Strategische F¨uhrung auf dem Pr¨ufstand
Sven Kunisch · Christian Welling · Ramona Schmitt Herausgeber
Strategische F¨uhrung auf dem Pr¨ufstand Chancen und Herausforderungen in Zeiten des Wandels
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Herausgeber Sven Kunisch Universit¨at St. Gallen Institut für Betriebswirtschaft Dufourstr. 40a 9000 St. Gallen Schweiz
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Christian Welling Universit¨at St. Gallen Institut für Betriebswirtschaft Dufourstr. 40a 9000 St. Gallen Schweiz
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Ramona Schmitt Universit¨at St. Gallen Rechtswissenschaftliche Abt. Tigerbergstr. 21 9000 St. Gallen Schweiz
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ISBN 978-3-642-05473-0 e-ISBN 978-3-642-05474-7 DOI 10.1007/978-3-642-05474-7 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der ¨ Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg
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Geleitwort Die Strategische Führung von Unternehmen ist nicht nur in einer tiefgreifenden Krise wichtig, wie wir sie zurzeit erleben. Doch gerade in Krisen wird ihre Qualität oft schonungslos offengelegt. Die Spreu trennt sich vom Weizen, und Unternehmen, die nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, können diese meist nicht mehr rechtzeitig aufbauen, um sich vor dem Schlimmsten zu bewahren. In Wissenschaft und Praxis sind wir noch ein gutes Stück davon entfernt, die individuellen und kollektiven Fähigkeiten von Führungskräften, die notwendig sind, um Unternehmen entlang des Konjunkturzyklus erfolgreich zu führen, präzise zu benennen. Wir wissen noch zu wenig über die Auswirkungen dieser Fähigkeiten und die unterschiedlichen Grade der Professionalisierung, mit denen sie praktiziert werden. Oft wird implizit davon ausgegangen, dass erfolgreiche Unternehmen auch über eine gute Strategische Führung verfügen und weniger erfolgreiche über eine weniger professionelle. Dies mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Es kann jedoch nicht überzeugen, da eine solche Annahme gewissermaßen im „Blindflug“ von Kausalitäten ausgeht, die nicht nachvollziehbar und eventuell so gar nicht vorhanden sind. Evidenzbasiertes Wissen über Voraussetzungen, Fähigkeiten, Kontext und deren Zusammenspiel im Rahmen der Strategischen Führung ist bislang erst in Ansätzen vorhanden. Dieses Wissen wäre allerdings wichtig, um einerseits Leitlinien für die Praxis zu geben und andererseits auch Führungsnachwuchs adäquat ausbilden zu können. Jedoch ist die Unvollständigkeit des Wissens kein Anlass, in Trübsal zu verfallen. Vielmehr sollte sie für alle Ansporn sein, solch evidenzbasiertes, generalisierbares Wissen zu schaffen und es anschließend zu verbreiten. Es ist ein langer Weg zu einer Professionalisierung einer Disziplin, wie beispielsweise die Geschichte der Medizin zeigt. Während am Anfang Autodidakten ihre Kenntnisse durch Erfahrungen und Experimente erlangten und diese an die nächste Generation weitergaben, wurde über die Jahrhunderte das angesammelte Wissen mehr und mehr kritisch überprüft, durch neue Erkenntnisse modifiziert und auf den heutigen Stand gebracht. Die einhergehende Professionalisierung der Disziplin war nicht nur ein Sanktionierungsinstrument gegenüber Scharlatanen, sondern erhöhte in der Folge vor allem die Qualität, mit der Patienten diagnostiziert und therapiert werden konnten. Im Vergleich dazu steckt das Gebiet der Strategischen Führung noch in seinen Kinderschuhen, und es wird wohl auch noch eine Zeit lang dauern, um auf einen vergleichbaren Stand zu gelangen. Unter anderem aus diesen Überlegungen wurde an der Universität St. Gallen ein Profilbereich namens Responsible Corporate Competitiveness (RoCC) ins Leben gerufen, in dem ca. 30 Dozenten aus unterschiedlichen Fachbereichen mitwirken. Im Rahmen dieses Profilbereichs werden die individuellen und kollektiven Fähigkeiten von Führungskräften in multidivisionalen Unternehmen sowie deren kausale Beziehungen zu verschiedenen Zieldimensionen untersucht. Bekanntlich wird von Führungskräften zunehmend erwartet, unterschiedlichste Ansprüche von
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Geleitwort
Investoren, Kunden, Wettbewerbern und der Gesellschaft so zu verarbeiten, dass ein Wertbeitrag des Gesamtunternehmens entsteht, der über die Möglichkeiten einzelner Geschäftseinheiten hinausgeht. Ziel der Exzellenzinitiative ist es, neue, gesicherte Einsichten zu generieren, die die Professionalität der Unternehmensführung erhöhen. Um Beispiele zur Entscheidungsfindung zu geben: Die Annahmen des klassischen Homo oeconomicus sowie des rationalen Entscheidungsverhaltens von Führungskräften sind in der Strategieforschung schon seit längerer Zeit unter Beschuss geraten. Zu viel wissen wir mittlerweile empirisch gestützt über Verzerrungen bei Entscheidungsprozessen oder Verhaltensweisen, die als irrational klassifiziert werden können. So konnte z.B. gezeigt werden, dass Entscheidungsträger oft kurzfristigen „Versuchungen“ nicht problemlos widerstehen können, ihre Willenskraft also nicht unbeschränkt ist. Insbesondere, wenn hohe kurzfristige Profite winken, zeigt sich, dass unverhältnismäßig hohe Risiken eingegangen werden. Auch gibt es Belege, dass sich mimetisches „Herdenverhalten“ von Unternehmen zu Unternehmen immer wieder ausbreitet und mit Entscheidungen verbunden ist, die Risiko/Rendite-Überlegungen in den Hintergrund drängen. So bemerkte der CEO einer in Turbulenzen geratenen Investmentbank im Nachhinein wehklagend: „Was hätten wir denn anders machen sollen? Solange die Musik spielt, muss man doch mitspielen.“ Die Strategieforschung konnte auch zeigen, dass gerade in der letzten Phase vor dem Abschwung Entscheidungen über große, riskante „Wetten“ getroffen werden, die dann im Abschwung oft bitter bereut werden. Läuft die Wirtschaft gut, setzt sich mehr und mehr die Zuversicht durch, dass es so weitergehen wird. Doch nach einer gewissen Zeit des Aufschwungs steigt die Wahrscheinlichkeit massiv an, dass es eben nicht unbegrenzt so weitergehen wird. Wenn jedoch Großvorhaben dermaßen „auf Kante“ finanziert werden, dass sie – wenn überhaupt – nur in positiven Aufwärtszyklen funktionieren können, dann darf es nicht verwundern, wenn sie bei einem Abschwung zu einem Desaster für alle Beteiligten werden. Oder anders formuliert: Bestehende Erkenntnisse der Profession wurden hier nicht beachtet – mit verheerenden Folgen. Die vorliegende Publikation leistet einen wertvollen Beitrag auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen von Strategischer Führung. Sie greift eine Reihe von Kandidaten für ein Portfolio von erfolgversprechenden Fähigkeiten auf. Dies beginnt mit der Frage nach der Definition der Aufgaben, die eine Strategische Führung anzugehen hat. Sie umfasst Fragen der Wertorientierung von Führungskräften mit den damit einhergehenden Zielkonflikten, greift Themen der organisatorischen Verankerung von Führung sowie exponierte Rollen im Sinne von Strategieausschüssen, Aufsichtsräten oder Chief Strategy Officers auf und entwirft Leitlinien für die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften auf dem Weg zu einer Professionalisierung der Strategischen Führung. Da die Qualität der Strategischen Führung von Unternehmen für eine moderne Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen zu wichtig ist, um sich selbst überlassen zu werden, ist für uns alle zu hoffen, dass dieser Weg auch in Zukunft weiter kompetent beschritten wird. St. Gallen, im August 2009 Christoph Lechner
Vorwort der Herausgeber Das vorliegende Buch erscheint zu einer Zeit, in der Fragen der Strategischen Führung wieder an Bedeutung gewinnen und neu zu diskutieren sind. Zeiten des Wandels wie nach den Verwerfungen in der Finanz- und Wirtschaftswelt bedürfen neuer Antworten und Konzepte. Dieses Buch versucht, Antworten auf die Frage zu finden, welche Rolle die Strategische Führung eines Unternehmens in Zeiten des Wandels und des Umbruchs spielt, um adäquat auf die sich verändernde Umwelt reagieren zu können. Dieser Frage wird in diesem Herausgeberband in einer Reihe von Beiträgen und aus unterschiedlichen Perspektiven nachgegangen. Das Buch richtet sich an Manager und Führungskräfte, praxisnahe Management wissenschaftler und Studenten der Wirtschaftswissenschaften. So hoffen wir, dass das Buch Führungskräften einen Leitfaden an die Hand gibt, der zum einen die aktuellen Herausforderungen und Tätigkeitsfelder Strategischer Führung in verschiedenen Facetten aufzeigt, zum anderen aber auch konkrete Handlungsanweisungen und Hinweise für die Bewältigung von Problemen gibt. Gerade in Zeiten des Wandels erscheint uns diese Verbindung von besonderer Wichtigkeit zu sein. Darüber hinaus hoffen wir, dass dieses Buch praxisnahen Managementwissenschaftlern und Studenten als Anregung dient, das Themenspektrum der Strategischen Führung in Anbetracht veränderter Rahmenbedingungen „neu zu denken“. Das didaktische Konzept des Buches wurde in zweierlei Hinsicht auf die Zielgruppen ausgerichtet: Zum einen beinhaltet das Buch zwei Arten von Beiträgen. So dienen Fachbeiträge dazu, einzelne Facetten der Thematik ausführlich und fundiert zu beleuchten. Sie werden durch sog. Standpunkte ergänzt. In diesen, in der Regel kürzeren Beiträgen, greifen Experten aus Praxis und Theorie einen ganz bestimmten Aspekt auf und stellen diesen pointiert, thesengestützt oder illustrativ dar. Zum anderen enthalten die Beiträge des Buches zahlreiche weiterführende Exkurse und anschauliche Fallbeispiele. Insgesamt wurde mit diesem Konzept das Ziel verfolgt, sowohl die theoretische als auch praktische Relevanz des Themenfeldes herauszustellen und die Brücke zwischen beidem zu schlagen. Die einzelnen Beiträge wurden inhaltlich in fünf Teile zusammengefasst. Der erste Teil widmet sich den Aufgaben, Herausforderungen und Tätigkeitsfeldern der Strategischen Führung in Zeiten des Wandels. Dabei spielen wirtschaftliche ebenso wie gesellschaftliche und demographische Faktoren eine wichtige Rolle. Daher wird beleuchtet, wie Führungskräfte ein Unternehmen erfolgreich durch Krisenzeiten steuern und ihre Wettbewerbsposition verbessern können. Ferner wird thematisiert, wie mit den bevorstehenden Herausforderungen des demographischen Wandels umgegangen werden sollte. Insgesamt steht die Rolle der Strategischen Führung in den Beiträgen im Zentrum. Der zweite Teil konzentriert sich auf organisatorische Aspekte der Strategischen Führung. Es werden Rollen, Gremien und Strukturen der Strategischen Führung thematisiert und diskutiert, wie diese ausgestaltet werden können. Ein wichtiger Stellhebel aus organisatorischer Sicht könnte ein Strategieausschuss sein. Für dieses
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Vorwort der Herausgeber
Gremium wird daher ein umfassendes Konzept präsentiert. Ferner zählen dazu aber auch einzelne Positionen in der Strategischen Führung. So gewinnt die Position des Chief Strategy Officers zunehmend an Bedeutung und wird dementsprechend genauer betrachtet. Im Scheinwerferlicht steht vor allem auch der Chief Executive Officer und dessen Nachfolgen bergen besondere Chancen, aber auch Risiken für Unternehmen. Für die Positionen in der Strategischen Führung existiert insgesamt mittlerweile ein spezifischer Arbeitsmarkt. Dessen Trends und Entwicklungen in den vergangenen Jahren werden aufgezeigt. Teil drei befasst sich mit den individuellen Eigenschaften und Charakteristika der Führungskräfte. So wird u.a. diskutiert, wie es ein „janusköpfiger Manager“ schafft, unterschiedliche Anforderungen in einer Person zu vereinen und Wandelinitiativen in enger Interaktion mit seinem Team erfolgreich zu bewältigen. Zudem wird aufgezeigt, wie Persönlichkeitsprofile von Führungskräften einen Einfluss auf deren Entscheidungsverhalten und Führungsstile haben können. In diesem Zusammenhang werden ganz spezifisch die Rollen von Ärger und Selbstwahrnehmung untersucht. Anhand eines Beispiels wird zudem illustriert, wie Führungskräfte durch Coaching unterstützt werden können. Im Mittelpunkt des vierten Teils stehen Normen, Werte und Grundsätze des Handelns Strategischer Führung. In diesem Zusammenhang wird das Soft PowerKonzept als ein interessantes Werkzeug für die Strategische Führung vorgestellt, welches neue Möglichkeiten für ein Management jenseits von Kennzahlen bieten kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in diesem Teil eingehend erörtert wird, ist das Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung. Zudem wird aufgezeigt, wie Public Value bzw. die gesellschaftliche Wertschöpfung wieder stärker in den Fokus der Strategischen Führung gerückt werden sollte. Der fünfte und letzte Teil des Buches thematisiert die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften und zeigt Möglichkeiten auf, verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. So wird in diesem Teil für eine Professionalisierungsinitiative plädiert. Es werden Voraussetzungen und Elemente analysiert, die notwendig sind, um die Managementtätigkeit und Strategiearbeit zu einen wirklichen Beruf weiterzuentwickeln. Zudem wird die Leadership Development-Praxis kritisch beleuchtet und aufgezeigt, in welche Richtung sich diese als strategisch wichtiges Führungsinstrument bewegen könnte. Daran anknüpfend werden Gedanken zur Entwicklung strategischer Kompetenz in Unternehmen angestellt. Abschließend bedanken wir uns bei allen Autorinnen und Autoren sehr herzlich für das Verfassen der Beiträge und Ihren Einsatz, durch den dieses Buch erst möglich geworden ist. Besonderer Dank gilt auch den vielen Helferinnen und Helfern, die durch ihre Hinweise und Vorschläge zum Gelingen des Projekts beigetragen haben. Schließlich danken wir den Sponsoren und Förderern für die großzügige Unterstützung dieses Buchprojekts, allen voran KPMG und RoCC, die Exzellenzinitiative Responsible Corporate Competitiveness der Universität St. Gallen. St. Gallen, im August 2009 Sven Kunisch, Christian Welling & Ramona Schmitt
Inhaltsverzeichnis Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Teil 1
Strategische Führung – Aufgaben und Tätigkeitsfelder beleuchten
Strategische Führung in Krisenzeiten erfolgreich meistern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Arndt Kaminski, Carsten Rahlf, Inga Voss Demographiefeste Unternehmensführung: Strategische Maßnahmen zum Management einer Aging Workforce . . . . . . . . . 17 Stephan A. Böhm, Florian Kunze, Miriam K. Baumgärtner, Heike Bruch Standpunkt: Drei Thesen zur Rolle der Strategischen Führung im wirtschaftlichen Abschwung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Peter Wiegand Teil 2
Strategische Führung – Rollen, Gremien und Strukturen definieren
Mit dem Strategieausschuss zur effektiven Unternehmensaufsicht – Zum Prinzip der symmetrischen Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Markus Schimmer, Lisa Hopfmüller, Lukas Müller Der Chief Strategy Officer: Ein Chief für alle Fälle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Markus Menz, Isabel Collischonn Die Übergabe des Staffelstabs: Auslöser, Eigenschaften und Implikationen von CEO-Wechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Sven Kunisch, Julian Weber Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager . . . 101 Peder Greve, Winfried Ruigrok Teil 3
Strategische Führung – Charaktere und individuelle Eigenschaften verstehen
Auf dem Weg zum „janusköpfigen Manager“? Komplementäre und integrierte Führungsstrukturen in Zeiten des Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Alexander Zimmermann, Christian Welling
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Inhaltsverzeichnis
Narzissmus, zentrale Selbstbewertung und Kritikempfindlichkeit auf der Führungsetage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Rebekka Sputtek, Steven W. Floyd Standpunkt: Ein Beispiel aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Anita R. Salt Teil 4
Strategische Führung – Normen und Grundsätze des Handelns hinterfragen
Das ganze Spielfeld ausnutzen: Mit Soft Power zum verantwortungsvollen Management . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Arpad A. Sölter, Eric Schulze Standpunkt: Mammon oder Ethos?! Thesen zum Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung . . . . . . . . . . . . . 173 Martin Schmitt Standpunkt: Public Value: Gesellschaftliche Wertschöpfung im Fokus Strategischer Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Timo Meynhardt Teil 5
Strategische Führung – Aus- und Weiterbildung neu ausrichten
Management und Strategie als Beruf – Ein Plädoyer für eine Professionalisierungsinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Günter Müller-Stewens Leadership Development – Nur etwas für gute Zeiten? Eine Betrachtung aus strategischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Eva Bilhuber Galli Standpunkt: Gedanken zur Entwicklung strategischer Kompetenz in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Claude Heini Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Abkürzungsverzeichnis AACSB A-AktG Abb. AktG AKBP ALC ALF APF ASPI BaFin BankG BGE BGH BGHZ BIP CAPEX CCO CEO CFA CFO CIPM CKO CLO CMG CMO COO CSE CSO CPSP CSR CTO DCGK DCT EBIT EBITDA EFQM EMBA EQUIS EVP FTSE
Association to Advance Collegiate Schools of Business Aktiengesetz (Österreich) Abbildung Aktiengesetz (Deutschland) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Aviation Leadership Compass Aviation Leadership Feedback Aviation Professional Feedback Advanced Sustainability Performance Index Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bankengesetz (Schweiz) Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof (Deutschland) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Deutschland) Bruttoinlandsprodukt Capital Expenditures Chief Commercial Officer Chief Executive Officer Chartered Financial Analyst Chief Financial Officer Certificate in Investment Performance Measurement Chief Knowledge Officer Chief Legal Officer Corporate Management Grading Chief Marketing Officer Chief Operating Officer Core Self Evaluation Chief Strategy Officer Covert Positive Self Perception Corporate Social Responsibility Chief Technology Officer Deutscher Corporate Governance Kodex Development Center Track Earnings Before Interest and Taxes Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation, and Amortization European Foundation for Quality Management Executive MBA European Quality Improvement System Executive Vice President Financial Times Stock Exchange Index
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GuV HGB HR HRM HSG IPMA i.V.m. JAN Kap. M&A MBA NGO NJW NPI NWC NZZ OR OPEX OPSP PC PR RoA S&P SVP SSD SWOT TMT USIA RoCC Tab. Tz. VP WPO WPK ZR
Abkürzungsverzeichnis
Gewinn- und Verlustrechnung Handelsgesetzbuch Human Resources Human Resource Management Hochschule St. Gallen International Project Management Association in Verbindung mit Jung und Alt für Nirosta Kapitel Mergers & Acquisitions Master of Business Administration Non-Governmental Organization Neue Juristische Wochenschrift Narcisstic Personality Inventory Net Working Capital Neue Zürcher Zeitung Obligationenrecht (Schweiz) Operational Expenditure Overt Positive Self Perception Personal Computer Public Relations Return on Assets Standard & Poor’s Senior Vice President Senior Strategy Director Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats Topmanagementteam United States Information Agency Responsible Corporate Competitiveness Tabelle Textziffer Vice President Wirtschaftsprüferordnung Wirtschaftsprüferkammer Zivilrecht
Teil 1 Strategische Führung – Aufgaben und Tätigkeitsfelder beleuchten
Strategische Führung in Krisenzeiten erfolgreich meistern Arndt Kaminski, Carsten Rahlf, Inga Voss
Die diesjährige Budgetplanung hat die heutigen Manager wie schon lange nicht mehr herausgefordert. Während Führungskräfte versuchen, Kontinuität in ihre strategischen Planungen und Budgets für das nächste Jahr zu bringen, erweist sich die Krise nach wie vor als Härtetest für die Unternehmen, und immer mehr werden nicht überleben. Der Beitrag und die erläuterten Methoden wollen Führungskräften Anregungen geben, wie sie sich in Krisenzeiten positionieren und ihr Unternehmen erfolgreich durch die Krise steuern können, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Der Beitrag zeigt auf, wie Unternehmen kurzfristig Flexibilität durch konsequentes Kostenmanagement und Verbesserung der Cash Flow-Position aufbauen sowie ihr Geschäft durch Umsatz- und Margensteigerungen vorwärts bringen können. Gleichzeitig soll Unternehmen durch konsequenten Methodeneinsatz geholfen werden, die richtigen langfristigen Investitionsentscheidungen zu treffen, um gestärkt die Chancen zu nutzen, die sich durch eine mögliche Erholung der Weltwirtschaft bieten.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Arndt Kaminski, Carsten Rahlf, Inga Voss
Inhalt 1 Strategische Führung in der Krise – Ein Muss für alle Unternehmen . . . . 5 2 Fokussiert durch den Abschwung navigieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Bestimmung der Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1.1 Betroffenheit der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1.2 Strategische Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1.3 Finanzielle Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.2 Ableitung spezifischer Maßnahmenpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2.1 Kosten senken und Investitionen abbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2.2 Umsatz und Margen steigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2.3 Ressourcen auf das Kerngeschäft verlagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.2.4 Radikale Schritte vorbereiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.3 Zügige Implementierung und konsequente Beobachtung . . . . . . . . . . . . 14 3 Fazit: Gestärkte Unternehmen durch optimale Krisenstrategie . . . . . . . . 15 4 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
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1 Strategische Führung in der Krise – Ein Muss für alle Unternehmen Sowohl Intensität als auch Dauer der globalen Rezession seit 2008 haben Unter nehmen quer durch alle Branchen vor enorme Herausforderungen gestellt und kurzfristig zum Handeln gezwungen. Grundsätzlich gilt: Wer in Krisenzeiten die richtigen Stellhebel anpackt, kann gestärkt in die nächste Boom-Phase starten. Allerdings reichen in einer Krise dieses Ausmaßes kurzfristige Sparprogramme wie nach den starken Einbrüchen der Aktienmärkte Anfang der neunziger Jahre oder nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang des neuen Jahrtausends nicht aus. Zu groß ist die Unsicherheit über den Fortgang der Rezession und zu gravierend sind die möglichen Auswirkungen von plötzlichen Auftragseinbrüchen von bis zu 50% auf die Finanz- und Ertragslage der Unternehmen. In solchen Zeiten stehen alle Unternehmen unter enormem Handlungsdruck, egal ob sie wie in der Automobil- oder in Teilen der Maschinenbaubranche in wirtschaftlich schwierigen Perioden rasch unter massivem Auftragsschwund leiden, oder ob sie wie die Pharmabranche weitgehend konjunkturresistent sind. Gut aufgestellten Unternehmen eröffnet ein solches Umfeld jedoch auch Chancen, die eigene Wettbewerbsposition auszubauen, wie beispielsweise die Übernahme von Sun Microsystems durch Oracle Ende April 2009 gezeigt hat. Dieser Beitrag möchte Führungskräften Anregungen geben, wie sie sich in Krisenzeiten positionieren und ihr Unternehmen erfolgreich durch die Krise steuern können.
2 Fokussiert durch den Abschwung navigieren Erfolgreich geführte Unternehmen navigieren durch die Krise, indem sie in einem ersten Schritt ihre Ausgangslage (vgl. Kap. 2.1) umfassend neu ermitteln. Diese Standortbestimmung ist in regelmäßigen Abständen während des Abschwungs zu wiederholen. Auf dieser Basis können dann im zweiten Schritt Szenarien aufgebaut und sowohl kurzfristige wie auch langfristige, strukturelle Maßnahmenpläne (vgl. Kap. 2.2) abgeleitet werden. An dritter Stelle stehen die Implementierung dieser Maßnahmenpläne sowie die kontinuierliche Beobachtung der definierten Frühwarnindikatoren (vgl. Kap. 2.3).
2.1 Bestimmung der Ausgangslage Wann und wie stark ein Unternehmen unter einer Rezession leidet, hängt im Wesentlichen von drei Elementen ab: der Betroffenheit der jeweiligen Branche sowie der eigenen strategischen und finanziellen Position. Abbildung 1 stellt diese drei Elemente zusammen mit den empfohlenen Maßnahmenplänen je Ausgangslage im Überblick dar.
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Arndt Kaminski, Carsten Rahlf, Inga Voss
Abbildung 1: Bestimmung der Ausgangslage (Quelle: Bain & Company)
2.1.1 Betroffenheit der Branche Einige Industrien sind traditionell konjunkturanfälliger als andere. Diese Schwan kungen werden in einer globalisierten Wirtschaft mit zahlreichen Interdependenzen noch verstärkt. Das erhöht die Komplexität, aber auch die Möglichkeiten. So können Manager den Fokus ihres Unternehmens auf wirtschaftlich weniger stark betroffene Regionen verschieben. Dies geht aber Hand in Hand mit der komplexen Aufgabe, langfristige Investitionen in globale Aktivitäten zu tätigen, ohne genau zu wissen, welche Region am stärksten vom nächsten Abschwung betroffen sein wird. Selbst innerhalb einer Branche kommt es zu gravierenden Unterschieden hinsichtlich Beginn und Ausmaß der Krise: So gibt es beispielsweise im Maschinenbau neben akut und massiv betroffenen Industriezweigen wie Druckmaschinen und dem Werkzeugmaschinenbau auch Bereiche, die erst verspätet mit einem vergleichsweise geringen Auftragsrückgang rechnen müssen. Jedes Unternehmen sollte daher frühzeitig das Ausmaß der Betroffenheit der eigenen Industrie bzw. des eigenen Industriezweigs bestimmen. Zusammen mit der individuellen strategischen sowie finanziellen Position bildet diese Lagebestimmung dann die Grundlage für die Ableitung unternehmensspezifischer Maßnahmenpläne. 2.1.2 Strategische Position Natürlich ist nicht jedes Unternehmen innerhalb einer Industrie im selben Ausmaß betroffen. Vielmehr hängt dies sehr stark von der jeweiligen strategischen Position ab. Beispielsweise sind die Ergebnisse des Marktführers einer Branche im Schnitt
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besser und gleichzeitig stabiler als die der kleineren, in derselben Branche aktiven Unternehmen. Zahlreiche Studien stützen sich auf diesen Zusammenhang. So vergleicht beispielsweise das Fortune Magazin regelmäßig in verschiedenen Industrien die Gewinne des jeweiligen Marktführers über einen Zehnjahreszeitraum mit denen des Unternehmens an zweiter Position. Die Auswertung aus dem Jahr 2007 zeigt, dass Marktführer über das letzte Jahrzehnt hinweg einen Shareholder Return von 267% realisiert hatten, die jeweiligen Zweitpositionierten lediglich 68% (Fortune 2007). Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Marktführer besser positioniert sind, um mit den Auswirkungen eines Abschwungs fertig zu werden. Nehmen wir einmal an, die Preise würden um durchschnittlich 5% fallen. Die Gewinne der schwächer positionierten Unternehmen in einer Industrie würden sich höchstwahrscheinlich in Verluste verwandeln. Dies zwingt diese Unternehmen zu intensiven Kosteneinsparmaßnahmen. Auch die Marktführer werden spürbare Gewinneinbrüche erleiden, in der Regel bleibt ihre Profitabilität jedoch über den Kapitalkosten. Dies gibt ihnen die Flexibilität, ihre Ausgaben für Forschung & Entwicklung, Marketing, Kapazitätsausweitung oder Akquisitionen beizubehalten oder gar zu erhöhen. Durch derartige Maßnahmen können sie ihre strategische Wettbewerbsposition sogar weiter ausbauen. 2.1.3 Finanzielle Position Finanzielle Ressourcen sind der Treibstoff, den ein Unternehmen benötigt, um durch eine Rezession zu navigieren. Ist der Tank fast leer, wird es eine kurze Reise sein. Ist er voll, hat das Unternehmen Möglichkeiten, die anderen verschlossen bleiben. „Eine Rezession bietet große Chancen“, sagte der Gründer der US-amerikanischen Fluggesellschaft Virgin Group, Sir Richard Branson, vor einiger Zeit dem Fortune Magazin (Gimbel 2008). „Wir haben ausreichend finanzielle Ressourcen. Einige unserer Unternehmen werden den Gürtel etwas enger schnallen, andere werden die Rezession nutzen, um zu expandieren.“ So denkt Virgin z.B. über die Etablierung von Fluglinien in Brasilien und Russland nach. „Es ist ein guter Zeitpunkt, brand neue Flugzeuge zu vernünftigen Preisen zu bekommen“, so Branson. Ein unerlässlicher Schritt bei der Bestimmung der Ausgangslage ist daher die Analyse der eigenen finanziellen Position, denn eine Überschuldung oder ein Liquiditätsengpass gefährden die Existenz unmittelbar. Wie viel Spielraum für Fremdfinanzierung hat ein Unternehmen? Wie viel Schulden lasten auf ihm? Wie hoch sind seine Cash-Reserven? Wie sieht es bei den Wettbewerbern aus? Ein wichtiger Schritt für jedes Unternehmen während einer tiefen Rezession ist es, eine Reihe von kurz- und langfristigen Szenarien für den Abschwung durchzuspielen, um die für das eigene Überleben erforderlichen Ressourcen zu bestimmen. Ist ein Unternehmen in der Lage, seine Schulden zu refinanzieren? Zu welchen Kosten? Nur durch eine Bewertung aller möglichen Risiken kann ein Unternehmen die für Investitionen zur Verfügung stehenden Überschussressourcen kalkulieren.
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Exkurs: Ist Ihr Unternehmen krisenfest? Der Liquiditäts-Stresstest Liquiditätsengpässe sind existenzbedrohend. Ein Liquiditäts-Stresstest ermöglicht Unter nehmen, ihre finanzielle Position in einem von Unsicherheit und rückläufiger Nachfrage geprägten Umfeld systematisch zu überprüfen. Der regelmäßig zu wiederholende Stress test in drei Schritten gewährleistet, dass Unternehmen die möglichen Auswirkungen eines Auftragseinbruchs auf ihre Finanzlage berechnen und frühzeitig gegensteuern können. 1. Parameter festlegen: Wie entwickelt sich der Markt? Ein Einbruch der globalen Exporte um 10%, 20% oder gar 30% und ein Auftragsrück gang der Branche um 10%, 30% oder 50%: Zu Beginn des Stresstests gilt es, für das jeweilige Unternehmen die entscheidenden gesamt- und branchenwirtschaftlichen Para meter festzulegen und auf dieser Basis Szenarien über die weitere Marktentwicklung zu erstellen. 2. Simulationen rechnen: Wie schlägt sich mein Unternehmen in der Krise? Diese externen Daten werden zusammen mit der eigenen Planung in einem Simula tionsmodell zusammengefasst. Die Auswirkungen unterschiedlichster Veränderungen von Branchennachfrage oder Dauer der Krise auf die Ertrags- und Liquiditätssituation von Unternehmen lassen sich jetzt genauer bestimmen. 3. Konsequenzen ziehen: Wann muss was geschehen? Die Ergebnisse der Finanzsimulation lassen sich in Krisen-Landkarten verdichten. Diese Krisenlandkarten visualisieren die zentralen Stresspunkte und zeigen, ab wann die fi nanzielle Stabilität eines Unternehmens gefährdet oder der Finanzierungsspielraum aus geschöpft ist. Die Worst Case-Szenarien sollten um die so identifizierten Stresspunkte er gänzt werden. Die auf diese Weise erweiterten Szenarien bilden den Ausgangspunkt, um Krisenpläne zu erarbeiten, und stellen sicher, dass strukturelle Maßnahmen rechtzeitig in Angriff genommen werden.
Quelle: Bain & Company
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Strategische Führung in Krisenzeiten erfolgreich meistern
Ein effektiver Ansatz zur Bestimmung der individuellen finanziellen Position kann ein „Liquiditäts-Stresstest“ sein (für Details siehe Exkurs). Durch einen solchen Test lässt sich zum einen ermitteln, wie sich Veränderungen im Markt oder ein Auftragsrückgang um 20% oder gar 50% auf entscheidende Kennziffern wie Liquidität und operatives Ergebnis auswirken. Zum anderen dient eine derartige Betrachtung dazu, die finanziellen „Schmerzwerte“ eines Unternehmens zu orten. Bei Erreichen bestimmter Szenarien sind dann weitergehende Sparmaßnahmen einzuleiten, um die Existenz des Unternehmens zu sichern.
2.2 Ableitung spezifischer Maßnahmenpläne Je höher die Konjunkturabhängigkeit der Branche und je schwächer die eigene Position in diesem Umfeld, desto größer der Handlungsdruck. Nur wer die eigene Position sowie die möglichen Auswirkungen unterschiedlicher Rezessionsszenarien auf das eigene Unternehmen genau verstanden hat, kann detaillierte Maßnahmenpläne für diese verschiedenen Szenarien ausarbeiten. Denn erst dieses Wissen ermöglicht es, zu beurteilen, ob kurzfristige Maßnahmen ausreichen oder ob und wann strukturelle Maßnahmen wie Standortschließungen oder Verkäufe von Firmenteilen unerlässlich sind. Die zahlreichen Stellhebel lassen sich zu vier Handlungsfeldern verdichten: (1) Kosten senken und Investitionen abbauen, (2) Umsatz und Margen steigern, (3) Ressourcen auf das Kerngeschäft verlagern sowie (4) radikale Schritte vorbereiten. Abbildung 2 zeigt diese in der Übersicht. Wichtigste Hebel
Niedrig
Betroffenheit der Branche
Zweite Priorität
Strategische Position
Stark
Stark
Finanzielle Position
Stark
Schwach
Zusammenschluss mit Gewinnern
Volle Kraft voraus
Abspecken
Hoch
Schwach Schwach Stark
Schwach
Stark
Stark
Stark
Schwach
Stark
Schwach
Auftanken
Vorsichtig agieren
SOS
RefokuZaudeFührung ssieren & rer abausumhängen bauen rüsten
Schwach Schwach
Kosten senken und Investitionen abbauen Cash und Liquidität eng managen Performanceverbesserungen erzielen - Komplexität reduzieren - Verwaltungskosten senken - Zulieferkette optimieren Umsatz und Margen steigern Verkauf ankurbeln Preise anpassen, um Margen- oder Marktanteile zu steigern Ressourcen auf das Kerngeschäft verlagern Klare Strategie aufzeigen Loyalität der Schlüsselkunden steigern Organisation stärken Nichtkernaktivitäten abstossen Radikale Schritte vorbereiten Partnerschaften und M&A-Aktivitäten anstreben
Abbildung 2: Ableitung spezifischer Maßnahmenpläne je Ausgangslage (Quelle: Rigby 2009)
Je schwächer die Ausgangslage, desto größeres Gewicht erhalten kurzfristige Maßnahmen zur Kostensenkung sowie der Ausstieg aus Aktivitäten jenseits des
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Kerngeschäfts. Je besser die eigene finanzielle und strategische Position, desto größer dagegen die Chancen, in der Rezession das eigene Kerngeschäft auszubauen oder sogar durch Partnerschaften und Übernahmen zu arrondieren. Die vier Handlungsfelder werden in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet. 2.2.1 Kosten senken und Investitionen abbauen Im Mittelpunkt der kurzfristigen Maßnahmen stehen die Sicherung und Stärkung der Finanzkraft. Kurzfristige Erfolge verspricht vor allem ein straffes Cash- und Liquiditätsmanagement. Ein wichtiges Element in diesem Rahmen ist die Steigerung des Netto-Umlaufvermögens. Diese Herausforderung überwand beispielsweise ein europäischer Mischkonzern, der Anfang 2009 mit einem akuten Liquiditätsengpass konfrontiert war: Das Unternehmen konnte seine Liquidität binnen 13 Wochen im Wesentlichen mit Hilfe von drei Stellhebeln verdoppeln. Erstens reduzierte das Unternehmen seinen Lagerbestand rigoros, trennte sich von obsoleter Ware und Rohmaterialien und passte Bestellkriterien sowie minimale Losgrößen an. Zweitens optimierte der Konzern sein Debitoren- und drittens sein Kreditorenmanagement und konnte so den Cash-Zyklus erheblich verkürzen. Außerdem stellte das Unternehmen sämtliche Sachinvestitionen auf den Prüfstand – generell ein zentraler Stellhebel zur Verbesserung der Finanzlage. Während Investitionen zur Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs hinsichtlich Laufzeit und Umfang überprüft und ggf. beschnitten werden, lassen sich leistungs- und qualitätssteigernde Investitionen sowie Wachstumsinvestitionen priorisieren und im Zweifel erst einmal auf unbestimmte Zeit verschieben. Als Messgröße kann hier der Cash-on-CashReturn dienen, der die Liquiditätsbelastung einer Investition widerspiegelt. Je nach Länge und Tiefe der Rezession reichen kurzfristige Maßnahmen in vielen Fällen allerdings nicht aus und sollten deshalb durch strukturelle Maßnahmen ergänzt werden. Neben einem aktiven Cash- und Liquiditätsmanagement sollten viele Unternehmen in Krisenzeiten daher auch über Ergebnisverbesserungen durch Komplexitätsreduktion nachdenken. Die rechtzeitige Vorbereitung und zeitliche Umsetzung spielen dabei eine entscheidende Rolle, denn strukturelle Maßnahmen wirken zeitverzögert. Gängige strukturelle Maßnahmen sind beispielsweise die Straffung der eigenen Organisation – auch durch Personalabbau – sowie die Trennung von Randaktivitäten oder von einzelnen Produktionsstätten und Niederlassungen. Die Finanz- und Ertragskraft lässt sich darüber hinaus auch steigern, indem unrentable Produkte eliminiert werden. Eine solche Komplexitätsreduktion und die dadurch mögliche Senkung der Produktions- und Vertriebskosten eröffnet neue Handlungsspielräume: So konnte ein Unternehmen aus der Bauzuliefererindustrie in vier Schritten die Zahl seiner Produktvarianten um rund 60% reduzieren und dadurch das Betriebsergebnis – ohne nennenswerte Umsatzeinbußen – um 150% steigern. Weitere Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung durch Kostensenkungen sind vor allem auch der Abbau von Verwaltungskosten sowie die Optimierung der Zulieferkette. In den vergangenen Krisen haben die hier aufgeführten Maßnahmen sich wiederholt als die effektivsten Kostenmanagementhebel bewiesen. Durch sie
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kann ein Unternehmen sich die erforderliche Flexibilität verschaffen, einen dramatischen Abschwung zu verkraften und sogar in die Zukunft investieren zu können. 2.2.2 Umsatz und Margen steigern Umsatzsteigerungen können in Krisenzeiten in erster Linie durch die Ankurbelung des Vertriebs erzielt werden. Die Kernfrage in diesem Zusammenhang ist, ob die Vertriebsmannschaft ihr Produktivitätspotenzial voll ausschöpft. Häufig können eine gezielte Restrukturierung und Refokussierung des Vertriebs rückläufige Umsätze aufhalten oder sogar zu Umsatzsteigerungen führen. Eine ganze Reihe datengestützter Analysen kann die Vertriebsmannschaft dabei unterstützen, sich auf die richtigen Kundensegmente zu konzentrieren, ihre Pipeline effektiv zu managen und ihre Präsenzzeit beim Kunden zu maximieren. Gerade in Krisenzeiten können das die ausschlaggebenden Kriterien für Erfolg oder Misserfolg sein. Die Stabilisierung oder sogar Steigerung der Margen erfordert entsprechende Preisanpassungen. Zum einen können gezielte Preiserhöhungen die Margen verbessern, zum anderen können aber auch durch vorsichtige Preissenkungen Marktanteile hinzugewonnen werden. Insgesamt lassen sich die Maßnahmen zur Kosten- und Investitionsreduktion sowie zur Steigerung von Umsatz und Margen wie in Abbildung 3 dargestellt zusammenfassen. Umsatz erhöhen Verkauf ankurbeln Preise anpassen
Kosten reduzieren
GuV Materialkosten Umsatz
Sonstige Umsatzkosten OPEX EBITDA
Cashflow EBITDA - Veränderung NWC - Steuern Operating Cashflow - CAPEX Investing Cashflow Financing Cashflow Net Cashflow
Anlagenmanagement
Einkaufskosten reduzieren Produktkomplexität reduzieren Produktion optimieren Distributionskosten reduzieren Verwaltungskosten senken
Bilanz
NWC reduzieren CAPEX optimieren
Sachanlagen Inventar Sonstige Anlagen
Verbindlichkeiten
Eigenkapital Haupthebel
Abbildung 3: Kurzfristige und strukturelle Ansatzpunkte, um EBITDA/Cash zu generieren (Quelle: Bain & Company)
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2.2.3 Ressourcen auf das Kerngeschäft verlagern Unternehmen, die als Gewinner aus einer Rezession hervorgehen, bauen in der Regel ihren Marktanteil im Kerngeschäft durch gezielte strategische Investitionen aus. Durch diese Investitionen gelingt es ihnen, eine führende Wettbewerbsposition in wichtigen Marktnischen zu schaffen oder auszubauen und dadurch in den Genuss der Vorteile eines Marktführers zu kommen. Diese Unternehmen stärken außerdem bewusst ihre Beziehungen zu Schlüsselkunden, um deren Loyalität weiter zu steigern. Dies wiederum ermöglicht es den Unternehmen, ihren „Share of Wallet“ (Ausschöpfung des Umsatzpotenzials eines Kunden) mit diesen Schlüsselkunden weiter zu steigern. Eine weitere wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die gezielte Investition in die Organisationsstärke. So verhindert beispielsweise eine starke Führungsmannschaft die in Krisenzeiten häufig aus einer Art „Schockzustand“ heraus resultierende Verzögerung wichtiger Entscheidungen. Stattdessen wird eine starke Mannschaft die wichtigsten Entscheidungen rasch identifizieren sowie zügig treffen und umsetzen. Einige Unternehmen entscheiden sich in der Rezession auch für das Abstoßen von Kernaktivitäten, um sowohl Cash als auch wertvolle Managementzeit freizusetzen. Andere wiederum ziehen es vor, den Sturm abzuwarten und erst nach Abflauen der Krise zu besseren Konditionen zu verkaufen. In jedem Fall muss ein Unternehmen vorab definieren, welche Maßnahmen die für sie richtigen sind und natürlich die entsprechenden Nichtkernakvititäten bestmöglich für einen effektiven Verkauf vorbereiten. 2.2.4 Radikale Schritte vorbereiten Insgesamt stärken kurzfristige wie strukturelle Maßnahmen die Finanz- und Ertragskraft von Unternehmen und erweitern die strategischen Handlungsspielräume. Durch eine antizyklische Steigerung der Marketingausgaben und eine aggressive Preispolitik können finanzstarke Unternehmen ihre Marktposition – wie bereits gezeigt – ebenso ausbauen wie durch gezielte Partnerschaften und M&A-Aktivitäten. Richtig vorbereitet und durchgeführt erlauben solche Aktivitäten einem Unternehmen, den Markt weiter zu konsolidieren, die eigene Marktposition auszubauen oder wertvolle Fähigkeiten und Ressourcen zu günstigen Konditionen zuzukaufen. Selbst ehemals äußerst unnahbare Wettbewerber sind in Krisenzeiten häufig für Partnerschaften offen, die sie in wirtschaftlich besseren Zeiten abgelehnt hätten. Oracle übernimmt Sun Microsystems, Merck & Co. schließt sich mit Schering Plough zusammen, Vattenfall erwirbt Nuon und RWE plant den Kauf von Essent – alles Übernahmen im Rezessionsjahr 2009 und alles Beispiele, wie führende Anbieter geschwächte Wettbewerber übernehmen und damit zugleich Geschäftsfelder von strategischer Bedeutung besetzen. Hingegen verdeutlicht das Beispiel Schaeffler/ Continental, dass tiefe und lange Rezessionen große Herausforderungen an Unternehmenskäufe stellen. Im Gegensatz zu vorangegangenen Krisen wird die Beantwortung von Fragen nach der maximalen Größe von Akquisitionen und dem
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optimalen Zeitpunkt überlebenswichtig. Ein mögliches Vorgehen bei der Identifikation und Analyse möglicher Partner bzw. Übernahmekandidaten bei gleichzeitiger Risikominimierung wird im Exkurs näher erläutert. Auf diese Weise können Unternehmen in vier Schritten ihre strategischen Handlungsspielräume für M&A-Aktivitäten ausloten und konkretisieren. Exkurs: Identifikation und Analyse möglicher strategischer Handlungsspielräume 1
BranchenProfit Pool analysieren Profit Pool
Profit PoolStruktur für Segmente identifizieren Veränderungen prognostizieren
2 Krisenverluste
& -überlebende identifizieren
Krisenverluste
Auswirkungen Profit PoolVeränderung auf Wettbewerb analysieren Gewinner und Verlierer aus Marktbereinigung ableiten („Long List“)
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Stresstest durchführen & Target-Liste erstellen Target-Liste
„Fit-Analyse“ Stresstest zur Überprüfung der Finanzierbarkeit der Akquisitionen („Short List“)
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Umsetzung vorbereiten & Monitoring aufsetzen
Implementierung
Dealthese formulieren Due Diligence durchführen Bewertung und optimales Timing der Transaktion festlegen
1. Analyse der Branche Im ersten Schritt wird die Verteilung der Profit Pools (Gewinnbeiträge entlang der Wert kette eines Sektors) auf die einzelnen Branchensegmente untersucht. In Szenarioanalysen wird ermittelt, wie sich die Krise auf die Ertragslage in den einzelnen Segmenten aus wirkt. Bereits hier ist deutlich zu erkennen, welche Segmente besonders stark betroffen sind und in welchem Maß einzelne Wettbewerber durch die aktuelle Krise geschwächt werden. 2. Analyse der Gewinner und Verlierer Die Analyse wird in einem zweiten Schritt verfeinert. Sinkt der Profit Pool der Branche, werden Marktbereinigungen wahrscheinlicher. Ausgehend von der jeweiligen finanziel len und strategischen Position der Wettbewerber ergeben sich wahrscheinliche Gewinner und Verlierer der Krise. Unter den Gewinnern wird nun nach Kandidaten gesucht, die zum eigenen Unternehmen passen und so eine „Long List“ potenzieller Akquisitionsziele erstellt. 3. Analyse der eigenen Position Das Ergebnis von Schritt zwei ist der Kreis möglicher Übernahmekandidaten. Von beson derem Interesse sind Tochtergesellschaften finanziell angeschlagener Konzerne, die nicht zu deren Kerngeschäft zählen, aber eine attraktive Position in der Branche haben. Für jeden Einzelnen wird überprüft, inwieweit das Unternehmen oder der Unternehmens
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zweig das eigene Portfolio strategisch ergänzt („Fit-Analyse“). Das Hauptaugenmerk liegt auf Themen wie der Erweiterung der Kundenbasis, der Technologie oder des Pro duktportfolios sowie der geographischen Expansion in neue Märkte. Parallel wird im Stresstest simuliert, wie viel in eine Übernahme investiert werden kann, ohne die eigene Existenz zu gefährden. Aus der „Fit-Analyse“ und dem maximalen Akquisitionsbudget leitet sich die „Short List“ möglicher Kandidaten ab. 4. Vorbereitung möglicher Übernahmen Eine erste Outside-in Due-Diligence kann die Liste der interessanten Unternehmen wei ter eingrenzen. Es gilt, Klarheit über den zu erwartenden Wertbeitrag der potenziellen Übernahmekandidaten zu gewinnen. Während die Zielunternehmen genau zu beobachten sind, wird eine Strategie inklusive eines Zeitplans zur Annäherung an den Übernahme kandidaten ausgearbeitet. Die Herausforderung besteht darin, sich über den weiteren Verlauf und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise klar zu werden. Denn diese Annah men beeinflussen den optimalen Zeitpunkt für die Transaktion und die Höhe des Kauf preises unmittelbar. In vielen Fällen empfiehlt es sich, eine Übernahme so vorzubereiten, dass sie bei ersten Zeichen einer wirtschaftlichen Erholung zügig durchgeführt werden kann. Quelle: Bain & Company
Die in diesem Abschnitt beschriebenen Maßnahmen können einem Unternehmen helfen, eine Krisensituation zu meistern. Wichtig ist in jedem Fall die vorherige, tiefgehende Bewertung der eigenen Ausgangslage. Nur so kann ein Unternehmen die richtigen Maßnahmen auswählen, welche von essentieller Bedeutung für Erfolg oder Misserfolg sind.
2.3 Zügige Implementierung und konsequente Beobachtung Unabhängig davon, ob finanzstarke Unternehmen ausreichend Handlungsspielraum haben, um ihre Marktposition auszubauen, oder ob schwächere Anbieter ihre Existenz angesichts massiver Auftragseinbrüche durch kurzfristige Maßnahmen sichern – entscheidend für den Erfolg jeder Strategie ist die zügige Implementierung der Maßnahmen. In der Praxis zeigt sich, dass eine Steuerung durch ein zentrales Projektbüro die Führung und Umsetzung erheblich vereinfacht. Hauptaufgabe des Projektbüros ist in der Regel die Entwicklung eines umfassenden Implementierungsplans sowie die Etablierung eines laufenden Überwa chungsprozesses. Neben der Erfassung aller zur Implementierung erforderlichen Aktivitäten und der Definition von Meilensteinen sowie Endterminen gehören dazu vor allem auch die klare Zuweisung von Entscheidungsrechten sowie das Aufsetzen einer schlüssigen Meeting- und Führungsstruktur. Der Überwachungsprozess sollte unbedingt auch beschreiben, wie im Falle einer notwendig gewordenen Eskalation durch Verzögerungen oder sonstiger Probleme bei der Implementierung vorgegangen werden soll. Eine weitere wichtige Verantwortung des Projektbüros ist in der Regel die Entwicklung von Gegenmaßnahmen bei Planabweichungen gemeinsam mit den
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Projektverantwortlichen und der Führungsmannschaft. Insbesondere im Rahmen von – in Krisenzeiten recht häufigen – Restrukturierungsprogrammen verantwortet das Projektbüro meist auch das Finanzmodell, das den Erfüllungsgrad der definierten Einsparmaßnahmen sowie deren Auswirkung auf die Gewinn- und Verlustrechnung, die Liquidität oder die Finanzprognose misst, und justiert gegebenenfalls entsprechend nach. Insgesamt übernimmt ein Projektbüro also die Steuerung sowie laufende Überwachung der Implementierung und stellt außerdem sicher, dass Unternehmen bei einer Veränderung wichtiger Frühwarnindikatoren in enger Kooperation mit dem Vorstand rechtzeitig die entsprechenden Maßnahmenpakete auf den Weg bringen.
3 Fazit: Gestärkte Unternehmen durch optimale Krisenstrategie Analyse der Ausgangslage, Entwicklung spezifischer Maßnahmen und zügige Implementierung: Mit diesem dreistufigen, iterativen Konzept können Unternehmen aller Branchen den herrschenden Unsicherheiten trotzen sowie ihr Bestehen in der Rezession und darüber hinaus sichern. Mehr noch: Durch systematisches und frühzeitiges Handeln können sie zugleich ihre Wettbewerbsposition deutlich verbessern. Einigen wird dies nicht gelingen. Entsprechend werden diese Unternehmen hinter ihre Wettbewerber zurückfallen, aufgekauft oder Bankrott gehen. Aber wirtschaftliche Abschwünge schaffen stets gleichermaßen Chancen wie Risiken. Mithilfe eines pragmatischen Maßnahmenplans, der die spezifische Position reflektiert und die richtigen Tools zur Umsetzung bietet, können Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen. Analysen zeigen, dass beispielsweise in der Rezession 1992/93 erheblich mehr Unternehmen der Aufstieg in die Liga der Branchenbesten mit dem höchsten Umsatz- und Gewinnwachstum gelang als in der stabilen Wirtschaftsphase 1998/99. Es gilt also: Wer in Krisenzeiten unverzüglich seine Finanz- und Ertragskraft stärkt, kann als Gewinner aus der Krise hervorgehen und am kommenden Aufschwung überproportional partizipieren.
4 Literaturverzeichnis Fortune (2007) „Fortune 500“-Liste. Fortune 30.04.2007 Gimbel B (2008) Sir Richard Branson. Fortune 10.11.2008 Rigby, D (2009) Winning in Turbulence. Pull the Right Levers for Your Situation. Harvard Business Press, Boston
Demographiefeste Unternehmensführung: Strategische Maßnahmen zum Management einer Aging Workforce Stephan A. Böhm, Florian Kunze, Miriam K. Baumgärtner, Heike Bruch
Die Thematik des demographischen Wandels gerät angesichts zyklischer Krisen und Rezessionen wie der momentan vorherrschenden Wirtschaftskrise mitunter in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Über die nächsten Jahrzehnte betrachtet ergeben sich aus dem demographischen Wandel jedoch vielfältige Chancen und Herausforderungen, die das Topmanagement von Unternehmen vor beträchtliche Aufgaben stellen. Die sich abzeichnenden demographischen Veränderungen führen zu einem zukünftigen Mangel an jüngeren Mitarbeitern, einer steigenden Altersvielfalt innerhalb der Unternehmen sowie zu älter werdenden Kunden und Mitarbeitern. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit werden Unternehmen darauf angewiesen sein, Strategien und Kompetenzen einzusetzen, die es ihnen erlauben, die Potenziale aller Altersgruppen gleichermaßen zu entwickeln, zu erhalten und zu nutzen. Die demographiefeste Unternehmensführung stellt hierfür eine erfolgversprechende strategische Maßnahme dar, die durch das Topmanagement gesteuert werden muss. Am Beispiel von ThyssenKrupp Nirosta werden fünf, die Demographiefestigkeit eines Unternehmens widerspiegelnde Handlungsfelder vorgestellt: Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement, Führung und Kultur, Personalentwicklung und Karrieremanagement.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Stephan A. Böhm, Florian Kunze, Miriam K. Baumgärtner, Heike Bruch
Inhalt 1 Demographischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1 Chancen und Herausforderungen für Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2 Implikationen für eine demographiefeste Unternehmensführung . . . . . . . 21 2 Handlungsfelder einer demographiefesten Unternehmensführung . . . . . 23 2.1 Wissensmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2 Gesundheitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3 Führung und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.4 Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.5 Karrieremanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Demographiefeste Unternehmensführung
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1 Demographischer Wandel Die Thematik des demographischen Wandels gerät angesichts zyklischer Krisen und Rezessionen wie der momentan vorherrschenden Wirtschaftskrise mitunter in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Werden jedoch die potenziellen Auswirkungen über die nächsten 20 Jahre betrachtet, so wird deutlich, dass der demographische Wandel die Strategische Führung von Unternehmen vor eher größere Herausforderungen stellt, als dies die eher kurzfristigen konjunkturellen Entwicklungen machen. Der demographische Wandel wird in den kommenden Jahren praktisch alle entwickelten Volkswirtschaften nachhaltig treffen und verändern (European Commission 2006; United Nations 2005). So sehen sich Länder wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz mit einer zunehmenden Alterung ihrer Bevölkerung konfrontiert, die sich zum einen aus dem Mangel an Nachwuchs, zum anderen aus der gestiegenen Lebenserwartung der Bürger ergibt. Um die Sozial- und Rentensysteme vor dem Kollaps zu bewahren und das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern nicht zusätzlich zu verschlechtern, werden die Regierungen langfristig nicht vermeiden können, das Rentenalter nach oben zu korrigieren. Aktuelle Berechnungen des Deutschen Statistischen Bundesamtes (2006) zei gen, dass die deutsche Arbeitsbevölkerung ab 2010 spürbar schrumpfen wird – bis zum Jahr 2050 wird die Zahl an potenziellen Arbeitskräften um 10,7 Mio. zurückgehen. Gleichzeitig wird sich der Anteil der über 50-jährigen Erwerbstätigen an der gesamten Arbeitsbevölkerung auf 35% erhöhen, wodurch diese Altersgruppe ab 2020 zur größten Subgruppe werden wird. Für Unternehmen ergibt sich hieraus die Verpflichtung, ältere Mitarbeiter länger im Betrieb zu beschäftigen. Arbeitskräfte jenseits von 65 Jahren werden nach und nach zur betrieblichen Normalität werden, wodurch sowohl das Durchschnittsalter der Beschäftigten als auch die Altersheterogenität in den Unternehmen deutlich ansteigen werden (Dychtwald et al. 2004; Tempest et al. 2002).
1.1 Chancen und Herausforderungen für Unternehmen Der demographische Wandel führt zu einer Reihe von Herausforderungen für Unter nehmen, die oftmals jedoch auch einen gewissen „Chancencharakter“ besitzen. Im Folgenden sollen exemplarisch drei der wichtigsten Chancen und Herausforderungen vorgestellt werden. Die erste Herausforderung bezieht sich darauf, dass sich jüngere Mitarbeiter mehr und mehr zur Mangelware und zur gefragten unternehmerischen Ressource entwickeln werden. Schon heute ist der Begriff des War for Talents (Michaels et al. 2001) in aller Munde, und auch kurz- oder mittelfristige konjunkturelle Eintrübungen werden diese Entwicklung nicht nachhaltig umkehren. Er beschreibt, dass sich gerade die Zahl junger Fach- und Führungskräfte durch den demographischen Wandel entscheidend verringern wird. Dies gilt gleichermaßen für Universitätsabsolventen als auch für junge, gut ausgebildete Fachkräfte (z.B. Techniker). Der potenzielle Mangel an jungen Nachwuchskräften wird Firmen
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zunehmend dazu zwingen, bewusst auch ältere Mitarbeiter zu rekrutieren, um ihren Personalbestand halten zu können. Die Unternehmen, die dies früh erkennen und bewusst auf die Einstellung von Älteren setzen, werden als First Mover die Chance haben, sich sehr gut qualifizierte und höchst motivierte Mitarbeiter zu sichern. Ein zweites Cluster von Chancen und Herausforderungen besteht in Bezug auf die positive Gestaltung der zunehmenden Alters- und Generationenvielfalt in Unternehmen. Nicht nur durch die Rekrutierung älterer Mitarbeiter, sondern auch durch die ohnehin stattfindende Alterung der Belegschaft wird die Altersheterogenität in Unternehmen zunehmen. Eine solche Diversität kann auf der einen Seite große Chancen für die Innovationskraft, den Wissenstransfer oder die gegenseitige Motivation eröffnen, auf der anderen Seite kann sie jedoch auch zu internen Kämpfen, Gruppenbildung und Diskriminierung führen (Horwitz u. Horwitz 2007, Ely 2004; Leonard et al. 2004). Ein zentraler Erfolgsfaktor auf der Gesamtunternehmensebene besteht daher in einer aktiven Führungs- und Kulturgestaltung, welche nur auf dieser Ebene durch aktive Beteiligung des Top- und HR-Managements sowie durch das tägliche Vorleben durch das gesamte Linienmanagement geschaffen werden kann. Die Bedeutung einer positiven, Diversität wertschätzenden und verbindenden Führungs- und Unternehmenskultur wurde durch Thomas und Ely (1996) in verschiedenen Studien nachgewiesen. Auch auf Seiten der Unternehmenspraxis ist die Bedeutung einer integrativen und handlungsorientierten Kultur für den langfristigen Unternehmenserfolg heute weitgehend unumstritten. In vielen Firmen gehört eine gezielte Führungskräfte- und Kulturentwicklung daher zu den Kernaufgaben des Managements (Wunderer 2007). Allerdings gibt es noch vergleichsweise wenig Unternehmen, die gezielt eine altersfreundliche Kultur schaffen, welche die Altersheterogenität im Unternehmen wertschätzt und auf das Miteinander der Generationen ausgerichtet ist. Ein drittes Feld von Chancen und Herausforderungen ergibt sich durch den sog. Silver Market. Es altern nicht nur die Mitarbeiter in den Unternehmen, sondern auch die restliche Gesellschaft. Dies kann für Betriebe, die sich frühzeitig auf diese Entwicklung einstellen, zu völlig neuartigen unternehmerischen Chancen führen. Viele der Kunden von morgen werden zunehmend älter als 50 Jahre sein, wodurch sich für viele Unternehmen zusätzliche Absatzmärkte ergeben (Kohlbacher u. Herstatt 2008). Sich auf diesen neuen Markt einzustellen, kann gerade für Unternehmen im deutschsprachigen Raum sehr vielversprechend sein. Eine Vielzahl von Unternehmen in Mitteleuropa steht heute unter dem permanenten Druck, zu den Innovationsführern ihrer Branche zählen zu müssen (Davenport et al. 2006). Aufgrund ihrer Kostennachteile im Vergleich zu Unternehmen in Billiglohnländern wie China oder Indien müssen sich in Mitteleuropa tätige Firmen vor allem über eine hohe Qualität sowie ständige Produkt- und Serviceinnovationen die Gunst der Kunden erkämpfen. Wenn es den Firmen gelingt, die Bedürfnisse dieser neuen älteren Kundengruppen zu erkennen und zielgenau anzusprechen, können sie sich zu Innovationsführern des Silver Markets entwickeln und hieraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile ableiten. Nicht zuletzt deshalb kann es für Unternehmen sehr vorteilhaft sein, einen bewussten „Generationenmix“ herbeizuführen und Mitarbeiter zu beschäftigen, die
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dem neuen Zielmarkt angehören. Schon heute gibt es Beispiele für Unternehmen, die sich erfolgreich auf eine älter werdende Zielgruppe einstellen und den Silver Market erfolgreich bearbeiten.
1.2 Implikationen für eine demographiefeste Unternehmensführung Die Chancen und Herausforderungen zeigen die hohe potenzielle Bedeutung des demographischen Wandels für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung. Zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit werden Unternehmen darauf angewiesen sein, Strategien und Kompetenzen zu entwickeln, die es ihnen erlauben, die Potenziale aller Altersgruppen gleichermaßen zu entwickeln, zu erhalten und zu nutzen. Die heute noch gängigen Praktiken der Frühverrentung und der Freisetzung älterer Mitarbeiter werden bald überholt sein – vielmehr wird fast jeder Betrieb eine relevante Zahl von Mitarbeitern jenseits der 60 Jahre beschäftigten. Hieraus ergibt sich die klare Notwendigkeit, eine demographiefeste Unternehmensführung zu entwickeln, welche den spezifischen Bedürfnissen älterer und jüngerer Mitarbeiter gleichermaßen Rechnung trägt und deren Potenziale optimal nutzt und weiterentwickelt. Eine solche demographiefeste Unternehmensführung kann durch zwei grundsätzliche Charakteristiken beschrieben werden: Erstens stellt sie ein ganzheitli ches und umfassendes Konzept zum Management des demographischen Wandels dar, welches nicht auf einzelne Aktivitäten oder Maßnahmen beschränkt ist, sondern verschiedene Handlungsfelder berücksichtigt und integriert. Neben HR-Gesichtspunkten sollten hier insbesondere auch strategische Überlegungen (neue Absatzmärkte etc.) eingeschlossen werden. Die Ausrichtung sowie die Abstimmung der einzelnen Aktivitäten und Prozesse aufeinander sind erfolgsentscheidend. Insofern sollten die Konzeption und Ausgestaltung einer solchen demographiefesten Unternehmensführung unbedingt auf der Gesamtunternehmensebene stattfinden, da nur auf dieser Ebene Lösungen entwickelt werden können, die für das ganze Unternehmen Gültigkeit besitzen und alle Einzelmaßnahmen nahtlos integrieren. Zweitens bedarf die Gestaltung und Umsetzung einer solchen demographiefesten Unternehmensführung unbedingt der weitgehenden Mitwirkung des Topmanagements. Aufgrund der hohen strategischen Bedeutung für die langfristige Unternehmensentwicklung kann die Verantwortung für die Ausarbeitung und Umsetzung einer solchen demographieorientierten Strategie nicht delegiert, sondern sollte von der Geschäftsleitung selbst wahrgenommen werden. Dies wirkt auch als klares Zeichen nach innen und außen und erhöht dadurch die Bedeutung sowie die Akzeptanz der eingeleiteten Maßnahmen im ganzen Unternehmen. Auch die potenzielle Vorbildrolle des Topmanagements bei der Einleitung eines demographie orientierten Kulturwandels darf keinesfalls unterschätzt werden.
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Fallbeispiel: Strategischer Business Case ThyssenKrupp Nirosta Im Folgenden soll ein umfassendes Konzept zum Management des demographi schen Wandels vorgestellt werden: das Projekt JAN (Jung und Alt für Nirosta) der ThyssenKrupp NirostaGmbH. Das Tochterunternehmen der ThyssenKrupp AG hat welt weit 4.197 Mitarbeiter bei einem Umsatz von mehr als 3,7 Mrd. Euro und produziert hochwertigen Edelstahl. ThyssenKrupp Nirosta sah sich sowohl mit einem starken Anstieg des konzernweiten Durchschnittsalters als auch mit steigenden Fehltagen bei älteren Mitarbeitern konfron tiert. Von 1995 bis 2007 verzeichnete das Unternehmen einen starken Anstieg des Durch schnittsalters seiner Belegschaft um fast sechs Jahre von 38,3 auf 44,1 Jahre. In diesem Zeitraum ist demnach das Durchschnittsalter der Belegschaft um ca. 0,5 Jahre pro Jahr gestiegen. Dies ist insofern beträchtlich, als dass das Durchschnittsalter der Belegschaft in den zehn Jahren vor 1995 insgesamt nur um 0,6 Jahre gestiegen war. Danach gehört bei ThyssenKrupp Nirosta schon heute der durchschnittliche Mitarbeiter zur Gruppe der älteren Mitarbeiter, d.h. er ist älter als 45 Jahre. Der starke Anstieg des Durchschnittsalters ist nach den Einschätzungen des Perso nalleiters „auch betriebswirtschaftlich gesehen eine bedrohliche Entwicklung“. Beson ders deutlich wird dies bei Betrachtung der Ausfalltage pro Mitarbeiter. Da bei Thyssen Krupp in Schichtarbeit und zudem an sehr aufwendigen und teuren Produktionsanlagen gearbeitet wird, wirkt sich der Ausfall von Mitarbeitern direkt auf die Produktion aus. Damit die Produktion nicht zum Stillstand kommt, muss, obwohl dies sehr kostspielig ist, immer eine Reserve an Mitarbeitern bereitgehalten werden. Bei den 25-jährigen Mit arbeitern reicht ein Reservemitarbeiter pro 18 Arbeitenden aus, bei den 65 Jahre alten Mitarbeitern versechsfacht sich diese Zahl, d.h. bei 18 Mitarbeitern dieser Alterskate gorie werden in der Produktion sechs Reservemitarbeiter gebraucht. „Das sind dann Zahlen, bei denen auch die Kollegen aus dem Controlling beginnen, sich für das Thema zu interessieren“, meint der Personalleiter. Ausgehend von diesem Business Case zum demographischen Wandel hat das Un ternehmen ein umfangreiches strategisches Maßnahmenpaket entwickelt. Ziel war es, „agieren zu können, bevor einen die Probleme zum Handeln zwingen“, kommentiert der Personalleiter den Hintergrund des Maßnahmenpakets. Aufgrund der bereits spürbar negativen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen sowie der zukünftig zu erwartenden Intensivierung der Problemstellung entschloss sich das Management bereits frühzeitig, mittels eines umfassenden Konzepts auf die Herausforderungen zu reagieren. Im Novem ber 2005 wurde hierfür das Projekt JAN mittels eines Kick-off-Workshops gestartet. In der Folge wurden zwei strategische Ziele des Projektes definiert, die den klaren betriebs wirtschaftlichen Nutzen (Business Case) von JAN für das Unternehmen widerspiegeln: 1. „Dauerhafte Optimierung des Durchschnittsalters in einer Spannweite, die dem Un ternehmen keinen zusätzlichen Personalaufwand im Rahmen der demographischen Entwicklung abverlangt.“ 2. „Permanente positive Begleitung der demographischen Entwicklung von Thyssen Krupp Nirosta mit dem Ziel, strategische Unternehmensziele mit der vorhandenen Stammbelegschaft zu erreichen“. Im Rahmen einer anschließenden Analysephase bis November 2006 wurden sechs Handlungsfelder identifiziert, welche ThyssenKrupp Nirosta als zentral für die Lösung der demographischen Herausforderungen einschätzte. Diese umfassen die Themen Gesundheitsmanagement, Personalentwicklung, Arbeitsplatzgestaltung/Arbeitsorganisation,
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Wissensmanagement, Arbeitszeitsysteme sowie die Mitarbeitermotivation. Es folgte eine Phase der Operationalisierung und Instrumentalisierung bis November 2007, in welcher die sechs Handlungsfelder in zehn Teilprojekte, 35 operative Ziele, 80 Maßnahmen und 240 Messgrößen untergliedert wurden. Gesamthaft betrachtet stellt das Projekt JAN ei nen sehr integrativen und umfassenden Ansatz dar, der zudem fast ausschließlich intern vorangetrieben wurde. Bemerkenswert sind ferner die klare Projektorganisation, das dezidierte Projektcon trolling sowie die starke Verankerung in der Linie. So wurde u.a. ein Steuerungskreis be nannt, der ein monatliches Controlling des Projektstandes vornimmt und die Fortschritte in den einzelnen Teilprojekten überwacht. Der Steuerungskreis erstattet wiederum quar talsweise Bericht an einen vierköpfigen Lenkungskreis, in welchem das Topmanagement des Unternehmens vertreten ist. Das Projektcontrolling selbst fußt auf einer klaren Ziel erfassung mittels messbarer Größen (z.B. Trainingsteilnahmen älterer Mitarbeiter), wel che alle in einem SAP-System hinterlegt sind und in einem SAP-Portal aktuell und bis auf einzelne Schichtgruppen hinunter ausgewertet werden können. Im Verlauf dieses Kapitels werden wir auf einzelne Komponenten des Projektes genauer eingehen.
