Parker macht die Pferde scheu
Roman von Günter Dönges
Josuah Parker hatte seinen freien Tag. Angetan mit seinem sch...
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Parker macht die Pferde scheu
Roman von Günter Dönges
Josuah Parker hatte seinen freien Tag. Angetan mit seinem schwarzen, weit fallenden Covercoat, schwarzen Handschuhen und der unvermeidlichen schwarzen Me lone, schritt er durch die Straßen. Es war selbstverständlich, daß der korrekt zusammengerollte Regenschirm an seinem linken Un terarm hing. Parker schien die warme Sonne überhaupt nichts auszumachen, schon gar nicht die vielen spöttisch verwunderten Blicke, die seiner Erscheinung galten. Er war noch vom guten, alten Schlag und das fleischgewordene Sinnbild eines echt engli schen Butlers, der in keiner noch so verrückten Situation seine Selbstbeherrschung verlor. Nach einigen Ausflügen in den mittleren Westen waren er und sein Chef, Mike Rander, endlich wieder einmal zurück nach Chi kago gekommen, wo sie eigentlich wohnten. Rander, ein zwar noch junger, aber bereits sehr erfolgreicher Verteidiger hatte eine komplizierte Strafsache übernommen und zum Leidwesen des Butlers keine besonderen Detektivaufgaben für ihn. Butler Parker war Detektiv aus Leidenschaft. Er hatte schon recht interessante und heikle Fälle gelöst. Manchmal allein und auf eigene Faust, manchmal in Zusam menarbeit mit Mike Rander, der es ebenfalls nie verschmähte, sich auch als Detektiv zu betätigen. Josuah Parker kam sich an jenem sonnigen Nachmittag also recht verloren vor. Nachdem er sich eine Zeitlang sehr interessiert die Auslage ei nes Waffengeschäftes angesehen hatte, überquerte er die breite Fahrbahn und hielt auf einen komfortablen Friseursalon zu. Das Geschäft war im Erdgeschoß eines großen Hotels untergebracht und von zwei verschiedenen Straßen aus zu erreichen. Die Inneneinrichtung dieses Friseurpalastes übertraf alle Vor stellungen. Sie glich einer Orgie in Marmor, Chrom, Glas und Sei de. Ein angenehmer Duft reizte die Nase Josuah Parkers, der sich würdevoll seiner Melone entledigte und Mantel und Schirm mit gemessenen Bewegungen eigenhändig an der Garderobe unter brachte. Er duldete es nicht, daß ein anderer die Arbeit für ihn übernahm. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er behandelt wurde.
Zwei Angestellte, die vornehm wie Zeremonienmeister waren, geleiteten ihn zu dem Stuhl, der eigentlich schon gar nicht mehr als Stuhl anzusprechen war. Nein, dieses Gebilde war ein Wun derwerk der Mechanik, mit schwellenden Lederpolstern, mit aus ziehbarer Nackenstütze, mit einer Lifteinrichtung, die elektrisch angetrieben wurde. Parker nahm Platz. Ein blauer Nylonkittel wurde um seinen Körper drapiert und sein Kopf sanft gegen die Stütze gedrückt. Der Cheffriseur dieses Stuhls ließ den Elektromotor schnurren. Ruhig liftete der Sitz in die Höhe. Der Friseur legte solch eine Andacht und solch einen Ernst an den Tag, wie es sonst eigentlich nur ein versierter Hen ker tut, der sein Opfer möglichst schnell und schonend umbringen will. »Was wünscht der Herr?« fragte der Mann. Er sprach mit fran zösischem Akzent, wie es sich für einen solchen Palast geziemte. »Rasieren, Haarschneiden, Kopf- und Gesichtsmassage, keine Unterhaltung«, sagte Parker präzise. Er entspannte sich und schloß die Augen. Er hörte das Surren des eingeschalteten Schneideapparats, feines Klirren von Kristall gegen Marmor und versank in Träumen. Erst als ein Mann mit schnarrender Stimme zu poltern begann, blinzelte der Butler in die Spiegelscheibe aus Kristall. Er sah einen ungemein korpulenten, untersetzten Mann, der gerade in einem Rasierstuhl Platz nahm. Auffallend war die unmögliche Krawatte, die auf Parker wie eine schallende Ohrfeige wirkte. Die kleinen dunklen Augen des neuen Kunden verschwanden fast völlig hinter fetten, dicken Speckfalten. Es muß nachgetragen werden, daß dieser Mann direkt neben Parker saß. Ihre Blicke begegneten sich. Doch Parker schaute in einer solch kühlen und überlegenen Art wieder weg, daß der Dicke einem Erstickungsanfall nahe war. Hinter dem Rasierstuhl hatten sich zwei recht stämmige junge Männer aufgebaut. Sie schauten grimmig umher, und schienen so etwas wie eine Leibwache des Dicken zu sein. Mit geschultem Blick stellte Parker fest, daß sie Pistolen umgeschnallt hatten: Trotz der ausgezeichneten Schneiderarbeit waren die bewußten, kleinen Ausbeulungen der Anzüge nicht zu übersehen. Parker besaß eine sehr liberale Einstellung. Dennoch paßte es ihm nicht, gewissermaßen in einer vielleicht möglichen Schußlinie zu sitzen. Er bedauerte es nachträglich, diesen Haarschneidepa
last betreten zu haben. Da er über einen wunderbar ausgebilde ten Instinkt verfügte, witterte er Gefahr. »Danke, danke, das dürfte reichen«, sagte er zu dem Cheffri seur, der ihn gerade mit einer erstaunlichen: Zartheit und Fixig keit rasiert hatte! »Nur etwas Rasierwasser bitte…!« Der Mann bearbeitete das Gesicht Parkers mit einer scharfen Essenz. Der Butler mußte nun die Augen schließen, da ihm etwas von dem duftenden Wasser ins Auge gekommen war. Mannhaft verschluckte Parker allerdings einige Bemerkungen, die sich si cherlich nicht sehr erfreulich angehört hätten. Als der Butler die Augen wieder öffnete, wußte er sofort, daß er sich zu spät entschlossen hatte, das Feld zu räumen. In dem Friseurpalast war es überraschend still geworden. Es herrschte das, was man gemeinhin eine unheilschwangere, tödli che Stille nennt. Sie hatte ihren Grund im Auftauchen zweier Männer, die in Höhe der Theke standen. Sie hatten sich Gesichtsmasken umgebunden, waren mittelgroß, schlank und hielten in ihren Händen langläufige Revolver, die si cher nicht aus modischen Gründen mitgebracht worden waren. Josuah Parker sah sich daraufhin veranlaßt, möglichst schnell und tief in den Rasierstuhl zu rutschen, eine Vorsichtsmaßnahme, die sich bald als ungemein segensreich für ihn erwies. Die beiden Männer mit den Gesichtsmasken eröffneten nämlich das Feuer auf den kleinen, dicken Mann, der wie hypnotisiert in den Spiegel starrte und nicht fähig war, eine Abwehrbewegung zu machen. Seine beiden Leibwächter jedoch handelten instinktiv. Sie hatten blitzschnell ihre Waffen gezogen und schossen auf die beiden maskierten Besucher des Friseursalons, allerdings un terlief ihnen im Eifer des Gefechts ein bedauerlicher Irrtum. Sie hielten das Spiegelbild für die tatsächlichen Angreifer und beeilten sich daher, die Kristallscheibe zu zertrümmern. Es herrschte na türlich ein schauerlicher Krach. Der große Spiegel löste sich in seine Bestandteile auf, der kleine, fette Bursche stöhnte, und ei nige Querschläger sirrten durch den Raum. Sekunden danach war der ganze Spuk vorbei. Butler Parker tauchte aus der Tiefe des Stuhls wieder hoch und schüttelte mißbilligend den Kopf. Der Friseur neben ihm seufzte auf und wurde dann mit einiger Verspätung ohnmächtig. Der klei ne, dickliche Mann im benachbarten Stuhl war zu Boden gefallen und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Die beiden
Leibwächter beeilten sich gerade, das Geschäft zu verlassen. Ob sie nur die Verfolgung der Täter aufnehmen wollten oder aber konkrete Fluchtgedanken hegten, war in diesem Stadium noch nicht festzustellen. Josuah Parker, der sich schon recht oft in ähnlichen Situationen befunden hatte, glitt nun aus seinem Stuhl und kniete neben dem am Boden liegenden Mann nieder, der heftig keuchte. Er sah sofort, daß dieser Mann schwer verwundet war und den noch eine ganz bestimmte Absicht verfolgte, denn er mühte sich ab, irgendeinen Gegenstand aus seiner Brusttasche zu holen. Als höflicher Mensch unterstützte Parker ihn bei diesem Vorha ben. Er fand eine durchsichtige Hülle aus Kunststoff, in der sich einige Papiere befanden. »Verbrennen! Schnell! Verbrennen! Los… Schnell«, keuchte der verwundete Mann. Parker bemerkte sehr wohl, daß der Mann ihn gar nicht erkannt hatte. Er hielt den Butler wohl für einen seiner Leibwächter. Da der Verwundete in dieser Lage bestimmt keinen Widerspruch verstehen würde, steckte Parker die Hülle ein und richtete sich auf. Dabei entging ihm nicht, daß ihn der Friseur sehr aufmerksam beobachtete. »Ich würde den Vorschlag ma chen, doch die Polizei anzurufen«, sagte Parker. »Auch ein Arzt könnte nicht schaden.« Der Friseur nickte und lief jetzt hinter die Theke, wo sich das Telefon befand. Während er die Nummer wählte, beobachtete er den Butler weiterhin mit größter Wachsamkeit. Parker konnte es sich leicht an fünf Fingern abzählen, daß dieser Mann mißtrauisch geworden war. Sicher würde er der bald eintreffenden Polizei ei nen Hinweis geben. Nun hatte Josuah Parker zwar nichts zu ver bergen, doch er war sehr daran interessiert zu erfahren, was da eigentlich hatte verbrannt werden sollen. Da Parker ein Krimina list aus Leidenschaft war, witterte er bereits ein wichtiges Ge heimnis. Er band sich den Nylonüberwurf ab und sah sich suchend in dem Salon um. Wo konnte er die Hülle verstecken? Er hatte wirk lich nicht vor, etwas wie Fundunterschlagung zu begehen, aber bevor er die Hülle der Polizei übergab, wollte er feststellen, was sie enthielt. Das Schicksal war ihm gnädig gesinnt. Angelockt durch die wilde Schießerei erschienen bereits die ers ten Neugierigen auf der Bildfläche. Der Hoteldetektiv boxte sich
seinen Weg durch die Menge, wenig später erschienen zwei Strei fenpolizisten. In der Ferne war das unangenehme Heulen einer Polizeisirene zu vernehmen. Der Friseur stürzte sich sofort auf die beiden Cops und redete wortreich auf sie ein. Da er aber mit ei nem starken französischen Akzent sprach, war die Verständigung recht schwer. Die beiden Polizisten kümmerten sich erst einmal um den am Boden liegenden Mann, der nun still geworden war. Schon nach einer kurzen Prüfung richteten sie sich auf. Parker wußte, daß der dicke Mann inzwischen gestorben war. Er sorgte dafür, daß er aus dem Blickfeld des Friseurs kam, und ließ die Hülle dann blitzschnell verschwinden. Er hatte sich ein Versteck ausgesucht, das seiner Schätzung nach nicht so schnell gefunden werden konnte. Kaum war das erledigt, interessierten sich die beiden Polizeibe amten für ihn. Es hatte den Anschein, als seien sie bereits von dem Friseur in formiert worden. Sie verlangten nämlich kurz und bündig, er solle das herausrücken, was er versteckt oder an sich gebracht habe. »Sie gestatten, daß ich meiner Verwunderung Ausdruck verlei he«, erklärte der Butler. »Mit anderen Worten, ich weiß zur Zeit nicht, wovon Sie eigentlich reden.« »Mann, machen Sie bloß nicht die Pferde scheu«, sagte einer der beiden Polizisten »Der Friseur dort hat genau gesehen, daß Sie dem Toten etwas weggenommen haben. Also, rücken Sie schon damit heraus, oder legen Sie Wert darauf, mit zum Revier genommen zu werden?« »Sind Sie sicher, daß sich der Mann auch nicht getäuscht hat?« erwiderte Butler Parker höflich. Er wendete sich jetzt ausschließ lich an den Mann mit dem starken französischen Akzent, der ihm flammende und zugleich auch empörte Blicke zuwarf. Nun mußte etwas im Blick des Butlers gewesen sein, was un gemein zwingend, ja, schon beinahe hypnotisch war. Der Friseur wurde unsicher, lief an, als stünde er unmittelbar vor einem cho lerischen Ausbruch und sah schließlich zu Boden, wobei er deut lich mit seinen Schultern zuckte. »Ich möchte annehmen, daß Sie sich getäuscht haben«, sagte Parker zu dem jetzt gebrochenen Mann. »In Anbetracht der au genblicks herrschenden Situation, sollten Sie Ihrer Aussage einen anderen Akzent geben…!«
»Wie war das also?« fragte der Polizist, sich an den Friseur wendend. Der hatte gerade einen Blick auf den Toten geworfen und wurde augenblicklich unsicher. Vielleicht dachte er, Parker habe mittelbar mit der Schießerei zu tun gehabt, vielleicht aber dachte er auch nur kurz an die Vergänglichkeit des Lebens, kurz, er hatte Angst und erklärte den beiden Polizisten wortreich, er könne sich selbstverständlich auch getäuscht haben. Nachdem der Butler diese Feststellung getroffen hatte, harrte er in aller Ruhe der Dinge, die noch kommen mußten. Insgeheim rätselte er aber bereits herum, was die Cellophanhülle wohl ent halten möge. Er war wieder einmal fest entschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen… * Nach einer knappen Stunde war Butler Parker endlich wieder Herr seiner freien Entschlüsse. Er war, zusammen mit den anderen Insassen des Salons ver hört worden und hatte sich darauf beschränkt, vorerst einmal recht vage Erklärungen abzugeben. Vorsichtshalber hatte er dem Leiter der Mordkommission zu verstehen gegeben, er stünde hoch zu sehr unter dem Schock der schrecklichen Ereignisse und be dürfe erst einmal der inneren Sammlung, um sich an alles wieder genau erinnern zu können. Denn wie gesagt, Josuah Parker war nach wie vor fest ent schlossen, die durchsichtige Hülle samt Inhalt wieder abzugeben. Er hatte tatsächlich nur die Absicht, sich mit dem Inhalt vertraut zu machen. Mehr wollte er nicht. Erleichtert verließ Butler Parker das Revier und beeilte sich, zu rück in den Friseursalon zu kommen. Er konnte sich zwar sehr gut vorstellen, daß dieser Chrom- und Glaspalast geschlossen war, aber das sollte ihn nicht hindern, die Hülle aus ihrem Versteck herauszuholen. Wie sehr dem Butler an dieser Sache lag, war schon allein daran zu erkennen, daß er sich ein Taxi abwinkte und sich auf dem schnellsten Weg zum Friseursalon bringen ließ. Es war genauso, wie er es erwartet hatte.
Der Salon hatte seine beiden Pforten geschlossen. Einige Zivilis ten vermaßen die Mordstelle, einige Polizisten schirmten die Ein gänge gegen Neugierige ab, die noch immer herumstanden. Natürlich wollte man den Butler den Zugang verweigern, doch er wäre eben nicht Josuah Parker gewesen, wenn er sich nicht doch Zutritt verschafft hätte. Da ihn einer der beiden Streifenpoli zisten wiedererkannte, kam er erst einmal in den Salon hinein, konnte aber zu seinem Leidwesen noch nicht an das Versteck heran. »Was ist los…? Was wollen Sie noch hier?« erkundigte sich der Polizist, der ihn hereingelassen hatte. »Sie gestatten doch höflichst, daß ich meinen Regenschirm wie der an mich nehme, nicht wahr?« fragte Parker, auf den korrekt gebundenen Schirm weisend, der an einem Garderobenhaken hing. Ohne erst die Antwort des Mannes abzuwarten, stelzte der Butler tiefer in den Salon hinein und kam somit immer näher an das Versteck heran. Der Polizist folgte ihm mißtrauisch. Er hielt nicht viel von diesem schwarz gekleideten Mann, dessen Alter man tatsächlich nicht schätzen konnte. Er ließ den Butler nicht aus den Augen, was Parker in den vielen Spiegeln, die hier angebracht waren, genau beobachten konnte. Er ließ sich dadurch aber nicht aus der Fas sung bringen. Du lieber Himmel, er hatte schon ganz andere Sa chen erledigt, und zwar unter wesentlich wachsameren Augen. »Beeilen Sie sich schon!« knurrte der Polizist. Parker schien nichts gehört zu haben. Er hatte die Garderobe erreicht und griff nach dem Regenschirm. Doch in diesem Augen blick passierte ihm ein böses Mißgeschick. Er glitt auf dem glatten Boden aus und fiel haltlos zu Boden. Er fiel genau hinter die chromblitzende Theke, wo ein wahrscheinlich echter Teppich lag. Es war nur zu natürlich, daß der Butler schützend seine Arme nach vorn warf, um den Fall abzubremsen. Sein Körper schützte die inzwischen emsig gewordenen Hände gegen die Sicht des Po lizisten ab, und er fingerte schnell unter den Teppich, wohin er die Hülle gelegt hatte. Josuah Parker blieb für den Bruchteil einer Sekunde wie erstarrt am Boden und dicht vor dem Teppich liegen. Das war doch so gut wie ausgeschlossen! Das konnte doch nicht stimmen! Die Hülle war nämlich verschwunden… Der Butler stand unbeholfen auf.
Daß er dabei den Teppich völlig abfingerte, dürfte sich am Rande verstehen. Aber auch jetzt mußte er feststellen, daß sich die Hülle einfach nicht mehr auftreiben ließ. Irgend jemand war ihm zuvorgekommen, irgendeine Person, die ihn beobachtet hatte. »Ist Ihnen etwas passiert?« fragte der Polizist gutmütig und half dem Butler, wieder auf die Beine zu kommen. »Danke für die Nachfrage, mir scheint, es ist alles in Ordnung«, erwiderte Parker zerstreut. »Sagen Sie, Officer, war der Friseur schon hier…? Ich habe glatt vergessen, ihn zu bezahlen. Das ist mir ungemein peinlich, wie Sie sich vorstellen können!« »Ja, der war vor einer Viertelstunde hier und holte seine Sa chen«, antwortete der Polizist arglos. »Nun, ich werde dann eben später die Rechnung begleichen«, sagte Parker, lüftete höflich seine Melone und entschwand. Er wußte, was er hatte wissen wollen. Der Friseur hatte also bereits gehandelt, war ihm zuvorgekom men. Nur die eine Erklärung für das Verschwinden der Hülle war möglich, der Friseur mit dem französische Akzent hatte sie an sich gebracht und war nun in der Lage, deren Inhalt genau zu studieren! Josuah Parker betrat die Straße und suchte das Stadtbüro Mike Randers auf. Der Anwalt schien auf den ersten Blick gemerkt zu haben, daß sein Butler ein neues Abenteuer hinter sich gebracht hatte. Aus gutem Grund mißtrauisch, erhob er sich. »Spannen Sie mich erst gar nicht auf die Folter, Parker«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Mike Rander, ein sympa thisch aussehender Mann Mitte der Dreißig, mit brauchbarer De tektivveranlagung, ließ sich in einen Sessel nieder und sah seinen Butler abwartend an. »Sir, widrige Umstände verwickelten mich zu meinem Leidwe sen in eine böse Schießerei«, begann der Butler. »Doch darf ich bereits an dieser Stelle bemerken, Sir, daß ich keinen Gebrauch von der Schußwaffe gemacht habe.« »Das beruhigt mich bereits ungemein«, erwiderte Mike Rander erleichtert. »Ich dachte im ersten Moment, Sie hätten so im Handumdrehen eine Gang ausgehoben. Was ist passiert…?« Butler Parker gab eine durchaus sachliche Darstellung der Er eignisse und betonte anschließend, er wisse leider noch nicht, wer nun eigentlich von den beiden maskierten Gangstern erschossen
worden sei. Im Hinblick auf die Cellophanhülle ließ er deutlich durchblicken, daß man sich tunlichst weiter um sie kümmern soll te. »Weiß der Himmel, warum Sie ausgerechnet in den Friseursalon gehen mußten«, meinte Mike Rander. »Ich möchte nur wissen, wann Sie einmal nichts erleben! Was die Hülle angeht, so werden wir uns nicht weiter um sie kümmern, Parker. Wir werden über haupt nichts tun. Wir werden uns aus dieser Sache heraushalten… Schließlich dürfte es Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, daß wir eine Polizei haben. Die befaßt sich im Rahmen ihrer Arbeit mit Mordfällen. Ich hingegen bin ein Anwalt, und Sie, Parker, sind von mir als Butler engagiert worden, nicht als Privatdetektiv. Wol len Sie es denn nie lernen?« Parker schwieg wie ein trotziges Kind. »Parker, begreifen Sie doch endlich«, redete Mike Rander wei ter. »Wir schliddern von einem Abenteuer ins andere. Ich komme kaum noch dazu, meinen eigentlichen Beruf auszuüben. Sie war ten mir am laufenden Band mit haarsträubenden. Fällen auf. Bis her habe ich immer wieder mitgemacht, aber jetzt ist endgültig Schluß.« »Wie Sie wünschen, Sir…« »Ich bin heilfroh, daß irgendeiner der Leute im Salon Ihnen zu vorgekommen ist und die Hülle an sich genommen hat«, meinte Mike Rander. »Ohne Hülle können Sie Gott sei Dank nichts unter nehmen.« »Ich möchte annehmen, daß der Friseur mit dem französischen Akzent die Hülle in seinen Besitz gebracht hat«, erklärte Parker. »Es dürfte nicht schwer sein, herauszubekommen, wo dieser Mann wohnt. Man brauchte eigentlich nur…« »Man brauchte gar nichts. Man wird die Finger davon lassen«, erwiderte Mike Rander. »Ich habe keine Lust, in die Schußlinie zweier Banden zu geraten, die sich gegenseitig umbringen wollen. So etwas kann ins Auge gehen.« »Muß aber nicht, Sir, um, mit Verlaub gesagt, eine ihrer Maxi men zu gebrauchen.« »Schluß jetzt!« Damit war für Mike Rander der Fall erledigt. Er ließ sich auf kei ne weiteren Debatten mehr ein und widmete sich bald darauf wieder seiner Arbeit. Josuah Parker hingegen ging zurück in die Wohnung, die sich auf dem Dach eines Hochhauses am Ufer des
Michigan befand. Es handelte sich um eine Art Bungalow, den sich Mike Rander gemietet hatte, um hier, abseits vom Trubel der Großstadt, ungestört und ruhig leben und arbeiten zu können. Josuah Parker, der in der kleinen, aber sehr gut eingerichteten Küche das Abendessen vorbereitete, hatte sehr viel Muße, immer wieder an die jüngsten Vorgänge im Friseursalon zu denken. Jo suah Parker witterte einen ganz dicken Fall. Und in solchen Mo menten war er kaum noch zu halten, war er doch schließlich ein Detektiv aus Leidenschaft. Um möglichst schnell informiert zu werden, hatte er das Fern sehgerät eingeschaltet. Als die Abendmeldungen durchgegeben wurden, ließ er sich in einen Sessel nieder und wartete auf sein Stichwort, das tatsächlich nicht lange auf sich warten ließ. Der Ortssender gab durch, daß vor einigen Stunden ein gewis ser James Ortner in einem Friseursalon erschossen worden sei. Mit dem Namen wußte Parker nichts anzufangen, aber ihm ging ein Licht auf, als der Nachrichtensprecher diesen Fall näher erläu terte. Danach war jener jetzt tote James Ortner eine recht zwielichtige Person, die während des zweiten Weltkrieges als amerikanischer Agent gearbeitet hatte. Vor zwei Jahren war James Ortner in ei nen Spionageprozeß verwickelt gewesen, aber freigesprochen worden. Man hatte ihm vorgeworfen, für eine fremde Macht gear beitet zu haben. Seit dieser Zeit war Ortner untergetaucht. Bis man ihn jetzt erschossen hatte. Selbstverständlich waren die Tä ter unerkannt entkommen, aber auch die beiden Leibwächter Ortners hatten sich abgesetzt und bisher nichts zur Sache gemel det. Butler Parker, der sehr genau zugehört hatte, leistete sich dar aufhin eine seiner berüchtigten Zigarren… * Sonderlich erstaunt war der Butler nicht, als das Telefon läute te. Er war der Meinung, Mike Rander rufe an. Als er sich aber ge meldet hatte, hörte er eine ihm völlig unbekannte Stimme, die sich bemühte, mit stark französischem Akzent zu sprechen. »Monsieur Parker…?« »Mit wem habe ich die Ehre?« erkundigte sich Parker höflich.
