Butler Parker hatte das deutliche Gefühl, daß die beiden Männer ihn gar nicht schätzten. Er gewann sogar den Eindruck, ...
82 downloads
1010 Views
714KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Butler Parker hatte das deutliche Gefühl, daß die beiden Männer ihn gar nicht schätzten. Er gewann sogar den Eindruck, daß sie etwas gegen ihn hatten. Sie benahmen sich nämlich äußerst unzivilisiert und drückten ihre Mißachtung nachhaltig aus. Der erste Mann - er mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein - wollte ihm einen nicht gerade dünnen Holzknüppel über den Kopf ziehen. Der zweite Mann - er war gut und gern dreißig Jahre alt - hielt ein Messer in der rechten Hand und ließ erkennen, daß er damit nicht nur Parkers schwarzen Zweireiher aufzuschlitzen ge dachte. »Ihr Benehmen entbehrt jeder Form«, tadelte Josuah Parker milde und höflich, während er mit seinem Universal-Regenschirm erst mal den Holzknüppel pa rierte. Der junge Mann, schlank, drahtig und eigentlich recht gepflegt aussehend, stöhnte verständlicherwei se auf. Er hatte mit dieser Gegenwehr nicht gerechnet und ließ den Holzprügel fallen. Anschließend griff er nach seiner Stirn und zählte die vielen bunten Sterne, die er vor seinem geistigen Auge sah. Er war vom bleigefütterten Bambusgriff des Regenschirms ge troffen worden und entschied sich notgedrungen für eine gewisse Neutralität.
Der zweite Mann, untersetzt, massig und mit dem quadratischen Kopf eines jungen Stiers, hatte sich einen Moment irritieren lassen. Er schaute zu seinem stöhnenden Partner hinüber und merkte Sekunden später, daß er sich den Luxus der Neugierde besser nicht geleistet hätte. Butler Parker, der um seinen schwar zen Zweireiher fürchtete, langte herzhaft zu. Er wollte diese unerfreuliche Begeg nung so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Massige stöhnte, als der Bambusgriff von Parkers Regenschirm sich auf sein Handgelenk legte. Das Mes ser wirbelte durch die Luft und landete anschließend klirrend auf den Steinen der Feldmauer. Die beiden Männer, deren Gesichter Josuah Parker wegen der Dunkelheit nicht erkennen konnte, nahmen übel und hatten keine Lust mehr, sich mit diesem korrekt aussehenden Mann wei ter zu beschäftigen. Sie stiegen mehr oder weniger sportlich über die niedrige Steinmauer und verschwanden im Eil tempo. Butler Parker war an einer Verfolgung nicht interessiert. Sie hätte seiner An sicht nach doch nichts eingebracht. Er war fremd hier und wäre gewiß auch nur in eine Falle gelaufen. Er drehte sich um und schlenderte zurück zum Weg, den er erst vor wenigen Minuten verlassen hatte. Dann aber blieb er stehen. Warum war er überfallen worden? So fragte er sich. Hatten die beiden Männer es nur auf seine Brieftasche abgesehen? Das konnte eigentlich nicht der Fall ge wesen sein. Er, Josuah Parker, hatte doch ganz spontan den Fußgängerpfad verlassen, um durch das Wäldchen hin unter zum See zu gehen. Verfolgt hatten 2
sie ihn nicht. Er mußte ihnen ganz zufäl lig in die Arme gelaufen sein. Hatten sie ihn daran hindern wollen, ans Ufer zu gelangen? Was hatten die beiden Männer zu verbergen? Warum waren sie derart massiv geworden? Ein Holzknüppel und ein Messer waren Mit tel, die der Verhältnismäßigkeit nicht entsprachen. Butler Parker fand, daß er geradezu verpflichtet war, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Er schritt also gemes sen zurück zur Steinmauer und lauschte in die Dunkelheit. Er brauchte nicht lange zu horchen. Schon sehr bald nahm er Geräusche wahr, die er im ersten Mo ment nicht genau zu identifizieren ver mochte. Falls ihn nicht alles täuschte, wurde unten am See irgend etwas ver laden. Nun konnte der Butler überhaupt nicht mehr widerstehen. Er setzte sich wieder in Bewegung und ging ein gutes Stück über den schmalen Pfad nach unten. Dann aber verließ er ihn und benutzte eine Weide, an die sich das Wäldchen anschloß. Er hatte die ersten Bäume noch nicht ganz erreicht, als ein schwarzer Schatten ihn überfiel. Er bewegte sich flach über den Boden und entwickelte ein beachtliches Tempo. Es konnte sich eigentlich nur um einen Hund handeln, den man auf ihn angesetzt hatte. Angst vor Hunden kannte der Butler aber nicht. Er wußte natürlich eine Menge über Dressur und konnte sich vorstellen, daß dieser Vierbeiner auf den Mann dressiert war. Josuah Parker blieb stehen und sah den Dingen und dem Hund mit einiger Gelassenheit entge gen. Insgeheim gratulierte er sich zu seinem Entschluß, nicht zurück zum Bootshafen gegangen zu sein. Hier
schienen sich immerhin einige aufre gende Dinge abzuzeichnen.
Die Dogge war so groß wie ein gut geratenes Kalb. Sie hatte den Butler fast erreicht und schien sich darauf zu freuen, ihre Fang zähne gebrauchen zu können. Vielleicht war sie ein wenig irritiert, weil das ver meintliche Opfer nicht Hals-über-Kopf weglief. Der Dogge hätte eine kleine Hatz wahrscheinlich mehr Spaß ge macht. Aber nein, das Opfer blieb unbe weglich und offensichtlich ohne Angst stehen. Der ausgezeichnete Geruchs sinn lieferte der Dogge keinen Angst schweiß. Und dann passierte es . . . Der riesige Vierbeiner röhrte lustvoll und setzte zum letzten und entscheiden den Sprung an. Doch in diesem Augen blick spannte Josuah Parker blitz schnell seinen Universal-Regenschirm auf. Die Dogge stutzte. Sie sah sich einem Hindernis gegenüber, das sie nicht kannte. Sie verzichtete erst mal auf den geplanten Sprung und ging mit sich zu Rate. Sie wollte nichts überhasten und sich auf Dinge einlassen, deren Tragwei te sie nicht abzuschätzen vermochte. Sie knurrte drohend, um sich selbst ein we nig Mut zu machen. Doch dann war dieses schwarze Hin dernis plötzlich nicht mehr zu sehen. Das Opfer war erneut gegen den helle ren Hintergrund des Himmels zu erken nen. Die Dogge hätte sich am liebsten die Augen gerieben, doch das ließ sich schlecht machen. Sie peilte das Opfer erneut an und nahm Maß. Bevor sie sich abdrücken konnte,
hörte sie die ruhige Stimme des Geg ners, auf den man sie gehetzt hatte. Diese Stimme redete der Dogge ein, sie sei ein lieber Hund und ein wahrer Prachtkerl dazu. Der Vierbeiner emp fand diese Töne als äußerst angenehm und ließ sich nur zu gern ein wenig schmeicheln. Lobpreisungen dieser Art bekam sie selten genug zu hören. Aber dann siegte das Pflichtgefühl. Die Dogge ignorierte die Sirenenklänge und machte sich absprungbereit. Sie wollte endlich zur Tat schreiten und et was für ihr tägliches Futter tun. Leider spannte sich das Hindernis in diesem Moment wieder auf. Das Opfer verschwand hinter einem Vorhang aus totaler Schwärze. Die Dogge schluckte und kroch einen halben Meter zurück. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl unter dem glatten Fell und hätte sich am liebsten abgesetzt. Das große, runde und schwarze Etwas bewegte sich nun auf den Vierbeiner zu. Die Dogge winselte und kroch automa tisch weiter zurück. Sie wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Gefahrenmo mente dieses Ausmaßes kannte sie nicht. Josuah Parker hatte bereits erkannt, daß der Kampfeswille des Vierbeiners gebrochen war. Er zog den Schirm zu sammen und spannte ihn blitzschnell erneut auf. Gleichzeitig rückte er dem Tier noch näher auf den Leib. Die Dogge winselte, erhob sich und entdeckte plötzlich zu ihrer Erleichterung ein Kar nickel, das in der Nähe fasziniert zuge schaut hatte. Die Dogge entschied sich augenblicklich für dieses neue Opfer und hechtete in Richtung Langohr. Doch das Karnickel war ein alter Kämpe, der die Tücken des Lebens in freier Natur kannte. Es rannte zuerst in 3
Richtung Zick, dann in Richtung Zack. Die Dogge war überhaupt nicht in der Lage, diesen plötzlichen Richtungsän derungen zu folgen. Sie schoß jedesmal weit über das Ziel hinaus. Dann fegte das Karnickel auf die Steinmauer zu, wo es genügend Durchschlüpfe gab. Parker gestattete sich ein amüsiertes Lächeln und ging ungehindert weiter zu dem kleinen Wald. Um die Dogge küm merte er sich nicht weiter. Sie befaßte sich intensiv mit der Steinmauer und schnüffelte nach dem Karnickel. Zwi schendurch schielte der große Vierbei ner nach diesem seltsamen Exemplar von einem Menschen, ohne sich aber weiter darum zu kümmern. Parker hatte die ersten Bäume er reicht und lauschte. Ein starker Motor röhrte auf. Es han delte sich einwandfrei um den Diesel eines Lastwagens. Dann knallten Türen, und kurz nacheinander heulten zwei kleinere Motoren auf. Von irgendwoher kam ein schriller Pfiff, worauf die Dogge in Sicht kam. Wie ein schwarzer Schat ten rannte der Vierbeiner nicht weit von Parker entfernt in den Wald zurück, aus dem er gekommen war. Josuah Parker schritt gemessen wei ter und erreichte bald darauf eine Lich tung. Im Mondlicht entdeckte er, daß der Rasen von schweren Reifen förm lich umgepflügt worden war. In der Luft hing noch der aufdringliche Geruch von Auspuffgasen. Lange hielt Parker sich auf dieser Lichtung nicht auf. Seine innere Alarm anlage hatte sich gemeldet. Er wußte, daß er beobachtet wurde. Um nicht ins Fadenkreuz einer Schußwaffe zu gera ten, begab er sich zurück in den Schutz der Bäume, ohne dabei auch nur eine Spur seiner Gemessenheit aufzugeben. 4
Ein Butler Parker benahm sich in allen Lebenslagen stets korrekt.
Er genoß den Komfort des Haus bootes. Josuah Parker hatte sich für ein gro ßes, behäbiges Boot entschieden, auf dem er durch die Norfolk Broads gleiten wollte. Nach langer Zeit hatte Butler Parker sich tatsächlich Urlaub genom men. Er wollte sich für wenigstens zwei Wochen von einer gewissen Lady Simp son erholen, in deren Diensten er als Butler stand. Die recht abenteuerlich gestimmte Lady war grollend zurück in London geblieben und tyrannisierte wahr scheinlich ihre Sekretärin und Gesell schafterin Kathy Porter. Lady Agatha wäre liebend gern mit in die Broads gekommen und hätte mit Vergnügen an diesen Urlaubswochen teilgenommen, doch Butler Parker war hart geblieben. Aus Erfahrung wußte er nur zu gut, daß seine Herrin auf Gauner und Gangster wie ein Magnet wirkte. Wo immer sie sich auch aufhielt, ein Kriminalfall war niemals fern. Und falls sich wirklich mal keiner anbot, dann sorgte die unterneh mungslustige Lady dafür, daß es kurz über lang zu peinlichen Verwicklungen kam. Nein, Josuah Parker war sich bis vor einer halben Stunde vollkommen sicher gewesen, daß geruhsame Tage auf ihn warteten. Dieser Eindruck war nach dem Zwischenfall oben am See ge schwunden. Die Dinge nahmen eine Entwicklung, die er in diesem Fall nicht sonderlich schätzte. Das gemietete Hausboot lag an einem Flüßchen, dessen Name ihm schon wie
der entfallen war. Es gehörte zu einem sich geduckt und paddelten dicht am Labyrinth von Wasserläufen, die von Schilfgürtel entlang auf sein Hausboot Buschwerk, Schilf und kleinen Wald zu. Instinktiv wußte Parker, daß diese stücken gesäumt wurden. Hier draußen beiden nächtlichen Sportler mit jenen inmitten der idyllischen Landschaft gab Männern identisch waren, die ihn über es winzig kleine und verträumt ausse fallen hatten. Butler Parker hatte nichts dagegen, hende Dörfer und Marktflecken, Schlös ser, Burgen und große Naturschutzge daß sie an Bord kamen, obwohl sie sich biete. Parker fühlte sich wohl in den keineswegs anmeldeten, wie es die Höf Broads, jenem Landstrich nordöstlich lichkeit erfordert hätte. Wie Diebe klet von London, der über Norwich oder terten sie über die Reling und stahlen Yarmouth zu erreichen ist. Hier konnte sich zum Decksalon hinüber. Sie brauchten etwa zwei Minuten, bis die er fischen und sich erholen. Drei Tage lang hatte er diesen Dingen die Tür geknackt hatten und traten dann nach Herzenslust frönen können, doch ein. Parker stand gleich neben der Tür nun schienen die Dinge ihre Wendung und wartete höflich ab. Er wollte die genommen zu haben. Menschen, die ihn beiden Besucher nicht unnötig er hatten niederknüppeln wollen und die schrecken. eine Dogge auf ihn gehetzt hatten, muß »Wollen wir uns den Typ nicht erst ten einfach noch mal in Erscheinung mal kaufen?« fragte eine nicht gerade treten. Sie würden sich gewiß dafür in angenehm klingende Stimme. Sie teressieren, wer ihnen da über den Weg schien jeden Morgen mit Glasscherben gelaufen war. Parker rechnete fest mit gepflegt zu werden. Soweit Parker es ihrem Erscheinen und hatte sich bereits erkennen konnte, gehörte sie dem unter setzten Mann mit dem Kopf eines jun darauf vorbereitet. Er befand sich unter Deck und beob gen Stiers. »Gute Idee«, fand der andere Mann achtete von einem Fenster aus den lan gen Bootssteg, der hinüber zum Gasthof und lachte leise, ein wenig hechelnd auf. führte. Dort hatte er vor seiner kleinen »Knall' ihm eins vor den Schädel! Wir Wanderung zu Abend gegessen, dort haben noch was gut, Pete.« »Ich laß' dir was übrig«, versprach der würde man sich wahrscheinlich auch Stierschädel. »Nimm' dir Zeit, Rob. Nur nach ihm erkundigen. An die Wasserseite dachte Parker fast nichts überstürzen.« zu spät. Parker war nicht zu erkennen. Doch ein feines Glucksen erregte Sein schwarzer Zweireiher ver seine Aufmerksamkeit. Zuerst dachte er schmolz mit dem dunklen Holz der Ver an einen Fisch, der vielleicht nach einer täfelung. Der Mann, der Pete hieß und Mücke schnappte. Als das Glucksen ihm eins vor den Schädel schlagen sich jedoch noch einige Male wiederhol sollte, kam arglos zurück und lief direkt te, wechselte Parker seinen Standort in den Regenschirm hinein. Diesmal hatte der Butler die Spitze seiner Mehr und kontrollierte die Flußseite. zweckwaffe eingesetzt. Die untere Ei Diese Kontrolle zahlte sich voll aus. Er entdeckte ein Schlauchboot, in senzwinge bohrte sich wie eine Degen dem zwei Männer hockten. Sie hatten spitze in die Magenpartie des Schlägers. 5
Pete wurde völlig überrascht. Er produzierte einige sehr undeut liche Laute, fiel auf die Knie und kippte dann zur Seite. Dabei fiel so etwas wie ein Totschläger aus seiner Hand. Pete war derart beeindruckt, daß er auf dem Boden blieb und sich nicht rührte. »War was?« rief Rob. Der zweite Schläger hatte gar nicht mitbekommen, was seinem Partner passiert war. Als er keine Antwort erhielt, wandte er sich um und schaltete offensichtlich auf Vor sicht. Auf Zehenspitzen pirschte er zur Kabinentür und sah sich plötzlich Josu ah Parker gegenüber. Der Butler grüßte sehr höflich. Er liftete seine schwarze Melone und besorgte das derart schwungvoll, daß die Wölbung seiner Kopfbedepkung die Stirn des Schlägers berührte. Diese Wöl bung war mit solidem Stahlblech ausge füttert und entsprechend hart. Rob kick ste, wollte nach seiner Stirn fassen und entschied sich dann im letzten Moment dafür, vor Parker niederzuknien. Sekun den später lag er neben seinem Partner Pete und beteiligte sich an dem Nicker chen. Josuah Parker nahm eine Sichtung der Tascheninhalte vor und legte seine , Beute auf den Kabinentisch. Anschlie ßend trug er die beiden Männer nachein ander zurück zu ihrem Schlauchboot. Dabei zeigte sich, wie stark und durch trainiert Parker war. Da er nicht beob achtet wurde, leistete er sich den Luxus, seine Körperkräfte ungeniert einzu setzen. Nachdem die beiden Schläger im Schlauchboot lagen, löste Parker die Leine und versetzte dem Wasserfahr zeug mit dem Bambusgriff seines Uni versal-Regenschirms einen energischen Stoß. Das Schlauchboot setzte sich zö 6
gernd in Bewegung, wurde von der leichten Strömung erfaßt und dann ab getrieben. Es dauerte nur wenige Se kunden, bis es in der Dunkelheit ver schwunden war. Parker ging zurück in die Deckkabine. Er wollte sich jetzt die Brieftaschen der beiden Schläger in aller Ruhe ansehen. Zu seiner ehrlichen Überraschung aber waren diese beiden Gegenstände im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr greifbar. Man hatte sie in der Zwischenzeit ab geholt. Josuah Parker kam zu dem zwingen den Schluß, daß man ihn doch noch hereingelegt hatte.
Schon früh am anderen Morgen war er wieder auf den Beinen. Butler Parker lustwandelte hinauf zum Wäldchen. Er interessierte sich für die bewußte Waldlichtung, aber auch für eine gewisse Dogge. Seiner beschei denen Ansicht nach mußte der mächtige Vierbeiner hier aus der Gegend stammen. Vom kleinen Fluß her trieben Nebel schleier, die von der aufgehenden Sonne bereits geschluckt wurden. Die Vögel tirilierten fast aufdringlich und steckten akustisch ihre Reviere ab. Karnickel hoppelten über die Felder und kümmer ten sich kaum um den Morgenwanderer. Instinktiv spürten sie, daß dieser schwarzgekleidete Mann für sie keine Gefahr bedeutete. Parker konnte sich vorstellen, daß er auch weiterhin beobachtet wurde. Er mußte wieder an die verschwundenen Brieftaschen denken. Gehörte der Dieb zu den beiden Schlägern, die er auf dem kleinen Fluß abgesetzt hatte? Falls das
der Fall war, so hatte der Mann eine bemerkenswerte Zurückhaltung ge zeigt und darauf verzichtet, klärend ein zugreifen. Oder arbeitete dieser Mann gegen die Schläger? Warum hatte er dann nicht seine Hilfe angeboten und gemeinsame Sache mit Josuah Parker gemacht? Der Butler hatte die Lichtung erreicht und wollte sich noch mal den tiefen Reifenabdrücken widmen. Doch er wurde erneut überrascht. Von den Rei fenabdrücken im weichen Waldboden war nichts mehr zu sehen! Sie schienen nie vorhanden gewesen zu sein. Parker entdeckte wenig später, daß man sie geschickt gelöscht hatte. Wahr scheinlich waren dazu Rechen und Rei sigbüsche verwendet worden. An der Tatsache aber änderte sich nichts. Er konnte nicht herausfinden, um welche Wagen es sich in der Nacht gehandelt hatte. Er war weiterhin auf das angewie sen, was er gehört hatte. Beweiskräftig war das allerdings nicht. Er schritt in seiner unnachahmlich ge messenen Art über den schmalen Weg, der von der Lichtung aus weiter hinun ter zum kleinen See führte. Dabei inter essierte Josuah Parker sich vor allen Dingen für die Zweige und Äste in etwa zwei bis drei Meter Höhe. Er wurde nicht enttäuscht. Immer wieder entdeckten seine Au gen geknickte Zweige und vertrocknete, zusammengerollte Blätter. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Hier auf dem Weg mußte ein Lastwagen mit hohen Auf bauten bewegt worden sein. Nur die Kanten dieses Ausbaus konnten Astund Blattwerk zerstört haben. Der Die sel, den er in der vergangenen Nacht gehört hatte, mußte also diesen nicht gerade kleinen LKW angetrieben haben.
Parker erreichte eine asphaltierte Straße, die hinunter zur Uferstraße führte. Die Asphaltdecke war ebenfalls gereinigt worden. Dennoch fand der Butler Erdschollen und Dreckspuren, die aus den tiefen Stollen der LKW-Rei fen gefallen waren. Sie verloren sich al lerdings unten auf der eigentlichen Durchgangsstraße. Der Butler hielt es für sinnlos, der Uferstraße zu folgen. Mit weiteren Spu ren war hier gewiß nicht mehr zu rech nen. Der nächtliche Zwischenfall war wohl kaum noch aufzuklären, falls ge wisse Personen von sich aus nicht aktiv wurden. Parker hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, sich an die ört liche Polizei zu wenden, doch er hielt diesen Gedanken inzwischen für nicht besonders gut. Herausfordern konnte er die beiden Schläger oder den Dieb der Brieftaschen nur dadurch, daß er nichts unternahm. Diese Handlungsweise machte ihn interessant und nicht ausre chenbar. Ein normaler Tourist hätte schließlich sofort Alarm geschlagen und für das Erscheinen zumindest eines Streifenwagens gesorgt. Parker wandte sich um und blieb auf der Uferstraße. Zurück in die Waldlich tung wollte er nicht mehr. Er ging um eine Biegung herum und sah sich plötz lich einem Vierbeiner gegenüber, der ihm nicht ganz unbekannt war. Die riesige Dogge hatte den Butler natürlich auch bereits erkannt und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie knurrte und grollte zwar erst mal sicherheitshalber, doch ohne viel Nachdruck. »Still, Lord«, sagte die junge Dame, die die Dogge führte. Sie lächelte Parker gewinnend an. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Lord ist vollkommen 7
harmlos.« »Hoffentlich weiß das auch Ihr Beglei ter«, meinte Josuah Parker und liftete höflich seine schwarze Melone. »Könnte es sein, daß ich bereits das Vergnügen mit der Dogge hatte?« »Wann sollte denn das gewesen sein?« fragte die junge Dame. Sie mochte etwa fünfundzwanzig sein, war mittelgroß, ein wenig vollschlank und sah recht nett aus. »In der vergangenen Nacht, wenn ich nicht sehr irre.« »Ausgeschlossen, Sir. Dann befindet Lord sich in seinem Zwinger.« »Mein Name ist übrigens Parker, Jo suah Parker.« »Maud Robson«, antwortete die junge Dame. »Sie haben den einmaligen Vorzug, hier in dieser schönen Gegend zu wohnen? « »Leider nicht«, gab sie zurück, naiv und freundlich. »Meine Familie macht hier Urlaub. Wir wohnen droben auf der Farm.« »Ein ruhiges Fleckchen Erde.« »Sie machen auch Urlaub, Sir?« »Ich erschließe mir die Geheimnisse dieser Landschaft«, bekannte der Butler. »Geheimnisse?« Sie sah ihn lächelnd an. »Geheimnisse«, bestätigte der Butler. »In der vergangenen Nacht stieß ich zum Beispiel auf seltsame Geräusche dort oben im Wäldchen. Sie müssen Sie auf der Farm ja ebenfalls gehört haben.« »Da . . . Davon weiß ich nichts.« Das Thema behagte ihr nicht. Sie preßte die Lippen zusammen, beschäftigte sich mit der Dogge und murmelte dann einen flüchtigen Gruß. Wenig später schlen derte sie mit dem Vierbeiner weiter. 8
Josuah Parker kannte jetzt sein näch stes Ziel. Er brauchte etwa fünf Minu ten, bis er die Farm vor sich sah. Es handelte sich um ein kleines Bauern haus aus Bruchsteinen, eine recht große Holzscheune und um eine Remise, in der landwirtschaftliches Gerät stand. Auffallend war, daß das Grundstück frisch verdrahtet worden war. Der Sta cheldraht war noch nicht mal angerostet und glänzte in der Morgensonne. Josuah Parker schritt an der Frontsei te der Farm entlang und begab sich dann hinüber ins Unterholz des Uferwäld chens. Vorher aber spähte er aufmerk sam nach allen Seiten, als fürchte er, beobachtet zu werden. Er stellte sich neben einen Baumstamm und sorgte da für, daß man ihn mit einiger Mühe noch durchaus ausmachen konnte. In Sachen psychologischer Kriegsführung kannte Butler Parker sich schließlich gut aus.
