PARKER klopft im Jenseits an Günter Dönges »Sie können mich mal am Abend besuchen«, sagte der junge, hoffnungsvolle Man...
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PARKER klopft im Jenseits an Günter Dönges »Sie können mich mal am Abend besuchen«, sagte der junge, hoffnungsvolle Mann und bearbeitete mit Hingabe seinen Kaugummi. »Sie können es aber auch sein lassen.« Seine freundliche Aufforderung umschrieb eine handfeste Beleidigung, die eindeutig gemeint war. Der junge Mann grinste und lümmelte sich im Sessel herum. Er schien völlig vergessen zu haben, daß er immerhin einem Professor für Physik gegenübersaß. Er schien weiterhin vergessen zu haben, daß er sich vor einigen Wochen um die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten beworben hatte. Die Hauptpersonen: Butler Parker und Mike Rander – suchen und finden das »Jenseits«. Steve Clayton – ein CIA-Agent, der nicht mehr durchblickt. Lana Valance – eine Badenixe, die gern Haut zeigt. Lonsdale – sorgt für dubiose Kontakte. Der Professor war verständlicherweise leicht beeindruckt und schockiert. Er dachte nicht im Traum daran, das Angebot des jungen Mannes auch nur in Erwägung zu ziehen. Sein freundliches Gesicht mit der randlosen Brille erstarrte. »Ich denke, daß unsere Unterhaltung beendet ist«, sagte er und stand abrupt von seinem Schreibtisch auf. Der Professor ging zur Tür seines Büros und öffnete sie. Er sah den jungen Mann auffordernd an. Der Besucher grinste freundlich, schlenderte lässig an dem Gelehrten vorbei und verließ den Raum. Als der Professor zurück zu seinem Schreibtisch gehen wollte, um sich eine entsprechende Aktennotiz zu machen, hörte er aus dem Vorzimmer einen spitzen Aufschrei. Sekunden später stürmte seine Sekretärin ins Büro. Ihr Gesicht erinnerte an das eines leicht beleidigten Pferdes und war glutrot. 2
»Also, das ist unerhört«, stammelt sie aufgebracht. »Ihr Besucher, Professor, hat mich gekniffen.« »Wie…?« Der Gelehrte schluckte. »Mit den Fingern natürlich«, erwiderte die Vorzimmerdame empört. Sie hatte mißverstanden. »Er hat mich gekniffen, als hätte er es mit einem Straßenmädchen zu tun.« »Sind Sie sicher?« wollte der Professor irritiert wissen. »Ich spür’s ja jetzt noch«, sagte das beleidigte Pferdegesicht und griff automatisch nach der rechten Gesäßhälfte, »ich bestehe darauf, daß Sie…« »Geben Sie mir eine Verbindung mit dem Dekan«, sagte der Professor. »Draußen ist ein zweiter Bewerber«, meldete die Dame mit dem Pferdegesicht. »Gut, ich lasse bitten! Das Gespräch dann später.« »Und was ist mit dem… Kneifen?« wollte die Vorzimmerdame wissen. »Darüber unterhalten wir uns ebenfalls später… Ja, bitte?« Während der Professor noch sprach, betrat ein etwa dreißigjähriger Mann sein Büro. Er war mittelgroß, schlank und hatte ein hageres, asketisch aussehendes Gesicht. »Professor Haines?« »Der bin ich… Und Sie?« »Ich bin Earl Sturdess… Aber das ist unwichtig. Sagen Sie mal, Alterchen, wie lange soll ich eigentlich noch warten?« Die Vorzimmerdame schluckte jetzt im Gleichklang mit ihrem Professor. In diesen Räumen war man solch eine Tonart nicht gewöhnt. Professor Haines war immerhin eine Kapazität, die man voll respektierte. »Sie sind Earl Sturdess? Sie haben sich für den Posten als wissenschaftlicher Assistent beworben?« Der Professor wollte es nicht glauben. »Beworben schon, aber das muß ich in einem Anfall geistiger Umnachtung getan haben. Ich muß total verrückt gewesen sein, Alterchen. Stecken Sie sich diesen miesen Job an den Hut und sehen Sie zu, wo Sie einen Bekloppten herkriegen, der sich noch abrackern will.« »Mister Sturdess!« empörte sich die Vorzimmerdame und schnappte nach Luft. »Na, Sie spätes Mädchen!« Earl Sturdess grinste die Sekretärin 3
sehr vergnügt an, »kein Mann bekommen, wie? Frustriert? Sie sollten mal etwas für Ihr unterentwickeltes Sinnenleben tun. Sie werden sich wundern, wie sehr Sie dann aufblühen. Die Hormone müssen kreisen.« Die Vorzimmerdame entschloß sich abrupt, erst mal in eine leichte Ohnmacht zu fallen. Professor Haines lockerte die Krawatte und fragte sich verzweifelt, wer ihm wohl etwas in den Morgenkaffee getan hatte. »Jetzt ist sie aus den Latschen gekippt«, freute sich Earl Sturdess, als die Vorzimmerdame zu Boden ging, »und Sie, Professor, müßten was für ihren Blutdruck tun! Was die Stelle anbetrifft, so können Sie meine Bewerbung streichen. Ich werd’ das Leben genießen und ordentlich auf den Putz hauen.« Earl Sturdess stieg über die Vorzimmerdame hinweg und schlenderte pfeifend aus dem Büro des Professors. Der Physiker ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen und spielte mit dem Gedanken, einen befreundeten Psychiater aufzusuchen. Er fühlte sich nicht ganz wohl. * »Bemerkenswert«, sagte Josuah Parker, als sein junger Herr ihn amüsiert-fragend musterte. Parker und Rander hatten die Szene mitverfolgen können. Von einem Nebenraum aus hatten sie durch einen präparierten Spiegel alles gesehen. »Bemerkenswert? Das ist ein Phänomen«, behauptete Steve Clayton von der CIA. Clayton war ein schlanker Mann von etwa vierzig Jahren mit einem Durchschnittsgesicht, was in seinem Beruf sicher einen Pluspunkt darstellte. »Bisher haben Sie die Katze noch nicht aus dem Sack gelassen«, meinte Anwalt Rander, »wie wäre es, Clayton, wenn Sie uns mal ein kleines Licht aufstecken würden?« Die drei Männer verließen den Nebenraum, gingen hinaus in den langen Korridor und fuhren dann mit dem Lift hinauf in die Mensa der Universität, die um diese Zeit erfreulich leer war. Sie setzten sich auf die Dachterrasse und bestellten die obligaten Drinks. Als serviert worden war, kam Clayton zur Sache. »Sie kennen die Vorgeschichte«, sagte er, »Haines sucht für sein Institut wissenschaftliche Assistenten… Die Stelle wurde in 4
einschlägigen Fachzeitschriften ausgeschrieben, und es meldeten sich, ganz wie erwartet, eine Menge Bewerber. Es ist schon was, im Institut für Plasmaforschung arbeiten zu dürfen. Und jetzt kommt das Verrückte an der Sache. Haines examinierte bisher drei Bewerber, und alle diese Kandidaten benahmen sich so wie die beiden Burschen, die Sie eben gesehen haben.« »Eine Verschwörung kann man wohl ausschließen, wie? Ich meine, eine Verschwörung gegen Haines, weil er vielleicht unbeliebt ist?« »Kommt nicht in Betracht, Rander«, sagte Clayton und schüttelte den Kopf, »Haines ist als Vorgesetzter beliebt… Aber zurück zur Sache! Nach den ersten Pannen dieser Art verständigte uns der Dekan der Universität. Erfreulicherweise, wie ich sagen möchte…« »Was vermutet man denn bei der CIA?« »Wir hängen in der Luft, Rander. Wir wissen absolut nicht, was wir von der Sache halten sollen. Sie müssen sich vorstellen, daß alle bisherigen Bewerber erstklassiger wissenschaftlicher Nachwuchs ist. Leute mit Köpfchen und einem Intelligenzquotienten, vor dem man nur den Hut ziehen kann. Ich betone noch mal, sehr ernsthafte junge Wissenschaftler, die die besten Beurteilungen haben.« »Darf ich mir erlauben, eine Frage zu stellen?« meldete der Butler sich gemessen zu Wort. »Natürlich. Haben Sie irgendeine Idee, Parker?« Clayton, der in der Vergangenheit schon häufiger mit Rander und Parker zusammengearbeitet hatte, sah den Butler hoffnungsfroh an. »Hat Ihre Dienststelle möglicherweise ähnliche Fälle an anderen Universitäten feststellen können?« »Wir sind gerade dabei, alle Institute durchzukämmen. Mann, Parker, glauben Sie an einen staatenweiten Ärger dieser Art?« »Man sollte solch eine Möglichkeit nicht ausschließen, Mister Clayton.« »Wissen Sie, was das bedeuten würde?« fragte Clayton entsetzt. »Ich könnte mir die Auswirkungen vorstellen, Mister Clayton.« »Unsere ganze Forschung wäre gefährdet«, sagte Clayton leise. »ohne wissenschaftlichen Nachwuchs könnten wir auf der ganzen Linie einpacken!« »Schlechte Aussichten für die Zukunft«, kommentierte Rander nachdenklich. 5
»Eine Katastrophe«, steigerte Clayton, »ich kann nur hoffen, daß man ausschließlich an dieser Universität verrückt spielt.« »Darf ich eine Bemerkung hinsichtlich Ihrer Arbeit machen, die sich bisher ja auf Universitäten und Institute erstreckt?« »Fragen Sie doch nicht immer, Parker! Reden Sie!« Claytons Nervosität war unverkennbar. »Sie sollten Ihre Ermittlungen sicherheitshalber auch auf die führenden Schlüsselindustrien ausdehnen«, schloß Butler Parker, »wahrscheinlich wird man zu verblüffenden Ergebnissen kommen…« * »Hallo, Sportsfreund«, sagte Mary Bingham und strahlte den leitenden Manager der All American Electronics freundlich an, »schöner Tag, wie?« Der leitende Manager schluckte und bekämpfte das Hervorquellen seiner Augen. Er räusperte sich und war nicht sicher, ob er es wirklich mit jener Mary Bingham zu tun hatte, die sich um den Posten als Entwicklungsingenieur beworben hatte. »Wie wär’s denn mit ‘nem ordentlichen Schluck?« wollte Mary Bingham wissen. Sie ließ sich in den tiefen Sessel in der Besucherecke plumpsen und kümmerte sich nicht darum, daß ihr kurzer Rock rasch bis hinauf zu den Oberschenkeln kroch. »Fühlen Sie sich vielleicht nicht ganz wohl, Miß Bingham?« erkundigte sich der Manager mit leicht belegter Stimme. Er wußte nicht, was er von dieser Situation halten sollte. So etwas war ihm in seiner langen Laufbahn noch nie passiert. »Ich fühl’ mich prächtig, Sportsfreund«, erklärte die junge, bezaubernd aussehende Dame und knöpfte sich ungeniert die Bluse auf. Sie deutete auf das breite Fenster, durch das die Sonne einfiel, »machen Sie mit, alter Junge! Genießen wir gemeinsam die Sonne!« Sie hatte die Knöpfe der Bluse geschafft, streifte sich das Kleidungsstück von den Schultern und beschäftigte sich jetzt mit ihrem Minirock. Der Manager wollte auf den Klingelknopf drücken, um seine Vorzimmerdame zu alarmieren. Doch dieser improvisierte Striptease war äußerst gekonnt und faszinierend. Wie gesagt, Mary 6
Bingham war eine bezaubernd aussehende Frau. »Worauf warten Sie noch? Machen Sie sich frei, Sportsfreund«, rief Mary dem Manager zu und knöpfte ihren Büstenhalter auf. Der Manager, der nun doch um seinen Ruf fürchtete, stahl sich hinter seinem Schreibtisch hervor und steuerte die Tür zum Vorzimmer an. Mary Bingham kümmerte das nicht. Sie war bereits mit ihrem Slip beschäftigt, streifte ihn über die Beine und machte es sich – einer Eva gleich, was die Bekleidung betraf – auf dem dicken Wollteppich bequem. Sie lag genau in der Sonne und summte ein Lied. Der leitende Manager schleppte sich zur Tür und kämpfte mit dem Drehgriff. Er sah immer wieder zurück zu Mary Bingham, die ihn bereits vergessen zu haben schien. Aber als sie plötzlich den Kopf herumnahm und ihm neckisch zuzwinkerte, da war es um seine restliche Fassung geschehen. Der leitende Manager wankte hinaus ins Vorzimmer und vorbei an seiner Sekretärin. Erst auf dem Korridor kehrte so etwas wie Fassung zurück. Er entschloß sich, die Betriebsfeuerwehr anzurufen. * Der Fensterputzer – ein schmächtiger, kleiner Mann von etwa fünfundvierzig Jahren – stand auf einer Arbeitsbühne im sechsten Stock und ging seiner Beschäftigung nach. Mit einem großen Gummiblattwischer säuberte er die fest in das Stahlgerüst eingelassenen Fenster, die sich nicht öffnen ließen. Hinter den Fenstern befanden sich, das wußte er längst, die großen vollklimatisierten Säle mit den unendlich langen Batterien der Computer. Der Fensterputzer inspizierte normalerweise kaum diese Säle, in denen nur hin und wieder ein Operator zu sehen war. Diese Batterien überwachten sich selbst und brauchten keine menschliche Pflege. Doch dann, als der Fensterputzer sich gerade einem neuen Scheibenobjekt widmen wollte, sperrte er Mund und Nase auf. Er rückte mit seinem Gesicht dicht an die Scheibe heran, um noch besser sehen zu können. 7
Durch den Computersaal liefen einige Männer in weißen Kitteln, die ihre Arme weit ausgebreitet hatten. Sie spielten Flugzeug, wie es Kinder gern zu tun pflegen. Sie segelten um die Computer herum, gingen in wilde Kurven und schienen sich außergewöhnlich wohl bei diesen kindlichen Spielen zu fühlen. Der Fensterputzer rieb sich kurz und konzentriert die Augen. Das, was er sah, konnte doch nicht wahr sein! Die Augen mußten ihm einen Streich spielen. So, wie diese Männer, benahmen sich mit Sicherheit keine ernsthaften Techniker und Wissenschaftler… Aber es kam noch besser. Einige Computer-Operatoren verspürten plötzlich das Bedürfnis, ihre Rechenmaschinen abzukühlen und sie einer Sonderbehandlung zu unterziehen. Sie hatten sich Feuerlöschgeräte besorgt, die sich in ausreichender Menge an den Wänden und Tragsäulen befanden. Sie bauten sich mit diesen Feuerlöschern vor den Computern auf und besprühten sie ausgiebig mit weißem Schaum. Der Fensterputzer hüstelte nervös und befaßte sich mit seinen Augen. Aus den kleinen Schaumgebirgen, die zwangsläufig entstanden waren, kurvten andere Techniker hervor, die sich auf das Flugspiel versteift hatten. Und dann kam der Clou, der sich wirklich sehen lassen konnte. Unter den Operatoren gab es auch Frauen, wie sich versteht. Diese jungen Damen, in der Mehrzahl recht gut aussehend, spielten Ringelreihen und verspürten plötzlich aggressive Lust, ihren männlichen Kollegen nachzustellen. Eine wilde Hatz kündigte sich an. Die angegriffenen Männer dachten nicht im Traum daran, sich den Nachstellungen ihrer weiblichen Kollegen zu entziehen. Sie ließen sich zum Schein ein wenig herumjagen, dann aber mit sichtlichem Behagen einfangen. Der Fensterputzer, ein durch und durch moralischer Mann, schloß schamvoll die Augen, wandte sich ab und sorgte dafür, daß seine Arbeitsbühne schnellstens hinauf aufs Dach gezogen wurde. So entgingen ihm Einzelheiten, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen… * 8
»Das sind also unsere Ergebnisse«, sagte Clayton zwei Tage nach seiner Unterredung mit Rander und Parker. Der CIA-Beamte hatte etwa eine gute Stunde gebraucht, um all jene Dinge in Kurzfassung zu berichten, die sich auf Universitäten, in Instituten und in weltweit bekannten Firmen abgespielt hatten. »Das sind unsere ersten Ergebnisse. Eine Katastrophe…!« »Eine Frage der Perspektive«, meinte Rander lächelnd. »Wieso?« Clayton begriff nicht sofort. »Nun, diejenigen, die aus ihren normalen Rollen herausgetreten sind, müssen sich doch wahrscheinlich bestens gefühlt haben oder sogar noch fühlen.« »Sie haben gut lästern«, erwiderte Clayton, »was sich hier anbahnt, bedeutet den Zusammenbruch unserer Wirtschaft!« »Übertreiben Sie nicht etwas, Clayton?« Clayton, Rander und Parker befanden sich im Studio der Dachwohnung des Anwalts. Parker servierte Drinks und verhielt sich zurückhaltend. Rander schien sehr amüsiert zu sein. Er betrachtete die Dinge, die Clayton ihm erzählt hatte, von der albernen Seite. »Ich übertreibe keineswegs«, entgegnete Clayton, »wenn das Schule macht, was sich hier andeutet, können wir unsere Betriebe schließen. Das ist die Endkonsequenz!« »Wollen Sie die betreffenden Leute zwingen, wieder normale und langweilige Mitmenschen zu werden?« »Begreifen Sie doch, Rander«, sagte Clayton aufgebracht, »diese Mitbürger waren gestern noch völlig normal. Und plötzlich entwickeln sie sich zu verrückten Hippies… Zu Menschen, die kein Verantwortungsgefühl haben!« »Reine Privatsache«, entschied Mike Rander störrisch, »glauben Sie mir, Clayton, auch ich möchte manchmal ausbrechen und herrlich verrückt sein!« »Aber Sie tun’s nicht, Rander, und das ist der gewaltige Unterschied.« »Vielleicht, weil ich schon zu feige bin, Clayton.« »Das ist Ihr Problem, Rander. Hier zeichnet sich doch deutlich ab, daß die Betreffenden manipuliert worden sind.« »Wie wollen Sie das beweisen? Haben Sie mit einigen Leuten schon gesprochen?« »Einige sind bereits verhört worden. Aber es waren verdammt 9
einseitige Verhöre… Sie hörten sich die Fragen an und lachten die Kollegen anschließend aus. Sie scheinen überhaupt nicht zuzuhören, sie leben in einer anderen Welt!« »Sprachen Sie eben von Manipulationen, Mister Clayton?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Haben Sie eine andere Erklärung?« fragte Clayton zurück. »Man müßte erst einmal mit einigen diesen Menschen sprechen«, erwiderte Parker. »Sie können jede Menge Adressen haben«, sagte Clayton, »am besten, ich lasse Ihnen die Listen-Kopien zurück. Ich habe nur eine Bitte: Helfen Sie uns! Wir müssen diese Verrücktheiten stoppen, bevor sie grassieren!« Rander war nachdenklich, als Josuah Parker zurück ins Studio kam. Er hatte den CIA-Agenten zum Lift gebracht. Rander sah hinaus auf den nahen See und wandte sich dann ruckartig zu Parker um. »Was halten Sie von dieser Geschichte?« wollte er wissen, »sie erinnert mich an einen amüsanten Zukunftsroman.« »Die Befürchtungen Mister Claytons sind dann zutreffend, Sir, falls man hier wirklich Manipulationen vorgenommen hat.« »Richtig… Wenn diese Leute gegen ihren Willen verrückt spielen, und wenn sie dies nicht kontrollieren können, dann sollten wir uns einschalten.« »Eine Formel, Sir, die ich zu unterschreiben mir sofort erlaube.« »Wir sollten uns mal einige dieser Verrückten ansehen!« »Ein lobenswerter Vorschlag, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Worauf warten wir dann noch? Wir können uns aus der Liste herauspicken, was uns besonders interessiert.« »Darf ich mich in diesem Zusammenhang nach Ihren speziellen Wünschen erkundigen, Sir? Bevorzugen Sie eine bestimmte Stadt oder Landschaft?« »Wieso?« Rander sah den Butler verständnislos an. »Aus der Liste, die Mister Clayton zurückgelassen hat, Sir, geht hervor, daß praktisch in allen Staaten Vorkommnisse der geschilderten Art sich abgespielt haben.« »Ach so«, Rander schmunzelte, »okay, ich wäre für Los Angeles, Parker.« »Ich werde mir erlauben, sofort zwei Flugplätze zu buchen, Sir. Man könnte noch gegen Abend Chikago verlassen.« 10
Rander, der noch immer am großen Fenster seines Studios stand und hinunter in den Lincoln Park und den dahinterliegenden See sah, zuckte plötzlich zusammen. Was durchaus verständlich war, denn die Panoramascheibe neben ihm splitterte auseinander. Ein Geschoß sirrte dicht an seinem Kopf vorbei, um sich dann in die gegenüberliegende Wand des Studios zu bohren. »Deckung«, rief Rander und warf sich mit einiger Spätzündung zur Seite. Doch immer noch schnell genug, dem zweiten Schuß zu entgehen, der ganz offensichtlich ihm zugedacht war. Auch dieses zweite Geschoß lädierte die teure Fensterscheibe und anschließend die hintere Studiowand. »Was… was sagen Sie dazu?« Rander sah sich nach Parker um, der kaum beeindruckt zu sein schien. »Man sollte die Scheibe zukünftig vielleicht gegen eine Panzerglasscheibe austauschen«, schlug Parker vor. »Sie könnte lebensverlängernd wirken.« * »Getroffen?« erkundigte sich unten im Park der unscheinbar aussehende Mann, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte. Er war mittelgroß, schlank und trug einen nicht gerade billigen Anzug. Dieser Mann, der eine Brille trug und irgendwie an einen seriösen Mittelständler erinnerte, stand neben einem jungen Mann, der unterernährt wirkte. Ein kariertes Sportsacko schlotterte um seine spitzen Schultern. Beherrschend in seinem mageren Gesicht waren die Backenknochen, die fast wie Dolche hervorragten. Dieser Mann verstaute gerade ein Gewehr mit Zielfernrohr im Kofferraum eines Wagens und sah dann hinauf zum Dachgarten des Bürohochhauses. »Möglich«, erwiderte er achselzuckend, »wir müssen auf jeden Fall verschwinden.« »Haben Sie getroffen oder nicht?« wollte der seriöse Mittelständler wissen. »Kann sein, kann aber auch nicht sein.« Der Hagere wurde ärgerlich. »Ich hab’ getan, was ich konnte. Die Entfernung ist immerhin verdammt groß.« »Fahren wir«, sagte der Seriöse und rückte sich seine Brille zu11
