kompromiss sind jedoch wiederum Abstriche im Bereich der Kontrollmöglichkeiten und der Flexibilität zu machen.
Mischformen
Beim Fremdtransport übernehmen unternehmensexterne LogistikdienstȬ leister die notwendigen Transportleistungen.2 Speditionen, KurierȬ, ExpressȬ und Paketdienste sind dabei von größter Bedeutung. Dabei verliert der HerȬ steller jedoch die Kontrolle über den Warentransport, sobald der LogistikȬ dienstleister die Ware übernommen hat. Eine besondere Problematik tritt in diesem Zusammenhang auf, wenn die Ware beschädigt oder nicht zum gewünschten Zeitpunkt ausgeliefert wird, da Endkunden diese mangelhafte Warenlieferung meist nicht mit dem Dienstleister, sondern mit dem HerstelȬ ler in Verbindung bringen.
Der FremdtransȬ port
1 2
Vgl. Pepels (1996), S. 561. Vgl. Meffert (2000), S. 616.
263
5
Distributionspolitik
Selektion des passenden TransȬ portmittels
Bezüglich der Selektion des passenden Transportmittels lassen sich die GüȬ terverkehrssysteme Land, Luft und Wasser unterscheiden. Der Landverkehr unterteilt sich weiter in den StraßenȬȱ und den Schienengüterverkehr.1 Bei der Wahl des Transportmittels müssen Hersteller, Absatzmittler, LogistikȬ dienstleister sowie Endkunden zwischen KostenȬ, QualitätsȬ, ZeitȬȱ und FleȬ xibilitätsaspekten abwägen und gegebenenfalls produktspezifische ErforȬ dernisse berücksichtigen.
Tourenplanungen
Abschließend muss der Hersteller spezifische Tourenplanungen für die verschiedenen Transportwege vornehmen. Unabhängig davon, ob die Transportleistung in EigenȬ oder Fremdregie erbracht wird, ist eine effiziente und flexible Tourenplanung erfolgskritisch. Sie schlägt sich in kürzeren Fahrstrecken pro Sendung, Kostenreduzierung und einer UmweltȬ und Ressourcenschonung nieder was sowohl im Sinne der beteiligten AbsatzȬ mittler als auch der Endkunden ist.2 Die Zahl der Distributionsstufen in einem Marketingkanal ist von wesentliȬ cher Bedeutung für die Wahl der Transportmittel und die Tourenplanung. Die Abnahmemengen und somit Mengen der in einer Lieferung zu transporȬ tierenden Güter unterscheiden sich je nach Abnehmer, d. h. zwischen GroßȬȱ und Einzelhandel sowie dem Endkunden. Dem Großhandel werden in der Regel umfangreiche Lieferungen zugestellt. Beim Einzelhandel sind die Losgrößen in der Regel geringer und wegen oftmals fehlender LagerkapaziȬ täten auf die kurzfristig abzuverkaufende Menge beschränkt. Dem EndkunȬ den gegenüber würden im Direktvertrieb haushaltsübliche Mengen zugeȬ stellt. Beispielsweise kann die Lieferung vom Hersteller zum Großhändler per Schiff über die Binnengewässer oder mit großen LKW erfolgen. Der Einzelhändler wird von kleineren Transportfahrzeugen beliefert und der Endkunde erhält seine Ware in kompakten Liefefahrzeugen.
5.2.4
Auftragsabwicklung
Mit Hilfe des integrierten Einsatzes von InformationsȬ und KommunikationsȬ systeme wird bei der Auftragsabwicklung versucht, den BestellabwicklungsȬ zyklus zu verkürzen, um den Kunden zufrieden zu stellen und die Kosten der Absatzmittler und des Herstellers zu reduzieren.3
1 2 3
264
Vgl. Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 952. Vgl. Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (2002), S. 958. Vgl. im Folgenden Kotler/Keller/Bliemel (2007), S. 948.
Distributionspolitik im vertikalen Marketing
InformationsȬ und Kommunikationssysteme spielen im Rahmen der AufȬ tragsabwicklung eine besondere Rolle. Bis dato wurden in den verschiedeȬ nen Teilbereichen hauptsächlich Objektflüsse betrachtet. Im Rahmen der Auftragsabwicklung kommen nun entscheidende Informationsflüsse hinzu. Es müssen Daten bezüglich des Auftragseingangs bearbeitet und schnellstȬ möglich an die Produktion oder an das Lager weitergeleitet werden. Es gilt, KundenȬ, ArtikelȬ, und Lagerbestandsdaten zu erfassen und Rechnungen, Lieferscheine, Auftragsbestätigungen sowie Statistiken zu erstellen. Im verȬ tikalen Marketing ist dabei besonders die Einbindung der Absatzmittler von großer Bedeutung.
5.2 InformationsȬȱ und KommunikaȬ tionssysteme bedeutsam
Insbesondere in vertikalen Marketing ist die Interoperabilität von IuKȬ Systemen wichtig. Interoperabilität bezeichnet die Fähigkeit von InformatiȬ onssystemen, miteinander ohne Medienbrüche oder sonstige manuelle EinȬ griffe zeitnah miteinander Daten austauschen zu können. Im vertikalen Marketing bedeutet das, dass etwa die Systeme des Einzelhändlers in der Lage sein sollten, eine Bestellung zu erfassen und wenn sie nicht mehr aus dem eigenen Bestand zu erfüllen ist diese direkt an den Großhändler weiterȬ zuleiten. Herstellers oder auch Absatzmittlers sollten in der Lage sein, onliȬ neȬBestellungen von Kunden direkt mit einem Warenbestandssystem abȬ zugleichen, dem Kunden eine Rückmeldung über die Verfügbarkeit zu geȬ ben und die Warenlieferprozesse zu initiieren. Optimalerweise würde sich diese Verfügbarkeitsprüfung durch die Warenwirtschaftssysteme aller AkȬ teure eines Marketingkanals ziehen, um dem Kunden entsprechende AngaȬ ben zur Verfügbarkeit eines Artikels machen zu können. So nutzt beispielsweise die Volkswagen AG das System „Newada“ (NeuwaȬ gendispositionsȬ und Abwicklungssystem), was die Auftragsabwicklung sehr stark auf die eigenen Filialen gelenkt hat. Diese sammeln nun die InȬ formationen bei den Endkunden und können daraufhin gezielte Aufträge an die Produktion oder Partnerfilialen weitergeben. Das Ziel, den gesamten Bestellabwicklungszyklus zu verkürzen, kann durch T Systemen erreicht werden, welche mit andeȬ den sinnvollen Einsatz von ITȬ ren Teilbereichen des Unternehmens, wie z.B. der Lagerhaltung oder der Produktion, verknüpft sind. Denn je kürzer der Zeitbedarf für die ÜbermittȬ lung der eingegangen Bestellungen vom Kunden über den Absatzmittler an den Hersteller und je ausgereifter die Zahlungsabwicklung ist, desto niedriȬ ger sind auch die Kosten für das Bestandsmanagement.1 Weiterhin können die Informationen über den Stand der AuftragsbearbeiȬ tung nicht nur dem Hersteller und den Absatzmittlern die gesamte AufȬ tragsabwicklungszeit vereinfachen, sondern auch dazu beitragen, den KunȬ
1
Vgl. Schnoedt (1994), S. 34.
265
KosteneinspaȬ rungen möglich
5
Distributionspolitik
denservice zu verbessern. Informationen über den Stand der AuftragsbearȬ beitung können dem Kunden eine wesentliche Hilfe zur Optimierung seiner Prozesse sein.1
5.3
Distributionspolitik im Multi-ChannelMarketing
Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen sind die vier grundsätzlichen Entscheidungsfelder der Distributionspolitik, welche zuvor anhand eines Marketingkanals erläutert wurden. Diese werden nun auf den MehrkanalȬ kontext übertragen, der von zusätzlicher Komplexität geprägt ist. Die KoorȬ dinationsanstrengungen sämtlicher distributionspolitischer Maßnahmen steigen daher mit zunehmender Anzahl an Marketingkanälen. Bedeutung der Standortwahl nimmt zu
Bei mehreren indirekten Marketingkanälen erhöht sich im Vergleich zu einem Kanal die Komplexität aufgrund des zunehmenden KoordinationsbeȬ darfs zwischen den beteiligten Absatzmittlern. Bezüglich der Standortwahl für die Lagereinrichtungen müssen insbesondere die räumliche Verteilung der verschiedenen Absatzmittler sowie die damit verbundenen TransportȬ kosten berücksichtigt werden. Demnach sollten die Zentrallager so gewählt werden, dass die räumliche Entfernung zu den einzelnen Händlern und damit die Transportkosten minimal bleiben. Allerdings dürfen die StandortȬ kosten per se nicht vollständig ignoriert werden.
Ausgliederung von LagerȬȱ r und TransportȬ t leistungen
Ein weitere wichtige Entscheidung bei mehreren indirekten Kanälen bezieht sich auf die Frage, ob bestimmte LagerȬ und Transportleistungen durch den Hersteller selbst oder durch einen externen Logistikdienstleister ausgeführt werden. Da die Abhängigkeit von einzelnen Absatzmittlern bei einer zuȬ nehmenden Anzahl an indirekten Kanälen und damit auch das KontrollbeȬ dürfnis abnimmt, bietet es sich möglicherweise an, diese Aufgaben auf einen externen Dienstleister zu übertragen, zumal dadurch gerade im Bereich der Lagerhaltung enorme Kosten eingespart werden können.2
Lagerhaltung bei direkten und indirekten KanäȬ len
Bei der Lagerhaltung bzw. dem Bestandsmanagement entstehen durch zuȬ sätzliche direkte Kanäle weitere Abstimmungsprobleme. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Nachfrageunsicherheit in direkten MarketingkaȬ nälen wesentlich höher ist als in indirekten Kanälen. Bei indirekten Kanälen ist die Optimierung der Lagerhaltung einfacher, da Bestellungen durch AbȬ satzmittler oft über einen bestimmten Zeitraum vertraglich festgelegt sind. 1 2
266
Vgl. Specht (1998), S. 115. Vgl. Schnoedt (1994), S. 28.
Distributionspolitik im Multi-Channel-Marketing
5.3
Im Gegensatz dazu muss der Hersteller beim Einsatz direkter Kanäle zwiȬ schen den OutȬofȬStockȬKosten, d. h. den Kosten der NichtȬLieferung bei Bestellungseingang, sowie den Lagerhaltungskosten abwägen. Auf der anderen Seite geben direkte Marketingkanäle möglicherweise besseȬ re Aufschlüsse über die tatsächliche Nachfragesituation in den einzelnen Kanälen. Da Absatzmittler häufig zusätzlich einen gewissen SicherheitsbeȬ stand zur Risikoreduktion bestellen, kann die Bestellmenge zum Teil signifiȬ kant von der tatsächlichen Nachfrage in den indirekten Kanälen abweichen, was ein verzerrtes Bild der Nachfragesituation darstellen kann. Dagegen lässt sich über Anfragen und Bestellungen in direkten Kanälen meist sehr gut ableiten, wie erfolgreich sich das Produkt am Markt tatsächlich verkauft.
Direkte Kanäle geben realistiȬ scheres Bild ab
In komplexen Mehrkanalsystemen müssen wiederum Entscheidungen in Bezug auf die Lagerstrukturgestaltung getroffen werden. Dabei ist eine grundȬ legende Überlegung, wie viele Lagerstufen (insbesondere WerksȬȱbzw. FilialȬ, RegionalȬȱoder Zentrallager) bzw. Lager in diesen Lagerstufen vom Hersteller eingesetzt werden sollen.1 Da die Koordinationskosten bei MehrkanalsysteȬ men sehr hoch sind, besteht für viele Hersteller zumeist das Ziel, anhand einer Straffung und eines „Pooling“ der Lagersysteme für alle Marketingkanäle Effizienzsteigerung zu realisieren.
Straffung und „Pooling“ der Lagersysteme
Eine ebenfalls bedeutende Rolle bei einer sehr hohen Anzahl verschiedener Marketingkanäle spielt die Zeit, insbesondere LieferȬ, TransportȬ oder WarteȬ zeiten, da vor allem bei der Integration zahlreicher Kanäle in ein MehrkanalȬ system die Kundenanforderungen an die Flexibilität und Geschwindigkeit der Belieferung steigen. Dies hat einen Einfluss auf die Lagerkapazitäten, die auf den einzelnen Lagerstufen vorgehalten werden müssen. Zum einen sollen die Gesamtbestände der Lager minimiert werden, jedoch können spezifische Flexibilitätsanforderungen einzelner Kanäle höhere Sicherheitsbestände in einem Mehrkanalsystem erforderlich machen.
Höhere SicherȬ r heitsbestände erforderlich
Insbesondere die Anforderungen an die Kommissionierung und VerȬ packung nehmen durch mehrere indirekte Marketingkanäle erheblich zu. Da die einzelnen Absatzmittler individuelle Bedürfnisse bezüglich der beȬ stellten Produktbündel haben, müssen kundenindividuelle Lösungen durch den Hersteller entwickelt werden. Es muss dabei vor allem darauf geachtet werden, dass eine hohe Kundenzufriedenheit durch das Eingehen auf kunȬ denindividuelle Verpackungsprobleme erreicht wird jedoch gleichzeitig die mit vielen unterschiedlichen Verpackungsformen verbundenen Kosten unter Kontrolle gehalten werden können.
Anforderungen an KommissioȬ nierung g
1
Vgl. im Folgenden Zentes/SchrammȬKlein (2007), S. 462.
267
5
Distributionspolitik
Kleine ProȬ duktsendungen mit hohen VerȬ r sandkosten
Ein Problem im Rahmen der Kommissionierung und Verpackung von ProȬ dukten, das durch direkte Marketingkanäle im Rahmen der DistributionspoȬ litik entstehen kann, bezieht sich auf die Bestellmenge je Transaktion. GeraȬ de durch Kundenaufträge über das Internet kommt es zum Teil zu menȬ genmäßig sehr kleinen Produktbestellungen, deren Abwicklung unter Kostengesichtpunkten nicht einfach ist. Wird ein erhöhter VersandkostenȬ satz auf das Produkt in direkten Kanälen geschlagen, können die Kosten zwar möglicherweise kompensiert werden, jedoch kann dies zu UnzufrieȬ denheiten bei Kunden führen. In letzter Konsequenz kann dies wiederum in einer Nachfrageverlagerung hin zu indirekten Kanälen resultieren.
Genaue Tourenplanung
Aufgrund der zunehmenden Transportwege müssen vor allem auch die einzelnen Touren sehr genau geplant werden. Nur dadurch lassen sich effiȬ zientere, also kürzere und kostengünstigere Fahrten realisieren. Bei diesem Optimierungsproblem müssen die einzelnen Anfahrtspunkte so bestimmt werden, dass pro Sendung kürzere Fahrtstrecken gewählt werden, jedoch eine gewisse Flexibilität immer noch bestehen bleibt. Durch eine verbesserte Koordination von Transporten können beispielsweise Leerfahrten vermieȬ den, die Fahrzeugauslastung insgesamt optimiert und Rampenkontakte erhöht werden.1
KomplexitätsȬ zuwachs durch direkte Kanäle
Beim gleichzeitigen Einsatz von indirekten und direkten Marketingkanälen wird das Transportproblem besonders verstärkt. Zum einen müssen vom Herstellers die direkt an ihn gestellten Aufträge abgewickelt werden, was entweder durch unternehmenseigene Ressourcen oder aber durch FremdȬ dienstleister geschehen kann, wobei letzteres in Deutschland der Regelfall darstellt. Zum anderen müssen Überlegungen zu verschiedenen LieferfensȬ tern, Öffnungszeiten etc. getätigt werden, die einen enormen KomplexitätsȬ zuwachs mit sich bringen.
Ausnutzung von Größeneffekten
Bei einem komplexen Mehrkanalsystem mit zahlreichen Marketingkanälen muss es Ziel des Herstellers sein, durch die Integration der logistischen SysȬ teme der einzelnen Kanäle Größeneffekte auszunutzen. So können insbesonȬ dere Größeneffekte beim Transport, z.B. durch günstigere TransportkonditioȬ nen, oder aber aufgrund der Möglichkeit zur Transportbündelung zwischen den Marketingkanälen genutzt werden. Größeneffekte und EffizienzsteigeȬ rungspotenziale lassen sich insbesondere über die kanalübergreifende BündeȬ lung und Steuerung der Distributionsprozesse sowie über deren StandardisieȬ rung erreichen. Demgegenüber müssen allerdings die nicht vernachlässigbaȬ ren Komplexitätskosten gestellt werden, die je nach Ausgestaltung und Abstimmungsgrad erheblich sein können.
1
268
Vgl. Im Folgenden Zentes/SchrammȬKlein (2007), S. 464 ff.
Distributionspolitik im Multi-Channel-Marketing
5.3
Ebenso erfolgskritisch ist bei komplexen Kanalsystemen die AuftragabwickȬ lung. Die wesentlichen Aufgaben der Auftragsabwicklung bestehen in der Aufnahme, Aufbereitung, Umsetzung, Weitergabe und Dokumentation von Auftragsdaten sowie der Information und Kommunikation zwischen den im Mehrkanalsystem beteiligten Akteuren.1 Entscheidend ist dabei, inwieweit die Informationen in den verschiedenen Kanälen zentral zusammengeführt und an geeignete Stelle weiter kommuniziert werden, damit der gesamte Prozess effizient ablaufen kann.
Effiziente AufȬ f tragsabwicklung g
Direkte Kanäle bieten dabei naturgemäß einige Vorteile, da die generierten Daten ungefiltert beim Hersteller eingehen und dieser den Auftragsablauf komplett bewältigen und vor allem kontrollieren kann. Werden hingegen auch indirekte Kanäle eingesetzt, so kann es vorkommen, dass die beteiligten AbȬ satzmittler die Auftragsabwicklung nicht zur Zufriedenheit des Herstellers oder für den Endkunden nicht bedarfsgerecht durchführen. Beim Einsatz von mehreren direkten und/oder indirekten Kanälen muss der Hersteller somit in Bezug auf die Auftragsabwicklung zwischen der Marktabdeckung durch Absatzmittler und der besseren Kontrollierbarkeit der Auftragsabwicklung abwägen, um ein optimales kundenorientiertes Mehrkanalsystem zu entwiȬ ckeln.
AuftragsabwickȬ lung in direkten und indirekten Kanälen
Der technologischen Unterstützung kommt dabei in komplexen MehrkanalȬ systemen eine wichtige Rolle zu. Besonders dann, wenn dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden soll, über viele verschiedene stationäre sowie mobile Marketingkanäle Aufträge zu platzieren. So müssen die KundenbestelȬ lungen, z. B. über Telefon, Fax, Internet oder auch Mobiltelefon, mittels InforȬ mationssystemen zunächst zusammengeführt und bearbeitet werden.2 Die Bestellungen müssen dann anschließend an entsprechende LagerȬ und VerȬ sandzentren weitergeleitet werden, von wo sie schließlich zum Händler oder Endkunden transportiert werden. In Abbildung 5Ȭ4 ist ein möglicher AufȬ tragsablauf in einem komplexen Mehrkanalsystem anhand eines KaufprozesȬ ses dargestellt.
InformationsȬ systeme koordiȬ nieren die AufȬ f tragsabwicklung
1 2
Vgl. Vastag/Schürholz (2004), S. 15 ff. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 391; Specht/Fritz (2005), S. 159 ff.
269
5 Abbildung 5Ȭ4
Distributionspolitik
Möglicher Auftragsablauf bei Beteiligung mehrere Kanäle1 Aufmerksamkeit
Verstärkung Kaufinteresse
Verkaufsvorbereitung
Kaufabschluss
Geschäfte Print-Katalog Internet-Shop Mobile Kanäle TV-Shop …
1
270
Vgl. Zentes/SchrammȬKlein (2007), S. 461.
Kundendienst
Kaufabwicklung
Kundenbetreuung
Einführung
6.1
6 Fallbeispiel Otto Basierend auf den vorangegangenen Darstellungen zum operativen MultiȬ ChannelȬMarketing soll das Praxisbeispiel der Otto Group die wesentlichen Aspekte noch einmal verdeutlichen. Einleitend wird auf die UnternehmensȬ entwicklung und die Marktposition der Otto Group eingegangen. Darauf folgt eine Diskussion der Ausgestaltung des operativen MultiȬChannelȬ Marketings strukturiert nach dem MarketingȬMix.
Abbildung 6Ȭ1
Struktur des Kapitels
Einführung
Marktüberblick
• Allgemeine Unternehmensinformationen
• Markt- und Wettbewerbsposition
• Relevanz des Multi-ChannelMarketings
• Entwicklung des Multi-ChannelMarketings
Ausgestaltung des Multi-ChannelMarketings • Produkt- und Programmpolitik • Preis- und Konditionenpolitik • Kommunikationspolitik • Distributionspolitik • Fazit
6.1
Einführung
Die heutige Otto GmbH & Co KG mit Firmensitz in Hamburg wurde 1949 als „Otto Versand“ gegründet und hat sich zu einem der führenden HanȬ delsȬ und Dienstleistungskonzerne in den Wirtschaftsräumen Europa, Asien und Nordamerika entwickelt. In den ersten zehn Jahren der FirmengeschichȬ te gelingt es dem Gründer Werner Otto, aus einem VierȬMannȬBetrieb herȬ aus ein deutschlandweit operierendes Versandhandelsunternehmen aufzuȬ 271
6
Fallbeispiel Otto
bauen. Durch den Einsatz des Hauptkatalogs sowie verschiedener SpezialȬ kataloge in Verbindung mit einer zielorientierten Kundenansprache schafft sich das Unternehmen eine sehr große Kundenbasis und expandiert bis 1960 sehr stark im Inland. In den 70er Jahren beginnt die Entwicklung des UnterȬ nehmens zu einem internationalen HandelsȬȱ und Dienstleistungskonzern. Durch den Erwerb von Anteilen anderer Versandhandelsunternehmen sowie Neugründungen im InȬ und Ausland setzt die Otto Group ihren WachsȬ tumskurs fort.1 Das Unternehmen umfasst neben dem Otto–Versandhandel Beteiligungen an 123 Gesellschaften in 19 Ländern, wie z.B. Heine, Bon Prix, Sportscheck oder Witt Weiden. Heute erwirtschaftet Otto mit rund 55.000 Mitarbeitern einen Umsatz von ca. 14,6 Mrd. €.2 Während sich das Unternehmen ursprünglich auf den Versandhandel speziȬ alisierte, hat es sich mittlerweile zu einem erfolgreichen MultiȬChannelȬ Einzelhandelsunternehmen etabliert. Neben einer starken Marke und einer konsequenten Kundenorientierung kann das MultiȬChannelȬMarketing der Otto Group als ausschlaggebend für den Erfolg des Unternehmens bezeichȬ net werden. Die Otto Group stellt damit ein Unternehmen dar, welches ein differenziertes Mehrkanalsystem aufgebaut hat und auf eine mehrjährige MultiȬChannelȬMarketingȬTradition zurückblicken kann.
6.2
Markt- und Wettbewerbsposition
Die Tätigkeitsfelder der Otto Group lassen sich in vier Segmente gliedern: MultiȬChannelȬEinzelhandel, Finanzdienstleistungen, Großhandel und SerȬ vice.3 Abbildung 6Ȭ2 stellt die vier Bereiche mit den wichtigsten KonzernbeȬ teiligungen der Otto Group überblickartig dar.
1 2 3
272
Vgl. Otto (2006c). Vgl. Otto (2006a), S. 3. Vgl. Otto (2006d), S. 8 ff.
Markt- und Wettbewerbsposition
Wichtigste Konzernbeteiligungen der Otto Group1
Abbildung 6Ȭ2
Anteilseigner
Anteilseigner
Otto-Gruppe
Familie Otto
Finanzdienstleistungen • Cofidis (40,8 %) Kreditkartenvermittlung, Individualkredite • Eos Inkassodienstleistungen • Hanseatic Bank (25 %)
WAZ-Gründerfamilien Brost und Funke
Multi-Channel-Handel Versand/Internethandel
Stationärer Einzelhandel
• • • • • • • • • • •
• Castro (51 %), 6 Shops • Crate&Barrel, 145 Shops • Bon Prix, 28 Shops • SportScheck, 17 Shops • Witt Weiden (70 Shops)
Otto-Versand Apart-Moderversand Baur-Versand (49 %) Bon Prix myToys (75 %) 3 Suisses (51 %) Schwab SportScheck Heine Witt Weiden Crate&Barrel
Service Logistik • Hermes Logistik Gruppe • Hermes Warehousing Solution • EP Europost (29 %) • PrimeMail (50 %)
Großhandel Touristik
• Actebis • Fegro/Selgros
• Reiseland Reisebürös • TravelchannelReiseportal • Flug.de
Der MultiȬChannelȬEinzelhandel, bestehend aus den Vertriebswegen KataȬ logȬ und Stationärgeschäft sowie EȬCommerce, stellt das zentrale GeschäftsȬ feld der Otto Group dar und macht ca. 9,3 Mrd. € bzw. 64 % des KonzernȬ umsatzes aus. Der Einzelhandel wird durch konsumnahe FinanzdienstleisȬ tungen, wie z. B. Konsumentenkredite, ergänzt. Hierdurch werden etwa 1,2 Mrd. € oder 8 % des Gesamtumsatzes erwirtschaftet. Darüber hinaus setzt der Großhandel ca. 3,8 Mrd. € oder 26 % und der Bereich Service, in dem die ReiseȬ und Logistikdienstleister zusammengefasst sind, in etwa 0,3 Mrd. € oder 2 % des Gesamtumsatzes um. In Bezug auf die Mitarbeiterverteilung beschäftigt der MultiȬChannelȬ Einzelhandel mit 41.800 Mitarbeitern oder 76 % den Großteil der KonzernȬ mitarbeiter. Die Bereiche Finanzdienstleistung und Service haben jeweils etwa 5.500 Mitarbeiter und vereinen damit rund 20 % der Belegschaft. Der Großhandel mit rund 2.200 Mitarbeitern bzw. 4 % macht den kleinsten AnȬ teil an der Mitarbeiterzahl aus. Abbildung 6Ȭ3 zeigt die UmsatzȬ und MitarȬ beiterstruktur im Überblick.
1
6.2
Vgl. o.V. (2006), S. 50.
273
6 Abbildung 6Ȭ3
Fallbeispiel Otto
UmsatzȬ und Mitarbeiterstruktur der Otto Group1 Umsatz in Mrd. Euro
Mitarbeiter in % Service
0,3 3 Service
Großhandel
Großhandel 4%
10%
Finanzdienstleistung
3,8
10% 9,3
1,2
76%
Finanzdienstleistung Multi-ChannelEinzelhandel
Der deutsche Versandhandelsumsatz lag 2004 bei 20,3 Milliarden €, wovon die Otto Group einen Marktanteil von etwa 11 % hält und sich damit hinter Quelle platziert (vgl. Abbildung 6Ȭ4).2 Weltweit gesehen ist die Otto Group heute die Nummer eins im Katalogversandhandel. Darüber hinaus belegt das Unternehmen den zweiten Platz im Onlinehandel und wird nur noch vom USȬamerikanischen Internethändler Amazon übertroffen.3
Abbildung 6Ȭ4
Marktanteile der Universalisten im deutschen Versandhandel (Stand 2003)4
Quelle 16% Otto Group 11% Sonstige 67%
1 2 3 4
274
Vgl. Otto (2006d). Vgl. Gohr (2005), S. 1. Vgl. Hillebrand (2004), S. 298. Vgl. o.V. (2003).
Neckermann 6%
Multi-Channel-Marketing in der Otto Group
6.3
6.3
Multi-Channel-Marketing in der Otto Group
Nachdem das Unternehmen ursprünglich mit dem Katalogversand und der Bestellung per Postkarte startete, erschloss es über die Folgejahre zunehȬ mend weitere Marketingkanäle und verfügt heutzutage über ein differenȬ ziertes Mehrkanalsystem. Die Darstellung der historischen Entwicklung des MultiȬChannelȬMarketings soll einen Überblick liefern, wie differenziert das Mehrkanalsystem der Otto Group mittlerweile ausgestaltet ist und auf welche unterschiedlichen Einkaufsmöglichkeiten ein Kunde zurückgreifen kann (vgl. Abbildung 6Ȭ5).
Abbildung 6Ȭ5
Historische Entwicklung der Einkaufsmöglichkeiten in der Otto Group 1950: Katalog
Bestellung per Postkarte auf Rechnung
1963: Telefon
Bestellungen aus dem Katalog per Telefon
1991: Teleshopping
Warenpräsentation im TV, Bestellung per Telefon
1994: CD-Rom
Warenangebot offline, verschiedene Bestellwege
1995: Internet
Warenangebot und Bestellung online
2000: M-Commerce
Sortimentsauswahl und Bestellung via Handy
2003: T-Commerce
Auswahl und Bestellung über interaktives Fernsehen
Mit zunehmender Verbreitung der technischen Innovationen des vergangeȬ nen Jahrhunderts erschlossen die Unternehmen der Otto Group zunehmend mehr Marketingkanäle.1 Bereits 1963 war es beim damaligen Otto Versand möglich, die Artikel aus dem Katalog statt wie bisher mit einer Postkarte nunmehr per Telefon zu bestellen. 1991 stieg die Einzelgesellschaft OTTO, der ehemalige Otto Versand und gleichzeitig Mutterhaus der Unternehmen der Otto Group, in das TeleshoppingȬGeschäft ein und präsentierte seine Produkte im Werbefernsehen und im Videotext. Im weiteren Verlauf der 90er Jahre eröffnete OTTO einen OnlineȬShop, der allerdings noch nicht das 1
Vgl. Hillebrand (2004), S. 298 f.
275
6
Fallbeispiel Otto
gesamte Sortiment umfasste. Dieses war kurze Zeit vorher auf CDȬRom verfügbar, was für den Kunden viele Vorteile mit sich brachte, z. B. konnte man nach spezifischen Produkten suchen anstatt viele Katalogseiten durchȬ blättern zu müssen. Vor allem in Japan, aber zunehmend auch in DeutschȬ land, treibt das Unternehmen den MȬCommerce, das mobile Einkaufen mit Handy oder PDA, voran. Seit 2005 entwickelt OTTO in Zusammenarbeit mit Microsoft eine TȬ T CommerceȬPlattform für interaktives FernsehȬShopping.1
6.4
Ausgestaltung des Multi-ChannelMarketings
Die mit dem Aufbau der MultiȬChannelȬStrategie verbundenen Vorteile wurden von der Otto Group frühzeitig erkannt und durch die kontinuierliȬ che Erschließung neuer Kanäle genutzt.2 Die MultiȬChannelȬStrategie hat erhebliche Auswirkungen auf die spezifische Gestaltung der ProduktȬ, PreisȬ , KommunikationsȬȱ und Distributionspolitik eines Unternehmens. Die konȬ kreten Ausgestaltungsformen des operativen MultiȬChannelȬMarketings der Otto Group sind Gegenstand der Ausführungen und werden anhand einzelȬ ner Beispiele genauer beschrieben.
6.4.1
Produkt- und Programmpolitik
Eine wesentliche Aufgabe im Rahmen der Produktpolitik stellt die ProduktȬ zuordnung zu den einzelnen Kanälen dar. Grundsätzlich verfolgt z.B. OTTO die Strategie, sein komplettes Sortiment, das ursprünglich über Kataloge angeboten wurde, auch über andere Marketingkanäle zu vertreiben. Eine kanalspezifische Zuordnung findet daher in nur wenigen Kanälen statt. Auch im Bereich der Markenführungsstrategie greift OTTO eher auf eine einheitliche, kanalübergreifende Markenführung zurück. In der Otto Group sind demnach einzelne Marken in mehreren Marketingkanälen bzw. verȬ schiedene Marken in einem Kanal anzutreffen. Nur wenige Gesellschaften ordnen bestimmte Produkte und Marken aufgrund von Marketingzielen und Ȭstrategien spezifischen Kanälen zu, wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen sollen. Das Modeunternehmen Zara, ein JointȬVenture der Otto Group, bietet seine Produkte ausschließlich über den stationären Einzelhandel zum Verkauf an. 1 2
276
Vgl. o.V. (2006), S. 52. o.V. (2006), S. 50.
Ausgestaltung des Multi-Channel-Marketings
Zwar wird auch das Internet als Kommunikationskanal benutzt, jedoch kann die Ware ausschließlich in den Filialen bezogen werden. Da die Mode stark auf junge Menschen ausgerichtet ist und ein Einkauf bei Zara als EinȬ kaufserlebnis für viele dieser Kunden gilt, möchte das Unternehmen dieses Image durch das ausschließliche Filialgeschäft beibehalten. Diese MarkenȬ botschaft ließe sich in anderen Kanälen, wie beispielsweise dem Internet, möglicherweise nicht in gleichem Maße transportieren. Größtenteils bietet der DiscountȬVersand Bon Prix, welcher eine 100Ȭprozentige Tochter der Otto Group ist, seine Produkte mittlerweile über viele verschiedene Optionen an. So können Kunden per Telefon, Fax oder Post und zunehmend auch online ihre Produkte bestellen. Darüber hinaus setzt Bon Prix zusätzlich auf den stationären Verkauf über eigene Shops. Festzustellen ist aber, dass bestimmte Produkte nur über das Internet zu kaufen sind. Der Grund hierfür dürfte in der flexiblen Gestaltung des ProȬ duktsortiments liegen, welche das Internet bietet. Auch das Reagieren auf saisonale Schwankungen sowie das Einsparen von Vertriebskosten über das Internet können dafür verantwortlich sein, dass das Angebot ausschließlich darüber verfügbar ist. Eine weitere wichtige Komponente der Produktpolitik stellt die ServicepoliȬ tik dar. In diesem Bereich greift OTTO überwiegend auf eine kanalübergreiȬ fende bzw. integrierte Servicepolitik zurück. Dem Kunden wird folglich die Möglichkeit eingeräumt, in den unterschiedlichen Kaufphasen ServiceleisȬ tungen über verschiedene Optionen zu nutzen. Neben der allgemeinen 24Ȭ StundenȬHotline bietet OTTO seinen Kunden gezielte Beratung in seinen stationären OTTOȬShops und darüber hinaus per EȬMail an. Zum Ausprobieren der Ware muss der Kunde nicht mehr direkt in das GeȬ schäft gehen, sondern kann auch im Internet durch eine personalisierte virȬ tuelle Anprobe Produkte testen.1 Auch im AfterȬSales Service kann der KunȬ de zwischen verschiedenen Alternativen wählen. So hat er die Möglichkeit, im Falle einer Reparatur das Produkt in ein stationäres Geschäft zu bringen, kann jedoch auch beispielsweise über das Internet oder das Telefon veranȬ lassen, dass die Ware bei ihm abgeholt wird. Mit der Hermes Logistik GrupȬ pe verfügt die Otto Group über einen Logistikdienstleister, der einen umȬ fangreichen PreȬSalesȬService, wie z. B. Bringdienst, und AfterȬSalesȬService, wie z. B. Reparaturen oder Umtausch, ermöglicht. Dazu verfügt die HermesȬ LogistikȬGruppe inzwischen über mehr als 13.000 so genannter Paketshops.
1
Vgl. Hillebrand (2004), S. 299.
277
6.4
6
Fallbeispiel Otto
6.4.2
Preis- und Konditionenpolitik
Die Otto Group bietet bewusst Geschäftskonzepte in verschiedenen PreissegȬ menten an, um unterschiedliche Kundengruppen anzusprechen. So stellt beispielsweise Bon Prix einen DiscountȬVersand im niedrigpreisigen Segment dar, welches auf den preisbewussten Kunden als klar fokussierte Zielgruppe gerichtet ist. OTTO möchte damit insbesondere modisch orientierte Frauen, deren Durchschnittsalter bei 40 Jahren liegt, ansprechen.1 Die NiedrigpreisȬ strategie von Bon Prix wurde bisher in zwölff Ländern erfolgreich umgesetzt, was sich auch darin zeigt, dass bereits fast jeder dritte Euro im AuslandsgeȬ schäft mit dieser Marke umgesetzt wird. In den einzelnen Gesellschaften erfolgt häufig eine Preisdifferenzierung zwiȬ schen den einzelnen Marketingkanälen. So kann konstatiert werden, dass insbesondere im Internetdirektvertrieb niedrigere Preise als in anderen KanäȬ len vorliegen. Vor allem das Internet wird in der Otto Group häufig dazu genutzt, die Nachfrage durch Preisaktionen zu beeinflussen. Hierdurch könȬ nen mögliche Überkapazitäten, die sich beispielsweise aufgrund von SaisonaȬ litäten ergeben haben, abgebaut werden. So bietet z. B. die Gesellschaft Schwab Versand auf ihrer Internetplattform eine eigene Rubrik „Schnäppchen“ an, in der bestimmte Artikel mit hohen DisȬ counts angeboten werden. Das Unternehmen Sportscheck, das komplett zur Otto Group gehört, ist eine weiteres Beispiel, das exklusive Sonderangebote im Internet anbietet. Dabei werden u. a. die Produkte rabattiert, die aufgrund saisonaler Aspekte aus dem Sortiment entfernt werden müssen. Beispielsweise wird im Herbst sämtliche Sommermode stark reduziert angeboten. Im GegenȬ satz zum Katalogversand kann der Onlinedirektvertrieb sehr flexibel und schnell auf mögliche äußere Einflüsse reagieren. Daher sind Preisaktionen in diesem Bereich h eher verbreitet.
6.4.3
Kommunikationspolitik
Im Rahmen der Kommunikationspolitik verfolgen die Unternehmen der Otto Group überwiegend das Ziel, eine kanalübergreifend integrierte Kommunikation anzuwenden. Dadurch soll ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen bzw. ein Bezugsobjekt des Unternehmens vermittelt werden, um einerseits eine mögliche Verwirrung und Überforderung beim Kunden zu vermeiden und andererseits die Konsistenz der Produktqualität kanalübergreifend hervorzuheben.