Sie hatten keine besonders gute Nerven. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Parker sie hörte. Sie mußten einen wei ten Bogen beschrieben haben und pirschten sich an ihn heran. Sie wollten ihn von der Uferseite her überraschen, doch sie benahmen sich im Grund wie Elefanten im Porzellanladen. Unter ih ren Schuhen knackten kleine Aste und rascheltfe das trockene Laub. Butler Parker verließ den Baum stamm und ging zurück zur Durch gangsstraße. Das Rascheln und Knak ken im Uferwäldchen wurde sofort lau ter. Die Indianer auf dem Kriegspfad fürchteten wahrscheinlich um ihre Beute. Parker überquerte die Straße und ging auf das verdrahtete Tor der Farm
zu, hakte es auf und betrat sehr unge niert das gesicherte Grundstück. Ge messen lustwandelte er zum eigentli chen Farmhaus und klopfte mit dem Bambusgriff seines Regenschirms an die Tür. Als ihm nicht sofort geöffnet wurde, schritt Parker zur Scheune und versuchte die kleine Tür im großen Tor zu öffnen. Sie war fest verschlossen. Par ker suchte und fand im Tor einen Spalt und schaute ungeniert ins Innere. Er entdeckte einen Lieferwagen mit Kastenaufbau. Es war ein solider Bed ford, der schon einige Lasten zu schlep pen vermochte. Und wenn ihn nicht al les täuschte, stand dahinter noch ein kleinerer Lastwagen, dessen Marke je doch nicht zu identifizieren war. Han delte es sich um die beiden kleineren Wagen, die er in der vergangenen Nacht gehört hatte? »Faß, Lord!« hörte Parker in diesem Moment eine wütende Stimme. »Los, faß schon!« Josuah Parker wandte sich um und entdeckte die beiden Männer, die ihn auf dem Hausboot besucht hatten. Er hatte sich also nicht getäuscht. Sie hat ten versucht, sich durch den Wald an ihn heranzupirschen, standen nun auf dem verdrahteten Grundstück und hetzten die mächtige Dogge erneut auf ihn. Die Dogge hatte das Kommando zwar gehört, doch sie konnte sich nicht ent schließen, den Butler anzufallen. Lord, wie die Dogge hieß, schielte ein wenig verlegen auf den Regenschirm des But lers und kratzte sich dann mit dem lin ken Vorderlauf am Ohr. »Sollte ich Ihren Unmut erregt ha ben?« wunderte sich Parker und lüftete die schwarze Melone. Er sah sich Pete und Rob, wie sie ja hießen, recht interes siert an.
Sie schleppten diesmal keine Waffen mit sich herum, das heißt, sie zeigten sie ihm wahrscheinlich nicht. Sie passier ten inzwischen die Dogge und rückten langsam auf Parker zu. Die junge Dame namens Maud Robson verschwand ge rade hastig im Farmhaus. Sie wollte mit der geplanten Unterhaltung offensicht lich nichts zu tun haben. »Was haben Sie hier zu suchen?« Es war der untersetzte Pete, der den Butler anfuhr. Er schob gereizt seinen eckigen Stierkopf vor. »Ihre Frage ist schnell und umfassend beantwortet«, gab der Butler höflich zu rück. »Mich gelüstet nach frischer Milch, wenn ich es so ausdrücken darf. Wie Ihnen inzwischen ja bekannt ist, liegt mein Hausboot unten am Fluß!« »Woher sollen wir denn das wissen?« wunderte sich Rob gespielt und tat ah nungslos. »Aber nicht doch, meine Herren!« Par ker schüttelte verweisend den Kopf. »Ich mußte Sie in der vergangenen Nacht leider an die sprichwörtliche fri sche Luft setzen. Erinnern Sie sich wirk lich nicht mehr? Darf ich bei dieser Ge legenheit übrigens erfahren, wo Sie mit dem Schlauchboot landeten?« »Wovon reden Sie eigentlich?« Der untersetzte Pete war plötzlich noch ah nungsloser als Rob. »Schlauchboot?« »Sie müssen uns verwechseln«, be hauptete Rob unverfroren. »Wir haben kein Schlauchboot. Sagen Sie, wer sind Sie eigentlich?« »Mein Name ist Parker, Josuah Par ker«, stellte der Butler sich vor. »Ich habe den Vorzug und die Ehre, dem Beruf eines Butlers nachgehen zu dürfen.« »Sie sind ein Butler?« staunte Pete._ »Das heißt, so sehen Sie tatsächlich 9
aus.« »In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit der Aufklärung großer und auch kleinerer Kriminalfalle«, stellte der Butler sich weiter vor. »Ich möchte nichts berufen oder gar übertreiben, doch mir scheint, daß sich hier hoff nungsfrohe Ansätze abzeichnen.« »Wie war das?« Rob war nicht ganz mitgekommen. Die Diktion des Butlers überforderte ihn. »Mich dünkt, daß ich einem veritablen Verbrechen auf der Spur bin«, erläuterte der Butler gemessen. »Sie bewohnen diese Farm?« »Nur zeitweise. Wir haben sie für unse re Ferien gemietet«, erwiderte Pete. »Sie sind einem Verbrechen auf der Spur, Mr. Parker?« »In der Tat!« Parker nickte steif und leugnete nicht seine vornehme Zurück haltung. »In der vergangenen Nacht bin ich von zwei Männern angegriffen wor den, die meine bescheidene Wenigkeit niederknüppeln wollten. Dann hetzte man eine Dogge auf mich und belästigte mich anschließend auf meinem Haus boot. Sie müssen zugeben, meine Her ren, daß so etwas stutzig werden läßt.« »Wir sind das aber nicht gewesen, Mr. Parker.« Rob zwinkerte seinem Partner Pete blitzschnell zu. Dieses Zwinkern sollte andeuten, daß man diesen Butler auf keinen Fall ernst nehmen konnte. »Nun gut, meine Herren, diese Erklä rung nehme ich zur Kenntnis«, sagte Parker feierlich. »Sie sind also Amateurkriminalist, Mr. Parker«, schickte Pete voraus. Der Untersetzte mit dem Stierkopf gab sich friedlich und fast schon amüsiert. »Was vermuten Sie denn hinter diesem Über fall? Ich bin sicher, daß Sie sich bereits eine Theorie zurechtgelegt haben.« 10
»So was tun Kriminalisten doch im mer«, fügte der gepflegte Rob aufmun ternd hinzu. »Ich möchte Sie auf keinen Fall lang weilen«, antwortete Parker. »Nee, tun Sie überhaupt nicht.« Rob schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht«, setzte Pete hinzu. »Nun dehn, meine Herren, man wollte mich offensichtlich daran hindern, eine ganz bestimmte Lichtung dort oben im Wäldchen zu betreten.« »Aber warum denn, Mr. Parker?« Pete sah den Butler ernst an. »Weil dort eindeutig einige Lastwagen bewegt wurden«, antwortete Josuah Parker. »Falls mein Gehör mich nicht trog, handelte es sich zunächst um einen schweren LKW, dann um zwei kleinere Lieferwagen. Sie werden begreifen, daß sich meiner bescheidenen Wenigkeit zu mindest eine Frage stellte.« »Nämlich?« Rob lächelte nicht mehr. »Was geschah auf der Waldlichtung?« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone und schritt gemessen zur Straße zurück, ohne sich weiter um die verdutz ten und ratlosen Männer zu kümmern.
»So was gibt's doch gar nicht«, sagte Pete und schaute dem davonschreiten den Butler nach. »War das nun Naivität, oder ist der Bursche nur raffiniert?« »Naivität«, entschied Rob und grinste. »Solche Typen kennt man doch. Die haben 'ne Menge Krimis gelesen und machen jetzt auf Amateurdetektiv.« »Ich weiß nicht, ich weiß nicht.« Pete war noch nicht überzeugt.« Vergiß nicht, wie er uns auf dem Hausboot 'reingelegt hat. Das war schon mächtig profihaft.«
»Stimmt auch wieder.« Rob erinnerte sich nicht gern an die nächtliche Fahrt auf dem Fluß. Das Schlauchboot war erst drei Meilen weiter flußab auf einer kleinen Insel gestrandet. Sie beide hat ten eine nicht gerade erfreuliche Nacht hinter sich. »Und dann die Geschichte oben am Wäldchen«, erinnerte Pete weiter. »Mit seinem komischen Regenschirm hat er uns verdammt fertiggemacht, Rob. Nee, das ist kein Amateur.« »Sondern?« »Ein Spitzel, der auf Trotteligkeit macht, Rob. Der Bursche hat es faust dick hinter den Ohren. Wir sollten den Boß anrufen und uns absichern.« »Kann nicht schaden.« Rob nickte. »Aber ich werde mir den Burschen so oder so noch mal kaufen.« »Wir«, korrigierte Pete grimmig. »Den werden wir uns gemeinsam vor nehmen. « Sie sahen, wie Parker um die Straßen biegung verschwand. Rob und Pete gin gen zum Farmhaus hinüber, wo Maud Robson sie erwartete. Sie stand am Fen ster und hatte den Butler ebenfalls beob achtet. »Was hältst du von dem Kerl?« erkun digte sich Pete bei seiner Schwester Maud. »Der Mann ist mir unheimlich«, be kannte Maud Robson. »Mit dem werden wir noch viel Ärger bekommen.« »Oder er mit uns.« Rob winkte ab. »Wir sind ja schließlich keine Anfänger, Maud.« »Haltet mal für 'nen Moment die Klappe!« Pete Robson ging ans Wandte lefon und wählte die Nummer der ländli chen Vermittlung. Er ließ sich ein Ge spräch nach London geben und brauchte nur wenige Minuten zu warten,
bis der Gesprächsteilnehmer sich meldete. »Hier Pete«, schickte er voraus. »Hö ren Sie, Boß, hier schleicht 'ne komische Type 'rum, aus der wir nicht ganz schlau werden. Wie bitte? Ja, er ist angeblich. Amateurdetektiv. Natürlich haben wir ihm auf den Zahn gefühlt. Er sieht aus wie'n Butler und will auch einer sein. Parker nennt er sich. Nee, gemerkt im Endeffekt hat er nichts. Schön, machen wir, Boß. Wir lassen ihn nicht aus den Augen. Ja, sonst läuft alles wie ge schmiert. Ende!« Er legte auf und wandte sich zu seiner Schwester und Rob um. »Wir sollen ihn unauffällig beobach ten und beschäftigen«, sagte er dann. »Auch gegen 'ne kleine Abreibung hat der Boß nichts einzuwenden. Damit dürfte ja alles klar sein.« »Wann befassen wir uns mit diesem Parker?« wollte Rob unternehmungslu stig wissen. »In der kommenden Nacht.« Pete hatte bereits bestimmte Vorstellungen und grinste. »Noch mal lassen wir uns nicht 'reinlegen.« »Nehmt die Sache nur nicht auf die leichte Schulter«, warnte Maud Robson. Sie sah ihren Bruder Pete und dann Rob eindringlich an. »Mein Gefühl sagt mir, daß der Mann gefährlich ist. Ihr hättet mal sehen sollen, wie Lord sich benom men hat.« »Wie denn?« fragte Pete. »Ich kann's nur schwer beschreiben«, antwortete Maud. »Vor Hunden hat der Bursche überhaupt keine Angst. Und Lord hätte ihm am liebsten die Hände geleckt. Ihr wißt doch, wie scharf Lord ist. Normalerweise geht er jeden Frem den an.« Lord fühlte sich angesprochen und 11
hatte wohl auch mitbekommen, daß seine Fähigkeiten in Zweifel gezogen wurden. Er knurrte. Seine Nackenhaare sträubten sich, er blickte scharf zur Tür hinüber. »Sie haben mich doch tatsächlich ab gelenkt«, war von dorther plötzlich höf lich und gemessen zu vernehmen. »Kann man bei Ihnen frische Milch er stehen, wenn ich meine Frage wiederho len darf?« »Faß!« Pete Robson explodierte fast vor Wut und Überraschung. Er stierte auf Josuah Parker, der noch mal zurück gekehrt war und in der angelehnten Tür stand. Er hatte sich völlig geräuschlos genähert. Er lüftete gerade höflich seine schwarze Melone. »Faß!« Mauds Kommando fiel auch nicht gerade zurückhaltend aus. »Faß, Lord!« Nun schaltete sich auch Rob ein. Er deutete sicherheitshalber auf Parker, damit die Dogge auch genau wußte, auf wen sie sich stürzen sollte. Lord knurrte noch lauter und röhrte jetzt, was wohl einem Bellen entsprach, doch die Dogge dachte nicht im Traum daran, sich noch mal mit diesem un heimlichen Zweibeiner zu befassen. Sie blieb sitzen und . . . kratzte sich wieder verlegen am Ohr.
Lady Agatha Simpson war eine be merkenswerte Frau. Groß und majestätisch wirkend, erin nerte sie an eine Bühnheroine längst vergangener Tage. Ihre Bewegungen waren wirksam und besonders aus drucksvoll. Eine Frau wie Lady Agatha konnte man nicht übersehen. Ihre Stimme trug übrigens dazu bei. Sie war baritonal gefärbt, mitunter erinnerte sie 12
sogar an das Grollen eines tiefen Basses. Agatha Simpson trug mit Vorliebe be queme und ausgebeulte Tweed-Kostü me, große Schuhe, die an kleine Fluß kähne erinnerten, und dazu Hüte, die ihre Stilverwandtschaft zu Südwestern der Seefahrt nicht verleugnen konnten. Die Lady mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und ver schwägert, war seit vielen Jahren Witwe, immens reich und konnte sich jede Exaltiertheit leisten, was sie auch aus giebig tat. Vor kurzem hatte sie be schlossen, sechzig Jahre alt zu bleiben. Sie war erstaunlich rüstig und dyna misch, betätigte sich noch sportlich und jagte seit Jahren große und kleine Gang ster. Sie war Amateurdetektivin aus Lei denschaft und gab sich diesem Hobby schrankenlos hin. Agatha Simpson saß an diesem Mor gen am Steuer eines ihrer Wagen und hatte London längst hinter sich gelas sen. Sie befand sich auf dem Weg nach Cambridge. Aus einer Laune heraus wollte sie dort eine Freundin besuchen, die sie seit langer Zeit nicht mehr gese hen hatte. Kathy Porter, die neben ihr saß, glaubte der älteren Dame kein Wort. Ka thy war die Sekretärin und Gesellschaf terin Lady Simpsons, wurde von ihr aber wie ein Kind behandelt. Sie wußte, daß dieser Ausflug nur ein Vorwand war, um in Parkers Nähe zu gelangen. Lady Agatha hielt die Untätigkeit in ih rer Londoner Stadtwohnung nicht aus. Sie wollte sich vorsichtig an ihren Butler heranpirschen und hoffte wahrschein lich auf einen neuen Fall. »Sie sind so schweigsam, Kindchen?« wunderte sich die Detektivin. »Ich. . . Ich genieße die Fahrt, Myla dy«, behauptete Kathy und suchte nach
zusätzlichem Halt im Wagen. Agatha Simpsons Fahrstil war nämlich mehr als ungewöhnlich und eigenwillig. Er war beinahe kriminell zu nennen. Die resolu te Dame schien sämtliche Verkehrsre geln vergessen zu haben. Sie provozierte die Verkehrsteilnehmer am laufenden Band, nahm das aber überhaupt nicht wahr. Zudem fuhr Lady Simpson nicht gerade langsam. Es war ihr sportlicher Ehrgeiz, Cambridge so schnell wie mög lich zu erreichen. »Wenn diese Burschen doch nur fah ren könnten«, seufzte Lady Simpson und betätigte nachdrücklich die Hupe. »Sehen Sie sich diesen Weihnachts mann mal an, Kindchen! Das ist doch ein Skandal! Dieser Mann hat seinen Führerschein wohl über den Versand handel bezogen!« »Do . . . Do . . . Dort hinten kommt eine Kurve, Mylady«, stotterte Kathy Porter. Hastig vergewisserte sie sich, daß der Sicherheitsgurt auch besonders fest saß. »Kurventechnik ist alles«, stellte Aga tha Simpson fest und überholte den Morris. Sie jagte derart dicht an dem Fahrzeug vorbei, daß sich die Bleche fast berührten. Der Fahrer des Morris zuckte zusammen und riß seinen Wagen noch weiter zur Seite. Bruchteile von Sekunden später zerpflügte er das Fahr bahnbankett und trat dann entnervt auf die Bremse. Er stierte dem Rover nach, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und war noch nicht mal in der Lage, auch nur einen Fluch oder eine Verwünschung auszustoßen. Er legte seine Stirn auf das Lenkrad und heulte wie ein hungriger Wolf. Lady Agatha schaute in den Rückspie gel, obwohl ein Blick auf die Kurve viel leicht angebrachter gewesen wäre.
»Haben Sie das gesehen?« erkundigte sie sich bei Kathy Porter und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Dieser Anfän ger kann sich noch nicht mal auf der Straße halten. Solchen Leuten sollte man den Führerschein abnehmen. Fin den Sie nicht auch, Kindchen?« »Die Kurve«, stieß Kathy Porter angstvoll hervor. »Nun werde ich Ihnen mal zeigen, wie schwingend und elegant man sich durch Kurven tragen lassen muß«, erklärte die Dame am Steuer. »Man muß vor allen Dingen das Gas stehen lassen, verstehen Sie?« Und sie ließ es stehen! Der Rover fegte in die Kurve hinein, die von Agatha Simpson schamlos ge schnitten wurde. Das Heck brach ein wenig aus, doch das scherte die Fahrerin nicht. Sie schlingerte in den Kurvenmit telpunkt, riß den schweren Wagen wei ter herum und rasierte einen Begren zungspfahl ab. Dann sah sie sich einem entgegenkommenden Fahrzeug gegen über. Es handelte sich um einen Traktor. Der Fahrer verlor sofort die Nerven und verzichtete auf jede Konfrontation. Dank seiner direkten Lenkung brachte er den Traktor blitzschnell von der Straße, durchfuhr den erfreulicherweise nicht tiefen Graben und erklomm an schließend die steile Böschung. Agatha Simpson winkte dem Mann fröhlich zu und demonstrierte weiterhin ihre erstaunliche und einzigartige Kur ventechnik. Ein Radfahrer stieg sicherheitshalber ab, das heißt, er hechtete aus dem Sattel und landete im Gras der Böschung, ein Fußgänger reagierte geistesgegenwärtig und stellte sich hinter einen dicken Baum, und ein junger Motorradfahrer 13
benutzte einen Waldweg, den er gar nicht befahren wollte. Dieser junge Motorradfahrer war nicht allein. Er bildete die Spitze eines Rudels von jungen Leuten, die an Rocker erinner ten. Sie folgten ihm blindlings und preschten mit donnernden Motoren ins Unterholz. Da einige von ihnen auf Ge ländefahrten nicht spezialisiert waren, rutschten sie auf dem weichen und feuchten Waldboden aus und suchten anschließend nach Pilzen. So sah es we nigstens aus. »Schwingen, Kindchen«, sagte Lady Simpson zufrieden, als die Kurve ge schafft war. »Schwingen, Kathy. Das ist das ganze Geheimnis!« »Na . . . Natürlich«, keuchte die Ge sellschafterin, und war einer Ohnmacht nahe. »Kö . . . Könnte man nicht eine kleine Pause einlegen, Mylady? Dort hinter der Scheune?« Kathy Porter war Realistin. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß zumindest die Motorradfahrer die Ver folgung aufnehmen würden. Da war es vielleicht angebracht, erst mal von der Straße zu verschwinden und in Dek kung zu gehen.
Es waren sechs Motorradfahrer, die heranbrausten. Es handelte sich um die ungewollten Pilzsucher, die nach dem Rover Aus schau hielten. Die Fahrer, in Leder ge kleidet und mit schweren Jethelmen auf dem Kopf, erschienen als Rudel und waren sicher nicht besonders guter Laune. Kathy Porter war heilfroh, daß sie zu sammen mit Lady Agatha hinter der 14
Scheune stand. So waren sie von der Straße aus nicht zu sehen und kamen vielleicht noch mal ohne Ärger davon. »Mir kommt da gerade eine Idee«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Müs sen wir unbedingt diese belanglose Freundin besuchen, Kindchen?« »Sie wollen zurück nach London, My lady?« Kathy ahnte, wohin der Hase lau fen sollte. »Papperlapapp«, fuhr ihre Gesprächs partnerin sie an. »Was sollen wir in Lon don, Kindchen? Nein nein, wir sollten weiter nach Norwich fahren.« »Beginnen dort nicht die Norfolk Broads, Mylady?« erkundigte sich Ka thy gespielt harmlos. »Gut nachgedacht.« Agatha Simpson nickte. »Stellen Sie sich mal Mr. Parkers Überraschung vor, wenn wir plötzlich auftauchen.« »Mr. Parker ist mit einem Hausboot unterwegs, Mylady.« »So ein Kahn wird sich ja schließlich finden lassen«, lautete die entschlossene Antwort. »Ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden, Kindchen. Überraschen wir also Mr. Parker!« »Ich habe diesen Vorschlag aber nicht gemacht, Mylady«, protestierte Kathy Porter. »Klammern Sie sich gefälligst nicht an Kleinigkeiten«, tadelte die Detektivin. »Wir werden ihm nur einen kurzen Be such abstatten und dann zurückfahren. Kommen Sie!« Lady Agatha zitterte wieder mal vor Aktivität. Sie marschierte auf den Rover zu. »Soll ich Sie jetzt nicht ablösen, Myla dy?« fragte Kathy schüchtern. »Besser nicht«, lautete die Antwort. »Sie sind immer noch etwas unsicher am Steuer, Kindchen. Ihnen fehlt meine
Erfahrung. Ich werde mich schon mel den, wenn ich tauschen möchte.« »Mylady!« Kathy hatte mehr gesehen als Agatha Simpson. Sie deutete zur Straße hinüber, wo die sechs Motorrad fahrer wieder auftauchten. Sie hatten jetzt einen wesentlich besseren Blick winkel und erspähten den Rover, der sie von der Straße abgedrängt hatte. Die Motorradfahrer bremsten, hielten an und beratschlagten miteinander. Sie sahen unheimlich aus in ihrer schwarzen Lederkleidung, drohend und gefährlich. Es schien sich um moderne Racheengel zu handeln. »Was ist denn, Kindchen?« Agatha Simpson hatte sich umgedreht und be obachtete die Motorradfahrer. »Vielleicht sollte man ganz schnell los fahren, Mylady«, empfahl Kathy Porter nervös. »Wegen dieser Lümmel da drüben?« Die Detektivin sah ihre Gesellschafterin erstaunt an. »Wegen dieser Lümmel, Mylady.« Ka thy öffnete die Fahrertür und wartete ungeduldig darauf, daß Agatha Simp son endlich einstieg. Mit etwas Glück konnten sie es vielleicht noch schaffen, die nächste Ortschaft zu erreichen . . . Doch es war bereits zu spät! Die sechs Motorradfahrer fuhren lang sam von der Straße herunter und näher ten sich der Scheune. Als sie auf der Wiese waren, fächerten sie auseinander und bildeten eine Art Halbkreis. Der Anführer der Gruppe hielt dicht vor Agatha Simpson an. Sein Gesicht war hinter der getönten Scheibe seines Helmvisiers nicht zu erkennen. Er stellte den Motor ab, kippte die Maschi ne auf den Ständer und näherte sich mit schleppenden, drohenden Schritten. »Brauchen wir 'ne kleine Nachhilfe
stunde, altes Mädchen?« fragte er mehr als salopp. »Richtig«, gab Agatha Simpson mit dunkel gefärbter Baßstimme zurück. »Wie hätten Sie's denn gern, junger Mann?« Der junge Mann mochte etwas über zwanzig Jahre alt sein, ging hart an ihr vorbei, rempelte sie aber nicht an. Er näherte sich dem linken Vorderrad des Rover und hielt plötzlich ein blitzendes Schnappmesser in der lederbehand schuhten Hand. Seine Absicht, den Reifen zu zerste chen, war unverkennbar.
