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PARKER blamiert die „Ungeschickten“ Stephan Andler »Immer diese leidigen Bankgeschäfte«, monierte Lady Agatha. »Ab und zu muß ich mich wohl persönlich darum kümmern. Mis ter Parker, Sie sind zu gutgläubig.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, nahm der Butler die Kritik seiner Herrin mit unbewegter Miene hin. Geschickt lenkte er sein hochbeiniges Monstrum durch den Straßenverkehr – und fabri zierte plötzlich eine Vollbremsung. Die majestätische Dame wurde regelrecht aus den Polstern katapultiert. »Sie benehmen sich wie ein Verkehrsrowdie, Mister Parker!« empörte sie sich und ordnete ihr Hutkreation, eine Mischung aus Biedermeiersträußchen und Bauernomelett. Sie war ihr glatt ins Gesicht gerutscht. »Man erlaubt sich indes, Myladys Aufmerksamkeit auf die Um stände zu lenken, die ein derartiges Handeln meiner Wenigkeit bedingten«, erklärte Parker emotionslos. Nun sah auch Agatha Simpson den schmächtigen Mann und die dicke Frau, die die Treppe vor der Bank herunterstürmten. Beide trugen die Berufs kleidung von Bäckern und in den Fäusten Maschinenpistolen. Die Hauptpersonen: Bob und Melissa Milford erleben ihr ganz persönliches Water loo in einer Kuchenschlacht. James Burney ist Finanzmakler und hält wenig von Daten schutz, wenn es darum geht, Reibach zu machen. Tanner heißt in Wirklichkeit Brunner und versucht sich als Vo gel. Der große Mordiconi möchte größer sein, als er ist, und wird von einer Lady zurechtgestutzt. Mike Braster hat sich etwas ausgedacht, um risikolos abzu sahnen, und muß letztlich als »zersägte Jungfrau« herhalten. Lady Agatha Simpson verblüfft diesmal sogar ihren Butler und weiß hinterher von nichts. Josuah Parker entgeht nur knapp einem Attentat und stellt sich schließlich als Versuchskaninchen zur Verfügung. Außerdem waren sie mit Sporttaschen ausgestattet, über deren 2
Inhalt Parker nicht zu rätseln brauchte. »Was hat das zu bedeuten, Mister Parker?« wunderte sich Lady Agatha. »Da stimmt doch was nicht.« »Mylady belieben stets das Richtige zu meinen«, bestätigte der Butler. »Wenn man nicht irrt, dürften die Herrschaften auf un konventionelle Art gewisse Bankgeschäfte erledigt haben.« »Sie meinen, das sind Bankräuber?« konstatierte die passionier te Detektivin. Sie beobachtete, wie der Mann und die Frau zu ei nem kleinen Transporter flitzten, der vor der Bank am Bordstein parkte. Passanten wichen schreiend zurück. Im Nu war das Paar im Führerhaus des Fahrzeuges verschwun den. Sekunden später heulte der Motor auf. Der Fahrer legte ei nen Kavalierstart hin und ließ den Wagen rücksichtslos in den fließenden Verkehr schnellen. Einige Limousinen mußten abrupt bremsen, um zu verhindern, daß sie sich in wenig attraktive Wracks verwandelten. Ein häßli ches Quietschen erfolgte und vermischte sich mit dem plötzlichen Schrillen der Alarmglocke der Bank zu einem ohrenbetäubenden Konzert. »Ihnen nach, Mister Parker!« rief Lady Agatha erregt. »Die Lümmel haben mein Geld!« * Josuah Parker nahm die Verfolgung auf und machte sich bereits Gedanken über den Vorfall. Es mutete ihn seltsam an, daß die Räuber nicht maskiert waren und unübersehbar den Namen einer Konditorei auf ihrer Kleidung trugen, nämlich: Milfords Cafe. Der Schriftzug prangte außerdem auf dem orangefarbenen Lack des Fluchtfahrzeuges samt Adresse des genannten Unterneh mens. Entweder litten die ungewöhnlichen Kassierer unter ange borenem Schwachsinn, oder der Wagen war gestohlen. Vielleicht war es auch nur ein Täuschungsmanöver. Parker war sicher, die Räuber bald darüber befragen zu können. Zum einen war er ein hervorragender Fahrer, dem kein anderer so schnell das Wasser reichen konnte. Zum anderen besaß er ein Auto, gegen das selbst ein Formel-1-Wagen den kürzeren zog. Nach außen hin wirkte sein Vehikel mehr als museal. Es war ein 3
ehemaliges Londoner Taxi, wie man es nur noch selten im Stra ßenverkehr sah. Parker hatte das Fahrzeug nach seinen eigenwil ligen Vorstellungen mit allerlei technischen Raffinessen ausstatten lassen. So war eine wahre Trickkiste auf Rädern daraus gewor den, um die selbst ein James Bond den Butler beneidet hätte. Unter anderem verfügte das hochbeinige Monstrum, wie Parkers Wagen von Freund und Feind respektvoll genannt wurde, über ein Zusatztriebwerk, das Parker mittels eines Kippschalters am reich lich ausgestatteten Armaturenbrett aktivieren konnte. Jeder Rennwagen hätte sich nach diesem Zusatzmotor gesehnt. Das Fahrwerk war entsprechend neu konzipiert und meisterte nahezu jede Situation. Leider nutzte das dem Butler momentan herzlich wenig. In der Londoner Rush-hour konnte er diese technische Errungenschaft nicht zum Einsatz bringen. Zum Glück kam auch der Fluchtwagen nur langsam voran, bis er in eine unbefahrene Seitenstraße abbog und aufdrehen konnte. Aber auch Parker gab seinem Gefährt jetzt die Sporen. Er schalte te das Zusatztriebwerk ein. Urplötzlich röhrte der hochgezüchtete Motor unter der eckigen Haube wie ein kampflustiger Tiger. Der Wagen schnellte nach vorn wie eine Rakete. »Endlich!« meldete sich Lady Agatha zu Wort. »Ich dachte schon, Sie wollten die Lümmel mit meinem Geld entkommen las sen.« »Was nie im Ansinnen meiner bescheidenen Wenigkeit lag«, versicherte der Butler. »Man ist stets bemüht, Myladys Interessen zu wahren. Darüber hinaus brauchen Mylady einen größeren fi nanziellen Verlust auch dann nicht zu befürchten, sollte den Bankräubern die Flucht gelingen. Institute, die sich mit der Ver waltung fremden Vermögens beschäftigen, verfügen über Versi cherungen, die einen Schadensfall in voller Höhe abdecken.« »Das ist mir bekannt«, behauptete Lady Agatha. »Aber hier geht es ums Prinzip. Mir entkommt grundsätzlich kein Verbrecher, Mister Parker.« Der Abstand zu dem Fluchtfahrzeug verringerte sich in kurzer Zeit rapide. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis man den Transporter auf der vollkommen geraden Straße überholen und ausbremsen würde. Noch etwa fünfzig Yards trennten Parkers hochbeiniges Monst 4
rum vom Bankräuberauto. Da wurde mit einem Ruck die Rolltür im Heck des Fluchtwagens nach oben geschoben. Im geöffneten Viereck erschien das Konterfei der weiblichen, äußerst voluminösen Diebin. Im Grunde genommen war die Frau eher der biedere Muttertyp, zu dem Staublappen und Schrubber besser paßten als ein Maschinengewehr. Aber das, womit sie auf das Verfolgerauto zielte, war beileibe kein Putzutensil. Offensichtlich hatten die Räuber die Verfolger entdeckt und wollten etwas gegen sie unternehmen. Das ließ jedenfalls das Maschinengewehr, mit dem die Frau auf Parkers hochbeiniges Monstrum zielte, vermuten. Im nächsten Moment entsandte es seinen bleiernen Gruß. * Jedes normale Auto wäre in ein rollendes Sieb verwandelt wor den. Nicht so Parkers Privatwagen. Einer seiner Vorzüge war nämlich, kugelfest zu sein. Das galt sogar für die Reifen. Und so konnte sich Agatha Simpson und Jo suah Parker in ihm so sicher fühlen wie in Abrahams Schoß. Die Kugeln schlugen an der widerstandsfähigen Außenhaut ihres Zieles als Querschläger davon. Zum Glück waren zur Zeit keine Passanten unterwegs, so daß nicht die Gefahr bestand, daß je mand verletzt wurde. »Ich werde die Verfolgungsjagd jetzt abwechslungsreicher ges talten. Unternehmen Sie etwas in meinem Sinn, Mister Parker. Ich lasse Ihnen freie Hand«, kam es von Lady Agathas Lippen. »Man wird umgehend Myladys Vorstellungen in die Tat umset zen«, sicherte der Butler ihr zu und setzte zum Überholmanöver an. Der plötzliche Richtungswechsel des Verfolgerfahrzeuges irritier te die Gangsterbraut so sehr, daß sie das Feuer einstellte. Just in diesem Moment rollte vor dem Fluchttransporter ein Ball über die Straße. Parker schaltete sofort und ging voll auf die Bremse. Gerade noch rechtzeitig, um eine Katastrophe zu verhindern. Während sein eckiger Privatwagen mit blockierenden Reifen über den As phalt radierte, stürmte zwischen den am Straßenrand geparkten Autos ein fünfjähriger Junge auf die Fahrbahn und hinter seinem 5
Ball her. Er hörte das Quietschen der Reifen, sah das heranrut schende Auto und blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Derweil wurde Lady Agatha im Fond des ehemaligen Londoner Taxis von unsichtbaren Kräften wie ein überdimensionaler Ping pongball hin- und hergeworfen. Sie rutschte schließlich von der Sitzbank und plumpste wie ein Mehlsack zu Boden. Plötzlich stand Parkers Wagen. Nur wenig von dem verschreck ten Buben entfernt. Das Gangsterauto erreichte im selben Mo ment das Ende der Seitenstraße und bog mit heulenden Pneus nach rechts in eine Hauptschlagader Londons ab. Parker verzich tete auf die weitere Verfolgung. »Was soll das, Mister Parker?« mokierte sich Lady Agatha und hievte ihre Fülle mühsam zurück auf die Sitzbank. Der Butler erklärte und grüßte höflich den kleinen Jungen, in dem er seine Melone lüftete. Der Fünfjährige vergaß seinen Schrecken, lachte verschmitzt und rannte davon. »Na gut, Mister Parker. Wenn das so ist, will ich noch mal Nach sicht üben«, räumte Lady Agatha ein. »Jetzt brauche ich aber einen Kreislaufbeschleuniger.« * Parker kredenzte seiner Herrin einen gereiften französischen Cognac. Um für Notfälle dieser Art gerüstet zu sein, führte er in den unergründlichen Taschen seines schwarzen Covercoats stets seine silbern ziselierte Flasche mit, die Myladys kostbaren Kreis laufstabilisator enthielt. Agatha Simpson genoß die Medizin aus dem Schraubdeckel der Taschenflasche, den man als Trinkbecher verwenden konnte. »Die Räuber sind jetzt natürlich mit meinem Geld über alle Ber ge«, beklagte sie sich. »Mister Parker, Sie hätten die Lümmel stellen müssen! Sie haben sich wieder mal zuviel Zeit gelassen. Und ich gehe nun am Bettelstab. Mein schönes Geld – weg.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst zer knirscht«, versicherte der Butler. Er war es schließlich gewohnt, als Sündenbock zu gelten. »Man befindet sich jedoch in der er freulichen Lage, Mylady gewisse Hoffnungen machen zu können. Zum einen darf man sich den Hinweis erlauben, daß die beraubte Bank die Ehre hatte, nur einen geringen Teil von Myladys Vermö 6
gen zu verwalten. Mylady waren so weitsichtig, Ihr Kapital ver schiedenen Geldinstituten anzuvertrauen.« »Trotzdem, Mister Parker. Jeder verlorene Penny ist ein herber Verlust für eine alleinstehende Dame«, behauptete Lady Agatha unbeeindruckt. »Man will sich schließlich auch mal ab und zu et was leisten. Aber weiter. Welchen Trost haben Sie noch für mich?« »Man sollte die Möglichkeit, der flüchtigen Bankräuber habhaft zu werden, nicht gänzlich ausschließen«, äußerte der Butler. »Vorausgesetzt, Mylady beabsichtigen, den Fall zu bearbeiten.« »Natürlich tue ich das, Mister Parker. Oder soll ich mich viel leicht auf die Polizei verlassen?« Agatha Simpsons Meinung über die Hüter des Gesetzes war nicht besonders schmeichelhaft. Sie hielt die Uniformierten sogar für unfähig, den Londoner Verkehr zu regeln, wie viele Staus ihrer Meinung nach bewiesen. Deshalb betätigte sie sich selbst als passionierte Detektivin und war bereits zu einigem Ruhm gekommen. Daß es dabei stets ihr Butler war, der kombinierte und in dessen Händen die Fäden zu sammenliefen, nahm sie geflissentlich nicht zur Kenntnis. Unge niert verbuchte sie jeden Erfolg auf ihr Konto. »Möglicherweise trifft man die Räuber im Cafe Milford an«, setz te Parker seiner Herrin auseinander. »In einem Cafe?« stutzte die passionierte Detektivin. »Mylady registrierten fraglos die Aufschrift, mit der das Flucht fahrzeug an den Flanken versehen war«, erläuterte der Butler geduldig. »Es handelt sich dabei um den Namen des eben ge nannten Lokals.« »Natürlich ist mir das aufgefallen«, behauptete die ältere Dame ohne rot zu werden. »Aber das hat nichts zu bedeuten. Man muß schon naiv sein, wenn man ernsthaft daran glaubt, die Räuber würden ihr Versteck auf so spektakuläre Weise aller Welt, verra ten. Natürlich haben die Rüpel das Auto gestohlen, Mister Parker. Ich darf wohl nicht zuviel von Ihnen erwarten. Schließlich lernen Sie noch bei mir.« »Nicht jedermann verfügt über Myladys Genialität«, äußerte der Butler devot. »Mylady verstehen es vorzüglich, kriminelle Vorge hensweisen sofort zu durchschauen und lassen sich durch nichts in die Irre führen.« »Das haben Sie schön gesagt, Mister Parker. Und was wollen 7
Sie damit konkret ausdrücken?« »Daß Mylady sehr wohl in Betracht ziehen, die Räuber an dem bezeichneten Ort – entgegen aller menschlichen Logik – anzutref fen.« »Und wie komme ich dazu?« wunderte sich die resolute Dame. »Mylady belieben zu kombinieren«, lenkte der Butler seine Her rin auf die weitere Vorgehensweise. »Unterstellt man, die Räuber hätten das Fluchtfahrzeug gestohlen, so erhebt sich die Frage, warum sich die besagten Personen mit der Berufskleidung von Konditoren ausstatteten.« »Die Leute haben eben Phantasie«, vermutete Agatha Simpson und hielt ihren Trinkbecher fordernd hin. Parker schenkte nach. »Was man keineswegs und mitnichten gänzlich in Abrede stellen sollte«, kam der Butler seiner Herrin entgegen. »Natürlich sollte man – mit Verlaub – auch ausschließen, daß es sich bei den Räu bern in der Tat um Vertreter des Bäckerhandwerkes handelt.« »Aber so dumm führt sich doch niemand auf, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Die menschliche Handlungsweise unterliegt mitunter nicht all gemeingültigen Normen«, argumentierte der Butler. »Papperlapapp! Ein Täuschungsmanöver ist es, wenn Sie mich fragen. Und um es Ihnen zu beweisen, mache ich diesem Cafe jetzt meine Aufwartung.« Josuah Parker war überzeugt davon, daß Mylady gewisse Hin tergedanken kulinarischer Art hatte. * Das Cafe Milford lag im Londoner East End, einer wenig vor nehmen Wohngegend. Es war von Pubs eingeklemmt und verfüg te über eine Fassade, von der an verschiedenen Stellen der Putz abblätterte. Außerdem schrie der Anstrich förmlich nach einer Auffrischung. An der Bordsteinkante stand der orangefarbene Transporter, der den Bankräubern als Fluchtfahrzeug gedient hatte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Parker hatte sich das Kennzeichen gemerkt. »Das besagt nichts«, behauptete Lady Agatha vehement, als der Butler sie darauf aufmerksam machte. Er hatte sein hochbei niges Monstrum hinter dem Ganovenautomobil geparkt. »Außer 8
dem liegen Sie falsch, Mister Parker. Ich gehe davon aus, daß wir es gar nicht mit dem Banditenauto zu tun haben. War das nicht blau?« »Meine bescheidene Wenigkeit möchte sich diesbezüglich nicht unbedingt festlegen«, reagierte der Butler diplomatisch. »Nie mand unter der Sonne ist gegen Irrtümer gefeit.« Die resolute Dame war selbstbewußt genug, diese Äußerung nicht auf sich zu beziehen. »Schön, daß Sie das einsehen, Mister Parker«, fand sie. »Nehmen wir dieses Cafe jetzt unter die Lupe. Ich bin sicher, wir entdecken nicht die geringste Spur der Bank räuber. Das sagt mir meine Intuition. Sie hat mich bisher noch nie getrogen.« »Wie belieben Mylady vorzugehen?« wollte Parker wissen. »Wie immer, wenn ich ein Lokal betrete«, antwortete die passi onierte Detektivin. »Ich setze mich an einen Tisch, und Sie dürfen eine Kleinigkeit bestellen. Im Interesse der Sache bin ich bereit, meine Diät zu gefährden. Manchmal muß der Mensch Opfer brin gen.« »Demnach gedenken Mylady, die direkte Konfrontation mit den möglicherweise vorhandenen Bankräubern zu suchen?« »Natürlich, Mister Parker«, bejahte Agatha Simpson vehement. »Falls die Lümmel wirklich da sind, werde ich sie im Handstreich dingfest machen. Diese Methode hat sich in der Vergangenheit bewährt.« »Was man keineswegs und mitnichten in Abrede stellen möch te«, stimmte der Butler seiner Herrin zu. In der Tat waren takti sche Winkelzüge Lady Agatha fremd. Sie frönte in der Regel der sogenannten Hau-den-Lukas-Methode und war nur schwer davon abzubringen. Das wußte Parker, der die ältere Dame nur zu gut kannte. Deshalb versuchte er es erst gar nicht. * Die innere Alarmglocke des Butlers schlug an, als er Sekunden später hinter Lady Agatha das Cafe betrat. Ein elektrisierendes Kribbeln im Nacken war Parkers ganz persönliche Antenne für Gefahr. Wachsam ließ der Butler seine Blicke schweifen, ohne seinen Kopf mehr als nur minimal nach rechts und links zu drehen. 9
Das Lokal machte einen heruntergekommenen Eindruck. Die Tapeten mit dem altmodischen Blumenmuster waren vergilbt und lösten sich stellenweise von den Wänden. Bei den Tischen und Stühlen konnte die Diagnose nur auf Al tersschwäche lauten. Die Möbel sahen aus, als würden sie jeden Moment zusammenbrechen. Dies alles erfaßte der Butler, während Mylady forsch die Ver kaufstheke, hinter der eine sehr umfangreiche Frau in weißem Kittel stand, ansteuerte. Parker erkannte das weibliche Wesen sofort. Es war die Bank räuberin. Zweifel ausgeschlossen. Arglos plazierte sich Lady Agatha vor der Theke und musterte das Kuchensortiment. Was man zu bieten hatte, war ansehnlich. Vom einfachen Käsekuchen bis zur Trüffel-Creme-Torte war alles vorhanden. »Was nehme ich?« überlegte Lady Simpson und rieb sich grüb lerisch das Kinn. »Ich muß an meine Diät denken. Also kasteie ich mich und probiere nur jeweils ein Stück.« »Von jeder Sorte ein Stück?« fragte die freundlich lächelnde Bä ckersfrau verblüfft. »Sie haben recht, meine Liebe«, lenkte die majestätische Dame ein. »Man sollte es mit der Unerbittlichkeit gegen sich selbst nicht übertreiben. Und vergessen Sie die Sahne nicht!« Der antiquiert wirkende Stuhl, den Lady Agatha kurz darauf mit ihrer leiblichen Fülle beehrte, ächzte gequält, so daß Parker mit dem Schlimmsten rechnete. Aber das Möbel ließ sich nicht unter buttern. »Natürlich habe ich wieder mal recht, Mister Parker«, trium phierte die leidenschaftliche Detektivin. »Oder sehen Sie hier ei nen Bankräuber?« Es wunderte Parker nicht, daß seine Herrin die Bäckersfrau nicht wiedererkannte. Zum einen verfügte Mylady über ein lückenhaf tes Personen- und Namensgedächtnis. Zum anderen hatten die Süßwaren ihren Blick für das Wesentliche getrübt. »Wenn man Myladys Aufmerksamkeit auf die weibliche Bedie nung lenken dürfte«, bemühte sich der Butler, seiner Herrin höf lich auf die Sprünge zu helfen. Lady Agatha sah zu der Bäckersfrau hinüber. »Was ist mit ihr? Glauben Sie etwa, sie sei eine Bankräuberin?« »In der Tat hegt man diesbezüglich eine gewisse Mutmaßung«, 10
bejahte der Butler. »Nur weil Sie sich geirrt haben, verdächtigen Sie eine unschul dige Bürgerin, Mister Parker? Das ist nicht die feine englische Art«, tadelte die unternehmungslustige Witwe. »Ich werde Ihnen beweisen, daß Sie auf dem Holzweg sind.« »Sie haben vorhin eine Bank überfallen, meine Gute?« wollte Lady Simpson mit entwaffnender Offenheit wissen, als die Bedie nung eine Minute später ihre üppige Bestellung servierte. Parker, der stocksteif hinter dem Stuhl seiner Herrin stand, als hätte er einen Ladestock verschluckt, beobachtete die Bäckers frau. Die stutzte zuerst und schaute die ältere Dame anschließend völlig entgeistert an. »Was?« wunderte sie sich. »Soll das ein Witz sein?« »Nein, nur eine ganz normale Frage«, beharrte Agatha Simp son. »Haben Sie, oder haben Sie nicht?« »Natürlich nicht!« verwahrte sich die Angeschuldigte. »Wie kä me ich dazu? Ich bin eine ehrbare Frau.« »Genau wie ich, meine Liebe. Und ich würde auch nie eine Bank überfallen. Damit ist Ihre Unschuld bewiesen. Sie können gehen. Ich habe zu tun«, sprach Agatha Simpson ihr Urteil und schielte auf das mit den bestellten Köstlichkeiten ausgestattete Tablett. Die Bäckersfrau entfernte sich und verließ den Verkaufs- und Gastraum durch eine schmale Tür neben der Theke. Parker konnte sich denken, was sie vorhatte. Er machte sich auf turbulente Ereignisse gefaßt. Eine Minute später kehrte die Bäckersfrau mit männlicher Be gleitung zurück. Parker erkannte den Burschen an ihrer Seite so fort. Es war der Komplize. Der Mann war glatzköpfig und wirkte mickrig. Momentan war er nicht unbedingt in bester Laune. Das verriet seine grimmige Mie ne. Halsschlagader und Schläfen waren angeschwollen. Sein Gesicht hatte die Farbe überreifer Tomaten, als er sich mit den Händen auf den Tisch stützte und Mylady anfunkelte. »Sie!« geriet er außer sich. »Was fällt Ihnen ein, meiner Frau so komische Fragen zu stellen? Sie haben wohl nicht mehr alle Tas sen im Schrank, Sie verrückte Schachtel!« »Wenn ich recht höre, haben Sie mich soeben beleidigt, junger Mann«, resümierte Lady Agatha unbeeindruckt. »Dafür müßte ich Sie eigentlich ohrfeigen. Aber ich will davon absehen. Ich habe im 11
Moment Besseres zu tun. Mister Parker, regeln Sie die Angele genheit für mich.« »Geht man möglicherweise recht in der Annahme, Mister Milford nebst Gattin gegenüberzustehen?« erkundigte sich der Butler. »Wem denn sonst?« reagierte der Bäcker aggressiv. »Und wer ist die alte Schraube da?« »Sie haben die Ehre, Lady Agatha Simpsons Bekanntschaft ma chen zu dürfen. In meiner bescheidenen Wenigkeit sehen Sie My ladys gehorsamen Butler«, stellte Parker vor und lüftete andeu tungsweise die schwarze Melone. Die Milfords betrachteten eine Weile das skurrile Paar. Etwas Vergleichbares war ihnen bisher nicht begegnet. Agatha Simpson war eine imposante Erscheinung. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten, wirkte aber keineswegs betagt und strotzte vor Energie. Ihre majestätische Fülle umhüllte sie gerne mit einem ihrer ge liebten Tweedkostüme, die längst nicht mehr zeitgemäß waren. Aber Mylady ignorierte mit bewundernswerter Konsequenz jeden modischen Trend und blieb ihrer Linie bereits seit Jahrzehnten treu. Das galt auch für ihr Schuhwerk, das stets derb und geschnürt war. So manches Gangsterschienbein hatte schon darunter gelit ten. Ihr in Ehre ergrautes Haupt krönte die übliche, unverzichtba re Kreation, die eigentlich an alles andere als an einen Hut erin nerte, aber genau das war. Zu ihrer Ausstattung zählte auch der Pompadour, ohne den My lady nie ausging. Er war mit Perlen besetzt und hatte es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Er enthielt nämlich ein veri tables Hufeisen, das früher mal einem stattlichen Brauereipferd gehört hatte. Das Hufeisen war aus humanitären Gründen mit einer Lage Schaumstoff umwickelt, was seine Durchschlagskraft jedoch kei neswegs minderte. Zahlreiche Vertreter des kriminellen Gewer bes, die in der Vergangenheit an Mylady geraten waren, konnten davon ein Lied singen. Josuah Parker war das Musterbild eines hochherrschaftlichen Butlers. Er war mittelgroß und nicht mehr der Jüngste, wirkte aber im Grund alterslos. Sah man von dem leichten Bauchansatz ab, über den er andeu tungsweise verfügte, konnte man ihn getrost als schlank bezeich 12
