PARKER räumt im Rathaus auf Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Was war das, Mi...
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PARKER räumt im Rathaus auf Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Was war das, Mister Parker, habe ich da eben einen Hilferuf gehört?« erkundigte sich Lady Agatha, während sie stehenblieb und sich suchend auf dem halbdunklen Parkdeck umsah. »In der Tat, Mylady. Auch meine bescheidene Wenigkeit glaubt, ein Hilfeersuchen vernommen zu haben«, bestätigte Josuah Par ker, der gleichfalls im Dämmerlicht nach der Quelle des Schreis forschte. In diesem Augenblick heulte weiter hinten ein Motor auf. Scheinwerferlicht blendete herüber. Unmittelbar darauf fegte ein Wagen vorbei und verschwand in rasendem Tempo auf der ab wärts führenden Betonrampe. Parker eilte, ohne etwas an seiner Würde zu verlieren, zu seinem Privatwagen und setzte ihn in Gang. Sekunden später hielt er neben seiner Herrin und stieg aus, um ihr den hinteren Schlag zu öffnen und in den Fond zu helfen. Dann fuhr er an und steuerte sein hochbeiniges Monstrum elegant und schnell durch die enge, serpentinenartige Abfahrt nach unten. Die Hauptpersonen: Frank Hollway läßt sich als Sachverständiger fürs Bauwesen nichts vormachen und stößt in ein Wespennest. Dan Miller verbucht als Firmenchef große Aufträge und in kurzer Zeit »erstaunliche Erfolge«. Derek Snyder hat als falscher Nervenarzt Angst vor bellenden Hunden und zählt als Mafia-Schläger zu den Pleitegeiern. Brian Epson muß als Hintermann einer gewissen Firma seine Karriere aufgeben. Kathy Porter bleibt auch als entführte junge Dame immer Herrin der Lage. Josuah Parker hat wieder einen Doppelgänger, der ihn bestens vertritt. »Durch Ihr säumiges Fahren werden wir den Anschluß verlie ren«, mäkelte Lady Agatha, die im Fond hin und her geworfen wurde und verzweifelt sich irgendwo festzuhalten versuchte. »Man wird sich bemühen, besagten Anschluß umgehend herzu
stellen«, erwiderte Parker gemessen und gab noch etwas mehr Gas. Als sie unten ankamen, sahen sie gerade noch, wie der verfolg te Wagen das Häuschen des Parkhauswächters und Kassierers passierte und sich in den vorbeifließenden Straßenverkehr ein ordnete. Zwei Minuten später hatte auch Parker das Parkhaus verlassen und ordnete sich in der gleichen Richtung wie der ver folgte grüne Ford ein. Kurz darauf bestand wieder Sichtkontakt. Der Ford schwamm im Verkehrsfluß drei Wagen vor ihnen. Aus Gründen der Tarnung hatte Parker vorsichtshalber das Taxischild aus dem Dach schnel len lassen, so daß sein hochbeiniges Mostrum jetzt rein äußerlich eines der unzähligen Taxis war, die überall zu sehen waren. »Ich werde mal wieder großzügig sein und es Ihnen überlassen, Mister Parker, wie Sie den Wagen stoppen. Lassen Sie sich etwas Hübsches einfallen. Ich hoffe, Sie enttäuschen mich nicht«, ließ sich Lady Agatha aus dem Fond vernehmen. »Man wird bemüht sein, Myladys Vertrauen zu rechtfertigen«, gab Parker würdevoll zurück, der schon recht klare Vorstellungen davon hatte, wie er die Verfolgten zum Halten brachte. Aber noch war es nicht soweit. In der City war zuviel Verkehr, um schon einzugreifen. Sie muß ten warten, bis sie eine weniger belebte Gegend erreichten, um bei einer eventuellen Auseinandersetzung niemand zu gefährden. Eine halbe Stunde später klappte es. Der grüne Ford war auf ei ne schmale, von Unrat gesäumte Straße abgebogen, die in ehe maliges Hafengebiet führte. Der verfolgte Wagen und Parkers hochbeiniges Monstrum waren die einzigen Fahrzeuge weit und breit. Parker setzte zum Überholen an und schob sich neben den Ford. Er würdigte das Fahrzeug keines Blickes, sondern sah unbeirrt geradeaus. Seine linke Hand glitt über das reichhaltig ausgestat tete Armaturenbrett und drückte einen der vielen Knöpfe. Dar aufhin öffnete sich unterhalb der Türen seines eigenwillig und aufwendig umgebauten Privatwagens hydraulisch eine kleine Klappe. Ein massiver, schlanker Chromstab, der in einem nadel spitzen Dorn endete wurde sichtbar. Dieser Dorn nahm augen blicklich Kontakt mit dem hinteren Reifen des verfolgten Fahrzeu ges auf und bohrte sich ebenso liebe- wie wirkungsvoll hinein, und überredete auf diese Weise die darin befindliche Luft, sanft
zu entweichen. Einen Augenblick später war der Chromstab mit der gefährlichen Spitze bereits wieder in Parkers Wagen ver schwunden. Die Aktion hatte nur wenige Sekunden in Anspruch genommen und war von den Insassen des Ford unbemerkt geblieben. Parker beschleunigte seinen Privatwagen und zog vorbei. Der Ford-Fahrer bemerkte einen Moment später, daß etwas nicht stimmte und lenkte seinen Wagen an den Straßenrand. Par ker sah im Rückspiegel, wie der Mann ausstieg und um den Ford herumging, um nach dem Fehler zu suchen. Dann hatte er den defekten Reifen entdeckt und beugte sich kopfschüttelnd tiefer, um ihn genauer zu betrachten. Parker stoppte seinen eigenen Wagen, legte den Rückwärtsgang ein und setzte zurück. Als hilfsbereiter Mensch hatte er die Ab sicht, den Ford-Insassen bescheidenen Beistand anzubieten. Er stieg aus und lüftete höflich die schwarze Melone. Hinter ihm folgte Lady Agatha, die rein gewohnheitsmäßig ihren perlenbe stickten Handbeutel einsatzbereit machte. * »Darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten?« erkundigte sich Parker freundlich. Der Fahrer, ein untersetzter, vierschrötiger Mann mittleren Alters, richtete sich auf und musterte ihn mißtrau isch. »Kommen Sie vom Kostümverleih?« fragte er anzüglich, wäh rend ein spöttisches Grinsen sein Gesicht verzog. »Keinesfalls und mitnichten, Sir. Darf man sich noch mal erkun digen, ob Sie Hilfe benötigen?« gab Parker gemessen und würde voll zurück. Der Butler hatte bei der despektierlichen Bemerkung seines Ge genübers keine Miene verzogen. Er war es gewohnt, daß gewisse Menschen bisweilen mit Spott und Überheblichkeit auf sein Äuße res reagierten, was einen britischen Butler der alten Schule je doch nicht aus der Fassung brachte. »Sie sehen nicht so aus, als wenn Sie ‘nen Reifen wechseln könnten«, mutmaßte der Ford-Fahrer. »Außerdem komme ich allein zurecht. Also schwingen Sie sich wieder in Ihre Klapperkiste und hauen Sie ab.«
»Ihr Ton entspricht nicht den Umgangsformen«, rügte Parker umgehend. »Sag mal, bei dir ist wohl was locker, du Vogelscheuche, oder?« Der Fahrer trat langsam näher und starrte drohend. »Täuscht sich meine bescheidene Wenigkeit oder muß man Ih rem Betragen tatsächlich eine gewisse Feindseligkeit entneh men?« erkundigte sich Parker ungerührt. Bevor der Fahrer antworten konnte, war dem Ford ein zweiter Mann entstiegen und baute sich neben dem Kollegen auf. »Was ist denn hier los, verdammt noch mal? Sieh’ zu, daß du den Rei fen wechselst, Ernie, wir müssen weiter.« Dann wandte er sich an Parker und versuchte ein allerdings etwas verkrampft ausgefalle nes Lächeln. »Vielen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft, aber wir kommen schon allein klar.« »Ich habe den Eindruck, Mister Parker, dieser junge Mann auf der Rückbank sitzt nicht ganz freiwillig dort«, ließ sich in diesem Augenblick Lady Agatha vernehmen, die ihr Gesicht ungeniert an die Seitenscheiben des Ford preßte und ins Innere spähte. »Heh, gehen Sie da weg! Was soll das denn?« empörte sich der Mann, der Parker angesprochen hatte. Er drehte sich um und eilte auf Agatha Simpson zu, die sich aufgerichtet hatte und ihm freundlich lächelnd entgegensah. »Wir hörten nämlich im Parkhaus einen Hilfeschrei und sind Ih nen deshalb gefolgt«, teilte ihm die passionierte Detektivin strah lend mit. »Ich glaube, daß Sie den jungen Mann entführt haben, stimmt’s?« »Sie sind ja verrückt, Sie sollten mal ‘n Psychiater aufsuchen, Lady.« Der etwa dreißigjährige, hochgewachsene Mann, der einen gut sitzenden und mit Sicherheit nicht billigen Anzug trug, mu sterte sie wütend und nachdenklich zugleich. »Sie scheinen mir etwas überspannt zu sein, ich meine meinen Ratschlag mit dem Psychiater ehrlich, Lady.« »Ich meine das, was ich eben gesagt habe, auch ehrlich«, ver kündete die ältere Dame munter. »Ich bin sicher, daß hier eine Entführung vorliegt.« Der Mann vor ihr sah sich lauernd nach allen Seiten um, aber sie waren allein auf weiter Flur. Zufrieden grinsend marschierte er auf Lady Agatha zu. Die rechte Hand fuhr ins Jackett und wollte dort mit Sicherheit nach einer Schußwaffe greifen. Das war das Signal für die energische Dame, aktiv zu werden.
Das Wortgeplänkel hatte ihr ohnehin’ schon viel zu lange gedau ert, sie liebte die Aktion. Sie ging ihrem Kontrahenten einen Schritt entgegen, blieb ste hen und trat ihm dann kräftig gegen das Schienbein. Mylady verfügte über große Füße und bevorzugte feste Schuhe. So fiel dieser Tritt schmerzhaft aus. Der Mann jaulte, zog das malträtierte Bein an und hüpfte durch die Gegend, wobei er wimmernde Laute ausstieß. Der Fahrer hatte dem Intermezzo fassungslos zugesehen. Er wollte nicht glauben, was er sah. Dann aber kam Leben in ihn, und er versuchte dem bedrängten Kollegen zu helfen. Er zog eine biegsame Stahlrate aus der Innentasche seines Sakkos, ließ sie pfeifend durch die Luft sausen und näherte sich Lady Agatha in unfriedlicher Absicht. Parker, mit dem er bislang gesprochen hatte, schien er vergessen zu haben. »Dürfte ich noch einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bit ten?« erkundigte sich der Butler höflich. Der Fahrer wirbelte her um und starrte aus zusammengekniffenen Augen. »Na schön, dann eben erst du«, knurrte er und stürzte sich auf den Mann im schwarzen Covercoat. Der hob leicht seinen Univer sal-Regenschirm, legte ihn quer und fing damit wie ein KendoKämpfer den Schlag mit der Stahlrute ab. Bevor der Fahrer begriff, wie ihm geschah, wirbelte der Schirm erneut auf ihn zu und legte sich mit dem bleigefütterten Bambus griff auf seine erstaunlich niedrige Stirn. Umgehend führte dies zu einem nachhaltigen Schlafbedürfnis bei dem Getroffenen. Stöh nend ging der Mann zu Boden und spielte nicht mehr mit. Inzwischen griff ein dritter Mann in die Auseinandersetzung ein. Er hielt eine Schußwaffe respektablen Kalibers in der Hand und zielte damit auf Lady Agatha, die ihn grimmig musterte und ihren Handbeutel in Schwingung brachte. Parker lüftete erneut seine schwarze Melone, um auch den drit ten Gegner höflich zu begrüßen, packte sie mit zwei Fingern und holte dann aus. Die zur Frisbee-Scheibe umfunktionierte Kopfbe deckung trat daraufhin eine kurze Flugreise an und landete gleich darauf mit der Wölbung am Hinterkopf des Mannes. Er verspürte ein unangenehmes Gefühl, als ob er von einem verirrten Diskus getroffen worden wäre. Er ließ die Waffe fallen, brach in die Knie und legte sich eben falls schlafen.
»So geht’s aber wirklich nicht, Mister Parker«, mäkelte Agatha Simpson prompt. »Sie dürfen nicht alle Leute für sich allein bean spruchen, schließlich will ich auch jemand für mich haben«, tadel te sie mit ihrer baritonal gefärbten Stimme. »Meine bescheidene Wenigkeit ist untröstlich, Mylady einiger Gesprächspartner beraubt zu haben, aber jener Herr dort scheint sich inzwischen wieder an der Unterhaltung beteiligen zu wollen.« Er wies auf den schlanken Dreißiger, den Mylady mit einem Tritt zu einer Tanzeinlage animiert hatte. Besagte Einlage hatte er be endet und sann auf Rache. Er zog ein Messer von beachtlicher Größe und näherte sich damit der Lady, die ihm zufrieden entge gensah. »Nun gut, Mister Parker, ich verzeihe Ihnen noch mal«, gab sie huldvoll zurück. »Beim nächsten Mal bitte ich mir jedoch etwas mehr Zurückhaltung aus.« Sie musterte den Messerstecher und nickte ihm zu. »Nur zu, junger Mann, genieren Sie sich nicht! Worauf warten Sie, benöti gen Sie etwa eine Einladungskarte?« Der Angesprochene blickte verblüfft und blieb überrascht ste hen. Bevor er über die Sache nachdenken konnte, war es bereits um ihn geschehen. Lady Agatha hatte ihren Handbeutel, der als sogenannter Glücksbringer ein nur mit Schaumstoff umwickeltes Hufeisen enthielt, in Schwingung versetzt und ließ die Riemen los. Der Beutel nahm Fahrt auf und Kurs Richtung Messerheld. Gleich darauf schlug er im Zielgebiet ein. Klatschend donnerte er dem Mann gegen die Brust und riß ihn von den Beinen. Er hatte den dumpfen Verdacht, von einem auskeilenden Pferd erwischt worden zu sein, was angesichts des im Pompadour befindlichen Hufeisens gar nicht so verkehrt war. Stöhnend rieb er die getroffene Stelle und tastete behutsam die Rippen ab. Sein Messer hatte er längst fallen lassen und gab sich voll und ganz seinem Schmerz hin. »Nun tun sie nicht so und stehen Sie endlich wieder auf«, rea gierte Lady Agatha gereizt. »Wissen Sie nicht, was Sie einer Da me schuldig sind, Sie Lümmel?« »Ich… ich gebe auf, machen sie mit mir, was Sie wollen«, keuchte der Anzugträger und rieb weiter seine Brust. »Ich spiele nicht mehr mit, Lady, fertig, aus…« »Schämen Sie sich nicht, sich so anzustellen?« grollte Lady Agatha. »Es ist skandalös, wie Sie sich aufführen. Sie sind ja
verweichlicht, junger Mann!« Aber der ‘junge Mann’ ließ sich von Myladys Vorwürfen nicht beeindrucken. Er schloß die Augen, ließ den Kopf sinken und kümmerte sich nicht mehr um seine Umgebung. »Wie finde ich denn das, Mister Parker?« empörte sich Lady Agatha. »Dabei habe ich ihn nur sanft mit meinem Glücksbringer gestreift.« »Die Strapazierfähigkeit der heutigen Jugend, Mylady, nimmt bedauerlicherweise immer mehr ab«, bestätigte Josuah Parker seiner Herrin, ohne eine Miene zu verziehen. Er lüftete die Melone und wandte sich ab, um die drei aus dem Verkehr gezogenen Männer zu durchsuchen. Mylady näherte sich inzwischen dem Ford und spähte durch die geöffnete Beifahrertür in den Fond, wo ein verängstigter junger Mann mit Handschellen saß und die Lady ängstlich und hoff nungsvoll zugleich betrachtete. »Wußte ich es doch, Mister Parker, wir haben es mit einer Ent führung zu tun«, rief Agatha Simpson entzückt, während sie den Mann im Fond wohlwollend musterte. »Mylady gedenken dem Herrn aus Gründen der Sicherheit Asyl zu gewähren?« erkundigte sich Parker höflich, während er dem jungen Mann aus dem Wagen half und ihn mittels seines Spezial bestecks von den Handschellen befreite. * Agatha Simpson und Josuah Parker kehrten mit ihrem neuen Gast nach Shepherd’s Market zurück, wo Mylady sofort eine erste Konferenz einberief, um über den neuen Fall zu sprechen. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Cognacschwenker, aus dem sie von Zeit zu Zeit genüßlich einen Schluck nahm. Josuah Parker verharrte stocksteif und aufrecht neben seiner Herrin und rührte sich nicht. Kathy Porter, Gesellschafterin und Sekretärin der Lady, lehnte mit Mike Rander am Kamin. Der neue Gast, der sich als Frank Hollway vorgestellt hatte und etwa siebenundzwanzig Jahre all sein mochte, saß Lady Agatha am Tisch gegenüber und hatte ge rade seinen Bericht beendet. »Das ist ja wirklich ungeheuerlich«, kommentierte die Detekti
vin freudig erregt. »Ich werde mich umgehend dieses Falles an nehmen und gründlich aufräumen.« »Darf man noch mal zusammenfassen, Mister Hollway?« be gann Josuah Parker höflich, während er sich an den jungen Mann wandte. Der sah ihn aufmerksam an und nickte schweigend. Parker sah gelassen geradeaus, als er Hollways Bericht in knap pen Worten wiederholte. »Sie arbeiten also als Abteilungsleiter in der städtischen Baubehörde und sind mit der Vergabe von Bauoder Abrißgenehmigungen, der Vermietung oder Verpachtung städtischen Eigentums sowie der Vergabe gewisser Lizenzen, bei spielsweise zum Betreiben gastronomischer Betriebe in stadteige nen Immobilien, befaßt. Seit etwa einem Jahr geschieht es immer wieder, daß Fälle, die eigentlich von Ihnen oder Ihren Mitarbei tern bearbeitet werden müßten, von politischen Vorgesetzten an sich gezogen und über Ihren Kopf hinweg und unter Umgehung der Vorschriften entschieden werden. Dazu kommen Anträge, die Sie bereits abschlägig beschieden hatten, dann aber von den ge nannten Herren nachträglich positiv korrigiert wurden. Ist das soweit richtig, Sir?« »Genau. Und seltsamerweise handelt es sich stets um dieselben Firmen, die bevorzugt werden. Außerdem pflegen diese Leute, die ich erwähnte, seit einiger Zeit auch einen auffallend luxuriösen Lebensstil. Ich sage Ihnen, Sir, die Sache stinkt zum Himmel! Leider war ich so dumm, das gegenüber Kollegen zu äußern. Die müssen das weitergegeben haben, anders kann ich mir die Ent führung vorhin nicht erklären.« »Außerdem kündigten Sie einen Bericht an Ihre oberste politi sche Instanz an und sprachen davon, zu Scotland Yard zu ge hen«, ergänzte Mike Rander, der aufmerksam und interessiert zugehört hatte. »Die wollten Sie umbringen, junger Mann, aber zum Glück konnte ich noch rechtzeitig eingreifen«, äußerte Agatha Simpson und lehnte sich zufrieden zurück. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mylady. Meinen Sie nicht, daß ich jetzt besser die Polizei verständigen sollte?« bemerkte Hollway schüchtern. »Aber auf keinen Fall!« Lady Agatha sah ihren Gast mißbilligend an. »Nein, einen solchen Fall kann nur ich lösen, da gibt es gar keinen Zweifel. Außerdem braucht man gerade hier viel Finger spitzengefühl und Sensibilität, zwei Eigenschaften, die mir ange
boren sind und für die ich bekannt bin«, behauptete die ältere Dame. Kathy Porter und Mike Rander sahen sich amüsiert an und wandten sich ab. Lady Agathas Fingerspitzengefühl und Sensibili tät hielten sie für ebenso wahrscheinlich wie eines Elefanten Ta lent zum Seiltanz. »Mylady sind nahezu das strahlende Musterbeispiel der erwähn ten Eigenschaften«, behauptete dennoch Parker gemessen, ohne eine Miene zu verziehen. »Da hören Sie’s, junger Mann!« Agatha Simpson nickte ihrem Gast triumphierend zu und erledigte den Fall mit einer großzügi gen Handbewegung. »Bis zum Wochenende habe ich die Sache aufgeklärt, verlassen Sie sich darauf«, verkündete sie und sah sich beifallheischend um. »Heute ist Donnerstag, Mylady«, machte sich Mike Rander be merkbar, »Sie haben nicht mehr viel Zeit, oder meinten Sie ein Wochenende im nächsten Jahr?« »Unsinn, mein Junge, dann eben etwas später.« Sie musterte Mike Rander selbstgefällig und wandte sich dann Parker zu. »Ich werde im Rathaus mit eiserner Hand aufräumen und die Korrup ten persönlich bei Scotland Yard abliefern. Ich sehe schon McWardens entgeistertes Gesicht vor mir, der natürlich wieder nicht die geringste Ahnung hat.« »Mylady haben bereits eine Vorstellung, wie Mylady vorzugehen gedenken?« erkundigte sich Parker höflich. »Das würde uns auch interessieren, Mylady«, warf Kathy Porter lächelnd ein. »Da Sie diesen Fall so schnell erledigen wollen, wis sen Sie sicher schon ganz genau, wie Sie ihn angehen.« »Selbstverständlich weiß ich das«, gab die ältere Dame im Brustton der Überzeugung zurück. »Allerdings möchte ich jetzt noch nichts dazu sagen. Ich werde mich für ein Stündchen zur Meditation zurückziehen und Mister Parker Gelegenheit geben, in der Zwischenzeit über die Geschichte nachzudenken«, fügte sie ungeniert hinzu und erhob sich, um sich zurückzuziehen und eventuell peinlichen Fragen zu entgehen. * Am späten Nachmittag erschien die Hausherrin wieder in der
Halle, um den Tee einzunehmen. Nachdenklich musterte sie den Tisch, auf dem Parker einige Kleinigkeiten bereitgestellt hatte. Mylady hielt strenge Diät. Parker hatte nur drei kleine Platten mit verschiedenen Obstkuchen, zwei Schalen mit diversen Keksen und etwas Sahne aufgetragen. Dazu gab es den traditionellen Tee und einen Schwenker mit französischem Cognac. Agatha Simpson seufzte gequält, als sie ihre Musterung beende te. »Finden Sie nicht, Mister Parker, daß ich mit meiner Diät ein wenig übertreibe? Wenn ich so weiter mache, werde ich noch hungern«, befürchtete sie, während sie bereits nach der Kuchen gabel griff. »Mylady sind ein Muster an Disziplin und Selbstbeherrschung«, gab Parker würdevoll zurück, ohne eine Miene zu verziehen. In diesem Augenblick meldete sich die Türglocke, und die Lady sah unwillig auf. Sie schätzte es nicht, bei der für sie heiligen Teezeremonie gestört zu werden. Parker begab sich gemessen zum Wandschrank rechts vom ver glasten Vorflur. Er öffnete die Klappe und betätigte einige Hebel und Schalter der darin eingebauten Überwachungsanlage. Sekun den später leuchtete der Kontrollmonitor auf und bot Parker ein gestochen scharfes Bild. Es war der Bereich vor dem Fachwerkhaus zu sehen, die Häuser links und rechts, die ebenfalls Lady Agatha gehörten, aber unbe wohnt waren, sowie eine kleine, zur Durchgangsstraße führende Mauer. Am Gittertor, das die Mauer zur Straße hin abschloß, standen drei ganz in Weiß gekleidete Gestalten und begehrten Einlaß. Parker betätigte den Summer und löste damit die Arretierung des Torschlosses. Das Gitter wurde aufgedrückt, und einen Mo ment später rollte ein ebenfalls weiß lackierter Wagen auf das Haus zu. »Wer wagt es, mich beim Tee zu stören?« wollte Lady Agatha wissen, die das Kuchenangebot auf dem Tisch schon reduziert hatte. »Ein Gefährt wie eine Ambulanz sowie mehrere weiß gekleidete Herren nähern sich«, meldete Parker, der weiter den Monitor beobachtete. Der weiße Wagen hatte die Auffahrt erreicht, wendete und hielt mit der Rückseite zum Haus hin. Die weißgekleideten Herren öff neten die Hecktüren und kamen dann zur Haustür, um hier zu
läuten. »Mein Name ist Doc Snyder von der St. Patrick’s Nervenklinik«, stellte sich der mittlere der drei Männer vor. »Ich würde gern ei nige Worte mit Lady Simpson wechseln.« »In welcher Angelegenheit?« wollte Parker über die Wechsel sprechanlage wissen, während er die Besucher auf dem Monitor musterte. Der Wortführer, der sich als Dr. Snyder vorgestellt hatte, war ein hochgewachsener, gut aussehender Mann, dessen dunkles Haar von ersten grauen Strähnen durchzogen wurde. Sein Ge sicht hätte als attraktiv gelten können, wenn nicht ein grausamer Zug um den Mund auf eine gewisse Brutalität gedeutet hätte. Seine Begleiter waren etwa dreißig und sahen alles andere als vertrauenerweckend aus. Bei Parkers höflicher Nachfrage kniff der angebliche Dr. Snyder verärgert die Lippen zusammen und runzelte unwillig die Stirn. Es schien ihm nicht zu gefallen, daß man ihn warten ließ. »In Sachen Mister Frank Hollway«, gab er schließlich zurück, während er ungeduldig auf die nach wie vor geschlossene Haustür starrte. »Einen Augenblick bitte, man wird Ihnen sofort öffnen«, ver kündete Parker würdevoll und beobachtete interessiert, wie die drei Neuankömmlinge sich zunickten und nahezu gleichzeitig in ihre Taschen griffen. Snyder brachte eine Pistole zum Vorschein, die er schnell und routiniert überprüfte, während seine Begleiter biegsame Stahlruten hervorzogen und versuchsweise durch die Luft hieben. Dann verstauten die Herren ihre Waffen wieder und drückten, als der Summer ertönte, gegen die Tür. Einen Augenblick später standen sie im verglasten Vorflur und stürmten förmlich zu der in die Halle führenden, ebenfalls vergla sten Tür. Parker trat höflich beiseite und ließ den Besuch an sich vorbei. »Wo ist er?« wollte Snyder wissen und sah sich suchend in der Halle um. »Wen belieben Sie zu meinen, Sir?« erkundigte sich Parker ge messen, während er andeutungsweise seine linke Braue indigniert steilen ließ, um Mißbilligung über das seltsame Benehmen der neuen Gäste auszudrücken. »Na, Hollway, wen denn sonst«, knurrte Snyder und näherte sich Lady Agatha, die ihren Imbiß inzwischen beendet hatte. Die
Lady hatte eine Lorgnette hervorgeholt und musterte dadurch ihre Besucher wie seltene Zootiere, wobei sie von Zeit zu Zeit vorwurfsvoll mit der Zunge schnalzte und den Kopf schüttelte. »Ich denke, ich nehme noch einen Cognac, Mister Parker«, sag te sie schließlich. »Danach können Sie mir diese… Herren vorstel len.« Sie machte absichtlich eine Pause vor dem >Herren<, um so ihre Meinung über die Besucher kundzutun. * »Dies ist Doc Snyder von der St. Patrick’s Nervenklinik, Myla dy«, erklärte Parker würdevoll. »Die beiden anderen Herren wur den bislang nicht namentlich vorgestellt.« »Sie sind Pfleger der Klinik«, erläuterte Snyder. »Sie sollen bei Hollways Abtransport behilflich sein. Wo ist er?« »Wie kommen sie darauf, daß sich ein Mister Tollquay in mei nem Haus aufhält, junger Mann?« wollte Lady Agatha freundlich wissen. »Ich rede von Mister Frank Hollway, Mylady, und weiß, daß er hier ist.« »Und woher, mein Lieber?« fragte die ältere Dame genüßlich. »Hätte uns Ihr Butler sonst so bereitwillig geöffnet, als ich ihm über die Sprechanlage den Namen nannte?« knurrte Snyder ge reizt. »Wir haben nicht viel Zeit, Mylady, rücken Sie Hollway raus, und Sie sind uns wieder los.« »Beantworten Sie gefälligst meine Frage nicht mit einer Gegen frage«, grollte Mylady. »Sagen Sie mir endlich, woher Sie wissen wollen, daß er hier ist.« »Die drei Kollegen, die ihn heute zufällig in der City trafen und sicherstellten, haben sich Ihre Autonummer gemerkt. Der Rest war nicht schwer. Also, wo ist er? Machen Sie es nicht so span nend. Außerdem könnten Sie Ärger bekommen, wenn Sie unsere Arbeit behindern.« »Ach, tatsächlich?« freute sich die Hausherrin. »Das hört sich recht vielversprechend an.« »Darf man fragen, was Sie meinen, wenn sie sagen, Ihre drei Kollegen hätten Mister Hollway zufällig in der City getroffen und sichergestellt, Sir?« erkundigte sich Parker würdevoll. »Verdammt, allmählich reicht es mir aber!« Snyder explodierte
und drehte sich gereizt zu Parker um. Im nächsten Moment fing er sich jedoch wieder und lächelte entschuldigend. »Verzeihen Sie meine Unbeherrschtheit, aber ich bin eben für Hollway verantwortlich und seit seinem Verschwinden etwas ner vös. Also, Frank Hollway ist Insasse unserer Anstalt und heute morgen irgendwie entkommen. In der City sahen ihn zufällig drei Kollegen, die ihn sofort verfolgten und festnahmen. Sie erzählten uns, sie seien unterwegs von Ihnen überf… äh, ich meine, sie hat ten eine Panne, und Hollway nutzte die Chance, sich von Ihnen wegbringen zulassen.« »Eine interessante Geschichte«, fand Agatha Simpson und lach te ungläubig. »Und diese wilde Story sollen wir Ihnen abnehmen? Warum ist denn dieser junge Mann angeblich Ihr Insasse?« Snyder riß sich sichtlich zusammen, um nicht wieder ausfallend zu werden. »Er leidet unter Wahnvorstellungen. Der arme Kerl hat im Bauamt gearbeitet, bis seine Krankheit sich offenbarte. Er glaubt, man würde ihm seine Arbeit wegnehmen, man entscheide in Angelegenheiten, die er zu entscheiden hätte und so weiter. Auch privat hält er sich ständig für übergangen und verfolgt. Deshalb veranlaßten seine Vorgesetzten eine psychiatrische Un tersuchung, deren Folge die Einweisung war. Ich fürchte, er hat Sie und Ihren Butler getäuscht, Mylady. Wenn Sie also so freund lich sein würden, uns zu ihm zu bringen?« »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen diese Geschichte abnehmen darf, junger Mann. Mister Parker und ich hörten im Parkhaus deutliche Hilferufe, außerdem griffen uns Ihre Kollegen an, als wir ihnen bei der Reifenpanne helfen wollten. Wie erklären Sie das?« »Natürlich hat Hollway um Hilfe gerufen, als er wieder festge nommen wurde, Mylady. Das ist doch wohl verständlich. Und un sere Kollegen fühlten sich von Ihnen bedroht, sie haben leider falsch gehandelt, dafür möchte ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Und jetzt geben Sie bitte Hollway heraus, damit wir zur Klinik können.« »Sicher verfügen sowohl Sie als auch Ihre Mitarbeiter über Pa piere, die Sie als Angehörige der erwähnten Klinik ausweisen, Sir«, mischte sich Josuah Parker höflich ein. »Und bestimmt ha ben Sie auch daran gedacht, den richterlichen Einweisungsbe schluß mitzubringen, nur der Ordnung halber.« Snyder starrte Parker wütend an, während die beiden anderen Weißbekleideten unruhig wurden und die Hände unauffällig in
ihren Kitteltaschen versenkten. Parker wußte nur zu gut, was sie enthielten. »Sicher können wir uns ausweisen, ist doch klar.« Snyder griff gleichfalls in die Tasche und brachte seine Pistole zum Vorschein, die er auf Lady Agatha richtete. »So, jetzt ist aber Schluß mit dem Gerede, lassen Sie sofort Hollway herbringen, oder es knallt, verstanden.« »Na endlich! Ich dachte schon, Sie kämen heute nicht mehr zur Sache«, atmete Lady Agatha erleichtert auf, die gleichfalls genug vom Reden hatte. Sie sehnte sich danach, aktiv werden zu kön nen. Snyder starrte sie ungläubig an. Er verstand die Reaktion der älteren Dame nicht. Statt Angst zu zeigen, schien sie ausgespro chen gelassen zu sein und sich sogar zu amüsieren. »Das ist eine Pistole, und die ist geladen, klar? Und wenn ich abdrücke, sind Sie mausetot. Also lassen Sie lieber schleunigst Hollway ‘ranschaffen!« »Die Pistole ist wirklich echt?« wunderte sich Lady Agatha. »Sie besitzen also die Frechheit, eine Dame mit einer scharfen Waffe zu bedrohen?« Dann sah sie betont an Snyder vorbei. »Aber Mister Parker, was machen Sie denn da?« grollte sie. Während Snyder automatisch den Kopf wandte, um nach Parker zu schielen, wurde die Detekti vin aktiv. Sie nahm vorsichtig ein verbliebenes Stück Torte in die Hand, visierte kurz und schickte dann das ungewöhnliche Geschoß auf die Reise. Als Snyder seine Aufmerksamkeit wieder der Lady zu wandte, klatschte ihm die Torte ins Gesicht und verteilte sich dort weitflächig. Die Kuchenmasse belegte seine Augen und drang in Mund und Nase. Sahne dekorierte sein Haar, Creme und lockerer Teig liefen von der Stirn nach unten und ergänzten sein eigenwilliges Make up. Fluchend griff Snyder nach einem Taschentuch und fuhr sich übers Gesicht. Während er solchermaßen abgelenkt war, griff Agatha Simpson nach dem neben ihr liegenden Handbeutel, der als Glücksbringer das Hufeisen eines ehemaligen Brauereipferdes enthielt. Aus Gründen der Humanität war es mit Schaumstoff umwickelt, aus Gründen der Durchschlagskraft allerdings nur oberflächlich.