recht. Er ging um den jungen Mann mit den hervorstehenden Backenknochen herum und hielt plötzlich ein normal aussehendes Zigarettenetui in der Hand. Dieses Utensil brachte er schnell und geschickt in die Nähe des Halses des jungen Mannes. Dann – es war kaum etwas zu erkennen – mußte er so etwas wie einen Schuß ausgelöst haben. Der Hagere zuckte zusammen, drehte sich im Zeitlupentempo herum, starrte den Seriösen an und rutschte dann müde und schlaff in sich zusammen. In seinen Augen stand der Ausdruck eines großen Staunens und einer grenzenlosen Überraschung. Als er den Boden erreichte, war der Mann bereits tot. Der Seriöse steckte das Etui ein und ging langsam hinüber zur Fahrstraße, die durch den Lincoln Park führte. Er öffnete den Schlag seines durchschnittlich aussehenden Buick, ließ den Motor an und fuhr ohne Hast davon. * Im Warteraum des Flughafens stieß Clayton auf Rander und Parker, deren Maschine nach Los Angeles bereits aufgerufen war. »Wir haben den Toten identifizieren können«, sagte Clayton rasch, »es handelt sich um einen gewissen Norman Flush… Ein mehrfach vorbestrafter Killer, der als Einzelgänger galt. Ein sehr raffinierter und vorsichtiger Bursche.« »Wohl nicht vorsichtig genug, wie?« Rander sah Clayton fragend an. »Gegen Blausäure hatte er keine Chance«, erwiderte Clayton, »man muß ihm das Gift in den Nacken gejagt haben. Wir fanden dort eine tiefe Rötung und eine Anzahl feinster Hautverletzungen.« »Es könnte sich um eine spezielle Preßluftpistole gehandelt haben«, sagte Parker gemessen. »Vermuten wir auch«, erklärte Clayton und nickte, »Flush’s Auftraggeber scheint ihn nach den beiden Schüssen eiskalt aus dem Weg geräumt zu haben.« »Nach irgendwelchen Spuren brauche ich wohl gar nicht zu fragen, oder?« »Lassen Sie’s, Rander«, meinte Clayton, »wir haben nichts gefunden. Wir wissen jetzt nur, daß man hinter Ihnen und Parker 12
her ist. Warum, kann ich nicht sagen.« »Könnten die beiden Schüsse mit unserer Absicht zusammenhängen, nach Los Angeles zu fliegen?« »Kaum«, sagte Clayton, »davon wissen nur Sie etwas, dann ich und schließlich mein hiesiger Chef.« »Handelt Ihr Chef auf eigene Rechnung?« wollte Rander wissen. »Er hat sich natürlich bei der Zentrale grünes Licht geben lassen. Aber dort ist alles dicht.« »Na ja, irgendwie und irgendwann wird dieses Rätsel sich lösen«, sagte Rander, »wir müssen, Clayton, drücken Sie uns die Daumen!« »Hören Sie, Rander… Parker…! Sie können jederzeit aussteigen. Sie sind zu nichts verpflichtet.« »Was halten Sie von diesem Vorschlag, Parker?« Rander sah seinen Butler interessiert an. »Man hat sich immerhin die Freiheit genommen, Sir, auf Sie zu schießen. Dies wird sich meiner bescheidenen Ansicht nach so lange wiederholen, bis man den oder die Täter gestellt hat. Man sollte sich jener Taktik bedienen, die den Angriff für die beste Verteidigung hält.« »Sie haben’s ja gerade gehört«, wandte Rander sich an den CIA-Agent Clayton, »wir machen natürlich weiter. Aber drücken Sie uns nicht nur die Daumen. Das dürfte zu wenig sein… Setzen Sie auch Ihre dicken Zehen ein… Sicher ist sicher!« Sie verabschiedeten sich von Clayton und fuhren mit dem Zubringerbus zur wartenden Maschine. Sie befanden sich selbstverständlich nicht allein in diesem Wagen. Die Maschine war fast ausgebucht, und dementsprechend ließen sich viele Mitpassagiere zum Flugzeug bringen. Unter ihnen befand sich eine äußerst reizvoll aussehende junge Dame, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte. Sie hatte lackschwarzes Haar und Augen, die katzenhaft schräg geschnitten waren. Diese junge Dame – sie trug ein apartes, knappsitzendes Jerseykostüm – interessierte sich überhaupt nicht für Mike Rander und Butler Parker. Doch das war nur äußerlich…
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* Die Fünfundzwanzigjährige saß hinter Rander und Parker und benahm sich völlig unauffällig. Sie blätterte nach dem Start der Maschine – als man schon auf Kurs gegangen war – in einem Modemagazin und rauchte dazu. Das angebotene Frühstück lehnte sie ab und beschränkte sich darauf, eine Tasse Kaffee zu trinken. Rander war eingenickt und verschlief bewußt diesen Routineflug. Er war eben zu häufig per Luft unterwegs. Für ihn bedeutete ein Flug schon lange nichts Besonderes mehr. Josuah Parker hingegen war hellwach, was seine bestimmten Gründe hatte, wie sich später zeigen sollte. Auch er las und blätterte in einer Zeitung, hatte aber die ganze Zeit über das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen, dessen Lunte schon brannte. Parker machte sich seine Gedanken. Bereits in der Wartelounge des Flugplatzes war ihm aufgefallen, daß die reizende Dame sich überhaupt nicht um ihn gekümmert hatte. Sie hatte ihm noch nicht einmal einen belustigt-amüsierten Blick geschenkt, eine Tatsache, die den Butler verwunderte. Er dachte so nicht aus Eitelkeit. Dieses sich wundern hing damit zusammen, daß er stets im Mittelpunkt zumindest eines heimlichen Interesses stand. Ein Butler in den Staaten war ohnehin ein bestaunenswertes Objekt. Bei Parker kam hinzu, daß er den Bilderbuchvorstellungen eines englischen Dieners unbedingt entsprach. Da war die schwarze Melone, der altväterlich gebundene Regenschirm, der schwarze Zweireiher mit der gestreiften Weste darunter, und da war schließlich die stets messerscharf gebügelte, gestreifte Hose, die genau abgezirkelt über den soliden schwarzen Schuhen hing. Parker war es gewohnt, daß man ihn anstarrte und sich über ihn amüsierte und sogar anfrotzelte. Die junge Dame hingegen machte hier eine mehr als rühmliche Ausnahme. Sie benahm sich, um es genau zu definieren, zu unauffällig, als hätte sie etwas zu verbergen. Parker hatte die Zeitung weggelegt und war aufgestanden. Er ging hinüber zu den Waschräumen der Maschine und kam dicht an der jungen Dame vorbei. Sie hatte ihren kleinen Reisekoffer, der die Tasche ersetzte, geöffnet und spielte mit einem Zigarettenetui. Sie schien sich schrecklich zu langweilen. 14
Auf der Fensterseite neben ihr saß eine alte Matrone mit angebläutem Haar, Löckchen und sehr viel Make-up im Gesicht. Sie schlief tief und fest. Selbst jetzt sah die junge Dame mit den Katzenaugen nicht hoch. Und hier hätte sie eigentlich auf den Butler reagieren müssen. »Darf ich mir erlauben, Madam, Ihnen Feuer zu geben?« Parker hielt bereits sein Feuerzeug dienstbereit in der Hand. Er beugte sich hinunter. Jetzt mußte sie aufsehen, ob sie wollte oder nicht. Parker brachte das Feuerzeug näher an sie heran und registrierte das Erschrecken in ihren Augen. Sie zuckte zurück, als sei sie von einer Tarantel gestochen worden. Dann verdrehte die reizende Dame die Augen, atmete schnell und tief durch, als sei ihr die Luft knapp geworden, um dann weich in sich zusammenzurutschen. Parker schirmte seine Hand mit seinem Körper geschickt ab, griff nach dem Zigarettenetui und steckte es routiniert wie ein perfekter Taschendieb ein. »Verzeihung, Madam!« Der Butler entschuldigte sich völlig sinnloserweise, lüftete höflich seine schwarze Melone und begab sich gemessen und würdevoll hinüber zum Waschraum… * Sie schlief noch, als die Maschine längst aufgesetzt hatte und ausgerollt war. Sie schlief noch, als die Passagiere über die Gangway hinunter zum Zubringerbus schritten. Und sie schlief immer noch, als die beiden Stewardessen, die sie entdeckt hatten, sie vorsichtig an der Schulter rüttelten. »Haben Sie für ein Hotel gesorgt?« erkundigte sich Mike Rander, als er zusammen mit Parker in der großen Halle des Flugplatzes stand. »Nicht für ein Hotel, Sir… Ich war so frei, einen kleinen Bungalow zu mieten, der sich im Norden von Beverly Hills befindet… Von dort aus ließe sich vielleicht besser operieren.« »Einverstanden, Parker.« »Besagter Bungalow, Sir, wird Sie möglicherweise ein wenig in Erstaunen versetzen.« 15
»Wieso? Kennen Sie ihn bereits?« »Wie ich vom Agenten hörte, Sir, muß dort noch vor wenigen Wochen ein bekannter Popstar gewohnt haben, der jäh ums Leben kam, als er das Brems- mit dem Gaspedal verwechselte.« »Lassen wir uns überraschen!« Rander lächelte. »Könnte eigentlich nichts schaden, wenn wir uns etwas exotisch geben. Besorgen Sie einen anständigen Leihwagen, Parker! Irgend etwas, was auch Ihnen schmeckt.« »Sie werden mit meiner Wenigkeit zufrieden sein, Sir.« »Worauf warten wir noch?« Rander wunderte sich, daß Parker in der großen Halle des Flugplatzes Wurzeln schlagen wollte. »Auf eine junge Dame, Sir, die inzwischen wohl mehr als erstaunt erwacht beziehungsweise wieder zu sich gekommen ist.« »Wie, bitte? Sollten Sie schon was ausgeheckt haben?« Parker teilte seinem jungen Herrn kurz mit, was er in der Wartehalle des Flugplatzes in Chikago beobachtet hatte. Und er präsentierte dem Anwalt anschließend ein Zigarettenetui. Es handelte sich um das gleiche, das er von der jungen Dame mit dem lackschwarzen Haar ausgeliehen hatte. »Na, und?« fragte Rander, der einen flüchtigen Blick auf das Etui warf. »Sie scheinen moralisch abzurutschen, Parker. So wie Sie benimmt sich höchstens ein mieser Taschendieb.« »Falls solch ein Taschendieb dieses Etui gestohlen hätte, Sir, würde er mit seinem Leben spielen!« Rander sah seinen Butler überrascht an, stellte aber keine weiteren Fragen. Er wußte, daß Josuah Parker wieder einmal die richtige Nase gehabt haben mußte. »Dieses Zigarettenetui, Sir, enthält eine Art Pistole, die mit Preßluft betrieben wird.« Rander sah zu, was Parker ihm demonstrierte. Der Butler verwies auf einen schmalen Schieber an der flachen Breitseite des Etuis. Als er diesen Schieber zur Seite bewegte, wurde eine Öffnung frei, die nicht größer war als der Durchmesser einer Zigarette. »Die Mündung der Waffe«, erläuterte der Butler sach- und fachgerecht. »Und was verschießt dieses Ding?« »Mit Sicherheit eine Kartusche, Sir, die wahrscheinlich mit einem schnell wirkenden Gift gefüllt ist. Ich darf an den Tod des Norman Flush erinnern, der als Killer galt, wie Mister Clayton sich 16
auszudrücken beliebte.« »Blausäure?« »Sehr wahrscheinlich, Sir. Aber ich möchte mich noch nicht festlegen. Wenn Sie gestatten, werde ich diese Waffe nach unserer Ankunft im Bungalow näher studieren.« »Und ob ich das erlauben werde. Wie haben Sie übrigens das Mädchen außer Gefecht gesetzt?« »Zu einem Zigarettenetui, Sir, schien mir ein Feuerzeug zu passen. Ich war so frei, es der jungen Dame zu präsentieren, worauf sie allerdings in eine Ohnmacht fiel, die aber auf keinen Fall gesundheitsschädigend sein wird.« »Womit war Ihr Feuerzeug gefüllt? Doch weder mit Gas noch mit Benzin, oder?« »Mit Gas, selbstverständlich. Allerdings mit einem speziellen Schlafgas, wenn ich es so umschreiben darf. Ich fürchte, die junge Dame wird sich nach dem Erwachen nicht besonders wohl fühlen und nur den einen Wunsch haben, so schnell wie möglich in ihr Quartier zu kommen.« »Es geht ihr wirklich nicht gut«, meinte Rander trocken und wies unauffällig zur Seite. Parker sah in die angegebene Richtung und nickte innerlich. Die junge Dame mit dem lackschwarzen Haar wurde von einer Boden-Stewardeß durch die Halle geführt und nach draußen zu den warnenden Taxis gebracht. Ihr Gang war reichlich unsicher. »Wir sollten uns um das Girl kümmern«, schlug Mike Rander unternehmungslustig vor. »Sehr wohl, Sir.« »Aber dabei höllisch aufpassen, Parker. Ich habe keine Lust, wie dieser Flush ermordet zu werden.« Sie folgten unauffällig der Lackschwarzen, die inzwischen bei den Taxis stand. Sie war aber dagegen, von der BodenStewardeß in einen wartenden Wagen verfrachtet zu werden. Sie bedankte sich, überquerte die Auffahrt zur Wartehalle und ging dann, immer noch ziemlich unsicher, hinüber zu den Parkplätzen. Nicht ohne Grund, wie sich zeigte. Die Lackschwarze wurde erwartet. Aus dem Wagen stieg ein junger Mann von etwa dreißig Jahren. Er ging der Lackschwarzen schnell entgegen, legte seinen Arm um ihre Schulter und brachte sie zurück zu seinem Fahrzeug, das abenteuerlich aussah. Es handelte sich um einen uralten Rolls-Royce, dessen Blech mit 17
schreiend bunten Pop-Motiven im Jugendstil bemalt war. Wenig später fuhr der Rolls-Royce vom Parkplatz und nahm Kurs auf den breiten, modernen Zubringer. Rander und Parker saßen längst in einem Taxi. »Hängen Sie sich vorsichtig an den Rolls-Royce«, sagte Rander zu dem Fahrer, »Sonderprämie für Sie, falls wir dabei nicht auffallen!« »Die Prämie hab’ ich schon in der Tasche«, meinte der Driver selbstsicher, »die alte Mühle da kann man ja nicht aus den Augen verlieren.« * »Mir scheint, Sir, daß man auch Sie und meine Wenigkeit nicht aus den Augen verliert«, sagte Parker leise, nachdem sie etwa zehn Minuten unterwegs waren. »Ich möchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behaupten, daß wir unsererseits verfolgt werden.« Rander war zu abgebrüht, um sich sofort umzuwenden und durch das Rückfenster zu sehen. Er lieh sich von Parker den kleinen Spiegel aus, den der Butler bereits aus einer seiner vielen Westentaschen gezückt hatte. Im Taschenspiegel waren die Verfolger einwandfrei zu erkennen. Es handelte sich um zwei jugendlich aussehende Männer, die Sonnenbrillen trugen und in einem Ford saßen. Sie gaben sich sehr lässig wie zwei junge Leute, die sich die Zeit vertreiben müssen. Sie hatten die Wagenfenster heruntergekurbelt und winkten hin und wieder jungen Mädchen zu, die sie mit ihrem Wagen passierten. Sie wirkten im Grund überzeugend harmlos. »Sieht so aus, als hätten wir bereits eine heiße Spur aufgenommen«, meinte Rander und reichte Parker den Taschenspiegel zurück, »ich frage mich nur, warum dieser Aufwand getrieben wird?« »Diese Frage sollte man zurückstellen, Sir. Ich möchte annehmen, daß die weitere Verfolgung des Rolls-Royce sinnlos sein dürfte. Die junge Dame und ihr Begleiter müssen inzwischen längst gewarnt worden sein.« »Richtig. Steigen wir aus. Wir wollen unseren Fahrer nicht unnötig gefährden.« 18
Der Taxifahrer konnte mit Sicherheit nichts gehört haben. Aber er steuerte den Wagen plötzlich hart an den Straßenrand und bremste scharf. »Panne!« rief er Rander und Parker zu, um dann mit einer ungewöhnlichen Schnelligkeit aus dem Taxi zu steigen. Seine Eile steigerte sich, als er den Asphalt unter den Schuhsohlen hatte. Der Mann rannte zu einem nahen Grundstück, wo Wohnwagen zum Verkauf standen. Innerhalb weniger Sekunden war er verschwunden. »Vorsicht, Sir!« Parker befand sich wieder einmal in Höchstform und schaltete blitzschnell. Er klinkte die Wagentür auf und warf eine seiner Spezialzigarren auf die Straße. Sie kollerte über den Asphalt und platzte mit leichtem Knall auseinander. Wie durch Zauberei stieg in Sekundenbruchteilen eine undurchdringliche Nebelwand hoch, in die der Ford der beiden Nichtstuer automatisch hineinfuhr. »Vielleicht sollte man sich empfehlen, Sir!« Rander hatte längst begriffen. Man hatte eine tödliche Falle bauen wollen. Noch bestand die Chance, dieser Falle zu entwischen. Er klinkte die Wagentür auf seiner Seite auf und ließ sich hinausfallen. Parker folgte gemessen, aber nicht gerade langsam. Rander rappelte sich hoch und lief auf die nahen Wohnwagen zu. Parker, der die Lage vielleicht etwas besser übersah, nahm hinter einem Telefonmast volle Deckung. Nicht zu früh, wie sich zeigte. Aus der Nebelwand kamen zwei kleine Fußbälle, die unter das Taxi kollerten. Diese beiden Fußbälle entpuppten sich allerdings Sekunden später als sehr ausgewachsene Bomben, die den Wagen etwa einen Meter in die Luft hoben, ihn dort in seine Bestandteile zerlegten und die Trümmer zurückregnen ließen. Dies alles wurde begleitet von einem scharfen Explosionsknall, von Rauch und Feuer… *
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»Sehr freundliche Zeitgenossen«, stellte Rander fest und sah hinüber auf die tobende Flammenhölle, in die sich das Auto verwandelt hatte. »Ich bitte um Vergebung, Sir, daß ich die wirkliche Rolle des Taxifahrers nicht erkannte.« »Sie haben vielleicht Sorgen«, gab Rander zurück, »verschwinden wir besser. Ich habe keine Lust, bohrende Fragen zu beantworten.« Parker registrierte die Haltung seines jungen Herrn mit Wohlgefallen. Normalerweise hätte Rander darauf bestanden, die Behörden zu informieren. Als Anwalt fühlte er sich dazu besonders verpflichtet. Da er auf diese Dinge freiwillig verzichtete, schien er sich innerlich sehr engagiert zu haben. Diesmal brauchte er wirklich nicht zur Klärung eines Falles überredet zu werden, wie es nach Parkers Ansicht leider sehr oft geschehen mußte. »Polizei!« Rander hob den Zeigefinger. Das auf und ab schwellende, nervenzerfetzende Geräusch einer Sirene war zu hören. Es wurde höchste Zeit, daß die beiden Männer sich empfahlen. Was sie auch umgehend besorgten. Rander und Parker verschwanden zwischen den ausgestellten Wohnwagen und erreichten nach kurzer Zeit eine Seitenstraße. Von hier aus wechselten sie auf eine andere Hauptstraße über und setzten sich erst mal in eine Cafeteria. »Fassen wir noch mal zusammen«, sagte Rander, nachdem ihnen ein passabler Kaffee serviert worden war, »seit Chikago dürften wir unter schärfster Beobachtung stehen. Da wäre erst mal dieser Norman Flush, der aus dem Park auf uns geschossen hatte.« »Und anschließend das segnete, Sir, was man gemeinhin das Zeitliche nennt«, redete der Butler weiter, »nach dem Ergebnis der einschlägigen Untersuchungen wurde er mit einer Blausäurepatrone getötet.« »Einen ähnlichen Schießapparat, der wahrscheinlich ebenfalls mit Blausäure geladen ist, fanden Sie bei dem lackschwarzen Haarmädchen«, übernahm Rander die Zusammenfassung, »schade, daß das liebe Kind sich inzwischen absetzen konnte.« »Da sie wohl sicherheitshalber von Partnern abgeschirmt wurde, Sir.« »Partner, die explodierende Fußbälle durch die Gegend werfen«, sagte Rander, »schlechter Sport, Parker, wenn Sie mich fragen!« 20
»Die Frage bleibt, woher eine gewisse Gegenseite davon weiß, Sir, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit den neuen Fall übernommen haben.« »Diese Frage muß Clayton von der CIA klären«, entgegnete der Anwalt, »nur in seiner Dienststelle kann die undichte Stelle sein. Lassen wir uns überraschen, was er herausfinden wird! Bleiben wir bei unseren Gegnern. Haben sie mit der Explosion alle Spuren verwischt?« »Vorerst ja, Sir. Aber ich bin sicher, daß sie sich wieder melden werden.« »Das würde aber bedeuten, daß wir bereits wieder beobachtet werden!« Rander, der nach seinem Satz erst merkte, in welcher Gefahr sie sich nach wie vor befanden, schaute sich unwillkürlich in der Cafeteria um. »Sieht alles sehr harmlos aus, Parker«, stellte er dann etwas beruhigter fest. »Man sollte vielleicht zum Bungalow fahren, Sir. Dort wird man sehen, wie gut wir beschattet werden.« Parker ging ans Telefon der Cafeteria und bestellte ein Taxi. Als es erschien, sahen Rander und Parker sich den Fahrer sehr genau an. Er machte einen unverdächtigen Eindruck und schien bieder und ehrlich zu sein. »Zum Flugplatz«, sagte Parker. Dann wandte er sich an Rander, »wir müssen das Gepäck abholen, das ich bei der gebotenen Eile zurücklassen mußte.« »Gott sei Dank«, erwiderte Rander lächelnd, »sonst wäre unser Gepäck in die Luft gepustet worden.« Sie fuhren den Flugplatz an, holten ihr Gepäck und ließen sich dann nach Beverly Hills bringen. Der von Parker gemietete Bungalow lag an einem Hanggrundstück, das von einer mannshohen Mauer umgeben war. Er war im Pseudo-Kolonialstil errichtet worden und sah recht hübsch und einladend aus, wenn man von dem total verwilderten, parkähnlichen Garten einmal absah. Das Innere des Bungalows war überraschend geschmackvoll eingerichtet, wenngleich die Farben auch ein wenig grell wirkten. Schon von den Möbeln her herrschte Sachlichkeit. »Nettes Hauptquartier«, sagte Rander, nachdem er mit Parker die Räume abgeschritten hatte. Bevor Parker antworten konnte, schrillte das Telefon. Herrisch, 21
