Parker mimt den Modefotografen
Ein Roman Curd H. Wandt
»Mister Parker!« rief Lady Simpson entsetzt, als die torkelnde...
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Parker mimt den Modefotografen
Ein Roman Curd H. Wandt
»Mister Parker!« rief Lady Simpson entsetzt, als die torkelnde Gestalt im Scheinwerferlicht auftauchte. Mit quietschenden Bremsen kam das hochbeinige Monstrum zum Stehen. Nur Parkers Geistesgegenwart war es zu verdanken, daß der junge Mann nicht überrollt wurde. Dafür war allerdings die majestätische Dame vom Rücksitz gerutscht und unsanft ge gen die gepanzerte Trennscheibe zwischen Fond und Fahrerplatz geprallt. »Unverschämt!« monierte Lady Agatha und hievte sich ächzend in die Polster zurück, »ich werde den betrunkenen Lümmel zur Rede stellen, Mister Parker.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte der Butler, ran gierte sein eckiges Gefährt an den Straßenrand und stieg aus. Von einer Alkoholfahne war nichts zu riechen, als das skurrile Paar sich gleich darauf über den kaum Zwanzigjährigen beugte. Die Benommenheit, unter der der Unbekannte litt, schien andere Ursachen zu haben. Darauf deuteten die Platzwunden im Gesicht und die zerfetzte Kleidung hin. Die Hauptpersonen: Ricky Henderson serviert exzellenten Cognac und möchte La dy Simpsons ersten Kriminalroman verlegen. Brian Sunhill schmückt sich mit fremden Federn und tritt als internationaler Modefotograf auf. Ron Hatfield betreibt eine Diskothek und läßt sich nur ungern an dunkle Flecken in seiner Vergangenheit erinnern. Betty Fulbright hofft auf eine Karriere als Fotomodell und wird bitter enttäuscht. Eric Fields inspiziert unfreiwillig einen Schrottplatz und gibt sich als Oldtimerfan aus. Lady Simpson will einen Pornoproduzenten zum seriösen Ver leger bekehren. Butler Parker fischt im Trüben und nimmt in einem Pornostu dio ein Erinnerungsfoto auf.
»Darf man sich nach Ihrem Befinden erkundigen?« fragte Par ker in seiner höflichen Art, als er den jungen Mann auf dem Geh weg in Sicherheit gebracht hatte. Die einzige Antwort, die er erhielt, war ein schmerzliches Stöh nen. Das rechte Auge des Unbekannten war zugeschwollen. Aus sei ner Nase und aus einem Riß über der Augenbraue tropfte Blut. Die Oberlippe wies eine Platzwunde auf. Die Blessuren ließen auf eine handfeste Keilerei schließen. An dererseits machte der blonde Jüngling nicht den Eindruck eines Mannes, der es gewöhnt ist, Meinungsverschiedenheiten mit den Fäusten auszutragen. »Noch so jung und schon dem Alkohol verfallen«, stellte Agatha Simpson mißbilligend fest. »In meiner Jugend hat es sowas nicht gegeben, Mister Parker.« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner; als Mylady zu widersprechen«, schickte der Butler voraus. »Dennoch dürfte der Hinweis genehm sein, daß Alkoholmißbrauch mit an Sicher heit grenzender Wahrscheinlichkeit als Ursache für das kopflose Verhalten des jungen Mannes ausscheidet.« »Dann ist der Lümmel wohl rauschgiftsüchtig«, hatte die ältere Dame sofort eine neue’ Diagnose zur Hand. »Eine Möglichkeit, die man keineswegs von vornherein aus schließen sollte«, gab Parkerhöflich zurück. »Andererseits dürften Mylady noch eine dritte Erklärung in Betracht ziehen, falls man sich nicht gründlich täuscht.« »Selbstverständlich, Mister Parker. Welche denn?« »Mylady dürften argwöhnen, daß der junge Mann überfallen und mißhandelt wurde«, ließ der Butler verlauten. »Dann wäre ich also mit einem Kriminalfall konfrontiert, Mister Parker?« meinte die leidenschaftliche Detektivin. »In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker und deutete eine Ver beugung an. »Ausgeschlossen, Mister Parker«, widersprach die resolute Da me. »Wenn es sich so verhielte, hätte mein kriminalistischer In stinkt sofort Alarm geschlagen.« »Was man keinesfalls in Zweifel ziehen möchte, Mylady«, ent gegnete der Butler und wandte sich dem schmächtigen Blond schopf zu, der mittlerweile einen halbwegs vernehmungsfähigen Eindruck machte.
»Darf Mylady unter Umständen erfahren, wie Sie sich Ihre Ver letzungen zugezogen haben?« wollte er wissen. »Sie sind von hinten über mich hergefallen und haben mich zu sammengeschlagen«, gab sein Gegenüber mühsam Auskunft. »Man wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mitteilen könnten, wer über Sie hergefallen ist«, fuhr Parker fort. »Weiterhin wäre das Motiv für den Überfall von Interesse, Mister…« »Robson. Ted Robson«, nannte der Jüngling seinen Na men.»Keine Ahnung, wer die Kerle waren. Ich hab sie nie vorher gesehen.« »Vermutet man gegebenenfalls recht, daß Sie ausgeraubt wur den, Mister Robson?« erkundigte sich der Butler. »Ausgeraubt?« wiederholte Robson und griff in die Innentasche seiner gründlich lädierten Jacke. »Nein, die Brieftasche ist noch da. Wahrscheinlich steckten die Schläger mit diesem obskuren Fotografen unter einer Decke und wollten verhindern, daß ich Betty begleite.« »Darf man auf eine nähere Erklärung hoffen, von welchem Fo tografen Sie sprechen und wer die Dame namens Betty ist, Mister Robson?« setzte Parker die Befragung fort, während seine Herrin ungeduldig mit den Füßen scharrte. »Die Sache liegt klar auf der Hand, Mister Parker«, schaltete sie sich unwirsch ein. »Eine Prügelei aus Eifersucht. Ich denke nicht daran, dafür meine kostbare Zeit zu verschwenden.« »Ach was, Eifersucht«, widersprach Ted Robson. »Als ob ich auf den alten Knacker eifersüchtig wäre.« »Sollte Mylady der Annahme zuneigen, daß Sie den vorhin er wähnten Fotografen meinen, Mister Robson?« hakte der Butler nach. »Der Typ heißt Brian Sunhill. Er ist mindestens fünfzig, hat ne Glatze und trägt ne dicke Hornbrille«, antwortete der junge Mann. »Er sprach Betty in der Disco an und wollte sie als Covergirl für ne bekannte Modezeitschrift engagieren.« »Eine Mitteilung, die man mit ungeteiltem Interesse zur Kennt nis nimmt, Mister Robson«, merkte Parker an. »Kann man im übrigen davon ausgehen, daß es sich bei der erwähnten Betty um Ihre Verlobte handelt?« »Das nicht gerade, aber Betty Fulbright ist seit vier Monaten meine Freundin«, ließ Robson ihn wissen. »Ich würde ihr gönnen,
daß sie als Fotomodell Karriere macht. Aber dieser Sunhill – nee, ich hab dem Typ von Anfang an mißtraut.« »Darf man in diesem Zusammenhang um Auskunft bitten, wie Miß Fulbright Mister Sunhills Angebot aufnahm, Mister Robson?« schob der Butler gleich die nächste Frage nach. »Erst wollte Betty gar nicht glauben, daß der Typ wirklich ein berühmter Modefotograf ist«, berichtete sein Gegenüber. »Aber zufällig hatte er ne Zeitschrift dabei, wo sein Name unter den Fotos stand. Und als er dann seinen Ausweis zeigte, war Betty überzeugt.« »Auf einen derart plumpen Trick wäre ich nicht hereingefallen, junger Mann«, machte Agatha Simpson sich wieder bemerkbar. »Aber so ein unerfahrenes Geschöpf.« »Er wollte, daß Betty gleich mit in sein Studio kommt und den Vertrag unterschreibt«, erzählte Robson weiter. »Ich fand die Eile komisch. Deshalb wollte ich auf jeden Fall mitfahren.« »Ein Ansinnen, das Mister Sunhill zurückwies, wie man wohl vermuten muß, Mister Robson?« fragte Parker. »Nein, er war einverstanden«, entgegnete der schmächtige Jüngling. »Wir gingen raus zu seinem Wagen. Betty setzte sich auf den Beifahrersitz, Sunhill ans Lenkrad. Und als ich hinten einsteigen wollte, waren plötzlich zwei Männer da, die mich weg rissen und zusammenschlugen.« »Demnach sollte man Ihre Äußerung so verstehen, daß Miß Ful bright und Mister Sunhill allein wegfuhren, Mister Robson?« ver gewisserte sich der Butler. »Das hab ich nicht mehr mitbekommen«, teilte sein Gesprächs partner deprimiert mit. »Jedenfalls sind sie weg. Und die beiden Schläger auch.« »Die Anschrift von Mister Sunhills Studio ist Ihnen nicht zufällig bekannt?« wollte Parker weiter wissen. »Leider nicht«, bedauerte der junge Mann. »Am besten rufe ich gleich die Polizei an.« »Das lassen Sie lieber bleiben, junger Mann«, schaltete Lady Agatha sich energisch ein. »Aber warum denn?« fragte Robson entgeistert. »Die Polizei muß Betty ausfindig machen, ehe ihr etwas passiert. Diesem Sunhill traue ich alles zu. Im übrigen – was soll ich denn sonst machen?«
»Nach Hause gehen und warten, bis Ihre Freundin wieder kommt«, riet die passionierte Detektivin. »Sie glauben also nicht, daß Sunhill Hinterhältiges im Schilde führt?« vergewisserte sich der junge Mann. »Warum hat er mich dann aber nicht mitgenommen? Warum haben die Typen mich zusammengeschlagen, bevor ich einsteigen konnte?« »Wenn Sie über kriminalistische Erfahrung verfügen würden, wären Ihnen die Zusammenhänge klar«, warf Agatha Simpson sich in die ohnehin üppige Brust. »Daß die Gangster, von denen Sie angegriffen wurden, unter Mister Funhills Kommando standen, ist ein Irrtum. Im Gegenteil: Mister Funhill hatte berechtigte Angst, überfallen und ausgeraubt zu werden. Deshalb ist er da vongefahren, ohne auf Sie zu warten.« »Woher wollen Sie das so genau wissen?« gab Robson ungläu big zurück. »Ähnliche Fälle habe ich schon zur Genüge erlebt, junger Mann«, äußerte die füllige Dame betont beiläufig. »Mylady ist als Privatdetektivin tätig und genießt einen Ruf, den man hur als außerordentlich bezeichnen kann, Mister Robson«, erläuterte Parker, als er Robsons irritierten Gesichtsausdruck be merkte. »Ist das wahr? Dann könnten Sie mir doch helfen, Betty zu fin den«, schlug der schmächtige Jüngling vor. »Bitte, sagen Sie nicht nein.« Mylady zögerte und warf dem Butler einen fragenden Blick zu. »Sofern man eine Anregung unterbreiten darf, könnten Mylady in der fraglichen Diskothek Erkundigungen über Mister Sunhill einziehen«, ließ Parker sich vernehmen. »Na schön«, lenkte die ältere Dame ein. »Aber ich verspreche mir nichts davon. Bestimmt wird sich herausstellen, daß Mister Funhill ein über jeden Verdacht erhabener Ehrenmann ist.« * Die Diskothek »Pink Hurricane«, in der Ted Robson mit seiner achtzehnjährigen Freundin Betty Fulbright den Abend verbracht hatte, lag gleich um die Ecke. Der muskulöse Türwächter in schwarzen Lederjeans und knallrotem T-Shirt machte große Au
gen, als er das skurrile Paar und den lädierten Jüngling auf sich zukommen sah. Das war allerdings nicht weiter Verwunderlich, denn die drei sa hen wirklich nicht so aus, als wollten sie sich bei Musik und Tanz vergnügen. Mit seinen dezent gestreiften Beinkleidern, die unter dem schwarzen Covercoat hervorschauten, mit steifer Melone und schwarzem Universal-Regenschirm am angewinkelten Unterarm, stellte Josuah Parker das Urbild eines hochherrschaftlichen But lers dar. Makellose Umgangsformen und eine schier unerschütter liche Gemütsruhe entsprachen dem äußeren Bild. Eher als das glatte, meist ausdruckslose Gesicht ließen der leichte Bauchansatz und die ergrauten Schläfen auf Parkers Jahr gang schließen. Seine stets würdevolle Haltung wirkte so steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Ganz anders Lady Simpson mit ihrer beachtlichen Körperfülle. Obwohl die Detektivin die Sechzig längst überschritten hatte, war die temperamentvolle, überaus wohlhabende Witwe weiblichen Modetorheiten keineswegs abhold. Dabei setzte sie sich souverän über aktuelle Strömungen hin weg. Und bevorzugte häufig die seltsamsten Modelle. Das galt vor allem für die sogenannten Hüte, auf deren Auswahl Mylady be sondere Sorgfalt verwendete. Agatha Simpson verfügte über nicht gerade kleine Besitztümer und konnte sich jeden Luxus leisten. Dennoch brachte ihr Geiz selbst abgebrühte Schotten in Verlegenheit. Nur wenn es um ihr Steckenpferd, die Kriminalistik, ging, spielten Kosten keine Rolle. Mit der ihr eigenen Vehemenz stürzte sie sich bei jeder sich bie tenden Gelegenheit in turbulente Ermittlungen, trat lustvoll in jedes Fettnäpfchen, das Parker nicht rechtzeitig aus dem Weg räumte, und hatte für die Polizei nur spöttische Worte übrig. Selbstbewußt, wie sie nun mal war, hielt sich Lady Agatha für die Detektivin des Jahrhunderts. Die Erfolge, mit denen sie auf warten konnte, schienen ihr auch recht zu geben. Daß es in Wahrheit allerdings Butler Parker war, der mit Geduld und Phan tasie die Fäden der Ermittlungen entwirrte, merkte sie wohl nicht… Während Ted Robson einen Stempel auf der Handfläche vorwei sen und deshalb reibungslos den Eingang zur Diskothek passieren konnte, trat der Türwächter dem skurrilen Paar in den Weg.
»Drei Pfund Eintritt pro Person«, verlangte er und hielt erwar tungsvoll die Hand auf. »Kommt nicht in Frage, junger Mann«, protestierte die ältere Dame. »Ich bin dienstlich hier. Sonst würde ich Ihr dubioses Haus nicht betreten.« »Hoho!« konterte der Kassierer grinsend und ließ demonstrativ die Muskeln spielen. »Die Alte will wohl frech werden.« »Habe ich mich verhört, Mister Parker?« wandte Mylady sich an den Butler. »Ich glaube, der Lümmel hat mich soeben beleidigt.« »Eine Feststellung, die man nicht so ganz unterschreiben möch te, Mylady«, mäßigte Parker. Doch das Muskelpaket in Jeans und T-Shirt trieb die Sache auf die Spitze. »Alte war noch geschmeichelt«, meinte der Türsteher. »Eine fette Vogelscheuche wie Sie müßte eigentlich den dreifachen Ein tritt be…« Mitten im Satz brach der Mann ab und ließ einen sirenenähnli chen Heulton hören. Da er nicht wissen konnte, wie sensibel und handfest zugleich die ältere Dame auf Schmähungen reagierte, traf ihn die herzhafte Ohrfeige wie der Blitz aus heiterem Himmel. Wimmernd torkelte der zur Ordnung Gerufene ins Lokal und mühte sich unter schmerzlichen Grimassen, den aus den Fugen geratenen Unterkiefer wieder in die gewohnte Position zu rücken. Diese Tätigkeit nahm ihn derart in Anspruch, daß er orientie rungslos über die Tanzfläche taumelte und dort für beträchtliches Chaos sorgte. Pech für den Mann war, daß er über eine junge Tänzerin strauchelte, die er unmittelbar zuvor gerempelt und zu Fall gebracht hatte. Endgültig seiner Standfestigkeit beraubt, suchte er verzweifelt nach einem Halt und… landete unter ohrenbetäubendem Krachen auf dem Plattenteller. Mit einem geistesgegenwärtigen Hecht sprung brachte sich der Diskjockey in Sicherheit. Die Musik riß ab. »Höchste Zeit, daß jemand diesen infernalischen Lärm abstellt«, ließ Agatha Simpson befriedigt verlauten. »So kann man sich we nigstens vernünftig unterhalten.« »Eine Einschätzung der Situation, der man sich nur vorbehaltlos anschließen kann, Mylady«, sagte Parker, deutete eine Verbeu gung an und schritt auf dem Weg zum Bartresen voran. Schätzungsweise hundert entgeisterte Augenpaare folgten dem skurrilen Paar. Nur der Türsteher schien jedes Interesse an den
ungewöhnlichen Gästen verloren zu haben und hielt in der gründ lich verwüsteten Musikanlage ein entspannendes Nickerchen. »Man erlaubt sich, einen möglichst unterhaltsamen Abend zu wünschen«, sprach Parker den Barkeeper an und lüftete höflich den schwarzen Bowler. »Mylady würde Ihnen gern einige Fragen stellen, sofern der Hinweis gestattet ist.« Besonders begeistert schien der bleichgesichtige Mittdreißiger hinter dem Tresen nicht zu sein, aber er machte gute Miene zum turbulenten Spiel und erkundigte sich nach Myladys Wünschen. »Mister Parker wird die Fragen stellen, die ich vorbereitet ha be«, erklärte die majestätische Dame und nahm auf einem Bar hocker Platz. »Mir dürfen Sie einen Cognac servieren.« »Mister Robson berichtet, daß seine Freundin von einem etwa fünfzigjährigen Mann mit Glatze und’ dunkler Hornbrille ange sprochen wurde«, kam der Butler zur Sache und schob den etwas verschüchtert wirkenden Jüngling in den Vordergrund. »Sie meinen diesen Modefotografen?« vergewisserte sich der Barmann. »Vermutet man recht, daß der Betreffende Ihnen bekannt ist?« hakte Parker sofort nach. »Nein, er war heute zum ersten Mal hier«, entgegnete sein Ge sprächspartner und stellte Lady Agatha das gewünschte Getränk hin. »Ich glaube, er heißt Sunhill oder so ähnlich.« »Aber Sie wurden Zeuge der Unterhaltung zwischen Mister Sun hill und Miß Fulbright?« erkundigte sich der Butler. »Mehr oder weniger zufällig«, gab der Barkeeper ausweichend zur Antwort. »Ich hätte viel zu tun.« »Was man keinesfalls in Zweifel ziehen möchte«, erwiderte Par ker. »Dennoch wäre Mylady Ihnen sehr verbunden, wenn Sie al les mitteilen würden, was Ihr Ohr erreichte.« »Er wollte das Mädchen für Modefotos engagieren«, berichtete sein Gegenüber. »Sie war zuerst mißtrauisch, aber er konnte sich ausweisen und hatte auch eine Zeitschrift dabei. Da stand sein Name unter den Fotos.« »Darf man unter Umständen um Auskunft bitten, um welche Zeitschrift es sich handelte?« setzte der Butler die Befragung fort. »Ich glaube, es war die >Lady<«, teilte der Barkeeper mit. »Ist denn etwas nicht in Ordnung? Der junge Mann wollte seine Freundin doch begleiten, wenn ich’s richtig verstanden habe.«
»Mylady hat Grund zu der Annahme, daß Miß Fulbright gewalt sam entführt worden ist«, ließ Parker verlauten. »In diesem Zu sammenhang dürfte die Frage von Interesse sein, ob Mister Sun hill allein war, als er Ihr Lokal betrat.« »Ja, er kam allein«, nickte der Bleichgesichtige. »Daran kann ich mich genau erinnern.« »Darf man um Auskunft bitten, ob Mylady möglicherweise noch weitere Fragen zu stellen wünschen?« wandte der Butler sich an seine Herrin. »Ich weiß alles, was mich interessiert, Mister Parker«, beschied ihn die Detektivin. »Man dankt für die Auskunftsbereitschaft und erlaubt sich, noch einen möglichst umsatzstarken Abend zu wünschen«, verabschie dete sich Parker von dem verdutzt dreinschauenden Barkeeper und geleitete Agatha Simpson zum Ausgang. Ted Robson folgte mit ratloser Miene in einigem Abstand. * Eine halbe Stunde später stellte der Butler sein Gefährt auf dem Vorplatz des altehrwürdigen Fachwerkhauses ab, das seiner ver mögenden Herrin als Stadtwohnung diente. »Ich werde noch einen Imbiß zu mir nehmen und mich dann der Arbeit an meinem Kriminal-Roman widmen, Mister Parker«, kün digte die Detektivin an, während man zur Haustür schritt. »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit immer Befehl«, versi cherte der Butler, schloß auf und ließ die ältere Dame eintreten. Wenig später hatte er in der Wohnhalle das Kaminfeuer entfacht und trug auf, was Mylady unter einem Imbiß zu verstehen pfleg te: kaltes Roastbeef, Parmaschinken mit Stangenspargel, einen Salat aus Meeresfrüchten und diverse Käsesorten. Dazu servierte er frisch geröstete Toastscheiben und schenkte einen spritzigen Chablis ein. Anschließend verneigte er sich und trat in seiner unnachahmlichen Art einen halben Schritt zurück. »Sollte meine Wenigkeit davon ausgehen, daß Mylady im Fall der vermutlich entführten Betty Fulbright nicht tätig zu werden gedenken?« erkundigte sich der Butler wenig später.