1
278
Vgl. o.V. (2006), S. 51.
Ausgestaltung des Multi-Channel-Marketings
So lässt sich bei vielen Gesellschaften der Otto Group feststellen, dass WerȬ beslogans und auch Firmenlogos über verschiedene Kanäle hinweg einheitȬ lich sind. Die Heine Group beispielsweise verwendet ihren Slogan „Heine Ȭ Immer etwas Besonderes“ sowohl in ihrem Katalog als auch im Internet. Auch OTTO ist mit dem Slogan „Otto ... find´ ich gut“ bekannt geworden und wendet diesen kanalübergreifend an. Zweck dieser formalen IntegratiȬ on ist die Steigerung des Wiedererkennungseffekts sowie das Erreichen einer konsistenten Wahrnehmung des Unternehmens durch die Adressaten der Kommunikation. Die integrierte Kommunikation über verschiedene Kanäle ist darüber hinaus dadurch ersichtlich, dass die meisten Gesellschaften in einem spezifischen Kanal für die anderen vorhandenen Kanäle aktiv werben. So weist beiȬ spielsweise das Unternehmen Crate&Barrel auf seiner Website auch auf die Möglichkeit des Katalogversands sowie auf die Einkaufsmöglichkeit in eiȬ nem seiner zahlreichen stationären Shops hin. Hieran lässt sich erkennen, dass eine integrierte Kommunikation über unterschiedliche MarketingkanäȬ le unabdingbar ist, wenn man den Kunden, der verschiedenartige Kanäle zum Einkauf nutzt, nicht verwirren möchte. Im Rahmen der Kommunikationsstrategie setzen die Unternehmen der Otto Group in den verschiedenen Marketingkanälen dem Geschäftsmodell entȬ sprechend sowohl auf PushȬȱ(z. B. Kataloge oder eMailȬNewsletter) als auch auf PullȬStrategien (z. B. OnlineȬShop) ein. Das Unternehmen investiert demnach erhebliche Beträge in Werbung und Verkaufsförderung, um so beim Endabnehmer eine Nachfrage nach den Produkten zu schaffen. Ein Verkauf kommt in der Regel nur dann zustande, wenn der Kunde selbst aktiv wird. So erfolgt beispielsweise die Zusendung eines Katalogs auf AnȬ frage des Kunden und für eine eventuelle Bestellung per Postkarte oder Telefon muss dieser von sich aus aktiv werden. Auch der Verkauf über InȬ ternet, Handy oder Fernsehen wird vom Kunden selbst ausgelöst.
6.4.4
Distributionspolitik
Gerade vor dem Hintergrund zahlreicher unterschiedlicher Marketingkanäle stellt die Distribution der Produkte eine zentrale Aufgabe im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings für die Otto Group dar. Vor allem die WarenlageȬ rung, Kommissionierung sowie die Lieferung des durch den Kunden bestellȬ ten Produkts zur gewünschten Zeit zum gewünschten Ort stellen im RahȬ men des Mehrkanalsystems große Herausforderungen dar. Insbesondere für Versandhändler ist der logistische Aufwand vergleichsweise groß.
279
6.4
6
Fallbeispiel Otto
Mit der Hermes Warehousing Solutions GmbH (HWS) verfügt die Otto Group über eine Tochter, die umfangreiche WarehousingȬDienstleistungen überȬ nimmt. Die Bestellungen über unterschiedliche Medie, wie z. B. Telefon, Fax, Internet oder auch Mobiltelefon, werden von einem CallcenterȬMitarbeiter über ein spezielles EDVȬ V Programm zusammengeführt und bearbeitet.1 VerȬ schiedene Versandzentren in Deutschland sind für die Lagerhaltung unterȬ schiedlicher Produkte zuständig. HWS teilt dabei die Produkte in die vier Segmente kleinvolumig, mittelgroß, groß und hängende Konfektion ein. Die Kundenbestellungen werden an das entsprechende Warenversandlager weiȬ tergeleitet.2 Für die sich an die Warenlagerung und Kommissionierung anschließende Lieferung besitzt die Otto Group mit dem Hermes Paket Dienst, das bereits im Jahr 1972 von der Otto Group gegründet wurde, einen sehr kompetenten Partner. Durch Hermes hat die Otto Group einen strategisch wichtigen VorȬ sprung gegenüber seinen Wettbewerbern. Der Lieferdienst zeichnet sich insbeȬ sondere durch eine hohe Kundenorientierung aus. Die Einführung neuer Services, wie beispielsweise 24ȬStunden Service, Hängeversand, WunschterȬ min sowie bei großen Einrichtungsgegenständen die Montage und bei ElektȬ rogeräten die Reparatur, bieten der Otto Group einen erheblichen WettbeȬ werbsvorteil.3 Hermes bietet mittlerweile auch Logistikdienstleistungen für Kunden außerhalb des Konzerns an.4 Der Distributionserfolg der Otto Group hängt auch vor allem davon ab, wie gut die verschiedenen Marketingkanäle miteinander vernetzt und aufeinander abgestimmt sind. Da der heutige Kunde immer mehr dazu übergeht, in mehȬ reren Kanälen Einkäufe zu tätigen oder auch Produktrückgaben zu veranlasȬ sen, müssen die einzelnen Kanäle so aufeinander abgestimmt sein, dass die Lieferungen bzw. die Retourenannahmen effizient und schnell erfolgen könȬ nen. Zentrale Warenwirtschaftssysteme sind daher von großer Bedeutung und werden in der Otto Group eingesetzt.
6.5
Fazit
Seit seiner Entstehung im Jahr 1949 als einfacher KatalogȬVersandhandel hat sich die Otto Group kontinuierlich zu einem MultiȬChannelȬUnternehmen entwickelt, das mittlerweile über zahlreiche Marketingkanäle seine Produkte
1 2 3 4
280
Vgl. Otto (2005). Vgl. Otto (2006b). Vgl. Otto (2006b). Vgl. o.V. (2006), S. 52.
Fazit
vertreibt. Die Ausgestaltung des MultiȬChannelȬMarketings spielt auch in der Otto Group eine wichtige Rolle und stellt eine entscheidende ErfolgsȬ komponente dar. Im Rahmen der Produktpolitik führen die Unternehmen der Otto Group eher eine kanalübergreifende ProduktȬ und Markenstrategie. Nur selten werden die Sortimente kanalspezifisch angepasst. Bezüglich der Preispolitik verfolgen die Unternehmen der Otto Group überwiegend eine auf das UnȬ ternehmenskonzept abgestimmte Preispolitik. So verfügt die Otto Group über Gesellschaften in unterschiedlichen Preissegmenten, um verschiedene Kundenschichten anzusprechen. Auch innerhalb einer Gesellschaft wird bei Bedarf zwischen den verschiedenen Kanälen preislich differenziert. So bietet z. B. der Internetdirektvertrieb häufig einen Preisvorteil gegenüber anderen Kanälen. Die Kommunikationspolitik der Unternehmen der Otto Group ist überwieȬ gend durch eine kanalübergreifend integrierte Kommunikation gekennȬ zeichnet. Hinsichtlich der Distributionspolitik wurde auf das WarehousingȬ Angebot und die Lieferdienste der Hermes Logistik Gruppe eingegangen, die durch ihre hohe Kundenorientierung einen komparativen WettbewerbsȬ vorteil für die Otto Group verschaffen können.
281
6.5
Teil E Koordination des MultiȬ ChannelȬMarketings
Fazit
6.5
1 Einführung Für den MultiȬChannelȬMarketingȬErfolg spielt die Koordination des MehrȬ kanalsystems, wie bereits an verschiedenen Stellen in diesem Buch angeȬ führt, eine zentrale Rolle. Durch die Abstimmung der ProduktȬ und InforȬ mationsflüsse zwischen den einzelnen Marketingkanälen wird das Ziel verfolgt, das MultiȬChannelȬMarketingȬManagement zu optimieren. In dieȬ sem Zusammenhang kommt vor allem der Gestaltung des MarketingkanalȬ mix eine größere Bedeutung zu, so dass Wechselwirkungen zwischen den Kanälen berücksichtigt und Beziehungen gezielt gestaltet werden können. Teil E widmet sich daher den in Verbindung mit der Koordination eines Mehrkanalsystems zentralen Aspekten. Kapitel 2 geht zunächst auf die BeȬ deutung von InformationsȬ und Kommunikationssystemen im MultiȬ ChannelȬMarketing ein. Daran schließt sich in Kapitel 3 eine Darstellung der wichtigsten Inhalte des ChannelȬRelationshipȬManagements an. Kapitel 4 befasst sich danach mit den relevanten Organisationsformen des MultiȬ ChannelȬMarketings. Abschließend wird in Kapitel 5 auf das KomplexitätsȬ management als wichtige Facette der Koordination des MultiȬChannelȬ Marketings eingegangen. In Abbildung 1Ȭ1 ist die Struktur des Teils D darȬ gestellt.
Abbildung 1Ȭ1
Struktur des Teil E Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-ChannelMarketing • Einführung • ECR im Multi-ChannelMarketing • Technische Ausgestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen
Channel-RelationshipManagement
Organisationsformen des Multi-ChannelMarketings
Komplexitätsmanagement
• Verhaltensbeziehungen im Mulit-Channel-Marketing
• Organisationsfelder des Multi-Channel-Marketing
• Ursachen der Komplexität
• Instrumente der Verhaltenssteuerung
• Organisatorische Differenzierung
• Komplexitätsreduktion und beherrschung
• Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
• Organisatorische Integration
• Folgen der Komplexität
Nach einer kurzen Einführung zu den Aufgaben von Informationssystemen wird im ersten Kapitel ausführlich auf das Konzept des Efficient Consumer Response eingegangen. Darüber hinaus wird auf die technische AusgestalȬ tung von InformationsȬ und Kommunikationssystemen eingegangen.
285
InformationsȬȱ und KommunikaȬ tionssysteme im MultiȬChannelȬ Marketing
1
Einführung
ChannelȬ RelationshipȬ Management
Im Rahmen des ChannelȬRelationshipȬManagements befasst sich das zweiȬ ten Kapitel zunächst mit den zentralen Aspekten hinsichtlich der VerhalȬ tensbeziehungen im MultiȬChannelȬMarketing. Anschließend werden die wichtigsten Instrumente der Verhaltenssteuerung vorgestellt. Das Kapitel endet mit Ausführungen zum Konfliktmanagement im MultiȬChannelȬ Marketing.
OrganisationsȬ formen des MulȬ tiȬChannelȬ Marketings
Das dritte Kapitel thematisiert zunächst die wesentlichen OrganisationsfelȬ der des MultiȬChannelȬMarketings, wobei vor allem auf die verschiedenen Formen der Kanalorganisation eingegangen wird. Daran schließt sich eine Darstellung der beiden grundlegenden Instrumente der Organisation an. Zum einen handelt es sich hierbei um die organisatorische Differenzierung und zum anderen um die organisatorische Integration. In diesem ZusamȬ menhang werden Organisationsmodelle erläutert, die eine besondere ReleȬ vanz für das MultiȬChannelȬMarketing besitzen.
KomplexitätsȬ management
Das vierte und letzte Kapitel des Teils E beschäftigt sich schließlich im RahȬ men des Komplexitätsmanagements zunächst mit den Ursachen und anȬ schließend mit den Folgen der Komplexität. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der wichtigsten Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion und Ȭbeherrschung in einem Mehrkanalsystem ab.
286
Fazit
2 Informations- und Kommunikationssysteme im MultiChannel-Marketing
Durch die Verwendung mehrerer Marketingkanäle steigt die Komplexität des Vertriebsgeschehens und damit die Anforderungen an Koordination und Management. Hierbei sind nicht nur Produkte und Services zu koordiȬ nieren, sondern insbesondere Informationen, mit denen die Nutzung eines Marketingkanals unter Einbeziehung unterschiedlicher Akteure erst möglich wird.1 Wenn mehrere Marketingkanäle parallel genutzt werden, potenziert sich der Aufwand für die Koordination von WarenȬ, GeldȬ und InformatiȬ onsströmen, die zwischen den Anbietern und Nachfragern fließen. Das ganzheitliche Kanalmanagement erfordert daher die Gewinnung, Analyse und Bewertung zeitnaher und zutreffender Informationen, um den InformaȬ tionsbedarf von Entscheidungsträgern des Managements in optimaler Weise zu decken und ihnen bei Entscheidungen im Mehrkanalsystem zu helfen.2 Im MultiȬChannelȬMarketing ist der Informationsaustausch somit ein weȬ sentlicher Erfolgsfaktor. Das Kapitel widmet sich daher den zentralen AsȬ pekten und Erfolgsfaktoren eines entsprechenden InformationsȬ und KomȬ munikationssystems. Abschnitt 2.1 stellt Aufgaben und Aufbau von InformationsȬȱ und KommuȬ nikationssystemen heraus. Danach fokussiert Abschnitt 2.2 auf das so geȬ nannte Efficient Consumer Response – System, welches im Rahmen von InforȬ mationsȬ und Kommunikationssystemen für das Management der InformaȬ tionsflüsse im MultiȬChannelȬMarketing genutzt werden kann. Das Kapitel endet unter 2.3 mit einer Darstellung unterschiedlicher technischer AusgesȬ taltungsmöglichkeiten für InformationsȬ und Kommunikationssysteme. Abbildung 2Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
1 2
Vgl. von der Oelsnitz (2006), S. 44. Vgl. Specht (1998), S. 239.
287
6.5
2 Abbildung 2Ȭ1
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Struktur des Kapitels
• Aufgaben und Aufbau eines Informations- und Kommunikationssystems • Informationsressourcen im Multi-Channel-Marketing
2.1
Technische Ausgestaltung
Efficient Consumer Response
Einführung
• Category Management • Effiziente Warenversorgung • Effiziente Verkaufsförderung
• Technische Anforderungen an Informationssysteme • Datenaustausch • Datenintegration
• Kooperative Neuproduktentwicklung
Einführung
Zuerst erfolgt die Betrachtung grundlegender Rahmenbedingungen von InformationsȬ und Kommunikationssystemen. Hierzu wird in einem ersten Schritt aufgezeigt, für welche Aufgaben InformationsȬȱund KommunikationsȬ systeme eingesetzt werden. Zudem werden die grundlegenden Bestandteile eines InformationsȬ und Kommunikationssystems dargelegt, die zur ErfülȬ lung der Aufgaben notwendig sind. In einem zweiten Schritt werden die in einem InformationsȬ und Kommunikationssystem anfallenden InformationsȬ ressourcen beschrieben.
2.1.1 Funktionale Aufgabe
Aufgaben und Aufbau von Informations- und Kommunikationssystemen
Für das Management eines Marketingsystems sind verschiedene Arten von Informationen von wesentlicher Bedeutung.1 Grundsätzlich kann hierbei anhand der Aufgaben des MultiȬChannelȬMarketings analysiert werden, welche Entscheidungen und Koordinationsprozesse zu leisten sind und welche Informationen hierfür notwendig sind. Dies ist Thema des folgenden Abschnitts 2.1.2. An dieser Stelle genügt es, festzuhalten, dass InformationsȬ und Kommunikationssysteme Informationen als Ressource zur VorbereiȬ tung und Unterstützung von Entscheidungen bereitstellen sollen.2 Dies wird auch als funktionale Aufgabe eines InformationsȬ und KommunikationssysȬ tems bezeichnet.3
1 2 3
288
Vgl. König/Ludwig (1993), S. 405 f.; Specht (1998) S. 241. Vgl. Krcmar (2003), S. 32. Vgl. Heinrich/Lehner (2005), S. 8.
Einführung
2.1
In einem Informationssystem werden somit Informationen zwischen verȬ schiedenen Akteuren im Marketingkanal ausgetauscht. Hierzu gehören neben der Beschaffung und Verbreitung der Daten auch die DatenverarbeiȬ tung sowie die Bereitstellung der dazu erforderlichen Infrastruktur.1 Diese beziehen sich auf abstrakter Ebene auf alle informationstechnologischen Voraussetzungen, genauer die hardȬȱ und softwaretechnischen Systeme, durch die der Informationsfluss geleitet wird. Man bezeichnet diese Systeme auch als den institutionellen Teil des InformationsȬ und KommunikationsȬ systems.2
Institutionelle Aufgabe
Zusammenfassend hat ein InformationsȬ und Kommunikationssystem die Aufgabe, Informationen zu sammeln, aufzubereitet und zu transferieren. Dazu müssen ITȬ T Systeme bereit gestellt werden, welche die Abwicklung der funktionalen Aufgaben ermöglichen. Hieraus ergeben sich in jedem AufgaȬ benbereich spezifische Anforderungen an Leistungen des InformationsȬ und Kommunikationssystems. So werden für einen spezifischen InformationsȬ einsatz (beispielsweise im MarketingȬControlling) bestimmte Informationen benötigt. Diese müssen im InformationsȬ und Kommunikationssystem bereit gestellt werden, d. h. erstens müssen sie erfasst worden und zweitens bei Bedarf abrufbar sein. Gleichzeitig stellen die Informationssysteme bestimmȬ te Anforderungen an die ITȬ T Infrastruktur.
Anforderungen und UnterstütȬ t zungsleistungen
Abbildung 2Ȭ2 stellt Wollniks (1988) Systematisierung des InformationsmaȬ nagements dar. Hierbei zeigt sich, dass die Anforderungen von der Ebene des Informationseinsatzes an die Ebene der Informationssysteme gestellt werden, und diese Ebene wiederum Anforderungen an die InformationsȬ und Kommunikationstechologien stellt. In den folgenden Abschnitten werȬ den die Ebenen genauer beleuchtet. Auf der Ebene des InformationseinsatȬ zes ist zu spezifizieren, welche Informationsressourcen für das MultiȬ ChannelȬMarketing relevant sind und wie diese gewonnen und verarbeitet werden können. Die zweite Ebene der Informationssysteme bezieht sich auf das Management dieser Informationsressourcen im Rahmen eines MarkeȬ tingȬInformationsmanagements, beispielsweise dem in Abschnitt 0 dargeȬ stellten Efficient Consumer ResponseȬProgramms. Die unterste Ebene der InformationsȬ und Kommunikationsinfrastruktur stellt die technischen SysȬ teme dar, welche die Nutzung der Informationsressourcen ermöglichen.
1 2
Vgl. Gutenschwager/Voss (2001), S. 1 ff. Vgl. Heinrich/Lehner (2005), S. 8.
289
2 Abbildung 2Ȭ2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Ebenenmodell des Informationsmanagements1
Ebene des Informationseinsatzes Anforderungen Unterstützungsleistungen
Ebene der Informations- und Kommunikationssysteme Anforderungen Unterstützungsleistungen
Ebene der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur
2.1.2
Informationsressourcen im Multi-ChannelMarketing
Channel Flows als InformationsȬ ströme
In diesem Abschnitt werden die für den Informationseinsatz relevanten Informationsressourcen dargestellt. Hierfür wird auf die in Abschnitt B 3.3 dargelegten Channel Flows zurückgegriffen. Diese stellen unterschiedliche Austauschbeziehungen zwischen den beteiligten Akteuren dar und beziehen sich einerseits auf die Koordination der physischen Güterströme vom HerȬ steller bis zum Endkunden und die dazugehörigen Geldströme, andererseits auch auf die für diesen Abschnitt relevanten Informationsströme. Die in den Informationsströmen fließenden Einheiten können als InformationsressourȬ cen bezeichnet werden. Der in diesem Kapitel dargestellten Kategorisierung der Informationsressourcen werden daher die Informationsflüsse, der VerȬ kaufsförderungsfluss, der Verhandlungsfluss, der Kundeninformationsfluss und der Bestellfluss, zugrunde gelegt.2
Flussrichtung der Channel Flows
Die vier genannten Informationsflüsse stellen den Informationsaustausch in einem Marketingkanal dar. Hierbei fließen Informationen zwischen allen Beteiligten im Absatzprozess, also zwischen Hersteller und GroßȬ händler, Großhändler und Einzelhändler, Einzelhändler und Kunden oder in einem direkten Kanal zwischen Hersteller und Endkunden. Gleichzeitig ist es im Rahmen eines integrierten MultiȬChannelȬMarketings notwendig, einen Informationsfluss zwischen den einzelnen Kanälen aufzubauen. Somit können zwei grundlegende Typen des Informationsflusses unterschieden werden:3 1 2 3
290
In Anlehnung an Wollnik (1988); nach Krcmar (2003), S. 38. Vgl. Kapitel B 2.3 sowie Rosenbloom (2004), S. 15 f. Vgl. hierzu auch Nunlee (2005), S. 515.
Einführung
2.1
InterȬChannelȬFlows sind Informationsflüsse zwischen unterschiedliȬ chen Kanälen im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem.
IntraȬChannelȬFlows sind Informationsflüsse, die innerhalb eines speziȬ fischen Marketingkanals stattfinden. Im Rahmen der IntraȬChannelȬFlows laufen die Informationen im Kanal in beide Richtungen – sowohl vom Hersteller zum Kunden als auch umgeȬ kehrt. Es ist daher eine weitere Kategorisierung der Informationsflüsse auf Basis der Informationsquelle möglich:1
Downstream Flows, nach unten gerichtete Informationsflüsse, beinhalȬ ten Informationen, die von einem Herstellerunternehmen an seine KunȬ den, wie z. B. Absatzmittler und Endkunden, weitergegeben werden.
Upstream Flows, nach oben gerichtete Informationsflüsse, beinhalten Informationen, die von den Kunden (Absatzmittlern) zu einem HerstelȬ lerunternehmen fließen. Abbildung 2Ȭ3 stellt die möglichen Informationsflüsse in drei vereinfachten Marketingkanälen durch schwarze Pfeile dar. Hierbei wird deutlich, dass die eben genannte Klassifizierung in UpȬ, und DownstreamȬFlows alle InformaȬ tionsflüsse innerhalb der Kanäle abbildet. Gleichzeitig ist es im MultiȬ ChannelȬMarketing notwendig, zwischen den einzelnen Kanälen InformatiȬ onen auszutauschen, weswegen zusätzlich zu den vertikalen IntraȬChannelȬ Flows auch die horizontalen InterȬChannelȬFlows dargestellt sind.
1
Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 291.
291
KanalübergreiȬ fende InformatiȬ onsströme
Abbildung 2Ȭ3
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Systematisierung der Informationsflüsse im MultiȬChannelȬMarketing Kanal 1
Kanal 2
Kanal 3
Downstream Flows
Hersteller
Großhändler
Großhändler
Einzelhändler
Einzelhändler
Endkunde
Endkunde
Inter-Ch hann nel-Flows
Unidirektionale Information Flows im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Endkunde
Upstream Flows
2
IntraChannelFlows
Anhand der in Abbildung 2Ȭ3 dargestellten Kategorisierung der InformatiȬ onsflüsse lassen sich nun die für das MultiȬChannelȬMarketing relevanten Informationsressourcen (VerkaufsförderungsȬ, VerhandlungsȬ KundeninȬ formationsȬ und Bestellfluss) einordnen. Wie Tabelle 2Ȭ1 zeigt, liegen im MultiȬChannelȬMarketing monoȬ und multidirektionale Informationsflüsse vor. Der Verkaufsförderungsfluss dient dazu, potenzielle Kunden über ProȬ dukte zu informieren, sie davon zu überzeugen und sie so zu einem Kauf zu bewegen.1 Insofern ist dieser Flow kanalabwärts, also auf den Kunden geȬ richtet. Ebenfalls unidirektional ist der Bestellfluss, der nur kanalaufwärts läuft – vom Kunden, der bestellt, über eventuell vorhandene Absatzmittler hin zum Herstellerunternehmen.2
1 2
292
Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 90. Vgl. Berman (1996), S.6.
Einführung
Die komplexeren Informationsflüsse der Kundeninformation und der VerȬ handlungen sind differenzierter zu betrachten. So fließen die für VerhandȬ lungen relevanten Informationen im Gegensatz zur Verkaufsförderung und den Bestellungen nicht nur kanalaufȬȱ oder abwärts, sondern bidirektional: So fließen Informationen vom Hersteller an einen Absatzmittler, und dann zu Kunden, aber auch wieder vom Kunden über den Absatzmittler an den Hersteller zurück. Zudem werden die Verhandlungsinformationen mitunter zwischen unterschiedlichen Kanälen ausgetauscht, so dass auch ein InterȬ ChannelȬFlow zu finden ist. Dies geschieht beispielsweise bei einer InternetȬ bestellung, die aus einem beliebigen Grund vom Hersteller nicht erfüllt werden kann. In diesem Falle könnten die Informationen in ein CallȬCenter übergeben werden, welches den Kunden dann telefonisch informiert.1
2.1 MultidirektionaȬ le Information Flows
Auch die Kundeninformationen laufen nicht nur upstream, sondern werden im Rahmen eines effizienten Customer Relationship Management zwischen den Kanälen ausgetauscht, um durch ein integriertes, zentrales MarketingȬ Informationssystem detaillierte und zielgerichtete Analysen und AuswerȬ tungen für einzelne Marktengagements durchführen zu können.2 Tabelle 2Ȭ1 zeigt die unterschiedlichen Informationsflüsse und ihre Richtungen.
Tabelle 2Ȭ1
Einordnung der Informationsflüsse InterChannel
Verkaufsförderungsfluss
Intra-Channel upstream
(x)
x
Verhandlungsfluss
x
x
Kundeninformationsfluss
x
x
(x)
x
Bestellfluss
downstream
x
Wie im Kapitel 3 des Teil B einführend dargelegt wurde, ist die Integration der einzelnen Informationsflüsse in und zwischen den unterschiedlichen Kanälen eines MultiȬChannelȬMarketingȬSystems von besonderer BedeuȬ tung. Dabei muss diese Integration sowohl intern im eigenen Unternehmen als auch extern zwischen den einzelnen Akteuren im Marketingkanal erȬ reicht werden. Auf diese Weise können die gewonnenen Informationen
1 2
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 15. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 222; Rosenbloom (2004), S. 15.
293
Integration des InformationsmaȬ nagements
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
derart analysiert, bewertet und weitergegeben werden, dass sie den EntȬ scheidungsträger bei Marketingentscheidungen mit relevantem Wissen unterstützen. Langfristige und kooperative Beziehung der Akteure wichtig
Sind mehrere Akteure am Aufbau und Betrieb eines Informationssystems beteiligt, ist es für den langfristigen Erfolg sehr wichtig, dass eine kooperatiȬ ve Beziehung zwischen den einzelnen Akteuren besteht. Nur so kann es zu einem vertrauensvollen Datenaustausch kommen, der in vielen Fällen zu einem Wettbewerbsvorteil der Beteiligten führt.1 Schafft es der Hersteller nicht, die Informationssysteme in den einzelnen Marketingkanälen zu integȬ rieren, läuft er Gefahr, dass der Handel die Informationen als Druckmittel gegen ihn verwendet und insgesamt eine zunehmende Informationsmacht aufbaut.2 Ein weiteres Problem für den Hersteller kann dann entstehen, wenn der Handel dem Hersteller bestimmte Informationen vorenthält. In vielen Fällen gibt der Handel beispielsweise keine Verkaufszahlen gegenȬ über dem Hersteller preis, was zur Folge hat, dass der Hersteller nicht schnell und flexibel genug auf Marktveränderungen reagieren kann.
Ganzheitliches InformationsmaȬ nagement zur Überwindung der Risiken
Um diesen Risiken entgegenzuwirken muss der Hersteller dem Handel den Nutzen einer Kooperation verdeutlichen und eine Verbindung der InformaȬ tionssysteme von Handel und Industrie zu einem Gesamtsystem anstreben.3 Für eine derartige Kooperation bietet sich die Nutzung des Efficient ConsuȬ mer Response (ECR) – Konzepts an, welches die Kooperation zwischen Herstellern und deren Vertriebspartnern verbessern soll. Durch eine ganzȬ heitliche Steuerung der Informationsflüsse soll eine Minimierung der TransȬ aktionskosten und eine Optimierung des Warenflusses erreicht werden.
2.2 Efficient ConsuȬ mer Response als InformationssysȬ tem
ECR im Multi-Channel-Marketing
Das Management der Informationssysteme stellt die zweite Ebene des InȬ formationsmanagementmodells dar, welches in diesem Abschnitt anhand des Efficient Consumer ResponseȬProgramms im MultiȬChannelȬMarketing dargestellt wird. Bevor in den einzelnen Abschnitten 2.2.1 bis 2.2.4 die KomȬ ponenten des Programms erläutert werden, wird einleitend das hinter EffiȬ cient Consumer Response stehende Konzept kurz umrissen.
1 2 3
294
Vgl. Berman (1996), S. 291. Vgl. im Folgenden Specht (1998), S. 259. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 885 f.
ECR im Multi-Channel-Marketing
2.2
Grundsätzlich stellt Efficient Consumer Response ein Rahmenkonzept zur unternehmensübergreifenden Optimierung des GüterȬ und InformationsȬ flusses zwischen Industrie und Handel bis zum Endabnehmer dar.1 Es baȬ siert auf der Idee, dass eine Kooperation zwischen Herstellerunternehmen und Handel in Form einer Wertschöpfungspartnerschaft für beide Seiten profitabel sein kann. Ziel einer solchen Kooperation ist die Schaffung einer WinȬWinȬSituation, indem die (TransaktionsȬ) Kosten in der WertschöpȬ fungskette minimiert werden und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit maximiert wird.2
Kooperation zwischen HerȬ r steller und HanȬ del
Das Ziel der Verbesserung der Kundenzufriedenheit soll durch die ZusamȬ menarbeit bei der Optimierung des WarenȬȱ und Informationsflusses im Marketingkanal erreicht werden. Erkennt der Hersteller den Bedarf des Kunden möglichst präzise und schnell, so ist es ihm möglich, diese Wünsche besser und kostengünstiger zu erfüllen.
Verbesserung der KundenzufrieȬ denheit
Darüber hinaus stellt die Senkung der Transaktionskosten ein weiteres Ziel dar, welches durch die unternehmensübergreifende Optimierung der geȬ samten Lieferkette und den Abbau nicht wertschöpfender Aktivitäten zu erreichen versucht wird.3 Dabei kommt vor allem den Lagerhaltungskosten eine bedeutende Rolle zu. Hohe Lagerbestände sind zum Teil auf InformatiȬ onsdefizite zwischen Hersteller und Handel zurückzuführen. Durch den Abbau dieser Defizite können Lagerkapazitäten und folglich LagerhaltungsȬ kosten reduziert werden.4
Senkung der TransaktionsȬ kosten
Damit die Effizienz und Produktivität der gesamten Logistikkette erhöht und die oben beschriebenen Ziele erreicht werden können, ist neben der gemeinsamen Analyse der gesamten Wertschöpfungskette insbesondere der Austausch interner und externer Daten im Rahmen einer lückenlosen IntegȬ ration der Informationskette wichtig. Hierfür greift man auf elektronische Datenaustauschsysteme zurück, deren verschiedene AusgestaltungsmögȬ lichkeiten unter 2.3 beschrieben werden. An dieser Stelle werden zunächst die vier Basisstrategien des Efficient Consumer Response vorgestellt, die in den folgenden Abschnitten einer Analyse unterzogen werden:5
Integration der InformationsȬ kette
Sortimentsgestaltung: Die effiziente Sortimentsgestaltung verfolgt das Ziel, Produkte so zu Kategorien zusammenzufassen und im Handel gemeinsam zu gruppieren, dass bestimmte Bedürfnisse des Kunden berücksichtigt werden können. Dieses Konzept, das auch als „Category Management“ bezeichnet wird, findet in Abschnitt 2.2.1 eine genauere Betrachtung. 1 2 3 4 5
Vgl. Fischer/Städler (1998), S. 249 ff. Vgl. Seifert (2001), S. 52 f.; Syring (2004), S. 19 ff. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 115. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 885 f. Vgl. im Folgenden Homburg/Krohmer (2006), S. 888.
295
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Efficient Replenishment: Die kontinuierliche, effiziente Nachbestellung („Efficient Replenishment“) soll Lagerhaltungskosten abbauen und gleichzeitig die Verfügbarkeit aller vom Kunden gewünschten Produkte garantieren. Um dies zu erreichen, müssen alle Zulieferer im MarketingȬ kanal, also Hersteller und Großhändler, mit Hilfe elektronischen DatenȬ austauschs über das Nachfrageverhalten ihrer Kunden informiert werȬ den.1 Die Inhalte werden in Abschnitt 2.2.2 genauer beleuchtet.
Verkaufsförderung: Im Rahmen der effizienten Verkaufsförderung („EfȬ ficient Promotion“) entwickeln Hersteller und Händler ein gemeinsames Verkaufsförderungskonzept, das mit den Marketingzielen der Beteiligten übereinstimmt.2 Hierbei sollen verkaufsförderungsbedingte MengenȬ schwankungen vermieden sowie Effizienz und Effektivität der Aktionen gesteigert werden. Abschnitt 2.2.3 ist diesem Kooperationsfeld gewidȬ met.
Produktentwicklung und –einführung: Bei der effizienten ProduktentȬ wicklung undȱȬeinführung kooperieren Hersteller und Handel bereits in der Phase der Produktentwicklung, z. B. durch gemeinsame MarktforȬ schung, um die Erfolgschancen bei der Produkteinführung zu erhöhen („Efficient Product Introduction“).3 In Abschnitt 2.2.4 werden die zentraȬ len Aktivitäten hierbei beschrieben.
2.2.1
Category Management
Die zentrale Komponente des im Abschnitt zuvor beschriebenen Efficient Consumer ResponseȬKonzepts ist das „Category Management“ oder auch Warengruppenmanagement. Im Rahmen dieses Konzepts, welches eine Weiterentwicklung des Produktmanagements darstellt, werden mehrere zusammengehörige Produkte zu Produktkategorien unter einer ZuständigȬ keit gebündelt, um so eine möglichst effiziente Sortimentsgestaltung zu erreichen.4 Dabei handelt es sich um einen gemeinsamen Prozess von HerȬ stellern und Handelsunternehmen, bei dem Produktgruppen als strategische Geschäftseinheiten bzw. Profit Center betrachtet und insbesondere nach kundenorientierten Aspekten gebildet werden.5
1 2 3 4 5
296
Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 515. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 116. Vgl. Coughlan et al. (2001), S. 515. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 74. Vgl. Specht (1998), S. 256 f.
ECR im Multi-Channel-Marketing
Da beim Category Management der Kunde im Mittelpunkt der Betrachtung steht, zeichnet sich hier eine Warengruppe dadurch aus, dass die enthalteȬ nen Artikel aus der Sicht des Kunden als zusammengehörig betrachtet werȬ den. Eine solche Produktkategorie beinhaltet daher eine nach bestimmten Kriterien homogene Gruppe von Artikeln.1 Sie dienen der Befriedigung additiver Kundenwünsche, d. h., dem Kunden werden „zusammen passenȬ de“ Produkte auch gemeinsam präsentiert, um sein Einkaufsverhalten posiȬ tiv zu beeinflussen. Die so entstehenden strategisch bedeutsamen ProduktȬ gruppen, können dabei nach folgenden Kriterien zusammengefasst werden:2
2.2 Kunden im MitȬ t telpunkt
Verwendungszusammenhang, Substitutionsbeziehungen zwischen den Produkten, Suchverhalten der Konsumenten am PointȬofȬSale und Logistische Erfordernisse. Für das Management eines Mehrkanalsystems stellt das Category ManageȬ ments ein wichtiges Instrument dar. Es reicht meist nicht mehr aus, einzelne Produktmarken in den Marketingkanälen zu fördern, sondern der Fokus muss stärker auf dem Aufbau und der Steuerung von ganzen WarengrupȬ penmarken liegen.3 Diese Aufgabe erfüllt das Category Management bei gleichzeitiger Einbeziehung des Handels und der Endkunden. Für die KunȬ den werden nicht mehr nur einzelne Produkte attraktiv, sondern ganze ProȬ duktgruppen, was den Absatz steigert und gleichzeitig die KundenzufrieȬ denheit erhöht, weil langes Suchen obsolet wird.
Category y Management im MehrkanalȬ system
Hierbei ist zu beachten, dass durch die Schaffung von Kategorien auch Grenzen gesetzt werden: So ist bei einem neuen Produkt nicht nur auf eine hohe Kaufkraft und hohen Bedarf abzuzielen, sondern es ist gleichzeitig darauf zu achten, dass die neuen Produkte in die vorhandene WarengrupȬ penstruktur des Handel integriert werden kann. Die Herausforderung an das MultiȬChannelȬMarketing besteht demnach darin, eine Kompatibilität der eigenen Produktkategorien in den einzelnen Marketingkanälen mit jenen des Handels sicherzustellen.4
KompatibilitätsȬ problem
Um die Absatzmittler und die gebildeten Kategorien aufeinander abzuȬ stimmen, sollte das Herstellerunternehmen ein methodisches und kontinuȬ ierliches Category Management betreiben. Bei der Ermittlung der relevanten Kategorien kann der im Folgenden dargelegte, zyklische Prozess zugrunde gelegt werden. Er zeigt die einzelnen Schritte im Category Management auf,
Category ManaȬ gement als zykliȬ scher Prozess
1 2 3 4
Vgl. Holzkämper (1999), S. 68; Syring (2004), S. 20. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1172. Vgl. Specht (1998), S. 257. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 75.
297
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
die sequentiell durchgeführt werden. Der Prozesses muss kontinuierlich wiederholt werden, damit das Herstellerunternehmen den sich ständig verändernden Gegebenheiten des Marktumfeldes gerecht werden kann. Die Zielsetzung hierbei ist die Sicherstellung einer strukturierten Planung und Implementierung des Category Managements.1 Abbildung 2Ȭ4 stellt den PlanungsȬȱund Implementierungsprozess des Category Managements dar.
Abbildung 2Ȭ4
PlanungsȬ und Implementierungsprozess des Category Managements2
Implementierung
CategoryReview
CategoryTaktik CategoryC D Definition CategoryStrategie
CategoryScorecard
CategoryRollen CategoryAssessment
In Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings kann der in Abbildung 2Ȭ4 dargeȬ stellte Prozess dazu verwendet werden, die ProduktȬKanalȬZuordnung effizient zu gestalten. Im Folgenden werden die einzelnen Prozesschritte vor diesem Hintergrund erläutert.
