Grit Walther Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke
GABLER RESEARCH Produktion und Logistik Herausgegeben von Professor Dr. Wolfgang Domschke, Technische Universität Darmstadt, Professor Dr. Andreas Drexl, Universität Kiel, Professor Dr. Bernhard Fleischmann, Universität Augsburg, Professor Dr. Hans-Otto Günther, Technische Universität Berlin, Professor Dr. Stefan Helber, Universität Hannover, Professor Dr. Karl Inderfurth, Universität Magdeburg, Professor Dr. Thomas S. Spengler, Universität Braunschweig, Professor Dr. Hartmut Stadtler, Technische Universität Darmstadt, Professor Dr. Horst Tempelmeier, Universität zu Köln, Professor Dr. Gerhard Wäscher, Universität Magdeburg Kontakt: Professor Dr. Hans-Otto Günther, Technische Universität Berlin, H 95, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin
Diese Reihe dient der Veröffentlichung neuer Forschungsergebnisse auf den Gebieten der Produktion und Logistik. Aufgenommen werden vor allem herausragende quantitativ orientierte Dissertationen und Habilitationsschriften. Die Publikationen vermitteln innovative Beiträge zur Lösung praktischer Anwendungsprobleme der Produktion und Logistik unter Einsatz quantitativer Methoden und moderner Informationstechnologie.
Grit Walther
Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke Überbetriebliche Planung und Steuerung von Stoffströmen entlang des Produktlebenszyklus Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Thomas S. Spengler
RESEARCH
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Habilitationsschrift Technische Universität Braunschweig, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Nicole Schweitzer Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2228-1
Für Nieke
Geleitwort
VII
Geleitwort Die Habilitationsschrift von Frau Walther ordnet sich thematisch in das in Forschung und Praxis viel beachtete Gebiet der betriebswirtschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung ein, das sich vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussion mit Themen wie Klimawandel und Ressourcenverknappung beschäftigt. Die Zielsetzung der von ihr durchgeführten Forschungsarbeiten besteht darin, Planungsansätze für eine nachhaltige Entwicklung bestehender Wirtschaftssysteme zu entwickeln, wobei speziell auf die einzelnen Phasen entlang des Produktlebenszyklus eingegangen wird. Die entwickelten Ansätze finden konkrete Anwendungen sowohl in fertigungs- als auch in verfahrenstechnischen Fallstudien der Elektronik- und Fahrzeugindustrie. Insgesamt greift Frau Walther in der vorliegenden Schrift einen äußerst anspruchsvollen Themenkomplex auf, der durch Aktualität, Interdisziplinarität und eine hohe Praxisnähe gekennzeichnet ist. Zur Erreichung der gesetzten Ziele wird zunächst der konzeptionelle Rahmen der Arbeit über die Grundsätze und Managementregeln einer nachhaltigen Entwicklung sowie über die Planungsaufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke hergeleitet. Im Anschluss daran erfolgt die Vorstellung und Anwendung von Ansätzen zur statischen sowie dynamischen Modellierung von Stoff- und Energieströmen in Wertschöpfungsnetzwerken und darauf aufbauend zur integrierten Bewertung dieser Stoff- und Energieströme unter Zugrundelegung ökonomischer, ökologischer und sozialer Kriterien. Im Anschluss daran werden konkrete Planungsmodelle entlang des Produktlebenszyklus entwickelt, wobei sowohl systemdynamische Simulationsmodelle, als auch lineare, kombinatorische und dynamische Optimierungsmodelle erstellt und im Rahmen von Fallbeispielen validiert werden. Abschießend erfolgt die Konzeption eines Ansatzes zur dezentralen Koordination von Wertschöpfungsnetzwerken auf Basis der Dekomposition eines zentralen Planungsmodells. Dieses legt die Grundlage zu einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit von Recyclingunternehmen in der Praxis. Die Arbeit schließt mit Schlussfolgerungen sowie einer Zusammenfassung. Die vorliegende Schrift deckt eine äußerst anspruchsvolle Thematik ab, und dies sowohl in einer beeindruckenden thematischen Breite als auch wissenschaftlichen Eindringtiefe. Die von der Autorin herangezogenen und eigenständig weiterentwickelten Methoden zur Modellierung, Bewertung und Optimierung von Wertschöpfungsnetzwerken sind wissenschaftlich fundiert und innovativ. Insgesamt hat Frau Walther damit den Stand der Forschung im Themengebiet der betriebswirtschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung einen entscheidenden Schritt vorangebracht und gleichzeitig beachtenswerte Erfolge im Hinblick auf die praxisgerechte Gestaltung und Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerken erzielt. Dem vorliegenden Buch sei daher eine weite Verbreitung in Wissenschaft und Praxis gewünscht. Prof. Dr. Thomas S. Spengler
Vorwort
IX
Vorwort Globale und irreversible Probleme, wie der Klimawandel oder die Ressourcenverknappung, verdeutlichen die Notwendigkeit der Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftssysteme. Erforderlich ist insbesondere die effiziente Nutzung und Kreislaufführung aller Materialien durch ein aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken von Produzenten, Konsumenten und Recyclingunternehmen. Hieraus resultiert eine zunehmende Anzahl zu berücksichtigender Akteure und somit eine Steigerung der Komplexität der zu gestaltenden und zu koordinierenden Systeme. Vor diesem Hintergrund erfolgt in der vorliegenden Habilitationsschrift die Entwicklung von Konzepten zur Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken. Hierbei werden sowohl stoffstrombasierte Planungs- und Entscheidungsmodelle über den gesamten Produktlebenszyklus, als auch Ansätze zur Koordination der beteiligten Akteure entlang dieser Prozesskette entwickelt. Die Validierung der Modelle erfolgt an Fallstudien der Elektronik- und Fahrzeugindustrie. Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Leiterin der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke“ am Lehrstuhl für Produktion und Logistik der Technischen Universität Braunschweig. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Thomas S. Spengler für die fachliche und vor allem auch persönliche Unterstützung, die er mir während der gesamten Zeit an seinem Lehrstuhl entgegengebracht hat. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Karl Inderfurth (Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg), Prof. Dr. Jo van Nunen (Erasmus Universität Rotterdam) sowie Prof. Dr. Otto Richter (Technische Universität Braunschweig) für die Übernahme der Korreferate sowie die wertvollen fachlichen Hinweise. Mein Dank gilt zudem allen Mitgliedern der Habilitationskommission. Danken möchte ich auch allen Partnern bei der Volkswagen AG, der Salzgitter AG, der ELPRO GmbH, der adp Gauselmann GmbH, der CCR Logistics Systems AG sowie der Systain Consulting GmbH für die gute Zusammenarbeit und Kooperationsbereitschaft. Erst durch die gemeinsamen Forschungsprojekte wurde die vorliegende Arbeit ermöglicht. Ein besonderer Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für Produktion und Logistik der TU Braunschweig und insbesondere der Arbeitsgruppe „Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke“ für die fachlich und vor allem auch persönlich sehr gute Zusammenarbeit. Zu nennen sind hier Dr. Martin Ploog, Dr. Marcus Schröter, Dr. Wiebke Junge, Dr. Dolores Queiruga Dios, Dr. Eberhard Schmid, Dr. Grischa Meyer, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Anne Schatka, Dipl.-Math. Oec. Kerstin Schmidt, Dipl.-Kffr. Jenny Steinborn, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jörg Wansart, Dipl.-Wirtsch.-Ing. Karsten Kieckhäfer sowie Dipl.-Wirtsch.-Ing. Britta Engel. Herzlich danken möchte ich auch Prof. Dr. Jacqueline Bloemhof (Universität Wageningen) und Dr. Joao Quariguasi (Universität Bradford) für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit während meines Forschungsaufenthaltes an der Erasmus Universität Rotterdam. Meiner Familie möchte ich danken für ihre stetige Unterstützung, die mir neben vielem anderen auch die Erstellung dieser Arbeit ermöglicht hat. Mein ganz besonderer Dank gilt Michael für seinen Rückhalt, sein Verständnis und seine Unterstützung in allen Lebenslagen. Grit Walther
Inhaltsübersicht
XI
Inhaltsübersicht 1
2
3
4
5
Einleitung ........................................................................................................................... 1 1.1
Ausgangslage und Problemstellung ........................................................................... 1
1.2
Zielsetzung und Lösungsweg .................................................................................... 4
Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ................... 9 2.1
Grundlagen und Rahmenbedingungen eines nachhaltigen Wirtschaftens............... 10
2.2
Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke .................................................................. 20
2.3
Fallbeispiel: Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronikindustrie .................................................................................................. 28
2.4
Fazit ...................................................................................................................... 37
Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ............................................................................................. 41 3.1
Modellierung vernetzter Produktionssysteme ......................................................... 41
3.2
Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ............................................... 50
3.3
Multikriterielle Bewertung zur Integration der Nachhaltigkeitsindikatoren ........... 64
3.4
Fallbeispiel: Modellierung und Bewertung von Recyclingnetzwerken................... 77
3.5
Fazit ...................................................................................................................... 91
Lenkungssystem (Umwelt-)Politik ................................................................................. 93 4.1
Folgenabschätzung für Politikoptionen ................................................................... 93
4.2
Dynamisch komplexe Systeme ................................................................................ 98
4.3
Fallbeispiel: Folgenabschätzung im Automobilsektor .......................................... 107
4.4
Fazit .................................................................................................................... 127
Produktentwicklung ...................................................................................................... 129 5.1
Produktlebenszyklus .............................................................................................. 129
5.2
Life Cycle Costing ................................................................................................. 135
5.3
Fallbeispiel: Lebenszykluskosten komplexer Elektronikgeräte ............................ 141
5.4
Life Cycle Assessment .......................................................................................... 146
5.5
Fallbeispiel: Umweltwirkungen komplexer Elektronikgeräte ............................... 149
5.6
Fazit .................................................................................................................... 154
XII 6
7
8
9
Inhaltsübersicht Produktion ..................................................................................................................... 157 6.1
Planung von Produktionssystemen ........................................................................ 157
6.2
Modellierung von Produktionssystemen am Beispiel synthetischer Biokraftstoffe ......................................................................................................... 164
6.3
Fallbeispiel: Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von BTLKraftstoffen ............................................................................................................ 182
6.4
Fazit .................................................................................................................... 186
Nutzung .......................................................................................................................... 189 7.1
Nutzungsdauerverlängerung durch Aufarbeitung.................................................. 189
7.2
Planung der Aufarbeitung ...................................................................................... 195
7.3
Integrierte Planung von Neuproduktion und Aufarbeitung ................................... 196
7.4
Fallbeispiel: Kreislaufoptionen eines Automatenherstellers ................................. 204
7.5
Fazit .................................................................................................................... 209
Entsorgung ..................................................................................................................... 211 8.1
Begriffe und Grundlagen ....................................................................................... 211
8.2
Charakterisierung von Behandlungsprozessen ...................................................... 215
8.3
Modellierung von Behandlungsprozessen ............................................................. 218
8.4
Modellierung integrierter Recyclingunternehmen ................................................. 227
8.5
Fallbeispiel: Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens .................. 231
8.6
Fazit .................................................................................................................... 236
Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke............................................. 239 9.1
Anforderungen an die Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke...... 239
9.2
Koordination in Netzwerken.................................................................................. 242
9.3
Fallbeispiel: Koordination von Recyclingnetzwerken........................................... 250
9.4
Fazit .................................................................................................................... 263
10 Schlussfolgerungen ........................................................................................................ 265 11 Zusammenfassung ......................................................................................................... 273 12 Literatur ......................................................................................................................... 277
Inhaltsverzeichnis
XIII
Inhaltsverzeichnis 1
2
Einleitung ........................................................................................................................... 1 1.1
Ausgangslage und Problemstellung ........................................................................... 1
1.2
Zielsetzung und Lösungsweg .................................................................................... 4
Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ................... 9 2.1
Grundlagen und Rahmenbedingungen eines nachhaltigen Wirtschaftens............... 10 2.1.1 Konzept Nachhaltigkeit ............................................................................... 10 2.1.2 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik .............................................................. 11 2.1.2.1 Abfall- und schadstofforientierte Richtlinien .......................................... 14 2.1.2.2 Medienübergreifender Umweltschutz ..................................................... 14 2.1.2.3 Freiwillige Instrumente ........................................................................... 15 2.1.2.4 Integrierte Produktpolitik ........................................................................ 16 2.1.3 Stoffstrommanagement zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung ................................................................................................. 17
2.2
Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke .................................................................. 20 2.2.1 Wertschöpfungsnetzwerke ........................................................................... 20 2.2.2 Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ............................. 22 2.2.3 Planung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ........................................ 24 2.2.3.1 Planungsrahmen...................................................................................... 25 2.2.3.2 Planungsaufgaben entlang des Produktlebenszyklus .............................. 26
2.3
Fallbeispiel: Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronikindustrie .................................................................................................. 28 2.3.1 Umweltwirkungen von Elektro(nik)geräten ................................................ 28 2.3.2 Umweltrechtliche Rahmenbedingungen ...................................................... 29 2.3.3 Stoffstrommanagement entlang des Produktlebenszyklus........................... 32 2.3.4 Zusammenarbeit in Wertschöpfungsnetzwerken ......................................... 33
2.4 3
Fazit ...................................................................................................................... 37
Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ............................................................................................. 41 3.1
Modellierung vernetzter Produktionssysteme ......................................................... 41 3.1.1 Ermittlung der Input-Output-Relationen...................................................... 43 3.1.1.1 Betriebswirtschaftliche Produktionsfunktionen ...................................... 43 3.1.1.2 Aktivitätsanalyse...................................................................................... 44 3.1.1.3 Approximation einer Technik durch Prozesssimulation ......................... 45
XIV
Inhaltsverzeichnis 3.1.2 Ansätze zur dynamischen Modellierung ...................................................... 47 3.1.2.1 Dynamisches Grundmodell ..................................................................... 47 3.1.2.2 Dynamische Input-Output-Grafen und Petri-Netze ................................ 48
3.2
Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ............................................... 50 3.2.1 Ziele und Zielhierarchien ............................................................................. 50 3.2.2 Ökonomische Bewertung ............................................................................. 52 3.2.2.1 Verfahren der Umweltkostenrechnung.................................................... 53 3.2.2.2 Ansatz der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung ........................... 55 3.2.3 Ökologische Bewertung ............................................................................... 59 3.2.3.1 Kumulierter Primärenergieaufwand – KEA ........................................... 59 3.2.3.2 Bewertungsverfahren nach UBA ............................................................. 60 3.2.4 Soziale Bewertung ....................................................................................... 63
3.3
Multikriterielle Bewertung zur Integration der Nachhaltigkeitsindikatoren ........... 64 3.3.1 Indikatorensysteme zur Bewertung der Nachhaltigkeit ............................... 64 3.3.2 Klassifikation multikriterieller Entscheidungsverfahren ............................. 66 3.3.3 Multi Objective Decision Making ............................................................... 67 3.3.3.1 MODM-Verfahren ................................................................................... 67 3.3.3.2 Bestimmung aller effizienten Lösungen................................................... 69 3.3.3.3 Zielprogrammierung ............................................................................... 71 3.3.4 Multi Attribute Decision Making................................................................. 72 3.3.4.1 MADM-Verfahren ................................................................................... 73 3.3.4.2 Outrankingverfahren PROMETHEE ...................................................... 75
3.4
Fallbeispiel: Modellierung und Bewertung von Recyclingnetzwerken................... 77 3.4.1 Stoffstrommodell des Recyclingnetzwerks.................................................. 78 3.4.2 Stoffflussbasierte Umweltkostenrechnung zur Bewertung von Recyclingnetzwerken ................................................................................... 79 3.4.3 MODM-Verfahren zur Bewertung von Recyclingnetzwerken .................... 81 3.4.3.1 Zielfunktionen .......................................................................................... 81 3.4.3.2 Effiziente Lösungen ................................................................................. 83 3.4.3.3 Zielprogrammierung ............................................................................... 85 3.4.4 MADM-Verfahren zur Bewertung von Recyclingnetzwerken .................... 87 3.4.4.1 Zielsystem und Attribute .......................................................................... 88 3.4.4.2 Anwendung von PROMETHEE ............................................................... 89
3.5 4
Fazit ...................................................................................................................... 91
Lenkungssystem (Umwelt-)Politik ................................................................................. 93 4.1
Folgenabschätzung für Politikoptionen ................................................................... 93
Inhaltsverzeichnis
XV
4.1.1 Vorgehen im Rahmen der Folgenabschätzung ............................................ 94 4.1.2 Anforderungen an die Wirkungsanalyse ...................................................... 97 4.2
Dynamisch komplexe Systeme ................................................................................ 98 4.2.1 Verhaltensmuster dynamisch komplexer Systeme ...................................... 98 4.2.2 Systemdynamische Modellierung dynamisch komplexer Systeme ........... 100 4.2.2.1 Problemdefinition .................................................................................. 100 4.2.2.2 Erstellung einer dynamischen Hypothese ............................................. 101 4.2.2.3 Formulierung eines Simulationsmodells ............................................... 102 4.2.2.4 Modellanalyse ....................................................................................... 105 4.2.2.5 Entwicklung und Bewertung von Politikoptionen ................................. 106
4.3
Fallbeispiel: Folgenabschätzung im Automobilsektor .......................................... 107 4.3.1 Planungsproblem........................................................................................ 107 4.3.2 Modell ........................................................................................................ 109 4.3.3 Daten und Szenarien .................................................................................. 120 4.3.4 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen .................................................. 122
4.4 5
Fazit .................................................................................................................... 127
Produktentwicklung ...................................................................................................... 129 5.1
Produktlebenszyklus .............................................................................................. 129 5.1.1 Bedeutung der Produktentwicklung ........................................................... 129 5.1.2 Modellierung des Produktlebenszyklus ..................................................... 131
5.2
Life Cycle Costing ................................................................................................. 135 5.2.1 Mengengerüst ............................................................................................. 135 5.2.2 Wertgerüst .................................................................................................. 138 5.2.3 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung .................................................................. 139
5.3
Fallbeispiel: Lebenszykluskosten komplexer Elektronikgeräte ............................ 141 5.3.1 Entscheidungsalternativen ......................................................................... 141 5.3.2 Stoffströme ................................................................................................. 142 5.3.3 Zahlungsströme .......................................................................................... 143 5.3.4 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen .................................................. 143
5.4
Life Cycle Assessment .......................................................................................... 146 5.4.1 Vorgehensweise ......................................................................................... 146 5.4.2 Vereinfachtes Life Cycle Assessment ....................................................... 148
5.5
Fallbeispiel: Umweltwirkungen komplexer Elektronikgeräte ............................... 149 5.5.1 Life Cycle Assessment eines Personal Computers .................................... 149 5.5.2 Lebenszyklusweite Umweltwirkungen weiterer Elektronikgeräte ............ 152
5.6
Fazit .................................................................................................................... 154
XVI 6
Inhaltsverzeichnis
Produktion ..................................................................................................................... 157 6.1
Planung von Produktionssystemen ........................................................................ 157 6.1.1 Techno-ökonomisches Planungskonzept ................................................... 158 6.1.2 Strategische Produktionsplanung ............................................................... 159 6.1.2.1 Betriebswirtschaftliche Systemgestaltung ............................................. 161 6.1.2.2 Schnittstelle zur technischen Systemgestaltung..................................... 162 6.1.3 Berücksichtigung von Unsicherheiten ....................................................... 162
6.2
Modellierung von Produktionssystemen am Beispiel synthetischer Biokraftstoffe ......................................................................................................... 164 6.2.1 Synthetische Biokraftstoffe als Technologieinnovation ............................ 164 6.2.2 Charakterisierung des Produktionssystems................................................ 166 6.2.3 Informationen aus der technischen Systemgestaltung ............................... 167 6.2.4 Integrierte Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung ...................... 171 6.2.4.1 Systembeschreibung .............................................................................. 171 6.2.4.2 Stoffströme ............................................................................................. 173 6.2.4.3 Zielfunktion............................................................................................ 175 6.2.4.4 Robuste Erweiterung ............................................................................. 178
6.3
Fallbeispiel: Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von BTLKraftstoffen ............................................................................................................ 182 6.3.1 Daten .......................................................................................................... 182 6.3.2 Szenarien .................................................................................................... 183 6.3.3 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen .................................................. 183
6.4 7
Fazit .................................................................................................................... 186
Nutzung .......................................................................................................................... 189 7.1
Nutzungsdauerverlängerung durch Aufarbeitung.................................................. 189 7.1.1 Aufarbeitungsoptionen ............................................................................... 190 7.1.2 Integration in den Produktlebenszyklus ..................................................... 191 7.1.3 Umsetzung in Closed Loop Supply Chains ............................................... 192
7.2
Planung der Aufarbeitung ...................................................................................... 195 7.2.1 Strategische Planung .................................................................................. 195 7.2.2 Taktische Planung ...................................................................................... 195 7.2.3 Operative Planung ...................................................................................... 196
7.3
Integrierte Planung von Neuproduktion und Aufarbeitung ................................... 196 7.3.1 Planungssituation ....................................................................................... 197 7.3.2 Modell zur integrierten Produktions- und Aufarbeitungsplanung ............. 199
7.4
Fallbeispiel: Kreislaufoptionen eines Automatenherstellers ................................. 204
Inhaltsverzeichnis
XVII
7.4.1 Planungsumfeld und -aufgabe.................................................................... 204 7.4.2 Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers ..................................... 206 7.4.3 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen .................................................. 208 7.5 8
Fazit .................................................................................................................... 209
Entsorgung ..................................................................................................................... 211 8.1
Begriffe und Grundlagen ....................................................................................... 211 8.1.1 Systemstufen und Aktivitäten .................................................................... 212 8.1.2 Akteure ....................................................................................................... 214
8.2
Charakterisierung von Behandlungsprozessen ...................................................... 215 8.2.1 Charakteristika der Demontage und mechanischen Aufbereitung............. 215 8.2.2 Demontage und Aufbereitung als Kuppelproduktionsprozesse ................. 217
8.3
Modellierung von Behandlungsprozessen ............................................................. 218 8.3.1 Modellierung der Demontage .................................................................... 219 8.3.2 Modellierung der mechanischen Aufbereitung .......................................... 223
8.4
Modellierung integrierter Recyclingunternehmen ................................................. 227 8.4.1 Allgemeines Stoffstrommodell .................................................................. 227 8.4.2 Hierarchisches Planungskonzept für integrierte Recyclingunternehmen .. 230
8.5
Fallbeispiel: Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens .................. 231 8.5.1 Daten .......................................................................................................... 232 8.5.2 Ergebnisse .................................................................................................. 234
8.6 9
Fazit .................................................................................................................... 236
Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke............................................. 239 9.1
Anforderungen an die Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke...... 239 9.1.1 Kooperationen entlang des Produktlebenszyklus ...................................... 239 9.1.2 Anforderungen an die Koordination .......................................................... 241
9.2
Koordination in Netzwerken.................................................................................. 242 9.2.1 Überbetrieblicher Leistungsaustausch ....................................................... 242 9.2.2 Koordination in Wertschöpfungsnetzwerken ............................................ 244 9.2.3 Koordinationsmechanismen ....................................................................... 246 9.2.3.1 Koordination durch Kontrakte .............................................................. 247 9.2.3.2 Koordination von mathematischen Optimierungsmodellen .................. 248
9.3
Fallbeispiel: Koordination von Recyclingnetzwerken........................................... 250 9.3.1 Charakterisierung der Koordinationssituation ........................................... 251 9.3.1.1 Aktivitäten und Stoffströme ................................................................... 251 9.3.1.2 Akteure, Zielsetzungen und Informationen............................................ 252
XVIII
Inhaltsverzeichnis 9.3.1.3 Weitere Präzisierung der Koordinationssituation ................................ 253 9.3.2 Koordinationsansatz ................................................................................... 254 9.3.2.1 Zentrales Modell ................................................................................... 254 9.3.2.2 Dezentrales Modell ............................................................................... 254 9.3.2.3 Koordinationsmechanismus .................................................................. 256 9.3.2.4 Prototypische Umsetzung als Multi-Agentensystem ............................. 258 9.3.3 Ergebnisse .................................................................................................. 259
9.4
Fazit .................................................................................................................... 263
10 Schlussfolgerungen ........................................................................................................ 265 11 Zusammenfassung ......................................................................................................... 273 12 Literatur ......................................................................................................................... 277
Abbildungsverzeichnis
XIX
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Zielsetzung und Vorgehensweise im Rahmen der Arbeit.............................. 8 Abbildung 2-1: Unternehmensumfeld (Wagner 1997).......................................................... 12 Abbildung 2-2: Maßnahmen des Integrierten Umweltschutzes (Spengler/Schröter 2001) ............................................................................................................ 20 Abbildung 2-3: Wertschöpfungsnetzwerk (übersetzt nach Chopra/Meindl 2007)................ 22 Abbildung 2-4: Produktlebenszyklus .................................................................................... 23 Abbildung 2-5: Komplexität der Beziehungen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken .......................................................................................................... 24 Abbildung 2-6: Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke .......................... 26 Abbildung 2-7: Rechtliche Rahmenbedingungen über den Lebenszyklus von Elektro(nik)geräten .................................................................................................. 32 Abbildung 2-8: Optionen des Produkt- und Materialrecyclings (verändert nach Thierry et al. 1995) ................................................................................................... 33 Abbildung 2-9: Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronikindustrie (Spengler et al. 2001) .............................................................................................. 34 Abbildung 2-10: Planungsumfeld und Aktivitäten eines Demontagenetzwerks (Walther 2005) ............................................................................................................ 35 Abbildung 2-11: Partner des horizontalen Recyclingnetzwerks RENE (RENE 2008b) ......... 35 Abbildung 2-12: Recyclingpass, Seite 3: Demontagehinweise zu Stoffen und Komponenten, die Recyclingprozesse stören könnten, sowie zu Stoffen und Komponenten, mit denen sich evtl. Erlöse erzielen lassen (Spengler et al. 2004) ....................................................................................................... 36 Abbildung 2-13: Konzept für die Gestaltung des überbetrieblichen Informationsflusses (Spengler/Herrmann 2004) .......................................................................... 37 Abbildung 2-14: Kapitel der vorliegenden Arbeit eingeordnet in den Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ...................................................... 39 Abbildung 3-1: Beschreibung eines vernetzten Produktionssystems mit Hilfe eines gerichteten Digrafen (verändert nach Penkuhn 1997) ................................. 42 Abbildung 3-2: Überblick über wichtige Klassen von Produktionsfunktionen (Spengler 1994, Penkuhn 1997) ................................................................................... 43 Abbildung 3-3: Synthesekreislauf des AMV-Verfahrens zur Ammoniaksynthese mit Grundaktivitäten und approximierter Gutenberg-Produktionsfunktion (Penkuhn 1997) ............................................................................................ 46
XX
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3-4: Elementtypen eines Petri-Netzes ................................................................. 49 Abbildung 3-5: Elementtypen im Stoffstromanalyseprogramm Umberto (ifu & ifeu 2005, ifu 2008) ............................................................................................. 49 Abbildung 3-6: Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes nach VDI 3800 (VDI 2001) ............................................................................................................ 54 Abbildung 3-7: Struktur des Bewertungsansatzes (Walther 2005) ....................................... 56 Abbildung 3-8: Wirkungsabschätzung im Rahmen des UBA-Verfahrens (Äquivalenzfaktoren nach UBA 2007b) ...................................................... 61 Abbildung 3-9: Ausgangsbasis für die verbal-argumentative Bewertung nach UBAVerfahren (UBA 2000b) .............................................................................. 63 Abbildung 3-10: Indikatorensystem zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Global Reporting Initiative (GRI 2006)................................................................... 65 Abbildung 3-11: Gliederung der MODM-Verfahren (verändert nach Zimmermann/Gutsche 1991) .................................................................................... 68 Abbildung 3-12: Eingrenzung des Lösungsraumes und Berechnung der Parteoeffizienten Lösungen bei fixierter (isoparametrischer) Zielfunktion 1 und zu minimierenden Zielfunktionen 2 und 3 (Quariguasi et al. 2009b) .......................................................................................................... 70 Abbildung 3-13: Klassifikation von MADM-Verfahren (Geldermann 1999), Klassische Verfahren nach (Zimmermann/Gutsche 1991, Chen et al. 1992, Götze/Bloech 2002) ........................................................................................... 74 Abbildung 3-14: Verallgemeinerte Präferenzfunktionen (Zimmermann/Gutsche 1991) ....... 75 Abbildung 3-15: Charakteristika alternativer Recyclingnetzwerke (Walther/Spengler 2005) ............................................................................................................ 77 Abbildung 3-16: Stoffstrommodell für das Recyclingunternehmen u (Walther 2005) ........... 79 Abbildung 3-17: Bestimmung der effizienten Lösungen und Trade-Offs zwischen den drei Zielfunktionen (Quariguasi et al. 2009b).............................................. 84 Abbildung 3-18: Kriterienhierarchie zur Bewertung nachhaltiger Recyclingnetzwerke ........ 88 Abbildung 3-19: Sensitivitätsanalyse der Gewichtung der ökonomischen Ziele (ceteris paribus) ........................................................................................................ 91 Abbildung 4-1: Analyseschritte im Rahmen der Folgenabschätzung (verändert nach Europäische Kommission 2005c) ................................................................ 96 Abbildung 4-2: Schritte der Wirkungsanalyse als Teil der Folgenabschätzung (verändert nach Europäische Kommission 2005c) ................................................ 96
Abbildungsverzeichnis
XXI
Abbildung 4-3: Charakteristische Verhaltensmuster dynamischer Systeme aufgrund von Rückkopplungen, Zeitverzögerungen und Nichtlinearitäten (übersetzt nach Sterman 2000) ............................................................................. 99 Abbildung 4-4: Kausalmodell eines einfachen Produktdiffusionsmodells mit einer positiven und einer negativen Rückkopplung ................................................ 101 Abbildung 4-5: Flussdiagramm eines einfachen Produktdiffusionsmodells unter Verwendung sprechender Variablen (a) sowie unter Verwendung von Variablenkürzeln (b) ....................................................................................... 103 Abbildung 4-6: Entwicklung von Absatz, Produktbestand und bestandsabhängiger Absatzrate im Rahmen der Produktdiffusion.................................................. 104 Abbildung 4-7: Module des Modells zur Bewertung von Politikoptionen im Automobilsektor...................................................................................................... 110 Abbildung 4-8: Marktmodul zur Abbildung der Marktanteile einzelner Fahrzeugvarianten unter Berücksichtigung von Fahrzeugattributen sowie der Marktdiffusion neuer Antriebstechnologien .............................................. 111 Abbildung 4-9: Struktur der Alterskohorten ....................................................................... 113 Abbildung 4-10: Fahrzeugvarianten mit einsetzbaren Kraftstoffen ...................................... 116 Abbildung 4-11: Flussdiagramm: Emissionen der in Alterskohorte 1 befindlichen Fahrzeuge .......................................................................................................... 117 Abbildung 4-12: Politiksimulator zur Steuerung des Einsatzes der umweltpolitischen Instrumente (Meyer 2009; in Anlehnung an Ford 1999) ........................... 119 Abbildung 4-13: Überblick über die Module und Verknüpfungen des Modells zur Bewertung von Politikoptionen im Automobilsektor .................................... 120 Abbildung 4-14: Neuwagenverkäufe bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11).. 123 Abbildung 4-15: Bestand der Antriebstechnologien bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11).......................................................................................... 124 Abbildung 4-16: Entwicklung der Emissionen bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11) .............................................................................................. 124 Abbildung 4-17: Maluszahlungen für konventionelle und Bonuszahlungen für alternative Technologien bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11) ...... 125 Abbildung 5-1: Modellierung der Lebensperioden eines Produktprojektes (Stölting 2006) .......................................................................................................... 133 Abbildung 5-2: Modellierung der Lebensphasen eines Produktindividuums während der Marktperiode (verändert nach Stölting 2006) ...................................... 133
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5-3: Integriertes, kreislauforientiertes Produktlebenszyklusmodell (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) ........................................................................ 134 Abbildung 5-4: Lebenszykluskurve neuer und zurückzunehmender Produkte (verändert nach Spengler 1998) .................................................................................. 136 Abbildung 5-5: Stoffstrommodell des Produktlebenszyklus mit Aufarbeitung und Mehrfachnutzung (Spengler/Stölting 2008, Stölting 2006) ....................... 137 Abbildung 5-6: Antizipierte Stoffströme bei Implementierung des Anreizsystems S3 „Rückkauf“ (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) ..................................... 143 Abbildung 5-7: Diskontierte Zahlungsreihen der Strategiealternativen (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) ................................................................................. 144 Abbildung 5-8: Sensitivität des erwarteten Kapitalwertes für unterschiedliche Aufarbeitungsraten (Stölting 2006)..................................................................... 145 Abbildung 5-9: Phasen einer Ökobilanz nach DIN EN ISO 14.040 (DIN 2006a).............. 146 Abbildung 5-10: Lebenszyklusphasen eines PC (übersetzt nach Choi et al. 2006) .............. 150 Abbildung 5-11: Wirkungsabschätzung über den Lebenszyklus eines PC (verändert nach Choi et al. 2006) ................................................................................ 151 Abbildung 5-12: KEA verschiedener Elektronikgeräte über den Lebenszyklus (verändert nach Quariguasi et al. 2009a; Daten: Behrendt 1998, Williams 2003, Gotthardt et al. 2005, Choi et al. 2006, BUWAL 1996) .................. 153 Abbildung 6-1: Hierarchisches Konzept für die Planung von Produktionssystemen am Beispiel der verfahrenstechnischen Produktion (verändert nach Walther et al. 2007a) ........................................................................................ 159 Abbildung 6-2: Generisches Flussdiagramm eines Produktionssystems für BTLKraftstoffe (in Anlehnung an Hamelinck/Faaij 2006) ............................... 166 Abbildung 6-3: Grundfließbild der Batelle Biomasse-Vergasungsanlage mit FischerTropsch-Synthese (U.S. Department of Energy 1998) .............................. 168 Abbildung 6-4: Ableitung von Entkopplungspunkten (EP) am Beispiel der FZKTechnologie................................................................................................ 169 Abbildung 6-5: Aspen Flowsheeting-Modell für die Fischer-Tropsch-Synthese zur Umwandlung von Synthesegas in ein flüssiges Kohlenwasserstoffgemisch (U.S. Department of Energy 1998) ................................................. 170 Abbildung 6-6: BTL-Produktionssystem ............................................................................ 172 Abbildung 6-7: Linearisierung der betriebsbedingten Zahlungen für unterschiedliche Kapazitätsklassen eines Moduls ................................................................ 177 Abbildung 6-8: Struktur- und Kontrollvariablen des robusten Planungsproblems ............. 180
Abbildungsverzeichnis
XXIII
Abbildung 6-9: Optimales Produktionssystem unter Zugrundelegung verschiedener Entscheidungskriterien............................................................................... 184 Abbildung 7-1: Potenzial der Produkt- und Komponentenaufarbeitung (Walther et al. 2009a) ........................................................................................................ 192 Abbildung 7-2: Überblick über Verwendungs- und Verwertungsoptionen im Lebenszyklus ......................................................................................................... 193 Abbildung 7-3: Integration von Aufarbeitung, Produktion und Absatz .............................. 198 Abbildung 7-4: Modellbeschreibung................................................................................... 201 Abbildung 7-5: Gleichteile (1-19) in den Produkten des Automatenherstellers (adp Gauselmann 2004) ..................................................................................... 205 Abbildung 7-6: Aktuelle Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers ...................... 207 Abbildung 7-7: Potenzielle Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers .................. 207 Abbildung 7-8: Rücklaufallokation mit und ohne Komponentenaufarbeitung ................... 209 Abbildung 8-1: Aktivitäten der Demontage und der mechanischen Aufbereitung und resultierende Materialfraktionen am Beispiel der Elektro(nik)altgeräte (verändert nach Nathani 1998)................................................................... 212 Abbildung 8-2: Einordnung der Begriffe und Definitionen zur Entsorgung von Geräten (verändert nach Walther 2005, Schmid 2009) ........................................... 213 Abbildung 8-3: Wertschöpfungsnetzwerke zur Erfassung, Behandlung und Entsorgung komplexer Geräte ....................................................................................... 214 Abbildung 8-4: Klassifikation der Kuppelproduktion (nach Oenning 1997, Spengler 1994) .......................................................................................................... 218 Abbildung 8-5: Demontagegraf eines elektrischen Steckers (Spengler 1994) .................... 220 Abbildung 8-6: Demontagegraf eines einfachen Beispiels zur Modellierung der Produktdemontage (Spengler 1994) ................................................................ 220 Abbildung 8-7: Fließbild einer mechanischen Aufbereitungsanlage (Ploog 2004) ............ 224 Abbildung 8-8: Modellierung der Abtrennung in Prozessstufe k in einem Fließsystem mit K Prozessstufen (Ploog 2004) ............................................................. 226 Abbildung 8-9: Allgemeines Stoffstrommodell eines integrierten Recyclingunternehmens (Ploog 2004) ..................................................................................... 228 Abbildung 8-10: Schemata der Demontage- und Aufbereitungsbereiche der Electrocycling GmbH (Spengler/Herrmann 2004) .................................... 231 Abbildung 8-11: Materialflussbilanz der Electrocycling GmbH (Spengler/Herrmann 2004, Ploog 2004) ...................................................................................... 232
XXIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 8-12: Fließbild der Anlage der Electrocycling GmbH (verändert nach Ploog 2004) .......................................................................................................... 234 Abbildung 9-1: Grundmodell des Leistungsaustauschs (Souren 2002, modifiziert nach Steffenhagen 2000b) .................................................................................. 243 Abbildung 9-2: Koordination von Unternehmensnetzwerken (Schmid 2009).................... 244 Abbildung 9-3: Vertragsformen, Koordinationsmechanismen und Kontrollinstrumente (Wildemann 1997) ..................................................................................... 245 Abbildung 9-4: Hierarchische Planung in Unternehmensnetzwerken (Corsten 2000) ....... 246 Abbildung 9-5: Hierarchische Planung und Planungsobjekt (übersetzt nach Schneeweiß 2003) ................................................................................................. 249 Abbildung 9-6: Planungsaufgaben der materiellen und räumlichen Transformationen in Recyclingnetzwerken ................................................................................. 252 Abbildung 9-7: Verknüpfung der Ebenen der Transformation und Transaktion ................ 253 Abbildung 9-8: Überblick über den Koordinationsmechanismus ....................................... 257 Abbildung 9-9: Sequenzdiagramm der Kommunikation zwischen den Agenten im Recyclingnetzwerk (Walther et al. 2006, Schmid 2009)................................ 259 Abbildung 9-10: Box-Plots der mit unterschiedlichen Parametereinstellungen erreichten Abweichungen des Deckungsbeitrags vom globalen Optimum in % (für Testinstanzen mit hoher Netzwerkkapazität) (Schmid 2009) ............. 260 Abbildung 9-11: Allokation im Falle einer in der Praxis derzeit häufig angewandten rein entfernungsbasierten Allokation (a) und einer Allokation auf Basis des vorgestellten Koordinationsansatzes (b) (Schmid 2009) ........................... 262
Tabellenverzeichnis
XXV
Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Vorgeschriebene Wiederverwendungs- und Recyclingquoten sowie Verwertungsquoten für die Kategorien der WEEE-Richtlinie (Europäisches Parlament und Rat 2003) .................................................................................... 30 Tabelle 3-1: Bewertungsvorschlag des UBA zu ökologischer Gefährdung und Abstand zum Umweltziel (UBA 2000a) ........................................................................... 62 Tabelle 3-2: Umweltkosten für die verschiedenen Netzwerkalternativen .............................. 81 Tabelle 3-3: Ergebnisse der Optimierung der vier Einzelzielfunktionen für die verschiedenen Netzwerkalternativen ................................................................................ 85 Tabelle 3-4: Vergleich der Ergebnisse bei rein ökonomischer Allokation mit den Ergebnissen der Zielprogrammierung als MINSUM-WGP (=1), als MINMAXWGP (=0) sowie einer Kombination dieser Ansätze (=0,5) ........................... 86 Tabelle 3-5: Sensitivitätsanalyse der Gewichtung des Deckungsbeitrags (ceteris paribus) für die mittlere Zentralisierung ........................................................................... 87 Tabelle 3-6: Ausprägungen der Alternativen bezüglich der Attribute (* – Attribute werden mit Hilfe von Stoffstrommodellen unter Zugrundelegung von Einziel- oder Mehrziel-Funktionen antizipiert) .................................................. 89 Tabelle 3-7: Ergebnisse der MADM-Bewertung .................................................................... 90 Tabelle 4-1: Umweltpolitische Instrumente im Transportsektor (in Anlehnung an Hemmelskamp 1999, Michaelis 1996) ............................................................. 108 Tabelle 4-2: Charakteristika der Fahrzeugtechnologien (Quellen: DAT 2004, Dudenhöffer 2005, Gibgas 2006, Hack 2004, Naunin 2004, Mot 2004, Albrecht 2005, SRU 2005) ..................................................................................... 121 Tabelle 4-3: Übersichtstabelle der untersuchten Szenarien (Grau hinterlegt sind die Spezifika des jeweiligen Szenarios. Für eine detailliertere Erläuterung vergleiche Walther et al. 2008b, Meyer 2009)............................................................. 122 Tabelle 4-4: Überblick über die Simulationsergebnisse bei Variation der exogenen Parameter (Szenarien 1 bis 6) ............................................................................... 126 Tabelle 4-5: Überblick über die Simulationsergebnisse für verschiedene ökonomische Instrumente (Szenarien 7 bis 11) ...................................................................... 127 Tabelle 5-1: Einflussmöglichkeiten entlang des Produktlebenszyklus (verändert nach Spengler/Schröter 2001) ................................................................................... 130 Tabelle 5-2: Zahlungen im Produktlebenszyklus mit zugehöriger Bezugsgröße aus dem Mengengerüst (verändert nach Walther et al. 2007c, Stölting 2006) ............... 139
XXVI
Tabellenverzeichnis
Tabelle 5-3: Untersuchte Strategieoptionen für Minilabs (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) ................................................................................................................. 142 Tabelle 5-4: Implikationen über den Lebenszyklus (übersetzt nach Choi et al. 2006) ......... 152 Tabelle 5-5: Empfohlene Maßnahmen über den Lebenszyklus für die untersuchten Elektro(nik)altgeräte (Quariguasi et al. 2009a)................................................. 154 Tabelle 6-1: Ersatzzielfunktionen unter Zugrundelegung verschiedener Entscheidungskriterien (vgl. Scholl 2001) ............................................................................... 178 Tabelle 6-2: Potenzielle Module des Produktionssystems für BTL-Kraftstoffe ................... 183 Tabelle 6-3: Szenarien für die Entwicklung der BTL-Nachfrage ......................................... 183 Tabelle 6-4: Dynamischer Aufbau des Produktionssystems ................................................. 185 Tabelle 7-1: Übersicht über die Aufarbeitungsoptionen (übersetzt nach Thierry et al. 1995) ................................................................................................................. 191 Tabelle 7-2: Kreislaufdauer, Treiber, Aufarbeitungsoptionen und Akteure bei der Behandlung von Produktrückläufern (übersetzt und verändert nach Fleischmann 2001) ....................................................................................................... 194 Tabelle 7-3: Ergebnisse der ex-post Wirtschaftlichkeitsanalyse für die aktuell bereits umgesetzte Produktaufarbeitung sowie die potenziell mögliche Kombination aus Produkt- und Komponentenaufarbeitung des Automatenherstellers (Walther et al. 2009a)........................................................................................ 208 Tabelle 8-1: Unterschiede zwischen Montage- und Demontage- sowie Aufbereitungsprozessen (Einordnung Montage und Demontage nach Kühn 2001) ............... 216 Tabelle 8-2: Vereinfachungen der Planungsmodelle im Rahmen des hierarchischen Planungskonzeptes für ein integriertes Recyclingunternehmen ............................ 230 Tabelle 8-3: Input-Output-Matrix für Gerätevarianten/Komponenten in den Demontageaktivitäten (Ploog 2004) .................................................................................... 233 Tabelle 8-4: Vollständigkeit der Abtrennung und Kosten der einzelnen Prozessschritte der mechanischen Aufbereitung (verändert nach Spengler et al. 2003) ........... 234 Tabelle 8-5: Lösung der Feinplanung – ausgeführte Demontageaktivitäten (Ploog 2004)... 235 Tabelle 8-6: Vergleich unterschiedlicher Lösungsverfahren für die Feinplanung (verändert nach Ploog 2004) ....................................................................................... 236 Tabelle 9-1: Vergleich der Ergebnisse der in der Praxis eingesetzten entfernungsbasierten Allokation mit der aushandlungsbasierten Allokation (hohe Netzwerkkapazität) (Schmid 2009) .................................................................................. 261
Tabellenverzeichnis
XXVII
Tabelle 9-2: Vergleich der mittels entfernungsbasierter sowie aushandlungsbasierter Allokation festgelegten Preisstrukturen für die Annahme und das Recycling der Altgeräte (hohe Netzwerkkapazitäten) (Schmid 2009)............................... 262
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
Abkürzungsverzeichnis ABl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz (in Gesetzen)
AltfahrzeugG
Altfahrzeuggesetz
ANFEL
Asociación Nacional de Fabricantes e Importadores de Electrodomésticos de Línea Blanca
Art.
Artikel (in Gesetzen)
BAT
Best Available Techniques
BattV
Batterieverordnung
Bd.
Band
BDE
Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft e.V.
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGR
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
BImschG
Bundes-Immissionschutzgesetz
BImSchV
Bundes-Immissionsschutzverordnung
BMU
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
BREF
Best Available Techniques Reference Documents
BTL
Biomass-to-Liquid
bvse
Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V.
BVT
Beste verfügbare Technik
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CH4
Methan
CLSC
Closed Loop Supply Chain
CO
Kohlenmonoxid
Co
Cobalt
CO2
Kohlendioxid
Cu
Kupfer
d.h.
das heißt
DIN
Deutsche Industrienorm
e.V.
eingetragener Verein
XXX EAJ
Abkürzungsverzeichnis Environmental Agency Japan
EDW
Einwohnerdurchschnittswerte
EG
Europäische Gemeinschaft
Electre
Elimination Et Choix Traduisant la Realité
ElektroG
Elektrogesetz
EMAS
Eco-Management and Audit Scheme
ERP
European Recycling Platform
et al.
et alii
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuP
Energy-using Products
EUWID
Europäischer Wirtschaftsdienst
evtl.
eventuell
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
F&E
Forschung und Entwicklung
ggf.
gegebenenfalls
Gl.
Gleichung
GRI
Global Reporting Initiative
H2S
Schwefelwasserstoff
HC
Kohlenwasserstoffe
Hg
Quecksilber
Hrsg.
Herausgeber
i.d.R.
in der Regel
ICCA
The International Council of Chemical Associations
Inc.
Incorporated
IPCC
IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change
IPP
Integrierte Produktpolitik
ISO
International Organization for Standardization (Internationale Organisation für Normung)
IVU
Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
KEA
Kumulierter Energieaufwand
Krw-/AbfG
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
LCA
Life Cycle Assessment
Abkürzungsverzeichnis LCC
Life Cycle Costing
MADM
Multi Attribute Decision Making
MCDM
Multi Criteria Decision Making
ME
Mengeneinheit
MILP
Mixed Integer Linear Program
Mio.
Million
MNL
Multinominal Logit Modell
MODM
Multi Objective Decision Making
N2O
Distickstoffmonoxid
NH3
Ammoniak
Ni
Nickel
XXXI
NOx
Stickoxide
Nr.
Nummer
o.g.
oben genannt
o.J.
ohne Jahr
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
PAS
Publicly Available Specification
PC
Personal Computer
PM
Primärmarkt
pm
Feinstaub (PM10)
PO4
Phosphat
PROMETHEE Preference Ranking Organization Method for Enrichment Evaluations RoHS
Restriction of the use of certain hazardous substances (Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe)
Se
Selen
SETAC
Society of Environmental Toxicology and Chemistry
SM
Sekundärmarkt
SO2
Schwefeldioxid
UBA
Umweltbundesamt
UML
Unified Modelling Language
UN
United Nations (Vereinte Nationen)
UNEP
United Nations Environment Programme
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
UNFCCC
United Nations Framework Convention on Climate Change
USEPA
US Environmental Protection Agency
v.a.
vor allem
VCI
Verband der Chemischen Industrie
VDI
Verein Deutscher Ingenieure
VerpackV
Verpackungsverordnung
vgl.
vergleiche
WEEE
Waste electrical and electronic equipment (Elektro(nik)-Altgeräte)
WLP
Warehouse Location Problem
z.B.
zum Beispiel
ZE
Zeiteinheit
ZVEI
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.
Einheiten €
Euro
Währungseinheit
a
Jahr
Zeiteinheit
akt
Aktivität
Einheit für die Durchführungen einer Demontageaktivität
g
Gramm
Masseneinheit
kg
Kilogramm
Masseneinheit
KJ
Kilojoule
Einheit der Energie
GJ
Gigajoule
Einheit der Energie
m
Meter
Längeneinheit
St.
Stück
Einheit für die Anzahl zählbarer Objekte
t
Tonne
Masseneinheit
h
Stunde
Zeiteinheit
1 Einleitung
1
1
Einleitung
1.1 Ausgangslage und Problemstellung Der hohe und weiterhin steigende Verbrauch endlicher natürlicher Ressourcen sowie der trotz vielfältiger Bemühungen kontinuierliche Anstieg anthropogener Emissionen in die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden bilden große gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit. Inputseitig führt der hohe Ressourcenverbrauch zu einer zunehmenden Ressourcenverknappung. So wird für Rohöl momentan davon ausgegangen, dass nach Überschreiten des ‚depletion-mid-point‘ in spätestens 10-15 Jahren mit einer Versorgungslücke zu rechnen ist (BGR 2006). Aber auch für andere Rohstoffe, beispielsweise für Edelmetalle wie Platin oder Schwermetalle wie Indium, wird von Ressourcenengpässen innerhalb der nächsten Jahrzehnte ausgegangen (Gordon et al. 2006). Outputseitig steht insbesondere der durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe verursachte Treibhauseffekt im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. So bestätigt der vierte Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2007 einen Anstieg der CO2-Emissionen von etwa 280 ppm im vorindustriellen Zeitalter auf 379 ppm im Jahr 2005. Ein anthropogener Ursprung der global beobachteten Temperaturerhöhungen wird inzwischen als sicher angenommen, dies gilt ebenso für Temperaturextreme und Veränderungen von Windmustern (IPCC 2007). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass ein Fortschreiten des Treibhauseffektes immense ökonomische Schäden verursacht (Stern 2006). Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen besteht zunehmend die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung mit dem Ziel, „den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“ (United Nations 1987). Unter ökologischen Gesichtspunkten kann dies langfristig nur durch Einbettung der Qualität und Quantität anthropogener Stoffströme in natürliche Stoffkreisläufe gelingen. Dies setzt die effiziente Nutzung und Kreislaufführung aller Stoffe und Substanzen im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Zusammenwirkens von Produzenten, Konsumenten und Recyclingunternehmen voraus (Graedel/Allenby 1995). Hierfür sind geschlossene Kreislaufsysteme sowie innovative nachhaltige Produkte und Technologien auf Basis erneuerbarer Ressourcen erforderlich, deren Entwicklung und Implementierung allerdings zumeist mit einem großen Umsetzungsrisiko verbunden ist und die gegenüber konventionellen Produkten und Technologien zudem anfangs meist ökonomische Nachteile aufweisen. Diese Nachteile sind häufig in wirtschaftlichen Fehlallokationen begründet, die aus externen Effekten und frei verfügbaren Umweltgütern resultieren. An dieser Stelle ist das Eingreifen politischer Entscheidungsträger erforderlich mit dem Ziel der Vermeidung der durch die Übernutzung natürlicher Ressourcen verursachten externen Effekte und der damit verbunde-
2
1 Einleitung
nen Umweltprobleme. Hierbei hat sich die Europäische Umweltpolitik in den letzten Jahrzehnten ausgehend von abfall- (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1975) und schadstofforientierten Richtlinien (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1980, 1982), über die Entwicklung von Ansätzen des medienübergreifenden Umweltschutzes (Rat der Europäischen Union 1996) und freiwilliger Instrumente (Europäisches Parlament und Rat 2001) hin zu einer Berücksichtigung des gesamten Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ entwickelt. Die Umsetzung dieser Integrierten Produktpolitik (IPP) bedeutet für die Hersteller eine Erweiterung ihrer Produktverantwortung über den gesamten Produktlebenszyklus (Europäische Kommission 2003a). Voraussetzung dafür sind Kenntnisse über die Stoff- und Energieströme sowie die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen Auswirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Im Rahmen der betrieblichen Umsetzung der daraus resultierenden Anforderungen zielt das nachhaltige Stoffstrommanagement auf die zielorientierte, verantwortliche, ganzheitliche und effiziente Beeinflussung von Stoffströmen aller Produktlebenszyklusphasen ab (EnqueteKommission 1994). Hierbei erfolgte zunächst die Umsetzung outputorientierter Strategien unter Einsatz nachgeschalteter, additiver Maßnahmen zur Emissionsminderung (sogenannte End-of-Pipe Maßnahmen) sowie von Strategien des produktionsintegrierten Umweltschutzes (PIUS) unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller input-, verfahrens- und outputseitigen Umweltschutzmaßnahmen für Produktionsprozesse zur Vermeidung und Verminderung der entstehenden Schadstoffemissionen in die Medien Luft, Wasser und Boden (Rentz 1995). Wie dargestellt bestehen aktuelle Herausforderungen für Unternehmen in der Umsetzung von Maßnahmen entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ im Rahmen des produktintegrierten Umweltschutzes. Dieser Verantwortung können daher insbesondere die Hersteller komplexer Produkte nur durch Kooperationen mit allen Akteuren entlang des Produktlebenszyklus nachkommen. Die daraus resultierende Erweiterung der Systemgrenzen über das eigene Unternehmen hinaus bedingt allerdings eine deutliche Zunahme der Anzahl der zu berücksichtigenden Akteure und führt somit zu einer deutlichen Steigerung der Komplexität der zu gestaltenden und zu koordinierenden Wertschöpfungsnetzwerke. Aus diesem Grund sind neben den stoffstrombasierten Aspekten zukünftig verstärkt organisatorische Aspekte der Koordination zwischen den betroffenen Akteuren zu berücksichtigen.
1 Einleitung
3
Aus den dargestellten Entwicklungen werden die vielfältigen Ansprüche an Planungsmethoden zur Gestaltung und Steuerung nachhaltiger Wirtschaftssysteme deutlich: x
Zunächst einmal sind die aktuellen und zukünftigen Vorgaben der Umweltpolitik zu berücksichtigen sowie die gesellschaftlichen und marktlichen Ansprüche und Rahmenbedingungen, z.B. bezüglich steigender Rohstoffpreise, zu antizipieren.
x
Bestehen bisher die Zielsetzungen betrieblicher Entscheidungsträger zumeist in der unter ökonomischen Gesichtspunkten effektiven und effizienten Gestaltung und Lenkung der Material-, Wert- und Informationsflüsse, sind die bestehenden betriebswirtschaftlichen Planungskalküle zukünftig um alle entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme entlang des Produktlebenszyklus zu erweitern.
x
Hierbei erfordert die angestrebte Einbettung der anthropogenen Stoffströme in den natürlichen Stoffkreislauf langfristig die Entwicklung und Implementierung innovativer und nachhaltiger Produkte, Technologien und Dienstleistungen. Erforderlich sind daher Planungsmodelle unter Berücksichtigung der mit der Einführung dieser Innovationen verbundenen Unsicherheiten.
x
Die entscheidungsrelevanten Informationen müssen hierbei bereits in der Produktentwicklung vorliegen, da diese Phase eine Schlüsselfunktion für den gesamten Produktlebenszyklus einnimmt.
x
Die Berücksichtigung aller Produktlebenszyklusphasen erfordert zudem die Erweiterung der traditionellen Wertschöpfungsketten mit den Aktivitäten Beschaffung, Herstellung, Distribution, Handel und Gebrauch um die Prozesse der Rücknahme, Wiederverwendung und Entsorgung. Hierbei sind auf jeder Wertschöpfungsstufe geeignete Planungsmodelle unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus sowie zyklischer Prozesse zu entwickeln.
x
Diese Erweiterung der Systemgrenzen führt zu einer zunehmenden Komplexität der Beziehungen zwischen den Akteuren und erfordert die effektive und effiziente Gestaltung und Lenkung von Wertschöpfungsnetzwerken und somit Ansätze zur Koordination aller Partner entlang des Produktlebenszyklus.
Insgesamt stellt die erforderliche Betrachtung aller physischen und organisatorischen Aspekte entlang des Produktlebenszyklus bzw. des gesamten Wertschöpfungsnetzwerks hohe Ansprüche an die zur Umsetzung erforderlichen Planungs- und Steuerungsaufgaben sowie die einzusetzenden Instrumente und Planungsmethoden. Seit wenigen Jahrzehnten werden in der Betriebswirtschaftslehre vermehrt Ansätze zur Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten entwickelt (vgl. hierzu Dyckhoff 2000). Im Rahmen eines produktionswirtschaftlichen Zugangs wird hierbei der Fokus häufig auf einzelne Lebenszyklusphasen wie z.B. die Entsorgungsphase gelegt, oder es findet eine rein stoff-
4
1 Einleitung
strombasierte Betrachtung statt, beispielsweise im Rahmen des industriellen Stoffstrommanagements. Es liegen jedoch wenige industriell einsetzbare Ansätze über den gesamten Produktlebenszyklus vor. Auch die Integration von stoffstrombasierten und institutionellen Aspekten erfolgt bisher lediglich sporadisch. In Zukunft sind daher lebenszyklus- und netzwerkumspannende Ansätze voranzutreiben. Erst durch eine derartige integrierte Sichtweise finden Interdependenzen über den Produktlebenszyklus und zwischen den Akteuren Berücksichtigung und es können konkrete Handlungsempfehlungen an politische und betriebliche Entscheidungsträger abgeleitet werden. Dies bildet die Voraussetzung für die Planung und Umsetzung effektiver und effizienter Maßnahmen zur Bewältigung der Umwelt- und Ressourcenprobleme unserer Zeit.
1.2 Zielsetzung und Lösungsweg Vor diesem Hintergrund besteht die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit in der Entwicklung von Konzepten zur Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken unter Einbeziehung aller Akteure und Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘. Hierbei sind die zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen auftretenden Interdependenzen ebenso zu berücksichtigen wie die zwischen den verschiedenen Akteuren stattfindenden Prozesse des überbetrieblichen Leistungsaustauschs. Zur Erfüllung der aus den ökologischen und sozialen Zielsetzungen der Lenkungssysteme Politik, Gesellschaft und Markt erwachsenden Anforderungen sind in die ökonomischen Planungskalküle der betrieblichen Entscheidungsträger zukünftig alle unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme zu integrieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgt die Entwicklung von Konzepten für und die Anwendung der Konzepte auf ausgewählte praktische Planungsprobleme. Hierbei kommt es weniger darauf an, alle Planungsprobleme aufzugreifen, im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht vielmehr die Entwicklung ausgewählter Planungsmodelle für konkrete Fallbeispiele entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Die Zielsetzung liegt hierbei auf einer ökonomieund ökologieorientierten Sichtweise begründet, soziale Zielsetzungen werden nur am Rande behandelt. Die praktischen Fallbeispiele beruhen auf durchgeführten Forschungsprojekten zur Gestaltung und Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronik- und Fahrzeugindustrie. Hierbei stellen sich sowohl produktbezogene Aufgaben, etwa im Rahmen der Produktentwicklung (Quariguasi et al. 2009a) sowie der Nutzungsdauerverlängerung (Steinborn et al. 2009, Walther et al. 2009a) und der Demontage am Ende des Lebensweges (Walther 2005, Walther/Spengler 2005), als auch prozessbezogene Fragestellungen z.B. für die Herstellung von Biokraftstoffen (Walther et al. 2007a) und im Rahmen der Aufbereitung von Materialfraktionen am Ende des Produktlebenszyklus (Ploog 2004).
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Zur Erreichung dieser Zielsetzung wird der folgende Lösungsweg eingeschlagen: Zunächst erfolgt in Kapitel 2 die Herleitung des konzeptionellen Rahmens der Arbeit. Dafür werden zunächst die Strategien und Konzepte eines nachhaltigen Wirtschaftens vorgestellt, bevor am Beispiel der Umweltpolitik die Veränderung der auf Wirtschaftsakteure und -systeme einwirkenden Anforderungen und Rahmenbedingungen über die Zeit verdeutlicht wird. Hierbei wird die Entwicklung der Umweltpolitik ausgehend von den ursprünglich nachsorgenden Ansätzen bis hin zu den aktuellen, den gesamten Produktlebenszyklus umfassenden Ansätzen vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt die Erläuterung des Stoffstrommanagements als Instrument zur Erfassung, Bewertung und Optimierung aller über den Lebensweg eines Produktes verursachten Auswirkungen. Neben den so erfassten physischen Aspekten erfordert die Umsetzung der integrierten Produktpolitik jedoch auch die Berücksichtigung institutioneller Aspekte im Sinne der Koordination aller Akteure entlang des Produktlebenszyklus. Daher erfolgen anschließend eine inhaltliche und begriffliche Präzisierung der hieraus resultierenden Wertschöpfungsnetzwerke sowie die Analyse der spezifischen Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke. Dies ermöglicht die Ableitung des Planungsrahmens der vorliegenden Arbeit, der geprägt ist durch die Integration der physischen, stoffstromspezifischen Planungsaufgaben entlang des Produktlebenszyklus mit den organisationalen, akteursübergreifenden Aufgaben zur Koordination von Wertschöpfungsnetzwerken. Die Ausführungen werden für das Fallbeispiel der Elektronikindustrie durch Analyse der für diese Branche spezifischen umweltrechtlichen, stoffstrombasierten sowie organisatorischen Aspekte konkretisiert. Eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung nachhaltiger Wirtschaftssysteme stellt die Integration der entlang des Produktlebenszyklus auftretenden entscheidungsrelevanten Stoffund Energieströme in die betriebswirtschaftlichen Planungskalküle dar. Daher werden in Kapitel 3 zunächst Methoden zur Modellierung dieser Stoff- und Energieströme beschrieben, bevor eine Analyse der Entscheidungsträger nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke mit ihren spezifischen Zielsetzungen erfolgt. Als Ansatz für die Integration entscheidungsrelevanter Stoff- und Energieströme in die ökonomische Bewertung wird anschließend die stoffflussbasierte Umweltkostenrechnung vorgestellt. Als Möglichkeit zur simultanen Berücksichtigung weiterer technischer, ökologischer oder sozialer Zielsetzungen über rein ökonomische Zielsetzungen hinaus werden schließlich die Verfahren der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung erläutert. Hierbei werden ausgewählte Methoden des Multi Objective Decision Making sowie des Multi Attribute Decision Making vorgestellt. Die vorgestellten Methoden zur Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke finden anschließend am Fallbeispiel der Netzwerke zum Recycling von Elektro(nik)altgeräten exemplarische Anwendung. In Kapitel 4 erfolgt die Untersuchung der auf nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke bzw. einzelne Akteure dieser Netzwerke einwirkenden externen Rahmenbedingungen. Hierbei wird
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exemplarisch die Beeinflussung durch das Lenkungssystem (Umwelt-)Politik herangezogen. Es erfolgt zunächst die Vorstellung der Ziele und Vorgehensweise der vor der Verabschiedung von Politikoptionen durchzuführenden (Gesetzes-)Folgenabschätzung unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Kriterien. Die durch politische Instrumente zu beeinflussenden Wirtschaftssysteme stellen allerdings dynamisch komplexe Systeme dar, in denen Rückkopplungen und Verzögerungen über lange Zeiträume zu Nichtlinearitäten, Akkumulationen und häufig zu nicht-intendierten Wirkungen führen. Als für die Modellierung und Bewertung derartiger Systeme besonders geeigneter Ansatz wird daher die Methode System Dynamics vorgestellt. Die so erarbeitete methodische Grundlage wird anschließend exemplarisch am Beispiel der Folgenabschätzung des Einsatzes von Politikoptionen zur Emissionsminderung im Automobilsektor angewandt. Bei der Erarbeitung und Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen nimmt die Produktentwicklung aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf alle Lebenszyklusphasen eine Schlüsselrolle ein. Dies setzt jedoch bereits in dieser frühen Phase Kenntnisse über Stoff- und Energieströme sowie die daraus resultierenden Zahlungsströme und Umweltwirkungen entlang des gesamten Produktlebens voraus. Daher erfolgt in Kapitel 5 die Vorstellung von Methoden zur ex-ante Abschätzung dieser Informationen. Hierfür wird zunächst ein integriertes, sowohl den Marketingzyklus einer Produktvariante (Produktprojekt) als auch den Lebenszyklus eines einzelnen Gerätes (Produktindividuum) berücksichtigendes Lebenszyklusmodell entwickelt. Im Anschluss daran werden die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Zahlungsströme mit Hilfe des Life Cycle Costing sowie die Erfassung der Umweltwirkungen über den Lebenszyklus mit Hilfe des Life Cycle Assessment vorgestellt. Die Ansätze werden auf Fallbeispiele komplexer Produkte in der Elektronikindustrie (Medizingeräte und Konsumelektronik) angewandt. Im Anschluss an die Phase der Produktentwicklung sind im Rahmen der Produktion vielfältige Planungsprobleme auf strategischer, taktischer und operativer Ebene zu lösen. Hierbei bedingt insbesondere die Einführung innovativer Produkte und Technologien den Aufbau effizienter und effektiver Produktionssysteme trotz großer Planungsunsicherheiten. Daher werden in Kapitel 6 zunächst die Planungsaufgaben bei der Gestaltung derartiger Produktionssysteme erläutert, hierbei wird insbesondere auf die Notwendigkeit der Entwicklung techno-ökonomischer Modelle zur Ableitung der Transformationskoeffizienten und zur Antizipation der prozessbedingten Zahlungsströme sowie auf Möglichkeiten zur Berücksichtigung der systemimmanenten und externen Planungsunsicherheiten eingegangen. Im Anschluss daran wird ein Modell für die Planung eines Produktionssystems zur Herstellung synthetischer Biokraftstoffe entwickelt, welches anschließend zu einem robusten Modell erweitert wird. Das Modell wird anschließend auf die Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von BTL-Biokraftstoffen in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen angewandt.
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Wie Analysen zeigen, können durch eine funktionelle Aufarbeitung ganzer Geräte bzw. der darin enthaltenen Komponenten die für die Produktion ursprünglich eingesetzte Wertschöpfung und Energie erhalten bleiben. Unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ist daher für viele komplexe Geräte eine Verlängerung der Nutzungsphase sinnvoll. Daher werden in Kapitel 7 die dafür einsetzbaren Optionen Re-Use, Reparatur, Remanufacturing und Refurbishing als Handlungsspielräume der Produktaufarbeitung erläutert. Im Anschluss daran erfolgt die Ableitung von Planungsaufgaben in den daraus resultierenden Closed Loop Supply Chains. Auf dieser Basis wird ein Modell entwickelt mit dem Ziel, die Optionen der Produktund Komponentenaufarbeitung in die klassische Produktionsplanung zu integrieren. Das Modell wird abschließend am Fallbeispiel eines Automatenherstellers angewandt. Am Ende des Produktlebenszyklus, wenn eine Verlängerung der Nutzungsdauer aus technischen oder marktlichen Gründen nicht mehr möglich ist, besteht die Zielsetzung in der Kreislaufführung von Wertstoffen sowie der ordnungsgemäßen Beseitigung nicht kreislauffähiger Abfälle. Im Rahmen von Kapitel 8 werden die hierbei eingesetzten Aktivitäten mit den jeweiligen Akteuren vorgestellt. Anschließend werden die zentralen Prozesse der Demontage und mechanischen Aufbereitung charakterisiert und als Kuppelproduktionsprozesse spezifiziert. Dies schafft die Voraussetzung für die im Anschluss erfolgende Vorstellung geeigneter Modellierungsansätze. Die Modelle für die Planung der Demontage- und Aufbereitungsaktivitäten werden anschließend zu einem Modell eines integrierten Recyclingunternehmens zusammengeführt. Dieses Modell findet abschließend Anwendung für die Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens zur Behandlung von Elektro(nik)altgeräten. Aufbauend auf den in den Kapiteln 5 bis 8 entwickelten stoffstrombasierten, akteursspezifischen Planungsmodellen entlang des Produktlebenszyklus erfolgt schließlich in Kapitel 9 die Erweiterung um institutionelle, transaktionsbasierte Aspekte zur Berücksichtigung der Koordination im Rahmen des überbetrieblichen Leistungsaustauschs. Hierbei wird zunächst die Koordinationsnotwendigkeit entlang des Produktlebenszyklus betrachtet und es werden Anforderungen an Koordinationsansätze in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken abgeleitet. Als Basis für die weiteren Betrachtungen erfolgt dann die Erläuterung der Grundlagen des überbetrieblichen Leistungsaustauschs sowie der Koordination von Unternehmensnetzwerken. Im Anschluss daran werden sowohl die Ansätze der Kontrakttheorie als auch die Ansätze zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle als Methoden zur Koordination überbetrieblicher Leistungserstellungsprozesse diskutiert. Die Anwendung der vor allem für stoffstrombasierte Entscheidungen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken besonders geeigneten Ansätze der Koordination mathematischer Optimierungsmodelle wird abschließend am Beispiel der Recyclingnetzwerke für Elektro(nik)altgeräte verdeutlicht. In Kapitel 10 werden die aus der Arbeit ableitbaren Schlussfolgerungen zusammengefasst. Hierbei wird sowohl auf die Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke sowie auf die resultierenden Planungsprobleme entlang des Produktlebenszyklus eingegangen.
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Kapitel 11 fasst die dieser Arbeit zugrunde liegende Ausgangslage und Problemstellung sowie die Zielsetzung und die zur Erfüllung dieser Zielsetzung gewählte Vorgehensweise unter Berücksichtigung der Ergebnisse der einzelnen Fallbeispiele entlang des Produktlebenszyklus zusammen.
Ziel: Entwicklung von Ansätzen zur Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen über alle Akteure und Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Zielsetzungen zur Erfüllung der aus den Lenkungssystemen Politik, Markt und Gesellschaft erwachsenden Anforderungen
Die gewählte Vorgehensweise mit kapitelspezifischen Zielsetzungen sowie den in den einzelnen Kapiteln benötigten Erkenntnissen kann Abbildung 1-1 entnommen werden. Kapitel 1: Einleitung Ziel: Erarbeitung des Planungsrahmens nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Kapitel 2: Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Charakteristika, Anforderungen, Akteure und Planungsaufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsetzwerke
Ziel: Analyse von Methoden zur Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Ziel: Analyse und Gestaltung der dynamisch komplexen Unternehmensumwelt
Kapitel 3: Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung Methoden zur Erfassung der entscheidungsrelevanten Stoffströme und zur Bewertung der durch diese verursachten Wirkungen Kapitel 4: Lenkungssystem (Umwelt-)Politik Politische Anforderungen und Rahmenbedingungen
Ziel: Entwicklung akteursspezifischer Planungsmodelle entlang des Produktlebenszyklus
Kapitel 5: Entwicklung
Kapitel 6: Produktion
Kapitel 7: Nutzung
Kapitel 8: Entsorgung
Akteursspezifische Planungsmodelle über den Lebenszyklus Akteursspezifische Planungsmodelle
Ziel: Entwicklung von Planungsmodellen zur akteurs- Kapitel 9: Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke übergreifenden Koordination Kapitel 10: Schlussfolgerungen Kapitel 11: Zusammenfassung
Abbildung 1-1: Zielsetzung und Vorgehensweise im Rahmen der Arbeit
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Neue globale und irreversible Probleme, wie z.B. der Treibhauseffekt oder die Verknappung endlicher Ressourcen, verdeutlichen die Notwendigkeit eines Strukturwandels der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme. Ein Lösungsansatz wird hierbei in einer dauerhaft zukunftsträchtigen – also nachhaltigen – Entwicklung dieser Systeme gesehen. Vor diesem Hintergrund sehen sich insbesondere betriebliche Entscheidungsträger zunehmenden Anforderungen der Lenkungssysteme Markt – Politik – Gesellschaft ausgesetzt. So lässt sich beispielsweise eine Entwicklung der Umweltpolitik ausgehend von nachsorgenden, medienspezifischen und auf einzelne Produktions- und Entsorgungsprozesse ausgerichteten Ansätzen hin zu vorbeugenden, medienübergreifenden und den gesamten Produktlebenszyklus umfassenden Ansätzen beobachten. Derartige neue Vorgaben bedingen eine erweiterte Produktverantwortung der Hersteller über den gesamten Lebenszyklus der in Verkehr gebrachten Produkte. Im Rahmen der konkreten Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung sind daher geeignete Instrumente zur Erfassung, Bewertung und Optimierung aller durch ein Produkt verursachten Stoff- und Energieströme entlang des Lebenszyklus zu entwickeln. Neben diesen stofflichen Aspekten müssen jedoch auch organisatorische Aspekte Berücksichtigung finden, da die Gestaltung und Steuerung abgestimmter Stoffkreisläufe nur durch Koordination aller beteiligten Akteure in effektiv und effizient arbeitenden nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken gelingen kann. Notwendig ist daher eine Integration der institutionellen, akteursübergreifenden Aufgaben zur Koordination von Wertschöpfungsnetzwerken mit den physischen, stoffstromspezifischen Planungsaufgaben entlang des Produktlebenszyklus. Vor diesem Hintergrund erfolgt in diesem Kapitel die Herleitung des konzeptionellen Rahmens der vorliegenden Arbeit. Hierfür wird in Kapitel 2.1 zunächst eine Darstellung der Grundlagen und wesentlichen Strategien eines nachhaltigen Wirtschaftens gegeben. Die Veränderung der externen Rahmenbedingungen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung wird am Beispiel der umweltrechtlichen Instrumente dargestellt. Als Instrument für die Konkretisierung der Nachhaltigkeitsstrategien auf physischer, stoffstrombasierter Ebene wird der Ansatz des Stoffstrommanagements erläutert. Zur Abbildung organisatorischer Aspekte erfolgt dann in Kapitel 2.2 zunächst die Erläuterung des Begriffes der Wertschöpfungsnetzwerke, bevor auf die Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke eingegangen und der Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke abgeleitet wird. Die Konkretisierung der Betrachtungen erfolgt in Kapitel 2.3 am Beispiel der spezifischen umweltrechtlichen, stoffstrombasierten sowie institutionellen Aspekte für das Fallbeispiel der Elektronikindustrie. Abschließend werden in Kapitel 2.4 in einem Fazit die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst.
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
2.1 Grundlagen und Rahmenbedingungen eines nachhaltigen Wirtschaftens Im Folgenden wird zunächst allgemein das Konzept der Nachhaltigkeit beschrieben, bevor auf die Vorgaben des Lenkungssystems Umweltpolitik an die Wirtschaftsakteure auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung eingegangen wird. Anschließend wird das Stoffstrommanagement als Methode zur konkreten Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategien vorgestellt.
2.1.1 Konzept Nachhaltigkeit Das Ziel der nachhaltigen Entwicklung besteht darin, „den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“1 (United Nations 1987). Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine nachhaltige Entwicklung die gleichzeitige und gleichberechtigte Berücksichtigung miteinander in Wechselwirkungen stehender ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele erfordert, die auf globaler, regionaler und lokaler Ebene unter Berücksichtigung der Anforderungen zukünftiger Generationen umgesetzt werden müssen (Enquete-Kommission 1998). Zukünftig sind daher für die Gestaltung von Wirtschaftssystemen neben ökonomischen Zielgrößen zunehmend auch ökologische und soziale Zielsetzungen heranzuziehen. Die Erreichung derartiger nachhaltiger Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme erfordert grundlegende Veränderungen der Produktions-, Konsum- und Reduktionsstrukturen. Hier setzen Strategien auf Basis der Effizienz, der Konsistenz und der Suffizienz an. Die Effizienzstrategie verfolgt das Ziel, mit gleichem Ressourceneinsatz mehr materielle Güter und Dienstleistungen (Maximumprinzip) bzw. mit geringerem Ressourcenaufwand den gleichen materiellen Wohlstand zu erzeugen (Minimumprinzip) (Huber 2000). Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Steigerung der Effizienz des Wirtschaftssystems um den Faktor X zu einer nachhaltigen Entwicklung führt (Schmidt-Bleek 1993, von Weizsäcker et al. 1997). Problematisch ist hierbei der so genannte Rebound-Effekt, da bei anhaltendem Wirtschaftswachstum die Effizienzverbesserung dadurch zunichte gemacht wird, dass die Menge der umgesetzten Güter steigt. Zudem stoßen Verbesserungen bestehender Technologien an technische bzw. natürliche Grenzen. An diesen Grenzen setzt die Konsistenzstrategie an, deren Ziel in der quantitativen und qualitativen Einbettung technisch-anthropogener Stoffströme in den natürlichen Stoffwechsel bzw. in der Suche nach neuen (ökologisch) ‚angepassten’ Technologien liegt (Huber 2000). Beispiele hierfür stellen die Abfallvermeidung durch dauerhafte Kreislaufführung von Stoffen sowie der Einsatz nachwachsender Rohstoffe dar. Die Konsistenzstrategie baut hierbei nicht 1 „Development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“
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auf vorhandenen Technologien auf, sondern fordert Innovationen in Form von Neuerungen in Wirtschaft und Gesellschaft, die mit weitreichenden Veränderungen und einem hohen Umsetzungsrisikos verbunden sind (Enquete-Kommission 1998). Die Suffizienzstrategie fordert eine Reduktion des Pro-Kopf-Konsums der Verbraucher und somit zunächst einen gesellschaftlichen Wertewandel (Huber 2000). Aus Unternehmenssicht bestehen hier Potentiale durch eine Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten und durch Umsetzung neuer Dienstleistungskonzepte. Hierbei steht die Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen im Mittelpunkt, die nicht mehr länger nur durch den Verkauf von Neugeräten, sondern auch durch Gebrauchtgeräte sowie durch Dienstleistungen befriedigt werden können. Erst durch derartige Angebote wird die Mehrfachnutzung von Produkten und somit die möglichst lange Erhaltung des im Rahmen der Produktion eingesetzten Energie- und Materialaufwandes ermöglicht. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung eine Kombination der o.g. Strategien erforderlich ist (Huber 1995). Während aber für betriebliche Entscheidungsträger die Umsetzung der Effizienzstrategie häufig mit Win-Win-Effekten und somit sicheren ökonomischen Vorteilen verbunden ist, geht mit der Einführung innovativer Produkte und Dienstleistungen im Rahmen der Konsistenz- und Suffizienzstrategie aufgrund hoher Entwicklungsaufwände und unsicherer Konsumentenreaktionen zumeist ein großes Risiko einher. Daher erfordert die konkrete Umsetzung dieser Strategien eine Unterstützung durch politische Maßnahmen bzw. umweltrechtliche Vorgaben, z.B. in Form der Subvention innovativer Produkttechnologien. Im Folgenden werden daher gesellschaftliche Lenkungssysteme vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung vorgestellt, wobei ein besonderer Fokus auf die (Umwelt-)Politik gelegt wird.
2.1.2 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik Die Gesamtheit der auf Wirtschaftssysteme einwirkenden Mechanismen wird in den Lenkungssystemen Markt, Politik und Gesellschaft zusammengefasst (Dyllick 1992). Obwohl in der Vergangenheit häufig Markt- und Preismechanismen als wirtschaftliche Lenkungssysteme im Mittelpunkt standen, sind Wirtschaftssysteme auch gesellschaftlichen Einflüssen sowie staatlichen Beeinflussungen unterworfen. Die von den drei Lenkungssystemen ausgehenden Anforderungen ändern sich hierbei dynamisch und passen sich insbesondere den veränderlichen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozio-kulturellen, ressourcenbasierten sowie technologischen Grundlagen an. So ist zukünftig beispielsweise eine Verknappung der Ressourcen zu erwarten, die zu stark schwankenden Primär- und somit auch Sekundärrohstoffpreisen führen wird. Um die aus derartigen Veränderungen resultierenden Risiken zu vermeiden und die daraus erwachsenden Potenziale wahrzunehmen, müssen Unternehmen diese Veränderungen
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
sowie die Reaktionen der jeweiligen Lenkungssysteme im Rahmen einer Umfeldanalyse2 als Grundlage der strategischen Planung antizipieren (Zäpfel 2000). Wie in Abbildung 2-1 dargestellt kann hierbei in die das Unternehmen direkt tangierende Interaktionsumwelt sowie die globale, das Unternehmen nur mittelbar tangierende Umwelt unterschieden werden (Wagner 1997).
Absatzmärkte Kunden,Handel, Verbraucherorganistionen
Beschaffungsmärkte Lieferanten,Kapitalgeber, Stellenbewerber etc.
Öffentlichkeit, Staat,Medien, Genehmigungs behörden,Bürger initiativen
Konkurrenten
Funktionale Sicht
Unterneh mung
Techno logische Umwelt
Ökono mische Umwelt Ökolo gische Umwelt
Politisch rechtliche Umwelt
Unternehmensumfeld
Institutionale Sicht
Aufgabenumwelt /Interaktionsumwelt
Sozio kulturelle Umwelt
Gobale Umwelt Abbildung 2-1:
Unternehmensumfeld (Wagner 1997)
Im Folgenden wird der Fokus auf das Einwirken der politisch-rechtlichen Umwelt auf das Entscheidungsfeld der Unternehmen gelegt. Hierbei ist im Zuge einer nachhaltigen Entwicklung ein Eingreifen des Staates insbesondere erforderlich bei Vorliegen externer Effekte, bei denen Verursacher und Betroffener einer (Umwelt-)Wirkung nicht übereinstimmen, sowie bei freien Umweltgütern, für die keine Marktpreise verfügbar sind. Zur Vermeidung von Fehlallokationen setzt hier das Lenkungssystem der Politik mit (umwelt-)rechtlichen Instrumenten an. Die Zielsetzung besteht dabei in der Vermeidung externer Effekte sowie der Allokation der freien Güter zum Gemeinwohl im Sinne einer Vermeidung, Verringerung und umweltgerechten Beseitigung ökologischer Schäden der Produktion und des Konsums (Michaelis 1996, Kösters 1997, Hemmelskamp 1999). Hierbei stehen verschiedene Instrumente zur Umsetzung zur Verfügung. Die in der Vergangenheit häufig eingesetzten ordnungsrechtlichen Auflagen geben technische bzw. chemi2
auch als Umweltanalyse bezeichnet
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sche Parameter in Form input-, prozess- oder outputbezogener Auflagen vor. Hierbei werden durch Gesetze und daraus abgeleitete Ausführungsbestimmungen (Verordnungen, Verwaltungsvorschriften) Ge- und Verbote festgelegt. Die konkrete Vorgabe bestimmter technischer oder chemischer Parameter schränkt somit den Handlungsspielraum der Wirtschaftsakteure ein. Begrenzungen können hierbei in Form absoluter oder relativer Grenzwerte für Einsatzstoffe, Prozesse, Emissionen oder auch Produkte gesetzt werden. Im Gegensatz dazu wird mit Hilfe von Instrumenten auf ökonomischer Basis versucht, die externen Kosten der Nutzung öffentlicher Güter bzw. der daraus resultierenden externen Effekte durch Abgaben und Steuern oder durch den Handel mit Zertifikaten zu internalisieren oder die Nachfrage nach diesen Gütern über Subventionen oder Preisfixierungen zu steuern. Instrumente auf Basis des Kooperationsprinzips streben eine Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik dergestalt an, dass die Wirtschaft die freiwillige Erfüllung gewisser Bedingungen zusichert, während die Politik im Gegenzug auf (häufig härtere) ordnungsrechtliche Regelungen verzichtet. (Hemmelskamp 1999, Michaelis 1996). Im Rahmen der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union leitet sich die nationale Gesetzgebung immer stärker von Vorgaben der europäischen Gesetzgebung ab. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Umweltgesetzgebung, beispielsweise sind seit 1972 mehr als 200 europäische Rechtsakte im Bereich Umweltschutz erlassen worden (von Broock 2004). Hierbei war die europäische Umweltpolitik anfangs auf die Anpassung divergierender Umweltgesetzgebungen der einzelnen Länder zu Gunsten eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes ausgerichtet. Erst seit 1987 ist der Schutz der Umwelt rechtlich im Vertrag zur Gründung der Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft verankert (EGV 2002; EGV, Art. 174-176). Der Umweltschutz steht hierbei gleichberechtigt neben wirtschaftlichen und sozialen Zielen in der Präambel (EGV, Art. 2). Allgemein beruht die europäische Umweltpolitik auf den folgenden Prinzipien (EGV, Art. 174 Abs. 2): x Vorbeuge- und Vorsorgeprinzip: Vermeidung von Risiken und Verhinderung von
Umweltschäden durch vorausschauendes Handeln und präventive Maßnahmen, x Ursprungsprinzip: Bekämpfung von Umweltproblemen vorrangig an ihrer Quelle, x Verursacherprinzip: Übertragung der Verantwortlichkeit sowie der resultierenden
Kosten zur Vermeidung, Beseitigung und zum Ausgleich von Umweltbelastungen auf die Verursacher von Umweltwirkungen. Im Folgenden wird die Entwicklung der europäischen Umweltpolitik von einem nachsorgenden, medienspezifischen und auf einzelne Produktions- und Entsorgungsprozesse ausgerichteten Ansatz ausgehend hin zu einem vorbeugenden, medienübergreifenden und den gesamten Produktlebenszyklus umfassenden Ansatz gezeigt. Hierbei werden zunächst abfall- und schadstofforientierte Richtlinien vorgestellt, bevor auf Ansätze des medienübergreifenden
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Umweltschutzes sowie auf freiwillige Instrumente und Ansätze des produktintegrierten Umweltschutzes eingegangen wird. 2.1.2.1 Abfall- und schadstofforientierte Richtlinien Im Rahmen der europäischen Umweltpolitik wurden anfangs vor allem emissions- und quellenorientierte, medienspezifische Regelungen verabschiedet (Hey 2005). Dies führte häufig zu End-of-Pipe-Maßnahmen (z.B. Einsatz von Katalysatoren, Rauchgasentschwefelungsanlagen) und somit zu einer transmedialen Problemverlagerung. Im Zuge der Schadstoffreduzierung wurden beispielsweise Grenzwerte und Leitwerte für Schwefeldioxid und Schwebestaub, Blei sowie Stickstoffdioxid (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1980, 1982, 1985) erlassen. Diese wurden in Deutschland als Verordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes umgesetzt (22. BImSchV). Neuere Regelungen zur Schadstoffreduzierung bauen auf ökonomischen Instrumenten auf, so z.B. der in der Europäischen Union seit 2005 umgesetzte Emissionshandel (Europäisches Parlament und Rat 2003a). Hierbei besteht die Zielsetzung darin, dass Emissionen dort reduziert werden, wo die Minderungskosten am geringsten sind. Als Grundlage für eine gemeinsame Abfallpolitik der EG wurde 1975 die Abfallrahmenrichtlinie verabschiedet (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1975, Europäisches Parlament und Rat 2006), in der Begrifflichkeiten (Abfall, Erzeuger, Besitzer, Beseitigung, Verwertung) definiert und eine Entsorgungshierarchie (Vermeidung vor Verwertung) festgelegt wurden. Wurden anfangs vor allem Regelungen für Problemstoffe (z.B. Altöl) erlassen und Normen für Deponien und Verbrennungsanlagen entwickelt, wird in jüngerer Zeit die Organisation und Finanzierung der Verwertung prioritärer Abfallströme (Verpackungen, Altfahrzeuge, Elektro(nik)altgeräte) durch weitere Richtlinien konkretisiert. Hierbei erfolgt die Erweiterung der Produktverantwortung der Hersteller auf die von ihnen ehemals in Verkehr gebrachten Altgeräte. 2.1.2.2 Medienübergreifender Umweltschutz Aufgrund der Grenzen der dargestellten abfall- und schadstofforientierten Ansätze erfolgte eine Entwicklung hin zu medienübergreifenden, prozessintegrierten Ansätzen. Die Zielsetzung besteht hierbei in der Vermeidung transmedialer Problemverlagerungen. Umweltschutzmaßnahmen stellen dabei einen integrativen Teil des gesamten Produktionsprozesses dar. Die EG-Richtlinie zur integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtline)3 enthält Betreiberpflichten sowie Vorgaben zur Genehmigung von Industrieanlagen (Rat der Europäischen Union 1996). Insgesamt strebt die Richtlinie ein hohes Umweltschutzniveau sowie die Vermeidung transmedialer Problemverlagerungen an, dies setzt die simultane Berücksichtigung von Emissionen in die Umweltmedien Luft, Wasser
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bzw. Integrated Pollution Prevention and Control (IPPC)
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und Boden sowie von abfallwirtschaftlichen Aspekten, Ansätzen zur Ressourcen- und Energieeffizienz sowie von Lärm und Störfallrisiken voraus. Die Richtlinie baut auf einem punktuellen, sektoralen Ansatz auf, nach dem für besonders umweltrelevante Industriesektoren „Beste Verfügbare Techniken“ (BVT)4 festgelegt werden. Hierbei versteht man unter „Techniken“ sowohl die zu Grunde liegende Technologie als auch die Art und Weise der Planung, des Betriebs, der Wartung und Stilllegung einer Anlage. „Beste Techniken“ tragen am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt bei. „Verfügbar“ sind Techniken, die im jeweiligen industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbar eingesetzt werden können. Zur sektorspezifischen Ausgestaltung dieser Anforderungen erfolgt die Erstellung sogenannter BVT Referenzdokumente (BREFS), die derzeit für 32 Sektoren final vorliegen (European IPPC Bureau 2008), u.a. für die Eisen- und Stahlindustrie, die Zementindustrie, die Papierindustrie sowie die Abfallbehandlung. Seit November 2007 gelten die BVT-Normen nicht mehr nur für Neuanlagen bzw. bei größeren Änderungen bestehender Anlagen, sondern sind für alle Anlagen (ca. 52.000 Anlagen in Europa) verbindlich. Allerdings lag bis Mitte 2006 nur für die Hälfte der Anlagen eine Genehmigung unter Anwendung der IVU-Grundsätze vor (Europäische Kommission 2007a). Aus diesen Gründen erfolgt derzeit eine Überarbeitung der IVU-Richtlinie mit dem Ziel der Vereinfachung (Europäisches Parlament und Rat 2008). 2.1.2.3 Freiwillige Instrumente Neben umweltrechtlichen Vorgaben haben sich in den letzten Jahren freiwillige Instrumente zur Reduzierung der durch die Produkte und Produktionsprozesse hervorgerufenen negativen Umwelteinwirkungen etabliert. Die Zielsetzung derartiger Instrumente besteht darin, den Einsatz der im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis besten verfügbaren Technologien durch das Zusammenspiel aus gesetzlichen Rahmenbedingungen und freiwilligen Selbstverpflichtungen zu erreichen. Eine freiwillige unternehmensbezogene Regelung stellt die EU-Öko-Audit Verordnung EMAS5 als Gemeinschaftssystem aus Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung dar (Europäisches Parlament und Rat 2001, Rat der europäischen Gemeinschaften 1993). Hierbei wird das Umweltmanagementsystem in Einklang mit dem internationalen Standard ISO 14.001 (DIN 2004) als „Teil des gesamten Managementsystems, der die Organisationsstruktur, Planungstätigkeiten, Verantwortlichkeiten, Verhaltensweisen, Vorgehensweisen, Verfahren und Mittel für die Festlegung, Durchführung, Verwirklichung, Überprüfung und Fortführung der Umweltpolitik betrifft“ festgelegt (Europäisches Parlament und Rat 2001). Im Unter4 5
bzw. Best Available Techniques (BAT) Eco-Management and Audit Scheme
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schied zur ISO 14.001 geht die Zielsetzung der EMAS jedoch über den Aufbau eines Umweltmanagementsystems und die Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen hinaus und umfasst insbesondere auch die Verbesserung der Umweltleistung eines Unternehmens. In einer zu veröffentlichenden Umwelterklärung muss über direkte und indirekte Umweltwirkungen, Umweltleistung sowie Umweltziele informiert werden. Nach der EU-Öko-Audit-Verordnung erfolgt die Überprüfung der erstellten Umwelterklärung durch einen externen Gutachter. Die nach EMAS zertifizierten Organisationen dürfen das EMAS-Logo tragen, derzeit sind 4.000 Organisationen sowie 6.000 Standorte zertifiziert (European Commission 2008). Einen produktorientierten Ansatz zur Förderung von Entwicklung, Herstellung, Verkauf sowie Gebrauch umweltverträglicher Produkte stellt die Öko-Label-Verordnung dar (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1992, Europäisches Parlament und Rat 2000). Die Beurteilung und der Vergleich der Umweltverträglichkeit von Produkten erfolgt hierbei durch Beurteilungskriterien für den gesamten Produktlebenszyklus. Positiv evaluierte Produkte erhalten auf Antrag das Umweltkennzeichen der Europäischen Union (Umweltblume). Hierdurch soll die Akzeptanz der Verbraucher erhöht und damit letztendlich die Kaufentscheidung positiv beeinflusst werden. 2.1.2.4 Integrierte Produktpolitik Zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung wurde von der Europäische Union im Jahre 2003 das Weißbuch zur Integrierten Produktpolitik (IPP) veröffentlicht (Europäische Kommission 2003a). Die Zielsetzung besteht darin, von der auf große Punktquellen (Industrieemissionen, Abfälle) abzielenden Sichtweise weg, hin zu einer den gesamten Lebenszyklus von Produkten umfassenden Umweltpolitik zu gelangen. Notwendig wird dies aufgrund der steigenden Anzahl sowie zunehmenden Varianz und Komplexität der Produkte bei immer kürzeren Innovationszyklen. Einen wesentlichen Bestandteil der IPP bildet hierbei die Analyse des gesamten Produktlebenszyklus, um Verlagerungen von Umweltwirkungen zwischen Lebenszyklusphasen sowie nicht-intendierte Effekte zu vermeiden. So kann beispielsweise eine unangemessene Nutzung und Entsorgung eines Produktes zu einer Kompensation der Bemühungen in der Entwicklungs- und Produktionsphase führen. Diese lebenszyklusweite Sichtweise bedingt die Berücksichtigung einer zunehmenden Anzahl an Akteuren entlang des Produktlebenszyklus und führt somit zu steigenden Anforderungen an die Koordination dieser Akteure.
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Zur Umsetzung der IPP wird der folgende Weg vorgeschlagen (Europäische Kommission 2003a): x Analyse der Umweltwirkungen eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus, x Analyse der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen aller Alternativen zur Verminderung von Umweltwirkungen inklusive Analyse der Wirksamkeit politischer Instrumente, x Ermittlung der Verbesserungsmöglichkeiten gemeinsam mit den Beteiligten, x Vereinbarung von Zuständigkeiten und Umsetzungsplänen und x Umsetzung. Zur erfolgreichen Umsetzung des Lebenszyklus-Ansatzes ist der Einsatz verschiedener politischer Instrumente vorgesehen. Hierbei werden freiwillige Maßnahmen vorgezogen, diese können bei Bedarf jedoch durch Vorschriften ergänzt werden. Anhand der dargestellten Entwicklung der Umweltpolitik wird deutlich, dass die neuen rechtlichen Regelungen eine erweiterte Produktverantwortung der Hersteller über den gesamten Lebenszyklus der von ihnen in Verkehr gebrachten Produkte bedingen. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, sind geeignete Instrumente zur Erfassung, Bewertung und Optimierung aller durch ein Produkt verursachten Auswirkungen erforderlich. Hierfür wird das Instrument des Stoffstrommanagements eingesetzt, das im Folgenden vorgestellt wird.
2.1.3 Stoffstrommanagement zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung Eine wesentliche Voraussetzung für die Konkretisierung und Umsetzung des relativ abstrakt gehaltenen Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung stellt die Analyse betrieblicher, regionaler, nationaler und globaler Stoffströme dar. Aufbauend auf derartigen Stoffstromanalysen zielt ein nachhaltiges Stoffstrommanagement auf die zielorientierte, verantwortliche, ganzheitliche und effiziente Beeinflussung von Stoffströmen aller Produktlebenszyklusphasen ab (Enquete-Kommission 1994). Hierbei wurden durch die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages die folgenden Regeln für ein nachhaltiges Stoffstrommanagement abgeleitet (Enquete-Kommission 1994)6: x Regeneration: „Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen soll ihre Regenerationsrate nicht überschreiten.“ x Substitution: „Nicht-erneuerbare Ressourcen dürfen nur in dem Umfang genutzt werden, in dem physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Res6
Neben diesen ökologisch orientierten Regeln wurden auch Regeln mit ökonomischem sowie sozialem Fokus auf die Nachhaltigkeit vorgestellt (Enquete-Kommission 1998).
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke sourcen oder höherer Produktivität der erneuerbaren sowie der nicht-erneuerbaren geschaffen wird.“ x Anpassungsfähigkeit: „Stoffeinträge in die Umwelt sollen sich an der Belastbarkeit der Umweltmedien orientieren [...].“ x Reaktionsvermögen: „Das Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. Eingriffe in die Umwelt muss im ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der für das Reaktionsvermögen der Umwelt relevanten Prozesse stehen.“ x Vorsorge: „Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit durch anthropogene Einwirkungen sind zu vermeiden“ (ergänzt 1994 vom Sachverständigenrat für Umweltfragen).