nen. Um sein glattes, ausdrucksloses Gesicht hätte ihn jeder aus gebuffte Pokerspieler beneidet. Seinen sehr aufmerksamen Augen konnte sich niemand entzie hen. Er trug standesgemäß gestreifte Beinkleider, einen schwar zen Zweireiher mit Weste und einen ebenfalls schwarzen Cover coat. Der weiße Eckkragen mit dem Binder und der Bowler rundeten das Bild ab. Das I-Tüpfelchen war der altväterlich gebundene Re genschirm, den er über dem angewinkelten linken Unterarm zu tragen pflegte. »Man darf Ihnen versichern, daß Mylady nichts ferner liegt, als unschuldige Mitbürger mit seltsamen Fragen zu belästigen«, ver sicherte der Butler. »Es gibt, zugegebenermaßen, allerdings ge wisse Indizien, die Myladys Fragen durchaus berechtigen.« »Wie? Soll das etwa heißen, Sie unterstellen meiner Frau und mir, Bankräuber zu sein?« Bob Milford richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mylady beruft sich auf gemachte Erfahrungen«, beteuerte der Butler und berichtete über das neueste Erlebnis seiner Herrin. »Aha. Und jetzt behaupten Sie, wir hätten die Bank ausge raubt«, faßte Milford unwirsch zusammen. »Hören Sie, Sie komi scher Kauz! Wir sind anständige Bürger. Ihre Unterstellungen sind hirnrissig. Sie ticken ja nicht mehr richtig. Und ihre fette Herrin hat ‘n Rad ab. Wahrscheinlich stammt ihr aus der Klapsmühle!« Milfords Empörung wirkte echt. Er hätte schon ein blendender Schauspieler sein müssen, um Parker etwas vormachen zu kön nen. Andererseits waren da die Indizien, die gegen die Milfords sprachen, der LKW, der zweifellos identisch war mit dem Bandi tenfahrzeug, die Ähnlichkeit der Milfords mit den unkonventionel len Kassierern. Der Butler hielt es für höchst unwahrscheinlich, gleich zwei Doppelgängern zu begegnen. Höflich teilte er dies dem Paar mit. »Sie geben’s also nicht auf?« Milford blitzte Parker unheil schwanger an. »Leider sieht man sich außerstande, die Realität in dem Maße zu ignorieren, wie es erforderlich wäre, um vollkommen von Ihrer Unschuld überzeugt zu sein, Mister Milford«, entgegnete Parker mit ausdrucksloser Miene. »Okay! Sie haben es nicht anders gewollt, Sie verrückte Vogel scheuche!« Milford hob die Fäuste. »Schätze, morgen früh brau 13
chen Sie keine Zahnbürste mehr. Ich werde Sie lehren, was es heißt, andere Leute zu verleumden. Wenn Sie nicht vernünftig sind, muß man diese Vernunft in Ihren Quadratschädel mit den Fäusten hineinhämmern.« »Das lassen Sie sich gefallen, Mister Parker?« stichelte Lady Agatha, während sie einem Stück Nußtorte den Garaus machte. »Verteidigen Sie Ihre und die Ehre des Hauses!« »Halt dich da raus, alte Nebelkrähe!« zischte Milford die resolu te Dame an, beugte sich ihr entgegen und tippte mit seinem Zei gefinger gegen ihren üppigen Busen, der unvermittelt zu beben begann. »Diese Frechheit kann ich nicht dulden. Das werden Sie verste hen, junger Mann«, monierte die passionierte Detektivin und rea gierte spontan. * Alles ging so schnell, daß Bob Milford zunächst nicht begriff, was geschah. Als es ihm dämmerte, ruhte. sein Haupt bereits in ei nem Brei aus Kuchen. Lady Agatha hatte dynamisch zugepackt, und zwar mit einer Kraft, die man der älteren Dame niemals zugetraut hätte. Wieder einmal machte sich bezahlt, daß sie durch Golf und Bogenschie ßen ihre Armmuskulatur hinreichend ausgebildet hatte. Kein Wunder, daß Bob Milford der Kraft, die ihn plötzlich am Kragen ruckartig nach unten zog und letztlich seinen Kopf in den Kuchen auf dem Tisch drückte, nichts entgegenzusetzen hatte. So kam auch er in den Genuß selbst fabrizierte Köstlichkeiten. Begeistert war er davon allerdings nicht. Jedenfalls zeugte das wolfsartige Knurren, das sich unvermittelt seiner Kehle entrang, von einer beträchtlichen Gemütsverstimmung. Bob Milford schien in höchstem Grad irritiert, als er sich aufrich tete. Sein neues Outfit eröffnete der Damenwelt in kosmetischer Hinsicht ungewohnte Perspektiven. Eine durchaus bunte Kreation aus Schaumcreme, Bisquitboden und diversen Obsttorten bedeckte das gesamte Gesicht, was Mil fords Aussehen nicht unbedingt abträglich war. »Ich hoffe, das ist Ihnen eine Lehre, junger Mann.« Lady Simp son mahnte mit erhobenem Zeigefinger. »Und jetzt beseitigen Sie 14
den Schaden und servieren Sie mir umgehend Ersatz. Das ist das mindeste, was ich erwarten kann.« Milford hatte es offensichtlich die Sprache verschlagen. Er blieb stumm. Ohne eine Silbe von sich zu geben, ging er zur Kuchen theke und kehrte mit einer Schokoladentorte zurück. Parker ahnte nichts Gutes, als der Mann sich damit vor seiner Herrin aufbaute und grinste. Selbst Lady Agatha wurde plötzlich sensibel und nahm Milford in ihren gestrengen Blick. »Sie werden es nicht wagen, einer Dame der Gesellschaft…«, begann sie. Der Rest ihrer Rede war nur noch Blubbern. Milford hatte sich nämlich erdreistet und die Torte dekorativ plaziert. Die Creme fungierte bei der fülligen Dame als eine Schönheitsmaske und wirkte wohltuend auf den Teint. Diesen Vorzug jedoch schätzte Lady Agatha keinesfalls. Sie schnaubte wie ein Walroß und ignorierte das Taschentuch, das Parker ihr freundlicherweise hinhielt. Nach Rache stand ihr Sinn. Sie befreite sich, so gut es ging, von der Creme und stapfte zur Kuchentheke, war dort nicht wählerisch und begnügte sich mit dem erstbesten, was ihr in die Hände kam. Mit der ausladen den Gestik einer Diskuswerferin schickte sie eine Bananentorte auf die Reise. Gezielt hatte sie auf Bob Milford. Wen sie allerdings traf, war dessen Frau. Die war plötzlich nicht wiederzuerkennen, was ihren Angetrau ten spontan zu einem Heiterkeitsausbruch veranlaßte. Mrs. Mil ford nahm übel. Beherzt griff sie in den Kuchenmatsch auf dem Tisch, an dem zuvor Mylady gesessen hatte, und rieb ihrem Mann den Schaum in den imaginären Bart. Begeistert war Lady Agatha und beschloß, das Ganze auf Wunsch einer anwesenden Dame zu wiederholen. Aber es kam etwas dazwischen, nämlich eine etwa fünfundvier zigjährige, untersetzte Frau, die eigentlich nichts anderes sein wollte als eine Kundin, aber plötzlich zum Spielball der dramati schen Ereignisse im Cafe Milford wurde. »Was ist denn hier los?« drückte sie ihre Verblüffung aus und war Sekunden später völlig entnervt. Agatha Simpson wurde von der Frage in dem Moment überrascht, als sie mit einer ansehnlich wirkenden Panamatorte zum erneuten Gegenschlag ausholte. Reflexartig wandte sie sich in die Richtung, aus der Stimme kam. Die vehemente Drehung aktivierte physikalische Fliehkräfte, die die Torte unter ihre Fittiche nahmen und zu der Kundin transpor 15
tierten. Das Make-up der Dame veränderte sich daraufhin. Ge sicht und Brust waren unvermittelt mit Creme bedeckt. Zuerst war die Überraschte wie gelähmt vor Schreck. Dann heulte sie wie eine Sirene, warf ihre Einkaufstasche beiseite, be waffnete sich mit einer Nußnougattorte und »feuerte« zurück. Zwar versuchte Lady Agatha, ihr aus der Schußbahn zu gehen, schaffte es jedoch nicht. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Offerte anzunehmen und ihr heißgeliebtes Tweedkostüm als Lan deplatz zur Verfügung zu stellen. Immer größere Ausmaße nahm die Kuchenschlacht an. Andere Personen wurden mit hineingezogen. Das lautstarke Geschehen im Cafe Milford lockte Neugierige an. Die verwandelten sich schnell vom amüsierten Zuschauer in be herzte Mitstreiter. Zum einen, weil sie ihre Nase zu tief in fremder Leute Angele genheiten steckten, zum anderen aus freiwilligen Stücken. Man wollte nicht abseits stehen, sondern an diesem einmaligen Ereig nis teilnehmen. Es war das reinste Tohuwabohu, und Bob Milford sorgte dafür, daß der Vorrat an Wurfgeschossen nicht ausging. Öfters ver schwand er kurz und kehrte jedesmal mit neuen Kuchen zurück. Offensichtlich hatte er genug. Längst ging es nicht mehr um die Sache, mit der alles angefan gen hatte. Die meisten wußten ohnehin nichts davon. Bei ihnen stand das Amüsement im Vordergrund. Auch Lady Agatha hielt sich nicht zurück. Sie warf allerdings nicht nur mit Backwerk aller Art, sondern verteilte hin und wieder ihre berühmtberüchtigten Ohrfeigen und schickte manchen wa ckeren Helden auf die Bretter. Nur einer blieb von allem unberührt. Wie ein Fels in der Bran dung stand der Butler mitten im Kreuzfeuer und beobachtete, wie sich das Design des Cafes nicht gerade zum Vorteil veränderte. Bis ein Dreikäsehoch auf ihn aufmerksam wurde. »Schaut mal«, rief er in das Gekreische der anderen und sorgte dafür, daß immer mehr Leute den Butler registrierten. Schließlich stellten alle ihre Aktivitäten ein und wandten sich Parker zu. Sie begafften ihn wie ein Weltwunder. Der Butler ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Höflich lüftete er seine Melone. »Man wünscht allerseits einen recht angenehmen Tag«, grüßte 16
er. Vor Verblüffung blieb den Anwesenden sekundenlang die Spu cke weg. Dann zielten diejenigen, die noch über Wurfgeschosse verfügten, auf die schwarzgewandete Gestalt. Doch Parker blieb gelassen. Er besaß seinen altväterlich gebun denen Regenschirm, den er notfalls als Schutzschild verwenden konnte. Aber dies wurde nicht erforderlich. Plötzlich ertönte von der Eingangstür her ein ohrenbetäubender Pfiff. Alle wirbelten herum und warfen ihre Kuchen reflexartig auf den Urheber der akustischen Tortur. Als man erkannte, mit wem man es zu tun hatte, war es schon zu spät. Und so wurden die beiden Polizisten, die das Cafe betre ten hatten, um nach dem Rechten zu sehen, Opfer einer über sie hereinbrechenden Kucheninvasion. In kürzester Zeit verwandelten sich die in ihren schwarzen, schmucklosen Uniformen recht trist wirkenden Hüter des Geset zes in bunte Paradiesvögel. * Es war schon nach sieben Uhr, als Mylady dazu kam, ihr Dinner einzunehmen. Schuld daran war ein längerer Aufenthalt auf dem Polizeirevier, zu dem man Agatha Simpson ohne Ansehen ihrer Person ebenso gebracht hatte wie all die anderen Kuchenkämp fer. Die Beamten glaubten einfach nicht Myladys Beteuerungen, eine Dame der Gesellschaft vor sich zu haben. Wer mochte es ihnen verdenken? Schließlich sah Lady Agatha aus wie ein wandelnder Kuchenberg. Zu allem Unglück hatte sie ihre Identy-Card nicht dabei. Und so bedurfte es der Intervention des Butlers, die Poli zisten dazu zu überreden, Chief-Superintendent McWarden zu kontaktieren und bei ihm Auskünfte über Mylady einzuholen. McWarden leitete bei Scotland Yard ein Sonderdezernat zur Be kämpfung des organisierten Verbrechens und war direkt dem In nenminister unterstellt. Immer wenn gesetzliche Bestimmungen ihm die Hände banden, wandte er sich an Lady Simpson. Die resolute Dame aus Shepherd’s Market konnte auf unkonventionellere Art ermitteln als er und tat dies auch genüßlich. In erster Linie jedoch suchte 17
McWarden den Kontakt zu Josuah Parker, in dem er den eigentli chen Macher erkannte. Zwischen Lady Agatha und McWarden bestand eine Art Haßlie be. Die Dame des Hauses machte sich einen Spaß daraus, den Chief-Superintendent bei jeder passenden und unpassenden Ge legenheit mit spöttischen Bemerkungen auf die sprichwörtliche Palme zu bringen und ihm zu verklickern, daß sie ihn für ziemlich unfähig hielt. Andererseits ließ sie McWarden nie im Stich. McWarden hatte nach Parkers Anruf dafür gesorgt, daß man Agatha Simpson unverzüglich wieder auf freien Fuß setzte. Er selbst wollte ihre Vernehmung in angenehmerer Atmosphäre bei ihr zu Hause durchführen. Parker hatte auf dem Revier dafür gesorgt, daß man Bob Milford und seine Frau in besonderen Gewahrsam nahm. Die Aussage war schnell protokolliert. Und endlich konnte das skurrile Paar den Heimweg antreten. Das Dinner war dazu angetan, die Unbill der vergangenen Stun den vergessen zu lassen. Parker servierte Roggenflute mit Grie benschmalz, Räucherlachs mit Sahnemeerrettich, Butter und Zwiebelbrot. Danach eine dezente Steinpilzcremesuppe und als Hauptgericht Schweinelendchen mit Pfifferlingrahmsauce, Roast beef mit Sauce Bernaise und Schweinecarre am Stück gebraten mit Tomatensauce nach neapolitanischer Art. Als Beilage gab es Spätzle nach »Hausmacher Art«, Folienkar toffeln mit Kräuterquark, Speckbohnenbündel und Spargel in zer lassener Butter. Den krönenden Abschluß bildeten ein Obstsalat von frischen Früchten mit Maraschino und Sahne und eine ge mischte Käseplatte mit Trauben. »Haben Sie auch auf die richtige Kalorienzahl geachtet, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. »Nicht, daß ich mir zu we nig Energie zuführe. Eine Diät ist gut und schön, aber man sollte nichts übertreiben, sonst nimmt man womöglich gesundheitlichen Schaden.« »Meine bescheidene Wenigkeit versichert, bei der Zusammen stellung der Speisen den individuell für Mylady ausgearbeiteten Ernährungsplan exakt befolgt zu haben«, beruhigte der Butler seine Herrin. »Das will ich auch hoffen, Mister Parker. Ich habe nämlich keine Lust, krank zu werden. Und ich kann es mir auch nicht leisten«, eröffnete die resolute Dame kauend. »Wer soll denn die Verbre 18
cher in ihre Schranken verweisen, wenn nicht ich? Etwa die Poli zei? Die ist doch froh, wenn sie es schafft, sich selbst zu verwal ten.« »In der Tat erfüllen Mylady in kriminalistischer Hinsicht eine ü beraus wichtige gesellschaftliche Funktion«, stimmte Parker ihr zu. Das Läuten der Türglocke unterbrach jäh die Unterhaltung. »Wer kann das sein, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson. »Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um Mister McWarden handelt, der Mylady zwecks Vernehmung seine Aufwartung ma chen wollte«, antwortete der Butler. »Papperlapapp, Mister Parker. Meine Intuition sagt mir etwas anderes«, winkte Lady Agatha ab. »Es sind Gangster, die sich an mir rächen wollen. Ich bin schließlich eine erfolgreiche Detektivin, die viele Feinde hat. Machen Sie bitte die Lümmel dingfest. Ich kümmere mich nach dem Dessert um sie.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker verbeugte sich an deutungsweise und schritt gemessen und würdevoll in die Diele. Dort öffnete er den Wandschrank, in dem die hauseigene VideoÜberwachungsanlage untergebracht war. Er aktivierte sie und hatte unverzüglich ein gestochen scharfes Bild auf dem rechtecki gen Kontrollmonitor. Die versteckte am Eingang des altehrwürdi gen Fachwerkhauses installierte Hochleistungskamera lieferte das Abbild eines etwa fünfundfünfzigjährigen, untersetzten Mannes, der einen deutlichen Bauchansatz nicht verhehlen konnte. Präg nant an ihm waren seine leichten Basedow-Augen, die an eine gereizte Bulldogge erinnerten. Parker kannte den Besucher nur zu gut und öffnete ihm per e lektronischem Impuls die Tür. »Man wünscht einen ausgesprochen angenehmen und erfolgrei chen Tag, Mister McWarden«, begrüßte der Butler ihn Sekunden später und verstaute den Trenchcoat des Yard-Gewaltigen in der Garderobe. »Hoffen wir, daß es einer wird. Wo ist Mylady?« kam der Beam te Ihrer Majestät gleich zur Sache und stand der passionierten Detektivin kurz darauf im Salon gegenüber. »Also doch McWarden. Wie ich es mir dachte«, behauptete Lady Agatha ungeniert. »Sie kommen wie immer pünktlich zum Frühs tück oder Dinner. Manchmal kommt es mir so vor, als wollten Sie sich bei mir kostenlos satt essen, mein Bester.« 19
»Da täuschen Sie sich, Mylady«, widersprach der ChiefSuperintendent. »Ich bin rein dienstlich hier.« »Was natürlich ein Vorwand ist«, entlarvte Agatha Simpson ih ren Gast. »Sie wollen schnorren. Geben Sie es schon zu. Leider unterstütze ich so ein Verhalten nicht und bin deshalb hart. Mehr als einen Tee kann ich Ihnen nicht gewähren.« »Vielen Dank für die Großzügigkeit, Mylady. Aber ich möchte keinen Tee«, lehnte McWarden das Angebot ab und konnte nicht verhindern, daß sein Blick sehnsuchtsvoll über die üppige Tafel glitt. »Ich will mich mit Ihnen über den Banküberfall von heute morgen unterhalten.« »Ach ja, der Banküberfall. Ich hatte ihn fast schon vergessen«, beteuerte Lady Agatha. »Kriminalisten haken Kleinigkeiten im allgemeinen schnell ab. Wo waren Sie eigentlich?« »Ähm – in meinem Büro natürlich«, druckste McWarden. »Natürlich. Immer schön den Kopf aus der Schußlinie und der Pension entgegenschlummern. Das ist eine merkwürdige Lebens devise«, monierte die leidenschaftliche Dame. »Sie würden ver zweifeln, wenn es mich nicht gäbe.« »Nun ja – kommen wir zur Sache«, lenkte McWarden ab. »Ich möchte Sie bitten Ihre Aussage, die bereits von meinen Kollegen protokolliert wurde, zu wiederholen. Vielleicht tritt dadurch die eine oder andere Einzelheit zutage, die mich weiterbringt.« »Die Sache ist schnell erzählt«, behauptete Lady Agatha. »Ich habe zwei Bankräuber verfolgt, gestellt und dingfest gemacht und damit wieder mal Ihre Arbeit getan. Die Details kann Ihnen Mister Parker berichten.« Was der Butler auch tat. »Das hört sich alles glasklar und unkompliziert an«, sinnierte McWarden danach. »Ein Fall wie aus dem Polizeibilderbuch. Aber in Wirklichkeit ist er schwierig. Da gibt es nämlich ein paar Unge reimtheiten.« »Mylady wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Feststellung prä zisieren könnten«, bat Parker höflich. »Die Sache ist folgende«, erläuterte McWarden. »Sowohl die Angestellten und Kunden der Bank, die überfallen wurde, als auch Mylady und Sie, Mister Parker, identifizierten Bob und Melissa Milford eindeutig als Täter. An Doppelgänger, die die gleiche Be rufskleidung tragen und den gleichen Lieferwagen mit demselben Kennzeichen benutzen wie die Bankräuber, glaube ich nicht. Das 20
wäre des Zufalls ein wenig zuviel und zudem ausgeschlossen. So gesehen sind Bob Milford und seine Frau überführt. Außerdem hat die automatische Kamera der Bank Video-Aufzeichnungen ge macht, die das Ehepaar als Täter zeigen.« »Was wollen Sie noch mehr, Mister McWarden?« fragte Lady Agatha. »Der Fall ist gelöst. Und zwar genauso, wie ich es sagte. Von Beginn an stand für mich fest, daß dieser Grillkorb und seine Frau die Bankräuber sind. Mister Parker versuchte zwar mir etwas anderes einzureden, aber zum Glück ließ ich mich nicht beirren. Wo liegt Ihr Problem?« »Das Problem ist, daß die Milfords behaupten, unschuldig zu sein«, erklärte der Yard-Gewaltige. »Vielleicht sind die Grillkorbs nicht ganz richtig im Kopf, Mister McWarden«, gab Lady Agatha zu bedenken. »Sind Sie nicht auf diese Idee gekommen? Wenn man Sie nicht überall mit der Nase drauf stößt…« »Sicher dachte ich daran«, konnte der Polizeibeamte entgeg nen. »Aber leider sind die Milfords nicht die einzigen, die mir in letzter Zeit so kommen.« »Das ist doch normal«, meinte Lady Agatha. »Welcher Verbre cher gibt schon seine Schuld zu? Sie als Yard-Beamter sollten das eigentlich wissen. Aber Ihnen fehlt leider die Praxis. Wen wundert es? Schließlich verlassen Sie sich immer auf mich.« McWarden schluckte die bittere Pille, die Agatha Simpson ihm verabreichte. »Wie Sie meinen«, sagte er nur, »aber hier ist die Sache etwas anders gelagert. Was mich stutzig macht, ist nicht die Tatsache, daß die Milfords oder einige andere Räuber beharr lich leugnen. Das ist, wie Sie sagten, normal. Auffällig sind nur die Parallelen, die es in den besagten Fällen gibt.« »Dürfte man Sie um nähere Ausführungen hierzu bitten, Sir?« hakte Parker interessiert nach. »Natürlich«, antwortete McWarden. »Obwohl es da eigentlich gar nicht viel zu erzählen gibt. Wenn man einen Fall kennt, kennt man auch die anderen. Die Räuber gingen immer nach derselben Methode vor. Und das, obwohl sie sich nachweislich nicht kennen. Zweimal mußte eine Bank dran glauben, einmal der Geldbote eines großen Kaufhauses. Überfallen wurden alle jeweils von ei nem Ehepaar, das unmaskiert in Erscheinung trat und da nach in seinem Privat-PKW flüchtete Sie zu identifizieren war anhand der Täterbeschreibungen und der amtlichen Kennzeichen der Flucht 21
fahrzeuge, die sich Augenzeugen notiert hatten, ein Kinderspiel.« »Man erinnert sich, über die von Ihnen genannten Fälle in der Presse gelesen zu haben«, erwiderte Parker. »Geht man recht in der Annahme, daß auch die anderen straffällig gewordenen Ehe paare ihre Schuld energisch bestreiten?« »Sie gehen recht, Mister Parker«, bestätigte McWarden. »Ich versteh’s nicht. Denen muß doch klar gewesen sein, daß man sie am Schlafittchen kriegt, wenn sie beim Überfall ungeniert ihre Gesichter zur Schau tragen.« »Was möglicherweise darauf schließen läßt, daß es sich bei den Räubern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keines wegs und mitnichten um sogenannte Profis handelt«, mutmaßte der Butler. »Auch das trifft zu«, antwortete McWarden. »Es waren unbe scholtene Bürger, die bisher noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Und sie sind allesamt Väter und Mütter. Da haben sich menschliche Tragödien abgespielt, sage ich Ihnen.« »Die Damen und Herren Räuber befinden sich zweifelsohne in staatlichem Gewahrsam«, mutmaßte Parker. »Natürlich. Schließlich sind sie anhand von Indizien zweifelsfrei überführt.« »Und das wurde aus den bedauernswerten Kindern dieser Leu te?« fragte Lady Agatha besorgt. »Haben Sie sie etwa in eine Waisenhaus gesteckt?« »Wenn schon, dann höchstens in ein Kinder- und Jugendheim. Waisenhäuser wie früher gibt es heute keine mehr«, belehrte McWarden die ältere Dame. »Aber keine Angst, Mylady. Das blieb den Kindern erspart. Vorerst werden sie von Verwandten be treut.« »Ein Zustand, den man hoffentlich bald regulieren kann«, äu ßerte der Butler. »Soll das heißen, Sie glauben an die Unschuld der Leute, Mister Parker?« staunte der Yard-Gewaltige. »Man wird sich bemühen, sich davon zu überzeugen.« »Aber – die Beweise sind lückenlos. Genauso wie bei den Mil fords, die Sie selbst überführten.« »Die ich überführte, mein lieber McWarden«, stellte Lady Agat ha klar. »Mister Parker hat nur ein paar unbedeutende Tätigkeiten verrichtet.« – »Ja, meinetwegen, aber die Tatsache, daß die Mil fords eine Bank ausgeraubt haben, bleibt. Zweifel sind ausge 22