1 2
298
Vgl. Syring (2004), S. 21. Vgl. Holzkämper (1999), S. 68.
ECR im Multi-Channel-Marketing
2.2
Zu Beginn werden in der als Category Definition bezeichneten Phase KateȬ gorien gemäß der Kundenbedürfnisse gebildet.1 Dazu ist eine detaillierte Analyse der Kundenbedürfnisse und insbesondere der KaufentscheidungsȬ prozesse notwendig, auf deren Basis eine Warengruppenstruktur erstellt werden kann, um diese bei Bedarf noch weiter zu untergliedern.2
CategoryȬ Definition nach KundenbedürfȬ f nissen
Im MultiȬChannelȬMarketing stellt eine solche Analyse eine besondere HerȬ ausforderung an ein Herstellerunternehmen dar, da durch die Vielzahl der Kanäle unterschiedliche Käufergruppen bedient werden, die mitunter diffeȬ rierende Ansprüche haben und unterschiedliches Entscheidungsverhalten zeigen. Daher müssen die Kundenverhaltensdaten in allen Kanälen – bei indirekten Kanälen in Kooperation mit den GroßȬ und Einzelhändlern – gesammelt und ausgewertet werden, um die Warengruppen zu erstellen. Hierfür ist insbesondere ein gutes, kooperatives Verhältnis zwischen HerȬ steller und Handelsunternehmen bedeutsam.
Kooperation als Grundlage des Category ManaȬ gements
Ist die Warengruppenstruktur festgelegt, erfolgt auf Warengruppenebene eine Festlegung darauf, inwiefern die übergeordneten UnternehmensȬȱund MarkeȬ tingziele durch das Category Management unterstützt werden sollen und können.3 In einer solchen CategoryȬRolle kommt die Bedeutung der WarenȬ gruppe für das Unternehmen zum Ausdruck, die sich beispielsweise in einer Vertriebslinienprofilierung für einzelne Marketingkanäle wiederspiegelt.
Category r ȬRollen
Der nächste Planungsschritt, das CategoryȬAssessment, dient der BestimȬ mung des Leistungsvermögens einer Warengruppe. Hierfür kann beispielsȬ weise eine Analyse ihrer Stärken und Schwächen in Verbindung mit einer ChancenȬ und Risikenanalyse des Marktumfeldes verwendet werden.4 Im MultiȬChannelȬMarketing ist hierbei zusätzlich eine Beurteilung der LeisȬ tungsfähigkeit der Warengruppe in Bezug auf einen bestimmten Kanal zu beurteilen, um so die relative Vorteilhaftigkeit der Vermarktung des ProȬ dukts in einem bestimmten Marketingkanal im direkten Vergleich zu andeȬ ren Kanälen des Unternehmens beurteilen zu können.
CategoryȬ Assessment
Im Anschluss an das CategoryȬAssessment sind die Ziele festzulegen, die den eigenständigen Beitrag der Warengruppe zur Erzielung des UnternehȬ menserfolges festhalten.5 Hierbei ist ein Einklang mit der definierten CateȬ goryȬRolle ebenso bedeutend wie eine Integration in das MultiȬChannelȬ Konzept des Unternehmens. Beispielsweise sollten Produkte, die vorwieȬ gend in einem direkten Internetkanal vertrieben werden, welcher vornehmȬ lich aus Imagegründen verwendet wird, diesem Image zuträglich sein.
Zieldefinition
1 2 3 4 5
Vgl. Schröder/Rödl (2006), S. 571. Vgl. Seifert (2001), S. 175 f. Vgl. Seifert (2001), S. 180. Vgl. Seifert (2001), S. 182. Vgl. Holzkämper (1999), S. 75; Schröder/Rödl (2006), S. 573.
299
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
StrategieȬ festlegung
Sind die Ziele für die Warengruppen definiert, muss eine jeweilige Strategie festgelegt werden, wie diese Ziele zu erreichen sind. Im obigen Beispiel könnten unter anderem im OnlineȬShop die Neuprodukte besonders beworȬ ben werden, um dem Unternehmen ein innovatives und modernes Image zu verleihen. Weitere mögliche Strategien sind z. B. Steigerung der KundenȬ kontaktfrequenz, Erhöhung des Transaktionswertes, Erhöhung des CashȬ flows sowie das Wecken von Aufmerksamkeit.1 Die Instrumente des MultiȬ ChannelȬMarketings können hierbei vielfältig unterstützend eingesetzt werȬ den, beispielsweise eine Erhöhung der Anzahl verfügbarer Kanäle zur SteiȬ gerung der Kundenkontaktfrequenz.
CategoryȬTaktik und MaßnahmenȬ implementierung
Die Umsetzung der im vorherigen Planungsschritt festgelegten CategoryȬ Strategie erfolgt durch die Entwicklung einer angemessenen Taktik und den dazugehörigen Maßnahmen. Hierzu gehören Veränderungen der SortiȬ mentspolitik, der Regalpräsentation, der Preispolitik und der VerkaufsfördeȬ rung, im obigen Beispiel etwa die besondere Betonung des InternetȬShops in der kundengerichteten Kommunikationspolitik. Solche Maßnahmen werden dann im Rahmen der Implementierung umgesetzt.
Category r ȬReview
Der letzte Schritt des CategoryȬManagementȬProzesses ist die Überprüfung der Umsetzung und die Messung der Zielerreichung. In diesem PlanungsȬ schritt, dem CategoryȬReview, werden beispielsweise mit Hilfe von ScoreȬ cards SollȬIst Vergleiche angestellt und möglicherweise notwendig werdenȬ de Plananpassungen vorgenommen, die einen modifizierten CategoryȬ ManagementȬProzess initiieren.2
Ziele des Category y Managements
Durch die Umsetzung des Category Managements verfolgt ein UnternehȬ men mehrere Ziele. In erster Linie sollen durch eine effiziente und effektive Sortimentsgestaltung UmsatzwachstumsȬ und Ertragspotenziale erschlossen werden.3 Darüber hinaus versuchen die Unternehmen, ihr Image und ihre Positionierung im Markt zu profilieren.4 Ein weiteres Ziel stellt die RealisieȬ rung von Synergiepotenzialen durch die Ausnutzung von Verbundeffekten zwischen Waren, die aus Sicht der Endkunden zusammengehören, dar. Insgesamt ist es möglich, durch ein erfolgreiches WarengruppenmanageȬ ment die Koordinationsprobleme zwischen Händlern und Herstellern zu überwinden bzw. abzumildern.5
1 2 3 4 5
300
Vgl. Schröder (2003), S. 16 f. Vgl. Seifert (2001), S. 186. Vgl. Homburg/Schäfer/Schneider (2003), S. 304. Vgl. Specht (1998), S. 256. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1172.
ECR im Multi-Channel-Marketing
Im MultiȬChannelȬMarketing bieten sich darüber hinaus zahlreiche MögȬ lichkeiten, wie das Category Mangement strategisch genutzt werden kann. Analog zur Entwicklung standortspezifischer Sortimente im Kontext des SingleȬChannelȬMarketings, bieten sich für das MultiȬChannelȬMarketing kanalspezifische Sortimente an, die auf die speziellen Kundenbedürfnisse einzelner Marketingkanäle reagieren.1
2.2.2
2.2 Strategische Nutzung im MultiȬChannelȬ Marketingg
Effiziente Warenversorgung
Die zweite Komponente eines Efficient Consumer ResponseȬProgramms ist die effiziente WiederbeschaffungsȬ und Distributionslogistik, auch als „EffiȬ cient Replenishment“ bezeichnet. Ziel ist es, die Warenflüsse zwischen HerȬ steller und Handelsunternehmen unternehmensübergreifend zu koordinieȬ ren und optimal zu steuern sowie die Produkte den Endverbrauchern auȬ ßerhalb des Unternehmens effizient, d. h. kostengünstig und zeitlich schnell, zuzuführen, um den Warenfluss vom Hersteller bis hin zum Verbraucher mit minimalen Lagerbeständen undȱ Ȭkosten unterbrechungsfrei zu gestalȬ ten.2 Der Grundgedanke des Efficient Replenishment ist eine Abkehr vom PushȬ und eine Hinwendung zum PullȬPrinzip bei der Distribution. Grundlage hierfür ist der „JustȬinȬTime“ȬGedanke: Waren werden genau dann ausgelieȬ fert, wenn sie gebraucht werden. Es wird davon ausgegangen, dass der optimale Zeitpunkt für die Auslieferung einer Ware an Einzelhändler ist, wenn der Regalbestand gering, aber noch nicht vollständig verbraucht ist. Auf diese Weise werden Lagerhaltungskosten minimiert, verderbliche WaȬ ren sind stets frisch und der zur Verfügung stehende Raum im Einzelhandel kann besser genutzt werden.3
PullȬPrinzip der NachfrageȬ logistik
Um dies zu erreichen, kann das so genannte Continuous Replenishment Program (kontinuierliche Lagerauffüllung) eingesetzt werden. Hierbei werȬ den die Scannerdaten der Kassen des Einzelhandels als Basis für LiefermenȬ genprognosen verwendet und die vorgelagerten Distributionsstufen entȬ sprechend bestückt.4 Dies verändert den traditionellen BestellȬȱ und LieferȬ prozess insofern, als nicht mehr die (manuell eingegebenen) Bestelldaten des Einzelhändlers für die Liefermengen ausschlaggebend sind, sondern die Bedarfsprognosen aufgrund faktischer Verkaufszahlen.5 Die Belieferung des Handels wird demnach nicht mehr durch den Handel ausgelöst, sondern
Continuous Replenishment
1 2 3 4 5
Vgl. Schröder/Rödl (2006), S. 581. Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 333 f.; GS1 Germany (2007). Vgl. auch im Folgenden Mau (2003), S. 28 f. Vgl. Corsten (2000), S. 37. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 888 ff.
301
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
direkt vom Hersteller aufgrund der Verkaufszahlen veranlasst. Abbildung 2Ȭ 5 stellt die BestellȬ und Lieferprozesse bei der klassischen Nachfragelogistik und bei Verwendung von Continuous Replenishment gegenüber.
Abbildung 2Ȭ5
BestellȬ und Lieferprozesse beim Efficient Replenishment
Traditionell Hersteller
Großhändler
Einzelhändler
Endkunde
Einzelhändler
Endkunde
Efficient Replenishment Hersteller
Großhändler
Bestellung
Lieferung
Verwendung elektronischer DatenverarbeiȬ tung
Der Einsatz eines solchen Distributionslogistiksystem wird einerseits durch die zunehmende Verbreitung überbetrieblicher ArtikelnummerierungssysȬ teme und neue Scannertechnologien zur Datenerfassung und andererseits durch die Verbesserung der elektronischen Datenverarbeitung sowie neue Softwaretechnologien begünstigt.1 Die hierfür anwendbaren Prozesse und Systeme sind Gegenstand des Abschnitts 2.3.
Kooperation mit dem Handel
Eine Kooperation von Hersteller und Handel ist hierfür unerlässlich, wesȬ wegen gute Beziehungen zwischen den Akteuren aufgebaut und gepflegt werden müssen. Zudem müssen die Beteiligten, insbesondere der Handel, davon überzeugt sein, dass die Vorteile (Kosteneinsparungen, Vermeidung von OutȬofȬStocks, geringer Lagerplatzbedarf) die Nachteile des Systems (InformationsȬ und Machtabgabe durch Bereitstellung der KassenscannerdaȬ ten) überwiegen.
1
302
Vgl. Zentes/Swoboda (2001), S. 565 f.
ECR im Multi-Channel-Marketing
2.2
Im Zusammenhang mit dem Einsatz von Distributionslogistiksystemen ergeben sich für das MultiȬChannelȬMarketing einige Vorteile. Es besteht die Möglichkeit einer optimalen Steuerung der Prozesse in den einzelnen MarȬ ketingkanälen, da auf eine breite Datenbasis zurückgegriffen werden kann. Insbesondere können die Daten der direkten Kanäle, die dem HerstellerunȬ ternehmen grundsätzlich zur Verfügung stehen, mit den Daten des EinzelȬ handels verglichen werden, um so Optimierungspotenziale zu ermitteln. Darüber hinaus können verschiedene Erfolgsgrößen für spezifische Artikel, Verkaufsflächen oder Händler bestimmt werden.1 Ferner ist es möglich, diese Erfolgsgrößen für die einzelnen Kanäle zu erfassen und zu analysieȬ ren, woraus kanalspezifische Strategien abgeleitet werden können.
Vorteile des EinȬ satzes im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Darüber hinaus können aus den Nachfrageprognosen operative MaßnahȬ men im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings abgeleitet werden. Vor allem über die PreisȬ und Konditionenpolitik sowie über die KommunikatiȬ onspolitik kann versucht werden, die Nachfrage in einzelnen MarketingkaȬ nälen zusätzlich so zu beeinflussen, dass die in bestimmten Kanälen angeȬ strebten Verkaufsziele erreicht werden. Dies ist z. B. dann von großer BedeuȬ tung, wenn die Prognosemodelle offen legen, dass in einer neuen Kanalstruktur die prognostizierte Nachfrage nicht ausreicht, um die hohen Einführungskosten zu decken. Um dennoch eine unter ProfitabilitätsgrünȬ den kritische Masse zu erzielen, kann durch Preissenkungen oder verstärkte Verkaufsförderungsmaßnahmen in diesen Marketingkanälen versucht werȬ den, die Nachfrage auf das gewünschte Niveau zu heben.
Nutzung der Prognosemodelle für das MultiȬ ChannelȬ Marketing
2.2.3
Effiziente Verkaufsförderung
Die dritte Basisstrategie eines Efficient Consumer ResponseȬProgramms ist die so genannte Efficient Promotion (effiziente Verkaufsförderung), die darauf abzielt, Ineffizienzen bei der Verkaufsförderung zu beseitigen und deren Kosten zu senken, beispielsweise dadurch, dass ein Produkt in allen Marketingkanälen einheitlich beworben wird. Hierzu werden alle KommuȬ nikationsinstrumente wie Mediawerbung, Public Relations, DirektmarkeȬ ting, Sponsoring etc. verwendet.2 In diesem Rahmen sind drei VorgehensȬ weisen zu unterscheiden:3
Integrierte Verkaufsförderung, Glättung der SupplyȬChainȬAuslastung, Erhöhung der Wirkung von Werbemaßnahmen. 1 2 3
Vgl. Specht (1998), S. 247. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 888 ff. Vgl. Mau (2003), S. 36.
303
2 Integrierte VerȬ r kaufsförderung
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Die integrierte Verkaufsförderung stellt dabei das bedeutendste Element der Efficient Promotion dar. Im Rahmen einer solchen Maßnahme planen HerȬ steller und Handel Verkaufsförderungsaktionen gemeinsam und führen sie auch gemeinsam durch.1 Das Prinzip der Efficient Promotion basiert auf dem Grundgedanken, dass das klassisches Marketing der letzen Jahre und Jahrzehnte dazu geführt hat, dass Sonderpreisaktionen mit kurzfristigen und hohen Absatzzahlen sehr häufig geworden sind. Solche Aktionen weiȬ sen aber zwei große Nachteile auf: Erstens zwingen sie den Handel zum „Forward Buying“, übermäßiger Lagerhaltung, die auch die Lieferlogistik belastet, und zweitens fördert sie die Entstehung von so genannten „Smart Shoppern“, Kunden, welche sich mit der Warenbeschaffung so lange zuȬ rückhalten, bis der Artikel zu Aktionspreisen angeboten wird.2 Diesem unvorteilhaften LagerhaltungsȬȱ und Logistikverhalten sowie dem illoyalen Kundenverhalten gegenüber der HerstellerȬȱ und Händlermarke soll dadurch entgegengewirkt werden, dass spezielle VerkaufsförderungsȬ aktionen dem Kunden einen neuen Mehrwert bieten. Dies geschieht durch stärkere Berücksichtigung des Einkaufsverhaltens und des Kaufprozesses. Die häufigste Anwendung dieses Konzepts ist die Einführung von DauerȬ niedrigpreisen, wie sie von vielen großen Einzelhändlern mit HandelsmarȬ ken wie A&P bei KaisersȬTengelmann oder Ja! bei Rewe bereits aktiv betrieȬ ben wird.3
Integrierte VerȬ r kaufsförderung im MultiȬ ChannelȬ Marketingg
Im MultiȬChannelȬMarketing können solche integrierten VerkaufsmaßnahȬ men zu einer Profilierung einzelner Marketingkanäle und damit einher gehend einer Steigerung der Kundenbindung genutzt werden. BeispielsweiȬ se erlauben vor allem NotebookȬHersteller den großen ElektronikdiscounȬ tern eine Profilierung als Niedrigpreisanbieter, indem sie auf den firmeneiȬ genen Internetshops die Geräte zu sehr hohen Listenpreisen anbieten. Der OnlineȬMarketingkanal dient damit nicht direkt dem Vertrieb, sondern vielmehr der Nachfragesteuerung und Ȭsteigerung, da der Preis im EinzelȬ handel durch die hohe Preisempfehlung niedriger wahrgenommen wird.
Glättung der SupplyȬChainȬ Auslastung
Verfolgt ein Unternehmen eine Efficient PromotionȬStrategie in der VerkaufsȬ förderung, so wird gleichzeitig angestrebt, hohe Bestandsspitzen in der LieȬ ferkette abzubauen, welche unnötige Kosten verursachen und zudem mit kostenintensiven Produktionsspitzen einhergehen.4 Hierbei sinken auch die Anforderungen an die Distributionslogistik, welche im Rahmen von SonderȬ preisȬVerkaufsförderungsmaßnahmen häufig stark strapaziert wird. Eine solche Glättung der SupplyȬChainȬAuslastung ist daher ebenfalls konstitutiȬ
1 2 3 4
304
Vgl. Seifert (2001), S. 236. Vgl. Ahlert et al. (2000), S. 85. Vgl. Ahlert et al. (2000), S. 85. Vgl. Seifert (2001), S. 250.
ECR im Multi-Channel-Marketing
2.2
ver Bestandteil einer Efficient Promotion.1 Für den Mehrkanalbetrieb ist dieser Aspekt besonders bedeutsam, da durch die unterschiedlichen ErforȬ dernisse verschiedener Kanäle die Anforderungen an die Logistik grundsätzȬ lich hoch sind. Durch eine Glättung der SupplyȬChainȬAuslastung können unnötige Mehrbelastungen und teure Überkapazitäten vermieden werden. Der dritte Aspekt eines Efficient PromotionȬProgramms ist die Erhöhung der Wirkung von Werbemaßnahmen, was einerseits durch gemeinsame Werbemaßnahmen von Industrie und Handel erreicht wird, andererseits durch eine stärkere Ausrichtung der Kommunikationskampagnen an den im Category Management festgelegten Produktkategorien.2 In diesem Rahmen sind die Möglichkeiten des Einsatzes von Kooperationen besonders im MulȬ tiȬChannelȬMarketing bedeutsam – so können online erhältliche Produkte im Einzelhandel beworben werden, um kostenlos Laufkundschaft zu erreiȬ chen und den Kundenstamm eines OnlineȬShops zu vergrößern, wie es die Handelsunternehmen Schlecker oder Plus praktizieren.
2.2.4
Erhöhung der Wirkung von WerbemaßnahȬ men
Kooperative Neuproduktentwicklung
Die vierte ECRȬBasisstrategie Efficient Product Introduction (EPI) beschreibt die Kooperation von Hersteller und Handel auf dem Gebiet der ProduktȬ entwicklung und –neueinführung.3 Hierdurch sollen ineffiziente Prozesse bei der Produktentwicklung einerseits und der Neuprodukteinführung andererseits vermieden werden. Die Ausgestaltung einer solchen PartnerȬ schaft ist von den Strategien des Herstellers und Händlers hinsichtlich der Markenführung, der Regalbestückung und der Kapazitäten abhängig, wie im Folgenden dargelegt wird. Grundlegendes Ziel einer kooperativen Neuproduktentwicklung im RahȬ men einer Efficient Product Introduction ist die Reduktion der FlopȬRate von Neuprodukten, welche mit hohen Kosten und Imageschäden verbunden ist.4 Gleichzeitig bieten Produktneueinführungen auch großes Potenzial, im Einzelhandel werden rund zehn Prozent des Gesamtumsatzes mit neuen Produkten erzielt.5 Dieses Spannungsfeld liefert die Grundlage für KooperaȬ tionsbereitschaft und Effizienzstreben sowohl auf HerstellerȬ als auch auf Handelsseite. In diesem Rahmen können zwei grundlegende Maßnahmen identifiziert werden:6 1 2 3 4 5 6
Vgl. Mau (2003), S. 37 f. Vgl. Ahlert et al. (2000), S. 85 f.; Mau (2003), S. 38. Vgl. auch im Folgenden Ahlert et al. (2000), S. 86; Syring (2004), S. 46. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 888. Vgl. Seifert (2001), S. 220. Vgl. Ahlert et al. (2000), S. 87.
305
Kooperative NeuproduktȬ t entwicklung
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
Ein Informationsaustausch bezüglich Konsumentenverhalten und MarktȬ trends vereinfacht die Ideengenerierung für neue Produkte. Zudem hat der Händler mitunter bessere Marktkenntnisse als der Hersteller.
Eine frühzeitige Erprobung von Neuproduktentwicklungen in TestȬ märkten dient der besseren Beurteilung von Produktkonzepten und erȬ spart Fehlentwicklungen. Neben der Realisierung von KosteneinsparunȬ gen können hier auch Imageschäden vermieden werden. Effiziente MarktȬ t einführung
Efficient Product Introduction beinhaltet neben der Neuproduktentwicklung auch die Neuprodukteinführung, welche sich aus der kooperativen NeuȬ produktentwicklung ableitet. Zur Steigerung der Effizienz von NeuproduktȬ einführungen stehen drei grundlegende Maßnahmen zur Verfügung:1
Abstimmung der Verpackungsgestaltung, Abstimmung der Gebindegrößen, Abstimmung der Regalpositionierung. Problemen und Risiken bei der kooperativen ProduktentwickȬ lung
Das Hauptproblem bei der Umsetzung einer kooperativen NeuproduktentȬ wicklung wird im dafür notwendigen Vertrauen zwischen Hersteller und Handelsunternehmen gesehen.2 Der Hersteller muss vertrauliche InformatiȬ onen über Produktkonzepte und neue Märkte preisgeben, während der Händler seine Warengruppenstrategien und seine Regalnutzungskonzepte offen legen muss. Das notwendige Vertrauen kann unter anderem durch Zugeständnisse gefördert werden, beispielsweise indem der Hersteller dem Händler exklusive Nutzungsrechte einräumt. Dies würde allerdings bedeuȬ ten, dass ein Hersteller sein Produkt nicht mehr über seinen eigenen DirektȬ Kanal vertreiben dürfte, weswegen ein MultiȬChannelȬHerstellerunternehȬ men sehr stark darauf achten muss, welche Konditionen eingeräumt werden können.
2.3
Technische Ausgestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen
Wie in Abbildung 2Ȭ2 dargestellt wurde, stellen die Anwendungen im InȬ formationsȬȱund Kommunikationssystem des Efficient Consumer ResponseȬ Programms spezielle Anforderungen an eine ITȬ T Infrastruktur.. Eine bedeuȬ tende Aufgabe für das Management im MultiȬChannelȬMarketing besteht in
1 2
306
Vgl. Ahlert et al. (2000), S. 87. Vgl. Seifert (2001), S. 235.
Technische Ausgestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen
2.3
der Überwindung der Schnittstellenprobleme zwischen den im vorherigen Abschnitt beschriebenen kooperativen Akteuren. Der folgende Abschnitt befasst sich daher mit der informationsȬ und kommunikationstechologiȬ schen Infrastruktur, welche die Prozesse eines InformationsȬȱ und KommuȬ nikationssystems im MultiȬChannelȬMarketing ermöglicht. Die Ausgestaltung einer solchen Infrastruktur sollte sich an den InformatiȬ onsflüssen orientieren, die in einem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem aufȬ treten. Auf diese Weise kann die informationstechnische Infrastruktur die Kommunikation zwischen den Akteuren im Marketingkanal vereinfachen und einen Informationsaustausch ermöglichen.1 Insbesondere bei der VerȬ wendung mehrerer Kanäle ist schnell klar, dass die Menge an relevanten Informationen immens groß ist. Die Zuhilfenahme elektronischer Systeme zur Vereinfachung der Datenerfassung und Datenspeicherung, des DatenȬ transfers und der Datenauswertung ist daher unumgänglich. Die HauptanȬ forderung an ein solches ITȬ T System ist dabei der Datenaustausch unterȬ schiedlicher Akteure im MultiȬChannelȬMarketing.
Orientierung an InformationsȬ flüssen
So können beispielsweise die Verkaufsdaten eines Einzelhändlers durch Scanningtechnologien erfasst und gespeichert werden – sie werden für AbȬ rechnung und Inventurzwecke vom Händler benötigt. Statt diese Daten aber selbst auszuwerten und anschließend eine Bestellung aufzugeben, könnte er die elektronisch erfassten Scannerdaten auch direkt an den Lieferanten weiȬ terleiten, so dass dieser analysieren kann, wie groß der Warenbestand des Einzelhändlers ist und ihn automatisch beliefert, wenn kritische MindestȬ mengen erreicht sind.2 Auf diesem Wege erhält der Lieferant – Großhändler oder Hersteller – gleichzeitig relevante Informationen über die ProduktnachȬ frage. Der Hersteller kann so effizientere Produktionspläne aufstellen, wähȬ rend GroßȬ und Einzelhändler bei der Bearbeitung von Bestellungen und Lagerbeständen Kosten sparen können.3
Automatisierte BestellȬ und Lieferprozesse
In einem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem fallen Daten und Informationen auf jeder Stufe jedes Vertriebskanals an – Bestellungen von Großhändlern, Einzelhändlern sowie Verkaufszahlen, Abrechnungen aus den direkten und indirekten Kanälen im MultiȬChannelȬSystem. Damit die Daten von den unterschiedlichen Teilnehmer eines solchen Geschäftsnetzwerkes als InforȬ mationen verwendet werden können, ist zunächst eine Integration der unȬ terschiedlichen Datenströme aus der Vielzahl von Datenquellen in einem Mehrkanalsystem zu gewährleisten. Wie dies umgesetzt werden kann, wird im Folgenden kurz beschrieben.
1 2 3
Vgl. Specht (1998), S. 250. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 92. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 92.
307
2
Informations- und Kommunikationssysteme im Multi-Channel-Marketing
2.3.1 Gemeinsames Format für die DatenüberȬ r mittlung
Datenaustausch im Multi-Channel-Marketing
Aufgrund der vielfältigen Anforderungen an betreibswirtschaftliche SoftȬ ware in den unterschiedlichen Stufen der Marketingkanäle haben sich in den letzen Jahren in vielen Bereichen unternehmensȬ oder branchenspezifische Softwaresysteme etabliert. So verfügen beispielsweise viele kleine UnterȬ nehmen aufgrund hoher Lizenzkosten für Standardlösungen über günstigeȬ re, meist separate AbrechnungsȬ, BestellȬ und Planungssoftware.1 Solche „Insellösungen“ sind zwar kostengünstig und für den spezifischen Bedarf eines kleinen Unternehmens auch meist ausreichend, bringen aber zwei spezifische Probleme mit sich: Einerseits müssen Daten eventuell doppelt eingegeben oder von einem Programm in andere transferiert werden, was die Arbeitsbelastung erhöht, und andererseits ist es schwierig, Daten zwiȬ schen den Akteuren im MultiȬChannelȬMarketing auszutauschen, wenn diese über unterschiedliche Systeme verfügen, die nicht zwingend kompatiȬ bel sein müssen. Damit zwischen den beteiligten Unternehmen dennoch Daten ausgetauscht werden können, hatte sich europaweit das System EDIFACT (Electronic Data Interchange For Administration, Commerce and Transport) etabliert, welches ein international gültiges Format für den elektronischen DatenausȬ tausch zwischen Unternehmen, auch aus unterschiedlichen Branchen, darȬ stellt.2 Um auf diese Weise Daten aus verschiedenen Systemen zwischen den Beteiligten austauschen zu können, muss der Hersteller alle Daten aus den unteren Stufen in einem proprietären System, welches Datensätze im verȬ einbarten EDIFACTȬ T Format erzeugt, aggregieren.
XML als Datenformat
In jüngerer Zeit werden Daten vermehrt im so genannten XMLȬFormat geȬ speichert, welches neben der systemübergreifenden Verwendbarkeit weitere Vorteile gegenüber EDIFACT bietet: So werden die Inhalte mittels XML aus einer RohdatenȬDatenbank ausgelesen und für die Bedürfnisse des UnterȬ nehmens entsprechend dem Verwendungszweck aufbereitet. Durch die unspezifische Speicherung der Inhalte sind diese einfacher integrierȬ und austauschbar. Diese Verfahren der punktuellen Datenintegration haben den Vorteil, dass die vielen unterschiedlichen Akteure im MultiȬChannelȬSystem sich nicht auf eine einheitliche Softwarelösung einigen müssen, birgt aber den NachȬ teil, dass Daten redundant gespeichert und ausgewertet werden, was unnöȬ tige ITȬ T Kosten und Mehrarbeit bedeutet.3
1 2 3
308
Vgl. Becker/Winkelmann (2006), S. 102. Vgl. Specht (1998), S. 252. Vgl. Becker/Winkelmann (2006), S. 102.
Technische Ausgestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen
2.3.2
2.3
Datenintegration im Multi-Channel-Marketing
Im Hinblick auf die immer größer werdenden Vertriebsorganisationen insȬ besondere im Handel und die damit einhergehende steigende Menge releȬ vanter und gewinnbringend nutzbarer Daten, die in einem MehrkanalsysȬ tem anfallen, stehen Unternehmen und Vertriebsverbünde vermehrt vor der Entscheidung, ob ihre alten, proprietären Softwarelösungen aufgrund der neuen Anforderungen in Bezug auf Datenmenge und Datenverfügbarkeit nicht zugunsten einer besser integrierbaren Standardlösung aufgegeben werden sollten.1 In einem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem ist die Verbreitung einer proprieȬ tären Software nur schwer umzusetzen, da die Einzelhändler über vielȬ schichtige und verflochtene Zulieferernetzwerke mit mehreren Herstellern eingebunden sind, so dass sie nicht lediglich das InformationsmanagementȬ system eines dieser Hersteller verwenden können. Die Einbindung eines Akteurs in einen Marketingkanal erfordert demnach erheblichen IntegratiȬ onsaufwand.
Nachteile proprietärer Systeme
Insofern bietet sich der Rückgriff auf eine am Markt etablierte StandardlöȬ sung für die ITȬ T Integration an. Hierbei ist beispielsweise das seit Jahren etablierte Softwarepaket der Firma SAP einsetzbar, das neben den grundleȬ genden Funktionen im electronic Customer Relationship Management und dem electronic Supply Chain Management die für Efficient Consumer ResȬ ponse notwendigen Funktionen bietet. Mit SAP ist in einem komplexen MultiȬChannelȬSystem ein integriertes Management der Kernstücke eines Efficient Consumer ResponseȬProgramms gewährleistet. Es unterstützt z. B. Continuous Replenishment, kollaborative Planung und vieles mehr, was für das Herstellerunternehmen interessante und gewinnbringende Einsichten in den Markt und das Kundenverhalten mit sich bringt.2
Nutzung von StandardȬ software
1 2
Vgl. auch im Folgenden Becker/Winkelmann (2006), S. 102 f. Vgl. Becker/Winkelmann (2006), S. 102 ff.
309
3
Channel-Relationship-Management
3 Channel-RelationshipManagement
VerhaltensabȬ stimmung durch RelationshipȬȱ Management
Eine Verhaltensabstimmung innerhalb und zwischen den verschiedenen Marketingkanälen eines Unternehmens auf ein gemeinsames Ziel hin ist eine erfolgskritische Aufgabe im MultiȬChannelȬMarketing und wird unter dem Begriff des ChannelȬRelationshipȬManagements subsumiert. Das ChannelȬRelationshipȬManagement verfolgt dabei zwei Zielsetzungen. Zum einen sollen Mehrkanalkonflikte minimiert und zum anderen einzelne MarȬ ketingkanäle im Sinne der Unternehmensziele gesteuert und beeinflusst werden. Konflikte zwischen den Kanälen und Kontrollverluste in einzelnen Kanälen ziehen Einschränkungen der Handlungsspielräume und IneffizienȬ zen nach sich. Dies kann im Extremfall bis zu einem Verlust des MarktzuȬ gangs führen.1 Im Folgenden werden zunächst die Verhaltensbeziehungen im MultiȬ ChannelȬMarketing dargestellt. Im Anschluss werden Instrumente skizziert, die zum Management dieser Beziehungen eingesetzt werden. Sofern aus dem Management der Verhaltensbeziehung Konflikte entstehen, ist deren Lösung ebenfalls Aufgabe des ChannelȬRelationshipȬMarketings. Das KonȬ fliktmanagement bildet deshalb den Inhalt des dritten Abschnitts dieses Kapitels. Abbildung 3Ȭ1 gibt einen Überblick über die Inhalte und die StrukȬ tur der nachfolgenden Ausführungen.
Abbildung 3Ȭ1
Struktur des Kapitels
Verhaltensbeziehungen • Verhaltensbeziehungen und Macht im MultiChannel-Marketing • Vertrauen und Commitment in Multi-ChannelSystemen
1
310
Vgl. Schögel (2001), S. 15.
Instrumente der Verhaltenssteuerung
Konfliktmanagement
• Rollenvergabe in MultiChannel-Systemen
• Konfliktursachen, -formen und -folgen
• Anreizgestaltung zur gezielten Verhaltenssteuerung
• Strategien des Konfliktmanagements
Verhaltensbeziehungen im Multi-Channel-Marketing
3.1
3.1
Verhaltensbeziehungen im MultiChannel-Marketing
Marketingkanäle stellen nicht nur ökonomische Einheiten zur Distribution und Kommunikation dar, sondern repräsentieren auch ein intraȬ und interȬ organisationales soziales System.1 Ein soziales System ist durch BeziehunȬ gen und Interaktionen zwischen verschiedenen Individuen und Gruppen gekennzeichnet. Das soziale System im Rahmen von multiplen KommunikaȬ tionsȬ und Distributionskanälen konstituiert sich aus den Beziehungen und der Interaktion der am MultiȬChannelȬMarketing beteiligten Akteure.
MultiȬChannelȬ Marketing als soziales System
Gegenüber einem Einkanalsystem ist die soziale Komplexität eines MehrkaȬ nalsystems in der Regel wesentlich höher. Im Rahmen einer verhaltenswisȬ senschaftlichen Analyse dieser komplexen Beziehungen im MultiȬChannelȬ Marketing spielen vor allem das Vertrauen und Commitment innerhalb der Beziehungen sowie die Machtbeziehungen eine Rolle, weshalb diese beiden Aspekte im Folgenden betrachtet werden.
3.1.1
Vertrauen und Commitment
Für eine gezielte, effektive Förderung des Vertrauens und Commitments im MultiȬChannelȬSystem ist zunächst die Frage zu klären, wie Vertrauen und Commitment wirken. Vertrauen kann als subjektive Überzeugung eines Systemelements von der Ehrlichkeit und dem Wohlwollen eines anderen Beteiligten beschrieben werden. Eine Vertrauensbeziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Glaube daran besteht, dass der Andere seine Versprechen hält und seinem Gegenüber positiv gesinnt ist bzw. dass ihm etwas am Erfolg seines GegenȬ übers liegt.2 Besteht Vertrauen in das MultiȬChannelȬSystem, so wird an die Ehrlichkeit und das Wohlwollen der Mehrheit der Akteure geglaubt. KonȬ flikte im Marketingsystem stellen eine Bedrohung für die VertrauensbezieȬ hungen im System dar. Allerdings können erfolgreich bewältigte Konflikte auch das Vertrauen fördern und stabilisieren.3
Vertrauen
Commitment wird in der Literatur zumeist als der Wunsch und das BestreȬ ben nach der Aufrechterhaltung und Pflege einer Beziehung definiert.4 DarȬ über hinaus soll hier auch die Verbundenheit mit einer Sache, also beiȬ
Commitmenmt
1 2 3 4
Vgl. hierzu und im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 110. Vgl. Geyskens/Steenkamp/Kumar (1999), S. 225. Vgl. Staehle (1999), S. 412. Vgl. Egan (2001), S. 93.
311
3
Channel-Relationship-Management
spielsweise mit einem Projekt oder einer Aufgabe, in das Begriffsverständnis einbezogen werden. Liegt Commitment für eine Sache oder eine partnerȬ schaftliche Beziehung vor, so besteht die Bereitschaft, gewisse Opfer hierfür zu erbringen. Das bedeutet, dass die individuellen Unternehmensinteressen undȱȬziele (zumindest kurzfristig) zugunsten der Sache und der langfristigen Aufrechterhaltung der Beziehung zurückgestellt werden.1 Commitment im MultiȬChannelȬMarketingȬKontext stellt demnach eine Größe für die Verbundenheit eines ChannelȬMitglieds mit seiner Rolle im MultiȬChannelȬSystem sowie mit den übergeordneten Zielen und Aufgaben des Systems dar. Commitment bezeichnet somit das Ausmaß der IdentifikaȬ tion der Akteure mit dem MultiȬChannelȬSystem. Wirkung von Vertrauen
Von Vertrauensbeziehungen geht im Allgemeinen eine positive Wirkung auf das soziale System aus. Wenn in einem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem hohes gegenseitiges Vertrauen vorliegt, dann ist zu erwarten, dass eine gröȬ ßere Offenheit gegenüber dem Austausch von Ideen und Meinungen beȬ steht, Probleme leichter bewältigt werden können, ein höherer wechselseitiȬ ger Einfluss besteht, eine höhere Motivation zur Umsetzung von EntscheiȬ dungen vorliegt und die Gruppenkohäsion stärker ist als in MarketingȬ systemen mit geringerem Vertrauensniveau.2
Stabilisierende Wirkung von Commitment
Darüber hinaus fördert ein hohes Vertrauen in das Marketingsystem das Commitment der Beteiligten.3 Als Konsequenz von hohem Commitment wurde innerhalb von Organisationen eine geringe Fluktuation der MitarbeiȬ ter festgestellt. 4 Übertragen auf MultiȬChannelȬSysteme bedeutet dies, dass ein hohes Commitment unter den Beteiligten deren Bindung an das MarkeȬ tingsystem stärkt und deren mögliche Absichten, das MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem zu verlassen, herabsetzt.