Auch der stoffstrombasierte Ansatz der „Industrial Ecology“ konkretisiert das Leitbild der Nachhaltigkeit, indem grundlegende Prinzipien natürlicher Stoffkreisläufe auf industrielle Systeme übertragen werden. Die Vorbildwirkung natürlicher Ökosysteme beruht hierbei auf der effizienten Nutzung und Kreislaufführung aller Stoffe und Substanzen durch das aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von Produzenten, Konsumenten und Reduzenten (Graedel/Allenby 1995, Dyckhoff/Souren 2008). Untersuchungen zeigen entsprechend, dass wesentliche Schritte auf dem Weg vom industriellen System zum industriellen Ökosystem in der Erzielung einer höheren Ressourcen- und Energieeffizienz, in der Schließung von Stoffkreisläufen, der Umstellung auf erneuerbare Stoff- und Energiequellen sowie der Abstimmung der Mengen und Qualitäten anthropogen bedingter Stoff- und Energieflüsse mit den natürlichen Stoff- und Energieflüssen bestehen. Für die aus Unternehmenssicht konkrete Umsetzung des Stoffstrommanagements existieren verschiedene Strategien. Hierbei fokussierten erste Ansätze zunächst auf nachgeschaltete Technologien zur Abfall- und Schadstoffminimierung, während heute vorwiegend integrierte Strategien entlang des gesamten Lebenszyklus von Produkten Umsetzung finden. Im Zuge einer outputorientierten Strategie erfolgt die Umsetzung nachgeschalteter (additiver) Maßnahmen zur Emissionsminderung (so genannter End-of-Pipe-Maßnahmen). In die bestehenden Verfahren und Produktionsprozesse des Unternehmens wird hierbei im Allgemeinen nicht eingegriffen. Die Maßnahmen dienen vor allem der Einhaltung rechtlich vorgegebener Grenzwerte. Die jeweiligen additiven Maßnahmen sind häufig relativ schnell und ohne größeres technisches Risiko im Unternehmen zu implementieren. Problematisch hierbei ist jedoch die ständige Weiterentwicklung des Standes der Technik sowie der umweltbedingten Forderungen und Ansprüche. Es ist daher möglich, dass nachgeschaltete Maßnahmen ab einem bestimmten Zeitpunkt an ihre (Minderungs-)Grenzen stoßen (Spengler 1998).
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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Im Rahmen des Produktionsintegrierten Umweltschutzes (PIUS)7 werden die verschiedenen Möglichkeiten des Umweltschutzes im eigenen Unternehmen aktiv wahrgenommen. Diese Strategie umfasst „die Gesamtheit sämtlicher input-, verfahrens- und outputseitiger Umweltschutzmaßnahmen industrieller Produktionsprozesse, die zur Vermeidung und Verminderung der entstehenden Schadstoffemissionen in die Medien Luft, Wasser und Boden getroffen werden“ (Rentz 1995). Zur Umsetzung dieser Strategie werden integrierte Techniken eingesetzt, die eine erhöhte Ressourcen- und Energieproduktivität gewährleisten sowie Emissionen bereits vor der Entstehung vermeiden. Für die Unternehmen bedingt die Umsetzung dieser Strategie allerdings einen hohen technischen und investitionsbedingten Aufwand und teilweise große technische Risiken. Als vorteilhaft erweist sich diese antizipative Strategie bei einer Verschärfung umweltrechtlicher Auflagen oder der Erhöhung von Ressourcen- und Entsorgungspreisen. Der Produktintegrierte Umweltschutz greift das Kooperations- und Kreislaufprinzip auf. Umweltschutzmaßnahmen werden nicht mehr nur im eigenen Unternehmen, sondern gemeinsam mit anderen Akteuren kooperativ entlang des Produktlebenszyklus umgesetzt. Diese Strategie umfasst daher alle Umweltschutz-Maßnahmen entlang der Prozesskette ‚Produktentwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘. Der Produktintegrierte Umweltschutz betrachtet zunächst die ökologischen Aspekte entlang des Produktlebenszyklus und stellt somit einen Teilbereich der Integrierten Produktpolitik nach VDI 4075 dar, in der ökologische und ökonomische Aspekte integriert berücksichtigt werden (VDI 2005). Im Rahmen des Integrierten Umweltschutzes verfolgt das industrielle Stoffstrommanagement wie in Abbildung 2-2 dargestellt die Integration der Ansätze des Produktionsintegrierten und des Produktintegrierten Umweltschutzes. Das Ziel hierbei ist die „optimale intertemporale Allokation von Maßnahmen zum integrierten Umweltschutz unter Beachtung der produktionswirtschaftlichen Zielsetzungen des Unternehmens“ (Spengler 1998, S. 48). Insgesamt stellt der integrierte Umweltschutz durch die Betrachtung aller Stoffströme und Akteure entlang des gesamten Lebenszyklus der Produkte bzw. des gesamten Wertschöpfungsnetzwerks den umfassendsten Anspruch an die im Rahmen der Umsetzung erforderlichen Planungs- und Steuerungsaufgaben sowie die einzusetzenden Instrumente und Methoden des Informationsund Stoffstrommanagements.
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bzw. Cleaner Production nach VDI 4075 (VDI 2005)
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Vermeidung von Emissionen und Abfällen
Ressourcenentnahme
Produktionssystem
Recycling industrieller Reststoffe (Abfälle)
Nutzungsphase der Produkte
Produktionsabfälle
Altprodukte
Redistribution , Demontage, Recycling
Baugruppen, Bauteile, Sekundärrohstoffe
Abbildung 2-2: Maßnahmen des Integrierten Umweltschutzes (Spengler/Schröter 2001) Als Fazit kann festgehalten werden, dass insbesondere die Umsetzung integrierter Umweltschutzstrategien zukünftig die Berücksichtigung aller Prozesse und Stoffströme entlang des gesamten Produktlebenszyklus erfordert. Eine derartige Erweiterung der Systemgrenzen führt allerdings gleichzeitig zu einer deutlichen Zunahme der Anzahl der zu berücksichtigenden Akteure und somit zu einer deutlichen Steigerung der Komplexität der zu gestaltenden und zu koordinierenden Systeme. Aus diesem Grund sind neben den in diesem Kapitel vorgestellten physischen, stoffstrombasierten Aspekten zukünftig verstärkt institutionelle Aspekte der Koordination zwischen den betroffenen Akteuren zu berücksichtigen. Die sich hieraus ergebenden nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerke mit ihren Charakteristika und Planungsaufgaben werden im Folgenden vorgestellt.
2.2 Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke Hierbei wird zunächst der Begriff der Wertschöpfungsnetzwerke erläutert, bevor auf die spezifischen Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke eingegangen und der Planungsrahmen für derartige Netzwerke abgeleitet wird.
2.2.1 Wertschöpfungsnetzwerke Die Wertkette (Value Chain) nach Porter (Porter 2000, 2004) enthält alle unternehmensinternen Aktivitäten für den Entwurf, die Herstellung, den Absatz und die Distribution eines Produktes. Wird diese Wertkette um unternehmensexterne Prozesse erweitert, ergibt sich eine Wertschöpfungskette (Supply Chain bzw. synonym auch Liefer-, Versorgungskette), in der alle vertikalen Verknüpfungen mit unternehmensexternen Zuliefer-, Vertriebs- und Abnehmerwertketten enthalten sind. Hierbei interagieren die Unternehmen aller Wertschöpfungsstufen entlang des Lebensweges eines Produktes vom Lieferanten über den Hersteller bis zum Endkunden (Porter 2000, 2004). Neben produktbezogenen Material- und Informationsflüssen
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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sind in Folge dieser Interaktion zusätzlich zu den unternehmensinternen Aktivitäten auch die unternehmensexternen Aktivitäten, d.h. die Verknüpfungen zwischen den Wertketten der verschiedenen Firmen, zu koordinieren (Porter 2000, 2004). Eine Wertschöpfungskette umfasst somit alle Akteure, die direkt oder indirekt in die Herstellung von Produkten bzw. Dienstleistungen eingebunden sind, wobei neben Material-, Wert- und Informationsflüssen auch organisatorische Aspekte bezüglich der Koordination der Akteure Berücksichtigung finden (Handfield/Nichols 1998). Netzwerke entstehen im Allgemeinen als ein Geflecht sozialer, ökonomischer und/oder politischer Beziehungen zwischen Individuen und Organisationen (Schubert 1994). Unternehmensnetzwerke stellen nach Sydow eine „auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform ökonomischer Aktivitäten dar, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmungen auszeichnet.“ (Sydow 1992, S. 79). Hierbei handelt es sich um eine Koordinationsform zwischen Markt und Hierarchie sowie um eine Organisationsform, die sich durch einen hohen Grad an Stabilität und gleichzeitig durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnet. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Unternehmensnetzwerken ist die Integration von Konkurrenz und Kooperation der Netzwerkunternehmen. Die Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen hat immer das Ziel der Erlangung kollaborativer Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Wettbewerbern, beispielsweise in Form von Kapazitäts-, Kosten-, Zeit-, Marktzugangs-, Know-how- und Informationsvorteilen sowie Vorteilen durch Risikoverteilung (Padberg 2000, Porter/Fuller 1989). Für Unternehmensnetzwerke bestehen vielfältige Typologisierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. hierzu Hinterhuber/Levin 1994, Buse 1997, Sydow 2001, Rupprecht-Däullary 1994, Staudt et al. 1992, Kreikebaum 1998, Kocian 1999, Tröndle 1987). Ein wichtiges Kriterium stellt hierbei die Richtung der Zusammenarbeit dar. Hierbei entspricht eine Kooperation entlang der o.g. Wertschöpfungsketten einer vertikalen Netzwerkstruktur, d.h. einer brancheninternen Kooperation von Unternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen. Innerhalb der Wertschöpfungsnetzwerke bilden sich aber auch horizontale Netzwerke, wie z.B. Produktions- (Pfohl/Maier-Rothe 1997), Beschaffungs(Arnold 1997) oder Demontagenetzwerke (Walther 2005) zwischen Unternehmen einer Branche und Wertschöpfungsstufe heraus. Im Rahmen der Kreislaufwirtschaft und der Abfallverwertung entstehen häufig diagonale bzw. laterale, also branchenübergreifende Netzwerke, zu denen beispielsweise die Entsorgungs- bzw. Verwertungsnetzwerke (Schwarz 1998, Kaluza/ Blecker 1996, Strebel/Schwarz 1998) als Spezialfall der Umweltschutznetzwerke (Kaluza et al. 1999) gehören, sowie organisationsübergreifend auch Kooperationen von Politik, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen.
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Aus der Kombination der vertikalen, horizontalen und diagonalen Beziehungen zwischen Unternehmen ergeben sich die in Abbildung 2-3 dargestellten komplexen Wertschöpfungsnetzwerke (Chopra/Meindl 2007, Vollmann et al. 1998, Schusser 1999).
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Kunde
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Kunde
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Kunde
Abbildung 2-3: Wertschöpfungsnetzwerk (übersetzt nach Chopra/Meindl 2007)
2.2.2 Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Eine Entwicklung der dargestellten Wertschöpfungsnetzwerke zu nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken erfordert mehrere Erweiterungen, hierbei sind insbesondere die aus dem Konzept der Nachhaltigkeit abgeleiteten Ansprüche zu berücksichtigen und die aus der Konkretisierung dieses Leitbildes resultierenden Strategien umzusetzen. Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke sind durch folgende Charakteristika geprägt: x Berücksichtigung umweltrechtlicher Vorgaben und Antizipation zunehmend komplexer, dynamischer und unsicherer Rahmenbedingungen Die zunehmend komplexeren und dynamischen Rahmenbedingungen bezüglich der Ressourcenverfügbarkeit und Umweltwirkungen bedingen steigende Anforderungen, die aus den Lenkungssystemen Markt, Politik und Gesellschaft auf die Wertschöpfungsnetzwerke einwirken (Kapitel 2.1). Diese Anforderungen sind daher ständig zu analysieren, in die Planungsprozesse zu integrieren und ggf. zu antizipieren, um eine Einhaltung gewährleisten zu können. Die simultane Berücksichtigung der technologischen, sozialen, und marktlichen Faktoren sowie der sich ständig verschärfenden umweltrechtlichen Rahmenbedingungen erfordert eine interdisziplinäre Ausrichtung an der Schnittstelle von Ökonomie, Ökologie, Jurisprudenz, Soziologie und Politik (Haasis 1996, Wagner 1997).
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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x Berücksichtigung des Produktlebenszyklus Zur Berücksichtigung aller Lebenszyklusphasen sind die traditionellen Wertschöpfungsketten bzw. -netzwerke mit den Aktivitäten Beschaffung, Herstellung, Distribution und Handel sowie Gebrauch um die Prozesse der Rücknahme und Entsorgung zu ergänzen (Beamon 1999, Clift/Wright 2000, Linton et al. 2007). Aufgrund der ressourcen- und energiebedingten Relevanz kann es wie in Abbildung 2-4 dargestellt weiterhin notwendig bzw. sinnvoll sein, die Aktivität der Produktion detaillierter in die Prozesse der Rohstoffgewinnung, Bauteilproduktion, Montage und Distribution zu unterteilen (Clift/Wright 2000) sowie im Rahmen der Entsorgung in Redistributions- sowie Behandlungsprozesse zu unterscheiden. Es ergibt sich somit ein erweitertes Wertschöpfungsnetzwerk mit allen Wertschöpfungsstufen entlang des Produktlebenszyklus. Auf jeder Wertschöpfungsstufe sind hierbei Planungsmodelle unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus sowie zyklischer Prozesse zu entwickeln (Kapitel 2.1.3).
Entwicklungsphase Produktentwicklung
Nutzungsphase
Produktionsphase Rohstoff- Rohstoffvergewinnung arbeitung
Bauteilfertigung
(End) Montage
Distribution
Nutzung
Entsorgungsphase Redistribution
Behandlung
Abbildung 2-4: Produktlebenszyklus x Umsetzung von Konsistenz-, Suffizienz- und Effizienzstrategien Eine Entwicklung hin zu nachhaltigen Wirtschaftssystemen setzt voraus, dass nicht nur Effizienz-, sondern insbesondere auch Konsistenz- und Suffizienzstrategien Umsetzung finden. Hierbei sollte eine geeignete Kombination dieser Strategien angestrebt werden. Da Effizienzstrategien im Allgemeinen mit Win-Win-Situationen verbunden sind und eine Veränderung bzw. Anpassung bestehender Techniken erfolgt, hält sich das mit der Umsetzung verbundene Risiko in Grenzen. Insbesondere die Konsistenz- und Suffizienzstrategien erfordern jedoch nachhaltige, innovative Produkte, Technologien und Dienstleistungen. Hierfür sind Planungsmodelle unter Berücksichtigung der mit der Einführung dieser Innovationen verbundenen Unsicherheiten zu entwickeln. x Berücksichtigung vielfältiger und gegenläufiger Zielsetzungen Während die Zielsetzung von Wertschöpfungsketten und -netzwerken in der aus ökonomischer Sicht effektiven und effizienten Gestaltung und Lenkung von Material-, Wert- und Informationsflüssen liegt, sind im Sinne der Nachhaltigkeit nun auch ökologische und soziale Zieldimensionen zu berücksichtigen. Diese können Haupt-, Neben- oder Unterziele darstellen und sind als eigenständige Zielsetzungen simultan neben ökonomischen Zielsetzungen zu berücksichtigen oder als den Lösungsraum eingrenzende Restriktion zu integrieren. Hierbei können insbesondere Trade-offs zwischen den einzelnen Zielen auftreten, d.h.
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke die Verbesserung bezüglich eines Zieles führt zu einer Verschlechterung bezüglich einer anderen Zielsetzung.
x Notwendigkeit einer akteursübergreifenden Zusammenarbeit Die Erweiterung von Wertschöpfungsnetzwerken um alle Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus bedingt in der Regel die Aufnahme weiterer Akteure. Hierdurch werden nicht nur die Materialflüsse komplexer, sondern es nimmt insbesondere auch die Komplexität der Beziehungen zwischen den Akteuren mit den zu steuerenden Wert- und Informationsflüssen zu (Abbildung 2-5). Eine effektive und effiziente Gestaltung und Lenkung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke setzt daher eine Koordination aller Partner der Wertschöpfungsnetzwerke voraus.
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Kunde
Redistributeur
Recycler
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Kunde
Redistributeur
Recycler
Zulieferer
Hersteller
Distributeur
Händler
Redistributeur
Recycler
Kunde
Abbildung 2-5: Komplexität der Beziehungen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken Auf Basis der abgeleiteten Charakteristika kann nun der Begriff der nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerke als Grundlage der vorliegenden Arbeit wie folgt definiert werden: Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke verfolgen die effiziente und effektive Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen über alle Akteure und Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Zielsetzungen zur Erfüllung der aus den Lenkungssystemen Politik, Gesellschaft und Markt erwachsenden Anforderungen.
2.2.3 Planung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Vor dem Hintergrund der aus dem Konzept Nachhaltigkeit abgeleiteten Anforderungen und der sich daraus ergebenden Charakteristika nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke wird im Folgenden der Rahmen für die vorliegende Arbeit entwickelt.
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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2.2.3.1 Planungsrahmen Zunächst einmal erfordert die Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke die Einbeziehung aller entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme und der mit ihnen verbundenen ökonomischen sowie umweltbedingten Wirkungen in das Entscheidungskalkül der betroffenen Akteure. In diesem Rahmen sind neben ökonomischen Zielsetzungen zukünftig gegebenenfalls auch ökologische und soziale Kriterien unter Festlegung von Bewertungskriterien und Präferenzen bzw. Zielfunktionen zu berücksichtigen. Planungskalküle sind daher gegebenenfalls um diese Zielfunktionen zu erweitern. Notwendig ist daher die Entwicklung von Methoden zur ökonomischen Bewertung sowie von Methoden zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung unter Einbeziehung aller entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme über den Produktlebenszyklus. Die Voraussetzung für die strategische Gestaltung sowohl der Netzwerke als auch der in ihnen fließenden Produkte besteht in der Berücksichtigung und vor allem der Antizipation der aus den Lenkungssystemen Politik – Markt – Gesellschaft resultierenden Vorgaben und externen Rahmenbedingungen. Daher ist sowohl im Rahmen der strategischen Produktentwicklung als auch im Rahmen der strategischen Gestaltung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke die Antizipation der aus den Lenkungssystemen auf die betrieblichen Entscheidungsträger einwirkenden Einflüsse und Anforderungen notwendig. Hierbei sind lange Planungszeiträume, dynamisch veränderliche Rahmenbedingungen sowie komplexe Wirkungsbeziehungen im System Politik – Markt – Gesellschaft zu berücksichtigen. Aufbauend auf den daraus abgeleiteten Erwartungen an die Entwicklung externer Rahmenbedingungen ist im Sinne einer Integrierten Produktpolitik der gesamten Produktlebenszyklus der in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken fließenden Produkte zu berücksichtigen. Hierbei sind explizit auch alle Stoff-, Informations- und Wertströme sowohl der Nutzungs- als auch der Entsorgungsphase in das Konzept aufzunehmen. In den verschiedenen Lebenszyklusphasen resultieren vielfältige Planungsprobleme unterschiedlicher Fristigkeiten. In Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung sind über den Lebenszyklus die aufgezeigten Strategien der Konsistenz, der Suffizienz sowie der Effizienz umzusetzen. Die effektive und effiziente Umsetzung einer Integrierten Produktpolitik erfordert die Kooperation aller Akteure entlang des Produktlebenszyklus in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken. Die einzelnen Akteure verfolgen hierbei allerdings zumeist unterschiedliche, teilweise gegenläufige Zielsetzungen. Notwendig sind daher Ansätze zur Koordination der verschiedenen Akteure und Zielfunktionen. Aus diesen Anforderungen ergibt sich der in Abbildung 2-6 dargestellte Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke.
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Lenkungssysteme
Externe Rahmenbedingungen
Markt/Politik/Gesellschaft
Produktlebenszyklus Aktivitäten
Produktentwicklung
Produktion
Nutzung
Entsorgung
Bewertung Ökonomische, ökologische & soziale Zielsetzungen
Stoffströme, Wertflüsse, Informationsflüsse
Wertschöpfungsnetzwerke Akteure
Abbildung 2-6: Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke 2.2.3.2 Planungsaufgaben entlang des Produktlebenszyklus Die geeignete Berücksichtigung der entlang des Produktlebenszyklus auftretenden Interdependenzen setzt voraus, dass bereits in der unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten entscheidenden Phase der Produktentwicklung die wesentlichen Informationen über Stoffströme sowie die daraus resultierenden ökonomischen und ökologischen Wirkungen bekannt sind. Derartige Informationen können beispielsweise mit Hilfe von Ansätzen der Life Cycle Analysis (bzw. der Ökobilanzierung) bzw. des Life Cycle Costing gewonnen werden. Insbesondere für neue Technologien und Produkte sind derartige Informationen unverzichtbar, beispielsweise im Rahmen einer Konsistenzstrategie mit dem Ziel der Einbettung technisch-anthropogener Stoffströme in den natürlichen Stoffwechsel,. Erst auf Basis solcher Informationen können folgende Planungsaufgaben gelöst werden: x Entwicklung nachhaltiger Produkt-Innovationen z.B. auf Basis erneuerbarer Ressourcen als Voraussetzung für die Umsetzung der Konsistenzstrategie, x strategische Planung eines nachhaltigen Produktprogramms, x Entwicklung neuer Vertriebs- und Nutzenkonzepte in Form von Betreiber- und Leasingmodellen sowie Dienstleistungen als Voraussetzung für die Verlängerung der Nutzungsdauer von Geräten im Sinne der Suffizienzstrategie, x Umsetzung eines umweltgerechten Produktdesigns unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf alle anderen Lebenszyklusphasen (Spengler/Schröter 2001), z.B. Ermöglichung des Einsatzes von Sekundärrohstoffen in der Beschaffung, Auswahl geeigneter Produktionsverfahren sowie produktionsintegrierter Umweltschutzmaßnahmen für Produktionsprozesse, Gewährleistung der technischen Voraussetzungen für einen ressourcenschonenden und emissionsarmen Produktgebrauch in der Nutzung, reparaturfreundliche Produktgestaltung als Voraussetzung für eine Verlängerung der technischen Pro-
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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duktlebensdauer sowie eine demontage- und recyclingfreundliche Produktgestaltung für die Entsorgungsphase. Im Rahmen der Produktion bestehen noch Freiheitsgrade bezüglich der Gestaltung, Planung und Steuerung umweltfreundlicher Produktionsprozesse und -systeme auf strategischer, taktischer und operativer Ebene. Die Zielsetzung besteht hierbei in der optimalen Allokation produktionsintegrierter Umweltschutzmaßnahmen mit dem Ziel der Minimierung der Mengenund Schadstoffrelevanz der Stoff- und Energieströme durch investitions- bzw. kostenminimale Maßnahmenbündel oder Anlagenbetriebsweisen. Als Planungsaufgaben sind hierbei zu nennen (Spengler 1998, Spengler/Schröter 2001, Schultmann 2003): x Gestaltung und Planung von Produktionsprozessen und -systemen unter Berücksichtigung der erwarteten Stoff- und Energieströme, x Konzeption input- (Vorbehandlung von Einsatzstoffen und Substitution von Einsatzstoffen durch umweltfreundlichere Primär- und Sekundärrohstoffe), prozess- (Verminderung von Schadstoffemissionen durch gezielte Beeinflussung von Produktionsprozessen, Erhöhung der Ressourcen- und Energieeffizienz von Anlagen und Prozessen) und outputseitiger Umweltschutzmaßnahmen (Gestaltung und Verbesserung von End-ofPipe-Maßnahmen) und x optimale Nutzung bestehender Produktionssysteme. Die im Rahmen der Nutzung von Produkten verursachten Stoff- und Energieströme hängen im Wesentlichen vom Nutzer ab und lassen sich durch den Hersteller nur indirekt beeinflussen, z.B. durch die Bereitstellung von Informationen zum optimalen Produktgebrauch. Für hochwertige Produkte mit einem hohen ökonomischen und energetischen Aufwand in der Phase der Produktion können allerdings wesentliche Potenziale in einer Verlängerung der Nutzungsdauer bestehen. Hieraus resultieren die folgenden Planungsprobleme: x Gestaltung von Rücknahme- und Aufarbeitungssystemen mit dem Ziel der Nutzungsdauerverlängerung von Produkten, x Planung und Durchführung von Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen und x optimale Allokation von Produktrückläufern auf die Optionen der Produkt- und Komponentenaufarbeitung (Remanufacturing, Refurbishing, Ersatzteilgewinnung) unter Berücksichtigung des Ausgangszustandes der Geräte sowie des Zeitpunktes der Rücknahme im Marketingzyklus. Im Rahmen der Entsorgung erfolgt die ordnungsgemäße Behandlung und Verwertung von Produkten am Ende des Lebenszyklus. Hierbei sind insbesondere die für die Prozesse der Demontage und mechanischen Aufbereitung typischen Kuppelproduktionsprozesse zu berücksichtigen. Es bestehen folgende Planungsprobleme (Spengler/Schröter 2001):
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke x Gestaltung von Erfassungs-, Behandlungs- und Entsorgungssystemen, x Allokation von Altgeräten von den Anfallorten zu geeigneten Erfassungs- und Behandlungsstandorten, x integrierte Demontage- und Entsorgungsplanung unter Bestimmung optimaler Demontagetiefen, Materialfraktionen und Entsorgungsoptionen sowie x optimaler Einsatzes verfahrenstechnischer Anlagen zur Trennung und Sortierung von Materialfraktionen.
Im Folgenden werden die bisherigen allgemeinen Darstellungen anhand der spezifischen Rahmenbedingungen und Konzepte der Elektronikindustrie erläutert.
2.3 Fallbeispiel: Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronikindustrie Hierbei wird zunächst auf Stoffströme entlang des Lebenszyklus der Produkte eingegangen, bevor die für die Branche geltenden umweltrechtlichen Vorgaben und die für die Umsetzung dieser Vorgaben bzw. zur Antizipation zukünftiger Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung gegründeten Wertschöpfungsnetzwerke der Elektronikindustrie vorgestellt werden.
2.3.1 Umweltwirkungen von Elektro(nik)geräten Die Elektronikindustrie stellt eine sehr heterogene Industriebranche mit einem vielfältigen Produktspektrum von ca. 100.000 unterschiedlichen Geräten dar (Jäcker 1997). Der größte Anteil der Geräte wird von wenigen großen Herstellern gefertigt, daneben existieren jedoch sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen. Elektro(nik)geräte gehören zur Gruppe der komplexen Verbundprodukte, d.h. sie enthalten eine Vielzahl an Materialien und Bauteilen, die durch vernetzte Strukturen miteinander verbunden sind. Entlang des Lebenszyklus der Geräte treten die verschiedensten Stoffströme und Umweltwirkungen auf. Hierbei besteht in Abhängigkeit von der Gerätekategorie und dem Gerätetyp sowie – bei Geräten gleichen Typs – auch von Hersteller bzw. Baujahr eine sehr große Variabilität bezüglich der Zusammensetzung sowie der jeweils abgesetzten Mengen der Geräte. In Elektro(nik)geräten sind hunderte verschiedene Stoffe enthalten (Williams 2003). Hierbei handelt es sich auf der einen Seite um Schadstoffe, wie Schwermetalle (Quecksilber, Blei, Cadmium) oder toxische bzw. persistente organische Stoffe (bromierte Flammschutzmittel, FCKW), und auf der anderen Seite um Wertstoffe wie Eisen- und Nichteisen-Metalle (Kupfer, Gold, Platin) sowie sortenreine Kunststoffe (Ecobalance 1999, Schlögl 1995, Salhofer et al. 2000, Baier-Welt 1998, bvse 1999, BDE o.J.).
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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Im Rahmen der Produktion sind vor allem die Schritte der Rohstoffgewinnung und Bauteilherstellung häufig mit sehr großen Umweltwirkungen verbunden. Zu nennen sind hier beispielsweise die im Rahmen der Rohstoffgewinnung zu bewegenden Mengenströme sowie der durch die Reinraumbedingungen bedingte hohe Energiebedarf bei der Herstellung der aktiven elektronischen Bauteile (ZVEI 1999, Williams 2003). Die Montage hingegen als letzter Produktionsschritt verursacht nur relativ geringe Umweltbelastungen. Dies verdeutlicht, dass eine alleinige innerbetriebliche Verbesserung der Montageprozesse nur wenig Verbesserungspotenzial bietet, notwendig ist eine Einbeziehung der vorgelagerten Akteure. Der Energieverbrauch der Geräte während der Nutzungsphase trägt wesentlich zum Ressourcenabbau und zum Treibhauseffekt bei. So tragen Elektro(nik)geräte inzwischen zu 20 % zum Gesamtenergieverbrauch der Privathaushalte bei, aufgrund der großen Umwandlungsverluste elektrischer Energie entspricht dies 33 % der durch Privathaushalte verursachten CO2Emissionen (International Energy Agency 2007). In der Phase der Entsorgung am Ende der Nutzungsdauer der Elektro(nik)geräte waren die dargestellten qualitativen und quantitativen Aspekte des Stoffstroms der Elektro(nik)geräte lange Zeit v.a. deshalb problematisch, weil ohne umweltrechtliche Maßnahmen mehr als 90 % der Altgeräte (d.h. in Europa mehr als 6 Mio. t pro Jahr) auf Deponien verbracht wurden. Alle dargestellten Aspekte gewinnen zusätzlich an Bedeutung, da die Menge der verkauften Neugeräte und somit auch die Anzahl der am Ende der Nutzungsphase anfallenden Altgeräte aufgrund kürzerer Innovationszyklen und steigender Ausstattungsgrade der Privathaushalte ständig wächst (BFUB 2001).
2.3.2 Umweltrechtliche Rahmenbedingungen Aufgrund der aufgezeigten Problemfelder wurden verschiedene rechtliche Maßnahmen zur Minderung der Umweltauswirkungen elektr(on)ischer Geräte ergriffen. Die Chronologie dieser Maßnahmen entspricht hierbei im Wesentlichen der in Kapitel 2.1 vorgestellten. Zunächst wurden Elektro(nik)altgeräte 1993 im „5. Aktionsprogramm für den Umweltschutz – Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“ als einer der vorrangig einzustufenden Abfallströme bewertet. Der sich hieraus ergebende rechtliche Handlungsbedarf für die Entsorgungsphase am Ende des Lebenszyklus der Geräte führte zur Verabschiedung der Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte (WEEE-Richtlinie)8. Im Anschluss wurde mit Umsetzung der Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektround Elektronikgeräten (ROHS-Richtlinie)9 eine vorsorgende Schadstoffvermeidung angestrebt. Im Rahmen der aktuell umzusetzenden Richtline zur umweltgerechten Gestaltung
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Waste Electrical and Electronic Equipment – WEEE Restriction of certain Hazardous Substances – RoHS
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2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
energiebetriebener Produkte (EuP-Richtlinie)10 besteht die Zielsetzung in der Minimierung der Umweltwirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Die WEEE-Richtlinie (Europäisches Parlament und Rat 2003) zielt auf eine Reduzierung der durch elektr(on)ische Geräte induzierten Abfallmengen durch Maßnahmen wie Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling und andere Formen der Verwertung ab und regelt im Wesentlichen die Organisation und Finanzierung der Sammlung und Behandlung der Elektro(nik)altgeräte. Hierbei sind Sammelsysteme zu errichten, die eine vom restlichen Abfall getrennte Sammlung von mindestens 4 kg Elektro(nik)geräten aus Privathaushalten pro Einwohner und Jahr ermöglichen. Die Hersteller bzw. von ihnen beauftragte Dritte müssen zudem (individuelle oder kollektive) Systeme für die Behandlung der Geräte einrichten und die Kosten für Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung der Altgeräte übernehmen. An die Lagerung und Behandlung der Geräte werden bestimmte Bedingungen gestellt, beispielsweise sind alle Flüssigkeiten sowie bestimmte Stoffe und Bauteile (PCBhaltige Kondensatoren, Batterien, mit bromierten Flammschutzmitteln behandelte Kunststoffe etc.) zu entfernen und ordnungsgemäß zu verwerten bzw. zu beseitigen. Ferner bestehen Zielvorgaben für die Verwertung der Geräte bezüglich des Anteils der Gesamtmasse der Geräte, der einer ausschließlich funktionellen oder stofflichen („Wiederverwendungs- und Recyclingquote“) bzw. einer stofflichen und energetischen (Verwertungsquote) Verwertung zugeführt wird. Die Quoten sind für die zehn Gerätekategorien der WEEE-Richtlinie in Tabelle 2-1 dargestellt. Insgesamt führt die WEEE-Richtlinie damit zu einer Erweiterung der Herstellerverantwortung über die Nutzungsphase hinaus auf die Entsorgungsphase der Geräte. Tabelle 2-1:
Vorgeschriebene Wiederverwendungs- und Recyclingquoten sowie Verwertungsquoten für die Kategorien der WEEE-Richtlinie (Europäisches Parlament und Rat 2003) Kategorien
1 Haushaltsgroßgeräte 10 automatische Ausgabegeräte 3 IT-/Telekommunikationsgeräte 4 Geräte der Unterhaltungselektronik 2 Haushaltskleingeräte 5 Beleuchtungskörper 6 Elektrische und elektronische Werkzeuge 7 Spielzeug sowie Sport- und Freizeitgeräte 9 Überwachungs- und Kontrollinstrumente Gasentladungslampen
Wiederverwendungsund Recyclingquote
Verwertungsquote
75 %
80 %
65 %
75 %
50 %
70 %
80 %
-
Im Unterschied dazu baut die ROHS-Richtlinie (Europäisches Parlament und Rat 2003b) auf dem Vorsorgeprinzip auf. Für bestimmte gefährliche Substanzen wird hierbei der effektivste 10
Energy-using Products – EuP
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
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Gesundheits- und Umweltschutz nicht länger in einer ordnungsgemäßen Behandlung am Ende des Produktlebens gesehen, sondern in der Vermeidung dieser Stoffe bereits vor der InVerkehr-Bringung der Geräte. Stoffe wie Blei, Quecksilber, Cadmium, sechswertiges Chrom sowie polybromiertes Biphenyl (PBB) bzw. polybromierte Diphenylether (PBDE) sind daher zukünftig durch sichere(re) Stoffe zu substituieren. Um eine Einschränkung von Nutzungsdauer verlängernden Maßnahmen zu verhindern, gilt das Stoffverbote nicht für Ersatzteile zur Reparatur oder Wiederverwendung von vor dem Juli 2006 auf den Markt gebrachten Geräten. Die Umsetzung der RoHS bedeutet für die Hersteller eine Erweiterung der Verantwortung auf die vorgelagerte Supply Chain, da die Hersteller gewährleisten müssen, dass in den von ihnen verkauften Geräten keine der o.g. Substanzen enthalten sind. In den Supply Chains der elektronischen Industrie mit tausenden von Bauteilen und Lieferanten stellt dies hohe Anforderungen an die Daten- und Informationsverfügbarkeit sowie an die Koordination der betroffenen Akteure. Über den gesamten Lebenszyklus der Geräte strebt die EuP-Richtlinie (Europäisches Parlament und Rat 2005) eine laufende Minderung der vom Produkt verursachten Umweltwirkungen an. Hierfür ist der gesamte Lebensweg eines Gerätes als „Gesamtheit der aufeinander folgenden und miteinander verknüpften Existenzphasen eines energiebetriebenen Produkts von der Verarbeitung des Rohmaterials bis zur Entsorgung“ (Europäisches Parlament und Rat 2005, Art.2, Abs. 13) zu analysieren. Die EuP-Richtlinie schließt daher insbesondere auch alle während der Nutzungsphase der Geräte verursachten Umweltwirkungen (Ressourcenverbrauch, Treibhausgasemissionen etc.) durch den Stromverbrauch der Geräte mit ein. Um eine umweltgerechte Gestaltung der Geräte ohne Verschiebung der Umweltwirkungen zwischen Lebenszyklusphasen oder zwischen Umweltmedien zu erreichen, sind bereits in der Entwurfsphase der Geräte die Hauptwirkungen eines Produktes zu analysieren und Maßnahmen zur Reduzierung dieser Auswirkungen zu erarbeiten. Hierbei werden Hersteller verpflichtet, Informationen über den Herstellungsprozess, über Umwelteigenschaften des Produktes, über Hinweise zu einer umweltverträglichen Produktnutzung sowie über Zerlegung, Recycling oder Deponierung des Altproduktes zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus müssen Lebenszyklusanalysen und -bewertungen der Produkte erfolgen. Die EuP-Richtlinie als Rahmenrichtlinie kann für konkrete Produkte konkretisiert werden, beispielsweise durch Vorgabe von Ökodesign-Anforderungen unter Heranziehung der besten auf dem Markt befindlichen Geräte. Im Sinne einer Integrierten Produktpolitik wird zunächst eine Selbstregulierung durch die Wirtschaftsakteure bevorzugt, falls die Umsetzung nicht schnell genug erfolgt, können allerdings rechtliche Regelungen umgesetzt werden. Die chronologische Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Elektronikindustrie ist in Abbildung 2-7 dargestellt.
32
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Rohstoff gewinnung gewinnung
Bauteile/ gruppen
Montage
RoHSRichtlinie: Vorsorgend, QualitätderStoffströme Substitution,Stoffverbote
Distri bution
Nutzung
Redistri bution
Entsorgung
WEEERichtlinie: Nachsorgend, Qualität/QuantitätderStoffströme, Verwertung,Quotenvorgaben EuPRichtlinie: Vorsorgend, Lebenszyklusübergreifend, Qualität,QuantitätderStoffströme Vermeidung
Abbildung 2-7: Rechtliche Rahmenbedingungen über den Lebenszyklus von Elektro(nik)geräten
2.3.3 Stoffstrommanagement entlang des Produktlebenszyklus Erst auf Basis der Analyse aller Stoffströme und Umweltwirkungen entlang des Lebenszyklus der Produkte ist der gezielte Einsatz von Minderungsmaßnahmen in den besonders relevanten Lebenszyklusphasen sinnvoll. Im Folgenden soll dies exemplarisch für Optionen nach Abschluss der ersten Nutzungsphase elektr(on)ischer Geräte aufgezeigt werden. Hierbei stehen in Abhängigkeit der ökonomischen, technischen und ökologischen Parameter verschiedene Optionen des Kreislaufschlusses zur Verfügung, die sich wiederum auf die anderen Lebenszyklusphasen und somit Wertschöpfungsstufen der Supply Chain auswirken. Auf der Ebene einer funktionellen Wiederverwendung stehen hierbei im Sinne der Verlängerung der Nutzungsdauer eines Produktes die Optionen des Re-Use, der Reparatur, des Refurbishing sowie des Remanufacturing (die Begrifflichkeiten sind in Kapitel 7 erläutert) zur Verfügung. Möglich ist zudem eine Wiederverwendung einzelner Komponenten durch gezielte Entnahme und Aufarbeitung von Bauteilen und Modulen z.B. für die Verwendung als Ersatzteil. Neben diesen hochwertigen Optionen auf funktioneller Ebene stehen zudem die Optionen der stofflichen, werkstofflichen Verwertung sowie der thermischen bzw. energetischen Verwertung zur Verfügung. Die verschiedenen Optionen für Stoffströme am Ende der (ersten) Nutzungsphase elektr(on)ischer Geräte sind in Abbildung 2-8 dargestellt.
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Rohstoff gewinnung gewinnung
Bauteile/ gruppen
Montage
Distri bution
Nutzung
Redistri bution
33
Entsorgung
direkte Wiederverwendung Reparatur Refurbishing Wiederverwendung von Ersatzteilen
Test & Demontage
Remanufacturing Beseitigung
Stoffliche /energetische Verwertung
Abbildung 2-8: Optionen des Produkt- und Materialrecyclings (verändert nach Thierry et al. 1995) Die Voraussetzung zum Treffen der unter ökonomischen sowie unter ökologischen Gesichtspunkten richtigen Entscheidungen aus der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Alternativen bildet die Abbildung der Optionen des Material- und Produktrecyclings mittels Stoffstrommodellen sowie die Entwicklung geeigneter Planungsmodelle zur Entscheidungsfindung.
2.3.4 Zusammenarbeit in Wertschöpfungsnetzwerken Die Umsetzung eines effektiven und effizienten Stoffstrommanagements sowie die Erfüllung der dargestellten umweltrechtlichen Anforderungen erfordern auch in der Elektronikindustrie die Kooperationen der Akteure entlang des Produktlebenszyklus. Hierbei haben sich sowohl vertikale als auch horizontale Unternehmensnetzwerke herausgebildet. Vertikale Netzwerke bestehen beispielsweise im Rahmen von Zulieferer-HerstellerKooperation mit dem Ziel der Umsetzung der ROHS-Richtlinie. Hierbei wird beispielsweise gemeinsam am Einsatz neuer Materialien geforscht sowie Informationen über Materialien und Inhaltsstoffe bereitgestellt (Spengler/Herrmann 2004). Weitere Beispiele sind HerstellerRecycler-Kooperationen mit dem Ziel der Schließung von Stoffkreisläufen (vgl. Abbildung 2-9) (Spengler/Herrmann 2004, Spengler et al. 2001).
34
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Zulieferer Metallische Rohstoffe
Hersteller
Shredder/ Aufbereiter
Zerleger
Altgeräte Refurbishing/ Upgrading
Reuse
Bestehender Materialfluß Potential für geschlossene Kreisläufe gerichteter Altgerätestrom
Kunststoffgranulat
Abbildung 2-9: Vertikale Wertschöpfungsnetzwerke in der Elektronikindustrie (Spengler et al. 2001) Aber auch horizontale Netzwerke von Akteuren einer Wertschöpfungsstufe bestehen. Zu nennen sind hier beispielsweise Herstellernetzwerke mit dem Ziel der kosteneffizienten Umsetzung der WEEE-Richtlinie durch Bündelung der Recyclingverpflichtungen. Hierbei kooperieren beispielsweise in der von Braun, Sony Europe, Electrolux und Hewlett Packard gegründeten „European Recycling Platform“ (ERP) inzwischen mehr als 1200 Hersteller (ERP 2008). Auch in Spanien strebt der Verband der Hersteller von Haushaltsgroßgeräten ANFEL11 eine Branchenlösung an (Queiruga et al. 2008, Walther et al. 2007b, Walther et al. 2008a, Spengler et al. 2005). Wie in Abbildung 2-10 dargestellt, bestehen zudem Kooperationen unabhängiger Recyclingunternehmen mit dem Ziel der Marktpräsenz und Flächendeckung (ERP 2008, Walther/ Spengler 2004). Hierbei übernehmen die Recyclingunternehmen in derartigen Netzwerken alle physischen Prozesse in Form der Redistribution der Altgeräte von den Sammelstellen (1), der anschließenden Behandlung mit dem Ziel der Schadstoffentfrachtung und Wertstoff- sowie Bauteilgewinnung (2) sowie der Transporte der entstehenden Materialfraktionen an Senken außerhalb des Netzwerks wie beispielsweise Metallhütten oder thermische Verwertungsanlagen (3) (vgl. Spengler/Walther 2002, Spengler/Walther 2003, Spengler/Walther 2005a).
11
Asociación Nacional de Fabricantes e Importadores de Electrodomésticos de Línea Blanca
35
Akteure / Aktivitäten
Hersteller Hersteller
Handel Handel
ÖRE
1
Transport (Sortiervorgänge) Demontage: Schadstoffentfrachtung Wertstoffgewinnung Gewinnung von Baugruppen/-teilen
Zerlegebetrieb Demotageunternehmen
2
Demontageunternehmen Zerlegebetrieb Demontageunternehmen Zerlegebetrieb
3 Anonyme Märkte/ Hersteller
(Sortiervorgänge)
Wiederverwendung von Baugruppen/-teilen Aufbereitung
Mechanische Aufbereiter
Stoffliche Verwertung
Recycler MVA, Zementindustrie
Energetische Verwertung Deponie, MVA MVA
Beseitigung
Horizontales Demontagenetzwerk
Sammlung Transport Annahme
Privater Endverbraucher/ Kleingewerbe
Vertikales Netzwerk zur Erfüllung rechtlicher Vorschriften
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Abbildung 2-10: Planungsumfeld und Aktivitäten eines Demontagenetzwerks (Walther 2005) Ein Beispiel für ein derartiges Netzwerk stellt das Recycling Network Europe (RENE) dar (RENE 2008a), das momentan aus 55 Recyclingstandorten in 17 europäischen Ländern besteht und über eine Kapazität von 804.000 t Elektro(nik)altgeräten pro Jahr verfügt (vgl. Abbildung 2-11) (RENE 2008b).
RENEPartner, zertifiziert nachDINISO14001 potenziellePartner
Abbildung 2-11: Partner des horizontalen Recyclingnetzwerks RENE (RENE 2008b) Die Voraussetzung für die Umsetzung der rechtlichen Anforderungen sowie für ein effektives und effizientes Stoffstrommanagement und für die Koordination der Akteure entlang der
36
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Wertschöpfungskette besteht in der Bereitstellung aller relevanten Informationen in den Produktlebenszyklusphasen. So verlangt die WEEE-Richtlinie beispielsweise die Bereitstellung aller für das Recycling erforderlichen Informationen durch die Hersteller für die Recyclingunternehmen. Dies wird beispielsweise durch den sogenannten Recyclingpass gewährleistet. Dieser erlaubt zum einen die Identifikation von Stoffen und Komponenten, die entnommen und separat behandelt werden müssen, sowie von Stoffen und Komponenten, die Recyclingprozesse stören können. Zum anderen sind aber auch Stoffe und Komponenten gekennzeichnet, mit denen in der Regel Erlöse erzielt werden können (Spengler et al. 2004). In Abbildung 2-12 ist eine Seite des Recyclingpasses mit Demontagehinweisen zu ausgewählten Stoffen dargestellt. Im Rahmen der Anforderungen der RoHS-Richtlinie sind über diese Informationsbereitstellung hinausgehend weitere Informationsflüsse von den Zulieferern zu den Herstellern erforderlich (Spengler et al. 2001, Spengler/Herrmann 2004).
Master Recycling Passport 3
Notes for dismantling materials/components, which can disturb several recycling processes, and materials/components for which benefits can normally be achieved
1
5
4
2
3
No.
Recycling/Material code
1
Halogen lamps (2)
2
Fiber optic
3 4 5
Oil filling Transformer Laser unit
Important information between of two plastic cover In order to remove the complete scan unit two hexagon screws has to be loosened, two stopper bolts removed and cables has to be unplugged Inside of the cast aluminum gear box Part of the power unit behind the door cover He Ne laser fixed on the optical plate
Abbildung 2-12: Recyclingpass, Seite 3: Demontagehinweise zu Stoffen und Komponenten, die Recyclingprozesse stören könnten (1,2,3), sowie zu Stoffen und Komponenten, mit denen sich evtl. Erlöse erzielen lassen (4,5) (Spengler et al. 2004)
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
37
Das Konzept eines Informationsaustauschs entlang der Wertschöpfungskette für die Bereitstellung der genannten Informationen ist in Abbildung 2-13 dargestellt.
Recycling Datenbank Zulieferer Internetformular
Hersteller
Kommunikationsplattform
Recyclingunternehmen
Abbildung 2-13: Konzept für die Gestaltung des überbetrieblichen Informationsflusses (Spengler/Herrmann 2004) Das dargestellte Fallbeispiel verdeutlicht die Problemstellungen und Planungsaufgaben der Elektronikindustrie auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Zunächst einmal wird die Dynamik sowie die Komplexität und Vielfalt der durch das Lenkungssystem Politik vorgegebenen Anforderungen deutlich. Eine Reduktion der Umweltwirkungen erfordert den Einsatz von Instrumenten des Stoffstrommanagements über den gesamten Lebenszyklus der erzeugten Produkte, wobei unter Berücksichtigung von Interdependenzen zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen die sowohl unter ökonomischen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten optimalen Alternativen zu bestimmen sind. Die effektive und effiziente Umsetzung der rechtlichen Vorgaben bedingt die Zusammenarbeit vieler Akteure in Wertschöpfungsnetzwerken. Dies erfordert Methoden zur Gestaltung, Koordination und Bewertung derartiger Netzwerke.
2.4 Fazit In diesem Kapitel wurden das allgemeine Konzept sowie Ansätze zur Konkretisierung des Leitbildes der Nachhaltigkeit vorgestellt, auf deren Basis die Ableitung von Charakteristika sowie die Entwicklung eines Planungsrahmens nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerken erfolgte. Dies wurde am Fallbeispiel der Elektronikindustrie verdeutlicht. Aufbauend auf dem vorgestellten Rahmen erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit die Bearbeitung ausgewählter Fragestellungen zur Planung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke. Hierbei wird – aufbauend auf der Abbildung 2-6 – in jedem Kapitel ein wesentlicher Planungsaspekt behandelt (vgl. Abbildung 2-14). x In Kapitel 3 wird zunächst auf die stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke eingegangen, wobei insbesondere mehrere – häufig gegenläufige – Zielsetzungen zu berücksichtigen sind.
38
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke x In Kapitel 4 werden Ansätze zur Prognose der Entwicklung der durch die Lenkungssysteme Markt – Politik – Gesellschaft vorgegebenen Rahmenbedingungen dynamisch komplexer sozio-ökonomischer Systeme vorgestellt. x In Kapitel 5 erfolgt die Behandlung und Anwendung der in der Phase der Produktentwicklung zur Verfügung stehenden Ansätze zur ökologischen sowie ökonomischen Bewertung alternativer Entscheidungen über den Produktlebenszyklus. Die Basis für derartige Entscheidungen bildet eine Modellierung des Produktlebenszyklus. x In Kapitel 6 werden für die Phase der Produktion Planungsmodelle zur Gestaltung von Produktionssystemen für innovative Produkte und Technologien entwickelt. Hierbei finden insbesondere die bestehenden Unsicherheiten bei der Implementierung derartiger Innovationen durch Methoden der robusten Optimierung Berücksichtigung. x In Kapitel 7 erfolgt für die Phase der Nutzung die Vorstellung von Ansätzen zur Entscheidungsunterstützung für Optionen der Aufarbeitung und Wieder-in-VerkehrBringung der Geräte und Komponenten mit dem Ziel der Verlängerung der Nutzungsdauer. x In Kapitel 8 schließlich werden für die Phase der Entsorgung am Lebensende der Produkte Modellierungsansätze sowie Planungskonzepte erarbeitet. Hier sind insbesondere Fragestellungen bezüglich der anzuwendenden Demontage- und Aufbereitungsaktivitäten sowie der zu generierenden Materialfraktionen zu beantworten. x In Kapitel 9 schließlich werden Ansätze zur Koordination in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerke vorgestellt, in diesem Kapitel erfolgt daher die Behandlung organisatorischer und institutioneller Aspekte der Zusammenarbeit der Vielzahl an Akteuren entlang des Produktlebenszyklus.
Hierbei werden in den einzelnen Kapiteln jeweils die resultierenden Planungsaufgaben insbesondere vor dem Hintergrund der sich aus dem Leitbild der Nachhaltigkeit ergebenden Charakteristika analysiert. Im Anschluss werden jeweils quantitative Ansätze zur stoffstrombasierten Modellierung und Bewertung auf Basis betriebswirtschaftlicher Planungsmodelle vorgestellt. Der Fokus liegt dabei auf der Verknüpfung von ökonomischen und umweltorientierten Zielsetzungen, auf soziale Zielsetzungen als dritte Säule der Nachhaltigkeit wird nur am Rande eingegangen. Die Ansätze werden hierbei jeweils an Fallbeispielen verdeutlicht, wobei Fallstudien aus der Automobilindustrie sowie der Elektronikindustrie herangezogen werden.
2 Charakteristika und Aufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
39
Kapitel 4: Lenkungssysteme
Externe Rahmenbedingungen
Markt/Politik/Gesellschaft
Kapitel 5-8: Produktlebenszyklus Aktivitäten
Kapitel 5: Produktentwicklung
Kapitel 6: Produktion
Kapitel 7: Nutzung
Kapitel 8: Entsorgung
Kapitel 3: Bewertung Ökonomische, ökologische & soziale Zielsetzungen
Stoffströme, Wertflüsse, Informationsflüsse
Kapitel 9: Wertschöpfungsnetzwerke Koordination
Abbildung 2-14: Kapitel der vorliegenden Arbeit eingeordnet in den Planungsrahmen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Im folgenden Kapitel werden verschiedene Methoden der stoffstrombasierten Bewertung vorgestellt. Erst auf Basis der hieraus resultierenden Informationen bezüglich der Stoff- und Energieströme sowie der daraus ableitbaren ökonomischen, technischen, umweltorientierten und sozialen Bewertungskriterien können Planungsansätze entlang des Produktlebenszyklus entwickelt werden.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
3
41
Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele bedingt im Rahmen der Gestaltung zukünftiger Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme die Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer sowie sozialer Zielsetzungen. Die Voraussetzung für die Berücksichtigung derartiger Zielsetzungen besteht in der Ermittlung der aus den Transformations- und Konsumprozessen resultierenden Stoff- und Energieströme als Basis für die Bewertung der mit einem Produkt, einem Prozess, einem Unternehmen oder einem Wertschöpfungsnetzwerk verbundenen Zahlungsströme bzw. Umweltwirkungen. Im Rahmen einer ex-ante Planung von Produktionssystemen und Produkten ist daher eine Modellierung dieser Stoff- und Energieströme notwendig. Sind darauf aufbauend im Rahmen der Bewertung ökonomische, ökologische sowie soziale Zielsetzungen simultan zu verfolgen, resultieren komplexe Entscheidungsprobleme, die Methoden der Entscheidungsunterstützung erfordern. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst in Kapitel 3.1 die Modellierung vernetzter Produktionssysteme beschrieben, wobei sowohl auf statische als auch auf dynamische Ansätze zur Abbildung der Stoff- und Energieströme eingegangen wird. Im Anschluss daran werden in Kapitel 3.2 die Ziele der Akteure nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke diskutiert sowie Kriterien und Ansätze zur ökonomischen, ökologischen und sozialen Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke vorgestellt. Hierbei wird für die ökonomische Bewertung insbesondere auf den Ansatz der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung sowie für die ökologische Bewertung auf die Ermittlung des Schlüsselindikators Kumulierter Energieaufwand sowie spezifischer Umweltwirkungen eingegangen. Die ökonomischen, ökologischen und sozialen Kriterien werden anschließend in Kapitel 3.3 mit dem Ziel einer integrierten Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung zusammengeführt. Hierbei werden Verfahren der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung vorgestellt, wobei sowohl Methoden zur Berechnung der besten Lösung aus einem gegebenen Lösungsraum (Multi Objective Decision Making) als auch Methoden zur Auswahl diskreter Entscheidungsalternativen (Multi Attribute Decision Making) beschrieben werden. Die Vorgehensweise im Rahmen der Modellierung sowie der ökonomischen und multikriteriellen Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke wird anschließend in Kapitel 3.4 an einem Fallbeispiel für Netzwerke zum Recycling von Elektro(nik)altgeräten exemplarisch angewandt.
3.1 Modellierung vernetzter Produktionssysteme Die in Produktionssystemen stattfindenden Transformationsprozesse beruhen auf naturwissenschaftlichen sowie technischen Prinzipien. Die aus derartigen Transformationen resultierenden Stoff- und Energieströme bilden die Basis für die Bewertung der mit einem Produkt, einem Prozess, einem Unternehmen oder einem Wertschöpfungsnetzwerk verbundenen Zah-
42
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
lungs- bzw. Kostengrößen im Zuge der betriebswirtschaftlichen Bewertung sowie für die Bestimmung der dadurch verursachten Umweltwirkungen im Zuge der umweltorientierten Bewertung. Sind die jeweiligen Prozesse bereits implementiert, lassen sich die Stoff- und Energieströme empirisch ermitteln. Als Voraussetzung für die ex-ante Planung von Produktionssystemen und Produkten sind derartige Informationen jedoch zu antizipieren. Hierfür ist die Beschreibung der vorliegenden Stoffstrombeziehungen in Form der Mengenrelationen der Input- und Outputströme der einzelnen Prozesse erforderlich. Erst auf dieser Basis lassen sich die erforderlichen Informationen über resultierende Stoff- und Energieströme des vernetzten Produktionssystems ableiten. Die Beschreibung vernetzter Produktionssysteme erfolgt üblicherweise mittels Digrafen D=(U, K), wobei die Knotenmenge U die Menge aller Beschaffungs-, Absatz- und Produktionsstellen umfasst und die Kantenmenge K die Verbindungen zwischen diesen Knoten z.B. in Form von Materialflüssen beschreibt. Knoten ohne Vorgänger stellen Beschaffungsknoten, Knoten ohne Nachfolger Absatzknoten des Produktionssystems dar. Die Objektströme im System werden durch die Kantenmenge K mit K U uU beschrieben. Für weitergehende Analysen kann diese grafentheoretische Darstellung wie in Abbildung 3-1 dargestellt in die Strukturmatrix (bzw. Adjazenzmatrix) A überführt werden (vgl. Dyckhoff/Spengler 2007). A
(aii ' ) i ,i ' 1,...,u mit aii'
1, falls (i, i ' ) K ® ¯0, sonst
Grundfließbild S1 Mischer (3)
Gl. 3.1
S6 S3
Reaktor (4)
S4
Kühler (5)
S5
Separator (6)
S7
S2
Darstellung als Digraf Beschaffungsknoten
1
Produktionsknoten
1 2 3 4 5 6 7 1 ª0 0 1 0 0 0 0 º
Absatzknoten
2 «0 0 1 0 0 0 0 »
«
S1
3 2
Adjazenzmatrix
S2
S3
4
S4 S6
5
»
3 «0 0 0 1 0 0 0 »
S5
A
6
S7
7
4 5 6 7
« «0 «0 « «0 «0 ¬
0 0 0 0
0 0 1 0
0 0 0 0
1 0 0 0
0 1 0 0
» 0» 0» » 1» 0 »¼
Abbildung 3-1: Beschreibung eines vernetzten Produktionssystems mit Hilfe eines gerichteten Digrafen (verändert nach Penkuhn 1997) Um für weitere Analysen aufbauend auf der so ermittelten Struktur des Produktionssystems auch die Input-Output-Relationen der Stoff- und Energieströme beispielsweise in Form der Direktbedarfsmatrix ableiten zu können, wird die Transformationsfunktion rii ' f ii ' ri ' benötigt, die Informationen darüber enthält, wie viele Mengeneinheiten eines Produktes i zur Pro-
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
43
duktion von ri‘ Mengeneinheiten des Produktes i‘ benötigt werden (Kloock 1969, Küpper 1976; vgl. hierzu auch Spengler 1998).
3.1.1 Ermittlung der Input-Output-Relationen Für die Abbildung dieser Mengenrelationen bestehen unterschiedliche Möglichkeiten. Zum einen kann die explizite Abbildung über sogenannte Produktionsfunktionen erfolgen, zum anderen können Aktivitäten in Form empirisch ermittelter Beziehungen in Tabellen- oder Matrizenform zu Grunde gelegt werden. 3.1.1.1 Betriebswirtschaftliche Produktionsfunktionen Im Rahmen der traditionellen Produktionstheorie bestehen für die Beschreibung der Mengenrelationen von Input-Output-Modellen verschiedene Typen von Produktionsfunktionen f ii' , mit denen die explizite Spezifikation der zwischen In- und Outputs bestehenden funktionalen Zusammenhänge erfolgt. Ein Überblick über verschiedene Klassen von Produktionsfunktionen kann Abbildung 3-2 entnommen werden. Allgemeine Transformationsfunktion
Mehrvariablige Transformationsfunktionen
Einvariablige Transformationsfunktionen Allgemeiner Ansatz
LeontiefFunktion
Unabhängige Einflussgrößen
Interdependente Einflussgrößen
Allgemeiner Linearer Ansatz Ansatz
Allgemeiner CESAnsatz HeinenFunktion Gutenberg- Funktion Cobb-DouglasErtragsgesetzliche Funktion Funktion Funktion Techno-ökonomische Transformationsfunktionen
Thermodynamische Funktionen
EngineeringProductionFunctions
Abbildung 3-2: Überblick über wichtige Klassen von Produktionsfunktionen (Spengler 1994, Penkuhn 1997) Zu nennen sind hier beispielsweise die linear homogenen Leontief-Produktionsfunktion auf der Grundlage konstanter Produktionskoeffizienten cii‘ sowie die stärker technisch fundierten Gutenberg-Produktionsfunktionen, in denen zur Ableitung der In- und Output-Beziehungen prozessspezifische Parameter wie beispielsweise die technische Leistung eines Produktions-
44
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
aggregates in Form der Produktionsintensität U herangezogen werden cii ' ( U ) . Allerdings liegen diesen und auch vielen anderen Produktionsfunktionen häufig unrealistische Annahmen zu Grunde, so dass die Funktionen zumeist von geringer praktischer Relevanz sind (Spengler 1998). Anders gestaltet sich dies bei den sogenannten Engineering Production Functions (EPFs), die Input-Output-Beziehungen als analytische Transformationsfunktionen unter Heranziehung stofflicher (Viskosität, Materialhärte) und technischer Parameter (Temperatur, Druck) beschreiben. Die Grundlage bilden beispielsweise thermodynamische Zustandsgleichungen oder empirische Messreihen (Hilpert 1988, Spengler 1998). Allerdings ist die Ermittlung dieser Funktionen mit einem extrem hohen Aufwand verbunden, so dass die EPFs trotz ihrer empirischen Relevanz bisher nur in ausgewählten Arbeiten (z.B. Martel 1999) Anwendung finden. Neben Ansätzen, in denen die explizite Formulierung analytischer Zusammenhänge durch Transformationsfunktionen erfolgt, finden sich auch Ansätze, in denen die Mengenrelationen empirisch oder durch Simulation ermittelt werden. 3.1.1.2 Aktivitätsanalyse Insbesondere die auf (Koopmans 1951) und (Debreu 1959) zurückgehende und mit den betriebswirtschaftlichen Input-Output-Modellen eng verbundene Aktivitätsanalyse hat sich als allgemeiner Ansatz für die Analyse von Transformationsprozessen geeignet erwiesen. Als Grundlage der Modellierung sind hierbei empirisch ermittelte Aktivitäten in Form von Tabellen oder Matrizen ausreichend (abgeleitet z.B. aus Stücklisten, Arbeitsplänen, Rezepturen), die Auswahl bzw. Formulierung stetiger mathematische Produktionsfunktionen ist nicht notwendig (Fandel 1990). Eine Aktivität v j
(v1 j ,..., vij ,...,vmj ) IR m beinhaltet hierbei alle In- und Output-Stoffströme
v1 j ,..., vmj eines Produktionsprozesses j. Positive Aktivitätskoeffizienten v ij bezeichnen die im Rahmen einer Aktivität v j erzeugten Objektarten (d.h. sowohl Produkte als auch Emissionen und Abfälle), negative Aktivitätskoeffizienten v ij alle im Rahmen einer Aktivität v j benötig-
ten Objektarten bzw. Faktoreinsatzmengen (Spengler 1998). Die sogenannte Technik T v IR m v ist eine prinzipiell mögliche Aktivität ` IR m beinhaltet alle technisch möglichen Aktivitäten. Die Berücksichtigung aller extern gegebenen Restriktionen ergibt das sogenannten Restriktionsfeld R IR m . Aus der Schnittmenge der Technik T und des Restriktionsfeldes R lässt sich dann der sogenannte Produktionsraum Z T R ermitteln, der alle Produktionsaktivitäten enthält, die bei gleichzeitiger Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten und der externen Vorgaben ausführbar sind.
^
In den letzten Jahren erlangte vor allem die lineare Aktivitätsanalyse als Spezialfall der Aktivitätsanalyse Bedeutung (Dyckhoff 1994, Souren 1996, Spengler 1998, Oenning 1997, Steven
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
45
1994). Hierbei sind die Techniken endlich generierbar, d.h. als Kombination einer endlichen Zahl von Grundaktivitäten darstellbar (Dyckhoff/Spengler 2007).
T
° m ®v IR v °¯
J
¦x j 1
j
½° v j x j t 0 für j 1,..., J ¾ °¿
Gl. 3.2
Werden nun zusätzlich eine (oder mehrere) Zielfunktion(en) zu Grunde gelegt, kann aus dem Produktionsraum durch Verfahren der linearen bzw. gemischt-ganzzahligen Optimierung (oder der Vektoroptimierung) die beste Lösung (bzw. effiziente Lösungen) bestimmt werden. Insgesamt ist die Aktivitätsanalyse besonders für die Beschreibung fertigungstechnischer Zusammenhänge, wie z.B. von Montage- oder Demontageprozessen, geeignet. Transformationsprozesse in der stoffumwandelnden Industrie weisen jedoch häufig nichtlineare Verläufe auf. Im Falle nichtlinearer Zusammenhänge besteht eine Möglichkeit zur Abbildung des Produktionssystems in der linearen Approximation dieser Techniken, die hierfür notwendigen Aktivitäten können durch prozesstechnische Simulationsmodelle ermittelt werden. 3.1.1.3 Approximation einer Technik durch Prozesssimulation Die Abbildung verfahrenstechnischer Prozesse kann beispielsweise durch Prozesssimulationssysteme auf Basis der den Stoffumwandlungen zu Grunde liegenden chemischen und physikalischen Zusammenhänge erfolgen. Dabei werden mit Hilfe sogenannter FlowsheetingSysteme computergestützte Berechnungen gekoppelter Stoff- und Energiebilanzen für stationäre Zustände verfahrenstechnischer Anlagen angestellt (Futterer/Munsch 1990, Lohe et al. 1995, Penkuhn 1997, Sieverdingbeck et al. 1998). Aufbauend auf Fließbildern (Flowsheets) lassen sich hierbei die jeweiligen Prozesse auf Basis thermodynamischer, stöchiometrischer und reaktionskinetischer Zusammenhänge der zu Grunde liegenden Reaktionen mit den jeweiligen energetischen Ausbeuten und resultierenden Stoffströmen abbilden. Ein Softwaresystem zur stationären Simulation verfahrenstechnischer Prozesse stellt beispielsweise das Programm ASPEN PLUS dar (Aspen 2006). Die Software enthält hierbei eine Bibliothek mit verfahrenstechnischen Grundoperationen. Aufbauend darauf können sowohl einzelne Aggregate (Unit Operations) als auch Verschaltungen von Aggregaten abgebildet werden. Mit Hilfe von Flowsheeting-Systemen lassen sich bei aggregierter Betrachtung zum einen Verteilungsmodelle als Black-Box erstellen, wobei lediglich Verteilungsparameter bezüglich der Input-Output-Relationen vorzugeben sind. Eine disaggregiertere Betrachtung erfolgt im Rahmen der Abbildung von Stoffumwandlungen unter Spezifizierung der stöchiometrischen oder thermodynamischen Zusammenhänge, z.B. für verschiedene Reaktortypen (Schultmann 2003, Spengler 1998). Die Modelle lassen sich über die jeweiligen Stoff- und Energieströme oder über die Parameter der Unit Operations (z.B. Druck, Temperatur) steuern.
46
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Verfahrensfließbild: Synthesegas
Ammoniakreaktor
577,8 K
Gas
422 K 75,8 bar
PurgeAufber.
588 K
310 K 82,7 bar
644,5 K
433 K
310 K
Reinigung Ammoniak Dampf
Grundaktivitäten: Produktionsintensität: =770 =880 =990
708,4 6.714,4 770
=1.210
-1.117,6 -607.200 24,41
-1.257,3 -693.000 27,30
-1397 -792.000 30,07
-1.536,7 -895.400 32,82
Synthesegas [t/Tag] Energie [kWh/Tag] Brenngas [t/Tag]
809,6 8.060,8 880
910,8 9.721,8 990
1.012,0 11.638,0 1.100
1.125,3 13.673 1.210
Heißdampf[t/Tag] Kühlwasser [t/Tag] Ammoniak [t/Tag]
In- und Outputs:
-977,9 -523.600 vi= 21,45
=1.100
Approximierte Gutenberg-Produktionsfunktion:
T
6 ®v IR v ¯
¦ vU ` xU , mit ^
p 770,...,1210
¦ xU `d 365 und ^
p 770,...,1210
½ x U t 0¾ ¿
Abbildung 3-3: Synthesekreislauf des AMV-Verfahrens zur Ammoniaksynthese mit Grundaktivitäten und approximierter Gutenberg-Produktionsfunktion (Penkuhn 1997) In Abbildung 3-3 ist exemplarisch ein Flowsheeting-Modell des Ammoniaksynthesekreislaufs dargestellt (Penkuhn 1997). Auf Grundlage dieses Modells kann nun durch geeignete Einstellung von Prozessparametern wie Temperatur, Synthesedruck etc. die Produktionsintensität U variiert werden. Hierbei bestehen sowohl nichtlineare Abhängigkeiten der Produktionsintensität von den Prozessparametern als auch substitutionale Beziehungen zwischen den Parametern. Unter Einsatz der fließbildbasierten Prozesssimulation lassen sich nun technisch mögliche Kombinationen der Stellgrößen mit den jeweils resultierenden Stoff- und Energieströmen ermitteln. Auf dieser Basis kann die unter technischen und ökonomischen Gesichtspunkten beste Kombination gewählt werden (vgl. Spengler 1998, Penkuhn 1997). Im dargestellten Fallbeispiel kann beispielsweise für fünf Intensitätsstufen die jeweils optimierte Input-OutputKombination normiert auf eine Tonne Ammoniak (vgl. Spengler 1998) berechnet werden
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
47
bzw. es lassen sich die in Abbildung 3-3 dargestellten Grundaktivitäten für die Betriebszeit von einem Tag ableiten. Diese Aktivitäten bilden die Grundlage zur Approximation der nichtlinearen Technik durch die ebenfalls in Abbildung 3-3 gegebene Gutenberg-Produktionsfunktion (Dyckhoff/Spengler 2007).
3.1.2 Ansätze zur dynamischen Modellierung Statische Ansätze zur Modellierung von Produktionssystemen setzen entweder konstante Stoffströme aller In- und Outputs innerhalb eines Planungshorizontes oder die Integration der Stoffströme über den gesamten Planungshorizont voraus (Dyckhoff/Spengler 2007). In vernetzten Produktionssystemen sind jedoch darüber hinaus zeitliche Interdependenzen zwischen den Planungsperioden zu berücksichtigen. Notwendig sind daher Ansätze zur dynamischen, zeitablaufbezogenen Modellierung der in Produktionssystemen auftretenden Input-, Throughput- und Outputgrößen (Dyckhoff/Spengler 2007). In Abhängigkeit der Skalierung der Planungsperioden können hierbei stetige oder diskrete dynamische Modelle Anwendung finden (Dyckhoff/Spengler 2007). 3.1.2.1 Dynamisches Grundmodell Im Rahmen der zeitdiskreten dynamischen Modellierung erfolgt die Erweiterung aller zeitabhängigen Größen um einen Zeitindex, der nun zusätzlich zum Index der Objektart geführt wird. Die Verknüpfung der zeitabhängigen Größen zwischen den Teilperioden erfolgt mittels Übergangsbeziehungen (Dyckhoff/Spengler 2007). Somit ergibt sich aus der Mengenbilanz einer Periode der Systembestand st zum Zeitpunkt t aus dem Systembestand der Vorperiode stzuzüglich des in der Periode erzeugten Prozessoutputs ut sowie der in der jeweiligen Periode beschafften Mengen xt abzüglich des in der jeweiligen Periode verbrauchten Prozessinputs vt-1 sowie der abgesetzten Mengen yt einer Objektart (vgl. auch Dyckhoff/Spengler 2007).
1
s i ,t
si ,t 1 u i ,t vi ,t 1 xi ,t yi ,t
i 1,..., m; t 1,..., t max
Gl. 3.3
Mit der Einführung infinitesimaler Zeitschritte bzw. Periodenlängen resultiert der Übergang von der zeitdiskreten zur kontinuierlichen Modellierung, die Veränderung der Systembestände wird nun durch Differenzialgleichungen beschrieben. Dabei stellen der Prozessoutput ui(t) bzw. -input vi(t) sowie die beschafften xi(t) und abgesetzten yi(t) Mengen Stromgrößen in Form von Mengeneinheiten pro Zeiteinheit dar (Dyckhoff/Spengler 2007).
si (t )
dsi (t ) dt
ui (t ) vi (t ) xi (t ) yi (t )
i
1,..., m
Gl. 3.4
Nach einer Integration über den gesamten Planungszeitraum [0,tmax] ergibt sich der Systemzustand am Ende des Planungszeitraumes. t max
si (t max ) si (0)
³ u (t) v (t) x (t) y (t) dt i
0
i
i
i
Gl. 3.5
48
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Für vernetzte Produktionssysteme lassen sich bei Vorliegen linearer Techniken und zeitinvarianter Koeffizienten die Bestandsänderungen der entscheidungsrelevanten Input- und OutputObjektarten mittels linearer Differenzialgleichungssysteme beschreiben und durch Integrationsverfahren lösen. Ein stark vereinfachtes Beispiel der kontinuierlichen Produktion von Rohstahl in einem integrierten Hüttenwerk kann (Spengler 1998) entnommen werden. Liegen komplexere Zusammenhänge vor, wie z.B. Verzögerungen oder andere nichtlineare Beziehungen oder zeitvariante Koeffizienten, können die Differenzialgleichungssysteme nur noch mittels numerischer Verfahren gelöst werden (vgl. hierzu Kapitel 4). 3.1.2.2 Dynamische Input-Output-Grafen und Petri-Netze Neben der Abbildung der Zeitdimension durch ein festes Zeitraster bzw. in kontinuierlicher Form besteht die Möglichkeit, Zeitdauern modellendogen aus den Aktivitätsdauern einzelner Transformationsprozesse zu ermitteln. Durch eine solche Erweiterung ist die Dynamisierung von Input-Output-Grafen möglich (Dyckhoff/Spengler 2007). Hierbei haben sich insbesondere für gleichzeitig ablaufende (nebenläufige) Prozesse die eng mit den dynamischen InputOutput-Grafen verwandten Petri-Netze bzw. Stellen-Transitions-Systeme (S/T-Systeme) als geeignet erwiesen. Wie in Abbildung 3-4 dargestellt, bestehen Stellen-Transitions-Systeme aus zwei Typen von Knoten. Produktionsprozesse werden hierbei als Transitionen t ( t T ) und Bestände als Stellen s ( s S ) modelliert. Stellen und Transitionen sind durch gerichtete und bewertete Kanten miteinander verbunden, wobei die Kantengewichte w(s,t) bzw. w(t,s) den Input-OutputKoeffizienten der jeweiligen Produktionsprozesse entsprechen. Hierbei gilt, dass Kanten immer nur zwischen zwei verschiedenen Knotentypen (Stelle mit Transition, Transition mit Stelle) gezogen werden, es können somit keine Kanten zwischen Knoten desselben Typs bestehen. In der Regel bestehen Kapazitätsbeschränkungen der Stellen Cap(s). Die Stoffströme des Produktionssystems werden durch sogenannte Marken M beschrieben. Hierbei werden zunächst alle im Ausgangszustand, d.h. zum Zeitpunkt W 0 , in den Stellen vorhandenen Stoffbestände in Form der sogenannten Anfangsmarkierung M0 abgebildet. Das dynamische Verhalten wird nun durch Schalten der Transitionen simuliert. Hierbei erfolgt jeweils der Übergang von der Markierung M in die Markierung M‘ durch Entnahme von w(s,t) Marken der direkten Vorgängerstellen einer Transition und Ablage von w(t,s) Marken in die direkten Nachfolgerstellen dieser Transition (vgl. Abbildung 3-4).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Anfangsmarkierung: s1
s2 t1
w(s1,t1) =1
s2
Einmaliges Schalten von t1: t1
s1
w(t1,s2) =2 w(t1,s3) =3
49
w(s1,t1) =1
s3
w(t1,s2) =2 w(t1,s3) =3
s3
Abbildung 3-4: Elementtypen eines Petri-Netzes Auch für die Modellierung der Petri-Netze kann auf Standardsoftware zurückgegriffen werden, im Rahmen der Stoffstrommodellierung und Ökobilanzierung wurde hier beispielsweise die Software Umberto entwickelt (ifu 2008, ifu & ifeu 2005). Hierbei visualisiert die Programmoberfläche eine netzartige Struktur, mit deren Hilfe sich Material- und Energieflüsse und deren Umwandlungen nachvollziehen lassen. Wie in Abbildung 3-5 dargestellt, wird das System mit den allgemeinen Elementtypen der Petri-Netze durch Transitionen und Stellen modelliert, die durch Kanten verbunden sind. Bei den Stellen wird eine Unterscheidung eingeführt in Abhängigkeit davon, ob Materialien in das System eingehen (Input-Stelle), es verlassen (Output-Stelle), zwischengelagert (Lager-Stelle) oder weitergeleitet werden (Connection-Stelle). Bei der Abbildung der Transitionen kann durch sogenannte Sub-Netze die Aufschlüsselung eines Prozesses in Teilprozesse und somit eine Verfeinerung von Netzstrukturen vorgenommen werden. Diese Teilprozesse werden der Transition auf einer untergeordneten Hierarchieebene als Stoffstromnetz (Sub-Netz) hinterlegt. In Umberto werden Stoffe und Energie nach einem gemeinsamen Konzept als Material mit den Basiseinheiten kg bzw. KJ behandelt. P1:Input-Stelle z. B. Rohst offe
P2: Input-Stelle z. B. Energi e
T1: P6: Transition Connection-Stell e z.B. Ferti gung des Produktes
P4: Output-Stelle z. B. Abfäl le
P3: Output-Stel le z.B. Em issionen
T2: Transition z.B. betri ebsint erner Transport
P2: Input-Stelle z.B. Energie
P7: Lager z .B. Lagerung des Produkte bi s zum Wei tertransport
P3: Output-Stelle z.B. Emissio nen
Abbildung 3-5: Elementtypen im Stoffstromanalyseprogramm Umberto (ifu & ifeu 2005, ifu 2008) Über die reine Modellierung hinaus bietet Umberto weitere Funktionalitäten zur Unterstützung der Stoffstrommodellierung sowie der betriebswirtschaftlichen und umweltorientierten Bewertung an (vgl. auch Kapitel 3.2). So sind sogenannte Bibliotheksmodule als vorgefertigte Module wichtiger und in gleicher oder ähnlicher Form häufig verwendeter Prozesse (Trans-
50
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
port, Energiebereitstellung) auf der Basis gemittelter, generischer Daten verfügbar. Vorgefertigte Kennzahlensysteme werten Sachbilanzdaten nach verschiedenen Kriterien aus. Beispielsweise sind die gebräuchlichen Bewertungsverfahren für Ökobilanzen (z.B. UBAVerfahren, KEA; vgl. Kapitel 3.2) implementiert, weitere Kennzahlensysteme können individuell erstellt werden (ifu 2008, ifu & ifeu 2005).
3.2 Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Mit Hilfe der dargestellten Modellierungsmethoden lassen sich die Stoff- und Energieströme vernetzter Produktionssysteme ermitteln. Diese Stoff- und Energieströme sind dann geeignet in das Planungskalkül der jeweiligen Entscheidungsträger zu integrierten. Hierfür werden im Folgenden die Zielsetzungen und Bewertungskriterien nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke behandelt. Dabei werden zunächst die Entscheidungsträger nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke mit ihren jeweiligen Zielsetzungen beleuchtet, bevor auf Zielhierarchien und Bewertungsmöglichkeiten eingegangen wird.
3.2.1 Ziele und Zielhierarchien Planungsentscheidungen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken werden zum einen durch privatwirtschaftliche Unternehmen wie Zulieferer, Hersteller, Redistributions-, Demontage- oder Recyclingunternehmen getroffen, die zunächst ökonomische Zielsetzungen verfolgen. Als Oberziel unternehmerischen Handelns wird häufig von der Zielsetzung der Gewinnmaximierung bzw. der Maximierung des Unternehmenswertes im Sinne des ShareholderValue ausgegangen (Rappaport, 1986). Hieran wird jedoch kritisiert, dass die alleinige Fokussierung auf den Finanzbereich des Unternehmens zu einer Vernachlässigung anderer Unternehmensbereiche führt. Von den Kritikern wird das Gewinnziel als gleichrangiges Ziel neben Zielen wie Qualität, Kundenzufriedenheit oder Umsatz verstanden (Meffert/Kirchgeorg 1989, Fritz 1995, 1996). Erweiterungen des Shareholder-Value Ansatzes streben daher eine Berücksichtigung weiterer Ziele an. So nimmt die Balanced Scorecard (BSC) neben der Finanzperspektive explizit die Kunden, Prozess- und Potenzialperspektive in die Betrachtung auf (Kaplan/Norton 1992). Dies ermöglicht neben der Berücksichtigung der Shareholderinteressen auch die Berücksichtigung der Interessen weiterer Anspruchsgruppen, wie z.B. von Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Darüber hinaus sind vor dem Hintergrund steigender gesellschaftlicher Ansprüche auch Unternehmen im Sinne eines „Green Image“ zunehmend an ökologischen und sozialen Zielsetzungen interessiert (Rogers/Tibben-Lemke 1999). In empirischen Studien finden sich beispielsweise neben den o.g. Zielen weitere Zielsetzungen wie „Soziale Verantwortung“, „Ansehen in der Öffentlichkeit“ oder „Umweltfreundlichkeit/Schonung natürlicher Ressourcen“ bzw. „Umweltschutz“ (Fritz 1986, Meffert/Kirchgeorg 1992, Fritz 1995). Auch Kunden fordern zunehmend Informationen über die Umweltverträglichkeit von Produkten, aktuell ge-
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
51
winnt das Thema Klimawandel für die Verbraucher an Relevanz (Sempora 2008). Entsprechend ist die gesellschaftliche Akzeptanz zukünftig auch im Rahmen der Produktentwicklung entscheidungsrelevant (Ahn 1998). Zudem finden ökologische Risiken zunehmend Einzug in die externe Unternehmensbewertung, beispielsweise in Form der Bewertung des CO2-Risikos von Unternehmen und Supply Chains (Enhanced Analytics Initiative 2007) sowie des Vergleichs von Unternehmen anhand von Indikatoren wie dem Sustainable Value (Figge/Hahn 2004) oder der kumulierten Emissionsintensität (Schmidt/Schwegler 2008, Walther et al. 2009). Als Antwort auf derartige externe Bewertungen müssen Unternehmen Strategien und Minderungsmaßnahmen zur Verbesserung ihrer Performance entwickeln (Walther et al. 2009b). Als Managementsysteme finden hierfür im Sinne eines wertorientierten Nachhaltigkeitsmanagements Weiterentwicklungen wie die Sustainability Balanced Scorecard (Figge et al., 2002) Einsatz. Insgesamt wird deutlich, dass neben den genannten ökonomischen Zielen auch von privatwirtschaftlichen Entscheidungsträgern zunehmend ökologische und soziale Zielsetzungen zu berücksichtigen sind. Politische Entscheidungsträger greifen durch die Vorgabe rechtlicher Rahmenbedingungen in Wirtschaftssysteme ein, um die Akteure in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens zu beeinflussen. Sie verfolgen daher neben ökonomischen Zielsetzungen immer explizit auch ökologische und soziale Zielsetzungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Beispielsweise sind in der Präambel der EU-Verträge ökonomische, ökologische und soziale Zielsetzungen gleichberechtigt nebeneinander aufgeführt (EGV 2002; EGV, Art. 2; vgl. hierzu auch Kapitel 2). Die simultane Verfolgung dieser Zielsetzungen in dynamisch komplexen Systemen führt zu komplexen Entscheidungsproblemen mit teilweise gegenläufigen oder sogar nicht-intendierten Wirkungen (vgl. Kapitel 4). Die obigen Ausführungen zeigen, dass im Rahmen der Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke in Abhängigkeit vom Entscheidungsträger und der jeweiligen Entscheidungssituation vielfältige Zielsetzungen relevant sind. Diese sind jeweils in geeigneter Weise in das Entscheidungskalkül und die Zielhierarchie der Akteure einzubeziehen, wofür verschiedene Möglichkeiten bestehen (Letmathe 1998): x
Hauptziel: Lässt sich ein Hauptziel bestimmen, kann die Entscheidungssituation als Einziel-Problem modelliert werden. In einem solchen Fall verfolgt der Entscheidungsträger beispielsweise ausschließlich ökonomische Zielgrößen, während ökologische und soziale Ziele als Mindestanspruchsniveaus in Form von Nebenbedingungen des Entscheidungsproblems berücksichtigt werden.
x
Unterziele: Ökologische und soziale Ziele stellen Unterziele dar, wenn sie zur Erreichung von Oberzielen beitragen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Umweltschutzmaßnahmen zu einem verbesserten Image, dadurch zu einem steigenden Absatz
52
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung und somit Umsatz führen. In der Regel können derartige Synergieeffekte allerdings nicht vorausgesetzt werden, da die Zielsetzungen häufig gegensätzlich sind. x
Nebenziele: Stehen ökologische, soziale und ökonomische Ziele in direkter Konkurrenzbeziehung zueinander, ohne dass eine klare Zielhierarchie festgelegt werden kann, ist eine Abstimmung erforderlich. Hierfür können die Methoden der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung Einsatz finden.
Im Folgenden sollen daher zunächst – für den Fall dass ein Hauptziel ausgewiesen werden kann – Ansätze zur ökonomischen Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke vorgestellt werden. Hierbei wird auf Ansätze zur Umweltkostenrechnung fokussiert und insbesondere der Ansatz der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung erläutert. Im Anschluss daran werden – für den Fall der simultanen Berücksichtigung mehrerer Zielsetzungen in Form von Nebenzielen – Ansätze zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung bei simultaner Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Zielsetzungen vorgestellt.
3.2.2 Ökonomische Bewertung Die Bewertung von Maßnahmen zur Umsetzung eines nachhaltigen Wirtschaftens dient unternehmensintern zur Planung, Überwachung, Steuerung und Dokumentation, hierdurch können Einsparpotenziale von Umweltschutzprojekten ermittelt und eine Unterstützung bei der Produktentwicklung sowie der Investitionsplanung geleistet werden (BMU/UBA 1996, BMU/ UBA 2001, VDI 2001, Stewing/Walther 2006). Unternehmensextern dient eine derartige Bewertung der Kommunikation mit Stakeholdern und stellt die Grundlage für die Erfüllung von Kommunikationsverpflichtungen beispielsweise nach Umweltstatistikgesetz (UStatG 2005) dar. Eine Erweiterung bestehender Kostenrechnungssysteme um sogenannte Umweltkosten erfolgte im Rahmen der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskussion z. B. durch Einführung neuer Kostenarten (Kloock 1992, Fleischmann/Paudtke 1977). Allerdings wird der Begriff der Umweltkosten in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Häufig wird eine Unterscheidung in die Kosten der Umweltwirkungen sowie die Kosten des Umweltschutzes vorgenommen (vgl. BMU/UBA 1996, Letmathe 1998). Kosten der Umweltwirkungen fallen für die Vorsorge und Verminderung bzw. Behebung der Auswirkungen von Umweltbelastungen an. Häufig stellen derartige Kosten der Umweltwirkungen externe Kosten dar. Diese können keinem Verursacher zugeordnet werden und sind daher gesamtwirtschaftlich zu tragen. Ein Beispiel hierfür sind Maßnahmen zur Adaptation an die Auswirkungen des Klimawandels (Stern 2006). Im Rahmen der Erfassung externer Kosten von Umweltwirkungen gestaltet sich zum einen die Zuordnung von Ursache (bzw. Verursacher) zur jeweiligen Umweltwirkung und zum anderen die Monetarisierung der durch diese Umweltwirkungen verursachten Schäden schwierig. Die Erfassung externer Kos-
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
53
ten wird daher bisher nur selten verfolgt, als erste Unternehmen haben Ontario Hydro, BASF und Neumarker Lambsbräu derartige Ansätze eingesetzt (UBA 2007a, Loew et al. 2003, Maibach et al. 2007; vgl. hierzu auch Letmathe/Wagner 2002). Teilweise wird eine Internalisierung der Kosten der Umweltwirkungen durchgeführt. Hierbei kann die Zuordnung der Kosten verursachungsgerecht (Haftung, Kompensation) oder nicht verursachungsgerecht (Steuern, Abgaben) auf die eine Wirkung verursachenden Akteure erfolgen (Schreiner 1992). Kosten des Umweltschutzes stellen den bewerteten, sachzielorientierten Güterverzehr für den betrieblichen Umweltschutz, d.h. für Maßnahmen zur Vermeidung, Verringerung, Beseitigung und Verwertung unternehmensinduzierter Umweltbelastungen sowie für Absicherungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen dar (Keilus 1993, Roth 1992). 3.2.2.1 Verfahren der Umweltkostenrechnung Insgesamt berücksichtigen die meisten Ansätze der Umweltkostenrechnung die Kosten des Umweltschutzes sowie die internalisierten Kosten der Umweltwirkungen. Hierbei kann in folgende Ansätze unterschieden werden (Loew et al. 2003, Spengler 1998): x Ansätze zur Umweltschutzkostenrechnung (BMU/UBA 1996, VDI 2001, EAJ 2000) zielen auf eine systematische Abgrenzung und Berechnung der Umweltschutzkosten mit dem Ziel der externen Kommunikation ab, fokussieren aber zumeist auf additive, nachgeschaltete Maßnahmen. x Im Rahmen der umweltbezogenen Sonderrechnung erfolgt die Unterstützung einmaliger Projekt- und Investitionsentscheidungen für Produkte, Produktionsprozesse und Umweltschutzmaßnahmen unter expliziter Berücksichtigung von Umweltaspekten (Letmathe 1998, VDI 2001, Spengler et al. 1998, Schultmann 2003). x Material- und energieflussorientierte Ansätze zielen auf die Identifikation von ÖkoEffizienzpotenzialen sowie die Erhöhung der Transparenz in der Kostenrechnung durch explizite Ausweisung der durch Material- und Energieflüsse verursachten Kosten ab (Fichter et al. 1997, Fischer/Blasius 1995, USEPA 2000). Allerdings erfolgt hier zumeist eine Verrechnung aller entscheidungsrelevanten Kosten auf die Stoffströme. Während Kosten des Umweltschutzes für additive, nachgeschaltete Maßnahmen problemlos ausgewiesen werden können, bestehen im Fall produktions- und produktintegrierter Maßnahmen Abgrenzungsprobleme (Schreiner 1992, Rentz 1979, Kloock 1993, Spengler 1998). Hilfestellungen durch Vorschläge zur Abgrenzung und konkreten Ermittlung der mit diesen Maßnahmen verbundenen Kosten leistet hier die Neufassung der VDI-Richtlinie 3800 zur Ermittlung der Aufwendungen für Maßnahmen zum betrieblichen Umweltschutz (VDI 2001). Die VDI 3800 zielt auf den Einsatz für interne Zwecke, für Anlagen-, Betriebs- und Unternehmensvergleiche, für die Entscheidungsfindung in der Projektierungsphase, aber auch für externe Zwecke ab und ist als Grundlage für den Ausweis von Investitionen und Kosten für
54
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
betriebliche Umweltschutzmaßnahmen gemäß Umweltstatistikgesetz (UStatG 2005) anerkannt. Eine Klassifizierung der durch die VDI 3800 berücksichtigten Maßnahmen kann Abbildung 3-6 entnommen werden.12 Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes, für die • Investitionen vorgenommen werden • Laufende Aufwendungen entstehen 3.1 Produktionsbezogene Maßnahmen
End-of-pipe-bezogene Maßnahmen
3.2 Produktbezogene Maßnahmen
Integrierte Maßnahmen
Anlagenintegrierte Maßnahmen
Nur bei Vorliegen von: • Gesetzlichen Verpflichtungen • Branchen-Selbstverpflichtungen
3.3 Sonstige Maßnahmen Umweltmanagement Altlastensanierung Handel mit Emissionsrechten und anderen Instrumenten des Kyoto-Protokolls
Prozessintegrierte Maßnahmen
Abbildung 3-6: Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes nach VDI 3800 (VDI 2001) Im Rahmen der stoff-, energie- und reststoffbasierten Ansätze besteht die Problematik in der Verrechnung aller Kosten auf die Stoffströme. Im Falle von Kuppelproduktionsprozessen, d.h. wenn verschiedene Produkte starr oder flexibel an die Ausbringung eines jeweils anderen Produktes gekoppelt sind (vgl. hierzu Riebel 1971, Riebel 1996), ist eine derartige verursachungsgerechte Verrechnung der Kosten prinzipiell nicht möglich, da nicht ermittelt werden kann, welcher Anteil der Prozess- und Inputkosten auf die einzelnen Kuppelprodukte entfällt. Lediglich die Gesamtkosten eines Prozesses können bestimmt werden. Diese Problematik wird durch die stoffflussbasierte, entscheidungsorientierte Umweltkostenrechnung nach (Spengler 1998) umgangen. Diese auf dem Ansatz von (Rentz 1979) zur Bewertung von Emissionsminderungsmaßnahmen basierende Methode verzichtet auf die explizite Verrechnung aller Kosten auf einzelne Stoffströme. Stattdessen erfolgt eine Differenzierung in Stoffflusskosten sowie Prozesskosten der jeweiligen Produktions- oder Entsorgungsaktivitäten. Entscheidungsrelevant sind alle durch alternative Stoffkreislaufführungen beeinflussbaren Kostenarten eines Produktionssystems. Durch Kopplung mit Stoffstrommodellen kann die Methode nicht nur ex-post zur Erfassung und Verrechnung der entscheidungsrelevanten Umweltschutzkosten, sondern auch ex-ante zur Bewertung alternativer Stoffstromkonzepte oder zum Vergleich von Investitionsalternativen Einsatz finden. Anwendung fand die 12
Auch international werden Ansätze entwickelt, die jedoch häufig eine produktspezifische Berechnung vornehmen (EAJ 2000, Kokubu/Kurasaka 2004, USEPA 2000, USEPA 1995)
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
55
Methode bereits im Rahmen der Bewertung strategischer Kreislaufwirtschaftskonzepte in der Metallindustrie (Spengler 1998, Sieverdingbeck 2001, Hähre 2000). 3.2.2.2 Ansatz der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung In Anlehnung an (Spengler 1998) und (VDI 2001) wird im Folgenden die ökonomische Bewertung von Investitions- und Strukturentscheidungen in Form einer stoffflussbasierten, entscheidungsorientierten Umweltkostenrechnung als strategische Sonderrechnung vorgestellt. Hierbei erfolgt eine Erweiterung dahingehend, dass eine Betrachtung mehrerer Unternehmen im Sinne von Wertschöpfungsnetzwerken ermöglicht wird (vgl. auch Spengler/Walther 2005a). Die Zielsetzung kann hierbei beispielsweise in dem Vergleich verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten (Anzahl/Standorte der Netzwerkakteure, Art der Technologien) liegen. Im Folgenden wird dabei zunächst von einem zentralen Entscheidungsträger ausgegangen, der über vollständige Information über die Aktivitäten, Stoffströme und Kosten des Gesamtnetzwerkes verfügt. Eine Erweiterung dahingehend, dass private Informationen im Netzwerk vorliegen, erfolgt in Kapitel 9 dieser Arbeit. Die im Folgenden allgemein vorgestellten Bewertungsansätze werden am Ende dieses Kapitels in Unterkapitel 3.4 konkret auf das Fallbeispiel eines Recyclingnetzwerkes angewandt. Werden die folgenden Bezeichnungen eingeführt:
K
Jährliche entscheidungsrelevante Umweltkosten (K>0) der Netzwerkalternative [€/a]
K Invest
Investitionsabhängige Kosten (KInvest>0) [€/a]
K Prozess
Prozesskosten (KProzess>0) [€/a]
K Stofffluss
Positiver (KStofffluss<0) bzw. negativer (KStofffluss>0) Saldo der Stoffflusserlöse und der -kosten [€/a]
K Sonst
Sonstige entscheidungsrelevante Gemeinkosten (KSonst>0) [€/a]
so ergibt sich der jährliche Gewinn bzw. Verlust einer zu bewertenden Netzwerkalternative als Summe der investitionsabhängigen Kosten ( K Invest ), der Stoffflusskosten ( K Stofffluss ), der Prozesskosten ( K Prozess ) sowie der sonstigen entscheidungsrelevanten Gemeinkosten ( K Sonst ) gemäß13: K
K Invest K Stofffluss K Prozess K Sonst
Gl. 3.6
Hierbei sind die aus der Investition abgeleiteten Kosten sowie die sonstigen entscheidungsrelevanten Gemeinkosten ( K Invest , K Sonst ) zumeist abhängig von der strategischen Gestaltung 13
Im Rahmen dynamischer Planungsprobleme, z.B. bei Fragestellungen bezüglich des Aufbaus von Kapazitäten über die Zeit, lässt sich das vorgestellte Bewertungskonzept auch als zahlungsbasierter Ansatz gestalten (vgl. hierzu Kapitel 6).
56
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
der Systemalternativen bzw. des Wertschöpfungsnetzwerks, beispielsweise von der Wahl der Netzwerkstandorte und -partner, der innerbetrieblichen Ausstattungen und der Kapazitäten. Diese Kostenarten lassen sich bei bestehenden Referenzunternehmen ex-ante erheben und ggf. unter Berücksichtigung von Größendegressionseffekten auf zukünftige Alternativen und Kapazitäten übertragen. Sowohl der Saldo der Stoffflusserlöse und -kosten als auch die Prozesskosten ( K Stofffluss , K Prozess ) sind in der Regel durch die tatsächlich ausgeführten Aktivitäten der Netzwerkunternehmen determiniert und daher variabel. Während für ex-post Bewertungen Informationen in Form empirischer Daten zur Verfügung stehen, sind die resultierenden variablen Kosten und Erlöse wie in Abbildung 3-7 dargestellt bei einer ex-ante Abschätzung durch verursachungsgerechte Zuordnung von Kostenarten auf einzelne Prozesse auf Basis eines Stoffstrommodells zu ermitteln (Spengler et al. 1998).