Mylady erhob sich und versetzte ihren Pompadour in heftige Schwingung. Dann ließ sie los, und der perlenbestickte Beutel nahm Kurs auf sein Ziel. Snyder hatte es gerade geschafft, die Augen freizulegen und kam so in den Genuß, das seltsame Flugobjekt sich nähern zu sehen. Er wollte noch ausweichen, aber dazu reichte es nicht mehr. Der Pompadour mit dem Hufeisen landete an seinem Hals und unterbrach durch den Aufschlag abrupt die SauerstoffVersorgung. Die Beine gaben unter seinem Körper nach. Seuf zend legte sich Snyder auf seine Pistole, die er kurz vorher be reits hatte fallen lassen. Seine Mitarbeiter waren inzwischen damit beschäftigt, auf Par ker einzudringen. Sie hatten die Stahlruten gezogen, um ihm die se über den Schädel zu ziehen. Damit war Parker natürlich nicht einverstanden. Er hatte den Feuerhaken vom Kamin ergriffen und hielt ihn wie einen Degen in der erhobenen Hand. Geschickt wich er den Angriffen seiner Wi dersacher aus und parierte ihre Attacken gekonnt mit seinem Feuerhaken. Dabei fand er sogar noch Zeit, um in eine seiner zahlreichen In nentaschen zu greifen. Gleich darauf zischte den beiden >Pfle gern< feiner, grauer Nebel entgegen und hüllte ihre Gesichter ein. Sekunden später fielen die Stahlruten auf den Teppich, ge folgt von ihren Besitzern, die sich einer plötzlich aufgetretenen Müdigkeit gern hingaben. »Mister Parker, ich spüre deutlich, wie mein Kreislauf zusam menzubrechen beginnt«, seufzte Lady Agatha hinter ihm. Dage gen hatte Parker natürlich das richtige Rezept. Er servierte seiner Herrin umgehend einen Cognac und bewahrte sie vor dem dro henden Kollaps. »Glauben Sie wirklich, daß die Kerle aus der Nervenheilanstalt sind, Mister Parker? Ich befürchte, Sie waren mal wieder zu ver trauensselig«, kritisierte die Lady, nachdem sie ihre Gäste noch mal gründlich gemustert hatte. »Mitnichten, Mylady, die Herren dürften wohl eher aus Kreisen der Unterwelt stammen.« »Sagten sie nicht, daß sie mit einer Ambulanz kamen? Vielleicht haben sie in diesem Wagen Zwangsjacken, Mister Parker?« fiel Lady Agatha ein uns sah Parker hoffnungsvoll an.
Der Butler verstand diesen Hinweis und ging ihm sofort nach. Zwei Minuten später kehrte er zurück und hatte tatsächlich eine Zwangsjacke über dem Arm. »Mylady gedenken dieses Bekleidungsstück zu benutzen?« ver mutete Parker, der seine Herrin nur zu gut kannte. »Allerdings, Mister Parker, ich werde sie diesem angeblichen Doc Snyder zum Verhör anlegen, das ich allerdings erst später durchführen werde. Ich werde mir bis dahin einige interessante Verfahren ausdenken«, versprach die ältere Dame mit sichtlicher Vorfreude. * Snyder funkelte Lady Agatha wütend an. Er befand sich in ei nem der Spezial-Gästezimmer im Keller von Myladys weitläufigem Haus und trug die Zwangsjacke, die Parker aus dem Krankenwa gen geholt hatte. Die beiden Mitarbeiter waren in einem benach barten Raum untergebracht. »Das wird Ihnen noch leid tun, Lady, dafür werde ich sorgen«, knirschte der angebliche Nervenarzt und blickte Mylady drohend an. »Wenn Sie dazu kommen, mein Bester«, gab Agatha Simpson genüßlich zurück und betrachtete ihn ihrerseits nahezu liebevoll. »Ich habe viel mit Ihnen vor, glauben Sie mir.« »Was soll das heißen?« reagierte Snyder, allerdings schon we sentlich gemäßigter. »Ich werde Sie einer kleinen Befragung unterziehen. Von dem Ergebnis wird es abhängen, ob Sie mein Haus wieder verlassen können, vor allem, in welchem Zustand«, gab Lady Agatha frei mütig zurück. »Ich hoffe, Sie antworten nicht gleich.« »Bei Ihnen ist wohl ‘ne Schraube locker?« giftete Snyder. »Nehmen Sie mir sofort diese Jacke ab, und dann werde ich mit meinen Mitarbeitern gehen. Außerdem können sie von der Klinik mit ‘ner dicken Schadenersatzklage rechnen.« »Von jener Klinik, deren Mitarbeiter weder Sie noch Ihre Beglei ter sind, und deren Krankenwagen Sie entwendet haben?« warf Parker gemessen ein. »Man war so frei, Ihre Angaben zu überprü fen, Sir. Ihren Doc haben Sie sich wohl auch selbst verliehen.« »Richtig«, mischte sich Lady Agatha wieder ein. »Sie haben
mich ja bereits mehrfach belogen, allein dafür hätten Sie schon ein paar Ohrfeigen verdient.« Sie baute sich direkt vor Snyder auf und musterte ihn drohend. Sofort wich der falsche Nervenarzt an die Wand zurück, von wo er Agatha Simpson ängstlich anstarrte. »War doch nur ein Scherz, Lady, ehrlich. Wir sind gute Freunde von Hollway und wollen ihm nur helfen, deshalb sind wir herge kommen, glauben Sie mir.« »Ich glaube Ihnen kein Wort, Sie Subjekt!« Die Detektivin ließ ihre Blicke prüfend über Snyder gleiten und lächelte dann malizi ös, während sie sich zu Parker umwandte. »Wie lange hat der letzte Gangster, den wir hier zu Gast hatten, mein Verhör durchgehalten?« erkundigte sie sich mit deutlich hörbarem Anflug von Schaden- und Vorfreude in der Stimme. »Kaum fünfzehn Minuten, Mylady. Wenn meine bescheidene Wenigkeit allerdings darauf aufmerksam machen darf, daß man anschließend mit der Beseitigung der Leiche gewisse Probleme hatte…« »Papperlapapp, Mister Parker! Sie sind wieder mal zu ängstlich. Diesmal wird es solche Probleme nicht geben, wir haben ja die Bluthunde.« Snyder traten fast die Augen aus den Höhlen, als er die ältere Dame voller Abscheu und Entsetzen musterte. »Was soll das al les?« flüsterte er. »Sind Sie total übergeschnappt? Ich will hier raus, bitte!« »Erst wenn ich Sie verhört habe… Gönnen sie einer einsamen Frau ein bißchen Unterhaltung, junger Mann.« Die energische Dame wandte sich wieder an den Butler. »Was ist nun mit den Hunden, Mister Parker? Sind sie bereit?« »In der Tat, Mylady! Darf man dennoch zu bedenken geben, daß die Tiere seit Tagen nicht gefüttert wurden und dementspre chend hungrig und aggressiv sind? Mister Snyder dürfte die Be gegnung mit Ihnen nicht überleben.« »Na, wenn schon? Wollte mich dieses Subjekt nicht auch um bringen, Mister Parker?« Wie auf ein geheimes Stichwort setzte plötzlich vor der Tür in fernalischer Lärm ein. Snyder wich noch weiter zurück und preßte sich eng gegen die Wand. Lautes, aufgeregtes Bellen und Hecheln großer Hunde war zu hören. Aus diesen Tönen klang deutlich eine kaum zu zügelnde Aggressivität, die sich ständig zu steigern schien.
Plötzlich zitterte das Türblatt unter dem Anprall schwerer Kör per, die sich kraftvoll dagegen warfen. Dazu war das Kratzen scharfer Krallen auf dem Holz zu hören. »Die Tiere sind wirklich aufgeregt und angriffslustig, Mylady, ich fürchte, daß man sie kaum zurückhalten kann, wenn man jetzt öffnet oder die Tür eventuell sogar nachgibt«, ließ sich Parker besorgt vernehmen. »Nun ja, uns beiden werden sie nichts tun, schließlich kennen sie uns«, gab Agatha Simpson in sorglos munterem Ton zurück, während sie Snyder mit dem freundlichen Lächeln einer ausge hungerten Kobra musterte. »Allerdings, was unseren Gast be trifft… er kann sich bedauerlicherweise nicht mal wehren.« Snyder wurde immer blasser, sofern das überhaupt noch mög lich war, und sackte sichtlich in sich zusammen. »Ich bitte Sie, Mylady, das können Sie doch nicht machen… das ist doch glatter Mord! Dann gehen Sie für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter!« »Aber ich bitte Sie, mein Lieber, weshalb denn? Ohne Leiche kein Mord, und die Hunde sind, wie gesagt, sehr hungrig. Nein, ich glaube nicht, daß es Probleme gibt.« Wieder krachten die schweren Körper wuchtig gegen das Tür blatt. Gleich darauf war sogar ein gewisses Splittern zu hören, als wenn Holz aufgerissen wird und nachgibt. Auch das Scharren und Kratzen der Nägel wurde wieder heftiger, und dann steigerte sich das Bellen und Heulen zu einem durch Mark und Bein gehenden Lärm. Parker, der von Mylady gut gedeckt wurde, hielt eine flache Fernsteuerung in der Hand, mit der er die kleine Vorführung ebenso geschickt wie eindrucksvoll steuerte, was der Gefangene natürlich nicht ahnte. Er stierte mit aufgerissenen Augen immer wieder auf die Tür, die ihn im Augenblick noch vor einem schlimmen Schicksal be wahrte. Dann rutschte er in sich zusammen und gab sich einer wohltätigen Ohnmacht hin. Sofort gebot Parker den Bluthunden Einhalt und schaltete die Übertragung ab. »Ich hoffe nur, der Lümmel kommt schnell wieder zu sich, Mi ster Parker«, schien Lady Agatha verärgert. »Das hat er doch mit Absicht gemacht, damit ich ihm keine Fragen stellen kann.« »Möglicherweise sind die Nerven von Myladys Gast etwas ange griffen, weil Myladys geschickte Inszenierung ihn so beeindruckt hat«, gab Parker zu bedenken.
»Das könnte natürlich stimmen, Mister Parker. Ich muß sagen, es war sehr überzeugend. Sie haben meine Wünsche bis ins De tail erraten und erfüllt«, stellte sie wohlwollend fest. »Mylady sind zu gütig«, bedankte sich Parker gemessen, wäh rend er sich um Snyder kümmerte. »Mylady können übrigens damit rechnen, in wenigen Minuten die Befragung durchführen zu können. Mister Snyder dürfte sich schnell erholen.« »Das will ich diesem Subjekt aber auch geraten haben, Mister Parker. Nur schade, daß wir keine echten Hunde haben«, schloß sie grimmig. * »Und was hat Myladys Befragung ergeben?« erkundigte sich Mi ke Rander am nächsten Morgen, als er zum Frühstück aus seiner nahegelegenen Kanzlei in der Curzon Street herüberkam. »Der Name des einen Herrn ist tatsächlich Snyder, Sir, wenn auch ohne Doktor-Titel. Er arbeitet für eine Firma namens >CityBaubetreuung<, ebenso seine beiden Begleiter. Angeblich geht es um eine persönliche Sache zwischen Mister Snyder und Mister Hollway, was allerdings nicht stimmen dürfte. Mylady war jedoch so freundlich, nicht näher auf diesen Punkt einzugehen.« »Kennen Sie diese Firma, Parker? Sicher haben Sie schon Ihre Verbindungen spielen lassen, oder?« lächelte Rander, der mit Parker bereits in den USA zusammengearbeitet hatte und sich deshalb gewisse Vertraulichkeiten erlauben konnte. Rander hatte dort als Anwalt britische Firmen vertreten, während Parker als sein Butler fungiert und es immer wieder geschafft hatte, ihn in haarsträubende Kriminalfälle hineinzuziehen. »In der Tat, Sir. Erste Recherchen ergaben, daß es ich um ein relativ junges Unternehmen mit erstaunlichen Erfolgen handelt. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, daß sich die Firma als sogenannter Generalunternehmer betätigt und für große Bau vorhaben die Planung und Überwachung des jeweiligen Projekts übernimmt. Mit der eigentlichen Bauausführung sind wiederum Unterfirmen eingesetzt, die der Generalunternehmer damit beauf tragt.« »Und wie erklärt man sich den Erfolg eines relativ jungen Un ternehmens auf diesem schwierigen Markt, Parker?«
»Durch Einsatz nicht ganz legitimer Mittel, wie die Gerüchtekü che hinter vorgehaltener Hand zu berichten weiß, Sir. Man spricht dabei von Erpressung, Bestechung und Gewaltanwendung, aber wie gesagt, nur gerüchteweise. Nach außen hin gilt die Firma als erfolgreiches und geachtetes Unternehmen«, setzte Parker seinen Bericht fort. »Und wem gehört diese blühende Firma?« »Geschäftsführer ist ein Herr namens Dan Miller, von dem man allerdings glaubt, daß er nur als Strohmann fungiert. Geldgeber dürften jedoch gewisse Kreise der organisierten Unterwelt sein, wie es weiter heißt.« »Sicher werden Sie sich um dieses interessante Unternehmen kümmern, oder?« ahnte Mike Rander und nickte dem Butler auf munternd zu. * Dan Miller war ein großer Mann, der normalerweise Gemütlich keit aus allen Poren verströmte. Davon war im Augenblick jedoch nichts zu spüren. Vor ihm standen die drei Männer, die sich kurz zuvor noch im Haus einer gewissen Agatha Simpson aufgehalten hatten, um dort Frank Hollway abzuholen. Aus tückisch glitzernden Augen, die in den verfetteten Hautpar tien seines Gesichts fast gänzlich verschwanden, musterte Dan Miller Derek Snyder und seine Mitstreiter. »Na Klasse«, höhnte er. »Da habt ihr euch ja voll und ganz mit Ruhm bekleckert! Der Chef wird außer sich sein vor Freude, wenn er davon hört.« »Ehrlich, Dan, das konnte doch keiner ahnen«, entschuldigte sich Derek Snyder, der angebliche Nervenarzt. »Diese komische Alte und ihr Butler sind mit allen Wassern gewaschen, glaub mir das.« »Stimmt, das ist schon unfair so was, was die mit einem ma chen«, unterstützte ihn einer der beiden angeblichen Pfleger. »Blödsinn, ihr habt euch schlicht und einfach von ‘n paar bluti gen Amateuren hereinlegen lassen, das ist die reine, unge schminkte Wahrheit«, reagierte Miller gereizt. »Und ihr nennt euch Profis, wirklich nicht zu fassen, so was…« Er musterte die drei Männer nachdenklich und fuhr dann fort: »Ich hoffe in eurem
Interesse, daß euch der Chef ‘ne Chance gibt, diese Pleite wieder auszubügeln.« »Verdammt, das wäre jedem passiert, das mußt du dem Chef sagen! Wir haben die beiden total unterschätzt, aber ihr hättet uns ja auch warnen können, oder?« »Alles faule Ausreden«, winkte Miller gelangweilt ab. »Ihr habt versagt, ganz klar und deutlich! Wie gesagt, ich hoffe, der Boß gibt euch ‘ne zweite Chance.« Derek Snyder sah seine Mitstreiter betroffen an. Sie wußten nur zu gut, daß man Versager in der Firma nicht allzusehr schätzte. Es hatte schon Fälle gegeben, in denen in Ungnade gefallene Mit arbeiter einfach von einem auf den anderen Tag von der Bildflä che verschwunden waren, ohne jemals wieder aufzutauchen, und sie verspürten nicht die geringste Lust, dieses Schicksal zu teilen. »Ist dieser Hollway nun dort oder nicht, wißt ihr wenigstens das?« fragte Miller gespannt. »Mit Sicherheit, Dan, da gibt es nicht den geringsten Zweifel. Aber wir holen ihn da raus, Dan, ehrlich, und dann lassen wir ihn auf Nimmerwiedersehen verschwinden, verlaß’ dich drauf«, gab Derek Snyder hoffnungsvoll zurück und starrte Miller ergeben an. »Wir haben inzwischen ein bißchen herumgehört, diese komi sche Lady und ihr Butler haben es tatsächlich hinter den Ohren«, erklärte Miller langsam. »Auf ihre Köpfe sind sogar beachtliche Preise ausgesetzt. Ich denke, ihr werdet noch mal eine Chance bekommen.« »Heute nacht holen wir uns den Kerl, darauf kannst du was wet ten«, biederte sich Snyder übereifrig an. »Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum wegen dem Kerl so’n Theater gemacht wird«, meldete sich der zweite >Pfleger<. »Der kann doch nichts beweisen, oder?« »Nein, aber er hat genug Überblick, um uns viel Ärger bereiten zu können. Außerdem soll er dabeigewesen sein, einen Bericht an seine vorgesetzte Instanz zu verfassen, und wenn dann ‘ne Un tersuchungskommission eingesetzt wird… Außerdem ist das nicht euer Bier, das geht euch nichts an. Ihr führt nur Befehle aus, wei ter nichts. Klar?« »Klar doch, reg’ dich bloß nicht auf. Also, heute nacht, was meinst du?« »Nein, heute nachmittag! Außerdem sollt ihr euch nicht um Hollway kümmern, sondern um jemand anderen.«
»Ach, und um wen? Mach’s nicht so spannend, Mann, wir bren nen darauf, unseren Fehler auszubügeln.« »Ihr werdet euch seine Freundin schnappen, dann kommt der liebe Junge von ganz allein zurück. Und dann schnappen wir ihn. Auf diese Weise brauchen wir uns nicht weiter mit der Lady und ihrem Butler herumzuärgern.« »Mit denen würden wir uns aber gern noch mal unterhalten«, ärgerte sich Snyder, der seinen Aufenthalt im Haus der Lady nicht vergessen konnte. Er brauchte nur an die entsetzlichen Hunde zu denken, die vor seiner Tür gehechelt hatten, und schon lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. Für diese Gemeinheit wollte er sich auf jeden Fall revanchieren, das hatte er sich geschworen! »Na schön, und wo finden wir die Kleine?« erkundigte er sich, während er ein Foto von Miller entgegennahm und aufmerksam betrachtete. »Verdammt hübscher Käfer«, brummte er anerkennend und gab das Bild an die Kollegen weiter. »Die Kleine ist Friseuse in ‘nem exklusiven Salon in der Harley Street. Ihr fahrt hin, gebt euch als Kollegen von Hollway aus und erzählt ihr, ihr Süßer hätte ‘nen Unfall gehabt und ihr wolltet sie gern zu ihm ins Krankenhaus bringen, weil er euch als Kollegen und Freunde darum gebeten hat. Dann bringt ihr sie in unseren alten Lagerschuppen im Hafen und schließt sie ein. Anschließend meldet ihr euch sofort hier, damit wir Bescheid wissen. So, und jetzt zischt ab und seht zu, daß ihr nicht wieder ‘n Rein fall erlebt. In dem Fall würdet ihr nämlich ernsthafte Probleme kriegen, kapiert?« Miller sah die Männer durchdringend an, dann entließ er sie mit knappem Kopfnicken. Als sie schon an der Tür waren, fiel ihm noch etwas ein und er rief sie zurück. »Leute, damit das klar ist: Ihr bringt sie in Sicher heit und meldet euch sofort hier, ohne mit der Kleinen irgendwel che Spiele veranstaltet zu haben, klar?« * Kathy Porter, Lady Agathas dreißigjährige, attraktiv aussehende und ein wenig exotisch anmutende Gesellschafterin und Sekretä rin, war dank Parkers intensiver Schulung nicht nur in den Kün sten fernöstlicher Selbstverteidigung eine Meisterin, sondern auch
in Sachen Maskenbildnerei. Sie trat von dem großen Wandspiegel in ihrem Schlafzimmer zurück und musterte sich kritisch, wobei sie immer wieder einen eingehenden Blick auf ein Foto, das man ihr zur Verfügung ge stellt hatte, warf. Sie nahm noch einige Korrekturen mit Kamm, Augenbrauen- und Lippenstift vor und nickte dann zufrieden. Sie hatte ihren Typ völlig verändert und war jetzt eine etwa fünfundzwanzigjährige, blonde Frau von nichtssagender Schön heit und einem ebenso gelangweilten wie wissenden Blick. Damit hatte sie sich überzeugend in eine junge Dame namens Janet Winters verwandelt, die in einem exklusiven Friseursalon in der Harley Street arbeitete und mit Frank Hollway befreundet war. Josuah Parker hatte Hollway mit seiner Freundin telefonieren und ihr gewisse Dinge erklären lassen, woraufhin Miß Winters bei ihrer Chefin einen vierzehntätigen, unbezahlten Sonderurlaub beantragte und bekam. Kathy Porter hatte sich mit ihr in einer nahen Cafeteria getrof fen und sich von ihr ein Foto geben lassen, das sie erfreulicher weise bei sich hatte. Danach hatte sie die junge Dame nach Shepherd’s Market gebracht, von wo sie zusammen mit Hollway eine halbe Stunde später aufgebrochen war, um zu einem der Landgüter Myladys gefahren zu werden. Kathy Porter würde jetzt noch mal als Janet Winters in den Sa lon zurückkehren und ihrer sicher überraschten Chefin erklären, daß sie etwas vergessen hatte, das sie aber dringend brauchte. Sie wollte dann die letzte halbe Stunde bis zum Feierabend ir gendwie vertrödeln, um so im Salon auf den zu erwartenden Be such zu harren. Wahrscheinlich würde man sie mit einem fingierten Anruf aus dem Geschäft locken und vor der Tür >übernehmen<. Während Kathy nach unten ging, um sich als Janet Winters vor zustellen, wunderte sie sich wieder einmal mehr über Parkers Improvisationsgabe und Weitsicht, die immer wieder verblüffend waren. Er war seinen Gegnern stets mehrere Schritte voraus und konnte sich perfekt in ihre Gedankenwelt versetzten. »Donnerwetter!« Mike Rander pfiff bewundernd durch die Zäh ne, als sie langsam die Treppe herunterkam. »Wirklich perfekt, Kathy, mein Kompliment!« »Sehr ordentlich, mein Kind, da macht sich wieder mal meine erstklassige Schulung bemerkbar, nicht wahr, Mister Parker?«
stellte Lady Agatha ungeniert fest. »In der Tat, Myladys Ausbildung ist unübertroffen«, erwiderte Parker dennoch höflich, ohne daß sich in seinem glatten, unbe wegten Gesicht ein Muskel rührte. »Die Verwandlung Miß Porters kann man nur als vollkommen überzeugend bezeichnen.« »Vielen Dank, Mister Parker«, lächelte Kathy und drehte sich gespielt kokett vor den Anwesenden. »Kathy Porter ist mir trotzdem entschieden lieber«, erklärte Mi ke Rander und grinste freundlich. »Ich hoffe, Mister Parker, daß sich Ihre Pläne als richtig erwei sen«, meldete sich Lady Agatha zweifelnd. »Möglicherweise habe ich Ihnen doch zuviel freie Hand gelassen und hätte besser selbst Regie führen sollen.« »Meine bescheidene Wenigkeit hofft, von Mylady gelernt und den Fall zu Myladys Zufriedenheit angefaßt zu haben«, gab sich Parker zuversichtlich und verneigte sich höflich. * »So, das hat geklappt, Jungs, sie muß jeden Moment rauskom men«, freute sich Derek Snyder und lehnte sich neben seinen Mitarbeitern gegen den beigen Austin, der wenige Schritte vom Friseursalon entfernt parkte. Näher konnten sie zu ihrem Leidwe sen nicht heran, weil direkt vor dem Salon ein Bautrupp der Tele fongesellschaft an einem Verteilerkasten arbeitete und deshalb mit einem Werkstattwagen direkt vor dem Geschäft hielt. »Was hat sie denn gesagt?« wollte einer der Begleiter neugierig wissen. »Na, Mann, du kennst mich doch, wenn ich was in die Hand nehme, haut das auch hin«, warf sich Snyder in die Brust. »Ich hab’ ihr die Story mit dem Unfall von ihrem Freund so überzeu gend verkauft, daß sie erstmal ‘n Weinkrampf bekommen hat. War richtig dankbar, als ich ihr sagte, wir als Kollegen ihres Freundes würden sie zur Klinik fahren. Wie gesagt, sie muß jeden Moment kommen. Paßt auf!« Er hatte kaum ausgesprochen, als sich die Tür des Salons öffne te und eine junge, blonde Frau heraustrat, die sich suchend um sah. Snyder erkannte sie sofort nach dem Foto, das ihm Dan Miller gegeben hatte, und machte sich bemerkbar.