»Isch sein der Friseur, die gewerkt hat irre Kopf. Monsieur Par ker, isch ‘abben eine Sach’ für Ihnen… Wollen Sie misch besu chen?« »Wo sind Sie zu finden?« fragte der Butler sofort, ohne aber zu erklären, er würde kommen. »Isch warte auf Ihnen in eine kleine Restaurant«, sagte der Mann mit dem französischen Akzent. »In der Belgarten-Street, gleich an die Ecke, Sie verstehen?« »Und nach wem soll ich fragen?« »Isch werde Ihnen sehen, wenn Sie kommen. Isch bin Roger Calbot!« »Tja, ich weiß wirklich nicht, ob ich jetzt abkommen kann«, meinte Parker höflich. »Doch ich will es versuchen. Gut also. In zehn Minuten werde ich bei Ihnen sein.« Josuah Parker legte den Hörer auf und blieb nachdenklich vor dem kleinen Tisch stehen, auf dem der Apparat stand. Er hatte sofort herausgehört, daß der Mann mit dem stark französischen Akzent nicht identisch mit dem Friseur war. Diese Stimme hätte er sofort wiedererkannt. Dennoch aber hatte sich der Mann am Telefon bemüht, mit Ak zent zu reden. Demnach mußten ihm also einige Dinge nicht ganz unbekannt sein. Zuerst schien er zu wissen, daß Parker etwas an sich genommen hatte. Dann aber mußte er auch darüber infor miert sein, daß der Friseur später diesen Gegenstand wieder an sich gebracht hatte. Kurz, der Anrufer mußte eine Ahnung von der Existenz der Cellophanhülle haben, die der erschossene Ja mes Ortner am liebsten noch knapp vor seinem Ableben ver brannt hätte. Das alles interessierte den Butler ungemein. Nun klangen ihm allerdings noch die recht eindeutigen Hinweise Mike Randers in den Ohren, der es abgelehnt hatte, sich mit die sem Fall zu beschäftigen. Butler Parker wollte nicht eigenmächtig handeln, entschloß sich dann aber doch plötzlich, den Bungalow auf dem Hochhausdach zu verlassen. Ihm konnte ja schließlich kein Mensch verwehren, in ein Restaurant zu gehen, noch dazu, wo er eigentlich noch immer keinen freien Tag hatte. Butler Par ker schlüpfte also schleunigst in seinen schwärzen Covercoat, setzte sich die Melone auf und ging zur Tür. Dort blieb er eine Sekunde lang stehen, ging zurück in sein Zimmer und öffnete einen stabil aussehenden Aluminiumkoffer und entnahm einen handlichen Gegenstand aus bearbeitetem Stahl, den er in seine
Manteltasche steckte. Nachdem er sich noch mit seinem Univer sal-Regenschirm ausgerüstet hatte, stand seinem Ausflug nichts mehr im Weg. Weit entfernt war die Belgarten-Street nicht. Unter normalen Verhältnissen hätte der Butler sich gewiß in seinen Spezialwagen gesetzt, um seine Kräfte zu schonen, doch er verzichtete diesmal auf diese Annehmlichkeit, da er um keinen Preis der Welt auffal len wollte. Der Schnellift brachte ihn nach unten. Parker betrat die Straße, die um diese Zeit recht belebt war, sah sich nicht weiter um, son dern marschierte schnurstracks zur Belgarten-Street, wo sich der verabredete Treffpunkt befand. Er war doch sehr gespannt, wer sich in dem Restaurant vorstellen würde. Vor allen Dingen fragte er sich, was man ihm wohl vorzuschlagen hatte. Als die Gedanken Josuah Parkers diesen Punkt erreicht hatten, da spürte er plötzlich tief in seinem Unterbewußtsein, daß er auf dem besten Weg war, nicht nur zum Hotel zu gehen, sondern auch einen riesigen Fehler zu machen. Bei aller Phantasie konnte er sich nämlich nicht vorstellen, was man ihm an guten Vorschlägen wohl zu unterbreiten hatte. Er besaß keine Cellophanhülle, wußte nichts von ihrem Inhalt und war im Grunde doch nichts anderes als ein lästiger Zeuge, auf den man gern verzichten konnte. Josuah Parker nahm sich vor, noch vorsichtiger zu sein, als er sich ohnehin vorgenommen hatte. Doch dachte er nicht im Traum daran, wieder zurückzugehen. Parker vergewisserte sich nun erst einmal, ob er verfolgt würde. Nach der Lage der Dinge war damit zu rechnen. Er kurvte also in einen x-beliebigen Hausflur eines ihm völlig unbekannten Hauses und war gespannt, ob sich ein Interessent einfinden würde. Da Parker es verstanden hatte, sich blitzschnell in eine dunkle Korri dornische zurückzuziehen, konnte er in aller Ruhe abwarten. Nun, es dauerte nicht lange, und schon erschien ein untersetz ter, schlanker Mann von etwa dreißig Jahren, der zögernd und vorsichtig ebenfalls durch die Haustür kam und sich sichernd nach allen Seiten umschaute. Da dieser Mann auf Anhieb nichts zu se hen vermochte, pirschte er sich tiefer in das dunkle Treppenhaus und wurde zu einer Salzsäule, als Josuah Parker plötzlich aus sei ner Deckung hervortrat und höflich seine schwarze Melone lüfte te.
Der Mann schien zu Kurzschlußhandlungen zu neigen, denn er bemühte sich nicht etwa, den gleichaltrigen Bürger zu spielen, nein, er griff den Butler in einer Form an, die Josuah Parker weni ge Sekunden später nur als ungemein ungehörig bezeichnen konnte. Bevor der Butler allerdings zu dieser Feststellung kam, handelte er. Kurz und bündig setzte er dem Gegner die Melone unter das Kinn. Die Wirkung war geradezu frappierend. Es gab einen stählernen Laut, als die Melone das Kinn des Verfolgers traf. Wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen, sackte der junge, noch recht uner fahrene Mann in sich zusammen und legte sich auf den Boden. Josuah Parker bückte sich mitleidig zu dem ohnmächtigen Mann hinab. Zu seiner Zufriedenheit stellte er keine ernsthaften Schä den fest. Da der Butler sich schon niedergebeugt hatte, nutzte er diese Stellung aus, sich die Papiere des jungen Mannes anzuse hen. Leider wurde er bitter enttäuscht. Der Ohnmächtige besaß keine Ausweise. Dafür allerdings ein Bündel Banknoten, insgesamt in einem Wert von gut dreihundert Dollar. Ja und einen Hotelschlüssel fand Parker noch. Dieser Schlüssel gehörte nach der Inschrift auf das Schlüsselbrett des Hotel »Gardeners«, die Zimmernummer war 16. Josuah Parker steckte den Schlüssel zurück in die Rocktasche des Mannes, nahm die schwere Automatik aus dem Halfter des immer noch Schlafenden und leerte das Magazin, nachdem er auch noch die Patrone aus der Kammer entfernt hatte. Nachdem er die Waffe wieder äußerlich in Ordnung gebracht hatte, steckte er sie zurück in das Futteral. Ohne sich dann allerdings weiter um den Mann zu kümmern, verließ der Butler den stillen Hausflur und näherte sich bald dem Restaurant, in dem der angebliche Cheffriseur Roger Calbot auf ihn wartete. Nachdem Parker die kurze Bekanntschaft mit dem Mann im Hausflur gemacht hatte, konnte er sich nun an fünf Fin gern ausrechnen, wie der Cheffriseur wohl aussehen würde. Das intim eingerichtete Restaurant im französischen Stil war um diese Zeit bereits gut besucht. Als Butler Parker in seiner typi schen Aufmachung erschien, eilte ein befrackter Herr auf ihn zu, der sich knapp verbeugte. »Mister Parker, wenn ich mich nicht irre?« »Ich werde erwartet!«
»Monsieur Calbot wartet im oberen Gesellschaftszimmer auf Sie, Sir. Wenn ich Sie hinaufbegleiten darf…?« »Danke, wirklich nicht notwendig, wenngleich ich Ihre Höflich keit sehr zu schätzen weiß«, bedankte sich der Butler. »Übrigens, eine Frage… ich vermute, daß sich dort oben noch weitere Gesell schaftszimmer befinden?« »Allerdings, noch zusätzlich drei größere Räume. Selbstver ständlich auch Hotelzimmer.« »Von hier aus zu erreichen?« »Entweder hier von der Halle aus oder von nebenan, wo sich der eigentliche Hoteleingang befindet, Sir.« »Sehr schön, ausgezeichnet!« Parker schritt zur weit geschwungenen Freitreppe und stieg würdevoll nach oben. Er hatte sich den Weg genau beschreiben lassen und freute sich innerlich bereits darauf, daß die Dinge wie der einmal in Bewegung geraten waren. Nun war Josuah Parker gewiß kein heuriger Hase. Er hatte sich bereits seinen eigenen Vers auf die Vorbereitungen seines Gastgebers gemacht. Deshalb dachte er auch nicht daran, schnurstracks in das bezeichnete Gesellschaftszimmer zu mar schieren. Er war nicht erpicht darauf, gleich nach seinem Eintre ten niedergeschossen zu werden. Als versiertem Fachmann war ihm die Anwendung eines Schalldämpfers sehr vertraut. Parker, der bereits auf den letzten noch zu überwindenden Treppenstufen sein Universalbesteck in die Hand genommen hat te, sah sich nach dem Erreichen des langen, mit dicken Teppichen ausgelegten Korridors nach einer geeigneten Tür um, die ihn auf nehmen konnte. Dort also war das bewußte Gesellschaftszimmer. Davor eine Tür ohne Aufschrift. Nach seinen Erfahrungen, die er in vielen Hotels hatte sammeln können, mußte es sich um einen Wirtschaftsraum handeln, in dem möglicherweise Putzvorräte gelagert wurden. Blitzschnell gelang es dem Butler, die Tür zu öffnen. Er ver schwand hinter der Tür und sah sich angenehm überrascht um. Er war nicht in ein Magazin geschlüpft, sondern in eine Art Anrichte raum. Einige Tische, Besteckkästen, Wärmeplatten, ein kleiner Elektrokocher und eine blitzende Kaffeemaschine deuteten darauf hin, daß von diesem Raum aus zwei benachbarte Gesellschafts zimmer versorgt werden konnten. Ja, es gab zur unermeßlichen
Freude des Butlers sogar je eine Durchreiche, durch die man Speisen und Getränke in die einzelnen Räume schieben konnte. Josuah Parker war, um es kurz und knapp zu sagen, begeistert. Das Schicksal hatte es tatsächlich wieder einmal gut mit ihm ge meint. Auf Zehenspitzen näherte er sich der Durchreiche, hinter der das Gesellschaftszimmer lag, in dem er von dem angeblichen Cheffriseur Roger Calbot schon erwartet wurde. Ohne sich etwa zu genieren, legte der Butler sein Ohr an die Klappe der Durchrei che. Vorerst war aber nichts anderes wahrzunehmen als starkes Husten. Aber ein Butler Parker gab sich schon mit solchen Klei nigkeiten zufrieden. Waren sie doch seinen Erfahrungen nach der Auftakt zu wichtigeren Dingen… * »Verflixt, diese alte Krähe läßt sich aber Zeit«, redete kurz dar auf ein Mann deutlich los. »Buck, sieh mal nach, wo er steckt… Wahrscheinlich hat dieser Trottel sich nicht merken können, in welchem Zimmer man auf ihn wartet.« Die Antwort des angeredeten Bück bestand aus einem gereizten Knurren, dann waren leise Schritte zu vernehmen. Josuah Parker war keineswegs prüde oder übelnehmerisch. Er brauchte kein Prophet zu sein, um zu wissen, daß man ihn ge meint hatte. Zudem war er schon mehrmals als eine alte Krähe bezeichnet worden. So etwas konnte ihn nicht mehr aus der Fas sung bringen. »Noch nichts zu sehen«, rief Buck leise zurück. »Soll ich viel leicht mal zur Treppe gehen, Louis…?« »Ja, aber sei vorsichtig…!« Butler Parker machte es sich an der Durchreiche bequem und überlegte, was in den kommenden Minuten getan werden mußte. Erfuhren seine beiden Gastgeber, daß er nach oben gegangen war, dann wurden sie automatisch mißtrauisch und setzten sich ab. Aber daran lag dem Butler nur sehr wenig. Es war ihm nicht darum gegangen, seine Haut zu retten, nein, er wollte Informati onen sammeln, um im Spiel bleiben zu können.
»Nichts zu sehen«, meldete Buck von der Tür her. »Wohin mag die Krähe nur gegangen sein…?« »Ob sie mißtrauisch geworden ist?« fragte Louis zurück. »Parker ist vielleicht einen Stock zu hoch gegangen und sucht dort nach dem Zimmer.« »Na gut, warten wir noch ein paar Minuten…« Josuah Parker hörte deutlich, daß die Tür zum Gesellschafts zimmer geschlossen wurde. Die beiden Gangster waren also wie der unter sich. Der Butler brannte darauf, ihre Gesichter betrach ten zu können. Er hatte das Gefühl, die beiden maskierten Gangster, die James Ortner erschossen hatten, seien hier wieder um vertreten. Im Gesellschaftsraum läutete das Telefon. Louis meldete sich. Er sagte aber nur »Hallo«, nannte aber lei der nicht seinen Hausnamen. »Nein, Chef«, erwiderte er mit einer Stimme, in der sich Hoch achtung und Respekt mischten, »noch nicht hier… muß aber gleich kommen. Geht in Ordnung, Chef…! Wir werden anschlie ßend sofort abhauen und weitere Nachrichten abwarten… Falls es nicht klappen sollte…? Aber es klappt bestimmt… Er ist sofort auf den Leim gegangen… Gut, dann werden wir ihn in seiner Bude aufsuchen – Sie können sich auf uns verlassen! Ganz sicher…!« Louis legte wieder auf. Er redete leise mit Buck. Leider konnte der Butler jetzt nur sehr wenig verstehen. Gerade jetzt, wo sie sich vielleicht wichtige Dinge zu sagen hatten. Die Minuten verrannen, aber erklärlicherweise erschien die er wartete alte Krähe nicht auf der Bildfläche. Die beiden Gangster waren mit dieser Entwicklung nicht sehr einverstanden. Butler Parker hingegen kam zu der Meinung, daß es langsam allerhöchste Zeit wurde, etwas zu arrangieren. Schließlich durfte er den jungen Mann nicht vergessen, der an seiner Melone gestrandet war – falls dieser zu den beiden Gangs tern gehörte, die ihn sehnsüchtig erwarteten. Vorsichtig legte der Butler den Verschlußriegel an der Durchrei che herum und zog aus der rechten Manteltasche einen sehr handlichen, automatischen Revolver, der in seiner rechten Hand recht bedrohlich ausschaute. Nun war nur zu hoffen, daß nicht einer der Gangster ausgerech net in diesem Moment die Durchreiche beobachtete. Parker ließ
die Klappe langsam herunter und warf einen schnellen, prüfenden Blick in das kleine, sehr üppig ausgestattete Gesellschaftszimmer. Nein, die beiden Gangster dachten nicht im Traum daran, daß die alte Krähe, wie sie Parker respektlos bezeichnet hatten, ihnen bereits im Nacken saß. Sie hatten Blickrichtung zur Tür genom men und ließen sie nicht aus den Augen. »Irgend etwas stimmt doch da nicht«, erklang die Stimme Bucks. »Der Kerl müßte doch längst hier sein… Ob der wohl Lunte gerochen hat und getürmt ist?« »Wieso soll er Lunte gerochen haben?« fragte Louis zurück. »Dieser Trottel war doch fest überzeugt, er hätte den Friseur an der Strippe gehabt…! Der kommt schon noch… Wir haben noch Zeit.« »Meine Zeit ist hingegen recht knapp…«, ließ sich Butler Parker in diesem Moment vernehmen. »Ich darf wohl erwarten, daß Sie mir keine Dummheiten machen, nicht?« »Verdammt«, fluchte Buck laut auf. Aber die beiden Gangster machten keine Dummheiten. Sie konnten sich im ersten Moment zwar nicht erklären, wieso die erwartete Krähe sie auf einmal ansprechen wollte. Aber sie stell ten keine Fragen, sondern handelten so, wie sie es sich in solchen Situationen angewöhnt hatten. Sie hoben ihre Arme weit über den Kopf, ein Zeichen, daß sie zur Zeit nichts unternehmen woll ten. »Ich sehe, man hat mich verstanden«, sagte Parker lobend. »Ausgezeichnet, ich merke gleich, daß ich es mit Fachmännern zu tun habe… Sie können sich jetzt übrigens langsam zu mir umdre hen. Ich brauche wohl erst gar nicht zu. erklären, daß ich mich im rechtmäßigen Besitz einer Waffe befinde, nicht wahr?« Doch ja, Butler Parker war ein höflicher Mensch. Und daher wirkte er auch eigentlich recht naiv und dumm, wie es in unserer Zeit leider eben ist. Höfliche Menschen werden au tomatisch für dumm und naiv gehalten. Brutale Kraftmeier hinge gen für gerissen und ausgekocht. Als sich die beiden Gangster nämlich langsam umgedreht hatten, entdeckten sie den erwarte ten Butler in der Durchreiche. Und im gleichen Moment sahen sich Louis wie auch Buck veranlaßt, etwas gegen Josuah Parker zu unternehmen. Sie spritzten blitzschnell auseinander und versuchten hinter schweren Klubsesseln Deckung zu nehmen.
Parker ließ ihnen keine Chance, ihn als Ziel aufzunehmen. Er staunlicherweise schoß er auch nicht, obwohl die Waffe doch in seiner Hand lag. Er begnügte sich damit, von der Durchreiche wegzuhuschen. Dann eilte er zur Tür, erreichte den Korridor und verschwand auf der Treppe. Er hörte zwar noch einige dumpfe »Plopp«, also Schüsse, die mit Schalldämpfer abgefeuert worden waren, küm merte sich aber nicht weiter darum. Er hatte sie provoziert und wollte nun Kapital daraus schlagen. Parker schritt durch die Halle des Restaurants, erreichte die Straße und winkte schnell ein Taxi zu sich heran, das gerade zwei Fahrgäste abgesetzt hatte. »Warten wir einen Moment hier«, sagte der Butler. »Gleich werden dort im Hoteleingang zwei Männer auftauchen und sich in einen Wagen setzen. Diesem Wagen bitte ich zu folgen. Nehmen Sie inzwischen dies als erste Anzahlung auf ein Trinkgeld. Ich bin sicher, daß es Ihrer Geschicklichkeit gelingen wird, den Wagen dann nicht aus den Augen zu verlieren.« Der Fahrer, ein stämmiger Mann, verschluckte angesichts der Banknote einige Fragen und beschloß, sich auch noch die zweite Hälfte des Trinkgeldes zu verdienen. Schon nach knapp einer Minute erschienen Louis und Buck im Hoteleingang, gingen ein paar Meter die Straße hinunter und setzten sich in einen unauffälligen Ford, mit dem sie dann losfuh ren. »Jetzt überlasse ich alles weitere Ihnen«, sagte Parker zu sei nem Fahrer und ließ sich durch die Straßen kutschieren. Der Taxifahrer war recht geschickt. Er blieb hartnäckig am Ford hängen, sorgte aber dafür, daß sein Wagen von anderen Ver kehrsteilnehmern gedeckt wurde. »Der Ford biegt in eine Tiefgarage ab…!« meldete der Fahrer nach einer Weile. »Soll ich anhalten?« »Kennen Sie diese Garage…?« »Klar… gehört doch zum Bürohochhaus.« »Besitzt die Garage eine zweite Ein- oder Ausfahrt?« »Nein… weiß ich ganz sicher.« »Nun gut, dann halten Sie… Aber wir wollen doch noch etwas warten. Das heißt, ich werde jetzt meine Füße gebrauchen und Ausschau halten. Das hier nehmen Sie inzwischen als Zwischen zahlung. Warten Sie zehn Minuten, wenn ich bis dahin nicht zu
rückgekommen sein sollte oder mich sonst irgendwie bemerkbar gemacht habe, dann fahren Sie zu dieser Adresse und erzählen Sie dem Herrn, was Sie gesehen und was Sie gehört haben. Ein weiteres Trinkgeld wird Ihnen dann sicher sein. Haben wir uns verstanden…?« »Sie können sich auf mich verlassen«, erwiderte der Fahrer und steckte die Banknote und die Visitenkarte ein, auf der die Adresse des Anwalts Mike Rander verzeichnet war. Nachdem sich der But ler so abgesichert hatte, beeilte er sich, die Straße zu überqueren und in die Tiefgarage zu gelangen. Kein Mensch kümmerte sich um ihn. Einige Passanten kamen aus den unterirdischen Gewölben, wo sie ihre Wagen abgestellt hatten. Ein paar Negerwäscher putzten und polierten an abgestellten Wagen herum. Weit in der Tiefe der unterirdischen Garage heulte ein Motor auf. Man sah gleißendes Licht überall. Richtungsschilder wiesen in die einzelnen Abteilun gen. Eine rote Inschrift, gekoppelt mit einem Richtungspfeil, machte auf den Lift aufmerksam, der bis hinunter in die Garage reichte. Wohin mochte der Ford gefahren sein? Wahrscheinlich doch bis in die unmittelbare Nähe des Lift schachtes. Parker kannte sich in der Mentalität der Gangster aus. Sie liebten bestimmt keine Fußmärsche und machten es sich so bequem wie nur eben möglich. Endlich hatte Josuah Parker den langen Fußmarsch hinter sich gebracht. Er sah sich suchend nach dem Ford um und hoffte nur, daß man ihn nicht doch noch im letzten Moment entscheidend hereingelegt hatte. Es konnte nämlich sehr gut möglich sein, daß die beiden Fordinsassen auf das verfolgende Taxi aufmerksam geworden waren und nur zum Schein in die Tiefgarage hinunter geglitten waren, um nach wenigen Minuten wieder ans Tageslicht zu kommen. Aber nein, dort stand ja bereits der Ford… Butler Parker hatte wieder einmal recht behalten. Er näherte sich würdevoll dem Wagen. Er war leer. Doch dann traten entscheidende Veränderungen ein. Diesmal sah der Butler sich einem Revolverlauf gegenüber, der auf ihn gerichtet war. Gangster Louis hatte sich die Freiheit ge nommen, ihn auf den Butler zu richten. Daß Louis und auch Buck,
der neben ihm stand, niederträchtig grinsten, dürfte sich am Rande verstehen. »Na, du alte Krähe, doch noch auf den Leim gekrochen, wie? Hast wohl angenommen, wir hätten dich nicht in dem Taxi gese hen, wie? Komm schon, damit wir uns besser unterhalten kön nen…!« Louis wies mit dem Kopf auf eine Eisenblechtür, die halb geöff net war. Butler Parker war in der Lage, einen Blick in den dahin ter liegenden Raum werfen zu können. In diesem fensterlosen, unterirdischen Gemach wurden Ölkannen, Putzlappen, alte Reifen und Werkzeuge aufbewahrt. »Ihrer eindringlichen Einladung kann ich nicht widerstehen«, erwiderte der Butler höflich. »Ich hoffe, daß wir uns dort unge stört unterhalten können… Sie können sich vorstellen, wie sehr ich darauf brenne, endlich mit Ihnen ins Geschäft zu kommen.« Was die beiden Galgenvögel darunter verstanden, war dem wi derlichen Grinsen zu entnehmen, das auf ihren Gesichtern lag. Butler Parker ignorierte alles. Würdig, den korrekt gebundenen Regenschirm am Arm, schritt er auf das Gemach zu, als erwarte ihn ein freundlich eingerichte ter Salon mit netten, friedfertigen Menschen… * Nachdem sie gemeinsam den unterirdischen Bunker bezogen hatten, schloß Louis die Eisentür. Übrigens waren die beiden Gangster der Ansicht, mit diesem äl teren Herrn namens Parker hätten sie durchaus leichtes Spiel. Nun sah der Butler auch wirklich nicht danach aus, als sei es für ihn eine Kleinigkeit, sich solchen Nachstellungen zu entziehen. Als vollendeter Schauspieler wußte er den Anschein zu erwecken, als habe er sich bereits still und geduldig in sein Schicksal ergeben. Louis schloß noch die Tür. Er hatte einige Schwierigkeiten mit dem Hebelschloß. Buck hingegen, der gelassen seine Waffe aus dem Schulterhalf ter ziehen wollte, hatte seine Schwierigkeiten mit Josuah Parker. Oder präziser ausgedrückt, Schwierigkeiten mit dem UniversalRegenschirm des Butlers. Kurz, Josuah Parker hatte keineswegs
die Absicht, sich wehrlos zu ergeben. Dazu war er eben wirklich viel zu aktiv. Buck brüllte überrascht auf, als Josuah Parker den Regenschirm als Waffe einsetzte. Der Erfolg war durchschlagend. Bucks Arm, der von dem Regenschirm getroffen wurde, verlor die Fähigkeit, die Waffe zu halten. Sie polterte auf den Zement boden. Louis drehte sich blitzschnell um. Wie clever er war, ersah Par ker daraus, daß er bereits seine Waffe gezogen hatte. Aber auch dieser Gangster kam nicht mehr dazu, sie gegen den Butler ein zusetzen. Wieder verwandelte sich der Regenschirm in einen Knüppel. Louis, dessen Kopf nicht sonderlich geschützt war, war dem nach träglich verabreichten Schlag nicht gewachsen. Er verdrehte die Augen, sackte gegen die Stahlblechtür und rutschte langsam an ihr hinunter. Inzwischen hatte sich aber der Gangster Buck wieder gefangen. Er fühlte sich in seiner Berufsehre tief verletzt und gekränkt. Wie eine gereizte Katze sprang er den Butler an. Doch Josuah Parker war ein durchtrainierter Mensch mit sehr reaktionsschnellen Nerven. Dort, wo er gerade noch gestanden hatte, befand er sich nicht mehr. Buck hingegen war mitten im Flug und daher nicht mehr in der Lage, wesentliche Korrekturen anzubringen. Er rasselte zwischen auseinanderspritzenden Öldosen und blieb einen Moment lang benommen liegen. »Ich muß gestehen, Sie benehmen sich wie die Kinder«, sagte Parker mißbilligend. »Nach diesem Intermezzo sollten wir aber nun wirklich zur Sache kommen…!« Nun, Josuah Parker predigte zur Zeit noch sehr tauben Ohren. Gangster Louis hatte sich noch nicht von der Berührung mit dem Regenschirm erholt. Gangster Buck war zwar schon dabei, wieder aufzustehen, aber er tat das noch im Unterbewußtsein. Josuah Parker wollte nicht untätig sein. Er sammelte erst einmal die umliegenden »Kanonen« auf, untersuchte seine beiden Gano ven nach weiteren Waffen, fand einige Dinge, die in der Hand von Gangstern sehr gefährlich werden konnten und stellte das alles sicher.