Bewertung von Netzwerkalternativen Sonstige entscheidungsInvestitionsabhängige Kosten + relevante Gemeinkosten + Übertragbarkeit von Daten von Referenzunternehmen unter Zugrundelegung von Größendegressionseffekten
Saldo der Stoffflusserlöse und -kosten +
Prozesskosten
verursachungsgerechte Ermittlung der variablen Stofffluss- und Prozesskosten basierend auf Stoffstrommodellen
Abbildung 3-7: Struktur des Bewertungsansatzes (Walther 2005) Unter Anwendung des Lücke-Theorems kann für langfristige Betrachtungen auch bei kostenbasierten Ansätzen die Bewertung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit von Entscheidungsalternativen durch eine Diskontierung auf den Zeitpunkt t=0 erfolgen. Hierbei besagt das Lücke-Theorem, dass eine Kapitalwertberechnung auf Basis von Ein- und Auszahlungen das gleiche Ergebnis liefert wie auf Basis von Kosten und Erlösen, wenn die Differenz der Einund Auszahlungen aller Perioden gleich der Differenz der Erlöse und Kosten aller Perioden ist und der Periodengewinn jeweils um die kalkulatorischen Zinsen auf das gebundene Kapital der vorhergehenden Periode verringert wird (Lücke 1955). Natürlich kann an Stelle der vorgestellten kostenbasierten Bewertung auch eine zahlungsbasierte Bewertung der Entscheidungsalternativen auf Basis von Aus- und Einzahlungen erfolgen. Die investitionsabhängigen Kosten ( K Invest ) von Netzwerkalternativen werden durch die von den Netzwerkunternehmen u (u=1,..,U) zu tätigenden Einzelinvestitionen k (k=1,..,) bestimmt. Hierbei werden unter einer Investition im Allgemeinen die kumulierten Ausgaben bis zur Inbetriebnahme eines Standortes/einer Anlage verstanden. Dabei können mit steigender Kapazität der zu errichtenden Anlagen Größendegressionseffekte und somit sinkende spezifische Investitionen auftreten. Liegen Größendegressionseffekte vor, kann die gesuchte Investition I uk im einfachsten Fall über die bekannten Größen der zu errichtenden Kapazität
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
57
( Kap uk ),
einer bekannten Basisinvestition ( I 0 k ) mit zugehöriger Basiskapazität ( Kap 0 k ) sowie einem anlagenspezifischen Größendegressionskoeffizienten ( nk ) berechnet werden.
I uk
§ Kapuk · ¸¸ I0 k ¨¨ © Kap0 k ¹
nk
Gl. 3.7
Durch Multiplikation jeder dieser entscheidungsrelevanten Investitionen ( Iuk ) mit dem zugehörigen Annuitätenfaktor ( buk ) können die jährlichen Kapitalkosten modular für jeweils spezifische Abschreibungsdauern ( Tuk ) und Zinssätze ( auk ) bestimmt werden. Eine Erweiterung des Annuitätenfaktors ist möglich, um weitere investitionsproportionale Kostenarten wie Instandhaltung ( bukI ), Realsteuern ( bukS ), Versicherungen sowie kalkulatorische Wagnisse ( bukW ) in die Berechnung der investitionsabhängigen Kosten einzubeziehen. buk
( 1 auk )Tuk auk bukI bukS bukW ... ( 1 auk )Tuk 1
Gl. 3.8
Die Summe über alle Investitionen k und alle Unternehmen u ergibt schließlich die investitionsabhängigen Kosten einer zu bewertenden Netzwerkalternative pro Jahr. U
K Invest
N
¦¦ I
uk
buk
Gl. 3.9
u 1 k 1
In der Praxis werden zur Schätzung der Gesamtinvestition zumeist Zuschlagsfaktormethoden eingesetzt. Dabei erfolgt die detaillierte Einzelermittlung eines Teils der Investitionspositionen sowie die Abschätzung der weiteren direkten und indirekten Kapitalbedarfspositionen über die Multiplikation mit mehr oder weniger differenzierten Zuschlagsfaktoren. Hierbei werden beispielsweise nach dem Modul-Vorkalkulationsverfahren für Stoffumwandlungsprozesse (Guthrie 1969) für sechs Module (chemische Prozessapparatur für fluide Medien, Feststoffbearbeitungsanlagen, Grundstückserschließung, industrielle Baulichkeiten, Hilfsbetriebe und Nebenanlagen, indirekte Projektierungskosten) Schlüsselkosten ermittelt, die mit modulspezifischen Kostenfaktoren (Brutto-Modulfaktor) multipliziert werden, um die Gesamtkosten einschließlich aller Zuschläge dieses Moduls zu ermitteln (Brutto-Modulkosten). Werden Zuschläge für Unvorhergesehenes und Unternehmergewinne abgezogen, verbleiben die reinen Selbstkosten der Anlage als Gesamtkosten ohne Zuschläge (Netto-Modulkosten). Die Summe aller Modulkosten ergibt die Gesamtinvestition ’inside and outside battery limits’ der Anlage. Diese Vorgehensweise resultiert darin, dass lediglich ein Teil der Investitionspositionen detailliert kalkuliert vorliegen muss, während die restlichen Bedarfspositionen über empirisch gewonnene Zuschlagssätze geschätzt werden können. Eine detaillierte Kalkulation erfolgt hierbei v.a. für Apparate und Maschinen. Diese Vorgehensweise beruht auf der empirisch gewonnenen Erfahrung, dass die Anschaffungsinvestitionen für Anlagen und Maschinen im Allgemeinen in einem proportionalen Verhältnis zur Gesamtinvestition stehen.
58
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Zugrundelegung von Zeitindizes (Kölbel/Schulze 1960) zur Betrachtung der Wertänderung einer Investition im Zeitverlauf. Hierbei wird die Höhe einer in der Vergangenheit getätigten Investition als Basis für aktuelle bzw. zukünftige Investitionsschätzungen genommen, dabei erfolgt eine Anpassung bspw. an veränderte Materialkosten über regelmäßig aktualisierte branchenspezifische Zeitindizes. In der Chemieindustrie erfolgt die Veröffentlichung dieser Indizes beispielsweise vierteljährlich in der Zeitschrift Chemie Technik. Zu den sonstigen entscheidungsrelevanten Gemeinkosten l (l=1,…,L) gehören alle Kostenarten, die sich als entscheidungsrelevant für die Bewertung der Alternativen der Unternehmensnetzwerke erweisen, die jedoch nicht verursachungsgerecht als Einzelkosten auf Stoffströme oder Transformations- und Transportprozesse verrechnet werden. Beispielhaft sind hier Kosten für die Verwaltung, für den Einsatz von Software sowie sonstige Kosten für die Geschäftsführung zu nennen. Diese können aus den bekannten Kosten eines Referenzunternehmens (K0l) mit einer bestimmten Basiskapazität ( Kap 0 ) abgeleitet werden, wobei auch hier kostenartenspezifische Größendegressionseffekte ( nl ) angesetzt werden. U
K Sonst
L
¦¦ K u 1 l 1
0l
§ Kapu ¨¨ © Kap0
· ¸¸ ¹
nl
Gl. 3.10
Die Stoffflusskosten umfassen inputseitig alle Beschaffungskosten und outputseitig alle Verkaufserlöse und Entsorgungskosten und somit alle internalisierten Kostenarten, die durch Stoffströme verursacht werden, welche die Systemgrenze (Netzwerkgrenze) überschreiten. Erlöse werden hierbei inputseitig in der Regel durch den Einsatz von Abfallstoffen (bzw. den Verbrauch von Übeln; vgl. hierzu Dyckhoff 2003, Dyckhoff/Spengler 2007) und outputseitig durch die Erzeugung von Gütern erzielt. Kosten resultieren im Allgemeinen aus der Erzeugung von Abfällen (bzw. Übeln) bzw. dem Einsatz von Gütern. Die Antizipation der resultierenden Stoffflusskosten erfordert zunächst die Erstellung des Mengengerüsts aller in einer Netzwerkalternative möglichen Stoffströme auf Basis von Stoffstrommodellen. In Abhängigkeit der Entscheidungssituation sind hierbei verschiedene Aggregationsniveaus sinnvoll, so erfordern Entscheidungen über einzelne Anlagen und Teilprozesse die detaillierte Abbildung mittels Prozesssimulation, während für strategische Entscheidungen zur Standort- und Kapazitätsplanung einer Netzwerkalternative aktivitätsanalytische Modelle gewählt werden können (vgl. hierzu Penkuhn et al. 1997, Spengler et al. 1997). Eine vertiefende Darstellung der allgemeinen Berechnung der Stoffflusskosten kann (Spengler et al. 1998) entnommen werden. Im Rahmen dieser Arbeit erfolgt am Ende dieses Kapitels eine Detaillierung durch eine branchenspezifische Ausgestaltung für Wertschöpfungsnetzwerke im Recyclingbereich. Zu den Prozesskosten zählen diejenigen Kostenarten, die sich den beteiligten Transformations- und Transportprozessen direkt zurechnen lassen, wie z.B. Energie- und Personalkosten, wenn diese nicht bereits als sonstige entscheidungsrelevante Gemeinkosten oder Stofffluss-
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
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kosten erfasst wurden. Hierbei können in Abhängigkeit des Prozesses verschiedene Kostentreiber zur Messung dieser Kostenarten herangezogen werden, wie z.B. Intensitätsparameter oder der Personalbedarf (vgl. Spengler et al. 1998)14. Die Abgrenzung der Prozesskosten zu den entscheidungsrelevanten Gemeinkosten ist jeweils im Einzelfall zu ermitteln. Beispielsweise können Energiekosten in einer arbeits- aber wenig energieintensiven Branche als Gemeinkosten ausgewiesen werden, während sie in einer energieintensiven Branche als Prozesskosten detailliert auf Basis der zugrundeliegenden Transformationsprozesse zu ermitteln sind. Auch hier sei für eine detailliertere allgemeine Darstellung wieder auf (Spengler et al. 1998) verwiesen, die Ergebnisse einer branchenspezifischen Ausgestaltung findet sich in Kapitel 3.4. Bevor diese branchenspezifische Anpassung vorgestellt wird, werden im Folgenden zunächst ökologische und soziale Bewertungskriterien erläutert, die häufig simultan zu den ökonomischen Kriterien Berücksichtigung finden müssen.
3.2.3 Ökologische Bewertung Im Rahmen der ökologischen Bewertung besteht die Zielsetzung in der Ermittlung der durch ein Produkt oder Produktionssystem hervorgerufenen Umweltwirkungen. Hierbei besteht keine einheitliche und allgemein anerkannte Methode der Bewertung, stattdessen koexistieren unterschiedliche Verfahren. Durch die in vielen Fällen gegebene Kopplung von Umweltwirkung und Energieeinsatz wird häufig der Indikator des Kumulierten Energieaufwandes (KEA) parallel zu den spezifischen Umweltwirkungskategorien (s.u.) als hoch aggregierter „Pauschal-“ bzw. „Summenparameter“ genutzt. Teilweise erfolgt eine vollständige quantitative Zusammenführung der Ergebnisse verschiedener Umweltwirkungskategorien, beispielsweise im Rahmen der Bewertung nach Eco-Indicator 95 bzw. 99 (Goedkoop 1995, Goedkoop/Spriensma 1999). Häufig wird aber auch eine verbal-argumentative Bewertung auf Basis disaggregierter Ergebnisse angestrebt, z.B. im Rahmen des Ansatzes des Umweltbundesamtes (UBA) (Schmitz/Paulini 1999, Giegrich et al. 1995). Im Folgenden soll zunächst der Summenparameter KEA näher erläutert werden, bevor das Verfahren des Umweltbundesamtes vorgestellt wird. 3.2.3.1 Kumulierter Primärenergieaufwand – KEA Die Auswirkungen von Prozessen zur Bereitstellung von (fossiler) Energie tragen wesentlich bzw. zum Teil ausschließlich zu den derzeit drängendsten Umweltproblemen wie Treibhauseffekt, Versauerung oder Eutrophierung bei. Einen wichtigen Kennwert für die ökologische Beurteilung von Produkten und Dienstleistungen stellt daher die über den gesamten Lebensweg eingesetzte Energiemenge dar. Die Bilanzierung dieser Energiemenge über den gesamten 14
Zur Bestimmung geeigneter Kostentreiber im Rahmen der Prozesskostenrechnung vgl. (Hórvath 2004).
60
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Lebenszyklus als kumulierter Primärenergieaufwand (KEA) gibt nach VDI 4600 „[...] die Gesamtheit des primärenergetisch bewerteten Aufwands an, der im Zusammenhang mit der Herstellung, Nutzung und Beseitigung eines ökonomischen Gutes [...] entsteht bzw. diesem ursächlich zugewiesen werden kann.“ (VDI 1997). Hierbei bilanziert der KEA die für Prozesse notwendigen Energieverbräuche als Primärenergieeinsatz inklusive des Energiebedarfs bei der Gewinnung der Primärenergieträger sowie aller Übertragungs- oder Transformationsverluste. Hierbei sollte eine Disaggregation nach Primärenergieträgern (fossile Energieträger, Kernkraft, Wasserkraft) erfolgen, um eine größere Transparenz und Aussagekraft zu erreichen (Fritsche et al. 1999a). Alle Energieverbräuche werden in der Einheit „KJ“ erfasst bzw. in diese Einheit umgerechnet. Der KEA liefert beispielsweise Informationen über Energiesparpotenziale des betrachteten Systems bzw. Produktlebenszyklus, er ermöglicht die energetische Beurteilung und den energetischen Vergleich von Produkten und Dienstleistungen, die energetische Relevanz von Verwertungs- bzw. Entsorgungsoptionen kann abgeschätzt werden und es können Hinweise auf Materialaufwendungen oder die Wahl von Werkstoffen unter energetischen Gesichtspunkten gewonnen werden. Analysen zeigen eine positive Korrelation zwischen KEA und verschiedenen Umweltwirkungen wie Ressourcenverbrauch, Treibhauseffekt, Gewässertoxizität etc. (Helias/Haes 2006), auch zwischen den Ergebnissen der beiden aggregierten Indikatoren KEA und Eco-Indicator 99 besteht eine positive Korrelation. (Walk et al. 2005) berechnen beispielsweise einen Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten von p2=0,95 zwischen KEA und Eco-Indikator 99, zwischen KEA und einzelnen Wirkungskategorien ergeben sich Spearman-Rangkorrelationskoeffizienten von p2=0,73 bis p2=0,96 (Walk et al. 2005). Allerdings weist der KEA diese enge Korrelation nicht zu allen Umweltwirkungskategorien auf, daher ist prinzipiell die Richtungssicherheit zu prüfen und ein Vergleich mit anderen Umweltindikatoren anzustrengen (Fritsche et al. 1999b). 3.2.3.2 Bewertungsverfahren nach UBA Im Rahmen des Bewertungsverfahrens nach UBA (Schmitz/Paulini 1999) erfolgt zunächst die Zuordnung der Stoffströme zu potenziellen Umweltwirkungen. Vom UBA werden beispielsweise die folgenden Wirkungskategorien vorgeschlagene (UBA 2000a): x Ressourcenbeanspruchung
x stratosphärischer Ozonabbau
x Treibhauseffekt
x photochem. Oxidantienbildung/Sommersmog
x Versauerung
x Naturraumbeanspruchung
x aquatische Eutrophierung
x direkte Schädigung von Ökosystemen
x terrestrische Eutrophierung
x direkte Humantoxizität
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
61
Der jeweilige Beitrag einzelner Substanzen Stoffströme zu den Umweltwirkungen wird über sogenannte Charakterisierungsfaktoren als Beitrag einer Mengeneinheit (ME, z.B. Kilogramm, Dezibel, Hektar) eines Stoffstromes bzw. Sachbilanzergebnisses im Sinne der Ökobilanzierung (vgl. Kapitel 5) zu einer Umweltwirkung bestimmt. Die Charakterisierungsfaktoren werden hierbei jeweils in Bezug auf die Umweltwirkung einer Referenzsubstanz bestimmt. So liegt der Wirkungskategorie Treibhauseffekt die Referenzsubstanz Kohlendioxid zu Grunde. Bei Festlegung der folgenden Variablen: c
Index der Wirkungskategorien (c=1,…,C)
i
Index des Stoffstroms bzw. des Sachbilanzergebnisses (i=1,…,I)
WKc
Beitrag des zu bewertenden Produktes zur jeweiligen Wirkungskategorie c [ME Referenzäquivalent]
wci
Charakterisierungsfaktor als Beitrag des Stoffstromes bzw. Sachbilanzergebnisses i zur jeweiligen Wirkungskategorie c [ME Referenzäquivalent /ME]
mi
Menge des Stoffstromes bzw. Sachbilanzergebnisses i [ME]
ergibt sich der Beitrag eines Produktes zu einer Wirkungskategorie wie folgt: I
WK c
¦m
i
wci
c 1,.., C
i 1
Gl. 3.11
Die Vorgehensweise im Rahmen der Wirkungsabschätzung ist im Folgenden in Abbildung 38 am Beispiel der Wirkungskategorien Treibhauseffekt, Versauerung und Eutrophierung dargestellt. Klassifizierung und Charakterisierung mittels Äquivalenzfaktoren wci
Sachbilanzergebnisse mi
Wirkungskategorien WKc
1
CO2
Treibhauspotenzial (kg CO2-Äquivalent)
21
CH4 (fossil) 296 N2O
0,13 NOx SO2
Eutrophierungspotenzial (kg PO43--Äquivalent)
0,7 1 0,346
NH3
1,88
Versauerungspotenzial (kg SO2-Äquivalent)
1,88 H2S …
…
Abbildung 3-8: Wirkungsabschätzung im Rahmen des UBA-Verfahrens (Äquivalenzfaktoren nach UBA 2007b)
62
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Mit dem Ziel, einen relativen Vergleich zwischen den Wirkungskategorien bzw. Indikatorergebnissen herzustellen, erfolgt im UBA-Verfahren eine Rangbildung aller Wirkungsindikatoren. Hierbei erhält eine Wirkungskategorie eine umso höhere Priorität x je größer die von ihr ausgehende „ökologische Gefährdung“ ist, x je weiter der derzeitige Umweltzustand von einem erstrebenswerten Umweltzustand entfernt ist („Distance-to-Target“), x je höher der „spezifische Beitrag“ der Wirkungsindikatoren des jeweiligen Verfahrens/ Produktes im Vergleich zur Gesamtbelastung in Deutschland ausgedrückt in so genannten Einwohnerdurchschnittswerten (EDW) ist. Die Bewertung der beiden ersten Punkte erfolgt hierbei unabhängig von den jeweiligen Stoffstromdaten und lässt sich zur „ökologischen Bedeutung“ zusammenfassen. Für diese Bewertung kann beispielsweise auf den in Tabelle 3-1 vorgestellten Vorschlag des Umweltbundesamtes zurückgegriffen werden. Tabelle 3-1:
Bewertungsvorschlag des UBA zu ökologischer Gefährdung und Abstand zum Umweltziel (UBA 2000a)
Wirkungskategorie
Ökologische Gefährdung
Aquatisches Eutrophierungspotenzial Terrestrisches Eutrophierungspotenzial Naturraumbeanspruchung Photochemische Oxidantienbildung (Sommersmog) Ressourcenbeanspruchung Stratosphärischer Ozonabbau Treibhauseffekt Versauerung (aquatisch/ terrestrisch)
B B A
Abstand zum Umweltziel (Distance-to-Target) C B A
D
B
C A A B
B D A B
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt abschließend in so genannten T(annenbaum)Diagrammen (vgl. Abbildung 3-9). Hierbei werden die aus dem Vergleich zweier Produkte bzw. Verfahren resultierenden Mehrbelastungen für jede Wirkungskategorie als Balken gegenüber gestellt. Durch eine Schattierung der Balken ist gleichzeitig die ökologische Priorität der einzelnen Wirkungskategorien erkennbar. Basierend auf dieser Darstellung erfolgt abschließend die verbal-argumentative Gesamtbewertung der Produkte bzw. Verfahren.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
63
Vergleich von Ergebnissen ausgewählter Wirkungskategorien Mehrbelastung Produkt A
Mehrbelastung Produkt B Knappheit fossiler Energieträger Treibhauspotenzial
Photooxidantienbildungspotenzial Versauerungspotenzial Aquatisches Eutrophierungspotenzial Terrestrisches Eutrophierungspotenzial Naturraum stratosphärisches Ozonabbaupotenzial 25%
20%
15%
10%
Sehr große Priorität
5%
0%
große Priorität
5%
10%
15%
20%
mittlere Priorität
Abbildung 3-9: Ausgangsbasis für die verbal-argumentative Bewertung nach UBAVerfahren (UBA 2000b)
3.2.4 Soziale Bewertung Neben den Anforderungen im Bereich des Umweltschutzes werden insbesondere an große, global operierende Unternehmen zunehmend Anforderungen bezüglich der Einhaltung sozialer und ethischer Mindeststandards gestellt (Frings/Walther 2001). Der von derartigen Forderungen der Stakeholder direkt betroffene Hersteller bzw. Vertreiber eines Produktes gibt diese Anforderungen in der Regel im Wertschöpfungsnetzwerk an seine Zulieferer weiter. Konkrete Sozialstandards für Unternehmen sind beispielsweise in dem freiwilligen internationalen Standard für soziale Verantwortung15 SA 8000 (SA 2008) vorgegeben. Der Standard wird von Social Accountability International (SAI) entwickelt, dem beispielsweise Unternehmen wie die Otto Group GmbH & Co KG, die Tchibo GmbH oder Hewlett Packard als Mitglieder angehören (SAI 2009). Der internationale Standard ist auf Unternehmen verschiedenster Branchen anwendbar und soll eine sozial verantwortliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen sicherstellen. Derzeit sind mehr als 1.800 Standorte mit insgesamt fast einer Million Mitarbeitern nach SA 8000 zertifiziert (SAAS 2008). Die SA 8000 enthält Basisstandards für die Bereiche x 15
Kinderarbeit
Standard for Social Accountability
64
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung x
Zwangsarbeit
x x
Gesundheit und Sicherheit Organisationsfreiheit und Recht auf gemeinschaftliche Verhandlungen
x
Diskriminierung
x x
Disziplinarmaßnahmen Arbeitszeit
x
Löhne/Gehälter
Zusätzlich wird nach SA 8000 die Einführung eines Sozialmanagementsystems gefordert. Im Rahmen der sozialen Bewertung eignen sich die im Rahmen der ökologischen und ökonomischen Bewertung vorgestellten Methoden zur Aggregation der entscheidungsrelevanten Aspekte zumeist nicht. Notwendig ist daher die Angabe und verbal-argumentative Diskussion der Kriterien. Als Voraussetzung für eine Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen sind hierbei geeignete absolute oder relative Indikatoren mit den jeweiligen Skalen und Einheiten festzulegen. Für einige der genannten Kriterien bietet sich zudem die Aufnahme als Restriktionen bzw. die Einführung einer Veto-Funktion an. So besteht seitens der Hersteller beispielsweise die Forderung, dass bei den Zulieferern weder Kinderarbeit noch Zwangsarbeit praktiziert wird.
3.3 Multikriterielle Bewertung zur Integration der Nachhaltigkeitsindikatoren Die Zusammenführung ökonomischer, ökologischer und sozialer Bewertungskriterien stellt die Grundlage für eine integrierte Bewertung im Sinne der Nachhaltigkeit dar (vgl. Kapitel 2). Dies setzt sowohl geeignete Bewertungskriterien als auch die Integration dieser Kriterien in die betriebliche Entscheidungsfindung voraus (Walther et al. 2009b).
3.3.1 Indikatorensysteme zur Bewertung der Nachhaltigkeit Integrierte Indikatorensysteme wurden sowohl für die Berichterstattung und Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Staaten als auch von Unternehmen entwickelt. Auf aggregierter Ebene berichten hierbei beispielsweise Staaten über die jeweiligen Aktivitäten auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung16 (Bundesregierung 2002, Spangenberg 2005, Grunwald/ Kopfmüller 2006). Auf deutlich disaggregierterer Ebene werden Indikatorensysteme für Unternehmen diskutiert (Frings/Walther 2001). Durch derartige Indikatorensysteme sollen bei16
Beispiele stellen das System der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (UN-SCD) mit insgesamt 134 Indikatoren, das System der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit elf Ressourcen- und fünf Ergebnisindikatoren, die Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ der Bundesregierung mit 21 Schlüsselindikatoren sowie das Projekt „Global zukunftsfähige Entwicklung“ der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren mit insgesamt 120 Schlüssel- und Zusatzindikatoren dar (Bundesregierung 2002, Spangenberg 2005, Grunwald/Kopfmüller 2006).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
65
spielsweise das Benchmarking und die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Organisationen ermöglicht sowie Vergleiche innerhalb und zwischen Organisationen über die Zeit ermöglicht werden (GRI 2006). Mit dem Ziel einer transparenten und offenen Kommunikation der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen veröffentlicht beispielsweise die Global Reporting Initiative einen international verbindlichen Leitfaden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Form der Sustainability Reporting Guidelines (GRI 2006). Dieser Leitfaden beinhaltet neben allgemeinen Berichtsgrundlagen über Strategien, Engagement und Managementansätze insbesondere auch 47 Kern- und 32 Zusatzindikatoren. Ein Auszug aus diesem Indiaktorsystem kann Abbildung 3-10 entnommen werden. Nachhaltigkeitsleistung
…
HR9
SO1
…
SO8
PR1
…
PR9 BußgelderwegenVerstößengegen Produkt undDienstleistungsauflagen
HR1
Gesundheitsauswirkungenent LangdesProduktlebenszyklus
LA14
Leistungsindika toren zurProdukt verantwortung
Geldbußen/Sanktionenauf grund vonRechtsverstößen
…
AuswirkungenderGeschäfts tätigkeit aufdieGesellschaft
LA1
Gesellschaftliche/ sozialeLeistungs indikatoren
VerletzungvonRechten derUreinwohner
EN30
Investitionsvereinbarungen mitMenschenrechtsklauseln
…
Menschenrechts Leistungs indikatoren
Lohnunterschiede nachGeschlecht
EN1
MitarbeiternachBeschäftigungs verhältnis undRegion
EC9
Arbeitspraktiken& menschenwürdige Beschäftigung
GesamteUmweltschutz ausgabenundinvestitionen
…
Materialeinsatz
Unmittelbarerzeugterundausge schütteter wirtschaftlicherWert
EC1
Ökologische Leistungs indikatoren
Indirektewirtschaftliche Auswirkungen
Ökonomische Leistungs indikatoren
Abbildung 3-10: Indikatorensystem zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Global Reporting Initiative (GRI 2006) Neben diesen allgemeinen Indikatorensystemen bestehen auch branchenspezifische Indikatorensysteme, beispielsweise in Form des Leitfadens „Responsible Care“ für die Berichterstattung von Unternehmen der Chemiebranche in den Themengebieten Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz (ICCA 2008). Unter Zugrundelegung dieses Leitfadens berichten Industrievereinigungen der Chemischen Industrie aus über 50 Ländern abgestimmte Indikatoren ihrer Mitgliedsunternehmen, in Deutschland beispielsweise der Verband der Chemischen Industrie (VCI 2008). Die Ausführungen verdeutlichen, dass sowohl ökonomische als auch ökologische und soziale Kriterien im Rahmen der Unternehmensbewertung und der betrieblichen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu auch Fritz 1995). Hierbei treten jedoch im Allgemeinen Zielkonflikte zwischen den vom Entscheidungsträger als relevant erachteten Zielen auf, so dass die Verbesserung bezüglich eines Zieles unweigerlich zur Verschlechterung bezüglich eines anderen Zieles führt. Zudem lassen sich insbesondere ökologische und soziale
66
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Ziele selten monetarisieren und häufig noch nicht einmal quantifizieren. Dies ist dadurch bedingt, dass die Ziele auf unterschiedlichen Skalen (nominal, ordinal, kardinal) gemessen werden, auch quantifizierbare Ziele sind aufgrund unterschiedlicher Maßeinheiten (€, kg, m3) und (Umwelt-)Wirkungen nicht direkt vergleichbar (Zimmermann/Gutsche 1991). Im Rahmen der Berücksichtigung ökologischer und sozialer Ziele simultan zu ökonomischen Zielgrößen ergibt sich daher eine komplexe Problemstellung, für deren Lösung der Entscheidungsträger methodische Unterstützung benötigt.
3.3.2 Klassifikation multikriterieller Entscheidungsverfahren Für eine derartige Entscheidungsfindung bei mehrfacher Zielsetzung finden Ansätze der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung (Multi Criteria Decision Making – MCDM) Einsatz (Hwang/Masud 1979, Hwang/Yoon 1981, Zimmermann/Gutsche 1991, Stewart 1992, Belton/ Stewart 2002, Götze/Bloech 2002, Figueira et al. 2005). Hierbei erfolgt aus einer Menge A möglicher Optionen (Lösungen, Alternativen) entweder x
die Auswahl der besten Option,
x
die Bestimmung einer Teilmenge „guter“ Optionen oder
x
die Ordnung der Optionen in einer Rangliste von der besten bis zur schlechtesten Option (Roy/Bouyssou 1993).
Die Menge A kann sowohl als Liste diskreter Alternativen oder in Form mathematischer Modelle (Technikmenge und Restriktionen) gegeben sein (Roy 1990, Roy/Bouyssou 1993). In Abhängigkeit der Struktur des zugrundeliegenden Problems wird unterschieden in die Verfahren des Multi Attribut Decision Making (MADM), in denen eine Auswahl vorbestimmter Handlungsalternative erfolgt, und in die Verfahren des Multi Objective Decision Making (MODM), in denen die Handlungsalternative durch Berechnung bestimmt wird (Hwang/Masud 1979, Hwang/Yoon 1981, Zimmermann/Gutsche 1991). Jede der Methoden zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung weist eine Reihe von Vor- und Nachteilen auf, so dass keine allgemein beste Methode ausgewiesen werden kann. Die jeweils geeignete Methode muss stattdessen problemspezifisch durch eine systematische Analyse der jeweiligen Entscheidungsverfahren vor dem Hintergrund der speziellen Problemstellung ermittelt werden (vgl. hierzu Gershon 1981, Tecle 1988, Deason 1984; für ein Beispiel vgl. Al-Shemmeri et al. 1997). Im Folgenden werden die Ansätze des MODM sowie des MADM jeweils mit ausgewählten Methoden detailliert vorgestellt, bevor die Ausgestaltung am Fallbeispiel der Wertschöpfungsnetzwerke im Recyclingbereich erfolgt.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
67
3.3.3 Multi Objective Decision Making In Verfahren des Multi Objective Decision Making wird der Lösungsraum mit Hilfe mathematischer Modelle beschrieben, wobei alle Lösungen zulässig sind, die die vorgegebenen Nebenbedingungen erfüllen. Zur Berechnung der „besten“ Alternative aus diesem Lösungsraum wird zunächst das Zielsystem des Entscheidungsträgers durch quantifizierbare Zielfunktionen (objectives) fi(x) (i=1,…n) beschrieben. Für den Fall n reellwertiger Zielfunktionen, die über die Menge aller zulässigen Lösungen X simultan verfolgt werden, resultiert dies in einem n-dimensionalen Zielfunktionsvektor, weshalb die Problemstellung auch als Vektoroptimierungsproblem bezeichnet wird. Der Zulässigkeitsbereich von X wird hierbei durch m Nebenbedingungen gj(x) (j=1,…,m) beschrieben:
§ f1( x )· ¸ ¨ ¨ f 2 ( x )¸ Max^ f ( x ) ¨ x X` ... ¸ ¸ ¨ ¨ f ( x )¸ ¹ © n
Gl. 3.12
u.d.N. g j ( x) d 0
j
1.,..., m
Gl. 3.13
Eine effiziente Lösung x* dieses Problems liegt vor, wenn kein Vektor x existiert für den gilt
fi ( x) t fi ( x*)
i
f i ( x) ! f i ( x*)
für mindestens ein i
1.,..., n
Gl. 3.14 Gl. 3.15
3.3.3.1 MODM-Verfahren Ein Überblick über MODM-Verfahren kann Abbildung 3-11 entnommen werden (Hwang/ Masud 1979, Zimmermann/Gutsche 1991). In Bezug auf die Information der Entscheidungsträger zur Gewichtung der Zielfunktionen untereinander wird hierbei in a-posteriori Methoden, a-priori Methoden sowie Methoden mit progressiver Information unterschieden. Der Einsatz von a-posterio Methoden erfolgt, wenn im Vorab keine Informationen über die Präferenzen des Entscheidungsträgers zur Verfügung stehen. In einem solchen Fall ist daher die vollständige Lösungsmenge zu bestimmen, was allerdings bereits bei kleinen Probleminstanzen zu einem hohen Rechenaufwand führt (Steuer 1994, Papadimitrou/Yannakakis 2001, Steuer 2005). Da praktische Probleme zudem häufig eine Vielzahl funktionaleffizienter Lösungen aufweisen, resultiert zudem eine Überforderung der Aufnahmekapazität des Entscheidungsträgers (Zimmermann/Gutsche 1991). In Problemstellungen mit lediglich zwei bzw. drei Zielfunktionen erscheinen jedoch Methoden zur Approximation und Visualisierung des effizienten Randes erfolgversprechend (vgl. auch Quariguasi et al. 2009b). Durch die Visualisierung gewinnt der Entscheidungsträger zusätzliche Informationen über die Ent-
68
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
scheidungssituation in Form von Trade-offs zwischen den Zielfunktionen, auf deren Basis er die geeignete Lösung auswählen kann. Im Rahmen der Bewertung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke erscheint diese Visualisierung bzw. Berechnung von Trade-offs besonders vielversprechend, z.B. für die Bestimmung ökoeffizienter Lösungen (Huppes/Ishikawa 2005a, 2005b, Quariguasi et al. 2009b, Walther et al. 2009b). Informationen
MODM
Aposteriori
•BestimmungdervollständigenLösung
Apriori
•Nutzenmodelle •Anspruchsniveaus •Zielprogrammierung
Progressive Informationen
•VerfahrenvonGeoffrion,Dyerund Feinberg •VerfahrenvonZiontsWallenius •STEM •MethodederverschobenenIdeallösung •VIG •MethodevonSteuer
Abbildung 3-11: Gliederung der MODM-Verfahren (verändert nach Zimmermann/Gutsche 1991) In interaktiven Verfahren erfolgt ein Wechsel zwischen Entscheidungs- und Berechnungsphasen. Hierbei wird implizit oder explizit auf Informationen über Tradeoffs zwischen den Zielfunktionen zurückgegriffen. Derartige Verfahren erfordern häufig einen hohen Aufwand im Zuge der Entscheidungsfindung sowie konsistentes Verhalten seitens des Entscheidungsträgers (Zimmermann/Gutsche 1991). Häufig wird daher vorausgesetzt, dass der Entscheidungsträger a-priori in der Lage ist, seine Präferenzen bezüglich der Ziele zu bestimmen. Hierbei gestaltet sich jedoch die Erstellung einer Gesamtnutzenfunktion zur Anwendung von Nutzen-Modellen bzw. die Umwandlung in Einziel-Modelle durch Umwandlung aller anderen Ziele in Nebenbedingungen mit Anspruchsniveau (bzw. obere und untere Schranken) häufig schwierig (Zimmermann/Gutsche 1991). Dasselbe gilt für die Bestimmung einer Rangfolge der Wichtigkeit der Zielfunktionen als Voraussetzung für die Anwendung lexikographischer Verfahren. Im Rahmen der Zielprogrammierung muss der Entscheidungsträger a-priori in der Lage sein, einen Zielvektor zu erstellen und eine Abstandsfunktion sowie einen Vektor für die Gewichtung der Abstände zu den einzelnen Zielen festzulegen (Charnes/Cooper 1961, Hwang/Masud 1979, Tamiz et al. 1998).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
69
Im Folgenden werden sowohl die Approximation der vollständigen Lösung als auch das Verfahren der Zielprogrammierung vorgestellt. Beide Verfahren werden im Anschluss im Fallbeispiel zur Bewertung von Recyclingnetzwerken in Kapitel 3.4 angewandt. 3.3.3.2 Bestimmung aller effizienten Lösungen Aufgrund des hohen Rechenaufwandes bei der exakten Bestimmung der vollständigen Lösung von Vektoroptimierungsproblemen ohne a-priori-Gewichtung der Zielfunktionen wurden Ansätze zur Approximation dieser Lösungen entwickelt, dies gilt vor allem für Probleme mit lediglich zwei Zielfunktionen (Schandl et al. 2001, Liu et al. 1999, Fruhwirth et al. 1989). Einen Ansatz zur Approximation des effizienten Randes für den Fall von drei Zielfunktionen eines linearen Optimierungsproblems stellen (Quariguasi et al. 2009b) vor. Hierbei wird gewährleistet, dass der approximierte Rand nicht mehr als einen Faktor =[0,1] vom tatsächlichen effizienten Rand entfernt ist, wobei sich die Approximation umso näher am effizienten Rand befindet, je kleiner gewählt wird. Der Algorithmus nach (Quariguasi et al. 2009b) basiert auf der Eingrenzung des Lösungsraumes durch Aufnahme von Zielfunktionswerten als Mindestanspruchsniveaus in die Nebenbedingungen des Optimierungsproblems. Dies erfolgt hierbei nicht nur für den Optimalwert einer Zielfunktion, sondern insgesamt für eine Anzahl von 1/ Zielfunktionswerten. Für jeden dieser Zielfunktionswerte ergeben sich isoparametrische Kurven durch Variation der beiden anderen Zielfunktionswerte (z.B. in Form von Iso-Pretium Kurven als Kurven des gleichen Deckungsbeitrags; vgl. Quariguasi et al. 2009b). Die approximierte Lösung wird zudem visualisiert, wodurch der Entscheidungsträger einen Einblick in die Entscheidungssituation erhält und Trade-offs zwischen den Zielfunktionen erkennen kann. Die Eingrenzung des Lösungsraumes und die Trade-offs zwischen den Zielfunktionen sind in Abbildung 3-12 für ein Beispiel von drei Zielfunktionen für zu minimierende Zielfunktionen 2 und 3 dargestellt. Unter Zugrundelegung der folgenden Funktionen und Variablen
z1 , z 2 , z3 Zielfunktionen (im Folgenden: Max. z1 , Min z 2 , Min. z3 ) H
Hilfsvariable; Abstand der approximierten Lösung vom effizienten Rand maximal H ( H >0 ,1@ )
F
Lösungsraum der approximierten Lösungen
erfolgt die Berechnung der effizienten Lösungen wie im Folgenden beschrieben.
70
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
z2 Nichtzulässig bzw.dominiert
( z3 , z2 )
( z3 , z2 )
Nichtzulässig bzw.dominiert
Nicht zulässig
( z3 , z2 )
( z3 , z2 )
Nichtzulässig
z3 Abbildung 3-12: Eingrenzung des Lösungsraumes und Berechnung der Parteo-effizienten Lösungen bei fixierter (isoparametrischer) Zielfunktion 1 und zu minimierenden Zielfunktionen 2 und 3 (Quariguasi et al. 2009b) (1) Zunächst wird das Optimum jeder Zielfunktion (z1, z2, z3) als Einziel-Funktion berechnet. (2) Im Anschluss daran werden für die erste Zielfunktion insgesamt 1 / H Zielfunktionswerte ( ˆz1 ) bestimmt. Bei Aufnahme dieser Zielfunktionswerte als Anspruchsniveau in die Nebenbedingungen erfolgt nun die Bestimmung des unter dieser Beschränkung erreichbaren Optimums der zweiten ( z2 ) bzw. dritten ( z3 ) Zielfunktion. Werden diese Werte nun ebenfalls als Anspruchsniveau in die Nebenbedingungen integriert, ergeben sich die Anfangs- und Endpunkte isoparametrischer Kurven durch Optimierung der jeweils verbleibenden dritten ( z3 ) bzw. zweiten Zielfunktion ( z2 ). Durch diese Vorgehensweise ergibt sich eine Eingrenzung des Lösungsraums wie in Abbildung 3-12 dargestellt. (3) Anschließend werden für jeden Zielfunktionswert ( ˆz1 ) insgesamt 1 / H Werte der zweiten Zielfunktion berechnet ( ˆz 2 ) und als weitere Nebenbedingung aufgenommen. Es folgt die Bestimmung des zur Kombination der Werte der Zielfunktion 1 und 2 gehörigen Optimums der Zielfunktion 3 ( ˆz3 ). Die Approximation des Verlaufs der isoparametrischen Kurven erfolgt durch Verbindung der zum jeweiligen Wert ˆz1 gehörenden Kombination der Zielfunktionswerte ˆz 2 und ˆz3 zwischen den berechneten Anfangs- und Endpunkten wie in Abbildung 3-12 dargestellt.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
71
Dies lässt sich wie folgt als Algorithmus ausdrücken: (1)
(2)
max( z1 ), min( z 2 ), min( z3 ), prüfen ob z 1 0 existiert 1 für k 1,..., do : H ˆz1 max^z1 ` H k, z 2 min^z 2 z1 ˆz1 `und z 3 min^z 3 z 1 ˆz1 `, z2 z3
min^z 2 z1
min^z 3 z 1 für l zˆ2
(3)
zˆ3
z 3 `,
ˆz1 z 3
z 2 `
ˆz1 z 2
1 1,..., do :
F m ^ zˆ1 , zˆ2 , zˆ3 End do
isoparametrischen Kurven für ˆz1
Berechnung der Zwi-
H
z2 ( z2 z2 ) H l ,
min^ z3 z1
Berechnung der Endpunkte der
`
zˆ1 z 2 d zˆ2 `,
schenwerte der isoparametrischen Kurven
End do Insbesondere im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewertung erscheinen Methoden zur Berechnung des effizienten Randes erfolgversprechend, da hierbei zunächst auf die subjektive Gewichtungen der Entscheidungskriterien verzichtet werden kann. Durch die Präsentation aller effizienten Lösungen wird die Transparenz der Entscheidungsfindung erhöht und der Entscheidungsträger gewinnt einen besseren Einblick in die Entscheidungssituation. Zudem können Trade-offs zwischen den einzelnen Zielfunktionen identifiziert werden (Huppes/ Ishikawa 2005b, Quariguasi et al. 2009b, Walther et al. 2009b). Ein konkretes Beispiel für die Anwendung der dargestellten Methode zur Entscheidungsfindung bei Vorliegen von drei Zielfunktionen wird ebenfalls am Beispiel der Recyclingnetzwerke in Kapitel 3.4 gegeben. 3.3.3.3 Zielprogrammierung Sind mehr als drei Zielfunktionen simultan zu berücksichtigen, wird eine Approximation und Visualisierung aller effizienten Lösungen und eine Auswahl a-posteriori aufwändig. Eine Möglichkeit besteht dann in der a-priori Gewichtung der Zielfunktionen, beispielsweise im Rahmen der Zielprogrammierung. Hierbei wird angenommen, dass für jedes der verfolgten Ziele Vorgaben (Goals) existieren, die der Entscheidungsträger anstrebt. Im Rahmen der Zielprogrammierung wird nun diejenige Alternative x* X gesucht, die den Abstand zwischen einem idealen Zielvektor z IR n und den erreichten Zielfunktionswerten f ( x ) IR n minimiert (Hwang/Masud 1979, Zimmermann/Gutsche 1991). Die im Rahmen der Zielprogrammierung erzielte Kompromisslösung resultiert in Zielfunktionswerten fi, welche die durch den Entscheidungsträger festgelegten Ziele (Zi) sowohl über( d i ) als auch untererfüllen ( d i ) können. Präferiert der Entscheidungsträger eine Übererfüllung des Zieles, so muss d i minimiert werden, wird eine Untererfüllung des Zieles angestrebt
72
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
ist d i zu minimieren. Wichtig ist hierbei die geeignete Festlegung der Zielwerte, da aus der Festlegung zu wenig anspruchsvoller Ziele Pareto-ineffiziente Lösungen resultieren (Tamiz et al. 1998). f i ( x ) d i d i
Zi
i
Gl. 3.16
1,...,n
Im Anschluss daran ist die Gewichtung der einzelnen Ziele festzulegen ( wi ) , ggf. können die Differenzen normiert werden (Tamiz et al. 1998). Der gewichtete (und normierte) Abstand zu den Zielen wird dann minimiert. Hierbei kann im Rahmen der Minimierung des Abstandsmaßes für U 1 die Gesamtsumme der Abweichungen aller Abstände minimiert werden (MINSUM WGP), zum anderen jedoch für U f auch der maximale Abstand aus allen Abständen (MINMAX bzw. Chebyshev WGP) (Tamiz et al. 1998, Linares/Romero 2000).
§ n · Min ¨ ¦ ( wi d i wi d i ) U ¸ ©i 1 ¹
1/ U
1d U df
Gl. 3.17
j
1,..., m
Gl. 3.18
i
1,..., n
Gl. 3.19
i
1,..., n
Gl. 3.20
i
1,..., n
Gl. 3.21
u.d.N. g j( x ) d 0 i
fi ( x ) d d d i d i
i
Zi
0
d i , d i , wi t 0
Werden beide Ansätze kombiniert, erlaubt die Variation des Parameters O die Durchführung von Sensitivitätsanalysen wie folgt: 1/ f n ª º § n · Min «(1 O )¨ ¦ ( wi d i wi d i ) f ¸ O ¦ ( wi d i wi d i )» i 1 i 1 © ¹ ¬« ¼»
O
>0;1@
Gl. 3.22
Eine lineare Formulierung kann durch Umwandlung des ersten Teils der Abstandsfunktion erreicht werden (vgl. hierzu Tamiz et al. 1998, Linares/Romero 2000): n ª º Min «(1 O ) D O ¦ ( wi d i wi d i )» i 1,.., n; O >0 ;1@ Gl. 3.23 i 1 ¬ ¼ wi d i wi d i d D
i
1,..,n
Gl. 3.24
Die Methode der Zielprogrammierung wird ebenfalls am Beispiel der Netzwerke zum Recycling von Elektro(nik)altgeräten in Kapitel 3.4 angewandt.
3.3.4 Multi Attribute Decision Making Im Rahmen des Multi Attribute Decision Making erfolgt die Auswahl einer (oder mehrerer) Alternative(n) aus einer endlichen, diskreten Menge zulässiger Handlungsalternativen. Die Ziele des Entscheidungsträgers werden durch Attribute repräsentiert, die sowohl in qualitativer als auch quantitativer Form vorliegen können. Jede der Handlungsalternativen kann durch
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
73
die Ausprägungen dieser Attribute charakterisiert und dadurch bewertet werden. Hierbei trifft der Entscheidungsträger seine Auswahl durch Vergleich der relativen Bedeutung der Attribute untereinander (Artenpräferenz) und der Vorteilhaftigkeit einer Alternative gegenüber einer anderen bezüglich eines Attributs (Höhenpräferenz). Im Rahmen der Auswahlentscheidung wird die diskrete Menge an Handlungsalternativen A:=^a1,...,am`bezüglich einer Menge entscheidungsrelevanter Attribute F:=^f1,..., fn` bewertet. Durch Zuordnung der erreichten Ausprägung einer Alternative j (j=1,…m) zu jedem Attribut i (i=1,…n) kann das multikriterielle Problem mittels der Zielerreichungsmatrix X:=^x11,..., xmn` wie folgt beschrieben werden: ª x11 X : «« ¬« x m 1
x ji
x1n º »»: x mn ¼»
ª f 1 ( a1 ) « « ¬« f 1 ( a m )
fi ( a j )
f n ( a1 ) º »» f n ( a m )¼»
i=1,…n; j=1,…m
Gl. 3.25
3.3.4.1 MADM-Verfahren
In Abhängigkeit von Art und Qualität der vorliegenden Information bestehen hierbei wie in Abbildung 3-13 dargestellt verschiedene Verfahren (vgl. Chen et al. 1992, Götze/Bloech 2002).17 Die Hauptgruppe stellen hierbei Verfahren mit kardinaler Information bezüglich der Attribute dar. Hierzu zählen auf der einen Seite die klassischen, nutzenbasierten Verfahren wie die Nutzwertanalyse oder der Analytische Hierarchie Prozess (AHP). Diese vergleichen die Alternativen anhand eines einzelnen Index und generieren eine vollständige Rangordnung der Alternativen und somit gleichzeitig eine beste Lösung. Auf der anderen Seite sind die auf (Benayoun et al. 1966) zurückgehenden entscheidungstechnologischen oder Outranking-Ansätze wie ELECTRE18 und PROMETHEE19 zu nennen. Hierbei werden zunächst OutrankingRelationen bestimmt, die jeweils zwei Alternativen paarweise auf Präferenz untersuchen. Bei den klassischen MADM-Verfahren wird unterstellt, dass der Entscheidungsträger über genaue, vollständige und widerspruchsfreie Informationen verfügt und dass eine schwache Ordnung der Alternativen bestimmt werden kann (Götze/Bloech 2002). Hierbei lassen sich alle Alternativen transitiv und vollständig ordnen, so dass es möglich ist, die optimale Lösung zu identifizieren. Im Gegensatz dazu werden im Zuge der Outranking-Verfahren häufig weniger strikte Präferenzvoraussetzungen zu Grunde gelegt. Neben strikter Präferenz oder Indifferenz beim Vergleich zweier Alternativen sind hier auch die Möglichkeiten der schwachen Präferenz und der Unvergleichbarkeit der Alternativen zulässig (Zimmermann/Gutsche 1991).
17
18 19
Eine andere Unterscheidung in klassische MADM-Verfahren und entscheidungstechnologische Ansätze (Outranking/unscharfes Entscheiden) nehmen (Zimmermann/Gutsche 1991) vor. Elimination Et Choix Traduisant la Realité Preference Ranking Organisation Method for Enrichment Evaluations
74
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Informationen •DominanzStrategie •MaximinStrategie •MaximaxStrategie
Keine Informationen
Anspruchsniveau
•KonjunktivesVorgehen •DisjunktivesVorgehen
Ordinale Information
•LexikographischeMethode •LexikographischeMeth.mitHalbordnung •Aspektweise Elimination •Permutationsmethode •ORESTE
kardinale Information
•LineareZuordnungsmethode •EinfacheadditiveGewichtung •AnalytischerHierarchieProzess •Nutzwertanalyse •ELECTRE •TOPSIS •PROMETHEE
Substitutions raten
•MAUT •HierarchischeSubstitutionsraten Methode
MADM
Informationen über dieAttribute
Abbildung 3-13: Klassifikation von MADM-Verfahren (Geldermann 1999), Klassische Verfahren nach (Zimmermann/Gutsche 1991, Chen et al. 1992, Götze/Bloech 2002) Der Präferenzbegriff klassischer Ansätze x a j Pa j ' : Alternative a j wird a j' vorgezogen, x a j Ia j ' : Alternativen a j und a j' sind indifferent, wird dabei um die Begriffe der schwachen Präferenz und Unvergleichbarkeit erweitert (Zimmermann/Gutsche 1991): x a j Ra j ' : Alternativen a j und a j' sind unvergleichbar, x a j Qa j ' : Alternative a j wird a j' schwach vorgezogen. Dies resultiert häufig darin, dass weder eine starke noch eine schwache Ordnung, sondern lediglich eine partielle Präordnung der Alternativen bestimmt werden kann (Götze/Bloech 2002). Im Unterschied zu klassischen MADM-Ansätzen unterscheiden sich die Outranking-Ansätze darin, dass jeweils paarweise Vergleiche von Alternativen hinsichtlich eines Attributes erfolgen. Zudem werden Schwellenwerte eingeführt, die sicherstellen, dass nur bedeutsame Unterschiede der Attributerfüllungsgrade zu Präferenzentscheidungen führen und nur eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten bestehen, d.h. dass schlechte Erfüllungsgrade eines Kriteriums nicht unbedingt durch gute Erfüllungsgrade eines anderen Kriteriums kompensiert werden können. Hierbei sollen explizit auch ungenaue, unvollständige oder auch wider-
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
75
sprüchliche Informationen in die Entscheidungsfindung einfließen (Zimmermann/Gutsche 1991). Die Zielsetzung der Outranking-Verfahren besteht daher nicht im Aufzeigen einer optimalen Lösung, sondern eher darin, den Entscheidungsträgern einen detaillierten Einblick in die Entscheidungssituation zu geben und somit eine strukturierte Entscheidungsunterstützung auf Basis der partiellen Präordnung der Alternativen zu ermöglichen (Brans/Mareschal 1994, Zimmermann/Gutsche 1991, Geldermann 1999). Die abschließende Entscheidung wird dem Entscheidungsträger überlassen. 3.3.4.2 Outrankingverfahren PROMETHEE
Aufgrund der besonderen Eignung dieser Ansätze zur Unterstützung einer transparenten Entscheidungsfindung soll das Outranking-Verfahren PROMETHEE im Folgenden beispielhaft vorgestellt werden. (1) In einem ersten Schritt sind hierbei die Präferenzen der Entscheidungsträger mit Hilfe verallgemeinerter Präferenzfunktionen zu modellieren, die durch Festlegung zugehöriger Parameter (q: Indifferenz-Schwellenwert, : Präferenzschwellenwert, s: Wendepunkt) problemspezifisch auf das jeweilige Attribut i angepasst werden können. Wie in Abbildung 3-14 dargestellt, ist hierbei eine Auswahl aus sechs Funktionstypen möglich, mit denen sich lineare, stufenweise oder Gaußsche Präferenzen abbilden lassen (Brans et al. 1986). Die Präferenzfunktion p i ( d ) p i ( f i ( a j ) f i ( a j' )) drückt dann für das Attribut i den Grad der Präferenz des Entscheidungsträgers für eine Alternative a j im Vergleich zu einer Alternative a j' aus, der von Indifferenz pi ( d ) 0 bis hin zu strikter Präferenz pi ( d ) 1 reichen kann. p(d) P(d) p(d)
p(d) P(d) p(d)
p(d) P(d) p(d)
1
1
d Typ 1 Gewöhnliches Kriterium
p(d)
q Typ 2 Quasikriterium
d
p Typ 3 Kriterium mit linearer Präferenz
p(d)
1
1
p
d q p Typ 5 Kriterium mit linearer Präferenz und Indifferenzbereich
d
p(d)
P(d) p(d)
P(d) p(d)
q Typ 4 Stufenkriterium
1
P(d) p(d) 1
d Typ 6 Gaußsches Kriterium
Abbildung 3-14: Verallgemeinerte Präferenzfunktionen (Zimmermann/Gutsche 1991) (2) In einem zweiten Schritt ist durch den Entscheidungsträger der Kriteriengewichtungsvektor w T [ w1 ,..., wi ,..., wn ] festzulegen, der Informationen über die relative Wichtig-
76
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung keit der Kriterien (i=1,...,n) untereinander enthält. Verschiedene betriebliche und/oder politische Entscheidungsträger gewichten die Attribute häufig unterschiedlich, in einem solchen Fall sollten verschiedene Gewichtungen im Rahmen von Sensitivitätsanalysen analysiert werden (vgl. hierzu Brans/Mareschal 1994).
(3) Auf dieser Basis erfolgt in einem dritten Schritt die Bestimmung der Outranking-Relation S für alle Alternativen a j , a j' A (j=1,…,m):
S ( a j , a j' )
n
¦w
i
p i ( f i ( a j ) f i ( a j' ))
a j , a j ' A; j 1,..., m
Gl. 3.26
i 1
Der so berechnete Präferenzindex S ( a j , a j' ) stellt ein Maß für die Stärke der Präferenz einer Alternative a j gegenüber einer Alternative a j' bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller Kriterien dar. (4) Hieraus lassen sich wesentliche Größen für die abschließende Alternativenbewertung ableiten. So liefert der so genannte Ausgangsfluss
I (a j )
1 m ¦ S (a j , a j ' ) m 1 j 1
a j , a j ' A; j 1,..., m
jz j '
Gl. 3.27
ein Maß für die Dominanz (bzw. Stärke) einer Alternative a j gegenüber den anderen Alternativen, während der so genannte Eingangsfluss
I (a j )
1 m ¦ S (a j ' , a j ) m 1 j 1
a j , a j ' A; j 1,..., m
Gl. 3.28
jz j '
ein Maß dafür darstellt, wie stark die Alternative a j von anderen Alternativen dominiert wird (Schwäche einer Alternative) (Geldermann 1999). (5) Als Ergebnis aus dem Vergleich der Eingangs- und Ausgangsflüsse kann eine partielle Präordnung der Alternativen bestimmt werden. Hierbei ist eine Alternative umso besser, je höher ihr Ausgangsfluss (ihre Stärke) und je niedriger ihr Eingangsfluss (ihre Schwäche) ist. Die Möglichkeit der Berücksichtigung sowohl qualitativer als auch quantitativer Kriterien bedingt einen vielfältigen Einsatz der MADM-Verfahren in zahlreichen praktischen Entscheidungsprozessen. Die Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und umweltbezogener Kriterien sowie von Risikofaktoren erfolgt beispielsweise im Rahmen der Bewertung von (Kern-) Kraftwerken (Roy/Bouyssou 1986, Barda et al. 1990), Abfallbehandlungsanlagen (Hokkanen/ Salminen 1997) oder Deponiestandorten (Vuk et al. 1991, Briggs et al. 1990). Dies verdeutlicht die Eignung und praktische Anwendbarkeit von Outranking-Verfahren für die multikriterielle Bewertung. Im Rahmen dieses Kapitels erfolgte bisher die Vorstellung von Methoden zur Modellierung von Stoff- und Energieströmen, eine Erläuterung der Zielsetzungen der Akteure nachhaltiger
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
77
Wertschöpfungsnetzwerke sowie die Beschreibung ausgewählter Methoden zum MODM und MADM. Im Folgenden werden die vorgestellten Methoden der aktivitätsanalytischen Modellierung, der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung, der Bestimmung aller effizienten Lösungen, der Zielprogrammierung sowie der Entscheidungsunterstützung mit PROMETHEE konkret an einem Fallbeispiel zur Bewertung von Recyclingnetzwerken eingesetzt. Hierbei erfolgt zunächst eine kurze Beschreibung des Fallbeispiels und der zu bewertenden Netzwerkalternativen, bevor die Methoden zur Modellierung, Bewertung und Entscheidungsunterstützung angewandt werden.
3.4 Fallbeispiel: Modellierung und Bewertung von Recyclingnetzwerken Recyclingnetzwerke, in denen die Behandlung und Entsorgung komplexer Geräte am Ende des Produktlebenszyklus erfolgt, weisen eine große Variabilität bezüglich der Gestaltung und Komplexität auf (Walther/Spengler 2004). Wie in Abbildung 3-15 dargestellt, bestehen verschiedene Optionen zur Errichtung und zum Aufbau einer Recyclinginfrastruktur, z.B. als zentralisiertes oder dezentrales Recyclingsystem oder unter Einsatz vornehmlich automatisierter oder manueller Recyclingtechniken (Spengler/Walther 2005a, Walther/Spengler 2005, Walther 2005). Zentrale Struktur
Mittlere Zentralisierung
Dezentrale Struktur
Neueste Technologie Hoher Automatisierungsgrad Geringe Anzahl an Arbeitsplätzen
Liniendemontagesysteme Hoher Spezialisierungsgrad Mittlere Anzahl an Arbeitsplätzen
Manuelle Demontagesysteme Hohe Flexibilität, geringer Spezialisierungsgrad Große Anzahl an Arbeitsplätzen in strukturschwachen Gebieten sowie für Behinderte und Langzeitarbeitslose
Abbildung 3-15: Charakteristika alternativer Recyclingnetzwerke (Walther/Spengler 2005) Es ergeben sich daher Fragestellungen bezüglich der Vorteilhaftigkeit der jeweiligen Strukturen (Spengler/Walther 2005a). In Abhängigkeit der Entscheidungsträger (privatwirtschaftliche Unternehmen, politische Entscheidungsträger) sind hierbei neben rechtlichen Vorgaben sowie technischen Restriktionen unterschiedliche Kriterien und Zielsetzungen zu berücksichtigen (vgl. hierzu Spengler/Walther 2005a, Spengler/Walther 2007).
78
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Wie in Kapitel 3.1 dargestellt bilden die Aktivitäten und Stoffströme des Netzwerks die Grundlage für die Bewertung der genannten Netzwerkalternativen. Im Folgenden wird daher ein Stoffstrommodell für Recyclingnetzwerke vorgestellt.
3.4.1 Stoffstrommodell des Recyclingnetzwerks Zur Modellierung der Stoffströme in Recyclingnetzwerken werden die folgenden Variablen eingeführt: i
Index der Geräte und Materialfraktionen (i=1,…,I)
q
Index der Quellen (Entsorgungsträger, Händler etc.) des Netzwerks (q=1,…,Q)
u
Index der Recyclingunternehmen (u=1,…,U)
r
Index der Senken des Netzwerks (Verwertungs-, Beseitigungsstandorte) (r=1,…,R)
j
Index der ausführbaren Demontage- und Aufbereitungsaktivitäten (j=1,…,J) Q iqu
Masse der von Quelle q auf Unternehmen u allozierten Geräte i [kg/a]
U iu 'u
Masse der von Unternehmen u’ an das Unternehmen u abgegebenen Geräte/Materialfraktionen i [kg/a]
y y
R y iur
Masse der von Unternehmen u zur Senke r gelieferten Materialfraktionen i [kg/a]
D iu
Masse der nach Durchführung von Demontageaktivitäten im Unternehmen u vorliegenden Komponenten und Materialfraktionen i [kg/a]
U yiuu '
Masse der von Unternehmen u zum Unternehmen u’ gelieferten Geräte/Materialfraktionen i [kg/a]
x ju
Anzahl der Ausführungen der Aktivitäten der Demontage und mechanischen Aufbereitung j im Unternehmen u [Akt/a]
vij
Aktivitätskoeffizient für Input ( vij 0 ) und Output ( vij ! 0 ) der Geräte/Fraktionen i bei einmaliger Ausführung der Aktivität j [kg/Akt]
y
Unter Zugrundelegung dieser Notation ergibt sich das Stoffstrommodell wie in Abbildung 316 dargestellt und im Folgenden erläutert.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
79
Demontage und mechanische Aufbereitung
Quellen
1
Unternehmen u
Q y iqu
R y iur
y iuD
1 ...
...
x ju vij
Senken
q
U y iuu '
r ...
...
y iuU' u
Unternehmen u‘
Q
R
Abbildung 3-16: Stoffstrommodell für das Recyclingunternehmen u (Walther 2005) Der Output eines Unternehmens ( yiuD ) berechnet sich aus dem Input an Geräten aller Quellen Q ) und aus dem Input an Geräten und Bauteilen anderer Unternehmen, die des Netzwerks ( yiqu U z.B. aufgrund von Spezialisierungseffekten geliefert werden ( yiu' u ), sowie aus der Zerlegung dieser Geräte und Bauteile, ausgedrückt durch den Aktivitätskoeffizienten vij multipliziert mit der Anzahl der Ausführungen dieser Demontage- und Aufbereitungsaktivität x ju . Q
J
¦x j 1
ju
Q v ij ¦ y iqu q 1
U
¦y
U iu ' u
y iuD
i
1,.., I ; u
1,.., U
u' 1 u' z u
Gl. 3.29
Der so berechnete Output des Unternehmens wird zum einen an die Senken des Netzwerkes R U ) sowie zur weiteren Zerlegung an andere Unternehmen ( yiuu' ) geliefert. ( y iur U
y iuD
¦y
u' 1 u' z u
R
U iuu'
R ¦ y iur r
i
1,.., I ; u
1,.., U
Gl. 3.30
Restriktionen existieren bezüglich der begrenzten Masse der an den Quellen verfügbaren Altgeräte, der im Rahmen der Demontage und mechanischen Aufbereitung behandelbaren Materialströme sowie der absetzbaren Materialfraktionen (für eine ausführliche Darstellung des Modells vergleiche Walther 2005). Das dargestellte Stoffstrommodell bildet die Grundlage für die Berechnung der stofffluss- und prozessbasierten Kosten und Erlöse im Rahmen der ökonomischen Bewertung sowie für alle stofffluss- und prozessbasierten Kriterien im Rahmen der multikriteriellen Bewertung.
3.4.2 Stoffflussbasierte Umweltkostenrechnung zur Bewertung von Recyclingnetzwerken Im Rahmen der ökonomischen Bewertung der drei Netzwerkalternativen aus Abbildung 3-15 werden die investitionsabhängigen und sonstigen entscheidungsrelevanten Gemeinkosten aus Daten bestehender Unternehmen unter Zugrundelegung von Größendegressionseffekten ermittelt. Für die Ermittlung der variablen Stoffstrom- und Prozesskosten wird angenommen, dass betriebswirtschaftlich optimale Entscheidungen bezüglich der Allokation der Altgeräte auf Netzwerkunternehmen sowie bezüglich der anzuwendenden Recyclingaktivitäten und der
80
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
zu generierenden Materialfraktionen getroffen werden. Diese optimalen Entscheidungen werden mit Hilfe des o.g. Stoffstrommodells für jede Netzwerkalternative unter Anwendung der linearen Optimierung ermittelt. Als Zielfunktion wird hier die Maximierung des erzielbaren Gesamtdeckungsbeitrags als Summe aller Annahme- und Verwertungserlöse abzüglich aller variablen Transport-, Demontage-, Aufbereitungs- und Verwertungskosten einer Netzwerkalternative zu Grunde gelegt. eiA
Spezifische Annahmepreise ( eiA ! 0 ) [€/kg]
eirV
Spezifische positive (eirV ! 0) bzw. negative ( eirV 0 ) Verwertungspreise [€/kg]
c Zju Q iqu
c ,c Max
Kostensatz der Aktivität j im Unternehmen u [€/Akt] U iu 'u
,c
z1
R iur
Produkt- bzw. material- und streckenspezifische Transportkostensatz [€/kg]
z ökonomisch
ªU § I § Q ·º · J U R ¸ « ¨ ¨ A Q Q U U V R R ¸ Z » ( e c ) y ( c ) y ( e c ) y x c ¨ ¸» ¦ ¦ ¦ ¦ ¦ ¦ i iqu iqu iu u iu u ir iur iur ' ' ju ju ¸ ¨ « u' 1 u 1¨ i 1 ¨ q 1 r 1 ¸ j1 ¸» u 'z u ¹ ¹¼ ¬« © ©
Gl. 3.31
Die in Tabelle 3.2 dargestellten Ergebnisse der ökonomischen Bewertung verdeutlichen, dass sowohl im Fall der zentralen Lösung als auch im Fall der fortgeschrittenen Zentralisierung negative Umweltkosten resultieren, d.h. die Durchführung der Recyclingaktivitäten ist für das Gesamtnetzwerk ökonomisch vorteilhaft. Diese Vorteilhaftigkeit resultiert überwiegend aus den erzielbaren Annahmeerlösen (im Fallbeispiel 3.446.000 €/a) für die Altgeräte im Zuge der Finanzierungsverantwortung der Hersteller nach WEEE-Richtlinie (vgl. Kapitel 2). Dies verdeutlicht, dass die Durchführung der Recyclingaktivitäten für ein durch die öffentlichrechtlichen Entsorgungsträger finanziertes Recyclingsystem nicht wirtschaftlich wäre. Würden die Annahmeerlöse nicht durch die Hersteller übernommen, wären die resultierenden Umweltkosten (d.h. die in Tabelle 3-2 dargestellten Umweltkosten einer Netzwerkalternative zuzüglich der dann von den Herstellern nicht gezahlten Annahmeerlöse von mehr als 3 Mio. €/a) daher von der Allgemeinheit zu tragen, z.B. durch Abfallgebühren. Insbesondere in den investitionsabhängigen Kosten sowie den Gemeinkosten wird die Vorteilhaftigkeit zentraler Netzwerkalternativen deutlich, die vor allem auf Größendegressionseffekte zurückzuführen ist. Diese fehlenden Größendegressionseffekte führen im Fallbeispiel sogar dazu, dass die dezentrale Netzwerkalternative unter ökonomischen Gesichtspunkten trotz der erzielbaren Annahmeerlöse nicht wirtschaftlich arbeiten kann.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung Tabelle 3-2:
81
Umweltkosten für die verschiedenen Netzwerkalternativen
Investitionsabhängige Kosten Sonstige Gemeinkosten Saldo Stoffflusskosten Prozesskosten Umweltkosten
Zentrale Struktur Mittlere Zentralisierung Dezentrale Struktur 190.538 €/a 300.950 €/a 409.810 €/a 434.562 €/a 674.370 €/a 889.840 €/a -3.094.763 €/a -3.094.763 €/a -3.094.763 €/a 2.140.201 €/a 2.006.105 €/a 1.893.082 €/a - 329.462 €/a -113.338 €/a 97.969 €/a
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Bewertung dieser Netzwerkalternativen ändert, wenn neben den genannten ökonomischen Kenngrößen weitere Kriterien in die Bewertung einfließen. Hierbei wird im Folgenden zunächst untersucht, wie sich die Allokation der Stoffströme und die durchzuführenden Prozesse – also die innerhalb der vorgegebenen Netzwerkstruktur variablen Größen – ändern, wenn zusätzliche Kriterien zu Grunde gelegt werden. Hierbei wird daher die Zielsetzung der bisher rein ökonomisch effizienten Allokation der Stoffflüsse und Prozesse zu einer Allokation unter Mehrzielsetzung erweitert.
3.4.3 MODM-Verfahren zur Bewertung von Recyclingnetzwerken Im Folgenden wird untersucht, wie sich die variablen Stoffströme und Prozesse bei einer Erweiterung des Zielsystems um ökologische Zielfunktionen verändern. 3.4.3.1 Zielfunktionen
Auch hier werden die Zielfunktionen auf Basis des vorgestellten Stoffstrommodells abgeleitet. Hierbei wird bezüglich der ökologischen Auswirkungen von Recyclingvorgaben unterschieden in die mit der Redistribution und den Recyclingaktivitäten verbundenen Umweltauswirkungen (z.B. Treibhauseffekt durch CO2-Emissionen bei Transporten) und die mit dem Recycling einhergehenden Umweltentlastungen (z.B. Ressourcenschonung durch die Kreislaufführung von Materialien). Zur Abschätzung von Umweltwirkungen wird beispielhaft der in Kapitel 3.2 vorgestellte Kumulierte Energieaufwand (KEA) nach VDI 4600 als aggregierter Indikator verwendet (VDI 1997). Untersuchungen bestätigen, dass der KEA eine enge Korrelation zu Umweltwirkungskategorien wie z.B. Treibhauseffekt, Versauerung oder Eutrophierung aufweist, die sich auf die Verbrennung von Primärenergieträgern zurückführen lassen (Huijbregts et al. 2005, Helias/Haes 2006, Walk et al. 2005). Hierbei wird die folgende Notation zu Grunde gelegt: kea j
Kumulativer Energieaufwand der Recyclingaktivität j [GJ/Akt]
tqu , tuu' , tur
Entfernungen zwischen Quellen und Unternehmen, Unternehmen und Unternehmen, Unternehmen und Recyclingstandorten [km]
keaQ , keaU , kea R
Transportstufenspezifischer Kumulierter Energieaufwand [GJ/km·kg]
82
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
In den beschriebenen Recyclingnetzwerken wird der KEA sowohl durch Transportprozesse als auch durch die Recyclingaktivitäten beeinflusst. Zur Berechnung des KEA werden jeweils die Intensitäten der Prozesse (d.h. die Transportentfernungen tqu , tuu’ , tur bzw. die Anzahl der Ausführungen der Recyclingaktivitäten xju) mit spezifischen KEA-Koeffizienten der einzelnen Transportstufen (keaQ, keaU, keaR) sowie der einzelnen Recyclingaktivitäten (keaj) multipliziert. Hierbei werden die Koeffizienzen entweder empirisch bestimmt, aus Datenbanken gewonnen (GEMIS 2008, BUWAL 1996) oder durch Kombination beider Verfahren ermittelt. So kann beispielsweise eine Rückrechnung der für Schredderprozesse benötigten elektrischen Energie auf den Primärenergiebedarf erfolgten. Auf Basis der so ermittelten KEAKoeffizienten lässt sich die folgende Zielfunktion zur Minderung der Umweltwirkungen ableiten:
Min
z2
z KEA
ª I § Q ·º U R ¨ « U U R R ¸» Q Q kea t y kea t y kea t y ¦ ¦ ¦ ¦ uu iu u ur iur qu iuq ' ' ¸» ¨ U « u' 1 r 1 ¸» « i 1 ¨© q 1 u zu ' ¹ ¦ » u 1« J « x kea » ¦ ju j ¼» ¬« j 1
Gl. 3.32
Als Kriterium für die Umweltentlastung wird im Folgenden in einem ersten Schritt zunächst die Masse der nach der Verwertung verbleibenden zu beseitigenden Abfälle herangezogen. Hierbei wird unterstellt, dass unter ökologischen Gesichtspunkten sowohl die stoffliche als auch die energetische Verwertung der ordnungsgemäßen Beseitigung der Materialien vorzuziehen ist. Zur Untermauerung dieser Annahme können Ökobilanzen herangezogen werden, die die ökologische Vorteilhaftigkeit des Recyclings und der Verwertung von Geräten und Materialien detailliert bewerten (vgl. z.B. Müller/Giegrich 2005, RWTH-IME 1995). Unter Zugrundelegung des folgenden Koeffizienten recir
Verwertungsanteil bei Verbringung der Materialfraktion i zu Senke r [-]
ergibt sich die Masse der zu beseitigenden Abfälle aus dem Gesamtinput des Netzwerks Q ( y iuq ) abzüglich aller stofflich und energetisch verwerteten Stoffströme. Letztere werden beR ) rechnet durch Multiplikation der den Senken des Netzwerks zugeführten Materialflüsse ( y iur mit dem o.g. Koeffizienten, der den Anteil der Verwertung eines Bauteils bzw. einer Materialfraktion angibt ( rec ir ). Dieser Koeffizient ist hierbei sowohl von der Art der Materialfraktion als auch von der Senke abhängig, an die die jeweilige Materialfraktion geliefert wird. I
Min z3
zBeseitigung
U
§
Q
¦¦ ¨¨ ¦ y i 1 u 1
©q 1
Q iuq
R · R ¦ yiur recir ¸¸ r 1 ¹
Gl. 3.33
Die Zielsetzung besteht nun in der Bestimmung der in Hinblick auf die aufgestellten Zielfunktionen (z1, z2, z3) besten Alternative. Für die sich ergebende Bewertungsaufgabe mit drei Zielfunktionen werden im nächsten Unterkapitel alle effizienten Lösungen bestimmt.
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
83
Sowohl nach Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, in dem in stoffliche und energetische Verwertung unterschieden wird (KrW-/AbfG, § 6), als auch in der WEEE-Richtlinie, in der Recycling- (ausschließlich stoffliche Verwertung) und Verwertungsquoten (stoffliche und energetische Verwertung) spezifiziert werden, erfolgt eine differenziertere Betrachtung der Entsorgung. Daher wird in einem zweiten Schritt die Zielfunktion der Minimierung der Gesamtabfallmasse (z3) ersetzt durch die Zielfunktionen der Maximierung der stofflich verwerteten (z4) sowie der energetisch verwerteten Massen (z5).
F ir , G ir
Anteil der einer Senke r zugeführten Materialfraktion i, der als stofflich ( F ir ) bzw. energetisch ( G ir ) verwertet anerkannt wird [-]
Wie bereits in den Nebenbedingungen des Stoffstrommodells dargelegt, erfolgt die Berechnung der verwerteten und recycelten Massen durch Multiplikation der den Senken des Netzwerks zugeführten Materialflüsse ( y iurR ) mit Koeffizienten, die den Grad der stofflichen ( F ir ) und energetischen Verwertung ( G ir ) eines Bauteils bzw. einer Materialfraktion angeben. I
Max
z4
z stoffliche Verwertung
U
R
¦¦¦ y
F ir
R iur
Gl. 3.34
i 1 u 1 r 1 I
Max
z5
zenergetische Verwertung
U
R
¦¦¦ y
R iur
G ir
Gl. 3.35
i 1 u 1 r 1
Die aus dieser Differenzierung resultierende Zielsetzung besteht in der Maximierung des Deckungsbeitrags (z1) bei gleichzeitiger Minimierung des KEA (z2) und Maximierung sowohl der stofflichen (z4) als auch der energetisch (z5) verwerteten Massen. Zur Lösung dieser Bewertungsproblematik wird in Kapitel 3.4.3.3 die Methode der Zielprogrammierung eingesetzt. 3.4.3.2 Effiziente Lösungen
In einem ersten Schritt werden für das Beispiel mit lediglich drei Zielfunktionen alle effizienten Lösungen berechnet und visualisiert. Die Zielsetzung besteht somit in der Maximierung des Deckungsbeitrags als erster Zielfunktion (z1), der Minimierung des kumulierten Energieaufwandes als zweiter (z2) sowie der Minimierung der Gesamtabfallmenge als dritter Zielfunktion (z3). Hierbei wird auf das in Kapitel 3.3 beschriebene Verfahren nach (Quariguasi et al. 2009b) zurückgegriffen. Übertragen auf das Fallbeispiel erfolgt zunächst die Bestimmung der Optima aller drei Zielfunktionen. Als Maximum des Deckungsbeitrags ergibt sich ein Zielfunktionswert von 1,1 Mio. €/a für die mittlere der in Abbildung 3-15 vorgestellten Netzwerkalternativen. Ausgehend davon werden in einem zweiten Schritt mehrere Kurven des gleichen Deckungsbeitrags berechnet. Durch Festlegung von =0,1 ergeben sich beispielsweise insgesamt 10 Deckungsbeitragswerte. Bei Fixierung dieser Deckungsbeitragswerte erfolgt nun jeweils die Minimierung des Primärenergieeinsatzes (Zielfunktion 2) sowie der Abfallmenge (Zielfunktion 3). Durch diese Vorgehensweise werden nicht zulässige Lösungen entfernt und somit der Lö-
84
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
sungsraum eingeschränkt. Im Fallbeispiel ist es beispielsweise nicht möglich, einen vorgegebenen Deckungsbeitrag von 110.000 €/a mit einem geringeren Primärenergieeinsatz als 5.700 GJ/a bzw. mit weniger als 2.400 t/a Abfall zu erreichen. Eine weitere Begrenzung des Lösungsraumes ergibt sich durch Berechnung der minimalen Abfallmenge bei gleichzeitiger Fixierung des Deckungsbeitrags und des jeweils berechneten minimalen Primärenergieeinsatzes. Durch eine derartige Begrenzung des Lösungsraumes sind jeweils die Start- und Endpunkte der Kurven des gleichen Deckungsbeitrags vorgegeben. Auf dieser Basis wird der Kurvenverlauf zwischen diesen beiden Punkten wie in Kapitel 3.3 dargestellt approximiert. Diese Prozedur wird für alle Deckungsbeitragskurven wiederholt, bis der maximale Deckungsbeitrag erreicht ist. Die Ergebnisse der Visualisierung für eine Netzwerkalternative sind exemplarisch in Abbildung 3-17 dargestellt, wobei zur Erzielung einer höheren Transparenz auch nicht-effiziente Lösungen dargestellt sind. Es wird deutlich, dass für den maximal erzielbaren Deckungsbeitrag von 1,1 Mio. €/a lediglich eine effiziente Lösung existiert, d.h. es kann bestenfalls eine minimale Abfallmenge von 5.488 t/a und ein minimaler KEA von 5.892 GJ/a erreicht werden. Eine weitere Verringerung der beiden ökologischen Zielfunktionen ist nur möglich, wenn eine Reduktion des Deckungsbeitrags in Kauf genommen wird. Zudem lassen sich Trade-offs zwischen den ökologischen Zielfunktionen ableiten. Der Grund hierfür ist in den mit einem Recycling und somit einer Verringerung der Abfallmenge einhergehenden erhöhten Transportentfernungen zu suchen, die wiederum zu einem höheren KEA führen. 9.100 9,1
KumulierterEnergieaufwand(KEA)[GJ/a]
220.000€/a 8.600 8,6 330.000€/a 440.000€/a 8.100 8,1 550.000€/a 660.000€/a 7.600 7,6
7.100 7,1 770.000€/a 880.000€/a
6.600 6,6
Optimumbeirein monetärerZielsetzung (Deckungsbeitrag)
990.000€/a 6.100 6,1
1.100.000€/a 5.600 5,6 2.200 2,2
2.700 2,7
3.200 3,2
3.700 3,7
4.200 4,2
4.700 4,7
5.200 5,2
5.700 5,7
Abfall[t/a
Abbildung 3-17: Bestimmung der effizienten Lösungen und Trade-Offs zwischen den drei Zielfunktionen (Quariguasi et al. 2009b)
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
85
3.4.3.3 Zielprogrammierung
Im Folgenden wird die Methode der Zielprogrammierung für die Allokation der Stoffströme und Prozesse innerhalb der Recyclingnetzwerke bei gleichzeitiger Berücksichtigung von vier Zielfunktionen eingesetzt. Die Zielsetzung besteht somit in der Maximierung des Deckungsbeitrags (z1), der Minimierung des KEA (z2) sowie der Maximierung sowohl der stofflich (z4) als auch energetisch (z5) recycelten Massen. Es wird angenommen, dass die nach WEEERichtlinie vorgegebenen Recycling- und Verwertungsquoten zu erfüllen sind (vgl. Tabelle 21). Für die Modellierung wird auf die beschriebene Vorgehensweise zur Zielprogrammierung zurückgegriffen, hierbei wird ein kombiniertes MINSUM und MINMAX-Modell (vgl. Gleichung 3.23 bzw. 3.24) eingesetzt. In einem ersten Schritt werden die vier Zielfunktionen im Rahmen von Einziel-Modellen jeweils optimiert. Die Optima der vier Zielfunktionen sind in Tabelle 3-3 dargestellt. Die der stofflichen bzw. der energetische Verwertung maximal zuführbaren Massen sind hierbei für alle Netzwerkalternativen gleich, da die stoffliche Zusammensetzung der zur Verfügung stehenden Geräte einheitlich ist. Tabelle 3-3:
Ergebnisse der Optimierung der vier Einzelzielfunktionen für die verschiedenen Netzwerkalternativen Max z1 Min z2 Deckungsbeitrag KEA (1.000 €/a) (GJ/a)
Max z4 Max z5 Stoffl. Verwertung Energet. Verwertung (t/a) (t/a)
Zentrale Struktur
630
7.974
6.600
2.340
Mittlere Zentralisierung
743
6.806
6.600
2.340
853
5.120
6.600
2.340
Dezentrale Struktur
Die berechneten Optima werden im Anschluss als Ziele des Kompromissmodells verwendet, hierdurch können Pareto-effiziente Lösungen gewährleistet werden (vgl. Tamiz et al. 1998). Als Gewichtungsfaktoren werden im Folgenden 77% für den Deckungsbeitrag, 11,5% für den Kumulierten Energieaufwand sowie jeweils 5,75% für die stoffliche und energetische Verwertung zu Grunde gelegt. Durch das hohe Gewicht des Deckungsbeitrags wird der Tatsache Rechnung getragen, dass laut Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz die „Pflicht zur Verwertung von Abfällen [...] einzuhalten [ist], soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist.“ (KrW-/AbfG, § 5). Hierbei werden sowohl das MINSUM-WGP (=1), die Kombination aus MINSUM- und MINMAX-WGP (=0,5) sowie das MINMAX-WGP (=0) angewandt. In Tabelle 3-4 sind die Ergebnisse unter Zugrundelegung der o.g. Gewichtungsfaktoren den Ergebnissen einer rein ökonomischen Gewichtung gegenübergestellt.
86
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Dezentrale Mittlere ZentStruktur ralisierung
Zentrale Struktur
Tabelle 3-4:
Vergleich der Ergebnisse bei rein ökonomischer Allokation mit den Ergebnissen der Zielprogrammierung als MINSUM-WGP (=1), als MINMAXWGP (=0) sowie einer Kombination dieser Ansätze (=0,5) z1
z2
Deckungsbeitrag (1.000 €/a)
KEA (GJ/a)
z4
z5
Stoffliche Energet. VerwerVerwertg. (t/a) tung (t/a)
Max (ökonomisch)
630
8.085
5.771
888
=1 WGP (w1=0,77, w2=0,115, =0,5 w4=0,0575, w5=0,0575) =0
630
8.085
5.771
888
630
8.085
5.771
889
605
8.147
5.771
1.096
Max (ökonomisch)
743
7.005
5.771
888
WGP =1 (w1=0,77, w2=0,115, =0,5 w4=0,0575, w5=0,0575) =0
743
7.005
5.771
888
743
7.005
5.771
888
714
7.075
5.771
1.128
Max (ökonomisch)
853
5.639
5.771
888
WGP =1 (w1=0,77, w2=0,115, =0,5 w4=0,0575, w5=0,0575) =0
853
5.612
5.771
888
853
5.612
5.771
888
820
5.721
5.771
1.155
Es wird deutlich, dass sich die Ergebnisse der drei Ansätze der Zielprogrammierung für diese Gewichtung nicht wesentlich unterscheiden. Zudem sind die Ergebnisse auch bei einer Gewichtung der ökologischen Ziele von insgesamt 23% nicht wesentlich von den Ergebnissen des Einzielmodells für die ökonomische Koordination entfernt. Bedingt ist dies durch die Zugrundelegung der Recycling- und Verwertungsquoten nach WEEE-Richtlinie als Mindestanspruchsniveaus (Restriktionen). Im Vergleich zu den oben dargestellten Ergebnissen der vollständigen Lösung vor der Umsetzung der WEEE-Richtlinie wird daher deutlich, dass nach der Umsetzung der rechtlichen Vorgaben deutlich weniger Freiheitsgrade für die Allokation der Stoffströme und Prozesse im Rahmen der jeweiligen Netzwerkstruktur verbleiben. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass aufgrund der a-priori Gewichtung bei Anwendung der Zielprogrammierung – anders als bei der Berechnung aller effizienten Lösungen – Aussagen über Interdependenzen und Tradeoffs zwischen den Zielen nicht ohne Weiteres möglich sind. Derartige Aussagen können nur durch Variation der Gewichtungsvektoren gewonnen werden. Im Folgenden wird daher die Gewichtung des ökonomischen Zielkriteriums z1 zwischen 0 und 100% variiert, wobei die Gewichtungsproportionen der ökologischen Kriterien z2, z4 und z5 unverändert bleiben (Tabelle 3-5).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung Tabelle 3-5:
87
Sensitivitätsanalyse der Gewichtung des Deckungsbeitrags (ceteris paribus) für die mittlere Zentralisierung
Gewichtung des Deckungsbeitrags
z1
z2
z4
z5
Deckungsbeitrag (1.000 €/a)
KEA (GJ/a)
stoffliche Verwertung (t/a)
energetische Verwertung (t/a)
0%
196
7.269
5.771
2.022
10 %
558
7.312
5.771
1.992
20 %
609
7.334
5.771
1.918
30 %
635
7.302
5.771
1.758
40 %
656
7.240
5.771
1.604
50 %
674
7.181
5.771
1.464
60 %
743
7.003
5.771
888
70 %
743
7.005
5.771
888
80 %
743
7.005
5.771
888
90 %
743
7.005
5.771
888
100 %
743
7.005
5.771
888
Durch diese Analysen wird deutlich, dass sich die Ergebnisse bis zu einer Gewichtung von ca. 60% für den Deckungsbeitrag nicht wesentlich von den Ergebnissen bei ökonomisch effizienter Allokation unterscheiden. Mit abnehmender Gewichtung des Deckungsbeitrages nimmt die energetisch verwertete Masse auf Kosten des Deckungsbeitrages zu, wobei gleichzeitig der Kumulierte Energieaufwand steigt. Daher wird auch bei Analyse der Ergebnisse der Zielprogrammierung – wie bereits bei der Berechnung aller effizienten Lösungen – deutlich, dass eine gleichzeitige Maximierung der verwerteten Massen bei einer Minimierung des KEA und somit eine simultane Entwicklung der ökologischen Ziele nicht möglich ist. Im Anschluss an die dargestellte Anwendung der MODM-Methoden zur Allokation der Stoffflüsse und Aktivitäten im Netzwerk erfolgt nun die Bewertung der diskreten Netzwerkalternativen bei multikriteriellen Zielsetzungen unter Anwendung der vorgestellten MADMMethode PROMETHEE.
3.4.4 MADM-Verfahren zur Bewertung von Recyclingnetzwerken Im vorhergehenden Kapitel 3.4.3 erfolgte die Untersuchung der Allokationsentscheidungen in vorgegebenen Netzwerkstrukturen unter Zugrundelegung verschiedener Zielfunktionen. Hierdurch wurden die Stoffströme und Prozesse und somit die auf diesen beruhenden variablen ökonomischen und ökologischen Kenngrößen beeinflusst. Im Folgenden sollen wiederum die in Abbildung 3-15 vorgestellten diskreten Netzwerkalternativen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Es wird eine multikriterielle Bewertung dieser diskreten Netzwerkalternativen durchgeführt, beispielsweise mit dem Ziel, die aus Sicht politischer Entscheidungsträger unter Nachhaltigkeitskriterien optimale Recyclingstruktur zu ermitteln. Die Bewertung von Recyclingnetzwerken wird daher im Folgenden um weitere ökologische, technische und soziale Kriterien erweitert.
88
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
3.4.4.1 Zielsystem und Attribute
Als Kriterien werden zum einen die für die Netzwerkalternativen bereits ermittelten ökonomischen Kosten- und Erlösarten (investitionsabhängige Kosten und sonstige entscheidungsrelevante Gemeinkosten, Stofffluss-, Prozesskosten) sowie die ökologischen Bewertungskriterien für die Umweltwirkung (KEA) und die Umweltentlastung (stoffliche/energetische Verwertung) herangezogen. Als technische Kriterien werden der Automatisierungsgrad des Systems, der Stand der Technik, die Arbeitssicherheit, die Flexibilität und der Spezialisierungsgrad sowie das zum Betrieb des Systems erforderliche Know-How herangezogen. Als soziale Bewertungskriterien spielen vor allem Beschäftigungsaspekte eine Rolle, z.B. bezüglich der Anzahl der insgesamt und insbesondere in infrastrukturschwachen Gebieten, für gering Qualifizierte sowie Behinderte geschaffenen Arbeitsplätze und der Arbeitszufriedenheit. Eine Kriterienhierarchie zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Recyclingnetzwerken ist in Abbildung 3-18 gegeben. Tabelle 3-6 können jeweils die Maßeinheiten bzw. Bewertungsskalen und Zielrichtungen (Maximierung/Minimierung) der genannten Kriterien entnommen werden. Nachhaltiges Recyclingnetzwerk für Elektro(nik)altgeräte
Soziales
C16 – Arbeitszufriedenheit
C15 – Sonst. Arbeitsplätze
C14 – Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten
Beschäftigung
C13 – Arbeitsplätze für gering Qualifizierte/Behinderte
C12 – Know-How
Flexibilität
C10 – Flexibiltät der Kapazität
Technischer Stand
C9 – Arbeitssicherheit
Umweltwirkungen
C8 – Stand der Technik
C5* – Energetische Verwertung
C4* – Stoffliche Verwertung
C2* – Prozesskosten
C3 – Investitionsabhängige Kosten/ sonstige Gemeinkosten
C1* – Stoffflusskosten
Kreislaufschluss
Technik
C11 – Spezialisierung (Produkte)
Umweltschutz
C7 – Automatisierungsgrad
Ökonomie
Attribute
C6* – Kumulierter. Energieaufwand (KEA)
Zielsetzung
Abbildung 3-18: Kriterienhierarchie zur Bewertung nachhaltiger Recyclingnetzwerke Hierbei ergeben sich die Ausprägungen der Alternativen bezüglich einzelner Kriterien zumeist aus der Gestaltung des jeweiligen Behandlungssystems (zentrales/dezentrales System, starke Automatisierung/manuelle Zerlegung). Die mit (*) gekennzeichneten Kriterien (variable Erlöse und Kosten, Anteil stofflicher/energetischer Verwertung, Kumulierter Energieaufwand) hingegen hängen von operativen Entscheidungen innerhalb einer bestimmten Infrastruktur ab. Diese Entscheidungen sind daher unter Zugrundelegung von Stoffstrommodellen als Einziel- oder Mehrziel-Optimierungsmodelle geeignet zu antizipieren (vgl. Kapitel 3.4.2 und 3.4.3).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
89
Eine Analyse der Charakteristika des vorliegenden Entscheidungsproblems verdeutlicht, dass die verwendeten Skalen sehr unterschiedlich sind (kardinal/ordinal: €/a, t/a, %, Stück, Stufenbewertung). Eine Transformation in eine gemeinsame Skala, die die Voraussetzung für die Anwendung nutzenbasierter Verfahren darstellen würde, gestaltet sich somit schwierig. Es bietet sich daher der Einsatz von Outranking-Verfahren an. Hierbei erfolgt der Vergleich von zwei Alternativen jeweils bezüglich eines Attributes, eine Kompensation zwischen den Attributen wird vermieden (Kapitel 3.3). Im Folgenden wird das Verfahren PROMETHEE aufgrund seiner Vorteile in Bezug auf die Transparenz, die praktische Anwendbarkeit und den geringen Informationsbedarf (Brans et al. 1986, Brans/Mareschal 1994) gewählt. Tabelle 3-6:
Ausprägungen der Alternativen bezüglich der Attribute (* – Attribute werden mit Hilfe von Stoffstrommodellen unter Zugrundelegung von Einziel- oder Mehrziel-Funktionen antizipiert)
Attribute
Zentrale Struktur
Mittlere Zentralisierung
Dezentrale Struktur
C1*
Stoffflusskosten
€/a
Min
*
*
*
C2*
Prozesskosten
€/a
Min
*
*
*
C3
Investitionsabhängige Kosten/ sonstige Gemeinkosten
€/a
Min
- 625.100
- 975.300
- 1.300.000
C4*
Stoffliche Verwertung
t/a
Max
*
*
*
C5*
Energetische Verwertung
t/a
Max
*
*
*
C6*
KEA
GJ/a
Min
*
*
*
C7
Automatisierungsgrad
Stufen (1-3)
Max
3
2
1
C8
Stand der Technik
Stufen (1-4)
Max
4
3
2
C9
Arbeitssicherheit
Stufen (1-3
Max
3
2
1
C10
Variabilität der Kapazität
%
Max
50
150
150
C11
Spezialisierung
Stufen (1-3)
Max
2
3
1
C12
Know-How
Stufen (1-4)
Max
4
3
1
C13
Anzahl an Arbeitpslätzen für Behinderte/ Geringqualifizierte
Stück
Max
4
0
8
C14
Anzahl an Arbeitpslätzen in strukturschwachen Gebieten
Stück
Max
0
0
6
Stück
Max
25
35
24
Stufen (1-3)
Max
2
1
3
C15
Anzahl sonst. Arbeitsplätze
C16
Arbeitszufriedenheit
3.4.4.2 Anwendung von PROMETHEE
Im Rahmen der Anwendung des Verfahrens PROMETHEE erfolgt zunächst die Bestimmung der für die Kriterien jeweils geeigneten Präferenzfunktionen (vgl. Abbildung 3-14). Hierbei wird für alle Kriterien, die auf Notenstufen (1-3 oder 1-4) gemessen werden (C7, C8, C9, C11, C12, C16) eine Stufenfunktion gewählt. Bei einem Stufenunterschied von 1 wird die bessere Alternative mit 0,5 präferiert, ab einem Unterschied von 2 Stufen vollständig. Für alle Attribute, die in Stück (z.B. Anzahl der Arbeitsplätze) gemessen werden, erfolgt die Anwen-
90
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
dung einer linearen Präferenzfunktion (C13, C14, C15), wobei der Maximalwert als größte Distanz der Ausprägungen der Attribute festgelegt wird. Auf alle anderen Attribute wird eine Gaußsche Präferenzfunktion angewandt (C1, C2, C3, C4, C5, C6, C10). Dieser Typ von Präferenzfunktion verhält sich sehr stabil bei Unsicherheiten des Entscheidungsträgers (Zimmermann/Gutsche 1991). Während Veränderungen bei sehr kleinen oder sehr großen Differenzen in den Ausprägungen der Attribute sich nur wenig auswirken, reagiert die Funktion stark auf Veränderungen mittlerer Differenzen. In einem zweiten Schritt sind die Gewichtungsfaktoren festzulegen. Hierbei wird im Rahmen einer top-down Gewichtung zunächst der Gewichtungsfaktor für die Ziele Ökonomie, Umweltschutz, Soziales und Technik festgelegt. Da die bei der Gestaltung von Recyclingnetzwerken beteiligten Akteure sehr unterschiedliche Ziele verfolgen (vgl. Kapitel 3.2), werden diese Gewichtungen variiert, indem jedes der Ziele einmal sehr hoch (66 %) bewertet wird. Die anderen Ziele werden wie in Tabelle 3-7 dargestellt gleichgewichtet (jeweils 11%) bewertet. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die zentrale Alternative Vorteile bei einer hohen Gewichtung der ökonomischen und technischen Attribute aufweist, während die dezentrale Alternative im Rahmen einer umweltorientierten und sozialen Bewertung besser abscheidet. Tabelle 3-7: Gewichtung (%) Ökonomie Umweltschutz Technik Soziales Ranking der Alternativen
Ergebnisse der MADM-Bewertung Präferierung Ökonomie 66 11.33 11.33 11.33 Z
Dez
M
Präferierung Umweltschutz 11.33 66 11.33 11.33 Dez
Z
M
Präferierung Technik 11.33 11.33 66 11.33 Z
M
Dez
Präferierung Soziales 11.33 11.33 11.33 66 Dez
Z
M
Eine ceteris paribus Sensitivitätsanalyse bezüglich der ökonomischen Gewichtung verdeutlicht allerdings, dass die zentrale Alternative selbst bei einer geringen Gewichtung der ökonomischen Dimension noch vorteilhaft ist. Erst ab einer Gewichtung von weniger als 20% erweisen sich die dezentraleren Alternativen als überlegen (Abbildung 3-19).