2 Handlungsfelder einer demographiefesten Unternehmensführung Die Forschung zum Umgang der Unternehmen mit dem demographischen Wandel ist noch vergleichsweise jung (Armstrong-Stassen u. Templer 2005; Taylor u. Walker 1994). Die wenigen empirischen Studien fokussieren vor allem auf mittelgroße und große Unternehmen (u.a. von Adecco 2006; The Boston Consulting Group 2007). Auf Grundlage unserer Forschung sowie der bestehenden Literatur gehen wir davon aus, dass zur Bewältigung des demographischen Wandels und zur effektiven Beschäftigung aller Altersgruppen ein ganzheitlicher Führungsansatz verfolgt werden sollte, welcher unterschiedliche Dimensionen und Maßnahmenpakete einschließt. Die Identifikation, Analyse und Ausgestaltung der einzelnen Handlungsfelder stellt für die Unternehmen eine strategisch hoch relevante Aufgabe dar, die einen nachhaltigen Einfluss auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ausüben kann. Eine weitgehende Einbindung des Topmanagements ist daher unbedingt anzustreben. Armstrong-Stassen und Templer (2005) beleuchten in einer großzahligen Studie u.a. die Handlungsfelder veränderter Arbeitszeitmodelle sowie Training und Ent wicklung älterer Mitarbeiter und untersuchen ihre Verbreitung in kanadischen Firmen. Ausgehend von dieser Arbeit als Grundlage sollen die Handlungsfelder von Armstrong-Stassen und Templer (2005) um weitere Dimensionen, die für eine ganzheitliche Ansprache älterer Mitarbeiter ebenso bedeutend erscheinen, ergänzt werden. Hieraus resultieren fünf Handlungsfelder einer demographiefesten Unter nehmensführung: Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement, Führung und Kultur, Personalentwicklung und Karrieremanagement. Diese Handlungsfelder sind in Abbildung 1 überblicksartig dargestellt. Die Aktivitäten und Anpassungsmaß nahmen in den unterschiedlichen Feldern spiegeln die Demographiefestigkeit des Gesamtunternehmens wider.
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Stephan A. Böhm, Florian Kunze, Miriam K. Baumgärtner, Heike Bruch
Wissensmanagement • Wissensweitergabe zwischen Generationen fördern • Implizites und explizites Wissen langfristig sichern und nutzbar machen
Karrieremanagement • Beschäftigungsmöglichkeiten flexibilisieren • Spezifische Anreize zur Weiterbeschäftigung schaffen • Arbeitsmotivation älterer Mitarbeiter erhalten • Älteren Mitarbeitern Entwicklungsperspektiven bieten
Personalentwicklung • Fluide und kristalline Intelligenz nutzen • Altersspezifische Trainings einführen
Gesundheitsmanagement • Integrierte Gesundheitsprogramme einführen • Präventionsmaßnahmen implementieren • Kongruenz von Stellenanforderungen und Mitarbeiterfähigkeiten sicherstellen
Führung und Kultur • Altersspezifische Führung einsetzen • Altersfreundliche Organisationskultur schaffen • Aktiven Kulturwandel herbeiführen
Abbildung 1: Handlungsfelder einer demographiefesten Unternehmensführung (Quelle: Eigene Darstellung)
2.1 Wissensmanagement Der Bereich des Wissensmanagements kann als erste zentrale Dimension einer demographiefesten Unternehmensführung im demographischen Wandel angesehen werden. In der heutigen wissensbasierten Innovationsökonomie stellt der potenzielle Verlust von kritischem Wissen eine erhebliche Bedrohung für alle Unternehmen dar. Diese Gefahr wird durch die Auswirkungen des demographischen Wandels noch erheblich verstärkt. Erstens sind es gerade ältere Mitarbeiter, welche sich oftmals ein immenses Produkt- oder Prozesswissen, eine herausragende technische Expertise oder ausgeprägte Problemlösungsstrategien angeeignet haben. Wenn solche älteren Mitarbeiter in Pension gehen, so kann dieses Wissen schnell verloren gehen, wenn es dem Unternehmen nicht gelingt, es im Vorfeld an jüngere Mitarbeiter weiterzugeben und in der Organisation zu verteilen (DeLong
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2004). Zweitens wird dieses Problem noch durch den Umstand verschärft, dass in der kommenden Dekade die Generation der sogenannten Baby Boomer (zwischen 1946 und 1964 geborene Personen) in Rente gehen wird. Der gleichzeitige Rückzug dieser sehr großen Mitarbeitergruppe wird die Unternehmen vor beträchtliche Herausforderungen bzgl. der Aufrechterhaltung der Wissensbasis stellen (DeLong 2004). Drittens ist das heute relevante, organisationale Wissen zumeist ausgesprochen komplex, vielfach interdisziplinär und zudem oft in sozialen Netzwerken verankert (z.B. bei der Entwicklung von neuen Medikamenten etc.). In manchen Fällen kann so die Pensionierung eines einzelnen Mitarbeiters ausreichen, um die Wissensbasis des Unternehmens erheblich zu beschädigen. Schließlich ist ein Großteil des Wissens impliziter Natur, d.h. nicht greifbar und dokumentiert, und deshalb an eine bestimmte Person oder Gruppe von Mitarbeitern gebunden (Nonaka u. Takeuchi 1995). Zusammengenommen zeigen diese Punkte, dass Unternehmen in Zeiten des demographischen Wandels von einem erheblichen „Brain Drain“ betroffen sein können. Daher stellen explizite Wissensmanagementstrategien zur Bewahrung und zum Transfer von kritischem Wissen einen wichtigen Teilbereich einer effektiven und demographiefesten Unternehmensführung dar (Leibold u. Voelpel 2006). Die erste Säule eines solchen Wissensmanagementsystems ist eine kollektive, organisationsweite Einstellung, welche die Teilung und Weitergabe von relevantem Wissen ermöglicht und unterstützt. Unternehmen müssen ein solches organisationales Verhalten aktiv fördern und ihre Mitarbeiter darin bestärken, Wissen zu teilen und dieses generationenübergreifend weiterzugeben. Die zweite Säule eines erfolgreichen Wissensmanagementsystems besteht in der gezielten Überführung von explizitem und implizitem Wissen in explizite Systeme und Datenbanken. Das Wissen wird vom individuellen Mitarbeiter abstrahiert und einer größeren Gruppe im Unternehmen zugänglich gemacht, wodurch Firmen der Gefahr des Wissensverlustes durch Pensionierungen begegnen können. Ein solches Vorgehen bietet sich für alle möglichen Arten von Wissen an, u.a. für technisches Wissen, soziales Wissen oder kulturelles Wissen (DeLong 2004). Fallbeispiel: Bei der ThyssenKrupp Nirosta GmbH werden Tandemmodelle zur Wissensweitergabe zwischen jungen und erfahrenen Mitarbeitern eingesetzt. Vorübergehend werden des halb Stellen von in Kürze in den Ruhestand gehenden Mitarbeitern doppelt besetzt, um einen Transfer des impliziten Wissens zu ermöglichen. Wichtig ist hierbei, dass ein Ver trauensverhältnis zwischen den Generationen im Unternehmen aufgebaut wird, das auch durch die strategische Unternehmensführung und die daraus resultierende Kultur geför dert wird. Interessanterweise findet aber bei ThyssenKrupp Nirosta eine Wissensweiter gabe nicht nur von alt zu jung, sondern auch in umgekehrter Richtung statt. Als neues Pilotprojekt hat die Personalleitung hierfür die Schulung von erfahrenen Mitarbeitern durch Auszubildende im dritten Lehrjahr im Bereich EDV angestoßen. Nach Aussagen des Personalleiters von ThyssenKrupp Nirosta ist die Resonanz auf diese Form der Wis sensvermittlung sowohl bei den Auszubildenden als auch bei den älteren Teilnehmern der Schulungen „ausgesprochen positiv“ und eine Vielzahl von Auszubildenden ist schon als
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Referent tätig. Durch die Wissensweitergabe in beide Richtungen können Mitarbeiter aller Altersgruppen sowohl neue Fähigkeiten erlernen als auch Wertschätzung für ihr eigenes Wissen und Können erfahren.
2.2 Gesundheitsmanagement Es ist unumstritten, dass sich sowohl die kognitiven wie auch die körperlichen Fähigkeiten im Laufe des Lebens verändern. Ein 65-jähriger Arbeiter kann kaum denselben Fitnesslevel besitzen wie ein 25-jähriger Mitarbeiter. Beispielsweise gibt es wissenschaftliche Belege, dass die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit oder die skelett-muskulären Kapazitäten mit dem Alter zurückgehen (Ilmarinen 2001). Dennoch scheint es notwendig, den Alterungsprozess nicht länger als eine Art von Krankheit wahrzunehmen. Vielmehr kann das Altern als ein Prozess verstanden werden, welcher bereits mit der Geburt beginnt (Leibold u. Voelpel 2006). Interessanterweise verletzen sich Mitarbeiter über 50 Jahre nicht häufiger als ihre jüngeren Kollegen und sind auch nicht häufiger krank. Kommt es aber doch einmal zu einem Unfall oder einer Krankheit, so fehlen ältere Mitarbeiter in der Folge länger als ihre jüngeren Kollegen, da sie meist mit schwerwiegenderen Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben (Dychtwald et al. 2006). Zudem legen verschiedene Studien nahe, dass wahrgenommene Gesundheitsprobleme eine der Haupteinflussgrößen für Frühpensionierungswünsche bei Mitarbeitern darstellen (u.a. Mein et al. 2000). Insofern muss eine Zielsetzung einer demographiefesten Unternehmensführung in der Vermeidung von chronischen Krankheiten und Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Mitarbeitern bestehen, da nur so ihre Arbeitsfähigkeit langfristig aufrechterhalten werden kann. Ein solcher Ansatz sollte sich dabei nicht nur auf ältere Mitarbeiter beschränken, vielmehr sollten Früherkennungs- und weitere Vorsorge maßnahmen schon bei jüngeren Mitarbeitern regelmäßig durchgeführt werden. Nur durch solche integrierten Gesundheitsprogramme, welche für alle Altersstufen speziell zugeschnittene Maßnahmen umfassen, kann eine hohe Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter erzielt werden. Der Gesundheitszustand aller Mitarbeiter sollte hierfür regelmäßig erhoben werden, in der Folge können Arbeitsaufgaben, Arbeits menge sowie Arbeitsprozesse sinnvoll angepasst und zugeschnitten werden. Fallbeispiel: Innerhalb des Gesundheitsmanagements bei ThyssenKrupp Nirosta wurden gesundheit liche Präventionsmaßnahmen wie z.B. Rückenschule, Nichtraucherseminare oder Haut krebsscreenings gezielt ausgebaut. Gesundheitsmanagement und individueller Präven tion wurden so eine höhere Wertschätzung im Gesamtunternehmen entgegengebracht und quasi zu einem strategischen Unternehmensziel, das durch das Topmanagement ge fördert wird. Eine weitere Maßnahme von ThyssenKrupp, die sich auf die Arbeitsauf gaben bezieht, war der Abgleich der Anforderungen einer Stelle mit den Fähigkeiten ihres Inhabers. Hierfür wurden die individuellen Einsatzfähigkeitsprofile dem tatsächli chen Anforderungsprofil gegenüber gestellt. Die Überprüfung der gesundheitsbezogenen
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Angemessenheit erfolgte anhand der folgenden Kriterien: Arbeitsschwere/Körperhal tung, Zwangshaltung, Körperbewegungen, Anforderungen durch Umgebungseinflüsse, sicheres Erkennen von Warnsignalen, Sehvermögen, Fähigkeiten besonderer Art, Atem schutzgeräte, Fahr-/Steuertätigkeit und Arbeitsorganisation. Mit Hilfe der Profile konnte für jedes dieser Kriterien ermittelt werden, ob der Mitarbeiter richtig eingesetzt, überoder unterfordert war. Durch Bereitstellung von Hilfsmitteln, gezieltem Training und frühzeitiger Jobrotation konnte die Einsatzfähigkeit und -dauer erhöht sowie der Verlust von Know-how vermieden werden.
2.3 Führung und Kultur Eine der bedeutendsten Dimensionen einer demographiefesten Unternehmensführung besteht in einem altersspezifischen Führungsverhalten sowie einer altersfreundlichen Organisationskultur. In der Praxis stellt Altersdiskriminierung bis heute ein weit verbreitetes Phänomen in der Gesellschaft sowie speziell in Unternehmen dar (Leeson 2006). Ältere Beschäftigte gelten generell als träger, weniger geschickt, weniger motiviert und ausdauernd sowie mit weniger Entwicklungspotenzial versehen (Cleveland u. Shore 1992; Maurer u. Rafuse 2001). In der Konsequenz werden sie oft als ökonomisch weniger wertvoll für das Unternehmen eingeschätzt (McMullin u. Marshall 2001). Bedingt durch solche Vorurteile sowie die hieraus resultierende, teils unterschwellige Diskriminierung am Arbeitsplatz tendieren ältere Mitarbeiter dazu, geringere Motivationswerte aufzuweisen und vielfach eine Frühpensionierung anzustreben (Warr 2001). Unternehmen können diesen Prozess nur durchbrechen, indem sie einen grundlegenden Kulturwandel einleiten. Hierfür stellt insbesondere die bewusste, persönlich wie öffentlich kommunizierte Wertschätzung der Leistung älterer Mitarbeiter ein probates Mittel dar (Leibold u. Voelpel 2006). Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Mitarbeiter über 50 Jahre per se als „unantastbare“ Gruppe im Unternehmen gelten. Vielmehr muss auch hier zwischen Leistungsträgern und weniger effektiven Mitarbeitern unterschieden werden, genauso wie dies mit allen anderen Gruppen im Unternehmen der Fall ist. Um einen wirklichen Kulturwandel herbeizuführen, müssen diese Werte und Sichtweisen auch in der individuellen Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ihren Niederschlag finden. Die eigene Führungskraft hat die unmittelbarste Möglichkeit, älteren Mitarbeitern ihre Anerkennung und Wertschätzung auszudrücken. Eine in Finnland durchgeführte Längsschnittstudie untersuchte über einen Zeitraum von zehn Jahren die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Arbeitsfähigkeit von Arbeitnehmern. Das überraschende Ergebnis bestand darin, dass altersspezifische Führung der einzige signifikante Faktor war, welcher zur Arbeitsfähigkeit von Arbeitnehmern zwischen 51 und 62 Jahren beitrug (Ilmarinen u. Tempel 2002). Nicht zuletzt deshalb rät auch Ilmarinen (2001) zur Durchführung von Führungskräfteseminaren, welche speziell auf den Umgang mit älteren Mitarbeitern vorbereiten sollten.
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Die wichtigste Rolle für einen nachhaltigen Kulturwandel im Unternehmen kommt jedoch dem Topmanagement zu. Dieses muss glaubhaft hinter der Veränderung der Organisationskultur stehen und diese nach Möglichkeit durch eigenen Einsatz und Vorbildhandeln unterstützen. Fallbeispiel: Bei Thyssen Krupp Nirosta wurde dies dadurch erreicht, dass auch die Geschäftsführung in die strategische Planung und Implementierung des Projekts integriert wurde. Hierfür wurde ein Lenkungskreis gebildet, dem mehrere Mitglieder der Geschäftsführung ange hörten und der das Gesamtprojekt koordinierte. Die Ergebnisse der Sitzungen dieses Aus schusses mit dem operativ tätigen Steuerungskreis wurden regelmäßig an alle Mitarbei ter über unterschiedliche Kanäle, wie Mitarbeiterzeitung oder Betriebsversammlungen, kommuniziert. So wurde versucht, das hohe Commitment der Unternehmensleitung allen Mitarbeitern im Unternehmen zu verdeutlichen und so die Veränderungsbereitschaft ins gesamt zu erhöhen.
2.4 Personalentwicklung Im Gegensatz zu verbreiteten Altersvorurteilen sind auch Mitarbeiter über 50 Jahre problemlos in der Lage, neue Fähigkeiten und Technologien zu erlernen und anzuwenden. Aktuelle Forschungsergebnisse aus der Entwicklungspsychologie zeigen, dass es im Rahmen des Alterungsprozesses keinen generellen Rückgang an intellektuellen Fähigkeiten gibt (Kanfer u. Ackermann 2004). Zudem muss zwischen zwei unterschiedlichen Formen von Intelligenz unterschieden werden: kristalline und fluide kognitive Fähigkeiten. Fluide Intelligenz ist vor allem für die Verarbeitung von neuen Informationen und abstraktes Denken notwendig. Durch sie ist der Mensch fähig, neue Probleme ohne Rückgriff auf Erfahrung zu lösen. Das Maximum an fluider Intelligenz wird schon zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts erreicht (Kanfer u. Ackermann 2004). Kristalline Intelligenz umfasst dagegen praktisches, erfahrungsbasiertes Wissen sowie die verbale Sprachkompetenz. Häufig beinhaltet sie die routinisierte Durchführung von effektiven Problemlösungsstrategien, die sich eine Person über die Zeit hinweg aufgebaut hat. Im Gegensatz zur fluiden Intelligenz kann die kristalline Intelligenz bis zum hohen Alter konstant gehalten oder sogar ausgebaut werden (Cattell 1987). So ist es möglich, dass die Problemlösungsfähigkeit von älteren Mitarbeitern die der jüngeren Kollegen übertrifft, falls es ihnen gelingt, ihre verminderten fluiden kognitiven Fähigkeiten durch Erfahrungswissen sowie aktuelle Jobkenntnisse auszugleichen. Verschiedene Studien legen zudem nahe, dass Lernen auch für ältere Mitarbeiter problemlos möglich ist, selbst wenn es im Einzelfall etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen kann (u.a. Warr 2001). Für Unternehmen scheint es daher nur folgerichtig, gerade auch in das Training älterer Mitarbeiter zu investieren. Neben dem Ausbau von Fähigkeiten und der Vermittlung von neuestem Wissen kann so auch eine Form von Anerkennung ausgesprochen werden, welche eine motivationale Wirkung haben sollte: Durch
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spezifisches Training wird dem Mitarbeiter kommuniziert, dass er immer noch eine wichtige Rolle im Unternehmen spielt und seine Fähigkeiten und Kompetenzen bis zur Pensionierung gebraucht werden. Darüber hinaus scheinen speziell entwickelte Trainingsprogramme für unterschiedliche Altersgruppen sinnvoll. So zeigte die bereits erwähnte, finnische Längsschnittstudie, dass spezifisch zugeschnittenen Trainingsaktivitäten u.a. bei der Erlernung neuer Technologien eine hohe Bedeutung zukommt (Ilmarinen 2001). Ältere Mitarbeiter könnten ansonsten schnell frustriert werden, wenn sie beim Training neuer technischer Applikationen in der genau gleichen Weise wie ihre jüngeren Kollegen unterrichtet würden. Eine zumindest teilweise Anpassung hinsichtlich der Lerngeschwindigkeit und dem Grad an Vorwissen scheint sehr sinnvoll (Gist et al. 1988). Auch die Lernmethoden und Wege der Wissensvermittlung können bewusst variiert werden. Beispielsweise scheinen ältere Mitarbeiter eher anwendungsorientierte, praxisnahe Lernmethoden zu präferieren, während jüngere Mitarbeiter auch mit abstrakteren, eher theoretischen Lernhilfen keine Probleme haben. Fallbeispiel: Im JAN-Teilprojekt Weiterbildung bei ThyssenKrupp lag ein Fokus auf der Erarbeitung von Lehr- und Lernempfehlungen für ältere Mitarbeiter. Es wurde ein spezielles Wei terbildungsprogramm für diese Zielgruppe entwickelt, das sich an den besonderen Be dürfnissen dieser Altersgruppe orientiert. Gleichzeitig wurde ein spezifisches Weiterbil dungs- und Qualifizierungscenter aufgebaut, das bessere Fortbildungsmöglichkeiten für alle Altersgruppen ermöglichen sollte. Dem Unternehmen ist nämlich bewusst, dass mit einer verstärkten Weiterbildung nicht erst in einem mittleren Lebensalter begonnen wer den kann, sondern auch schon bei der Gruppe der Auszubildenden mit einem kontinu ierlichen Lernen begonnen werden muss. Nur so kann verhindert werden, dass über die Zeit eine sog. Lernentwöhnung eintritt, was bedeutet, dass insbesondere Methoden des Lernens verloren gehen, die später nur schwerlich wieder aufgebaut werden können.
2.5 Karrieremanagement Eine weitere wichtige Dimension einer demographiefesten Unternehmensführung ist das Karrieremanagement. Auch heute ist es in manchen Unternehmen noch verbreitet, älteren Mitarbeitern eine Frühpensionierung anzubieten, da sie als weniger wertvolles Humankapital angesehen werden (Cleveland u. Shore 1992; Maurer u. Rafuse 2001). Langsam beginnt sich diese Einstellung jedoch zu ändern, was zum einen an neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter liegt, zum anderen am Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften. Daher beginnen einige Firmen bereits damit, ihre Mitarbeiter zu einem langfristigen Verbleib im Unternehmen zu motivieren – mitunter sogar über das gesetzliche Rentenalter hinaus. Ein Weg hierzu führt über das Angebot alternativer und flexiblerer Beschäftigungsmöglichkeiten wie Teilzeitarbeit, Job Sharing, Home Office oder einer schrittweisen Pensionierung (Dychtwald et al. 2004). Ergänzt werden können diese Maßnahmen durch spezifische Anreize wie zeitweise Freistellungen
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(Sabbaticals) oder finanzielle Prämien für Mitarbeiter, die über das normale Pensio nierungsalter hinaus bleiben wollen. Neben Flexibilisierungsmaßnahmen und finanziellen Anreizen scheint eine Steigerung der generellen Arbeitsmotivation älterer Mitarbeiter absolut zentral. Um diese zu erreichen, müssen Unternehmen auch älteren Mitarbeitern dieselben Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten bieten wie jüngeren Arbeitskräften (Leibold u. Voelpel 2006). Auch Arbeitnehmern über 50 Jahre sollte eine attraktive Perspektive im Unternehmen geboten werden, die sowohl mögliche Beförderungen wie auch neue Aufgaben einschließen kann. Hierdurch sollte sich deren Motivation nachhaltig steigern lassen. Fallbeispiel: Bei Thyssen Krupp Nirosta wird auch dieser Aspekt bewusst adressiert. Es wurde ein ganzes Bündel von Maßnahmen entwickelt, um die Leistungsfähigkeit und Motivation älterer Mitarbeiter zu erhalten. Erstens wird danach gestrebt, alter(n)sgerechte Arbeits plätze zu schaffen, an denen der einzelne Mitarbeiter auch im körperlich anspruchsvollen Produktionsbereich möglichst lange im Unternehmen verbleiben kann. Hierfür ist es, wie schon oben angesprochen, notwendig, dass die Anforderungsprofile des Arbeitsplatzes und die Fähigkeiten des Mitarbeiters in eine möglichst große Übereinstimmung gebracht werden, um eine Überforderung bzw. Unterforderung zu vermeiden, die sich langfris tig negativ auf Motivation und Leistungsfähigkeit auswirken dürfte. Zweitens wird auch angestrebt, bessere Mitarbeiterbindungs- und auch attraktivere Anreizsysteme zu schaf fen, um eine langfristige Motivation der Mitarbeiter auch über die richtigen finanziel len Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Schließlich findet auch eine Unterstützung des Unternehmens für die individuelle Förderung der Altersvorsorge statt. So soll älteren Mitarbeitern ein möglichst flexibler Übergang in den Ruhestand ermöglicht werden, ge rade wenn unter den hohen Anstrengungen der industriellen Produktion die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit erreicht werden. Durch Beratungsangebote in diesem Bereich und auch die finanzielle Förderung durch eine betriebliche Altersvorsorge, wird auch gerade den älteren Mitarbeitern gezeigt, dass ihre Sorgen um einen möglichst reibungs losen und flexiblen Übergang in den Ruhestand ernst genommen werden.
3 Schlussfolgerungen In diesem Beitrag wurde verdeutlicht, welche Chancen aber auch Herausforderungen sich aus dem schon heute stattfindenden demographischen Wandel für Unter nehmen ergeben. Die demographische Verschiebung stellt eine strategische Herausforderung für die Unternehmen dar, der letztendlich nur durch eine strategische Herangehensweise auf Gesamtunternehmensebene erfolgreich begegnet werden kann. Um eine demographiefeste Unternehmensstrategie zu entwickeln, sollte das Thema mit höchster Priorität durch die Unternehmensleitung vorangetrieben werden. Daraus folgend kann dann in unterschiedlichen Handlungsfeldern die operative Umsetzung erfolgen.
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Wichtige Handlungsfelder sind Wissensmanagement, Gesundheitsmanagement, Führung und Kultur, Personalentwicklung sowie Karrieremanagement. In diesen Bereichen muss eine Anpassung von Maßnahmen an eine veränderte Altersstruktur der Belegschaften erfolgen. Diese These wurde konzeptionell und praxisorientiert am Beispiel der ThyssenKrupp Nirosta GmbH dargestellt. Das Beispiel macht deutlich, wie ein nachhaltiges, ganzheitliches und strategisches Demographiemanagement aussehen kann. Demnach steht es außer Frage, dass sich ein solches Vorgehen auch langfristig betriebswirtschaftlich auszahlen wird. Insbesondere für Unternehmen, die sich schon heute intensiv mit dem Thema beschäftigen, dürfte sich ein langfristiger strategischer Wettbewerbsvorteil ergeben.
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Standpunkt Drei Thesen zur Rolle der Strategischen Führung im wirtschaftlichen Abschwung Peter Wiegand
Die langfristige strategische Planung muss auch in Krisenzeiten durch die Unternehmensführung fokussiert werden. In Krisenzeiten liegt der Schwerpunkt der Unternehmensführung zumeist auf der Cash-Optimierung bzw. Liquiditätssicherung, kurzfristiges Ziel ist die Aufrecht erhaltung des Geschäftsbetriebes unter den restriktiven Bedingungen des Marktes. Im Fokus unternehmerischer Führung steht die zielgerichtete Verwendung der verfügbaren liquiden Mittel. Strategisch gesehen müssen jedoch auch laufende und geplante Forschungs- und Entwicklungsprojekte auf den Prüfstand gestellt werden und noch stärker nach deren Erfolgsrelevanz und Notwendigkeit, d.h. deren langfristiger strategischer Bedeutung, beurteilt werden. Ebenfalls muss sich die Unternehmensführung stärker mit Produkt/Markt-Kombinationen auseinandersetzen, um Mittel optimal zu allokieren. Es gilt, die strategischen Geschäftseinheiten auf den Prüfstand zu stellen und deren strategische Relevanz und Potenziale zu bewerten. Im Ergebnis erfolgt meist die Konzentration auf die eigentlichen Kernkompetenzen des Unternehmens. Die kurz- bis mittelfristige Situation diktiert die Möglichkeiten, das Krisenmanagement mündet aber zugleich in eine starke Fokussierung der langfristigen Ausrichtung. Liquiditätsstarke Unternehmen können in Krisenzeiten strategische Ziele schneller umsetzen. Besonders liquiditätsstarke Unternehmen können von der Krise profitieren. Geplante Unternehmenskäufe, z.B. im Rahmen von Wachstums- bzw. Marktanteilsstrategien, und auch die Erschließung möglicher profitabler neuer Geschäftsfelder können dank niedriger Einstiegspreise oder mangels Konkurrenz mit einem geringeren Mittelbedarf realisiert werden. Auch Übernahmen von Unternehmen aus der Insolvenz sind denkbar. Wie die Kredit- und Finanzkrise eindrucksvoll zeigt, sind in Krisenzeiten große Akquisitionen aus der Insolvenz möglich. Ein weiteres strategisches Potenzial liegt in der schnelleren Verschiebung von Marktanteilen. So können stabile Unternehmen von Marktanteilsverlusten schwächerer Wettbewerber deutlicher profitieren und schneller als geplant Marktanteile hinzugewinnen. Auch bei diesem Aspekt mündet die mittelfristige in die langfristige Perspektive. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Krisenzeit antizyklisch zu nutzen, um S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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den Aufschwung vorzubereiten und sich strategisch zu positionieren. So kann die höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt genutzt werden, um qualifiziertes Führungspersonal zu rekrutieren, Marketing und Vertrieb können intensiviert werden, um die Marktausgangsposition und die Wettbewerbsposition zu verbessern. Voraussetzung für all diese Aktivitäten ist eine hinreichende Finanzierungsbasis – überwiegend durch Innenfinanzierung sofern nicht durch Reserven darstellbar –, die in der Regel nur über eine intensivierte fortlaufende Abstimmung von operativer/taktischer und strategischer Planung erreicht werden kann. Da die Kapitalbeschaffung im wirtschaftlichen Abschwung erschwert ist, steht Fremd finanzierung nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung. In Krisenzeiten muss die strategische Führung auf Szenariotechniken setzen. Ein wichtiger Punkt in Krisenzeiten ist die permanente Überprüfung des Zusam menwirkens strategischer Führungsziele und des operativen Ansatzes. Da die Unsicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen in der Krise in der Regel steigt, kann die verstärkte Entwicklung alternativer Szenarien Handlungsspielraum generieren. Relevant ist hierbei besonders die Frage des optimalen Timings. Je länger die Krise dauert, desto mehr muss sich das Management mit alternativen (fokussierten) strategischen Szenarien beschäftigen sowie einen strategischen Handlungsplan erarbeiten, der insbesondere auch die Schritte am Ende der Krise darlegt. Die Flexibilität der strategischen Planung und Führung und die Erarbeitung möglicher Alternativstrategien gewinnen damit in Krisenzeiten deutlich an Bedeutung.
Teil 2 Strategische Führung – Rollen, Gremien und Strukturen definieren
Mit dem Strategieausschuss zur effektiven Unternehmensaufsicht – Zum Prinzip der symmetrischen Überwachung Markus Schimmer, Lisa Hopfmüller, Lukas Müller
Die Debatte zur Finanz- und Wirtschaftskrise hat im Thema Corporate Governance einen ihrer Schwerpunkte gefunden. In dieser Diskussion wird vermehrt auch infrage gestellt, ob die Aufsichtsorgane fähig sind, das Management effektiv zu überwachen und zu beraten. Die Beiträge zu dieser Fragestellung untersuchten in der Vergangenheit häufig die Beziehung zwischen bestehenden Aufsichtsstrukturen und dem Unternehmenserfolg. Sie waren jedoch nicht in der Lage, auf Basis dieses Paradigmas schlüssige und konsistente Ergebnisse zu liefern. Der vorliegende Beitrag dagegen präsentiert ein an der Verbesserung von Informationsverarbeitungsund Entscheidungsprozessen orientiertes Konzept zur Einrichtung eines Strategie ausschusses, welches aus der legalen, strategischen und der personellen Perspektive diskutiert wird. Es wird argumentiert, dass ein Subkomitee, welches auf die informationelle Aufbereitung und Evaluierung der Unternehmensstrategie spezialisiert ist, Mehrwert schafft, indem es einen kontinuierlichen, fokussierten Dialog zwischen den Mitgliedern des Strategieausschusses und der Geschäftsleitung herbeiführt. Hierdurch soll nicht nur die Aufsicht verbessert werden, sondern auch die strategische Entscheidungsfindung generell; dies, indem Wahrnehmungs- und Evaluierungsfehler auf Seiten des Aufsichtsorgans und der Geschäftsleitung im Rahmen einer korrektiv-interaktiven Überwachung gegenseitig aufgedeckt werden und Informationsasymmetrien auf Ebene des Komitees und des übergeordneten Aufsichtsorgans in Relation zur Geschäftsleitung sinnvoll genutzt werden. Indem das Konzept den Vor- und Nachteilen von Unabhängigkeit und Involvierung des Kontrollorgans zielgerichtet Rechnung trägt, folgen aus seiner strukturell und kompositorisch effektiven Umsetzung eine bessere Informationsversorgung des gesamten Aufsichtsorgans sowie eine qualitativ umfassendere Beratung der Geschäftsleitung.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Markus Schimmer, Lisa Hopfmüller, Lukas Müller
Inhalt 1 Corporate Governance in der Krise? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2 Zur Notwendigkeit der strategischen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.1 Das Mandat der strategischen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Die zentralen Herausforderungen der strategischen Aufsicht . . . . . . . . . . 42 3 Gestaltungsmöglichkeiten der strategischen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1 Idealtypische Rollenmodelle der strategischen Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2 Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.3 Verantwortlichkeit der Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.4 Potenzielle Risiken der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.5 Mögliche Vorteile aus der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4 Praktische Orientierung für die Bildung eines Strategieausschusses . . . . 51 4.1 Konzept der gegenseitigen symmetrischen Überwachung . . . . . . . . . . . . 52 4.2 Personelle und strukturelle Gestaltung des Strategieausschusses . . . . . . . 55 4.2.1 Gestaltung des Strategieausschusses in dualen Systemen . . . . . . . . 56 4.2.2 Gestaltung des Strategieausschusses in monistischen Systemen . . 57 4.2.3 Ausschussgröße und allgemeine funktionale Besetzung . . . . . . . . . 59 5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Mit dem Strategieausschuss zur effektiven Unternehmensaufsicht
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„Bei rauer See und schlechter Sicht braucht man fünf Dinge: 1. Die Kenntnis des eigenen Standorts, 2. eine klare Bestimmung des anzustrebenden Ziel, 3. einen funktionstüchtigen Kompass, 4. zuverlässigen, stetigen Antrieb und 5. natürlich erstklassige Kapitäne und Lotsen.“ Admiral a.D. Dieter Wellershoff
1 Corporate Governance in der Krise? Das Thema Corporate Governance gewinnt stets in Phasen wirtschaftlichen Abschwungs an Bedeutung und öffentlicher Aufmerksamkeit. Zum einen deshalb, weil Corporate Governance-Mechanismen, allen voran das Aufsichtsorgan, in Zeiten des Wachstums meist im Schatten des Managements bleiben und erst in Krisenzeiten in den Vordergrund rücken. So sollen die Aufseher Investoren und anderen Anspruchsgruppen in Krisenzeiten Sicherheit und Stabilität vermitteln und durch gezielte Veränderungen in der Unternehmensleitung und -strategie einen Turnaround einleiten. Zum anderen deshalb, weil die Aufseher auch selbst in die Kritik geraten, wenn durch den wirtschaftlichen Abschwung bis dahin versteckte Fehler in der Unternehmensstrategie aufgedeckt werden, die das Aufsichtsorgan hätte überwachen und korrigieren sollen. So folgte beispielsweise auf das unternehmerische Fehlverhalten im Rahmen der Subprime-Krise im Jahr 2008 auch der Ruf nach einer intensiveren strategischen Aufsicht durch das Kontrollorgan. Wie die Reorganisationen einiger Strategiebereiche im Bankensektor infolge der SubprimeKrise erkennen ließen, stehen die Möglichkeiten einer umfassenden strategischen Aufsicht in engem Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation und Besetzung des Aufsichtsgremiums. Der vorliegende Beitrag thematisiert dieses Gestaltungsfeld und zeigt Möglichkeiten auf, die strategische Aufsicht durch das Delegieren von Aufgaben an einen Strategieausschuss und die geeignete Besetzung seiner Mitglieder zu intensivieren. Zuerst wird die sich aus der Sorgfaltspflicht und den rollen- und aufgabeninhärenten Herausforderungen des Aufsichtsorgans ergebende Notwendigkeit der Veränderung der Aufsichtsstruktur diskutiert. Das Aufsichtsorgan ist rechtlich zu einer sorgfältigen, gewissenhaften Aufsicht verpflichtet, muss diese Verpflichtung jedoch unter erschwerten Bedingungen erfüllen. Als mögliche Antwort auf die zeitlichen Limitationen der Aufseher, deren begrenztes firmenspezifisches Wissen und deren paradoxe Rolle als Kontrolleur und Berater des Managements wird im zweiten Kapitel die Einführung eines Strategieausschusses kritisch diskutiert. Zwar sind Informationsasymmetrien zwischen Aufsicht und Management auch durch einen Strategieausschuss nicht zu überbrücken und ein erhöhter rechtlich bedingter Koordinationsaufwand geht mit
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der Einführung eines neuen Komitees einher; jedoch ermöglicht ein Strategieausschuss die Etablierung förderlicher Kommunikationsstrukturen, die Entschärfung des Widerspruchs aus Beratung und Kontrolle sowie eine Verbesserung der Qualität der Beratung des Exekutivorgans. Im dritten Kapitel wird die Konzeption und personelle Gestaltung eines Strategieausschusses näher beleuchtet. Ein Konzept der symmetrischen Überwachung zwischen Überwachungsorgan und Management wird vorgestellt, in dessen Rahmen die Informationsweitergabe, -aufbereitung und -evaluierung im Mittelpunkt stehen. Durch eine strategische Kombination von Informationsasymmetrien und verschiedenen Involvierungsgraden werden rollen- und aufgabeninhärente Stärken zielgerichtet genutzt. Im vierten Kapitel wird die konkrete personelle Zusammenstellung des Stra tegieausschusses vor dem Hintergrund verschiedener Corporate GovernanceSysteme diskutiert. Ein Strategieausschuss sollte sich durch strategieorientierte kompositorische Diversität auszeichnen; jedoch ist gleichzeitig auf funktionale und statusbezogene Kongruenz zwischen den Ausschussmitgliedern und dem Management zu achten, um einen konstruktiven, strategiebezogenen Dialog zu ermöglichen. Abschließend wird festgehalten, dass besonders in der gegenwärtigen Umbruchstimmung ein an den Unternehmensbesonderheiten ausgerichteter Strate gieausschuss Mehrwert für alle relevanten Interessengruppen schaffen kann.
2 Zur Notwendigkeit der strategischen Aufsicht Vor rund zwanzig Jahren erwähnte ein Verwaltungsrat der ehemaligen Brown Boveri AG gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung, dass sein Wissen über das von ihm beaufsichtigte Unternehmen so beschränkt sei, dass er „… in den ersten vier Jahren … immer mehr aus der NZZ … als an den Sitzungen“ (NZZ 1987, S. 31) erfahren habe. Obschon sich in den letzten zwei Dekaden das Rollenverständnis der Aufsichtsräte, getrieben von spektakulären Unternehmenspleiten und internationalen Wirtschaftskrisen, von einer nachgelagerten zu einer zukunftsorientierten Überwachung der Unternehmenstätigkeiten gewandelt hat, scheinen in Bezug auf die strategische Aufsicht nichtsdestotrotz alte Probleme nach wie vor zu bestehen. So zeigt eine Studie von McKinsey (2007) zum Thema des strategischen Einbezugs des Aufsichtsorgans in internationalen Unternehmen, dass mehr als ein Viertel der befragten Aufseher im besten Fall über ein begrenztes Verständnis über die Strategie des von ihnen beaufsichtigten Unternehmens verfügt. Nur 11% gaben an, die Unternehmensstrategie vollständig zu begreifen, und mehr als die Hälfte deutete gar an, nicht in der Lage zu sein, die für den Fortbestand des Unternehmens essentiellen Initiativen definieren zu können. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wird gegenwärtig auf politischer Ebene verstärkt eine Debatte über die Kompetenzen und Kontrollfähigkeiten der Überwachungsorgane geführt. Ab Mitte 2009 werden beispielsweise in Deutschland Aufsichtsräte von Banken und Versicherungen von der Finanzaufsicht
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BaFin auf ihre fachliche Eignung geprüft und verstärkt zur Verantwortung für die strategische Ausrichtung und die Gestaltung der Anreizsysteme herangezogen (Fischer u. Lepper 2009). Nachdem die Anforderungen an die Aufsichtsorgane offensichtlich steigen, stellt sich die Frage, wie eine strategische Aufsicht und Leitung unter diesen anspruchsvollen Bedingungen möglichst effektiv und effizient gestaltet werden kann.
2.1 Das Mandat der strategischen Aufsicht Die Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand scheint im dualen Corporate Governance-System Deutschlands nach dem Aktiengesetz (AktG) eindeutig: Der Vorstand leitet die Geschäfte, der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen (§§ 76 Abs. 1 und 111 Abs. 1 AktG). Geschäftsleitung und Überwachung sind also im dualen System klar voneinander getrennt, und das überwachende Organ besteht ausschließlich aus nichtexekutiv tätigen Mitgliedern. Jedoch wird dem Gremium eine aktivere Rolle zugesprochen als dies der offenbare Gesetzeswortlaut vermuten lässt. Im monistischen Corporate Governance-System wie beispielsweise in der Schweiz obliegt dem Überwachungsorgan als unentziehbare und unübertragbare Aufgabe nicht nur die Kontrolle, sondern auch die Oberleitung des Unternehmens (Art. 716a OR), wobei die Geschäftsleitung selbst delegierbar ist (Art. 716a Abs. 2 i.V.m. 716b OR). Das Überwachungsorgan kann im Gegensatz zum dualen System sowohl aus nichtexekutiven, externen Mitgliedern als auch aus einer variierenden Anzahl von exekutiv tätigen Managern des Unternehmens bestehen. Die Überwachung der Geschäftsführung findet in kleineren Gesellschaften innerhalb des Gremiums statt. In größeren Gesellschaften wird die Aufteilung von Geschäftsführung und Kontrolle nach einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Konzeption angestrebt. Viele Publikumsgesellschaften machen von der Flexibilität, die das monistische System bietet, regen Gebrauch und setzen je nach Bedarf regelmäßig auf Ausschüsse und eine angemessene Delegation oder Konzentration der Aufgaben. Obschon sich die Aufgabenverteilung systembedingt unterscheidet, hat sich systemübergreifend die Meinung etabliert, dass das Aufsichtsorgan seine Überwachungsaufgabe nicht effektiv wahrnehmen kann, indem es sich nur repressiv gegenüber der Geschäftsleitung verhält, d.h. nur handelt wenn dessen Geschäftsführung unsorgfältigerweise einen Schaden verschuldete. Statt nur ex post die Unternehmensführung zu prüfen, soll das Aufsichtsorgan auch ex ante die Unternehmensplanung überwachen. Als präventive Überwachung wird die beratende Tätigkeit angesehen, welche sich dem Ziel verpflichtet, das rechtmäßige und unternehmerisch richtige Handeln durch die Geschäftsleitung sicherzustellen. Sie ist das Instrument des Aufsichtsrats, durch das jener als handlungsleitende Instanz im Sinne der Anteilseigner gegenüber dem Vorstand auftreten kann. Nach deutschem Recht folgt diese Aufgabe normativ aus § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AktG, wonach der Vorstand dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte, künftige Geschäftspolitik und über Geschäfte zu berichten hat, welche von
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besonderer Bedeutung für die Liquidität und Rentabilität des Unternehmens sind. Im Schweizer Recht ist die Organisation der Aktiengesellschaft flexibel formbar. Eine analoge Organisationsstruktur lässt sich auch hier erschaffen, obwohl gewisse Geschäftsführungskompetenzen nicht vom Verwaltungsrat an die Geschäftsleitung delegiert werden dürfen (vgl. Art. 634a Abs. 1, 651 Abs. 4, 651a, 652g, 652h, 653g, 653h, 716a f., 721 und 725 Abs. 1 OR; Meier-Hayoz u. Forstmoser (2007, S. 494 ff.). Im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK Tz. 5.1.1) wird die beratende Rolle nochmals betont, was sie als integralen Bestandteil des Überwachungsmandats in der Unternehmenspraxis etablieren soll. Jedoch sind Ausmaß und Organisation dieser Beratung der Unternehmensführung unklar, da sie bedarfsorientiert aus dem individuellen Unternehmenskontext folgen. Einigkeit über die Notwendigkeit zum Handeln entsteht deshalb meist erst infolge strategischer Krisen. So ist 2009 – im Gegensatz zu vor zwei Jahren – allen klar, dass die strategische Aufsicht vieler Banken unzureichend war. Riskante und wertvernichtende Geschäftsmodelle wurden nicht hinterfragt. Als Konsequenz aus der Krise nehmen nun zahlreiche Banken organisatorische Anpassungen ihrer Corporate Governance vor und intensivieren ihre strategische Aufsicht, indem sie vermehrt Branchenexperten ins Gremium berufen. Hiermit eilen die Unternehmen dem Gesetzgeber voraus, welcher seinerseits Entwürfe diskutiert, wie eine stärkere Orientierung an der fachlichen Qualifikation der Räte auch rechtlich eingefordert werden kann. Im Schweizer Bankengesetz (BankG) wird aus den gleichen Gründen schon länger für die Erteilung und Aufrechterhaltung der Bankbewilligung vorausgesetzt, dass die mit der Verwaltung der Geschäftsführung betrauten Personen einen guten Ruf genießen und Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung bieten (Art. 3 Abs. 2 lit. c BankG). Es scheint aber naheliegend, dass in Anbetracht des bei den meisten Aufsichtsräten vorhandenen, auf eigenen Erfahrungen basierenden Know-hows Fehlentscheidungen im Rahmen von strategischen Evaluierungen nicht speziell auf mangelnder fachlicher Kompetenz gegründet sind, sondern sich oftmals aus den Herausforderungen der strategischen Aufsicht ergeben.
2.2 Die zentralen Herausforderungen der strategischen Aufsicht In der Regel treffen sich Aufsichtsorgane in relativ großen Abständen zwischen vier- und zwölfmal im Jahr für zwischen drei Stunden und bis zu einem vollen Tag (Vafeas 1999). Verschiedene praxisorientierte Studien (z.B. PriceWaterhouseCoopers 2005) haben ergeben, dass die Arbeitsbelastung eines Aufsehers durchschnittlich bei knapp unter 200 Stunden pro Jahr liegt, was ungefähr vier bis fünf Arbeitswochen gleichkommt. Wenn demnach ein durchschnittliches Meeting der Kontrolleure von fünfstündiger Dauer auf zehn Aufseher unter Abzug des Zeitaufwands für Routinehandlungen aufgeteilt wird, ist anzunehmen, dass eine individuelle Rede- bzw. Fragezeit von maximal fünfzehn Minuten verbleibt (Colley, Doyle et al. 2003). Basierend auf der Annahme, dass die meisten Räte ihre Funktion nebenberuflich wahrnehmen, ergeben sich zusätzliche zeitliche Einschränkungen aus der Doppelbelastung. Einerseits liegt in den mit der Haupttätigkeit verbundenen
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Erfahrungen und Kontakten der Räte, die nur durch die Belegung hochrangiger Positionen erworben werden können, der große potenzielle Mehrwert für das zu überwachende Unternehmen. Andererseits wiegt die Kehrseite der Medaille, nämlich die in der Konzeption des Aufsichtsorgans inhärenten Informationsrückstände, schwer für den Umfang und die Qualität der Gremienarbeit. So steht das Aufsichtsorgan zwar in der Verantwortung, seine zeitnahe und umfassende Informationsversorgung durch adäquate Vorgaben und Anfragen sicherzustellen, ist jedoch faktisch von der Auskunftsbereitschaft des Managements abhängig. Abgesehen von öffentlich zugänglichen Informationsquellen und AuditReporten liegen die Quellen interner Informationen meist im Diskretionsbereich des Managements. Dies lässt ihre Ergiebigkeit stark von (in)formellen Kontakten zu den exekutiv tätigen Mitarbeitern abhängig werden. Ein Antrag auf Einsichtnahme in die Geschäftsbücher bzw. eine vom Aufsichtsorgan eingeleitete externe Prüfung und Beratung wäre in der Praxis mit einem Misstrauensvotum gegenüber dem CEO gleichzusetzen. Demnach ist nachvollziehbar, dass sich der einzelne Aufseher mit semi-institutionalisierten, periodischen Managementberichten und den darin als relevant erachteten Informationen zufrieden gibt. Um ein kollektives Verständnis und eine gewisse Evaluierbarkeit und Vergleichbarkeit zu wahren, basieren diese Informationen weitgehend auf personen- und kulturunabhängig verständlichen, „objektiven“ Finanz- und Budgetdaten des zu überwachenden Unternehmens und der wichtigsten Konkurrenten (Jud 1996, S. 79). Somit besteht die zentrale Herausforderung für das Aufsichtsorgan in der Balance zweier Extreme. Zum einen müssen komplexe Strategien auf Basis unvollkommener, ausschnitthafter und häufig vergangenheitsbezogener Informationen und begrenzten unternehmensspezifischen Know-hows evaluiert und wenn notwendig beeinflusst werden. Zum anderen muss diese Evaluation und Einflussnahme so koordiniert werden, dass die einzelnen Aufseher ihre individuellen, spezialisierten Kenntnisse in diese Entscheidungsprozesse einfließen lassen können, ohne das politisch und sozial fragile Gleichgewicht zwischen dem exekutiven und dem überwachenden Organ zu stören.
3 Gestaltungsmöglichkeiten der strategischen Aufsicht Die theoriegestütze Literatur bezieht sich in ihren Ausführungen meist auf eine – in manchen Fällen auf mehrere – Rollen, welche das Überwachungsorgan wahrnimmt bzw. wahrnehmen sollte. Eine Rolle kann hierbei als der auf einer Erwartungshaltung basierende, aufgabenorientierte Output des Aufsichtsrats verstanden werden. Die generische Argumentationsstruktur stützt sich dabei weitgehend auf kompositorische und strukturelle Charakteristika des überwachenden Organs. Mittels dieser wird eine spezifische Raison d‘Être und damit implizit auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Aufsichtsorgan und der Unternehmensleistung unterstellt, welche eben durch die adäquate Erfüllung einer oder mehrerer spezifischer Rollen mediiert werden.
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3.1 Idealtypische Rollenmodelle der strategischen Aufsicht Die Möglichkeiten der Einbindung des Aufsichtsgremiums in die Strategiearbeit sind Gegenstand einer Diskussion, welche seit den frühen achtziger Jahren in den USA geführt wird (Andrews 1981; Marvin 1985; Henke 1986; Zahra 1990; Felton, Hudnet et al. 1995; McNulty u. Pettigrew 1999). Thematisch behandelt sie die angemessene Mitwirkung des Kontrollgremiums bei der Formulierung und Implementierung der Unternehmensstrategie sowie bei der prozessualen Kontrolle der Strategieprozesse. Obwohl diese Debatte abschließende Empfehlungen schuldig geblieben ist, hat sie doch dazu beigetragen, idealtypische Rollenprofile des Aufsichtsorgans zu schärfen, welche in der Unternehmenspraxis als Orientierungshilfen dienen können (MüllerStewens u. Schimmer 2008). Nachfolgend werden diese dargestellt. Aus der Prinzipal/Agenten-Theorie (Jensen u. Meckling 1976) lässt sich für das Aufsichtsgremium die Rolle des strategischen Auditors ableiten. Diese umfasst zwei Aufgaben. Analog zur formalen Prüfung der Rechnungslegung sollen die strategischen Entscheidungsprozesse der Geschäftsleitung überprüft werden. Hierbei wird angenommen, dass das Kontrollgremium durch seine Unabhängigkeit vom Tagesgeschäft besonders geeignet ist, einen objektiven Beurteilungsmaßstab für die Strategiearbeit zu entwickeln, diesen für Auditierungsprozesse zu nutzen und hiermit eine „korrekte“ Strategiearbeit durch die Unternehmensführung zu sichern. Des Weiteren wird dem Aufsichtsorgan die sachlich-strategische Überprüfung der wichtigsten Unternehmensentscheidungen zugeschrieben. Auch dies erfolgt, weil das Gremium eine objektivere Sicht einnehmen kann als die Geschäftsleitung (Müller-Stewens u. Schimmer 2008). Ein zweites Rollenprofil des Kontrollorgans zielt auf die aktive Beratung des Managements ab. Im Gegensatz zur Auditierungsfunktion bringt das Aufsichts organ in diesem Fall eigenständig Kompetenzen mit (z.B. Branchen- und/oder Marktwissen), auf Basis derer es das Management berät. Es äußert initiativ Meinungen und Vorschläge, die den strategischen Dialog mit der Geschäftsführung bereichern und empfiehlt konkrete Entscheidungen. Wissenschaftliche Grundlage dieser Rolle ist der Resource-based View (ressourcenbasierte Ansatz). Dieser sieht in dem im Gremium verfügbaren Erfahrungswissen eine Quelle potenzieller Wettbewerbsvorteile (Penrose 1959; Wernerfelt 1984; Barney 1991; Wernerfelt 1995). Eine dritte, jedoch vom Gesetzgeber festzulegende Aufgabe des Kontrollorgans kann es sein, die formale Verantwortung der strategischen Führung zu tragen. Während in Deutschland (§§ 76 f. AktG) und Österreich (§ 70 A-AktG) diese Aufgabe der Geschäftsleitung zufällt, obliegt sie in der Schweiz dem Verwaltungsrat (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR). Sowohl die praxisorientierte als auch die akademische Literatur scheinen sich weitgehend darüber einig zu sein, dass Aufseher eine Rollentriade, bestehend aus Überwachung, Beratung und strategischer Führung, erfüllen sollten. Jedoch ist diese Rollenkombination zu einem gewissen Grad zugleich fragwürdig, da insbesondere die strategische Überwachung und die aktive Beratungstätigkeit hinsichtlich der strategischen Stoßrichtung des Unternehmens von antagonistischer
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Natur sind; unterstellt sie doch eine kritische Selbstüberwachungsfunktion. Zudem sind in der freien Wirtschaft effizientere Optionen – beispielsweise Beratungen, Investmentbanken oder Lobbyisten – zur Erfüllung einzelner Rollen verfügbar. Die angedeuteten zeitlichen und informationellen Einschränkungen stellen die Sinnhaftigkeit einer zeit- und arbeitsintensiven Einbindung des gesamten Aufsichtsorgans in die Strategische Führung und Aufsicht vor dem Hintergrund der dadurch resultierenden gesteigerten Arbeitsbelastung somit infrage. Eine Möglichkeit, sowohl den natürlichen Arbeitsbegrenzungen des Kontroll gremiums als auch den immer lauter werdenden Forderungen nach verstärkter Ex ante-Kontrolle und Einbindung in die Strategieprozesse des Unternehmens gerecht zu werden, ergibt sich aus der internen Delegation von Aufgaben an einen spezialisierten Ausschuss – analog zur bereits häufigen Realisierung mit Audit-, Compensation- und Nomination Committees. So kann der Aufsichtsrat durch die Auslagerung der Vor- und Aufbereitung von entscheidungsrelevanten Daten mittels formal institutionalisierter Mechanismen unterstützt werden. Dies kann die eigene Entscheidungsqualität auf strategischer Ebene positiv beeinflussen und damit dazu beitragen, die legal vorgegebenen Pflichten umfassender erfüllen zu können.
3.2 Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss Da der Aufsichtsrat ein Kollegialorgan ist, obliegt die Pflicht zur Überwachung des Vorstands grundsätzlich allen Aufsichtsratsmitgliedern. Sie stehen in gleichen Rechten und Pflichten. Jedoch verlangt das Gesetz damit nicht, dass die Aufsichtsratsmitglieder in gleichem Maße an allen Teilaufgaben beteiligt sind. Vielmehr ist es ihnen innerhalb gewisser Grenzen gestattet, sich für eine interne Arbeitsorganisation zu entscheiden. Dies zu tun und diese Organisation den gegebenen Umweltanforderungen anzupassen, ist zudem nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht. Denn die Arbeitsorganisation muss es den Aufsichtsratsmitgliedern erlauben, ihre Aufgaben mit der notwendigen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erfüllen zu können (§§ 116 Satz 1 i.V.m. 93 Abs. 2 AktG). Dieser normative Maßstab orientiert sich am Verhalten eines frei von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen handelnden, pflichtbewussten Aufsichtsrats. Analog ist die Situation im Schweizer Recht. Der Verwaltungsrat als Gremium und seine Mitglieder haben die ihnen gemäß Art. 716, 716a OR, den Statuten und allenfalls auch gemäß Organisationsreglement zugewiesenen Aufgaben mit „aller Sorgfalt zu erfüllen“ (Art. 717 Abs. 1 OR). Nach konstanter Bundesgerichtspraxis ist dieser Sorgfaltsmaßstab zu objektivieren, d.h. diligentia quam in suis rebus adhi bere solet – die Sorgfalt, die man in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt – genügt nicht (BGE 113 II 56 E. 3; 99 II 179 E. 1). Bedingt durch den Umfang und die Komplexität der strategischen Aufsicht großer Unternehmen kann aus diesem Anspruch ein sachliches Bedürfnis nach Arbeitsteilung folgen. Als eine Möglichkeit, diese umzusetzen, sieht der Gesetzgeber die Bildung eines Strategieausschusses vor. Mit Ausnahme von Aufgaben zentraler
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Bedeutung (§ 111 Abs. 1 AktG; s. Plenarvorbehalte in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG, respektive Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR) können die Vorbereitung von Verhandlungen und Beschlüssen oder die Überwachung der Ausführung von Beschlüssen an den Ausschuss delegiert werden (§ 107 Abs. 3 AktG respektive Art. 716a Abs. 2 i.V.m. 716b OR). Die Beratung des Vorstands im Sinne einer präventiven Überwachung darf in die Ausschüsse delegiert werden, bleibt aber stets nur Hilfstätigkeit. Da die Überwachung im Gesamten unübertragbares Mandat des Aufsichtsrespektive Verwaltungsrats ist, muss gewährleistet werden, dass das Gesamt plenum stets über die Tätigkeiten des Ausschusses im Bilde ist. Die Ausschuss mitglieder müssen demnach fortlaufend über ihre Überwachungs- und Vorstandsberatungstätigkeit an das Aufsichtsratskollegium berichten (§ 107 Abs. 2 AktG respektive Art. 713 Abs. 3 und Art. 716a Abs. 2 OR) und Protokolle über ihre Sitzungen und Aufsichtsratstätigkeit führen. Die Berichtspflicht soll sicherstellen, dass bei der Bildung von größeren Gremien die effiziente Arbeit von Ausschüssen gewährleistet bleibt. Ebenso haben diejenigen Aufsichtsmitglieder, die dem Ausschuss nicht angehören, stets das Recht an den Ausschusssitzungen teilzunehmen, sofern der Aufsichtsratsvorsitzende dem nicht widerspricht (§ 109 Abs. 2 AktG respektive Art. 717 Abs. 1 i.V.m. Art. 716a Abs. 2 OR) und dies die bessere und zeitnahe Information des Gesamtverwaltungsrats sicherstellt.
3.3 Verantwortlichkeit der Arbeitsteilung Aus der Arbeitsteilung folgen für die Mitglieder des Aufsichtsorgans nicht nur Vorteile, sondern auch Verhaltensanforderungen. Da die Überwachungsaufgabe unübertragbare und unentziehbare Aufgabe des Gesamtaufsichtsrats (§ 111 Abs. 1 AktG respektive Art. 716a Abs. 1 OR) ist und die in Ausschüssen tätigen Aufsichtsmitglieder mehr Fach- und Dossierkompetenz aufweisen als der Rest des Plenums, verbleibt eine Kompetenz- und Informationsasymmetrie zwischen Ausschuss und Gesamtplenum, welche es transparent zu überbrücken gilt. Das Plenum muss institutionell auf einem vergleichbaren Informationsstand gehalten werden wie der Ausschuss (§ 107 Abs. 3 AktG respektive Art. 716a Abs. 2 i.V.m. Art. 717 Abs. 1 OR). Nur hierdurch kann das persönliche Haftungsrisiko der Mitglieder des Gesamtgremiums reduziert werden. Denn wenn einzelne Ausschussmitglieder ihre Pflichten verletzen und die Gesellschaft zu Schaden kommt, haften zwar grundsätzlich in erster Linie die Ausschussmitglieder, jedoch besteht die Gefahr, dass auch das Plenum zur Mitverantwortung gezogen wird. Dies ist möglich, wenn den nicht im Ausschuss tätigen Mitgliedern eine individuelle, schuldhafte Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Um dem vorzubeugen, muss das Plenum die Anträge des Ausschusses in ihrer Begründung nachvollziehen, kritisch hinterfragen, sich an der Diskussion beteiligen und die Ergebnisse einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. Lediglich den Ausschussangelegenheiten zuzustimmen (oder sie abzulehnen) reicht dazu nicht. Kommen die nicht im Ausschuss tätigen Aufsichtsratsmitglieder dieser Pflicht nicht nach, müssen sie sich unter Umständen im Schadensfall fremde Pflichtverletzungen zurechnen lassen. Für
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Geschäfte, die gar nie im Plenum, sondern nur in Ausschüssen behandelt werden, haften die restlichen Aufsichtsmitglieder nur hinsichtlich sorgfältiger Auswahl und Überwachung der Ausschussmitglieder. Für die Ausschüsse müssen hinsichtlich Fachkompetenz, Persönlichkeit und zeitlicher Verfügbarkeit die geeigneten Leute berufen werden. Die Überwachungspflicht gilt nicht absolut und für jedes Einzelgeschäft des Ausschusses. Lediglich die Plenumsberichte müssen überwacht werden. Deshalb besteht die Pflicht, Protokolle von Ausschusssitzungen niederzuschreiben. Die Überwachung durch das Plenum wird somit sichergestellt. Nur wenn die Tätigkeit des Ausschusses Zweifel an der Sorgfalt oder der Ordnungsmäßigkeit weckt, muss entweder der Gesamtaufsichtsrat oder der Aufsichtsratsvorsitzende eingreifen und die Angelegenheit aus dem Ausschuss zurück ins Plenum holen. Eine Pflichtverletzung der Ausschussmitglieder führt immer dann zu einer Haftung des Kollegialorgans, wenn die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht informiert waren, aber sich bei pflichtgemäßer Überwachung (z.B. Zweifel an der Tätigkeit des Ausschusses) hätten informieren müssen. Es muss deshalb stets sichergestellt werden, dass, wenn Teilaufgaben in den Ausschuss delegiert werden, stets das Kollegialorgan die Überwachungsaufgabe gem. § 111 Abs. 1 AktG respektive Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR wahrnimmt. Um die Überwachung sicherzustellen, muss über die Tätigkeit in den Ausschüssen berichtet werden. Bei der Kontrolle und Beratung des Vorstands in strategischen Angelegenheiten gilt es zu beachten, dass diese Geschäfte immer mit Risiken verbunden sind. Der Sorgfaltsmaßstab ist mit § 93 Abs. 2 AktG gegeben (s. auch BGH v. 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926, respektive Art. 717 Abs. 1 i.V.m. Art. 754 OR). Für unternehmerische Fehlentscheidungen wird das Aufsichtsorgan nicht automatisch haftbar. Unternehmerische Entscheidungen des Aufsichtsorgans sind nur dann unsorgfältig, wenn das Mitglied nicht annehmen durfte, auf einer angemessenen Informationsgrundlage und zum Wohl der Gesellschaft zu handeln (§§ 116 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 93 Abs. 1 S. 2 AktG; von der Crone, Carbonara et al. 2006). Dabei muss allerdings bedacht werden, dass die Furcht vor unternehmerischen Fehlentscheidungen nicht dazu führen darf, strategische Wagnisse oder Innovationen zu scheuen, nur weil die persönliche Haftung auf Kosten des langfristigen Unternehmenserfolgs vermieden werden soll. Ist ein Aufsichtsmitglied nicht mit der Ausschusstätigkeit einverstanden und möchte sich gegen persönliche Konsequenzen absichern, stellt sich die Frage, wie es sich verhalten muss. Bei Beschlüssen bloß mit einem Nein zu stimmen, genügt hierzu nicht. Vielmehr muss das Aufsichtsmitglied darauf hinwirken, dass der in seinen Augen schädigende Beschluss überhaupt nicht gefasst wird. Bedenken müssen eindringlich formuliert und Widersprüche klar zu Protokoll gegeben werden. Gegebenenfalls ist der abgelehnte Vorschlag dem Protokoll hinzuzufügen. Als ultima ratio muss das Aufsichtsratsmitglied sein Amt wirksam niederlegen, damit die Haftung für danach getroffene Entscheidungen entfällt. Nur wenn alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft wurden, entfällt die persönliche Haftung des überstimmten Aufsichtsratsmitglieds (Lutter u. Krieger 2008, S. 368 ff.). Entscheidend ist in der Praxis oft die explizite Protokollierung dieser Vorgänge,
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damit dem überstimmten Organmitglied kein Verschulden an einer Pflichtverletzung zugerechnet werden kann. Nach Schweizer Recht präsentiert sich die Rechtslage analog (Böckli 2004, S. 2140).
3.4 Potenzielle Risiken der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss Aufseher werden im Vergleich zu Topmanagern wesentlich bescheidener vergütet. Damit liegt der Schluss nahe, dass eine Gremienerweiterung eine kostengünstige Option sei, um den Erfahrungsschatz des Aufsichtsorgans zu erweitern bzw. für die Besetzung eines Strategieausschusses geeignete Mitglieder zu rekrutieren. Jedoch lag nach einer Studie von Heidrick und Struggles (2007) der Einsatz von Strategieausschüssen bei den größten europäischen Unternehmen im Jahr 2003 bei nur 13%; 2007 erhöhte sich der Anteil auf bescheidene 15%. Im Vergleich hierzu konnte die Verbreitung anderer Ausschüsse, wie beispielsweise die des Corporate Social Responsibility-Ausschusses, weitaus stärker zulegen. So scheint der durch die Einführung eines Strategieausschusses zu erwartende Mehrwert die monetären und sozialen Kosten aus Sicht der Praxis aktuell nicht zu übertreffen. Auch könnte die schleppende Verbreitung von Strategieausschüssen darauf hinweisen, dass die strategische Überwachungs- und Beratungsfunktion in der Praxis als eine nicht an einen Ausschuss übertragbare Aufgabe angesehen wird. In der Tat lassen sich auch Risiken aus der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss finden; diese besonders auf organisatorischer und rollen basierter, sozialpsychologischer Ebene. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Einführung eines Strategieausschusses das Aufsichtsorgan nicht befähigt, die Informationsasymmetrien zur Geschäftsleitung vollständig zu überwinden. Durch deren kontinuierliche Einblicke in das operative Tagesgeschäft des Unternehmens wird die Geschäftsleitung stets einen Informationsvorsprung behalten. Demnach bleibt das Management auch stets primäre Informationsquelle für das Aufsichtsorgan. Verbunden mit diesen informationellen Asymmetrien besteht die primäre Aufgabe der Gesamtaufsicht bzw. eines Strategieausschusses vorwiegend in der Evaluierung und Anpassung einer vom Management vorgeschlagenen Strategie und weniger in der proaktiven Generierung von Strategien. Daher erscheint es nach wie vor unter Befolgung rationaler Entscheidungsgrundlagen sinnvoll, dass der Rat Entscheidungen weitgehend an das besser informierte Management delegiert, um zu vermeiden, dass suboptimale Entscheidungen als Resultat von mangelhafter Informationsgrundlage getroffen werden. Aghion und Tirole (1997) zeigen in diesem Zusammenhang, dass es für das überwachende Organ die rationale Strategie ist, die vom Management vorgebrachten Strategieentscheide, welche einen positiven Kapitalwert (Net Present Value) aufweisen, solange zu unterstützen (Rubberstamping) bis der gesamte Rat bzw. ein überwachendes Komitee über unabhängige Informationsquellen verfügt, die eine adäquate Neubewertung der strategischen Alternativen erlauben würden. Das heißt, dass der grundsätzliche Zielkonflikt zwischen Management und Überwachung nach wie vor bestehen bleibt, solange die
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Trennung der Rollen zwischen überwachendem und exekutivem Organ konzeptionell erhalten wird. Jedoch birgt im Gegenzug eine verstärkte Involvierung in die operative Ausarbeitung der strategischen Belange des Unternehmens das Risiko, dass die kognitive Unabhängigkeit der Überwachenden verloren geht. Entscheidungsträger tendieren nämlich dazu, die Konsequenzen und Potenziale der von ihnen ausgearbeiteten Entscheidungen grundsätzlich positiver zu bewerten als unbeteiligte Personen (Bazerman 2006). Dadurch kann im Falle des Aufsichtsorgans dessen objektive Überwachungstätigkeit eingeschränkt werden. Für die mit verstärkter Involvierung einhergehende Verengung der kognitiven Rahmung lassen sich zahlreiche Beispiel finden; das wohl bekannteste ist die zur Bay of Pigs führende Entscheidung des Strategiestabs um Präsident Kennedy im Rahmen der amerikanischen Invasion von Kuba (Janis u. Mann 1977). Die mit der Schweinebucht symbolisierten illusorischen Vorstellungen über die eigene Stärke und die moralische und inhaltliche Überlegenheit einer gewählten Strategie sowie die Ignoranz gegenüber gegenläufigem Feedback und neuen Informationen ließen sich auch in den strategischen Entscheidungen einiger Finanzinstitute im Rahmen der Subprime-Krise aufzeigen. Die Erkenntnis aus diesen Beispielen muss sein, dass das bloße Vorhandensein von Information kein Garant für adäquate Entscheidungen darstellt, sondern dass das Zusammenspiel von Information und möglichst objektiver Interpretation über die Ergebnisqualität entscheidet. Des Weiteren erhöht sich der an die Gesamtaufsicht bzw. an deren Vorsitzenden gestellte Koordinationsaufwand, da ein Ausschuss nur aus ausgewählten Mitglie dern des Aufsichtsorgans besteht und eine regelmäßige Berichterstattung an den Gesamtaufsichtsrat sichergestellt werden muss. Neben diesen pragmatischen organisatorischen Mehraufwand tritt die Handhabung der Schnittstellen zwischen dem Gesamtaufsichtsorgan, dem Ausschuss und dem Management. Hierbei finden zwei Zielsetzungen Berücksichtigung. Zum einen sollte aufgrund des nicht zu behebenden Informationsrückstands des Aufsichtsorgans sichergestellt werden, dass dessen Mitglieder nur kontrollierend in exekutive Angelegenheiten eingreifen und nicht die Organisationsstruktur und Aufgabenteilung verwässern; anderenfalls würde dies ein übermäßiges Taktieren auf Seiten der Geschäftsleitung provozieren. Zum anderen sollte jedoch zugleich gewährleistet werden, dass die Ausschussmitglieder über genügend unternehmensspezifische Informationen verfügen, um eine auf eigenen Kompetenzen fußende Evaluierung der Strategie bzw. Definition von strategiebezogenen Evaluierungssystemen umsetzen zu können. Hierdurch zeigt sich auch die in gewisser Weise paradoxe Beziehung zwischen Kontrolle und Kollaboration. Da das Management durch die Einführung eines Strategieausschusses zwar einerseits qualitativ höherwertige Beratung durch die Ausschussmitglieder erwarten kann, riskiert es durch die Einbringung detaillierter Informationen zur Unternehmensstrategie jedoch auch eine Kompetenzbeschneidung und Abtretung von realer Entscheidungsautorität und im Falle von suboptimaler Arbeit auch eine vorzeitige Beendigung des eigenen Dienstverhältnisses. Neben den möglicherweise mangelhaften Anreizen zur Informationsweitergabe an Mitglieder des Aufsichtsorgans besteht das Risiko, dass sich eine interne
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Spaltung im Aufsichtsorgan ausbildet, welche auf einer Mitgliedschaft bzw. Nicht mitgliedschaft im Strategieausschuss basiert. Durch den überlegenen Informations stand der Strategieausschussmitglieder ist es möglich, dass die Meinung und private Information von den außenstehenden, restlichen Mitgliedern des Aufsichtsorgans ex ante als weniger wertvoll und sachkundig eingeschätzt wird und demnach an Gewicht verliert, obschon sie zur objektiven Einschätzung von und Kritik an der Strategie beitragen könnte.