»Miß Winters, hierher«, rief er und winkte ihr, als sie sich ihm zuwandte. Lächelnd ging er ihr entgegen. In diesem Augenblick luden die Telefonarbeiter eine riesige Ka beltrommel aus ihrem Werkstattwagen und rollten sie über den Bürgersteig zum Verteilerkasten, der ein paar Schritte hinter dem beigen Austin der Gangster stand. Derek Snyder wich der unsicher taumelnden Trommel geschickt aus und war gerade nicht mehr weit von Janet Winters entfernt. Der ältere Arbeiter, der hinter der Trommel ging und sie ab und zu mit den Händen stützte, stolperte plötzlich und fiel gegen Sny der. Erschrocken und nach Halt suchend klammerte er sich an ihm fest und kämpfte um sein Gleichgewicht. »Passen Sie doch auf, Mann«, knurrte Snyder verärgert und be freite sich von dem Mann, der ihn verwirrt aus kurzsichtigen Au gen anblinzelte und sich wortreich entschuldigte. »Entschuldigen Sie bitte, Sir, tut mir wirklich leid.« Der ältere Mann wischte mit den Händen aufgeregt über Snyders Jacke, um die Schmutzspuren zu beseitigen, die seine Hände dort hinterlas sen hatten. »Schon gut, Mann, hauen Sie ab.« Wütend schob Snyder den aufgeregten Kleinen von sich und ging rasch weiter zu Janet Win ters. Der Telefonarbeiter brabbelte weiter halblaute Entschuldigungen vor sich hin, während er endlich ging und sich wieder um die Ka beltrommel kümmerte. Dabei ließ er geschickt eine schwere Pi stole in der Jackentasche verschwinden, die er Snyder aus der Schulterhalfter gezaubert hatte. Auch die beiden Kollegen des älteren Telefonarbeiters erwiesen sich nicht gerade als übermäßig aufmerksam. Sie ließen die schwere Kabeltrommel einfach zwischen sich dahin eiern, ohne sich groß darum zu kümmern. Ihr Augenmerk galt vielmehr eini gen miniberockten Damen, die ihnen entgegenkamen. Plötzlich änderte die Kabeltrommel ohne ersichtlichen Grund ih re Laufrichtung und schleuderte den zwischen ihr und der Straße gehenden Arbeiter zur Seite. Gleich darauf krachte sie gegen den Kühlergrill des beigen Austins und drückte unter Knirschen und Splittern Frontpartie und Scheinwerfer ein. Die beiden Ganoven, die eben noch am Wagen lehnten und Janet Winters beobachte ten, sprangen erschrocken zur Seite und sahen fassungslos auf ihr beschädigtes Fahrzeug.
Wütend stürmten sie auf die Telefonarbeiter los und überschüt teten sie mit Beschimpfungen und Vorwürfen. Auf einmal flogen die Fäuste, und Gangster und Arbeiter waren in eine Schlägerei verwickelt. »Aber so geht das doch nicht.« Der altere Vorarbeiter, dem kurz zuvor das kleine Mißgeschick mit Snyder passiert war, stand hän deringend daneben und versuchte, die Streithähne zu trennen. Auch Derek Snyder, der im Laufschritt herangekommen war, bemühte sich, die Handgreiflichkeiten zu beenden. Er riß seine beiden Mitarbeiter einfach zurück und stieß sie gegen eine Haus mauer. Inzwischen redete der Vorarbeiter auf seine Kollegen ein und machte ihnen heftige Vorwürfe. »Wollen wir die Sache in unserem Werkstattwagen besprechen und dort die Angelegenheit gütlich regeln, Sir? Wir haben da ei nen kleinen Tisch und eine Bank, da redet es sich leichter als hier auf der Straße. Selbstverständlich kommt unsere Firma für den Schaden auf, ganz bestimmt. Wenn Sie allerdings die Polizei rufen wollen…« »Das muß ja nicht sein.« Derek Snyder zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich an Janet Winters. »Entschuldigen Sie bitte, Miß Winters, wir sind gleich soweit. Wenn Sie solange hier warten wollen?« Er nickte dem Vorarbeiter zu und ging mit ihm zum Werkstatt wagen. »Wo haben Sie denn Ihre Werkzeuge und Arbeitsmateria lien?« fragte er, als er sich aufmerksam im Laderaum des Wa gens umsah. Darin erkannte er nur einen Tisch und zwei Bänke, die am Boden festgeschweißt waren. »Brauchen wir nicht, weil wir nicht von der Telefongesellschaft sind«, erklärte der Vorarbeiter und schob ihn nachdrücklich in den Wagen. Snyder wachte endlich auf und wollte retten, was noch zu retten war. Ihm dämmerte, daß er wieder drauf und dran war, hereingelegt zu werden. Die Hand fuhr unter sein Sakko und ver harrte dort untätig, denn an der Stelle, an der sie eine 38er Au tomatic vermutete, ertastete sie nur die leere Schulterhalfter. »Ich war bereits so frei, Ihnen die Waffe abzunehmen«, erklärte der Vorarbeiter ruhig, »wenn Sie so freundlich wären, am Tisch Platz zu nehmen?« Fluchend warf sich Derek Snyder herum und wollte sich auf den älteren Mann stürzen. Da sprühte ihm ein grauer Nebel entgegen und traf sein ungeschütztes Gesicht. Instinktiv riß er die Arme
hoch und wollte sich schützen, aber es war bereits zu spät. Er spürte, wie die Beine unter ihm nachgaben und ihn das Be wußtsein verließ. Im nächsten Augenblick krachte er zwischen Bank und Tisch auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Der ältere Vorarbeiter entwickelte erstaunliche Kräfte und hiev te den schweren Körper des Gangsters auf eine Bank. Dann legte er ihm Handschellen um Fuß- und Handgelenke und verband sie mit stabilen Ösen an der Fahrzeugwand. Zufrieden wandte er sich ab, kletterte auf den Gehweg und verwandelte sich sofort wieder von einem jugendlich und straff wirkenden in einen älteren, mü den und abgekämpften Mann kurz vor der Pensionierung. Er schlurfte zu dem Austin und sah die Gangster aus trüben Augen an. »Mit Ihrem Kollegen ‘is was nich’ in Ordnung«, nuschelte er. »Kommt mal nachsehen, ja?« Die beiden Ganoven sahen sich mißtrauisch an. Automatisch fuhren ihre Hände in die Innentaschen ihrer Sakkos und tasteten nach den vertrauten Waffen. Dann nickten sie und setzten sich in Bewegung. »Das dauert mir alles zu lange«, meldete sich Janet Winters und schüttelte den Kopf. »Ich nehm’ mir ‘n Taxi und fahr’ allein in die Klinik. Vielen Dank für Ihre Mühe, ja? Ich werde Frank von Ihnen grüßen.« Sie drehte sich entschlossen um und trat an den Fahr bahnrand, um nach einem Taxi Ausschau zu halten. Die Gangster handelten augenblicklich. Sie konnten und wollten die junge Frau nicht gehen lassen. »Du bleibst hier und wartest auf uns, Puppe, ist das klar?« zischte einer der beiden und packte sie grob am Arm. Der andere schob sich hinter sie und gab ihr einen Stoß in den Rücken, der sie auf den, Austin zutrieb. Sie hatten die Absicht, sie in den Wagen zu bugsieren, wo einer von ihnen auf sie aufpassen sollte, während der andere nachsah, was mit Snyder los war. Daraus wurde jedoch nichts, die müde und desinteressiert wir kenden Telefonarbeiter wurden nämlich ausgesprochen munter. Einer von ihnen nahm sich des Gangsters im Rücken der jungen Frau an und zog ihn geschickt und unauffällig mit erstaunlicher Kraft von ihr weg. Im nächsten Augenblick traf ein Handkanten schlag seine Halsbeuge und ließ ihn seufzend zusammensacken. Der Telefonarbeiter lud ihn sich schlicht über die Schulter und
trug ihn unter den erstaunten Blicken einiger Passanten zum Werkstattwagen. Der zweite Gangster wollte seinem Kollegen zu Hilfe eilen und erlebte ebenfalls sein Waterloo. Die hübsche, junge Frau mit dem etwas auffälligen Make-up packte seinen Arm, stellte einen Fuß vor sein Standbein und brachte einen ebenso geschickt wie mü helos wirkenden Hebel an. Einen Moment später lag der perplexe Ganove auf dem Bür gersteig und wußte nicht recht, was los war. Die junge Frau riß ihn burschikos in die Höhe und drehte ihm dabei einen Arm so auf den Rücken, daß er nichts mehr unternehmen konnte. Der zweite Telefonarbeiter ging so dicht hinter dem Gangster, daß niemand von den Passanten sehen konnte, wie der Mann re gelrecht abgeführt wurde. Auch er verschwand im Werkstattwa gen. Dort wurde er ebenso wie Derek Snyder und sein zweiter Kolle ge mit Handschellen arretiert. »Eine sehr gelungene Vorstellung, Miß Porter. Gratuliere«, lä chelte der Vorarbeiter der jungen blonden Frau zu, die mit in den Wagen gestiegen war. »Es war mir ein Vergnügen, mal wieder mit Ihnen und Ihren Neffen zusammenarbeiten zu dürfen, Mister Pickett«, gab Kathy Porter freundlich zurück. Die Aktion hatte hervorragend geklappt und war mit strategischer Präzision abgelaufen. »Miß Porter?« knurrte Derek Snyder und starrte Kathy entgei stert an. »Sie sind nicht Janet Winters?« »Nein, ich habe mich nur wie ein Double zurechtgemacht«, er klärte Kathy. »Miß Winters befindet sich seit dem frühen Nachmit tag nicht mehr in London und ist in Sicherheit. Sie werden nicht an sie herankommen, auch nicht an Frank Hollway, nebenbei be merkt.« »Dann war das also eine verdammte Falle?« erkundigte sich ein anderer Gangster mit belegter Stimme. »Stimmt genau«, freute sich Kathy. »Und Sie sind wie geplant hineingetappt. Besser hätte es gar nicht klappen können.« Während sich Kathy Porter noch mit ihren Gefangenen unter hielt, war Horace Pickett ausgestiegen und überquerte die Straße. Er betrat das Cafe, von dem aus Snyder Janet Winters angerufen hatte, und wählte eine Nummer, die er schon oft benötigt und deshalb im Kopf hatte.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein gewisser Josuah Parker, der die Aktion inszeniert hatte. »Sie können mit einer Erfolgsmeldung aufwarten, mein lieber Mister Pickett?« erkundigte er sich höflich. »Selbstverständlich, Mister Parker. Es war mir wie immer ein außerordentliches Vergnügen, für Sie arbeiten zu dürfen.« * Die Arbeiter, die ihre Baustelle im Osten von London betraten, glaubten ihren Augen nicht trauen zu dürfen. Daran waren die drei Herren schuld, die sich köstlich zu amüsieren schienen. Einer von ihnen saß auf einem großen Bulldozer und preschte in halsbrecherischem Tempo über den Bauplatz. Bretterstapel, Steinhaufen und diverse Materialsammlungen schob er einfach mit der gewaltigen Schaufel beiseite, wobei er jedem neuen Hin dernis, das er beiseite räumte, Juchzer und Freudenschreie nach sandte. Als die Arbeiter eintrafen, konzentrierte sich sein Interesse auf den großen Wohnwagen, der den Arbeitern als Umkleidekabine und Aufenthaltsraum diente. Der Bulldozer-Pilot nahm Kurs auf diesen Wagen, setzte kurz davor aber noch mal zurück, um seine Stoßrichtung zu korrigieren, und gab dann beherzt Vollgas. Das schwere Baugerät heulte auf und wühlte sich mit der Ge walt eines Panzers in den Wohnwagen. Daraufhin zeigte dieser deutliche Auflösungserscheinungen. Bretter flogen durch die Luft, Glas splitterte und Metallbeschläge lösten sich. Krachend und in gewaltiger Staubwolke stürzte der Wohnwagen um und wurde anschließend von dem Bulldozer überrollt, der die Bretter in handliche Holzstücke und Splitter verwandelte. Der Bulldozer-Fahrer stieg ab und sah sich sein Werk aufmerk sam an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus und schlug sich vergnügt auf die Oberschenkel. Als er sich nach einem neuen Ziel umsah, entdeckte er an der Baustellen-Einfahrt den Kleinbus, mit dem die Arbeiter gekommen waren. Der Fahrer dieses Fir menbusses hatte an der Einmündung zur Baustelle gestoppt und war mit seinen Kollegen ausgestiegen, um die ungewöhnlichen Aktivitäten auf ihrem Arbeitsplatz zu beobachten. Der Bulldozer-Pilot, übrigens ein Herr namens Derek Snyder,
entdeckte also diesen Bus und erkor ihn zu seinem neuen Zielob jekt. Er bestieg sein schweres Fahrzeug, wendete und steuerte energisch den Kleinbus der Arbeiter an. Dröhnend ratterte der Bulldozer auf den Bus und die davor wie erstarrt stehenden Arbei ter zu, denen Snyder freundlich mit der Hand winkte und Scherz worte zurief. Gerade noch rechtzeitig erwachten die Arbeiter aus ihrer Erstar rung, sprangen zur Seite und warfen sich in einige Büsche, die die Baustellen-Zufahrt säumten. Während sie noch mit den Dornen und Zweigen kämpften, donnerte die Schaufel des Bulldozers in ihren Bus und brachte ihn ein wenig aus der Form. Snyder setzte zurück und begutachtete seine Arbeit. Ganz zu frieden war er jedoch nicht. Deshalb senkte er die Schaufel und schob sie unter die Vorderfront des Busses. Dann betätigte er die Hydraulik und ließ die Schaufel langsam steigen. Der Bus wurde vorn angehoben und nahm mit dem Heck Bodenkontakt auf. Schließlich ließ Snyder seinen Bulldozer im Stand auf den brei ten Ketten nach links herumschwenken und kippte den Bus um. Das Fahrzeug ging in die Brüche, und aus dem Tank lief das Ben zin. Snyder amüsierte sich über seinen Streich, doch die Arbeiter fanden das weit weniger lustig. Sie wühlten sich aus den Bü schen, in denen sie Deckung gesucht hatten, und näherten sich drohend dem Bulldozer. * Die geplante Vergeltungsaktion wurde im letzten Augenblick vereitelt, als hinten auf der Baustelle neuer Lärm aufbrandete und die Arbeiter ablenkte. Sie wandten ihre Aufmerksamkeit der neuen Lärmquelle zu. Schließlich standen sie vor einem großen Fundament, das sie am Vorabend ausgegossen hatten und das über Nacht hatte trocknen sollen. Auf diesem Fundament stand ein sehr aufgekratzt wirkender junger Mann und hielt einen Preßluftbohrer in Händen. Dieses Gerät bohrte sich ratternd in das nagelneue Fundament und riß große Betonbrocken heraus. Rings um die ausgebohrten Löcher bildeten sich tiefe Risse und versahen das vor wenigen Minuten
noch glatte Fundament mit einem interessanten Zackenmuster. Neidlos mußten die Arbeiter anerkennen, daß ihr unbekannter Kollege außerordentlich engagiert arbeitete. Er gönnte sich keine Verschnaufpause und verwandelte das Fundament in eine Krater landschaft. Die regulären Arbeiter waren verwirrt und beratschlagten, wie sie sich verhalten sollten. Der Vorarbeiter, ein erfahrener Mann, der schon viele Baustellen und Firmen kennengelernt hatte, be schloß, sicherheitshalber erst mal mit der Einsatzzentrale zu tele fonieren. Er wollte gerade davonstapfen, als sich der dritte Frem de nachdrücklich in Erinnerung brachte. Er hatte den hohen Bau kran geentert und saß jetzt im Fahrerhaus in luftiger Höhe. Der Motor des Krans dröhnte auf, und dann schwenkte der lan ge Arm mit dem schweren Haken herum. Dummerweise war bei dieser Bewegung eine frisch hochgezogene Mauer im Weg. Sie verlor ein wenig an Kontur und den einen oder anderen Stein, der sich unter dem heftigen Anprall des Kranarmes löste und herab stürzte. Der Kranführer schien mit diesem Test nicht ganz zufrieden zu sein und startete unverzüglich einen zweiten. Wieder krachte der schwere Ausleger gegen die Wand und brachte sie ins Wanken. Der Putz bröckelte, und respektable Lücken taten sich im Mauer werk auf. Die Arbeiter standen auf dem Platz und begriffen die Welt nicht mehr. Sie schritten zur Tat. Man vereinbarte eine Arbeitsteilung und splitterte sich in drei gleichgroße Gruppen zu je vier Mann auf. Jede Gruppe wollte sich einen der drei Fremden vornehmen und einer eingehenden Befragung unterziehen. Wenige Minuten später begann der hohe Kran gefährlich zu schwanken. Im Führerhaus tobte eine hitzige Diskussion. In einem der Rohbauten, von dem aus man einen hervorragen den Überblick hatte, stand ein gewisser Josuah Parker und beo bachtete die Vorgänge durch ein starkes Glas, das er vorsorglich mitgebracht hatte. Er sah dem munteren Treiben aufmerksam und mit gewissem Wohlgefallen zu und freute sich über die doch sehr munteren Bauarbeiter, die den Gangstern nachdrücklich ihre Meinung sag ten. Er selbst hatte die Ganoven eine Viertelstunde vor Eintreffen der Arbeiter hier angeliefert und ihnen mittels eines sonst harm
losen und unbedenklichen Impfserums zu einer ausgesprochen euphorischen und unternehmungslustigen Stimmung verholfen. Außerdem war er so freundlich gewesen, die Herren mit einigen interessanten Vorschlägen und Tips hinsichtlich der Unterhal tungsmöglichkeiten auf einer solchen Baustelle zu versorgen, was diese aufgeschlossen zur Kenntnis genommen hatten. Nach einer gewissen Zeit, als er glaubte, daß die Gangster nun überzeugt worden waren, stieg Parker von seinem Beobachtungs posten nach unten und verließ die Baustelle. Aus einem in der Nähe gelegenen Cafe informierte er die Polizei und machte sie auf einige schockierende Vorfälle auf einem gewissen Bauplatz auf merksam. Als man ihn nach seinen Personalien fragte, passierte ihm leider ein Mißgeschick, und der Hörer rutschte ihm aus der Hand, so daß die Polizei ohne seinen Namen auskommen mußte. Anschließend rief er einige Zeitungsredaktionen an und unter richtete auch sie von seinen Beobachtungen. Er beschrieb die genaue Lage des Platzes und bat darum, umgehend Reporter zu entsenden, da auch die Polizei bereits verständigt wäre und dem Ganzen bald ein Ende machen würde. Zum Schluß wählte er einen Privatanschluß, der einem gewissen Dan Miller gehörte. Da um diese frühe Morgenstunde sicher noch nicht bei der >City Baubetreuung< im Büro gearbeitet wurde, wollte er deren Chef auf diesem Weg von den Vorfällen auf seiner Baustelle unterrichten. Zufrieden legte Parker auf, als er dies er ledigt hatte und machte sich auf den Rückweg nach Shepherd’s Market. * »Ich komme wirklich rein zufällig vorbei«, behauptete ChiefSuperintendent McWarden, als er sich an Parker vorbei in die Hal le schob. McWarden war Mitte fünfzig, untersetzt und trug einen mehr oder weniger deutlich sichtbaren Bauchansatz. Durch leicht vor stehende Basedow-Augen erinnerte er stets an eine gereizte Bull dogge. Der Chief-Superintendent leitete im Yard ein Sonderde zernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und war direkt dem Innenministerium unterstellt. McWarden schätzte die unkonventionelle Art, mit der Parker und
Lady Agatha ihre Fälle anpackten, was ihm als Beamten natürlich nicht möglich war. Deshalb fand er sich immer wieder im Haus der Lady ein, obwohl diese ihn ständig durch Bemerkungen über seine Arbeit reizte und schon mehr als einmal auf die sprichwört liche Palme gebracht hatte. »Mein lieber McWarden«, rief sie, als sie ihn erblickte, »wie schön, Sie mal wieder hier im Haus zu haben.« Sie musterte ihn einen Augenblick lächelnd und fuhr fort: »Leider habe ich mein Frühstück schon beendet, und Mister Parker hat bereits abgetra gen. Ich hätte Ihnen gern etwas angeboten, auch wenn es Ihrer Figur vielleicht nicht zuträglich ist.« »Machen Sie sich um meine Figur keine Sorgen, Mylady, um die kümmere ich mich schon selbst. Aber vielleicht haben Sie einen kleinen Sherry da?« »Beamte dürfen im Dienst doch nicht trinken«, reagierte die Hausherrin bissig und war wieder voll in ihrem Element. »In die ser Beziehung muß ich Sie leider enttäuschen, mein Lieber. Der Sherry ist ausgegangen, und Mister Parker hat versäumt, recht zeitig neuen zu besorgen.« »Nach intensiver Suche ist es meiner bescheidenen Wenigkeit gelungen, doch noch eine Flasche im Keller zu entdecken«, mel dete in diesem Augenblick Josuah Parker höflich und war bereits dabei, McWarden ein gefülltes Glas zu reichen. Der nahm es strahlend entgegen und prostete der Lady erfreut zu. »Das nennt man Glück, Mylady. Ein Segen, daß Sie Mister Parker haben.« »Da bin ich nicht so ganz sicher«, erwiderte Agatha Simpson spitz. »Mister Parker wird mich noch an den Bettelstab bringen, wenn er so weiter macht.« »Wenn es soweit ist, lade ich Sie gern auf ein Gläschen zu mir nach Hause ein«, tröstete McWarden, der natürlich den sprich wörtlichen Geiz der älteren Dame kannte. »Ihre Großzügigkeit hat mich wieder mal an den Rand eines Kreislaufkollapses gebracht, Mister Parker«, beschwerte sich die ältere Dame und ließ sich theatralisch zurücksinken. Sie legte eine Hand auf ihren Busen und sah den Butler wehleidig an. »Man wird dagegen sofort eine entsprechende Medizin reichen«, gab Parker zurück und stellte ihr einen Cognacschwenker hin, der vom Ausmaß her an eine mittlere Blumenvase erinnerte. Dann wandte er sich an den Gast.
