KLEINE JUGENDREIHE
Günther Krupkat
Nordlicht über Palmen Wissenschaftlich-phantastische Erzählung
VERLAG KULTUR UND ...
15 downloads
505 Views
675KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
KLEINE JUGENDREIHE
Günther Krupkat
Nordlicht über Palmen Wissenschaftlich-phantastische Erzählung
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1957
8. Jahrgang, 2. Februarheft Verlag Kultur und Fortschritt Berlin W 8, Taubenstraße t8 Lizenz-Nr 3-285/49/5? ■ Alle Rechte vorbehalten Umschlag und Illustrationen Adelheid Dietzel Satz und Druck: (Hl/9/11 Sächsische Zeitung, Dresden N 23 14046
„Hallo, U S X B fünfnullsieben… Hallo, U S X B fünfnullsieben… Spitzbergen ruft!… Bitte melden!… Bitte melden!“ „Hier USXB fünfnullsieben… Wir hören!“ „Starkes Grönlandtief schiebt Ausläufer auf Ihren Kurs. Gehen Sie über tausend Meter… über tausend Meter. Ende!“ Das Flugzeug USXB 5 – 07 schoß durch den kristallklaren Himmel. Flugkapitän Warren ließ den Blick bis zum Horizont schweifen, über dem die blasse Polarsonne schwebte. Noch war die Sicht ungetrübt. „Damned!“ fluchte er. „Bekommen nicht genug Höhe. Müssen nach Südosten ausweichen.“ Berryfield, der zweite Pilot, nickte. „Okay, Captain!“ Das Flugzeug befand sich auf der Polroute von San Franzisko nach Stockholm. Es gehörte der Western Air Lines Corporation, die von dem Dollarmillionär Sam W. Taylor kontrolliert wurde. Sani W. Taylor, der Bankier des „goldenen Westens“, wie er allgemein genannt wurde, kontrollierte noch manch anderes, zum Beispiel die Las Vegas Company, die sich mit der „friedlichen“ Ausnutzung der Atomenergie befaßte. O ja, der alte Taylor hatte eine feine Nase für große
Geschäfte, und Moneymachen war sein Lebenszweck. Jetzt saß er in dem Flugzeug, um geschäftliche Dinge, die er in seinem europäischen Interessenbereich zu regeln hatte, mit einem kleinen Erholungstrip zu verbinden. Mit einem ganz kleinen, versteht sich, denn: Time is money! Zeit ist Geld! Auf dieser Reise begleiteten ihn Mrs. Margaret Taylor, seine Gattin, und Edward, sein Sohn und „leiblicher Sekretär“, wie er ihn zu bezeichnen pflegte. Zum weiteren Gefolge zählten noch Mary, die schwarze Zofe, und Johnson, der Chauffeur. Mit den beiden Piloten waren insgesamt sieben Personen an Bord der Maschine. Mrs. Taylor hatte diesen Polflug zwar als „Kateridee“ bezeichnet, sich jedoch gegen Taylor senior und junior nicht durchzusetzen vermocht. Seufzend war sie also darangegangen, für die „Polarausrüstung’ der Familie zu sorgen, was ihr ohne Frage bestens gelungen war, denn die drei Taylors saßen in den bequemen Klappsesseln der Passagierkabine, als zünftige Polfahrer verkleidet, obwohl hier eine angenehme Temperatur herrschte. Aber man war schließlich in der Arktis, und draußen mußte es jedenfalls barbarisch kalt sein, gewiß nicht weniger als minus 76 Grad Fahrenheit! Sam W. Taylor war ein großer, starker Mann, der sich stets eines durch nichts zu störenden Appetits erfreute. Dieser und der Gedanke an einen noch vielstündigen Flug in der äußerst anstrengenden Vermummung veranlaßte ihn, von der schwarzen Mary eine Stärkung zu fordern, die sie ihm alsbald mit flinken Händen in Form von kaltem Geflügel, etwas Weißbrot und Obst nebst einem Glas Rotwein herrichtete und reichte. „Habt ihr denn keinen Hunger?“ fragte er und wies mit dem Messer auf das zarte Vogelfleisch. „Nein, danke“, antwortete Mrs. Taylor spitz und warf einen
giftigen Blick zum Fenster hinaus. Sie war noch immer darüber gekränkt, daß man ihr zugemutet hatte, diese Reise zu unternehmen, der sie nicht den geringsten Reiz abgewinnen konnte und wollte. „Wenn wir nur schon aus dieser Öde heraus und endlich wieder unter Menschen wären!“ „Sind wir vielleicht keine Menschen?“ brummte Mr. Taylor und schüttelte mißbilligend den kurzgeschorenen Graukopf. „Den Nordpol überfliegen! Davon habe ich als Junge geträumt. Nun habe ich mir diesen Traum mal erfüllt, und du…“ Den Rest des Satzes spülte er mit einem Schluck Rotwein hinunter. Edward Taylor erhob sich. „Beruhige dich, Mama, wir haben den längsten Weg hinter uns. Ich werde mich beim Piloten erkundigen, wir müssen ja bald über Spitzbergen sein.“ Nach der Meinung seines Vaters hatte Edward nicht die „große Linie“ der Taylors. Er war, wie der Alte sich ausdrückte, zwar der Geburt, nicht aber dem. Geiste nach „echter“ Amerikaner, ein Makel in den Augen des Herrn Papas, den dieser mit allen nur erdenklichen Mitteln zu beseitigen trachtete, bis jetzt jedoch ohne den kleinsten Erfolg. Im Gegenteil, seit Edward aus Europa zurückgekehrt war, wo er Nationalökonomie studiert hatte, zeigte er sich liberalen Anschauungen zugänglicher denn je, wenn auch stets in den Grenzen, die selbst ein Taylor junior nicht durchbrechen konnte. Das nebenbei. Edward begab sich nach vorn zu Flugkapitän Warren. „Nun, Mr. Warren, wie steht’s?“ Kapitän Warren rief durch das Dröhnen der Motoren: „Haben Verspätung! Mußten einem Grönlandtief ausweichen.“ „Warum ausweichen? Konnten wir nicht darüber hinweg?“ schrie Edward zurück. Warren schüttelte den Kopf „Unser ,Flying Fish’ schafft’s
nicht!“ Er wies nach außen. „Bei dieser Kälte nicht.“ Edward schaute über Warrens Schulter in die Tiefe. Dort lag das weiße Reich des ewigen Eises. Es war eine bizarre Landschaft aus Eisgebirgen, deren Spitzen und Hänge unter den zuckenden Strahlen der nach fast viermonatiger Polarnacht nun wieder scheinenden Sonne wie Diamantenblitze sprühten. Scharf setzten sich die blauen Schatten ab, zwischen denen die Zacken und Türme des Packeises emporfunkelten. Ein stetes Gleißen und Glänzen lag über dieser erstarrten Welt, deren Formen die Phantasie unentwegt beschäftigten, über allem wölbte sich ein Himmel von unsagbar zartem Blau, das sich am südlichen Horizont in einem perlmuttfarbenen Kranz um den Sonnenball verlor. Ein Märchenland, lockend und tötend – die Arktis. Ein grauer Fleck genau in der Flugrichtung erregte Edwards Aufmerksamkeit. Er tippte Kapitän Warren auf die Schulter und wies nach vorn. „Spitzbergen?“ „No, Sir! Müßte rechts auftauchen.“ Der Fleck wuchs und entpuppte sich als eine Wolkenwand. Warren beugte sich vor, dann wandte er den Kopf zu Berryfield, dem zweiten Piloten. „Das Grönlandtief? Ist doch nicht möglich!“ Berryfield überprüfte die Meßinstrumente. Nach einem Blick auf Warren rief er Edward zu: „Nichts von Bedeutung, Sir! Kleine atmosphärische Störung. Maschine wird unruhig werden. Empfehle, in die Passagierkabine zu gehen.“ Warren nickte. „Ist das beste. Bitte ganz ruhig bleiben! Kein Grund zur Aufregung.“ Achselzuckend ging Edward zurück. „Nun, Berryfield, was ist wirklich los? Sieht nicht gut aus.“ Der zweite Pilot rückte nervös an seiner Kappe, „Hören Sie das, Warren? Da funkt ein fremder Peilsender!“ „Merkwürdig. Muß ganz in der Nähe sein. Rufen Sie ihn
mal!“ Eine Verbindung mit der Station war nicht zu bekommen. Auch Spitzbergen meldete sich nicht. Die Piloten hörten nur das Prasseln und Knattern schwerer atmosphärischer Störungen. „Barometer stark schwankend. Temperatur steigt dauernd“, rief Berryfield und deutete auf die schwarzgraue Mauer, der das Flugzeug entgegenraste. Es war eine gewaltige brodelnde Wolkensäule, die vom Eise bis weit über tausend Meter in den Himmel ragte und zeitweilig von Blitzen rötlich durchleuchtet wurde. „Unbegreifliche Erscheinung!“ stellte Warren beunruhigt fest. Berryfields Augen weiteten sich. Er erkannte das Phänomen. „Warren! Ein Zyklon!“ Er gab Winkzeichen. „Ausweichen! Ausweichen!“ Das Seitensteuer flog herum. Aber es war zu spät. Der Wirbelsturm packte den linken Flügel der Maschine, und wie von einer Riesenfaust wurde das Flugzeug ein paar hundert Meter tief hinabgeschleudert. Schon befanden sie sich inmitten der Wolkenmasse. Die Scheiben der Führerkabine schienen aus Milchglas zu sein. Vom Passagierraum her kam Poltern, dem Mrs. Taylors Gezeter folgte: „Ich hab’s ja geahnt! Ich hab’s geahnt. Das ist mein Ende!“ Noch ehe die anderen den ersten Schreck überwunden hatten und der schreienden Mrs. Taylor zu Hilfe eilen konnten, hatte sich die Lage offenbar zum Guten gewendet. Den Piloten war es gelungen, die Maschine abzufangen. Sie jagte mit voller Motorenkraft durch die milchigen Schwaden. Die schwarze Mary beugte sich über ihre vom Sessel gerutschte Madam, die in der Pelzverpackung kaum zu finden war.
Mrs. Taylors Stimme gellte daraus hervor: „Ich ersticke! Oh, diese Hitze! Die Pelze weg! Na, wird’s bald?“ Mary begann unter dem Beistand des Chauffeurs das Befreiungswerk. Edward bemühte sich indessen um seinen Vater, der aber von dem Absacken der Maschine keine weiteren Spuren trug als die Flecke, die der verschüttete Rotwein und die vom Teller gefallenen Hühnerknochen zurückgelassen hatten. Während Mrs. Taylor unter den Händen ihrer treuen Bediensteten und mittels einer großen Flasche Kölnischwasser wieder halbwegs zu sich kam, waren die Piloten durchaus noch nicht davon überzeugt, daß der Zwischenfall schon sein glimpfliches Ende gefunden hatte. „Temperatur steigt weiter!“ stellte Berryfield fest. Warren hob die Schultern und starrte geradeaus. Seine Hände krampften sich um die Steuerung. „Höhe?“ fragte er. „230 Meter…“ „Durch müssen wir, und wenn…“ Weiter kam Warren nicht, Da geschah es. Das Flugzeug wurde von einem neuen Wirbel erfaßt und emporgerissen, als wäre es ein welkes Blatt im Herbststurm. Mit ohrzerreißendem Krachen zuckten grelle Blitze von allen Seiten durch das schwefelgelbe und graue Wolkenmeer. Sie stiegen und stiegen. „500 Meter“, meldete Berryfield. Aus der Passagierkabine war kein Laut zu hören. Lähmendes Entsetzen mochte alle befallen haben. „1000 Meter! Es wird heller.“ Tatsächlich schien die Wolkenwand dünner zu werden. Der Auftrieb ließ merklich nach. Kapitän Warren bekam die Maschine wieder in seine Gewalt. Aber der linke Motor war nicht mehr in Ordnung, er setzte sekundenlang aus. „Verfluchte Geschichte!“ schimpfte Warren. „So kommen wir nicht bis Spitzbergen. Werden zwischenlanden müssen. Aber wo?“ Beharrlich versuchte Berryfield, die Station Spitzbergen zu
erreichen. Noch immer störte das Prasseln, doch endlich gelang es. Er gab die Position des Flugzeuges durch und meldete, daß eine kurze Zwischenlandung nötig sei. Spitzbergen antwortete; „Sie befinden sich über…“ Die atmosphärischen Geräusche übertönten die Stimme, kein Wort mehr war zu verstehen. Der Flugkapitän sah zum Höhenmesser. 1200 Meter! Unter ihnen begannen die Wolken zu versinken. Berryfield drehte an den Knöpfen des Funkgerätes, um die Verbindung mit Spitzbergen wieder herzustellen. Da ließ sich plötzlich der fremde Peilsender von neuem hören, und eine Stimme sagte laut und deutlich in englischer Sprache: „Hier spricht Mechaniko… Hier spricht Mechaniko… Sie haben Motorschaden… Landen Sie… Landen Sie!“ Die Piloten sahen sich an. „Mechaniko?… Devil, ist das nicht diese merkwürdige Insel?“ dämmerte es Warren. Berryfield studierte die Spezialkarte, fand aber keine Insel mit diesem Namen. „Muß wohl stimmen“, meinte er schließlich. „Wir sind ja vom Kurs erheblich abgewichen.“ „Runter mit der Maschine!“ entschied Warren und riß das Steuer herum. „Bessere Landemöglichkeit gibt’s hier nicht.“ In diesem Augenblick kam Edward angestürzt. „Sehen Sie! Dort unten! Was ist das?“ Sie blickten in einen großen, wolkenlosen Luftschacht von etwa zehn Kilometer Durchmesser, auf dessen Grunde ein grün schimmernder Fleck sichtbar war. „Das ist doch Spitzbergen, nicht wahr?“ fragte Edward. Warren mußte lachen. „Vegetation auf Spitzbergen? Zu dieser Jahreszeit? Nein, das ist nicht Spitzbergen, sondern die Insel Mechaniko. Müssen hier zwischenlanden. Ein Motor ist defekt.“ „Mechaniko, die sowjetische Wunderinsel?… Sie irren sich nicht?“
„Ausgeschlossen!“ „Ja, aber…“ Edward eilte mit der aufregenden Neuigkeit in die Passagierkabine. Er befürchtete, daß sein Vater über die Landung sehr ungehalten sein werde, doch das war nicht der Fall. Der alte Taylor machte zwar zuerst ein bedenkliches Gesicht und überlegte einen Augenblick, darauf aber schmunzelte er und sagte: „Well, wenn wir schon landen müssen, dann wollen wir diesen Sowjets auch mal ein bißchen in die Karten gucken.“ „Unsere Presse brachte bisher nur ein paar kurze Notizen über diese Insel“, bemerkte Edward. Sam W. Taylor winkte geringschätzig lächelnd ab. „Wird auch nicht mehr wert sein.“ Mrs. Taylor reagierte auf die Aussicht, in wenigen Minuten sowjetisches Gebiet zu betreten, ganz anders. Nach einem schrillen Aufschrei starrte sie entgeistert vor sich hin. „Oh, mein Gott, das überlebe ich nicht! Lieber auf dem Grunde des Eismeeres!“ Aber die Landung war beschlossene Sache. Die Piloten führten die Maschine in steilen Kurven erdwärts. Sie senkte sich in den gewaltigen Luftschacht hinab, der rings von brodelnden Wolkenwänden umgeben war. Innerhalb dieses Schachtes wehte nur ein leichter Aufwind. Kopfschüttelnd stellte Berryfleld fest, daß die Temperatur unaufhörlich stieg. Bald spürten auch die anderen Flugzeuginsassen die rasch zunehmende Wärme, und während die Taylors neugierig ihre Gesichter an die Scheiben drückten, mußten Mary und der Chauffeur Johnson die Pelzsachen einsammeln, die ihre Herrschaften bereits abgelegt, das heißt achtlos in die Kabine geworfen hatten.