3.5 Mögliche Vorteile aus der Aufgabendelegation an einen Strategieausschuss Effektiv umgesetzt, kann die Ausschussbildung jedoch helfen, mehrere Probleme der strategischen Aufsicht zu lindern. Als erster Vorteil ergibt sich, dass die Objektivität der Gremienarbeit erhöht werden kann. Denn je intensiver das Aufsichtsorgan bei der Unternehmensplanung eingebunden ist, desto stärker identifiziert es sich mit der Unternehmensstrategie und dem eingeschlagenen Pfad. Dies trübt seine objektive Sicht auf den Kontrollgegenstand. Übernimmt ein Ausschuss die Aufgabe, Entscheidungsoptionen auszuarbeiten, so beugt diese institutionalisierte Trennung von Formulierung und Entscheidung einer zu frühen Identifikation mit einer Handlungsalternative vor. Innerhalb des Plenums kann somit die Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder des Aufsichtsorgans gewahrt bleiben, was insgesamt zu einer Objektivierung der Aufsicht führen kann. Es erstaunt deshalb nicht, dass in den Strategieausschüssen börsennotierter Schweizer Aktiengesellschaften z.B. wichtige Fragen bzgl. Unternehmensakquisitionen oder der Vorbereitung von Analysen zur Änderung oder Überprüfung der gegenwärtigen Strategie thematisiert werden (Watter 2003, S. 197). Zweitens erlaubt ein Strategieausschuss, Aktivitäten des Aufsichtsrats, welche eine häufige Interaktion mit dem Vorstand erfordern, vom Sitzungsplan des Gesamtplenums zu entkoppeln. Folglich bietet es sich an, Teile der Beratungs funktion gegenüber der Geschäftsleitung mittels eines Ausschusses vorzubereiten oder zu erledigen. Insbesondere in Krisenzeiten – wie am Beispiel der Banken zu sehen ist – wird ein intensives Zusammenspiel zwischen Management und Aufsichtsorgan nötig, um dem erhöhten Informationsbedarf der Anteilseigner gerecht zu werden. Da sich eine derartige Zusammenarbeit in einem intensiven, iterativen Prozess des Dialogs über eine längere Zeit erstreckt, hilft die Entkopplung des Sitzungsplans des Strategieausschusses von dem des Aufsichtsorgans, die Problematik der eingeschränkten zeitlichen Verfügbarkeit des Gesamtgremiums zu entspannen. Hierdurch kann auch ein objektivierter, von Unabhängigkeit geprägter Beratungs- und Kontrollprozess realisiert werden, welcher dazu beitragen kann, die Qualität der Beratung gegenüber dem Management zu verbessern: Während hauptsächlich die Mitglieder des Ausschusses die Geschäftsleitung beraten, übernimmt das Gesamtaufsichtsorgan die Kontrolle der strategischen Beratung und deren Ergebnisse sowie die Qualitätssicherung. Die Ausschussbildung steht somit als geeignetes Instrument zur Verfügung, um den Spagat zwischen der Ex
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post-Kontrolle und den Herausforderungen der Ex ante-Überwachung in Form der Vorstandsberatung zu meistern. Ein dritter Vorteil kann bereits aus der durch den Ausschuss herbeigeführten Veränderung der Kommunikationsstruktur im Aufsichtsorgan folgen. Je größer das Aufsichtsgremium ist, desto schwieriger gestaltet sich die effektive Zusam menarbeit innerhalb des Plenums. Da die Größe des Aufsichtsorgans jedoch häufig als Organisationsdeterminante aus dem Mitbestimmungsgesetz folgt, ist bei Großunternehmen eine weitreichende Strukturierung der Gremientätigkeit nötig. Um hiermit nicht die Möglichkeiten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder, ihren Beitrag zu den Organaufgaben zu leisten, zu beschneiden, empfiehlt sich erneut eine Spezialisierung in Arbeitsgruppen. Dies gilt insbesondere für die Vorbereitung der Diskussion komplexer, strategischer Sachverhalte. Eine angemessene Organisationsstruktur, welcher auch die Arbeitsteilung und Delegierung in Ausschüsse zuzurechnen ist, gehört zum Pflichtenheft des sorgfältig arbeitenden Aufsichtsorgans. So heißt es schon in Art. 716a Abs. 1 Ziff. 2 OR (analog in § 107 AktG und den ergänzenden Empfehlungen in Ziff. 5.2, 5.31, 5.3.2, 5.4.1, 5.4.6, 5.5.2, 5.5.3 und 5.6 DCGK), dass der Verwaltungsrat respektive Aufsichtsrat eine wirksame und effiziente Organisation festzulegen sowie diese selbst zu evaluieren hat. Es lässt sich festhalten, dass die angemessene interne Organisation der Aufsichts arbeit eine wichtige Voraussetzung für eine effektive strategische Aufsicht darstellt. Die Einrichtung eines Strategieausschusses bildet eine Organisationsvariante, welche hilft, mehrerlei Herausforderungen des strategischen Überwachungsmandats zu lösen. So ermöglicht sie, förderliche Kommunikationsstrukturen zu etablieren, den Widerspruch aus Beratung und Kontrolle zu entschärfen, die zeitliche Verfügbarkeit des Aufsichtsorgans für das Management zu flexibilisieren sowie generell die Qualität der Beratung des Exekutivorgans zu verbessern. Als Anforderung geht aus der Arbeitsorganisation die Notwendigkeit zur Gewährleistung einer transparenten Übersicht der Ausschusstätigkeit durch die restlichen, nicht im Ausschuss einsitzenden Mitglieder einher. Sie bildet die Grundlage der gemeinschaftlichen Aufgabenerfüllung des Kollegialorgans.
4 Praktische Orientierung für die Bildung eines Strategieausschusses Im Rahmen einer an der Natur von Aufsichtsorganen orientieren Konzeption des Strategieausschusses lassen sich brachliegende Potenziale aufdecken, welche bei zweckmäßiger praktischer Umsetzung eine Verbesserung der Entscheidungsqualität auf Aufsichtsebene bewirken können. Wie dies aus konzeptioneller und personeller Sicht erreicht werden kann, soll nachfolgend dargestellt werden.
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4.1 Konzept der gegenseitigen symmetrischen Überwachung Obwohl das Verhältnis zwischen Kontrolle und Kollaboration widersprüchlich sein kann, findet sich bei Besinnung auf die Gemeinsamkeiten dieser Rollen in der elementarsten Schnittmenge der Tätigkeiten eines Aufsichtsgremiums die Entscheidungsfindung, d.h. die Kernaufgaben des Aufsichtsorgans bestehen in der Generierung, Evaluierung und Auswahl von Entscheidungsalternativen im Kontext des Überwachungsmandats. So sind beispielsweise Entscheidungen in Bezug auf die Besetzung der Posten im Topmanagement oder aber hinsichtlich der Auswahl und Definition von geeigneten Kennzahlen zu dessen Überwachung zu treffen, verschiedene vom Management vorgebrachte Projektvorschläge sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie und den Shareholder Value zu evaluieren, und manche Projekte müssen auch abgelehnt werden. Demnach erscheint es angemessen, die Komposition und Struktur des Aufsichtsorgans auf die Verbesserung von grundlegenden Entscheidungsprozessen auszurichten, statt sich teilweise überschneidende bzw. gegenläufige Aufgabenbereiche parallel zu optimieren. Eine wachsame, aktive Informationsverarbeitung und effektive Entscheidungs findung basiert auf der Idee, dass eine Gruppe kompetenter Entscheidungsträger eine Vielzahl von Alternativen generiert und diskutiert, Ziele und Konsequenzen möglichst weitgreifend in die Bewertung der Alternativen einbezieht, neue Information so unvoreingenommen wie möglich in den weiteren Bewertungsprozess integriert und in dynamischer Weise die resultierenden Ergebnisse im Rahmen des Entscheidungsprozesses reflektiert (Janis u. Mann 1977). Während dies einen idealtypischen Entscheidungsprozess und gleichzeitig Ziel der Tätigkeit des Strategieausschusses darstellt, haben eine Vielzahl von Studien (vgl. hierzu beispielsweise Kahneman u. Tversky 1972) belegen können, dass Entscheidungsprozesse von Menschen verschiedenster Positionen und intellektueller Fähigkeiten durch systematische Fehleinschätzungen und Informationsverzerrungen charakterisiert sind. Diese kognitiven Begrenzungen sind in vielen Fällen rollenspezifisch, weshalb die Konzeption eines Strategieausschusses an den grundlegenden Limitationen und Stärken des Aufsichtsorgans und der Geschäftsleitung ansetzen sollte. So ist es entgegen den geläufigen Forderungen nach Unabhängigkeit des Gesamtaufsichtsorgans im Hinblick auf einen Strategieausschuss sinnvoll, keine hierarchische, sondern eine komplementäre, sich in Stärken und Schwächen ergänzende bzw. egalisierende Struktur und Zusammenstellung zu fordern, die eine symmetrische Debiasing-Funktion (Langevoort 2000) zwischen Geschäftsleitung und Aufsichtsorgan sowie zwischen den Mitgliedern des Ausschusses ermöglicht. Diese soll nachfolgend genauer erläutert werden. Das Management tendiert in vielerlei Hinsicht dazu, länger als objektiv sinnvoll an vorgefassten Positionen und Strategien festzuhalten und neue Informationen bewusst oder unbewusst an impliziten Präferenzen orientiert zu filtern, so dass eigene Entscheidungen ex post rationalisiert werden können. Demnach verfügt das Management zwar über einen großen unternehmensspezifischen Informationsschatz, ist jedoch geneigt, diese Information in nichtobjektiver Weise zu interpretieren
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(Hayward u. Hambrick 1997). Das Aufsichtsorgan hingegen ist charakterisiert durch begrenzte Information, begrenztes unternehmensspezifisches Wissen und ein begrenztes Zeitbudget, muss aber auf dieser Basis die Unternehmensleistung überwachen und evaluieren. So liegt es nahe, dass diese Gruppe von Entscheidungsträgern Evaluierungen einer bestimmten Strategie auf einfach abrufbare kognitive Schemata und Erfahrungen aus subjektiv vergleichbaren Situationen stützt und zugleich die Bewertung der Unternehmensleistung zunehmend mithilfe einfach interpretierbarer Finanzkennzahlen vornimmt. Dies impliziert, dass ein von Fall zu Fall verschieden stark ausgeprägter Simplifikationsprozess in der Natur der externen Aufsichtsaufgabe liegt. Obschon diese Feststellungen isoliert betrachtet negativ erscheinen mögen, zeichnet sich das Überwachungsorgan eines Unternehmens eben gerade aufgrund der Distanz zum operativen Geschäft und der Exponiertheit gegenüber alternativen Vorgehensweisen durch einen erhöhten Grad an „naiver“ Objektivität aus, wohingegen das Management durch seine operative Involviertheit einen Informationsvorsprung und unternehmensspezifische Detailinformationen besitzt. Diese inhärenten Stärken gilt es zu nutzen, was durch die Einführung eines Strategieausschusses, welcher eine Diskussionsplattform zur Interpretation und Aufbereitung von strategischen Informationen bietet, ermöglicht werden soll. Während das gesamte Aufsichtsgremium aufgrund der vorausgehend beschriebenen informationellen, zeitlichen und sozialen Einschränkungen nur bedingt geeignet ist, eine tiefgreifende Resource Governance-Funktion, d.h. eine optimale Allokation der verfügbaren finanziellen und personellen Mittel, zu erfüllen, trägt ein Strategieausschuss den Vor- und Nachteilen von Unabhängigkeit bzw. Involvierung zielgerichtet Rechnung. Dies jedoch nur, wenn es ermöglicht wird, dass ausgewählte Mitglieder der Geschäftsleitung und Aufsichtsräte im Rahmen der Ausschusstätigkeit in einen fokussierten Dialog über die Unternehmensstrategie eintreten. Dem Management soll ermöglicht werden, verschiedene Entwicklungen und Kennzahlen in einem tiefgreifenden Kontext vorzustellen. Dadurch wird es in die Lage versetzt, die vorgeschlagenen bzw. eingeschlagenen Strategien und eigene Entscheidungen nachvollziehbar zu erklären und wenn nötig zu verteidigen. In diesem Rahmen werden den Aufsehern partiell eben die Hintergrundinformationen offengelegt, die durch Diskussion von Alternativen, Zielen und Konsequenzen den Fokus von einer heuristischen Ex post- auf eine strategieorientierte Ex anteBeurteilung legen. So kann gewährleistet werden, dass bestehende und neue Informationen von den Aufsehern tiefgreifend, aber gleichsam mit der nötigen Unvoreingenommenheit evaluiert werden können. Das Management erhält im Gegenzug die Möglichkeit, die nicht direkt erkenntlichen, langfristigen Absichten und Ziele einer spezifischen Strategie vorzustellen und durch ein potenziell höherwertiges Feedback der Aufseher die Strategie intensiver reflektieren zu können, ohne eine direkte Ablehnung befürchten zu müssen. Dadurch werden beide Parteien dazu gezwungen, gegenseitige Einwände ernst zu nehmen und Wahrnehmungsbzw. Evaluierungsfehler im Eigeninteresse gegenseitig aufzudecken. Folglich ist die Funktion eines Strategieausschusses im Rahmen der hier geführten Diskussion vor allem als eine Re-Interpretation der Beratungsfunktion
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hin zu einer korrektiv-interaktiven gegenseitigen Überwachung zwischen Aufsichtsund Exekutivorgan zu verstehen. Demnach soll entgegen geläufigeren Konzepten nicht versucht werden, an den Defiziten von Aufsichtsorganen anzusetzen, sondern vielmehr die unüberwindbaren Informationsasymmetrien zielgerichtet zu nutzen. Die Interaktion zwischen dem gesamten Aufsichtsorgan und der Geschäfts leitung fungiert im Rahmen des vorgestellten Konzepts als finale, übergeordnete Debiasing-Instanz hinsichtlich der Unternehmensstrategie. Während der auf die strategischen Kernproblematiken ausgerichtete Ausschuss fokussiert die für die Informationsaufbereitung primär notwendigen Kompetenzen abdeckt, werden auf Ebene des Aufsichtsorgans die für die strategische Entscheidungsfindung und -evaluierung notwendigen Sekundärkompetenzen und -interessen einbezogen, die nicht im Strategieausschuss vertreten sind. Durch diese Erweiterung können die im Ausschuss vorbereiteten Informationen vor einer endgültigen Entscheidung diskursiv zwischen Geschäftsleitung und Aufsichtsorgan erneut auf ihre Validität und Konsistenz geprüft werden. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, fungiert jedoch stets das Aufsichtsorgan alleine als den Aktionären verpflichteter Hüter der Unabhängigkeit und trifft die finalen Evaluierungen und Entscheide, die sich auf den Management- und Unternehmenserfolg beziehen, eigenständig und eigenverantwortlich.
Abbildung 1: Konzept des Strategieausschusses (Quelle: Eigene Darstellung)
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Wie in Abbildung 1 aufgezeigt, soll durch einen gemeinsamen, sich gegenseitig ergänzenden Informationsaustausch ein wertschaffender Mechanismus zur Diskussion und Aufbereitung von strategischen Alternativen und Szenarien geschaffen werden, der eine kontinuierliche Evaluierung von Entscheidungen gemäß der im zweiten Kapitel ausgeführten Ausgestaltungsmöglichkeiten und Ansprüchen ermöglicht. In Deutschland käme dies treffend der Forderung des BGH nach, eine „ständigen Diskussion“ bzw. eine „laufende Beratung“ mit dem Vorstand zu institutionalisieren (BGH v. 25.03.1991 – II ZR 188/89 = NJW 1991, 1830), welche für eine zeitnahe und effektive Erfüllung der Überwachungsaufgabe durch das Gesamtgremium erforderlich erscheint.
4.2 Personelle und strukturelle Gestaltung des Strategieausschusses Der strukturelle Aufbau und die konkrete personelle Zusammenstellung, welche dieses Ziel im Rahmen eines Strategieausschusses ermöglichen sollen, werden nachfolgend vor dem Hintergrund des deutschen dualistischen und des schweizerischen monistischen Unternehmensverfassungssystems diskutiert. Die einzelnen Mitglieder des Ausschusses lassen sich im Wesentlichen nach zwei Merkmalsgruppen charakterisieren: zum einen nach demographischen Faktoren, d.h. Alter, funktionale Spezialisierung, Erfahrung und Ausbildung; und zum anderen nach persönlichkeitsbezogenen Merkmalen. Bei der Besetzung des Strategieausschusses kann jedoch der Fokus nicht einzig auf die demographischen Daten der einzelnen Mitglieder gelegt werden, sondern es sollte vor allem die Gruppenebene im Auge behalten werden, d.h. die Effektivität des gesamten Ausschusses sollte als primäres Ziel verfolgt werden. Diese Effektivität bemisst sich nicht nur an der Fähigkeit des Ausschusses, die an ihn gestellten Aufgaben der Evaluierung und Reflektion der Strategie zu erfüllen, sondern auch daran, ob er kontinuierlich als Gruppe konstruktiv zusammenarbeiten kann (Forbes u. Milliken 1999). Folglich orientiert sich die Auswahl der Mitglieder eines Strategieausschusses nicht daran, lediglich die besten Einzelpersonen zu finden, sondern die Gruppe optimal zusammenzusetzen. Eine auf mehrheitlich externen Mitgliedern basierende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans1 bzw. die rechtlich zwingende, vollständige Trennung von Geschäftsleitung und Aufsicht2 erscheint auf Ebene des Aufsichtsorgans trotz teilweise mangelnder empirischer Unterstützung konzeptionell nach wie vor ansprechend, da Unabhängigkeit nur durch eine gewisse Distanz zum operativen Geschäft gewahrt werden kann. Zwar gilt dies auch für jedes Subkomitee der Aufsicht, jedoch ergibt sich aus vorausgehenden Ausführungen, dass ein übertriebener Fokus auf Unabhängigkeit im Rahmen eines Strategieausschusses sogar schädlich sein und die Effektivität des Ausschusses einschränken kann. 1
Wie im monistischen (one-tier) System, repräsentiert durch den schweizerischen Verwaltungsrat mit exekutiven und nichtexekutiven Verwaltungsräten. 2 Wie im dualen (two-tier) System in Deutschland, mit Vorstand und einem von der Geschäftsführung getrennten Aufsichtsrat.
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4.2.1 Gestaltung des Strategieausschusses in dualen Systemen Zwar muss der Ausschuss im Rahmen des deutschen Aktienrechts formal ausschließlich aus Mitgliedern des Aufsichtsrats zusammengesetzt sein. Jedoch ist der Ausschuss auch berechtigt und verpflichtet, für bestimmte Themen Gäste aus der Geschäftsleitung einzuladen, um der Sitzung beizuwohnen (ausdrücklich auch BGH v. 25.03.1991 – II ZR 188/89 = NJW 1991, 1830). Dies erscheint auch durchaus sinnvoll, da eine durchgängige Besetzung des Strategieausschusses mit nicht mit dem operativen Geschäft vertrauten Mitgliedern dazu führen kann, dass externe Aufseher aufgrund von fehlenden unternehmensspezifischen Einsichten in ihren Einschätzungen stark an einfach beobachtbaren Daten wie beispielsweise dem Aktienkurs und an eigenen Erfahrungen und funktionalem Wissen orientiert sind. Dies würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass kurzfristig orientierte Strategien favorisiert werden und im Zuge dessen dem Management Anlass gegeben wird, selbige vermehrt vorzuschlagen. Im Gegensatz zu den externen, unabhängigen Mitgliedern des Aufsichtsrats weisen interne Manager neben dem informationellen Vorteil tendenziell auch eine höhere Motivation auf, da sie wesentlich stärker in Form von Reputation und finanziellem Wohlstand investiert sind. Die Aufseher hingegen wirken konzeptionell dem damit angedeuteten potenziellen Interessenkonflikt entgegen. Ein weiterer positiver Effekt ist der Umstand, dass über die regelmäßige Beratung dem Aufsichtsrat und dem Ausschuss rechtzeitig die Beratungs- und Kontrollmöglichkeit gewährt wird.
Abbildung 2: Konzeptionelle Komposition des Strategieausschusses im dualen System (Quelle: Eigene Darstellung)
Wie in Abbildung 2 veranschaulicht, besteht der Strategieausschuss per se aus Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die individuelle Zusammenstellung ist so zu gestalten, dass sie einerseits den unternehmensspezifischen Erfordernissen entspricht, anderseits jedoch nicht bestimmte Rolleninteressen, Fähigkeiten und Kompetenzen überwiegen. Ist das zentrale Thema eines Unternehmens beispielsweise eine
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Übernahme, und alle Mitglieder des Strategieausschusses sind juristische Experten, so ist anzunehmen, dass die zwar fraglos wichtigen, jedoch einseitigen legalen Aspekte der Akquisition im Mittelpunkt stehen und die Diskussion der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Unternehmenserwerbs in den Hintergrund gedrängt werden könnte. So sind übermäßige funktionale und erfahrungsbedingte Überschneidungen zugunsten strategieorientierter kompositorischer Diversität zu vermeiden. Zu den Sitzungen des Strategieausschusses sollten Gäste aus dem Vorstand bzw. Management eingeladen werden. Wichtig ist hierbei, dass diese in den Mitgliedern des Strategieausschusses ein Äquivalent hinsichtlich funktionaler Expertise, Status und Anzahl finden, so dass die beschriebene symmetrische Debiasing-Funktion zwischen Überwachungs- und zu überwachendem Organ realisiert werden kann. Neben der funktionalen Entsprechung zwischen Ausschussmitgliedern und den Gästen aus dem Management ist ebenso darauf zu achten, dass eine Äquivalenz bezogen auf den Status und die erfahrungs- und ausbildungsbedingte Qualifikation herrscht. Denn nur wenn die Ausschussmitglieder vom Management ernst genommen werden und sich selbst als fähig erachten, dem über überlegene unternehmensspezifische Informationen verfügenden exekutiven Pendant durch Erfahrung und generelles Wissen entgegenhalten zu können, wird ein effektiver Dialog über die Unternehmensstrategie ermöglicht. Obgleich nur als Gast auftretend, soll dem Management das Gefühl gegeben werden, dass es im Rahmen der Strategieausschusstätigkeiten nicht um eine vergangenheitsgerichtete Befragung und Ex post-Beurteilung der Strategie geht. Vielmehr soll eine semi-institutionalisierte Plattform für die Aufsicht geschaffen werden, um unter Einbezug des Managements zukunftsgerichtete Entscheidungsprozesse zu diskutieren. Es ist daher unbedingt zu vermeiden, dass eine Art Anhörungssituation entsteht, im Rahmen derer der exekutiv tätige Gast mit Fragen überhäuft und in eine Defensivposition gedrängt wird. Demnach sollte auch stets auf eine Entsprechung hinsichtlich der Anzahl an exekutiven Gästen und Mitgliedern des Strategieausschusses geachtet werden. 4.2.2 Gestaltung des Strategieausschusses in monistischen Systemen Obschon auch im Rahmen monistischer Corporate Governance-Systeme die Unabhängigkeit der Ausschüsse, vor allem des Entlohnungsausschusses, durch eine Besetzung mit nichtexekutiv tätigen Mitgliedern des Verwaltungsrats favorisiert wird, sollte diese Logik im Rahmen der Besetzung des Strategieausschusses überdacht werden. Denn um einen an den Charakteristika von Insidern und Outsidern orientierten, zielgerichteten, strategiebezogenen Informations- und Erfahrungsaustausch anzuregen, ist bei der Besetzung des Strategieausschusses auf eine ausgewogene Auswahl von exekutiven und nichtexekutiven Mitgliedern zu achten, die dem Ausschuss angehören. Das wahrscheinliche Vorliegen von teils gegenläufigen Interessen in diesem Modell soll nicht negiert werden; dieses ist so zu handhaben, dass ein kompositorisches Übergewicht einer Fraktion zu vermeiden und den Strategieausschuss mit einer gleichen Anzahl an im Status vergleichbaren nichtexekutiven und exekutiven Mitgliedern zu besetzen ist.
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Weil Parität jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Paralysierung erhöht, ist der Vorsitzende des Aufsichtsorgans als Mediator bzw. Median zu positionieren. Durch die intensiven Kontakte mit dem Kontroll- wie auch dem zu kontrollierenden Organ weist er die geringste psychologische Verpflichtung zu einer der beiden Parteien auf. Rechtlich wird der Vorsitzende jedoch dem Aufsichtsorgan zugerechnet, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass er im Zweifelsfall im Sinne der Aktionäre bzw. der durch die Stakeholder vertretenden Fraktion entscheiden würde.
Abbildung 3: Konzeptionelle Komposition des Strategieausschusses im monistischen System (Quelle: Eigene Darstellung)
Wie in Abbildung 3 veranschaulicht, muss, um eine Ex ante-Polarisierung der Gruppe zu vermeiden, darauf geachtet werden, dass die individuelle Zusammen stellung gemessen an den unternehmensspezifischen Erfordernissen nicht zugunsten eines bestimmten Rolleninteresses, einer funktionalen Spezialisierung oder eines spezifischen demographischen Merkmals ausfällt. So ist unter gruppendynamischen Gesichtspunkten bei der praktischen Umsetzung darauf zu achten, dass verschiedene parallele Fähigkeiten und Kompetenzen sowohl in den Reihen der exekutiven und nichtexekutiven Mitglieder vorhanden sind. Dies soll, wie bereits im Rahmen des dualen Systems erläutert, einerseits ein Übergewicht zugunsten einzelner Fachperspektiven vermeiden und andererseits dafür sorgen, dass jeder ein funktional ebenso kompetentes, jedoch ein auf Basis eines unterschiedlichen Informations- und Involvierungsniveaus agierendes Gegenüber findet, welches die beschriebene Debiasing-Funktion wahrnehmen kann. Um ein implizites Machtungleichgewicht zwischen exekutiven und nicht exekutiven Mitgliedern zu vermeiden, sollte bezogen auf die Komposition nicht nur auf eine gleiche Anzahl, sondern auch auf eine Entsprechung bzgl. Status und Qualifikation geachtet werden. Ist es beispielsweise in einer Bank unabdingbar, dass der Finanzvorstand (CFO) dem Strategieausschuss als Gast bzw. Ausschussmitglied beiwohnt, so sollte diesem wenn möglich auch ein (ehemaliger) CFO, der das Aufsichtsorgan vertritt, gegenübersitzen. Dies ist zum einen durch das Konzept
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der gegenseitigen, symmetrischen Überwachung bedingt. Zum anderen ist diese Status- und Kompetenzkongruenz notwendig für einen fachbezogenen, sinnvollen Dialog zwischen Management und Aufsicht. Denn fühlt sich ein Diskussions teilnehmer in seinen Beiträgen und Einwänden un- oder missverstanden, so ist es wahrscheinlich, dass auf Ebene des Ausschusses, d.h. auf Gruppenebene, dieses individuelle Wissen nicht mehr oder nur in suboptimaler Weise in die Gruppendiskussion einfließt. Findet jedoch jeder in den gegenüberliegenden Reihen ein kompetentes Gegenüber, wird einerseits eine fachbezogene, inhaltliche Debatte wahrscheinlicher als affektiver Konflikt; zum anderen wird der offene Dialog zwischen nichtexekutiven und exekutiven Mitgliedern dadurch gefördert, dass die relevanten Vertreter auf beiden Seiten gezwungen sind, notwendigerweise ihre besten und überzeugendsten Argumente in die Diskussion einfließen zu lassen, um ihre Ansichten zu untermauern. So sind eine derartige Förderung des offenen Dialogs und die damit verbundene Diskussion und Lösung der Führungs- und Aufsichtsaufgaben auch beispielsweise Teil des Pflichtenhefts des schweizerischen Verwaltungsrats. Dessen Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 717 Abs. 1 OR) fordert es, Interessenkonflikte zu vermeiden und die Wahrung einer Machtbalance zu gewährleisten. 4.2.3 Ausschussgröße und allgemeine funktionale Besetzung Um einen ausgewogenen Diskurs in den Ausschusssitzungen zu gewährleisten, ist anzuraten, dass den Sitzungen eine ungerade Anzahl an Personen beiwohnt, wobei sich diese Gruppe im monistischen System hälftig aus exekutiven und nichtexekutiven Mitgliedern sowie dem Vorsitzenden, und im dualen System hälftig aus Aufsichtsräten und Gästen der Geschäftsführung sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden zusammensetzen sollte. Die absolute Anzahl der Sitzungsteilnehmer ist zwar durch die Größe des Aufsichtsorgans und die Komplexität und Dynamik der Unternehmensstrategie beeinflusst, sollte jedoch auf maximal fünf bis sieben Personen begrenzt werden, um eine effektive Kommunikation zu ermöglichen. Diskussionen in größeren Gruppen erfordern ausgeprägte formale Organisa tionsmechanismen, welche Sitzungen schnell ineffizient werden lassen. Zwar wird durch die Gruppenbeschränkung auch die für den Strategieausschuss essentielle Nutzung von Kenntnissen eingeschränkt, jedoch wiegt dies weniger schwer als der Nachteil einer ineffektiven Kommunikation. So belegen zahlreiche Studien, dass die Entscheidungsqualität durch eine Vergrößerung der Gruppe ab fünf Mitgliedern nur geringfügig zunimmt und schnell ein Maximum erreicht, während mit der Vergrößerung einhergehenden gruppendynamische Probleme hingegen überproportional zunehmen (beispielsweise Bramlett u. Mosher 2001). Zwar werden durch eine begrenzte Gruppengröße auch die verfügbaren Spezialkenntnisse begrenzt, jedoch erfolgt durch die Festlegung der notwendigen Kernkompetenzen im Strategieausschuss auch eine gewisse Fokussierung auf das Wesentliche. Weitere Ansichten, beispielsweise aus HRM- oder Marketing-Perspektive, können dann im Zuge der Präsentation der Ergebnisse vor dem gesamten Aufsichtsorgan eingeholt werden, welches letzter Entscheidungsträger und letzte Debiasing-Instanz bleibt.
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Hinsichtlich der funktionalen Kompetenzen der Ausschussmitglieder ist auf gehobene Fähigkeiten im Bereich der Finanz- und Marktanalyse zu achten, auch wenn diese aufgrund der spezifischen Unternehmensstrategie nicht als zwingend notwendige Kernkompetenzen angesehen werden. Denn erst diese Fähigkeiten ermöglichen es, strategische Alternativen zu identifizieren und zu evaluieren, was für die Tätigkeit im Strategieausschuss essentiell ist. Alle weiteren individuellen Empfehlungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Strategieausschusses sind stark strategie-, branchen- und marktabhängig und demnach unternehmensspezifisch zu bestimmen. Dies ist intuitiv leicht nachvollziehbar; ein aggressiv expandierendes, exportorientiertes Technologieunternehmen stellt andere personelle Anforderungen an die Zusammensetzung des Ausschusses als ein in einem gesättigten Markt agierendes Dienstleistungsunternehmen. Folglich wäre es vermessen, einen One Size Fits All-Ansatz zur individuellen Besetzung eines Strategieausschusses vorzuschlagen.
5 Fazit Der „Nebel der Ungewissheit“, so wie er von Karl von Clausewitz als konstitutives Merkmal von kompetitiven Situationen beschrieben wird, stellt sich gegenwärtig auch als treffende Analogie zum immer stärker von nichtlinearen Entwicklungen bestimmten Wirtschaftsgeschehen dar. So können auch die Aufgaben der Strategischen Führung als Antizipation von Eventualitäten, Exploration von alternativen Spielräumen und symbiotischer Nutzung von Strategie und operativem Geschäft betrachtet werden: „Strategie ohne Operatives macht die Organisation lahm, Operatives ohne Strategie macht sie blind“ (von Oetinger 2008, S. 68). Diesem Ansatz folgt auch das vorgestellte Modell von Strategieausschüssen; weder das Aufsichtsorgan noch das Exekutivorgan sind in der Lage, isoliert effizient zu funktionieren. Denn „Strategie verlangt Distanz zu anderen Spielern, um Entscheidungen unabhängig zu treffen vom gerade herrschenden Trend … Wer also im Nebel der Zufälle seine Handlungsfreiheit bewahren will, muss Eventualitäten durchspielen, den Zweck des Unternehmens bewahren, aber die Ziele anpassen, alter native Spielräume erkunden, Instabilitäten prüfen und die operative Durchführung [d.h. Exekutivorgan] parallel zur Strategie [d.h. Aufsichtsorgan] verfolgen.“ (von Oetinger 2008, S. 68) Aufsichtsorgane werden immer stärker mit dem Nebel der Unsicherheit konfrontiert und eine Ex post-Kontrolle kann den Anforderungen einer strategischen Überwachung und Richtungsweisung nicht mehr genügen. Der Umgang mit Unsicherheit wird demnach zu einer zentralen Rolle für das Aufsichtsorgan und beinhaltet vor allem eine dynamische, zukunftsgerichtete Antizipation und Exploration der strategischen Spielräume des Unternehmens. Potenzielle Trends und Entwicklungsverläufe müssen definiert, aktiv überwacht und durch einen adäquates Risikomanagement in allen Bereichen kontrolliert werden. Da sich dieser Wandel in einem für Aufsichtsorgane verstärkt complianceorientierten Umfeld vollzieht, ist es für Aufseher nahezu unmöglich, der gesteigerten Arbeitsbelastung im
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Rahmen der kollektiv verfügbaren Zeit unter den gegebenen natürlichen informa tionellen und sozio-psychologischen Rahmenbedingungen zu entsprechen. Als eine potenzielle Lösung wurde in diesem Beitrag die Einführung eines an der Verbesserung von Entscheidungsprozessen orientierten Strategieausschusses vorgeschlagen, der an den sich gegenseitig ergänzenden Stärken von Aufsicht und Management ansetzt. Durch diese komplementäre statt substituierende Nutzung rolleninhärenter Fähigkeiten von exekutiven und nichtexekutiven Entschei dungsorganen des Unternehmens wird zudem aus theoretischer Sicht eine mögliche verhaltenswissenschaftlich orientierte, alternative Perspektive in Bezug auf die nach wie vor unbefriedigend gelöste „who monitors [bzw. corrects] the monitor“Problematik, d.h. der rekursiven Schleife in der Prinzipal/Agenten-Beziehung, gegeben. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass eine an den Unternehmens besonderheiten ausgerichtete und effektiv umgesetzte Einführung eines Strategie ausschusses eine Win-win-Situation für alle Beteiligten herbeiführen kann. Während sich Aufseher dank der höheren Effektivität ihrer Aufsicht aktiver gegen Schadensforderungen und öffentliche Kritik absichern können, profitiert das Management von einer detaillierteren und qualitativ besseren Beratung. Aktionäre und Stakeholder dagegen partizipieren durch eine gründlichere und sorgfältigere Diskussion der Unternehmensstrategie an langfristiger ausgerichteten Strategien und letztlich höheren ökonomischen Gewinnen.
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Der Chief Strategy Officer: Ein Chief für alle Fälle? Markus Menz, Isabel Collischonn
In den vergangenen Jahren haben höhere Komplexität, Umweltdynamik und intensiverer Wettbewerb dazu geführt, dass der Chief Executive Officer (CEO) in vielen Unternehmen Unterstützung für die Strategiearbeit benötigt. Vermehrt soll ein Chief Strategy Officer (CSO) für Strategiekompetenz sorgen. Die bisherige Managementforschung jedoch berücksichtigt diese aufkommende Position wenig. Im vorliegenden Beitrag wird daher ein integriertes Modell des CSO vorgeschlagen. Es führt mit der Berücksichtigung von Rolle, Charakteristika, Kontext und Nutzen des CSO die fragmentierten Erkenntnisse bisheriger Forschung zusammen und bietet so einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand. Zusätzlich stützt sich der Beitrag auf Ergebnisse einer aktuellen Studie und illustriert diese mit Beispielen aus dem deutschsprachigen Raum. Der Beitrag bietet Unternehmen eine wichtige Entscheidungshilfe, ob und unter welchen Umständen ein CSO sinnvoll ist, wie sein Rollenprofil definiert werden sollte und welche Charakteristika für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung notwendig sind.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2 Hintergrund: Forschung zu Topmanagementteams . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.1 Spezifische Positionen im Topmanagementteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.2 Chief Strategy Officer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3 Integriertes Modell des Chief Strategy Officer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.1 Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2 Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.3 Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.4 Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
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1 Einleitung In den vergangenen Jahren haben komplexere Aufgaben und Organisationsformen sowie höhere Umweltdynamik und intensiverer Wettbewerb dazu geführt, dass der Chief Executive Officer (CEO) in vielen Unternehmen Unterstützung für die immer anspruchsvollere Strategiearbeit benötigt. Neben der Einbindung von Managementberatungen und der Schaffung von Strategieabteilungen soll vermehrt vor allem ein Chief Strategy Officer (CSO) als neue Position im Topmanagementteam (TMT) für Strategiekompetenz sorgen.1
Abbildung 1: Verbreitung der CSO-Position in S&P 500-Firmen (Quelle: Eigene Daten)
Abbildung 1 stellt die Verbreitung des CSO in S&P 500-Unternehmen dar. Während zehn Jahre zuvor noch wenige Firmen einen CSO hatten, waren es im Jahr 2007 bereits 90 Unternehmen.2 Auch im deutschsprachigen Raum verbreitet sich die Position immer weiter. ProSiebenSat1, Siemens, Sixt und Swisscom sind nur einige von vielen Unternehmen, die heute schon einen CSO beschäftigen. Die bisherige betriebswirtschaftliche Forschung jedoch berücksichtigt diese aufkommende Position noch wenig. Erst seit Kurzem gibt es erste Ansätze zur Klärung von Rolle und Charakteristika des CSO (Delmar 2003; Breene, Nunes et al. 2007; Dye 2008; Angwin, Paroutis et al. 2009). Hinzu kommt, dass die vorhandene
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Der angelsächsische Begriff Chief Executive Officer wird in diesem Beitrag synonym für Vorstandsvorsitzende(n) oder Geschäftsführer(in) verwendet, der Begriff Topmanagementteam (TMT) für Vorstand oder Geschäftsleitung. 2 Es sind nur jene Topmanager als CSO gezählt, die den Begriff „Strategy“ in ihrem Titel führen und laut Geschäftsbericht des Unternehmens zum TMT zählen. Bei Berücksichtigung weiterer potentieller CSOs (z.B. Topmanager mit dem Titel Chief Development Officer sowie CSOs, die nicht im zum TMT gehören) ist davon auszugehen, dass rund die Hälfte aller S&P 500-Unternehmen heute einen CSO haben.
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Literatur bisher nur wenige Aussagen zum Nutzen des CSO für das Unternehmen zulässt. Um eine ganzheitliche Sichtweise auf die neue CSO-Position zu fördern, wird im vorliegenden Beitrag ein integriertes Modell des CSO vorgeschlagen. Es führt mit der Berücksichtigung von Rolle, Charakteristika, Kontext und Nutzen des CSO die fragmentierten Erkenntnisse bisheriger Forschung in kohärenter Weise zusammen und bietet so einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand zum CSO. Zusätzlich zur bestehenden Literatur stützt sich der Beitrag auf eine aktuelle Studie zu CSOs und illustriert die behandelten Themen mit Beispielen aus dem deutschsprachigen Raum. Der Beitrag bietet damit der Praxis eine wichtige Entscheidungshilfe, ob und unter welchen Umständen ein CSO für das Unternehmen sinnvoll ist, wie sein Rollenprofil definiert werden sollte und welche Charakteristika und Fähigkeiten für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung notwendig sind. Zunächst wird ein Überblick zur CSO-Forschung gegeben. Das darauf aufbauende konzeptionelle Modell integriert Rolle, Charakteristika, Kontext sowie deren Zusammenspiel und den daraus potenziell resultierenden Nutzen für das Unternehmen. Abschließend werden die Implikationen des Modells diskutiert und ein Ausblick auf zukünftige Forschung gegeben.
2 Hintergrund: Forschung zu Topmanagementteams Der Großteil der Forschung zu TMTs bezieht sich entweder auf die Zusammensetzung des TMT oder auf den CEO als vermeintlich wichtigsten Akteur. Die bisherigen empirischen Ergebnisse sind jedoch vielfach inkonsistent und erschweren allgemeingültige Aussagen, etwa hinsichtlich der optimalen Zusammensetzung eines TMT oder hinsichtlich der Erfolgswirkung von CEOs. So weist jedes einzelne TMT-Mitglied einen individuellen Hintergrund auf, der sich trotz messbarer demografischer Eigenschaften, wie z.B. Ausbildung und Berufserfahrung, nur schwer miteinander vergleichen lässt. Andererseits sind CEOs heute mit außergewöhnlich hohen Anforderungen konfrontiert. Eine immer größere Dynamik der Umwelt, höhere organisationale Komplexität und gleichzeitig begrenzte Möglichkeiten und Fähigkeiten eines CEO, ein solches Aufgabenspektrum zu beherrschen, führen dazu, dass spezialisierte Topmanager gebraucht werden, die Herausforderungen in ihrem jeweiligen Funktionsbereich erfolgreich bewältigen (Hambrick u. Cannella 2004). Viele Unternehmen haben daher in den vergangenen Jahrzehnten spezialisierte Positionen in ihren TMTs geschaffen.
2.1 Spezifische Positionen im Topmanagementteam In den letzten Jahren hat sich auch die betriebswirtschaftliche Forschung der Thematik angenommen. So hat sich eine Literatur zu Fragestellungen einzelner TMT-Mitglieder neben dem CEO entwickelt. Der Fokus dieser Arbeiten ist auf Fragestellungen, welche Faktoren (z.B. Industrie oder Organisation) die Präsenz eines spezifischen Executives bedingen, welche Rollen und Charakteristika dieser
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aufweist und ob er für den Unternehmenserfolg relevant ist, gerichtet. Beispiele sind Studien zum Chief Financial Officer (CFO) (Zorn 2004), Chief Knowledge Officer (CKO) (Earl u. Scott 1999), Chief Operating Officer (COO) (Hambrick u. Cannella 2004; Zhang 2006), Chief Marketing Officer (CMO) (Kerin 2005; Nath u. Mahajan 2008) und Chief Technology Officer (CTO) (Medcof 2008). Zorn (2004) konnte beispielsweise nachweisen, dass das Aufkommen der CFO-Position in US-amerikanischen Unternehmen zwischen 1963 und 2000 eine Folge der abrupten Umweltveränderung war. So führte eine Überarbeitung und Erweiterung der bestehenden Rechnungslegungsvorschriften im Jahr 1979 zu einem Nachfrageanstieg nach CFOs in den darauffolgenden Jahren. Auch das Zusammenspiel zwischen einem spezialisierten Executive und dem CEO oder dem restlichen TMT war Gegenstand der Forschung. Hambrick und Cannella (2004) untersuchten etwa, inwiefern außerordentliche Aufgabenanforderungen, Charakteristika des CEO oder der Diversifizierungsgrad des Unternehmens die Präsenz eines COO bestimmen. Weiter zeigten Nath und Mahajan (2008), dass die Zusammensetzung des TMT einen Einfluss auf die Präsenz eines CMO hat.
2.2 Chief Strategy Officer Neben Studien zu den zuvor genannten TMT-Mitgliedern, hat sich ein Forschungsstrang zum CSO entwickelt. Obwohl Porter bereits 1985 einen Chief Strategic Officer im Zusammenhang mit der Wettbewerbsstrategie von Unternehmen erwähnte, hat diese Positionen erst vor Kurzem vermehrte Aufmerksamkeit erhalten. Dieser aufkommende Forschungsstrang reflektiert die immer größere Wichtigkeit eines CSO für viele Unternehmen. Zunehmende Unsicherheit, Umweltdynamik und die Komplexität großer, horizontal und/oder international diversifizierter Unternehmen führte im vergangenen Jahrzehnt zu einer größeren Notwendigkeit für einen „Mini-CEO“, der sich ausschließlich auf die Unternehmensstrategie fokussiert. Tabelle 1 illustriert die bisherigen Studien zum CSO in chronologischer Reihenfolge. Sie beinhaltet die einzelnen Beiträge mit ihren jeweiligen Schwerpunkten, Methodiken und wesentlichen Ergebnissen. Die erste Publikation zum CSO ist Delmar (2003) zuzuschreiben. Er beschäftigte sich überwiegend mit der Verbreitung und Rolle des CSO. So fand er heraus, dass die zunehmende Verbreitung des CSO ein branchenübergreifendes Phänomen ist. Prominente Unternehmen wie z.B. Sun, Sapient, BBDO, McCann-Erickson Worldwide, Cadbury Schweppes, Charles Schwab, Campbell Soup und Morgan Stanley haben allesamt einen CSO. Delmars Erkenntnissen zufolge ist die Rolle des CSO je nach Unternehmen zwar sehr unterschiedlich, jedoch lassen sich, wie weiter unten genauer beschrieben, auch gemeinsame Aufgaben identifizieren. In einem prominenten Artikel im Harvard Business Review fassten Breene und Kollegen (2007) ihre Forschungsergebnisse zusammen. Zur Erstellung eines Rollenprofils befragten die Autoren rund 200 US-Executives, die sich selbst als CSOs bezeichnen. Ihre Analyse ergab, dass CSOs sich nicht als Strategen per Definition, sondern als „doers first, with mandate, credentials, and desire to act as well as advise“ (S. 86) verstehen. Ihre Untersuchung verdeutlicht die
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Komplexität der Rolle des CSO. Während der CSO (gemeinsam mit dem CEO) auch in die Strategieformulierung involviert ist, soll den Ergebnissen zufolge der Aufgabenschwerpunkt auf der Implementierung von Strategien liegen. Dies äußert sich z.B. in ihrer prominenten Rolle bei der Gestaltung von organisationalem Wandel. Tabelle 1: Forschung zum CSO in chronologischer Reihenfolge (Quelle: Eigene Darstellung) Studie
Fokus
Methodik
Wesentliche Ergebnisse
Delmar 2003
Verbreitung und Rolle des CSO
Illustrative Fallbeispiele
CSOs haben sich im letzen Jahrzehnt stark verbreitet; die Rolle ist je nach Unternehmen sehr unterschiedlich.
Breene et al. 2007
Rolle des CSO
Befragung von 200 US-Unternehmen und Analyse von Pressemeldungen (deskriptiv)
Die Rolle des CSO besteht zwar auch aus Strategieformulierung, jedoch hauptsächlich aus -implementierung. Speziell sind das Commitment zur Strategie und die Durchsetzung von Entscheidungen zur organisationalen Veränderung wichtig.
Dye 2008
Rolle und Heraus- Roundtableforderungen des Diskussion mit CSO sechs CSOs
Die Rolle des CSO ist sehr divers und kontextspezifisch. Strategieimplementierung steht im Vordergrund. Es besteht die Herausforderung, kurz- und langfristige Ziele zu berücksichtigen.
Paroutis u. Rolle, Aktivitäten 32 Interviews mit Angwin 2008; und Fähigkeiten CSOs und illustraAngwin, des CSO tive Fallbeispiele Paroutis et al. 2009
Die Rolle des CSO besteht aus Strategieformulierung und -implementierung. Erforderliche Fähigkeiten sind technischer/analytischer Natur sowie im Bereich der Interaktion/Kommunikation.
Menz u. Collischonn 2009
Charakteristika und Erfolgswirkung des CSO
Quantitative Studie von Unternehmen im S&P 500-Index
CSO-Präsenz ist nicht für alle Unternehmen positiv; insbesondere breit diversifizierte Unternehmen profitieren von einem CSO. Unternehmensspezifische Erfahrung hat einen positiven Einfluss auf den Erfolg eines CSO.
Powell u. Angwin 2009
Rolle und Fähigkeiten des CSO
20 Interviews und 2 Fallstudien mit FTSE100-Firmen
Die Rolle des CSO ist sehr divers. Unterschiedliche CSO-Typen existieren und lassen sich hinsichtlich des Umfangs der Strategiearbeit und der jeweiligen Fähigkeiten unterscheiden.
Des Weiteren publizierte Dye (2008) seine Ergebnisse eines Roundtable-Gesprächs mit sechs CSOs im McKinsey Quarterly. Fokus der Diskussion bildeten Rolle und Herausforderungen des CSO. Interessanterweise hatte keiner der anwesenden Executives den Titel Chief Strategy Officer. Die vielen synonym verwendeten Titel reflektieren einerseits die unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkte je nach Unternehmen; andererseits geben sie aber auch einen ersten Aufschluss darüber, dass Gemeinsamkeiten in den Rollendefinitionen existieren.
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Einen wesentlichen Beitrag zur bisher noch spärlichen CSO-Literatur leistete eine Gruppe von Forschern an der Warwick Business School in Großbritannien (Paroutis u. Angwin 2008; Angwin, Paroutis et al. 2009; Powell u. Angwin 2009). Eine qualitative Studie von CSOs wurde in 2008 mit dem „Best Conference Paper Prize for Practice Implications“ der jährlichen Strategic Managment Society-Konferenz ausgezeichnet. Diese Auszeichnung sowie der auf Basis des Konferenzbeitrags entstandene und im California Management Review kürzlich publizierte Artikel bestätigen die hohe Relevanz der CSO-Forschung. Eine weitere (longitudinale) Untersuchung von Powell und Angwin (2009) befasste sich mit unterschiedlichen Rollen des CSO vor dem Hintergrund unterschiedlicher Fähigkeiten dieser Executives und identifizierte vier CSO-Typen. Neben den zuvor beschriebenen Beiträgen gibt es mittlerweile auch eine quantitative Studie, die sich mit der Erfolgswirkung des CSO auseinandersetzt (Menz u. Collischonn 2009). Die Autoren zeigen, welche Erfahrungen eines CSO vorteilhaft sind sowie ob und wie sich die Erfolgswirkung des CSO je nach Unternehmensspezifika unterscheidet. In diesem Beitrag wird auf einige der deskriptiven Ergebnisse sowie auf Erkenntnisse dieser Studie zurückgegriffen. Zusammenfassend lässt der Literaturüberblick folgende Schlüsse zu. Es handelt sich bei der Forschung zum CSO um eine sehr junge Richtung innerhalb der TMT-Literatur. Die Forschung ist insgesamt sehr praxisorientiert (und praxisrelevant). Dies äußert sich in der vielfach geringen oder gar nicht vorhandenen theoretischen Fundierung der Beiträge oder aber in sehr praxisnahen Theorierichtungen, wie z.B. der vergleichsweise neuen Strategy-as-Practice-Perspektive (Angwin, Paroutis et al. 2009). Zudem spiegelt die überwiegend qualitative Methodik, z.B. mit illustrativen Fallstudien, dies wider. Darüber hinaus gibt es in der Literatur eine Tendenz, ausschließlich die Rolle des CSO, nicht aber andere wichtige Aspekte wie etwa Charakteristika und Kontext, zu untersuchen.
3 Integriertes Modell des Chief Strategy Officer Ein erstes integriertes Modell des CSO fördert eine ganzheitliche Sichtweise auf die noch neue CSO-Position (vgl. Abb. 2). Es führt mit der Berücksichtigung von Rolle, Charakteristika, Kontext und Nutzen des CSO die fragmentierten Erkenntnisse bisheriger Forschung in kohärenter Weise zusammen und bietet so die Möglichkeit, einen Überblick über den derzeitigen Wissensstand zum CSO zu erhalten. Des Weiteren sollen damit Anregungen für zukünftige Forschung gewonnen werden. Das Modell ist auch Praktikern dienlich. So bietet die Integration der einzelnen Aspekte des CSO unter Berücksichtigung des Kontexts eine Entscheidungsgrundlage dafür, ob und wann ein CSO für das Unternehmen sinnvoll ist, wie sein Rollenprofil definiert werden sollte und welche Charakteristika und Fähigkeiten für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung notwendig sind.
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Kontext TMT Organisation Umwelt
Rolle Definition Aufgaben Position
Nutzen des CSO
Charakteristika Fähigkeiten Erfahrungen
Abbildung 2: Integriertes Modell des CSO (Quelle: Eigene Darstellung)
3.1 Rolle Im Gegensatz zu anderen spezialisierten TMT-Mitgliedern ist die Rolle des CSO wesentlich breiter hinsichtlich des Aufgabenspektrums gefasst und daher schwieriger zu definieren (Delmar 2003; Breene, Nunes et al. 2007; Dye 2008; Angwin, Paroutis et al. 2009). Die Schwierigkeit einer einheitlichen Definition des CSO wird auch durch die immense Titelvielfalt verdeutlicht. Während es für CFOs oder COOs in den meisten Fällen nur jeweils eine feststehende Bezeichnung gibt, existieren für die Position des CSO viele Synonyme, die oft nicht einmal die Bezeichnung „Strategy“ beinhalten. In US-amerikanischen Unternehmen etwa sind neben CSO die folgenden Titel anzutreffen: Chief Development Officer; Executive Vice President (EVP)/Senior Vice President (SVP)/Vice President (VP) Acquisitions, Business Development, Consumer Strategy and Innovation, Corporate Development, Corporate Planning, Corporate Strategy, Development, Global Market Strategy and Emerging Markets, Mergers & Acquisitions (M&A), Planning, Strategic Development, Strategic Initiatives, Strategic Planning, Strategy; Head of Firm Strategy. Schon die unterschiedlichen Titel verdeutlichen, dass sich die Rolle des CSO je nach Unternehmen unterscheidet. Während der Aufgabenbereich einiger CSOs sich auf einige bestimmte Strategieaspekte, z.B. Mergers & Acquisitions (M&A) oder strategische Initiativen, beschränkt, ist er in anderen Fällen, etwa beim Head of Firm Strategy, sehr breit gefasst. Diese Titelvielfalt wird auch noch durch
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unterschiedliche Bezeichnungen der jeweiligen Stellung bzw. Hierarchieebene des CSO im Unternehmen vergrößert (z.B. Chief Strategy Officer, EVP/SVP/VP Strategy oder Head of Strategy). Wie weiter unten dargestellt, reflektieren diese Bezeichnungen auch die möglichen Positionen des CSO. Die unterschiedlichen Begriffe des CSO lassen schon vermuten, dass die Aufgaben eines CSO sehr divers sind. CSOs haben nicht nur je nach Unternehmen unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte, sondern müssen vielfach sehr viele strategische Aufgaben erfüllen. Die Rolle eines CSO variiert hinsichtlich Breite an unterschiedlichen Aufgaben und Tiefe der Aufgabenbereiche (Angwin, Paroutis et al. 2009). Während bei anderen Topmanagern die Breite der Aufgaben meistens auf wenige fachspezifische Funktionen limitiert ist, sind beim CSO viele, oftmals wenig verwandte Themen, z.B. M&A, internationale Expansion oder Innovation, unterschiedliche Facetten der Rolle. Auch hinsichtlich der „Tiefe“ des Aufgabenbereichs gibt es Unterschiede, z.B. inwiefern ein CSO Einfluss auf die unterschiedlichen Strategien der Geschäftsbereiche nimmt. Die Unterscheidung der Strategiearbeit im Unternehmen zwischen ihrem Bezug auf einzelne Bereiche (Business Strategy) oder auf das Gesamtunternehmen (Corporate Strategy) hilft, die Aufgaben eines CSO zu illustrieren. So sind starke Variationen der Aufgaben je nach Fokus der Tätigkeit festzustellen. Corporate Strategy-Themen, wie z.B. das Management des Geschäftsportfolios durch Akquisitionen und Desinvestitionen, sowie Allianzen und strategische Initiativen, gehören in den meisten Fällen zu den Aufgaben eines CSO. Häufig schließt die Rolle jedoch auch die Strategien der Geschäftsbereiche mit ein. Ein ehemaliger CSO der Siemens AG sieht die folgenden drei inhaltlichen Schwerpunkte in seiner früheren Tätigkeit: Portfolio-Management, Corporate Initiativen und die Strategien der einzelnen Geschäftsbereiche. Interessanterweise gibt er an, dass die bereichsbezogene Strategiearbeit, die in enger Interaktion mit den jeweiligen Strategiereferenten und den Bereichsvorständen erfolgt, den weitaus größten Teil seiner Tätigkeit ausmachte. Des Weiteren kann die differenzierte Berücksichtigung unterschiedlicher Phasen des Strategieprozesses einen detaillierten Einblick in die Tätigkeiten eines CSO geben. Während CSOs in der Regel in die Definition und Formulierung der Strategie des Unternehmens vollumfänglich involviert sind, unterscheidet sich der Grad der Einbindung in die Strategieimplementierung bzw. -umsetzung (Breene, Nunes et al. 2007; Angwin, Paroutis et al. 2009). Zwar ist in nahezu allen Fällen der CSO in die Implementierung allgemein involviert, z.B. in das Management von strategischen Initiativen, jedoch kann das Engagement vom Monitoring oder Controlling der Initiativen bis hin zur aktiven Mitarbeit in einzelnen Projekten reichen. Insgesamt sind die Aufgaben eines CSO als komplex und weitaus dynamischer als bei anderen Topmanagern zu charakterisieren. Neben der Vielzahl an möglichen Aufgaben können neue Schwerpunkte sehr schnell aufkommen und andere in den Hintergrund treten. Als im Jahr 2007 das Schweizer Telekommunikationsunternehmen Swisscom AG den italienischen Internetprovider Fastweb übernahm, wurde der CSO fast vollständig von der Akquisition und insbesondere der darauffolgenden Integration eingenommen.
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Die Rolle des CSO kann auch allgemein als multipler Balance-Akt verstanden werden. Zusätzlich zur Abwägung zwischen Corporate und Business Strategy sowie Strategieformulierung und -implementierung erfordert die Rolle, dass kurzfristig dringende Themen Berücksichtigung finden, ohne aber die langfristige Dimension der Unternehmensstrategie aus den Augen zu verlieren. Vielfach wird auch die „Brückenfunktion“ des CSO betont (Angwin, Paroutis et al. 2009). Er ist beispielsweise gefordert, zwischen Konzernzentrale (Corporate Center) und Geschäftsbereichen zu vermitteln, im TMT getroffene, strategische Entscheidungen den Mitarbeitern zu kommunizieren, die Implementierung neuer Strategien sicherzustellen oder die Integration neu erworbener Geschäftsbereiche zu fördern. CSO als Mitglied des TMT (z.B. Vorstand) CEO
COO
CFO
CMO
CLO
CCO
CMO
CCO
CSO
CSO berichtet an CEO und ein funktionales TMT-Mitglied CEO
COO
CFO
CSO
CSO als persönlicher Berater des CEO CEO
COO
CFO
CSO
CMO
CCO
Abbildung 3: Rolle des CSO (Quelle: In Anlehnung an Angwin et al. 2009)
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Je nachdem, welche Aufgaben ein CSO wahrnehmen soll bzw. was seine Rolle innerhalb des Unternehmens ist, sind verschiedene Positionen zu beobachten. Wie in Abbildung 3 dargestellt, berichtet der CSO primär an den CEO, in manchen Fällen zusätzlich an ein anderes fachspezifisches TMT-Mitglied (Angwin, Paroutis et al. 2009). Im ersten Fall ist der CSO Mitglied des TMT. Dieser Typ CSO verfügt oft über langjährige Industrieerfahrung und nicht selten auch Linienerfahrung im Unternehmen. Beispiel im deutschsprachigen Raum ist der CSO der Swisscom AG. Im zweiten Fall ist der CSO formell nicht Teil des TMT und berichtet zusätzlich zum CEO an einen fachspezifischen Executive, z.B. einen Chief Commercial Officer (CCO). Häufig sind ehemalige Berater in dieser Position zu finden, die insbesondere ihre analytischen Fähigkeiten einbringen. Schließlich ist in vielen Unternehmen der CSO Berater oder gar rechte Hand des CEO. Dies kann einerseits eine unternehmensexterne Persönlichkeit mit umfassender Industrieerfahrung, z.B. ein ehemaliger Partner einer Managementberatung, sein. Andererseits sind auch Senior Manager mit langjähriger Unternehmenszugehörigkeit und Linienerfahrung in dieser Position anzutreffen. Dies ist z.B. bei der Siemens AG der Fall. Ein Blick auf weitere CSO-Beispiele im deutschsprachigen Raum zeigt allerdings, dass insbesondere im dritten Fall auch häufig jüngere ehemalige Berater mit vergleichsweise geringer unternehmensspezifischer Erfahrung diese Rolle wahrnehmen, wie etwa in Deutschland bei der Sixt AG. Daher sind die in Abbildung 3 dargestellten Konstellationen auch nur als Beispiele häufig anzutreffender Rollen zu verstehen. In der Praxis existieren darüber hinaus noch weitere. Auch sind die Rollen nicht so eindeutig abgrenzbar, sondern überschneiden sich vielfach. Charakteristisch für alle CSOs ist, dass sie im Gegensatz zu anderen Topmanagern über wenige direkte Mitarbeiter, sondern oftmals nur über kleine Teams von zwei bis drei Strategiespezialisten verfügen. In manchen Fällen leiten sie beispielsweise die zentrale Strategieabteilung bzw. das sog. zentrale Office of Strategy Management (Kaplan u. Norton 2005). Insbesondere CSOs als TMT-Mitglieder unterscheiden sich hier stark von anderen Topmanagern, z.B. Divisionsleitern, deren Position auch oft über die Anzahl der ihnen unterstellten Mitarbeiter definiert ist.
3.2 Charakteristika Allgemein sollte ein CSO in der Lage sein, mit unterschiedlichen Akteuren innerhalb und außerhalb des Unternehmens zusammenzuarbeiten und diese zu beeinflussen. Breene und Kollegen (2007) fassen die Anforderungen an eine solche Position prägnant zusammen: Ein CSO sollte „practical and analytical as well as visionary” (S. 91) sein. Dieses Profil gibt auch einen ersten Aufschluss darüber, welche Fähigkeiten ein CSO besitzen muss. So identifizieren beispielsweise Paroutis und Angwin (2008) drei unterschiedliche Arten von Fähigkeiten: technische bzw. analytische Fähigkeiten, kommunikative Fähigkeiten sowie politische Fähigkeiten. Technische Fähigkeiten beziehen sich überwiegend auf die strategischen Kompetenzen eines CSO. So sollte er über Kenntnisse der gängigen
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Strategietools und -techniken, z.B. eine SWOT-Analyse oder eine Balanced Scorecard, verfügen. Auch analytische Fähigkeiten erscheinen vor dem Hintergrund der komplexen strategischen Fragestellungen, die ein CSO typischerweise behandelt, unabdingbar. Des Weiteren sind stark ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten nötig. Ein CSO sollte in der Lage sein, die Strategie des Unternehmens zu implementieren bzw. umzusetzen. Hierbei ist es vorteilhaft, mit Mitarbeitern und externen Partnern effektiv kommunizieren zu können. Schließlich sind auch politische Fähigkeiten nötig, insbesondere um eine vorgeschlagene Strategie in entsprechenden Entscheidungsgremien durchzusetzen sowie zur Implementierung der Strategie, z.B. in unterschiedlichen operativen Geschäftsbereichen. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten basiert in der Regel auf den individuellen Erfahrungen und dem persönlichen Hintergrund des CSO. Der bisherigen Literatur und aktuellen Forschungsergebnissen (Menz u. Collischonn 2009) folgend, spielen insbesondere Ausbildung, Berufserfahrung und firmenspezifische Erfahrung eine wichtige Rolle beim Aufbau der o.g. Fähigkeiten und somit bei der erfolgreichen Bewältigung der Aufgaben als CSO. Die Forschung zu TMTs zeigt, dass sich der Grad an Bildung positiv auf die Informationsverarbeitungsfähigkeit, Sozialisierung, Offenheit für Innovationen und Veränderung sowie die Fähigkeit, hohe Komplexität bewältigen zu können, auswirkt (Wiersema u. Bantel 1992; Rajagopalan u. Datta 1996; Fondas u. Wiersema 1997; Datta u. Rajagopalan 1998). Da die Rolle eines CSO in der Regel durch vergleichsweise hohe Komplexität gekennzeichnet ist, sollten Executives, die diese Position anstreben, über ein entsprechendes Ausbildungsniveau verfügen. Dies wird auch durch aktuelle empirische Daten bestätigt: Nahezu alle CSOs der S&P 500-Unternehmen haben einen Hochschulabschluss. Neben dem Ausbildungsniveau erscheint auch die Studiendisziplin entscheidend. So ist eine Managementausbildung (oder auch umfassende Weiterbildung) hilfreich, um analytische Techniken und Tools zur Entscheidungsfindung anzuwenden und die Organisation zu verstehen (Goll u. Rasheed 2005). Nicht sonderlich überraschend ist daher, dass rund 47% aller CSOs in S&P 500-Firmen einen MBA-Abschluss haben. Werden auch andere Abschlüsse berücksichtigt, so hat weit über die Hälfte aller CSOs ein Studium mit wirtschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt absolviert. Des Weiteren ist die Berufserfahrung eines CSO wichtig für die erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit. Vor allem die Erfahrung in bestimmten Funktionsbereichen hat einen Einfluss auf kognitive Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen von Topmanagern (Hambrick u. Mason 1984). Für die Position des CSO sind daher strategiebezogene Erfahrungen wichtig. Diese können in der Regel entweder in einer (unternehmensexternen oder -internen) Managementberatung oder aber bei einer anderen Tätigkeit mit Strategiefokus im Unternehmen, z.B. in der Unternehmensentwicklung, erworben werden. Einerseits waren viele CSOs zu einem früheren Zeitpunkt ihrer Karriere für eine Managementberatung tätig (Delmar 2003). Häufig werden CSOs sogar direkt von Beratungsfirmen wie etwa Bain & Company, The Boston Consulting Group oder McKinsey & Company rekrutiert. Beispielsweise ist im Fall der Swisscom AG der aktuelle CSO zuvor bereits als Partner auf einem Beratungsmandat von The Boston Consulting Group
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für das Unternehmen tätig gewesen. Ergebnisse einer Analyse der S&P 500-Firmen zeigen, dass über 22% aller CSOs direkt von einer Managementberatung in ihre Position gekommen sind. Von den Topmanagern, die für die CSO-Position neu in das Unternehmen gekommen sind, war dies sogar fast die Hälfte. Andererseits eigneten sich CSOs ihre Strategiekenntnisse über Tätigkeiten in strategiebezogenen Bereichen im Unternehmen an. Auffallend viele CSOs waren zuvor in der Unternehmensentwicklung oder in leitender Funktion in einem operativen Geschäftsbereich des Unternehmens tätig. Während sich die Ausbildung und Berufserfahrung insbesondere auf die analytischen bzw. technischen Fähigkeiten eines CSO beziehen, sind kommunikative und vor allem politische Fähigkeiten vielfach auch abhängig davon, in welchem Umfang ein CSO Arbeitserfahrung in dem jeweiligen Unternehmen aufweist. Einerseits kann Erfahrung innerhalb des Unternehmens für das Verständnis der spezifischen Unternehmenskultur und -politik förderlich sein und die Kommunikation mit anderen Mitarbeitern erleichtern (Fondas u. Wiersema 1997). Auch wird mit höherer Dauer der Unternehmenszugehörigkeit vielfach ein größeres soziales Netzwerk innerhalb des Unternehmens assoziiert (Shen u. Cannella 2002). Die Besetzung der CSO-Position mit internen Kandidaten kann daher auch die Einarbeitung und Aneignung neuer aufgabenspezifischer Fähigkeiten erleichtern. Andererseits können externe Kandidaten sinnvoll sein, wenn ein Unternehmen vor großen Veränderungen steht oder politische „Seilschaften“ innerhalb der Organisation verhindert werden sollen. Lange Unternehmenszugehörigkeit wirkt sich vielfach negativ auf die Veränderungsbereitschaft im Unternehmen aus, da die entsprechenden Akteure an etablierten Verhaltensweisen festhalten (Finkelstein u. Hambrick 1996). Untersuchungen in S&P 500-Unternehmen zufolge sind rund 45% aller CSOs weniger als zwei Jahre vor Antritt der CSO-Position in das Unternehmen als Mitarbeiter eingetreten (Menz u. Collischonn 2009). Von diesem Anteil sind viele allerdings häufig als Berater bereits vorher für das jeweilige Unternehmen tätig gewesen und verfügen zumindest teilweise über eine de facto höhere unternehmensspezifische Erfahrung. Abschließend lässt sich festhalten, dass aufgrund der Vielfältigkeit der Aufgaben eines CSOs auch die Anforderungen sehr weitreichend sind. Im Vergleich zu rein funktionalen Führungskräften, wie z.B. einem Chief Legal Officer (CLO), sind die benötigten Fähigkeiten umfassender und beziehen sich auf unterschiedliche Erfahrungen. Daher ist es für Unternehmen vielfach sehr schwierig, einen Topmanager zu finden, der einen solchen Mix an Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringt (Breene, Nunes et al. 2007; Paroutis u. Angwin 2008).