»Jetzt platzt mir aber der Kragen!« Pete Robson übernahm die Rolle der Dogge und stürzte sich auf den Butler. Er hatte die feste Absicht, diesem komi schen und aufdringlichen Mann eine Abreibung zu verpassen. Zudem fürch tete er, daß der Butler Teile der telefoni schen Unterhaltung gehört hatte. Es galt also, diesen Mann in die Schranken zu weisen. Parker besaß erstaunlich gute Nerven, scharfe Augen und ein Gefühl für Zeitabläufe. Er blieb solange in der nur halbweit geöffneten Tür stehen, bis Pete ihn fast erreicht hatte. Als der Untersetz te allerdings den letzten Sprung tat, zog Josuah Parker höflich die Tür zu und sich zurück. Pete Robson knallte mit voller Wucht gegen die solide Türfüllung und ver stauchte sich die rechte Schulter und das rechte Knie. Er rutschte zu Boden und stöhnte. Der schlanke, drahtige" Rob war dicht hinter ihm, riß die Tür auf und zog gleichzeitig seine Schußwaffe. Es han 15
delte sich um eine belgische Automatik, Kaliber 7.65. Natürlich wollte er den Butler nicht niederschießen. Er wollte ihn nur nachdrücklich auffordern, doch noch mal zurückzukommen. Er hatte fest mit einem flüchtenden Butler gerechnet, der auf dem schnell sten Weg die Straße erreichen wollte. Daher auch seine Überraschung, als er knapp hinter der Tür mit dem Butler zusammenstieß. Parker hatte sich nur wenige Zentimeter wegbewegt und grüßte jetzt überaus höflich. Die stahlblechgefütterte Rundung sei ner schwarzen Melone legte sich dabei leider auf die Stirn des jungen Mannes. Rob schnaufte erregt, verdrehte die Au gen, seufzte dann fast wohlig auf und taumelte zurück. Er stolperte über Pete, der gerade aufstehen wollte, und schlug der Länge nach zu Boden. Dabei berühr te die Hinterpartie seines Schädels den an sich recht staubigen Fußboden. Wäh rend das beeindruckende Dröhnen noch zu hören war, wurde Rob bereits ohn mächtig. Pete hingegen hatte sich ein wenig erholt. Er robbte über den Boden zu einem Stuhl, drückte sich hoch und riß dann die Sitzgelegenheit schwungvoll in die Höhe. Er gedachte, sie als Wurf- oder Schlaginstrument zu benutzen. »Falls mich nicht alles täuscht, schei nen Sie ein wenig gereizt zu sein«, stellte Josuah Parker gemessen fest. »Man sollte nie im Zorn handeln, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf.« »Jetzt mach ich dich fertig!« Pete ging vorsichtig auf sein Opfer zu. Der Stuhl in seiner Hand sah äußerst bedrohlich aus. Pete war ein Mann, der mit solch einem Gegenstand bestimmt umzugehen 16
wußte. »Möchten Sie meine Entschuldigung schriftlich haben?« Parker griff nach ei ner der vielen Westentaschen und holte einen völlig normal aussehenden Kugel schreiber hervor. »Den Text können selbstverständlich Sie bestimmen.« »Ich werde mit dem Stuhl schreiben!« Pete holte noch weiter aus, als habe er die Absicht, Butler Parker ungespitzt in den Fußboden zu schlagen. Er wußte nichts von Parkers Vorliebe für Hilfs mittel und Tricks. Er war völlig ah nungslos. Parker hatte inzwischen eingesehen, daß sein Gegenüber mit Argumenten nicht mehr zu stoppen war. Daher drückte er auf den Halteclip des Kugel schreibers und wartete in aller Ruhe ab. Aus der Spitze des Kugelschreibers zischte ein feiner Strahl hervor. Ein Treibgas beförderte ein an sich völlig harmloses Reizmittel in das Gesicht des aufgebrachten und wütenden Mannes. Es traf natürlich auch die Augen von Pete, der unmittelbar darauf eine gewis se Schwäche an den Tag legte. Er brüllte, ließ den Stuhl fallen und rieb sich die schmerzenden Augen. »Möglichst nicht reiben, wenn ich Ih nen diesen Rat erteilen darf«, ließ der Butler sich vernehmen. »Spülen Sie die Augen mit klarem Wasser aus! Sie wer den ehrlich überrascht sein, wie wohl das tut. Miß Robson, vielleicht sollten Sie das übernehmen, ja?« Maud Robson hatte überhaupt nicht mitbekommen, was passiert war. Sie sah nur, wie ihr Bruder litt. Sie langte nach seinem Arm und handelte sich einen Jagdhieb ein. Sie wurde gegen eine Art Küchenschrank geschleudert und keifte daraufhin ihren Bruder an. Von ihrer schüchternen Sanftheit war längst
nichts mehr zu sehen oder zu hören. Parker hatte das untrügliche Gefühl, auf die Dauer wohl doch zu stören. Er empfahl sich und verließ das Farmhaus. Hier auf dem Gelände gab es ja noch so viel zu sehen . . .
Obwohl sehr reich, hatte Agatha Simpson etwas gegen Verschwendung. So wollte sie nicht einsehen, daß der Autoreifen zerstochen werden sollte. »Tun Sie es lieber nicht, junger Mann«, warnte sie den Racheengel in der Ledermontur, der gerade gespielt lässig und langsam in die Knie ging. »Halt die Klappe«, gab er zurück, ohne sich nach der Detektivin umzuwenden. Und genau das hätte er wohl doch besser getan. Schon im eigenen Interesse, wie sich zeigen sollte. Agatha Simpson ver fügte nämlich über eine Waffe, die mehr als ungewöhnlich war. Die Lady war in vielen Dingen altmo disch und hielt überhaupt nichts von modernen Handtaschen, wie sie angebo ten werden. Sie war ihrem Pompadour treu geblieben, einem perlbestickten Handbeutel, dessen Schlaufe am Ge lenk getragen wurde. Diesen Pompadour schleuderte sie äußerst geschickt auf den jungen Mann, der sich gerade mit dem Reifen befassen wollte. Im Pompadour befand sich ein echtes Hufeisen, das nur flüchtig mit dünnem Schaumgummi umwickelt worden war, um nachhaltige Verletzun gen auszuschließen. Eine Granate hätte nicht explosiver wirken können. Der Pompadour klatschte gegen den Jethelm des Motorradfahrers. Der junge Mann hatte das deutliche Gefühl, von
einem auskeilenden Pferd getreten wor den zu sein. Er kippte nach vorn, landete im Gras und blieb benommen liegen. Die fünf übrigen Racheengel brauch ten einige Zeit, bis sie ihre Überra schung verdaut hatten. Mit solch einer Reaktion hatten sie nicht gerechnet. Sie starrten auf ihren Rudelführer, der sich endlich ein wenig bewegte und mit den Beinen scharrte. Dann rückten sie vor und wollten der älteren Dame zu nahe treten. Sie glaub ten an einen glücklichen Zufall, was ih ren Anführer betraf. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß diese Frau auch weiterhin gefährlich sein würde, holten Kabelstücke aus den Westen ihrer Mon turen und gedachten, Lady Simpson da mit zu überwältigen. Sie hätten sich besser andere Dinge einfallen lassen! Agatha Simpson war sehr kriegerisch. Sie trat dem ersten jungen Mann be denkenlos gegen das Schienbein. Der Getroffene heulte auf und hüpfte auf einem Bein herum. Der zweite Angreifer wich zurück, fin tierte und schlug dann hart zu. Er hatte Kathy Porter überhaupt nicht einkalku liert und hielt die langbeinige, schüch tern wirkende Schönheit für ein ängstli ches Reh, mit dem man sich später zur Erheiterung noch anderweitig befassen konnte. Kathy Porter mochte zwar wie ein ängstliches Reh aussehen, doch sie kannte sich in den Künsten von Judo und Karate recht gut aus. Sie sprang fast aus dem Stand hoch und touchierte mit ihrem linken, vorschnellenden Fuß die Nase des Angreifers. Die verformte sich daraufhin und blieb ein wenig schief stehen. Der junge Mann ließ sein Kabelende 17
zu Boden fallen und beschäftigte sich nur noch mit seinem Gesichtserker. Lady Simpson nutzte die Gelegenheit, das Kabelende an sich zu nehmen. Sie wollte nicht ganz waffenlos sein. Kathy befaßte sich inzwischen mit zwei weiteren Angreifern, die die Visiere ihrer Jethelme noch geschlossen hiel ten. Sie bedauerten das wenig später sehr, denn sie rangen verzweifelt nach Luft und krümmten sich. Kathy hatte mit dem linken Ellbogen zugelangt und ihre Magenpartien bearbeitet. Den fünften jungen Mann nahm sich die Detektivin selbst vor. Sie klatschte ihm das Kabelende um den Helm und zertrümmerte das Visier. Der junge Mann ließ ein Messer fallen, das er zwischenzeitlich gezogen hatte, duckte sich und ergriff die Flucht. Das Grauen saß ihm offensichtlich im Nak ken. Mit solch einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. »Wir soilen jetzt aber wirklich weiter fahren, Mylady«, mahnte Kathy Porter, die völlig entspannt und ruhig atmete. Von Anstrengung war ihr nichts anzu merken. »Schon, Kindchen?« bedauerte die Detektivin, die allerdings ein wenig schnaufte. »Ich möchte diesen Subjek ten erst noch ein paar Manieren bei bringen. « »Ihr Pompadour, Mylady.« Kathy Porter reichte den Handbeutel. Der Ru delführer war aufgestanden, nahm den Jethelm ab und massierte sich den Hin terkopf. »Ist noch was?« erkundigte sich Aga tha Simpson grimmig bei ihm. »Sie brauchen es nur zu sagen, junger Mann. Ich bin gerade in der richtigen Stimmung.« »Von was für 'nem Stern kommen Sie 18
eigentlich?« erkundigte sich der Anfüh rer der Rocker. »Hoffentlich war die Frage eine Belei digung«, gab Lady Simpson kriegerisch zurück. Sie schwang schon wieder den Pompadour und rüstete sich zum näch sten Wurf. »Schon gut, Lady, schon gut«, sagte der junge Mann schleunigst. »Sie sind ganz in Ordnung, aber Sie sollten mal Fahrstunden nehmen.« »Aus meinen Augen«, erregte sich die Detektivin. »»Beeilen Sie sich, sonst vergesse ich mich nur zu gern!« Der junge Mann grinste verlegen und ging zu seinen Freunden hinüber, die sich mehr oder weniger von ihren klei nen Niederlagen erholt hatten. Sie stan den verlegen herum, waren noch nicht topfit und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Sie tuschelten leise miteinander, räumten dann das Feld, trotteten zurück zu ihren schweren Ma schinen, schwangen sich in die Sättel und röhrten los. »Das hätte böse enden können, Myla dy«, sagte Kathy Porter erleichtert. »Papperlapapp, Kindchen«, meinte Lady Agatha optimistisch wie immer. »Mit solchen Knaben werde ich noch alle Tage fertig. Man muß ihnen nur klar machen, wo ihre Grenzen liegen.« Kathy wollte die gute Laune der Lady nutzen und bugsierte Agatha Simpson in Richtung Beifahrersitz, doch sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. »Was soll denn das, Kathy?« empörte sich Lady Agatha grimmig.« Natürlich werde ich fahren! Sie sind dem Verkehr doch gar nicht gewachsen. Ich denke, wir werden Mr. Parker in gut einer Stunde sehen. Ich werde mich beeilen und schneller fahren als sonst.« Kathy Porter schickte ein stilles Stoß
gebet zum Himmel und empfahl sich sämtlichen Göttern. Sie ahnte, was auf sie zukam.
Natürlich hatte Butler Parker nicht den Diebstahl der beiden Brieftaschen vergessen. Waren Sie von Miß Robson in Sicher heit gebracht worden, als er die beiden Gauner und Schläger Pete und Rob ins Schlauchboot gesetzt hatte? Oder gab es da einen Unbekannten, den es noch auf zuspüren galt? Josuah Parker hielt es für richtig, die sen Unbekannten erst mal als Tatsache einzukalkulieren. Dadurch wurde seine Wachsamkeit automatisch geschärft. Er befand sich auf dem gemieteten Hausboot und dachte mit Vergnügen an die Szenen im Farmhaus. Parker kannte sich mit Ganoven und Gangstern aller Schattierungen aus. Er wußte diese Menschen genau einzuordnen. Pete Robson, dessen Schwester Maud und Rob waren seiner Einschätzung nach sogenannte Leichtgewichte. Sie bilde ten stets eine Art Fußvolk und wußten in der Regel kaum, für wen sie tatsäch lich ihre Haut zu Markte trugen. Sie begnügten sich mit Kleingeld und brauchten klare Befehle, um tätig zu werden. Pete, Rob und Maud waren si cher nicht besonders gefährlich, aber man durfte sie auf der anderen Seite auch nicht unterschätzen. Butler Parker hatte sich ein Omelett zu Gemüte geführt, mixte einen Drink und gestattete sich eine seiner speziell für ihn gefertigten Zigarren. Er konnte diese ungewöhnlich schwarzen Torpe dos praktisch nur in der Abgeschieden heit rauchen, denn sie produzierten
Rauchschwaden umwerfenden Charak ters. Sie waren geeignet, vor Kraft und Gesundheit strotzende Mitmenschen in tiefe Ohnmacht zu schicken. Als er aufs Achterdeck trat, um sich unter das Sonnensegel zu setzen, brauchte er Insekten nicht zu befürch ten. Einige neugierige Mücken und Bremsen kurvten zwar im Tiefflug heran, da sie frisches Blut witterten, doch als sie nur die verwehten Schwa den der Zigarre witterten, gerieten sie bereits in gelinde Panik und drehten ab. Sie verschwanden im Taumelflug in Richtung Schilf, um sich dort von ihrem tödlichen Schreck erst mal zu erholen. Parker legte sich entspannt in einen Deckstuhl und schloß die Augen. Er hatte sich die beiden kleineren Lie ferwagen in der Scheune der Farm ange sehen. Ihm war aufgefallen, daß die La deflächen beider Fahrzeuge recht inten siv nach Spirituosen gerochen hatten. Mehr war nicht festzustellen gewesen. Er fragte sich, was dieser Geruch be sagte. Hatte man ihn wegen dieses aufdring lichen Geruches daran hindern wollen, die Wagen zu besichtigen? Hatte er es, so fragte sich Parker, vielleicht mit Schwarzbrennern zu tun? Wurde auf der Farm Brandy oder Whisky hergestellt? Handelte es sich um den Umschlagplatz von gewerbsmäßigen Schmugglern? Bis zur Nordseeküste war es von den Norfolk Broads ja nicht weit. Parker richtete sich etwas auf. Von der Flußseite waren Geräusche von Ruderblättern zu vernehmen. Er entdeckte einen Kahn, in dem ein Urlau ber saß. Es handelte sich um einen etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der ein wenig provinziell wirkte. Er war groß, hager und trug eine altmodische Brille. 19
Sein Anzug stammte mit letzter Sicher heit von der Stange, war viel zu knapp und sah total zerknittert aus. Ein besonders geschickter Sportler war der Mann gerade nicht. Er kam mit den Ruderblättern nicht zurecht, peitschte das Wasser und kollidierte der art ungeschickt mit dem Hausboot, daß man schon fast wieder von Geschick lichkeit sprechen konnte. »Darf ich mir erlauben, Ihnen meine bescheidene Hilfe anzubieten?« fragte Josuah Parker höflich. »Ich . . . Ich komme mit dem Boot nicht zurecht«, entschuldigte sich der Wassersportler. »Es ist wohl doch etwas zu schwer.« Während der Mann noch redete, stieß er mit dem Kahn nochmal nachdrück lich gegen die Bordwand des Hausboo tes, verlor das Gleichgewicht und lan dete im aufspritzenden Wasser des klei nen, träge fließenden Flüßchens. Parker bot dem Taucher den Bambus griff seines Universal-Regenschirms als Rettungsanker. Sein Hilfsangebot wurde liebend gern angenommen.
»John Bartlett«, stellte der Mann sich vor. Er nahm seine altmodische Brille von der Nase und putzte sie umständ lich. Er nickte dankbar, als Butler Par ker ihm ein Handtuch reichte. »Sie genießen normalerweise die Schönheiten dieser Landschaft?« er kundigte sich Parker. »Ich bin Schriftsteller«, sagte John Bartlett. »Das heißt, um genau zu sein, ich schreibe noch an meinem ersten Roman.« »Ein durchaus löbliches Unterfan gen«, meinte der Butler. »Welchem 20
Thema haben Sie sich verschrieben, wenn man diese Frage stellen darf? « »Ich arbeite an einem Sachbuch über die großen Entdeckungen innerhalb der Naturwissenschaften.« »Ein ungemein komplexes Thema, wenn ich so sagen darf, Mr. Bartlett.« »Inzwischen lebe ich von den Zinsen eines kleinen Vermögens«, erzählte der nasse Wassersportler weiter. »Meine verstorbene Tante hinterließ mir überra schenderweise Wertpapiere.« »Eine vorausschauende Tante«, fand Josuah Parker. »Darf man erfahren, Mr. Bartlett, wie weit Sie inzwischen mit Ihrem Sachbuch gekommen sind?« »Ich befinde mich noch im Stadium der Vorstudien.« »Gehört dazu auch meine bescheide ne Wenigkeit?« »Wie . .. Wie darf ich das verstehen?« »Ihr Unglücksfall und der Sturz ins Wasser waren recht gut«, erwiderte der Butler gemessen. »Die letzte schauspie lerische Feinheit vermißte ich aller dings. Sie sollten, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf, noch ein wenig üben.« John Bartlett sah den Butler für ein paar Sekunden prüfend an. Dann grin ste der hagere Mann plötzlich. »Sie haben mich durchschaut, nicht wahr? « fragte er. »Sie wollten Kontakt aufnehmen«, meinte Parker. »Ich darf annehmen, daß Sie dafür bestimmte Gründe ins Feld führen können.« »Ich bin Privatdetektiv«, behauptete John Bartlett jetzt. Seine Stimme klang fester. »Mein Büro ist in Leeds. Ich bin da einer tollen Sache auf der Spur.« »Sie scheinen großes Vertrauen zu meiner bescheidenen Wenigkeit zu ha ben, Mr. Bartlett.«
»Ich weiß inzwischen, daß Sie tatsäch lich ein echter Butler sind. Sie stehen in Diensten der Lady Agatha Simpson.« »Das entspricht den Tatsachen.« »Ein sehr guter Name.« John Bartlett nickte. »Auch Sie, Mr. Parker, sind nicht gerade unbekannt. Ich habe mich bei Kollegen in London erkundigt.« »Sie sind, wie Sie sich ausdrückten, einer tollen Sache auf der Spur?« »Richtig«, wiederholte John Bartlett. »Es geht um Hochprozentiges, unter uns gesagt.« »Was kann man sich darunter vorstel len?« erkundigte sich Josuah Parker ge spielt ahnungslos. »Trinkbares«, kam die Antwort. »Vor allen Dingen Whisky. Sie wissen viel leicht, wie teuer er hier auf der Insel ist. Falls man ihn ins Land schmuggelt, kann man ein Vermögen machen.« »Das leuchtet mir in der Tat ein, Mr. Bartlett«, entgegnete der Butler. »Die Küste ist ja nahe, wenn ich nicht sehr irre.« »Nicht wahr?« John Bartlett nickte. »Ich darf hoffen, daß Sie mein Inkognito wahren werden?« »Sie dürfen dessen versichert sein«, gab Parker zurück. »Sie sind zufällig nicht auch hinter diesen Alkoholschmugglern her?« fühlte Mr. Bartlett jetzt weiter vor. »Keineswegs«, versicherte Josuah Parker würdevoll. »Wie Sie sehen, gebe ich mich dem sprichwörtlich süßen Nichtstun hin.« »Vielleicht eine Kriegslist oder Tar nung, Mr. Parker?« John Bartlett zwin kerte dem Butler vertraulich zu. »Weder Kriegslist noch Tarnung«, ant wortete Parker. »Entschuldigen Sie, Mr. Parker, aber ich habe Sie dort drüben auf der Farm
gesehen.« »Reizende Leute«, meinte Parker. »Leider verfügen Sie nicht über Frisch milch. Können Sie mir vielleicht eine gute Adresse geben, Mr. Bartlett?« »Waren Sie nicht auch in der Scheune, Mr. Parker?« John Bartlett schien dar auf zu pfeifen, daß seine Neugier deut lich wurde. »Richtig«, bestätigte Parker. »Als Stadtmensch interessiert man sich im mer für landwirtschaftliche Dinge.« »Und was haben Sie in der Scheune gefunden, Mr. Parker?« »Zwei Lieferwagen«, sagte Butler Par ker gespielt arglos. »Sie interessieren sich für die jungen Urlauber auf der Farm?« »Ganz sicher nicht«, behauptete John Bartlett. »Ich bin hinter echten Profis her.« »Die das Schmuggelboot von der Kü ste aus flußaufwärts ins Land schaffen?« »Richtig, Mr. Parker. Ich nehme an, daß der Whisky auf Hausbooten und Kabinenkreuzern transportiert wird.« »Solch eine Möglichkeit bietet sich in der Tat an«, fand Josuah Parker. »Neh men die zuständigen Behörden denn keine Kontrollen vor?« »Nur Stichproben, Mr. Parker. Die Broads sind eine bevorzugte Ferienre gion. Man möchte den Tourismus nicht unnötig stören.« »Gestatten Sie mir eine Frage?« »Nur zu, Mr. Parker.« John Bartlett nickte aufmunternd. »Sie sind Privatdetektiv, Mr. Bartlett. Für wen arbeiten Sie eigentlich? Wahr scheinlich doch nicht für den Zoll oder für die Polizei, wie ich vermute?« »Natürlich nicht, Mr. Parker, natür lich nicht.« John Bartlett schmunzelte. 21
»Ich arbeite für den Verband schotti scher Whiskyhersteller. Sie wollen sich verständlicherweise den Inlandmarkt nicht verderben lassen.« »Das leuchtet mir zutiefst ein, Mr. Bartlett.« Parker schluckte diese Aussa ge, ohne auch nur eine Miene zu ver ziehen. »Wir werden uns also nicht ins Gehege kommen, Mr. Parker?« fragte John Bartlett. »Sie dürfen versichert sein, Mr. Bart lett, daß ich nur als Privatmann und Urlauber in den Broads bin«, erwiderte Josuah Parker. »Schmuggel dieser Art interessiert mich nicht.« »Da fällt mir aber ein Stein vom Her zen, Mr. Parker.« »Darf man erfahren, warum es zu die ser Fallbewegung kommt, Mr. Bartlett?« »Ich möchte mit Ihnen nicht in Kon kurrenz treten, Mr. Parker. Ich glaube, Sie sind mir um Längen voraus, wenn es um die Aufdeckung von Verbrechen geht. Wie gesagt, ich habe mich bei Freunden in London erkundigt. Ihr Ruf ist ausgezeichnet.« »Sie schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann«, be kannte Josuah Parker.