„Einfach unfaßbar! Sehen Sie das auch? Oder bin ich verrückt?“ „Nein, nein, Warren, ich sehe es auch!“ Sie schauten entgeistert hinab. Wie im Traum flüsterte Warren: „Palmen… Das sind doch richtige Palmen! Hier in der Arktis… Palmen in der Arktis…!“ Berryfield sah vielleicht zum zwanzigsten Male auf das Thermometer. Er setzte seine Kappe ab und riß sich Jacke und Hemdkragen auf. Edward erschien wieder. Er war ganz verstört. „Sagen Sie mal, Warren, kann sich auch in der Arktis eine Fata Morgana bilden?“ Der Flugkapitän mußte sich auf die Landung konzentrieren. Er brummte nur zwischen den Zähnen: „Fata Morgana einer Palmeninsel in der Arktis? Nie gehört, Sir.“ Edward wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Aber dort unten… Sehen Sie das?“ „Stimmt schon, Mr. Taylor“, erwiderte Berryfield. „Insel mit Palmen…. Subtropen in der Arktis! Und eine betonierte Rollbahn ist auch vorhanden.“ Sie landeten. Als erster sprang Edward aus der Maschine, ihm folgte sein Vater. Mr. Taylor hatte es sich schon bequem gemacht. Er stand hemdsärmelig da und sah sich um. Sein Blick glitt über eine Palmengruppe, die sich bis an das Rollfeld heranzog. Ringsum leuchtete im abnehmenden Tageslicht eine bunte südliche Vegetation. „Was sagst du dazu?“ fragte Taylor senior. „Ich weiß nicht, Papa. Es ist unheimlich… ja geradezu unheimlich. Aber zugleich auch wie in einem Märchen.“ „Und nirgends ein Mensch. Das ist ja ein netter Betrieb hier! Aber da! Hallen!“ Der Alte wies nach einer etwa zwei Kilometer entfernten Anhöhe, vor der zwischen dem Grün
eines Hains mehrere hohe Gebäude zu sehen waren. Das weiße Band einer betonierten Straße führte zu ihnen hin. Edward war der besseren Sicht wegen auf eine der Tragflächen der Maschine gestiegen. „Dort! Seht, dort!“ Die Augen der anderen folgten seiner Hand. Ja, dort hinten, von einer kleinen Orangenplantage halb verdeckt, leuchtete das flache Dach eines langgestreckten weißen Hauses. Und auf diesem Dach wehte im schwachen Lufthauch die Flagge der Sowjetunion. Die Tatsache, daß sich kein Bewohner der Insel sehen ließ, und der Anblick der sowjetischen Fahne erweckten im alten Taylor ein gewisses Unbehagen. Hinter ihm stand mit schreckensbleichem Gesicht Mrs. Taylor, gestützt auf Mary, der sie befohlen hatte, keinen Schritt von ihr zu weichen. „In den Händen der Bolschewisten!“ stöhnte sie und zitterte am ganzen Körper. „Sie werden uns erschießen!“ „Laß das Lamentieren, Margaret“, wies Sam W. Taylor seine Frau zurecht. „Du kannst mir wirklich auf die Nerven fallen!“ Und er forderte alle auf, ihm in die Passagierkabine zu folgen. Als sie vollzählig um ihn versammelt waren, ergriff er das Wort: „Wir wissen nicht, wie man uns hier empfangen wird. Im Augenblick sieht es ja so aus, als würden die Inselbewohner von unserer Anwesenheit überhaupt nicht Notiz nehmen. Nun, einerlei, auf keinen Fall werden wir uns zu Unbesonnenheiten hinreißen lassen.“ Sein Blick lag mahnend auf Mrs. Taylor, die ihr letztes Stündlein zu erwarten schien. Darauf wandte er sich an Warren, „Sollte es zu Komplikationen kommen, dann werden wir sofort den nächsten US-Flugstützpunkt um Hilfe ersuchen.“ Warren mußte lächeln. „Aber warum sollten sich denn Komplikationen ergeben, Sir? Von hier wurden wir zur Landung aufgefordert, weil wir Motorschaden haben. Ist doch
alles klar!“ Mrs. Taylor warf dem Piloten einen vernichtenden Blick zu, sie fand diese Arglosigkeit einfach empörend. „Wenn wir jede Möglichkeit einer Komplikation ausschalten wollen“, warf Edward ein, um der Mutter beizustehen, „dann müßten wir den einzig logischen Schritt tun und sofort wieder starten.“ Mrs. Taylor schlug dankbar die Augen auf. Er war doch ein lieber, ein guter Junge, ihr Edward! Unbedachterweise fügte der gute Junge aber hinzu: „Ich würde allerdings ganz gern ein Weilchen hierbleiben, um die Insel kennenzulernen.“ „Was meinen Sie, Warren?“ fragte Mrs. Taylor. „Ich meine, starten oder hierbleiben, darüber zu reden ist zwecklos. Die Reparatur wird uns nicht allzulange aufhalten, und dann fliegen wir weiter. Wäre uns nicht erlaubt worden, auf der Insel zu landen, hätten wir auf dem Eis niedergehen müssen. Das wäre ein großes Risiko, wahrscheinlich sogar unmöglich gewesen. Und überhaupt meine ich: lieber ein paar Stunden hier unter Palmen als draußen irgendwo in der barbarischen Kälte. Der Maschinenschaden berechtigt uns, die Gastfreundschaft der Bewohner in Anspruch zu nehmen.“ „Gastfreundschaft!“ höhnte Mrs. Taylor. „Sie sind genau solch ein Narr wie mein Sohn.“ „Ich auch!“ knurrte Sam W. Taylor. „Ich gehöre auch zu diesen Narren, meine Liebe. Und ich sage: Wir bleiben, bis die Panne behoben ist. Jetzt kommt es erst einmal darauf an, mit den Menschen auf der Insel Verbindung zu erhalten. Wir werden zu diesem Zweck zwei Mann aussenden.“ Sofort meldete sich Edward, dann Johnson, der Chauffeur, und Berryfield. „Edward, du bleibst hier!“ schrie Mrs. Taylor. „Du wirst
deine Mutter beschützen, hörst du!“ Taylor senior musterte seinen Sohn, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Laß ihn, Margaret… Ich bleibe bei dir. Auch Mr. Warren und Mr. Berryfield bleiben. Sie werden inzwischen die Maschine reparieren. Edward und Johnson, ihr beide werdet feststellen, was hier los ist. Ihr müßt…“ Mr. Taylor schwieg. Alle horchten auf, drängten sich an die Fenster. Tatsächlich, ein Kraftwagen war vorgefahren, eine elegante, cremefarbene Limousine. „Na bitte…! Jetzt wird sich alles klären“, stellte der alte Taylor befriedigt fest. Er, Edward und Johnson stiegen hastig aus dem Flugzeug, gingen auf den Wagen zu und – blieben wie angewurzelt stehen. In dem Auto befand sich kein Mensch. Aber das da am Lenkrad?! Dort saß ein – ja, wie sollte man das bezeichnen? –, dort saß ein Mensch aus Metall oder jedenfalls so etwas Ähnliches. Der Chauffeur lief um den Wagen herum und starrte den „Kollegen“ fasziniert an. Edward war ihm gefolgt. „Wissen Sie, was das ist, Johnson?“ „Nein, Sir, da komme ich nicht mehr mit. Das… das ist kein Mensch und doch ein Mensch… oder eine Maschine… und doch keine.“ „Das ist ein Roboter, Johnson. Verstehen Sie?“ Der andere schüttelte den Kopf. Mr. Taylor war hinzugetreten und betrachtete ebenfalls die seltsame Erscheinung. „Ein Roboter“, erklärte Edward, „das ist gewissermaßen ein künstlicher Mensch, eine Art .denkender’ Automat, der durch einen genau arbeitenden Mechanismus bestimmte Tätigkeiten selbständig ausüben kann. Daß die Technik so weit zu gehen vermag, sogar Autos durch Roboter steuern zu lassen… eigentlich allerhand.“
Die Männer wurden durch einen Lärm vom Flugzeug her in ihrer Betrachtung gestört. Es war Mrs. Taylor, die sich dort in lebhaftester Weise bemerkbar zu machen versuchte. „Edward, du steigst nicht ein! Du fährst auf keinen Fall mit dieser Teufelsmaschine!“ Inzwischen waren auch V/arren und Berryfleld herangekommen. „Ich wundere mich hier über gar nichts mehr“,
stellte der Flugkapitän fest. „Wenn Ihr Sohn nicht mitfahren soll, Mr. Taylor, dann trete ich gern an seine Stelle.“ Sam W. Taylor sah Edward an. „Nun? Du weißt, ich bin nicht so ängstlich wie deine Mutter. Meinetwegen kannst du fahren. Also entscheide dich. Und Sie, Johnson, wollen Sie es wagen?“ „Auf jeden Fall, Sir! Ich will sehen, wie der dort…. dieser Roboter, den Wagen über die Straße bringt. Ich fahre mit!“ „Ich auch“, sagte Edward entschlossen, aber mit einem etwas schuldbewußten Blick zum Flugzeug hin. Sie stiegen ein. Johnson setzte sich neben den eisernen Kollegen. „Für alle Fälle!“ meinte er. Kaum waren die Türen zugeklappt, da trat der Roboter auf den Starter, gab Gas, und der Wagen rollte davon. Er umfuhr das Rollfeld und bog dann in die Straße ein, die zu dem Gebäude mit der Fahne auf dem Dach führte. Johnson konnte es sich nicht verkneifen, seinen stummen Nebenmann einmal auf die Probe zu stellen. Er griff in das Lenkrad und zog es herum, so daß der Wagen nach rechts abbiegen mußte. Sieh einmal an, das ließ sich der „Chauffeur“ gefallen! Im selben Augenblick jedoch drehte er mit seinen Eisenfäusten das Lenkrad zurück, wodurch der Wagen wieder auf die Straßenmitte gelangte. Ein paarmal noch versuchte Johnson das Spiel, immer mit demselben Ergebnis: Der Roboter ließ es nicht zu, daß das Auto vom Wege abwich, Ein unheimlicher, unüberwindlicher Wille herrschte in diesem Mechanismus, der weder durch Täuschung noch durch Überraschung auszuschalten war. „Dieser… künstliche Mensch fährt den Wagen exakter als ich alter Benzinhase, das kann ich Ihnen sagen, Sir“, gestand Johnson schließlich. „Nun möchte ich nur noch sehen, was er macht, wenn es eine Reifenpanne gibt.“
„Vielleicht erleben wir auch das noch“, tröstete Edward. Er betrachtete gespannt die Gegend, durch die sie fuhren. Sie passierten gerade die Orangenplantage, aus deren dunklem Grün die goldenen Früchte hervorleuchteten, Dann nahm der Wagen eine Kurve, überquerte einen mit Blumenrabatten geschmückten Platz und hielt vor der breiten Treppe des langgestreckten Gebäudes, das die eine Seite des Platzes begrenzte. „Da wären wir. Wo bleibt der Empfang?“ fragte Johnson. Edward blickte über den Platz und schüttelte den Kopf. „Weit und breit kein Mensch zu sehen!“ „Ich schlage vor, Sir, wir steigen aus und wagen uns in das Haus hinein.“ Das taten sie auch. Langsam, immer bereit, einer neuen Überraschung zu begegnen, durchschritten sie das Portal. Sie gelangten in ein geräumiges, behaglich eingerichtetes Vestibül. In stummem Einverständnis blickten sie sich an: auch hier kein Mensch! Von der Vorhalle führte eine Treppe zum Obergeschoß. Dort zog sich eine Galerie über die ganze Breite der Vorhalle hin. Im Hintergrund war eine Reihe von Türen zu sehen. „Johnson!“ flüsterte Edward. „Sehen Sie!“ Er zeigte auf die Galerie. Eine der Türen hatte sich geöffnet. Sie warteten, kaum atmend. Kein Schritt, keine Stimme war zu hören. Edward nickte Johnson zu und deutete auf die offene Tür. Johnson verstand, aber er hatte Bedenken. „Sollten wir nicht lieber warten, bis man uns empfängt?“ „Unsinn, wir müssen endlich erfahren, was hier vor sich geht“, entgegnete Edward und stieg auf Zehenspitzen die Treppe empor. Johnson folgte zögernd. Sie überquerten die Galerie, schritten entschlossen durch die Tür, die sich geöffnet hatte, und standen in einem mit allem Komfort ausgestat-