schlossen. Wie bei den anderen drei Ehepaaren, die dasselbe ta ten. Außerdem hat keiner von denen ein Alibi. Alle behaupten, zur Tatzeit zu Hause gewesen zu sein. Aber in zwei von drei Fällen haben Nachbarn bestätigt, daß die Leute jeweils kurz vor den stattgefundenen Raubzügen ihre Häuser verlassen haben und mit ihren Autos fortgefahren sind. Im dritten Fall hat die Putzfrau die selbe Aussage gemacht.« »Trotz dieser offensichtlich vollständigen Beweiskette hegen Sie, wie ihre Konsultation bei Mylady vermuten läßt, gewisse Zweifel an der Schuld der dingfest gemachten Ehepaare, Sir«, unterstellte der Butler dem Chief-Superintendent höflich. »Ja«, gestand McWarden. »Es ist nur ein Gefühl. Nennen Sie es meinetwegen Intuition, für die es absolut keine Beweise gibt. Da sind nur ein paar Anhaltspunkte, die mich stutzig machen, merk würdige Parallelen bei den Fällen. Vier bislang unbescholtene E hepaare rauben Geld und stellen sich dabei dümmer an, als die Polizei erlaubt. Eine weitere Parallele: Jedes Ehepaar ist Eigentü mer eines kleinen Unternehmens, das kurz vor dem Konkurs steht. Noch wissen wir nicht, wie es bei den Milfords aussieht. Wir hatten noch keine Gelegenheit, ihre Verhältnisse genau zu über prüfen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn wir dort diesel be Situation vorfänden.« »Sie vermuten, daß es zwischen den einzelnen Taten einen Zu sammenhang gibt, Sir?« erkundigte sich Parker. McWarden zuckte die Schultern. »Ich weiß gar nichts. Ich bin nur stutzig. Vielleicht interpretiere ich in die Sache auch etwas hinein, das es gar nicht gibt.« »Natürlich«, meldete sich Lady Agatha wieder zu Wort. »Sie sind ja meistens auf dem falschen Dampfer. Für mich ist die Sa che glasklar.« »Dann halten Sie die Ehepaare für schuldig, Mylady?« vergewis serte sich der Yard-Gewaltige. »Natürlich. Die Beweise sind erdrückend«, nickte die majestäti sche Dame. »Ich frage mich nur, wie sich ein erwachsener Mensch so anstellen kann.« »Was Mylady zur Veranlassung nehmen, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen«, beeinflußte Parker seine Herrin höflich. »Natürlich«, ließ sich die leidenschaftliche Detektivin problemlos manipulieren. »Und zwar umgehend. Schon allein wegen der ar men Kinder. Sie dürfen nicht ohne Eltern aufwachsen.« 23
»Also glauben Sie jetzt wieder an die Unschuld der Eltern?« re agierte McWarden verblüfft. »Warum eigentlich nicht?« entgegnete die Hausherrin lapidar. »Weil Sie eben noch vom Gegenteil überzeugt waren«, konterte der Yard-Gewaltige. »Man muß geistig flexibel sein, mein lieber McWarden. Ihnen als Beamter ist das natürlich fremd. Besitzen Sie Geist?« verteilte die ältere Dame genußvoll eine ihrer berühmt-berüchtigten Spitzen. Sofort brodelte es in dem Chief-Superintendent. Im Interesse der Sache hielt er sich allerdings zurück. »Ich werde die Fälle für Sie lösen, McWarden«, kündigte die resolute Dame an. »Sie brau chen sich um Ihre Karriere, die Sie ohnehin mir zu verdanken haben, nicht zu sorgen.« »Sie sind wieder einmal zu liebenswürdig, Mylady«, entgegnete der Yard-Mann mit ironischem Unterton in der Stimme, den Lady Agatha jedoch nicht zur Kenntnis nahm. »Haben Sie auch schon einen Plan, wie Sie vorgehen wollen?« »Natürlich, mein Lieber«, behauptete Agatha Simpson. »Mister Parker wird ihn erläutern.« »Mylady beabsichtigt zunächst, in den Familien der in Verdacht stehenden Ehepaare zu ermitteln«, konnte der Butler dienen. »Möglicherweise gelangt man auf diese Art zur Erkenntnis, die den Dingen neue Aspekte abgewinnen.« »Das haben wir zwar auch schon getan, aber bitte, wenn Sie glauben, es bringt Sie weiter als uns«, erwiderte McWarden. »Darf man sich nach der Beute erkundigen?« kam der Butler wieder auf den Punkt. »Ist es möglicherweise gelungen, sie si cherzustellen?« Der Yard-Beamte schüttelte den Kopf. »Nein. In allen vier Fällen ist die Beute spurlos verschwunden. Ebenso sind es die Waffen, die die Täter verwendet haben. Aber das ist natürlich noch lange kein Beweis für die Unschuld der Leute. Wir gehen, bevor wir es nicht besser wissen, davon aus, daß sie, wie viele Räuber, die Beute versteckt haben, um erst dann darüber zu verfügen, wenn Gras über die Sache gewachsen ist.« »Verlassen Sie sich ruhig auf mich, McWarden. Ich werde alles wiederbeschaffen«, behauptete die selbstbewußte Dame. »Mister Parker, ist der Wagen startklar?« erkundigte sie sich ei ne Viertelstunde später. McWarden hatte sich mehr oder weniger ungehalten empfohlen, allerdings nicht ohne Josuah Parker mit 24
den Adressen der mutmaßlichen Geldräuber, die er in seinem Gedächtnis gespeichert hatte, gedient zu haben. »Jederzeit, Mylady«, antwortete der Butler. * Mary Wilburn war Mitte Zwanzig, hatte eine Bombenfigur und ein hübsches Gesicht, das von lockigem Blondhaar umrahmt wur de. In ihren großen und blauen, nun allerdings vom Weinen gerö teten Augen spiegelte sich Verzweiflung. Sie saß Agatha Simpson wie ein Häuflein Elend gegenüber und hielt ein siebenjähriges, trauriges Mädchen im Arm. Ein etwa zwei Jahre jüngerer, sommersprossiger Junge kniete zu ihren Füßen und schmiegte sich an ihre Beine. Es war ein Bild des Jammers, derart ergreifend, daß Lady Agat ha der französische Cognac, den sie sich ungeniert erbeten hatte, um ihren angegriffenen Kreislauf wieder aufzupäppeln, nicht schmecken wollte. Parker stand, wie es die Etikette verlangte, einen Schritt hinter dem bequemen Ledersessel, in dem seine Herrin thronte. Seine Miene war wie immer ausdruckslos, aber innerlich konnte der Butler ein Gefühl des Mitleids nicht unterdrücken. Man befand sich in einem äußerst ansprechenden Raum. Ein gewisser mittelständiger Luxus, der in keiner Weise pompös oder gar abstoßend wirkte, herrschte vor. »Ich versteh’s nicht«, klagte Mary Wilburn. Sie war die Schwes ter von Bret Wilburn, der zusammen mit seiner Angetrauten vor Wochen den Geldboten eines großen Kaufhauses überfallen hatte. »Nie hätte ich geglaubt, daß Bret und Wilma so etwas tun wür den. Sicher, es ging ihnen seit einiger Zeit nicht gut. Ihr Geschäft lief miserabel. Und einmal sagten sie zu mir, wenn es so weiter ginge, müßten sie Konkurs anmelden. Aber – nein – so etwas…« »Welche Art Geschäft führte Ihr Herr Bruder?« fragte Parker. »Bret ist Elektriker und Inhaber eines Elektrofachgeschäftes mit firmeneigenem Kundenservice«, erläuterte Mary Wilburn. »Zogen Mister und Mistreß Wilburn nicht in Betracht, ein Geld institut um finanzielle Unterstützung zu bitten?« setzte der Butler die Befragung fort. »Natürlich. Aber von den Banken bekamen sie kein Geld mehr, 25
weil sie schon mehrere Kredite aufgenommen hatten, die sie nicht zurückbezahlen konnten«, erklärte Mary Wilburn schluch zend. »Und die sogenannten lieben Freunde, die einem ja in der Not helfen sollen, bedauerten und waren nicht bereit, in eine Plei tefirma, wie sie sagten, zu investieren. Es war eine völlig aus sichtslose Situation. Selbst wenn mein Bruder Konkurs angemel det, seine Firma aufgelöst und sich eine Arbeit gesucht hätte, hätte das nicht viel genutzt. Das meiste von Brets Gehalt wäre dabei draufgegangen, die Schulden abzubezahlen. Sie hätten ihr Haus hier aufgeben, die gewohnte Umgebung verlassen und in eine Sozialwohnung ziehen müssen. Es wäre ein Abstieg in die Armut geworden.« »Das ist Motiv genug für einen Überfall«, fand Lady Agatha. »Manche werden aus wesentlich nichtigeren Gründen zum Ver brecher. Glauben Sie mir, ich habe Erfahrung.« »Natürlich«, gestand Mary Wilburn. »Und sie haben es ja auch getan. Die Beweise sind unumstößlich. Aber fassen kann ich es trotzdem nicht. Ausgerechnet Bret und Wilma. Sie verabscheuten Gewalt. Sie wollten immer nur in Frieden leben. Und dann tun sie so etwas.« »Aus reiner Verzweiflung vermutlich«, kombinierte die passio nierte Detektivin. »Dann halten Sie Bret und Wilma also für schuldig?« staunte Mary Wilburn. »Und ich dachte, Sie wollten uns helfen. Das sag ten Sie jedenfalls vorhin.« »Natürlich helfe ich«, versicherte Lady Agatha. »Dafür bin ich schließlich da. Aber ich muß den Fall von allen Seiten ausleuch ten, um mir eine Meinung zu bilden und ein bestimmtes Vorgehen zurechtzulegen. Deshalb wird Ihnen Mister Parker jetzt Fragen stellen, die mich interessieren.« »Man dankt Mylady für die ehrenvolle Aufgabe«, sagte der But ler und wandte sich an Mary Wilburn. »Geht man recht in der An nahme, daß Sie Ihrem Herrn Bruder und seiner Frau auch im Hin blick auf die angespannte materielle Situation ein Verbrechen, wie man es ihnen zur Last legt, mitnichten zugetraut hätten?« »Niemals.« »Es gab keinerlei Anzeichen, die auf derartiges hingedeutet ha ben? Möglicherweise machten Mister und Mistreß Wilburn gele gentlich diesbezüglich Andeutungen, die Sie allerdings nicht ernst nahmen?« 26
»Nie und nimmer«, beharrte Mary Wilburn. »Noch nicht mal ei ne halbe Stunde vor dem Überfall hab ich Verdacht geschöpft.« »Sie hatten unmittelbar vor der Tat Kontakt mit Ihrem Herrn Bruder?« »Ja. Ich war auf einen Sprung bei ihm und Wilma im Geschäft vorbeigekommen, um guten Tag zu sagen.« »In welcher Verfassung erlebten Sie Ihren Herrn Bruder und seine Gattin?« »Die zwei waren wie immer.« »Sie konnten keine ungewöhnliche Nervosität bei Mister und Mistreß Wilburn feststellen?« »Nein, absolut nicht. Deprimiert waren sie halt. Wie so oft in letzter Zeit. Wer will es ihnen verdenken?« »Niemand, Kindchen«, meldete sich Lady Agatha zu Wort. »Mis ter Parker fragt ja nur. Wenn ich auch noch nicht so recht weiß, was er damit bezweckt. Erklären Sie sich bitte, Mister Parker.« »Man bemüht sich, ein möglichst vollständiges Bild der Tat zu entwickeln«, erläuterte der Butler höflich. »Nicht zuletzt ist dabei auch die Gemütsverfassung der Beschuldigten von einiger Bedeu tung.« »Natürlich. Und was schließe ich aus den bisherigen Erkenntnis sen?« tappte Agatha Simpson wieder mal im dunkeln. »Mylady erachten es als zumindest ungewöhnlich, daß Mister und Mistreß Wilburn kurze Zeit vor der ihnen zur Last gelegten Tat offensichtlich keinerlei Anzeichen nervlicher Anspannung zeig ten«, setzte der Butler seiner Herrin auseinander. »Wissenschaft lichen Resultaten zufolge vermögen sich selbst Profis in der Regel einer gewissen psychischen Unrast vor einer Straftat nicht zu ent ziehen.« »Und die Leute sind Amateure«, reagierte Lady Agatha, »und waren nicht aufgeregt. Dabei hätten ihnen eigentlich die Nerven flattern müssen. Was sagt mir das, Mister Parker?« »Mylady konstatieren, daß man es mit einem außergewöhnli chen Verhalten zu tun hat, das einer näheren Überprüfung be darf«, schlußfolgerte der Butler. »Sehr richtig. Und ich habe auch schon einen Plan, wie ich die sen Fall löse«, behauptete Lady Simpson leichthin. »Möglicherweise wären Mylady so freundlich, einige Hinweise bezüglich des weiteren Vorgehens zu geben«, bat Josuah Parker höflich. 27
»Ähm… tja«, druckste die resolute Dame herum, die natürlich den Mund zu voll genommen hatte. »Zunächst werde ich mich zurückziehen und über den Fall meditieren. Während ich die gro ße Linie überdenke, dürfen Sie sich um die Details kümmern, Mis ter Parker. Ich schlage vor, wir brechen nach Shepherd’s Market auf. Wir wollen keine Zeit verlieren.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, fügte sich Parker. Hier gab es ohnehin nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Schwungvoll wuchtete sich die majestätische Dame aus dem Sessel, wobei Parker sie dezent unterstützte. Leider streifte Lady Agatha dabei mit ihrem Pompadour einen Stapel Zeitschriften, der sich neben dem Sessel auf einem Beistelltisch türmte. Das Altpapier flatterte zu Boden und verteilte sich flächendeckend. »Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben, Mister Parker«, schob Agatha Simpson die Schuld für ihre Unachtsamkeit ihrem Butler in die Schuhe. »Mylady sehen meine Wenigkeit zerknirscht«, spielte Parker die leidlich bekannte Rolle und hob die Zeitungen auf. Unvermittelt stutzte er. Eines der Blätter, die er in seiner behandschuhten Rechten hielt, war mit Anzeigen diverser Firmen übersät. Eine Annonce war mit einem roten Kreuz gekennzeichnet. »Burney’s Finance Group, Inc. Barkredite bis 50.000,- Pfund ohne Bürgen an Beamte, Rentner, Arbeitnehmer, Hausfrauen, auch bei laufenden Krediten und in schwierigen Fällen, Spezial darlehen für Unternehmer zu niedrigen Zinsen«, las Parker und registrierte die angegebene Adresse, einschließlich Telefonnum mer. Unvermittelt kam ihm ein Gedanke. »Halten Sie es für möglich, Miß Wilburn, daß Ihre Verwandten sich in ihrer Verzweiflung die Hilfe eines privaten Geldvermittlers erhofften?« fragte er höflich die junge attraktive Frau. »Gesprochen hatten die beiden davon«, erinnerte sich Mary Wilburn, »Sie wollten wissen, was ich davon halte. Ich riet ihnen ab. Bei so was zahlt man doch immer drauf. Ein paar Tage später, als wir uns wieder über dieses Thema unterhielten, sagten sie, sie hätten es sich überlegt. Ich hätte recht. Komme es, wie es wolle, an einen privaten Geldvermittler würden sie sich nicht wenden. Dadurch kämen sie nur noch mehr in die Bredouille.« »Das stimmt«, bekräftigte Lady Agatha. »Wer in die Finger sol cher Geldhaie gerät, ist verloren. Das weiß schließlich jedes Kind.« 28
»War in dem erwähnten Zusammenhang möglicherweise die Rede von einem Geldvermittler, der sich Burney’s Finance Group nennt?« überging der Butler Myladys Meinung. »Kann sein«, nickte Mary Wilburn. »Aber so konkret erinnere ich mich nicht mehr daran.« Damit war Parkers Wissensdurst vorläufig gestillt. Den Rest dachte er sich einstweilen. Minuten später verabschiedete sich Agatha Simpson huldvoll von Mary Wilburn und den Kindern. Beruhigend strich sie den Kleinen beim Abschied über die Köpfe. »Ich will zu meiner Mama und meinem Papa«, quengelte das Mädchen und sah die majestätische Dame mit traurigen Un schuldsaugen an. »Bist du eine Fee?« fragte der Bub. »Bringst du uns Mama und Papa wieder? Bitte schön!« Es verschlug Lady Agatha zwar so gut wie nie die Sprache, aber jetzt hatte sie plötzlich einen Kloß im Hals und brachte keinen Ton heraus. * »Was plane ich als nächstes, Mister Parker«, verlangte die pas sionierte Detektivin zu wissen. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und spülte ihre Beklommenheit mit einem Cognac hinunter. »Mylady gedenken, die Familien Taylor und Seymour aufzusu chen«, antwortete der Butler. »Die Namen sagen mir etwas«, überlegte Lady Agatha. »Ihnen auch, Mister Parker?« »Mister McWarden nannte sie im Zusammenhang mit den mys teriösen Überfällen, mit denen sich Mylady momentan beschäfti gen«, klärte der Butler seine Herrin auf. »Es handelt sich dabei um die Ehepaar Taylor und Seymour, die ebenfalls in Verdacht stehen, Geld geraubt zu haben, dies aber ebenso energisch bestreiten wie die Herren und Damen Milford und Wilburn.« »Ich statte diesen Herrschaften also einen Besuch ab. Und wo zu?« »Möglicherweise dürften die Angehörigen mit Informationen dienen, die Myladys Ermittlungen bereichern«, erläuterte Parker. 29
»Das glaube ich kaum«, sah Agatha Simpson schwarz. »Aber bitte, man soll nichts unversucht lassen.« Die ältere Dame hatte recht. Weder die Angehörigen der Taylors noch die Seymours verhalfen ihr zu neuen Erkenntnissen. Auch dort hatte sich alles im Prinzip so abgespielt wie bei den Wilburns und Milfords. Niemand in den Familien hatte mit dem Schrecklichen gerechnet, das eintreten würde. Weder Mr. und Mrs. Taylor noch Mr. und Mrs. Seymour hatten sich in irgendeiner Weise verdächtig benommen. Die Angehörigen waren fassungslos und entsetzt. Und niemand wußte, wie es weitergehen sollte. Zum Glück waren wenigstens die Kinder versorgt. Onkel und Tanten kümmerten sich um sie. Burney’s Finance Group, deren Namen Butler Parker ins Ge spräch brachte, war bei den Taylors und bei den Seymours aller dings nicht unbekannt. Die straffällig gewordenen Ehepaare Tay lor und Seymour hatten, wie sie ihren engsten Angehörigen er zählten, tatsächlich daran gedacht, die Hilfe dieses Unternehmens in Anspruch zu nehmen, letztlich aber Abstand davon genommen. »Jetzt bin ich genauso schlau wie vorher«, befand Lady Agatha zwei Stunden später. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und stärkte sich aus einer Bonboniere. »Wie gehe ich weiter vor, Mister Parker?« wollte sie wissen. »Natürlich habe ich bereits einen konkreten Plan. Können Sie sich vorstellen, wie er aussieht?« »Mylady denken, der Firma Burney’s Finance Group einen Be such abzustatten«, antwortete Josuah Parker. »Und was will ich dort?« wunderte sich Agatha Simpson. »Mylady belieben zu eruieren, ob die in Verruf geratenen Ehe paare Milford, Wilburn, Taylor und Seymour Kontakt zu dem er wähnten privaten Geldvermittler pflegten«, erörterte der Butler. »Es dürfte zumindest als auffällig bezeichnet werden, daß die genannten Personen daran dachten, dies zu tun.« »Ja, glaube ich denn, daß diese Finanzhyänen etwas mit dem anstehenden Fall zu tun haben?« wunderte sich Lady Agatha. »Mylady schließen grundsätzlich nichts aus und geruhen zu er mitteln, um Klarheit zu erlangen«, antwortete Parker, während er seinen eckigen Privatwagen Richtung Mayfair lenkte. »Na schön«, befand die majestätische Dame und kuschelte sich in das weiche Polster im Fond. »Tun Sie, was ich für richtig halte, Mister Parker. Ich werde zwischenzeitig ein wenig meditieren.« 30
Wie effektiv Myladys Bemühungen waren, bezeugten Sekunden später intensive Schnarchgeräusche. Parker ließ sich jedoch da durch nicht stören. Derartiges war ihm seit Jahren vertraut. Der neue Fall war mehr als mysteriös. Biedere Ehepaare wurden plötzlich zu Verbrechern, beraubten Banken und Geldboten und stellten sich dabei dermaßen ungeschickt, ja schon dumm an, daß man sie zwangsläufig fangen mußte. Trotz erdrückender Beweis last leugneten sie aber ihre Schuld und taten so, als wüßten sie von allem nichts. Dabei wären hartgesottene Profis unter der Bürde der Indizien zusammengebrochen. Eine leise Ahnung beschlich Parker. Aber noch weigerte er sich, sie als Gewißheit zu akzeptieren. Dazu war es viel zu früh. Zuerst mußte ein tragfähiges Fundament errichtet werden. Und einer dieser Bausteine hieß Burney’s Finance Group. Momentan der einzige Anhaltspunkt, den es für das skurrile Paar aus Shepherd’s Market gab. Eine Viertelstunde später bremste der Butler seinen Wagen in einer der Gassen mit den schönen georgianischen Häusern, die so charakteristisch sind für Mayfair. Er mußte sich mehrmals räus pern, um seine Herrin ihrer Meditation zu entreißen. »Wo bin ich?« orientierte sich Lady Agatha etwas mühevoll. »Mylady befinden sich vor dem Gebäude, in dem die Burney’s Finance Group ihren Sitz hat«, erläuterte der Butler. »Sehr schön. Und worauf warte ich noch? Dann werde ich schnell den Herrschaften mal auf den Zahn fühlen.« Josuah Parker dachte diesmal nicht daran, ihre Dynamik zu bremsen. Sie würde durch ihre ungenierte Art vermutlich einigen Staub aufwirbeln. Und genau das wollte der Butler. Mal angenommen, Burney’s Finance Group steckte irgendwie in den Raubüberfällen mit drin – dann war es sicher eine gute Taktik, die Leute zu provozieren und dadurch aus ihrer Reserve zu locken. »Mylady hegen den Wunsch, Mister Burney ihre Aufwartung zu machen, falls es genehm ist«, erklärte Josuah Parker wenig spä ter sehr höflich, nachdem er Agatha Simpson und sich selbst vor gestellt hatte. Er präsentierte sich neben seiner Herrin einer wasserstoffblon den, attraktiven Mittdreißigerin, die als Vorzimmerdame fungierte und ein äußerst miesepetriges Gesicht machte. Die Schöne saß hinter einem mit modernster Technik ausgestatteten Schreibtisch, 31
ließ hektisch ein Fläschchen mit rotem Nagellack in einer Schub lade verschwinden und studierte ihren Plan. »Sie haben keinen Termin«, stellte sie danach mürrisch fest. »Ich kann Sie nicht vorlassen.« »Eine Lady Agatha Simpson braucht keinen Termin«, informier te die majestätische Dame huldvoll. »Mir stehen jederzeit alle Türen offen.« »Aber nicht hier!« reagierte die Vorzimmerdame unwirsch. »Da könnte ja jeder kommen. Gehen Sie bitte und rufen Sie mich ge legentlich an. Dann vereinbaren wir einen Termin. Mister Burney ist zur Zeit in einer wichtigen Besprechung…« »… die er für mich unterbrechen wird«, blieb Lady Agatha un nachgiebig. »Ich bin es nicht gewohnt zu warten. Meine Zeit ist kostbar. Also melden Sie mich Mister Hornvieh!« »Ich denke im Traum nicht daran«, zeigte sich die Sekretärin unzugänglich. »Und wenn Sie die Königinmutter persönlich wä ren! Bei uns gibt es keine Sonderbehandlung!« »Ich habe keine Lust, mich weiter mit Ihnen zu streiten, meine Liebe«, bewies Agatha Simpson erstaunlich viel Geduld und schritt kurzerhand zu einer Tür im Hintergrund, an der James Burneys Namenszug in großen schwarzen Lettern prangte. Sie kam allerdings nicht weit. Bereits nach wenigen Metern versperr te ihr die Sekretärin den Weg. »Nur über meine Leiche!« bemühte sie eine abgedroschene Formulierung. »Wenn Sie darauf bestehen, meine Liebe«, entgegnete Agatha Simpson gefährlich-freundlich leise. Die Sekretärin schluckte. »Wie bitte? Verschwinden Sie schon, Sie altes Frauenzimmer!« Auf solch ungehobelte Aufforderung reagierte Lady Agatha höchst allergisch. Kurzerhand schob sie die Sekretärin beiseite, und zwar mit solcher Vehemenz, daß die Schöne im wahrsten Sinn des Wortes von den Socken beziehungsweise von den Strumpfhosen war. Sie torkelte einige Schritte, davon, stolperte über die eigenen Füße und beschloß spontan, sich dekorativ mit ihrem Hinterteil in einem Papierkorb zu plazieren. Die Dame strampelte mit den Beinen und versuchte verzweifelt, sich aus ihrer mißlichen Lage zu befreien. Doch vergeblich. Wie festgeklebt saß sie und erinnerte an einen auf den Rücken gefal lenen Käfer. 32