aufdringlich und irgendwie drohend. »Telefon haben wir auch schon?« wunderte und freute sich Rander. »Ich habe noch von Chikago aus für die Öffnung des Anschlusses Sorge getragen«, gab der Butler zurück. Er ging ans Telefon und meldete sich. »Hier ist das Jenseits«, sagte eine fast feierlich zu nennende Stimme, die weich und baritonal klang, »schnell stirbt der Mensch, der die Götter versucht!« »Äußerst treffend ausgedrückt«, fand Parker, und er sagte es laut und deutlich. »Klopfen Sie nicht im Jenseits an!« forderte die baritonale Stimme, deren Timbre abkühlte, »fahren Sie zurück nach Chikago und freuen Sie sich Ihres Lebens!« »Ich möchte mich sehr für Ihre freundlichen Hinweise bedanken«, gab Parker höflich und gemessen zurück, »aber Sie werden verstehen, daß Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit Ihren Vorschlag erst einmal gründlich überdenken müssen.« * »Wie, zum Henker, haben unsere Gegner herausbekommen, was wir wollen und wo wir hier in Los Angeles stecken?« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und ging nachdenklich im großen Erdgeschoßraum auf und ab. »Wir haben’s doch schließlich nicht mit Hellsehern zu tun, Parker.« »Dies auf keinen Fall, Sir, aber mir scheint, daß ich eine durchaus plausible Lösung anbieten kann.« »Dann bieten Sie, Parker, bieten Sie!« »Darf ich Sie an den Besuch Mister Claytons von der CIA erinnern, Sir!« »Sie dürfen, aber kommen Sie endlich zur Sache!« »Kurz nach dem Eintreffen Mister Claytons, Sir, wurde die beginnende Unterhaltung kurzfristig durch einen äußeren Einfluß gestört, wenn Sie sich vielleicht erinnern.« »Eine Störung von außen? Störung! Richtig, Parker! Jetzt geht mir ein Licht auf. Meinen Sie etwa den Hubschrauber, der dicht über unser Penthouse flog?« »Sehr wohl, Sir. Ich möchte unterstellen, daß dieses Überfliegen 22
keineswegs zufällig geschah!« »Sie denken an einen Minisender, den die Maschine abgeworfen haben könnte?« »Sehr wohl, Sir. Dieser Sender muß sich auf dem Dachgarten befinden. Und dieser Sender, Sir, muß die Unterhaltung mit Mister Clayton Wort für Wort weitergegeben haben!« »Und Ihre Buchung für unseren Flug?« »Und schließlich auch das Anmieten dieses Bungalows hier, Sir. Dies alles geschah, wenn Sie sich recht erinnern, vom Penthouse aus.« »Donnerwetter, Parker! Alarmstufe Eins! Wir haben es mit verdammt ausgekochten Leuten zu tun.« »Dieser Einstufung pflichte ich sofort bei, Sir.« »Demnach haben wir ja noch ‘ne Menge zu erwarten.« »Sehr wohl, Sir. Dieser Fall scheint recht anregend zu werden.« »Und kann uns unter Umständen den Hals kosten.« »Dagegen, Sir, müßte man natürlich einiges tun.« »Hauptsache, Sie haben Ihren Spezialkoffer dabei.« »Er steht samt Inhalt zur Verfügung, Sir. Und da es in zwei Stunden dunkel wird, möchte ich einige Vorbereitungen für die Nacht treffen.« »Lassen Sie sich hübsche Sachen einfallen, Parker! Ich werde inzwischen unseren Kontaktmann hier in Los Angeles anrufen.« Rander ging zum Telefon, das auf einem Wandtisch zwischen zwei Terrassenfenstern stand. Als er den Hörer abnahm, deutete Parker auf die Muschel. »Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich den Apparat gern näher untersuchen.« Rander war einverstanden, und Parker sah sich den Hörer sehr eingehend und genau an. Und zwar nicht nur von außen, wie sich versteht. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf dieses kleine Gerät lenken?« fragte er schließlich, nachdem er einen Moment in der geöffneten Sprechmuschel hantiert hatte. Er präsentierte seinem jungen Herrn eine kleine Kapsel, die nicht größer war als eine Kopfschmerztablette. »Minisender?« »Sehr wohl, Sir, und zwar einer der neuesten Bauart, wie ich versichern darf.« »Demnach werden wir ja herrlichen Zeiten entgegengehen«, 23
meinte der junge Anwalt, »was mögen die lieben Leute aus dem Jenseits noch so an Überraschungen vorbereitet haben. Hoffentlich haben sie nicht ‘ne Bombe im Keller versteckt?« »Ein Hinweis, Sir, für den ich äußerst dankbar bin«, antwortete der Butler mit solch einem Ernst, daß Mike Rander nervös zu schlucken begann. * Auf einem bewaldeten Hügel, der dem Hang gegenüberlag, wo der von Rander und Parker gemietete Bungalow stand, hielt sich ein schlanker, etwa vierzigjähriger Mann auf, der eine Brille trug und an einen seriösen Mittelständler erinnerte. Dieser Mann beobachtete durch einen leistungsstarken Feldstecher den Bungalow im Kolonialstil und schaute zwischendurch immer wieder auf seinen Chronometer, den er in Form einer Armbanduhr am Handgelenk trug. Neben ihm auf dem Heck des Wagens stand ein kleines Funksprechgerät, dessen Teleskopantenne bereits herausgezogen war. Der Mittelständler hatte diesen Chronometer gerade wieder befragt, als er einen kanonenartigen Donnerschlag hörte. Hastig riß der Mittelständler seinen Feldstecher hoch und beobachtete den Bungalow. Sein Gesicht verzog sich zu einem satten Grinsen. Dies hing mit den schwarzen Rauchwolken zusammen, die aus den Fenstern des Bungalows quollen und ihm schon nach wenigen Sekunden die Sicht nahmen. Er griff nach dem Walkie-talkie, das auf dem Wagenheck stand, schaltete auf Sendung und gab einen ganz bestimmten, sehr kurzen Spruch durch. Anschließend schob der Mittelständler das Antennenteleskop zusammen, warf das Funksprechgerät, auf den Rücksitz seines Wagens, setzte sich ans Steuer und fuhr langsam davon… * »Ihre pyrotechnischen Fähigkeiten sind bemerkenswert«, sagte Rander und hustete qualvoll, »finden Sie nicht auch, daß Ihnen 24
die Dosis etwas außer Kontrolle geraten ist?« Rander und Parker befanden sich in der Tiefgarage des Bungalows und warteten hier auf Dinge, mit denen sie fest rechneten. Ihrer Schätzung nach konnten diese Dinge nicht lange auf sich warten lassen. »Ich bitte mein mögliches Unmaß entschuldigen zu wollen«, gab der Butler würdevoll zurück, »aber im Austausch mit der richtigen Sprengladung mußte ich für einen vollwertigen Ersatz sorgen, der wenigstens optisch und akustisch die Erwartungen erfüllt.« Mike Rander nickte und sah auf die Sprengladung, die Josuah Parker aus dem Keller des Bungalows geborgen hatte. Sie bestand aus einem normal aussehenden Benzinkanister, der an der Tülle einen Zeitzünder besessen hatte. Der Kanister selbst war mit Sprengstoff randvoll gefüllt, ausreichend, den Bungalow in sich zusammenrutschen zu lassen. Parker hatte diese bösartige Sprengladung selbstverständlich schon entschärft. Gegen eine vorzeitige Himmelfahrt hatten sie beide einiges einzuwenden. »Man scheint zu kommen, Sir.« Parker deutete durch den dunklen Qualm nach draußen. Das Geräusch eines schnell sich nähernden Wagens war unverkennbar. Rander entsicherte seinen 38er und wartete auf den Einsatz. Josuah Parker hatte sich mit seiner Patent-Gabelschleuder bewaffnet. Ihm ging es darum, lautlos zu wirken. Er hatte sich nicht getäuscht. Durch die Rauchschwaden, die er fabriziert hatte und die man nur als täuschend echt bezeichnen konnte, war der Wagen genau zu erkennen. Und auch die beiden Insassen, die jetzt ausstiegen. »Gute Bekannte«, stellte Mike Rander grimmig lächelnd fest. »In der Tat, Sir! Unsere Bombenschmeißer, wenn ich es in dieser vulgären Art ausdrücken darf…« Die beiden jungen Männer, die auch jetzt wieder Sonnenbrillen trugen, benahmen sich reichlich sorglos. Wahrscheinlich hatten sie selbst die Sprengladung hergestellt und waren sicher, daß sie auf der ganzen Linie gewirkt hatte. »Ein dritter Mann, Sir!« Parker sprach leise und deutete hinüber zu dem Wagen. »Wie nett… Unser Taxifahrer!« Rander hatte den Mann ebenfalls erkannt. »Demnach wären wir ja alle versammelt.« Der Driver blieb am Wagen zurück und zündete sich eine Ziga25
rette an. Er sollte wohl die Nachhut bilden oder Schmiere stehen. Seine Rolle, ob so oder so, störte den Butler empfindlich. Ihm war daran gelegen, daß alle drei Männer auf dem Grundstück blieben. Dementsprechend waren seine Aktionen. Parker strammte die beiden Gummistränge der Gabelschleuder, visierte den Taxifahrer sorgfältig an und schickte dann sein Geschoß auf die Reise. Es bestand aus einer Tonmurmel, die mit Sicherheit zerplatzen würde und bestimmt keine bösen Verletzungen hinterließ. Der Taxifahrer, der die Zigarette zum Mund führen wollte, verharrte plötzlich in seiner Bewegung, als sei er total vereist worden. Dann fiel er um wie ein Standbild, schnell und endgültig. Er blieb neben seinem Wagen liegen. Die zweite Tonmurmel befand sich bereits in der Lederschlaufe der Gabelschleuder. Ein kurzes Anvisieren, eine kleine Korrektur, und schon sauste das seltsame und ungewöhnliche Geschoß durch die Luft. Es zerplatzte auf der Stirn eines jungen Mannes. Der Getroffene blieb wie angewurzelt stehen, wollte nach seiner Stirn greifen und… schraubte sich dann langsam zu Boden. Er hatte es weniger eilig als der Taxifahrer. Der dritte Mann sah bestürzt auf seinen Partner hinunter, rief ihm etwas zu, schien Lunte gerochen zu haben und rannte hastig zurück zum schützenden Wagen. Er kam nicht weit… »Ein Meisterschuß«, lobte Rand er seinen Butler, »schade, daß es in dieser Waffengattung kein Preisschießen gibt!« Rander und Parker verließen die schützende Tiefgarage und bargen die drei immer noch bewußtlosen Männer. Sie hatten ihnen einige Fragen zu stellen. * Sie saßen nebeneinander auf dem Fußboden im großen Wohnsalon und starrten auf Mike Rander, der gerade telefonierte. In dieses Gespräch konnten sie sich aber nicht einmischen, da Parker sie sicherheitshalber leicht geknebelt hatte. »Ja, Sie haben vollkommen richtig verstanden«, sagte Mike Rander gerade, »diese drei Typen haben geredet… Sie haben so26
gar in allen Tonarten gesungen, wenn Sie’s genau wissen wollen. Sehr interessante Details, die uns auf eine Spur führen werden. Sie werden überrascht sein! Ob wir die drei Männer unter Druck gesetzt haben? Nein, nein. Sie redeten freiwillig und wollen damit wohl ihre Haut retten. Okay, kommen Sie und kassieren Sie diese drei Burschen, uns stören sie hier nur!« Rander legte auf und wandte sich an Parker, der zum Fenster hinausgesehen hatte. »Unser Kontaktmann wird kommen. Etwa in einer Stunde… Dann dürften wir die drei Burschen los sein.« Parker befreite sie von ihren Knebeln und ging zurück zu Mike Rander, der sich eine Zigarette anzündete. »Leider haben die drei Herren noch kein Wort gesagt, Sir«, stellte der Butler richtig und fest. »Na, und?« Rander schmunzelte, »kommt es darauf an? Hauptsache, unser Kontaktmann freut sich.« »Ob man diesen Irrtum richtigstellen sollte, Sir?« »Warum eigentlich? Vielleicht reden sie doch noch, bevor unser Kontaktmann kommt!« Rander und Parker verließen den Wohnsalon. Parker hatte unter einem Couchtisch einen kleinen Minisender zurückgelassen. Was die Gegenseite konnte, schaffte er schon längst. Die drei Männer warteten, bis sie allein waren. Dann tuschelten sie leise und aufgeregt miteinander. Sie schienen ihre sehr privaten Probleme zu haben. * »Begreift doch«, sagte der Taxifahrer eindringlich, »das Telefon ist angezapft. Die haben jedes Wort von dem mitbekommen, was dieser Anwalt gesagt hat.« »Na, und…?«, fragte der erste Sonnenbrillenträger naiv. »Dann wissen unsere Leute doch wenigstens, wo wir sind und was mit uns los ist«, stellte der zweite Träger einer Sonnenbrille fest. »Ihr ausgemachten Idioten«, empörte sich der Taxifahrer, »sie müssen doch annehmen, daß wir wirklich gequasselt haben, klar? Begreift ihr denn nicht, was das bedeutet!?« »Stimmt aber doch überhaupt nicht! Wir haben kein Wort ge27
sagt…!« Der erste Sonnenbrillenträger war ein Ausbund an Naivität. »Und aus uns bekommen die auch kein Wort raus«, versprach der zweite Sonnenbrillenträger unnötigerweise. »Bei euch muß sich ‘ne falsche Schaltung eingeschlichen haben.« Der Taxifahrer wurde etwas lauter. »Unsere Leute müssen glauben, daß wir geredet haben. Begreift doch! Sie haben das Telefongespräch abgehört. Die Leitung und der Apparat sind angezapft… Ob der Anwalt gelogen hat oder nicht, unsere Leute werden ihm glauben…« Den beiden Konsumenten von Sonnenbrillen ging endlich ein Licht auf. Sie sahen sich betreten an, schluckten und rechneten sich aus, was sie erwartete. Vielleicht hatte sich bei ihnen bereits das Schicksal eines gewissen Norman Flush herumgesprochen. »Was machen wir jetzt?« fragte der erste Brillenträger. »Frag’ lieber, was die mit uns machen?« wollte der Taxifahrer klären. Er meinte natürlich seine Leute. »Die… die bringen uns um… Verräter haben bei uns noch nie lange gelebt!« erinnerte sich der zweite Brillenträger. »Genau«, pflichtete der Taxifahrer ihm bei, »wie ich die kenne, haben sie inzwischen schon geschaltet. Wir kommen niemals mit heiler Haut aus diesem Mist heraus!« »Aber die können uns doch nicht so einfach umlegen!« Der erste Sonnenbrillenträger haderte mit seinem Schicksal und wurde weich in den Knien, obwohl er saß. »Hast du ‘ne Ahnung, was die alles können«, sagte der zweite Brillenträger in einer Art und Weise, die an Masochismus erinnerte, »die knipsen uns einfach aus. Und dann haben wir noch verdammtes Glück gehabt!« »Ich laß mich nicht umlegen…« Der erste Sonnenbrillenträger begann bereits seine Sünden zu büßen. Er stieß den Taxifahrer an. »Warum steigen wir nicht aus. Noch könnten wir verschwinden…« Der Driver nagte hingebungsvoll an seiner Unterlippe und nickte langsam. Dann nahm er den Kopf herum in Richtung Tür, durch die Rander und Parker gegangen waren. »Hallo!« rief er laut, »Hallo… He… Sie da…! Hallo… Wir haben Ihnen was zu sagen!«
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* Parker und Rander gingen zurück zum Ford, den sie von den drei Männern leihweise übernommen hatten. »Sind Sie sicher, daß sie uns nicht entwischen können?« wollte Rander wissen, als sie in den Wagen stiegen. »Vollkommen sicher, Sir! Ich habe mir erlaubt, die drei Herren um den gemauerten Kamin zu drapieren. Sie sind durch drei Handschellen, die ich leider opfern mußte, untrennbar miteinander verbunden.« Parker und Rander hatten den Bungalow verlassen und die drei Männer hinunter zum Strand von Santa Monica transportiert. Hier hatte Parker kraft seines Auftretens einen Strandbungalow gemietet, der allerdings kaum größer war als ein mittleres Wohnzimmer. Dieser Strandbungalow zeichnete sich durch einen gemauerten Kamin aus, der in der Mitte der Holzhütte stand. Eine bessere Unterkunft für die drei Männer hatte er sich gar nicht ausmalen können. Die drei Männer hatten während der Fahrt ausgiebig geplaudert. Ob sie die Wahrheit gesagt hatten, sollte jetzt festgestellt werden. Rander und Parker machten sich auf den Weg, gewisse Angaben nachzuprüfen. »Hoffentlich wurden wir nicht verfolgt«, sagte Rander, als er anfuhr. »Ich möchte nicht zurückkehren und ein Blutbad vorfinden.« »Eine Garantie für ein Nicht beobachtet worden sein, Sir, kann ich selbstverständlich nicht übernehmen.« »Natürlich nicht! Hören Sie, Parker, ich werde an geeigneter Stelle aussteigen…« »Diesen Vorschlag, Sir, wollte ich mir gerade erlauben zu unterbreiten.« »Damit Sie mal wieder freie Bahn haben, wie?« »Um einem Blutbad vorzubeugen, Sir! Wenn Sie erlauben, möchte ich Sie aber vorher noch mit einigen Spezialitäten aus meinem Privatkoffer versorgen.« Rander hatte dagegen verständlicherweise nichts einzuwenden. * Rander hatte es sich im Sand bequem gemacht und überwachte 29
den kleinen Strandbungalow. Da es bereits dunkel wurde, war der Badeverkehr abgeebbt. Rander hatte einen taktisch geschickt ausgewählten Posten bezogen und konnte nicht so leicht überrascht werden. Er hingegen hatte den Strandbungalow knapp vor sich und konnte ihn gegen etwaige Besucher verteidigen. Rander schreckte hoch, als er einen verwehten Hilferuf hörte. Täuschung? Halluzination? Oder Wirklichkeit? Er sah hinaus auf die See, suchte den Strand ab und konnte zunächst nichts entdecken. Dann bemerkte er aber den schlanken Arm, der aus dem Wasser ragte und verzweifelt winkte. Rander befand sich in einem bösen Zwiespalt. Da war offensichtlich ein reizendes Menschenleben zu retten, auf der anderen Seite wollte er sich aber auch nicht durch einen faulen Trick von der Strandhütte weglocken lassen. Der zweite Hilferuf reichte aber bereits aus, seine ritterlichen Instinkte überschäumen zu lassen. Rander pfiff auf Vorsicht und Mißtrauen und rannte aus seinem Sand- und Strandversteck hinunter zum Wasser. Er warf sein Jackett ab, schleuderte die Slipper von den Füßen und stürzte ins Wasser. Eine Frau befand sich in Lebensgefahr, da gab es für ihn kein Halten mehr. Mit kraftvollen Kraulstößen arbeitete er sich durch die ansehnliche Brandung, erreichte offenes Wasser, und arbeitete sich an die Ertrinkende heran. Sie war bereits von der Brandung erfaßt worden und trieb hilflos in der See. Rander mühte sich ab, gewann Raum und hatte die Ertrinkende nach einigen qualvoll langen Minuten endlich erreicht. Sie schlug verzweifelt um sich, klammerte sich an Mike Rander fest und wollte sich um keinen Preis der Welt retten lassen. Rander brüllte ihr Befehle ins Ohr und wollte sie zur Vernunft bringen, doch ihre Todesangst war wohl zu groß, um darauf reagieren zu können. Oder wollte sie überhaupt nicht!? Rander plagte ein schrecklicher Verdacht. War das hier nur geschickte Schauspielerei? Wollte sie ihn unter Wasser drücken? Gehörte sie vielleicht zu den Leuten, gegen die er und Parker angetreten waren? Der Anwalt schluckte Wasser und wehrte sich verzweifelt gegen die klammernden Hände und Arme des jungen Mädchens, das 30
höchstens zwanzig Jahre alt war. Er kämpfte einen harten Kampf mit ihr, der aber nicht entschieden werden konnte. Verzweifelt trat er mit seinen Beinen, als ihre Arme sie umklammerten. Langsam wurde Mike Rander unter Wasser gezogen. Peinlich für ihn, daß er dabei vergessen hatte, seine Lungen mit Frischluft zu versorgen… * Es war eine Art Glaspalast, vor dem Josuah Parker seinen entliehenen Ford stoppte. Die Etagen eines dreistöckigen Stahlskeletts waren ausgefüllt mit Glasbausteinen, die in schneller Folge ihre Farben wechselten. Vom tiefen Rot über Blau und Orange changierten sie in allen bekannten Zwischentönen. Der fast viereckige Glaswürfel schien innerlich zu kochen und zu glühen. Der große Parkplatz vor diesem Glaswürfel war dicht gefüllt, ein Zeichen dafür, daß man sich diese neue Attraktion in Santa Monica nicht entgehen lassen wollte. Parker hatte von diesem Glaspalast schon gehört. Er sollte laut einschlägiger Reklame alles bieten, was man sich nur wünschen konnte, falls man in der Lage war, dafür natürlich auch zu zahlen. Der Glaswürfel stand mit seiner Rückseite an einem sanften Hügel, den man in einen exotischen Dschungel verwandelt hatte. Magische Lichtspiele auch hier. Und darüber sanfte musikalische Berieselung, die jede Kritik tödlich sicher einschläferte. Josuah Parker, der den Leihford vor dem Glaspalast abgestellt hatte, zögerte, ihn zu betreten. Er sah sich die Gäste an, die kamen und gingen. In der Regel handelte es sich um junge Leute bis zu einem Höchstalter von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Parker hatte das Gefühl, darunter störend zu wirken. Das war das Ziel, von dem die drei jungen Männer gesprochen hatten. Hier arbeiteten sie als Angestellte. Und der Manager des Hauses, ein gewisser Bert Lonsdale, sollte sie angeblich losgeschickt haben. Eine Lüge, oder vielleicht sogar die Wahrheit? Parker entschloß sich zu einem Besuch des Glaswürfels. Er lustwandelte gemessen und würdevoll hinüber zum Eingang, in dem Lichtblitze zu explodieren schienen. Ausgesuchte nette Girls, mehr als leicht geschürzt und in knappen Kostümen, schienen 31