»Das wirst du bereuen«, behauptete Buck, der endlich wieder klar zu sehen begann. »Mann, das werden wir dir heimzahlen.« Und hartnäckig, wie Gangster sein können, machte er sich an den zweiten Versuch, den Butler auszuschalten. Viel wurde dar aus allerdings nicht. Parker puffte ihm die Krücke des Regen schirms unter das Kinn. Daraufhin setzte sich Buck wieder auf den kalten Boden und schmollte. Josuah Parker schaute auf seine Uhr. Zuviel Zeit wollte er hier wirklich nicht vergeuden. Zudem machte er sich Sorgen. Schließlich war ihm nicht bekannt, ob die se beiden Gangster allein waren, oder ob im Hintergrund nicht noch Eingreifreserven warteten. Da er sich beim Suchen nach Waffen bereits vergewissert hatte, daß die beiden Gangster keine Papiere mit sich herumschleppten, stand seinem Weggang nichts mehr im Weg. Er verwendete herumliegende, dünne Kabelstränge, um die bei den Ganoven erst einmal zu verschnüren. Nachdem Buck und Louis fein säuberlich verpackt waren, ging Josuah Parker zu dem grauen unauffälligen Ford und öffnete dessen Kofferraum. Nach einander schleppte er dann die beiden Gangster zum Wagen und schob sie mit spielerischer Leichtigkeit hinein. Er verschloß den Kofferraum des Fords und steuerte ihn langsam zurück ans Ta geslicht. Da er geschickterweise daran gedacht hatte, die beiden Gangs ter im Kofferraum leicht zu knebeln, konnte er es riskieren, durch die nachmittäglich belebte Straße zu fahren. Ohne weitere Kom plikationen erreichte Parker den Hotelpalast, in dessen Erdge schoß der Friseursalon untergebracht war. Er stellte seinen Wa gen etwas unterhalb des Hoteleingangs ab, da dort einige Arbei ter damit beschäftigt waren, mittels eines Preßlufthammers das Pflaster aufzubrechen. Das dabei entstehende Geräusch würde jede Willensäußerung der beiden Gangster, falls sie dazu über haupt imstande waren, glatt überdecken. Nach dieser kleinen, geschickten, taktischen Einlage hängte Parker sich seinen Regen schirm über den linken Unterarm, setzte sich die Melone zurecht und schritt würdevoll zum Hotel. Der Mann hinter der Anmeldetheke, ein erfahrener Portier, er kannte in dem Butler augenblicklich eine verwandte Seele. Aufge schlossen sah er Parker an, der seine Melone lüftete.
»Sie werden verzeihen, wenn ich mich wegen einer Auskunft an Sie wende«, sagte Parker. »Ich suche den Cheffriseur dieses Ge schäfts, dort neben dem Eingang. Meine Herrschaft möchte sich seiner Dienste versichern.« »Roger Calbot…?« »Das ist sein Name. Ich vergaß, ihn zu erwähnen…« »An und für sich müßten Sie sich ja an das Personalbüro wen den«, sagte der Portier, »denn der Friseurladen wird vom Hotel unterhalten… Aber ich sehe, mein Herr, daß Sie von der Branche sind.« »Ein schöner, wenn auch sehr schwerer Beruf«, erwiderte Par ker. »Ich pflichte Ihnen da vollkommen bei«, sagte der Portier eifrig. »Übrigens, Keith Masters, mein Name, wenn Sie gestatten.« »Josuah Parker…!« »Ja, die Adresse… er wohnt gleich im benachbarten BlockCourt-Street 1267, dritte Etage…« Parker bedankte sich, verließ die Hotelhalle und schritt hinüber zum benachbarten Block. Die Auskunft des Portiers war sehr präzise. Parker fand auf Anhieb die bewußte Hausnummer, sah an der Fassade des modernen Baus hoch und betrat die Eingangshalle. Er benutzte den Lift, ließ sich in den dritten Stock bringen und schritt suchend an den vielen Türen entlang, bis er das Namens schild, das er gesucht hatte, entdecken konnte. Roger Calbot, Coiffeur, stand dort zu lesen. Josuah Parker legte nach bewährtem Verfahren erst einmal das Ohr gegen die Tür, lauschte kurz und konnte deutlich Radiomusik hören, die für seine Begriffe etwas zu laut klang. Leider war die Tür fest verschlossen. Josuah Parker hatte nur zwei Möglichkeiten, um in die Wohnung zu gelangen. Entweder er klingelte, oder aber er benutzte sein Spezialbesteck, um das Türschloß zu überlisten. Als korrekter Mensch verzichtete er aber auf das gewaltsame und nicht genehmigte Eindringen, sondern klingelte. Aber nichts tat sich hinter der Tür. Die Tür blieb verschlossen, keine Schritte näherten sich, die Radiomusik wurde nicht leiser gedreht. Nun, unter diesen Voraussetzungen glaubte Parker es verantworten zu können, die Tür mittels seines Bestecks zu öff nen.
Was ungemein schnell klappte. Vorsichtig schob sich der Butler in die kleine Diele hinein. Den Universal-Regenschirm hatte er schlagbereit erhoben. Doch seine Vorsicht war unbegründet, die kleine Zweizimmer-Wohnung war leer. Leer bis auf den Cheffriseur Roger Calbot, der tot in der kleinen Küche lag! Parker kniete sich neben den Mann und untersuchte ihn flüchtig, ohne aber die Stellung des Toten zu verändern. Ja, hier war tat sächlich nicht mehr zu helfen. Parker hatte es gleich festgestellt. Der tödliche Stich war mit großer Sachkenntnis geführt worden. Josuah Parker hütete sich, irgendwelche Fingerspuren zu hinter lassen, um der Polizei, die ja später auftauchen würde, die Arbeit nicht unnötig zu erschweren. Dennoch durchsuchte der Butler die kleine, sehr nüchtern eingerichtete Wohnung. Er fand nicht die Cellophanhülle. Die hatte man Roger Calbot inzwischen wieder abgejagt. Wegen dieser Hülle samt Inhalt war er auch sicher ermordet worden. Als Ersatz entdeckte Parker allerdings in einem kleinen Wohnzimmer schrank eine recht ungewöhnliche Ausstattung. Er fand eine sehr teure Kleinbildkamera und Natriumlampen. Zugegeben, diese Dinge allein hätten nicht stutzig werden las sen. Doch er fand auch ein Vorsatzgerät, das man zum Fotogra fieren von Schriftstücken verwendete. Zusätzlich Stative und ein Miniaturpult verstärkten den Eindruck, daß der Ermordete ein Freund und Liebhaber von Mikrofotos gewesen war. Josuah Parker, der all diese Gegenstände mit einem Tuch ange faßt hatte, stellte sie zurück in den Schrank, nachdem er auch die einzelnen Schrankfächer genau untersucht hatte. Zu seinem. Leidwesen konnte er aber weiter nichts finden. Josuah Parker gab deshalb aber noch lange nicht auf. Er be trachtete eingehend die Bildersammlung, die auf einem Wand sims untergebracht war. Es handelte sich um Familienaufnahmen und Schnappschüsse, auf denen Roger Calbot zu sehen war, al lein und zusammen mit einer ganz bestimmten schwarzhaarigen, etwa vierzigjährigen Frau, die recht anziehend aussah. Parker entdeckte auf einem Foto die Worte »Zur Erinnerung an schöne Tage in Eastport, deine June«. Da sehr viele Fotos vor handen waren, entschloß sich der Butler, eines dieser Bildchen einzustecken. Daß es das Bild war, das die Widmung enthielt, dürfte sich am Rande verstehen.
Anschließend ging er ans Telefon, wählte die Sammelnummer der Streifenwagen und meldete der Zentrale, wo die Polizei einen Toten finden könne. Taktvollerweise verschwieg Parker seinen Namen, setzte seine Melone auf, wischte seine Fingerabdrücke an der Türklinke ab und verließ das Haus… * Der graue Ford stand friedlich und ruhig in der Nähe der häm mernden Preßluftgeräte. Butler Parker war ein ausgesprochener Menschenfreund. Bevor er losfuhr, vergewisserte er sich erst einmal, in welchem Zustand sich Buck und Louis befanden. Nun, die beiden Gangster waren inzwischen wieder zu sich gekommen. »Es wird sicher nicht mehr lange dauern«, sagte Parker zu ih nen. »Ich sehe mich allerdings gezwungen, vorerst eine kleine Stadtrundfahrt zu unternehmen. Ich kann nur hoffen, daß Sie sich in Geduld fassen werden.« Er verschloß den Deckel wieder und setzte sich ans Steuer. Er beabsichtigte tatsächlich, die beiden Gangster weiterhin durch die Stadt zu fahren. Zur Zeit war er nicht in der Lage, sie dem Gesetz zu überstellen. Er wußte sehr gut, wie kostbar seine Zeit war. In einem Tempo, das Parker höchstens als schwach und mittel mäßig bezeichnet hätte, ließ er den Ford durch die Innenstadt rollen. Da es inzwischen schon recht spät geworden war – die Dämmerung verwandelte sich bereits in einen milden, warmen Abend – kam er zu seinem Leidwesen nicht so schnell von der Stelle, wie er es sich gewünscht hätte. Der Verkehr auf den Straßen hatte beängstigende Formen an genommen. An den Kreuzungen stauten sich die Autoschlangen. Die Gehsteige waren dicht mit Menschen gefüllt. Kurz, Chicago war um diese Zeit wieder einmal ein wimmelnder Ameisenhaufen. Der Butler beabsichtigte, zumindest eine Spur im Auge zu be halten. Es war die Spur, die der junge Mann zurückgelassen hat te, der von ihm im Hausflur auf dem Umweg über die Melone zu Boden gegangen war. Kurz, Josuah Parker beeilte sich, zum Hotel »Gardeners« zu gelangen, um sich im Zimmer Nr. 16 einmal et was näher umzusehen.
Für den Butler war es schon fast erwiesen, daß der Bewohner dieses Zimmers, eben dieser junge Mann, nicht zu den beiden Gangstern Buck und Louis gehörte. Er nahm demnach also die Interessen irgendeiner anderen Firma wahr, die Parker noch nicht kannte. In einer beachtlich kurzen Zeit hatte Josuah Parker dann das gesuchte Hotel erreicht, stellte den Wagen in einer Seitenstraße ab, in der Halbwüchsige herumtollten und Lärm schlugen. Wenige Minuten später befand sich der Butler bereits auf dem Weg zum Hotel. Kein Mensch in der mittelgroßen Halle kam auf den Gedanken, ihn etwa anzuhalten. Parker betrat einen Lift und ließ sich hinauf in den ersten Stock bringen, wo seiner Schätzung nach das Zim mer zu finden war. Parker hatte sich nicht getäuscht. Er fand sofort die betreffende Nummer, konnte sich aber nicht entschließen, sich bemerkbar zu machen. Nach bewährter Art lauschte er erst einmal an der Tür und vergewisserte sich, daß der junge Mann in seinem Zimmer war. Ja, er hatte sein Quartier bezogen und war mit irgendwelchen Dingen beschäftigt, die ihn zwangen, im Zimmer hin und her zu laufen. Josuah Parker entschloß sich zu einem kleinen Bluff. Er pochte diskret gegen die Tür und brauchte nicht lange zu warten, bis der Türschlüssel im Schloß bewegt wurde. Spaltbreit öffnete sie sich und sollte Bruchteile von Sekunden danach wieder ins Schloß zu rückgezogen werden. Eine verständliche Situation, denn der jun ge Mann hatte den Butler erkannt. Josuah Parker verzichtete aus guten Gründen nie darauf, seinen Regenschirm mitzunehmen. Er legte ihn blitzschnell in den Tür spalt und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, als sich seine Blicke mit denen des jungen Mannes trafen. »Ich war der festen Ansicht, wir hätten uns einiges zu sagen«, erklärte Josuah Parker. »Ich hoffe, nicht allzusehr von Ihnen ent täuscht zu werden, mein Herr…!« »Was wollen Sie…?« fragte der junge Mann ruppig, faßte sich aber gleichzeitig an das Kinn, das ihm noch zu schmerzen schien. »Kontakt aufnehmen, wenn’s recht ist«, sagte Parker. Gleichzei tig zog er die Tür auf. Der junge Mann hielt sie zu, das heißt, er strengte sich sehr an, daß sie nicht weiter aufgezogen wurde. Doch er hatte seine Rech
nung ohne den Butler gemacht. Josuah Parker verfügte über we sentlich bessere Muskeln. Kurz, die Tür, samt jungem Mann, der sie immer noch zusperren wollte, wurde unwiderstehlich geöffnet. Als der Zimmerbesitzer daraufhin die Geduld verlor und eine typi sche Bewegung ausführte, richtete Josuah Parker die Spitze sei nes Regenschirms auf die Brust des jungen Mannes. Leicht scho ckiert schaute der Widerspenstige auf die lange, dolchartige Klin ge, die plötzlich aus dem Schirm herausgetreten war und deren Spitze seine Brust berührte. »Ich hoffe, daß wir diesmal ohne Tätlichkeiten auskommen werden«, meinte Parker. »Schließlich haben Sie etwas von mir gewollt. Also bin ich zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen darüber zu reden.« »Na schön«, brummte der junge Mann nach kurzer Denkpause. »Kommen Sie also rein… Aber ich weiß nicht, was Sie eigentlich von mir wollen…!« Josuah Parker stellte den Regenschirm zurück auf den Boden. Ein feines Klicken war zu hören, und im gleichen Moment ver schwand die Klinge wieder im Schirm. Der junge Mann war bis zum Fenster des Zimmers zurückgewi chen und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz. Er war gerade damit beschäftigt, sich eine Zigarette anzuzünden. Vor Parkers Auftauchen schien er beim Packen zweier Koffer ge wesen zu sein. Die Schranktüren waren weit geöffnet, Wäsche zeug und Anzüge lagen und hingen über verschiedenen Sessel lehnen. »Nun sagen Sie schon endlich, was Sie eigentlich wollen«, sagte der junge Mann. Er war jetzt sehr ruhig. Fast zu ruhig, wie es Parker schien. Und da der Butler eben ein sehr vorsichtiger Mensch war, ließ er seine Aufmerksamkeit nicht einschlafen. »Ich weiß, weshalb Sie mir gefolgt sind«, sagte Parker lächelnd. »Ich befinde mich Ihrer Ansicht nach in dem Besitz irgendwelcher Unterlagen, für die Sie sich interessieren… Mich hingegen interes sieren diese Unterlagen kaum, wenngleich ich auch weiß, um was es sich dabei handelt. Kurz und gut, mein Herr, ich schlage einen Tausch vor.« »Was Sie nicht sagen…!« »Es handelt sich selbstverständlich nur um einen Vorschlag«, redete der Butler weiter. »Zudem möchte ich Ihre kostbare Zeit
nicht in Anspruch nehmen. Wie ich sehe, wollen Sie sich für den Auszug präparieren. Auch die Gründe dafür sind mir bekannt.« »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie eigentlich re den«, erwiderte der junge Mann und grinste. »Ich glaube aber, daß Sie zu viele Kriminalromane gelesen haben…« »Oh, dann bedaure ich es tatsächlich, Sie gestört zu haben«, sagte der Butler. »Mir scheint jetzt tatsächlich, als hätte ich mich getäuscht…! Nun, ich hoffe, Sie verzeihen diese kleine Störung, mein Herr. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise! Die Zeiten sind sehr unsicher. Hoffentlich erreichen Sie gesund und lebendig das Ziel, das Sie sich in den Kopf gesetzt haben.« Josuah Parker verbeugte sich knapp, schwenkte ausgiebig seine Melone und traf Anstalten, den Raum zu verlassen. »Mr. Parker…!« Aha, der junge Mann hatte sich also wirklich gemeldet. Er kann te sogar den Namen des Butlers, womit er schon unterstrich, daß Josuah Parker sich auf der richtigen Fährte befand. »Was kann ich noch für Sie tun?« erkundigte sich der Butler. »Von welchen Unterlagen haben Sie da eben eigentlich gespro chen?« wollte der junge Mann wissen. »Ich glaube wirklich, daß Sie damit nichts anfangen können«, konterte Josuah Parker. »Zudem möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen… Vergessen wir, daß wir uns gesehen haben!« Parker wendete, sich wieder um und tat so, als wolle er die Tür öffnen. »Bleiben Sie stehen!« Jetzt hatte der junge Mann sehr nachdrücklich gesprochen. Drohung lag in seiner Stimme. Er schien gereizt zu sein. Parker blieb stehen und drehte sich wieder zu dem jungen Mann um. Er staunte nur innerlich, als er in der Hand des Mannes ein Wurfmesser erkannte. »Sie erschrecken mich«, stellte Josuah Parker fest. »Darf ich Sie dringend bitten, dieses sehr gefährliche Messer wieder aus der Hand zu nehmen.« »Angst, Alterchen…?« erkundigte sich der junge Mann grinsend. »Ich wußte doch gleich, daß du schwache Nerven hast. Los, komm zurück und setz’ dich dort in den Sessel…! Den Regen schirm kannst du an den Schrank hängen…! Nun mach’ schon den
Mund auf und sag’ mir, wo sich die Unterlagen befinden, von de nen du gesprochen hast!« »Ich habe sie… sichergestellt.« »Keine faulen Ausreden…! Wo stecken die Unterlagen?« »Ich besitze mehrere solcher Unterlagen.« »Ich meine die, die…« »Ja, bitte…?« »Die, die James Ortner mit sich herumgeschleppt hat, bevor er erschossen wurde.« »Sie sind vorzüglich orientiert«, antwortete Butler Parker. »Ha ben Sie Ortner und mich im Friseurgeschäft beobachtet?« »Und wenn…?« »Dann wüßte ich doch wenigstens, wieviel Sie wissen.« * »Nehmen wir an, ich hätte Ortner und Sie nicht aus den Augen gelassen.« »So muß es wohl gewesen sein«, sagte Josuah Parker und mas sierte sich das Kinn. »Ist Ihnen aber bekannt, daß sich noch an dere Leute für diese Unterlagen interessieren?« »Wahrscheinlich… sehr wahrscheinlich sogar…!« »Mir ist das sehr aufgefallen«, erwiderte der Butler bieder und naiv. »So lernte ich zwei Männer kennen, die sich Buck und Louis nennen. Gerade diese beiden Männer sind ungewöhnlich erpicht darauf, mir die Unterlagen abzukaufen…!« »Daraus wird jetzt wohl nichts mehr werden«, antwortete der junge Mann und grinste. »Sie werden das Zeug mir nämlich zu rückgeben. Haben Sie mich verstanden?« »Warum sollte ich sie Ihnen nicht zurückgeben? Das ist doch nur eine Frage des Preises, denke ich…« »Preis…?« »Nun, ich gebe mich der stillen Hoffnung hin, daß wir ein Ge schäft tätigen können«, erwiderte Josuah Parker. »Gewiß sind Sie autorisiert, mit mir verhandeln zu können.« »Also gut, sobald Sie mir bewiesen haben, daß Sie Ortners Un terlagen besitzen, werde ich Ihnen eine Abfindung von 1000 Dol lar zahlen«, erwiderte der junge Mann. »Damit dürften Sie präch tig bedient sein. Vor allen Dingen haben Sie dann den Vorteil, weiterhin leben zu können. Und das soll man ja nicht unterschät zen, nicht wahr…?«
*
Josuah Parker hatte inzwischen eingesehen, daß er so nicht we sentlich an Boden gewann. Es war für seine Begriffe allerhöchste Zeit, daß dieser junge Mann endlich etwas unternahm. Und falls er nicht dazu neigte, mußte er eben dazu ermuntert werden. In solchen Dingen war der Butler nicht unerfahren. Nach wie vor bot er ein Bild der fleischgewordenen Naivität, glich einem müden, alten Mann, dem die Felle restlich davonge schwommen sind. »Also, Alter, wie steht es jetzt mit uns?« fragte der junge Mann ungeduldig. Das Wurfmesser lag noch immer schleuderbereit in seiner Hand, allerdings muß an dieser Stelle bereits vermerkt werden, daß auch der Butler seine schwarze Melone höflich vor die Brust gelegt hatte. »Ich glaube Ihnen schon jetzt und hier sagen zu können, daß mir 1000 Dollar als viel zuwenig erscheinen«, erwiderte Josuah Parker. »Ich möchte meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daß ich an Ihrer Stelle einen wesentlich günstigeren Betrag erzie len kann.« Parker tat so, als wolle er sich umwenden, um zu gehen. Er for derte damit den jungen Mann förmlich heraus. Was allerdings auch von Parker beabsichtigt worden war. Wie gesagt, er wollte endlich zu Taten schreiten. Der junge Mann sah sich veranlaßt, das Wurfmesser auf Josuah Parker zu schleudern. Normalerweise hätte dieses Messer unbe dingt treffen müssen. Doch in diesem Falle war ein gewisser Jo suah Parker das Ziel. Blitzschnell kippte Parker seine Melone her um und fing mit der tiefen Innenseite das gefährliche Messer ge schickt auf. Im gleichen Moment lag der feste, schwere Griff auch schon in der Hand des Butlers. Der junge Mann sperrte seinen Mund weit auf. Parkers Gesicht zeigte hingegen einen deutlich blasierten Aus druck. Für ihn war das nur eine Kleinigkeit gewesen. »Ich benötige von Ihnen nur einige präzise Angaben«, sagte er höflich, aber dennoch energisch. »Ich finde, wir haben unnötige Zeit vertan. Wer sind Sie? Für wen arbeiten Sie…?« Der junge Mann hatte sich von seinem ersten Schock erholt. Er schnaubte vor Wut und Ärger. Er übersah das Messer in der Hand
des Butlers und schien ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, sich auf den Gegner zu werfen. »Lassen Sie doch diese geplanten Kindereien«, wies Butler Par ker den jungen Mann zurecht. Doch der wollte nicht, hören. Er war erpicht darauf, zu fühlen. Und er fühlte dann auch. Nämlich die Faust des Butlers, in die er sich förmlich hineingestürzt hätte. Das Resultat war vernichtend. Für den jungen Mann nämlich. Er stöhnte auf, hielt sich an einer Sessellehne fest, um dann lang sam in sich zusammenzusinken. Er merkte Sekunden danach nicht, daß der Butler ihm erneut die Taschen durchsuchte. Diesmal hatte die Suche Erfolg. Der junge Mann trug jetzt eine Brieftasche, die der Butler erst einmal an sich nahm. Den Inhalt wollte er sich später ansehen. Es galt, das Hotelzimmer sorgfältig zu durchsuchen. Parker begann erst einmal mit den beiden Koffern. Er holte sämtliche bereits verstauten Wäschestücke hervor und legte sie als ordnungsliebender Mensch vorsichtig auf die Couch. Dann fingerte und wühlte er die Deckel und die Böden der beiden Koffer sehr sorgfältig ab. Die beiden Koffer enthielten keine Geheimfä cher. Josuah Parker ging jetzt die einzelnen Wäschestücke durch, fal tete sie auseinander und schließlich wieder zusammen. Blieb zuletzt nur noch die Kleidung des jungen Mannes. Es war für den Butler selbstverständlich, daß er sie genau durchsuchte. Vor allen Dingen die Nähte und die Wattierungen der Schultern. Schließlich landete Parker bei den Schuhen, die er dem noch im mer Ohnmächtigen von den Füßen zog. »Daß ich nicht gleich mit den Schuhen angefangen bin«, sagte sich Josuah Parker zufrieden, als er im rechten Schuh das Seiden futter aufriß, das mit Klebestoff behelfsmäßig gegen das Leder gedrückt war. Eine mit den Fingern kaum vernehmbare Verdi ckung hatte ihn aufmerksam werden lassen. Bald hielt er ein Blatt Seidenpapier in der Hand, auf dem einige Zahlengruppen stan den. Parker wußte, was er zu tun hatte. Er griff in seine Manteltasche, förderte sein Notizbuch hervor und zog den kleinen Bleistift aus der Schlaufe. Mit geübter Hand fertigte er in aller Schnelligkeit eine Kopie der Zahlengruppen an, um danach das Seidenpapier wieder zusammenzufalten und zu
rück in den Schuh zu stecken. Der zähe Klebstoff heftete das In nenfutter sofort wieder gegen das Leder. Parker beeilte sich, dem jungen Mann wieder die Schuhe anzuziehen und verließ dann auf dem schnellsten Weg das Zimmer Nummer 16. Kein Mensch in der Hotelhalle achtete auf ihn, als er zurück auf die Straße ging. Parker bemühte sich um ein Taxi, fand einen freien Wagen und tauschte eine Banknote gegen die Willigkeit des schlau aussehenden Fahrers ein. »Ich werde Ihnen sagen, welchem Wagen wir später folgen werden«, sagte Josuah Parker. »Inzwischen können Sie aber die Uhr laufen lassen. Sie sollen nicht zu kurz kommen.« »Solche Fahrgäste wünsche ich mir öfter«, meinte der Fahrer. »Wann und wo können wir uns wiedersehen?« Parker schmunzelte andeutungsweise und ließ den Hoteleingang nicht aus den Augen. Schon einmal hatte sich sein Beobachten sehr gelohnt, war es ihm dadurch doch gelungen, sich an die Fer sen von Louis und Buck zu heften. Überraschend schnell erschien der junge Mann, dessen Name Parker immer noch nicht kannte. Die Zeit war knapp gewesen, um sich den Inhalt der Brieftasche genau anzusehen. Der junge Mann ging ohne Koffer, aber im Besitz einer Aktenta sche, ein Stück die Straße hinunter, winkte zweimal vergebens ein Taxi ab und schaffte es schließlich, in einen dritten Wagen zu gelangen. »Folgen Sie dem Taxi, in das der junge Mann gestiegen ist«, sagte Parker. »Sieht harmlos aus, der Junge…!« Parker nickte nur. Er hätte dem Fahrer zwar eine recht aufre gende Geschichte erzählen können, verzichtete aber darauf. Der junge Mann dirigierte sein Taxi von der Hauptstraße herun ter und ließ es hinüber zum See rollen. Dann ging es zurück in die City, hinüber in den östlichen Stadtteil und schließlich in eine ru hige Straße, in der noch eine Anzahl von Häusern aus der Zeit der Jahrhundertwende standen. Geistesgegenwärtig fuhr der Fahrer, in dessen Wagen Parker saß, weiter, als das beschattete Taxi plötzlich anhielt. Der Butler wendete sich um und sah, in welches Haus der junge Mann hi neinging. Auf Wechselgeld schien er nicht gewartet zu haben. »Sie können jetzt halten«, sagte Parker. »Ich werde wohl bald wieder zurück sein…!«
Josuah Parker verließ den Wagen, ging auf das betreffende Haus zu, betrat den langen Korridor und horchte nach oben. Lei der war er doch zu spät gekommen. Der junge Mann war auf der Treppe nicht mehr zu sehen und zu hören. Parker ließ sich da durch nicht aus der Fassung bringen. Er ging zurück in den Hauseingang und betrachtete sich einge hend die angebrachten Firmenschilder. Ein Zahnarzt war vertre ten, ein Schneider mit einem unaussprechlichen ungarischen Na men, eine Hebamme wohnte im Haus, und unter weiteren Leut chen auch ein gewisser Gary Lommers, seines Zeichens Spezialist für Fernsehantennen. Warum der Butler ausgerechnet auf diesem Gary Lommers tipp te, wußte er selbst nicht zu sagen. Aber sein Gefühl riet ihm, es doch einmal mit dieser Adresse zu versuchen. Parker huschte eilig die Treppen nach oben, informierte sich auf den einzelnen Gängen, daß er Lommers’ Büro noch immer nicht erreicht hatte und landete schließlich auf dem letzten Treppenab satz. Und genau dort fand er die gesuchte Tür. Parker ging natürlich schleunigst wieder nach unten. Das heißt, natürlich nur so weit, bis er den nächsten Treppenabsatz erreicht hatte. Er verschwand auf dem dunklen Korridor dieser Etage und faßte sich erst einmal in Geduld. Er konnte nur hoffen, daß sich der junge Mann nicht zu lange bei dem Spezialisten für Antennen aufhielt. Falls er wirklich dort oben war, was Josuah Parker ja nicht mit Bestimmtheit sagen konnte. Nun, er hatte wieder einmal sagenhaftes Glück. Oben, auf dem Treppenabsatz, wurde wieder eine Tür geöffnet. Eine Baßstimme, die sich bemühte, gedämpft zu reden, erklärte gerade, irgendwer solle tunlichst nicht noch einmal erscheinen, sondern nur per Telefon auf weitere Nachrichten warten… Schritte waren auf der Treppe zu hören. Parker erkannte den jungen Mann, der langsam und nachdenk lich die Treppe hinunterstieg. Er wirkte jetzt auf den Butler wie ein geprügelter Hund. Die Unterhaltung mit Lommers schien nicht besonders erfreulich für ihn gewesen zu sein. Der junge Mann hatte die Straße erreicht. Er übersah das weit hinten parkende Taxi, wendete sich in die entgegengesetzte Rich tung und ging dann recht schnell weiter. So, als sei ihm plötzlich eine Idee gekommen.