teten, wohnlich eingerichteten Raum. Johnson steckte die Hände in die Taschen und lachte. „Hotel erster Klasse! Einbettzimmer mit fließendem Kalt- und Warmwasser. Aussicht auf den Park. Ich glaube nicht, daß wir .Komplikationen’ zu befürchten haben.“ Auch Edward mußte lachen. Sein Blick fiel auf die Tür. „Hatten Sie die Tür geschlossen, als wir eintraten?“ „Nein, ich hatte sie nicht angerührt.“ „Sie ist doch jetzt aber geschlossen!“ „Eingesperrt?“ Edward stürzte zur Tür hin; da sprang sie von selbst weit auf, so daß er hinausstolperte. Die Tür schloß sich hinter ihm. Erschrocken drehte er sich um, machte einen Schritt zur Tür. Nun öffnete sie sich wieder. Sobald er im Zimmer war, schloß sie sich erneut. „Eine tolle Welt ist das hier“, sagte er belustigt. „Die Tür öffnet und schließt sich automatisch, sobald man in einem bestimmten Abstand vor ihr steht. Der Mechanismus wird offenbar durch ein ,magisches Auge’ ausgelöst.“ Johnson hatte in dem Zimmer inzwischen eine andere Tür entdeckt. Sie ließ sich wie jede gewöhnliche Tür öffnen und schließen und führte in ein zweites Zimmer, das ähnlich wie das erste eingerichtet war. „Die Unterkunftsfrage ist also für uns beide geregelt, falls wir übernachten wollen“, stellte Edward fest. „Sehen wir uns weiter im Hause um.“ Sie betraten wieder die Galerie und – prallten erschrocken zurück. Das, was sie bisher auf dieser geheimnisvollen Insel vergeblich gesucht hatten, stand nun unten an der Vestibültreppe vor ihnen: ein lebender Mensch, ein Mensch aus Fleisch und Blut wie sie! Es war ein ganz unauffälliger, dunkelhaariger Mann von
etwa vierzig Jahren. Er trug einen weißen Leinenanzug nach neuestem Schnitt. Die beiden schauten verständlicherweise so verdutzt auf diese Erscheinung hinunter, daß der Herr des Hauses, oder wer es sonst sein mochte, lächeln mußte. Er kam Edward und Johnson mit ausgestreckten Händen entgegen. „Ich begrüße Sie, meine Herren! Entschuldigen Sie bitte, daß wir uns einen kleinen Scherz mit Ihnen erlaubt haben. Wir konnten einfach nicht widerstehen. Mein Name ist Mihaly, Dr. Kaiman Mihaly.“ Edward stellte sich vor, wollte erklären, warum das Flugzeug zur Zwischenlandung gezwungen war. Dr. Mihaly unterbrach ihn freundlich – er sprach ein ausgezeichnetes Englisch -: „Wir selbst haben Sie ja durch Funkspruch gebeten, auf der Insel zu landen, Mr. Taylor. So ein Motorschaden kann in diesen Breiten eine heikle Sache werden. Na, nun stehen Sie sicher auf Mutter Erdes jüngstem Kind… das heißt, eigentlich war es schon immer da, wir haben es ja nur aus dem Eis herausgetaut. Aber bitte, wollen Sie sich nicht setzen?“ Sie nahmen an einem niedrigen Ecktisch Platz. Dr. Mihaly drückte auf einen Knopf und sagte leise vor sich hin: „Kognak und Zigaretten!“ Gleich darauf öffnete sich die Platte des Tisches, und von unten stieg das Gewünschte empor: Kognak, Zigaretten… Mihaly füllte die Gläser. „Willkommen auf Mechaniko!“ Edward griff das begonnene Gespräch wieder auf. „Sie sagten, die Insel wurde aus dem Eis herausgetaut?“ „Nun ja, mit Atomenergie… Sie verstehen?“ Edward sah in Mihalys dunkle, lachende Augen. „Ich verstehe, Mr. Mihaly. über die Anwendung der Atomenergie habe ich schon öfter nachgedacht.“ „Man kann sie für friedliche und kriegerische Zwecke ver-
wenden.“ „Die Bombe von Hiroshima brachte 224 000 Menschen Tod und Siechtum, der Eismeerdamm in der Beringstraße aber gibt Millionen Menschen an den Polarküsten Asiens und Amerikas Wärme, Nahrung und Wohlstand“, sagte Edward nachdenklich. „Sehr richtig, die Insel Mechaniko ist ein Teil unseres Arktisprojektes.“ „Mechaniko – ein ungewöhnlicher Name.“ „Davon später“, erwiderte Dr. Mihaly. „Ich möchte Nikolai Iwanowitsch nicht vorgreifen. Nikolai Iwanowitsch Rostowski ist hier der… nun, wie sagen Sie?… der Chef. Ein prächtiger Mensch! Sie werden ihn nachher kennenlernen Wieviel Personen sind Sie insgesamt, Mr. Taylor?“ „Sieben Personen.“ „Das geht ausgezeichnet! Wir haben hier zwar noch kein Touristenhotel, aber es sind genügend Zimmer frei, die sonst von der Mannschaft unserer Frachtenhubschrauber belegt werden. An bestimmten Tagen herrscht hier nämlich ein reger Flugverkehr, um unsere Produktion zum Festland zu befördern. Ich stelle Ihnen jetzt zwei Wagen zur Verfügung Bitte, bringen Sie alle Ihre Mitreisenden hierher.“ „Die Piloten müssen eine Reparatur an der Maschine durchführen. Sie werden dort bleiben.“ „Nicht dort bleiben!“ wehrte Dr. Mihaly temperamentvoll ab. „Sie sollen sich ausruhen. Die Reparatur erledigen unsere Bordmechaniker.“ Und lächelnd fügte er hinzu: „Es sind nicht nur Roboter auf der Insel Mechaniko.“ Eine Stunde später traf man sich im Bibliothekszimmer, das im Erdgeschoß des Zentralgebäudes lag. Sam W. Taylor hatte sich umgezogen. Er gab sich sehr leutselig. Mrs. Taylor stolzierte mit verkniffenem Munde neben ihrem Manne
daher. Direktor Rostowski war ein stattlicher Mann in der Mitte der Fünfziger. Er trug einen kurzen, gepflegten Vollbart, in dem einige Silberfäden glänzten. Seine dunklen Augen schauten jedoch mit einem warmen Ausdruck auf die Umwelt. Er begrüßte seine Gäste sehr liebenswürdig. „Ich hoffe, Mrs. Taylor, daß Sie hier alles zu Ihrer Bequemlichkeit und Zufriedenheit vorfinden.“ Sie sah ihn mißtrauisch an. Gewiß, bis jetzt hatte man sich auf dieser verdächtigen Insel äußerst zuvorkommend gezeigt. Aber so leicht würde sie sich von den Roten nicht täuschen lassen, o nein! Nikolai Iwanowitsch Rostowski wies auf eine junge, blonde Frau, die neben ihm stand. „Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Mitarbeiterin, Ingenieur Dr. Astrid Willmann, vorstelle.“ Mrs. Taylor nickte kaum merklich und musterte das schlichte, elegante Kleid der „kleinen Angestellten“. „Dr. Willmann steht ganz zu Ihrer Verfügung. Als Hausfrau der Insel – gewissermaßen“, ergänzte Rostowski lächelnd. „Dr. Mihaly, unseren Physiker, kennen Sie bereits. Die Kollegen von der Meteorologie befinden sich zur Zeit auf einer Exkursion außerhalb der Insel. Aber Dr. Afranowitsch, unser Arzt, wird noch kommen. Pünktlichkeit ist leider seine schwache Seite.“ Sam W. Taylor reichte Fräulein Dr. Willmann und Nikolai Iwanowitsch die Hand. „By Jove, Ihre Insel ist eine große Überraschung für mich, Mr. Rostowski.“ „Bitte warten Sie ab, Mr. Taylor“, entgegnete Nikolai Iwanowitsch mit lustigem Augenzwinkern. „Jedenfalls ist es auch für uns eine Überraschung, den bekannten amerikanischen Finanzmann hier zu sehen.“
„Sie sind gut informiert. Ich glaubte, Sie hätten auf Ihrer Insel…“ „… keine Ahnung von den Dingen draußen in der Welt, meinen Sie?“ ergänzte Rostowski mit leichtem Lächeln. Nun wandte sich Edward an Dr. Astrid Willmann. Ihre zarte Fraulichkeit bezauberte ihn, sie stand in so seltsamem Kontrast zu dem Geheimnis, das er um ihre Funktion als Ingenieur auf der Insel Mechaniko wob. „Wenn ich mich nicht irre, sind Sie Deutsche, Miß Willmann?“ Sie sah ihn mit leuchtend blauen Augen an. „Erraten, Mr. Taylor! Ich stamme aus Wismar. Kennen Sie Wismar?“ „Gewiß!“ „Woher sollten Sie wohl Wismar kennen?“ „Ich kenne Deutschland überhaupt noch nicht“, gestand er lachend. „Ein schönes Land, Mr. Taylor!“ „Wollen Sie nicht mehr dorthin zurückkehren?“ „Aber natürlich! Sobald ich meine Aufgabe hier beendet habe, genau wie Dr. Mihaly, der auch in seine Heimat zurückkehren wird. Er ist Ungar.“ Ein Gongschlag ertönte. Eine zweiflüglige Tür öffnete sich lautlos und gab den Weg zum Speisesaal frei. Man nahm an einer runden Tafel Platz, die mit großer Sorgfalt hergerichtet war. Auch Dr. Afranowitsch, ein noch junger Mann mit rötlichblonder Bartkrause, hatte sich eingefunden. Das Abendessen begann. Es machte den Gastgebern alle Ehre und stimmte selbst Mrs. Taylor ein wenig versöhnlich. Nach der Schildkrötensuppe gab es köstliche Forellen. „Sie leben nicht übel“, mußte Sam W. Taylor anerkennen. „Was auf der Insel kreucht und fleucht, blüht und Früchte trägt, hat Dr. Afranowitsch hergezaubert“, erklärte Dr. Nikolai Iwanowitsch. „Er schuf aus der Insel, die wir vom ewigen Eis be-
freit haben, ein Paradies.“ „Aber ein Paradies ohne Schlange!“ ergänzte der junge Arzt und lachte, daß seine kräftigen Zähne blitzten. „Und gewiß auch ohne Krankheiten. Bei diesem herrlichen Klima!“ meinte Edward. „So ist’s. Als Arzt bin ich fast arbeitslos. Meine Hauptbeschäftigung besteht in biologischen Studien und Zuchtversuchen.“ Berryfield mischte sich ein. „Es ist erstaunlich, daß hier die Pflanzen die Finsternis der Polarnacht überstehen, die in diesen Breiten doch fast vier Monate dauert.“ .Der Doktor nickte. „Sehr richtig, Pflanzen brauchen vor allem Licht. Nun, das ist für uns kein Problem, wir verfügen ja über Atomenergie. Während des Polarwinters liegt die Insel unter der Bestrahlung künstlicher Sonnen. Und im Sommer haben wir ohnehin monatelang Tag, nichts als Tag. Daher die starke Entwicklung und Fruchtbarkeit unserer Flora. Unter den Bedingungen des künstlichen Klimas können Sie die Pflanzen beinahe wachsen sehen.“ „Ungeheure Perspektiven für eine landwirtschaftliche Nutzung der Polarzone!“ folgerte Edward. Taylor senior warf seinem Sohn einen nicht gerade freundlichen Blick zu. „Woher hast du denn diese Idee? Auch noch landwirtschaftliche Nutzung der Polarzone! Dabei ersticken wir fast im Getreide. Und wenn nun…“ Er brach ab. Teufel, da hätte er sich beinahe ganz schön festgefahren! Man war ja bei den Sowjets und nicht in Amerika. Mrs. Taylor widmete sich ganz und gar dem Essen. Kulinarische Genüsse hatte sie hier nicht erwartet, aber natürlich durfte man das diesen „Menschen“ auf keinen Fall zeigen oder gar sagen. Voller Neugier schielte sie nach dem delikaten Antilopenbraten, der gerade aufgetragen wurde. Dr Afranowitsch hatte im Westen