eine Art Grobsortierung der Kunden vorzunehmen und bugsierten sie geschickt und mit einem Dauerlächeln auf den Lippen auf Rolltreppen. Parkers Auftauchen war eine kleine Sensation. Die jungen Damen lächelten endlich frei und ungezwungen und ohne an den tarifmäßig zustehenden Lohn zu denken. Die jungen Menschen, die mit Parker den Glaswürfel betraten, schufen eine Art freie Gasse für den Butler, der höflich seine schwarze Melone lüftete. »Ich beabsichtige, mich ein wenig zu entspannen«, sagte Parker, sich an eine der jungen Damen wendend, »ich bin sicher, Sie werden mir entsprechende Vorschläge machen können.« »Aber ja!« gab die junge Dame zurück und strahlte den Butler freundlich an, »was schwebt Ihnen denn so vor?« »Nichts. Ich möchte mich fachgerecht beraten lassen.« »Möchten Sie einen netten Film sehen?« »Nicht unbedingt.« »Tanzen kommt für Sie wohl kaum in Betracht, oder?« »Ich fürchte, Madam, Sie haben mich vollkommen richtig eingeschätzt.« »Wir haben einen großen Saal, in dem Sie flippern können…« »Ein Vorschlag, der mich interessieren könnte…« »Dort die Rolltreppe bitte!« Die junge Dame ging voraus und brachte den Butler zu einer Rolltreppe, die offensichtlich hinunter in den Keller führte. Parker bedankte sich förmlich und ließ sich von den Rollstufen in die Unterwelt des Glaswürfels transportieren. Die junge Dame hatte nicht übertrieben, als sie von einem großen Saal gesprochen hatte. Er war fast so groß wie zwei kleinere Turnhallen und angefüllt mit Flippergeräten aller Systeme. Unter anderem gab es auch Geldspielautomaten, denen Parker sein besonderes Interesse schenkte. Während er einen der geldgierigen Automaten mit den entsprechenden Münzen fütterte, beobachtete er die jungen Menschen, die sich hier unten mit Hingabe daran machten, ihre Freizeit zu zerstückeln. Der erste Eindruck hatte nicht getrogen. Es waren fast ausschließlich junge Menschen beiderlei Geschlechts, die den Saal bevölkerten. Zu dem Rattern der Automaten wurde aus vielen Lautsprechern harte Popmusik geliefert, peitschend im Rhythmus, heiß, aufdringlich und fordernd. 32
Parker wußte nicht genau, wonach er suchte. Er wartete auf Überraschungen. Er hoffte, daß sein Erscheinen entsprechend registriert worden war. Nach knapp einer Stunde wußte er, daß dieser Besuch einem eklatanten Fehlschlag gleichkam. Man übersah ihn und kümmerte sich nicht um ihn. Parker kam zu dem Schluß, daß die drei Vertreter des Jenseits ihm einen Bären aufgebunden haben mußten. Es bestand aber auch die Möglichkeit, daß die Gegner, mit denen er es zu tun hatte, sehr klug waren und volle Deckung genommen hatten. Parker, der ein paar Dollar an und von den Automaten gewonnen hatte, ließ sich von der Rolltreppe zurück zum Ausgang bringen. Und da er nach wie vor ein mißtrauischer Mensch war und blieb, vergaß er den Leihford. Er ließ ihn dort auf dem Parkplatz stehen, wo er ihn abgestellt hatte. Parker schritt über die breite Anfahrt hinunter zur Straße und winkte ein Taxi ab. Er stieg in den Wagen und ließ sich in Richtung Beverly Hills bringen. Doch schon nach wenigen hundert Metern bat er den Wagen anzuhalten, entlohnte den Fahrer mit einem zusätzlichen Trinkgeld und begab sich zu Fuß zurück zum Parkplatz. Er wollte aus der Distanz beobachten, ob irgend etwas mit dem Ford geschah. Seine Taktik erwies sich als erfolgreich. Seine einmalige Begabung, sich in die Gedankenwelt etwaiger Gegner zu versetzen, zahlte sich wieder einmal aus. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Am Ford, mit dem er gekommen war, hantierten zwei junge Männer herum, die eine Art Uniform trugen, die aus Dinnerjackett und dunkler Hose bestand. Diese beiden jungen Männer hatten die Motorhaube des Wagens geöffnet und holten gerade einen Gegenstand hervor, der nicht größer war als eine flache Zigarrenkiste. Nachdem sie dieses Kistchen geborgen hatten, setzten sie sich ans Steuer und fuhren vom Parkplatz herunter… * Mike Rander, an Wasser nur dann interessiert, wenn es galt, sich einen guten Drink zu mixen, schluckte eine gehörige Portion 33
von der Salzbrühe, bis es ihm gelang, sich von den klammernden Armen der Ertrinkenden zu befreien. Er und das Girl lieferten sich unter der Wasseroberfläche eine Art Catch-as-catch-can, bei dem sich der Bikini des Mädchens in seine Einzelbestandteile auflöste, wie sich bald darauf zeigte. Rander gewann nämlich die Oberhand, schleppte das jetzt schlaffe Mädchen zurück an den Strand und trug es an Land. Dabei stellte er fest, daß er wohl doch etwas zu derb zugegriffen hatte. Derb im Hinblick auf ihren winzig kleinen Badeanzug, von dem nur noch traurige Reste zurückgeblieben waren. Im Grunde war sie nackt! Rander schluckte betreten. Dieses Schlucken hing keineswegs mit dem ebenmäßig schönen Körper des Mädchens zusammen, sondern mit der Tatsache, daß sie nackt war. Rander war selbstverständlich nicht prüde, aber die Situation konnte vielleicht von Außenstehenden mißverstanden werden. Er beeilte sich, die junge Dame hinüber zur nahen Strandhütte zu tragen. Sie kam wieder zu sich, als er die Hütte fast erreicht hatte. Sie schlug die Augen auf, sah das Gesicht Randers über sich und fühlte, daß man sie auf Händen trug und mißverstand, wie es der Anwalt befürchtet hatte. Sie stieß einen äußerst spitzen Schrei aus, wehrte sich sofort sehr heftig und biß in seine rechte Hand, worüber Rander auf keinen Fall glücklich war. Er ließ sie lieblos in den weichen Sand fallen und wickelte sein Taschentuch über die erfreulicherweise nicht große Bißwunde. »Leicht verrückt, wie?« sagte er dann gereizt, »ist das der Dank dafür, daß ich Sie aus dem Wasser geholt habe?« »Entschuldigung!« sagte sie, um dann zu weinen. Der Schock schüttelte sie durch und warf sie der Länge nach in den Sand. Sie schien überhaupt noch nicht kapiert zu haben, daß sie textillos war. »Nehmen Sie meine Jacke«, schlug Rander vor, »Sie werden sich erkälten.« Er warf ihr seine Jacke über und sah auf die nahe Holzhütte, wo sich die drei Gangster befanden. Sie fuhr hoch, als sei sie elektrisiert worden. Sie nahm die Arme von der Brust und griff dann hastig nach der Jacke. Sie weinte plötzlich nicht mehr. 34
»Entschuldigung«, sagte sie noch einmal. »Wo haben Sie denn Ihre Kleider abgelegt?« wollte Rander wissen. »Drüben im Wagen!« Sie deutete in die Dämmerung, die sich langsam in eine helle Nacht verwandelte. »Er steht hinter der kleinen Düne.« »Kommen Sie, ich werde Sie hinbringen.« Sie hüllte sich in Randers Jacke und hatte nichts dagegen, daß er sie begleitete. Sie lachte plötzlich und blieb stehen. »Sie retten mich, und ich beiße sie«, meinte sie dann prustend, »ist das komisch… Ich muß verrückt gewesen sein!« »Schön vergessen«, erwiderte Rander großzügig. »Ich bin wohl zu weit rausgeschwommen«, erklärte sie, »die Brandung riß mich immer wieder zurück…« »Das hätte wirklich ins Auge gehen können«, meinte Rander. Sie hatten den Wagen erreicht, und die junge Dame öffnete den Schlag. »Bitte, drehen Sie sich einen Moment um«, sagte sie, »es dauert nur ein paar Minuten, bis ich angezogen bin…« Rander, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, drehte sich selbstverständlich gehorsam um und bedauerte es im Grund, daß sie sich jetzt ankleidete. In seiner Jacke hatte sie eigentlich sehr reizvoll und sexy ausgesehen. Dann gab es nichts mehr zu denken. Das hing mit dem Schlag zusammen, der seinen Hinterkopf traf. Rander seufzte und machte es sich im Sand bequem. Sehr bequem sogar. Er streckte Arme und Beine aus und war der jungen Dame auf Leben und Tod hilflos ausgeliefert… * Der Ford, den Parker aufgegeben hatte, wurde um den Glaswürfel herumgefahren und verschwand dann anschließend in einer Tiefgarage, die in den Hang gebaut worden war. Als der Wagen die Einfahrt passiert hatte, senkte sich das schwere Doppeltor und rastete deutlich hörbar in irgendwelche Sicherungen ein. Parker, der dies alles beobachtet hatte, neigte jetzt zur Annahme, daß die drei gefesselten Männer ihn richtig informiert hatten. 35
Dieser Glaswürfel diente sicher nicht nur der Entspannung und Anregung junger Leute. Er mußte ein gefährliches Geheimnis bergen. Es war für Parker klar, daß man ihn also doch sehr gut beobachtet haben mußte. Umsonst hatte man die Sprengladung nicht unter der Motorhaube angebracht und später wieder entfernt, als er auf den Ford verzichtet hatte. Wahrscheinlich hatte es sich um eine Sprengladung gehandelt, die man per Fernzündung hochgehen lassen konnte. Gewiß, noch handelte es sich um Vermutungen, doch Parker nahm sich vor, den Beweis für diese Vermutungen früher oder später anzutreten. Er wußte jetzt, daß er sich an diesen Glaswürfel zu halten hatte. Es wäre jedoch lebensgefährlich gewesen und vielleicht sogar einem Selbstmord gleichgekommen, allein und auf eigene Faust diesen Würfel heimlich zu untersuchen. Wenn die Gegner aus dem Jenseits sich Zeit ließen, konnte er mit seiner Zeit ebenfalls großzügig umgehen. Aufgeschoben war schließlich nicht aufgehoben. Parker ging endgültig zurück zur Hauptstraße und entdeckte einen Schnellimbiß an der nächsten Ecke. Er bemühte das Telefon und rief den Glaswürfel an, nachdem er die Nummer dieser riesigen Vergnügungsmaschine im Telefonbuch gefunden hatte. »Das Gesundheitsamt«, sagte Parker, als sich auf der Gegenseite eine weibliche Stimme meldete. »Verbinden Sie mich bitte mit dem leitenden Manager!« Im Sinne einer strengen Auslegung arbeitete der Butler mit einem Bluff. Er glaubte ihn sich aber leisten zu können und zu müssen, da es um Dinge ging, die man mit normalen Mitteln nicht schnell erledigen konnte. Er bekam seine Verbindung, und ein gewisser Bert Lonsdale meldete sich, jener Mann also, von dem die drei Gangster eindeutig gesprochen hatten. »Lonsdale…« Die Stimme klang kühl und knapp. Sie mußte einem Mann gehören, der es gewöhnt war, Befehle zu verteilen. »Parker mein Name… Josuah Parker«, stellte der Butler sich höflich vor. Er wollte den anfänglichen Bluff nicht weiter ausbauen. »Ich darf wohl sicher sein, daß mein Name Ihnen etwas sagt, nicht wahr?« »Parker…? Parker!? Nie gehört… Was wünschen Sie?« »Ruhe, um es genau zu sagen«, gab der Butler zurück, »Mister 36
Rander und meine bescheidene Wenigkeit haben etwas dagegen, mit Sprengladungen zu Himmelfahrten verführt zu werden… Von Blausäurepatronen einmal ganz zu schweigen!« Auf der Gegenseite wurde es still. Dachte dieser Mister Lonsdale nach? Hatte es bei ihm gezündet, wenn dies nicht länger der Fall gewesen war? »Hören Sie«, meldete Lonsdale sich zu Wort, »wenn Sie Witze machen wollen, dann treten Sie gefälligst im Fernsehen oder auf der Bühne auf…« »Legen Sie tunlichst noch nicht auf«, sagte Parker, »fairerweise möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich die Absicht habe, den Glaspalast zu untersuchen. Außerhalb der regulären Dienststunden natürlich. Ich danke Ihnen für die Freundlichkeit des geduldigen Zuhörens!« Parker legte auf und verließ den Schnellimbiß. Er war sicher, Lonsdale eine sehr harte Nuß serviert zu haben. Jetzt mußte der leitende Manager des Glaswürfels sich einiges einfallen lassen. Vorausgesetzt natürlich, daß er der Mann war, der die drei Gangster losgeschickt hatte. Parker erwischte ein Taxi, ließ sich zu einer weltweit bekannten Autoverleihfirma bringen und erledigte hier die Formalitäten für eine sportwagenähnliche Limousine, deren Pferdestärken ihm zusagten. »Passen Sie höllisch auf«, sagte der Vermieter des Wagens besorgt, »der Wagen geht ab wie eine Rakete.« »Wie erfreulich«, stellte der Butler zufrieden fest. »Kennen Sie sich mit schnellen Wagen aus?« wollte der Vermieter wissen. »Es gehört zu meinen stillen Leidenschaften, Autorennen im Fernsehen zu verfolgen«, gab der Butler gemessen zurück, »es war schon immer mein Wunsch, diesen Männern nachzueifern. Ich möchte annehmen, daß sich die Erfahrung in der Beherrschung eines schnellen Wagens von allein einstellen wird!« Parker startete so, daß der Mann einem Schlaganfall ungemein nahe war. Der Wagen schoß auf die Ausfahrt zu, stellte sich in der Kurve fast zierlich auf zwei Räder und wischte dann mit einem gekonnten Powerslide hinüber auf die Straße. Der Vermieter glaubte bereits, das Knirschen von Blech zu hören, doch dieser Eindruck war völlig falsch. In der Luft war nur noch das satte Röhren eines Hochleistungsmotors… 37
* Als Rander zu sich kam, hatte er das Gefühl, ein Dampfhammer bearbeite seinen Kopf. Dennoch wußte er sofort, daß er von der Frau niedergeschlagen worden war. Stöhnend richtete er sich auf und faßte vorsichtig an die schmerzende Stelle am Hinterkopf. Als er sich hochsetzte, entdeckte er die Frau, die sich mit dem Rücken gegen ihren Wagen gelehnt hatte. »Sie sind mir ein Herzchen«, sagte Rander gereizt und wollte aufstehen. »Bleiben Sie sitzen«, erwiderte sie mit kühler Stimme, »sobald Sie Unsinn machen, schieße ich…!« Sie hatte zumindest einen Browning in der Hand, wie Rander jetzt entdeckte. Und die ganze Art ihrer Haltung drückte aus, daß sie keinen Spaß verstand. Wahrscheinlich wußte sie sehr gut mit einer Waffe umzugehen. »Sehr geschickt inszeniert«, sagte Rander und deutete auf das Wasser hinaus. Er blieb sicherheitshalber sitzen. »Vielen Dank für das Kompliment«, sagte sie lächelnd, »gelernt ist eben gelernt!« »Demnach gehören Sie also zu den drei Burschen drüben in der Hütte?« »Diese Anfänger«, erwiderte sie abfällig, aber sie widersprach nicht. »Ich darf mich wohl wundern, daß Sie mich noch nicht umgebracht haben, oder?« »Sie dürfen«, meinte sie lächelnd »normalerweise hätten Sie’s bereits hinter sich, aber ich brauche Sie noch.« »Überschätzen Sie mich nicht!« Randers Kopfschmerz ließ nach. Diese Unterhaltung lenkte ihn ab. »Ich brauche Sie, um Ihren Butler anzulocken«, redete die junge Frau weiter, »ich nehme an, daß er den Schlüssel zu den Handschellen hat, nicht wahr?« »Sie haben mich also bereits durchsucht?« »Irgendwie mußte ich mir ja die Zeit vertreiben«, sagte sie, »wann wird Ihr Butler zurückkommen?« »Das hängt davon ab, wie er mit einem gewissen Lonsdale klarkommt«, entgegnete Rander. Er nannte den Namen, den die drei 38
Gangster ausgiebig serviert hatten, als sie hierher nach Santa Monica geschafft worden waren. Die junge Dame wußte mit dem Namen Lonsdale etwas anzufangen. Sie starrte Rander bohrend an und sah plötzlich gar nicht mehr so freundlich aus. »Haben mein Butler und ich zuviel erfahren?« wollte Rander wissen. »Der Name Lonsdale scheint Ihnen unter die Haut gegangen zu sein.« »Unsinn!« Sie erwiderte mechanisch und ohne Überzeugungskraft. »Lonsdale ist demnach also der Chef, der das Jenseits organisiert, nicht wahr?« Rander nutzte die Gelegenheit, weitere Informationen aus erster Hand zu bekommen. »Sie reden sich um Ihren Kopf«, warnte ihn die junge Frau. »Die drei Burschen drüben in der Badehütte wohl auch, oder?« »Wollen Sie mich aushorchen?« »Irgendwie sollte man sich doch die Zeit vertreiben«, sagte Mike Rander. »Sie haben’s getan, als Sie mich durchsuchten, ich tu’s, um auf andere Gedanken zu kommen.« »Davon werden Sie nicht mehr viel haben, Mister Rander!« »Ich wundere mich schon nicht mehr, daß Sie mich kennen… Wir standen wohl die ganze Zeit über unter Kontrolle, nicht wahr?« »Sie haben es erraten.« »Irgendwie schmeichelhaft, daß Sie Parker und mich für wichtig halten.« »Offen gesagt, ich wundere mich darüber«, sagte sie ironisch, »so fürchterlich gut sind Sie nun auch wieder nicht! Aber das habe schließlich nicht ich zu entscheiden.« »Dafür ist wohl Mister Lonsdale zuständig, nicht wahr?« »Was haben Sie davon, wenn ich Ihnen mit Einzelheiten komme?« wollte die junge Dame wissen, »Sie werden damit doch nichts anfangen können.« Rander wollte die Unterhaltung mit einer Frage fortsetzen, doch die ehemalige Badenixe, wie sie sich ihm eben noch gezeigt hatte, legte plötzlich keinen Wert mehr darauf. Verständlicherweise übrigens. Das Geräusch eines Automotors war nämlich laut und deutlich zu hören. Wenn nicht alles täuschte, kam ein gewisser Josuah Parker von 39
seinem Ausflug in die Stadt zurück… * Josuah Parker stieg aus dem Mietwagen und näherte sich vorsichtig der Badehütte, in der er die drei Gangster aus dem »Jenseits« zurückgelassen hatte. Seiner bescheidenen Ansicht nach konnten sich gewisse Überraschungen angebahnt und durchgesetzt haben. Er wollte sich solchen Überraschungen freiwillig nicht ausliefern. »Hallo, Parker!« Der Butler hörte, die Stimme seines jungen Herrn und reagierte entsprechend. Er lüftete höflich seine schwarze Melone und suchte nach Mike Rander, dessen Stimme seitlich aus den leichten Dünen kam. »Hier, Mister Parker!« rief Rander, um seinem Butler die Orientierung zu erleichtern, »hallo… hier…!« »Sofort, Sir!« gab der Butler zurück, »ich habe mir erlaubt, einen kleinen Imbiß zu besorgen, den ich gleich servieren werde.« Parker ging zurück zu seinem Wagen, und man hörte wenig später das Öffnen und dann wieder das Zuschlagen der Wagentür. * »Ein falsches Wort, Rander und Sie werden qualvoll sterben«, sagte die kriegerische junge Dame, die knapp hinter Mike Rander stand, »ich brauche Ihnen wohl nicht auszumalen, welche Möglichkeiten es da gibt!« Sie brauchte nicht, Rander hatte sehr gut verstanden. Er traute der Badenixe, die er aus den Wellen geholt hatte, jede Gemeinheit zu. »Schon in Ordnung«, erwiderte er leise, um sich ihrer Lautstärke anzupassen, »machen Sie’s nicht so spannend!« Die Badenixe ließ den jungen Anwalt nicht aus den Augen. Sie hatte sehr genaue Anweisungen bekommen und war fest entschlossen, keine Pannen zu riskieren. Sie wollte auf einer gewissen und internen Stufenleiter emporklettern. Und dazu gehörte 40
bedingungsloser Gehorsam. »Wo bleibt Ihr Butler?« fragte sie leise und mit einer gewissen Nervosität. »Er wollte den Imbiß holen, oder nicht?« Rander blieb ruhig. Wenigstens nach außen hin. Innerlich vibrierte er natürlich. Es war ihm klar, daß die Badenixe nicht spaßte. Die junge Dame, die fast gierig darauf wartete, den Butler niederzuschießen, stand breitbeinig hinter Mike Rander. Und sie zuckte leicht zusammen, als sie von einer blutgierigen Mücke gestochen wurde. Und zwar ausgerechnet in ihre Kehrseite. Es mußte sich um ein besonders großes und hungriges Exemplar gehandelt haben, denn die junge Dame spürte an der Stichstelle ein heißes Brennen, das in einen verrückten Juckreiz überging. Noch bezwang sie sich, dann aber nahm sie die freie Hand und rieb sich sehr unverhohlen die juckende Stelle. Viel Energie brauchte sie allerdings nicht aufzuwenden, denn ihr wurde plötzlich flau im Magen. Sie fühlte sich nicht mehr besonders wohl. Kalter Schweiß brach aus, ihre Knie wurden weich, und dann sah sie eigentlich nur noch bunte Sterne. Erst als sie im Sand lag, wurde ihr für Bruchteile von Sekunden klar, daß irgend etwas doch nicht stimmte. Sie wollte den Arm hochreißen und auf Rander schießen, den sie aber längst nicht mehr sah. Dann verwandelten die bunten Sterne sich in lange, schwarze Fahnen, die ihr Bewußtsein eindeckten. Flach atmend, aber tief ohnmächtig, schloß sie die Augen und spielte nicht mehr mit. »Ich hoffe, Sir, Ihre Warnung verstanden und richtig gedeutet zu haben«, war Parkers Stimme aus der Dunkelheit heraus zu hören. »Und ob Sie richtig verstanden haben, Parker!« Rander wischte sich den leichten Angstschweiß von der Stirn, »sehen Sie sich das Früchtchen an, das hier verrückt spieltet.« Der scharf gebündelte Strahl von einer KugelschreiberTaschenlampe flammte auf. Parker bediente sich dieses ausgezeichneten Hilfsmittels, um sich optisch einen Eindruck zu verschaffen. Der scharfe Strahl wanderte über den attraktiven Körper der Frau. »Schön, aber wahrscheinlich restlos verdorben«, sagte Rander, »ich werde Ihnen später erzählen, wie sie mich eingewickelt hat.« »Ich bin nachträglich froh, Sir, daß Sie die für solche Fälle ver41