3.3 Kontext Sowohl Rolle als auch Charakteristika des CSO variieren je nach Kontext des Unternehmens. Hierbei sind vor allem der Einfluss des TMT (CEO, andere funktionsbezogene TMT-Mitglieder, TMT allgemein), der Organisation (Größe, Diver sifizierungsgrad) und der externen Umwelt (Branche, Land) zu unterscheiden.
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Beim Zusammenspiel mit dem TMT ist zunächst der CEO dafür entscheidend, welche Rolle der CSO ausübt und welche (komplementären) Fähigkeiten er mitbringen muss. In den meisten Unternehmen wird trotz CSO-Präsenz davon ausgegangen, dass der CEO letztendlich für die Unternehmensstrategie verantwortlich ist. Jedoch soll ein CSO zusätzliche, zu denen des CEO komplementäre Fähigkeiten mitbringen, etwa im Bereich der Strategieimplementierung (Dye 2008). So dienen auch Ausbildung und Erfahrung eines CSO vielfach zur Ergänzung der Fähigkeiten des CEO. Darüber hinaus ist das Zusammenspiel des CSO mit anderen funktionsbezogenen TMT-Mitgliedern zu berücksichtigen. In vielen Unternehmen hat der CFO auch strategiebezogene Aufgaben, und die Schaffung einer CSO-Position kann zu unterschiedlichen Ansichten bzw. im positiven Sinne zu Creative Tension führen (Breene, Nunes et al. 2008, S. 7). Zudem spielt der Fit des CSO mit dem restlichen TMT allgemein eine wichtige Rolle. Nach Aussage des CSO eines großen deutschen Industriekonzerns sieht sich in seinem Unternehmen fast jedes Vorstandsmitglied auch als Strategieexperte, was die Entscheidungsfindung teils erheblich erschwert. Die Berücksichtigung von unterschiedlichen Charakteristika der einzelnen TMT-Mitglieder sollte einen Einfluss auf die Besetzung der CSO-Position haben. So kann für ein TMT mit hoher Unternehmenszugehörigkeit ein CSO, der von außerhalb neu in das Unternehmen eintritt, vorteilhaft sein. In diesem Fall kann das Unternehmen z.B. von neuen Perspektiven und einer oft höheren Veränderungsbereitschaft, als dies oft bei langjährigen TMT-Mitgliedern der Fall ist, profitieren. Ein weiterer wichtiger Kontextfaktor ist die Organisation, für die ein CSO tätig ist. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge ist das Vorhandensein eines CSO bisher vor allem in großen, komplexen Unternehmen zu beobachten (Menz u. Collischonn 2009). Daraus kann der Rückschluss gezogen werden, dass das Erfordernis, einen solchen spezialisierten Executive zu haben, eine Funktion der Komplexität der Unternehmensführung ist. Kurz gesagt, in solchen Organisationen benötigt der CEO Unterstützung, während er in kleineren Unternehmen auch selbst die Rolle des CSO wahrnehmen kann. Darüber hinaus ist das Geschäftsportfolio des Unternehmens für die Gestaltung der Aufgaben und den dafür nötigen Fähigkeiten des CSO entscheidend. CSOs sollten enge Verbindungen zu den einzelnen Geschäftsbereichen pflegen (Dye 2008), insbesondere dann, wenn sie auch Einfluss auf die jeweilige Geschäftsstrategie nehmen möchten, oder wenn sie die Implementierung von Strategien zur geschäftsbereichsübergreifenden Zusammenarbeit, etwa zur Realisierung von Synergien, beabsichtigen. CSOs nehmen daher auch häufig Einfluss auf die Besetzung von Schlüsselpositionen in den operativen Geschäftsbereichen. Unterschiedliche Geschäftsmodelle auf Gesamtunternehmensebene und damit einhergehende Managementstile sowie Portfolios mit Geschäftsbereichen mit unterschiedlichem Verwandtheitsgrad zueinander erfordern auch unterschiedliche Typen von CSOs. Interessanterweise sind z.B. in großen Unternehmen mit vergleichsweise hohem Diversifizierungsgrad vor allem CSOs mit Erfahrung in Managementberatungen anzutreffen (Menz u. Collischonn 2009).
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Schließlich hat die Umwelt des Unternehmens einen Einfluss auf die Rolle und nötigen Fähigkeiten des CSO. Je nach Branche unterscheidet sich nicht nur der Grad an Umweltdynamik, sondern auch welche Geschäftsmodelle sich als wettbewerbsfähig erweisen. Die Rolle des CSO sollte daher auch auf die Branche abgestimmt sein. Darüber hinaus gibt es auch Unterschiede in der Rolle eines CSO je nach Region, in der das Unternehmen angesiedelt ist. Angwin und Kollegen (2009) verglichen etwa die Rolle von CSOs in den USA mit derjenigen von sog. Senior Strategy Directors (SSDs) in Großbritannien. Ihrer Forschung zufolge unterscheiden sich die Aufgaben hinsichtlich der Eingebundenheit in die jeweiligen operativen Geschäftsbereiche, der Involvierung in die Strategieimplementierung, der Art der Machtausübung und der Karrierepfade nach der CSO-Position. Beispielsweise ist die Rolle in der Strategieimplementierung von SSDs in britischen Unternehmen tiefgehender, bis hin zur Involvierung in Einzelprojekte, während in US-Unternehmen die Aufgabe vor allem im Implementierungs-Monitoring gesehen wird. Auch wird in Großbritannien der SSD nicht als möglicher Nachfolger des CEO gesehen. Im Gegensatz dazu gelten Studien zufolge CSOs in den USA als „CEOs in Wartestellung“ (Breene, Nunes et al. 2007; Angwin, Paroutis et al. 2009, S. 89).
3.4 Nutzen Häufig wurde in der Vergangenheit argumentiert und auch empirisch nachgewiesen, dass einzelne TMT-Mitglieder oder das TMT insgesamt einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben (z.B. Castanias u. Helfat 1991; Finkelstein u. Hambrick 1996). Auch bisherige Forschung zu CSOs geht (in manchen Fällen zumindest implizit) davon aus, dass ein CSO einen ökonomischen Nutzen für das jeweilige Unternehmen mit sich bringt. Breene und Kollegen (2007) etwa befinden, dass es „clear short-, medium-, and long-term benefits for companies that name strategy chiefs” (S. 92) gibt. CSOs sollen die strategische Entscheidungsfindung im Unternehmen verbessern und beschleunigen. Zudem soll durch sie die Qualität sowohl der formulierten Strategien als auch deren Implementierung gesteigert werden. Schließlich kann mit einem CSO häufig die Nachfolge des CEO effektiv geplant und geregelt werden. Die sog. „Two Heads are Better“-Theorie (Heenan u. Bennis 1999; Hambrick u. Cannella 2004) bietet eine weitere Erklärung, warum CSOs sinnvoll sein können. So kann die Präsenz eines CSO den CEO entlasten und ihm beispielsweise mehr Zeit für die Weiterentwicklung der Unternehmensvision verschaffen. All diesen Argumenten zum Trotz konnte bisher kein Zusammenhang zwischen der Präsenz eines CSO und dem Unternehmenserfolg nachgewiesen werden (Menz u. Collischonn 2009). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der CSO immer nutzlos für das Unternehmen ist. Vielmehr sollte der CSO zum Unternehmen „passen“. Dem zuvor vorgestellten Modell folgend, ist die Abstimmung von Rolle, Charakteristika und Kontext nötig. Forschung zu anderen TMT-Mitgliedern bestätigt, dass der Fit zwischen diesen und dem CEO oder dem restlichen TMT entscheidend ist
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Markus Menz, Isabel Collischonn
(Hambrick u. Cannella 2004; Marcel 2009). Zudem scheinen Unternehmen mit bestimmten Charakteristika mehr von CSOs zu profitieren als andere. Eine aktuelle Studie zeigt beispielsweise, dass besonders Unternehmen mit breit diversifizierten Portfolios von CSOs mit einem Tätigkeitsfokus auf Corporate Strategy profitieren (Menz u. Collischonn 2009). Dies bedeutet, dass nicht jeder auf den ersten Blick für die CSO-Position qualifizierte Manager auch wirklich für das jeweilige Unternehmen geeignet ist und einen nachhaltigen Nutzen mit sich bringt. Vielmehr müssen eine Vielzahl von Faktoren bei der Besetzung berücksichtigt werden. Sind Rolle, Charakteristika und Kontext des CSO aufeinander abgestimmt, kann das Unternehmen von gesteigerter Strategiekompetenz profitieren und aus dieser neuen Position ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil resultieren.
4 Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag stellte den CSO als neue Position in vielen Unternehmen vor. Unter Berücksichtigung der kaum vorhandenen Literatur sowie einer aktuellen Studie über die Verbreitung und Charakteristika des CSO in S&P 500-Unternehmen führte der Beitrag die bisherigen Erkenntnisse in einem konzeptionellen Modell zusammen. Gesamthaft betrachtet zeigt der Beitrag, dass nicht etwa das Vorhandensein eines CSO per se, sondern das Zusammenspiel bzw. der Fit von Rolle, Charakteristika und Kontext ausschlaggebend dafür ist, dass ein Unternehmen von diesem Executive profitiert. Für die Managementpraxis bedeutet dies, dass die entscheidende Frage in den meisten Fällen nicht die sein sollte, ob ein CSO überhaupt sinnvoll ist, sondern vielmehr, welcher Typ CSO zum spezifischen Unternehmenskontext „passt“, wie das entsprechende Rollenprofil definiert werden sollte und welche Charakteristika und Fähigkeiten für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung notwendig sind. Die im vorliegenden Beitrag vorgestellten Faktoren sollten daher bei der Besetzung der Position berücksichtigt werden. Auch sollte mehr Aufmerksamkeit der Ausbildung von Strategieexperten in Unternehmen zuteil werden. Auffällig ist, dass diese Kompetenz häufig extern, z.B. ein CSO mit Beratungshintergrund, „hinzugekauft“ wird. Während Unternehmen die Aus- und Weiterbildung von Management in anderen fachspezifischen Bereichen fördern, fehlt es vielfach an der Entwicklung von Strategiekompetenz. Wie auch die immer noch im Vergleich zu anderen fachspezifischen Topmanagern geringe Verbreitung (und damit Etablierung) des CSO zeigt, wird die Wichtigkeit dieser Position häufig noch unterschätzt. Für Unternehmen bietet dieser Missstand die Möglichkeit, sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. Da der CSO in Unternehmen häufig auch als potenzieller Nachfolger des CEO gilt, sollte dieser Position vermehrte Aufmerksamkeit im Rahmen der Nachfolgeregelung geschenkt werden. Während das vorgestellte CSO-Modell wesentliche Einflussfaktoren auf den Nutzen eines CSO integriert und so dem Praktiker eine wichtige Orientierungsund Entscheidungshilfe bietet, zeigt es auch, dass einige dieser Aspekte, insbesondere die Untersuchung der Erfolgswirkung eines CSO, in der bisherigen For-
Der Chief Strategy Officer: Ein Chief für alle Fälle?
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schung wenig berücksichtigt wurden. Zudem beschränkt sich das vorgestellte Modell auf einen Gesamtüberblick über die neue Position des CSO, vernachlässigt dabei aber teilweise eine genauere Untersuchung einzelner Aspekte. Der Beitrag gibt jedoch weitere Anhaltspunkte dafür, dass spezifische CSO-Typen existieren, die sich je nach Unternehmen unterscheiden. Genauere Untersuchungen und die Entwicklung von CSO-Typologien können hier das Verständnis der CSOPosition fördern. Da sich aktuellen Untersuchungen zufolge die Position des CSO in Zukunft weiterhin stark verbreiten wird, kann zukünftige Forschung in diesem Bereich einen wertvollen Beitrag mit hoher praktischer Relevanz liefern.
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Die Übergabe des Staffelstabs: Auslöser, Eigenschaften und Implikationen von CEO-Wechseln Sven Kunisch, Julian Weber
Wechsel an der Spitze von Unternehmen lösen vielfach große Faszination aus. Für die Unternehmen selbst, aber auch für die Beteiligten steht oft viel auf dem Spiel. Wachablösungen an Unternehmensspitzen markieren Scheidewege zwischen Kontinuität und Veränderung. Sie eröffnen neue strategische und organisatorische Opportunitäten, bergen aber auch enorme Risiken und Herausforderungen. Diese Aspekte werden im vorliegenden Beitrag thematisiert. Es werden zum einen CEO-Wechsel systematisch beschrieben. Dazu wird ein konzeptionelles Framework präsentiert, welches Auslöser, Typen und Auswirkungen von Nachfolgen integriert. Zum anderen wird eine empirische Untersuchung dargelegt, welche die Auswirkungen unterschiedlicher Wechseltypen in deutschen Unternehmen auf Restrukturierung und Unternehmenserfolg prüft. Die Erkenntnisse sind insbesondere für all diejenigen interessant, die an der Besetzung von CEO-Positionen und an der Nachfolgeplanung beteiligt sind. Sie zeigen, dass CEO-Besetzungen als wichtige organisatorische Stellhebel zu verstehen sind.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Sven Kunisch, Julian Weber
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.2 Konzeptioneller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.2.1 Auslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.2.2 Nachfolgeereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.2.3 Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3 Empirische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.2 Untersuchte Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.3 Datenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.4.1 Inside- vs. Outside-Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.4.2 Routine- vs. Nichtroutine-Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.5 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Die Übergabe des Staffelstabs
85 „Der Wechsel allein ist das Beständige.“ Arthur Schopenhauer, Philosoph
1 Einleitung Wechsel an der Spitze von Institutionen – seien es Regierungen, Fußballteams, Königreiche oder Unternehmen – lösen seit jeher große Faszination aus. Solche Ereignisse markieren vielfach eine Gabelung; sie kennzeichnen Scheidewege zwischen Kontinuität und Veränderung. Für die Institution selbst, aber auch für die Beteiligten steht oft viel auf dem Spiel. Es gibt sichtbare Gewinner und Verlierer. Wechsel an der obersten Spitze gehen daher gleichermaßen mit Hoffnung und Angst einher. Wachablösungen an der Spitze von Unternehmen sind mit Wandel verbunden, und dies in zweierlei Hinsicht. Zum einen – aus einer Kontingenzperspektive – rücken CEO-Wechsel insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oder im Rahmen von unternehmensexternen und -internen Krisen, wie z.B. Bilanz- oder Korruptionsskandale, verstärkt in den Fokus (z.B. Dalton u. Dalton 2007; Mooney, Dalton et al. 2007; Chen 2008). Wie nach dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende oder auch nach der Kredit- und Finanzkrise zu beobachten war, stehen Führungskräfte in solchen Zeiten ganz besonders in der öffentlichen Kritik. Fehlentscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, werden deutlich sichtbar. CEO-Wechsel können dann eine Signalwirkung auf Mitarbeiter, Investoren und Kunden haben. Aufsichts- bzw. Verwaltungsräte oder maßgebende Gesellschafter fördern oder verhindern CEO-Wechsel aktiv. Zum anderen – aus einer Ereignis- oder Prozessperspektive – kennzeichnen CEO-Wechsel selbst in der Regel bedeutsamen Wandel. Bei Wachablösungen an der Unternehmensspitze handelt es sich um bedeutende organisatorische Ereignisse. Solche Ereignisse eröffnen neue strategische und organisatorische Opportunitäten. Beispielsweise können sie dazu dienen, organisationale Trägheit zu überwinden (z.B. White, Smith et al. 1997). Sie bergen aber auch beachtliche Risiken und Herausforderungen für Unternehmen, insbesondere im Auswahlprozess und in der Übergangsphase (z.B. Zhang u. Rajagopalan 2006; Bower 2007; Carey, Phelan et al. 2009; Cheloha 2009; Nadler, Krupp et al. 2009). Dieser Beitrag thematisiert CEO-Wechsel. Dabei werden zwei Ziele verfolgt. Erstens sollen CEO-Wechsel systematisch beschrieben werden. Dazu wird ein konzeptionelles Framework präsentiert, welches Auslöser, Typen und Auswirkungen von Nachfolgen integriert. Dieses Framework zeigt die verschiedenen Aspekte der Thematik überblicksartig auf. Zweitens sollen die Auswirkungen unterschiedlicher Wechseltypen empirisch geprüft werden. Dazu werden die Ergebnisse einer empirischen Studie über den Zeitraum 1998 bis 2006 vorgestellt. Im Rahmen dieser
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Untersuchung wurden die Auswirkungen von Wachablösungen an der Spitze deutscher Unternehmen auf Restrukturierung und Unternehmenserfolg untersucht. Die Erkenntnisse sind insbesondere für all diejenigen interessant, die an der Besetzung von CEO-Positionen und an der Nachfolgeplanung beteiligt sind.
2 Hintergrund 2.1 Theoretische Grundlagen Die Untersuchungen zu CEO-Wechseln fallen in den Bereich der sog. Upper Echelons-Forschung (Hambrick u. Mason 1984).1 Die Thesen dieses Forschungsstrangs bauen auf den Postulaten von Behavioral Theory und Bounded Rationality (March u. Simon 1958; Cyert u. March 1963) auf. Demnach werden Entscheidungen aufgrund von Komplexität, Zielkonflikten und unzähligen Alternativen nur begrenzt rational getroffen. Da diese Faktoren insbesondere bei strategischen Entscheidungen auftreten, können die Erkenntnisse auf Führungskräfte und den Kontext der Strategischen Führung angewendet werden. Im Kern postuliert die Upper Echelons-Theorie (Hambrick u. Mason 1984; Hambrick 2007), dass Unternehmen und damit verbunden deren Erfolg bzw. Miss erfolg zu einem wesentlichen Teil ein Spiegelbild der individuellen Charakteristika der obersten Führungsebene sind. Die Argumentation setzt sich aus zwei Teilen zusammen: (1) Führungskräfte agieren auf der Basis persönlicher Interpretationen der strategischen Situationen, und (2) diese persönlichen Einschätzungen sind eine Funktion der Erfahrungen, Werte/Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale der Führungskräfte (Hambrick 2007, S. 334). Persönliche und demographische Charakteristika wie Alter, Ausbildung und Berufserfahrung können daher als Proxy für die kognitiven Fähigkeiten sowie die Werte und Eigenschaften der Führungskräfte dienen. Die strategische Ausrichtung eines Unternehmens wird grundsätzlich dem Topmanagementteam (TMT) und speziell dem CEO zugeschrieben. Deren bzw. dessen Entscheidungen sind demnach auch ausschlaggebend für die Entwicklung der Gesamtorganisation. In der Strategieforschung und speziell in der TMTForschung gibt es unterschiedliche Herangehensweisen an die Frage, wie genau der Einfluss der Strategischen Führung aussieht. Typische Themen umfassen die Strukturen innerhalb des TMT, die Beziehungen zwischen Aufsichts-/Verwaltungsrat und operativer Führung oder die TMT-Einbindung in die Organisation (z.B. Pettigrew 1992; Carpenter, Geletkanycz et al. 2004). Basierend auf dem Grundkonzept des Einflusses von Werten und Einstellungen einer Führungskraft auf die Interpretation strategierelevanter Fragestellungen und letztlich auf die Entwicklung des Unternehmens bieten Wachablösungen an der 1
Obwohl zahlreiche Studien auf den CEO abzielen, schliesst der Begriff Upper Echelons das gesamte Topmanagementteam (TMT) mit ein.
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Unternehmensspitze ein interessantes Untersuchungsszenario (Brady u. Helmich 1984; Vancil 1987; Finkelstein u. Hambrick 1996). Im hauptsächlich amerikanischen Konsens wird angenommen, dass Werte und Einstellungen, werden sie neu allokiert, zu einem neuen strategischen Verständnis derselben Situation führen und dass die daraus resultierenden Entscheidungen in ihrer Tendenz mit dem Hintergrund, vor welchem eine Wachablösung stattfindet, zu begründen sind (z.B. Fondas u. Wiersema 1997). So bringt die Untersuchung von Art und Weise, Umständen und Auswirkungen solcher Wechsel interessante Einblicke in den Einfluss von CEOs auf das Unternehmen.
2.2 Konzeptioneller Rahmen Im Zentrum der Forschung zu CEO-Wechseln steht die Suche nach Antworten auf die So What-Frage, d.h. die Suche nach Erklärungen zu den Implikationen und Auswirkungen von CEO-Wechseln (Finkelstein u. Hambrick 1996; Cannella, Finkelstein et al. 2008b). Eher simple Fragen zielen darauf ab, ob ein Wechsel einem Unternehmen schadet oder für dieses sogar förderlich ist. Aber selbst differenzierte Fragestellungen können nicht ausblenden, dass die Folgen eines Wechsels immer in einem Kontext zu betrachten sind. Dabei spielen Faktoren vor der Wachablösung ebenso eine Rolle wie Charakteristika des Nachfolgeprozesses und individuelle Eigenschaften und Handlungen des Nachfolgers (Giambatista, Rowe et al. 2005). Auslöser
Nachfolgeereignis/-prozess
Auwirkungen
• Wirtschaftliche Konstitution des Unternehmens
• Interner versus externer Wechsel
• Organisationaler Wandel/ Strategische Neuausrichtung
• Strategische Ausrichtung (Aufsichtsrat versus Geschäftsleitung)
• Freiwilliger versus unfreiwilliger Abgang
• Restrukturierung/ Fokussierung
• Fliessende versus abrupte Amtsübergabe
• Unternehmenserfolg
• Externe Unternehmensumwelt Was führt zu einem Wechsel?
Wie findet ein Wechsel statt?
Was bewirkt ein Wechsel?
Wer wird Nachfolger?
Abbildung 1: CEO-Wechsel: Konzeptionelles Framework (Quelle: Eigene Darstellung; in Anlehnung an Finkelstein u. Hambrick 1996, S. 165)
Zum Konzeptualisieren der spezifischen Phänomene und zum Strukturieren der bestehenden Literatur kann ein Framework verwendet werden (vgl. Abb. 1). Es integriert Auslöser, Typen und Implikationen von CEO-Wechseln. Anhand des Frameworks lassen sich die wesentlichen und übergreifenden Fragestellungen beleuchten: solche, die sich mit der Begründung eines Führungswechsels befassen („was führt zu einem Wechsel?“); solche, die den Wechsel an sich betrachten („wie findet ein Wechsel statt?“, „wer wird Nachfolger?“) und jene, die auf die Auswirkungen abstellen („was bewirkt ein Wechsel?“).
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2.2.1 Auslöser Es gibt zahlreiche Gründe für CEO-Wechsel (Vancil 1987; Finkelstein u. Hambrick 1996): Krankheit, Tod, altersbedingter Ruhestand, Wechsel an die Spitze eines anderen Unternehmens oder Kündigung im Sinne eines vorzeitigen Ausscheidens. Für die Forschung sind die einzelnen Gründe nicht gleichermaßen interessant. Im Wesentlichen lassen sich drei Gruppen von Auslösern identifizieren (Finkelstein u. Hambrick 1996; Cannella, Finkelstein et al. 2008a): Unternehmenscharakteristika wie z.B. die Performance des Unternehmens, externe Umwelteinflüsse (z.B. Datta u. Rajagopalan 1998) und Charakteristika des Amtsinhabers bzw. auch des Nachfolgers wie z.B. Macht, die die Dauer einer Amtszeit beeinflussen können (Hambrick u. Fukutomi 1991; Goldsmith 2009). Die Wahrscheinlichkeit eines Führungswechsels kann in vielen Fällen auf die temporäre Konstitution des zugrundeliegenden Unternehmens zurückgeführt werden. Typische und intuitive Muster sind CEO-Entlassungen im Falle negativer Geschäftsergebnisse oder extremer Unterschreitung der Renditeerwartungen von Aufsichtsrat oder Anteilsinhabern. So haben Studien auch die Nichtübereinkunft von Aufsichtsrat und Geschäftsführung als zentralen und reaktionsschnellen Treiber von Abgängen ermittelt (z.B. Goodstein u. Boeker 1991). Dabei geht es oft um die unterschiedliche Interpretation von strategischen Fragestellungen, die ohne persönliche Trennung zur Blockade von Führungsentscheidungen führen würde. Speziell in konjunkturell rezessiven Zeiten war bislang ein rasanter Anstieg der Wechselhäufigkeit festzustellen. Dies ist unter der Annahme der Verantwortungsallokation an der Spitze von Unternehmen intuitiv nachvollziehbar. Schlechte Ergebnisse werden als Hauptgrund für die Erhöhung des ShareholderDrucks auf die Geschäftsleitung angeführt und somit als Auslöser für die ansteigende Wechselhäufigkeit identifiziert (Cannella Jr., Lubatkin et al. 1991). Umso erstaunlicher scheint hingegen die Aussage einer Studie zu CEO-Wechseln in der Kredit- und Finanzkrise 2008, in der eine rückläufige Frequenz gemessen und vorausgesagt wird (Karlsson u. Neilson 2009). Eine mögliche Erklärung hierfür könnte in den Erkenntnissen zu den Auswirkungen verschiedener Wechseltypen liegen. So ist anzunehmen, dass viele Unternehmen in unsicheren Zeiten mehr Wert auf die Umgehung von Risiken legen und auf Wechsel verzichten. Outside- bzw. Nichtroutine-Wechsels sind in der Regel nämlich mit höheren Risiken verbunden (z.B. Zhang u. Rajagopalan 2004). Eine mittelfristig abnehmende Wechselfrequenz in konjunkturellen Abschwüngen erscheint jedoch eher fragwürdig, denn oft wird erst am Ende oder kurz nach Erreichen des konjunkturellen Wendepunktes gewechselt. 2.2.2 Nachfolgeereignis Im Fokus stehen Charakteristika des Nachfolgeereignisses und -prozesses sowie Eigenschaften des Nachfolgers, die wiederum den Wechsel charakterisieren (Finkelstein u. Hambrick 1996). Eine wesentliche Rolle spielen auch die prozessualen Rahmenbedingungen, unter welchen ein neuer CEO bestellt wird. Die Ausgestaltung dieses Nachfolgeprozesses bildet den Rahmen, innerhalb dessen eine
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nachfolgende Person ein Amt antritt. Dieser Rahmen gibt wiederum die Bandbreite vor, innerhalb welcher sich Werte und Einstellungen (im Verhältnis zur bestehenden Organisation) der nachfolgenden Person bewegen können. Tabelle 1: Übersicht CEO-Wechseltypen (Quelle: Eigene Darstellung)2
Nachfolger Vorbereitungsphase Vorgänger
Persönliche Interpretationen strategierelevanter Fragestellungen durch Führungskräfte basiert auf Erfahrungen, Werten/Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen (Hambrick 2007, S. 334)
Grundtheorie Sicht Wechseltyp
Beschreibung
Studien
Interne Nachfolge
CEO ist bei der Amtsübernahme mindestens eine bestimmte Zeit (null/ zwei Jahre) im Unternehmen tätig.
Externe Nach folge
CEO ist vor der Amtsübernahme gar nicht oder weniger als eine bestimmte Zeit (zwei Jahre) im Unternehmen tätig.
Helmich u. Brown 1972, Wiersema 1992, Shen u. Cannella Jr. 2002, Carey, Phelan et al. 2009
Wechsel mit Übergabe/ Vorbereitung
Nachfolger (Thronfolger) ist i.d.R. viel jünger als sein Vorgänger und wird eine bestimmte Zeit auf die Nachfolge vorbereitet (z.B. als COO).
Wechsel ohne Übergabe/ Vorbereitung
Nachfolger ist kein vorbestimmter Thronfolger; eine bestimmte Zeit vor dem Abgang (z.B. zwei Jahre) findet ein Auswahlverfahren statt.
Routine-Wechsel CEO verlässt das Unternehmen in den altersbedingten Ruhestand. NichtroutineWechsel
Zhang u. Rajagopalan 2004, Zhang u. Rajagopalan 2006, Mooney, Dalton et al. 2007
Vancil 1987, Wiersema 1995
CEO tritt vor Erreichen des Pensionsalters zurück.
Der Nachfolgeprozess lässt sich anhand verschiedener Kriterien typisieren. Die Forschung erwägt hier grundsätzlich drei Perspektiven (vgl. Tab. 1). Erstens geht die Forschung auf die „Herkunft“ des Nachfolgers ein und unterscheidet zwischen internen und externen Nachfolgern. Hier wird angenommen, dass in Abhängigkeit von der organisationalen Verbundenheit des Nachfolgers verschiedene organisationale Konsequenzen resultieren (z.B. Mooney, Dalton et al. 2007). Die Unterteilung in internen und externen Wechsel ist wohl die meist verfolgte und empirisch angewendete Unterscheidung; die meisten anderen Differenzierungen stellen Verfeinerungen dar. Zweitens wird die Einarbeitung bzw. Vorbereitungsphase analysiert, indem die Frage gestellt wird, ob der Nachfolger bereits (Jahre vor der Führungsübernahme) als „Thronfolger“ gehandelt und entsprechend auf seine Position vorbereitet wurde (Inside Relay Succession) oder ob jener sich unmittelbar vor Amtsübergabe einem 2
In diesem Beitrag werden die englischen Begriffe für Nachfolgetypen wie folgt übersetzt: Inside Succession: Interne Nachfolge bzw. interner Wechsel; Outside Succession: Externe Nachfolge bzw. externer Wechsel: Non-Routine Succession: außerplanmäßiger Wechsel bzw. NichtroutineWechsel; Routine Succession: planmäßiger Wechsel bzw. Routine-Wechsel.
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Wettbewerb und Wahlverfahren (Inside Non-Relay Succession) zu stellen hatte. Auch dieser Sachverhalt wurde auf seinen späteren Unternehmenseinfluss überprüft (z.B. Zhang u. Rajagopalan 2004). Drittens wird der Fokus auf den Abgänger gelegt, d.h. es wird unterschieden, ob die abtretende Person das Unternehmen planmäßig (routinemäßig) oder außerplanmäßig (nichtroutinemäßig) verlässt. Abhängig davon ist der Nachfolger besser oder weniger gut mit den bestehenden Führungsmustern vertraut (z.B. Wiersema 1995). Exkurs: Boomerang CEOs Eine neue Erscheinung sind sog. „Boomerang CEOs“ (Karlsson u. Neilson 2009). Da bei handelt es sich um CEO-Wechsel, bei denen der Nachfolger bereits zum zweiten Mal zum CEO desselben Unternehmens ernannt wird. Gerät das Unternehmen unter der Führung des Nachfolge-CEOs enorm in Schieflage, kann es vorkommen, das der ehe malige CEO wiederbestellt wird (Fahlenbrach, Minton et al. 2007). Boomerang CEOs sind ein Phänomen im Bereich der Nachfolgeforschung, welches in jüngster Zeit ver mehrt zum Vorschein kommt. Bleiben CEOs im TMT, liegt ihre Chance zur Wiederwahl bei mittlerweile einem Viertel. Drei bekannte Beispiele für Boomerang CEOs sind etwa Michael Dell, CEO des gleichnamigen Fortune 500-Unternehmens (Jones 2007), Steve Jobs, der 1997 zum zweiten Mal an die Spitze des Apple Konzerns gewählt wurde, und auch der weniger erfolgreiche Ken Lay, welcher bei Enron wenige Monate vor deren Konkurs die Führung übernahm (Fahlenbrach, Minton et al. 2007). Die Wiederwahl eines CEOs kommt praktisch immer dann vor, wenn Nachfolger ein Unternehmen rele vant schwächen. Boomerang CEOs können somit in einem ersten Schritt oft eine nega tive Signalwirkung auf ihre Aktionäre haben, was zu Kursstürzen als Folge der Wechsel führt. Boomerang CEOs verlassen die Unternehmen im Schnitt jedoch in einer besseren Verfassung. Die Amtszeit liegt bei durchschnittlich zweieinhalb Jahren, das Alter beim zweiten Antritt der Führungsposition bei 61 Jahren (Jones 2007). In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Inside-Outside-Führungskraft (Bower 2007). Zudem ver deutlicht dieses Phänomen, dass die bipolare Unterscheidung in interne und externe Nachfolgen häufig von der Realität entfernt ist. Dieses Phänomen ist bis dato jedoch kaum erforscht.
Ein wesentlicher Kritikpunkt bei den empirischen Untersuchungen zu Wechseltypen ist, dass immer eine kategoriale, zumeist bipolare Unterteilung vorgenommen wird. Diese unterteilt Nachfolgen in Werte und Einstellungen erhaltende und ändernde Ereignisse. Dies ist jedoch nicht sehr realitätsnah, so dass in der Literatur stattdessen ein Fokus auf ein Outsider-Kontinuum gefordert wird (Finkelstein u. Hambrick 1996; Cannella, Finkelstein et al. 2008b). 2.2.3 Auswirkungen Bei einem CEO-Wechsel öffnen sich organisatorische Möglichkeiten (Window of Opportunity). Dies impliziert, dass Wechsel einen Einfluss auf das spätere Gedeihen der Organisation haben. Dieser Einfluss besteht aus einer kurzfristigen und einer mittel- bis langfristigen Komponente. Der unmittelbare Einfluss, bestehend aus der mit dem Wechsel einhergehenden Signalwirkung auf interne (Mitarbeiter)
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und externe Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Anteilseigner), kann vor allem in Unternehmen in Schieflage eine reanimierende Wirkung entfalten. Aus strategischer Sicht spielen die mittel- bis langfristigen Auswirkungen im Sinne von Wechsel als Stellhebel der strategischen Stoßrichtung eine wichtige Rolle. Auf einen Wechsel kann eine neue Wertekonfiguration in der Strategischen Führung folgen. Diese Wertekonfiguration ist maßgeblich dafür verantwortlich, wie strategische Herausforderungen interpretiert werden (vgl. Kap. 2.1). Die Suche nach bestimmten Auswirkungen des Wechsels stellt auf eine Vielzahl abgrenzbarer Wechseltypen ab (vgl. Kap. 2.2.2). Die Auswirkungen lassen sich in verschiedenen Dimensionen betrachten, wie organisatorischer Wandel, Strategiewechsel, Restrukturierung, TMT-Zusammensetzung (Harrison, Torres et al. 1988) oder allgemein Unternehmenserfolg (Cannella Jr. u. Hambrick 1993; Finkelstein u. Hambrick 1996; Shen u. Cannella Jr. 2002; Cannella, Finkelstein et al. 2008b). Kommt es zur Veränderung auf der Führungsebene, kann dies beispielsweise Auswirkungen auf die strategische Stoßrichtung haben, und die Ausgestaltung von Geschäftsfeldern kann sich ändern (Wiersema 1992; Wiersema 1995; Tushman u. Rosenkopf 1996; Fondas u. Wiersema 1997; Bigley u. Wiersema 2002).
3 Empirische Untersuchung 3.1 Motivation In wirtschaftlich schwierigen Zeiten stehen auch immer Restrukturierungen ganz oben auf der Agenda vieler Unternehmen. In der Literatur wird vielfach argumentiert, dass für solche Aufgaben ein anderer Führungsstil benötigt wird als in Zeiten des Aufschwungs (vgl. z.B. Zimmermann u. Welling in diesem Buch). Aus diesem Grund kommt es nicht selten vor, dass ein CEO u.a. auf Druck der Eigentümer ausgetauscht wird. Nur welche Auswirkungen hat ein solcher CEO-Wechsel tatsächlich? Wer sollte für eine CEO-Nachfolge ausgewählt werden? Die meisten Studien, die diese Fragen untersuchen, wurden im US-amerikanischen Raum durchgeführt. Es wird vermutet, dass CEOs außerhalb des US-amerikanischen Markts sowohl einen geringeren Einfluss auf ihr Unternehmen haben als auch die Heterogenität unter ihnen geringer ist (Hambrick 2007). In Zentraleuropa haben CEOs oft einen vergleichbaren Bildungshintergrund und durchlaufen ähnliche Karrierewege. Daher wird angenommen, dass der US-amerikanische Markt augenfälligere und besser interpretierbare Ergebnisse im Hinblick auf die Auswirkungen des Handels von CEOs liefert (Hambrick 2007). Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Ergebnisse in der CEO-Nachfolgeforschung ist es jedoch von Bedeutung, die Generalisierbarkeit der Ergebnisse in unterschiedlichen Märkten zu testen. Eine wesentliche Ursache für die zahlreichen Untersuchungen zu Auslösern und Auswirkungen von CEO-Wechseln kann auch in der tendenziell besseren Datenverfügbarkeit und höheren Transparenz im angelsächsischen Raum gesehen
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Sven Kunisch, Julian Weber
werden. Die Erhöhung der Transparenz auf den zentraleuropäischen Märkten durch gestiegene Anforderungen an die Rechnungslegung ermöglicht Analysen mit stets höherer Präzision. Der deutsche Markt wurde bis dato jedoch kaum auf die Auswirkungen von unterschiedlichen Unternehmensnachfolgearten untersucht. Eine Ausnahme stellt zwar die Studie von Salomo (2001) dar. Der Zeitraum dieser empirischen Analyse liegt jedoch bereits mehr als zehn Jahre zurück. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Implikationen von CEO-Wechseln für die strategische Ausrichtung und den Unternehmenserfolg im deutschen Markt zu untersuchen. Dabei werden zwei spezifische Modelle von Nachfolgetypen angewendet, die in früheren Studien bereits im Fokus standen. Zum einen zielt die Unterscheidung zwischen Routine- und Nichtroutine-Wechseln auf das eigentliche Ereignis ab (z.B. Wiersema 1995). Zum anderen betrachtet die Differenzierung zwischen internem und externem Nachfolger eine wichtige Charakteristik des neuen CEO (z.B. Wiersema 1992).
3.2 Untersuchte Zusammenhänge Die bestehende Forschung versucht zwischen jeweils zwei Arten von Nachfolgen zu unterscheiden: zum einen die Unterscheidung nach der Routinemäßigkeit des Abgangs und zum anderen der Unterscheidung nach der „Herkunft“ des Nachfolgers. Prinzipiell wird versucht, eine Gruppe zu bilden, die sich durch Persistenz im Führungsverhalten von der jeweils anderen Gruppe unterscheidet (vgl. Kap. 2.2). Die beiden Arten Inside-Nachfolge und Routine-Wechsel sind somit im Kern der Argumentationslogik ähnlich. Bei beiden wird versucht, Wechseltypen herauszukristallisieren, die im Sinne eines möglichst sanften Übergangs nur geringe Änderungen in der Führung bewirken. Entgegengesetzt ist der Fokus bei Outside- bzw. Nichtroutine-Wechseln. Für die letztgenannten Nachfolgearten wird eine Veränderung in den Werten und Einstellungen auf der Führungsebene und daher eine stärkere Veränderung der Unternehmensentwicklung erwartet. Bereits untersuchte Zusammenhänge für diese beiden Gruppen gegenüber ihren Pendants sind erhöhte Restrukturierungsaktivitäten, erhöhte Konkursrisiken, stärkere Hebelwirkung in der Veränderung der finanziellen Ergebnisse oder auch kurzfristig positive oder negative Signalwirkungen.
3.3 Datenbasis Die Zusammenhänge wurden bei den Unternehmen des Aktienindexes DAX International 100 untersucht.3 Der Betrachtungszeitraum der Studie erstreckt sich über die Jahre 1998 bis 2006. Um die Auswirkungen der CEO-Wechsel zu bestimmen, wurde die Unternehmenskonstitution vor und nach dem Wechsel verglichen. Als Messgrößen wurden die Restrukturierungsaktivitäten und der finanzielle Unternehmenserfolg herangezogen. Analog zu früheren Studien wurden die 3
Im DAX International 100 werden die 100 liquidesten Unternehmen segmentübergreifend abgebildet (Website Deutsche Börse AG).
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Die Übergabe des Staffelstabs
Kennzahlen jeweils ein Jahr vor dem CEO-Wechsel mit der Veränderung der Werte über die vier nachfolgenden Jahre verglichen. Es wird angenommen, dass der Einfluss einer neuen Führung über diesen Zeitraum sichtbar wird. Daraus ergibt sich der Untersuchungshorizont für die CEO-Wechsel zwischen den Jahren 1998 und 2003. Die Wechselereignisse fallen somit in die Zeit des Platzens der DotcomBlase und die damit verbundene Konjunkturschwankung. Tabelle 2: Größen und Kennzahlen (Quelle: Eigene Darstellung) Variable
Beschreibung
Referenz
CEO-Wechsel
Liegt vor, wenn sich der publizierte Name des CEO oder dessen Äquivalent (z.B. Vorstandsvorsitzender) von einem Geschäftsbericht zum nächsten ändert.
Wiersema 1995
Routine- (freiwilliger) Wechsel
Liegt vor, wenn der abtretende CEO während seiner Amtszeit das Pensionsalter von 65 Jahren erreicht.
Wiersema 1995
Nichtroutine- (unfreiwilliger) Wechsel
Liegt vor, wenn die vorstehende Beschreibung nicht zutrifft.
Inside-Wechsel
Liegt vor, wenn der neue CEO vor der Ausübung seines Zhang u. Amtes für mindestens zwei Jahre ein Amt innerhalb Rajagopalan 2004 des Unternehmens inne hatte.
Outside-Wechsel
Liegt vor, wenn die vorstehende Beschreibung nicht zutrifft.
Restrukturierung
Wird anhand der Veränderung der Unternehmensgröße gemessen; auf Basis der relativen Veränderungen der Umsätze und der Mitarbeiterzahl.
Wiersema 1995
Finanzieller Unternehmenserfolg
Wird anhand der Gesamtkapitalrendite (Return on Assets, kurz: RoA) gemessen.
Wiersema 1995
Die Datenbasis für die Neubesetzung von CEO-Positionen stammt primär aus den öffentlich zugänglichen Geschäftsberichten der untersuchten Unternehmen. Für die Klassifizierung von Personendaten wurden von den betroffenen Unternehmen veröffentlichte Biographien verwendet. Restrukturierungs- und Finanzdaten stammen aus der Datenbank Thomson One Banker bzw. auch aus den Geschäftsberichten der Unternehmen. Alle Größen und Kennzahlen wurden wie in früheren Studien gemessen (vgl. Tab. 2). Jedem Ereignis wurde das Attribut Inside- bzw. Outside-Wechsel und Routinewechsel bzw. Nichtroutinewechsel zugeordnet. Über den Betrachtungs zeitraum wurden 77 CEO-Wechsel identifiziert (vgl. Abb. 2). Die gemessenen Nachfolgeereignisse weisen im Zeitverlauf eine gewisse Volatilität auf. Mit jährlich neun bis 17 Wechseln befindet sich die Wechselhäufigkeit in den 100 beobachteten Unternehmen innerhalb der Bandbreite zwischen 9% und 17%. Innerhalb des Untersuchungszeitraums gab es einige Unternehmen, in denen mehrere CEOWechsel stattfanden. In diesen Fällen wurde der jeweils jüngste Wechsel berücksichtigt. Bei den 100 Unternehmen wurde in 53 mindestens ein Wechsel innerhalb der untersuchten Periode identifiziert. Da jedoch nicht für alle Nachfolgeereignisse
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Sven Kunisch, Julian Weber
benötigten Daten ermittelt werden konnten, verblieben letztendlich nur 39 Wechselereignisse. Diese wurden in 13 Outside- und 26 Inside-Nachfolgen sowie zwölf Routine- und 27 Nichtroutine-Wechsel eingeteilt. Anzahl CEOWechsel
BIP-Wachstum
18
17
16
0,04 0,02
15 14
14
0 12
12
-0,02
10
10
-0,04
9
8
-0,06 1998
1999
2000
CEO-Wechsel
2001
2002
2003
BIP-Wachstum GDP Growth Germany
Abbildung 2: Anzahl CEO-Wechsel und BIP-Wachstum (Quelle: Eigene Darstellung)
3.4 Ergebnisse 3.4.1 Inside vs. Outside-Wechsel Die Analyse ergibt, dass Unternehmen nach einem Outside-Wechsel den strategischen Fokus eher ändern (vgl. Abb. 3). Im Vergleich zu Unternehmen mit einem Inside-Wechsel wird dies insbesondere mit Blick auf das nach einem Wechsel realisierte Mitarbeiterwachstum deutlich. Insgesamt verzeichneten Unternehmen nach einem Outside-Wechsel durchschnittlich ca. 37,8% Wachstum in der Mitarbeiter anzahl. Nach einem Inside-Wechsel konnten Unternehmen hingegen ca. 2% bezogen auf die Mitarbeiteranzahl wachsen. Beim Umsatzwachstum war der Unterschied geringer, mit ca. 15,9% bei externen Wechseln gegenüber knapp 12% bei internen Nachfolgen. Die Ergebnisse deuten zudem an, dass Outside-Wechsel im Gegensatz zu internen Nachfolgen zu einer besseren finanziellen Performance führen. Im Durchschnitt konnten Unternehmen im Zuge eines Outside-Wechsels ein RoAWachstum von 82% erzielen, wohingegen Unternehmen mit einem Insider als neuen CEO ihren RoA lediglich um 46% steigern konnten – ein Delta von 36%-Punkten. Es zeigt sich also, dass Outside-Wechsel zu einem höheren RoAWachstum führen.
95
Die Übergabe des Staffelstabs
Restrukturierung
Finanzieller Erfolg
100% 90%
82,08%
80% 70% 60% 46,20%
50% 37,79%
40% 30% 20% 10%
11,95%
15,86% 2,28%
0% Umsatzwachstum
Mitarbeiterwachstum*
Inside-Wechsel
Outside-Wechsel
RoA-Wachstum* * Statistisch signifikant
Abbildung 3: Auswirkungen von Inside- und Outside-Wechseln (Quelle: Eigene Darstellung)
3.4.2 Routine- vs. Nichtroutine-Wechsel Mit Blick auf die Differenzierung hinsichtlich Routine- und Nichtroutine-Wechsel zeigen sich ebenfalls Unterschiede bei den Auswirkungen der verschiedenen Wachablösungen, diese sind allerdings nicht so deutlich (vgl. Abb. 4). Zwar war der Umsatzanstieg nach einem Nichtroutine-Wechsel mit durchschnittlich ca. 15,5% fast doppelt so hoch wie bei Unternehmen mit einem RoutineWechsel, bei denen das Umsatzwachstum bei durchschnittlich ca. 8,1% lag. Beim Mitarbeiterwachstum gab es jedoch fast keinen Unterschied. Bei RoutineWechseln lag das durchschnittliche Mitarbeiterwachstum bei 13,5% verglichen mit 14,4% bei Nichtroutine-Wechseln. Insgesamt sind die Unterschiede bei der strategischen Neuausrichtung und Restrukturierung gemessen anhand der Veränderung der Unternehmensgröße weniger deutlich. Die Implikationen für den Unternehmenserfolg sind deutlicher. So steigerten Unternehmen den RoA nach einem Routine-Wechsel um ca. 44,4%, ein Nichtroutine-Wechsel hingegen führte zu einem RoA-Wachstum von 64,3%.
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Restrukturierung
Finanzieller Erfolg
100% 90% 80% 70%
64,28%
60% 50%
44,39%
40% 30% 20% 10%
15,53% 8,13%
13,48% 14,40%
0% Umsatzwachstum
Mitarbeiterwachstum
Routine-Wechsel
RoA-Wachstum
Nichtroutine-Wechsel
Abbildung 4: Auswirkungen von Routine- und Nichtroutine-Wechseln (Quelle: Eigene Darstellung)
3.5 Diskussion Es wurden verschiedene CEO-Wechseltypen und deren Auswirkungen auf die Restrukturierung und den Erfolg von Unternehmen auf dem deutschen Markt ermittelt. Die Ergebnisse zeigen, in welchem Ausmaß verschiedene CEO-Wechselereignisse in deutschen Konzernen einen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung haben. Die Ergebnisse stimmen mit der Mehrheit der Aussagen anderer Studien überein. Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass Outside-Wechsel und NichtroutineWechsel tendenziell Treiber für Veränderung der strategischen Ausrichtung (in der Restrukturierungsintensität) sowie erhöhte finanzielle Performance sind. Insbesondere Outside-Nachfolgen ziehen intensivere Restrukturierungsaktivitäten nach sich. So zeigt sich eine deutliche Veränderung in der Mitarbeiterzahl als Konsequenz von Outsider-Nachfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Outsider oft ein Mandat für Veränderungen erteilt bekommen und als Mandanten für Wandel gelten (Finkelstein u. Hambrick 1996). Zumeist sind eine unterdurchschnittliche Unternehmensleistung und der Wunsch nach Veränderung Auslöser für einen solchen Wechsel. Insbesondere Studien zu Krisenzeiten zeigen einen erhöhten Einfluss von Outsidern, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn (z.B. Virany, Tushman et al. 1992). Darin zeigt sich, dass Outside-Wechsel auch mit höheren Risiken verbunden sind. Es ist also keinesfalls die eindeutige Empfehlung zu geben, dass Outsider im Wechselprozess grundsätzlich zu bevorzugen sind. Es gibt jedoch bestimmte situa tive Gegebenheiten, die für bestimmte Wechseltypen sprechen. Wird beispielsweise ein Unternehmen in einen öffentlichen Skandal verwickelt, der die
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Unternehmensreputation mittelfristig zu beeinträchtigen droht, so kann durch die gezielte Wahl eines Outsiders zum CEO der entstandene „Badwill“ auf die abtretende Geschäftsführung transferiert werden. Andere Bedingungen sprechen eher für Insider, so z.B. wenn ein Unternehmen in einer Marktnische tätig ist und die Führungsaufgabe hochspezifische Kenntnisse verlangt.
4 Zusammenfassung Mit der zunehmenden Vielfalt strategischer Opportunitäten entsteht ein breites Band an möglichen Szenarien, die über den Stellhebel CEO-Wechsel herbeigeführt werden können. Werte und Einstellungen gelten als die Treiber des Führungsverhaltens von CEOs. Dies impliziert, dass künftige Verhaltensmuster über die Planung der Nachfolgeereignisse gesteuert und gezielt verändert werden können. In diesem Beitrag wurde ein Framework zur systematischen Beschreibung von CEO-Wechseln vorgestellt. Zudem wurde eine empirische Untersuchung präsentiert, die spezifische Auswirkungen verschiedener Wechsel an der Spitze deutscher Unternehmen aufzeigt. Sie zeigen, dass CEO-Besetzungen als wichtige organisationale Stellhebel zu verstehen sind. Die Erkenntnisse sind somit insbesondere für all diejenigen interessant, die an der Besetzung von CEO-Positionen und an der Nachfolgeplanung in Unternehmen beteiligt sind.
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Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager Peder Greve, Winfried Ruigrok
Die Frage nach den Besetzungen im Topmanagement kommt insbesondere in Krisenzeiten immer wieder auf. Schließlich werden gerade in Zeiten des Umbruchs Positionen im Topmanagement nicht selten neu besetzt. Für solche Positionen ist mittlerweile ein Arbeitsmarkt für Führungskräfte entstanden. In Europa wird dieser Arbeitsmarkt immer stärker von der zunehmenden internationalen Mobilität der Topmanagementkandidaten geprägt. Dadurch haben sich während der letzten Jahre nicht nur die Profile der Topmanagementteams in europäischen Großunternehmen verändert, sondern auch die Anforderungen an die Kandidaten für Positionen im Topmanagement. In dem vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Studie zu Topmanagementteams in den größten Unternehmen in sieben europäischen Ländern präsentiert. Die Studie beruht auf demographischen und biographischen Daten von mehr als 4.500 Topmanagern in 415 europäischen Großunternehmen im Zeitraum 2000 bis 2005. Die Studie zeigt Veränderungen in der internationalen Zusammensetzung von Topmanagementteams sowie Unterschiede zwischen den Karrierewegen von inländischen und ausländischen Topmanagern.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Peder Greve, Winfried Ruigrok
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2.1 Arbeitsmarkt für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2.2 Warum ist der Markt für Führungskräfte nicht internationaler? . . . . . . . 104 3 Arbeitsmarkt für Topmanager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.1 Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager . . . . . . . . . . . . . 105 3.2 Länderspezifische Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager
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1 Einleitung Die Frage nach den Besetzungen im Topmanagement kommt insbesondere in Krisenzeiten immer wieder auf. Schließlich werden gerade in Zeiten des Umbruchs Positionen im Topmanagement nicht selten neu besetzt. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen werden im Umfeld schwieriger Zeiten oftmals die Fehler der Vergangenheit schonungslos offengelegt. Zum anderen führt ein Wandel im wirtschaftlichen Umfeld eines Unternehmens auch dazu, dass sich die Anforderungen an das zukünftige Topmanagement ändern und somit Neubesetzungen in diesem erforderlich sind. Rund um die Positionen im Topmanagement ist mittlerweile ein Arbeitsmarkt für Führungskräfte entstanden. In den letzten Jahren haben verschiedene Studien gezeigt, dass der Arbeitsmarkt für Führungskräfte in Europa immer stärker von der zunehmenden internationalen Mobilität der Kandidaten für das Topmanagement geprägt wird (z.B. Heijltjes, Olie et al. 2003; van Veen u. Marsman 2008). Dadurch haben sich während der letzten Jahre nicht nur die Profile der Topmanagementteams1 in großen europäischen Unternehmen verändert, sondern auch die Anforderungen an die Kandidaten für Positionen im Topmanagement. Eine der Studien zeigt z.B., dass Firmen, die expansive Internationalisierungsstrategien verfolgen, Führungskräfte mit verschiedenen Nationalitäten sowie vielfältigen Auslandserfahrungen suchen (Greve, Nielsen et al. 2009). Weitere Studien zeigen, dass Führungsteams, die bedeutende Auslandserfahrungen gesammelt haben und sich aus einer Vielfalt an Nationalitäten zusammensetzen, zu einer höheren Unternehmensleistung beitragen können (z.B. Elron 1997; Carpenter, Sanders et al. 2001; Tacheva 2007). In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer Untersuchung des internationalen Arbeitsmarktes für Topmanager in 415 Großunternehmen aus sieben europäischen Ländern (Dänemark, Finnland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz und Großbritannien) präsentiert.2 Auf Basis eines Datensatzes bestehend aus Einzelprofilen von 4.552 Führungskräften im Zeitraum von 2000 bis 2005 werden Veränderungen in der internationalen Zusammensetzung von Topmanage mentteams sowie Unterschiede zwischen den Karrierewegen von inländischen und ausländischen Topmanagern beleuchtet. Weiter werden zentrale Ursachen der gesteigerten Mobilität im Führungskräftesektor identifiziert und die wichtigsten Treiber und Hemmnisse dieser Entwicklung beschrieben.
1
Topmanagementteam (TMT) und Führungsteam werden in dieser Studie als Sammelbegriffe für das Team des Chief Executive Officers (CEO) benutzt, d.h. das Team der obersten Entscheidungsträger im Betrieb eines Unternehmens. In Deutschland und in der Schweiz wird dieses Team in den meisten Fällen als die Geschäftsleitung, die Konzernleitung oder auch das Vorstandsteam bezeichnet. 2 Der Datensatz umfasst alle Unternehmen mit mindestens 500 Mio. Euro Umsatz im Jahr 2005 und mindestens 1.000 Angestellten zum Jahresende 2005, sofern das Topmanagementteam während der Periode 2000 bis 2005 oder der Periode 2002 bis 2005 identifiziert werden konnte. Unternehmen im Finanzsektor sind in dieser Studie nicht berücksichtigt worden.
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Peder Greve, Winfried Ruigrok
2 Hintergrund 2.1 Arbeitsmarkt für Führungskräfte Der Arbeitsmarkt für Führungskräfte lässt sich als eine Funktion von Angebot und Nachfrage beschreiben (Ruigrok u. Greve 2008). Die Angebotsseite besteht aus aktuellen Topmanagern, die in anderen Unternehmen tätig sind, sowie angehenden Topmanagern, d.h. Topmanagementkandidaten innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Ein zentraler Treiber auf der Angebotsseite im Arbeitsmarktsegment für Topmanager ist die hohe Attraktivität der Topmanagementpositionen in großen multinationalen Unternehmen im Vergleich zu der geringen Anzahl verfügbarer Positionen. Auf der Nachfrageseite stehen Unternehmen und deren Anforderungen, die von der strategischen Ausrichtung des Unternehmens sowie der Komplexität des Unternehmensumfelds hauptsächlich bestimmt werden. Für das Arbeitsmarktsegment für Topmanager ist der Wandel im wirtschaftlichen Umfeld eines Unternehmens ein wichtiger Treiber auf der Nachfrageseite, da ein geändertes Unternehmensumfeld mit neuen Anforderungen an das zukünftige Topmanagementteam einhergeht.
2.2 Warum ist der Markt für Führungskräfte nicht internationaler? Durch eine verbesserte Bearbeitung komplexer Informationen im internationalen Umfeld sowie einer erhöhten Legitimität in ausländischen Märkten könnten Führungsteams mit vielfältigen Hintergründen und internationalen Kompetenzen Unternehmen im Internationalisierungsprozess bedeutend unterstützen (Greve, Nielsen et al. 2009). Trotzdem deuten alle neueren Studien darauf hin, dass die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Topmanager ein Hürdenlauf ist. Die Daten der hier präsentierten Studie zeigen beispielsweise, dass der gesamte Ausländeranteil in den 415 Unternehmen zum Jahresende 2005 bei etwa 24% lag. Zum Vergleich: Der Anteil zum Jahresende 2000 lag bei etwa 21%. Insgesamt scheint also die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Topmanager ein langsamer Prozess zu sein. Zudem zeigen dieselben Studien, dass sich die Internationalisierung der Führungsteams von Land zu Land unterschiedlich entwickelt. Einige Länder weisen eine relativ hohe und konstant steigende Offenheit gegenüber ausländischen Führungskräften auf, während in anderen Ländern eine Stagnation oder sogar ein Rückgang des Ausländeranteils zu beobachten ist. Es lassen sich verschiedene Erklärungen für die Gesamtentwicklung sowie für die unterschiedlichen nationalen Trends finden. Dabei können vor allem vier Hemmnisse identifiziert werden (Ruigrok u. Greve 2008), die im Zusammenhang mit der langsamen Internationalisierung der Führungsteams stehen und mit unterschiedlicher Stärke die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Topmanager in den jeweiligen Ländern bremsen: Erstens ist die grenzüberschreitende Mobilität der Topmanagementkandidaten wegen der Herausforderungen und Risiken, die
Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager
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mit einem Auslandsaufenthalt einhergehen, begrenzt. Besonders wichtige Rollen spielen die Familienverhältnisse, Kultur- und Sprachbarrieren sowie die höhere Bedeutung der Leistung zu Beginn der Auslandstätigkeit aufgrund einer tendenziell geringeren Bedeutung von Reputation und früheren Empfehlungen in einem neuen Umfeld. Zweitens bestehen unabhängig vom Internationalisierungsgrad eines Unternehmens dauerhafte emotionale und politische Verbindungen zwischen einem Unternehmen und dessen Heimatland. Daher weigern sich viele Unternehmen, die Entscheidungsgewalt mehrheitlich an ausländische Führungskräfte zu übertragen. Drittens findet die Rekrutierung von neuen Führungskräften oft innerhalb von den persönlichen Netzwerken der bestehenden Topmanagementmitglieder statt, um die Risiken bei Neueinstellungen im Topmanagementteam zu reduzieren, Diese Netzwerke sind in den meisten Fällen geprägt von nationalen Verbindungen, auch bei Topmanagern mit internationalen Karrierewegen. Viertens zeigen Diversity-Studien, dass Teams mit einem moderaten DiversityNiveau besonders problematisch sein können (z.B. Earley u. Mosakowski 2000). Deshalb werden Unternehmen, die zum ersten Mal Ausländer ins Topmanage mentteam berufen, voraussichtlich große Herausforderungen überwinden müssen, damit keine Effizienzeinbußen in der Teamfunktionalität entstehen.
3 Arbeitsmarkt für Topmanager 3.1 Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager Die Offenheit gegenüber ausländischen Führungskräften hat sich im Zeitraum von 2000 bis 2005 in den untersuchten Ländern gesteigert (vgl. Tab. 1). Etwa jede vierte Führungskraft war zum Jahresende 2005 ein Ausländer, und etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Unternehmen hatte zum Jahresende 2005 mindestens einen Ausländer in ihrem Topmanagementteam. Die Studien von Ruigrok u. Greve (2008) sowie van Veen u. Marsman (2008) zeigen, dass Faktoren wie z.B. das Lohnniveau des Topmanagementteams, ausländische Aktienbeteiligung, internationale Mergers sowie der Internationalisierungsgrad des Unternehmens diese Entwicklung vorantreiben. Bei den Topmanagern ist zudem die durchschnittliche Länge der Arbeitserfahrung im Ausland im Zeitraum 2000 bis 2005 leicht gestiegen. Die untersuchten Unternehmen rekrutieren immer öfter neue Topmanager aus dem externen Arbeitsmarkt, anstatt interne Führungskräfte zu befördern (vgl. Tab. 1). Diese Entwicklung kann in Zusammenhang mit dem Ausländeranteil im Topmanagementteam gesetzt werden (vgl. Tab. 2). Es zeigt sich, dass die Unternehmen einerseits bei der Anstellung von Ausländern in Führungspositionen eine Präferenz für intern beförderte Führungskräfte haben. Bei der Anstellung von externen Kandidaten weisen die Unternehmen andererseits eine stärkere Präferenz für Inländer auf. Diese Beobachtung lässt sich damit erklären, dass die Unternehmen sich bemühen, bei der Anstellung von neuen Führungskräften möglichst viel Unsicherheit zu vermeiden. Da die empfundene Unsicherheit bei der Anstellung von
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Peder Greve, Winfried Ruigrok
externen Kandidaten höher ist, haben die Unternehmen in solchen Fällen eine Präferenz für gut verifizierbare Informationen im Anstellungsprozess, um das Risiko einer Fehlentscheidung zu reduzieren. Daher bevorzugen die Unternehmen inländische Kandidaten aus dem externen Arbeitsmarkt, da Informationen über diese Kandidaten leichter verifizierbar sind. Bei der internen Rekrutierung ist diese Präferenz weniger stark ausgeprägt, da die Kapazitäten und Fähigkeiten der Kandidaten schon weitgehend bekannt sind. Tabelle 1: Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager (Quelle: Eigene Darstellung) Land/ Region
Schweiz Großbritannien Niederlande Nordische Länder Gesamt
Jahr
Ausländeranteil gesamt in %
Anteil TMT mit mind. einem Ausländer in %
Auslandstätigkeit als Anteil an Karrierelänge in %
Anteil externer Anstellungen in %
2000
41,9
69,8
35,4
29,3
2005
48,6
83,9
36,5
35,3
2000
17,7
44,4
28,0
29,6
2005
19,6
43,7
30,9
35,9
2000
31,6
55,9
40,7
29,9
2005
34,5
63,9
41,9
41,3
2000
12,1
36,5
15,7
34,7
2005
12,9
36,3
19,5
35,7
2000
21,1
47,3
25,9
31,3
2005
24,2
51,5
28,2
36,1
Tabelle 2: Rekrutierung von Ausländern und Inländern (Quelle: Eigene Darstellung) Rekrutierung Intern Extern Gesamt
Jahr
Ausländeranteil in %
Inländeranteil in %
2000
25,8
74,2
2005
27,1
72,9
2000
15,5
84,5
2005
21,4
78,6
2000
21,1
78,9
2005
24,2
75,8
Es lässt sich somit eine weitere potenzielle Barriere hinsichtlich der Internatio nalisierung des Arbeitsmarktes für Topmanager feststellen (vgl. Tab. 1 und Tab. 2): Die Internationalisierung der Führungsteams in europäischen Unternehmen findet zeitgleich mit einem wachsenden Anteil an extern rekrutierten (und bevorzugt inländischen) Führungskräften statt. Die wachsende Popularität der Rekrutierung externer Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt für Führungskräfte bedeutet ein weiteres
Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager
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Hindernis für die Entwicklung eines internationalen Arbeitsmarktes für Topmanager. Außerdem lässt sich an den Ergebnissen ablesen, dass die Skepsis gegenüber extern rekrutierten Ausländern im Zeitraum von 2000 bis 2005 etwas abgenommen hat (vgl. Tab. 2). Im Jahr 2000 waren nur etwa 15% der extern rekrutierten Topmanager Ausländer. Diese Quote ist im Jahr 2005 auf über 20% gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist der Ausländeranteil unter den intern rekrutierten Topmanagern von etwa 26% auf etwa 27% nur knapp gestiegen. Diese Zahlen deuten an, dass der Arbeitsmarkt für ausländische Topmanager immer flüssiger wird, da die Abhängigkeit von ausländischen Topmanagementkandidaten aus den eigenen Reihen abnimmt. Die zunehmende Suche nach ausländischen Führungskräften im externen Arbeitsmarkt wird voraussichtlich eine positive Auswirkung auf die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Topmanager im Verlauf der kommenden Jahre haben.
3.2 Länderspezifische Trends Neben den länderübergreifenden Trends eines internationalen Arbeitsmarktes für Topmanager lassen sich auch unterschiedliche Entwicklungstrends in den einzelnen untersuchten Ländern beobachten (vgl. Tab. 1). Auffällig ist vor allem der hohe (und steigende) Ausländeranteil im Topmanagement der Schweizer Unternehmen sowie der eher geringe Ausländeranteil unter den Führungskräften in britischen und nordischen Unternehmen in der Studie. Die Schweizer Unternehmen zeigen sich in der Studie als fleißige Nutzer des internationalen Arbeitsmarktes für Führungskräfte. Zum Jahresende 2005 stammten fast die Hälfte aller Topmanager in den größten Schweizer Unternehmen aus dem Ausland, und die große Mehrheit der Schweizer Unternehmen in der Studie hatte mindestens einen Ausländer im Führungsteam. Im Vergleich scheint die internationale Arbeitserfahrung für Führungskräfte, die von Schweizer Unternehmen rekrutiert werden, etwas weniger wichtig zu sein. In den Führungskräfteteams in Großbritannien kommt nur etwa jeder fünfte Topmanager aus dem Ausland, und weniger als die Hälfte der britischen Unternehmen hat mindestens einen Topmanager aus dem Ausland. Zudem stammt die große Mehrheit der ausländischen Topmanager aus dem englischsprachigen Raum, vor allem aus den USA und Australien, und die Daten zeigen einen bedeutend geringeren Anteil von Ausländern aus dem europäischen Kontinent in 2005 als in 2000. Weiterhin zeigt sich, dass einige Firmen während dieser Zeit vom internationalen Arbeitsmarkt für Führungskräfte zurückgetreten sind. Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass viele der britischen Unternehmen in der Studie besonders große Integrationsschwierigkeiten hatten. Hingegen scheint die internationale Arbeitserfahrung vergleichsweise wichtig zu sein, um an die Spitze eines britischen Unternehmens zu gelangen. In den Niederlanden kann im Zeitraum 2000 bis 2005 eine vergleichsweise hohe Steigerung der Anzahl an Unternehmen mit mindestens einem ausländischen Topmanager beobachtet werden. Am Ende des Jahres 2005 beschäftigten
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fast zwei Drittel der niederländischen Unternehmen mindestens einen Topmanager aus dem Ausland, was einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Jahr 2000 darstellt. Etwa jeder dritte Topmanager in niederländischen Unternehmen ist ein Ausländer. Topmanager in niederländischen Unternehmen haben durchschnittlich über 40% ihrer beruflichen Karriere im Ausland verbracht. Die internationale Arbeitserfahrung scheint somit ein besonders wichtiges Kriterium für die Rekrutierung von Topmanagementkandidaten zu sein. Die Unternehmen aus den nordischen Ländern weisen die geringsten Ausländerquoten auf. Nur knapp jeder zehnte Topmanager kam aus dem Ausland und etwa jedes dritte Unternehmen beschäftigte mindestens einen Ausländer im Führungsteam am Jahresende 2005. Als potenzieller Ersatz für die Nutzung des internationalen Arbeitsmarktes für Führungskräfte in der Rekrutierung zu Topmanagementpositionen zeigen die nordischen Unternehmen zwischen 2000 und 2005 aber eine gewisse Steigerung in der durchschnittlichen internationalen Erfahrung ihrer Topmanager.