»Wie zufällig sind Sie hier, wenn man fragen darf, Sir?« erkun digte sich Parker. »Sind Sie neuerdings in der Baubranche tätig, Mylady?« fragte McWarden und blickte Agatha Simpson an. »Baubranche? Wie meinen Sie das, mein Lieber?« erkundigte sich Lady Agatha mit schmeichelnder Stimme. »Mister Parker, servieren Sie unserem lieben Gast doch noch einen Sherry, aber einen kleinen, Sie wissen, Mister McWarden verträgt Alkohol nicht«, flötete sie. »Nun, heute am frühen Morgen tat sich auf einem Bauplatz im Osten Erstaunliches«, begann McWarden und lehnte sich genüß lich zurück. »Was haben Sie damit zu tun?« wollte die Detektivin sofort wis sen. »Eigentlich nichts. Aber Sie wissen, ich bekomme jeden Morgen die Berichte sämtlicher Reviere auf den Tisch, und da war auch dieser darunter. Er hat sofort meine Interessen geweckt.« »Warum, Sir, wenn man fragen darf?« erkundigte sich Parker höflich. »Weil das, was da passierte, deutlich und unübersehbar die Handschrift eines guten Bekannten trug«, stellte McWarden fest und sah Parker dabei an. »Könnten Sie mit Details dienen, Sir?« fragte der Butler unge rührt. McWarden schloß die Augen, legte den Kopf zurück und erzählte in nahezu genüßlichem Ton seine Geschichte, die Parker natürlich nur zu gut kannte. »Und was wurde aus den drei Herren, die Ihre Kollegen dort be freiten und dann festnahmen?« »Oh, die werden einige Tage in staatlichem Gewahrsam bleiben müssen«, schmunzelte McWarden, »nicht sehr lange zwar, aber immerhin.« »Sind der Polizei die Kerle bekannt?« wollte die ältere Dame mit grollender Stimme wissen. »Das ist tatsächlich der Fall, Mylady. Der Anführer der drei, ein gewisser Derek Snyder, gilt als geschickter Urkundenfälscher und einfallsreicher Betrüger, außerdem stehen bei ihm einige Körper verletzungsdelikte und Erpressungsversuche zu Buche. Die beiden anderen Festgenommenen sind kleine, aber gefährliche Schläger, die schon mehrmals gesessen haben.«
»Und was hat das mit der Baubranche zu tun, wenn man davon absieht, daß dieses Intermezzo zufälligerweise auf einem Bau platz stattfand?« fragte die Lady weiter und lächelte maliziös. »Nun, alle drei Herren stehen in Diensten einer Baufirma in der City, und wie es der Zufall will, gehört auch der Bauplatz, auf dem sich alles abspielte, dieser Firma.« »Das wird der Firma aber nicht gefallen«, vermutete Lady Agat ha und musterte McWarden mit unschuldigem Augenaufschlag. »Man hat die drei bereits fristlos entlassen, wie der Geschäfts führer meinen Kollegen mitteilte«, gab McWarden zurück und nahm einen Schluck von seinem Sherry. »Darf man fragen, ob Sie Mylady aus einem bestimmten Grund von der Sache unterrichtet haben, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker würdevoll. »Aber auf keinen Fall, Mister Parker, ein bestimmter Grund liegt nicht vor. Abgesehen davon dürfte ich Mylady auch gar nicht offi ziell von irgendwelchen Angelegenheiten der Polizei unterrichten. Ich erwähne das alles rein zufällig während eines freundschaftli chen Besuches.« »Ihnen ist die besagte Baufirma möglicherweise nicht unbe kannt, Sir?« kam Parker auf den Punkt. »Wahrscheinlich geht es wieder mal um einen Fall, bei dem der Yard nicht klarkommt«, mischte sich Agatha Simpson auf ihre direkte Art ein. »Mister McWarden ist nur zu ängstlich das offen auszusprechen.« »Keinesfalls, Mylady. Es handelt sich hier weder um einen Fall, noch bei meinem Besuch um ein Hilfeersuchen. Allerdings muß ich zugeben, daß man die Firma >City Baubetreuung< kennt.« »Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, McWarden, legen Sie die Fakten auf den Tisch«, verlangte Lady Agatha. »Nun, die Firma ist innerhalb nur eines Jahres erstaunlich groß geworden«, erzählte McWarden nachdenklich. »Sie hat es ge schafft, sich in kurzer Zeit einen großen Anteil an städtischen Bauvorhaben zu sichern. Das hat in der Branche natürlich zu eini ger Unruhe geführt und die Gerüchteküche angeheizt.« »Die was in die Umgebung streut, Sir?« fragte Parker unge wöhnlich knapp. »Nun, man munkelt davon, daß Sachbearbeiter bestochen oder erpreßt wurden und werden, und daß die Firma als Generalunter nehmer überhöhte Rechnungen einreicht und einen Teil der so
erzielten Gewinne an die betreffenden Leute als Provision aus schüttet. Aber wie gesagt, das sind alles nur Gerüchte. Es ist nichts Konkretes vorhanden, bei dem man einhaken könnte.« »Mit anderen Worten, Sie wissen wieder mal nicht, wie Sie die Sache angehen sollen, mein lieber McWarden«, stellte Agatha Simpson genüßlich fest. »Mir sind die Hände gebunden, Mylady, leider«, McWarden seufzte und ließ sich von Parker nachschenken. »Natürlich, wenn sich gewisse Privatpersonen zufällig mal mit dieser Firma befas sen würden…« »Kennt man die Hintermänner, Sir?« »Eindeutig dürfte es die Mafia sein, Mister Parker. Ich nenne dazu nur einen Namen: Brian Epson.« »Der zur Zeit das Oberhaupt der erwähnten Organisation in un serer schönen Stadt ist, Sir«, wußte Parker sofort. »Aber nicht mehr lange«, ergänzte die Detektivin grimmig und nickte entschlossen. * »Was Sie da sagen, ist wirklich ungeheuerlich, Mylady«, empör te sich Sir Anthony Kilroy und starrte Lady Agatha aufgebracht an. »Sie behaupten nicht mehr und nicht weniger, als daß es in meiner Behörde nicht mit rechten Dingen zugeht und Entschei dungen nicht nach Recht und Gesetz sondern nach persönlichen Gesichtspunkten getroffen werden.« »Sie drücken das sehr freundlich aus, mein lieber Anthony«, erwiderte Agatha Simpson, die dem Baubevollmächtigten in sei nem Amtszimmer gegenübersaß. »Ich habe mich da wesentlich deutlicher geäußert. Noch mal klar und unmißverständlich: In Ihrem Amt herrscht der Geist der Korruption, das pfeifen mittler weile die Spatzen von den Dächern.« »Diese Äußerung wird Ihnen noch leid tun, Mylady!« Sir Antho ny sprang auf und funkelte mit den Augen. »Das wird Ihnen eine Klage wegen Beleidigung und übler Nachrede einbringen. Auch wenn wir uns persönlich kennen, Mylady, gibt Ihnen das noch lange nicht das Recht, mich derart zu attackieren.« »Stellen Sie sich doch nicht so an, Anthony!« Lady Agatha blieb die Ruhe selbst und ließ sich von dem Temperamentsausbruch
des Mannes nicht beeindrucken. »Besser ich sage Ihnen diese unangenehmen Dinge als die Polizei. Noch haben Sie Gelegenheit, mit meiner Hilfe in Ihrer Behörde aufzuräumen. Ich hoffe, Sie nutzen mein großherziges Angebot.« Lady Agatha lehnte sich seufzend zurück und fuhr mit der Zun ge über die Lippen. »Übrigens sind Sie ein schlechter Gastgeber, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß. Bei einem guten Tropfen läßt es sich leichter reden.« Sir Anthony schien verblüfft. »Was möchten Sie bitte, Mylady?«, fragte er verdattert. »Whisky oder Cognac, mein Lieber. Ich hoffe, Sie haben einen ordentlichen Privattropfen für besondere Anlässe.« Kopfschüttelnd gehorchte Kilroy und schloß ein Schreibtischfach auf, um eine Flasche Malt-Whisky hervorzuholen. Aufmerksam beobachtete die ältere Dame, wie Sir Anthony ihr Glas füllte. »Mit Soda oder Eis, Mylady?«, fragte er. »Nein, pur«, verlangte die Lady. Sie nahm das Glas entgegen und erlaubte sich einen herzhaften Schluck. »Nicht schlecht, mein Lieber«, lobte sie, während sie noch mal probierte. »Wie kommen Sie überhaupt darauf, daß es in meinem Dienst bereich nicht mit rechten Dingen zugehen soll, Mylady?«, wollte Sir Anthony mit gepreßter Stimme wissen. »Das wurde mir aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle zuge tragen, wie es so schön heißt«, antwortete Lady Agatha. »Aber darauf möchte ich nicht näher eingehen. Und nun wird Ihnen Mi ster Parker einige Fragen stellen, Anthony.« »Ihr Butler, Mylady?«, fragte Sir Anthony mit einer seltsamen Unsicherheit in der Stimme. Josuah Parker, der stocksteif hinter dem Sessel seiner Herrin stand, verzog keine Miene bei der Reaktion Sir Anthonys. Er war solche Bemerkungen gewohnt und verstand sie sogar. Schließlich war es keinesfalls üblich, daß ein britischer Butler einen Angehö rigen des Adels befragte. »Stellen Sie sich nur nicht so an, Anthony!« fuhr Lady Agatha ihren Gastgeber an. Es machte ihr immer wieder Spaß, Angehöri ge des eigenen Standes in Verlegenheit zu bringen, weil sie deren Dünkel und Hochmut nicht ausstehen konnte. »Mister Parker genießt mein absolutes Vertrauen und ist damit auch für Sie vertrauenswürdig«, fuhr sie fort. »Deshalb werden
Sie Rede und Antwort stehen, er handelt schließlich in meinem Namen.« Sir Anthony räusperte sich lautstark und sah Parker gequält an. Ihm merkte man mehr als deutlich an, daß ihm das alles nicht behagte und er seine Besucher am liebsten auf den Mond ge schickt hätte. »Pardon, Sir, man bittet im voraus um Entschuldigung, falls Ih nen mit der einen oder anderen Frage zu nahe getreten wurde«, gab Parker gemessen von sich und lüftete seine Melone. »Fragen Sie schon, Mann, damit wir es hinter uns bringen«, reagierte Sir Anthony verschnupft. »Sie haben einen kritischen Mitarbeiter namens Frank Hollway in Ihrem Amt. Ist Ihnen der Name ein Begriff, Sir?« »Hollway, Hollway…«, murmelte Kilroy und legte nachdenklich die Stirn in dekorative Falten. »Nicht ungedingt. Sollte ich?« »Besagter Mister Hollway, Sir, glaubte in seinem Bereich einige Unregelmäßigkeiten entdeckt zu haben und wollte die zuständige politische Instanz informieren. Das müßten Sie als Vorgesetzter sein, Sir.« »Ich glaube, ich kenne den Namen doch«, räumte der Stadtrat ein. »Mir war so, als hätte mich ein Mitarbeiter dieses Namens angerufen und mir etwas in dieser Richtung erzählt. Er wollte ei nen Termin bei mir haben, glaube ich.« »Den er bekommen hat, Sir?«, ließ Parker nicht locker. »Nein, hat er nicht, Mister Parker, ich habe schließlich noch mehr zu tun, als dem Gerede von Mitarbeitern Gehör zu schen ken.« »Mister Hollway ist immerhin Abteilungsleiter, Sir.« »Und wenn schon. Eine Eifersüchtelei unter Kollegen, weiter nichts. Ganz normale alltägliche Kompetenzrangeleien.« Sir An thony gab sich keine Mühe, seinen Ärger über Parkers Fragen zu verbergen. »Ist Ihnen eine Firma namens »City Baubetreuung« bekannt?« fuhr der Butler fort, ohne auf Sir Anthonys letzte Bemerkung ein zugehen. »Sicher, eine außerordentlich gute und zuverlässige Firma. Hat im letzten Jahre eine Reihe größerer Aufträge bekommen. Wirk lich sehr renommiert.« »Und ein recht junges Unternehmen dazu, nicht wahr, Sir? Ist es nicht ungewöhnlich, daß eine verhältnismäßig junge Firma so
umfangreiche Aufträge erhält, während alteingesessene leer aus gehen?« »Nur Leistung zählt, nichts sonst, Mister Parker. Die Leute von der »City Baubetreuung« haben eben immer die besseren Ange bote abgegeben.« »Die aber in allen Fällen beträchtlich überschritten wurden, Sir. Man spricht von fünfzig bis siebzig Prozent in diesem Zusammen hang.« »Was wollen Sie damit sagen, Mister Parker? Ich wiederhole, in meinem Amt geht alles seinen ordnungsgemäßen Gang.« »Kennen Sie Mister Dan Miller persönlich, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Das geht nun aber wirklich zu weit, Mister Parker!« Kilroy sah den Butler verärgert an und preßte die Lippen zusammen. »Antworten Sie Mister Parker bitte, Sir Anthony, und mir dürfen Sie noch einen Whisky einschenken«, mischte sich Lady Agatha ein. Kilroy senkte beschämt den Kopf und schenkte Agatha Simpson mit zitternden Händen nach. Dann beantwortete er Parkers Frage. »Sicher kenne ich Mister Miller. Ich habe ein paarmal mit ihm diniert, um einige Details persönlich zu klären.« »Sicher nicht hier in der Kantine«, warf Agatha süffisant ein. »Ihnen ist dann sicher auch Mister Brian Epson bekannt?« gab Parker einen Schuß ins Blaue ab. Sir Anthonys Kopf flog hoch. Aus aufgerissenen Augen starrte er den Butler an. »Wer… wie… ich meine, wie war der Name noch gleich, Mister Parker?« Er hatte Mühe, seine unsichere Stimme unter Kontrolle zu bringen. Damit wußte Parker bereits Bescheid. Selbst Lady Agatha blickte auf und sah Sir Anthony unentwegt an. »Epson, Epson… nein, tut mir leid, Mister Parker, da muß ich passen.« Parker nickte gemessen und tat so, als glaubte er ihm. »Viel leicht eine letzte Frage, Sir, wenn Sie gestatten. Haben Sie auch schon mal Vorgänge an sich gezogen, um sie persönlich zu bear beiten?« Sir Anthony lachte verlegen und räusperte sich. »Aber ich bitte Sie, Mister Parker, so etwas kommt doch ständig vor. Es gibt Dinge, die man nicht immer den Sachbearbeitern überlassen kann, weil sie aus irgendwelchen Gründen besonders heikel sind.
Außerdem behält man auf diese Weise die Kontrolle über sein Amt.« »Was macht eigentlich Ihr Schloß, Anthony«, mischte sich Agatha Simpson wieder ein und wechselte abrupt das Thema. »Haben Sie es inzwischen überholen lassen?« »Ja, danke, Mylady, alles ist jetzt in Ordnung.« Auf Sir Antho nys Wangen brannten seltsamerweise dunkelrote Flecken, als er die Frage der Lady beantwortete. * Sir Anthony Kilroy stand am Fenster und beobachtete, wie Lady Agatha und ihr Butler vom Parkplatz fuhren und verschwanden. Nachdenklich ging er zu seinem Schreibtisch und ließ sich in sei nen Sessel fallen. Der Besuch beunruhigte ihn. Es paßte ihm ganz und gar nicht, daß Parker und Lady Simpson sich mit gewissen Vorgängen befaßten. Sir Anthony wußte, daß die Lady in der Ver gangenheit einige Kriminalfälle gelöst hatte und im Prinzip hart näckig war. Außerdem verfügte sie über Beziehungen zu gesell schaftlichen Kreisen und politischen Amtsinhabern. Am meisten hatte ihn jedoch ihre Frage nach seinem Schloß be unruhigt. Er gestand sich ein, daß es vielleicht ein nicht wieder gutzumachender Fehler war, den alten Kasten so schnell überho len zu lassen. Leider wußte Agatha Simpson nur zu gut, wie es um seine finanziellen Verhältnisse stand. Der Mann überlegte fieberhaft, aber ihm fiel einfach nichts Bes seres ein. Er mußte einen dringenden Anruf tätigen. Er wählte eine Nummer, die in keinem Telefonbuch stand, und wartete, daß der Teilnehmer sich meldete. »Ich muß unbedingt Mister Epson sprechen«, drängte er, als auf der anderen Seite abgenommen wurde. Er gab ein Codewort durch, das ihm für solche Fälle gegeben worden war, und wartete ungeduldig. »Sie haben den Notfall-Code benutzt, Sir Anthony«, drang eine gepflegte Stimme an sein Ohr. »Was gibt es denn so Wichtiges?« Kilroy berichtete aufgeregt über den hinter ihm liegenden Be such. Er war froh, sich seinen Kummer von der Seele reden zu können. Sein Gesprächspartner hörte ihm geduldig zu. »Sie gewannen also den Eindruck, die Lady und ihr Butler wol
len sich um Ihr Amt kümmern?« fragte Epson gedehnt. »Ja, und außerdem scheinen sie mich im Verdacht zu haben… na, Sie wissen schon, weshalb.« Die Panik in Sir Anthonys Stim me war – nicht zu überhören. »Gut, das ist zwar unangenehm, aber kein Beinbruch, mein lie ber Herr Stadtverordneter. Bleiben Sie ganz ruhig und benehmen Sie sich so wie immer. Wir kümmern uns um alles, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, verkündete die gepflegte Stimme in beruhigendem Tonfall. Sir Anthony atmete erleichtert auf, er hatte ja gewußt, daß er sich auf Epson verlassen konnte. »Ich danke Ihnen«, sagte er überschwenglich. »Ich bin ja so froh, daß Sie die Sache in die Hand nehmen.« Erleichtert legte er auf und lehnte sich zufrieden im Sessel zurück. Er hatte nichts mehr zu befürchten, Epson würde das schon regeln, glaubte er. Er ahnte allerdings nicht, wie sich Epson diese Regelung vorstell te. * »Mister Kilroy dürfte zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr für Mister Epson und die >City Baubetreuung< geworden sein«, erkannte Josuah Parker, der zusammen mit seiner Herrin Sir An thonys Telefonat mit Epson über das Autoradio verfolgt hatte. Als Sender hatte er einen von ihm persönlich konstruierten elektroni schen Spion in Kilroys Dienstzimmer hinterlassen. Die Qualität der Übertragung war ausgezeichnet. »Man wird ihn umbringen lassen«, vermutete Lady Agatha fachmännisch. »Sir Anthony ist ja das reinste Nervenbündel, Mi ster Parker. Der Mann hat einfach kein Format.« »Man darf davon ausgehen, daß Mister Epson einen sogenann ten Unfall arrangieren lassen wird«, gab Parker gemessen zurück. »Man sollte ihn allerdings an der Ausführung eines solchen Planes hindern.« »Darum können Sie sich kümmern, Mister Parker, für Details sind Sie zuständig«, gab Lady Agatha leutselig zurück. »Myladys Großzügigkeit und Verständnis sind bewunderns wert«, bedankte sich Parker würdevoll. »Meine bescheidene We nigkeit wird sich bemühen, Myladys Vertrauen zu rechtfertigen«,
fuhr er fort, während er höflich die Melone lüftete, was in dem hohen Innenraum seines Privatwagens möglich war. »Wie geht es nun weiter, Mister Parker? Ahnen Sie, was ich als nächstes vorhabe? Ich bin gespannt, inwieweit Sie sich in mich hineinversetzen können.« Die ältere Dame lehnte sich zufrieden zurück und wartete gespannt auf Parkers Antwort. Sie selbst wußte nämlich keineswegs, wie sie weiter vorgehen sollte. »Mylady planen sicher, Mister Dan Miller einen Besuch abzustat ten, um auch ihn ein wenig zu verunsichern«, vermutete Parker. »Was sagt mir dieser Name, Mister Parker? Ich möchte wissen, ob Sie diesen Namen auch richtig unterbringen können«, schloß sie und freute sich, daß sie sich so geschickt aus der Affäre gezo gen hatte. »Selbstverständlich weiß auch meine bescheidene Wenigkeit den Namen einzuordnen«, gab Parker zurück. »Mister Dan Miller, Mylady, leitet nach außen hin jene Firma namens >City Baubetreuung<, von der in den letzten Tagen wie derholt die Rede war«, fügte er gemessen hinzu. »Richtig, Mister Parker«, freute sich Lady Agatha. »Und genau diese Firma werde ich ausräuchern, verlassen Sie sich darauf! Fahren Sie mich sofort zu diesem Miller!« * »Mister Miller ist essen gegangen«, teilte die aufgedonnerte junge Empfangsdame im elegant wirkenden Vorzimmer mit. »Eine Unverschämtheit, zu Tisch zu gehen, wenn ich den Lüm mel zu sprechen wünsche«, ließ Lady Agatha ebenso laut wie un geniert vernehmen. Die Empfangsdame zuckte zusammen und musterte Lady Agat ha indigniert von oben bis unten. »Sind Sie überhaupt angemeldet?« fragte sie schnippisch. Bevor Parker antworten konnte, meldete sich Agatha Simpson selbst zu Wort. »Eine Lady muß sich nicht anmelden lassen, gutes Kind«, wies sie die Frau zurecht. »Ich erwarte, daß man anwe send ist, wenn ich jemanden aufsuche.« Daraufhin wußte die junge Dame hinter dem Tresen nichts mehr zu sagen. Ihr hatte es buchstäblich die Sprache verschlagen. Sie bekam hektische rote Flecken im Gesicht und wischte fahrig über
das glattpolierte Holz ihres Pultes. »Ist möglicherweise zu erfahren, wo Mister Miller zu speisen pflegt?« erkundigte sich Josuah Parker höflich und gemessen, während er andeutungsweise die Melone lüftete. Das gab der Empfangsdame etwas von ihrer verlorenen Fassung zurück. Fast glücklich strahlte sie den Butler an und beeilte sich, ihm Auskunft gegen zu können. »Mister Miller ißt immer in dem kleinen Restaurant unten im Haus«, teilte sie ihm eifrig mit. »Er sitzt am letzten Tisch ganz hinten, Sie können ihn gar nicht ver fehlen.« »Man bedankt sich herzlich für die freundliche Auskunft«, gab Parker würdevoll zurück und deutete eine Verbeugung an. Das brachte die Empfangsdame völlig aus dem Häuschen. Hingerissen starrte sie den schwarzgekleideten Mann aus weitaufgerissenen Augen an und stand wie erstarrt. Sie bekam nicht mit, wie sich Lady Agatha und Parker entfernten. Sie erwachte erst wieder aus ihrer Verzückung, als die schwere Tür ins Schloß fiel. »Sie haben ja direkt Chancen bei jungen Damen, mein lieber Mister Parker«, lästerte die ältere Dame und lächelte süffisant. »Noch eine Minute länger, und dieses Geschöpf hätte Sie um armt.« »Meine bescheidene Wenigkeit ist untröstlich, die junge Dame möglicherweise verwirrt zu haben«, gestand Parker verschämt, während sie im Aufzug nach unten fuhren. »Sollten Sie plötzlich Gefallen an jungen Mädchen finden, Mister Parker, könnte man selbstverständlich Ihr Appartement in mei nem Haus erweitern. Falls Sie mal jemand mit nach Hause brin gen wollen… nun, Sie wissen ja selbst, ich bin nicht altmodisch, ich stehe den Dingen sehr aufgeschlossen gegenüber.« »Myladys Großmut beschämt meine Wenigkeit«, gab Parker zu, der natürlich genau wußte, daß seine Herrin die günstige Gele genheit nutzte, ihn aufzuziehen. »Ich hoffe, dieser Biller ist wirklich da unten im Restaurant«, wechselte die Lady erfreulicherweise das Thema und wandte sich wieder ihrem Fall zu. »Mister Miller, Mylady«, korrigierte Parker höflich. »Die junge Dame behauptete, er pflege jeden Tag dort zu speisen.« »Dann freue ich mich schon jetzt darauf, den Kerl beim Essen zu stören«, kündigte Lady Agatha an. »Hoffentlich ist er damit noch nicht fertig.«
»Dies wäre Mylady gegenüber außerordentlich unhöflich«, stell te Parker gemessen fest. »Mister Miller wartet sicher schon unge duldig darauf, Mylady einige Fragen beantworten zu dürfen.« Sie hatten den Eingang zum Restaurant erreicht, und Parker hielt seiner Herrin höflich die Tür auf. Mylady stampfte energisch in den Gastraum und wälzte ihre majestätische Fülle zielstrebig nach hinten, wo Miller am letzten Tisch sitzen sollte… * Das war auch tatsächlich der Fall. An einem einzelnen Tisch hin ten im Lokal saß ein großer, massiger Mann und blickte irritiert in die Gegend, als eine majestätisch wirkende Dame mit der Ziel strebigkeit eines Panzernashorns auf ihn zukam. Bevor er sich Gedanken machen konnte, wer sie sein mochte, hatte sie ihn bereits erreicht und blieb schnaufend stehen. »Sie sind sicher Mister Dan Miller von der >City Baubetreu ung<«, gab Lady Agatha mit baritonal gefärbter Stimme von sich und sah ihn erwartungsvoll an. Miller war so leichtsinnig, zustimmend zu nicken. Daraufhin schlug ihm die Lady herzlich und voller Überschwang auf den Rücken und sorgte dafür, daß ihm zunächst mal das Besteck aus den Händen fiel und auf den Teller klirrte. Gleich darauf sorgte die hochspritzende Sauce für ein interessantes Muster auf seinem blütenweißen Hemd und dem beigen Sakko. Während Miller noch fassungslos auf seine beschmutzte Klei dung starrte, holte Agatha Simpson erneut aus und gab ihm ei nen weiteren Klaps, der diesmal den Hinterkopf traf. »Ich freue mich wirklich, Sie hier zu treffen«, erklärte Mylady voller Begei sterung und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Sie wußte, warum. Millers leicht mißhandelter Kopf wurde nach vorn gedrückt. Sein Gesicht nahm Kontakt zu den Speisen auf. Wieder spritzte Sauce hoch, doch sie wurde von Millers Gesicht gebremst, wo sie sich malerisch verteilte. Dazu kamen einige zarte Möhrchen, die sich in seine Nase verliebten und deshalb deren Löcher besetzten, sowie diverse junge Erbsen, die sich für Augen und Haaransatz interessierten. Das Filet, das sich ebenfalls mit Millers Gesicht verbinden wollte,
fand jedoch nicht genügend Halt und klatschte auf den Teller zu rück, woraufhin noch mal eine Saucen-Fontäne aufstieg. Wütend sprang der Mann auf. Von seinem Gesicht tropften Speisereste nach unten und gaben der etwas überkorrekt und steif wirkenden Kleidung einen fröhlichen Anstrich. Das fanden auch andere Gäste im Lokal, die dies durch herzhaftes Lachen kundtaten und ungeniert auf den wie ein begossener Pudel ste henden Baumanager wiesen. Mit zitternden Händen zog Miller ein Taschentuch hervor und säuberte sich notdürftig. Da Lady Agatha an seinem Mißgeschick nicht ganz schuldlos war, wollte auch sie ihren Teil zur Säuberung des Pechvogels beitragen und brachte ein Taschentuch zum Vor schein, das in seinen Ausmaßen eher an eine Pferdedecke erin nerte. Beherzt fuhr sie Dan Miller mit dem Tuch durchs Gesicht und drückte energisch, um dem Schmutz keine Chance zu geben und wirklich gründlich zu arbeiten. Als ehemalige Krankenschwester im Krieg ging ihr Hygiene über alles, und deshalb setzte sie ihre Kraft ein, um das Gesicht porentief zu reinigen. Offensichtlich wußte der Mann ihre Bemühungen nicht so recht zu würdigen, denn er begann plötzlich unmotiviert zu schreien und Myladys Hände abzuwehren. Das konnte die energische Da me aber nicht abschrecken, ihrer Aufgabe nachzukommen. Sie verstärkte ihre Bemühungen und schrubbte noch gründlicher durch Millers Gesicht. Irgendwie schaffte es der Geplagte trotzdem, sich zu befreien. Mit vor das Gesicht geschlagenen Händen drehte er sich um und taumelte in Richtung Waschraum. »Können Sie das verstehen, Mister Parker?« erkundigte sich La dy Agatha bei ihrem Butler. »Ich wollte ihm doch nur helfen.« »Ein bedauerliches Mißverständnis, wie es immer mal vor kommt«, gab Parker gemessen zurück. Die Detektivin nutzte Millers Abwesenheit, um bei einem Kellner eine Bestellung aufzugeben. »Bringen Sie mir doch bitte einen französischen Cognac«, flötete sie. »Mister Miller möchte mir sei nen Dank abstatten und bittet Sie, den Cognac auf seine Rech nung zu setzen.« Als Dan Miller wenige Minuten später zurückkam, saß Lady Agatha bereits vor ihrem Cognac, von dem er nicht ahnte, daß er ihn bezahlen sollte. Er hatte es tatsächlich geschafft, sich zu säu
bern und sah wieder repräsentabel aus. »Ich glaube fast, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, mein Lieber«, gab Lady Agatha in liebenswürdigem Ton zu. »Ich war wohl ein wenig ungestüm.« »Das kann man wohl sagen«, knurrte Miller gereizt, während er sein Besteck aufnahm. »Wer, zum Teufel, sind Sie überhaupt?« »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Agatha Simpson zu sehen«, verkündete Parker würdevoll, der wie immer bei solchen Gelegenheiten aufrecht und unbewegt hinter dem Stuhl seiner Herrin stand. Diese Eröffnung verursachte bei Dan Miller einen heftigen Hu stenreiz. Schließlich warf er sein Besteck resigniert auf den Tisch und starrte die Lady aus leicht geröteten Augen an. »Ich geb’s auf, für heute ist mir der Appetit vergangen«, keuch te er und griff nach seinen Zigaretten. »Sie kennen mich also?« freute sich die ältere Dame, die ihn genau beobachtete. »Wie kommen Sie denn darauf, Lady?« wollte Miller umgehend wissen. »Davon habe ich kein Wort gesagt.« »Ich dachte nur, weil es Ihnen den Appetit verdorben hat«, er widerte Lady Agatha munter. »So geht es nämlich allen Ganoven, wenn sie mit mir zu tun haben, weil sie wissen, daß sie dann nicht mehr lange ihrem Gewerbe nachgehen können.« »Sagen Sie mal, Sie sind wohl nicht ganz klar im Kopf oder was?«, zischte Miller und beugte sich drohend vor. »Ich glaube, Sie nehmen den Mund etwas zu voll, das ist gefährlich!« »Na, etwas mehr Haltung, junger Mann! Was sind das für Ma nieren?« wunderte sich Agatha Simpson. »Und so was ist nun der Geschäftsführer einer angesehenen Baufirma, kaum zu glauben.« Miller riß sich sichtlich zusammen. »Entschuldigen Sie, aber die Aufregung der letzten Minuten… Das mit den Ganoven haben Sie sicher nicht ernst gemeint, nicht wahr?« »Oh doch, schon. Sie erpressen Leute in der Baubehörde, um an städtische Aufträge zu kommen und dann überhöhte Rechnun gen präsentieren zu können. Ist das nicht kriminell?« erkundigte sich die Lady mit fast schon kokett zu nennendem Augenauf schlag. »Sie sind ja total übergeschnappt! Wenn Sie weiterhin haltlose Vorwürfe verbreiten, müssen Sie sich auf entsprechende Reaktio nen gefaßt machen«, reagierte Miller aufgebracht.