abredete Warnung äußerten. Die Anrede >Mister Parker< ließ mich selbstverständlich stutzig werden!« »Und was haben Sie ausgerichtet?« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich später darüber berichten. Man sollte vielleicht dieses unerfreuliche Feld räumen, bevor sich weitere Boten des Jenseits einbinden.« »Nichts wie weg! Einverstanden! Aber was machen wir mit den drei Gangstern drüben in der Badehütte? Was wird aus der Hübschen hier?« »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mir etwas Passendes einfallen lassen.« »Tun Sie sich bloß keinen Zwang an, Parker!« Rander gierte nach einer Zigarette, um sich etwas zu entspannen, »sagen Sie, womit haben Sie die Badenixe eingeschläfert? Blasrohrpfeil?« »Keineswegs, Sir…! Ich war so frei, diesmal mit meiner Krawattennadel zuzustechen. Dank Ihrer Unterhaltung konnte ich mich sehr nahe an die junge Dame heranpirschen!« Rander faßte mit an, als Parker ihn bat, die junge Nixe hinüber zur Badehütte zu tragen. Er wußte nicht, was sein Butler plante, war aber sicher, daß Parker einen recht guten Einfall haben mußte. Die drei Gangster, der Taxifahrer und die beiden Bombenwerfer, saßen nach wie vor mißmutig um den gemauerten Kamin und haderten mit ihrem Schicksal. Durch Handschellen miteinander verbunden, hatten sie keine Möglichkeit, sich vom Ort ihrer Niederlage zu entfernen. Sie wurden noch griesgrämiger, als sie die junge Kollegin entdeckten, die sie aber mit Sicherheit nicht erkannten, wie ihre Gesichter zeigten. Sie staunten bloß die junge Dame an und wußten sich auf ihr Erscheinen keinen Reim zu machen. Was nicht weiter verwunderlich war. Der Chef des Jenseits hatte bestimmt dafür gesorgt, daß seine Mitarbeiter sich untereinander nicht kannten. So etwas erhöhte nämlich seine eigene Sicherheit durch gegenseitige Kontrollen. »Ich fürchte, Sir«, sagte Parker, als die junge Dame auf dem Boden lag, »ich fürchte sehr, daß ich jetzt mit einer gewissen Indriegenzien vorgehen muß, die aber einem höheren Zweck dienen wird. Darf ich mir erlauben, Sie um eine gewisse Mithilfe zu bitten?«
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* Die beiden Polizei-Streifenfahrer, die ihren Wagen verlassen hatten, pirschten sich äußerst vorsichtig an das kleine Badehaus heran, in dem Licht brannte. Sie hatten sicherheitshalber ihre schweren Dienstpistolen gezogen, um nicht überrascht zu werden. Sie wußten aus Erfahrung, daß um diese Zeit mit Angetrunkenen nicht sachlich zu reden war. Sie erreichten das kleine, viereckige Fenster und schauten wachsam in das Innere der Hütte. Und staunten nicht schlecht! »Sagenhaft!« sagte der erste Streifenfahrer. »Die reinste Orgie«, fügte der zweite Polizist sachkundig hinzu. Die beiden Streifenfahrer grinsten sich an und schritten zur Tat. Sie traten die leichte Brettertür ein und studierten die Szene ungeniert in Großaufnahme. Umgeben von einer Unzahl leerer Bierkonserven, die einen penetranten Alkoholgeruch verströmten, lagen auf dem Boden drei junge, stämmige Männer und eine äußerst attraktive Frau. Alle vier Personen waren das, was der Volksmund laut Parker splitternackt genannt hätte. Die drei jungen Männer garnierten quasi die Schönheit des Mädchens. Arme und Beine waren ineinander verschlungen. »Blau wie die Veilchen«, stellte der erste Streifenfahrer fest. »Kunststück, bei dem Verbrauch!?« Der zweite Streifenfahrer deutete auf die leeren Bierkonserven. Die beiden Polizisten hatten natürlich keine Ahnung, daß die Konserven von Parker eingesammelt worden waren. Sie entstammten einem großen Abfallkorb, der in Strandnähe angebracht war. Und die beiden Polizisten wußten ferner nicht, daß die vier Personen hier in der Hütte mit einer Krawattennadel behandelt worden waren, die Parker trug und deren Spitze mit einem an sich unschädlichen Betäubungsgift präpariert war. Die beiden Streifenfahrer mußten sich zusammenreißen, um sich von diesem Anblick zu trennen. Sie schafften es jedoch, gingen zurück zu ihrem Dienstwagen und beorderten per Sprechfunk Verstärkung. Sie allein fühlten sich nicht stark genug, um hier Ordnung zu schaffen. 43
»Da fahren sie hin!« Rander schmunzelte. Er und Parker standen oberhalb vom Strand neben dem Mietwagen auf einem fast leeren Parkplatz und sahen zu, wie drei Streifenwagen der Polizei die Mitglieder einer nicht durchgeführten Orgie wegschafften. »Eine erfreulich schnelle Reaktion der zuständigen Behörden«, stellte der Butler fest, »von meinem Anruf bis zum ersten Erscheinen der Polizei vergingen nur insgesamt eineinhalb Minuten. Eine beachtliche Leistung!« »Sie sprachen ja immerhin von einer Orgie«, stellte Rander ironisch fest. »So was läßt man sich eben nicht entgehen, auch nicht die Polizei. Dieses Problem wäre also erledigt, Parker… Und jetzt?« »Während der Fahrt hierher zum Strand, Sir, passierte ich ein Motel, das einen erfreulichen Eindruck auf meine bescheidene Wenigkeit machte…« »Wollen wir den Bungalow aufgeben?« »Nur, wenn Sie es wünschen, Sir. Ein Verbleiben im Bungalow könnte die Nachtruhe empfindlich stören. Man müßte damit rechnen, daß sich ungebetener Besuch einstellt.« »Wenn schon, Parker. Wir dürfen den Kontakt zu unseren Gegnern doch nicht abreißen lassen!« »Sehr wohl, Sir… Wenn Mister Lonsdale, der führende im >Jenseits< tätig zu sein scheint, seine vier Mitarbeiter vermißt, wird er eine Abordnung zum Bungalow schicken!« »Eben, Parker, eben…! Treffen Sie alle Vorbereitungen, um unsere Besucher nicht zu enttäuschen!« * Mike Rander und Josuah Parker sahen sich getäuscht. Der erwartete Besuch stellte sich nämlich nicht ein. Sie verbrachten eine vollkommen ruhige Nacht und mußten einsehen, daß sie sich umsonst angestrengt hatten, was nämlich die Empfangsvorbereitung anbetraf. Parker servierte nach der Morgentoilette sehr guten Kaffee und dazu einen Imbiß, den er aus seinen Vorräten zusammengestellt hatte. »Lonsdale scheint den Kopf einziehen zu wollen«, sagte Rander, 44
als Parker ihm nachgoß, »vielleicht hat er sich auch einzig und allein auf Ihren angekündigten Besuch im Glaspalast eingestellt.« »Dies, Sir, ist anzunehmen.« »Dann hat er auf jeden Fall schlecht geschlafen. Tun wir so, als hätten wir Lonsdale inzwischen vergessen… Wir haben schließlich ein paar Adressen, die wir noch abklappern müssen.« »Sie meinen jene hoffnungsfrohen Jungwissenschaftler, die plötzlich auf Anstellungen und Zukunftsaussichten verzichteten?« »Richtig, Parker! Was halten Sie davon, wenn wir uns diese Leute ansehen. Moment mal! Haben wir in Chikago Namen genannt? Könnte man das abgehört haben?« »Falls auf dem Dachgarten tatsächlich ein Minisender abgesetzt wurde, Sir, hat er mit Sicherheit keine Namen weiterleiten können… Es wurde nur davon gesprochen, Los Angeles einen Besuch abzustatten.« »Dann wäre es denkbar, daß die Gegenseite die junge Leute kennt, die hier in Los Angeles wohnen. Was meinen Sie, Parker, wollen wir nicht lieber das Feld räumen und uns eine andere Stadt aussuchen, wo man uns nicht erwartet?« »Sehr wohl, Sir, ich schlage dann San Franzisko vor… Eine äußerst reizvolle Stadt, wie ich mich erinnere.« Mike Rander war einverstanden. * Der schlanke Vierzigjährige, unscheinbar aussehende, beobachtete zuerst durch seine Brillengläser, dann aber durch sein Fernglas den Bungalow. Dann zog er die Teleskopantenne seines Sprechfunkgeräts aus und ging auf Sendung. »Sie setzen sich ab«, meldete er seiner Gegenstelle, »die Schnüffler scheinen die Nase voll zu haben. Ich schlage aber vor, daß wir sie überwachen lassen. Sorgt dafür, daß sie an die Leine genommen werden. Sie fahren einen rasanten Wagen. Stellt euch darauf ein!« Der Vierzigjährige, der an einen Mittelständler erinnerte, befand sich auf einem benachbarten Hügel und hatte einen sehr guten Überblick. Er organisierte von seinem Standort aus über Sprechfunk die Beschattung und Verfolgung der beiden Schnüffler, wie 45
er Rander und Parker unschön bezeichnete. »Sie haben gerade ihr Gepäck im Wagen verstaut. Sie verschwinden tatsächlich! Paßt jetzt auf! Sie werden in etwa fünfzehn Minuten auf der Ausfallstraße sein. Hängt euch überlappend an sie. Wir müssen genau wissen, wohin sie fahren. Ich gehe ab sofort auf Empfang, um zu sehen, was läuft.« Er schob die Teleskopantenne zusammen und warf sein Gerät auf den Rücksitz des Wagens. Er wartete noch einen Moment, bis der Wagen den Bungalow verlassen hatte. Dann schaltete er das Radio ein und drückte auf einen versteckt angebrachten Zusatzknopf, der sich unter dem Gerät befand: Ab sofort empfing sein Autoradio die Durchsagen, die seine Mitarbeiter an ihn absetzten. Der so harmlos aussehende Mittelständler hatte ein gutes Gefühl. Seiner Schätzung nach lagen sämtliche Trümpfe dieses Spiels in seiner Hand. * »Eigentlich erstaunlich, daß man uns so ohne weiteres ziehen läßt«, meinte Anwalt Rander. Er saß neben seinem Butler im Mietwagen und genoß die Fahrt entlang der Küste. Zu diesem Genuß kam noch hinzu, daß Parker es im Gegensatz zu üblichen Fahrten überhaupt nicht eilig hatte. Riskantes und schnelles Fahren schien er überhaupt nicht zu kennen. »Ich möchte annehmen und unterstellen, Sir, daß Sie und meine Wenigkeit seit dem Verlassen des Bungalows beobachtet werden.« »Glauben Sie?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir! Man wird uns unterstellen, daß wir bereits einen zu tiefen Einblick in gewisse Praktiken genommen haben.« »Demnach müßten wir also mit Überraschungen rechnen?« »Sicher, Sir!« »Hauptsache, Sie haben sie einkalkuliert, Parker. Vielleicht darf man mal erfahren, wie Sie sich unsere weitere Arbeit vorstellen?« »Falls wir San Franzisko erreichen sollten, Sir, müßte man dort dafür sorgen, daß wir die Verfolger abschütteln. Um dann, Ihr Einverständnis voraussetzend, zurück nach Los Angeles zu fahren.« 46
»Sie rechnen mit einem Überfall?« »Ich glaube ungemein fest an diese Möglichkeit, Sir. Da sich bisher auf diesem Gebiet noch nichts getan hat, will man uns wohl in Sicherheit wiegen.« »Herrliche Aussichten… Hoffentlich weiß Clayton von der CIA, was er uns da angetragen hat.« Rander sah während der weiteren Fahrt öfter durch die Rückscheibe hinaus auf die breite Straße. Er suchte nach Verfolgern, doch die hatten sich prächtig getarnt. Irgendeinen bestimmten Wagen konnte der Anwalt nicht markieren. Erschwert wurde seine Suche dadurch, daß dichter Verkehr herrschte. Außer Rander und Parker hatten einige hundert Fahrzeuge das Bestreben, San Franzisko anzulaufen. »Langsam werde ich kribbelig«, sagte Rander schließlich, »mir wäre lieber, es würde was passieren. Dann weiß man doch wenigstens, woran man ist.« * »Sie sind vom Highway abgebogen«, kam eine Stimme aus dem Autoradio, »sie scheinen rüber nach Paso Robles zu fahren.« Der Mittelständler griff nach dem Mikrofon und ging auf Sendung. »Laßt euch nicht abschütteln«, gab er an seine Mitarbeiter durch, »kreist ihn vorsichtig ein, aber laßt euch nicht blicken! Steigt von mir aus auf andere Wagen um, die sich gerade anbieten. Sie müssen bis zum letzten Augenblick ahnungslos bleiben…« Der Mittelständler rückte seine Brille zurecht und war mit sich, der Welt und mit einem gewissen Jenseits durchaus zufrieden. Alles verlief zu seiner vollen Zufriedenheit. Er hatte gleich geahnt, daß die beiden Schnüffler aus Chikago nur ein Ablenkungsmanöver durchführen wollten. Schön, daß sie ihm jetzt den Gefallen taten und den Highway verließen. Abseits der verkehrsreichen Straße konnte man sich ja viel besser mit Rander und Parker befassen… *
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»Laut Karte, Sir, führt diese Seitenstraße an Paso Robles vorbei und später hinauf in die Bergwelt.« »Anzunehmen… Und dort wollen Sie’s zu einem Knall kommen lassen?« »In der Tat, Sir, und falls Sie einverstanden sind, interne Auseinandersetzungen, wie ich sie erwarte, sollten möglichst keine unbeteiligten Bürger gefährden.« Rander und Parker passierten Paso Robles und hielten dann hinter der kleinen Stadt an. Parker öffnete seinen schwarzen Spezialkoffer und versorgte Mike Rander und sich mit einigen Ausrüstungsgegenständen, die er für wichtig hielt. Anschließend ließ er den Mietwagen weiterrollen. Die Berge schoben sich von Minute zu Minute näher an die Straße heran, die ihrerseits in sanften Serpentinen anstieg. Nach etwa dreißig Minuten hatte Parker das Feld erreicht, das seinen Vorstellungen in etwa entsprach. Er bog von der schon recht schmal gewordenen Straße ab und parkte den Mietwagen geschickt in den Trümmern einer verfallenen Farm. Dieses Haus bestand nur noch aus Mauerresten, einem Schornstein, der erstaunlicherweise heil geblieben war, aus Bruchsteinen und schließlich aus einem Gewirr alter, ausgebleichter Bretter und Balken. »Wenn meine Vermutungen mich nicht täuschen, Sir, müßten hier bald die ersten Verfolger auftauchen«, sagte Parker, »sie werden sich diese scheinbar so günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen.« Rander zündete sich eine Zigarette an und schaute Parker zu, der die Zeit nutzte, um einige Überraschungen zu basteln, die er den Gegnern zueignen wollte… * Sie brauchten nicht lange zu warten. »Sieh’ an, ein Jeep… Sieht ganz nach einem harmlosen Farmer aus«, stellte Mike Rander fest. Parker nickte und verfolgte mit seinen Augen den zerbeulten, alten Wagen, der auf der Straße erschien und jetzt in Richtung Farmtrümmer abbog. »Man sollte sich sicherheitshalber auf einen Überraschungsangriff einstellen«, sagte Parker. 48
»Mit anderen Worten, Sie wollen erst schießen und dann Fragen stellen?« »Auf keinen Fall, Sir! Wenigstens nicht in dem Sinn, den Sie möglicherweise meinen.« Parker hatte seine zusammensteckbare Gabelschleuder schußfertig gemacht und in die Lederschlaufe eine kleine Stahlkugel gelegt. Diese Stahlkugel schickte er auf eine weite Luftreise, wobei er derart genau zielte, daß sie die hochgestellte Windschutzscheibe des Jeeps zertrümmerte. Der Fahrer bremste sofort scharf, stieß den Wagen mehr als hastig zurück und preschte davon. »Scheint ziemlich nervös zu sein«, stellte Mike Rander lächelnd fest. »Und dies, Sir, obwohl er nicht mit Sicherheit zu sagen vermochte, wodurch die Windschutzscheibe zertrümmert wurde«, fügte der Butler würdevoll hinzu. »Sein schlechtes Gewissen scheint ihn zur Umkehr bewogen zu haben.« »Dafür bekommen wir bereits anderen Besuch«, sagte der Anwalt und wies hinüber auf die Straße. Parker streifte den auftauchenden Wagen mit einem flüchtigen Blick. Er wandte sich um und kontrollierte die andere Seite des kleinen Plateaus, wo sich die Farmtrümmer befanden. Er wurde nicht enttäuscht. Parker entdeckte zwei Gestalten, die Raum gewinnen wollten, dabei aber auf Deckung aus waren. Diese beiden Männer, die ganz offensichtlich Gewehre trugen, pirschten sich in geduckter Haltung an die Farmtrümmer heran. »Alles in Ordnung?« fragte Rander, der den Personenwagen nicht aus den Augen ließ. »In etwa, Sir. Zwei Herren haben die Absicht, uns zu überraschen. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich dagegen etwas unternehmen.« »Lassen Sie sich nur nicht aufhalten, Parker!« Josuah Parker prüfte kurz die Windrichtung. Sie kam seinen Absichten mehr als entgegen. Ein leichter, heißer Wind strich über die Farmtrümmer und wehte auf die beiden Männer zu. Der Butler benutzte erneut seine Gabelschleuder, um kurz hintereinander zwei korkengroße Zylinder aus gebranntem Ton abzuschießen. Diese beiden Zylinder zerbarsten auf dem steinigen Boden und 49
gaben leichte Wolken frei, die aus einem sehr intensiven Tränengas bestanden. Die Wirkung war frappierend. Die beiden Angreifer vergaßen ihre Absichten, weinten bitterlich, wischten sich die fast ertrinkenden Augen und fühlten sich äußerst schlecht. Sie wußten es zwar nicht, spürten dafür aber, daß dem Tränengas ein Reizstoff beigemischt war, der die Magennerven zur Rebellion brachte. Und wie diese Magennerven rebellierten! Die beiden Männer knieten nieder und aßen rückwärts, wie der vulgäre Volksmund es so treffend ausgedrückt hätte. Die beiden Angreifer taumelten nach abgeschlossener Entleerung zurück zu ihrem Wagen, den sie in einem kleinen Seitental abgestellt hatten. Sie wußten bereits zu diesem Zeitpunkt, daß sie für eine weitere Mitarbeit an diesem Unternehmen nicht mehr in Betracht kamen. * Aus der Limousine stiegen drei Männer. Sie bauten sich hinter dem Wagen auf und schienen auf weitere Ereignisse zu warten. »Mag der Henker wissen, worauf die Brüder warten«, sagte Rander, »wahrscheinlich fühlen sie sich noch zu schwach.« »Bald wohl nicht mehr, Sir.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms in Richtung Limousine, hinter der jetzt ein Kleinlieferwagen mit geschlossenem Kastenaufbau erschien. Aus diesem Kastenaufbau kamen vier weitere Männer, die zu ihren drei ersten Partnern aufschlossen. »Das Jenseits ist aber kräftig vertreten«, meinte Rander respektlos. »Sie scheinen diesem Lonsdale bereits auf die Zehen getreten zu haben, Parker.« »Erfreulich, Sir, falls dem so war!« »Wir werden gleich mit einem handfesten Angriff rechnen müssen. Hoffentlich bekommen wir keinen Besuch aus der Luft.« »An diese Möglichkeit dachte ich bereits, Sir.« »Mit einem Hubschrauber bekäme man uns verflixt schnell in den Griff.« »Auch gegen einen Angriff aus der Luft ließen sich Gegenmaß50
nahmen treffen«, beruhigte Parker seinen jungen Herrn, »ich war so frei, solche Möglichkeiten einzukalkulieren.« Nun, die Mitglieder des Jenseits verfügten offensichtlich über keinen Hubschrauber. Sie hatten ihren Kriegsrat gehalten und schwärmten zum Angriff aus. Sie benahmen sich dabei so unbeholfen wie Stadtmenschen, die rein zufällig aufs flache Land geraten sind. Sie wußten mit den Gegebenheiten des Geländes nicht viel anzufangen. Parker, der an einer schnellen Entscheidung interessiert war, nahm seine Feuerwerksraketen und baute sich hinter einer halb zerfallenen Mauer auf. Diese Raketen, die man in einschlägigen Geschäften erstehen kann, befänden sich stets in und unter seinem Gepäck. Sie hatten ihm in der Vergangenheit schon manch wertvollen Dienst geleistet. Parker zündete die kurze Lunte der ersten Rakete an und visierte mit dem Startstock die Limousine an. Sekunden später fauchte und zischte die erste Rakete vom Stock los. Sie lag etwas zu kurz, platzte auseinander und versprühte eine Vielzahl von bunten und schillernden Knallkörpern. Diese Knallkörper tanzten und wirbelten durch das Gelände und verwirrten die Angreifer, die mit solch einer Verteidigungswaffe nicht gerechnet hatten. Die zweite Rakete traf bereits erstaunlich genau. Sie zischte durch eine der geöffneten Wagenscheiben in die Limousine hinein und setzte sie in Brand. Dunkler Rauch quoll in kürzester Zeit aus dem Fond. Wenig später züngelten die ersten Flammen in die Höhe. Die Angreifer, die noch gar nicht zum Zuge gekommen waren, waren total verwirrt. Der brennende Wagen hinter und neben ihnen paßte einfach nicht in ihr Bild. Inzwischen war Parker bereits dabei, den Kleinlieferwagen unter Raketenbeschuß zu nehmen. Er benötigte drei Feuerwerkskörper, bis auch dieser Wagen sich in Rauch, Qualm und Feuer hüllte. »Sie sollten zur Raketenwaffe übertreten«, frotzelte Rander seinen Butler an, »ausgezeichnet, Parker!« »Ich werde mir erlauben, jetzt die Rauchkörper in Betrieb zu setzen«, erwiderte Parker. Er nahm drei Kleinkonserven, deren obere Zündlaschen er energisch einriß. Anschließend warf der Butler mit der Kraft und Zielsicherheit ei51
nes verhinderten Olympioniken die Rauch- und Nebelbüchsen, die übrigens aus Armeebeständen stammten, in Richtung der Angreifer. Grauschwarze Nebelschwaden quollen auf und nahmen jede Sicht. Rander und Parker setzten sich in ihren Mietwagen und fuhren im Schutz der Nebelwand davon. Es wurde zwar etwas zaghaft geschossen, doch die mangelnde Sicht verhinderte jeden Treffer. Parker, der am Steuer saß, brachte den Mietwagen in einem weiten Bogen zurück auf die Straße und nickte dann seinem jungen Herrn zu, der ein rechteckiges Paket auf dem Schoß hielt, in dem sich breitkrempige Nägel befanden, die zum Anheften von Dachpappe auf Dächern vorgesehen waren. Mike Rander zweckentfremdete diese Pappnägel und verteilte sie freigiebig auf die Straße. Er glich dabei in etwa einem Landwirt, der sein Saatgut auf die Felder streut. Daß ihre Nagelernte aufgehen würde, wußten Rander und Parker. Sie hatten sich dieser Nägel schon häufig bedient. * Es war fast Mittag, als Rander und Parker wieder in Los Angeles eintrafen. Da sie keine Zeit verlieren wollten, verzichteten sie auf das gewohnte Mittagessen und fuhren sofort durch bis Burbank, einem Stadtteil von Los Angeles. Ihr Ziel war eine gewisse Maud Wilbure, die in der Forest Street wohnte. Sie hatten diese Adresse der Liste entnommen, die CIAAgent Clayton ihnen in Chikago überlassen hatte. Maud Wilbure war eine Meeresbotanikerin, die erst vor wenigen Wochen unter recht befremdlichen Umständen darauf verzichtet hatte, Leiterin einer Außenstation auf Catalina Island zu werden. Maud Wilbure hatte sich zwar ordentlich und regulär für diesen Posten beworben und war auch zu einem Informationsgespräch bestellt worden. Im Verlauf ihrer Unterhaltung hatte sie die erstaunliche Neigung erkennen lassen, ihren männlichen Gesprächspartner auszuziehen. Womit der Chef der meeresbiologischen Zentralstation nicht unbedingt einverstanden war. Maud Wilbure gehörte nach CIA-Agent Claytons Meinung zu dem Personalkreis, der gegen seinen Willen durch Fremdbeein52