»Eine Straßensperre, Mylady.« Kathy Porter deutete aufgeregt auf die beiden quer stehenden Streifenwagen, die die Straße blockierten. Einige Poli zeibeamte hatten zu beiden Seiten der Fahrzeuge Posten bezogen und winkten die passierenden Wagen an die Seite. »Eine Unverschämtheit«, stieß die äl tere Dame grimmig hervor. »Was maßen die Herren sich eigentlich an?« 22
»Mylady, Sie sollten vielleicht etwas langsamer fahren«, warnte Kathy Porter. »Der Wagen hat erstklassige Brem sen«, erinnerte sich Lady Agatha. »Ha ben Sie sich nicht so!« »Die Streifenbeamten könnten das Tempo mißverstehen, Mylady.« »Papperlapapp, Kindchen!« Agatha Simpson war fest entschlossen, die War nung ihrer Gesellschafterin zu ignorie ren. Sie minderte das Tempo um keinen Deut und rauschte in voller Fahrt auf die Sperre zu. Kathy Porter sah deutlich, daß die Beamten bereits unruhig und nervös wurden. Sie winkten aufgeregt mit ihren Signalkellen und trillerten bereits auf ihren Pfeifen. »Jetzt werden Sie erleben, was Brem sen sind, Kindchen!« Agatha Simpson hatte Maß genommen und trat voll aufs Bremspedal. Dabei ereignete sich leider eine kleine Panne, ein Mißgeschick, wenn man so will. Lady Simpsons Füße befanden sich in reichlich großen Schu hen. Sie liebte es, bequem zu gehen. Gewiß, ein Teil der Schuhsohle, er wischte durchaus das Bremspedal, doch der Rand der Sohle verirrte sich leider aufs Gaspedal. Der Motor war stärker als die Bremse . . . Der Rover machte einen wahren Hechtsprung nach vorn und stürzte sich förmlich auf den links stehenden Strei fenwagen. Kathy Porter stemmte sich ab und nahm schützend die Arme vors Gesicht. Bruchteile von Sekunden spä ter donnerte die Stoßstange des Rover bereits in die Flanke des Polizeifahr zeugs. Glas splitterte, Blech kreischte unwil lig und gequält. Durch den Rover ging
ein harter Ruck, dann stand er endlich. »Was war denn das?« wunderte sich die resolute Dame, die in ihrem Sicher heitsgurt hing. »Nicht die Bremse, Mylady«, sagte Ka thy und nahm erleichtert die Arme her unter. »Ich werde mich beim Herstellerwerk beschweren«, zürnte die Dame am Steuer. »Wie kann man nur Autos mit so schlechten Bremsen bauen? Erinnern Sie mich daran, Kindchen, daß der Brief noch heute 'rausgeht!« Kathy nickte nur und sah mit ge mischten Gefühlen dem Polizeioffizier entgegen, der stramm und energisch sich dem Rover näherte. Kathy fürchte te weitere Verwicklungen. Sie kannte das wilde Temperament Agatha Simp sons nur zu gut. Die Lady hatte bereits die Tür geöffnet und funkelte den Polizeioffizier grim mig an. »Was denken Sie sich eigentlich?« grollte sie. »Wie kommen Sie dazu, mich derart zu irritieren?« Der Polizeioffizier, ein straffer Fünfzi ger, durch und durch militärisch, mit grimmigem Gesicht und kühlen Augen schnappte unwillkürlich nach Luft. Er hatte eigentlich vor, die Fahrerin nach drücklich zur Ordnung zu rufen. »Ich werde mich bei Ihren Vorgesetz ten beschweren«, raunzte die ältere Dame weiter. »Wie können Ihre Leute mich durch Winken auffordern, schnel ler zu fahren? Sammeln Sie etwa Straf mandate, um befördert zu werden? Man hört in der Beziehung die wildesten Ge rüchte. Wie heißen Sie eigentlich? Ich bestehe darauf, daß Sie mir Ihren Rang und Ihren Namen nennen.« »Chiefconstable Higgins, Madam.« »Lady Simpson«, stellte die energi
sche Dame sich vor. »Mr. Higgins, ich muß mich doch sehr wundern!« »Mylady, ich...« Der Polizeioffizier wollte die Dinge klarstellen und endlich zu seiner Strafpredigt kommen, doch er kannte Agatha Simpson nicht. »Sie haben Ihre Leute schlecht unter Kontrolle«, fauchte die Detektivin. »So etwas läßt Rückschlüsse auf Sie zu, Mr. Higgins.« Der Polizeioffizier lief blutrot an. »Erlauben Sie, daß auch ich endlich etwas sagen kann, Mylady?« »Das tun Sie doch die ganze Zeit. Sie lassen mich ja kaum zu Wort kommen!« Agatha Simpson sah ihn strafend an. »Sie benehmen sich einer Frau gegen über fast schon rüpelhaft. Warum for dern Sie disziplinierte Autofahrer ei gentlich dazu auf, in diese Sperre hinein zufahren. Sie können von Glück sagen, daß ich eine so ausgezeichnete Fahrerin bin, sonst hätte ich Ihren Streifenwagen noch angefahren.« »Sie haben ihn angefahren, Mylady!« Der Polizeioffizier keuchte fast. »Und wir haben diese Straßensperre errichtet, um Gangster zu stellen.« »Ich verbitte mir den eindeutigen Ausdruck Ihrer Augen«, grollte seine Kontrahentin sofort wieder los. »Unter lassen Sie diese Anzüglichkeiten!« »Ich habe Sie ja gar nicht angesehen«, verteidigte sich Higgins. »Und das gestehen Sie sogar noch schamlos ein? Sie reden mit einer Dame, ohne Sie auch nur eines Blickes zu wür digen! Woher stammen eigentlich Ihre Manieren, Mr. Higgins?« Der Polizeioffizier taumelte und litt offensichtlich unter Gleichgewichtsstö rungen. Sein puterrotes Gesicht verfärb te sich. Ein graues Weiß herrschte lang sam vor. Er. sah Lady Simpson mit ei 23
nem leicht irren Blick an. »Natürlich habe ich Sie angesehen.« Seine Stimme klang schwach. »Also doch, aber eben erst stritten Sie es noch ab, Mr. Higgins.« Agatha Simp son verabreichte ihm einen gereizten Blick. »Aber übergehen wir das. Hinter welchen Gangstern sind Sie her?« »Straßenraub«, läutete die matte Ant wort. »Ein Sattelschlepper ist geraubt und geplündert worden.« »Was Sie nicht sagen, mein Lieber!« Agatha Simpson bedachte ihre Gesell schafterin mit einem schnellen Seiten blick. »Wann ist das passiert?« »Vor anderthalb Stunden, Mylady.« »Und da stehen Sie jetzt noch herum?« Lady Simpson schüttelte ver weisend den Kopf. »Eine Schnecke ist gegen Sie ja eine Sprinterin, Mr. Higgins.« »Mylady, ich muß doch sehr bitten.« Ein gewisses Schluchzen war in der Stimme des Polizeioffiziers zu ver nehmen. »Gut, bitten Sie, junger Mann! Sie ha ben mir noch immer nicht gesagt, was gestohlen wurde? Mit anderen Worten, damit Sie's auch mitbekommen, Mr. Higgins, was befand sich in diesem Sattelschlepper? « »Whisky«, murmelte Higgins und wischte sich fahrig über die schweißnas se Stirn. »Bitte, Mylady, fahren Sie wei ter, bitte!« »Und wer ersetzt mir den Schaden an meinem Rover?« wollte die alte Dame wissen. »Mylady, ich bin sicher, daß ich mich gleich vergessen werde«, bekannte Mr. Higgins. Sein Blick deutete auf einen baldigen Amoklauf hin. »Sie haben schwache Nerven, Mr. Hig gins«, fand Agatha Simpson. »Auch Ihr 24
Blutdruck scheint nicht optimal zu sein. Gehen Sie schleunigst zu einem Arzt, und räumen Sie endlich diese tückische Falle dort weg.« Die Lady setzte zurück und löste sich gewaltsam vom lädierten Streifenwa gen. Sie beschrieb mit dem Rover einen knappen Bogen, kratzte und schrammte am Heck des Wagens vorbei und fuhr dann recht verwegen durch die schmale Gasse, die die beiden Wagen bildeten. Der Polizeioffizier hielt beide Hände vor sein Gesicht und taumelte zur Bö schung hinüber. Er ließ sich in den Ra sen fallen und suchte dort wahrschein lich nach seinem Gleichgewicht. Er be nahm sich allerdings recht merkwürdig. Er legte sich auf den Bauch und trom melte mit seinen Fäusten auf den Rasen. Dabei strampelte er mit den Beinen in der Luft herum. »Merkwürdig«, kommentierte Agatha Simpson, die auch einen Blick in den Rückspiegel geworfen hatte wie Kathy Porter. »Der Mann benimmt sich ja wie ein Kind! Und dabei habe ich mich doch wirklich höflich und zuvorkommend mit ihm unterhalten, oder?« »Natürlich, Mylady«, gab Kathy Por ter zurück. »Er konnte von Glück sagen, daß Sie nicht zornig geworden sind.« »Eben«, schloß Lady Agatha zufrie den. »Aber ich habe mich immer unter Kontrolle, Kindchen. Was sagen Sie zu dem Whiskyraub? Eine gute Fee scheint uns in diese Gegend gebracht zu haben. Ich fühle mich sehr wohl, Kindchen. Der Tag scheint noch recht anregend zu werden.«
Butler Parker räumte das Feld.
Er tat es ganz sicher nicht aus Angst
vor den beiden Gaunern Pete und Rob. Er wollte einfach von der Bildfläche ver schwinden, um die allgemeine Unruhe nicht noch zu vergrößern. Die Whisky schmuggler, falls sie es waren, sollten sich wieder sorglos bewegen können. Josuah Parker stand vor dem Ruder im Kommandostand und bugsierte das an sich recht große Boot von der Anlege stelle. Er besorgte das mit Sachverstand und Routine. In technischen Dingen kannte der Butler sich bestens aus. Wie ein Tourist sah er allerdings nicht aus. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, ein weißes Hemd mit Eckkragen und eine schwarze Krawatte. Auf seinem Kopf saß die feierlich anzusehende Me lone, neben ihm hing der Universal-Re genschirm, von dem er sich kaum trennte. Parker scherte sich keinen Deut um die mehr oder weniger amüsierten Blicke der Urlauber auf dem Bootssteg. Als er sie passierte, lüftete er feierlich seine Kopfbedeckung und deutete eine knappe, aber höfliche Verbeugung an. Er entdeckte unter den Zuschauern auch John Bartlett, der ihm diskret und unauffällig winkte. Wahrscheinlich war auch der Detektiv aus Leeds froh, daß sein möglicher Konkurrent im übertra genen Sinn die Segel gesetzt hatte. Besonders schnell war das Hausboot nicht. Es handelte sich um einen umgebau ten Kabinenkreuzer vom Typ Radiant Light, der von einem Dieselmotor ge trieben wurde. Die ursprünglichen Auf bauten waren irgendwann mal entfernt und durch einen etwas kastenförmigen Aufbau ersetzt worden. Schnittig und elegant wirkte dieses Wasserfahrzeug gewiß nicht, doch es bot immerhin jene
Bequemlichkeiten, die Parker schätzte. Das Hausboot hatte die Mitte des Flüßchens erreicht. Butler Parker ließ die Schraube etwas schneller drehen und schipperte flußaufwärts. Er kam in die Nähe der Farmweiden und entdeck te auch hier liebe Bekannte. Pete Robson, seine Schwester Maud und auch Rob standen am Ufer, doch sie winkten ihm nicht zu. Sie starrten ihn recht finster an und hegten sichtlich Groll gegen ihn. Die Dogge, die neben ihnen stand, bellte andeutungsweise. Parker begrüßte die Gruppe zurück haltend, aber nicht unhöflich. Sein Gruß wurde jedoch nicht beantwortet. Die drei jungen Leute samt Dogge schienen ein wenig nachtragend zu sein. Parker nahm noch etwas mehr Fahrt auf und lief auf die erste Flußbiegung zu. Es dauerte nicht lange, bis die kleine Ort schaft hinter ihm lag. Die Landschaft wurde womöglich noch freundlicher und idyllischer. Par ker passierte eine noch intakte Wind mühle, deren Flügel sich im leichten Wind drehten. Er sah grasendes Vieh auf den saftigen Weiden und trabende Pferde auf einer weiten Koppel. Im Schilf duckten sich einige Wildenten ab, und vor dem blauen Himmel zeichnete sich für einen Moment tatsächlich ein Reiher ab, der langsam davonstrich. Parker war mit sich und der Welt zu frieden. Mit seiner Herrin war auf keinen Fall zu rechnen. Damit brauchte er auch nicht zu befürchten, wieder mal in einen Kriminalfall hineingezogen zu werden. Whiskyschmuggler interessierten den Butler nicht. Er fühlte sich schließlich nicht als der verlängerte Arm der gelten den Gesetze. Die kleine Auseinanderset zung mit dem Trio hatte er zudem als 25
eine nette Abwechslung betrachtet, über die kein weiteres Wort mehr zu verlieren war. Wenn nur nicht dieser Privatdetektiv John Bartlett gewesen wäre! Josuah Parker hatte es nicht beson ders gern, wenn man ihn belog oder gar für einen ausgemachten Trottel hielt. John Bartlett hatte ihn nach Strich und Faden beschwindelt und versucht, ihm einen besonders dicken Bären aufzubin den. Natürlich war dieser Mr. Bartlett kein Privatdetektiv und natürlich arbei tete er auch nicht für den Verband schot tischer Whiskyhersteller, falls es diese Vereinigung überhaupt gab. Solch eine Institution hätte sich niemals an einen Privatdetektiv gewendet, sondern nur mit den zuständigen Zollbehörden zu sammengearbeitet. Zudem gab es wohl keinen Privatdetektiv, der so schnell und rückhaltslos seine Karten auf den Tisch gelegt hätte. Warum also hatte dieser John Bartlett versucht, ihm auf den Zahn zu fühlen? Welche Interessen vertrat dieser Mann? Für wen arbeitete er tatsächlich? Arbei tete er mit dem Trio Hand in Hand, oder war er ein Konkurrent dieser Gruppe? Parker wurde abgelenkt. Hinter seinem Hausboot tauchte ein kleines, recht schnelles Motorboot auf, das ihn bald einholte. Am Steuer saß eine attraktive junge Frau, die ihm la chend zuwinkte. Sie trug einen knappen Bikini, der kaum noch etwas verhüllte. Die junge Frau am Steuer des Motor bootes wurde von Parkers Aussehen fast magnetisch angezogen. Sie kurvte ein, minderte die Geschwindigkeit des Bootes und schob sich nahe an das Hausboot heran. Dazu winkte sie erneut und lachte. Josuah Parker lüftete seine schwarze 26
Melone. Er war ganz sicher kein Frauenfeind. Er schätzte harmonische Linien und Formen. Und was sich seinen Blicken darbot, war Perfektion. Die junge Frau hätte es fast sogar mit Kathy Porter auf nehmen können, der Sekretärin und Ge sellschafterin der Lady Agatha Simpson. Die Wassersportlerin rief dem Butler etwas zu und deutete hinter sich ins Boot. Parker konnte natürlich nichts verstehen, dazu war der Lärm des Au ßenbordmotors zu stark. Er verließ also den Ruderstand und trat an die Brü stung. Das Motorboot hatte sich inzwischen dem Tempo des Hausbootes angepaßt. Die junge Frau, vielleicht dreiundzwan zig Jahre alt, formte ihre Hände zu ei nem Trichter und rief dem Butler erneut etwas zu. Dann deutete sie noch mal hinter sich ins Boot und bückte sich. Bruchteile von Sekunden flog ein ei förmig aussehender Gegenstand auf den Butler zu, der eine peinliche Ähnlichkeit mit einer Handgranate hatte. Und das ließ den Butler nun doch ein wenig stutzig werden.
»Wir werden abkürzen«, entschied Agatha Simpson. Sie hielt jäh an und griff entschlossen nach dem Atlas mit den Straßenkarten. »Wohin wollen wir denn, Mylady?« fragte Kathy Porter, die unruhig wurde. »Sie waren schon wesentlich konzen trierter, Kindchen«, tadelte die ältere Dame. »Haben Sie vergessen, daß wir Mr. Parker überraschen wollen?« »Aber wir wissen doch nicht, wo er sich mit seinem Boot aufhält, Mylady.«
»Aber ich kenne die Gesellschaft, bei der er das Boot gemietet hat.« Agatha Simpson schmunzelte. »Ich habe zufäl lig mitbekommen, wie Mr. Parker mit dem Manager der Gesellschaft am Tele fon verhandelte.« Kathy Porter wußte sich darauf einen Reim zu machen. Von Zufall konnte sicher keine Rede sein. Agatha Simpson schien Josuah Parker ein wenig nachspioniert zu ha ben. Sie hatte wahrscheinlich von An fang an geplant, ihrem Butler zu folgen. Zuzutrauen war ihr das ohne weiteres. »Ich möchte wissen, warum Sie plötz lich lächeln, Kindchen.« Die Detektivin sah ihre Gesellschafterin streng an. »Es war wirklich nur ein Zufall.« »Natürlich, Mylady.« »Sie glauben mir nicht?« Empörung zeichnete sich auf dem Gesicht der älte ren Dame ab. »Und wo ist der Sitz der Feriengesell schaft?« fragte Kathy, ohne auf die Be merkung näher einzugehen. »In East Dereham, meine Liebe. Wir können also eine Menge Zeit sparen, wenn wir die richtige Abkürzung wählen.« Kathy enthielt sich erneut jeden Kom mentars. Sie schaute gelassen zu, als die Lady Straßenpläne studierte und in Ei fer geriet. Es war ohnehin sinnlos, Aga tha Simpson raten zu wollen, auf der Hauptstraße zu bleiben. Wenn die De tektivin sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ sie sich nicht mehr beirren. »Sehr gut«, murmelte Lady Agatha inzwischen. Sie benutzte ihr Lorgnon, um die Zeichen auf der Karte besser zu erkennen. Die Stielbrille stammte, was ihre Form anbetraf, aus der Zeit weit vor der Jahrhundertwende und hing an ei
ner soliden Silberkette um ihren Hals. »Sehr schön, wir fahren also in den drit ten Feldweg links, dann wieder rechts und später geradeaus. Sehr einfach, überhaupt nicht zu verfehlen.« »Darf ich auch mal sehen, Mylady?« bat Kathy. »Sie trauen mir wohl nicht mehr zu, eine Straßenkarte zu lesen, wie?« grollte Agatha Simpson und schlug den Atlas zu: »Ich habe die Abkürzungen genau im Kopf, Kindchen. Sie wissen doch, daß ich ein fotografisches Gedächtnis habe.« Kathy Porter nickte ergeben. Dieses fotografische Gedächtnis war ihr nur zu bekannt. Ein neues Abenteuer wartete also auf sie. Kathy Porter wußte im vorhinein, daß wieder mal mit einer außerfahrplanmäßigen Abwechslung zu rechnen war. Die ältere Dame mit dem fotografi schen Gedächtnis ließ den Rover inzwi schen wieder anrollen und jagte los. Sie machte einen animierten und zufriede nen Eindruck. Sie schien sich auf die Zeitersparnis bereits, zu freuen. Kathy Porter sagte im Verlauf der nächsten halben Stunde kaum ein Wort. Sie bekam zwar mit, daß die Herrin erst die vierte Abzweigung links benutzte, aber was machte das schon. Dafür bog sie schließlich nicht nach rechts ab. Ka thy Porter genoß die Schönheit der Landschaft und hatte ein gutes Gefühl. Je mehr Lady Simpson sich verfuhr, desto größer war die Wahrscheinlich keit, nicht in einen neuen Kriminalfall verwickelt zu werden. »Jetzt müßte East Dereham aber lang sam auftauchen«, meinte die Detektivin nach knapp einer Stunde. »Oder sollten Sie mir die falsche Richtung angegeben haben, Kindchen?« 27
»Ich habe überhaupt nichts gesagt«, verteidigte sich Kathy Porter und lä chelte. Mit solch einer Anschuldigung hatte sie die ganze Zeit schon gerechnet. »Aber gedacht, Kindchen, aber ge dacht.« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Das allerdings, Mylady.« »Und was meinen Sie, Kathy?« »Wir wären besser auf der Hauptstra ße geblieben, Mylady.« »Papperlapapp, Kindchen. Das hätte uns einen halben Tag gekostet. Man muß den Mut zum Risiko haben. Wissen Sie was, ich werde dort den Feldweg nehmen.« »Er sieht sehr schmal aus, Mylady.« »Dafür ist er aber gut geschottert.« Agatha Simpson ließ sich auf keine Dis kussion ein, riß den schweren Rover in die enge Kurve und gab wieder Vollgas. Der Wagen tanzte über die Schlaglöcher hinweg und näherte sich einem kleinen Wäldchen. Die Lady genoß diese Quer feldeinfahrt und trat wenig später ver blüfft auf die Bremse, als der Weg sich stark absenkte. »Komisch«, fand sie. »Ich möchte nur wissen, was die Straßenbauer sich so denken.« »Der Weg scheint zu einer Sackgasse zu werden, Mylady.« »Unsinn, Kindchen. Die Streckenfüh rung ist nur ein wenig eigenwillig.« Agatha Simpson hatte schon wieder zu ihrem Optimismus zurückgefunden und ließ den Rover über die Steilstrecke nach unten rollen. Es dauerte nur weni ge Sekunden, bis sie in einem stillgeleg ten Steinbruch landeten. Um sie herum stiegen die Wände steil hoch. Ein Kranz von Bäumen und Sträu chern umgab den riesigen Kessel, in dem die Luft vor Hitze flimmerte. Lady 28
Simpson ließ den Rover" ausrollen und zog ein grimmiges Gesicht. »Das ist doch eine Frechheit«, empör te sie sich. »Ich werde mich bei der Straßenbauverwaltung beschweren. Merken Sie sich das vor, Kathy! Hier hat doch jeder Richtungshinweis gefehlt.« »Vielleicht haben wir ihn nur überse hen, Mylady.« »Sie vielleicht, aber nicht ich, Kind chen! Ich habe doch Augen im Kopf. Nein, nein, man hat uns absichtlich in die Irre geführt.« Während sie noch re dete, stieß sie den Rover zurück und wollte wenden. Sie hatte diese Wendung noch nicht ganz ausgeführt, als sie wie der scharf bremste. »Sehen Sie doch mal dort hinüber«, forderte sie Kathy auf. »Schauen Sie doch, Kindchen! Was sehen Sie?« »Eine Art Höhle, Mylady.« »Genauer, Kathy, genauer.« »Da scheint ein Lastwagen zu stehen, Mylady!« Kathy spürte, daß ihr Mund trocken wurde. Sie wußte schlagartig, was das zu bedeuten hatte. »Die Rückfront eines Sattelschlep pers, Kindchen!« Agatha Simpsons Stimme vibrierte vor Triumph und Erre gung. »Ich habe doch gleich gewußt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.« »Das scheint den beiden Männern dort aber gar nicht zu passen, Mylady.« Kathy Porter dämpfte unwillkürlich ihre Stimme. Sie deutete verstohlen nach rechts. Sie machte auf zwei aben teuerlich aussehende Männer aufmerk sam, die Maschinenpistolen trugen und um einige mannshohe Felsbrocken her umkamen.