Lady Agatha würdigte die Gestrauchelte keines Blickes mehr. Sie hatte nun freie Bahn und war so in Fahrt, daß sie alle An standsformen über Bord warf. Kurz entschlossen öffnete sie die Tür zu James Burneys Büro und trat über die Schwelle. Parker folgte ihr auf dem Fuß. Er staunliches bot sich dem skurrilen Paar. Die beiden standen unvermittelt in einem mit kostbarem Teak holz ausgestatteten Büro. An den getäfelten Wänden hingen ge schmackvolle, sicher auch kostbare Ölgemälde. Ein wuchtiger, antik gehaltener Schreibtisch bildete den Mittelpunkt des prunk vollen Raumes. Die meiste Aufmerksamkeit erregten jedoch zwei Männer. Einer war rund fünfzig Jahre alt, schlank und hatte graumelier tes Haar. Vom Aussehen her erinnerte er an Clark Gable. Er trug einen Tuchanzug mit Nadelstreifen und Lackschuhe, in denen man sich spiegeln konnte. In den Händen hielt er mehrere Bündel Geldscheine, die er ge rade in einen geöffneten Wandtresor legen wollte. Der Safe war bereits ansehnlich gefüllt. Der zweite Mann war ungefähr fünfundvierzig, mittelgroß und kräftig. Sein Gesicht war vollmondrund, besaß buschige Augen brauen und wulstige Lippen. Bekleidet war er mit Jeans, einem karierten Baumwollhemd und einer schwarzen Lederjacke. Er hielt dem Herrn im gepflegten Nadelstreifen einen Karton mit der Aufschrift »Cafe Milford« hin. Die Schachtel war gefüllt mit Pfundnoten. Als der Zeitgenosse Lady Agatha und ihren Begleiter erblickte, ließ er das Behältnis fallen, griff unter das Revers seiner Lederja cke und zauberte einen großkalibrigen Revolver hervor, den er unmißverständlich auf das skurrile Paar richten wollte. Josuah Parker war jedoch schneller und schickte seine Kopfbe deckung auf die Reise. Wie eine Frisbeescheibe segelte die schwarze Melone durch den Raum, beschrieb einen eleganten Bogen und landete Sekundenbruchteile später im Zielgebiet. Das war der Handrücken des Revolvermannes. Der stahlblech verstärkte Bowler säbelte mit der Krempe über das Gliedmaß und verpaßte dem Unglücklichen eine porentiefe Rasur. Der Bursche jaulte wie ein liebeskranker Koyote und ließ den Revolver wie glühendes Eisen zu Boden fallen. Er hielt sich die 33
malträtierte Hand und führte einen Tanz auf, der entfernt an indi anische Folklore erinnerte. Sein Pech war, daß er dabei in Lady Agathas Wirkungskreis ge riet. Die resolute Dame geizte indes nicht mit einer ihrer be rühmt-berüchtigten Ohrfeigen. Der solcherart Bedachte hatte das Gefühl, als würde ihm der Kopf von den Schultern gerissen. Aber der war fest verankert, und so machte der Rest des Körpers die Bewegung mit. Der ganze Kerl taumelte durch das Zimmer und räumte gehörig ab, zuerst den Schreibtisch, dann ein Sideboard. Aktenordner wirbelten zu Boden, öffneten sich bereitwillig und verteilten groß zügig ihren Inhalt. Zuletzt mußte ein Seidenvorhang dran glauben, der um ein Pa noramafenster drapiert war. An dem versuchte der Gemaßregelte krampfhaft das zu finden, was er zeitweilig verloren hatte: den Halt. Der Vorhang hielt, aber die Gardinenstange kapitulierte. Und so war der Niedergang des verzweifelten Tänzers beschlossene Sa che. Er versank in einer Flut von Stoff und spielte nicht mehr mit. Der Mann im Nadelstreifen war wie zur Salzsäule erstarrt. Fas sungslos betrachtete er das mittlere Chaos, das plötzlich im Raum herrschte. »Worauf warten Sie, junger Mann?« tat Lady Agatha das ihrige, um ihn zu verblüffen. »Stehen Sie nicht tatenlos herum, sondern greifen Sie gefälligst an. Oder kneifen Sie? Dann wären Sie ein Spielverderber und würden mich sehr enttäuschen.« »Was wollen Sie überhaupt?« rief der Angesprochene. »Wer hat Sie hereingelassen?« »Man war so kühn, sich die Freiheit zu nehmen, ohne ausdrück liche Genehmigung näherzutreten«, erklärte Josuah Parker. »Lei der ließ Ihr Personal eine angemessene Freundlichkeit, die dezen teres Vorgehen bedingt hätte, vermissen.« »Wer sind Sie?« zeigte sich der Vornehme immer noch recht la konisch und mißtrauisch. Rasch schloß er den Wandsafe und be wegte sich auffällig unauffällig in Richtung Schreibtisch. Parker war überzeugt, daß der Mann etwas im Schilde führte. Aber er ließ sich nichts anmerken. Bereitwillig und freundlich be antwortete er die Frage, die man ihm gestellt hatte. »Eine richtige Lady?« staunte der Elegante, der sich seinerseits als James Burney zu erkennen gab. 34
»Natürlich. Das sieht man doch«, erwiderte Agatha Simpson. »Oder wollen Sie das bestreiten?« »Nein, nein. Es ist nur, weil… na ja…«, beeilte sich der Mann im Nadelstreifen zu versichern und betrachtete noch mal das in Mit leidenschaft gezogene Büro. »Es ist mir eine Ehre, Sie in meinen bescheidenen und momentan nicht mehr ganz intakten Räumen begrüßen zu dürfen, Mylady. Seien Sie herzlich willkommen! Ent schuldigen Sie bitte den etwas rüden Empfang. Mister Tanner hat ein wenig übereifrig reagiert. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wissen Sie, manchmal läßt es sich nicht vermeiden, eine be trächtliche Menge Bargeld hier aufzubewahren. Verständlicher weise sind unsere Nerven dann bis zum äußersten gereizt. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, vermitteln wir Kredite. Leider beste hen manche Kunden auf Aushändigung des gestundeten Betrages in bar. Aber nehmen Sie, doch platz.« Er deutete auf eine gemütliche Sitzgruppe, Mylady testete mit ihrer majestätischen Fülle die Strapazierfähigkeit besagten Mö bels, während Burney hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Er strahlte Nervosität aus. Parker fühlte es deutlich. Er hatte eine Antenne für so etwas. »Womit kann ich dienen?« strengte sich Burney an, geschäfts tüchtig zu wirken. »Vielleicht mit einem Kleinkredit? Sagen Sie es frei heraus, Mylady. Bei mir sind Sie an der richtigen Adresse. Ich mache Ihnen Sonderkonditionen.« »Das hört sich nicht schlecht an«, fand Agatha Simpson. »Viel leicht nehme ich Sie beim Wort. Schließlich bin ich eine alleinste hende Dame und muß mit jedem Penny rechnen.« »Richtig, Mylady. Bloß nichts verschenken«, beeilte sich Burney, am Ball zu bleiben. »Wenn Sie wollen, erläutere ich Ihnen kurz unsere Bedingungen.« »Nicht so schnell, junger Mann«, bremste Agatha Simpson. »Deshalb bin ich eigentlich nicht gekommen.« »Nein? Weswegen dann?« »Das wird Ihnen Mister Parker erläutern«, verwies die passio nierte Detektivin an ihren Butler. »Er kümmert sich um die un wichtigen Dinge.« »Da bin ich aber gespannt, was Ihnen unter den Nägeln brennt«, gab der Makler zu verstehen. »Schießen Sie los!« »Sie pflegen, falls man sich diese Frage erlauben darf, Geld transporte in sogenannten Kuchencontainern durchzuführen, Mis 35
ter Burney?« kam der Butler sofort zur Sache. »Wie? Ich verstehe nicht«, stellte sich Burney zunächst dumm. Das brachte ihm Zeit. Parker deutete dezent mit der Spitze seines altväterlich gebun denen Universal-Regenschirmes, den er wie stets mit dem Bam busgriff über dem linken Unterarm trug, auf den Karton, den Tanner hatte zu Boden fallen lassen. Einige Geldbündel waren sichtbar geworden. »Ach so… ja…«, druckste der Finanzmakler herum. »Ähm… eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wer würde in einem solchen Karton schon Geld vermuten? Wohl niemand. Ich sage Ihnen, so ein Kar ton ist sicherer als der beste Geldschrank. Oder haben Sie etwas an dem Karton auszusetzen?« »Ja. Das würde mich auch interessieren«, ließ sich Lady Agatha verlauten. »Wie Mylady zweifelsohne registriert haben, ist der besagte Karton mit dem Namen einer Lokalität beschriftet, deren Inhaber in Verdacht stehen, am heutigen Vormittag eine Bank überfallen zu haben«, erläuterte der Butler. »Sprechen Sie jetzt von den Grillkorbs, Mister Parker?« verge wisserte sich die passionierte Detektivin. »Mylady geruhen Mister Bob Milford und Mistreß Melissa Milford zu meinen«, korrigierte der Butler höflich. »Das sagte ich doch, Mister Parker«, behauptete Lady Agatha. »Möglicherweise deponierten die Räuber ihre Beute in einem solchen unscheinbaren Kuchencontainer«, fuhr der Butler fort. »Was hat das zu bedeuten?« reagierte James Burney ungehal ten. »Und was hat das mit mir zu tun? Ich kenne keine Grillkorbs oder Milfords oder wie auch immer. Oder – Moment mal – wollen Sie etwa andeuten, ich hätte etwas mit dem Banküberfall zu tun? Das wäre allerdings ziemlich hirnrissig.« »Derartige Unterstellungen würde man sich ohne konkrete Be weise niemals erlauben«, versicherte der Butler. »Noch befindet man sich im Stadium des Sammelns von Indizien.« »Und Sie glauben, bei mir fündig geworden zu sein?« wollte der Makler wissen. »Man registrierte bislang lediglich einige interessante Beobach tungen und zieht gewisse Rückschlüsse«, provozierte der Butler bewußt. »Und die sehen so aus, daß Sie mich verdächtigen, mit den Mil 36
fords unter einer Decke zu stecken, stimmt’s?« brauste James Burney auf und wurde rot wie ein Feuermelder. »Sagen Sie, was fällt Ihnen eigentlich ein? Wer seid ihr denn, daß ihr euch solche Unverschämtheiten erlaubt? Etwa von der Polente?« »Keineswegs und mitnichten«, erwiderte der Butler. »Mylady pflegt privat zu ermitteln.« »Also eine Amateurdetektivin«, höhnte Burney und atmete auf. »Ich muß doch sehr bitten, junger Mann!« empörte sich die re solute Dame. »Mister Parker, klären Sie Mister Hornvieh über mich auf, damit er weiß, wie es um ihn steht.« »Burney. James Burney«, verbesserte der Makler. »Ich weiß, Mister Hornvieh«, erwiderte Agatha Simpson. »Sie haben sich bereits vorgestellt und damit unauslöschlich einge prägt. Ich habe ein phänomenales Namensgedächtnis. Machen Sie bitte weiter, Mister Parker. Ich will zum Dinner zu Hause sein.« »Sie sehen in Mylady eine erfolgreiche Detektivin«, erläuterte der Butler. »Mylady hat zahlreiche Krimmalfälle gelöst und ge nießt einen nahezu legendären Ruf, sowohl in einschlägigen Krei sen der Unterwelt als auch bei der Polizei. Selbst Scotland Yard bittet Mylady des öfteren um Hilfe. Sie sollten Mylady also kei neswegs und mitnichten unterschätzen, falls man sich diesen Rat erlauben darf.« – James Burney war sekundenlang sprachlos. Dann ging ihm ein Licht auf, und gleichzeitig fiel die Kinnlade her ab. Er bekam Stielaugen. »Natürlich!« Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Jetzt kapier ich’s. Agatha Simpson, die alte Fregatte, die Detek tivin spielt. Von Ihnen hab ich schon gehört. Hab bloß nicht gleich durchgeblickt.« »Sehen Sie, Mister Parker. Man kennt mich«, war Agatha Simp son sichtlich geschmeichelt. »Es hätte mich auch gewundert…« Weiter kam sie nicht. James Burney verlor nämlich die Nerven. Daß ihm die berühmte Agatha Simpson so nahe auf den Pelz ge rückt war, machte ihn offensichtlich unbesonnen. Hastig riß er eine Schreibtischschublade auf, griff hinein und förderte eine schallgedämpfte Automatic zutage. Der Butler hatte damit gerechnet und reagierte deshalb ohne Zeitverlust. Er ließ seinen altväterlich gerollten Regenschirm hochschwingen und kippte dabei blitzartig eine kleine Klappe. Ein schwarzes 37
Mündungsloch wurde sichtbar. Gleichzeitig betätigte er einen ver steckten Knopf am Schirmstock. Eine Sekunde später trat aus dem Mündungsloch ein strickna delgroßer, buntgefiederte Pfeil. Angetrieben wurde er von komp rimierter Kohlensäure, die sich in einer entsprechenden Druckpat rone befand. Die Pfeilspitze war sorgfältig präpariert mit einem Wirkstoff auf pflanzlicher Basis, der in der Regel einen unwiderstehlichen Juck reiz auslöste. Glieder lahmten, Allergien oder Tiefschlaf folgten – alles vorübergehend. Diesmal entschied sich der Butler für die Ruhigstellung des Gegners. Der Pfeil sirrte durch die Luft und traf einen Sekunden bruchteil später Burneys Arm. Der Geldvermittler zuckte zusammen und starrte entgeistert auf das buntgefiederte Geschoß, das aus seinem Ellenbogen ragte. Zweifellos spuckten jetzt Horrorbilder von Indios durch seinen Kopf, die ihre Opfer mit vergifteten Pfeilen zur Strecke brachten. Burney sprang auf, ließ seine Pistole achtlos fallen und riß sich den Pfeil aus dem Fleisch. »Sie sollten unbedachte und allzu heftige Bewegungen vermei den, falls man sich diesen Hinweis erlauben darf«, belehrte Parker ihn. »Unbeherrschte Aktivitäten beschleunigten die Entfaltung des Wirkstoffes und befördern ihn schneller in die Blutbahn.« Der Makler erstarrte. Seine Augen spiegelten das nackte Grauen wider. »Gift? Soll das heißen, da ist tatsächlich Gift drin gewe sen?« »In der Tat. Es dürfte Ihnen indes nicht unbekannt sein und wirkt lähmend auf die Muskulatur. Gelangt es in die Blutbahn, tritt eine Paralyse der Atemwege ein. Sie sollten Vorsicht walten lassen, Sir.« Parker schwindelte gekonnt. Das Präparat war ein harmloses Schlafmittel, das bald Wirkung zeigte. Burney griff sich vor Aufregung an die schweißnasse Stirn, dann ans Herz und ließ sich rücklings in seinen Schreibtischsessel fal len. »Hilfe, ich sterbe«, röchelte er und riß den Kragen seines Hem des auf. »Sie… Sie haben mich umgebracht. Sie… Sie sind ja noch schlimmer als ich.« »Man sollte zum jetzigen Zeitpunkt eine Rettung nicht gänzlich ausschließen«, stellte der Butler in Aussicht. Er zog ein Fläsch 38
chen aus einer der schier unerschöpflichen Taschen seines Cover coats, das eine gelbe, kristallene Substanz enthielt. Riechsalz. Aber Parker ließ ihm eine andere Bedeutung zukommen. »Hier sehen Sie das Gegenmittel«, verkündete er zur Beruhi gung seines Patienten. »Geben Sie her! Schnell!« Mit zitternder Hand griff Burney da nach, aber Parker entzog es ihm. »Man wird es Ihnen möglicherweise verabreichen, sobald Sie Mylady einige Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben.« »Fragen Sie schon! Ich sage alles! Ich will nicht sterben!« »Sehr schön«, freute sich Lady Agatha. »Warum nicht gleich so, junger Mann? Mister Parker, fragen Sie Mister Hornvieh, was ich wissen möchte.« »Geht man recht in der Annahme, daß Ihnen die Namen Milford, Wilburn, Taylor und Seymour ein Begriff sind?« begann der But ler. »Die besagten Herrschaften könnten mit Ihnen Kontakt auf genommen haben, um finanziellen Beistand zu finden.« »Ja, das stimmt. Ich kenn die.« »Vermutet man weiterhin recht, daß Sie die Genannten dazu anstifteten, gewisse Straftaten zu begehen?« »Nein. Angestiftet hab ich niemanden. Ich hab die Leute nur ausgesucht.« »Nach welchen Kriterien fand diese Auswahl statt.« »Je verzweifelter die Leute, desto besser waren sie für uns ge eignet.« »Mit >uns< belieben Sie wen zu meinen, Mister Burney?« »Na, meinen Partner und mich.« »Wen muß man sich namentlich unter Ihrem Partner vorstel len?« »Keine Ahnung. Ich hab meinen Partner nie persönlich kennen gelernt. Das läuft alles über einen Mittelsmann. Über Tanner. Der gehört nicht zu meinen Leuten, sondern zu denen meines unbe kannten Geschäftsfreundes.« »Worin genau bestehen diese Geschäfte?« »Na, ich schuster dem Typen verzweifelte Leute zu. Und der sorgt dafür, daß die Banken und Geldboten überfallen. Ich erhalte nur eine Provision. Den Riesenanteil sahnt der andere ab.« »Vermutet man recht, daß Mister Tanner soeben dabei war, Sie auszubezahlen?« »Ja. Für die Vermittlung der Milfords.« 39
»Wenn Sie freundlicherweise erörtern könnten, wie es Ihrem Partner gelingt, die Damen und Herren derart zu beeinflussen, daß Sie zu Straftätern werden.« »Durch Hypnose. Verdammt, der hypnotisiert die wie die Schlange das Kaninchen. Und dann machen die, was der will. Reicht Ihnen das endlich? Jetzt hab ich alles gesagt, was ich weiß. Geben Sie mir das Gegenmittel. Ich werd immer schwächer. Ich… ich kann kaum noch die Augen offenhalten…« »Sie sollten sich zu nichts zwingen, Mister Burney. Geben Sie dem Verlangen Ihres Körpers nach«, riet der Butler. Er hätte dem Makler zwar noch gern ein paar Fragen gestellt, aber Burney war nicht mehr in der Lage, sie zu beantworten. Im nächsten Moment war es um den Finanzmakler geschehen. Der Schlaf übermannte ihn. Mit einem lustvollen Seufzer rutschte er ins Land der Träume. »Hypotenuse«, resümierte Lady Agatha. »Als ob ich mir so et was nicht von Anfang an gedacht hätte. Was unternehme ich jetzt, Mister Parker?« »Mylady denken möglicherweise an Hypnose und daran, Mister Tanner einer näheren Befragung zu unterziehen«, schlug der But ler vor. »Mister Tanner fungiert als Mittelsmann zwischen Mister Burney und dem unbekannten Partner und dürfte demzufolge dessen Identität kennen.« »Richtig, Mister Parker. Genau das habe ich vor. Und wo finde ich Mister Tanner?« »In unmittelbarer Nähe«, wußte Parker zu berichten und deute te auf den Seidenvorhang, unter dem der von Mylady Gemaßre gelte nach wie vor vergraben war. Er war minutenlang benommen gewesen, brauchte einige Zeit, sich über seinen neuen Aufenthaltsort zu orientieren, und begann nun damit, nach einem Ausweg zu suchen. Als er wieder klar kam, sah er sich einer imposanten Erschei nung gegenüber. Sie thronte auf zwei stämmigen Beinen, die in massiven Schnürschuhen endeten. »Wer ist Ihr Boß?« fackelte die resolute Dame nicht lange und zog eine der bratspießähnlichen Nadeln, mit denen ihre eigen tümliche Hutkreation im Haar befestigt war, aus ihrer Frisur. »Es wird Zeit, daß ich meine Kenntnisse in Sachen Akupunktur auf den neuesten Stand bringe«, fügte sie hinzu. Tanner hörte fassungslos zu. Er platte schon einiges erlebt und 40
war selbst ein kaltblütiger Zeitgenosse, aber die Lady stellte alles in den Schatten. Er erfaßte mit einem Seitenblick James Burney, der reglos in seinem Schreibtischsessel hing. Panik erfaßte Tanner. Plötzlich spurtete er los. An Lady Agatha vorbei Richtung Tür. Weit kam er allerdings nicht. Josuah Parker versperrte ihm wür devoll und souverän den Weg. Freundlich verbeugte er sich an deutungsweise. Tanner schlug einen Haken wie ein flüchtendes Wildkaninchen. Ihm blieb nur noch das Fenster, wenn er entkommen wollte. Er wollte. Und wie. Beherzt rannte er darauf zu, sprang, kugelte sich zusammen und durchschlug wie ein Ball die Scheibe. Es gab einen Knall. Es regnete Splitter. Und fort war Tanner. Für einen Sekundenbruchteil strotzte er der Erdanziehung. Mit den Armen machte er ein paar unbeholfene Flugbewegungen und erinnerte an einen trächtigen Albatros. Aber dann waren die phy sikalischen Gesetze stärker als der menschliche Wille und holten den Möchtegernvogel auf den Boden der Tatsachen zurück. Wie ein Stein plumpste er nach unten. »Im wievielten Stock sind wir eigentlich, Mister Parker?« fragte Mylady. »Im zweiten, falls meine Wenigkeit richtig orientiert ist«, ant wortete Parker. »Das läßt einiges befürchten«, prophezeite die majestätische Dame und trat näher an das zu Bruch gegangene Fenster heran. Ebenso Parker. Man blickte hinaus und schaute auf einen Anbau, der sich nur drei Meter unterhalb der Fensterbank an das Haus, in dem Burney’s Finance Group untergebracht war, anschloß. Er hatte ein mit Kieselsteinen ausgelegtes Flachdach. In ihnen war Tanner gelandet. Gerade rappelte er sich auf und humpelte davon. Kurz darauf verschwand er über den Rand des Daches auf einem weiteren Anbau. »Jetzt ist er entkommen«, mokierte sich Lady Agatha. »Sie ha ben wieder mal nicht aufgepaßt, Mister Parker.« »Man ist zutiefst zerknirscht und bittet Mylady um Nachsicht.« »Na schön, Mister Parker. Ich will nicht so sein. Ich werde mei ne detektivischen Fähigkeiten einsetzen und Ihren Fehler ausbü geln. Was unternehme ich als nächstes?« »Mylady denken daran, Mister McWarden zu informieren und 41
Mister Burney in polizeilichen Gewahrsam zu übergeben.« »Richtig. Was soll ich sonst mit Mister Hornvieh machen? Für die weiteren Ermittlungen ist er überflüssig. Sagen Sie Mister McWarden aber, daß ich nicht auf ihn warte. Wenn er etwas von mir wissen will, soll er sich nach Shepherd’s Market bemühen. Das ist das wenigste, was ich verlangen kann, wenn ich ihm schon die Arbeit abnehme. Und jetzt bitte meine Medizin. Ich füh le, daß mein Kreislauf Beschleunigung verlangt.« In James Burneys Büro gab es eine gut ausgestattete Hausbar. Der Butler wählte für seine Herrin französischen Cognac und ließ die gewohnte Taschenflasche im Covercoat an ihrem sicheren Platz. * Drei Stunden später machte McWarden seine Aufwartung in Shepherd’s Market. Die majestätische Dame tat sich gerade an Krabbencocktail, Räucherlachs, Wildpastete mit Preiselbeeren und Burgunderschin ken mit Spargel gütlich. Dazu gab es eine Knoblauchcreme, Sah nemeerettich und verschiedenes Brot. Griebenschmalz und Butter gehörten ebenso zu Lady Agathas Mahl wie abschließend eine Käseplatte. Dem Yard-Mann lief bei diesem Anblick das Wasser im Mund zu sammen. Seine Basedow-Augen glänzten. Die füllige Dame re gistrierte es. – »Na schön, mein lieber McWarden«, verkündete sie huldvoll. »Sie sollen nicht leer ausgehen. Mister Parker, ser vieren Sie unserem Gast bitte Zwieback und schwarzen Tee. Das ist übrigens gut für Ihren empfindlichen Magen.« »Danke sehr, Mylady, zu liebenswürdig«, zeigte sich McWarden erkenntlich. Dabei wirkte er allerdings alles andere als glücklich. »Aber ich habe keinen Appetit.« »Dann hat es ja auch keinen Sinn, wenn ich Sie dazu einlade, sich hier am Tisch nach Herzenslust zu bedienen. Schade. Ich wollte es gerade tun.« McWarden biß die Zähne aufeinander. Womöglich wäre ihm sonst etwas Ungehöriges entfleucht. »Sie haben wieder mal ganze Arbeit geleistet, Mylady«, lenkte er deshalb ab. »Wir brauchten Burney und seine Sekretärin nur 42
noch einzusammeln. Allerdings hatten wir Probleme mit den Fes seln, mit denen die Herrschaften an Händen und Füßen ver schnürt waren.« »Ich erledige meine Arbeit immer sorgfältig«, entgegnete Agat ha Simpson. »Und was wünschen Sie noch?« »Ich bitte darum, mir genau zu erzählen, was sich im einzelnen zugetragen hat. Burney hat zwar schon seine Aussage gemacht und auch ein Geständnis abgelegt. Aber ich möchte doch noch Ihre Version hören. So ganz traue ich dem Gangster nämlich nicht.« »Übernehmen Sie das bitte, Mister Parker. Ich kann mich schließlich nicht um jede Kleinigkeit kümmern.« Der Butler berichtete von den Vorfällen in Burneys Büro und auch von den Erkenntnissen, die er dabei gewonnen hatte. »Genau so hat es Burney erzählt«, resümierte der YardGewaltige, nachdem Parker mit seinen Schilderungen am Ende war. »Ich fasse noch mal zusammen: James Burney ist ein priva ter Finanzmakler. Zweifellos kann man ihn als Geldhai bezeich nen, der Kredite vermittelt und Wucherzinsen verlangt. Ich bin sicher, der Bursche hat seine Finger auch noch in wesentlich schmutzigeren Geschäften. Ich denke dabei an Hehlerei und Dro genhandel. Es gibt Verdachtsmomente. Schon seit längerem. Man konnte Burney leider nie etwas nachweisen. Aber jetzt haben wir ihn am Haken. Daß er in der Sache mit den Ehepaaren drinhängt, ist bewiesen. Dafür wandert Burney hinter Gitter.« McWarden legte eine kurze Pause ein und fuhr dann fort: »Als Geldvermittler hat Burney Kontakt zu Leuten, die in Schwierigkeiten stecken und greift sich die härtesten Fälle heraus und übermittelt ihre Daten an einen dritten, den wir noch nicht kennen. Dieser Mister Unbekannt ist der eigentliche Drahtzieher in der Geschichte.« »Konnten Sie eruieren, wie Mister Burney in Kontakt kam mit der noch anonymen Person, Sir?« wollte der Butler wissen. »Man hatte leider nicht die Gelegenheit, Mister Burney diesbezüglich um Auskunft zu bitten. Er wurde von Müdigkeit förmlich über mannt.« »Die Müdigkeit kenne ich, Mister Parker.« Der ChiefSuperintendent zwinkerte dem Butler zu. »Um Ihre Frage zu be antworten; über Tanner. Irgendwann kreuzte Tanner bei Burney auf und machte ihm den Vorschlag, unbescholtene Bürger als 43