flussung der Wissenschaft verlorengegangen war. Rander, der die Hausnummern in der Forest Street beobachtet hatte, deutete auf einen zweistöckigen Steinbau in der stillen Straße. Dort mußte die junge Dame wohnen. Es gab einen Haupteingang vorn an der Straße, und einen zweiten Eingang für das Obergeschoß, der aus einer Außentreppe bestand. Parker hielt den Wagen an und stieg aus. »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die Lage sondieren«, sagte er und lüftete seine schwarze Melone. »Okay, ich decke Ihnen den Rücken, falls wir verfolgt worden sind«, erwiderte Rander und untersuchte sicherheitshalber seinen kurzläufigen 38er. Parker ging auf das Haus zu und studierte das Namensschild am Haupteingang. »Wollen Sie was?« fragte eine schrille, scharfe Stimme aus einem kleinen Seitenfenster, das einer Schießscharte glich. »Ich habe die Absicht, Miß Maud Wilbure meine Aufwartung zu machen«, sagte Parker und bemühte erneut seine Melone. »Dann gehen Sie mal hinauf«, sagte die schrille Stimme hinter der sich leicht bewegenden Gardine der Schießscharte, »nutzen Sie die Gelegenheit! Lange wird die Schlampe nicht mehr hier wohnen. Die setze ich raus!« * Der Ausdruck Schlampe war weit übertrieben. Gewiß, Maud Wilbure bewegte sich nicht gerade in einer gepflegten Umgebung, und sie hatte auch keinen Wert auf Ordnung gelegt, aber sie befand sich auf keinen Fall in einem Chaos. Sie stand vor einem Plattenspieler, der Soul-Musik produzierte. Sie stand, aber sie bewegte sich, von ihren Fußsohlen einmal abgesehen, mit ihrem ganzen Körper. Sie genoß die Musik mit allen Muskeln und erinnerte irgendwie an eine Tänzerin, die sich in höchster Ekstase befindet. Sie trug einen leichten, bunt bedruckten Baumwollkittel, dessen Knöpfe allerdings nicht geschlossen waren. Unter diesem Kittel hatte sie nichts als ihre Haut, doch das störte sie nicht. Das störte auch nicht den jungen Mann, der mit gekreuzten Beinen auf dem Sisalteppich saß und versonnen eine Zigarette 53
rauchte. Keinen Hasch, wie man vielleicht hätte vermuten können. Parkers Nase fand das sofort heraus. »Ich erlaube mir, einen besonders schönen Tag zu wünschen«, begrüßte Parker die beiden netten Menschen und lüftete seine schwarze Melone, »darf ich unterstellen, daß ich nicht sonderlich störe?« Maud Wilbure schien nichts gehört zu haben. Sie tanzte selbstvergessen noch einen Moment weiter, drehte sich dann aber zu Parker um und lächelte freundlich. Maud Wilbure zählte etwa fünfundzwanzig Jahre, war gut gebaut und vollschlank. Sie nickte dem Butler zu und stellte das Plattengerät ab. »Was gibt’s?« wollte sie wissen. »Nur ein paar private Fragen«, erwiderte Parker, »ich interessiere mich für ein gewisses Jenseits, falls Ihnen dieser Name etwas sagt!« »Fein!« erklärte sie. Der Mann im Schneidersitz reagierte nicht. Er mochte Parkers Gegenwart noch gar nicht wahrgenommen haben. »Darf man fragen, wo man Kontakte mit dem Jenseits herstellen kann?« lautete Parkers nächste Frage. »Überall«, sagte Maud Wilbure und lächelte weiter, »wollen Sie einen Drink?« »Nicht jetzt, vielleicht später. Wie darf ich Ihr Überall auslegen, Miß Wilbure? Muß man warten, bis das Jenseits sich meldet?« »Genau!« »Und lohnt sich solch ein Kontakt?« »Immer«, erwiderte sie mit einem träumerischen Unterton in der Stimme. »Immer! Man ist plötzlich ein anderer Mensch. Man weiß, was das Leben wirklich ist. Nur für sich selbst da sein. Keine Plackerei mehr. Kein verrückter Ehrgeiz. Kein Karrieredenken mehr. Man ist einfach glücklich. Man könnte die ganze Welt umarmen!« »Und wie, wenn ich fragen darf, stellte das Jenseits den Kontakt mit Ihnen her?« »Es war einfach da… Ganz plötzlich… Lassen Sie sich überraschen! Es wird sich melden. Bestimmt!« Damit war für Maud Wilbure die Unterhaltung bereits beendet. Sie widmete sich wieder dem Plattenspieler, drehte die Langspielplatte um und begann auf der Stelle zu tanzen. Sie summte die 54
Melodie mit. Der Mann im Schneidersitz ließ sich nach hinten fallen und schloß die Augen. Möglicherweise machte er einen Abstecher in das Land seiner sehr privaten Träume. Parker verließ leise die Wohnung der Meeresbiologin, die von den Realitäten des Alltags nichts mehr wissen wollte. »Pleite auf der ganzen Linie«, stellte Mike Rander am späten Nachmittag fest, »jetzt haben wir sechs Leute abgeklappert, aber wir sind kein Stück weiter gekommen. Vom >Jenseits< sagen sie nichts!« »Vielleicht sollte man darauf verzichten, Sir, die Personen, die auf Mister Claytons Liste stehen, aufzusuchen und zu befragen. Sie alle dürften sich in einem Stadium des völligen Losgelöstseins befinden.« »Und sie stehen unter Drogeneinwirkung«, sagte Rander, »für mich gibt es da keinen Zweifel. Sie sind von außen beeinflußt und präpariert worden.« »Ich muß zugeben, daß auch ich dieser Ansicht zuneige. Wenn Sie erlauben, fasse ich zusammen: Miß Wilbure, Meeresbiologin. Mister Canders, Physiker. Mister Läms, Mathematiker. Miß Rollers, Weltraummedizinerin. Mrs. Shuffle, Atomphysik und schließlich Mister Garrick, Chemie, sie alle haben praktisch über Nacht ihre Absichten aufgegeben, wissenschaftlich zu arbeiten.« »Sie alle gammeln, um es mal sehr deutlich auszudrücken«, führte Mike Rander weiter aus, »sie pfeifen auf Zukunft und Karriere! Ganz sicher nicht freiwillig. So etwas kann niemals Zufall sein. Wir müssen davon ausgehen, daß diese Leute gesteuert worden sind und noch immer an unsichtbaren Leinen hängen.« »Demnach dürfte der Verdacht Mister Claytons sich also bestätigt haben, Sir.« »Genau! Denken Sie an die Mammutliste, die er uns gegeben hat. Nicht nur hier in Los Angeles gammelt der wissenschaftliche Nachwuchs.« »Ob sich in den anderen Städten ebenfalls sogenannte Glaspaläste befinden, Sir?« »Diese Frage muß umgehend geklärt werden«, entgegnete Mike Rander. Er und Parker waren in einem kleinen gepflegten Hotel in Santa Monica abgestiegen. Sie hatten ihre Besuche hinter sich gebracht und waren etwas enttäuscht. Sie waren keinen Schritt weitergekommen und standen vor einer unsichtbaren Mauer. Kei55
ner von ihnen war in der Lage gewesen, diese Mauer zu durchbrechen oder zu übersteigen. Die Befragten hatten eigentlich kaum reagiert. Rander ging ans Telefon und ließ sich eine Verbindung mit Clayton herstellen. Es dauerte fast zehn Minuten, bis durchgestellt wurde. »Werden Sie nur nicht nervös«, sagte Clayton, »auch wir kommen nicht weiter. Die Leute, die wir interviewt haben, rücken ebenfalls nicht mit der Sprache heraus. Aber Sie müssen doch zugeben, daß hier mit Tricks und Drogen gearbeitet wird, oder?« »Selbstverständlich. Hören Sie, Clayton, könnte man einige der Betroffenen nicht mal gründlich untersuchen? Vielleicht lassen sich Drogen nachweisen?« »Abgesehen davon, daß ich das nicht glaube, was den Nachweis anbetrifft, weigern die Leute sich, einer Untersuchung zu folgen. Juristisch können wir sie dazu nicht zwingen. Wir sitzen ganz schön im Dreck, wie?« »Weiß Gott!« Rander nickte unwillkürlich, »aber zurück zu meinem Anruf, Clayton, stellen Sie doch mal in den betreffenden Städten Ihrer Liste fest, ob es dort so eine Art Vergnügungspaläste gibt. Mit viel Pop, Musik, Strobo-Effekten und Psychodelic… Wäre sehr wichtig für uns.« »Okay, Rander. Wie steht’s mit Ihrem Kontaktmann? Haben Sie ihn bereits aufgesucht?« »Werden wir umgehend erledigen. Bisher haben wir nur Schuhsohlen verschlissen. Wir werden uns wieder melden.« Rander legte auf und sah zu seinem Butler hinüber, der zum Fenster hinaussah. »Ist was?« wollte Rander wissen. »Nicht direkt«, erwiderte Josuah Parker, »mir scheint jedoch, daß die Badenixe, die Ihnen einige Schwierigkeiten bereitete, Sie und meine bescheidene Wenigkeit aufsuchen möchte.« »Tatsächlich?« Rander trat ans Fenster und sah hinunter auf die Straße. Parker hatte richtig beobachtet. Die junge Dame ging gerade auf das Hotel zu. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es handelte sich um die Badenixe, die sich als so ungemein schlagfertig erwiesen hatte. Sie trug ein Minikleid im attraktiven Häkellook. Die Maschen waren derart großzügig geschlungen, daß man ganze Hautpartien 56
unterm Kleid durchschimmern sah. Sie hatte sich als Lana Valance vorgestellt und behauptete, alles sei ein grandioses Mißverständnis gewesen. Sie saß in einem tiefen Sessel und kümmerte sich überhaupt nicht darum, was alles von ihren Beinen zu sehen war. Sie war sich ihrer Wirkung auf Männer sehr wohl bewußt. »Alles nur ein Mißverständnis?« erkundigte sich Rander ironisch, »die Mordanschläge? Die Verfolgungen? Untertreiben Sie nicht ein wenig?« »Vielleicht«, sagte Lana Valance und lächelte sanft, »aber das alles sollte man doch in Ruhe miteinander besprechen, finden Sie nicht auch?« »Wer hat Sie autorisiert?« erkundigte sich Rander. »Mister Lonsdale«, gab sie überraschenderweise zu, »er hat eingesehen, daß man Sie und Ihren Butler falsch eingeschätzt hat. Er möchte sich mit Ihnen arrangieren.« »Mit einer Ladung Blausäure?« fragte Rander bitter zurück. »Blausäure? Davon weiß ich nichts.« »Sinnlos, es Ihnen erzählen zu wollen«, Rander winkte ab, »wie sind Sie mit der Polizei klargekommen?« »Die drei Männer und ich wurden verhaftet, aber gegen Kaution wieder entlassen.« Sie lächelte. »Sie haben mir da einen bösen Streich gespielt.« »Rechnen wir unsere Streiche bloß nicht gegenseitig auf«, wehrte der Anwalt ab, »wer ist Lonsdale? Der Eigentümer oder nur der Manager des Glaspalastes?« »Der Manager.« »Und wie heißt der Eigentümer?« »Es handelt sich um eine Gesellschaft. Mehr weiß ich auch nicht, Mister Rander.« »Existieren in anderen Städten weitere Glaspaläste dieser Art?« »Ich glaube, ja… Aber sie unterscheiden sich in der äußeren Aufmachung voneinander. Was darf ich Mister Lonsdale also bestellen? Sie sind an einer Unterredung interessiert? Ich bin sicher, daß Sie gewisse Dinge dann ganz anders sehen werden.« »Wann und wo soll diese Unterredung stattfinden?« »Mister Lonsdale wird Sie anrufen und sich mit Ihnen abstimmen. Ich freue mich ehrlich, daß es zu einem Vergleich kommen wird. Es ist doch sinnlos, sich gegenseitige Schwierigkeiten zu machen.« 57
Lana Valence, die attraktive Badenixe stand auf, verschenkte ein strahlendes Lächeln und verließ das Hotelzimmer. Sie strahlte solch eine Sicherheit aus, daß Rander ihr mehr als skeptisch nachschaute. * »Und jetzt? Lonsdale will uns doch nur in eine Falle locken«, sagte Rander als er mit Parker allein war. »Dies, Sir, glaube ich nicht. Mister Lonsdale dürfte an einem echten Arrangement interessiert sein. Wir sollten, wenn ich mir den Rat erlauben darf, unsere Chance nutzen und ihn aufsuchen.« »Seit wann sind Sie derart naiv?« entrüstete sich der junge Anwalt, »denken Sie doch daran, mit welchen Mitteln und mit welch einem Aufwand gerade dieser Lonsdale uns doch umbringen wollte. Glauben Sie tatsächlich, er würde plötzlich seine Krallen einziehen?« »Mister Lonsdale wird durch Erfahrung gelernt haben, Sir. Er mußte einsehen, daß er es mit Gegnern zu tun hat, denen er nicht gewachsen ist.« »Naja.« Mehr sagte Rander nicht. »Nur eine Unterhaltung mit Mister Lonsdale wird uns an das Geheimnis heranführen«, redete der Butler überzeugend weiter, »gewiß, Sir, man wird ein Risiko eingehen, doch dieses Risiko sollte sich auszahlen, wie ich vermuten darf.« »Also gut, Parker. Riskieren wir’s! ich möchte endlich wissen, warum ernsthafte Wissenschaftler plötzlich verrückt spielen und auf Gammler-Masche machen. Dieses Geheimnis will ich lösen!« »Das entspricht auch meinen bescheidenen Intentionen, Sir! Eine weitere Befragung der betroffenen Personen wäre sinnlos. Diese Wissenschaftler weichen bemerkenswert geschickt allen Fragen aus.« * »Sie haben angebissen«, sagte der Mittelständler, der am Steuer seines Wagens saß. Er nickte der neben ihm sitzenden Badeni58
xe lächelnd zu. »Gute Arbeit, Lana! Sie waren überzeugend. Jetzt werden wir die beiden Schnüffler bald in der Tasche haben.« Er stellte das Autoradio ab, das bis jetzt jedes Wort geliefert hatte, das in Randers Hotelzimmer gesprochen worden war. »Täuschen Sie sich nicht, Artie«, warnte die Badenixe Lana Valance. »Für meinen Geschmack sind sie zu schnell einverstanden. Man sollte sie sehr intensiv überwachen lassen.« »Das geschieht ohnehin«, beruhigte Artie Albany, wie der Mittelständler hieß, seine Begleiterin, »wir werden sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Uns legt man nicht herein.« Er ließ den Motor seines Wagens anspringen und fuhr langsam davon. Er passierte eine Reihe parkender Wagen und nickte den Insassen dieser Wagen kaum merklich zu. * »Lonsdale«, meldete sich die kühle Stimme, nachdem der Butler den Telefonhörer abgenommen hatte, »Miß Valance war bei Ihnen?« »In der Tat!« »Sehr vernünftig, daß wir uns aussprechen wollen«, Lonsdale blieb überlegen und sachlich. »Ich schlage vor, daß wir uns um acht Uhr im Glaspalast treffen. Benutzen Sie die Tiefgarage! Meine Sekretärin, Miß Valance, wird sie dort erwarten. Ich hoffe, daß unser gegenseitiger Ärger damit ausgestanden sein wird.« »Man wird sehen, Mister Lonsdale.« »Natürlich… Man wird sehen. Ich will Ihnen nicht drohen, aber kommen Sie nur nicht auf den Gedanken, uns hereinlegen zu wollen. Ich würde dann sauer reagieren.« Es knackte in der Leitung. Mister Lonsdale hatte aufgelegt. Parker wandte sich an seinen jungen Herrn. »Bis zur Unterredung mit Mister Lonsdale sollte man sich vielleicht wirklich ruhig verhalten«, schlug er dann überraschenderweise vor, »wer weiß, welch ein interessantes Angebot Mister Lonsdale machen wird?« »Einverstanden«, erwiderte Rander, »ich denke auch, wir sollten das Gespräch mit Lonsdale nicht unnötig gefährden.«
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* Der angebliche Taxifahrer und seine beiden Begleiter, die von Josuah Parker elegant ausgebootet worden waren, saßen in einer Limousine und hatten die Unterhaltung in Randers Hotelzimmer Wort für Wort mitbekommen. »Dieser Naivling«, sagte der Taxifahrer und lächelte abfällig, »die sollten ihre Zeit nutzen, und sich ein paar Grabsteine besorgen.« Er nickte den beiden jungen Männern zu, die nach der Ankunft von Rander und Parker in Los Angeles Bomben geworfen hatten. Sie stiegen aus dem Wagen und schlenderten hinüber zur Hauptstraße, um von dort aus, zusammen mit anderen Beobachtern, das Hotel unter Kontrolle zu halten. Sie hatten gerade ihre Posten bezogen, als ein Wäschereiwagen vor dem Seiteneingang für Lieferanten hielt. Ein völlig normaler Vorgang, dem man kaum Beachtung schenkte. Der Wäschereifahrer schob auf einer Sackkarre Wäschesack auf Wäschesack zu seinem Wagen und verstaute sie auf der Ladefläche des geschlossenen Aufbaues. Falls die Beobachter aus dem Jenseits etwas genauer hingesehen hätten, wäre ihnen wohl aufgefallen, daß zwei Wäschesäcke besonders schwer waren. Der Fahrer mühte sich mit ihnen ab und hatte Schwierigkeiten, sie in den Wagen zu bekommen. Er schaffte es, gewiß, aber er hatte seine liebe Mühe und Not damit. Wenig später stellte er der Wäschereibeschließerin des Hotels eine Quittung aus, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Kaum beachtet von den scharfen Beobachtern, die davon überzeugt waren, daß sie ihr Fach erstklassig verstanden. Selbst bei einer möglichen Verfolgung des Wäschereiwagens wäre nichts aufgefallen. Das Fahrzeug rollte an zwei weiteren Hotels vorbei, kassierte Wäschesäcke ab und verschwand schließlich auf dem Gelände der Wäscherei. Einen harmloseren Vorgang hätte es wirklich nicht geben können. * »Sie haben ausgezeichnet gearbeitet«, bedankte Parker sich bei 60
dem Fahrer und reichte ihm diskret einige Banknoten. Dann half Parker seinem jungen Herrn aus dem Wäschesack und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ich hoffe, Sir, Sie hatten eine relativ angenehme Fahrt.« »Ich bin schon schlechter transportiert worden«, meinte Anwalt Rander lächelnd und nickte dem Wäschefahrer zu, »ich denke, mein Butler und ich haben die Wette gewonnen. Wir dürften unbemerkt das Hotel verlassen haben!« Der Fahrer grinste verstehend. Parker hatte ihm wortreich und barock erklärt, es handele sich um eine Wette. Aus diesem Grunde würde man den Umweg über einen der Wäschesäcke bevorzugen, um das Hotel zu verlassen. Was der Fahrer wirklich glaubte, sagte er nicht. Er dachte sich jedoch seinen Teil. Er rechnete mit irgendeiner Frauengeschichte. Dank der reichlich verschenkten Banknoten stellte er keine Fragen. Er dachte nur an sein Privatkonto. Mit einer kleinen Taschenbürste arbeitete Parker an seinem jungen Herrn herum, bis Mike Rander untadelig aussah. Parker rückte sich den schwarzen Zweireiher zurecht, prüfte den Sitz seiner Melone und war bereit, seinen jungen Herrn ins nächste Abenteuer zu bugsieren. Das scheinbar naive Eingehen auf die Pläne Lonsdales war nichts als ein Trick gewesen. Parker hatte selbstverständlich gesehen, daß Lana Valance vor ihrem Weggehen einen kleinen Minisender im Hotelzimmer zurückgelassen hatte. Diese freundlich dargebotene Möglichkeit war von Parker benutzt worden, den Gegnern auf direktem Weg Sand in die Augen zu streuen. Sie brauchten und durften nicht wissen, was Rander und Parker wirklich planten. Und sie hatten eine ganze Menge vor! * »Natürlich werden sie kommen«, sagte Artie Albany, der Mittelständler mit der Brille. Seine Stimme ließ Selbstzufriedenheit und Sicherheit erkennen. »Rander und Parker glauben besonders schlau zu sein, aber sie werden verdammt schnell herausbekommen, daß sie mit Zitronen gehandelt haben.« Albany befand sich im Büro von Bert Lonsdale. 61
Lonsdale, ein etwas über mittelgroßer, kräftiger Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, mit einem energischen Gesicht und kalten, grauen Augen, sah Albany abschätzend an. »Unterschätzen Sie bloß nicht Rander und Parker«, sagte er dann, »wir haben schon ausreichende Kostproben von ihnen erhalten. Nach normalen Maßstäben müßten sie längst in irgendeiner Leichenhalle liegen. Aber was tun sie? Sie machen uns Ärger am laufenden Band.« »Nicht mehr lange.« »Hoffentlich, Albany. Sie haben schließlich diesen Fall übertragen bekommen. Sie wissen, wie sauer unsere Auftraggeber reagieren, wenn man nicht spurt.« »Heute noch kassieren wir sie ab. Bestimmt!« Albany pumpte sich voll Sicherheit. Er brauchte diesen Optimismus, weil er innerlich doch recht unsicher war. Auch er hatte da gewisse Zweifel, aber er wollte sie selbstverständlich nicht hochkommen lassen. Für Lonsdale war das Thema erledigt. Er trat vor sein Fernsehgerät, schaltete es ein und nahm dann einen Schaltkasten für die Fernbedienung in die Hand. Damit regelte er aber keineswegs den Kontrast oder die Helligkeit. Er drückte auf einen der vielen farbigen Knöpfe und nickte, als auf dem Bildschirm ein Bild zu sehen war. Dieses Bild zeigte einen kleinen, sehr intim eingerichteten Raum, der mit rotem Dekorstoff ausgeschlagen war. Auf einer breiten Couch, die schon einem französischen Bett glich, lag ein mittelgroßer, dickbäuchiger Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, auf dessen Stirn sich große Schweißtropfen gebildet hatten. Mit weit geöffneten Augen starrte der Mann senkrecht hinauf zur Zimmerdecke. »Paul Bend!« sagte Lonsdale, »Hausmeister in einem Wohnhotel in Culver City. Er betreut unter anderem drei wissenschaftliche Assistenten, die in seinem Haus wohnen.« »Interessante Schlüsselfigur.« Albany lächelte wissend. »Und weich wie Wachs«, stellte Lonsdale fest, »ich denke, daß wir ihn heute hinbekommen, Albany!« * Paul Bend genoß die Bilder, die sich seinen Augen boten. 62