»Glauben Sie immer noch an eine Entführung, Mister Parker?« meinte die Hausherrin überrascht. »Ich habe doch schon gesagt, daß es sich um ein Mißverständnis handelt.« »Was eindeutig zu hoffen wäre, Mylady«, erwiderte Parker und legte eine Portion Roastbeef nach. »Ich bin sicher, daß das Mädchen wohlbehalten zurückkehrt«, fuhr die passionierte Detektivin fort. »Vielleicht ist Mary schon wieder zu Hause.« »Vermutet man möglicherweise recht, daß Mylady Miß Betty meinen?« korrigierte der Butler auf seine stets höfliche Art. »Sagte ich das nicht, Parker?« zeigte sich Lady Simpson erneut überrascht. »Sie müssen sich verhört haben, Mister Parker.« »Was man grundsätzlich nie ausschließen sollte, Mylady.« »Wie auch immer, Mister Parker. Wenn Mary im Lauf der Nacht nicht auftaucht, kann ich mich ja morgen noch um den Fall küm mern.« »Wie Mylady zu wünschen belieben«, antwortete Parker mit un bewegter Miene. »Darf man im übrigen die Frage stellen, aus welchen Anhaltspunkten Mylady die Annahme ableiten, daß Miß Fulbright nicht entführt worden ist?« »Das liegt doch auf der Hand, Mister Parker«, teilte Agatha Simpson nach kurzer Denkpause mit. »Mister Funhill ist als Foto graf bei einer renommierten Modezeitschrift tätig. Glauben Sie im Ernst, ein solcher Mann würde sein Ansehen und seinen Job aufs Spiel setzen, indem er ein kleines Mädchen entführt?« »Demnach gehen Mylady von der Annahme aus, daß Mister Sunhill tatsächlich bei der Zeitschrift >Lady< beschäftigt ist?« »Unbedingt, Mister Parker. Immerhin hat er sich ausgewiesen.« »Eine Tatsache, die sowohl der Barkeeper als auch Mister Rob son bestätigten«, räumte der Butler ein. »Andererseits könnte der Ausweis, den Mister Sunhill vorlegte, gefälscht sein, falls der Hin weis gestattet ist.« »Eine völlig abwegige Vermutung, Mister Parker«, schüttelte Mylady entschieden den Kopf. »Aber wenn es Sie beruhigt, kön nen Sie ja morgen bei der Redaktion anrufen.« »Was man keinesfalls versäumen wird, Mylady«, erwiderte Par ker, schnitt Schinken ab und schenkte Wein nach. »Ich werde jedenfalls die Ruhe der Nachtstunden nutzen, um mein Manuskript voranzubringen«, wich die Hausherrin auf ein
anderes Thema aus. »Einige Verleger machen mir schon die Hölle heiß und überbieten sich gegenseitig.« Aus Gründen der Höflichkeit versagte sich der Butler einen Kommentar. Daß Mylady auch nach literarischem Lorbeer trachte te, war ihm bekannt. Bei dem Bestseller handelte es sich natür lich um einen Kriminalroman. Allerdings wußte Parker auch, daß seine Herrin trotz langer Be mühungen noch nicht über die erste Seite hinausgekommen war. Insofern überraschte ihn die Mitteilung, daß es bereits Verleger gab, die sich um die Druckrechte rissen. Schweigend beendete die füllige Dame ihr Nachtmahl, ließ ein herzhaftes Gähnen hören und erhob sich. »Bringen Sie mir noch ein Stärkungsmittel ins Studio, Mister Parker«, verlangte Agatha Simpson, ehe sie die geschwungene Freitreppe ansteuerte, die zu ihren privaten Gemächern ins Ober geschoß führte. »Meine bescheidene Wenigkeit eilt, Mylady«, versicherte der Butler und stellte eine Flasche Cognac nebst einem Schwenker auf ein silbernes Tablett. Anschließend folgte er der majestäti schen Dame nach oben. Als er zehn Minuten später im Erdgeschoß den Tisch abräumte, drangen unvermittelt gellende Schreie an sein Ohr. Schüsse peitschten und Reifen quietschten. Dennoch setzte er gelassen seine Tätigkeit fort. Die Geräuschkulisse, die aus Myladys Studio drang, gehörte zu einer der Videokassetten, die er Anfang der Woche im Auftrag seiner Herrin in einer Videothek entliehen hatte. Also war die an gehende Bestseilerautorin doch noch mit dem beschäftigt, was sie >Vorstudien< nannte. Würdevoll trat Parker den Weg in die geräumige, in Souterrain gelegene Wirtschaftsküche an. Seelenruhig bestückte er die Spülmaschine und trat Vorbereitungen für das Frühstück. Mitternacht war schon vorüber, als er ins Erdgeschoß zurück kehrte, ans Telefon trat und die Nummer eines gewissen Horace Pickett wählte. Dank seines gepflegten Auftretens wirkte der sechzigjährige hochaufgeschossene Pickett wie ein pensionierter Offizier. Nur Eingeweihte wußten, daß er vor Jahren als > König der Londoner Taschendiebe< eine prominente Rolle in der Unterwelt gespielt hatte.
Allerdings hatte er seine geschickten Finger nur dort spielen las sen, wo eine Brieftasche ohnehin an Überfüllung litt. Deshalb konnte er seine frühere Tätigkeit mit einem gewissen Recht als >Eigentumsumverteiler< angeben. Einmal war der ehrenwerte Mister Pickett, wie Parker ihn ge wöhnlich nannte, jedoch ahnungslos an einen hochkarätigen Gangsterboß geraten. Der Eigentumsumschichter wäre ein toter Mann gewesen, hätte der Butler nicht zu seinen Gunsten einge griffen. Seitdem verdiente Pickett seinen Lebensunterhalt auf legale Weise und zeigte seine Dankbarkeit, indem er willig jeden Auftrag übernahm, den Parker oder Mylady ihm zudachten. Und da er noch immer über intime Kenntnisse der Szene verfügte, hatte sich seine Mitarbeit schon oft als ausgesprochen wertvoll erwie sen. Auch jetzt war Pickett trotz der Nachtstunde ganz Ohr, als der Butler ihm den Auftritt des angeblichen Modefotografen Brian Sunhill in der Diskothek >Pink Hurricane< und den Angriff auf Ted Robson schilderte. »Sie gehen also, davon aus, daß es Sunhills Leute waren, die über den jungen Mann herfielen, Mister Parker?« vergewisserte sich der frühere Eigentumsumverteiler. »Die Annahme dürfte ungemein naheliegen, Mister Pickett«, bestätigte Parker. »Das ist auch meine Einschätzung«, erwiderte Pickett. »Aber bisher habe ich noch nichts von Aktivitäten eines Fotografen na mens Sunhill gehört. Natürlich werde ich mich sofort erkundigen und Ihnen telefonisch Bescheid geben, sobald ich etwas erfahre, Mister Parker.« »Ein Angebot, das man dankbar begrüßt, Mister Pickett«, sagte der Butler. »Vielleicht sollte ich zusätzlich diskrete Erkundigungen über die Diskothek einziehen, Mister Parker«, schlug der Mann am ande ren Ende der Leitung vor. »Ein Vorgehen, das sich unter Umständen als durchaus hilfreich erweisen könnte, Mister Pickett«, stimmte Parker zu, verabschie dete sich höflich und legte den Hörer auf. Inzwischen war der Lärm im Obergeschoß verstummt. Dafür vernahm der Butler jetzt Geräusche, die an das Sägen dicker Bretter erinnerten. Nach einem kurzen Blick in die Wohnhalle
löschte er das Licht und begab sich ins Souterrain, wo seine pri vaten Räume lagen, die er im Stil einer Kapitänskajüte eingerich tet hatte. Das Telefon war so umgestellt, daß etwaige Anrufe ihn auch dort erreichten. Immerhin war damit zu rechnen, daß sich außer Horace Pickett auch der junge Ted Robson melden würde. Der schmächtige Blondschopf hatte nach dem Verlassen der Disko thek versprochen, die Polizei bis zum nächsten Morgen aus dem Spiel zu lassen und unverzüglich anzurufen, falls seine Freundin wieder auftauchte. Daß sich der junge Mann bis jetzt nicht gemeldet hatte, erhärte te die Vermutung, daß seine achtzehnjährige Freundin tatsächlich das Opfer einer Entführung geworden war. * Agatha Simpsons Stimme klang entrüstet. »Aber Mister Par ker!« Mylady schlug mit theatralischer Gebärde die Hände über dem Kopf zusammen. »Ich wollte heute strenge Diät halten.« Sie lächelte spitzbübisch und bedachte das opulente Frühstücksbüf fet, das Parker im Salon aufgebaut hatte, mit begehrlichen Bli cken. »Sofern Mylady wünschen, wird man unverzüglich ein Frisch kornmüsli mit Joghurt nebst Sojasprossen und Weizenkeimen servieren«, bot der Butler an. »Nein, nein. Nur kein Vogelfutter, Mister Parker«, beschied My lady ihn. »Auch dürften frisch gepreßte Fruchtsäfte als Diät zu empfehlen sein«, gab Parker zu bedenken. »Ich habe mal gelesen, daß unverdünnter Fruchtsaft schädlich für den Magen ist, Mister Parker«, ließ Lady Agatha ihn wissen. »Eine Feststellung, der man nicht um jeden Preis widersprechen möchte, Mylady.« »Eigentlich wäre es doch schade um die hübschen Kleinigkeiten, die Sie bereitgestellt haben, Mister Parker«, meinte die füllige Dame und steuerte den Frühstückstisch an. »Als alleinstehende Frau, die mit dem Penny rechnen muß, kann ich mir nicht erlau ben, etwas umkommen zu lassen.«
»Was man mit Nachdruck unterstreichen kann und muß, Myla dy«, erwiderte der Butler und rückte seiner Herrin einen Sessel zurecht. »Ich werde den Diättag morgen einlegen«, fiel der Detektivin ein, während sie lustvoll frisch geräucherten Lachs aufspießte. »Man wird es keinesfalls versäumen, die erforderlichen Vorbe reitungen zu treffen, Mylady«, versprach Parker, schenkte Kaffee ein und trat danach einen halben Schritt zurück. »Ich hoffe, Sie lassen sich etwas Hübsches einfallen, Mister Par ker«, äußerte die Hausherrin kauenderweise. »Eine Diät muß nicht gleich in Selbstkasteiung ausarten.« »Ein Gesichtspunkt, dem man unbedingt Beachtung schenken wird, Mylady«, versicherte der Butler und schnitt mit versierten Handgriffen die Fasanenpastete an, die den zweiten Gang des morgendlichen Menüs darstellte. »Gab es Anrufe oder sonstige Neuigkeiten heute morgen, Mister Parker?« wollte Mylady nach einer Weile wissen. »Nur der ehrenwerte Mister Pickett hat sich gemeldet«, teilte Parker mit. »Der gute Pickett!« rief die ältere Dame gerührt. »Immer ist er so hilfsbereit und bescheiden. Erinnern Sie mich daran, daß ich ihn bei Gelegenheit zum Tee einlade, Mister Parker.« »Was man unter keinen Umständen versäumen wird, Mylady«, erwiderte der Butler und legte noch eine Scheibe Pastete nach. »Im übrigen dürfte der Hinweis erlaubt sein, daß der ehrenwerte Mister Pickett sich außerstande sah, Informationen über Mister Sunhill zu liefern.« »Funhill? Funhill? Den Namen habe ich doch schon gehört, Mis ter Parker«, kramte die Detektivin in ihrem manchmal etwas stör rischen Gedächtnis. »Mister Brian Sunhill, den Mylady fraglos zu meinen belieben, hielt sich gestern abend in der Diskothek >Pink Hurricane< auf und steht im Verdacht, die achtzehnjährige Betty Fulbright ent führt zu haben«, half Parker aus. »Wie? Ist das Mädchen immer noch nicht zu Hause, Mister Par ker?« »Keineswegs und mitnichten, sofern man korrekt unterrichtet ist, Mylady.«
»Dann rufen Sie einfach Mister Funhill in der Zeitungsredaktion an, Mister Parker«, schlug die Hausherrin vor. »Vielleicht hat er die kleine Mary mitgenommen, um ihr den Betrieb zu zeigen.« »Meine Wenigkeit war so frei, in den frühen Morgenstunden te lefonischen Kontakt zur Londoner Redaktion der Zeitschrift >La dy< aufzunehmen«, ließ der Butler verlauten. »Und was hat Mister Funhill gesagt, Mister Parker?« »Ein Fotograf namens Brian Sunhill ist tatsächlich für die ge nannte Zeitung tätig«, antwortete Parker. »Er war jedoch nicht zu erreichen, da er sich seit einer Woche zu Modeaufnahmen auf den Bahamas aufhält und erst Ende des Monats zurückkehren wird.« »Aber das kann nicht sein, Mister Parker. Da muß jemand etwas verwechselt haben.« »Darüber hinaus wußte man in der Redaktion zu berichten, daß der fragliche Fotograf genau dreißig Jahre alt und weder kahl häuptig noch Brillenträger ist«, fuhr der Butler fort. »Dann muß es zwei Fotografen dieses Namens geben. Vater und Sohn vielleicht«, schloß Agatha Simpson messerscharf. »Was man keineswegs von vornherein ausschließen sollte«, ließ Parker sich vernehmen. »Andererseits dürften Mylady auch eine weitere Möglichkeit in Betracht ziehen, falls man nicht sehr irrt.« »Und ob ich das tue, Mister Parker! An welche Möglichkeiten denke ich dabei konkret?« »Mylady dürften es als wahrscheinlich ansehen, daß der kahl häuptige Entführer gefälschte Ausweispapiere benutzte, um sich als Modefotograf ausgeben zu können.« »In der Tat«, nickte die passionierte Detektivin. »Ein plumper Trick, den ich natürlich sofort durchschaut habe, Mister Parker.« Der Butler wunderte sich nicht, weil er die souveräne Art, in der seine Herrin mit der Wahrheit umzugehen pflegte, längst kannte. »Darf man möglicherweise um Auskunft bitten, wie Mylady unter diesen Gegebenheiten vorzugehen gedenken?« fragte er Statt dessen. »Sie dürfen mir ein paar nette Vorschläge unterbreiten, Mister Parker«, ermunterte Mylady ihn und nahm die mit exotischen Früchten garnierte Käseplatte in Angriff. »Mylady dürften erwägen, der Diskothek >Pink Hurricane< ei nen zweiten Besuch abzustatten.« »Was verspreche ich mir davon, Mister Parker?«
»Unter Umständen wäre mit Auskünften über den Mann zu rechnen, der sich als Brian Sunhill ausgibt, Mylady.« »Aber der Barkeeper hat doch versichert, daß er das zwielichti ge Subjekt nie vorher gesehen hat«, erinnerte sich die Detektivin. »Was nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muß, falls der Hinweis erlaubt ist«, entgegnete Parker. »Immerhin wußte der ehrenwerte Mister Pickett bei seinem Anruf heute morgen zu be richten, daß der Inhaber des erwähnten Lokals in der Unterwelt kein Unbekannter ist.« »Das war mir natürlich klar«, behauptete Lady Agatha, ohne auch nur im geringsten rot zu werden. »Wie hieß der Lümmel noch, Mister Parker?« »Der ehrenwerte Mister Pickett gab den Namen des Betreffen den mit Ron Hatfield an«, antwortete der Butler. »In früheren Jahren soll Mister Hatfield als Zuhälter tätig gewesen sein und in kleinerem Umfang mit illegalen Drogen gehandelt haben.« »Hab ich mir’s doch gedacht«, warf die leidenschaftliche Detek tivin ein und schob einen Käsewürfel nach. »Allerdings scheint Mister Hatfield sich in jüngerer Zeit von kri minellen Aktivitäten ferngehalten zu haben, soweit Mister Pickett ermitteln könnte«, setzte Parker hinzu. »Der durchtriebene Schurke hat sich nur geschickt getarnt, Mis ter Parker«, war die ältere Dame überzeugt. »Aber gegen eine Kriminalistin hat er keine Chance.« »Eine Einschätzung, der man sich vorbehaltlos anschließen möchte, falls es genehm ist, Mylady.« »Gleich nach dem Frühstück werde ich mir das kriminelle Sub jekt vorknöpfen, Mister Parker«, gab die Hausherrin bekannt. »Ist der Wagen startklar?« »Jederzeit, Mylady«, versicherte der Butler und deutete eine Verbeugung an. »Nanu? Besuch am frühen Morgen?« wunderte sich Lady Agat ha, als sie ein Klingeln vernahm. »Sehen Sie nach, wer es ist, aber lassen Sie niemand herein, Mister Parker. Ich bin voll in An spruch genommen.« »Was man unbedingt beherzigen wird, Mylady«, erwiderte Par ker. »Andererseits dürfte der Hinweis genehm sein, daß es sich um das Läuten des Telefons handelt.« Der Butler steuerte gemessen und würdevoll die Diele an.
* »Nun, wer war’s, Mister Parker?« zeigte Mylady unverhohlen ih re Neugier, als der Butler zwei Minuten später wieder im kleinen Salon auftauchte. »Es handelte sich um Mister Ted Robson«, sagte Parker und wollte die Neuigkeit melden, die der junge Mann ihm übermittelt hatte, aber die majestätische Dame fiel ihm umgehend ins Wort. »Der Fotograf?« erkundigte sie sich. »Wie Mylady sich fraglos erinnern dürften, ist Mister Robson der Freund der gestern abend entführten Betty Fulbright«, rückte der Butler das Mißverständnis gerade. »Richtig«, nickte Agatha Simpson. »Der Fotograf hieß Moon hill.« »Mylady dürften jenen Mann meinen, der sich fälschlich Brian Sunhill nennt«, brachte Parker in seiner ungemein höflichen Art die nächste Korrektur an. »Wie auch immer, Mister Parker«, schob Lady Agatha die klei nen Unterschiede gelassen beiseite. »Was hatte Mister Bobson denn mitzuteilen?« »Mister Robson berichtete, daß seine Freundin vor wenigen Mi nuten bei ihm eingetroffen wäre«, antwortete der Butler. »Also doch ein Mißverständnis«, stellte die leidenschaftliche De tektivin frustriert fest. »Ich wußte gleich, daß dieser Fall kein Kriminalfall ist, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit erinnert sich lückenlos an Myladys einschlägi ge Äußerungen«, erwiderte Parker. »Andererseits dürfte der Hin weis von Interesse sein, daß Miß Fulbright mitnichten den ver sprochenen Vertrag als Covergirl erhielt.« »Covergirl?« unterbrach die ältere Dame. »Was verstehe ich denn unter einem Covergirl, Mister Parker?« »Bei einem Covergirl handelt es sich um ein Fotomodell weibli chen Geschlechts, dessen Konterfei die Titelseite einer illustrier ten Zeitschrift einnimmt«, setzte der Butler Agatha Simpson ins Bild. »Eine außerordentlich begehrte und hochbezahlte Tätigkeit, sofern man wahrheitsgemäß unterrichtet ist.« »Hochbezahlt?« wurde die Detektivin sofort hellhörig. »Dann wäre das bestimmt auch was für mich, Mister Parker.«
Der Butler vermied es, zu dieser Äußerung einen Kommentar abzugeben. Er zog es vor, lieber auf Ted Robsons Anruf zurück zukommen. »Wie man des weiteren am Telefon erfuhr«, sagte er, »wurde Miß Fulbright durch den angeblichen Mister Sunhill und mehrere Männer gezwungen, sich für pornografische Aufnahmen zur Ver fügung zu stellen.« »Das heißt, das arme Mädchen mußte sich vor den Augen der Männer ausziehen, Mister Parker?« vergewisserte sich Lady Simp son mit allen Anzeichen der Entrüstung. »Von dieser echauffierenden Tatsache dürfte auszugehen sein, falls man nicht sehr irrt, Mylady.« »Dieser Schurke! Dem werde ich unverzüglich das schmutzige Handwerk legen«, schwor die energische Dame. »Leider sieht man sich genötigt, darauf hinzuweisen, daß Mister Sunhills Aufenthaltsort nach wie vor unbekannt ist«, bremste Parker ihren Elan. »Aber Miß Brightfull wird doch wohl wissen, wo der Lümmel sie hingebracht hat«, entgegnete die Detektivin. »Man muß nur die richtigen Fragen stellen, Mister Parker.« »Ein Grundsatz, den meine Wenigkeit nach bestem Wissen be herzigt, Mylady«, antwortete der Butler. »Im vorliegenden Fall dürfte jedoch die Anmerkung erlaubt sein, daß Miß Fulbright ver mutlich unter Betäubung transportiert wurde und sich an die Lage des Fotostudios nicht erinnern kann.« »Papperlapapp«, gab die Hausherrin unwirsch zurück. »Wenn ich sie frage, wird sie sich schon erinnern können, Mister Parker.« »Was man mitnichten in Zweifel ziehen möchte, Mylady«, laute te Parkers höfliche Antwort. »Am besten breche ich sofort auf und nehme mir das Mädchen vor, Mister Parker«, entschied Lady Agatha. »Haben Sie sich denn die Anschrift geben lassen?« »Da Miß Fulbrights Eltern verreist sind, hält die Genannte sich momentan in der Wohnung ihres Freundes Ted Robson an der Dombey Street Nr. 36 auf«, teilte der Butler mit. »Ich will mir nur einen Hut heraussuchen«, ließ Agatha Simpson verlauten, erhob sich und steuerte die Freitreppe zum Oberge schoß an. »Sie können den Wagen schon warmlaufen lassen.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben«, erwiderte Parker höflich und verneigte sich. Aus Gründen des Umweltschutzes verzichtete er jedoch darauf, bereits jetzt den Motor anzulassen. Das war zwar ein Verstoß gegen die jedem echten britischen Butler heilige Gehorsamspflicht, aber eine vernünftige Entschei dung – wenn man weiß, daß Mylady für die Hutwahl reichlich eine halbe Stunde in Anspruch nahm. * Betty Fulbright war ein bemerkenswert hübsches Mädchen mit langen blonden Haaren und meerblauen Augen. Als Parker und die Detektivin sie in Ted Robsons Wohnung aufsuchten, wirkte die junge Dame jedoch nervös und verstört – was nach den Ereignis sen der vergangenen Nacht allerdings kein Wunder war. »Nun erzählen Sie mal der Reihe nach, Kindchen«, forderte La dy Agatha sie auf, nachdem der junge Wohnungsinhaber Plätze angeboten und Tee eingeschenkt hatte. »Ted hat erzählt, daß Sie Privatdetektivin sind«, schickte Betty voraus und maß die füllige Dame mit ungläubigen Blicken. »Ist das denn wirklich wahr, Mylady?« »Zweifeln Sie etwa daran, Kindchen?« antwortete Mylady mit einer Gegenfrage. »Nein, nein«, versicherte ihr Gegenüber eilig. »Es ist nur… Ich hatte mir eine Detektivin immer ganz anders vorgestellt.« »Alles Tarnung, Kindchen«, gab Lady Agatha mit hintergründi gem Lächeln zurück. »Wenn jeder Ganove mir schon von weitem ansehen würde, daß ich Kriminalistin bin, hätte ich nie meine le gendären Erfolge errungen.« »Vermutet Mylady unter Umständen recht, daß der angebliche Fotograf, der sich Brian Sunhill nennt, Ihnen gestern abend zum ersten Mal begegnet ist, Miß Fulbright?« nahm Parker den roten Faden wieder auf. »Stimmt«, nickte die junge Dame. »Ich habe ihn nie vorher ge sehen, obwohl ich öfter im >Pink Hurricane< bin. Allerdings fiel er mir sofort auf schon wegen seines Alters.« »Und dann hat das skrupellose Subjekt Sie angesprochen und verlangt, daß Sie sich für… äh… unzüchtige Fotos zur Verfügung stellen, Kindchen?« wollte Agatha Simpson wissen.