der Insel ein Revier für Elenantilopen angelegt, die in Afrika fast ausgestorben waren dem Elch und Rind ähnliche Tiere mit köstlichem Fleisch. Während Edward mit Dr. Mihaly, seinem Tischnachbarn, über dieses und jenes sprach, ließ er Astrid Willmann, die ihm gegenüber zwischen Warren und Berryfield saß, nicht aus den Augen. Sie unterhielt sich ausgezeichnet mit den beiden Piloten. „Wie finden Sie sie?“ hörte er Dr. Mihaly fragen. „Reizend…!“ „Wie bitte?“ „Ach so, ausgezeichnet… sehr schmackhaft“, verbesserte sich Edward. Dr. Mihaly hatte die Antilopenkeule gemeint. Beim Dessert fragte der alte Taylor: „Und wie kamen Sie auf den Gedanken, diese Insel zu schaffen?“ Nikolai Iwanowitsch lehnte sich zurück, überlegte einen Augenblick und sagte: „Die Geschichte der Insel Mechaniko begann mit einem geologischen Gutachten, das eines Tages dem Leningrader Zentralinstitut vorgelegt wurde und auf wertvolle Erzvorkommen in dieser Gegend hinwies. Der Plan zur Hebung der Bodenschätze stieß aber auf große Schwierigkeiten, zumal es sich um Erzadern handelte, die zum Teil unterseeisch lagern. Doch da half uns unser Budapester Freund, Dr. Kälmän Mihaly, mit seinem Projekt, das darauf hinauslief, örtliche klimatische Veränderungen durch Atomkraft herbeizuführen. Wir schmolzen also mit Hilfe atomarer Energie – ich bitte Sie, mir fachliche Einzelheiten zu ersparen – zunächst den arktischen Eispanzer an dieser Stelle weg und gewannen so unsere Insel. Rings um das Land wurden große Richtstrahler aufgestellt, die, von einem Reaktor oder Atommeiler gespeist, eine Säule von Warmluft über der Insel errichten. Auf diese Weise lag es in unserer Hand, das Klima der neu-
en Insel zu bestimmen. Wir wählten das subtropische. Es läßt sich ganz gut dabei leben. Freilich, als die Klimaanlagen noch nicht standen, war es hier keineswegs angenehm. Unter den härtesten Bedingungen mußten die ersten Arbeiten durchgeführt werden. Es gab viele Rückschläge, und nur dem unerschütterlichen Mut aller Expeditionsmitglieder, ihrem unermüdlichen Arbeitseifer ist es zu verdanken, daß dieser Plan überhaupt Wirklichkeit wurde, daß die Arktis sich dem menschlichen Willen fügte und ihre Schätze freigeben mußte.“ Sam W. Taylor spitzte die Ohren. Als Hauptaktionär der Las Vegas Company interessierte er sich für alle Atomkraftprojekte – besonders der Sowjetunion. „Diese Warmluftsäule inmitten der arktischen Kaltluft muß beträchtliche atmosphärische Störungen hervorrufen“, warf Flugkapitän Warren ein. „Ganz recht, über den Wärmestrahlern entsteht ein starker Luftauftrieb, der sich in größerer Höhe mit der abnehmenden Wirkung der Strahler verliert, aber weiter draußen dann als heftiger Fallwind bemerkbar wird. Bedauerlicherweise stießen Sie auf die Insel gerade zur Zeit starker Wolkenbildung. Das ist nicht immer der Fall und hängt ganz von unserem Klima-Roboter ab.“ „Wovon hängt das ab?“ Der alte Taylor glaubte sich verhört zu haben. „Von unserem Klima-Roboter, Mr. Taylor“, wiederholte Nikolai Iwanowitsch freundlich. „Er reguliert Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf der Insel. Sinkt die Luft- und Bodenfeuchtigkeit auf ein bestimmtes Minimum, dann reduziert der Roboter die Wärmestrahlung, bis genügend Wasserdampf über der Insel steht, der sich zu Wolken verdichtet und dann als warmer Regen niedergeht.“ Ein kurzes Schweigen setzte ein. Der Gedanke an den geheimnisvollen
Roboter beschäftigte die Gäste auf vielfältige Weise. „Wieviel Roboter gibt es denn hier, Mr. Rostowski?“ wollte Edward schließlich wissen. „Ihren Auto fahrenden Roboter haben wir ja schon kennengelernt.“ „Sie befinden sich auf der Insel der Roboter, mein Verehrter! Hier gibt es mehr Roboter als Menschen. Und unsere Astrid“, Nikolai Iwanowitsch nickte ihr lächelnd zu, „regiert das Reich der Roboter.“ Mrs. Taylor starrte die junge Frau an, die so adrett und harmlos am Tisch saß, und ein Frösteln überlief sie. Wahrscheinlich hätte sie entsetzt das Weite gesucht, wenn nicht das reichliche Essen und die unleugbar angenehme Atmosphäre sie in einen Zustand behaglicher Lässigkeit versetzt hätte, den sie nicht zu unterbrechen wünschte. Dennoch entschlüpften ihren Lippen die empörten Worte: „Wie kann man sich mit künstlichen Menschen umgeben! Das ist Sünde!“ „Vor allem ist es sehr kostspielig“, wandte der Finanzmann Taylor ein. „Bestimmt kostspieliger als ein Vielfaches lebender Arbeiter.“ Astrid wollte gerade darauf antworten, als ein Mann in blauer Kombination den Speisesaal betrat. Er blieb an der Tür stehen. Astrid erhob sich und ging auf ihn zu. Sie flüsterten miteinander. Edward beobachtete die beiden. Dieser hochgewachsene, schlanke Mann mit dem gelblichbraunen, scharfgeschnittenen Gesicht und den tiefliegenden schwarzen Augen schien ihn immerfort anzustarren. Der Mensch war ihm unheimlich. Warum, das vermochte er nicht zu sagen. War er ihm vielleicht nur deshalb unsympathisch, weil er so vertraulich mit Astrid sprach? Er fragte Dr. Mihaly, wer der Mann sei. „Das ist der Obermechaniker Lando. Gehört zum Stab Dr.
Astrid Willmann. Tüchtiger Mechaniker“, sagte Dr. Mihaly. Der Mann in der Kombination verschwand. Astrid kehrte zum Tisch zurück. „Wir haben eine kleine Besichtigungsfahrt für Sie vorbereitet“, eröffnete sie den Gästen. „Vor morgen früh können Sie sowieso nicht starten.“ Der Plan fand allgemeine Zustimmung. Sogar Mrs. Taylor nickte gnädig. Sie trank noch schnell ihr Glas leer. Lächerlicher sowjetischer Südwein… aber er war gut, bei Gott! Und sie verstand etwas davon, denn sie trank gern mal ein, zwei Gläschen. In allen Ehren natürlich! Dann brach man auf, Es war inzwischen Nacht geworden. Die Wolkenwand vor der Insel mußte gewichen sein, denn das Licht des Vollmondes ergoß sich über die märchenhaft schöne Landschaft. Auf dem Vorplatz standen drei Autos. In das erste stiegen die alten Taylors mit Rostowski. Astrid wies auf den zweiten Wagen und sagte zu Edward und Johnson: „Wenn Sie mit mir vorliebnehmen wollen, bitte!“ Natürlich nahm Edward gern vorlieb. „Wo haben Sie denn Ihren ,Chauffeur’?“ fragte Johnson, als sie einstiegen. Astrid lachte. „Dort sitzt er ja!“ Und sie zeigte auf einen Automaten von der Größe einer Zigarrenkiste, der sich unterhalb des Lenkrades befand. Edward wunderte sich. „Der Roboter, der uns vom Flugzeug abholte, sah doch ganz anders aus.“ „Ja, das war der gute, alte Moritz, wie ich ihn nenne“, sagte sie und drückte auf einen Knopf, worauf der Wagen davonrollte. „Moritz ist eines unserer ersten Modelle, ein ferngesteuerter Automat, der noch so etwas wie eine menschliche Figur hat. Er wird bald in den Ruhestand treten.“ „Muß ein künstlicher Mensch denn auch ausruhen?“ John-
son konnte das nicht verstehen. „Sie sprechen von künstlichen Menschen, Mr. Johnson. Das ist nicht das, was die moderne Wissenschaft unter Robotern versteht“, sagte Astrid. „Vor mehr als 400 Jahren soll einer alten Sage nach ein Rabbiner in Prag einmal einen künstlichen Menschen, den Golem, aus Lehm geformt und ihm kraft einer Zauberformel Leben gegeben haben.“ „Er hat sogar ein Mädchen geraubt, der Schreckliche“, fügte Edward hinzu. „Das haben unsere Roboter bisher nicht getan, Mr. Taylor Dafür bestehen sie auch nicht aus Lehm und Zauberformeln, sondern aus Photozellen, Mikrophonen, Registriergeräten oder Rechenmechanismen und vor allem aus sehr viel Leitungsdraht. Solche Roboter haben ein sogenanntes elektrisches Gehirn, das es ihnen ermöglicht, eine ganze Reihe Tätigkeiten auszuüben und sogar selbständig auf bestimmte Vorgänge, die ihr Mechanismus erfassen kann, zu reagieren. Menschliche Unzulänglichkeiten sind ihnen fremd, sofern sie die Hand ihres Meisters ohne Fehl und Makel verlassen haben.“ Vor ihnen tauchte ein anderes Auto auf, das in schneller Fahrt auf sie zukam. Johnson wollte in das Lenkrad greifen, denn er befürchtete einen Zusammenstoß Astrid jedoch hielt ihn zurück, und schon wich ihr Wagen von selbst aus. „Es ist alles gar nicht so geheimnisvoll, wie es aussieht“, erklärte sie. „Alles regelt sich nach Naturgesetzen, wir müssen es nur verstehen, sie richtig anzuwenden. Sehen Sie die kleinen dunklen Kugelknöpfe zu beiden Seiten der Straße? Von ihnen gehen Stromimpulse aus, die auf den Automaten im Wagen wirken und ihn steuern. Es gibt hier an den Straßen verschiedene Arten davon, und je nach dem Ziel, das man wählt, muß man den Apparat im Wagen einstellen. Je dichter
diese Knöpfe stehen, um so schneller fährt der Wagen; bei weiteren Abständen, wie in den Kurven, verlangsamt er seine Fahrt. Auf ähnliche Weise erfolgt auch das Ausweichen. Hier bei uns sind das nur Versuchseinrichtungen, doch auf den langen Strecken der kontinentalen Schnellstraßen wird diese automatische Steuerung der Kraftwagen bald große Bedeutung haben. Aber da sind wir ja schon angelangt!“ Sie stiegen aus und standen vor den Werkhallen der Insel. Es klang wie das vieltönige Gewerke einer Industriestätte. Rollende Räder, metallisches Klingen, Zischen und Rumoren! Aber die Hallen waren nicht erleuchtet, ihre Fenster hoben sich wie schwarze Rechtecke von den mondlichtüberfluteten Wänden ab. Sie betraten die erste Halle, voran Nikolai Iwanowitsch mit Mr. und Mrs. Taylor. Es war die Aufbereitungsanlage des Erzbergwerkes. Kreischend und knirschend schafften mächtige Schneckengänge von den automatischen Fördermaschinen her die Erzbrocken aus dem Erdinnern. Die Klumpen wurden zerkleinert und auf verschiedene Fließbänder geleitet, je nach ihrem Gehalt. Zaghaft wagte sich Mrs. Taylor an ein Laufband heran, vor dem ein schrankähnliches Gebilde stand. „Ist das auch ein Roboter?“ fragte sie. Astrid bejahte es und erläuterte die Funktion des Automaten. Mrs. Taylor atmete auf; sie hatte befürchtet, in den Werkhallen schrecklichen, golemähnlichen Ungeheuern zu begegnen. Dieses Ding hier sah Gott sei Dank ganz unscheinbar aus, ein schmaler, menschengroßer eiserner Schrank, nichts weiter. Doch es war geheimnisvolles Leben in ihm. Jedesmal, wenn ein Erzklumpen vor den Roboter rückte, ließ dieser ein feines Surren vernehmen. Zugleich öffnete er sein „Auge“, eine Linse blinkte für den Bruchteil einer Sekunde auf, und schon hatte das Erzstück