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
91
1.51.5
1Zentale companyAlt.
Mittlere Alt. 3 companies
Dezentale Alt. 6 companies
0.50.5
P h i n e tto
Nettofluss PROMETHEEII
1.01.0
0
0.0 1.0
0.9
0.8
0.7
0.6
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0.0
0.5 -0.5 1.0 -1.0 1.5
-1 5
Gewichtung Weight (economic(Ökonomie) performance)
Abbildung 3-19: Sensitivitätsanalyse der Gewichtung der ökonomischen Ziele (ceteris paribus) Auf Basis der dargestellten Ergebnisse lassen sich Empfehlungen zur Implementierung neuer rechtlicher Regelungen der WEEE-Richtlinie sowohl an betriebliche als auch an politische Entscheidungsträger ableiten. Es zeigt sich, dass zentrale Alternativen sowohl unter ökonomischen als auch unter technischen Gesichtspunkten Vorteile aufweisen. Dezentrale Strukturen hingegen sind in Bezug auf Umweltschutzziele (KEA) und soziale Ziele vorteilhaft. Aufgrund der ökonomischen und technischen Nachteile setzt die Erhaltung der dezentralen Strukturen bestimmte Maßnahmen, z.B. die Zusammenarbeit der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Recyclingnetzwerken zur Ausschöpfung von Größendegressionseffekten voraus (Spengler/Walther 2005a, Walther/Spengler 2004). Deutlich wird zudem, dass selbst zwischen den Umweltzielen ein Trade-off besteht, d.h. die Verbesserung eines Umweltzieles (z.B. Abfallminimierung) kann nur durch Verschlechterung des anderen Umweltzieles (z.B. Primärenergieverbrauch) erreicht werden. Aus praktischer Sicht ist hierbei insbesondere der Vergleich der Ergebnisse einer rein ökonomischen und einer multikriteriellen Bewertung interessant. Ein derartiger Vergleich kann beispielsweise im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren eingesetzt werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der resultierenden Bewertungsergebnisse für verschiedene Alternativen zu analysieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können für die Erarbeitung von Maßnahmen zur Beeinflussung von Netzwerken in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung genutzt werden (Spengler/Walther 2005b).
3.5 Fazit Die Grundlage für die Gestaltung und Lenkung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke stellt die ex-ante Ermittlung der aus den Transformations- und Konsumprozessen resultierenden
92
3 Stoffstrombasierte Modellierung und Bewertung
Stoff- und Energieströme dar. Während für die statische Abbildung vernetzter Produktionssysteme bei Kuppelproduktion in der Fertigungsindustrie die Aktivitätsanalyse geeignet ist, findet für die Beschreibung verfahrenstechnischer Stoffumwandlungsprozesse die auf stöchiometrischen und thermodynamischen Prinzipien beruhende Prozesssimulation mittels Flowsheeting-Systemen Einsatz. Als dynamischer Ansatz eignen sich Petri-Netze für die zeitdiskrete Abbildung vernetzter fertigungstechnischer Produktionssysteme, während für die Beschreibung dynamischer verfahrenstechnischer Prozesse die kontinuierliche Modellierung auf Basis von Differenzialgleichungssystemen geeignet ist. Vor dem Hintergrund der zunehmenden umweltrechtlichen und gesellschaftlichen Anforderungen bilden die so ermittelten entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme die Basis für die Bewertung von Produkten, Prozessen, Unternehmen oder Wertschöpfungsnetzwerken. Hierbei ist für die ökonomische Bewertung insbesondere die Methode der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung geeignet, da diese auf die – für Kuppelproduktionsprozesse nicht verursachungsgerecht mögliche – Verrechnung aller Kostenarten auf die Stoff- und Energieströme verzichtet. Neben ökonomischen sind im Sinne der Nachhaltigkeit zudem ökologische und soziale Entscheidungskriterien bzw. Zielsetzungen simultan zu berücksichtigen. Dies resultiert in komplexen, multikriteriellen Entscheidungs- und Bewertungsproblemen mit nichtsynergetischen Effekten zwischen den Zielsetzungen. Unabdingbar ist daher die Anwendung von Ansätzen zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung in Form von Methoden des Multi Objective und des Multi Attribute Decision Making. Es wird deutlich, dass insbesondere Ansätze geeignet sind, die dem Entscheidungsträger einen detaillierten Einblick in die Entscheidungssituation ermöglichen und somit wesentlich zur Transparenz des Entscheidungsprozesses beitragen. Erst die Anwendung derartiger Methoden zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung ermöglicht die simultane Berücksichtigung ökonomischer, sozialer und ökologischer Kriterien als Voraussetzung für Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit. In den folgenden Kapiteln bilden die vorgestellten Methoden der Stoffstrommodellierung und Bewertung die Grundlage für die Entwicklung von Planungsmodellen entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘. Zunächst einmal werden im nächsten Kapitel Ansätze zur Antizipation der von den Lenkungssystemen Politik – Markt – Gesellschaft vorgegebenen Anforderungen an den Lebenszyklus von Produkten vorgestellt. Hierbei wird insbesondere auf die Gesetzesfolgenabschätzung als Methode zur Prognose des Verhaltens dynamisch komplexer sozio-ökonomischer Systeme eingegangen.
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
4
93
Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Im Folgenden wird die Einflussnahme des Lenkungssystems (Umwelt-)Politik auf die Diffusion neuer Technologien und Produkte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung analysiert. Aufgrund der mit der Umsetzung von Innovationen verbundenen hohen technischen und marktlichen Risiken ist ein Eingreifen politischer Entscheidungsträger häufig erforderlich. Hierbei besteht die Zielsetzung politischer Entscheidungsträger darin, die Entwicklung und Implementierung bzw. Diffusion nachhaltiger Technologien und Produkte zu fördern, wobei eine Auswahl geeigneter Politikoptionen aus der Vielzahl an ordnungsrechtlichen Maßnahmen und ökonomischen Instrumenten sowie den Möglichkeiten der freiwilligen Selbstverpflichtung zu treffen ist. Für betriebliche Entscheidungsträger bildet eine Analyse der (umwelt-)rechtlichen, marktlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen des Planungsumfeldes die Voraussetzung für strategische Entscheidungen bezüglich des zukünftigen Produkt- und Technologieportfolios. Die Auswirkungen dieser Rahmenbedingungen sind daher vor der Phase der Produktentwicklung zu analysieren. Im Folgenden werden in Kapitel 4.1 zunächst Ziele und Vorgehensweise der durch politische Entscheidungsträger vor der Verabschiedung von Politikoptionen durchzuführenden (Gesetzes-)Folgenabschätzung unter Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Kriterien vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt in Kapitel 4.2 die Charakterisierung der zu beeinflussenden Systeme als dynamisch komplexe Systeme, in denen Rückkopplungen und Verzögerungen über lange Zeiträume zu Nichtlinearitäten, Akkumulationen und häufig zu nicht-intendierten Wirkungen führen. Für die Modellierung und Bewertung derartiger Systeme ist insbesondere die Methode System Dynamics geeignet, die daher im Anschluss in Kapitel 4.3 vorgestellt wird. Abschließend erfolgt in Kapitel 4.4 die exemplarische Anwendung der systemdynamischen Modellierung zur Folgenabschätzung des Einsatzes von Politikoptionen zur Emissionsminderung im Automobilsektor, bevor ein Fazit in Kapitel 4.5 gezogen wird.
4.1 Folgenabschätzung für Politikoptionen Wie in Kapitel 2 dargestellt, erfolgt zur Vermeidung der durch die Übernutzung öffentlicher Güter (bzw. natürlicher Ressourcen) verursachten externen Effekte und der damit verbundenen Umwelt-, Gesellschafts- und Wirtschaftsprobleme (vgl. hierzu z.B. Dyckhoff/Souren 2008, Radermacher 2008) zunehmend der Einsatz (umwelt-)rechtlicher Instrumente (Kösters 1997, Kemfert 1998, Hemmelskamp 1999). Durch derartige Instrumente greifen politische Entscheidungsträger mit Hilfe ordnungsrechtlicher Maßnahmen (z.B. Vorgabe von Grenzwerten, Mindestwirkungsgraden, Recyclingquoten) oder ökonomischer Instrumente (z.B. Einführung von Abgaben, Steuern, handelbaren
94
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Zertifikaten) in den Entscheidungsraum betrieblicher Entscheidungsträger ein. Die durch die rechtlichen Eingriffe verursachten Wirkungen sind jedoch nicht immer ökologisch richtungssicher bzw. unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht unbedingt sinnvoll. So können sich beispielsweise produktseitige Maßnahmen, die gewollt in eine Phase des Produktlebenszyklus eingreifen, ungewollt in anderen Lebensphasen des Produktes negativ auswirken und somit insgesamt zu höheren Umweltwirkungen führen. Mit dem bei einem Akteur zur Umsetzung einer Maßnahme notwendigen ökonomischen Aufwand könnten ggf. an anderer Stelle deutlich höhere Reduktionen der Umweltwirkungen erzielt werden. Auch wenn kurzfristige Erfolge nachweisbar sind, lassen sich langfristig häufig negative, nicht-intendierte Wirkungen beobachten (Wagner 1997). Trotz der dargestellten Problematik wird teilweise vorgeschlagen, das richtige Maß rechtlicher Eingriffe durch ein Vorgehen nach dem „Trial-and-Error“-Prinzip zu finden. Dies führt jedoch zu einem massiven Vertrauensverlust bei den Stakeholdern (Baumol/Oates 1988, Kemfert 1998) und sollte daher vermieden werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich politischen Entscheidungsträgern die Aufgabe, soziale, ökologische und ökonomische Auswirkungen rechtlicher Regelungen bereits vor der Umsetzung abzuschätzen und somit die Qualität, Effizienz und Effektivität von Rechtsvorschriften zu gewährleisten (Böhret/Konzendorf 2001). Mit Hilfe der hierfür eingesetzten (Gesetzes-) Folgenabschätzung20 soll daher durch eine ex-ante Analyse der Politikoptionen eine Verbesserung und Vereinfachung rechtlicher Maßnahmen erzielt werden. Hierbei sind Nachhaltigkeitsaspekte (Ökonomie, Ökologie, Soziales) zu berücksichtigen und sowohl kurz- als auch insbesondere langfristig Auswirkungen auf andere Branchen und Bereiche zu antizipieren (European Commission 2004, European Commission 2005a). Eine derartige Analyse ist auch aus Sicht der betrieblichen Entscheidungsträger zur Antizipation der Wirkungen möglicher Politikoptionen durchzuführen, nur dadurch können die wesentlichen marktlichen und gesellschaftlichen Wirkungen rechtlicher Instrumente ermittelt werden. Derartige langfristige Analysen bilden die Grundlage für die strategische Ausrichtung des Produktportfolios sowie für die Entwicklung zukünftiger Geschäftsmodelle. Notwendig ist daher eine Abstimmung der strategischen Unternehmensplanung mit der politischrechtlichen sowie der technologischen Umwelt der Unternehmen (Wagner 1997).
4.1.1 Vorgehen im Rahmen der Folgenabschätzung In der Europäischen Union ist die Folgenabschätzung vorgeschrieben für ordnungsrechtliche Maßnahmen sowie für Maßnahmen, die auf dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission stehen (Europäische Kommission 2005a). Zur Vereinheitlichung des Vorgehens wur-
20
Regulatory Impact Assessment
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
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de ein Leitfaden entwickelt (Europäische Kommission 2005c). Hierbei sollten die an der jeweiligen rechtlichen Regelung beteiligten oder von ihr betroffenen Zielgruppen zur Folgenabschätzung hinzugezogen und wissenschaftliche Erkenntnisse von Sachverständigengruppen und wissenschaftlichen Ausschüssen genutzt werden. Einsatz fand die Folgenabschätzung bisher beispielsweise für rechtliche Maßnahmen in den Bereichen Biokraftstoffe (Europäische Kommission 2006a), Abfälle (European Commission 2005b), Energiesysteme (Europäische Kommission 2003b), Treibhausgasemissionen (European Commission 2003a), Chemikalien (European Commission 2003b), nachwachsende Ressourcen (Europäische Kommission 2006b, 2005b, European Commission 2005c), Batterien (European Commission 2003c) und Emissionen im Automobilsektor (Europäische Kommission 2007b). Im Rahmen der Folgenabschätzung sind die folgenden Fragestellungen zu beantworten (vgl. Europäische Kommission 2005c): x Welche Politikoptionen stehen für die Realisierung der Ziele zur Verfügung? x Welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen sind mit diesen Optionen wahrscheinlich verbunden? x Welche Vorteile und Nachteile sind mit diesen Optionen verbunden? Die Inhalte der im Rahmen der Folgenabschätzung durchzuführenden Analyseschritte reichen von der Problemdefinition und der Ermittlung der Zielsetzung über die Ermittlung, die Wirkungsanalyse und den Vergleich möglicher Politikoptionen bis hin zur Entwicklung von Monitoring- und Evaluierungsmechanismen. Die wesentlichen Inhalte dieser Analyseschritte sind in Abbildung 4-1 dargestellt. Der wesentliche Schritt der Folgenabschätzung besteht in der Wirkungsanalyse der Politikoptionen (Schritt 4, Abbildung 4-1). Hierbei sind zunächst die potenziellen Wirkungen zu ermitteln, bevor diese qualitativ in Hinblick auf die wesentlichen Auswirkungen bewertet werden. Für die als entscheidungsrelevant erkannten Wirkungen sind im Anschluss weitergehende qualitative Analysen sowie gegebenenfalls eine Quantifizierung der Wirkungszusammenhänge durchzuführen. Die Zielsetzung dieser qualitativen und quantitativen Analysen besteht hierbei nicht in der Ausweisung exakter Werte oder der Erstellung von Punktprognosen, sondern darin, dem Entscheidungsträger einen Einblick in die Entscheidungssituation zu geben. Hilfreich ist hierfür die Durchführung von Szenarioanalysen, Trendprognosen sowie Sensitivitätsanalysen zur Abschätzung der Ergebnisrelevanz von Annahmen. Nur so können potenzielle nicht-intendierte Wirkungen bereits im Vorfeld erkannt und vermieden werden.
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1.Problemdefinition • BestimmungdesProblemumfangs • ErmittlungderSchlüsselakteure/betroffenen Gruppen • ErmittlungderUrsachen • EinflussnahmedurchdieEUnotwendig/sinnvoll? 2.Zielsetzung • Festlegungproblem undursachenrelevanterZiele • Herausarbeitungder„Interventionslogik” • AbgleichmitdenZielenderEUPolitikundStrategie,derLissabonStrategieundderStrategiefürnachhaltigeEntwicklung 3.Politikoptionen • ErmittlungvonPolitikoptionen • WahlgeeigneterUmsetzungsmechanismen(regulatorisch/nichtregulatorisch) • AusschlussvonMechanismenaufgrundfachlicherundsonstigerGründe,BewertunghinsichtlichWirksamkeit,Effizienzund Kohärenz • ErstelleneinerShortlistpotenziellerOptionen fürweitergehendeAnalysen 4.Wirkungsanalyse • Ermittlung(mittelbarerundunmittelbarer)ökologischer,wirtschaftlicherundsozialerAuswirkungen sowiederArtund WeiseihresAuftretens • ErmittlungvonBetroffenen(auchaußerhalbderEU)sowiederdieseBetroffenenbeeinflussenden Wirkungen • Qualitative,quantitativeundmonetäreBewertungderAuswirkungen sofernmöglichundangemessen • AbwägenderRisikenundUnsicherheitensowieHindernissefürUmsetzungundEinhaltungderPolitikoptionen 5.VergleichderOptionen • GegenüberstellungderpositivenundnegativenAuswirkungenjederOption • Darstellungaggregierterunddisaggregierter Ergebnisse • DarstellungdesVergleichsnachBereichen • AngabeeinerfavorisiertenOptionwennmöglichundangemessen 6.Monitoring undEvaluierungsmechanismen • FestlegungvonFortschrittsindikatorenfürSchlüsselzielsetzungen • UmreißenvonMonitoringmechanismen • UmreißenvonEvaluierungsmechanismen
Abbildung 4-1: Analyseschritte im Rahmen der Folgenabschätzung (verändert nach Europäische Kommission 2005c) Der Ablauf der Wirkungsanalyse als wichtigster Teil der Folgenabschätzung ist zusammenfassend noch einmal in Abbildung 4-2 dargestellt. Schritt3:Fortgeschrittenequalitativeund/oder quantitativeAnalysevonAuswirkungen Schritt2:QualitativeBewertungderFragenachdenwichtigstenAuswirkungen Schritt1:ErmittlungvonAuswirkungen
Abbildung 4-2: Schritte der Wirkungsanalyse als Teil der Folgenabschätzung (verändert nach Europäische Kommission 2005c) Die in der Regel sehr komplexen Entscheidungssituationen mit einer Vielzahl an Politikoptionen und sehr langfristigen Auswirkungen auf eine große Anzahl unterschiedlichster Akteure machen eine geeignete methodische Unterstützung der Wirkungsanalyse erforderlich. Anhand
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der zu Grunde liegenden Aufgabenstellung der Auswahl von Politikoptionen für eine nachhaltige Entwicklung werden die Charakteristika der Planungssituation und daraus abgeleitet die Anforderungen an eine derartige Methodik im Folgenden erläutert.
4.1.2 Anforderungen an die Wirkungsanalyse Die Auswahl von Politikoptionen ist durch einen hohen Neuigkeitsgrad geprägt, da derartige Entscheidungen in der Regel noch nie oder aber – z.B. in anderen Ländern – unter abweichenden Rahmenbedingungen getroffen wurden. Es kann daher weder auf Zeitreihen noch auf Erfahrungen über früheres Systemverhalten zurückgegriffen werden. Die Erreichung ambitionierter politischer Zielsetzungen erfordert in der Regel die Zugrundelegung eines sehr langen Planungshorizonts. So erfordert beispielsweise die Entkopplung der CO2-Emissionen vom Bruttoinlandsprodukt aufwändige Forschungs- und Entwicklungsprojekte sowie die Umsetzung großer Investitionsvorhaben. Die Entscheidung beeinflusst eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure, z.B. Unternehmen entlang des gesamten Produktlebenszyklus innerhalb und außerhalb der EU, Konsumenten sowie die von der Umweltwirkung Betroffenen. Diese Akteure sowie weitere Stakeholder (z.B. Nichtregierungsorganisationen) und Sachverständige (Wissenschaftler, Expertengremien) sollten daher – wie in Kapitel 4.1 bereits angesprochen – in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Dies setzt ein gemeinsames Problemverständnis bezüglich des Systemverhaltens voraus. Überdies ist die Aufgabe der Bewertung und Auswahl von Politikoptionen zumeist schlecht strukturiert, d.h. es existieren keine standardisierten Verfahren zur Aufgabenbearbeitung und Entscheidungsfindung. Derartige schlecht strukturierte Probleme erfordern in der Regel den Einsatz sogenannter Decision Support Systeme (DSS), zumeist in Form interaktiver, rechnergestützter Systeme (Gluchowski et al. 1997). Bei den zu gestaltenden Systemen handelt es sich um dynamisch komplexe, sozioökonomische Systeme, die sich dadurch auszeichnen, dass kurz- und langfristige Konsequenzen einer Handlung deutlich voneinander abweichen sowie nicht-intendierte Wirkungen auftreten können. In derartigen Systemen bestehen vielfältige Ursache-WirkungsBeziehungen, die auf den ersten Blick nicht direkt ersichtlich sind (Vennix 1996, Sterman 2000, Senge 1990). Die aufgrund des langen Planungshorizontes und der großen Anzahl an Betroffenen in der Regel sehr hohe Relevanz der Planungsentscheidung bedingt robuste Strategien, mit denen trotz der Dynamik, der bestehenden Unsicherheiten, der Neuartigkeit der Planungssituation und der vielfältigen Wirkungsbeziehungen auch bei Eintreten ungünstiger Szenarien gute Ergebnisse erzielt werden können (vgl. Scholl 2001, Schneeweiß 1990).
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Die Entwicklung robuster Strategien setzt jedoch voraus, dass mögliche Zukunftsverläufe antizipiert werden können. Hierbei kommen mentale Modelle als vereinfachtes Abbild der relevanten Größen und deren Beziehungen bei Entscheidungen in dynamisch komplexen Systemen sehr schnell an ihre Grenzen, da Rückkopplungen, mehrfache Vernetzungen, Verzögerungseffekte sowie Nichtlinearitäten nicht adäquat berücksichtigt werden (Forrester 1971, 1972). Notwendig ist daher eine methodische Entscheidungsunterstützung, die den aus den oben dargestellten Charakteristika abgeleiteten hohen Anforderungen gerecht wird und die Abbildung der Systemelemente sowie der zwischen diesen bestehenden Beziehungen mittels Computermodellen ermöglicht (Sterman 2000).
4.2 Dynamisch komplexe Systeme Zur Abbildung dynamisch komplexer Systeme und zur Lösung schlecht strukturierter Probleme hat sich die Systemkybernetik als „allgemeine formale Wissenschaft von der Struktur, den Relationen und dem Verhalten dynamischer Systeme“ (Flechtner 1969, S. 10) als geeignet erwiesen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass dynamische Systeme durch ihre Struktur determiniert sind (Forrester 1961). Im Folgenden sollen die Verhaltensmuster dynamisch komplexer Systeme sowie die computergestützte Modellierung auf Basis systemkybernetischer Ansätze erläutert werden.
4.2.1 Verhaltensmuster dynamisch komplexer Systeme In dynamisch komplexen Systemen bestehen zwischen den Systemelementen zeitabhängige Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Treten hierbei zwischen zwei Systemelementen Rückkopplungen auf, kann dies zu verstärkenden sowie ausgleichenden Effekten führen. Verstärkende (positive) Rückkopplungen resultieren in exponentiellem Wachstum (a), während ausgleichende (negative) Rückkopplungen zu zielsuchenden Prozessen führen (b). Weitere charakteristische Verhaltensmuster ergeben sich durch Zeitverzögerungen und Akkumulationen. Oszillationen (c) lassen auf Rückkopplungen mit Zeitverzögerungen schließen, während sich logistisches Wachstum (d) aus einer Kombination aus nichtlinear verbundenen positiven und negativen Rückkopplungsschleifen ergibt. Zeitverzögerungen können zudem das Kollabieren (e) sowie Überschwingen (f) von Systemen verursachen (Sterman 2000). Die charakteristischen Verhaltensmuster dynamisch komplexer Systeme sind in Abbildung 4-3 dargestellt.
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Ziel
Ziel
(a)
(c)
(b)
Zeit Exponentielles Wachstum
Zielsuchender Prozess
Kapazität
Kapazität
(d)
Zeit
(e) Zeit
Logistisches Wachstum
Zeit Überschwingen mit Kollaps
Zeit Oszillation Kapazität
(f) Zeit Überschwingen mit Oszillation
Abbildung 4-3: Charakteristische Verhaltensmuster dynamischer Systeme aufgrund von Rückkopplungen, Zeitverzögerungen und Nichtlinearitäten (übersetzt nach Sterman 2000) Für die Lösung dynamischer Problemstellungen stehen sowohl kontrolltheoretische und regelungstechnische Methoden als auch simulationsbasierte Ansätze zur Verfügung. Hierbei erlaubt die Kontrolltheorie die optimale Regelung eines mit Hilfe von Differenzialgleichungen beschriebenen dynamischen Systems durch sogenannte Kontrollvariablen. Allerdings sind hierfür in der Regel starke Vereinfachungen der Realität erforderlich, zudem ist die analytische Lösbarkeit kontrolltheoretischer Modelle sehr beschränkt (Schiemenz 1982). Auch im Rahmen der Steuer- bzw. Regelungstechnik erfolgt die gezielte Beeinflussung dynamischer Systeme, die mit Hilfe sogenannter Signalflussgraphen abgebildet werden. Hierbei stellen die Knoten die zu analysierenden Systemvariablen und die gerichteten Kanten die zwischen diesen bestehenden funktionalen Beziehungen dar. Auf den Kanten werden Signale in Form von Stoff-, Energie- oder Informationsströmen übermittelt (Spengler 1998). Kann ein dynamisches System als lineares Differenzialgleichungssystem mit konstanten Koeffizienten modelliert werden, lässt sich das System nach einer Laplace-Transformation algebraisch behandeln. Dies ermöglicht u.a. die Bestimmung von Stabilitätskriterien sowie nach einer Rücktransformation Aussagen über die zeitliche Bestandsänderung der Systemvariablen. Kann das System nur über nichtlineare gewöhnliche Differenzialgleichungen beschrieben werden, ist eine analytische Lösung in der Regel sehr aufwändig bzw. nicht mehr erzielbar. Für die Analyse, Modellierung und Simulation praktischer Problemstellungen dynamisch komplexer Systeme haben sich daher insbesondere simulationsbasierte Verfahren, z.B. in Form der von (Forrester 1958) entwickelten Methode System Dynamics bewährt (Sterman 2000, Milling 1991). Hierbei können auf Basis der expliziten Abbildung von Systemstrukturen (White-Box) und konkreter Ursache-Wirkungs-Beziehungen mit Hilfe von Simu-
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lationsstudien Einsichten in das Systemverhalten gewonnen werden (Sterman 2000). Dies erlaubt zum einen den Ausgleich eines Mangels an Informationen bei Vorliegen schlecht strukturierter Planungsaufgaben und zum anderen die Durchführung von Untersuchungen zur Entwicklung dynamisch komplexer Systeme über die Zeit unter der Annahme verschiedener Strategien und Szenarien (Larsen/Bunn 1999). Über Sensitivitätsanalysen können darüber hinaus Hinweise gewonnen werden, welche Einflussgrößen eine wesentliche Wirkung auf das Systemverhalten haben und deshalb näher untersucht werden sollten. Die Vorgehensweise bei Anwendung dieser Methode wird im Folgenden vorgestellt.
4.2.2 Systemdynamische Modellierung dynamisch komplexer Systeme Im Rahmen der systemdynamischen Modellierung werden die Verfahrensschritte der Problemdefinition, der Entwicklung einer dynamischen Hypothese, der Formulierung eines Simulationsmodells, der Modellanalyse sowie der Entwicklung und Bewertung von Politikoptionen durchlaufen, wobei häufig Iterationen notwendig sind, um anfangs nicht erkannte Wirkungszusammenhänge zu erfassen (Sterman 2000, Jack Homer 1996). Insbesondere die Prozessschritte der Formulierung des Simulationsmodells, der Modellanalyse sowie der Entwicklung und Bewertung von Politikoptionen können hierbei durch den Einsatz von Softwaresystemen wie iThink/STELLA (Hulbert et al. 2000), Vensim (Ventana 2003), Modelmaker (Walker 1997) oder Matlab/Simulink (MathWorks Inc. 1998) unterstützt werden (Strohecker 2008). Die für die Modellierung dynamischer Systeme notwendigen Verfahrensschritte werden im Folgenden näher ausgeführt und jeweils am Beispiel der Modellierung der Marktdiffusion neuer Produkte bzw. Technologien unter Verwendung der Software Vensim (Ventana 2003) erläutert. 4.2.2.1 Problemdefinition Zunächst erfolgt die Problemdefinition in Form einer verbalen Beschreibung des Systems sowie der resultierenden (ggf. unerwünschten) Wirkungen. Dies entspricht Schritt 1 der in Abbildung 4-2 dargestellten Folgenabschätzung. Hierbei sind die wesentlichen Systemelemente mit ihren Einflussgrößen sowie die resultierenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen über den relevanten Zeithorizont zu ermitteln sowie die Systemgrenzen festzulegen. Am Beispiel der Diffusion neuer Produkte und Technologien können als wesentliche Systemelemente das Marktpotenzial sowie der Absatz und der Bestand des Produktes bzw. der Technologie ermittelt werden. Bezüglich des Systemverhaltens lässt sich beobachten, dass nach der Markteinführung der Absatz der Innovation zunächst einmal gering ist. Das Produkt bzw. die Technologie ist nur Wenigen bekannt, zu den Käufern gehören nur innovative Kunden. Mit zunehmendem Bestand der Innovation im Markt wächst die Bekanntheit des Produktes bzw. der Technologie. Dies führt zu einer Zunahme des Absatzes, da die größere Käufergruppe der Imitatoren erschlossen wird. Allerdings führt eine weitere Zunahme des Bestandes
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schließlich zu einem abnehmenden bzw. versiegenden Absatz, da der Markt die Sättigungsgrenze für dieses Produkt bzw. diese Technologie erreicht. Hierbei wird vereinfachend davon ausgegangen, dass weder Ersatzkäufe getätigt werden noch Konkurrenzbeziehungen zu anderen Produkten bestehen. 4.2.2.2 Erstellung einer dynamischen Hypothese Im Anschluss an die Problemdefinition erfolgt die Systemanalyse durch Ermittlung der verhaltensrelevanten Systemstrukturen (Bossel 1994)). Hierbei werden die dynamischen Wirkungszusammenhänge mit Hilfe von Kausaldiagrammen erfasst. Aus dieser Analyse können ggf. bereits Erkenntnisse über die wichtigsten Ursache-Wirkungs-Beziehungen gewonnen sowie Strategien und Maßnahmen zur Verbesserung des Systemverhaltens entwickelt werden (Randers 1980). Dieser Schritt entspricht im Wesentlichen dem zweiten Schritt der Wirkungsanalyse aus Abbildung 4-2. Kausaldiagramme bestehen hierbei aus Knoten, die die relevanten Systemgrößen repräsentieren, sowie Pfeilen zur Abbildung der Abhängigkeiten zwischen den Systemgrößen. Pfeile zeigen von der unabhängigen (Ursprung) auf die abhängige Systemgröße und sind mit Vorzeichen versehen, je nach dem ob es sich um eine verstärkende (+) oder abschwächende (-) Wirkung handelt. Am Beispiel der Diffusion neuer Produkte und Technologien lassen sich für den angenommenen sehr einfachen Fall zwei Rückkopplungseffekte ermittelt. Zum einen ergibt sich eine positive Rückkopplung über den mit steigendem Bestand zunehmenden Bekanntheitsgrad des Produktes, der zu einer Erhöhung des Absatzes führt. Zum anderen besteht eine negative Rückkopplung, da aufgrund der beschränkten Marktkapazität die Menge der zukünftig absetzbaren Produkte umso geringer ist, je mehr Produkte bereits abgesetzt wurden. Unter Verwendung der Software Vensim ergibt sich die Darstellung des Kausalmodells der Produktdiffusion wie in Abbildung 4-4 gezeigt.
Produktbestand +
+
+
Bekanntheit
Marktsättigung
+
Absatz
-
Abbildung 4-4: Kausalmodell eines einfachen Produktdiffusionsmodells mit einer positiven und einer negativen Rückkopplung
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4.2.2.3 Formulierung eines Simulationsmodells Anschließend erfolgt die Überführung der im Kausalmodell qualitativ dargestellten Zusammenhänge in Flussdiagramme, in denen Bestands-, Fluss- und Hilfsvariablen sowie Informationsverbindungen zwischen diesen Variablen ausgewiesen werden (Sterman 2000, Forrester 1961). Dies entspricht der in Schritt 3 der o.g. Wirkungsanalyse behandelten fortgeschrittenen Analyse. Ein Bestand stellt hierbei eine Zustandsvariable dar (z.B. Lagerbestände, Produktionskapazitäten, Finanzmittelbestände). Die Bestände werden durch die mit ihnen verbundenen Flussvariablen (z.B. als Lagerzugang/-abgang, Einzahlung/Auszahlung) erhöht oder reduziert. Weiterhin bestehen Informationsflüsse zwischen den verschiedenen Elementen. Hilfsvariablen werden zur Verbesserung des Verständnisses der Modellstruktur eingesetzt. In Softwarepaketen erfolgt die Abbildung der Modelllogik durch Verknüpfung von Zustands-, Fluss- und Hilfsvariablen sowie Konstanten auf Basis visueller Beziehungen. So wird beispielsweise in der Software Vensim eine Bestandsvariable durch ein Rechteck dargestellt. Ergänzt werden diese weiterhin durch Modellkonstanten sowie die zur besseren Übersichtlichkeit im Rahmen der Modellierung verwendeten Hilfsvariablen. Die Systembeziehungen werden durch zwei Klassen von Verbindungen dargestellt. Zum einen werden Flüsse durch parallele Linien mit Pfeil in bzw. aus Rechtecken dargestellt. Diese führen zu einer Erhöhung bzw. Verringerung des jeweiligen Bestandes. Zum anderen sind Informationen als einfache Linien dargestellt. Diese repräsentieren die Logik des Systems und stellen Verknüpfungen zwischen Modellvariablen und -konstanten her. Im Beispiel der Diffusion neuer Produkte und Technologien stellt der Produktbestand eine Zustandsvariable dar, die sich aus dem kumulierten Absatz über den Betrachtungszeitraum ergibt. Die aktuelle Marktsättigung resultiert aus dem aktuellen Produktbestand im Verhältnis zur gegebenen Marktkapazität. Die bestandsabhängige Absatzrate wird nun zum einen durch die erreichte Marktsättigung und zum anderen durch eine potenzielle Absatzrate beeinflusst. Hierbei gilt, dass die bestandsabhängige Absatzrate umso geringer ist, je höher die Marktsättigung bereits ist. Dies entspricht der negativen Rückkopplung aus Abbildung 4-4. Die bestandsabhängige Absatzrate wirkt dann direkt auf den aktuellen Absatz des Produktes bzw. der Technologie ein. Zusätzlich wird der Absatz auch direkt durch den aktuellen Produktbestand beeinflusst. Dies entspricht der positiven Rückkopplung aus Abbildung 4-4, d.h. je mehr Produkte sich im Bestand befinden desto höher ist der Absatz. In Abbildung 4-5 ist dasselbe Flussdiagramm in zwei Ausführungen dargestellt. Auf der linken Seite (a) ist ein Flussdiagramm mit sprechenden Variablen und unter Angabe der Einheiten dargestellt, wie es im Rahmen der Modellierung dynamisch komplexer Systeme zur Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit und Transparenz Einsatz finden sollte (Sterman 2000). Auf der rechten Seite (b) findet sich für die weitere Behandlung der mathematischen Zusammenhänge die gleiche Darstellung unter Verwendung der folgenden Variablenbezeichnungen:
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y (t )
Produktbestand als akkumulierte Absatzmenge [Stück]
K
Marktkapazität [Stück]
rm
Potenzielle Absatzrate (ZE) [1/ZE]
r( y t )
Bestandsabhängige Absatzrate [1/ZE]
(a)
(b) Absatz [Stück/ZE]
dy ( t ) dt ück/ dy(t)/d(t) ZE ]
Produktbestand [Stück]
bestandsabhängige Absatzrate [1/ZE]
rr(y) ( yt )
rm rm
Marktsättigung [-] potenzielle Absatzrate [1/ZE]
yy(t) (t )
yy(t)/K (t ) K K K
Marktkapazität [Stück]
Abbildung 4-5: Flussdiagramm eines einfachen Produktdiffusionsmodells unter Verwendung sprechender Variablen (a) sowie unter Verwendung von Variablenkürzeln (b) Die Voraussetzung für eine Simulation des Systems stellt die Überführung der Flussdiagramme in Differenzialgleichungen bzw. Differenzialgleichungssysteme dar, welche nach Umwandlung in Differenzengleichungen mit numerischen Methoden gelöst werden können. Die Modellierung der Systembeziehungen erfolgt hierbei mittels gewöhnlicher Differenzialgleichungen erster Ordnung, die sich dadurch auszeichnen, dass in einer Gleichung sowohl die gesuchte Funktion einer Veränderlichen als auch deren Ableitung vorkommen. Dies erlaubt die Berücksichtigung von Nichtlinearitäten, Verzögerungseffekten und Rückkopplungen. Im Rahmen der Modellierung der Produktdiffusion ist die bestandsabhängige Absatzrate r(y) vom Gesamtbestand der bisher abgesetzten Produkte y(t) abhängig. Hieraus resultiert bei geringem Produktbestand ein Wachstum mit der potenziellen Wachstumsrate rm, während mit Annäherung des Produktbestandes an die Marktsättigung K die bestandsabhängige Absatzrate gegen Null geht (negative Rückkopplung). r ( y)
y (t ) · § rm ¨1 ¸ K ¹ ©
Gl. 4.1
Durch Multiplikation der bestandsabhängigen Absatzrate r(y) mit dem Produktbestand y(t) wird die Bekanntheit des Produktes berücksichtigt. Der Absatz ist daher umso größer, je mehr Produkte sich bereits auf dem Markt befinden (positive Rückkopplung). dy (t ) dt
r ( y ) y (t )
y (t ) · § rm ¨1 ¸ y (t ) K ¹ ©
Gl. 4.2
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Der Gesamtbestand zum Zeitpunkt t=T ergibt sich durch Akkumulation der Absätze in der Zeitspanne von t=0 bis t=T zuzüglich des Anfangsbestandes y(0) zum Zeitpunkt t=0. ª º y( t ) · § y( 0 ) ³ « rm ¨ 1 ¸ y( t )» dt K © ¹ ¼ 0 ¬ T
y( T )
Gl. 4.3
Aufgrund der Einfachheit des beschriebenen Zusammenhangs kann die Gleichung 4.3 analytisch gelöst werden. Hierbei ergibt sich die Lösung für den Anfangswert y(0) wie folgt: y(t)
K § K y (0) · rmt ¸¸ e 1 ¨¨ © y ( 0) ¹
Gl. 4.4
Im Folgenden sind in Abbildung 4-6 exemplarisch für ein konkretes Beispiel die auf Basis numerischer Lösungsverfahren berechneten Ergebnisse dargestellt. "Absatz [Stück/ZE]" 200 150 100 50 0
0
7.5
15 22.5 Zeit (Perioden)
"Produktbestand [Stück]" 1,000 750 500 250 0 0 7.5 15 22.5 30 Zeit (Perioden)
"bestandsabh. Absatzrate [1/ZE]" 0.6 0.45 0.3 0.15 0 0 7.5 15 22.5 30 Zeit (Perioden)
30
Abbildung 4-6: Entwicklung von Absatz, Produktbestand und bestandsabhängiger Absatzrate im Rahmen der Produktdiffusion Die dargestellten Zusammenhänge können um Verzögerungen im Absatz (z.B. durch Produktionsengpässe), durch die Aufnahme weiterer Wirkungen und Rückkopplungen (wie z.B. die Auswirkung unzufriedener Kunden auf den Absatz) oder von Konkurrenzbeziehungen zu anderen Produkten oder Technologien erweitert werden (vgl. hierzu auch Bass 1969). Hierbei sind komplexere Modelle nur noch selten analytisch lösbar, weshalb zur Bestimmung des dynamischen Verhaltens von realitätsnahen Modellen mit mehreren Rückkopplungen, Zeitverzögerungen und Nichtlinearitäten der Einsatz numerischer Lösungsverfahren unabdingbar ist (Sterman 2000; vgl. hierzu auch Stoer/Bulirsch 2002, Walter 2000). Zur Lösung mit numerischen Methoden wird Gleichung 4.3 in eine Differenzengleichung erster Ordnung überführt, hierbei wird die Größe 't als Zeitschritt vorgegeben bzw. mittels Schrittweitensteuerung automatisch bestimmt. y( t )
ª § º y · y( t 1 ) 't « rm ¨¨ 1 t 1,t ¸¸ y t 1,t » K ¹ ¬ © ¼
Gl. 4.5
Numerische Lösungsverfahren können in Einschritt- und Mehrschrittverfahren unterschieden werden (Stoer/Bulirsch 2002, Walter 2000). Hierbei bestimmen Einschrittverfahren ausgehend vom Anfangszustand bzw. vom Wert y(xk) an der Stelle xk die Richtung, in die sich das System weiterentwickelt, im einfachsten Fall beispielsweise in Form der Approximation
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des Näherungswertes yk+1 an der Stelle xk+1 durch Linearisierung der Lösungskurve auf Basis der Steigung der Tangente an der Stelle xk (Euler-Verfahren). Durch Verfahren höherer (Fehler-)Ordnung (z.B. Runge-Kutta-Verfahren m-ter Ordnung) kann eine bessere Approximation der Lösungskurve erzielt werden. Implizite Verfahren (z.B. implizites Runge-KuttaVerfahren) eignen sich aufgrund ihrer absoluten Stabilität für die Lösung steifer Differenzialgleichungssysteme, d.h. von Systemen in denen Prozesse mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen und die sehr unterschiedliche Eigenwerte aufweisen (Hairer/Wanner 1980). Im Rahmen der numerischen Lösung von Differenzialgleichungen treten einerseits Abbruchfehler durch die schrittweise Linearisierung der Lösungskurve und andererseits Rundungsfehler nach jedem Berechnungsschritt auf. Mit abnehmender (bzw. zunehmender) Schrittweite nimmt daher der Abbruchfehler ab (bzw. zu) sowie der Rundungsfehler zu (bzw. ab). Diese Gegenläufigkeit verdeutlicht die Notwendigkeit der Bestimmung einer geeigneten Schrittweite, die bei Einsatz von Verfahren mit automatischer Schrittweitensteuerung auf Basis vorgegebener Maximal- und Minimalschrittweiten sowie der Begrenzung des lokalen Diskretisierungsfehlers automatisch gewählt wird (Stoer/Bulirsch 2002, Walter 2000). In Softwaresystemen wie iThink/STELLA, Vensim, Modelmaker oder Matlab/Simulink ist eine Vielzahl numerischer Lösungsverfahren implementiert, wodurch sich auch komplexe Systeme lösen lassen. Hierbei ist insbesondere bei sehr komplexen, hoch nichtlinearen Systemen die Lösungsgüte der numerischen Verfahren sicherzustellen, beispielsweise durch Anwendung verschiedener Lösungsverfahren hoher Fehlerordnung, durch Test auf Steifheit des zu Grunde liegenden Differenzialgleichungssystems durch Berechnung der Eigenwerte oder durch Vergleich mit analytischen Lösungen vereinfachter Systeme (Seppelt/Richter 2005). 4.2.2.4 Modellanalyse Modelle werden immer problemorientiert entwickelt und stellen eine Idealisierung der Wirklichkeit dar. Insbesondere die in dynamisch komplexen Systemen auftretende hohe Anzahl an Elementen und Wirkungsbeziehungen sowie die systemimmanenten Nichtlinearitäten, Rückkopplungen und Verzögerungen erfordern eine sorgfältige Validierung im Rahmen der Entwicklung systemdynamischer Modelle. Trotz bzw. gerade aufgrund dieser Komplexität besteht die Zielsetzung bei der Erstellung darin, durch Modelltransparenz und sorgfältige Validierung Vertrauen beim Anwender zu erzeugen. Die Validierung sollte hierbei anhand der folgenden Schritte erfolgen (Liehr 2004, Sterman 2000): 1. Strukturvalidierung 2. Verhaltensvalidierung 3. Parametervalidierung
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Im Rahmen der Strukturvalidierung ist durch Befragung der Entscheidungsträger, durch empirische Analysen der Wirkzusammenhänge oder durch detaillierte Literaturstudien zu prüfen, ob alle wesentlichen Elemente und Wirkungsbeziehungen im Modell enthalten sind und alle Parameter eine Entsprechung in der Realität finden (Barlas 1996, Forrester/Senge 1980). Insbesondere ist hier auch die Konsistenz der physikalischen Einheiten aller Bestände, Flussgrößen und Hilfsvariablen zu prüfen (Sterman 2000). Im Rahmen der Verhaltensvalidierung wird die Konsistenz der Modellreaktionen auf verschiedene Inputs getestet. Möglichkeiten hierbei sind sogenannte Stresstests durch Eingabe sehr hoher/geringer Parameterwerte bzw. Tests auf Unstetigkeiten durch die Eingabe von Parametersprüngen. Die Parametervalidierung stellt bei einmaligen Entscheidungen in komplexen Entscheidungsräumen eine große Herausforderung dar. Die Zielsetzung besteht nicht nur in einer Überprüfung der Reaktionsrichtung, sondern insbesondere der Größenordnung der Modellreaktion. Dies setzt aber voraus, dass Vergangenheitsdaten zur Verfügung stehen, die derartige Überprüfungen erlauben. Auch wenn aufgrund der Einmaligkeit der Entscheidung eine derartige Überprüfung für das Gesamtmodell nicht möglich ist, können die einzelnen Module anhand ähnlicher Fälle aus der Vergangenheit validiert werden (Forrester/Senge 1980, Barlas 1996). Im Beispiel der Produktdiffusion erfolgt im Rahmen der Strukturvalidierung beispielsweise die Überprüfung der Konsistenz der in Abbildung 4-6 gegebenen Einheiten. Im Rahmen der Verhaltensvalidierung werden die Auswirkungen unterschiedlicher potenzieller Absatzraten auf das System untersucht. Im Rahmen der Parametervalidierung können anschließend Informationen über den Verlauf der Marktdiffusion von Vorgängerprodukten oder vergleichbaren Technologien herangezogen werden (vgl. hierzu auch Struben 2006). 4.2.2.5 Entwicklung und Bewertung von Politikoptionen Ist die Parametervalidierung für Vergangenheitsbeispiele für das Gesamtmodell oder – wenn dies nicht durchführbar ist – für Teilmodule erfolgreich abgeschlossen, können die Parameter für das aktuelle Fallbeispiel anhand von Literaturrecherchen oder Expertenbefragungen ermittelt werden. Auf Basis dieser Parameter kann das Modell dann zur Entscheidungsunterstützung eingesetzt werden. Hierbei erfolgt die Ableitung von Zielen, Strategien, Maßnahmen und Entscheidungsregeln zur Beeinflussung des Systemverhaltens bzw. zur Verbesserung der Systemperformance. Zur Abschätzung der Auswirkungen von Parameteränderungen und Strategieoptionen sind vielfältige Szenario- und Sensitivitätsanalysen heranzuziehen. Der Entscheidungsträger kann in diesen Prozess durch sogenannte Managementsimulatoren (Ford 1999, Schwaninger/Hechenblaickner 2002) aktiv eingebunden werden. Managementsimulatoren ermöglichen die manuelle Einstellung entscheidungsrelevanter Parameter über spezielle Masken, ohne dass der Entscheidungsträger sich detailliert mit der Modellspezifikation auseinander setzen muss. Der Entscheidungsträger kann dann die Wirkungen seiner Einstellungen bzw. Strategien auf die relevanten Systemvariablen sofort ablesen. Ein derartiges Vor-
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gehen erlaubt das „Training“ des Entscheidungsträgers und die Erarbeitung robuster Strategien mittels „Trial-and-Error“ am Modell. Am Beispiel der Produktdiffusion lassen sich beispielsweise Strategien für die Einführung neuer Produkte bewerten. So kann die Diffusionsgeschwindigkeit durch Wahl der potenziellen Absatzrate beeinflusst werden. Diese lässt sich beispielsweise durch Werbung erhöhen und ist evtl. durch die vorhandenen Produktionskapazitäten begrenzt. Die dargestellte Vorgehensweise soll im Folgenden an einem realen Fallbeispiel angewandt werden. Hierbei besteht die Zielsetzung in der Bewertung von Politikoptionen zur Reduktion von Emissionen im Automobilsektor.
4.3 Fallbeispiel: Folgenabschätzung im Automobilsektor System Dynamics ist bereits in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen erfolgreich eingesetzt worden, z.B. in der Biologie und Ökologie (Richter 1985, Berg/Kuhlmann 1992, Deaton/Winebrake 2000), in der Medizin (Coolay et al. 1996), der Volkswirtschaftslehre (Senge 1980, Davidsen 1988), der Politik (Naill 1992), oder im Supply Chain Management (Berry et al. 1994, Sterman 2000) bzw. im Closed Loop Supply Chain Management (Schröter 2006). Im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung existieren beispielsweise Modelle zur Bewertung der Auswirkungen politischer Instrumente auf den Individualverkehr (Christidis et al. 2003, Meyer et al. 2005), für den Emissionshandel (Ruth et al. 2000, Ruth/Amato 2002), oder für Energiesysteme (Larsen/Bunn 1999). Im Folgenden soll der Einsatz der Methodik am Beispiel der Auswahl von Politikoptionen zur Reduktion produktspezifischer Emissionen im Automobilbereich vorgestellt werden.
4.3.1 Planungsproblem Der Verkehrssektor gilt in entwickelten Volkswirtschaften als einer der größten Emittenten von Luftschadstoffen, wobei derzeit aufgrund aktueller Berichte zu Wirkungen und Kosten des anthropogenen Klimawandels (Stern 2006, IPCC 2007) der Ausstoß an Kohlendioxid im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Da der Verkehrssektor für 21% (EU) bzw. 26% (USA) aller CO2-Emissionen verantwortlich gemacht wird (UNFCCC 2007a, 2007b), werden auf politischer Ebene Maßnahmen zur Emissionsminderung im Verkehrssektor diskutiert. Die Zielsetzung besteht hierbei in der Beeinflussung des Fahrzeugbestandes, so dass der Gesamtausstoß an Emissionen verringert bzw. minimiert wird. Möglichkeiten zur Emissionsminderung bestehen dabei u.a. im Einsatz technischer Maßnahmen für konventionelle Fahrzeuge (Leichtrollreifen, Gewichtsreduzierung, Erhöhung des Motorwirkungsgrades) sowie in der Entwicklung alternativer Antriebskonzepte (Hybridtechnologie, Erdgasantrieb, Biokraftstoffe). Hierbei sind durch die Politik sowohl Anreize für Hersteller zur Entwicklung neuer Technologien als auch Anreize für Kunden zum Kauf dieser neuen (anfangs häufig teureren)
108
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Technologien zu setzen, wobei die in Tabelle 4-1 dargestellten umweltpolitischen Instrumente Einsatz finden können. Aus Sicht der Hersteller ist hierbei insbesondere interessant, welche Antriebstechnologien sich langfristig durchsetzen werden und in welchem Umfang dies durch umweltpolitische Vorgaben beeinflusst wird. Über die Wirksamkeit der aufgeführten Maßnahmen liegen jedoch häufig keine Informationen vor. Dies führt dazu, dass in verschiedenen Ländern unterschiedliche Maßnahmen bevorzugt werden. So werden seitens der politischen Entscheidungsträger in Frankreich Maluszahlungen für verbrauchsintensive Fahrzeuge implementiert (Botschaft Frankreich 2008), in Japan wird ein Steueranreizsystem (green tax system) geschaffen (Ministry of Finance Japan 2008), in Kalifornien müssen Fahrzeughersteller einen Mindestanteil an emissionsarmen Fahrzeuge über den Gesamtabsatz einhalten (California 2008), und in Europa wird nach einer gescheiterten Selbstverpflichtung der Hersteller zur Emissionsreduktion derzeit die Festlegung von Emissionsgrenzwerten pro gefahrenem Kilometer diskutiert (Europäische Union 2007, Europäische Kommission 2007b). Tabelle 4-1:
Umweltpolitische Instrumente im Transportsektor Hemmelskamp 1999, Michaelis 1996)
Ordnungsrechtliche Instrumente Grenzwerte x CO2-Grenzwerte x Abgasgrenzwerte Ge-/Verbote x Fahrverbote x Innenstadtsperrungen
Ökonomische Instrumente Umweltabgaben x Energie- (Öko-)Steuer x Mineralölsteuer x CO2-basierte Kfz-Steuer x Zulassungssteuer (Kaufsteuer, Maluszahlungen) Umweltsubventionen x Bonuszahlungen x Verschrottungsprämien
(in
Anlehnung
an
Informatorische, organisatorische und freiwillige Instrumente Ökologisches Marketing x Freiwillige Öko-Etikettierung Kooperationslösungen x Freiwillige Selbstverpflichtung zur Verbrauchs-/Emissionsreduzierung Umweltzeichen x Verbraucherinformationen Suasorische Instrumente x Fahrertraining
Vor diesem Hintergrund besteht die Zielsetzung im Folgenden in der Entwicklung eines Instruments zur Bewertung von Politikoptionen hinsichtlich Effizienz, ökologischer Treffsicherheit und Anreizwirkung für die Emissionsminderung im Verkehrssektor. Hierbei gestaltet sich das Planungsproblem aufgrund der zu berücksichtigenden Interdependenzen sozialer, technischer, umweltrechtlicher sowie makro- und mikroökonomischer Faktoren ausgesprochen komplex. Insbesondere ist das Zusammenspiel aus Politik, Unternehmen und Markt explizit abzubilden. Dynamische Aspekte sind aufgrund der Langfristigkeit der Wirkungsanalysen zu berücksichtigen, z.B. beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines Fahrzeugs derzeit ca. neun Jahre. Zudem sind Rückkopplungen abzubilden, wie z.B. eine Verschärfung von rechtlichen Regelungen bei zu geringer Emissionsminderung. Nichtintendierte Wirkungen treten in Form des sogenannten Rebound-Effektes auf, bei dem Einsparungen durch effiziente Technologien durch höhere Fahrleistungen überkompensiert wer-
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
109
den. Auch Nichtlinearitäten, z.B. im Rahmen der Marktdiffusion neuer Antriebstechnologien (siehe Kapitel 4.2.2), sind zu berücksichtigen. Diese Anforderungen verdeutlichen das Vorliegen eines dynamisch komplexen, schlecht strukturierten Planungsproblems. Aus diesem Grund wird die Methode System Dynamics zur Analyse, Modellierung und Simulation im Rahmen der Bewertung von Politikoptionen im Automobilsektor gewählt (vgl. Kapitel 4.2).
4.3.2 Modell Das entwickelte Modell beinhaltet die folgenden Module (vgl. Abbildung 4-7): a) Marktmodul zur Modellierung der Nachfrage (Marktanteile) der verschiedenen Antriebstechnologien unter Berücksichtigung von Käuferpräferenzen und Fahrzeugattributen auf Basis eines Multinomial Logit-Modells b) Bestandsmodul zur Modellierung des Gesamtbestandes an Fahrzeugen unter Berücksichtigung der Neuzulassungen und Löschungen sowie der Alterung des Fahrzeugbestandes c) Emissionsmodul zur Berechnung der Emissionen Kohlenwasserstoffe (HC), Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2), Stickoxide (NOx) und Partikelemissionen (pm21) unter Berücksichtigung des Fahrzeugbestandes verschiedener Altersstufen sowie der Gesamtfahrleistung d) Politikmodul zur Auswahl der Politikoptionen sowie zur Kontrolle der für die umweltrechtlichen Maßnahmen eingesetzten bzw. eingenommenen Haushaltsmittel und der Erfolgswirkung (Effektivität und Effizienz) der Maßnahmen Im Modell werden die Auswirkungen von Markt- und Absatzentwicklungen (a) auf den Bestand (b) an Fahrzeugen abgebildet. Der Bestand wiederum wirkt sich direkt auf den Kraftstoffverbrauch und somit die insgesamt resultierenden Emissionen (c) aus. Im Rahmen der Politikoptionen (d) können durch den politischen Entscheidungsträger durch Bonus- und Maluszahlungen der Marktanteil der Antriebstechnologien im Absatz sowie die Stilllegungsquoten von Altfahrzeugen beeinflusst werden, verbrauchsabhängige Steuern wirken sich auf die Fahrleistung sowie die Nachfrage nach effizienten Fahrzeugen aus22. Die Module werden im Folgenden beschrieben.
21
22
PM10 – Standard zur Berechnung des einatembaren Anteils an Staubimmissionen (Rat der Europäischen Gemeinschaften 1999) Ein ähnliches Modell entwickelt (Ford 1999) für den „South Coast Air Quality Management District“ SüdKalifornien, wobei dieses allerdings keine Alterungsketten für Fahrzeugbestände, insgesamt lediglich fünf Fahrzeugtypen sowie ausschließlich Kohlenwasserstoff-(HC-)Emissionen berücksichtigt.
110
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
a)Marktmodul
Verbrauchs und Emissionssteuern
Stillegungsanreize
Kaufanreize
Fahrzeugbestand inAltersstufen c)Emissionsmodul Kraftstoffverbrauchund resultierendeEmissionen CO2,CO,NOx,HC,PM10
Vorgabe:politischeInstrumente Feedback: EntwicklungHaushaltsmittelund ErfolgswirkungaufEmissionen
Einflüsse
Anreize
AusgabenfürStillegung
d)Politikmodul
Zulassungen,Löschungen ModellierungderNachfrage undAlterungder Fahrzeugtypen
ErfolgswirkungEmissionen
AusgabenfürKaufanreize
Nachfrage
b)Bestandsmodul Marktanteile
FeedbackEffektivität/Effizienz
Abbildung 4-7: Module des Modells zur Bewertung von Politikoptionen im Automobilsektor a) Marktmodul Die Zusammensetzung des Fahrzeugbestands und somit auch die resultieren Emissionen werden über den Verkauf von Neufahrzeugen beeinflusst. Hierbei basiert die Kundenentscheidung auf dem Nutzen, den eine Fahrzeugvariante auf Basis der jeweiligen Fahrzeugattribute sowie der Käuferpräferenzen bei einem Kunden besitzt. Die Kaufentscheidung der Kunden wird auf Basis der Theorie diskreter Auswahlentscheidungen (Discrete Choice-Theorie) als Multinomial Logit Modell (MNL) abgebildet (McFadden 1974, Bunch et al. 1993, Train 2003). Hierbei wird im Sinne der Zufallsnutzentheorie unterstellt, dass Kunden zwar deterministische Entscheidungsregeln nutzen, diese Entscheidungsregeln dem Analysten jedoch nicht vollständig bekannt sind. Die Nutzenfunktion wird daher in eine deterministische (systematische) und eine stochastische Komponente unterteilt (Train 2003, Bierlaire 1998). Unter Zugrundelegung der folgenden Variablen: v
Fahrzeugvariante (v=1,…,V)
i
Fahrzeugattribut (i=1,…,I)
Uv
Gesamtnutzen einer Fahrzeugvariante v
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
111
Nv
Deterministischer Nutzen der Fahrzeugvariante v
Hv
Zufällige bzw. nicht beobachtbare Komponente der Käuferentscheidung für eine Fahrzeugvariante v
x iv
Ausprägung des Fahrzeugattributes i einer Fahrzeugvariante v
Ei
Käuferpräferenz in Form der Bedeutung des Fahrzeugattributes i
mvMNL
Potenzieller Marktanteil der Fahrzeugvariante v (berechnet auf Basis des MNLModells)
ergibt sich der durch den Käufer wahrgenommene Nutzen Uv einer Fahrzeugvariante v somit als Summe eines beobachtbaren deterministischen Nutzens Nv sowie einer nicht beobachtbaren zufälligen Komponente H v .
Uv( t )
Nv ( t ) H v ( t )
v
1,...,V
Gl. 4.6
Hierbei hängt der deterministische Nutzen Nv einer Fahrzeugvariante sowohl von der Ausprägung der Fahrzeugattribute einer Fahrzeugvariante ab (xiv), als auch von den Käuferpräferenzen ( E i ) als Bedeutung, die ein Käufer dem jeweiligen Attribut beimisst. Als – über die Zeit veränderliche und teilweise durch die Politikoptionen beeinflussbare – Fahrzeugattribute xiv werden im Folgenden der Verkaufspreis (x1v), die Kraftstoffkosten (x2v), die Reichweite (x3v), die Emissionen (x4v), die Kraftstoffverfügbarkeit (x5v) sowie die Motorleistung (x6v) herangezogen (vgl. Abbildung 4-8).
x1v Verkaufspreis
x4v Emissionen x5v Kraftstoffverfügbarkeit x6v Motorleistung
E 3a x3v E 3b x3v 2 E 4a x4 v E 4b x4 v 2 E 5a x5 v E 5b x5 v 2
MarktanteilaufBasis derAuswahlwahr scheinlichkeit
Verzögerung:
x3v Reichweite
E 2 x2 v Marktdiffusionneuer Antriebstechnologien
x2v Kraftstoffkosten
E1 x1v
Realer Markt anteil
Absatz
Bestand
E6 x6 v
Abbildung 4-8: Marktmodul zur Abbildung der Marktanteile einzelner Fahrzeugvarianten unter Berücksichtigung von Fahrzeugattributen sowie der Marktdiffusion neuer Antriebstechnologien Hierbei kann der deterministische Nutzen als lineare Funktion der Summe aller mit den jeweiligen Käuferpräferenzen gewichteten Fahrzeugattribute beschrieben werden (Herrmann 1992, Bierlaire 1998, Ben-Akiva/Bierlaire 2003). Allerdings ergeben sich bei Auswahlentschei-
112
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
dungen im Automobilsektor häufig nichtlineare Zusammenhänge. Im Rahmen dieser Analyse wird, wie in Abbildung 4-8 dargestellt, in Anlehnung an (Ford 1999) sowie (Bunch et al. 1993) der folgende Zusammenhang zugrunde gelegt.
Nv ( t )
N v ( xiv ( t ), E i )
v
1,...,V
Gl. 4.7
Die Kalibrierung der Gewichtungsparameter der Fahrzeugattribute erfolgt auf Basis empirischer Umfragen sowie auf Basis empirischer Daten zur Entwicklung der einzelnen Marktanteile (Train/Winston 2007, Brownstone et al. 1996, 2000, Bunch et al. 1993). Unter Zugrundelegung eines nutzenmaximierenden Entscheidungsträgers sowie bei Annahme unabhängig voneinander Gumbel-verteilter stochastischer Störterme H v ergibt sich die Auswahlwahrscheinlichkeit und infolgedessen der potenzielle Marktanteil einer Fahrzeugvariante v ( m vMNL ) auf Basis eines MNL-Modells wie in Gleichung 4.8 dargestellt (Ben-Akiva/Lerman 1987, Bierlaire 1998). mvMNL ( t )
e Nv ( t ) ¦ e Nv ( t )
v
1,...,V
Gl. 4.8
vV
Die auf Fahrzeugattributen und Käuferpräferenzen beruhende Kaufentscheidung der Kunden kann durch politische Anreize beeinflusst werden. Hierbei verändert sich durch Bonus- und Maluszahlungen beispielsweise das Fahrzeugattribut Verkaufspreis, während Verbrauchsoder Emissionssteuern die Kraftstoffkosten erhöhen. Diese Einflussnahme kann zu veränderten Kaufentscheidungen und somit zu einer Veränderung des Neuwagenabsatzes und auf längere Sicht der Fahrzeugbestände führen (vgl. hierzu auch Meyer 2009). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Kraftstoffverfügbarkeit von der bestehenden Infrastruktur abhängt, die sich wiederum erst mit Zunahme des auf diesem Kraftstoff beruhenden Fahrzeugbestandes entwickelt (positive Rückkopplung). Alle Attribute verändern sich durch technische (Weiter-) Entwicklungen zudem über die Zeit, dies wirkt sich insbesondere bei neuen bzw. derzeit in der Entwicklung befindlichen Antriebstechnologien aus. Für eine detailliertere Darstellung dieser Zusammenhänge vergleiche (Walther et al. 2008b, Meyer 2009). Neben konventionellen, aktuell bereits verbreiteten Antriebstechnologien sind im Modell auch neue Technologien zu berücksichtigen. Wie in Abbildung 4-8 dargestellt wird hierbei davon ausgegangen, dass für neue Technologien auch vorteilhafte Fahrzeugattribute nicht sofort zu einem veränderten Käuferverhalten führen, sondern dass die Marktdiffusion mit einer gewissen Verzögerung erfolgt. Hierbei wird folgende Notation zu Grunde gelegt:
mv
Realer Marktanteil der Fahrzeugvariante v [-]
M
Markt als Gesamtanzahl der jährlich absetzbaren Fahrzeuge aller Varianten [Stück/ZE]
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
113
Dv
Absatz der Fahrzeugvariante v [Stück/ZE]
av
Anpassungsrate des aktuellen an den potenziellen Marktanteil für die Fahrzeugvariante v [1/ZE]
f
LW
Logistische Wachstumsfunktion des Marktanteils neuer Antriebstechnologien
Bei Einführung neuer Antriebstechnologien erreicht der reale Marktanteil ( mv ) erst mit einer Verzögerung den auf Basis des MNL-Modells berechneten Marktanteil ( m vMNL ). Der Anpassung zu Grunde liegt eine logistische Wachstumsfunktion als erste Ableitung der logistischen Funktion (Sterman 2000). Hierbei muss zu dem Zeitpunkt, zu dem die Antriebstechnologie auf den Markt kommt, eine Initiierung stattfinden. dm v dt
f
LW
>m , m v
MNL v
@
, a v m v (t )
v
1,..., V
Gl. 4.9
Die absolute Absatzmenge eines Fahrzeugtyps lässt sich dann durch Multiplikation des ermittelten relativen Marktanteils der Fahrzeugvariante mit dem aktuellen Gesamtabsatz über alle Fahrzeugvarianten (M) ermitteln. Die dadurch berechneten Neuwagenabsätze pro Fahrzeugvariante stellen den Input in das im Folgenden erläuterte Bestandsmodul dar. Dv ( t )
mv ( t ) M ( t )
v
1,...,V
Gl. 4.10
b) Bestandsmodul Die Änderung des Gesamtbestandes an Fahrzeugen pro Jahr ergibt sich aus dem Anfangsbestand zuzüglich der jährlichen Neuzulassungen sowie abzüglich der jährlichen Stilllegungen. Im Modell wird dieser Gesamtbestand jedoch weitergehend in Alterskohorten unterteilt (zur Modellierung von Alterskohorten vgl. Greenspan/Cohen 1999, Sterman 2000, Struben 2006). Hierbei sind im Folgenden in jeder Alterskohorte k die Fahrzeuge einer 5 Jahre umfassenden Altersklasse (d.h. Kohorte k=1: 0-4 Jahre alte Fahrzeuge, Kohorte k=2: 5-9 Jahre alte Fahrzeuge etc.) enthalten (vgl. Abbildung 4-9). Eine derartige Differenzierung ist v.a. für die realitätsnahe Modellierung der Emissionen des Gesamtbestandes im Emissionsmodul (c) notwendig (s.u.).
Neuwagen absatz
Stilllegung Kohorte1
Stilllegung Kohorte2
Bestand Kohorte1
Bestand Kohorte2 Übergang Kohorte1 – 2
Abbildung 4-9: Struktur der Alterskohorten
Stilllegung KohorteK
…
Übergang Kohorte2 – 3
Bestand KohorteK Übergang Kohorte(K1) – K
114
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Hierbei werden die folgenden Variablen zu Grunde gelegt : k Cvk
Index der Alterskohorten (k=1,…,K)
S vk
Anzahl der stillgelegten Fahrzeuge der Variante v in Kohorte k [Stück/ZE]
Avk
Abfluss der Variante v aus Kohorte k in die nächste Kohorte aufgrund Alterung
Bestand der Fahrzeuge der Fahrzeugvariante v in Kohorte k [Stück]
[Stück/ZE] Avk
Zufluss der Variante v aus der vorhergehenden Kohorte in Kohorte k aufgrund Alterung [Stück/ZE]
W
Kohortenlänge [ZE]
svk
Stilllegungsfaktor in Kohorte k [-]
svkN
Natürlicher Stilllegungsfaktor in Kohorte k [-]
svkP
Politisch motivierter Stilllegungsfaktor in Kohorte k [-]
Der Bestand der Fahrzeugvariante v in Kohorte k ( C vk ( t ) ) ergibt sich somit aus den Zuflüssen aus Verkäufen dieser Fahrzeugvariante ( Dvk ( t ) ) sowie aus Zuflüssen aus den die Altersgrenze der vorhergehenden Alterskohorten überschreitenden Fahrzeuge ( Avk ( t ) ) abzüglich der die Altersgrenze der Kohorte aufgrund von Alterung überschreitenden ( Avk ( t ) ) sowie stillgelegten Fahrzeuge ( S vk ( t ) ) der jeweiligen Variante. Hierbei ist im Rahmen der Modellinitiierung ein Anfangsbestand für jede Kohorte k und jede Fahrzeugvariante v ( C vk ( 0 ) ) vorzugeben. T
Cvk (T )
>
@
Cvk (0) ³ Dvk (t ) Avk (t ) Avk (t ) S vk (t ) dt
v
1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.11
0
Die Veränderung des Bestands des Fahrzeugtyps v der Kohorte k über die Zeit ergibt sich somit zu: dCvk dt
Dvk ( t ) Avk ( t ) Avk ( t ) S vk ( t )
v 1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.12
Neufahrzeuge aus dem Absatz (vgl. Modul Markt) fließen lediglich der ersten Kohorte zu:
Dvk ( t )
Dv (t) k 1 ® k !1 ¯0
v 1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.13
Im Rahmen der Stilllegung wird vereinfachend davon ausgegangen, dass die Fahrzeuge am Ende der Kohortendauer stillgelegt werden. Die Anzahl der die Kohorte aufgrund von Stilllegungen verlassenden Fahrzeuge berechnet sich hierbei durch Multiplikation des Stillegungsfaktors ( svk ) mit der Gesamtanzahl an Fahrzeugen, die der Kohorte vor W Perioden zugeflossen sind. In der letzten Kohorte werden alle Fahrzeuge am Kohortenende stillgelegt. Im Rahmen der Modellinitiierung müssen hierbei für die ersten W Perioden neben den Anfangsbe-
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
115
ständen (s.o) auch die Anfangsprofile für den Absatz bzw. die Kohortenabflüsse der vorhergehenden Perioden gegeben sein.
>
@
° Avk ( t W ) Dvk ( t W ) svk S vk ( t ) ® °¯ Avk ( t W ) Dvk ( t W )
kK k
v
K
1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.14
Bezüglich der Fahrzeugstilllegungen wird unterschieden in einen natürlichen Stillegungsfaktor ( svkN ) ohne politische Eingriffe, die bei Nutzung des Instrumentes der Verschrottungsprämien durch den Gesetzgeber beispielsweise für alle Fahrzeuge älter als 15 Jahre (Kohorten k=4,5, 6) um einen politisch motivierten Verschrottungsfaktor ( svkP ) ergänzt werden kann.
svk
svkN svkP
v
1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.15
In die erste Kohorte können keine gealterten Fahrzeuge aus vorhergehenden Alterskohorten einfließen, während in der letzten Kohorte ausschließlich Stilllegungen als Fluss aus der Kohorte auftreten.
Avk ( t )
k 1 0 ® ¯ Avk 1,k (t) k ! 1
v
1,...,V ; k
1,..., K
Gl. 4.16
Avk ( t )
Avk ,k 1 (t) k K ® k K ¯0
v 1,..., V ; k
1,..., K
Gl. 4.17
Alle nicht stillgelegten Fahrzeuge verlassen die Kohorte nach einer Kohortendauer von W:
Avk ,k 1 ( t )
>A
vk
@
( t W ) Dvk ( t W ) ( 1 svk )
v
1,...,V ; k
1,..., K
Gl. 4.18
Ein Überblick über die im Detail dargestellte Alterungskette sowie die Schnittstelle zur Berechnung der Emissionen in Modul (c) ist Abbildung 4-11 zu entnehmen. c) Emissionsmodul Im Emissionsmodul erfolgt auf Basis des Fahrzeugbestandes, des Kraftstoffverbrauchs sowie der Gesamtfahrleistung die Berechnung der HC-, CO-, CO2-, NOx- und pm-Emissionen. Hierbei wird angenommen, dass sich die von den Neufahrzeugen einzuhaltenden Emissionsgrenzwerte über die Zeit verschärfen. In der EU kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass die Grenzwerte i.d.R. alle 5 Jahre angepasst werden. Aus diesem Grund werden die Emissionswerte der Fahrzeuge der einzelnen Alterskohorten mit Altersanpassungsfaktoren versehen, die sich aus den zum Verkaufszeitpunkt geltenden Grenzwerten der EURO-Norm (EURO-Normen 1-5) ergeben (vgl. Meyer 2009). Auch die Fahrleistung ist vom Alter der jeweiligen Fahrzeuge abhängig. Neuere Fahrzeuge weisen im Allgemeinen eine höhere jährliche Fahrleistung auf als ältere Fahrzeuge. Dies kann zum sogenannten Rebound-Effekt führen, bei dem die durch effiziente Produkte erzielbaren Einsparungen durch vermehrte Nutzung (über-)kompensiert werden. Im Modell wird dies über altersspezifische Fahrleistungsmultiplikatoren berücksichtigt (BenDor 2004, DAT 2004).
116
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Der Kraftstoffverbrauch ist abhängig vom eingesetzten Kraftstoffmix, da in Abhängigkeit der Antriebstechnologie unterschiedliche Kraftstoffe Verwendung finden können (vgl. Abbildung 4-10). Der tatsächlich eingesetzte Mix hängt hierbei zum einen von den rechtlichen Mindestanforderungen (Beimischung von Biokraftstoffen, vgl. Kapitel 6) sowie von der Kraftstoffverfügbarkeit ab. Im Modell wird die zukünftig erwartete Entwicklung der Kraftstoffverfügbarkeit in Abhängigkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der technischen Entwicklungen auf Basis von Expertenschätzungen vorgegeben, im Rahmen von Sensitivitätsanalysen können diese erwarteten Werte variiert werden.
Konventionelle Fahrzeugvarianten
EinsetzbareKraftstoffe
Alternative Fahrzeugvarianten
Benzin auf Rohölbasis Benzin
Gas
Benzin Hybrid
Benzinhybrid
Gas Biokraftstoffe
Diesel Hybrid
Dieselhybrid
Diesel Mit P-Filter
Diesel auf Rohölbasis
Ohne P-Filter
Elektrizität Wasserstoff
Elektrofahrzeuge (Akku) Elektrofahrzeuge (Brennstoffzelle)
Abbildung 4-10: Fahrzeugvarianten mit einsetzbaren Kraftstoffen Die Emissionen einer Fahrzeugvariante lassen sich dann durch Multiplikation der Altersanpassungsfaktoren mit der jährlichen fahrzeugtypspezifischen Gesamtfahrleistung, den normierten Emissionen sowie dem Anteil der verschiedenen Antriebstechnologien und Kraftstoffe berechnen. Die Gesamtemissionen pro Jahr ergeben sich schließlich als Summe der jährlichen Emissionen des Fahrzeugbestandes aller Altersklassen. Auf Darstellung der mathematischen Formulierung soll hier verzichtet werden, für eine detailliertere Darstellung vergleiche (Meyer 2009, Walther et al. 2008b). Die erläuterten Zusammenhänge sind exemplarisch für die Kohorte 1 in Abbildung 4-11 dargestellt.
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
117
Natürliche Stilllegungsrate
Kohortenlänge Anfangsprofil (1)
Stilllegung
Matrix Verschrottung politisch motivierte Stillegungsrate
Stilllegungsrate Anfangsbestand Absatzrate Neuwagen
1-5 Jahre alte PKW
Alterungsrate
Matrix Fahrleistung
Jahresfahrleistung
Altersemissions faktor Jährliche Emissionen je Modell
Gesamte Emissionen
<Emissionsanteil Kraftstoff>
Abbildung 4-11: Flussdiagramm: Emissionen der in Alterskohorte 1 befindlichen Fahrzeuge d) Politikmodul Mit Hilfe des Politikmoduls lassen sich verschiedene Politikoptionen abbilden. Hierbei versucht der Gesetzgeber zum einen die Neuverkäufe verbrauchsarmer Technologien zu fördern (Beeinflussung der Kaufwahrscheinlichkeit in Modul a) und zum anderen eine verstärkte Stilllegung von Fahrzeugen und somit eine Verjüngung des Fahrzeugbestandes sowie gegebenenfalls eine Verringerung des Gesamtbestandes an Fahrzeugen zu erreichen (Beeinflussung der Stillegungsrate in Modul b). Hierbei darf ein gegebenes Haushaltsbudget nicht überschritten werden. Die Einflussnahme erfolgt auf Basis der folgenden Einflussgrößen: x Höhe der Maluszahlungen für konventionelle Antriebe x Höhe der zusätzlichen Maluszahlungen für Diesel ohne Partikelfilter bzw. Jahr der serienmäßigen Ausstattung mit Partikelfiltern x Höhe der Bonuszahlungen für alternative Antriebe x Höhe der Verschrottungsprämien x Steuersätze der Ökosteuer für jede Kraftstoffart
118
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
x Obergrenze der Unterstützungszahlungen für den Haushalt aus den Ökosteuereinnahmen x Jahr der Umstellung der Kfz-Steuer auf die CO2-Emissionsbasis Bezüglich der Umsetzung dieser Strategien bestehen im Modell grundsätzlich die Möglichkeiten x der manuellen Einflussnahme über einen Politiksimulator (Modelloptionen „Basis“, „Erweitert“) sowie x der automatisierten Steuerung mittels Autopiloten (Modelloptionen „Equal“, „Opt“). Im Rahmen der manuellen Einflussnahme findet ein „Politiksimulator“ als Managementsimulator Einsatz (vgl. hierzu Ford 1999, Schwaninger/Hechenblaickner 2002), mit dem die Lenkungswirkung verschiedener Steuer- und Rabattsysteme auf den Fahrzeugabsatz und somit auf den Gesamtfahrzeugbestand und die Gesamtemissionen sowie auf den Haushalt abgeschätzt werden können. Wie in Abbildung 4-12 dargestellt, lassen sich im Politiksimulator über Schieberegler sowohl die jeweiligen Bonus- bzw. Maluszahlungen für alternative bzw. konventionelle Fahrzeuge, als auch die Steuersätze und Stilllegungsprämien in bestimmten vorgegebenen Grenzen einstellen. Der Gesetzgeber kann die Auswirkungen seines Handelns auf Haushaltsmittel sowie Emissionsminderung sofort beobachten. Erkennt der Gesetzgeber eine Lücke zwischen Umweltziel und tatsächlichen Emissionen können bestehende Maßnahmen manuell verschärft oder weitere umweltrechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Beobachtet der Entscheidungsträger höhere Ausgaben als im Budgetplan vorgesehen, können Bonuszahlungen manuell im Simulationszeitraum verringert bzw. Maluszahlungen und Steuersätze erhöht werden. Die jeweiligen Eingriffe wirken sich dabei allerdings jeweils auch auf andere entscheidungsrelevante Systemvariablen (Emissionen bzw. Budget) aus. Im Rahmen der Modelloption „Basis“ steht ein fester Betrag für Bonus- und Maluszahlungen zur Verfügung. In der Option „Erweitert“ werden bei der Festsetzung des Etats für Bonus- und Maluszahlungen weitere Anforderungen gestellt, beispielsweise werden Bonuszahlungen nur gewährt, falls dies der Gesamthaushalt zulässt. Auch hier sind die verbleibenden Freiheitsgrade am Politiksimulator einstellbar.
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
119
Abbildung 4-12: Politiksimulator zur Steuerung des Einsatzes der umweltpolitischen Instrumente (Meyer 2009; in Anlehnung an Ford 1999) Im Rahmen der Umsetzung der Autopiloten wird eine explizite Rückkopplung zwischen Simulationsergebnissen und politischen Entscheidungen umgesetzt. Die Autopiloten bestimmen die Höhe der Bonus-/Maluszahlungen des aktuellen Jahres in Abhängigkeit des Gesamthaushalts des vorhergehenden Jahres. In der Modelloption „Equal“ wird das jährliche Budget für Bonus-/Maluszahlungen als Anteil der jährlichen Steuereinnahmen (die wiederum vom Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugbestandes abhängen) festgelegt. Dieses Budget wird dann homogen als Kaufanreiz auf alle alternativen Fahrzeugvarianten verteilt. Im Rahmen der Modelloption „Opt“ erfolgt die Verteilung dieses Budgets derart, dass ein homogener Kaufpreis für alle Antriebstechnologien angestrebt wird. Dies führt zu einer überproportionalen Förderung teurerer (d.h. neuerer) Antriebstechnologien. Während dadurch das Kriterium Verkaufspreis an Bedeutung verliert, gewinnt das Kaufkriterium Kraftstoffkosten aus Kundensicht an Bedeutung. Hierdurch wird die durch das MNL-Modell beschriebene Kaufentscheidung verändert.
120
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Ein Überblick über das Gesamtmodell mit Fokus auf die Interdependenzen zwischen den einzelnen Modulen ist in Abbildung 4-13 gegeben. Anfangswert
Anfangswert
Anfangswert
Anfangswert
b) Marktanteil
Verkäufe
Fahrzeugbestand
Sonstige exogene Faktoren
Marktdiffusionneuer Antriebstechnologien
c) Haushalt fürUmwelt maßnahmen
a
a) Einflüsse
Stilllegungen
Emissionen
Verzögerung
Anfangswert
Fahrleistung Kraftstoffverbrauch
d)
Potenzieller Marktanteil
KFZSteuer ÖkoSteuer Emissionssteuer
Finanzflüsse
Bonus/Malus zahlungen
PolitischeMaßnahmen
Verschrottungs zahlungen
Politischer Entscheidungs träger
FeedbackEffektivität/Effizienz
Abbildung 4-13: Überblick über die Module und Verknüpfungen des Modells zur Bewertung von Politikoptionen im Automobilsektor
4.3.3 Daten und Szenarien Anfangswerte für das Modell, wie z.B. Marktanteile, Emissionen, Gesamtbestand, Anpassungsfaktoren etc., stehen teilweise in offiziellen Datenquellen zur Verfügung (KBA 2004a, KBA 2004b, UBA 2003a, UBA 2003b, Shell 2004). Spezifische Daten bezüglich neuer Technologien und dazugehöriger Charakteristika können durch Literaturrecherchen und Experteninterviews gewonnen werden. Die für Kaufentscheidungen relevanten Kriterien sowie die dazugehörigen Käuferpräferenzen für das Marktmodell basieren auf den Ergebnissen empirischer Umfragen. In Tabelle 4-2 sind exemplarisch die Charakteristika der Antriebstechnologien dargestellt.
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik Tabelle 4-2:
121
Charakteristika der Fahrzeugtechnologien (Quellen: DAT 2004, Dudenhöffer 2005, Gibgas 2006, Hack 2004, Naunin 2004, Mot 2004, Albrecht 2005, SRU 2005)
Antriebstechnologie Benzinmotor
Kraftstoff
Durchschnittlicher DurchschnittAndere Kaufpreis licher Verbrauch Charakteristika Benzin (Normal, Super 21.735 EUR 8,04 l/100 km Durchschnittliche MotorPremium, Super Plus) leistung: 84kW Erdgas (GTL/BTL) Diesel ohne Diesel 24.150 EUR 6,43 l/100 km Partikelfilter Biodiesel Diesel mit Diesel 24.740 EUR 6,5 l/100 km Keine FeinstaubemissioPartikelfilter Biodiesel nen Monovalente Gas- Erdgas (GTL/BTL) 25.235 EUR 6,23 kg/100 km fahrzeuge (CNG) Benzinhybrid Benzin (Normal, Super 31.516 EUR 5,55 l/100 km Premium, Super Plus) Dieselhybrid Diesel, Biodiesel 34.510 EUR 4,8 l/100 km In Entwicklung Elektrofahrzeuge Strom: Hoch- und 36.000 EUR 25 kWh/100 km Reichweite: 100 km bei Strom Niedrigvolt 100 km/h Elektrofahrzeuge Brennstoffzelle 40.000 EUR, 1 kg CH2/100 km In Entwicklung, DurchBrennstoffzelle Wasserstoff Annahme: Reduktischnittliche Motoron auf 30.000 EUR leistung: 60 kW
Im Rahmen der Szenariogenerierung werden grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Szenarien unterschieden. Zunächst wird in den Szenarien 1 bis 6 (Tabelle 4-3) der Einfluss exogener Parameter untersucht. Szenario 1 bildet die unwahrscheinliche Situation nach, dass der aktuelle Zustand in die Zukunft fortgeschrieben wird, d.h. es finden keine Änderungen bezüglich der verfügbaren Technologien und Kraftstoffe und der Preise über die Zeit statt. In Szenario 2 wird die von Experten derzeit erwartete technische und ökonomische Entwicklung abgebildet. Daher sind für dieses Szenario die Entwicklungen der technischen und ökonomischen Fahrzeugattribute eingeschaltet („ja“), die Anpassung der Kraftstoffverfügbarkeit erfolgt mit der erwarteten Geschwindigkeit (1) (vgl. Tabelle 4-3). In Szenario 3 wird die zukünftige Beimischung von Biokraftstoffen auf Basis der EU-Richtlinie 2003/30/EG nachgebildet (Europäisches Parlament und Rat 2003c), während in Szenario 4 Effizienzsteigerungen der konventionellen Technologien zwischen 0 (keine Änderung) bis 1 (maximale Verbesserung) simuliert werden. In Szenario 5 erfolgt die jährliche Reduktion der Gesamtfahrleistung um 100 km pro Fahrzeug und Jahr, beispielsweise aufgrund erhöhter Kraftstoffpreise. In Szenario 6 steigen die Kraftstoffpreise deutlich schneller als erwartet an. In weiteren Szenarien 7 bis 11 (Tabelle 4-3) wird der Einfluss politischer Lenkungsmechanismen auf ökonomischer Basis untersucht, wobei Bonus-/Maluszahlungen auf den Kaufpreis sowie Verschrottungszahlungen für Fahrzeuge älter als 15 Jahre berücksichtigt werden. In Szenario 7 erfolgt die Umstellung der hubraumbasierten Kraftfahrzeugsteuer auf eine emissions- bzw. verbrauchsbasierte Steuer. Szenario 8 analysiert die Auswirkungen von Maluszahlungen für Diesel ohne Partikelfilter. Hierbei werden die Zahlungen zwischen 0 und 800 Euro variiert. In Szenario 9 werden eine emissionsbasierte Steuer sowie eine Maluszahlung auf Dieselfahrzeuge ohne Filter von 300 Euro angenommen und zusätzlich
122
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Bonuszahlungen für Neufahrzeuge mit alternativen Antriebstechnologien geleistet. Hierbei wird die optimale Höhe dieser Bonuszahlungen mit Hilfe des Autopiloten „Equal“ bestimmt. In Szenario 10 wird zusätzlich zu den in Szenario 9 berücksichtigten Instrumenten eine Verschrottungsprämie für Fahrzeuge älter als 15 Jahre eingeführt. In Szenario 11 werden Zahlungen aus Szenario 9 berücksichtigt, allerdings wird nun die Bonuszahlung nicht homogen für alle alternativen Fahrzeuge gezahlt, sondern es wird ein homogener Verkaufspreis aller Fahrzeugvarianten für den Endkunden angestrebt. Teurere Technologien werden hierdurch überproportional gefördert. Die Höhe der Zahlungen wird mit Hilfe des Autopiloten „Opt“ festgesetzt. Ein Überblick über die beschriebenen Szenarien ist in Tabelle 4-3 gegeben, wobei die Besonderheiten des jeweiligen Szenarios grau hinterlegt sind. Sind für bestimmte Parameter Wertespannen angegeben (z.B. Kraftstoffpreis 0-1) entspricht dies der Durchführung einer Sensitivitätsanalyse. Tabelle 4-3: Übersichtstabelle der untersuchten Szenarien (Grau hinterlegt sind die Spezifika des jeweiligen Szenarios. Für eine detailliertere Erläuterung vergleiche Walther et al. 2008b, Meyer 2009)
Szenarien U1: Entw. Kaufpreis U2: Entw. Kraftstoffpreis U3: Entw. Reichweite U4: Entw. Emissionsanteil U5: Entw. Kraftstoffverfügbarkeit U6: Entw. Motorleistung Zeitspanne für Verdopplung der Kraftstoffpreise Gesamtfahrleistung (km) Umstellung auf CO2-Steuer CO2-Steuer mit Anpassung Verbot Diesel ohne Partikelfilter (Jahr) Abgabe auf Diesel ohne Partikelfilter (€) Verschrottungsprämie (€) Max. Haushaltsdefizit (€) Max. Bonuszahlungen (€) Anteil Bonuszahlungen am Haushalt Modellvariante
Szenarien 1-6: Variation technischer & ökonomischer Rahmenbedingungen 1 2 3 4 5 6 ja ja ja ja ja ja ja 0-1 ja ja ja ja ja ja ja ja ja 0-1 ja ja ja (1) 0-1,5 ja ja ja
Szenarien 7-11: Einsatz ökonomischer Instrumente 7 8 9 10 11 ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja ja
20
ja 20
ja 20
ja 20
ja 20
ja 12
ja 20
ja 20
ja 20
ja 20
ja 20
0 04
0 08
0 08
0 08
-100 08
0 08
0 ja ja 08
0 08
0 ja ja 08
0 ja ja 08
0 ja ja 08
-
-
-
-
-
-
-
Var.
300
300
300
0
0
0
0
0
0
0
0
-
-
-
-
-
-
-
700 2,1 Mrd. 7 Mrd. 0,3
Var.
-
2,1 Mrd. 7 Mrd. 0,3
Bas.
Bas.
Bas.
Bas.
Bas.
Bas.
Erw.
Erw.
Eq.
Eq.
Opt
Var. 0,3
4.3.4 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen Im Rahmen der Untersuchung erfolgt eine Simulation für den Zeitraum von 2005 bis 2035. Hierbei wird ein gleichbleibender Gesamtbestand an Fahrzeugen angenommen, lediglich für das Szenario der Stilllegungsprämie wird hiervon insofern abgewichen, als dass in diesem
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
123
Szenario aufgrund der Verschrottung geringere Gesamtbestände resultieren können. Im Folgenden wird zunächst exemplarisch für das Szenario 11 ein Einblick in die Simulationsergebnisse gegeben, bevor die Ergebnisse aller Szenarien im Überblick dargestellt werden. In Szenario 11 erfolgt die Allokation der zur Verfügung stehenden Mittel für Bonuszahlungen so, dass mit Hilfe des Autopiloten “Opt” eine Homogenisierung des Kaufpreises für alle Antriebstechnologien angestrebt wird. Dies bewirkt, dass das im Rahmen der Kundenpräferenzen als relativ wichtig eingestufte Fahrzeugattribut Verkaufspreis an Bedeutung verliert und andere Attribute, wie z.B. die Kraftstoffkosten, entscheidungsrelevant(er) werden. Aus Abbildung 4-14 wird ersichtlich, dass diese Strategie zu einer deutlichen Abnahme der Neuverkäufe konventioneller Fahrzeuge (Diesel, Benzin) zugunsten alternativer Antriebe führt. Hierbei steigt anfangs der Anteil abgesetzter Hybridfahrzeuge an, während gegen Ende des Simulationszeitraumes der Absatz von Elektrofahrzeugen deutlich zunimmt.
2020
Gas
Gas
DieselohneFilter
Benzin
2005
Dieselo. Filter
ElektroDieselmitFilter Dieselm. Benzin
Filter
Dieselhybrid
Benzin hybrid BenzinhybridBenzin Elektro Diesel Gas hybrid Dieselm. Filter
2020
DieselohneFilter
ElektroDieselmitFilter Dieselm. Benzin Filter Dieselhybrid Benzinhybrid
Benzin Elektro hybrid GasDiesel hybrid
Benzin
2035
Abbildung 4-14: Neuwagenverkäufe bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11) Diese Veränderungen der Neuwagenverkäufe führen dementsprechend zu einer Abnahme des Bestandes an konventionellen Fahrzeugen. Ab dem Jahr 2025 befinden sich genau so viele konventionelle wie alternative Fahrzeuge im Bestand. Hierbei dominieren zunächst die Hybridfahrzeuge, die gegen Ende des Simulationszeitraums von den Elektrofahrzeugen abgelöst werden (Abbildung 4-15). Im Vergleich zu allen anderen Szenarien (1-10) resultiert hier der größte Bestand an Elektrofahrzeugen, die Homogenisierung des Kaufpreises zeigt also die beste Lenkungswirkung.
124
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
Elektro
Gas
Dieselo.Filter
Benzin hybrid DieselohneFilter
Dieselo. Filter
DieselohneFilter
Dieselm. DieselmitFilter
DieselmitFilter
Diesel Benzin hybrid DieselhybridDieselm. Filter
Benzin
Benzinhybrid Elektro
Benzin Gas
2005
Elektro
Filter
Benzin
Dieselhybrid Benzinhybrid Benzin Benzin Elektro hybrid Diesel Gas hybrid
2035
2020
Abbildung 4-15: Bestand der Antriebstechnologien bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11) Diese Veränderungen im Gesamtbestand resultieren in einer deutlichen Reduktion der Emissionen CO2, HC und CO über den Simulationszeitraum. Allerdings kann bezüglich der NOxEmissionen mit den im Modell abgebildeten Maßnahmen keine Reduktion erzielt werden (Abbildung 4-16). Letzteres ist auf die insgesamt steigende Anzahl an Dieselfahrzeugen zurückzuführen, die im Vergleich zu den bisher dominierenden Benzinfahrzeugen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufweisen.
Emissionen 250 250
pm,HC:[103 t/Jahr] CO,NOx:[104t/Jahr] CO2:[106 t/Jahr]
200 200
150 150
100 100 HC HC CO
CO
50 50 CO2
CO2 NOx NO x
0 2005 2005
pm pm
2020 2020
2035 2035
Abbildung 4-16: Entwicklung der Emissionen bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11)
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
125
Aus Abbildung 4-17 ist ersichtlich, dass in diesem Szenario anfangs die Auszahlungen für Boni auf alternative Fahrzeugtechnologien sehr hoch sind. Diese nehmen allerdings durch die auf sinkende Stückkosten zurückzuführende Reduktion der Verkaufspreise für alternative Fahrzeugtypen über die Zeit deutlich ab. Die Untersuchungen in Hinblick auf das zur Verfügung stehende Gesamtbudget zeigen, dass anfangs ein zusätzliches Budget zur Verfügung gestellt werden muss, sich die Bonus- und Maluszahlungen über die Zeit jedoch ausgleichen
6000 6.000
Diesel o.Filter
Diesel m.Filter
Benzinhybrid Elektro
Benzin
Dieselo.Filter
Elektro
Dieselhybrid
4000 4.000
Benzinhybrid
2.000 2000
Benzinhybrid Elektro
00
Dieselhyb.
2.000 2000
Dieselm.Filter Benzin
4.000 4000
Dieselo.Filter
6000 6.000
Dieselhybrid
Bonuszahlungen Maluszahlungen aufdenKaufpreis [€/Fahrzeug]
(Meyer 2009).
8000 8.000
2005
2020
2035
Abbildung 4-17: Maluszahlungen für konventionelle und Bonuszahlungen für alternative Technologien bei Homogenisierung der Kaufpreise (Szenario 11) In den Tabellen 4-4 und 4-5 sind die Simulationsergebnisse für alle Szenarien im Überblick dargestellt. Im Sinne der Ziele systemdynamischer Modelle werden hierbei keine Punktprognosen in Form des exakten Fahrzeugbestandes oder der genauen Emissionen im Jahr 2035 gegeben, sondern es werden qualitative Aussagen über die Unterschiede zwischen den einzelnen Szenarien angestrebt. Auf dieser Basis lassen sich die einzelnen Politikoptionen vergleichen. Es wird deutlich, dass die derzeit erwarteten technischen und ökonomischen Änderungen ohne Einsatz rechtlicher Maßnahmen nicht zu signifikanten Veränderungen im Fahrzeugbestand führen werden (Szenario 2). Sowohl die Beimischung von Biokraftstoffen (Szenario 3) als auch die Verbesserung konventioneller Antriebe (Szenario 4) führen zu einer Emissionsreduktion, allerdings resultiert daraus langfristig eine geringere Marktdurchdringung alternativer Antriebstechnologien, insbesondere auch der Elektrofahrzeuge (Brennstoffzellen und Strom). Die Reduktion der durchschnittlichen Fahrleistung führt zu einer geringfügigen Abnahme der Emissionen, hat allerdings keine Auswirkungen auf den Fahrzeugbestand (Szena-
126
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
rio 5). Zunehmende Kraftstoffpreise (Szenario 6) resultieren nur in geringen Veränderungen der Flottenzusammensetzung, lediglich am Ende der Simulation nimmt der Anteil an Elektrofahrzeugen deutlich zu. Tabelle 4-4:
Überblick über die Simulationsergebnisse bei Variation der exogenen Parameter (Szenarien 1 bis 6)
Sze- Szenariobeschreibung nario
Wirkung auf Absatz und Fahr- Wirkung auf Emissionen zeugbestand
1
Fortschreibung des aktuellen Status (Preise, Verbrauch,…) über den Simulationszeitraum Erwartete technische und ökonomische Entwicklung
40 Mio. Konventionelle Fahrzeuge, 9 Mio. Hybridfahrzeuge, Elektrofahrzeuge vernachlässigbar
CO2 and CO unverändert, HC, NOx, pm steigen
Weniger konventionelle Fahrzeuge, geringfügig mehr Hybridfahrzeuge, 1 Mio. Elektrofahrzeuge
3
Sensitivitätsanalyse: Beimischung von Biokraftstoffen
4
Sensitivitätsanalyse: Effizienzsteigerung konventioneller Technologien
5
Reduktion der durchschnittlicher Fahrleistung um 100 km/Fahrzeug und Jahr Verdopplung der Kraftstoffpreise alle 12 Jahre
Je mehr Biokraftstoffe (BTL) beigemischt werden, desto mehr Benzin/Benzinhybridfahrzeuge befinden sich im Bestand Je höher die Effizienzsteigerung bei konventionellen Fahrzeugen, desto geringer ist der Bestand der Hybridund Elektrofahrzeuge Kein Einfluss auf den Bestand (im Vergleich zu Szenario 1)
Geringere CO2, CO, HC Emissionen als in Szenario 1, NOx leicht reduziert, pm deutlich reduziert Je mehr BTL, desto weniger CO2/CO/HC, kein signifikanter Einfluss auf pm und NOx
2
6
Erdgas-, Hybrid- und Elektrofahrzeuge nehmen zu, deutliche Zunahme des Absatzes an Elektrofahrzeugen am Ende des Simulationszeitraums
Je höher Effizienz konventioneller Technologien, desto höher die Reduktion der Emissionen Proportionale Abnahme der Emissionen im Vergleich zu Szenario 1 Geringer Einfluss auf Emissionen
Bezüglich des Einsatzes ökonomischer Instrumente von Seiten politischer Entscheidungsträger (Tabelle 4-5) führt die Umstellung auf eine emissionsbasierte Steuer (Szenario 7) zu einer Erhöhung der Hybrid- und später der Elektrofahrzeuge im Fahrzeugbestand, allerdings behalten die konventionellen Fahrzeuge den größten Marktanteil. Die resultierende Verringerung der Emissionen ist eher gering. Die Einführung von Maluszahlungen für Dieselfahrzeuge ohne Filter führt zu einer schnellen Marktdurchdringung der Filtertechnologie (Szenario 8) und einer deutlichen Reduktion der pm-Emissionen. Die Einführung von Bonus-/Maluszahlungen auf den Kaufpreis (Szenarien 9 und 11) führt zu einer sehr deutlichen Zunahme des Marktanteils alternativer Fahrzeuge und einer ebenso deutlichen Abnahme der Gesamtemissionen. Hierbei können die besten Resultate durch die Homogenisierung der Kaufpreise erzielt werden (Szenario 11). Die Zahlung von Verschrottungsprämien führt lediglich zu einer Reduktion des Gesamtbestandes, die Zusammensetzung des Bestandes bleibt im Wesentlichen unverändert (Szenario 10).