Über ihm, an der Zimmerdecke, bewegten sich in einem wilden Taumel fast entblößte junge Damen, die alle Spielarten einer verirrten Neigung befriedigten. Sie regten seine Phantasie zur Ekstase an und ließen ihn alle Wonnen kosten, die er sich schon immer gewünscht hatte. Diese Bilder einer wilden Orgie wechselten plötzlich ab mit den wahnwitzigen Lichtreflexen einer Strobo-Scheibe. Bend stöhnte, sehnte sich nach den Bildern zurück, hörte plötzlich eine sanfte Frauenstimme, die laut und lauter wurde. Paul Bend, durch entsprechende Drogen natürlich vorbereitet, befand sich in einem Stadium der Hypnose. Willig und gierig nahm er die Worte in sich auf, die die Frauenstimme ihm einhämmerte. Diese Stimme war plötzlich überall, sie drang durch jede Pore und füllte sein Bewußtsein. Sie versprach ihm ungeahnte Wonnen, reizte ihn auf, schockte ihn, um dann sofort wieder katzenhaft sanft zu werden. Diese allgegenwärtige Stimme hämmerte und prägte ihm ein, was er zu tun hatte, um wiederkommen zu dürfen. Zur Belohnung servierte ihm die Leinwand über der Couch dann erneute Bilder der erotischen Verirrung. Paul Bend stöhnte, beteiligte sich mit seinem Unterbewußtsein an den Vorgängen auf der Leinwand und verspielte das, was von seinem Ich zurückgeblieben war. Plötzlich glomm sanftes Licht auf. Weiche Musik füllte den kleinen Raum. Die Tür öffnete sich und eine junge Frau trat an die Couch heran. Sie trug ein kurzes Lederkleid und war sich ihres Dekolletes sehr bewußt. »Mister Bend… Mister Bend?« Der Hausmeister des Wohnhotels zuckte unter ihren Händen zusammen, die sanfte Streichbewegungen über seine schweißnasse Stirn ausführten. Er schlug ein wenig irritiert mit den Armen um sich, gab dann aber den sanften Streichbewegungen nach. Verwirrt richtete er sich auf. »Wir müssen Schluß machen«, sagte die in Leder gekleidete Frau lächelnd, »wir sehen uns später wieder.« »Wann?« »Bald«, sagte sie, »ich werde Sie anrufen, wenn Sie brav gewesen sind. Hier, das Pulver der Träume! Sie wissen, was Sie zu tun haben!« Paul Bend schien es zu wissen. Er nickte, steckte eine Art Pil63
lendose ein und folgte der jungen Frau nach draußen… * »Wir haben noch einen Koch, einen Barmixer und zwei Universitätsangestellte ausfindig gemacht«, erläuterte Lonsdale lächelnd, nachdem er das Fernsehgerät ausgeschaltet hatte. »Sie befinden sich im Vorstadium und brauchen noch ihre Zeit.« »Ich hoffe, daß auch ich bald einen Stützpunkt leiten darf«, meinte Albany seufzend. »Sie werden ihn bekommen. Mit Sicherheit! Aber das hängt davon ab, wie Sie mit den beiden Schnüfflern fertig werden!« »Glauben Sie wirklich, daß die Geschäftsleitung mir einen Stützpunkt übertragen wird?« »Bestimmt! Ich habe es aus erster Hand. Ich glaube, man will Sie an der Ostküste einsetzen.« »Ich kann’s kaum erwarten«, gab Albany ehrlich zu, »man hat dann doch ganz andere Möglichkeiten.« »Unterschätzen Sie unsere Arbeit nicht«, gab Lonsdale etwas hochnäsig zurück, »allein die Suche nach geeigneten Multiplikatoren kostet Zeit und Nerven…« »Ich weiß.« Albany nickte ungeduldig. »Aber sie lohnt sich. Hören Sie, Lonsdale, legen Sie ein Wort für mich ein! Sie müssen doch zugeben, daß ich bisher erstklassige Arbeit geleistet habe.« »Bis auf Rander und Parker«, tadelte Lonsdale, »diese beiden Schnüffler haben sich schon viel zu nahe an uns herangepirscht. Sie müssen noch in dieser Nacht eliminiert werden!« * »Was ist mit dem Glaspalast?« fragte Rander den Kontaktmann Claytons. Jerry Hills, Mitarbeiter der CIA, ein durchschnittlich aussehender Mann, der nach außen hin als Grundstücksmakler auftrat, hob bedauernd die Schultern. »Das Ding ist vor Jahresfrist etwa gebaut worden«, sagte er, »Riesenbetrieb. Eine kleine Sensation. Und heute immer noch für Los Angeles eine Besonderheit.« 64
»Und Lonsdale? Sagt Ihnen dieser Name etwas?« Rander, Parker und Jerry Hills von der CIA befanden sich im Büro des Grundstücksmaklers, einem mittelgroßen Raum in einem ausgesprochenen Bürohochhaus. »Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen. Keine Vergangenheit im Sinne der Polizei. Er war schon immer in der Vergnügungsbranche tätig. Er leitete Bars, Nachtclubs und Hotels… Fachmann, wie man mir versichert.« »Und dennoch scheint sein Glaspalast das hiesige Zentrum der Jenseitsleute zu sein«, meinte Anwalt Rander nachdenklich. »Möglich, aber einfach nicht zu beweisen. Sie waren doch selbst in dem Laden. Alles unverdächtig.« »Wer ist, wenn man fragen darf, der Geldgeber dieses Vergnügungspalastes?« schaltete der Butler sich höflich ein. »Eine anonyme Gruppe, wie das so üblich ist. Schwer, von meiner Sicht aus da reinzuleuchten. Das könnten die hauptamtlichen Agenten besser und intensiver erledigen.« »Bitten Sie Clayton, das in die Hand zu nehmen«, sagte Rander, »Lonsdale dürfte nur ein Strohmann sein. Mich interessieren die wirklichen Besitzer im Hintergrund.« »Ihre Nachfrage werde ich sofort durchgeben.« Jerry Hills nickte, »Sie können mir glauben, daß ich verzweifelt danach suche, wieso man sich ausgerechnet die Personen herauspickt, die wichtig sind. Ich meine Leute, die mit den Wissenschaftlern zu tun haben. Wieso kommt man so gezielt an sie heran? Das begreife ich einfach nicht!« »Das ist die Frage aller Fragen«, erwiderte Rander und hob die Schultern. »Ich will Ihnen mal was sagen«, redete Jerry Hills weiter, »ich glaube einfach nicht daran, daß die Betroffenen hypnotisiert wurden. Das leuchtet mir nicht ein! Es gibt doch auch und gerade unter diesen jungen Wissenschaftlern eine Menge Leute, die darauf nicht ansprechen…« »Und was halten Sie von Drogen? Hat man sie irgendwie dazu gebracht, bestimmte Drogen zu schlucken, die das Bewußtsein spalten?« »Nur so kann ich’s mir vorstellen«, gab Jerry Hills zurück. »Man pumpt sie ohne ihr Wissen auf irgendeine Art und Weise voll. Solange, bis sie durchdrehen, aus sich selbst heraussteigen und auf alles pfeifen.« 65
»Ein bemerkenswerter Herr«, stellte Josuah Parker fest, nachdem sie das Büro von Jerry Hills verlassen hatten, »seine Auffassung deckt sich, wenn ich es so sagen darf, mit der meinen. Die jungen Wissenschaftler, die plötzlich kein Interesse mehr an ihrer Arbeit zeigen, müssen gegen ihren Willen und gelenkt unter Drogeneinfluß geraten sein!« »Sehr kompliziert, was die Aus- und Durchführung anbetrifft«, erwiderte der Anwalt nachdenklich. Sie hatten das Bürohaus verlassen und gingen hinüber zu ihrem Mietwagen. »Oder sollte es doch verhältnismäßig leicht sein, einem Mitmenschen heimlich was ins Essen zu tun?« Parker schüttelte den Kopf. »Absolut nicht, Sir! Und ich möchte zu behaupten wagen, daß Sie des Rätsels Lösung gefunden haben dürften.« »Wie bitte?« Rander war selbst überrascht. »Gehen wir davon aus, Sir, daß die Betroffenen gegen ihren Willen Drogen eingenommen haben. In diesem Fall sollte man weiter schlußfolgern, daß man ihr Essen und ihre Trinkwaren versetzt hat.« »Das würde ja bedeuten, daß wir die Betroffenen überhaupt nicht mehr zu befragen brauchen, Parker.« »In der Tat, Sir. Es gilt jetzt, jene Personen ausfindig zu machen, die selbstverständlichen Zugang zu den Betroffenen hatten. Ich denke in diesem Zusammenhang an Dienstpersonal, an Vermieter beiderlei Geschlechts, an Universitätsangestellte und so weiter. Es ließ sich eine lange Liste solcher Kontaktpersonen aufstellen.« »Demnach sind also nur diese Kontaktpersonen geimpft worden, wenn ich es mal so ausdrücken soll.« »In der Tat, Sir! Ich möchte feststellen, daß dieser Fall plötzlich neue Dimensionen angenommen hat.« »Sehr schön, Parker, sehr schön! Dann werden wir versuchen, uns von der anderen Seite an diesen Fall heranzupirschen. Was schlagen Sie vor?« »Ich denke nach wie vor an Mister Lonsdale und bin der bescheidenen Ansicht, Sir, daß in den von ihm verwalteten Räumen die angesprochenen Kontaktpersonen willfährig gemacht werden.«
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* »Nu’ macht schon, Leute. Ich hab’ noch mehr zu tun.« Der Fahrer des Getränkewagens war ungeduldig. Er trug einen leicht schmuddeligen Overall und eine langschirmige Baseballkappe. Er klopfte auf das Steuerrad und wartete, bis die beiden Hausangestellten das Tor zur Tiefgarage geöffnet hatten. Wenig später ließ der Fahrer den schweren Getränkewagen einrollen und stieg aus dem Fahrerhaus. Er zündete sich eine Zigarette an und sah den beiden Angestellten entgegen, die schnell näherkamen. »Zigarette?« fragte der Fahrer. Der erste Angestellte war für eine Zigarette. Er langte nach der dargereichten Packung und stöhnte plötzlich, als aus der Packung ein grauer Feinstaub hervorschoß, der Augen, Mund und Nase füllte. Wie vom Blitz getroffen, rutschte der Mann in sich zusammen. »Was… was ist denn das?« Der zweite Angestellte, sofort mißtrauisch, weil er wohl entsprechend geschult war, wich einen halben Schritt zurück und griff nach seiner Waffe, die sich in der deutlich abgezeichneten Schulterhalfter unter der Arbeitsjacke befand. Rander war schneller. Ein leichter Druck auf die Zigarettenpackung und schon schoß ein zweiter Staubnebel in das Gesicht des Mannes. Er schaffte es nicht mehr, seine Waffe zu ziehen. Er hatte es plötzlich sehr eilig, sich dekorativ über seinen Arbeitskollegen zu legen. »Hallo… Parker?« rief Rander leise, »Sie können auftauchen. Ich war soweit.« * Parker erschien zwischen Getränkekisten und stieg würdevoll vom Wagen herunter. Er setzte sich die schwarze Melone zurecht und stand seinem jungen Herrn zur Verfügung. »Ich möchte vorschlagen, Sir, auf die oberen Räumlichkeiten zu verzichten«, sagte er zu Rander, »wenn dieser Glaspalast Überraschungen bietet, dann nur unterhalb des Straßenpflasters oder aber am Hang.« 67
Dies fand Rander auch. Und sie machten sich daran, einen Zugang zu den unteren Räumen zu finden. Noch konnten sie sich ungeniert bewegen. Noch hatte man nicht herausbekommen, daß ungebetene Gäste sich eingefunden hatten. Was übrigens verständlich war, denn Parker hatte nicht umsonst davon gesprochen, bis zum Abend auf ein Rendezvous mit Lonsdale zu verzichten. Rander und Parker klapperten einträchtig nebeneinander einige Vorratsräume ab, besichtigten die Keller der überdimensional großen Klimaanlage und sahen sich anschließend etwas betreten an. »Sieht nach einer bösen Pleite aus«, meinte Rander achselzuckend, »ich denke, wir schwirren wieder ab. Lonsdale scheint seine Kontaktpersonen an anderer Stelle zu impfen.« »Darf ich vielleicht noch mal auf den Lastenfahrstuhl aufmerksam machen, Sir?« »Sie dürfen! Und was wollen Sie damit erreichen?« »Darf ich an den Lift erinnern, den Sie sich in Ihrem Bürohochhaus installieren ließen?« »Sie meinen…« »Auch hier könnte der Fahrstuhl eine Art doppelten Boden besitzen, Sir.« Rander und Parker gingen noch einmal zurück zum Lastenfahrstuhl, der eine Direktverbindung zwischen den Kellerräumen und den Wirtschaftsund Arbeitsräumen im Erdgeschoß darstellte. Sie besichtigten auch den Lift für die Personenbeförderung. »Einen zweiten Keller gibt es auf keinen Fall«, sagte Rander, der sich genau orientiert hatte. Parker antwortete nicht. Er stand jetzt im Personenlift und untersuchte die drei geschlossenen Kabinenwände. Er wollte schon wieder zurückgehen, als er plötzlich eine interessante Entdeckung machte. Der Aschenbecher, an der Wand befestigt, die der Lifttür gegenüber lag, wies an der sonst glatten Stelle Kratzspuren auf. Es sah so aus, als könnte man den Aschenbecher seitlich wegdrehen. Was Josuah Parker sofort besorgte. Rander staunte das, was der Volksmund Bauklötze genannt hätte. Der Aschenbecher war tatsächlich zu bewegen. Sekunden später öffnete sich diese Wand nach rechts und gab den Durchgang frei in einen sehr gut ausgebauten Korridor, in dem die Luft etwas 68
stickig heiß wirkte. »Gehen wir«, schlug Rander unternehmungslustig vor, als Parker sich fragend nach ihm umdrehte, »jetzt oder nie!« * Lonsdale befand sich in seinem Büro und telefonierte. Er war allein und konnte ungeniert reden. »Albany ist in meinen Augen ein Versager«, sagte er gerade kalt und abwertend, »erinnern Sie sich der Panne in Chikago? Er schaffte es nicht, Rander und Parker an ihrer Reise zu hindern. Denken Sie an sein Versagen hier in der Stadt! Ich würde vorschlagen, ihn zu entlassen.« Lonsdale hörte einen Moment auf das, was ihm der Hörer an Antwort lieferte. Dann nickte er. »Selbstverständlich. Ich werde alles in die Wege leiten und die Sache selbst in die Hand nehmen… Danke… Ende!« Lonsdale legte auf und lächelte dünn. Für ihn war Artie Albany bereits erledigt. Er existierte schon nicht mehr. Gegner wie Rander und Parker mußten seiner Ansicht nach mit roher Gewalt aus dem Verkehr gezogen werden. Da war Rücksicht gegenüber der Polizei nicht mehr angebracht. Rander und Parker stellten eine schwere Gefahr für die weitere Arbeit dar. Lonsdale setzte sich an seinen Schreibtisch und zog ein Schubfach aus dem linken Seitenteil. Es enthielt eine komplette Funksprechanlage, die auf die Frequenz seiner Außenmitarbeiter geeicht war. Lonsdale ging auf Sendung. »An alle! An alle! Die beiden Objekte sind mit Gewalt aus dem Verkehr zu ziehen«, gab er hart und sachlich durch, »und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Der bisherige Einsatzleiter meldet sich bei mir umgehend!« Lonsdale schob sein Sende- und Empfangsgerät zurück in den Schreibtisch und langte nach dem Fernbedienungsschalter für das Fernsehgerät. Er schaltete auf Raum Nummer 6 um, in dem sich zur Zeit der Angestellte eines Schnellimbiß befand. Dieser Mann bediente auf dem Campus einer Universitäts-Außenstelle. Ein wichtiger Mann, denn bei ihm erfrischten sich Mitarbeiter vieler wissenschaftlicher 69
Abteilungen. Das Bild kam auf den Fernsehschirm. Der Schnellimbißangestellte lag auf seiner Couch und wurde nach allen Regeln der psychischen Beeinflussung behandelt. Er war aber zu Lonsdales Überraschung nicht allein. Mit ihm befanden sich zwei Männer im Raum, die mit wachem Interesse zuhörten und zusahen, was dem Opfer serviert wurde. * Parker sortierte gerade den Inhalt der Brieftasche des Mannes, der auf der Couch lag und senkrecht hinauf zur Deckenleinwand starrte. Rander starrte mit. Und war sehr beeindruckt. Auf der Leinwand tummelte sich ein Pärchen wie in einem Sexfilm europäischer Prägung. Das Pärchen benahm sich recht frivol und ungeniert. Es liebte sich mit Hingabe und schien die Ratschläge eines Sexologen zu befolgen, der in Deutschland Furore gemacht hatte. Der Schnellimbißangestellte sog die ihm vermittelten Kenntnisse in sich ein und genoß offensichtlich die gebotene Freizügigkeit der beiden Spielenden. »Burt Gilmore, Sir, ein Angestellter, der in einem UniversitätsSchnellimbiß arbeitet«, meldete Parker, »meiner bescheidenen Ansicht nach hätten wir es hier bereits mit einer möglichen Kontaktperson zu tun.« »Sehen wir uns die nächste Kammer an!« Sie ließen Burt Gilmore zurück und betraten den nächsten Raum, Parker war etwas peinlich beeindruckt, denn auf der Couch lag ein Mädchen, das etwa einundzwanzig Jahre alt sein mochte. Es war recht plump gebaut und wies ansehnliche Formen auf. Dieses Mädchen starrte hingebungsvoll an die Decke und fühlte wahrscheinlich intensiv mit, was sich dort oben tat. Nun interessierte auch Parker sich für das Geschehen auf der Leinwand, die man keineswegs als ausgesprochen sauber bezeichnen konnte. Eine Reihe bärtiger Bösewichte verfolgten ein fast nacktes, schlankes Mädchen, kesselten es ein und schleppten die Strampelnde in eine einfache Blockhütte. »Ich möchte annehmen, daß die Versuchsperson sich nur zu 70
gern in die Filmrollen hineinversetzen würde«, stellte Parker fest, während Bild und Dekoration wechselten. Das sehr attraktive Mädchen auf der Leinwand befand sich inzwischen in der Hütte und mußte zu den Klängen eines Transistorradios tanzen. Was es, wohl laut Drehbuch, sehr lasziv tat. Die bärtigen Bösewichter verlangten Striptease, ein Wunsch, dem die Filmheldin zögernd und quälend nachkam. Dieser Enthüllungstanz endete damit, daß die Bärtigen sich nicht schnell genug auf ihr Opfer werfen konnten. »Miß Hedy Cloister«, meldete der Butler, der die Handtasche der Plumpen durchsucht hatte, »sie ist Hilfsköchin in einer MensaKüche der Universität.« »Wie bitte?« Rander war nicht ganz bei der Sache, denn das Mädchen, das sich von den Umschlingungen befreit hatte, hüpfte gerade neckisch aus der Hütte und verschwand in der Landschaft. »Miß Hedy Cloister«, meldete der Butler hoch einmal, »ihre Tätigkeit als Hilfsköchin läßt den Schluß zu, daß auch sie eine mögliche Kontaktperson sein könnte.« »Sie ist es!« bestätigte in diesem Augenblick eine kalte, harte Stimme, die aus einem Lautsprecher in der Zimmerecke kam. »Aber mit diesem Wissen werden Sie nichts mehr anfangen können, wenn Sie sich nicht freiwillig stellen .« »Mister Lonsdale«, meinte Parker fast ungerührt, »wie stellen Sie sich dieses freiwillige Ausliefern vor, wenn man höflichst fragen darf?« * Lonsdale hatte darüber sehr bestimmte Vorstellungen, wie sich bald zeigen sollte. Mike Rander und Josuah Parker hatten natürlich das Bestreben, diesen Teil des Kellergeschosses so schnell wie möglich zu verlassen. Dazu mußten sie zurück zum Lift, um durch den versteckten Zugang hinüber in den eigentlichen Hauptkeller zu gelangen. Ein Mann wie ein Baum war das erste Hindernis. Er sah aus wie Frankenstein und hielt einen mittelschweren Baumstamm in der Hand, der sich bei näherem Zusehen als Spezial-Baseballschläger entpuppte. Ihn wie eine Sense schwingend, kam Frankenstein entgegen 71
und legte es darauf an, ihnen den Schädel einzuschlagen. Wogegen Josuah Parker sehr viel einzuwenden hatte. Er hatte das mit Preßluft betriebene Blasrohr, das sich in seinem Schirmstock befand, bereits klargemacht. Doch als Parker seinen Blasrohrschuß anbringen wollte, erlebte er eine mehr als peinliche Überraschung. Frankenstein schleuderte seine Keule sehr gekonnt in Richtung Parker. Der Butler spürte einen heftigen Schlag am Unterarm und sah seinem Universal-Regenschirm mehr als traurig nach. Er war ihm nicht nur aus der Hand geschleudert worden, sondern dazu auch noch abenteuerlich verbogen. Diese Waffe war unbrauchbar, das sah man auf den ersten Blick. Rander hatte seinen 38er gezogen und richtete ihn drohend auf den angreifenden Riesen. Der sich aber überhaupt nicht beeindrucken ließ. »Stehenbleiben, oder ich schieße!« warnte der Anwalt. Die Antwort auf seine Warnung war ein kicherndes, halbirres Lachen. Mister Frankenstein schien überhaupt nicht begriffen zu haben, um was es ging. Rander, der Gewalt sonst wirklich nicht zugetan, wußte sich nicht anders zu helfen, als den ersten Schuß zu lösen. Er hatte auf das linke Bein des Mannes gezielt und er traf auch. Frankenstein knickte zwar etwas ein, doch sein Vormarsch ließ sich dadurch nicht bremsen. Der Schmerz in seinem Bein stachelte seinen Eifer nur noch zusätzlich an. Da Rander ihm diesen stechenden Schmerz im Bein zugefügt hatte, wollte Frankenstein diesem Mann den Hals umdrehen. Nur mal so eben im Vorbeigehen, wie es den Anschein hatte. Josuah Parker, der dies alles selbstverständlich mitbekommen hatte, kümmerte sich erst gar nicht um seinen demolierten Regenschirm. Hastig, aber kontrolliert, setzte er seine PatentGabelschleuder zusammen und legte eine Stahlkugel in die Lederschlaufe. Frankenstein war nun doch etwas beeindruckt, als diese Stahlkugel sich auf seine hohe Stirn setzte. Er blieb etwas benommen stehen, schüttelte den Kopf, als habe ihn ein lästiges Insekt getroffen und marschierte dann weiter auf Mike Rander zu, der sich notgedrungen zurückzog. Rander brachte es einfach nicht übers Herz, voll auf diesen Mann zu schießen. Er war in seinen Augen nur ein menschlicher Roboter ohne eige72