»Nein, wenn ich gewußt hätte, daß es darum geht, hätte ich mich gar nicht erst auf ein Gespräch eingelassen«, entgegnete Betty. »Er stellte sich als international gefragter Modefotograf vor und behauptete, ich wäre genau der Typ, den er ganz groß he rausbringen möchte.« »Und Sie schöpften zu diesem Zeitpunkt noch, keinen Verdacht, Miß Fulbright?« stellte der Butler eine Zwischenfrage. »Zuerst hielt ich ihn für einen Angeber«, erwiderte die hübsche Blondine. »Aber dann zeigte er mir die >Lady<, wo unter den Fotos sein Name stand. Und der stimmte mit dem Namen in sei nem Ausweis überein.« »Genauso war es«, bekräftigte Ted Robson. »Ich war ja dabei und habe alles mitbekommen.« »Er sagte dann, er wollte sofort einen Exklusivvertrag mit mir machen«, setzte die junge Dame ihren Bericht fort. »Angeblich hatte er Angst, daß jemand auf mich aufmerksam wird und ihm zuvorkommt.« »Und die Eile hat Sie nicht stutzig gemacht, Kindchen?« wun derte sich Lady Simpson. »Doch. Aber es klang alles so verlockend«, erklärte Betty Ful bright. »Trotzdem wäre ich nie allein mit ihm weggefahren – je denfalls nicht mitten in der Nacht.« »Und ich hätte Betty auch nicht gehen lassen«, ergänzte Rob son. »Aber der Typ sagte, ich könnte ruhig mitkommen in sein Studio. Er hätte nichts zu verbergen.« »Ja, so war es«, bestätigte die hübsche Betty. »Ich dachte, wenn Ted mich begleitet, könnte nichts passieren.« »Allerdings wurde Mister dann in letzter Sekunde gewaltsam an der Mitfahrt gehindert, sofern man korrekt unterrichtet ist, Miß Fulbright«, kam Parker auf die dramatische Zuspitzung des Ge schehens zu sprechen. »Ich saß schon auf dem Beifahrersitz und bekam mit, daß zwei Männer über Ted herfielen«, erinnerte sich die junge Dame. »Ich schrie Mister Sunhill an, ihm zu helfen. Aber der Mann grinste nur und hatte plötzlich eine Sprühdose in der Hand. Von da an weiß ich nichts mehr. Erst im Studio wachte ich wieder auf.« »Könnte es möglicherweise zutreffen, daß die Männer, die Mis ter Robson niederschlugen, Ihnen bereits vorher aufgefallen wa ren, Miß Fulbright?« erkundigte sich der Butler.
»Beide waren auch in der Disko. Aber ich habe sie kaum beach tet«, antwortete Betty. »Mir fiel nur auf, daß sie häufig zu uns herübersahen. Aber ich machte mir keine Gedanken deswegen.« »Und was passierte im Studio, Kindchen?« fragte Agatha Simp son. »Als ich zu mir kam, waren außer Mister Sunhill noch zwei Män ner da. Aber nicht die beiden, die über Ted hergefallen waren«, berichtete Betty Fulbright. Sie stockte und schloß kurz die Augen, ehe sie fortfuhr. »Sie verlangten, daß ich mich ausziehen und alle möglichen Verrenkungen vor der Kamera machen sollte«, schilderte sie das schockierende Erlebnis. »Ich habe mich geweigert und geweint. Aber es blieb mir nichts anderes übrig.« »Unverschämtheit«, monierte die passionierte Detektivin. »Das hätten die Lümmel mal bei mir versuchen sollen!« »Kann und muß Mylady vermuten, daß Sie unter Anwendung körperlicher Gewalt zu den fotografischen Aufnahmen gezwungen wurden, Miß Fulbright?« erkundigte sich Parker. »Nicht… nicht direkt«, gab die blonde Betty zögernd zur Ant wort. »Aber Mister Sunhill hatte eine Spritze in der Hand. Und… und er drohte, er würde mich schon willfährig machen, wenn ich mich weigerte.« Betty Fulbright weinte und beruhigte sich erst wieder, als Ted Robson ihr den Arm um die Schulter legte und zärtlich ihr Haar streichelte. »Ich… ich hatte solche Angst. Todesangst«, stieß sie unter Trä nen hervor. »Aber jetzt ist alles gut, Kindchen«, versuchte Lady Agatha die junge Dame zu trösten. »Noch heute werde ich den gewissenlo sen Schurken dingfest machen und der gerechten Bestrafung zu führen.« »Geht Mylady übrigens recht in der Annahme, daß Ihnen intim keinerlei Gewalt angetan wurde, Miß Fulbright?« vergewisserte sich der Butler, sobald die hübsche Betty wieder einigermaßen gefaßt wirkte. »Sie meinen, ob ich vergewaltigt wurde? Nein«, sagte sie. »Nachdem alle Aufnahmen gemacht waren, die Mister Sunhill wollte; konnte ich mich wieder anziehen.«
»Und dann durften Sie gehen, Kindchen?« fragte Lady Agatha, doch Betty Fulbright, deren Augen immer noch in Tränen schwammen, schüttelte den Kopf. »Sie haben mir die Augen verbunden und mich in ein Auto ge bracht«, erzählte sie. »Wir fuhren eine Weile durch die Stadt, und dann wurde ich plötzlich an die Luft gesetzt.« »Hier vor dem Haus, Kindchen?« wollte die ältere Dame wissen. »Nein, an einer gottverlassenen Straßenecke in Deptford«, gab die junge Dame Auskunft. »Es war noch dunkel, und ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Eine Stunde oder länger bin ich umhergeirrt, bis ein Taxi kam und mich mitnahm.« »Und wo war das Studio, in dem die Filmaufnahmen gemacht wurden, Kindchen?« begehrte Mylady zu Wissen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Betty und hob ratlos die Schul tern. »Weder auf der Hinfahrt noch auf der Rückfahrt habe ich irgendwas mitbekommen.« »Aber Sie müssen sich doch wenigstens an die Umgebung erin nern, wie das Haus aussah, zum Beispiel«, unterstellte die ältere Dame. »Nein, ich habe nichts gesehen«, beteuerte ihr Gegenüber. »Nur das Studio von innen. Jetzt kommt es mir fast wie ein Alp traum vor, wie etwas, das ich gar nicht wirklich erlebt habe.« »Sehr bedauerlich, Kindchen«, meinte die Detektivin. »Aber der Lümmel entgeht mir auch so nicht. Meiner Taktik hat Mister Fun hill nichts entgegenzusetzen.« »Was eindeutig zu hoffen wäre«, ließ Parker sich vernehmen. »Darf man an dieser Stelle um Auskunft bitten, wie Mylady weiter vorzugehen gedenken?« »Ganz einfach, Mister Parker«, erwiderte die majestätische Da me. »Da Miß Brightfull keine zweckdienlichen Hinweise geben kann, werde ich eine Variante meines Konzepts realisieren, falls Sie verstehen, was ich meine.« »Sofern man eine Vermutung äußern darf, tragen Mylady sich mit der Absicht, Mister Ron Hatfield einen Besuch abzustatten«, äußerte der Butler. »Don Madfield? Wer ist denn das schon wieder?« reagierte seine Herrin verdutzt. »Mister Ron Hatfield, von dem Mylady zweifellos zu sprechen geruhen«, korrigierte Parker auf seine stets höfliche Weise, »ist der Inhaber der Diskothek >Pink Hurricane< und gehört nach den
von Mister Pickett übermittelten Erkenntnissen der kriminellen Szene an.« »Richtig, Don Madfield heißt das zwielichtige Subjekt«, nickte die passionierte Detektivin. »Sie haben so undeutlich gesprochen, daß ich den Namen nicht richtig verstanden habe, Mister Parker.« »Ein Umstand, den man zutiefst bedauert, Mylady«, erwiderte der Butler. »Im übrigen wird man sich künftig noch eingehender um eine makellose Artikulation bemühen.« »Glauben Sie denn wirklich, daß Sie den Gangster ausfindig machen können?« fragte Ted Robson zweifelnd, als man sich an der Wohnungstür verabschiedete. »Aber selbstredend, junger Mann«, warf Agatha Simpson sich in die ohnehin üppige Brust. »Sie wollen doch nicht etwa meine Fä higkeiten in Frage stellen? Das müßte ich nämlich als Beleidigung auffassen.« »Ein Hinweis, den man keinesfalls auf die sprichwörtliche leichte Schulter nehmen sollte, Mister Robson«, setzte Parker warnend hinzu, ehe er höflich die schwarze Melone lüftete und Mylady zum Fahrzeug geleitete. * Als der Butler das hochbeinige Monstrum gegenüber der Disko thek >Pink Hurricane< abstellte, stand die Eingangstür weit of fen. Diesmal wachte auch kein muskelbepackter Kassierer in Le derjeans und T-Shirt, sondern eine hagere Frau von etwa sechzig Jahren, die hingebungsvoll Schrubber und Putzlappen schwenkte. »Man erlaubt sich, einen möglichst angenehmen Vormittag zu wünschen«, sagte Parker, nachdem er seiner gewichtigen Herrin aus dem Wagen geholfen und sie über die Straße geleitet hatte. »Geht man recht in der Annahme, daß Mister Hatfield im Haus ist?« Die Reinemachefrau wich einen Schritt zurück, um das skurrile Paar besser betrachten zu können. »Ich glaub schon«, erwiderte sie nach kurzem Zögern. »Aber Sie können jetzt nicht zu ihm rein.« »Darf man möglicherweise fragen, aus welchem Grund?« er kundigte sich der Butler höflich.
»Weiß ich nicht«, gab die Frau mit einer vieldeutigen Grimasse zurück. »Jedenfalls hat er gesagt, daß ich ihn nicht stören soll.« »Demnach dürfte die Vermutung naheliegen, daß Mister Hatfield Besuch hat?« setzte Parker behutsam den Bohrer an. »Nein, Besuch hat er nicht«, wußte die Putzfrau. »Spielt auch keine Rolle, Mister Parker«, schaltete Lady Agatha sich ungehalten ein. »Gehen Sie endlich voran. Meine Zeit ist kostbar.« »Ein Umstand, der meiner bescheidenen Wenigkeit hinlänglich bewußt ist, Mylady«, versicherte Parker, bedachte die Reinema chefrau mit einer angedeuteten Verbeugung und betrat den kur zen Flur. Die Hagere wollte Protest anmelden, doch Myladys giftiger Blick ließ sie verstummen, ehe das erste Wort über ihre Lippen kam. Dafür warteten schon andere, die fest entschlossen waren, Lady Agatha und dem Butler alle Steine in den Weg zu legen, derer sie habhaft werden konnten. Die unangemeldeten Besucher hatten erst wenige Schritte in Richtung auf die Tanzfläche zurückgelegt, als unvermittelt zwei schätzungsweise dreißigjährige Männer auftauchten, die einen ausgesprochen durchtrainierten Eindruck machten und das ent sprechende Selbstbewußtsein an den Tag legten. »Was habt ihr denn hier zu suchen? Verschwindet!« knurrte ei ner von ihnen, ein Kleiderschrank mit platter Boxernase und Hän den wie Kohlenschaufeln. »Mylady befindet sich auf dem Weg zu Mister Hatfield«, entgeg nete Parker unbeeindruckt. »Somit sieht man sich bedauerlicher weise außerstande, Ihrer höflichen Aufforderung Folge zu leis ten.« »Wie? Was?« Seinem Gegenüber blieb der Mund offenstehen. »Diese Witzblattfiguren wollen zum Chef«, klärte sein sommer sprossiger Kollege ihn auf. »Eigentlich sollten wir das Pärchen durchlassen«, meinte der Plattnasige und verschluckte sich fast vor Heiterkeit. »Der Chef lacht sich kaputt, wenn er die fette Alte und den stocksteifen Kerl sieht.« Das war entschieden zuviel für Agatha Simpsons sensibilisiertes Ehrgefühl. Schon beim Betreten des Lokals war der mit buntla ckierten Perlen aus Gußeisen bestickte Lederbeutel an ihrem Handgelenk in angriffslustige Schwingung geraten.:
Jetzt begann das geräumige Behältnis, das Agatha Simpsons geliebten Glücksbringer, ein massives Pferdehufeisen, enthielt, heftig zu rotieren. Die ledernen Halteriemen entlockten der Luft ein scharfes Pfeifen, aber ehe die Männer begriffen, schickte die resolute Dame den wohlgefüllten Beutel schon auf eine Strafex pedition aus. Der Bodyguard mit der Boxernase jaulte wie ein getretener Hund, als der Pompadour klatschend im Zielgebiet niederging und der Glücksbringer sich ungestüm an seinen Nacken schmiegte. Augenblicklich wich alle Farbe aus dem Gesicht des Mannes. Mit zitternden Knien wich er ein paar Schritte zur Seite und streckte sich dann bäuchlings auf der Tanzfläche aus. Diese Ru hepause war dem Wächter allerdings auch zu gönnen, da er auf dem kurzen Weg dorthin noch schnell ein halbes Dutzend Stühle in Brennholz verwandelt hatte. Verständlich, daß der Sommersprossige sich verpflichtet fühlte, für den vorübergehend ausgeschiedenen Kollegen in die Bresche zu springen. Wie ernst ihm die Sache war, ließ sich daraus erse hen, daß plötzlich der kalte Stahl einer Messerklinge aufblitzte. Josuah Parker, der mit einer rasanten Zuspitzung des Mei nungsaustausches ohnehin gerechnet hatte, war jedoch auf der Hut und durchkreuzte die unfreundlichen Absichten seines Geg ners ebenso wirksam wie nachhaltig. Zu diesem Zweck aktivierte er den schwarzen UniversalRegenschirm, der wie gewöhnlich am angewinkelten Unterahn hing, und ließ ihn ruckartig in die Horizontale wippen. Sekunden bruchteile später pochte die bleigefüllte Schirmspitze nachdrück lich auf das rechte Handgelenk des Mannes. Die Wirkung dieser Behandlung ließ keine Wünsche offen. Unter jämmerlichem Geheul spreizte Parkers Gegenüber die zur Faust geballte Hand und ließ den Dolch zu Boden fallen. Das un freundliche Vorhaben schien ihm jetzt peinlich zu sein, denn er versuchte, den Butler und die Detektivin durch eine improvisierte Darbietung auf der Tanzfläche zu erfreuen. Der Mann zeigte durchaus Talent, was Lady Simpson mit aner kennendem Kopfnicken quittierte, aber es mangelte ihm an der nötigen Konzentration. So massierte er während der Vorführung eingehend sein rasch anschwellendes Handgelenk und übersah dadurch den friedlich schlummernden Kollegen.
Die nur mäßig unterhaltsame, aber immerhin turbulente Einlage endete damit, daß der Sommersprossige ins Trudeln geriet und die mittlerweile notdürftig reparierte Musikanlage erneut zu Bruch ging. »Müssen Sie sich denn immer vordrängeln, Mister Parker?« mo kierte sich Mylady. »Ich war gerade so schön in Schwung.« »Man bittet um Nachsicht, Mylady«, erwiderte der Butler und verneigte sich. »Ich wäre auch mit dem zweiten Lümmel allein fertig geworden, Mister Parker«, ließ die Detektivin verlauten. »Und ein wenig Be wegung jeden Tag ist gesund.« »Eine Feststellung, der man unter keinen Umständen wider sprechen möchte, Mylady«, versicherte Parker und versorgte die ausgesprochen teilnahmslos wirkenden Bodyguards mit Handund Fußfesseln aus Plastik, die sich um so straffer zusammenzo gen, je heftiger man daran zerrte. »Und wo ist der Lümmel, den ich mir vorknöpfen wollte, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, während er noch dieser Beschäf tigung nachging. »Dort drüben, falls man eine Vermutung wagen darf, Mylady«, gab Parker Auskunft und deutete auf eine dunkel lackierte Stahl tür mit der Aufschrift: >Privat – Durchgang verbotenen<. * Wenig später hatten Agatha Simpson und der Butler einen lan gen, mäßig beleuchteten Flur durchschritten und die Treppe zum ersten Obergeschoß erklommen. Sie standen schließlich vor einer massiven Eichenholztür, die mit einem aufwendigen Si cherheitsschloß ausgerüstet war. »Worauf warten Sie denn noch, Mister Parker?« drängelte die resolute Dame, als der Butler lauschend sein Ohr an das Holz leg te. »Soll ich mir hier vielleicht die Beine in den Leib stehen?« »Eine Entwicklung, die es um jeden Preis zu verhindern gilt, My lady«, erwiderte Parker mit todernster Miene und klinkte die un verschlossene Tür auf. Der Mann, der am entgegengesetzten Ende des Raumes hinter einem pompösen Mahagoni-Schreibtisch thronte, war zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahre alt. Er trug einen maßgeschnei
derten Nadelstreifenanzug erlesenster Qualität und sein dekorativ ergrautes Haar akkurat gescheitelt. Die kalten grauen Augen verrieten Entschlossenheit, das ener gisch vorgeschobene Kinn ein ungewöhnliches Durchsetzungs vermögen. Der elegante Endvierziger stutzte nur einen Lidschlag lang, als er den schwarz gekleideten Butler und die füllige Dame in der Türöffnung erblickte. Mit der lässigen Routine eines mit allen Wassern gewaschenen Profis glitt seine Hand in den Jackenaus schnitt. Doch Parker nutzte seine Chance und war um die entscheiden den Sekundenbruchteile schneller. Kurz entschlossen griff er mit der schwarz behandschuhten Rechten nach der Krempe seines Bowlers und ließ die mit Stahl blech verstärkte Kopfbedeckung wie eine schwarze Frisbeescheibe in Richtung Schreibtisch schwirren. In elegantem Bogen segelte die Melone auf den Bewaffneten zu und suchte sich unfehlbar ihr Ziel. Sirrend glitt die messerscharf geschliffene Stahlkrempe über den Handrücken des Mannes und entlockte ihm langgezogene Jaultöne, die an einen liebeskranken Wolf in einsamer Steppe denken ließen. Reflexartig zog der Graumelierte die Hand aus der Jacke zurück, ließ die schallgedämpfte Pistole aber in der Schulterhalfter ste cken. Während er mit Tränen in den Augen sein gründlich kahlra siertes Handgelenk durch Pusten zu kühlen Versuchte, trat Parker mit ein paar raschen Schritten näher und nahm das stählerne Mordinstrument an sich. »Man bittet um Nachsicht wegen dieser Eigenmächtigkeit«, sag te der Butler in seiner höflichen Art. »Aber Feuerwaffen sind nur selten geeignet, eine offene und entspannte Gesprächsatmosphä re herbeizuführen, falls der Hinweis gestattet ist.« Der Elegante antwortete nicht, sondern ließ sich mit einem lan gen Seufzer in seinen ledergepolsterten Drehsessel fallen. »Geht Mylady übrigens recht in der Annahme, Mister Ron Hat field persönlich vor sich zu haben?« erkundigte sich Parker. »Ja. Aber was zum Teufel soll der Unsinn?« schnaubte Hatfield wutentbrannt. »Sehn Sie sich doch mal meine Hand an!« »Man bedauert mit Nachdruck, Ihnen körperliches Ungemach zugefügt zu haben, Mister Hatfield«, versicherte der Butler. »Al
lerdings sah man sich zu dieser Maßnahme genötigt, um einem drohenden Schußwaffengebrauch zuvorzukommen.« »Ich hätte doch niemals geschossen«, entgegnete Hatfield und musterte seine Besucher argwöhnisch. »Eine Darstellung, die man nicht ohne Vorbehalte zur Kenntnis nimmt, Mister Hatfield«, entgegnete Parker kühl. »Immerhin ent spricht es mitnichten der landesüblichen Sitte, eintretende Besu cher zu begrüßen, indem man in die Schulterhalfter greift.« »Das war doch nur ein Reflex«, behauptete Hatfield. »Man muß eben auf der Hut sein heutzutage.« »Eine Feststellung, der meine Wenigkeit nur beipflichten kann, Mister Hatfield«, erwiderte Parker mit unbewegter Miene. »Im übrigen dürfte die Mitteilung von Interesse sein, daß Mylady Ih nen diverse Fragen zu stellen wünscht.« »Wir können es auch kurz machen«, griff Lady Agatha in die Unterredung ein. »Wenn Sie gleich ein Geständnis ablegen, Mister Madfield, kann ich mir zeitraubende Fragen sparen.« »Ein Geständnis?« wiederholte Hatfield, als hätte er das Wort zum ersten Mal gehört. »Wovon reden Sie überhaupt?« »Keine Ausflüchte, junger Mann!« herrschte die resolute Dame ihn an und ließ demonstrativ den perlenbestickten Pompadour wippen. »Sie wissen genau, weshalb ich Sie festnehmen mußte.« »Nicht mal andeutungsweise, Mylady«, beteuerte Hatfield. »Mein Herz ist so rein wie… wie…« »Wenn Sie nicht endlich Ihr zweckloses Leugnen aufgeben, zwingen Sie mich, andere Saiten aufzuziehen, junger Mann«, kündigte Mylady an. »Die Folgen hätten Sie sich dann selbst zu zuschreiben.« Um ihrer Äußerung gesteigerten Nachdruck zu verleihen, ließ Agatha Simpson ihren geliebten Glücksbringer an Hatfields Nase vorbeihuschen, so daß er den unheilverheißenden Luftzug ver spürte und instinktiv zurückzuckte. »Geben Sie mir wenigstens einen Tip, worum ‘s geht«, bat er. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, einen Irrtum aufzuklären.« »Mylady ermittelt gegen einen Mann, der sich Brian Sunhill nennt und gestern abend ein junges Mädchen aus Ihrer Diskothek entführte, Mister Hatfield«, kam Parker ohne Umschweife zur Sa che. »Sie sind also von der Polente?« vergewisserte sich der Haus herr.