Verbrecher zu verdingen. Burney hat sich die Sache gut überlegt und fand schließlich, daß es für ihn leicht war, den Reibach zu machen. Er gab ein paar Namen und Daten preis und sackte da für eine gehörige Provision ein. Alles andere interessierte ihn nicht. Auch nicht, wer der geheimnisvolle Boß im Hintergrund ist.« »Mister Burney hat Sie darüber informiert, wie man die auser wählten Opfer gefügig machte?« »Ja. Mit Hypnose, sagte er. Klingt unglaublich, nicht wahr?« »Wieso?« mischte sich Lady Agatha ein, die mittlerweile bei der Käseplatte angelangt war. »In der Kriminalistik, mein lieber McWarden, ist alles möglich. Außerdem hatte ich von Anfang an daran gedacht. Die Indizien waren ja eindeutig.« »So?« staunte McWarden. »Und warum haben Sie nichts ge sagt?« »Ich wollte Sie nicht überfordern, mein Bester«, antwortete A gatha Simpson süffisant. »Sie wären sicher nicht in der Lage ge wesen, vorausschauenden Gedankengängen zu folgen.« »Ich muß halt noch viel lernen«, reagierte der ChiefSuperintendent sarkastisch. »Sie sagen es.« »Hypnose also«, kehrte der Yard-Mann zum Thema zurück. »Ich dachte, so etwas gibt es nur im Roman. So viel ich weiß, kann niemand dazu gezwungen werden, Dinge zu tun, die er nicht wirklich will. Auch nicht in Hypnose.« »Meine bescheidene Wenigkeit beschäftigt sich bereits seit län gerem mit dem Thema Hypnose«, entgegnete Parker. »Man kann deshalb nicht umhin, Ihren Worten beizupflichten, Sir. Anderer seits ist wissenschaftlich nachgewiesen, daß durch Hypnose im Unterbewußtsein verborgene Gedanken und Vorstellungen akti viert werden können.« »Also kann ich einen bislang unbescholtenen Bürger durch Hyp nose zum Räuber machen, wenn er schon mal ernsthaft daran gedacht hat, einen Überfall zu begehen«, interpretierte McWar den. »Dem kann und muß man zustimmen, Sir. Eine Bereitschaft, wenn auch unbewußte, muß vorliegen, um die Hypnose erfolg reich wirksam werden zu lassen.« »Auf unsere Fälle bezogen bedeutet das, die Taylors, Wilburns, Milfords und Seymours müßten grundsätzlich dazu bereit gewe 44
sen sein, einen Raubüberfall zu begehen.« »In der Tat, Sir. Diese unbewußte oder auch bewußte Bereit schaft ist um so nachvollziehbarer, wenn man bedenkt, in welcher wirtschaftlichen Situation sich die erwähnten Personen befanden. Mister und Mistreß Milford standen mit ihrem Cafe vor dem Ruin, die Wilburns mit ihrem Elektrofachhandel ebenso. Mit ihrer tradi tionellen Schildermalerei konnten sich die Taylors nicht länger gegen die Konkurrenz der Unternehmen behaupten. Die Sey mours mußten mit ihrer kleinen Metzgerei vor den Großmärkten kapitulieren. Es mangelte den erwähnten Personen an finanziellen Mitteln, um möglicherweise konkurrenzfähiger zu werden. Die Banken bewilligten bedauerlicherweise keine weiteren Kredite mehr, da die Betroffenen ihr Kontingent ausgeschöpft hatten und mit der Rückzahlung der Darlehen in Verzug waren.« »Also praktisch eine hoffnungslose Situation«, stellte McWarden fest. »Die Leute müssen sehr verzweifelt gewesen sein. So ver zweifelt, daß sie auf die Idee kamen, sich einfach zu holen, was sie brauchten. Sie taten es dann doch nicht, weil die Vernunft sie letztlich davor zurückhielt. Aber im Unterbewußtsein schlummerte der Gedanke an einen Überfall. Und das machte sich der mysteri öse Hypnotiseur zunutze.« »Dem kann und muß man beipflichten«, fand Josuah Parker. »Eigentlich das perfekte Verbrechen«, erkannte der Yard-Mann. »Man läßt andere die Schmutzarbeit machen, bleibt selbst uner kannt im Hintergrund und kassiert die Gewinne. Die Räuber wis sen von nichts, weil man ihnen den hypnotischen Befehl gab, jede Erinnerung an den Auftraggeber und an die Tat zu vergessen. Genial!« »Aber nur solange, wie ich mich nicht um den Fall kümmere«, schaltete sich Lady Agatha selbstbewußt in die Unterhaltung ein. »Natürlich, Mylady«, pflichtete McWarden ihr bei. »Sie werden zweifellos auch diesen Fall lösen und den Hypnoman seiner ge rechten Strafe zuführen. Wer hätte gegen Sie schon eine Chan ce?« »Da haben Sie ausnahmsweise mal recht, mein lieber McWar den. In kurzer Zeit werde ich diesen Hypotenuse-Mann überfüh ren. Verlassen Sie sich darauf.« »Und wie wollen Sie das machen?« Haben Sie schon einen Plan?« »Selbstverständlich. Aber ich weiß nicht, ob ich ihn verraten 45
darf. Womöglich stehen Sie auch unter Hypotenuse und sind ein willfähriges Opfer dieses Gangsters, McWarden.« »Das glaube ich kaum«, bestritt der Yard-Gewaltige. »Aha. Das heißt also, Sie wissen es nicht genau. Und deshalb ist es möglich. Wüßten Sie es nämlich, wären Sie nicht hypnotisiert. Können Sie mir folgen?« »J… ja…«, stotterte McWarden verwirrt. »Ich werde Ihnen trotzdem meinen Plan erklären«, entschloß sich die passionierte Detektivin. »Vielleicht locke ich den Hypote nuse-Mann damit aus seinem Bau. Und das wäre nicht mal ver kehrt. Mister Parker, schildern Sie unserem Gast das weitere Vor gehen.« »Mylady denken daran, über Mister Tanner dem besagten Hyp noman näherzutreten«, erörterte der Butler wunschgemäß. »Versuchen Sie nicht, mich mit Namen zu verwirren, Mister Parker. Ich weiß genau, wer Mister Klammer ist.« »Bei Mister Tanner, den Mylady unschwer meinen, handelt es sich um jenes zwielichtige Subjekt, das sich dem Verhör durch Mylady entzog, indem es durch ein Fenster von Mister James Burneys Büro sprang.« »Ach ja. Genau. Das war der Lümmel, den Sie entkommen lie ßen, Mister Parker.« »Worüber meine bescheidene Wenigkeit nach wie vor zutiefst betrübt ist.« »Schon gut, Mister Parker. Ich drücke noch mal ein Auge zu. Dieser Mister Klammer – der weiß also, wer der HypotenuseMann ist?« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady. Als Verbin dungsmann zwischen Mister Burney und dem besagten Hypno man muß er zwangsläufig über die Identität des letzteren infor miert sein. Man müßte lediglich ein klärendes Gespräch mit Mister Tanner führen.« »Kein Problem. Ich werde die Zunge des Lümmels schon lösen.« »Woran man keineswegs und mitnichten auch nur andeutungs weise zweifelt.« »Wir brechen gleich auf, Mister Parker. Wo wohnt Mister Klam mer?« Das wußte der Butler allerdings nicht. Ebensowenig McWarden. »Wir haben Burney natürlich danach gefragt«, erläuterte der Chief-Superintendent. »Aber Burney kennt Tanners Adresse nicht. 46
Noch nicht mal seine Telefonnummer. Der Kontakt ging immer von Tanner aus.« »Eine Tatsache, die die Sachlage leider ein wenig erschwert«, erkannte Parker. »Dennoch sollte man der Lösung des Falles op timistisch entgegensehen. Möglicherweise wird Mister Hypnoman seinerseits aktiv und Mylady kontaktieren.« »Das soll er nur machen. Ich werde ihm die Leviten lesen«, verkündete Lady Agatha kriegerisch. »Warum sollte er das machen?« überlegte McWarden. »Mister Tanner dürfte während der Auseinandersetzung in Mis ter Burneys Büro nicht entgangen sein, mit wem er es zu tun hat te«, erläuterte der Butler. »Man war so frei, Mylady ausdrücklich Mister Burney vorzustellen, was Mister Tanner, allerdings behin dert durch einen herabgefallenen Vorhang, möglicherweise akus tisch nicht entgangen ist. Dies vorausgesetzt, dürfte davon aus zugehen sein, daß Mister Tanner seinen Arbeitgeber entsprechend informieren wird.« »Der Hypnoman weiß natürlich, wer Mylady ist«, fügte McWar den hinzu. »Natürlich. Schließlich bin ich eine berühmte Detektivin«, schätzte sich Lady Agatha selbst ein. »Die Unterwelt zittert vor mir. Sicher hat der Hypotenuse-Mann schon jetzt weiche Knie.« »Und weil er Angst hat, von Ihnen überführt zu werden, wird er versuchen, Sie aus dem Weg zu schaffen, Mylady«, stellte McWarden mit ernster Miene fest. »Passen Sie auf sich auf!« »Das kann ich sehr gut, mein Lieber. Einzig und allein Mister Parker macht mir diesbezüglich Kummer. Ich werde noch intensi ver als sonst meine schützende Hand über ihn halten müssen.« »Mylady sind wieder mal zu gütig«, fand Parker und verzog kei ne Miene. »Sie beide sitzen ab jetzt also praktisch auf dem Präsentiertel ler«, bemerkte der Yard-Mann mit einigen Sorgenfalten im Ge sicht, »und können selbst nichts tun.« »So gut wie nichts, falls man sich diese Einschränkung erlauben darf, Sir«, ergänzte der Butler. »Man wird den ehrenwerten Mis ter Pickett kontaktieren. Möglicherweise kann er mit Informatio nen über Mister Tanner dienen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird er innerhalb der Szene nach Mister Tanner und dem Hypno man fahnden.« »Der gute Pickett«, äußerte Lady Agatha versonnen. 47
Die ältere Dame schätzte den rund sechzigjährigen Mann, der dank seiner straffen Haltung, seinem gepflegten Schnauzbart und dem Trenchcoat mit den Schulterstücken, den er fast ausnahms los trug, an einen englischen Kolonialoffizier erinnerte. Aber er war es nicht. Einst galt er als König der Londoner Taschendiebe. Er selbst be zeichnete sich lieber als Eigentumsumverteiler, da er stets nur Betuchte um ihre Geldbörsen erleichtert hatte und seine »Ein nahmen« den Ärmsten gab. Eines Tages geriet er an einen Mafia-Boß. Nur Parkers beherz tem Eingreifen war es zu verdanken, daß er diese Begegnung überlebte. Danach wandelte sich Pickett vom Saulus zum Paulus und wurde zu einem wertvollen Mitarbeiter des skurrilen Paares in Shepherd’s Market. Seine Verbindungen zur Londoner Unterwelt funktionierten immer noch, und so konnte Pickett sehr effektiv ermitteln. McWarden wechselte mit der Hausherrin noch einige Nettigkei ten, verabschiedete sich dann und ging. Trotz Burneys Festnahme war man eigentlich nicht viel weiter als vorher. Man wußte jetzt lediglich, daß die verhafteten Ehepaare für ihre Taten nicht ver antwortlich waren und ein Unbekannter dahintersteckte. »Ich ziehe mich zurück«, verkündete Lady Agatha, nachdem McWarden gegangen war, »und werde noch ein wenig über mei nen neuen Fall meditieren.« Damit entschwand sie hoheitsvoll über die geschwungene Frei treppe nach oben. Schnarchgeräusche, die wenig später durch das Haus tönten, zeugten davon, daß Myladys Meditation erfolg reich verlief. Parker zog sich in seine privaten Räume zurück, die sich im Souterrain des altehrwürdigen Fachwerkhauses befanden. Die Zimmer des Butlers waren im Stil einer Kapitänssuite eingerich tet. Mahagoni und Messingbeschläge sorgten für entsprechende Assoziationen. Der Butler schritt zum Telefon. Er wußte, daß er Pickett auch zu später Stunde noch beanspruchen konnte. Der Eigentumsumver teiler a.D. war jederzeit für ihn zu sprechen und stets einsatzbe reit. Das Telefonat dauerte nicht lange. Leider war Tanner Pickett unbekannt. Aber der ehemals Fingerfertige sicherte Parker zu, sich in der Szene nach Tanner umzuhören, ebenso nach dem 48
Hypnoman. Bislang jedoch hatte Pickett von einem Gangster, der durch Hypnose aus unschuldigen Bürgern Verbrecher machte, nichts gehört. Nach diesem Gespräch gönnte sich Parker eine Phase der Ent spannung. Er machte es sich in seinem bequemen Ohrensessel gemütlich, blätterte in einer elektronischen Fachzeitschrift und rauchte eine seiner schwarzen Zigarren, mit denen er sich nur ab und zu verwöhnte. Nach wie vor war der Butler zuversichtlich, dem Hypnoman auf die Schliche zu kommen. Seine innere Stimme sagte ihm, daß etwas geschehen würde. Wer immer hinter den Hypnose-Verbrechen steckte – er konnte es sich nicht leisten, tatenlos hinzunehmen, daß Lady Agatha Simpson ihm auf den Fersen war. Darauf spekulierte Parker. Und er behielt recht. Kurz vor Mitternacht läutete das Telefon. Gemessen und würdevoll legte der Butler seine Zeitschrift zur Seite, schritt zum Telefon und meldete sich formvollendet. »Tanner hier!« schallte es ihm aus dem Hörer entgegen. Die Stimme des Anrufers klang gereizt. »Man wünscht Ihnen einen allseits gelungenen Abend, Mister Tanner«, grüßte Parker. »Der Abend ist alles andere als gelungen für mich«, lautete die hektische Erwiderung. »Ich steh auf der Abschußliste – dank Ih nen und Ihrer alten Schachtel, dieser Lady Simpson.« »Sollte meine bescheidene Wenigkeit Ihnen Unbill verursacht haben?« »Und wie! Mein Boß will mich abservieren, weil ich angeblich versagt hab. In Burneys Büro. Vorhin. Sie wissen schon.« »Man erinnert sich.« »Ich bin danach sofort zum Boß und hab ihm alles erzählt. Und wissen Sie, was der tut, der Hund? Der hetzt sofort zwei seiner Leute auf mich, die mich kaltmachen sollen. Er hat was gegen Versager, erklärte er. Aber ich konnte entkommen. Das nutzt mir allerdings auf Dauer herzlich wenig. Die Killer werden mich ir gendwann aufstöbern und kaltmachen. Es sei denn, ich komme ihnen zuvor. Und das kann nur bedeuten: der Boß muß weg.« »Demnach denken Sie daran, Ihren Arbeitgeber zu denunzie ren«, folgerte der Butler. »Richtig, Parker.« 49
»Sollten Sie sich diesbezüglich nicht besser an die Polizei wen den, Mister Tanner?« »An die Bullen? Sind Sie verrückt? Denen trau ich nicht über den Weg. Die vermasseln die Sache glatt und lassen den Boß entkommen. Am Ende nehmen die mich hops, und der Boß lacht sich ins Fäustchen.« »Sie setzen also mehr Vertrauen in die Fähigkeiten Lady Simp sons und meiner bescheidenen Wenigkeit als in die der Herren Gesetzesvertreter?« »Unbedingt. Eigentlich vertrau ich nur Ihnen. Der alten Fregatte nicht so sehr. Die ist mir nicht ganz geheuer. Deshalb will ich auch, daß nur Sie kommen.« »Sie hegen also den Wunsch, mit meiner Wenigkeit zusammen zutreffen, Mister Tanner?« »Exakt. Und zwar möglichst sofort. Jeden Augenblick können nämlich die Killer aufkreuzen und mich abservieren. Hören Sie, ich liefere Ihnen den Boß, und Sie schaffen mir den Kerl vom Hals! Danach verschwind ich von der Bildfläche und trete irgendwo anders als ehrlicher Kerl auf. Ich hab die Schnauze gestrichen voll. Na, kommen wir ins Geschäft?« »Meine Wenigkeit beabsichtigt, auf Ihr Angebot einzugehen, Mister Tanner.« »Sehr schön, Parker. Dann schwingen Sie sich in Ihre Nobelkut sche und fahren zu den East India Docks.« Tanner beschrieb den genauen Treffpunkt. »Warten Sie unbedingt auf mich, falls ich nicht schon dort bin, wenn Sie kommen«, beschwor der Gangster den Butler. »Ich tauch auf jeden Fall auf. Kann nur sein, daß ich zuerst noch die Killer abschütteln muß. Mein Gott, ich glaub, da kommen Sie schon.« Abrupt legte Tanner auf. Parker traute ihm nicht. Sicher war es denkbar, daß der Boß Tanner als Versager abgeschrieben hatte, aber andererseits war auch denkbar, daß es sich bei der ganzen Aktion um eine ausge klügelte Falle handelte. Trotz dieser Vorbehalte entschloß sich der Butler dazu, das Spiel mitzuspielen. Lady Agathas Fachwerkhaus war dank Parkers Einfallsreichtum – praktisch eine uneinnehmbare Festung, in der die ältere Dame so sicher war wie in Fort Knox. Das Gebäude verfügte über ein 50
ausgetüfteltes Sicherheitssystem, das ein unbefugtes Eindringen nahezu unmöglich machte. Der Butler konnte seine Herrin also getrost allein lassen. »Mister Parker!« tönte Lady Agathas baritonal gefärbtes Organ durch das Haus. »Wo stecken Sie? Hören Sie nicht, daß es klin gelt?« Sie stand auf der geschwungenen Freitreppe, die vom Erdge schoß hoch in die zweite Etage führte, in der sie ihre Gemächer hatte. Sie trug ein knöchellanges Baumwollnachthemd und dar über einen Morgenmantel, der die Mode der vergangenen Jahr zehnte überlebt hatte. Ihre Füße steckten in Filzpantoffeln. Insge samt präsentierte Agatha Simpson eine Erscheinung, wie man sie von Fotos aus der guten alten Zeit kennt. Der Butler erschien indes nicht auf der Endfläche. Statt dessen läutete es an der Eingangstür Sturm. Außerdem schrillte ein Signalton durch das Gebäude. Das Geräusch wurde von der A larmanlage verursacht, die zum Sicherheitssystem des Hauses gehörte. Agatha Simpson stieg die Treppe hinab und schlurfte in die Die le. Vor dem verglasten und nachts verriegelten Vorflur blieb sie stehen. Rechts an der Wand war ein Lichtschalter, den sie betä tigte. Im Vorflur und draußen über dem spitzgiebeligen Eingang flammten jeweils leistungsstarke Lampen auf. Die Haustür war mit massivem Holz verkleidet, so daß Mylady nicht sehen konnte, wer davorstand. Die Hauseigene Fernsehan lage, die in einem Wandschrank untergebracht war und mit der man durch installierte Hochleistungskameras die Umgebung des Hauses überwachen konnte, vermochte sie nicht zu bedienen. Eine rote Signallampe blinkte unaufhörlich und harmonierte mit dem Schrillen der Alarmanlage. Das konnte nur bedeuten, daß Unbefugte das Gelände betreten hatten. Diebe? Mörder? Aber Angehörige dieser Branchen pflegten in der Regel nicht höflich zu läuten. Sollte sie die Störenfriede wieder abziehen lassen? Doch dafür war sie viel zu neugierig. Außerdem glaubte Lady Agatha jeder Situation gewachsen zu sein. Also betrat sie den verglasten Vorflur und spitzte mit einem Au ge durch den Spion der Haustür. Was die ältere Dame gewahrte, war verwunderlich. Draußen vor dem Eingang standen zwei Männer, zwischen ihnen 51
hochkant eine übermannsgroße, rechteckige Holzkiste, die mit einer roten Schleife verziert war. Es passierte zwar nicht oft, aber jetzt war Agatha Simpson tat sächlich für Sekunden sprachlos. * »Ist das etwa für mich?« rief die Dame des Hauses durch die geschlossene Tür. Es fiel ihr nicht schwer, mit ihrem baritonal gefärbten Organ die Alarmanlage zu übertönen. »Wenn Sie Lady Agatha Simpson sind, ja«, lautete die dumpfe Antwort. »Eine Eilzustellung.« »Zu dieser Zeit?« wunderte sich die resolute Dame. »Die britische Post ist zu jeder Tages- und Nachtzeit im Einsatz, um ihre Kunden zufriedenzustellen. Aber wenn Sie die Sendung nicht annehmen wollen, nehmen wir sie gern wieder mit, obwohl es viel Arbeit ist. Das Ding ist nämlich unheimlich schwer. Man könnte gerade meinen, die Kiste war randvoll mit Goldbarren.« »Goldbarren?« wurde Lady Agatha hellhörig. »Oder was auch immer. Also ich möcht zu gern wissen, was mein Kollege und ich durch die Gegend geschleppt haben.« Damit hatte er Agatha Simpsons angeborene Neugier geweckt. Plötzlich warf sie alle Vorsicht über Bord. »Sie haben recht, mein Lieber«, erwiderte die Hausherrin schnell. »Es wäre nicht nett von mir, Ihnen zuzumuten, die Kiste wieder mitzunehmen. Bringen Sie sie herein. Sie wollte die Tür öffnen, aber der Versuch mißlang. Parker hat te vor seiner Abfahrt den elektrischen Schließmechanismus akti viert. – Tadelnd schüttelte Agatha Simpson ihr Haupt, ging zurück in die Diele und stand sekundenlang ratlos vor dem reichhaltig mit Kipphebeln und Schaltern ausgestatteten Armaturenbrett der Videoüberwachungsanlage. Endlich fiel ihr Blick auf einen Knopf, der mit dem Wörtchen »OFF« beschriftet war. Beherzt drückte sie darauf. Sofort erlosch das Blinken der Sig nallampe, die Alarmanlage stellte ihr ohrenbetäubendes Quäken ein, und die Haustür entriegelte sich. Nun konnte Mylady die Beamten hereinlassen. In der Diele deponierten die Zusteller die Kiste. Die ältere Dame bestaunte sie und vibrierte förmlich vor Ungeduld. 52
»Machen Sie schon!« forderte sie die Eingetretenen auf. Einer förderte aus seiner Jackentasche eine Schere zutage und durchtrennte die Schleife. »Ich bin gespannt, was mir da ins Haus flattert«, machte die passionierte Detektivin keinen Hehl aus ihrem Interesse. »Sagen Sie, steht kein Absender auf dem Paket? Vielleicht die Adresse einer Bank? Oder eines Kaufhauses? Wissen Sie, man ist mir in diesen Kreisen verschiedentlich zu Dank verpflichtet. Ich bin nämlich gerade dabei, eine Reihe von Verbrechen aufzuklären, von denen diese Institutionen betroffen sind. Vielleicht will man mir als kleine Anerkennung für meine Bemühungen ein beschei denes Dankeschön zukommen lassen.« »Kein Absender«, stellte einer der Männer fest. »Seltsam«, fand Lady Agatha. Sekunden später hatte sie noch mehr Grund, sich zu wundern. Kaum war nämlich die Schleife zu Boden gefallen, als die Vor derfront der Kiste an Scharnieren wie eine Tür aufschwang. Was die ältere Dame dann zu sehen bekam, war mehr als außerge wöhnlich. Der Inhalt der Kiste war nämlich – ein Mann! Er war erheblich älter als sechzig Jahre, etwa einsfünfzig groß, schmächtig und hatte ein ovales, runzliges Gesicht. Bekleidet war er mit einem Smoking und einem Cape, das über die Schulter hing und mit kleinen und größeren silbernen Sternen verziert war. Ebenso wie der Zylinder, der auf dem grauen Haar der merkwürdigen Person thronte. Die seltsame Gestalt trat aus der Kiste heraus, verneigte sich vor der verblüfften Lady und zog höflich den Hut. »Gestatten«, stellte der Fremde sich vor. »Der große Mordico ni!« »Aber nur, wenn man es gut mit Ihnen meint und beide Augen zudrückt«, entgegnete Agatha Simpson und musterte das kleine Männlein skeptisch. »Was wollen Sie hier? Ist das eine neue Wer bung? Dann vergessen Sie’s gleich, junger Mann. Ich kaufe nichts.« Der große Mordiconi ging nicht darauf ein. Vielmehr starrte er Lady Agatha mit stechendem Blick direkt in die Augen. Die ältere Dame konnte nicht anders, als den Blick zu erwidern. Und damit hatte sie schon verloren. Es war wie bei einem Kaninchen, das der Schlange in die Augen sieht. »Sie werden müde«, suggerierte Mordiconi mit ruhiger, emoti 53