Einfluss der InformationsȬ und KommuniȬ kationspolitik
Sowohl Vertrauen als auch Commitment sind Einstellungen, die im MultiȬ ChannelȬMarketingȬSystem nicht eingefordert, sondern nur durch Reize beeinflusst werden können.5 Einen Ansatzpunkt für die Förderung von Vertrauen und Commitment bietet die InformationsȬ und KommunikationsȬ politik. Offene Kommunikation, gemeinsame Erarbeitung von Zielen und MarketingȬPlänen sowie die Tatsache, dass die Akteure mit allen wichtigen Informationen versorgt werden, leisten einen wichtigen Beitrag zur VertrauȬ ensbildung und damit auch für das Commitment.6
1 2 3 4 5 6
312
Vgl. Geyskens/Steenkamp/Kumar (1999), S. 149. Vgl. Golembiewski/McConie (1975), S. 166; Staehle (1999), S. 412. Vgl. Geyskens/Steenkamp/Kumar (1999), S. 226. Vgl. Mathieu/Zajac (1990). Vgl. Sprenger (1999), S. 54 ff. Vgl. Specht (1998), S. 291.
Verhaltensbeziehungen im Multi-Channel-Marketing
3.1
Darüber hinaus wird Commitment wahrscheinlicher, wenn alle InteressensȬ gruppen im MultiȬChannelȬSystem als Partner betrachtet und mitbestimȬ mend einbezogen werden. Starke asymmetrische Machtausübung ist ebenso hinderlich für Commitment und Vertrauen, wie ein einseitiges Durchsetzen von Interessen. Das Finden von Kompromissen, ein gleichgewichtiges Geben und Nehmen sowie die Akzeptanz von verschiedenen Interessenlagen bilden die Basis für hohes Commitment und Vertrauen im Marketingsystem.1
3.1.2
Macht
Macht stellt eine Form der sozialen Einflussnahme bzw. Kontrolle dar. Der Begriff Macht beschreibt im MultiȬChannelȬMarketingȬKontext das Ausmaß, in dem ein Akteur des Marketingsystems (Machthaber) das Verhalten eines anderen Akteurs (Machtunterworfener) kontrollieren oder beeinflussen kann. Macht betrifft somit immer das Verhältnis zwischen mindestens zwei Personen oder Interessengruppen. Macht befähigt den Machtinhaber, mit Hilfe positiver und insbesondere negativer Sanktionen VerhaltensänderunȬ gen bei den Machtunterworfenen auch gegen deren Willen durchzusetzen. Ein solches Vermögen bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass davon auch Gebrauch gemacht wird, sondern nur, dass grundsätzlich das Potenzial dazu besteht.
Machtausübung zur VerhaltensȬ steuerung
Macht ist ein zentrales Phänomen in MultiȬChannelȬSystemen. Abhängig von der Zahl der am Marketingsystem beteiligten Interessensgruppen findet sich eine entsprechende Zahl an bilateralen Machtbeziehungen.2 Jeder Beteiligte bzw. jede Subeinheit des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems hat eine beȬ stimmte Position in der Machtstruktur des Systems inne. Dabei ist zu berückȬ sichtigen, dass sich je nach Situation unterschiedliche Machtverteilungen im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem ergeben können.3 Neben einer ExtremposiȬ tion des Machtübergewichts auf Seiten einer Interessengruppe (MachtasymȬ metrien), können auch ausgewogene Machtverhältnisse zwischen den BeteiȬ ligten (Machtsymmetrien) vorliegen. Nicht zuletzt ist es eines der in Teil B, Kapitel 5 beschriebenen Ziele des MultiȬChannelȬMarketings, durch die NutȬ zung mehrerer Marketingkanäle ein mögliches Machtübergewicht der AbȬ satzmittler gegenüber dem Hersteller zu begrenzen.
MachtbeziehunȬ gen im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Sollen die Machtstrukturen im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem erfasst werden, dann gilt es zunächst, die Ausgangsbasen der Macht zu bestimmen. Für eine Klassifizierung der Machtbasen im Marketingsystem kann auf die
Fünf AusgangsȬ basen der Macht
1 2 3
Vgl. Sprenger (1999), S. 54 ff. Vgl. Ahlert (1996), S. 110. Vgl. Schögel (1997), S. 164 ff.
313
3
Channel-Relationship-Management
klassische Systematik von French und Raven (1959) zurückgegriffen werden. Dementsprechend können fünf, in Abbildung 3Ȭ2 veranschaulichte, GrundȬ lagen für Macht unterschieden werden: Belohung, Bestrafung, Legitimation, Identifikation und Expertentum.1
Abbildung 3Ȭ2
Grundlagen der Macht im MultiȬChannelȬMarketing2 Machtbasen
Belohnung
Bestrafung
Legitimation
Identifikation
Expertentum
Diese fünf Machtbasen, die jeweils beim verschiedenen Akteuren des MarkeȬ tingkanals liegen können, werden nachfolgend skizziert. 3
Belohnungsmacht: Die Macht durch Belohnung bezieht sich auf das Vermögen eines Marketingsystembeteiligten, einen oder mehrere andere Beteiligte für entsprechendes Verhalten zu belohnen. Belohnungsmacht spielt in nahezu jedem Marketingsystem eine große Rolle. Beispielsweise können Anbieter bei Kapazitätsengpässen bevorzugt strategisch wichtige Kunden beliefern4.
Bestrafungsmacht: Die Macht durch Bestrafung verhält sich konträr zur Belohungsmacht und bezieht sich auf das Vermögen eines MarketingsysȬ tembeteiligten, einen oder mehrere andere Beteiligte zu bestrafen, falls diese sich seinem Einfluss widersetzen. Bestrafungsmacht basiert häufig auf überlegener Unternehmensgröße und/oder Marktposition. BeiȬ spielsweise verfügt die weltgrößte Handelskette WalȬMart in den USA als Absatzmittler über eine viel größere Machtbasis als ein lokaler, kleiȬ ner Einzelhändler. So kann WalȬMart z. B. eine große Bestrafungsmacht gegenüber Herstellern ausüben, indem die Handelskette mit der StreiȬ chung von Produkten des Herstellers aus dem Sortiment droht.
1 2 3 4
314
Vgl. French/Raven (1959), S. 150 ff. In Anlehnung an French/Raven (1959), S. 150 ff. Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen Rosenbloom (2004), S. 127 ff. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 892.
Verhaltensbeziehungen im Multi-Channel-Marketing
Sanktionsmöglichkeiten sowohl in negativer Form (Bestrafungsmacht) als auch in positiver Form (Belohungsmacht) resultieren aus dem Entzug bzw. der Gewährung von Informationen (z. B. Marktinformationen), maȬ teriellen Werten (z. B. Zuschüsse) und immateriellen Werten (z. B. BoyȬ kott).1 Abbildung 3Ȭ3 stellt diese Instrumente der BelohnungsȬ und BeȬ strafungsmacht dar.
Formen der BelohnungsȬ und Bestrafungsmacht im MultiȬChannelȬMarketing2
Negativ
Androhen von Bestrafungen
Versprechen von Belohung In B Bezug a auf uf
Informationen (z. B. Weitergabe oder Zurückhaltung von wichtigen Informationen)
Materielle Mittel (z. B. beschleunigte oder verzögerte Zahlungen)
Immaterielle Werte (z. B. Vergabe oder Entzug von Rechten)
Legitimierte Macht: Legitimierte Macht findet sich primär in intraorgaȬ nisationalen Systemstrukturen und resultiert aus den mit der OrganisaȬ tionsstruktur verbundenen formalen ÜberȬ und UnterordnungsverhältȬ nissen in einem Unternehmen. Hierbei akzeptiert der MachtunterworfeȬ ne, dass der Machthaber weisungsbefugt ist. In interorganisationalen Systemen, wie im MultiȬChannelȬMarketing, sind solche MachtverhältȬ nisse selten, da keine eindeutigen ÜberȬȱund Unterordnungsverhältnisse zwischen den Beteiligten existieren. Lediglich bei vertraglich fest gebunȬ den Marketingkanälen (z. B. FranchiseȬSysteme) finden sich Formen legiȬ timierter Macht.
Identifikationsmacht: Identifikationsmacht existiert, wenn eine SubeinȬ heit des Marketingsystems ihre Ziele kongruent zu denen einer anderen Subeinheit sieht bzw. „so sein zu wollen, wie der Machtausübende“.3 Bilden verschiedene Marketingkanäle eine solche Form von InteressenȬ
1 2 3
SanktionsmögȬ g lichkeiten im MultiȬChannelȬ Marketing
Abbildung 3Ȭ3
Machtausübung durch Sanktionierung im Multi-Channel-Marketing-System Positiv
3.1
Vgl. Ahlert (1996), S. 101. In Anlehnung an Ahlert (1996), S. 101. Homburg/Krohmer (2006), S. 891.
315
3
Channel-Relationship-Management
gemeinschaft, dann ist es wahrscheinlich, dass der Versuch eines BeteiȬ ligten, andere zu beeinflussen, als interessenkongruent wahrgenommen und somit akzeptiert wird. Die Machtunterworfenen folgen der EinȬ flussnahme, da sie darin Vorteile für ihre Zielerreichung sehen. ÄhnliȬ ches gilt für die Einbindung eines Absatzmittlers oder Absatzhelfers, der renommierte Referenzkunden aufweisen kann. Versprechen sich die anȬ deren Akteure einen Profit von dessen Image, gestehen sie ihm ggf. besȬ sere Konditionen zu.1
Expertenmacht: Die Expertenmacht eines Akteurs im MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem resultiert aus dessen – von den anderen Beteiligten wahrgenommenen bzw. vermuteten – WissensȬ und InformationsvorȬ sprung. Akzeptiert ein Beteiligter die Expertenstellung eines Anderen auf einem bestimmten Themengebiet, so wird sich Ersterer (MachtunterȬ gebener) von dem Experten (Machthaber) im Rahmen des spezifischen Themengebiets beeinflussen lassen. Ein Beispiel hierfür ist der InformaȬ tionsfluss vom Händler zum Hersteller. Händler verfügen durch den unmittelbaren Kundenkontakt häufig über wertvolles Wissen über den Konsumentenmarkt. Inwiefern sich ein Hersteller von den Informationen und Ratschlägen seines Händlers beeinflussen lässt, hängt von der wahrgenommenen Expertise des Händlers ab. Wirkung von Machtausübung
Aus Unternehmensperspektive gilt es, die verschiedenen Machtbasen so einzusetzen, dass das Verhalten der MultiȬChannelȬMitglieder entsprechend der Marketingziele beeinflusst wird. Dafür müssen die Wirkungsweisen der verschiedenen Machtbasen und die möglichen Reaktionen der MachtunterȬ gebenen bekannt sein. In diesem Zusammenhang finden sich zahlreiche Studien, die sich mit der Wirkung verschiedener Machtausübungsformen beschäftigt haben.2 Auch wenn daraus keine generellen HandlungsempfehȬ lungen abgeleitet werden können, so lassen sich doch Rückschlüsse auf die prinzipiellen Wirkungsweisen der Machtbasen ziehen.
Negative AusȬ wirkung von BestrafungsȬ macht
Die Wirkung einer bestimmten Machtform auf den Machtunterworfenen ist in hohem Maße situationsbedingt. In Abhängigkeit von der Struktur des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems, den personellen Eigenschaften der BeteiȬ ligten und den Umgebungseinflüssen variiert die Stärke der verschiedenen Machtbasen. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Einsatz nicht bestraȬ fender Machtformen (Belohnungsmacht, legitimierte Macht, IdentifikationsȬ und Expertenmacht) erwünschte Verhaltensänderungen in stärkerem Maße herbeiführt, als die Ausübung von Macht auf Basis negativer Sanktionen. Daneben werden kooperative Verhaltensbeziehungen im Marketingsystem gefördert und das Konfliktpotenzial reduziert sich gegenüber BestrafungsȬ 1 2
316
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 892. Vgl. auch im Folgenden Rosenbloom (2004), S. 135 ff.
Instrumente der Verhaltenssteuerung
3.2
orientierten Machtformen.1 In einer anderen Abgrenzung zeigen die MachtȬ unterworfenen eine höhere Bereitschaft, sich dem Einfluss der legitimierten Macht, der IdentifikationsȬ und der Expertenmacht zu fügen, als der positiv oder negativ sanktionierenden Macht.2 In der Regel gilt, dass eine effektive Machtausübung ein Mindestmaß an Akzeptanz bei den Machtunterworfenen voraussetzt. Das Ausmaß an AkȬ zeptanz hängt unter anderem davon ab, wie angenehm bzw. unangenehm das Geforderte für die Untergebenen ist, über welche Ressourcen der Machthaber verfügt und wie sehr sowohl die Ressourcen als auch der Machthaber von den Unterworfenen geschätzt werden.3 Ist das AkzeptanzȬ niveau auf Seiten der Machtunterworfenen nicht ausreichend, dann werden diese versuchen, sich dem Machteinfluss zu entziehen bzw. sich weigern, das geforderte konforme Verhalten zu zeigen. Hierfür stehen den MachtunȬ tergebenen verschiedene Verweigerungsstrategien zur Auswahl, die im Folgenden skizziert werden.
Akzeptanz der MachtunterworȬ r fenen notwendig
Verweigerung bedeutet für den Machthaber unerwünschte Konsequenzen. So kann es beispielsweise sein, dass Forderungen lediglich schlecht (z. B. fehlerhaft oder unpünktlich) erfüllt werden, dass sich die MachtunterworfeȬ nen die Forderungen im Sinne ihrer eigenen Bedürfnisse neu definieren oder dass die Erfüllung des Geforderten gänzlich abgelehnt wird.4 In letzter KonȬ sequenz können negative Wirkungen der Machtausübung auch dazu führen, dass die Machtuntergebenen das MultiȬChannelȬMarketingȬSystem verlasȬ sen. Die Ausführungen verdeutlichen, dass die Wahl der richtigen MachtbaȬ sis, die sorgfältige Dosierung von Macht und die Berücksichtigung des situaȬ tiven Kontexts entscheidend sind für den effektiven Einsatz von Macht im MultiȬChannelȬMarketing.
Negative WirȬ r kungen der VerȬ r weigerung
3.2
Instrumente der Verhaltenssteuerung
Nach dem nun Grundlagen zu Verhaltensbeziehungen in MehrkanalsysteȬ men ausgeführt worden sind, folgt nun eine Darstellung von Instrumenten zur gezielten Steuerung dieser Verhaltensbeziehungen. Zur Steuerung muss man zunächst die gewünschten Verhaltensweisen der Mitglieder des MehrȬ kanalsystems möglichst präzise bestimmen. Dazu kann u. a. auf das KonȬ zept der sozialen Rolle zurückgegriffen werden.5 1 2 3 4 5
Vgl. Dwyer (1980), S. 45 ff. Vgl. Hunt/Mentzer/Danes (1987), S. 377 ff. Vgl. Staehle (1999), S. 408. Vgl. Staehle (1999), S. 408. Vgl. Specht/Fritz (2005), S. 441.
317
3
Channel-Relationship-Management
Über die Steuerung mittels Rollen hinaus geht das Setzen gezielter Anreize, um erwünschte Verhaltensweisen in einem Mehrkanalsystem zu erreichen. Anreize haben insbesondere auf die zuvor erwähnten Verhaltensgrößen Vertrauen und Commitment einen hohen Einfluss und sind deshalb im Sinne langfristiger Kanalbeziehungen bedeutsam. Als zentrale Instrumente der Verhaltenssteuerung im MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem können somit die Rollenvergabe und die AnreizgestalȬ tung identifiziert werden, die in den folgenden beiden Abschnittet vorgeȬ stellt werde.
3.2.1
Rollenvergabe
Rollenbegriff f
Charakteristisch für ein soziales System ist, dass den einzelnen Mitgliedern bestimmte Rollen zugewiesen werden, die sie ähnlich wie ein „RelationenȬ Netzwerk“ miteinander verbinden.1 Entsprechend sind auch die Akteure eines MultiȬChannelȬMarketingȬSystems Inhaber von Rollen. Rollen sind Positionen in einem Feld sozialer Beziehungen (hier dem MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem), an welche verschiedenste normative Vorstellungen und Erwartungen geknüpft sind. Diese Erwartungen können sich beispielsweise auf die Funktion (z. B. GroßȬ oder Einzelhändler), das Verhalten und den Status (z. B. traditionsreicher und etablierter Betrieb vs. InternetȬStartupȬ Unternehmen) sowie die Machtposition (siehe Abschnitt 3.1.2) beziehen.2 Rollenerwartungen repräsentieren Rechte und Pflichten, denen sich der Rolleninhaber nicht ohne Konsequenzen entziehen kann, da das soziale System auf ein rollenkonformes Verhalten hinwirkt.3 Abweichendes VerhalȬ ten führt somit häufig zu Konflikten.
Divergenzen zwischen RollenȬ erwartungen und Rollenverhalten
Jeder Rolleninhaber hat eine eigene subjektive Rollenwahrnehmung, d. h. eine Vorstellung davon, was die anderen für Erwartungen an ihn stellen. Dieses subjektive Rollenverständnis muss nicht notwendigerweise mit den Rollenerwartungen des Umfelds übereinstimmen.4 Dies liegt darin begrünȬ det, dass die Rollenerwartungen zu einem Großteil nicht explizit kodifiziert sind, sondern primär in den Vorstellungen der Mitglieder des sozialen SysȬ tems vorliegen.
1 2 3 4
318
Vgl. Stern/ElȬAnsaray (1977), S. 278 f.; Specht (1998), S. 281. Vgl. Ahlert (1996), S. 93. Vgl. Schoch (1969), S. 97 ff.; Ahlert (1996), S. 94. Vgl. Ahlert (1996), S. 94.
Instrumente der Verhaltenssteuerung
3.2
Divergenzen zwischen den verschiedenen Erwartungen an eine Rolle bzw. zwischen den Erwartungen und der Auslegung einer Rolle werden als RolȬ lendissens bezeichnet. Um einen unbewussten und ungewollten RollendisȬ sens zu vermeiden, ist es wichtig, dass die Mitglieder des sozialen Systems exakte Rollenspezifizierungen vornehmen und offen über ihre gegenseitigen Bedürfnisse und Erwartungen kommunizieren und diskutieren.1 RollendisȬ sensen in Marketingsystemen resultieren aus unterschiedlichen ErwartunȬ gen über die Marketingfunktionen der Beteiligten.2 Dementsprechend ist es hilfreich, wenn die verschiedenen Akteure des Mehrkanalsystems klar abgeȬ grenzte Aufgabengebiete haben. Neben den unbewussten und ungewollten Rollendissensen gibt es auch bewusste Abweichungen von den Rollenerwartungen.3 Hierbei versucht der Rolleninhaber die an seine Position herangetragenen Erwartungen nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen bzw. im Extremfall unberücksichtigt zu lassen. Das Mitglied des Marketingsystems nimmt dabei nur die Rolle ein, die seinen eigenen Vorstellungen entgegenkommt und Vorteile verȬ spricht. In seiner Extremform ist ein solches Verhalten nur von Akteuren durchsetzbar, die eine vergleichsweise mächtige Position im MultiȬChannelȬ MarketingȬSystem einnehmen und in einem geringen AbhängigkeitsverȬ hältnis stehen.
Bewusster Rollendissens
Eine eigene Konzeption der Rolle praktizieren z. B. Großhändler, die unmitȬ telbar an Konsumenten verkaufen oder Lebensmitteleinzelhändler, die einen zunehmend größeren Teil ihrer Umsätze durch NonȬFoodȬArtikel generieȬ ren. Als weiteres Beispiel für eine bewusste Fortentwicklung der Rolle geȬ mäß eigener Konzeption können Handelsketten mit angehörigen HandelsȬ marken angeführt werden.
Händler sehen sich als Marktgestalter
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass das gezeigte Rollenverhalten in MultiȬChannelȬSystemen in der Regel das Ergebnis aus Rollenerwartungen, subjektiver Rollenwahrnehmung und individueller Rollenkonzeption ist. In Abbildung 3Ȭ4 werden diese drei Einflussgrößen auf das Rollenverhalten dargestellt.
1 2 3
Vgl. Specht (1998), S. 283. Vgl. Meffert (2000), S. 611. Vgl. auch im Folgenden Ahlert (1996), S. 94.
319
3 Abbildung 3Ȭ4
Channel-Relationship-Management
Einflussgrößen des Rollenverhaltens im MultiȬChannelȬMarketing
Rollenerwartungen der übrigen Akteure im MultiChannel-System
Subjektive Rollenwahrnehmung des Rolleninhabers
Rollenverhalten im Multi-ChannelMarketingSystem
Inidividuelle Konzeption der eigenen Rolle durch den Rolleninhaber
Rollen als stabilisierende Elemente
Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass Rollen eine wichtige Größe in MultiȬChannelȬSystemen bilden, indem sie Strukturen und VerhalȬ tensweisen maßgeblich beeinflussen. Charakteristisch ist, dass Rollen oftȬ mals traditionell gewachsene Strukturen repräsentieren, wodurch sie zeitlich relativ stabil sind. Ein Abweichen vom bisherigen Rollenverhalten ist in der Regel für die Beteiligten nur bei grundlegenden Veränderungen der KräfteȬ verhältnisse oder der die Rendite bestimmenden Faktoren im Kanalsystem attraktiv.1
Inflexibles RolȬ lenverhalten
Daraus folgt zum einen, dass ein ökonomisch effizientes Mehrkanalsystem unter konstanten Umfeldbedingungen ohne großen Koordinationsaufwand langfristig stabil ist. Zum anderen bedeutet es aber auch, dass sich langfrisȬ tig gewachsene Rollenvorstellungen häufig nur in zeitaufwändigen ProzesȬ sen verändern lassen. Dies kann schließlich zu mangelnder Dynamik und Inflexibilität – trotz ökonomisch gebotener Anpassungen – führen und in einem System münden, das in ineffizienten Strukturen verharrt. Mit präzisen Rollendefinitionen und einer koordinierten Rollenvergabe kann ein Unternehmen den zuvor genannten Problemen im MultiȬChannelȬSystem entgegenwirken.2 Ziel dabei ist es, sowohl die verschiedenen Ansprüche der unterschiedlichen Rolleninhaber zu berücksichtigen als auch die unternehȬ mensseitigen Ziele und Erwartungen durchzusetzen. Insbesondere in VeränȬ derungssituationen (z. B. Integration eines neuen Kanals) kann ein klares Verständnis darüber, welche Rolle die einzelnen Beteiligten des Systems in Zukunft einnehmen sollen, Irritationen und Widerstände reduzieren. 1 2
320
Vgl. hierzu und im Folgenden Ahlert (1996), S. 96. Vgl. Schögel (2001), S. 31.
Instrumente der Verhaltenssteuerung
Die Rollenvergabe kann beispielsweise aus der zentralen Position eines MultiȬChannelȬManagers durchgeführt werden.1 Der MultiȬChannelȬManaȬ ger sollte sich zunächst im Rahmen einer Situationsanalyse Klarheit darüber verschaffen,
3.2 Klarheit über die RollenverständȬ nisse schaffen
welche Rollenerwartungen er an die Akteure der einzelnen MarketingȬ kanäle hat,
welche Rollenerwartungen die verschiedenen Akteure des gesamten Marketingsystems untereinander haben,
ob seine Rollenerwartungen konträr zu den Erwartungen der Akteure sind,
welche Rollenerwartungen die Akteure der Marketingkanäle an sein Unternehmen haben.2 Auf Basis dieser Analysen und Abwägungen der verschiedenen Interessen kann die Rollenvergabe im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem erfolgen. Im Rahmen der Kanaldefinition gilt es, Aufgaben und Ziele sorgfältig für die einzelnen Marketingkanäle zu bestimmen. Insbesondere für die eindeutige Festlegung der zu erfüllenden Aufgaben, der gesteckten Ziele sowie der erwarteten Verhaltensweisen und zu erreichenden wirtschaftlichen ErgebȬ nisse wurde ein positiver Effekt auf den MultiȬChannelȬErfolg festgestellt.3
Aufgaben und Ziele je Rolle präzise festlegenȱȱ
Die Maßnahme der Rollendefinition trägt dazu bei, dass die Komplexität und Unsicherheit im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem reduziert wird. DarȬ über hinaus können auf diese Weise Aufgaben und Verantwortungen gezielt entsprechend der Leistungsfähigkeit der einzelnen Kanäle verteilt werden, so dass Kunden kompetent betreut werden. Umsetzen lässt sich die präzise Rollenverteilung in Form von Regelungen, Vereinbarungen oder Verträgen. Die Leistungsdefinition beinhaltet die Aufgabe, für jeden Marketingkanal das Leistungsprogramm festzulegen. Dazu gehören die Definition des ProȬ duktsortiments, der Preise sowie der Marken und Dienstleistungen, die in den jeweiligen Marketingkanälen angeboten werden sollen. In der Literatur finden sich Annahmen darüber, dass durch eine sorgfältige LeistungsdefiniȬ tion mehr Kunden gewonnen werden können, weil die angebotenen LeisȬ tungen in den einzelnen Marketingkanälen stärker den jeweiligen BedürfȬ nissen der Kunden angepasst werden können. Darüber hinaus gewinnen die Kunden mehr Klarheit darüber, welche Leistungen die einzelnen MarkeȬ tingkanäle erbringen. Negativ steht dem möglicherweise ein für das UnterȬ nehmen höherer Koordinationsaufwand gegenüber. 1 2 3
Vgl. zum Begriff des MultiȬChannelȬManagers Abschnitt E 3.2.1. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 139. Vgl. auch im Folgenden Scholl (2003), S. 71 ff. und S. 135 ff.
321
LeistungsdefiniȬ tion je MarkeȬ tingkanal
3 Kundendefiniti t on
Channel-Relationship-Management
Kontrovers wird diskutiert, ob eine präzise Kundendefinition als weiteres mögliches Instrument der Rollenvergabe vorteilhaft ist. Scholl (2003) hat im Rahmen seiner empirischen Untersuchung festgestellt, dass die konkrete Bestimmung, welche Märkte, Segmente und Zielgruppen die einzelnen Marketingkanäle bearbeiten sollen, negative Wirkungen auf den MultiȬ ChannelȬErfolg hat. Begründen lässt sich dies dadurch, dass sich zum einen Kunden nicht bestimmten Vertriebskanälen zuordnen lassen, weil sie die freie Wahl darüber haben wollen, welchen Kanal sie zu welchem Zeitpunkt nutzen. Zum anderen ist mit Segmentierungen häufig das Problem verbunȬ den, dass gewisse Kunden nicht in das Zuordnungsschema passen und deshalb vernachlässigt werden.
3.2.2
Anreizgestaltung
Individuelle Anreize
Als zweites Instrument der Verhaltensabstimmung im MultiȬChannelȬ Marketing lässt sich die gezielte Anreizgestaltung identifizieren. Vor dem Hintergrund der verschiedenartigen Bedürfnisse und Anforderungen der Akteure des MultiȬChannelȬMarketings sind solche Anreize zu wählen, die die Beteiligten zu einem Verhalten motivieren, das den Herstellerzielen nützlich ist.
Grundlagen der Anreizgestaltung
Um die Komplexität dieser individuell abgestimmten Anreizgestaltung zu reduzieren, können Akteure mit ähnlichen BedürfnisȬ und ProblemstruktuȬ ren zu Clustern gruppiert werden. Betrachtet man beispielsweise das MultiȬ ChannelȬSystem eines Reifenherstellers, dann lassen sich zwischen den zwei großen Abnehmergruppen – Automobilproduzenten und Reifenhändler – erhebliche Unterschiede bei den Bedürfnissen feststellen. Innerhalb dieser zwei Gruppen jedoch sind die Bedürfnisse der Akteure vergleichsweise homogen.1 So werden die meisten Automobilproduzenten ihre Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Reifenhersteller unter anderem davon abhängig machen, wie gut dessen Produkte zu den eigenen Produkten passen bzw. inwieweit der Reifenhersteller in der Lage ist, seine Produkte auf die des Herstellers abzustimmen. Darüber hinaus stellen die Fähigkeit und BereitȬ schaft zur JustȬinȬtimeȬBelieferung sowie die Übernahme von MontagefunkȬ tionen durch den Reifenhersteller weitere Anreize für die AutomobilproduȬ zenten dar, genau diesen Reifenhersteller als Zulieferer auszuwählen. Im Gegensatz dazu haben Reifenhändler andere Anforderungen an den Hersteller. Sehr gute Preiskonditionen, die eine hohe Händlermarge verȬ sprechen oder eine finanzielle Unterstützung bei der Beschaffung neuer 1
322
Vgl. auch im Folgenden Meffert (2000), S. 649.
Instrumente der Verhaltenssteuerung
3.2
Montagewerkzeuge können hier als zentrale Anreizmechanismen angeführt werden. An diesem Beispiel wird deutlich, dass im Rahmen der AnreizgesȬ taltung zwischen monetären und nichtȬmonetären Anreizen differenziert werden kann. Folgt man der Klassifikation von Gilliland (2003), so lassen sich mit den glaubwürdigen Kanalrichtlinien, der Unterstützung bei der MarktentȬ wicklung, den ergänzenden kommunikativen Maßnahmen und der EndabȬ nehmergerichteten Unterstützung vier Kategorien von Anreizinstrumenten identifizieren. Die monetären Anreizmechanismen als fünfte Kategorie lasȬ sen sich dem Instrumentarium der Kontrahierungspolitik zuordnen und werden an dieser Stelle nicht behandelt. Abbildung 3Ȭ5 stellt die nichtȬ monetären Anreize überblickartig dar.
Anreizinstrumente im MultiȬChannelȬMarketing1 Glaubwürdige Kanalrichtlinien
Unterstützung bei der Marktentwicklung
• Ausgleichsleistungen
• Bereitstellung von Informationen zur Unterstützung des Vertriebs
• Konfliktlösungsstrategien • ...
• Bereitstelluung von Material zur Verkaufsförderung • Persönliche Unterstützung
Ergänzende kommunikative Maßnahmen • Offene Kommunikationspolitik • Internetgestützte Informationsbereitstellung
Abbildung 3Ȭ5 Endabnehmergerichtete Unterstützung • Promotion von Absatzmittlern durch den Hersteller • Coop-Marketing
• Internetgestützte Transaktionen
• Programme zur Risikominimierung
• ...
• ...
• Zertifizierungsprogramme • ...
Glaubwürdige und transparente Kanalrichtlinien können positiv auf das Commitment eines Absatzmittlers in einem Marketingkanal wirken. Vor dem Hintergrund drohender Disintermediation stellt beispielsweise die Garantie des Verzichts auf direkte Kanäle in bestimmten Bereichen für einen Absatzmittler einen Anreiz dar, in diesem Mehrkanalsystem zu verbleiben. Darüber hinaus können transparente und effektive KonfliktlösungsstrateȬ gien Teil einer glaubwürdigen Kanalpolitik sein. Dies umfasst beispielsweise klar geregelte Zuständigkeiten und Prozesse, wenn verschiedene KanalmitȬ glieder potentiell um Marktanteile konkurrieren..2
Glaubwürdige Kanalrichtlinien
Eine besonders wertvolle Anreizkategorie stellen unterstützende MaßnahȬ men bei der Marktentwicklung dar. Dazu zählen die Weitergabe verkaufsunȬ terstützender Informationen ebenso wie die Bereitstellung von WerbemateȬ
Unterstützung bei der MarktȬ t entwicklung
1 2
In Anlehnung an Gilliland (2003), S. 89. Auch im Folgenden Gilliland (2003), S. 89 ff.
323
3
Channel-Relationship-Management
rialien oder auch der Einsatz von Verkaufspersonal des Herstellers bei einem Absatzmittler. Ein weiteres Beispiel für derartige Anreize sind herstellerinitiȬ ierte Trainingsprogramme und Schulungsmaßnahmen.1 Trainings und Schulungen bieten Vorteile für beide Parteien. Einerseits werȬ den die Absatzmittler bei ihrem KnowȬhowȬAufbau unterstützt, so dass sie ihr Produktangebot effektiver vermarkten können. Andererseits kann der Hersteller sein Marketingkonzept gezielt an die Absatzmittler vermitteln und auf diese Weise dazu beitragen, dass die Produkte entsprechend seiner Vorstellungen angeboten und präsentiert werden. Ergänzende kommunikative Maßnahmen
Auch ein über den Austausch von operativen BestandsȬ und Verkaufsdaten hinausgehender Informationstransfer seitens eines Herstellers an einen AbȬ satzmittler kann als Anreizinstrument verstanden werden. Das Spektrum von Incentives in diesem Bereich ist vielfältig und reicht von einer offenen Kommunikationspolitik des Herstellers über die internetbasierte BereitstelȬ lung von Informationen bis hin zu fortschrittlichen elektronischen TransakȬ tionsmöglichkeiten, wie z. B. internetbasierte KonfigurationsȬ und OrderȬ plattformen.
EndabnehmerȬ r gerichtete Unterstützung
Als letzte Kategorie von Anreizen lassen sich Maßnahmen des Herstellers anführen, die auf eine direkte Unterstützung der Verkaufsaktivitäten eines Absatzmittlers abzielen. In diese Kategorie fallen die direkte „Bewerbung“ von Absatzmittlern durch einen Hersteller, das kooperative Marketing sowie Programme zur Risikominimierung. Besonders kooperative MarketingmaßȬ nahmen sind dabei dazu geeignet, zu einer dauerhaften partnerschaftlichen Beziehung zwischen Hersteller und Absatzmittler beizutragen, da die stetige Interaktion das gegenseitige Vertrauen stärkt.
Anreizsystem
Mit den dargestellten Instrumenten steht einem Hersteller ein breites InȬ strumentarium zur Verfügung, mit dem sich das Verhalten von Akteuren eines Mehrkanalsystems beeinflussen lässt. Der Einsatz dieser Instrumente bildet ein komplexes Anreizsystem. Dieses ist im Kontext des MultiȬ ChannelȬMarketings besonders dann wirksam, wenn es sich am gesamten Mehrkanalsystem orientiert und nicht nur auf einzelne Absatzmittler ausgeȬ richtet ist. Durch solche ganzheitlichen Anreizsysteme lassen sich alle KaȬ nalmitglieder im Idealfall verstärkt an das Mehrkanalsystem binden. AnȬ reizsysteme bieten ferner die Möglichkeit, in bestehenden oder drohenden Konfliktsituationen von Akteuren durch Kompensation auszugleichen. KonȬ flikte können dadurch gemildert oder ggf. zur bessern Zufriedenheit der Konfliktparteien gelöst werden. Da sich Konflikte dennoch nicht gänzlich vermeiden lassen, werden im folgenden Abschnitt Strategien des KonfliktȬ managements im MultiȬChannelȬMarketing vorgestellt.
1
324
Vgl. hierzu Berman (1996), S. 432 f.; Specht (1998), S. 211.
Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
3.3
3.3
Konfliktmanagement im Multi-ChannelMarketing
Zentrales Ziel der Analysen von Verhaltensbeziehungen im MultiȬChannelȬ Marketing ist es, Konfliktpotenzial frühzeitig zu identifizieren und zu reduȬ zieren, da Konflikte einen zentralen Einfluss auf den Erfolg des MultiȬ ChannelȬMarketings haben.1 Nachfolgend werden zunächst zentrale KonȬ fliktursachen, Ȭformen und Ȭfolgen erörtert, um darauf aufbauend mögliche Ansatzpunkte des Konfliktmanagements darstellen zu können.
3.3.1
Konfliktursachen, -formen und –folgen
Der Aufbau neuer Marketingkanäle geht zumeist mit einer Veränderung der bestehenden Beziehungen zwischen den Akteuren des Marketingsystems einher. Dabei können Spannungen und Meinungsverschiedenheiten entsteȬ hen, die nicht selten in Konflikten münden.2 Als Konflikt kann grundsätzlich eine Situation bezeichnet werden, „in der sich zwei oder mehrere VerhalȬ tenstendenzen in einem Spannungsfeld gegenüberstehen, so dass eine geȬ meinsame Entscheidungsfindung beziehungsweise Verhaltensabstimmung auf Widerstand trifft.“3
Konflikte durch neue Kanäle
Insbesondere sind Veränderungssituationen potenziell konfliktträchtig. Die Integration neuer Kanäle in das System oder Änderungen der bisherigen FunktionsȬ und Kompetenzverteilungen sind Beispiele solcher Situationen. Häufig ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Umdenken unter den BeteiligȬ ten des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems ungleich verteilt, was zu besonȬ ders konfliktgeladenen Situationen führen kann.4
Widerstand gegen Veränderungen
Es kann ebenfalls zu Kompetenzstreitigkeiten und Unsicherheiten im MultiȬ ChannelȬMarketingȬSystem kommen, wenn die Funktionsdifferenzen zwiȬ schen den verschiedenen Kanälen zu gering sind oder nicht deutlich gemacht werden. In einem solchen Fall sehen sich etablierte Kanäle durch neue Kanäle bedroht. So ist es beispielsweise denkbar, dass Außendienstmitarbeiter neue Marketingkanäle als Bedrohung wahrnehmen, auch wenn diese neuen KanäȬ le vom Hersteller ursprünglich zur Entlastung der Mitarbeiter von RoutinetäȬ tigkeiten oder zur Bedienung neuer Marktsegmente gedacht sind.5
Mangelnd funktionale Differenzierung
1 2 3 4 5
Vgl. Meffert (2000), S. 610. Vgl. Schögel (2001), S. 30. Meffert (2000), S. 610 f. Vgl. Ahlert (1996), S. 96. Vgl. Schögel (1997), S. 94 f.