eine unbestechliche Kontrolle passiert, um sodann nach dem „Willen“ des Roboters den ihm bestimmten Weg weiterzuwandern. Kein Arbeiter war in dieser lärmenden, von flirrendem Steinstaub erfüllten Halle zu sehen – nur Roboter. Mrs. Taylor wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt und preßte ihr Spitzentuch vor den Mund. Edward hörte, wie Warren zu Berryfield sagte: „Mein Vater war Bergmann. Er starb mit vierzig Jahren an Lungenschwindsucht.“ Berryfield antwortete nachdenklich: „Roboter sterben nicht an Steinstaub, sie arbeiten Tag und Nacht, jahraus, jahrein…“ „Aber sie sind kostspieliger als Menschen… nach der Meinung des alten Taylor.“ „Sind sie auch kostbarer?“ Durch den Gang gelangten sie in die Gießerei. Blendende Lohe schlug ihnen entgegen, und sie mußten die Hand schützend vor die Augen heben. Am Schmelzofen arbeiteten zwei Roboter. Der eine überprüfte die Temperatur. Seine Elektronennerven reagierten auf jede Wärmeschwankung über das vorgeschriebene Maß hinaus, indem sie mit Blitzesschnelle einen Heizregler einschalteten. Der zweite Roboter sorgte für die Beschickung des Ofens mit Schmelzgut. Um den Ofen kreiste in genau berechnetem Tempo ein „Karussell“ mit den Gießformen. Hier war ein dritter Roboter am Werk. Von Zeit zu Zeit blitzte sein Auge auf, worauf der Schmelzofen den Schlund öffnete, um ein Bächlein weißglühenden’ Metalls in die Gießform fließen zu lassen. Das Schmelzgut kam nicht in gleichmäßiger Menge zum Ofen. Aber das „wußte“ der Gießerei-Roboter und richtete die Geschwindigkeit des Ausstoßes darauf ein. Schließlich kippten
die Gießformen die noch warmen Barren aus, die unter der Aufsicht eines weiteren Roboters entgratet und auf ein Laufband dirigiert wurden, das zur Lagerhalle führte. Edward vermochte sich von dem unheimlich-schönen Anblick nicht loszureißen. Dieses Flammen, Poltern, Zischen, Kreischen… und auch hier nirgends ein Arbeiter. Oder standen sie nicht dort, die Männer mit den bloßen, schweißüberströmten Oberkörpern? Waren das nicht Menschen in einer lodernden Hölle, die ihre ganze Kraft aufwandten, um das wertvolle Metall zu gewinnen, als Segen für die Menschheit… oder als Fluch? Doch nein, nicht Menschen waren dies hier, sondern Roboter, die dienstbaren Geister der Zukunft. Auch der alte Taylor blickte eine Weile sinnend auf das imposante Bild. Edward trat neben seinen Vater und beobachtete ihn von der Seite. „Interessant“, brummte Sam W. Taylor. „Man müßte mal berechnen lassen, in welchem Verhältnis die Kosten solch eines Roboters zu seiner Leistung stehen. Aber ich glaube, daß man dabei nicht auf einen anständigen Gewinn käme.“ Edward dachte an das Gespräch zwischen Warren und Berryfield in der Aufbereitungsanlage und sagte: „Ein Mensch arbeitet nicht so lange wie ein Roboter!“ „Wir haben ja Menschen genug, mein Junge.“ Nach der Besichtigung der Werkabteilungen wurde beschlossen, den Rundgang am Morgen fortzusetzen, weil die Zeit schon sehr vorgeschritten war. Man entschied sich aber dafür, zu Fuß zurückzugehen, um die herrliche Nacht noch ein wenig zu genießen. So kam man auch durch die Orangenplantage, und Nikolai Iwanowitsch ließ es sich nicht nehmen, jedem der Gäste eine der prächtigen Früchte zu reichen. Johnson sagte zu Berryfield: „Hier könnte man es aushalten, wie? Aber die brauchen ja keinen Chauffeur mehr.“
„Dann müssen Sie eben den Beruf wechseln!“ schlug Berryfield schmunzelnd vor. Sam W. Taylor folgte mit seiner Frau und Rostowski in einigem Abstand. „Teurer Spaß, dies alles!“ war seine Meinung über das Gesehene. „Lohnt sich denn diese ganze Geschichte überhaupt? Ich meine, es muß doch ein ordentlicher Gewinn dabei herausspringen, sonst hat das alles keinen Sinn.“ Nikolai Iwanowitsch sagte: „Nach einigen Jahren macht sich der Einsatz recht gut bezahlt. Aber die Produktion auf dieser Insel dient vor allem der technischen Weiterentwicklung.“ „Außerdem verstehe ich nicht, warum Sie die Insel nicht besser vor Neugierigen schützen. Ich habe nirgends entsprechende Sicherheitsmaßnahmen entdeckt.“ Rostowski lächelte. „Kein Mensch wird sich der Insel unbemerkt nähern können. Auch nicht an den Transporttagen, wenn hier eine ununterbrochene Kette von Hubschraubern landet, lädt und wieder startet, um unsere Produkte direkt den Verarbeitungsstätten in der Sowjetunion zuzuführen. Auch dann nicht! Wir wissen uns zu schützen. Es gibt eine ganze Menge Überraschungen – dank der Atomenergie!“ „Hm…“, knurrte Taylor und verharrte auf seinem Standpunkt: „Es ist doch ein teurer Spaß!“ Nikolai Iwanowitsch schüttelte den Kopf. „Für uns ist das kein Spaß, Mr. Taylor. Sehen Sie, die Erzförderung, die Verhüttung, die Gießerei, die chemische Fabrik, all diese Einrichtungen, die wir auf der Insel haben, würden viele Tausende Menschen erfordern. Eine ganze Stadt, mit allem, was dazu gehört, müßte errichtet, unterhalten und versorgt werden. Aber wir sind nur ein paar Wissenschaftler und eine Handvoll Mechaniker und Monteure. Die gesamte Produkti-
on ist mechanisiert und wird von Robotern überwacht. Wir wollen den Menschen das Leben erleichtern, sie sollen nicht mehr Sklaven, sondern Herren der Arbeit sein. Das ist unser Ziel. Und wir haben es schon zu einem guten Teil erreicht.“ Mrs. Taylor warf ihrem Mann einen Blick zu, der soviel besagen sollte wie: Da hörst du’s! Diese Frevler! Und der alte Taylor wiegte den Kopf. „Für meine Interessen bliebe dabei nicht mehr viel Raum.“ Rostowski lächelte. „Das könnte sein.“ Edward blieb an Astrids Seite und schälte nachsinnend seine Orange. „Ein Paradies auf Erden… was Sie hier schaffen! Aber womit werden die Menschen der Zukunft ihre Tage ausfüllen, wenn Roboter alle Arbeit verrichten?“ „Es bleibt genug für die Menschen zu tun“, erwiderte Astrid. „Gibt es nicht noch so viel zu erforschen und zu erfinden damit das Leben immer leichter wird? Haben wir nicht so vielerlei Neigungen und Wünsche, denen nachzugehen oder die zu erfüllen uns bisher immer die Arbeit für das tägliche Brot verwehrt hat? Die Zeit dazu geben uns die Roboter.“ „Wie Sie das sagen! Als sei dies alles eine Selbstverständlichkeit. Ich bewundere Sie, Miß Willmann!“ „So?“ fragte sie lächelnd. „Ja, man könnte die beneiden, die Sie immer um sich haben.“ „Oh, Sie Ärmster!“ Taylor senior dachte noch über Rostowskis Worte nach. Diese Menschen hier mit ihren kühnen Ideen, die alles Althergebrachte wegschwemmten, beunruhigten ihn ernstlich, und er fühlte sich in ihrer Mitte wie ein Fisch auf dem Trokkenen. Plötzlich aber erhellte sich seine Miene, denn ihm war ein Gedanke gekommen, ein guter Gedanke, ein echter
Taylor-Gedanke. Und während er sich den Fruchtsaft von den Fingern wischte, teilte er diesen Gedanken Nikolai Iwanowitsch ohne viel Umstände mit: „Wissen Sie, am liebsten möchte ich Ihre Insel kaufen. Ich mache daraus eine Touristenattraktion mit Luxusbad und so weiter. Das wäre wenigstens ein Geschäft! Garantiere ein paar Millionen Reingewinn.“ Nikolai Iwanowitsch lachte schallend. „Alles können Sie aber nicht kaufen, Mr. Taylor, alles nicht!“ Edward hatte sein Zimmer betreten, aber kein Licht eingeschaltet. Der Raum war vom Mondlicht erhellt. Der junge Mann blieb am offenen Fenster stehen. Dort unten lag der Park im silbrigen Schein. Weiter hinten zeichneten sich als zarte Scherenschnitte Palmen ab, über denen, wie von Geisterhand bewegt, jetzt grüngelbe Strahlenbänder huschten. Sie erloschen so schnell, wie sie entstanden waren. Nun flammten sie wieder auf, formten sich zu bunten, in allen Farben des Regenbogens schillernden Draperien, verschwanden… Nordlicht über Palmen! Die Insel träumte inmitten des ewigen Eises unter schwerem, fast betäubendem Blütenduft. War all das Wirklichkeit? Edward fühlte sich wie zerschlagen. Die Erlebnisse dieses Tages wirbelten in seinem Kopf herum. Müde ließ er sich, ohne die Kleidung abzulegen, auf das Bett fallen. Er wollte alles noch einmal überdenken, aber sofort versank er in einen Halbschlaf. Wirre Vorstellungen quälten ihn. Er warf den Kopf hin und her, sein Atem ging heftig, unregelmäßig…. Er sah vor sich eine Tür, die ohne sein Zutun sich ständig öffnete und schloß. Jetzt war sie offen. Und in ihrem Rahmen stand ein großer Koloß, der Golem. Schwerfällig hob das Ungetüm die Arme nach ihm. Er trug einen lebenden menschlichen Kopf, den Kopf des Obermechanikers Lando. Sein Gesicht
verzog sich zu einem breiten Grinsen, und er sprach: Nur Rechenmechanismen und… viel, viel Leitungsdraht gab mir Astrid. Da schlug die Tür zu… Edward schwebte in einer brodelnden Wolkenmasse. Es riß ihn hoch und ließ ihn fallen, immer tiefer fallen. Mit einemmal wurde es hell. Er lag unter Palmen, die aus einem glitzernden Eisberg emporwuchsen. Astrid beugte sich über ihn. Ich bin die Herrin der Roboter, flüsterte sie… Er wollte ein hohes Tor aufstoßen, aber sosehr er sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht. Plötzlich sprang es von selbst auf. Vor ihm lag ein langer, finsterer Gang. Oder war es ein Stollen, der steil in die Erde führte? Edward trat vor, das Tor schloß sich hinter ihm, und er stand im tiefsten Dunkel. Oder nein, ganz weit hinten leuchteten zwei Sterne, und eine Stimme hallte durch den endlosen Gang: Wozu Roboter? Menschen sind billiger! Wir haben Menschen genug! Menschen genug! Menschen genug! Ein eisiger Wind heulte ihm entgegen. Er tastete sich an Felswänden vorwärts. Die beiden Sterne wurden größer, und nun erkannte er, daß es die leuchtenden Augen eines gewaltigen Roboters waren, der die Gesichtszüge seines Vaters hatte Entsetzt kehrte er um und rannte davon, rannte… rannte . Edward erwachte. Keuchend sprang er aus dem Bett und strich sich das schweißnasse Haar von der Stirn. Wo war er? Ja, richtig… die Insel. Dort unten lagen die Rabatten im Mondlicht. Diese wirren Träume! Er zündete sich eine Zigarette an, um sich zu beruhigen, und ging im Zimmer auf und ab. Nein, das half nichts, lieber noch einmal hinaus in die wunderbare Nacht, das würde die Nerven besänftigen. Er trat auf die Galerie hinaus. Im Vestibül brannte kein Licht mehr. Schräge Mondstrahlen zeichneten helle Kreise auf den Fußboden. Er ging hinunter, lauschte. Nichts war zu hören. Auf Zehenspitzen durchquerte er die Vorhalle und verließ das