»Keineswegs und mitnichten, Mister Hatfield«, klärte der Butler ihn auf. »Mylady ist als Privatdetektivin tätig und genießt einen Ruf, den man nur als beispiellos bezeichnen kann.« »Privatdetektivin?« murrte der Graumelierte und musterte die majestätische Dame nachdenklich. »Ich habe von der Sache ge hört. Hank Lodney, der Barkeeper, hat es mir erzählt. Aber was habe ich damit zu tun?« »Mylady liegen eindeutige Hinweise dafür vor, daß der angebli che Mister Sunhill mit Ihnen zusammenarbeitet, Mister Hatfield«, wich Parker ausnahmsweise mal von der Wahrheit ab, um die Reaktion seines Gegenübers zu testen. Erwartungsgemäß schüt telte Hatfield empört den Kopf. »Das ist eine böswillige Unterstellung. Ich kenne den Kerl über haupt nicht«, gab er wütend zurück. »Und überhaupt hab ich noch nie was mit kriminellen Sachen zu tun gehabt.« »Wenn man von einigen dunklen Flecken in Ihrer Vergangenheit absieht, Mister Hatfield«, hielt der Butler ihm gelassen vor. »So fern meine Wenigkeit korrekt unterrichtet ist, waren Sie sowohl im illegalen Gunstgewerbe als auch im Drogenhandel tätig.« Die grauen. Augen des Gangsters verengten sich zu Schlitzen. Seine Mundwinkel zuckten. »Sie sind verdammt gut informiert«, preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Hatten Sie vielleicht etwas anderes erwartet?« schob Lady A gatha sich umgehend in den Vordergrund. »Und jetzt heraus mit dem Geständnis! Sonst werde ich noch recht ungehalten.« »Aber ich hab mit der Sache nichts zu tun. Ich schwör es Ih nen«, beharrte der elegante Disko-Chef. »Gut, ich bin kein unbe schriebenes Blatt, aber auf so was würde ich mich unter keinen Umständen einlassen. Da setze ich ja alles aufs Spiel.« »Darf man um Auskunft bitten, wie Sie diese Äußerung konkret verstanden wissen möchten, Mister Hatfield?« hakte Parker inte ressiert nach. »Ich will mit offenen Karten spielen«, setzte der Mann an, aber Agatha Simpson fiel ihm sofort ins Wort. »Das möchte ich Ihnen auch raten, junger Mann«, ermahnte sie den Graumelierten. »Alles andere verfängt bei einer Kriminalistin sowieso nicht.«
Der Gangster nickte, bevor er fortfuhr. »Ich hab früher viel Geld verdient und wenig ausgegeben«, erzählte er. »Deshalb konnte ich vor zwei Jahren diese Disko kaufen.« »Hat man recht verstanden, daß Sie von den Erlösen aus Ihren illegalen Tätigkeiten sprechen, Mister Hatfield?« vergewisserte sich der Butler. »Ja, schon«, räumte sein Gegenüber widerwillig ein. »Aber das ist lange her. Und jetzt habe ich mein Auskommen als seriöser Geschäftsmann, der pünktlich seine Steuern zahlt und sich nichts zuschulden kommen läßt.« »Das werde ich noch eingehend prüfen. Und wehe, Sie haben mich angeschwindelt, junger Mann«, grollte die resolute Dame. »Dieses gutgehende Unternehmen würde ich aufs Spiel setzen, wenn ich mich in solche Geschichten hineinziehen ließe«, fuhr Hatfield fort. »Die Polizei wartet sowieso nur darauf, daß sie mir den Laden dichtmachen kann.« »Demnach sieht Scotland Yard einen Anlaß, Sie weiterhin im Auge zu behalten«, schlußfolgerte Parker. »Darf man vermuten, daß die Polizei Sie unter Umständen des Drogenhandels verdäch tigt?« »Keine Ahnung. Wenn sie einem am Zeug flicken wollen, dann finden sie schon was«, antwortete Hatfield. »Was man zumindest in Ihrem Fall nicht unbedingt bestreiten möchte, Mister Hatfield«, sagte Parker. »Ansonsten erlaubt man sich, für die geradezu freudige Auskunftsbereitschaft zu danken und noch einen möglichst heiteren Tag zu wünschen.« »Danke«, sagte der Diskothekenbesitzer mit schwacher Stimme und geleitete die Besucher sichtlich erleichtert zur Tür. »Übrigens«, wollte er in beiläufigem Ton wissen. »Als Sie he reinkamen, sind Ihnen da nicht zwei Männer begegnet?« »Doch, junger Mann«, ließ Lady Simpson ihn wissen. »Aber die Lümmel legten derart haarsträubende Manieren an den Tag, daß ich ihnen eine gründliche Lektion erteilen mußte.« »Ach so«, meinte Hatfield und sah die ältere Dame mit großen Augen an. »Die Herren wurden von einem vorübergehenden Unwohlsein befallen, dürften sich aber mittlerweile auf dem Wege der Besse rung befinden, Mister Hatfield«, klärte der Butler ihn auf, lüftete höflich die schwarze Melone und geleitete seine Herrin in Richtung Treppe.
* Die schwarze Limousine befand sich in voller Fahrt. Auf wim mernden Pneus schoß sie just in dem Moment um die Ecke, als Parker und Mylady die Straße überquerten. Bremsen quietschten. Zwei Schritte von dem skurrilen Paar ent fernt, kam der Wagen zum Stehen. »Immer diese Verkehrsrowdies«, räsonierte die ältere Dame und drohte dem Fahrer mit erhobenem Zeigefinger. »Darum soll te sich die Polizei mal kümmern.« »Tut sie ja auch«, war gleich darauf eine Männerstimme zu ver nehmen, die allerdings nicht dem Lenker des luxuriösen Gefährts gehörte. Die rechte Fondtür wurde geöffnet, und ein untersetzter Mittfünfziger mit leicht vorstehenden Basedow-Augen im hektisch geröteten Gesicht zwängte sich ins Freie. »Welche Überraschung!« erlaubte sich die Detektivin zu frot zeln. »Sie, McWarden?« »Ich bitte um Verzeihung, falls ich Sie erschreckt habe, Myla dy«, sagte Chief-Superintendent McWarden, der zu den einfluß reichsten Beamten bei Scotland Yard gehörte und eine Spezial einheit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen leitete. »Papperlapapp! Als ob Sie mir einen Schrecken einjagen könn ten«, gab Lady Simpson schnippisch zurück. »Das hat noch kein Polizist geschafft, McWarden.« »Um so besser«, schmunzelte der Beamte, der im Hause Simp son kein Unbekannter war. »Und meinem Fahrer werde ich nach her eine Standpauke halten. Das hätte wirklich ins Auge gehen können.« »Ihr Glück, McWarden«, sagte die ältere Dame. »Sonst hätten Sie mich von einer anderen Seite kennengelernt.« »Danke. Kein Bedarf«, winkte der Superintendent ab. »Aber was führt Sie eigentlich in diese Gegend, Mylady? Haben Sie viel leicht Ron Hatfield einen Besuch abgestattet?« »Wer soll das denn sein, lieber McWarden?« stellte Agatha Simpson sich ahnungslos. »Ron Hatfield ist der Besitzer der Diskothek, aus der Sie gerade gekommen sind«, erwiderte der Yard Beamte. »Ein Mann, den wir schon länger im Auge haben.«
»Was Sie nicht sagen«, meinte die passionierte Detektivin. »Man kann schließlich nicht jeden Diskothekenbesitzer in London kennen.« »Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß Sie ohne Grund in der Disko waren, Mylady«, bohrte McWarden hartnäckig weiter. »Viel leicht zum Tanzen, wie?« »Warum nicht? Tanzen erhält jung und elastisch«, entgegnete Lady Agatha lächelnd. »Eine Sportart, die ich Ihnen wirklich emp fehlen kann, McWarden. Wenn ich mir Ihre Figur ansehe…« »Sie sollten mich nicht für dümmer halten, als ich wirklich bin, Mylady«, reagierte der Chief-Superintendent eingeschnappt. »Wenn Sie am hellen Tag aus einer Diskothek kommen, die ei nem mutmaßlichen Drogenhändler gehört, kann das nur bedeu ten, daß Sie gegen Ron Hatfield ermitteln.« »Wunschdenken, McWarden. Pures Wunschdenken«, ließ Agat ha Simpson herablassend verlauten. »Das verstehe ich nicht«, bekannte der Mann vom Yard. »Wieso denn Wunschdenken, Mylady?« »Ihnen könnte es nur recht sein, wenn ich den Lümmel zur Strecke bringe«, spottete die resolute Dame, »und ihn dann auf dem Präsentierteller der Polizei überreiche.« »Unsinn«, widersprach McWarden, der allmählich sichtbare Mü he hatte, die Fassung zu bewahren. Trotz des Eindrucks, daß: er noch etwas sagen wollte, machte der Chief-Superintendent unvermittelt auf dem Absatz kehrt und stiefelte leicht erregt zu seiner schwarzen Dienstlimousine zurück. »Manieren hat der Mensch«, stellte Agatha Simpson entrüstet fest. »Wäre er nicht Beamter Ihrer königlichen Majestät – ich hät te ihm wieder eine Lektion erteilt, Mister Parker.« »Was man keine Sekunde bezweifelt, Mylady«, erwiderte der Butler höflich und geleitete die ältere Dame nun endgültig zum hochbeinigen Monstrum. * »Falls man sich nicht gründlich täuscht, werden Mylady bereits erwartet«, meldete Parker kurze Zeit später, als er in die stille Wohnstraße im idyllischen Londoner Stadtviertel Shepherd’s Mar ket einbog, an der Lady Agathas herrschaftliches Anwesen lag.
»Woraus schließe ich das, Mister Parker?« »Myladys Aufmerksamkeit dürfte kaum entgangen sein, daß ge genüber der Einfahrt zu Myladys Grundstück ein Fahrzeug parkt«, teilte der Butler mit. Wenn hier irgendwo ein Auto stand, mußte es sich um mehr o der weniger willkommenen Besuch für die Detektivin handeln, denn die anderen Häuser an der Straße waren unbewohnt. Ihren einstigen Inhabern war das turbulente Steckenpferd der agilen Witwe mit der Zeit zu nervenaufreibend geworden. Die braven Leute, lauter Familien mit Kindern, hatten es satt, ständig durch nächtliche Vorfälle aus dem Schlaf gerissen zu wer den und waren in andere Stadtviertel gezogen. Mylady hatte die Anwesen zu einem Spottpreis aufgekauft und ließ sie seitdem leerstehen. »Ein verdächtiges Fahrzeug, Mister Parker?« vergewisserte sich Agatha Simpson. »Ein wenig Bewegung vor dem Lunch wäre nicht übel.« »Leider sieht man sich genötigt, Mylady in dieser Hinsicht zu enttäuschen«, antwortete Parker, der den dunkelblauen Austin schon von weitem erkannt hatte. »Nach der unmaßgeblichen Mei nung meiner bescheidenen Wenigkeit dürfte es sich um Miß Por ter und Mister Rander handeln.« »Die Kinder!« rief Mylady freudig überrascht. »Bestimmt wollen sie mal wieder spannende Geschichten von mir hören.« Um einem Irrtum vorzubeugen: Anwalt Mike Rander und seine etwa zehn Jahre jüngere Begleiterin, die attraktive Kathy Porter, waren keineswegs leibliche Nachfahren der älteren Dame. An Randers Seite hatte Parker etliche Jahre in den Staaten ver bracht. Damals war es den Männern gelungen, eine Reihe aufse henerregender Kriminalfälle zu lösen. Den Butler hatte es jedoch wieder an die Themse zurückgezo gen, wo er in die Dienste der exzentrischen Lady Agatha Simpson getreten war. Allerdings war der Anwalt bald gefolgt und hatte an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei eröffnet. Eingeweihte wußten jedoch, daß seine Hauptbeschäftigung dar in bestand, das immense Vermögen der Witwe zu verwalten, seit Parker ihn im Haus seiner neuen Dienstherrin eingeführt hatte. In Shepherd’s Market war der sportliche Rander, der gelegent lich mit einem prominenten James-Bond-Darsteller verwechselt
wurde, zum ersten Mal der zierlichen Kathy Porter begegnet, ei ner dunkelhaarigen Schönheit von exotischem Reiz. Wer die anschmiegsame Kathy erlebte, konnte sich kaum vor stellen, daß sie schon bei mancher Verbrecherjagd erfolgreich mitgewirkt und selbst Zweizentnermänner auf die Bretter beför dert hatte. Dabei kam ihr zugute, daß sie sich jahrelang mit Eifer dem Studium fernöstlicher Selbstverteidigungskünste gewidmet hatte. Die Besucher standen schon vor der Haustür, als Parker sein al tertümliches Gefährt auf dem gepflasterten Vorplatz abstellte und der älteren Dame diskret beim Aussteigen half. »Welche Freude, euch zu sehen, Kinder«, flötete Lady Agatha in der lieblichsten Tonlage, die ihr zu Gebote stand. »Hoffentlich steht ihr nicht schon lange hier.« »Wir sind gerade angekommen, Mylady«, teilte Rander mit. »A ber wir können auch gleich wieder fahren, wenn unser Besuch ungelegen kommt.« »Auf keinen Fall! Ich muß doch von meinen neuesten Ermittlun gen berichten«, widersprach die leidenschaftliche Detektivin. »Und Mister Parker wird Tee zubereiten.« Minuten später hatte das Trio in der weiten Wohnhalle Platz ge nommen, und der Butler servierte frischen Tee nebst einer Aus wahl reich garnierter Sandwiches. »Nein, dieser McWarden!« monierte die Hausherrin noch vor dem ersten Bissen. »Hat er Ihnen mal wieder dazwischengefunkt, Mylady?« erkun digte sich der Anwalt schmunzelnd. »Nachspioniert hat er mir und hätte mich dabei fast überfah ren«, beschwerte sich die ältere Dame. »Sowas!« meinte Kathy Porter und warf dem Anwalt einen be lustigten Blick zu. »Aber ich werde mal wieder schneller sein und den Lümmel zur Strecke bringen, Kinder«, verkündete die Detektivin in ihrer selbstbewußten Art. »Wen? McWarden?« fragte Rander entgeistert. »Nein, mein lieber Junge. Natürlich den Verbrecher, hinter dem McWarden seit Jahren erfolglos her ist«, klärte Lady Simpson ihn auf. »Und was ist das für ein raffinierter Bursche?« wollte der Anwalt wissen.
Umgehend verfiel die Hausherrin in tiefes Nachdenken. »Auf jeden Fall ist der Lümmel einer Kriminalistin nicht gewachsen, Mi ke«, ließ sie schließlich verlauten. »Die Einzelheiten kann Mister Parker erzählen. Dann sehe ich gleich, ob er auch alles verstan den hat.« »Darum ist man zumindest eingehend bemüht, Mylady«, versi cherte der Butler und deutete eine Verbeugung an. Mit unge wöhnlich knappen Sätzen weihte er anschließend die Besucher in die Geschehnisse ein, die am Vorabend in der Diskothek >Pink Hurricane< ihren Lauf genommen hatten. »Moment mal, Parker«, unterbrach Rander, als die Rede auf Betty Fulbright unerfreuliche Erlebnisse in Brian Sunhills Fotostu dio kam. »Haben Sie mir die Geschichte nicht schon mal erzählt?« »Eine Frage, die man mit einem klaren Nein beantworten kann und muß Sir«, erwiderte der Butler. »Wie meine Wenigkeit bereits erwähnte, befaßt sich Mylady mit dem fraglichen Fäll erst seit gestern abend.« »Jetzt füllt mir’s ein«, korrigierte sich der Anwalt. »Ein Kollege, ein Staatsanwalt, hat mir neulich eine Geschichte erzählt, die ganz ähnlich klang.« »Eine Mitteilung, die man mit unverhohlenem Interesse ver nimmt, Sir«, sagte Parker. »Darf man unter Umständen auf De tails hoffen?« »Der Kollege, den ich meine, ist in der Abteilung für Jugend schutz tätig«, berichtete Rander. »Zu seinen Aufgaben gehört es unter anderem, den Markt der pornografischen Schriften zu ü berwachen.« »Heißt das, daß er den ganzen Schund lesen muß, mein Jun ge?« erkundigte sich die Gastgeberin und nahm das Sandwich, das der Butler ihr nachlegte, mit dankbarem Nicken in Empfang. »Natürlich«, nickte der Anwalt. »Und was glauben Sie, worauf er dabei eines Tages gestoßen ist, Mylady? Sie werden es nicht raten: auf obszöne Fotos, die seine neunzehnjährige Tochter zeig ten.« … »Und dann hat er das sittenlose Luder enterbt?« mutmaßte Agatha Simpson, doch Rander schüttelte entschieden den Kopf. »Das Mädchen hatte sich ja nicht freiwillig ablichten lassen, sondern war dazu gezwungen worden«, erläuterte er. »Aus Scham hatte sie den Vorfall allerdings ihren Eltern verschwie gen.«
»Das arme Kind!« rief die Hausherrin pathetisch aus und tupfte sich mit der Serviette eine Träne der Rührung weg. »Vermutet man gegebenenfalls recht, daß die Verantwortlichen ermittelt und angeklagt wurden, Sir?« wollte Parker wissen. »Die Ermittlungen bei dem Verlag, der das Heft herausgebracht hatte, verliefen im Sand, wenn ich mich recht erinnere«, antwor tete der Anwalt. »Aber ich kann mich gleich mal telefonisch er kundigen.« »Ein Angebot, das man dankbar begrüßt, Sir«, äußerte der But ler und verneigte sich würdevoll. Fünf Minuten später war Rander vom Telefon zurück. »Der Ver lag konnte sich aus der Schlinge ziehen, weil er Belege vorzuwei sen hatte, nach denen er die Fotos bei einer schwedischen Agen tur eingekauft hatte«, teilte er mit. »Im übrigen scheinen Sie a ber demselben Gangster auf der Spur zu sein.« »Darf man um Auskunft bitten, wie Sie diese Äußerung konkret verstanden wissen möchten, Sir?« fragte Parker. »Die Beschreibung des Fotografen und seiner Arbeitsmethode stimmt überein«, ließ der Anwalt verlauten. »Er nannte sich Brian Sunhill und war angeblich bei der >Lady< unter Vertrag. Nur die Disko, in der er sich sein Opfer suchte, war eine andere.« »Womit eine Zusammenarbeit zwischen Mister Hatfield und dem angeblichen Mister Sunhill ausscheiden dürfte«, merkte der Butler an. »Sehe ich auch so, Parker«, pflichtete Rander ihm bei. »Ver mutlich muß man den Hebel bei diesem Porno-Verlag in Limehou se ansetzen. Die Anschrift habe ich gleich mitgebracht.« »Nett von Ihnen, mein Junge«, kommentierte Mylady. »Das wä re aber nicht nötig gewesen, weil meine Ermittlungen sich ohne hin auf diesen Verlag konzentrieren. Gleich nach dem Lunch wer de ich aufbrechen und den Chef der zwielichtigen Firma unter die Lupe nehmen.« * »Das soll ein Verlag sein?« mokierte sich die majestätische Da me, als Parker sein schwerfällig wirkendes Gefährt vor dem ‘Ge bäude der Ricky Henderson Ltd. abstellte. »Haben Sie sich auch nicht in der Adresse geirrt, Mister Parker?«
»Eine Annahme, die mit an Sicherheit grenzender Wahrschein lichkeit ausscheiden dürfte, Mylady«, erwiderte der Butler. »Name und Anschrift stimmen mit den von Mister Rander übermittelten Angaben überein, falls der Hinweis erlaubt ist.« In der Tat wirkte die Bezeichnung >Verlag< etwas hochtrabend, wenn man vor der heruntergekommenen Werkhalle mit der fast abgeblätterten Firmenaufschrift stand. Ricky Hendersons Ge schäfte schienen allerdings gut zu laufen: Trotz der vorgeschrit tenen Nachmittagsstunde ratterten unüberhörbar die Druckma schinen. Da sich nirgendwo ein Hinweisschild zum Chefbüro fand, öffnete Parker eine der schweren Stahltüren zum Druckereibetrieb und ließ die Detektivin mit einer Verbeugung eintreten. Umgehend schlug den Ankömmlingen ohrenbetäubender Lärm entgegen. Kein Wunder, daß bei dieser Geräuschkulisse keiner der vier Männer, die hier arbeiteten, auf die füllige Dame und den schwarz gewandeten Butler aufmerksam wurde. Deshalb schritt Parker gemessen und würdevoll auf einen jungen Farbigen zu, der gera de eine Farbwalze reinigte, und tippte ihm auf die Schulter. Augenblicklich fuhr der athletisch gebaute Mann auf dem Absatz herum und starrte das skurrile Paar an, als wären ihm Wesen aus einer anderen Welt erschienen. »Geht Mylady unter Umständen recht in der Annahme, daß Mis ter Ricky Henderson im Hause ist?« erkundigte sich der Butler, doch sein Gegenüber bleckte die perlweißen Zähne zu einem brei ten Grinsen und bedeutete durch eine Geste, daß er kein Wort verstanden hatte. Erst als Parker ganz nahe herantrat und seine Frage am Ohr des Arbeiters wiederholte, nickte der junge Mann und deutete auf eine Galerie am entgegengesetzten Ende der Halle, zu der ein Dutzend Stufen hinaufführten. Zwischen den mannshoch gesta pelten Blecheimern mit Druckfarben, die dort gelagert wurden, war eine stählerne Feuerschutztür mit der Aufschrift >Büro< zu erkennen. »Man dankt für den freundlichen Hinweis«, sagte der Butler, lüf tete andeutungsweise die Melone und wies Lady Agatha den Weg. Ohne Umschweife kehrte der junge Farbige an seine Arbeit zu rück und nahm weiter keine Notiz von den Besuchern. Dafür wur den zwei andere Beschäftigte aufmerksam, als Parker und Mylady schon die Stufen zur Galerie hinaufstiegen.