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik Tabelle 4-5:
127
Überblick über die Simulationsergebnisse für verschiedene ökonomische Instrumente (Szenarien 7 bis 11)
Sze- Beschreibung nario
Wirkung auf Absatz und Wirkung auf Emissionen Fahrzeugbestand
7
Zunahme der Elektrofahrzeuge
8
9
10
11
Umstellung der hubraumbasierten Kfz-Steuer auf emissionsbasierte Steuer Sensitivitätsanalyse: 0800 Euro Maluszahlung für Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter Emissionsbasierte Steuer + Filtermalus 300 EUR + homogene Bonuszahlung für alternative Kfz Szenario 9 + Verschrottungsprämie
Szenario 9, aber homogene Kaufpreise für alle Technologien
Je höher die Maluszahlungen, desto schneller erfolgt die Diffusion der Dieselfahrzeuge mit Filter in den Bestand Deutliche Reduktion der konventionellen Fahrzeuge, deutliche Zunahme an Hybrid- und Elektrofahrzeugen Keine Veränderung der Marktanteile im Vergleich zu Szenario 9, keine Verjüngung der Flotte, aber Reduktion des Gesamtbestandes an Fahrzeugen Anzahl der Benzin-/Dieselfahrzeuge vergleichbar mit Szenario 9, höchste Anzahl der Elektrofahrzeuge aller Szenarien
Sehr geringe Reduktion der Emissionen CO, CO2, HC, NOx, keine Reduktion pm Deutliche Reduktion pm (4/5 innerhalb eines Jahres bei Malus von 800 Euro) Deutliche Reduktion aller Emissionen
Proportional geringere Emissionen im Vergleich zu Szenario 9
Geringste CO, HC, CO2 Emissionen aller Szenarien, Keine Veränderung an pm im Vergleich zu Szenario 9, etwas mehr NOx als in Szenario 9
Insgesamt wird deutlich, dass durch den Einsatz von Bonus- und Maluszahlungen auf den Kaufpreis die beste Lenkungswirkung erreicht werden kann. Ein derartiges Anreizsystem resultiert in einer schnellen Substitution konventioneller Fahrzeuge durch alternative Antriebstechnologien. Dies führt zu einer deutlichen Verringerung der Emissionen. Die in Deutschland derzeit diskutierte Umstellung der hubraumbasierten KfZ-Steuer auf eine CO2-basierte Emissionssteuer resultiert in einer deutlichen Effizienzsteigerung der konventionellen Fahrzeuge und dadurch in einer kurzfristigen Reduktion der Emissionen (insbesondere CO2). Allerdings führt dies langfristig zu einer geringen Marktdurchdringung alternativer Technologien und somit zu einer geringeren Reduktion von Emissionen. Für betriebliche Entscheidungsträger wird insbesondere die starke Abhängigkeit der Implementierung der aktuell in der Entwicklung befindlichen Antriebstechnologien von politischen Entscheidungen deutlich. Diese Aspekte sind daher bei der strategischen Gestaltung des Produktportfolios zu berücksichtigen.
4.4 Fazit Die Antizipation der Auswirkungen der Lenkungssysteme Markt – Gesellschaft – Politik bildet die Grundlage für betriebliche Entscheidungen über das zukünftige Produkt- und Technologieportfolio. Die Umsetzung der Konsistenzstrategie, d.h. die langfristige Anpassung der technisch-anthropogenen Stoffströme an natürliche Stoffströme unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten setzt Innovationen bei Produkten und Technologien voraus. Hiermit geht zumeist ein hohes Umsetzungsrisiko einher, zudem sind die Kosten anfangs deutlich
128
4 Lenkungssystem (Umwelt-)Politik
höher als für konventionelle Technologien und Produkte. Mit dem Ziel der Förderung derartiger Innovationen greift daher beispielsweise das Lenkungssystem (Umwelt-)Politik durch Subventionen oder Mindestvorgaben in den Entscheidungsraum der Unternehmen und/oder der Kunden ein. Die Antizipation der Auswirkungen derartiger Eingriffe bildet die Grundlage für die Auswahl geeigneter politischer Instrumente und die Voraussetzung für die Umsetzung effektiver und effizienter politischer und betrieblicher Maßnahmen. Prognosen über das Systemverhalten gestalten sich jedoch aufgrund von Rückkopplungseffekten, Verzögerungen, langen Planungszeiträumen, der Vielzahl beteiligter Akteure etc. schwierig. Daher wird in diesem Kapitel die Methode der systemdynamischen Simulation eingesetzt, um auf Basis von Ursache-Wirkungs-Beziehungen dynamisch komplexer sozio-ökonomischer Systeme Vorhersagen über die Auswirkungen von politischen Eingriffen treffen zu können. Die Anwendung erfolgt am Beispiel der Automobilindustrie. Es wird deutlich, dass insbesondere direkte Bonus- und Maluszahlungen auf den Kaufpreis von Fahrzeugen zu einer Umstrukturierung der Fahrzeugflotte und somit zu einer Emissionsminderung führen. Deutlich werden zudem die für diese Umstrukturierung benötigten langen Zeiträume. Poltische Instrumente zur Förderung umweltfreundlicher Technologien sollten daher so früh wie möglich eingesetzt werden. Für betriebliche Entscheidungsträger wird die Abhängigkeit der Diffusion neuer Antriebstechnologien von politischen Entscheidungen deutlich. Erst auf Basis derartiger Analysen können Unternehmen daher ihre Strategien bezüglich des zukünftigen Produkt- bzw. Technologieportfolios ausgestalten. Im Anschluss daran müssen diese für einzelne Produkte konkretisiert werden. Hierbei sind im Rahmen der Produktenwicklung im Sinne einer Integrierten Produktpolitik (Kapitel 2) alle ökonomischen, ökologischen und ggf. auch sozialen Auswirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus zu erfassen. Dies setzt bereits in dieser sehr frühen Phase des Produktlebenszyklus Kenntnisse über die mit dem Produkt verbundenen Stoffströme und Zahlungsströme voraus. Auf Methoden zur Ermittlung dieser Informationen soll daher im folgenden Kapitel eingegangen werden.
5 Produktentwicklung
5
129
Produktentwicklung
Die Integrierte Produktpolitik (IPP) erfordert die Berücksichtigung der Auswirkungen produktorientierter Maßnahmen über den gesamten Produktlebenszyklus. Hierfür sind bereits in der Phase der Produktentwicklung Kenntnisse über die entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme sowie die daraus resultierenden Zahlungsströme und Umweltwirkungen entlang aller Lebenszyklusphasen notwendig. Die Erfassung bzw. Abschätzung dieser Informationen ex-ante erfordert daher sowohl eine geeignete Modellierung des Produktlebenszyklus als auch Modelle zur Ableitung und Bewertung der unter ökonomischen und umweltorientierten Gesichtspunkten resultierenden Wirkungen. Vor diesem Hintergrund wird in Kapitel 5.1 zunächst auf die Bedeutung der Produktentwicklung im Lebenszyklus eingegangen und ein Modell des Produktlebenszyklus entworfen. Hierbei wird deutlich, dass ein integriertes Modell erforderlich ist, welches sowohl den Marketingzyklus einer Produktvariante (Produktprojekt) als auch den Lebenszyklus eines einzelnen Gerätes (Produktindividuum) berücksichtigt. Darauf aufbauend erfolgt in Kapitel 5.2 die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Zahlungsströme mit Hilfe des Life Cycle Costing. Eine Anwendung dieser Methode am Beispiel komplexer medizintechnischer Geräte erfolgt in Kapitel 5.3. In Kapitel 5.4 wird analog dazu die Erfassung der Umweltwirkungen über den Lebenszyklus eines Produktes mit Hilfe der Methode des Life Cycle Assessment vorgestellt. Die Methode wird am Fallbeispiel komplexer Konsumgüter in Kapitel 5.5 angewandt. Auch dieses Kapitel endet mit einem Fazit in Kapitel 5.6.
5.1 Produktlebenszyklus In der Umweltpolitik standen bisher vor allem große Punktquellen in Form von Industrieemissionen oder Fragen der Abfallwirtschaft im Fokus. Neuere Ansätze, wie die von der Europäischen Union formulierte Integrierte Produktpolitik (IPP), zielen jedoch auf eine Verringerung der Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus einzelner Produkte ab (Europäische Kommission 2003a; vgl. auch Kapitel 2). Hierbei wird auf Basis des Verursacherprinzips die Produktverantwortung der Hersteller über den gesamten Lebensweg des Produktes mit den Phasen ‚Produktentwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ formuliert, entsprechend sind nun auch die Nutzungs- und Nachgebrauchsphase explizit in die Betrachtungen einzubeziehen (Strebel 1980, Wagner 1997).
5.1.1 Bedeutung der Produktentwicklung Im Rahmen der Planung von Maßnahmen über den Produktlebenszyklus ist zu berücksichtigen, dass zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen Interdependenzen und teilweise gegenläufige Zielsetzungen bestehen (Frei 1999). So können Maßnahmen, die am Anfang des
130
5 Produktentwicklung
Lebenszyklus zu höheren Auszahlungen und/oder höheren Umweltwirkungen führen (z.B. modularer Aufbau der Geräte, Einsatz hochwertiger Materialien) in späteren Lebenszyklusphasen durch geringere Auszahlungen und/oder geringere Umweltwirkungen (längere Lebensdauer der Produkte, Aufarbeitbarkeit und Demontagefreundlichkeit der Produkte in der Wiederverwendung) kompensiert werden. Beispiele für Maßnahmen über den Produktlebenszyklus mit einem Fokus auf Umweltwirkungen sind in Tabelle 5-1 gegeben. Dabei wird deutlich, dass die größten Reduktionspotenziale in der Phase der Produktentwicklung bestehen, da hier noch auf alle anderen Lebenszyklusphasen Einfluss genommen werden kann (Wagner 1997). Die Einflussmöglichkeiten des Herstellers nehmen mit fortschreitendem Lebenszyklus ab. Tabelle 5-1:
Einflussmöglichkeiten entlang des Produktlebenszyklus (verändert nach Spengler/Schröter 2001) Informationsbasis: Life Cycle Assessment (Ökobilanzierung) Life Cycle Costing (Lebenszykluskostenrechnung) Beeinflussbare Lebenszyklusphase
Aktuelle Lebenszyklusphase
Produktentwicklung
Produkt- Umweltentwicklung gerechtes Produktdesign
Produktion
Nutzung
Entsorgung
Produktion
Nutzung
Entsorgung
Produktinnovationen neue Nutzen-/Dienstleistungskonzepte Umwelt Lebens-/Nutzungsdauer ver- Demontage-/ gerechte Prolängernde Maßnahmen recyclinggerechte duktion Produktgestaltung Reparaturfreundliche Gestaltung Einsatz von PIUS: input-, aufgearbeiteten verfahrens-, Bauelementen u. outputseitige SekundärMaßnahmen rohstoffen Umsetzung von Produkt- u. Komponentenrecycling Reparatur u. Instandhaltung Produktdemontage Materialrecycling
Wie in Tabelle 5-1 dargestellt, nimmt die Phase der Produktentwicklung aufgrund der großen Gestaltungsmöglichkeiten über den Produktlebenszyklus eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Integrierten Produktpolitik ein. In dieser Phase bestehen die größten Einflussmöglichkeiten auf die Zahlungsströme und Stoffströme aller Produktlebenszyklusphasen. So werden im Rahmen der Produktentwicklung bis zu 95 % der dem Unternehmen über den gesamten Lebenszyklus anfallenden Kosten festgelegt, ähnliches gilt für die Umweltwirkungen (Züst/Wagner 1992). Daher ist schon in der Phase der Produktentwicklung eine Bewertung der Auswirkungen produktorientierter Maßnahmen entlang des gesamten Lebenszyklus unter
5 Produktentwicklung
131
Heranziehung umweltorientierter und ökonomischer Kriterien erforderlich (Strebel 1980, 2003, Bennauer 1994). Voraussetzung hierbei ist, dass bereits in dieser Phase alle ökonomisch und ökologisch relevanten Informationen verfügbar sind. Hierbei können beispielsweise die Umweltwirkungen über den Lebenszyklus mit Hilfe des Life Cycle Assessment (vgl. Kapitel 5.4) sowie die für die verschiedenen Akteure (Hersteller, Nutzer) entscheidungsrelevanten Lebenszykluskosten mit Hilfe des Life Cycle Costing (Kapitel 5.2) erfasst werden.
5.1.2 Modellierung des Produktlebenszyklus Die Grundlage hierfür bildet die geeignete Abbildung des Produktlebenszyklus, darauf aufbauend lassen sich Stoffstrom- und Wertgerüste als Basis für ökonomisch und ökologisch motivierte Entscheidungen im Rahmen der Produktentwicklung ableiten. In Anlehnung an (Stölting 2006) sind an die Abbildung des Produktlebenszyklus folgende Anforderungen zu stellen: x Notwendig ist die Berücksichtigung aller Phasen im Lebenszyklus ‚Produktentwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ sowie der zwischen diesen Phasen bestehenden Interdependenzen. Insbesondere sollten auch Optionen der Kreislaufführung abgebildet werden, wie zum Beispiel die Produktrücknahme, die Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung von Produkten und Bauteilen sowie die stoffliche und energetische Verwertung von Materialien. Dies bedeutet, dass sowohl Materialkreisläufe als auch geschlossene Produktkreisläufe mit mehreren Produktnutzungsphasen zu berücksichtigen sind. x Zudem müssen alle ökonomisch und/oder umweltbedingt relevanten Stoffströme erfasst werden. Diese entscheidungsrelevanten Größen bilden die Basis für die Anwendung des Life Cycle Assessment bzw. des Life Cycle Costing. x Notwendig ist zudem die Berücksichtigung der Ebene des Produktprojektes als Gesamtheit aller produzierten Einheiten eines Produktes. Dies stellt die Grundlage dar für strategische Entscheidungen bezüglich des Produktprojektes und ermöglicht die Abbildung produktprojektbezogener Zahlungen (z.B. der Produktentwicklung) im Rahmen des Life Cycle Costing. x Des Weiteren ist die Ebene des Produktindividuums in Form einer einzelnen durchschnittlichen Einheit eines Produktes zu berücksichtigen. Diese stellt die Basis dar für operative Entscheidungen und ermöglicht die Abbildung produktindividueller Zahlungen (z.B. für Produktion, Verkauf) und umweltrelevanter Stoffströmen (z.B. im Rahmen der Produktion, der Transporte sowie der Nutzung). x Notwendig ist darüber hinaus eine integrierte Betrachtung der Perspektive des Produktprojektes sowie des Produktindividuums. Hierdurch wird die simultane Berücksich-
132
5 Produktentwicklung tigung individueller und projektbezogener Zahlungen über den gesamten Lebenszyklus des Produktes ermöglicht.
Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen werden bestehende Ansätze analysiert, bevor ein integriertes Modell des Produktlebenszyklus entwickelt wird. Im klassischen Modell des Marketing-Lebenszyklus23 durchläuft jede Produktvariante den Marketingzyklus beginnend bei der Markteinführung über die Wachstums- und Reifephase bis hin zur Marktsättigung und dem Rückgang mit der Konsequenz des Marktaustrittes (Meffert 2000; vgl. auch Scheuing 1970, Hofstätter 1977, Twiss 1980). Hierbei erfolgt die Abbildung des Umsatzes über den Zeitverlauf eines Produktprojektes. Erweiterungen dieses klassischen Modells berücksichtigen beispielsweise weitere Lebenszyklusphasen (Entstehungs-/ Nachsorgephase), Prozesse im Rahmen der Entsorgung sowie umweltrelevante Aspekte oder auch externe Kosten (Back-Hock 1988, Fischer 1995, Hildebrandt 1993, Horneber 1995, Strebel/Hildebrandt 1989). Im Gegensatz dazu bilden wertkettenorientierte Ansätze wie der Wertschöpfungsring oder -kreis die Rückkopplung von Stoff- und Energieströmen aus den Wertschöpfungsstufen Entsorgung und Recycling in die vorgelagerten Aktivitäten explizit ab (Coenenberg 1994, Günther 1994, Zahn/Schmid 1992). Im Folgenden werden beide Ansätze kombiniert, indem sowohl die explizite Kreislaufführung als auch Erweiterungen der klassischen Lebenszyklusmodelle Berücksichtigung finden (Walther et al. 2007c, Stölting 2006). Das in Abbildung 5-1 dargestellte Modell des Lebenszyklus des Produktprojektes umfasst somit die drei Hauptperioden Entstehungs-, Markt- und Nachsorgeperiode. In der Entstehungsperiode finden Forschung und Entwicklung für das Produktprojekt statt und technische sowie personelle Kapazitäten werden geschaffen. Die darauf folgende Marktperiode reicht vom Start bis zum Ende des Absatzes des Produktprojektes am Markt. In dieser Zeitspanne erfolgen die Produktion und der Vertrieb des Produktes sowie Garantie- und Wartungsleistungen ebenso wie Rücknahme sowie Aufarbeitungs- und Entsorgungsprozesse. Die der Marktphase zeitlich nachgelagerte Nachsorgeperiode beginnt mit Beendigung des Produktabsatzes am Markt und beinhaltet die aufgrund der Produktverantwortung des Herstellers weiterhin zu erbringenden Leistungen für die noch auf dem Markt befindlichen Produktindividuen, wie z.B. Reparaturen, Wartungsarbeiten, Rücknahme- und Entsorgungsaktivitäten.
23
In der Literatur werden sowohl der Lebenszyklus eines Produktprojektes als auch der Lebenszyklus eines Produktindividuums als „Lebenszyklus“ bezeichnet. Zur Unterscheidung erfolgt hier die Bezeichnung: Marketingzyklus für den Lebenszyklus des Produktprojektes und Produktlebenszyklus für den Lebenszyklus des Produktindividuums. In der Literatur erfolgt auch die Unterscheidung in den ökonomischen (Produktprojekt) und ökologischen (Produktindividuum) Lebenszyklus (Rubik 2002)
5 Produktentwicklung
133
Start der Produktidee
Ende der Produktidee Start der Produktion
Entstehungsperiode Teilaufgaben:
• Forschung • Entwicklung • u.a.
Ende der Produktion
Marktperiode • Produktion • Vertrieb • Serviceleistungen • Remanufacturing • Entsorgung • u.a.
Nachsorgeperiode • Serviceleistungen • Entsorgung • u.a.
t (Produktprojekt)
Abbildung 5-1: Modellierung der Lebensperioden eines Produktprojektes (Stölting 2006) Vom Marketingzyklus einer Produktvariante abzugrenzen ist der im Folgenden Produktlebenszyklus genannte Lebenszyklus eines einzelnen Gerätes bzw. Produktindividuums. Dieser umfasst in Erweiterung der Wertkette nach Porter auch die im Zusammenhang mit dem Produkt- und Materialrecycling durchzuführenden Aktivitäten. Der Produktlebenszyklus wird daher in die Phasen Produktion, Distribution, Nutzung, Rücknahme, Aufarbeitung, Redistribution, Nutzung, Rücknahme, Entsorgung eingeteilt. Hierbei umfasst der Prozessschritt der Aufarbeitung alle Optionen eines Produkt- und Komponentenrecyclings (z.B. in Form eines Remanufacturing, Refurbishing etc., vgl. hierzu auch Kapitel 7). Die Phasen von der Rücknahme bis zur Nutzung können dabei unter theoretischen Gesichtspunkten unendlich viele Male durchschritten werden (Stölting 2006). Nach der letzten Nutzungsphase eines Gerätes bzw. einer Komponente erfolgt die Entsorgung in Form der stofflichen bzw. energetischen Verwertung oder Beseitigung (Abbildung 5-2).
Abbildung 5-2: Modellierung der Lebensphasen eines Produktindividuums während der Marktperiode (verändert nach Stölting 2006) Bestehen Optionen zur Wiederverwendung von Geräten und Bauteilen ist der Produktlebenszyklus eines Geräteindividuums in den Marketingzyklus des gesamten Produktprojektes einzuordnen (Stölting 2006). Im Rahmen eines integrierten Modells werden daher wie in Abbildung 5-3 dargestellt die Ebene des Produktindividuums mit den Phasen Produktion, Distribution, Nutzung, Rücknahme, Aufarbeitung, Redistribution, 2. Nutzung, Rücknahme und Ent-
134
5 Produktentwicklung
sorgung, sowie die Ebene des Produktprojektes mit den Phasen Vorlauf- bzw. Entstehungsperiode, Marktperiode und Nachsorgeperiode integriert (Walther et al. 2007c, Stölting 2006).24
Entstehungsperiode
Marktperiode
Produktindividuum 1: Produktion
...
ProduktProduktion individuum n:
Vertrieb
Vertrieb
Nutzung
Nutzung
Rücknahme
Rücknahme
Remanufacturing
Remanufacturing
Remarketing
Remarketing
2. Nutzung
2. Nutzung Rücknahme
Rücknahme
t (Produktindividuum)
Nachsorgeperiode
Entsorgung
...
Entsorgung
t (Produktprojekt)
Abbildung 5-3: Integriertes, kreislauforientiertes Produktlebenszyklusmodell (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) Sowohl der Ansatz des Life Cycle Costing als auch der Ansatz des Life Cycle Assessment ermitteln basierend auf einem Lebenszyklusmodell entscheidungsrelevante Informationen, die im Rahmen der Produktentwicklung Einsatz finden. Im Folgenden wird zunächst der Ansatz des Life Cycle Costing allgemein vorgestellt sowie anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht, bevor auf den Ansatz des Life Cycle Assessment näher eingegangen wird.
24
Zu dieser Unterscheidung siehe auch (Siestrup 1999). Eine Integration des technischen Lebenszyklus mit den Phasen Entstehung – Erstellung – Verwendung – Entsorgung und dem ökologischen Produktlebenszyklus mit den Funktionen Verarbeitung – Transport – Nutzung – Aufarbeitung nehmen (Dyckhoff/Gießler 1998) vor.
5 Produktentwicklung
135
5.2 Life Cycle Costing Ansätze zur Berechnung der Lebenszykluskosten können sowohl aus Hersteller- als auch aus Kundensicht aufgestellt werden (Kemminer 1999). Aus Kundensicht sind hierbei die sogenannten Total Cost of Ownership (TCO) (vgl. Maurer 2002, Riepl 1998, Wolf/Holm 1998) zu ermitteln. Hierzu gehören neben den Anschaffungskosten sämtliche in der Nutzungsphase anfallenden Kosten für Energie, Betriebsmittel, Reparaturen etc. Aus Herstellersicht sind die Kosten aller Lebenszyklusphasen entscheidungsrelevant, die sich auf das Unternehmen auswirken. Die im Rahmen des Total Cost of Ownership ermittelten Kosten fließen hierbei in die Kaufentscheidung des Kunden ein und sind daher im Kalkül des Herstellers als ökonomische Größe abzubilden. Die bestehenden Ansätze greifen teilweise auf eine pagatorische Bewertung auf Basis von Ein- und Auszahlungen (Riezler 1996, Rückle/Klein 1994) zurück, teilweise werden aber auch kalkulatorische Größen in Form von Kosten und Erlösen zu Grunde gelegt (Back-Hock 1988, Back-Hock 1992, Faßbender-Wynands 2001, Kemminer 1999, Reichmann/Fröhling 1994, Siegwart/Senti 1995, Zehbold 1996). Eine umweltorientierte Erweiterung wird von (Faßbender-Wynands 2001) entwickelt. Im Folgenden wird die Lebenszykluskostenrechnung aus Herstellersicht ausgestaltet. Hierbei besteht die Zielsetzung in der Unterstützung strategischer Entscheidungen durch Bereitstellung geeigneter ökonomischer Größen bereits im Rahmen der Entstehungsphase des Produktprojektes. Daher wird ein zahlungsbasierter Ansatz verfolgt, der dem strategischen Charakter der Entscheidungsfindung im Rahmen der Produktentwicklung Rechnung trägt (vgl. auch Riezler 1996) und der auf dem in Abbildung 5-3 dargestellten integrierten, kreislauforientierten Produktlebenszyklusmodell beruht. Die Grundlage der Bewertung bilden ein Mengen- sowie ein Wertgerüst des Produktprojektes, mit denen insbesondere auch Optionen der Kreislaufführung abgebildet werden können (Walther et al. 2007c, Stölting 2006).
5.2.1 Mengengerüst Im einfachsten Fall der Rücknahme aller ursprünglich abgesetzten Produkte ( m neu ) nach einer für alle Geräte einheitlichen Nutzungsdauer ( d PM ) lassen sich die zurückzunehmenden Mengen an Altgeräten ( m alt ) wie in Abbildung 5-4 dargestellt beschreiben (Spengler 1998):
136
5 Produktentwicklung
mneu(t), malt(t) [Stück/Jahr] dPM mneu(t)
malt(t)=mneu(tdPM)
abgesetzte Produkte
zurückzunehmende Altprodukte
t[Jahre] Entwicklungs phase
Marktphase Marktphase
Nachsorge Nachsorge phase phase
Abbildung 5-4: Lebenszykluskurve neuer und zurückzunehmender Produkte (verändert nach Spengler 1998) Im Normalfall finden sich im Rücklauf weniger Produkte als ursprünglich verkauft wurden, d.h. es sind zusätzlich die das System verlassenden Mengenströme zu bilanzieren. Im Falle einer Kreislaufführung von Produkten mit Aufarbeitungsprozessen sowie mehreren Nutzungsphasen sind zudem zyklische Prozesse abzubilden. Neben der Nutzungsdauer sind weitere Bearbeitungszeiten für die Rückführung und Prüfung sowie die Aufarbeitung der Produkte zu berücksichtigen. Für einen derartigen, deutlich komplexeren Fall wird daher das folgende Stoffstrommodell mit den Systemelementen eines Primär- und Sekundärmarktes sowie eines Aufarbeitungsprozesses entwickelt (vgl. Stölting 2006)25. Hierfür wird die folgende Notation zu Grunde gelegt: Index des Systemelements ( e ^PM , SM , RS` (PM - Primärmarkt; SM – Sekundärmarkt, RS- Aufarbeitungssystem)
e t
Index der Perioden t=1,…T
de
Nutzungsdauer des Produktes in Systemelement e, e ^PM , SM `[ZE]
W
Dauer des Aufarbeitungsprozesses (Durchlaufzeit) [ZE]
Z
Dauer der Eingangsinspektion (Prüfdauer) [ZE] Rückflussrate für Systemelement e, e ^PM , SM `[-]
e
Aufarbeitungsrate [-]
m neu ,t
Menge der vom Hersteller in Periode t auf den Primärmarkt gebrachten Neuprodukte [ME/ZE]
25
Ein ähnliches Modell entwickeln (Tuma/Lebreton 2005) unter Berücksichtigung weiterer Aspekte wie z.B. verschiedener Produktsegmente sowie Marktanteile.
5 Produktentwicklung
137
m rem ,t
Menge der in Periode t aufgearbeiteten und auf dem Sekundärmarkt in Verkehr gebrachten Produkte [ME/ZE]
RS m ents ,t
Menge der Altprodukte, die in Periode t aus der Aufarbeitung der Entsorgung zugeführt werden [ME/ZE]
e m alt ,t
Menge der Produkte, die in Periode t von Systemelement e in das Aufarbeitungssystem fließen, e ^PM , SM `, [ME/ZE]
e m aus ,t
Menge an Produkten, die in Periode t aus Systemelement e das betrachtete Gesamtsystem verlassen, e ^PM , SM `, [ME/ZE]
Unter Zugrundelegung dieser Notation ergibt sich das Modell des Produktlebenszyklus somit wie in Abbildung 5-5 dargestellt. Systemgrenze RS ments ,t
PM SM (m 1 ents RSD,t) m1alt ,t DZ maltalt,,ttZZ
Entsorgung
PM PM PM m m UUPM PM mm maltPMm,t alteZ W,t ZmWaltSM,t Z W ,t,t maltalt mneu remrem ,t , t D D neu,t,tdd PM
mneu neu,,tt Neugeräteproduktion
Primärmarkt
RemanufacturingSystem
Sekundärmarkt SM SM malt alt,,tt
PM PM PM mmaus (11UUPM ) m mneu PM aus,t,t neu,,ttdd PM
SM SM maus aus,,tt
UUSM mmremneu,t ,td d SM SM
SM
(1 U SM ) m mrem SM rem,,ttddSM
Abbildung 5-5: Stoffstrommodell des Produktlebenszyklus mit Aufarbeitung und Mehrfachnutzung (Spengler/Stölting 2008, Stölting 2006) Hierbei verweilen die dem Primärmarkt zugeführten Produkte ( m neu ,t ) dort für die Dauer der Erstnutzung ( d PM ), bevor eine der Rückflussrate U PM entsprechende Teilmenge zum HerPM steller zurückgeführt wird ( m alt ,t ) und die restlichen Geräte – beispielsweise bei Entsorgung durch den Kunden – aus dem Einflussbereich des Herstellers (Systemgrenze) ausscheiden 26 PM ( m aus Z wird ein der Aufarbeitungsrate , t ). Nach der Eingangsinspektion mit der Prüfdauer entsprechender Teil der zurückgeführten Produkte aufgearbeitet ( mrem,t ) und der Rest wird RS einer Entsorgungsoption zugeführt ( m ents ,t ). Nach einer Durchlaufzeit W durch die Aufarbei27 tung werden die aufgearbeiteten Geräte dem Sekundärmarkt zugeführt, von wo aus ein der
26
Die Prüfdauer ist nur bei zeitsensitiven Produkten, d.h. Geräten mit hohem Wertverlust über die Zeit (ITGeräte, Mobiltelefone), relevant (vgl. hierzu auch Blackburn et al. 2004, Guide et al. 2005).
27
Die Durchlaufzeit ist nur bei zeitsensitiven Produkten, d.h. Geräten mit hohem Wertverlust über die Zeit relevant (s.o.).
138
5 Produktentwicklung
Rückflussrate U SM entsprechender Teil der Geräte nach einer Nutzungsdauer d SM wieder in SM den Aufarbeitungsprozess des Herstellers zurückfließt ( malt ,t ). Der Rest der Geräte verlässt SM ). Durch die Option der Mehrfachnutzung der Geräte fallen im Aufarbeidas System ( m aus ,t tungssystem des Herstellers zurückgeführte Geräte sowohl aus dem Primärmarkt als auch aus PM SM RS dem Sekundärmarkt an ( mrem,t Z W malt ,t malt ,t ments ,t Z ).
Als wesentliche Systemvariablen lassen sich die Rückflussraten ( U PM , U SM ), die Nutzungsdauern ( d PM , d SM ) sowie die Aufarbeitungsrate () durch aktive Entscheidungen des Herstellers beeinflussen. So ist die Rückflussrate beim Abschluss von Miet- oder Leasing-Verträgen bzw. bei der Umsetzung von Betreibermodellen deutlich höher als bei einem Verkauf der Geräte, zudem kann durch derartige Vertriebsstrategien eine Verkürzung der Nutzungsdauer erreicht werden. Auch Anreize, wie z.B. ein Rabatt auf Neugeräte bei Abgabe des Altgerätes oder der Ankauf von Altgeräten, führen zu einer Erhöhung der Rückflussrate und zu einer Verkürzung der Nutzungsdauer. Aussagen über die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit derartiger Maßnahmen erfordern eine Bewertung der Stoffströme und somit die Erstellung eines Wertgerüstes.
5.2.2 Wertgerüst Im Rahmen der Erstellung des Wertgerüsts sind zunächst die in den einzelnen Lebenszyklusphasen entscheidungsrelevanten Zahlungskategorien zu identifizieren und jeweils entweder dem Produktprojekt oder dem Produktindividuum als Bezugsobjekt zuzuweisen (Walther 2005, Stölting 2006). Während beispielsweise Zahlungen in der Entstehungsphase des Produktes dem gesamten Produktprojekt zuzuordnen sind, beziehen sich Zahlungen in der Marktund Nachsorgephase auf einzelne Produktindividuen. Die Voraussetzung für die Ermittlung der Zahlungsströme der Markt- und Nachsorgephase bilden daher Informationen über den zeitlichen Verlauf der Produktions-, Absatz-, Rückfluss- und Aufarbeitungsmengen des Produktes auf Basis des oben vorgestellten Stoffstrommodells. Eine Strukturierung der Zahlungen in Abhängigkeit der Aktivitäten im Lebenszyklus auf Basis der so genannten Cost Breakdown Structure (Fabrycky/Blanchard 1991) kann Tabelle 5-2 entnommen werden.
5 Produktentwicklung Tabelle 5-2:
139
Zahlungen im Produktlebenszyklus mit zugehöriger Bezugsgröße aus dem Mengengerüst (verändert nach Walther et al. 2007c, Stölting 2006)
Produktprojekt
Auszahlungen
Einzahlungen
Bezugsgröße
F&E Personal [€] Entstehungs- Material/Personal Prototypen & Test [€] periode Material/Personal Serienvorbereitung [€]
Produktindividuum Produktion
Subventionen [€]
Auszahlungen
Einzahlungen
Personal [€] Material [€] Betriebsmittel [€] Sonstiges [€] Logistik [€]
Distribution Rabatte [€] Garantieleistungen [€]
Verkauf Neuprodukt [€] Leasingrate Neuprodukt [€]
Rückkaufpreis [€] Personal Abbau [€] Logistik [€]
Personal [€] Material [€] Betriebsmittel [€] Sonstiges [€] Logistik [€]
Redistribution Garantieleistungen [€] 2. Nutzung
Rücknahme Entsorgung
mneu ,t
PM / SM m alt ,t
Entsorgung [€]
Aufarbeitung
Bezugsgröße
Ersatzteilverkäufe [€] Verkäufe Consumables [€] Sonderservice [€] Leasingrate [€]
Nutzung
Rücknahme
Produktprojekt
Rückkaufpreis [€] Personal Abbau [€] Logistik [€] Entsorgungsdienstleistungen
Verkauf aufgearbeitetes Produkt [€] Leasingrate aufgearbeitetes Produkt [€]
RS m ents ,t
mrem ,t
Ersatzteilverkäufe [€] Verkäufe Consumables [€] Sonderservice [€] Leasingrate aufgearbeitetes Produkt [€]
RS m ents ,t
Verkauf Sekundärteile/-materialien [€]
Für den Vergleich von Produktalternativen oder von Maßnahmen im Lebenszyklus lässt sich auf Basis der in Tabelle 5-2 dargestellten Zahlungsströme der Projekterfolgt mit Hilfe von Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung berechnen.
5.2.3 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung Das Ziel der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung besteht in der Analyse der Vorteilhaftigkeit alternativer Entscheidungsmöglichkeiten über den Produktlebenszyklus. Die in diesem Zusammenhang im vorangegangenen Abschnitt aufgestellte Zahlungsreihe weist den Charakter einer
140
5 Produktentwicklung
Investition auf, mit Auszahlungsüberschüssen zu Projektbeginn und darauf folgenden Einzahlungsüberschüssen. Entsprechend können zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Produktprojekten Methoden der Investitionsrechnung herangezogen werden (Hahn/Laßmann 1999, Riezler 1996). Da es sich bei der Lebenszyklusrechnung um einen periodenübergreifenden Ansatz handelt, sind Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung heranzuziehen. Insbesondere die Verwendung des Kapitalwertes erscheint hier aufgrund seines Aussagewertes hinsichtlich des investitionstheoretischen Produkterfolges vorteilhaft (Schild 2005). Unter Zugrundelegung der folgenden Notation EZ tEntst
Einzahlungen der Entstehungsperiode (in Abhängigkeit vom Produktprojekt) [€]
AZ tEntst
Auszahlungen der Entstehungsperiode (in Abhängigkeit vom Produktprojekt) [€]
EZ tMarkt / Nachs
Einzahlungen der Markt- und Nachsorgeperiode (in Abhängigkeit vom Produktindividuum) [€]
AZ tMarkt / Nachs
Auszahlungen der Markt- und Nachsorgeperiode (in Abhängigkeit vom Produktindividuum) [€]
i
Zinssatz [-]
KW0
Kapitalwert [€]
ergibt sich der Kapitalwert KW0 aus den vom Produktprojekt abhängigen Ein- ( EZ tEntst ) und Auszahlungen ( AZ tEntst ) der Entstehungsperiode sowie der aus den Mengen- und Wertgerüsten ableitbaren, von den Produktindividuen abhängigen Ein- ( EZ tMarkt / Nachs ) und Auszahlungen ( AZ tMarkt / Nachs ) der Markt- und Nachsorgeperiode. Für eine detaillierte Herleitung der Zahlungsreihen aus dem in Tabelle 5-2 aufgestellten Wertgerüst siehe (Stölting 2006).
¦ EZ T
KW0
Entst t
EZ tMarkt / Nachs AZ tEntst AZ tMarkt / Nachs 1 i
t 0
t
Gl. 5-1
Aus Herstellersicht gilt es daher, hinsichtlich der Vertriebsstrategie und des Produktdesigns die Alternative n auszuwählen, mit der in Abhängigkeit der jeweils resultierenden Rückfluss( U n ) und Aufarbeitungsraten ( D n ) der höchste Kapitalwert erzielt werden kann (vgl. auch Stölting 2006): Max U^U1 ,...,U n ` KW0 D ^D 1 ,...,D n `
Gl. 5-2
Im Folgenden soll die vorgestellte Methode des Life Cycle Costing am Beispiel komplexer Elektronikgeräte angewandt werden.
5 Produktentwicklung
141
5.3 Fallbeispiel: Lebenszykluskosten komplexer Elektronikgeräte Für hochwertige Investitionsgüter stehen in der Phase der Produktentwicklung viele Optionen – beispielsweise bezüglich der Vertriebsstrategien und der Produktgestaltung – zur Auswahl. Diese beeinflussen die Ein- und Auszahlungen über den Lebenszyklus wesentlich. Notwendig ist daher bereits in der Phase der Produktentwicklung eine Wirtschaftlichkeitsbewertung dieser Strategieoptionen über den gesamten Lebensweg. Hierfür wird im Folgenden die Methode des Life Cycle Costing zur Bewertung von Vertriebsstrategien und Produktgestaltungsoptionen über den Lebenszyklus von Minilabs angewandt. Minilabs stellen hierbei kompakte Schnelllabore dar, die Filme entwickeln und Fotos von Filmen, Dias oder digitalen Datenträgern auf Fotopapier drucken. Für diese hochwertigen Investitionsgüter besteht nach der ersten Nutzungsphase die Möglichkeit der (mehrmaligen) Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung der Geräte. Hierbei unterscheiden sich die Kundensegmente des Primärmarktes (Fotogeschäfte, -labore, große Drogerieketten) von den Kundensegmenten des Sekundärmarktes (kleinere Drogeriemärkte) (Spengler/Herrmann 2004, Walther et al. 2007c, Stölting 2006).
5.3.1 Entscheidungsalternativen Im Rahmen der Entstehungsphase sind Entscheidungen über Vertriebs- und Anreizsysteme zu treffen, so können die Geräte entweder verkauft oder in Form eines Leasings vertrieben werden. Für verkaufte Geräte stehen verschiedene Optionen zur Auswahl, um die Kunden zur Rückgabe der Geräte nach der Nutzung zu veranlassen. Hierbei kann beispielweise ein Rückkauf erfolgen, ein Rabatt auf Neugeräte gewährt sowie beim Verkauf des Neugerätes die kostenlose Rücknahme des alten Gerätes angeboten werden (Neu gegen Alt). Im Rahmen der Produktentwicklung bestehen zudem verschiedene Gestaltungsoptionen für das jeweilige Produkt. So tragen ein modularer Aufbau oder die Berücksichtigung der Update-Fähigkeit der Geräte oder Gleichteilstrategien zwischen Produktvarianten dazu bei, die Aufarbeitung eines Gerätes nach der ersten Nutzungsphase deutlich zu vereinfachen. Derartige Optionen verursachen jedoch am Anfang des Lebenszyklus zumeist höhere Auszahlungen. Im Folgenden werden als Optionen der Verzicht auf eine aufarbeitungs- und recyclinggerechte Produktgestaltung (ohne DfX), die Umsetzung ausgewählter Gestaltungsmaßnahmen (DfX gering) sowie ein hoher Aufwand zur Abstimmung des Produktes auf die Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung (DfX hoch) untersucht. Die Kombination der vorgestellten Entscheidungsoptionen bezüglich der Vertriebs- und Anreizsysteme sowie der Produktgestaltung resultieren in den in Tabelle 5-3 aufgeführten zwölf Strategieoptionen.
142 Tabelle 5-3:
5 Produktentwicklung Untersuchte Strategieoptionen für Minilabs (Walther et al. 2007c, Stölting 2006)
Vertriebs- und Anreizsystem S1: Neu gegen Alt Produktgestaltung:
S2: Rabatt
S3: Rückkauf
S4: Leasing
ohne gering hoch ohne gering hoch ohne gering hoch ohne gering hoch
Design for Remanufacturing
5.3.2 Stoffströme Die Grundlage der Alternativenbewertung bilden die für das System abgeschätzten Stoffströme. Dabei bildet der Absatz an neuen Minilabs auf dem Primärmarkt (mneu,t) den Ausgangspunkt für die weiteren Mengenbetrachtungen. Der Fallstudie liegen die Absatzzahlen für eine Produktionsperiode von 5 Jahren zu Grunde, die aus Gründen der Geheimhaltung modifiziert wurden (Walther et al. 2007c, Stölting 2006). PM Die Mengen der einer Aufarbeitung aus dem Primärmarkt zugeführten Geräte ( malt ,t ) werden zunächst auf Basis der abgesetzten Mengen an Neugeräten ( m neu ,t ) sowie einer als stochastisch angenommenen Nutzungsdauer ( d PM ) zwischen drei und fünf Jahren ermittelt. Die Ver-
teilung der Nutzungsdauer steht dabei im Zusammenhang mit dem zur Steuerung der Rückflüsse eingesetzten Anreizsystem. Anreizsystem S1 „Neu gegen Alt“ liegt eine Normalverteilung zu Grunde. Durch Einsatz der Anreizsysteme S2 „Rabatt“ und S3 „ Rückkauf“ kann die Unsicherheit reduziert und gleichzeitig eine Verschiebung des Erwartungswertes zu kürzeren Nutzungsdauern erreicht werden. Bei Einsatz der S4 „Leasing“ kann die vertraglich vereinbarte Nutzungsdauer von 3 Jahren als deterministisch angenommen werden. In Abhängigkeit der Anreizsysteme werden zudem verschiedene Rückflussraten () angenommen. Hierbei besteht insbesondere bei Umsetzung der Strategien „Neu gegen Alt“ sowie „Rabatt“ Konkurrenz zu unabhängigen Brookern, die gebrauchte Geräte ankaufen. Nur durch Ankauf der Altgeräte oder durch Leasingmodelle kann eine höhere Rückflussrate gewährleistet werden. Die Aufarbeitungsrate () ist ebenfalls abhängig vom jeweils eingesetzten Anreizsystem, da unterschiedliche Instandhaltungsstrategien sowie Nutzungsdauern der Geräte in unterschiedlichen Rückgabequalitäten resultieren. Nach der zweiten Nutzungsphase erfolgt eine fachgerechte Entsorgung der Geräte. Die Entwicklung der Mengenströme über die Zeit ist exemplarisch für Anreizsystem S3 „Rückkauf“ in Abbildung 5-6 dargestellt, eine ausführliche Darstellung der Mengenströme aller Strategieoptionen findet sich in (Stölting 2006).
5 Produktentwicklung
143
Menge an Produkten [Stk.]
400 350 300
Absatz Neuprodukte mneu ,t Altproduktrückfluss malt ,t Menge zur Entsorgung m Aufgearbeitete Produkte Menge zur Entsorgung m
250 200 150 100 50 0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 13
Periode [Jahr]
Abbildung 5-6: Antizipierte Stoffströme bei Implementierung des Anreizsystems S3 „Rückkauf“ (Walther et al. 2007c, Stölting 2006)
5.3.3 Zahlungsströme Als Wertgerüst werden die Ein- und Auszahlungen der einzelnen Lebenszyklusphasen ermittelt. Wie in Kapitel 5.2 dargestellt, beruhen die Zahlungsströme der Entstehungsphase auf dem gesamten Produktprojekt Minilab, während die Zahlungsströme der Markt- und Nachsorgephase aus dem in Abbildung 5-6 exemplarisch für das Anreizsystem „Rückkauf“ dargestellten Mengengerüst abgeleitet werden. Während einige der Zahlungen unabhängig von den o.g. Anreiz- und Gestaltungsoptionen sind, sind andere Zahlungen in Abhängigkeit dieser Strategiealternativen zu ermitteln. Durch die Verknüpfung des Mengen- und des Wertgerüsts ergeben sich die Zahlungsreihen für die 12 Strategieoptionen jeweils über den gesamten Lebenszyklus des Produktprojektes. Auf dieser Basis lässt sich für jede Strategieoption der Kapitalwert durch Diskontierung ermitteln. Hierbei wird der Kapitalwert der jeweiligen Strategieoption jeweils abzüglich des Kapitalwertes eines Referenzlaufes gebildet, der sich aus der Rücknahme und fachgerechten Entsorgung zurückgenommener Altgeräte bei Einhaltung gesetzlicher Rücknahmepflichten ergibt.
5.3.4 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen Die in Abbildung 5-7 dargestellten Ergebnisse verdeutlichen die Vorteilhaftigkeit der Anreizsysteme „Leasing“ und „Rückkauf“ aufgrund der hohen Rückflussmengen gegenüber der Gewährung von „Rabatten“ sowie dem Verkauf „Neu gegen Alt“. Es wird zudem deutlich, dass Maßnahmen der Produktgestaltung in diesem Beispiel nur geringe Auswirkungen auf die Zahlungsstruktur haben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die prozentual gesehen geringeren Zu- und Abschläge der frühen Lebenszyklusphasen eine größere NettoZahlungsänderung nach sich ziehen als die anteilig höheren Zu- und Abschläge in der Aufarbeitungsphase. Während erstere zudem alle Produkte betreffen (Absatzmenge), wirken sich
144
5 Produktentwicklung
Erwarteter Kapitalwert kum. [Mio. €]
letztere lediglich auf eine geringere Anzahl von Produkten (Rücklaufmenge) aus.
20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 0 1
3
5
7
9
11
13
S1, ohne DfRem S1, DfRem gering S1, DfRem hoch S2, ohne DfRem S2, DfRem gering S2, DfRem hoch S3, ohne DfRem S3, DfRem gering S3, DfRem hoch S4, ohne DfRem S4, DfRem gering S4, DfRem hoch
Periode [Jahr]
Abbildung 5-7: Diskontierte Zahlungsreihen der Strategiealternativen (Walther et al. 2007c, Stölting 2006) Im Rahmen von Sensitivitätsanalysen wird der Einfluss der verschiedenen Parameter wie z.B. Rücklaufquote oder Aufarbeitungsquote untersucht. Aus Abbildung 5-8 wird beispielsweise deutlich, dass die Aufarbeitungsrate einen großen Einfluss auf die Vorteilhaftigkeit der Aufarbeitung hat. Können aus Qualitäts- oder Nachfragegründen weniger als 40 % der zurückgeführten Geräte aufgearbeitet werden, stellt lediglich die Strategie S1 „Neu gegen Alt“ noch eine wirtschaftlich vorteilhafte Option dar. Die Anreizsysteme mit hohen Auszahlungen S3 „Rückkauf“ und S4 „Leasing“ reagieren hierbei besonders sensitiv auf Änderungen in der Aufarbeitungsrate (vgl. Stölting 2006).
5 Produktentwicklung
145
Erwarteter Kapitalwert [Mio.€]
30 20 10 0 -10 -20 -30 0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1
Aufarbeitungsrate Aufarbeitungsrate S1
Aufarbeitungsrate S2
Aufarbeitungsrate S3
Aufarbeitungsrate S4
Ausgangswerte
Abbildung 5-8: Sensitivität des erwarteten Kapitalwertes für unterschiedliche Aufarbeitungsraten (Stölting 2006) Als Handlungsempfehlung an den Hersteller der Minilabs kann somit abgeleitet werden, dass die Aufarbeitung dieser hochwertigen Investitionsgüter wirtschaftlich vorteilhaft ist. Dies ist vor allem auf die im Vergleich zur Neugeräteproduktion geringen Auszahlungen für den Prozess der Aufarbeitung zurückzuführen. Zu dieser Vorteilhaftigkeit tragen zusätzliche Einzahlungen z.B. durch den Absatz gerätespezifischer Verbrauchsgüter (Consumables) bei. Zudem erweisen sich hohe Rückflussmengen als vorteilhaft, weshalb der Einsatz von Anreizsystemen zur Steigerung der Rücklaufquote erwogen werden sollte. Maßnahmen zur Produktgestaltung unter Gesichtspunkten der Aufarbeitung und des Recyclings sind nur dann vorteilhaft, wenn die zu Beginn des Lebenszyklus auftretenden zusätzlichen Auszahlungen im Bereich Entwicklung und Produktion gering sind und die dadurch erzielbare Reduktion der Auszahlungen in der Aufarbeitung hoch ausfällt. Die Erläuterungen zeigen, dass sich eine Aufarbeitung und zweite Nutzungsphase bei hochwertigen Elektronikgeräten als wirtschaftlich vorteilhaft erweisen kann. Im Folgenden soll mit Hilfe der Methode der Ökobilanzierung bzw. des Life Cycle Assessment untersucht werden, wie sich Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus auswirken und ob die Vorteilhaftigkeit der Aufarbeitung von Geräten auch unter Umweltgesichtspunkten gilt.
146
5 Produktentwicklung
5.4 Life Cycle Assessment Im Rahmen des Life Cycle Assessment (LCA, auch als Ökobilanzierung bezeichnet) erfolgt die Erfassung und Bewertung aller Umweltwirkungen über den gesamten Lebenszyklus eines (durchschnittlichen) Produktindividuums. Die Methode des LCA ist international anerkannt und im Rahmen der DIN EN ISO 14.040/14.044 normiert (DIN 2006a, DIN 2006b). Anwendungsbereiche des Life Cycle Assessment finden sich (DIN 2006a): x beim Aufzeigen von Möglichkeiten zur Verbesserung der Umwelteigenschaften von Produkten in den verschiedenen Phasen ihres Lebensweges, x im Rahmen der Information von Entscheidungsträgern in Industrie, Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen, x bei der Auswahl von Indikatoren der Umwelteigenschaften einschließlich Messverfahren, x im Marketing. In der Norm DIN EN ISO 14.040 werden die Arbeitsschritte bzw. Mindestanforderungen für das Life Cycle Assessment festgelegt, insbesondere für zur Veröffentlichung vorgesehene Studien und Produktvergleiche sind viele Elemente dieser internationalen Norm obligatorisch.
5.4.1 Vorgehensweise Für die Durchführung eines Life Cycle Assessment wird die in Abbildung 5-9 dargestellte Vorgehensweise empfohlen. Rahmen desLifeCycleAssessment Festlegung von Ziel und Untersuchungsrahmen
Sachbilanz
Auswertung
Direkte Anwendungen: •Entwicklung/Verbesserung vonProdukten •Strategische Planung •Politische Enscheidungsprozesse •Marketing •sonstige
Wirkungsabschätzung
Abbildung 5-9: Phasen einer Ökobilanz nach DIN EN ISO 14.040 (DIN 2006a)
5 Produktentwicklung
147
Hierbei erfolgt im Rahmen der Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens zunächst die Ermittlung des Umfangs sowie der Ziele bzw. Zielgruppe der Studie. Dieser Verfahrensschritt beinhaltet zudem eine ausführliche Beschreibung des zu untersuchenden Systems bzw. Produktes, die Festlegung der funktionellen Einheit, eine Bestimmung der Systemgrenzen sowie eventueller Abschneidekriterien und Allokationsverfahren und das Entwerfen eines Systemfließbildes. Insgesamt sollte möglichst der gesamte Lebensweg eines Produktes betrachtet werden (DIN 2006a). Werden einzelne Prozesse oder Lebenswegabschnitte weggelassen, so ist dies zu begründen (DIN 2006b). Der Arbeitsschritt der Sachbilanz beinhaltet die Datensammlung sowie die Modellierung des Lebensweges zur Quantifizierung relevanter Input- und Outputflüsse eines Produktsystems (DIN 2006b). Die zur Bilanzierung verwendeten Datenkategorien können Energie-, Rohstoff-, Betriebsstoff- und andere physikalische Inputs, (Zwischen-)Produkte sowie Emissionen in die Luft, das Wasser und den Boden beinhalten und auch weitere Umweltgesichtspunkte umfassen. Die Angabe dieser In- und Outputs geschieht in physikalischen Einheiten (kg, KJ, m3 usw.). Hierbei gestaltet sich insbesondere die unternehmensübergreifende Erfassung von Daten schwierig. Die Wirkungsabschätzung lässt sich in weitere Teilschritte unterteilen. In der nach (DIN 2006a) verbindlichen Klassifizierung erfolgt die Zuordnung der ermittelten Sachbilanzergebnisse zu Wirkungskategorien, die jeweils eine spezifische, potenzielle Umweltwirkung repräsentieren, z.B. werden CO2, N2O und CH4 dem Treibhauseffekt zugeordnet. Die ebenfalls verbindlich vorgeschriebene Charakterisierung beinhaltet die Berechnung der Wirkungsindikatorergebnisse auf der Grundlage anerkannter Modelle z.B. über Äquivalenzfaktoren (vgl. hierzu Kapitel 3.2, Abbildung 3-8). Zu den nach (DIN 2006a) wahlweisen Bestandteilen der Wirkungsabschätzung gehören die Normierung, in der die Höhe von Wirkungsindikatorergebnissen im Verhältnis zu Bezugswerten berechnet wird, die Ordnung, in der eine Einordnung bzw. eventuelle Rangfolge der Wirkungskategorien erfolgt, sowie die Gewichtung, in der eine Umwandlung und eventuelle Zusammenfassung der Indikatorergebnisse vorgenommen wird. Im Rahmen der Auswertung als letztem Schritt des Life Cycle Assessment werden schließlich – abgestimmt auf die Ziele der Studie – Schlussfolgerungen und eventuelle Empfehlungen ausgesprochen (DIN 2006a). In vielen, v.a. voll quantitativen Bewertungsverfahren gehen Wirkungsabschätzung und Auswertung ineinander über und sind nicht streng getrennt. Im Anschluss an diese vier Arbeitsschritte muss im Rahmen der Berichterstattung ein vollständiger und transparenter, den Zielgruppen der Ökobilanz angemessener Bericht erstellt werden. Bei Ökobilanzen zur Veröffentlichung ist zusätzlich eine Kritische Prüfung auf Konformität der Ökobilanz mit den Bestimmungen der ISO 14.040 durch ein unabhängiges Fachgremium vorgeschrieben (DIN 2006a).
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5 Produktentwicklung
5.4.2 Vereinfachtes Life Cycle Assessment Das Life Cycle Assessment nach DIN EN ISO 14.040/14.044 unter detaillierter Berücksichtigung aller Lebenswegabschnitte und aller Umweltauswirkungen wird vor allem für interne Unternehmensentscheidungen sowie im Rahmen der Produktentwicklung oftmals als zu aufwändig betrachtet (Hunt et al. 1998, Hunkeler/Rebitzer 205, Lindahl 2006). LCAs sind zudem nur begrenzt anwendbar, wenn es darum geht schnelle, effektive und trotzdem akkurate Entscheidungen zu treffen (Weitz et al. 1996). Aus diesem Grund werden Vereinfachungen vorgenommen mit dem Ziel, bei signifikant weniger Zeit- und Kostenaufwand zum selben Ergebnis zu gelangen wie eine vollständige LCA (Curran 1997, Christiansen 1997). Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Resultate mit zunehmender Vereinfachung immer stärker abnimmt. Zudem ist es häufig schwierig abzuschätzen, wann die Ergebnisse vereinfachter Ansätze richtungssicher sind (Hunt et al. 1998). Im Allgemeinen zeigt sich eine Abfolge bestimmter Arbeitsschritte als notwendig, um die erforderliche Zuverlässigkeit zu gewährleisten (Schmidt/Beyer 1999). Im Rahmen des Screenings erfolgt die Entscheidung bezüglich der in der LCA vernachlässigbaren bzw. vereinfachbaren Daten und Prozesse. Hierfür erfolgt die Abschätzung der Umweltauswirkungen der Prozesse entlang des gesamten Lebensweges mit Hilfe einfach zu bilanzierender und aussagekräftiger Indikatoren, beispielsweise unter Einsatz des kumulierten Primärenergiebedarfs (KEA), unter Einbeziehung produktgruppenspezifischer Schlüsselemissionen (Schwermetalle, Treibhauspotenzial, FCKW) oder durch Nutzung eines qualitativen ABC-Assessments. Hierfür erfolgt die Nutzung von Standardmodulen auf der Basis generischer Daten (z.B. Datenbanken Ecoinvent, ETH-ESU 96, BUWAL 250), um den Zeitaufwand bei der Datenerhebung zu vermindern. Im Rahmen der Vereinfachung (Simplifying) erfolgt die genauere Bilanzierung des Systems. Dabei werden verschiedene Vereinfachungen bezüglich der betrachteten Prozesse bzw. der verwendeten Daten an den laut Screening nicht bzw. wenig umweltrelevanten Stellen des Systems vorgenommen (Hur et al. 2005, Valkama/Keskinen 2008). So wird – in Abhängigkeit der Ergebnisse des Screenings – beispielsweise auf die Betrachtung von Lebenswegabschnitten verzichtet, die vor oder nach den betrachteten Prozessen stattfinden, und/oder gleiche bzw. ähnliche Lebensabschnitte werden bei der Betrachtung mehrerer Produkte vernachlässigt. Häufig erfolgt auch hier die Nutzung generischer Daten in Form von Standardmodulen bzw. von Daten ähnlicher Prozesse. Auf diese vereinfachte „Sachbilanz“ folgt eine vereinfachte Bewertung, die nur auf die wichtigsten Umweltaspekte und/oder auf die potenziellen Umweltauswirkungen und/oder auf die einzelnen Lebensabschnitte des Produktes fokussiert. Abschließend erfolgt die Prüfung der Zuverlässigkeit. Hierbei ist sicherzustellen, dass das Ziel der vereinfachten Ökobilanz, bei geringerem Aufwand Ergebnisse mit für den jeweiligen
5 Produktentwicklung
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Zweck bzw. Anwendungsbereich ausreichender Zuverlässigkeit zu gewinnen, erreicht wurde. Diese Überprüfung der Zuverlässigkeit kann mit Hilfe von Szenarien sowie unter Anwendung von Dominanz- bzw. Sensitivitätsanalysen erfolgen. Anwendung finden vereinfachte Ökobilanzen v.a. firmenintern zur Entwicklung und Optimierung von Produkten und Prozessen, für die Unterstützung von Entscheidungen im Umweltmanagement sowie zur Vorbereitung detailierter LCAs (Weitz et al. 1996). Auch im Rahmen der Produktentwicklung erscheinen vor allem Ansätze zur Vereinfachung der Ökobilanzierung als vielversprechend. Sowohl im Rahmen des Life Cycle Assessment als auch des vereinfachten Life Cycle Assessment komplexer Produkte erfordert die Vielzahl der zu berücksichtigenden Prozesse und die Menge der zu recherchierenden Daten eine softwaretechnische Unterstützung. Softwaresysteme wie beispielsweise SimaPro (PRé Consultants 2006), Umberto (ifu 2008) oder GaBi (PE International 2008) erlauben hierbei die Erfassung, Abbildung und Analyse der vielfältigen Abhängigkeiten und Prozesse über den Produktlebenszyklus. Insbesondere können so einzelne Prozesse und deren Verknüpfungen visualisiert werden. Zudem sind Datenbanken mit generischen Informationen zu Transportprozessen oder zur Herstellung von Rohmaterialien hinterlegt (z.B. Datenbanken Ecoinvent, ETH-ESU 96, BUWAL 250 etc.). Hierbei beruht die Software Umberto beispielsweise auf dem Prinzip der in Kapitel 3 dargestellten Petri-Netze.
5.5 Fallbeispiel: Umweltwirkungen komplexer Elektronikgeräte Die Produktion, Nutzung und Entsorgung von Elektro(nik)geräten zeichnet für 10-20% aller Umweltwirkungen in den Wirkungskategorien Ressourcenabbau, Treibhauseffekt, Versauerung, Feinstaub und Gesundheitsschäden verantwortlich (Labouze et al. 2003). Im Folgenden sollen daher die Umweltwirkungen entlang des Lebenszyklus komplexer Elektronikgeräte (PC, Mobiltelefon, Kühlgerät, Fernseher, Waschmaschine) aufgezeigt werden, um Aussagen über ökologisch vorteilhafte Maßnahmen und Strategien im Lebenszyklus abzuleiten. Hierbei wird zunächst die Durchführung des Life Cycle Assessment am Beispiel von Computern erläutert, wobei die Zielsetzung in der Strukturierung der Wirkungsindikatorwerte zu den Lebenswegabschnitten nach (DIN 2006a) besteht. Im Anschluss daran werden Umweltprofile der einzelnen Lebenszyklusphasen weiterer Geräte mit Hilfe des aggregierten Indikators KEA ermittelt (vgl. hierzu auch Jensen/Remmen 2005).
5.5.1 Life Cycle Assessment eines Personal Computers Für die Analyse der Umweltwirkungen am Beispiel eines Personal Computers wird im Folgenden die Fallstudie von (Choi et al. 2006) zu Grunde gelegt.
150
5 Produktentwicklung
Im Rahmen dieser Studie bestehen Ziel und Untersuchungsrahmen in der Analyse der Umweltwirkungen eines PCs. Dieser ist definiert als programmierbare elektronische Maschine, die in der Lage ist mathematische oder logische Operationen auszuführen bzw. Informationen zu generieren und zu speichern. In der Fallstudie von (Choi et al. 2006) wird ein Intel Pentium IV 1,7 GHz, 128 MB RAM, mit HDD und CD-ROM Laufwerk, Festplatte, Netzteil, 3,5 FDD Laufwerk, Modem und Keyboard bilanziert. Hierbei wird die Lebensdauer des Computers mit 4 Jahren angenommen. Die räumliche Systemgrenze sowohl für die Herstellung als auch die Nutzung stellt Korea dar. Es wird der gesamte Lebenszyklus eines durchschnittlichen Produktindividuums von der Gewinnung der Rohmaterialien über die Herstellung der Bauteile und Baugruppen, die Montage, den Transport und die Nutzung bis hin zum Recycling abgebildet. Ein Überblick über den Produktlebenszyklus eines PC ist in Abbildung 5-10 dargestellt. USBports Lüfter Kabel Sonstige Bauteile Gehäuse/ Anschlüsse
Treiber
Karten
Verpackung
Hauptplatine
FDD HDD CDROM Netzanschluss Sonstige Bauteile
Sammlung
Modem Sound Graphik Speicher
Demontage Veredlung
Bedienungsanleitung Karton Füllmaterial
Recycling Thermische Behandlung
Leiterplatten CPU Lüfter Sonstige Bauteile
Elektrizität Deponierung Montage Kraftstoff
Elektrizität
Vorfertigung (Rohmaterialien,Bauteile, Baugruppen)
Produktion
Transport
Nutzung
Entsorgung
Abbildung 5-10: Lebenszyklusphasen eines PC (übersetzt nach Choi et al. 2006) Die Sachbilanz des PC beruht sowohl auf generischen Daten aus Datenbanken (SIMAPRO 4.0, IDEMAT 96, BUWAL 250, nationale Datenbank Koreas) als auch auf spezifischen Daten zur Herstellung von PCs, bspw. von Samsung Electronics Co. und TriGem Computer Co. (Choi et al. 2006). Im Rahmen der Wirkungsabschätzung werden die Umweltwirkungskategorien Ressourcenabbau, Treibhauseffekt, Ökotoxizität, Humantoxizität, Versauerung, Ozonabbau, bodennahe Ozonbildung und Eutrophierung herangezogen (vgl. Kapitel 3.2). In Abbildung 5-11 sind die Ergebnisse der Wirkungsabschätzung dargestellt.
Anteil der Lebenszyklusphase an der jeweiligen Umweltwirkung [%]
5 Produktentwicklung
Entsorgung Recycling
151
Nutzung
Transport
Produktion
Vorproduktion
120 100 80 60 40 20 0 20
Abbildung 5-11: Wirkungsabschätzung über den Lebenszyklus eines PC (verändert nach Choi et al. 2006) Die einzelnen Wirkungskategorien werden nicht weiter aggregiert, sondern im Rahmen einer verbal-argumentativen Bewertung ausgewertet. Es wird deutlich, dass die größten Umweltwirkungen auf die Phase der Bauteilherstellung zurückzuführen sind. Insbesondere trägt die Herstellung der Hauptplatine mit den mehreren hundert darauf enthaltenen aktiven Bauteilen zu den Umweltwirkungskategorien bei. Lediglich die Wirkungskategorie Humantoxizität ist in der Entsorgungsphase am höchsten. Die Transportprozesse spielen hingegen eine vernachlässigbare Rolle (Choi et al. 2006). Verbesserungspotenziale sind daher vor allem im Rahmen der Herstellung der Komponenten des PC zu suchen. Hierbei kann jedoch durch eine nachhaltige Beschaffung der Bauteile nur bedingt Einfluss genommen werden, da die Prozesse zur Herstellung der Bauteile, wie z.B. von integrierten Schaltungen und Computerchips, einen sehr hohen Energieaufwand benötigen. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt (Williams 2003). Eine Verringerung der Umweltwirkung kann daher insbesondere durch Vermeidung der Herstellung neuer Geräte und Komponenten erzielt werden (vgl. hierzu auch Williams 2003; siehe auch Kapitel 7). Bei gleich bleibendem Gesamtnutzungsniveau kann dies sowohl durch eine Verlängerung der Langlebigkeit und Nutzungsdauer der Geräte als auch durch eine Nutzungsintensivierung erreicht werden (Souren et al. 2002, Dyckhoff/Souren 2008). Die hohe Wirkung in der Kategorie Humantoxizität am Ende des Lebensweges des Produktes verdeutlicht über derartige vermeidungsorientierte Produktnutzungskonzepte hinaus zusätzlich die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Behandlung und Schadstoffentsorgung am Ende des Produktlebens (vgl. Kapitel 8). Die aus den Ergebnissen der Studie abgeleiteten Implikationen für die Entwicklung umweltfreundlicher PCs sind in Tabelle 5-4 dargestellt.
152
5 Produktentwicklung
Tabelle 5-4: Lebenszyklusphase
Implikationen über den Lebenszyklus (übersetzt nach Choi et al. 2006) Umweltwirkung
BauteilFertigung
Große Anzahl kleiner elektronischer Bauteile, Leiterplatte der Hauptplatine, Netzteil (Löt-Blei, NOx-, Co-, Cu-, Se-, Hg-, NiEmissionen)
Montage
Geringe Auswirkungen
Geringe Auswirkungen Stromverbrauch (Verbrauch fossiler Energieträger) Sammlung und Transport (Verbrauch fossiler Energieträger) Entsorgung Affinerie (Salpeter-, Schwefel-, Salzsäure)
Empfehlungen für die Produktentwicklung Reduktion der Produktgröße Reduktion gefährlicher Substanzen in Teilen und Materialien Bleifreies Löten der Leiterplatten
Umsetzung im Umweltmanagement
Umweltorientierte Beschaffung Produktionsintegrierter Umweltschutz
Transport Nutzung
Reduktion des Stromverbrauchs
Umweltorientiertes Design
Förderung des Recyclings
Produktrecycling Design für Recycling
5.5.2 Lebenszyklusweite Umweltwirkungen weiterer Elektronikgeräte Die Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf andere Produkte wird im Folgenden für weitere Elektronikgeräte analysiert. Hierbei erfolgt die Erstellung von Umweltprofilen jeweils über alle Lebenszyklusphasen für PCs, Mobiltelefone, Fernseher, Kühlschänke und Waschmaschinen im Sinne eines vereinfachten Life Cycle Assessments. Als Summenindikator wird hierbei der KEA herangezogen. Die Analyse beruht auf Daten aus mehreren Quellen (Behrendt 1998, Williams 2003, Williams/Sasaki 2003, Gotthardt et al. 2005, Choi et al. 2006, Williams et al. 2002, Atlantic Consulting & IPU 1998, Steiner et al. 2005, BUWAL 1996). Wie Abbildung 5-12 zeigt, ist der Kumulierte Energieverbrauch über die einzelnen Lebenszyklusphasen bei Mobiltelefonen ähnlich verteilt wie bei Computern. Auch hier wird der höchste Primärenergieaufwand durch die Produktion der elektronischen Bauteile verursacht (Gotthardt et al. 2005, Scharnhorst 2005). Andere Geräte, wie z.B. Kühlgeräte, Fernseher und Waschmaschinen weisen jedoch in der Nutzungsphase den höchsten Energieverbrauch auf (Williams/Sasaki 2003, Rüdenauer et al. 2005, Behrendt 1998). Deutlich wird zudem der sehr geringe Einfluss von Transporten, der selbst in extremen Fällen 8% des Gesamt-KEA nicht überschreitet (Williams 2003). Die negativen KEA-Werte der Entsorgungsphase sind von den jeweils angewandten Verfahren und Recyclingquoten abhängig, allerdings bleibt die Bedeutung des Energiegewinns durch Recyclingprozesse im Vergleich zum Energieeinsatz für Herstellung und Nutzung sehr gering (Behrendt 1998, Choi et al. 2006). Im Rahmen der Bewertung dieser Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse des KEA nicht mit den Ergebnissen aller Wirkungskategorien korrelieren (vgl. Abbildung 5-11). Insbesondere für die Kategorie Humantoxizität sind daher weitere Daten und Informationen zu erfassen, ein Recycling trägt hier stark zur Verringerung dieser Umweltwirkung bei (Choi et al. 2006).
Anteil der Lebenszyklusphase am Gesamt- KEA [%]
5 Produktentwicklung
Entsorgung
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Nutzung
Transport
Produktion
Vorproduktion
120 100 80 60 40 20 0 20
Abbildung 5-12: KEA verschiedener Elektronikgeräte über den Lebenszyklus (verändert nach Quariguasi et al. 2009a; Daten: Behrendt 1998, Williams 2003, Gotthardt et al. 2005, Choi et al. 2006, BUWAL 1996) Da der Energiebedarf für die Herstellung des PCs wie die Analysen nach (Choi et al. 2006) zeigen nicht in der Bereitstellung der Materialien, sondern in der Produktion der Bauteile begründet ist, kann dieser Energieinhalt nur durch funktionserhaltende Maßnahmen, wie z.B. die Wiederverwendung von Produkten und Komponenten, bewahrt werden (vgl. Kapitel 7). In Bezug auf eine Nutzungsdauerverlängerung bewirkt eine Verdopplung der Nutzungszeit bei Computern von zwei auf vier Jahre beispielsweise eine Reduktion des Primärenergiebedarfs von ca. 31 %, wenn dadurch die Produktion eines weiteren Computers entfällt (Quariguasi et al. 2009a). Durch ein Materialrecycling hingegen kann im Vergleich dazu nur ein geringer Teil des Energieaufwandes zurückgewonnen werden (vgl. auch Ruediger 2003). Allerdings kann eine derartige Verlängerung der Nutzungsdauer für andere Geräte, wie z.B. Waschmaschinen oder Kühlgeräte, sogar zu negativen Umweltwirkungen führen, wenn neue Geräte einen deutlich reduzierten Energie- und Wasserverbrauch in der Nutzungsphase aufweisen. Entsprechend lassen sich die Geräte wie in Tabelle 5-5 dargestellt hinsichtlich der bevorzugt einzusetzenden Maßnahmen gruppieren.
154 Tabelle 5-5:
5 Produktentwicklung Empfohlene Maßnahmen über den Lebenszyklus für die untersuchten Elektro(nik)altgeräte (Quariguasi et al. 2009a)
Lebenszyklusphasen
Herstellung
Nutzung
Entsorgung
Produktvarianten
Computer Mobiltelefone
Waschmaschinen Fernseher Kühlgeräte
Alle Produkte am Ende des Lebenszyklus
Empfehlung
Verlängerung der Nutzungsdauer
Verringerung des Energieverbrauchs
Ordnungsgemäße Entsorgung von Schadstoffen Gewinnung hochwertiger Materialfraktionen
Energiesparendes Design
Optimale Redistributions-, Behandlungs- und Entsorgungsprozesse
Life Cycle Assessment Life Cycle Costing
Integrierte Demontage- und Verwertungsplanung Redistributionsplanung
Optionen
Planungsmodelle
Wiederverwendung von Geräten Wiederverwendung von Komponenten Demontageplanung Integrierte Planung der Aufarbeitung und Produktion
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass einheitliche Handlungsempfehlungen zur Reduktion der Umweltwirkungen über den Produktlebenszyklus selbst innerhalb einer Produktklasse nicht abgeleitet werden können. Während für einige Geräte Maßnahmen im Rahmen der Produktion geeignet erscheinen und Optionen zur Verlängerung der Langlebigkeit und Nutzungsdauer der Geräte sowie zur Nutzungsintensivierung (Souren et al. 2002) sinnvoll erscheinen (vgl. hierzu Kapitel 7), steht bei anderen Geräten die Reduktion des Energieverbrauchs in der Nutzungsphase bereits im Rahmen der Produktentwicklung im Vordergrund (Tabelle 5-5). Die Fallbleispiele verdeutlichen die Notwendigkeit der ökologischen und ökonomischen Analyse des Lebensweges eines Produktes bereits in der Phase der Produktentwicklung. Relevante Maßnahmen sind häufig bereits am Anfang des Lebensweges eines Produktes festzulegen. Erweist sich die Verlängerung der Nutzungsdauer eines Produktes unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten als sinnvoll, erfordert dies frühzeitig, d.h. bereits in der Entwicklungsphase, die Festlegung von Absatzstrategien, die dem Hersteller die Rücknahme der Geräte, die Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung erlauben.
5.6 Fazit Im Rahmen der Integrierten Produktpolitik (IPP) sind zukünftig die Auswirkungen produktorientierter Maßnahmen entlang des gesamten Produktlebenszyklus zu berücksichtigen. Hierbei wird deutlich, dass in der Phase der Produktentwicklung noch Einflussmöglichkeiten auf alle anderen Lebenszyklusphasen des Produktes bestehen. Daher sind bereits in dieser Phase Informationen über alle entscheidungsrelevanten Stoffströme und Zahlungsströme entlang des gesamten Produktlebenszyklus bereitzustellen. Im Rahmen dieses Kapitels erfolgt daher zunächst eine geeignete Modellierung des Produktlebenszyklus, wobei sowohl der Marketing-
5 Produktentwicklung
155
zyklus einer Produktvariante (Produktprojekt) als auch der Lebenszyklus eines einzelnen Gerätes (Produktindividuum) Berücksichtigung finden. Auf Basis dieses integrierten Modells des Lebenszyklus erfolgt die Vorstellung von Methoden zur Bewertung der potenziellen Entscheidungsalternativen mit Hilfe des Life Cycle Costing unter ökonomischen sowie mit Hilfe des Life Cycle Assessment unter ökologischen Gesichtspunkten. Die Anwendung dieser Modelle erfolgt jeweils für komplexe Elektronikgeräte. Ausgehend von der Phase der Produktentwicklung werden im folgenden Kapitel Planungsmodelle zur Entscheidungsunterstützung in der Phase der Produktion vorgestellt. Hierbei wird insbesondere auf die Gestaltung neuer Produktionssysteme für innovative Produkte und Technologien unter der Berücksichtigung der damit verbundenen Planungsunsicherheiten eingegangen.
6 Produktion
6
157
Produktion
Im Rahmen der Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftssysteme sind wie in Kapitel 2 dargestellt im Sinne der Konsistenzstrategien zukünftig technisch-anthropogene Stoffströme sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtspunkten in den natürlichen Stoffwechsel einzubetten. Mit den derzeit verfügbaren, auf fossilen Energieträgern und endlichen Rohstoffen beruhenden konventionellen Technologien und Produkten kann dies nicht gelingen. Notwendig ist daher langfristig die Entwicklung von Werkstoffen auf Basis nachwachsender Rohstoffe sowie von Technologien zur Energieerzeugung auf Basis erneuerbarer Energieträger. Nach erfolgreicher Entwicklung besteht die weitere Herausforderung in der großtechnischen Implementierung der ökologisch angepassten innovativen Technologien bzw. der Marktdiffusion der neuen Produkte. So existieren im Rahmen der Implementierung hohe technische, ökonomische und marktliche Unsicherheiten. Aufgrund der Neuartigkeit fehlt häufig die notwendige Infrastruktur zur Produktion der Technologien bzw. zum Vertrieb der Produkte. Fehlende Lernkurven- und Größendegressionseffekte bedingen anfangs hohe Produktionskosten, die zumeist deutlich höher liegen als die konventioneller Technologien und Produkte. Der politische Entscheidungsträger kann hier unterstützend tätig werden durch Subventionierungen in der Entwicklungsphase, durch Anreize für Verbraucher sowie durch für alle Hersteller geltende Vorgaben bezüglich des Mindestanteils einer Technologie bzw. eines Produktes am Gesamtportfolio (vgl. auch Kapitel 4). Trotz derartiger Unterstützung sind die verbleibenden Unsicherheiten zumeist sehr hoch. Im Folgenden wird daher in Kapitel 6.1 zunächst auf Planungsaufgaben im Rahmen der Entwicklung und Umsetzung innovativer Produkte und Technologien eingegangen. Hierbei wird insbesondere auf die strategische Planung von Produktionssystemen fokussiert sowie auf Möglichkeiten des Umgangs mit den bei innovativen Technologien und Produkten systemimmanenten sowie externen Planungsunsicherheiten. Im nächsten Schritt erfolgt in Kapitel 6.2 die Vorstellung eines Planungsmodells zur Planung von Produktionssystemen für synthetische Biokraftstoffe mit Darstellung einer Erweiterung im Sinne der robusten Optimierung. Das Modell wird anschließend in Kapitel 6.3 am Fallbeispiel zur Gewinnung von synthetischen Biokraftstoffen in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen angewandt.
6.1 Planung von Produktionssystemen Die Planung der Leistungserstellung von Produktionssystemen beinhaltet Aufgaben unterschiedlicher Fristigkeit und Tragweite unter Zugrundelegung verschiedener Detaillierungsund Aggregationsgrade (Zäpfel 2000, Dyckhoff 2003): Aufgaben des strategischen Produktionsmanagements fokussieren auf die Schaffung und Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Produktion. Hierfür sind Ziele und Strategien für das
158
6 Produktion
Leistungserstellungssystem zu definieren. Dazu gehören Grundsatzentscheidungen bezüglich der Art der herzustellenden Hauptprodukte bzw. der zu beseitigenden Hauptredukte und der Gestaltung des Produktionssystems. Aufgaben des taktischen Produktionsmanagements bestehen in der Konkretisierung der o.g. Strategien. Hierbei werden vor allem Entscheidungen über die Leistungsfelder, die anzuschaffenden Produktionspotenziale sowie die Produktionsorganisation getroffen. Aufgaben des operativen Produktionsmanagements bestehen im optimalen Einsatz des vorhandenen Produktionsapparates sowie dem wirtschaftlichen Vollzug der Transformationsprozesse. Hierbei erfolgt die Festlegung des konkreten Produktionsprogramms, die Bereitstellung der Produktionsfaktoren sowie die kurzfristige Planung und Durchführung des Prozessablaufs.
6.1.1 Techno-ökonomisches Planungskonzept Auf allen Planungsebenen sind Informationen über die im System stattfindenden Transformationsprozesse mit den resultierenden Stoff- und Energieströmen notwendig. Im Rahmen der Fertigungsindustrie lassen sich diese Transformationsprozesse in Form der Montage von Baugruppen und Produkten auf Basis von Stücklisten, also anhand produktbasierter Informationen, beschreiben (vgl. hierzu Dyckhoff/Spengler 2007, Dyckhoff 2003). Dies setzt allerdings lineare, fertigungstechnische Prozesse voraus, die für die stoffumwandelnden Prozesse in der Verfahrenstechnik nicht gegeben sind. Hier liegen divergierende und zyklische Strukturen in Form von Kuppelproduktionsprozessen und Stoffrückführungen sowie prozessbedingte Nichtlinearitäten vor. Die Modellierung derartiger Systeme setzt die Berücksichtigung technischer Charakteristika des Produktionssystems und somit prozessbasierte Informationen voraus (Spengler 1998). Zur Ermittlung der wesentlichen Stoff- und Energieflüsse sind daher – wie in Abbildung 6-1 dargestellt – im Rahmen eines hierarchisch strukturierten Planungskonzeptes integrierte techno-ökonomische Modelle und Methoden zu erarbeiten und zu verzahnen, wobei die technische und betriebswirtschaftliche Systemgestaltung in ihren Wechselwirkungen integriert zu berücksichtigen sind (Walther et al. 2007a). Hierbei erfolgt auf der oberen Planungsebene die strategische Netzwerkplanung unter technischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, während auf der folgenden taktischen Ebene auf Basis der zuvor festgelegten Standorte und Kapazitäten die standortbezogene Verfahrens- und Prozessgestaltung stattfindet. Auf der operativen Ebene erfolgen aufbauend auf verfahrenstechnischen Simulationsmodellen die operative Programmplanung, die Chargenplanung und die Produktionsfeinplanung.
6 Produktion
159
Standort,Kapazitäts undTechnologiealternativen
systemimmanente undexterne Unsicherheiten
Technische Systemgestaltung
• Verfahrensklassifizierung • strategische Netzwerk planung
Lenkung
Gestaltung
Prozesssynthese •Grundfunktionalitäten •Verfahrensalternativen •Zeitliche Kopplung
• Verfahrens gestaltung • Topologie
betriebswirtschaftliche Systemgestaltung S1,1
• Apparative Detailgestaltung • Einstellung derProzess parameter
S3,1
Sm,2
S2,2 S1,n
Nachhaltige Produktions systeme
Sm,1 S2,1
S1,2
Sm,n
• Standortbezogene Prozessgestaltung
• Operative Programmplanung • Chargenplanung • Produktionsfeinplanung
Abbildung 6-1: Hierarchisches Konzept für die Planung von Produktionssystemen am Beispiel der verfahrenstechnischen Produktion (verändert nach Walther et al. 2007a) Insbesondere für Planungsprobleme in der Prozessindustrie ermöglicht erst die vorgestellte Integration der technischen und betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung eine Ermittlung der entscheidungsrelevanten Informationen bezüglich der Stoffströme und Aktivitäten sowie der daraus resultierenden ökonomischen Ergebnisse. Erst auf Basis detaillierter technischer Modelle ist beispielsweise eine stark vereinfachte Beschreibung der Transformationsprozesse mit Hilfe von Transformationskoeffizienten möglich, wie sie im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung beispielsweise in (Hübner 2007) und (Kallrath 2002) angewandt wird.
6.1.2 Strategische Produktionsplanung Die aus der Umsetzung innovativer Technologien und Produkte resultierenden Planungsaufgaben betreffen insbesondere Fragestellungen zur strategischen Planung (obere Ebene in Abbildung 6-1), da hier die generelle langfristige Ausrichtung eines Unternehmens festgelegt wird. Die Grundlage der strategischen Planung bildet eine detaillierte Analyse des Unternehmensumfeldes. Hierbei sind die durch die Veränderung rechtlicher, wirtschaftlicher, soziokultureller, ressourcenbasierter sowie technologischer Umweltfaktoren bedingten Potenziale und Risiken zu identifizieren und durch das Unternehmen so zu nutzen, dass die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt bzw. gesteigert wird (Zäpfel 2000). Ein Beispiel für eine derartige Analyse des dynamisch komplexen Unternehmensumfeldes wird in Kapitel 4 dieser Ar-
160
6 Produktion
beit anhand eines systemdynamischen Modells zur Markteinführung neuer Antriebstechnologien für Personenkraftfahrzeuge vorgestellt. Im Rahmen der sich anschließenden strategischen Planung sind alle Funktionsbereiche des Unternehmens, d.h. Produktion, Beschaffung, Absatz etc., integriert zu berücksichtigen. Die Planung der Leistungserstellung, die den bedeutendsten funktionalen Bereich der Unternehmen bildet, erfolgt im Rahmen der strategischen Produktionsplanung. Die Produktionsstrategie lässt sich unterteilen in Teilstrategien, hierbei sind Entscheidungen zu treffen bezüglich (Zäpfel 2000): x des Umfangs der betrieblichen Wertschöpfung (Strategie der Fertigungstiefe), x des Einsatzes von Technologien (Technologiestrategie), x des aufzubauenden Leistungsvermögens (Kapazitätsstrategie) sowie x der Produktionsstandorte (Standortstrategie). Die Ausgestaltung dieser Teilstrategien hängt davon ab, ob Produkte, Märkte und Verfahren im Rahmen einer Innovationsstrategie neu erschlossen werden, sich die Eigenschaften und Fähigkeiten von Produkten und Verfahren im Rahmen einer Variationsstrategie ändern oder eine Programmbereinigung für Produkte oder Prozesse im Rahmen einer Eliminationsstrategie stattfindet (Zäpfel 2000). Im Rahmen der Strategie zur Fertigungstiefe sind insbesondere Fragestellungen bezüglich der Eigen- und Fremdfertigung zu beantworten. Hier ergeben sich die Möglichkeiten der Erhöhung oder Verringerung der vertikalen Integration von Prozessen sowie der Kooperation mit unabhängigen Unternehmen im Bereich der Leistungserstellung. Im Rahmen der Technologiestrategie zeichnen sich insbesondere Innovationsstrategien, in denen der erstmalige Einsatz neuer Produkte (Produkt-Innovation) oder die Neugestaltung funktionaler Fähigkeiten bzw. Verfahren (Prozess-Innovation) erfolgt, durch das damit verbundene hohe Risiko bei der Markteinführung und Entwicklung aus. Dies gilt besonders, wenn neue Produkte bei gleichzeitigem Einsatz neuer Prozesse erzeugt werden (Technologie-Innovation). Notwendig ist hier die Schaffung von neuem technologischen Wissen sowie das Durchlaufen von Lernkurven (Zäpfel 2000). Im Rahmen der Kapazitätsstrategie sind die zukünftigen Kapazitäten der Unternehmen zu bestimmen. Hierbei erfolgt die Festlegung des quantitativen Leistungsvermögens des Netzwerkes auf Basis einer prognostizierten Nachfrage bzw. darauf beruhender Absatzziele. Insbesondere für ProduktInnovationen gestaltet sich die Erstellung derartiger Prognosen schwierig. Im Rahmen der Planung von Produkt-Innovationen ist daher insbesondere die Flexibilität in Form einer Erweiterungsfähigkeit oder Kompensationsfähigkeit eines Produktionsnetzwerkes (Zäpfel 2000) und im erweiterten Sinne die Robustheit der Planungsentscheidung zu gewährleisten (Scholl 2001). Die räumliche Gestaltung des Produktionssystems wird durch die Standortstrategie festgelegt, die im Rahmen der strategischen Produktionsplanung eine große Bedeutung besitzt. Insbesondere bei der Verfolgung von Innovationsstrategien ist hierbei über die Vertei-
6 Produktion
161
lung neuer Standorte zu entscheiden, wobei die Möglichkeiten der räumlichen Diversifizierung sowie der räumlichen Verdichtung bestehen. Im Folgenden wird der Fokus auf die Entscheidungen zur Bestimmung der Kapazitäts-, Standort- sowie Technologiestrategie gelegt. Hierbei wird zunächst auf die Systemgestaltung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf Basis von Ansätzen zur Kapazitäts- und Standortplanung eingegangen, bevor die Interdependenzen zur technischen Systemgestaltung und die Möglichkeiten zur Integration techno-ökonomischer Modelle erläutert werden. Abschließend werden Möglichkeiten zur Berücksichtigung der bei Produkt-, Prozess- sowie Technologie-Innovationen bestehenden Unsicherheiten vorgestellt. Eine Modellierung der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung sowie die Schnittstelle zur technischen Systemgestaltung für ein konkretes Produktionssystem werden in Kapitel 6.2 vorgestellt. 6.1.2.1 Betriebswirtschaftliche Systemgestaltung Die Gestaltung von Produktionssystemen bezüglich der Standortwahl und der zu errichtenden Anlagen und Kapazitäten basiert zunächst auf der Literatur zur Standortplanung. Hierbei werden die Modelle beispielsweise bezüglich der Netzwerkstruktur (Anzahl der Transportstufen), des Planungshorizontes (ein-/mehrperiodig), der Anzahl der Produkte (Ein-/Mehrproduktfall), der Berücksichtigung von Unsicherheiten (deterministisch, stochastisch, szenariobasiert) und der Kapazitätsbeschränkung (unkapazitiert/kapazitiert) klassifiziert (Aikens 1985, Brandeau/ Chiu 1989, Domschke/Krispin 1997, Owen/Daskin 1998, ReVelle/Eiselt 2005, Klose/Drexl 2005). Dynamische Planungsansätze bieten die Möglichkeit, auf veränderliche Rahmenbedingungen der Märkte sowie technologische Entwicklungen flexibel zu reagieren. Hierbei werden Alternativen auf Basis der dynamischen Investitionsrechnung hinsichtlich ihrer Zahlungsreihen und der resultierenden Kapitalwerte bewertet (Kallrath 2002, Fleischmann et al. 2006). Allerdings verwenden einige Autoren auch bei langfristigen Planungsproblemen kostenbasierte Ansätze (Melo et al. 2006, Shulman 1991). Branchenspezifische Modelle für konkrete Industrieanwendungen werden als n-stufige Modelle mit hoher Flexibilität bezüglich der Systemausprägung entwickelt (Wollenweber 2008, Melo et al. 2006, Martel 2005, Nickel et al. 2005, Spengler et al. 1997). Im Vergleich zu reinen Distributionsnetzwerken erfordern die letztgenannten branchenspezifischen Ansätze für Produktionssysteme die explizite Abbildung der Transformationsprozesse. Die Basis hierfür bildet die Beschreibung der zu Grunde liegenden technischen Zusammenhänge. Hierbei werden im Rahmen der Fertigungsindustrie für die Beschreibung der Transformationsprozesse produktbasierte Informationen über die Montage von Baugruppen und Produkten auf Basis von Stücklisten herangezogen (Sabri/Beamon 2000, Yan 2003). Bei divergierenden Produktstrukturen im Rahmen der Aufarbeitung gebrauchter Produkte mit dem Ziel der Nutzungsdauerverlängerung (Kapitel 7) sowie der Entsorgung am Ende des Produktlebenszyklus (Kapitel
162
6 Produktion
8) werden ebenfalls produktbasierte Planungsansätze auf Basis von Demontagegrafen zu Grunde gelegt (Spengler et al. 1997). Für die in der Prozessindustrie stattfindende Stoffumwandlung durch chemische und physikalische Reaktionen steigt allerdings die Komplexität deutlich an, beispielsweise aufgrund der Rezyklierung nicht vollständig umgesetzter Stoffe oder der Nutzung der aus exothermen Reaktionen resultierenden Prozessenergie an. Hier ist daher neben den produktbasierten Informationen zusätzlich die Abbildung der zu Grunde liegenden Prozesse erforderlich. Die für die Planung solch komplexer Prozesse benötigten Informationen über Anlagen und resultierende Kosten sind aus technischen Modellen zu gewinnen, beispielsweise aus Flowsheets mit Energie- und Materialflüssen für verschiedene Anlagenauslegungen und Parametereinstellungen. In der strategischen Planung sind diese Informationen im Rahmen der technischen Systemgestaltung zu ermitteln. 6.1.2.2 Schnittstelle zur technischen Systemgestaltung Hierbei basiert die Modellierung dieser stoffumwandelnden Prozesse auf Stoff- und Energiebilanzen, die sich aus reaktionstechnischen und thermodynamischen Beschreibungen der einzelnen Grundoperationen ergeben. Die Grundlage hierfür bilden in der Regel Fließbilder. Im Rahmen der technischen Systemgestaltung auf der strategischen Ebene werden hierbei anhand des Grundfließbildes die Grundfunktionalitäten des Stoffwandlungsprozesses inklusive möglicher Alternativverfahren sowie deren zeitlicher Kopplung abgebildet. In Hinblick auf die räumliche Gestaltung des Produktionssystems werden dabei insbesondere die Möglichkeiten zur Entkopplung einzelner Verarbeitungsstufen untersucht. Es resultieren Materialbilanzen, die im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung in aggregierter Form berücksichtigt werden (Walther et al. 2007a). Auf der Ebene der standortbezogenen Verfahrens- und Prozessgestaltung erfolgt im Anschluss daran die Ausgestaltung des gewählten Grundprozesses unterstützt durch Flowsheeting Modelle. Hierbei sind die Hauptaggregate mit ihren wesentlichen Abmessungen zu planen sowie eine standortbezogene Layout- und Kapazitätsplanung mit Investitions- und Kostenplanung zu erstellen. Als Ergebnis sind detaillierte prozessbasierte Stoffstrominformationen verfügbar (Sieverdingbeck et al. 1998, Spengler 1998, Penkuhn et al. 1997, Schultmann 2003). Sowohl im Rahmen der technischen als auch der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung bestehen vielfältige systemimmanente Unsicherheiten. Im Zuge der Planung von Produktionssystemen für Produkt- und Prozess- bzw. Technologie-Innovationen sind zusätzlich große externe Planungsunsicherheiten, z.B. bezüglich der zukünftigen Nachfrageentwicklung, zu berücksichtigen. Hierauf wird im Folgenden eingegangen.
6.1.3 Berücksichtigung von Unsicherheiten Auftretende Unsicherheiten finden in vielen Planungsansätzen zumeist nur implizit unter Einsatz von Szenario- und Sensitivitätsanalysen Berücksichtigung. Explizit können derartige Un-
6 Produktion
163
sicherheiten durch stochastische oder robuste Planungsansätze modelliert werden. Hierbei eignet sich die robuste, szenariobasierte Optimierung im Vergleich zur stochastischen Optimierung insbesondere für einmalige bzw. seltene Entscheidungssituationen, da hier auf die explizite Spezifikation (mathematisch handhabbarer) Verteilungsannahmen verzichtet wird und daher deutlich geringere Anforderungen an die Datenverfügbarkeit bestehen. Entscheidungsträger spezifizieren hierbei potenzielle Szenarien der Umfeldentwicklung und versehen diese nach Möglichkeit zusätzlich mit Informationen bezüglich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit (Scholl 2001, Klose/Drexl 2005, Mulvey et al. 1995, Kouvelis/Yu 1997). Aufgrund des langen Planungshorizontes und der großen Unsicherheiten ist im Rahmen der Planung von Produktionssystemen die Gewährleistung einer zulässigen Lösung für jede mögliche Umfeldentwicklung (zulässigkeitsrobuste Lösungen) wirtschaftlich ggf. nicht sinnvoll. Daher können beispielsweise Kompensationsmaßnahmen (K-Modelle) und/oder eine Relaxierung der Modellrestriktionen im Sinne von Chance-Constrained-Modellen (CModelle) vorgesehen werden. Während in Kompensationsmodellen für unzulässige Lösungen Strafzahlungen für erwünschte (Zukauf von Produkten, Anmieten von Lagerkapazitäten) oder unerwünschte Maßnahmen (Strafen bei Fehlmengen) anfallen (Mulvey et al. 1995, Scholl 2001), erfolgt im Fall von Chance-Constrained-Modellen die Relaxation der Nebenbedingungen derart, dass diese nur mit einer bestimmten Zulässigkeitswahrscheinlichkeit einzuhalten sind. Dies bedeutet, dass entweder für eine oder simultan für alle Nebenbedingungen über die Gesamtmenge aller Szenarien hinweg der Eintritt einer unzulässigen Lösung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erlaubt ist, ohne dass Strafkosten anfallen (Scholl 2001). Die im Rahmen der robusten Modellierung entwickelten Modelle unterscheiden sich bezüglich der zu Grunde gelegten Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers sowie bezüglich der Verfügbarkeit von Informationen über die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien. Die präferierte Lösung ist hierbei von der Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers abhängig. Die Berücksichtigung verschiedener Risikoeinstellungen und Zielsetzungen der Entscheidungsträger ermöglicht eine Analyse des Lösungsraumes zur besseren Beurteilung der Entscheidungssituation. Hierbei können sowohl Entscheidungskriterien gewählt werden, bei denen eine explizite Angabe der Eintrittswahrscheinlichkeiten von Szenarien notwendig ist, als auch Entscheidungskriterien, die auf derartige Informationen verzichten (Scholl 2001). Die Auswahl des Kriteriums beeinflusst zudem die Lösungs-, Optimalitäts- und Informationsrobustheit einer Entscheidung. Durch Anwendung lösungsrobuster Modelle kann das Erreichen eines vorher festgelegten Zielfunktionswertes als Anspruchsniveau gewährleistet werden. Optimalitätsrobuste Modelle generieren Lösungen, die möglichst nah an der optimalen Lösung der einzelnen Szenarien liegen. Informationsrobuste Kriterien gewährleisten auch im Falle unerwarteter Entwicklungen die Robustheit der Lösung gegenüber zukünftigen Szenarien (Scholl 2001).