»Nein, ist es denn zu glauben!«
Agatha Simpson war aus dem Rover gestiegen und sah die beiden jungen Männer geradezu begeistert an. Sie schlug vor Aufregung in die Hände und benahm sich wie ein jugendlicher Fan, der seinen Lieblingsdarsteller sieht. Die beiden Männer mit den Maschi nenpistolen gerieten daraufhin ein we nig aus dem Konzept. Solch eine Begrü ßung hatten sie mit Sicherheit nicht er wartet. Sie kamen sich albern vor und senkten erst mal die Waffen. »Sie drehen einen Kriminalfilm, nicht wahr?« Lady Simpson strahlte die Waf fenträger an. »Sagen Sie mir, wer die Hauptrolle spielt!« »Irrtum, Madam, wir drehen keinen Kriminalfilm«, sagte der jüngere der bei den Männer, der wie ein Choleriker aussah. »Wir drehen einen Abenteuererfilm«, fiel der zweite Mann seinem Partner schnell in die Rede. »Und die Hauptrolle spielt Richard Burton.« »Was Sie nicht sagen!« Agatha Simp son verdrehte genießerisch die Augen und schien überhaupt nicht zu merken, wie sehr man sie auf den Arm nahm. »Mr. Burton hat aber heute seinen drehfreien Tag«, redete der zweite Mann weiter, während sein Partner verächt lich und gereizt sein Gesicht verzog. Er sah die ältere Dame mißtrauisch an. »Wie sind Sie hierher in den Stein bruch gekommen?« wollte er dann wissen. »Mylady haben sich verfahren«, schal tete sich Kathy Porter ein. »Papperlapapp, Kindchen«, erwiderte die Detektivin. »Ich habe ja gleich ge ahnt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.« Sie stand vor den beiden Bewaffneten und bemerkte nicht, daß Kathy Porter
hinter ihr die Arme in einer hilflosen Geste ausbreitete. Diese Bewegung sollte den Waffenträgern anzeigen, daß man ihrer Herrin mit Logik nicht zu kommen brauchte. »Sind die Waffen echt?« erkundigte sich Agatha Simpson bei dem jungen Mann, der ihr die Geschichte mit Ri chard Burton aufgebunden hatte. Wäh rend sie noch fragte, langte sie äußerst schnell nach der Maschinenpistole und trat dem Mann dabei gekonnt gegen das Schienbein. Der Mann verbeugte sich, jedoch nicht aus Dankbarkeit oder Höflichkeit. Er stöhnte und schaute anschließend in den Lauf seiner Waffe. Der zweite Mann fuhr herum und be drohte Lady Simpson. »Lassen Sie das Ding fallen«, verlang te er wütend. »Tun Sie's ganz schnell, oder ich säge Sie auseinander!« »Dann haben Sie vier Hälften«, ver sprach Agatha Simpson. Der Ton ihrer Stimme war sehr ironisch und kühl. »Vier Hälften?« Der Gereizte hatte noch nicht ganz verstanden. »Meine beiden Hälften, junger Mann, und die Ihres Freundes. Ich werde auch abdrücken.« »Sie wird es tun«, rief Kathy Porter nervös dazwischen. Sie hatte hinter dem Rover Deckung bezogen und konnte von der Maschinenpistole nicht er wischt werden. »Ich mach' keine Scherze«, drohte der Choleriker, während sein Partner aus zusammengekniffenen Augen auf die Detektivin schaute. »Ich ebenfalls nicht, Sie Lümmel. Werfen Sie die Waffe weg, aber etwas plötzlich!« »Sie haben wohl nicht mehr alle Tas sen im Schrank, wie?« Der Gereizte zer 29
sprang fast vor Wut, doch er riskierte nicht, auf Agatha Simpson zu schießen. »Tu, was sie sagt«, verlangte der be drohte Gangster nervös von seinem Partner. Dazu zwinkerte er ihm noch zu. Wahrscheinlich wollte er es später mit einem Trick versuchen. »Okay«, sagte der Choleriker, der ver standen hatte. »Wir stecken auf, Lady. Aber das werden Sie noch bereuen.« »Sie reden zuviel, junger Mann.« Aga tha Simpson glitzerte den Gangster war nend an, der daraufhin seine Maschinen pistole auf dem Boden ablegte. Kathy Porter kam um den Rover herum und wollte die Waffe aufheben. Sie sah es dem Mann an der Nasenspitze an, daß er damit gerechnet hatte, be nahm sich absichtlich ungeschickt und geriet somit in die Schußlinie der Lady. Das nutzte der Choleriker. Und nicht nur er. Auch sein Partner hatte mitbe kommen, daß die Detektivin zu ihrer Begleiterin hinüberschaute. Er reagierte sofort. Kathy Porter ließ sich jedoch nicht ins Bockshorn jagen. Als der Gereizte blitz schnell nach seiner Maschinenpistole greifen wollte, geriet sein Kinn gegen Kathy Porters vorschnellenden Fuß. Da dieser Fuß in einem flachen, soliden Straßenschuh steckte, erwies sich diese Berührung als äußerst strapaziös für den Unterkiefer. Der Choleriker stöhnte, fiel auf die Knie und rollte dann haltlos zur Seite. Der Entwaffnete warf sich auf Agatha Simpson und bereute es Bruchteile von Sekunden später. Agatha Simpson war eine erstklassige Sportlerin, versiert in vielen Techniken und Disziplinen. Einen ihr zugedachten Fausthieb blockte sie mit dem Kolben der Maschinenwaffe ab, worauf sich die 30
Finger des Angreifers kurzfristig ver formten. Dann bohrte die ältere Dame dem Angreifer noch den Lauf der Waffe gegen die rechten Rippen. Der Mann verfärbte sich und brabbelte Worte, die die Lady beim besten Willen nicht ver stand. Bevor sie rückfragen konnte, lag er bereits auf dem Boden und schloß die Augen. »Diese Jugend hat kein Stehvermö gen mehr«, stellte die Detektivin fest und schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. »Denken Sie nur an die Motorrad fahrer, die waren auch nicht viel besser. Aber kommen Sie, Kindchen, sehen wir uns den Lastwagen an. Ich hoffe, wir stoßen auf einen passablen Whisky.« »Mylady, wir sollten vielleicht schleu nigst das Feld räumen«, schlug Kathy Porter vor. »Natürlich, meine Liebe, natürlich. Aber wir werden den Lastwagen auf jeden Fall mitnehmen.« »Und . . . Und wer soll ihn fahren, My lady?« Kathy Porter brach wieder mal der Angstschweiß aus. »Ich natürlich, Kindchen«, verkünde te Agatha Simpson. »Solch eine Gele genheit lasse ich mir nicht entgehen. Einen Lastwagen wollte ich schon im mer mal fahren.«
Gegen Eierhandgranaten hatte Jo suah Parker etwas. Er mochte sie nicht. Ihre Splitterwirkung war zu groß und meist tödlich. Als sie durch die Luft auf ihn zusegelte, reagierte er automatisch. Er benutzte seine schwarze Melone als Tennisschläger, griff blitzschnell nach der Kopfbedeckung und schlug mit der stahlblechgefütterten Wölbung nach dem lebensbedrohenden Sprengkörper,
traf ihn haargenau und beförderte ihn lag jetzt förmlich auf dem Wasser und auf diese Weise zurück ins Motorboot. kraulte gekonnt, erreichte das Schilf Ein glücklicher Zufall half natürlich und schlug sich einen Fluchtweg durch mit. Die Eierhandgranate landete hinter das Dickicht. dem Fahrersitz und verrollte sich dort. Butler Parker hätte seinen UniversalDie Attraktive im Bikini hatte die Ab Regenschirm als Wurfspeer verwenden wehrszene entgeistert beobachtet und können. Er hätte auch seine schwarze mitbekommen, wo der Sprengkörper Melone als Wurfgeschoß einsetzen kön schließlich gelandet war. Sie fuhr herum nen, doch er verzichtete darauf. Er und starrte in das Boot. Sie wußte au wollte die junge Frau nicht unnötig ge genscheinlich nicht, wie sie sich verhal fährden. Ihm war klar, daß er sie ohne ten sollte. hin früher oder später noch mal wieder »Vielleicht ist es ratsam, ins Wasser zu sehen würde. springen«, rief der Butler ihr höflich zu. Sie verschwand bereits im Schilf und Die junge Frau starrte wieder den But war Sekunden später nicht mehr zu se ler an und . . . hechtete dann in die auf hen. Parker drehte erneut bei, wendete spritzenden Fluten. Dabei berührte ihr das Hausboot und hörte dann zu seiner rechter Fuß das Gasgestänge. Das Mo Überraschung einen schrill sirrenden torboot machte einen wilden Satz nach Außenborder, der sich der hinteren vorn und raste los. Weit kam es aller Flußbiegung näherte. dings nicht. Plötzlich blieb es stehen und platzte auseinander. Eine schwarze Rauchwol ke schoß gen Himmel, eine dumpfe De tonation war zu vernehmen. Wrackteile wirbelten durch die Luft und landeten klatschend im Wasser. Josuah Parker hatte sein Hausboot sicherheitshalber abgedreht und ging Dann war das kleine wendige Boot hinter der Brüstung in Deckung. Um bereits zu sehen. Es raste um die Bie das explodierte Motorboot kümmerte er gung und hielt genau auf Parkers Haus sich nicht weiter. Ihm ging es um die boot zu. Erst jetzt schien der Sports Schönheit im Bikini. Er hoffte, daß sie mann am Steuer zu merken, daß nicht von den Wrackteilen nicht erwischt das Hausboot, sondern das Motorboot in wurde. die Luft geflogen war. Der Mann kurbel Sie tauchte gerade auf, schnappte te am Steuerrad herum, legte sein klei nach Luft und tauchte wieder weg. Sie nes Boot in eine verwegene Kurve und schwamm in Richtung Schilfgürtel und jagte zurück zur Biegung. wollte sich in Sicherheit bringen. An Parker hatte bereits genug gesehen. einer Unterhaltung mit dem Butler war Mr. John Bartlett saß am Steuer, und sie eindeutig nicht interessiert. das konnte kaum ein Zufall sein. Butler Parker kümmerte sich nicht Josuah Parker gab Vollgas und wollte der Bikini-Dame den Weg abschneiden, weiter um John Bartlett, der ohnehin doch sie war bedeutend schneller. Sie bereits verschwunden war. Eine Verfol 31
gung wäre sinnlos gewesen. Parker ignorierte auch die Bikini-Schönheit, die sich tief im Schilfgürtel verkrochen hatte. Er ging wieder auf den alten Kurs und schipperte weiter, als sei nichts pas siert. Natürlich war ihm klar, daß es um mehr ging als nur um Schmuggel. Mord stand im Drehbuch, das die Gegenseite schrieb. Josuah Parker war fest ent schlossen, diese mörderische Heraus forderung anzunehmen. Gegner, die mit Eierhandgranaten nach ihm warfen, mußten seiner bescheidenen Ansicht nach so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen werden.
Der große Sattelschlepper füllte die Höhle fast aus. Er war mit sehr viel Fingerspitzengefühl in dieses Versteck hineinbugsiert worden. Die Absicht der Straßenräuber war es gewesen, den Eingang zu tarnen. Agatha Simpson und Kathy Porter fanden rechts vom Sattelschlepper roh zusam mengeschlagene Gestelle, die mit Tarn matten bedeckt waren. Die beiden Män ner waren wahrscheinlich im letzten Moment daran gehindert worden, diese Gestelle aufzurichten. Hinter einer Baubaracke stand ein Ga belstapler, auf dessen Ladehörnern ein dicker Felsklotz lag. Wozu dieser Gabel stapler dienen sollte, war der älteren Dame sofort klar. »Sie wollten den Zugang zum Stein bruch blockieren«, sagte sie zu der lang beinigen Kathy Porter. »Sehr geschickt, diese Lümmel, Kindchen. Wer würde schon in diesem Steinbruch nach dem verschwundenen Sattelschlepper suchen?« 32
»Sie wollen ihn tatsächlich hinüber zur Straße bringen, Mylady?« erkundig te sich Kathy sicherheitshalber noch mal. »Natürlich, Kindchen. Ich möchte die sen Mr. Higgins überraschen. Ich freue mich schon jetzt auf sein dummes Ge sicht.« »Solch ein Sattelschlepper ist nicht leicht zu fahren, Mylady.« »Für einen Laien ganz sicher nicht, meine Liebe.« Agatha Simpson nickte zustimmend. »Aber ich bin ja schließ lich technisch versiert. Ich habe mir sa gen lassen, daß man solche Sattelschlep per wie einen normalen Personenwagen bewegen kann.« Agatha Simpson war an diesem Thema nicht weiter interessiert. Sie wid mete sich der zweiteiligen Ladetür und studierte die aufgerissene Plombe. Zu sammen mit Kathy Porter öffnete sie einen Flügel der Tür und nickte dann wohlwollend. »Whisky, Kindchen, nichts als Whisky! Wie denken Sie darüber, ob man sich nicht ein Fläschchen ausleihen könnte?« Die Antwort wartete die ältere Dame nicht ab. Sie griff nach einem bereits aufgerissenen Karton, der vorn stand, und schlug den Deckel hoch. Sie durch stöberte den Karton und holte eine Fla sche hervor. »Sehr schön«, lobte sie und begutach tete das Etikett auf der Flasche. »Zwölf Jahre alt, Kindchen. Bei den herrschen den Preisen ist der Sattelschlepper ein Vermögen wert.« Lady Agatha nahm eine kleine Kost probe. Sie wollte sich vergewissern, ob der Flascheninhalt auch dem Etikett entsprach. Ungeniert und fachmän nisch zugleich setzte sie die Flasche an
ihren Mund und genehmigte sich einen ausgiebigen Schluck. »Annehmbar«, fand sie und leckte sich die Lippen. »Möchten Sie auch mal, meine Liebe?« »Lieber nicht, Mylady.« Kathy war und blieb nervös. Sie sah von der Höhle aus in den Steinbruch und sorgte sich. Gewiß, die beiden jungen Männer waren von ihr fachmännisch gefesselt worden und stellten keine Gefahr mehr dar, doch mit der Rückkehr der eigentlichen Gangster war zu rechnen. Agatha Simpson scherte das nicht. Nach einer zweiten und dritten Kost probe war sie in der richtigen Stim mung, den Sattelschlepper aus der gro ßen Kaverne zu fahren. Sie zwängte sich nach vorn zum Fahrerhaus und stieg ein. Kathys Blutdruck stieg empfindlich an, als der schwere Diesel wenig später los röhrte. Sie brachte sich schleunigst in Sicherheit und wartete auf ein kleines Wunder. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie die Lady das riesige Ge fährt bewegen würde. Nun, der Whisky beflügelte Agatha Simpson... Ein scharfer Ruck ging durch den Sat telschlepper, als Lady Agatha die Brem sen löste und ziemlich ungeniert Vollgas gab. Der Lastwagen hüpfte und vibrier te und jagte dann in wilder Fahrt aus der Höhle. Ganz ohne Schrammen ging die Rück wärtsfahrt zwar nicht ab, doch bevor Kathy Porter sich noch weiter sorgen konnte, stand der lange Sattelschlepper im Freien. Kein Profi hätte ihn schneller aus der Kaverne herausgebracht. Die Schrammen am Aufbau des Lastwagens zählten da überhaupt nicht. »Fahren Sie hinter mir her, Kind chen«, rief Agatha Simpson ihr vom
Fahrerhaus zu. »Ich werde das Tempo bestimmen.« Kathy Porter hätte mit ihrer Lady gern noch über Details gesprochen, doch Agatha Simpson stieß den Sattelschlep per weiter zurück, wendete und brauste dann voller Optimismus los. Kathy lief zum Rover hinüber, auf des sen Rückseite sich die beiden jungen Männer befanden. Sie waren inzwischen zu sich gekommen und sahen sie finster an. Kathy setzte sich ans Steuer und mußte sich beeilen, um nicht den An schluß zu verlieren.
Es hing gewiß nicht mit dem genosse nen Whisky zusammen, daß der schwere Lastwagen sich in Schlangenlinien be wegte. Agatha Simpson mußte sich erst mal mit den Kräften der Lenkung ver traut machen. In einer Art Walzerrhyth mus raste sie mit dem Sattelschlepper durch die Gegend und ließ eine mächti ge Staubwolke hinter sich. Kathy Porter mußte notgedrungen das Tempo des Rovers drosseln, um überhaupt etwas zu sehen. Davon ahnte die Detektivin nichts. Sie hatte sich inzwischen zurecht ge funden, steuerte die Landstraße an und fühlte sich ausgezeichnet. Ihre Augen funkelten vor Freude und Lust. Sie er füllte sich eine Art Kindheitstraum und hätte am liebsten laut gesungen. Der Lastwagen ließ sich übrigens er staunlich leicht fahren. Lady Agatha hatte sich das schwerer vorgestellt. Sie freute sich auf das Gesicht eines gewis sen Mr. Higgins. Dieser Mann suchte seit 33
Stunden verzweifelt nach dem ver schwundenen Sattelschlepper mit Whisky, den sie ihm jetzt mit ein paar anzüglichen Bemerkungen servieren wollte. Lady Agatha freute sich aber auch auf ihren Butler. Ganz allein und ohne seine Hilfe löste sie hier einen Kriminalfall, während er Urlaub machte. Das würde ihm zeigen, daß eine Lady Agatha auch allein zurecht kam. Agatha Simpsons Euphorie wurde ein wenig gebremst. Von der Landstraße, die bereits zu sehen war, bogen zwei Wagen ab und kamen auf sie zu. Es handelte sich um zwei kleinere Lieferfahrzeuge mit Ka stenaufbauten. Sie bremsten kurz ab und .. . stellten sich dann quer. Sie blok kierten die geschotterte Zufahrtsstraße und wollten den Sattelschlepper offen sichtlich aufhalten. Die Fahrer der beiden Lieferwagen hatten sicher keine Ahnung, wer am Steuer des Sattelschleppers saß, sonst hätten sie bestimmt vorsorglich die Flucht ergriffen.
Butler Parker war mit seinem Haus boot vor Anker gegangen. Er hatte sich einen kleinen See ausge sucht und das Boot gleich hinter dem Zufluß des Flüßchens ins Schilf ge drückt. Um es zu entdecken, mußte man schon recht gut aufpassen und sich um sehen. Nach dem Zwischenfall mit der Eier handgranate stand es für ihn fest, daß er zum Gegenangriff überging. Bisher hatte er sich passiv verhalten, nun wollte er aktiv werden. Der Butler sortierte seine Verteidi 34
gungsmittel und verschaffte sich einen Überblick. Um den Inhalt seines schwarzen Spe zialkoff ers brauchte Parker sich nicht zu kümmern, er war ihm nur zu vertraut. Enthalten war eine Anzahl von Überra schungen, die der Butler nach Lage der Dinge einsetzen konnte. Im Augenblick interessierte Parker sich mehr für die Signalpistole, die mit zur Ausstattung des Hausbootes gehörte. Und da waren ein Anlegehaken, eine Angelausrü stung, recht schwere Fender und schließlich noch einige Plastikeimer, al les Dinge, die man zweckentfremden konnte. Josuah Parker wurde abgelenkt. Vom Seeufer her hörte er den Lärm schwerer Motorräder. Sehen konnte Parker allerdings nichts, dazu stand das Schilf zu hoch. Als die Motoren plötzlich abgestellt wurden, erhöhte sich seine Wachsamkeit. Er hatte das Gefühl, als sei er aufgespürt worden. Parker ging unter Deck, um kein Ziel zu bieten. Von einem der Kabinenfenster aus beobach tete er das Schilf. Er konnte sich gut vorstellen, daß die ser John Bartlett einen weiteren Ver such unternahm, ihn aus dem Weg zu räumen. Nachdem die Eierhandgranate versagt hatte, versuchte der angebliche Privatdetektiv es wohl mit einer ande ren Methode. Parker brauchte nicht lange zu warten. Plötzlich bewegte sich das Schilf. Halme brachen und gerieten unter Was ser. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er die ersten Angreifer entdeckte. Es handelte sich um junge Männer, die recht seltsam, ja gefährlich aussahen. Sie trugen nur ihre slipartigen Unterho sen und waren sonst nackt. Ihre Gesich
ter waren allerdings nicht zu erkennen. mit sich zu Rate und diskutierten inten Sie verbargen sich hinter supermoder siv ihre Möglichkeiten. »Ich möchte Sie nicht unnötig beun nen Jethelmen. Es handelte sich um sechs Angreifer, ruhigen«, ließ Parker sich wieder ver die durch das schlammige Wasser wate nehmen und deutete mit der Spitze sei ten und nicht recht vorankamen. Die nes Universal-Regenschirms auf ein be starken Schilfhalme boten ein Hinder sonders verfilztes Schilfstück. »Mir nis, das nicht so leicht zu überwinden scheint jedoch, daß ich dort gerade eine war. Die sechs jungen Männer ruderten kleine Wasserschlange gesehen habe, mit ihren Armen in der Luft herum und die nicht unbedingt giftig sein muß!« arbeiteten sich fast wütend vor. Das reichte vollkommen. Parker ging an Deck und lüftete höf Die sechs jungen Männer stammten lich seine schwarze Melone. eindeutig aus einer Großstadt und kann »Ich erlaube mir, Ihnen einen guten ten sich mit der Fauna hier draußen auf Tag zu wünschen«, schickte er erst mal dem Land nicht aus. Die Wasserschlan höflich voraus. »Sind Sie möglicherwei ge, die selbstverständlich nicht existier se vom Weg abgekommen?« te, löste Panik aus. Alle flüchteten zu Sie antworteten nicht und mühten rück an Land und entwickelten dabei sich ab, noch schneller an das Hausboot eine erstaunliche Schnelligkeit. Hem heranzukommen, doch der Schlamm mender Schlamm oder sperriges Schilf hielt ihre Füße und Beine fest. Aus dem schienen überhaupt nicht mehr zu exi geplanten Sturmangriff wurde nicht stieren. viel. Parker wartete, bis die Angreifer ver »Hegen die Herren etwa einen Groll schwunden waren. Dann holte er den auf meine bescheidene Wenigkeit?« kleinen Anker ein und ließ den Diesel fragte Parker weiter. anspringen. Er hielt es für sicherer, seine Sie antworteten nicht. Gegner erst mal zu verwirren. Für das, »Hoffentlich ist Ihnen bewußt, daß es was er plante, brauchte er keine Zu hier Aale und Blutegel gibt«, warnte Jo schauer oder gar Störenfriede. suah Parker die jungen Männer. »Sie lieben die Schlamm- und Schilfregion dieses Sees.« Lady Simpson stutzte nur für Sekun Der Hinweis hemmte den Schwung der sechs jungen Männer, die bereits bis denbruchteile, als sie die beiden querge zum Bauch im Wasser standen. Aale er stellten Kastenlieferwagen wahrnahm. innerten sie wahrscheinlich an Schlan Dann aber preßte sie ihre Lippen fest gen, und die mochte man gewiß nicht. zusammen und gab Vollgas. Sie war Die Aussicht, von einem Blutegel an nicht die Frau, die sich aufhalten ließ. einer besonders empfindlichen und ex Schon gar nicht von solch einem win ponierten Körperstelle erwischt zu wer digen Straßenhindernis. Die Fahrer der beiden querstehenden den, behagte ihnen überhaupt nicht. Die sechs jungen Männer riefen sich Lieferwägen fielen fast aus den Fahrer Worte zu, die Parker vom Hausboot aus häusern und retteten sich hinauf auf die nicht verstand. Sie gingen offensichtlich weite Wiese. Mit einem Rammversuch 35
hatten sie ganz sicher nicht gerechnet. Agatha Simpson donnerte mit dem schweren Sattelschlepper auf die impro visierte Straßensperre zu, um sich im letzten Augenblick die Sache doch ein wenig anders zu überlegen. Sie wollte nicht in diesem Hindernis stecken blei ben, sondern den entführten Lastwagen einem gewissen Chiefconstable Higgins präsentieren. Die Gefahr, mit einem Plattfuß liegenzubleiben, war ihr doch zu groß. Sie mißbrauchte den Sattelschlepper also prompt als Geländewagen und bremste kaum ab, als sie hinaus auf die Wiese raste. Der Sattelschlepper hüpfte wenig elegant durch den erfreulicher weise nicht gerade tiefen Graben, legte sich gefährlich auf die Seite und richtete sich unwillig wieder auf. Da Lady Simp son aber Vollgas gab, röhrte der Lastzug weiter und erreichte wieder einigerma ßen flachen Boden. Die Wiese war nicht gerade bretteben. Sie wies Wellen auf, kleine Hügel und auch einige Dränagegräben. Das alles nahm die ältere Dame jedoch kaum wahr. Sie saß grimmig und entschlossen im Fahrersessel, der recht gut gefedert war, kurbelte am Steuer herum und hetzte erst mal zwei Männer, die Schuß waffen gezogen hatten. Sie kamen gar nicht mehr dazu, einen gezielten Schuß auf die Fahrerin abzu geben. Der Sattelschlepper fauchte hin ter ihnen her und trieb sie in ein Dik kicht, in das sie entsetzt und kopfüber hineinpurzelten. Bevor sie sich hervor gearbeitet hatten, war der Lastzug schon weit weg und rasierte gerade einen Wei denzaun ab. Die beiden hinteren Ladetüren muß ten nicht sachgerecht geschlossen wor den sein. 36
Die rechte Tür hatte sich bereits weit geöffnet und gab einigen Whiskykisten Gelegenheit, ins Gras zu fallen. Sie lie ßen nicht lange auf sich warten, plump sten nacheinander auf den Boden und verstreuten ihren Inhalt weit um sich. Die Wiese verwandelte sich in eine Fla schenhalde. Es roch plötzlich penetrant nach dem teuren Getränk. Agatha Simpson hinterließ eine deut liche Spur bis hinüber zur Straße, doch sie wußte nichts davon. Sie schaute kurz in den Rückspiegel und vermißte den Rover. Sie bremste ab, beschrieb einen leichten Bogen und nickte dann zufrie den. Der Rover hatte die Straße inzwi schen erreicht und schien auf sie zu warten. Die Lady kurvte parallel zur Straße erst mal zurück zum geschotter ten Feldweg und von dort aus zum Rover. Die resolute Fahrerin beugte sich weit aus dem Fenster der Kabine. »Ein wunderschöner Wagen«, sagte sie begeistert. »Hoffentlich können Sie mir folgen, meine Liebe. Ich werde jetzt etwas schneller fahren. Ich glaube näm lich, man will uns verfolgen.« Lady Simpsons Vermutung erwies sich als richtig. Die Männer waren aus dem Dickicht zurück zu den beiden Ka stenlieferwagen gerannt und fuhren ge rade los. Es war klar, daß sie den Sattel schlepper um jeden Preis einholen und stoppen wollten. Kathy Porter kam nicht mehr dazu, der Lady eine Warnung zuzurufen. Aga tha Simpson fuhr bereits an. Und wie sie das tat! Der schwere Lastwagen machte einen Satz nach vorn und verlor dadurch einige Kartons mit Whiskyflaschen. Ka thy konnte ihnen gerade noch auswei chen, bevor die Flaschen auf der Straße landeten. Dann mußte auch sie Vollgas
Dort war nichts zu sehen. Seine Phan geben, um den Anschluß nicht zu ver passen. tasie war wohl doch größer als die seiner Gegner. Er wollte sich schon wieder ab wenden und sich mit den sechs jungen Männern befassen, als er eine seltsame Die Szene sah harmlos und verspielt Beobachtung machte. aus. Vom Schilfgürtel hatte sich eine Art Selbst ein mißtrauischer Beobachter Treibinsel gelöst, was an sich nichts Be hätte wohl kaum Verdacht geschöpft sonderes war, denn auf dem kleinen See und sich höchstens noch amüsiert. Da gab es viele davon. Diese Treibinsel aber waren zwei improvisierte Flöße, die mit hatte für sein Gefühl zu große Fahrt je drei jungen Männern besetzt waren. aufgenommen und trieb direkt auf das Sie ruderten mit langen Bohnenstangen Hausboot zu. und Brettern ihre Wasserfahrzeuge über Damit war alles klar. den See und hielten auf Parkers Haus Unter dieser kleinen Treibinsel mußte boot zu. sich zumindest ein weiterer Gegner be Die sechs jungen Männer hatten dies finden. mal auf ihre Jethelme verzichtet und wirkten völlig unbeschwert und normal. Sie lachten, riefen durcheinander und waren bester Stimmung. Daß sie Par kers Hausboot angriffen, war überhaupt nicht zu vermuten. Der Butler wußte es natürlich besser. Seit dem ersten Angriff war eine Stunde verstrichen. Parker hatte das Parker tat natürlich so, als habe er Hausboot in eine kleine Bucht bugsiert überhaupt keinen Verdacht geschöpft. und sich eigentlich recht sicher gefühlt. Er ging zurück an die gegenüberliegen Er stand auf dem Vorderdeck und be obachtete die heranpaddelnden Män de Reling und beobachtete weiter die ner. Rechneten sie denn nicht damit, lärmenden Männer, die sich bis auf etwa daß er den Diesel anwarf und versuchte, dreißig Meter genähert hatten. Parker seine Angreifer zu rammen? Sie benah wußte bereits, wie er diese Treibinsel men sich mehr als leichtsinnig und zerstören konnte. Er langte nach einem der kleinen, aber schienen sich ihrer Sache sicher zu sein. Plötzlich kam Parker ein böser Ver soliden und schweren Fender. Es han dacht. War das alles nur ein raffiniertes delte sich dabei um eine Art Anlegepol Ablenkungsmanöver? Wollte man seine ster. Sie sollten verhindern, daß das Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Hausboot beim Festmachen zu hart ge beiden Flöße lenken? Parker wandte gen einen Kai oder Bootssteg stieß. Der sich um und verschwand hinter dem Fender war rund und erinnerte an eine Kabinenaufbau. Von hier aus beobach etwas aus der Form geratene Riesen tete er den nahen Schilfgürtel der klei wurst. Er bestand aus einem Geflecht aus dickem Manilahanf, der mit geteer nen Bucht. 37
tem Werg gefüllt war. In Parkers Händen wurde dieser Fen der zu einer Art sprengstofflosen Bombe. Er wirbelte den Fender am Halteseil wie ein Lasso um seinen Kopf und schien sich auf die beiden Flöße konzen trieren zu wollen. Dann aber, ohne jede Vorwarnung, wechselte der Butler die Richtung, eilte zur uferseitigen Reling und ließ das Halteseil los. Der Fender, der viel Schwung aufge nommen hatte, sirrte durch die Luft, stieg steil zum Himmel empor, erreichte den Gipfelpunkt seiner Flugkurve und jagte dann auf sein Ziel zu. Die Treibinsel schien das Verhängnis zu ahnen, das aus der Luft kam. Sie wurde recht schnell und wollte seitlich ausweichen. Der Fender jedoch war schneller und krachte bereits auf die Treibinsel. Das Ergebnis war frappierend. Der Fender schlug die kleine Insel auseinander. Holzstücke wirbelten durch die Luft, eine Gummimatratze war plötzlich zu sehen und ein gurgeln des und wasserspuckendes Etwas, das wie ein Korken hoch aus dem Wasser schoß und dann wie wild um sich schlug. Bruchteile von Sekunden später hustete dieses Etwas nicht mehr. Es blieb still und regungslos auf dem Was ser liegen und schickte sich an, langsam wegzusacken. Dagegen hatte Josuah Parker aus Gründen der Menschlichkeit einiges einzuwenden. Dieses Etwas war näm lich die Bikinischönheit, die wohl ohn mächtig geworden war.