Der Butler nahm als erster die wütenden Schreie wahr, wandte sich auf dem oberen Treppenabsatz um und sah den Männern mit teilnahmslos wirkender Miene entgegen. Beide steckten in blauen Overalls, waren etwa Mitte Dreißig und ungemein breitschultrig. »Was wollt ihr da?« brüllte der Spurtstärkste von beiden gegen den Maschinenlärm an, sobald er das untere Ende der Treppe erreicht hatte. »Verschwindet, sonst machen wir euch Beine!« »Mylady beabsichtigt, ein Gespräch mit Mister Henderson zu führen, falls der Hinweis genehm ist«, klärte Parker ihn höflich auf. »Der Chef ist nicht da. Kommt morgen wieder«, gab der Klei derschrank im Overall zurück. »Ihre Mitteilung widerspricht der Auskunft, die man bei Ihrem Kollegen am Eingang erhielt«, ließ der Butler ihn wissen. »Des halb dürfte Mylady es vorziehen, sich persönlich davon zu über zeugen, ob Mister Henderson anwesend ist oder nicht.« »Den Teufel werdet ihr tun!« schrie der Mann wütend. »Raus hier!« Gleichzeitig machte er Anstalten, die Stufen zu erklimmen und die unerwünschten Besucher gewaltsam zur Umkehr zu be wegen. Dabei erging es ihm jedoch wie schon vielen vor ihm. Er unterschätzte die Detektivin und den Butler bei weitem. Mit einer fast lässigen Bewegung ließ Parker den altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm in die Waagerechte wippen und erlaubte der bleigefüllten Spitze, eingehend den Solarplexus des Angreifers zu massieren. Mit einem pfeifenden Geräusch, das allerdings im allgemeinen Lärm unterging, gab der Breitschultrige seinen gesamten Vorrat an Atemluft von sich. Dabei verdrehte er furchterregend die Au gen, wurde schlagartig leichenblaß und knickte in der Hüfte ein. Sein Vorhaben, die Eindringlinge an die frische Luft zu beför dern, schien dem Mann nicht mehr wichtig zu sein. Für ihn kam es jetzt darauf an, einen Halt zu finden und das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Zwar bekam er für Augenblicke das Treppen geländer zu fassen, doch schon verließen ihn Sinne und Kräfte gleichzeitig. Stöhnend gab der entmutigte Angreifer auf und ließ sich in die Arme seines Kollegen kippen. Dieser wurde von dem ungestümen Anprall seines Kollegen derart überrumpelt, daß er selbst die Ba
lance verlor. Unter Myladys homerischem Gelächter landeten bei de rücklings auf dem Betonboden der Halle. Kurz entschlossen wollte die resolute Dame den Vormarsch in Richtung Büro fortsetzen, doch zunächst galt es, einen handfes ten Meinungsaustausch mit dem noch einsatzfähigen Rest der Belegschaft zu pflegen. Der junge Farbige und der vierte Kollege waren Zeugen des Zwischenfalls geworden und hatten ihre Ma schinen im Stich gelassen. Bewaffnet mit schweren Schraubenschlüsseln, kamen die Män ner angestürmt und zeigten sich fest entschlossen, die Aufgabe ihrer ausgeschiedenen Kollegen zu übernehmen. Seelenruhig ließ Parker das Duo näherkommen, bevor er dem Stapel Farbeimer gleich neben der Treppe einen wohldosierten Fußtritt versetzte. Augenblicklich neigte sich der blecherne Turm hinab und rollten den Angreifern entgegen. Für den athletisch gebauten Farbigen und seinen untersetzten Kollegen war es zum Bremsen zu spät. Unversehens gerieten sie mit den Füßen zwischen die rollenden Eimer und absolvierten eine doppelte Bauchlandung. Obwohl der Kontakt mit dem Boden allem Anschein nach nicht ganz schmerzfrei verlief, dachten die Angreifer nicht daran, auf zugeben. Im Handumdrehen rafften beide sich wieder auf, griffen nach den Schraubenschlüsseln, die ihnen entfallen waren, und setzten wütend die Attacke fort. Inzwischen hatte der Butler allerdings schon die nächsten Eimer in Marsch gesetzt. Dumpf schlugen die Blechbehälter auf die Stu fen. Dabei lösten sich mehrere Deckel, und ein breiter Strom grellroter Druckfarben ergoß sich über die Treppe. Als erfahrene Jünger Gutenbergs hätten die Männer eigentlich gewitzt genug sein müssen, einen Bogen um die sich rasch aus breitenden Lachen zu machen. Doch Schmerz und Wut raubten ihnen den kühlen Verstand, so daß der Farbbrei unter ihren Schuhsohlen die fatalen Qualitäten einer weggeworfenen Bana nenschale entwickeln konnte. Vergeblich ruderten die Angreifer mit den Armen, um den Halt nicht zu verlieren, doch es war schon zu spät. Als hätte ein unsichtbarer Riese ihnen die Beine unter dem Leib weggefegt, absolvierten beide einen keineswegs formvollendeten Salto und legten sich anschließend bäuchlings in der roten Brühe zu einer Verschnaufpause nieder.
»Recht hübsch, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson sich zu ei nem Lob hinreißen, das aus ihrem Mund geradezu ü berschwenglich wirkte. »Allerdings wäre ich mit den Lümmeln auch mühelos allein fertig geworden.« »Woran meine bescheidene Wenigkeit nicht mal im Traum zwei feln würde, Mylady«, versicherte der Butler höflich. Da das Quartett im Moment noch keine Neigung zeigte, die Feindseligkeiten wieder aufflackern zu lassen, wandten Parker und die Detektivin sich nun der Tür mit dem Schild >Büro< zu. Wegen des Lärms, den die noch laufenden Druckmaschinen produzierten, wäre es müßig gewesen, auf Geräusche hinter der Tür zu lauschen. Deshalb drückte Parker vorsichtig die Klinke nie der, schob seinen Kopf durch den Türspalt und blickte in den fensterlosen Raum, der durch zwei Neonleuchten erhellt wurde. * Ricky Hendersons Büro war eingerichtet, wie man es in dieser tristen und nüchternen Umgebung beim besten Willen nicht ver mutet hätte. Luxuriöse Orientteppiche bedeckten den Boden. Öl gemälde von nicht unbeträchtlichem Wert zierten die Wände. Hinter dem imposanten Schreibtisch aus dunkelrotem RioPalisander erhob sich eine massive Schrankwand bis zur Decke. Ihr Mittelteil war als Bar eingerichtet, was unverzüglich Lady Simpsons Interesse weckte. Doch sie besann sich unverzüglich wieder auf ihre kriminalistische Pflicht und spähte argwöhnisch in jede Ecke des Raumes. »Der feige Schurke muß sich irgendwo verkrochen haben«, war die Detektivin überzeugt. »Durchkämmen Sie jeden Winkel, Mis ter Parker.« »Myladys Wünsche sind meiner Wenigkeit Befehl«, versicherte der Butler, verneigte sich höflich und ging ans Werk. Doch weder hinter den Schranktüren noch unter dem Schreibtisch fand sich eine Spur von Ricky Henderson. »Vielleicht hat er sich in ein anderes Zimmer geflüchtet, Mister Parker«, mutmaßte Agatha Simpson. »Eine Möglichkeit, die man keineswegs und mitnichten aus schließen sollte, falls die Anmerkung erlaubt ist«, pflichtete Par ker ihr bei. »Sofern Mylady keine Einwendungen erheben, wird
man umgehend eine Inspektion des gesamten Gebäudekomple xes vornehmen.« »Darum wollte ich Sie gerade bitten, Mister Parker«, erwiderte die ältere Dame. »Aber vorher könnten Sie mir noch einen Kreis laufbeschleuniger einschenken. Wie ich sehe, ist der Lümmel recht gut sortiert:« »Eine Feststellung, der man keinesfalls widersprechen möchte, Mylady«, versicherte der Butler, entkorkte eine bauchige Flasche mit vergilbtem Etikett und schenkte seiner Herrin ein. Anschließend verneigte er sich und verließ den Raum. Sein Weg führte ihn zunächst zu dem unfreundlichen Druck-Quartett, das sich allmählich zu regen begann und in die schmerzliche Realität zurückstrebte. Bevor Parker den Rundgang durch das verzweigte Gebäude antrat, sorgte er mit Handfesseln aus Plastik dafür, daß die Männer nicht auf dumme Gedanken kamen. Weder in den diversen Lagerkellern, wo sich Papierrollen und Maschinenteile stapelten, noch in den Räumen, die der Druckvor bereitung dienten, nicht mal im beängstigend engen Archiv fand sich auch nur irgendein Mensch – geschweige denn der Chef des Hauses. Nachdem der Butler aufmerksam jeden Winkel in Augenschein genommen und dabei festgestellt hatte, daß es offenbar keinen Hinterausgang gab, trat er gemessen und würdevoll den Rückweg an vom tiefsten Keller in Hendersons Büro, wo Mylady auf ihn wartete. Wie dringend Agatha Simpson ihn herbeiwünschte, konnte Parker in diesem Moment allerdings noch nicht ahnen. Er begriff jedoch schlagartig, als er die Tür zur Betriebshalle aufklinkte und das Grollen der älteren Dame vernahm. »Sie sollten sich schämen, junger Mann!« war Lady Simpsons weittragendes Organ zu hören. »Entweder Sie werfen augenblick lich das lächerliche Schießeisen weg, oder Sie lernen mich ken nen!« Unverzüglich setzte der Butler sich in Bewegung, glitt am Fuß der Galerie entlang und stieg schließlich würdevoll, aber ge schmeidig die Treppe hinauf, wobei er es vermied, in die halb angetrockneten Farblachen zu treten. Das Quartett der Gutenbergjünger wälzte sich schon unruhig hin und her. Doch keiner der Männer, denen vermutlich die Ausdüns tungen der Farbe zu Kopf gestiegen waren, bemerkte die schwarz gewandete Gestalt.
Auch der untersetzte Mann im viel zu engen Anzug, der in der offenen Tür zum Büro stand und Parker den Rücken zukehrte, wurde nichts gewahr. »Ich will verdammt noch mal wissen, was Sie hier herumzuschnüffeln haben und wer das Chaos im Betrieb auf dem Gewissen hat«, brüllte der schätzungsweise Fünfzigjähri ge, bei dem es sich um den Inhaber der Firma zu handeln schien. »Werfen Sie endlich Ihre Waffe in den Mülleimer und beantwor ten Sie meine Fragen, junger Mann!« wurde die passionierte De tektivin hörbar ungeduldig. »Sie sitzen sowieso in der Falle.« Der Bewaffnete brach in höhnisches Gelächter aus, das ihm je doch unvermittelt im Hals steckenblieb. Anscheinend fühlte er sich wirklich wie in einer Falle, als sich der gebogene Bambusgriff von Parkers schwarzem Regendach von hinten um seinen wuchti gen Hals legte. Ein kleiner Ruck genügte, um ihn vom hohen Roß herunterzuholen. Heiser röchelnd taumelte der Mann nach hinten und riß instink tiv die Arme nach oben. Dabei spuckte die schallgedämpfte Waffe unter leisem >Plopp!< ein Projektil aus, das aber in der Decke steckenblieb und keinen Schaden anrichtete. Anschließend ließ der Gangster seine hochtechnisierte Mordma schine fallen und kippte rücklings in Parkers Arme, wo die Hand fesseln schon auf ihn warteten. Wenig später hing die massige Gestalt mit dem rosaroten Schweinchen-Kopf haltlos in einem der luxuriösen Ledersessel, die das Büro des Verlagsherrn zu bieten hatte. »Solch ein dreister Lümmel ist mir selten begegnet, Mister Par ker«, entrüstete sich die majestätische Dame. »Ständig hat er mit dem Revolver herumgefuchtelt und wollte mir nicht mal sagen, wer er ist.« »Mylady dürften der Annahme zuneigen, daß es sich um den Inhaber des Unternehmens, einen gewissen Ricky Henderson, handelt«, teilte der Butler seine Vermutung mit. »Ein ausgesprochen rücksichtsloses Subjekt«, bestätigte Lady Agatha, »aber genaugenommen hatte er gegen mich nicht die geringste Chance. Mylady dürften in akuter Lebensgefahr ge schwebt haben«, bemerkte Parker mit undurchdringlicher Miene. »Papperlapapp! Da bin ich schon mit ganz anderen Strolchen fertiggeworden, Mister Parker«, holte Mylady entschlossen ihr Licht unter dem Scheffel hervor. »Man darf nur keine Angst ha ben vor Pistolen. Das ist das einzige Geheimnis.«
»Mylady beweisen einen Mut, dem man nur die größte Bewun derung entgegenbringen kann«, ließ der Butler verlauten und deutete eine Verbeugung an. »Darf man im übrigen um Auskunft bitten, wie Mylady sich den Fortgang der Ermittlungen gedacht haben?« »Wollte ich dem Lümmel nicht ein paar unbequeme Fragen vor legen, Mister Parker?« erforschte die Kriminalistin ihr zeitweise etwas eigenwilliges Gedächtnis. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker. »Dann sorgen Sie bitte dafür, daß das skrupellose Subjekt mir umgehend für eine Vernehmung zur Verfügung steht Mister Par ker«, ordnete Lady Agatha in strengem Ton an. »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, sagte der Butler, griff in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats und förderte ein Fläschchen mit Glasstöpsel zutage. Es war halb gefüllt mit gelblichen Kristallen, die einen stechenden Geruch absonderten. Die Wirkung wußten schon unsere Ahnen zu schätzen. Bei den damals recht häufigen Ohnmachtsanfällen zartbesaiteter Damen bewährte sich das sogenannte Riechsalz als zuverlässiges Haus mittel. Auch jetzt stellte sich rasch der gewünschte Erfolg ein, als Parker den Stöpsel löste und den Flaschenhals dicht unter Hen dersons fleischiges Riechorgan hielt. * Widerwillig öffnete der Porno-Verleger erst das linke, dann das rechte Auge, nachdem er die energische Dame durch abenteuerli che Grimassen erheitert hatte. Bis er sich unter den radikal ver änderten Gegebenheiten zurechtfand, dauerte es allerdings noch ein paar Sekunden. Verstohlen zerrte der Gangster an den Handfesseln, die Parker ihm angelegt hatte. Er gab jedoch bald auf, als sich herausstellte, daß die zähen Plastikriemen sich bei jeder Anstrengung nur noch straffer zusammenzogen. »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?« erkundigte er sich und schielte nach seiner Waffe, die unerreichbar auf dem Schreibtisch lag. »Sie genießen den ehrenvollen Vorzug, der Privatdetektivin La dy Agatha Simpson einige Fragen beantworten zu dürfen, Mister
Henderson«, setzte Josuah Parker ihn ins Bild. »Meine Wenigkeit steht Mylady als Butler zur Verfügung und hört auf den Namen Josuah Parker, falls die Mitteilung von Belang ist.« »Sie sind die legendäre Lady Simpson?« reagierte der Hausherr überrascht und bedachte die füllige Dame mit geradezu ehrfürch tigen Blicken. »Von Ihnen habe ich schon viel gehört.« »Das spricht immerhin für Sie, junger Mann«, gab Mylady ge schmeichelt zurück. »Trotzdem bin ich aus dienstlichen Gründen gezwungen, Ihnen einige recht unbequeme Fragen zu stellen.« »So schlimm wird’s schon nicht werden«, erwiderte Henderson lächelnd, »Schmeckt Ihnen denn mein Cognac? Ich habe ihn per sönlich in Frankreich eingekauft.« »Passabel, junger Mann. Wirklich passabel«, nickte die ältere Dame. »Sie haben Geschmack. Das muß man Ihnen lassen.« »Danke«, schmunzelte der Verleger, der sich zunehmend woh ler in seiner Haut fühlte. »Worum geht es denn? Hoffentlich kann ich Ihnen helfen.« »Zuerst wäre man interessiert zu erfahren, warum Sie Mylady mit einer Schußwaffe bedrohten, Mister Henderson«, nahm Par ker das Wort, da seine Herrin die Frage überhört zu haben schien. »Ist das nicht verständlich, Mister Parker?« antwortete der Un tersetzte mit einer Gegenfrage. »Ich komme in meinen Betrieb, sehe das Chaos, finde meine Leute betäubt und gefesselt…« »Das haben die Strolche sich selbst zuzuschreiben, junger Mann«, unterbrach die Detektivin. »Sie haben sich derart unmög lich benommen, daß ich Sie zur Ordnung rufen mußte.« »Wirklich?« zeigte sich Henderson erstaunt. »Ich komme mit den Leuten prima hin.« »Wie auch immer. Kommen Sie auf den Kern der Sache, Mister Parker«, fuhr Agatha Simpson fort. »Daß Mister Plendersori sich erschreckt und deshalb die Pistole gezogen hat, kann man ihm nicht übel nehmen.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, ließ Parker höflich verlauten. »Sehen Sie. Da haben wir ja schon ein großes Mißverständnis ausgeräumt, Mylady«, frohlockte Henderson. »Unter diesen Um ständen könnten Sie mir ruhig die Fesseln abnehmen.« »Kommt nicht infrage, Mister Plenderson«, wies Agatha Simp son das Ansinnen entschieden zurück. »Erst nach dem Verhör.« »Na schön«, gab der Gangster sich zufrieden. »Übrigens heiße ich Henderson, nicht Plenderson, Mylady.«
»Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Plenderson«, beharrte die ältere Dame. »Sie haben sich wohl verhört.« »Kann sein«, räumte ihr Gegenüber ein. »Aber was sind das denn für Fragen, die Sie mir stellen wollen?« »Äh… Mister Parker wird die Aufgabe übernehmen«, entschied Lady Agatha nach kurzer Denkpause. »Er weiß, worauf es mir ankommt.« »Man dankt für den ehrenvollen Auftrag und wird sich einge hend befleißigen, in Myladys Sinn tätig zu werden«, versprach Parker und wandte sich anschließend dem Mann mit dem Schweinchengesicht zu, der ihn freundlich anlächelte. »Mylady darf doch wohl von der Annahme ausgehen, daß ein Fotograf, der sich Brian Sunhill nennt, in Ihrem Auftrag tätig ist, Mister Henderson?« kam der Butler ohne Umschweife zur Sache. »Ach, diese alte Geschichte meinen Sie?« vergewisserte sich Henderson. »Ich dachte, das wäre längst ausgestanden.« »Darf Mylady möglicherweise erfahren, was Sie konkret unter >alter Geschichte < verstehen, Mister Henderson?« hakte Parker nach. »Ich hab den Namen vergessen«, schickte der Gangster voraus. »Aber es handelte sich um die Tochter eines Staatsanwalts. An geblich enthielt eins der von mir verlegten Magazine Bilder des Mädchens. Aber das kann überhaupt nicht sein, weil ich das Mate rial bei einer Agentur in Göteborg eingekauft habe.« »Auch die Betroffene hat sich auf den Fotos erkannt, Mister Henderson«, hielt der Butler ihm entgegen. »Und die junge Dame wußte darüber hinaus zu berichten, unter welch unerfreulichen Umständen die Bilder zustandekamen.« »Ich weiß«, nickte der Hausherr. »Aber ich kenne keinen Foto grafen namens Sunhill und habe wahrheitsgemäß alle Fragen be antwortet, die die Polizei mir stellte. Warum wird der Fall jetzt wieder aufgewärmt?« »Bedauerlicherweise sieht man sich genötigt, auf einen kleinen, aber nicht völlig unbedeutenden Irrtum hinzuweisen, Mister Hen derson«, erwiderte Parker. »Mylady vertritt eine andere junge Dame, die unter ähnlichen Umständen entführt und gezwungen wurde, sich für anstößige Fotoaufnahmen zur Verfügung zu stel len.«
Hendersons Mundwinkel zuckten kaum merklich, aber dem aufmerksamen Butler entging dieses Symptom der Nervosität nicht. »Um konkret zu werden, handelt es sich um die achtzehnjährige Betty Fulbright, die gestern abend von einem kahlköpfigen Herrn mit Hornbrille, der sich Brian Sunhill nannte, in der Diskothek >Pink Hurricane< angesprochen wurde«, fuhr Parker mit teil nahmslos wirkender Miene fort. »Sollte Mylady von der Annahme ausgehen, daß demnächst auch Miß Fulbright hüllenloses Konter fei in einem Ihrer Magazine auftaucht?« »Du liebe Zeit! Was unterstellen Sie mir da, Mister Parker?« spielte Henderson mit Talent und Engagement den Entrüsteten. »Ich bin ein durch und durch seriöser Geschäftsmann, auch wenn meine Produkte nicht als seriös gelten.« »Sie sollten sich wirklich entschließen, anständige Bücher zu drucken, Mister Plenderson«, schaltete Agatha Simpson sich ein. »Kriminalromane zum Beispiel. Zufällig stehe ich kurz vor der Vollendung eines epochemachenden Werkes, das ich Ihnen zur Veröffentlichung anbieten könnte.« »War eine Überlegung wert«, antwortete der Pornoproduzent. »Sie hätten auch nicht die Schwierigkeiten, in denen Sie jetzt stecken, Mister Plenderson«, bemerkte die leidenschaftliche De tektivin. »Aber das sind Schwierigkeiten, die jemand anders mir einge brockt hat«, entgegnete Henderson. »Schwarze Schafe gibt es leider in jeder Branche.« »Eine Feststellung, der man keineswegs und mitnichten wider sprechen möchte, Mister Henderson«, machte der Butler sich wieder bemerkbar. »Im vorliegenden Fall dürfte es Ihnen jedoch ein leichtes sein, das schwarze Schaf aus der Herde der braven Lämmer auszusondern, um Ihren Vergleich zu benutzen.« »Ich sagte Ihnen doch, daß ich diesen Sunhill nicht kenne und erst recht keine Fotos von ihm kaufe, Mister Parker«, beharrte sein Gegenüber. »Warum glauben Sie mir denn nicht?« »Lassen Sie ‘s gut sein, Mister Parker«, beendete die Detektivin das Verhör. »Und nehmen Sie Mister Plenderson die Fesseln ab.« »Hat man recht verstanden, daß Mylady Mister Henderson die volle Bewegungsfreiheit zurückzugeben wünschen?« erkundigte sich Parker.