325
3
Channel-Relationship-Management
Knappe RessourȬ r cen als KonfliktȬ t ursache
In diesem Zusammenhang bilden knappe Ressourcen zusätzlich eine mögliȬ che Konfliktursache. Zielen beispielsweise verschiedene Vertriebskanäle auf ähnliche oder identische Kundengruppen ab, dann können hieraus KonfliktȬ situationen entstehen. Ein klassisches Beispiel bieten in diesem ZusammenȬ hang so genannte FactoryȬOutletȬCenter, über die Hersteller (als Ergänzung zum klassischen indirekten Vertrieb über den Einzelhandel) ihre Waren auf direktem Wege den Kunden anbieten. Eine empirische Untersuchung hat ergeben, dass viele Unternehmen (44,5 % der Befragten) den direkten VerȬ trieb ohne die Vertriebspartner als einen Bereich mit hoher KonfliktträchtigȬ keit empfinden.1
Divergierende Ziele im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Jedes Mitglied in einem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem hat seine eigenen Ziele. Sind die Ziele von zwei oder mehreren Akteuren inkompatibel, dann ergeben sich Konfliktsituationen.2 Im MultiȬChannelȬSystem verfolgen die verschiedenen Akteure häufig lediglich einen gemeinsamen Zweck, können sich aber nicht auf ein gemeinsames Zielsystem einigen. Selbst wenn sie sich formal einheitlichen Zielen verschrieben haben, dann bedeutet dies noch nicht, dass diese Ziele mit den individuellen Zielen übereinstimmen und konsequent verfolgt werden.3 Zielkonflikte sind somit eine häufige Form von Konflikten in MultiȬChannelȬSystemen. Nachstehende Tabelle 3Ȭ1 stellt beispielhaft mögliche divergierende Ziele eines Herstellers und seiner AbȬ satzmittler aus dem MultiȬChannelȬMarketingȬSystem dar. Exemplarisch werden dafür die DistributionsȬȱund die Kommunikationspolitik als mögliȬ che Konfliktfelder herausgegriffen.
Tabelle 3Ȭ1
Mögliche Zielkonflikte zwischen Hersteller und Absatzmittler 4 Herstellerziele z. B. in Bezug auf die Distributionspolitik
z. B. in Bezug auf die Kommunikationspolitik
1 2 3 4
326
Absatzmittlerziele
Reduktion der Abhängigkeit von den Absatzmittlern
Sicherung einer exklusiven Distribution
Erzielung einer möglichst hohen Marktabdeckung
Einnahme der Rolle des Marktgestalters
Herstellerspezifische Werbung und keine Förderung von Konkurrenzprodukten
Absatzmittlerspezifische Werbung und Förderung des Gesamtsortiments
Kanalübergreifend integrierte Kommunikationspolitik
Keine Kooperation mit konkurrierenden Absatzmittlern in der Kommunikationspolitik
Vgl. Homburg/Schneider (2000), S. 20 Vgl. Rosenbloom (2004), S. 115. Vgl. Ahlert (1996), S. 89. Vgl. Specht (1998), S. 289.
Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
Die Auswirkungen von Konflikten auf das MultiȬChannelȬMarketingȬ System können sowohl positiver als auch negativer Natur sein.1 Positive oder funktionale Konflikte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie positive Veränderungsprozesse auslösen, indem sich die Parteien konstruktiv mit den Problemen auseinander setzen. Hierdurch werden Spannungen abgeȬ baut, zusätzliche Ressourcen freigesetzt und Ideen gefördert.2
3.3 Positive und negative KonȬ fliktfolgen
Negative oder dysfunktionale Konflikte hingegen sind dadurch gekennȬ zeichnet, dass keine Problemlösungsprozesse eingeleitet werden und der Konflikt ungelöst bleibt bzw. sogar eskaliert.3 Dadurch entstehen FunktionsȬ störungen, die die Effizienz des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems zum Teil beträchtlich herabsetzen können. Weitere negative Konfliktwirkungen sind Instabilität und Unsicherheit im System, erschwerte Koordinationsprozesse sowie Stress, Unzufriedenheit, Weigerung und Ablehnung bei den BeteiligȬ ten.4 Die möglichen positiven und negativen Konfliktwirkungen sind zuȬ sammenfassend in Tabelle 3Ȭ2 aufgelistet.
Mögliche positive und negative Konfliktwirkungen im MultiȬChannelȬMarketing5 Positive Konfliktwirkungen
Negative Konfliktwirkungen
Abbau von Spannungen
Funktionsstörungen im System
Freisetzung von Energien
Instabilität und Unsicherheit
Förderung von Ideen
Erschwerte Koordination
Chance für Veränderungen
Weigerung und Ablehnung
Der Zusammenhang zwischen der Höhe des Konfliktniveaus und der EffiȬ zienz des Mehrkanalsystems lässt sich als inverse UȬKurve beschreiben (vgl. Abbildung 3Ȭ6).6 Sowohl ein zu niedriges als auch ein zu hohes KonfliktniȬ veau sind folglich mit einer geringen Effizienz des MultiȬChannelȬ MarketingȬSystems verbunden. Ein optimales Konfliktniveau, welches sich maximal positiv auf die Funktionalität des Mehrkanalsystems auswirkt, wird am Scheitelpunkt der Kurve – bei einem mittleren Konfliktniveau –
1 2 3 4 5 6
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 896. Vgl. Staehle (1999), S. 393; Schögel (2001), S. 31. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 896. Vgl. Staehle (1999), S. 393; Schögel (2001), S. 31. Vgl. Staehle (1999), S. 393; Schögel (2001), S. 31. Vgl. Kast/Rosenzweig (1985), S. 344; Staehle (1999), S. 393.
327
Tabelle 3Ȭ2
Optimales Konfliktniveau
3
Channel-Relationship-Management
erreicht. Eine Veränderung im System, z. B. in Form der Aufnahme eines neuen Kanals, führt zu einer Verschiebung der Kurve nach rechts und gegeȬ benenfalls auch zu einer Erhöhung der Effizienz. 1
Abbildung 3Ȭ6
Optimales Konfliktniveau in Mehrkanalsystemen2
hoch Konfliktsituation nach Aufnahme eines neuen Kanals
Konfliktsituation vor Aufnahme eines neuen Kanals
Effizienz
niedrig niedrig
opt1
opt2
hoch
Konfliktniveau
3.3.2 Angestrebtes Konfliktniveau im MultiȬ ChannelȬ Marketing
Formen des Konfliktmanagements
Unter dem Begriff Konfliktmanagement ist die zielorientierte Gestaltung und Steuerung von Konfliktfeldern zu verstehen. Hierunter fallen beispielsȬ weise Ziele und Techniken, die zur Konfliktbewältigung angewendet werȬ den.3 Darüber hinaus setzt sich ein Unternehmen im Rahmen des KonfliktȬ managements mit der grundlegenden Frage auseinander, wie es mit KonȬ flikten im MultiȬChannelȬMarketingȬSystem umgehen will. Dafür muss zunächst das angestrebte Konfliktniveau im Mehrkanalsystem festgelegt werden.
1 2 3
328
Vgl. Schögel (1997), S. 93. In Anlehnung an Kast/Rosenzweig (1985), S. 344; Schögel (1997), S. 93. Vgl. Krüger (1981), S. 938.
Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
3.3
Ein gewisser Grad an Konflikten kann durchaus stimulierend auf das MultiȬ ChannelȬMarketingȬSystem wirken und dessen Funktionalität und Effizienz erhöhen. So sollen beispielsweise durch bewusst geschaffene WettbewerbssiȬ tuationen zwischen den Kanälen Spannungen in der Art erzeugt werden, dass sich die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems erhöht. L’Oréal zum Beispiel verfolgt eine solche Konfliktstrategie, indem das UnȬ ternehmen Konkurrenzsituationen zwischen den Marketingkanälen bewusst provoziert und dabei selbst Kannibalisierungen der Leistungen am EndȬ kundenmarkt in Kauf nimmt.1 Im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über das ZielȬKonfliktniveau wird das angestrebte Ausmaß an Harmonie bzw. Disharmonie zwischen den Marketingkanälen bestimmt. Ziel des Konfliktmanagements ist es, das AusȬ maß an positiven und negativen, disfunktionalen Konfliktwirkungen zu optimieren. Das Konfliktmanagement umfasst damit sowohl Strategien zur Konfliktlösung (z. B. Verhandlungen) als auch für die bewusste KonfliktstiȬ mulierung (z. B. Wettbewerb).2 In Tabelle 3Ȭ3 sind ausgewählte HandlungsȬ strategien zur Konfliktstimulierung und Konflikthandhabung dargestellt.
Konfliktförderung und Konfliktlösung3
Tabelle 3Ȭ3
Konflikte werden verstärkt durch...
Konflikte werden gemindert durch...
Förderung von Wettbewerb
Ankündigung von Veränderungen
Etablierung eines gemeinsamen Oberziels
Selektive Information
Verhandlungen
Verbreitung von Unsicherheit
Konfrontation/Zwang zur Auseinandersetzung
Ausspielen verschiedener Gruppen gegeneinander
Drittparteienurteil (Schlichter)
Differenzierung von Macht, Status, Rollen
Beseitigung von Konfliktursachen
Verharmlosung des Konflikts („smoothing over“)
1 2 3
Vgl. Schögel (2001), S. 34 f. Vgl. Robbins (1974); Staehle (1999), 394. Vgl. Staehle (1999), S. 394 f.
329
3
Channel-Relationship-Management
Präventives KonfliktȬ t management
Prinzipiell kann zwischen einem präventiven und einem situativen KonȬ fliktmanagement unterschieden werden.1 Durch präventive KonfliktmaßȬ nahmen soll Spannungen bereits frühzeitig vorgebeugt werden. Mögliche Maßnahmen hierfür stellen das Belohnen von Handlungen, die die Effizienz des Marketingsystems erhöhen, die Förderung von Kommunikation und Interaktion zwischen den verschiedenen Beteiligten und das Vermeiden von GewinnȬVerlustȬSituationen im Marketingsystem dar.2 Darüber hinaus könȬ nen regelmäßige, gegenseitige Leistungsbeurteilungen helfen, UnzufriedenȬ heit und potenzielle Konfliktfelder im System aufzudecken. Auch regelmäȬ ßige, institutionalisierte Meetings von Repräsentanten der verschiedenen Interessengruppen können dazu beitragen, dass verschiedenste MarketingȬ belange diskutiert und Probleme frühzeitig aufgedeckt werden.3
Situatives KonfliktȬ t management
Demgegenüber richtet sich das situative Konfliktmanagement auf konkrete Konflikte.4 Ein Unternehmen sollte über adäquate Routinen verfügen, um akute bzw. sich anbahnende Konfliktsituationen im MultiȬChannelȬSystem zu erkennen, auf ihre positiven und negativen Wirkungen hin zu bewerten und in Kombination mit entsprechenden Strategien zu steuern. InsbesondeȬ re disfunktionale Konflikte gilt es früh zu erkennen und schnell zu lösen. Dabei ist zu beachten, dass unterschiedliche Konfliktursachen auch unterȬ schiedliche Konflikthandhabungen erfordern. Strategien zur KonflikthandȬ habung lassen sich anhand der Gewichtung der eigenen Interessen gegenȬ über den Interessen anderer Akteure kategorisieren (vgl. Abbildung 3Ȭ7).
1 2 3 4
330
Vgl. hierzu und im Folgenden Schögel (1997), S. 95 f. Vgl. Schein (1980); Staehle (1999), S. 395. Vgl. Rosenbloom (2004), S. 120 ff. Vgl. hierzu Staehle (1999), S. 397.
Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
Strategien zur Konflikthandhabung1
3.3 Abbildung 3Ȭ7
hoch
Kooperation/ gemeinsame Problemlösung
Anpassung/ Nachgeben
Orientierung an den Interessen Anderer
Kompromiss
Rückzug
Wettbewerb/ Machtstrategie
niedrig niedrig
Orientierung O i i an den d eigenen Interessen
hoch
Konfliktstrategien, die auf eine ausgewogene Berücksichtigung der InteresȬ sen beider Konfliktparteien abzielen, sind die Kooperation, das gemeinsame Problemlösen und der Kompromiss. Diese Konflikthandhabungsformen werden zumeist dann gewählt, wenn es für beide Parteien um hohe Einsätze geht und eine Basis auf der Grundlage kongruenter Interessen besteht.2
KooperationsȬ und KomproȬ missstrategie
Denkbar wäre in diesem Zusammenhang der Fall, dass zwei Absatzmittler für ein und denselben Hersteller tätig sind und sich dadurch in einer KonȬ fliktsituation befinden (z. B. gleiche Zielkundengruppe). Wenn nun keine der Parteien sich in einer überlegenen Situation befindet (z. B. ähnliche Marktanteile und ähnliche Unternehmensgröße), ist eine KooperationsȬ oder die Kompromissstrategie wahrscheinlich. Im Gegensatz dazu betonen die Strategien Machtdurchsetzung bzw. forcierȬ ter Wettbewerb und Anpassung einseitige Interessen. Anpassungsstrategien finden sich zumeist in Situationen, in denen sich die Interessen der KonȬ fliktparteien zwar prinzipiell ähnlich, aber insgesamt nur von geringer PrioȬ
1 2
In Anlehnung an Thomas (1976), S. 900; Kollmannsperger (2000), S. 47. Vgl. Staehle (1999), S. 396.
331
AnpassungsȬ strategie
3
Channel-Relationship-Management
rität sind.1 Eine Konfliktpartei wird hierbei eine Anpassung dem offenen Konflikt vorziehen, um mögliche negative Konfliktwirkungen und den ResȬ sourcenaufwand für die Konfliktbewältigung zu begrenzen. Für diese Partei steht der Aufwand eines offenen Konfliktes in keiner Relation zu einem möglichen Nutzen. WettbewerbsȬȱ t und MachtȬ strategie
Wenn insgesamt nur geringe Einsätze bei divergierenden Interessen vorlieȬ gen, dann ist der Rückzug beider Konfliktparteien, also der Verzicht auf den Konflikt, wahrscheinlich. Bei hohen Einsätzen und divergierenden InteresȬ sen hingegen wird häufig die WettbewerbsȬ und die Machtstrategie eingeȬ setzt. Die Verfolgung der WettbewerbsȬ oder Machtstrategie im MultiȬ ChannelȬMarketing ist in der Regel nur dann möglich, wenn einer der AkȬ teure sich in einer privilegierten Situation befindet (z. B. Absatzmittler sind in hohem Maße vom Hersteller abhängig und dieser setzt auf forcierten Wettbewerb zwischen seinen Marketingkanälen). In den bisherigen Ausführungen sowohl zur Rollenvergabe als auch zum präventiven und situativen Konfliktmanagement wurde immer wieder deutȬ lich, dass die offene Kommunikation ein wichtiges Instrument zur KonfliktȬ bewältigung darstellt. Dies gilt insbesondere für die konfliktträchtigen SituaȬ tionen, in denen neue, zusätzliche Marketingkanäle in ein bestehendes SysȬ tem aufgenommen werden. Durch aktive Kommunikation können Missverständnisse und Unsicherheiten beseitigt und somit Widerstände gegen die Veränderungen überwunden werden.2
1 2
332
Vgl. hierzu und im Folgenden Staehle (1999), S. 396. Vgl. Schögel (2001), S. 43.
Konfliktmanagement im Multi-Channel-Marketing
3.3
4 Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Ein wichtiger Bestandteil des MultiȬChannelȬMarketings ist seine organisaȬ torische Implementierung. Die Verankerung des MultiȬChannelȬMarketings in der UnternehmensȬ und Marketingorganisation, die Koordination mit anderen Unternehmensbereichen und die Schaffung von Schnittstellen zu Abnehmern und Absatzmittlern sind von erheblicher Bedeutung für die erfolgreiche Umsetzung eines Mehrkanalsystems. In Abschnitt 4.1 wird zunächst der Organisationsbegriff im Kontext des MultiȬChannelȬ Marketings definiert und die verschiedenen Kanalorganisationen erläutert. Daran schließt sich in Abschnitt 4.2 und 4.3 eine Darstellung der beiden grundlegenden Instrumente der Organisation, Differenzierung und IntegraȬ tion, an. Im Verlauf dieser Darstellung werden Organisationsmodelle vorgeȬ stellt, die sich besonders für das MultiȬChannelȬMarketing eignen. Abbildung 4Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 4Ȭ1
Struktur des Kapitels
Organisationsfelder des Multi-Channel-Marketings
Organisatorische Differenzierung
Organisatorische Integration
•
Erläuterung des Organisationsbegriffs
•
Verrichtungsorientierte Organisation
•
Hierarchie
•
Programme und Pläne
•
Channel-Organisationen
•
Objektorientierte Organisation
•
Selbstabstimmung
333
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
4.1 Instrumenteller OrganisationsȬ begriff
Organisationsfelder des Multi-ChannelMarketings
Unter Organisation werden alle auf die Erreichung von Zwecken und Zielen gerichteten Maßnahmen verstanden, durch die ein soziales System arbeitsȬ teilig strukturiert und das Handeln der Teilnehmer koordiniert wird (inȬ strumenteller Organisationsbegriff).1 Eine der wichtigsten Maßnahmen zur zielgerichteten Steuerung eines sozialen Systems ist die Schaffung von ReȬ geln. Durch solche organisatorische Regeln werden an die OrganisationsȬ mitglieder bestimmte Verhaltenserwartungen gestellt, an denen sie ihre Handlungen ausrichten sollen. Die Regeln fördern somit einen TopȬDownȬ Ansatz und eine klare Aufgabenverteilung.2 Eine wichtige Aufgabe der Organisation ist die Reduzierung von UmweltȬ komplexität. Dies geschieht einerseits durch die Ausbildung organisatoriȬ scher Strukturen und Teilsysteme zur arbeitsteiligen Verrichtung von AufȬ gaben (Differenzierung), andererseits durch die Koordination der einzelnen Teilsysteme (Integration).3 Die Unterteilung der organisatorischen GesamtȬ aufgabe in Differenzierung und Integration entspricht im Wesentlichen den in der deutschen Betriebswirtschaftslehre verwendeten Begriffen AufbauȬ und Ablauforganisation.4
Formale und informelle Organisation
Organisatorische Regeln entspringen prinzipiell einem autorisierten Prozess der Organisationsgestaltung. Ergebnis dieses Prozesses ist die formale OrȬ ganisation, deren NichtȬEinhaltung mit offiziellen Sanktionen bis hin zum Ausschluss geahndet wird. Neben der formalen Organisation bestehen in einem Unternehmen häufig auch informelle Regeln. Informelle Regeln schafȬ fen eigene Kommunikationswege, Hierarchien und Sanktionen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Funktionserfüllung des Gesamtsystems und können Defizite der formalen Organisation kompensieren.5 Im Rahmen der Betrachtung des MultiȬChannelȬMarketings wird der Schwerpunkt auf die formale Organisation gelegt, da diese im Gegensatz zu informellen Regeln eher durch das Management beeinflussbar ist.
OrganisationsȬ felder des MultiȬ ChannelȬ Marketings
Vor der Erörterung der Organisationsinstrumente ist es erforderlich, die Organisationsfelder im MultiȬChannelȬMarketing abzugrenzen. Es ist zum einen zwischen der Organisation innerhalb eines Marketingkanals (IntraȬ Channel) und der Organisation zwischen mehreren Kanälen zu unterscheiȬ den (InterȬChannel). Zum anderen kann zwischen der unternehmensinterȬ 1 2 3 4 5
334
Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 17. Vgl. Schreyögg (1999), S. 9 f. Vgl. Schreyögg (1999), S. 110 ff.; Staehle (1999), S. 671 ff. Vgl. Frese (2000), S. 7. Vgl. Luhmann (1995), S. 284 f.
Organisationsfelder des Multi-Channel-Marketings
4.1
nen Organisation und der unternehmensexternen, zwischenbetrieblichen Organisation differenziert werden. Tabelle 4Ȭ1 gibt einen Überblick über die Organisationsfelder des MultiȬChannelȬMarketings.
Tabelle 4Ȭ1
Intra-Channel
Inter-Channel
Unternehmensintern
Interne Vertriebsorganisation
Interne Mehrkanalorganisation
Unternehmensextern
Organisationsfelder des MultiȬChannelȬMarketings
Externe Vertriebsorganisation
Externe Mehrkanalorganisation
Die Organisation eines einzelnen Marketingkanals innerhalb eines UnterȬ nehmens kann als interne Vertriebsorganisation bezeichnet werden. Sind innerhalb eines Kanals mehrere Unternehmen tätig, z. B. ein Hersteller soȬ wie GroßȬȱund Einzelhändler, spricht man von externer VertriebsorganisatiȬ on. In beiden Fällen handelt es sich um eine IntraȬChannelȬOrganisation. Da sich MultiȬChannelȬMarketing per Definition mit der Organisation von mehr als einem Kanal befasst, entzieht sich die IntraȬChannelȬOrganisation der fokalen Betrachtung und wird dementsprechend komprimiert behandelt. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass auch für Unternehmen, die mehrere Marketingkanäle nutzen, die IntraȬChannelȬOrganisation von hoher BedeuȬ tung ist.
IntraȬChannelȬ Organisation
Bei der Organisation mehrerer Kanäle innerhalb eines Unternehmens hanȬ delt es sich um die interne Mehrkanalorganisation. Sind innerhalb der MarȬ ketingkanäle mehrere Unternehmen miteinander abzustimmen, wird dies als externe Mehrkanalorganisation bezeichnet. Charakteristisch für die InterȬ ChannelȬOrganisation ist die gegenüber der IntraȬChannelȬOrganisation wesentlich höhere Komplexität, da zusätzlich Interdependenzen zwischen den einzelnen Kanälen berücksichtigt werden müssen. Die interorganisatioȬ nale Abstimmung wird darüber hinaus durch die unterschiedlichen und teilweise konfliktären Ziele der beteiligten Unternehmen erschwert, so dass es sich bei der externen Mehrkanalorganisation um die anspruchsvollste Form der Organisation von Mehrkanalsystemen handelt.
InterȬ r ChannelȬ Organisation
335
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Den Schwerpunkt dieses Kapitels stellen die interne und externe MehrkaȬ nalorganisation dar. Bei der Darstellung der internen MehrkanalorganisatiȬ on werden die Umsetzung eines Mehrkanalsystems in der OrganisationsȬ struktur und die Instrumente zur unternehmensinternen Abstimmung der Kanäle erörtert. Im Rahmen der Ausführungen zur externen MehrkanalorȬ ganisation wird vor allem auf die unternehmensinterne Schaffung von Schnittstellen zu den Konsumenten sowie Absatzmittlern undȱ Ȭhelfern einȬ gegangen.
4.2
Organisatorische Differenzierung
AusgangsȬȱ problem der Differenzierung
Da nicht alle Aufgaben innerhalb eines Unternehmens von einer Person übernommen werden können, findet eine Arbeitsteilung zwischen mehreren Personen statt. Das Ausgangsproblem der Differenzierung ist also die ArȬ beitsteilung, d. h. die im Hinblick auf das Unternehmensziel optimale ZuȬ weisung von Einzeltätigkeiten.1 Auch für das MultiȬChannelȬManagement gilt, dass die Aufgaben im Rahmen des Mehrkanalsystems optimal zugewieȬ sen werden müssen. Nur durch eine effiziente Arbeitsteilung lassen sich die vorgegebenen MultiȬChannelȬMarketingȬZiele auch erreichen.
Aufgabenanalyse und d Ȭsynthese
Um eine zielorientierte Differenzierung vornehmen zu können, schlägt KoȬ siol (1978) einen Organisationsprozess vor, der aus den Schritten AufgabenȬ analyse und Aufgabensynthese besteht.2 Der Organisator soll in der AufgaȬ benanalyse die Gesamtaufgabe des Unternehmens anhand der fünf DimenȬ sionen Verrichtungen, Objekte, Rang, Phase und Zweckbeziehungen in Teilaufgaben zerlegen. Die so gebildeten Teilaufgaben werden in der AufgaȬ bensynthese zu organisatorischen Einheiten zusammengefasst. Auch im MultiȬChannelȬMarketing muss der gesamte Vertriebsprozess vom HerstelȬ ler bis zum Endkunden in die wesentlichen Teilaufgaben zerlegt werden, um dann eine Aufgabensynthese vorzunehmen. Auf Basis dieser Synthese werȬ den dann organisatorische Einheiten gebildet, die für bestimmte AufgabenȬ bereiche im Rahmen des Vertriebsprozesses verantwortlich sind.
Stellen und Instanzen
Die kleinste organisatorische Einheit ist eine Stelle, es handelt sich dabei um ein „Bündel von VerhaltensȬȱ und Leistungserwartungen, die sich an einen potentiellen Mitarbeiter richten“3. Wird eine Stelle mit AnordnungsbefugȬ nissen über andere Stellen ausgestattet, handelt es sich um eine Instanz. Durch die Zusammenfassung mehrerer Stellen unter einer Instanz entsteht 1 2 3
336
Vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 406. Vgl. Kosiol (1978), S. 69 ff. Schreyögg (1999), S. 123.
Organisatorische Differenzierung
4.2
eine Abteilung.1 Abteilungen können wiederum zu Hauptabteilungen zuȬ sammengefasst werden. Der Organisationsprozess wird so lange fortgeführt, bis die gesamte Unternehmensaufgabe auf verschiedene Stellen und InstanȬ zen verteilt ist. Im MultiȬChannelȬKontext könnte eine bestimmte Stelle z. B. die Steuerung des Internetvertriebs oder aber die Betreuung eines spezifiȬ schen Absatzmittlers darstellen. Verschiedene derartige Stellen sind einer übergeordneten Instanz zugeteilt, die den Mehrkanalvertrieb einer bestimmȬ ten Produktgruppe, wie z. B. „Consumer Products“, steuert und als AbteiȬ lung für den Vertrieb dieser Produktgruppe aufgefasst werden kann. Diese Abteilung kann wiederum einer übergeordneten Vertriebsabteilung zugeȬ ordnet werden. Zu den am meisten verbreiteten Formen der Differenzierung gehören die verrichtungsorientierte und die objektorientierte Arbeitsteilung. Sie sind nicht als sich gegenseitig ausschließende Differenzierungsformen anzuseȬ hen, so kann z. B. auf einer Unternehmensebene eine objektorientierte DiffeȬ renzierung und auf einer darunter liegenden Ebene eine verrichtungsorienȬ tierte Differenzierung vorliegen. Auf beiden Differenzierungsformen beruȬ hen zahlreiche, auch im Marketing verbreitete Organisationsmodelle.2 Diese werden im Folgenden beschrieben und ihre Bedeutung für das MultiȬ ChannelȬMarketing erörtert.
4.2.1
Verrichtungsorientierte Organisation
Die verrichtungsorientierte Arbeitsteilung ist eine sehr verbreitete Form der Differenzierung. Gleichartige Verrichtungen werden in einer Stelle oder Abteilung zusammengefasst, z. B. in einer Marktforschungsabteilung. Durch eine verrichtungsorientierte Organisation können vor allem EffiȬ zienzgewinne erzielt werden. Sie ermöglicht die Nutzung von SpezialisieȬ rungsvorteilen und Synergieeffekten sowie die bessere Ausnutzung vorȬ handener Ressourcen.3 Nachteile der verrichtungsorientierten Organisation entstehen durch hohen Koordinationsbedarf. Die Kommunikation zwischen den Abteilungen ist häufig aufwändig und zeitraubend. Darüber hinaus neigen spezialisierte Abteilungen zu Ressortegoismus, indem sie vor allem Abteilungsziele verȬ folgen und darüber das Interesse des Gesamtunternehmens vernachlässigen. Auf Stellenebene wirken sich vor allem die stark spezialisierten ArbeitsinȬ halte negativ auf die Motivation aus.4 1 2 3 4
VerrichtungsȬ und objektorientierte Differenzierung
Vgl. Staehle (1999), S. 698. Vgl. Meffert (2000), S. 1071 ff. Vgl. Schreyögg (1999), S. 130 f. Vgl. Staehle (1999), S. 740 f.
337
VerrichtungsȬ orientierte Differenzierung
4 FunktionalȬ organisation
Abbildung 4Ȭ2
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Die verrichtungsorientierte Arbeitsteilung wird häufig durch die so genannȬ te Funktionalorganisation umgesetzt. Dabei werden Abteilungen auf der zweiten Ebene unterhalb der Geschäftsleitung in einem Unternehmen oder einer strategischen Geschäftseinheit (SGE) nach betrieblichen Funktionen wie Beschaffung, Produktion, Marketing oder Rechnungswesen gebildet und von Abteilungsleitern geführt, z. B. dem Leiter Beschaffungswesen. Abbildung 4Ȭ2 stellt eine funktionale Organisationsstruktur dar.
Funktionale Organisationsstruktur Geschäftsleitung
Beschaffung
MultiȬChannelȬ Marketing in der FunktionalȬ organisation
Produktion
Marketing + Vertrieb
Verwaltung
Empirische Untersuchungen zeigen, dass insbesondere bei Großunternehmen eine funktionale Differenzierung zwischen Marketing und Vertrieb zu finden ist.1 Damit stellt sich die Frage, in welcher Abteilung das MultiȬChannelȬ Marketing organisatorisch verankert werden soll, da es Aufgaben umfasst, die sowohl im MarketingȬ als auch im Vertriebsbereich angesiedelt sind. Wird die Verantwortung für das MultiȬChannelȬMarketing ausschließlich einer Abteilung übertragen, besteht in einer funktionalen OrganisationsȬ struktur die Gefahr, dass aufgrund von Spannungen oder KommunikationsȬ schwierigkeiten zwischen den Abteilungen keine ausreichende Koordination der MarketingȬ und Vertriebsmaßnahmen innerhalb des Mehrkanalsystems stattfindet. Um diesem Problem entgegenzuwirken, kann beispielsweise eine eigene Stelle für das MultiȬChannelȬMarketing geschaffen werden oder der Einsatz verschiedener Integrationsinstrumente erfolgen, wie sie in Abschnitt 4.3 beschrieben werden.
ChannelȬ Manager
Specht (1998) schlägt vor, die Stelle eines ChannelȬManagers zu schaffen.2 Dieser ist für das Management eines Marketingkanals zuständig und nimmt Aufgaben der Planung, Organisation, Koordination und Kontrolle wahr. Er übernimmt eine Schlüsselstellung bei der Entscheidung über MarketingȬ und Vertriebsaufgaben, die innerhalb eines Kanals getroffen werden und ist zugleich Ansprechpartner für die anderen Akteure im Marketingkanal. Er bildet somit eine Schnittstelle zu externen Kanalmitgliedern und ist damit für die interne und externe Vertriebsorganisation, d. h. die IntraȬChannelȬ Organisation, verantwortlich. 1 2
338
Vgl. Workman/Homburg/Gruner (1998), S. 35 ff. Vgl. Specht (1998), S. 218 ff.
Organisatorische Differenzierung
Die ChannelȬManager, die für die Koordination eines Kanals verantwortlich sind, können auf übergeordneter Ebene durch einen MultiȬChannelȬ Manager ergänzt werden, der für die Koordination der MarketingȬ und Vertriebsaktivitäten über mehrere Kanäle hinweg verantwortlich ist. Der MultiȬChannelȬManager erarbeitet in enger Kooperation mit den ChannelȬ Managern sowie mit der MarketingȬ und Vertriebsorganisation ein Konzept für den Einsatz der unterschiedlichen Marketingkanäle und ist auch mit der Planung, Organisation und Kontrolle der Aktivitäten betraut. Der KoordinaȬ tionsaufwand für einen MultiȬChannelȬManager stellt sich im Vergleich zu einem ChannelȬManager als wesentlich höher dar, da er gleichzeitig eine Vielzahl verschiedener Kanäle aufeinander abstimmen muss. Insbesondere bei sehr komplexen Mehrkanalsystemen nimmt die Bedeutung des MultiȬ ChannelȬManagers weiter zu und repräsentiert einen erfolgskritischen FakȬ tor.1
4.2.2
4.2 MultiȬChannelȬ Manager
Objektorientierte Organisation
Bei der objektorientierten Organisation werden verschiedenartige AktivitäȬ ten, die für die Bearbeitung eines bestimmten Objekts erforderlich sind, in einer Stelle oder Abteilung zusammengefasst. Eine objektorientierte DiffeȬ renzierung kann auf jeder Unternehmensebene vorgenommen werden. Häufig eingesetzte Differenzierungsobjekte sind dabei Produkte, Kunden oder Regionen.2 Die bekannteste Form der objektorientierten DifferenzieȬ rung stellt die divisionale Organisation, welche auch SpartenȬȱ oder GeȬ schäftsbereichsorganisation bezeichnet wird, dar.
Objektorientierte Differenzierung
In der Praxis werden Divisionen häufig als eigenverantwortliche ProfitȬ Center geführt: „ProfitȬCenter sind organisatorische Teilbereiche einer UnȬ ternehmung, für die ein gesonderter Erfolgsausweis vorgenommen wird.“3 Die Zurechnung des Geschäftserfolgs auf eine Division ist aber nur dann möglich, wenn die Divisionsleitung Einfluss auf die erfolgswirksamen SachȬ funktionen hat. Daher sollten einer Division alle leistungsbezogenen BereiȬ che zugeordnet werden, die sich aus dem Differenzierungsobjekt ergeben.4
Divisionale Organisation/ ProfitȬ t Center
Auf der Ebene des Gesamtunternehmens werden die Divisionen häufig um funktionale Zentralbereiche ergänzt, z. B. Forschung, Personal oder StrateȬ gie. In zahlreichen Unternehmen existieren auch zentrale VertriebsabteilunȬ
Zentralbereiche
1 2 3 4
Vgl. zum Komplexitätsmanagement auch Kapitel E4. Vgl. Staehle (1999), S. 741. Frese (2000), S. 205. Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 179.
339
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
gen, die von den einzelnen Divisionen gemeinsam genutzt werden.1 Abbildung 4Ȭ3 gibt einen Überblick über die ProfitȬCenterȬOrganisation der Hubert Burda Media. Die Zentralbereiche Technologie, Treasury, Finanzen und Verwaltung sowie Recht stellen ihre Expertise den Sparten zur VerfüȬ gung, in denen das operative Geschäft gebündelt ist. Die einzelnen Verlage sind selbstständige Gesellschaften, die über eigene Ergebnisverantwortung verfügen.
Abbildung 4Ȭ3
ProfitȬCenterȬOrganisation der Hubert Burda Media2 Vorstandsvorsitzender
Technologie, Treasury
Finanzen & Verwaltung
Recht
Verlage
Burda Systems GmbH
Burda Services GmbH
Focus Magazin Verlag GmbH Verla
Burda Druck GmbH
Burda Procurement Center
Tomorrow Focus AG
Burda Digital GmbH
Steuerung divisionaler Organisationen
Focus, Fernsehen, Hörfunk
Burda Broadcast Media
Burda Direct GmbH
Burda Medien Vertrieb GmbH
Super Verlag GmbH
Verlag Arabellastrasse
Zeitungsverlag Schwerin
Burda Advertising Center GmbH
Burda People Group Medien Park Verlage
Burda Publishing Center GmbH
Burda Eastern Europe GmbH
Burda Holding Vogel Burda Holding International GmbH
Die Steuerung eines divisionalisierten Gesamtunternehmens erfolgt durch die Unternehmensleitung, die allerdings soweit wie möglich auf operative Eingriffe in das Geschäft der Divisionen verzichtet. Stattdessen werden die Divisionen durch die Vorgabe von Finanzkennzahlen gesteuert; das bekannȬ teste Steuerungskonzept hierzu ist das ROIȬKennzahlensystem. Durch die Delegation von Verantwortung an die einzelnen Divisionen wird die Unternehmensspitze entlastet. Gleichzeitig wird den Divisionsleitern Raum zur Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit gegeben, was sich positiv auf die Motivation auswirkt. Die einzelnen Divisionen können sich leichter an veränderte Umweltbedingungen anpassen, was die Flexibilität im VerȬ gleich zur funktionalen Organisation erhöht.3 Nachteilig wirkt sich die Divisionalisierung auf die Ressourceneffizienz aus, wenn sich durch die Aufteilung von Ressourcen oder Prozessen auf verȬ
1 2 3
340
Vgl. Workman/Homburg/Gruner (1998), S. 29 f. In Anlehnung an Wirtz (2005a), S. 117. Vgl. Staehle (1999), S. 743 f.