Mr. Higgins, der Einsatzleiter der uni 38
formierten Polizei, saß in einem Hub schrauber seiner Dienststelle und kon trollierte die Straßensperren. Der Mann stand noch immer unter einem leichten Schock. Obwohl wirk lich einige Zeit verstrichen war, mußte er immer wieder an diese seltsame Lady denken, die er inzwischen als Lady Aga tha Simpson hatte identifizieren lassen. Anhand der Wagenkennzeichen des Ro vers war das dank des Polizeiapparates nicht schwer gewesen. Diese Dame hatte ihn gründlich ge nervt. Irgendwie war der Chief constable heilfroh, im Hubschrauber zu sitzen. Hier oben brauchte er eine weitere Be gegnung mit dieser Furie nicht zu fürch ten. Verrückte Furie, so nannte er insge heim Lady Simpson. Higgins überlegte sich, welche Maß nahmen er gegen diese Frau einleiten sollte. Wenn er es recht bedachte, kam eine Menge zusammen. Sie hatte Sach beschädigung an einem Streifenwagen verursacht, sich den Anordnungen der Polizei widersetzt und ihn beleidigt. Für eine saftige Anklage mußte das wohl reichen. Der Pilot des Hubschraubers deutete plötzlich nach unten und ging tiefer. Higgins beugte sich vor, um besser se hen zu können. Er entdeckte auf einer schmalen Landstraße einen geradezu riesigen Sattelschlepper, der mit ver botswidriger Geschwindigkeit durch die Gegend donnerte. Der Pilot schwenkte den Hubschrau ber zur Seite, damit sein Fluggast die Aufschrift auf dem langen, kastenförmi gen Aufbau besser lesen konnte. Hig gins zuckte förmlich zusammen, als er sie entzifferte. Der Sattelschlepper war genau das Fahrzeug, nach dem seine Leute und er schon seit einigen Stunden
fahndeten. Der Hubschrauber schwenkte weiter herum und gab den Blick frei auf zwei kleinere Lieferwagen, die dem Sattel schlepper offensichtlich folgten. Der Pi lot ging so tief, wie es sich eben nur einrichten ließ. Higgins hatte längst bemerkt, daß die beiden hinteren Ladetüren des Sattel schleppers geöffnet waren. Aus dem In nern des Lastwagens wurden gerade Flaschen auf die Fahrbahn geworfen. Sie platzten auf dem Asphalt auseinan der und zersplitterten. Sie hinterließen eine deutliche Spur von mehr oder weni ger großen Glasscherben. In diese Scherben jagten die beiden Lieferwagen prompt hinein. Die Reifen platzten. Die Wagen schlingerten, ka men aus dem Kurs, wurden zurück auf die Fahrbahn gezwungen und landeten doch kurz nacheinander im Straßen graben. Während Higgins dieses Spiel faszi niert betrachtete, gab der Pilot bereits eine Lage- und Standortmeldung an die suchenden Streifenwagen und Straßen sperren durch. Er setzte sich über den Sattelschlepper und nahm ein Stock werk höher an der wilden Fahrt weiter teil. Der schwere Lastwagen wurde offen sichtlich von einem verwegenen Fahrer gesteuert. Die Kurventechnik des Chauffeurs war nicht nur waghalsig, sie grenzte schon an Artistik. Frappierend war die Tatsache, daß der Sattelschlep per keineswegs immer auf der Straße blieb. Der Fahrer schien Abkürzungen aller Art zu lieben. Einmal wählte er eine Wiese, um eine Kurve besonders ge konnt zu schneiden, dann wieder durch brach er einen Weidenzaun, um schließ lich in einer Feldscheune zu verschwin
den, die keinen besonders soliden Ein druck machte. Chiefconstable Higgins dachte im er sten Moment, der Sattelschlepper solle versteckt werden. Ein paar Augenblicke später aber mußte er seine Ansicht er heblich ändern. Die Feldscheune geriet in unkontrol lierte Bewegung. Unter ihr schien der Boden von einem, starken Erdbeben be wegt zu werden. Die Feldscheune schüt telte sich, wurde angehoben und brach dann auseinander. Sekunden später wir belten Balken, Bretter und Dachschin deln durch die Luft. Plötzlich erschien der Sattelschlepper wieder. Er rumpelte aus den Trümmern der in sich zusammenstürzenden Scheune hervor, nahm ein Tor mit und zerlegte es auf den nächsten Metern in seine Be standteile. Ein wenig angeschlagen und zerbeult rollte der Sattelschlepper wei ter und hielt Kurs zurück auf die Straße. Higgins geriet in zusätzliche Unruhe, als er die Straße überblickte. Hinter ei nem kleinen Waldstück kamen zwei Streifenwagen seines Einsatzkomman dos hervor. Sie hielten direkt auf den Sattelschlepper zu. Eine Katastrophe schien unab wendbar.
Mit dem Anlegehaken fischte Butler Parker nach der im Wasser treibenden Schönheit. Es war wirklich nicht seine Absicht, daß dieser Haken sich ausge rechnet im Oberteil des Bikinis verfing. Als Josuah Parker die junge Frau vor sichtig und langsam ans Hausboot her anzog, platzten die spaghettidünnen Träger, worauf die Schönheit sich im >Oben-ohne-Look< präsentierte. 39
Parker versuchte es erneut und schob den Enterhaken unter den mehr als knappen Slip. Diesmal klappte das Ret tungsmanöver. Der Slip hielt stand und beförderte seine Trägerin an die Bord wand. Parker beugte sich vor und zog die junge Frau an Deck. Sie war zwar noch immer bewußtlos, doch das war nicht weiter gefährlich. Ihre Brust hob und senkte sich. Es war bestimmt nur eine Frage von Sekunden, bis sie wieder zu sich kam. Parker trug seinen Uberraschungsgast unter Deck und legte ihn in eine Koje. Als er wieder hinaufging, verschloß er sicherheitshal ber die Tür der Kabine. Er wollte keinen Zweifrontenkrieg führen. Die beiden improvisierten Flöße wa ren inzwischen recht nahe herangekom men. Die sechs jungen Männer lärmten nicht mehr fröhlich herum. Sie hatten natürlich mitbekommen, daß Parker die Treibinsel nachdrücklich zerstört hatte. Verbissen und kraftvoll stakten und paddelten sie auf das Hausboot zu. Sie wollten es jetzt wissen. Vielleicht war ihnen auch aufgegangen, daß dieser Butler für sie keine leichte Nuß war. Darin sollten sie sich nicht getäuscht haben! Josuah Parker hielt nichts von einem Handgemenge an Deck. Seiner Ansicht nach mußten diese Piraten auf Distanz bekämpft werden. Er bemühte einen zweiten Fender und ließ ihn schwung voll über dem Kopf kreisen. Die Besatzung des linken Floßes ahnte, was da auf sie zukam. Sie ver suchte es mit einem Zick-Zack-Kurs, um Parker am genauen Zielen zu hin dern, doch sie erreichten nichts. Als Par ker sein Wurfgeschoß losließ, war die Sache bereits geritzt. Krachend schlug der Fender ein. 40
Das leichte, improvisierte Floß brach prompt auseinander. Die drei Wasser sportler landeten im Wasser und muß ten sich neu orientieren. Inzwischen füllte Parker einen Wassereimer, an des sen Henkel sich ein langer Strick befand. Dieses Geschoß war eigentlich noch wirkungsvoller als der Fender. Es war schwerer. Als es auf dem zweiten Floß einschlug, schien eine Granate explo diert zu sein. Die Bretter wirbelten durch die Luft, die drei jungen Männer klatschten ins Wasser. Parker schritt ohne Hast zum Ruder stand und ließ den Diesel anspringen. Dann gab er Gas und tuckerte majestä tisch davon. Er passierte die im Wasser treibenden Jünglinge und grüßte über aus höflich. Ein Mann wie Parker legte eben Wert auf Formen. Flüche und Drohungen folgten ihm. Parker hörte bei dieser Gelegenheit völ lig neue Wortschöpfungen. Die Wut und Enttäuschung der >Piraten< mußte dem nach außerordentlich sein. Das Hausboot durchmaß den kleinen See und bog dann in das Flüßchen ein. Parker änderte die Richtung. Er dieselte flußabwärts und nahm Kurs auf jene Uferpartie, an der die Farm lag. Laut Karte verästelte das Flüßchen sich spä ter in eine Art Delta. Nach Parkers Be rechnung mußte es dort hervorragende Versteckmöglichkeiten geben. Er schaute noch mal zurück. Die sechs jungen Männer schwam men gerade auf den Schilfgürtel zu und sahen gar nicht mehr gefährlich aus. Parker war ehrlich froh, daß diese Kon frontation derart harmlos ausgegangen war. Er brauchte sich jetzt nur noch um seinen Gast in der Kabine zu kümmern. Die Bikini-Dame war bereits wieder
»Ich sage überhaupt nichts mehr«, zu sieh gekommen und sah ihn wütend an. Sie saß in der Koje und hatte eine antwortete sie. »Mr. John Bartlett ist auf keinen Fall Decke um ihre Schultern gelegt. Parker blieb an der Kabinentür stehen und lüf ein Privatdetektiv aus Leeds, der für den Verband schottischer Whiskyhersteller tete höflich seine schwarze Melone. »Ich konstatiere mit Vergnügen und ermittelt«, redete Parker dafür gemes Genugtuung, Madam, daß es Ihnen wie sen weiter. »Die Frage ist nur, ob er mit der leidlich zu gehen scheint«, sagte er. oder gegen das Trio Pete, Maud und Rob »Darf und muß ich unterstellen, daß Sie arbeitet. Sie wissen doch, jene jungen etwas gegen meine bescheidene Person Leute, die zwei Kastenlieferwagen in der Scheune ihrer gemieteten Farm ste haben?« »Wie kommen Sie denn darauf?« Sie hen haben.« Doch die Bikini-Dame antwortete riß sich zusammen und schaltete auf nicht. Erstaunen um. »Um Whiskyschmuggel geht es auf »Sollte ich nicht an eine gewisse Eier keinen Fall«, stellte Parker weiter fest. handgranate erinnern, Madam?« »Eierhandgranate? Wovon reden Sie »Schmuggler pflegen kaum mit Eier eigentlich?« Sie tat ahnungslos, doch sie handgranaten zu arbeiten.« war eine schlechte Schauspielerin. Sie senkte den Kopf und sagte nichts. »Versuchten Sie nicht, mich mit einer »Logischerweise muß es also um an Eierhandgranate zu bedenken, Madam? dere Dinge gehen«, führte der Butler Können Sie sich vielleicht vage daran weiter aus. »Ich möchte eine Vermutung erinnern, daß Sie dabei Ihr Motorboot äußern, wenn Sie gestatten, Madam. verloren?« Meiner sehr bescheidenen Meinung nach scheint es sich um Whisky zu han »Sie .. . Sie sind verrückt!« »Möglicherweise läßt mein Erinne deln, den man gestohlen hat.« »Wie kommen Sie denn darauf?« rungsvermögen deutlich nach«, räumte Josuah Parker höflich ein. »Aber fragte, sie, ihr Schweigen durchbre warum, so frage ich mich, greift Mr. chend. John Bondlett zu solch groben »Man las in letzter Zeit mehrfach da Mitteln?« von«, sagte Josuah Parker. »Speziali »Ich kenne keinen Mr. Bartlett«, sagte sierte Gangster entführen Whiskytrans sie. Im gleichen Moment merkte sie porter, schaffen die Lastwagen an auch schon, daß sie in die mehr als einfa irgendeine einsame Stelle, laden die Whiskykartons um und schaffen die be che Falle getappt war. Parker hatte >Bondlett< gesagt, sie gehrte Beute auf Umwegen nach Lon aber kannte den richtigen Namen > Bart don. Der Profit ist beachtlich.« lett« sehr genau. Sie ärgerte sich und biß »Sie phantasieren sich da was zu sich auf die Unterlippe. sammen. « »Das kann jedem passieren, Madam«, »Diesen Vorwurf muß ich in der Tat tröstete Parker sie. »Entschuldigen Sie hinnehmen«, gestand Butler Parker. diese kleine List! Mr. Bartlett scheint zu »Noch fehlen mir die Beweise, aber viel befürchten, daß ich seine Kreise störe, leicht ändert sich das bereits in den nicht wahr?« nächsten Stunden.« 41
»Oder auch nicht!« Eine Stimme hin ter Parker widersprach kurz und knapp. Bevor der Butler allerdings darauf ein gehen konnte, mußte er bereits einen harten Schlag gegen den Hals hinneh men. Er ging in die Knie und fiel dann der Länge nach in die Kabine. Und es war schon erstaunlich. Selbst dieses Niedergehen zelebrierte der But ler mit Vornehmheit und Würde. Hal tung war bei ihm oberstes Gebot.
Higgins war tief erschüttert und zu gleich auch beeindruckt. Er stand seitlich vor dem Sattelschlep per und sah auf Lady, Agatha Simpson, die munter und freudig aus dem Fahrer haus kletterte. Ihr Hut, der ein wenig an einen Südwester erinnerte, saß unter nehmungslustig schief auf dem Kopf. Ihre Augen funkelten animiert. »Ein Geschenk für Sie, Mr. Higgins«, sagte sie. »Sie brauchen sich erst gar nicht zu bedanken, junger Mann. Die Sache hat mir großen Spaß gemacht.« »My . .. My . .. Mylady«, stotterte der hohe Polizeioffizier. Zu mehr reichte es bei ihm im Augenblick nicht. »Sie stottern ja schon wieder«, tadelte die ältere Dame. »Bei Gelegenheit soll ten Sie endlich mal was dagegen tun, junger Mann.« »Ich . . . Ich verlange eine Erklärung«. Higgins riß sich zusammen und war endlich bereit das zu glauben, was er gerade gesehen hatte. Nein, er litt nicht an einer Verwirrung seiner Sinne. Lady Agatha Simpson war aus dem schweren Sattelschlepper gestiegen und schritt nun auf ihren stämmigen Beinen zurück zur geöffneten Ladefläche. Higgins folgte automatisch, einige Männer sei 42
nes Einsatzkommandos im Schlepptau. Sekunden später sah Higgins sich Ka thy Porter gegenüber. Sie sprang gerade aus dem Sattelschlepper und nickte der Detektivin zu. »Zeigen Sie ihm die beiden Lümmel«, befahl Lady Simpson ihrer Gesellschaf terin. »Sie liegen dort hinter den Whiskykar tons«, antwortete Kathy Porter. »Ich verlange endlich eine Erklä rung!« Higgins hatte es geschafft, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. »Mylady hat den gestohlenen Sattel schlepper entdeckt und dazu noch zwei der mußmaßlichen Räuber festgenom men«, sagte Myladys Gesellschafterin freundlich. »Das verstehe ich nicht.« Higgins schluckte. »Natürlich nicht«, grollte Agatha Simpson. »Genauso habe ich Sie auch eingeschätzt.« Kathy Porter war daran gelegen, daß die Dinge nicht auf die Spitze getrieben wurden. Sie berichtete kurz, was sich zugetragen hatte. »Der Sattelschlepper stand in einer Steinbruchhöhle«, stellte Mr. Higgins kopfschüttelnd fest. »Wieso haben Sie ihn gefunden?« »Weil ich schneller nach East Dere ham kommen wollte, junger Mann«, schaltete die resolute Dame sich wieder ein. »Ich benutzte eine Abkürzung.« »Aber weshalb ausgerechnet den Steinbruch?« Higgins schaltete inner lich auf Mißtrauen um. »Weil wir uns etwas verfahren haben«, erklärte Kathy Porter und lächelte. »Verfahren, meine Liebe?« Lady Simpson war mit dieser Feststellung nicht einverstanden. »Davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Setzen Sie
gefälligst keine Gerüchte in die Welt, Kindchen! Natürlich war das mein Jagd instinkt. Aber so etwas werden Sie nie verstehen, Mr. Higgins! Wollen Sie die beiden Subjekte nicht endlich fest nehmen?« Einige Männer des Chiefconstable stiegen auf die Ladefläche und holten die jungen Männer heraus, die von Ka thy Porter sach- und fachgerecht ver schnürt worden waren. Sie machten ei nen leicht angeschlagenen Eindruck; Die wilde Fahrt des Sattelschleppers war ihnen nicht gut bekommen. »Haben Sie wenigstens die beiden kleinen Lieferwagen gestellt?« wollte Agatha Simpson inzwischen von Hig gins wissen. »Ich kann ja schließlich nicht alles allein machen, oder?« »Sie .. . Sie werden verfolgt, Mylady. Das heißt, sie sind inzwischen auch ge stellt worden.« »Auch die Insassen, junger Mann?« »Lei.. . Leider nein«, gab Higgins un sicher zurück. »Sie bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm, Mr. Higgins«, grollte die Detekti vin. »Muß ich Ihnen diesen Fall denn auf einem silbernen Tablett servieren? Sie machen sich diese Sache sehr einfach.« Higgins senkte den Blick. Er wehrte sich innerlich dagegen, doch er schaffte es nicht. Unter den Au gen der Lady fühlte er sich wie ein klei nes Kind, das gescholten wird.
Butler Parker genierte sich ein wenig. Er war wieder zu sich gekommen und schalt sich einen ausgemachten Narren. Er hatte sich übertölpeln lassen, und das ärgerte ihn gründlich. Im Moment war er an Händen und Füßen gefesselt und
befand sich in der hinteren Kabine des Hausbootes. Das Wasserfahrzeug bewegte sich, doch wohin die Reise ging, konnte Par ker nicht feststellen. Die Vorhänge vor den Kabinenfenstern waren zugezogen worden. Es hatte also doch nicht ausgereicht, die Treibinsel und die beiden Flöße zu zerstören. Der Gegenseite war es den noch gelungen, das Hausboot aufzubrin gen. Nun hatte er, Josuah Parker, die Suppe auszulöffeln, die er sich da einge brockt hatte. Parker war sich klar dar über, daß es sich keineswegs um eine wohlschmeckende Suppe handelte. Man hatte schließlich bereits versucht, ihn mittels einer Handgranate ins Jen seits zu befördern. Als Parker sich gerade mit den Strik ken befassen wollte, die seine Hand- und Fußgelenke stramm zusammenhielten, hörte er Schritte auf dem Niedergang. Wenig später öffnete sich die schmale Schiebetür, und ein Bekannter trat ein. Es handelte sich um den angeblichen Privatdetektiv aus Leeds, Mr. John Bartlett. Der Mann grinste. »So sieht man sich wieder«, sagte er und nickte. »Sie sehen einen zerknirschten alten, müden und relativ verbrauchten Mann vor sich«, erwiderte Josuah Parker. »Sie brauchen sich bald nicht mehr zu ärgern«, versprach der Mann, der sich John Bartlett nannte. »Sie haben die feste Absicht, meine bescheidene Wenigkeit für immer mundtot zu machen, wie ich unterstel len darf?« »Sie sagen es verdammt kompliziert, Parker, aber im Endeffekt stimmt das schon.« »Sie fürchten um Ihre Geschäfte, Mr. 43
Bartlett?« »Ein Schnüffler wie Sie, Mr. Parker, sollte immer möglichst schnell von der Bildfläche verschwinden.« »Sie versuchten es bereits mit einer Eierhandgranate.« »Richtig«, bestätigte Bartlett. »Ich wußte doch gleich, daß Sie nicht als Urlauber hierher in die Broads gekom men sind.« »Was aber durchaus den Tatsachen entspricht.« »Mir können Sie nichts vormachen, Parker.« Bartlett lachte leise auf. »Diese angebliche Ferientour war doch nichts als Tarnung. Sie sind von Anfang an hinter uns hergewesen.« »Sie befassen sich mit dem Raub und Diebstahl von Whiskytransporten, oder sollte ich mich irren? « »Sie irren sich nicht, Parker, aber ich lasse mir meine Kreise nicht stören.« »Dazu steht zuviel auf dem Spiel, nicht wahr?« »Der Verdienst ist bestens.« Bartlett nickte bestätigend. »So billig wie jetzt kaufe ich nie wieder ein.« »Darf ich mir erlauben, Sie als das Haupt der Bande zu bezeichnen, Mr. Bartlett?« »Sie dürfen, Parker, Sie dürfen!« Bart lett lächelte amüsiert. »Das Trio Pete, Maud und Rob von der Ferienfarm gehört zu Ihrer Organisa tion?« »Das wissen Sie doch längst, Parker.« »Darf ich weiter davon ausgehen, daß Sie die Brieftaschen der Herren Pete und Rob sicherstellten?« »Auch das, Parker. Ich gebe zu, Sie haben mir ein paar miese Stunden be schert. Ein Gegner wie Sie, Parker, löst immer Alarm aus.« »Ich möchte Ihre Geduld nicht unnö 44
tig strapazieren«, schickte Josuah Par ker voraus. »Arbeiten auch die sechs jungen Wassersportler für Sie?« »Aber nein, Parker, wo denken Sie hin?« John Bartlett schüttelte den Kopf. »Das sind harmlose Burschen, die ich nur vor meinen Karren gespannt habe. Sie wollten Ihnen nur eine Abreibung verpassen.« »Ich erkenne die Zusammenhänge nicht, Mr. Bartlett.« »Sie glauben wahrscheinlich immer noch, Sie hätten meine Freundin belä stigt.« »Die junge Dame im Bikini?« »Richtig, Parker. Sie hat den Typen eine Schauergeschichte aufgetischt und Sie als einen alten Lüstling hingestellt. Wie diese Dummköpfe darauf hereinge fallen sind, haben Sie ja erlebt.« »Ich habe es mit ungewöhnlich ge schickten Gegnern zu tun, Mr. Bartlett.« »Strengen Sie sich gar nicht erst an, Parker! Das ganze Herumgeschmeiche le nutzt überhaupt nichts. Sie sind 'ne echte Gefahr für mich, also werde ich Sie abräumen müssen.« »Welche Todesart haben Sie für meine bescheidene Wenigkeit vorgesehen?« »Irgendwo im Flußlabyrinth wird sich schon was für Sie finden, Parker.« »Mein geplanter Tod deutet darauf hin, daß Ihre bisherigen Geschäfte aus gezeichnet floriert haben müssen, Mr. Bartlett.« »Kann man wohl sagen, Parker.« »Ich begreife letzte Details und Zu sammenhänge.« Parker war an weiteren Informationen gelegen. »Sie haben die gestohlenen Lastzüge in die Nähe der Broads gebracht, um die Whiskyladun gen dann auf Ferienbooten wegzuschaf fen, nicht wahr?'« »Okay«, bestätigte John Bartlett und
lächelte überlegen. »Ihnen gegenüber brauche ich daraus ja kein Geheimnis zu machen. Sie werden doch nichts mehr ausplaudern.« »Haben die Transportgesellschaften denn auf die bisher erfolgten Lastwa genentführungen nicht reagiert?« wun derte sich Parker jetzt betont und ab sichtlich. »Natürlich haben sie, Parker. Sie be nutzen dauernd neue Routen, aber ich weiß eben, welche! Da genau liegt der Hase im Pfeffer.« »Demnach haben Sie bereits mehrere Transporte abfangen können?« »Schon sieben«, lautete die Antwort. »Sie müssen meiner bescheidenen Ansicht nach so etwas wie ein Patentre zept für ein gewisses Problem gefunden haben, Mr. Bartlett. Dafür schon jetzt und im vorhinein meine ehrliche Aner kennung.« »Welches Problem meinen Sie?« John Bartlett war für Schmeicheleien doch empfänglich. Er sah den Butler neugie rig an. »Nun, Mr. Bartlett, wo bleiben die Lastwagen? In der bewußten Nacht, als die Dogge auf meine bescheidene We nigkeit gehetzt wurde, wurde ja wohl ein Lastwagen ausgeladen. Wo, so frage ich mich fast verzweifelt, wo blieb er?« »Das können Sie sich also nicht vor stellen, wie?« »Sie sehen mich ratlos, Mr. Bartlett.« »Dann bleiben Sie's!« Bartlett lachte leise. »Sie haben etwa noch eine halbe Stunde, um über diese Frage nachzu denken. Vielleicht schaffen Sie's bis dahin.« Nachdem Bartlett gegangen war, dachte Parker allerdings nicht im Traum daran, sich mit diesem Problem zu befassen. Er hatte ganz andere 46
Sorgen.