»Allerdings, Mister Parker«, bestätigte die ältere Dame. »Mister Plenderson hat mit der Sache nichts zu tun. Das steht für mich fest.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, erwiderte der Butler, ver neigte sich andeutungsweise und leistete dann der Aufforderung Folge. Vorher nahm er allerdings Hendersons Waffe, die noch auf dem Schreibtisch lag, an sich und ließ sie in einer der unergründ lichen Innentaschen seines Covercoats verschwinden. Zufrieden lächelnd erhob sich Henderson aus dem Sessel, mas sierte verstohlen die Handgelenke und schritt dann zur Bar, um sich ein Glas zu holen. »Wie war das noch mit dem Manuskript, das Sie mir anbieten wollten, Mylady?« erkundigte er sich anschließend. »Aber viel leicht sollten wir erst mal auf unsere künftige Zusammenarbeit anstoßen.« »Keine üble Idee, Mister Flenderson«, pflichtete Agatha Simp son ihm bei und hob lächelnd ihr Glas. * In ausgesprochen heiterer Stimmung nahm die Detektivin eine Stunde später im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz. »Mister Plenderson ist wirklich ein reizender Mensch«, bemerkte sie. »Ich werde ihn schon noch dazu bringen, daß er sich aus sei nen obskuren Geschäften zurückzieht und seriöse Bücher ver legt.« »Eine Möglichkeit, die man nicht um jeden Preis ausschließen sollte, Mylady«, gab der Butler ausweichend zur Antwort und ließ sein altehrwürdiges Gefährt anrollen. »Außerdem hat er mir versprochen, seine Verbindungen spielen zu lassen, um Mister Moonhill ausfindig zu machen, Mister Par ker«, fuhr die ältere Dame fort. »Nicht daß ich auf seine Hilfe an gewiesen wäre, aber eine nette Geste ist es auf jeden Fall.« »Mister Henderson dürfte dieses Angebot unterbreitet haben, um jeden Verdacht von seiner Person abzulenken, falls man eine Vermutung äußern darf«, gab der Butler zu bedenken. »Papperlapapp, Mister Parker«, widersprach Lady Agatha. »In diesem Fäll ist Ihr Argwohn absolut fehl am Platz. Wenn Mister
Plenderson ein Ganove wäre, hätte mein kriminalistischer Instinkt unweigerlich Alarm geschlagen.« »Was man mitnichten in Zweifel ziehen möchte, Mylady«, versi cherte Parker höflich und bog in die breite Commercial Road ein. »Wenn er wirklich ein Bösewicht wäre, hätte er mich doch nicht zum Cognac eingeladen, Mister Parker«, war die majestätische Dame überzeugt. »Erst recht hätte er mich nicht ungehindert ge hen lassen.« »Mister Henderson dürfte keine andere Wahl gehabt haben, so fern der Hinweis erlaubt ist, Mylady«, wandte der Butler ein. »Meine Wenigkeit war so frei, die Schußwaffe des Genannten vor läufig sicherzustellen.« »Schön und gut«, beharrte die passionierte Detektivin. »Zumin dest hätte er aber Verfolger auf meine Fährte gesetzt, Mister Par ker.« »Bedauerlicherweise sieht man sich genötigt, Mylady auf einen kleinen Irrtum aufmerksam zu machen, was diesen Punkt be trifft«, meldete Parker, nachdem er erneut einen Kontrollblick in den Rückspiegel geworfen hatte. »Soll das heißen, daß ich verfolgt werde, Mister Parker?« fragte Mylady – überrascht und erfreut zugleich. »Nichts anderes gedachte meine bescheidene Wenigkeit anzu deuten, Mylady«, bestätigte der Butler. »Natürlich beobachte ich den weißen Ford schon eine ganze Weile, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame, ohne auch nur andeutungsweise zu erröten. »Ich wollte nur warten, bis Sie etwas merken.« »Meine Wenigkeit hatte eher an den dunkelblauen Daimler ge dacht, der Mylady seit einigen Minuten beharrlich folgt«, entgeg nete Parker. »Richtig, das ist der Wagen, den ich meine, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson. »So groß ist der Unterschied ja nicht bei der heutigen Vielzahl an Automobilen.« »Darf man unter Umständen um Anweisung bitten, wie Mylady mit den Herren zu verfahren gedenken?« erkundigte sich der But ler und hielt dabei mit einem Auge den Rückspiegel im Blick. Bis jetzt blieb der Lenker der Limousine noch auf Distanz. Aber er machte beharrlich jede Richtungsänderung, jeden Wechsel der Fahrspur mit.
»Wen vermute ich als Auftraggeber der zudringlichen Flegel, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen. »Falls man nicht sehr irrt, dürften Mylady der Annahme zunei gen, daß dafür nur Mister Henderson in Frage kommt.« »Das ist eine Verdächtigung, Mister Parker. Wer wirklich dahin tersteckt, liegt doch klar auf der Hand – jedenfalls für eine erfah rene Kriminalistin.« »Belieben Mylady Mister Ron Hatfield zu meinen?« erkundigte sich der Butler. »Genau, Mister Parker. Don Madfield«, bestätigte die Detektivin. »Ich habe von Anfang an gewußt, daß er mit Moonhill unter einer Decke steckt.« »Denken Mylady möglicherweise an den Fotografen, der sich Brian Sunhill nennt?« korrigierte Parker in seiner ungemein höfli chen Art. »Reiten Sie nicht immer auf solch kleinlichen Unterschieden herum, Mister Parker«, reagierte die resolute Dame verärgert. »Dadurch verlieren Sie nur den Blick fürs Wesentliche.« »Ein Ratschlag, den man uneingeschränkt beherzigen wird, My lady«, versprach der Butler und bog unvermittelt auf wimmernden Pneus in eine schmale Nebenstraße ab. »Sind Sie von. allen guten Geistern verlassen, Mister Parker?« Mylady suchte verzweifelt nach einem Halt für ihre wogende Kör perfülle, die bei dem plötzlichen Richtungswechsel ins Rutschen geraten war. »Man bittet um Nachsicht, Mylady«, erwiderte Parker und kon zentrierte sich wieder auf den Rückspiegel. Sekundenbruchteile später tauchte der dunkelblaue Daimler wie erwartet in seinem Blickfeld auf. Wegen des reichlich bemessenen Sicherheitsabstands hatte es den Fahrer keine Mühe gekostet, den Richtungswechsel nachzu vollziehen. In den schmalen, verwinkelten Straßen des Viertels, in das der Butler ihn jetzt lockte, würde der Mann es wesentlich schwerer haben. »Vermutet man unter Umständen recht, daß Mylady mit den Herren im Daimler ein klärendes Gespräch zu führen wünschen?« vergewisserte sich Parker, während er bereits um die nächste Ecke bog.
»Auf jeden Fall, Mister Parker«, ließ die ältere Dame verlauten. »Dabei wird sich schnell herausstellen, daß Sie mal wieder auf dem Holzweg sind.« »Eine Möglichkeit, die man keinesfalls grundsätzlich ausschlie ßen möchte, Mylady.« »Außerdem werde ich den Flegeln einen Denkzettel verabrei chen, der sich gewaschen hat, Mister Parker«, kündigte die Witwe an und streichelte liebevoll den perlenbestickten Pompadour. »Ein Vorhaben, dem man den Beifall durchaus nicht versagen kann, Mylady«, bemerkte der Butler. »Darf man im übrigen die Frage anschließen, ob Mylady hinsichtlich des soeben erwähnten Denkzettels konkrete Vorstellungen entwickelt haben?« »Sie wissen, daß ich mich um solche Details nicht kümmern kann, Mister Parker«, beschied Lady Simpson ihn. »Zeigen Sie, daß Sie bei mir etwas gelernt haben und lassen Sie sich was Hüb sches einfallen.« »Man dankt für das ehrende Vertrauen, das aus diesem Auftrag spricht und wird sich befleißigen, Mylady keineswegs und mitnich ten zu enttäuschen«, versprach Parker und handelte auch da nach. * Der Daimlerlenker und sein Beifahrer glaubten, mit dem plump wirkenden Gefährt leichtes Spiel zu haben. Als ihnen endlich dämmerte, wie gründlich sie sich getäuscht hatten, war es aller dings zu spät. Äußerlich glich Parkers Privatwagen einem betagten Londoner Taxi. In der Tat hatte der Wagen viele Jahre als öffentliches Be förderungsmittel gedient, bis der Butler ihn erwarb und nach sei nen ganz speziellen Vorstellungen umbauen ließ. Seitdem war aus dem ältlichen Vehikel eine >Trickkiste auf Rä dern< geworden, um die selbst ein James Bond ihn beneidet hät te. Neben schußsicherer Panzerung und einem hochbeinigen Spe zialfahrwerk verfügte das ehemalige Taxi über eine hochgezüch tete Rennmaschine unter der eckigen Haube, die ihm ungeahntes Temperament verlieh. Zusätzlich hatte Parker eine Palette von Überraschungseffekten installieren lassen, die ausnahmslos der Abwehr von Verfolgern
dienten und durch Kipphebel am Armaturenbrett ausgelöst wur den. »Wollen die Lümmel mich nur beschatten, oder rechne ich mit einem bewaffneten Überfall, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, während der Butler an der nächsten Kreuzung rechts ab bog. »Eine Frage, auf die meine Wenigkeit noch keine schlüssige Antwort geben kann, Mylady«, teilte der Butler mit und nahm den Fuß vom Gas, um den Verfolgern das Aufschließen zu erleichtern. Gleich darauf waren die Lichter des Daimlers, der in der herein brechenden Abenddämmerung um die Ecke schoß, wieder im Rückspiegel zu sehen. Augenblicklich trat Parker das Gaspedal bis zum Anschlag durch und aktivierte damit das Zusatztriebwerk, das postwendend dumpf aufröhrte und seine Kräfte spielen ließ. Ein Beben lief durch die stählerne Karosserie, während das hochbeinige Monst rum regelrecht nach vorn katapultiert wurde. Die Männer in der dunkelblauen Limousine glaubten, ihren Au gen nicht trauen zu dürfen, als der schwerfällig wirkende Kasten mit dem Temperament eines heißblütigen Araberhengstes davon jagte. Fluchend gab der Fahrer Vollgas und holte aus seinem Lu xusgefährt heraus, was drinsteckte. Fassungslos drückte sich das Duo die Nasen an der Windschutz scheibe platt, doch der Vorsprung, den der Butler herausgeholt hatte, wollte nicht kleiner werden. Erst als Parker vor dem nächs ten Abbiegen das Tempo drosselte, holten die frustrierten Verfol ger ein paar Meter auf. Um so enttäuschter waren die Männer, als sie die Straße vor sich sahen, die der Butler eingeschlagen hatte. Sie war leer. »Los weiter, Mensch!« feuerte der Beifahrer den Fahrer an. »Bestimmt sind sie da hinten wieder abgebogen.« Gesagt, getan. Mit aufheulender Maschine schoß der Daimler vorwärts bis zur nächsten Kreuzung. »Rechts oder links?« fragte der Fahrer, von dessen Stirn dicke Schweißtropfen perlten. »Links«, erwiderte sein Komplice und hatte richtig getippt. »Verdammt!« fluchte der Mann hinter dem Lenkrad Sekunden später, als er in rasantem Tempo die Ecke umrundet hatte. Mitten auf der ohnehin schmalen Fahrbahn stand das schwarze Monst rum und machte die Weiterfahrt unmöglich.
Geistesgegenwärtig trat der Fahrer auf die Bremse, zog sein schweres Gefährt nach rechts hinüber und verfehlte um Haares breite den massiven, gußeisernen Pfahl einer Straßenlaterne. Da nach durchpflügte der Wagen einen gepflegten Vorgarten und kam unmittelbar vor der Eingangstür eines Hauses zum Stehen. Hätten die Ganoven sich diesen noch glimpflichen Zwischenfall zur Warnung dienen lassen, wäre ihnen manches erspart geblie ben. Sie dachten jedoch nicht daran aufzugeben. Im Gegenteil. In den Männern war das Jagdfieber erwacht und ließ sie alle vernünftigen Gedanken vergessen. Damit waren sie genau dort, wo Parker sie haben wollte. Mit teilnahmslos wirkender Miene ließ der Butler sein eckiges Vehikel langsam anrollen und wartete, bis die Verfolger Ihren leicht lädierten Daimler aus dem Vorgarten rangiert hatten und wieder Gas gaben. Unverzüglich spielte er wieder das gehetzte Wild und erreichte damit, daß die Ganoven endgültig jeden Rest von vornehmer Zu rückhaltung aufgaben und alles auf eine Karte setzten. Falls ihr Auftrag auf diskrete Observation gelautet hatte, wovon Josuah Parker ausging, wären ihnen die Anweisungen ihres Auftragge bers jetzt egal. Das Duo im Daimler wurde nur noch von dem einen Gedanken beseelt: Die ohnmächtige Wut abzureagieren und Rache für die erlittene Schmach zu nehmen. Mit waghalsigen Manövern versuchte der Fahrer, den schwarzen Wagen zu überholen, um das Paar aus Shepherd’s Market zu stoppen, obwohl die Straße dafür zu schmal war. Der Butler ließ sich durch den hektischen Slalomkurs, den er im Rückspiegel ver folgte, jedoch nicht irritieren. In gemächlichem Tempo setzte er die Fahrt fort, bog nach rechts in die nächste Seitenstraße ein und gab dann allmählich wieder Gas. Postwendend brachten auch die Verfolger ihre Limou sine wieder auf Touren, um den Anschluß nicht zu verlieren. Durch kleine Ausreißversuche stachelte Parker den Zorn der Ganoven weiter an. Allerdings spielte er die Möglichkeiten, die das hochbeinige Monstrum bot, nicht voll aus, so daß die Männer immer wieder dicht aufschließen konnten. Die rechtwinklige Einmündung kam in Sicht, die der Butler sich beim letzten Besuch in dieser Gegend eingeprägt hatte. Er wußte,
daß unmittelbar hinter der Querstraße, die vorfahrtsberechtigt war, das weitläufige Gelände eines Autofriedhofs begann. Vielleicht wäre den Gangstern noch rechtzeitig ein Licht aufge gangen, hätten sie halbwegs freie Sicht nach vorn gehabt. Da sie jedoch gerade einen Rückstand aufgeholt und sich bis auf zwei Meter an Parkers Fahrzeug herangeschoben hatten, versperrte das hochbeinige Monstrum ihnen den Blick. Der Fahrer stutzte, als er unverhofft die Bremslichter des einsti gen Taxis aufflammen sah. Ihm schwante Schlimmes, als sich fast gleichzeitig zwei Düsen am Heck des vorausfahrenden Wa gens öffneten und eine glasklare Flüssigkeit auf die Fahrbahn sprühten, aber da war es zum Reagieren längst zu spät. Daß es sich bei dieser Flüssigkeit, die sofort einen glänzenden Film auf dem Asphalt bildete, um eine Seifenlösung handelte, wurde dem Mann schlagartig klar, als er im Reflex auf die Bremse trat und sich unvermittelt wie auf einer Eisbahn fühlte. Hilflos mußte er zusehen, wie Parkers schwarzes Gefährt nach rechts wegschwenkte, während der Daimler beharrlich geradeaus schlit terte und auf Lenkversuche ebensowenig reagierte wie auf die Betätigung der Bremse. Panik ergriff die Männer, als sie im Scheinwerferlicht den hohen Maschendrahtzaun mit den dahinter gestapelten Autowracks auf sich zurasen sahen. Entsetzt schlugen beide Kerle die Hände vor die Augen, um das, was jetzt kam, nicht mit ansehen zu müssen. Verhindern konnten sie es nicht mehr. Wie ein Fußball im Tornetz beulte der schwere Wagen den Zaun aus, als die chromverzierte Nase das Drahtgeflecht einem Belas tungstest unterzog. Dabei erwies sich die etwas altersschwache Umfriedung des Schrottplatzes als nicht sonderlich haltbar und klaffte plötzlich auseinander. Immerhin hatte der Daimler einiges von seinem Ungestüm ver loren, als er durch die Zaunlücke schlüpfte. Trotzdem schaffte er es noch bis zu einem Stapel roststarrender Straßenkreuzer, die man gleich im Dutzend aufeinandergetürmt hatte. Ohrenbetäubends Scheppern wurde hörbar, als der blecherne Turm wie ein Kartenhaus zusammenstürzte. Eines der Wracks bekam sogar Aufwind, segelte bis zum Zaun und überwand ihn mit einem eindrucksvollen Salto. Natürlich blieb der dunkelblaue Daimler von dem Unheil, das er angerichtet hatte, nicht verschont. Drei ausgemusterte Vehikel
landeten krachend auf dem Dach der Limousine, bevor sie zur Seite rollten. Zwar erhielt der Daimler durch diese Behandlung ein völlig neues Styling, das an einen geduckten Rennsportwagen denken ließ, aber die recht stabile Konstruktion hielt letzten Endes doch stand, und die Insassen kamen mehr oder weniger mit dem Schrecken davon. Mittlerweile hatte Josuah Parker das hochbeinige Monstrum am Straßenrand zum Stehen gebracht und half seiner Herrin diskret beim Aussteigen. »Ich will ja nicht hoffen, daß die Strolche entwischt sind, Mister Parker«, ließ die Detektivin verlauten, während man Seite an Sei te die Straße überquerte und auf das Loch im Maschendrahtzaun zuschritt, »Befürchtungen dieser Art dürften sich als grundlos erweisen, falls man nicht sehr irrt, Mylady«, erwiderte der Butler gelassen. * Parker hatte sich nicht geirrt. Als das skurrile Paar sich zwischen den verstreut liegenden Autowracks hindurchgezwängt und den Daimler erreicht hatte, waren die Insassen hingebungsvoll damit beschäftigt, an den hoffnungslos verklemmten Türen zu rütteln. Erstaunlicherweise waren die Scheiben rundum heilgeblieben, und bis jetzt hatten die Männer noch nicht den Einfall gehabt, das Glas zu zertrümmern, um ins Freie zu gelangen. »Darf man sich möglicherweise erlauben, Ihnen Hilfe anzubie ten?« fragte der Butler in seiner stets höflichen Art, nachdem er diskret an ein Fenster geklopft hatte. Die Antwort bestand aus unflätigen Flüchen und wütenden Drohgebärden, durch die Parker und Mylady sich aber nicht son derlich beeindrucken ließen. »Meine Wenigkeit wäre Ihnen gern heim Verlassen des Fahr zeugs behilflich«, sagte Parker, nachdem die Ganoven sich halb wegs beruhigt hatten. »Allerdings sieht man sich aus naheliegen den Gründen genötigt, dieses Angebot an eine Bedingung zu knüpfen.« »Und welche wäre das?« erkundigte sich der Fahrer mißtrau isch.
»Sie sollten Ihre Schußwaffen aus den Schulterhalftern nehmen und in den hinteren Fußraum werfen, falls man einen solchen Wunsch vortragen kann«, antwortete der Butler. »Schußwaffen?« meinte der Beifahrer. »Wie kommen Sie denn darauf? Wir sind friedliche Menschen und haben nicht mal ein Taschenmesser dabei.« »Unter diesen Umständen zieht man es eindeutig vor, die Polizei von dem Mißgeschick zu unterrichten, das Sie betroffen hat«, entgegnete Parker, wandte sich ab und erweckte den Eindruck, als wollte er zusammen mit der fülligen Dame das Gelände ver lassen. »Nein, halt! Wartet doch!« tönte es aus dem Wageninneren. Gleich darauf landeten zwei Trommelrevolver, die mit hochmo dernen Schalldämpfern ausgerüstet waren, im hinteren Fußraum, wie der Butler es verlangt hatte. Unter Agatha Simpsons neugierigen Blicken griff Parker an schließend nach einem schweren Eisenrohr, holte aus und schlug die Frontscheibe des Wagens ein. »Darf man die Herren bitten, zunächst nur die Hände ins Freie zu strecken?« sagte der Butler, und die Ganoven leisteten der Aufforderung Folge. Offenbar glaubten beide, Parker werde ihnen beim Hinausklet tern behilflich sein. Um so wütender war ihre Reaktion, als der Butler ihnen statt dessen Handfesseln aus Plastik anlegte. »Nun bemühen Sie sich schon endlich heraus«, drängelte Agat ha Simpson. »Meine Zeit ist kostbar.« »Verdammter Mist!« knurrten die Daimler-Insassen wie aus ei nem Mund und kletterten über die scherbenbedeckte Haube nach draußen. »Name?« raunzte Mylady die Männer an, sobald sie wieder fes ten Boden unter den Füßen hatten. »Glen Dixon«, behauptete der Fahrer, ein schätzungsweise vier zigjähriger Hüne mit schwarzem Vollbart und irritierendem Sil berblick. »Gelogen!« konterte Lady Simpson, aufs Geratewohl und verab reichte dem Schieler umgehend eine ihrer berüchtigten Ohrfei gen. Der Gemaßregelte jaulte wie ein Hund, der mit dem Schwanz in eine Drehtür geraten ist, und taumelte zwei Schritte zurück. An schließend nahm er entnervt auf der Haube seines Wagens Platz.
»Name?« wiederholte die Detektivin eindringlich. »Eric Fiedls«, nannte der Fahrer seinen zweiten Namen, der e bensogut richtig wie falsch sein konnte. »Und wer ist Ihr Auftraggeber?« wollte die resolute Dame wei ter wissen. »Wieso Auftraggeber?« machte sich jetzt der Beifahrer bemerk bar, da sein Komplice unter akuten Artikulationsschwierigkeiten zu leiden schien. »Was soll die Frage?« »Mylady wünscht zu wissen, wer Ihnen den Auftrag erteilt hat, Myladys Fahrzeug mehr oder weniger unauffällig zu folgen«, ließ Parker unmißverständlich verlauten. »Unsinn. Ihr leidet wohl unter Verfolgungswahn«, widersprach der Mann und entblößte seine gelblichen Stummelzähne zu brei tem Grinsen. »Wir sind beide vernarrt in alte Autos und wollten uns Ihre Kiste mal aus der Nähe ansehen. Deshalb sind wir Ihnen gefolgt.« »Das ist die unverschämteste Lüge, die ich seit langem gehört habe«, ereiferte sich Lady Agatha. »Eine Einschätzung, der man sich nur vorbehaltlos anschließen kann und muß, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei. Er hatte den Satz noch nicht beendet, als auch der Beifahrer ei nen handfesten Ordnungsruf entgegennahm. Wimmernd ging der Ganove in die Knie und machte es sich in einer Pfütze bequem. »Jetzt sind Sie wieder an der Reihe, junger Mann«, nahm die äl tere Dame sich erneut den Fahrer der ramponierten Limousine vor. »Aber versuchen Sie es nicht mit Ausflüchten, sonst werde ich regelrecht ungemütlich.« »Was wollten Sie wissen?« versuchte der Mann Zeit zu gewin nen. »Mylady wünscht Namen und Anschrift Ihres Auftraggebers zu erfahren, falls der Hinweis genehm ist, Mister Fields«, half Parker aus, da Agatha Simpson zögerte und krampfhaft nachzudenken schien. »Raus mit der Sprache, junger Mann«, fuhr die energische Da me den Gangster an. »Ich weiß sowieso, daß es dieser… dieser Tanzklubbesitzer ist. Wie war der Name noch, Mister Parker?« »Mylady dürften Mister Ron Hatfield meinen, falls man sich nicht grundsätzlich täuscht«, gab der Butler die gewünschte Auskunft.