Haus. Weit und breit war niemand zu sehen. Er schritt die Freitreppe hinab, kreuzte den Vorplatz und betrat den Parkweg, der sich im Halbdunkel verlor. Edward folgte, in Gedanken versunken, dem Weg. Als er nach einer Weile den Kopf hob, bemerkte er nicht weit vor sich einen Mann. Edward blieb unschlüssig stehen. Sollte er nicht lieber umkehren? Es konnte vielleicht Verdacht erregen, daß er zu nächtlicher Stunde allein umherlief. Er kniff die Augen zusammen, der Mondschein war hell genug, um einen Menschen auch auf größere Entfernung erkennen zu können. Zwar sah er nur den Rücken des Mannes, aber dennoch wußte er sogleich, wer dort vor ihm ging. Diese hohe, schlanke Gestalt in der dunklen Kombination – oh, er hatte sie am Abend aufmerksam genug gemustert – konnte niemand anderes sein als der Obermechaniker Lando! Edward spürte seinen Herzschlag bis zum Halse. War es nicht unsinnig von ihm, diesem Menschen zu mißtrauen? Hatte er denn einen Grund dazu, was ging ihm Lando überhaupt an? Doch ein bestimmtes Gefühl trieb ihn dazu, dem Manne zu folgen. Plötzlich gewahrte Edward einen gewaltigen Kuppelbau. Lando durchschritt das Tor, ohne sich umzusehen. Edward blieb stehen und starrte auf das Gebäude. Aus seinen Fenstern drang kein Licht. Geh hinein, hörte Edward eine innere Stimme flüstern, geh schon! Kehr um, tuschelte eine andere. Er trat ein. Von Lando fand er keine Spur. Er gelangte in eine runde Halle. Sie lag im Dunkel und war nur spärlich vom Mondlicht erhellt. Drei Viertel des Rundbaus nahmen hohe, milchglasartige Tafeln ein. Vor ihnen, in der Mitte der Halle, ruhten auf steinernen Sockeln zwei Gebilde, wie Kolossalstatuen aus uralter Pharaonenzeit. Sie schimmerten metallisch. Edward drang vorsichtig zur Hallenmitte vor. Er war
so sehr in den faszinierenden Anblick vertieft, der sich ihm bot, daß er heftig erschrak, als mit einemmal blendende Helle das weite Rund erfüllte. Vor ihm stand Obermechaniker Lando, der ihn prüfend anschaute. „Sie?“ stammelte Edward verwirrt. „Wie Sie sehen!“ Ein seltsames Lächeln spielte um Landos Mund. Edward schaute umher. „Suchen Sie jemand?“ „Wie?… Nein.“ „Was wollen Sie dann hier?“ „Ich… machte noch einen kleinen Spaziergang… sah dieses Gebäude… war neugierig. Das ist alles.“ Lando betrachtete Edward sekundenlang schweigend, dann sagte er: „Na gut, sehen Sie sich das hier an. Es ist der zentrale Steuerstand der Insel, sozusagen das Hirn des gesamten Werkes.“ Edward war froh, daß Lando offenbar keinen Verdacht geschöpft hatte. Er blickte zu den hohen Gestalten, die ihm im Dunkel so geheimnisvoll erschienen waren. „Und das dort… Was ist das?“ fragte Edward. Er sah auf den grauen Tafeln jetzt bunte Linien, Punkte und Kreise leuchten. Die Punkte wanderten auf den Linien entlang. Es war ein steter Kreislauf. „Jede Tafel stellt eine Abteilung der Produktion dar“, erklärte der Obermechaniker. „Dort die Förderanlage, da die Gießerei und so weiter. Wie die Pünktchen wandern, so verläuft die automatische Produktion. Ist sie an einer Stelle einmal unterbrochen, dann bleiben die Pünktchen stehen.“ „Und die Kreise?“ „Die Kreise, das sind die kontrollierenden Roboter in den Abteilungen. Sie leuchten in grüner Farbe, solange alles seinen Gang geht. Tritt eine Störung ein, dann glimmt der Kreis rot auf. Und der Hauptroboter hier“, Lando wies auf einen
der stählernen Riesen in der Mitte der Halle, „meldet die Störung durch Licht- und Tonzeichen zum Verwaltungsgebäude. Man weiß dann sofort, wo etwas hakt, und der zuständige Spezialist begibt sich zu der Abteilung, um den Schaden zu beheben. Da, sehen Sie!“ Auf der Kontrolltafel der Gießerei erschien in diesem Augenblick ein roter Kreis. Zu gleicher Zeit ertönte vom Hauptroboter her ein tiefer Summerton. „Er meldet die Störung an die Verwaltung“, erläuterte Lando „Aber es scheinen gerade Mechaniker in der Gießerei zu sein. Die Unterbrechung der Produktion ist bereits beseitigt.“ Tatsächlich erlosch der rote Kreis, und sofort verstummte auch der Hauptroboter. Die Präzision dieser Mechanismen machte großen Eindruck auf Edward. „Was bedeutet aber die rote Lichtsäule zwischen der Tafelreihe?“ „Das ist das Klimabild der Insel, es wird von diesem Automaten kontrolliert.“ Der Obermechaniker deutete auf den zweiten Giganten neben ihnen. „Rostowski wird Sie über die Aufgaben des Klima-Roboters gewiß unterrichtet haben.“ Edward nickte. Nun trat Lando an einen kleinen Tisch und drückte auf einen Knopf. Darauf schob sich die hintere Wand der Halle lautlos auseinander. Noch eine Halle wurde sichtbar, weiter und höher sogar als die erste. Darin stand eine Maschinenanlage von der Größe eines dreistöckigen Hauses. In verschiedenen Höhen zogen sich Laufgänge um den ganzen Block. Unten waren Schalttafeln zu sehen, und einige Türen, ähnlich denen dickwandiger Tresore, führten ins Innere des rätselhaften Bauwerkes, das in drohender Stille bis hinauf in die dämmrige Kuppel der Halle ragte. „Der Atommeiler, das Lebenszentrum der Insel Mechaniko“, sagte Lando.
Ein Schauer überlief Edward. Seine Blicke glitten über all das Wunderbare, das ihn umgab. Die Halle erschien ihm wie ein Dom des menschlichen Geistes, des guten, edlen, aufbauenden menschlichen Geistes. Kein lautes Geräusch, kein Wort störte die feierliche Ruhe. Nur ein ganz feines Ticken, Surren und Klicken verriet das Leben in den beiden Robotern, die Tag und Nacht ihre Arbeit verrichteten. „Und kein Mensch, der das lenkt?“ „Wir führen nur Kontrollgänge durch.“ Lando schaute auf die Uhr. „In einer halben Stunde wird Fräulein Dr. Willmann kontrollieren.“ „Sie erwarten sie hier?“ „Ich wüßte nicht, warum… Habe selbst Kontrolldienst.“ Eine merkwürdig schroffe Antwort. Edwards Blick tastete das unbewegliche Gesicht des anderen ab. Es verriet keinen Gedanken. Lando machte eine einladende Geste zu den beiden Sesseln hin, die neben dem kleinen Tisch am Fuße der Roboter standen. Als sie saßen, sagte er, die Augen fest auf Edward gerichtet: „Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, Mr. Taylor. Es ist gut, daß Sie hierhergekommen sind, sonst hätte ich eine andere Gelegenheit zu dieser Aussprache suchen müssen. Aber hier sind wir ungestört.“ In Edward wurde wieder das unangenehme Gefühl wach, das ihn von Anfang an gegen Lando beherrschte. Er wartete ab, während seine Finger nervös am Stahlrohr seines Sessels spielten. Nach einer kurzen Pause fuhr Lando fort: „Sie werden morgen früh mit Ihrer Maschine nach Stockholm Weiterreisen?“ „Es ist so vorgesehen“, entgegnete Edward. „Aus welchem Grunde interessiert Sie das?“ „Ich bitte Sie, mich mitfliegen zu lassen.“
„Sie mitnehmen…? Wie stellen Sie sich das vor? Das geht doch nicht so einfach. Wohin wollen Sie denn?“ „Ich will ins Ausland… nur ins Ausland.“ „Etwas ausgefressen?“ „Keineswegs.“ „Aber welchen Grund haben Sie dann für diese – heimliche Abreise? übrigens… Sie sprechen ungewöhnlich gut englisch?“ Die Worte verloren sich in einem drückenden Schweigen. Lando kniff die Augen ein, die Muskeln seiner Wangen zuckten. Endlich öffnete er den Mund. „Es ist meine Muttersprache.“ Die Blicke der beiden kreuzten sich. Edward fragte: „Und Ihre Papiere? Sind die in Ordnung?“ Lando lächelte gezwungen. „Sie werden Verständnis für meine Lage haben. Gerade Sie müssen es…!“ „Tut mir leid, mein Lieber“, entgegnete Edward. „Mit solchen Dingen will ich nichts zu tun haben.“ „Überlegen Sie sich das gut!“ „Ich habe nur noch zu überlegen, ob ich dieses Gespräch vergessen oder ob ich Mr. Rostowski davon unterrichten soll.“ „Nun gut, dann werde ich mit Ihnen deutlicher sprechen.“ Landos Gesicht verzerrte sich, es zeigte den Ausdruck äußerster Entschlossenheit. „Ich habe den Auftrag, die weitere Erzförderung auf der Insel zu verhindern. Sie ist gefährlicher, als Sie denken,… für Sie, Mr. Taylor!“ fügte Lando hinzu, und ein zynisches Lächeln glitt über seine Züge. „Seit Monaten versuche ich, mich dieses verdammten Auftrages zu entledigen. Es gibt für mich aber nur eine Flucht durch die Sowjetunion. Und auf diesem Wege würde ich nicht weit kommen. Ich kenne den Sicherheitsdienst der Sowjets und
vermute, daß sie schon auf meiner Spur sind. Es geht jetzt um mein Leben. Sie werden mir helfen!“ „Nein! Sehen Sie zu, wie Sie aus dem Geschäft herauskommen, in das Sie sich eingelassen haben.“ Edward erhob sich, die Unterredung war für ihn beendet. Lando sprang hoch. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. „Eine einzige Chance bietet mir der Zufall, Herr: Ihr Flugzeug! In ein paar Stunden kann ich im Ausland sein. Und was nach dem Start hier geschieht, das geht weder Sie noch mich etwas an. Man wird selbstverständlich annehmen, daß ich mit der Insel zugrunde gegangen sei. Damit wäre der Fall erledigt.“ „Nein!“ Lando trat dicht an Edward heran. Sein Kinn zitterte. „Nein? Nein haben Sie gesagt? Dann passen Sie einmal gut auf! Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt… das ist meine Sache. Die letzte Chance, es zu retten, nehmen Sie mir… und das ist Ihre Sache. Aber wenn ich mein Leben schon verlieren soll… durch Ihren Starrsinn… dann nicht allein… dann werden Sie mit zum Teufel gehen!“ Sein Blick richtete sich auf den Atommeiler. „Entweder Sie helfen mir… oder diese Insel verschwindet mit allem, was auf ihr lebt… auch mit Ihnen… und Ihren Eltern. Rechnen Sie nicht damit, an dieser Wahl vorbeizukommen. Also: wählen Sie!“ Grauen lähmte Edward und nahm ihm fast die Besinnung. Lando stand unbeweglich am Tisch. Seine Finger klopften auf die Platte, als zählten sie die Sekunden. Unheimlich glomm sein Blick in den tiefen Augenhöhlen. Er hatte seine letzte Karte ausgespielt. „Nun, gewählt?“ Edward sah wieder alles klar, die beiden Roboterschränke, die Leuchttafeln, die weite Halle und vor sich diesen Menschen, diesen… Maßlose Wut packte ihn. „Sie Schuft, Sie elender Schuft!“ schrie er und stürzte sich auf Lando. Der
wich dem Angriff gewandt aus und zog einen Revolver hervor. „Nein, mein Freund, so nicht!“ Der Anblick der Waffe steigerte Edwards Wut, und er drang von neuem auf den anderen ein. Lando war mit einem Satz bei den Robotern. In Sekundenschnelle hatte er einige Schalthebel niedergerissen. Bläuliche Blitze zuckten auf, ein gräßliches Schrammen war zu hören. Edward umklammerte die Arme des Mechanikers. Doch Lando konnte sich frei machen. Er hob den Revolver, um dessen Knauf auf Edwards Kopf niedersausen zu lassen. Er verfehlte indes sein Ziel, streifte aber nur