»Schicken Sie mir dann wieder solche Stümper wie Ihren Mister Snyder und seine Kollegen ins Haus?« fragte Lady Agatha in harmlosem Plauderton. Das war für Dan Miller zuviel. Er wollte über den Tisch greifen, aber er kannte Lady Agatha nicht. Unter dem Tisch traf ihn ein Tritt gegen das Schienbein, der ihn jaulen ließ. Eine Sekunde spä ter stand die energische Dame auf, trat neben ihn und stieß ihm eine bratspießähnliche Hutnadel ins Gesäß, die sie zuvor aus ih rem Haarknoten genommen hatte. Entsetzt sprang der Baumanager auf, faßte sich an sein schmerzendes Hinterteil und gab Heultöne von sich. Die Gäste im Lokal drehten sich neugierig um, besannen sich dann aber auf ihre Erziehung und traditionelle Zurückhaltung und wandten sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu. Lediglich das Personal erlaubte sich, unauffällig herüberzuschielen und der kleinen Einlage interessiert zu folgen. »Sie wagen es tatsächlich, eine wehrlose alte Frau anzugrei fen«, stellte Lady Agatha mit nicht zu überhörender Stimme fest. »Ich werde Ihnen Manieren beibringen, Sie Lümmel!« Hoheitsvoll wandte sie sich ab und schritt zum Ausgang, gefolgt von Parker, der wie die personifizierte Würde einen Schritt hinter ihr ging. »Habe ich den Mann genug provoziert?« erkundigte sie sich, als sie auf der Straße standen. »Unbedingt, Mylady, Mister Miller wird mit Sicherheit aktiv wer den.« * Kathy Porter, Lady Agathas Gesellschafterin und Sekretärin, hatte einen kleinen Einkaufsbummel gemacht und war auf dem Weg zurück zum Parkplatz, wo sie ihren Mini-Cooper abgestellt hatte. In ihren Händen schwenkte sie einige Tüten, die Kleidungs stücke enthielten, die sie sich schon lange zulegen wollte. Sie freute sich insgeheim darauf, ihre Neuerwerbungen Mike Rander, mit dem sie bereits seit einiger Zeit mehr als nur oberflächliche Freundschaft verband, vorzuführen und seinen Kommentar zu hören. Als sie noch einige Meter vom Parkplatz entfernt war, sah sie, daß dort etwas nicht stimmte. Ein dunkler Ford Escort stand ver
dächtig nahe an ihrem Mini, und drei anscheinend jüngere Leute, zwei Männer und eine Frau, beugten sich über das Heck ihres Wagens und schienen eine Stelle zu begutachten. Dann richteten sie sich auf und diskutierten aufgeregt miteinander. Unwillkürlich beschleunigte Kathy ihre Schritte. Das fehlte ihr gerade noch, daß Unbekannte möglicherweise ihren Mini angefah ren hatten und sie sich jetzt mit ihnen wegen der Schadensregu lierung auseinandersetzen mußte. Dabei hatte sie sich so darauf gefreut, nach Hause zu kommen. Als sie bei ihrem Mini eintraf, sah sie, daß sich ihre Befürchtun gen bewahrheitet hatten. Zwar war der Schaden nicht weltbewe gend, aber immerhin zeigte das Heck ihres Wagens eine respek table Beule, die der dunkle Ford verursacht haben mußte. »Gehört Ihnen der Mini?«, fragte die blonde junge Frau und sah Kathy fast ängstlich an. Offenbar war sie es, die den Ford gefah ren hatte. Man sah ihr das schlechte Gewissen deutlich an. Kathy bejahte und verstaute ihre Einkäufe auf dem Rücksitz des Wagens, denn der Kofferraum des Minis war nicht besonders groß. »Na ja, ein Weltuntergang ist das nicht gerade«, sagte sie freundlich zu der jungen Frau, als sie den Schaden begutachtete. »Es tut mir so leid«, jammerte die Unglücksdame, »aber wissen Sie, ich hab’ meinen Führerschein noch nicht so lange…« Sie ver drehte die Augen, um zu zeigen, was sie vom Einparken hielt und seufzte laut. »Ich kann Sie gut verstehen«, lachte’ Kathy. »Ich hatte am An fang auch meine Probleme. Aber mit dem Mini ist manches leich ter.« »Werden Sie die Polizei holen?«, fragte die junge Frau ängstlich. »Wissen Sie, eigentlich wollte ich meinen Brüdern nur meine Fahrkenntnisse demonstrieren, und dann so ‘ne Pleite…« »Ich denke, es genügt, wenn wir unsere Versicherungsdaten austauschen«, meinte Kathy entgegenkommend. »Augenblick mal, das werden wir gleich haben.« Sie wollte ihre Handtasche öffnen, um nach ihren Papieren zu suchen, als sie der Instinkt warnte und herumfahren ließ. Sie bekam noch mit, daß die beiden jungen Männer auf einmal direkt hinter ihr standen, aber das war auch schon alles. Im nächsten Augenblick preßten sich brutale Hände um ihre Oberar me. Gleichzeitig legte sich ein widerlich riechender Lappen auf ihr
Gesicht und wurde gegen ihre Nase gepreßt. Kathy registrierte den unangenehmen süßlichen Geruch und stufte ihn sofort als Chloroform ein. Sie unternahm auch noch den schwachen Versuch einer Gegen wehr, aber sie war bereits zu betäubt, um etwas auszurichten. Dann sackte sie zusammen und wurde von den jungen Männern zum Ford geschleppt und auf der Rückbank verstaut. »Na, das hat ja hervorragend geklappt«, freute sich die Blonde, die sich neben die betäubte Kathy Porter setzte und eine Decke über ihren Körper breitete. »Wieder ‘ne anständige Prämie ver dient«, gab der Fahrer zurück und startete. * »Sie sind sicher dieser komische Butler, wie?« fragte der unbe kannte Anrufer spöttisch, nachdem sich Parker höflich am Telefon gemeldet hatte. »Der Butler bin ich in der Tat, Sir«, gab Parker ungerührt zu rück, obwohl er den Ton als nicht der Etikette entsprechend fand. »Was ich zu sagen habe, kann ich auch gleich Ihnen mitteilen, Parker«, fuhr der Anrufer fort. »Sie brauchen also gar nicht erst ihre Chefin zu bemühen.« »Man ist durchaus gespannt auf Ihre Ausführungen«, zeigte sich Parker aufgeschlossen. Der Unbekannte lachte amüsiert, dann wurde seine Stimme je doch hart, als er zur Sache kam. »Ihre komische Lady und Sie, Parker, kümmern sich da um Dinge, die Sie nichts angehen, kapiert? Ich denke an gewisse Praktiken auf dem Bausektor, Sie verstehen, was ich meine?« »Allerdings, Sir. Sicher wollen Sie den in Ihrem Milieu üblichen Gepflogenheiten entsprechend Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit empfehlen, unser Interesse einem anderen Thema zu zuwenden, da wir sonst gewisse Unannehmlichkeiten zu erwarten haben.« »Aber nein, Parker, ich weiß, das würde bei Ihnen nichts nüt zen. Wir haben ein viel besseres Argument zur Hand, oder besser gesagt, in unserer Hand. Es handelt sich um Ihre reizende Miß Porter, die wir bei ihrer Rückkehr von einem Einkaufsbummel überreden konnten, unsere Gastfreundschaft anzunehmen. Sie
erfreut sich bester Gesundheit, wie ich Ihnen versichern darf, im Augenblick wenigstens noch, aber sowas kann sich sehr schnell ändern. Sie wissen, was ich meine?« »Ich verstehe, Sir. Sie können sicher mit Beweisen aufwarten, daß sich Miß Porter tatsächlich in Ihrer Hand befindet?« »Leider können Sie im, Augenblick nicht mit ihr sprechen, sie muß erst ihren Chloroform-Rausch ausschlafen. Aber ich sage Ihnen gern, auf welchem Parkplatz Sie ihren Mini finden können. Wir haben ihn ein wenig anfahren müssen, um einen kleinen Parkplatz-Unfall vorzutäuschen. Beim nächsten Mal geben wir Ihnen Gelegenheit, einige Worte mit ihr zu wechseln.« »Wann wird das sein, Sir?« erkundigte sich Parker ruhig. Er pflegte stets Haltung zu bewahren und den Überblick zu behalten. »Morgen im Lauf des Vormittags. Wir geben Ihnen dann die ge naue Zeit und den Ort durch, wo Sie Miß Porter zurückbekommen können«, erklärte der unbekannte Anrufer. »Was zu welchen Konditionen sein wird, Sir?«, fragte Parker knapp zurück. Der Anrufer lachte leise. »Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Ge schäfte zu machen, Parker. Sie wissen wenigstens, worauf es an kommt. Also: Finger weg von dieser Baugeschichte, und zwar ab sofort, ja? Dann werden Sie zu unserem Treffen, zu dem ich Ih nen wie gesagt noch die Einzelheiten mitteile, diesen Hollway mitbringen sowie eventuell von ihm angefertigte Aufzeichnungen über verdächtige Vorgänge in seinem Amt. Im Ausgleich mit Hollway und seinen eventuellen Notizen erhalten Sie Ihre kostba re Miß Porter zurück.« »Meine Wenigkeit versteht, Sir. Und was geschieht dann mit Mi ster Hollway, wenn ich fragen darf?« »Wir wollen uns nur ein wenig mit ihm unterhalten, in allen Eh ren natürlich, und ihn davon überzeugen, daß er sich geirrt hat, das ist alles.« »Was nach meinen bescheidenen Kenntnissen und Erfahrungen nicht unbedingt glaubwürdig klingt, wenn sie mir diesen Hinweis gestatten, Sir«, gab der Butler kühl zurück. »Ob Sie mir glauben oder nicht, ist mir völlig gleichgültig, Par ker. Das sind jedenfalls die Bedingungen, zu denen Sie Miß Porter wiederhaben können, und ich habe nicht die Absicht, darüber zu diskutieren. Also ich melde mich morgen vormittag wieder.« Es klickte in der Leitung, die Verbindung war getrennt.
Parker legte den Hörer zurück und schritt gemessen zur Kamin ecke, wo Lady Agatha saß und mit Mike Rander, ihrem Vermö gensverwalter, einige technische Angelegenheiten besprach. Parker blieb vor seiner Herrin stehen und räusperte sich diskret. »Ist etwas, Mister Parker?«, erkundigte sich Agatha Simpson, die froh war, abgelenkt zu werden. Verwaltungssachen pflegten sie zu langweilen, und sie fand sich immer nur widerwillig bereit, die dringendsten Angelegenheiten mit Rander durchzugehen. »Ein Anruf von einem unbekannten Herrn, Mylady. Besagter An rufer teilte mit, daß sich Miß Porter in seiner Gewalt befindet und gegen Mister Hollway und eventuell vorhandene Aufzeichnungen des Mister Hollway über Mißstände in seiner Behörde ausge tauscht werden soll. Weitere Einzelheiten würden laut Mister Un bekannt morgen früh folgen.« »Das ist ja ein starkes Stück!« erregte sich die ältere Dame und schlug auf den Tisch. Einen Augenblick später zeigte sie sich al lerdings schon wesentlich kleinlauter. »Dem guten Kind wird doch nichts geschehen, oder? Mister Parker, Sie sind mir dafür verant wortlich. Lassen Sie sich etwas einfallen, Sie haben mein vollstes Vertrauen!« »Man bedankt sich und wird sich; bemühen, dieses Vertrauen zu recht fertigen, Mylady. Wenn Mylady gestatten, möchte sich meine bescheidene Wenigkeit zurückziehen, um einige Kontakte in dieser Angelegenheit zu aktivieren.« »Sagen Sie’s mir, wenn ich helfen kann, Parker«, schaltete Mike Rander mit gepreßter Stimme sich ein. »Wirf müssen alles tun, um Miß Porter zu helfen.« * Sir Anthony Kilroy saß mit seinem Stellvertreter Clyde Bennett in einer Nische des »Blue Diamond«. Das Etablissement war ein Nachtclub der absoluten Spitzenklas se, das neben erstklassigen Getränken und einer ausgezeichneten Küche eine exzellente Show und handverlesene junge Damen bot. Das Publikum war ebenso hochkarätig wie die Preise und sorgfäl tig ausgewählt. Das Lokal gehörte zum Imperium eines gewissen Mr. Epson, der eine stattliche Zahl von Nachtclubs betrieb, von denen das >Blue
Diamond< sein Flaggschiff war, zu dem nur sorgfältig überprüft und von mindestens drei anderen Gästen empfohlene Personen Zutritt hatten. Sir Anthony und Clyde Bennett erfreuten sich zudem eines wei teren Privilegs, das sonst kein anderer Gast besaß. Sie durften nämlich von den Annehmlichkeiten und Angeboten des Hauses Gebrauch machen, ohne dafür zahlen zu müssen, was die jungen Damen selbstverständlich mit einschloß. Von diesem Privileg pflegten die beiden Herren ausgiebig Gebrauch zu machen. Im Augenblick amüsierten sie sich gerade mit zwei farbigen Schönheiten, die sich alle Mühe gaben, sie zu verwöhnen. Vor ihnen auf dem Tisch stand ein silberner Sektkühler, in dem eine Flasche Champagner ruhte. Es war bereits die dritte an diesem Abend, und die beiden Herren hatten die Absicht, noch mehr da von zu köpfen, wobei ihnen die beiden Damen aus der Karibik gern behilflich waren. Die beiden Bauexperten hätten sich wahrscheinlich weit weniger gut amüsiert, wenn sie gewußt hätten, daß sie über eine ver steckte Kamera beobachtet wurden, die das muntere Treiben in der Nische auf einen Monitor im Büro des Managers übertrug. Epson, der sich sonst recht selten in seinen Clubs sehen ließ, stand neben seinem Geschäftsführer und starrte nachdenklich auf den Monitor. »Die leben ganz schön auf ihre Kosten, Boß«, bemerkte der Clubmanager. »Das ist die dritte Flasche, und immer nur vom feinsten Champagner. Von den Mädchen gar nicht zu reden.« »Oh, die Herren waren mir sehr nützlich, das hat sich bezahlt gemacht, selbst, wenn ich das Bargeld rechne, das ich beiden hinterher geworfen habe. Ich befürchte allerdings, mit der Zu sammenarbeit ist es vorbei. Lassen Sie in die nächste Flasche unsere k.o.-Tropfen geben und die Herren dann unauffällig nach draußen schaffen. Alles andere erledigt Larry.« Larry Palmer war Epsons enger Mitarbeiter, der sozusagen fürs >Grobe< zuständig war. Er hatte schon eindeutige Anweisungen erhalten, was die Bauleute betraf und wartete auf seinen Einsatz. Er sollte Kilroy und Bennett in eine abgelegene Ecke Londons fah ren und sie dort mit Kilroys Jaguar verunglücken lassen… Epson schaltete den Monitor aus und ging zur Tür. »Ich fahre nach Hause, es ist ja alles arrangiert. Sorgen Sie dafür, daß es glatt geht und ich anschließend verständigt werde.«
* »La… laßt uns noch ein Fläschchen köpfen«, lallte Bennett, der bereits mehr als genug hatte. Er winkte der Bedienung und gab mit undeutlicher Stimme seine Bestellung auf. Die bereits vorher an der Theke präparierte Flasche kam sofort. Kichernd beobach teten die vier in der Nische, wie Bennett die Gläser zu füllen ver suchte und dabei großzügig den Tisch bekleckerte. Wenige Minuten später war es soweit. Kilroy und Bennett sack ten über dem nassen Tisch zusammen und fingen im Duett an zu schnarchen. Sofort erschien ein befrackter Aufpasser und schickte die beiden Mädchen weg. Er winkte zwei Kollegen, und gemeinsam schafften sie die Betrunkenen aus dem Gastraum. In einer benachbarten Nische winkte ein Gast der Bedienung und ließ sich die Rechnung geben. Dann verließ er zusammen mit seinen Freunden, mit denen er offenbar einen guten Geschäftsab schluß gefeiert hatte, auf leicht unsicheren Beinen den Club. Auch seine Freunde schienen nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Sie hielten sich um die Schultern gefaßt und sangen beim Hinausge hen anzügliche Lieder. Die frische Luft vor dem Club schien Wunder zu wirken. Mit ei nem Schlag waren die eben noch stark angeheiterten Gäste nüch tern und beeilten sich, zum Parkplatz zu kommen, wo sie zwei Limousinen der Luxusklasse bestiegen und starteten. Kurz vor ihnen verließen zwei weitere Fahrzeuge den Platz, von denen ei nes der elegante Jaguar Sir Anthonys war. Die Fahrt ging durch das mitternächtliche London und bewegte sich aus der City in Richtung der östlichen Randgebiete. Nach einer dreiviertel Stunde durchfuhren sie fast völlig dunkle und leere Straßen und ließen die Stadt hinter sich. Die beiden Wagen der vier Geschäftsfreunde fuhren ohne Licht in angemessenem Abstand hinter Sir Anthonys Jaguar und dem zweiten Fahrzeug her. Endlich war das Ziel erreicht. Die Bremslichter der vorderen Wagen flammten auf, und die Verfolger beeilten sich, ihre Autos zu stoppen und in die Büsche am Straßenrand zu fahren. Sir Anthonys Jaguar hielt direkt auf dem Scheitelpunkt einer
Hügelkappe. Vor dem Kühler des schweren Wagens fiel die Straße steil ab und verschwand nach wenigen Metern hinter einer schar fen Biegung. Links und rechts der Straße standen alte, hochauf ragende Bäume, dazwischen schimmerte helles Felsgestein, das die Fahrbahnböschung abdeckte. * Larry Palmer überprüfte noch mal das Arrangement und zeigte sich zufrieden. Am Steuer des Jaguars saß der bewußtlose Sir Anthony, neben ihm auf dem Beifahrersitz hing sein Stellvertreter Bennett schnarchend in seinem Gurt. Palmer, der dünne Gummi handschuhe trug, nahm eine Flasche Whisky und entleerte sie auf den Oberkörper der Insassen, die leere Flasche warf er in den Fußraum auf der Beifahrerseite. Dann legte er Sir Anthonys Hände aufs Steuerrad, verklemmte seihen Fuß auf dem Gaspedal und griff nach der Schaltung der Automatic. Er legte die Fahrstufe ein und sprang mit einem Satz zurück, als der schwere Wagen anruckte. Im gleichen Augenblick flammten hinter ihnen grelle Scheinwer fer auf. Ein großer, dunkler Wagen fegte an ihnen vorbei und überholte den Jaguar, klemmte ihn ab und schob sich schräg vor seinen Kühler. Blech kreischte gequält auf und Glas splitterte, aber schließlich wurde der Motor des Jaguars abgewürgt, und der schwere Wagen kam zum Stehen. Inzwischen erlebten Palmer und seine Mitarbeiter eine weitere peinliche Überraschung. Aus den Gebüschen hinter ihnen spran gen drei Männer und hielten ihnen Maschinenpistolen unter die Nasen. Eine Minute später waren Palmer und Ganoven entwaffnet und gefesselt. »Ausgezeichnete Arbeit«, lobte der Fahrer des Autos, das den Jaguar gestoppt hatte. Es handelte sich um einen gewissen Hora ce Pickett, den Josuah Parker gebeten hatte, mit seinen Neffen auf Sir Anthony aufzupassen. Pickett holte ein Funkgerät hervor und sprach einige Worte hin ein. Kurz darauf erschien ein Polizeitransporter, dem ChiefSuperintendent McWarden entstieg. Er nahm Horace Pickett bei seite und ließ sich von ihm Bericht erstatten. Dann wandte sich McWarden an Palmer und überzeugte ihn in
wenigen Worten davon, daß eine gewisse Kooperation mit den Behörden möglicherweise positiv vom Gericht gewertet werden würde. Schließlich zeigte er sich einsichtig und war bereit, von der nächsten Telefonzelle aus Epson anzurufen, um ihn über den Erfolg der Aktion zu unterrichten. Gleichzeitig wollte er für sich und seine Leute als Anerkennung einen kleinen Urlaub heraus schlagen, um ihr eigenes Verschwinden zu begründen. »Wie geht es jetzt weiter?« wollte McWarden wissen, der noch nicht bis ins Detail eingeweiht war. »Mister Parker bittet Sie, der Presse den Tod von Sir Anthony und Mister Bennett bekannt zu geben, Sir«, unterrichtete Pickett ihn. »Ich selbst werde mit meinen Neffen die Herren in Sicherheit bringen.« »Mister Parker will die beiden also als Joker einsetzen, sozusa gen«, schmunzelte McWarden. »Ich muß sagen, der Mann hat doch immer wieder die besten Einfälle.« »In der Tat, Sir! Mister Parker ist der Ansicht, daß es nur so ge lingen kann, auch Mister Epson habhaft zu werden.« »Das wird ein Freudentag für mich, das können Sie mir glau ben.« McWarden gab seinen Leuten ein Zeichen. Wenige Minuten später erinnerte nichts mehr an das Intermezzo, abgesehen von dem noch leicht vor sich hinschwelenden Jaguar-Wrack, das un ten am Fuß der Straße dekorativ um einen soliden Baum gewik kelt war und an den schweren Unfall erinnerte, der hier vor kur zem stattgefunden hatte. Das Wrack würde später von einem regulären Bergungsdienst abgeholt werden, wobei dafür Vorsorge getroffen war, daß auch einige Pressevertreter dabei sein würden. Josuah Parker pflegte nichts dem Zufall zu überlassen und stets bis ins kleinste und unbedeutendste Detail im voraus zu planen. * Als Kathy Porter wieder zu sich kam, war ihr elend. Minutenlang mußte sie gegen würgenden Brechreiz ankämpfen, der sie in un regelmäßigen Wellen befiel. Außerdem litt sie unter bohrenden Kopfschmerzen. Sie hatte das unangenehme Gefühl, in ihrem Schädel eine Kesselschmiede zu beherbergen, in der intensiv ge klopft und gehämmert wurde.