Parker winkte dem Taxifahrer zu, der langsam mit seinem Wa gen heranrollte. »Ich denke, daß ich Sie jetzt nicht mehr benötige«, sagte der Butler. »Nehmen Sie das hier für Ihre Bemühungen!« Er drückte dem Fahrer noch einen zusätzlichen Schein in die Hand und kümmerte sich nicht weiter um den Wagen, der auch bald darauf an ihm vorbeipreschte und in einer Seitenstraße ver schwand. Der junge Mann blieb vor einem kleinen schmalbrüstigen Hotel stehen und sah suchend auf die schreiende Reklame hoch. Be sonders erbaut schien er nicht zu sein, hier Quartier zu nehmen. Aber wahrscheinlich war ihm das von einem gewissen Gary Lom mers so aufgetragen worden. Der junge Mann verschwand nach deutlichem Zögern in dem Hotel. Josuah Parker riskierte es, sich dicht an den Eingang heranzu schieben. Ungeniert betrachtete er die Szene, die sich seinen Au gen bot. Der jungen Mann hatte einige Scheine über die Theke geschoben und empfing dafür vom Portier einen Schlüssel. Bald darauf verschwand der verhinderte Messerwerfer auf der Treppe, die nach oben zu den Hotelzimmern führte. Josuah Parker hielt es in Anbetracht der jetzigen Lage für ange bracht, sich erst einmal wieder um Louis und Bück zu kümmern. Sie konnten ja schlecht stundenlang im Kofferraum des grauen Fords zubringen. In einer Zelle waren sie sicher besser aufgeho ben. Zudem wurde es für den Butler höchste Zeit, seine bisher ergatterten Informationen an bestimmte Stellen weiterzuleiten. * Josuah Parker ging also auf dem schnellsten Weg zurück zur Straße, wo er den Ford hatte stehen lassen. Als vorsichtiger Mensch, der er nun einmal war, marschierte er allerdings nicht schnurstracks zu dem Wagen hin, sondern vergewisserte sich erst einmal, ob dort auch alles in Ordnung war. Josuah Parker runzelte die Stirn, als seine Augen und Sinne das Fehlen des Fords registrierten. Er konnte sich das Verschwinden des Wagens nur so erklären, daß die beiden Gangster Buck und Louis es verstanden hatten, sich bemerkbar zu machen. Darauf
hin waren sie aus dem Kofferbehälter befreit worden und hatten sich blitzschnell abgesetzt. Josuah Parker hielt auf einen Zigarettenladen zu, der sich in u mittelbarer Nähe der Stelle befand, wo der Ford gestanden hatte. Umständlich wählte der Butler seine Zigarren aus und lauschte derweil auf die farbige, lebhafte und sensationelle Schilderung des Verkäufers hinter der Theke, der einem anderen Kunden ge rade erklärte, was sich vor knapp einer Stunde auf der Straße abgespielt hatte. Parker erfuhr so aus erster Hand, daß seine Vermutungen rich tig gewesen waren. Gerade die lärmenden und spielenden Kinder waren es gewesen, die auf das Pochen im Kofferraum aufmerk sam geworden waren. Sie hatten einige Erwachsene herbeigeholt, der Kofferraum war geöffnet worden, und man hatte die beiden Gangster entdeckt. Sie hatten ihrerseits eine gute Geschichte vom Stapel gelassen und waren dann mit dem Wagen ab gebraust…! Josuah Parker entschied sich für Zigarren, deren grün-schwarze Farbe sehr verdächtig aussah. Er erstand sich einige dieser schwarzen Torpedos, zahlte und verließ den Laden. Hier in der Straße hatte er nun nichts mehr zu suchen. Er hatte eine böse Schlappe einstecken müssen, aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Eigentlich durfte er nach wie vor zufrieden sein. Er besaß die Waffen der beiden Gangster und kannte ihren Vornamen. Damit ließ sich schon sehr viel anfangen. Zudem war ihm die Kennum mer des Wagens nicht entfallen. Auch daraus ließen sich vielleicht Schlüsse ziehen. Kurz, der Butler verdaute dieses Pech und bewegte sich nun langsam dem Hochhaus zu, auf dessen Dach sich der schöne Bungalow seines Chefs, Mike Rander, befand. Der junge Anwalt war schon zurückgekehrt. Er hielt sich in dem großen Wohnraum auf, von dessen Fenstern aus man einen gera dezu märchenhaften Blick auf den Michigan-See hatte. Selbst jetzt in der Dunkelheit verzauberten die Lichter auf dem Wasser den Betrachter. Mike Rander schien sich aus diesem Anblick zur Zeit recht wenig zu machen. Er ließ die Zeitungen sinken, als er seinen Butler sah, der in der geöffneten Tür stehengeblieben war und sich höflich verbeugte.
»Donnerwetter, schon zurück?« fragte Rander harmlos. »Ich langweilte mich«, antwortete der Butler. »Da sich das Wet ter zudem von Minuten zu Minute immer weiter verschlechtert, dachte ich…!« »Alles in Ordnung, Parker?« fragte Mike Rander, seinen Butler unterbrechend. »Oh, doch, Sir, ich bin sehr zufrieden. Alles in Ordnung.« »Sind Sie sicher, Parker?« »Nun…« »Aha, es ist also doch einiges passiert, wie ich vermute!« »Kleinigkeiten am Rande, Sir«, erwiderte Butler Parker. »Wenn ich Ihre Zeit nicht allzusehr in Anspruch nehme, würde ich selbst verständlich gern von meinen bescheidenen Erlebnissen berich ten.« »Warten Sie einen Moment. Ich habe das Gefühl, daß sich noch andere Leute für diese Kleinigkeiten interessieren. Hallo, Capi tain!« Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich. Capitain Pritton und ein zweiter Mann erschienen. Sie nickten Rander zu, warfen ein paar prüfende Blicke auf den Butler und ließen sich in den Sesseln vor dem Kamin nieder. »Das hier ist Josuah Parker«, stellte Mike Rander seinen Mann vor. »Parker, Capitain Pritton durfte Ihnen hinreichend bekannt sein. Dort der Herr ist Mr. Stormers. Er vertritt das örtliche FBI-Büro.« »Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Josuah Parker, der sich seine Überraschung nicht anmerken ließ. »Ob Sie sich später noch freuen werden, steht auf einem ande ren Blatt, Parker«, erwiderte Mike Rander lächelnd. »Aber kom men wir zur Sache. Die beiden Herren kommen in der Mordsache Ortner – Calbot. Erstaunlicherweise sind sie sicher, von Ihnen, Parker, einige wich tige Informationen bekommen zu können.« »Haben Sie die City Police angerufen und durchgegeben, Roger Calbot liege erstochen in seinem Zimmer?« erkundigte sich Capi tain Pritton sofort. »Wieso sind Sie auf den Gedanken gekommen, ich könnte…!« »Parker«, sagte Mike Rander milde verweisend, »unterlassen Sie möglichst alle Tricks. Packen Sie aus. Wir haben es nicht mit einem üblichen Mord zu tun!«
»Ich weiß, Sir. Das ist mir bereits bekannt«, sagte Parker. »Ich wurde gegen meinen Willen in bestimmte Dinge hineingezogen und stand ihnen fast machtlos gegenüber.« »So sehen Sie auch gerade aus«, murmelte Pritton. »Ich weiß verflixt genau, daß Sie sich wieder einmal als Privatdetektiv ver sucht haben.« »Sir, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich so etwas nicht versuche. Mit anderen Worten, wenn ich Ermittlungen an stelle, dann durchaus fachmännisch. Ich darf in diesem Zusam menhang wohl darauf hinweisen, daß ich den unschätzbaren Vor teil und die große Ehre hatte, der Butler des Lords of Battlemore sein zu dürfen. Seine Lordschaft war kriminaltechnischer Berater des englischen Innenministeriums. Seine Lordschaft zog mich oft zu Rate, so daß ich durchaus über einschlägige Kenntnisse verfü ge.« »Ich wollte Ihnen selbstverständlich nicht zu nahe treten«, meinte Pritton sofort einlenkend. »Also berichten Sie mal, was Sie so erlebt haben, Parker.« Josuah Parker verbeugte sich knapp und gab eine umfassende Darstellung dessen, was er bisher erlebt hatte. Er verschwieg nichts. Nach wie vor war er fest davon überzeugt, daß seine an fänglichen Vermutungen richtig sein mußten. Hier hatte man es nicht mit einem Gangsterkrieg zu tun. Hier waren andere Dinge im Spiel. »Leider entwischten mir die beiden Gangster Buck und Louis«, schloß der Butler seinen Bericht. »Ich neige zu der Auffassung, daß diese beiden Ganoven im Grunde keine Ahnung haben, für wen sie arbeiten und weshalb sie eingesetzt wurden!« Der FBI-Agent Stormers hatte sich Notizen gemacht. Bisher war keine Frage über seine Lippen gekommen. Nun räusperte sich der schlanke Mann und wandte sich an den Butler. »Sie wollten Schlußfolgerungen ziehen«, sagte er zu Parker. »Mich würden Ihre Folgerungen interessieren.« »ich bin mir selbstverständlich klar darüber, daß ich mich aufs Glatteis begebe«, sagte der Butler, »doch möchte ich annehmen, daß es sich um irgendeinen Spionagefall handelt. Sehen Sie, Ja mes Ortner, der im Friseursalon erschossen wurde, hat früher einmal als Agent gearbeitet. Der Volksmund sagt so treffend, daß die Katze das Mausen wohl nie läßt. Mit anderen Worten, Ortner könnte sich nach wie vor als Agent betätigt haben. Für welche
Seite, gegen wen, das entzieht sich selbstverständlich meiner Kenntnis. Ich möchte aber noch weitergehen, Sir. Der erstochene Roger Calbot verfügte über eine sehr gute Kameraausstattung, beson ders im Hinblick auf Mikroaufnahmen. Und nur er kann die Hülle an sich gebracht haben, die ihm nach seinem Tod wieder abge nommen wurde. Dann der junge Mann, der mich beschattete und der den Spezialisten für Fernsehantennen aufsuchte. Alles in al lem, Sir, zwar nur spärliche Andeutungen, aber dennoch unter dem Generalnenner der Spionage einzuordnen.« Stormes vom FBI äußerte sich nicht dazu. »Parker…«, begann Pritton. »Sie sind sich doch klar, daß Sie sehr leichtsinnig und fahrlässig gehandelt haben, wie?« »Ich muß bedauern, Sir«, gab Parker zurück. »Falls ich wirklich fahrlässig gehandelt haben sollte, so doch nur gegen meinen aus drücklichen Willen.« »Sie hätten die Hülle von James Ortner sofort der Polizei über geben müssen.« »Damit wüßten wir aber jetzt nicht, was eigentlich gespielt wird«, schaltete sich Mike Rander ein. »Es hat keinen Sinn, Par ker Vorwürfe zu machen. Hätte Parker die Hülle einem Polizisten übergeben, dann wüßten wir jetzt nichts von der Existenz zweier Gangster, die sich Buck und Louis nennen. Wir wären nicht im Besitz zweier Waffen, die für die Polizei recht wichtig sein werden. Darüber hinaus wäre die Fotoausrüstung Callbots unbekannt geblieben. Wir wüßten ferner nichts von dem jungen Mann, der Parker verfolgt hat und der ebenfalls hinter der Hülle her ist. Sei ne Verbindung zu dem Antennen-Spezialisten wäre ebenfalls un bekannt. Kurz, es hat keinen Sinn, Vorwürfe zu machen. Ich muß zugeben, daß Parker in erstaunlich kurzer Zeit recht viel Material gesammelt hat.« »Okay, ziehen wir einen Schlußstrich«, sagte Pritton grinsend. »Ich hatte ohnehin nur die Absicht, Parker einmal gründlich die Hölle heiß zu machen.« »Parker schreckt auch die Hölle nicht«, lachte Mike Rander laut auf. »Wahrscheinlich würde er sich an irgendeinen Trick erinnern und dem Teufel ein Bein stellen.« »Ich denke, wir sollten zusammenarbeiten«, schaltete sich nun der FBI-Vertreter Stormers ein. »Parker, für mich ist es uninte ressant, wie Sie an die einzelnen Feststellungen und Kenntnisse
gekommen sind. Soviel aber kann ich Ihnen sagen, vertraulich, versteht sich, daß wir es tatsächlich mit einem raffiniert aufgezo genen Spionagering zu tun haben. Was ich jetzt sage, ist streng geheim. Wir wissen aber, daß wir Ihnen, Mike Rander und Mr. Parker, vertrauen können. Wir haben bereits Erkundigungen ein geholt, sage ich ganz offen. Kurz, Ortner gilt und galt nach außen hin als dubioser Agent, der nach zwei Seiten hin arbeitete. In Wirklichkeit stand er aber immer nur auf der Seite der Staaten. Er war der Mann, der wichtige Verbindungen zu anderen Agenten der Gegenseite herstellte, Spielmaterial in Bewegung setzte und sich in letzter Zeit um einen Spionagering kümmerte, der voll kommen neu aufgezogen war. Zu diesem Ring hatte Ortner bis her keinen Zugang. Möglicherweise war man auf der Gegenseite mißtrauisch geworden. Vor einigen Tagen verließ Ortner Kalifornien. Wir wissen, daß er irgendeinen Kontakt in Chikago aufnehmen sollte, einen Kontakt zu dem neuen Ring. Ortner informierte nicht nur uns, sondern auch andere Dienststellen, die ich hier aus Gründen der Geheim haltung nicht nennen möchte. Ortner wurde an uns weitergelei tet, wir übernahmen seine Überwachung und Abschirmung. Den noch wurde er im Friseursalon erschossen. In der Hülle, die er bei sich trug und die Sie verbrennen sollten, müssen sich Aufzeich nungen befinden, die sich auf seine letzten Beobachtungen bezie hen.« »Warum sollte ich sie denn verbrennen?« erkundigte sich der Butler sofort. »Ortner hatte noch so viel Luft, daß er mir auch hätte sagen können, ich sollte die Hülle der Polizei übergeben.« Wie richtig Parkers Einwand war, konnte man deutlich feststel len, als sich Pritton und Stormers einen Blick zuwarfen, was ganz schnell geschah. Mike Rander grinste. »Stormers«, sagte er, sich jetzt an den FBI-Beamten wendend, »Sie dürfen Parker keinen Bären aufbinden.« . »Hat Ortner nicht vielleicht doch ein Doppelspiel getrieben?« fragte der Butler rundheraus. »Man verbrennt nur etwas, was man unbedingt vernichten will! Entweder wollte sich Ortner aus bestimmten Gründen nicht nachträglich etwas nachsagen lassen, oder aber er hatte finanzielle Gründe dafür. Vielleicht, so wenigs tens kann ich es mir vorstellen, wollte er irgendeine Prämie oder eine auf ihn abgeschlossene Lebensversicherung nicht gefährden.
Diese Dinge würden doch wohl zunichte, wenn sich herausstellte, daß Ortner wirklich ein doppeltes Spiel getrieben hat.« »Also gut…«, sagte Stormers nach kurzem Überlegen. »Sie ha ben den Nagel auf den Kopf getroffen, Parker! Ortner scheint tat sächlich ein falsches Spiel mit seiner Behörde getrieben zu haben. Wir vermissen nämlich Raketenunterlagen. Sie können nicht wis sen, daß Ortner vor seiner Reise nach Chikago einen Wissen schaftler aufgesucht hat, der jetzt tot ist. Er ist vergiftet worden. In dem geknackten Safe befanden sich Unterlagen über Steuer mechanismen für Raketen.« »Das erklärt die Sache«, meinte Josuah Parker zufrieden. »Dann darf man also unterstellen, daß Ortner diese Unterlagen verkaufen wollte. Als er tödlich getroffen worden war, schaltete er blitzschnell. Fand man diese Unterlagen bei ihm, dann erwies sich eindeutig, daß er nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Mörder war. Das wollte er aus den bereits von mir angeführten finanziel len Gründen verhindern.« »Wir nehmen an, daß es so gewesen ist.« »Damit dürften sich einige Fragen ergeben«, redete Parker wei ter. »Von wem wurde er erschossen? Von dem neuen Ring? We nig wahrscheinlich, denke ich, denn dort wollte er die Unterlagen loswerden. Also könnten die Täter doch nur in einem Konkurrenz unternehmen zu finden sein, das Ortner die Beute abjagen wollte. Noch wichtiger aber ist die Frage, wie so ein raffinierter Mann wie Ortner diese wichtigen Unterlagen mit sich herumtrug! Normaler weise hätte er die Beute doch an einem sehr sicheren Platz un tergebracht und erst auf Kontakt und Zahlungsbedingungen ge wartet. Er aber trug die Unterlagen mit sich herum! Wie ich kühl schlußfolgere, dann doch nur, weil er auf dem Weg zu einer Per son war, die die Unterlagen in Empfang nehmen wollte. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Ein Agent, der solche Unterlagen in seiner Brusttasche stecken hat, wird schwerlich auf den Gedanken kommen, sich rasieren zu lassen. Wenigstens nicht auf solch einem Weg. Sein Sinnen und Trachten dürfte wohl dar auf gerichtet sein, Geld zu bekommen. Mit anderen Worten, um die Schlußfolgerung zu beenden: James Ortner betrat den Fri seursalon, um die Unterlagen hier, im Salon, zu übergeben. Und damit dürfte Roger Calbot im Mittelpunkt unseres vorläufigen In teresses stehen, denke ich…!« Pritton und Stormers sahen sich grinsend an.
»Gut, daß Sie auf der richtigen Seite stehen, Parker«, bekannte Pritton endlich. »Wir können auf Ihre Mitarbeit rechnen?« »Mr. Rander hat mitnichten mir gesagt, solche…« »Das Verbot ist hiermit aufgehoben«, unterbrach Mike Rander seinen Butler. »Doch nur unter der Voraussetzung, daß ich mit machen kann. Unter dem Schutz der Behörden arbeiten zu kön nen, also, das möchte ich mir wirklich nicht entgehen lassen…!« * »Wir müssen erst einmal davon ausgehen, daß Pritton und ich beobachtet worden sind, als wir hinauf zu Ihnen gingen, Mr. Rander«; meinte der FBI-Agent Stormers. »Das ließ sich einfach nicht vermeiden. Ich denke mir allerdings, unser Besuch sieht nach einem eingehenden Verhör aus.« »Wäre zu hoffen«, sagte Mike Rander, »sonst wird aus der schönen Absicht, zusammenarbeiten zu können, recht wenig.« »Oh, das werden die Agenten und Gangster schon recht bald merken«, schaltete sich Pritton ein. »Wir werden Parker gleich mit zum Hauptquartier nehmen. Zudem soll Ihre Mitarbeit ja in gewissen Feinheiten bestehen. Sehen Sie, wenn wir uns nach dem Mord an Roger Calbot offiziell mit dessen Freunden und mit sonstigen Zeugen befassen, so geht das in Ordnung und kann keinen Verdacht erwecken. Sie hingegen, Mr. Parker, könnten sich doch einmal mit dieser June unterhalten, deren Name auf der Fotografie zu sehen ist!« »Hilfestellung wollen wir Ihnen dabei nicht leisten«, sagte Stor mers. »ich vergaß zu erwähnen, daß die Polizei im Zimmer Cal bots kein einziges Bild mehr entdecken konnte. Nach Ihrem Weg gang, Parker, wurden diese Bilder noch aus dem Zimmer geholt. Wenn Sie nun in Eastport auftauchen und Nachfrage halten, wirkt das unverdächtiger jedenfalls, als wenn wir dort erscheinen.« »Gut, ich habe verstanden«, sagte Josuah Parker. »Ich werde also herauszubekommen versuchen, wer June ist und wo sie wohnt.« »Genau das sollen Sie tun«, sagte der FBI-Beamte. »Wir wür den uns weiterhin darüber freuen, wenn Parker sich auch mit dem jungen Mann befassen könnte.«
»Sollten wir uns jetzt nicht einmal die Brieftasche ansehen?« schlug Mike Rander vor. »Das Kind muß schließlich seinen Namen haben, denke ich!« Die beiden Beamten befaßten sich eingehend mit der Briefta sche, die der Butler erbeutet hatte. Aus vorhandenen Rechnun gen, Quittungen und einer Hotel-Telefonrechnung ging hervor, daß der junge Mann in Chikago unter dem Namen Märten Colm lebte. Wahrscheinlich, darüber waren sich alle klar, handelte es sich um einen falschen, angenommenen Namen. »Ein paar Schriftstücke werden wir mitnehmen, damit wir nach Fingerabdrücken suchen können«, sagte Pritton. »Also, das ginge dann auch in Ordnung. Märten Colm wird ebenfalls von Ihnen, Mr. Rander und Mr. Parker, übernommen.« »Den Spezialisten für Fernsehantennen übernehmen wir dann auch noch«, sagte Mike Rander. »Das ist ein Aufwaschen.« »Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, daß Sie das freiwillig übernehmen, nicht wahr? Sie allein tragen das Risiko. Selbstverständlich werden wir alles tun, um Sie ordentlich abzu schirmen. Dennoch ist und bleibt es eine gefährliche Geschichte für Sie.« »Wir werden das Risiko auf uns nehmen«, sagte Mike Rander. Josuah Parker beschränkte sich nur auf ein Kopfnicken. Er hielt alle diese Dinge für selbstverständlich. »Damit dürfte theoretisch die Linie Ortner, Calbot und Colm er ledigt sein«, redete Mike Rander weiter. »Wie aber kommen wir an die beiden entwischten Gangster Buck und Louis heran? Wir nehmen doch an, daß sie Calbot die Hülle abgejagt haben. Wahr scheinlich nur als Handlanger, nicht ahnend, um was es eigentlich geht. Wir kennen nur die Wagennummer.« »Das ist immerhin schon etwas«, meinte Pritton. »Dann besit zen wir die Waffen und darauf auch wahrscheinlich Fingerabdrü cke. Wenn wir nur etwas Glück haben, wissen wir morgen mittag bereits, wer diese beiden Gangster sind.« »Und die beiden anderen Gangster?« fragte Josuah Parker tro cken. »Ach richtig, ja, die Leibwächter Ortners«, entgegnete Mike Rander. »Wie sind denn diese beiden Gangster einzuordnen?« »Schwer zu sagen«, erklärte Stormers. »An sich arbeitete Ort ner nie mit einer Leibwache…!«
»Vielleicht waren es Leibaufpasser, die Ortner nicht mehr aus den Augen lassen sollten«, gab Josuah Parker zu überlegen. »Könnten diese beiden Männer nicht bereits zu dem neuen Spio nagering gehört haben?« »Sehr gut möglich«, meinte Stormers. »Aber dann dürften sie ja früher oder später wieder auf Sie treffen, Parker.« »Hoffentlich«, erwiderte der Butler. »Da ich eben von dem Fri seursalon sprach, möchte ich vorschlagen, sich diesen Salon ein mal ausgiebig anzusehen. Vor allen Dingen die Herren, die dort arbeiten. Und vielleicht auch noch…« Parker brach mitten in seinem Satz ab und ignorierte die fra genden Blicke seiner Umgebung. »Sie wollten noch etwas sagen, Mr. Parker?« erkundigte sich Stormers höflich. »Mehr wollte ich eigentlich nicht sagen«, gab der Butler zurück. Sein Gesicht verschloß sich förmlich. Man ging daher zur weiteren Tagesordnung über. »Darf ich Sie abschließend bitten, möglichst nichts ohne Rück sprache mit uns zu unternehmen?« fragte Stormers. »Nicht aus Mißtrauen heraus, sondern nur, damit wir Sie laufend beschatten können. Vergessen Sie nie, daß Sie es mit erfahrenen und ausge kochten Gangstern zu tun haben.« »Haben wir uns bereits gemerkt«, sagte Mike Rander lächelnd. »Sie können beruhigt sein, Stormers. Parker und ich hetzen nicht zum erstenmal hinter Gangstern her.« Sie besprachen noch einige wichtige Details, kamen überein, wie sie Informationen und Meldungen austauschen konnten und brachen schließlich auf. Das heißt, Mike Rander blieb in seinem Bungalow auf dem Dach zurück. Parker setzte sich allerdings sei ne Melone wieder auf und ließ sich von den beiden Beamten zum Hauptquartier der Polizei bringen. Josuah Parkers Aufenthalt im Hauptquartier war eine reine Far ce, wenn man davon absah, daß er sich während seines Bleibens im Haus mit der Verbrecherkartei befaßte und nach den beiden Gangstern Buck und Louis suchte. Inzwischen beschäftigte sich das kriminaltechnische Institut im selben Haus mit den von Par ker erbeuteten Waffen. Schon nach wenigen Minuten stand fest, daß deutliche sichtbare Fingerabdrücke auf den Läufen zurück geblieben waren. Parker hinterließ eine Probe seiner Abdrücke,
damit die Unterscheidung leichter fiel. Später sollten Schußspu renvergleiche angestellt werden. Parker, der blitzschnell zu arbeiten verstand, hastete förmlich durch die Karteiblätter, die ihm einige Beamte am laufenden Band an den Tisch trugen. Da Louis und Buck Schußwaffen getragen hatten, konnte man den Kreis der möglichen Täter ziemlich ein schränken. Im Grunde brauchte man sich vorerst nur um Gewalt verbrecher zu kümmern. Nach knapp einer Stunde tippte der Butler plötzlich auf eine Karteikarte und sah den Sachbearbeiter dieser Abteilung an. »Das ist Louis, den ich suchen sollte«, sagte er. »Ein Zweifel ist vollkommen ausgeschlossen.« »Louis Bagotti«, sagte der Mann. »Das ist ein dicker Hund!« »Wie bitte?« »Ich meine, dieser Kerl ist uns weiß Gott nicht unbekannt«, re dete der Beamte eifrig weiter. »Der hat seine Vorstrafen bereits auf dem Buckel. Jetzt wird es schneller gehen, Mr. Parker. Louis ist kein Einzelgänger. Er hat früher einmal der Hanson-Gang an gehört. Richtig, da ist ja auch schon die entsprechende Eintra gung. Unter Hanson-Gang werde ich jetzt mal nachsehen.« Der Beamte verschwand zwischen den hohen Stahlschränken, kramte einige Zelt in Karteikästen herum, brummte, verschwand weit nach hinten, suchte dort in einem Karteischrank und er schien nach wenigen Minuten mit einer Karteikarte, die er Parker vorlegte. »Meine Achtung«, sagte Parker und nickte. »Das hier ist jener Buck, von dem ich gesprochen habe.« »Buck Frennon…«, sagte der Beamte. »Er und Louis Bagotti ha ben in einer Gang gearbeitet. Zwei sehr gefährliche Schläger und Schießer. Sind seit einiger Zeit untergetaucht.« »Eine Frage, was ist aus dem Chef der Gang geworden? Aus diesem Hanson?« »Als seine Gang aufflog, war er nicht dabei. Bisher haben wir nichts mehr von ihm gehört.« »Dann machen Sie sich darauf gefaßt, daß auch Hanson wieder in der Stadt ist«, sagte der Butler. »Die alten Adressen werden ja sicher nicht mehr stimmen. Das heißt, wo verkehrten die Gangs ter denn gern? Sicher hatten sie ein bestimmtes Lokal, das sie bevorzugten, oder?« Der Beamte blätterte in den Begleitakten herum und nickte.