Organisatorische Differenzierung
4.2
schiedene Sparten suboptimale Betriebsgrößen ergeben.1 Außerdem besteht die Gefahr, dass einige Funktionen im Vergleich zur funktionalen OrganisaȬ tion mehrfach bereitgestellt werden müssen. Kritik wird zum Teil auch an der Verwendung des ROI als FührungsinstruȬ ment geübt.2 Der alleinige Einsatz des ROI als Koordinationsinstrument kann u. U. negative Effekte bewirken, wenn er kurzfristige Maßnahmen belohnt, die jedoch langfristig das Unternehmen benachteiligen können, z. B. die Zurückstellung von Investitionen. Abhilfe versprechen hier langfristig orientierte und wertbasierte Steuerungssysteme, die beispielsweise auf einer Maximierung des Kundenwertes basieren, oder aber die Verwendung komȬ plexerer Kennzahlensysteme, wie z. B. der Balanced Scorecard, die nicht ausschließlich monetäre Erfolgsgrößen erfasst. Zur Umsetzung des MultiȬChannelȬMarketings bietet sich eine objektorienȬ tierte Differenzierung der Organisation nach Marketingkanälen an.3 BeiȬ spielsweise hat L’Oréal für jeden Kanal Ȭ abgestimmt auf die jeweilige ZielȬ gruppe Ȭ eine eigenständige Division gebildet, die über weitgehende AutoȬ nomie bezüglich Produktgestaltung, Marketing und Vertrieb verfügt. Die einzelnen Divisionen sind weitgehend autonom in ihren Entscheidungen und können sich daher sehr gut an den Anforderungen ihrer Absatzmärkte ausrichten.4 Insgesamt vertreibt L´Oréal vier verschiedene ProduktkategoȬ rien, die über unterschiedliche Kanäle mit verschiedenen Absatzmittlern vertrieben werden. „Professional Products“, wie z. B. Matrix, werden überȬ wiegend über Haarstudios bzw. Friseursalons verkauft. „Consumer ProȬ ducts“, wie beispielsweise Garnier, werden an den Massenmarkt vertrieben. Dadurch kommen Absatzmittler in Frage, die einen hohen Distributionsgrad aufweisen. Der Vertrieb von „Luxury Products“, wie z. B. Ralph Lauren, erfolgt i. d. R. über ausgewählte Absatzmittler, wodurch eine gewisse ExkluȬ sivität erzielt werden kann. Für den Verkauf der „Active Cosmetics“, wie beispielsweise Vichy, werden Apotheken und Pharmazien eingesetzt. Die Kooperation mit Pharmazeutikern und Dermatologen ist dabei sehr eng. Abbildung 4Ȭ4 stellt die einzelnen Divisionen von L´Oréal dar.
1 2 3 4
Vgl. Frese (2000), S. 433 ff. Vgl. Schreyögg (1999), S. 140 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 1156. Vgl. Schögel (2001), S. 33 f.
341
MultiȬChannelȬ Marketing und ObjektorientieȬ rung g
4 Abbildung 4Ȭ4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Divisionale Organisation von L’Oréal1 Geschäftsleitung
Professional Products
Consumer Products
Luxury Products
Active Cosmetics
• Umsatz (2006): 2,1 Mrd.€
• Umsatz (2006): 7,9 Mrd.€
• Umsatz (2006): 3,8 Mrd.€
• Umsatz (2006): 1,3 Mrd.€
• Marken
• Marken
• Marken
• Marken
• L‘Oréal Professionelle
• L‘Oréal Paris
• Lancôme
• Vichy
• Redken
• Garnier
• Biotherm
• La-Roche Posay
• Matrix
• Maybelline NY
• Helena Rubinstein
• Innéov
• Kérastase
• SoftSheen.Carson
• Giorgio Armani
• SkinCeuticals
• Mizani
• Le Club des Créateurs
• Ralph Lauren • Cacharel • Kiehl‘s • Shu Uemura
Abstimmung der Marketingkanäle bei divisionaler Organisation
Auch wenn den unterschiedlichen Produktdivisionen einzelne MarketingȬ kanäle zugeordnet sind, kann es dennoch zu Kannibalisierungseffekten zwischen den Kanälen kommen, da die Zielgruppen nicht vollständig überȬ schneidungsfrei sind. Aus diesem Grund kann eine divisionale Organisation wie bei L’Oréal zu gewissen Kanalkonflikten führen, die jedoch bewusst in Kauf genommen werden, um sie als Anreizmechanismus für die einzelnen Sparten zu nutzen.2 Der Kanalwettbewerb findet dabei nicht nur zwischen den Kanälen verschiedener Divisionen statt, sondern auch zwischen den Kanälen innerhalb einer Division. So stehen beispielsweise in der Sparte „Active Cosmetics“ sowohl Pharmazien als auch Spezialfachhändler in diȬ rekter Konkurrenz zueinander. Je stärker die Kanäle jedoch aufeinander abgestimmt werden sollen, desto größer ist die Bedeutung des Einsatzes von Integrationsinstrumenten.3 DaȬ bei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Integration der Kanäle nicht zu einer übermäßigen Einschränkung der Autonomie der einzelnen Divisionen führt, weil dann das Prinzip der Ergebnisverantwortung unterȬ laufen und die Zurechenbarkeit der Leistung auf die einzelnen Divisionen erschwert wird.
1 2 3
342
Vgl. L´Oréal (2007). Vgl. Schögel (2001), S. 34. Siehe hierzu die Ausführungen in Abschnitt E 3.3.
Organisatorische Integration
4.3
4.3
Organisatorische Integration
Die organisatorische Differenzierung hat zur Folge, dass innerhalb des UnȬ ternehmens unter Umständen Entscheidungen getroffen werden, die im Hinblick auf das Gesamtsystem suboptimal sind. Um die Effizienz und Effektivität des Gesamtsystems zu sichern, muss versucht werden, die Handlungen der Organisationsmitglieder auf das Unternehmensziel auszuȬ richten.1 Diese Aufgabe wird durch die organisatorische Integration erfüllt. Unter Integration werden die Harmonisierung und Abstimmung der OrgaȬ nisationsmitglieder und die Ausrichtung der arbeitsteilig gebildeten Stellen im Hinblick auf Unternehmensziele undȱ Ȭzwecke verstanden.2 Durch die Vorgabe von Ordnungsprinzipien und Regeln wird das Verhalten der einȬ zelnen Subsysteme vorhersehbar, so dass eine Koordination mit anderen Subsystemen erfolgen kann.
IntegrationsȬ begriff und Ȭaufgabe
Da im Rahmen der Differenzierung eines Mehrkanalsystems viele unterȬ schiedliche Subsysteme an der Vertriebsaufgabe beteiligt sind, müssen diese aufeinander abgestimmt werden. In diesem Zusammenhang stellt die IntegȬ ration der einzelnen Marketingkanäle einen wichtigen und notwendigen Schritt im MultiȬChannelȬMarketing dar.3 Mit der Integration wird insbeȬ sondere das Ziel verfolgt, das Mehrkanalsystem in Einklang mit den überȬ geordneten Unternehmenszielen zu bringen.
Integration im MultiȬChannelȬ Marketing
Zur Bewältigung des Integrationsproblems stehen dem MultiȬChannelȬ Manager prinzipiell drei Instrumente zur Verfügung: Hierarchie (Abschnitt 4.3.1), Programme und Pläne (Abschnitt 4.3.2) sowie Selbstabstimmung (Abschnitt 4.3.3).4 Diese Instrumente sind als funktionale Äquivalente zu betrachten, die in Kombination zur Lösung der Integrationsaufgabe genutzt werden können. Alle drei Instrumente werden im Folgenden bezüglich ihrer Eignung für die Integration von Mehrkanalsystemen dargestellt.
IntegrationsȬ instrumente
4.3.1
Hierarchie
Bei der Integration durch Hierarchie werden Subsysteme durch ein System von ÜberȬ und Unterordnung koordiniert. Es werden übergeordnete InstanȬ zen geschaffen, die dazu befugt sind, die Abstimmung zwischen den ihnen untergeordneten Stellen vorzunehmen. Es liegt eine Form der FremdkoordiȬ
1 2 3 4
Vgl. Schreyögg (1999), S. 154. Vgl. Staehle (1999), S. 555. Vgl. Ahlert/Evanschitzky (2003), S. 18 ff. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 418.
343
Funktionsweise der hierarchiȬ schen Integration
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
nation vor.1 Bei Abstimmungsschwierigkeiten wird ein Problem jeweils so lange an die nächst höhere Instanz weitergegeben, bis eine Instanz gefunden ist, die die Kompetenz hat, allen betroffenen Stellen und Instanzen AnweiȬ sungen zur Problemlösung zu geben. Durch das System von ÜberȬ und Unterordnung entsteht eine hierarchisch gegliederte Pyramide. Da sich Integrationsprobleme häufig in Konflikten manifestieren, stellen die Instanzen Instrumente zur Konfliktlösung und Ȭbegrenzung dar. Durch hierarchische Anordnung der Instanzen wird eine formale Prozedur zur Integration von Subsystemen geschaffen. Hierarchische Beziehungen regeln die formale Zuständigkeit für Abstimmungsfragen, inhaltlich werden diese Fragen jedoch fallweise durch die übergeordnete Instanz entschieden.2 Nachfolgend werden mit der EinlinienȬ (Abschnitt 4.3.1.1) und MehrlinienȬ organisation (Abschnitt 4.3.1.2) zwei Möglichkeiten für eine hierarchische Integration vorgestellt und jeweils auf den Kontext im MultiȬChannelȬ Marketing übertragen.
4.3.1.1
Einlinienorganisation
Funktionsweise der EinlinienorȬ r ganisation
Die Einlinienorganisation beruht auf dem Prinzip der Einheit der AuftragsȬ erteilung, nach dem jeder Untergebene nur einem Vorgesetzten unterstellt ist, ein Vorgesetzter jedoch mehr als einen Untergebenen haben kann. Die Abstimmung zwischen den Untergebenen erfolgt ausschließlich vertikal über den Vorgesetzten.3
VorȬ r und Nachteile der EinlinienorganiȬ sation
Vorteile der Einlinienorganisation sind ihr einfacher Aufbau und die überȬ schneidungsfreien Beziehungen zwischen den Organisationsteilnehmern. Die Kommunikation durch die Instanzenzüge verlangsamt jedoch EntscheiȬ dungen und verringert die Flexibilität des Unternehmens. Darüber hinaus kommt es häufig zu einer Überlastung der Instanzen, weil sie nicht über ausreichende Informationen für eine fundierte Entscheidungsfindung verfüȬ gen.4 Um dem Problem der Überlastung von Instanzen zu begegnen, werȬ den sie häufig durch Stabsstellen ergänzt. Damit wird aus einer reinen LiȬ nienorganisation eine StabȬLinienȬOrganisation (vgl. Abbildung 4Ȭ5). AufgaȬ be der Stabsstelle ist die Beratung und Unterstützung der Linieninstanz, sie hat keine eigenen Weisungsbefugnisse gegenüber den untergeordneten Stellen.5
1 2 3 4 5
344
Vgl. Staehle (1999), S. 558 ff. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 419. Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 191 f. Vgl. Schreyögg (1999), S. 165 f. Vgl. Staehle (1999), S. 706.
Organisatorische Integration
4.3
Vorteile der StabȬLinienorganisation sind vor allem die Entlastung der LiȬ nieninstanz, die erhöhte Kapazität zur Entscheidungsfindung und eine daȬ mit einhergehende höhere Entscheidungsqualität.1 Allerdings hat die ZuȬ sammenarbeit zwischen StabȬ und Linienstellen in der Praxis häufig zu Konflikten und zu einer Verschleierung von Verantwortung geführt, insbeȬ sondere dann, wenn Stabsstellen ihren Informationsvorsprung gegenüber der Linieninstanz zur Entscheidungsmanipulation nutzen. Außerdem wirkt sich bei den Stabsmitarbeitern die Kombination von hoher Qualifikation und geringer Entscheidungskompetenz negativ auf die Motivation aus.
StabȬLinienȬ Organisation
StabȬLinienȬOrganisation
Abbildung 4Ȭ5 Geschäftsleitung
Stab
Leiter Marketing + Vertrieb
Leiter Marketing
= Instanz
…
Leiter Vertrieb
…
…
= Stelle
Die Integration durch Hierarchie stellt ein mögliches Instrument zur KoorȬ dination des MultiȬChannelȬMarketings dar. Dies betrifft insbesondere den MultiȬChannelȬManager, dessen Entscheidungsbefugnisse maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg der Integration haben. Dabei sind zwei OrganisatiȬ onsformen möglich: Der MultiȬChannelȬManager als StabsȬ oder als LinienȬ stelle bzw. Ȭinstanz.
1
Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 214 ff.
345
MultiȬChannelȬ Manager in der LinienorganisaȬ tion
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
MultiȬChannelȬ Manager als Stabsstelle
Bei der Umsetzung des MultiȬChannelȬMarketings in einer StabȬLinienȬ Organisation wird der MultiȬChannelȬManager beispielsweise dem VerȬ triebsleiter als Stabsstelle zugeordnet. Seine Aufgabe ist die informatorische und planerische Vorbereitung von Entscheidungen hinsichtlich der KanalabȬ stimmung. Entscheidung und Realisierung der Abstimmungsmaßnahmen obliegen der Linieninstanz, d. h. der Vertriebsleitung. Dabei besteht die Gefahr, dass die Informationen der Stabsstelle nicht ausreichend berücksichȬ tigt werden.1 Diese organisatorische Lösung erscheint außerdem für die externe Mehrkanalorganisation problematisch, da der MultiȬChannelȬ Manager selbst nicht über Entscheidungsbefugnisse verfügt und deshalb von den externen Absatzmittlern möglicherweise nicht als vollwertiger GeȬ sprächspartner angesehen wird.2
MultiȬChannelȬ Manager als Linieninstanz
Wird die Stelle des MultiȬChannelȬManagers als Linieninstanz eingerichtet, verfügt er selbst über Entscheidungsbefugnisse bezüglich der KanalabstimȬ mung. So kann ein MultiȬChannelȬManager als Linienvorgesetzter für mehȬ rere ChannelȬManager eingerichtet werden (vgl. Abbildung 4Ȭ6).
Abbildung 4Ȭ6
MultiȬChannelȬManager als Linieninstanz
MultiChannelManager
ChannelManager Handel
= Instanz
1 2
346
ChannelManager Außendienst
= Stelle
Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (1994), S. 216. Vgl. Specht (1998), S. 229.
ChannelManager InternetVertrieb
Organisatorische Integration
4.3
Aufgrund seiner Position ist er in der Lage, die Informationen und Anfragen der untergeordneten ChannelȬManager so zu verarbeiten, dass eine optimale Koordination des Mehrkanalsystems möglich ist. Diese Organisationsform weist gegenüber einer Stabsstelle den Vorteil auf, dass der MultiȬChannelȬ Manager die Möglichkeit hat, Entscheidungen über die Abstimmung der Kanäle auch in der Organisation durchzusetzen. Zudem wird er von den externen Kanalmitgliedern als vollwertiger Ansprechpartner betrachtet und hat somit kein Autoritätsproblem. Die Einrichtung eines MultiȬChannelȬ Managers mit Linienverantwortung ist auch in einer nach Marketingkanälen divisionalisierten Organisation möglich, indem er z. B. in der UnternehȬ mensleitung für die Integration der einzelnen Divisionen zuständig ist.
4.3.1.2
Mehrlinienorganisation
Ein weiteres, ebenfalls auf hierarchischer Integration basierendes OrganisaȬ tionsmodell ist die Mehrlinienorganisation. Die Koordinationsaufgabe wird in einer Mehrlinienorganisation auf mehrere, spezialisierte Instanzen verȬ teilt; eine Stelle berichtet daher an mehrere Vorgesetzte (Prinzip der MehrȬ fachunterstellung).1 Die Mehrlinienorganisation geht auf das FunktionsȬ meistersystem von Taylor zurück, bei dem ein Arbeiter bis zu acht FunktiȬ onsmeistern unterstellt wurde.
Funktionsweise der MehrlinienȬ organisation
Das Prinzip der Mehrfachunterstellung liegt auch der Matrixorganisation zugrunde. In vielen Fällen wird dabei eine klassische, funktional differenȬ zierte Organisation um eine zusätzliche Objektdimension, wie z. B. ProdukȬ te, Kundengruppen oder Marketingkanäle, erweitert. Abbildung 4Ȭ4 zeigt eine Matrixorganisation beispielhaft für das MultiȬChannelȬMarketing. DaȬ bei gliedert sich die Matrix zum einen nach Funktionen und zum anderen nach verschiedenen Marketingkanälen. Die Leiter der Funktionsabteilungen sind weiterhin für die effiziente Integration innerhalb ihrer Abteilungen verantwortlich, während die Objektmanager (ChannelȬManager) die horiȬ zontale Integration über mehrere Funktionen hinweg vornehmen.2 Die StelȬ leninhaber der Abteilungen sind also gleichzeitig zwei Instanzen unterstellt. Besteht die Organisation aus mehr als zwei Gliederungsebenen, spricht man von einer TensorȬOrganisation.3
MatrixȬȱund TensorȬ r organisation
1 2 3
Vgl. Staehle (1999), S. 709. Vgl. Schreyögg (1999), S. 177 f. Vgl. Staehle (1999), S. 709.
347
4 Abbildung 4Ȭ7
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Matrixorganisation im MultiȬChannelȬMarketing Geschäftsleitung Beschaffung
Produktion
Marketing
Vertrieb
Handel
Außendienst
Online-Vertrieb = Instanz
= Stelle
Konflikte bei MatrixȬ organisation
Durch die Mehrfachunterstellung können Konflikte zwischen den FunktiȬ onsȬ und Objektmanagern entstehen. Weil in der Matrixorganisation keiner der beiden Organisationsdimensionen eine eindeutige Dominanz zugesproȬ chen wird, wird zur Entscheidungsfindung auf die VerhandlungsȬȱund AbȬ stimmungsbereitschaft der Manager gesetzt.1 So kann beispielsweise ein Konflikt zwischen dem Leiter Vertrieb und Außendienst entstehen, wenn die Vertriebsabteilung zum Aufbau eines Internetvertriebs dem Außendienst finanzielle Ressourcen streichen möchte. In diesem Fall liegt es an beiden Leitern, diesen Konflikt im Interesse des Unternehmens zu lösen. Durch die Institutionalisierung des Konflikts soll die Organisation für mehrere PerȬ spektiven geöffnet werden, um so ihre Innovationsfähigkeit zu verbessern.2 Da Konflikte nicht mehr allein durch die Hierarchie, sondern durch VerȬ handlungen gelöst werden sollen, weist die Matrixorganisation IntegratiȬ onselemente auf, die eher auf dem Prinzip der Selbstabstimmung als auf hierarchischer Integration beruhen.
Nachteile der MatrixȬ organisation
Das der Matrixorganisation inhärente Konfliktpotenzial führt zu diversen Problemen, die in der Praxis mit dieser Organisationsform verbunden sind. Aufgrund des hohen Abstimmungsbedarfs zwischen den EntscheidungsträȬ gern und der zum Teil sehr bürokratischen Verfahren zur Konfliktlösung kannt es zu erheblichen Verzögerungen kommen. Diese können in einem Mehrkanalsystem vor allem dann zu einem Problem führen, wenn nicht schnell genug auf veränderte Rahmenbedingungen, wie z. B. ein verändertes Nachfrageverhalten der Kunden, reagiert werden kann. Ein weiteres ProbȬ lem in Verbindung mit der Matrixorganisation stellt die zumeist hohe ResȬ 1 2
348
Vgl. Schreyögg (1999), S. 181. Vgl. Schreyögg (1999), S. 184 f.
Organisatorische Integration
4.3
sourcenbindung dar, die dann besonders kritisch ist, wenn keine eindeutige Aufgabenverteilung zwischen den Abteilungen vorliegt und es zu gewissen Redundanzen kommt. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn Mitarbeiter der Vertriebsabteilung und Mitarbeiter des Außendiensts ohne Abstimmung vertriebspolitische Entscheidungen zu einem gleichen Thema treffen, was zu erheblichen Ineffizienzen führen kann. Darüber hinaus stellt die MatrixorȬ ganisation erhebliche Anforderungen an die Qualifikation sowie die TeamȬ und Konfliktfähigkeit der Mitarbeiter. Eine bestehende ProduktȬFunktionsȬMatrixorganisation kann zusätzlich durch eine dritte Dimension ergänzt werden1, z. B. durch ChannelȬManager, so dass eine dreidimensionale TensorȬOrganisation in Form eines KanalȬ ProduktȬFunktionsȬTensors entsteht. Das MultiȬChannelȬMarketing erhält dadurch in der Organisation ein besonderes Gewicht, weil die Interessen der Marketingkanäle stärker vom Produktmanagement und den FunktionsbeȬ reichen berücksichtigt werden müssen. Für die Mehrkanalintegration sind darüber hinaus Instrumente erforderlich, die für eine Abstimmung der ChannelȬManager untereinander sorgen, wie z. B. Gremien.
KanalȬProduktȬ t FunktionsȬTensor
Die Abstimmung der einzelnen Linien ist in dieser Organisationsform sehr komplex, so dass für die Integration von ProduktȬ, FunktionsȬ und KanalȬ perspektive der Einsatz zahlreicher Instrumente wie Programme bzw. Pläne sowie Selbstabstimmungsmechanismen erforderlich ist (vgl. Abschnitte 4.3.2 und 4.3.3).2 Außerdem müssen für das Funktionieren einer solchen TensorȬ Organisation die personellen Voraussetzungen gegeben sein. Die Mitarbeiter sollten über eine ausgeprägte Konfliktlösungskompetenz und eine hohe Kooperationsbereitschaft verfügen, weil andernfalls eine rasche EntscheiȬ dungsfindung kaum zu gewährleisten ist.3
Hohe IntegrationsȬ anforderungen
4.3.2
Programme und Pläne
Programme sind verbindlich festgelegte Verfahrensregeln, die die reibungsȬ lose Verknüpfung spezialisierter Tätigkeiten sicherstellen sollen. Die VerȬ knüpfung geschieht automatisch, die Einschaltung einer übergeordneten Instanz ist zur Koordination nicht notwendig.4 Programme können sich sowohl auf eine einzelne Stelle als auch auf die Koordination zwischen mehȬ reren Stellen beziehen. Pläne vollbringen eine ähnliche KoordinationsleisȬ tung wie Programme; im Gegensatz zu den auf Dauer angelegten ProgramȬ men beziehen sich Pläne jedoch auf einen begrenzten Zeitraum.5 1 2 3 4 5
Vgl. Specht (1998), S. 230 f. Vgl. Specht (1998), S. 232. Vgl. Schreyögg (1999), S. 189. Vgl. Schreyögg (1999), S. 167. Vgl. Meffert (2000), S. 1027.
349
Programme und Pläne als IntegrationsȬ instrument
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Programmtypen
Es werden zwei Arten von Programmen unterschieden: KonditionalproȬ gramme und Zweckprogramme.1 Konditionalprogramme folgen einer WennȬdannȬLogik: Bei Eintreten bestimmter ursächlicher Voraussetzungen sind vom Stelleninhaber genau definierte Handlungsschritte zu vollziehen. Im Gegensatz dazu legen Zweckprogramme einen zu erreichenden, wünȬ schenswerten Zustand fest und überlassen dem Stelleninhaber die Wahl der Mittel zur Erreichung des Zwecks.
KonditionalȬ programme
Der Einsatz von Konditionalprogrammen ist hauptsächlich für RoutinetätigȬ keiten sinnvoll.2 Der Stelleninhaber muss das auslösende Ereignis korrekt identifizieren, um die richtige Folgehandlung durchzuführen. Dies ist nur bei einer gewissen Vorhersehbarkeit und Gleichförmigkeit der eintretenden Ereignisse möglich. Für Routinetätigkeiten sind Konditionalprogramme jedoch ein sehr effizientes Integrationsinstrument, denn sobald das ProȬ gramm fertig gestellt ist, kann es beliebig häufig von mehreren Personen angewendet werden.
KonditionalȬ programme im MultiȬChannelȬ Marketing
Im Rahmen des MultiȬChannelȬMarketings kommen KonditionalprogramȬ me z. B. im Bereich der logistischen Distribution zum Einsatz. So können Regeln definiert und automatisiert werden, die den Lagerbestand bestimmȬ ter Waren bei den Absatzmittlern steuern. Wird ein bestimmtes BestandsniȬ veau unterschritten, so kann eine automatische Nachlieferung ausgelöst werden. Umgekehrt kann ein über einen bestimmten Zeitraum anhaltend hoher Lagerbestand einen Alarm auslösen, der beispielsweise den ChannelȬ Manager dazu veranlasst, den jeweiligen Kanal zu überprüfen.
ManagementȬ t byȬ Objectives als Zweckprogramm
Zweckprogramme sind wesentlich flexibler als Konditionalprogramme, da dem Stelleninhaber ein größerer Handlungsspielraum zur Verfügung steht. Ein sehr häufig eingesetztes Zweckprogramm ist das „Management by ObȬ jectives“ (MbO).3 Das MbO ist ein zweistufiges Verfahren, bei dem im ersten Schritt, üblicherweise zu Beginn einer Budgetperiode, zwischen UntergebeȬ nem und Vorgesetztem ein innerhalb der Periode zu erreichendes Zielniveau vereinbart wird. Am Ende der Periode treffen sich Untergebener und VorgeȬ setzter, um über eventuelle Abweichungen der Ergebnisse von den vereinȬ barten Zielen zu diskutieren.
Vorteile von ManagementȬ t byȬObjectives
Dem MbO werden insbesondere positive Wirkungen auf die Motivation zugesprochen. Weil der Untergebene innerhalb der Periode bezüglich der Mittel, die er zur Erreichung seiner Ziele einsetzt, einen relativ großen FreiȬ raum hat, werden das eigenverantwortliche Arbeiten und die Autonomie
1 2 3
350
Vgl. Remer (1982), S. 17 ff. Vgl. Staehle (1999), S. 755 f. Vgl. Staehle (1999), S. 853.
Organisatorische Integration
4.3
des Mitarbeiters betont. Durch die Vereinbarung realistischer, aber anȬ spruchsvoller Ziele und das regelmäßige Feedback wird die Identifikation der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen gestärkt.1 Das MbO eignet sich auch als Integrationsinstrument für das MultiȬChannelȬ Marketing. Mithilfe dieses Instruments können einzelne Mitarbeiter und Abteilungen, aber auch andere ChannelȬMitglieder koordiniert werden, indem diesen Zielvereinbarungen getroffen werden. Dabei ist im Hinblick auf den Erfolg dieses Integrationsinstruments vor allem auf eine enge kausaȬ le Verknüpfung zwischen der Tätigkeit eines einzelnen Mitarbeiters sowie dessen Zielen und eine realistische Erreichbarkeit des Zielniveaus zu achten.
MbO im MultiȬChannelȬ Marketing
Die Koordination durch MbO eignet sich insbesondere für Angehörige des mittleren Managements.2 Damit bietet sich der Einsatz der zielorientierten Führung auch zur Steuerung der ChannelȬManager an. Hierbei könnten kanalspezifische Zielgrößen, wie z. B. die Erhöhung des ChannelȬUmsatzes oder aber die Erhöhung der Nutzerzahl eines bestimmten Kanals genutzt werden, um die Leistung des jeweiligen ChannelȬManagers zu bewerten. Korrekt angewandt, werden Instanzen durch MbO von einem Teil der IntegȬ rationsaufgabe entlastet, da sie nicht mehr jede einzelne Handlung der MitȬ arbeiter koordinieren müssen. Umgekehrt bedeutet die Steuerung durch Ziele für den einzelnen Mitarbeiter einen motivierenden Zugewinn an EntȬ scheidungsfreiraum. Das MbO ist daher ein wichtiges Instrument zur zielgeȬ richteten und effizienten Koordination von Mehrkanalsystemen.
4.3.3
Selbstabstimmung
Die in den Integrationsmechanismen Hierarchie oder Programme bzw. Pläne vorherrschende Fremdkoordination wird zunehmend durch IntegrationsinȬ strumente ergänzt, die auf dem Prinzip der Selbstabstimmung oder SelbstkoȬ ordination beruhen. Ein entscheidender Grund dafür sind die mit der Fremdorganisation einhergehenden Probleme.3 Erstens lassen sich nicht alle betrieblichen Vorgänge durch organisatorische Regelungen erfassen (quantiȬ tatives Problem), zweitens besteht bei Managern und Organisatoren durch die hohe Dynamik und Komplexität von Unternehmen und Umwelt eine zunehmende Gefahr von Überforderung (qualitatives Problem) und drittens wirkt die Fremdorganisation insbesondere auf hoch qualifizierte Mitarbeiter eher demotivierend (Zugangsproblem). Da diese Probleme im Kontext eines Mehrkanalsystems vorliegen, spielt das Prinzip der Selbstabstimmung bzw. Selbstkoordination im MultiȬChannelȬMarketing eine bedeutende Rolle. 1 2 3
Potenzial von MbO
Vgl. Frese (2000), S. 205 ff. Vgl. Macharzina (2003), S. 494 f. Vgl. Staehle (1999), S. 563.
351
Probleme der FremdkoordinaȬ tion
4
Organisationsformen des Multi-Channel-Marketings
Prinzip der SelbstabstimȬ mung
Unter Selbstabstimmung wird die direkte Abstimmung von Aktivitäten nach eigenem Ermessen der betroffenen Aufgabenträger verstanden.1 Die Integration erfolgt dabei horizontal, d. h. ohne die Einschaltung einer vertiȬ kal übergeordneten Koordinationsinstanz. Von der auf Zufall beruhenden, spontanen Selbstabstimmung ist die institutionalisierte Selbstabstimmung zu unterscheiden, die hier betrachtet werden soll. Die Institutionalisierung der Selbstabstimmung ist erforderlich, um sie berechenbar und damit für die zielorientierte Steuerung von Unternehmen nutzbar zu machen.
GruppenȬ organisation
Eines der am häufigsten genutzten Integrationsinstrumente, das auf dem Prinzip der Selbstabstimmung beruht, ist die Gruppenorganisation. Sie hat hohe Bedeutung für die organisatorische Umsetzung verschiedener MarkeȬ tingkonzepte erreicht.2 Als Gruppe werden mehrere Individuen bezeichnet, die über einen längeren Zeitraum in persönlicher Interaktion miteinander stehen und gemeinsam eine Aufgabe erfüllen.
Vorteile der GruppenȬ organisation
Durch Gruppenorganisation können die Probleme der Fremdkoordination teilweise behoben werden.3 Die quantitative Problematik wird dadurch aufgefangen, dass ein Großteil der Aktivitäten innerhalb der Gruppe von den Mitgliedern koordiniert wird. Der Überforderung von EntscheidungsȬ trägern wird durch die bessere Entscheidungsqualität von Gruppen entgeȬ gengewirkt, da bei Gruppenentscheidungen der Erfahrungshorizont mehreȬ rer Mitglieder einfließt. Darüber hinaus wird der Gruppenorganisation eine positive Wirkung auf die Motivation zugesprochen.
Nachteile der GruppenȬ organisation
Nachteile der Gruppenorganisation erwachsen vor allem aus den gruppenȬ dynamischen Prozessen, die sich innerhalb von Gruppen vollziehen. Es besteht die Gefahr, Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu schließen sowie im Verlauf des Meinungsbildungsprozesses abweichende Meinungen von der Mehrheit der Gruppenmitglieder zu unterdrücken. Die mit der Meinungsbildung verbundenen Abstimmungsprozesse sind außerȬ dem zeitaufwendig und teuer.
Typen der GrupȬ penorganisation
Die Gruppenorganisation kann als ergänzende organisatorische Einheit zur Hierarchie (Gremien) oder als Ersatz für Hierarchien (Teams) dienen. Ein Gremium wird auch als Komitee oder Ausschuss bezeichnet und zur LöȬ sung bestimmter Probleme zeitlich begrenzt oder auf Dauer eingesetzt. Gremienmitglieder sind meist in der Linienorganisation tätig und widmen nur einen Teil ihrer Arbeitszeit der Gremienarbeit. Teammitglieder hingegen sind während ihrer gesamten Arbeitszeit in der Gruppe tätig.
1 2 3
352
Vgl. auch im Folgenden Schreyögg (1999), S. 172 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 1165 ff. Vgl. auch im Folgenden Staehle (1999), S. 758 f.
Organisatorische Integration
4.3
Im Rahmen der Organisation des MultiȬChannelȬMarketings können GreȬ mien in den meisten Organisationsmodellen als Integrationsinstrument eingesetzt werden. So kann in einer funktionalen Organisation ein regelmäȬ ßig tagender Ausschuss der Abteilungsleiter eingerichtet werden, in dem MarketingȬ und Vertriebsleitung den Einsatz der Marketinginstrumente innerhalb des Mehrkanalsystems abstimmen. Auch für divisionalisierte Unternehmen sind Gremien, z. B. in Form von regelmäßigen Konferenzen der Spartenleiter, geeignet, um die Integration der einzelnen Divisionen zu fördern. Gegenüber einer hierarchischen Integration hat diese Lösung den Vorteil, dass die Autonomie der Akteure weniger stark eingeschränkt wird und so die Selbstverantwortung der Mitarbeiter erhalten bleibt.
Gremien als IntegrationsinȬ strument im MultiȬChannelȬ Marketing
Durch ein MultiȬChannelȬMarketingȬTeam kann die Linienorganisation (vgl. Abbildung 4Ȭ6) in eine Gruppenorganisation überführt werden. Auch in der Gruppenorganisation bleibt der MultiȬChannalȬManager als Instanz, z. B. als Teamleiter, erhalten. Allerdings wird die strikte Arbeitsteilung der ChannelȬ Manager, d. h. die Verantwortung für jeweils einen Marketingkanal, verrinȬ gert, indem die Teammitglieder gemeinsam Verantwortung für das gesamte Mehrkanalsystem übernehmen. Auf diese Weise werden Effektivität und Effizienz der Integration verbessert: Die Teammitglieder koordinieren ihre Aktivitäten selbstständig, so dass ein geringerer Koordinationsbedarf durch den Vorgesetzten besteht. Außerdem kann bei der Entscheidungsfindung auf das gesamte Kanalwissen der Teammitglieder zurückgegriffen werden, was sich positiv auf die Integrationsqualität auswirkt.
MultiȬChannelȬ MarketingȬ g Team
353
5
Komplexitätsmanagement
5 Komplexitätsmanagement Die zunehmende Komplexität der NachfrageȬ und WettbewerbsbedingunȬ gen und die Reaktion der Unternehmen auf diese Entwicklung haben zu einem starken Anstieg auch der unternehmensinternen Komplexität geȬ führt.1 Mit dem Ziel, möglichst viele Kundengruppen zu erreichen und ihre Konsumgewohnheiten bei der Kaufentscheidung zu berücksichtigen, haben viele Unternehmen die Zahl der angebotenen Produkte und ProduktȬ varianten erhöht und zusätzliche Marketingkanäle geschaffen. Dies führt zu einem erhöhten innerbetrieblichen Koordinationsbedarf, der wiederum mit höheren Kosten verbunden ist. In diesem Abschnitt werden in Abschnitt 5.1 zunächst die Ursachen der unternehmensinternen Komplexität dargestellt. Daran schließt sich in Abschnitt 5.2 eine Untersuchung der Folgen einer zu hohen Komplexität an. Abschließend werden in Abschnitt 5.3 Maßnahmen des Komplexitätsmanagements in Mehrkanalsystemen erörtert. Abbildung 5Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Abbildung 5Ȭ1
Struktur des Kapitels
Ursachen der Komplexität
Komplexitätsreduktion und -beherrschung
•
Elementekomplexität
•
Komplexitätskosten
•
Modularisierung
•
Relationenkomplexität
•
Verschiebung von Kostenstrukturen
•
Entkopplung
5.1 KomplexitätsȬ begriff
Folgen der Komplexität
Ursachen der Komplexität
Um sich mit den Ursachen der Komplexität von Mehrkanalsystemen auseiȬ nanderzusetzen, ist es zunächst notwendig, ein klares Verständnis für den Komplexitätsbegriff selbst zu entwickeln. Folgt man Adam (1998), so wird unter Komplexität die Vielschichtigkeit eines Objekts oder Zustands bzw. eines Systems verstanden.2 Greift man auf die Terminologie der SystemtheoȬ 1 2
354
Vgl. Meffert (2000), S. 1033. Vgl. Adam (1998), S. 37.
Ursachen der Komplexität
5.1
rie zurück, so lässt sich die Vielschichtigkeit weiter nach der Anzahl der Elemente in einem System und der Anzahl und Beschaffenheit der VerbinȬ dungen untereinander differenzieren. Dabei ist die Komplexität umso höher, je mehr Elemente zu einem System gehören (Elementekomplexität) bzw. je größer die Anzahl der Beziehungen zwischen den Elementen ist (RelatioȬ nenkomplexität).1 Bei der Beurteilung der Komplexität ist zudem die DyȬ namik eines Systems zu berücksichtigen (dynamische Komplexität). Mit der Dynamik wird die Geschwindigkeit der Veränderung der Systemelemente und ihrer Beziehungen untereinander beschrieben.2 Als Systemelemente können z. B. Produkte, Fertigungsstätten oderr Ȭ im Falle des MultiȬChannelȬMarketings von besonderer Relevanzȱ Ȭ Marketingkanäle oder aber einzelne Mitglieder eines Marketingkanals verstanden werden. Je mehr dieser Elemente ein Unternehmen enthält und je stärker diese untereinȬ ander gekoppelt sind, desto höher ist die unternehmensinterne Komplexität. Unternehmensinterne Komplexität ist notwendig, um die Einflüsse einer komplexen Umwelt im System verarbeiten zu können3, oder wie Luhmann (1993) plakativ feststellt: „Nur Komplexität reduziert Komplexität.4“ Um jedoch die Funktionsweise des Systems und die Handlungsfähigkeit der Mitglieder aufrechtzuerhalten, darf die interne Komplexität nicht zu hoch sein. Eine wichtige Aufgabe des Managements ist daher die Beherrschung und gegebenenfalls Reduktion von Komplexität.5
Notwendigkeit des KomplexiȬ tätsmanagements ȱ
Auch im MultiȬChannelȬMarketing stellt das Komplexitätsmanagement eine wichtige Aufgabe dar. Mehrkanalsysteme weisen je nach Konfiguration eine Vielzahl von Elementen in Form von Herstellern, Absatzmittlern und Ȭhelfern, Produkten oder Informationssystemen auf. Auch die Zahl der ProȬ duktvarianten, die ein Hersteller über verschiedene Marketingkanäle anbieȬ tet, ist i. d. R. größer als bei nur einzelnen Kanälen, wodurch die KomplexiȬ tät zusätzlich erhöht wird. Um die unterschiedlichen Produktvarianten effizient zu vertreiben, setzt ein Hersteller im Rahmen eines MehrkanalsysȬ tems in der Regel verschiedenartige Absatzmittler undȱ Ȭhelfer ein, um eine hohe Marktabdeckung zu erzielen. Durch eine erhöhte ZielgruppenanspraȬ che ist zudem davon auszugehen, dass wesentlich mehr Endkunden koordiȬ niert werden müssen.