Als es ihr nach einer halben Stunde besserging, stand sie müh sam auf und beäugte aufmerksam ihr Gefängnis. Sie befand sich offensichtlich in einem Kellerraum, in dem es übrigens scheußlich roch. Schimmelflecke bedeckten die feuchten Wände, in den Ecken hingen riesige Spinnweben, und dunkle Kü gelchen auf dem Boden zeigten, daß dieser Raum auch von Rat ten oder Mäusen gern besucht wurde. An der Decke hing eine total verschmutzte Glühbirne, die trübes Dämmerlicht spendete. In einer Ecke lag eine modrige Matratze, auf der sie wohl geschlafen hatte, was ihr noch nachträglich einen Schauer über den Rücken jagte. Als Kathy ihre Zelle einer zweiten, genaueren Inspektion unter zog, entdeckte sie, daß in einer Ecke der Decke eine Kamera hing. Offensichtlich diente der Raum des öfteren als Gefängnis und wurde durch die Kamera überwacht. Eine Überprüfung der Tür zeigte ihr, daß sie hier nicht ohne fremde Hilfe herauskommen würde. Die Tür war aus massivem Holz und außerdem an den Kanten und um das Schloß herum mit Stahlblech beschlagen. Kathy Porter schien die Ausweglosigkeit ihrer Lage einzusehen und kauerte trotz ihres Abscheus auf der Matratze, schlug die Hände vors Gesicht und brach in einen Weinkrampf aus. Dabei berührten ihre Daumen allerdings unauffällig ihre Perlenhalskette, die von Butler Parker präpariert worden war. Die junge Dame verdrehte mit ihren Daumen zwei Perlen ge geneinander und setzte damit einen leistungsfähigen Minisender in Betrieb. Dieser Sender, der selbstverständlich aus Parkers Pri vatlabor stammte, hatte eine Reichweite von etwa fünf Meilen und eine Sendezeit von gut zehn Stunden. Kathy konnte nur hof fen, daß Parker aufgrund seiner Findigkeit und schnell angestell ter Recherchen in etwa in die Gegend kam, in der sie festgehalten wurde, um die Signale zu empfangen. Obwohl das mehr als un wahrscheinlich war, vertraute sie doch auf den Butler, dessen erstaunliche Fähigkeiten sie zur Genüge kannte. Anscheinend war sie beobachtet worden, denn kurze Zeit später öffnete sich die Zellentür. Ein elegant gekleideter Mann von etwa fünfzig Jahren trat ein und musterte sie spöttisch. Hinter ihm er kannte sie zwei jüngere Männer, die mit Maschinenpistolen be waffnet waren und offensichtlich als Leibwächter fungierten. »Nun, Miß Porter, wie gefällt Ihnen Ihr neues Zimmer? Nicht
eben komfortabel, fürchte ich, aber ausreichend. Außerdem wer den Sie nicht lange hier bleiben.« »Was haben Sie mit mir vor?«, schluchzte Kathy und sah ihn aus tränenverschleierten Augen an. »Ich habe Angst hier drin.« »Es ist nur bis morgen früh, Miß Porter, vorausgesetzt, Ihre Chefin und Mister Parker sind so vernünftig, auf meine Bedingun gen einzugehen. Wenn alles glatt geht, werden Sie morgen früh gegen Mister Hollway und seine Aufzeichnungen ausgetauscht, sofern er welche angefertigt hat.« »Bitte… können Sie mich nicht schon jetzt in einen anderen Raum bringen lassen? Hier drin ist es doch einfach furchtbar, es ist so schmutzig und unheimlich«, bat Kathy schüchtern. »Bis morgen früh werden Sie es schon aushalten«, gab der Ele gante zurück. Einen Augenblick später fiel die Tür hinter ihm ins Schloß, und sie war wieder allein. * »Wissen Sie nun endlich, wo Miß Porter festgehalten wird, Mi ster Parker? Ich hoffe, Ihre Nachforschungen waren erfolgreich«, meldete sich Lady Agatha ungeduldig zu Wort, als der Butler in die Halle zurückkehrte. Parker hatte von seiner eigenen Wohnung aus diverse Bekannte und ihm verpflichtete Insider der kriminel len Szene angerufen und sich auf diese Weise einen Überblick verschafft. Auch Mike Rander blickte Parker hoffnungsvoll entgegen. Wenn jemand Kathys Aufenthaltsort ermitteln konnte, war das Myladys Butler mit seinen sagenhaften Beziehungen. »Es gibt in der Tat gewisse Hinweise, die auf einen bestimmten Ort schließen lassen«, ließ sich Parker würdevoll vernehmen. »So lassen Sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Mister Parker«, regte sich Agatha Simpson auf. »Das Kind ist in Gefahr, und Sie stehen hier seelenruhig und erzählen, daß Sie möglicherweise wissen,’ wo Kathy steckt.« »Es lag nicht in der Absicht meiner bescheidenen Wenigkeit, Myladys Nerven unnötig zu strapazieren oder Miß Kathys Rettung hinauszuzögern«, entschuldigte sich Parker gemessen. »Mein Pri vatwagen steht bereit, um zu einer Überprüfung eines in Frage kommenden Ortes aufzubrechen.« Parker verneigte sich andeu
tungsweise und verzog keine Miene, als Mylady so heftig auf sprang, daß ihr Sessel aus dem Gleichgewicht geriet und nach hinten umkippte. »Parker, Sie haben vielleicht Nerven.« Mike Rander sprang ebenfalls auf. »Worauf warten wir noch? Fahren wir los!« »Wohin fahren wir, Mister Parker, haben Sie meine diesbezügli che Anordnung auch richtig verstanden?« erkundigte sich Lady Agatha in Parkers hochbeinigem Monstrum unverfroren, obwohl sie nicht wußte, wohin es ging und natürlich auch keine diesbe zügliche Anweisung gegeben hatte. »Mister Epson, Mylady, besitzt im Hafengebiet einen alten La gerbau, der kaum noch genutzt wird und mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben ist. Möglicherweise hat man Miß Porter an diesem als nahezu ideal zu bezeichnenden Ort untergebracht, von einer gewissen Wahrscheinlichkeit kann ausgegangen werden.« »Klingt ja recht positiv, Parker. Ich hoffe bei Gott, daß Sie recht haben«, meldete sich Mike Rander nervös zu Wort. »Keston, Keston, Mister Parker? Irgendwie kommt mir dieser Name bekannt vor. Ich bezweifle allerdings, daß Sie etwas damit anfangen können«, ließ sich Agatha Simpson nachdenklich ver nehmen. »Mister Epson, Mylady, dürfte der zur Zeit ranghöchste Vertre ter der sogenannten Mafia in der Stadt sein und außerdem der Geldgeber und wirkliche Inhaber einer Baufirma namens >City Baubetreuung<, die Mylady in der letzten Zeit unliebsam auffiel«, erklärte Parker ruhig und gemessen, ohne sich von seiner Herrin aus der Ruhe bringen zu lassen. Er wußte, daß sie kein Namens gedächtnis hatte und man ihr von Zeit zu Zeit in dieser Hinsicht auf die Sprünge helfen mußte. »Tatsächlich, Mister Parker, Sie erinnern sich. Ich staune!« lob te Lady Agatha. »Man bedankt sich für Myladys großherziges Lob«, gab Parker höflich zurück. »Übrigens nähert man sich bereits dem Zielob jekt.« Sie hatten inzwischen einen Teil des Hafens erreicht, der schon lange nicht mehr genutzt wurde. Die Straßen waren schmal und gepflastert und lagen total verlassen. Die wenigen Straßenlater nen brannten entweder nicht oder verbreiteten aus schmutzigen Leuchtkörpern einen mattgelben Schimmer, der die Bezeichnung Licht nicht verdiente. An den Fahrbahnrändern türmten sich Müll
und Abfall. »Wahrhaftig, eine feine Gegend«, knurrte Mike Rander und starrte naserümpfend nach draußen. »Hier hausen doch höch stens noch Ratten, oder?« »Zu denen auch diese Gangster zählen, mein lieber Junge«, er klärte Lady Agatha grimmig. »Aber ich werde dieses Ungeziefer bekämpfen, so wahr ich Lady Simpson bin.« »Myladys Einsatz gegen das Verbrechertum ist immer wieder bewundernswert«, fand Josuah Parker, während er sein hochbei niges Monstrum vorsichtig über verrostete Gleisanlagen lenkte. »Wann sind wir denn endlich da, Mister Parker?« nörgelte Lady Agatha, der die Fahrt viel zu lange dauerte. Sie fieberte danach, endlich in Aktion treten zu können. »Man wird jeden Augenblick am Ziel eintreffen, Mylady«, ver sprach Parker. »Allerdings sollte man das letzte Wegstück zu Fuß zurücklegen, um etwaige Gegner nicht vorzuwarnen.« »Man muß dieses Lagerhaus im Sturm nehmen, Mister Parker, das wäre das beste«, widersprach Lady Agatha unternehmungs lustig. »Wie Mylady selbst sehr richtig feststellten, wäre ein solches Vorgehen sehr amateurhaft und könnte Miß Porters Leben unter Umständen gefährden. Deshalb kann man Myladys klugen Plan, sich heimlich zu nähern und auch ebenso einzudringen, nur gut heißen.« Josuah Parker zuckte mit keiner Wimper, als er Myladys Ansicht auf diese Weise ins Gegenteil verkehrte. Agatha Simpson stutzte einen Moment, dann nickte sie heftig und äußerte sich begeistert. »Sie haben es erfaßt, Mister Parker, Sie haben meinen Plan hundertprozentig richtig wieder gegeben. Nur so werden wir Kathy helfen können. Merken Sie sich für die Zukunft, Mister Parker, auf den richtigen Plan kommt es an.« * Kathy hörte, wie draußen ein Wagen angelassen wurde und sich das Motorengeräusch langsam entfernte. Sie nahm an, daß das der Elegante war, der wegfuhr. Sie beschloß, selbst aktiv zu wer den und aus eigener Kraft ihrem Gefängnis zu entkommen. Butler Parker hatte ihr manchen Trick beigebracht und sie mit raffinier ten Hilfsmitteln ausgestattet.
Sie stellte sich vor die Tür und hämmerte mit den Fäusten da gegen, um festzustellen, ob auf dem Gang vor der Zelle Wachen aufgestellt waren. Das schien nicht der Fall zu sein, denn es rühr te sich nichts. Zum Glück hatte man ihr die Handtasche gelassen. Sie nahm ihr Zigarettenetui zur Hand und zog vorsichtig einen schmalen Strei fen von einer der Seitenflächen. Dieser Streifen sah aus wie ein Stück Leder, das zu Verzierung dort angebracht war und fiel nicht weiter auf. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um eine hoch wirksame Mini-Sprengladung, die in Parkers Labor entstanden war. Kathy Porter nahm den Streifen und schob ihn vorsichtig ins Schlüsselloch. Dann zog sie einen Schnürsenkel aus ihren Sport schuhen, knotete ihn um den Sprengstoffstreifen und erhielt so eine provisorische Lunte. Die junge Frau steckte sie an und ging dann hinter der schmutzigen Matratze, die sie wie einen Schild vor sich hielt, in Deckung. Gleich darauf erfolgte die Detonation, die nicht viel lauter als herzhaftes Niesen war. Aus dem Schlüsselloch stieg eine Rauch säule hoch. Als sie sich verzogen hatte, sah Kathy, daß die Tür offen stand. Vorsichtig huschte die junge Dame auf den Gang. Völlige Dun kelheit herrschte. Sie ließ ihr Feuerzeug aufflackern und erkannte weiter hinten eine schmale Treppe, die sicher nach oben führte. Sie zog ihre Schuhe aus, um keinen unnötigen Lärm zu verursa chen und schob sich langsam die Treppe hinauf. Unter einer Tür sah man einen schwachen Lichtstreifen, dahinter waren Stimmen zu hören. Kathy überlegte einen Augenblick, was zu tun war, aber sie hat te keine andere Wahl. Sie mußte versuchen zu improvisieren und die Leute hinter der Tür zu überrumpeln. Behutsam drückte sie die Klinke nieder und schob die Tür ganz langsam auf. Dahinter erkannte sie ein kleines Büro, das ebenso vor Schmutz starrte wie ihr Gefängnis im Keller. An einem wackeligen Tisch saßen zwei junge Kerle und spielten Karten, wobei sie sich gegenseitig Witze erzählten und immer wieder auflachten. Kathy schob sich vorsichtig in den Raum und hoffte, daß keiner der beiden auf den Gedanken kam, sich umzudrehen. Sie war nur noch drei oder vier Schritte entfernt, als sie auf ein loses Boden brett trat und leises Quietschen die Männer herumfahren ließ.
Fassungslos starrten sie auf ihre Gefangene, dann sprangen sie auf und wollten ihre Waffen ziehen. Ohne lange Überlegung handelte Kathy. Sie rannte los und stand einen Augenblick später hinter den beiden Wächtern. Den linken erwischte sie mit der Handkante am Hals und schickte ihn zu Boden. Die Pistole polterte auf die verdreckten Fliesen und wurde von Kathy mit raschem Tritt beiseite gekickt. Der zweite Mann schaffte es noch, die Waffe auf die unerwarte te Gegnerin zu richten. Reaktionsschnell riß Kathy einen Stuhl hoch und schleuderte ihn gegen die Waffenhand. Während der Mann entsetzt aufschrie und die Pistole losließ, traf ihn Kathys hochgerissener Fuß und machte ihn kampfunfähig. Keuchend sah sich die junge Dame nach etwas um, mit dem sie die beiden Kerle fesseln konnte. Sie riß die Vorhänge von den Fenstern und band die Männer notdürftig zusammen. Aufatmend steckte sie sich eine Zigarette an und hielt Ausschau nach einem Telefon. Sie mußte dringend in Shepherd’s Market anrufen und Bescheid geben, daß sie wieder frei war, bevor man sich auf den Austausch einließ. * »Was bedeutet eigentlich die kleine Lampe, die schon eine gan ze Zeit am Armaturenbrett flackert, Parker?« erkundigte sich Mi ke Rander, um sich von seinen Sorgen um Kathy abzulenken. »Daß Miß Porter tatsächlich hier in der Nähe sein muß, Sir. Man nahm sich die Freiheit, Miß Porter mit einem Minisender für den Notfall auszustatten, der in ihrer Halskette verborgen ist. Miß Por ter muß besagten Sendet aktiviert haben.« »Mein Gott, Parker, Sie wissen schon die ganze Zeit, daß wir auf der richtigen Spur sind und sagen kein Wort«, beschwerte sich Mike Rander erleichtert. »Ich muß mich sehr wundern, Mister Parker, Sie haben mir eine wichtige Information vorenthalten«, meldete sich Lady Agatha aus dem Fond. Aber auch ihr war die Erleichterung deutlich anzuhören. »Wir sind in wenigen Augenblicken am Ziel, nur deshalb hat es meine bescheidene Wenigkeit nicht für erforderlich gehalten, My lady zu verständigen«, gab Parker würdevoll zurück. Er lenkte sein hochbeiniges Monstrum hinter einen Schuppen und stieg aus.
Höflich half er seiner Herrin aus dem Wagen, dann übernahm er die Führung und steuerte zielstrebig einen halbverfallenen Bau an, der sich etwa fünfzig Meter weiter in der Dunkelheit abzeich nete. »Eine gewisse Aufsplitterung der Kräfte dürfte angezeigt sein«, schlug Parker würdevoll vor. »Meine bescheidene Wenigkeit wäre bereit, die Vorderseite zu übernehmen.« »Dann werde ich den Gegner von hinten aufrollen«, gab die De tektivin grimmig zurück und stapfte entschlossen zur Rückseite. »Okay, Parker, ich sehe zu, daß ich von der Seite eindringen kann. Wieviel Zeit geben Sie mir?« »Vielleicht könnten Sie es so einrichten, Sir, daß Sie in drei Mi nuten an einem Seitenfenster aktiv werden? Vorausgesetzt, My lady hat nicht inzwischen die Initiative ergriffen.« Mike Rander schlug dem Butler burschikos auf die Schulter und verschwand um eine Ecke. Josuah Parker schritt gemessen zum Eingang und klopfte dezent. Als sich nichts hinter der Tür rührte, bemühte er sein Spezialbesteck. Sekunden später war das primi tive Schloß überredet und öffnete sich bereitwillig. Während Parker vorsichtig das dunkle Innere betrat, war plötz lich auf der Rückseite lautes Klatschen und dann ein schwerer Schlag zu hören. Das bedeutete für Parker, würdevoll, aber den noch sehr zielstrebig vorzugehen. Er schob die nächste Tür auf und griff nach dem Lichtschalter. Während die Deckenbeleuchtung anging, splitterte ein Seiten fenster und Mike Rander sprang mit gezogener Waffe herein. Aber auch er kam zu spät, es war bereits alles vorbei. Ungläubig sah der Anwalt Josuah Parker an, dann starrte er wieder auf das seltsame Bild, das sich seinen erstaunten Augen bot. Er bedauerte, keinen Fotoapparat dabeizuhaben und fing plötzlich an zu lachen. Auch Josuah Parker konnte die Andeutung eines Schmunzelns nicht unterdrücken. Vor der Hintertür lag Agatha Simpson wie ein fleischgewordenes Gebirge und hatte die Arme weit von sich gestreckt. Ihre koch topfähnliche Hutkreation war ihr vom Kopf gerutscht und lag eini ge Schritte neben ihr. Auch der Grund für ihr plötzliches Schlaf bedürfnis lag nicht weit entfernt. Es handelte sich um einen hoch lehnigen Stuhl, der etwas aus dem Leim gegangen war. Kathy Porter, Myladys Gesellschafterin und Sekretärin, lag nicht weit von ihrer Chefin entfernt. Sie war am Türrahmen herunter
gerutscht und hatte sich dekorativ dagegen gelehnt. Auch sie pflegte einer kurzen Bewußtlosigkeit. Neben ihr auf dem Boden lag Myladys Pompadour, der wohl der Grund für Kathys Un wohlsein war. Die beiden Damen hatte sich offensichtlich im Eifer des Gefechts gegenseitig ausgeschaltet. Die Gangster waren bestens versorgt und lagen gefesselt im Raum. Sie brauchten nur noch eingeladen und abtransportiert zu werden. Während sich Mike Rander liebevoll um Kathy kümmerte, eilte Parker zu seiner Herrin und flößte ihr als Erste-Hilfe-Maßnahme einen Cognac ein. Agatha Simpson leckte sich genießerisch die Lippen, schlug die Augen auf und wandte sich an Parker. »Habe ich den Kerl er wischt?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Ein sogenannter Volltreffer, Mylady«, bestätigte Parker, ohne die Miene zu verziehen. * Zu Epsons Firmengruppe gehörten neben dem NachtclubImperium eine Restaurant-Kette, eine Gemüse- und Fleischgroß handlung sowie ein Autoverleih mit Niederlassungen in ganz Eng land. Verwaltet wurde das alles von einer Holding, die sich schlicht ‘Epson Enterprises’ nannte und in einer Seitenstraße nahe Piccadilly untergebracht war. Epson pflegte jeden Tag pünktlich um elf Uhr in seiner Haupt verwaltung zu erscheinen. Er betrat dann sein Privatbüro durch eine Tür, zu der nur er den Schlüssel besaß, und ließ sich von seiner Sekretärin die Abrechnungen des Vortages vorlegen und Kaffee servieren. An diesem Morgen war er ausgesprochen guter Laune. Seiner Meinung nach hatte er alle Trümpfe in der Hand, um mit einem Schlag aufzuräumen. Bei dem Austausch-Treffen würde er sich der komischen Lady und ihres Butlers entledigen und natürlich auch die Sekretärin der Lady, die ihn in dem verlassenen Lager haus im Hafen gesehen hatte, beseitigen lassen. Vor allen Dingen aber würde er Hollway, mit dem der ganze Ärger angefangen hat te, ausschalten und mit ihm eventuell vorhandene Unterlagen. Damit war endlich reiner Tisch gemacht und die Situation klar wie
frisches Quellwasser. Er pfiff vergnügt vor sich hin und entriegelte mit einem Spezial schlüssel das Schloß seines Privateinganges. Schwungvoll stieß er die Tür auf, warf den Aktenkoffer auf den Schreibtisch und wollte nach der silbernen Kanne greifen, die seine Sekretärin bereits auf den Beistelltisch gestellt hatte. Mitten in der Bewegung erstarrte er und starrte ungläubig auf das kleine Sofa, das an der Längs wand stand und für Besucher gedacht war. Auf diesem entdeckte er nämlich die beiden Mitarbeiter, die er zur Bewachung von Lady Simpsons Sekretärin in der Lagerhalle zurückgelassen hatte. War schon ihre Anwesenheit hier und zu dieser Zeit für Epson unfaßbar, so galt dies erst recht für den Zustand, in dem sich die beiden Helden befanden. Aufgrund mißlicher Umstände waren sie nämlich nicht in der Lage, auch nur den kleinen Finger zu rühren und starrten ihren Chef aus aufgerissenen und ängstlichen Augen an. Sie wußten, daß sie viel zu erklären hatten und ihr Boß nicht begeistert sein würde. Vorerst aber konnten sie nicht mal spre chen… Ihre Körper waren von oben bis unten mit weißen Binden drapiert. Auch die Köpfe steckten in dekorativen Wickeln, die tur banartig die Schädel umschlossen und auch die Münder bedeck ten. Lediglich ein Teil der Stirn, die Augen und Nasen sahen her vor und bildeten einen Kontrast zu dem eintönig wirkenden Weiß. Wutschnaubend stürzte Epson zum Schreibtisch und drückte die Taste seiner Sprechanlage. »Ist Ihnen in meinem Büro nichts aufgefallen, als sie den Kaffee gebracht haben, Ellen?« schnaubte er, während er sich mit zitternden Fingern eine Zigarette anzün dete. »Nein, Sir, was denn?« kam es unschuldig zurück. »Schon gut.« Epson schaltete die Anlage aus, griff zu einer großen Papierschere und baute sich vor seinen eingewickelten Mitarbeitern auf. Wü tend machte er sich mit der Schere über die Verbände her, doch dabei erlebte er eine weitere unangenehme Überraschung. Erst jetzt stellte er fest, daß die Bandagen mit einer gleichfalls weißen Masse bestrichen waren, die sich als steinhart und un nachgiebig erwies. Gereizt stach er mit der Scherenspitze immer wieder darauf ein, erreichte aber nur, daß die Spitze abbrach. Das brachte seine Wut auf den Siedepunkt. Er riß eine Schreib tischschublade auf, in der er kleinere Werkzeuge aufbewahrte, und entnahm ihr einen Schraubenzieher und einen Hammer. Un
beherrscht drosch er auf den Schraubenzieher ein, dessen Spitze er einer der Mumien auf die Brust gesetzt hatte. Während sich auf seiner Stirn dicke Schweißtropfen bildeten, sein Gesicht vor lauter Hektik rote Flecken bekam und sein Atem dem Schnaufen einer alten Dampflok glich, wurden die Augen der mumifizierten Mitarbeiter immer größer. Sie gewannen den unan genehmen Eindruck, daß ihr Chef sich nicht mehr unter Kontrolle hatte und dabei war, den Verstand zu verlieren. Zu ihrem Glück mußte der Schraubenzieher kapitulieren, als seine spezialgehärtete Spitze abbrach. Epson starrte einen Augenblick ungläubig auf das mißhandelte Werkzeug, dann stieß er einen wütenden Schrei aus und holte sein Feuerzeug hervor. Die Flamme hielt er mit zusammenge preßten Lippen und schon irr funkelnden Augen an die Bandagen. Aber auch daraufhin tat sich nichts… Butler Parker hatte die Spezialbeschichtung in seinem Privatla bor hergestellt und sich dabei allerlei einfallen lassen. Wer diese Binden lösen wollte, brauchte eine extra dazu entwickelte Flüssig keit, mit der die Klebeschicht bestrichen werden mußte. Eine Stunde später würde sich der Kleber auflösen und abwaschen lassen. Epson hatte ihn in seiner Aufregung und Wut noch nicht entdeckt. * »Man hat den Eindruck, Sir, daß Sie meiner bescheidenen We nigkeit gram sind«, stellte Josuah Parker bedauernd fest, nach dem er dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung einen Au genblick ruhig zugehört hatte. »Das werden Sie mir büßen, dafür drehe ich Sie durch den Wolf, und zwar persönlich, Parker«, tobte sein Gesprächspartner und schien sich nicht beruhigen zu können. »Man räumt ein, daß mit meiner Person ein wenig der Spieltrieb durchgegangen sein mag«, gab Parker zu, »und bittet, die kleine Schwäche verzeihen zu wollen, Sir.« »Wie sind Sie überhaupt in mein Büro gekommen, Parker«, wollte Epson wissen, um den es sich bei dem Anrufer handelte. »Das Schloß zu Ihrem Privateingang ließ sich bereitwillig über reden, um es mal so auszudrücken, Sir. Meine Wenigkeit wartete,
bis Ihre Sekretärin den Kaffee durch die Verbindungstür ins Büro gebracht hatte, und deponierte dann Ihre Mitarbeiter auf dem Sofa. Man ging davon aus, daß Sie sich freuen würden, sie wie derzusehen, Sir.« »Wie sind Sie ins Haus gekommen, verdammt noch mal, und noch dazu mit diesen beiden lächerlichen Figuren?« »Ein wenig Phantasie ist in solchen Fällen immer hilfreich, Sir. Falls man Ihnen mit einem Tip helfen darf: Neben dem Sofa steht ein Eimer mit einer Speziallösung, mit der Sie Ihre Mitarbeiter einstreichen sollten. Nach einer Stunde läßt sich die Beschichtung abwaschen, und sie können dann die Binden lösen.« »Es scheint, ich habe Sie sträflich unterschätzt, Parker«, gab der Anrufer nachdenklich zurück. »Aber das passiert nicht noch mal, das garantiere ich Ihnen.« »Zunächst mal, Sir dürfte sich die Lage entscheidend geändert haben. Miß Porter zum Beispiel befindet sich nicht mehr in Ihrer Gewalt, wie Sie bestimmt schon gedacht haben.« »Wenn schon! Nach wie vor verfügen Sie nicht über den gering sten Beweis dafür, daß bei gewissen Bauaufträgen gemogelt wur de. Nur die Hirngespinste eines kleinen Angestellten, der sich in seinem Amt übergangen fühlt, helfen Ihnen da nicht weiter, Par ker.« »Sie unternehmen aber erstaunliche Anstrengungen, Sir, um dieser sogenannten Hirngespinste und ihres Urhebers habhaft zu werden.« »Ein Fehler meinerseits, eine bedauerliche Fehleinschätzung der Situation, Parker. Ziehen Sie daraus nur keine falschen Rück schlüsse!« »Demnach ist für Sie die Angelegenheit erledigt, Sir?« erkundig te sich der Butler gemessen. »Nicht ganz, Parker, das könnte Ihnen so passen! Nein, Sie und die komische Lady haben inzwischen soviel Unannehmlichkeiten bereitet, daß Sie einen kleinen Denkzettel verdient haben, und den werden Sie auch bekommen, verlassen Sie sich darauf.« »Es freut mich zu hören, Mister Epson, daß wir auch weiterhin in Kontakt bleiben. Es ist Myladys erklärte Absicht, Ihnen das Handwerk zu legen, und meine bescheidene Wenigkeit wird gern ihren Teil dazu beitragen.« »Wie kommen Sie auf Epson?« fragte die Stimmte nach einer Pause.