»Die Hanson-Jungens verkehrten regelmäßig in >Splittings Bil lard Club<, einer sehr finsteren Kneipe im Osten der Stadt. Wird von Zeit zu Zeit geschlossen, dann von einem neuen Besitzer ü bernommen, ‘ne Zeitlang geführt und dann wieder geschlossen. Hinter allem aber steht Splitting, dem nicht beizukommen ist.« »Bisher nicht, denke ich«, erwiderte der Butler lächelnd und rieb sich sein Kinn, ein sicheres Zeichen dafür, daß er sich bereits wieder mit gewagten Plänen beschäftigte. * Als Butler Parker gegen 23 Uhr zurück zum Hochhaus ging, auf dessen Dach sich der Bungalow Mike Randers befand, da wußte er sehr genau, daß er von Agenten des FBI beschattet wurde. Er wußte es, aber er konnte bei aller Gerissenheit einfach nicht he rausbekommen, wer diese Verfolger waren. Im übrigen kümmerte sich Josuah Parker schon bald recht we nig um die Beschattung. Er hatte genug mit seinen Gedanken zu tun. Er brannte darauf, Kontakt mit gewissen Leuten aufnehmen zu können. Nur dann nämlich, wenn er Spionen und Agenten hart auf den Fersen blieb und ihnen lästig wurde, nur dann war damit zu rechnen, daß sie sich eine Blöße gaben. Ein sehr gefährliches Verfahren! Man machte sich dabei absichtlich zu einer Zielscheibe und mußte damit rechnen, heimtückisch überfallen oder angeschossen zu werden. Gegen einen Schuß aus dem Hinterhalt zum Beispiel konnten auch FBI-Agenten nichts ausrichten. Ohne Zwischenfall erreichte der Butler jedoch das Hochhaus. Er ließ sich vom Lift nach oben bringen und traf im Bungalow seinen Chef. »Die Nacht ist lang«, sagte Mike Rander lächelnd. »Was halten Sie davon, Parker, wenn wir uns etwas die Stadt ansehen?« »Sir, damit kommen Sie meinen Wünschen sehr entgegen«, er widerte der Butler aufatmend. »Ich wollte ohnehin vorschlagen, etwas zu unternehmen. Die beiden Gangster Bück und Louis konnten bereits von mir identifiziert werden. Sie gehörten früher einmal der Hanson-Gang an. Da die beiden Gangster im Gesell schaftszimmer des Hotels mit einem Chef telefonierten, ist wohl anzunehmen, daß sich auch Hanson in der Stadt aufhält. Er konn
te der Polizei bisher entwischen und befindet sich noch in Frei heit.« »Ich denke, wir sollten uns die Arbeit teilen«, meinte Mike Rander. »Sie werden sich um den jungen Märten Colm und den Fern sehantennen-Spezialisten kümmern. Ich gehe…« »Am besten wohl in >Splittings Billiard-Saal<«, schaltete sich der Butler ein. »Dort haben die Gangster der Hanson-Gang sich früher immer ein Stelldichein gegeben.« »Ich müßte wissen, wie die beiden Gangster aussehen.« »Darf ich Ihnen diese beiden Fotos anbieten?« fragte Parker höflich. »Die Polizei war so freundlich, mich damit auszustatten. Obwohl die Bilder schon zwei Jahre alt sind, wirken sie doch sehr unmittelbar.« Er drückte seinem Chef die beiden Abzüge in die Hand und nutzte die Zeit, um seinen recht großen Koffer aus seinem Zim mer zu holen. Er ließ den Deckel aufklappen und wies wie ein stolzer Briefmarkenbesitzer auf seine Schätze. »Geht in Ordnung«, sagte Mike Rander, die Bilder wieder aus der Hand legend, um sie dann in eine Schublade zu stecken. »Die nehme ich besser nicht mit. Man braucht nicht unter Umständen darauf zu stoßen, hinter wem ich her bin.« »Sir, wenn Sie sich bitte bedienen wollen…?« Parker hatte sich bemerkbar gemacht und wies auf die Waffen sammlung, die sich im Koffer befand. Mike Rander suchte sich etwas Passendes aus. Auch Butler Parker bediente sich, obwohl sich in seiner Manteltasche schon ein Revolver befand. Wenig später verließen sie die Dachgartenwohnung, fuhren mit dem Lift nach unten in die Tiefgarage und setzten sich in Mike Randers Wagen. »Ich werde Sie jetzt zuerst zu dem kleinen Hotelchen bringen, in dem Märten Colm zu finden sein wird«, sagte Mike Rander, nachdem er den Wagen auf die Straße gesteuert hatte. »Der An tennen-Spezialist ist ja nicht weit davon entfernt. Sie können die se beiden Fliegen also mit einer Klappe schlagen. Ich fahre dann weiter zu >Splittings Billard-Saal< und horche dort vorsichtig nach, wo ich Buck und Louis finden kann. Von Hanson ganz zu schweigen. Wie steht’s, Parker, folgt uns ein Wagen?« »Natürlich, Sir, ich weiß zwar, worauf Sie anspielen, aber es ist mir unmöglich festzustellen, in welchem Wagen nun FBI-Beamten sitzen.«
»Geschickte Boys, was?« »Nun, Sir, sie beschäftigen sich ja auch ausschließlich mit der Bekämpfung von Verbrechen. Sie gehen immerhin einem Haupt beruf nach.« »Manchmal vergesse ich das glatt«, erwiderte Mike Rander, »vor allen Dingen immer dann, wenn Sie mir wieder einmal einen Fall aufgehalst haben…« »Sir, ich denke, wir sollten in die nächste Querstraße nach rechts abbiegen«, antwortete der Butler, der auf dieses Thema lieber nicht eingehen wollte. Mike Rander grinste und widmete sich wieder seinem Wagen. In pausenloser Fahrt erreichten sie bald den Ostteil der Stadt,, wo vor Jahren noch massenweise die Häuser der Slums gestan den hatten. Hier war inzwischen ordentlich aufgeräumt worden, doch Überbleibsel waren immer noch vorhanden. »Sir, wenn Sie jetzt anhielten, würde ich aussteigen«, sagte der Butler. Mike Rander ließ den Wagen ausrollen, hielt an. Butler Parker stieg aus, legte die schwarze Melone zurecht und nickte seinem Chef noch einmal abschließend zu. Bald darauf war er in der Dunkelheit verschwunden. Mike Rander lächelte, als er den Wagen wieder in Bewegung setzte. Er brannte darauf, sich den beiden Gangstern Buck und Louis nähern zu können. Hoffentlich hatte Butler Parker mit seiner Vermutung recht, daß sich die beiden Gangster bei »Splitting« immer wieder ein Stelldichein gaben. Als er die Straße im Ortsteil erreicht hatte, in der das Lokal sich befand, ließ er seinen Wagen weitab vor dem Eingang am Stra ßenrand stehen und ging das restliche Stück zu Fuß. Mike Rander war ehrlich überrascht, als er das Lokal betrat. Er hatte so etwas wie eine Spelunke erwartet, aber das war keines wegs der Fall. Das Lokal, das zwei Etagen in Anspruch nahm, die durch eine Treppe verbunden waren, präsentierte sich seinen er staunten Augen in einer durchaus geschmackvollen Aufmachung, hinter der man niemals etwas Ungesetzliches vermutet hätte. Auch die Gäste im Lokal wirkten durchaus wie harmlose Bürger. Mike Rander ging zu der hufeisenförmigen Bartheke durch, die sich unterhalb einer Galerie befand. Er setzte sich auf einen Bar hocker, bestellte sich einen Gin-Fizz und zündete sich eine Ziga rette an. Ihm waren die prüfenden Blicke, die ihm beim Eintreten
gegolten hatten, nicht entgangen. Er merkte aber auch, daß die ses Interesse an seiner Person bald wieder erlosch. Rander schaute sich unverhohlen in dem Lokal um. Von Louis und Buck war aber nichts zu sehen. Nun, er hatte ohnehin nicht erwartet, sofort Erfolg zu haben. Er wußte, daß er sich in Geduld zu fassen hatte. Nachdem er den Drink ausgetrunken hatte, zahlte er und schritt über die Treppe nach oben. Hier standen in einem großen Saal sechs Billardtische. Das gedämpfte, fast feierliche Klicken der Elfenbeinkugeln war zu hören. Ruhige Gespräche, Murmeln, unterdrücktes Lachen. Eine vollkommen normale Atmosphäre, die keinen Verdacht auf kommen ließ. Fast bezweifelte Mike Rander es schon, daß er hier Gangster treffen sollte. Er schlenderte an den Tischen vorbei. Er wollte sich unbedingt einmal die vier Türen an der Rückfront des Saales ansehen. Er hatte das Gefühl, daß es hier oben noch Gesellschaftszimmer ge ben mußte, die für den allgemeinen Verkehr gesperrt waren. Na bitte, sagte er sich plötzlich, ich wußte doch gleich, daß der Schein nur trügt. Er hatte nämlich neben der Tür, die am weitesten rechts lag, ei nen Mann entdeckt, der sich zwar mit nachlässigen Bewegungen die Fingernägel polierte, in Wirklichkeit aber sehr aufmerksam die Spieler betrachtete. Dann hatte der Mann plötzlich Mike Rander ausgemacht, stutz te, bemühte sich, diesen Eindruck schleunigst wieder zu verwi schen, und beeilte sich, in das Zimmer zu gelangen, das er be wacht hatte. Mike Rander wußte im selben Moment, daß er erkannt worden war. Und er überlegte blitzschnell, wie er sich verhalten sollte. Er erinnerte sich eines uralten Tricks von Reitern, die sich einem Gehölz oder einer Ortschaft nähern, ohne zu wissen, ob sich dort der Feind verbirgt. In solchen Fällen verhielten nämlich die Reiter ihre Pferde, ris sen sie auf der Hinterhand herum und taten so, als hätten sie bereits alles festgestellt und wollten sich wieder absetzen. In solchen Momenten wurde in der Regel geschossen und damit genau das verraten, was eben verborgen bleiben sollte. Wie gesagt, Mike Rander erinnerte sich dieses Tricks. Er drehte sich auf seinen Absätzen herum und beeilte sich, zur Treppe zu
gelangen. Er hoffte, daß man ihm nicht gerade nachschießen würde… * Josuah Parker hatte inzwischen das kleine Hotel erreicht, das der junge Mann namens Märten Colm aufgesucht hatte. Der Butler schaute sich beim Näherkommen vorsichtig nach al len Seiten um. Er hatte der Polizei und dem FBI schließlich ge sagt, wohin der junge Mann gegangen war. Es war also anzu nehmen, daß dieses kleine Hotel schon unter einer sehr sorgfälti gen Bewachung stand. Aber wieder war nichts zu sehen. Parker betrat die Halle und näherte sich dem Portier, der ver schlafen in eine aufgeschlagene Zeitung starrte. »Ich brauche ein Zimmer«, sagte Parker. »Können Sie haben«, antwortete der Mann und gähnte. »Vor kasse muß geleistet werden. Wie lange wollen Sie hier bleiben?« »Nur eine Nacht. Wieviel bekommen Sie?« »Zwei Dollar!« Josuah Parker legte die Zimmermiete auf den Tisch und kassier te dafür den Schlüssel ein. »Erster Stock, vierte Tür rechts. Baderaum am Ende des Korri dors!« Parker schritt zur Treppe und überlegte, wie er an Märten Colm herankommen konnte, der hier sicher nicht unter diesem Namen abgestiegen war. Wahrscheinlicher war es, daß er sich bereits einen anderen Namen zugelegt hatte. Parker blieb stehen und ging noch einmal zur Theke zurück. Der Portier hob unwillig den Kopf, als Parker mit dem Knöchel seines Zeigefingers auf die Platte klopfte. »Sonst noch was?« »Ich würde gern einen Whisky zu mir nehmen«, sagte Parker jetzt freundlich. »Bar geschlossen!« schnaufte der Mann. »Ich hatte die Absicht, Sie zu einem Drink einzuladen…« Das wirkte. »Will mal nachsehen, ob nicht irgendwo ‘ne Flasche rumsteht«, sagte der Portier, und er tat dann genau das, womit der Butler
insgeheim gerechnet hatte. Er schlufte hinter der Theke hervor und verschwand in der angrenzenden Bar. Josuah Parker zog blitzschnell das Eintragungsbuch an sich und schlug die zuletzt benutzte Seite auf. Er prägte sich die Zimmernummern der beiden letzten Eintra gungen ein. Das waren die Nummern acht und zwölf. Mit den Namen – es handelte sich in beiden Fällen um Männer – konnte er ohnehin nichts anfangen. Der Portier erschien wieder und brachte eine Whiskyflasche mit sowie zwei Gläser. Bedächtig entkorkte er die Flasche und füllte die Gläser. »Viel zu tun gehabt diesen Abend?« fragte Parker. Der Portier schüttelte nur den Kopf. Er war zu wortfaul, um zu antworten. Als sie Gläser leer waren, sah er den Butler blinzelnd und erwartungsvoll an. Parker verstand und nickte. Der Portier füllte die Gläser noch einmal. Sie tranken, dann ging Josuah Parker endgültig über die Treppe nach oben. Er hatte die Zimmernummer elf. Als er das Zimmer erreicht hatte, öffnete er die Tür und schloß sie wieder, ohne aber das Zimmer betreten zu haben. Er schlich vorsichtig zurück zur Tür, die die Nummer zwölf trug. Parker schaute nach bewährter Manier durch das Schlüsselloch. Kein Licht war zu sehen. Josuah Parker griff in seine Manteltasche und förderte einen blitzenden Gegenstand aus der Tasche. Ohne sich anstrengen zu müssen, gelang es ihm, das einfache Schloß aufzusperren. Er zog die Tür so weit auf, daß er in das Zimmer hineinschlüp fen konnte. Er bewegte sich leise wie eine Katze durch den Raum, erreichte das Bett und warf einen prüfenden Blick auf den Schlä fer. Er sah ein bärtiges Gesicht, hörte ein Schnaufen und Prusten und sah, daß sich der Mann im Schlaf umdrehte. Josuah Parker verließ das Zimmer, verschloß die Tür und husch te zur Tür, die die Nummer acht trug. Parker glaubte sicher zu sein, daß in diesem Zimmer Colm schlief. Er schaute erst wieder einmal durch das Schlüsselloch, entdeckte kein Licht und fuhr mit dem länglichen, blitzenden Ge genstand prüfend in das Schlüsselloch hinein. Auch dieser Zimmergast hatte den Schlüssel nicht im Schloß steckengelassen, wie man es doch gemeinhin zu tun pflegte. Par
ker wendete den bewußten Gegenstand jetzt an, um das Schloß aufzusperren. Er huschte in den Raum, aber schon nach zwei oder drei Schrit ten blieb er wie angewurzelt stehen. Er schnüffelte hörbar die träge und verbrauchte Zimmerluft ein, holte seine kleine Taschenlampe aus der Tasche und schaltete ungeniert das Licht ein. Und mit diesem Lichtstrahl leuchtete er den toten Märten Colm an, der neben dem Bett lag und allem Anschein nach erstochen war! Parker kniete neben der Leiche nieder und untersuchte sie. Sei ner groben Schätzung nach war Colm schon seit gut zwei Stun den tot. Der Butler richtete sich wieder auf, massierte sich nachdenklich das Kinn und dachte unwillkürlich an einen gewissen Fernsehan tennen-Mann. Ohne sich weiter um den Toten zu kümmern, ver ließ er anschließend das Zimmer, verschloß es wieder und ging über die Treppen zurück in die Halle. Der Portier hatte ihn kommen hören und sah ihn erwartungsvoll an. »Brauchen Sie noch einen Whisky, Mister…?« »Wenn ich zurückkomme«, erwiderte Butler Parker. Bevor ihm der Portier weitere Fragen stellen konnte, hatte er die kleine Halle bereits verlassen und die Straße erreicht. Der Mord an dem jungen Mann zeigte sehr deutlich, wie gefähr lich und blutgierig seine Gegner waren. Dennoch zögerte der But ler keine Sekunde, seine Gegner auf die Hörner zu nehmen. Schon nach wenigen Schritten verlangsamte er allerdings wie der sein Tempo. Er erinnerte sich der eindringlichen Bitte der bei den Polizeibeamten, nichts zu unternehmen, bevor man sich nicht gegenseitig abgestimmt habe. Parker hatte die beste Absicht, dieser Bitte zu folgen. Aber wie sollte er das unter den obwaltenden Umständen machen? Weit und breit war kein Mensch zu se hen. Er schritt weiter. Der Spezialist für Fernsehantennen, Gary Lommers, schien ihm sehr wichtig zu sein. Vielleicht war er sogar so etwas wie eine Schlüsselfigur. Also durfte doch keine Zeit verloren werden. Jetzt mußte er Farbe bekennen. Josuah Parker hob lauschend den Kopf.
Dort schwankte ein angetrunkener Mann heran, der recht unge niert ein ziemlich anrüchiges Lied sang. Als er dann die Höhe von Parker erreicht hatte, zog er übertrieben höflich seinen Hut. »Haben Sie mal Feuer?« erkundigte sich der schlanke, mittel große Mann mit lallender Zunge. Er schwankte etwas vor, schob sein Gesicht näher an Parker heran und sagte dann’ in einem sehr sachlich klingenden Ton: »FBI-Agent Ferguson… Ist etwas passiert?« Parker kramte eine Zündholzschachtel aus der Manteltasche. Während er ein Hölzchen anriß, sagte er ebenso sachlich und klar: »Zimmer acht! Märten Colm ist erstochen worden! Wahrschein lich vor zwei Stunden! Gehe jetzt zu Lommers!« Der angeblich betrunkene Mann hatte seine Zigarette zum Brennen gebracht und schwankte weiter. Josuah Parker sah sich absichtlich nicht nach ihm um, sondern beeilte sich, zu Lommers zu kommen. Die Haustür war unverschlossen. Parker stieg nach oben. Er kümmerte sich nicht weiter darum, ob er vom FBI beschattet wurde. Selbstverständlich hatte er auch keine Angst, als er nach oben schritt. Er kannte Lommers zwar nicht, aber er glaubte doch, mit ihm fertig zu werden. Er hatte den letzten Treppenabsatz erreicht. Ein schneller Blick durch das Schlüsselloch zeigte dem Butler, daß in der Wohnung von Lommers noch Licht brannte. Parker scheute sich nicht, die Klingel zu benutzen. Schritte näherten sich der Tür, dann fragte eine rauhe Stimme, was denn eigentlich los sei und wer um diese Zeit noch die Frech heit besitze, auf den Klingelknopf zu drücken. Parker antwortete nicht. Und genau mit dieser Einstellung weckte er die Neugier Lom mers’. Eine Sicherheitskette wurde aufgeklinkt, dann schob sich die Tür spaltbreit auf. »Ist da jemand…?« fragte Lommers. Parker war nicht zu sehen, denn er stand nicht etwa hinter der Tür, sondern hatte sich blitzschnell wieder zurückgezogen und dann auf dem unteren Treppenabsatz Stellung bezogen. Lommers knurrte einige unverständliche Worte, lauschte in das Treppenhaus hinunter und verschwand wieder hinter der sich
schließenden Tür. Parker wartete einen Augenblick ab, huschte dann leise wieder zur Klingel und betätigte sie erneut. Bevor Lommers die Tür aufdrücken konnte, stand Parker wieder unsichtbar auf dem nächsttieferen Treppenabsatz. Lommers fühlte sich zu Recht auf den Arm genommen. Diesmal waren seine Worte recht gut zu verstehen. Es handelte sich um einige ausgesuchte Schimpfwörter. Nach einigen Sekunden entschloß sich Lommers, wieder zurück in seine Wohnung zu gehen. Parker vergrößerte seine Wartepau se, da er damit rechnen mußte, daß sich Lommers einsatzbereit hinter der Tür aufhielt. Und wirklich, plötzlich wurde die Woh nungstür aufgestoßen. Lommers hatte versucht, irgendeinen Menschen auf dem Trep penabsatz zu überraschen. Er schimpfte wieder ausgiebig, als er feststellen mußte, daß sei ne Bemühungen fruchtlos blieben. Während er nun wieder die Tür schloß, hastete der Butler nach oben und klingelte. Gary Lommers, gereizt und wütend, vergaß seine sonst so ge übte Vorsicht, rannte zur Tür, drückte sie auf und lief bis zum Treppengeländer. Jetzt vergaß er allerdings, einen Blick hinter die Tür zu werfen, wo sich der Butler inzwischen aufgebaut hatte. Als Lommers vom Treppengeländer zurückkam, war diese Stelle aber leer. Josuah Parker hatte sich die Freiheit genommen, die Wohnung bereits ohne Einladung zu betreten. Ihm ging es darum, einen ungefärbten Blick von der Einrichtung zu gewinnen. Er stand übrigens in einem Raum, der als Werkstatt eingerichtet war. Und er sah dem heranschnaufenden Lommers entgegen, der ihn erst jetzt entdeckte, einen Wutschrei ausstieß und dann blitz schnell in seine Hosentasche langte. * Mike Rander hatte die Treppe erreicht und schickte sich an, nach unten zu gehen. Zu seiner Überraschung hatte sich bisher noch nichts getan. Sollte er sich vielleicht doch in dem Mann an der Tür getäuscht haben? Hatte ihm die Phantasie einen Streich gespielt?