4 Schlusswort Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Topmanagementteams der europäischen Großunternehmen über die letzten Jahre deutlich internationaler geworden sind. Diese Entwicklung ist aber ungleichmäßig verteilt über die sieben Länder, die in der Studie berücksichtigt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Treiber und Hemmnisse der Internationalisierung vom Arbeitsmarkt für Führungskräfte unterschiedlich auf die einzelnen Unternehmen auswirken und zu großen, systematischen Unterschieden zwischen den jeweiligen Unternehmen und Ländern führen. Überall wird aber die Suche nach idealen Kandidaten für Führungspositionen den Internationalisierungsprozess des Arbeitsmarktes für Topmanager weiterhin vorantreiben, damit die Unternehmen die Komplexität der multinationalen Unternehmenstätigkeit auch zukünftig möglichst gut bewältigen können.
5 Literaturverzeichnis Carpenter MA, Sanders WG, Gregersen HB (2001) Bundling Human Capital with Organizational Context: The Impact of International Assignment Experience on Multinational Firm Performance and Ceo Pay. Academy of Management Journal 44(3): 493-511 Earley PC, Mosakowski E (2000) Creating Hybrid Team Cultures: An Empirical Test of Transnational Team Functioning. Academy of Management Journal 43(1): 26-49 Elron E (1997) Top Management Teams within Multinational Corporations: Effects of Cultural Heterogeneity. Leadership Quarterly 8(4): 393
Entwicklungen und Trends im europäischen Arbeitsmarkt für Topmanager
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Teil 3 Strategische Führung – Charaktere und individuelle Eigenschaften verstehen
Auf dem Weg zum „janusköpfigen Manager“? Komplementäre und integrierte Führungsstrukturen in Zeiten des Wandels Alexander Zimmermann, Christian Welling
Gerade in Zeiten des Wandels werden besondere Anforderungen an die unterschiedlichen Typen und Rollen von Führungspersönlichkeiten gestellt. So müssen sie zum einen die gegenwärtigen Herausforderungen bewältigen, um das weitere Überleben des Unternehmens abzusichern, zum anderen müssen sie aber auch zukünftige Potenziale erkennen und die Strategien ggf. an diese anpassen, um zukunftsfähig zu bleiben. Dieser Artikel versucht aufzuzeigen, welche Führungsstrukturen und -stile es Unternehmen ermöglichen, Krisen nicht nur erfolgreich zu überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Neben der Möglichkeit komplementärer Führungsstrukturen, in denen sich mehrere Führungskräfte mit unterschiedlichen Eigenschaften ergänzen, wird auch das Profil eines janusköpfigen Managers beschrieben. Dieser schafft es, unterschiedliche Anforderungen in einer Person zu vereinen und Wandelinitiativen in enger Interaktion mit seinem Team erfolgreich zu bewältigen.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Alexander Zimmermann, Christian Welling
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2 Gegensätzliche Rollen und Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.1 Visionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2.2 Pragmatiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3 Komplementäre Führungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.1 Temporärer Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.2 Gemischtes Führungsteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.3 Balance zwischen Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3.4 Balance zwischen Vorstand und mittlerem Management . . . . . . . . . . . . 122 4 Integrierte Führungsstrukturen: Der „janusköpfige Manager“ . . . . . . . 123 4.1 Führungsfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4.2 Führungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Auf dem Weg zum „janusköpfigen Manager“?
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„We have to deploy past experiences while staying focused on current execution and, at the same time, shape the future. This is the greatest challenge for top managers today.“ Peter Brabeck-Lemathe, CEO Nestlé
1 Einleitung Wirtschaftliche Themen werden in der Öffentlichkeit sowie in Presse und Politik regelmäßig im Zusammenhang mit einzelnen Führungspersönlichkeiten diskutiert. Diese werden dabei häufig repräsentativ für ein gesamtes Unternehmen herangezogen und gerade in Krisenzeiten auch immer öfter kritisiert. Führungskräfte befinden sich jedoch nicht nur im Fokus des öffentlichen Interesses. Sie stehen auch innerhalb ihres eigenen Unternehmens im Rampenlicht. Je größer die Unsicherheit bei den Mitarbeitern wird, desto stärker beobachten diese das Verhalten ihrer Vorgesetzten auf der Suche nach Erklärungen und Orientierung (Sutton 2009). Seit Beginn der weltweiten Finanzkrise wird immer wieder Kritik laut, dass Führungskräfte der Vielzahl ihrer Aufgaben nicht mehr gewachsen sind. Die Financial Times Deutschland zitiert eine Studie, nach der 40% des Führungspersonals unterhalb der Vorstandsebene ihren Chefs kein überzeugendes Krisenmanagement zutraut (Lamprecht 2009). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey. Danach bezweifeln 48% der Aufsichtsräte, dass die Vorstände ihrer Unternehmen in der Lage sind, die Führungsanforderungen zu erfüllen, welche die aktuelle Krise an sie stellt. Der bekannte Managementforscher Andrew Campbell erklärt diesen Vertrauensverlust damit, dass viele Führungskräfte dazu neigen, an bestehenden Erfolgsmustern festzuhalten (Campbell u. Sinclair 2009). In einem neuen wirtschaftlichen Umfeld kann eine solche Beharrlichkeit jedoch verheerend wirken. Vielmehr sind Führungspersönlichkeiten gefragt, die Unternehmen revitalisieren und darauf vorbereiten, in den kommenden Jahren gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Dieses Kapitel zielt darauf ab, zu beschreiben, welche vielfältigen Rollen und Führungsstile Führungskräfte bei strategischen Veränderungen einnehmen müssen und welchem Spannungsfeld aus gegensätzlichen Anforderungen sie dabei gegenüberstehen. Darauf aufbauend werden vier erfolgreiche Lösungsansätze vorgestellt, mit denen Unternehmen diese vielfältigen Herausforderungen durch den Aufbau komplementärer Führungsstrukturen bewältigt haben. Im Anschluss wird das Profil eines janusköpfigen Managers beschrieben. Diesem kann es unter gewissen Voraussetzungen gelingen, die vielfältigen Führungsrollen in einer Person zu vereinen.
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Alexander Zimmermann, Christian Welling
2 Gegensätzliche Rollen und Führungsstile Insbesondere bei langfristig angelegten strategischen Wandelinitiativen müssen Führungskräfte sehr vielfältige Aufgaben wahrnehmen. Im Rahmen des Minnesota Innovation Research Program hat ein Team aus über 30 Wissenschaftlern der Universität von Minnesota fünf zentrale Rollen identifiziert, die ein Führungsteam vereinen muss: Sponsor, Mentor, Unternehmer, Kritiker und institutioneller Führer (Van de Ven, Polley et al. 1999). Die Rolle eines Sponsors umfasst primär die Förderung einer Wandelinitiative durch den Einsatz von Ressourcen. Gleichzeitig müssen Widerstände innerhalb des Unternehmens überwunden werden, indem Führungskräfte eine neue strategische Ausrichtung vor den Vorstandskollegen, aber auch vor den Mitarbeitern vertreten und durch eigenes Engagement vorantreiben (Angle u. Van de Ven 1989). Neben diesem Einsatz von Ressourcen müssen Führungskräfte zudem die Rolle eines Mentors wahrnehmen, in der sie die involvierten Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit unterstützen und beraten. Sie sollten dabei als Vorbild für den Leiter der Initiative fungieren und sich um Unterstützung und Anleitung der involvierten Akteure bemühen. Häufig müssen Führungskräfte darüber hinaus auch die Rolle des Unternehmers einnehmen. Sie sind dann in die eigentliche tägliche Arbeit ian einem Projekt eingebunden und treiben dieses selbst im Unternehmen voran (Van de Ven, Polley et al. 1999). Neben den unterstützenden Rollen eines Sponsors, Mentors oder Unternehmers kommt Führungskräften aber auch die Aufgabe zu, Wandelinitiativen kritisch zu hinterfragen. Sie sind dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass Investitionen in Initiativen vermieden werden, die sich langfristig als erfolglos erweisen. Gerade in der Anfangsphase neuer Ideen und Initiativen können Kritiker auch kognitive Konflikte anregen, die zu einer besseren Entscheidungsfindung und Ergebnisqualität beitragen (Amason u. Schweiger 1994). Neben der Rolle des Kritikers gilt es zudem, diejenige des institutionellen Führers wahrzunehmen. Dabei müssen Führungskräfte eine gewisse Distanz bewahren, um Vor- und Nachteile von Initiativen neutral abwägen zu können, hierarchische Entscheidungen zu treffen und eine adäquate Kontrolle auszuüben (Van de Ven, Polley et al. 1999). Diese fünf Rollen stellen ganz unterschiedliche Anforderungen an Führungs kräfte. Als Sponsor, Mentor und Unternehmer müssen sie vor allem langfristig denken, kreative Visionen zukünftiger Geschäftsideen entwickeln und Mitarbeiter zu eigenverantwortlichem Handeln und Lernen motivieren können. Die Rollen eines Kritikers und institutionellen Führers verlangen hingegen nach einem pragmatischen, kurzfristigeren Fokus auf realistische Ziele, einem Gefühl für die Grenzen des Wandels und einer ergebnisorientierten Optimierung. Für den Umgang mit diesen gegensätzlichen Rollen und Anforderungen hat ein Beitrag von Schmid und Probst (2007) die komplementären Führungsstile des Visionärs und des Pragmatikers geprägt.
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2.1 Visionär Visionäre überzeugen besonders durch ihr Charisma. Sie artikulieren eine klare Zukunftsvision, in der sie neue Wege und Perspektiven aufzeigen. Gleichzeitig sind sie stark beziehungsorientiert und binden Kollegen, aber auch Mitarbeiter als gleichberechtigte Persönlichkeiten in Diskussionen und Entscheidungen ein. Visionäre zeichnen sich in ihrer Tätigkeit durch ein hohes Maß an Idealismus aus und streben häufig danach, das Unmögliche möglich zu machen (Schmid u. Probst 2007). Solche charismatischen Führungspersönlichkeiten beschrieb bereits der Soziologe Max Weber und sprach ihnen „außeralltägliche, gottgesendete“ Eigenschaften zu, derentwegen sie als Führer wahrgenommen würden (Weber 2006 (1922), S.243). Eng verknüpft mit der Figur des Visionärs ist der transformatio nale Führungsstil, bei dem Führungskräfte ihre Aktivitäten auf die Veränderung von Werten und Zielen ihrer Mitarbeiter ausrichten (Bass 1985). Sie sprechen durch Inspiration, Vision oder persönliches Vorbildverhalten ganz bewusst die Emotionen ihrer Mitarbeiter an und helfen ihnen damit, ihre Ansprüche, Motive und Ziele auf ein höheres Niveau zu heben (Bruch u. Vogel 2005 S.128). Vor allem erfolgreiche Wachstumsgeschichten in Unternehmen werden häufig Visionären zugeschrieben. Diese einzelnen, herausragenden Führungspersönlich keiten sehen zukünftige Wachstumschancen voraus, gewinnen ihre Mitarbeiter für die Geschäftsideen und setzen diese gegen alle Widerstände erfolgreich um (Schmid u. Probst 2007). Besonders bei tiefgreifenden Veränderungs- und Innovationsprozessen im Unternehmen ist dieser Führungsstil wertvoll, da er emotionale Begeisterung erzeugt, und dadurch eigenverantwortliche Aktivitäten und Initiativen von Mitarbeitern und ganzen Abteilungen fördert (Tichy u. Ulrich 1984). Ein visionärer Führungsstil birgt jedoch auch Risiken. Dass ein Visionär das gesamte Unternehmen für eine Idee begeistern kann, bedingt noch nicht, dass diese auch zu den vorhandenen Fähigkeiten passt und ein reales Marktbedürfnis adressiert. Es besteht im Gegenteil die Gefahr, dass Bedenken in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit verdrängt oder vernachlässigt werden. „Ohne pragmatische Ergebnisorientierung wird eine Vision dann schnell zur Illusion.“ (Schmid u. Probst 2007, S. 126).
2.2 Pragmatiker Neben dem visionären wurde auch immer wieder ein pragmatischer Führungsstil in der Literatur beschrieben. Dieser orientiert sich vor allem an konkreten, messbaren Erfolgszielen. Den Mitarbeitern werden anhand definierter Fähigkeitsprofile bestimmte Aufgaben zugeteilt. Dabei zeichnen sich die Führungskräfte durch ein hohes Maß an Realismus aus und orientieren sich daran, was ihnen in der jeweiligen Situation möglich und erfolgsversprechend erscheint (Schmid u. Probst 2007). Eng verknüpft mit der Figur des Pragmatikers ist der transaktionale Führungsstil, bei dem Führungskräfte als übergeordnete Instanz wahrgenommen und akzeptiert werden. Die Mitarbeiter befolgen an sie gestellte Forderungen, um im Gegenzug dafür Lob, Boni und Ressourcen zu erhalten, oder um disziplinarischen Strafen zu entgehen (Bass, Jung et al. 2003).
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Ein solcher, eher auf Profitabilität und kurzfristige Erfolgsziele ausgerichteter Führungsstil muss als wichtige Ergänzung zu einem visionären Führungsstil verstanden werden. Die klaren Anforderungen und Entscheidungsstrukturen eignen sich besonders gut, um schnelles, organisches Wachstum aus dem Tagesgeschäft heraus zu generieren. Dies birgt jedoch gleichzeitig das Risiko einer strategischen Kurzsichtigkeit (Levinthal u. March 1993; Schmid u. Probst 2007). Dem Pragmatiker fehlt häufig der Mut zum Risiko und die langfristige Perspektive, die nötig ist , um zukünftige Chancen und Potenziale zu identifizieren und zu erschließen. Stattdessen bleibt das Unternehmen in seinen etablierten Erfolgsmustern verhaftet und läuft Gefahr, auf Veränderungen in der Umwelt weder vorbereitet zu sein noch darauf reagieren zu können (Probst u. Raisch 2005). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Visionäre und Pragmatiker einerseits wichtige Stärken besitzen, andererseits aber auch Schwächen aufweisen, die den langfristigen Erfolg eines Unternehmens unter Umständen gefährden können. Führungskräfte stehen daher vor der Herausforderung, eine Balance zwischen beiden Führungsstilen finden zu müssen (vgl. Schmid u. Probst 2007, S. 126).
3 Komplementäre Führungsstrukturen Um das oben beschriebene Spannungsfeld aus unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Rollen von Führungskräften zu lösen, haben erfolgreiche Unter nehmen komplementäre Führungsstrukturen etabliert, in denen sich unterschiedliche Persönlichkeiten gegenseitig ergänzen. So teilen Führungsteams häufig die vielfältigen Aufgaben und Verantwortlichkeiten untereinander auf, um die Komplexität für jeden Einzelnen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Zudem finden sich meistens Führungsteams mit unterschiedlicher Ausbildung und Erfahrungen in verschiedenen Unternehmensfunktionen. Dadurch entsteht eine kumulierte Expertise, welche die vielfältigen Themen der Führungsarbeit abdeckt. Neben den inhaltlichen Aspekten ergänzen sich viele Führungsteams aber auch auf kognitiver Ebene, indem einzelne Führungskräfte eher einen visionären, andere eher einen pragmatischen Stil verfolgen (Miles u. Watkins 2007). Es lassen sich vier unterschiedliche Muster, wie eine solche Komplementarität in Führungsteams erzeugt werden kann, identifizieren. Manche Unternehmen vollziehen einen temporären Wechsel zwischen visionären und pragmatischen Führungskräften. Andere finden diese Balance durch eine ausgewogene Besetzung des Führungsteams. Darüber hinaus ist es möglich, dass Vorstand und Aufsichtsrat unterschiedliche Orientierungen vertreten, und zum Schluss kann auch das mittlere Management als Gegengewicht zum Vorstand wirken.
3.1 Temporärer Wechsel Eine weitverbreitete Möglichkeit, komplementären Anforderungen gerecht zu werden, ist ein temporärer Wechsel von Führungskräften mit unterschiedlichen
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Stilen und Fähigkeiten. Häufig werden solche Wechsel von Ereignissen oder Herausforderungen innerhalb, aber auch außerhalb des Unternehmens ausgelöst. Ein Rückgang der innovativen Stärke eines Unternehmens, radikale Veränderungen im technologischen Umfeld oder neue, überlegene Produkte eines wichtigen Wettbewerbers können den Einsatz eher visionär ausgerichteter Führungskräfte erfordern. Im Gegensatz dazu können eine rückläufige Profitabilität, der Einstieg neuer Wettbewerber oder ein verstärkter Kostendruck aus dem Markt Auslöser für den Einsatz eher pragmatisch orientierter Führungskräfte sein. Da weder visionäre noch pragmatische Fähigkeiten alleine langfristigen Unternehmenserfolg sichern, ändert sich die Orientierung häufig bei jedem Führungskräftewechsel. Fallbeispiel: BMW Ein regelmäßiger Wechsel zwischen visionären und pragmatischen Führungskräften konnte sehr gut beim Automobilhersteller BMW beobachtet werden (vgl. Raisch u. Zim mermann 2006). Bernd Pischetsrieder verfolgte als Vorstandsvorsitzender zwischen 1993 und 1999 den ambitionierten Plan, mit dem vergleichsweise kleinen Premiumher steller den Massenmarkt zu erobern. Der Kauf des britischen Rover-Konzerns sollte ein wichtiger Schritt zur Sicherung der langfristigen Zukunft des Unternehmens sein. Diese visionäre Strategie ging jedoch nicht wie gewünscht auf. Nachdem BMW 1999 den ers ten Verlust seiner Unternehmensgeschichte verkündet hatte, musste Pischetsrieder sei nen Posten für Joachim Milberg räumen. Der ehemalige Dekan der Fakultät für Ma schinenwesen an der Technischen Universität München trimmte das Unternehmen von diesem Zeitpunkt an zwei Jahre lang pragmatisch auf Profitabilität. Durch den Verkauf von Roverfokussierte er BMWs Portfolio wieder auf den Premiummarkt. Zudem wurden unter seiner Leitung flexible Produktions- und Personalprozesse etabliert, die neue Maß stäbe in Hinblick auf Effizienz und Produktivität setzten. 2002 war BMW nach Porsche das profitabelste Unternehmen der weltweiten Automobilindustrie. Die geringe Größe des Unternehmens machte es jedoch unmöglich, mit Rivalen wie Ford, GM und Toyota mitzuhalten, die bis zu fünf Mal mehr Fahrzeuge produzierten. Im Frühjahr 2002 wurde Helmut Panke neuer Vorstandsvorsitzender. Er hatte sich durch den Aufbau der ersten BMW Produktionsstätte in den USA bereits einen Namen als visionärer Förderer von Wachstum und Innovation gemacht. Tatsächlich lancierte er eine regelrechte Produk toffensive, indem er neben Neuauflagen der etablierten Modelle auch in neue Segmente expandierte. So entwickelte BMW unter seiner Leitung kleine Fahrzeuge (MINI und 1er), Geländefahrzeuge (X-Series) und Fahrzeuge der Luxusklasse (Rolls-Royce). Im Herbst 2006 stand der vorerst letzte Führungswechsel an, bei dem Norbert Reithofer an die Spitze des Unternehmens trat. Auch bedingt durch die Auswirkungen der weltweiten Fi nanzkriese trimmt er den Konzern seither stark auf Kosteneffizienz. Der ehemalige Pro duktionsvorstand gilt als bodenständig und pragmatisch. Es bleibt abzuwarten, welchen Führungsstil sein späterer Nachfolger haben wird.
3.2 Gemischtes Führungsteam Als Alternative zu einem temporären Wechsel ist es ebenso möglich, visionäre und pragmatische Führungskräfte in einem heterogenen Team zusammenzuführen (Miles u. Watkins 2007). Solche gemischten Führungsteams zeichnen sich häufig
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dadurch aus, dass jedes Mitglied individuelle Fähigkeiten besitzt und einen eigenen Führungsstil verfolgt. Allerdings bauen erfolgreiche gemischte Führungsteams ebenfalls auf einer Reihe verbindender Elemente auf, welche die Zusammenarbeit erleichtern. Das wichtigste dieser Elemente ist eine gemeinsame Vision, wohin das Unternehmen entwickelt werden soll. Das zweite ist eine konstruktive Kritikund Diskussionskultur, in der beide Seiten ihre jeweiligen Positionen vertreten können, ohne dabei persönliche Konflikte auszulösen. Zuletzt ist es wichtig, dass beide Führungskräfte nach außen gemeinsam auftreten. Dies reduziert die Gefahr der Unsicherheit bei den Mitarbeitern und außerhalb des Unternehmens, welche entstehen kann, wenn das Führungsteam unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Signale aussendet. Fallbeispiel: Microsoft Ein Beispiel für ein ebenso unterschiedliches wie erfolgreiches Führungsteam waren Bill Gates und Steve Ballmer, die aus dem Start-up Microsoft gemeinsam den größten Softwarekonzern der Welt schufen (vgl. Heenan u. Bennis 1999). Beide trafen sich erst mals 1973 bei einem gemeinsamen Filmabend an der Harvard University. Obwohl das ungleiche Paar schnell Freundschaft schloss, trennten sich ihre Wege, als Bill Gates die Universität 1975 verließ, um Microsoft zu gründen. Ballmer blieb zuerst in Harvard und arbeitete danach kurze Zeit für Procter & Gamble. Dort wurde sein pragmatischer Stil erstmals bemerkt, als er eine Verpackung so gestalten ließ, dass sie mehr Platz im Supermarktregal einnahm und dadurch Konkurrenzprodukte aus dem Sortiment ver drängte. In der Zwischenzeit hatte der visionäre Gates ein Start-up aufgebaut, das sei ner Aussage nach aus einer Vielzahl interessanter Projekte bestand, die das Potenzial hatten, zu etwas Großem zu werden. 1980 holte er seinen ehemaligen Kommilitonen als ersten Nichtprogrammierer zu Microsoft. Ballmer schien ihm genau der Richtige, um sich um die Geschäfte bei Microsoft zu kümmern, für die Gates wenig übrig hatte. Diese Rollenverteilung sollte das Team 20 Jahre lang weitestgehend beibehalten. Ungeach tet ihrer Unterschiede verband beide eine unerschütterliche gemeinsame Vision: „One PC in every household“. Diese verhinderte jedoch nicht, dass Gates und Ballmer auch regelmäßige Konflikte austrugen. Kurz nach Ballmers Einstieg bei Microsoft stritten sie sich beispielsweise so heftig über die Einstellung neuer Mitarbeiter, dass Ballmer aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Nachdem er tags darauf zurückkehrte, hatte er Gates überzeugt – allerdings weniger durch den Auszug als durch die besseren Argumente. Neben einer konstruktiven Kritikkultur pflegten beide zudem einen sehr partnerschaft lichen Auftritt nach außen und ließen keine Hierarchiediskussionen aufkommen. Gates vertrat Microsoft, wenn der Visionär gefragt war. Ballmer hingegen spielte seine Stärken als Verkäufer und knallharter Verhandlungspartner aus. Seit Gates Rücktritt aus dem operativen Management im Jahr 2000 ist Ballmer offiziell auch für die Visionen ver antwortlich. Dennoch besitzt Gates als Anteilseigner weiterhin eine mächtige Rolle bei Microsoft. Regelmäßig wird über Konflikte zwischen den beiden berichtet. Es bleibt zu bezweifeln, ob Ballmer Recht behält, wenn er 2008 in einem Interview mit dem Wall Street Journal über sein Verhältnis zu Gates sagt: „I‘m not going to need him for anything. That‘s the principle, use him, yes, need him, no.“
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3.3 Balance zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Eine Balance zwischen pragmatischer und visionärer Ausrichtung kann nicht nur innerhalb des operativen Führungsteams geschaffen werden. Insbesondere in Zeiten des Wandels wird immer öfter gefordert, dass der Aufsichtsrat nicht nur als unabhängige Kontrollinstanz wirkt, sondern auch zunehmend strategisch involviert sein soll (Carey u. Patsalos-Fox 2006). Dafür genügt es jedoch nicht, dass sich der Aufsichtsrat regelmäßig mit strategischen Fragestellungen befasst. Zusätzlich muss auch bei der Zusammensetzung des Gremiums darauf geachtet werden, dass die Mitglieder ein umfangreiches, aktuelles und anwendungsorientiertes strategisches Know-how besitzen. Anders als bei gemischten Führungsteams zeichnen sich in einer solchen Konstellation erfolgreiche Unternehmen zudem durch klare Entscheidungsstrukturen aus. Während in amerikanisch geprägten Firmen der CEO häufig in einer stärkeren Position ist, hat in mitteleuropäischen Unternehmen der Aufsichtsrat oftmals den größeren Einfluss. Fallbeispiel: Volkswagen Ein besonders deutliches und gleichzeitig erfolgreiches Beispiel für einen strategisch in volvierten Aufsichtsrat bietet der Volkswagen-Konzern. Der einflussreichste Mann bei Volkswagen ist unumstritten Ferdinand Piëch. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist nicht nur Enkel des Autopioniers Ferdinand Porsche und damit aus rein familiären Gründen mit dem Konzern verbunden, er ist auch ein ausgezeichneter Stratege. Piëch begann seine Karriere 1963 bei Porsche und wurde innerhalb von acht Jahren technischer Geschäfts führer. Anschließend kam er zu Audi, übernahm 1988 die Geschäftsleitung und war maßgeblicher Gestalter entscheidender Innovationen wie dem Allradantrieb „Quattro“ und dem TDI-Motor. 1993 wurde Piëch Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und brachte den angeschlagenen Konzern zurück in die Gewinnzone. Seit 2002 leitet er den Aufsichtsrat. Seine Fähigkeiten als Manager und Stratege sind auch heute unbestritten. Die Global Automotive Elections Foundation wählte ihn zum „Automobilmanager des 20. Jahrhunderts“ und das manager magazin bezeichnet ihn als „ausgebufftesten und coolsten Manager“ Deutschlands. Auch während der weltweiten Finanzkriese bleibt der 72-jährige Piëch stark in die strategische Arbeit bei Volkswagen involviert und gilt wei terhin als der visionäre „Strippenzieher“. Die Umsetzung überlässt Piëch Martin Win terkorn, der seit 2002 den Volkswagen-Vorstand leitet. Trotz deutlich positiver Gesamtbi lanz meidet Winterkorn weitestgehend die Öffentlichkeit. Bereits in den achtziger Jahren arbeitete er im Umfeld von Piëch bei Audi, wo er 2002 den Vorstandsvorsitz übernahm. Er gilt als pragmatischer Techniker und genießt überall im Unternehmen großen Res pekt. Die Arbeitsteilung zwischen Piëch und Winterkorn hat sich von Beginn an bewährt. Die Vision, Volkswagen bis 2018 zum größten Automobilhersteller der Welt zu machen, könnte Winterkorn 2009 sogar bereits erfüllt haben. Experten schätzen, dass der Konzern im ersten Quartal 2009 mehr Fahrzeuge verkauft hat als der japanische Rivale Toyota.
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3.4 Balance zwischen Vorstand und mittlerem Management Nicht nur der Aufsichtsrat kann einen visionären oder pragmatischen Führungsstil des Vorstands ergänzen. Auch das mittlere Management spielt in vielen Unternehmen eine ganz wesentliche Rolle bei der Führung von Wandelinitiativen. Dabei sollten die Aufgaben klar verteilt sein. Der Vorstand ist für die Vorgabe der strategischen Stoßrichtung, die Identifikation von Zukunftspotenzialen und die Ressourcenverteilung zuständig. Das mittlere Management verantwortet die Umsetzung, operationalisiert die Vorgaben und unterstützt den Lernprozess im Unternehmen (vgl. Floyd u. Lane 2000). Anders als bei der zuvor beschriebenen klaren Machtverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist es zudem entscheidend, dem mittleren Management genügend Freiräume zu lassen, damit dieses selbst unternehmerisch tätig werden kann. Insbesondere in stark diversifizierten Konzernen ist diese Form der Balance zu beobachten. Fallbeispiel: DaimlerChrysler Auch das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen Vorstand und mittlerem Management lässt sich gut an einem Beispiel der Automobilindustrie illustrieren (vgl. Raisch u. Zim mermann 2006). Im Jahr 1998 verfolgte Jürgen Schrempp den visionären Plan, durch die Verschmelzung der damals hochprofitablen Konzerne Daimler und Chrysler eine Welt AG zu schaffen, welche den Automobilmarkt in den folgenden Jahren dominieren sollte. Er sah vor allem die neuen Marktchancen für beide Marken als auch weitreichende Potentiale zur Ressourceneinsparung. Die Verschmelzung der Unternehmen misslang jedoch. Die unterschiedlichen Identitäten stellten sich als unüberwindliches Hindernis heraus. Gleichzeitig zog Chrysler die Aufmerksamkeit des Topmanagements auf sich, was zu einer Vernachlässigung des Mercedes-Geschäfts führte. Alleine im Jahr 2001 musste DaimlerChrysler einen operativen Verlust von über 0,5 Mrd. US-Dollar auswei sen. Zu diesem Zeitpunkt holte sich der Visionär Schrempp die Unterstützung von Dieter Zetsche. Der frühere Leiter des Nutzfahrzeuggeschäfts galt als pragmatischer Umsetzer. Er begann mit weitreichenden Restrukturierungsprozessen und baute innerhalb eines Jahres 20% der Stellen bei Chrysler ab. Trotz dieser Einschnitte sammelte Zetsche in den USA viele Sympathien. Mit seiner hemdsärmeligen Art überwand er Vorbehalte der Beschäftigten, etwa dadurch, dass er oft mit ihnen in der Betriebskantine zu Mittag aß. Die fokussierten operativen Maßnahmen zeigten 2004 Wirkung, als Chrysler einen deut lichen operativen Gewinn von 1,9 Mrd. US-Dollar ausweisen konnte. Zetsches Position und Erfolg war damals im Konzern kaum umstritten. Nur ein Jahr später änderte sich die Führungskonstellation, als Schrempp den Vorstandsvorsitz bei DaimlerChrysler an Zetsche übergab. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titulierte daraufhin in ihrem Leit artikel „Pragmatiker folgt Visionär“. Seither führt Zetsche seinen Stil an der Unterneh mensspitze fort. Er verkaufte Chrysler an den Finanzinvestor Cerberus und fokussierte das Unternehmen, welches seither unter dem Namen Daimler AG auftritt, wieder stärker auf das Kerngeschäft. Dies genügte jedoch nicht, um den Konzern von den negativen Aus wirkungen der weltweiten Finanzkrise zu verschonen. Für das Geschäftsjahr 2009 gab Zetsche einen düsteren Ausblick und bezeichnete die zukünftige Entwicklung als schwer abschätzbar. Vielleicht liegt es jetzt an ihm, sich nach einem Visionär im mittleren Ma nagement umzusehen, der ihn dabei unterstützt, Daimler gestärkt aus der Krise hervor gehen zu lassen.
Auf dem Weg zum „janusköpfigen Manager“?
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Der Aufbau komplementärer Führungsstrukturen erlaubt es Unternehmen, die Stärken von Visionären und Pragmatikern zu nutzen. Durch die personelle Trennung wird das Spannungsfeld jedoch nicht aufgelöst. Stattdessen müssen Personen mit gegensätzlichen Führungsstilen kontinuierlich versuchen, ihre Aktivitäten zu koordinieren, Konflikte zu lösen und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Dies erhöht die Komplexität der strategischen Entscheidungsfindung, reduziert damit die Effizienz der Unternehmensführung und führt unter Umständen dazu, dass notwendige Schritte unterlassen werden, wenn kein Konsens gefunden werden kann. Insbesondere Zeiten der Krise und des Umbruchs verlangen jedoch nach schnellen, radikalen Maßnahmen und nach Führungskräften, die eine klare Vision für die Zukunft und die Fähigkeit zur pragmatischen Umsetzung in einer Person vereinen.
4 Integrierte Führungsstrukturen: Der „janusköpfige Manager“ Gerade beim Management von strategischen Wandelinitiativen ist es entscheidend, dass einzelne Führungskräfte gleichzeitig als Visionäre und Pragmatiker agieren, da meist Einzelpersonen und kein gesamtes Führungsteam in solche Initiativen eingebunden sind. Auf der Basis verschiedener wissenschaftlicher Studien und Beobachtungen aus unterschiedlichen Praxisprojekten lassen sich Fähigkeiten ableiten, die solche janusköpfigen Manager vereinen müssen, um sowohl kurzfristig als auch langfristig erfolgreich zu sein.
4.1 Führungsfähigkeiten Eine zentrale Voraussetzung für einen janusköpfigen Manager sind starke kognitive Fähigkeiten. Er muss in der Lage sein, aus einer großen Menge an Daten und Informationen nicht nur die zentralen Punkte zu identifizieren, sondern diese auch unmittelbar zu einem Gesamtbild zusammenzufügen (Cohn, Katzenbach et al. 2009). Diese erste Fähigkeit erlaubt es einer Führungskraft, sowohl die kurzfristige als auch die langfristige Wirkung ihrer Entscheidungen abschätzen zu können. Angesichts der erhöhten Komplexität von Wandelinitiativen stellt dieses Spannungsfeld eine der wichtigsten Herausforderungen dar. Zweitens muss ein janusköpfiger Manager sehr gut vernetzt sein und viele Personen kennen, die ihm im Zweifel helfen können. Nur so ist es ihm möglich, an alle notwendigen Informationen zu gelangen und gleichzeitig genügend Unterstützung für seine Projekte zu erhalten. Um ein solches Netzwerk aufzubauen und zu erhalten, muss sich eine Führungskraft in vielen unterschiedlichen Subkulturen und „Welten“ bewegen können. Die dafür notwendigen interpersonellen Fähigkeiten sind intrinsisch in der jeweiligen Persönlichkeit angelegt, welche in den meisten Fällen durch Neugier, Selbstsicherheit und Geselligkeit geprägt ist (Gladwell 2001). Janusköpfige Manager glauben nicht daran, dass etwas, was in der Vergangenheit funktioniert hat, auch in Zukunft funktioniert. Sattdessen sind sie in der Lage, frühere Erfolgsmuster auszublenden und jede Situation völlig unvoreingenommen
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einzuschätzen. Dabei besitzt eine solche Führungskraft drittens die reflexive Fähigkeit, Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren (Cohn, Katzenbach et al. 2009). Dies ermöglicht es ihr einerseits, das im Unternehmen vorhandene Wissen in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen, und andererseits offen für völlig neue Wege und Lösungen zu bleiben. Viertens muss ein janusköpfiger Manager die rezeptiven Fähigkeiten und den Willen haben, ständig zu lernen. Er zeichnet sich durch sein umfangreiches Wissen über alle Funktionsbereiche und Märkte des Unternehmens aus. Dieses erreicht er durch ständige Lektüre einschlägiger Zeitungen, Magazine und Fachzeitschriften, vor allem aber auch durch Beobachtungen. Eine solche Führungskraft ist in der Lage, Trends und neue „Moden“ zu erkennen, noch bevor diese offensichtlich werden. Darüber hinaus sammelt sie aber nicht nur Informationen, sondern teilt diese auch mit anderen Stellen im Unternehmen, um eine Basis für langfristigen Erfolg zu schaffen (Gladwell 2001).
4.2 Führungskontext Neben dem anspruchsvollen Fähigkeitsprofil eines janusköpfigen Managers ist es für den Erfolg einer strategischen Wandelinitiative zudem notwendig, dass dieser einen Kontext innerhalb seines Teams etabliert, in welchem er seine Stärken auch effektiv nutzen kann. Verschiedene Studien beschreiben harte und weiche Kontextfaktoren, die es einem Team ermöglichen, bestehende Kompetenzen zu nutzen und weiterzuentwickeln und gleichzeitig neue Chancen zu identifizieren und zu erschließen (vgl. Gibson u. Birkinshaw 2004; Heifetz, Grashow et al. 2009). Nur mit der Unterstützung eines solchen Teams kann eine einzelne Führungskraft strategische Wandelinitiativen erfolgreich bewältigen. Zu den harten Kontextfaktoren gehört eine strikte Disziplin im Tagesgeschäft. Die Mitarbeiter sollten klare und objektive Erfolgs- und Verhaltensstandards vorfinden. Auf diesen müssen wiederum gerechte, verhältnismäßige und konsistent angewandte Anreizsysteme und Sanktionen beruhen. Zudem sollte innerhalb des gesamten Teams eine konstruktive Feedback- und Kritikkultur herrschen. Durch einen solchen objektiven und offenen Umgang mit den Mitarbeitern erhält eine Führungskraft Glaubwürdigkeit und motiviert gleichzeitig das gesamte Team, sich möglichst aktiv einzusetzen. Als Ergänzung zu diesen disziplinarischen Maßnahmen sollte sich das Team außerdem an ambitionierten, übergeordneten Zielen ausrichten. Dabei muss die Bedeutung jedes Einzelnen für das Erreichen dieser Ziele stets betont werden. Das gemeinsame Streben nach Erfolg schafft eine kollektive Identität innerhalb des Teams und spornt zu guten Leistungen an. Der Teamkontext sollte darüber hinaus durch weiche Faktoren ergänzt werden. Eine Führungskraft muss ihre Mitarbeiter aktiv fördern. Gleichzeitig sollten diese Zugriff auf die verfügbaren Ressourcen haben und ausreichend Umsetzungsverantwortung besitzen. Eine solche Kultur bietet jedem Mitarbeiter gleichzeitig Unterstützung und genügend Freiraum, um selbst unternehmerisch tätig zu werden. Darüber hinaus muss eine Führungskraft auch Vertrauen
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etablieren und erhalten. Dies kann dadurch erreicht werden, dass Teammitglieder in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, und dass diese fair und demokratisch ablaufen. Zudem müssen Aufgaben aufgrund objektiver Fähigkeitskriterien und nicht auf Basis persönlicher Präferenzen vergeben werden. Nur wenn es einer Führungskraft gelingt, von ihrem Team als vertrauensvoll und integer wahrgenommen zu werden, kann sie von diesem auch in schwierigen Phasen Unterstützung erwarten.
5 Fazit Gerade in Zeiten der Krise werden Führungskräfte auf eine besonders harte Probe gestellt. Zum einen müssen sie die gegenwärtigen Herausforderungen bewältigen, um das weitere Überleben des Unternehmens abzusichern, zum anderen müssen sie aber auch zukünftige Potenziale erkennen und die Strategien gegebenenfalls an diese anpassen, um zukunftsfähig zu bleiben (Heifetz, Grashow et al. 2009). In diesem Artikel wurden Führungsstrukturen und -stile aufgezeigt, die es Unternehmen ermöglichen, Krisen nicht nur erfolgreich zu überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Neben der Möglichkeit komplementärer Führungsstrukturen, in denen sich mehrere Führungskräfte mit unterschiedlichen Eigenschaften ergänzen, wurde auch das Profil eines janusköpfigen Managers beschrieben. Dieser schafft es, unterschiedliche Anforderungen in einer Person zu vereinen und Wandelinitiativen in enger Interaktion mit seinem Team erfolgreich zu bewältigen.
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Narzissmus, zentrale Selbstbewertung und Kritikempfindlichkeit auf der Führungsetage Zum Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen und Ärger auf das individuelle Entscheidungs- und Führungsverhalten
Rebekka Sputtek, Steven W. Floyd
Im Rahmen dieses Kapitels erstellen die Autoren ein Persönlichkeitsprofil für Führungskräfte, das einen Beitrag zur Erklärung von Entscheidungsverhalten und transformationaler Führung leisten kann. Es werden dafür die Konzepte einer offenen bzw. verdeckten positiven Selbstwahrnehmung entwickelt. Ebenfalls wird dargestellt, wie diese beiden Konstrukte mit Entscheidungsverhalten und transformationaler Führung in Verbindung stehen. Als vermittelnder Mechanismus wird Ärger eingeführt, der die unterschiedlichen Einflüsse einer offenen bzw. verdeckten Selbstwahrnehmung auf das Entscheidungsverhalten und auf transformationale Führung erklärt. Eine solche Verbindung soll helfen, zu beschreiben, wann und wie Charaktereigenschaften wie Narzissmus, zentrale Selbstbewertung und Kritikempfindlichkeit Entscheidungs- und Führungsverhalten positiv bzw. negativ beeinflussen.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2 Individuelles Entscheidungs- und Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . 131 2.1 Persönlichkeit und Entscheidungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2.2 Persönlichkeit und Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3 Persönlichkeitsprofile und Ärger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1 Notwendigkeit eines Persönlichkeitsprofils für Führungskräfte . . . . . . . 135 3.2 Einfluss von Ärger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4 Konzeptioneller Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.1 Offene und verdeckte positive Selbstwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.2 Beziehungen zwischen Persönlichkeit, Ärger sowie Entscheidungs- und Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.1 Herausforderungen für zukünftige Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.2 Beitrag zu Forschung und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 7 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Narzissmus, zentrale Selbstbewertung und Kritikempfindlichkeit auf der Führungsetage
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1 Einleitung Über Oracle-Mitgründer Larry Ellison wird gesagt: „Der Unterschied zwischen Larry Ellison und Gott ist, dass Gott nicht denkt, er sei Larry Ellison.“ (Vogel 2006, S. 70). Larry Ellison ist CEO1 von Oracle, weltweiter Markführer für Data Warehousing Software. Ellison‘s Nettovermögen wird auf über 18 Mrd. US-Dollar geschätzt, und 2008 belief sich sein Gehalt auf mehr als 84 Mio. US-Dollar. Ellison‘s persönliche Interessen reichen von Sportwagen (er besitzt mehrere, u.a. einen Formel-1-Wagen) über Privatflugzeuge bis zum America’s Cup. Als CEO von Oracle ist Ellison ebenfalls für teilweise feindliche Übernahmen anderer Firmen bekannt. Seit 2005 hat Oracle über 50 Firmen akquiriert (Oracle 2009), einschließlich des ehemaligen Konkurrenten Peoplesoft. In einer Industrie, in der die meisten Mitarbeiter T-Shirts und Jeans tragen, ist Ellison bekannt für seine italienischen Maßanzüge. Wenige würden in Frage stellen, dass Larry Ellison ein energischer, selbstbewusster CEO ist, und seine Risikobereitschaft trägt einerseits wahrscheinlich zu Oracle’s Erfolg bei. Andererseits werden auch Stimmen laut, die meinen, seine Risikobereitschaft habe Oracle beinahe in die Krise gestürzt. Ist sein Selbstbewusstsein manchmal überhöht? Zeigt sich hier Größenwahn oder gar Narzissmus? Wenn ja, wie beeinflussen diese Charaktereigenschaften Ellison’s Entscheidungsverhalten? Obwohl Ellison ein eher extremes Beispiel sein mag, bestätigen sowohl informelle Beobachtungen als auch empirische Forschungsergebnisse, dass die Persönlichkeit von hochrangigen Führungskräften sich von derjenigen durchschnittlicher Mitarbeiter unterscheidet. Wissenschaftler haben begonnen, diese Persönlichkeitsunterschiede zu erforschen (Chatterjee & Hambrick 2007; Hiller & Hambrick 2005; Hambrick 2007) und untersucht, ob und wie sich diese Unterschiede auf das Entscheidungsverhalten, Führungsverhalten und Unternehmensergebnisse auswirken. Erste Erkenntnisse sind vielversprechend, aber viele Fragen sind noch unbeantwortet. Insbesondere haben Wissenschaftler z.B. Größenwahn und Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmale unabhängig voneinander untersucht, aber bislang fehlen Modelle, welche die verschiedenen Merkmale und ihre Auswirkungen im Gesamtzusammenhang darstellen. Unsere Persönlichkeit setzt sich aus vielen Faktoren zusammen, und die isolierte Betrachtung einzelner Charaktereigenschaften wie z.B. Größenwahn trägt nur teilweise zur Erklärung des Entscheidungsverhaltens einer Einzelperson bei. Wenn also z.B. Larry Ellison narzisstische Züge zeigt, aber gut auf Feedback reagiert, ist er eventuell in der Lage, Überreaktionen zu vermeiden. Sollte er allerdings jedes Mal mit Ärger und Wut auf negatives Feedback reagieren, schränkt er langfristig die Menge und Qualität von Informationen ein, die andere ihm zuspielen. Diese Art des Narzissmus könnte seine Entscheidungskompetenz entsprechend verringern. Kurz gesagt, um die Persönlichkeit von Führungskräften 1
Der angelsächsische Begriff Chief Executive Officer (CEO) wird in diesem Beitrag als Synonym für den Vorstandsvorsitzenden oder Geschäftsführer verwendet.
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und deren Einfluss auf Entscheidungsverhalten vollständiger zu verstehen, werden ganzheitliche Modelle benötigt, die mehrere Persönlichkeitsmerkmale integrieren, sog. Persönlichkeitsprofile. Neben dem Entscheidungsverhalten ist es ebenso wichtig, den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Führungsverhalten zu verstehen. Von Führungskräften wird neben der Entscheidungsfindung auch erwartet, dass sie Visionen kreieren und andere inspirieren, diese Visionen umzusetzen. In der Führungsforschung (Burns 1978; Bass 1985) wird dieser Führungsstil als transformationale Führung bezeichnet. Ein solches Führungsverhalten wurde in den letzten 30 Jahren immer wieder mit überdurchschnittlichen Unternehmensergebnissen in Verbindung gebracht, einschließlich einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation. Demzufolge ist das Führungsverhalten ein weiteres Merkmal, durch welches Führungskräfte den Unternehmenserfolg beeinflussen. Daher stellt sich die Frage, welche Persönlichkeitsprofile einen transformationalen Führungsstil begünstigen. Existieren idealtypische Persönlichkeitsprofile im Hinblick auf bestimmtes Führungsverhalten? Zusätzlich zur Notwendigkeit eines Profils für Führungskräfte ist es wich tig, mehr über die Mechanismen zu erfahren, welche die Persönlichkeit von Führungskräften mit einem bestimmten Entscheidungs- und Führungsverhalten in Verbindung bringen. Ein solcher Mechanismus könnten Emotionen sein. Es wurde gezeigt, dass Persönlichkeit Emotionen beeinflusst (Staw u. Barsade 1993), und dass Emotionen wiederum Entscheidungs- und Führungsverhalten beeinflussen. So wirkt sich beispielsweise Ärger negativ auf das Entscheidungsverhalten aus (Lerner u. Tiedens 2006). Es werden allerdings weiterführende Untersuchungen benötigt, um Ärger mit einem speziellen Persönlichkeitsprofil in Verbindung zu bringen. Eine solche Verbindung könnte helfen, zu erklären, wann Charaktereigenschaften wie Narzissmus Entscheidungs- und Führungsverhalten positiv bzw. negativ beeinflussen. Das Ziel dieses Kapitels ist es, ein Persönlichkeitsprofil für Führungskräfte zu entwickeln, dass Entscheidungsverhalten und einen transformationalen Führungsstil erklären kann. Des Weiteren wird analysiert, wie Ärger die Beziehungen zwischen Persönlichkeit sowie Entscheidungs- und Führungsverhalten beeinflusst. Das Kapitel beginnt mit einer Übersicht über die Beziehungen zwischen der Persönlichkeit von Führungskräften sowie Entscheidungs- und Führungsverhalten. Anschließend wird argumentiert, dass die Forschung durch die Betrachtung ganzheitlicher Profile vielversprechendere Fortschritte macht als durch die Analyse separater Charaktereigenschaften. Schließlich wird Ärger als ein Mechanismus diskutiert, der das Persönlichkeitsprofil von Führungskräften mit deren Entscheidungs- und Führungsverhalten verbindet.
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2 Individuelles Entscheidungs- und Führungsverhalten 2.1 Persönlichkeit und Entscheidungsverhalten Forschung zur Persönlichkeit von Führungskräften ist Teil eines Forschungsstrangs, der als Upper Echelons-Forschung (d.h. Forschung mit Fokus auf die Führungsetage) bezeichnet wird. Diese Literatur geht davon aus, das die Führungspersönlichkeiten an der Unternehmensspitze den Unternehmenserfolg maßgeblich mitbestimmen und konzentriert sich auf den Einfluss individueller Charakteristika auf strategische Entscheidungsfindungen und Unternehmensergebnisse (wie Firmenstrategie und finanziellen Erfolg). Diese Beziehungen wurden einerseits für den CEO und andererseits für das Topmanagementteam (TMT) untersucht. Viele beobachtbare CEO-Charakteristika beeinflussen demnach strategische Entscheidungsfindungen. Dies sind z.B. der berufliche und kulturelle Hintergrund, Alter, Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, Erfahrungen, Präferenzen sowie Veranlagung (Carpenter, Geletkanycz et al. 2004). Ebenso wurde untersucht, wie CEO-Charakteristika direkt die organisationalen Ergebnisse beeinflussen (Zajac u. Westphal 1996; Finkelstein u. Boyd 1998; Sanders 2001). Ein weiterer Forschungsstrang untersucht, wie beobachtbare Charakteristika von TMTs strategisches Verhalten und Firmenergebnisse beeinflussen (Eisenhardt u. Schoonhoven 1990; Wiersema u. Bantel 1992; Iaquinto u. Fredrickson 1997; Jensen u. Zajac 2004). Obwohl diese Forschung noch jung ist, kann bereits gesagt werden, dass die Persönlichkeit des CEO sich in Stil, Präferenzen und anderen Charakteristika äußert, die strategische Entscheidungsfindungsprozesse beeinflussen (Miller, Kets de Vries et al. 1982; Hambrick u. Mason 1984; Hambrick 2007). Die prominenteste Messgröße für Persönlichkeitsmerkmale in der Literatur zum Strategischen Management ist die zentrale Selbstbewertung (Core Self Evaluation; CSE) eines Individuums (Judge, Erez et al. 2003). Zentrale Selbstbewertung ist definiert als eine tief verwurzelte Charaktereigenschaft, die spezifiziert, wie Individuen sich selbst und die Beziehung zu ihrer Umwelt sehen. Das Konstrukt besteht aus vier Subkonstrukten, (a) Selbstbewusstsein (Self Esteem), der allgemeine Wert, den sich eine Person selbst zuordnet; (b) generelle Selbstwirksamkeit (Generalized Self-Efficacy), die Einschätzung einer Person, wie gut sie mit einer Bandbreite an Situationen zurechtkommt; (c) Emotionale Stabilität (Emotional Stability), die Intensität emotionaler Schwankungen, und (d) Kontrollüberzeugung (Locus of Control), der Glaube bzgl. der Gründe für Ereignisse im eigenen Leben (Judge, Erez et al. 2003). Während es viele Studien gibt, in denen das Konstrukt der zentralen Selbstbewertung untersucht wird (Judge, Erez et al. 2002; Judge, Erez et al. 2003; Johnson, Rosen et al. 2008) und mit positiven Ergebnissen wie Arbeitserfolg in Verbindung gebracht wird (Judge u. Hurst 2007; Yagil, Luria et al. 2008; Judge 2009; Kammeyer-Mueller, Judge et al. 2009; Stumpp, Hülsheger et al. 2009), existiert unseres Wissens nach nur eine einzige Studie, die explizit Beziehungen zwischen der zentralen Selbstbewertung von Führungskräften und deren Entscheidungsverhalten
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aufstellt. Hiller und Hambrick (2005), die Autoren dieser Studie, antizipieren, dass CEOs mit einer (zu) hohen zentralen Selbstbewertung weniger ganzheitliche2, schnelle und zentralisierte Entscheidungen treffen. Im Gegensatz zur zentralen Selbstbewertung wurde das Konstrukt Narzissmus bis heute nur in sehr wenigen Studien im Bereich der Management-Forschung untersucht (Judge, Erez et al. 2003; Hiller u. Hambrick 2005). In der psychologischen Literatur wird häufig das Narcissistic Personality Inventory (NPI) für die Datenerhebung zu Narzissmus genutzt (Chatterjee u. Hambrick 2007). Die NPI Dimensionen nach Emmons (1984) messen den Grad an (a) Exploitativeness/ Entitlement (Ausbeutung/Anspruch an andere), „Ich bestehe darauf, den mir zustehenden Respekt zu erhalten“; (b) Leadership/Authority (Führung/Autorität), „Ich bin gerne das Zentrum der Aufmerksamkeit“; (c) Superiority/Arrogance (Überlegenheit/Arroganz), „Ich bin besser als andere“, und (d) Self-Absorption/Self Admiration (Egozentrik/Selbstbewunderung), „Ich bin vornehmlich damit beschäf tigt, wie außerordentlich ich bin“. Je höher der Wert für jede der NPI-Dimensionen, desto ausgeprägter ist der gemessene Narzissmus. Narzissmus bezieht sich grundsätzlich auf den Grad der Selbstliebe eines Individuums (Judge, Erez et al. 2002; Judge, Erez et al. 2003; Hiller u. Hambrick 2005). Ein gewisser Grad an Narzissmus in Verbindung mit einem sicheren Selbstwertgefühl ist notwendig, um im Leben erfolgreich zu sein (Emmons 1984; Emmons 1987; Kets de Vries 1994). Wenn Narzissmus aber mit instabilem Selbstbewusstsein gekoppelt ist, kann dies zu exzessiver Selbstliebe führen, die außerdem ein Bedürfnis der Kompensation des instabilen Selbstwerts beinhaltet (Kets de Vries 1994; Kernis 2005; Campbell, Bosson et al. 2007; Kernis, Lakey et al. 2008). Im Rahmen von Entscheidungssituationen wurde Narzissmus generell mit zwei grundsätzlichen Tendenzen in Verbindung gebracht. Erstens sind Narzissten relativ zuversichtlich in Bezug auf das Ergebnis einer Entscheidung (Sanders 2001). Zweitens wählen Narzissten aus einer Auswahl an strategischen Optionen diejenige aus, welche die meiste „narzisstische Versorgung“, also das meiste Potenzial, Aufmerksamkeit zu erregen, beinhaltet (Kernberg 1975). In der ManagementForschung wurde Narzissmus mit besonders extremem Entscheidungsverhalten assoziiert, das sich in relativ hoher strategischer Dynamik, (Anspruch auf) Großartigkeit und der Anzahl sowie dem Umfang von Akquisitionen niederschlägt (Chatterjee u. Hambrick 2007). Es ist anzunehmen, dass tendenziell narzisstische Persönlichkeiten mit einem stabilen Selbstbewusstsein und hoher emotionaler Stabilität weniger extremes Entscheidungsverhalten zeigen, da sie weniger auf eine externe Stabilisierung ihres Selbstbewusstseins durch die Anerkennung anderer angewiesen sind.
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Im gesamten Kapitel wird der Begriff ganzheitlich im Sinne von comprehensive nach Frederickson (1984) verwandt
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2.2 Persönlichkeit und Führungsverhalten Burns (1978) unterschied als Erster zwischen transaktionaler und transformati onaler Führung. Bass (1985) entwickelte diese Theorie weiter, indem er jeweils vier Dimensionen aufstellte, die jeden der beiden Führungsstile näher definieren. Transaktionale Führung ist demnach definiert als das Management operativer Tätigkeiten der Mitarbeiter und beinhaltet Aktivitäten wie erfolgsgebundene Entlohnung, Management by Exception etc. Transformationale Führung hingegen konzentriert sich auf das Management von Veränderung und beinhaltet die Dimensionen idealisierter Einfluss, also das Verfolgen hoher ethischer und moralischer Standards, was zu Loyalität der Mitarbeiter führt, inspirierende Motivation, intellektuelle Stimulation und Berücksichtigung individueller Bedürfnisse (Bass 1985; Bass 1990; Bass u. Riggio 2006). In den meisten Studien korrelieren idealisierter Einfluss und inspirierende Motivation. Diese zwei Dimensionen wurden daher bereits in dem persönlichkeitsnahen Konstrukt Charisma kombiniert (Bass 1998). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass transformationale Führung Mitarbeiter dazu bringt, sich über den „Dienst nach Vorschrift“ hinaus für ein Unter nehmen einzusetzen. Dieser Führungsstil wurde mit einer Bandbreite an Erfolgs kriterien assoziiert, wie beispielsweise höherer Mitarbeiterzufriedenheit (Podsakoff, MacKenzie et al. 1990), Einsatz für die Organisation (Bycio, Hackett et al. 1995), zusätzliches Engagement (Seltzer u. Bass 1990), geringere Kündigungsabsicht (Bycio, Hackett et al. 1995) und allgemeiner Mitarbeiterleistung (Yammarino, Spangler et al. 1993). Zusätzlich wurde gezeigt, dass diese Effekte auf allen Ebenen des Managements (Howell u. Avolio 1993) sowie in unterschiedlichen Arbeits umgebungen (Bass 1985) und Kulturen (Bass 1997) messbar sind. In empirischen Untersuchungen wurden signifikante Beziehungen zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und transformationaler Führung festgestellt. So fanden Judge und Bono (2000) eine positive Beziehung zwischen Extraversion und Offenheit gegenüber Erfahrungen und allen Dimensionen transformationaler Führung in einer Umfrage unter Führungskräften aus einem Führungskräfteseminar in den USA. Ross und Offermann (1997) stellten eine positive Korrelation zwischen Selbstvertrauen und transformationaler Führung bei US Airforce-Kadetten fest. Außerdem wurde Kontrollüberzeugung positiv mit den drei Komponenten Berück sichtigung individueller Bedürfnisse, intellektuelle Stimulation und Charisma assoziiert (Howell u. Avolio 1993). Schließlich wurde transformationale Führung mit multiplen Intelligenztypen wie kognitiver Intelligenz (Atwater u. Yammarino 1993) sowie sozialer und emotionaler Intelligenz (Bass 2002) in Verbindung gebracht. In letzter Zeit bewegte sich ein Trend dahingehend, die persönlichkeitszentrierte Forschung im Zusammenhang mit transformationaler Führung unter dem Konzept der Persönlichkeitstheorie der Big Five zu integrieren (Judge u. Bono 2000; Ployhart, Lim et al. 2001; Lim u. Ployhart 2004). Im Rahmen dieser sog. Big Five-Typologisierung erfolgt die Definition der Persönlichkeit einer Führungskraft entlang der fünf Charaktereigenschaften Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für Erfahrungen und Neurotizismus
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(z.B. Rammstedt u. John 2007). Bono und Judge (2004) weisen allerdings darauf hin, dass eine solche Integration nicht die entscheidende Frage beantwortet, ob die „Big Five” wirklich die theoretisch relevantesten Charaktereigenschaften sind, die Führungsverhalten zugrunde liegen. Andere Forscher suggerieren, dass das Big Five-Modell in einer zu allgemeinen Beschreibung der Persönlichkeit resultiert (Block 1995; Hough 1992). Im Einklang damit stellt Block (1995) fest, dass es für ein adäquates Verständnis von Persönlichkeit, also die möglichst ganzheitliche Repräsentation von Verhalten und beinflussenden Variablen, notwendig sei, spezifischer zu denken und zu messen als auf dieser allgemeinen Ebene. Hough (1992) behauptet sogar, dass die Big Five-Charaktereigenschaften so allgemein sind, dass sie Relationen zwischen den Eigenschaften und den abhängigen Variablen verdecken. Infolgedessen stellen Bono and Judge (2004) fest, dass eine weitere Nutzung der Big Five-Charaktereigenschaften zur Untersuchung von transaktionaler und transformationaler Führung zugrunde liegender Faktoren voraussichtlich nicht dazu führen wird, die wirklichen Ursachen von Führungsverhalten zu erkennen. Sie befürworten daher zur Erhöhung des Erkenntnisgewinns entweder einzelne Aspekte der Big Five-Charaktereigenschaften oder spezifischere, weniger allgemeine Charaktereigenschaften zu untersuchen. Eine weitere Entwicklung im Studium von Persönlichkeit und Führung bewegt sich entgegen der Untersuchung allgemeiner Profile und beschäftigt sich eher mit einzelnen Charaktereigenschaften. Genauer gesagt wurde festgestellt, dass sich insbesondere Charisma bei Individuen sehr unterschiedlich äußert, was wegen der inhaltlichen Überlappung der Konstrukte darauf schließen lässt, dass auch transformationale Führung sich sehr unterschiedlich manifestieren könnte. Forscher unterscheiden zwischen zwei Arten von Charisma: social (sozialem) und persona lized (persönlichem) Charisma (Bommer, Rubin et al. 2004). Sozial-charismatische Führung tendiert dazu, allgemeinen Interessen zu dienen, andere zu fördern und allen Beteiligten Entscheidungsbefugnis zu geben (Bass u. Riggio 2006). Persönlich-charismatische Führung manifestiert sich dem entgegengesetzt eher in persönlicher Dominanz und autoritärem Verhalten; diese Form des Charisma ist selbstverherrlichend, dient dem Selbstinteresse und tendiert dazu, andere auszunutzen (McClelland 1975; House u. Howell 1992; Howell u. Avolio 1992). Basierend auf der Unterscheidung zwischen sozialem und persönlichem Charisma haben Bass und Steidlmeier (1999) zwischen authentischer transformatio naler Führung, analog zu sozialem Charisma, und pseudo-authentischer oder unauthentischer transformationaler Führung, analog zu persönlichem Charisma, unterschieden. Die Autoren beschreiben die Differenz zwischen diesen zwei Arten der transformationalen Führung insbesondere durch unterschiedliche Berücksichtigung individueller Interessen (Bass u. Steidlmeier 1999). So sorgen sich authentische transformationale Führer um ihre Untergebenen als Individuen und unterstützen deren Entwicklung. Pseudo-transformationale Führer sehen ihre Untergebenen tendenziell eher als Mittel zum Zweck, sie werden geleitet von Sorge um sich selbst sowie Selbstverherrlichung, und neigen eher dazu, Untergebene auszunutzen. Für die Forschung zu transformationaler Führung ergibt sich daraus, dass der Persönlichkeitsaufbau von Führungskräften ein komplexes Phänomen ist, welches
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die Interaktion verschiedener Variablen beinhaltet. Charisma ohne Sorge um andere ist nicht dasselbe wie Charisma mit Sorge um andere. Werden solche Interaktionen nicht berücksichtigt, läuft Forschung im Bereich der transformalen Führung Gefahr, oberflächliche oder sogar falsche Resultate zu erzielen. So könnte beispielsweise Charisma allgemein mit transformationaler Führung assoziiert werden, ohne zu bedenken, dass erst die Unterscheidung zwischen sozialem und persönlichem Charisma sowie authentischer und pseudo-authentischer transformationaler Führung wirklich einen Erklärungsbeitrag liefert.
3 Persönlichkeitsprofile und Ärger 3.1 Notwendigkeit eines Persönlichkeitsprofils für Führungskräfte Die Möglichkeit, dass Persönlichkeitsmerkmale verschiedene Ausprägungen mit deutlich verschiedenen Folgen für das Verhalten haben können, ist nicht auf das Konzept des Charisma beschränkt. Narzissmus beinhaltet nicht nur eine positive Selbstwahrnehmung wie im NPI definiert, sondern auch ein fragiles Selbstbild (Raskin u. Terry 1988). So haben zahlreiche Autoren zwischen verschiedenen Formen des Narzissmus unterschieden, wie beispielsweise gesundem und ungesundem Narzissmus, (Kets de Vries 1994; Stucke u. Sporer 2002), normalem und pathologischem Narzissmus (Hiller u. Hambrick 2005) oder explizitem, rationalem und kühlem versus implizitem, heißem, impulsivem, und affektgesteuertem Narzissmus (Kernberg 1975). Diese deutlich verschiedenen Gesichter des Narzissmus suggerieren, dass der Effekt von Persönlichkeitsmerkmalen darauf ankommt, wie sie mit anderen Merkmalen des psychologischen Aufbaus kombiniert sind. Anders gesagt, es ist unmöglich, Verhalten aufgrund isolierter Persönlichkeitsmerkmale vorherzusagen (Judge, Erez et al. 2003). Die beiden Elemente, die in Kombination zwischen den verschiedenen Formen des Narzissmus zu unterscheiden sind, sind Selbstbewusstsein und emotionale Stabilität. So kann Narzissmus mit gesundem, stabilem Selbstbewusstsein und emotionaler Stabilität oder mit instabilem Selbstbewusstsein und niedriger emotionaler Stabilität assoziiert sein (Morf u. Rhodewalt 2001). Im ersten Fall hat das Individuum eine stabile, positive Selbstwahrnehmung – eine Charaktereigenschaft die für erfolgreiche Führungskräfte durchaus notwendig ist (Wirth 2003). Im zweiten Fall allerdings zeigt das Individuum Kompensationsverhalten in Form von Ärger und Aggression, um ein eher verletzliches Selbst zu schützen (Wink 1991; Kernis 2005; Kernis, Lakey et al. 2008). Ähnlich wurde eine positive zentrale Selbstbewertung einerseits mit diversen positiven Ergebnissen wie Motivation und Leistungssteigerung assoziiert (Erez u. Judge 2001), aber ein (zu) hoher Grad an allgemeiner positiver Selbsteinschätzung bei Führungskräften wurde mit Attributen in Verbindung gebracht, die Leistung eher negativ beeinflussen, wie z.B. weniger ganzheitliche Entscheidungsfindung, (zu) schnelle Entscheidungen und sehr zentralisierte Entscheidungsfindung (Hiller u. Hambrick 2005).
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Die entscheidenden Elemente innerhalb der Dimensionen der zentralen Selbst bewertung, welche beeinflussen, ob der Einfluss auf die Leistung positiv oder negativ ist, könnten ähnlich wie in Bezug auf Narzissmus Stabilität des Selbstbewusstseins und emotionale Stabilität sein. Somit könnte ein instabiles Selbstbewusstsein und niedrige emotionale Stabilität bei Führungskräften, die ansonsten hohe Werte auf den anderen Dimensionen der zentralen Selbstbewertung erzielen, zu ähnlichem Kompensationsverhalten führen wie bei Narzissten mit denselben Assoziationen (Wink 1991; Kernis, Lakey et al. 2008).
3.2 Einfluss von Ärger Ein wichtiger Faktor, der Individuen unterscheidet, die relativ hohe Werte auf der Skala der zentralen Selbstbewertung sowie des Narzissmus erzielen, könnte deren Kritikempfindlichkeit sein. Eine gegebene Reaktion auf Kritik resultiert aus einer bestimmten Selbstwahrnehmung (Donnellan, Trzesniewski et al. 2005). Im Besonderen kann angenommen werden, dass Individuen mit hohen NarzissmusWerten, instabilem Selbstbewusstsein und geringer emotionaler Stabilität auf Kritik mit Ärger reagieren (Wink 1991; Atlas u. Them 2008). Diese Feststellung ist entscheidend, da Ärger ebenfalls Entscheidungsprozesse beeinflusst (Lerner u. Tiedens 2006). Der Einfluss von Ärger auf Entscheidungsfindungen hat viele Facetten, die allerdings durchweg negativ sind. Ärger aktiviert heuristische Prozesse, die in zunehmend stereotypen Urteilen resultieren. Außerdem reduziert Ärger die Aufmerksamkeit bezüglich der Qualität der Argumente und erhöht die Aufmerksamkeit in Bezug auf oberflächliche Stichworte in einer Nachricht (Bodenhausen et al. 1994; Jennifer S. Lerner et al. 1998). Lerner und Tiedens (2006) stellen fest, dass Ärger die Wahrnehmungen und Entscheidungen von Individuen färben und ihr Verhalten maßgeblich beeinflussen kann. In unserem Fall ist sowohl Ärger, der in einer spezifischen Situation hervorgerufen wird (Ärger als Zustand) sowie Ärger, der tiefer im Charakter verwurzelt ist (Ärger als Merkmal), von Belang. Ärger als Zustand ist von Bedeutung, da er in einer spezifischen Entscheidungs- oder anderen Führungssituationen hervorgerufen werden kann, in denen Feedback und Kritik auftreten (Gino & Schweitzer, 2008). Ärger als Merkmal ist ebenfalls von Bedeutung, da dieser die Wahrscheinlichkeit, dass Ärger als Zustand in einer gegebenen Situation auftritt, beeinflusst (Barsade & Gibson, 2007). Je mehr Ärger als Merkmal bei einem Individuum festzustellen ist, desto schneller wird Ärger als Zustand in einer spezifischen Situation aktiviert (Spielberger, Jacobs et al. 1995). Führungskräfte, die konstruktiv mit Kritik umgehen können, vereinen mit großer Wahrscheinlichkeit sowohl ein stabiles Selbstbewusstsein als auch eine hohe emotionale Stabilität in ihrer Persönlichkeit (Tjosvold 2008). Ist dies nicht der Fall, kann Kritik leicht zu einer Kompensationsreaktion in Form von Ärger führen. Dies limitiert die Fähigkeit einer Führungskraft, Informationen konstruktiv zu interpretieren, Konflikte zu lösen und mit effektivem Verhalten zu reagieren (Stucke u. Sporer 2002; Donnellan, Trzesniewski et al. 2005). Zeigt ein Individuum
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also relativ hohe Narzissmus-Werte, reagiert aber nicht mit Ärger auf Kritik, kann davon ausgegangen werden, dass diese Person ihrem Urteil auf eine nutzbringende Weise vertraut. Ein Narzisst andererseits, der schnell mit Ärger reagiert, könnte der Wahrnehmung anderer übermäßig sensibel begegnen, und Kritik als Mangel an ihm/ihr zustehender Anerkennung wahrnehmen (Tracy u. Robins 2003). Es ist also davon auszugehen, dass Ärger ein wichtiger Mechanismus ist, um die Beziehungen zwischen Führungskräftepersönlichkeit, Entscheidungsverhalten und Führungsverhalten zu erklären. Narzissten, die hohe Werte auf der NPI-Skala aufweisen, aber auf Kritik nicht übermäßig empfindlich reagieren, interessieren sich wahrscheinlicher für die Meinung anderer (d.h. authentische transformationale Führung). Narzissten, die kritikempfindlich sind, tendieren wesentlich eher dazu, ärgerlich auf Informationen zu reagieren, die ihr Selbstgefühl bedrohen (Atlas u. Them 2008) und werden weniger an der Meinung anderer interessiert sein (d.h. pseudo-transformationale Führung). Zusätzlich ist davon auszugehen, dass Führungskräfte, die mit Ärger auf kritisches Feedback reagieren, weniger ganzheitliche Entscheidungen treffen (Lerner u. Tiedens 2006). Dies hat wiederum Bedeutung für das Entscheidungs- und Führungsverhalten. Das Führungsverhalten von Narzissten mit geringer Kritikempfindlichkeit ist tendenziell gekennzeichnet von einer größeren Aufmerksamkeit gegenüber den Mitarbeitern und deren Bedürfnissen. Narzissten hingegen mit hoher Kritikempfindlichkeit, instabilem Selbstbewusstsein und niedriger emotionaler Stabilität sind wahrscheinlich auch ihren Mitarbeitern gegenüber weniger aufmerksam. Dies resultiert aus der Tatsache, dass diese Führungskräfte zu Kompensationsverhalten in Form von Ärger und Abneigung neigen (Stucke u. Sporer 2002; Tracy u. Robins 2003; Bond, Ruaro et al. 2006; Atlas u. Them 2008). Zusammenfassend lassen sich folgende Problemstellungen zum Zusammenhang zwischen Führungskräftepersönlichkeiten und Unternehmenserfolg formulieren: • Welche Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen maßgeblich das Entscheidungs verhalten von Führungskräften und deren Tendenz zu authentischer oder pseudoauthentischer transformationaler Führung? • Wie können Emotionen wie Ärger einen Beitrag zu unserem Verständnis zum Einfluss von Führungskräftepersönlichkeit auf Entscheidungs- und Führungsverhalten leisten?