Edwards linke Schulter. Trotz des stechenden Schmerzes gelang es Edward, Lando die Waffe aus der Hand zu schlagen. Polternd fiel sie auf den Fliesenboden. In diesem Moment wurden die keuchenden Männer mit harten Griffen voneinander getrennt. Edward fühlte seine Hände auf dem Rücken festgehalten. Der Schmerz in der verwundeten Schulter ließ ihn taumeln. Da hörte er Lando russische Worte sagen. Er verstand den Ausdruck „Sabotage“. Edward riß den Kopf hoch. Zwei Mechaniker hielten seine Arme fest. Ein dritter bemühte sich um Lando, der am Tisch lehnte und die Hände an die Brust preßte, als hätte er einen Herzanfall. Und dort am Eingang der Halle stand – Astrid mit bleichem Gesicht. Der Kontrollgang, erinnerte sich Edward. Es konnte doch nicht möglich sein, daß man ihn… „Der war es! Er lügt! Halten Sie ihn fest!“ schrie er. Astrid nahm von ihm keine Notiz. Sie stürzte auf die Roboter zu. Die Mechaniker blickten ihn drohend an. Edward schien es, als falle er in einen tiefen Abgrund, er wollte um Hilfe rufen, aber die Stimme versagte. Nur noch wie aus weiter Ferne nahm er die Geschehnisse um sich wahr. Astrid sah auf die rote Lichtsäule, das Klimabild. Alle starrten hin. Die oberste Kante der Säule begann zu vibrieren, dann sank sie, ganz langsam, doch deutlich wahrnehmbar. „Das Eis kommt!“ schrie einer. Astrid gebot Schweigen, eilte zum Telefon, sprach mit Rostowski und wandte sich wieder den Eisenschränken zu. In ihren Augen standen Tränen. „Es ist ja so infam… beide Roboter!“ flüsterte sie. Verzweifelt nahm Edward noch einmal alle Kraft zusammen. „Ich war es nicht… Glauben Sie mir doch endlich!“ Sie schien ihn gar nicht zu hören. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Klima-Roboter, an dem sie nun mit Lando und einem der Mechaniker – die beiden anderen wichen nicht
von Edwards Seite – in fieberhafter Eile Schrauben löste und Muttern lockerte. Landos Hände zitterten, mehrmals fiel sein Schraubenschlüssel zu Boden. „Sehen Sie nun, wie falsch Ihr Vorschlag war, das Klima einzig und allein mit diesem Roboter zu regulieren“, sagte Astrid zu Lando. „Könnten wir die Wärmestrahlung nur über den Hauptroboter der Werkhallen schalten! Aber das ist ja das Teuflische dieser Untat, daß beide Roboter zerstört wurden. Wenn wir den Schaden nicht in den nächsten Stunden beheben, dann geht die Insel in Schnee und Eis unter. Dann ist unsere jahrelange Arbeit vernichtet!“ „Ich verstehe“, sagte Lando mit rauher Stimme und hob die erste Deckplatte vom Leibe des stählernen Kolosses ab. Astrid prüfte die freigelegte Stelle, sie tastete mit feinen Pinzetten wie ein Chirurg darüber hin. Es war ganz still geworden. Die Männer verharrten in höchster Spannung. Draußen fuhr ein Auto vor. Hastende Schritte näherten sich der Halle. Nikolai Iwanowitsch, Mihaly und der Arzt stürmten herein. Rostowski ging sogleich auf Astrid zu. „Was haben Sie festgestellt?“ „Noch nichts Endgültiges. Gedulden Sie sich ein paar Minuten.“ Sie wandte sich dem Mechaniker zu. „Die nächste Deckplatte lösen!“ Nikolai Iwanowitsch lief aufgeregt hin und her. Immer wieder schaute er auf die rote Lichtsäule, die stetig sank. Schließlich blieb er vor Edward stehen, den man abseits geführt hatte, und es schien, als wollte er jede Linie in diesem totenblassen Gesicht studieren. Edward sah Rostowski in die Augen. Ja, er konnte den forschenden Blick ruhig ertragen. „Mr. Rostowski! Ich schwöre Ihnen, daß ich es nicht getan habe. Was sollte mich denn veranlassen, diese wunderbare Insel zu vernichten? Ich bin doch nicht wahnsinnig.“
„Wer war es denn, wenn nicht Sie? Lando vielleicht? Er ist einer unserer zuverlässigsten Leute.“ Rostowski kehrte sich von Edward ab. „Lando, schildern Sie den Vorgang!“ Lando kam langsam näher. „Es ist nicht viel zu sagen, Nikolai Iwanowitsch. Ich hatte hier noch zu tun. Als ich die Halle betrat, gewahrte ich eine Gestalt im Dunkeln, die sich an die Roboter heranmachte. Ich eilte hinzu. Es war Mr. Taylor. Als er mich bemerkte, setzte er die Roboter durch Kurzschaltungen außer Funktion, zog einen Revolver und wollte auf mich schießen. Ich entriß ihm die Waffe. Na. und dann griffen zum Glück die anderen ein.“ „Nicht ein Wort ist wahr!“ schrie Edward. „Er will die Insel vernichten! Halten Sie ihn fest!“ Nikolai Iwanowitsch winkte wütend ab. „Sie scheinen wirklich wahnsinnig zu sein. Was wollten Sie eigentlich in dieser Halle?“ „Ich… wollte Miß Willmann sprechen… wollte sie vor Lando warnen.“ „Ach! Warnen wollten Sie? Ausgerechnet vor Lando?“ Lando ergiff den Revolver, der auf dem Tisch vor den Robotern lag, und hielt ihn Edward entgegen. „Was ist das? Ich werde es Ihnen genau sagen: Ein amerikanischer Revolver! Und was sind Sie? Ein Amerikaner!“ Er warf die Waffe auf den Tisch zurück. Edward verschlug es die Sprache. Was sollte er angesichts solcher Niedertracht noch sagen? „Schluß damit!“ bestimmte Rostowski. „Mit dem Fall werden sich die Behörden beschäftigen. Wir haben jetzt andere Sorgen. Astrid, was ist…?“ Sie hatte die Untersuchung inzwischen beendet. „Bitte kommen Sie doch einmal her, Nikolai Iwanowitsch!“ Sie führte mit ihm ein Flüstergespräch. Edward schaute durch eines der hohen Fenster auf den
Nachthimmel und bemerkte, daß sich vor den Mond eine aufquellende Wolkenmasse wälzte. Ihn fröstelte. Kam das von der Erschöpfung oder… war es kälter geworden? Lando war bei Edward stehengeblieben. Mit schnellen Blicken vergewisserte jer sich, daß außer den beiden Wachen, von denen er wußte, daß sie kein Wort Englisch verstanden, niemand in Hörnähe war. Darauf sagte er hastig: „Das hätten Sie sich sparen können, Sie Dickschädel. Merken Sie sich nun genau, was ich Ihnen sage: In kurzer Zeit wird sich auf der Insel eine ernste Situation ergeben, denn den KlimaRoboter kriegen sie nicht mehr hin. Rostowski wird deshalb Ihre Leute veranlassen, sofort abzufliegen. Ohne Sie natürlich. Aber ich werde mitfliegen, so oder so. In ein paar Stunden bin ich in Sicherheit, dann wird Rostowski Ihnen Glauben schenken und Sie laufen lassen. Machen Sie also keine Schwierigkeiten! Wir haben beide keinen Grund, mit dem Ausgang der Geschichte unzufrieden zu sein. Alles Gute, Mr. Taylor!“ Mit hämischem Grinsen hob er grüßend die Hand und drehte sich um. Nikolai Iwanowitsch rief alle heran. „Sprechen Sie!“ sagte er zu Astrid. „Der technische Befund hat ergeben“, begann sie und strich sich das Haar aus dem glühenden Gesicht, „daß beide Roboter ernstlich beschädigt, doch nicht völlig zerstört sind. Wir werden alles daransetzen, sie zu reparieren, damit uns die Arktis unsere Insel nicht wieder entreißt.“ Hinter den Fenstern der Halle zuckte plötzlich ein Blitz vom Himmel nieder, gefolgt von einem fürchterlichen Donnerschlag, der den hohen Bau erzittern ließ. „Aber vorher ist noch etwas zu klären“, fuhr sie fort. „Der Anschlag auf die Roboter wurde durch Schaltungen verübt, die von großer Sachkenntnis zeugen. Es ist schwer, anzunehmen, daß Mr. Taylor über solche
Sachkenntnis verfügt. Was meinen Sie dazu, Obermechaniker?“ Alle Augen richteten sich auf Lando. Der streckte den Kopf vor, seine kleinen schwarzen Augen blitzten hin und her. Dann duckte er sich und sprang mit langen Sätzen zum Hallentor hinaus in die Finsternis. „Er wird die Insel vernichten!“ schrie Edward entsetzt. „Geben Sie Generalalarm, Milhaly!“ befahl Rostowski „Atomsonnen einschalten! Alle Mechaniker auf ihre Stationen, doppelte Wache am Reaktor! Wo sich Lando sehen läßt, soll er festgenommen werden. Astrid, wieviel Leute brauchen Sie? Ihre Arbeit am KlimaRoboter darf durch nichts beeinträchtigt werden.“ Er schaute auf die rote Säule, die beängstigend tief stand. Draußen tobte bereits ein Unwetter. Unaufhörlich rollte der Donner. Sturm heulte um den Kuppelbau und peitschte strömenden Regen gegen die Fenster. Ein kalter Luftschwall drang durch das offene Tor herein. „Fünf Mann genügen“, rief Astrid. „Gut… Dr. Afranowitsch! Aus der verbleibenden Mannschaft bilden Sie drei bis vier Suchgruppen. Sollen die ganze Insel durchkämmen!“ „Lassen Sie mich Ihnen helfen, Nikolai Iwanowitsch!“ sagte Edward. Rostowski überlegte, dann reichte er Edward ohne weitere Worte die Hand. Es war keine Zeit zu verlieren. Das hereinbrechende Unwetter hatte Mrs. Taylor aufgeweckt. Offenen Mundes saß sie im Bett und erwartete mit Gruseln den nächsten Blitz. Zwischen den Donnerschlägen hörte sie vom Nebenzimmer her das Schnarchen ihres Mannes. Die Verbindungstür stand offen. „Sam!“ rief sie. Er warf sich krachend auf die andere Seite. „Sam! Es blitzt und donnert! Mein Gott, ich sterbe vor Angst, und dieser Mensch schläft und schläft… Sam!“ Nach einem letzten, gräßlichen
Schnarcher fuhr er hoch. „Zum Teufel, was ist los?“ „Hörst du’s denn nicht? Ein schreckliches Gewitter!“ „Na und…? Ist eben mal Gewitter! Kennen wir hier doch schon.“ „Wenn wir diese Insel erst hinter uns hätten! Schließ die Fenster, es wird kalt.“ Sam W. Taylor tappte brummend zu den Fenstern. Unten auf dem Vorplatz war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen. Kraftwagen hielten, fuhren ab. Hastige Worte wurden gewechselt. Warum diese Unruhe? Der alte Taylor schüttelte sich, es war wirklich sehr kühl geworden. Seltsam, das alles…! Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Sonne ging auf! Aber das war doch zu dieser Zeit nicht möglich. Dennoch nahm die Tageshelle stetig zu und drang durch den dichten Regenschleier. Es war jedoch nicht die „gewöhnliche“ Sonne, sondern ein Kranz von Atomsonnen, die an fesselballonähnlichen Gebilden zum Himmel strebten. Diese Atomsonnen spendeten keine Wärme, nur Licht. „Sam! Was soll dies wieder bedeuten? Bestimmt nichts Gutes. Ich werde hier noch verrückt!“ Er war jetzt selbst äußerst beunruhigt. Da wurde an die Tür geklopft, laut und ungeduldig. „Damned, was gibt’s denn nun…?“ fluchte Taylor. „Wer ist da?“ „Ich, Vater! öffne sofort!“ Der Alte ging zur Tür und schob den Riegel zurück. Edward stürzte herein, atemlos, mit durchnäßten Kleidern; aus dem Haar tropfte das Wasser und lief in kleinen Rinnsalen über sein Gesicht. Der alte Taylor starrte ihn an. „Junge! Was ist los? Wo kommst du denn her?“ Nach Luft ringend, berichtete Edward in kurzen Sätzen.