Nein, von erhitzter Phantasie konnte wirklich keine Rede sein, wie Mike Rander Sekunden später feststellen konnte. Die drei Männer am Fuß der Treppe, die ihm den Weg versperrten, ihn aufmerksam und wachsam ansahen und Waffen in den Händen trugen, die waren harte Realität. Mike Rander blieb selbstverständlich erst einmal stehen. Das taten die drei Männer allerdings nicht. Sie rückten langsam vor, erklommen Stufe für Stufe und trieben den Anwalt wieder zurück nach oben, wo die Billardtische standen. Und diese Tische waren jetzt leer… Kein einziger Spieler trieb sich in dieser Etage noch herum. Sie hatten wahrscheinlich alle schleunigst das Feld geräumt. An der Tür, hinter der der Mann verschwunden war, hatten sich zwei stämmige Männer aufgebaut, die ebenfalls Revolver in den Händen hielten. Mike Rander hätte unter diesen Umständen noch nicht einmal Zeit gehabt, nach seinem Revolver zu greifen. Also fügte er sich erst einmal in sein Schicksal und schritt gefaßt der geöffneten Tür zu. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was ihn erwartete. Wenn er nur einigermaßen Glück hatte, würde man versuchen, Informationen aus ihm herauszuprügeln. Hatte er hin gegen aber Pech – und damit war zu rechnen, dann würde er die kommende halbe Stunde nicht mehr überleben. Er stand in einem kleinen Gesellschaftszimmer, in dem noch der Zigarettenrauch hing. Hinter ihm hatten sich zwei Männer aufge baut. Einer davon war jener Mann von der Tür, der auf den An walt aufmerksam geworden war. Mike Rander ging vorsichtig auf einen Stuhl zu und ließ sich darauf nieder. Eine ihm gegenüberliegende Tür öffnete sich. Und nun zwinkerte Mike Rander unwillkürlich mit den Augen, denn die Gesichter der beiden eintretenden Männer waren ihm durchaus vertraut, obwohl er sie nur von Bildern her kannte. Das also waren die beiden Gangster Buck und Louis. Wie sehr der Butler ihnen mitgespielt hatte, war ihnen noch deutlich abzulesen. Ihre schlechte Laune mußte auch noch in ei nem engen Zusammenhang mit dieser Begegnung stehen. Sie schnauzten nämlich Rander an und empfahlen ihm, er solle mög lichst schnell die Beine in die Hand nehmen und in das nächste Zimmer traben.
Mike Rander hütete sich, den Helden zu spielen. Er war hoff nungslos unterlegen und nicht versessen darauf, sich einfach zu sammenschlagen zu lassen. Nun stand er nur noch zusammen mit Buck und Louis in einem kleineren Zimmer, das ebenfalls noch eine zweite Tür aufwies. »Los, setz dich; du verdammter Schnüffler«, knurrte Louis und deutete auf einen Sessel. Gehorsam ließ sich Mike Rander darin nieder. Der Gangster Bück war inzwischen vor ein Tischchen ge treten, auf dem ein Telefon stand. Er wählte eine Nummer, die nur ein Hausanschluß sein konnte, wie Mike Rander sofort fest stellte. »Haben ihn hier im kleinen Zimmer, Chef«, sagte Bück. »Ja, al les abgesichert. Keine Maus kann durch… Sie können kommen.« »Darf man sich eine Zigarette anstecken?« erkundigte sich Rander bei Louis. »Halte nur den Rand«, knurrte der Gangster gereizt. »Warte erst mal ab, was der Chef sagen wird…!« »Wer ist das…?« »Geht dich einen Dreck an!« Mike Rander hob erwartungsvoll den Kopf, als die Tür aufge drückt wurde. Ein fast klein zu nennender Mann erschien, dessen Gesicht einen seltsam fahlen Ausdruck zeigte. Dieser Mann schritt auf Rander zu und baute sich vor ihm auf. »Wer hat Sie hierher gewiesen?« fragte er mit heller Stimme, die ein wenig schrill klang. »Woher wußten Sie, daß Louis und Buck hier zu finden sind?« »Sie vergessen, daß ich Anwalt bin«, antwortete Mike Rander. »Louis und Buck sind mir bekannt… Und das Lokal…? Nun, das hat doch bereits seine Tradition. Ich habe es halt auf einen Ver such ankommen lassen. Sie sehen, es hat sich gelohnt, Han son…!« »Aha, das wissen Sie bereits auch?« fragte der kleine Dicke. »Und was haben Sie hier gewollt?« fragte Hanson weiter. »Ich wollte Kontakt mit Buck und Louis aufnehmen…!« »Wollen Sie jetzt noch behaupten, Sie hätten ein Geschäft vor zuschlagen?« fragte Hanson und lachte laut auf. »Jeder weiß doch, daß Sie keine krummen Touren reiten.« »Vielen Dank für das Kompliment«, sagte Rander. »Selbstver ständlich werde ich Ihnen die Wahrheit sagen. Mein Butler und ich bemühen uns, den Mörder Calbots und Ortners zu finden.«
»Für die Polizei…?« »Falls ja, dann wäre die wohl statt meiner gekommen, oder glauben Sie nicht, Hanson?« gab Mike Rander geschickt zurück. »Parker und ich arbeiten gern allein.« »Ist mir inzwischen bekannt geworden. Die Polizei war bei Ih nen?« »Das ließ sich schließlich nicht vermeiden. Hanson. Mein Butler war Augenzeuge des Mordes an Ortner. Dann hatte er noch o bendrein das Pech, den erstochenen Calbot zu finden. Ich nehme an, die Polizei wird noch häufiger zu uns kommen.« »Nicht mehr zu Ihnen, Rander!« »Darf ich daraus meine Schlüsse ziehen?« »Das sollen Sie sogar! Ich hasse es, wenn man sich um meine Dinge kümmert. Sie sind auf dem besten Weg, mir ein gutes Ge schäft zu verderben. Das kann ich unmöglich zulassen. Ich habe mich also entschlossen, Sie zu verderben.« »Wie geistreich ausgedrückt!« sagte Mike Rander ironisch. »Lassen Sie das lieber sein«, sagte Hanson. »Hören Sie sich an, ob es nicht vielleicht doch noch eine Chance für Sie geben wird…!« »Gut, ich lasse mich in der Hinsicht gern überraschen.« »Einzelheiten interessieren Sie nicht«, schickte Hanson voraus, »soviel sei aber gesagt, ich besitze Unterlagen, die ich sehr gut verkaufen kann. Leider sind sie nicht ganz vollständig, was den Preis drücken wird. Falls Sie die Ergänzung zu diesen Unterlagen besitzen, sollten Sie sie mir geben. Vielleicht können Sie damit Ihr bedrohtes Leben eintauschen.« »Und welche Garantien hätte ich?« »Eigentlich keine. Aber ich habe vor, die Staaten nach diesem Coup ein für allemal zu verlassen. Sie können mir also nicht mehr gefährlich werden. Damit entfällt mein Interesse an Ihrem Tod!« »Das hört sich schon besser an. Was aber die Ergänzung an geht, so weiß ich darüber zu wenig. Butler Parker ist wesentlich besser orientiert.« »Sie geben also zu, daß solche Zusätze existieren?« erkundigte sich Hanson schnell und neugierig. »Und was hat Parker damit vor?« »Er will sie dem Staat wieder zurückgeben. Sie wissen genau, Hanson, daß weder Parker noch ich solche Geschäfte machen würden, die Ihnen vorschweben.«
»Dann sind Sie in meinen Augen ein ausgemachter Trottel«, stellte Hanson schlicht fest. »Also, wie steht es mit meinem Vor schlag, Rander? Viel Zeit kann ich Ihnen nicht lassen. Sie müssen sich schleunigst entscheiden!« »Nun ja, in meiner Lage greift man nach einem Strohhalm. Ich bin einverstanden, Hanson.« »Also gut, wo können meine Leute die Zusätze holen?« »In meinem Dachbungalow«, erwiderte Mike Rander sofort. »Sie liegen in dem Wandsafe neben dem Kamin.« »Haben Sie den Schlüssel bei sich?« »Hier an der Halskette!« »Das ist ja wunderbar«, meinte Hanson, der sichtlich erfreut war. »Und ich hatte schon die Befürchtung, wir müßten Sie erst windelweich prügeln.« »Ich weiß, daß Sie über Mittel verfügen, die selbst den hartnä ckigsten Mann zum Sprechen bringen«, erwiderte Mike Rander ernst und gefaßt. »Warum soll ich dann also Widerstand leisten? Ich würde doch verspielen.« »Sehr einsichtig. So… ich werde selbst losfahren und die Unter lagen holen. Sie wissen ja wohl, was Ihnen blüht, falls Sie mich belogen haben sollten.« »Ein Mensch in meiner Lage schwindelt nicht mehr«, erklärte Mike Rander. »Darf ich mir übrigens eine Zigarette anzünden?« Er durfte. Mike Rander rauchte sich eine Zigarette an und bemühte sich erfolgreich darum, recht geknickt auszusehen. Die beiden Gangs ter Buck und Louis unterhielten sich leise mit ihrem Chef, ohne Rander aber aus den wachsamen Augen zu lassen. »Meine beiden Leute werden Sie jetzt nach unten in den Keller bringen«, sagte Hanson. »Machen Sie aber keinen Unsinn.« Mike Rander nickte ergeben. Hanson verließ das kleine Zimmer. Louis und Buck erklärten Rander, er solle schleunigst aufstehen und losmarschieren. Sie wiesen auf eine Tür, durch die Hanson gegangen war. Hinter der Tür befand sich ein Treppenhaus, recht eng und schmal und ohne jedes Fenster. Eine aus Beton gegossene Treppe führte steil nach unten. Louis ging voraus. Dann folgte Mike Rander, der seine Hände im Nacken verschränken mußte, und schließlich beschloß Buck die sen Ausmarsch. Der Anwalt wußte natürlich sehr genau, was ihm
blühen würde, wenn Hanson enttäuscht zurückkehrte, falls er dazu noch überhaupt in der Lage war. Aber selbst unter dieser Voraussetzung, daß Hanson wichtige Zusatzunterlagen gefunden hätte, bestand für das weitere Leben Randers nicht die geringste Hoffnung mehr. Sie hatten inzwischen den Keller erreicht. Sie blieben allerdings nicht vor der erstbesten Tür stehen, sondern schritten durch ein wahres Labyrinth von Gängen und Gewölben, bis sie schließlich eine recht solide aussehende Wand erreicht hatten. Aber so solide war sie gar nicht. Louis betätigte irgendeinen versteckt ange brachten Mechanismus, worauf ein halbhoher Durchschlupf sicht bar wurde. Louis kletterte zuerst nach unten. »Los, worauf wartest du noch…!« knurrte Buck und stieß dem Anwalt den Lauf der Waffe in den Rücken. »Brauchst wohl eine schriftliche Einladung, wie?« Mike Rander ahnte, was ihn auf der anderen Seite des Durch schlupfes erwartete. Er nickte, bückte sich und traf Anstalten, durch das Loch in der Wand zu klettern. Mike Randers Hände legten sich gegen den steinernen Rahmen, als wolle er sich dort zum Durchsteigen festhalten. In Wirklichkeit aber sorgte der Anwalt nur dafür, daß er einen festen Punkt er hielt. Nachdem das geschafft war, schnellte er seine beiden Beine hoch, wie ein auskeilendes Pferd es zu tun pflegt, hielt sich an dem Rahmen fest und trat mit aller Kraft nach hinten aus… * Gary Lommers, der Spezialist für Fernsehantennen, kickte mit dem rechten Schuhabsatz die Tür ins Schloß und schritt auf Josu ah Parker zu, der sein bestes Sonntagslächeln aufgesetzt hatte. »Was wollen Sie…?« fragte Lommers rauh. »Ich brauche Ihren Rat, Mr. Lommers«, erwiderte Parker. »Ich möchte allerdings gleich vorausschicken, daß er sich nicht auf den Bau von Fernsehantennen bezieht.« »Sagen Sie schon, was Sie wollen«, erwiderte Gary Lommers. Er hatte sich vor dem Butler aufgebaut und sah ihn aus seinen dunklen Augen scharf an. Er versuchte vollkommen harmlos zu erscheinen, doch Josuah Parker hatte inzwischen herausgefun den, daß Lommers sehr gut Bescheid wußte.
»Ich beschäftige mich mit den beiden Mordfällen Ortner und Calbot«, sagte der Butler ruhig, »ich bin fest davon überzeugt, daß Ihnen diese Namen etwas zu sagen haben.« »Keine Ahnung…«, knurrte Lommers. »Aber ich halte es für eine Unverschämtheit, mich wegen solcher Sachen um diese Zeit zu befragen. Wissen Sie nicht, daß Mitternacht längst vorüber ist?« »Oh, ich sah noch Licht und mußte annehmen, daß Sie noch auf sind«, erwiderte der Butler höflich lächelnd. »Zudem ist mir be kannt, daß Sie mit einem gewissen Märten Colm bekannt sind.« »Märten Colm…?« »Ein junger Mann, der an gewissen Unterlagen interessiert war, die James Ortner besaß.« »Sagten Sie gerade >war« »Richtig, ich vergaß Ihnen zu sagen, daß Märten Colm inzwi schen auch verstorben ist… Todesursache war ein Dolchstoß, wie im Falle Roger Calbot.« »Nun hören Sie mal sehr gut zu«, gab Lommers zurück. »Was Sie sich da zurechtreden, ist Ihre Sache… Ich habe mit den Mor den nichts zu tun, soviel weiß ich jedenfalls… Und was diesen Colm angeht, so war er zwar hier bei mir in der Werkstatt, aber nur, um mir einen Auftrag zu erteilen. So, jetzt haben Sie Ihre Auskünfte erhalten.« »Wollte Colm sich eine Fernsehantenne bauen lassen?« »Ja, wenn Sie es genau wissen wollen«, erwiderte Lommers jetzt gereizt. »Und deshalb sagten Sie ihm, er solle möglichst nicht hierher vorbeikommen, sondern sich nur per Telefon mit Ihnen in Verbin dung setzen? Sie müssen zugeben, Mr. Lommers, daß sich Ihre Erklärungen nicht sehr überzeugend anhören.« »Gehen Sie doch zur Polizei, wenn Sie mir nicht glauben.« »Angenommen, ich würde das nun endlich tun. Bisher habe ich versucht, das Rätsel um die drei Morde allein zu lösen. Mir scheint aber, daß sich die Behörden nun einmischen sollten. Wäre Ihnen solch eine Einmischung recht?« »Der Teufel soll Sie holen«, schnaubte Lommers. »Weshalb kümmern Sie sich eigentlich um Sachen, die Sie nichts angehen? Suchen Sie einen Klienten…« »Ich suche eine dreifachen Mörder«, antwortete Parker schlicht, »und ich bin nach wie vor der Meinung, daß Sie mir wichtige In formationen geben können.«
»Sie nehmen an, ich sei der Mörder?« »Ich möchte mich lieber noch nicht festlegen.« »Jetzt aber nichts wie raus«, brüllte Lommers los. »Wenn Sie jetzt nicht sofort abschieben, werde ich handgreiflich.« Im Gegensatz zu seiner Vorwarnung sprang er den Butler sofort an. Josuah Parker ließ sich von diesem Angriff nicht aus der Fas sung bringen. Er hatte schon ganz anderen menschlichen Pan therkatzen gegenübergestanden. Schlicht und zweckmäßig trat er zur Seite. Lommers konnte die Flugrichtung nicht mehr ändern und lande te auf dem harten Fußboden. Doch er war nicht gewillt, die Segel zu streichen. Er schnellte sich sofort wieder zur Seite, und es ge lang ihm, die Beine des Butlers zu ergreifen. Josuah Parker verwandelte sich in einen Gummimann. Er ließ sich über Lommers fallen und blieb auf ihm liegen. Was Parker dann im einzelnen tat, kann übergangen werden. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß er nach knapp einer Minute wieder auf stand. Er suchte und fand auf der Werkbank Bindfaden und be nutzte ihn dazu, Lommers zu verschnüren. Beim Durchsuchen dieser Werkstatt plus Wohnung wollte der Butler nicht weiter ge stört werden. Im Handumdrehen war Lommers außer Gefecht gesetzt worden. Josuah Parker leistete sich in Anbetracht der günstigen Lage eine seiner berüchtigten schwarzen Zigarren. Genußreich paffend ging er dann an die Arbeit, sich bei Lommers genau umzusehen. Er wunderte sich schon gar nicht mehr darüber, auch hier eine komplette Fotoausrüstung anzutreffen. Im Grunde hatte er fest damit gerechnet, auf sie zu stoßen. Größeres. Interesse fand ein schmaler Stahlschrank, der fest verschlossen war. Um sich unnötige Arbeit zu ersparen, durch suchte der Butler die Taschen des gefesselten Mannes, fand einen einzelnen Schlüssel in der Hosentasche und versuchte ihn am Stahlschrank. Er paßte. Parker öffnete die Tür und nickte zufrie den. Sonderlich überrascht war er nicht, hier im Schrank eingebaut eine komplette Empfangs- und Sendeanlage anzutreffen. Um sonst hatte Lommers sich nicht in der engeren Nachbarschaft als Antennenspezialist ausgegeben. Damit hatte er die Errichtung seiner hohen Antenne für den Funkverkehr kaschiert.
Josuah Parker ließ die Schranktür geöffnet und suchte weiter in der Dachwohnung nach belastendem Material. Leider kam er aber nicht mehr dazu, seine Suche zu beenden, denn er hörte plötzlich ein quäkendes Schnarren, das sofort seine Aufmerksamkeit er weckte. Die Türklingel konnte das nicht gewesen sein. Hatte sich die Funkanlage gemeldet? Er ging zum Stahlschrank und sah nach. Nein, sämtliche Zeiger der Instrumente standen auf Nullstellung. Das schnarrende Quäken war übrigens noch zweimal zu hören, dann tat sich nichts mehr. Parker, scheinbar wieder beim Suchen und Forschen, schickte verstohlene und auf merksame Blicke zu Lommers hinüber, der inzwischen wieder zu sich gekommen war. Lommers wußte natürlich, was dieses Quäken und Schnarren zu bedeuten hatte, aber er würde sich hüten, eine Erklärung ab zugeben. Josuah Parker konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß Lommers nur deshalb solange aufgeblieben war, weil er Be such erwartete. Hatte das Schnarren und Quäken diesen Besuch angedeutet? Würde dieser Besuch über die Treppe kommen, an der Woh nungstür klingeln? Parker wollte und konnte darauf keine Antwort geben. Er mußte abwarten, was sich tat. Hoffentlich erschien der Besucher, mit dem Parker rechnete. Lommers war auf jeden Fall sehr unruhig geworden und schielte unmißverständlich zur Tür, die hinaus auf den kleinen Dachbalkon führte. War das ein Bluff? Wußte Lommers, daß Parker ihn beobachte te? Wollte er die Aufmerksamkeit des Butlers in die falsche Rich tung lenken? Josuah Parker blieb vor dem Funkgerät stehen und tat so, als würde er es genau studieren. In Wirklichkeit aber waren all seine Sinne gespannt. Er rechnete damit, daß jeden Moment die scheinbare Ruhe durchbrochen würde. Plötzlich glaubte Josuah Parker ein Geräusch gehört zu haben. Sein Blick glitt zu Lommers hinüber, der regungslos am Boden lag und wohl auch etwas vernommen haben mochte. Im selben Moment wurde Parker sich darüber klar, daß er einen fundamentalen Fehler begangen hatte. Gary Lommers befand sich in einer Schußlinie, falls der Besu cher über den Balkon einsteigen wollte.
Josuah Parker nahm seinen Regenschirm, schob die Krücke nach vorn und hakte damit in die Bindfäden ein, die die Beine des Funkers zusammenhielten. Dann zerrte und zog der Butler den stämmigen und recht schweren Mann zu sich in die Deckung. Im selben Moment war zweimal ein dumpfes »Plopp« zu hören. Revolver mit Schalldämpfer, sagte sich Parker sofort. Er sah, daß Lommers wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Parker verdoppelte seine Anstrengung, und es gelang ihm, vor dem dritten »Plopp« Lommers in Deckung zu bringen. Erst jetzt konnte Josuah Parker sich mit dem nächtlichen Besu cher befassen. Das heißt, er ließ sich selbstverständlich nicht se hen. Er hoffte nur, daß die Neugier den Mann in die Wohnung treiben würde. Dann war für Parker der richtige Zeitpunkt ge kommen, etwas gegen ihn zu unternehmen. Josuah Parker dachte nicht daran, sich zu rühren. In der Zwangslage befand sich der Besucher. Er wußte, daß Lommers überrumpelt und die Funkanlage entdeckt worden war. Er konnte sich an den fünf Fingern ausrechnen, was nun folgen würde. Die Organisation würde platzen. Das mußte dieser Mann doch schließlich verhindern. Er mußte wenigstens den Versuch machen. Parker hatte sich inzwischen zu Lommers hinuntergebeugt, der tatsächlich böse getroffen war. Aus einer Brustwunde floß Blut. Der Butler holte aus den unergründlichen Manteltaschen Ver bandszeug und legte dem angeschossenen Mann einen Notver band an. Wieder klang jenes feine, scharrende Geräusch draußen auf dem Balkon, dann war es wieder still. Josuah Parker verließ die Deckung und huschte schnell zum Balkon. Es war nichts mehr zu sehen. Der Schütze war. auf einem Flachdach, auf dem ganze Bündel von Schornsteinen zu sehen waren verschwunden. Josuah Parker ging an das Telefon, hob den Hörer dann aus der Gabel und wollte sich anschicken, die Nummer des örtlichen FBIBüros anzurufen. Doch nach kurzer Überlegung legte er den Hö rer wieder auf, ohne überhaupt eine Verbindung hergestellt zu haben. Ihm war ein besserer Gedanke gekommen. Parker schaltete sicherheitshalber erst einmal das Licht in der Wohnung aus und ging zur Tür. Wer ihn auch heimlich beobach
tete, der Eindruck mußte erweckt werden, er habe es jetzt auf einmal sehr eilig, sich abzusetzen. Parker stiefelte über die Treppen nach unten. Alles in ihm war gespannte Aufmerksamkeit. Er konnte sich nämlich sehr gut vorstellen, daß der Schütze ihn entweder bereits im Treppenhaus erwartete oder aber draußen auf der Straße. Wie ernst der Butler diesen Gang nahm, war ei gentlich schon daran zu erkennen, daß er seinen Revolver gezo gen hatte und ihn entsichert in der Hand hielt. »Parker…?« Josuah Parker blieb sofort stehen und duckte sich. »Stormers hier…!« hauchte eine Stimme aus der Dunkelheit weiter. »Was ist los?« »Laufen Sie rauf in Lommers’ Wohnung. Ich muß weiter meine Rolle spielen«, gab er Butler zurück. »Schnell, bevor man uns hereinlegt!« Sicherheitshalber ließ der Butler seine Taschenlampe, die er weit von sich hielt, aufflammen. Er war beruhigt. Im Lichtkegel war tatsächlich der FBI-Beamte Stormers zu erkennen. Er husch te an dem Butler vorbei nach oben. Josuah Parker hingegen schlich weiter vorsichtig nach unten. Ein Prickeln auf seiner Haut ließ sich nicht ganz unterdrücken. Schließlich mußte er damit rechnen, aus der Dunkelheit ange schossen zu werden. Als er den Eingang erreicht hatte und vorsichtig die Straße be treten wollte, da hämmerte plötzlich eine Maschinenpistole los. Butler Parker ging daraufhin zu Boden, während ein Motor auf heulte und ein Wagen in schneller Fahrt auf der dunklen Straße verschwand. * Die Gangster zappelten im Netz, aber sie wußten noch nichts davon. Hanson hatte den Splitting-Billard-Saal verlassen und sich schleunigst in seinen Wagen gesetzt. Er fühlte noch einmal nach dem Tresorschlüssel, bevor er den Motor anspringen ließ. Er leis tete sich ein freundliches Lächeln, als er daran dachte, wie schnell doch dieser Mike Rander umgefallen war.
Er konnte schließlich nicht wissen, was sich inzwischen im Keller des Gebäudes abgespielt hatte. Zudem hatte er nicht die gerings te Ahnung, daß er bereits beschattet wurde. Um den immer sehr mißtrauischen Hanson erst gar nicht nervös werden zu lassen, hatten die Beamten des Staates so etwas wie eine überlappende Verfolgung und Beschattung aufgebaut. Sie erforderte zwar einen recht erheblichen Einsatz von Menschen und Material, aber es lohnte sich. Hanson wäre niemals darauf gekommen, daß ihm die Verfolger bereits im Nacken saßen. Selbstverständlich war Hanson sehr mißtrauisch. Er schaute immer wieder in den Rückspiegel seines Wagens. Aber bei aller Vorsicht und bei allem Wachsein konnte er keinen Wagen entde cken, dem zu mißtrauen war. Schließlich beruhigte sich der Gangster vollkommen. Er hatte nach einer Fahrt, die sich in den Grenzen der im Stadt gebiet erlaubten Geschwindigkeit bewegte, den großen Boulevard am Michigan erreicht. Lange brauchte er nicht nach dem Hoch haus zu suchen, in dem Parker und Rander wohnten. Hanson parkte seinen Wagen, stieg ins Freie und warf ein prü fender Blick in die Runde. Von Polizei war weit und breit nichts zu sehen. Er ging über die Steintreppen zur Halle hoch und nickte dem Portier in dem Glaskasten freundlich zu. Der Mann nickte zurück und tippte gegen seine Mütze. Er war ebenfalls ein Detektiv. Hanson ließ sich von dem Lift nach oben bringen. Um den Por tier zu irritieren, fuhr er natürlich nicht ganz nach oben, sondern stieg unterwegs noch zweimal um. Endlich hatte er die letzte Station erreicht. Er schaute zur Treppe hoch, die zum Dachgarten führte. Noch war er fest davon überzeugt, dicht vor seinem Ziel zu stehen. Auch auf dem Dachgarten hatten sich einige Detektive aufge baut. Sie waren allerdings in Deckung gegangen und ließen den Gangsterchef nicht aus den Augen. Sie wollten ihn auf frischer Tat ertappen und herausfinden, weshalb er eigentlich hierher gefah ren war. Hanson fand die Tür zum Dachgarten geöffnet. Entgegenkommend, wie die Polizei hin und wieder sein soll und kann, war sie bereits von ihr aufgesperrt worden. Man wollte es Hanson eben so bequem wie nur eben möglich machen. Er sollte
sich schließlich nicht unnötig anstrengen und vielleicht im letzten Moment noch die Lust an der Sache verlieren. Hanson war und blieb ahnungslos. Er erreichte die Tür zum Bungalow. Das Schloß bot seinem Ge schick kaum einen Widerstand. Das lag allerdings an Mike Rander, der sich nach vier ruinierten Türschlössern endlich entschlos sen hatte, nur noch ein ganz einfaches, leicht zu öffnendes Schloß einbauen zu lassen. Der Gangsterchef verschwand im Bungalow. Er schritt durch den kleinen Vorkorridor und betrat das Wohn zimmer. Mike Rander hatte ihm genau die Lage des Tresors be schrieben. Er befand sich hinter einem Bild, das Hanson abhängte und dann in einem Anfall von Zerstörungswut auf den Boden warf. Wenn dieser Kerl mich mit dem Schlüssel hereingelegt haben sollte, dann würde es ihm dreckig ergehen, sagte er sich. Ich werde ihn so oder so abservieren lassen, aber in dem Fall wird er wohl nicht so schnell sterben, das kann ich ihm garantieren. Alle Aufregung war umsonst! Natürlich paßte der Schlüssel. Hanson merkte es sofort, als er ihn in das Schloß einführte. Er machte die bewußte Drehung und zog die schwere Stahltür mit sichtlichem Genuß auf. Er trat Anstalten, in die Fächer hineinzugreifen. Doch er wurde bitter, sehr bitter enttäuscht.Im selben Moment nämlich traf eine Art Preßluftstrahl sein erhitztes Gesicht. Gleichzeitig damit be gannen seine Augen zu brennen und zu tränen. Die Luft wurde ihm knapp. Er hustete und röchelte und glaubte, ersticken zu müssen. Bevor er aber diesen Gedanken zu Ende denken konnte, wurde er ohnmächtig und sackte in sich zusammen. Der Gangster konnte ja schließlich nicht wissen, daß er den Re nommiersafe geöffnet hatte, der präpariert war und keinerlei Un terlagen enthielt. Dieser Safe war eine Art Rettungsanker für den Fall, daß Rander oder Parker einmal in eine böse Lage gerieten und Zeit für sich und ihr Leben herausschinden mußten. Die Preß luftladung enthielt ein hochwirksames Betäubungsgift, das den Getroffenen dann für längere Zeit auf dem Boden festhielt. Als die Detektivbeamten vergeblich darauf warteten, daß Han son den Bungalow wieder verließ, sahen sie nach dem Gangster chef. Sie hatten ihre Dienstpistolen gezogen und pirschten sich vorsichtig in das einstöckige Haus hinein.