onsloser Stimme. »Sehr, sehr müde…« * Josuah Parker erreichte den mit Tanner verabredeten Treffpunkt in den East India Docks eine halbe Stunde nach Mitternacht. Er stand zwischen zwei Lagerschuppen, die ebenso verrottet und abbruchreif waren wie ringsum alle anderen Gebäude. Der Butler hatte sich mit dem Rücken vor seinem hochbeinigen Monstrum postiert und wirkte nach außen hin ruhig und gelassen. Innerlich aber war er angespannt. Jeden Augenblick rechnete er mit einem Angriff aus dem Hinterhalt. Er traute Tanner nicht. Schließlich zückte er seine leistungsstarke Kugelschreiberlampe, knipste sie an und tastete mit dem Lichtkegel die nähere Umge bung ab, auch die beiden Lagerschuppen, die ihn flankierten. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Aber das mochte nicht viel bedeuten. Es gab sicher genug finstere Ecken hier, in denen sich jemand verbergen konnte, ohne Gefahr zu laufen, erwischt zu werden. Der Butler fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er spürte das vertraute elektrisierende Kribbeln im Nacken. Die kleinen Härchen dort stellten sich auf, das unumstößliche Zeichen dafür, daß er in Gefahr schwebte. Seine innere Alarmanlage hatte ihn noch nie getrogen. Er war eine ausgezeichnete Zielscheibe. Trotz Dunkelheit. Es war ein leichtes, ihn mit einem Gewehr mit Infrarot aufs Korn zu nehmen. Das wußte Parker nur zu gut. Sollte er sich wieder zu rückziehen? Nein! Er mußte etwas riskieren, wenn er dem Hypnoman auf die Spur kommen wollte. Außerdem hatte Parker vorgesorgt. Unter seinem Covercoat trug er eine kugelsichere Weste, die ebenso zu seinem üppigen Fundus gehörte wie vieles andere auch. Eine Viertelstunde verstrich, ohne daß etwas geschah. Schon war der Butler drauf und dran, sich zu entfernen. Da krachte ein Schuß. *
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Knapp neben Parkers rechtem Fuß traf die Kugel auf und jaulte als Querschläger davon. Splitter spritzten aus dem Asphalt und Parker in die Decken seines hochbeinigen Monstrums, wobei er selbstredend seine butlerische Eleganz nicht verlor. Rasch sah er sich um, dann öffnete er den Wagenschlag und begab sich ins Innere seiner rollenden Festung. Sekunden später saß er stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf dem angestammten Platz hinter dem Lenkrad und tastete mit Blicken die Umgebung ab. In dem altertümlich wirkenden Gefährt war er so sicher wie in einem Panzer. Der Heckenschütze mußte hinter seinem Rücken Position bezo gen haben. Zweifelsohne hätte Parker sonst das Mündungsfeuer aufblitzen sehen. Ein zweiter Schuß fiel nicht. Der Butler überlegte, ob er nicht nach dem heimtückischen Blei lieferanten fahnden sollte. Doch ein solches Unternehmen hätte zweifelsohne genausowenig Erfolg gehabt wie die viel zitierte Su che nach der Stecknadel im Heuhaufen. Zu weitläufig war die Anlage ringsum. Und in der Dunkelheit konnte der Täter jederzeit problemlos entkommen. Wahrscheinlich hatte er sich längst aus dem Staub gemacht. Das konstatierte zumindest der Butler, nachdem zehn Minuten lang nichts geschehen war. Vermutlich bestand die Aufgabe des Schützen lediglich darin, Parker nachhaltig zu warnen. Daß der Schuß knapp danebenge gangen war, war sicher kein Zufall. Also hatte Tanner ihn doch gefoppt. War er es am Ende selbst, der die Kugel auf die Reise geschickt hatte? Parker nahm sich vor, Tanner bei Gelegenheit danach zu fragen. Eine Stunde nach Mit ternacht kehrte der Butler nach Shepherd’s Market zurück. Er parkte seine Trickkiste auf Rädern vor dem Hauptportal und wun derte sich. Das Haus war hell erleuchtet, die massive Eingangstür nur angelehnt. Sofort war Parker in Alarmbereitschaft, was man ihm allerdings nach außen hin nicht ansah. Wie immer war seine Miene glatt und ausdruckslos. Als er durch den verglasten Vorflur schritt und kurz darauf die Diele betrat, war er gespannte Aufmerksamkeit. Trotzdem wurde er überrascht. Und dies besorgte niemand an derer als Lady Agatha Simpson höchstpersönlich. 55
Im Nachtgewand trat sie plötzlich wie eine kriegerische Walküre aus dem Salon und ging sofort zur Attacke über. »Man wünscht eine hoffentlich gute und erholsame Nacht, My lady«, grüßte der Butler höflich und lüftete seine Melone. Auch Agatha Simpson grüßte, und zwar äußerst schlagfertig. Sie war nämlich mit ihrem heißgeliebten Pompadour bewaffnet. Die altere Dame ließ das Täschchen zwei-, dreimal rotieren und schleuderte es dann in der Manier einer Hammerwerferin davon. Sie hatte auf ihren Butler gezielt, was diesen zutiefst verblüff te… * Gerade noch im letzten Moment konnte Parker dem morgens ternähnlichen Geschoß ausweichen, indem er elegant einen Schritt zur Seite machte. Der wohlgefüllte Handbeutel verfehlte ihn nur um Haaresbreite, krachte gegen die vertäfelte Wand und plumpste polternd zu Bo den. Das sollte aber erst der Anfang sein. Mylady kam erst richtig in Fahrt. Sie ergriff eine altchinesische Vase mit Zertifikat, die als Dekoration die Diele verschönerte, stemmte das Utensil hoch über ihren Kopf und stapfte steifbeinig wie eine von fremder Hand gelenkte Marionette auf Parker zu. Es war schier unfaßbar, aber alle Anzeichen sprachen dafür, daß die passionierte Detektivin beabsichtigte, die Vase auf ihrem But ler zu zertrümmern. Parker entschloß sich zum taktischen Rückzug. Weit kam er al lerdings nicht. Die Wand, an die er plötzlich mit dem Rücken stieß, bedeutete Endstation. Lady Agatha baute sich in all ihrer imposanten Größe vor ihm auf, die Vase immer noch hoch erhoben. »Mylady zürnen meiner bescheidenen Wenigkeit und gedenken, gewisse Sanktionen vorzunehmen?« fragte der Butler, der ange sichts der ungewohnten Situation doch ein wenig verwundert war. Er erhielt allerdings keine Antwort. Es war, als hätte er gegen eine Wand gesprochen. Die leidenschaftliche Dame war offensichtlich nicht mehr Herrin ihrer Sinne und momentan nicht zurechnungsfähig. Eine andere 56
Erklärung gab es nicht für ihr merkwürdiges Verhalten. Spontan ahnte der Butler etwas. Mit seinen zwingenden Augen fixierte er Myladys Blick. Er war seltsam stier und unendlich leer. Da wußte Parker Bescheid: Seine Herrin war hypnotisiert! Und im nächsten Moment schlug sie mit der Vase zu. Souverän wich Parker aus und sorgte dafür, daß sich die Kera mik an der Wand in ihre Bestandteile auflöste. Während der Butler zum zweitenmal den taktischen Rückzug antrat, überschlugen sich hinter seiner Stirn die Gedanken. Ir gendwie mußte es ihm gelingen, Lady Agatha wieder in ihren Normalzustand zu versetzen. Eine Gegenhypnose wäre angebracht gewesen, aber die konnte, nur ein auf diesem Gebiet ausgebildeter Therapeut durchführen. Für Parker gab es deshalb nur eine Lösung: Er mußte Mylady ruhigstellen. Die leidenschaftliche Dame hatte sich zwischenzeitlich wieder mit ihrem perlenbestickten Handbeutel bewaffnet und machte damit Jagd auf den Butler. Gemessen und würdevoll zog sich Par ker Richtung Salon zurück und entging elegant Myladys ungestü men Attacken. Die Anzahl der Löcher, die die Hypnotisierte in die Luft hieb, war beträchtlich. Aber sie zeigte keinerlei Anzeichen von Ermüdung, obgleich die körperliche Anstrengung bedeutend war. Agatha Simpson geizte nämlich nicht mit der Kraft, mit der sie die einzel nen Schläge austeilte. Minuten vergingen. Geschickt manövrierte der Butler seine Her rin in den Salon und hatte sie endlich dort, wo er sie haben woll te: mit dem Rücken vor einem bequemen Ledersessel in der Ka minecke. Erneut ließ die resolute Dame ihren Pompadour rotieren, um ihn im nächsten Moment auf ihrem Butler zu deponieren. Aber Parker kam dem Angriff zuvor. Flugs zog er aus einer der vielen Taschen seines Covercoats eine lippenstiftähnliche Hülse. Das kleine Behältnis war eine Mini-Spraydose und enthielt kein kosmetisches Mittel, sondern vielmehr eine Art Betäubungsgas, das umgehend seine Wirkung entfaltete. »Mit Verlaub«, bat der Butler im voraus um Verständnis, ob gleich er wußte, daß die passionierte Detektivin ihn nicht verste hen konnte. Er beruhigte mehr sein eigenes Gewissen damit, be vor er Lady Agathas Mund- und Nasenpartie mit dem Spray ein 57
nebelte. Eine Sekunde später war es um die kriegerische Dame gesche hen. Sie verdrehte die Augen und bekam weiche Knie. Ein unwi derstehliches Schlafbedürfnis übermannt sie und veranlaßte sie dazu, sich unvermittelt von der Bühne des Geschehens abzumel den. Die füllige Witwe schlummerte bereits, als sie in den Lederses sel plumpste. Das Möbel beschwerte sich mit einem gequälten Ächzen, bestand allerdings den extremen Härtetest und diente Mylady bereitwillig als Ruhestätte. Parker organisierte eine Wolldecke und Kissen und sorgte für die Bequemlichkeit der Dame des Hauses. Er entledigte sich erst jetzt seines Covercoats, plazierte sich stocksteif, als habe er ei nen Ladestock verschluckt, in einem anderen Sessel und bewach te den Schlaf seiner Herrin. Jederzeit konnte sie aufwachen, und da war es wichtig, daß er dann zur Stelle war. Man konnte schließlich nicht wissen, welche Folgeschäden die Hypnose zeitigen würde. Nach wenigen Minuten erfüllten intensive Schnarchgeräusche den Salon. Sie stammten selbstredend von Lady Agatha, die of fensichtlich von der durch Parker hervorgerufenen Bewußtlosig keit in natürlichen Tiefschlaf hinübergedämmert war. Der Butler wertete dies als gutes Zeichen und entfernte sich kurz. Sein Weg führte ihn in die Diele zur Video-Überwachungsanlage, die jemand ausgeschaltet hatte. Und da sich während seiner Ab wesenheit nur Mylady im Haus befand, mußte sie es gewesen sein. Für den Butler stand fest, daß Unbefugte ins Haus eingedrungen waren und seine Herrin hypnotisiert hatten. Man hatte ihr befoh len, ihn, Josuah Parker, bei seiner Rückkehr zu attackieren. Aber wer waren der oder die Unbekannte? Eine Frage, die vielleicht sehr schnell zu beantworten war. Vor seiner Abfahrt zum Rendezvous mit Tanner hatte der Butler nämlich die Videoanlage im Dielenwandschrank gestartet. Das bedeutete, daß jede Außenkamera aktiv war und ihre Bilder je weils an einen separaten Videorecorder weitergab, wo sie auf Band abgespeichert wurden. Der Butler brauchte jetzt nur noch jedes Band abzuspielen und erhielt eine lückenlose visuelle Aufklärung darüber, was sich wäh 58
rend seines nächtlichen Ausfluges um das altehrwürdige Fach werkhaus zugetragen hatte. Und das war einiges, wie er anhand der Bilder, die über den Kontrollmonitor flimmerten, feststellen konnte. Zuerst benützte er die Kamera, die versteckt am Haupteingang zu Myladys Grundstück angebracht war. Zunächst tat sich nichts Nennenswertes. Die Kamera hatte le diglich aufgenommen, wie er, Parker, in seinem hochbeinigen Monstrum das Anwesen verließ, um zum Rendezvous mit Tanner zu fahren. Danach vergingen wieder rund fünfzehn Minuten in denen absolut nichts passierte. Parker ließ das Band im Schnellverfahren vorlaufen, bis er Inte ressantes registrierte. Er schaltete um auf Normalbetrieb und nahm zur Kenntnis wie vor Myladys Grundstück ein 7,5-Tonner mit Plane vorfuhr. Das Fahrzeug parkte oberhalb des Gittertores so daß es hinter der Begrenzungsmauer, die Durchgangsstraße und Anwesen trennte, nicht zu sehen war – vom Haus aus und mit menschlichen Augen. Aber die Kamera neben dem Eingang war so postiert, daß der anhaltende LKW genau in ihren Erfas sungsbereich geriet. BRASTER AG – Holzverarbeitung stand auf der schmutzigen Plane des Fahrzeuges, das nur von hinten zu sehen war. Plötzlich wurde der Plastikvorhang zur Seite gedrückt. Zwei Männer sprangen von der Ladefläche und sicherten sekundenlang nach allen Seiten, ohne jedoch die versteckte Kamera zu entde cken. Sie waren gekleidet wie britische Postbeamte. Parker be zweifelte jedoch, daß sie auch zur Post Ihrer Majestät gehörten. Ein dritter, dessen Gesicht in der Dunkelheit im Frachtraum des LKWs nicht zu erkennen war, reichte den beiden Postlern eine mannsgroße, rechteckige Holzkiste hinunter. Dann sprang er selbst von der Ladefläche. Aber auch jetzt verriet er sich nicht. Irgendwie ergab es sich immer, daß er entweder der Kamera zufällig den Rücken zukehr te, oder aber von einem seiner Kumpel oder von beiden verdeckt wurde. Die Kleidung, die er trug, war außergewöhnlich. Sie bestand aus einem Smoking und einem Cape. Auf beiden glitzerten silberne Sterne. Auch auf dem Zylinder des seltsamen Mannes. An sich war der Unbekannte relativ klein, kaum einsfünfzig groß. Einer der Pseudo-Postler öffnete die Kiste. Wie eine Tür 59
schwang die Vorderseite auf. Der kleine Smokingträger trat sofort ein und ließ es geschehen, daß die Kiste wieder verschlossen wurde. Danach schlangen die beiden fingierten Mitarbeiter des briti schen Zustelldienstes umständlich eine große rote Schleife um besagtes Utensil und transportierten das Behältnis vor den Ein gang des Fachwerkhauses. Dabei wurden sie von mehreren Kameras registriert und auf Band abgespeichert. Parker schaltete jeweils auf den Videorecor der um, der ihm die nächsten Bilder liefern konnte. Zuletzt blickte er via Bildschirm aus der Vogelperspektive auf die zwielichtigen Gestalten hinunter. Die Aufnahmen waren von der Hochleistungskamera, die versteckt am spitzgiebeligen Vor dach befestigt war, gemacht worden. Parker bekam mit, wie die fragwürdigen Subjekte Sturm läute ten, Lady Agatha öffnete und die Kerle samt Kiste eintraten. Der Bursche, der sich darin befand, da war sich der Butler abso lut sicher, war der Hypnoman. Und er hatte gewirkt. Bedauerli cherweise gab es von ihm keine brauchbare Videoaufnahme. Aber wenigstens hatte Parker einen weiteren Anhaltspunkt, der ihn möglicherweise auf die Schliche des Hypnomans brachte: die BRASTER AG -Holzverarbeitung. Entweder war das Fahrzeug ge stohlen, oder der Hypnoman stand in irgendeiner Verbindung mit dieser Firma. Vielleicht gehörte sie ihm sogar. Bereits nach wenigen Minuten kehrten die Männer mit der Kiste zurück. Sie war leer, denn der Mann, der sich in ihr versteckt hat te, ging zu Fuß nebenher. Auch diesmal wurde er unfreiwillig ab geschirmt, so daß die Kameras nie sein Gesicht erfaßten. Die Kiste wurde wieder auf den LKW verladen, die drei Männer enterten die Ladefläche, schlossen die Plane, und der vierte Kerl, der als Fahrer eingesetzt war, fuhr mit aufheulendem Motor da von. Parker schaltete die Videoanlage aus. Er wußte nun, was in sei ner Abwesenheit vorgefallen war. Und er wußte, an wen er sich als nächstes wenden mußte, um an den Hypnoman heranzukommen, an die BRASTER AG. Der Butler begab sich zurück in den Salon. Gerade als er seinen Fuß über die Schwelle setzte, läutete das Telefon, was Lady Agat ha in ihrem Schlaf keineswegs beeinträchtigte. Formvollendet meldete sich Parker. 60
»Sie leben ja noch«, klang es ihm aus dem Hörer entgegen. »Man kann versichern, daß sich meine Wenigkeit in der Tat bes ter Gesundheit erfreut«, erwiderte der Butler. »Aber nur, weil wir es gut mit Ihnen gemeint haben. Wir hätten Sie genausogut in den Docks vorhin abknallen können. Mein Mann hatte Sie genau im Visier.« »Seien Sie versichert, daß meine Wenigkeit Gegenmaßnahmen getroffen hatte«, reagierte der Butler gelassen. »Man rechnete selbstredend mit einer Falle und hatte sich aus diesem Grund so zusagen kugelfest gemacht.« »Sie halten sich wohl für besonders schlau, Parker, was?« zisch te der unbekannte Gesprächspartner durch den Hörer mit mar kanter Reibeisenstimme. »Das wird Ihnen noch vergehen, spätes tens dann, wenn Sie uns nicht in Ruhe lassen. Diesmal haben wir uns noch zurückgehalten. Mord war bisher nicht unsere Methode. Aber das kann sich schlagartig ändern. Bevor ich nämlich im Knast lande, lass’ ich lieber Sie und ihre fette Herrin über die Klinge springen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Reizen Sie mich also nicht unnötig, Parker, oder Sie sterben! Sie und ihre einge bildete Alte, die sich für wer weiß was hält.« »Was es abzuwarten gilt, Sir.« »Sie sind ein Wurm, Parker! Gegen uns richten Sie nichts aus, aber wir gegen Sie. Wir kommen sogar in Lady Agathas berühmt berüchtigtes Haus, wie Sie mittlerweile festgestellt haben dürf ten.« »Kann und muß man aus dieser Äußerung schließen, daß Sie über die speziellen Eigenschaften, über die Myladys bescheidenes Heim verfügt, im Bilde sind, Mister?« hakte der Butler nach. »Und ob, Parker.« »Demnach können Sie selbst oder einige Ihrer Angestellten be reits auf diesbezüglich gemachte Erfahrungen zurückblicken? Trifft es möglicherweise gar zu, daß man sich von Ihrer Seite aus bereits bemühte, in Myladys Haus einzudringen, um sich zu be dienen?« »Das trifft nicht zu, Parker. Aber ich hab’ Bekannte, die das schon mal probiert haben und verdammt schlimm auf die Schnauze gefallen sind. Die sind grad noch mal mit einem blauen Auge davongekommen und haben mir einiges erzählt. Bisher soll es ja noch keinem gelungen sein, unbefugt in Ihre Hütte einzu dringen. Aber meine Männer haben es geschafft, Parker. Und das 61
sollte Ihnen zu denken geben. In mir haben Sie Ihren Meister gefunden. Ich brauche Sie nicht zu töten, um vor Ihnen sicher zu sein. Ich hab’ Sie auch so im Griff. Und wenn Sie trotzdem nicht spuren, kann ich Ihnen immer noch Ihr erbärmliches Lebenslicht ausblasen. Gegen mich sind Sie machtlos.« »Dies beliebten Sie bereits zu erwähnen, Mister.« »Dann schreiben Sie es sich endlich hinter die Ohren. Und noch eins, damit Sie wissen, was auf sie zukommt, wenn Sie den Auf sässigen mimen: Ich kann jeden x-beliebigen Menschen zu mei nem Werkzeug machen. Wenn ich will, bringe ich jeden Passan ten dazu, Sie anzugreifen. Ich habe Mittel und Wege, Ihnen das Leben zur Hölle zu machen und Sie soweit zu bringen, daß Sie sich nicht mehr auf die Straße trauen. Einen kleinen Vorge schmack dürften Sie mittlerweile bekommen haben, und zwar von Ihrer Herrin. Die Alte hat wohl ein bißchen verrückt gespielt, was? Hahahaha! Man brauchte ihr nur zu suggerieren, Sie seien ein Einbrecher, der ihre Bude ausräumen will und dem sie auflauern müsse. Und schon ist sie mit Schuhen und Strümpfen über Sie her, oder?« »Man kann sich selbst unter Aufbietung der zur Verfügung ste henden Phantasie keine plausible Vorstellung darüber machen, was Sie zu meinen belieben, Mister«, erwiderte der Butler nicht ganz wahrheitsgemäß. Er wollte provozieren. »Hat die Alte nicht versucht, Ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen?« zeigte sich der Anrufer verwirrt. »Derartiges käme Mylady nicht im entferntesten in den Sinn.« »Aber… aber… man hat sie doch…« »… hypnotisiert? Man sollte vielleicht eher sagen, es wurde ver sucht und an einen entsprechenden Erfolg geglaubt. Mylady ließ die Herrschaften in dem Glauben und amüsierte sich wie meine bescheidene Wenigkeit köstlich.« - »Na, warten Sie, Parker! Sie kommen auch noch von Ihrem hohen Roß herunter. Das schwör ich Ihnen. Ich dachte, Sie wären vernünftiger und würden die kleine Warnung verstehen, die ich Ihnen erteilen ließ. Aber wer nicht hören will, muß fühlen. Passen Sie in Zukunft bloß auf, Parker, wenn Sie sich nicht die Ra dieschen von unten betrachten wollen.« »Man dankt Ihnen verbindlichst für diesen zweifelsohne gut gemeinten Ratschlag«, lautete Parkers Entgegnung. »Leider sieht man sich jedoch außerstande, Ihre Forderungen zu erfüllen. My 62
lady wird Sie, falls man sich diese Prognose erlauben darf, entlar ven und dem Gesetz überantworten. Mit wem hat man übrigens das Vergnügen? Etwa mit Mister Hypnoman persönlich?« »Hypnoman? Ach so. Ich verstehe. Nein, der bin ich nicht. Aber ein sehr enger Mitarbeiter von ihm. Besser gesagt, sein Boß. Noch mal: Finger weg, Parker, oder Sie verbrennen sich! Beim nächstenmal servieren wir Sie ab. Sie und Ihre fette Herrin.« »Sie dürften über das Stadium des Versuches nicht hinaus kommen, Sir«, reizte Parker seinen unbekannten Gesprächspart ner. War es Braster, dem die Holzverarbeitungs AG gehörte? »Man wünscht Ihnen noch eine recht angenehme Nacht.« Damit legte er den Hörer auf und wußte, daß sich der andere maßlos ärgerte und möglicherweise sogar verunsichert war. * Trotz vorgerückter Stunde telefonierte der Butler mit Horace Pi ckett. Er entschuldigte sich bei dem ehemaligen Eigentumsum verteiler für die späte Störung, nachdem er sich gemeldet hatte. »Macht nichts, Mister Parker«, lautete Picketts Erwiderung. »Für Sie bin ich immer zu sprechen. Das wissen Sie doch.« »Eben aus diesem Grund war meine bescheidene Wenigkeit so frei«, meinte Parker. »Außerdem bin ich gerade erst nach Hause gekommen. Ich war so lange in einschlägigen Kreisen unterwegs. Habe nach Tanner gefahndet und meine Neffen angehalten, sich nach ihm umzuhö ren. Bislang kam allerdings nichts dabei heraus. Niemand kennt offenbar diesen Tanner. Vielleicht ist das ja auch nur ein Deck name. Jedenfalls ist die Sache angekurbelt, und irgendwann wer de ich Ergebnisse präsentieren.« Bei den von Pickett erwähnten Neffen handelte es sich nicht um leibliche Verwandte, sondern um Freunde, auf die sich der Eigen tumsumverteiler a.D. hundertprozentig verlassen konnte. Schon oft hatte Pickett sie in Parkers Sinne zum Einsatz gebracht. »Ist Ihnen der Name Braster ein Begriff?« knüpfte der Butler den Bogen zu einer Person, die möglicherweise in dem anstehen den Fall eine Rolle spielte. »Braster? Nein, sagt mir nichts«, lautete die erwartete Antwort. 63
»Hängt der auch mit drin?« »Dies vermutet man in der Tat.« »Ich werde mich nach ihm umhören.« »Sie kommen einer Bitte meiner bescheidenen Wenigkeit mit Ihrem freundlichen Angebot zuvor. Des weiteren möchte man sich erkühnen, den Wunsch an Sie heranzutragen, das Unter nehmen Braster zu observieren.« »Wird gemacht, Mister Parker. Was ist das für ein Laden?« »Es handelt sich um eine Firma, die sich mit Holzverarbeitung beschäftigt. Die entsprechende Adresse dürfte dem Branchenver zeichnis zu entnehmen sein.« »Ich werde sofort mit ein paar Neffen dort Stellung beziehen. Sie können versichert sein, daß keine Maus das Gelände verläßt oder betritt, ohne daß wir es merken. Soll ich Sie anrufen, wenn wir etwas Interessantes finden?« »Dies dürfte sich als sinnvoll erweisen, Mister Pickett. Darüber hinaus dürfte sich Mylady persönlich im Lauf des anstehenden Vormittages zu jenem Unternehmen bemühen und vor Ort ermit teln.« »Dann sehen wir uns ja, Parker.« »Ein Umstand, dem man mit Freude entgegensieht«, versicher te der Butler und verabschiedete sich höflich. * Lady Agatha schlummerte bis in den Morgen hinein im Sessel. Erst als das Telefon läutete, kam sie zu sich. Die Zeit, in der Jo suah Parker das Gespräch entgegennahm, nutzte sie, um sich zu orientieren. Horace Pickett war am anderen Ende der Leitung. »Bei BRASTER tut sich was«, meldete er. »Seit zwei Stunden herrscht geschäftiges Treiben. Drei LKWs sind bis jetzt aufge kreuzt. Ich würde mir ja nichts dabei denken, Mister Parker, wenn ich nicht wüßte, was ich mittlerweile über Mike Braster in Erfah rung gebracht habe.« »Und dies wäre, Mister Pickett?« »Auf Brasters weißer Weste gibt es ein paar häßliche Flecke. Braster ist kriminell, seine Firma nur Tarnung. In Wirklichkeit be tätigt er sich als Kopf einer Einbrecherbande. Deshalb bringen 64