Agatha Simpson genoß den Flug. Sie saß neben dem Piloten des Hub schraubers und ließ die freundliche Landschaft auf sich wirken. Sie hatte darauf bestanden, daß Mr. Higgins sie und Kathy Porter zurück zum Rover brachte. Der Chiefconstable war darauf nur zu gern eingegangen. Er wollte die eigenwillige Frau so schnell wie möglich wieder loswerden. Sie war ihm unheim lich und hatte sein bis dahin festes Welt bild gehörig ins Wanken gebracht. Hinter dem Piloten und Lady Simp son saßen Kathy Porter und Mr. Hig gins. Kathy Porter dachte über die Dinge nach, die der Chiefconstable ih nen noch vor dem Abflug mitgeteilt hatte. Die beiden Gangster aus dem Stein bruch waren identifiziert worden. Dank ihrer Fingerabdrücke war das eine Sa che von knapp einer Stunde gewesen. Sie gehörten einer Bande an, die in Lon don unter dem Namen »Die Ratten« tä tig gewesen waren. Sie waren seinerzeit aus der Untersu chungshaft ausgebrochen und unterge taucht. Ihren Chef hatte man nie fassen können, ja, selbst sein Name war unbe kannt. Die »Ratten« hatten sich vor an derthalb Jahren auf groß angelegte Diebstähle spezialisiert und Kaufhaus lager und Magazine leergeräumt. Kathy Porter konnte sich gut vorstellen, wie glücklich und zufrieden der Chiefcon stable jetzt war. Zwei dieser >Ratten< waren ihm von Agatha Simpson freund lichst überreicht worden. Daß es neben dem Chef dieser Organi sation noch weitere >Ratten< geben
mußte, war Higgins klar. Er durfte jetzt aber hoffen, diese Gangster zur Strecke zu bringen, die auf den Raub von Whisky umgestiegen waren. Die Fahrer der beiden Lieferwagen hatte man nicht mehr erwischen kön nen. Sie waren wie vom Erdboden ver schwunden und hatten die Kastenliefer wagen auf der Straße zurückgelassen. Leider besagten die Wagenkennzeichen überhaupt nichts. Sie waren gestohlen und gefälscht und stammten aus Leeds. »Ich habe doch noch einen Wunsch bei Ihnen gut, nicht wahr?« Lady Simp son wandte sich zu Higgins um, der aus seinen Gedanken hochschreckte wie Kathy Porter. Er nickte automatisch und ahnte sicher nicht, was da auf ihn zukam. Kathy Porter hingegen hegte Schlimmstes. Sie schluckte bereits im vorhinein vor Aufregung und ahnte, was kommen würde. »Und Sie halten Ihr Wort, Mr. Hig gins?« wollte Agatha Simpson wissen. »Natürlich, Mylady«, erwiderte der Chiefconstable leichtsinnig. Er war der älteren Dame ehrlich dankbar. Sie hatte ihm endlich einen ersten, durchschla genden Erfolg gegen die Lastwagenräu ber beschert. »Ich würde gern mal den Hubschrau ber fliegen«, sagte die Lady, die Katze aus dem Sack lassend. »Du lieber Himmel«, murmelte Kathy Porter bestürzt und schaute nach unten. Ihrer Schätzung nach schwebten sie etwa dreihundert Meter hoch durch die Luft. »Mylady, ich fürchte, ein Hubschrau ber ist kein Auto«, antwortete Higgins inzwischen. Er dachte an die artisti schen Fahrkünste der Detektivin und spürte, wie sein Blutdruck rapide an
stieg. »Papperlapapp, Mr. Higgins«, entgeg nete Lady Simpson. »Fragen Sie Miß Porter! Ich gelte als technisch begabt.« »Mylady, man sollte vielleicht...« Weiter kam Kathy erst gar nicht. Agatha Simpson schickte einen grimmigen Blick auf die Reise. Dann lächelte sie aber auch schon wieder gewinnend und musterte Higgins. »Ich habe mir alles genau angesehen«, sagte sie zu ihm. »Für mich ist das ein Kinderspiel!« Da der Hubschrauber Doppelsteue rung hatte, entschloß Higgins sich leichtsinnigerweise zu einer großen Geste. Wie gesagt, die ältere Dame hatte ihn in seinen Ermittlungen ein wirklich gutes Stück vorangebracht. Er beugte sich vor und sprach über die Bordsprechanlage mit dem Polizeipilo ten. Der Mann grinste und war ahnungs los. Was sollte schon passieren? Er hatte nichts dagegen, daß die Dame sich freute. Er war einverstanden. Lady Agatha Simpson rückte sich zu recht wie eine Glucke auf dem Nest. Dann langte sie herzhaft nach dem kom pliziert aussehenden Steuerknüppel und betätigte sich als Hubschrauberpi lotin. Sie war fest entschlossen, sämt liche Möglichkeiten dieser Luftkutsche auszutesten.
Anzustrengen brauchte Parker sich wirklich nicht. Das Durchtrennen der hinderlichen Stricke an Hand- und Fußgelenken war nur eine Frage von knapp einer Minute. Ein Mann wie er verfügte selbstver ständlich über die erforderlichen Hilfs mittel. 47
Parker hatte seine Beine angewinkelt und mit den Fingerspitzen den linken Schuhabsatz zur Seite gedreht. Dadurch war eine messerscharfe Stahlkante frei geworden, für die die Fesseln überhaupt kein Problem waren. Josuah Parker hatte sich diese Patentabsätze in seiner Bastelstube angefertigt. Im Hohlraum der beiden Schuhabsätze befanden sich noch weitere Utensilien, die er im Au genblick jedoch nicht brauchte. Parker rieb sich die Handgelenke, brachte den drehbaren Absatz wieder in Ordnung und löste seine Fußfessel. Er stand auf und schob den Vorhang vor einem der Kabinenfenster zur Seite. Er hatte richtig vermutet. Das Hausboot befand sich bereits im Labyrinth des Flüßchens, genauer ge sagt, in einem schmalen Seitenarm, des sen Ufer nicht zu erkennen waren. Hier breitete sich fast so etwas wie eine Schilfwildnis aus. Einen geeigneteren Platz für einen Mord konnte man sich kaum vorstellen. Wer hier ins Schilf ge steckt wurde, den würde man nur durch einen Zufall entdecken. John Bartlett schien darauf setzen zu wollen. Die Schiebetür der Kabine war natür lich abgeschlossen worden. Bartlett mußte das automatisch getan haben. Mißtrauisch war er gewiß nicht gewe sen, sonst hätte er nämlich Parkers Ta schen geleert. Josuah Parker holte seinen Schlüssel bund aus der Tasche und entschied sich für einen der vielen Spezialschlüssel. Es dauerte genau viereinhalb Sekunden, bis das einfache Schloß willig nachgab. Parker setzte sich die schwarze Melone auf, legte sich den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den lin ken Unterarm und begab sich über den Niedergang nach oben. 48
Nein, sie hatten wirklich nicht mit ihm gerechnet. Am Ruder des Hausbootes stand John Bartlett. Er rauchte eine Zigarette und hatte eine entspannte Haltung ange nommen. Er unterhielt sich mit der Biki ni-Schönheit, die wahrscheinlich auf dem vorderen Kabinendach lag und sich sonnte. Von dorther kamen nämlich un deutliche Antworten. » ... erst mal 'ne kleine Pause einle gen, Joane«, sagte Bartlett gerade wie auf ein Stichwort. »Nach Parkers Ver schwinden wird's 'nen ziemlichen Wir bel geben.« Die Antwort der Frau hörte Parker nicht. Er pirschte sich vorsichtig an Bartlett heran. »Klar machen wir später weiter«, ant wortete Bartlett gerade. »Bei dem Ver bindungsmann in Edinburgh wär's doch Wahnsinn, die Sache abzublasen.« Parker hätte gern noch mehr über die sen Verbindungsmann gehört, doch er sah sich plötzlich der Bikini-Schönheit gegenüber, die keinen mehr trug. Sie lag tatsächlich auf dem vorderen Kabinen dach und hatte sich aufgerichtet. Nackt, wie sie war, starrte sie den Butler entgei stert an und zeigte sich unfähig, einen Warnschrei auszustoßen. John Bartlett merkte, daß hinter sei nem Rücken etwas nicht stimmte. Er federte herum und reagierte wie ein Profi. Er sah Parker und hechtete sofort auf ihn. Butler Parker wartete höflich, bis der Mann fast waagerecht in der Luft lag. Erst dann trat er Zur Seite und ließ den Segelflieger passieren. Bartlett versuch te zwar im letzten Moment noch seinen Kurs zu korrigieren, doch das erwies sich als unmöglich. Ihm fehlten das Sei ten- und Querruder. Er schoß also
schnurgerade weiter und landete kra chend vor dem Niedergang auf den Decksplanken. Die nackte Schönheit hatte sich inzwi schen von ihrer Überraschung erholt. Sie verwandelte sich in eine wilde Raub katze und attackierte den Butler, der sich ein wenig genierte. Gegen eine nackte Frau kämpfte er ja nicht alle Tage. »Nicht doch, Madam«, sagte er höflich und piekte mit der Spitze seines Regen schirms gegen ihren flachen Leib. »Müs sen Sie sich denn unbedingt echauf fieren?« Sie keuchte, wich zur Seite aus und griff erneut an. Es zeigte sich, daß sie etwas von Judo verstand. Sie wollte ei nen ihrer Griffe anwenden, aber da war der verflixte Regenschirm, der wie ein Degen wirkte und sie auf Distanz hielt. »Sie benehmen sich meiner beschei denen Ansicht nach undamenhaft«, fand Parker würdevoll. »Sehen Sie doch bitte ein, daß Sie dieses Spiel verloren haben.« Sie dachte nicht im Traum daran. Aus der wilden Raubkatze wurde eine wahre Furie. Sie schlug den Regen schirm zur Seite und unterlief ihn gleichzeitig. Sekundenbruchteile später war sie dicht vor Parker und wollte ei nen raffinierten Griff anbringen. Josuah Parker hätte sie wirklich leicht außer Gefecht setzen können, doch es widerstrebte ihm, einer Frau weh zu tun. Er brachte es einfach nicht fertig, ob wohl er es doch mit einem weiblichen Wesen zu tun hatte, das ihm eine Eier handgranate hatte an den Kopf werfen wollen. Parker kitzelte seine Gegnerin. Er spannte seine Hände um ihre schmale Taille und fand auf Anhieb ge
nau die Zonen, die bei ihr einen unwi derstehlichen Lachreiz auslösten. Die nackte Schönheit kicherte, wand sich, vergaß ihren Griff, lachte, schnaufte und wurde dann von einem Lachkrampf er faßt. Sie ließ ihre Hände sinken, krümmte sich und war völlig wehrlos. Noch nie zuvor hatte Parker seinen Geg ner derart leicht aus dem Konzept brin gen können... Leider fiel in diesem Moment ein Schuß. Die nackte Schöne schrie auf, faßte an ihre linke Schulter und taumelte zurück. Parker drehte sich um und entdeckte Bartlett, der inzwischen wieder zu sich gekommen war. Er hielt einen Revolver in der Hand und wollte seinen nächsten Schuß abfeuern und diesmal genauer treffen. Parker duckte sich hinter der ge schlossenen Reling des Ruderstandes ab und zuckte mit keiner Wimper, als das Geschoß dicht neben ihm einschlug und ein gezacktes Loch ins leichte Holz riß. Er hörte das Stöhnen der getroffenen Frau und kürzte das Verfahren ab. Er griff nach einem seiner vielen Kugel schreiber und verdrehte beide Hälften gegeneinander. Dann warf er das völlig normal aussehende Schreibgerät über die Reling nach unten. Einen Augenblick später schoß eine dichte Nebelwolke hoch. Der Inhalt des Patentkugelschreibers hatte sich ent zündet und für eine Reizwolke gesorgt. Parker hörte das wilde, schier ver zweifelte Husten von John Bartlett, der mitten in dieser Reizzone stand. Dann hörte er ein hartes Aufklatschen im Was ser und das Brechen von Schilfrohr. John Bartlett war über Bord gesprun gen und hatte die Flucht ergriffen! 49
Butler Parker hatte die junge Frau ärztlich versorgt und in eine der Kojen gelegt. Die Verletzung an ihrer linken Schul ter war ernst zu nehmen. Sie mußte so schnell wie möglich von einem Facharzt behandelt werden. Parker hatte sich nicht damit aufgehalten, nach John Bartlett zu suchen, was im Schilfwald ohnehin ein zu großes Risiko gewesen wäre. Er tuckerte mit seinem gemieteten Hausboot zurück zu dem kleinen Fluß, um dann auf dem schnellsten Weg nach Wroxham zu kommen. Von dieser Stadt aus konnte er einen Notarzt alarmieren. Parker wurde abgelenkt. Hinter einem Waldstück tauchte plötzlich ein riesiges Insekt auf. Es kam knapp über die Baumwipfel, schien sie fast zu berühren, legte sich dann in eine Art Steilkurve und zog fast senkrecht hoch gen Himmel. Ein Hubschrauber! Parker minderte unwillkürlich die Ge schwindigkeit seines Hausbootes und schaute fasziniert zu. Der Pilot dieses Helikopters mußte ein wahrer Meister flieger sein. Er schwenkte den Hub schrauber gekonnt durch die Luft und schien dabei eine Art Riesenwalzer tan zen zu wollen. Daraus wurde aber wenig später schon so etwas wie ein angedeu teter Rock'n-Roll, der dann in einen Charlestone überging. Der Pilot mußte nun seinerseits auf das Hausboot aufmerksam geworden sein. Er stellte die Tanzbewegungen ein und näherte sich mit die Luft peitschen den Rotoren dem Flüßchen. Im ersten Moment dachte Josuah Parker an einen 50
Tieffliegerangriff. An Bord des Helikop ters konnten sich ja durchaus Freunde des geflüchteten John Bartlett befinden. Parker machte sich bereit, notfalls schleunigst den Kopf einzuziehen. Dann war der Hubschrauber auch schon heran. Er berührte mit seinen Landekufen fast die Schilfspitzen und rasierte einige vorwitzige Stengel sogar gnadenlos ab. Dann tat das Luftfahrzeug einen wilden Satz zur Seite, drehte sich auf der Stelle und schien sich nicht entschließen zu können, welche Richtung es nehmen sollte. Die peitschenden Rotoren wirbelten Wasserfahnen hoch, die vom Wind auf das Hausboot getrieben wurden. Der Hubschrauber nickte, als begrüße er das Hausboot, stellte sich fast auf den lan gen Gitterschwanz mit dem kreisenden Stabilisator und fegte davon. Josuah Parker war ein wenig verwirrt. Er wußte nicht, was er von dieser Begeg nung halten sollte. Sie war tatsächlich mehr als ungewöhnlich. Er gewann im mer mehr den Eindruck, daß zwei sich feindlich gesonnene Piloten darum kämpften, wer den Helikopter nun ei gentlich fliegen sollte. Plötzlich war das schreckliche Ding schon wieder da. Jetzt mähte es wirklich radikal eine Schneise durch das Schilf und wollte ganz eindeutig auf dem Was ser aufsetzen. Parker wirbelte das Ruder herum und umschiffte in letzter Sekun de den Hubschrauber. Dabei machte Josuah Parker eine Ent deckung, die ihm fast den Atem raubte, an die er einfach nicht glauben wollte. Wenn ihn nicht alles getäuscht hatte, so befand sich eine gewisse Lady Agatha Simpson an Bord des Helikopters: Er glaubte, seine Herrin deutlich erkannt
zu haben. Der Hubschrauber rasierte eine zweite Gasse durch das Schilf und entschwand dann Parkers Blicken. Der Butler redete sich ein, es könne sich nur um eine Halluzination gehandelt haben, schip perte aber unruhig weiter und . . . sah dann das Luftfahrzeug, das auf einer Landzunge niedergegangen war. Parker sah angestrengt hinüber und holte tief Luft. Nein, es hatte sich keines wegs um eine Täuschung gehandelt. Aus der Plexiglaskanzel stieg eine statt lich aussehende Frau, deren Ähnlich keit mit Lady Agatha unverkennbar war. Parker gestattete sich in Anbetracht der Krisensituation einen leisen Stoß seufzer.
»Ich hoffe, Mr. Parker, Sie freuen sich.« Agatha Simpson stand vor ihrem Butler und musterte ihn aufmerksam. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überrascht und irritiert.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, Mr. Parker. Sehen Sie doch mal nach dem Piloten! Diesem Anfänger scheint es schlecht geworden zu sein.« »Gehe ich recht in der Annahme, My lady, daß Mylady den Hubschrauber pi lotierten?« »Was dachten Sie denn, Mr. Parker?« Lady Agatha nickte. »So etwas hat mich schon immer gereizt. Sie wissen doch, wie gut ich mit einem Sportflugzeug umgehen kann.« An dieser Behauptung stimmte nur die Tatsache, daß die ehrgeizige Dame tatsächlich einen Pilotenschein für klei nere Sportmaschinen besaß. Gut be herrschte sie ein Flugzeug aber nicht. 52
Parker hatte einige Male notgedrungen mit ihr fliegen müssen. Diese Ausflüge in die Luft waren für ihn zu einem unver geßlichen Abenteuer geworden. »Die beiden Herren dort scheinen ein wenig luftkrank geworden zu sein.« Par ker deutete auf zwei Männer, die er schöpft und apathisch neben einer Lan dekufe des Hubschraubers saßen und auf den Boden stierten. »Der Pilot und Mr. Higgins«, erläuter te Lady Simpson. Der verächtliche Un terton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Mr. Higgins, Mylady?« »Der Chiefconstable eines Einsatz kommandos, Mr. Parker. Richtig, Sie wissen ja noch gar nicht, daß ich einen einmaligen Kriminalfall entdeckt und gelöst habe.« Parker wurde erneut abgelenkt. Kathy Porter stieg aus dem Hub schrauber. Sie war derart mitgenom men, daß sie Parker noch nicht mal zu winken konnte. Sie erinnerte an eine müde Frau. Auch sie schien den Flug nicht besonders genossen zu haben. Sie taumelte und vermochte sich kaum auf den Beinen zu halten. Sie ließ sich neben dem Piloten und Mr. Higgins ins Gras gleiten. »Hören Sie mir überhaupt zu, Mr. Par ker?« grollte die Detektivin. »Mylady entdeckten und lösten einen einmaligen Kriminalfall, wenn ich recht verstanden habe.« »Hören Sie genau zu, Mr. Parker!« Lady Simpson holte tief Luft und be richtete dann von ihren Erlebnissen. Sie schmückte sie nach allen Regeln der Kunst aus und nahm sich Zeit. Parker wurde es sehr schnell klar, daß er auf denselben Fall gestoßen war. Der Zufall hatte hier wieder mal kräftig zu
gelangt. Agatha Simpson und er hatten den Fall von zwei verschiedenen Seiten aus ohne jede Verabredung aufgerollt. Das kommt davon, wenn man Urlaub macht«, schloß die Lady triumphierend. »Sie haben sich einen besonders interes santen Fall durch die Nase gehen lassen, Mr. Parker.« »Mylady werden möglicherweise an ders urteilen, sobald ich von meinen bescheidenen Erlebnissen berichte.« »Was wollen Sie schon groß erlebt haben!« Josuah Parker genierte sich nicht län ger und erzählte nun ebenfalls. Als er geendet hatte, sah seine Herrin ihn aus schmalen Augen an. Wahrscheinlich paßte es ihr gar nicht, daß sie diesen Fall wieder mal mit ihrem Butler teilen mußte. »Nun ja, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn«, sagte sie schließlich miß mutig. »Es ist aber wieder mal typisch für Sie! Den Hauptgangster lassen Sie einfach entwischen. Mir wäre das be stimmt nicht passiert.« »Mit letzter Sicherheit nicht, Mylady«, gab Josuah Parker gemessen zurück. »Mir ist durchaus bewußt, daß ich mir Myladys Unmut zugezogen haben dürfte.« »Man muß auch verzeihen können.« Die ältere Dame gab sich großmütig. »Dann werde ich eben den Rest des Falles übernehmen, Mr. Parker. Diese Oberratte kann sich auf einiges gefaßt machen. Sie ahnt überhaupt nicht, was da noch auf sie zukommt.« »Vielleicht gibt es im Moment andere Sorgen, Mylady«, sagte Josuah Parker und deutete auf einen schmalen Feld weg, der sich durch die weiten Wiesen schlängelte. Er meinte eine Gruppe von Motorradfahrern, die in voller Fahrt her
anpreschten. Parker ahnte, um welche Männer es sich da handelte. Es mußten jene Was sersportler sein, deren Behelfsflöße er zerschmettert hatte. Parker machte sich auf eine lebhafte Diskussion gefaßt.