4 Konzeptioneller Rahmen 4.1 Offene und verdeckte positive Selbstwahrnehmung Nachfolgend wird ein konzeptioneller Rahmen vorgestellt, in dem diese Fragen aufgegriffen werden, und anhand dessen zukünftige Herausforderungen der Forschung in diesem Bereich beschrieben werden. In Abbildung 1 sind die mit einer positiven Selbstwahrnehmung assoziierten Persönlichkeitsmerkmale sowie die differenzierenden Eigenschaften, die beeinflussen, ob eine positive Selbstwahr-
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nehmung zu günstigerem oder ungünstigerem Entscheidungs- und Führungsverhalten führt, dargestellt. Selbstbewusstsein, generelle Selbstwirksamkeit, Kontrollüberzeugung, Ausbeutung/Anspruch an andere, Führung/Autorität, Überlegenheit/ Arroganz, und Egozentrik/Selbstbewunderung beeinflussen den generellen Grad an positiver Selbstwahrnehmung eines Individuums. Diejenigen Eigenschaften, die maßgeblich steuern, ob diese positive Selbstwahrnehmung zu eher positiven oder negativen Ergebnissen führt, sind Stabilität des Selbstbewusstseins, emotionale Stabilität sowie Kritikempfindlichkeit. Abhängig von diesen Variablen hat eine positive Selbstwahrnehmung sehr unterschiedliche Folgen für das Führungsverhalten. Eine positive Selbstwahrnehmung, die mit einem stabilen Selbstbewusstsein, emotionaler Stabilität und geringer Kritikempfindlichkeit einher geht, führt zu einer sog. Overt Positive Self Perception (OPSP: offene positiven Selbstwahrnehmung), was ein positives Selbstbild impliziert, in dessen Rahmen keine (inhärent) negativen Gefühle gegenüber anderen erzeugt werden. Eine positive Selbstwahrnehmung kombiniert mit instabilem Selbstbewusstsein, niedriger emotionaler Stabilität und hoher Kritikempfindlichkeit führt andererseits zu einer Covert Positive Self Perception (CPSP) (verdeckte positive Selbstwahrnehmung), was ein positives Selbstbild impliziert, in dessen Rahmen aber inhärent negative Gefühle gegenüber anderen erzeugt werden. GRAD DER POSITIVEN SELBSTWAHRNEHMUNG
DIFFERENZIERENDE PROFILDIMENSIONEN
Selbstbewusstsein
Stabilität des Selbstbewusstseins
Generelle Selbstwirksamkeit
Emotionale Stabilität
Kontrollüberzeugung
Kritikempfindlichkeit
Ausbeutung/Anspruch an andere Führung/Autorität
Überlegenheit/Arroganz Egozentrik/Selbstbewunderung
Abbildung 1: Selbstwahrnehmung und Profildimensionen (Quelle: Eigene Darstellung)
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4.2 Beziehungen zwischen Persönlichkeit, Ärger sowie Entscheidungsund Führungsverhalten Auf Basis der bisherigen Diskussion wird an dieser Stelle eine offene bzw. verdeckte positive Selbstwahrnehmung als Persönlichkeitsprofile für Führungskräfte vorgeschlagen, in denen die Charaktereigenschaften zusammengefasst sind, die das Entscheidungs- und Führungsverhalten maßgeblich beeinflussen. Wie Abbildung 2 zeigt, beeinflussen diese das Entscheidungsverhalten direkt. Eine offene positive Selbstwahrnehmung führt zu effektiverem Entscheidungsverhalten, weil es mit einer stabileren Persönlichkeit sowie der Bereitschaft und Fähigkeit, Informationen und Feedback jeglicher Art zu berücksichtigen, einhergeht. Diese Eigenschaft befähigt eine Führungskraft, sämtliche Informationen, die für eine gute Entscheidungsfindung notwendig sind, zu akzeptieren oder sogar aktiv danach zu fragen, auch wenn sie zu einem von der ursprünglichen Meinung abweichenden Ergebnis führen. Genau dieses Vorgehen findet sich im Konzept der ganzheitlichen Entscheidungsfindung (Frederickson 1984). Da dieser Prozess die Berücksichtigung anderer impliziert, führt dies ebenfalls eher zu authentischer transformationaler Führung (Bass u. Steidlmeier 1999). Hinzu kommt, dass eine solche Führungskraft nicht ständig auf die Aufmerksamkeit durch andere für die Stabilisierung der Selbstwahrnehmung angewiesen ist, was ihr die Berücksichtigung der individuellen Interessen der Mitarbeiter und den Aufbau eines Verhältnisses, welches von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet ist, erleichtert. Dies ist wiederum ebenfalls Teil einer authentischen transformationalen Führung (Bass u. Steidlmeier 1999). Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass eine Führungskraft mit einer offenen positiven Selbstwahrnehmung mit kritischem Feedback konstruktiv umgehen kann und eher weniger mit Ärger reagieren wird (Wink 1991). PERSÖNLICHKEITSPROFIL
FÜHRUNG
Offene positive Selbstwahrnehmung
Authentische transformationale Führung
Entscheidungsverhalten
Verdeckte positive Selbstwahrnehmung
Pseudo-authentische transformationale Führung
Ärger
Abbildung 2: Konzeptioneller Rahmen – Persönlichkeit und Ärger beeinflussen Entscheidungs- und Führungsverhalten (Quelle: Eigene Darstellung)
Eine verdeckte positive Selbsteinschätzung führt zu weniger effektivem Entschei dungsverhalten, weil diese mit weniger Stabilität sowie Widerstand gegenüber Feedback und Informationen einhergeht, die durch andere bereitgestellt wurden.
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Die Konsequenz dieser Instabilität ist, dass Informationen, die das Selbstgefühl bedrohen, also von der eigenen Meinung abweichen, nicht toleriert werden können. Dies reduziert die Menge und Art der Informationen, die zur Entscheidungsfindung herangezogen werden (können). Damit verringert sich die Ganzheitlichkeit der Entscheidung, da Informationen nicht von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden, weil sie keinen nützlichen Beitrag liefern könnten oder ihre Beschaffung zu lange dauern würde, sondern vielmehr aus Gründen, die in der Persönlichkeit des Entscheiders zu finden sind (Frederickson 1984; Miller, Burke et al. 1998). In diesem Fall ist auch weniger Raum für die Berücksichtigung anderer, da dies bedeuten könnte, entgegengesetzte Informationen berücksichtigen zu müssen und auf die unbeschränkte positive Bewunderung, die aber für die Stabilisierung des Selbst notwendig ist, zu verzichten. Angesichts eines so angespannten Verhältnisses ist es auch fraglich, ob sich eine durch gegenseitigen Respekt gekennzeichnete Beziehung aufbauen lässt. In der Konsequenz ist dies also eher mit pseudo-transformationaler Führung zu assoziieren (Bass u. Steidlmeier 1999). Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass eine solche Führungskraft auf Kritik eher mit Ärger reagiert, um die Bedrohung des eher instabilen Selbst abzuwehren (Wink 1991; Atlas u. Them 2008). Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass Ärger als Kompensations reaktion generell das Entscheidungsverhalten beeinflusst und eher mit pseudoauthentischer transformationaler Führung in Verbindung steht. Dies ist der Fall, weil Ärger die Objektivität der Führungskraft sowohl gegenüber den Sachverhalten (Lerner u. Tiedens 2006) als auch gegenüber den Mitarbeitern (Lerner, Goldberg et al. 1998) negativ beeinflusst. Dies wiederum reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen ganzheitlich getroffen werden und Mitarbeiter sich in ihren Bedürfnisse individuell wahrgenommen und berücksichtigt fühlen.
5 Diskussion 5.1 Herausforderungen für zukünftige Forschung Führungkräfteforschung sieht sich generell mit Herausforderungen konfrontiert, da insbesondere sehr hochrangige Führungskräfte nur zurückhaltend an Umfragen teilnehmen (Cycyota u. Harrison 1993) und zusätzlich Persönlichkeit ein durchaus sensibles Thema darstellt. Diesen Herausforderungen kann auf zwei Wegen begegnet werden: Entweder können indirekte Indikatoren genutzt werden, bei denen von beobachtbarem Verhalten Rückschlüsse auf potenziell zugrunde liegende Persönlichkeitsmerkmale gezogen werden. Alternativ können Persönlichkeitsmerkmale direkt bei Individuen gemessen werden, die zwar (noch) keine praktizierenden Führungskräfte sind, ansonsten aber die Grundgesamtheit von Interesse möglichst gut repräsentieren. Dies sind beispielsweise diejenigen Personen, die eine Führungsposition anstreben. Chatterjee und Hambrick (2007) verfolgen die erste Herangehensweise und entwickelten abgeleitet von den vier NPI-Dimensionen einen eigenen Narzissmus-Index.
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Ihre vier Indikatoren für narzisstische Tendenzen beinhalten: (1) die Auffälligkeit des Fotos des CEO im Jahresbericht der Firma; (2) die Prominenz des CEO in Presseerklärungen der Firma; (3) die Nutzung von Fürwörtern in der ersten Person Singular durch den CEO in Interviews; (4) die monetäre Entlohnung des CEO geteilt durch die der am zweitbesten bezahlten Führungskraft der Firma; und (5) darüber hinausgehende Vergütung des CEO geteilt durch diejenige der am zweitbesten bezahlten Führungskraft der Firma. Andere Autoren (z.B. House, Spangler et al. 1991; Peterson, Martorana et al. 2003) nutzen Inhaltsanalysen biographischer Informationen für die Untersuchung von Führungskräftepersönlichkeiten. Chatterjee und Hambrick (2007) betrachten die Nutzung der indirekten Messgrössen allerdings als hauptsächliche Einschränkung ihrer Studie. Solche indirekten Indikatoren messen Verhalten, von dem nur angenommen werden kann, dass es aus einem dahinter liegenden Persönlichkeitsmerkmal resultiert. Dies führt zu Schwierigkeiten bei der Erklärung des Verhaltens von CEOs. Es ist schwierig zu sagen, ob wirklich ein gegebenes Persönlichkeitsmerkmal oder ein anderer – möglicherweise sogar externer Faktor – das beobachtete und gemessene Verhalten beeinflusst hat. Wird andererseits die Persönlichkeit des CEO direkt gemessen und kann dann mit einem bestimmten Führungsverhalten in Verbindung gebracht werden, ist sicher, dass das gemessene Persönlichkeitsmerkmal wirklich dem beobachteten Verhalten zugrunde liegt. Nach Abschluss ihrer Studie forderten Chatterjee und Hambrick (2007) die Sammlung von direkten Daten zu Narzissmus bei CEOs. Somit sind direkte Indikatoren für die Messung von Führungskräftepersönlichkeiten zu bevorzugen. Der einzige Weg, diese zu erhalten, ist die Nutzung von Fragebögen. Diese Messinstrumente können entweder im Rahmen eines Experiments oder einer Umfrage genutzt werden. Experimente werden häufig im Bereich der Psychologie durchgeführt (Atlas u. Them 2008). Indem Bezug auf wirkliche Führungssituationen in Firmen genommen wird, können Forscher im Rahmen von Experimenten die zu untersuchenden Variablen isolieren bzw. potenzielle Störgrössen ausschließen. Ebenfalls können niedrige Antwortquoten vermieden werden, da die Teilnehmer sich vor Ort befinden. Allerdings ist fraglich, ob CEOs oder andere hochrangige Führungskräfte der Teilnahme an einem solchen Experiment zustimmen würden. Einerseits könnten Vertraulichkeitsaspekte eine Rolle spielen, andererseits könnten zeitliche Einschränkungen dazu führen, dass Führungskräfte eher zurückhaltend wären. Aus diesen und anderen Gründen schlägt Hambrick (2007) vor, direkte Untersuchungen von Persönlichkeit und dessen Einfluss auf Verhalten bei MBA-Studenten vorzunehmen. Da die Dimensionen einer offenen bzw. verdeckten positiven Selbstwahrnehmung eher Persönlichkeitsmerkmale als kurzfristige Zustände beinhalten, sollten diese auch bei Studenten feststellbar sein. Wie oben erwähnt, wäre eine Möglichkeit die Nutzung eines Fragebogens, in dem sich Teilnehmer auf wirkliche Entscheidungssituationen, die sie erlebt haben, beziehen. Die Art der Entscheidungen könnte dann allerdings sehr variieren. Um also ein möglichst standardisiertes Design zu verwenden und die Gefahr zu vermeiden, unvergleichbare Entscheidungs- und Führungssituationen zu untersuchen, wird hier vorgeschlagen, einen Fragebogen zu erstellen, in dem die Teilnehmer zunächst
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bezüglich der Persönlichkeitsvariablen befragt und anschließend mit einem Szenario konfrontiert werden, in dem Führungsentscheidungen notwendig sind.
5.2 Beitrag zu Forschung und Praxis Die Ausführungen in diesem Kapitel leisten einen Beitrag zur bestehenden Literatur, indem der Einfluss von Führungskräftepersönlichkeit auf deren Entscheidungs- und Führungsverhalten diskutiert wird. Im Einzelnen werden die Konzepte einer offenen positiven Selbstwahrnehmung (Overt Positive Self Perception) und einer verdeckten positiven Selbstwahrnehmung (Covert Positive Self Perception) eingeführt, um zu erklären, wie eine generell positive Selbstwahrnehmung bei Führungskräften kombiniert entweder mit stabilem oder instabilem Selbstbewusstsein und hoher oder geringer emotionaler Stabilität sich in authentischer oder pseudo-authentischer transformationaler Führung äußert. Zusätzlich wird auf Ärger als erklärenden Mechanimus zwischen einer offenen bzw. verdeckten positiven Selbstwahrnehmung sowie Entscheidungsfindung und transformationaler Führung verwiesen. Dies trägt zur Führungskräfteforschung bei, indem Faktoren aufgezeigt werden, die eine bei Führungskräften meist vorhandene positive Selbsteinschätzung in für das Entscheidungs- sowie Führungsverhalten relevanter Weise differenzieren. Zusätzlich wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, ein ganzheitliches Profil der Persönlichkeit von Führungskräften zu betrachten, da sonst die aufgezeigten Interaktionseffekte zwischen den einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen, die schließlich zu unterschiedlichem Verhalten in Entscheidungssituationen führen, nicht erkannt werden können. Darüber hinaus leistet dieser Artikel einen Beitrag für die Praxis, indem sowohl Personalchefs als auch Aufsichtsräten eine Möglichkeit aufgezeigt wird, möglicherweise effektivere Entscheider und Führungskräfte von weniger effektiven zu unterscheiden. Da der Großteil der Bewerber für hochrangige Führungspositionen eine positive Selbsteinschätzung haben wird, sollte der Fokus im Auswahlprozess auf denjenigen Kriterien liegen, die eine offene positive von einer verdeckten Selbstwahrnehmung unterscheiden, d.h. also Stabilität des Selbstbewusstseins, emotionale Stabilität sowie Kritikempfindlichkeit. Indem Personalchefs und Aufsichtsräte diese drei Persönlichkeitsdimensionen einbeziehen, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Auswahlentscheidungen.
6 Fazit Auf das Eingangsbeispiel Larry Ellison zurückkommend, wird nun klarer, dass eine sehr positive, potenziell sogar narzisstische Selbsteinschätzung sich nicht zwangsläufig negativ auf Entscheidungs- und Führungsverhalten auswirkt. In gewissen Situationen mag dies sogar von Vorteil sein. Eine generelle Verdammung narzisstischer CEOs trägt deshalb nicht viel zum Diskurs über Führungskräftepersönlichkeit bei. Vielmehr wurde deutlich, dass Ellison‘s Persönlichkeitsprofil beispielsweise
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die Fähigkeit beinhalten sollte, konstruktiv mit Kritik umzugehen. Wenn Ellison mit Ärger auf Kritik seiner Mitarbeiter reagiert, könnte dies dazu führen, dass er Kommunikation unterbindet und somit Informationen, die für Entscheidungs findungen im Firmeninteresse höchst bedeutend wären, nicht erhält. In diesem Kapitel wurde die für die Persönlichkeit von Führungskräften relevante Literatur besprochen und die Konzepte einer offenen bzw. verdeckten positiven Selbstwahrnehmung entwickelt. Ebenfalls wurde dargestellt, wie diese beiden Konstrukte zu Entscheidungsverhalten und transformationaler Führung in Verbindung stehen und haben Ärger als vermittelnden Mechanismus eingeführt, der die unterschiedlichen Einflüsse einer offenen bzw. verdeckten Selbstwahrnehmung auf das Entscheidungsverhalten und transformationale Führung erklärt.
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Standpunkt Ein Beispiel aus der Praxis
Anita R. Salt
„Die stärkste Kraft menschlichen Verhaltens ist der Wille.“ Heike Bruch & Sumantra Ghoshal, Professoren für Strategische Führung, März 2004 „Tue, was Freude macht, tue es engagiert, tue es besser als die anderen.“ Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank über Karriere „Wer Menschen führen will, muss Menschen mögen.“ Joachim Milberg, Aufsichtsratsvorsitzender BMW
In dem vorliegenden Beitrag soll die Komplexität der Führung in verschiedenen Facetten anhand eines konkreten, praktischen Beispiels aus der Führungs kräfteberatung veranschaulicht werden. Das Beispiel soll zeigen, dass Modelle, Mechanismen und Methodiken der Strategischen Führung lehrbar und auch lernbar sind. Die erfolgreiche Anwendung und Umsetzung in der Praxis hängt jedoch vom Charakter und den persönlichen Eigenschaften der Führungsperson ab und ist weder lehrbar noch lernbar. Zudem soll es konkrete Handlungsmöglichkeiten für Führungskräfte-Coachs aufzeigen. Ist-Situation Herr Meier1, lic. oec. HSG, ist seit vier Monaten CEO der Schweizer Niederlassung eines internationalen Konzerns. Das Unternehmen entwickelt, produziert und vertreibt Luxusgüter. Für Herrn Meier ist es die erste Funktion als CEO. Früher war er als Marketingleiter in internationalen Großkonzernen tätig. Herr Meier möchte sein gesamtes Führungsteam (CFO, COO, Leiterin Marketing & Vertrieb) in absehbarer Zeit auswechseln. Er entscheidet sich für eine Zusammenarbeit mit Salt Consulting. Das Unternehmen steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Das Mutterhaus ist bereit, die Schweizer Niederlassung noch für ein Jahr mit Liquidität zu versorgen. Dann muss der Break-even erreicht sein. Die Vision und Strategie für die Schweizer Niederlassung sind vom Mutterhaus vorgegeben. Das Führungsteam in dieser Form ist relativ neu. Der CFO war vor sechs Monaten Controller, die Leiterin Marketing & Vertrieb war Key Account-Manager. Herr Meier wird vom Führungsteam nicht als Leader wahrgenommen. Er wird nicht akzeptiert, seine Weisungen nicht befolgt. In den einzelnen Abteilungen hat 1
Anonymisiert.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Anita R. Salt
die informelle Führung überhandgenommen. Herr Meier kann sich mit niemandem austauschen. Er zweifelt an den Qualifikationen seines Führungsteams. Die Bereiche werden zu lasch und in sich isoliert geführt. Es herrscht keine Disziplin. Maßnahmen Ab sofort intensives 1:1-Coaching mit Herrn Meier: Die Ursache darf nicht nur dem Führungsteam zugeschoben werden. Herr Meier braucht einen Sparringspartner, der ihn zum Denken out of the box anregt. Ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Herrn Meier und Salt Consulting wird durch intensive Gespräche und anspruchsvolle Auseinandersetzungen aufgebaut. Herr Meier ist bereit zur kritischen Selbstreflexion und will an sich arbeiten. Der Besuch eines Führungsseminars ist für ihn keine Option. Er will sich keine Blöße geben. Folgende Themen spielen eine Rolle (Auszug): • Herr Meier hat sich vor Annahme der CEO-Position weder mit sich, der neuen Position noch dem Marktumfeld auseinandergesetzt. Die Identifikation und die Leidenschaft fehlen. Er wirkt (emotional) unsicher und versteckt sich hinter den Zahlen und Fakten. Für ihn bedeutete die CEO-Funktion einen logischen nächsten Schritt in seiner Karriere, verbunden mit mehr Ansehen, Macht und Salär. • Die vom Mutterhaus vorgegebene Vision und Strategie hat er dem Führungsteam via E-Mail kommuniziert. Er kann sie nicht vollumfänglich vertreten und wollte sich keinen Diskussionen aussetzen. • Das Bildungsniveau seines Führungsteams unterscheidet sich von dem der Großkonzerne. Seine Sprache, seine Konzepte und Modelle, die er per E-Mail zur Stellungnahme sendet, werden oft nicht verstanden. Er bekommt keine Rückmeldungen. • Herr Meier verlässt das Büro regelmäßig um 16.30 Uhr, seine Mitarbeiter arbeiten normalerweise bis 19.00 Uhr. Seine Familie setzt ihn unter Druck. Salt Consulting und Herr Meier vereinbaren, dass Letzterer einen straffen Aktions plan erstellt (Lösung der eigenen und unternehmensrelevanten Themen); dieser wird anschließend besprochen und ergänzt. Bei einem gemeinsamen Mittagessen mit dem Führungsteam stellt Herr Meier Salt Consulting vor und informiert klar, direkt und ehrlich die gemeinsame Zusammenarbeit in den nächsten Monaten, um das Führungsteam zusammenzuschweißen und das Unternehmen auf Erfolgskurs zu bringen. Herr Meier stellt seinen Aktionsplan vor (Man hört es knistern im Saal…). Ab sofort individuelle 1:1 Coaching-Gespräche mit dem gesamten Führungsteam: Die anfängliche Skepsis und Ablehnung zu durchbrechen, stellte eine große Herausforderung dar, vor allem bei der Dame. Folgende Themen spielen eine Rolle (Auszug): • CFO: Der Vorgänger und frühere CEO wurde aufgrund von Betrugsverdacht freigestellt. Der neue CFO wurde von heute auf morgen in die Position berufen
Standpunkt
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und zum Mitglied des Führungsteams befördert. Er hatte einen Nachmittag Bedenkzeit, die Kommunikation mit dem Mutterhaus war bereits erfolgt; größere fachliche Verantwortung und Teamführung haben Burnout-Symptome zur Folge. Er wünscht sich einen Mentor und Zeit, um in die Position hineinzuwachsen. • COO: Der COO wäre gerne CEO geworden, wurde aber vom Mutterhaus nicht in Betracht gezogen. Er hat innerlich gekündigt und boykottiert den neuen CEO, er möchte gerne eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung und einen Führungskurs besuchen, Fach- und Sozialkompetenz sind vorhanden. • Leiterin Marketing & Vertrieb: Nachdem der Nichte von Herrn Meier die Aufgabe des Key Account-Managers anvertraut wurde, übernahm die Leiterin Marketing & Vertrieb ihre neue Funktion. Dabei wollte sie eigentlich gar keine Leute führen und hätte viel lieber ihre bisherige Key Account-Manager-Tätigkeit ausgeführt. Herr Meier organisiert ein zweitägiges Offsite-Meeting, von Salt Consulting moderiert. Es werden Spielregeln wie Wertschätzung, Respekt, keine Verurteilungen, keine Ängste, Offenheit und Ehrlichkeit festgelegt. Die Teilnehmer haben das Bedürfnis, Geschehenes aufzuarbeiten und Missverständnisse aus der Welt zu räumen. Noch spricht niemand von Vision oder Strategie. Es entsteht eine emotionale und doch konstruktive Diskussion. Das Führungsteam spricht seit fünf Monaten das erste Mal wirklich miteinander. Folgende Themen spielen eine Rolle (Auszug): • Gemeinsamer, starker Auftritt als Einheit gegenüber dem Mutterhaus. Aufbau des „Wir-Gefühls“. Verstehen des Unternehmensleitbildes und erarbeiten der Vision und Strategie für den Schweizer Markt. Verfassen von messbaren, umsetzbaren und kontrollierbaren Zielen und Maßnahmen. Herr Meier wählt eine einfache, verständliche Sprache und ist erstaunt, wie viel Wissen, Können und Fähigkeiten in den Mitarbeitern steckt, wenn sie ihn verstehen und sich verstanden und ernst genommen fühlen. • Die Bereichsverantwortlichen stellen ihren Bereich in einer SWOT-Analyse vor. Anregung und Kritik werden bereichsübergreifend zugelassen. Man beginnt einander zu verstehen und sieht interdisziplinäre Zusammenhänge. Daraus ergeben sich Verbesserungsvorschläge, neue Ideen und Chancen. • Gemeinsames Verständnis und klare Unterscheidung zwischen der Strategischen und der operativen Führung. Zitat Herr Meier: „Herr Meier hat den Weitblick, das Führungsteam steuert das Schiff, die Matrosen stellen die problemlose Fahrt sicher.“ Formulieren von klaren, einheitlichen und bereichsübergreifenden Prozessen. • Inseln schaffen zum Denken, für Selbstreflexion und intensive Gespräche im (Führungs-)Team. Zeit und Unterstützung für persönliche und berufliche Weiterentwicklung. Erarbeiten von Führungsinstrumenten in Zusammenarbeit mit externen Fachspezialisten. • Schaffen einer Unternehmenskultur, die unternehmensintern und nach außen positive Signale ausstrahlt – Einzigartigkeit, nicht kopierbarer Wettbewerbsvorteil – nachhaltiger Erfolg.
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Anita R. Salt
Resultate Das Führungsteam wird nicht ausgewechselt. Herr Meier übernimmt in Personal union die Funktion Marketing & Vertrieb. Seine Nichte unterstützt ihn dabei in Stabsfunktion. Herr Meier kommuniziert bewusster und sucht den direkten Kontakt. In hektischen Situationen fällt er allerdings immer wieder zurück in alte Muster. Durch die gemeinsame Erarbeitung der Vision und Strategie ist die Identifikation mit dem Unternehmen gestiegen. Der Wille zum Erfolg ist sichtbar und wahrnehmbar. Die Doppelbelastung „Familie und CEO-Funktion“ ist noch ungelöst. Die Leiterin Marketing & Vertrieb wird wieder Key Account Manager. Der COO besucht maßgeschneiderte Führungskurse und befasst sich mit der Auswahl eines geeigneten MBA-Programms. Ein möglicher externer Wechsel ist nicht ausgeschlossen. Herr Meier verlangt den Aufbau einer qualifizierten Stellvertretung. Der CFO wird von Salt Consulting als Mentor/Coach bis auf Weiteres begleitet. Das Unternehmen schafft den Break-even nach eineinhalb Jahren. Das Umdenken, die Eigeninitiative und die bessere Kommunikation der Schweizer Niederlassung wurden im Mutterhaus positiv aufgenommen, die „Liquiditätsspritze“ verlängert. Schlusswort Dieses Praxisbeispiel zeigt die Komplexität der Führung in verschiedenen Facetten. Die Bereitschaft zur Veränderung musste bei allen Beteiligten in intensiver Arbeit geweckt und der Nutzen für den Einzelnen und das Unternehmen als Gesamtes aufgezeichnet werden. Das Unternehmen war aufgrund eines Führungsvakuums gelähmt. Jeder hat in seinem Silo gearbeitet und sich nicht für persönliche und berufliche Themen des Anderen interessiert. Die Arbeit diente rein dem Gelderwerb. Es ging nicht darum, die Schweizer Niederlassung erfolgreich am Markt zu positionieren. Das Feuer und die Motivation jedes Einzelnen waren erloschen, die Tätigkeiten wurden mit Routine und ohne Herzblut ausgeführt. Herr Meier war in sich selbst und in einem System gefangen. Das Unternehmen und jeder Einzelne im Führungsteam brauchten wieder eine Perspektive, ein Ziel, einen Sinn, um weiterzumachen. Die „ungeschminkte“ Konfrontation der Menschen mit der Realität hat das Unternehmen wachgerüttelt. Und dabei wird doch nur Systematik, Erfahrung, gesunder Menschenverstand, Herzblut, Mut, starker Willen und sachliche Entscheide gebraucht. Und natürlich die nötige Portion Glück. Modelle, Mechanismen und Methodiken der Strategischen Führung sind lehrbar und auch lernbar. Der Unterschied zwischen einer durchschnittlichen und einer respektierten, angesehenen Führungskraft ist nach meiner Erfahrung in erster Linie eine Frage des Charakters und der persönlichen Eigenschaften. Landläufig würde man sagen: „Entweder man hat es, oder man hat es nicht.“ Der Coach muss spüren, ob Menschen nur um des Führens Willen führen oder ob sie wirklich auch Spaß daran haben, sich emotional und zwischenmenschlich zu engagieren. Der Mitarbeiter spürt es ganz bestimmt!
Teil 4 Strategische Führung – Normen und Grundsätze des Handelns hinterfragen
Das ganze Spielfeld ausnutzen: Mit Soft Power zum verantwortungsvollen Management Arpad A. Sölter, Eric Schulze
Der von Joseph Nye geprägte Begriff der Soft Power beschreibt die Fähigkeit, andere ohne den Einsatz von Druckmitteln zu gewinnen. Soft Power wurde im Umfeld der Außenpolitik entwickelt und hat dort als Konzept eine weite Verbreitung erfahren. Dieser Beitrag identifiziert die Ursachen des Erfolgs von Soft Power anhand des Beispiels der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und diskutiert deren Anwendbarkeit auf der Ebene der individuellen Managementhandlung. Dabei wird aufgezeigt, dass das Verständnis von Soft Power neue Möglichkeiten für das Management jenseits von Kennzahlen erlaubt. Es wird argumentiert, dass die Übertragung und der Einsatz von Soft Power einen Beitrag zum verantwortungsvollen Management leisten können.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Arpad A. Sölter, Eric Schulze
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2 Wiederentdeckung von Soft Power und Renaissance der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2.1 Neues Zentrum: Kultur und Lebensstil als Diplomatie des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2.2 Ein Amerikaner in Pyöngyang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3 Tanz auf der Rasierklinge: Zwischen wirkungsloser Propaganda und der diffusen Anziehungskraft des kulturellen Kapitals . . . . . . . . . . 162 3.1 Evaluation als neuer Trend: Die Vermessung der Cultural Diplomacy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.2 Drei Geheimnisse des Erfolgs im Bereich der Kulturdiplomatie . . . . . . 165 3.3 Kunst bewegt, Kultur zählt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4 Hard Power und Soft Power im Managementalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5 Ausblick: Soft Power als Ansatz für verantwortungsvolles Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Das ganze Spielfeld ausnutzen: Mit Soft Power zum verantwortungsvollen Management
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„I am excited to see how my experience in Germany will affect my working methods at home. I am keen to examine a classic piece of theatre, perhaps a new translation, and break it apart, exploring the text from the inside out, using tools I’ve picked up while I was here in Germany. I am not yet sure whether this style of working is right for me, but I am keen to find out. I am very grateful to the opportunity given to me by the Goethe-Institut and International Theatre Institute. This scholarship has taught me more about German theatre, the German language and culture in general – as well as myself – than I ever expected. I am excited to return to Canada, to put my new tools into practice, and to examine how my understanding of theatre and art has changed since arriving in Germany. And see you soon Berlin!“ Ashlie Corcoran aus Toronto, Teilnehmerin des Theatergastprogramms des Goethe-Instituts, Berlin
1 Einleitung Die Auszüge des Berichts von Ashlie Corcoran sind nicht nur Ausdruck davon, dass der jungen Kanadierin ihr Aufenthalt in Deutschland sichtlich gefallen hat. Sie fand einen ihr sympathischen Zugang zu Deutschland, sie weiß mehr über Deutschland und wurde durch ihren Aufenthalt so geprägt, dass sie dies ganz persönlich verändert hat. In ihrem Bericht hat Ashlie damit – wenn auch unbeabsichtigt – den Soft PowerAnsatz beschrieben. Die Idee von Soft Power wurde durch die Veröffentlichungen des Harvard-Professors Joseph Nye einer breiten Öffentlichkeit bekannt und wird vor allem im Zusammenhang mit der Außenpolitik angewendet. Nye definiert Soft Power als eine der persönlichen Zielerreichung nützliche Fähigkeit, andere durch Anziehung statt Zwang zu beeinflussen (Nye 2008a, S. 94). Er grenzt dabei bereits Soft Power von dem Begriff der Beeinflussung ab, da für ihn auch die Hard Power-Instrumente durchaus beeinflussend wirken können (Nye 2008a, S. 95). Vielmehr sieht er die Trennung zwischen Hard und Soft Power in der Art der Beeinflussung. Als die Beeinflussungsarten von Hard Power unterscheidet er einerseits zwischen Drohungen und Zwängen („der Knüppel“) sowie andererseits Anreizen und Zahlungen („Die Karotte“). Soft Power hingegen beeinflusse durch seine Anziehungskraft (Attraction), die dafür sorge, dass der andere das tut, was man von ihm will (Nye 2008a, S. 94). Die sinnvolle Kombination von Hard und Soft Power bezeichnet er mit dem einprägsamen Begriff Smart Power (Nye 2004, S. 32). Den Soft Power-Ansatz entwickelte Nye auf Basis seiner Analysen zur US-amerikanischen Außenpolitik. Über den Zeitverlauf wurde untersucht, wie Hard bzw. Soft Power als Instrumente der Außenpolitik genutzt wurden. Dabei spielen natürlich die Hard Power-Einsätze in Afghanistan und im Irak eine zentrale Rolle, ebenso wie die Versuche, über Soft Power das ramponierte Image wieder
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Arpad A. Sölter, Eric Schulze
auszugleichen, z.B. durch den Einsatz des US-Militärs in der Tsunami-Region oder über die Radiostationen von Voice of America. Der durchaus gefällige Begriff Soft Power scheint direkt anschlussfähig an eine Vielzahl von Diskursen auch außerhalb der Politik zu sein. So berühren auch mehrere Ansätze der Managementforschung an der einen oder anderen Stelle die Beeinflussungsthematik bzw. die Frage, wie andere überzeugt werden können, das zu machen, was man selbst für gut hält. Allerdings wäre es zu einfach, das Konzept darauf zu reduzieren, dass es im Unternehmen neben Bonus und Malus noch weitere weiche Instrumente geben sollte wie Werte, Sympathie, Neugier oder Arbeitsatmosphäre. Wenn das so wäre, dann wäre Soft Power nicht mehr als ein Plädoyer für eine freundlichere und im Sinne Nyes attraktivere Welt. Nye‘s Zugang zu Soft Power ist allerdings tiefergreifender und damit relevanter: Nye führt bzgl. Soft Power die Unterscheidung zwischen der Kraft, die gemessen wird an der erreichten Verhaltensänderung (Behavioral Outcomes), und der Kraft, die in Ressourcen messbar ist, ein (Nye 2008a, S. 95). Selbst die beste Werbung könne kein unpopuläres Produkt verkaufen (Ney 2008a, S. 103). Es bestehe eher die Gefahr, dass dabei Soft Power sogar noch zerstört werden könne. Die Übertragung dieses zweischichtigen Spannungs- und Konfliktfelds auf das Management erscheint vor dem Hintergrund der Kritik an der „gefälligen“ Soft Power notwendig und zugleich vielversprechend. Dabei mag es den Leser verwundern, aber inhaltlich nicht stören, dass die Entwicklung dieser Konfliktlinien anhand eines vordergründig wirtschaftsfernen Bereichs – der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik (AKBP) – vollzogen wird. Das AKBP-Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass die Konfliktlinien nicht nur auf einer Mikro- sondern auch auf einer Makro- (d.h. politischen) Ebene existieren. Das Eingangszitat des kanadischen Theaterprofis mag ein praktisches Einzelbeispiel (Mikroebene) sein, eröffnet aber zugleich die politische Ebene (Makroebene), d.h. die Frage, nach welchen Prämissen ein Land versucht, andere Länder zu beeinflussen. Der Beitrag beginnt mit einer Situationsanalyse des Einsatzes von Soft Power im Rahmen der Außenpolitik. Anschließend werden die Spannungsfelder der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik dargelegt und Erfolgsfaktoren der Kultur diplomatie abgeleitet. Auf Basis dieser Beschreibung wird der Transfer des Ansatzes auf den Managementalltag vollzogen und eine analogische Anwendung diskutiert. Abschließend wird skizziert, wie das Verständnis von Soft Power einen Beitrag zum verantwortungsvollen Management leisten kann. Dieser Artikel versteht sich dabei als Diskussionsbeitrag, der vorschlägt, die Erkenntnisse außenpolitischer Wirkungsmechanismen auf das Management zu übertragen.
2 Wiederentdeckung von Soft Power und Renaissance der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Joseph S. Nye definiert Cultural Diplomacy als „prime example of ‚Soft Power‘, the ability to persuade through culture, value, and ideas as opposed to ‚Hard Power’, which conquers or coerces through military might.” (Nye 2004). Aus
Das ganze Spielfeld ausnutzen: Mit Soft Power zum verantwortungsvollen Management
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dieser Perspektive ist Kulturdiplomatie ein wesentlicher Bestandteil nationaler Außenpolitik und internationaler Beziehungen und nichts weniger als ein Erfolgsfaktor in der Weltpolitik. Aus theoretischer Perspektive zeitigt die Begriffsgeschichte von Cultural Diplomacy in Deutschland einen starken Bedeutungswandel in relativ kurzer Zeit. Ursprünglich stand der Begriff nach 1945 im Zeichen der Bemühungen, das durch das Hitler-Regime belastete Image zu bereinigen und Vertrauen unter den europäischen Nationen wiederherzustellen. In der deutschen Nachkriegsperiode legitimierte Cultural Diplomacy sich über das ehrenwerte Anliegen, Dialog zu initiieren, Verständnis und Vertrauen auf internationaler Ebene aufzubauen und demgemäß Frieden unter den Nationen zu sichern. Im Laufe der Zeit überlagerten mehrere, teils kontroverse Sichtweisen diese Ursprungsbedeutung. Hans Magnus Enzensberger betrachtete Cultural Diplomacy als ein Frühwarnsystem für internationale Konflikte in einer lernenden Gesellschaft (Wolf Lepenies), das hierbei als transkulturelles Bindeglied fungiert. Unter Joschka Fischer wurde Cultural Diplomacy zur zivilgesellschaftlichen Maßnahme in post-autoritären Regimes weitergedeutet, die zur weltweiten Verbreitung einer westlichen Kultur der Freiheit beisteuern sollte (Sölter 2000; 2001). Dieser Ansatz basiert auf der Annahme, dass im Zeitalter von Soft Power westliche Demokratien umso erfolgreicher sein werden, wenn sie ihre Ideologien und Überzeugungen über einen wertschätzenden Austausch von Ideen und Menschen propagieren; kultureller Austausch sich also als weit zielführender erweist als Hard Power. Mit der Globalisierung der Welt, vorangetrieben nicht zuletzt mittels moderner Technologien und des Internets, scheinen diese tradierten Legitimitätsformen von Cultural Diplomacy immer obsoleter zu werden. Ihre traditionelle theoretische Fundierung wird im öffentlichen Diskurs zunehmend hinterfragt. Mit der Überholung des politischen Mandats der Kulturdiplomatie und der Überfrachtung der Erwartungen an selbige gingen drastische Budgetkürzungen für dieses Politikfeld einher, die das Goethe-Institut und andere prominente Mittlerorganisationen in den letzten Jahren zur Neujustierung ihres globalen Kulturnetzwerkes zwangen (Bahners 2007; Becker 2007; Steinfeld 2007). Nach Jahren der Einschränkung, Restrukturierung und Kostenreduktion hat Deutschlands Außenminister FrankWalter Steinmeier 2007 schließlich eine Umkehrpolitik in Sachen Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik lanciert. Zugleich entdeckten Amerika, China und Russland die gewinnende Kraft von Soft Power und Cultural Diplomacy wieder. Auf einer globalen Bühne hat die Renaissance der Kulturdiplomatie begonnen, die mit neuer Definitionslogik, mit neuen Bewertungskriterien und Instrumentarien operiert.1
1
Die Literatur rund um Public Diplomacy und Cultural Diplomacy ist umfangreich: vgl. u.a. Batora 2005; Belanger 1999; Feigenbaum 1999; Fiske/Plumridge 2005; Gienow-Hecht u. Donfried 2009; Henrikson 1996; Roberts 2007; Schneider 2003; Sölter 2000; Sölter 2001.
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Arpad A. Sölter, Eric Schulze
2.1 Neues Zentrum: Kultur und Lebensstil als Diplomatie des 21. Jahrhunderts „Heiße“ und „kalte“ Konflikte zwischen Kulturen, Religionen, Lebensstilen und Wertesystemen sind signifikant für das 21. Jahrhundert. Durch das Scheitern von Hard Power im Irak und in Afghanistan erfahren Alternativen zu militärischen Interventionen neue Aufmerksamkeit. Die Soft Power-Methoden stehen seitdem wieder hoch im Kurs. Die Stärke eines Landes und sein Einfluss in einer globalisierten Welt werden wieder mittels seines kulturellen Kapitals (Pierre Bourdieu) und seiner kreativen Energie gemessen, Einfluss auf dem Wege der Anziehungskraft auszuüben. In diesem Diskurs zielen gute Kulturprogramme darauf ab, Intellektuelle, Politiker und Aktivisten zusammenzubringen, um kollektive Anliegen zu diskutieren und sich einer gemeinsamen Politiktradition zu versichern. Die Kunst von Cultural Diplomacy als Soft Power erlebt nicht nur weltweit eine beispiellose Renaissance. Gleichzeitig verschieben sich auch die Kraftfelder und die Macht der Akteure in diesem Politikfeld. Auslandspolitische Durchsetzungsund Wirkungskraft wandert zunehmend vom ehemaligen Zentrum, den Außen ministerien, zur ehemaligen Peripherie der Staatsferne, den nichtstaatlichen Kulturträgern und Kulturinstituten, die nun das neue Zentrum der globalen Kulturund Kreativindustrie prägen. Dabei verändert sie ihren Charakter und ihre Essenz. „Culture and lifestyle are the diplomacy of the 21st century“ (Jenkins 2008, S. 24), attestierte der Guardian und bettet diese Auffassung in eine noch umfassendere Diagnose ein: Das Ende der konventionellen Diplomatie ist längst gekommen. Der schleichende Relevanzverlust, die wachsende Bedeutungslosigkeit und Trennung der traditionellen Diplomatie von ihrem früher sie konstituierenden Kontext hat die politische Bedeutung von Kunst und Kultur von Grund auf verändert. Cultural Diplomacy hat sich von den Botschaften, den Diplomaten und aus der Ministerialbürokratie entfernt, die in künstlerischen Kreisen ohnehin nie als Hort der Kreativität und Avantgarde betrachtet wurde. Zugleich haben alternative Formen bzw. die „wahre“ Diplomatie über sozialen und kulturellen Austausch immens an Bedeutung gewonnen, da diese einfach eine größere Rolle spielen (Dorment u. Christensen 2007). Die Kultur ist wie die Wirtschaft heute bereits weltweit vernetzt und benötigt nicht mehr ein künstliches Netz an Kulturattachés oder Handelsagenten. Die Intendanten und Organisatoren von internationalen Festivals konsultieren die Botschaften heute lediglich noch für die Organisation von Empfängen und weniger für die Vermittlung von künstlerischem und kulturellem Input. Die neuen, wahren Kulturdiplomaten unserer Zeit sind Agenten von Soft Power: Filmemacher, Musiker, Dirigenten, Künstler, Schriftsteller, Kuratoren, Gastprofessoren, Auslandskorrespondenten, Erasmusstudenten, Praktikanten und Prominente wie Oskar- und Grammy-Preisträger. Sie kommen und gehen. Aber sie beeinflussen maßgeblich die Art und Weise, wie Länder und Staaten heutzutage auf globaler Bühne wahrgenommen werden. Der Bedarf dieser neuen globalen Kulturelite erstreckt sich auf Residenzprogramme, Studentenvisa und Reisestipendien und weniger auf politische Telegramme, Funktionärshierarchien und ministeriale Entscheidungswege. Sie brauchen Insider, die die jeweilige
Das ganze Spielfeld ausnutzen: Mit Soft Power zum verantwortungsvollen Management
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Szene gut genug kennen, um sich schnell und effektiv mit den lokalen Akteuren zu verbinden. Staaten profitieren, wenn sie Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Akademiker weltweit „versenden“. Das Ansehen und Image eines Landes wird heute weit weniger von direkten staatlichen Interventionen geprägt, als dies früher der Fall war. Ein Auslandkorrespondent hat heute oftmals mehr Einfluss auf das Image von Deutschland, Kanada oder Großbritannien als ein offizieller Diplomat. Semi-staatliche Mittlerorganisationen wie das British Council und das GoetheInstitut agieren als unabhängige Motoren, Moderatoren, Förderer und Übersetzer und verfügen über einen höheren Grad an Autonomie und Glaubwürdigkeit als Funktionäre und Bürokraten, die eine anonyme staatliche Propagandamaschinerie bedienen und zugleich repräsentieren.
2.2 Ein Amerikaner in Pyöngyang Die Vereinigten Staaten sind derzeit nach Meinung vieler Beobachter dabei, ihr Selbstverständnis und ihre Rolle als Weltmacht in einer globalisierten Welt zu überdenken. Die neue Positionierung orientiert sich an den erprobten Mechanismen der Soft Power. Während die in Russland zu beobachtenden Schließungen internationaler Organisationen, die kulturellen und akademischen Austausch beförderten, ein Schritt zurück in die nationale Isolation bedeutet, haben die USA ihre Ambitionen bezüglich der Re-Implementierung von Cultural Diplomacy in die Auswärtige Politik weiter vorangetrieben. Dieser Schachzug kam nicht gänzlich unerwartet – schließlich hat der Kampf gegen den Terror finanziellen und humanitären Tribut gefordert. Im Zuge der Bush-Administration und ihrer Politik unter aktiver Nutzung von Militärmacht (Hard Power) haben sogar proamerikanische Wissenschaftler wie Habermas beanstandet, die USA hätten sich nicht nur von der Genfer Konvention losgesagt, sondern ihre moralische und politische Autorität eingebüßt. Anstatt sich des Risikos eines weiteren militärischen Konflikts mit einem nuklearen Staat wie Nordkorea auszusetzten, erscheint eine Neusetzung der Rolle von Soft Power heute wieder als gangbarer Weg. Auch hier kommt der Sinneswandel zu einem strategisch nicht ungünstigen Zeitpunkt. Inmitten einer Pattsituation in den Verhandlungen mit Nordkorea zur Aufgabe seines nuklearen Arsenals, verpflichtete das amerikanische Außenministerium das New York Philharmonic Orchestra zum Besuch des Landes, um die festgefahrenen Verhandlungen durch kulturelle Harmoniebekenntnisse wieder anzukurbeln. Technisch betrachtet befinden sich Nordkorea und die USA immer noch im Krieg, ohne jegliche diplomatische Zwänge, mit militärischen Truppen, positioniert an der umkämpften Grenze zwischen Nordund Südkorea. Anbetracht dieses gegenseitigen Misstrauensvotums, lokalisiert auf der „Achse des Bösen“, stellte sich das Konzert der New Yorker Philharmoniker in Nordkorea als ein wagemutiges Unterfangen dar. Schließlich war es das erste Mal, dass eine amerikanische Kulturinstitution dieses Ranges das Land nach Ende des Koreanischen Krieges betrat. Die Kritiker in den USA reagierten prompt. Sie prangerten die musikalische Diplomatie-Tour mit dem Dirigenten Lorin Maazel als einen propagandistischen
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Coup nationaler Geschmacklosigkeit an: ein PR-Event im brutalen stalinistischen Regime (Kirkpatrick 2008, D6). Konfrontiert mit dieser Anklage, konstatierte Maazel simpel, wenn die Alternative militärische Belagerung, Verbarrikadierung und Isolation à la Kuba laute, bevorzuge er den Weg eines langsamen, graduellen Wandels mittels Cultural Diplomacy – ersteres habe bewiesenermaßen schon zu oft kläglich versagt.
3 Tanz auf der Rasierklinge: Zwischen wirkungsloser Propaganda und der diffusen Anziehungskraft des kulturellen Kapitals Im „Instrumentenkasten“ von Soft Power in der Auswärtigen Kultur- und Bildungs politik stehen unterschiedliche Denkmodelle und Methoden bereit, um die internationalen Kulturbeziehungen zu gestalten. Sie reichen von der Idee des einseitigen Kulturexports bis hin zum Nation Branding, zur Public Diplomacy und zur Cultural Diplomacy. Im Folgenden werden die Ansätze kurz vorgestellt. Nation Branding bezeichnet den Versuch, einem Staat durch Anwendung von Kommunikationstechniken aus der Markenbildung ein mit einer Handelsmarke vergleichbares Image zu verschaffen. In Analogie zu einer Ware oder einem Produkt sollen damit auch für Länder und Nationen Bekanntheitsgrad und Vertrauen im Ausland positiv beeinflusst werden, um so den Tourismus, die Exporte und Investitionen ausländischer Unternehmer zu fördern sowie in den politischen Beziehungen zu anderen Staaten als positiver Akteur wahrgenommen zu werden. Nation Branding knüpft an bestehende, zumeist diffuse Urteile und Bilder über einen Staat und eine Nation an. Bestehende Merkmale eines Staates wie seine politische Struktur, Kultur und Geographie werden dabei ebenso berücksichtigt wie die Bevölkerung, die ebenso Zielgruppe von Nation Branding ist. Denn auch die eigene Bevölkerung muss für ein erfolgreiches Nation Branding das gewünschte Image glaubhaft transportieren. Als Beispiel in dieser Art gilt die von Tony Blair verantwortete Cool Britannia-Kampagne. Diese lehnte sich an das alte britische Motto Rule, Britannia! an und sollte über das Vereinigte Königreich das Bild vermitteln, die Drehscheibe für Musik, Film, Mode, Medien und Design zu sein. Der Erfolg der Kampagne wird unterschiedlich bewertet. Erschwerend kam der zeitgleiche Ausbruch des Rinderwahns in Großbritannien hinzu, der die mediale Welt weit mehr bestimmte als die Kampagne. Als vergleichbare deutsche Versuche sind Du bist Deutschland oder Land der Ideen zu nennen. In unmittelbarer Nachbarschaft steht der Ansatz der Public Diplomacy. Historisch ist Public Diplomacy aus der United States Information Agency (USIA) erwachsen und weist eine Nähe zur Auslandspropaganda und zum Polit-Marketing von Regierungen auf. Nach einschlägiger Erfahrung wird sie eher als Sales Pitch und als Versuch der Meinungsmanipulation von Partnern und Freunden empfunden. Eine Kulturinstitution würde mit Public Diplomacy in längst überholte Denk- und Verhaltensmuster zurückfallen, die eine Kultur gegen die andere ausspielt oder ethnozentrisch die eigene Kultur als höherwertig ansieht als andere.
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Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit – oder um den internationalen Begriff Cultural Diplomacy zu verwenden – setzt demgegenüber auf: 1. das konsequent dialogische Arbeiten mit lokal vernetzten Partnern auf höchstem professionellen Niveau, d.h. gemeinsames Konzipieren, Finanzieren und Durchführen von Projekten zu Themen, die in beiderseitigem Interesse liegen; 2. den multilateralen Ansatz, um ergebnisoffen diskursiv oder über Wege der ästhetischen Vermittlung und Inspiration gemeinsame kreative Entwicklungen zu ermöglichen, um Erkenntnisse, Impulse, Perspektiven und Lösungen zu den brennenden Fragen der Zeit zu finden und schließlich 3. die ständige Suche nach neuen aufregenden Formaten und Inhalten, die unsere internationalen Zielgruppen anziehen, begeistern und Horizonte erweitern. Kulturwochen oder Deutschlandwochen – ein typisches Format für Public Diplo macy – bewegen sich im Grenzbereich zu einer Werbeaktion für Deutschland. Hier ist interkulturelles und interinstitutionelles Fingerspitzengefühl gefragt, um allzu offensichtliche Werbemaßnahmen für Deutschland zu vermeiden, die Partnerinstitutionen und vor allem genuine künstlerische Produktion diskreditieren. Daher setzen effektive Kulturdiplomaten auf die Zusammenarbeit mit Institutionen und Initiativen der jeweils lokalen Zivilgesellschaft, speziell denen der Medien, Kultur und Kunst. Denn Partner, Freunde und Gäste als Zielgruppen weltweit sollten intellektuell nie unterschätzt werden. Das Mischverhältnis von politischer Information und kultureller Kommunikation wird als solches durchschaut. Intelligente Menschen bilden sich ihre Meinung lieber selbst und zwar auf Basis aufregender, inspirierender kultureller Angebote und Spitzenleistungen. Kulturelle Kommunikation ist stets eine Frage der Glaubwürdigkeit. In der internationalen Praxis wird eine vordergründige Public Diplomacy, die eine direkte, rein zweckgerichtete Beeinflussung zum Ziel hat, zunehmend als Irrweg erkannt. Auch unmittelbar pädagogische Intentionen oder das in der Public Diplomacy verbreitete Muster des Showcasing qua Promotion-Tour schlagen in aller Regel fehl. Beides langweilt Gäste, Freunde und Partner weltweit bestenfalls.2
3.1 Evaluation als neuer Trend: Die Vermessung der Cultural Diplomacy Ein weiterer ganz anders gelagerter Trend nimmt ebenfalls auf die Ausgestaltung der Cultural Diplomacy Einfluss. Das Ökonomisieren der Politik hat längst auch die Bühne nationaler Selbstdarstellung erobert und verwandelt die Kulturinstitutionen und Mittlerorganisationen in Service-Einheiten einer ökonomisierten Kultur exportmaschine. In naher Zukunft werden die kulturpolitischen Arenen nach messbaren Ergebnissen beurteilt und bewertet. Quantitative Indikatoren benennen 2 Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Kulturmittler genießen ein hohes Ansehen und Vertrauen, da sie ein selbstbewusstes und frisches und gleichzeitig aufgeklärt-selbstkritisches, selbstreflexives Deutschlandbild weltweit vermitteln. Insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die offene Diskussion über aktuelle soziale Probleme verwundern und beeindrucken.
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dabei, ob die „Leistung“ dieser Einrichtungen als exzellent oder ungenügend – oder noch schlimmer – als bedeutungslos eingestuft werden. „Qualitätskontrolle“, „Evaluation“ und „strategisches Controlling“ bestimmen die Nutzenerwartung, kurzfristig präsentierfähige Ergebnisse einfordern zu können. In einem Politikfeld, das wie alle Bildungsprozesse auf Nachhaltigkeit und langen Atem angelegt ist, in dem sich die wertvollsten Erfolge oft erst in the long run konkretisieren, ist dieser Trend problematisch. Dieser vorherrschende Denkmodus hat daher weltweit Partner, Freunde und Beobachter deutscher Auslandspolitik überrascht. Verwirrung macht sich breit, gerade unter denjenigen, die aus Überzeugung behaupten: „German cultural foreign policy has been the best in the world for so many years.“3 Sicher, vieles lässt sich auch im Handlungsfeld der Cultural Diplomacy messen. Hochleistungsrechner sammeln Indikatoren und Zahlenreihen für statistische Rechenübungen: Besucherzahlen, Sprachschüler, Prüfungsteilnehmer, Austauschprogramme, Bibliotheksnutzer, Kosten/Nutzen-Relationen oder finanzielle Sponsoren- und Partneranteile. Sichtbare Effekte und zuverlässige Ergebnisse, wie o.g. Fragen nahelegen, werden angetrieben von einer Maximierungsperspektive, die den Nichtregierungseinrichtungen vorgeschrieben wird. Und zuletzt bewahrheitet sich dennoch lediglich eine alte Bauernweisheit: „Die Sau wird nicht dadurch schwerer, dass man sie wiegt.“ Kann die Quintessenz von Cultural Diplomacy als Soft Power also überhaupt gemessen werden? Wie kann der Wert von Soft Power quantifiziert werden? Die Schwierigkeit dieses Unterfangens offenbart sich erst bei genauerer Betrachtung von kulturdiplomatischen Aktivitäten und ihren individuellen Wirkkräften: 1. Es geht um die Kraft der Anziehung, um individuelle Biographien langfristig positiv zu verändern. Hier spielt die unmittelbare soziale und kulturelle Begegnung eine Schlüsselrolle. Aus dieser Perspektive kann auswärtige Kulturpolitik die Entwicklung eines Menschen prägen, manchmal für ein ganzes Leben, zum Nutzen einer ganzen Nation, wenn früh die richtigen Zielgruppen erreicht werden. Das dichte Netz an weltweiten Freunden des „neuen Deutschlands“ ist unbezahlbar. Kulturpolitische Aktivitäten der Vergangenheit schufen Movers and Shakers, die in ihren Gastländern als Meinungsführer in Kultur, Wissenschaft und Politik Deutschland eng verbunden sind. Ohne nachhaltige Investitionen wird es jedoch nicht gelingen, dass auch zukünftige Generationen diese Gefühle Deutschland gegenüber ohne Weiteres teilen. 2. Symbolische Politik schafft einen Mehrwert, der weit über die individuelle Ebene hinausgeht. Die genannten Beispiele belegen, wie einfach auswärtige Kulturpolitik große Wellen schlagen kann, im positiven wie im negativen Sinne. Mit Hilfe von Soft Power kann ein Land seine Bezugslinien zu anderen Ländern stärken und schwächen, Tore weit öffnen oder diese für Dekaden verschließen. 3
Jeffrey Kopstein (Direktor des Institute of European Studies und des European Studies Program, Munk Centre for International Studies, Universität von Toronto) in einem unveröffentlichten Interview.
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3. Auswärtige Kulturpolitik als Soft Power ist effektiv und konstruktiv. Die Unter stützung von Schriftstellern, Malern, Filmemachern und Kuratoren, um sie international aktiv zu profilieren, um ihnen Geltung und Achtung zu verschaffen, bringt nicht nur immense Multiplikatoreffekte mit sich. Die Investition in Kunst und Kultur kann sogar direkte Gewinne generieren, wie viele Beispiele aus der Kulturindustrie belegen (vgl. Swan 2001, A21). 4. Die allerbeste Seite der Kulturdiplomatie dabei ist: niemand kommt zu Schaden. Mittels Soft Power gelingt es, Einfluss zu nehmen und Wandel zu initiieren, ohne Gewalt, Panzer, Blutvergießen und Todesfälle. Unter Hard Power leiden Zivilisten in aller Regel am meisten – von Soft Power profitieren sie und die Zivilgesellschaft am meisten.
3.2 Drei Geheimnisse des Erfolgs im Bereich der Kulturdiplomatie Erfolgreiche kulturelle Diplomatie berücksichtigt mindestens drei Prinzipien: Das erste Erfolgsgeheimnis besteht in der Kunst, weltweit und gleichzeitig jeweils lokal relevant zu wirken. Sobald Kulturdiplomaten bloß darauf verweisen, wie großartig, kreativ und wundervoll ein Herkunftsland ist, werden sie weder positiv wirken noch wird ihr Einsatz von Erfolg gekrönt sein. Es zählen andere Faktoren. Zuallererst ist es entscheidend, die kulturellen Trends und brennenden Leitfragen des Gastlandes zu identifizieren und die Probleme und Anliegen der Zielgruppen zu kennen, die erreicht werden sollen. In diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit gefordert, zuhören zu können: Was wird vor Ort zurzeit am meisten benötigt und warum? Zusätzlich ist es notwendig, und das ist nicht weniger herausfordernd, all das oben Genannte aufzugreifen und mit dem eigenem Angebot sinnvoll zu verknüpfen, um auf diese Weise kulturell innovativen Mehrwert zu schöpfen. Letztendlich hängt Erfolg davon ab, inwieweit es gelingt, die lokalen Besonderheiten und den anderen mit einem stimulierenden Input von außen zu verbinden und etwas Neues, Kreatives, Bedeutendes und Relevantes zu schaffen. Beispiel: Toronto, eine der multikulturellsten Städte der Welt, lädt jährlich tausende Neuankömm linge zu sich ein, deren Integration für Kanada eine immense Herausforderung darstellt. Diese spezifische Konstellation reflektierend, fokussierte das Goethe-Institut in Toronto eine längere Zeit lang auf Themen rund um Urbanität und städtische Entwicklung. Der Input, den deutsche Künstler, Fotografen, Stadtplaner und Bürgermeister aus einer trans atlantischen Vergleichsperspektive einbrachten, brachte Kanadier und Deutsche näher zusammen, als dies mit einem reinen Kulturexport möglich wäre. Sich lokal zu verorten, beinhaltet aber auch die Notwendigkeit eines exzellenten lokalen Teams mit engagierten Mitarbeitern und Partnern. Ohne dieses Netzwerk ist es schwierig, als ernstzunehmender Akteur aufzutreten und mehr zu sein als ein teilnehmender Beobachter.
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Das zweite Erfolgsgeheimnis lautet: Verbinde das Bekannte mit dem Unbekannten, das Eigene mit dem Fremden. Unverhoffte Begegnungen, unerwartete Kombinationen lassen aufhorchen und schaffen interessante Gesprächsthemen und -verläufe. Schließlich zielt das dritte Erfolgsgeheimnis auf Integrierte Programme und den anhaltenden Dialog mit erfolgreichen Partnern ab. Allerdings benötigt jeder Meinungsaustauch eine Orientierung. Auch und insbesondere als ausländisches Kulturinstitut sind ein ausgeprägtes Profil, relevante Schlüsselthemen und gemeinsame Leuchtturm-Veranstaltungen erforderlich. Nur wer dieses Rad in Bewegung hält, wird erfolgreich im Sinne der Ausgangsthese sein, Brücken zu bauen für ein wechselseitiges Verständnis zwischen Kulturen unterschiedlicher Herkunft. Nur wenn es eine langfristige Perspektive für den Austausch von Ideen und Meinungen gibt, wird kultureller Wandel und der Abbau von Stereotypen einsetzen. Ein nationales Kulturinstitut wie das Goethe-Institut agiert in diesem Zusam menhang weder als Sponsor noch als Subventionsverteiler. Sein Selbstverständnis ist vielmehr von Partnerschaftlichkeit und einem Dialog auf Augenhöhe geprägt, um gemeinsam Spuren zu hinterlassen. Die vernünftigste Arbeitsmethode ist notwendigerweise die eines Ko-Kurators, den eine kritische Sichtweise auf zeitgenössische Diskurse kennzeichnet und der hierfür solide Partnerschaften rund um die zentralen Schlüsselthemen und Zukunftsfragen pflegt.
3.3 Kunst bewegt, Kultur zählt Die Förderung von Kunst und Kultur in der internationalen Kulturpolitik stärkt die Beziehungsstränge zwischen Ländern und wirkt positiv auf die Karrieren junger Künstlerinnen und Künstler, indem diese in einen internationalen Kontext gehoben werden. Die damit einhergehende Jugendlichkeit, Frische und Vitalität hilft, Klischees und Stereotype aufzubrechen und die internationale Wahrnehmung eines Landes positiv zu stimulieren. Im Zentrum von Soft Power steht die Fähigkeit, inter- und transkulturelle Kommunikation zu stimulieren, zwischen fremden Kulturen zu vermitteln, den Wissenstransfer via Dialog auf Augenhöhe und den kreativen Austausch zu fördern. Diesbezüglich hat die Kulturdiplomatie als Soft Power einen klar umrissenen Auftrag: Kulturelle Innovation zu ermöglichen und damit einen öffentlich sichtbaren, gesellschaftlichen Mehrwert (Public Value) zu schaffen. Ihre Essenz basiert auf jenen bewegenden, magischen Momenten, die nur Kunst und Kultur stiften. In diesem Sinne geht es um nichts weniger als um die „Veredelung“ des Menschen oder in den Worten von Theodor W. Adorno: Was im Zentrum steht, ist „der Vorschein dessen, was einmal Bildung hieß”.
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4 Hard Power und Soft Power im Managementalltag Zurück aus der Welt der Kultur stellt sich zurecht die Frage, wie auswärtige Kulturpolitik und das Verhältnis zwischen Staaten mit dem konkreten Manage mentalltag zusammenhängen. Obwohl der Sprung von der Makro- zurück auf die Mikroebene nicht unproblematisch erscheint, sind sowohl die Begrifflichkeiten, als auch die Problemstellungen transferierbar. Plakativ dargestellt entsprechen die Hard Power-Kräfte von Anreiz und Drohung den unternehmerischen Mitteln von Bonus und Malus. Soft Power entspräche demnach dem sog. „weichen Kontext“. Zwar wurde dieser Bereich über Ansätze wie extrinsischer/intrinsischer Motivation oder den Grenzen opportunen Verhaltens in Organisationen (Ghoshal u. Moran 1996) bereits intensiv untersucht, aber Nye‘s Ansatz verspricht einen neuen und möglicherweise vielversprechenden Zugang zum Thema Beeinflussung und damit letztlich zum Thema Führung. Aus den Ausführungen zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik lassen sich vier zentrale Erkenntnisse für den Führungskontext gewinnen: 1. Der alleinige Einsatz von Hard Power bleibt in seiner Wirkung hinter den Erwartungen oft zurück und ist mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden. 2. Soft Power kann den Hard Power-Einsatz wirkungsvoll ergänzen und verstärken. Allerdings ist der Einsatz von Soft Power sinnlos oder sogar schädlich, wenn sie nicht stimmig zur Hard Power ist, wie z.B. bei Propaganda (Nye 2008b, S. 39), oder nicht in den Kontext passt (Nye 2004, S. 16). 3. Soft Power ist nicht „gut“ im normativen Sinne (Nye 2008b, S. 43). Soft Power ist ein schwer mess- und quantifizierbares Instrument zur Führung und Steuerung. Versuche zur Quantifizierung und Objektivierung von Soft Power können zu ihrer Einschränkung führen. 4. Das Wirkungsfeld von Soft Power ist das persönliche Erleben von Individuen und Gruppen, die zugleich Träger und Empfänger von Soft Power sind. Soft Power kann daher nicht verordnet werden, sondern wirkt dort, wo Individuen ihre Entscheidungs- und Bewertungsmuster verändern. Gerade dieser letzte Aspekt sticht hervor, da er die deutlichste Abgrenzung zu Hard Power darstellt. Hard Power kann nur durch ein konzentriertes Zusammenwirken entstehen und betrieben werden; Soft Power hingegen beruht in erster Linie auf dem Individuum und seinen eigenen Vorstellungen. Soft Power führt also dazu, dass der andere dazu ermutigt wird, Sachverhalte genauso zu bewerten, wie man es selbst tun würde. Das ist nicht nur zwischen Staaten wichtig, sondern auch in den Ermessensräumen im unternehmerischen Alltag. Die Zahlenwelt des Controllings suggeriert eine (im unternehmerischen durchaus herbeigesehnte) Ermessensreduzierung auf Null (Di Fabio 1995), d.h. es gibt nur eine klare Entscheidung. In Wirklichkeit gibt es aber unendlich viele Ermessenssachverhalte ob man überhaupt tätig wird (Entschließungsermessen) und welche Variante man wählt (Auswahlermessen). Soft Power kommt immer dort zum Einsatz, wo es diese Ermessensräume gibt, da das Instrument selbst auf diesem Ermessen beruht (Nye 2008b, S. 44). Wie der Einzelne entscheidet, hängt
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von seinem eigenen Wertegerüst ab. Diese Blackbox „Wertegerüst“ ist zwar unberechenbar, aber zumindest lässt sie sich näher untersuchen. Einen möglichen und verfolgenswerten Zugang hat die aktuelle Public ValueForschung gefunden:4 Demnach sind Werte subjektiv und gebunden an Beziehungen. Objektivität in diesem Zusammenhang ist hingegen ein künstlich geschaffenes Gebilde und Synonym für ein geteiltes Werteverständnis (Meynhardt 2009, S. 199). Abgeleitet von den menschlichen Grundbedürfnissen können diese subjektiven Werte in vier Dimensionen eingeteilt werden (Meynhardt 2009, S. 203; Meynhardt 2004): (1) Instrumentell-utilitaristisch, (2) Hedonistisch-ästhetisch, (3) Moralischethisch und (4) Politisch-sozial. Exkurs: Public Value-Ansatz „Lassen Sie mich mit einer einfachen Feststellung starten: Die Aufgabe eines Managers im Öffentlichen Sektor ist es, Public Value zu generieren“ (Moore 1995, S. 28; eigene Übersetzung aus dem Englischen). Der von dem Harvard-Verwaltungswissenschaftler Mark Moore entwickelte Public Value-Ansatz stellt die gesellschaftliche Wertschöpfung in den Vordergrund. In Anleh nung an privatwirtschaftliche Vorstellungen der Wertschöpfung wirbt er für unternehme risch-kreatives Handeln im Öffentlichen Sektor vor dem Hintergrund des übergeordneten Ziels des Public Value. Public Values sind Werte für die Gesellschaft. Durch Handlungen können diese ge stiftet oder vernichtet werden. Public Value ist nicht qua Definition erstrebenswert. Er ist ein Ergebnis von Bewertungen, wie Grundbedürfnisse in der Beziehung von Einzelnen, Gruppen oder auch der Gesellschaft beeinflusst werden. Es kann auch Public Values ge ben, die von der Gesellschaft abgelehnt werden. Zur Einteilung der Public Values können vier Wertdimensionen (instrumentell-utilitaristisch, moralisch-ethisch, politisch-sozial und hedonistisch-ästhetisch) sowohl zur Kategorisierung als auch zur Evaluierung her angezogen werden. Die Messung von gesellschaftlicher Wertschöpfung erfolgt durch die veränderte Einschätzung von Beziehungen durch Individuen oder Gruppen. Public Value eröffnet eine neue Sichtweise, indem es Veränderungen von gesell schaftlichen Werten als Wertschöpfung ansieht. Jede Handlung hat demnach eine Aus wirkung auf die Gesellschaft und Organisationen können in diesem Sinne nicht nichtge sellschaftlich handeln.