KomplexitätsȬ management im MultiȬChannelȬ Marketing
Darüber hinaus ist für ein Mehrkanalsystem charakteristisch, dass durch die Vielzahl an Elementen im System ebenfalls eine große Anzahl an Relationen zwischen den einzelnen Elementen innerhalb eines Kanals, aber auch zwiȬ 1 2 3 4 5
Vgl. Meffert (2000), S. 1042. Vgl. Frese (2000), S. 289. Vgl. Schreyögg (1999), S. 93. Luhmann (1993), S. 49. Vgl. Staehle (1999), S. 43 ff.
355
5
Komplexitätsmanagement
schen den Kanälen vorliegt. Die interne Komplexität wird im MultiȬ ChannelȬMarketingȬKontext weiter dadurch erhöht, dass sich die Umwelt eines Mehrkanalsystems als sehr dynamisch erweist. Die KundenpräferenȬ zen z. B. in Bezug auf die Einkaufsstättenwahl oder Produktmerkmale verȬ ändern sich permanent und machen eine ständige Anpassung an die UmȬ welt erforderlich. Aufgrund der hohen Komplexität im MultiȬChannelȬ Marketing stellt deren Reduktion daher eine zentrale Herausforderung für das Management dar. ElementekompleȬ xität in MehrkaȬ nalsystemen
Beispielhaft lassen sich die unterschiedlichen Komplexitätsformen in MehrȬ kanalsystemen anhand der Auswirkungen der Einführung eines neuen Marketingkanals erläutern. Mit der Einführung eines neuen Kanals ist zuȬ nächst eine Erhöhung der Elementekomplexität verbunden. Möchte der Hersteller beispielsweise im Rahmen einer Sortimentserweiterung einen neuen Produkttyp über einen Fachhandel vertreiben, erhöht sich die KomȬ plexität und der Koordinationsaufwand zum einen aufgrund des neu eingeȬ führten Produkts und zum anderen aufgrund des neuen Absatzmittlers. Die Zahl der im Unternehmen vorhandenen Elemente, z. B. auch in Form von Aufgaben wird durch die Kanalerweiterung erheblich erhöht. Im MarkeȬ tingbereich fallen zusätzliche Tätigkeiten insbesondere im MarketingȬMixȬ Bereich an. Der Vertrieb muss neue, zusätzliche Absatzmittler betreuen. Auch eine Anpassung der Informationssysteme in Rechnungswesen und Logistik ist erforderlich.
RelationenȬ komplexität in MehrkanalȬ systemen
Durch die Einführung eines neuen Kanals kommt es in der Regel zu einer Erhöhung der Relationenkomplexität. Durch neue Absatzmittler und EndȬ kunden treten zusätzliche Beziehungen zwischen den alten und neuen EleȬ menten des Mehrkanalsystems auf. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine starke Substitutionskonkurrenz zwischen einzelnen Kanälen besteht und bestimmȬ te Abhängigkeiten zwischen den Vertriebsaufgaben vorliegen. Der KoordiȬ nationsaufwand nimmt dann erheblich zu. Beispielsweise muss der MarkeȬ tingȬMix der einzelnen Kanäle untereinander abgestimmt werden, um das Gesamtergebnis im Sinne des Unternehmens zu optimieren. Aufgaben der einzelnen Kanäle, z. B. in der Preispolitik, sind nunmehr interdependent. Durch die Einführung neuer Aufgaben und die Existenz von Beziehungen zwischen den einzelnen Aufgaben steigt die Gesamtkomplexität des SysȬ tems (vgl. Abbildung 5Ȭ2).
356
Folgen der Komplexität
Abbildung 5Ȭ2
Komplexitätszuwachs in Mehrkanalsystemen Kanal 1
Kanal 2
Hersteller
Kanal 1
Kanal 2
Kanal 3
Hersteller
Absatzmittler 1
Absatzmittler 2
Absatzmittler 1
Absatzmittler 2
Absatzmittler 3
Endkunde 1
Endkunde 2
Endkunde 1
Endkunde 2
Endkunde 3
• Zahl der Akteure: 5 • Zahl möglicher Relationen: 10
5.2
5.2
• Zahl der Akteure: 7 • Zahl möglicher Relationen: 21
Folgen der Komplexität
Die unternehmensinterne Komplexität schlägt sich in Kosten nieder, die auch als Komplexitätskosten bezeichnet werden. Die mit einer KomplexiȬ tätserhöhung verbundenen Kostensteigerungen sind erheblich. BeispielweiȬ se steigen im Zuge einer Sortimentserweiterung die komplexitätsbedingten Kosten überproportional an: Empirische Studien zeigen, dass sich bei einer Verdoppelung der Variantenzahl die Stückkosten um 20Ȭ30% erhöhen, man spricht daher auch von einem „umgekehrten Erfahrungskurveneffekt“.1
KomplexitätsȬ kosten
Gleichzeitig ist das Marktpotenzial der Segmente, die durch neue Produkte oder Marketingkanäle erschlossen werden, häufig sehr klein. Zusätzlich kann es noch zu Substitutionseffekten innerhalb des eigenen ProduktproȬ gramms oder zwischen den Kanälen kommen.2 In diesen Fällen werden die Umsatzzuwächse der neuen Produktvarianten oder Kanäle durch die geȬ stiegenen Kosten teilweise oder vollständig kompensiert.
Verschiebung von Kostenstrukturen
Bei Entscheidungen, die zu einer Komplexitätssteigerung im Unternehmen führen, werden in der Praxis allerdings vor allem marktbezogene GesichtsȬ punkte herangezogen, die die Komplexitätskosten nur unzureichend erfasȬ 1 2
Vgl. Wildemann (1993), S. 392. Vgl. Meffert (2000), S. 1039.
357
5
Komplexitätsmanagement
sen. Beispielsweise wird über die Einführung neuer Produktvarianten vor allem anhand von Kriterien wie zusätzlich erzielbare Erlöse oder ErschlieȬ ßung neuer Marktsegmente entschieden. Auf der Kostenseite werden dabei lediglich die variablen Einzelkosten der Leistungserstellung berücksichtigt. Steigende Komplexität führt jedoch zu einer Verschiebung der KostenstrukȬ turen hin zu höheren GemeinȬ und Fixkostenanteilen.1 Erfassung und Zurechung von KomplexitätsȬ kosten
Abbildung 5Ȭ3
Klassische Kostenrechnungssysteme erfassen die Komplexitätskosten nur unzureichend. Neben der Ermittlung der Komplexitätskosten stellt die konȬ krete Zurechung auf einzelne Bezugsobjekte wie Prozesse oder Produkte ein weiteres Problem dar.2 Aus diesen beiden Problemen resultiert die Gefahr von Fehlentscheidungen. Werden Komplexitätskosten bei der Entscheidung über den Differenzierungsgrad des Produktprogramms nicht berücksichtigt, wird unter Umständen der optimale Differenzierungsgrad zu hoch angeȬ setzt, so dass es im Endeffekt zu einer Umsatzsteigerung bei gleichzeitiger Ergebnisverschlechterung kommt (vgl. Abbildung 5Ȭ3).3
Optimaler Differenzierungsgrad und Komplexitätskosten4 Umsatz
Kostenfunktion mit Komplexitätskosten
Kosten
Umsatz
Kostenfunktion ohne Komplexitätskosten
Dopt mit Komplexitätskosten
Dopt ohne Komplexitätskosten
Differenzierungsgrad (D)
Bei den üblicherweise verwendeten Verfahren der GemeinkostenschlüsseȬ lung besteht die Gefahr, dass komplexitätsbedingte Kostensteigerungen nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden. Infolgedessen werden Standardprodukte häufig zu teuer angeboten, während die Preise für in
1 2 3 4
358
Vgl. Adam (1998), S. 48. Vgl. Adam/Rollberg (1995), S. 668. Vgl. Meffert (2000), S. 1040. Vgl. Meffert (2000), S. 1040
Folgen der Komplexität
5.2
geringen Stückzahlen produzierte „Exoten“ zu niedrig angesetzt werden.1 Derartige Fehlentscheidungen führen zu suboptimaler Ressourcenallokation und damit zu einer Effizienzverringerung. Für das MultiȬChannelȬMarketing sind Komplexitätskosten von besonderer Relevanz. Vor allem durch die Einführung neuer Marketingkanäle steigen die Kosten erheblich an, da beispielsweise der Schulungsaufwand für VerȬ triebsmitarbeiter ansteigt, die Lagerbestände sich erhöhen oder der KunȬ dendienst aufwändiger wird.2 Auch im operativen Bereich nimmt der KoorȬ dinationsaufwand zu. So muss z. B. im Rahmen der Preispolitik eine kanalȬ übergreifende Abstimmung der Preise und Konditionen erfolgen, so dass der Aufwand bei der Preisgestaltung ansteigt.
KomplexitätsȬ kosten in MehrȬ r kanalsystemen
Die mit der Komplexität des Mehrkanalsystems einhergehenden KomplexiȬ tätskosten sind größtenteils Gemeinkosten, die in verschiedenen FunktionsȬ bereichen wie der Produktion, dem Marketing, dem Vertrieb oder dem Rechnungswesen entstehen. Durch die Einführung eines neuen MarketingȬ kanals tritt häufig dass Problem der verursachungsgerechten Zuordnung der Komplexitätskosten auf den neuen Kanal auf. Insbesondere indirekte Kosten in Verbindung mit dem neuen Kanal werden in der Regel nicht ausȬ reichend berücksichtigt.3 In Anknüpfung an Abbildung 5Ȭ3 kann es dadurch zur Bestimmung eines suboptimalen Differenzierungsgrads des MehrkanalȬ systems kommen, nämlich dann, wenn die durch den neuen Kanal erzielbaȬ ren Grenzerlöse geringer als die Grenzkosten sind.
Suboptimaler DifferenzierungsȬ grad des MehrȬ r kanalsystems
Die Zurechnung dieser Gemeinkosten auf einzelne Produkte oder MarkeȬ tingkanäle durch eine Zuschlagskalkulation ist aufgrund der oben beschrieȬ benen Probleme nicht ratsam. Sinnvoller erscheint im MulitȬChannelȬ Marketing die Verwendung einer Prozesskostenrechnung, die eine verursaȬ chungsgerechte Zuordnung der Komplexitätskosten gestattet.4 Im Rahmen einer solchen Prozesskostenrechnung ist auch eine Zurechnung der GeȬ meinkosten auf einen Kanal möglich. Beispielsweise kann dann eine AbȬ schätzung der KostenȬ und Erlöswirkungen einer Kanaleinführung durch eine stufenweise Fixkostendeckungsrechnung erfolgen.5
ProzesskostenȬ rechnung zur Erfassung der Gemeinkosten
Im Zusammenhang mit der durch die Einführung eines neuen Kanals erȬ höhten Komplexität kann es zu weiteren negativen Effekten kommen. StelȬ len neue Produktvarianten bzw. Marketingkanäle ausschließlich SubstitutiȬȱ
KannibalisieȬ rungseffekte
1 2 3 4 5
Vgl. Meffert (2000), S. 1037. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 766. Vgl. Meffert (2000), S. 1037 f. Vgl. Adam (1998), S. 54 f.; vgl. auch Teil F. Vgl. Adam/Rollberg (1995), S. 668.
359
5
Komplexitätsmanagement
onseffekte dar, wird es zu Kannibalisierungen zwischen den Kanälen komȬ men, die geringe Zuwächse auf der Umsatzseite hervorrufen und überwieȬ gend Kostenanstiege verursachen.1 Abwanderung von Kunden
Führt die Einführung neuer Produktvarianten und Marketingkanäle zu einem überproportionalen Kostenanstieg, geben viele Unternehmen diesen teilweise oder vollständig über höhere Preise an die Endkunden weiter.2 Bei besonders preissensiblen Kunden kann dies zu einer Verärgerung und AbȬ wanderung zu Konkurrenzanbietern führen, so dass dem Unternehmen wertvolle Kunden verloren gehen.
Konflikte innerȬ r halb des UnterȬ r nehmens
In Verbindung mit der Komplexität in einem Mehrkanalsystem kommt es darüber hinaus in vielen Fällen zu Konflikten zwischen dem MultiȬChannelȬ MarketingȬManagement und anderen Funktionsbereichen. Ein Konflikt mit dem Funktionsbereich Produktion könnte sich z. B. auf die Produktvielfalt beziehen. So vertreten Manager eines Mehrkanalsystems die Ansicht, dass die Variantenvielfalt aufgrund der Vielseitigkeit der Kundenwünsche unbeȬ dingt notwendig ist, während Produktionsleiter Sortimentserweiterungen eher als kurze, unwirtschaftliche Bauserien, die unnötige Kosten verursaȬ chen, betrachten. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Gefahr zum Teil groß ist, dass die Entscheidungsträger im MultiȬChannelȬMarketing die AuswirȬ kungen ihrer Entscheidungen auf die Komplexitätskosten übersehen und es in letzter Konsequenz zu suboptimalen Entscheidungen kommt. Aus diesem Grund stellt die Komplexitätsreduktion und –beherrschung eine wichtige Aufgabe im Rahmen eines Mehrkanalsystems dar, womit sich der folgende Abschnitt näher befasst.
5.3 Verfahren des KomplexitätsȬ managements
Komplexitätsreduktion und -beherrschung
Aufgabe des Komplexitätsmanagements im MultiȬChannelȬMarketing ist die Sicherstellung eines möglichst optimalen Komplexitätsgrads bzw. DiffeȬ renzierungsgrads, was sich u. a. in der Anzahl eingesetzter MarketingkanäȬ le, Produktvarianten etc. ausdrückt. Dazu werden verschiedene Ansätze, wie z. B. die Komplexitätsvermeidung, die Komplexitätsreduktion oder auch die Komplexitätsbeherrschung eingesetzt. Während die KomplexiȬ tätsvermeidung antizipativ ist, sind Komplexitätsreduktion und –beȬ herrschung reaktiv.3 Dabei genießt die Komplexitätsreduktion Vorrang vor 1 2 3
360
Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 767. Vgl. Meffert (2000), S. 1042. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 768.
Komplexitätsreduktion und -beherrschung
5.3
der Komplexitätsbeherrschung, weil erstere automatisch zu einer VerringeȬ rung des Koordinationsaufwands im Unternehmen führt.1 Die verbliebene Restkomplexität kann dann mit weniger Aufwand beherrschbar gemacht werden.2 Bei der Komplexitätsvermeidung im Rahmen eines Mehrkanalsystems wird von vornherein versucht, eine Komplexitätssteigerung zu beschränken, indem anhand klarer Beurteilungssystematiken die Konsequenzen einer Kanalerweiterung genau bewertet werden und nicht in jedem Fall den KunȬ denwünschen entsprochen wird.3 Beurteilungskriterien sind z. B. die Höhe möglicher Kannibalisierungseffekte, das Absatzpotenzial mit dem neuen Marketingkanal, die Frage der Verfügbarkeit von Unternehmensressourcen beispielsweise beim Aufbau eines kostspieligen Internetvertriebs.
KomplexitätsȬ vermeidung
Ansatzpunkte zur Komplexitätsreduktion bestehen auf ProduktȬ, ProȬ grammȬ und Prozessebene.4 Durch ein vereinfachtes Produktkonzept wird die Verwendung von standardisierten Teilen und Modulen und damit eine Verringerung der ProduktionsȬ und Lagerkosten ermöglicht. Eine ReduzieȬ rung der Ausstattungsvarianten bei einer hochwertigeren Grundausstattung vereinfacht das Produktprogramm. Hierbei sollten solche Produkte und Varianten eliminiert werden, die unter Berücksichtigung von KomplexitätsȬ kosten negative Deckungsbeiträge aufweisen und zudem keine strategische Relevanz im Mehrkanalsystem besitzen. Die Prozesskomplexität kann durch eine prozessorientierte Entkoppelung erheblich verringert werden, indem funktionsübergreifende Prozesse für jedes einzelne Marktsegment bzw. jeden Marketingkanal definiert werden.5 Im MultiȬChannelȬMarketing sollte darüber hinaus die Analyse bzgl. der Komplexitätsreduktion auf einzelne Marketingkanäle ausgeweitet werden. Zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass ein Kanal nur auf kleine Marktsegmente bzw. auf unbedeutende KunȬ den ausgerichtet ist, bei deren Bearbeitung zusätzlich hohe KomplexitätsȬ kosten entstehen, sollte über eine Elimination dieses Kanals nachgedacht werden.
KomplexitätsȬ reduktion
Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion im MultiȬChannelȬMarketing stelȬ len die Modularisierung und Entkoppelung dar. Schögel (1997) schlägt zur Komplexitätsreduktion in Mehrkanalsystemen den Einsatz von Modulen vor, die in sich geschlossene Aufgaben der Distribution übernehmen.6 DemȬ nach sollte einem Mehrkanalsystem ein Basismodul zu Grunde liegen, das die Kernaufgaben des Mehrkanalvertriebs umfasst und innerhalb des MehrȬ
Modularisierung n
1 2 3 4 5 6
Vgl. Meffert (2000), S. 1049. Vgl. Adam/Rollberg (1995), S. 669. Vgl. Meffert (2000), S. 626. Vgl. Meffert (2000), S. 1050 f. Vgl. Meffert (2000), S. 1053. Vgl. Schögel (1997), S. 204.
361
5
Komplexitätsmanagement
kanalsystems weitgehend standardisiert wird. Dieses Basismodul wird dann um kanalspezifische Zusatzmodule, welche der Differenzierung nach den Anforderungen der KundenȬȱ und Absatzmittlergruppen dienen, ergänzt. Dieser Ansatz lässt sich prinzipiell auch auf die übrigen Bestandteile des Marketingmix übertragen. Basisprodukte, die modularisiert gefertigt und erst spät im Fertigungsprozess kanalspezifisch angepasst werden, reduzieȬ ren die Komplexität beim Management eines MultiȬChannelȬSystems ebenso wie ein Basispreissystem, dass ggf. um kanalspezifische Anpassungen erȬ gänzt wird.1 Entkopplung n
Ein weiterer Ansatz zur Entkoppelung eines Mehrkanalsystems ist eine objektorientierte Organisationsstruktur, die grundsätzlich auf jeder UnterȬ nehmensebene möglich ist. Dabei wird die strukturelle Komplexität dadurch reduziert, dass das Gesamtsystem Unternehmung in kleinere beherrschbare Subsysteme aufgeteilt wird. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Komplexitätsreduktion durch Innendifferenzierung.2 Sehr umfassend wird dieser Ansatz durch eine Divisionalisierung des UnȬ ternehmens nach Marketingkanälen umgesetzt. Da eine Division in Form eines Marketingkanals über alle Prozesse verfügen sollte, die zur Erfüllung ihrer Marktaufgabe erforderlich sind, kommt es zu einer weitgehenden Entkoppelung der marktbezogenen Prozesse zwischen den Divisionen. Auf diese Weise können insbesondere die ErfassungsȬȱ und ZurechnungsprobleȬ me bei Komplexitätskosten verringert werden.
KomplexitätsȬ beherrschung g
Neben der Komplexitätsreduktion existieren darüber hinaus auch Ansätze der Komplexitätsbeherrschung. Darunter werden solche Ansätze verstanȬ den, die es ermöglichen, ein gegebenes Maß an Komplexität kostengünstig zu bewältigen.3 Die Ansätze basieren auf einem umfassenden Einsatz von Informationstechnologie. Im MultiȬChannelȬMarketing kommt ITȬ T basierten Anwendungen, wie z. B. dem Supply Chain Management (SCM) oder der Efficient Consumer Response (ECR), eine große Bedeutung für die BeherrȬ schung von Komplexität in Marketingkanälen zu. Sie machen vor allem die zwischenbetriebliche Komplexität innerhalb eines Marketingkanals beȬ herrschbar.
1 2 3
362
Vgl. SimchiȬLevi/Kaminsky/SimchiȬLevi (2004), S. 170. Vgl. Kirchof (2003), S. 64. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 767.
Teil F Controlling
Komplexitätsreduktion und -beherrschung
5.3
1 Multi-Channel-System-Audit Um einen umfassenden Überblick über die Leistung der Marketingkanäle zu erhalten, sollte eine regelmäßige Kontrolle sämtlicher Aktivitäten der AkteuȬ re in den verschiedenen Kanälen erfolgen. Die Effizienz und Effektivität eines MultiȬChannelȬMarketingȬSystems kann über ein MultiȬChannelȬ MarketingȬAudit überprüft werden. Ziel des Audits ist, frühzeitig SchwäȬ chen und Chancen zu erkennen und Hinweise auf Lösungsvorschläge zu geben.1 Die Durchführung eines Audits hat strategischen Charakter. Dabei handelt es sich um eine umfassende, systematische und regelmäßige AnalyȬ se, die Probleme bereits im Vorfeld aufzudecken versucht und Lösungswege in Form konkreter Maßnahmen und Strategien aufzeigen soll.2 Im Fokus des Audits liegen dabei die Maßnahmen, die zur Erreichung sämtȬ licher Ziele des MultiȬChannelȬMarketings verwendet werden. Wie in KapiȬ tel B5 dargestellt, umfassen diese Ziele einerseits ökonomische Ziele, wie z. B. Kundenwertsteigerung, Kundenbindung und Marktanteil, und andeȬ rerseits psychografische Ziele, wie z. B. die Steigerung des BekanntheitsgraȬ des oder Imageverbesserungen. Ein Audit dient im MultiȬChannelȬ Marketing demnach der Analyse, inwiefern die einzelnen MarketingȬ Aktivitäten den ihnen zugedachten Beitrag zur Erreichung der vorher defiȬ nierten Ziele in Bezug auf Effizienz und Effektivität leisten. In diesem Kapitel wird zunächst in Abschnitt 1.1 der Prozess eines MultiȬ ChannelȬSystemȬAudits erläutert. Anschließend wird in Abschnitt 1.2 das Instrument der Scorecard zur Durchführung eines Audits vorgestellt. Abbildung 1Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
1 2
Vgl. Berman (1996), S, 651 f. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1305; MüllerȬStewens/Lechner (2001), S. 514, Rosenbloom (2004), S. 416 ff.
365
Aufdeckung von Schwächen und Chancen
1 Abbildung 1Ȭ1
Multi-Channel-System-Audit
Struktur des Kapitels
Prozess eines Multi-ChannelSystem-Audits
Scorecards für ein MultiChannel-System-Audit
• Bewertung der Maßnahmen
• Beurteilung der Effizienz und Effektivität
• Analyse der Rahmenbedingungen
• Darstellung einer Auditing-Matrix
• Review der Maßnahmen
• Beispielhafte Multi-ChannelMarketing-Scorecard
• Entwicklung von Kriterien
1.1
Prozess eines Multi-Channel-SystemAudits
Ein MultiȬChannelȬSystemȬAudit sollte regelmäßig und systematisch durchgeführt werden, um die Ergebnisse über die Zeit hinweg vergleichen und die Erfolgswirkung einzelner AuditȬMaßnahmen darstellen zu könȬ nen.1 Für die Durchführung eines jeden Audits gibt es einen klaren Ablauf, der aus vier Schritten besteht. Im ersten Schritt werden Kriterien bzw. Kennzahlen entwickelt, auf deren Basis im nächsten Schritt die PerformanȬ ce der Maßnahmen gemessen werden soll. Nach einer Analyse der RahȬ menbedingungen werden dann in einem letzten Schritt die Maßnahmen nochmals kritisch überprüft und bei Bedarf verändert bzw. weiterentwiȬ ckelt. Durch die AuditȬAnalyse sollen Schwächen abgebaut und mögliche Chancen genutzt werden. Abbildung 1Ȭ2 stellt den Prozess eines MultiȬ ChannelȬSystemȬAudits grafisch dar.
1
366
Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1305 f.
Prozess eines Multi-Channel-System-Audits
Prozess eines MultiȬChannelȬSystemȬAudits1
1
Entwicklung von Kriterien
2
Evaluierung der Maßnahmen
3
Analyse der Rahmenbedingungen
4
Review der Maßnahmen
Abbildung 1Ȭ2
Umfassende, systematische und regelmäßige Analyse zur Aufdeckung von Schwächen und Chancen
Ausgangspunkt des MultiȬChannelȬSystemȬAudits ist die Entwicklung von Kriterien. Hierfür bieten sich auf strategischer Ebene fünf Kriterien an, nach denen die einzelnen Marketingaktivitäten beurteilt werden können. Diese beinhalten zum einen Kriterien zur Untersuchung der Effektivität der MaßȬ nahmen, also der Angemessenheit der Maßnahmen in Bezug auf die ZielerȬ reichung, der Angemessenheit der Ressourcenallokation sowie der ZusamȬ mensetzung und Vernetzung der Maßnahmen. Zum anderen handelt es sich um Kriterien zur Überprüfung der Effizienz des Maßnahmeneinsatzes durch Analyse der Performancewirkung und der Kosten/NutzenȬRelation der Maßnahmen.2 Tabelle 1Ȭ1 gibt einen Überblick über die im Audit zu unterȬ suchenden Kriterien.
1 2
1.1
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 417. Vgl. MüllerȬStewens/Lechner (2001), S. 535 f.; Wall (2007), S. 628.
367
Entwicklungg von Kriterien
1 Tabelle 1Ȭ1
Multi-Channel-System-Audit
Kriterien für das MultiȬChannelȬSystemȬAudits Effektivitätskriterien
Effizienzkriterien
Angemessenheit der Maßnahmen zur Zielerreichung
Performancewirkung der Maßnahmen
Angemessenheit der Ressourcenallokation
Kosten/Nutzen-Relation der Maßnahmen
Zusammensetzung und Vernetzung der Maßnahmen
Bewertung der Maßnahmen
Im zweiten Schritt erfolgt die Bewertung der Kriterien nach einem vorgeȬ gebenen Schema, beispielsweise einer fünfstufigen Skala von „sehr schlecht“ bis „sehr gut“. Ob diese Bewertung zu jedem Zeitpunkt für alle Maßnahmen oder zwischenzeitlich für einzelne Maßnahmen durchgeführt wird, ist davon abhängig, wie viele Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Analyse einer Einzelmaßnahme hat den Vorteil, dass sie schnell und unȬ kompliziert durchgeführt werden kann. Sie wird häufig eingesetzt, wenn es sich um ein Unternehmen mit komplexen Strukturen und einer hohen AnȬ zahl von Kanälen und damit vielen Maßnahmen handelt.1 Der Nachteil ist, dass ein Vergleich der Maßnahmen bzgl. ihrer Effizienz und Effektivität nicht möglich ist, so dass kein Gesamteindruck des MultiȬChannelȬ Marketings entstehen kann.
Analyse der RahmenȬ bedingungen
Im dritten Schritt erfolgt dann eine umfangreiche Analyse der RahmenbeȬ dingungen des MultiȬChannelȬMarketings. Dabei werden insbesondere die UmfeldȬ, BranchenȬ, MarktȬȱ sowie Wettbewerbsbedingungen untersucht. Die Analyse ist von großer Bedeutung, da die mangelnde Wirksamkeit einer Verkaufsförderungsmaßnahme in ihr selbst begründet, jedoch auch das Ergebnis veränderter Marktbedingungen sein kann. Somit kann die genaue Ursache des Erfolgs bzw. Misserfolgs der Maßnahmen identifiziert werden. Eine vollständige Analyse der Rahmenbedingungen des MultiȬChannelȬ Marketings umfasst zunächst eine Umfeldanalyse, welche die technischen, regulativen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen darstellt, denen das MultiȬChannelȬUnternehmen ausgesetzt ist. Darüber hinaus werden mit dem BranchenȬ und Marktumfeld weitere EinflussfaktoȬ ren berücksichtigt. Dabei ist die Struktur der bedienten Marktsegmente einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen und das Verhalten der Nachfrager in diesen Segmenten zu analysieren. Abschließend wird eine WettbewerberȬ analyse durchgeführt, im Rahmen derer eine Identifikation aller tatsächliȬ chen und potentiellen Konkurrenten und ein Vergleich der eigenen MultiȬ 1
368
Vgl. Rosenbloom (2004), S. 424 f.
Scorecards für ein Multi-Channel-System-Audit
1.2
ChannelȬMarketingȬRessourcen mit denen der Konkurrenten erfolgt. HierȬ durch sollen eigene Wettbewerbsvorteile und Schwächen aufgezeigt werden. Abbildung 1Ȭ3 zeigt die Elemente einer Analyse der Rahmenbedingungen des MultiȬChannelȬMarketings im Überblick.
Abbildung 1Ȭ3
Bezugsrahmen der Analyse der Rahmenbedingungen
Analyse der Rahmenbedingungen
Umfeldanalyse • Technisches Umfeld • Regulatives Umfeld • Ökonomisches Umfeld
Branchen- und Marktanalyse • Marktstruktur • Nachfragerverhalten • ...
Wettbewerbsanalyse • Wettbewerberverhalten • Unternehmensressourcen • ...
• Gesellschaftliches Umfeld • ...
Auf Basis der Evaluierungsergebnisse aus Schritt zwei und der detaillierten Ursachenanalyse aus Schritt drei können im letzten Schritt die bestehenden Maßnahmen gegebenenfalls modifiziert und bzgl. ihrer Zielrichtung genau definiert werden. Hierbei sollten konkrete Zeitrahmen und Verantwortliche vorgegeben werden, um den Fortschritt der Maßnahmenentwicklung und der Zielerreichung in den folgenden Audits kontrollieren zu können.
1.2
Planungg konkreter VerȬ r besserungsȬ maßnahmen
Scorecards für ein Multi-ChannelSystem-Audit
Anhand einer Scorecard wird die systematische Durchführung eines MultiȬ ChannelȬSystemȬAudits dargestellt. Grundlegende Voraussetzung ist zuȬ nächst die Definition von Beurteilungskriterien, nach denen die zu untersuȬ
369
Beurteilung der Effizienz und Effektivität
1
Multi-Channel-System-Audit
chenden Maßnahmen überprüft werden können. Hierbei können die in Tabelle 1Ȭ1 angeführten Kriterien Anwendung finden. Im Audit wird dann für jede intendierte Wirkungsbeziehung zwischen Maßnahmen und Zielen des MultiȬChannelȬMarketings überprüft, wie stark die EffektivitätȬȱ und Effizienzkriterien ausgeprägt sind. Zudem ist die Zusammensetzung und Vernetzung der Maßnahmen zu überprüfen. Abbildung 1Ȭ4 stellt vereinfacht einen Wirkungszusammenhang und das dazugehörige Audit dar.
Abbildung 1Ȭ4
Beispielhaftes Auditing der Maßnahme „Optimierung der Customer Touchpoints“
Maßnahme
Wirkungszusammenhang usa e a g
Optimierung der Customer Touchpoints
Ziel
Steigerung des Share of Wallet und Kundenbindung
• Angemessenheit der Maßnahme bzgl. der Zielerreichung • Angemessenheit der Ressourcenallokation • Zusammensetzung und Vernetzung der Maßnahme • Performancewirkung der Maßnahme • Kosten/Nutzen-Relation der Maßnahme Sehr schlecht
schlecht
neutral
gut
sehr gut
Aggregation der EinzelbewerȬ r tungen
Führt man diesen AuditingȬProzess für alle Maßnahmen durch, so ergibt sich eine Vielzahl von Einzelbewertungen, die nur aggregiert den vollen Umfang der Wirksamkeit des MultiȬChannelȬMarketings abbilden können. Hierfür bietet sich die Erstellung einer übersichtlichen Scorecard des MehrȬ kanalsystems an. Dabei stellen die Maßnahmen und die Ziele des MultiȬ ChannelȬMarketings die beiden Achsen dar. Die AuditȬScores werden in die durch die Achsen entstehende Matrix eingetragen. Zur Vereinfachung lassen sich die einzelnen Scores jeder Maßnahme zu einem Gesamtscore in Bezug auf Effizienz und Effektivität aggregieren. Bei gleicher Gewichtung aller Kriterien würde beispielsweise der in Abbildung 1Ȭ4 dargestellte WirkungsȬ zusammenhang die Bewertung „gut“ erhalten.
Auditing ngȬMatrix
Durch die Aggregation in einer übersichtlichen Matrix lassen sich MissstänȬ de bei der Maßnahmenplanung und Zielverfolgung einfacher aufdecken, auf dessen Basis Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Abbildung 1Ȭ5 370
Scorecards für ein Multi-Channel-System-Audit
stellt eine Scorecard unter Rückgriff auf die in Kapitel B5 beschriebenen grundlegenden Ziele des MultiȬChannelȬMarketings und die strategischen Maßnahmen zur Zielerreichung dar. Die horizontale Achse umfasst die übergeordneten Ziele des MultiȬChannelȬMarketings. Diese Ziele müssen je nach strategischer Ausrichtung des Unternehmens unterschiedlich gewichtet und entsprechend ihrer strategischen Rolle präzisiert werden, um den speziȬ fischen Anforderungen des jeweiligen Herstellerunternehmens gerecht zu werden. Die vertikale Achse der ScorecardȬMatrix zeigt die drei GrundaufȬ gaben des MultiȬChannelȬMarketings, nämlich die Optimierung der CustoȬ mer Touchpoints, das Erreichen eines ChannelȬFits und die Optimierung der Geschäftsbeziehungen. Auch diese Maßnahmen müssen im Rahmen der operativen Maßnahmenplanung verfeinert ausgearbeitet werden. Abbildung 1Ȭ5 illustriert in der vorliegenden sehr aggregierten Form, dass die Wirkungsbeziehungen einfach darzustellen und in eine GesamtbeurteiȬ lung des MultiȬChannelȬMarketingȬSystems zu überführen sind. Bildet man den (eventuell nach Prioritäten gewichteten) Mittelwert der Bewertungen in einer Zeile, so erhält man eine Gesamtbewertung der Effizienz einer MaßȬ nahme und kann so die Effizienzen einzelner Maßnahmen miteinander vergleichen. Aggregiert man die Werte in den Spalten, so wird deutlich, welche Ziele mit wie vielen Maßnahmen und welcher Intensität verfolgt werden und kann überprüfen, ob die strategische Zielplanung des UnterȬ nehmens mit der tatsächlichen Zielverfolgung übereinstimmt.
371
1.2
372
Maßnahmen
Optimierung der Geschäftsbeziehung
Erreichung eines Channel-Fits
Optimierung der Customer Touchpoints
Sehr schlecht
Neukundengewinnung und Markterschließung Cross-Selling und Synergieeffekte
schlecht
neutral
gut
sehr gut
Kostensenkung und Effizienzsteigerung
Absatzmittler-Equity
Gesamtbeurteilung der Zielverfolgung
Steigerung des Share of Wallet und Kundenbindung
Endkunden-Equity
Abbildung 1Ȭ5
Ziele des Multi-Channel-Marketings
1 Multi-Channel-System-Audit
MarketingȬChannelȬSystemȬScorecard Gesamtbeurteilung der Maßnahmenwirkung
ROI-Kennzahlensystem
2.1
2 Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
Nach der strategischen Analyse schließt sich im Rahmen des MarketingȬ Controllings die operative Analyse an. Im Gegensatz zum strategischen MarketingȬControlling, das vor allem Ziele definiert und Erfolge prüft, beschäftigt sich das operative MarketingȬControlling mit den täglichen Marketingaktivitäten. Die in diesem Kapitel vorgestellten vier KostenȬ und Wirtschaftlichkeitsanalysen können dem operativen Controlling zugeordnet werden. Zunächst wird in Abschnitt 2.1 das ROIȬKennzahlensystem vorgestellt. Danach widmet sich Abschnitt 2.2 ausführlicher der Analyse des KundenȬ und Absatzmittlerwerts. Anschließend werden in Abschnitt 2.3 Absatzsegmentrechnungen dargestellt und abschließend in Abschnitt 2.4 der Ablauf der Prozesskostenrechnung erläutert. Abbildung 2Ȭ1 stellt die Struktur des Kapitels dar.
Operatives Controlling
Struktur des Kapitels
Abbildung 2Ȭ1
ROI-Kennzahlen-System
• Analyse der Wirtschaftlichkeit der Aktivitäten
2.1
Analyse des Absatzmittler- und Kundenwerts
Absatzsegementrechnungen
• Zusammensetzung des Absatzmittlerwerts
• Erklärung des Deckungsbeitrags
• Zusammensetzung des Kundenwerts
• Darstellung der NettoSegmentbeitragsrechnung
Prozesskostenrechnungen
• Ablauf der Prozesskostenrechnung
ROI-Kennzahlensystem
Kennzahlen dienen dazu, quantitative Tatbestände zu aussagekräftigen Größen zu verdichten, um die Leistung eines Unternehmens übersichtlich darstellen zu können. Dadurch können die oftmals unüberschaubaren DaȬ tenmengen, die bei der Erhebung von Marktforschungsinformationen und im Rahmen des Rechnungswesens anfallen, zu wenigen zentralen Größen verdichtet werden. Wirkungszusammenhänge zwischen Kennzahlen könȬ nen in einem so genannten Kennzahlensystem abgebildet werden. Dies stellt 373
Gesamtheit interdependenter Kennzahlen
2
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
eine strukturierte Gesamtheit interdependenter Kennzahlen dar, die in einer Beziehung zueinander stehen, sich gegenseitig ergänzen und erklären, sowie den Analysegegenstand als Ganzes vollständig erfassen. Dabei werden meist finanzwirtschaftliche Größen zu einem schlüssigen System zusammengetraȬ gen.1 Analyse der WirtschaftȬȱ t lichkeit von Aktivitäten
Im MultiȬChannelȬMarketing spielen Kennzahlensysteme eine bedeutende Rolle, da sie helfen, die Aktivitäten in den einzelnen Marketingkanälen im Hinblick auf ihren Erfolgsbeitrag für das Unternehmen zu analysieren. EinȬ zelne Alternativen können miteinander verglichen und sowohl bezüglich ihrer Wirtschaftlichkeit als auch bezüglich ihres Einflusses auf den GesamtȬ unternehmenserfolg überprüft werden. Ein Nachteil von KennzahlensysteȬ men kann sich ergeben, wenn diese mit Anreizsystemen verbunden sind, da die Akteure ihr Leistungsverhalten dann möglicherweise einseitig auf die Optimierung von Kennzahlen ausrichten und die eigentlichen UnternehȬ mensziele vernachlässigen (z. B. kurzfristige Gewinnoptimierung zu Lasten notwendiger langfristiger Investitionen).