mich die LKWs auch auf eine ganz bestimmte Idee.« »Sie vermuten, daß jene Fahrzeuge möglicherweise gestohlene Ware auf Mister Brasters Firmengelände transportieren?« »Genau, Mister Parker. Ich gehe davon aus, daß Brasters Firma ein Umschlagplatz für heiße Ware ist. Ich wette, daß die LKWs Diebesgut, das vielleicht in der vergangenen Nacht erbeutet wur de, geladen haben.« »Ein Verdacht, der durchaus naheliegt und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffen dürfte.« »Sollen meine Neffen und ich etwas unternehmen? Wir könnten das Gelände stürmen und die Ganoven dingfest machen.« »Man dankt verbindlichst für die selbstlose Bereitschaft, möchte Sie jedoch bitten, sich vorerst zurückzuhalten. Mylady würde es übel nehmen, wenn man ihr vorgreift.« »Okay, dann werden wir weiterhin die Gegend unter Kontrolle halten.« Nachdem Parker sich höflich von Pickett verabschiedet hatte, kehrte er in den Salon zu seiner Herrin zurück. »Was mache ich denn hier?« wunderte sich die majestätische Dame. »Habe ich hier etwa geschlafen?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, antwortete Josuah Par ker. »Mylady haben es vorgezogen, auf Nachtruhe zu verzichten und unerbittlich über den neuen Fall zu meditieren.« »Ja?« staunte die resolute Dame, die sich offenbar an die Ereig nisse der vergangenen Nacht nicht erinnerte. Den Butler über raschte das allerdings nicht. Der Hypnoman hatte Agatha Simp son zweifellos suggeriert, nach Beendigung der Hypnose alles, was damit zu tun hatte, zu vergessen. »Als Kriminalistin muß man hart gegen sich selbst sein, Mister Parker«, dozierte die ältere Dame. »Dies sollten Sie zum Grund satz nehmen, sonst bringen Sie es auf diesem Gebiet nie zu et was.« »Man wird Myladys wohlgemeinten Ratschlag zu beherzigen wissen.« »Natürlich. Übrigens: welche Erkenntnisse hat mir mein nächtli cher Einsatz gebracht, Mister Parker? Mal sehen, ob Sie aufmerk sam waren.« Der Butler berichtete von seinem Erlebnis in den East India Docks, von den Aufzeichnungen, die die Videoanlage während seiner Abwesenheit gemacht hatte und von dem nächtlichen An 65
rufer, der sich als Boß des Hypnomans ausgegeben hatte. Er war Diplomat genug, die passionierte Detektivin nicht mit ihrem klei nen Fehltritt, den sie sich geleistet hatte, zu konfrontieren. Die Spuren, das heißt die Scherben der zu Bruch gegangenen Vase, hatte er bereits beseitigt. Insgesamt stellte er den Besuch des Hypnomans und der beiden Ganoven so dar, als hätten die Lümmel vergeblich versucht, ins Haus einzudringen und seien letztlich unverrichteter Dinge abge zogen. »Da können Sie mal sehen, wie angestrengt ich meditiert habe, Mister Parker«, verkündete Agatha Simpson, nachdem der Butler seinen Bericht beendet hatte. »Von den Postbeamten habe ich gar nichts bemerkt. Was die Lümmel bloß von mir wollten?« »Es dürfte in der Absicht der Herren gelegen haben, Mylady zu hypnotisieren und für verwerfliche Zwecke zu mißbrauchen«, ent gegnete der Butler diskret. »Mich hypnotisieren?« lachte Agatha Simpson. »Das hätten die Flegel ruhig probieren können. Sie wären sicher verzweifelt. Ich bin nämlich immun gegen Hypotenuse.« Josuah Parker enthielt sich eines Kommentars. »Aber wie geht’s nun weiter? Ihr Rendezvous mit Mister Klam mer hat ja nichts gebracht. Ich hätte eben doch mitkommen sol len. Mir wäre der Heckenschütze nicht entwischt. Ich hätte ihn gestellt und verschärft verhört. Der sogenannte HypotenuseMann würde schon hinter Gitter sitzen. Und was tun Sie? Sie bringen die ganze Sache durcheinander.« »Mylady sehen meine Wenigkeit zutiefst zerknirscht«, beteuerte der Butler. »Dazu haben Sie auch allen Grund, Mister Parker. Zum Glück habe ich bereits einen Plan, wie ich Ihren Fehler wieder ausbügle. Können Sie sich vorstellen, wie der aussieht?« »Möglicherweise denken Mylady daran, Mister Braster ihre Auf wartung zu machen«, manipulierte der Butler seine Herrin. »Mister Laster? Wer ist denn das schon wieder?« Der Butler gab nun die Informationen an Lady Agatha weiter, die er selbst vor wenigen Minuten von Horace Pickett erhalten hatte. »Ferner entstiegen die Herren, die in der Nacht versuchten, in Myladys Haus einzudringen, um Mylady zu hypnotisieren, wie bereits erwähnt, einem Fahrzeug mit der Firmenbeschriftung 66
BRASTER AG – Holzverarbeitung«, ergänzte er. »Und deshalb vermute ich, daß Mister Laster nicht nur ein Heh ler und Chef einer Diebesbande ist, sondern auch noch der Hypo tenuse-Mann?« vergewisserte sich die ältere Dame. »Dies sollte man nicht grundsätzlich von der Hand weisen. Ist Mister Braster allerdings mit dem nächtlichen Anrufer identisch, kann man dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, da der unbekannte Telefonierer behauptete, der Chef des sogenannten Hypnomans zu sein.« »Eine Finte, Mister Parker«, behauptete Lady Agatha. »Darauf fallen Sie vielleicht herein, aber nicht ich. Ich werde Mister Laster als Hypnoman entlarven, und zwar noch heute. Vorher möchte ich mich allerdings ein wenig frisch machen und stärken. Richten Sie bitte das Frühstück, Mister Parker. Es kann ruhig etwas üppi ger ausfallen. Schließlich habe ich einiges vor.« »Sehr wohl, Mylady«, paßte sich der Butler an und war insge heim erleichtert. Mylady hatte den nächtlichen Zwischenfall offen sichtlich überstanden, ohne Schaden an Leib und Seele genom men zu haben. Solange sie ihren gesunden Appetit hatte, war nämlich alles in bester Ordnung. * BRASTER AG – Holzverarbeitung war eine eher mehr als weni ger abbruchreife Firma. Alles war ziemlich verrottet und machte einen heruntergekommenen Eindruck. Einige Meter vom Firmengelände entfernt bremste der Butler seinen eckigen Privatwagen und winkte einem Mann, der am Straßenrand Zeitungen verkaufte. Der Bursche war etwa sechzig Jahre alt, trug Arbeitskleidung und auf dem Kopf eine Schirmmüt ze. »Wollen Sie jetzt etwa lesen, Mister Parker?« mokierte sich A gatha Simpson. »Das ist der unpassendste Moment dafür.« Der Butler ließ sich nicht beirren und wartete, bis der Zeitungs mann ein Blatt durch das Fenster reichte. – »Man wünscht Ihnen einen angenehmen und erfolgreichen Tag, Mister Pickett«, grüßte Josuah Parker höflich den angeblichen Verkäufer. Er war in Wirk lichkeit der verkleidete ehemalige Eigentumsumverteiler und schaute in den Fond. 67
»Der gute Pickett«, flötete Lady Agatha. »Verkleidet als Zei tungsverkäufer. Nett. Aber ich habe Sie trotzdem sofort erkannt. Mich führt man nicht an der Nase herum.« »Natürlich nicht, Mylady«, meinte Pickett und grinste ein wenig. »Um auf Braster zurückzukommen. Ich weiß zwar nicht, wie er aussieht, aber ich denke, daß er vor einer halben Stunde hier aufgetaucht ist. Da fuhr jedenfalls ein schicker Mercedes auf das Gelände. Am Steuer ein Mann in vornehmer Kleidung. Wirkte ganz wie ein typischer Boß.« »Möglicherweise beabsichtigt Mister Braster, sich über die neu gelieferte Hehlerware zu orientieren«, vermutete der Butler. »Das denke ich auch, Mister Parker. Übrigens: ‘n neuer LKW kam nicht. Und die anderen sind alle noch auf dem Gelände samt Insassen, ungefähr zehn Männer.« »Ich werde den Lümmeln die Ohren langziehen«, verkündete Lady Agatha energisch. »Und zwar umgehend. Wie gehe ich vor, Parker?« »Sofern ein Hintereingang vorhanden ist, gedenken Mylady, diesen zu benutzen und Mister Braster zu überraschen«, legte der Butler den weiteren Plan dar. »Nicht schlecht. Ich liebe Überraschungen«, zeigte sich die pas sionierte Detektivin angetan. »Mister Laster wird Augen machen, wenn er mich plötzlich vor sich stehen sieht. Auf das Gesicht freue ich mich schon.« »Der Hintereingang ist um die Ecke«, klärte Pickett den Butler auf. »Er ist zwar verschlossen, aber das ist für Sie ja kein Prob lem. Fahren Sie vor. Ich sage meinen Neffen Bescheid, daß sie sich bereit halten, falls wir sie brauchen. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden, daß ich mitkomme, Mylady.« »Aber ja doch, mein lieber Pickett. Auch Sie sollen Ihren Spaß haben«, erwies sich Lady Agatha als großzügig. »Werten Sie dies als kleine Auszeichnung für die gute Arbeit, die Sie bisher geleis tet haben. Die Hilfe Ihrer Neffen benötige ich allerdings nicht. Mit ein paar Ganoven werde ich allein fertig. Wo sind Ihre Neffen ei gentlich?« Agatha Simpson blickte angestrengt aus dem Fenster und ver suchte vergeblich, einen von ihnen zu entdecken. Das gelang auch Parker nicht. »Sie haben sich versteckt, sind aber sofort zur Stelle, wenn ich da hineinblase«, erklärte Pickett und zeigte kurz eine kleine Tril 68
lerpfeife. Wenig später lenkte Parker sein hochbeiniges Monstrum um die Ecke. Sein Blick glitt an der Mauer entlang, die das Firmengelän de umspannte. Bereits nach wenigen Sekunden sichtete er, umrankt von Buschwerk, eine schmale Tür. Der Hintereingang. Der Butler stoppte sein Fahrzeug, half seiner fülligen Herrin beim Aussteigen und machte sich dann an der kleinen Tür zu schaffen. Er benutzte sein bewährtes Universalbesteck. Es han delte sich dabei um ein Sortiment an Propfen und flachen Stahl zungen, die an die Ausrüstung eines leidenschaftlichen Pfeifen rauchers erinnerten. Parker brauchte nur wenige Sekunden, um das einfache Schloß mit Hilfe seines Sesam-öffne-dich zu überreden, den Eingang frei zugeben. Millimeter für Millimeter drückte er die Tür auf. Es war nicht ausgeschlossen, daß jenseits der Mauer ein Wachtposten stand. »Nicht so zögerlich«, ließ sich plötzlich die resolute Dame ver nehmen, stieß die Tür vehement auf und betrat das Firmengelän de. Sie scherte sich wie gewöhnlich nicht um eine möglicherweise vorhandene Gefahr, sondern operierte ungeniert wie der berühm te Elefant im Porzellanladen. Josuah Parker folgte. Ohne eine Miene zu verziehen, sicherte er nach allen Seiten. Horace Pickett, der mittlerweile ebenfalls zur Stelle war, schloß sich dem skurrilen Paar aus Shepherd’s Market an. »Hier müßte man mal aufräumen«, fand Agatha Simpson, als sie zwischen Stapeln vergammelter Bretter, Sperrholz- und Preßspanplatten hindurchmarschierte. Sie orientierte sich dabei an den Dächern einiger Betriebsgebäude, die im Hintergrund über die Holzberge hinausragten, und einem in den Himmel streben den Industrieschornstein. Das Holz lagerte gewiß seit Jahren. Das ließen zumindest das Moos, das mehr als ausreichend angesetzt hatte, und das Gras, das wild emporwucherte, vermuten. Weit kam die Expedition allerdings nicht. Plötzlich trat nämlich zwischen den Stapeln ein Mann hervor und versperrte der unter nehmungslustigen Witwe, dem Butler und dem ehemaligen Eigen tumsumverteiler den Weg. Parker erkannte den Burschen sofort wieder. Er war einer von 69
Myladys nächtlichen Gästen, die sich als Postler verkleidet hatten. Er trug nun Jeans, ein kariertes Hemd und darüber eine Lederja cke. In den Händen hielt er eine beeindruckende Flinte. »Wen haben wir denn da?« höhnte er und zwinkerte Lady Agat ha zu. »So sieht man sich also wieder.« »Unterlassen Sie gefälligst diese plumpen Vertraulichkeiten, junger Mann! Ich bin eine ehrbare Dame«, reagierte die passio nierte Detektivin äußerst sensibel. »Keine Angst, ich geh dir nicht an die Wäsche. Werd mich hü ten.« Der Flintenmann verzog das Gesicht. »Und jetzt vorwärts! Ich bring euch zum Boß. In eurer Haut möcht ich nicht stecken. Schnüffler kann der Boß nämlich nicht leiden.« Sekunden später änderte er schlagartig seinen Plan. Allerdings nicht ganz freiwillig. Parker überredete ihn nachhaltig dazu. Der Butler handelte reflexartig und schickte seinen stahlblechver stärkten Bowler auf die Flugreise. Die Kopfbedeckung touchierte den Mann oberhalb der Nasen wurzel und sorgte umgehend für totalen Sendeausfall bei dem Getroffenen. Wie ein Taschenmesser klappte der Kerl zusammen, begab sich in die Horizontale und legte sich schlafen. »Das hat er nun davon«, fand Lady Agatha, während der Butler den zur Strecke Gebrachten mit Picketts Hilfe hinter einen Holz stapel zerrte und mit Einwegfesseln an Händen und Füßen be dachte. Danach setzte die kleine Gruppe ihren Weg fort. »Gehen Sie voran, Mister Parker«, verlangte Lady Agatha, die die Orientierung verloren hatte. »Ich will mal sehen, ob Sie sich zurechtfinden.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, war der Butler bereit und übernahm die Führung. Jeden Moment rechnete er damit, erneut auf einen Ganoven zu treffen. Er ging davon aus, daß noch mehr Wachtposten auf dem Gelände patroullierten, um es vor unliebsamen Überraschungen zu schützen. Vorsichtig schlich er durch schmale Stapelgassen, gefolgt von Lady Agatha und Pickett. Selbst die leidenschaftliche Detektivin bemühte sich, keine Geräusche zu verursachen. So näherte man sich zielsicher einem größeren Platz mit einigen Firmengebäuden. Schon waren diese Häuser gut sichtbar, als hin ter dem Butler und seinen Begleitern eine rauhe Stimme ertönte. 70
»Pfoten hoch, ihr Nullen!« Pickett, der die Nachhut bildete, reagierte geistesgegenwärtig. Wie von der Tarantel gestochen wirbelte er herum und registrier te in Sekundenbruchteilen einen kleiderschrankgroßen Kerl mit Pistole in Reichweite vor sich. Im nächsten Moment schlug er zu und verabreichte dem Burschen einen Kinnhaken erster Klasse. Damit hatte der Ganove nicht gerechnet. Er glaubte leichtes Spiel zu haben. Nun wurde er eines Besseren belehrt. Allein – die Erkenntnis kam zu spät. Zuerst fielen ihm die Augen fast aus dem Kopf, dann er selbst mit lustvollem Stöhnen zu Boden. Benommen blieb er liegen. Pi ckett wollte sein Werk mit einem zweiten Fausthieb beenden. Da fiel Lady Agatha ihm in den Arm. »Gönnen Sie mir auch eine Freude, Mister Pickett«, bat sie e benso freundlich wie nachdrücklich und setzte ihren Pompadour in Kreisbewegung. »Wenn Mylady sich noch einen Moment gedulden würden«, ließ der Butler verlauten. »Was ist denn, Mister Parker?« reagierte die passionierte Detek tivin unwirsch. »Man beabsichtigt, besagte Person um eine Auskunft zu bitten.« »Dann bitten Sie schnell, Mister Parker. Ich will zum Lunch wie der zu Hause sein.« »An welchem Ort findet man Mister Braster?« wollte Josuah Parker von dem Ganoven wissen. »Im… im Büro«, lautete die Antwort, die mehr in Trance als bei vollem Bewußtsein gegeben wurde. Der Butler bedankte sich höflich und ließ hernach seine Herrin gewähren. Die resolute Dame massierte die Nackenbeuge des Angeschlagenen mit ihrem perlenbestickten Pompadour und schenkte ihm unverzüglichen Tiefschlaf. Parker versorgte den Mann mit Plastikfesseln. »Mylady haben übrigens einen jener Herren unschädlich ge macht, die in der Nacht als verkleidete Postbeamte Einlaß, in My ladys Haus begehrten, aber nicht gewährt bekamen«, klärte der Butler seine Herrin auf. »Ich weiß, ich weiß«, behauptete Lady Agatha ungeniert. »Im Grund ist es kaum der Rede wert. Deshalb verliere ich kein Wort darüber.« 71
Das Büro konnte sich nur in der weißen Steinbaracke befinden, die etwas abseits der Fertigungshallen stand. Ein silbergrauer Mercedes der S-Klasse parkte davor. Vor den Produktionsgebäuden entdeckte das Trio vier LKWs. Nur einer trug auf seiner Plane die Beschriftung: BRASTER AG – Holzverarbeitung. Es war jener, der in der Nacht vor Lady Agat has Haus vorgefahren war. Die anderen drei waren die, deren Ankunft Pickett vor zwei Stunden beobachtet hatte und die ver mutlich Diebesgut transportierten. Fünf muskulöse Gestalten waren damit beschäftigt, einen der vier LKWs abzuladen. Sie schleppten Möbel, Fernseher, Stereoan lagen, Bilder und alles Mögliche, das nicht niet- und nagelfest war und zweifellos einigen Wert besaß, in die Produktionshallen, die vermutlich als Lager für heiße Ware fungierte. Die Holzstapel, in deren Schatten sich Parker, Mylady und Pi ckett verbargen, reichten bis dicht an die Bürobaracke heran, so daß es für das skurrile Paar und den Eigentumsumverteiler a.D. kein Problem war, sich ungesehen an das eingeschossige kleine Gebäude heranzupirschen. In unmittelbarer Nähe eines geöffne ten Fensters schmiegte man sich an die schmutzige Wand. Stim men drangen aus der Baracke. »Verdammt, Boß, ich glaube, wir haben die beiden Alten unter schätzt«, hörten die drei Lauscher an der Wand, jemanden sagen und wußten, wer gemeint war. »Dabei hätten wir gewarnt sein müssen. Ich meine, schließlich haben sie Burney hops genom men. Jetzt können wir uns ‘nen neuen Mann suchen, der uns die Unschuldslämmer vermittelt, die wir dann zur Schlachtbank füh ren.« Längst hatte Parker den Sprecher erkannt. Es war Tanner. »Das Problem ist für mich zweitrangig, Brunner«, ertönte eine zweite Stimme. Ein Reibeisenorgan, das Parker nicht fremd war. Genauso hatte der nächtliche Anrufer geklungen. »Diese Simpson und ihr Butler liegen mir momentan mehr im Magen. Ich glaube nämlich, die lassen nicht locker. Und wie’s der Teufel will, stehen die auf einmal hier auf der Matte.« Wenn er gewußt hätte, wie nahe er bereits der Realität war! »Obwohl uns niemand etwas kann. Keine Spur führt zu uns. Niemand ahnt, wer hinter den mysteriösen Hypnose-Verbrechen steckt. Unsere Tarnung ist perfekt. Es sei denn, du fabrizierst wieder so ‘nen verdammten Mist und läßt zu, daß unsere Leute 72
bei ‘ner krummen Aktion mit einem Firmenwagen durch die Ge gend gondeln. Wie gestern nacht, als Mordiconi die Simpson hyp notisieren sollte…« – »Verdammt, Braster. Dafür kann ich doch nichts, wenn die Jungs so dämlich sind. Außerdem war sonst kein Wagen da. Die anderen LKWs waren auf Tour.« »Schon gut, Brunner. Ging ja noch mal gut. Aber genau solche Kleinigkeiten können einen hinter Gitter bringen. Achte also das nächste Mal darauf.« »Okay, Boß. Aber was machen wir jetzt mit den beiden Alten? Verpassen wir ihnen noch mal ‘nen Denkzettel? Der letzte scheint sie ja nicht besonders beeindruckt zu haben, nachdem was du mir erzählt hast.« »Du hast, recht, Brunner. Das eine steht fest: locker lassen die beiden Schnüffler garantiert nicht. Wenn die Blut geleckt haben, sind die nicht mehr abzuschütteln. Hab’ mich mittlerweile ein we nig in der Szene umgehört. Man sagt, die zwei sind gefährlicher als die Bullen. Die haben noch jeden geschnappt, hinter dem sie her waren.« »Und jetzt sind sie hinter uns her. Mann, Boß, das sind ja schö ne Aussichten. Ich hätt’ gestern abend in den Docks ‘n bißchen höher zielen sollen. Dann hätten wir jetzt wenigstens ein Problem weniger.« »Und warum hast du’s nicht getan?« »Weil du gesagt hast, ich soll den alten Pinguin nur erschre cken. Und weil es gar nicht so einfach ist, jemanden umzunieten, wenn man’s noch nie getan hat. Einbruch ist das eine, Mord et was ganz anderes.« »Richtig, Brunner. Und deshalb müssen wir uns eine Lösung des Problems überlegen.« »Wie meinst du das, Boß?« »Ich meine, eine endgültige Lösung. Kapiert?« »Du… du willst die zwei…?« »Wir haben keine andere Wahl, Brunner. Okay, Mord war bis lang nicht unser Bier. Da haben wir uns immer herausgehalten. Mord macht die Bullen unheimlich scharf. Schärfer als Einbruch. Und wenn man erwischt wird, gibt’s kein Pardon. Aber jetzt… jetzt sind wir praktisch dazu gezwungen. Wir haben’s im Guten ver sucht. Kam nichts dabei raus. Also! Ich laß mir unser Geschäft mit der Hypnose jedenfalls nicht vermasseln von einer ausgeflipp ten Alten und ihrem Sklaven. Und schon gar nicht will ich in den 73
Bau wandern auf meine alten Tage. Ich will noch was haben vom Leben.« »Und wer… wer soll…?« »Wir engagieren einen Profikiller. Mordiconi kann ihn hypnoti sieren. Dann ist er eine willenlose Marionette, die tut, was wir ihm sagen. Und bezahlen müssen wir ihn auch nicht.« »Genial, Boß. So machen wir’s. Wenn die Alte und ihr Lakai aus dem Verkehr gezogen sind, geht’s mir gleich schon wieder bes ser. Dann leiern wir unser Geschäft wieder an und kassieren mächtig. Und keiner ist mehr da, der uns gefährlich wird.« »Bist ein heller Kopf, Brunner.« »Das hätten wir gleich so machen sollen, Boß.« »Stimmt, Brunner. Aber leider ist man immer erst hinterher schlauer. Na, noch ist nichts verloren.« »Da irren Sie sich aber gewaltig, junger Mann«, tönte im nächs ten Moment ein baritonal gefärbtes Organ durch den Raum. Lady Agatha Simpson, die passionierte Detektivin, hatte sich nicht länger zurückhalten können. Wie eine rachelüsterne Furie stand sie draußen vor dem Fenster, die Fäuste in die Hüften ge stemmt, und schaute mit unheilschwangerem Blick in das Büro hinein. Sie gewahrte zwei Männer, die sich in dem verdreckten, mit Sperrmüll eingerichteten Raum befanden. Parker, der sich neben seine Herrin gesellte und zur Begrüßung höflich die Kopfbedeckung lüftete, identifizierte den einen sofort als Mister Tanner. In dem anderen vermutete er Mike Braster. Er war Mitte Fünf zig, verfügte über graumeliertes Haar und buschige Augenbrauen. Er hatte ein Knautschgesicht, das irgendwie an einen Pekinesen erinnerte. Bekleidet war er mit einem vornehmen Tuchanzug. Die Ganoven lümmelten sich auf baufällig wirkenden Stühlen herum. Jetzt schraken sie zusammen wie unter einer kalten Dusche und schau ten einen Moment konsterniert zu Parker und Lady Agatha her über. »Das sind die beiden ja!« kreischte Tanner endlich. Gleichzeitig mit ihm sprang Braster von seinem Stuhl. Die Hän de der beiden Ganoven wischten unter die Aufschläge ihrer Ja cken. Nach was sie angelten, war Parker sofort klar. Aber er kam den Herrschaften zuvor. Längst hielt er in der be handschuhten Rechten ein walnußgroßes Gebilde aus Plastik. Es 74