Keine Handlung kann dabei in allen vier Dimensionen punkten. Wer Freude am Fahren mit einem Sportwagen hat, hat wahrscheinlich hedonistischen Nutzen, aber stößt auf gesellschaftlichen Widerstand und handelt moralisch fragwürdig. Wer die Meinungsfreiheit hochhält, gefährdet das gesellschaftliche Zusammenleben. Für oder gegen Abtreibung? Für oder gegen die Werksverlagerung nach Tschechien? Die Sachverhalte sind eindeutig, nur die Bewertungen sind unterschiedlich. Hard Power – wen überrascht es – ist die Dominanz des Instrumentell-Utilitaristischen. Was kann man wiegen, messen, zählen, was kann man anfassen, was bringt Geld, was beschützt meine körperliche Unversehrtheit? Jeder Einsatz von Hard 4
Zum Public Value Ansatz vgl. Moore 1995.
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Power wirkt sich aber auch auf die anderen Dimensionen des Handelns mit aus. Fehlsteuerungen im Controlling sind ein gutes Beispiel hierfür: Das Controlling suggeriert oder die hierarchische Kontrolle „empfiehlt“ eine Ermessensreduzierung auf Null und die opportunistisch eindeutige Option ist letztlich nicht kongruent mit dem Unternehmensziel. Jeder weiß es, doch jeder macht es.5 Der Grund, warum es „jeder macht“, liegt oftmals darin, dass in Organisationen neben dem Instrumentell-Utilitaristischen jeder einen natürlichen Zugang zu seinem eigenen hedonistisch-ästhetischen Nutzen hat. Will man sich zusätzlichen Ärger oder Aufwand einhandeln? Wie werden die Kollegen einen sehen? Das sind Fragen, die im Unternehmensalltag eine ganz natürliche Rolle neben dem eigentlichen Controlling haben. Die anderen beiden Dimensionen sind da deutlich schwieriger zu erfassen. Wie beeinflusst mein Verhalten die Stimmung im Team? Ist es moralisch in Ordnung, wenn ich am Tag vor Weihnachten Kündigungen ausspreche, damit ich die Arbeitskraft bis zum letzten Tag ausnutze? Diese Fragen, die die Auswirkungen des Handelns auf die Beziehung von Gruppen oder der Gesellschaft ausdrücken, sind kaum durch Kennzahlen zu beantworten und noch schwieriger durch Bonus und Malus zu steuern. Auch wenn hinter Nutzen wie Freude, Genuss, Freiheit, Teamarbeit oder soziale Teilhabe keine harten Zahlen geschrieben werden können, so prägen sie die Entscheidung eines jeden Einzelnen. Kann ein Management sich erlauben, diese Realität einfach zu ignorieren? Wäre es nicht vielversprechend, wenn man diese Führungsdimensionen nutzt, um die betriebliche Führung effektiver und effizienter zu gestalten?
5 Ausblick: Soft Power als Ansatz für verantwortungsvolles Management Die Renaissance von Soft Power in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist ein schlüssiges Beispiel dafür, wann Hard und Soft Power aus der Balance geraten. Soft Power geht nicht ohne Hard Power, doch Hard Power alleine verpufft. Wer Hard Power effektiv einsetzen will, muss das Wirken von Soft Power verstehen, fördern und zulassen. Oder anders ausgedrückt: Um Ziele zu erreichen, kann es lohnend sein, die Courage aufzubringen, Entscheidungen ohne oder sogar gegen Kennzahlen zu treffen. Wer die Nebenwirkungen seiner Entscheidungen auf dem direkten Weg zum Ziel ignoriert, muss sich dies im Zweifel mit Pyrrhus-Siegen teuer erkaufen. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Soft Power ist nicht das Streben nach sozialer Verantwortung oder moralischer Verpflichtung und ist erst recht nicht vergleichbar mit Corporate Social Responsibility (CSR), das zu oft als soziales Feigenblatt in den Öffentlichkeitsabteilungen landet. Soft Power ist vielmehr die Neugier und der Austausch mit dem anderen über die individuellen Bewertungssysteme von Sachverhalten. Ein Manager, der neben den reinen Zahlen 5
Vgl. hierzu auch Ghoshal u. Moran 1996, S. 23 zu den Nachteilen von starker hierarchischer Kontrolle.
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einen Zugang zu dieser Klaviatur der menschlichen Bedürfnisse entwickelt, wird nicht nur zu einer effektiveren Führungskraft, er fördert Gefolgschaft und schafft Räume für unternehmerisch-kreatives Handeln durch Ermessensfreiräume. Wenn ein Mitarbeiter eine (ungeregelte) Entscheidung so trifft, wie sie der Vorgesetzte treffen würde, dann liegt ihr Bewertungssystem übereinander: Der Vorgesetzte hat einen Mitarbeiter, der das für richtig hält, was er selbst für richtig hält. Dabei ist Soft Power immer eine Zweibahnstraße, ein Dialog. Nur wer bereit ist, zuzuhören, kann die Unterschiede in den individuellen Bewertungssystemen erkennen. Ein Manager, der Soft Power einsetzt, spielt über Bande, denn zuerst verändert er sich selbst und erhöht dadurch seine Attraktivität und Wirkung auf andere. Das Ziel heißt jedoch nicht zwangsläufig Angleichung der Bewertungssysteme. Die Schaffung von Transparenz und das unverfälschte Interesse an den mehrdimensionalen Auswirkungen von Handlungen kann die Anerkennung steigern und erleichtert es den Mitarbeitern, so zu entscheiden, wie es der Vorgesetzte auch tun würde. Darüber hinaus entwickelt der Manager zudem ein anderes Verständnis über die Auswirkungen seines Handelns auf die Beziehungen von Individuen und Gruppen. Er stellt sich der Verantwortung, dass er mit jeder Entscheidung Nutzen stiftet, aber auch an anderer Stelle Nutzen zerstört. Dieses Verständnis hilft ihm, zahlenbasiert empfehlenswerte oder rechtlich einwandfreie Entscheidungen zu hinterfragen. Das Ermessen des Einzelnen beginnt im nichtgeregelten Raum des scheinbar Opportunen. Das Wissen um die Bedeutung von Soft Power ist für jede Führungskraft ganz individuell von hoher Relevanz. Soft Power führt zu einer veränderten Wahrnehmung von Ermessensentscheidungen und wenn der „persönliche Kompass“ stimmt, dann ist Soft Power ein entscheidender Beitrag für ein verantwortungsvolles Management in den Graubereichen, die nicht eindeutig geregelt sind. So wie unkontrollierbare Künstler, Kulturschaffende, Austauschstudenten oder Prominente zu den wichtigsten Botschaftern eines Landes werden mögen, so führt ein Weg hin zu einem verantwortungsvollen Management vielleicht über den einzelnen Manager und seine ganz individuellen Fähigkeiten, Hard und Soft Power effektiv zu kombinieren.
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Standpunkt Mammon oder Ethos?! Thesen zum Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung
Martin Schmitt1
Im vorliegenden Beitrag reflektiert der Bereichsleiter Konzernpolitik der Deutschen Lufthansa AG das Spannungsfeld von Ökonomie und Gesellschaft. Statt theoretischer Diskurse oder der Suche nach allgemeingültigen Ansätzen gibt der Beitrag Einblick in persönliche Erfahrungen und Einschätzungen. Aus Sicht des Autors lässt sich das Spannungsfeld nicht generell moralisch auflösen. Vielmehr bedingen sich soziale Verantwortung und ökonomische Effizienz wechselseitig. Ökonomische Effizienz ist Grundvoraussetzung für soziale Verantwortung. Soziale Verantwortung ist Garant für nachhaltiges erfolgreiches Wirtschaften. Der Autor verdeutlicht, dass Unternehmen ökonomische Prinzipien auf ihr gesellschaftliches Engagement anwenden (müssen). Statt innerbetrieblicher Normsetzung ist die Auswahl und Entwicklung der Führungskräfte entscheidend. Statt bürokratischer Überreglementierung in rechtlichen Rahmenwerken bedarf es der Wiederentdeckung einer persönlich empfundenen und gelebten unternehmerischen Verantwortung, zugleich wirtschaftlich erfolgreich und sozial engagiert zu sein. Der Beitrag hat das Ziel, das Spannungsfeld von ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung auszuloten. Zur Annäherung an das Thema werden zunächst die Begriffsfelder ökonomische Effizienz und soziale Verantwortung untersucht. Es handelt sich nicht um feststehende, klar umgrenzte und in ihrer Bedeutung eindeutige Begriffe, sondern um offene Formulierungen, die sowohl der Auslegung als auch interessengetriebener „Einlegung“ zugänglich sind. Das Begriffspaar ökonomische Effizienz erweist sich als weißer Schimmel (sog. Pleonasmus). Der Duden beschreibt beide Begriffe mit dem Wort „Wirtschaftlichkeit“, genauer dem sparsamen oder auch rationalen Umgang mit einer Sache. Was unter „sparsam“ oder auch „rational“ zu verstehen ist, bleibt dem Leser überlassen. Rational wird als das „Vernünftige“ übersetzt; die Meinungen zu diesem Begriff füllen mittlerweile ganze Bibliotheken – von Platon über Kant und Hegel bis Popper und Sloterdijk aus philosophischer Sicht oder beispielsweise Pareto aus wirtschaftstheoretischem Blickwinkel.
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Ich danke Frau Ramona Schmitt für die redaktionelle Bearbeitung dieses Buchbeitrags und den Herren Frank Haupenthal und Dr. Torsten Schmid für ihre wertvolle Unterstützung.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Martin Schmitt
Auch der Begriff soziale Verantwortung ist schillernd. Aktuell wird er häufig als Unterkategorie von Corporate Social Responsibility (CSR) genutzt. Dabei werden soziale mit gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten verknüpft. Unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ werden thematisch dann noch Ökonomie, Soziales und Umwelt zusammenfasst. Eine gute Übersicht dazu findet sich beispielsweise bei Wikipedia unter dem Stichwort. Auch andere Autoren verstehen soziale Verantwortung in einem weit gefassten Sinn: „Die soziale Verantwortung ist ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmensaktivitäten und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. Auch sind darunter überdurchschnittliche Investitionen in das eigene Humankapital zu verstehen.“2 Im Zusammenhang mit Unternehmen kann der Begriff der sozialen Verantwortung einerseits nach innen und hierbei mit einem Schwerpunkt auf die Mitarbeiter ausgerichtet sein. Ein Beispiel dafür bietet Volkswagen. Unter dem Begriff „Werte“ heißt es auf der Homepage des Unternehmens: „Soziale Verantwortung ist bei Volkswagen fester Bestandteil der globalen Unternehmenspolitik. Darunter verstehen wir die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und das Angebot beziehungsweise die Sicherung von Beschäftigung.“3 Andererseits kann sich soziale Verantwortung eines Unternehmens auch auf sein äußeres Umfeld sowie auf jedes soziale Thema weltweit beziehen. Gesellschaftlich verstandene soziale Verantwortung von Unternehmen kann sich in geldwerten Leistungen aus den Erträgen für soziale Projekte zeigen, in betrieblich gefördertem Engagement von Beschäftigten in sozialen Aufgaben und schließlich auch in einer „sozial“ ausgerichteten Produktion und Produktpalette. Für die Betrachtung des Spannungsverhältnisses von ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung bietet es sich an, sowohl auf die unternehmensinterne als auch die gesellschafts- und umfeld-, hier weniger jedoch die umweltbezogene Komponente abzustellen, was deren Bedeutung jedoch nicht schmälert. Bei gemeinsamer Betrachtung der offenen Begriffe aus einer Managementsicht zeigt sich, dass ökonomische Effizienz als das Gegenüber der sozialen Verantwortung, d.h. als das materiellere, weniger geistige Ziel angesehen werden kann. Bei erneuter Zuspitzung dieser Betrachtung steht der Mammon (also das Geld als etwas, was begehrt ist) dem Ethos (die vom Bewusstsein sittlicher Werte geprägte Gesinnung) gegenüber. Spätestens jetzt erweist sich das Begriffspaar als moralische Fragestellung. Diese ist gerade en vogue und wird im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftkrise gerne als Ausgangsbasis für allfällige Managerbeschimpfungen genutzt.
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Zitat aus „Soziale Verantwortung von Unternehmen“, herausgegeben von BKK Bundesverband, WHO Collaborating Centre, EU Verbindungsbüro WHP und Geschäftsstelle der EU-Kommission zur BGF in Europa. 3 Quelle: www.vw-personal.de (27.07.2009).
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These 1: Das Spannungsverhältnis zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung ist als solches weder generell moralisch zu bewerten, noch zwingend immer abzubauen. Die Spannung sollte nicht verhehlt, sondern sogar verdeutlicht werden. Die Problematik, die in der ersten These Ausdruck findet, soll zunächst an zwei kleinen, etwas überspitzten Beispielen erläutert werden. Diese zielen auf das persönliche Gerechtigkeitsempfinden ab und sollen zeigen, dass trotz der erkennbaren Herausforderung ethischer Wertung eine Herangehensweise an das Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung unter dem Blickwinkel des moralischen Urteils wenig geeignet ist. Die Beispiele sollen auch zeigen, dass eine ethische Bewertung unternehmerischen Handelns stark vom Bezugspunkt der Betrachtung abhängt. Dieser kann unternehmensbezogen sein, aber auch weit darüber hinaus reichen. In dem ersten Beispiel werden zwei Unternehmen gegenübergestellt. Auf der einen Seite steht ein Unternehmer, der seine Betriebe mit vorzüglichen Arbeitsbedingungen ausstattet, seine Beschäftigten am Erfolg des Unternehmens beteiligt, ein bestmögliches Betriebsklima sicherstellt, noch nie einem seiner Mitarbeiter gekündigt hat und als Vaterfigur der Freund aller Beschäftigten ist. Auf der anderen Seite steht ein Unternehmer in der gleichen Branche, der seinen Betrieb zur Maximierung der Kapitalrendite straff und hart führt; er hat noch nie einen Euro oder Franken mehr in das Geschäft investiert, als zu dessen betriebswirtschaftlichem Erfolg unbedingt nötig ist. Welcher dieser beiden Unternehmer ist der moralisch Höherstehende? Der erste? Gilt dies auch, wenn nach vielen Jahren des Wirtschaftens nur der zweite Betrieb überlebt? Gilt dies auch, wenn der zweite Unternehmer von seinen Gewinnen als Privatmann ein Waisenhaus finanziert? Ändert sich etwas, wenn es nicht ein Waisenhaus, sondern ein Kunstmuseum ist? In dem zweiten Beispiel geht es um die langfristige Perspektive des sozial verantwortlich handelnden Unternehmens: Was ist, wenn das Unternehmen des sozialverantwortlich Handelnden vom einzigen Konkurrenzunternehmen mit „unsozialerer“ Einstellung und daher höheren Renditen aufgekauft wird, der Betrieb abgewickelt oder so stark verkleinert wird, dass er weniger Arbeitsplätze bietet, als ein eigenständiges Unternehmen auch bei scharfer Maximierung der Renditen durch den ursprünglichen Eigentümer geboten hätte? Die Beispiele sollen helfen, das Begriffspaar ökonomische Effizienz und soziale Verantwortung als Spannungsfeld mit ethischem Zuschnitt zu betrachten; zugleich illustrieren sie aber auch, dass sich scheinbar klare Fälle unter dem Gesichtspunkt der moralischen Elle als schwierig erweisen. Moralische Kategorien sind abseits des Heldentums auch zu sehr von äußeren Umständen geprägt, als dass generelle Wertungen vorgenommen werden könnten. Wer unter der Zielvorstellung ökonomischer Effizienz betriebsbedingte Kündigungen ausspricht, nur um eine bereits hohe Rendite weiter zu erhöhen, gerät in der aktuellen deutschen Gesellschaft in einen Konflikt mit dem öffentlichen Verständnis der sozialen Verantwortung eines Unternehmers. Ein solches Verständnis ist jedoch nicht in allen europäischen
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Ländern zu finden, es ist bereits in der Schweiz etwas anders und unterscheidet sich im angelsächsischen Raum erheblich. Das bedeutet natürlich nicht, dass Unternehmen und auch ihre einzelnen Protagonisten keine eigene Wertung haben sollten und müssten. Eine allgemeine Regel, dass Kündigungen aus ökonomischer Effizienz sozial unverantwortlich wären, lässt sich jedoch kaum aufstellen. Da hilft es auch nicht, wenn die unternehmerische Verantwortung generell nicht nur auf die wirtschaftliche Verantwortung, sondern explizit auch auf die Sorge für Arbeitsplätze und Beschäftigte bezogen wird. Entfernt man sich von moralischen Fragen und versucht es mit Pragmatismus, bietet sich der Blickwinkel der Interessen an. Die Spannung des Begriffspaares balanciert Interessen im zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext. Unter diesen Gesichtspunkten geht es zunächst nicht um den Kontext betrieblichen Handelns, sondern um das Kräfteverhältnis der Interessenträger im Betrieb selbst. Hier spielen neben Beschäftigten und Aktionären auch die Kunden der Unternehmen eine zentrale Rolle. Fallbeispiel:
Ge
lt
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Um
aft
Bei Lufthansa wird zur Versinnbildlichung und Bearbeitung der Spannungsproblematik das sog. „magische Dreieck“ genutzt. Es gesteht zu, dass die Interessen der Anteilseigner eines Unternehmens mit denen der Kunden und der Beschäftigten in einem Spannungs verhältnis stehen, das wiederum in einem gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Umfeld zu betrachten ist.
Kunde
Aktionär
Mitarbeiter
Quelle: Deutsche Lufthansa AG
These 2: Ohne ökonomische Effizienz ist soziale Verantwortung für ein Unternehmen überhaupt nicht möglich; sie ist nicht grundsätzliches Problem, sondern Grundvoraussetzung, ohne dabei alleine zu stehen. Das magische Dreieck – Anteilseigner, Kunden und Beschäftigte – auszubalancieren bedeutet, im Spannungsfeld der Ausgangsfrage richtig und verantwortlich zu
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agieren. In einem auf Dauer angelegten Unternehmen müssen Erträge erwirtschaftet werden. Gelingt das nicht, stellen sich keine Fragen zur sozialen Verantwortung, weil eine solche mangels Masse gar nicht getragen werden kann.4 Wer eine Gewinnerzielungsabsicht per se schon für kritisch hält, kann eine Verteilungsdebatte vielleicht über ererbtes Vermögen, nicht aber über dessen unternehmerisches Erarbeiten führen. Sozialutopien haben daher keine Berechtigung, für die vorliegende Fragestellung herangezogen zu werden. Kapitalgeber müssen mit Gewinnen dazu bewegt werden, monetäre Mittel zur Verfügung zu stellen. Fehlt es an Attraktivität, bleiben diese und damit regelmäßig auch Investitionsmöglichkeiten aus. Ein Unternehmer, der das Geld lieber an die Beschäftigten verteilt, handelt nur kurzfristig sozial, verschuldet langfristig aber den Verlust der Arbeitsplätze. Wer dabei die Kundeninteressen an einem guten Produkt zu wettbewerbsfähigem Preis vernachlässigt, wird auch als Unternehmer scheitern. Wer als Unternehmer aber nicht erkennt, dass es das Leistungsvermögen und die Motivation der Beschäftigten sind, die die Produkte des Unternehmens zu einem Erfolg machen, hat ebenso keine Erfolgschance. These 3: Fragen sozialer Verantwortung haben in unserem aktuellen gesellschaftlichen Umfeld eine gegenüber früher höhere Bedeutung und erfordern ein größeres Maß an Managementaufmerksamkeit nach innen und nach außen. Der Zeitgeist hat den Bezug unternehmerischen Handelns zu sozialer Verant wortung verstärkt. Dabei funktioniert die heutige Mediengesellschaft mit ihrer Informationsmenge und -geschwindigkeit wie ein „Turbolader“. Waren es zu Beginn der Industrialisierung noch wenige einzelne Unternehmer, die explizit Sozialverantwortung vorgelebt haben (Stichwort „Siemensstadt“), besteht heute eine hohe öffentliche Erwartungshaltung an Unternehmen in diesem Punkt. Das gilt zum einen für die Politik. Schon 2001 formulierte die Europäische Union im Grünbuch über die soziale Verantwortung der Unternehmen: „Erhebungen haben ergeben, dass die Verbraucher nicht nur gute und sichere Produkte wünschen, sondern auch die Gewissheit haben wollen, dass sie auf sozial verträgliche Weise produziert werden. Seit einigen Jahren betrachten Investoren das sozial verantwort liche Investieren in soziale und ökologische Belange als zuverlässigen Anhaltspunkt für die Qualität des internen und externen Managements. So eröffnet das sozial verantwortliche Handeln neue Möglichkeiten, soziale Errungenschaften mit der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen.“5 Zum anderen zeigt sich eine gestiegene Bedeutung sozialer Fragestellungen für Unternehmen auch durch das vermehrte Auftreten von Indizes, welche Anleger mit „gutem Gewissen“ ansprechen. Sie knüpfen neben ökonomischen auch an ökologischen und sozialen Kriterien an.
4
Siehe dazu z.B. Welchs Welt, www.wiwo.de (28.05.2009). Quelle: http://europa.eu (27.07.2009).
5
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Fallbeispiel: Lufthansa ist in den Nachhaltigkeitsindizes Dow Jones Sustainability World Index, FT SE4Good Index, Ethibel Sustainability Index und ASPI Eurozone (Advanced Sustainabi lity Performance Index) vertreten (Stand 2009). Dies ist für eine Fluggesellschaft eher ungewöhnlich.
Ob die zunehmende Bedeutung sozialer Fragen auch im Unternehmensumfeld einer längerfristig verschlechterten Weltwirtschaftslage standhält, bleibt abzuwarten. In den nächsten Jahren ist mit einer leichten Abschwächung, vermutlich jedoch nicht mit einer Trendumkehr zu rechnen. Neben den Erwartungen von außen verlangen auch Arbeitsmarktgesichtspunkte von Unternehmen eine verstärkte Beachtung von Themen mit Bezug zu gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung. Mit unserer Gesellschaft haben sich auch die Lebensentwürfe und Erwartungen junger Menschen verändert. Der Nachwuchs bevorzugt Arbeitgeber, die verantwortlich handeln. Daher müssen Nachhaltigkeitsgesichtspunkte auch zu Zwecken des Personalmarketings stärker berücksichtigt werden, als bei früheren Bewerbergenerationen. Wie gehen Unternehmen nun mit diesem Spannungsverhältnis um? Was tun die Manager? Sie verhalten sich wie erwartet. Sie organisieren soziale Verantwortung unter Nutzung der Methoden ökonomischer Effizienz. These 4: Das Spannungsverhältnis zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung ist umso weniger kritisch, als es gelingt, soziale Verantwortung nach den Prinzipien ökonomischer Effizienz zu verwirklichen. Die verstärkte gesellschaftliche Beachtung sozialer Fragen ist nicht nur Phänomen, sie ist auch das Resultat faktischer weltweiter Entwicklungen und Probleme, der globalen politischen Lage und nicht zuletzt Ergebnis quasi unternehmerisch geführter Einrichtungen mit unmittelbar weltanschaulichen oder sozialen Zielsetzungen. Längst haben professionelle NGOs, selbsternannte Agenturen und auch die Presse erkannt, dass die Durchsetzung sozialer Verantwortung – natürlich im jeweils eigenen Verständnis des Begriffs – ein Geschäft ist, das seinerseits wiederum unternehmerisch zu bewerkstelligen ist. Selbstverständlich versuchen auch Unternehmen auf diese Entwicklungen Einfluss zu nehmen. Dagegen kann nichts eingewendet werden, soweit die Einflussnahme transparent erfolgt. Der Schwerpunkt der Unternehmen liegt aber auf der Erfüllung der bestehenden, empfundenen oder aus vollem Herzen getragenen Themen mit Bezug zu sozialer Verantwortlichkeit. Dies erfolgt schlicht mit unternehmerischer Effizienz. Die ökonomisch effiziente Realisierung der Übernahme sozialer Verantwortung soll anhand von zwei verbreiteten Musterbeispielen diskutiert werden. Zum einen taucht das Thema soziale Verantwortung in den bei Unternehmen beliebten Firmenleitsätzen und Visionen auf. Diese schaffen häufig eigene Gesetzbücher mit Verhaltensregeln. Ihren Ausgangspunkt haben solche Regelungen
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oft im gruppendynamischen Prozess zur Findung gemeinsamer Zielvorstellungen im Rahmen eines Managementwechsels oder nach einer Krise. Es gibt aber auch diesbezügliche langjährige Unternehmenstraditionen, häufig von eigentümergeführten Unternehmen. Selten fehlt in diesen Manifesten ein Satz zur Bedeutung der Beschäftigten, oft werden auch firmenexterne Sozialverpflichtungen bemüht. Die Leitsätze werden regelmäßig mit praktischen Beispielen sozial verantwortlicher Tätigkeit untermauert. Mit dieser Art der Kommunikation wird der Versuch unternommen, der gesellschaftlich erwarteten Aktivität in Sachen sozialer Verantwortung unter Nutzung einer besonders effizienten Methode gerecht zu werden. Die Diskussion über soziale Verantwortung wird als Plakat für dessen Einhaltung genutzt. Das Sein (die reale Übernahme sozialer Verantwortung) wird vom Schein (dem öffentlich zur Schau gestellten Anspruch) verstärkt. Inhaltlich ist ein solches Vorgehen durchaus problematisch. Solche Leitsätze sind oftmals entweder sehr allgemein formuliert oder so umstritten, dass sie keine bindende Wirkung entfalten können. Gerade die zahlreichen Verhaltenssätze in Bezug zu sozialer Verantwortung sind schillernd. Wie viel dabei aus dem ernsthaften Willen zur Übernahme sozialer Verantwortung herrührt, ist manchmal schwer zu erkennen. Dennoch werden diese „Gesetzbücher“ aktuell vielfältig genutzt und können als Beispiel dafür dienen, wie aus der Not des Spannungsverhältnisses von sozialer Verantwortung und ökonomischer Effizienz eine Tugend gemacht wird: Wahrnehmen sozialer Verantwortung unter Nutzung ökonomischer Optimierung. Informatives Material findet sich dazu in den Internetauftritten vieler Konzerne. Unternehmen aus der Energiebranche richten ihren offiziellen Sozial verantwortungsblickwinkel gerne auf den Schutz der Umwelt. Arbeitnehmer überlassungsunternehmen fokussieren gerne auf Mitarbeiter und „gute“ Arbeits plätze. Die Formulierungskunst von Telekommunikationsanbietern schafft es sogar, ihre technischen Dienstleistungen selbst als Ausdruck sozialer Verantwortlichkeit darzustellen. Viele große Unternehmen sind in ihrer publizierten Ausrichtung nicht nur in einem, sondern den unterschiedlichsten Feldern sozialer Verantwortlichkeit tätig. Fallbeispiel: Auf der Nachhaltigkeitsseite eines großen Logistikanbieters steht u.a. Folgendes: „Ge sellschaftliche Verantwortung übernehmen: Wir sind der weltweit führende Logistik dienstleister mit über 500.000 Mitarbeitern und in nahezu jeder Gesellschaft auf unserem Planeten tätig. Daraus erwächst eine spezielle Verantwortung, unsere Kernkompetenzen zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen und die Auswirkung unseres Geschäfts auf die Umwelt zu minimieren.“ Quelle: Website Deutsche Post AG (27.07.2009)
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Fallbeispiel: Die „Sustainability Principles“ werden bei einem großen Pharmaunternehmen wie folgt formuliert: „Wir halten die wirtschaftliche Relevanz der Nachhaltigkeit für bedeutsam, sie trägt dazu bei: • Innovative Arzneimittel für ungelöste Gesundheitsprobleme zu entwickeln; • Mitarbeitende zu gewinnen und an das Unternehmen zu binden; • Unseren guten Ruf durch eine hohe Geschäftsethik zu wahren; Leistungsgerechte Preise für unsere Produkte als Lohn für Innovationen zu erzielen; • Unsere Daseinsberechtigung („License to Operate”) durch die Akzeptanz der An spruchsgruppen zu sichern; • Geschäftsrisiken zu reduzieren; • Die betriebswirtschaftliche Effizienz zu verbessern.“ Quelle: Website Roche (27.07.2009) .
Dies erweckt geradezu den Eindruck, die Geschäftstätigkeit trete ganz in den Schatten seiner gesellschaftlichen Grenzen. Auch an der Begründung, Geschäftsrisiken zu minimieren, ist sehr gut zu erkennen, wie gesellschaftlichen Geboten sozialer Verantwortung im Wege der Standardsetzung und Kommunikation – wichtigen Mitteln ökonomischer Effizienz – Rechnung getragen wird. Fallbeispiel: Auch Lufthansa weist unter dem Begriff „Verantwortung“ speziell auf soziale Verant wortung hin, die neben der Verantwortung für die Umwelt und gesellschaftlichem En gagement positioniert wird. Der Schwerpunkt der im jährlichen Bericht „Balance“ zu sammengefassten Leistungen und Aktionen in diesen Feldern liegt jedoch weniger auf Sollsätzen als in der Beschreibung geleisteten Engagements. Einige dieser vielgestaltigen Aktivitäten werden in abgrenzbare und damit leichter manage- und beschreibbare Struk turen gefasst und besonders herausgestellt.
Dies führt zu einem weiteren Beispiel einer Kombination der eigentlich unter Spannung stehenden sozialen Verantwortung mit ökonomischer Effizienz, der ökonomisch effizienten Darstellung der Verantwortungsübernahme. Unternehmen fassen und präsentieren ihre soziale Verantwortung in umwelt-, gesellschaftsoder sozialpolitischen Projektstrukturen. Dazu werden gesellschaftlich wertige Leuchtturmprojekte ins Leben gerufen oder unterstützt und präsentiert, um einer sozialen Verantwortung als Unternehmen gerecht zu werden, diese möglichst wirtschaftlich zu organisieren und zugleich den größtmöglichen Erfolg für das Ansehen des Unternehmens zu sichern. Dazu, dass gesellschaftliches und besonders sozial verantwortliches Handeln für das Ansehen und damit auch den betriebswirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen verstärkten Einfluss gewinnt, haben die weltweite mediale Vernetzung und eine auch durch Krisen ausgelöste bewusstere Beachtung der Rolle von Unternehmen auf der ganzen Welt beigetragen. Die Leuchtturmprojekte bündeln tatsächliches
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Engagement zu Vorzeigeaktionen. Das ist keineswegs herabzuwürdigen, wenn hinter der „Vorführung“ echtes soziales Engagement steht; zumal die Motivation für Begünstigte im Ergebnis nicht primär wichtig ist, wenn eine gewisse Nachhaltigkeit mit zum Programm der Vorführung gehört. Fallbeispiel: Auch Lufthansa kennt solche Projekte. Diese leben von einer Kombination aus Unterneh mensengagement, dem Engagement vieler einzelner Manager und Mitarbeiter, aber auch von der gesellschaftlichen Notwendigkeit, soziale Verantwortung als Unternehmen zu praktizieren und zu zeigen. Diese Programme sind echt, profitieren gleichzeitig von ihrer wirksamen Präsentation. Sie tragen zum Teil Markennamen. Bei HelpAlliance und bei spielsweise Cargo Human Care hat sich die Form eingetragener Vereine bewährt. Sie er laubt es, das persönliche Engagement von Mitarbeitern mit unterstützenden Maßnahmen des Unternehmens so zu verbinden, dass eine zu große Einflussnahme des Unternehmens, auch hinsichtlich der medialen Wirkung des Engagements, unterbleibt. Die Leuchtturm projekte der Lufthansa zeigen auch, dass die Kombination gemeinsamer Aktivitäten von Beschäftigten und Unternehmen mit medialer Fokussierung den Erfolg solcher Projekte weiter verstärkt. Dabei wird eine Netzwerkbildung ermöglicht, die immer neue Betäti gungsfelder für soziales Engagement verschiedenster Gruppen ermöglicht. Ein Beispiel hierfür ist „Miles to help“, ein Programm der HelpAlliance und des Lufthansamarke tings, das wohltätige und umweltschutzbezogene Spenden von Bonusmeilen organisiert.
These 5: Dem Spannungsverhältnis von ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung können Unternehmen nicht entkommen. Das ist jedoch per se kein Problem, sondern eine Frage des richtigen Maßes und in der dadurch erzielten Balance Kennzeichen langfristigen unternehmerischen Erfolges. Die Stakeholder-Interessen stehen nicht ärgerlicherweise in einem Spannungs verhältnis, sondern müssen in einem solchen stehen. Dieses Verhältnis muss in der betrieblichen Praxis täglich in ein Gleichgewicht gebracht werden. Dabei sind schwankende gesellschaftliche und umweltmäßige Veränderungen einzubeziehen. Genau darin liegt eine wesentliche unternehmerische Aufgabe. Das Spannungsverhältnis der beiden Begriffspaare aus der Ausgangsfragestellung stabilisiert sogar beide. Wer langfristige ökonomische Effizienz sucht, kann diese nur durch Ausübung angemessener sozialer Verantwortung erreichen und umgekehrt. Aber was heißt angemessen, wie definiert sich das Gleichgewicht der Spannung? Bei dieser Fragestellung kann auf den breiten Begriffshorizont der Bezeichnung soziale Verantwortung verwiesen werden. Es wurde schon erläutert, dass dieser Begriff im Unternehmen, bei Kunden, aber auch ganz außerhalb der unternehmerischen Betätigung ansetzen kann. Das richtige Maß zu finden, ist schwierig. Sicheres Terrain gibt es nicht.
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Fallbeispiel: So reicht die Bandbreite der Meinungen zur Sozialverantwortlichkeit einer Fluggesell schaft wie Lufthansa vom Bestreiten der sozialen Rechtfertigung des Flugverkehrs mit seinem unbestreitbaren Ressourcenverbrauch an sich, über den Umgang mit Passagie ren, die aufgrund fehlender Aufenthaltsgenehmigung zwangsweise in ihr Heimatland zurückgeschickt werden (Abschüblingen), der Entscheidung über die Freigepäckmenge eines nach Afrika reisenden Arztes, bis hin zum Engagement für innerbetriebliche Fort bildung, der Übernahme von Auszubildenden in Krisenzeiten, aber auch die Ausstattung mit schalldichten Fenstern von Schulen im Flughafeneinzugsgebiet. Lufthansa könnte ohne Probleme seine gesamte Transportleistung sozialen Zwecken zur Verfügung stellen. Dass dies nicht getan wird, liegt daran, dass das Unternehmen nur mit ausreichenden Erträgen dauerhaft als Marktteilnehmer bestehen kann, als Anbieter, als Arbeitgeber, als Steuerzahler, und auch als potenter Financier sozialverantwortlicher Projekte.
Auch hier erweist sich das Spannungsfeld ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung als unentrinnbar und dem Zeitgeist unterworfen. Eindeutige und feststehende Maßstäbe gibt es nicht. Vielmehr sind die Manager verpflichtet, im Rahmen der tradierten oder fixierten Maximen ihres Unternehmens unter den gegebenen äußeren Rahmenbedingungen sowie Einflüssen im Einzelfall verantwortlich, effizient und geschickt zu agieren. Vielfach unterschätzt wird dabei auch der große Einfluss der persönlichen Haltung und Maßstäbe der handelnden Manager. These 6: Für einen optimalen Umgang mit dem Spannungsverhältnis von ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung ist weniger auf Regelung und Weisungen im einzelnen Problemfall zu setzen, sondern auf eine transparente und den Unternehmenszielen entsprechende Auswahl und Förderung der in den Betrieben agierenden Manager. Auch wenn eine moralische Bewertung des Managementhandelns nicht im Vorder grund steht, ist es trotzdem erforderlich, in den politisch und insbesondere personalpolitisch steuernden Funktionen im Management das Verhalten einzuschätzen und entsprechend zu agieren. Die in den Begriffen formulierte Erwartungshaltung zeigt sowohl unternehmerische als auch soziale Anforderungen und hebt damit das Spannungsverhältnis nicht auf. Es wird aber durch parallele Anforderungen an die Persönlichkeit, Intelligenz, Kompetenz und Wirkung der Manager und erfreulicherweise immer mehr Managerinnen ergänzt und so bewältigbar gemacht. Zugleich erfüllt auch dieses System wieder die Gebote beider Spannungspole. Es ist effizient, weil es übergroße Differenzen im Management vermeidet und den Kontrollaufwand „bei der Arbeit“ minimiert; es fordert ökonomische Fähigkeiten und Kompetenzen ein, und es ist sozialer Verantwortung verpflichtet, weil es nicht nur kurzfristige betriebswirtschaftliche Geschäftsanforderungen stellt.
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Fallbeispiel: Lufthansa bedient sich dazu eines nützlichen Hilfsmittels. Es wird nicht erst geprüft, wie (insbesondere) Manager im Unternehmen handeln, vielmehr wird bei der Auswahl und Entwicklung von Managern ein ganz bestimmtes Profil zugrundegelegt, das nach aus gewogenen Eigenschaften und Fähigkeiten bei Managern sucht. So ausgewählten Ma nagern wird der beste strategische und situative Umgang mit der Spannung von ökono mischer Effizienz und sozialer Verantwortung zugetraut, der im auf Dauer angelegten unternehmerischen Konzept von entscheidender Bedeutung ist. Bei Lufthansa wird der sog. „Leadership Compass“ genutzt. Das Kompetenzmodell Aviation Leadership Compass (ALC) fasst die Leadership Skills zusammen, die von Füh rungskräften und Mitarbeitern im Lufthansa-Verbund erwartet werden. Sechs Oberdi mensionen und ihre Unterkriterien bilden die Grundlage für Auswahl- und Personalent wicklungsinstrumente. Dazu gehören das 360 Grad-Feedback Aviation Leadership Feed back (ALF) und Aviation Professional Feedback (APF) sowie der Development Center Track (DCT) und das Corporate Management Grading (CMG). Die Kriterien stellen den konzernübergreifenden gemeinsamen Nenner der Kompe tenzen dar. Das Kompetenzmodell dient dem Management und der Personalentwicklung als Orientierung, in welchen Bereichen Stärken und Entwicklungsfelder der Führungs kräfte liegen und wie man diese systematisch weiter entwickeln kann. Entrepreneurial Leadership
Communication and Persuasion
Breakthrough Problem Solving Problem Solving
• Driving Innovation
• Analytical Thinking
• Effective Communication
• Strategic Thinking
• Comprehensive Approach
• Social Sensitivity
• Achievement Orientation
• Cooperation
• Conflict Management
• Customer Focus
• Complexity Management
•
Leading People
Attitude and Drive
Assertiveness
Functional Competence
Leading and developing • Developing People
• Self Awareness
• Depth of Expertise
• Managing Performance
• Acting with Integrity
• Range of Expertise
• Inspiring People
• Self Management
teams • Leading Managing Change
• Commitment
• Business Context Knowledge
Quelle: Deutsche Lufthansa AG
These 7: Die rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen außer- und innerbetrieblichen Rahmenbedingungen sind eine auch vom Zeitgeist und vielen dahinterstehenden Geistern (guten und bösen) getriebene Baustelle. Sie wird von „Interessen“ ebenso regiert, wie von „Unternehmertum“ und der Übernahme von „Verantwortung“. Abschließend bleibt noch die Frage nach dem staatlichen und gesellschaftlichen Rahmenregelwerk, gewissermaßen den Randbedingungen, in denen sich die
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Spannung zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung zu regeln hat. Die zuvor propagierte Nutzung der Spannung macht es erforderlich, auch zu den Begrenzungen Stellung zu beziehen. Wenn das Agieren im Management nicht generell moralisch bewertet wird, ist auch bei der ethischen Qualifizierung politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen Vorsicht geboten. Betrachtet man die aktuellen Diskussionen über unternehmerische Exzesse („Heuschrecken“), den Einfluss der Globalisierung, die Entwicklung von Institutionen (manchen Staaten, Philosophien, Glaubensgemeinschaften), die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf die Umwelt etc., könnte sich Pessimismus ausbreiten. Im Vergleich mit früheren und wohl auch späteren Generationen sowie anderen Teilen der Erde sind die aktuellen Rahmenbedingungen in Mitteleuropa jedoch außerordentlich günstig, klagen wäre „klagen auf hohem Niveau“. Vor diesem Hintergrund ist auch die Verpflichtung zu sehen, sowohl unternehmerisch als auch sozialverantwortlich tätig zu sein. Diese Verpflichtung ist mit staatsbürgerlichem Engagement, z.B. der Teilnahme an Parlamentswahlen, vergleichbar. Nicht zu wählen ist die unverantwortlichste Entscheidung. Diesbezüglich kann man in Europa sicher z.B. noch viel von der Schweiz mit ihrer aktiven Demokratie lernen. Abschließend sollen noch zwei kritische Bemerkungen angeführt werden. Zum einen ist zu beobachten, dass sich durch äußere Einflüsse sowohl die ökonomischen Rahmenbedingungen als auch die Themen der Sozialverantwortlichkeit immer stärker und mit abnehmender Kodifizierungsqualität verrechtlichen. Damit formalisiert sich auch das Handeln, im schlimmsten Fall kann es sich hinter Regelungsmonstern, Auditierungen, Zertifizierungen, Compliance-Teams etc. verstecken. Das dürfte weder ökonomisch effizient noch per se sozial verantwortlich sein. Zudem schränkt die Globalisierung die tatsächliche Regelungsmacht und die damit korrespondierende Kommunikationshoheit ein. Lediglich in einem Bereich wären aus meiner persönlichen Sicht mehr Regelungen wünschenswert: Das Wirtschaftsrecht sollte mit weltweitem Anspruch regeln, dass hochriskante Finanztransaktionen mit dem Charakter von Wetten zumindest dem Standard genügen, den das (deutsche) Recht für Glücksspiel vorschreibt. Es ist ohne behördliche Erlaubnis und Kontrolle schlicht verboten! Zum anderen erweisen sich die innerbetrieblichen Rahmensetzungen häufig als ein nicht zu entwirrendes Knäuel der unterschiedlichsten persönlichen Antriebe und Interessen. Dabei spielen Unternehmertum auf Basis starker Persönlichkeiten sowie verantwortliches Agieren auf der Grundlage fester Moralvorstellungen häufig eine bewundernswerte Rolle, die sicherstellt, dass gerade HR-Manager, die auch täglich in die Abgründe der Optimierung persönlicher Interessen in Unternehmen schauen müssen, nicht verzweifeln. Genau betrachtet stellt jeder im Rahmen seines Arbeitslebens eine Balance zwischen seinen Fähigkeiten, der persönlich moralischen Basis und den eigenen Zielen im Leben her. Zu dieser Spannung tritt eine weitere Spannung, dass in Unternehmen viele Individuen mit- oder nebeneinander, manchmal auch gegeneinander nach dieser Balance suchen. Hierbei gibt es keine Logik, die Unternehmen mit möglichst viel gleichartigen Interessenvertretern einen größeren wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Spannung kann wiederum Kreativität und ein breiter nutzbares „Humankapital“ bedeuten. Das richtige Maß an Spannung
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zu erzeugen und diese dann in Balance zu halten, ist eine der Kernherausforderungen im HR-Management. Es gibt dafür kein Handbuch. Spannung ist dabei kein Problem, sondern unverzichtbares Hilfsmittel. Fazit: Mammon und Ethos. Zusammenfassend lässt sich zum Spannungsfeld ökonomischer Effizienz und sozialer Verantwortung Folgendes festhalten: Erstens, das unbestreitbare Spannungsfeld ist nicht Problemzone, sondern Energiequelle der Schaffung von Werten durch Menschen im Rahmen unternehmerischer Betätigung. Moralische Fragen spielen eine Rolle, sind aber nur schwer zu greifen. Zweitens, ökonomische Effizienz ist Grundvoraussetzung für die soziale Verantwortung von Unternehmen. Drittens, soziale Verantwortung ist ein Garant für dauerhaften unternehmerischen Erfolg, weil sie eine engagierte Mitarbeiterschaft sicherstellt und ausreichende Akzeptanz der unternehmerischen Betätigung in der gesellschaftlichen und politischen Umwelt des Unternehmens fördert. Viertens, das richtige Handeln hängt nicht vom Entweder-oder, sondern vom Maß der Betätigung ab. Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung mit den Mitteln ökonomischer Effizienz erweist sich als ein gangbarer, ja unausweichlicher Weg. Fünftens, verantwortliches Handeln von Managern wird besser durch gute Auswahl und Ausbildung der Führungskräfte als durch Normsetzung für das Managementverhalten erreicht.
Standpunkt Public Value: Gesellschaftliche Wertschöpfung im Fokus Strategischer Führung
Timo Meynhardt
„Um mit einem neuen Verantwortungssinn der Führenden neues Vertrauen zu gewinnen, müssen Beschäftigte ihre Rechte einfordern, Aktionäre ihre Aufgabe ernst nehmen, Personen des öffentlichen Lebens Beispiele setzen. Das verlangt eine neue Grundstimmung.“ Lord Dahrendorf, dt.-brit. Soziologe
Gerade in Krisenzeiten wird offenbar, dass unternehmerisches Handeln sich stets auch am Gemeinwohl orientieren muss. Wertschöpfung sollte wieder und noch konsequenter an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert werden. Auch muss die Gesellschaft lernen, Risiken zu verstehen und zu akzeptieren und die Politik ist gefordert, stets im Interesse des Ganzen zu denken und zu handeln. Einfache Regeländerungen reichen dafür nicht aus, es kommt vielmehr auf den Einzelnen und sein Verhalten an. Gerade Entscheidungsträger und die verantwortlichen Führungskräfte in Unternehmen gestalten dabei die Grundstimmung aktiv mit. Dafür benötigen sie einen neuen Kompass, der dem eigenen Beitrag zum Gemeinwohl den richtigen Stellenwert gibt. Es ist in einer freiheitlichen Ordnung legitim und wünschenswert, dass wirtschaftliche Akteure Eigeninteressen verfolgen. Diese Legitimation wird dann fraglich, wenn dies zu Lasten des Allgemeinwohls geht und daraus erwachsende gesellschaftliche Konflikte zu bedrohlichen Schieflagen führen. Einerseits leisten Unternehmen eine gesellschaftliche Wertschöpfung durch Steuerzahlungen und den Aufbau und Erhalt von Arbeitsplätzen. Sie ermöglichen Entwicklungschancen für den Einzelnen und ganze Regionen. Andererseits sind sie tief in der Kultur des jeweiligen Umfeldes verankert und profitieren vom Arbeitskräfteangebot, der Infrastruktur und sonstigen Rahmenbedingungen. Für uns heißt gesellschaftliche Wertschöpfung noch mehr: Ich meine damit den Beitrag zu einem gesellschaftlichen Klima. Nur aus diesem Beitrag zur Wohlfahrt, zum Gemeinwohl leitet sich letztlich die Legitimation wirtschaftlicher Aktivität in einer Marktwirtschaft ab. Aber woran orientieren sich Unternehmen heute? Die Managementliteratur hat eine Reihe unterschiedlicher Konzepte entwickelt, die jeweils wichtige Bewer tungskriterien herausheben: Im Konzept des „Shareholder Value“ wird die finanziellökonomische Leistungsfähigkeit in Form einer dynamischen Investitionsrechnung S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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besonders betont. Die Idee des „Stakeholder Value“ thematisiert die Erwartungen von Anspruchsgruppen über die Eigner hinaus und zielt damit vor allem auf die politisch-soziale Akzeptanz im Umfeld. Im Konzept der „sozialen Verantwortung“ (Corporate Social Responsibility) wird insbesondere ein moralisch-ethischer Anspruch an wirtschaftliches Handeln formuliert. Im „Customer Value“ schließlich steht die Kundenzufriedenheit im Mittelpunkt. Jeder dieser Ansätze bringt wichtige Bewertungsgrundlagen unternehmerischen Handelns zum Ausdruck. Doch wer will heute auf welcher akzeptierten Basis wirklich ein Primat einer einzigen normativen Ausrichtung proklamieren? Die Schlussfolgerung kann nur sein, die unterschiedlichen Werthaltungen in ihrem Wechselspiel, in ihren Konkurrenz- und Kooperationsverhältnissen ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen und im Einzelfall abzuwägen. Dies ist keine Positionslosigkeit, sondern trägt der Tatsache Rechnung, dass normative Grundlagen zwischenmenschlichen Zusammenlebens stets aufs Neue ausgehandelt werden müssen. Deshalb kann auch eine Unternehmensperformance niemals nur einseitig zugunsten eines Bewertungsmaßstabs betrachtet werden. Zunächst: Kein Unternehmen schafft nur finanziell-ökonomische Werte. Es stiftet mit seinen Produkten und Dienstleistungen auch nicht nur einen unmittelbaren Kundennutzen. Jede Organisation stiftet Nutzen im erweiterten Sinne. Dieser Beitrag zum Gemeinwesen („Public Value“) lässt sich nicht auf Profitabilität oder einzelne finanzielle Ziele reduzieren. Jeder Kundennutzen schafft oder vernichtet gesellschaftlichen Nutzen und steht damit in Beziehung zu Public Values. Eine solche gesellschaftliche „Wert“-Schöpfung wird aber erst dann geschaffen oder zerstört, wenn das Erleben und Verhalten von Personen und Gruppen so beeinflusst wird, dass dies stabilisierend oder destabilisierend auf Bewertungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das Gemeinschaftserleben und die Selbstbestimmung des Einzelnen wirkt. Und noch eines ist wichtig: Der „Wert“ unternehmerischen Handelns erschöpft sich nicht in Zahlen, Daten, Fakten. Wenn diese stimmen, ist oftmals noch nicht viel gewonnen. „Wert“-Schöpfung ergibt sich aus Wertschätzung. Dass dies keine Wortspielerei ist, weiß jeder, der sich für Geschäftsergebnisse rechtfertigen muss. Aber so wie Vertrauen nicht einfach „geschaffen“ werden kann, sondern als Ergebnis eines komplexen Bewertungsprozesses entsteht, kann man auch die Wertschätzung für unternehmerisches Handeln nicht einfach voraussetzen. Diese muss man sich durch verantwortungsvolles Handeln erarbeiten. Was indes zweifellos problematische Entwicklungen noch verstärkt hat, sind falsche Schwerpunktbildungen und ein Machbarkeitswahn der Wirtschaft. Die eindimensionale Ausrichtung auf die finanzielle Führung, die Abkoppelung der Wirtschaft von den Bedürfnissen einer breiten Öffentlichkeit, der mechanistische Einsatz von Führungsinstrumenten und ein allgemeines „anything goes“ unter Vernachlässigung der Nebenwirkungen haben die Wirtschaft auf einen falschen Pfad gebracht. Dabei liegt ein gangbarer Weg hin zu einem neuen Führungsverständnis darin, aktiver auf die Netzwerke von Führungskräften Einfluss zu nehmen. Das Kennenlernen anderer und vor allem mehrerer Erfahrungswelten, die Konfrontation mit fremden Lebenswirklichkeiten ist heute mehr denn je notwendig, um Gesellschaft
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ganzheitlich zu erfahren und auf diese Weise selbst eine eigene Vorstellung von „Gemeinwohl“ und der gesellschaftlichen Funktion als Manager zu entwickeln. Ich denke hierbei zum Beispiel an einen intensiveren Austausch von Führungskräften zwischen den einzelnen Sektoren, um in neuen Kontexten andere Erfahrungen zu sammeln, besser unterschiedliche Perspektiven gewichten zu können und durch die Einbettung in breitere Netzwerke besser die gesellschaftliche Dimension eigenen Handelns zu erkennen. Dies ist kein Selbstzweck, sondern auch eine Möglichkeit, die Ursachen der Wertschätzungskrise des Managerberufs aufzuarbeiten. Ein zweiter Ansatz ist die Entwicklung neuer Messsysteme, um die Unternehmensperformance hinsichtlich ihres Public Value sichtbar zu machen. Es steht zu vermuten, dass Unternehmen in dieser Hinsicht oftmals durchaus unterbewertet sind. Aber dies kann nur im Dialog mit der Gesellschaft herausgefunden werden. Wie oben erwähnt, gilt: Keine „Wert“-Schöpfung ohne Wertschätzung. Die Qualität strategischer Führung wird sich daran künftig verstärkt messen lassen müssen.
Teil 5 Strategische Führung – Aus- und Weiterbildung neu ausrichten
Management und Strategie als Beruf Ein Plädoyer für eine Professionalisierungsinitiative Günter Müller-Stewens1
Das Management und seine Institutionen haben als Berufsstand seit der Finanzkrise einen wohl noch nie dagewesenen Reputationsschaden erlitten. Es kamen nicht nur erhebliche Zweifel an der Kompetenz einiger Vertreter dieses Berufsstandes auf, sondern auch an deren Moral und Rechtschaffenheit. Es wird bezweifelt, dass in der Wirtschaft als Teilsystem der Gesellschaft noch das Gleiche Wertschätzung erfährt, das in der Gesellschaft als Ganzes Achtung findet. Von diesen Vorwürfen bleiben auch die Business Schools als Ausbildungsstätten von Managern nicht verschont. Es werden der Nutzen der gelehrten Inhalte sowie die dort vermittelten Einstellungen angezweifelt. Aus Sicht der Gesellschaft sollten Business Schools jedoch nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung betrachtet werden. In diesem Beitrag soll eine Auseinandersetzung mit dem Beruf des Managers erfolgen. Es soll nach Wegen gesucht werden, die einen Beitrag zu seiner Profes sionalisierung leisten können. Dabei könnte eine solche Entwicklung induktiv aus bedeutsamen Teildisziplinen getrieben werden. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Beitrag insbesondere mit der Funktion des Strategie Professionals auseinander. Es werden Voraussetzungen und Elemente aufgezeigt, um aus dem Beruf des Strategen einen wirklichen Berufsstand zu machen. Dies könnte helfen, verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen.
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Ich danke Herrn Sven Kunisch für seine wertvollen Anregungen zur Weiterentwicklung dieses Beitrags.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Inhalt 1 Von Beruf Manager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1.1 Management: Eine junge Profession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1.2 Forderung nach einer Professionalisierung des Managements . . . . . . . . 197 1.3 Optionen der Professionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2 Zur Rolle der Business Schools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2.1 Mehr Verantwortung für die Profession als Ganzes übernehmen . . . . . . 199 2.2 Bedürfnisse der Profession ins Zentrum stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2.3 Fokus auf die gesamthafte Entwicklung der Professionals wahren . . . . 200 2.4 Wissenschaftliche Stringenz und praktische Relevanz in Balance halten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2.5 Sich von den Rankings emanzipieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2.6 Ganzheitlichere Steuerung anstreben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3 Professionalisierung im Strategiebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3.1 Aufbau eines allgemein akzeptierten Wissensfundus . . . . . . . . . . . . . . . 206 3.2 Entwicklung eines Zertifizierungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3.3 Verpflichtung, dem Gemeinwohl zu dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3.4 Richtlinien für ethisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
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195 „Wenn man etwas erstrebt und bei der Wurzel anfängt, so vergehen kaum vierzehn Tage, und man hat es. Wenn man aber nach etwas strebt und beim Wipfel beginnt, so macht man sich vergebliche Mühe.“
Lü Bu We, 300-235 v. Ch; chinesischer Kaufmann, Politiker, Philosoph
1 Von Beruf Manager Das Management und seine Institutionen haben als Berufsstand seit der Finanzkrise einen wohl noch nie dagewesenen Reputationsschaden erlitten. Es kamen nicht nur erhebliche Zweifel an der Kompetenz einiger Vertreter dieses Berufsstandes auf, sondern auch an deren Moral und Rechtschaffenheit. Das Vertrauen in Topmanager und deren Berater sowie in eine ganze Reihe wirtschaftlicher Institutionen ist auf einen Tiefpunkt gesunken (vgl. z.B. Podolny 2009, S. 45). Auch aus Leserbriefen in den Tages- und Wochenzeitungen wird deutlich, dass dem Management von der Gesellschaft aktiv Misstrauen entgegengebracht wird. Es wird bezweifelt, dass in der Wirtschaft als Teilsystem der Gesellschaft noch das Gleiche Wertschätzung erfährt, das in der Gesellschaft als Ganzes Achtung findet. Von diesen Vorwürfen bleiben auch die Business Schools2 als Forschungsan stalten3 und Ausbildungsstätten von Managern nicht verschont. Es werden der Nutzen der gelehrten Inhalte sowie die dort vermittelten Einstellungen angezweifelt. Manch einer betrachtet sie als eine der Quellen für die stattgefundene Eskalation an eigennützigem, moralisch verwerflichem und auch unrechtmäßigem Verhalten. Damit verbunden ist die Reputation von Business Schools als wirklich professionelle Ausbildungsstätten für den Berufsstand des Managers in ernsthafter Gefahr. Bevor jedoch einfach nur auf den nächsten Aufschwung gewartet wird oder der Staat sich aufgefordert fühlt, mit weiteren Regulierungen zu intervenieren, sollte diese Phase von den Business Schools aktiv genutzt werden, um selbstkritisch über den eigenen Beitrag zur Ausbildung und zum Beruf von Managern nachzudenken. Aus Sicht der Gesellschaft sollten Business Schools nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung betrachtet werden.
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Der angelsächsische Begriff Business School wird in diesem Beitrag als Synonym für die betriebswirtschaftliche Fakultät einer Universität verwendet. 3 Vgl. dazu z.B. die Titelgeschichte im Economist vom 18.07.2009, in der insbesondere der Frage nach dem Leistungsvermögen der Makroökonomie und der Finanzwissenschaft kritisch nachgegangen wird.
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1.1 Management: Eine junge Profession Der Manager gehört einer noch sehr jungen Profession an, zumindest im Verhältnis zu artähnlichen Berufen wie dem des Arztes oder Juristen. Die Professionalität dieses Arbeitsgebietes ist noch als wenig fortgeschritten zu bewerten, so dass kaum von einem wirklichen Berufsstand gesprochen werden kann. Diese Einschätzung ist nicht nur am relativ geringen Stand gesicherten Wissens erkennbar, sondern auch daran, dass es bis dato keine gemeinsam geteilten und auch berufsständisch überwachten Verhaltensregeln gibt. Übt jemand hingegen den Beruf eines Arztes oder Juristen aus, so handelt er auf der Basis von Verhaltensregeln, Grundsätzen und Praktiken, die sich über Hunderte von Jahren herausgebildet haben. Diese geben zum einen denen, die mit Vertretern dieses Berufsstandes zu tun haben, eine gewisse Sicherheit. Aber auch dem einzelnen Anwalt oder Mediziner geben sie Sicherheit, da er sich nun in Zweifelsfällen auf den Wissensstand und die Leitlinien seiner Profession berufen kann. Exkurs: Um beispielsweise als Arzt tätig zu sein, wird eine formale Zulassung gebraucht. In Deutschland regeln u.a. Approbationsordnungen die Zulassung zu den akademischen Heilberufen. Speziell bei den Ärzten wird damit die Ausbildung des Medizinstudenten bzgl. der Dauer und der Inhalte der Ausbildung in den einzelnen Fächern sowie der Prüfungen geregelt. Jeder Arzt ist Pflichtmitglied der Ärztekammer und unterliegt einer Fortbildungspflicht, die je nach Fachgebiet 60 bis 100 Stunden pro Jahr beträgt. Vor aussetzung für eine Approbation ist neben dem erfolgreichen Studienabschluss auch die persönliche und gesundheitliche Eignung für die Ausübung des Berufs. Wenn sich ein Arzt eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des Arztberufs ergibt, kann dies zum Entzug der Approba tion führen. Unzuverlässig ist, wer nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Unwürdig ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht besitzt. In der Schweiz wird die Berufsberechtigung erst nach Absolvierung einer Facharztausbildung erteilt.
Zwar hat sich das Berufsfeld Management seit dem Entstehen zu einer lebendigen und einflussreichen Branche mit vielen verschiedenen Institutionen (Business Schools, Beratungen, Verbände etc.) entwickelt, jedoch besteht an vielen Stellen noch Nachholbedarf. Um Manager zu werden, wird bis dato keine formale Zulassung benötigt. Topmanager – selbst von sog. systemrelevanten Unternehmen – darf schlichtweg jeder werden, der die individuell definierten Kriterien des Aufsichtsbzw. Verwaltungsrats erfüllt. Das heißt auch, dass keine spezielle Ausbildung vorgeschrieben ist. Ob jemand den Beruf des Managers zuverlässig und würdig ausübt, ist nicht definiert, und es wacht auch niemand darüber. Auch sind Manager nicht verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden. Gleichzeitig erhöht sich der Druck zu klären, was genau ein verantwortlich und kompetent handelnder Manager ist. Dieser Druck wächst auch vor dem Hintergrund
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zum Teil grober Fehlentscheidungen und moralisch verwerflichen Handelns einiger Führungskräfte, die massive soziale und ökonomische Kosten verursachten. Aufgrund der teilweise eklatanten Rückwirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Gesellschaft wünscht diese mehr Verbindlichkeit hinsichtlich der Voraussetzungen, die diejenigen Personen mitbringen, die in der Wirtschaft grosse Verantwortung übernehmen. Auch wächst der juristische Druck, genauere Aussagen dazu treffen zu können, wann ein Manager professionell arbeitet und wann nicht. Gelingt es den Interessensträgern am Beruf des Managers nicht selbst, entscheidende Schritte zur Professionalisierung zu gehen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieser mehr und mehr durch den Staat reguliert wird. In der Finanzindustrie beispielsweise definieren Aufsichtsbehörden den Verhaltensspielraum der Institutionen immer mehr; der Schritt zur einzelnen Führungskraft ist dann nicht mehr weit, wie etwa die Diskussion zu Höchstgehältern für Manager zeigt.
1.2 Forderung nach einer Professionalisierung des Managements Es wird nicht leicht sein, das in den Beruf des Managers verlorengegangene Vertrauen wiederzugewinnen. Auch wird dies nicht kurzfristig erreichbar sein; vielmehr erfordert es nachhaltige Anstrengungen. Im Kern geht es dabei um eine wirkliche Professionalisierung des Manager-Berufs. Eine solche Forderung ist grundsätzlich nicht neu, vielmehr wird sie bei jeder von Fehlentwicklungen begleiteten Wirtschaftskrise neu entfacht. Doch bislang ist nicht viel geschehen, und eine ganze Reihe von Trends laufen noch immer eher in die Gegenrichtung. Doch was beinhaltet eine Professionalisierung des Managements? Um das Tätigkeitsfeld des Managements zu einer wirklichen Profession weiterzuentwickeln, schlägt Khurana (2007) vier Elemente vor, die sich an der jeweiligen Anwendungspraxis zu orientieren haben. Diese umfassen: 1. einen allgemein akzeptierten Body of Knowledge (Wissensfundus), auf dem die Ausbildung aufbaut; 2. ein System, über das Individuen zertifiziert werden können, um nachzuweisen, dass sie diesen Wissensfundus beherrschen, bevor man ihnen erlaubt, ihren Beruf auszuüben; 3. ein Commitment (Verpflichtung), dem Gemeinwohl dienen zu wollen; sowie 4. einklag- und durchsetzbare Richtlinien für ethisches Verhalten. Teilt man diese Forderung nach einer Professionalisierung, so erwächst die Frage, welche Wege zur Professionalisierung zur Verfügung stehen. Dabei sollte ein einzuschlagender Weg idealerweise auf die bestehenden professionellen Entwicklungspfade aufsetzen, um anschlussfähig zu sein.
1.3 Optionen der Professionalisierung Grundsätzlich bieten sich in einer ersten Stufe zwei Möglichkeiten, um die Professionalisierung des Berufs des Managers voranzutreiben. Einerseits kann
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der Versuch unternommen werden, das Unterfangen deduktiv für das gesamte Management anzugehen und von dort aus die einzelnen Teildisziplinen zu beeinflussen. Andererseits kann versucht werden, auf bereits in einzelnen Teildisziplinen bestehenden Bemühungen aufzusetzen, diese auszuweiten und von dort aus induktiv nach einem professionellen Überbau für das Management als Ganzes zu suchen. Tatsächlich ist es in einigen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen gelungen, die Grundlagen, auf denen die Vertreter der Profession tätig werden, bereits präziser zu fassen und als Standards durchzusetzen.4 Dabei ist wiederum zu unterscheiden, ob diese Standards auf freiwilliger oder gesetzlicher Basis in Kraft gesetzt wurden. Auf einer freiwilligen Basis wurde beispielsweise durch die International Project Management Association (IPMA) bereits in den neunziger Jahren begonnen, die im Projektmanagement erforderlichen Kompetenzen zu definieren, die dann zur Basis des 1998 eingeführten Zertifizierungssystems wurden. Ähnlich ist die Tätigkeit des CFA Institute zu bewerten, das bei den Investmentfachleuten die Zertifizierungen zum CFA (Chartered Financial Analyst) und das CIPM (Certificate in Investment Performance Measurement) vornimmt und damit gewisse Wissensund Verhaltensstandards garantieren möchte.5 Ein weiteres Beispiel ist die 1988 gegründete European Foundation for Quality Management (EFQM), die sich um höhere Standards im Management bemüht, und heute über 600 Organisationen zu ihren Mitglieder zählt. Angeboten werden durch die EFQM z.B. Assessments bzw. eine Ausbildung zum Assessor. Gesetzlich weitaus stärker geregelt ist die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers. Bei dieser handelt es sich nicht nur um einen Beruf, sondern auch um ein öffentliches Amt. Dem Wirtschaftsprüfer obliegt die Prüfung der ordnungsmäßigen Buchführung eines Unternehmens und die Prüfung eines den einschlägigen Vorschriften entsprechenden Jahresabschlusses. Aufgrund dieser besonderen Verantwortung sind bei der Ausübung der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers eine ganze Reihe von Berufspflichten zu erfüllen, die sich in Deutschland aus dem Handelsgesetzbuch (HGB), der Wirtschaftsprüferordnung (WPO) und der Berufssatzung der Wirt schaftsprüferkammer (WPK) ergeben. Dazu zählen Unabhängigkeit, Unbefangenheit, Unparteilichkeit, Verschwiegenheit, Gewissenhaftigkeit, Eigenverantwortlichkeit, berufswürdiges Verhalten und Verzicht auf berufswidrige Werbung.