»Sie begehen schon wieder den Fehler, andere zu unterschät zen, Mister Epson. Außerdem halte ich es für ein Gebot der Höf lichkeit und des guten Tones, auch Sie mit Ihrem Namen anzu sprechen, obwohl Sie sich bedauerlicherweise nicht vorgestellt haben.« »Sie haben da einen schweren Fehler gemacht, Mister Parker«, gab Epson nachdenklich zurück. »Ich fürchte, es wird nicht bei einem kleinen Denkzettel bleiben.« »Wollen sie meine bescheidene Wenigkeit auch umbringen las sen, Sir?«, fragte Parker höflich, erhielt aber keine Antwort, weil auf der anderen Seite einfach aufgelegt wurde. * Der Krankenhausneubau lag am südlichen Zipfel des Hyde Parks und war von der Firma >City Baubetreuung< und deren Partner firmen errichtet worden. Dabei hatte es sich wieder mal gezeigt, wie schwer es war, heutzutage noch einigermaßen genau zu kal kulieren. Der Kostenvoranschlag war mühelos um mehrere Millionen Pfund überschritten worden, was sich vorteilhaft auf die Konten der >City Baubetreuung< und einiger Leute im Amt ausgewirkt hatte. Am Vormittag sollte das Krankenhaus feierlich seiner Bestim mung übergeben werden. Dazu würden einige Lokalpolitiker und die Rathaus-Oberen die obligatorischen Reden halten. Zum Schluß würde Dan Miller, der Geschäftsführer der >City Baube treuung<, noch einige Worte an die Gäste ‘richten und dann dem Verwaltungschef des Krankenhauses die Schlüssel überreichen. Anschließend wollte man sich an einem exzellenten kalten Büf fet gütlich tun, das für die Ehrengäste und Journalisten in der Eingangshalle des Hospitals aufgebaut war. Launig begrüßte gerade Dan Miller die Anwesenden, bedankte sich bei den im Hintergrund stehenden Bauarbeitern und kam dann zum Kern seiner Rede. Er lobte die technische Ausstattung des neuen Hauses und die erstklassige personelle Besetzung. Dann strich er die Notwendig keit des neuen Krankenhauses im Hinblick auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung heraus und gratulierte den zuständi
gen Politikern, dies erkannt und entsprechend reagiert zu haben. »Leider gibt es auch bei dieser schönen neuen Einrichtung einen kleinen Wermutstropfen«, las er weiter von seinem Redemanu skript ab, »und das sind die enormen Kosten. Wieder mal hat sich gezeigt, daß einigermaßen genaue Kostenvoranschläge heutzuta ge nicht mehr möglich sind.« Er blickte kurz auf und lächelte jovi al auf seine Gäste hinunter, dann fuhr er fort. »Auch in diesem Fall ist der Kostenvoranschlag deutlich über schritten worden, und zwar um exakt drei Komma sieben Millio nen Pfund. Aber ich sage Ihnen, es hat sich gelohnt.« Die sehr leistungsfähige Übertragungsanlage sorgte dafür, daß die interessanten Ausführungen mit weiteren Einzelheiten bis in den letzten Winkel zu hören waren. Unter den Gästen herrschte betretenes Schweigen. Die anwe senden Journalisten glaubten ihren Ohren nicht zu trauen und schrieben sich die Finger wund. Kameraverschlüsse klickten, und schließlich kam Bewegung in die Wartenden. Endlich hatte auch Dan Miller gemerkt, daß mit seiner Rede ei niges nicht stimmte. Leichenblaß las er sie von vorn bis hinten durch und fühlte dabei deutlich, daß er einem Ohnmachtsanfall nahe war. Sein Text entpuppte sich als geschickte Fälschung und Betrugsgeständnis. Er wußte auf einmal, daß er aufs Kreuz gelegt worden war und hatte nur noch einen Gedanken: so schnell wie möglich zu verschwinden, Koffer zu packen und London zu verlas sen. Diese Panne würde ihm Epson nie und nimmer verzeihen, das wußte er genau. Er hatte fast schon die Straße erreicht, als Josuah Parker, der Millers Rede vertauscht hatte, ihn erspähte und die Journalisten auf ihn aufmerksam machte. Eine Minute später war Miller von der sensationslüsternen Menge umringt und wünschte sich ver zweifelt ans Ende der Welt. * Es war ein Uhr nachts, aber Parker wagte es trotzdem, an die Tür zu Myladys Studio zu klopfen. Der Lichtschimmer, der auf den Gang fiel und der Ton ihres Fernsehers zeigten an, daß die Haus herrin noch auf war. Abgesehen davon hätte es ihm Agatha Simpson auch übelgenommen, nicht verständigt worden zu sein.
»Sie bringen mir sicher den Cognac, an den ich gerade gedacht habe«, ließ sich die ältere Dame vernehmen, ohne ihre Augen vom Bildschirm zu nehmen, über den ein aktionsreicher Kung Fu Film flimmerte. »In der Tat, Mylady.« Parker, der sie genau kannte, hatte ihren Wunsch vorausgesehen und servierte formvollendet. »Außerdem wollte meine bescheidene Wenigkeit darauf aufmerksam machen, daß auf dem Hauskanal ein Sonderprogramm beginnt.« Sofort schaltete Lady Agatha mittels Fernbedienung auf das er wähnte Sonderprogramm um. Es handelte sich dabei um eine Vorführung, die die außen am Haus an wichtigen Stellen ange brachten Kameras lieferten, die auch nachts dank Infrarotausstat tung gestochen scharfe Bilder übermittelten. Auf dem Bildschirm sah man, daß es auf dem kleinen Vorplatz vor Myladys Haus lebendig geworden war. Man konnte mehrere Männer beobachten, die in kleinen Gruppen zu jeweils drei Perso nen ausschwärmten. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie haben sich etwas Hübsches für den Empfang dieser Lümmel einfallen lassen«, gab Lady Agatha ihrer Erwartung Ausdruck und sah ihren Butler an. »Meine bescheidene Wenigkeit hofft, daß Mylady mit dem Gebo tenen zufrieden sein werden«, gab Parker würdevoll zurück. Er hatte mit der nächtlichen Invasion gerechnet und in der Tat eini ge Vorbereitungen getroffen, damit sich die ungebetenen Gäste nicht langweilten. * Ein Einsatztrupp hatte sich vorgenommen, durch die Garage ins Haus zu gelangen. Man ging davon aus, daß das Tor schlechter gesichert war als die regulären Eingänge und deshalb auch leich ter zu knacken. Sie ahnten natürlich nicht, daß es sich bei der vermeintlichen Garage um einen Raum handelte, der von Butler Parker zu be sonderen Zwecken hergerichtet worden war. Erleichtert atmeten die Ganoven auf, als ihr Anführer endlich das nicht sehr komplizierte Schloß geknackt hatte und sie in die vermeintliche Garage schlüpfen konnten. Sie schlossen das Tor hinter sich und ließen ihre Taschenlampen aufblitzen, um sich zu
orientieren. »Verdammt, das ist ja gar keine Garage«, stellte einer von ih nen sehr richtig fest und sah sich verwirrt um. Sie standen in ei ner riesigen, hölzernen Trommel, wie man sie bisweilen auf Jahr märkten findet, um das Standvermögen der Besucher auf die Probe zu stellen. Die Eindringlinge reagierten erstaunlich schnell und warfen sich herum, um das Tor wieder aufzustoßen. Leider hatte es nicht das Bedürfnis, sich ihren Wünschen zu fügen und aufzugehen. Ein sinnreicher elektronischer Mechanismus hatte es ferngesteuert verriegelt und machte wütende Angriffe auf das Schloß souverän zunichte. »Das ist doch wieder einer von den faulen Tricks, die dieser Parker drauf hat«, befürchtete einer. »Allmählich macht mir mein Job keinen Spaß mehr. Es ist wirklich nicht in Ordnung, wenn Amateure zu solchen Mitteln greifen und nicht daran denken, sich an die Spielregeln zu halten.« In diesem Augenblick war das leise Summen eines Elektromo tors zu hören. Ein Knacken zeigte an, daß eine Schaltung vorge nommen worden war. Dann begann sich die Trommel zu drehen. Aus Gründen der Eingewöhnung war die Rotationsgeschwindig keit zunächst nicht hoch, so daß sie sich noch mehr oder weniger mühelos auf den Beinen halten konnten. Nach zwei oder drei Mi nuten steigerte sich jedoch die Umdrehungszahl, und sie mußten schon etwas mehr aufpassen, um nicht zu fallen und hilflos her umgewirbelt zu werden. * Agatha Simpson starrte entzückt auf den Bildschirm und freute sich sichtlich über das, war ihr geboten wurde. Nach einigen Mi nuten wurde es ihr jedoch langweilig, und sie wollte selbst ein greifen. »Sie sind wieder mal überaus zurückhaltend, Mister Parker«, klagte sie und streckte verlangend die Hand aus. »Geben Sie mir die Fernsteuerung, ich werde das jetzt mal etwas forcieren.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete höflich eine Verbeu gung an und reichte seiner Herrin das Gerät. Es handelte sich dabei um einen flachen Kasten ähnlich einem Trafo für elektrische
Eisenbahnen, der neben einem Ein/Aus-Schalter und einer Kon trollampe einen großen Schaltknebel trug, der stufenlos nach links oder rechts zu drehen war. Lady Agatha griff nach diesem Schalter und drehte beherzt und ungeniert auf. Auf dem Bildschirm war der Erfolg ihrer Bemühun gen zu sehen. Die Trommel drehte sich deutlich schneller, und die Ganoven hatten alle Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Die Detektivin sah einen Augenblick aufmerksam zu, dann lä chelte sie boshaft und drehte noch weiter auf. Ein Gangster verlor die Balance, warf die Beine in die Luft und wirbelte kopfüber durch die Trommel. Dabei fielen ihm diverse Eisenwaren aus den Taschen und nahmen Kontakt mit den Köpfen seiner Kollegen auf, die das gar nicht gut fanden. Sie ließen sich ablenken und wandten sich dem Schwebenden zu, um ihm einen herben Verweis auszusprechen. Das hätten sie besser nicht getan, denn im Moment verloren auch sie den Boden unter den Füßen und schlössen sich dem Schwebeversuch ihres Kollegen an. Sie breiteten Arme und Beine aus und segelten nahezu schwerelos durch die Trommel, wobei sie allerdings eine gewisse Grazie und Leichtigkeit vermissen lie ßen. Zu ihrem Pech sollte es aber noch schlimmer kommen. Lady Agatha entdeckte nämlich, daß sich die Trommel auch in der ent gegengesetzten Richtung rotieren ließ. Die energische Dame setz te ihre Entdeckung sofort in die Tat um. Sie ließ den Schaltknebel einen Wimpernschlag lang auf >Null< stehen, dann drehte sie ihn schwungvoll nach links, wobei sie der Einfachheit halber gleich auf Vollast ging. Das bekam den Gangstern überhaupt nicht. Als der Schalter auf >Null< gedreht wurde, plumpsten sie auf ihre Hinterteile und richteten sich mühsam und vor sich hinfluchend wieder auf. Im gleichen Augenblick begann sich die Trommel wie rasend nach links anstatt wie vorher nach rechts zu drehen. Die Gesetze der Fliehkräfte machten sich eindrucksvoll bemerkbar. Die Ganoven wirbelten wie Gliederpuppen durch ihr rasendes Gefängnis und schrien laut um die Wette. Dabei zeigte es sich, daß der Anführer auch hierbei am leistungsfähigsten und eindeu tiger Sieger in dieser Disziplin war. Sie stießen während ihrer Luftreise ständig mit den Seitenwän den der Trommel zusammen, und ihre Körper wurden mit blauen
und grünen Flecken verziert. Nach einer Weile ließen ihre Kräfte nach, und erschöpft stellten sie ihr Schreien ein. Dafür murmelte jeder für sich Gebete und schwor, ein anständiger Mensch zu werden, wenn er je wieder hier rauskam. * Ein anderer Trupp hatte sich für den Keller entschieden und schaffte es, in kurzer Zeit einzusteigen. Vor ihnen lag eine eiserne Tür, die tiefer ins Haus zu führen schien. Sie war erfreulicherwei se nicht verschlossen, und gleich darauf standen sie in einem lan gen Kellergang, an dessen Ende sie eine weitere Tür entdeckten. »Na, das klappt doch prima«, freute sich einer der Ganoven und rückte zufrieden vor. Weit kam er allerdings nicht. Plötzlich flammten an der Decke Neonröhren auf, die den Gang hell aus leuchteten. Die Tür hinter ihnen fiel mit dumpfem Laut ins Schloß und ließ sich, wie sie umgehend feststellten, nicht mehr öffnen. »Willkommen im Haus der Lady Simpson«, tönte es aus einem an der Wand angebrachten Lautsprecher. »Mylady freut sich, Sie als ihre Gäste begrüßen zu dürfen.« Mit einem Knacken ver stummte der Lautsprecher, und die Gangster sahen sich betreten an. Langsam stellte sich das ebenso sichere wie unangenehme Gefühl ein, wieder mal überlistet worden zu sein. Leider war das noch nicht alles. Unter ihren Füßen wurde auf einmal der Boden lebendig. Als sie bestürzt nach unten blickten, entdeckten sie, daß sie auf einem Lauf band standen, das den Gang ausfüllte. Dieses Laufband setzte sich in Bewegung und zwang sie, in leichten Trab zu fallen. »So was müßte verboten werden. Was sind denn das für Manie ren?« beschwerte sich einer, während er seinen Kollegen nacheil te. »Halt lieber das Maul und spar’ deine Kräfte«, empfahl ihm ein anderer, der wohl ahnte, daß das erst der Anfang der Überra schungen war. Kurz darauf bestätigte sich sein Verdacht. Das Band legte deut lich an Geschwindigkeit zu und glitt von jetzt an rasend schnell unter ihren Füßen dahin. »Ich kann nicht mehr«, stöhnte der hintere Gangster und wisch
te sich über die schweißnasse Stirn. Er litt eindeutig unter Über gewicht, das er wohl zu reichlichem Essen verdankte. Auch den Kollegen ging es nicht anders. Ihr Lauf war nur noch mechanisches Dahinschleppen und sah alles andere als ästhetisch aus. Josuah Parker, der das Fitneßprogramm auf dem Bildschirm verfolgte, erkannte, daß die Leute eine Erfrischung brauchten und war sofort bereit, helfend einzugreifen. Er betätigte eine Taste auf dem Steuerpult, das er bei sich trug und ähnlich der Fernsteue rung von Modellflugzeugen funktionierte. Parker löste damit einen Steuerimpuls aus, der wiederum die im Kellergang eingebaute Sprinkleranlage aktivierte. Aus zahlreichen Düsen an der Decke klatschte ein wahrer Sturzbach auf die überraschten Gangster herab und brachte ihnen die dringend benötigte Erfrischung. Gleichzeitig reduzierte Parker die Geschwindigkeit des Laufbandes, um den unfreiwilligen Sport lern eine Verschnaufpause zu gönnen. »Das ist eine Riesenschweinerei«, beschwerte sich ein Ganove und schüttelte sich wie ein begossener Pudel. »Nach dieser Sache steige ich aus und such’ mir was Solides«, gab ein anderer seinen löblichen Entschluß bekannt und blickte anklagend zur Decke, von der noch immer das Wasser herunter stürzte. Der Anführer blieb stumm und schluchzte nur leise vor sich hin. Er fühlte deutlich, daß er den Anforderungen seines Berufes nicht mehr gewachsen war und wollte sich, wenn er alles überstanden hatte, nach einem ruhigen Kloster umsehen, wo er den Rest sei nes Lebens in Frieden verbringen konnte. * Team Nummer drei hatte das Dach bestiegen und deckte gera de einige Ziegel ab, um auf den Speicher zu gelangen. Wenige Augenblicke später hatten sie es geschafft und näherten sich ei ner schmalen Tür, die nach unten führte. Sie brachten es jedoch nicht mehr fertig, sie zu öffnen. Von der Decke fiel plötzlich ein riesiges Netz und hüllte sie ein. Bevor sie begriffen, wie ihnen geschah, hob sich das Netz und schwebte zur Decke. Die schreienden Gangster lagen wie Lebensmittel im Ein
kaufsnetz und konnten sich nicht rühren. Dann bewegte sich das Netz langsam zur Seitenwand des Spei chers. Oben wurde es von einem Karabinerhaken gehalten, der mit einem Laufrad versehen war und in einer Schiene an der Dek ke entlang glitt. Vor den Augen der entsetzten Eindringlinge öffnete sich plötz lich ein Ausschnitt in der Wand. Er schwenkte einfach zur Seite und gab den Blick frei auf die durch den Vollmond prächtig illumi nierte Nacht. Die Schiene, in der der Haken lief, führte durch einen Spalt un terhalb der Decke ein Stück ins Freie und mündete dann in einer Art Puffer, der zum Haus hin zeigte. Das Netz nahm mehr Fahrt auf und näherte sich der Öffnung in der Wand. Die unfreiwilligen Gäste kreischten und stierten ent setzt auf das immer näher kommende Loch. Dann schwebte das Netz nach draußen. Der Karabinerhaken mit der Rolle stieß klirrend an den Puffer und stoppte das Netz. Frei schwebend hingen die Gangster jetzt gut zwölf Meter über dem Vorplatz vor Myladys Haus und wurden nur von dünnen, aber extrem belastungsfähigen Kunststoffäden gehalten. Parker wollte jedoch den Herren einiges mehr bieten als nur das sanfte Hin- und Herschwingen des Netzes. Ein gewisser Nerven kitzel sollte für Kurzweil sorgen und den Burschen Unterhaltung bieten. Zu diesem Zweck bewegte Parker einen kleinen Steuerknüppel auf seinem Pult nach unten und ließ das Netz ruckartig um fünf oder sechs Meter nach unten sausen. Die Gangster stießen dar aufhin Schreie aus. »Seien Sie nicht so zimperlich, Mister Parker, etwas mehr Schwung und Begeisterung«, wünschte Lady Agatha und griff nach dem Steuerpult. »Das Netz kann doch nicht reißen, wenn es stark beansprucht wird, Mister Parker?« fügte sie nachdenklich hinzu. »Mylady können unbesorgt sein, das Netz würde auch ein Au tomobil aushalten«, beruhigte Parker seine Herrin. »Dann ist ja alles in Ordnung«, freute sich Agatha Simpson. Sie schob den Steuerknüppel schwungvoll nach oben und sah auf den Bildschirm, um zu sehen, was dann passierte. Ein Elektromotor riß das Netz förmlich hoch und ließ es nach oben schnellen. Kurz unter der Halteschiene stoppte es und pendelte heftig hin und
her. Die Gangster schrien wie am Spieß. Da die Außenkameras auch mit Richtmikrofonen versehen waren, wurden die Schreie durch die Übertragungsanlage zu Myladys Fernseher gesendet und lie ßen die Hausherrin zufrieden vor sich hinnicken. Sie legte ihre nicht eben zarten Finger wieder auf den Steuer knüppel und ließ ihn diesmal ruckartig nach unten wandern. Das Netz sauste wie ein Stein in die Tiefe und kam knapp einen Meter über dem Boden zum Stillstand. Dabei schaukelte es so heftig hin und her, daß es gegen die Hauswand klatschte und die Insassen einer kleinen Belastungs probe unterzog. Mylady ließ sich einen neuen Cognac servieren und machte sich daran, die Mägen der Gangster zu testen. Sie bewegte den Steu erknüppel abwechselnd und ließ ihre unerwünschten Gäste Fahr stuhl fahren. Es war ihr deutlich anzusehen, daß ihr das Spiel Spaß bereitete und sie es deshalb auch noch eine Weile fortzusetzen gedachte. * Die Bauarbeiter, die am Morgen ihre Arbeitsstelle in Kensington betraten, glaubten ihren Augen nicht trauen zu dürfen. Vor dem Rohbau einer Turnhalle, die von einer gewissen >City Baubetreu ung< errichtet wurde, herrschte ausgesprochen munteres Trei ben. Neckisch gekleidete Gestalten wirbelten umher und schienen ausgesprochen guter Laune zu sein. Die Bauarbeiter machten sich gegenseitig darauf aufmerksam und rückten näher, um sich das kleine Spektakel genauer anzu sehen. Die ersten herzhaften Witze wurden ausgetauscht, Geläch ter brandete auf, und das Stimmungsbarometer der Herren vom Bau stieg trotz der frühen Stunde auf nie gekannte Höhen. Das lag an der unerwarteten Vorstellung, die hier geboten wur de. Auf einem Betonmischer stand ein Kofferradio und ließ flotte Musik erschallen. Den Boden davor zierten mehrere Bierkästen und Flaschen mit Hochprozentigem. Von Zeit zu Zeit angelte sich einer der Gäste eine Flasche und nahm einen Schluck. Als die besagten Gäste die Bauarbeiter ent deckten, die inzwischen einen dichtgestaffelten Ring um sie gebil
det hatten, warfen sie ihnen Kußhändchen und muntere Scherz worte zu, griffen sich an den Händen und begannen einen ausge lassenen Ringelreihentanz um einen Sandhaufen. Das fand die Zustimmung der Bauarbeiter, die sofort in die Hände zu klatschen begannen und die Tänzer anfeuerten. Inzwischen war auch der Polier eingetroffen und sah zu seiner nicht geringen Verwunderung seine Leute im Kreis stehen und hörte dazu laute Musik und das Klatschen seiner Mitarbeiter. Wütend stapfte er auf den Kreis zu, um für Ordnung zu sorgen. Aber als er sich nach vorn gedrängelt hatte, blieb ihm vor Überra schung der Mund offen und er brachte keinen Ton heraus. Er rieb sich die Augen und kniff sie so fest zusammen, daß es schmerzte. Als er sie wieder öffnete, bot sich ihm nach wie vor das gleiche Bild. Der Polier war ein sittenstrenger und ehrbarer Mann. Er wollte dem Treiben ein Ende bereiten und trat entschlossen vor, um mit den Tänzern Fraktur zu reden. Allmählich füllte sich der Bauplatz mit immer mehr Menschen. Passanten, die auf der Straße vorbeigingen, wurden vom Lärm angelockt und wollten nachsehen, was es da gab. Die knappe Bekleidung der Tänzer fand aber schon das Mißfal len der umstehenden Polizisten, die kurze Zeit später eintrafen, transportierten die Tänzer in einem Mannschaftswagen ab. Mur rend gingen die Bauarbeiter auseinander und an die Arbeit. Sie beschlossen jedoch, für ihr nächstes Richtfest die munteren Wä schetänzer zu engagieren, koste es, was es wolle. * »Mister Hollway?« fragte Brian Epson mißtrauisch, als sich der Anrufer vorgestellt hatte. »Richtig, Mister Epson, Frank Hollway vom Bauamt. Sie kennen mich doch, zumindest vom Namen her, oder?« gab Hollway zu rück. Er befand sich in diesem Augenblick in Shepherd’s Market, und das Telefonat wurde über die Mithöranlage übertragen, so daß Lady Agatha, Butler Parker, Kathy Porter und Mike Rander das Gespräch mitverfolgen konnten. »Ich bin etwas erstaunt über Ihren Anruf, Mister Hollway, ehr lich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet«, äußerte sich Epson
vorsichtig. »Eigentlich habe ich ja mit Mister Miller von der >City Baube treuung< sprechen wollen, aber der ist offensichtlich verschwun den, niemand weiß, wohin oder ob er irgendwann wiederkommt. Deshalb möchte ich mit Ihnen sprechen.« Epson wußte natürlich nur zu gut, daß Dan Miller verschwunden war. Auch er hatte nach dem Debakel auf dem Richtfest dringend mit ihm sprechen wollen und dabei feststellen müssen, daß sich Miller abgesetzt hatte. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn seine Leute finden würden. »Und wie kommen Sie darauf, daß Sie mit mir Dinge bespre chen könnten, die Sie eigentlich mit Miller verhandeln wollten?« »Aber ich bitte Sie, Mister Epson, lassen wir doch die albernen Spiele! Wir beide wissen doch ganz genau, wer in Wirklichkeit hinter der >City Baubetreuung< steht, nicht wahr? Miller war doch nur Ihre Marionette, die getan hat, was Sie ihr befohlen ha ben.« »Wie kommen Sie darauf, Mister Hollway?« erkundigte sich Ep son, scheinbar total erstaunt. »Sie haben doch sicher von Miller erfahren, daß ich einiges über gewisse Vorgänge in meiner Dienststelle, herausgefunden habe, Mister Epson. Dabei mußte ich ja schon beinahe zwangsläufig über Ihren Namen stolpern.« »Ich verstehe kein Wort, Mister Hollway. Ich fürchte, unser in teressantes Gespräch ist damit beendet«, reagierte Epson kühl und überlegen. Hollway, der das Telefonat mit Parker und Rander vorher durch gesprochen und geplant hatte, gab nicht auf. Er hatte noch ein As in der Hand. »Können Sie mit dem Namen Kilroy etwas anfangen, Sir? Oder mit Clyde Bennett?« sagte er deshalb gelassen. Er wußte inzwi schen, was man mit seinen beiden Sachbearbeitern vorgehabt hatte und konnte sich deshalb gut vorstellen, wie ihre Namen auf Epson wirkten. »Müßte ich diese Namen kennen?« »Glaube ich schon, Sir. Zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses: Die beiden Herren hatten Funktionen im Bauamt und pflegten oft in einem Ihrer Nachtclubs zu verkehren. Außerdem haben sich ihre Bankkonten innerhalb des letzten Jahres aufgebessert.«
Epson schwieg einen Augenblick, er mußte erst über das Gehör te nachdenken. Offensichtlich war Hollway besser informiert, als er ohnehin befürchtet hatte. Es wurde höchste Zeit, daß sie den Mann in die Finger bekamen und mundtot machten. »Von wo aus rufen Sie eigentlich an?«, erkundigte er sich. Er ärgerte sich, daß er diesen Punkt bisher vernachlässigt hatte. Womöglich war dieser Hollway gerade dabei, ihm eine Falle zu stellen, und er fiel auch noch darauf herein. Auch diesen Punkt hatte Hollway vorher mit Parker abgespro chen. »Aus der Wohnung eines Freundes, Mister Epson. Meine ist mir im Augenblick zu heiß. Auch die meiner Freundin dürfte im Moment nicht der ideale Ort sein. Ich hörte, Sie bzw. Ihre Leute haben für sie lebhaftes Interesse gezeigt. Ich muß gestehen, Mi ster Epson, daß ich darüber ziemlich sauer bin.« »Und was wollen Sie damit sagen, Mister Hollway?« fragte Ep son lauernd. »Daß das natürlich den Preis steigern wird, was denn sonst. Meine Freundin hat ‘nen Riesenschrecken bekommen, als sie plötzlich verschwinden mußte, weil irgendwelche Ganoven hinter ihr her waren. Das kostet extra, das ist doch wohl klar.« »Ihrer Freundin konnte ja wohl kaum etwas passieren, die hatte sich ja schon ein Double besorgt, nicht wahr, Mister Hollway?« »Das hatte alles diese Lady eingefädelt, aber auch das wissen Sie sicher. Jetzt bin ich allerdings nicht mehr bei der Lady, ich habe mich abgesetzt. Ich kann nämlich selbst auf mich aufpas sen, ich brauche kein Kindermädchen.« »Außerdem wollen Sie kassieren. Stimmt’s?« gab Epson spöt tisch zurück. Inzwischen war er überzeugt davon, daß Hollway wirklich nur sein Wissen zu Geld machen wollte. »Stimmt genau, Sir. Zugegeben, am Anfang, als ich hinter die Bestechungsgeschichte kam, war ich empört. Aber das können Sie sicher nicht verstehen. Immerhin diene ich dem Staat, und als solcher habe ich gewisse Vorstellungen darüber, wie die Arbeit in einem Amt abzulaufen hat. Schmiergelder gehören nicht dazu. Doch jetzt hab ich’s mir anders überlegt. Wenn sogar meine Vor gesetzten Teilhaber sind, warum soll ich dann mir keine goldene Nase verdienen? Also, Mister Epson, ich bin der Meinung, daß meine Insider-Kenntnisse einiges wert sind.« »Könnten Sie den Begriff >einiges< genauer umschreiben, Mi ster Hollway?« erkundigte sich Epson.