»Stimmt«, bestätigte der Daimlerfahrer umgehend. »Ron Hat field hat uns gefragt, ob wir ihm nicht einen Gefallen tun könn ten.« »Der wie lautete?« hakte Parker nach. »Wir sollten Ihnen unauffällig folgen und ein paar Informationen sammeln«, behauptete der Schieläugige und ließ ein leicht mißglücktes Grinsen sehen. Zwar wollte der Butler unverzüglich weiterbohren, doch dazu kam er nicht mehr. Plötzlich wurde die Szene in das gleißende Licht eines aufgeblendeten Autoscheinwerfers getaucht. Die Lichtkegel schwenkten auch nicht zur Seite, wie man es hät te erwarten können, sondern kamen rasch näher. Gleich darauf stoppte ein Fahrzeug auf dem Gehweg unmittelbar vor der Lücke, die der Daimler in den Maschendrahtzaun gerissen hatte. »Halt, Polizei!« ertönte eine Stimme. »Was ist hier los?« Weder Fahrer noch Beifahrer der verunglückten Nobelkarosse hielten es für nötig, dem Beamten zu antworten. Sie warteten nicht mal, bis der Bobby durch den Zaun gestiegen war, sondern absolvierte einen Blitzstart, der sich durchaus sehen lassen konn te. »Vermutlich stehen die Herren unter Alkoholeinfluß und haben deshalb die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren«, setzte Parker den Beamten – nicht ganz wahrheitsgemäß – ins Bild. »Kann ich mir denken«, brummte der Uniformierte und winkte seinem Kollegen, der noch im Wagen geblieben war. »Wir werden die Burschen gleich haben«, zeigte der Streifen führer sich zuversichtlich. »Warten Sie bitte hier, bis wir zurück sind. Wir benötigen Sie noch als Zeugen.« »Wie Sie zu wünschen geruhen«, erwiderte Parker und verneig te sich höflich. Er sah den Beamten nach, die zwischen den Wracks davonrannten, im Laufen Taschenlampen anknipsten und dabei emsig ihre Trillerpfeifen betätigten. »Ich denke ja nicht daran, hier zu warten, bis die Uniformierten wiederkommen, Mister Parker«, machte die leidenschaftliche De tektivin deutlich, sobald die beiden außer Hörweite waren. »Was man auch keinesfalls erwartet hatte, Mylady«, entgegnete der Butler und geleitete seine Herrin behutsam zwischen den Trümmern hindurch zum hochbeinigen Monstrum.
*
Lady Agatha sprach dem Abendimbiß zu, den Parker in der Nä he des Kaminfeuers serviert hatte. Gerade legte der Butler nach, als das Telefon zu läuten begann. »Das wird Mister Plenderson sein«, mutmaßte die ältere Dame. »Er wollte mich anrufen, sobald er diesen Fotografen ausfindig gemacht hat.« »Sofern Mylady keine Einwände erheben, wird man sich an den Apparat begeben, um Gewißheit zu erhalten«, bot Parker an, schenkte Chablis nach und entfernte sich. »Hier bei Lady Simpson«, meldete er sich gleich darauf in seiner förmlichen Art. »Josuah Parker am Apparat.« »Hallo, Parker«, war Mike Randers vertraute Stimme am ande ren Ende der Leitung zu vernehmen. »Wollte nur mal hören, ob Sie dem Verleger schon auf den Zahn gefühlt haben.« »Mylady nutzte den späten Nachmittag, um Mister Henderson einen Besuch abzustatten, Sir«, teilte der Butler mit. »Und?« wollte der Anwalt wissen. »Mylady ist offensichtlich von Mister Hendersons Seriosität ü berzeugt, falls der Hinweis von Interesse ist, Sir«, erwiderte Par ker. »Sie aber nicht, Parker?« hakte Rander interessiert nach. »In der Tat, Sir«, bestätigte der Butler knapp. »Dachte ich mir«, meinte der Anwalt. »Und was wollen Sie un ternehmen?« »Meine Wenigkeit wird nach Myladys Anweisungen handeln, Sir«, gab Parker zur Antwort. »Darüber hinaus trägt man sich jedoch mit der Absieht, die ungeteilte Aufmerksamkeit des eh renwerten Mister Pickett auf Mister Henderson zu lenken.« »Das würde ich auch tun, Parker«, pflichtete Rander ihm bei. »Für mich steht eigentlich schon fest, daß Henderson mit Sunhill zusammenarbeitet und ihm seine Fotos abkauft.« »Eine Annahme, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für sich beansprucht, falls man eine persönliche Vermutung äußern darf, Sir«, ließ der Butler sich vernehmen. »Okay, das war’s denn auch, Parker«, meldete sich der Anwalt wieder ab. »Viel Erfolg noch! Und grüßen Sie Mylady!«
»Was man unter keinen Umständen versäumen wird, Sir«, ver sprach Parker. »Im übrigen erlaubt man sich, noch einen mög lichst entspannten Abend zu wünschen.« »Nun, Mister Parker?« erkundigte sich die Hausherrin, als der Butler in die geräumige Wohnhalle zurückkehrte. »Hatte ich recht?« »Mister Rander läßt Grüße an Mylady ausrichten«, antwortete Parker und schnitt dabei noch von. dem kalten Braten ab. »Der gute Junge«, bemerkte Agatha Simpson gerührt. »Sonst hatte er nichts auf dem Herzen?« »Mister Rander erkundigte sich nach dem Stand von Myladys Ermittlungen«, setzte der Butler sie ins Bild. »Und da haben Sie bestimmt gesagt, daß ich noch heute abend den Schlußstrich ziehen werde, Mister Parker?« fragte die Detek tivin, während Parker ihr Glas nachfüllte. »Ein Umstand, über den meine Wenigkeit bedauerlicherweise nicht informiert war, Mylady«, erwiderte der Butler und verneigte sich andeutungsweise. »Ich habe mich entschlossen, gleich nach dem Essen noch mal in dieses obskure Tanzlokal zu fahren, Mister Parker«, gab die leidenschaftliche Amateurdetektivin ihre Pläne bekannt. »Geht man recht in der Annahme, daß Mylady möglicherweise die Diskothek >Pink Hurricane< zu meinen geruhen, die Mister Ron Hatfield gehört?« vergewisserte sich Parker. »Genau, Mister Parker«, nickte die majestätische Dame. »Wenn ich den Lümmel energisch genug ins Kreuzverhör nehme, wird er ein umfassendes Geständnis ablegen, und der Fall ist erledigt.« »Eine Einschätzung, der man nicht um jeden Preis widerspre chen möchte, Mylady«, gab der Butler ausweichend zur Antwort. »Für eine Kriminalistin liegt die Sache sonnenklar auf der Hand, Mister Parker«, wollte Lady Agatha zu vermutlich weitschweifigen Erläuterungen ausholen, doch sie unterbrach sich, weil in diesem Moment erneut das Telefon läutete. »Man bittet um Nachsicht, Mylady«, sagte Parker, verneigte sich höflich und steuerte gemessen und würdevoll die Diele an. »Guten Abend, Mister Parker. Hier ist Ricky Henderson«, melde te sich der Porno-Verleger aus Limehouse. »Man dankt und erlaubt sich, dasselbe zu wünschen«, antworte te der Butler. »Darf man gegebenenfalls nach dem Grund Ihres Anrufs fragen, Mister Henderson?«
»Ich habe Ihrer Chefin versprochen, meine Verbindungen spie len zu lassen und nach Brian Sunhill Ausschau zu halten«, schick te der Anrufer voraus. »Allerdings habe ich selbst nicht geglaubt, daß ich Ihnen so schnell helfen könnte.« »Kann und muß man Ihre Äußerung so verstehen, daß Mister Sunhills derzeitiger Aufenthalt Ihnen bekannt ist, Mister Hender son?« wollte Parker wissen. »Ein alter Freund, mit dem ich zufällig vor zehn Minuten telefo nierte, hat einen Mann gesehen, auf den Ihre Beschreibung haar genau paßt, Mister Parker«, teilte der Porno-Produzent mit. »Eine Nachricht, die auf Myladys uneingeschränktes Interesse stoßen dürfte, falls man sich nicht gründlich täuscht, Mister Hen derson«, ließ der Butler verlauten. »Dieser Freund heißt Eddie Malcom und ist Besitzer einer Disko thek, die >Flashlight< heißt und an der Westport Street in Ratcliff liegt«, fuhr Henderson fort. »Dort sitzt der Typ, den Sie suchen und unterhält sich mit einem jungen, auffallend hübschen Mäd chen. Wenn Sie sich beeilen, erwischen Sie ihn vielleicht noch.« »Man wird Mylady unverzüglich in Kenntnis setzen«, versprach Parker. »Ansonsten dankt man in aller Form für die Hilfsbereit schaft, Mister Henderson.« »Nichts zu danken, Mister Parker. Gern geschehen«, erwiderte der Anrufer. »Und viel Erfolg!« Mit unbewegter Miene legte der Butler den Hörer auf die Gabel und kehrte zu seiner Herrin zurück. »Mister Henderson war am Apparat, Mylady«, meldete er. »Plenderson?« fragte die ältere Dame irritiert. »Wer war das noch, Mister Parker? Den Namen habe ich schon mal gehört.« »Mister Henderson ist als Produzent anstößiger Magazine in Li mehouse tätig«, gab Parker geduldig Auskunft. »Möglicherweise darf man daran erinnern, daß Mylady dem Genannten heute nachmittag die Ehre eines Besuches…« »Ich weiß, ich weiß, Mister Parker«, unterbrach Agatha Simpson ungeduldig. »Und was wollte Mister Plenderson?« »Mister Ricky Henderson, den Mylady fraglos meinen«, korri gierte der Butler in seiner diskreten Art, »rief an, um den angebli chen Aufenthalt des gesuchten Fotografen Brian Sunhill mitzutei len.«
»Sehen Sie, Mister Parker?« triumphierte die Hausherrin. »Ich habe gewußt, daß Mister Plenderson ein Ehrenmann ist und seine Hilfsbereitschaft sich nicht in leeren Worten erschöpft.« »Myladys einschlägige Äußerungen sind meiner bescheidenen Wenigkeit noch durchaus gegenwärtig, falls der Hinweis erlaubt ist«, merkte Parker an. »Und wo steckt der gewissenlose Lümmel?« erkundigte sich die Detektivin. »Vermutet man unter Umständen recht, daß Mylady Mister Bri an Sunhill zu meinen geruhen?« »Natürlich, Mister Parker. Wen denn sonst?« »Sofern man Mister Hendersons Angaben Glauben schenken darf, hält der Genannte sich momentan in einer Diskothek an der Westport Street auf und führt Gespräche mit einer jungen Da me.« »Wunderbar! Da kann ich den Schurken gleich auf frischer Tat ertappen, Mister Parker.« »Was unbedingt wünschenswert wäre«, erwiderte der Butler. »Allerdings dürften Mylady argwöhnen, daß Mister Henderson mit seinem Anruf Zwecke verfolgte, die man nur als hinterlistig be zeichnen kann und muß.« »Hinterlistig? Was meinen Sie denn damit, Mister Parker?« »Mylady dürften mit einer Falle rechnen, falls der Hinweis er laubt ist.« »Papperlapapp, Mister Parker«, widersprach die resolute Dame. »Und wennschon! Sie glauben doch nicht etwa, daß ich Angst habe?« »Nichts liegt meiner bescheidenen Wenigkeit ferner, Mylady.« »Eigentlich weiß ich gar nicht, was Angst ist, Mister Parker«, bekannte die resolute Dame. »Für eine Handvoll bewaffneter Gangster habe ich nur ein müdes Lächeln übrig.« »Mylady schätzen das Risiko, sofern die persönliche Anmerkung gestattet ist.« »Ich schätze das Risiko nicht nur, ich liebe es, Mister Parker«, trumpfte Agatha Simpson auf. »Ein Leben ohne Risiko wäre lang weilig.« »Eine Feststellung, der man keineswegs und mitnichten wider sprechen möchte, Mylady«, versicherte Parker und schenkte sei ner Herrin noch mal nach.
* »In wenigen Augenblicken dürften Mylady das Ziel erreicht ha ben«, meldete der Butler, während er von der Commercial Road nach links in die Westport Street abbog. »Keine verdächtigen Wahrnehmungen, Mister Parker?« erkun digte sich die Detektivin vom Rücksitz aus. »Sie fanden – mit Verlaub – nur das geringe Interesse meiner Wenigkeit«, gab Par ker zurück. »Immerhin dürfte die Mitteilung von einigem Gewicht sein, daß der ehrenwerte Mister Pickett sich bereits am Einsatzort befindet.« Der greise Spaziergänger, der gemächlich um die Straßenecke schlurfte und ein Hündchen an der Leine führte, war ihm sofort aufgefallen. Gleich neben dem einstigen Eigentumsumschichter brachte der Butler sein schwarzes Gefährt zum Stehen und beug te sich aus dem Fenster, als wollte er nach dem Weg fragen. »Ich bin gerade erst angekommen, weil ich noch Maske machen mußte, Mister Parker«, flüsterte Pickett. »Deshalb hatte ich noch nicht viel Gelegenheit zu Erkundigungen.« »Was verständlich erscheinen dürfte, da man Sie erst unmittel bar vor Myladys Aufbruch um Ihr wertes Erscheinen bat, Mister Pickett«, erwiderte Parker. »Darf man gegebenenfalls auf einen Hinweis hoffen, ob Mister Sunhill sich tatsächlich in der fraglichen Diskothek aufhält?« »Leider war ich in dem Schuppen noch nicht, Mister Parker«, gab der Eigentumsumverteiler a.D. Auskunft. »Bisher konnte ich die Anlage nur von außen betrachten. Die Disko ist in dem großen Kasten, den Sie da drüben links sehen. Außer dem Haupteingang gibt es noch drei Türen, an jeder Gebäudeseite eine. Der Park platz liegt von hier aus unmittelbar dahinter. Nach der Zahl der Autos zu urteilen, scheint im >Flashlight< nicht viel Betrieb zu sein.« »Auskünfte, die man mit Dankbarkeit entgegennimmt, Mister Parker«, sagte der Butler und lüftete andeutungsweise die schwarze Melone »Im übrigen darf man Sie möglicherweise bit ten, sich weiterhin in der Nähe aufzuhalten.« »Und bleiben Sie auf Distanz, auch wenn es turbulent zugehen sollte, Mister Pickett«, meldete sich Lady Agatha mahnend zu
Wort. »Es reicht schon, wenn ich meine schützende Hand über Mister Parker halten muß.« »Wie Sie wünschen, Mylady«, erwiderte Horace Pickett, Schlurf te gemächlich weiter und zog das widerstrebende Hündchen an der Leine hinterher. Parker lenkte den schwarzen Wagen nach links auf den Park platz. Mit einem Blick zählte er acht Fahrzeuge, die verstreut auf der weitläufigen Asphaltfläche standen. Dabei fiel ihm auf, daß in einem der unbeleuchteten Wagen zwei Männer saßen, die ihre glimmenden Zigaretten in dem Moment ausdrückten, als das hochbeinige Monstrum im Schrittempo an ihnen vorbeirollte. Zwanzig Schritte weiter brachte der Butler sein eckiges Gefährt zum Stehen und stellte den Motor ab. »Was ist denn los, Mister Parker? Wollen Sie mir nicht die Tür öffnen?« erkundigte sich Mylady ungeduldig, als der Butler keine Anstalten machte, den Platz hinter dem Lenkrad zu Verlassen. »Mylady dürften mit der Möglichkeit eines Feuerüberfalls rech nen, falls man sich nicht gründlich täuscht«, ließ Parker verlauten und sah zu dem verdächtigen Wagen – einem dunkelroten Chrys ler – hinüber. Er hatte sich nicht getäuscht: In diesem Augenblick verließen die Männer den Wagen und schlugen in geduckter Haltung einen Bogen, um sich dem hochbeinigen Monstrum ungesehen von hinten zu nähern. Im Schutz der Dunkelheit wähnte sich das Duo unbeobachtet, doch Parkers scharfe Nachtvogelaugen folgten den Männern und registrierten auch, daß sie in ihre Schulterhalfter langten und Re volver herauszogen, die mit supermodernen Schalldämpfern be stückt waren. Seelenruhig ließ der Butler die Gangster bis auf drei Schritte he rankommen, wobei er sie immer noch im Rückspiegel ausmachen konnte. Dann erst legte er einen der zahlreichen Kipphebel am Armaturenbrett um, deren Funktion nur ihm selbst bekannt war. Augenblicklich quoll eine ölige Rußwolke aus dem Auspuff der von Freund und Feind so bezeichneten >Trickkiste auf Rädern< und hüllte die Bewaffneten in Sekundenschnelle völlig ein. Es dauerte nicht lange, bis die Männer mit mühsam unterdrückten Hustenanfällen auf die rapide Verschlechterung ihrer Atemluft reagierten.
»Was war das für ein merkwürdiges Geräusch, Mister Parker?« fragte Lady Agatha irritiert. »Sofern Mylady sich auf das Husten beziehen, dürfte es sich um zwei bewaffnete Herren handeln, die die menschliche Unverfro renheit besaßen, Mylady in offensichtlich mörderischer Absicht aufzulauern«, lieferte Parker gelassen die Erklärung. Danach ver ließ er den Wagen und war der fülligen Dame behutsam beim Aussteigen behilflich. »Wo sind denn…?« setzte Agatha Simpson an, doch da taumelte schon der erste Gangster aus der zähen, schwarzen Wolke her aus. Der Mann rieb sich wimmernd die Augen und schien völlig die Orientierung verloren zu haben. »Zur Seite, Mister Parker!« ordnete die resolute Lady an und setzte unverzüglich ihren geliebten Glücksbringer in Aktion. Des halb beschränkte der Butler sich darauf, mit seiner zwar zierlichen aber unglaublich leistungsfähigen Stiftlampe das Zielgebiet aus zuleuchten. Der Gangster, der seine Waffe schon innerhalb der undurch dringlichen Qualmwolke verloren hatte, wußte nicht, wie ihm ge schah, als der wohlgefüllte Lederbeutel sich ungestüm an seine Wange schmiegte. Kaum hatte er den ersten Lichtblick erhascht, da wurde ihm schon wieder schwarz vor Augen. »Wie viele kommen noch, Mister Parker?« erkundigte sich die energische Dame, während der Gangster in die Knie ging und sich zu ihren Füßen auf den Asphalt streckte. »Einer, sofern man nicht sehr irrt, Mylady«, gab Parker Aus kunft. »Und wo steckt der Flegel?« wollte die passionierte Detektivin wissen. »Nicht, daß Sie ihn zur anderen Seite hin entwischen las sen, Mister Parker.« »Man wird sich befleißigen, ein solches – wie der Volksmund sagt – Handikap um jeden Preis zu verhindern, Mylady«, versi cherte der Butler und schickte sich an, im sprichwörtlichen Trüben zu fischen. Dazu faßte er seinen schwarzen Universal-Regenschirm an der Spitze und benutzte den Bambusgriff als überdimensionalen An gelhaken. In der Tat dauerte es nur Sekunden, bis Parker fündig wurde und den gesuchten >Fisch< an der improvisierten Angel hatte.
Die Beute zappelte nur geringfügig, als der Butler sie mit unwi derstehlicher Kraft aus der Wolke zog. Und selbst dieses Zappeln hörte schlagartig auf, sobald der Mann den Druck des perlenbe stickten Pompadours im Nacken spürte. »Schade, daß es schon vorbei ist«, meinte Lady Simpson, als auch der zweite Gangster eine Verschnaufpause einlegte. »Jetzt bin ich gerade so schön in Schwung.« »Unter Umständen dürfte kurzfristig Gelegenheit zu weiterer Betätigung im von Mylady gewünschten Sinn bestehen«, entgeg nete Parker, während er die Männer mit Hand- und Fußfesseln aus Plastik versorgte, um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein. »Um so besser, Mister Parker«, äußerte die ältere Dame und ließ fröhlich ihren ledernen Handbeutel rotieren. Der Butler indes lauschte aufmerksam auf das wütende Kläffen eines Hündchens, das von der Straße herüberdrang. Gleichzeitig zog er die stählerne Gabelschleuder aus der Tasche und legte eine hartgebrannte Tonmurmel in die lederne Schlaufe. * »Unter Umständen darf man Mylady höflich ersuchen, hier hin ter dem Fahrzeug in Deckung zu gehen«, flüsterte Parker und dirigierte seine verhalten protestierende Herrin in der Dunkelheit behutsam um das Heck des Wagens herum. Da sah der Butler die Männer, vor denen Horace Pickett mit Hil fe seines Hündchens gewarnt hatte, auch schon kommen. Deut lich hoben sich die Silhouetten von der relativ hell beleuchteten Straße ab. Mit der schwarz behandschuhten Rechten deutete Josuah Parker hinüber und machte die Detektivin auf die beiden Ganoven auf merksam. »Ich brauche dringend noch ein bißchen Bewegung«, meinte Lady Agatha. »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, sagte der Butler und ließ die Schleuder samt hartgebrannter Tonmurmel wieder in die Ta sche gleiten. Statt dessen holte er ein etwa kugelschreibergroßes Röhrchen aus weißem Kunststoff hervor.