164
6 Produktion
Autoren wie (Kouvelis/Yu 1997) und (Daskin et al. 1997) entwickeln risikoaverse Ansätze, in denen die beim Eintreten des schlechtesten Szenarios erzielbare Lösung optimiert wird. Im Gegensatz dazu berücksichtigen die von (Mulvey et al. 1995) sowie (Tsiakis et al. 2001) entwickelten Ansätze explizit die Eintrittswahrscheinlichkeiten verschiedener Szenarien, wobei zumeist das Erwartungswertkriterium zu Grunde gelegt wird. Weitere Entscheidungskriterien für verschiedenste Risikoeinstellungen stellt (Scholl 2001) vor, ein Auszug verschiedener Kriterien mit den jeweiligen Charakteristika ist in Tabelle 6-1 auf Seite 178 gegeben.
6.2 Modellierung von Produktionssystemen am Beispiel synthetischer Biokraftstoffe Die bisher allgemein vorgestellten Ansätze zur strategischen Planung von Produktionssystemen werden im Folgenden in ein Planungsmodell integriert. Hierbei erfolgt die Erstellung des Modells konkret für ein Produktionssystem zur Herstellung synthetischer Biokraftstoffe. Bei der Herstellung dieses innovativen Produktes unter Anwendung innovativer, noch in der Entwicklung befindlicher Technologien sind aktuell Fragen bezüglich des Aufbaus des Produktionssystems und somit bezüglich der technischen und betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung zu beantworten. Das Modell kann auf andere innovative Produkte und Technologien übertragen werden.
6.2.1 Synthetische Biokraftstoffe als Technologieinnovation Basierend auf der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor (Europäisches Parlament und Rat 2003c) muss zukünftig eine bestimmte Beimischungsquote von Biokraftstoffen am gesamten Kraftstoffverbrauch eingehalten werden. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Vorteile einer verstärkten Nutzung von Biokraftstoffen in der Verringerung der resultierenden CO2-Emissionen, in der Stärkung ländlicher Regionen sowie in der Erhöhung der Unabhängigkeit Europas von Rohölimporten und somit von der politischen Situation in den erdölexportierenden Ländern liegen. Mit der derzeitigen Nutzung der Biokraftstoffe der ersten Generation gehen allerdings gravierende Nachteile einher, wie beispielsweise die direkte Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau sowie die geringe Kompatibilität mit den derzeit in Betrieb befindlichen Verbrennungsmotoren. Im Gegensatz dazu weisen synthetische Biokraftstoffe der zweiten Generation (Biomass-to-Liquid- bzw. BTL-Kraftstoffe) wesentliche Vorteile auf (AGRA-EUROPE 2007). Zum einen können für die Produktion der BTL-Kraftstoffe zellulosehaltige Pflanzenbestandteile genutzt werden, was zu einer höheren Ausbeute führt und die Verwertung von Pflanzenabfällen aus der Land- und Forstwirtschaft erlaubt. Zum anderen lassen sich BTLKraftstoffe aufgrund ihres synthetischen Ursprungs problemlos an die Erfordernisse bestehender Verbrennungsmotoren anpassen (Leible et al. 2007).
6 Produktion
165
Die durch die Europäische Union angestrebten Vorteile der zukünftig verstärkten Beimischung von Biokraftstoffen zu konventionellen Kraftstoffen scheinen daher vor allem durch synthetische Biokraftstoffe der zweiten Generation erreichbar. Allerdings sind Anlagen zur Herstellung von BTL-Kraftstoffen derzeit noch in der Entwicklung bzw. stehen noch vor der großtechnischen Umsetzung. Insbesondere wenn zukünftig bestimmte Beimischungsquoten für Kraftstoffe erfüllt werden müssen, ist der Aufbau eines Produktionssystems zur Herstellung von BTL-Kraftstoffen erforderlich. Inputseitig erfordert ein derartiges System zur Produktion von BTL-Kraftstoffen zunächst die Berücksichtigung der Qualität und Quantität der zur Verfügung stehenden Biomasse. Hierbei resultieren aus klima- und bodenbedingten Gegebenheiten regional unterschiedliche Erträge. Zudem sind saisonale Verfügbarkeiten sowie wetterbedingte Unsicherheiten bezüglich der zur Verfügung stehenden Inputs zu berücksichtigen. Als Biomasse für die Herstellung der Biokraftstoffe der zweiten Generation kommen hierbei vor allem schnellwachsende Hölzer sowie land- und forstwirtschaftliche Abfälle, wie z.B. Stroh, in Frage. Diese weisen allerdings sehr große Unterschiede im Wasser- und Energiegehalt auf. Die Masse und Zusammensetzung der Biomasse variiert hierbei aufgrund saisonal unterschiedlicher Ernteerträge sowie stochastischer Wettereinflüsse. Langfristig sind die weiteren Entwicklungen in der Pflanzenzucht sowie die klimatische Entwicklung einzelner Regionen zu berücksichtigen. Prozessseitig erfolgt die Herstellung verschiedener Outputs, wie z.B. BTL-Kraftstoff, Diesel sowie Benzin durch Transformation der Biomasse in ein Kohlenwasserstoffgemisch, welches einer chemischen Synthese zugeführt wird. Die großtechnische Herstellung von BTLKraftstoffen erfordert hierbei die Errichtung von Produktionsanlagen an ausgewählten Standorten unter Festlegung der zu verwendenden Technologien und Kapazitäten. Allerdings sind die Technologien zur BTL-Produktion derzeit noch in der Entwicklung bzw. stehen kurz vor der großtechnischen Umsetzung. Vielversprechende Technologien wurden vom Forschungszentrum Karlsruhe (FZK), von der Bergakademie Freiberg sowie von der Firma Choren entwickelt (Blades 2008, Henrich/Dinjus 2003, Leible et al. 2007). Als wesentliche Prozessschritte werden jeweils die Stufen der Vorbehandlung, der Vergasung, der Gasveredlung, der Synthese sowie der Raffination durchlaufen (Abbildung 6-2). Hierbei unterscheiden sich die Technologien jedoch deutlich bezüglich des Prozessablaufs sowie des resultierenden Anlagenkonzepts (Reinhardt et al. 2006, Leible et al. 2007). So ist beispielsweise der ChorenProzess zentral organisiert, d.h. alle Transformationsprozesse erfolgen in einer einzigen Anlage unter Erzielung von Größendegressionseffekten. Dagegen erlauben die vom FZK und von der Bergakademie Freiberg entwickelten Verfahren eine Entkopplung der Transformationsprozesse durch die Erzeugung der lager- und transportfähigen Zwischenprodukte Slurry bzw. Methanol. Für diese Verfahren können vorgelagerte Prozesse zur Erzeugung von Zwischenprodukten hoher Energiedichte aus Biomassen geringer Energiedichte daher dezentral, unweit des Standortes des Anfalls der Biomasse erfolgen. Dies ermöglicht die Entwicklung dezentra-
166
6 Produktion
ler Netzwerkstrukturen und somit insbesondere die Verringerung von Transportaufwänden für hochvolumige, geringenergetische Biomassen wie z.B. Stroh. Outputseitig wird der Mindestbedarf an Biokraftstoffen durch die rechtlichen Vorgaben determiniert. So ist in Deutschland durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG 2002) bis zum Jahr 2015 eine feste Beimischungsquote vorgegeben. Der Bedarf über diesen Mindestbedarf hinaus hängt von der Entwicklung der BTL-Preise im Verhältnis zur Entwicklung der Rohölpreise ab. Aus technischer Sicht bestehen keine Restriktionen bezüglich des Einsatzes von BTL-Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren, auch ein vollständiger Ersatz der konventionellen Kraftstoffe ist möglich. Hierbei werden die zukünftigen BTL-Preise sowohl durch die Produktionskosten als auch durch Subventionen bestimmt. Aktuelle Berechnungen bezüglich der zukünftig zu erwartenden Produktionskosten für BTL-Kraftstoffe variieren stark. Kurzfristig wird mit Kosten zwischen 0.90 €/l und 0.53 €/l gerechnet, langfristig wird eine Abnahme auf 0.30 €/l erwartet (Hamelinck et al. 2004, Leible et al. 2007). Subventionen sind durch das Energiesteuergesetz vorgegebenen, in dem BTL-Kraftstoffe derzeit als förderwürdig und daher steuerbegünstigt eingestuft sind (EnergieStG 2006, § 50). Biomasse bereitstellung
BTLProduktion
BTLNachfrage
Rückführung
Biomasse
Vorbehandlung
Vergasung
Gaskondi tionierung
Synthese
Raffination
Gasturbine oderBoiler
BTL Kraftstoffe
Elektrizität
Dampf turbine
Abbildung 6-2: Generisches Flussdiagramm eines Produktionssystems für BTL-Kraftstoffe (in Anlehnung an Hamelinck/Faaij 2006)
6.2.2 Charakterisierung des Produktionssystems Im Rahmen der Gestaltung konkreter Produktionssysteme sind zunächst die Charakteristika der Herstellung von Biokraftstoffen der zweiten Generation zu analysieren. Hierbei lassen sich folgende Charakteristika ableiten: x Da die rechtlich vorgegebenen Beimischungsquoten über die Zeit zunehmen, wird von einer steigenden Nachfrage nach BTL-Kraftstoffen ausgegangen. Dies erfordert die dynamische Entwicklung von Produktionssystemen über die Zeit. x Des Weiteren befinden sich die Technologien noch in der Entwicklung bzw. kurz vor der großtechnischen Umsetzung. Aus diesem Grund ist der Aufbau des Produktionssys-
6 Produktion
167
tems möglichst flexibel zu gestalten. Potenzielle Entkopplungspunkte sind noch ungewiss und die Anzahl an Prozessstufen ist noch nicht für jedes potenzielle Verfahren bekannt. Aus diesem Grund sollte die Anzahl der Prozessstufen zunächst unbegrenzt bzw. flexibel sein, da nur so zukünftige Prozess- und Systemstrukturen Berücksichtigung finden können. x Derzeit sind Aussagen über die Komplexität, Zuverlässigkeit und Effizienz sowie die endgültige großtechnische Auslegung der noch in der Entwicklung befindlichen Technologien nur bedingt möglich (Boerrigter et al. 2002, Hamelinck et al. 2004). Informationen können zumeist nur aus technischen Unterlagen wie beispielsweise Flowsheets für Energie- und Materialflüsse verschiedener Anlagenauslegungen und Parametereinstellungen gewonnen werden (Hamelinck/Faaij 2006, U.S. Department of Energy 1998). Die dargestellten Rahmenbedingungen verdeutlichen die große Anzahl unsicherer Parameter. Externe Unsicherheiten bestehen hierbei besonders bezüglich der unsicheren Rohölpreise und der langfristig unsicheren politischen Regelungen und somit bezüglich der Nachfrage nach BTL-Kraftstoffen. Systemimmanente Unsicherheiten bestehen bezüglich des aktuellen Entwicklungsstandes der Technologien. Notwendig ist daher bei der Planung von Produktionssystemen für die zweite Generation an Biokraftstoffen eine adäquate Berücksichtigung dieser Unsicherheiten. Vor dem Hintergrund der dargestellten Anforderungen wird im Folgenden ein dynamisches, n-stufiges Modell zur integrierten Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung entwickelt. Hierbei werden in einer Modellerweiterung die bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Nachfrageentwicklung berücksichtigt.
6.2.3 Informationen aus der technischen Systemgestaltung Aufgrund der Komplexität der zu Grunde liegenden Prozesse erfordert zunächst die Modellierung der Technologien eine detailliertere Betrachtung. Hierbei muss im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung eine geeignete Vereinfachung vorgenommen werden, die allerdings die Berücksichtigung aller relevanten Prozesscharakteristika erlaubt. In einem ersten Schritt erfolgt daher eine technische Analyse der verschiedenen Prozesstechnologien zur Herstellung von BTL-Kraftstoffen. In Abbildung 6-3 ist exemplarisch ein Grundfließbild einer Anlage zur Herstellung von BTLKraftstoffen im Sinne der technischen Systemgestaltung auf der obersten Hierarchieebene des in Abbildung 6-1 dargestellten Konzeptes gegeben. Dargestellt ist die Anlagenkonfiguration der Batelle-Vergasung mit Fischer-Tropsch-Sythese (Gray et al. 1996). Aus dem Grundfließbild kann abgelesen werden, dass der Anlage als Input Holzschnitzel zugeführt werden. Der Feuchtigkeitsgehalt dieser Holzschnitzel wird zunächst durch eine Trocknung (P115) von 38 Gewichts-% auf 23 Gewichts-% reduziert. Die getrockneten Holzschnitzel werden im Rahmen der Batelle-Vergasung (P116) in Syngas umgewandelt, welches anschließend gewaschen und gekühlt wird. Im Anschluss erfolgen die Kompression des Syngases (P117) sowie
168
6 Produktion
die Entfernung des enthaltenen Schwefelanteils (P108). Das komprimierte Syngas wird im Rahmen der Fischer-Tropsch-Synthese (P201) verflüssigt, dieses Kohlenwasserstoffgemisch wird dann im Rahmen des Product Recovery & Upgrading in Gas, Naphtha, Destillate sowie Paraffin und abschließend in Diesel und Benzin umgewandelt (U.S. Department of Energy 1998).
Abbildung 6-3: Grundfließbild der Batelle Biomasse-Vergasungsanlage mit FischerTropsch-Synthese (U.S. Department of Energy 1998) Aufbauend auf einem solchen Grundfließbild werden als Grundlage für die betriebswirtschaftliche Systemgestaltung mögliche Entkopplungspunkte als wesentliche Information für dezentrale Anlagen- und Standortentscheidungen sowie für den dynamischen Aufbau von Kapazitäten abgeleitet. Ein Entkopplungspunkt kann dabei dort angesetzt werden, wo transport- und lagerfähige Zwischenprodukte erzeugt werden. Wie in Abbildung 6-4 dargestellt besteht beispielsweise im Produktionsprozess des FZK nach der Pyrolyse eine Möglichkeit zur Entkopplung, da hier das lager- und transportfähige Zwischenprodukt Slurry als festflüssiges Gemisch mit einer im Vergleich zur Ausgangsbiomasse bis zu 15-fach höheren Energiedichte erzeugt wird. Im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung erfolgt daher, wie in Abbildung 6-4 dargestellt, zur Reduktion der Komplexität die Integration aller zwischen Entkopplungspunkten liegenden Verfahrensschritte zu sogenannten Modulen. Diese Module können in verschiedenen Kapazitätsklassen errichtet werden, wobei keine Begrenzung bezüglich der Anzahl der an einem Standort zu errichtenden Module besteht.
6 Produktion
169
BTLProduktionsverfahrennachdemKonzeptdesFZK
Biomasse
Syngas Erzeugung
Pyrolyse
Gaskondi tionierung
Synthese
Raffination
BTLKraftstoff
IdentifikationvonEntkopplungspunktendurchverfahrenstechnischeAnalyse
Biomasse
Pyrolyse
EP
Syngas Erzeugung
Gaskondi tionierung
Synthese
Raffination
BTLKraftstoff
Modulbildung
Biomasse
ModulA
EP
ModulB
BTLKraftstoff
Abbildung 6-4: Ableitung von Entkopplungspunkten (EP) am Beispiel der FZKTechnologie Innerhalb eines Moduls erfolgt die Umwandlung der Input-Materialien in die OutputMaterialien durch verschiedenste mechanische, chemische und thermische Transformationsprozesse. Insbesondere für chemische und thermische Prozesse resultiert eine Variation relevanter Prozessparameter (z.B. Input, Druck oder Temperatur) in nichtlinearen Verbrauchsfunktionen für Materialien und Energie (Boerrigter et al. 2002, Hamelinck et al. 2004), da die Parametereinstellungen den Prozessverlauf und die Prozessausbeuten beeinflussen. Aufgrund der Neuartigkeit der Produktionsprozesse für BTL-Kraftstoffe und der fehlenden großtechnischen Implementierung lassen sich die resultierenden Material- und Energiebilanzen nicht empirisch ermitteln. Zur Berechnung von Stoff- und Energiebilanzen stationärer Zustände von in Fließbildern dargestellten verfahrenstechnischen Anlagen können Flowsheeting-Systeme eingesetzt werden (vgl. Kapitel 3). Hierbei erfolgt die Abbildung der chemischen Reaktionen, ihrer Ausbeuten und Produkte unter Anwendung der thermodynamischen Hauptsätze, der Stöchiometrie sowie der Reaktionskinetik (Penkuhn et al. 1997, U.S. Department of Energy 1998, Lohe et al. 1995, Futterer/Munsch 1990). Aus derartigen technischen Prozessmodellen können dann unter Zugrundelegung von Reaktions- und Phasengleichgewichten nichtlineare Transformationsfunktionen ermittelt werden. Ein derartiges Flowsheeting-Modell für den Prozess der Fischer-Tropsch-Synthese ist in Abbildung 6-5 dargestellt.
170
6 Produktion
Abbildung 6-5: Aspen Flowsheeting-Modell für die Fischer-Tropsch-Synthese zur Umwandlung von Synthesegas in ein flüssiges Kohlenwasserstoffgemisch (U.S. Department of Energy 1998) Auf Basis dieser fließbildbasierten Prozesssimulation lassen sich beispielsweise für eine bestimmte Prozessintensität die technisch möglichen Kombinationsmöglichkeiten der Stellgrößen mit den jeweils resultierenden Stoff- und Energieströmen ermitteln. Aus diesen Möglichkeiten kann nun die unter technischen und ökonomischen Gesichtspunkten beste Kombination gewählt werden (vgl. Spengler 1998, Penkuhn 1997). Wird angenommen, dass sich für diese ausgewählte Möglichkeit die Parametereinstellungen, wie z.B. der Einsatz von Hilfsmaterialien oder der Druck, innerhalb bestimmter Grenzen fixieren lassen, kann der unter diesen Bedingungen geltende Transformationskoeffizient für die Materialtransformation eines Prozesses abgeleitet werden (Walther et al. 2009c, Penkuhn et al. 1997). Wird dies für mehrere Intensitätsstufen durchgeführt, resultieren mehrere dieser Transformationskoeffizienten. Die zu Grunde liegende nichtlineare Transformationsfunktion lässt sich dann beispielsweise durch eine Gutenberg-Technik approximieren (Dyckhoff/Spengler 2007; vgl. auch Kapitel 3). Diese Vorgehensweise erlaubt im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung ausgehend von detaillierten technischen Zusammenhängen die Abbildung von Stoffumwandlungsprozessen als Verhältnis von Edukten zu Produkten (vgl. auch Kapitel 3). Aufbauend auf diesen techno-ökonomischen Informationen kann dann die betriebswirtschaftliche Systemgestaltung erfolgen. Hierfür wird im Folgenden ein Modell für die integrierte Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung entwickelt.
6 Produktion
171
6.2.4 Integrierte Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung Basierend auf den Informationen aus dem Grundfließbild mit Entkopplungspunkten sowie der Prozessmodellierung erfolgt die betriebswirtschaftliche Systemgestaltung. Hierbei wird im Folgenden zunächst ein deterministisches Modell zur integrierten Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung entwickelt, das im Anschluss zu einem robusten Modell erweitert wird. 6.2.4.1 Systembeschreibung Zunächst erfolgt eine allgemeine Beschreibung des zu gestaltenden Produktionssystems. Hierbei werden folgende Indizes zu Grunde gelegt: T
Indexmenge der Perioden; tT
Q
Indexmenge der Quellen; qQ
P
Indexmenge der potentiellen Standorte; p,n,oP
S
Indexmenge der Nachfrageorte (Senken); sS
K
Indexmenge der Kapazitätsklassen; kK
Mb
Indexmenge der Module; m,h,gM
J
Indexmenge aller Materialien; b,c,jJ
Jb
Indexmenge der Inputmaterialien; bJb; Jb J
Jc
Indexmenge der BTL-Kraftstoffe; cJc; Jc J
Die betriebswirtschaftliche Gestaltung des Produktionssystems hängt im Wesentlichen von den über alle Perioden t (tT) des Planungszeitraums resultierenden Stoffströmen ab, die wiederum von den In- und Outputs der einzelnen Quellen, Prozesse und Senken bestimmt werden. Wie in Abbildung 6-6 dargestellt, werden in den Quellen q (qQ) verschiedene Arten von Biomasse b (bJb) entweder dezentral von landwirtschaftlichen Betrieben oder als transportierbare Zwischenprodukte auf dem nationalen oder internationalen Markt über Häfen bezogen. Die Inputmaterialien werden entweder zunächst zu lager- und transportfähigen Zwischenprodukten transformiert (jJ) und zwischen Standorten weitertransportiert und/oder direkt bzw. im Anschluss daran in BTL-Kraftstoffe (cJc) umgewandelt. Bei allen Transformationsprozessen hängen Stoffströme und Transformationskoeffizienten von den gewählten Anlagenkonzepten ab. Im Rahmen der Gestaltung der Produktionssysteme erfolgt hierbei die Entscheidung für Standorte (p,n,oP) zur Errichtung von Modulen (m,h,gM) bestimmter Kapazitätsklassen (kK) durch binäre Entscheidungsvariablen. Abschließend erfolgt der Transport der BTL-Kraftstoffe zu den Orten der Nachfrage s (sS). Hierbei kann es sich sowohl um Raffinerien handeln, in denen eine Beimischung zu konventionellen Kraftstoffen erfolgt, als auch um Tankstellen, in denen die BTL-Kraftstoffe direkt dem Endkunden angeboten werden.
172
6 Produktion
Für alle Perioden t: Quellen q für Biomasse b
Standorte p,n,o für Module m,h,g der Kapazitätsklasse k zur Verarbeitung von Material b,j
…
q=1
Senken s für Kraftstoff c
s=1
… …
…
…
s
q
…
…
… q=n
…
s=r
Abbildung 6-6: BTL-Produktionssystem Aufbauend auf dieser Systembeschreibung kann ein deterministisches Stoffstrommodell entwickelt werden. Hierbei wird die folgende Notation zu Grunde gelegt: xmkpt
Binäre Variable, nimmt den Wert 1 an, wenn Modul m der Kapazitätsklasse k an Standort p in Periode t eröffnet wird, sonst 0
zmkpt
Anzahl der bestehenden Module m der Kapazitätsklasse k an Standort p in Periode t
wmkpt
Anzahl der in Betrieb befindlichen Module m der Kapazitätsklasse k an Standort p in Periode t
source ybqmpt
process ybmkpt
y inter jgnhot deliver ycmpst
Transportierte Masse von Material b von Quelle q zu Modul m an Standort p in Periode t Verarbeitete Masse von Material b in Modul m der Kapazitätsklasse k an Standort p in Periode t Transportierte Masse von Material j von Modul g an Standort n zu Modul h an Standort o in Periode t Transportierte Masse von Kraftstoff c von Modul m an Standort p zu Senke s in Periode t
Q cst
Masse extern zugekaufter BTL-Kraftstoffe c an Senke s in Periode t
a ct
Beimischungsquote an BTL-Kraftstoffen zu Kraftstoff c in Periode t
E ct
Rechtlich geforderte Beimischungsquote an BTL-Kraftstoffen zu Kraftstoff c in
6 Produktion
173
Periode t J bmkj
Transformationskoeffizient von Modul m der Kapazitätsklasse k zur Beschreibung der chemischen Umwandlung zwischen Materialien sowie in BTL-Kraftstoffe
Bbqt
Verfügbare Massen von Material b in Quelle q in Periode t
Dcst
Gesamtnachfrage nach Kraftstoff c in Senke s in Periode t
H bm
Koeffizient für die Umwandlung einer Masseneinheit von Material b in die Einheit der Kapazitätsbegrenzung von Modul m Minimaler Input für Modul m der Kapazitätsklasse k
mincapmk
maxcapmk Maximaler Input für Modul m der Kapazitätsklasse k 6.2.4.2 Stoffströme process Die in einem Modul verarbeiteten Massen ( ybmkpt ) ergeben sich aus der angelieferten Biosource masse ( ybqmpt ) und/oder den ggf. von anderen Modulen gelieferten Zwischenprodukten inter ). Hierbei muss sichergestellt sein, dass eine bestimmte Biomasse oder ein Zwischen( ybgnmpt produkt in einem Modul auch tatsächlich verarbeitet werden kann ( m M b ) .
¦y
source bqmpt
qQ
¦¦ y
gM nP
inter bgnmpt
¦y
process bmkpt
b J b ; m M b ; p P ; t T
kK
Gl. 6.1
Aus den in ein Modul einfließenden Inputs an Biomasse und/oder Zwischenprodukten werden durch Transformationsprozesse die das Modul verlassenden Outputs erzeugt. Dies wird durch Multiplikation der Input-Massen mit einem Transformationskoeffizienten ( J bmkj ) modelliert, der das Massenverhältnisses von Inputmaterial b zu Outputmaterial j für Modul m in der Kapazitätsklasse k beschreibt. Als Output dieses Prozesses ergeben sich Zwischenprodukte deliver ( y inter jmphot ) und/oder BTL-Kraftstoffe ( y jmpst ).
¦¦ J
bmkj
process ybmkpt
bJ b kK
¦¦ y
hM oP
inter jmphot
¦ y deliver jmpst sS
j J ; m M ; p P ; t T
Gl. 6.2
Kapazitätsrestriktionen bestehen zunächst dadurch, dass von der Biomasse b in einer Periode t an einem Anfallort q nur eine begrenzte Masse verfügbar ist. Die von einem Anfallort abtransportierte Biomasse darf diese verfügbare Masse daher nicht überschreiten.
¦¦ y
mM pP
source bqmpt
d Bbqt
b J b ; q Q ; t T
Gl. 6.3
Die Stoffströme innerhalb des Netzwerkes werden durch die Nachfrage nach BTLKraftstoffen determiniert. Hierbei besteht zunächst eine untere Grenze der Nachfrage, die sich durch die rechtlich vorgegebene Beimischungsquote für BTL-Kraftstoffe ( E ct ) an der Gesamtnachfrage nach Kraftstoffen ( Dcst ) ergibt. Bezüglich einer oberen Schranke bestehen aus technischer Sicht (Einsatz in Verbrennungsmotoren) für BTL-Kraftstoffe keine Restriktionen,
174
6 Produktion
ein Einsatz von 100 % wäre somit möglich. Die tatsächliche Beimischungsquote ( D ct ) hängt im Endeffekt davon ab, wie sich die Preise für BTL-Kraftstoffe im Verhältnis zu den Preisen fossiler Kraftstoffe entwickeln. Diese tatsächliche Beimischungsquote wird im Modell extern vorgegeben.
Dcst E ct d
¦¦ y
deliver cmpst
Q cst d Dcst D ct
mM pP
c J c ; s S ; t T ; für E ct d a ct
Gl. 6.4
Prozessseitig ist zu garantieren, dass die für den Betrieb der einzelne Module erforderliche Mindestkapazität ( mincap mk ) tatsächlich ausgelastet ist, gleichzeitig darf aber die Maximalkapazität ( maxcap mk ) der Module nicht überschritten werden. Hierbei werden die Minimalund Maximalkapazitäten über die gesamte Anzahl ( wmkpt ) der in der jeweiligen Periode t an einem Standort p in Betrieb befindlichen Anlagen eines Modultyps m der Kapazitätsklasse k bestimmt. Zur Berechnung der tatsächlichen Auslastung eines Moduls durch eine bestimmte Biomasse erfolgt die Konvertierung der inputseitigen Massenströme in eine modulspezifische Kapazitätseinheit durch den Koeffizienten H bm . mincap mk wmkpt d
¦y
bJ b
process bmkpt
H bm d maxcap mk wmkpt
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.5
Die Entscheidung bezüglich der Errichtung eines Moduls m in der Kapazitätsklasse k am Standort p in der Periode t wird mittels binärer Entscheidungsvariablen ( x mkpt ) modelliert. x mkpt ^0 ,1`
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.6
Für die Berechnung der fixen betriebsbedingten Zahlungen sind Informationen über die Anzahl der bisher bereits errichteten Module erforderlich. Diese werden über Zählvariablen ( z mkpt ) bestimmt. Diese nehmen in der ersten Periode den Wert der entsprechenden binären Entscheidungsvariablen zur Errichtung eines Moduls an und werden in den Folgeperioden als Summe des Wertes der vorangegangenen Periode mit dem Wert der jeweiligen Entscheidungsvariablen in der aktuellen Periode berechnet. z mkp 0
0
m M ; k K ; p P
Gl. 6.7
z mkpt
z mkpt 1 x mkpt
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.8
Weiterhin müssen nicht alle errichteten Module auch in jeder Periode genutzt werden. Zur Berechnung der betriebsbedingten Zahlungen wird daher die Gesamtanzahl der in der jeweiligen Periode in Betrieb befindlichen Module bestimmt ( wmkpt ). Die gesamte zur Verfügung stehende Kapazität aller Module muss hierbei größer oder gleich sein als die benötigte Kapazität zur Verarbeitung der Biomasse und Zwischenprodukte in der jeweiligen Kapazitätseinheit.
6 Produktion
175
wmkpt 1 0
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.9
wmkpt d z mkpt
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.10
Stoffströme können keine negativen Werte annehmen. b , j , c J ; q Q ; m , h , g M ;
source deliver y bqmpt , y inter t0 jgnhot , y cmpst
o , p , n P; s S ; t T
Gl. 6.11
6.2.4.3 Zielfunktion Das Ziel des Optimierungsproblems besteht in der Maximierung des Kapitalwertes für die Gestaltung und den Betrieb des in Abbildung 6-6 dargestellten Produktionssystems. Hierbei wird folgende Notation zu Grunde gelegt:
KW
Kapitalwert für das Produktionssystem
It
Summe aller Investitionen (<0) in Periode t
Z
Stoffstrom t
Saldo der stoffstrombedingten Zahlungen in Periode t
Z
Pr ozess t
Prozessbedingte Zahlungen in Periode t
i
Zinssatz pro Periode
I mkt
Investition (<0) für Modul m der Kapazitätsklasse k errichtet in Periode t
Fix mk
Fixe Zahlungen für den Betrieb von Modul m der Kapazitätsklasse k
pbqt
Zahlung pro Masseneinheit Biomasse b in Quelle q in Periode t
ect
Zahlungen pro Masseneinheit Kraftstoff c in Periode t
source bqpt
c
Zahlungen für den Transport einer Masseneinheit Biomasse b von Quelle q zu Standort p in Periode t
c inter jnot
Zahlungen für den Transport einer Masseneinheit von Material j von Standort n zu Standort o in Periode t
deliver ccpst
Zahlungen für den Transport einer Masseneinheit von Kraftstoff c von Standort p zu Senke s in Periode t
Der Kapitalwert (KW) des Produktionssystems setzt sich hierbei aus den diskontierten Investitionen sowie den Salden der stoffstrombedingten und prozessbedingten Ein- und Auszahlungen zusammen. Im Folgenden wird angenommen, dass die sonstigen Ein- und Auszahlungen vernachlässigt werden können.
Max KW
¦ I tT
t
Z tStoffstrom Z tPr ozess 1 i
t
Gl. 6.12
Zunächst sind die kapazitäts- und prozessspezifischen Investitionen ( I mkt ) in Abhängigkeit der Anzahl der in der jeweiligen Periode errichteten Module zu berücksichtigen.
176 It
6 Produktion
¦¦¦I
mkt
xmkpt
t T
mM k K pP
Gl. 6.13
Der Saldo der stoffstrombedingten Ein- und Auszahlungen berücksichtigt die aus dem Verkauf der Biokraftstoffe resultierenden periodischen Einzahlungen als Produkt aus der Masse deliver des abgesetzten BTL-Kraftstoffes ( y cmpst ) mit den erzielbaren Marktpreisen in den Senken ( e ct ) abzüglich der im Netzwerk verarbeiteten Biomasse als Produkt aus akquirierter Masse source ) und jeweiligem Marktpreis ( pbqt ) sowie für den Fall einer die Kapazität des Netz( ybqmpt werks überschreitenden Nachfrage eventuell zu berücksichtigender Auszahlungen für extern zugekaufte BTL-Kraftstoffe als Produkt der zugekauften BTL-Masse ( v cst ) mit dem Weltmarktpreis ( p ct ). Z tStoffstrom
¦ ¦¦¦ y
deliver cmpst
cJ c mM pP sS
source ect ¦¦ ¦ ¦ y bqmpt pbqt ¦¦Q cst pct bJ b qQ mM pP
cJ c sS
t T
Gl. 6.14
In den Saldo der prozessbedingten Ein- und Auszahlungen gehen auf der einen Seite alle Zahlungen für die Transporte ( Z tTransporte ) sowie alle durch den Betrieb der Module bedingten Zahlungen ( Z tModule ) ein. ZtProzess ZtTransport ZtModul
t T
Gl. 6.15
Die transportbedingten Zahlungen ( Z tTransport ) berücksichtigen alle Transporte von den source ), zwischen den verschiedenen Anfallstellen der Biomasse zum ersten Prozessschritt ( ybqmpt inter deliver Standorten ( y jgnhot ) sowie vom letzten Prozessschritt zu den Orten der Nachfrage ( ycmpst ). Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen an die Transportmodi sowie spezifischer Energiedichten der Materialien werden hierbei material- und transportstufenspezifische Transportkossource inter deliver , c jnot , ccpst ). tensätze angesetzt ( cbqpt source source ZtTransport ¦¦ ¦¦ ybqmpt cbqpt ¦ bJ b qQ mM pP
¦
¦ ¦¦ y
¦ ¦y
jJ b g ,hM n,oP
deliver cmpst
inter jgnhot
cinter jnot
t T
Gl. 6.16
deliver ccpst
cJ c mM pP sS
Für die Ermittlung der auslastungsabhängigen variablen Zahlungen sind Größendegressionseffekte zu berücksichtigen. Hierbei bestehen bei variierenden Kapazitätsauslastungen eines Moduls nichtlineare Zusammenhänge in den Materialausbeuten sowie den daraus abgeleiteten Zahlungsfunktionen. Im Rahmen der Prozessanalyse werden diese kapazitätsabhängigen Zahlungsfunktionen für ein bestimmtes Modul daher zunächst wie in Abbildung 6-7 dargestellt für verschiedene Kapazitätsklassen ermittelt. Hierbei kann die Kapazität eines Moduls in Abhängigkeit des Prozesses beispielsweise durch Volumen-, Massen- oder auch Energieeinheiten bestimmt sein. Unter Zugrundelegung folgender Notation: Zminmk
Variable Zahlungen für den Betrieb von Modul m der Kapazitätsklasse k bei minimaler Kapazitätsauslastung
6 Produktion Zmaxmk
177 Variable Zahlungen für den Betrieb von Modul m der Kapazitätsklasse k bei maximaler Kapazitätsauslastung
dmk
Steigung der linearisierten Zahlungsfunktion für Modul m in der Kapazitäts-
klasse k werden die resultierenden nichtlinearen Zahlungsfunktionen wie in Abbildung 6-7 dargestellt durch lineare Interpolation der Zahlungen bei minimaler Kapazität (mincapmk) und der Zahlungen bei maximaler Kapazität (maxcapmk) (Zminmk, Zmaxmk) für jede Kapazitätsklasse eines Moduls linearisiert. Die resultierende Funktion ist durch die Steigung dmk charakterisiert. Zahlungen
Zmaxm3 Zmin m3 Zmaxm2 Zmin m2 Zmaxm1 Linearisierte § ZahlungsZminmk wmkpt ¨ ¨ funktion Zmin m1
©
¦
bJ b
process ybmkpt H bm
wmkpt
· Zmax Zmin mk mk mincapmk ¸ w ¸ maxcapmk mincapmk mkpt ¹
process ª º § ¦ ybmkpt · H bm «Zminmk ¨ bJ b mincapmk ¸ d mk » wmkpt ¨ ¸ wmkpt « » © ¹ ¬ ¼
KapazitätsKapazitätsKapazitätsVerarbeitete Masse ·H bm klasse 1 klasse 2 klasse 3 mincapm1 maxcapm1 maxcapm2 maxcapm3 mincapm2 mincapm3
Abbildung 6-7: Linearisierung der betriebsbedingten Zahlungen für unterschiedliche Kapazitätsklassen eines Moduls Für den Betrieb der Module werden daher zum einen die variablen Auszahlungen auf Basis der o.g. Zusammenhänge abgeleitet, zum anderen werden die vom jeweiligen Auslastungsgrad unabhängigen fixen betriebsbedingten Auszahlungen (beispielsweise durch Auszahlungen für Versicherungen, Steuern und Personal) durch Multiplikation eines kapazitäts- und modulspezifischen Faktors ( Fix mk ) mit der Anzahl der bereits errichteten Module ( zmkpt ) zu Grunde gelegt. process ª º § ¦bJ ybmkpt · H bm b mincapmk ¸ d mk @ wmkpt Fixmk z mkpt » Z tModul ¦ ¦¦ «>Zminmk ¨ ¨ ¸ « » w pP mM kK mkpt © ¹ ¬ ¼
>
@
t T
Gl. 6.17
Zur Behandlung der nachfragebedingten Unsicherheiten erfolgt die Erweiterung des vorgestellten Modells in einen robusten, szenariobasierten Planungsansatz.
178
6 Produktion
6.2.4.4 Robuste Erweiterung Das Ziel des Entscheidungsträgers besteht in der Realisierung eines maximalen Kapitalwertes trotz vorhandener Planungsunsicherheiten. Beispielhaft für die zu berücksichtigenden Unsicherheiten wird im Folgenden eine unsichere Nachfrage nach BTL-Kraftstoffen unterstellt. Hierbei werden durch den Entscheidungsträger einzelne Szenarien bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Nachfrage nach BTL-Kraftstoffen (acta) definiert und nach Möglichkeit mit (subjektiven) Eintrittswahrscheinlichkeiten (pa) versehen. Indexmenge der Szenarien; ܽ ܣ א
A acta
Nachfrageentwicklung nach dem Kraftstoff c in Periode t für Szenario a
pa
Eintrittswahrscheinlichkeit für Szenario a
Im Rahmen der Modellierung erfolgt die Berücksichtigung verschiedener Risikoeinstellungen und Zielsetzungen der Entscheidungsträger zur Analyse des Lösungsraumes für eine bessere Beurteilung der Entscheidungssituation (vgl. Tabelle 6-1). Tabelle 6-1:
Ersatzzielfunktionen unter Zugrundelegung verschiedener Entscheidungskriterien (vgl. Scholl 2001)
Kriterium
Riskoeinstellung
Ersatzzielfunktion
(I)
Hurwicz-Kriterium
Abhängig von Vertrauensparameter P
Max P max^KW a a A` (1 P ) min ^KW a a A` mit 0 d P d 1
(II)
ErwartungswertKriterium
-
Max E ( KW )
(III)
Hodges-LehmannKriterium
Abhängig von Vertrauensparameter P
(IV)
Erwartungswert-/ Misserfolgs-Erwartungswert -Kriterium
Abhängig von Faktor Z
¦p
a
KW a
a A
Max P E ( KW ) (1 P ) min ^KW a a A`
mit 0 d P d 1
^
Max E ( KW ) Z ¦ p a max 0, KW min KW a a A
`
6 Produktion
179
Im Falle einer Entscheidungssituation unter Ungewissheit, d.h. wenn im Vorfeld keine Informationen über (subjektive) Eintrittswahrscheinlichkeiten der einzelnen Szenarien bekannt sind, wird beispielsweise das Hurwicz-Kriterium (I) eingesetzt. In Abhängigkeit der Einstellung des frei wählbaren Vertrauensparameters P können hierbei alle Linearkombinationen zwischen einer extrem risikoscheuen Entscheidungshaltung ( P 0 ) und einer extrem risikofreudigen Entscheidungshaltung ( P 1 ) abgebildet werden. Während für erstere die Maximierung des schlecht möglichst eintretenden Kapitalwertes (Maximin) erfolgt, wird letztere durch Maximierung des im besten Fall eintretenden Kapitalwertes (Maximax) modelliert. Für Fälle, in denen die schlechteste Entwicklung im Voraus bekannt ist, werden mit diesem Kriterium informationsrobuste Lösungen erzielt. Bei Anwendung des Kriteriums (II) erfolgt die Maximierung des Erwartungswertes der Ergebnisverteilungen aller Szenarien. Da der Erwartungswert allgemein bekannt und akzeptiert ist, wird dieses Kriterium für Entscheidungen unter Unsicherheit häufig herangezogen. Hierbei kann streng genommen keine Aussage über die zu Grunde liegende Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers getroffen werden, da sich das eintretende Szenario wesentlich von der erwarteten Entwicklung unterscheiden kann. Da im Rahmen der Berechnung des Erwartungswertes allerdings sowohl positive als auch negative Abweichungen Berücksichtigung finden, wird im Allgemeinen eine risikoneutrale Einstellung unterstellt. Die Kriterien (I) und (II) lassen sich mit Hilfe des Hodges-LehmannKriteriums (III) kombinieren, indem die gewichtete Summe des Erwartungswertes und des im schlechtesten Fall erwarteten Ergebnisses maximiert wird. Mit zunehmendem Vertrauensparameter P nimmt hierbei die Risikoscheu des Entscheidungsträgers ab. Schließlich können mit dem Erwartungswert-Misserfolgserwartungswert-Kriterium (IV) ergebnisrobuste Lösungen unter Zugrundelegung eines bestimmten Anspruchsniveaus ( KW min ) erzeugt werden. Hierbei wird die erwartete Abweichung der szenariospezifischen Lösung vom Anspruchsniveau mit dem Faktor Z gewichtet vom Erwartungswert abgezogen (Scholl 2001). Weiterhin ist eine Vielzahl an Nebenbedingungen zu berücksichtigen bzw. das deterministische Modell entsprechend anzupassen. Zunächst erfolgt die Zuordnung der Entscheidungsvariablen zu Strukturkomponenten sowie Kontrollkomponenten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass nach Festlegung der Strukturvariablen die Systemkapazitäten für jedes Szenario vorgegeben sind. Szenariospezifisch können dann die Kontrollkomponenten bestimmt werden. Diese Kontrollvariablen werden daher um den Index für die Szenarien a erweitert, um jeweils eine szenariospezifische Anpassung zu ermöglichen. Unter Zugrundelegung der folgenden Notation wmkpta
Anzahl der in Betrieb befindlichen Module m der Kapazitätsklasse k in Standort p in Periode t für Szenario a
source ybqmpta
Transportierte Masse von Material b von Quelle q zu Modul m in Standort p in Periode t für Szenario a
180
6 Produktion
process ybmkpta
Verarbeitete Masse von Material b in Modul m der Kapazitätsklasse k in Standort p in Periode t für Szenario a
er y int jgnhota
Transportierte Masse von Material j von Modul g an Standort n zu Modul h am Standort o in Periode t für Szenario a
deliver cmpsta
y
Transportierte Masse von Kraftstoff c von Modul m in Standort p zu Senke s in Periode t für Szenario a
Q csta
Masse zugekaufter BTL-Kraftstoffe c in Senke s in Periode t für Szenario a
Z taStoffstrom
Saldo der stoffstrombedingten Zahlungen in Periode t für Szenario a
Z
Pr ozess ta
Prozessbedingte Zahlungen in Periode t für Szenario a
source können daher für das Fallbeispiel der BTL-Kraftstoffe alle zu ( ybqmpta ) und zwischen den int er Modulen ( y jgnhota ) transportierten Massen sowie die in den Modulen verarbeiteten Massen process deliver ( ybmkpta ) und die zu den Orten der Nachfrage ( ycmpsta ) transportierten Massen ebenso wie die
Anzahl der in der jeweiligen Periode tatsächlich betriebenen Module (wmkpta) sowie der Zukauf an BTL-Kraftstoffen (Q csta ) szenariospezifisch ausgestaltet werden (vgl. Abbildung 6-8). für alle Perioden t für alle Szenarien a:
Quellen q für Biomasse b
Standorte p,n,o für Module m,h,g der Kapazitätsklasse k zur Verarbeitung von Material b,j
Senken s für Kraftstoff c
…
q=1
s=1
… …
…
…
s
q
Kontrollvariablen
Transportierte Massen: Transformierte Massen:
x mkpt
y
source bqmpta
ter y injgnhota
deliver y cmpsta
process y bmkpta
v cpsta
Zugekaufte BTL-Kraftstoffe: Genutzte Kapazität:
s=r
…
Entscheidungsvariablen: Strukturvariablen:
…
…
…
q=n
w mkpta
Abbildung 6-8: Struktur- und Kontrollvariablen des robusten Planungsproblems
6 Produktion
181
Unter Zugrundelegung dieser Notation verändert sich der Kapitalwert der deterministischen Zielfunktion des Grundmodells für jedes Szenario wie folgt:
¦ I
Max KWa
Z taStoffstrom Z taPr ozess 1 i
t
tT
¦ ¦¦I
It
mkt
t
x mkpt
pP mM k K
Z
¦ ¦ ¦¦ y
Stoffstrom ta
deliver cmpsta
ect
cJ c mM pP sS
¦
c J
Z
fuel
¦¦ ¦ y
¦Q csta pct
Gl. 6.18
t T
Gl. 6.19
t T a A
Gl. 6.20
sS
bJ b qQ mM pP
pbqt
bJ b qQ pP
source source ¦¦ ¦¦ ybqmpta cbqpt ¦
Pr ozess ta
source bqmpta
a A
¦ ¦ ¦y
inter jgnhota
c inter jnot
t T
jJ b g ,hM mM n ,oP
¦ ¦¦¦ y
c
deliver cmpsta
a A
deliver cpst
cJ c mM pP sS
Gl. 6.21
process ª º § ¦ ybmkpta · Hbm ¨ material ¸ « » ¦ ¦¦ «>Zminmk ¨ bJ mincapmk ¸ dmk @ wmkpta Fixmk zmkpt » wmkpta pP mM kK ¨ ¸ « » © ¹ ¬ ¼
>
@
Durch die Erweiterung der Indexmenge um die Szenarien der Nachfrage ergeben sich folgende Nebenbedingungen:
¦y
source bqmpta
qQ
¦ ¦J
¦¦ y
inter bgnmpta
gM nP
bmkj
¦¦ y
process y bmkpta
bJ b kK
¦¦ y
¦y
hM oP
source bqmpta
b J b ; m M b ; p P ;
process bmkpta
kK
inter jmphota
¦ y deliver jmpsta sS
d Bbqt
mM pP
Dcst E ct d
¦¦ y
deliver cmpsta
Q cst d Dcst D cta
mM pP
t T ;a A
Gl. 6.22
j J ; m M ; n, p P; t T ;a A
Gl. 6.23
b J b ; q Q ; t T ; a A
Gl. 6.24
c J c ; s S ; t T ; a A
Gl. 6.25
m M ; k K ; p P; t T ; a A
Gl. 6.26
wmkpta 1 0
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.27
wmkpta d z mkpt
m M ; k K ; p P ; t T
Gl. 6.28
b , j , c J ; q Q ; m , h , g M ; o , p , n P; s S ; t T ; a A
Gl. 6.29
mincap mk wmkpta d
¦y
process bmkpta
bJ b
H bm d maxcap mk wmkpta
und Gleichungen 6.6-6.8 source deliver y bqmpta , y inter jgnhota , y cmpsta t 0
Das vorgestellte Modell wird im Folgenden auf ein Fallbeispiel angewandt.
182
6 Produktion
6.3 Fallbeispiel: Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von BTL-Kraftstoffen Im Folgenden wird das entwickelte Planungsmodell auf ein Fallbeispiel zur Planung eines Produktionssystems für synthetische BTL-Kraftstoffe in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen angewandt.
6.3.1 Daten Die Region Niedersachsen und Bremen wird hierbei unterteilt in 49 Kommunen, die Kreisstädte stellen die potenziellen Standorte des Produktionssystems dar. Jede Kommune ist inputseitig durch ein spezifisches Biomassepotenzial sowie outputseitig durch eine spezifische Kraftstoffnachfrage gekennzeichnet. Das Biomassepotenzial einer Region wird durch die verfügbaren land- und forstwirtschaftlichen Flächen, das Bodenertragspotenzial sowie die regionalen Klimabedingungen bestimmt (Brozio et al. 2006). Um eine direkte Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden wird im Fallbeispiel die für die BTL-Produktion verfügbare Fläche aus der insgesamt zur Verfügung stehenden land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche abzüglich der aktuell für die Nahrungsmittelproduktion genutzten Flächen berechnet. Das Biomassepotenzial der verbleibenden Flächen kann beispielsweise mit Hilfe von Geographischen Informationssystemen bestimmt werden (Brozio et al. 2006). Die Nachfrage nach Kraftstoffen wird ebenfalls auf kommunaler Basis ermittelt durch Multiplikation der aktuellen Einwohnerzahl mit dem durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch pro Einwohner. Dieser liegt in Deutschland für den Straßenverkehr aktuell bei 0,61 t pro Einwohner und Jahr. Als zur Verfügung stehende Technologien werden drei verschiedene Module zu Grunde gelegt (vgl. Tabelle 6-2). Zum einen repräsentiert Modul 1 ein zentrales Anlagenkonzept ohne Entkopplungspunkte, wie derzeit von der Firma Choren implementiert (Blades 2008). Die beiden anderen Module gehören zum dezentralen Anlagenkonzept des Forschungszentrums Karlsruhe (Leible et al. 2007, Henrich/Dinjus 2003). Hierbei erfolgt in Modul 2 die Transformation der Biomasse in das Zwischenprodukt Slurry, dieses Zwischenprodukt wird in Modul 3 zu BTL-Kraftstoff weiterverarbeitet. Die zu Grunde gelegten Informationen können technischen Publikationen entnommen werden (Leible et al. 2007, Hamelinck et al. 2004, Henrich/Dinjus 2003).
6 Produktion Tabelle 6-2: Modul
183 Potenzielle Module des Produktionssystems für BTL-Kraftstoffe Kapazität [t]
0-1 Mio. (trockene Biomasse) 0 – 120.000 (trockModul 2 ene Biomasse) Modul 3 0 – 600.800 (Slurry) Modul 1
TransforFixe jährliche Investition mationsZahlungen [Mio. €] koeffizient [€/a]
Variable produktionsabhängige Zahlungen [€/t Biomasse]
0.2
500
2.050.000
1.4
0.91
15
120.000
0.38
0.18
380
1.800.000
0.84
6.3.2 Szenarien Exemplarisch für die derzeit bestehenden input-, verfahrens- und outputorientierten Unsicherheiten wird im Folgenden die Nachfrage als unsicher angenommen. Hierbei werden 2 Szenarien bezüglich der zukünftigen Nachfrageentwicklung nach BTL-Kraftstoffen über die nächsten 20 Jahre betrachtet. Im ersten Szenario wird von einer geringen Nachfrage auf dem Niveau der bis zum Jahr 2015 durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG 2002) vorgeschriebenen Beimischungsquote ausgegangen. Die Entwicklung der über das Jahr 2015 hinausgehenden Beimischungsquote wird mit derselben Wachstumsrate fortgeschrieben. Im zweiten Szenario wird über diese vorgeschriebene Beimischungsquote hinaus eine zusätzliche Nachfrage prognostiziert. Die Beimischungsquoten für beide Szenarien sind in Tabelle 6-3 gegeben. Tabelle 6-3:
Szenarien für die Entwicklung der BTL-Nachfrage
Szenario\Periode Szenario1: obligatorische Beimischungsquote [%] Szenario 2: zusätzliche Nachfrage [%]
1
2
3
4
6,25
6,50
6,75
7,00
10,00 10,50 11,00 11,50
…
18
19
20
… 10,50 10,75 11,00 …
18,5 19,00 19,50
Die Modelle werden in der Software Xpress-IVE 64 Bit implementiert und auf einem Computer mit 2.20 GHz Prozessor und 8 GB RAM gelöst. Die Rechenzeit beträgt zwischen 15 und 81 Stunden. Aufgrund der langen Rechenzeiten und der unsicheren Datengrundlage werden Lösungen mit einem MIP Gap von weniger als 2,5 % akzeptiert.
6.3.3 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen Die in Abbildung 6-9 und Tabelle 6-4 dargestellten Ergebnisse der Fallstudie erlauben Aussagen bezüglich der Robustheit einzelner Standorte, der Anlagentypen und Kapazitätsklassen im Hinblick auf die Szenarien der Entwicklung der BTL-Nachfrage über die Zeit sowie für unterschiedliche Risikoeinstellungen der Entscheidungsträger. In Abbildung 6-9 ist das am Ende des Planungshorizontes nach 20 Jahren resultierende Produktionssystem für verschiedene Entscheidungskriterien dargestellt. Detailliertere Informatio-
184
6 Produktion
nen zum Aufbau des Produktionssystems über die Zeit können Tabelle 6-4 entnommen werden. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass in Abhängigkeit der Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers eine sehr unterschiedliche Anzahl an Standorten errichtet wird. Hierbei werden maximal 6 Anlagen zur Produktion von BTL-Kraftstoffen errichtet, wobei in den meisten Fällen das zentrale Anlagenkonzept gewählt wird. Einige der Standorte (14-Diepholz; 17-Gifhorn; 24-Hildesheim) werden über alle Szenarien und Zielkriterien hinweg gewählt. Diese Standorte sind daher in jedem Fall Teil der Lösung und können unabhängig von der Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers errichtet werden. Unterschiede bestehen allerdings bezüglich der Errichtung von Anlagen an anderen Standorten (5-Bramsche; 28-Lüchow; 30-Meppen; 31-Nienburg; 32-Northeim; 38-Rotenburg; 41Stade) sowie bezüglich der Errichtungsperioden (vergleiche Tabelle 6-4). Analysen zeigen, dass sich alle gewählten Standorte durch ein relativ hohes Biomassepotenzial auszeichnen. Modul1
Stade
Rotenburg
Lüchow Meppen Diepholz Gifhorn
Diepholz
ZentralesAnlagenkonzept Kap.:1Mio.MgTM/a
Gifhorn
Modul2 Nienburg Hildesheim
Hildesheim
Bramsche
DezentralesAnlagenkonzept Kap.:120.000MgTM/a
Modul3
Northeim
DezentralesAnlagenkonzept Kap.:600.800MgSlurry/a
Szenario 1
Szenario 2 Rotenburg
Rotenburg Diepholz
Gifhorn
Diepholz
Gifhorn
Diepholz
Gifhorn
Bramsche Hildesheim
(II)ErwartungswertKriterium
Meppen
Hildesheim
(III)HodgesLehmannKriterium P=0,8
Hildesheim
(I)HurwicsKriterium, P=0,3 (III)HodgesLehmannKriterium, P=0,8 (IV)Erwartungswert/Misserfolgs erwartungswertKriterium
Abbildung 6-9: Optimales Produktionssystem unter Zugrundelegung verschiedener Entscheidungskriterien Im Fall des deterministischen Szenarios 2, d.h. wenn eine Nachfrage über die rechtlich vorgeschriebene Beimischungsquote hinaus erfolgt, werden insgesamt 6 Anlagen des zentralen Anlagenkonzeptes von Choren errichtet. Unter Zugrundelegung des Erwartungswert-Kriteriums, in dem beide Szenarien mit demselben Anteil berücksichtigt werden, erfolgt die Errichtung
6 Produktion
185
von 5 Anlagen der zentralen Choren-Technologie. Bei Annahme einer risikoaversen Einstellung des Entscheidungsträgers unter Anwendung des Hurwicz-Kriteriums, des HodgesLehmann-Kriteriums sowie des Erwartungswert-/Misserfolgserwartungswert-Kriteriums resultiert ein Produktionssystem mit nur 4 Anlagen des Choren-Typs. Bei Anwendung des deterministischen Szenarios 1 schließlich, bei dem lediglich von einer der rechtlichen Beimischungsquote entsprechenden Nachfrage ausgegangen wird, werden schließlich nur 3 zentralisierte Anlagen errichtet. Hier erfolgt jedoch gegen Ende des Planungshorizonts zusätzlich die Errichtung des dezentralen Anlagenkonzeptes des FZK mit insgesamt 5 Anlagen des Modultyps 2 (Slurry-Produktion) sowie einer Anlage des Modultyps 3 (Weiterverarbeitung des Slurry zu BTL-Kraftstoffen). Der Grund für die häufige Auswahl des zentralen Anlagenkonzeptes der Firma Choren liegt zum einen in dem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium dieser Technologie, woraus derzeit im Vergleich zur FZK-Technologie höhere Ausbeuten resultieren. Zum anderen ist in der Fallstudie das zu Grunde gelegte Biomassepotenzial relativ hoch, da angenommen wird, dass die gesamte für die Energieproduktion zur Verfügung stehende Biomasse eines Landkreises für die BTL-Produktion genutzt werden kann. Die Biomasse kann daher auch bei Umsetzung zentraler Anlagenkonzepte aus relativ nahe gelegenen Regionen bezogen werden, wodurch lange Transporte vermieden werden. Dies führt dazu, dass zentrale Technologien mit Größendegressionseffekten vorteilhaft sind. Tabelle 6-4:
Dynamischer Aufbau des Produktionssystems Standorte (Modultyp/Errichtungsperiode)
Kriterium Szenario 1
5
14
17
24
28
30
(1/1) (1/2)(3/15) (1/1) (2/16)(2/19)
Szenario 2 (1/14) (1/1)
(1/1)
(1/1)
31
32
38
(2/16) (2/15) (1/1)
41 (2/15)
(1/8)
Zielfunktionswert [Mio. €] 3.0433 5.4373
I
(1/1)
(1/1)
(1/1)
(1/4)
3.454
II
(1/1) (1/9)
(1/1)
(1/1)
(1/2)
3.9213
IIIa
(1/1)
(1/13)
(1/1)
IIIb
(1/1)
(1/1)
(1/1)
IV
(1/1)
(1/13)
(1/1)
(1/1)
3.1813 3.6593
(1/4) (1/1)
3.002 3
I-Hurwicz (P=0,3); II – Erwartungswert; IIIa – Hodges-Lehmann (P=0,3); IIIb – Hodges-Lehmann (P=0,8); IV – Erwartungswert/Misserfolgs-Erwartungswert (=2; Anspruchsniveau = 3.200 Mio.€) 3 MIP GAP < 2,5%
Bei der Interpretation der Ergebnisse muss der begrenzte Planungshorizont berücksichtigt werden. Dieser führt dazu, dass spät im Planungszeitraum erfolgenden Investitionen keine Einzahlungen mehr gegenüberstehen. Daher sollte ein rollierender Planungsansatz gewählt werden, bei dem die vorgestellte Lösung zunächst nur für einen bestimmten Teil des Planungshorizontes realisiert wird. Im Anschluss daran erfolgt unter Zugrundelegung des bis dahin umgesetzten Produktionssystems die erneute Berechnung.
186
6 Produktion
Aus den vorgestellten Ergebnissen lassen sich die folgenden Handlungsempfehlungen ableiten. Die bei Zugrundelegung sehr unterschiedlicher Ersatzzielfunktionen in jeder Lösung enthaltenen Standorte sollten Teil des zu errichtenden Produktionssystems sein. Im Hinblick auf die Entwicklung der Massenströme über die Zeit können diese drei Standorte als „robuster erster Schritt“ gewählt werden. Aufbauend auf diesen Standorten bzw. Anlagen sollten in Abhängigkeit der tatsächlichen Entwicklung der Nachfrage in weiteren Planungsschritten ggf. zusätzliche Standorte errichtet werden. Für den Fall der hohen Nachfrage über die rechtlich vorgegebene Beimischungsquote hinaus ist auf jeden Fall eine weitere Anlage zu errichten. Für den Fall einer sicheren hohen Nachfrage, wie in Szenario 2 abgebildet, ist die Errichtung von mindestens zwei weiteren Anlagen erforderlich.
6.4 Fazit Im Rahmen der Lebenszyklusphase der Produktion sind vielfältige Planungsprobleme auf strategischer, taktischer und operativer Ebene zu lösen. Hierbei erfordert insbesondere die Einführung innovativer Produkte und Technologien im Zuge der Umsetzung der Konsistenzstrategie den Aufbau effizienter und effektiver Produktionssysteme. Auf strategischer Ebene ist daher ein Modell zur integrierten Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung notwendig. Die Grundlage eines solchen Modells bilden die aus den Transformationsprozessen des Produktionssystems resultierenden entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme. Insbesondere bei verfahrenstechnischen Prozessen sind hierbei die den Stoffumwandlungen zu Grunde liegenden chemischen und physikalischen Zusammenhänge zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Entwicklung eines hierarchischen Planungskonzepts zur integrierten techno-ökonomischen Modellierung. Für Planungsprobleme in der Prozessindustrie ermöglicht erst diese Integration der technischen und betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme, die die Basis für die betriebswirtschaftliche und umweltorientierte Bewertung bilden. Insbesondere bei der Einführung von Produkt- und Prozess-Innovationen sind im Rahmen der strategischen Planung auch systemimmanente und externe Planungsunsicherheiten zu berücksichtigen. Die Erweiterung des entwickelten deterministischen Modells zu einem robusten Planungsmodell erlaubt die szenariobasierte Berücksichtigung von Planungsunsicherheiten. Die Anwendung des entwickelten Modells auf die Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von BTL-Kraftstoffen in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen erlaubt Aussagen bezüglich der Robustheit einzelner Standorte, Anlagentypen und Kapazitätsklassen für verschiedene Szenarien der Entwicklung der BTL-Nachfrage über die Zeit sowie für unterschiedliche Risikoeinstellungen der Entscheidungsträger. Im Anschluss an die Phase der Produktion werden die hergestellten Produkte abgesetzt und gehen in die Nutzungsphase über. In dieser Phase scheint der Einfluss betrieblicher Entscheidungsträger zunächst eher gering zu sein. Allerdings besteht – wie in Kapitel 5 erläutert –
6 Produktion
187
insbesondere für komplexe, hochwertige Produkte, mit deren Herstellung unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten ein hoher Aufwand verbunden ist, ein wesentliches Potenzial in der Verlängerung der Nutzungsdauer. Dies setzt jedoch eine geeignete Rückführung, Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung der Produkte voraus. Im Folgenden werden daher die aus diesen Aktivitäten resultierenden Planungsaufgaben vorgestellt und geeignete Modelle zur Integration in die betriebliche Planung entwickelt.
7 Nutzung
7
189
Nutzung
In den letzten Jahren wurden die rechtlichen Grundlagen für den Übergang von einer QuellenSenken-Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft gelegt (vgl. Kapitel 2). Hierbei müssen zumeist vorgeschriebene stoffliche und energetische Verwertungsquoten erfüllt und Behandlungsvorgaben eingehalten werden. Wesentliche ökonomische und ökologische Potenziale liegen jedoch in einer höherwertigen, funktionellen Aufarbeitung ganzer Geräte bzw. der in ihnen enthaltenen Komponenten begründet (vgl. Kapitel 5). Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei derartigen Maßnahmen sowohl die Wertschöpfung als auch die Energie, die im Rahmen der Produktion zur Erzielung der Funktionalität der Geräte und Komponente eingebracht wurden, erhalten bleiben. Für komplexe und hochwertige Produkte, deren Produktion sowohl unter ökonomischen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten mit einem hohen Aufwand verbunden ist, beinhaltet daher die Verlängerung der Nutzungsdauer wesentliche ökologische und ökonomische Potenziale. Eine derartige Verlängerung der Nutzungsdauer von Geräten und Komponenten durch Optionen wie Re-Use, Reparatur, Refurbishing und Remanufacturing führt allerdings zu einer Zunahme der Komplexität der Prozesse und Akteursbeziehungen und somit zu komplexeren Planungsproblemen. Auf diese Aspekte soll daher im Folgenden eingegangen werden. Es erfolgt zunächst die Darstellung der Handlungsspielräume der Produkt- und Komponentenaufarbeitung sowie der Akteure der Produktkreislaufführung, wobei insbesondere die Begrifflichkeiten erläutert sowie die Grundlagen des Closed Loop Supply Chain Managements als Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung von Produkten erläutert werden (Kapitel 7.1). Im Anschluss daran werden die Planungsaufgaben in derartigen Closed Loop Supply Chains behandelt. Es wird deutlich, dass bestehende Planungskonzepte um wesentliche Aspekte zu erweitern sind (Kapitel 7.2). In Kapitel 7.3 erfolgt die Integration der Produkt- und Komponentenaufarbeitung in bestehende Produktionsplanungsmodelle. Hierfür wird ein Modell entwickelt, welches die verschiedenen Aufarbeitungsoptionen unter den Rahmenbedingungen der Variantenvielfalt abbilden kann. Das Konzept wird in Kapitel 7.4 abschließend auf das Fallbeispiel eines Automatenherstellers angewandt.
7.1 Nutzungsdauerverlängerung durch Aufarbeitung Für komplexe Geräte ist die technische Lebensdauer häufig deutlich länger als die tatsächliche Nutzungsdauer beim (Erst-)Kunden (Bellmann 1990). Werden die Geräte nach der ersten Nutzung zurückgenommen, aufgearbeitet und einer zweiten Nutzungsphase zugeführt, können neue Geräte substituiert und somit der mit der Herstellung dieser Geräte verbundene ökonomische und ökologische Aufwand vermieden werden. Auch Komponenten aus Altgeräten können aufgearbeitet und wiederverwendet werden und somit Neukomponenten ersetzen. Die
190
7 Nutzung
Mehrfachnutzung resultiert häufig in einer „Win-win-win“-Situation. Der Hersteller erzielt einen höheren Gewinn durch die wiederholte Nutzung von Produkten oder Komponenten. Durch Weitergabe dieses Kostenvorteils profitieren die Kunden von preisgünstigeren Angeboten und nicht zuletzt können der Ressourcenverbrauch gesenkt und somit die Umwelt geschont werden (Griese et al. 1997, Hansen 1999, Steinhilper 1999). Im Rahmen der Nutzungsdauerverlängerung erfolgt eine hochwertige Aufarbeitung mit dem Ziel der funktionellen Wiederverwendung von Geräten sowie von Komponenten (Baugruppen und Bauteilen). Abgegrenzt wird die Aufarbeitung daher von der Verwertung von Materialien, bei der die Funktionsfähigkeit und Gestalt der Geräte und Bauteile zerstört wird (Stahel 1991; vgl. auch Kapitel 8).
7.1.1 Aufarbeitungsoptionen In Abhängigkeit des durch die Aufarbeitungsprozesse erzielten Endzustandes kann für Geräte in die Aufarbeitungsoptionen des Re-Use, der Reparatur, des Refurbishing sowie des Remanufacturing unterschieden werden (Thierry et al. 1995). Im Rahmen des Re-Use werden Geräte nach Beendigung der Nutzungsphase ohne Tätigkeiten zur Ausbesserung (Qualitätserhöhung, Instandsetzung) direkt einer weiteren Nutzung zugeführt (Thierry et al. 1995). Hierbei wird lediglich die Funktionsfähigkeit der Geräte geprüft. Im Rahmen der Reparatur erfolgt die Überführung eines Gerätes in einen betriebsfähigen Zustand. Hierbei werden defekte Komponenten durch neue oder gebrauchte Ersatzteile ersetzt, nach der Reparatur verfügt das Produkt über einen nicht explizit spezifizierten Qualitätszustand, der geringer ist als der eines Neuproduktes (Van der Laan et al. 1998). Im Gegensatz dazu erfolgt im Rahmen eines Refurbishing die Aufarbeitung gebrauchter Geräte auf ein vorgegebenes Qualitätsniveau, welches geringer ist als das eines Neugerätes (Van der Laan et al. 1998). Ein derartiges Qualitätsniveau kann in der Regel nur durch Zerlegung des Gerätes und durch Prüfung aller kritischen Komponenten gewährleistet werden. Teilweise erfolgt hierbei zusätzlich ein UpGrading durch Ersatz technologisch veralteter Komponenten durch weiterentwickelte Komponenten. Durch ein Remanufacturing wird ein Gerät auf einen Qualitätsstandard aufgearbeitet, der dem eines Neugerätes entspricht. Hierbei sind eine vollständige Zerlegung des Gerätes sowie die Prüfung aller Baugruppen und Bauteile erforderlich, es erfolgt zumeist gleichzeitig eine technologische Aufwertung der Produkte (Thierry et al. 1995). Neben den beschriebenen Aufarbeitungsoptionen für Geräte können auch Baugruppen und Bauteile mit dem Ziel einer Aufarbeitung gewonnen werden. Hierbei erfolgt die Komponentengewinnung aus gebrauchten Geräten, d.h. die gezielte Entnahme von Komponenten (Baugruppen und Bauteile) mittels zerstörungsfreier Demontagetechniken und die Aufarbeitung in definierte Qualitätszustände (Spengler/Walther 2008). Diese Komponenten können z.B. im Rahmen der o.g. Aufarbeitungsoptionen für Gebrauchtgeräte (Reparatur, Refurbishing, Remanufacturing) bzw. als Ersatzteile im After Sales Service Einsatz finden und somit Neu-
7 Nutzung
191
komponenten substituieren. Hierbei richten sich die Qualitätsstandards der Komponenten nach dem definierten Qualitätszustand des Gerätes, in dem sie wiederverwendet werden (Thierry et al. 1995). Eine Übersicht über die verschiedenen Optionen der Aufarbeitung ist in Tabelle 7-1 gegeben. Tabelle 7-1:
Übersicht über die Aufarbeitungsoptionen (übersetzt nach Thierry et al. 1995)
Option Re-Use Reparatur
Demontagetiefe Produkt Produkt
Qualitätsansprüche Betriebs-/Funktionstüchtigkeit Betriebs-/Funktionstüchtigkeit
Refurbishing
Baugruppen
Remanufacturing
Bauteile
Prüfung aller kritischen Baugruppen, Aufarbeitung bis zu einem festgelegten Qualitätslevel Prüfung aller Baugruppen und Bauteile, Aufarbeitung in neuwertigen Zustand
Komponentengewinnung
selektive Gewinnung von Baugruppen/ Bauteilen
Abhängig vom Gerät, in das die Komponente eingesetzt wird, Hoch für Originalteile, Geringer für andere Teile
Notwendige Aktivitäten Test auf Funktionsfähigkeit Reparatur oder Austausch defekter Teile Reparatur oder Austausch ausgewählter Baugruppen, ggf. Aufwertung Kombination aufgearbeiteter und neuer Baugruppen/Bauteile in neuwertigem Gerät, ggf. Aufwertung Auswahl aufgearbeiteter Teile, Zufuhr des Restgerätes in Materialrecycling
Die Qualität der zurückkommenden Produkte bzw. Komponenten bestimmt den Aufwand der Aufarbeitung und wirkt sich somit wesentlich auf die Wirtschaftlichkeit der Nutzungsdauerverlängerung aus. Daher sind Aussagen über die Qualität der Rückläufer, z.B. bezüglich des Zustands und der Funktionalität, erforderlich. Dies setzt entsprechende Möglichkeiten zur Prüfung der Geräte voraus, wie z.B. Anschlüsse für Prüfgeräte, Möglichkeiten zum Auslesen von Daten sowie die Festlegung geeigneter Prüfkriterien. Derartige Möglichkeiten können nur im Rahmen der Produktentwicklung geschaffen werden (Luger et al. 2008; vgl. auch Kapitel 5). Ist die funktionelle Wiederverwendung von Geräten, Baugruppen oder Bauteilen nicht möglich, erfolgt die stoffliche oder energetische Verwertung unter Zerstörung der Funktionsfähigkeit. Auf derartige Planungsmodelle im Rahmen der Entsorgung wird in Kapitel 8 eingegangen.
7.1.2 Integration in den Produktlebenszyklus Neben den für eine Aufarbeitung von Geräten notwendigen technischen und ökonomischen Voraussetzungen stellt der – vom individuellen Vertriebszeitpunkt und der jeweiligen Nutzungsdauer abhängige – Zeitpunkt des Rücklaufes eines Produktindividuums im Marketingzyklus ein wesentliches Kriterium für die Entscheidung zur Aufarbeitung des Gerätes und somit für die Verlängerung der Nutzungsphase dar. Beispielsweise entfallen für Geräte, die in einer späten Phase des Marketingzyklus vertrieben und somit nach Ende des Marketingzyklus zurückgenommen werden, die Optionen der Aufarbeitung ganzer Geräte aufgrund fehlender
192
7 Nutzung
Vertriebsmöglichkeiten. Bestehen hingegen Gleichteile zwischen verschiedenen – zeitlich versetzt vertriebenen – Gerätevarianten, so können aus diesen Rückläufern Komponenten für andere Geräte gewonnen werden (Walther et al. 2009a). Dieser Zusammenhang ist beispielhaft in Abbildung 7-1 dargestellt. Abgebildet sind hier die Marketingzyklen (Absatz) für drei Varianten (PV1, PV2, PV3) sowie der Rückfluss der ersten Variante (PV1). Bestehen keine Gleichteile zwischen Varianten, kann lediglich die dunkelgraue Fläche an Rückläufern einer funktionellen Aufarbeitung zugeführt werden. Sind Gleichteile zwischen den Produktvarianten vorhanden, besteht zudem ein Potenzial für die Aufarbeitung der Komponenten aus Variante PV1 für Variante PV2 und PV3 (hellgraue Fläche). Absatz Rücklauf
PotenzialProdukt undKomponentenaufarbeitungPV1 PotenzialKomponentenaufarbeitungPV1für ProduktaufarbeitungPV2undPV3 AbsatzPV1
AbsatzPV3 AbsatzPV2
Rücklauf PV1 Zeit
Abbildung 7-1: Potenzial der Produkt- und Komponentenaufarbeitung (Walther et al. 2009a)
7.1.3 Umsetzung in Closed Loop Supply Chains Die Aufarbeitung von Geräten und Komponenten erfolgt in vielen Fällen durch den Hersteller der Neugeräte bzw. durch von ihm beauftragte Dritte (Schröter 2006). Dadurch werden die Geräte und Komponenten in die ursprüngliche Supply Chain zurückgeführt. Das Schließen der ursprünglich vorwärts gerichteten Supply Chain führt wie in Abbildung 7-2 verdeutlicht zu einer sogenannten Closed Loop Supply Chain (CLSC), die neben der traditionellen vorwärts gerichteten Supply Chain28 auch die rückwärts gerichtete Supply Chain29 und die darin enthaltenen rückwärtigen Material-, Informations- und Finanzströme30 enthält (vgl. Guide et al. 2003a, Fleischmann 2001).
28
Forward Supply Chain
29
Reverse Supply Chain
30
Reverse Logistics
Open Loop, Verbleib im allg. Wirtschaftskreislauf
Nutzung
Sammlung und Test
Demontage
Reparatur
Produkte
Re-Use
Refurbishing
Remanufacturing
Komponentengewinnung
Stoffliche Verwertung
Energetische Verwertung
Beseitigung
RohmaterialProduktion Montage gewinnung Wertstoffe/ Bauteile/ Energie Baugruppen
Forward Supply Chain
193
Reverse Supply Chain
7 Nutzung
Closed Loop, Verbleib in der selben Supply Chain
Abbildung 7-2: Überblick über Verwendungs- und Verwertungsoptionen im Lebenszyklus Closed Loop Supply Chains lassen sich nach verschiedenen Kriterien, z.B. bezüglich der Treiber der Rückführung von Geräten (ökonomische Gründe, legislative Gründe, Marketing, Sicherung von Marktvorteilen), bezüglich der Aufarbeitungsoptionen (vgl. Kapitel 7.1.1), bezüglich der Akteure beziehungsweise Prozessinhaber (ursprüngliche Supply Chain, alternative Supply Chain) sowie bezüglich der Kreislaufdauer spezifizieren (Fleischmann 2001). Einen wesentlichen Einfluss auf die wirtschaftlich und technisch möglichen Aufarbeitungsoptionen hat die Art der zurückgeführten Produkte, wobei wie in Tabelle 7-2 dargestellt unterschieden werden kann in End-of-use Rückläufer (Ende der ersten Nutzungsphase beim Konsumenten), Gewerbliche Rückläufer, Garantierückläufer, Produktionsabfall und Nebenprodukte und Verpackungen (Flapper et al. 2005, Fleischmann 2001).
194
7 Nutzung
Tabelle 7-2:
Kreislaufdauer, Treiber, Aufarbeitungsoptionen und Akteure bei der Behandlung von Produktrückläufern (übersetzt und verändert nach Fleischmann 2001)
Art der Produktrückläufer End-of-UseRückläufer
Kreislaufdauer
lang
Treiber
Alternativen
ökonomisch, Marketing Regulierung
Marketing Regulierung ökonomisch Regulierung
Remanufacturing Materialrecycling Materialrecycling Remanufacturing Materialrecycling Beseitigung Re-Use Remanufacturing Materialrecycling Beseitigung Reparatur, Beseitigung Materialrecycling Remanufacturing
ökonomisch
Re-Use
Regulierung
Materialrecycling
Sicherung von Marktvorteilen
Gewerbliche Rückläufer
kurz, mittel
Garantierückläufer
mittel
Produktionsabfall/ Nebenprodukte
sehr kurz
Verpackungen
kurz
Marketing
Akteure ursprüngliche SC alternative SC ursprüngliche SC ursprüngliche SC
ursprüngliche SC ursprüngliche SC ursprüngliche SC alternative SC ursprüngliche SC alternative SC ursprüngliche SC
Im Vergleich zu klassischen, vorwärtsgerichteten Supply Chains sind mit der Einrichtung rückwärtsgerichteter Supply Chains u.a. folgende Herausforderungen verbunden (Fleischmann et al. 2000, Guide 2000, Jayaraman et al. 1999): x
bisherige Ausrichtung der Logistiksysteme zumeist auf vorwärts- und nicht auf rückwärtsgerichtete Produktbewegungen,
x
veränderte Ansprüche der Rückläufer an Transport, Lagerung und Handhabung,
x
hohe Systemkomplexität durch größere Anzahl zu handhabender Produkte und Stoffströme
x
beschaffungsseitige Unsicherheiten hinsichtlich Menge, Qualität, Zusammensetzung und Zeitpunkt der Rückläufer
x
Unsicherheiten im Rahmen der Absatzplanung/Bedarfsbefriedigung durch Diskrepanzen zwischen Angebot an Rückläufern und Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten
x
unbekannte/unsichere Marktentwicklung der Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten
x
hohe Kosten für Rückführung der Produkte („letzte Meile“, teilweise höher als für vorwärtsgerichtete Distribution)
Die identifizierten Herausforderungen verdeutlichen die im Vergleich zu einer Supply Chain ohne Kreislaufführung zumeist wesentlich komplexeren Planungsaufgaben. Daher sind bei der Gestaltung und Lenkung von CLSC andere Ansätze heranzuziehen als bei der Gestaltung der klassischen vorwärtsgerichteten Supply Chain.
7 Nutzung
195
7.2 Planung der Aufarbeitung Die aus der Umsetzung von Aufarbeitungsoptionen resultierenden Planungsaufgaben sowie bestehende Lösungsansätze auf strategischer, taktischer und operativer Ebene werden im Folgenden diskutiert.
7.2.1 Strategische Planung Zunächst sind auf strategischer Ebene Entscheidungen bezüglich der anzuwendenden Aufarbeitungsoptionen (Thierry et al. 1995) sowie bezüglich der Erfolgsfaktoren (Geyer/Van Wassenhove 2000, Geyer/Van Wassenhove 2003, Ferrer/Whybark 2000) und der Umsetzbarkeit der Produktaufarbeitung aus ökonomischer und technischer Sicht zu treffen (Ritchey et al. 2001). Soll(en) eine (oder mehrere) der Aufarbeitungsoptionen umgesetzt werden, sind Entscheidungen bezüglich der Organisationsform bei Umsetzung im eigenen Unternehmen oder bezüglich des Outsourcings an Dienstleister zu treffen (Ayres et al. 1997, Stölting 2006). Aus Herstellersicht ist ggf. der Wettbewerb zu unabhängigen Aufarbeitungsunternehmen zu berücksichtigen (Ferguson/Toktay 2006, Majumder/Groenevelt 2001). Für Unternehmen, die sowohl Neu- als auch Gebrauchtgeräte vertreiben, muss eine Marktsegmentierung durchgeführt werden (Debo et al. 2005), um eine mögliche Kannibalisierung des Neugerätemarktes durch aufgearbeitete Geräte zu vermeiden. Zudem sind Strukturentscheidungen bezüglich des Logistiknetzwerks für den Rücklauf zu treffen (Fleischmann 2001).
7.2.2 Taktische Planung Auf taktischer Ebene sind neben den klassischen Ressourcen Zuliefermaterial, Personal, Maschinen und Lagerplatz nun auch die Rückläufer als Materialressource zu verstehen. Aufgrund der damit verbunden Unsicherheiten bezüglich der Rücklaufmenge, des Gerätezustandes sowie der Rücklaufzeitpunkte sind Prognosen unerlässlich ((Marx-Gómez/Rautenstrauch 1999, Toktay 2003, Püchert 1996). Ein aktives Rückflussmanagement kann die Wirtschaftlichkeit von Aufarbeitungsprozessen wesentlich beeinflussen und sich insbesondere vorteilhaft auf die operative Planung des Remanufacturing-Prozesses auswirken (Guide/Van Wassenhove 2001). Hierbei sind optimale Akquisitions- und Verkaufspreise für Gebrauchtprodukte zu ermitteln (Guide et al. 2003b) sowie optimale Methoden der Produktrücknahme zu bestimmen (Guide/Pentico 2003). Nach der Prognose der Art und Menge der Rückläufer sind geeignete Aufarbeitungsoptionen auf Basis der Kosten- und Erlösstrukturen für die Prozesse und Märkte unter zusätzlicher Berücksichtigung technischer, marktlicher und ökologischer Kriterien zu ermitteln (Krikke et al. 1998, 2001). Auf Basis dieser Ergebnisse erfolgt im Rahmen der Produktionsprogrammplanung die integrierte Planung der Produktions- und Aufarbeitungsprozesse auf Monatsbasis, wobei neben den klassischen Unsicherheiten bezüglich des Absatzmarktes auch die Unsicherheiten der
196
7 Nutzung
Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten sowie die mengen- und zustandsbedingten Unsicherheiten des Geräterücklaufs und der darin enthaltenen Komponenten zu berücksichtigen sind (Steinborn et al. 2008). Stehen nicht genug Komponenten bzw. Geräte zur Verfügung, resultieren ggf. Ressourcenengpässe in der Produktion (Anzahl/Zustand der Rückläufer) bzw. im Absatz (Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten) (Steinborn et al. 2009).
7.2.3 Operative Planung Im Rahmen der operativen Planung erfolgt die Umsetzung der Produktionspläne der taktischen Ebene, wobei auch hier die o.g. Besonderheiten von Aufarbeitungsprozessen explizit zu berücksichtigen sind (Guide 2000). Dies gilt insbesondere bei Umsetzung simultaner (hybrider) Produktions- und Remanufacturing-Systeme (Inderfurth 2004, Van der Laan et al. 1999). Hierbei erfolgt die Koordination von Herstellungs- und Aufarbeitungsprozessen durch Berücksichtigung der Aspekte der Demontageplanung, der Bedarfsplanung, der Materialplanung, der Terminierung sowie der Kapazitätsplanung (Inderfurth/Teunter 2003, Inderfurth et al. 2004). Die Aufarbeitungsoptionen werden sowohl in die Ansätze des Material Requirements Planning (MRP) (Gotzel/Inderfurth 2002, Inderfurth/Jensen 1999, Krupp 1993), der Lagerhaltungsplanung (Muckstadt/Isaac 1981, Van der Laan et al. 1996a, 1996b, 1999) sowie der Losgrößenplanung (Minner 2001, Van den Heuvel 2004) und der operativen Kapazitätsplanung (Guide et al. 1997) integriert. Insbesondere für den Bereich der Demontageplanung existiert bereits eine Vielzahl an Planungsansätzen. Dabei spielen zum einen Fragestellungen der Demontagetiefenplanung, zum anderen die Planung des Demontageprozesses eine besondere Rolle (vgl. dazu auch Kapitel 8). Exemplarisch für die dargestellten Ansätze soll im Folgenden speziell auf die Abstimmung der Aufarbeitung von Geräten und Komponenten mit der Produktion sowie der Beschaffung von Neukomponenten im Rahmen der Produktionsprogrammplanung eingegangen werden. Diese integrierte Produktions- und Aufarbeitungsplanung erfordert hierbei sowohl die Berücksichtigung der Rücklaufmenge als auch der Rücklaufqualität. Zudem ist ein Abgleich mit der Nachfrage nach Produkten unterschiedlicher Qualitätsstufen erforderlich.
7.3 Integrierte Planung von Neuproduktion und Aufarbeitung Die Voraussetzung für die Erschließung ökonomischer und ökologischer Potenziale durch die Optionen der Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung ganzer Geräte oder der Substitution neuer durch gebrauchte Komponenten besteht in der Integration der Prozesse in die Produktionsprogramm- und Absatzplanung eines Unternehmens. Hierbei erhöht sich der Koordinationsbedarf im Vergleich zu klassischen Planungsansätzen deutlich, da nicht nur ein Abgleich zwischen der prognostizierten Absatzmenge und den Produktionsprozessen stattfinden muss, sondern darüber hinaus auch ein Abgleich mit den prog-
7 Nutzung
197
nostizierten Rückläufern und den darin enthaltenen Komponenten sowie der Beschaffung erfolgen muss. Hierfür sind sämtliche Optionen der Produkt- und Komponentenaufarbeitung simultan zu berücksichtigen (Walther et al. 2009a). Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst eine allgemeine Beschreibung der Integration derartiger Aufarbeitungsprozessen in die Produktions- und Absatzplanung eines Unternehmens gegeben, um darauf aufbauend ein konkretes, integriertes Modell zu entwickeln.
7.3.1 Planungssituation Die allgemeine Planungssituation bei Integration der Aufarbeitung von Geräten und Komponenten in die Produktions- und Absatzplanung ist in Abbildung 7-3 dargestellt. Hierbei erfolgen durch den Hersteller zunächst die Produktion und der Absatz von Neugeräten. Diese Geräte gelangen nach der (ersten) Nutzung beim Kunden im Rahmen der Redistribution idealerweise wieder zum Hersteller zurück. Der Anteil der durch die Nutzer zurückgegebenen Geräte kann hierbei durch Anreizsysteme (Pfand, Rabatt auf Neugeräte) oder durch Leasingkonzepte erhöht werden (vergleiche Kapitel 5). Nach einer Identifikation der Geräte wird anhand von Kriterien wie Alter, Zustand, Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten, enthaltene Gleichteile etc. entschieden, welcher Aufarbeitungsoption das Gerät zuzuführen ist. Hierbei wird angenommen, dass die Geräte anhand einer Eingangsprüfung verschiedenen Zustands- bzw. Qualitätsklassen zugeordnet werden können. Im Rahmen der Produktaufarbeitung werden die Geräte je nach Qualitätsanspruch in einen funktionstüchtigen Zustand versetzt (Reparatur P), direkt wiederverwendet (Re-Use P), in den Zustand eines Gebrauchtgerätes (Refurbisment P) oder eines neuwertigen Gerätes (Remanufacturing P) versetzt. Für die Aufarbeitung der Geräte können sowohl Neukomponenten vom Zulieferer bezogen als auch Komponenten aus Gebrauchtgeräten eingesetzt werden. Aus den Qualitätsunterschieden der Optionen der Produktaufarbeitung resultieren Preiseunterschiede im Vertrieb. Für die Nachfrage gilt, dass geringwertigere Geräte (z.B. Refurbishing P) durch höherwertige Geräte (z.B. Remanufacturing P) substituiert werden können, wenn lediglich eine Nachfrage nach den geringwertigeren Geräten besteht. Zur Vermeidung einer Kannibalisierung des Neugerätemarktes werden aufgearbeitete Geräte zumeist an andere Kundengruppen bzw. auf anderen Märkten vertrieben oder der Vertrieb dieser Geräte erfolgt mit zeitlicher Verzögerung zum Verkauf von Neugeräten. Im Rahmen der Komponentenaufarbeitung werden einzelne Bauteile und -gruppen aus dem Gerät gewonnen und durch Aufarbeitung jeweils in einen bestimmten Qualitätszustand (Reparatur K, Re-Use K, Refurbishing K, Remanufacturing K) versetzt. Die Komponenten können dann sowohl für Austausch- und Instandsetzungsmaßnahmen im Rahmen der Produktaufarbeitung (Thierry et al. 1995) (Reparatur P, Refurbishing P, Remanufacturing P) Einsatz finden, als auch im Service als Ersatzteile dienen (Schröter 2006). Hierbei gilt, dass der Qualitätszustand der Komponente mindestens dem angestrebten Qualitätszustand des aufgearbeite-
198
7 Nutzung
ten Gerätes entsprechen muss. So können beispielsweise in den Zustand einer Gebrauchtkomponente aufgearbeitete Bauteile (Refurbishing K) sowohl für die Reparatur von Geräten (Reparatur P) als auch für die Aufarbeitung in den Zustand eines Gebrauchtgerätes (Refurbishing P) eingesetzt werden, nicht jedoch für die Aufarbeitung in den Zustand eines neuwertigen Gerätes (Remanufacturing P). Im Rahmen der Entsorgung erfolgt schließlich die Zerstörung der Funktionsfähigkeit der Geräte und Komponenten. Hier werden alle Materialien der Gerätebestandteile, die weder einer Produkt- noch einer Komponentenaufarbeitung zugeordnet werden, für die stoffliche bzw. energetische Verwertung oder Beseitigung mittels manueller Demontage oder verfahrenstechnischer Prozesse aufbereitet (vgl. Kapitel 8).
Abbildung 7-3: Integration von Aufarbeitung, Produktion und Absatz Vor dem Hintergrund der beschriebenen Planungssituation besteht die Zielsetzung in der optimalen Allokation der Geräterückläufer mit den darin enthaltenen Komponenten auf die einzelnen Optionen der Geräte- und Komponentenaufarbeitung bzw. Entsorgung. Hierbei ist der Zustand der Geräterückläufer und der in ihnen enthaltenen Komponenten zu berücksichtigen. Die Modellierung dieser Allokation bildet die Grundlage sowohl für strategische Betrachtungen wie die Auswahl von Aufarbeitungsoptionen, als auch für taktische Entscheidungen z.B. bezüglich der Kapazitätsplanung und für operative Entscheidungen zur Produktionssteuerung. Hierzu sind jeweils geeignete Anpassungen und Weiterentwicklungen des im Folgenden vorgestellten Modells vorzunehmen.