glich einem perforierten Golfball und beherbergte einen dünn wandigen Glaskörper mit einer wasserklaren Flüssigkeit, die sich in Verbindung mit Sauerstoff in ein Betäubungsgemisch verwan delte. So wie im Augenblick, nachdem Parker die Kapsel Tanner und Braster genau vor die Füße geschleudert hatte und der Glaskör per zerbrochen war. Die Reaktion war verblüffend. Tanner und Braster ließen umge hend ihre Mordinstrumente fallen. Im nächsten Moment brachen sie dann zusammen. Da wurde die Tür aufgestoßen. Die fünf zwielichtigen Gestalten, von Parker, Agatha Simpson und Pickett eben noch beim Entladen des LKWs beobachtet worden, traten über die Schwelle. »Alles erledigt, Boß. Schätze, das war ‘n guter Fischzug heut nacht«, meldete einer. Im nächsten Augenblick registrierten sie die am Boden liegen den Männer und schauten ziemlich dämlich drein. Dann entdeck ten sie Lady Agatha und Parker, die einige Schritte vom Fenster getreten waren, um nicht in den Wirkungsbereich der Betäubung zu geraten. Sofort läuteten bei den Kerlen sämtliche Alarmglocken. Sie langten unversehens unter die Aufschläge ihrer Jacken, konnten jedoch nicht mehr ausrichten als Tanner alias Brunner und Mike Braster. Das Betäubungsgemisch schwirrte immer noch durch den Raum und stürzte sich genußvoll auf neue Opfer. Von einer Sekunde zur anderen wurde den Ganoven schummrig vor Augen. Einer, der wohl den labilsten Kreislauf hatte, meldete sich sofort ab, um ein Nickerchen zu halten. Zwei torkelten zum geöffneten Fenster, um sich ins Freie zu retten. Die anderen bei den flüchteten zur Tür hinaus. »Sehr schön, meine Herren«, sagte Lady Agatha zu den Män nern am Fenster, benützte ihren wohlgefüllten Pompadour und landete zwei Volltreffer. Inzwischen umrundete Parker die Baracke und erreichte die Eingangstür, durch die just in dem Moment die beiden Ganoven torkelten. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes beförderte der Butler die Möchtegern-Flüchtlinge ins Reich der Träume. Minuten später hatte sich das Betäubungsgemisch verflüchtigt. 75
Parker, Lady Agatha und Pickett konnten ungefährdet das Büro betreten. Zufrieden sah die passionierte Detektivin auf Braster und Tanner hinab. »Ich werde ein verschärftes Verhör durchführen«, entschied die passionierte Detektivin. »Ich möchte gern mal etwas Neues aus probieren. Wir sind hier doch in einem Sägewerk. Da gibt es si cher Möglichkeiten! Mister Parker, geben Sie mir vorher aber noch einen Kreislaufbeschleuniger. Den habe ich jetzt dringend nötig.« Parker bediente seine Herrin aus dem silbernziselierten Flach mann, den er stets bei sich trug. Er unterrichtete die passionierte Detektivin dabei über das weitere Vorgehen. Wenig später schlich der Butler über das Gelände. Er war nicht ganz sicher, ob nicht einige Ganoven mehr unterwegs waren. Da hieß es, vorsichtig sein. Endlich drang er in eine Werkshalle ein und fand auf Anhieb, was er suchte. Umgehend kehrte er zu Lady Agatha in die Büro baracke zurück. In der Zwischenzeit hatte Pickett Tanner, Braster und die anderen Gangster gefesselt. * Nacktes Grauen befiel Braster, als er wieder die Besinnung er langte und kapierte, in welch mißlicher Lage er war. Zunächst stellte er fest, daß er verschnürt wie ein Rollbraten war und auf einem Förderband, das früher mal dem Transport von Baumstämmen diente, lag. Nur zu gut wußte er, wo dieses Band hinführte, nämlich zu einer riesigen Säge, mit deren Hilfe die Stämme zurechtgeschnitten wurden. Rechts von ihm stand das skurrile Paar aus Shepherd’s Market. Pickett war mit seinen Neffen auf dem Gelände unterwegs, um eventuell weitere Gangster schachmatt zu setzen. Aber das wußte Braster nicht, hätte ihn momentan auch wenig interessiert. Lady Agatha stand vor einem Schaltpult und begutachtete inte ressiert die vielen Knöpfe. »Geht man recht in der Annahme, daß man die Ehre mit Mister Mike Braster hat?« vergewisserte sich Josuah Parker. »Richtig«, lautete die patzige Antwort. »Und was wollen Sie? Was soll der Zauber? Sind Sie denn verrückt? Binden Sie mich 76
sofort los! Wer sind Sie überhaupt?« »Mister Tanner übernahm es bereits vor wenigen Minuten, My lady und meine bescheidene Wenigkeit vorzustellen. Ihre Reakti on darauf war eine merkwürdige, wie Sie zugeben müssen.« »Na und? Wenn Sie auch aufkreuzen wie Kastenteufel! Da soll man mal nicht die Nerven verlieren«, rechtfertigte sich Braster. »Papperlapapp, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha. »Machen Sie mir nichts vor. Sie sind der Hypotenuse-Mann!« »Mylady belieben, den sogenannten Hypnoman zu meinen«, korrigierte der Butler dezent. »Das sagte ich doch. Sie brauchen mich nicht immer zu wieder holen, Mister Parker«, monierte die ältere Dame. »Beweisen Sie erst mal Ihre unverschämte Behauptung«, kon terte Braster. »Sie können mir gar nichts. Außerdem bin ich nicht der Hypnoman.« »Möglicherweise allerdings sein Vorgesetzter«, vermutete Par ker. »Geht man diesbezüglich recht in der Annahme?« »Ich sage nichts mehr«, schaltete Braster auf stur. »Sehr schön«, freute sich Lady Agatha. »Sträuben Sie sich ru hig, junger Mann. Dann kann ich wenigstens einen Zaubertrick ausprobieren, den ich schon oft gesehen habe. Er heißt… ähm… Mister Parker, wie heißt der Trick?« »Mylady belieben, die sogenannte »Zersägte Jungfrau« zu mei nen«, durchschaute der Butler die Gedanken seiner Herrin. »Stimmt, »Die zersägte Jungfrau«. Bei Ihnen hapert es zwar mit der Jungfrau, lieber Mister Laster, aber das Zersägen kriege ich schon hin. Die Frage ist nur, ob ich die zwei Hälften, in die ich Sie schneiden werde, nachher wieder zusammenbekomme. Aber dieses Risiko müssen wir eingehen. Schließlich mache ich das zum erstenmal, und es ist noch kein Meister vom Himmel gefal len.« Die energische Dame drückte auf einen roten Knopf am Armatu renbrett der Säge. Unverzüglich wurde ein Motor in Gang gesetzt und das Förderband, auf dem Braster lag, bewegte sich. Der Gangster brüllte wie am Spieß. »Mylady bedenken, daß man Mister Braster noch zur Beantwor tung gewisser Fragen benötigt«, erinnerte Parker in Anbetracht des herrschenden Lärmes ungewohnt lautstark. »Natürlich. Ich wollte nur überprüfen, ob alles funktioniert«, behauptete Lady Agatha und drückte erneut auf den roten Knopf. 77
Sofort stand das Band. Nur wenige Yards trennten Brasters Kopf noch von der Säge. Der Firmenbesitzer und Hehler war leichenblaß um die Nase. In diesem Moment stürmte Horace Pickett in die Halle. »Allmächtiger! Was ist denn hier los? Das hörte sich ja geradezu höllisch an«, rief er. »Mylady geruhen, neue Verhörmethoden zu kreieren«, infor mierte der Butler den Eigentumsumverteiler a.D. »Dacht ich’s mir doch. Übrigens: Wir haben noch zwei Ganoven geschnappt. Die haben im hinteren Teil des Geländes patrouilliert. Jetzt ist der Stall sozusagen ausgemistet«, berichtete Pickett. »Sehr schön, mein Lieber«, lobte Lady Agatha. »Zum Dank dür fen Sie hier bleiben und mir bei der Arbeit zusehen. Sie können nur lernen dabei.« »Dafür ist man nie zu alt«, entgegnete Pickett philosophisch. »Heraus mit der Sprache, junger Mann!« wandte sich die reso lute Dame wieder an Braster. »Oder es gibt bald zwei von Ihrer Sorte, obwohl das eigentlich kaum zu ertragen wäre.« »Ich sage alles! Alles!« schrie Braster verzweifelt. * »Eigentlich hat der Hypotenuse-Mann es doch gar nicht mehr nötig, seinen Lebensunterhalt als Attraktion auf Kaffeefahrten zu verdienen, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Mittlerweile dürfte er sich genug Geld ergaunert haben, um unbesorgt leben zu kön nen.« »Dies trifft in der Tat zu, Mylady«, bestätigte der Butler. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und lenkte das Ge fährt in Richtung südliche Peripherie. Pickett war mit seinen Leuten im Sägewerk zurückgeblieben, um die zur Strecke gebrachten Ganoven bis zum Eintreffen der Polizei zu bewachen. »Andererseits dürfte Mister Hypnoman um seine Tarnung bemüht sein. Eine zu abrupte Änderung seines Lebensstils würde Aufsehen erregen und möglicherweise Anlaß zu gewissen Rückschlüssen geben. Wie Mister Braster erzählte, ist dem Hypnoman daran gelegen, sich nach und nach aus seinem Metier zurückzuziehen, sich anschließend in ein südliches Land, etwa Brasilien, abzusetzen und dort seinen sogenannten Lebens 78
abend zu genießen.« Parker steuerte seinen Privatwagen auf den großen Parkplatz einer Gaststätte. Zwei Busse standen hier und einige PKW. Der Butler half seiner Herrin beim Aussteigen. Beim Betreten der Lokalität registrierte er neben dem Eingang ein Plakat, auf dem das Bild eines Mannes im Smoking und Cape zu sehen war. Auf dem Kopf trug die Gestalt einen ebenfalls besternten Zylin der. »Der große Mordiconi«, stand in verzierter Schrift über dem Bild. Die Gaststätte an sich war so gut wie leer. Nur der Wirt, der hinter dem Tresen stand und Gläser spülte, war anwesend. Parker brachte sein Begehren vor. »Zum großen Mordiconi? Der hat gerade seinen Auftritt. Hinten im großen Veranstaltungssaal«, erteilte der dickliche Mann mit der Halbglatze Auskunft. »Gehören Sie zum Seniorenclub?« »In der Tat«, kam der Butler rasch seiner Herrin, die sich empö ren wollte, zuvor. »Man hat leider den Bus versäumt und ließ sich mit einem Taxi herbringen.« »Dann kommen Sie mal mit.« Der Wirt führte das skurrile Paar aus Shepherd’s Market quer durch den Gastraum zu einer Tür, die er öffnete. Sofort wurde der Blick in einen großen, schmucklosen Saal frei. Hier hatten be quem hundert Leute Platz. Und so viele waren auch anwesend. Alles Herrschaften gesetzten Alters. Man befand sich auf einer sogenannten Kaffeefahrt, zu der eine Firma eingeladen hatte. Mit Hilfe eines begabten Agitators und einer mittelmäßigen Unterhal tungsshow wollte man die Leute dazu motivieren, die Produkte des Hauses zu kaufen. Diesmal Damen und Herren, die man re spektvoll als Senioren bezeichnen konnte. »Suchen Sie sich einen Platz«, regte der Wirt an und zog sich wieder zurück. Butler Parker und Lady Agatha fanden zwei leere Stühle und lie ßen sich nieder. Ihre Aufmerksamkeit galt umgehend dem Ge schehen auf einer Bühne an der Stirnseite des Saales. Dort agierte gerade jener Herr, der draußen auf dem Plakat ab gebildet war und in der vergangenen Nacht Lady Agatha in Shepherd’s Market einen Besuch abgestattet hatte. Er war damit beschäftigt, einige Kaninchen aus seinem Zylinder, den er auf eine Ablage gestellt hatte, zu ziehen. Danach präsentierte er eini 79
ge Kartentricks und kündigte schließlich den Höhepunkt der Ver anstaltung an. »Ich präsentiere Ihnen nun eine echte Sensation«, sagte er großspurig. »Ich werde jemanden aus Ihrer Mitte Unglaubliches tun lassen. Etwas, das keiner, ja das er sich noch nicht mal selbst zutrauen würde. Es wird möglich durch Hypnose.« Mit blumigen Worten weckte er geschickt die Neugier der Zu schauer. »Wer stellt sich zur Verfügung? Wer ist mutig?« fragte er, nach dem er mit seinen Ausführungen am Ende war. »Ich!« rief Lady Agatha mit ihrem baritonal gefärbten Organ, durchmaß unter den verwunderten Blicken der Anwesenden den Raum und enterte die Bühne. Parker folgte gemessen und würdevoll, blieb jedoch am Aufgang zum Podest stehen. Er war gespannte Aufmerksamkeit und jeder zeit bereit einzugreifen. Im Gesicht des großen Mordiconi zuckte es leicht, als Lady A gatha sich vor ihn stellte. Parker konnte sich denken, was hinter der Stirn des Zauberers vorging. Natürlich hatte er die resolute Dame sofort erkannt. Und nun überlegte er zweifelsohne, ob auch sie ihn erkannte. Oder war es Zufall, daß sie anwesend war und sich nun meldete? Eigentlich konnte sie ihn gar nicht erkennen, wenn seine Hyp nose gewirkt hatte. Aber hatte sie das wirklich? Heute in aller Frühe hatte Braster ihn angerufen und ihm von seinem Telefonat mit Josuah Parker erzählt. Ureter anderem auch, daß der Butler behauptet hatte, die Hypnose hätte bei Lady Agatha nicht gewirkt. War das nun ein Bluff? Bisher war Mordiconi davon ausgegan gen. Aber jetzt, von Angesicht zu Angesicht mit Agatha Simpson, zweifelte er. Wie auch immer. Nun hieß es, Nerven behalten. »Sehr schön, Verehrteste«, sagte er. »Sie haben Mut. Und Sie werden sehen, es geschieht Ihnen nichts Böses. Ich werde Sie in einen entspannenden Tiefschlaf versetzen.« »Das ist kein Problem. Das kann ich auch«, behauptete Agatha Simpson. Sprach’s und aktivierte ihren perlenbestickten Pompa dour. Der nach außen hin zierlich wirkende Handbeutel stieg in die Höhe, verharrte dort einen Moment und stieß dann wie ein Adler auf Mordiconi hinab. Aus dem Zylinder, den der Zauberer trug, 80
wurde rasch ein ziehharmonikaähnliches Gebilde. Dem Hypnoman fielen fast die Augen aus dem Kopf. Dann grinste er dümmlich und legte sich mit lustvollem Seufzen bäuch lings schlafen. Lady Agatha wandte sich dem staunenden Publikum zu und verneigte sich beifallheischend. »Eigentlich tut er mir leid, dieser große Morphium«, fand Lady Agatha drei Stunden später. Sie war wieder zu Hause und genoß ein opulentes Dinner, das Parker ihr aufgetischt hatte. Auch McWarden war anwesend. Doch diesmal zeigte sich die passionierte Detektivin großzügig und ließ den Yard-Mann mit speisen. Sozusagen zur Feier des Tages. »Wieso, Mylady?« wollte der Chief-Superintendent wissen. »Sie haben Mitleid mit einem Verbrecher?« »Das war er ja nicht immer«, erwiderte die tafelnde Lady. »Frü her war er ein anständiger Kerl und ist jahrzehntelang als Zaube rer über Land getingelt. Immer hat er gehofft, irgendwann ganz groß herauszukommen, wie er mir erzählte, nachdem ich ihn dingfest gemacht hatte und über eine Stunde auf die Polizei war ten mußte.« McWarden nahm den Rüffel gelassen hin. Der Fall war erledigt. Und der Chief-Superintendent hatte beschlossen, sich vorerst nicht mehr aufzuregen. »Aber er hat es nie geschafft, ist immer ein kleines Licht geblie ben«, fuhr Lady Agatha fort. »Bis ins hohe Alter. Wahrscheinlich hat man ihn falsch gemanagt. Hätte er sich mit dieser Aufgabe an mich gewandt, wäre er kometenhaft in den Show-Himmel aufge stiegen. Ähm… tja… wo war ich…? Ach, Mister Parker, bitte über nehmen Sie meine Rede. Ich habe ja zu tun.« Damit konzentrierte sie sich hingebungsvoll auf den Kalbsrücken mit Champignonköpfen und Sahnesauce. »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Der Butler verneigte sich andeutungsweise. »In der Tat mangelte es bei Mister Mordiconi stets am optimalen Management. Mister Mordiconi war diesbe züglich auf sich selbst angewiesen, leider aber kein erfolgreicher Geschäftsmann. Es gelang ihm nie, die richtigen Kontakte zu knüpfen, obgleich er als Magier nicht unbedingt zur letzten Garni tur gehörte. Allerdings verstand er es nie, seine Fähigkeiten ins Rampenlicht zu rücken. Überdies versäumte er es, seine Alters versorgung zu sichern. Seine Honorare waren bedauerlicherweise 81
nie üppig. So sah sich Mister Mordiconi, als er in die sogenannten Jahre kam, in der Situation, mit relativ bescheidenen Mitteln ü berleben zu müssen. Nur durch Auftritte auf Parties und in frag würdigen Etablissements hielt er sich, mit Verlaub, über Wasser.« »Und er hat nie daran gedacht, sich auf kriminelle Art Geld zu besorgen«, fügte McWarden an. Er hatte kurz Gelegenheit ge habt, Mordiconi zu verhören und wußte deshalb einiges. Außer dem hatte er sich schon Mike Braster und Tanner vorgenommen und war deshalb über die Hintergründe informiert. Sein Besuch bei Mylady erfüllte eigentlich nur den Zweck, sich zu bedanken und ein gemeinsames Resümee zu ziehen. »Erst durch den Kontakt mit Mike Braster geriet er auf die schiefe Bahn.« »In der Tat. Mister Braster hatte Mister Mordiconi in einer frag würdigen Gaststätte in Soho gesehen. Besonders faszinierte ihn Mister Mordiconies Hypnosenummer«, setzte der Butler seine Re de fort. »Mister Braster war äußerst angetan von der Vorstellung, Menschen dazu zu bewegen, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht taten. Er überlegte, wie er dies für seine Zwecke verwenden konnte und kam letztlich auf die Idee, unschuldige Bürger unter Hypnose für sich arbeiten zu lassen. Und zwar als Geldräuber. Es fiel ihm sicher nicht schwer, Mister Mordiconi zu überreden. Der Traum vom großen Geld war Motivation genug, sich an kriminel len Machenschaften zu beteiligen. Es stellte sich in diesem Fall nur das Problem, geeignete Opfer zu rekrutieren. Mister Braster bevorzugte hier sogenannte unbeschriebene Blätter, die bei wei tem nicht so verräterisch sind wie beschriebene. So griff er auf kriminell nicht vorbelastete Staatsbürger zurück, die aber grund sätzlich gewisse Bereitschaften mitbrachten.« »Weil man nämlich in Hypnose auch nur die Dinge tut, zu denen man sonst bereit ist«, zeigte McWarden, daß er im Bilde war. »Braster ist ein findiger Kopf. Er wußte, wo er solche Leute her bekam. Nämlich von einem Geldhai, der in seiner Kartei genug Verzweifelte führte, von denen der eine oder andere den heimli chen Wunsch hegte, sich das erforderliche Geld auf illegale Weise zu beschaffen. Die Leute taten es dann doch nicht, weil letztlich die Vernunft und die Moral stärker waren als die verwerflichen Gedanken. Aber die grundsätzliche Bereitschaft war bei ihnen vorhanden. Und das war das Ausschlaggebende.« »Also wandte sich Mister Braster an Mister Burney, der in der 82
Branche einen zweifelhaften Ruf als Geldhai, Hehler und Drogen händler genießt«, fuhr Josuah Parker fort. »Da Mister Burney Mis ter Braster kannte, trat der zuletzt Genannte nicht persönlich bei Mister Burney in Erscheinung, sondern setzte Mister Tanner…« »… der übrigens richtig Charles Brunner heißt«, flocht McWar den ein. »… als Mittelsmann ein. Außerdem gedachte Mister Braster, sich im Hintergrund zu halten, um relativ ungefährdet vor Enttarnung die Fäden ziehen zu können.« »Das Ganze lief dann so ab: Burney lud die Auserwählten mit einem besonders verlockenden Kreditangebot in sein Büro. Die Leute kamen natürlich, weil sie sich neue Hoffnung machten, und wurden in Burneys Büro mit Mordiconi konfrontiert«, schilderte der Yard-Gewaltige plastisch das Vorgehen der Gangster. »Mordi coni hypnotisierte die Leute und suggerierte ihnen, was sie tun sollten. Das einzige Risiko, das Braster und seine Helfershelfer dabei eingingen, war, daß die Hypnose nicht funktionierte. Aber selbst dann konnte ihnen nichts passieren. Die Opfer waren näm lich hypnotisch so eingestellt, daß sie auch beim Scheitern der Aktion sich an nichts erinnerten.« »Das geht?« staunte Lady Agatha. »Und wie?« »Mister Mordiconi bevorzugte die sogenannte Posthypnose«, führte der Butler näher aus. »Aha, also doch die Post«, monierte die passionierte Detektivin sofort. »Wußte ich’s doch, daß die da irgendwie mit drinhängt. Ich werde diesbezüglich beim Postminister vorsprechen und ihm die Augen darüber öffnen, was seine Leute so treiben.« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, als Mylady zu widersprechen«, ließ der Butler verlauten, während McWarden nur mit Mühe ein Lachen zurückhielt. »Jedoch möchte man zu bedenken geben, daß die Posthypnose in keinerlei Zusammen hang mit dem britischen Zustelldienst steht. Es handelt sich hier bei lediglich um eine Hypnosetechnik. Dadurch kann man einen Menschen suggestiv beauftragen, nach dem Aufwachen oder zu einem späteren Zeitpunkt etwas Bestimmtes zu tun.« »Stellen Sie sich das wie bei einer Zeitbombe vor, Mylady, bei der man den Zünder programmiert und der dann im gegebenen Moment explodiert«, erklärte der Chief-Superintendent. »Aha. Sehr interessant, diese Hypotenuse«, fand die majestäti sche Dame. »Ich glaube, ich werde mich an ihr versuchen. Sie 83
eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten in der Verbrechensbekämp fung. Ich werde in Zukunft die Lümmel hypotenusieren und dann problemlos Geständnisse bekommen. Ich beginne gleich mit dem Üben. Mister Parker, Sie stellen sich bitte als freiwilliges Ver suchsobjekt zur Verfügung. Bevor ich das Experiment starte, wüßte ich allerdings noch gern von Mister McWarden, wo das Geld aus den Raubüberfällen geblieben ist. Haben Sie es gefunden, oder muß ich das für Sie noch erledigen?« »Wir haben es gefunden«, antwortete der Chief-Superintendent genervt. »Braster hatte es in seiner fingierten Firma deponiert. In einem eigens dafür angeschafften Geldschrank, den er in der hin tersten Ecke der Produktionshalle, die auch als Lager für heiße Ware diente, versteckt hatte.« »Dann haben die unschuldigen Räuber es bei ihm abgeliefert?« vermutete die passionierte Detektivin. »Kann man so sagen«, stimmte McWarden zu. »Nach dem Ü berfall fuhren die Räuber zu einem ihnen vorher einsuggerierten Ort und gaben Beute und Waffen, mit denen man sie vor dem Überfall ausgestattet hatte, an Tanner weiter, der sie dort erwar tete.« »Sagen Sie, was wird denn nun aus den armen Leuten, die Mis ter Laster für seine verwerflichen Zwecke mißbraucht hat? Sie werden sie doch hoffentlich nicht einsperren?« »Nein. Schließlich sind sie für ihr Handeln nicht verantwortlich. Wir werden sie so bald wie möglich auf freien Fuß setzen.« »Sehr schön. Damit ist der Fall gelöst. Ich bin zufrieden. Das habe ich wieder mal gut gemacht. Und nun zu meinem kleinen Experiment. Mister Parker, kom men Sie bitte und sehen Sie mir tief in die Augen. Ich werde Sie hypotenusieren«, verkündete die ältere Dame. Der Butler, der schon gehofft hatte, seine Herrin hätte ihr Vor haben vergessen, fügte sich in sein Schicksal. »Sie sind müde«, begann Lady Agatha mit ungewöhnlich leiser Stimme. »Sehr, sehr müde. Ihre Augenlider werden schwer… s… sehr… seh… schwe… schwer…« Agatha Simpsons Stimme wurde schleppend. Langsam senkten sich ihre Augenlider. Und dann, von einem Moment zum anderen, sackte die füllige Dame auf ihrem Stuhl zusammen und schnarch te. »Sehr beeindruckend«, stellte McWarden lächelnd fest. »Man 84
muß sagen, vom Hypnotisieren versteht sie wirklich etwas.« »In der Tat«, stimmte Parker zu. »Mylady scheint sich allerdings mehr auf Selbsthypnose spezialisiert zu haben.« Ohne eine Miene zu verziehen, besorgte er ein Kissen und stei gerte die Bequemlichkeit seiner Herrin.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 575 Edmund Diedrichs
PARKER kauft sich den Top-Verkäufer Lady Agatha ist scharf auf Sonderangebote. Dabei gerät sie mit Butler Parker in eine seltsame Situation. Zwei »Verkaufsförde rer«, Vertreter des Großhandels, machen dem Manager eines Su permarktes schlagkräftig klar, daß er künftig bei ihnen zu bestel len habe. Das skurrile Paar ruft die Schläger zur Ordnung und sorgt dafür, daß sie von der Polizei arretiert werden. Zwei Be zirksleiter der dubiosen Firma bringen später einen Präsentkorb und sprechen von einem Mißverständnis. Dieselben Herren tau chen im Büro eines Chefeinkäufers auf und werden von Parker und Mylady nach Shepherd’s Market eingeladen. Die Spur führt zu einer kriminellen Organisation. Deren Londoner Chef verlangt in einem Restaurant die Liquidation, woraufhin Fische und Pizzas fliegen… Ein neuer BUTLER PARKER-Krimi von Edmund Diedrichs! Span nung und Humor!
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