Dabei handelte es sich um eine miniaturisierte Blitzlichtbombe, die er während der wenigen Mußestunden, die ihm vergönnt wa ren, in seinem kleinen Labor entwickelt hatte. Inzwischen hatten sich die Unbekannten seitlich in die Dunkel heit geschlagen und glitten lautlos von einem geparkten Fahrzeug zum nächsten. Nur hin und wieder blinkte ein Reflex der Straßen beleuchtung auf dem Stahl der Automaticwaffen, mit denen sie sich ausgerüstet hatten. »Darf man Mylady unter Umständen ersuchen, für einige Se kunden fest die Augen zu schließen und zusätzlich mit den Hän den zu bedecken?« raunte Parker seiner Herrin zu. Erst als Agat ha Simpson der Aufforderung Folge geleistet hatte, knickte er das Plastikröhrchen in der Mitte durch und warf es über das Dach des hochbeinigen Monstrums hinweg. Nach kurzem Flug landete das zierliche Wurfgeschoß unmittel bar vor den Füßen der Gangster, die sich mittlerweile bis auf etwa zehn Schritte herangepirscht hatten. Ein leises Zischen ertönte, und schlagartig wurde der weitläufige Parkplatz samt angrenzender Bebauung in grelles Licht getaucht. Als der Butler, der in den entscheidenden Sekunden ebenfalls die Augen geschlossen hatte, über die eckige Haube seines hoch beinigen Monstrums spähte, hatten die Männer ihre hochtechni sierten Mordmaschinen schon fallenlassen. Wimmernd torkelten sie auf das hochbeinige Monstrum zu und hüben lautstark an, geblendet worden zu sein. »Mußte das denn sein, Mister Parker?« beschwerte sich die älte re Dame. »Sie gönnen mir aber auch nicht die kleinste Freude.« »Mylady sehen meine Wenigkeit untröstlich ob dieses schweren Vorwurfs«, erwiderte Parker mit einer Miene, in der sich kein Muskel regte. »Jämmerliche Waschlappen sind doch keine Gegner für mich«, fuhr Lady Agatha verärgert fort. »Denen kann ich höchstens noch eine kleine Lektion in anständigem Benehmen erteilen. Die haben sie auf jeden Fall verdient.« »Eine Feststellung, der man sich nur vorbehaltlos anschließen kann, Mylady«, pflichtete der Butler ihr höflich bei. »Jetzt fangen die Lümmel auch noch an zu weinen«, ereiferte sich die Detektivin, während sie auf die mitleiderregend jam mernden Gangster zuschritt. »Ich werde sie zur Räson bringen müssen, sonst ist ja gar keine anständige Vernehmung möglich.«
Sprachs und verabreichte dem Duo ein paar Ohrfeigen. Augen blicklich verstummten die Klagelaute. Verhalten greinend taumel ten die Männer rückwärts, bis sie an einem benachbarten Fahr zeug Halt fanden. »Heraus mit der Sprache! Wer hat Ihnen den Auftrag erteilt, mich kaltblütig zu ermorden?« fuhr Mylady die entnervten Gano ven an. »Was haben Sie mit unseren Augen gemacht? Wir sind blind für alle Zeiten«, jaulte einer der Männer, statt auf die Frage zu ant worten. »Die Beeinträchtigung Ihrer Sehfähigkeit dürfte nur wenige Stunden anhalten, falls der Hinweis erlaubt ist«, schaltete sich Parker beruhigend ein. »Mit dauerhafter Schädigung ist nach den bisherigen Erfahrungen keineswegs und mitnichten zu rechnen.« »Wenn schon«, reagierte sein Gegenüber wehleidig. »Das ist grober Unfug. Wir werden Sie verklagen.« »Eine Ankündigung, die man mit Gelassenheit zur Kenntnis nimmt«, erwiderte der Butler ungerührt. »Was soll der Mist denn überhaupt?« schaltete sich der zweite Geblendete ein. »Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?« »Bedauerlicherweise sah man sich zu dieser Maßnahme genö tigt, um Sie und Ihren Komplicen an der Ausführung eines Dop pelmordes zu hindern«, ließ Parker in frostigem Ton verlauten. »Doppelmord? Ich hör wohl nicht recht«, protestierte der Mann. »Bei Ihnen piept’s wohl?« »Bestreiten Sie etwa, daß Sie sich in der verwerflichen Absicht angeschlichen haben, mich erbarmungslos niederzuschießen, jun ger Mann?« machte Mylady sich mit ihrem baritonal gefärbten Organ bemerkbar. »Quatsch!« widersprach der schätzungsweise Dreißigjährige. »Wir dachten, an unserem Auto würde sich jemand zu schaffen machen. Deshalb wollten wir nachsehen.« »Der Lümmel besitzt die bodenlose Frechheit, mir ins Gesicht zu lügen, Mister Parker«, empörte sich die passionierte Detektivin. »Eine Einschätzung, der meine Wenigkeit mitnichten widerspre chen möchte, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Ich werde die Wahrheit schon herausbekommen, Mister Par ker«, grollte die ältere Dame und trat nahe an einen der Gangster heran. Beherzt griff sie nach den Ohren des Ahnungslosen und
drehte daran, als hätte sie die Knöpfe des Radioapparats in der Hand. Postwendend ertönte ein langgezogener Jaulton, wie er bei Ü berlagerungen von Kurzwellensendern auftritt. Durch akrobati sche Verrenkungen versuchte der Mann, seiner Peinigerin zu ent gehen, doch aus dem herben Griff der resoluten Dame gab es kein Entrinnen. »Halt!« platzte es unvermittelt aus ihm heraus. »Ich gestehe al les.« »Warum nicht gleich so, junger Mann«, triumphierte Agatha Simpson und lockerte den Griff. »Sie gestehen also, daß Sie mich ermorden wollten.« »Ermorden nicht, aber kidnappen sollten wir Sie«, korrigierte der Ganove. »Die Ballermänner hatten wir nur zur Sicherheit da bei.« »Eine Darstellung, die man mit der gebührenden Skepsis zur Kenntnis nimmt«, griff Parker wieder in die Unterredung ein. »Darf man im übrigen fragen, wer Ihnen diesen Auftrag erteilte? Vermutet man gegebenenfalls recht, daß es sich um einen ge wissen Ricky Henderson handelt?« fügte der Butler hinzu, als er das Zögern seines Gesprächspartners bemerkte. »Nein, ich kenne keinen Ricky Henderson«, erwiderte der Mann. »Demnach dürfte es sich um einen Fotografen handeln, der sich Brian Sunhill nennt«, mutmaßte Parker, aber der Gangster schüt telte den Kopf, soweit das möglich war, da die resolute Dame immer noch seine fleischigen Hörorgane in Händen hielt. »Soll ich Ihrem Gedächtnis nachhelfen, junger Mann?« drängel te Mylady und begann wieder, an den mittlerweile puterrot ange laufenen Trichtern zu drehen. »Nein, nein«, jaulte ihr Gegenüber. »Er heißt Harry McCaine und wohnt in Mile End, Ernest Street Nr. 32.« »Hat man Sie richtig verstanden, daß weder Mister Henderson noch Mister Sunhill Ihnen bekannt sind?« vergewisserte sich der Butler. »Nie gehört, die Namen«, beteuerte der gepeinigte Ganove. »Unser Chef ist Harry McCaine.« »Interessant. Harry McCaine«, war unvermittelt die Stimme des früheren Eigentumsumverteilers zu vernehmen. »Ein alter Be kannter sozusagen.«
»Demnach darf man vermuten, daß Sie Näheres über den Ge nannten mitteilen können; Mister Pickett?« erkundigte sich Par ker. »McCaine ist schätzungsweise fünfzig Jahre alt und dafür be kannt, daß er Schlägertrupps vermietet, Mister Parker«, gab der Informant sein Wissen weiter. »Gegen entsprechende Bezahlung stellt er auch geschulte Killer zur Verfügung.« »Was die Vermutung nahelegt, daß Mister Sunhill und Mister Henderson dem Genannten den Auftrag erteilten, Mylady und meine Wenigkeit, ins sprichwörtliche Jenseits zu befördern«, tat der Butler seine Einschätzung kund, und Pickett nickte. »Natürlich werde ich sofort einen Überraschungsangriff starten und den gemeingefährlichen Schurken unschädlich machen«, verkündete Lady Agatha und stampfte zur Bekräftigung mit dem Fuß auf. »Sollte man von der Annahme ausgehen, daß Mylady Mister McCaine zu meinen belieben?« fragte Parker. »Selbstverständlich, Mister Parker«, bestätigte die majestäti sche Dame. »Ist der Wagen startklar?« »Stets zu Diensten, Mylady«, versicherte der Butler. »In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie Mylady mit den anwesenden Herren zu verfahren gedenken.« »Darum soll sich die Polizei kümmern, Mister Parker«, äußerte Agatha Simpson herablassend. »Ich habe mich schon viel zu lan ge mit dem Fußvolk aufgehalten. Jetzt geht es endgültig den Drahtziehern an den Kragen.« »Was eindeutig zu hoffen steht, Mylady«, sagte Parker und wandte sich dem Eigentumsumverteiler a.D. zu. »Darf man Sie unter Umständen bitten, die nötigen Schritte zu veranlassen, Mis ter Pickett?« erkundigte er sich höflich. »Geht in Ordnung, Mister Parker«, erwiderte Horace Pickett. »Sie können beruhigt fahren.« * Eine Stunde später waren der Butler und die Detektivin im hochbeinigen Monstrum zur Lindley Street in Stepney unterwegs. Auf dem Beifahrersitz schlummerte friedlich Harry McCaine, den
das skurrile Paar in der Badewanne angetroffen und an Ort und Stelle ins Kreuzverhör genommen hatte. Dabei hatte der Killervermieter nach kurzer Zeit gestanden, für Henderson und Sunhill tätig zu sein. McCaine hatte auch die An schrift des Studios ausgeplaudert, in dem der angebliche Brian Sunhill seinem schmutzigen Geschäft nachging: Lindley Street Nr. 18, auf dem Hinterhof. »Der Lümmel wird Augen machen, wenn ich unvermittelt auf tauche und ihm seine Verbrechen auf den Kopf zusage«, freute sich die passionierte Detektivin, als Parker wenig später sein hochbeiniges Gefährt zum Stehen brachte. »Eine Hoffnung, der man sich nur anschließen kann, Mylady«, erwiderte der Butler. Bevor er den Wagen verließ, um Lady Agat ha beim Aussteigen behilflich zu sein, hielt er McCaine eine kleine Sprühdose unter die Nase und verabreichte ihm eine zweite Dosis des betäubenden Nebels, der den skrupellosen Killerchef zu ei nem angenehmen, friedlichen Beifahrer gemacht hatte. Kein Name, kein Firmenschild wies auf das getarnte PornoStudio hin. Aber die Beschreibung der Örtlichkeit, die McCaine gegeben hatte, war eindeutig und deckte sich mit den Gegeben heiten, die das Paar aus Shepherd’s Market bei dem mitternächt lichen Besuch vorfand. Hinter einem Torpfosten gingen Parker und Mylady in Deckung. Die unternehmungslustige Dame vibrierte bereits vor Ungeduld und wollte unverzüglich weiterstürmen, doch der Butler hielt sie mit stummer Geste zurück. Am Ende des Ganges, der an einem leerstehenden Wohnhaus vorbei auf den Hinterhof führte, hatte er eine Zigarette glimmen sehen. Die Vermutung lag also nahe, daß sie einem bewaffneten Wachposten gehörte. Mit routinierten Handgriffen löste Josuah Parker einen kleinen Sicherungshebel am Griff seines schwarzen UniversalRegenschirmes und klappte anschließend die bleigefüllte Spitze rechtwinklig zur Seite. Dadurch wurde der hohle Schaft des Re gendachs zum Lauf, aus dem er kleine, bunt gefiederte Pfeile ver schießen konnte, frei. Für die nötige Schubkraft sorgte eine Pat rone mit komprimierter Kohlensäure, die in den Schirmfalten ver borgen war. Seelenruhig visierte der Butler sein Ziel an und wartete, bis die Zigarettenglut erneut aufleuchtete. Sekundenbruchteile später
glitt eines der kaum stricknadelgroßen Geschosse aus dem Rohr und jagte dem in völliger Finsternis liegenden Bestimmungsort entgegen. Mit der unbewegten Miene eines professionellen Pokerspielers registrierte Parker wenig später, wie zuerst die glimmende Ziga rette, dann ein schwerer, metallischer Gegenstand zu Boden fiel. Ein dumpfes, undeutliches Klatschen folgte. Anschließend war es wieder so totenstill wie vorher. Eine Weile wartete der Butler noch. Als sich aber nichts regte, setzte das skurrile Paar geräuschlos seinen Weg fort. Auf dem Hinterhof angekommen, fand man den Wächter fried lich schlummernd vor. Parker zog ihm den kleinen Pfeil aus der Hüfte, legte ihm Plastikfesseln an und ließ die Waffe des Mannes in einer der unergründlichen Taschen seines schwarzen Coverco ats verschwinden. Die Tür, die in das flache, fensterlose Gebäude führte, war un verschlossen. Behutsam drückte der Butler sie auf und ließ seine Herrin in den unbeleuchteten Flur treten. Am Ende des kurzen Ganges fand sich eine weitere Tür, durch deren Ritzen heller Lichtschein schimmerte. Dahinter waren rup pige Männerstimmen zu hören und… das haltlose Schluchzen ei ner jungen Frau. »Worauf warten Sie noch, Mister Parker?« monierte die majes tätische Dame und schob den Butler unwiderstehlich vor sich her. Augenblicke später standen beide, gedeckt durch herabhängende Leinwände, im grell ausgeleuchteten Studio des kahlköpfigen Bril lenträgers, der sich Brian Sunhill nannte. Vier mächtige Scheinwerfer waren auf ein zerwühltes Bett ge richtet, auf dem ein schätzungsweise achtzehnjähriges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren kniete und von Weinkrämpfen ge schüttelt wurde. Davor, mit dem Rücken zur Tür, stand Brian Sunhill mit zwei jungen, athletisch gebauten Männern und… fluchte. »Schmeißt die verdammte Göre raus!« wies er seine Helfershelfer an. »Mit der ist beim besten Willen nichts anzufangen.« Josuah Parker und Lady Agatha verständigten sich durch einen kurzen Blick, und dann ging alles blitzschnell. Ehe das Gangstertrio begriff, was passierte, hatte der Butler schon den bleigefüllten Bambusgriff seines altväterlich gebunde nen Regendachs auf das kahle Hinterhaupt des Fotografen gelegt.
Fast gleichzeitig suchte sich Lady Agathas geliebter Glücksbringer sein Ziel und fand es im Nacken des jungen Mannes zur Rechten Sunhills. Im nächsten Moment stöhnte der Dritte im Bund hörbar auf, als Parker auch bei ihm mit dem Bambusgriff anklopfte. »Jetzt ist alles vorbei, Kindchen«, sagte die ältere Dame freund lich und stellte sich vor das unbekleidete Opfer der Gangster, daß dem Butler der Blick versperrt war. Parker hatte allerdings anderes zu tun, als sich am Körper des völlig aufgelösten Mädchens zu weiden. Stumm und gewissenhaft versorgte er das Trio mit Plastikfesseln an Händen und Füßen. »Ich will nach Hause«, schluchzte das unfreiwillige Fotomodell. »Nur nach Hause.« »Mister Parker wird sie gleich in ein Taxi setzen, Kindchen«, bot die Detektivin an und wandte sich dann dem Butler zu. »Vorher müssen Sie aber noch schnell ein Erinnerungsfoto machen, Mister Parker.« »Wie Mylady wünschen«, erwiderte er gehorsam und rückte die ausgesprochen apathisch wirkenden Gangster für ein Gruppenfoto zusammen. Agatha Simpson stellte sich in Großwildjägerpose daneben, und der Butler richtete eine der Plattenkameras auf das Quartett. »Ich werde hier Wache halten, bis Sie dem armen Kind ein Taxi besorgt haben, Mister Parker«, sagte die Detektivin, nachdem die Aufnahme gemacht war. »Und sagen Sie bitte dem Fahrer, daß er das Geld von den Eltern des Mädchens bekommt.« »Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit Be fehl«, erwiderte der Butler höflich und geleitete die immer noch schluchzende Achtzehnjährige hinaus. * Da in der schwach beleuchteten Straße kaum Verkehr herrsch te, bat Parker die junge Dame, im Fond des hochbeinigen Monst rums Platz zu nehmen und chauffierte sie zur nahegelegenen Mile End Road, wo er sie an einem Taxiplatz aussteigen ließ und sich höflich verabschiedete. Vier Minuten später war der Butler wieder zurück, stellte sein eckiges Gefährt schräg gegenüber Sunhills Studio ab und wollte in würdevoller Haltung den Hinterhof ansteuern, als sein Blick auf
ein schwarzes Jaguarcoupe fiel, das vorher noch nicht an dem Platz gestanden hatte. Der Wagen war unbesetzt, das Haus, vor dem er abgestellt war, unbewohnt. Deshalb ging der Butler vorsichtshalber davon aus, daß es sich bei dem unbekannten Fahrer um einen Besucher Bri an Sunhills handelte. Sein Verdacht erhärtete sich, als er beim lautlosen Weg über den Hof ein elektrisierendes Kribbeln verspürte. Das war die ge heimnisvolle innere Stimme, die ihn schon oft vor tödlichen Ge fahren gewarnt hatte. Wie ein Schatten glitt die schwarz gewandete Gestalt langsam weiter durch die Dunkelheit. Behutsam schob er die Tür des Stu diogebäudes einen Spaltbreit auf, schlüpfte in den Flur und taste te sich weiter vor. »Werfen Sie endlich Ihr lächerliches Spielzeug weg, junger Mann«, drang unvermittelt das sonore Organ seiner Herrin an sein Ohr. »Das Haus ist umstellt. Außerdem haben Sie gegen eine Kriminalistin ohnehin keine Chance.« Myladys Gesprächspartner antwortete mit höhnischem Lachen, das Parker sofort dem Porno-Produzenten Ricky Henderson zu ordnete: Beim Blick durchs Schlüsselloch konnte er allerdings nur den Rücken des Mannes ausmachen und… Brian Sunhill nebst seinen Helfershelfern, die bereits von den Fesseln befreit waren. Kurz entschlossen griff der Butler in die linke Außentasche sei nes Covercoats und förderte eine kleine Plastikkapsel zutage, die einem Ping-pongbällchen nicht unähnlich sah. Erst bei näherem Hinsehen wurde man auf die zahllosen winzigen Löcher in der Wandung der weißen Kugel aufmerksam. Mit der schwarz behandschuhten Rechten preßte Parker das Bällchen zusammen, bis das feine Splittern von dünnem Glas hörbar wurde. Anschließend klinkte er rasch die Tür auf und ließ das Bällchen über den Boden des Studios rollen. Kaum hatte der Butler die Tür wieder zugezogen, als ein Husten und Würgen losbrach. Die glasklare Flüssigkeit aus der kleinen Ampulle im Innern des Ping-pongbällchens, die Parker zerdrückt hatte, tat ihre Wirkung. Sie verband sich auf vehemente Art mit dem Sauerstoff der Luft und ließ ein betäubendes Gas entstehen, das durch die Löcher entströmte und im Handumdrehen den ganzen Raum erfüllte. Eine Minute mochte vergangen sein, als die Geräusche hinter der
Tür abebbten und schließlich ganz verstummten. Wie ein Taucher holte der Butler tief Luft, hielt dann den Atem an und betrat den Raum. Schnell hatte er den Schalter für die Entlüftungsanlage gefunden und drehte ihn auf höchste Leistung. Danach wandte er sich der passionierten Detektivin zu, die auf das Bett gesunken war und friedlich schlummerte. Die Gangster hatten dagegen mit dem nackten Boden vorlieb nehmen müssen. Behutsam hielt Parker seiner Herrin das Fläschchen mit dem Riechsalz unter die Nase und ließ sie einatmen. Sekunden später schlug Agatha Simpson die Augen auf und sah sich verwundert um. »Mister Parker«, sagte sie mit noch schwacher Stimme und lä chelte. »Wo waren Sie denn so lange?« »Darf man sich möglicherweise nach Myladys wertem Befinden erkundigen und die Hoffnung äußern, daß Mylady körperlich und seelisch unversehrt sind?« ließ der Butler sich besorgt verneh men. »Mir geht’s prächtig, Mister Parker«, antwortete die resolute Dame und richtete sich ächzend auf. »Allerdings war in der Zwi schenzeit ein junger Mann hier, der mit einer Pistole herumfuch telte.« »Dabei dürfte es sich um Mister Henderson gehandelt haben, falls man nicht sehr irrt«, bemerkte Parker und deutete auf den am Boden liegenden Verleger, der verhaltene Schnarchtöne von sich gab. »Richtig. So hieß der Lümmel«, nickte die älter Dame. »Aber wie Sie sehen, habe ich ihn kurzerhand entwaffnet und überwäl tigt.« »Mylady sind in einer Weise tätig geworden, die meiner be scheidenen Wenigkeit tiefe Bewunderung abnötigt«, ließ der But ler sich vernehmen und deutete eine Verbeugung an. »Hoffentlich ist das Foto gelungen, das Sie aufgenommen ha ben, Mister Parker«, meinte Agatha Simpson, als ihr Blick auf die Großbildkamera fiel, hinter der Parker zehn Minuten zuvor ge standen hatte. »Was eindeutig zu hoffen steht, Mylady«, erwiderte der Butler. Daß er wegen der Umstände darauf verzichtet hatte, eine licht empfindliche Platte herauszusuchen und einzulegen, behielt er lieber für sich. Spätestens morgen würde Mylady das Foto ver gessen haben und nicht mehr danach fragen.
-ENDE-
Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 456 Edmund Diedrichs
PARKER macht die »Jogger« bange Lady Agatha läßt sich von einigen Joggern, die ihr im Hyde Park den Handbeutel zu entreißen versuchen, nicht aufs Kreuz legen. Die kriegerische Dame beweist, daß sie immer noch sportlich fit ist. Eine Spur führt zu einem Hehler, der Mylady einige Kunstwer ke »andrehen« will, aber die Detektivin hat nicht die Absicht, ihr gutes Geld dafür auszugeben. Josuah Parker ahnt, daß die Dinge nicht ganz so sind, wie es den Anschein hat. Er lockt einige Ver folger in einen Froschteich und rettet eine abtrünnige Ehefrau vor ihrem wütenden Gatten. Parker greift mehrfach regulierend ein, um seine Herrin zu schützen. Seine Ruhe ist auch dann nicht zu erschüttern, als My lady verkündet, beim nächsten Volkslauf mitzumachen… Eine neue PARKER-Story aus der Feder von Edmund Diedrichs. Wieder Spannung und Humor für Sie!