»Natürlich, Sir, ich habe da genaue Vorstellungen. Und ich habe außerdem nicht die Absicht, mit mir darüber handeln zu lassen. Sie haben die Wahl, ja oder nein zu sagen, nicht mehr und nicht weniger.« »Und wenn ich mich für nein entscheide, Mister Hollway?« »Gehe ich natürlich zur Polizei. Was denn sonst?« »Sie wollten mir eine Zahl nennen.« »Hunderttausend Pfund, Mister Epson. Das ist mein Preis«, er widerte Hollway kühl. Am anderen Ende der Leitung lachte Epson laut auf. »Sie sind ja total verrückt, Mann! Okay, über zehntausend können wir reden, aber hunderttausend ist absolut illusorisch. Das können Sie sich abschminken, klar?« »Keinesfalls, Mister Epson. Hunderttausend – oder ich gehe zur Polizei! Entscheiden Sie sich jetzt bitte, ich habe nicht die Absicht, den ganzen Tag mit Ihnen zu plauschen«, fügte Hollway mit deut lich hörbarer Verärgerung in der Stimme hinzu. Josuah Parker, der direkt neben ihm stand, nickte anerkennend. Der junge Mann machte seine Sache in der Tat ausgezeichnet. »Na schön, Mister Hollway, ich bin einverstanden. Dafür be komme ich natürlich auch alle Aufzeichnungen, die Sie über den Fall angefertigt haben und eine Quittung, damit ich sicher sein kann, daß Sie später nicht wieder Geld wollen. Mit der Quittung habe ich auch gegen Sie etwas in der Hand, einverstanden?« »Einverstanden. Ich will das Geld allerdings noch heute haben, ich möchte nämlich sehr bald verreisen. Geht das?« Epson dachte einen Augenblick nach, dann hatte er sich ent schieden. Er diktierte Hollway eine Adresse in der Nähe von Cha ring Cross, wieder eine Baustelle. »Also, seien Sie pünktlich, Mi ster Hollway, heute genau um Mitternacht!« * »Na, das hat doch hingehauen«, freute sich Mike Rander und rieb zufrieden die Hände. »Ich würde sagen, der Fisch hat ange bissen.« »Wenn eine Lady Simpson etwas in die Hand nimmt, klappt es immer, mein Junge«, ließ sich die passionierte Detektivin selbst zufrieden vernehmen. Sie hatte zwar bis zu dem Moment, wo
Parker mit Hollway erschienen war und seinen Plan erläutert hat te, nicht die geringste Ahnung, aber das kümmerte sie wenig. »Mylady sind wie immer einfach bewundernswert«, gab Parker höflich und gemessen zurück. »Mylady werden immer ein leuch tendes und nie zu erreichendes Vorbild für meine bescheidene Wenigkeit sein«, fuhr er fort und deutete eine leichte Verbeugung an. »Nun ja, Mister Parker, das stimmt tatsächlich. Manchmal wun dere ich mich selbst, wie ich das alles so schaffe«, antwortete die ältere Dame nachdenklich. »Epson wird Hollway natürlich nicht soviel Geld nachwerfen wol len. Er wird ihm auf dieser Baustelle eine Falle stellen, um ihn umzubringen«, bemerkte Mike Rander. »Damit dürfte zu rechnen sein, Sir. Allerdings wird man gewisse Vorbereitungen treffen, um die Bemühungen des Mister Epson zu unterlaufen. Außerdem wird selbstverständlich nicht Mister Holl way persönlich die Verabredung wahrnehmen.« »Sie haben bereits einen Hollway-Darsteller besorgt, wie ich Sie kenne, nicht wahr, Mister Parker?«, lächelte Kathy Porter, die den Butler nur zu genau kannte. »In der Tat, Miß Porter. Mister Pickett ist so frei, sich für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen.« * Horace Pickett war die perfekte Kopie Frank Hollways. Nicht umsonst hatte er einen Tag auf Lady Agathas Landsitz in Alder ney verbracht, um den jüngeren Mann genau zu studieren. Das Ergebnis war verblüffend, Selbst gute Bekannte oder Kollegen Hollways hätten den Schwindel nicht so ohne weiteres durch schaut. Eine halbe Stunde vor Mitternacht näherte sich Pickett dem ver einbarten Treffpunkt. Er war zwar allein, stand aber über ein lei stungsfähiges Mini-Funkgerät mit Josuah Parker in Verbindung. Zu seiner Sicherheit trug er eine kugelsichere Weste aus einem Spezialkunststoff und war von Parker mit diversen Ausrüstungs gegenständen versehen worden, die aus dem Privatlabor des But lers stammten und von größter Effektivität waren. In der Nähe der Baustelle hielten sich schon seit geraumer Zeit
einige von Picketts Neffen als Eingreifreserve bereit. Bei diesen Neffen handelte es sich um zumeist jüngere Bekannte des ehe maligen Eigentumsumverteiler, die ihm zugetan waren und gern mit ihm arbeiteten. In der Vergangenheit hatten Pickett und seine Neffen sich schon öfters für Lady Agatha und den Butler einge setzt. Auch im Haus der Lady hielten sich zu diesem Zeitpunkt einige Neffen sowie eine Dame aus Picketts Umfeld auf. Da damit zu rechnen war, daß Epson das Haus überwachen ließ, um sicher zu sein, doch nicht in eine Falle gelockt zu werden und auf dem ver einbarten Bauplatz plötzlich der Lady und ihrem Butler gegenüber zu stehen, spielte die betreffende Dame Lady Agatha und war selbstverständlich auch entsprechend zurecht gemacht. Einer der Neffen hatte Parkers Rolle übernommen, während die übrigen zu Sicherheitszwecken anwesend waren, um das Haus vor einem möglichen Überfall zu schützen. Lady Agatha war selbstverständlich mit Parker, Kathy Porter und Mike Rander auf dem Weg zum Treffpunkt. Nie und nimmer hätte sie es sich nehmen lassen, dort persönlich aufzukreuzen, das Treffen auf dem Bauplatz stellte doch eine Art Abschlußvor stellung in diesem Fall dar. Eine Viertelstunde vor Mitternacht klingelte in Shephard’s Mar ket das Telefon. Der Parker-Darsteller schritt gemessen und wür devoll wie sein Original zum Apparat und hob ab. »Hier im Haus von Lady Simpson, wen darf ich Mylady mel den?«, erkundigte er sich höflich. »Pardon, falsch verbunden«, lautete die Antwort. Gleich darauf wurde auf der Gegenseite aufgelegt. Daraufhin ergriff Parters Double ein Funkgerät und unterrichtete den echten Butler von dem. erwarteten Kontroll-Anruf. Parker war mit den Vorbereitungen zufrieden. Alles lief genau nach Plan. Und der Kontrollanruf kurz vor der vereinbarten Zeit zeigte, daß das Treffen wie verabredet stattfinden würde, wenn gleich ein anderer Ausgang drohte, als ihn ein gewisser Mafia-Boß namens Epson geplant hatte. * »Okay, die beiden sind zu Hause«, bestätigte der Ganove, den
Epson mit dem Anruf beauftragt hatte. »Sehr schön«, freute sich sein Chef und erhob sich. »Dann kann es losgehen. Diesmal darf nichts schiefgehen, unter gar keinen Umständen. Ich bitte mir erstklassige Arbeit aus, die Prämie dafür ist es schließlich auch. Ihr müßt Hollway unter allen Umständen erledigen. Ist das klar?« vergewisserte sich Epson eindringlich. »Alles klar, Chef. Sie können sich voll und ganz auf uns verlas sen«, versicherte ihm der Vormann des Mordkommandos. »Und danach«, überlegte Epson, »fahren wir weiter zum .Haus dieser Lady und werfen ihr ‘n paar Handgranaten in die Bude. Die komische Tante und ihr Butler haben, mich lange genug ge nervt.« »Gibt’s dafür auch ‘ne Sonderprämie, Boß?« erkundigte sich der Vormann sofort. »Worauf du dich verlassen kannst! Die Lady und den Butler las se ich mir was kosten«, gab Epson heiser vor Wut zurück. Schon der Gedanke an die beiden brachte ihn zur Weißglut, deshalb mußten sie umgehend verschwinden, damit er endlich seine Ruhe fand. * Genau eine Minute vor Mitternacht lenkte Horace Pickett den kleinen Triumph Frank Hollways auf die Baustelle. Vorsichtig steuerte er zu einer Reihe von Bauwagen, die ihm als exakter Austauschort Aufzeichnungen gegen Geld< angegeben worden waren. Pickett war im Besitz eines ansehnlichen Aktenordners, der die Aufzeichnungen Hollways enthielt. Diese Aufzeichnungen waren von dem jungen Mann zusammen mit Josuah Parker angefertigt worden und würden seinen Empfänger unbedingt zufriedenstel len. Die Notizen machten einen echten, vor allem brisanten Ein druck. Wenn Epson sie zur Kontrolle durchblätterte, würde er mit Si cherheit zufrieden und erleichtert sein. Pickett hatte die Bauwagen erreicht und stoppte. Er stellte den Motor ab und blendete die Scheinwerfer dreimal kurz hintereinan der auf, wartete, gab ein langes Signal und wiederholte die kom
plette Signalfolge noch mal. In einem Wagen flammte Licht auf, und die Tür öffnete sich. »Steigen Sie aus und kommen Sie her, Hollway«, befahl eine halblaute Stimme vom Bauwagen her. Horace Pickett wußte natürlich, welches Risiko er einging, als er die Wagentür aufstieß und sich ins Freie begab. Die Gangster würden sich nur davon überzeugen wollen, daß er wirklich Holl way war und die Aufzeichnungen dabei hatte. Dann würden sie versuchen, ihn umzubringen… Trotz dieser keineswegs erfreulichen Aussichten machte sich der ehemalige Eigentumsumverteiler kaum große Sorgen. Er wußte, daß einige seiner Neffen in der Nähe waren. Im übrigen vertraute er auf Josuah Parker und dessen Erfindungsgabe. Der Butler wür de schon rechtzeitig einschreiten und die Ganoven dingfest ma chen, in diesem Punkt war er absolut sicher. Er ging um den Wagen herum und stellte sich so hin, daß er im Scheinwerferlicht des Triumphs gut zu sehen, vor allem zu erken nen war. »Na, zufrieden, Leute?«, erkundigte er sich in dem Ton, in dem dies auch Frank Hollway selbst gesagt haben würde. »Wo sind deine Aufzeichnungen, Hollway?«, erkundigte sich die Stimme hinter dem Bauwagen. »Auf dem Rücksitz. Soll ich sie holen?« »Hol’ sie raus und wirf sie zum Bauwagen. Danach bleibst du da stehen, wo du jetzt bist und rührst dich nicht vom Fleck, klar?« »Alles klar.« Horace Pickett ging zum Triumph zurück und holte den Aktenordner. Dann stellte er sich wieder vor Hollways Wagen auf und wartete auf weitere Anweisung. »Also, wirf den Ordner jetzt rüber und rühr’ dich danach nicht, verstanden?« »Ist in Ordnung.« Pickett schleuderte den Ordner auf den Bau wagen zu und sah, wie er aufgehoben und ins Innere gereicht wurde. Pickett spannte all seine Sinne an, um sofort reagieren zu können, wenn es brenzlig wurde. Im Bauwagen saß wahrscheinlich Epson und prüfte die Akten. Sobald er sich davon überzeugt hatte, daß es sich wirklich um Hollways Aufzeichnungen handelte, würde er seinen Leuten den Befehl geben, den vermeintlichen Frank Hollway umzubringen. Dann war es soweit! Aus dem Bauwagen ertönte ein leiser Pfiff, und der Mann hinter dem Wagen trat daraufhin sofort in Aktion. Plötzlich war ein
dumpfes, durch Schalldämpfer gemindertes Stakkato zu hören. Hinter Pickett ging die Windschutzscheibe des Triumphs zu Bruch. Eine Serie von Kugeln schlug jaulend in das Blech des kleinen Sportwagens und sirrte als Querschläger durch die Gegend. Zu dieser Zeit stand Horace Pickett längst nicht mehr an seinem Platz. Er hatte sich, als er den Pfiff hörte, sofort fallenlassen und war zu einem Bretterstapel gehuscht, der solide genug war, um als Deckung zu dienen. Das Ganze hatte knapp zwei Minuten gedauert. So plötzlich, wie der Beschuß eingesetzt hatte, war er auch beendet. »Habt ihr den Bastard?« wollte eine Stimme aus dem Bauwagen wissen… * Horace Pickett wußte nicht, wo er so plötzlich und überraschend hergekommen war, aber auf einmal stand Josuah Parker neben ihm und begrüßte ihn freundlich. »Sie sehen mich außerordentlich erfreut darüber, Mister Pickett, daß Ihnen nichts zugestoßen ist. Meine bescheidene Wenigkeit hätte sich sonst heftige Vorwürfe machen müssen.« »So schnell passiert mir schon nichts, Mister Parker. Wie geht’s jetzt weiter?« »Man sollte die Herren vielleicht aus dem Bauwagen vertreiben, wenn ich vorschlagen darf«, sagte Parker leise. Ohne auf Picketts Antwort zu warten, holte er aus einer der zahlreichen Innentaschen seine Gabelschleuder und setzte sie mit wenigen Handgriffen zusammen. Es handelte sich im Prinzip um jenes Instrument, mit denen halbwüchsige Jungen so gern die Fensterscheiben ihrer Nachbarn auf ihre Widerstandskraft zu te sten pflegten. Parker hatte dieses Instrument noch weiterentwik kelt und zu einer verblüffend treffsicheren Waffe gemacht. Als Munition wählte er diesmal eine kleine Ampulle, die in einer Glasmurmel untergebracht war. Diese Ampulle enthielt ein schleimhautreizendes Mittel, das aus Parkers Privatlabor stammte und natürlich absolut unschädlich war. Parker legte das Geschoß in die Lederschlaufe und spannte sie. Dann verließ die Ampulle die Gabelschleuder und raste auf eines der Bauwagen-Fenster zu. Klirrend schlug sie durch das dünne
Glas, klatschte an die gegenüberliegende Wand und zerplatzte dort. Sofort stieg im Wagen ein übelriechender Dampf auf und breitete sich schnell aus. Sekunden später zeigte sich bereits die Wirkung. Leise Rufe, dann Flüche, Husten, Spucken und Würgen wurden hörbar. Gleich darauf flog der Eingang auf. Einige Gestalten taumelten ins Freie. Dort wurden sie offenbar schon erwartet. Man konnte dumpfes Klatschen hören, Stöhnen und Entsetzens schreie, dann trat Ruhe ein. Einen Moment später war Lady Agathas baritonal gefärbtes Or gan zu hören. »Ich muß mich doch sehr wundern! Was soll denn das?«, er kundigte sie sich grollend: »Sie werden doch wohl einen kleinen Schlag auf den Hinterkopf vertragen, oder? Stehen Sie sofort wieder auf und stellen Sie sich!« »Mylady scheint wieder in Hochform zu sein«, vermutete Horace Pickett leise. »Mylady wollte es sich nicht nehmen lassen, den Herren Gano ven persönlich ihr Meinung zu sagen«, erklärte Josuah Parker und gestattete sich in der Dunkelheit ein andeutungsweises Lächeln. »Nehmt die Pfoten hoch, aber ein bißchen plötzlich!« verlangte in diesem Augenblick eine barsche Stimme hinter ihnen. »Wir haben anscheinend einen Moment geschlafen, Mister Par ker«, bedauerte Horace Pickett, während er bereits der Aufforde rung ihres unbekannten Gegners nachkam. Es handelte sich, wie sich später herausstellte, um den Vor mann des Einsatzkommandos, das Epson herbeordert hatte. Er hatte sich zum Zeitpunkt der Ampullen-Explosion nicht im Wagen befunden und war daher nicht von der Reizgaswolke erfaßt wor den. Gekonnt tastete er die beiden Männer vor sich ab. »Betreibst du nebenbei ‘ne wandelnde Schreibwarenhandlung?« erkundigte er sich spöttisch bei Parker, als er die Kugelschreiber in den Innentaschen fühlte. »Dies ist die Marotte eines müden, alten und relativ verbrauch ten Mannes«, gestand Parker verschämt. Während er sprach, zog er vorsichtig die goldene Nadel aus sei ner altväterlich gebundenen Krawatte und entfernte die winzige Schutzkappe. Als der Gangster Horace Pickett abklopfte, spürte er plötzlich einen leichten Stich – wie von einem Insekt – in der linken Ge
säßhälfte, schenkte dem aber weiter keine Beachtung. Sekunden später spürte er eine umwerfende Müdigkeit in sich aufsteigen. Kommentarlos ließ er die Maschinenpistole auf den Boden fallen, dann legte er sich daneben. Einen Augenblick später drang lautes Schnarchen durch die Dunkelheit. Parker bückte sich gerade, um den Gangster zu fesseln, als über ihm etwas Schweres durch die Luft schoß und gegen den Bretterstapel donnerte. Horace Pickett wurde von dem undefi nierbaren Geschoß leicht gestreift und hatte dabei das seltsame Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getreten worden zu sein. Gleich darauf kam Lady Agatha auf sie zugestürmt und setzte sich, wohl von ihrem Schwung schwindelig geworden, in den Sand. »Darf man Mylady aufhelfen?«, erkundigte sich Parker höflich, während er vor ihr stehenblieb und die Hand ausstreckte. »Hier irgendwo müssen noch ein paar Gangster sein, die ich mit meiner Latte erwischt habe«, verkündete Agatha Simpson fröh lich, während sie aufstand und ihre Kleidung ordnete. »Man wird sofort nach den Herren sehen«, versprach Parker, der nur zu genau wußte, daß es keine niedergeschlagenen Gang ster gab, weil die eifrige Dame versehentlich auf Horace Pickett und ihn losgegangen war… * »Also wirklich, einen solchen Schlag gegen die Mafia haben wir lange nicht mehr gelandet«, freute sich Chief-Superintendent McWarden, als er am nächsten Morgen zufällig vorbeikam und sogar von Lady Agatha in einem Anfall von Großzügigkeit zum Frühstück eingeladen wurde. »Sie meinen wohl, ich habe diesen Schlag gelandet, mein lieber McWarden«, korrigierte Lady Agatha ihn sofort. »Ohne mich wäre die Polizei wieder mal völlig hilflos gewesen und würde immer noch im dunklen tappen.« »Selbstverständlich, Mylady, daran besteht kein Zweifel«, gab McWarden friedfertig zu und widmete sich weiter seinem Teller. »Das geben Sie auch noch schamlos zu?« wunderte sich die äl tere Dame.
»Eigentlich müßten Sie sogar violett anlaufen, wenn Sie Ihr Ge halt in Empfang nehmen«, fügte sie genüßlich hinzu. »Ich spende es Monat für Monat einem Fond für verarmte Land edelleute, Mylady«, reagierte McWarden unbeeindruckt. Darauf wußte die Hausherrin vorerst nichts mehr zu sagen. Per plex starrte sie ihren Gast an. »Gibt es schon erste Ergebnisse von den Vernehmungen, Sir?« erkundigte sich Parker. »Und ob, mein lieber Mister Parker! Sogar Epson hat ein volles Geständnis abgelegt, nachdem er Sir Anthony Kilroy und Clyde Bennett gegenübergestellt wurde.« »Das ist doch sehr erfreulich, Sir. Dann ist dieser Fall ja restlos aufgeklärt.« »Bis auf eine Kleinigkeit«, wandte Mike Rander ein, der mit Ka thy Porter zum Frühstück herübergekommen war. »Und das wäre?«, erkundigte sich McWarden. »Wie viele und welche Leute in der Bauabteilung sind denn nun korrupt? Haben Sie das auch schon erfahren?« »Sogar ganz genau, Mister Rander. Und Sie werden nie darauf kommen, wie schnell und vor allem wie eindeutig belegt.« »Na los, spannen Sie uns nicht auf die Folter!« »Also, Epsons Chefbuchhalter hat sogar über die >schwarze Kasse< seines Chefs genauestens Buch geführt. Da steht nicht nur drin, wer wieviel bekommen hat, sondern alles ist belegt mit Datum, Quittung und so weiter… Was sagen Sie nun?« »Sagenhaft, daß es sowas gibt«, wunderte sich Mike Rander und schüttelte den Kopf. »Mister Frank Hollway hat übrigens heute morgen angerufen, Mylady, und sich erlaubt, Mylady zu seiner demnächst stattfin denden Hochzeit einzuladen«, ließ sich Parker vernehmen. »Na, wenigstens eine Hochzeit, zu der ich mal komme«, erwiderte La dy Agatha und sah Kathy Porter und Mike Rander dabei vielsa gend an. Die »Kinder« lachten, denn sie verstanden Mylady nur zu gut. ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 328
Curd H. Wendt
PARKER und der Kampf der Giganten