7 Nutzung
199
7.3.2 Modell zur integrierten Produktions- und Aufarbeitungsplanung Vor diesem Hintergrund erfolgt die Entwicklung eines Modells zur integrierten Planung von Aufarbeitung, Produktion und Absatz. Hierbei werden die folgenden Indizes zugrunde gelegt:
p
Index der Produktvariante (p= 1,…,P) bzw. Komponente (p=P+1,…,P+K)
q
Index der Qualität eines Produktes bzw. einer Komponente im Rücklauf (q=1,…,R) sowie nach der Aufarbeitung und im Vertrieb (q=R+1,…,R+Q)
j
Index der Demontageaktivitäten (j=1,…,J)
l
Index der Aufarbeitungsoptionen (Qualitätsübergang) (l=1,…,L)
n
Index der Montageaktivitäten (n=1,…,N)
s
Indes der Substitutionsmöglichkeiten (s=1,…,S)
t
Index der Perioden (t=1,…,T)
P entspricht hierbei der Anzahl der Produktvarianten im Rücklauf sowie K der Gesamtanzahl der in den Produktvarianten enthaltenen Komponententypen. Des Weiteren sei R die Anzahl der Rücklaufqualitäten, die den Altgeräten in Abhängigkeit der Nutzungsintensität und -dauer bzw. auf Basis anderer Kriterien zugewiesen werden können. Q sei die Anzahl der durch Aufarbeitungsaktivitäten erreichbaren und am Markt absetzbaren Qualitäten. Hierbei gilt für das Modell, dass höhere Indexwerte q höheren Qualitäten entsprechen als geringere Indexwerte. Grundsätzlich können alle Rücklaufqualitäten in alle Aufarbeitungsoptionen einfließen, jedoch richten sich die entstehenden Kosten nach den im Rahmen des Qualitätsübergangs notwendigen Aufarbeitungsprozessen. Zudem können höhere Qualitäten zur Bedarfsbefriedigung geringerer Qualitäten Einsatz finden. Dementsprechend ist eine Substitution von Komponenten aus höherwertigen Optionen der Komponentenaufarbeitung durch Komponenten aus geringwertigeren Aufarbeitungsoptionen möglich. Es gilt die folgende Notation: Absatz ytpq
Absatz der Produktvariante bzw. Komponente p der Qualität q in Periode t
Nachfrage ytpq Nachfrage nach Produktenvariante bzw. Komponente p der Qualität q in Periode t
ytpq P ytpq
K ytpq
Anzahl der Rückläufer der Produktvariante p in Periode t in Rücklaufqualität q Anzahl der einer Produktaufarbeitung zugeführten Produkte der Variante p in Qualität q in Periode t Anzahl der einer Komponentenaufarbeitung zugeführten Produkte der Variante p in Qualität q in Periode t
200
7 Nutzung
V ytpq
Anzahl der in Periode t einer Verwertung zugeführten Produkte der Variante p in Qualität q
y
N tpq
Anzahl der von Zulieferern bezogenen Komponenten p ( p ! P ) in Periode t in der höchsten Qualitätsstufe (q=R+Q)
K.D tpq
y
Anzahl der aus Rückläufern gewonnen Komponenten p ( p ! P ) in Qualität q in Periode t
K .A tpq
y
Anzahl der im Rahmen der Komponentenaufarbeitung zur Qualität q aufgearbeiteten Komponenten p in Periode t
K.V tpq
y
Anzahl der aus der Komponentenaufarbeitung der Verwertung zugeführten Komponenten der Qualität q in Periode t
P. A tpq
y
Anzahl der im Rahmen der Produktaufarbeitung gewonnenen Komponenten p der Qualität q in Periode t
P.V tpq
y
Anzahl der aus der Produktaufarbeitung der Verwertung zugeführten Komponenten p der Qualität q in Periode t
Sub ytpq
Anzahl der Komponenten p der Qualität q in Periode t nach der Substitution
zt
Verwertungsmasse in Periode t
v pqj
Anzahl der in der Komponentenzerlegung bei Anwendung der Demontageaktivität
OtjP
Anzahl der Anwendungen der Demontageaktivität j in der Periode t im Rahmen
j zerlegten Produkte (v pqj 0) bzw. erzeugten Komponenten (v pqj ! 0) p der Qualität q
der Produktaufarbeitung
O
K tj
Anzahl der Anwendungen der Demontageaktivität j in der Periode t im Rahmen der Komponentenaufarbeitung
aql
G tpl
Qualitätsübergang im Rahmen der Aufarbeitungsaktivität l von der Rücklaufqualität (aql<0) in die Aufarbeitungsqualität (aql>0) Anzahl der Anwendungen der Aufarbeitungsaktivität l für Komponente p in der Periode t
d qs
Qualitätsübergang im Rahmen der Substitutionsaktivität s von der Aufarbeitungsqualität (eqs<0) in die Absatzqualität (eqs>0)
H tps
Anzahl der Anwendungen der Substitutionsaktivität s für Komponente p in der Periode t
b pn
Anzahl der im Rahmen der Montageaktivität n erzeugten Produkte ( bpn ! 0 )
7 Nutzung
201 bzw. verbrauchten ( bpn 0 ) Komponenten
Etqn
Anzahl der Anwendungen der Montageaktivität
n zur Befriedigung der Nachfrage
q in der Periode t Stückspezifische Masse der Produktvariante bzw. Komponente p
mp
Abbildung 7-4 dient der Verdeutlichung der nachfolgend beschriebenen Modellierungszusammenhänge. Beschaffung Rücknahme
P ytpq
Komponentenaufarbeitung
Sortierung
y
N ytpq
Produktaufarbeitung
ytpq
Demontage:
P.A ytpq
v pqj OtjP
Komponentensubstitution
d qs H tps
Sub ytpq
K ytpq
Produktion:
b pn E tqn
Demontage:
v pqj O
K tj
Aufarbeitung:
K .D ytpq
V tpq
Absatz ytpq K .A ytpq
aql G tpl
y
K .V tpq
Entsorgung
y
Vertrieb Nachfrage ytpq
P .V tpq
zt
Abbildung 7-4: Modellbeschreibung Für den Rücklauf wird die Menge ytpq an Produkten der Variante p mit Gerätequalität q in P Periode t erwartet. Der Rückfluss teilt sich in Richtung Produktaufarbeitung ( ytpq ), KompoK V nentenaufarbeitung ( ytpq ) und Verwertung ( ytpq ) auf.
ytpq
P K V ytpq ytpq ytpq
t , p , q K
Gl. 7.1
Die in die Komponentenaufarbeitung eingehenden Produkte ( y tpq ) werden zunächst demontiert, hierbei enthält der Demontageaktivitätskoeffizient v pqj Informationen bezüglich der aus einem Produkt resultierenden Komponenten (z.B. Stückliste) sowie gleichzeitig Informationen über die Rücklaufqualität der einzelnen Komponenten in Abhängigkeit des Zustandes des Altgerätes. Die Anzahl der Ausführungen der Demontageaktivität j in Periode t wird über die
202
7 Nutzung
K Entscheidungsvariable Otj festgelegt. Aus diesem Demontageprozess resultiert die Menge an K.D
Komponenten in Zustand q ( ytpq ). K .D y tpq
K y tpq ¦ v pqj OtjK
t, p, q
Gl. 7.2
j
K.D
Die demontierten Komponenten ytpq können anschließend entweder der Verwertung zugeK.V K .A führt ( ytpq ) oder aufgearbeitet ( ytkq ) werden. Im Rahmen der Aufarbeitung findet ein Qualitätsübergang vom Ausgangszustand ( aql 0 ) in den Endzustand ( aql ! 0 ) durch Anwendung
der Aufarbeitungsaktivität l statt. K.A ytpq
K .D K .V ytpq ytpq ¦ aql G tpl
t , p , q
l
Gl. 7.3
Im Rahmen der Produktaufarbeitung in einen bestimmten Qualitätszustand gilt, dass die im Gerät befindlichen Komponenten mindestens dem Zustand des Endproduktes entsprechen müssen. Aus diesem Grund findet zunächst eine Zerlegung des Gerätes in die einzelnen Komponenten statt (ggf. imaginär), beschrieben durch Multiplikation der Anzahl der Ausführungen einer Demontageaktivität ( Otj ) mit dem Demontagekoeffizienten v pqj . Auch hier werden Informationen zur Bestimmung des zu erwartenden Qualitätszustandes der Komponenten aus dem Ausgangszustands des im Rücklauf ankommenden Gerätes abgeleitet. Es ergibt sich die Menge an Komponenten der Qualität q, die im Rahmen der Aufarbeitung des Gerätes im P. A Produkt belassen werden ( ytpq ), sowie die Menge der Komponenten, die aus dem Gerät ausP.V gebaut und einer Verwertung zugeführt werden ( ytpq ). P
P y tpq ¦ v pqj OtjP
P. A P .V y tpq y tpq
j
t , p , q
Gl. 7.4
Für die Endmontage der aufgearbeiteten Geräte im Rahmen der Produktaufarbeitung stehen P. A somit sowohl Komponenten aus der Produktaufarbeitung ( ytpq ) und aus der KomponentenK .A N aufarbeitung ( ytpq ) als auch von Zulieferern ( y tpq ) zur Verfügung. Hierbei gilt, dass nachgefragte Komponenten einer Qualitätsstufe q durch gleich- oder höherwertige Komponenten substituiert werden können, wobei höhere Qualitätsstufen höhere Indexwerte q besitzen. Diese Substitution wird durch folgende Gleichung beschrieben. Sub ytpq
¦d
qs
K.A P. A N H tps ytpq ytpq ytpq
s
t , p , q
Gl. 7.5
Der Prozess der anschließenden Montage wird beschrieben durch die Anzahl der Ausführungen der Montageaktivität n zur Herstellung der Qualität q ( Etqn ) multipliziert mit dem Montageaktivitätskoeffizienten ( bpn), der Informationen über die Anzahl der verbrauchten Komponenten bzw. hergestellten Produkte pro Aufarbeitungsschritt enthält. Absatz ytpq
¦b n
pn
Sub E tqn ytpq
t , p , q
Gl. 7.6
7 Nutzung
203
Die Produkte dienen der Befriedigung der Nachfrage, wobei diese eine Absatzobergrenze darstellt. Absatz Nachfrage ytpq d ytpq
t , p , q
Alle nicht aufgearbeiteten Geräte ( y
V tpq
K.V tpq ,
) und Komponenten ( y
Gl. 7.7
P.V tpq
y
) werden der Verwertung zugeführt, hierbei findet über geräte- und komponentenspezifische Massen mt eine Umwandlung in die gesamte zu verwertende Masse zt statt.
zt
¦¦ m y p
p
V tpq
K .V P .V y tpq y tpq
q
t
Gl. 7.8
Abschließend sind die folgenden Variablendefinitionen gegeben. zt t 0
t T
K V P Absatz y tpq , y tpq , y tpq , y tpq t0
t , p, q
K .D N K .V K .A P. A P .V Sub y tpq , y tpq , y tpq , y tpq , y tpq , y tpq , y tpq t0
t , p, q t , j , l , p, q, n, s
O , O , G tpl , E tqn , H tps t 0 P tj
K tj
Gl. 7.9
Das Ziel besteht in der deckungsbeitragsmaximalen Allokation der Rückläufer. Hierfür wird folgende Notation zu Grunde gelegt:
e tpq
Erlös für den Vertrieb einer Produktvariante oder Komponente p in der Qualität q zum Zeitpunkt t
kpN
Kosten einer Neukomponente p
kV
V V Kosten ( k ! 0 ) bzw. Erlös ( k 0 ) der Verwertung pro Masseneinheit
cnP
Kostensatz pro Ausführung der Montageaktivität n im Rahmen der Produktaufarbeitung bzw. Neuproduktion
cKpl
Kostensatz der Aufarbeitungsaktivität l für Komponente p im Rahmen der Komponentenaufarbeitung
cDj.K
Kostensatz der Demontageaktivität j im Rahmen der Komponentenaufarbeitung
c Dj.P
Kostensatz der Demontageaktivität j im Rahmen der Produktaufarbeitung
Auch hier kann wieder in Stoffflusserlöse und -kosten sowie Prozesskosten unterschieden werden. Im Rahmen der Stoffflusskosten stehen den von der Produktvariante und der nachgefragten Qualität abhängigen Erlösen für den Verkauf der Produkte und Komponenten ( etpq) die V
Kosten bzw. Erlöse für die Verwertung ( k ) sowie Kosten für den Bezug von NeukomponenN ten ( kp ) gegenüber. Bezüglich der Prozesskosten sind die Kosten der Demontage und Aufarbeitung zu berücksichtigen. Diese Kosten sind jeweils abhängig von der Art und Anzahl der D.K D.P hierbei jeweils ausgeführten Demontage- ( c j , c j ) und Aufarbeitungs- bzw. Montageakti-
204
7 Nutzung P
K
vitäten ( cn , cpl ). Insgesamt gilt, dass beim Einsatz höherwertiger Produkte und Komponenten zur Bedarfsbefriedigung niedrigerer Qualitäten ein geringerer Deckungsbeitrag erwirtschaftet wird, als wenn die erstellte und die nachgefragten Qualität übereinstimmen. Max!
¦¦¦ e
tpq
t
p
q
¦¦ c t
j
D. P j
Absatz N ytpq ¦ k V zt ¦¦¦ k pN ytpq t
O ¦¦ c P tj
t
j
t
D. K j
p
q
O ¦ ¦¦ cnP E tqn ¦¦¦ c plK G tpl K tj
t
n
q
t
p
Gl. 7.10
l
Das vorgestellte Modell kann sowohl für ex-post Betrachtungen zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit der Aufarbeitungsoptionen Einsatz finden (Walther et al. 2009a), aber natürlich insbesondere auch ex-ante für die integrierte Produktions- und Aufarbeitsplanung z.B. in Form einer rollierenden Anwendung (Steinborn et al. 2009). Im Folgenden wird eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Aufarbeitungsoptionen für einen Automatenhersteller vorgestellt.
7.4 Fallbeispiel: Kreislaufoptionen eines Automatenherstellers Das vorgestellte Modell wird im Folgenden am Fallbeispiel eines Automatenherstellers validiert. Aufgrund von Geheimhaltungsverpflichtungen wurden die zur Verfügung gestellten Daten und Informationen modifiziert (Walther et al. 2009a).
7.4.1 Planungsumfeld und -aufgabe Betrachtet wird ein Automatenhersteller, dessen Produkte durch kurze Innovationszyklen und entsprechend kurze Marketingzyklen geprägt sind. Im Durchschnitt alle ½ Jahre kommt eine neue Produktvariante beziehungsweise ein Nachfolgemodell auf den Markt. Der daraus resultierenden Variantenvielfalt an Produkten steht ein Gleichteileanteil von durchschnittlich 60 % der Komponenten gegenüber (vgl. Abbildung 7-5). Insgesamt werden durch das Unternehmen durchschnittlich 15 Gerätevarianten (Neu- und Gebrauchtgeräte) gleichzeitig vertrieben, die Rückläufer umfassen durchschnittlich 25 Gerätevarianten.
7 Nutzung
205
Abbildung 7-5: Gleichteile (1-19) in den Produkten des Automatenherstellers (adp Gauselmann 2004) Da Aufstellung und Betrieb der Automaten teilweise durch das Unternehmen selbst erfolgen und die anderen Nutzer bzw. Betreiber der Geräte dem Unternehmen bekannt sind, wird ein großer Teil der abgesetzten Geräte nach der (ersten) Nutzung wieder an den Hersteller zurückgeführt, teilweise werden auch Mietkonzepte umgesetzt. Im Unternehmen wird bisher lediglich eine Produktaufarbeitung umgesetzt. Hierbei erfolgen derzeit die direkte Wiederverwendung der Geräte (Re-Use P) sowie die Aufarbeitung der Rückläufer in den Zustand eines Gebrauchtgerätes (Refurbishing P). Eine Komponentenaufarbeitung und der Wiedereinsatz der Komponenten in aufgearbeiteten oder neuen Produkten werden derzeit vom Unternehmen nicht umgesetzt. Im Rahmen der zukünftigen Ausrichtung scheint eine Aufarbeitung von Komponenten allerdings erfolgsversprechend, da der Großteil der Rückläufer einer Variante erst nach dem Ende der Vermarktungsphase dieser Variante (nach dem Ende des Marketingzyklus) im Unternehmen eintrifft (vgl. Kapitel 7.1.2). Eine Option besteht in der Aufarbeitung von Komponenten in einen neuwertigen Zustand (Remanufacturing K), hierbei können die aufgearbeiteten Komponenten Neukomponenten substituieren. Zudem soll die Wirtschaftlichkeit einer Aufarbeitung der Geräte in den Zustand eines neuwertigen Gerätes (Remanufacturing P) geprüft werden. Für den Vertrieb der so aufgearbeiteten Geräte sind allerdings Restriktionen vorgegeben. Obwohl Geräte aus dem Remanufacturing P neuwertigen Geräten entsprechen würden und alle Qualitätsstandard eines Neugerätes erfüllen, können diese Geräte aus rechtlichen Gründen nicht verkauft, sondern lediglich vermietet werden. Die Geräte aus dem Remanufacturing können somit nur Neugeräte aus der Vermietung substituieren. Im Folgenden wird daher für diese Optionen eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der potenziellen Aufarbeitungsoptionen Remanufacturing P und Remanufacturing K durchgeführt. Hier-
206
7 Nutzung
für wird das in Kapitel 7.3 entwickelte Modell nicht im Sinne einer ex-ante Produktionsprogrammplanung eingesetzt, sondern ex-post für eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung genutzt. Dabei erfolgt der Vergleich der Wirtschaftlichkeit der bereits umgesetzten Aufarbeitungsoptionen mit dem Ergebnis bei zusätzlicher Umsetzung der potenziellen Aufarbeitungsoptionen. Hierbei kann für den betrachteten Automatenhersteller angenommen werden, dass für die Umsetzung der potenziellen Aufarbeitungsoptionen der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten nicht erforderlich ist. Im Rahmen der Produktaufarbeitung wird in der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung davon ausgegangen, dass das Produktionsprogramm des letzten Jahres unter Anwendung der neuen Aufarbeitungsoptionen zu erfüllen ist. Es resultiert somit lediglich eine veränderte Allokation der Stoffströme und Aktivitäten im Netzwerk, die Kapazitäten werden nicht tangiert. Für die Komponentenaufarbeitung ist eine Auslagerung aller Aktivitäten geplant, daher kann auch hier der Kapazitätsaufbau vernachlässigt werden. Zugrunde gelegt werden die Absatz- und Rücklaufdaten des vergangen Geschäftsjahres, hierbei werden in Absatz und Nachfrage 40 Produktvarianten sowie insgesamt 177 Gleichteile unterschieden. Das adaptierte Modell wird für einen Planungshorizont von einem Jahr unterteilt in 12 Perioden berechnet. Unsicherheiten im Rücklauf sowie im Absatz bezüglich Menge und Qualität werden nicht berücksichtigt.
7.4.2 Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers Zur Ermittlung der Allokation der Rückläufer auf die Aufarbeitungsoptionen erfolgt die Modellierung des Materialflusses bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten der Produkt- und Komponentenaufarbeitung (vgl. Abbildung 7-6, 7-7). Das in Abschnitt 7.3.2 generisch formulierte Modell wird daher auf die aktuell beim Automatenhersteller umgesetzten bzw. zukünftig möglichen Aufarbeitungsoptionen angepasst.
7 Nutzung
Abbildung 7-6: Aktuelle Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers
Abbildung 7-7: Potenzielle Aufarbeitungsoptionen des Automatenherstellers
207
208
7 Nutzung
7.4.3 Ergebnisse und Handlungsempfehlungen Zum Vergleich der im Unternehmen bereits bestehenden Option der Produktaufarbeitung mit den Potenzialen des neuen Geschäftsfeldes der Komponentenaufarbeitung sind die wirtschaftlichen Ergebnisse beider Optionen in Tabelle 7-3 gegenübergestellt und in Abbildung 7-8 bezüglich der Allokation der Rückläufer und der anteiligen Flüsse in die Wiederverwendungsund Verwertungsoptionen verdeutlicht. Tabelle 7-3:
Ergebnisse der ex-post Wirtschaftlichkeitsanalyse für die aktuell bereits umgesetzte Produktaufarbeitung sowie die potenziell mögliche Kombination aus Produkt- und Komponentenaufarbeitung des Automatenherstellers (Walther et al. 2009a)
ProduktKombinierte Produkt- und aufarbeitung Komponentenaufarbeitung Zielfunktionswert (Deckungsbeitrag) Ausgangswert Steigerung um 6,5 % Anzahl benötigter Neukomponenten 1.262.679 Stück 1.114.091 Stück Wert der benötigten Neukomponenten Ausgangswert Senkung um 26,8 % Mengenbezogener Anteil der Verwertung 74,5 % 51,8 % an Rücklaufmenge (Anzahl Komponenten) Verwertungsmasse Ausgangswert Senkung um 60 %
Vergleichsgrößen
Im Fallbeispiel können durch die Komponentengewinnung ca. 11,8 % (Mengenanteil) der Neukomponenten substituiert werden. Wertmäßig entspricht dies einem Anteil von 26,8 % der Kosten für den Bezug von Neukomponenten. Während die Anzahl der aus dem Geräterücklauf einer Verwertung zugeführten Komponenten sich von 74,5 % auf 51,8 % und somit um 22,7 % reduziert, findet gleichzeitig eine Reduktion der verwerteten Massen um 60 % statt. Dies verdeutlicht, dass vor allem schwere Komponenten aufgearbeitet und wiederverwendet werden. Der ökologisch vorteilhafte Rückgang an verwerteten Massen korrespondiert mit einer Reduktion der Verwertungskosten, da durch das Unternehmen für die Verwertung ein massenabhängiger Betrag entrichtet wird. Vor dem Hintergrund der Steigerung des Deckungsbeitrags um 6,5 % wird zudem deutlich, dass die Hinzunahme der neuen Aufarbeitungsoptionen aus ökonomischer Sicht vorteilhaft ist. Wie in Abbildung 7-8 dargestellt, resultiert die zusätzliche Option der Komponentenaufarbeitung in einer veränderten Allokation der Rückläufer. Insgesamt fließen deutlich weniger Geräte und Komponenten der Verwertung zu, da durch die Option der Komponentenaufarbeitung nun eine erneute Nutzung von Komponenten (bzw. Gleichteilen) möglich ist, auch wenn die jeweilige Gerätevariante aktuell nicht mehr vertrieben wird. Allerdings reduziert sich dadurch auch der Anteil der direkt einer Produktaufarbeitung zugeführten Geräte zugunsten der Komponentenaufarbeitung.
7 Nutzung
x/yStk. x/yStk.
209
AnzahlGeräte/KomponentenohneKomponentenaufarbeitung AnzahlGeräte/KomponentenmitKomponentenaufarbeitung
/5.247 /4.234
1.000/4.437 1.000/4.437 0/0 829/3.645 117/536 0/0
1.439/6.386 1.439/6.386
883/3901 171/792
/0 /1527
/0 /2.118
/0 /1527
/2.762 /167
/0 /0
536+0+2.762=3.298Komponenten 0+2118+167=2.285Komponenten
Abbildung 7-8: Rücklaufallokation mit und ohne Komponentenaufarbeitung Insgesamt zeigt sich für das Fallbeispiel, dass die Wahl der Aufarbeitungsoptionen einen entscheidenden Einfluss auf den Deckungsbeitrag hat und besonders bei einer vergleichsweise hohen Gleichteilrate die Strategie der Komponentenaufarbeitung ergebnisrelevant ist. Im Fallbeispiel kann zum einen die Verwertung deutlich reduziert werden, und zum anderen resultiert aus der Substitution von Neukomponenten durch aufgearbeitete Komponenten eine Erhöhung des erzielbaren Deckungsbeitrags. Für die Beschaffungsplanung des Unternehmens bedeutet dies, dass weniger Neukomponenten benötigt werden. Daher können mittelfristig die Volumina der Verträge mit den Zulieferern deutlich reduziert werden. Für eine zukünftige Vertragsgestaltung sollten Absatz- und Rücklaufprognosen anstelle von deterministischen Vergangenheitswerten in die Berechnung der Substitutionsrate einbezogen werden. Schwankungen aufgrund von mengen- und qualitätsbedingten Unsicherheiten sollten durch eine entsprechend flexible Vertragsgestaltung abgefedert und bereits im Rahmen der taktischen Planung durch eine eher risikoscheue Einstellung des Entscheidungsträgers antizipiert werden (vgl. Kapitel 6).
7.5 Fazit Zur ökonomischen Beurteilung der Optionen der Produkt- und Komponentenaufarbeitung wurden zunächst die Handlungsspielräume von Herstellern in Hinblick auf die potenziellen Aufarbeitungsoptionen dargestellt. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Optionen der Produkt- und Komponentenaufarbeitung sind sowohl die Einbettung in den Produktlebenszyklus als auch die Erweiterung bestehender Wertschöpfungsnetzwerke zur Gewährleistung geschlossener Produktkreisläufe im Sinne eines Closed Loop Supply Chain Managements notwendig. Im Gegensatz zu herkömmlichen Planungsansätzen muss bei der Umsetzung von Aufarbeitungsoptionen über den Abgleich von prognostizierter Absatz- und Produktionsmen-
210
7 Nutzung
ge hinaus ein Abgleich mit den prognostizierten Rücklaufmengen und den in diesen enthaltenen Komponenten sowie mit der Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten und der Beschaffung der Neukomponenten stattfinden. Hierfür wurde ein Modell zur Integration der Produktions- und Absatzplanung mit der Aufarbeitungsplanung entwickelt und am Fallbeispiel eines Automatenherstellers angewendet. Es zeigt sich, dass insbesondere die Kombination aus Produkt- und Komponentenaufarbeitung aus ökonomischer Sicht vorteilhaft erscheint. Allerdings ist eine derartige – häufig nicht nur unter ökonomischen, sondern auch unter ökologischen Gesichtspunkten (vgl. Kapitel 5) sinnvolle – Verlängerung der Nutzungsphase zumeist nicht unbegrenzt möglich. Geräte sind daher am Ende ihres Lebenszyklus einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen. Auch hieraus resultieren vielfältige Planungsprobleme bezüglich der Erfassung und Sortierung der Geräte, der Bestimmung der optimalen Demontagetiefe und -sequenz sowie des effizienten Einsatzes von Anlagen zur mechanischen Aufbereitung von Materialfraktionen und der Zuordnung dieser Materialfraktionen zu Entsorgungsoptionen. Die Planungsprobleme der Entsorgungsphase sowie Modellierungsansätze zur Beschreibung der potenziellen Aktivitäten und Stoffströme werden daher im folgenden Kapitel behandelt.
8 Entsorgung
8
211
Entsorgung
Am Ende des Produktlebenszyklus ist die Vermeidung von Abfällen – beispielsweise durch eine weitere Nutzungsphase (vgl. Kapitel 7) – nicht länger möglich. Im Sinne der durch die Umweltgesetzgebung vorgegebenen Hierarchie „Vermeiden – Verwerten – Beseitigen“ besteht die Zielsetzung am Lebensende eines Produktes daher in der Gewinnung hochwertiger Wertstofffraktionen sowie der ordnungsgemäßen Verbringung der für eine Kreislaufführung nicht geeigneten Materialien. Dies setzt eine ordnungsgemäße Behandlung unter Einsatz von Demontageaktivitäten sowie von verfahrenstechnischen Prozessen voraus. Im Rahmen dieses Kapitels werden daher zunächst sowohl die Systemstufen und Aktivitäten der Entsorgung als auch die auf diesen Stufen tätigen Akteure vorgestellt (Kapitel 8.1). Im Anschluss daran werden in Kapitel 8.2 die zentralen Aktivitäten der Demontage und mechanischen Aufbereitung charakterisiert, hierbei wird insbesondere auf die Spezifizierung dieser Aktivitäten als Kuppelproduktionsprozesse eingegangen. Aufbauend auf den daraus gewonnenen Erkenntnissen erfolgt in Kapitel 8.3 die Modellierung der Behandlungsprozesse. Hierbei wird zunächst jeweils ein Modell für die Demontage und die mechanische Aufbereitung entwickelt, diese Modelle werden anschließend in Kapitel 8.4 zur Modellierung eines integrierten Recyclingunternehmens zusammengeführt. Das Modell wird in Kapitel 8.5 abschließend am Beispiel der Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens angewandt.
8.1 Begriffe und Grundlagen Die Kreislaufführung von Materialien hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Hierbei wurde durch legislative Vorgaben wie die europäische Abfallrahmenrichtlinie (Abfall-RRL; Europäisches Parlament und Rat 2006) sowie die deutsche Umsetzung in Form des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetztes (KrW-/AbfG 1994) der Weg von einer QuellenSenken-Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft geebnet (vgl. Kapitel 2). Eine Konkretisierung für spezielle Produkte und Materialien bzw. Branchen erfolgte in Deutschland beispielsweise für Verpackungen (VerpackV 1998), Batterien (BattV 1998), Altfahrzeuge (AltfahrzeugG 2002) oder Elektro(nik)altgeräte (ElektroG 2005). Diese Gesetze und Verordnungen schreiben hierbei vor, dass die betroffenen Produkte und Materialien am Ende ihres Lebens zu erfassen und ordnungsgemäß zu behandeln sind. Ist für Produkte keine Wiederverwendung im Sinne einer erneuten Nutzung möglich (vgl. Kapitel 7), erfolgt die Aufhebung der Funktionalität der Produkte mit dem Ziel der Wertstoffgewinnung und Schadstoffentfrachtung als Voraussetzung für die Prozesse der Verwertung und Beseitigung. Die Begrifflichkeiten werden im Folgenden erläutert.
212
8 Entsorgung
8.1.1 Systemstufen und Aktivitäten Am Ende des Lebensweges von Produkten werden verschiedene Systemstufen durchlaufen (vgl. Abbildung 8-2). Hierbei beinhaltet die Stufe der Erfassung die Schritte Sammlung, ggf. Zwischenlagerung, Vorsortierung und Transport der Geräte (Walther 2005). Die sich daran anschließende Behandlung bildet die zentrale Systemstufe im Rahmen der Kreislaufführung von Materialien, da hier über die Hochwertigkeit der Kreislaufwirtschaftsoptionen sowie das Ausmaß des Kreislaufschlusses entschieden wird. Die Systemstufe der Behandlung umfasst alle Tätigkeiten zur Schadstoffentfrachtung, zur Demontage, zur mechanischen Aufbereitung, zur Verwertung oder zur Vorbereitung der Beseitigung sowie sonstige Tätigkeiten zur Verwertung und/oder Beseitigung von Geräten (Europäisches Parlament 2003). Der Begriff der Entsorgung beinhaltet sowohl die Verwertung als auch die Beseitigung von Abfällen (KrW-/ AbfG, §3, Abs. 7). Auf den genannten Systemstufen laufen jeweils vielfältige Aktivitäten ab, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Stoffströme generiert wird (vgl. Abbildung 8-1). Elektro(nik)altgeräte
Sortierung Kühlgerä te
Kondensatoren Verwertung
sonstige Weiße Wa re
sonstiger Geräteschrott
sonstiger Gerä teschrott
Leuchtstoffröhren
Demonta ge schadstoffhaltiger Ba uteile und von Störstoffen
Batterien Hg-haltige Komponenten
Beseitigung
Fernsehgerä te
Demonta ge kupferha ltiger Komponenten, Leiterplatten, sonst. Elektronikschrott
KopierTrommeln
Demontage der Bildröhren
sonstig Teile
Beseitigung
Störstoffe
Beseitigung
FCKW
Shreddern
Bildröhren
Shreddern / Zerkleinern / Demontage
Fe-Meta ll-Schrott
NE-Metall-Schrott
edelmetallhaltiger Schrott
sortenreine Kunststofffra ktionen
Mischkunststofffraktionen
Stahlwerke
NE-Metallhütten
Scheideansta lten
Kunststoffherstellung
Energetische Verwertung
Demontage
Elektronikschrott
Ka bel
Mechanische Aufbereitung
Spezifische Aufbereitung
Gla sfraktionen
Reststoffe
Gla shütten
Beseitigung
Abbildung 8-1: Aktivitäten der Demontage und der mechanischen Aufbereitung und resultierende Materialfraktionen am Beispiel der Elektro(nik)altgeräte (verändert nach Nathani 1998) Eine zentrale Aktivität im Rahmen der Behandlung stellt die Demontage dar, die als systematische Zerlegung von Produkten in Bauteile, Baugruppen und/oder Materialien durch Trennen mittels zerstörender oder zerstörungsfreier Verfahren beschrieben werden kann (Lee et al.
8 Entsorgung
213
2001). Hierbei kann das Ziel in der Bauteilgewinnung, der Schadstoffentfrachtung oder der Wertstoffgewinnung liegen, zumeist werden Mischformen dieser Ziele verfolgt (Ploog 2004). Die mechanische Aufbereitung bezeichnet die zerstörende Zerlegung von Komponenten mittels verfahrenstechnischer Anlagen in durch stoffliche Eigenschaften charakterisierte Materialfraktionen. Im Unterschied zur Demontage besteht hierbei das Ziel ausschließlich in der Wertstoffgewinnung (Ploog 2004). Im Rahmen der stofflichen Verwertung erfolgt die Aufbereitung von Materialfraktionen für den roh- oder wertstofflichen Wiedereinsatz im Wirtschaftskreislauf, beispielsweise in Form der Rückgewinnung von Metallen und Metallverbindungen oder anderer Materialien (Anhang IIB der Abfall-RRL). Im Rahmen der energetischen Verwertung erfolgt die energetische Nutzung von Materialien, beispielsweise in Form der Hauptverwendung als Brennstoff zur Energieerzeugung. Der Begriff der Verwertung fasst die Verfahren der stofflichen und energetischen Verwertung zusammen (Anhang IIB der Abfall-RRL). Die Beseitigung umfasst Maßnahmen mit dem Ziel des Ausschlusses von Materialien aus dem Wirtschaftskreislauf, beispielsweise in Form der Ablagerung, der Verbrennung oder der Dauerlagerung (Anhang IIA der Abfall-RRL). Die relevanten Begrifflichkeiten sind in Abbildung 8-2 zusammenfassend dargestellt.
Erfassung
Sammlung Zwischenlagerung Vorsortierung
Demontage
MechanischeAufbereitung
Behandlung
Transport
Verwertung
Wiederverwendung
stofflich energetisch
Beseitigung
Entsorgung ReUse
Remanufacturing Refurbishing Reparatur
Recycling
Energie gewinnung
Ausschluss aus dem Wirt schaftskreislauf
Abbildung 8-2: Einordnung der Begriffe und Definitionen zur Entsorgung von Geräten (verändert nach Walther 2005, Schmid 2009)
214
8 Entsorgung
8.1.2 Akteure Wie in Abbildung 8-3 dargestellt, haben sich für die Umsetzung der dargestellten Systemstufen und Aktivitäten komplexe Strukturen mit einer Vielzahl an Akteuren herausgebildet. So erfolgt an Sammelstellen bzw. in Sortierzentren die Trennung nach schadstoffhaltigen und nicht schadstoffhaltigen Produkten/Produktgruppen (Kommission der Niedersächsischen Landesregierung 2003) bzw. die Zuordnung zu Gerätekategorien (Europäisches Parlament 2003). Demontageunternehmen zerlegen die Altgeräte und führen die gewonnenen Fraktionen einer mechanischen Aufbereitung, einer Verwertung oder einer Beseitigung zu (Kommission der Niedersächsischen Landesregierung 2003). Anlagen zur mechanischen Aufbereitung stellen Schredderbetriebe dar (Kommission der Niedersächsischen Landesregierung 2003), in denen die verfahrenstechnische Trennung von schadstoffentfrachteten Elektro(nik)altgeräten oder von Verbundfraktionen sowie die Sortierung nach Materialfraktionen mit dem Ziel der Vorbereitung einer Verwertung erfolgt. Anlagen zur Verwertung und Beseitigung der Elektro(nik)altgeräte verrichten die in Anhang IIA und B der Abfall-RRL aufgeführten Tätigkeiten. Vertikales Netzwerk zur Erfüllung rechtlicher Vorschriften Horizontales Demontagenetzwerk
Aktivitäten Akteure Handel
Verkauf Endkunde
Erfassung Sammelstelle
Demontage Demontageunternehmen
Aufbereitung Mechanische Aufbereiter
Verwertung
Wiedereinsatz Zulieferer/ Hersteller
Abbildung 8-3: Wertschöpfungsnetzwerke zur Erfassung, Behandlung und Entsorgung komplexer Geräte Erweist sich die Verwertung der Altgeräte als wirtschaftlich vorteilhaft, etablieren sich in der Regel privatwirtschaftliche Unternehmensnetzwerke. Öffentliche Netzwerke zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben entstehen hingegen aufgrund rechtlicher Vorgaben zur Abfallvermeidung bzw. -verminderung, Beispiele hierfür stellen Netzwerke für das Batterierecycling (Engels 2003), das Altautorecycling (Püchert 1996, Püchert et al. 1996), das Recycling von Sand
8 Entsorgung
215
(Barros et al. 1998), von Glas (Hamidovic 1997), von Papier (Kleineidam et al. 2000) sowie von Elektro(nik)altgeräten (Walther 2005, Shih 2001, Queiruga et al. 2008, Walther et al. 2007b, 2008a) dar. In derartigen vertikalen Netzwerken zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben sind alle erläuterten Aktivitäten bzw. Systemstufen der Erfassung, Behandlung und Entsorgung enthalten. Auf den einzelnen Systemstufen können sich wiederum horizontale Netzwerke ausbilden. Beispiele hierfür stellen Logistik- oder Demontagenetzwerke dar, die etwa eine flächendeckende Erfassung und Behandlung der Geräte anstreben. Eine derartige Kombination aus vertikalen und horizontalen Strukturen ist in Abbildung 8-3 dargestellt. Insgesamt stellen die o.g. Aktivitäten und Akteure jeweils Teilbereiche eines komplexen Systems zur Erfassung, Behandlung und Entsorgung komplexer Produkte dar. In derartigen Wertschöpfungsnetzwerken arbeiten verschiedene Partner auf überbetrieblicher Ebene zusammen, wobei die Zielsetzung in der Abstimmung der im Zusammenhang mit der Erfassung, der Demontage, der mechanischen Aufbereitung und der Entsorgung komplexer Geräte entstehenden Stoffströme unter ökonomischen und ökologischen Zielkriterien besteht. Insgesamt besteht ein solches Wertschöpfungsnetzwerk daher aus einer Vielzahl an Knoten, die Funktionen von Quellen (Letztnutzer, Kommunen) oder Senken (Beseitigungsstandorte, Verwerter) innehaben. Eine wesentliche Zwischenstufe stellen die Unternehmen dar, in denen Aufgaben der Demontage und der mechanischen Aufbereitung ausgeführt werden und denen somit die eigentliche „Wertschöpfung der Behandlung“ obliegt (Walther 2005).
8.2 Charakterisierung von Behandlungsprozessen Im Folgenden werden zunächst die grundlegenden Charakteristika der für die Behandlung komplexer Produkte (wie z.B. Elektronikgeräte oder Fahrzeuge) zentralen Prozesse der Demontage und der mechanischen Aufbereitung analysiert. Insbesondere die Demontage bildet hierbei die Voraussetzung sowohl für die Wiederverwendung von Geräten und Bauteilen (vgl. Kapitel 7) als auch für die Entfrachtung von Schadstoffen und die Gewinnung von Wertstoffen im Zuge einer ordnungsgemäßen Entsorgung.
8.2.1 Charakteristika der Demontage und mechanischen Aufbereitung Die Demontage unterscheidet sich dabei wie in Tabelle 8-1 dargestellt grundlegend von den im Rahmen der Produktion komplexer Geräte stattfindenden Montagevorgängen. Die Prozesse der mechanischen Aufbereitung als stark automatisierte Prozesse sind hierbei vergleichbar mit der Prozessindustrie (vgl. Kapitel 6), insbesondere Umfang, Genauigkeit sowie Produktzustand unterscheiden sich jedoch von vergleichbaren Produktionsprozessen.
216 Tabelle 8-1:
8 Entsorgung Unterschiede zwischen Montage- und Demontage- sowie Aufbereitungsprozessen (Einordnung Montage und Demontage nach Kühn 2001)
Merkmal Struktur Aufkommen Vielfalt Produktzustand Produktinformation Konstruktionsänderungen Ort Genauigkeit Umfang Fertigungsverfahren
Montage Konvergierend Geringe Schwankungen Gering Identisch Verfügbar Noch vornehmbar Produktionsunternehmen Hoch Fix Fügen
Flexibilität Losgröße Automatisierung
Gering Mittlere/große Lose (Teil-)automatisiert
Demontage Divergierend Hohe Schwankungen Hoch Variiert Nicht verfügbar Nicht mehr vornehmbar Demontageunternehmen Gering Variabel Zerstörendes oder zerstörungsfreies Trennen Hoch Eins Manuell
Mechanische Aufarbeitung Divergierend Hohe Schwankungen Mittel Variiert Nicht verfügbar Nicht mehr vornehmbar Aufbereitungsunternehmen Gering Variabel Zerstörendes Trennen und Sortieren Hoch Mittlere/große Lose Automatisiert
Auf Basis dieser Unterschiede zur Montage lassen sich die Prozesse der Demontage und mechanischen Aufbereitung daher durch die folgenden Charakteristika beschreiben: x Es bestehen divergierende Produktionsstrukturen, d.h. ein Output als Hauptprodukt kann im Allgemeinen nicht bestimmt werden (Spengler 1998). x Im Zuge der Behandlung können verschiedene Zielsetzungen verfolgt werden. Im Rahmen einer outputorientierten Behandlung liegt der Fokus auf der Gewinnung von Wertstofffraktionen oder von hochwertigen, funktionsfähigen Bauteilen. Die Zielsetzung besteht daher in der Erzielung möglichst hoher Entsorgungserlöse. Im Rahmen einer inputorientierten Behandlung liegt der Fokus auf einer nach rechtlichen Anforderungen ordnungsgemäßen Schadstoffentfrachtung und Behandlung der Geräte. Hieraus ergibt sich aus Sicht der Demontage- und Aufbereitungsunternehmen das Ziel der Erreichung hoher Ankaufserlöse für die zu behandelnden Geräte. In der Praxis bestehen zumeist hybride Ausprägungen bezüglich der In- und Outputorientierung (Ploog 2004). x Die Tiefe und Reihenfolge der Wertschöpfungsprozesse sind variabel (Huber 2001, Schneider 1999), d.h. sowohl der Endzustand als auch die Art und Reihenfolge der Behandlungsaktivitäten stellen Entscheidungsvariablen der Planung dar (Spengler 1994). x Insgesamt besteht eine sehr hohe Variantenvielfalt der zu bearbeitenden Altgeräte. In der Demontage ist daher die Losgröße zumeist eins. Außerdem variieren die Zustände der Altgeräte, beispielsweise in Hinblick auf fehlende Bauteile oder korrodierte Verbindungen. Zudem ist die materielle Zusammensetzung der Geräte zumeist unbekannt (Schultmann 2003). x Die von den Nutzern zurückkommenden Anfallmengen sind unsicher sowohl in Bezug auf die Gesamtmenge als auch hinsichtlich der Zusammensetzung nach Gerätegruppen und -varianten (Schultmann 2003).
8 Entsorgung
217
x Die Gerätevielfalt sowie die unsicheren Anfallmengen erfordern eine erhöhte Flexibilität und somit Robustheit sowohl der Planung als auch der zu implementierenden Prozesse (Kühn 2001). Ein Charakteristikum, welches die Planung der Prozesse der Demontage und der mechanischen Aufbereitung wesentlich determiniert, ist das Vorliegen divergierender Produktionsstrukturen. Im Folgenden werden daher die Behandlungsprozesse in die Terminologie der Kuppelproduktionsprozesse eingeordnet.
8.2.2 Demontage und Aufbereitung als Kuppelproduktionsprozesse Prozesse, „bei denen naturgesetzlich oder technisch bedingt zwangsläufig zwei oder mehr Produktarten hervorgehen, werden gewöhnlich als Kuppel- oder Koppelproduktion [...] bezeichnet“ (Riebel 1996, S. 994). Im Rahmen der Altgerätedemontage als Zerlegung komplexer Verbundprodukte erfolgt pro Ausführung einer bestimmten Demontageaktivität die Erzeugung mehrerer Demontageoutputobjektarten in Form von Baugruppen, Bauteilen oder handelsüblichen Materialfraktionen zur Beseitigung oder als Sekundärrohstoff. Im Rahmen der mechanischen Aufbereitung werden Materialverbünde in einzelne Materialfraktionen mit definierten Eigenschaften aufgespalten. In diesem Sinne sind nach der o.g. Definition sowohl Demontagevorgänge als auch Prozesse der mechanischen Aufbereitung den Kuppelproduktionsprozessen zuzurechnen (Walther 2005). Wie Abbildung 8-4 zeigt, lassen sich Kuppelproduktionsprozesse weiterhin in Abhängigkeit des Produktionsziels, der Mengenrelationen der Kuppelprodukte sowie der Produktionsstruktur klassifizieren. Bezüglich der Produktionsstruktur sind die Prozesse in der Regel mehrstufig – der Demontageoutput einer Aktivität stellt den Demontageinput einer anderen Demontageaktivität dar. Dies gilt ebenso für die Prozesse der mechanischen Aufbereitung. Hierbei erfolgt zumeist eine getrennte Weiterverarbeitung von Demontagefraktionen mit weiteren Aufspaltungen. Im Rahmen der mechanischen Aufbereitung oder der stofflichen Verwertung sind Prozesse der synthetischen Weiterverarbeitung (Oenning 1997) oder auch die zyklische Weiterverarbeitung von Fraktionen (Ploog 2004) möglich. Bezüglich der Mengenrelationen lassen sich Demontageprozesse im Allgemeinen den variablen Kuppelproduktionsprozessen zuordnen. Stochastische Kuppelproduktionsprozesse treten beispielsweise beim Fehlen normalerweise vorhandener Baugruppen oder -teile auf. Bezüglich der Flexibilität der Kuppelproduktionsprozesse besteht eine Wahl bezüglich der Inputobjektarten. So werden beispielsweise für die Gewinnung bestimmter Ersatzteile lediglich Altgeräte neueren Herstelldatums oder funktionstüchtige Altgeräte zerlegt. Die Möglichkeit der endlichen Verfahrenswahl erfolgt durch Auswahl einer Demontageaktivität aus einer Vielzahl möglicher Aktivitäten. Dies ist insbesondere zu berücksichtigen, da die Komplexität von Demontagegrafen kombinatorisch mit der Anzahl der Produktkomponenten ansteigt. Zu-
218
8 Entsorgung
sätzliche Freiheitsgrade bestehen, wenn auch zerstörende Demontageverfahren oder Prozesse der mechanischen Aufbereitung zugelassen sind. Eine Variation der Outputzusammensetzung ist möglich, da Bauteile und Baugruppen auf unterschiedliche Weise zu bestimmten Materialfraktionen zusammengefasst werden können. Derartige Fraktionen sind lediglich durch Mindest- und Maximalgehalte ausgewählter Materialien definiert. Die Möglichkeit der kontinuierlichen Prozessparameterwahl besteht bei den sich an die Demontage anschließenden Prozessen der mechanischen Aufbereitung von Verbundfraktionen (vgl. hierzu Ploog 2004). Kuppelproduktion
Produktionsstruktur
einstufig
Mengenrelationen
mehrstufig
Vernetzung:
starr
generell
systemabhängig
Produktionsziel
variabel
stochastisch
zweckgerichtet
auf optimale Stoffverwertung gerichtet
flexibel
o keine Weiterverarbeitung
oWahl der Inputobjektarten
o getrennte Weiterverarbeitung
oendliche Verfahrenswahl
o synthetische Weiterverarbeitung
oVariation der Outputzusammensetzung
o zyklische Weiterverarbeitung
okontinuierliche Variation von Prozessparametern oVariation zyklischer oder mehrphasiger Techniken
Abbildung 8-4: Klassifikation der Kuppelproduktion (nach Oenning 1997, Spengler 1994) Wie dargestellt, kann das Produktionsziel in einer optimalen (sowie rechtlich konformen) Stoffverwertung bestehen, eine weitergehende Unterteilung in Haupt- und Nebenprodukte spielt dann keine Rolle (Riebel 1971). Im Rahmen der Wiederverwendung von Bauteilen oder ganzen Geräten sind die Prozesse allerdings auf die Gewinnung bestimmter Haupt- und Nebenprodukte zweckgerichtet.
8.3 Modellierung von Behandlungsprozessen Zur Abbildung von Kuppelproduktionsprozessen hat sich die auf (Koopmans 1951) und (Debreu 1959) zurückgehende Aktivitätsanalyse als geeignet erwiesen (Fandel 1990, Dyckhoff 1994, Oenning 1997, Spengler 1998, Rüdiger 2000, Souren 2002; vgl. Kapitel 3). Für die Anwendung der Aktivitätsanalyse sind empirisch ermittelte Aktivitäten in Tabellenform oder als Matrix ausreichend, die Transformationsbeziehungen zwischen In- und Outputs müssen nicht in Form stetiger mathematischer Funktionen gegeben sein (Fandel 1990). Die lineare Aktivitätsanalyse als Spezialfall der Aktivitätsanalyse beschäftigt sich ausschließlich mit linearen Technologien. Sie ist daher besonders geeignet, um basierend auf Informationen über die Produktstruktur und daraus abgeleitete Demontagegrafen die Demontage komplexer Verbundprodukte abzubilden (Spengler 1994).
8 Entsorgung
219
Im Rahmen der Demontage als Kuppelproduktionsprozess lassen sich hierbei einzelne Demontageprozesse als Treiber der Planung identifizieren. Durch die Festlegung der Aktivitätsniveaus (Art und Anzahl der Ausführungen einer Demontageaktivität) werden gleichzeitig die zu zerlegenden Inputs sowie die entstehenden Outputs bestimmt. Dadurch können viele Planungs- und Bewertungsprobleme von Kuppelproduktionsprozessen (verursachungsgerechte Zuweisung von Kosten auf Kostenträger etc.) vermieden werden. Im Rahmen der mechanischen Aufbereitung resultieren aus zyklischen Prozessen sowie vielfältigen Wahlmöglichkeiten bezüglich der Prozessparameter nichtlineare Zusammenhänge und somit nicht-endlich generierbare Techniken. Werden hierbei allerdings für einzelne Prozessstufen für bestimmte Inputmaterialien und Kapazitätsklassen konstante Prozessparameter zu Grunde gelegt, lassen sich für jede Parameterkonstellation Grundaktivitäten mit jeweils konstanten Input-OutputKoeffizienten als lineare, endlich generierbare Techniken approximieren (vgl. Kapitel 3). Hierbei ist die Approximation der nicht-endlich generierbaren Technik umso genauer, je mehr Intensitätsstufen betrachtet werden (Dyckhoff/Spengler 2007). Auf dieser Basis lassen sich auch die Prozesse der mechanischen Aufbereitung aktivitätsanalytisch abbilden.
8.3.1 Modellierung der Demontage Eine Modellierung von Demontageprozessen erfolgt im Hinblick auf die Beantwortung strategischer Fragestellungen meist im Rahmen der Produktentwicklung zur Optimierung von Montagevorgängen oder zur Bewertung der Demontagegerechtheit von Produkten (Herrmann 2003), als Grundlage einer Optimierung von Demontagesystemen (Penev/De Ron 1996, von Westernhagen 2001, Ohlendorf 2006) oder von Behandlungsprozessen am Ende des Produktlebensweges (Spengler 1994, Lambert 1999a). Die Grundlage zur Modellierung von Demontageprozessen komplexer Produkte stellt die geeignete Abbildung der Erzeugnisstruktur in Form einer hierarchischen Abbildung der Komponenten dar (Abbildung 8-5). Erst auf dieser Basis ist es möglich, Planungsprobleme beispielsweise bezüglich der zu wählenden Demontagetiefe sowie der Entsorgungsoptionen zu lösen und weitergehende Bewertungen beispielsweise des Produktdesigns oder der Demontagesysteme vorzunehmen. Zur Abbildung der Produktstrukturen im Sinne einer Demontageplanung sind Werkstoffe, Bauteile, Baugruppen sowie deren Verbindungen und somit die aufgrund geometrischer oder technologischer Aspekte vorgegebenen Bauteilhierarchien und Vorrang-Nachfolger-Beziehungen dieser Komponenten abzubilden. Hierbei kann zur Erfassung der Gesamtheit möglicher Demontageaktivitäten eines Produktes sowie der zugehörigen Input-Output-Koeffizienten sowohl auf AND-OR-Grafen (Lee et al. 2001), als auch auf die daraus ableitbaren Demontagegrafen und Zerlegungsmatrizen (Spengler 1994, Lambert 1999b) zurückgegriffen werden. Ein Demontagegraf ist exemplarisch in Abbildung 8-5 dargestellt.
220
8 Entsorgung
1
1 1
1
b2|c1 b2|c 1
44
1
5 5
1
6 6
Demontagemaßnahme
3 3
v5
1
11
1
bb2 2
1
55
v6
1
bb1 1
v1
1
v9 1
1 1
c c1 1
1
55
v7
bb2 2 1
v3 1
b1|b2 b |b 1
2
1 1
v4
1
1
1 1
1
44
1,1,5,6 5,6
22
c c1 1
bb2 2
1
33
v 10
1
1,4,6 1,4,6
1
aa1 1
c c1 1
1
1,3,4,6 1,3,4,6
1 1
b b1 1
3 3
v8
11
v9
5 5
1,4,6 1,4,6
1
1,1,3,4,5,6 1,1,3,4,5,6
1,1,1,2,3,4,5,6 1,1,1,2,3,4,5,6
v2
1,4,6 1,4,6
1 Schrauben 2 Gehäusehälfte 3 Berührungsschutz 4 Lüsterklemme 5 Zugentlastung 6 Netzkabel
1
1,1,4,5,6 1,1,4,5,6
Altgerät bzw. Baugruppe/-teil, zusammengesetzt aus den aufgeführten Komponenten
cc1 1
v9
1
11
1
44
1
6 6
1
11
1
4 4
1
66
1
1 1
1
55
1
6 6
1
11
1
4 4
1
66
Abbildung 8-5: Demontagegraf eines elektrischen Steckers (Spengler 1994) Auf Basis einer so dargestellten Erzeugnisstruktur können die Direktbedarfsmatrix, die Zerlegungsmatrix sowie unter Abbildung der produktiven Aktivitäten schließlich die Technikmatrix abgeleitet werden. Letztere enthält alle zur Verfügung stehenden Aktivitäten und bildet somit die Grundlage für die Modellierung von Demontageprozessen auf Basis der Aktivitätsanalyse (Dyckhoff/Spengler 2007). Die Vorgehensweise wird im Folgenden an einem einfachen Beispiel veranschaulicht. In Abbildung 8-6 ist ein Demontagegraf für die Zerlegung eines einfachen Produktes dargestellt. Hierbei kennzeichnen die Kreise Objektarten, wie z.B. Altgeräte und Bauteile, und die Rechtecke repräsentieren Recyclingaktivitäten. 3 2
1
v11
2
v22
3
2 1
4
Abbildung 8-6: Demontagegraf eines einfachen Beispiels zur Modellierung der Produktdemontage (Spengler 1994)
8 Entsorgung
221
Es wird die folgende Notation zu Grunde gelegt: j
Index der potenziellen Demontageaktivität j (j=1,…,J)
i
Index der Produkte und Baugruppen/Bauteile i (i=1,…,I)
v ij
Aktivitätskoeffizient: Anzahl der bei Anwendung der Demontageaktivität j (j=1,…,J) zerlegten ( v ij 0 ) bzw. erzeugten ( v ij ! 0 ) Baugruppen/Bauteile i (i=1,…,I)
Aus dem in Abbildung 8-6 dargestellten Demontagegrafen lassen sich die Direktbedarfsmatrix A sowie als Differenz aus Direktbedarfsmatrix A und der I-dimensionalen (i=1,…,I) Einheitsmatrix E I die Zerlegungsmatrix Z ( z ii ' ) i ,i ' 1,..., I wie folgt ableiten:
A
ª0 «2 « «0 « ¬1
0 0 0º 0 0 0 »» , Z : A EI 3 0 0» » 2 0 0¼
0 0º ª 1 0 « 2 1 0 0 »» « «0 3 1 0 » « » 1 2 0 1¼ . ¬
Werden aus den Spaltenvektoren der Zerlegungsmatrix die produktiven Aktivitäten31 ausgewählt, ergibt dies die Technikmatrix M ( vij ) , in der die produktiven Zerlegungsaktivitäten v j ( j 1,..., J ) zusammengefasst sind. Im Falle des o.g. einfachen Beispiels existieren zwei produktive Aktivitäten und somit folgende Technikmatrix:
M
ªv11 ... v1 j « « « vij « « «v I 1 v Ij ¬
... v1 J º »» » » » v IJ »¼
ª 1 0 º « 2 1» ». « «0 3» » « 2¼ ¬1
Unter Zugrundelegung der folgenden Notation
xj
ganzzahlige Entscheidungsvariable ( x j IN 0 ) für die Anzahl der Anwendungen der Demontageaktivität j (j=1,…,J)
zia
z1a Anzahl der zur Verfügung stehenden Altgeräte zia
zi
0 , für i = 2,...,I
Anzahl der erzeugten Baugruppen/Bauteile i (i=1,…,I)
ergibt sich die Massenbilanzgleichung für Demontageaktivitäten nun durch Multiplikation der Anzahl der Ausführungen von Demontageaktivität j (xj) mit dem Aktivitätskoeffizienten vij wie folgt:
31
Produktive Aktivitäten sind dadurch gekennzeichnet, dass Komponenten oder Fraktionen entstehen, also mindestens eine Komponente eines Zerlegungsvektors zi' mit z ii' ! 0 existiert (Spengler 1994).
222
8 Entsorgung J
zi
z ia ¦ x j vij IN 0
i
1,..., I
Gl. 8-1
j 1
Hierbei bezeichnen negative Aktivitätskoeffizienten v ij die durch die Demontageaktivität zerlegten Altgeräte und Komponenten, während positive Aktivitätskoeffizienten v ij die im Rahmen der Demontageaktivität erzeugten Baugruppen/Bauteile beschreiben. In dem dargestellten einfachen Beispiel werden also bei Zerlegung einer Mengeneinheit des Altgerätes i=1 unter Anwendung der Demontageaktivität v1 zwei Mengeneinheiten der Baugruppen i=2 sowie eine Mengeneinheit des Bauteils i=4 erzeugt. Bei der weiteren Zerlegung der Baugruppe i=2 unter Anwendung der Demontageaktivität v2 entstehen jeweils drei Bauteile i=3 sowie zwei Bauteile i=4.
( x1 ,..., x j ,..., x J ) IN 0J die Anzahl der Ausführungen der Demontageaktivitäten j an. Der Ausgangszustand vor der Demontage – d.h. die Anzahl der für die Zerlegung zur Verfügung stehenden Altgeräte – ist dem Vektor zia zu entnehmen. Hierbei gibt der Vektor x T
In Vektorschreibweise lässt sich die Technik T aller technisch möglichen Demontagevarianten bzw. Systemzustände wie folgt darstellen:
T
®z z ¯
J ½ z a ¦ v j x j t 0; x j IN 0 ¾ j 1 ¿
Gl. 8-2
Sie ergibt sich für das betrachtete Beispiel zu:
TBeispiel
§ 1 · § 0 · § 0 · § 0 ·½ °¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸° °¨ 0 ¸ ¨ 2 ¸ ¨ 1 ¸ ¨ 0 ¸° a ®¨ ¸, ¨ ¸, ¨ ¸, ¨ ¸¾ für z °¨ 0 ¸ ¨ 0 ¸ ¨ 3 ¸ ¨ 6 ¸° °¯¨© 0 ¸¹ ¨© 1 ¸¹ ¨© 3 ¸¹ ¨© 5 ¸¹°¿
§1· ¨ ¸ ¨ 0¸ ¨ 0¸ ¨ ¸ ¨ 0¸ © ¹
Die vorgestellte Methodik kann auf die Abbildung der Demontage mehrerer Altgerätetypen übertragen werden. Hierbei besteht der Ausgangszustandsvektor z a >z1a , , z Ia @ aus weiteren Elementen z ia ! 0 , die Technik enthält nun auch Aktivitäten für die Demontage dieser Altgeräte und der daraus entstehenden Baugruppen/Bauteile. Die benötigten Informationen in Form der vollständigen Erzeugnisstruktur sowie aller Vorrang-Nachfolger-Beziehungen als Voraussetzung für die Erstellung von Demontagegrafen mit allen potenziellen Demontageaktivitäten sind für komplexe Altgeräten im Allgemeinen nicht verfügbar. Werden empirische Untersuchungen in Form von Musterzerlegungen zur Analyse der Produktstruktur eingesetzt und sollen aus diesen die o.g. Grafen und Matrizen abgeleitet und alle Demontagemöglichkeiten modelliert werden, so zeigt sich, dass die Komplexität der Demontagegrafen kombinatorisch mit der Anzahl der Produktkomponenten sowie der auf jeder Demontageebene in Frage kommenden Demontageaktivitäten wächst (Spengler 1994). Für die Demontageplanung für eine große Anzahl unterschiedlicher Geräte ist der Entschei-
8 Entsorgung
223
dungsraum daher frühzeitig einzugrenzen, beispielsweise durch Entfernung dominierter Alternativen, Clusterung kompatibler Materialien oder Zusammenfassung ähnlicher Demontageoperationen (Spengler 1994, Johnson/Wang 1995, Kühn 2001, Walther 2005). Ausgehend von dem in diesem Abschnitt entwickelten Modell der manuellen Demontageaktivitäten wird im Folgenden ein Modell für die automatisierten Prozesse der mechanischen Aufbereitung entwickelt. Hierbei ist unter Anderem der Übergang von einer mengen- und strukturbasierten Betrachtung einzelner Geräte auf eine massen- und materialbasierte Betrachtung von Materialfraktionen erforderlich.
8.3.2 Modellierung der mechanischen Aufbereitung Die Basis für die Abbildung der mechanischen Aufbereitung bilden die stofflichen Eigenschaften der Input- und Outputobjektarten. Hierbei erfolgen die Zerkleinerung und Sortierung ganzer Altgeräte bzw. der im Rahmen der Demontage entstehenden Materialverbünde. Das Ziel der im ersten Schritt stattfindenden Zerkleinerung besteht im Aufschluss von Materialverbünden, in der Verringerung der Korngröße sowie in der Vergrößerung der Oberfläche. Hierbei werden die Prozesse des Schneidens und Brechens bzw. Mahlens unterschieden. Im Rahmen des zweiten Schrittes erfolgt das Trennen bzw. Sortieren der zerkleinerten Partikel. Dabei wird unterschieden in partikelspezifische und materialspezifische Sortierverfahren. Bei den Ersteren erfolgt die Sortierung auf der Grundlage partikelspezifischer Eigenschaften, wie geometrischer Abmessung (Sieben) oder strömungsmechanischem Verhalten aufgrund des massen-, form- und querschnittsspezifischen Widerstandes (Windsichter, Zyklon). Im Gegensatz dazu scheiden materialspezifische Sortierverfahren Partikel aufgrund unterschiedlicher Materialeigenschaften, wie Magnetismus (Magnetscheider), Dichte (Sink-Schwimm-Abscheider, Luft-, Flüssigtrenn-, Setzherde), elektrische Leitfähigkeit (Wirbelstromscheider) oder nach optischen Eigenschaften (Salhofer et al. 2000). In Abbildung 8-7 ist ein Fließbild für eine Anlage zur mechanischen Aufbereitung dargestellt. Hierbei werden der Anlage inputseitig Materialverbünde zugeführt. In jedem Prozessschritt erfolgt die Abtrennung von Materialfraktionen. Bei einer gegebenen Konfiguration der Anlage und fixierten Prozessparametern ist die Menge der resultierenden Materialfraktionen (und deren Sortenreinheit) konstant. Entscheidungsbedarf herrscht dann noch bezüglich der der Anlage zuzuführenden Masse und Zusammensetzung der Materialverbünde. Außerdem ist gegebenenfalls über Zyklen, d.h. den mehrfachen Durchlauf von Materialfraktionen durch denselben Prozessschritt, zu entscheiden. Ist die Einstellung der Prozessparameter der Anlage auch Gegenstand der Entscheidung, so resultieren nichtlineare Planungsmodelle.
224
8 Entsorgung
Input
Reinluft
Z1
Sortierapparate Z1 = Zyklon 1
S
M1= Magnet 1 W1= Wirbelstromscheider 1
Shredder
M2= Magnet 2 M1
W1= Wirbelstromscheider 2
W1
D1= Dichtesortierung 1
Fe
Al
S1= Sieb 1 D2= Dichtesortierung 2
Mühle 1 M2
Fe
W2
Al
D1
R
Cu
Fraktionen (Hauptbestandteile) Fe = Eisen Mühle 2 S1
D2
R
Al = Aluminium Cu = Kupfer R = Reststoffe
R
Cu
S = Staub
Abbildung 8-7: Fließbild einer mechanischen Aufbereitungsanlage (Ploog 2004) Zur Abbildung der Prozesse der mechanischen Aufbereitung entwickeln (Spengler et al. 2003) und (Ploog 2004) einen Ansatz auf Basis der linearen Programmierung. Hierbei wird die Abscheidung von Materialfraktionen eines Massenstromes als Abtrennprozess mit den Parametern der Vollständigkeit und der Sortenreinheit beschrieben (vgl. auch Souren 1996). Dabei gibt die Vollständigkeit der Abtrennung den prozentualen Anteil einer Komponente an, mit dem ein Redukt in eine Outputobjektart übergeht. Die Sortenreinheit beschreibt, wie rein die abgetrennte Komponente innerhalb einer Outputobjektart vorliegt. Anhand dieser Parameter lässt sich dann die Masse und die Zusammensetzung der resultierenden Materialfraktionen bestimmen. Dabei ist auch die Berücksichtigung nichtlinearer Zusammenhänge, die zwischen den Prozessparametern und der Vollständigkeit der Abtrennung existieren, möglich. Im Rahmen der Modellierung von Prozessen der mechanischen Aufbereitung ist zunächst ein Übergang von einer mengen- und strukturbasierten Betrachtung einzelner Geräte auf eine massen- und materialbasierte Betrachtung erforderlich, da im ersten Prozessschritt die Zerkleinerung der Geräte und somit die Zerstörung der Produktstruktur erfolgt. Unter Zugrundelegung folgender Notation z iIn Anzahl der Geräte der Produktvariante i (i=1,…,I)
8 Entsorgung
225
mi
Stückspezifische Masse eines Gerätes der Produktvariante i (i=1,…,I)
y iIn
Masse aller Geräte der Produktvariante i (i=1,…,I)
wird daher zunächst die Überführung der Altgerätemengen in Altgerätemassen durch Multiplikation der Anzahl der Geräte einer Variante ( z iIn ) mit den jeweiligen stückspezifischen Massen ( mi ) abgebildet. y iIn
mi z iIn
i=1,…I
Gl. 8-3
Der Übergang zu einer materialbasierten Sichtweise wird durch einen Zusammensetzungsfaktor ail modelliert, der im ersten Aufbereitungsschritt die in einem Altgerät bzw. in einem Materialverbund i enthaltenen Materialkomponenten l verteilt (Ploog/Spengler 2002). Unter Festlegung folgender Variablen
l
Index der Materialkomponenten (l=1,…,L)
y1Pl
Im ersten Prozess (k=1) erzeugte Massen einzelner Materialkomponenten l
ail
Zusammensetzungsfaktor, in Produktvariante i enthaltener Anteil der Materialkomponente l
ergibt sich im ersten Aufbereitungsschritt, einem Zerkleinerungsapparat, die Zerstörung der Produktstruktur und somit der Übergang von der zugeführten Masse der Gerätevarianten bzw. Materialverbünde i ( y iIn ) in die Massen der Materialkomponenten l ( y 1Pl ) (Ploog 2004) zu: I
y1Pl
¦a
il
y iIn
l
1,..., L
Gl. 8-4
i 1
Nach der Zerkleinerung erfolgt in den weiteren Prozessschritten k ! 1 wie in Abbildung 8-8 dargestellt die Abtrennung in Sortierapparaten.
226
8 Entsorgung
1
... k-1
M
y(Pk 1)l ¦ y(Vk 1) lm
yklP
m 1
yVklm
uklm
k
uklm yklP
M
y(Pk 1) l
yklP ¦ yVklm m 1
k+1
... K
Abbildung 8-8: Modellierung der Abtrennung in Prozessstufe k in einem Fließsystem mit K Prozessstufen (Ploog 2004) Hierfür wird folgende Notation zu Grunde gelegt: m
Index der (handelbaren) Materialfraktionen (m=1,…,M)
k
Index der Prozessschritte (k=1,…,K)
u klm
Vollständigkeit der Abtrennung der Materialkomponente l in der Materialfraktion m in Prozessschritt k
y klP
Masse der in Prozess k verarbeiteten Materialkomponente l
V y klm
Masse der den Prozess k verlassenden Materialkomponente l in Materialfraktion m
Aus der einem Sortierschritt zugeführten Masse y klP erfolgt die Abtrennung einer Materialkomponente l in Abhängigkeit der Vollständigkeit u klm . Als Output des Prozesses k resultiert daher die Masse der in einer bestimmten Materialfraktion m enthaltenen Materialkomponente V l ( y klm ) wie folgt: V y klm
u klm y klP
k
1,..., K ; l
1,..., L ; m 1,..., M
Gl. 8-5
Durch Abtrennung dieser Massen ergibt sich der dem nächsten Abtrennungsschritt zufließende Massenstrom ( y klP ) aus dem Input in den vorhergehenden Aufbereitungsschritt ( y(Pk 1 )l ) sowie der Summe aller im vorhergehenden Schritt abgetrennten Materialfraktionen. M
y klP
y (Pk 1)l ¦ y (Vk 1)lm m 1
k=2,…K; l=1,…,L
Gl. 8-6
8 Entsorgung
227
Kann die Vollständigkeit aus technischen Modellen oder empirischen Analysen ermittelt werden, so lässt sich der Materialfluss der mechanisch-verfahrenstechnischen Sortieranlage bei Kenntnis der Input-Zusammensetzungsfaktoren ail und der Inputmassen y iIn der aufgegebenen Geräte mit Hilfe dieses Stoffstrommodells beschreiben (Ploog 2004).
8.4 Modellierung integrierter Recyclingunternehmen In großen integrierten Recyclingunternehmen finden sowohl Prozesse der Demontage als auch der mechanischen Aufbereitung statt. Hierbei verfügen die Unternehmen sowohl über einen Demontagebereich als auch über eine Anlage zur mechanischen Aufbereitung. Die Entwicklung von Planungsansätzen für derartige Unternehmen bedingt daher die Notwendigkeit der Integration der Modelle zur Planung der Demontage und der mechanischen Aufbereitung. Zusätzlich sind neben den Entscheidungen über Demontagesequenz, Demontagetiefe und Optionen der mechanischen Aufbereitung simultan die im Allgemeinen sehr zahlreichen Entsorgungsmöglichkeiten für demontierte Komponenten und aufbereitete Materialfraktionen zu berücksichtigen (Lee et al. 2001). Aufgabe der Entsorgungsplanung ist daher die technoökonomische Analyse aller Entsorgungsoptionen inklusive der zugehörigen Qualitätsanforderungen sowie der erzielbaren Entsorgungserlöse bzw. -kosten (Spengler 1994). Da die Entsorgungskosten und -erlöse im Allgemeinen jedoch von der Anzahl der demontierten Komponenten bzw. der Masse der generierten Materialfraktionen abhängen, kann eine Entsorgungsplanung erst nach der Demontage- und Aufbereitungsplanung durchgeführt werden. Umgekehrt sind jedoch Informationen über Entsorgungskosten und -erlöse Voraussetzung für die Ermittlung der Demontagetiefe und die Festlegung der im Rahmen der mechanischen Aufbereitung anzuwendenden Prozesse (Spengler 1994). Zur Lösung dieses Planungsdilemmas erweitert (Spengler 1994) das aktivitätsanalytische Modell zur Demontageplanung um eine Entsorgungsplanung zur Abbildung mehrerer zulässiger Verwertungsalternativen pro Produktkomponente, wobei die Abbildung der Entsorgungsplanung als 1-stufiges Transportproblem erfolgt. Den Ansatz der Demontage- und Entsorgungsplanung von (Spengler 1994) überträgt (Ploog 2004) auf die operative Planung eines integrierten Recyclingbetriebs für Elektro(nik)altgeräte. Dieses Modell soll im Folgenden vorgestellt werden.
8.4.1 Allgemeines Stoffstrommodell Hierbei erweitert (Ploog 2004) die o.g. Notation wie folgt:
Q
Index der Quellen (q=1,…,Q)
S
Index der Senken (s=1,…,S)
T
Index der Perioden (t=1,…,T)
228 Ein yiqt
8 Entsorgung Masse des Materialverbundes32 i, die in der Periode t dem Beschaffungslager aus der Quelle q zugeführt wird
y
A it
Masse des Materialverbundes i, die in der Periode t aus dem Beschaffungslager der Verarbeitung zugeführt wird
y itD
Masse des Materialverbundes i nach der Demontage in der Periode t
y itIn
Intern recycelte Masse des Materialverbundes i in der Periode t es gilt: y iIn
y
Aus it
y
Ex ist
0 , wenn i schadstoffhaltig ist
Masse des Materialverbundes i, die in der Periode t aus der Demontage dem Absatzlager zugeführt wird Masse des Materialverbundes i, die in der Periode t aus dem Absatzlager der Senke s zugeführt wird
P y klt
Massen der in Periode t in Verfahrensschritt k verarbeiteten Materialkomponente l
V y klmt
Masse der Materialkomponente l in der in Prozessschritt k abgetrennten Materialfrak-
x jt
Anzahl der Anwendungen der Demontageaktivität j in der Periode t
LEin it
Masse des Lagerbestands von Materialverbund i im Beschaffungslager zum Ende der Periode t
LitAus
Masse des Lagerbestands von Materialverbund i im Absatzlager zum Ende der Periode t
tion m in der Periode t
y
Ein iqt
t0
Eingangslager
yitAus
yitA t 0 Demontage
Ausgangslager
yistEx t 0
yitIn t 0 Aufbereitung
V t0 yklmt
Abbildung 8-9: Allgemeines Stoffstrommodell eines integrierten Recyclingunternehmens (Ploog 2004) Im Modell wird – wie auch in Abbildung 8-9 dargestellt – davon ausgegangen, dass Bestände Aus lediglich im Beschaffungslager ( LEin it ) sowie im Absatzlager ( Lit ) zugelassen sind. Hierbei werden im Absatzlager nur die im Rahmen der Demontage gewonnenen Komponenten 32
Hierbei umfasst der Begriff Materialverbund in diesem Modell sowohl die einzelnen Varianten der Geräte auf der Inputseite des Unternehmens, als auch die im Rahmen der Demontage generierten Komponenten und Demontagefraktionen sowie die im Rahmen der mechanischen Aufbereitung erzeugten Materialfraktionen.
8 Entsorgung
229
( yitAus ) gelagert, für die aus den Prozessschritten der mechanischen Aufbereitung gewonnenen V Materialfraktionen y klmt wird ein Absatz direkt an eine Senke angenommen (Ploog 2004). Insgesamt müssen als Eingangsdaten lediglich die Input-Output-Kombinationen für die Demontageaktivitäten vij , die Zusammensetzungen ail sowie die Vollständigkeiten der Abtrennung uklm bekannt sein.
Ein Vom Beschaffungsmarkt gelangen Massen yiqt aus verschiedenen Quellen in das Beschaf-
fungslager. Von dort wird die Demontage mit der Masse y itA beliefert. Q
LEin it
Ein A LEin i ( t 1 ) ¦ y iqt y it
i
1,..., I
t
1,..., T
Gl. 8-7
q 1
Durch die Anzahl x jt der Demontageaktivität j wird das Ausmaß der Demontage der Geräte bestimmt. J
yitD
yitA ¦ x jt vij
i
1,..., I
t
1,..., T
Gl. 8-8
j 1
Nach der Demontage erfolgt die Weitergabe der generierten Stoffströme, wobei eine bestimmte Masse y itIn an die interne Aufbereitung des Unternehmens gegeben wird und ein weiterer Anteil y itAus in das Ausgangslager fließt. y itD
y itIn y itAus
i
1,..., I
t
Gl. 8-9
1,..., T
Im Rahmen der mechanischen Aufbereitung erfolgt wie oben dargestellt zunächst der Aufschluss der Materialverbünde i in einzelne Materialkomponenten l durch Zerkleinerungsprozesse. I
y1Plt
¦a
il
y itIn
l
1,..., L t
1,..., T
Gl. 8-10
i 1
Die an den nächsten Verfahrensschritt der mechanischen Aufbereitung weitergegebenen MasP sen ( y klt ) berechnen sich über die dem vorhergehenden Verfahrensschritt zugeführten Massen P ( y k 1 lt ) abzüglich der im Rahmen der Trennprozesse generierten Massen ( yVk 1 lmt ). M
P y klt
y Pk 1 lt ¦ y Vk 1 lmt
k
2,..., K l
1,..., L t
1,..., T
Gl. 8-11
m 1
Hierbei erfolgt in einem Verfahrensschritt k die Verarbeitung der Masse y kltP mit dem Ziel der Gewinnung der Materialkomponente l in Materialfraktion m für den Absatz am Markt. V y klmt
P u klm y klt
k
1,..., K l
1,..., L m 1,..., M t
1,..., T
Gl. 8-12
Aus dem Absatzlager werden schließlich die verschiedenen Abnehmer für Geräte/Materialverbünde mit der Masse y istEx beliefert. S
LitAus
Aus LiAus ¦ y istEx ( t 1) y it s 1
i
1,..., I t
1,..., T
Gl. 8-13
230
8 Entsorgung
Hierbei ist die Ganzzahligkeit von Geräten und Demontageaktivitäten zu berücksichtigen, wobei mi die Masse eines Objektes von Gerätevariante/Materialverbund i widerspiegelt: Ein y itD y itIn y itA y istEx y iqt LitAus LEin , , , , , , it , x jt N 0 mi mi mi mi mi mi mi
y itAus Z0 mi
Gl. 8-14
8.4.2 Hierarchisches Planungskonzept für integrierte Recyclingunternehmen Das in Kapitel 8.4.1 vorgestellte allgemeine Stoffstrommodell eines integrierten Recyclingunternehmens bildet die Grundlage für die Entwicklung quantitativer Planungsmodelle auf verschiedenen Planungsebenen. So entwickelt Ploog (2004) ein Konzept zur hierarchischen Planung integrierter Recyclingunternehmen mit den Ebenen der Losgrößenplanung, der Feinplanung sowie der Steuerung (Ploog 2004). Hierbei erfolgt im Rahmen der Losgrößenplanung eine simultane Beschaffungs-, Demontagetiefen- und Absatzplanung auf Basis von Prognosen, Bestellungen und Angeboten. Im Rahmen der Feinplanung erfolgt die Koordinierung zwischen Beschaffung, Behandlung und Absatz. Die zentrale Aufgabe der Steuerung besteht in der Erfassung und Auswertung der Betriebsdaten sowie der Einstellung von Prozessparametern in der mechanischen Aufbereitung. Hierbei erfolgen auf den einzelnen Planungsebenen die in Tabelle 8-2 dargestellten Vereinfachungen des vorgestellten Stoffstrommodells. Tabelle 8-2:
Vereinfachungen der Planungsmodelle im Rahmen des hierarchischen Planungskonzeptes für ein integriertes Recyclingunternehmen
Stoffstrommodell (Kapitel 8.4.1) Ganzzahligkeit + Linearität + Perioden T Perioden Aufträge
Q Aufträge S Bestellungen
Losgrößenplanung + T Perioden Q Aufträge S Bestellungen
Feinplanung (Beispiel Kapitel 8.5) + +
-
-
-
Intern verfügbare Geräte in Beschaffungslager Interne Bestellungen vom Absatzlager -
Zu verarbeitende Geräte aufgrund der Feinplanung
Beschaffungslager Beschaffungslager Absatzlager Absatzlager Demontage J Demontageaktivitäten J Demontageaktivi- J Demontageaktivitäten täten Aufbereitung K Prozessstufen K Prozessstufen Materialien L Materialkomponenten M Materialfraktio- M Materialfraktionen M Materialfraktionen nen Lager
Steuerung
K Prozessstufen L Materialkomponenten M Materialfraktionen
Das Planungsmodell eines integrierten Recyclingunternehmens wird im Folgenden exemplarisch für den Planungsschritt der Feinplanung auf Tagesbasis angewandt. Hierbei besteht die Zielsetzung in der Maximierung des Deckungsbeitrags. Dieser setzt sich aus den Annahmeerlösen (bzw. -kosten), Demontageerlösen (bzw. -kosten), Erlösen (bzw. Kosten) für Materialfraktionen nach der Aufbereitung und den variablen Demontage- und Aufbereitungskosten
8 Entsorgung
231
zusammen. Eine Entscheidungsunterstützung erfolgt bezüglich der Art und Anzahl der zu behandelnden Altgeräte, der Anzahl der auszuführenden Demontageaktivitäten sowie der Einlastung in die mechanische Aufbereitung. Wie in Tabelle 8-2 dargestellt wird im Rahmen der Feinplanung von der im Stoffstrommodell vorgestellten periodenbezogenen Betrachtung sowie von der expliziten Betrachtung der Materialkomponenten abstrahiert. Zudem werden die Lager als außerhalb der Systemgrenzen liegend angenommen. Für eine detaillierte Darstellung vergleiche (Spengler et al. 2003, Ploog 2004).
8.5 Fallbeispiel: Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens Die Electrocycling GmbH verfügt über eine Verarbeitungskapazität von bis zu 30.000 t und ca. 130 Mitarbeiter und gehört damit zu den größten Recyclingunternehmen für Elektro(nik)altgeräte in Europa. Das Unternehmen verfügt wie in Abbildung 8-10 dargestellt sowohl über Demontagelinien, als auch über eine trockenmechanische Aufbereitungsanlage mit verschiedenen Zerkleinerungs- und Sortierstufen. Im Rahmen der Sortierung werden über verfahrenstechnische Trennverfahren Eisen-, Kupfer-, Aluminium- und Kunststofffraktionen gewonnen. Bahnverladung
leichter E-Schrott
Waage (Gebinde)
Lager
Abwurfbunker für die 6m Ebene
Zerlegung 6 m Ebene
50 m
Mechanische Aufbereitung schwerer Schrott Schwerzerlegung
Fahrzeugwaage WarenEingang
1
140 m schwerer Schrott
technische Einrichtungen und schwerer E-Schrott
schwerer Schrott (demontiert)
schwerer Schrott (vorzerkleinert)
Freilager für geschütteten E-Schrott
Schrottschere
Abbildung 8-10: Schemata der Demontage- und Aufbereitungsbereiche der Electrocycling GmbH (Spengler/Herrmann 2004) Eine Analyse der Materialflüsse für das Geschäftsjahr 1999/2000 ist in Abbildung 8-11 gegeben. Die dargestellten Mengenströme beziehen sich auf eine Bearbeitungskapazität von 20.000 Tonnen.
232
8 Entsorgung
Materialfluss Wareneingang LES und MES 21,9%
Bildröhren 0,3 %
Zerlegung Linie 1-3 1,10 % Fe 1,35 % NE 0,57 % Schadstoffe 1,85 % Abfall 0,58 % Kabel
3,31 %
EK 30,6 %
für externe Zerlegung
Zerlegung Linie 4 EK 41,17 %
EK 11,92 % Kunststoff 0,27 %
Bildröhren 1,38 %
Bildröhrenaufbereitung
Kunststoffmahlung
3,82 % Fe 0,81 % NE 0,09 % Schadstoffe 0,29 % Abfall 1,01 % Kabel
Mechanische Aufbereitung 43,95 % Fe 20,86 % NE 18,89 % Abfall
Funktionsteile 2,89 %
Ausgang Funktionsteile
SES 47,20%
Warenausgang 0,27 % Kunststoff 48,86 % Fe 23,02 % NE 0,66 % Schadstoffe
21,03 % Abfall 1,59% Kabel 1,68 % Glas
Abbildung 8-11: Materialflussbilanz der Electrocycling GmbH (Spengler/Herrmann 2004, Ploog 2004)
8.5.1 Daten Als Grundlage für die Ableitung der Demontageaktivitäten werden Musterzerlegungen (Kühn 2001), Simulationsergebnisse (Hesselbach/Herrmann 2001, Herrmann 2003) sowie offiziell verfügbare Recyclingpässe mit den darin enthaltenen grafischen und tabellarischen Darstellungen der in einem Altgerät enthaltenen Materialien (Spengler et al. 2004) herangezogen (vgl. hierzu auch Walther 2005). In Tabelle 8-3 sind die Input-Output-Beziehungen für die Anwendung der unternehmensspezifischen Demontageaktivitäten gegeben. Hierbei beschreibt der Index i sowohl die verfügbaren Altgeräte (i = 1,…,6) als auch die gewinnbaren Bauteile und Materialverbünde (i = 7,…,29). Mit dem Index j (j=1,…,10) werden die potenziellen Demontageaktivitäten beschrieben. Wie im Rahmen der Vorstellung des Demontagemodells bereits erläutert, beschreiben negative Aktivitätskoeffizienten die durch die Demontageaktivität zerlegten Altgeräte, während positive Aktivitätskoeffizienten die im Rahmen der Demontageaktivität erzeugten Bauteile und Materialverbünde darstellen. Des Weiteren können der Tabelle die für die Demontageaktivitäten jeweils benötigten Zeitbedarfe und Kosten entnommen werden.
8 Entsorgung
233
Tabelle 8-3:
Input-Output-Matrix für Gerätevarianten/Komponenten in den Demontageakti-
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
26 27 28 29
0 0 0 0
0 0 0 0
0 0 0 0,5
t Zj [h/Aktivität]
0,1
0,03
0,03
t c [€/Aktivität]
2,5
0,75
0,75
Schaltschrank offen Schaltschrankrahmen Telefonhörer ABS Zeitbedarf Kosten
Z j
Z
Mobiltelefon Leiterplattenentnahme
0 3,2 0,4 0 0 0 0 0,4 0 0 0 0
Mobiltelefon Akkuentnahme
0 6,25 3,75 0 0 0 0 1,25 0 0 0 0
Schaltschrank Funktionsteilgewinnung
3
0 -4 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
Schaltschrank Leiterplattenentnahme
2
-25 0 0 0 0 0 0 0 0 13,75 0 0 0
Schaltschrank öffnen
j=1
Telefonzerlegung
PC Schadstoffentfrachtung
vij i=1 Fernseher 2 Videorekorder 3 Personal Computer 4 Telefon 5 Schaltschrank 6 Mobiltelefon 7 Batterie 8 Gehäuseteile Schaltschrank 9 Akku 10 Bildröhre 11 CD-Laufwerk 12 PC ohne Batterie 13 PC o. Laufwerke/Leiterplatten 14 Festplatte 15 Mischelektronik 16 Gehäuseteile 17 Telefonunterteil 18 Mobiltelefonkorpus 19 Mobiltelefonrückstand 20 Leiterplatte (wertvoll) 21 Leiterplatte (billig) 22 Leiterplatte (normal) 23 Schaltschrankkomponenten 24 Telefonoberteil 25 Schaltschrank o. Leiterplatten
PC Funktionsteilgewinnung
Videorekorderzerlegung
Massen in [kg/Aktivität]
Fernseherzerlegung
vitäten (Ploog 2004)
4
5
6
7
8
9
10
0 0 0 -1,5 0 0 0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 -100 0 0 5 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 -0,2 0 0 0,1 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
0,2 0 0 0 0 0 0 0 0,96 0 0 0
0 0 0 0,6 0 0 0 0 0 0 0,45 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 4,7 0 0 0 0 0 0 9,025 0 0 90,3 -90,3
0 0 0 0 0,1 0 0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 -0,1 0,05 0 0 0,05 0 0 0
0 0 0 0
0 0 0,45 0
95 0 0 0
-95 0 0 0
0 81,23 0 0
0 0 0 0
0 0 0 0
0,02 0,006
0,01
0,05
0,05 0,005 0,015
0,5
0,25
1,25
1,25 0,125 0,375
0 0 0 0 -10 0 0 0 0 0 0 0 0,05 0 0 0 0 0 0 0 0 0,2 9,45 -9,45 0 8,09
0,15
Im Rahmen der Fallstudie können die für die Modellierung der mechanischen Aufbereitung planungsrelevanten Informationen zur Vollständigkeit der Abtrennung in den einzelnen Verfahrensschritten aus empirischen Daten der Anlage gewonnen werden. Im Grundfließbild in Abbildung 8-12 sind hierbei die im Rahmen der einzelnen Prozessschritte jeweils abgetrenn-
234
8 Entsorgung
ten Materialfraktionen dargestellt, Informationen bezüglich der Koeffizienten zur Beschreibung der Vollständigkeit der Abtrennung sowie der für jeden Prozessschritt spezifischen Kosten sind in Tabelle 8-4 gegeben. Für eine detaillierte Darstellung der Ableitung dieser Informationen vergleiche (Ploog 2004). a) Fließbild
k=1
m=4
1
Shredder
Staub
k=2 2
Magnet 1
Fe-Recycling
m=3
Wirbelstromscheider 1
Al-Recycling
m=2
Fe-Recycling
m=3
k=3 3
Mühle 1
k=44
Magnet 2
m=2 m=4
Al-Recycling Beseitigung
Wirbelstromscheider 2
k=5 5
Dichtesortierung 1
k=6 6
Mühle 2
k=7 7
Sieb
Beseitigung
k=8 8
Dichtesortierung 2
Cu-Recycling Beseitigung
Cu-Recycling
m=1
m=4 m=1 m=4
Abbildung 8-12: Fließbild der Anlage der Electrocycling GmbH (verändert nach Ploog 2004) Tabelle 8-4: Vollständigkeit der Abtrennung und Kosten der einzelnen Prozessschritte der mechanischen Aufbereitung (verändert nach Spengler et al. 2003) Prozessschritt Material Vollständigkeit der Abtrennung Materialpreis
k=
1
2
3
4
4
4
5
7
8
8
m=
4
3
2
2
3
4
1
4
1
4
kg/kg
0,3
0,75
0,75
1
1
0,45
0,7
0,22
1
1
€/kg
-0,15
0,05
1
1
0,04
-0,15
1,5
-0,15
1,5
-0,1
8.5.2 Ergebnisse Auf Basis der dargestellten Daten erfolgt die Anwendung des Planungsmodells mit den beschriebenen Anpassungen für die Feinplanung. Als Ergebnisse der Planung resultieren als Zielfunktionswert der für den jeweiligen Tag erzielbare Deckungsbeitrag und als Entscheidungsvariablen die Art und Anzahl der zu behandelnden Gerätevarianten, die Anzahl der an-
8 Entsorgung
235
zuwendenden Demontageaktivitäten sowie die Art und Masse der einer mechanischen Aufbereitung zuzuleitenden Materialverbünde. In Tabelle 8-5 ist als Ergebnis der Feinplanung zunächst die Anzahl der im Rahmen der Demontage – beispielsweise zur Entfernung von Schadstoffen oder zur Gewinnung von Materialverbünden – auszuführenden Demontageaktivitäten dargestellt. So wird beispielsweise die Aktivität der Demontage der Fernsehgeräte (i=1) 120 mal ausgeführt, es werden somit alle zur Verfügung stehenden Fernsehgeräte zerlegt. Die entstehenden Bildröhren (i=10), Gehäuseteile (i=16) sowie Leiterplatten (billig) (i=21) werden extern abgesetzt. Sowohl der Videorekorder (i=2) als auch die Telefone (i=4) werden direkt in der mechanischen Aufbereitung verwertet. Im Fallbeispiel kann ein Deckungsbeitrag von 2.906 € erzielt werden. Wie bereits im Fallbeispiel in Kapitel 3 resultiert auch hier der größte Beitrag aus Annahmeerlösen für Altgeräte. Tabelle 8-5:
Lösung der Feinplanung – ausgeführte Demontageaktivitäten (Ploog 2004)
Demontageaktivität j 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Input
Ausgeführte Demontageaktivitäten (=demontierte Teile) x j
Fernseher Videorekorder Personal Computer PC ohne Batterie Telefon Schaltschrank Schaltschrank offen Schaltschrank ohne Leiterplatten Mobiltelefon Mobiltelefonkorpus
120 0 30 30 0 20 20 0 2.060 0
In Tabelle 8-6 erfolgt der Vergleich der unter Einsatz des Optimierungsmodells zur Feinplanung erzielbaren Ergebnisse mit intuitiven, auf Prioritätsregeln basierenden Konzepten. Hierbei zielt das Konzept “Re-Use” auf hohe Erlöse aus den im Rahmen der Demontage gewonnenen Komponenten ab (vgl. Kapitel 7). Hierbei werden alle Demontageaktivitäten durchgeführt, mit denen positive Komponentenerlöse erzielt werden können. Es wird deutlich, dass der bei Anwendung dieses Konzeptes erzielbare Deckungsbeitrag von 2.411 € deutlich geringer ist, als der im Rahmen der Optimierung erzielbare Zielfunktionswert. Der Grund liegt darin, dass die Prioritätsregel zur Demontage einer geringeren Menge an Fernsehgeräten führt, obwohl für diese Geräte hohe Annahmepreise erzielt werden können. Im Rahmen des zweiten Konzeptes “Annahmeerlöse” werden die Geräte in der Reihenfolge der erzielbaren Annahmeerlöse verarbeitet. Hierbei werden nur Demontageaktivitäten zur Entfernung schadstoffhaltiger Bauteile ausgeführt, eine Gewinnung von Komponenten erfolgt nicht. Auch hier kann mit 2.557 € ein deutlich geringerer Deckungsbeitrag als bei der Optimierung erzielt werden.
236
8 Entsorgung
Tabelle 8-6:
Vergleich unterschiedlicher Lösungsverfahren für die Feinplanung (verändert nach Ploog 2004)
Lösungsverfahren
"Optimierung"
Charakterisierung Annahmeerlöse Erlöse Demontageprodukte Erlöse Aufbereitungsprodukte Demontagekosten Aufbereitungskosten Zielfunktionswert Gewählte Materialverbünde Fernseher Videorekorder Personal Computer Telefon Schaltschrank Mobiltelefon Besonderheiten bei Demontage
Besonderheiten bei Aufbereitung
"Re-Use"
"Annahmeerlöse"
Optimierung in einem Intuitive Generierung von Intuitive Wahl von gemischt-ganzzahligen Komponenten mit Produkten mit hohen linearen Modell positivem Wert Annahmeerlösen
i=1 i=2 i=3 i=4 i=5 i=6
3.067 € -105 € 788 € 625 € 219 € 2.906 € [kg] 3.000 2.000 300 600 2.000 412
2.511 € 15 € 729 € 625 € 220 € 2.411 € [kg] 2.450 1.496 300 2 2.000 500 Demontage wird ausgeführt, bis alle Teile mit positivem Wert gewonnen sind.
3.141 € -145 € 419 € 625 € 233 € 2.557 € [kg] 3.000 2.000 160 600 600 500 Nur Pflichtdemontagen
Aufbereitung aller Aufbereitung aller Teile Teile mit negativem mit negativem Wert Wert
Insgesamt wird deutlich, dass durch die Anwendung des Optimierungsmodells zur Feinplanung eines integrierten Recyclingunternehmens gegenüber intuitiven Konzepten ein um mindestens 10 % höherer Deckungsbeitrag erzielt werden kann. Dies bestätigt sich, wie in (Ploog 2004) dargestellt, auch bei Zugrundelegung anderer Datensätze. Insgesamt wird an diesem Fallbeispiel die Bedeutung und Vorteilhaftigkeit der vorgestellten Planungsansätze zur Demontage und mechanischen Aufbereitung deutlich.
8.6 Fazit Am Ende des Produktlebenszyklus ist die ordnungsgemäße Behandlung komplexer Geräte erforderlich. Hierbei erfolgt die Auflösung der Produktstruktur durch Demontage und mechanische Aufbereitung mit dem Ziel der Schadstoffentfrachtung der Geräte sowie der Gewinnung und stofflichen bzw. energetischen Verwertung von Materialfraktionen. Im Rahmen dieses Kapitels wurden daher verschiedene Möglichkeiten zur Modellierung von Aktivitäten zur Demontage und mechanischen Aufbereitung aufgezeigt, wobei besonders dem Charakteristikum der divergierenden Produktstrukturen Rechnung getragen wurde. Die Notwendigkeit der Integration der Planung von Demontage- und Aufbereitungsprozessen mit der Planung von Entsorgungsprozessen ergibt sich hierbei aus der Interdependenz von Entscheidungen
8 Entsorgung
237
bezüglich der auszuwählenden Aktivitäten der Demontage und mechanischen Aufbereitung sowie bezüglich der zu generierenden Materialfraktionen. Die Anwendung der Planungsmodelle auf ein integriertes Recyclingunternehmen im Rahmen der Fallstudie verdeutlicht die Vorteilhaftigkeit der vorgestellten Modellierungsansätze. Mit diesem Kapitel ‚Entsorgung‘ wurde die letzte der entscheidungsrelevanten Produktlebenszyklusphasen behandelt. In den vorhergehenden Kapiteln erfolgte zunächst die Vorstellung von Planungsansätzen für die Produktentwicklung (Kapitel 5), für die Produktion (Kapitel 6) und die Nutzung (Kapitel 7). Die vorgestellten Ansätze verfolgen hierbei in der Regel eine akteursspezifische Sichtweise und setzen somit eine zentrale Koordination der Stoffströme voraus. Notwendig ist daher ein zentraler Entscheidungsträger, der über alle relevanten Informationen verfügt und die jeweiligen Planungsentscheidungen in seinem Sinne beeinflussen kann. Dies ist für akteursspezifische Planungsaufgaben gegeben. Allerdings bestehen in der Regel Interdependenzen zu Planungsproblemen anderer Lebenszyklusphasen und somit zu Entscheidungen anderer Akteure. Im Falle von interdependenten Entscheidungen zwischen unabhängigen Unternehmen und verteilten Informationen können die Zielfunktionen der jeweiligen Entscheidungsträger gegenläufig sein und sich von den Zielen zur optimalen Koordination des Gesamtsystems unterscheiden. Basierend auf den hier vorgestellten Planungsansätzen sind daher Mechanismen der dezentralen Entscheidungsunterstützung zu entwickeln, die eine Koordination der Planungsaufgaben in Wertschöpfungsnetzwerken so erlauben, dass die Ergebnisse möglichst wenig vom globalen Optimum bei zentraler Koordination abweichen. Derartige Ansätze werden im folgenden Kapitel vorgestellt.
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
9
239
Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Die bisher vorgestellten Planungsansätze fokussieren auf physische, stoffstrom- und transformationsbasierte Aspekte entlang des Produktlebenszyklus. Hierbei wird zunächst davon ausgegangen, dass diese Modelle von einem zentralen Entscheidungsträger mit vollständiger Information und Entscheidungsgewalt eingesetzt werden. Erfolgt allerdings die Anwendung interdependenter Planungsmodelle in unabhängigen Unternehmen bzw. bei Vorliegen überbetrieblicher Leistungserstellungsprozesse, erfordert dies über die vorgestellten stoffstrombasierten Planungsmodelle hinaus Ansätze zur Koordination der unabhängigen Entscheidungsträger. Im folgenden Kapitel soll die bisherige Sichtweise daher um institutionelle, transaktionsbasierte Aspekte erweitert werden. Hierbei wird insbesondere auf Ansätze zur Koordination im Rahmen des überbetrieblichen Leistungsaustauschs fokussiert, d.h. auf die Abstimmung von Aktivitäten in einem arbeitsteiligen System in Bezug auf ein übergeordnetes Gesamtziel. Im Folgenden werden in Kapitel 9.1 zunächst Beispiele für die Notwendigkeit der Koordination speziell in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken gegeben sowie Anforderungen an Koordinationsansätze in derartigen Netzwerken in Bezug auf Akteure, Stoffströme und Zielsetzungen abgeleitet. Basierend auf diesen spezifischen Anforderungen erfolgt dann in Kapitel 9.2 allgemein die Vorstellung der Grundlagen des Leistungsaustauschs sowie der Koordination in Unternehmensnetzwerken. Eine Analyse bestehender Ansätze zur Koordination von Unternehmensnetzwerken bzw. Supply Chains zeigt, dass aggregierte Ansätze der Kontrakttheorie die Objektebene und somit die Stoffströme vernachlässigen. Vor dem Hintergrund der Relevanz der Stoffströme in Bezug auf die Zielsetzungen einer nachhaltigen Entwicklung erscheinen daher Ansätze zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle zur konkreten Entscheidungsunterstützung besonders geeignet. Die Anwendung derartiger Ansätze erfolgt abschließend in Kapitel 9.3 an einem Fallbeispiel, bevor ein Fazit in Kapitel 9.4 gezogen wird.
9.1 Anforderungen an die Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Speziell in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken lassen sich vielfältige Probleme der Koordination beobachten. Derartige Probleme sollen im Folgenden exemplarisch entlang des Produktlebenszyklus vom Zulieferer bis zum Entsorgungsunternehmen aufgezeigt werden.
9.1.1 Kooperationen entlang des Produktlebenszyklus Bisher werden in der Literatur zum Supply Chain Management vor allem bilaterale Zulieferer-Hersteller-Beziehungen unter ökonomischen Zielsetzungen untersucht (vgl. hierzu
240
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Cachon 2003). Eine Erweiterung derartiger Netzwerke im Sinne der Nachhaltigkeit stellen beispielsweise Zulieferer-Hersteller-Beziehungen dar, in denen der Einsatz indirekter Materialien (z.B. Lacke, Lösemittel) reduziert oder die Qualitäten der Stoffströme modifiziert werden sollen (z.B. Reduktion des Lösemittelanteils in Lacken) (Corbett/DeCroix 2001). Bei Festlegung klassischer Festpreisverträge strebt der Hersteller die Reduktion des Verbrauchs der indirekten Materialien an, während der Zulieferer an einer Erhöhung der Absatzmenge und somit einem Mehrverbrauch dieser Materialien interessiert ist. Dies ist weder in Hinblick auf die ökonomischen Ziele der Partnerschaft noch vor dem Hintergrund der resultierenden Umweltwirkungen effizient. Im Rahmen der Koordination sind daher sowohl die zwischen den Akteuren auftretenden Zielkonflikte als auch die zwischen den Zielfunktionen der Einzelakteure auftretenden Interdependenzen zu berücksichtigen. Auf der Wertschöpfungsstufe der Herstellung wird derzeit im Rahmen der aktuellen Diskussion über eine europäische Richtlinie zur Begrenzung fahrzeugspezifischer CO2-Emissionen beispielsweise die Bildung von Herstellerpools diskutiert. Emissionsstandards wären dann über die gesamte Flotte aller Hersteller eines Pools einzuhalten (Europäische Kommission 2007b). Hierbei handelt es sich um horizontale Netzwerke, in denen Unternehmen einer Branche und Wertschöpfungsstufe zu koordinieren sind. Da es sich bei den Unternehmen zumeist um direkte Wettbewerber handelt, wird die Koordination derartiger Netzwerke zusätzlich erschwert. Im Rahmen der Verlängerung der Nutzungsphase hochwertiger, komplexer Geräte (z.B. ITSysteme, Medizingeräte) kooperieren Unternehmen zur Redistribution und Aufarbeitung mit den Herstellern dieser Geräte (Spengler/Herrmann 2004). Hierbei ist die Menge und der Zustand der zurückgenommenen oder aufgekauften Altgeräte mit der Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten abzustimmen (vgl. Kapitel 7). Dies gestaltet sich bereits komplex, wenn alle Aktivitäten von einem Akteur durchgeführt werden. Sind an derartigen Aufarbeitungssystemen allerdings mehrere Akteure beteiligt, stellt dies hohe Anforderungen an die Koordination. Auf der Wertschöpfungsstufe der Entsorgung besteht beispielsweise in diagonalen Verwertungsnetzwerken (Industriesymbiosen, Eco-Industrial Parks), in denen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Wertschöpfungsstufen zusammenarbeiten (Kaluza/Blecker 1996, Strebel 1998, Schwarz 1998), hoher Abstimmungsbedarf. Hierbei bildet der Output eines Unternehmens (z.B. REA-Gips als Output der Rauchgasreinigung eines Kraftwerks) den Input eines anderen Unternehmens (z.B. REA-Gips als Input der Gipskartonfabrik). Zur Gewährleistung der Ver- bzw. Entsorgungssicherheit der Akteure ist im Rahmen des Leistungsaustauschs eine Abstimmung zwischen den Unternehmen bezüglich der Mengen und Qualitäten der Austauschobjekte sowie des Zeitpunkts des Leistungsaustauschs notwendig (Kaluza et al. 2001). Dies gilt auch für bilaterale Hersteller-Recycler-Kooperationen mit dem Ziel des Materialrecyclings (Spengler 1998). Darüber hinaus sind in horizontalen Demontagenetzwerken für Altfahrzeuge, Batterien oder Elektro(nik)altgeräte unternehmensübergreifend Restriktio-
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
241
nen bezüglich der Flächendeckung, der Einhaltung von Recyclingquoten oder der Mindestsammel- und -behandlungsmengen zu erfüllen (Walther et al. 2008c, 2009d, Walther/Spengler 2004).