Mrs. Taylor erschien. Beim Anblick ihres Sohnes, der den verletzten Arm stützte, bekam sie Schreianfälle, rang die Hände und lief mit wehendem Nachtgewand umher. Der Alte schob sie in ihr Zimmer. „Mary wird gleich bei dir sein“, beruhigte er sie und schloß die Tür. Es klopfte abermals. Das war Johnson. Mrs. Taylors Schreien hatte ihn alarmiert. „Gut, daß Sie kommen, Johnson!“ sagte Sam W. Taylor. „Mary sofort zu meiner Frau! Und die Piloten sollen sich schnellstens bei mir melden.“ „Was hast du vor?“ fragte Edward den Vater, der sich hastig anzog. „Sofort starten natürlich. Oder glaubst du, ich hätte Lust zu warten, bis uns der Reaktor um die Ohren fliegt? Du hast doch selbst gesagt, dieser Lando sei zu allem fähig.“ „Wir müssen helfen, diesen Verbrecher unschädlich zu machen.“ „Meinst du? Du willst wohl mit den anderen zusammen zum Teufel gehen, wie?“ Edward schoß das Blut ins Gesicht. „Es geht um meine, um unsere Ehrenrettung, Vater! Schließlich war ich es, den man zuerst der Tat verdächtigte. Weißt du, ob man uns im Grunde nicht noch immer mißtraut? Es wäre nicht einmal verwunderlich.“ „Einen Taylor verdächtigen? So etwas gibt es nicht. Ein Taylor ist unantastbar!“ „Auch ein Aktionär der Las Vegas Company und seine Familie? Wir sind hier nicht in Amerika, Vater!“ Sam W. Taylor schleuderte die Weste, die er gerade anziehen wollte, aufs Bett. „Was geht uns diese Insel an? Nichts, gar nichts! Sie gehört nicht zu unserer Welt und dient nicht unserer Welt!“
„Ist das dein Ernst?“ fragte Edward mit gehobener Stimme. „Ist es dir wirklich gleichgültig, ob diese herrliche Insel zugrunde geht oder nicht? Willst du wirklich Miß Willmann, Rostowski, den Doktor, alle diese Menschen hier, denen du eben noch die Hand gedrückt hast, im Stich lassen… in diesem Augenblick?“ Die Augen des alten Taylor funkelten böse, doch Edward ließ sich nicht einschüchtern. Er wallte alles sagen, was ihn bedrückte, und fuhr fort: „Gewiß, diese Insel und ihre Menschen gehören nicht zu uns, sondern zu einer anderen Welt. Aber sie ist da, diese neue Welt, ob wir sie verleugnen oder bedrohen, sie ist da und wächst trotz allem, was man gegen sie tut und tun will – auch in den Atomlaboratorien der Las Vegas Company, in der du schon Millionen investiert hast! Wäre es nicht klüger, sich mit ihr zu einigen? Das waren meine Gedanken, als wir gestern abend die Werkhallen besichtigten. Aber wenn du es für richtig hältst, dann geh deinen alten Weg weiter, überlaß die Insel und die Menschen hier ihrem Schicksal. Doch ohne mich!“ Der Alte stand mit geballten Händen vor seinem Sohn. „Du bist kein Taylor… wahrhaftig nicht!“ „Kein Taylor, wie du ihn dir wünschst.“ „Du bist ein… ein Kommunist!“ „Nein. Aber ich vermag trotzdem klar zu sehen.“ „Du fliegst mit uns!“ „Ich bleibe… bis der Verbrecher unschädlich gemacht ist und der Insel keine Gefahr mehr droht. Ihr könnt mich in Spitzbergen oder Stockholm erwarten.“ Warren und Berryfield traten ein, Johnson folgte ihnen. Sam W. Taylor lief wütend auf und ab. Er schilderte den Piloten die Sachlage und fragte darauf den Flugkapitän: „Ist die Maschine startklar?“
„Die Maschine ist wieder in Ordnung, frisch getankt, die Motoren sind warmgelaufen, Sir.“ „Well, wir können also sogleich starten?“ Warren war überrascht. „Bei diesem Unwetter? Einfach, unmöglich!“ Der alte Taylor stampfte mit dem Fuß „Wir müssen starten!“ „Ausgeschlossen!“ „Zehnfache Prämie für euch beide! Wir müssen schnellstens fort von hier! Begreift ihr das nicht?“ „Wir sind keine Selbstmörder, Sir“, erklärte Berryfield kurz und bündig. Der Alte bekam einen Tobsuchtsanfall. „Mörder seid ihr, allesamt!“ Dann sank er stöhnend auf den Bettrand, wobei er einen verzweifelten Blick auf die Verbindungstür warf, hinter der Mrs. Taylor Mary kommandierte. Warren sah die anderen an. „Das wichtigste ist doch, so schnell wie möglich den Verbrecher zu ergreifen.“ Edward triumphierte. „Sehr richtig! Verlieren wir keine Zeit mehr. Jeder Mann wird gebraucht.“ Die Piloten waren gleich dabei. Johnson sah fragend zum alten Taylor. Der winkte stumm mit der Hand, und die vier eilten davon. Im Vestibül und in den anliegenden Räumen brannte noch Licht, obwohl es draußen taghell war. Menschen eilten hin und her. Telefone läuteten. Edward und seine drei Begleiter beachtete niemand. Endlich entdeckten sie Dr. Afranowitsch. Er kam gerade regentriefend in den Vorraum. Edward trat auf ihn zu. „Hallo, Doktor! Schlechte Nachricht?“ Der junge Arzt sah blaß und niedergeschlagen aus. Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe nichts Neues vom Steuerstand gehört. Aber meine armen Tiere und die Pflanzen…
alles wird zugrunde gehen… alles!“ „Wir wollen Lando suchen helfen, Doktor, wir vier.“ Ein Leuchten ging über das Gesicht des Arztes, er drückte jedem kräftig die Hand. „Ich danke Ihnen! Nun haben wir eine Gruppe mehr.“ Edwards Gruppe hatte Landos Spur entdeckt, aber es war ihnen nicht gelungen, ihn einzuholen. Der Bursche war äußerst gewandt. Er wußte daß man hinter ihm her war, und versuchte, seine Verfolger durch alle möglichen Manöver irrezuführen. Manchmal wich er plötzlich nach rechts aus, dann verschwand er für Augenblicke auf der anderen Seite, und bisweilen schien es, als wollte er ihnen entgegen- und an ihnen vorüberlaufen. Zweifellos war ihm das Gelände der Insel sehr gut bekannt, und trotz aller Täuschungsversuche hielt er eine bestimmte Richtung ein. Was war sein Ziel? Die künstliche Beleuchtung war den Verfolgern sehr zustatten gekommen. Aber der immer stärker werdende Regen und die zunehmende Kälte, dazu der orkanartige Sturm hemmten sie. Vom Blitz gefällte Palmen, Sturzbäche, tiefe Pfützen versperrten ihnen den Weg. Und nun hatten sie Landos Spur gar verloren. Er war einfach vom Erdboden verschwunden. Auf einer kleinen Anhöhe stand ein Schuppen. Hier machten Edward, Johnson und die beiden Piloten für einen Augenblick halt und behielten das Gelände nach jeder Richtung im Auge. Edward ging auf und ab, um sich warm zu machen. Er war bis auf die Haut naß, seine blaugefrorenen Hände hatte er in die klitschnassen Taschen gesteckt. Seine Augen brannten. Aus Müdigkeit, oder kam es davon, daß die Sicht jetzt erschwert war? Statt der starken Helle lag nur noch dämmriges Licht hinter den Regenschleiern. Die Atomsonnen waren durch den wilden Sturm etwas abgetrieben worden. Wie trostlos die noch vor wenigen Stunden so paradiesisch
schöne Landschaft aussah! Blätter und Blüten hingen schlaff zu Boden. Tote Vögel und Insekten schwammen in Wasserlachen. Es ging ein Sterben durch diese farbenfrohe Welt unter dem eisigen Atem, der die Insel streifte. Edward streckte die Hand aus. Also doch schon Schnee… der Vortrupp des ewigen Eises! Er dachte an Astrid, sah sie in fieberhafter Arbeit über den Klima-Roboter gebeugt. Wird sie Siegerin sein oder – die Arktis? Die anderen riefen ihn. In einiger Entfernung lief eine geduckte Gestalt durch die Mulde. Das war Lando! Er trug einen kleinen dunklen Kasten unter dem Arm. Wohin wollte er? Sie waren ja bald am Ende der Insel. „Schnell, ihm nach!“ schrie Edward. „Dieser verdammte Schurke!“ fluchte Johnson im Laufen. Berryfield entgegnete: „Das ist doch nur ein kleiner… aber wo sind die großen Lumpen, seine Auftraggeber?“ Der Regen ließ nach, auch der Sturm legte sich. Es trat eine bedrükkende Stille ein. Und dann fiel Schnee… nur noch Schnee. War der Kampf entschieden? Hinter dem weißen Treiben tauchte ein dunkles Ungetüm auf. Dann passierten die Männer einen weit ausladenden Kreis von Sperrzeichen und standen schließlich vor dem Wärmestrahler III. In seinen gewaltigen Hohlspiegel wirbelten die weißen Flocken, sie deckten ihn zu… immer mehr und mehr. Nikolai Iwanowitsch schaute noch einmal auf das Klimabild. Aber das hatte gar keinen Sinn, denn seit mindestens einer halben Stunde schon war die Lichtsäule unter dem Nullpunkt verschwunden. Die polaren Luftmassen hatten das künstliche Klima der Insel erdrückt. Rostowski seufzte. Er zeigte zwar unerschütterlichen Optimismus, doch war er voller Zweifel. Welche Gefahr drohte noch von Landos Sei-
te? „Nun, Astrid?“ fragte er. „Es schneit bereits!“ Astrid trat vom Klima-Roboter zurück. Die letzte Schraube war angezogen worden. Sie musterte das Werk mit kritischem Blick und wischte sich die Stirn. Von der zunehmenden Kälte hatte sie kaum etwas gespürt. „Fertig, Nikolai Iwanowitsch!“ sagte sie. „Die Reparatur ist geschafft.“ „Sind Sie ganz sicher? Wenn die Reparatur fehlerhaft ist, dann ist die Insel verloren. Das ist Ihnen doch klar?“ „Völlig“, erwiderte sie. Ihre Stimme klang sicher, zuversichtlich. Sie rief zu Dr. Mihaly hinüber,’ der die Steuerung des Atommeilers übernommen hatte: „Es ist soweit, Dr. Mihaly. Schalten Sie vorsichtig!“ Nikolai Iwanowitsch, Astrid, die Mechaniker und Monteure, alle hielten den Atem an. Es war völlig still in dem riesigen Rundbau. Alle Blicke waren auf die Stelle gerichtet, wo die rote Lichtsäule wieder auftauchen mußte. „Eingeschaltet!“ Nichts geschah. „Volle Energie, Mihaly!“ „Dort oben!“ rief Johnson den anderen zu. Wirklich, dort balancierte Lando über eine Verstrebung des Wärmestrahlers hinweg, um zu dem Hohlspiegel zu gelangen. Edward stürmte vor, keiner konnte ihn zurückhalten. Er stieg eine Eisenleiter hinauf, es war nicht leicht, denn der Schnee machte die Sprossen gefährlich glatt, und die verletzte Schulter schmerzte. Zehn Meter waren es bis zum oberen Rand des Hohlspiegels. Edward kam nur bis zu einer Höhe von etwa acht Metern. Lando, der auf einem Laufsteg am Hohlspiegelrand stand, hatte den letzten Teil der Leiter zu sich hinaufgezogen. Er beugte sein von Haß und Wut schrecklich entstelltes Gesicht zu Edward hinab. „Nun, Mr. Taylor, Sie haben gewählt. Denken Sie an meine Worte… Es ist soweit! In wenigen Sekunden fliegt der zentrale Steuerstand in die Luft… samt der Insel… mit mir… mit Ih-
nen… mit allen!“ Und er zeigte auf den kleinen schwarzen Kasten, der ihm jetzt um den Hals hing. „Fernzündung… Verstehen Sie?“ „Nehmen Sie doch Vernunft an, Mensch!“ brüllte Edward. Lando begann, sich mit dem Kästchen zu beschäftigen. Zwei Schüsse fielen. Von einer anderen Suchgruppe, die gerade eingetroffen war, hatte man auf ihn geschossen. aber das Ziel verfehlt. Lando beugte sich noch einmal hinab „Sind Sie noch da, Taylor? Sie kennen doch die Las Vegas Company. Eine noble Firma. hat mich für diesen Auftrag anständig bezahlt… Ich werde nicht undankbar sein.“ Es war Edward, als träfe ihn ein Keulenschlag. Seine Hände verkrampften sich um die Eisenstangen. Die Las Vegas Company!… Sein Vater! Edward sackte zusammen und hing wie leblos an der Leiter, mit den Fußspitzen gerade noch auf eine Sprosse gestützt. Wie durch Nebel sah er plötzlich unten rote Lämpchen aufleuchten Und wie aus der Ferne hörte er den Ruf! „Der Wärmestrahler ist in Betrieb!“ Zugleich gellte von oben her ein gräßlicher Schrei, und dumpf polternd stürzte ein Körper in die riesige Schale des aufglühenden Hohlspiegels. Edwards Hände öffneten sich, willenlos ließ er sich fallen… Die Großen, die Auftraggeber, die Hintermänner mit den reinen Händen und den Unschuldsmienen… wie mein Vater! Das war sein letzter Gedanke. Am Morgen, genauer gesagt: in den Vormittagsstunden schlug Edward die Augen auf. Er blickte auf eine Zimmerdecke, auf der Sonnenreflexe spielten. Die Atomsonnen, dachte er Ein zartblauer Himmel leuchtete herein, und es war so herrlich warm. Er fühlte einen dumpfen Schmerz in der Schulter. Langsam erinnerte er sich Diese Nacht… diese furchtbare Nacht! Er
hob den Kopf und sah Dr. Afranowitsch am Bett sitzen, der ihn anlachte. „Na, nun geht’s ja wieder1 Stehen Sie nur auf, sonst verpassen Sie das Frühstück. Wäre jammerschade.“ „Doktor! Die Insel?“ „Keine Sorge, ist gerettet. Beinahe wäre es zu spät gewesen. Unsere Astrid aber hat’s geschafft.“ Die Tür öffnete sich. Sam W Taylor trat ein Er schaute stumm auf Edward. Dann fragte er leise: „Wie geht es dir?“ Dr. Afranowitsch winkte ab. „Die kleine Erschütterung vom Sturz ist schon überwunden Er wird jetzt aufstehen, und Sie können unbesorgt den Weiterflug antreten.“ Er klopfte Edward aufmunternd auf die Schulter und zog sich zurück. Edward wandte den Blick nicht vom Vater ab. „Ein Taylor ist unantastbar, hast du gesagt… Weißt du, wer dieser Lando war? Er war ein Agent der Las Vegas Company!“ Sam W. Taylor erwiderte kein Wort, aber er war totenblaß geworden. Langsam drehte er sich um und verließ den Raum. Edward stand auf, noch ein wenig benommen. Er trat an das Fenster. Die Sicht war durch keine Wolken begrenzt. In allen Schattierungen leuchtete das Grün der üppigen Vegetation unter der Polarsonne. Hier und da zeigten sich Spuren der nächtlichen Katastrophe. In der Ferne schimmerten die Diamantenspitzen des ewigen Eises, dazwischen lag ein Streifen blauen Meeres. Es war vor der Insel eisfrei, aber von der gewaltigen Luftzirkulation der Wärmestrahler aufgewühlt. Donnernd brandeten die Wogen gegen die Insel. Punkt vierzehn Uhr startete der „Flying Fish“ vom Flugplatz der Insel zur Reise nach Stockholm. Das Flugzeug schraubte sich in steilen Kurven aufwärts, um nicht in die Zone der Wirbelstürme zu geraten. Mrs. Taylor atmete auf. Bald würde man wieder unter „Menschen“ sein.
Sam. W. Taylor blätterte in seinen Geheimakten. Edward schaute sinnend hinab Und er hörte im Dröhnen der Motoren noch einmal Astrids Worte beim Abschied: „Was Sie hier erlebt haben – Sie werden es vergessen, wenn Sie wieder in Ihrer Welt sind.“ In seiner Welt! . Nein, er würde es nie vergessen, das Erlebnis hatte ihn gereift und würde sein künftiges Handeln bestimmen. Das hatte er Astrid gesagt. Und sie hatte gelächelt und ihm die Hand gedrückt. Die Insel wurde immer kleiner, sie leuchtete wie ein Smaragd in der weißen Unendlichkeit, wie ein heller Stern der Verheißung.