nen Willen. Rander wollte erst dann hart schießen, wenn es sich nicht mehr umgehen ließ. Parker schickte die zweite Stahlkugel auf die Reise. Sie traf den Schläfenknochen und fällte Frankenstein wie einen Baumstamm. Der riesige Mann blieb zuerst einen kurzen Moment stehen, seufzte dann auf und brach der Länge nach um. Man hörte förmlich, wie das nicht vorhandene Wurzelwerk seines Körpers aus dem Beton des Kellerbodens herausgerissen wurde. »Hier muß es doch so etwas wie einen Notausgang geben«, sagte Rander hastig zu seinem Butler. »Ich erlaube mir, mich Ihrer Ansicht anzuschließen«, erwiderte der Butler, um dann in den langen Korridorgang zu deuten, aus dem sie gekommen waren. Auf diesen Korridor mündeten die einzelnen Zimmertüren. Rander und Parker schlossen die Tür zum Korridorgang hinter sich und suchten verzweifelt nach dem Notausgang, den sie beide als vorhanden unterstellten. Parker unterbrach plötzlich seine Suche, schnupperte in der Luft herum wie ein Jagdhund und holte dann eiligst sein Zigarettenetui hervor. »Bitte, Sir«, sagte er und reichte seinem jungen Herrn eine der Spezialzigarren, »es dürfte sich empfehlen, die Nase zuzuhalten.« Erstaunlicherweise hatte Rander nichts dagegen, sich in dieser risikoreichen Situation zu bedienen. * Diese Zigarre war natürlich keine Zigarre im landläufigen Sinn. Sie sah nur so aus, enthielt aber einen Spezialgasmaskenfilter im Kleinstformat. Nahm man die Zigarre zwischen die Lippen, dichtete man mit einer Nasenklammer oder mit den Fingern die Nase ab, dann war man in der Lage, einem gut gemixten Gasangriff Widerstand entgegenzusetzen. Aus rein optischen Gründen gingen Rander und Parker zu Boden und taten so, als seien sie vom einströmenden Gas überwältigt worden. Man hörte jetzt deutlich das feine Zischen aus unsichtbaren Düsen. Rander und Parker mußten damit rechnen, daß sie über eine Fernsehkamera genau beobachtet wurden. Ihre Taktik erwies sich als richtig auf der ganzen Linie. 73
Nach wenigen Minuten fegte ein deutlich spürbarer Luftzug über den Boden des Korridors. Parker, der ein schnelles Auge riskierte, sah zu seiner freudigen Überraschung, daß sich die hintere Wand des Korridorganges geöffnet hatte. Das also war der Notausgang, nach dem sie gesucht hatten. Die beiden Torwächter, die von Rander eingeschläfert worden waren, erschienen auf der Bildfläche. Hinter ihnen sah man zwei weitere Männer, die wohl zur Unterstützung eingesetzt worden waren. Diese insgesamt vier Männer schoben sich vorsichtig an Rander und Parker heran. Sie trugen übrigens Gasmasken, wie sie bei den US Forces üblich sind. Rander und Parker warteten, bis die vier Männer in der Nähe waren. Dann sprang Rander auf und imitierte Mister Frankenstein. Er benutzte den Baseballschläger, um auf Anhieb die beiden Torwächter zu Boden zu schicken. Sehr nachdrücklich sogar. Die beiden anderen Männer, die ihre Schußwaffen natürlich in der Hand hatten, wollten das Feuer aus allen beiden Rohren eröffnen. Doch Parker, an einem Blutbad überhaupt nicht interessiert, setzte noch einmal seine Gabelschleuder ein. Der getroffene Mann kippte gegen seinen Partner, der gerade Maß nehmen wollte. Bevor dieser Schütze seine Waffe neu ausrichten konnte, war die zweite Stahlkugel auf der Reise und schickte ihn nach der Landung zu Boden. »Ganz netter Betrieb«, sagte Rander, der die diversen Schußwaffen einsammelte, »ich denke, Parker, wir sollten diesen ziemlich ungastlichen Ort verlassen.« »Ein Vorschlag, Sir, den ich nur als erfreulich bezeichnen kann.« Rander und Parker gingen eilig zu der getarnten Tür und betraten hinter ihr einen zweiten Korridorgang, der vor einem Lift endete… * Aus der Not heraus benutzten sie diesen Lift, der sie prompt und ohne Zwischenfall nach oben trug. Er stoppte, und die Tür schob sich automatisch zur Seite. Parker und Rander fanden sich in einem geräumigen Wandschrank wieder, der mit weiblichen Kleidungsstücken aller Art vollgehängt war. »Es scheint sich um Kostüme zu handeln, Sir«, stellte der Butler 74
fachmännisch fest. »Und die Trägerinnen dieser Kostüme können nicht sehr weit sein«, behauptete der Anwalt. Er deutete auf die Tür, hinter deren Umrisse Licht zu erkennen war. Rander meinte allerdings nicht das Licht, sondern das ziemlich laute Geschnatter einer weiblichen, undisziplinierten Unterhaltung. Er riskierte einen herzhaften Blick durch den Türspalt. Der Anblick war erfreulich und wärmte sein Herz. Vor einer Doppelreihe von Schminktischen, deren Spiegel gegeneinander gestellt waren, saßen reizvoll anzusehende junge Damen, die sich gerade für die Probearbeit zurechtmachten. Sie befanden sich in allen nur erdenklichen Stadien der Enthüllung. »Wollen Sie mal sehen«, sagte Rander, sich an seinen Butler wendend, »reizvolle Aussichten!« »Später vielleicht, Sir.« Parker konnte sich nicht vorstellen, daß dies hier der Zugang zum Notausstieg sein sollte. So etwas hätte sich bei den jungen Damen sicher herumgesprochen. Es mußte noch einen zweiten Durchstieg geben. Er fand ihn sehr schnell. Ein feiner Luftzug half ihm dabei und ließ ihn auf die Seitenwand des Wandschrankes aufmerksam werden. Diese Seitenwand ließ sich um zwei Zapfen drehen, die oben und unten in der Wand befestigt waren. Rander und Parker befanden sich plötzlich in einem Ankleideraum, dessen Verbindungstür zu einem weiteren Raum nur angelehnt war. Und in diesem Raum mußte sich ein gewisser Lonsdale befinden. Auf jeden Fall war seine Stimme deutlich und vernehmbar zu hören. * »Nein… nein! Sie sind bereits hier im Bau… Ja, leider. Wie das geschehen konnte? Keine Ahnung…! Natürlich werden wir sie einfangen, das ist nur noch eine Frage von Sekunden. Wirklich, Sie können sich fest auf mich verlassen.« Lonsdale wollte hoch etwas mehr sagen, doch in diesem Moment langte der Butler, der hinter ihm stand, mit seiner schwarzen Melone zu. Da diese Kopfbedeckung mit Stahlblech ausgefüttert war und 75
eine solide Behelfswaffe darstellte, war die Wirkung frappierend. Lonsdale nahm sich noch nicht einmal die Zeit, den Hörer aus der Hand zu legen, als er eiligst zu Boden ging. Dies mußte Parker für ihn erledigen. »Schaffen Sie unsere Psychos aus dem Haus«, sagte eine Stimme im Hörer. »Wir müssen damit rechnen, daß Rander und Parker die Polizei verständigt haben, bevor sie ins Haus eindrangen. Es darf nichts gefunden werden. Und bringen Sie die Gäste weg! So schnell wie möglich!« »Sehr wohl«, antwortete Parker in seiner höflichen Art und Weise, »es wird für alles gesorgt werden.« »Hallo… hallo, wer spricht denn da? Lonsdale?« »Butler Josuah Parker«, sagte Parker höflich, »ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht?« »Parker?« »In der Tat, Mister Lonsdale ist im Moment ein wenig indisponiert, wird sich aber wohl bald wieder erholen.« »Parker… hören Sie!« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang sachlich und zeigte jetzt bereits keine Überraschung mehr, »mein Kompliment! Sie und Mister Rander haben erstklassige Arbeit geleistet.« »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Lob ausgerechnet von Ihnen annehmen sollte.« »Sie haben mich in eine verflixte Verlegenheit gebracht«, redete die Stimme weiter, die von Sekunde zu Sekunde an Übersicht und Härte gewann, »was halten Sie von einem Vergleich?« »Wie sollte dieser Vergleich Ihrer Ansicht nach nun wirklich aussehen?« »Wir zahlen Ihnen ein Vermögen, deponiert auf eine Schweizer Bank. Aber halten Sie sich aus unseren Geschäften heraus. Auf die Dauer wird das auch gesünder für Sie sein.« »Es bestehen gewisse Verpflichtungen, die Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit eingegangen sind.« »Ich weiß, ich weiß… Clayton von der CIA… Was kann die CIA Ihnen schon bieten?« »Die Sicherheit, wahrscheinlich auf der richtigen Seite zu sein.« »Das ist relativ… Wofür setzen Sie sich überhaupt ein? Wir wollen doch nichts anderes, als angehende Wissenschaftler davor bewahren, für die Kriegsrüstung tätig zu werden.« »Eine Behauptung, die ich nicht unbedingt unterschreiben 76
möchte«, gab Parker sofort zurück, »warum konzentrieren sich Ihre Bemühungen einzig und allein auf die amerikanischen Wissenschaftler?« »Irgendwo muß man ja anfangen«, lautete die mehr als lahme Ausrede. »Und warum haben die Betroffenen keine Möglichkeit, sich frei zu entscheiden?« wollte Parker weiter wissen, »dieser Punkt scheint mir die Crux zu sein.« »Hören Sie, Parker, ich habe keine Lust, hier mit Ihnen herumzudebattieren. Gehen Sie auf mein Angebot nun ein oder nicht?« »Mister Rander hat mich autorisiert, Ihren Vorschlag abzulehnen.« »Dann werden Sie sterben!« »Aber Sie werden nicht mehr in der bisherigen Art arbeiten und wirken können.« »Was soll’s? Schließen Sie unsere Vergnügungspaläste! Wir werden unter einer anderen Tarnung weitermachen. Und was mich anbetrifft, Parker, so werden Sie mich niemals entdecken. Machen Sie sich keine unnützen Hoffnungen!« »Dennoch bin ich davon überzeugt, daß man sich eines Tages wiedersehen wird«, antwortete Parker, »auch ein Anonymus wie Sie wird eines Tages notgedrungen seine Maske lüften müssen.« Parker legte auf und wandte sich seinem jungen Herrn zu, der das Privatbüro Lonsdales bereits peinlich genau durchsuchte. »Haben wir Zeit genug, bis ins Detail zu gehen?« fragte Rander. »Ich fürchte, verneinen zu müssen, Sir. Man sollte das Feld vielleicht sicherheitshalber räumen. Mit weiteren Hilfstruppen dürfte zu rechnen sein.« Dann langte Parker nach dem Telefon und wählte die Nummer ihres Kontaktmannes. Jerry Hills war sofort am Draht. »Ich gebe sofort Alarm!« sagte er, nachdem Parker ihn ungewöhnlich knapp und präzise informiert hatte, »diesen Laden heben wir aus!« * »Und ob wir zufrieden sind«, sagte Clayton etwa zwölf Stunden später. Er und Jerry Hills befanden sich im Hotelzimmer Mike 77
Randers und erstatteten Bericht, »wir haben Lonsdale und seine Mitarbeiter festgesetzt. Wir haben den Glaspalast geschlossen und wissen jetzt, wie diese Gangster vorgegangen sind.« »Ist es Ihnen auch gelungen, meine Badenixe zu schnappen?« wollte Mike Rander wissen, »Lana Valance?« »Wie vom Erdboden verschwunden«, sagte Clayton und hob bedauernd die Hände. »Und was ist mit der Lackschwarzen aus dem Flugzeug?« »Keine Spur! Die Damen scheinen sich rechtzeitig abgesetzt zu haben, Rander. Tut mir leid!« »Ich habe so eine dumpfe Ahnung, daß sie uns noch Schwierigkeiten bereiten werden«, sagte Rander nachdenklich, »diese beiden Mädchen haben es in sich.« »Darf man erfahren, ob Sie auch einen gewissen Mister Albany festnehmen konnten?« wollte Parker wissen. »Er sitzt wie Lonsdale. Und wie der angebliche Taxifahrer… Und wie die übrigen Mitarbeiter Lonsdales… Wir haben uns diese raffinierten Psychodelic-Räume im Keller des Glaswürfels genau angesehen, und wir haben vor allen Dingen das Filmarchiv beschlagnahmen können.« Clayton zündete sich zufrieden eine Zigarette an. »Aber leider nicht den Mister Anonymus, der diese Dinge zentral steuert.« »Da müssen wir wirklich passen, Parker. Dieser Mann ist uns entwischt. Fragt sich, ob er die Nerven hat, noch einmal mit seinem Rummel zu beginnen. Ich glaube nicht daran.« »Ich wage zu widersprechen, Sir. Am Telefon deutete er diese Möglichkeit fest umrissen an.« »Warten wir’s ab. Wir wissen jetzt, wie gearbeitet wird. Und wir wissen, wie wir uns in Zukunft schützen müssen. Das ist ungemein wichtig!« »Wie wurde nun tatsächlich gearbeitet? War unsere Vermutung richtig?« Rander sah Clayton interessiert an. »Die Mitglieder dieser Jenseits-Gesellschaft suchten nach sogenannten Schlüsselfiguren oder Multiplikatoren. Einmal handelte es sich um einen Hausmeister, dann wieder um einen Koch und so weiter. Sie wissen ja Bescheid. Sie pirschten sich an diese Opfer heran und sammelten Informationen.« »Wahrscheinlich über das privateste Privatleben, nicht wahr?« fragte Rander. 78
»Worauf Sie sich verlassen können«, meinte Clayton und nickte nachdrücklich, »jeder Mensch hat schließlich sein Unterbewußtsein und seine mehr oder weniger schwülen Träume. Die galt es zu erkunden. Sobald man bei den Opfern die Lücke erspäht hatte, wurden die Opfer geschickt in die einzelnen Vergnügungsstätten hineingelotst. Diese Paläste befinden sich in allen wichtigen Städten der Staaten. Hier wurden sie vorsichtig vor- und aufbereitet und an Psychodrogen gewöhnt. Man stellte eigens für sie sogenannte Standardfilme her, die den Grundeinstellungen der Opfer entsprachen, berieselte sie damit und mit zusätzlicher Psychomusik, die man mit Lichteffekten koppelte. Es dauerte niemals lange, bis die Opfer bereit waren, für ihre Träume alles zu tun.« »Bestürzend unheimlich, wie leicht man Menschen manipulieren kann«, warf der Butler ein. »Leider, leider«, erwiderte Clayton, »denken Sie an die Mittel, die unsere Multiplikatoren an die eigentlichen Opfer weiterreichten. Kraft ihrer Dienstleistungsstellungen kamen sie unauffällig an die Jungen Wissenschaftler heran und mischten ihnen die Drogen unter das Essen. Der Erfolg ist bekannt. Reihenweise drehten die Opfer durch und pfiffen auf ein Leben, wie sie es sich vielleicht einmal vorgenommen hatten!« »Und das Ziel war die völlige Blockierung des wissenschaftlichen Nachwuchses hier in den Staaten? Ungeheuerlich!« Rander schüttelte den Kopf. »Hört sich fast utopisch an.« »Ist aber eine Tatsache, wie Sie ja wissen. Überlegen Sie, was passieren wird, wenn der qualifizierte wissenschaftliche Nachwuchs systematisch verschwindet. Hier geht es ja nicht um einen Soforterfolg, sondern um eine Maßnahme, die sich auf Jahre erstreckt.« »Sind die Opfer wieder zu rehabilitieren, was ihre Gesundheit anbetrifft?« »Wir hoffen es, Rander, sicher aber sind wir nicht.« »Man sollte sich in Zukunft einen Vorkoster leisten«, sagte Rander ironisch, »man hat ja Angst, irgendein Nahrungsmittel zu sich zu nehmen.« »Ich werde in Zukunft mehr denn je kochen, Sir«, versprach der Butler sofort, um sich dann an Clayton zu wenden. »Darf ich fragen, Mister Clayton, ob man die Psychodrogen finden und sicherstellen konnte?« »Auch hier leider Fehlanzeige«, antwortete Clayton, »sieht so 79
aus, als hätten die beiden Mädchen, die Lackschwarze und Ihre Badenixe, das Zeug mitgenommen. Wie es in anderen Städten und in anderen Vergnügungspalästen aussieht, weiß ich noch nicht.« »Habe ich nicht schon gesagt, daß wir noch Ärger mit diesen beiden Mädchen bekommen?« erinnerte Mike Rander. »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand«, gab Clayton schnell zurück, »ich will doch sehr hoffen, daß wir erst mal Ruhe haben werden. Nun können wir ohne Hast nach diesem Mister Anonymus suchen. Darf ich auf Ihre weitere Mitarbeit rechnen?« »Jederzeit«, erwiderte Josuah Parker, »ich möchte feststellen, daß dieser Fall, was meine bescheidene Wenigkeit anbetrifft, noch nicht seinen Abschluß gefunden hat.« »Okay. Auch ich werde weitermachen«, entschied Mike Rander, »schon ihm Hinblick darauf, daß man mir mein Essen nicht mit Drogen versetzt und ich zu einem Gammler werde.« * Rander und Parker waren wieder allein. Clayton und Hills hatten sich verabschiedet und wollten sich später in Chikago wieder melden. »Nach wie vor verdammt unheimlich, auf was wir uns da eingelassen haben«, sagte Rander, »eigenartigerweise fürchte ich diese beiden Frauen.« »Auch sie werden sich eines Tages… Entschuldigung, Sir!« Das Telefon hatte geklingelt, und Parker hob den Hörer ab. »Butler Parker«, meldete er sich, »wie bitte… Oh, Miß Valance… jene Dame, die in den Wellen des Pazifik unterzugehen drohte.« »Jene Dame!« Sie lachte leise und amüsiert auf, »eigentlich schade, daß wir uns bis aufs Messer bekämpfen müssen, Parker!« »Wollen Sie nur Ihr Bedauern darüber vermelden, Miß Valance!« Während Parker sprach, baute Rander sich dicht neben ihm und dem Hörer auf, um das Gespräch mitabhören zu können. »Ich will Ihnen nur einen angenehmen Rückflug nach Chikago wünschen«, sagte Lana Valance, »und ich soll noch einmal ein ganz bestimmtes Angebot wiederholen, das sich auf die Schweiz bezieht.« »Richten Sie Mister Anonymus aus, daß ich nicht interessiert 80
bin.« »Wird bestellt. Für diesen Fall soll ich Ihnen bestellen, daß wir unsere Arbeit ab sofort nur auf Mister Rander und auf Sie konzentrieren werden!« »Mir scheint, daß ich dies als eine besondere Ehre werten sollte.« »Bestimmt… Guten Rückflug also!« Lana Valance legte auf, und Parker wandte sich an Mike Rander, der sein Gesicht zu einer Grimasse verzog. » Rechnen wir damit, daß sie eine Höllenmaschine an Bord der Maschine schmuggeln wird«, sagte Rander. »Ein Hinweis, Sir, für den ich äußerst dankbar bin. Man sollte sich die Art und Route der Rückreise sehr genau überlegen. Der direkte ist nicht immer der beste und schnellste Weg, wenn ich es so ausdrücken darf.« Rander und Parker hielten sich an diese weise Erkenntnis und brauchten etwa vier Tage, bis sie endlich Chikago erreichten. Sie waren über Mexiko nach Florida, und von dort über Washington nach Chikago geflogen. Sie hatten unterwegs alle Tricks ausgeschlachtet, die sie kannten, um etwaige Beschatter ins Leere laufen zu lassen. »Man sollte damit rechnen, Sir, daß die Dachgartenwohnung während Ihrer und meiner Abwesenheit präpariert wurde«, sagte Parker, als sie die Innenstadt erreicht hatten. »Fürchte ich auch.« »Vielleicht sollte man mit der Rückkehr ins Penthouse ebenfalls noch einige Tage warten, Sir.« »Tun Sie, was Sie für richtig halten, Parker!« Rander und Parker hatten Quartier im Strandbungalow eines befreundeten Anwalts bezogen, weitab von der Peripherie der Stadt. Das Gelände war gut einzusehen, das Schußfeld ausgezeichnet. Sie wohnten etwa seit zweieinhalb Tagen in diesem komfortablen Bungalow und pflegten ihre etwas angekratzten Nerven. Am Abend, als Parker einen kleinen Imbiß servierte, kam es zu einer echten Überraschung. Rander und Parker hörten Hilferufe vom See her. Als besorgte Mitbürger waren sie sofort bereit, ihr Leben einzusetzen und stürmten hinaus auf die Veranda. Das heißt, Parkers Bewegungen waren selbstverständlich gemessen. Unnötige Hast war ihm verhaßt. 81
Etwa hundert Meter weit vom Wasser trieb eine Frau, die hilfesuchend ihre Arme hochstreckte und die akustisch zusätzlich um Beistand bat. »Das… das ist doch diese Lana Valance!« Rander war total verblüfft. Die Szene erinnerte ihn an Santa Monica. Lana Valance sank unter Wasser, kam wieder nach oben und winkte verzweifelt. Rander war bereit, hinaus auf den Bootssteg zu laufen und sich in das kleine Außenbord-Motorboot zu werfen. »Darf ich empfehlen, Sir, von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen?« warnte Parker. Und deutete dann auf einen starken Motorkreuzer, der um die Landzunge herumkam und auf Lana Valance zuschoß. Dieses Motorboot fischte Lana Valance geschickt aus dem Wasser. Es drosselte den Motor und blieb auf der Stelle liegen. »Die Dame mit dem lackschwarzen Haar, die uns im Flugzeug mit Blausäurepatronen bedenken wollte, Sir!« Parker hatte sich nicht getäuscht. Die Lackschwarze, die am Steuer gestanden hatte, nahm ein Megaphon in die Hand und richtete es auf Rander und Parker. In einer bemerkenswerten elektronischen Verstärkung setzte die Lackschwarze ihre Drohung ab: »Verstecken ist sinnlos, meine Herren! Wir werden Sie so oder so erreichen!« Der Motor des Kabinenkreuzers dröhnte, das Boot nahm schnell Fahrt auf und verschwand im nebligen Dunst des späten Nachmittags, der bereits in den Abend überging. »Nettes Pärchen!« sagte Rander lakonisch, »wir sollten unseren Urlaub beenden, Parker.« »Sehr wohl, Sir, ich werde sofort packen!« »Sieht so aus, als könnten Sie sich schon sehr bald mit dem Thema befassen: >Parker und die scheuen Rehe!«
ENDE Butler Parker Auslese - Die Serie wird fortgesetzt mit Band 86
PARKER hetzt die scheuen Rehe von Günter Dönges 82
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