9.1.2 Anforderungen an die Koordination Anhand dieser Beispiele lassen sich die folgenden Anforderungen an die Koordination in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken ableiten. x Nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke verfügen häufig über eine Vielzahl an Akteuren, die gleichzeitig zu koordinieren sind. Beispiele hierfür stellen Industrial Parks bzw. Industriesymbiosen dar, in denen eine Vielzahl an Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Wertschöpfungsstufen zusammenarbeiten, dasselbe gilt für horizontale Netzwerke. Auf jeder Wertschöpfungsstufe sind daher im Rahmen der Koordination die Entscheidungskalküle aller Entscheidungsträger zu berücksichtigen und geeignete Zielfunktionen zu entwickeln. Die Grundlage hierfür bildet eine unternehmensspezifische Analyse und Bewertung der entscheidungsrelevanten Aktivitäten und Stoffströme. x Zudem lassen sich in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken komplexe Prozesse der Leistungserstellung beobachten. So sind beispielsweise nicht nur Produktionsprozesse unabhängiger Unternehmen zu koordinieren, sondern zusätzlich auch Prozesse der Verwertung von Stoffströmen sowie der Aufarbeitung von Produkten zu integrieren. Eine derartige Kopplung von Ver- und Entsorgungsprozessen resultiert in einer deutlich erhöhten Komplexität bezüglich der zeitlichen und qualitativen Anforderungen an den Leistungsaustausch. x Zusätzliche Komplexität lässt sich hinsichtlich der Austauschobjekte in Form der Stoffströme beobachten. Im Rahmen der Nachhaltigkeit spielen hierbei nicht nur die Menge der Objekte und der Zeitpunkt des Leistungsaustauschs eine Rolle, sondern auch die Qualität der Stoffströme in Form der Inhaltsstoffe. Hieraus ergibt sich die Forderung nach einer expliziten Prozess- und Stoffstromorientierung von Ansätzen zur Koordination derartiger Netzwerke. x Neben diesen Produkteigenschaften sind zudem Anforderungen an die zur Herstellung der Produkte eingesetzte Technik der Partner im Sinne des produktionsintegrierten Umweltschutzes zu berücksichtigen. Hierbei sollten beispielsweise vorwiegend Sekundärrohstoffe Einsatz finden oder bestimmte Emissionen vermieden werden. Das Selbe gilt für die Einhaltung von sozialen Standards in der Produktion, z.B. in Form eines Verbotes von Kinderarbeit. Können die Eigenschaften von Gütern des Leistungsaustauschs durch die belieferten Netzwerkpartner überprüft werden, so ist dies für die Charakteristika des Leistungserstellungsprozesses nicht immer gegeben.
242
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
x Insbesondere in horizontalen Netzwerken einer Branche und Wertschöpfungsstufe, aber auch in vertikalen Strukturen ist davon auszugehen, dass die Unternehmen nicht bereit sind, lokale Informationen bezüglich Kosten, Kapazitäten etc. netzwerkweit zur Verfügung zu stellen. Hierbei muss daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Informationsasymmetrie zwischen den Netzwerkakteuren herrscht. x Nicht zuletzt sind in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken zusätzlich zu den ökonomischen Zielfunktionen der Netzwerkpartner auch ökologische und soziale Zielsetzungen als Haupt- oder Nebenziele bzw. als Anspruchsniveau zu berücksichtigen sowie alle durch die Lenkungssysteme vorgegebenen Anspruchsniveaus vor dem Hintergrund der rechtlichen, technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen umzusetzen. Zielsetzungen können hierbei in einer Minimierung des Ressourcenverbrauchs bzw. der entstehenden Emissionen oder in einer Erhöhung der Ressourcen- oder Energieeffizienz bestehen.
9.2 Koordination in Netzwerken Auf Basis dieser Anforderungen werden im Folgenden bestehende Ansätze zur Koordination von Unternehmensnetzwerken untersucht. Hierbei werden zunächst die Grundlagen des überbetrieblichen Leistungsaustauschs vorgestellt, bevor auf Methoden und Ansätze zur Koordination des Leistungsaustauschs speziell in Unternehmensnetzwerken eingegangen wird.
9.2.1 Überbetrieblicher Leistungsaustausch Im Rahmen des überbetrieblichen Leistungsaustauschs erfolgt wie in Abbildung 9-1 dargestellt die Transaktion von Leistungen und Leistungsbündeln bzw. der zu entrichtenden Gegenleistungen zwischen den beteiligten Akteuren über technische und personelle Schnittstellen (vgl. Williamson 1990, Steffenhagen 2000a, 2004). Bei den Objekten bzw. Objektbündeln des Leistungsaustauschs kann es sich dabei sowohl um Sachobjekte als auch um Dienstleistungen, Informationen, Rechte oder Pflichten handeln (Steffenhagen 2000a, Plinke 1995).
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Akteur 1(Anbieter) Ziele,Wissen, Fähigkeiten, Ressourcen
243
Akteur 2(Nachfrager) Ziele,Wissen, Fähigkeiten, Ressourcen
Abwägungsprozess erwarteter Nutzen
Abwägungsprozess zu erwartende Gegenleistung
erwarteter Nettonutzen erwartete Kosten
zu erbringende Leistung
Informations/ Kommunikations prozess über die Leistung und Gegenleistung
zu erbringende Gegenleistung
erwartete Kosten erwarteter Nettonutzen
zu erwartende Leistung
erwarteter Nutzen
Austausch? Abbildung 9-1: Grundmodell des Leistungsaustauschs (Souren 2002, modifiziert nach
Steffenhagen 2000b) Hierbei bewerten die Partner des Leistungsaustauschs den Nettonutzen aus erwarteter Gegenleistung bzw. zu erbringender Leistung anhand der eigenen Zielfunktion(en) unter Berücksichtigung der vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen. Im Rahmen dieser Überprüfung müssen daher die dem Leistungsaustausch vor- bzw. nachgelagerten räumlichen und materiellen Transformationsprozesse Berücksichtigung finden. Notwendig ist daher eine integrierte Berücksichtigung des Objektsystems als Aktivitätenraum mit den im Unternehmen technisch prinzipiell möglichen Produktionsaktivitäten und allen Restriktionen. Zur Bewertung des Nutzens wird des Weiteren das Subjektsystem als Zielsystem des Entscheidungsträgers zur Bewertung der an das Objektsystem übermittelten Vorgaben zu Grunde gelegt (Dyckhoff 2003, Dyckhoff/Spengler 2007). Die konkrete Ausgestaltung des Leistungsaustauschs in Form der angebotenen Leistungen und Gegenleistungen erfolgt unter Einsatz von Informations- und Kommunikationsprozessen. Hierbei wirken die vereinbarten Konditionen sowohl auf das Zielsystem als auch auf den Aktivitätenraum der Netzwerkpartner ein (Abbildung 9-2; vgl. hierzu auch Schneeweiß 2003). x Verträge beeinflussen das Zielsystem eines Unternehmens, wenn sie die Bewertung der Aktivitäten durch den Entscheidungsträger verändern. So wirken sich beispielsweise mit Netzwerkpartnern vertraglich vereinbarte Preise auf die unternehmensinterne Zielsetzung der Maximierung des Deckungsbeitrags aus. x Verträge wirken sich auf den Aktivitätenraum aus, wenn Sie das Entscheidungsfeld des Unternehmens verändern. Beispielsweise beeinflussen Mindestabnahmemengen oder maximale Abrufmengen direkt die durch das Unternehmen ausführbaren Aktivitäten.
244
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Unternehmen Subjektsystem Zielsystem
Aktivitäten
Informationen
Aktivitätenraum Technik Restriktionen Objektsystem
Unternehmen Subjektsystem
Subjektsystem Zielsystem
Zielsystem
Aktivitäten
Unternehmen
Informationen
Aktivitätenraum Technik Restriktionen Objektsystem
Aktivitäten
Informationen
Aktivitätenraum Technik Restriktionen Objektsystem
Abbildung 9-2: Koordination von Unternehmensnetzwerken (Schmid 2009)
9.2.2 Koordination in Wertschöpfungsnetzwerken Insbesondere im Rahmen längerfristiger Kooperationen in Wertschöpfungsnetzwerken sind die Unternehmen durch die auf Basis der jeweiligen Unternehmensaktivitäten erzielten Leistungen verknüpft. In derartigen Netzwerken rechtlich und wirtschaftlich unabhängiger Unternehmen liegt meist Informationsasymmetrie vor, d.h. die einzelnen Akteure verfügen nicht über alle Informationen bezüglich des Gesamtprozesses. Zum anderen optimieren die Akteure lediglich ihre unternehmensspezifischen Zielfunktionen, was unternehmensübergreifend zumeist in gegensätzlichen Zielsetzungen und schließlich nicht-optimalen Ergebnissen für das Gesamtnetzwerk resultiert. Da eine zentrale Instanz mit vollständiger Information und Entscheidungsbefugnis in Netzwerken unabhängiger Unternehmen fehlt, ist eine Abstimmung der Akteure über den Leistungsaustausch erforderlich. Hierbei wird Koordination als wechselseitige Abstimmung von Aktivitäten in einem arbeitsteiligen System in Bezug auf ein übergeordnetes Gesamtziel verstanden (Hoffmann 1980, Corsten 2000, Kosiol 1968). Das Ziel der Koordination ist es daher, die Austauschbeziehungen in einem Netzwerk so zu gestalten, dass im Hinblick auf die Ziele des Netzwerks möglichst gute Ergebnisse erzielt werden. Ein oft genanntes Koordinationsziel stellt die Effizienz des gesamten Systems dar (Tsay et al. 1998, Corbett/de Groote 2000).
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
245
Nach (Corbett/de Groote 2000, Stadtler 2009) besteht das Ziel der Koordination in der Bestimmung einer Lösung, die im Sinne des Gesamtnetzwerks nahe der optimalen Lösung und besser als die unkoordinierte Lösung ist. Bezüglich der einzusetzenden Koordinationsinstrumente sind in Netzwerken als Intermediär zwischen Markt und Hierarchie wie in Abbildung 9-3 dargestellt weder die Voraussetzungen für eine rein hierarchische Koordination mit eindeutigen Über-/Unterordnungsbeziehungen und der Möglichkeit persönlicher Weisungen bzw. Ziel- und Mittelvorgaben gegeben (Laux/ Liermann 2005, Corsten 2001), noch haben sich die im Rahmen einer rein heterarchischen Koordination vorgeschlagenen Gruppenentscheidungen gleichberechtigter Entscheidungsträger als geeignet erwiesen (Corsten 2001). Entsprechend finden für eine Koordination von Netzwerken wie in Abbildung 9-3 dargestellt zumeist hybride Koordinationsformen Anwendung (Picot 1982).
Abbildung 9-3: Vertragsformen, Koordinationsmechanismen (Wildemann 1997)
und
Kontrollinstrumente
Eine wesentliche Rolle für die Auswahl geeigneter Koordinationsinstrumente spielen die Beziehungen zwischen den Netzwerkpartnern. Hierbei lassen sich die Machtverhältnisse im Netzwerk, das Ausmaß des Eigeninteresses der Netzwerkpartner, die im Laufe der Verhandlungen auftretenden Lerneffekte sowie Aspekte eines rollierenden Zeithorizontes determinieren (Stadtler 2009). Bezüglich der Machtverhältnisse in Unternehmensnetzwerken kann in hierarchische – d.h. durch eine fokale Unternehmung strategisch geführte – und heterarchische – d.h. durch gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Partnern geprägte – Netzwerke unterschieden werden. Möglichkeiten zur Koordination heterarchischer Netzwerke bestehen beispielsweise im Rahmen einer marktlichen Koordination auf Basis durch Broker organisierter Auktionen (Zelewski 1998). Häufig wird jedoch auch in heterarchischen Netzwerken eine Koordina-
246
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
tionseinheit installiert, wodurch sich eine zusätzliche hierarchische Struktur und somit hierarchischen Netzwerken vergleichbare Koordinationsaufgaben ergeben. In derartigen hierarchischen Strukturen koordiniert eine fokale Instanz die Pläne der unabhängigen Unternehmen, woraus sich ein hierarchisches Planungsproblem (Schneeweiß 2003) mit der Netzwerkebene als Top-Ebene und der heterarchischen Ebene der Netzwerkunternehmen als Basis-Ebene ergibt. Im Rahmen der Koordination finden auf der Top-Ebene aggregierte Modelle Anwendung, die den Planungsrahmen als Vorgabe für die Basis-Ebene bestimmen. Die Basis-Ebene berechnet als Antwort auf diesen Planungsrahmen auf Basis detaillierterer Informationen unternehmensspezifische Pläne und liefert die Informationen als Feedback an die Top-Ebene zurück. In Abbildung 9-4 sind die sich im Rahmen einer solchen Koordination ergebenden sachlichen und zeitlichen Interdependenzen dargestellt (Corsten 2000). Netzwerkebene: • Zerlegung der Kundenaufträge inTeilaufträge unter Beachtung • der Arbeitsteilung im Netzwerk • der daraus resultierenden horizontalen Interdependenzen • der kapazitativen Restriktionen • Zuweisung vonEckterminen
Teilaufträge (TA) TA1 TA2 TA3 TA4
t Vertikale Entscheidungsinterdependenz Ebene der einzelnen Netzwerkunternehmungen: Zerlegung der Teilaufträge inArbeitsgänge
Netzwerkpartner 1
Netzwerkpartner n
Arbeitsgänge (AG)
Arbeitsgänge (AG)
AG1(TA1)
AG1(TA4)
AG2(TA1)
AG2(TA4)
…
AG3(TA1) AG4(TA1)
AG3(TA4) AG4(TA4)
t
t
Horizontale Entscheidungsinterdependenz
Abbildung 9-4: Hierarchische Planung in Unternehmensnetzwerken (Corsten 2000)
9.2.3 Koordinationsmechanismen Die Mechanismen zur Koordination unabhängiger Unternehmen können in die Koordination durch Kontrakte und die Koordination mathematischer Optimierungsmodelle unterschieden werden (vgl. auch Dudek 2004, Schmid 2009).
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
247
9.2.3.1 Koordination durch Kontrakte Diese Forschungsrichtung beschäftigt sich mit der Gestaltung von Kontrakten zwischen Supply Chain Partnern und deren Auswirkungen auf die Effizienz von Wertschöpfungsnetzwerken, wobei zumeist die Untersuchung bilateraler Beziehungen erfolgt. Hierbei kann bezüglich der Machtverhältnisse unterschieden werden in Ansätze, in denen von einer gleichverteilten Marktmacht ausgegangen wird, sowie in Ansätze, in denen im Sinne einer Stackelberg-Struktur einem der Unternehmen eine höhere Marktmacht zugesprochen wird. Die Zielsetzung der Ansätze besteht in der Gestaltung von Kontrakten zur Verbesserung der Effizienz von Wertschöpfungsnetzwerken unter Berücksichtigung der jeweiligen Annahmen. Vor dem Hintergrund des Supply Chain Managements untersuchte Verträge stellen beispielsweise Rabattverträge (vgl. z.B. Monahan 1984), Rückkaufverträge, Umsatzbeteiligungsverträge (vgl. z.B. Cachon 2003) oder Verträge mit fixem Zahlungsanteil (vgl. z.B. Corbett/Tang 1999) dar. Speziell im Hinblick auf nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke behandeln erste Ansätze eine Erweiterung der bisher rein ökonomischen Ziele um die Zielsetzung der Ressourcenschonung (Corbett/DeCroix 2001). Hierbei erfolgt die Analyse des Einsatzes von indirekten Materialien, d.h. von Materialien deren Verbrauch nur indirekt an das Hauptprodukt gekoppelt ist (z.B. Lösemittel, Lacke zur PKW-Produktion) und deren Verbrauch somit sowohl von der Produktion des Hauptprodukts als auch von der Materialeffizienz und somit von den Anstrengungen der Zulieferer und der Verbraucher zur Reduktion der Einsatzmenge abhängt. Die Autoren verzichten hierbei auf die konkrete Abbildung der Objektsysteme der beiden Vertragspartner, z.B. in Form des Herstellprozesses für den Lack beim Zulieferer sowie des Lackierprozesses beim Hersteller, und modellieren lediglich die Zielfunktionen explizit. Die Untersuchungen zeigen, dass bei den klassischen mengenbasierten Verträgen für Zulieferer kein Anreiz zur Reduktion des Einsatzes des indirekten Materials besteht. Durch Anwendung sogenannter Shared-Savings-Kontrakte hingegen, bei denen die Vergütung für den Zulieferer aus einer mengenunabhängigen fixen sowie einer mengenabhängigen variablen Zahlung besteht, können Einsparungen erzielt werden. Hieraus resultiert im Vergleich zu den mengenbasierten Verträgen eine Erhöhung der Gesamtgewinne der Supply Chain. In diesem Beispiel wird allerdings gleichzeitig deutlich, dass die Erhöhung der Gesamtgewinne nicht automatisch auch zu einer Reduktion der Einsatzmengen der indirekten Materialien führt (Corbett/ DeCroix 2001), da die Ziele der Maximierung der Supply Chain weiten Gewinne und der Reduzierung der Einsatzmengen der indirekten Materialien nicht immer konform gehen. Im Rahmen der Entscheidungsfindung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung wäre daher hier eine Analyse der Trade-Offs zwischen ökonomischer und ökologischer Zielsetzung für beide Partner sowie für die gesamte Supply Chain notwendig. Dies setzt jedoch die Abbildung der Zusammenhänge zwischen ökologischen und ökonomischen Ergebnissen beispielsweise auf Grundlage der Modellierung der Stoffströme des Objektsystems voraus.
248
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Weitere Ansätze zur Übertragung der Kontrakttheorie auf nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke erfolgen im Rahmen einer Erweiterung der Supply Chain um die Aktivitäten und Akteure des Produktrecyclings und der Entsorgung. Angestrebt wird somit eine Koordination geschlossener Kreislaufsysteme mit Aufarbeitung von Geräten (Closed Loop Supply Chain; vgl. Kapitel 7). Hierbei werden verschiedene Vertragstypen in unterschiedlichen Organisationsstrukturen der Rücknahme von Altprodukten untersucht (Savaskan et al. 2004, Savaskan/ Van Wassenhove 2006, Guide Jr. et al. 2006, Majumder/Groenevelt 2001, Ferrer/Swaminathan 2006). Alle diese Ansätze unterstellen bisher implizit, dass der Kreislaufschluss automatisch mit einer Verringerung von Umweltwirkungen einhergeht. Die Stoffströme bzw. Umweltwirkungen werden in diesen Ansätzen nicht explizit berücksichtigt, eine Überprüfung der Konformität ökologischer und ökonomischer Zielsetzungen, wie beispielsweise in Kapitel 5 dieser Arbeit gezeigt, erfolgt somit nicht. Insgesamt wird deutlich, dass den Ansätzen der Kontrakttheorie eine stark aggregierte Sichtweise zu Grunde liegt. Die Zielsetzung besteht daher weniger in der Entscheidungsunterstützung im konkreten Fall als eher darin, generelle Einsichten in bestimmte Problemstellungen zu gewinnen. Im Rahmen der Entscheidungsunterstützung für nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke fehlt zudem die explizite Betrachtung der Stoffströme. So werden im Rahmen der Modellierung lediglich die Zielfunktionen der Unternehmen abgebildet, die Produktionssysteme als Objektsystem finden keine Berücksichtigung. 9.2.3.2 Koordination von mathematischen Optimierungsmodellen Auf deutlich detaillierterem Niveau beschäftigen sich mathematische Optimierungsmodelle mit Problemen der Problemzerlegung und Koordination. Ein generisches Konzept zur Darstellung der Ziele, Informationen und Optimierungskalküle der Entscheidungsträger entwickelt (Schneeweiß 2003). Das Konzept eignet sich insbesondere im Rahmen hierarchischer Entscheidungssituationen. Hierbei können sowohl komplementäre als auch konfliktäre Zielsetzungen der Partner sowie unterschiedliche Situationen bezüglich der Informationsverfügbarkeit abgebildet werden. Insbesondere ist auch die explizite Berücksichtigung des Objektsystems in Form von Technologien und Restriktionen möglich (vgl. Abbildung 9-5).
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
249
TopEbene Antizipierte BasisEbene Antizipation (Feedforward bottomup Einfluss)(1)
Instruktion (Topdown Einfluss)(2)
BasisEbene
Reaktion (Feedback bottomup Einfluss)(3) nachträgliches Feedback
Implementation Objektsystem
Abbildung 9-5: Hierarchische Planung und Planungsobjekt (übersetzt nach Schneeweiß 2003) Bezüglich der Koordinationsprinzipien wird in Ansätze ohne Koordination (UpstreamPlanning) (Bhatnagar et al. 1993), Ansätze mit Antizipation der Reaktion nachgelagerter Entscheidungsebenen (Schneeweiß/Zimmer 2004, Zimmer 2001) sowie verhandlungsbasierte Ansätze unterschieden, wobei letztere insbesondere im Rahmen der Entscheidungsfindung in Netzwerken als erfolgversprechend erscheinen (Schmid 2009). Zur Einhaltung gemeinsamer Restriktionen bei verteilter Entscheidungsfindung finden verhandlungsbasierte Ansätze in Form von Dekompositionsverfahren Einsatz (Holmberg 1995). Hierbei erfolgt zunächst die Entwicklung eines zentralen mathematischen Modells, dessen globale, netzwerkweite Restriktionen anschließend relaxiert werden. Eine Verletzung dieser Restriktionen wird anschließend durch Strafkosten (in Form von Lagrange-Multiplikatoren) bewertet. Im Rahmen iterativer Verhandlungen erfolgt durch eine hierarchisch übergeordnete Koordinationsinstanz eine Anpassung der Lagrange-Multiplikatoren mit dem Ziel der Koordination der hierarchisch gleichberechtigten Teilprobleme. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die einzelnen Unternehmen ihren unternehmensspezifischen Gewinn maximieren wollen, während der Koordinator an einem Gesamtoptimum interessiert ist. Derartige Verfahren werden von einer Reihe von Autoren angewandt (Barbarosoglu/Özgür 1999, Kutanoglu/Wu 1999, Ertogral/Wu 2000, Jeong/Leon 2002). Einen weiteren Ansatz zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle entwickeln (Dudek/Stadtler 2005). Auch hier stehen die zu koordinierenden Parteien auf derselben hierarchischen Stufe. Im Rahmen der Koordination erfolgt die Übermittlung von Planvorschlägen unter Angabe der für den jeweiligen Partner resultierenden Kostenänderungen so lange,
250
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
bis keine weitere Kostensenkung erreicht werden kann. Diesem Ansatz liegt die Annahme zu Grunde, dass beide Partner das Ziel des Gesamtoptimums verfolgen. Durch einen der Partner am Ende der Koordination eventuell erlittene Einbußen können durch Ausgleichszahlungen kompensiert werden. Im Bereich der Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke weisen die Verfahren zur Koordination auf Basis mathematischer Optimierungsmodelle deutliche Vorteile auf, da sie die explizite Berücksichtigung des Objektsystems und somit aller unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten entscheidungsrelevanten Stoffströme und Aktivitäten eines Unternehmens ermöglichen. Insbesondere bieten die Ergebnisse der Analyse mathematischer Optimierungsmodelle eine konkrete Entscheidungsunterstützung im Rahmen der Netzwerkkoordination. So könnten neben den im Ansatz von (Dudek/Stadtler 2005) übermittelten Kosten der Plananpassung weitere Informationen über die Änderung ökologischer Kenngrößen übermittelt werden. Auf dieser Basis wäre die Bestimmung von Trade-offs zwischen ökonomischen und ökologischen bzw. sozialen Zielsetzungen und somit z.B. die Ermittlung der günstigsten Emissionsminderungskosten möglich. Dekompositionsansätze zur expliziten Berücksichtigung gemeinsamer Restriktionen eignen sich besonders für die Koordination von Netzwerken bei Vorgabe unternehmensübergreifender Anspruchsniveaus durch Lenkungssysteme, z.B. in Form gemeinsam einzuhaltender Emissionsgrenzwerte, vorgegebener Maximalmengen bestimmter Produktbestandteile oder netzwerkweiter Recyclingquoten. Im Folgenden wird die Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke am Beispiel von Recyclingnetzwerken auf Basis von Methoden der mathematischen Optimierung vorgestellt.
9.3 Fallbeispiel: Koordination von Recyclingnetzwerken In Kapitel 3 dieser Arbeit werden für ein Recyclingnetzwerk sowohl ökonomische als auch ökologische Zielfunktionen entwickelt und in ein- sowie mehrkriterielle Modelle zur Entscheidungsunterstützung eingebunden. Diese Entscheidungsmodelle werden exemplarisch für die strategische Planung und operative Steuerung der Recyclingnetzwerke eingesetzt. Die Grundannahme besteht hierbei allerdings darin, dass ein zentraler Entscheidungsträger existiert, der über vollständige Informationen bezüglich der Stoffströme und Aktivitäten des gesamten Netzwerkes verfügt und für das Gesamtnetzwerk vorteilhafte Zielsetzung(en) verfolgt. Ein derartiger Entscheidungsträger ist daher in der Lage, die aus Sicht des Netzwerkes optimale Lösung zu berechnen und per Weisung umzusetzen. In Netzwerken unabhängiger Unternehmen, z.B. in Netzwerken kleiner und mittelständischer Demontage- und Aufbereitungsunternehmen (vgl. Walther/Spengler 2004) sind die Voraussetzungen für eine derartige zentrale Planung in der Regel nicht erfüllt. So verfügen die eigenständigen Unternehmen über private Informationen bezüglich der Kapazitäten und Kosten
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
251
und verfolgen zudem eigene Ziele, wie die Maximierung des unternehmensspezifischen Deckungsbeitrags. Trotzdem sind in derartigen Netzwerken unternehmensübergreifende, netzwerkweite Restriktionen, beispielsweise in Form rechtlich vorgegebener Sammel-, Recycling- oder Verwertungsquoten, effektiv und effizient zu erfüllen. Die von den eigenständigen Unternehmen auf lokaler Ebene getroffenen Entscheidungen führen dabei ggf. zu nichtoptimalen Ergebnissen. Insbesondere bei hohem Wettbewerbsdruck durch konkurrierende Netzwerke und deutschland- oder europaweit zentral agierende Recyclingunternehmen ist eine aus ökonomischer Sicht nicht-effiziente Umsetzung problematisch. Daher ist zur Erreichung einer aus Sicht des Gesamtnetzwerkes möglichst guten Lösung eine Koordination der Unternehmen notwendig. Hierbei sind sowohl private Informationen als auch gegensätzliche Zielsetzungen der Unternehmen zu berücksichtigen.
9.3.1 Charakterisierung der Koordinationssituation Im Folgenden wird zunächst die Koordinationssituation näher konkretisiert, indem sowohl die Objektebene mit den Transformationen und Stoffströmen als auch die Subjektebene mit den Akteuren und akteursspezifischen Zielen vorgestellt werden. Eine weitere Präzisierung der Koordinationssituation erfolgt in Hinblick auf Machtverhältnisse und Entscheidungsebenen im Netzwerk sowie Fristigkeiten der Planungsentscheidungen (vgl. auch Walther et al. 2009d). 9.3.1.1 Aktivitäten und Stoffströme Sowohl die Quellen und Senken als auch die Stoffströme und Prozesse in Recyclingnetzwerken werden in Kapitel 3 dieser Arbeit vorgestellt. Hierbei übernehmen die im Netzwerk beteiligten Recyclingunternehmen alle physischen Prozesse von der Redistribution der Altgeräte von den Sammelstellen bis zu der auf eine Schadstoffentfrachtung sowie Wertstoff- und Bauteilgewinnung abzielenden Behandlung der Geräte mit anschließender Verbringung der Materialfraktionen zur Verwertung. Insgesamt besteht die Zielsetzung in der Allokation von Recyclingaufträgen auf Netzwerkunternehmen unter Einhaltung netzwerkübergreifender Sammel- und Recyclingquoten. In Abbildung 9-6 sind die Allokationsentscheidungen bezüglich der Stoffströme und Prozesse für ein derartiges Netzwerk noch einmal beschrieben. Von Austauschbeziehungen innerhalb des Netzwerkes, wie in Kapitel 3 zum Beispiel in Form von Spezialisierungseffekten zwischen Netzwerkunternehmen berücksichtigt, wird hierbei abgesehen.
252
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
1 …
Wahl bezüglich der Zuordnung von Materialfraktionen • Demontagetiefe zu Entsorgungs- /bzw. • Recyclingtechniken Verwertungsoptionen (r) • resultierenden Materialfraktionen
Unternehmen u Unternehmen u
q … Q
1 …
Unternehmen u
r … R
Entsorgungs-/ Verwertungsoptionen
Sammelstellen
Zuordnung von Altgeräten von Quellen (q) zu Unternehmen (u)
Systemgrenze
Abbildung 9-6: Planungsaufgaben der materiellen und räumlichen Transformationen in Recyclingnetzwerken 9.3.1.2 Akteure, Zielsetzungen und Informationen Als externer Repräsentant der aus unabhängigen Recyclingunternehmen bestehenden Netzwerke fungiert zumeist eine Netzwerkzentrale im Sinne eines fokalen Unternehmens. Die Netzwerkzentrale unterhält Kontakte zu den Herstellern von Elektro(nik)geräten, handelt Verträge über die Behandlung von Altgeräten aus und ist den Herstellern gegenüber für die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten verantwortlich (vgl. hierzu Walther/Spengler 2004, Walther et al. 2008c). Netzwerkintern alloziert das fokale Unternehmen die Herstelleraufträge bezüglich der zu behandelnden Mengen sowie der nachweislich zu erfüllenden Recyclingquoten auf die am Netzwerk beteiligten Recyclingunternehmen. Im Rahmen der Vertragsgestaltung kann daher von einer hierarchischen Entscheidungssituation mit dem fokalen Unternehmen als Top-Ebene und den Recyclingunternehmen als Basis-Ebene ausgegangen werden (vgl. Abbildung 9-7). Bezüglich der Informationsverfügbarkeit im Netzwerk muss davon ausgegangen werden, dass Informationsasymmetrie vorliegt. So ist das fokale Unternehmen über bestehende Verträge mit Herstellern informiert und verfügt über Prognosen bezüglich zu erwartender Aufträge und Altgerätemengen. Die untereinander gleichberechtigten und eigenständigen Demontage- und Aufbereitungsunternehmen hingegen sind nicht gewillt, private Informationen wie z.B. Kosten- oder Kapazitätsdaten preiszugeben. Zusätzlich lassen sich auch gegenläufige Zielsetzungen der Entscheidungsträger beobachten. So besteht die Zielsetzung des fokalen Unternehmens in der Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber vergleichbaren Netzwerken und großen, zentral organisierten Unternehmen. Das fokale Unternehmen strebt in diesem Beispiel daher die Maximierung des
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
253
Gesamtgewinns des Recyclingnetzwerks an. In der Praxis sind Recyclingnetzwerke häufig als (durch die Recyclingunternehmen gegründete) Genossenschaften strukturiert, in welchen das fokale Unternehmen keine eigenen Gewinninteressen verfolgt (Walther/Spengler 2004). Im Gegensatz zum fokalen Unternehmen wird den Recyclingunternehmen jedoch ein Eigeninteresse unterstellt, die Zielsetzung dieser Unternehmen besteht in der Maximierung des unternehmensspezifischen Gewinns. Dies ist dadurch begründet, dass es sich um unabhängige Unternehmen handelt, die – wie die Praxis zeigt – auch allein agieren oder an anderen Recyclingnetzwerken beteiligt sein können. Hersteller
Verträge / Finanzflüsse Stoffströme
Top Ebene Netzwerkzentrale
q … Q
Unternehmen u
1 … Unternehmen u
Unternehmen u
r … R
Verwertungs- und Beseitigungsoptionen
Sammelstellen/OEMs
Basis Ebene 1 …
Abbildung 9-7: Verknüpfung der Ebenen der Transformation und Transaktion 9.3.1.3 Weitere Präzisierung der Koordinationssituation Die Koordinationssituation lässt sich weitergehend charakterisieren. So bestehen beispielsweise nach der jährlichen Aushandlung der Rahmenverträge mit den Herstellern seitens der Netzwerkzentrale noch Unsicherheiten bezüglich der tatsächlich anfallenden Altgerätemengen sowie der Verteilung dieser Mengen auf die Anfallorte (Sammelstellen). Aus diesem Grund ist die Netzwerkzentrale daran interessiert, dass mit den Recyclingunternehmen zunächst ebenfalls lediglich Rahmenverträge ausgehandelt werden, die in einem zweiten Schritt zu präzisieren sind (vgl. dazu Walther et al. 2008c, 2009d). Da die Recyclingmöglichkeiten und -kapazitäten der Recyclingunternehmen der Netzwerkzentrale nicht bekannt sind, ist eine Vorgabe von Mengen durch die Netzwerkzentrale nicht sinnvoll, da daraus für die Unternehmen unzulässige Lösungen resultieren könnten. Daher wird davon ausgegangen, dass die Netzwerkzentrale auf Basis von Preisvorgaben mit den Unternehmen verhandelt. Die Aufgabe der Koordination besteht daher in einer deckungsbeitragsmaximalen Allokation von Herstelleraufträgen trotz Informationsasymmetrie und gegensätzlicher Zielsetzungen zwi-
254
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
schen Netzwerkzentrale und unabhängigen Recyclingunternehmen unter Einhaltung rechtlicher Anspruchsniveaus bezüglich der zu behandelnden Gerätemengen und Recyclingquoten.
9.3.2 Koordinationsansatz Für die beschriebene Situation wird im Folgenden ein Aushandlungsmechanismus in seinen Grundzügen beschrieben, der in (Walther et al. 2008c) ausführlich dargestellt ist. Der Ansatz beruht auf einem zentralen Modell bei vollständiger Information und Entscheidungsbefugnis, der durch Überführung in ein dezentrales Modell die Koordination unter Informationsasymmetrie und gegenläufigen Zielsetzungen ermöglicht. 9.3.2.1 Zentrales Modell Grundlage des Aushandlungsmechanismus ist die duale Dekomposition eines zentralen Netzwerkmodells. Im Rahmen des zentralen Modells erfolgt hierbei wie in Kapitel 3.4 dargestellt die aus Sicht eines zentralen Entscheidungsträgers mit vollständiger Information optimale Allokation der Stoffströme auf einzelne Recyclingunternehmen sowie die Bestimmung der optimalen Demontage- und Aufbereitungsstrategie für jedes Unternehmen (vgl. Abbildung 96). Neben den in Kapitel 3 dargestellten Massenbilanzgleichungen (Gl. 3.29 und 3.30) sind verschiedene Restriktionen in Form unternehmensspezifischer Kapazitäts- und Mengenbeschränkungen sowie unternehmensübergreifend zu erfüllende Sammel- und Recyclingquoten zu beachten. Die Einhaltung der unternehmensübergreifenden Restriktionen ist im Rahmen der zentralen Koordination problemlos möglich (vgl. Spengler/Walther 2005a). Im Falle einer dezentralen Koordination ist die Einhaltung dieser Nebenbedingungen allerdings problematisch, da die Entscheidungen eines unabhängigen Unternehmens den Entscheidungsraum des gesamten Netzwerkes und somit aller anderen Unternehmen beeinflussen. Daher ist für diesen Fall die Entwicklung eines dezentralen Ansatzes erforderlich. 9.3.2.2 Dezentrales Modell Hierfür erfolgt die Zerlegung des zentralen Modells mit dem Ziel der Entwicklung jeweils eines Modells für jedes der Recyclingunternehmen. Problematisch sind hierbei die netzwerkweiten, gemeinsamen Restriktionen des zentralen Modells. Hierbei handelt es sich zum einen um die Vorgabe, dass alle an den Sammelstellen erfassten Altgerätemengen einer Behandlung zu unterziehen sind, und zum anderen um die Einhaltung der rechtlich vorgegebenen Recyclingquoten. Da diese Restriktionen jeweils über alle Behandlungsunternehmen für das Gesamtnetzwerk zu erfüllen sind, resultiert eine Kopplung der Aktivitäten der unabhängigen Unternehmen. Die Entscheidungen der (eigentlich unabhängigen) Behandlungsunternehmen sind somit abhängig von den Entscheidungen der anderen Unternehmen.
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
255
Vor diesem Hintergrund erfolgt im Rahmen der dualen Dekomposition die LagrangeRelaxation der unternehmensübergreifenden Restriktionen des zentralen Ausgangsmodells. Hierfür gilt folgende Notation: ZF
Zielfunktion des Gesamtnetzwerks
DBu
Deckungsbeitrag des Recyclingunternehmens u (u=1,…,U)
DB’u
Deckungsbeitrag des Recyclingunternehmens u (u=1,…,U) inklusive Bestrafung der nicht erfüllten Nebenbedingungen
Au
Unternehmensübergreifend gekoppelte Nebenbedingungsmatrizen des Recyclingunternehmens u (Sammelmenge, Recyclingquoten) (u=1,…,U)
~ Au
Lokale Nebenbedingungsmatrizen des Recyclingunternehmens u (u=1,…,U)
Die Relaxation der Matrizen der netzwerkweiten Restriktionen (A1,…,AU) führt mathematisch dazu, dass lediglich die Nebenbedingungsmatrizen ohne Kopplungen zwischen den einzelnen ~ ~ Unternehmen bestehen bleiben ( A1 ,..., AU ). Im Rahmen der damit einhergehenden Modellumwandlung wird die Nichteinhaltung der gemeinsamen Restriktionen mit Strafkosten bewertet. Dieser Term wird dann in die Zielfunktion des Modells aufgenommen, hieraus resultieren veränderte Deckungsbeiträge der einzelnen Recyclingunternehmen ( DB '1 ,..., DB 'U ).
ZF
DB1 ... DBu ... DBU
§ A1 ... Au ¨~ ¨ A1 ¨ u.d.N. ¨ ~ Au ¨ ¨ ¨ ¨ ©
AU · ¸ ¸ ¸ ¸ ¸ ¸ ~ ¸¸ AU ¹ ...
ZF
DB'1 ... DB'u ... DB'U
Lagrange Relaxation o
~ § A1 · ¨ ¸ ¨ ¸ ~ ¸ u.d.N. ¨¨ Au ¸ ¨ ¸ ¨ ~ ¸ A U ¹ ©
Die Strafkostenparameter können nun als Kontraktparameter für die Aushandlungen zwischen der Top-Ebene (Netzwerkzentrale) und der Basis-Ebene (Behandlungsunternehmen) interpretiert werden, die so lange angepasst werden, bis die Verletzung der unternehmensübergreifenden Restriktionen aufgehoben ist. Zur Abbildung dieser Verhandlungen wird ein Subgradientenverfahren eingesetzt (Jeong/Leon 2002). Bei diesem iterativen Verfahren passt die Netzwerkzentrale die Kontraktparameter jeweils im Maße der aktuellen Überschreitung der globalen Restriktionen an. Subgradientenverfahren setzen nur einen sehr geringen Informationsaustausch voraus, die Netzwerkzentrale benötigt hierbei beispielsweise keine Informationen bezüglich der Kosten oder Kapazitäten der Behandlungsunternehmen (Schmid 2009). Die von der Netzwerkzentrale berechneten Transferpreise werden dann den Behandlungsunternehmen angeboten. Auf Basis dieser Preisparameter berechnen die Behandlungsunternehmen dann ihre – für die jeweiligen Preise – unternehmensspezifisch optimalen Angebotsmengen und Recyclingquoten, die an die Netzwerkzentrale gemeldet werden.
256
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
9.3.2.3 Koordinationsmechanismus Im Folgenden wird eine kurze verbale Beschreibung des Aushandlungsprozesses gegeben. Hierbei wird das entwickelte Verfahren als hierarchische Aushandlung zwischen dem fokalen Unternehmen und den Recyclingunternehmen interpretiert. Das fokale Unternehmen gibt Instruktionen in Form von Vertragsangeboten (bestehend aus den Lagrange-Parametern) vor und die Recyclingunternehmen berechnen daraufhin ihr optimales Produktionsprogramm. Die Verfahrensschritte werden im Folgenden kurz skizziert. Hierfür wird folgende Notation gewählt: i
Index der Geräte und Materialfraktionen (i=1,…,I)
q
Index der Quellen (Entsorgungsträger, Händler etc.) des Netzwerks (q=1,…,Q)
u
Index der Recyclingunternehmen (u=1,…,U)
r
Index der Senken des Netzwerks (Verwertungs-, Beseitigungsstandorte) (r=1,…,R)
k
Iterationszähler im Rahmen des Aushandlungsmechanismus
Z
Anzahl an Iterationen, ab der das fokale Unternehmen zusätzlich zu den Preisen maximale Massen vorgibt
O
Lagrange-Parameter für die Verletzung der Recyclingbedingung (Recyclingbonus) [€/kg]
S iq p iq
Q yiqu
yuRe c
Lagrange-Parameter für die Verletzung der Sammelbedingungen [€/kg] Preis, den das fokale Unternehmen den Recyclingunternehmen für die Abholung einer Masseneinheit von Altprodukt i an Quelle q bezahlt; zusammengesetzte Größe: piq ei O D i S iq [€/kg] Masse an Altprodukten vom Typ i die von Quelle q zu Recyclingunternehmen u transportiert wird [kg/Jahr] Recycelte Masse in Recyclingunternehmen u [kg/Jahr]
MTQiqu Masse an Altgerät i, die von Recyclingunternehmen u maximal an Quelle q abgeholt
werden darf [kg] Die allgemeine Struktur des vorgestellten Verfahrens kann Abbildung 9-8 entnommen werden.
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
257
(E) Ende Ja
Fokales Unternehmen
TopEbene
Bedingungen erfüllt?
• Parameter anpassen • k = k+1 (IV)
k tZ
Nein
Nein
Q ( yiqu , yuRe c )
(I)
(I‘)
( piq , O , MTQiqu )
( piq , O )
(III)
BasisEbene
Ja
Recyclingunternehmen ' u
MAX DB
(II)
Recyclingunternehmen
MAX DBu'
Abbildung 9-8: Überblick über den Koordinationsmechanismus (I)
Das fokale Unternehmen bietet den Recyclingunternehmen einen Vertrag mit den Vertragsparametern ( piq , O ) an. Im Rahmen dieses Vertrags wird inputseitig für jedes Altgerät i, dass durch ein Recyclingunternehmen von der Sammelstelle q abgeholt und behandelt wird, ein Transferpreis (Annahmepreis) in Höhe von piq [€/kg] geboten. Outputseitig werden zudem alle recycelten bzw. verwerteten Materialien durch eine Bonuszahlung („Recycling-Bonus“) O [€/kg] belohnt.
(II)
Basierend auf diesem Angebot berechnen die Recyclingunternehmen ihr lokal optimales Programm. Im Rahmen dieser Berechnungen bestimmt ein Recyclingunternehmen u dezentral, welche Massen an Altgeräten i von einer Sammelstelle q abgeholt werden sollQ ten ( yiqu ) sowie welche Massen an Materialfraktionen nach der Demontage und mechanischen Aufbereitung recycelt bzw. verwertet werden sollten ( yuRe c ).
(III) Die auf den Vertragsangeboten des fokalen Unternehmens beruhenden lokalen PlaQ nungsergebnisse ( yiqu , yuRe c ) der Recyclingunternehmen werden an das fokale Unternehmen übermittelt. (IV) Das fokale Unternehmen prüft, ob die globalen Restriktionen bezüglich der herstellerseitig vorgeschriebenen Sammel- und Recyclingmengen erfüllt sind. Ist dies noch nicht der Fall, passt das fokale Unternehmen die Vertragsparameter (Annahmepreis und Recycling-Bonus) im Maße der Überschreitung der globalen Restriktionen an und das iterative Verhandlungsverfahren zwischen Recyclingunternehmen und fokalem Unternehmen wird fortgeführt. (I’)
Hat das Verfahren eine gewissen Anzahl an Iterationen Z durchlaufen, wird durch das fokale Unternehmen neben den Preisen ( piq , O ) ein weiterer Parameter ( MTQ iqu ) vorgegeben. Dieser Parameter begrenzt die durch die Recyclingunternehmen akquirierbaren
258
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke Q Altgerätemengen yiqu nach oben. Der Parameter wird hierbei so gewählt, dass die an den Sammelstellen verfügbaren Altgerätemengen nicht überschritten werden können. Dies ist notwendig, da im Rahmen der dualen Dekomposition linearer Modelle die Bestimmung einer global zulässigen Lösung durch die während des Verfahrens ermittelten Lösungen i.d.R. nicht möglich ist (Holmberg 1995).
(E)
Sind die globalen Restriktionen erfüllt, so ist das Aushandlungsverfahren beendet und die Verträge werden implementiert.
9.3.2.4 Prototypische Umsetzung als Multi-Agentensystem
Die prototypische Umsetzung des vorgestellten Koordinationsmechanismus erfolgt mit Hilfe eines Multi-Agentensystems (MAS) als Softwaresystem mit verschiedenen unabhängigen Softwareagenten (Walther et al. 2006, Schmid 2009). Softwareagenten können hierbei als eigenständige, intelligente Softwareeinheiten interpretiert werden, die über eigene Informationen verfügen und selbständig Aufgaben lösen (Jennings 2001) und somit eine natürliche Repräsentation eines Netzwerks mit mehreren Unternehmen darstellen. Hierbei wird ein Softwareagent für die Netzwerkzentrale sowie jeweils ein Agent für jedes Behandlungsunternehmen implementiert. Potentiale derartiger MAS werden vor allem in der Schließung der bestehenden „Implementierungslücke“ von Konzepten der verteilten Entscheidungsfindung gesehen (Schneeweiß 2003). Die Modellierung des oben beschriebenen Koordinationsmechanismus ist in der Abbildung 99 auf Basis der einfachen UML-Notation dargestellt. Die senkrechten Linien in diesem Diagramm repräsentieren jeweils einen Softwareagenten. Die Kommunikation zwischen den Agenten erfolgt durch den Austausch von Nachrichten. Dieser Austausch wird durch die Pfeile zwischen den Agenten bezeichnet. Der fokale Agent (Netzwerkzentrale) übermittelt den aktuellen Preisvektor an die Recyclingagenten (Recyclingunternehmen). Diese starten die Ermittlung ihres optimalen Demontage- und Aufbereitungsprogramms durch Starten der Methode optProgramm(), welche mittels linearer Optimierung das lokal optimale Demontageund Aufbereitungsprogramm unter Berücksichtigung der Transferzahlungen für die Annahme und das Recycling der Geräte berechnet. Das Ergebnis dieser Optimierung wird dann als Nachricht an den fokalen Agenten zurück übermittelt. Dort erfolgt dann durch Aufruf der Methode generiereNeuesAngebot() die Ermittlung der neuen Annahmepreise und des Recycling-Bonus.
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
259
Abbildung 9-9: Sequenzdiagramm der Kommunikation zwischen den Agenten im Recyclingnetzwerk (Walther et al. 2006, Schmid 2009) Die Voraussetzung für die Umsetzung eines derartigen MAS in der Praxis besteht in der informationstechnischen und organisatorischen Einbettung des Aushandlungsmechanismus in die Planungsabläufe der einzelnen Unternehmen sowie in der Automatisierung der iterativen Verhandlungsschritte. Dies setzt voraus, dass sowohl bei der Netzwerkzentrale als auch bei den verhandelnden Unternehmen die jeweiligen akteursspezifischen Planungsschritte, d.h. der Abgleich mit den netzwerkweiten Restriktionen sowie die Berechnung neuer LagrangeParameter durch die Netzwerkzentrale und die Berechnung des lokal optimalen Recyclingprogramms durch die Recyclingunternehmen automatisiert ausgeführt werden können.
9.3.3 Ergebnisse Der Algorithmus wird zunächst anhand einfacher Testinstanzen angewandt, um einen Vergleich der durch dezentrale Koordination erzielbaren Ergebnisse mit den Ergebnissen einer optimalen Allokation bei zentraler Planung zu ermöglichen. In einem zweiten Schritt erfolgt die Anwendung auf Realdaten. Dadurch kann zum einen die praktische Anwendbarkeit des Algorithmus geprüft werden und zum anderen kann ein Vergleich der durch den Algorithmus
260
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
erzielbaren Ergebnisse mit den in der Praxis zumeist durch intuitive Verfahren berechneten Ergebnissen erfolgen (Walther et al. 2008c, Schmid 2009). Zunächst zeigen numerische Tests zur Performanceanalyse des entwickelten Verfahrens anhand von Testinstanzen, dass trotz Informationsasymmetrie und gegenläufigen Zielsetzungen bei Anwendung des Algorithmus sehr geringe Abweichungen (1-5 %) von dem durch einen zentralen Planer unter vollständiger Information ermittelten Optimum erreicht werden. In Abbildung 9-10 ist exemplarisch für den Fall hoher verfügbarer Kapazitäten die durchschnittliche Abweichung der durch den dezentralen Algorithmus erzielbaren Ergebnisse von den durch einen zentralen Planer bei vollständiger Information erzielbaren Ergebnissen für ausgewählte Testinstanzen dargestellt.
Abbildung 9-10: Box-Plots der mit unterschiedlichen Parametereinstellungen erreichten Abweichungen des Deckungsbeitrags vom globalen Optimum in % (für Testinstanzen mit hoher Netzwerkkapazität) (Schmid 2009) Es wird deutlich, dass in diesen Fällen der durch dezentrale Aushandlung erzielbare Gesamtdeckungsbeitrag des Netzwerkes nur ca. 1 % geringer ist als das globale Optimum. Insgesamt hängt die Ergebnisgüte von der Laufzeit des Verfahrens ab, wobei sich mit steigender Anzahl an Iterationen (w) die Lösungsqualität verbessert. Als weiterer bedeutender Einflussfaktor erweist sich die Schrittweite, mit der die Preise angepasst werden (b) (vgl. Schmid 2009, Walther et al. 2008c). Die Voraussetzung für gute Ergebnisse besteht daher in einer geeigneten Parametrisierung des Verfahrens. Auch bei der Anwendung des Algorithmus auf Realdaten werden gute Ergebnisse erzielt (vgl. Walther et al. 2008c). So zeigt beispielsweise ein Vergleich mit den bei Allokation der Altgeräte im Netzwerk nach intuitiven, entfernungsbasierten Aspekten erzielbaren Ergebnissen die
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
261
betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des Aushandlungsmechanismus. In Tabelle 9-1 sind beispielhaft die Ergebnisse sowohl für eine entfernungsbasierte Allokation als auch für eine aushandlungsbasierte Allokation der Altgeräte auf drei Unternehmen für unterschiedliche Kostenstrukturen der Unternehmen (nk – niedrige Kosten, hk – hohe Kosten) angegeben. Es wird deutlich, dass im Rahmen der entfernungsbasierten Allokation alle Unternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten erfüllen müssen ( D 1 D 2 D 3 60 % ). Im Gegensatz dazu erlaubt die Anwendung des Aushandlungsalgorithmus die Zuordnung unternehmensspezifischer Recyclingquoten (48 % – 76 %). Dadurch können beispielsweise geringere Recyclingquoten in einem Unternehmen mit hohen Demontagekosten durch höhere Recyclingquoten in einem Unternehmen mit geringeren Demontagekosten kompensiert werden. Im Falle der dargestellten asymmetrischen Kostenstruktur ist dadurch eine Verringerung der Gesamtkosten zwischen 4 % und 13 % möglich (Walther et al. 2008c, Schmid 2009). Tabelle 9-1:
Szenario
Vergleich der Ergebnisse der in der Praxis eingesetzten entfernungsbasierten Allokation mit der aushandlungsbasierten Allokation (hohe Netzwerkkapazität) (Schmid 2009)
Abw. (%)
Kosten (-) / Erlöse (+) (€/a) Gesamt
Transport Quelle
Demontage
erfüllte Quoten (%)
Transport Senke
Senken
D1
D2
D3 60
Entfernungsbasierte Allokation nk, nk, nk
6,40
-2.611.504
-405.331
-1.872.821
-693.556
360.207
60
60
nk, nk, hk
13,68
-2.928.914
-405.331
-2.190.231
-693.556
360.207
60
60
60
nk, hk, nk
4,69
-2.940.662
-405.331
-2.201.980
-693.556
360.207
60
60
60
hk, nk, nk
16,33
-2.901.346
-405.331
-2.162.663
-693.556
360.207
60
60
60
' (%)
Aushandlungsbasierte Allokation nk, nk, nk
0,56
-2.468.066
-313.883
-1.874.586
-640.525
360.930
64,3
62,5
54,6
5,49
nk, nk, hk
0,57
-2.591.177
-414.947
-1.887.099
-649.423
360.292
56,3
62,8
55,6
11,53
nk, hk, nk
0,52
-2.823.671
-419.735
-2.056.175
-708.687
360.930
58,4
76
52,6
3,98
hk, nk, nk
0,73
-2.512.089
-347.735
-1.886.982
-637.630
360.260
67,8
63,3
48,4
13,42
In Tabelle 9-2 ist eine detaillierte Analyse der mit dem Algorithmus generierten Preise im Vergleich zu den bei entfernungsbasierter Allokation resultierenden Preisstrukturen dargestellt. Hierbei repräsentiert p i den durchschnittlichen Preis, den das fokale Unternehmen den Recyclingunternehmen für die Abholung einer Masseneinheit von Produkt i (i=1,…,7) zahlt, während O den für jede recycelte Masseneinheit gezahlten Bonus repräsentiert. Es wird ersichtlich, dass die aushandlungsbasierten Preise eine Unterscheidung nach Annahme und Recycling erlauben und somit eine differenziertere Allokation ermöglichen. Auf dieser Differenzierung basieren die in Tabelle 9-1 dargestellten Vorteile des Aushandlungsmechanismus.
262
9 Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke
Tabelle 9-2:
Vergleich der mittels entfernungsbasierter sowie aushandlungsbasierter Allokation festgelegten Preisstrukturen für die Annahme ( p i ) und das Recycling ( O ) der Altgeräte (hohe Netzwerkkapazitäten) (Schmid 2009)
Szenario
Preise (€) Entfernungsbasierte Allokation
p1
p2
p3
p4
p5
p6
p7
nk, nk, nk
0,39
0,36
0,31
1,09
0,72
0,71
0,31
nk, nk, hk
0,42
0,38
0,42
1,53
0,95
0,79
0,38
nk, hk, nk
0,4
0,37
0,35
1,35
0,84
0,78
0,31
hk, nk, nk
0,42
0,45
0,45
1,5
1,01
0,9
0,45
Aushandlungsbasierte Allokation
pˆ 1
pˆ 2
pˆ 3
pˆ 4
pˆ 5
pˆ 6
pˆ 7
nk, nk, nk
0,02
0,02
0,03
0,82
0,45
0,38
0,00
0,39
nk, nk, hk
0,06
0,05
0,11
0,97
0,58
0,50
0,10
0,38
nk, hk, nk
0,04
0,05
0,06
0,84
0,50
0,48
0,06
0,35
hk, nk, nk
0,08
0,09
0,11
1,03
0,61
0,50
0,11
0,34
Die unterschiedliche räumliche Allokation der Stoffströme bei entfernungsbasierter und aushandlungsbasierter Allokation verdeutlicht Abbildung 9-11 anhand eines Beispiels für ein Netzwerk mit differierender Kostenstruktur der Unternehmen (hohe Kosten bei Unternehmen 3). Aufgrund der differenzierteren Allokation kann durch die aushandlungsbasierte Allokation in diesem Beispiel eine Verringerung der Gesamtkosten des Netzwerks von 13 % p.a. erreicht werden.
a)
b)
Abbildung 9-11: Allokation im Falle einer in der Praxis derzeit häufig angewandten rein entfernungsbasierten Allokation (a) und einer Allokation auf Basis des vorgestellten Koordinationsansatzes (b) (Schmid 2009)
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Anhand der Ergebnisse wird die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des entwickelten Ansatzes zur dezentralen Koordination deutlich. Dies gilt insbesondere für asymmetrische Kostenstrukturen der Netzwerkunternehmen. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings die mit einem derartigen differenzierten Ansatz einhergehende Zunahme des Aufwandes im Zuge der Transaktion. Deutlich wird zudem, dass die zur Koordination des Netzwerks generierten Verträge von den zu Grunde liegenden Daten abhängen und somit bei Änderung externer Rahmenbedingungen eine Neuverhandlung der Verträge notwendig ist (Schmid 2009).
9.4 Fazit Die Zusammenarbeit in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken ist unter anderem geprägt durch die Vielzahl an beteiligten Akteuren, durch komplexe Prozesse der Leistungserstellung, durch Informationsasymmetrien zwischen den Netzwerkakteuren sowie durch vielfältige und teilweise gegenläufige Ziele der Entscheidungsträger. Die daraus resultierende Komplexität des überbetrieblichen Leistungsaustauschs bedingt besondere Anforderungen an Methoden zur Koordination in derartigen Netzwerken. Notwendig ist hierbei vor allem die explizite Berücksichtigung sowohl des Objektsystems in Form der Stoff- und Energieströme als Grundlage für die betriebswirtschaftliche und umweltorientierte Bewertung sowie des Subjektsystems in Form der häufig gegenläufigen Zielsetzungen der unterschiedlichen Entscheidungsträger. Die genannten Anforderungen werden insbesondere durch Methoden zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle unterstützt. Die Zielsetzung der Anwendung derartiger Ansätze besteht darin, trotz dezentraler Planung möglichst gute Ergebnisse im Vergleich zu den aus Sicht des gesamten Netzwerkes optimalen Planungsergebnissen zu erzielen. Das Optimum ist hierbei in der Regel nur durch einen zentralen Planer erzielbar, der über vollständige Informationen sowie über Weisungsbefugnis gegenüber allen Akteuren verfügt. Diese Voraussetzung ist in Netzwerken unabhängiger Unternehmen nicht gegeben. Die konkrete Anwendung der Methoden zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle am Beispiel von Allokationsentscheidungen in Recyclingnetzwerken verdeutlicht die betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des entwickelten Aushandlungsmechanismus gegenüber intuitiven Ansätzen, wie z.B. einer rein entfernungsbasierten Allokation. Insbesondere wenn im Netzwerk hohe Kapazitäten verfügbar sind, können im Fallbeispiel durch Anwendung des Mechanismus deutlich geringere Gesamtkosten als bei einer entfernungsbasierten Allokation erzielt werden. Hierfür muss das Aushandlungsverfahren allerdings viele Iterationen durchlaufen. Die Voraussetzung für den Erfolg derartiger aushandlungsbasierter Ansätze besteht daher in der softwaretechnischen Implementierung der Verhandlungsschritte, beispielsweise als Multi-Agenten-System. In dem entwickelten System nimmt der die Netzwerkzentrale repräsentierende Agent die Anpassung der Annahme- und Recyclingpreise vor, während die Berechnung der unternehmensspezifischen Optima durch alle die Recyclingunternehmen repräsentierenden Agenten erfolgt. Eine derartige Automatisierung setzt allerdings
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die Integration des Koordinationsansatzes in die Planungssysteme der jeweiligen Unternehmen voraus. Erst auf Basis derartiger Ansätze zur Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke gelingt die Integration der physischen, stoffstrombasierten Aspekte der Produktebene mit den institutionellen, transaktionsbasierten Ansätzen der Ebene des Wertschöpfungsnetzwerkes.
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10 Schlussfolgerungen Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird ein Konzept zur Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken unter Einbeziehung aller Akteure und Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ vorgestellt. Zur Ausgestaltung des Konzepts erfolgt die Entwicklung konkreter Planungsmodelle für ausgewählte Problemstellungen sowie die Anwendung auf praktische Fallbeispiele aus verschiedenen Lebenszyklusphasen komplexer Produkte der Fahrzeug- und Elektronikindustrie. Auf Basis der erarbeiteten Grundlagen und Modelle können die nachstehenden Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Stoffstrommodelle als Bewertungsgrundlage Sowohl die aus ökonomischer Perspektive entscheidungsrelevanten Zahlungsströme als auch die aus ökologischer Perspektive entscheidungsrelevanten Umweltwirkungen werden maßgeblich durch die Stoff- und Energieströme eines Produktionssystems verursacht. Für die Gestaltung und Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke unter ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen ist daher die Abbildung und Antizipation dieser Stoff- und Energieströme erforderlich. Hierfür finden Stoffstrommodelle Einsatz. Als Datengrundlage stehen in der Fertigungsindustrie Stücklisten und Baupläne zur Verfügung. Auf Basis dieser in Form von Tabellen oder Matrizen vorliegenden Daten erlaubt die Aktivitätsanalyse die Abbildung vernetzter fertigungstechnischer Produktionssysteme, wobei insbesondere auch Kuppelproduktionsprozesse abgebildet werden können. In der Prozessindustrie sind hingegen die den Stoffumwandlungen zu Grunde liegenden stöchiometrischen und thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten abzubilden. Die ex-ante Beschreibung verfahrenstechnischer Prozesse gelingt hierbei durch Ansätze der Prozesssimulation mittels Flowsheeting-Systemen. Sind darüber hinaus zusätzlich zeitliche Interdependenzen zwischen den Stoff- und Energieströmen zu berücksichtigen, finden zur zeitdiskreten Abbildung vernetzter fertigungstechnischer Systeme Petri-Netz basierte Ansätze Anwendung. Für die Beschreibung dynamischer verfahrenstechnischer Prozesse eignet sich die kontinuierliche Modellierung auf Basis von Differenzialgleichungssystemen. Erst auf Basis der durch derartige Modelle gewonnenen Informationen über die entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme lassen sich betriebswirtschaftliche und umweltorientierte Bewertungsgrößen als Basis für die Gestaltung und Lenkung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke ableiten. Berücksichtigung vielfältiger und gegenläufiger Zielsetzungen Bezüglich der von Unternehmen und Wertschöpfungsnetzwerken verfolgten Ziele wird häufig zunächst von betriebswirtschaftlichen – zumeist monetarisierbaren – Zielsetzungen ausgegan-
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gen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden umweltrechtlichen und gesellschaftlichen Anforderungen sind jedoch zukünftig alle entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme in das betriebswirtschaftliche Planungskalkül zu integrieren. Es zeigt sich, dass insbesondere die Methode der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung für eine derartige Integration geeignet ist, da diese auf die – für Kuppelproduktionsprozesse nicht verursachungsgerecht mögliche – Verrechnung aller Kostenarten auf die Stoff- und Energieströme verzichtet. Darüber hinaus müssen jedoch im Rahmen der Gestaltung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke nicht nur politische Entscheidungsträger, sondern zunehmend auch betriebliche Entscheidungsträger ökologische und soziale Zielsetzungen berücksichtigen. Diese Ziele sind zudem im Sinne des 3-Säulen-Modells der Nachhaltigkeit zusammenzuführen. Dies verdeutlicht, dass Planungsaufgaben nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke in der Regel multikriterielle Probleme darstellen. Hierbei treten zwischen den Zielen Trade-offs und somit nicht-synergetische Effekte auf. Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung von Ansätzen zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung unverzichtbar, wobei insbesondere Ansätze geeignet sind, die dem Entscheidungsträger einen detaillierten Einblick in die Entscheidungssituation ermöglichen und somit wesentlich zur Transparenz des Entscheidungsprozesses beitragen. Erst die Integration der Stoff- und Energieströme in das betriebswirtschaftliche Entscheidungskalkül durch Methoden der stoffflussbasierten Umweltkostenrechnung und der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung ermöglicht daher die simultane Berücksichtigung ökonomischer, sozialer und ökologischer Kriterien als Voraussetzung für Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit. Antizipation der Auswirkungen der Lenkungssysteme ‚Markt – Politik – Gesellschaft‘ auf das Wirtschaftssystem Im Zuge der strategischen Planung des zukünftigen Produkt- und Technologieportfolios sind durch den betrieblichen Entscheidungsträger vielfältige technologische, marktliche und rechtliche Aspekte zu berücksichtigen. So ist beispielsweise die Reaktion der Marktteilnehmer bei der Einführung von Innovationen mit großen Unsicherheiten verbunden. Politische Entscheidungsträger versuchen, durch unternehmens- und kundenbezogene Anreize oder Vorgaben auf die Wirtschaftsakteure im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Einfluss zu nehmen. Sowohl für politische als auch für betriebliche Entscheidungsträger bildet daher die Antizipation der Auswirkungen der Lenkungssysteme Markt – Politik – Gesellschaft auf das Wirtschaftssystem die Grundlage für die Auswahl politischer Instrumente bzw. betrieblicher Alternativen und somit für die Umsetzung effektiver und effizienter politischer bzw. betrieblicher Maßnahmen. Bei den zu gestaltenden Systemen handelt es sich um dynamisch komplexe, sozioökonomische Systeme mit einer Vielzahl interagierender Akteure, in denen vielfältige Ursache-Wirkungs-Beziehungen existieren und Rückkopplungseffekte sowie Verzögerungen zu
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nicht-intendierten Wirkungen führen können. Die resultierenden Planungsaufgaben sind durch ihren hohen Neuigkeitsgrad, einen sehr langen Planungshorizont sowie ihre schlechte Strukturierung gekennzeichnet. Es zeigt sich, dass für die Modellierung derartiger Problemstellungen die auf der Abbildung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen beruhende Methode der systemdynamischen Simulation besonders geeignet ist. Hierbei erlauben systemdynamische Ansätze die Analyse der Auswirkungen verschiedener Strategien am Modell, dadurch können Versuche am realen System nach dem ‚Trial-and-Error‘-Prinzip vermieden werden. Die Analyse verschiedener Strategien kann dabei beispielsweise durch den Entscheidungsträger selbst unter Einsatz eines Managementsimulators erfolgen. Die Zielsetzung besteht bei derartigen Analysen explizit nicht in der Punktprognose zukünftiger Entwicklungen, sondern im Aufzeigen von Tendenzen und Wirkungszusammenhängen. Für dynamisch komplexe Systeme können erst auf Basis derartiger Untersuchungen Interdependenzen erkannt und nicht-intendierte Wirkungen antizipiert werden. Berücksichtigung des gesamten Produktlebenszyklus Im Rahmen einer Integrierten Produktpolitik sind zukünftig die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen. Hierbei können zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen vielfältige Interdependenzen sowie gegenläufige Zielsetzungen auftreten. Notwendig ist daher die Modellierung der produktinduzierten Stoff- und Energieströme über alle Lebenszyklusphasen. Auf dieser Basis lassen sich die entscheidungsrelevanten Zahlungsströme sowie die durch ein Produkt verursachten Umweltwirkungen ermitteln. Im Rahmen der Modellierung sind hierbei alle betriebswirtschaftlich und umweltbedingt entscheidungsrelevanten Stoffströme der Lebenszyklusphasen ‚Produktentwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ mit den zwischen diesen Phasen bestehenden Interdependenzen sowie potenziellen Optionen des Kreislaufschlusses abzubilden. Hierbei müssen sowohl der Marketingzyklus einer Produktvariante als Gesamtheit aller produzierten Einheiten als auch das Produktindividuum als durchschnittliche Einheit eines Produktes Berücksichtigung finden. Erst auf Basis eines solchen integrierten Modells des Produktlebenszyklus ist die Berechnung produktindividueller und projektbezogener Zahlungsströme und Umweltwirkungen als Voraussetzung für die Auswahl geeigneter Maßnahmen in den einzelnen Lebenszyklusphasen adäquat möglich. Lebenszyklusphase der Produktentwicklung Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet kommt der Phase der Produktentwicklung eine Schlüsselrolle zu, da in dieser Phase noch die größten Einflussmöglichkeiten auf Stoff- und Energieströme und die daraus resultierenden betriebswirtschaftlichen und umweltbedingten Auswirkungen bestehen. Aufbauend auf einem integrierten Lebenszyklusmodell sind daher bereits in dieser frühen Phase Zahlungsströme und Umweltwirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus als Grundlage für die Bewertung potenzieller Entscheidungsalternativen
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zu ermitteln. Zur Ermittlung der Zahlungsströme über den Lebenszyklus ist hierbei insbesondere die Methode des Life Cycle Costing geeignet. Hierbei erfolgt aufbauend auf einem integrierten Lebenszyklusmodell die Ableitung der entscheidungsrelevanten Zahlungsströme verursachungsgerecht für die einzelnen Lebenszyklusphasen sowie für das gesamte Produktprojekt. Dies bildet die Grundlage für den Vergleich von Entscheidungsalternativen über den Lebenszyklus auf Basis einer Wirtschaftlichkeitsrechnung. Für die Erfassung und Bewertung der Umweltwirkungen über den gesamten Lebensweg findet die im Rahmen der DIN EN ISO 14.040/14.044 zertifizierte Methode des Life Cycle Assessment bzw. der Ökobilanzierung beruhend auf den durchschnittlichen Stoff- und Energieströmen eines Produktindividuums Einsatz. Erst eine solche umweltorientierte Bewertung aller Stoff- und Energieströme über den Lebenszyklus eines Produktes bildet die Voraussetzung für die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Minderung der Umweltwirkungen. Lebenszyklusphase der Produktion Auch in der Phase der Produktion sind vielfältige Entscheidungen auf strategischer, taktischer und operativer Ebene zu treffen. Bei der Einführung innovativer Produkte und Technologien ist hierbei insbesondere der Aufbau effizienter und effektiver Produktionssysteme auf Basis einer integrierten Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung erforderlich. Die Grundlage für derartige Planungsmodelle bilden die aus den Transformationsprozessen des Produktionssystems resultierenden entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströmen. Während diese in der Fertigungsindustrie als produktbasierte Informationen aus Stücklisten gewonnen werden können, sind für stoffumwandelnde Prozesse in der Verfahrenstechnik zusätzlich auch prozessbasierte Informationen notwendig. Daher wird ein hierarchisches Planungskonzept zur integrierten techno-ökonomischen Modellierung entwickelt. Insbesondere für Planungsprobleme in der Prozessindustrie ermöglicht erst eine derartige Integration der technischen und betriebswirtschaftlichen Systemgestaltung die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Informationen bezüglich der Stoffströme und Prozesse sowie der daraus ableitbaren betriebswirtschaftlichen Bewertungsgrößen und Umweltwirkungen. Im Rahmen der Einführung von Produkt- und Prozessinnovationen sind insbesondere auch systemimmanente und externe Planungsunsicherheiten zu berücksichtigen. Hierbei eignet sich die robuste, szenariobasierte Optimierung im Vergleich zur stochastischen Optimierung insbesondere für einmalige bzw. seltene Entscheidungssituationen, da hier auf die explizite Spezifikation (mathematisch handhabbarer) Verteilungsannahmen verzichtet wird und daher deutlich geringere Anforderungen an die Datenverfügbarkeit bestehen. Entscheidungsträger spezifizieren hierbei potenzielle Szenarien der Umfeldentwicklung und versehen diese nach Möglichkeit zusätzlich mit Informationen bezüglich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit. Dadurch können sowohl verschiedene Entwicklungen des Planungsumfeldes als auch unter-
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schiedliche Risikoeinstellungen der Entscheidungsträger in der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Insgesamt wird die große Bedeutung der Planung effektiver und effizienter Produktionssysteme als Voraussetzung für die Implementierung von Technologie- und Produkt-Innovationen deutlich. Derartige Systeme können erst auf Basis stoffflussbasierter Planungsansätze unter Heranziehung technischer und betriebswirtschaftlicher Systeminformationen und unter Berücksichtigung bestehender Unsicherheiten geplant werden. Lebenszyklusphase der Nutzung Untersuchungen komplexer Produkte mittels Life Cycle Costing und Life Cycle Assessment verdeutlichen, dass für hochwertige Geräte große betriebswirtschaftliche und ökologische Potenziale in einer Verlängerung der Nutzungsdauer liegen. Durch eine Substitution neuer Geräte durch Gebrauchtgeräte bleiben der Energieeinsatz und die Wertschöpfung, die im Rahmen der Produktion in die Geräte und Bauteile eingebracht wurden, erhalten. Die Voraussetzung für eine Nutzungsdauerverlängerung besteht in der geeigneten Rückführung, Aufarbeitung und Wieder-in-Verkehr-Bringung der Geräte und Komponenten nach der ersten Nutzungsphase. Als Aufarbeitungsoptionen lassen sich in Abhängigkeit der angestrebten Qualität das Re-Use, die Reparatur, das Refurbishing sowie das Remanufacturing unterscheiden. Diese Aufarbeitungsprozesse sind geeignet in die Produktionsprogramm- und Absatzplanung eines Unternehmens zu integrieren. Hierbei ist über den in klassischen Planungsansätzen durchzuführenden Abgleich von prognostizierter Absatzmenge und Produktionskapazitäten hinaus im Rahmen der Aufarbeitungsplanung zusätzlich ein Abgleich der prognostizierten Rückläufer und der in diesen enthaltenen Komponenten mit der Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten sowie der Beschaffung von Neukomponenten erforderlich. Die resultierende komplexe Planungsaufgabe erfordert Modelle zur integrierten Produktions-, Absatz- und Aufarbeitungsplanung. Erst auf Basis derartiger Modelle können die betriebswirtschaftlichen und ökologischen Potenziale der Nutzungsdauerverlängerung ausgeschöpft und die erforderlichen Aufarbeitungsprozesse in die Planung des aufarbeitenden Unternehmens integriert werden. Lebenszyklusphase der Entsorgung Ist die Verlängerung der Nutzungs- bzw. Lebensdauer von Produkten und Bauteilen nicht mehr möglich, müssen komplexe Produkte einer ordnungsgemäßen Behandlung und Entsorgung zugeführt werden. Hierbei erfolgt die Auflösung der Produktstruktur durch die Aktivitäten der Demontage und mechanischen Aufbereitung mit dem Ziel der stofflichen bzw. energetischen Verwertung von Materialfraktionen sowie der ordnungsgemäßen Beseitigung von Schadstoffen. Die genannten Aktivitäten zeichnen sich durch eine variable Tiefe und Reihenfolge der Wertschöpfungsprozesse, durch kleine Losgrößen aufgrund der hohen Variantenvielfalt der Altgeräte sowie durch Unsicherheiten bezüglich der Zusammensetzung und Anfallmenge der Geräte aus. Im Rahmen der Modellierung der Demontage- und Aufberei-
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tungsaktivitäten muss insbesondere auch dem Charakteristikum divergierender Produktionsstrukturen und der daraus resultierenden Kuppelproduktion Rechnung getragen werden. Für die Abbildung der Demontage- und Aufbereitungsprozesse sind daher insbesondere Ansätze der aktivitätsanalytischen Modellierung geeignet. Im Rahmen der Planung sind zudem die Interdependenzen der Demontage- und Aufbereitungsplanung mit der Entsorgungsplanung zu berücksichtigen. Notwendig ist daher ein integriertes Modell zur Demontage-, Aufbereitungsund Entsorgungsplanung, das die Grundlage bilden kann für Planungsentscheidungen im Rahmen der Losgrößen- und Feinplanung sowie der Produktionssteuerung integrierter Recyclingunternehmen. Ein derartiges Modell bildet die Voraussetzung für die Planung effektiver und effizienter Behandlungs- und Entsorgungsprozesse zur Erfüllung rechtlicher Anforderungen am Ende des Produktlebenszyklus. Notwendigkeit einer akteursübergreifenden Zusammenarbeit Die Erweiterung von Wertschöpfungsnetzwerken um alle Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus bedingt die Aufnahme zusätzlicher Akteure, beispielsweise in Form von Redistributions- und Recyclingunternehmen. Dadurch nimmt die Komplexität der Beziehungen zwischen den Akteuren und somit die Notwendigkeit einer effektiven und effizienten Koordination zu. Charakteristisch für nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke sind zudem komplexe Prozesse der Leistungserstellung sowie hohe zeitliche und qualitative Anforderungen an den Leistungsaustausch durch die Kopplung von Ver- und Entsorgungsprozessen. Im Falle von interdependenten Entscheidungen zwischen unabhängigen Unternehmen und verteilten Informationen können die Zielfunktionen der jeweiligen Entscheidungsträger gegenläufig sein und sich von den Zielen zur optimalen Koordination des Gesamtsystems unterscheiden. Notwendig für die Koordination von Planungsaufgaben in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken ist daher die Umsetzung von Mechanismen der dezentralen Entscheidungsunterstützung. Zusätzlich zu den ökonomischen Zielfunktionen der Netzwerkpartner sind zudem gegebenenfalls rechtliche, ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Hieraus ergibt sich die Forderung nach einer expliziten Prozess- und Stoffstromorientierung von Ansätzen zur Koordination derartiger Netzwerke sowie einer expliziten Abbildung akteursspezifischer Zielfunktionen. Es zeigt sich, dass insbesondere die Ansätze zur Koordination mathematischer Optimierungsmodelle aufgrund der expliziten Abbildung des Objekt- und Subjektsystems die genannten Anforderungen erfüllen. Insbesondere bieten die Ergebnisse derartiger Ansätze eine konkrete Entscheidungsunterstützung im Rahmen der Netzwerkkoordination. Erst dadurch gelingt die Integration der physischen, stoffstrombasierten Aspekte der Produktebene mit den institutionellen, transaktionsbasierten Ansätzen der Ebene des Wertschöpfungsnetzwerkes.
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Umsetzung von Konsistenz-, Suffizienz- und Effizienzstrategien entlang des Produktlebenszyklus Eine Entwicklung hin zu nachhaltigen Wirtschaftssystemen setzt die Umsetzung von Effizienz-, Suffizienz- und Konsistenzstrategien voraus, wobei eine geeignete Kombination der genannten Strategien erforderlich ist. Während die Effizienzmaßnahmen im Allgemeinen in Win-Win-Situationen mit begrenztem Umsetzungsrisiko resultieren, sind mit der Umsetzung von Konsistenz- und Suffizienzstrategien zumeist große Unsicherheiten verbunden. Die Notwendigkeit, aber auch die Umsetzbarkeit dieser Strategien entlang des Lebenszyklus wird anhand der aufgeführten Fallstudien deutlich. Hierbei ist zunächst zu analysieren, in welcher Lebenszyklusphase eines Produktes die Umsetzung welcher Strategien besonders geeignet ist. Die Voraussetzung hierfür bilden die Zahlungsströme und Umweltwirkungen über den Produktlebenszyklus auf Basis der zu Grunde liegenden Stoff- und Energieströme. Wie anhand des Life Cycle Assessment komplexer Elektronikgeräte deutlich wird, resultieren hierbei selbst innerhalb einer Produktgruppe sehr heterogene Ergebnisse. Während für einige der Geräte, wie beispielsweise PCs und Mobiltelefone, eine Vermeidung der Produktion durch Verlängerung der Nutzungsdauer der Geräte im Sinne einer Suffizienzstrategie sinnvoll ist, ist bei anderen Geräten, wie z.B. bei Kühlschränken und Fernsehgeräten, vor allem eine Umsetzung der Effizienzstrategie in Form der Reduktion des Energieverbrauches in der Nutzungsphase Erfolg versprechend. Die Konsistenzstrategie wird beispielsweise bei der Einführung neuer Antriebstechnologien sowie der Umstellung auf Biokraftstoffe im Automobilsektor verfolgt. Anhand der Analysen wird deutlich, dass hier aufgrund des Umsetzungsrisikos sowie der anfangs sehr hohen Entwicklungs- und Produktionskosten die Förderung der Einführung innovativer Antriebstechnologien durch den politischen Entscheidungsträger notwendig ist. So ist die für eine Emissionsminderung notwendige Umstrukturierung der Fahrzeugflotte in Richtung alternativer Antriebstechnologien nur bei geeigneten Anreizen für die Käufer, beispielsweise in Form von Bonus- und Maluszahlungen auf den Kaufpreis, zu erwarten. Insgesamt wird deutlich, dass insbesondere bei Konsistenz- und Suffizienzstrategien lange Umsetzungszeiträume und große Umsetzungsrisiken bestehen und eine erfolgreiche Implementierung die Zusammenarbeit der politischen, betrieblichen und gesellschaftlichen Akteure bedingt. Fazit Insgesamt wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich, dass die Berücksichtigung aller Produktlebenszyklusphasen eine Erweiterung der traditionellen Wertschöpfungsketten erfordert. Notwendig sind daher Wertschöpfungsnetzwerke, die alle Wertschöpfungsstufen entlang des Produktlebenszyklus umfassen. Hierbei sind auf jeder Stufe Informationen über die resultierenden Stoff- und Energieströme sowie Zahlungsströme und Umweltwirkungen und infolgedessen stoffstrombasierte Planungsmodelle erforderlich. Aufgrund der Vielzahl der an den
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Entscheidungen beteiligten Akteure ist zudem die Berücksichtigung institutioneller Aspekte durch Ansätze zur Koordination notwendig. Vor diesem Hintergrund wird mit der vorliegenden Arbeit erstmals ein Planungsrahmen für die modellbasierte Gestaltung und Lenkung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke vorgelegt, der diese vielfältigen Anforderungen erfüllt. Hierbei gelingt zum einen die Integration stoffstrombasierter und organisatorischer Aspekte und es wird zum anderen eine modellbasierte Verknüpfung von Produktlebenszyklus und Wertschöpfungsnetzwerk erreicht. Die Ausgestaltung des Planungsrahmens erfolgt für ausgewählte Problemstellungen über den gesamten Lebenszyklus komplexer Produkte. Die praktische Eignung des Planungsrahmens wird zudem durch die Anwendung auf konkrete fertigungs- und prozesstechnische Fragestellungen im Lebenszyklus von Elektronikgeräten und Fahrzeugen nachgewiesen. Erst durch die vorliegende Arbeit wird die Basis für die effektive und effiziente Planung und Lenkung von Material-, Wert- und Informationsflüssen nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung’ geschaffen. Hierbei erfolgt zudem die Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Zielsetzungen zur Erfüllung der aus den Lenkungssystemen Politik, Gesellschaft und Markt erwachsenden Anforderungen. Zukünftig gilt es, den entwickelten Planungsrahmen systematisch auszugestalten. Die im Rahmen der Arbeit anhand ausgewählter Problemstellungen aufgezeigten Lösungsansätze sind auf weitere Planungsprobleme im Produktlebenszyklus sowie im Wertschöpfungsnetzwerk zu übertragen. Sinnvoll erscheint zudem eine Konkretisierung für weitere Produkte und Branchen. Darauf aufbauend erfordert die praktische Umsetzung des Planungsrahmens eine konsequente Integration der entwickelten Ansätze in betriebliche und überbetriebliche Planungssysteme. Erst dadurch gelingt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in den Planungskalkülen der betrieblichen Entscheidungsträger. Insgesamt bilden der entwickelte Planungsrahmen sowie die Ausgestaltung über den Produktlebenszyklus und im Wertschöpfungsnetzwerk einen geeigneten Ausgangspunkt zur Gestaltung nachhaltiger Wirtschaftssysteme als Voraussetzung für die Lösung der drängendsten Probleme unserer Zeit.
11 Zusammenfassung
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11 Zusammenfassung Die Forderung einer nachhaltigen Entwicklung gewinnt vor dem Hintergrund globaler und irreversibler Probleme, beispielsweise in Form des Treibhauseffektes oder der Verknappung endlicher Ressourcen, zunehmend an Bedeutung. Notwendig ist daher die Einbettung anthropogener Stoffströme in natürliche Stoffkreisläufe im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Zusammenwirkens von Produzenten, Konsumenten und Recyclingunternehmen. Für Unternehmen bedeutet dies konkret die Erweiterung der Herstellerverantwortung auf den gesamten Produktlebenszyklus. Hieraus resultieren eine Zunahme der Anzahl der zu berücksichtigenden Akteure sowie eine Steigerung der Komplexität der zu gestaltenden und zu koordinierenden Wertschöpfungsnetzwerke. Vor diesem Hintergrund sind daher in Wertschöpfungsnetzwerken zukünftig sowohl stoffstrombasierte Aspekte des Produktlebenszyklus als auch organisatorische Aspekte der Kooperation der am Lebenszyklus beteiligten Akteure zu berücksichtigen. Dies bedingt komplexe Planungs- und Steuerungsaufgaben und stellt hohe Ansprüche an die einzusetzenden Instrumente und Planungsmethoden. Ansätze zur Berücksichtigung derartiger Aspekte werden in der Betriebswirtschaftslehre seit wenigen Jahrzehnten entwickelt. Aus produktionswirtschaftlicher Sicht wird hierbei der Fokus häufig auf einzelne Lebenszyklusphasen von Produkten gelegt oder es findet eine rein stoffstrombasierte Betrachtung statt. Bisher liegen jedoch wenige industriell einsetzbare Ansätze über den gesamten Produktlebenszyklus unter Integration stoffstrombasierter sowie organisatorischer Aspekte vor. Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher die Entwicklung eines Konzeptes zur Gestaltung und Koordination von Material-, Wert- und Informationsflüssen in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken unter Einbeziehung aller Akteure und Aktivitäten entlang des Produktlebenszyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘. Hierbei finden insbesondere auch die zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen auftretenden Interdependenzen sowie die Prozesse des überbetrieblichen Leistungsaustauschs Berücksichtigung. Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet die Analyse der Strategien und Konzepte des nachhaltigen Wirtschaftens. Anschließend wird aufgezeigt, wie die Umweltpolitik mit dem Ziel der Entwicklung zur Nachhaltigkeit auf die Akteure in den Wirtschaftssystemen einwirkt. In diesem Zusammenhang wird die Entwicklung der Umweltpolitik von den ursprünglich nachsorgenden Ansätzen hin zu den aktuellen, den gesamten Produktlebenszyklus umfassenden Ansätzen dargestellt. Im Anschluss daran erfolgt die Erläuterung des Stoffstrommanagements als Instrument zur Erfassung, Bewertung und Optimierung aller über den Lebensweg eines Produktes verursachten Auswirkungen. Diese stoffstrombasierte Sichtweise wird ergänzt durch die Vorstellung institutioneller Aspekte in Form einer Analyse der Ziele und Charakteristika von Wertschöpfungsnetzwerken. Durch die Zusammenführung der aus einer nachhaltigen
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Entwicklung erwachsenden Anforderungen, der umweltrechtlichen Rahmenbedingungen sowie der stoffstrombasierten und institutionellen Aspekte gelingt dann die Ableitung des Planungsrahmens der vorliegenden Arbeit. Dieser zeichnet sich vor allem durch die Integration der physischen, stoffstromspezifischen Planungsaufgaben entlang des Produktlebenszyklus mit den organisatorischen, akteursübergreifenden Aufgaben zur Koordination von Wertschöpfungsnetzwerken aus. Die Konkretisierung des Planungsrahmens erfolgt durch Spezifizierung der umweltrechtlichen, stoffstrombasierten sowie organisatorischen Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung in der Elektronikindustrie. Im Rahmen der Gestaltung nachhaltiger Wirtschaftssysteme bildet die Integration der entscheidungsrelevanten Stoff- und Energieströme in das Planungskalkül der Entscheidungsträger eine wesentliche Voraussetzung. Hierfür werden in der vorliegenden Arbeit zunächst Möglichkeiten der statischen und der dynamischen Modellierung von Stoffströmen in Form der Aktivitätsanalyse, der Prozesssimulation, der Petri-Netze sowie der kontinuierlichen Modellierung auf Basis von Differenzialgleichungssystemen vorgestellt sowie die Ziele und Zielhierarchien betrieblicher und politischer Entscheidungsträger analysiert. Als Methode zur Integration entscheidungsrelevanter Stoff- und Energieströme in die ökonomische Bewertung wird die stoffflussbasierte Umweltkostenrechnung vorgestellt. Für die simultane Berücksichtigung weiterer technischer, ökologischer und sozialer Zielsetzungen über rein ökonomische Zielsetzungen hinaus werden Methoden des Multi Objective Decision Making sowie des Multi Attribute Decision Making zur multikriteriellen Entscheidungsunterstützung behandelt. Die vorgestellten Methoden zur stoffstrombasierten Modellierung und Bewertung werden am Beispiel eines Netzwerkes zum Recycling von Elektro(nik)altgeräten konkretisiert. Sowohl im Rahmen der strategischen Planung des zukünftigen Produkt- und Technologieportfolios durch betriebliche Entscheidungsträger als auch bei der Folgenabschätzung (umwelt-) rechtlicher Instrumente durch politische Entscheidungsträger sind die Wechselwirkungen der Wirtschaftssysteme mit den Lenkungssystemen Politik, Markt und Gesellschaft zu antizipieren. Eine Analyse zeigt, dass in den zu untersuchenden Systemen Rückkopplungen und Verzögerungen über lange Zeiträume zu Nichtlinearitäten, Akkumulationen und häufig zu nichtintendierten Wirkungen führen. Daraus resultieren dynamisch komplexe, schlecht strukturierte Problemstellungen. Als besonders geeignete Methode in einem derartigen Entscheidungsumfeld wird die auf der Analyse von Ursache-Wirkungs-Beziehungen basierende Methode System Dynamics ausgewählt. Die Vorgehensweise bei der systemdynamischen Modellierung wird am Beispiel der Produktdiffusion vorgestellt und am Fallbeispiel der Gesetzesfolgenabschätzung zur Einführung neuer Antriebstechnologien in der Automobilbranche konkretisiert. Anhand der Fallstudie werden die für eine Umstrukturierung von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen benötigten langen Zeiträume deutlich.
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Im Anschluss an die strategischen Entscheidungen zum Produkt- und Technologieportfolio kommt der Produktentwicklung aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf alle Lebenszyklusphasen eines Produktes eine Schlüsselrolle zu. Um die sich daraus ergebenden Potenziale ausschöpfen zu können, sind jedoch Kenntnisse über lebenszyklusweite Stoff- und Energieströme sowie die daraus resultierenden Zahlungsströme und Umweltwirkungen erforderlich. Zur ex-ante Abschätzung der Stoff- und Energieströme wird daher ein integriertes Lebenszyklusmodell entwickelt. Dies bildet die Grundlage für die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Zahlungsströme mit Hilfe des Life Cycle Costing sowie für die Erfassung der Umweltwirkungen über den Lebenszyklus mit Hilfe des Life Cycle Assessment. Auch hier erfolgt eine Konkretisierung durch die Anwendung der Methoden auf komplexe Medizingeräte sowie Geräte der Konsumelektronik. Im Anschluss an die Phase der Produktentwicklung resultieren auch in der Produktion vielfältige Planungsprobleme auf strategischer, taktischer und operativer Ebene. In der vorliegenden Arbeit wird hierbei auf die integrierte Standort-, Kapazitäts- und Technologieplanung für Produkt- und Technologie-Innovationen fokussiert. Die Grundlage einer derartigen Planung bilden techno-ökonomische Modelle, auf deren Basis Transformationskoeffizienten abgeleitet sowie prozessbedingte Zahlungsströme antizipiert werden können. Eine Erweiterung zu robusten Planungsmodellen erlaubt die Berücksichtigung der bei der Umsetzung von Innovationen typischen systemimmanenten und externen Planungsunsicherheiten. Die Konkretisierung erfolgt am Fallbeispiel der Planung eines Produktionssystems zur Herstellung von Biokraftstoffen der zweiten Generation. Durch Anwendung der vorgestellten Planungsmethodik werden Aussagen über die Robustheit der Ergebnisse bezüglich der gewählten Standorte, Anlagentypen und Kapazitätsklassen für verschiedene Szenarien der Entwicklung der BTLNachfrage für unterschiedliche Risikoeinstellungen der Entscheidungsträger möglich. In der Nutzungsphase ergeben sich für Hersteller hochwertiger Produkte durch eine Verlängerung der Nutzungsdauer betriebswirtschaftliche und ökologische Potenziale, da hierbei die in der Phase der Produktion in die Geräte eingebrachte Wertschöpfung und Energie erhalten bleiben. Dies erfordert allerdings die Rückführung, Aufarbeitung und Wieder-in-VerkehrBringung der Geräte. Im Rahmen der Produktionsprogrammplanung in einem derartigen Planungsumfeld ist nicht nur ein Abgleich der Absatzmengen und des Produktionsprogramms erforderlich, sondern es sind zusätzlich auch die prognostizierten Geräterückläufer mit den darin enthaltenen Komponenten mit der Nachfrage nach aufgearbeiteten Geräten sowie der Beschaffung von Neukomponenten abzustimmen. Ausgehend von einer Darstellung der Handlungsspielräume der Hersteller wird daher ein Modell zur Integration der Produkt- und Komponentenaufarbeitung in die klassische Produktionsplanung entwickelt. Das Konzept wird am Fallbeispiel eines Automatenherstellers angewandt. Deutlich wird insbesondere die ökonomische Vorteilhaftigkeit einer kombinierten Produkt- und Komponentenaufarbeitung.
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11 Zusammenfassung
Ist eine Aufarbeitung von Geräten nicht länger möglich, sind die Altgeräte einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen. Hierbei erfolgt die Auflösung der Produktstruktur durch Demontage und mechanische Aufbereitung mit dem Ziel der Kreislaufführung von Wertstoffen sowie der ordnungsgemäßen Beseitigung nicht kreislauffähiger Abfälle. Insbesondere für die Aktivitäten der Demontage und mechanischen Aufbereitung werden Möglichkeiten zur Modellierung aufgezeigt, diese werden anschließend in einem Modell zur integrierten Demontage-, Aufarbeitungs- und Entsorgungsplanung zusammengeführt. Konkretisiert werden die Ausführungen durch die Anwendung dieses integrierten Planungsmodells auf das Fallbeispiel der Behandlung von Elektro(nik)altgeräten in einem integrierten Recyclingunternehmen. Die in den Kapiteln vier bis acht entlang des Produktzyklus ‚Entwicklung – Produktion – Nutzung – Entsorgung‘ vorgestellten Planungsmodelle setzen jeweils einen zentralen Entscheidungsträger sowie die Verfügbarkeit aller entscheidungsrelevanten Informationen voraus. Zwischen den einzelnen Lebenszyklusphasen lassen sich allerdings Interdependenzen beobachten, somit sind Entscheidungen anderer Akteure tangiert. Vor diesem Hintergrund erfolgt daher abschließend eine Erweiterung der Betrachtungen um institutionelle, transaktionsbasierte Aspekte zur Berücksichtigung der Koordination in Wertschöpfungsnetzwerken. Zu diesem Zweck werden zunächst Anforderungen an Koordinationsansätze in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken abgeleitet, wobei deutlich wird, dass die Zusammenarbeit in nachhaltigen Wertschöpfungsnetzwerken durch die Vielzahl beteiligter Akteure, komplexe Prozesse der Leistungserstellung, Informationsasymmetrien sowie vielfältige und gegenläufige Ziele der Entscheidungsträger geprägt ist. Zum Zweck der Ableitung geeigneter Ansätze werden schließlich Methoden zur Koordination überbetrieblicher Leistungserstellungsprozesse diskutiert, wobei die Methode der Koordination mathematischer Optimierungsmodelle aufgrund der Möglichkeit der simultanen Berücksichtigung des Objekt- und Subjektsystems der Akteure besonders geeignet erscheint. Die Konkretisierung erfolgt durch Entwicklung eines Planungsmodells für die dezentrale Koordination von Recyclingnetzwerken. Aufbauend auf den Betrachtungen in den einzelnen Kapiteln werden Schlussfolgerungen für die Gestaltung und Koordination nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke abgeleitet. Insbesondere wird deutlich, dass eine Integration der physischen, stoffstrombasierten Aspekte der Produktebene mit den institutionellen, transaktionsbasierten Ansätzen der Ebene des Wertschöpfungsnetzwerkes notwendig ist. Mit der vorliegenden Arbeit wird erstmalig ein Planungsrahmen für die modellbasierte Gestaltung und Lenkung nachhaltiger Wertschöpfungsnetzwerke vorgelegt und anhand ausgewählter Problemstellungen konkretisiert. Hierbei gelingen sowohl die Integration stoffstrombasierter und organisatorischer Aspekte als auch die Verknüpfung von Produktlebenszyklus und Wertschöpfungsnetzwerk. Der Planungsrahmen ist zukünftig systematisch auszugestalten und in betriebliche und überbetriebliche Planungssysteme zu integrieren.
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