Der Festnahme Hansons stand aber nun nichts mehr im Weg. Schließlich war er auf frischer Tat ertappt worden. Als der Gangs terchef endlich wieder zu sich kam, fand er sich zuerst nicht zu recht. Dann erkannte er allerdings das kleine, viereckige, vergit terte Fenster und die solide Zellentür. In diesem Moment ging ihm ein Licht auf. * Louis Bagotti, der bereits durch den Durchschlupf geklettert war, hörte auf der anderen Seite einen Krach und daraufhin ein Stöhnen. Er wußte sofort, daß sich eine Panne ereignet hatte. Da er seinen Revolver nun schon schußbereit in der Hand hielt, woll te er ihn auch benutzen. »Verdammter Hund«, knurrte Mike Rander, der sehr wachsam neben dem Durchschlupf stand und auf seine große Chance war tete. Er konnte sich leider nicht nach der Waffe bücken, die Buck verloren hatte, sonst wäre er von Louis unbedingt gesehen wor den. Louis ließ sich bluffen. Er schob seinen Oberkörper durch die Maueröffnung, erkannte zu spät, daß er auf Randers Trick herein gefallen war und mußte im gleichen Moment den Handkanten schlag Randers voll einstecken. Er blieb regungslos auf der Schwelle des Durchbruchs hängen. Mike Rander verwendete die Leibriemen der beiden Männer da zu, ihnen die Arme auf dem Rücken zusammenzuschnüren, damit sie wenigstens nicht unmittelbar nach ihrem Erwachen wild spie len konnten. Die Krawatten erwiesen sich als ausgezeichnete Stri cke, mit denen Rander dann noch die Hände der Gangster band. Dann interessierte er sich für den Mauerdurchbruch, durch den man ihn hatte schleppen wollen. Nun, er sah nur in einen anderen Keller hinein. Wahrscheinlich sollte er auf diesem Umweg in ein anderes Haus transportiert werden, um von dort aus dann in dem Wagen der Gangster zu landen. Bevor sich der Anwalt Gedanken darüber machen konnte, wie er die beiden Gangster aus dem Keller bekam, waren Schritte in den Gewölben zu vernehmen. Mike Rander nahm sofort Deckung. Aber seine Sorge war unbe gründet.
Zu seiner grenzenlosen Erleichterung erschienen war einige Männer, aber sie erwiesen sich als Kriminalbeamte, die Rander mitteilen konnten, der Gangsterchef Hanson sei bereits im Bunga low festgenommen worden. »Ausgezeichnet«, sagte Mike Rander da nur und lächelte. »Da mit dürfte dieses Kapitel beendet sei… Fragt sich nur, was Parker inzwischen angestellt hat…« * Nun, der Butler hatte nichts angestellt. Er war noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Die Blei geschosse aus der Maschinenpistole hatten ihn nicht getroffen. Zu seinem Leidwesen war es ihm allerdings auch nicht möglich ge wesen, sich dem Schützen an die Fersen zu heften. Der hatte sich nämlich in seinem Wagen blitzschnell abgesetzt. Nach diesem recht gefährlichen Intermezzo konnte Josuah Par ker vorerst einmal die Jagd abblasen. Er wußte, daß jetzt die gro ße Verschnaufpause vor der letzten entscheidenden Runde ge kommen war. Fast bezweifelte er sogar, daß diese letzte Runde noch steigen würde. Er hatte das dumpfe Gefühl, soeben unmit telbare Bekanntschaft mit dem eigentlichen Spion gemacht zu haben. Aber dieser Mann war ihm eben entwischt. Ob Lommers reden würde, war noch fraglich. Der Butler beruhigte den FBI-Beamten, der nach unten gelaufen war. Nein, er hatte sich nicht verletzt. Dafür erkundigt sich Parker nach dem Befinden Lommers! Er mußte hören, daß es um diesen Mann schlecht stand. Der FBI-Mann hatte bereits seine Dienst stelle informiert und wartete auf das Eintreffen der Wagen. »Damit dürfte ich wohl für diese Nacht entlastet sein«, sagte Butler Josuah Parker. »Sie wissen ja, wo ich zu finden bin…« »Natürlich… Gut, daß Sie gerade rechtzeitig bei Lommers wa ren, sonst wäre er wohl schon tot.« »Hegen Sie wirklich die Hoffnung, daß Lommers reden wird?« »Wenn man ihm klarmacht, daß er von seinem Partner erschos sen werden sollte, wird er früher oder später seinen Mund aufma chen. Aber vorerst müssen sich mal die Ärzte um ihn kümmern.«
Josuah Parker leistete sich in Anbetracht der Lage eine seiner spezialangefertigten Zigarren. Er stellte sich aber so hin, daß der FBI-Beamte nicht von den beizenden Rauchschwaden berührt wurde. Dennoch warf der Mann einen sehr mißtrauischen Blick auf die Zigarre. Bald darauf erschienen zwei Dienstwagen der Polizei. Parker sah sich zu seinem Leidwesen gezwungen, die kaum angerauchte Zi garre wieder wegzuwerfen. Er hatte sich im Laufe der Zeit näm lich damit abgefunden, daß seine Zigarren auf die Umwelt scho ckierend wirkten. Der Verlust schmerzte ihn nur noch sehr wenig, als er nun aus erster Hand erfuhr, daß auch Anwalt Mike Rander Erfolg und sehr viel Glück gehabt hatte. Rander erwartete den Butler im Bunga low auf dem Dachgarten. Einer der FBI-Beamten erklärte sich bereit, Parker auf dem schnellsten Weg dorthin zu bringen. Der Butler stieg in den schweren Dienstwagen und stand nach gut zwanzig Minuten Mike Rander gegenüber. Anwesend waren noch Stormers vom FBI und Capitain Pritton vom Morddezernat der City Police. Parker erinnerte sich sofort seiner Pflichten und mixte Drinks. Die vier Männer saßen noch eine gute halbe Stunde zusammen und beredeten den Fall, der ja nun scheinbar abgeschlossen war. Aber nur scheinbar. Es existierte immer noch ein Mann. Und die ser Mann, der den Butler mit einer Bleiladung überschüttet hatte, schien nach der Lage der Dinge der eigentliche Hauptspion zu sein. Nach dem Weggang von Pritton und Stormers legten sich Rander und Parker zu Bett. Sie waren sehr lange auf den Beinen ge wesen und wußten sehr genau, was sie in der Zwischenzeit alles getan und erledigt hatten. So war es denn auch kein Wunder, daß sie bis gegen Mittag des Tages schliefen. Josuah Parker war zuerst auf. Er bereitete in der kleinen Küche ein erstklassiges Frühstück, konnte dabei ungehindert seine Zigarre rauchen und widmete sich mit Hingabe dem Aufbrühen des Kaffees. Als er dann später mit dem Tablett in das Wohnzimmer kam, war auch Mike Rander bereits auf den Beinen. Er beschäftigte sich mit dem Rettungssafe und bastelte gerade eine neue Preßluft patrone in den Mechanismus.
»Haben Sie schon gefrühstückt, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Ich werde das gleich in der Küche besorgen«, gab der Butler zurück. »Holen Sie sich schleunigst Ihren Kram aus der Küche und set zen Sie sich zu mir an den Tisch«, sagte Rander. »Ich habe mit Ihnen zu reden…!« »Sir, Sie wissen, ich würde es mir niemals verzeihen, als Butler zusammen mit Ihnen an einem Tisch…« »Ich habe mit Ihnen über den Fall zu reden«, sagte Mike Rander. »Aber bitte, wenn Sie glauben, darauf verzichten zu können, mir soll es recht sein. Dann werde ich Sie eben übergehen.« Josuah Parker gab seinen Widerstand auf und ging zurück in die Küche. Bald darauf erschien er mit einem Besteck, mit Tasse und frischen Brötchen. Umständlich ließ er sich nieder und sah seinen Herrn erwartungsvoll an. »Ich will es kurz machen«, meinte Mike Rander. »Wie kommen wir an den Mann heran, der auf Lommers und auf Sie geschossen hat? Haben Sie da bereits eine gewisse Vorstellung?« »Sir, ich muß gestehen, daß auch ich, bildlich gesprochen, in der Luft hänge!« Mike Rander grinste, als wisse er bereits mehr. »Sind Sie fest davon überzeugt, Parker?« »Ich verstehe Ihre Frage nicht, Sir, mit Verlaub gesagt, sie hört sich so an, als mißtrauten Sie mir.« »Selbstverständlich tue ich das nicht. Sie müßten nicht Sie selbst sein, wenn Sie nicht noch eine Trumpfkarte im Ärmel ste cken hätten. Also, heraus mit der Sprache!« »Nun, Sir, ich habe mir natürlich bereits einige Gedanken ge macht…« »Und die hören sich wie an?« »Mein Interesse kreist nach wie vor um den Friseursalon in dem Hotelgebäude«, erwiderte der Butler. »Sie kennen meine Theorie, Sir. James Ortner trug die Unterlagen mit sich herum. Er schien auf dem Weg zu der Person zu sein, die wir suchen und der er die Unterlagen verkaufen wollte. Sie kennen meine Ansicht über sei nen Wunsch, sich rasieren zu lassen. Kurz, ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, daß James Ortner nur deshalb den Salon aufsuchte, um hier die Unterlagen zu übergeben und sein Ge schäft abzuwickeln. Mit Calbot, nicht wahr?«
»Vielleicht. Vorsichtig ausgedrückt!« »Warum sollte Calbot es nicht gewesen sein?« »Nun, Sir, ich habe versucht, mich in die Gedankenwelt eines Spions zu versetzen. Ortner war im Salon von Spiegeln umgeben. Er mußte fest damit rechnen, möglicherweise gesehen und beo bachtet zu werden. Wie sollte er in dieser Umgebung die Hülle übergeben?« »Aha, so meinen Sie das also?« »Ich möchte meine erste Stellungnahme dahingehend erwei tern, daß Ortner zwar den Schauplatz erreicht hatte, auf dem die Übergabe stattfinden sollte. Schauplatz aber nur im allgemeinen Sinn des Wortes.« »Wie soll ich das verstehen?« »Ja, Sir! Ich habe mir folgendes zurechtgelegt. Ortner betrat den Friseursalon, um damit seinem Geschäftspartner anzuzeigen, er sei da. Der Mann konnte daraufhin seinerseits gewisse Vorkeh rungen treffen. Ich bin fest davon überzeug, daß Ortner nach dem Rasieren zu rück in die Hotelhalle gegangen wäre. Gerade eine belebte Hotel halle ist doch der geeignete Ort, sich unauffällig mit einem Men schen zu treffen, finden Sie nicht auch?« »Durchaus richtig, aber wenn wir das unterstellen, Parker, dann sitzen wir vollkommen auf dem trockenen. In einer Hotelhalle strudeln viele Menschen herum. Wie sollen wir den finden, den wir suchen? Das erscheint mir unmöglich.« »In der Tat, Sir. Das sehe ich ein.« »Mir gefällt an Ihrer Theorie nicht, daß Sie nun auf einmal Cal bot ausklammern wollen«, sagte Mike Rander. »Schließlich wurde er nicht aus einer Laune heraus ermordet. Schließlich dürfte fest stehen, daß er die Hülle zum Herstellen von Mikroaufnahmen be saß. Das alles spricht doch sehr eindeutig gegen ihn.« »Calbot hatte seine Hand mit im Spiel«, entgegnete der Butler daraufhin. »Ich bin mir jetzt nur nicht mehr sicher, auf welcher Seite er wohl gestanden haben mag.« »Zum Henker, ich habe das Gefühl, daß wir uns nun im Kreis herumdrehen«, meinte Mike Rander, sich eine Zigarette anzün dend. »Ich bedaure das sehr, Sir«, meinte der Butler sanft, »aber viel leicht werden uns die polizeilichen Ermittlungen weiterbringen.«
»Wir wollen es hoffen«, sagte Mike Rander. »Ich werde gleich mal zu Pritton und Stormers fahren. Sie können selbstverständ lich mitkommen, Parker.« »Ich möchte erst einmal die Wohnung aufräumen«, erklärte Butler Parker höflich. »Zudem werde ich ja später von Ihnen er fahren, wie weit die Ermittlungen bereits vorangeschritten sind.« »Wie Sie wollen, Parker.« Mike Rander war arglos. Er hätte doch seinen Butler besser kennen müssen. Aber an diesem Vormittag schöpfte er keinen Verdacht. Er war der Meinung, daß die Dinge zu einem gewissen Abschluß gebracht worden waren. Als er das Haus verlassen hatte, stand der Butler oben an der Brüstung des Dachgartens und schaute auf die Straße hinunter. Er dachte nicht daran, sich mit der Wohnung zu befassen. Er brannte darauf, sich wieder einmal zu betätigen. Er glaubte be gründete Hoffnung zu haben, den Hauptspion früher oder später auf eigene Faust erwischen zu können. Er zog sich seinen schwarzen Covercoat über, setzte sich seine Melone auf und vergaß auch nicht seinen Spezial-Regenschirm. Nachdem er die Taschen seinen Mantels inspiziert hatte, fuhr er mit dem Lift hinunter in die Garage, die sich hinter dem Hochhaus befand. Er schloß die Drahtbox auf, in der sein Spezialwagen stand, setzte sich an das Steuer und ließ den Motor anspringen. Wenig später steuerte er sein Monstrum hinauf auf die Straße. Parker beabsichtigte übrigens, hinaus nach Eastport zu fahren, um sich erst einmal mit dem Fotografen zu unterhalten, der das Foto mit der Widmung dieser June hergestellt hatte. Eastport war zwar ein kleiner, aber recht exklusiver Jachthafen, ungefähr so zwanzig Meilen von Chikago entfernt. Nachdem der Butler die breite Ausfallstraße erreicht hatte, auf der es keine Geschwindigkeitsbegrenzung für ihn gab, steigerte er die Schnelligkeit seiner Kutsche. Das Monstrum war nicht mehr wiederzuerkennen. Es schien sich förmlich geduckt zu haben. Mit einer Geschwin digkeit, die an die eines hochgezüchteten Rennwagens erinnerte, fegte der Butler über die Betonstraße. Angeregt durch die schnelle Fahrt, hatte der Butler nun Zeit und Muße, sich einige spezielle Gedanken zu machen. Als er Eastport dann erreicht hatte, war in seinen Augen der Schimmer eines stillen Vergnügens zu erkennen.
*
Lange brauchte der Butler nicht nach dem Fotogeschäft zu su chen, in dem die Aufnahme entwickelt und vergrößert worden war. Es handelte sich um einen sehr vornehm aufgezogenen La den, der in dieser Jahreszeit und bei diesem schlechten Wetter allerdings einen recht trübseligen Anblick bot. Der Besitzer des Geschäftes, ein gewisser Mark Bellergon, stürzte sich förmlich hinter die Theke, nachdem Parker beim Öff nen der Tür die Klingel betätigt hatte. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sieh Bellergon freudig erregt darüber, daß ein Kunde zu ihm gefunden hatte. Parker ging sehr geschickt vor. Er ließ sich einige Filmpackungen zeigen, betrachtete sich einen Kameraapparat sehr eingehend und ließ seine Absicht durchbli cken, er sei an einem Kauf nicht uninteressiert. »Ich möchte betonen, daß ich nur für meinen Herrn einkaufe«, sagte Butler Parker. »Mr. Rander wird in den nächsten Tagen sei ne Jacht hier vor Anker gehen lassen. Ich habe da noch ein paar Vorbereitungen zu treffen!« »Eastport wird Ihrer Herrschaft sicher gut gefallen«, sagte Mr. Bellergon, um dann in einem Anflug von Scherz hinzuzufügen: »Es regnet nämlich nicht immer!« »Das dachte ich mir schon«, erwiderte Parker beruhigt. »Gewisse Erinnerungen an schöne, glückliche Stunden und Tage ziehen Mr. Rander hierher nach Eastport zurück. Sie müssen ihn übri gens schon einmal gesehen haben. Er war Kunde in Ihrem Ge schäft…!« »Was Sie nicht sagen«, freute sich Bellergon weiter. »Dann wird er Sie gewiß zu mir geschickt haben, nicht wahr?« »Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das durchaus«, erwider te der Butler und brachte es fertig, verlegen und geheimnisvoll zu wirken. »Kann ich mit Ihrer Diskretion rechnen, Mr. Bellergon?« »Aber selbstverständlich!« »Es handelt sich um eine Dame, die meine Herrschaft hier in Eastport getroffen hat«, sagte Parker weiter. »Es gab da leider eine kleine Verstimmung zwischen jener Dame und meinem
Herrn. Kurz, wie das eben so ist, in einem Anfall von Ärger ver brannte mein Herr Briefe und Bilder, die er von jener Dame erhal ten hatte…« »Ich verstehe vollkommen«, erwiderte Mr. Bellergon weise und sah sich veranlaßt, ein recht trauriges Gesicht zu ziehen. »Nun ist aber eine gewisse Wandlung eingetreten«, phantasier te der Butler weiter. »Mein Herr kann den Gedanken an jene Da me nicht mehr loswerden. Kurz, er möchte sie wiedersehen und Versöhnung mit ihr feiern.« »Eine lobenswerte Ansicht«, äußerte sich Bellergon. »Nicht wahr«, pflichtete der Butler bei. »Leider existieren aber die Briefe nicht mehr, mithin weiß meine Herrschaft also auch nicht, wo diese Dame genau zu finden ist. Nur dieses Bildchen hier entging der allgemeinen Vernichtung. Es trägt den Vermerk Ihres Ateliers… Jetzt ist die entscheidende Frage, ob Sie vielleicht helfend einspringen können? Ich könnte mir vorstellen, daß Sie so etwas wie eine Kundenkartei führen. Ein so vorbildlich geführtes Fachgeschäft, wie Sie es besitzen, wird seine Kunden bestimmt genau registrieren…!« »Sie haben vollkommen recht«, erwiderte Bellergon geschmei chelt. »Solch eine Kartei existiert. Darf ich das Bild einmal näher betrachten?« Der Butler reichte das Foto mit der Widmung Junes. Mr. Beller gon studierte die Gesichter von Roger Calbot und der Dame June. Dann wendete er das Bild herum, entdeckte die Inschrift und sah schleunigst und sehr taktvoll wieder weg. »Ich rechne mit Ihrer Diskretion«, sagte Parker noch einmal. »Also können Sie sich die Inschrift gern ansehen. Die Dame heißt mit Vornamen June. Vielleicht können Sie damit etwas anfan gen.« »Oh, ich weiß schon Bescheid«, sagte Bellergon zu Parkers ehr licher Überraschung. »Miß June wohnt hier in Eastport. Ich sehe sie täglich.« »Was Sie nicht sagen…!« »Sie ist die Directrice eines Motels. Es befindet sich weiter un ten, hart am Wasser.« »Und ihr ganzer Name?« »June Celby. Eine sehr nette Dame. Sie kam damals mit den Aufnahmen und ließ sie entwickeln und vergrößern. Das war im vergangenen Sommer.«
»Sie ahnen nicht, zu welchem Dank ich Ihnen verpflichtet bin«, erklärte Butler Parker. Um den Mann nicht zu enttäuschen, kaufte er einige Filmrollen ein. Was den Apparat anbetraf, so erklärte er, seine Herrschaft würde doch wohl selbst vorbeikommen und sich dann endgültig entscheiden. Josuah Parker setzte sich die schwarze Melone auf und verließ das Fotogeschäft. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, so schnell zum Ziel zu gelangen. Er setzte sich zurück in sein hochbeiniges Monstrum und steuer te das Motel hart am Strand an. Er sah einen gepflegten Park, gut geschnittenen Rasen und et wa zehn Doppel-Bungalows, die weit verstreut in dem Park stan den. Vor dem Eingang gab es einen Bürotrakt, der zweistöckig war. Parker bremste seinen Karren vor dem Eingang ab, stieg aus und schritt würdevoll in das Büro des Motels. Verständlicherweise war es leer, denn bei dem herrschenden Wetter war mit Gästen ja nicht zu rechnen. Erst als Parker einen an der Theke angebrachten Klingelknopf berührte, erschien ein Vielleicht zwanzigjähriges Mädchen, das den Butler erstaunt ansah und dann Mühe hatte, ein aufsteigendes Prusten zu unterdrücken. »Ich möchte Miß Celby sprechen«, sagte Parker. »Würden Sie bitte die Güte haben, sie zu informieren?« Jetzt brauchte das Mädchen nicht mehr mit einem aufsteigen den Prusten zu kämpfen. Es musterte den Butler fast erschreckt und schien mit sich zu Rate zu gehen, mit wem sie es wohl zu tun haben könnte. Mit einem Verrückten oder mit einem normalen Menschen, der ihr nur einen Schreck einjagen wollte. »Ich – ich, ich hole sie«, stammelte die Zwanzigjährige und ver schwand blitzschnell aus dem kleinen Büro. Josuah Parker schüt telte leicht den Kopf und sah ihr mißbilligend nach. Es dauerte recht lange, bevor sich endlich etwas tat. Als Parker gerade ungeduldig werden wollte, waren Schritte zu hören. Bald darauf erschien eine etwa vierzigjährige, noch sehr gut ausse hende Frau, deren Haar schwarz war. Parker erkannte sie sofort wieder. Sie entsprach genau dem Bild, auf dem sie zu sehen war. »ich bin June Celby«, sagte sie. »Sie wollten mich sprechen?«
»Ich heiße Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor. »Miß Cel by, ich bin gekommen, um Ihnen Grüße von Monsieur Roger Cal bot zu überbringen.« »Oh, Roger?« fragte sie zurück, und ein erstauntes Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen. »Sie kennen ihn gut, nicht wahr?« »Wollen Sie mir nicht sagen, was er mir zu bestellen hat?« frag te sie, ohne seine Frage zu beantworten. »Nun, Miß Celby, Roger Calbot ist leider erstochen worden…!« Parker war für gewöhnlich ein ungemein rücksichtsvoller Mensch. In diesem Fall aber glaubte er, der Frau einen Schock versetzen zu müssen, damit sie ihre aufgesetzte Reserve, die nicht echt zu sein schien, endlich verlor. Sie schloß zwar für einen Moment wie betroffen die Augen, ihr Mund öffnete sich hilflos, aber dann hatte sie diese Nachricht auch schon verdaut. Sie sah den Butler fest und abschätzend an. Josuah Parker hatte wieder das Gefühl, als wüßte sie bereits, was mit Calbot passiert war. Ja, ihm schien, als wüßte sie sogar recht gut über ihn, Parker, Bescheid. »Wir haben uns seit Monaten nicht mehr gesehen«, sagte sie. »Wir hatten eine nette Romanze miteinander verlebt. Tut mir leid, daß ihm das zugestoßen ist.« »Schrecklich, nicht wahr?« »Weiß man, von wem er erstochen wurde?« wollte sie wissen. »Die Polizei weiß vorerst gar nichts«, gab der Butler zurück. »Selbstverständlich beschäftigt sie sich auch mit dem Mordfall, aber sie weiß nichts von Ihnen, Miß Celby!« »Oh, das würde mir sicher nichts ausmachen«, gab sie zurück. »Wie gesagt, ich habe Roger seit Monaten nicht mehr gesehen. Wieso sind Sie zu mir gekommen? Doch bestimmt nicht, um mir nur vom Tod Rogers zu berichten.« »Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sofort auf den Kern der Sache gekommen sind«, redete Parker weiter. »Als ich Calbot erstochen in seinem Zimmer fand, da standen auf dem Kaminsims einige Aufnahmen, die sich meist auf ihn und auf Sie bezogen, Miß Cel by… Als die, Polizei später auftauchte, waren all diese Bilder in zwischen abgeräumt worden und verschwunden, ich habe es ei nem reinen Zufall zu verdanken, daß ich ein Bild jedoch einsteck te. Ein Bild, auf dem Calbot und Sie zusammen zu sehen sind. Sie können sich vorstellen, daß dieses Bild auf einmal sehr wichtig für
mich wurde. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, Sie kennen zulernen, Miß Celby!« Sie lächelte. »Warum sind Sie mit dem Bild nicht zur Polizei gegangen?« fragte sie. »Oh, ich würde eine solche Indiskretion niemals begehen«, ent gegnete der Butler. »Ich hielt es für eine Anstandspflicht, erst einmal mit Ihnen zu reden. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich das Foto selbstverständlich an die Polizei weiterleiten.« »Ich habe nichts dagegen! Oder haben Sie erwartet, ich würde versuchen, Ihnen das Bild abzukaufen?« »Miß Celby, ich kann mich des Gefühles nicht erwehren, daß Sie mich für einen Erpresser halten«, sagte Parker. »Sie unterliegen da allerdings einem bedauerlichen Irrtum. Ich bin nur daran inte ressiert, den Mörder Calbots zu finden.« »Weshalb sind Sie daran interessiert?« »Weil Calbot aller Wahrscheinlichkeit nach wichtige Unterlagen an sich gebracht hat…!« »Was Sie nicht sagen!« »Ich möchte Ihnen und mir Einzelheiten ersparen«, sagte Par ker, der in Fahrt geraten war und nicht daran dachte, auf die Ein zelheiten zu verzichten. »Calbot verstand es vor seiner Ermor dung, wichtige Unterlagen an sich zu bringen. Unterlagen, die sich auf unsere Landesverteidigung beziehen… Er wurde ermor det, weil man sie ihm abjagen wollte. Was auch gelang… Sie ha ben also nichts dagegen, daß ich zur Polizei gehe. Offen gestan den, ich freue mich darüber. Es wäre mir mehr als peinlich gewe sen, eine Dame in Schwierigkeiten zu bringen.« Josuah Parker verbeugte sich höflich und traf Anstalten, die Me lone wieder aufzusetzen. Er schickte einen letzten, prüfenden Blick auf June Celby und ging dann zur Bürotür. »Mr. Parker…!« »Sie wollen mich sprechen?« fragte der Butler, der sofort ste henblieb. »Ich möchte mit Ihnen reden«, antwortete sie. »Man soll sich den Ärger mit den Behörden ersparen, wenn es sich einrichten läßt, nicht wahr?« »Gewiß, deshalb kam ich ja auch hierher.«
»Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee oder zu einem guten engli schen Tee einladen? Wir könnten dann alle Einzelheiten bespre chen.« »Sagten Sie englischen Tee?« fragte Parker, dessen Gesicht echte Verzückung ausdrückte. »Ich bin Ihr Sklave, Miß Celby… Solch einen Göttertrunk hätte ich hier niemals vermutet.« June Celby führte den Butler in ihre kleine Wohnung, die von dem Korridor aus zu erreichen war. Freundliche helle Möbel ver mittelten eine zwanglose und kultivierte Atmosphäre. Sie bat ihn auf der breiten Eckcouch Platz zu nehmen und sich einen Moment zu gedulden, weil sie den Tee herrichten wollte. Parker nickte sein Einverständnis und unterdrückte im letzten Moment seine Gier nach seiner spezialangefertigten Zigarre. Als Miß Celby den Wohnraum verlassen hatte, schmunzelte er für den Bruchteil einer Sekunde und machte sich so seine Gedanken. Nun, Josuah Parker war bereit, mitzuspielen. Er wollte es auf ein großes Risiko ankommen lassen. Es kam nur darauf an, daß er den Tee überzeugend trank. Sie durfte nicht mißtrauisch wer den. Dann erschien sie mit dem dampfenden Tee… * Im Dienstzimmer Capitain Prittons hatten sich einige Leute ver sammelt, die unmittelbar mit der Fahndung zu tun hatten. Stormers vom Ortsbüro des FBI war vertreten, ein Verbin dungsmann aus Kalifornien, der ebenfalls dem FBI angehörte, dann ein Vertreter des Luftwaffengeheimdienstes und schließlich Mike Rander. Sie alle hatten zwanglos in dem Zimmer Platz genommen. Capitain Pritton, der die ganze Nacht über zusammen mit Stor mers die Verhöre geführt und geleitet hatte, gab einen ersten umfassenden Bericht. »Ich kann vorausschicken«, sagte er, »daß die Verhöre einige kleine Sensationen ergeben haben. Um die wichtigste Nachricht an den Anfang zu stellen… Die Unterlagen, die James Ortner bei sich hatte, befinden sich überhaupt nicht im Besitz Hansons. Doch ich will der Reihe nach berichten.