ROI als zentrale Größe
Ein weit verbreitetes Kennzahlensystem, das der übersichtlichen Darstellung gesamtunternehmerischer Zusammenhänge dient, ist das ROIȬSystem von DuPont (vgl. Abbildung 2Ȭ2). Im Zentrum steht hierbei nicht der Gewinn, sondern der Return on Investment, also die Rentabilität des eingesetzten Kapitals. Dieser ergibt sich aus Kapitalumschlag und Umsatzrentabilität. Die Umsatzrentabilität ergibt sich wiederum aus dem Verhältnis Gewinn zu Umsatz und der Kapitalumschlag aus dem Verhältnis Umsatz zu Aktiva Ȭ also AnlageȬ und Umlaufvermögen. Bei Anwendung dieses KennzahlensysȬ tems sollte berücksichtigt werden, dass Aktivitäten im Rahmen des MultiȬ ChannelȬMarketings die Kennzahlen zwar beeinflussen, jedoch nicht in vollem Umfang für die realisierten IstȬWerte verantwortlich gemacht werden können.2 Um ein verursachungsgerechtes MultiȬChannelȬMarketingȬ Controlling sicherzustellen, ist dieses globale System durch ein spezifisches MultiȬChannelȬMarketingȬKennzahlensystem, dem AbsatzmittlerȬ und EndȬ kundenwert, zu ergänzen.
1 2
374
Vgl. Berman (1996), S. 644 ff.; Schröder (2005), S. 260 f. Vgl. Meffert (2000), S. 1144.
Absatzmittler- und Kundenwert
2.2 Abbildung 2Ȭ2
ROIȬ I Kennzahlensystem von Du Pont Return on Investment = Rentabilität des eingesetzten Kapitals
Kapitalumschlag
Nettoumsatz
Anlagevermögen
2.2
Umsatzrentabilität
x
:
Gewinn (vor Steuer)
Aktiva
+
Umlaufvermögen
Deckungsbeitrag
-
:
Nettoumsatz
Fixe Kosten
Absatzmittler- und Kundenwert
Wie bereits in Teil B (Abschnitt 5.2.1) erläutert, ist es im MultiȬChannelȬ Marketing sinnvoll, den Kundenwert als eine primär endkundenorientierte Kennzahl um den Absatzmittlerwert als eine absatzmittlerorientierte KennȬ zahl zu ergänzen. Dabei stellt der Absatzmittlerwert in Analogie zum KunȬ denwert den Gesamtwertbeitrag eines Absatzmittlers für ein HerstellerunȬ ternehmen dar. Der AbsatzmittlerȬEquity als eine aggregierte SteuerungsȬ größe bezeichnet dementsprechend die Summe aller Absatzmittlerwerte. Dieser Abschnitt fokussiert zunächst auf den Betrachtungen des AbsatzmittȬ lerwerts und befasst sich danach kurz mit dem Kundenwert im Controlling.
2.2.1
Absatzmittlerwert
Neben den monetären Größen Umsatz und Kosten gehen in die Berechnung des Absatzmittlerwerts der betrachtete Zeitraum, die Kauffrequenz und die Herstellerwahlwahrscheinlichkeit ein (vgl. Abbildung 2Ȭ3).1 Das Potenzial des Absatzmittlerwerts zur Wirtschaftlichkeitsanalyse ist insbesondere aufȬ
1
AbsatzmittlerȬȱ r und Kundenwert
Vgl. zur Konzeption in Analogie zum Kundenwert bei Rust/Lemon/Zeithaml (2004), S. 112 ff.
375
Potenzial des AbsatzmittlerȬ r werts
2
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
grund seines hybriden Charakters, der neben monetären auch psychografiȬ sche Faktoren berücksichtigt, als hoch einzuschätzen. So lässt sich beispielsȬ weise abschätzen, inwieweit eine Steigerung der absatzmittlerbezogenen Ausgaben (z. B. für Werbemaßnahmen am Point of Sales oder einen verbesȬ serten absatzmittlergerichteten Service) durch eine Erhöhung der HerstelȬ lerwahlwahrscheinlichkeit und damit letztlich eines gesteigerten AbsatzmittȬ lerwerts gerechtfertigt wird.
Abbildung 2Ȭ3
Komponenten des Absatzmittlerwerts1 Absatzmittler-Equity Monetäre Größen
Umsatz Zeitraum
Erhöhung des absatzmittlerspezifischen Umsatzes
Maximierung des Absatzmittlerwerts
Kosten
Kauffrequenz
Senkung absatzmittlerspezifischer Kosten
Herstellerwahlwahrscheinlichkeit
Psychografische Größen
Gesamtnutzen eines Produkts für den Absatzmittler
Wertbezogener Nutzen
Markeninduzierter Nutzen
Beziehungsorientierter Nutzen
• Margenpotenzial des Absatzmittlers
• Positive Effekte der Herstellermarke auf die Reputation des Absatzmittlers
• Herstellerinitiierte Schulungsmaßnahmen
• Absatzmittlergerichtete Subventionen
•…
•…
• Herstellergeführte PoS-Maßnahmen (z. B. Verkaufsförderung) •…
Multi-Channel-Marketing-Instrumente: Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik
Im Folgenden wird näher auf die einzelnen konstituierenden Komponenten des Absatzmittlerwerts eingegangen. Dabei wird zunächst das Controlling anhand der monetären Größen beschrieben. Anschließend erfolgt die KonȬ kretisierung des Controllings anhand der psychografischen Faktoren, die letztlich die Herstellerwahlwahrscheinlichkeit determinieren. Berechnung des AbsatzmittlerȬ r werts
Die Berechnung des spezifischen Absatzmittlerwerts findet auf der Ebene der monetären Größen statt. Dabei muss die Summe der abgezinsten NettobarȬ werte eines jeden Produkts, das an einen Absatzmittler verkauft wird, im betrachteten Zeitraum berücksichtigt werden. Die Kauffrequenz gibt in VerȬ bindung mit dem betrachteten Zeitraum Aufschluss über die an einen AbȬ satzmittler vertriebene Menge eines Produkts. Mit der HerstellerwahlwahrȬ scheinlichkeit wird dieser Wert dann korrigiert und der Tatsache Rechnung 1
376
In Anlehnung an Burmann (2003), S. 123.
Absatzmittler- und Kundenwert
2.2
getragen, dass ein Absatzmittler in einem bestimmten Produktsegment das eigene Produkt durch das eines Wettbewerbers ersetzen bzw. das Produkt eines Wettbewerbers zu Gunsten des eigenen Produkts aufgeben könnte. Zur Berechnung des Absatzmittlerwerts ist es notwendig, die EinzahlungsȬ überschüsse der einzelnen Produkte zu bestimmen. Darüber hinaus ist vor allem eine adäquate Zurechnung von Gemeinkosten wichtig. Eine hierfür geeignete Methode stellt die im nächsten Abschnitt beschriebene ProzessȬ kostenrechnung dar. Einflussfaktoren auf der Umsatzseite sind beispielsweiȬ se die Endkundenzufriedenheit mit der Beratungsleistung oder auch die Motivation und Markenidentifikation des Absatzmittlers, wodurch die VerȬ kaufszahlen erheblich beeinflusst werden können. Weiterhin müssen auf der Kostenseite sämtliche absatzmittlerbezogenen Marketingausgaben berückȬ sichtigt werden, wie z. B. Aufwendungen für Reklamationen, POSȬ Materialien und Lagerhaltung. Abbildung 2Ȭ4 stellt Einflussfaktoren und Kennzahlen für das Controlling der absatzmittlerbezogenen Umsätze und Kosten zusammenfassend dar.
AbsatzmittlerȬ r bezogene Umsätze und Kosten
Controlling der absatzmittlerbezogenen Umsätze und Kosten
Abbildung 2Ȭ4
Controlling der Kosten
Controlling der Umsätze
Einflussfaktoren
Kennzahlen
• Endkundenzufriedenheit mit der Beratungsleistung des Absatzmittlers • Motivation und Markenidentifikation • Incentives • Verkaufsmaterialien (Broschüren, Dummys) • Schulungen der Absatzmittler • ...
• • • •
Umsatz je Absatzmittler Deckungsbeitrag je Absatzmittler Cross-/Up-Selling-Potenziale …
• Qualität der Leistung/ Reklamationshäufigkeit • Lagerhaltungskosten • Aufwände für Incentives, Verkaufsmaterialien und Schulungen • ...
• Kosten absatzmittlerbezogener Rabatte und Subventionen • Lager- und Transportkosten • Kosten herstellerinitiierter Schulungsmaßnahmen und POSMaterialien • Gemeinkosten • Verwaltung • IuK-Infrastruktur • …
377
2 Der zeitliche Bezug des AbȬ satzmittlerwerts
Abbildung 2Ȭ5
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
Im Gegensatz zum Endkundenwert lässt sich bei der Berechnung des AbȬ satzmittlerwerts häufig auf vertraglich begründete Planungszeiträume reȬ kurrieren. Langfristige Bindung in Form von RahmenȬȱ und ZulieferverträȬ gen kommen im Konsumentengeschäft praktisch nicht vor, sind bei GeschäfȬ ten mit Absatzmittlern jedoch durchaus üblich. Mögliche Einflussfaktoren sind beispielsweise monetäre Vertragskonditionen, wie z. B. Rabatte. Aber auch Branchenspezifika, wie z. B. kurze Entwicklungszyklen, nehmen EinȬ fluss auf die Dauer der Rahmenverträge, um eine langfristige, aber dennoch flexible Planung sicherzustellen. Darüber hinaus wirken sich auch ZufrieȬ denheit mit der vergangenen Vertragsbeziehung und Erfahrung auf die zeitliche Länge des Vertrags aus. Abbildung 2Ȭ5 stellt wesentliche EinflussȬ faktoren und Kennzahlen des zeitraumbezogenen Controllings dar.
Controlling des Zeitraums
Controlling des Zeitraums
Einflussfaktoren
Die Kauffrequenz
• Monetäre Vertragskonditionen • Preis-/Leistungsverhältnis im Gegensatz zum Wettbewerb • Brancheneinflussfaktoren (z. B. Entwicklungszyklen) • Lagerhaltungsspezifika • Konkurrenzdruck • Zufriedenheit/Erfahrung • ...
Kennzahlen • Durchschnittliche Länge eines Vertragsverhältnisses • Durchschnittliche Länge des Vertragsverhältnisses im Vergleich zu historischen Werten • Durchschnittliche Länge des Vertragsverhältnisses im Vergleich zum Industriedurchschnitt • …
Zur Bestimmung des Absatzmittlerwerts ist es weiterhin notwendig, die Menge eines bestimmten Produkts, die über einen gewissen Zeitraum an einen Absatzmittler vertrieben wird, zu bestimmen. Dazu wird auf die KaufȬ frequenz abgestellt. Beim Absatzmittlerwert müssen dabei – viel stärker als beim Endkundenwert – saisonale Schwankungen der Verkaufszahlen beȬ rücksichtigt werden. Außerdem gibt es einige Faktoren, die nicht durch Unternehmen und Absatzmittler direkt beeinflussbar sind, wie z. B. das Konsumverhalten. CRMȬMaßnahmen, wie z. B. Loyalitätsprogramme, sind dagegen direkt beeinflussbar und wirken sich in der Regel positiv auf die Kauffrequenz aus. Die wesentlichen Einflussfaktoren und Kennzahlen für das Controlling der Kauffrequenz fasst Abbildung 2Ȭ6 zusammen.
378
Absatzmittler- und Kundenwert
Abbildung 2Ȭ6
Controlling der Kauffrequenz
Controlling der Kauffrequenz
Einflussfaktoren • • • • •
Saisonelle Schwankungen Konsumverhalten Verkaufsstellen-Dichte CRM-Maßnahmen ...
2.2
Kennzahlen • Periodenbezogen • Käufe pro Jahr/Quartal/Monat • Käufe saisonal • Regionenbezogen • Länderspezifische Kauffrequenz • Regionale Kauffrequenz • Kauffrequenz nach Ortsgröße • …
Die Herstellerwahlwahrscheinlichkeit geht als weitere Größe in den AbȬ satzmittlerwert ein und gibt darüber hinaus Auskunft, mit welcher WahrȬ scheinlichkeit die Wahl eines Absatzmittlers in einer bestimmten ProduktkaȬ tegorie auf die Produkte des eigenen Unternehmens fällt. Damit stellt sie die Aggregation der psychografischen Einflussgrößen dar.
HerstellerwahlȬ wahrscheinlichȬ keit
Die Herstellerwahlwahrscheinlichkeit spiegelt den Nutzen des AbsatzmittȬ lers wider, der durch den Vertrieb eines bestimmten Produkts eines HerstelȬ lers begründet wird. Analog zum Endkundenwert kann auch der AbsatzȬ mittler als Kunde des Herstellers betrachtet werden. Somit unterliegt die Entscheidung des Absatzmittlers grundsätzlich ähnlichen Kalkülen wie die des Konsumenten. Im Folgenden werden mit dem wertbezogenen Nutzen (ValueȬEquity), dem markeninduzierten Nutzen (BrandȬEquity) und dem beziehungsorientierten Nutzen (RelationshipȬEquity) die drei konstituierenȬ den Determinanten der Herstellerwahlwahrscheinlichkeit näher ausgeführt.1
Psychografische Größen
Bei der Entscheidung eines Absatzmittlers über die Aufnahme eines beȬ stimmten Produkts in sein Sortiment spielt der monetäre Wert, den diese Entscheidung für ihn repräsentiert, eine entscheidende Rolle. Die Marge, die ein Absatzmittler mit einem Produkt erzielen kann, beeinflusst die HerstelȬ lerwahlwahrscheinlichkeit maßgeblich. Neben der Marge beeinflussen weiȬ tere Faktoren das wertmäßige Kalkül des Absatzmittlers, so z. B. besondere Anforderungen an die Lagerung und Lieferzeiten, die die VorratshaltungsȬ politik des Absatzmittlers bestimmen, oder auch Subventionen, die ein HerȬ steller für die Aufnahme eines Produkts in das Sortiment des Absatzmittlers bezahlt. Abbildung 2Ȭ7 stellt Kennzahlen, die das Controlling des wertbezoȬ genen Nutzens ermöglichen, sowie wesentliche Einflussfaktoren dar.
Wertbezogener Nutzen
1
Vgl. analog für Kundenwert Burmann (2003), S. 123; Wirtz (2005c), S. 217 ff.
379
2 Abbildung 2Ȭ7
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
Controlling des wertbezogenen Nutzens
Controlling des wertbezogenen g Nutzens
Einflussfaktoren
Abbildung 2Ȭ8
• Tatsächlich erzielte Marge • Durchschnittliche Lagerhaltungszeit • Lagerhaltungskoten • Lieferzeiten • Wertmäßiger subventionierter Anteil je Produkt • …
Auch der Vertrieb einer bestimmten Marke kann für den Absatzmittler einen Wertbeitrag leisten. Ist die Lizenz für den Vertrieb einer bestimmten Marke beispielsweise an QualitätsȬ und Servicestandards gebunden, so dient der Vertrieb dieser Marke als Signal für den Absatzmittler. Gelingt es ihm darȬ über hinaus, die Zahl der Käufer durch besonders attraktive Marken zu erhöhen, so eröffnen sich weitere CrossȬ und UpȬSellingȬPotenziale, die den monetären Erfolg positiv beeinflussen. Abbildung 2Ȭ8 fasst die Kennzahlen, die das Controlling des markeninduzierten Nutzens unterstützen, sowie wesentliche Einflussfaktoren zusammen.
Controlling des markeninduzierten Nutzens
Einflussfaktoren Controlling des markenorientierten Nutzens
MarkenȬ induzierterr Nutzen
• Geplante Marge • Kooperation bei Lagerhaltung, z. B. Vorratshaltungspolitik • Lieferzeiten • Subventionen • ...
Kennzahlen
380
• • • •
Qualitätsstandards Servicestandards Markenaffinität Konsistenter Transport der Marke über alle CustomerTouchpoints • Markenstärke • Markenstrategie • ...
Kennzahlen • • • • • • •
Markenimage Markenloyalität Markenvertrauen Markenbekanntheit Anteil Cross-Selling Weiterempfehlungsraten …
Absatzmittler- und Kundenwert
2.2
Der Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen kann ebenfalls in Vorteilen für einen Absatzmittler resultieren. NichtȬopportunistisches Verhalten führt zu einem langfristigen Aufbau von Vertrauen, was sich insgesamt stabilisieȬ rend auf die Geschäftsbeziehung auswirkt.1 Eine stabile und von gegenseitiȬ gem Vertrauen geprägte Beziehung zwischen Hersteller und Absatzmittler führt z. B. zu einer Verminderung von Transaktionskosten. Dieser Aspekt findet bei der Herstellerwahl Berücksichtigung und schlägt sich somit in der Herstellerwahlwahrscheinlichkeit nieder. Abbildung 2Ȭ9 fasst wesentliche Einflussfaktoren und Kennzahlen für das Controlling des beziehungsorienȬ tierten Nutzens zusammen.
BeziehungsȬ orientierter Nutzen
Controlling des beziehungsorientierten Nutzens
Abbildung 2Ȭ9
Controlling des beziehungsorientierten Nutzens
Einflussfaktoren
2.2.2
• • • • •
Vertrauen und Sympathie Kooperationsbereitschaft Transparenz Erfahrung ...
Kennzahlen • Kontrollaufwand für Qualität • Kontrollaufwand für die Einhaltung der Vertragskonditionen • Weiterempfehlungshäufigkeit • …
Kundenwert
Die Ausführungen zum Absatzmittlerwert sind konzeptionell für den KunȬ denwert identisch. So liegt auch beim Kundenwert eine hybride Struktur vor, wobei die monetären und psychografischen Komponenten den KunȬ denstammwert determinieren. Bei der Kundenwertbestimmung wird, wie beim Absatzmittlerwert, auf die kundenbezogenen Umsätze und Kosten, die Kauffrequenz, sowie den ValueȬEquity, BrandȬEquity und RelationshipȬ Equity eingegangen.2 Abbildung 2Ȭ10 zeigt beispielhaft einzelne EinflussfakȬ toren und zugehörige Kennzahlen des Kundenwertcontrollings.
1 2
Vgl. Yau et al. (2000), S. 2 ff. Vgl. Burmann (2003), S. 122 ff.; Rust/Lemon/Zeithaml (2004), S. 1009 ff.
381
Controlling des Kundenwerts1
Controlling der Umsätze
• Kundenzufriedenheit • Markenwahrnehmung • Kundenbeziehungsnutzen • ...
• • • •
Controlling der Kosten
• Lagerhaltungspolitik • Wertschöpfungstiefe • Intensität der Kommunikation • ...
• Kosten der Preis-, Distributions-, Produkt- und Kommunikationspolitik • Gemeinkosten • …
Controlling der Kauffrequenz
Kennzahlen
• Ökonomische Faktoren (z. B. Konsumverhalten) • Demographische Faktoren (z. B. Altersstruktur) • Geographische Faktoren (z. B. Urbanisierung) • ...
• Periodenbezogen (z. B. Käufe pro Quartal) • Kundenlebenszyklusbezogen (z. B. segmentbezogene Kauffrequenz) • Regionenbezogen (z. B. Kauffrequenz in Mikrosegmenten) • ...
Controlling des Value-Equity
Einflussfaktoren
• • • • •
• • • • •
Kundenzufriedenheitsindex Reklamationsquote Beschwerdequote Weiterempfehlungsquote ...
Controlling des Brand-Equity
Abbildung 2Ȭ10
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
• Markenaffinität • Markenstrategie • Fit zwischen Selbst- und Fremdbild der Marke • ...
• • • • •
Markenloyalität Markenimage Markensympathie Markenvertrauen ...
Controlling des Relationship-Equity
2
• Umgang mit Loyalitätsprogrammen • Anzahl und Qualität von Communities • Fit von Kundenwünschen und Boni • ...
• Anzahl der Loyalitätsprogrammteilnehmer • Nutzungshäufigkeit von Communities • Responsequote • ...
1
382
Produktqualität Servicequalität Kulanzverhalten Preis-/Leistungsverhältnis ...
Umsatz je Kunde Deckungsbeitrag je Kunde Cross-/Up-Selling Potentiale …
Für eine ausführliche Darstellung der einzelnen Faktoren und Kennzahlen vgl. Burmann (2003), S. 122 ff.; Rust/Lemon/Zeithaml (2004) S. 109 ff.; Wirtz (2005c), S. 290 ff.
Absatzsegmentrechnungen
2.3
Das Heranziehen des Kundenwerts im Mehrkanalsystem ist besonders für direkte Kanäle sinnvoll, da es dort für die Unternehmung einfach ist, kunȬ denbezogene Daten zu sammeln und auszuwerten. Auf dieser Grundlage können dann gezielt Kunden angesprochen werden. Der Absatzmittlerwert hingegen eignet sich eher für den indirekten Vertrieb, mit dem MassenmärkȬ te bedient werden. In diesem Fall steht dem Unternehmen keine einfache kundenbezogene Informationssammlung zur Verfügung und der AbsatzȬ mittlerwert wird zur strategischen Selektionsgröße.
2.3
Absatzsegmentrechnungen
Absatzsegmentrechnungen stellen im Gegensatz zu globalen KennzahlenȬ systemen bereichsspezifische Analysen dar, die auf dem VerursachungsȬ prinzip basieren. Da im Zentrum der Analyse die relativen Einzelkosten und nicht die Vollkosten stehen, können ohne eine Berücksichtigung der nicht direkt zuweisbaren Kosten eindeutige Sachzusammenhänge untersucht und der wirtschaftliche Erfolg den einzelnen Absatzsegmenten (z. B. einzelne Marketingkanäle, Verkaufsregionen, Kundensegmente) direkt zugeordnet werden.1 Voraussetzung hierfür ist die Identifikation bestimmter BezugsȬ größen, die es erlauben, die Kosten direkt zuzuordnen.
Relative EinzelȬ kosten
Im Rahmen der Absatzsegmentrechnung wird der Deckungsbeitrag (bzw. NettoȬSegmentbeitrag) zur zentralen Kontrollgröße für die Beurteilung der Erfolgsstrukturen der einzelnen Segmente. Der Deckungsbeitrag bzw. NettoȬ Segmentbeitrag eines Absatzsegments entspricht der Differenz zwischen den Erträgen des betrachteten Segments (Bruttoumsatz) und den diesem Segment eindeutig zurechenbaren (variablen) Kosten.2 Abbildung 2Ȭ11 zeigt eine generelle Vorgehensweise bei der NettoȬSegmentbeitragsrechnung.
Deckungsbeitrag a
1 2
Vgl. im Folgenden Berman (1996), S. 649. Vgl. Meffert (2000), S. 1145 f.; Hoitsch/Lingau (2002), S. 71.
383
2 Abbildung 2Ȭ11
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
NettoȬSegmentbeitragsrechnung1
Brutto-Umsatz - Mehrwertsteuer = Netto-Umsatz - Erlösschmälerungen (Rabatte oder Skonti) - Herstellkosten (sofern direkt zurechenbar) = Brutto-Segmentbeitrag - Umsatzvariable Marketingkosten (Versandkosten, Provisionen) = Umsatzvariabler Segmentbeitrag - Nicht umsatzvariable, direkt zurechenbare Marketingkosten (Werbekosten, Marktforschungskosten) = Kontrollierter Segmentbeitrag - Langfristige Kosten (z. B. tatsächliche Abschreibung auf Fuhrpark) = Netto-Segmentbeitrag (Deckungsbeitrag)
Im MultiȬChannelȬMarketing ist es sinnvoll, die kanalbezogenen Umsätze und Kosten als Einzelkosten heranzuziehen, um eine segmentspezifische Deckungsbeitragsrechnung zu ermöglichen. Wird oben dargestellte NettoȬ Segmentbeitragsrechnung auf den Mehrkanalkontext übertragen, so ist eine NettoȬSegmentbeitrag pro eingesetztem Kanal anzustreben2. Abbildung 2Ȭ12 stellt eine mögliche Deckungsbeitragsrechnung für verschiedene Kanäle beispielhaft dar.
1 2
384
Vgl. Meffert (2000), S. 1149. Vgl. Schröder (2005), S. 268 ff.
Prozesskostenrechnungen
Kanalspezifische NettoȬSegmentbeitragsrechnung1
2.4 Abbildung 2Ȭ12
Kanal 1 (z. B. Ladengeschäft)
Kanal 2 (z. B. Katalog)
Kanal 3 (z. B. Direkter Onlinevertrieb)
Brutto-Umsatz - Mehrwertsteuer = Netto-Umsatz - Erlösschmälerungen (Kanalbezogene Rabatte oder Skonti) - Herstellkosten (sofern direkt zurechenbar) = Brutto-Segmentbeitrag - Umsatzvariable Marketingkosten (Versandkosten pro Kanal, Provisionen) = Umsatzvariabler Segmentbeitrag - Nicht umsatzvariable, direkt zurechenbare Marketingkosten (Kanalspezifische Werbekosten, Marktforschungskosten) = Kontrollierter Segmentbeitrag - Langfristige Kosten (z. B. Bereitstellung der verschiedenen Kanäle) = Netto-Segmentbeitrag pro Kanal (Deckungsbeitrag)
2.4
Prozesskostenrechnungen
Ähnlich wie bei der Absatzsegmentrechnung werden auch bei der ProzessȬ kostenrechnung die Kosten nach dem Verursachungsprinzip zugewiesen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um die direkt zurechenbaren relatiȬ ven Einzelkosten, sondern um die Gemeinkosten eines Prozesses, die verurȬ sachungsgerecht anhand der tatsächlichen Inanspruchnahme auf die LeisȬ tung aufgeteilt werden. Im MultiȬChannelȬMarketing spielt die ProzesskosȬ tenrechnung eine wesentliche Rolle, weil mit ihrer Hilfe vor allem die so genannten indirekten Bereiche der Distribution, wie z. B. die AuftragsabȬ wicklung oder die Kundenbetreuung durch Außendienst, die einen großen Anteil der Distributionskosten einnehmen, bewertet werden.2
1 2
In Anlehnung an Meffert (2000), S. 1149; Schröder (2005), S. 270; Wall (2007), S. 614. Vgl. Kotler/Bliemel (2001), S. 1291; Schröder (2005), S. 272..
385
Aufschlüsselung von Gemeinkosten
2 Abbildung 2Ȭ13
Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalysen
Prozess zur Durchführung einer Prozesskostenrechnung1
Tätigkeitsanalyse
Aggregation Tätigkeiten zu Prozessen
Definition von Kostentreibern je Prozess
Ermittlung Pozesskostensatz
Zuordnung Kosten zu Kostenträger
Ablauf derr ProzesskostenȬ rechnung
Die Durchführung einer Prozesskostenrechnung hat einen klaren Ablauf, der in Abbildung 2Ȭ13 dargestellt ist. Zunächst wird eine umfassende TätigȬ keitsanalyse in den Gemeinkostenbereichen durchgeführt. Auf Basis dieser Ergebnisse werden anschließend die identifizierten Tätigkeiten zu Prozessen aggregiert und für jeden einzelnen Prozess ein Kostentreiber definiert. Im nächsten Schritt kann für jeden einzelnen Prozess durch die Division der Prozesskosten durch die Prozessmenge ein so genannter Prozesskostensatz ermittelt werden. Dieser Prozesskostensatz kann abschließend nach MultiȬ plikation mit der entsprechenden Prozessmenge einem Kostenträger zugeȬ ordnet werden.2 Im Mehrkanalsystem kann die Wirtschaftlichkeit von Prozessen in verschieȬ denen Kanälen besonders gut durch die Prozesskostenrechnung untersucht werden. So ist das Beschwerdemanagement im Mehrkanalsystem grundȬ sätzlich über verschiedene Kanäle möglich, wobei in den jeweiligen Kanälen verschiedene Kosten anfallen, die den Kostentreibern (Anzahl der BeȬ schwerden) zugerechnet werden. Die unterschiedlichen Prozesskosten könȬ nen dann der Prozessmenge zugeordnet werden, um eine segmentspezifiȬ sche oder kanalspezifische Kostenrechnung zu generieren. Durch diese Rechnung können dann Implikationen für die zukünftige Entwicklung und strategische Ausrichtung im MultiȬChannelȬMarketing abgeleitet werden.
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Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 1226. Vgl. im Folgenden Schröder (2005), S. 272.
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Stichwortverzeichnis
A Absatzhelfer 36 Absatzkredit 208 Absatzmittler 26, 109, 112 Equity 66, 69 Kosten 184 Normstrategien 186 Segmentierung 181 Selektion 179 Verhalten 48 Wert 375 383 Absatzsegmentrechnung Aktivierende Prozesse 99 Aktivierungskonkurrenz 103 Ambulanter Handel 34 Anreizmechanismen 323 Außendienst 35 B Beschaffungsmanagement Global Sourcing Single Sourcing Betriebswissenschaftlicher Ansatz
48 49 49 177
C Call-Center 85 Category Management 236, 296 Channel Fit 79 Flow 39, 40 Manager 338 Relationship-Management 310 System-Scorecard 372 Channel-Fit 79 Commitment 312 Conjoint-Analyse 141 Continuous Replenishment 301, 309
Controlling Convenience Stores Corporate Identity Cross-Selling Customer Touch Points
373 13 253 73 81, 230
D Datenaustausch 308 EDIFACT 308 XML 308 Deckungsbeitrag 383 Direktkommunikation 241 Direktvertrieb 23, 35 Disintermediation 27, 52 Distribution exklusiv 189 intensiv 188 selektiv 188 Distributionsintensität 187 Distributionspolitik 14, 255 Akquisitorische Distribution 15 Auftragsabwicklung 264 Distributionsstruktur 258 Kommissionierung und Verpackung 262 Lagerhaltung 260 Transport 263 Ziele 256 Distributionsstufen 23 Divisionalisierung 340 E E-Commerce Efficient Consumer Response
54
56, 294 Efficient Product Introduction (EPI) 305 Efficient Promotion 303 Efficient Replenishment 301 407
Stichwortverzeichnis
Eigentumsfluss Einstellungstransfer Einzelhandel Akteure Electronic CRM Endkunden-Equity Event-Marketing
41 101 33 309 66, 69 241
F Factory-Outlet Fernabsatzgesetz Finanzverfahren
J Just-in-Time
35, 326 61 176 G
Gap-Analyse Gatekeeper Geldfluss Geschäftsbeziehung Großhandel Akteure Cash-und-Carry Entwicklung Tertiarisierung Virtualisierung Gruppenfreistellungen Güterströme
178 158 43 80 30 32 12 12 12 58 41
H Herstellerfiliale Hierarchie Horizontale Struktur
32 343 30
I Indirekter Vertrieb Information Ebenenmodell des Informationsmanagements Information Overflow menschliche Verarbeitung Informationsfluss Informationsströme Downstream Flow Inter-Channel-Flow Intra-Channel-Flow Upstream Flow Integrierte Kommunikation
408
53 54, 55 12 55 306 287, 306
Internet Direktvertrieb Internet-Shops IT-Anwendungen IT-Infrastruktur IuK-Systeme
25
290 102 101 42 290 291 291 291 291 249
301 K
Kanalkonflikte 75 Kanal-Produkt-Funktions-Tensor 349 Kanalrichtlinien 323 Kanalwettbewerb 52 Kannibalisierungseffekt 75, 216 114 Kernkompetenz Kognitive Prozesse 101 Kommissionäre 38 Kommissionierung 268 Kommissionsvertrieb 192 Kommunikationspolitik 15, 238 Instrumente 240 Pull-Strategie 244 Push-Strategie 244 Ziele 244 Kommunikationsprozess 239 Komplexität 93, 98 Folgen 357 358 Kosten Management 354 Reduktion 360 Ursachen 354 Variantenvielfalt 360 Konditionalprogramme 350 Konditionendifferenzierung 209 Konditionenpolitik 203, 207 Konflikte Auswirkungen 327 Management 325 Optimales Konfliktniveau 328 Strategien 331 Ursachen und Formen 325 Konsumentenverhalten 45 48 Convenience Shopping Hybrides Kaufverhalten 46
Stichwortverzeichnis
Multioptionales Kaufverhalten 46 Smart Shopping 47 Variety Seeking 47 Kontaktwege 29 Kontrahierungspolitik Penetrationstrategie 205 Kontrahierungspolitik 203 Skimmingstrategie 205 Kundenbindung 72, 100 Kundenpräferenzen 85 Kundenwert Siehe Endkunden-Equity Kybernetik 95 L Ladenöffnungszeitengesetz Liefer- und Zahlungsbedingungen Logistik
61 208 258
M Macht 313 Ausübung 313 Strategie 332 Strukturen 313 Management-by-Objectives 350 Markenführung 233 Markenpolitik 228 Marketing Definition 15 Entwicklungstendenzen 158 Instrumente 14, 65 Marketingmix 36 Marketingprozess 15 Operativ 201 Marketingkanal 89 Akteure 22, 94 Definition 15 Distributionsstufen 24 Selektion 173, 176 Stufengrad 23 vertikale Struktur 23 Marketing-Mix 89 4 P’s 201 Markt- und Wettbewerbsumfeld 50 Marktbearbeitungsstrategie 144
Differenzierte Konzentrierte Undifferenzierte Marktschwankungen Marktsegmentierung Geografisch Nutzenorientiert Psychografisch Soziodemografisch Verhaltensorientiert Mehrkanalsystem Definition Differenzierungsgrad Form Koordinationsfelder Positionierung Potenzielle Kanäle Selektion der Kanäle Stufenzahl Messen/Ausstellungen Modularisierung Multi-Channel-Marketing Abteilung Audit Audit-Prozess Audit-Scorecard Chancen Definition Organisationsfelder Risiken Subsysteme Terminologie Wettbewerbsformen Ziele Zielhirarchie Zielsystem
147 148 145 50 133 134 141 138 136 137 18 167 163 215 166 156 169 164 241 361 117 365 366 369 72 19 334 74 94 11 52 40 67 64
N Nachfrageschwankungen Netto-Segmentbeitragsrechnung Netzwerke Neuproduktentwicklung, kooperative Nutzen Beziehungsorientiert Brand-Equity
50 384 197 305 381 379 409
Stichwortverzeichnis
Markeninduziert Relationship-Equity Value-Equity Wertbezogen
380 379 379 379
O One-to-One-Marketing 54 Online-Direktvertrieb Siehe Internet - Direktvertrieb Organisation Einlinien 344 334 Formal und informell Gruppen 352 335 Inter-Channel Intra-Channel 335 Matrix 348 Mehrlinien 347 Selbstabstimmung 351 Organisatorische Differenzierung 336 Objektorientiert 339 337 Verrichtungsorientiert Organisatorische Integration 343 P Pooling 267 Portfolioanalyse 185 Preis- und Konditionenpolitik 14 Preisdifferenzierung 207 Preisflexibilität 215 Preispolitik 203 Produktbegriff 220 Produktfluss 41 Produktlebenszyklus 226 Produktpolitik 14, 219 Aufgaben 221 Entwicklung 225 Profit-Center-Organisation 340 Prozesskostenrechnungen 385 Public Relations 241 R Rabatte Rahmenbedingungen Recht Technologie Regelkreis
410
208 44 57 53
dreistufige Hirarchie technisch Reintermediation Relationship-Marketing Relative Einzelkosten Risikofluss ROI-Kennzahlensystem Rollendissens
97 96 27 80 383 41 340, 373 319
S Sanktionen 313 Scanningtechnologien 307 Scoring-Modell 173 Selbstständige Handelsvertreter 38 Servicepolitik 229, 235 S-O-R-Modell 98 Sponsoring 241 S-R-Modell 99 Stärken-Schwächen-Profil 130 Stationärer Handel 34 Strategie Kooperationsstrategie 162 Abnehmergerichtet 153 Absatzmittlergerichtet 156 Anpassungsstrategie 159 Konfliktstrategie 160 Konkurrenzgerichtet 150 Umgehungsstrategie 159 Strategie Kooperationsstrategie 190 Strategische Vertriebsallianzen 196 Supply Chain Management 55 SWOT-Analyse 130 T Telefonverkauf 61 Termingeschäft 213 Theorien Anreiz-Beitrags-Theorie 103 Aspinwall´s „Parallel Systems Theory“ 171 Capabilitiy-based View 114 Entscheidungsorientierter Ansatz 87 Neue Institutionenökonomik 105 Prinzipal-Agent-Theorie 111
Stichwortverzeichnis
Property-Rights-Theorie Ressourcentheoretischer Ansatz Soziologische Systemtheorie Strukturfunktionalismus Systemtheoretischer Ansatz Transaktionskostentheorie Verhaltenswissenschaften Tourenplanung
106 113 91 92 91 106 98 268
U Unternehmensanalyse Unternehmenssituation
128 124
V Verhaltensbeziehungen Verhaltenssteuerung Anreizgestaltung Instrumente Rollenvergabe Verhandlungsfluss Verkaufsförderung Vermittler Verpackungsgestaltung Versandhandel Vertikale Integration
311 322 317 318 41 241 38 227, 231 33 28, 109
Vertragshändler- und Franchisesysteme Vertrauen Vertriebsbindungs- und Alleinvertriebssysteme Vertriebskosten
193 311 194 74
W Werbung Wertekette Wettbewerb Wettbewerbsanalyse Wettbewerbsrecht Wettbewerbsstrategie
241 128 51 126 58 332
Z Ziele Logistikziele Marketingziele ökonomische psychografische Zielhierarchie Zielkonflikte Zweckprogramme Zwischenhändler
68 65 65 66 64 326 350 32
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