Sie waren blitzschnell heran und stie gen von ihren schweren Maschinen. Sie trugen wieder ihre unheimlich ausse henden Jethelme und die Lederbeklei dung. Sie formierten sich und mar schierten dann schweigend auf den But ler zu. Doch dann blieben sie jäh stehen und beratschlagten. Parker schaute zum Hubschrauber hinüber, auf dem das Reizwort >Polizei< stand. Agatha Simpson benahm sich nach Parkers Meinung mehr als ungewöhn lich. Sie winkte den jungen Männern zu und stampfte ihnen dann entgegen. Par ker, um die alte Dame besorgt, folgte ihr. Er hatte seinen >Universal-Regen schirm< entsichert, das heißt, er war be reit, aus ihm die gefürchteten >Giftpfei le< zu verschießen. Der Schirmstock war nämlich nichts anderes als eine Art modernes Blasrohr. Mittels komprimierter Kohlensäure konnte er kleine, stricknadellange und bunt gefiederte Pfeile verschießen, de ren Spitzen präpariert waren. Das > Pfeil gift< sorgte für einen kurzfristigen, aber tiefen Schlaf. »Sie haben die Type leider zu früh erwischt«, sagte der Wortführer der sechs jungen Männer. Er schob sein Vi sier hoch und sah Josuah Parker grim mig an. »Von wem reden Sie eigentlich?« wollte Agatha Simpson wissen. Sie 53
wandte sich halb zu Parker um. »Von dem alten Knacker da«, lautete die Antwort. »Wissen Sie etwa nicht, daß er harmlosen Frauen nachstellt und sie vergewaltigen will?« »Mr. Parker, was höre ich da von Ih nen?« Lady Simpson schmunzelte. »Die Herren dürften falsch informiert worden sein«, stellte der Butler richtig. »Mann, tun Sie bloß nicht so!« Der Sprecher der Motorradfahrer wurde är gerlich. »Haben Sie die junge Frau nicht an Bord gelockt? Wollten Sie sie nicht aufs Kreuz legen?« »Von wem, wenn ich höflichst fragen darf, stammen Ihre Informationen?« er kundigte sich Josuah Parker. »Von wem wohl? Von der jungen Frau!« »Sie liegt in der Kabine des Hausboo tes dort drüben. Und sie wurde von ih rem Komplicen angeschossen.« »Ich glaube, ich muß Ihnen da eine Illusion nehmen«, sagte Lady Agatha. »Die hilflose junge Frau, für die Sie sich einsetzten, ist eine durchtriebene Gang sterin, so reizvoll und unschuldig Sie auch aussieht.« »Und die Type da neben Ihnen?« »Das ist mein Butler, Mr. Josuah Parker.« Die jungen Männer waren sehr ent täuscht, denn sie hatten sich auf eine abwechslungsreiche Prügelei gefreut. »Sie könnten mir einen Gefallen tun«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Haben Sie Lust, drei weitere Gangster einzufangen?« Die sechs jungen Männer blühten förmlich auf. Der Tag schien für sie ge rettet zu sein. Sie nickten wie gleichge schaltet. »Mein Butler wird Ihnen erklären, was zu tun ist«, redete Agatha Simpson wei 54
ter. »Worauf warten Sie noch, Mr. Par ker? Sie sehen doch, daß die jungen Männer endlich aktiv werden wollen.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker faßte sich erstaunlich kurz und beschrieb den Motorradfahrern die Farm, die von dem Trio Pete, Maud und Rob gemietet wor den war. »Ich möchte Sie aber eindringlich warnen«, schloß er. »Rechnen Sie mit Schußwaffen und Gegenwehr.« Sie hörten gar nicht mehr hin. Sie saßen bereits auf ihren Feuerstühlen und fegten zurück über den schmalen Feldweg. Es dauerte nur knapp andert halb Minuten, bis sie auf der Straße ver schwunden waren. »Ich habe einen entscheidenden Feh ler gemacht«, sagte Lady Simpson. Sie hatte den jungen Männern nachge schaut und drehte sich nun zu Parker um. »Mylady sehen mich betroffen.« »Ich hätte mitfahren sollen«, sagte die Detektivin nachdenklich.« Ein Motor rad von dieser Größe wollte ich schon immer mal fahren.«
»Dieser Higgins hat doch keine Manie ren.« Agatha Simpson sah dem davon fliegenden Hubschrauber nach. »Er hätte sich wenigstens verabschieden können.« »Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, Mylady, daß Mr. Higgins förmlich geflohen ist«, konstatierte der Butler. »Und ich weiß auch warum«, ließ Ka thy Porter sich vernehmen. »Nämlich, meine Liebe?« Agatha Simpson wollte es genau wissen. »Er hat bestimmt Angst, Sie könnten
noch mal fliegen wollen, Mylady.« »Papperlapapp, Kindchen. Wollen Sie etwa abstreiten, ich wäre mit diesem Ding nicht fertig geworden?« »Das schon, Mylady, aber Ihre Flug technik ist Mr. Higgins und seinem Pilo ten nicht bekommen.« »Nun ja, ich habe mich etwas mit dem Piloten gestritten«, bekannte die ältere Dame. »Aber ich war stärker. Er sah das schnell ein.« »Nachdem Sie ihm Ihren Pompadour um die Ohren geschlagen haben, Myla dy«, sagte Kathy Porter. »Es gab Mißverständnisse an Bord des Helikopters?« erkundigte sich Josuah Parker. »Es war eine Art Zweikampf«, gab die kriegerische Dame zu und nickte. »Er wollte mich daran hindern, den Hub schrauber zu fliegen. Das konnte ich nicht zulassen.« Parker malte sich aus, was sich da in der Luft abgespielt hatte. Er war heil froh, wieder an Bord des Hausbootes zu sein. Hier auf dem Wasser konnte kaum etwas passieren. Er hatte wieder Kurs auf den kleinen Ort genommen, von wo aus die Fluß fahrt begonnen hatte. Die Bikini-Schön heit befand sich im Hubschrauber und wurde von Higgins ins nächste Kran kenhaus gebracht. Für den Butler war dieses Intermezzo eigentlich schon be endet. Was jetzt noch zu tun war, erledig te die Polizei. Auch die Festnahme die ses John Bartlett war nur noch eine Frage der Zeit. Parker geriet keineswegs in Panik, als Agatha Simpson sich für den Ruder stand zu interessieren begann. Schnell war das Hausboot nicht. Die unterneh mungslustige Dame konnte damit auf keinen Fall ein Rennen veranstalten.
»Mylady werden noch heute zurück nach London fahren?« fragte er jedoch sicherheitshalber. Er dachte an seinen Urlaub. »Das steht noch nicht fest, Mr. Par ker«, erwiderte sie. »Da ist ja noch diese Oberratte Bartlett.« »Die Polizei wird ihn sehr schnell finden.« »Machen Sie sich doch nichts vor, Mr. Parker. Der Mann wird untertauchen.« »Aber keine Whiskytransporter mehr entführen und ausplündern.« »Er wird versuchen, Sie umzu bringen. « »Mylady rechnen mit dem Rache durst dieses Mannes?« »Natürlich! Mich wird er ebenfalls umbringen wollen. Aber das nur am Rande gesagt.« »Unter diesen Umständen werde ich mir erlauben, Mylady zurück nach Lon don zu geleiten.« »Unsinn, Mr. Parker! Einen Dreck werden Sie tun!« Sie sah ihn empört und schon ein wenig gereizt an. »Eine >Ratte< kann mich nicht in Panik versetzen. Wir werden uns diesem Subjekt sogar an bieten.« »Das Hausboot ist recht klein, Mylady, wenn ich darauf respektvoll verweisen darf.« »Ich brauche keinen Luxus oder Komfort, Mr. Parker. Ich werde Ihre Koje nehmen.« »Wie Mylady wünschen. Und wo wol len Mylady sich der Oberratte an bieten?« »Das werde ich Ihnen schon rechtzei tig sagen. Und jetzt werde ich mal das Ruder in die Hand nehmen. Ich habe den Eindruck, daß Sie mit dem Boot überhaupt nicht zurechtkommen.« Josuah Parker unterdrückte einen 55
leichten Seufzer und räumte den Ruder stand. Lady Simpson rückte sich ihren südwesterähnlichen Hut zurecht und gab selbstverständlich sofort Vollgas. Sie schien sich auf einer Korvette zu befinden, die ein getauchtes U-Boot jagt. Grimmig und entschlossen wirkte sie. Sie war wieder mal in ihrem Element. Die Lady schaffte es mit der linken Hand, einen Anglersteg, einen festge machten Kahn und dann das Ufer zu rammen. Einmal in Aktion, war eine Agatha Simpson nicht mehr zu bremsen.
»Ich bringe gute Nachrichten«, schickte Mr. Higgins voraus und sah die Detektivin abschätzend an. »Der Fall ist erledigt und beendet, Mylady.« »Was Sie nicht sagen, Mr. Higgins. Sie haben diese Oberratte erwischt?« »Das nun gerade nicht«, räumte der Chiefconstable ein. »Er befindet sich noch auf freiem Fuß, aber seine Festnah me ist nur eine Frage der Zeit.« »Ein Begriff, den man wie Gummi dehnen kann.« Sie sah ihn verächtlich an. »Konnte das Trio festgenommen wer den?« Parker sorgte für Ablenkung. »Pete und Maud Robson und auch Rob Dayrins«, bestätigte Mr. Higgins. »Die jungen Motorradfahrer erwischten sie auf der Landstraße in Richtung Norwich.« »Gab es Komplikationen, Sir?« »Keine. Bevor sie überhaupt begrif fen, was los war, wurden sie bereits ent waffnet. Ein paar Minuten später waren dann auch noch zwei Streifenwagen meines Einsatzkommandos zur Stelle.« 56
»Das Trio gehört also auch zu jener Organisation, die sich die >Ratten< nennt?« »Richtig, Mr. Parker. Sie sorgten für das Umladen des Whiskys in der Scheune.« »Und wo blieben die gestohlenen Sat telschlepper und Lastwagen?« wollte Lady Simpson wissen. Sie wies gnädig auf eine Sitzbank in der Kabine des fest gemachten Hausbootes. »Sie wurden zerschnitten«, erklärte Higgins. »Und zwar in genau dem Stein bruch, in den Sie sich verfahren, äh, den Sie aufgespürt haben, Mylady.« »Zerschnitten, Sir?« Parker fragte schnell, damit seine Herrin nicht ungnä dig werden konnte. Sie hätte niemals zugegeben, sich verfahren zu haben. »Mit Schneidbrennern«, erklärte der Chief constable. »Die gestohlenen Sat telschlepper wurden in handlichen Schrott zerschnitten und dann nach Norwich geschafft. Richtig, Sie wissen ja nicht, daß der Name Bartlett echt und richtig ist. John Bartlett betreibt in Nor wich eine Schrottgroßhandlung. Unauf fälliger und sicherer konnten die Wagen nicht verschwinden.« »Da hat er sich wirklich was einfallen lassen«, gab die ältere Dame zu. »Aber so etwas hatte ich mir schon gedacht.« »Natürlich, Mylady«, meinte Higgins geschmeidig. »Seine Begleiterin, Joane Lorndale, führte uns auf eine weitere Spur.« »Ich weiß schon, was jetzt kommt«, behauptete die Detektivin. »Ja, bitte?« fragte Higgins listig. »Ich stehle grundsätzlich keine Poin ten«, raunzte Lady Agatha. »Reden Sie schon weiter, ich will Ihnen nicht den Spaß nehmen.« »Miß Joane Lorndale ist mit einem
Mann liiert, der in Edinburgh Disponent ist.« »Wie ich's mir gedacht habe«, fiel Aga tha Simpson ihm ins Wort. »Dieser Mann heißt Walt Matters«, be richtete Higgins weiter. »Matters arbei tet in einer privaten Vermittlungszentra le für Fernfahrer. Er wußte also aus er ster Hand, wann welcher Wagen was wohin brachte.« »Hat Ihnen das diese Joane Lorndale verraten?« Parker sah den Chiefconsta ble fragend an. »Sie legte ein umfassendes Geständ nis ab, Mr. Parker. Die Schulterverlet zung muß sie zur Vernunft gebracht ha ben. Es geht ihr übrigens schon wieder halbwegs gut.« »Keine Nebensächlichkeiten, Mr. Hig gins«, schaltete die Lady sich barsch ein. »Haben Sie diesen Matters festnehmen können?« »Leider nicht, Mylady. Ich nehme an, daß Bartlett ihn telefonisch gewarnt hat. Kurz vor dem Eintreffen meiner Kolle gen in Edinburgh, ich meine, bevor sie ihn festnehmen konnten, hatte er seinen Arbeitsplatz verlassen.« »Typisch.« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Mir wäre das nicht passiert.« »Damit wären Bartlett und Matters noch frei«, faßte Parker zusammen. »Und sie sind äußerst gefährlich«, warnte Higgins. »Das hört sich gut an«, fand Lady Simpson. »Sie wissen mehr über diese beiden Subjekte?« »Inzwischen schon, nämlich durch die diversen Geständnisse. Bartlett soll ein Gangster sein, der sofort schießt. Nun, Sie brauchen sich hier draußen ja nicht zu fürchten, denke ich. Bartlett wird sich hüten, hier noch mal aufzutau chen.« 57
Sie war schon eine bemerkenswerte Frau. Agatha Simpson wollte sich unbe dingt noch vor Einbruch der Dunkelheit den Campingplatz jenseits der Fluß schleife aus nächster Nähe ansehen. Sie wurde von Kathy Porter begleitet, die die ältere Dame nicht aus den Augen ließ. Josuah Parker hatte sehr darum gebeten. Er fürchtete nämlich, daß My lady wieder mal versuchen würde, aktiv zu werden. Parker war an Bord des Hausbootes geblieben, um es für eventuelle nächt liche Besuche zu präparieren. Auch er rechnete mit dem Wiederauftauchen von John Bartlett. Der Mann war zu einem gehetzten Wild geworden, nach dem intensiv gefahndet wurde. Bartlett befand sich seiner Schätzung nach noch in dieser Region. Er würde versuchen, den Sperrkreis der Polizei zu durchbre chen und brauchte dazu ein sicheres Transportmittel. Der Butler hatte sich in die Situation des Gangsters versetzt. Bartlett brauchte nur das Hausboot zu kapern, und schon war er in Sicherheit. Dazu gehörte allerdings, daß er die Mieter die ses Bootes in seine Gewalt brachte und sie als eine Art Geisel benutzte. Ähnlich dachte auch Lady Agatha Simpson. Ihrer Ansicht nach gab es für einen gesuchten Gangster kein besseres Ver steck als einen Campingplatz. Hier konnte er sich ungeniert und frei bewe gen. Die Detektivin hoffte sehnlichst, von Bartlett gestellt zu werden. Ließ ein Mann wie er sich solch eine einmalige Gelegenheit entgehen? 58
»Besorgen Sie mir ein Vanilleeis, meine Liebe«, bat Lady Agatha ihre Ge sellschafterin. »Ich werde hier auf Sie warten.« »Vanilleeis, Mylady?« »Nun gehen Sie schon, Kindchen. Ich werde mich nicht von der Stelle rühren, wenn Sie das meinen.« Kathy Porter mußte notgedrungen ge hen. Doch sie wandte sich immer wieder nach Lady Agatha um, die auf einer Bank Platz genommen hatte. Dann ver sperrten einige Steilwandzelte Kathys Sicht. Sie lief los, um das Vanilleeis so schnell wie möglich zu bekommen. Lady Simpson stand bereits wieder auf ihren Beinen und marschierte zum Restaurant des Campingplatzes. Sie wußte natürlich nicht, wie Bartlett aus sah, doch das erhöhte ihrer Ansicht nach nur den Reiz dieser Sache. Sie hatte das flachgedeckte Restau rant - es handelte sich um einen schmucklosen Holzbau - noch nicht ganz erreicht, als ein recht provinziell aussehender, hagerer Mann auf sie zu kam, der eine altmodische Brille trug. Sie wußte sofort, daß sie Bartlett vor sich hatte. Der Anzug sah zerknittert aus, mußte klatschnaß gewesen sein und war am Leib des Mannes getrocknet. Wie ein Gangster sah dieser Mann ganz gewiß nicht aus. »Lady Simpson, nicht wahr?« fragte der Zerknitterte höflich. »Mr. John Bartlett, oder?« fragte die Detektivin zurück. »Richtig«, bestätigte Bartlett. »In mei ner Hosentasche steckt ein durchgela dener und entsicherter Revolver. Das nur am Rande.« »Was wollen Sie von mir, Bartlett?« Sie sah ihn neugierig an. »Ihre Tarnung
ist perfekt.« »Sie ,werden mit mir 'rüber zum Haus boot gehen, ist das klar?« »Und falls nicht?« »Werde ich schießen!« »Und die Campingleute werden über Sie herfallen!« »Aber niemals.« Bartlett lächelte spöt tisch. »Sie sagten doch gerade, daß meine Tarnung perfekt sei.« »Wie haben Sie mich erkannt? Woher kennen Sie meinen Namen?« »Freunde in London haben mich da aufgeklärt. Wo ein Parker ist, ist auch eine Lady Simpson. Und umgekehrt. Ich weiß Bescheid.« »Wir sollen Sie also durch den Sperr kreis der Polizei schleusen?« »Sollen?-Werden!« »Sie rechnen sich auch weiterhin Chancen aus, Bartlett?« »Klar doch. Ich, habe mein Geld im Ausland. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen.« »Und was ist mit Matters? Treibt der sich auch hier in der Gegend herum?« »Worauf Sie sich verlassen können. Den nehmen wir unterwegs auf.« »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Sie Lümmel. Sie werden ihn hängenlassen, wie ich Sie einschätze.« »Sie sind 'n guter Menschenkenner, Mylady. Matters soll sehen, wo er bleibt. Soll er sich in Dereham die Füße in den Bauch stehen. Aber Schluß jetzt mit der Rederei! Marschieren Sie los! 'rüber zum Hausboot! Und denken Sie daran, daß ich gnadenlos schießen werde. Das ist keine leere Drohung.« »Ja, was ist denn das?« Entrüstung und Empörung lagen in der Stimme der Lady. Sie deutete auf die Zelte, zwischen denen eine >Blitzerin< erschien. Die junge Frau sah ausgespro
chen attraktiv aus, was man ohne jede Behinderung feststellen konnte. Sie trug nur einen Slip, sonst nichts. Sie rannte an den Zelten vorüber und hielt genau auf Bartlett und Agatha Simpson zu. Hinter ihr rotteten sich Menschenmassen zusammen, die die sen Lauf kommentierten und auch sichtlich genossen. Bartlett wäre kein Mann gewesen, wenn er nicht einen Blick riskiert hätte. Er ließ sich prompt für einen Moment ablenken. Und als ihm aufging, daß man ihn hereingelegt hatte, war es bereits zu spät. Agatha Simpson machte kurzen Pro zeß mit ihm. Sie donnerte ihm ihren Pompadour gegen die Schläfe und trat ihm mit ih rem derben Schuh gegen die Knieschei be. Daraufhin verlor Bartlett nicht nur jede Orientierung, sondern auch das Gleichgewicht. Er wollte noch blitz schnell nach seiner Schußwaffe greifen, doch das gestattete die resolute Dame ihm nicht. Sie drückte ihm den > Glücks bringer< im Pompadour noch mal nach drücklich auf die Stirn. Das Hufeisen im Handbeutel erwischte den Nasenrücken und ließ ihn hörbar knirschen. John Bartlett kniete nieder, verbeugte sich vor der älteren Dame in einer Geste der Unterwerfung und Demut, schnaufte und verlor dann sein Bewußt sein. »Ziehen Sie sich was über, Kind chen«, rief Lady Simpson dann ihrer Gesellschafterin Kathy Porter zu. »Die Männer bekommen Stielaugen, die Frauen Zustände. Von den lieben Klei nen mal ganz zu schweigen.« Agatha Simpson behandelte Bartlett recht roh. Sie zerrte ihm das Jackett von den 59
Schultern und warf es Kathy Porter zu, die sich das Kleidungsstück um ihre nackten Schultern legte. »Jetzt erst ist der Fall beendet«, stellte die Detektivin dann zufrieden fest. »Matters ist kein Problem mehr, den kann die Polizei abholen. Verständigen Sie Mr. Parker, meine Liebe! Er wird sich hoffentlich schwarz ärgern, daß er diesen Schlußakt nicht mitbekommen hat.« »Darf ich mir die Kühnheit nehmen, Mylady zu widersprechen?« war Par kers Stimme in diesem Moment zu ver nehmen. Agatha Simpson wandte sich um und sah Parker vor sich. Er lüftete gerade seine schwarze Melone. »Sie?« fragte die Lady überflüssiger weise. »In der Tat, Mylady«, gab der Butler würdevoll zurück. »Ich war so frei, den Damen zu folgen, zumal ich Komplika tionen erwartete.« »Aber Bartlett ist von mir erwischt worden. Das wollen wir doch mal klar stellen.« »Gewiß, Mylady. Wenn es erlaubt ist, werde ich den Herrn jetzt in Gewahrsam bringen.« »Schaffen Sie ihn mir aus den Augen, Mr. Parker!« Lady Agatha übersah souverän die ständig sich vermehrende Gruppe der neugierigen Zuschauer, die noch immer daran herumrätselten, was hier wohl passiert sein mochte. »Übri gens, ich habe mir die Sache überlegt. Ich werde auch ein paar Tage Ferien machen. « »Ein guter Gedanke, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Auf dem Hausboot«, fügte die ältere Dame hinzu. »Es steht zu Myladys Verfügung«, meinte Parker. Er kümmerte sich nicht 60
weiter um den ohnmächtigen Bartlett. Er hatte zwei uniformierte Polizisten ge sehen, die sich im Eilschritt näherten. »Ich werde vielleicht sogar kochen«, verhieß die Lady. »Miß Porter wird sich gewiß freuen, Mylady.« »Sie etwa nicht?« Die Stimme grollte schon wieder. »Meine bescheidene Wenigkeit wird sich an den Kochkünsten kaum delek tieren können«, sagte Josuah Parker ge messen. »Nach meinem Ferienplan reise ich bereits morgen weiter nach Schottland.« »Sie . .. fahren nach Schottland, Mr. Parker?« »Es soll dort einsame, stille und fischreiche Seen geben, Mylady. Ohne Mylady vorgreifen zu wollen, möchte ich doch annehmen und fast unterstel len, daß Mylady solch eine Einsamkeit strikt ablehnen wird.« »Aber wo denken Sie hin, Mr. Parker!« Agatha Simpson war völlig anderer Mei nung. »Ich liebe die Einsamkeit. Kathy und ich werden selbstverständlich mit kommen. Zudem kann man einen Mann wie Sie doch nicht allein lassen!« »Wie Mylady meinen.« Parker ver schluckte einen tiefen Seufzer und deu tete eine Verbeugung an. Seine Selbst beherrschung war grenzenlos.
Parker befand sich auf dem Heck sei nes Hausbootes und holte die Angel ein. Sein Traum von Urlaub und Einsam keit war ausgeträumt. Er ahnte, was ihn erwartete. Eine Lady Simpson ließ sich
nicht abschütteln. Und mit Sicherheit schaffte sie es auch, droben in Schott land einen neuen Kriminalfall zu finden. Wo sie auftauchte, gab es stets Kompli kationen, Wirbel und Aktivität. Sie war zur Zeit unterwegs, um, wie sie sich ausgedrückt hatte, ein paar Klei nigkeiten zu besorgen. Parker genoß die ruhigen Viertelstunden und überlegte krampfhaft, ob es für ihn nicht doch noch einen Ausweg aus diesem Dilem ma gab. Er zuckte mit keiner Wimper, als er schräg hinter sich eine Bewegung ver spürte, dann ein leises, scharrendes Ge räusch. Er wandte sich um und . . . sah sich einem Froschmann gegenüber, der eine Preßluftharpune auf ihn richtete. Diese Situation war eindeutig und be drohlich. Die Auseinandersetzung mit den >Ratten< schien also doch noch nicht überstanden zu sein. Parker ließ sich aber nichts anmerken. Er lüftete höflich seine schwarze
Melone. »Kann ich Ihnen behiflich sein?« er kundigte er sich. Der Froschmann streifte sich die Ge sichtsmaske hoch und schaute sich nach allen Seiten um. »Ich muß mich verschwommen ha ben«, sagte er irritiert. »Oder geht's hier nach Yarmouth?« »Hinter der nächsten Flußbiegung sollten Sie nach links abschwimmen«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Vielen Dank«, meinte der Frosch mann und wollte sich wieder zurück ins Wasser gleiten lassen. »Einen Moment noch«, rief Parker, dem blitzschnell eine Idee gekommen war. »Ja, was ist?« Der Froschmann zog sich noch mal an der Bordwand hoch. »Könnten Sie mir Ihre Ausrüstung verkaufen?« erkundigte sich Parker.
61
»Dafür überlasse ich Ihnen das Haus boot. Es ist für drei Wochen gebucht und kostet Sie keinen Cent.« »Tut mir leid«, sagte der Froschmann. »Ich bin verabredet.« Er nickte Parker noch mal zu und verschwand dann fast geräuschlos unter Wasser. Parker starrte auf die Strudel
und wußte, daß ihm damit die letzte Absetzmöglichkeit genommen war. Auf dem Bootssteg erschienen näm lich Kathy Porter und Lady Agatha Simpson. Josuah Parker machte sich auf sein nächstes Abenteuer gefaßt! Ob die Ferien mit den »Ratten« noch über troffen wurden?
ENDE
62