Es ist erwiesen, daß Ortner ein doppeltes Spiel getrieben hat. Der Mord an dem Wissenschaftler geht auf sein Konto. Er nahm die Unterlagen aus dem Tresor mit nach Chikago, um sie hier an den Mann zu bringen. Ortner wußte sehr gut, an welcher Stelle er die gestohlenen Un terlagen zu sehr viel Geld machen konnte. Nämlich genau dort, wo er eigentlich nur Spielmaterial überbringen sollte. Was Ortner angeht, so sind wir zur Zeit noch auf Vermutungen angewiesen. Er trug aber aller Wahrscheinlichkeit nach die ge stohlenen Unterlagen mit sich. Er kam hier in der Stadt an, über nachtete für eine Nacht und ging am anderen Morgen sofort in die Friseurstube des Hotels, um sich rasieren zu lassen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß er nicht in dem betreffenden Hotel übernachtete. Er mußte also erst durch einige Straßen gehen, bis er den Salon erreichte. Was dann in dem Salon passierte, wissen wir ja bereits gut.« Pritton schaltete eine kurze Verschnaufpause ein, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er warf einen Blick auf seine Unterlagen, um dann wieder das Wort zu nehmen. »Während man Mr. Parker auf der Polizeistation verhörte, wur den die Unterlagen in der Cellophanhülle entwendet. Aller Wahr scheinlichkeit nach von dem Cheffriseur Roger Calbot, der dann wenig später ebenfalls ermordet aufgefunden wurde. Bisher waren wir der Ansicht, die beiden maskierten Männer müßten die Täter sein. Da wir inzwischen wissen, wer diese bei den Männer sind, konnten wir sehr eingehende Fragen stellen. Es handelt sich um die beiden Gangster Buck Frennon und Louis Ba gotti, die zur ehemaligen Hanson-Gang gehörten. Da wir inzwi schen auch diesen Hanson festnehmen konnten, gewannen wir ein genaues Bild. Fest steht inzwischen, und das wurde durch weitere Zeugenaus sagen unterstrichen, daß weder die beiden Gangster Buck und Louis, noch Hanson selbst, diesen Mord an Calbot ausgeführt ha ben. Fest steht, daß Louis und Buck im Auftrage Hansons Ortner erschossen. Das ist durch Geständnisse bereits geklärt. Nun erhebt sich für uns die Frage, wer ermordete Roger Calbot? Wer nahm ihm die Unterlagen wieder ab? Hanson hatte sich nach dem Auffliegen seiner Gang in Kalifor nien aufgehalten und dort einen Nachtklub übernommen. In die ser Bar verkehrte James Ortner häufig. Hier ergaben sich die ers
ten Kontakte zwischen den beiden Männern. Ortner und Hanson fanden schnell heraus, daß sie eigentlich Berufskollegen waren, denn auch Hanson interessierte sich seit einiger Zeit für die Spio nage. Seine beiden Leute Buck und Louis waren es auch, die Ort ner halfen, den Tresor des Wissenschaftlers mit einem Brenn schneider zu öffnen. Ortner setzte sich mit den Unterlagen ab, Hanson folgte racheschnaubend mit seinen beiden Vertrauten, und sie fanden ihn auch prompt hier in der Stadt. Das sind die Hintergründe hinsichtlich Ortner und Hanson. Die Frage bleibt, offen, wer ermordete Calbot? Wer brachte sich in den Besitz der geheimen Unterlagen?« »Dann dürften wir den eigentlichen Täter noch lange nicht er wischt haben«, schaltete sich der Vertreter der Luftwaffe ein. »Nun, wir haben noch eine gewisse Trumpfkarte in der Hand«, meinte Capitain Pritton. »Parker fand eine Spur, die uns über ei nen gewissen Märten Colm zu einem Spezialisten für Fernsehan tennen, der Lommers heißt, führt. Dazu wäre einiges zu sagen. Märten Colm, ein von der Polizei und vom FBI nicht registrierter junger Mann, beschattete Mr. Parker, und zwar schon kurz nach dem Verhör durch die Polizei. Mr. Parker setzte sich auf seine Art und Weise mit Marten Colm auseinander und mußte zu seiner Überraschung ebenfalls erfahren, daß Colm hinter den Unterlagen her war. Colm, der später Parker ungewollt zu Lommers führte, stand in einer engen Verbindung zu dem Antennen-Spezialisten. Von Lommers aber wissen wir inzwischen, daß er sich die Funkan lage in seiner Werkstatt nicht zum Spaß eingerichtet hatte, nein, er konnte inzwischen als Angehöriger einer ausländischen Macht identifiziert werden. Lommers kann zur Zeit noch nicht aussagen, ja, es ist sogar zu bezweifeln, ob er mit dem Leben davonkom men wird. Davongekommen ist hingegen ein Mann, den wir nicht kennen und der die Schlüsselfigur zu dieser Affäre sein muß. Dieser uns noch unbekannte Täter schoß Lommers an. Wenig später ver suchte er Parker mit einer Maschinenpistole zu erschießen. Parker kam mit dem Leben davon.« »Wer ist eigentlich dieser Josuah Parker?« fragte der Luftwaf fenvertreter. Pritton grinste. »Sie werden ihn noch kennenlernen, Major«, sagte er. »Angeb lich betätigt er sich als Butler Mr. Randers. In Wirklichkeit aber ist
er einer der ausgekochtesten Kriminalisten, der mir jemals über den Weg gelaufen ist.« »Muß ja ein Wunderknabe sein.« »Warten wir es ab«, sagte Pritton. »Um aber auf unseren Fall zurückzukommen, meine Herren… Hanson und seine beiden Gangster besitzen die Unterlagen Ortners nicht. Sie haben zu bluffen versucht, aber sie haben die Unterlagen nicht. Märten Colm und Lommers dürften sie auch nicht besitzen. Wer also hat es verstanden, die geheimen Unterlagen an sich zu bringen, die nur Roger Calbot zuletzt gehabt haben kann…?« »Wo steckt eigentlich Ihr Wunderknabe Parker?« fragte der Ma jor der Luftwaffe ironisch. »Wie Sie ihn mir geschildert haben, weiß er bestimmt eine Antwort auf Ihre Fragen.« »Er ist zu Hause…«, antwortete Mike Rander. »Vielleicht sollten wir ihn hierher holen lassen«, meinte Pritton. Mike Rander nickte und zog den Telefonapparat zu sich heran. Er wählte die Nummer und wartete darauf, daß sich der Butler meldete. Überrascht nahm er eine melodisch klingende weibliche Stimme zur Kenntnis, die ihm mitteilte, sie gehöre zum Auftrags dienst und habe zu erklären, der Teilnehmer sei auf Reisen in den Nahen Osten. Verblüfft legte Mike Rander den Hörer wieder auf. Pritton, der ihn aufmerksam beobachtet hatte, sah ihn erstaunt an. »Stimmt vielleicht etwas nicht?« fragte er. »Parker ist verreist«, erwiderte Rander. »In den Nahen Osten… Ist er denn von allen guten Geistern verlassen? Was hat er nur im Nahen Osten zu suchen…?« »Naher Osten?« echote Pritton. »Donnerwetter, ich hab’s…«, sagte Mike Rander plötzlich und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Naher Osten? Damit kann doch nur Eastport gemeint sein. Pritton, besinnen Sie sich auf das Foto, das die Widmung einer June zeigte? Ich wette, Parker ist dieser Spur bereits nachgegangen.« »Soll man nichts unternehmen? Ihm nachfahren? Ihm helfen?« fragte der Major der Luftwaffe besorgt. Pritton sah Rander an. Doch der Anwalt schüttelte den Kopf. »Sinnlos, einfach sinnlos…«, sagte er dann. »Wenn wir in Eastport eintreffen, hat er den Ort sicher schon wieder verlassen! Wir müssen uns in Geduld fassen und warten. Ich kenne meinen Butler. Plötzlich wird die Tür aufgehen und Parker erscheinen…«
*
»Ich hoffe, daß er Ihnen gut schmecken wird«, sagte June Cel by, nachdem sie den Tee serviert hatte. »Genieren Sie sich nur nicht…« Josuah Parker führte die Tasse an den Mund, doch dachte er nicht daran zu trinken. Er wollte, falls June Celby ihm wirklich eine Falle stellte, sie noch etwas auf die Folter zu spannen. Sie sollte nicht zu schnell triumphieren. Daß eine Falle geplant war, konnte der Butler daraus ersehen, daß sie selbst keinen Tee trinken wollte. Sie hatte sich keine Tas se mitgebracht. Sie versuchte, sich sehr ruhig zu geben, doch ihre Nervosität ließ sich einfach nicht überdecken. »Ich würde zu gern etwas über Roger Calbot hören«, sagte der Butler. »Ich bin sicher, von Ihnen einige Informationen bekom men zu können. Mich interessieren vor allen Dingen Calbots Freunde.« »Hoffentlich kann ich Ihnen wirklich helfen«, sagte sie. Nun endlich tat Parker ihr den Gefallen und setzte die Tasse langsam an die Lippen. Er merkte deutlich, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie glaubte sich gerettet. »Oh…«, sagte Parker. Sie folgte seinem Blick zum Fenster. »Was ist los?« fragte sie. »Da stand jemand neben dem Fenster und versuchte in das Zimmer zu sehen«, erwiderte Parker. Sie stand sofort auf. »Da will ich doch gleich einmal nachsehen«, sagte sie. »Wir ha ben da nämlich einen Gärtner, der sehr neugierig ist.« Parker kippte den Inhalt seiner Teetasse sehr geschickt in eines der vielen Kissen, die auf der Couch lagen. Als sich June Celby wieder vom Fenster abwendete und den Kopf schüttelte, setzte der Butler gerade wieder seine Tasse auf den Unterteller. »Nun, wie schmeckt der Tee?« fragte sie. »Etwas zu süß gera ten?« »Etwas nur…«, sagte Parker. »Am Fenster war übrigens kein Mensch zu sehen«, erklärte sie nachdrücklich. »Sie werden sich gewiß getäuscht haben!«
»Das ist möglich«, meinte Parker, der sich entschied, schläfrig zu werden. Er hob die Hand vor den Mund und gähnte gekonnt. Das erfreute Auffunkeln in ihren Augen entging ihm nicht. Er be fand sich also auf dem richtigen Weg. »Ich komme sofort zurück«, sagte sie. »Ich muß dem Gärtner noch eine wichtige Anweisung erteilen.« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern verließ das Zim mer. Josuah Parker, vorsichtig wie immer, legte einem unsichtbaren Publikum eine Szene hin, die bühnenreif war. Er gähnte in immer kürzer werdenden Abständen und ließ sich träge gegen die Rück lehne der Couch zurücksinken. Eine Türangel quietschte leise. Dann näherten sich Schritte. Die Gedanken, die dem Butler durch den Kopf jagten, waren je doch seinem schlafenden und entspannt wirkenden Gesicht nicht anzumerken. Die leisen Schritte entfernten sich wieder. Ein feines Klicken war zu hören, dann drehte sich die Scheibe eines Telefonapparates. »Hallo, hallo…«, sagte die Stimme June Celbys. »Es ist soweit. Du kannst jetzt kommen. Vor ein paar Stunden kommt der be stimmt nicht wieder zu sich…« Parker, für den es recht schwer war, seine Augen entspannt ge schlossen zu halten, hörte nach einer Weile knirschende Schritte vor dem Fenster. Eine Tür zum Park wurde geöffnet, und dann näherte sich die Person, die von der Celby angerufen worden war, der Couch. »Ich möchte den Kerl am liebsten jetzt und hier erledigen«, sagte die Stimme, die Parker bekannt vorkam. »Bist du verrückt, Carlo?« fragte June zurück. »Schließlich sind wir nicht allein im Haus. Das kommt nicht in Frage.« »Ich habe es ja auch nur so gesagt. Aber wir sollten schleunigst verschwinden. Der Boden ist verdammt heiß unter den Füßen geworden. Wo hast du das Zeug versteckt?« »Warum willst du das wissen?« »Nur so…« »Carlo, was machen wir mit Parker?« »Nun, ich möchte ihn nicht lebend zurücklassen.« »Komm, Carlo, kümmern wir uns nicht weiter um ihn. Wenn er aufwacht, wird er sich schwarz ärgern. Uns kann er nun nicht
mehr schaden. Geh du schon zur Jacht voraus! Ich komme gleich nach…« »Was willst du denn noch machen?« »Ich besorge das Material…« Die Schritte des Mannes verklangen. Er verließ den Wohnraum durch die Gartentür. Nun riskierte Parker es doch, das rechte Auge ganz vorsichtig zu öffnen. June Celby war in einem Nebenzimmer, das als Schlaf zimmer eingerichtet war. Der Butler glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er plötzlich die langgesuchte Cellophanhülle ent deckte. June hatte sie hinter einem Bild hervorgeholt und ver packte sie gerade in einen starken Umschlag. Sie klebte den Rand zu holte einen Kugelschreiber aus der Handtasche und schrieb eine Adresse nieder. Sie kam zurück in das Wohnzimmer und kümmerte sich nicht weiter um den Butler. June Celby öffnete die Tür zum Korridor und rief nach dem Büromädchen. Sie schloß die Tür, damit die Angestellte nicht in den Wohnraum hineinsehen konnte. Aber die Stimme der June Celby war deutlich zu hören. Sie trug dem Mädchen gerade auf, es solle den Brief sofort zur Post brin gen und per Expreß aufgeben. »Ich bin draußen am Jachthafen«, schloß sie ihre Rede. »Ich möchte einem Käufer mein Boot zeigen. Du weißt ja, daß ich es loswerden will! Beeil dich jetzt!« Sie lief zurück in das Schlafzimmer und holte dort einen bereits gepackten Koffer. Josuah Parker wurde augenblicklich sehr rege und wach. Er setzte sich die schwarze Melone auf, griff nach seinem Regen schirm und verließ das Zimmer. Er sah durch das Fenster, wohin June Celby sich wendete. Sie hielt genau auf eine kleine Bucht zu, die sich am Ende des Motel-Geländes befand. Dort gab es nach Osten hin ein kleines Gehölz. Die einzelnen, freistehenden Bungalows geschickt als Deckung ausnutzend, machte sich der Butler an die Verfolgung. Als sich der Butler den letzten beiden Bungalows genähert hatte, die ihm noch Sichtdeckung boten, war das Tuckern eines schweren Die selmotors zu hören. Carlo schien inzwischen den Motor der Jacht in Gang gebracht zu haben. Josuah Parker durfte keine Zeit verlieren, wenn er seine Gegner nicht verlieren wollte.
Er warf einen schnellen Blick auf die kleine Bucht. June Celby hatte fast den kleinen Kai erreicht und schickte sich an, über die Laufplanke an Bord zu gehen. Carlo stand im Ruder stand des Bootes und beschäftigte sich mit irgendwelchen Hebeln. Ja, der Butler konnte es wagen…! Er huschte schnell über die restliche freie Fläche und ver schwand dann aufatmend in dem Gestrüpp. Aber noch war nicht alles erledigt. June, die sich auf dem Boot gut zurechtfand, war gerade damit beschäftigt, die Vertäuung der Jacht zu lösen. Die Planke hatte sie einfach ins Wasser hinunterfallen lassen. In diesem Moment, als es sehr hektisch aussah, stieg Josuah Parker entschlossen in das kühle Wasser. * Ganz langsam kam das Boot in Fahrt. Doch das konnte den Butler schon nicht mehr sonderlich er schüttern. Ihm war es gelungen, sich erst einmal mit der Jacht zu verbinden. Carlo steigerte draußen das Tempo. Josuah Parker beeilte sich, nach oben zu gelangen. Und er schaffte es auch. Sein erster Blick galt dem Ruderstand. Er war überraschenderweise leer. Parker nutzte blitzschnell seine Chance. Er kletterte ganz auf das Deck und schlich auf leisen Sohlen, hinter sich eine nasse Spur zurücklassend, auf den Niedergang zu, der nach unten in die Kabine führte. Jetzt waren deutlich Stimmen zu hören. Der Butler umging ein kleines Hindernis, erreichte das Skylight, das halb geöffnet war und brauchte sich nun überhaupt nicht mehr anzustrengen, um etwas von der Unterhaltung mitzube kommen. Gerade redete June Celby. »… nicht gedacht, wie…?« fragte sie. »Hast du etwa geglaubt, ich würde so einfach zu dir auf das Boot kommen? Ich weiß doch genau, was du vorhast!« »Was du dir nur immer einbildest«, gab Carlo zurück.
»Einbildung nennst du meine Vorsicht? Dann erklär mir mal, was aus Calbot geworden ist, he…?« »Den mußte ich ausschalten. Er wollte sich mit seiner Beute selbständig machen.« »Mußtest du denn auch den kleinen Märten Colm erstechen?« fragte sie weiter. »Colm mußte ebenfalls ausgeschaltet werden«, erwiderte Carlo sehr ruhig und gelassen. »Er hat etwas zu viele Fehler begangen. Und Lommers mußte gleichfalls sterben. Er hat seine Schuldigkeit getan. Nachdem die Funkstelle in seiner Werkstatt entdeckt wor den war, brauchte ich ihn nicht mehr. Unser Beruf ist eben hart. Ich kann nichts daran ändern.« Josuah Parker hatte genug gehört. Er verließ seinen Horchpos ten und pirschte sich an den Ruderstand heran. Carlo hatte das Ruder festgelegt, nachdem die Jacht auf Kurs gebracht worden war. Nun, Josuah Parker, der sich auch in der Bedienung solcher Jachten gut auskannte, löste die Haltevorrichtung und schmunzel te leise, als er gewisse Vorkehrungen traf. Er blieb einige Minuten lang am Ruder, paßte scharf auf und ließ den Niedergang nicht aus den Augen. Als seine Arbeit beendet war, pirschte er sich an das Skylight zurück. Und dort hatte sich inzwischen etwas getan. June wimmerte und schrie unterdrückt. Carlo aber lachte. »So, meine Kleine…«, sagte er dann. »Jetzt heraus mit der Sprache! Wohin geht der Brief? Rede schleunigst!« »Ich werde nichts sagen«, schrie sie ihn wütend an. Josuah Parker riskierte einen Blick durch das Skylight. Dort un ten hatte sich die Szene geändert. June Celby war von Carlo ü berwältigt worden. Er hatte sie mit Handschellen gefesselt und in eine Koje geworfen. Josuah Parker schmunzelte in Anbetracht dieser Situation. Er schlich sich zurück zum Ruderstand und schaltete die Zündung aus. Er maß noch einmal eine bestimmte Distanz, und dann legte er den Hebel herum. Plötzlich war das Hämmern und Tuckern des Motors nicht mehr zu hören. Sekunden nach dem Ausschalten des Motors rammte der Bug bereits den seichten Strand der Bucht. Josuah Parker stand schon bereit.
Schritte näherten sich auf dem Niedergang. Parker, der an wei teren Auseinandersetzungen nicht mehr interessiert war, benutz te seinen Regenschirm als Waffe. Als der Oberkörper Carlos sich aus dem Niedergang hervorschob, langte der Butler kurz und kräftig zu. Daraufhin rutschte Carlo über die Stufen des Niedergangs zu rück und blieb still und entspannt auf dem Boden liegen. June Celby aber starrte den Butler entgeistert an. Josuah Parker lächelte nur und wies auf den am Boden liegen den Mann. Es war der Hotelportier Keith Masters, den er anfangs für so nett gehalten hatte. Wenig später lag der Gangster verschnürt in einer Ecke der Ka jüte. »Woher kennen Sie ihn eigentlich?« fragte Josuah Parker. »Mehr brauchen Sie mir nicht zu sagen. Ich habe zugehört und weiß nun in allen Einzelheiten Bescheid. Roger Calbot war der eigentliche Spion, aber er wurde auf dem Umweg über Sie von Masters eingewickelt. Wie heißt Ihr Partner nun wirklich?« »Carlo Batterson«, erwiderte sie mit verschüchterter Stimme. »Er ist mein Stiefbruder.« »Wie kam Calbot auf den Gedanken, Sie einzuweihen?« »Er weihte mich nicht ein. Ich entdeckte in seinem Koffer ein Funkgerät. Er gab mir Geld, und ich hielt den Mund.« »Und wie kam Masters, alias Batterson mit in die Sache hin ein?« »Ich erzählte ihm, was ich mit Roger erlebt hatte. Und er kam sofort auf den Gedanken, das Wissen in Geld umzumünzen!« »Danke, das genügt mir vollkommen.« Josuah Parker entwickelte eine erstaunliche Betriebsamkeit. Er verließ die Jacht, holte sein hochbeiniges Monstrum und karrte es bis dicht an den Strand heran. Anschließend verlud er seine bei den Gäste in seine motorisierte Kutsche und fuhr zurück auf die Straße. Der Weg zur Post war überhaupt nicht weit. Parker drückte auf die Hupe, worauf der Postbeamte förmlich ins Freie stürzte. Erstaunt musterte er die Kutsche und deren Insassen. »War die Büroangestellte von Miß Celby bereits bei Ihnen und gab einen Brief auf?« erkundigte sich Parker. Der Mann schüttelte den Kopf.
Für einen Moment war der Butler überrascht. Dann aber schmunzelte er andeutungsweise und stieg aus dem Wagen. Er hatte das Mädchen gesehen. Wichtiger aber war, daß sie den Brief noch in der Hand trug. »Wo haben Sie sich bisher aufgehalten?« fragte Parker sie scharf. Sie wurde verlegen und stammelte, sie habe in einem Drugstore eine Freundin getroffen. Parker griff in seine Manteltasche und holte eine recht ansehnli che Banknote hervor. Die drückte er dem Mädchen in die Hand, Sie merkte kaum, daß er ihr den Expreßbrief aus der Hand nahm und dann zurück in die Kutsche stieg. Parker fetzte den Umschlag auf und kontrollierte den Inhalt. »Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, sagte er erfreut. June Celby war still geworden. Dafür aber heulte Masters alias Batterson auf. Sämtliche Felle waren ihm davongeschwommen…
-ENDE-