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In Deutschland gibt es z.B. berufsständische Vereinigungen, die mitgliedschaftlich organisierte Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Angehörige bestimmter Berufe gehören ihnen kraft Gesetzes an (Zwangsmitgliedschaften). Sie haben die Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und das Ansehen und die innere Ordnung des jeweiligen Berufsstandes zu gewährleisten. Daneben gibt es Innungen (als Nachfolger der Zünfte). Diese sind freiwillige Vereinigungen selbständiger Handwerker. Sie sind ebenfalls Körperschafen des öffentlichen Rechts, die folgende Aufgaben übernehmen: Überwachung der Berufsausbildung, die Abnahme der Gesellenprüfungen, die Förderung der beruflichen Fortbildung ihrer Mitglieder sowie die Unterstützung der Behörden bzgl. der vertretenen Berufe. 5 Vgl. http://ww1.efqm.org/en/tabid/123/default.aspx (16.07.2009).
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Unabhängig von diesen Optionen ist in all diesen Ansätzen die Aus- und Weiterbildung von großer Bedeutung auf dem Weg zu einer Professionalisierung der Manager. Dabei sollten die Business Schools als führende Institutionen in diesem Sektor eine wesentliche Rolle einnehmen. Doch inwieweit sind die Business Schools auf eine solche Rolle vorbereitet?
2 Zur Rolle der Business Schools Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden auch kritische Diskussionen zur Rolle der Business Schools losgetreten. Sie sind gesellschaftlich aufgefordert, sich dazu zu äußern, ob und welche Konsequenzen aus den vergangenen Fehlentwicklungen zu ziehen sind. Vereinzelte Reaktionsmuster, wie beispielsweise die Verpflichtung von MBA-Studierenden einer einzelnen Business School auf einen bestimmten Code of Conduct (Verhaltenskodex)6, sind zwar gut gemeint, aber letztendlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Grundsätzlicher ist eine Reihe seit vielen Jahren umfangreich wirkender Entwicklungstrends, die kritisch infrage gestellt und gegebenenfalls gebrochen werden müssen. Einige Eckpfeiler dazu sollen nachstehend thesenhaft skizziert werden.
2.1 Mehr Verantwortung für die Profession als Ganzes übernehmen Die Business Schools müssen noch deutlicher glaubhaft und sichtbar machen, dass es ihnen nicht gleichgültig ist, wie sich ihre Absolventen in der Unternehmenspraxis verhalten. Vor diesem Hintergrund müssen Lehrpläne, Studien- und Prüfungs ordnungen und Berufungspolitik kritisch reflektiert werden. Dabei geht es nicht nur um die Verantwortung für die ökonomische Effizienz, sondern auch um die Zuständigkeit für den Beitrag zum Gemeinwohl im Sinne einer sozialen Verantwortung. Der Grundgedanke der sozialen Verantwortung des Geschäftsmannes ist Jahrtausende alt. Schon im klassischen Griechenland war die Meinung vorherrschend, dass das Betreiben von Geschäften nicht nur im Sinne der Eigentümer und Kontrollbehörden, sondern auch im Dienste der Gesellschaft zu erfolgen hätte (vgl. Eberstadt 1973). So bildeten bei Aristoteles Ethik, Politik und Ökonomie eine Einheit. Im mittelalterlichen Italien und auch im norddeutschen Städtebund der Hanse entwickelte sich das auch auf die soziale Verantwortung gerichtete Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ (vgl. Klink 2008). Howard Bowen war es dann, der in seinem 1953 erschienenen Buch Social Responsibilities of the Businessman die gedanklichen Grundsteine für das Konzept der Corporate Social Responsibility (unternehmerische Gesellschaftsverantwortung) im modernen Unternehmen legte: 6
Zu einem solchen MBA Oath kam es an der Harvard Business School, aber auch an anderen Business Schools wie z.B. an der University of Cape Town oder am Institute of Public Enterprise in Hyderabad.
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„… management merely in the interests (narrowly defined) of stockholders is not the sole end of their duties“ (Bowen 1953, S. 44). Konkret könnten sich Business Schools aktiv in entsprechende Initiativen einbringen. Solche Initiativen können z.B. auf das Entwickeln und Durchführen von berufsständischen Zertifizierungen für Manager – jenseits eventueller akademischer Abschlüsse – abzielen, die auch das professionelle Verhalten der Akteure und deren Haltung zur Gesellschaft mit einbeziehen. Business Schools sollten noch intensiver als bislang fördern, dass sich Manager jenseits ihrer Verantwortung gegenüber den Eigentümern auch als Treuhänder gesellschaftlicher Interessen verstehen (vgl. Khurana u. Nohria 2008).
2.2 Bedürfnisse der Profession ins Zentrum stellen Ähnlich wie andere auf die Profession ausgerichtete Ausbildungsinstitutionen müssen Business Schools wohl noch deutlicher die Entwicklung der Professionals – und damit auch die Anwendung des erlernten Wissens – in das Zentrum ihres Handelns stellen. Management ist eine akademische Disziplin, in der unter anderen Rahmenbedingungen zu arbeiten ist als in der Physik oder Biologie. Dort sollte der wissenschaftliche Fortschritt im Zentrum des Strebens stehen; die Anwendung ist eher zweitrangig. Business Schools sind dagegen Professional Schools wie Medical Schools oder Law Schools. Bei ihnen muss eine wissenschaftlich fundierte Aus- und Weiterbildung der später in der Praxis tätigen Fachexperten im Zentrum stehen. Besonders deutlich kann dieses Argument anhand der Medical Schools illustriert werden. Diese haben häufig ein Spital angegliedert, in dem die Mitglieder des Lehrkörpers auch praktisch tätig sind und die Auszubildenden die Praktiken einüben können (vgl. Bennis u. O’Toole 2005, S. 98).
2.3 Fokus auf die gesamthafte Entwicklung der Professionals wahren Eine Business School darf nicht nur eine Anstalt zur Vermittlung von Techniken und Prozeduren sein. Der Managementforscher Henry Mintzberg beklagte bereits in den achtziger Jahren die permanent zunehmende analytische Ausrichtung der Managementforschung und -lehre an den Business Schools. Es sei dabei die Ausbildung in den professionellen Kernfähigkeiten sträflich vernachlässigt worden. In diesem Zusammenhang kann auch gezeigt werden, dass die Ursache für das Scheitern von Führungskräften häufig nicht ein Mangel an technischer Expertise ist. Oft fehlen eher die interpersonellen Fähigkeiten, die Umsicht zu den gängigen Praktiken oder die moralische Fundierung. Eine Ausbildung von Management-Professionals, die nur aus einem Sammeln von Credits zu einzelnen, nur sehr lose verbundenen technischen Ausbildungseinheiten besteht, ist nicht überaus erfolgversprechend. Professionals müssen entlang aller zur Professionalität gehörenden Dimensionen schrittweise und integriert entwickelt werden. Im Prinzip geht es um die Kultivierung einer professionellen Denk- und Handlungsweise. Harrison (2008) bringt hier die Metapher des Gartenbaus ins
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Spiel. Früher wurden die Institutionen höherer Bildung wie Gärten angelegt. Der Gartenbau steht dabei als Symbol für das Sich-Kümmern um das Gedeihen der Pflanzen.7
2.4 Wissenschaftliche Stringenz und praktische Relevanz in Balance halten Die Managementforschung sollte sich an den tatsächlichen praktischen Phänomenen orientieren, und die Ergebnisse sollten immer auch Implikationen für die Praxis haben (Stichwort: Relevance). Die in der Forschung gewonnenen Erkenntnisse und damit einhergehend die den Auszubildenden vermittelten Inhalte haben sich an Kriterien wissenschaftlicher Stringenz (Stichwort: Rigour) zu orientieren. Es besteht wohl kaum Zweifel, dass der Einzug der wissenschaftlichen Stringenz in die Managementlehre der entscheidende Schritt in der Entwicklung der Managementausbildung von den Handelsschulen zur akademischen Disziplin in den Business Schools seit den sechziger Jahren darstellte. Die Entwicklung einer „Journal-Kultur“ in den Managementwissenschaften hat zweifelsohne positive Seiten, die erheblich zur Weiterentwicklung der Managementforschung beigetragen haben: Es erwuchsen internationale Standards, die wissenschaftliches Arbeiten definieren, es entstand eine gewisse Disziplinierung der wissenschaftlichen Diskussion über die Etablierung einzelner Forschungsstränge, auf deren Erkenntnisstand Folgearbeiten aufzusetzen hatten. Die Diskurse in diesen Forschungssträngen konnten erheblich ausdifferenziert werden. Nicht zuletzt wurde auch das methodologische Instrumentarium erheblich erweitert. Im Bedürfnis der Managementwissenschaftler – und teilweise auch im staatlichen Auftrag8 – mit den traditionellen Wissenschaften gleichzuziehen, kam es allerdings über die vergangenen 50 Jahre relativ zum betriebenen Gesamtaufwand auch zu einer immer stärkeren Entfremdung von der Managementpraxis. Während das Volumen der in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierten Beiträge nahezu explodierte, nahm deren Relevanz aus der Sicht der Managementpraxis ab. Die Anreize für Managementwissenschaftler fokussierten jedoch immer mehr auf die Publikationserfolge in den anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften. In diesem Sinne veränderten sich auch die Berufungspolitik und die Steuerung der Business Schools. Artikel in anerkannten Transferzeitschriften für die Unternehmenspraxis, ausgezeichnete Leistungen in der Lehre oder integrierende Fachbücher fanden immer weniger Anerkennung im internen Kontext der Business Schools. So kam es speziell in den USA bezogen auf die Aufgaben einer Professional School zu einer extremen Übergewichtung der Anspruchsgruppe Scientific Community (Wissenschaftsgemeinde). Der eigentliche Auftrag wurde bei 7
Seminarum bedeutet im Lateinischen die Pflanzstätte. Antriebskraft dazu war die sog. Carnegie Revolution, die aus der Not der Wissenschaft heraus geboren wurde (vgl. Plinke 2008, S. 849). In den USA wurde im Jahr 1959 von der Ford- und Carnegie-Stiftung eine Studie zur Analyse der wissenschaftlichen Qualität der Business Schools durchgeführt, die vernichtend ausfiel.
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nicht wenigen Business Schools weitgehend aus dem Auge verloren. Es wurden zwar auch Dozenten beschäftigt, die in der Lage waren, sich in der Executive Education mit Führungskräften auf Augenhöhe auszutauschen; doch das war nicht der Bereich, in dem Höchstleistung auch höchste Anerkennung erfuhr. Wer nicht mehr in den Top Journals publizierte, gleichgültig ob dies jemanden außerhalb der Wissenschaftsgemeinde interessierte oder nicht, spielte nur noch in der zweiten Liga. Nebeneffekt dieser emanzipatorischen Entwicklung zu einer Wissenschaft war und ist bis heute eine immer stärkere Quantifizierung und Fragmentierung der Forschung. Grundsätzlich ist auch dagegen nichts einzuwenden, sofern dabei die Problemstellungen heutiger Manager möglichst realitätsnah aufgegriffen werden. Doch diese beklagen oft, dass die Untersuchungen zu isoliert aus der Sicht einer engen Fachdisziplin betrieben werden, die eigentlichen Problemstellungen aber viel facettenreicher sind; oft vernachlässigen die akademischen Studien quantitativ kaum erfassbare soziale und personelle Einflussfaktoren. Nur selten liefern sie integrierende Antworten auf oftmals sehr komplexe Managementheraus forderungen. Im Kern geht es nicht um eine Argumentation gegen quantitative Managementforschung; je nach Forschungsfrage sind quantitative Methoden sogar geeigneter und zielführender. Allerdings geht es um die richtige Gewichtung: Es stellt sich die Frage, ob 100% der Forschungsressourcen bezogen auf die zu bearbeitenden Problemstellungen adäquat und wirkungsvoll genug eingesetzt werden. Bezeichnend für die unterstellte Fehlgewichtung ist auch, dass es sehr gute qualitative Forschung in den Managementwissenschaften bis heute noch immer deutlich schwerer hat, einen Platz in den wissenschaftlichen Topzeitschriften zu finden. Umgekehrt bleiben die Grenzen der Aussagefähigkeit quantitativer Beweisführung nach wie vor kaum diskutiert. Da die Karriere von Nachwuchswissenschaftlern vielerorts primär von den Publikationserfolgen abhängt, verwundert es demnach auch nicht, wenn diese eher Fragen nach den Publikationschancen eines Forschungsprojektes stellen, als sich zu überlegen, wie sie mit ihren Kompetenzen am besten einen Beitrag für die Managementpraxis leisten können. Gegenwärtig wird in Europa vielerorts mit großer Energie die aus den USA kommende Fehlgewichtung nachgeahmt. Zweifelsohne gibt es stellenweise einen Nachholbedarf bezüglich Wissenschaftlichkeit von Lehre und Forschung, und niemand will den Schritt zurück zu den Handelsschulen gehen. Allerdings gibt es mittlerweile auch betriebswirtschaftliche Fakultäten, in denen Berufungen ausschließlich auf Basis von Punktezählungen wissenschaftlicher Publikationen vorgenommen werden. Wesentlich mehr interessiert bei der Berufung nicht mehr. Dabei sind Berufungen vermutlich die wichtigsten strategischen Entscheidungen und Weichenstellungen, die an einer Business School vorgenommen werden; auch weil sie oft auf Jahrzehnte bindend sind. Die einmal implantierte Logik reproduziert sich dann von selbst. Formen der Wertschätzung ändern sich und Selektionsmuster werden angepasst. Das Oberziel, nämlich die Publikation von Forschungsergebnissen (und nicht unbedingt die Erkenntnisgewinnung), hat dann die eigentliche Hauptaufgabe einer Professional School verdrängt. Leistungsmesser einer Business School sind dann – ebenfalls
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selbstreproduzierend – die Gutachter der wissenschaftliche Zeitschriften und nicht die Manager, die fundierte Antworten auf ihre aktuellen und drängenden Herausforderungen suchen. „They leave the practical implications to others“, wie Bennis u. O’Toole (2005, S. 98) es in ihrem viel zitierten Artikel formulierten. Im Kern geht es bei diesem Punkt nicht um ein Entweder-oder, sondern um die kontinuierliche Suche nach der richtigen Balance zwischen Rigour und Relevance unter strenger Beachtung des zentralen Auftrags jeder Professional School – der Entwicklung der Profession zu dienen.
2.5 Sich von den Rankings emanzipieren Business Schools sollten nicht beweisen, dass sie besonders qualifiziert sind, mit dem Strom zu schwimmen und nur den von Rankings eingeforderten Kriterien gerecht zu werden. Vielmehr sollten sie ihr eigenes Profil schärfen und darauf achten, dass sie sich in ihrer strategischen Positionierung klar vom Wettbewerb unterscheiden. Einzigartigkeit – unter Beachtung der professionellen Standards – und nicht Gleichförmigkeit sollte das Ziel sein. In den letzten Jahrzehnten haben Rankings in der Welt der Business Schools eine enorme Bedeutung erlangt. In einem relativ intransparenten Dschungel an globalen Ausbildungsangeboten sind sie – neben den Zertifizierungen der Business Schools (AACSB, EQUIS etc.) – zu einer wichtigen Orientierungsgröße im Kampf um die besten Studierenden geworden. Auch bestimmen sie das Preisniveau, zu dem eine Business School im Wettbewerb antreten kann. In nicht wenigen Business Schools werden die Studienordnungen an den Kriterien der wichtigsten Rankings ausgerichtet, und in den Verwaltungen der Business Schools beschäftigen sich immer mehr Angestellte mit möglichen Hebeln zur Optimierung der Ranking-Ergebnisse. Auch kann es vorkommen, dass Dozenten und Professoren sich bei der Suche nach dem passenden Arbeitsplatz am Ranking der Business Schools orientieren. Der Trend ist klar gesetzt und lässt derzeit kaum eine Wendung erkennen. Doch sind die Kriterien, nach denen die Rankings vorgenommen werden, sinnvoll und zielführend im Sinne der oben genannten Forderungen nach einer Professionalisierung? Dies ist erheblich anzuzweifeln. So hat beispielsweise das später von den Absolventen erzielte Einkommen die deutlich höchste Gewichtung im einflussreichen Ranking der Financial Times. Eine solche Gewichtung kann jedoch fragwürdige Konsequenzen haben: Erstens wird damit der Gesellschaft signalisiert, dass das Einkommen der wichtigste Indikator für die erzielte Professionalität ist. Zweitens kann dies bei den Business Schools dazu führen, dass Programmpolitik und Curricula stark auf die Ausbildungsgänge ausgerichtet werden, bei denen sich hohe Einkommen erzielen lassen. Drittens kann es dazu kommen, dass nur nachranging Studierende rekrutiert werden, die z.B. eine Laufbahn bei nicht auf Gewinn ausgerichteten Organisationen, Non-Governmental Organizations (NGOs), planen. Viertens fördern Rankings in ihrer Anlage auch das kurzfristige Denken; dabei blenden sie die gesellschaftliche Aufgabe nahezu vollständig aus. Es steht außer Frage, dass Rankings auch eine wichtige Funktion erfüllen. So versuchen sie z.B. Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Deshalb werden
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Business Schools Rankings auch kaum vollständig ignorieren können. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Business Schools diese in ihrer teilweise drastisch fehlleitenden Funktion aktiv unterstützen sollten, indem sie sie z.B. zu Werbezwecken einsetzen. Podolny (2009) plädiert bei diesem Aspekt radikal für ein Verbot von Werbung mit Rankings durch Business Schools: „Rechtsanwälte, Ärzte und Wirtschaftsprüfer halten sich, ebenso wie ihre Ausbildungsstätten, an diverse Einschränkungen – vor allem bei der Frage der Werbung für ihre Dienstleistungen –, eben weil sie einem Berufsstand angehören“ (Podolny 2009, S. 47).
2.6 Ganzheitlichere Steuerung anstreben Die Governance (Steuerung) einer Business School basiert auf Differenzierung und Integration. Die Differenzierung wird vornehmlich durch die Disziplinen bestimmt, in die sich die Wissenschaftsgemeinschaft gegliedert hat. Damit definiert sich oft auch die organisatorische Heimat eines Managementforschers. Aus der Differenzierung wiederum leitet sich ein zumindest zweifacher Integrationsauftrag ab: einer, der sich auf die Problemstellungen des Managements bezieht, und einer, der auf das Leistungsspektrum einer Business School abzielt. Nur derjenige, dem es gelingt, die Integration zu bewerkstelligen, hat heutzutage noch Aussicht, wirklich eng an den Problemstellungen der Praxis zu arbeiten. Problemstellungen: Um viele Managementherausforderungen umfassend genug begreifen und gestalten zu können, bedarf es aufgrund ihrer Komplexität und inhaltlichen Breite einer interdisziplinären Herangehensweise. Wie soll z.B. ein Topmanager bei seinen strategischen Entscheidungen die oft konfligierenden Interessen der als relevant erachteten Anspruchsgruppen unter einen Hut bringen? Dieser Interdisziplinarität stehen jedoch oft die disziplinären vertikalen Silos mit ihrer jeweiligen Eigendynamik im Weg. Daher sollten die Business Schools gezielt nach möglichst vielen organisatorischen Vehikeln zur Verbesserung der horizontalen, interdisziplinären Zusammenarbeit suchen. Beispiele könnten die explizite Förderung von interdisziplinären Co-Teachings, die Begünstigung cross-disziplinärer Kompetenzzentren oder die gezielte Suche nach Grenzgängern sein. Leistungsspektrum: Die durch den Lehrkörper einer Professional School zu leistenden Anforderungen sind so vielfältig, dass sie durch eine Einzelperson auf Spitzenniveau kaum in allen Bereichen – im „Zehnkämpfermodus“ – dauerhaft und ohne signifikante Verschleißerscheinungen geleistet werden können. Wissenschaftliches Publizieren, Ausbilden von Studierenden, Weiterbildung von Führungskräften, gutachterliche und beratende Tätigkeiten oder Beiträge zur öffentlichen Diskussion (Interviews, Transferpublikationen etc.) sind einige dieser Tätigkeitsfelder, von denen jedes sehr unterschiedliche und laufend wachsende Anforderungen stellt. Um diesen vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, sollte eine Business School nicht die Evaluation von Einzelpersonen betreiben, sondern auf die Steuerung von Leistungszentren fokussieren, welche sich allerdings am vollen Leistungsspektrum messen lassen müssen. Den Rest jedoch sollte der internen Steuerung der Leistungszentren überlassen werden.
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3 Professionalisierung im Strategiebereich Ein Managementbereich, in dem es bislang noch zu keinen berufsständisch geprägten Professionalisierungsbemühungen gekommen ist, ist der Strategiebereich. Das ist besonders erstaunlich, da gerade von den Strategie Professionals besonders wichtige Entscheide für die Entwicklung und das Wohlbefinden nicht nur der Unternehmen, sondern auch der Gesellschaft ausgehen. Es gibt keine Regeln oder gar Vorschriften dazu, was ein Strategieexperte können muss. In den Strategieabteilungen sitzen Mitarbeiter mit den unterschiedlichsten Ausbildungen. Diese Diversität ist grundsätzlich auch sehr nützlich angesichts der Komplexität der Problemstellungen. Bislang ist dieses Aufgabenfeld jedoch eine Art Quasi-Beruf. Daher stellt sich die Frage, ob es nicht auch zweckmäßig ist, dass die Strategie Professionals über einen gewissen gemeinsamen Wissensfundus zum Strategischen Management verfügen sollten. Allerdings gibt es bis dato keine Pflicht zu einer bestimmten Aus- und Weiterbildung von Strategie Professionals. Auch kann sich jeder, der es möchte, ohne irgendwelche Voraussetzungen erfüllen zu müssen, Strategieberater nennen. Strategische Entscheidungen werden in Organisationen vielerorts und relativ häufig getroffen. Ihre Qualität ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens. Diese Qualität hängt maßgeblich von der Kompetenz der involvierten Entscheidungsträger ab und damit auch davon, wie diese Entscheidungsträger in strategischen Fragen ausgebildet werden konnten. Angesichts vieler aktueller strategischer Fehlentwicklungen muss sich natürlich auch das Strategische Management die Frage stellen lassen, ob die in diesem Feld tätigen Experten eine geeignete Ausbildung erfahren. Im Detail stellen sich folgende Fragen: (1) Wie gesichert ist die Wissensbasis, auf die das Entwickeln, Entscheiden und Umsetzen von Strategien aufbauen kann? Inwieweit ist es gelungen diese Wissensbasis zur Grundlage von Entscheidungen in der Unternehmenspraxis zu machen? (2) Wird in der Forschung bei der Suche nach Wettbewerbsvorteilen in ausreichendem Maße auch der Effekt auf die soziale Performance berücksichtigt? (3) Gibt es alltagstaugliche und faktisch wirksame Verhaltensrichtlinien zu ethisch verantwortungsvollem Handeln bei der Arbeit von Strategie Professionals? Diese Detailfragen können unter der folgenden Frage subsumiert werden: Wie ist es um die Professionalität der Strategie Professionals bestellt? Die an die Strategieforschung der Business Schools gerichteten Vorwürfe lauten ähnlich wie die bei der Managementforschung: Generell wird ein zu geringes Interesse der Forschung an einer Auseinandersetzung mit den wirklich drängenden Problemstellungen beklagt. Die vorwiegend quantitative Forschung verstärkt diesen Makel durch einen Fokus auf sehr spezifische und teilweise kaum relevante Detailfragen. Und trotzdem werden die Probleme nicht in ausreichendem Detail verstanden, denn dazu bedarf es mehr als des simplen Addierens von Einzelerkenntnissen. Die getesteten Modelle vereinfachen die Zusammenhänge zu sehr, um als relevant empfunden zu werden. Gleichzeitig wird den Business Schools auch vorgeworfen, dass sie die Ausbildung zu sehr auf die Vermittlung von Techniken fokussiert und zu wenig auf die gesamthafte Entwicklung der Professionals und ihrer Communities ausrichtet.
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Trotz dieser Kritikpunkte hat die noch sehr junge Disziplin des Strategischen Managements seit ihrem Entstehen in den sechziger Jahren in der Wissenschaft und Unternehmenspraxis unzweifelhaft erhebliche Fortschritte gemacht. Nun geht es jedoch um die Frage, wie es weitergehen soll. In diesem Beitrag wird die Position vertreten, dass es insbesondere darum geht, das Profil des Strategie Professionals zu schärfen und ihm mehr Verbindlichkeit zu geben. Im Zentrum steht die Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was ist zu tun, um den Beruf des Strategen zu einer wirklichen Profession weiterzuentwickeln? Auf Basis der von Khurana (2007) vorgeschlagenen vier Elemente, die eine Profession manifestieren, müssen vier Teilaufgabenfelder auf dem Weg zu einem Strategie Professional angegangen werden.9 Diese werden nachfolgend beleuchtet.
3.1 Aufbau eines allgemein akzeptierten Wissensfundus Im Kern einer Profession steht immer der Common Body of Knowledge (Wissens fundus): Dieser umfasst den aus heutiger Sicht einigermaßen gesicherten und akzeptierten gemeinsamen Wissensstand, auf den die Aus- und Weiterbildung in dieser Profession aufbauen kann. Die zentrale Frage, die sich daraus ableitet, ist: (1) Wem muss (2) was (3) wann gelehrt werden? (1) Wem? Um nützliches Wissen zu generieren und zu vermitteln, sollten die Inhalte einer Ausbildung möglichst nahe an den Rollen der handelnden Strategie Professionals ausgerichtet sein. Grundsätzlich lassen sich vier Zielgruppen unterscheiden (vgl. ähnlich hierzu Johnson et al. 2008, Kap. 15): Zur ersten Gruppe gehören die obersten Führungsebenen eines Unternehmens. Zu diesen gehören der Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat (vgl. Müller-Stewens u. Schimmer 2008) sowie der CEO (vgl. Oliver 2001) und seine Vorstandskollegen in ihrer Strategieverantwortung (vgl. Chen et al. 2008). Zweitens sind mit strategischen Themen befasste Mitarbeiter in Stäben zu nennen. Dazu zählen vor allem die Stäbe, die sich mit der Konzernentwicklung, M&A, Strategic Foresight (strategische Vorausschau) und der strategischen Planung beschäftigen sowie die immer häufiger anzutreffende Funktion des CSO (Chief Strategy Officer), die in manchen Fällen auch der ersten Gruppe bereits zuzurechnen ist (vgl. Angwin et al. 2009, Breene et al. 2008, Delmar 2003, Dye 2008, Zorn 2004; Beitrag Menz u. Collischonn in diesem Buch). Die dritte und zahlenmäßig wohl größte Gruppe umfasst das mittlere Management (vgl. Wooldridge et al. 2008). Sie verantworten ihren Bereich, z.B. in der Funktion als Leiter von Geschäftseinheiten, und besitzen eine mehr oder weniger hohe Autonomie bei der Erstellung und Umsetzung ihrer Strategien. In großen Unternehmen agieren solche Manager oft auch auf mehreren Ebenen (Division, Geschäftseinheit, Bereich, Land etc.). Viertens ist die Gruppe der Strategieberater zu nennen, die ihre Expertise zu strategischen Themen ihren Klienten zur Verfügung stellt. 9
Vgl. auch Maister (1997) zum Professionalismus in Professional Service Firms.
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(2) Was? Hier stellt sich die Frage, welche Wissenskategorien für die Aus- und Weiterbildung wichtig sind, und welches Wissen es in den jeweiligen Kategorien gibt, welches davon sich als nützlich herausgestellt hat und welches davon jeweils vermittelt werden sollte.
(a) Themen & Konzepte Unter dieser Kategorie sind die verschiedenen inhaltlichen Teilaspekte des Strategischen Managements zu verstehen, wie z.B. Corporate Strategy, M&A oder Innovationen. Zur Bearbeitung dieser Themen stehen verschiedene unterstützende Hilfsmittel bereit: (aa) das Themengebiet strukturierende, ordnende und integrierende Bezugsrahmen, (ab) erprobte Methoden/Instrumente zur Analyse oder (ac) Theorien und empirische Erkenntnisse zu Kausalzusammenhängen. Manager müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls dazu angeregt werden, ihre impliziten Theorien an den Erkenntnissen alternativer, wissenschaftlich entwickelter Theorien zu überprüfen.
(b) Fertigkeiten & Methodiken Grundsätzlich wird kritisiert, dass eine Strategieausbildung i.A. zu sehr auf Analysetechniken ausgerichtet ist, und weniger auch das „Handwerk“ der Strategiearbeit im Fokus hat. So beklagte Mintzberg vor fast zwei Dekaden bereits (1991, S. 91): „Sogar mein eigener Bereich, die Strategie, setzt mehr auf die ,Zahlenverarbeiter‘, die mehr an ,Konkurrenzanalyse‘ als an den Feinheiten der kunsthandwerklichen Strategieentwicklung interessiert sind“. Stattdessen sollte mehr Wissen darüber, wie das Arbeiten an und mit Strategien wirklich stattfindet, geschult werden. Dazu gehört das Vermitteln deskriptiver Einsichten, die die Auszubildenden über die Welt, in der sie tätig sind, informiert. Es sollten reichhaltige Beschreibungen von Praktiken geliefert werden, die alternative Perspektiven der Welt aufzeigen. Passen sie zur Welt des Zuhörers, dann weiß dieser i.A., was damit zu tun ist. Vielversprechend ist diesbezüglich die gegenwärtige Auseinandersetzung eines Teils der Strategieforschung mit den Praktiken des Strategizing (vgl. z.B. Whittington u. Cailluet 2008). Diese Forschungsbemühungen zielen z.B. darauf ab, die Spezifika der einzelnen Tätigkeitsfelder von Strategiefachleuten besser zu verstehen. Es geht dabei nicht mehr nur um die Techniken und Konzepte des Strategischen Managements, die zum Einsatz gelangen, sondern auch um die Methodik des Strategizing (Sammeln relevanter Informationen, Durchführung von Workshops, strategische Planungsprozesse, etc.) sowie die erforderlichen persönlichen Fähigkeiten (Durchführen von Verhandlungen oder der Umgang mit Interessenkonflikten, Erbringen von Überzeugungskraft etc.).
(c) Gesellschaftliche Verankerung Den Themen Moral und wertbasierte Führung sollte mehr Gewicht als bislang i.A. üblich gegeben werden. Es sollte intensiv auf den Zusammenhang von Strategie und Verantwortung eingegangen werden. Ethikkurse dürfen nicht im luftleeren Raum stehen, sondern sollten möglichst direkt an den konkreten Entscheidungsproblemen von Führungskräften ansetzen.
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(d) Persönlichkeitsentwicklung Ziel muss es auch sein, die Entwicklung der Auszubildenden zu einer eigenständigen Persönlichkeit im Denken und Handeln zu fördern. Dazu gehört die Unterstützung in der Fähigkeit zum kritischen Denken – was z.B. moralisch haltbare Entscheidungen ausmacht – ebenso wie die Entwicklung einer gesunden Skepsis gegenüber scheinbar anormalen Entwicklungen. Ferner geht es bei dieser Kategorie um die Stärkung des Rückgrats, das es den Akteuren erlaubt, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Schließlich gilt: Denn nur weil alle etwas tun, muss es noch lange nicht richtig oder legitim sein.
(3) Wann? Die zu lehrenden Inhalte müssen entlang zu definierender Entwicklungsstufen gegliedert werden. Diese Entwicklungsstufen könnten den Karrierepfad eines Strategie Professionals abbilden. Er beginnt z.B. beim Junior Strategen, der mit den Grundlagen des Strategischen Managements vertraut zu sein hat, und führt bis zur Stufe des schon sehr erfahrenen Senior Strategen. Natürlich können die einzelnen Wissensbausteine nicht einfach aus ihrem soziokulturellen Umfeld herauslöst werden, in dem sie entstanden sind bzw. entwickelt wurden. Es muss sorgfältig reflektiert werden, was eine Anwendung in veränderten Kontexten bedeutet und zur Folge haben würde.
3.2 Entwicklung eines Zertifizierungssystems Ein weiteres Element im Rahmen der Professionalisierung des Strategieberufs ist das Angebot einer Zertifizierung. Ihr Zweck wäre es, dass der angehende Strategiefachmann zunächst beweisen müsste, dass er den seiner Ausbildungsstufe zugeordneten Wissensfundus beherrscht, bevor ihm erlaubt wird, seinen Beruf auf dieser Stufe auszuüben (license to operate).10 Dazu könnte eine Institution, analog z.B. zur Standesorganisation der Wirtschaftsprüfer, gegründet werden. Angesichts der Internationalität der heutigen Wirtschaft sollte dies idealerweise eine internationale Organisation sein (von der Rechtform her z.B. ein Verein nach Schweizer Recht), deren Mitglieder affiliierte Landesgesellschaften sind. Diese Zertifizierungsinstitution würde in ihrer Funktion als berufsständische Vereinigung zusammen mit den wichtigsten Interessengruppen dieses Berufsstands (Business Schools, Strategieberatungen etc.) die Standards, die auf verschiedenen Entwicklungsstufen der Professionalisierung zu erfüllen sind, definieren. Auch würde sie eine Prüfung entwickeln, über die diese Standards bei den Professionals abgeprüft werden. Des Weiteren vergibt sie an ausgewählte lokale Institutionen (z.B. Business Schools) das Recht zur Durchführung dieser Prüfungen bzw. zur Zertifizierung der Professionals.
10
Neben den Professionals könnten natürlich auch die Dozenten und Ausbildungsinstitutionen der Professionals bis hin zu zum Einsatz kommenden typischen Instrumenten (z.B. eine bestimmte Software) zertifiziert werden.
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Damit sich die Professionals auf die Prüfungen vorbereiten könnten, müsste durch dafür qualifizierte Ausbildungsinstitutionen ein entsprechendes Kursangebot für die einzelnen Entwicklungsstufen entwickelt und bereitgestellt werden. Soll eine Zertifizierung nur von begrenzter Dauer sein, so müssten in regelmäßigen Abständen auch Re-Zertifizierungen durchgeführt werden. Dazu müssten Auffrischungskurse zu neueren Entwicklungen im Strategischen Management regelmäßig angeboten werden.
3.3 Verpflichtung, dem Gemeinwohl zu dienen Um als wirkliche Profession wahrgenommen zu werden, wäre als drittes Element ein klares Commitment jenseits der Verantwortung zum Eigentümer vonnöten, d.h. auch ein ziviles und persönliches Commitment zu den eigenen Pflichten als Treuhänder gesellschaftlicher Interessen (vgl. Khurana u. Nohria 2008). Der immer lauter werdende Ruf nach einer umfassenderen Übernahme auch von sozialer Verantwortung manifestiert sich im Prinzip der Nachhaltigkeit, in dessen Duktus dann auch eine Ausbildung stattfinden sollte: (1) Konsumiere den Ertrag und nicht das Kapital (ökonomisches, soziales und natürliches Kapital); (2) Integriere kurzund langfristige Aspekte; (3) Schaffe mehrdimensional Wert (ökonomisch, sozial und ökologisch); (4) Vermeide bzw. minimiere die Risiken und nutze die Chancen aus den emergierenden gesellschaftlichen Themen (Social Issues). Der heute bei vielen Unternehmen schon relativ weit verbreitete Ansatz der Corporate Social Responsibility greift dieses Prinzip der Nachhaltigkeit auf (vgl. Müller-Stewens u. Brauer 2009, Kap. 3).
3.4 Richtlinien für ethisches Verhalten Ein richtiger Berufsstand folgt einem gemeinsamen Verständnis zu einer korrekten Ausübung des Berufs. Vor diesem Hintergrund wären dem Beruf des Strategie Professionals als viertes Element z.B. Verhaltensregeln dieser Art zuzuordnen, die auch einklagbar und durchsetzbar sind: So sollte die Arbeit z.B. unparteiisch und unabhängig sein; es sollte mit ihr kein Schaden angerichtet werden, sie sollte dem Gemeinwohl dienen etc. Teilweise sind derartige Verhaltensregeln bei manchen Unternehmen bereits in Firmenwerten oder Führungsgrundsätzen verankert. Dort werden sie aber nicht berufsständisch verstanden, sondern als verbindliche Richtlinien für alle Mitarbeiter des Unternehmens. Sollte ein Absolvent gegen derartige standesrechtliche Verhaltensregeln verstoßen, sollte – wie bei den Ärzten und Anwälten – auch die Möglichkeit bestehen, ihm den verliehenen Titel wieder abzuerkennen.
4 Schlussbetrachtung Offensichtlich erleben wir derzeit Tendenzen zu einer stärker regulierten Welt. Auch das in diesem Beitrag geführte Plädoyer, den Beruf des Managers und
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des Strategen zu einem wirklichen Berufsstand zu entwickeln, würde ein Mehr an Regulierung bedeuten. Denn eine Professionalisierung bedeutet immer auch Standardisierung. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Professionalisierung ihren Preis hätte. Es würden Freiheitsgrade eingeschränkt werden. Das wiederum könnte eine Reduktion von Innovation und eine Erhöhung von Bürokratie zur Folge haben. Wird dieser Preis dem in einer Wirtschaftskrise erzeugten Schaden gegenüber gestellt, so dürfte er sich rechtfertigen. Eine Professionalisierung würde einen normativen Rahmen und Standard mit sich bringen, der nach Etablierung auch international anerkannt werden würde und als Gütesiegel dienen könnte. Doch niemand weiß, ob eine stärker regulierte Profession des Managers in der Vergangenheit tatsächlich zu besseren Ergebnissen geführt hätte. Diese Verbesserung ist jedoch die Annahme für diesen Beitrag. Allerdings heißt das ebenfalls, dass ein wachsames Auge für den Nutzen solcher beruflichen Standards benötigt wird. Zu berücksichtigen sind zudem auch geschäftliche Eigeninteressen, die die meisten Zertifizierungsinstitutionen verfolgen. Trotz dieser offensichtlichen Gefahren scheint jedoch der Beruf des Managers einen dringenden Professionalisierungsbedarf zu haben, um das notwendige Vertrauen der Gesellschaft wiederzugewinnen.
5 Literaturverzeichnis Angwin D, Paroutis S, Mitson S (2009) Connecting up Strategy: Are Senior Strategy Directors a Missing Link? California Management Review 3: 74-94 Bennis W, O‘Toole J (2005) How Business Schools Lost Their Way. Harvard Business Review 5: 96-104 Bowen H (1953) Social Responsibilities of the Businessman, Harper & Row, New York Breene RTS, Nunes PF, Schill WE (2008) The Chief Strategy Officer. Harvard Business Review 10: 84-93 Chen A, Osofsky J, Stephenson E (2008) Making the Board More Strategic: A McKinsey Global Survey. McKinsey Quarterly 2: 1-10 Delmar DR (2003) The Rise of the CSO. The Journal of Business Strategy 2: 8-10 Drolshammer J (ed.) (2009) A Timely to the Lawyer? Globalisierung und die Anglo-Amerikanisierung von Recht und Rechtsberufen. Dike Verlag, Zürich, St. Gallen Dye R (2008) ): How Chief Strategy Officers Think About their Role: A Roundtable. McKinsey Quarterly 5: 1-8 Eberstadt N (1973) What History Tells us about Corporate Responsibility. Business and Society Review 7: 76-81 Harrison R (2008) Gardens. An Essay on the Human Condition, Carl Hanser, München Johnson G, Scholes K, Whittington R (2008) Exploring Corporate Strategy, 8th edn. Prentice Hall, Harlow et al.
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Leadership Development – Nur etwas für gute Zeiten? Eine Betrachtung aus strategischer Perspektive Eva Bilhuber Galli
In Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs, die durch Personalabbau und Kosten einsparungen gekennzeichnet sind, fällt nicht selten auch die unternehmensinterne Managemententwicklung (Leadership Development) dem Rotstift zum Opfer. Und das, obwohl diese unter dem Stichwort Talent Development in den letzten Jahren zur Toppriorität auf der strategischen Agenda von Unternehmensleitungen aufgestiegen ist. Wie ist das zu erklären? Ist Leadership Development nur etwas für gute Zeiten? – Nein. Allerdings nur dann nicht, wenn die vorherrschende, einseitige Human Capital-Orientierung mit einer Social Capital-Ausrichtung ergänzt wird. Strategische Veränderungen haben zur Folge, dass über lange Zeit eingespielte Zusammenarbeitsbeziehungen zwischen Abteilungen und Mitarbeitern zerrissen und neue wieder aufgebaut werden müssen. Gute, vertrauensvolle Beziehungen zwischen Einheiten im Unternehmen sind aber gerade in Zeiten des Wandels notwendig, sollen die intendierten Geschäfts- und Effizienzpotenziale von strategischen Entscheidungen auch tatsächlich realisiert werden. Eine Leadership DevelopmentPraxis, die sich nicht nur auf die Entwicklung von Human Capital beschränkt sondern ebenfalls einen Beitrag zu den sozialen Beziehungen im Unternehmen – dem Social Capital – zu leisten weiß, kann folglich auch in Krisenzeiten als strategisch wichtiges Führungsinstrument für die Unternehmensleitung fungieren.
S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2 Leadership Development in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2.1 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2.2 Unternehmensfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2.3 Gängige Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2.4 Wirksamkeitsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3 Strategische Anforderungen an Leadership Development . . . . . . . . . . . . 220 3.1 Strategische Herausforderungen der Unternehmensleitung . . . . . . . . . . 220 3.2 Prozess der Strategierealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3.3 Rolle von Social Capital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4 Vom Human Capital zum Social Capital-orientierten Ansatz . . . . . . . . . 222 4.1 Zusammenhang zwischen Human Capital und Social Capital . . . . . . . . 222 4.2 Entwicklung von Human Capital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4.3 Entwicklung von Social Capital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 5 Social Capital-orientierter Leadership Development-Ansatz . . . . . . . . . 226 5.1 Social Capital-Ausrichtung von Leadership Development . . . . . . . . . . . 226 5.2 Mentoring und Networks/Offsites . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5.3 Leadership Training und 360 Grad-Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5.4 Job Assignment und Action Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 5.5 Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5.6 Maßnahmenmix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6 Schlussgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 7 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Leadership Development – Nur etwas für gute Zeiten?
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1 Einleitung Im Angesicht der Finanz- und Wirtschaftskrise wird mit Kritik an Managern und ihren mangelnden Qualitäten nicht gespart. Sie werden in der Öffentlichkeit als kurzsichtig, gierig, egoistisch, inkompetent, verantwortungslos und ohne Moral bis hin zu kriminell gescholten. Ihnen fehle Verantwortungsbewusstsein, die nötige Selbstreflexion, die richtige Einstellung und die richtigen Ziele. Da erscheint es nur logisch, dass sich diese Kritik auch gegenüber jenen Bildungsinstitutionen fortsetzt, die Ausbildungen für Managern anbieten. Sie müssen kritisch hinterfragen, ob und inwiefern ihre Ausbildungen zu dieser Situation mit beigetragen haben. Zwar ist die Kritik an der Managerausbildung spätestens seit Mintzbergs Feldzug unter dem Schlachtruf Managers, not MBAs (Mintzberg 2004) nicht neu. Neu zu sein scheint hingegen, dass die Business Schools1 ihre Angebote mittlerweile aus eigener Initiative heraus kritisch hinterfragen und überprüfen, was bereits zu ersten Curriculum-Anpassungen geführt hat (Haerder 2009). Während die Business Schools sich also in Selbstkritik üben, scheint hingegen eine solche Auseinandersetzung in der unternehmensinternen Managemententwicklung bisher noch auszubleiben. Vor nicht allzu langer Zeit avancierten die vorwiegend auf Leadership Develop ment fokussierten, unternehmensinternen Managemententwicklungsbemühungen unter dem Stichwort Talent Development zum strategischen Erfolgsfaktor auf die Agenda vieler Unternehmensleitungen. Dies schlug sich auch in einer jährlichen Investition von ca. 1,5 Mrd. Euro der Unternehmen in Leadership Development allein in Europa nieder (PriceWaterhouseCoopers 2006). Auch bei Personalern wurde Leadership Development als begehrte Eintrittskarte für einen ebenbürtigen Platz am Tisch der Geschäftsleitung euphorisch gefeiert. In jüngster Zeit lässt sich allerdings eine schleichende Verbannung des Themas beobachten. Es scheint, als wäre Leadership Development innerhalb kürzester Zeit von der vermeintlich strategischen Toppriorität zum schweigenden Zuschauer in Krisenzeiten degradiert worden, bei dem nicht selten der Rotstift sogar zuerst angesetzt wird. Sollte aber nicht gerade in Zeiten strategischen Wandels Leadership Development derjenige Bereich sein, der die Realisierung der tiefgreifenden strategischen Veränderungen effektiv im Unternehmen mit bewegen und unterstützen kann? Oder ist Leadership Development tatsächlich nur etwas für gute Zeiten? Um diese Frage beantworten zu können, muss sich die Leadership Development-Praxis allerdings kritisch mit sich selbst auseinandersetzen. Diese Selbstreflexion scheint jedoch nicht stattzufinden. Die bisherigen Ansätze und Konzepte werden wie eh und je weiter und sogar noch eindringlicher angepriesen (vgl. Harvard Business Manager 2009). Zumindest lassen sich – anders als bei der externen Managementausbildung – kaum selbstkritische Töne vernehmen, die den Beitrag der unternehmensinternen Leadership Development-Praxis zur heutigen Managerqualität hinterfragen und Konsequenzen ableiten. Genau in dieser selbstkritischen Auseinandersetzung liegt 1
Der angelsächsische Begriff Business School wird in diesem Beitrag als Synonym für die betriebswirtschaftliche Fakultät einer Universität verwendet.
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aber die Chance, herauszufinden, was Leadership Development zu einem strategisch wertvollen Führungsinstrument einer Unternehmensleitung in Krisenzeiten macht. Gleichzeitig würde damit auch die Glaubwürdigkeit dieser Profession untermauert. Denn ein Bereich, der den Anspruch erhebt, Veränderungen, Selbstreflexion und die selbstkritische Auseinandersetzung bei Managern im Unternehmen fördern zu können, muss im Sinne einer Vorbildfunktion selbst in einem hohen Maß Eigenreflexion und Veränderungsfähigkeit an den Tag legen. In diesem Sinne hat dieser Beitrag zum Ziel, die selbstkritische Auseinandersetzung der unternehmensinternen Leadership Development-Praxis im Angesicht der strategischen Herausforderungen speziell in Zeiten des Wandels anzuregen.
2 Leadership Development in Unternehmen 2.1 Grundlegende Begriffe Unabhängig von Branche oder Größe eines Unternehmens wird dem LeadershipAspekt heute generell strategische Bedeutung für den Unternehmenserfolg zuerkannt (Daily, McDougall et al. 2002). Der Begriff Leadership wird in der Literatur auf unzählige Weisen definiert. Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass sie Leadership als eine Aktivität und als einen Einfluss auf Andere beschreiben (Yukl 1989; Yukl 1994; Bruch 2003). Somit kann Leadership grundsätzlich in verschiedenen sozialen Bezügen betrachtet werden, sei es in der Politik, bei gesellschaftlichen Bewegungen, der Familie und eben auch in Unternehmen. Im letzteren Fall wird deshalb genau genommen auch von Managerial Leadership gesprochen (Yukl 1989; 1994). Dies deutet auf einen engen Zusammenhang mit dem Begriff Management hin. In der Tat werden Leadership und Management als unterschiedliche, aber wechselseitig zusammenhängende Konzepte diskutiert (Yukl u. Lepsinger 2005). Deshalb wird der Begriff Leadership in den meisten Unternehmen auch nur mit formal autorisierten Managern assoziiert (Yukl 1994). Leadership Development fokussiert sich folglich in der heutigen Praxis in der Regel auf Akteure in Managementpositionen und thematisiert insbesondere die Mitarbeiterführung (Downward Leadership) als Hauptanliegen. In diesem Sinne wird Leadership als individuelle Eigenschaft, Qualität oder Kompetenz von Managern verstanden. Die Unternehmensrealität zeigt jedoch, dass Manager und Leader – selbst wenn wünschenswert – nicht zwingend immer in Personalunion vorkommen (Yukl 1994): Einerseits gibt es Manager, die nicht führen, und andererseits gibt es Leader, die nicht mit einer formal autorisierten Managerposition ausgestattet sind. Diese sog. informellen Leader tragen aber oftmals entscheidend zur Realisierung von strategischen Veränderungsprozessen bei (Kipnis, Schmidt et al. 1980). Gerade der Trend zum Lean Management in Krisenzeiten, der für die Auflösung von Strukturen und flachere Hierarchien sorgt, muss mit einem Mehr an Autonomie und Leadership jenseits formaler Managementpositionen kompensiert und aufgefangen werden. Bei zunehmender Flexibilisierung von Strukturen nehmen funktions- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit an Bedeutung zu und erfordern ein Verständnis
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von Leadership als positionsunabhängiges Konzept. Leadership wird folglich in alle Richtungen wirksam und zeigt sich nicht ausschließlich in der Einflussnahme gegenüber Mitarbeitern (Downward Leadership), sondern auch gegenüber Vorgesetzten oder dem Management (Upward Leadership), gegenüber Peers (Lateral Leadership) und gegenüber sich selbst (Self Leadership). Damit rückt Leadership von seiner Definition als Managereigenschaft oder -kompetenz stärker in die Nähe eines Indikators für einen sozialen Prozess und kann verstanden werden als „… ziel- und ergebnisorientierte, aktivierende und wechselseitige, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation“ (Wunderer 2007, S. 4). Auf der Grundlage dieses weitgefassten Leadership-Begriffes umfasst Leader ship Development folglich mehr als nur die Entwicklung der individuellen Fähigkeiten eines Managers. Vielmehr geht es darum, die Leadership-Kapazität in der gesamten Organisation zu fördern, so dass sich die Akteure in LeadershipRollen und -Prozessen aktiv engagieren und auf diese Weise die kollektive Lernund Problemlösefähigkeit entwickeln (Day 2000)2. Auf Basis dieser Definition lässt sich Leadership Development auch von Management Development unterscheiden. Während es bei Management Development um positions- und aufgabenspezifische Fähigkeiten zur kompetenten Ausführung der Managementprozesse Planung, Organisation, Kontrolle etc. geht, fokussiert Leadership Development auf die Kapazität, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und individuelle sowie kollektive Anpassungs- und Lernfähigkeit zu fördern (Burgoyne u. Reynolds 1997; Day 2000). Dementsprechend handelt es sich bei Leadership Development auch meist um eine organisationsspezifische Unternehmensaktivität, während unter Management Development eine Bildungsaktivität verstanden wird, die in der Regel kontextunabhängig außerhalb des Unternehmens von entsprechenden Business Schools angeboten wird (Burgoyne et al. 1997). Wird Leadership Development als unternehmensinternes Engagement in einen sozialen Prozess verstanden, welcher sinnvolle und konstruktive Formen der Zusammenarbeit im Unternehmen fördert, darf dieses Engagement bei formalen Leadern nicht enden, sondern muss konsequenterweise informelle Leader gleichermaßen einbeziehen.
2.2 Unternehmensfunktion Aus Sicht eines Unternehmens wird der Grund für eine Investition in Leadership Development in erster Linie im Erhalt und der Entwicklung seines Human Capital (Humankapitals) gesehen. Dabei werden unter Human Capital die individuellen Kompetenzen, Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter und Manager verstanden, welche für die entsprechenden Aufgaben im Unternehmen relevant sind. Darüber hinaus beinhaltet Human Capital auch die Kapazität, dieses Reservoir an 2
Day versteht unter Leadership Development „… expanding the collective capacity of organiza tional members to engage effectively in leadership roles and processes … building the capacity for groups of people to learn their way out of problems that could not have been predicted“ (Day 2000, S. 582).
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Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen in einem Unternehmen durch individuelles Lernen anzureichern (Dess u. Lumpkin 2001). Aus Unternehmensperspektive wird Leadership Development damit in der Regel als HR-Aktivität aufgefasst, welche im Zusammenspiel mit allen anderen HR-Aktivitäten als Quelle für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil fungieren soll. Wie alle Personalentwicklungsaktivitäten werden somit auch die Leadership Development-Aktivitäten meist der HR-Funktion zugeordnet. Sie beinhalten neben der Managementnachfolgeplanung, den organisationalen Prozessen der Analyse, Planung und Review der Managerentwicklung vor allem auch das Design und den Einsatz der Entwicklungsmaßnahmen und Methoden (Mabey 2002).
2.3 Gängige Praktiken In der heutigen Leadership Development-Praxis lässt sich eine große Bandbreite an Leadership Development-Praktiken ausmachen. Dabei stellen das 360 GradFeedback, Coaching, Mentoring, Job Assignments, Leadership Trainings, Action Learning und Networks/Offsites die wahrscheinlich gängigsten Praktiken dar, die in Tabelle 1 kurz beschrieben werden. Tabelle 1: Übersicht gängige Leadership Development-Praktiken (Quelle: In Anlehnung an Day 2000) Maßnahme
Kurzbeschreibung
Individuelle Maßnahmen 360 Grad-Feedback
Performance und Verhaltens-Feedback von multiplen Feedbackgebern (Mitarbeiter, Vorgesetzte, Peers und manchmal Kunden)
Coaching
Handlungs- und zielorientierte Form des „one to one“-Learnings
Mentoring
Beratung und Entwicklungstipps durch einen Peer oder erfahreneren Manager eines anderen Bereichs bzw. extern der Organisation
Job-Assignment
Wechsel in eine andere Position, die in der Regel eine Weiterentwicklung zum Ziel hat (Rolle, Funktion oder geographische Expansion)
Kollektive Maßnahmen Leadership Trainings
„off the job“-Maßnahme im Seminarstil, bei der Führungskräfte der gleichen Stufe zusammenkommen und zu bestimmten Themen Inputs erhalten und diese reflektieren und praktizieren
Action Learning
Projektbasiertes Gruppenlernen anhand von realen Geschäftsproblemen, in der Regel Erarbeitung innovativer, zukunftsgerichteter neuer Geschäftsfelder
Networks/Offsites
Zusammenführen von Experten und/oder Managern aus einem oder unterschiedlichen Bereichen, um gemeinsam geschäftlich relevante Themen zu bearbeiten.
Entsprechend der Einbettung von Leadership Development in die HR-Funktion wurden diese Maßnahmen in der Regel mit dem Fokus entwickelt, zum Human Capital, d.h. zu den individuellen Kompetenzen der Manager und Führungskräfte, beizutragen. In der Tat ist belegt, dass diese Maßnahmen vor allem die individuellen
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Fähigkeiten bei Managern fördern, wie z.B. Self Awareness, Selbstregulation oder Selbstmotivation sowie soziale und kommunikative Kompetenzen. Da dieser Human Capital-orientierte Ansatz in der Leadership Development-Praxis nach wie vor vorherrschend anzutreffen ist, müsste das Meiste, was heute unter dem Titel Leadership Development praktiziert wird, de facto eigentlich mit Leader Development bezeichnet werden (Day 2000). Leadership Development nach dem o.g. Verständnis setzt hingegen die Förderung eines kollektiven, sozialen LeadershipProzesses voraus und geht über die Förderung der individuellen Kompetenzen hinaus.
2.4 Wirksamkeitsbetrachtung Trotz des Anspruchs vieler Leadership Development-Programme, strategieorientiert ausgerichtet zu sein und einen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten, bleiben sie den Nachweis in der Regel schuldig (PriceWaterhouseCoopers 2006). Somit basieren die massiven Investitionen vieler großer Firmen in Leadership Development-Programme eher auf einer Art „Glaubensbekenntnis“ als auf nachweisbaren Wirksamkeitsindikatoren (Mabey 2002). Die Schlussfolgerung, dass aufgrund der fehlenden Nachweisbarkeit folglich auch keine Wirkung existiert, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Denn der fehlende Wirksamkeitsnachweis liegt zum großen Teil in methodischen wie konzeptionellen Problemen begründet, die der Human Resources Management (HRM)-Forschung ganz allgemein zu eigen sind (Allen u. Wright 2007). So existieren bisher ganz generell noch keine gesicherten und einheitlichen empirischen Ergebnisse darüber, ob HR-Aktivitäten Erfolgsunterschiede von Unternehmen erklären können oder nicht (Wright, Gardner et al. 2001; Wright, Gardner et al. 2005). Der Zusammenhang zwischen HR-Aktivitäten und Unternehmensperformance scheint offensichtlich nicht direkter Natur zu sein, sondern wird von vielen weiteren Faktoren beeinflusst. Folglich konzentriert sich die HRM-Forschung nun darauf, den Wirkungsprozess im Detail zu verstehen. Analog zu den Problemen der HRM-Forschung weist auch die Leadership Development-Forschung keine einheitlichen Ergebnisse in Bezug auf die organi sationale Wirksamkeit auf (Burke u. Day 1986; Collins u. Holton 2004). Bisher wurden vorwiegend einzelne Programmteile untersucht, oft allerdings beschränkt auf die individuelle Wirksamkeit (Winterton u. Winterton 1997; McCauley u. Van Velsor 2004; Mabey u. Ramirez 2005). Nur wenige Ansätze haben sich mit der für die strategische Perspektive notwendigen Sicht der organisationalen Wirksamkeit befasst. Diese Studien beobachten, dass Leadership Development dann eine organisationale Wirkung entfaltet, wenn es von den teilnehmenden Managern als Prozess erfahren wird, der mit der Strategierealisierung im Unternehmen eng verbunden ist, und dabei zusätzlich als wichtig und verankert in der Strategie erlebt wird (Mabey et al. 2005; Winterton et al. 1997).
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3 Strategische Anforderungen an Leadership Development Aus strategischer Perspektive wird an Leadership Development in Unternehmen oft der Anspruch formuliert, die Strategieumsetzung auf allen Führungsebenen zu fördern. Ob und vor allem wie die Leadership Development-Praxis über den individuellen Kompetenzerwerb und Karriereerfolg hinaus tatsächlich die Strategieumsetzung in Unternehmen wirksam fördern kann, bleibt aufgrund der unbefriedigenden empirischen Datenlage (vgl. Kap. 2.4) nach wie vor ungewiss. Angesichts der hohen Investitionen vieler Unternehmen in Leadership Development wird die Forderung nach einem kritischen Review der Effektivität eines solchen Engagements aus strategischer Perspektive folglich nachvollziehbar – insbesondere in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs, die mit massivem Kostendruck und Sparmaßnahmen einhergehen. Leadership Development als strategisches Führungsinstrument muss folglich die relevanten Akteure und Einflussfaktoren bei der Realisierung einer Strategie im Unternehmen adressieren.
3.1 Strategische Herausforderungen der Unternehmensleitung Eine brillante Strategie allein ist heute für ein Unternehmen kein Erfolgsgarant mehr. Vielmehr ist die Realisierung und Übersetzung der Strategie in unternehmerische Aktivitäten entscheidend für den Erfolg (Gupta u. Govindarajan 1984; Bowman u. Helfat 2001). Dies ist insbesondere in großen Unternehmen nicht einfach, da diese heute meist mehrere Geschäfte unter einem Dach beherbergen und ihre Wertschöpfung folglich nicht nur aus einem Geschäftsfeld, sondern auch aus den Synergien zwischen den Geschäftsfeldern erzielen (Müller-Stewens u. Brauer 2009). Kann ein Unternehmen nicht nachweisen, dass das Wertschöpfungspotenzial in der Summe der Geschäftsfelder grösser ist als wenn jedes einzelne alleine auf dem Markt agieren würde, riskiert es unter dem Druck des Kapitalmarktes ein Geschäftsfeld abstoßen zu müssen. Gerade in Krisenzeiten mutiert die Generierung von Synergien zwischen verschiedenen Einheiten zum wichtigsten strategischen Grundkonzept – sei es im Sinne von Wachstums- oder Effizienzsynergien. Somit werden auch die meisten strategischen Entscheidungen mit Synergiepotenzialen begründet, wie z.B. Umstrukturierungen, Integrationen, Akquisitionen, Down sizing, Outsourcing etc. Allerdings können nach wie vor in den wenigsten Fällen die angestrebten Wachstums- oder Effizienzziele tatsächlich auch realisiert werden (Weiss u. Udris 2001; Larsson, Brousseau et al. 2004). Die Generierung von Synergien im Unternehmen scheint folglich nicht trivial zu sein. Kooperation und Zusammenarbeit über Funktions- und Hierarchiegrenzen hinaus sind nötig, damit Effizienz- und Geschäftspotenziale realisiert werden. Anstelle von Kooperation kann allerdings schnell Konkurrenz oder Feind seligkeit zwischen Mitarbeitern und einzelnen Abteilungen entstehen, wenn ein gemeinsames Verständnis der strategischen Ausrichtung, gemeinsame Werte und ein vertrauensvolles Betriebsklima fehlen (Goold u. Campbell 1998; Burgelman u. Doz 2001; Burgelman u. McKinney 2005). In Krisenzeiten, in denen Firmen durch Entlassungen ihren Personalbestand abbauen und umstrukturieren müssen,
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verschärft sich diese Gefahr noch in besonderer Form, wie Studien über die Dynamik unter den Überlebenden (Survivors) in Unternehmen eindrucksvoll darlegen (Weiss et al. 2001). Folglich scheint es ganz entscheidend von der Qualität der Beziehungen zwischen den Unternehmensbereichen – dem sog. Social Capital – abzuhängen, ob die angestrebten strategischen Synergieziele auch tatsächlich realisiert werden. Eine funktionierende Kooperations- und Vertrauenskultur innerhalb eines Unternehmens mutiert deshalb gerade in Krisenzeiten zum strategischen Erfolgsfaktor und kann zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.
3.2 Prozess der Strategierealisierung3 Bei der Strategierealisierung ist die Rolle der Unternehmensleitung eher begrenzt und kann eine Kooperation zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen nur auf indirekte Weise unterstützen. Dies liegt erstens darin begründet, dass eine direkte Einflussnahme durch die Installierung von direkten Verbindungen zwischen den Geschäftsfeldern die Koordinations- und Kontrollkosten zentraler Bereiche in die Höhe schießen lassen würde. Zweitens werden Synergiepotenziale in Großunternehmen eher „in der Mitte“ eines Unternehmens aufgespürt und realisiert, und weniger von der Unternehmensleitung (Martin et al. 2001; 2003). Das mittlere Management ist in der Lage, die Brücke zwischen operationellen Herausforderungen und strategischer Ausrichtung zu schlagen. Folglich erweist sich das mittlere Management als wichtigster Akteur, wenn es um Strategierealisierung in Unternehmen geht (Wooldridge, Schmid et al. 2008). Wie Studien zeigen, ermöglicht ein frühes Involvement (Einbindung) dieser Akteure ein gemeinsames Verständnis sowie ein gemeinsames Commitment zur Strategie (Wooldridge u. Floyd 1990). Dies fördert nicht nur die Qualität der Strategierealisierung, sondern auch deren Ausformulierung, denn meistens ist es das mittlere Management, welches durch seine Marktnähe am schnellsten strategische Probleme oder Markttrends aufspüren kann.
3.3 Rolle von Social Capital Soll im Sinne der Strategie in einem Unternehmen erfolgreich kooperiert und Synergien realisiert werden, sind vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Akteuren und Abteilungen – sog. Social Capital – nötig. Erst über soziale Beziehungen werden unternehmerische Handlungen und Wertgeneration überhaupt ermöglicht. Dies betrifft nicht nur die Wertgeneration mit Kunden oder Lieferanten, sondern auch Beziehungen innerhalb eines Unternehmens. Entscheidend ist dabei 3
Strategierealisierung wird anstelle der Begriffe Strategieumsetzung, -implementierung oder Strategy Execution verwendet. Mit diesem Begriff soll der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass die Realisierung einer Strategie ein aktives Unterfangen der Akteure im Unternehmen bedeutet, welches ein hohes Maß an unternehmerischem Denken und Entrepreneurial Leadership involviert. In der Konsequenz verschmelzen damit die Strategieformulierung und die Strategieumsetzung sinnvollerweise zu einem wechselwirksamen Prozess (Burgelman 1991).
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die Qualität dieser Beziehungen. In Bezug auf Organisationen wird unter Social Capital folglich die Qualität der sozialen Beziehungen im Unternehmen, die durch kollektive Zielorientierung und gemeinsames Vertrauen der Akteure gekennzeichnet ist, verstanden (Leana u. Van Buren 1999). Diese Beschreibung macht deutlich, wie sich Social Capital von Human Capital unterscheidet: Während Human Capital die Qualität der Individuen darstellt, beschreibt Social Capital die Beziehungsqualität, die zwischen den Individuen kreiert wird (Burt 1997). Viele Studien belegen, dass Social Capital zwischen verschiedenen Bereichen einer Organisation die Unternehmensperformance signifikant beeinflusst (Tsai u. Ghoshal 1998; Tsai 2000; Brass, Galaskiewicz et al. 2004; Mehra, Dixon et al. 2006). Beispielsweise wurden mehr Produktinnovationen durch Kooperation zwischen Bereichen geschaffen, die ein hohes Maß an Social Capital aufwiesen (Tsai et al. 1998). Genauso wie die Qualität der sozialen Beziehungen die Unternehmensleistung positiv beeinflusst, kann fehlendes Social Capital die Zusammenarbeit aber auch massiv hemmen oder gar ganz unterbinden (LaBianca, Brass et al. 1998; Labianca u. Brass 2006). Es wurde selten deutlicher erlebbar als im Angesicht der Finanz- und Wirtschaftskrise, welche zerstörerischen Konsequenzen fehlende, vertrauensvolle Beziehungen auf die Unternehmensleistung haben können. Folglich sind gute soziale Beziehungen mehr als ein „nice-to-have“ im Kontext wirtschaftlicher Transaktionen anzusehen. Sie sind vielmehr eine unverzichtbare Grundlage für ein erfolgreiches, unternehmerisches und nachhaltiges Markthandeln. In Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs wird durch Umstrukturierungen, Personalabbau o.ä. allerdings gerade Social Capital im Unternehmen massiv erschüttert. Somit erscheint insbesondere in solchen Zeiten aus strategischer Sicht die systematische Unterstützung der Beziehungsqualität im Unternehmen umso bedeutungsvoller. Leadership Development wird dementsprechend dann einen Beitrag zur Strategierealisierung leisten können, wenn es sich neben der Human Capital-Perspektive auch der Social CapitalPerspektive annimmt.
4 Vom Human Capital zum Social Capital-orientierten Ansatz 4.1 Zusammenhang zwischen Human Capital und Social Capital Die für die Strategierealisierung notwendige Fähigkeit, Effizienz- und Geschäftspotenziale zu erkennen und zu realisieren, ist eine vom jeweiligen Unter nehmenskontext abhängige Kompetenz. Folglich handelt es sich damit um keine kontextunabhängige Fähigkeit, sondern um eine Kompetenz, die eine soziale Einbettung braucht, um mobilisiert und entwickelt zu werden (Prahalad u. Hamel 1996; Burgelman u. Doz 2001). In diesem Sinne weisen viele Arbeiten darauf hin, dass Social Capital den komplementären Part zu Human Capital darstellt (Brass 1995). Mehr noch, Social Capital bildet sogar die notwendige Voraussetzung dafür, dass sich Human Capital in Aktivitäten übersetzen und entwickeln kann (Adler u. Kwon 2002; Dess, Ireland et al. 2003).
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Human Capital (Human Ressourcen) Individuelles Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen Erfahrungen von Mitarbeitern und Managern im Unternehmen Human Ressourcen werden durch soziale Beziehungen mobilisiert und entwickelt Internes Social Capital (Beziehungsressourcen) Qualität der sozialen Interaktionen charakterisiert von kollektiver Zielausrichtung und geteiltem Vertrauen
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Human Capital und Social Capital (Quelle: Eigene Darstellung)
Wird die Social Capital-Dimension bei der Managemententwicklung vernachlässigt, verfügt ein Unternehmen zwar über smarte, wissende und gut ausgebildete Manager, läuft aber gleichzeitig Gefahr, diese Ressourcen gar nicht nutzen zu können, da es nicht über die notwendige Beziehungsqualität (Social Capital) verfügt, die die Mobilisierung dieser Ressourcen in Kooperation und unternehmerische Aktivitäten münden lässt. In diesem Sinne sind Human Capital und Social Capital-Entwicklung als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen (vgl. Abb. 1). Auf die Leadership Development-Praxis bezogen bedeutet dies die Forderung nach einer komplementären Social Capital-Orientierung, die die Entwicklung des Human Capitals mit der gleichzeitigen Entwicklung des Social Capitals ergänzt und folglich systematisch in Designs berücksichtigt.
4.2 Entwicklung von Human Capital Die Leadership Development-Praxis orientiert sich traditionell in erster Linie daran, einen Beitrag zum Human Capital der Führungskräfte im Unternehmen zu leisten, d.h. zum Erhalt und zur Entwicklung von deren Kompetenzen, Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen etc. Dabei basiert sie auf allgemein anerkannten Lerntheorien und etabliert Kompetenzentwicklungsprogramme und -methoden im Einklang mit den neuesten Erkenntnissen aus der Lehr-Lern-Forschung. Folglich überrascht es nicht, dass auch das Design von Leadership DevelopmentMaßnahmen in der Regel den allgemein bekannten Designkriterien für LehrLern-Programme folgt und entsprechend ebenfalls Lernziel-Taxonomiestufen
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unterscheidet. So wird der Lernprozess in der Leadership Development-Praxis aus didaktischer Sicht meistens in drei aufeinander folgende Stufen untergliedert (Van Velsor, Moxley et al. 2004): (1) Critical Awareness & Knowledge (kritisches Bewusstsein & Wissen entwickeln), (2) Guided Application (geführte, kontext abhängige Anwendung), gefolgt von (3) Independent Application (kontextunabhängige Anwendung). In diesem Sinne startet beispielsweise ein Leadership Development-Training oft mit einem Input zur Geschäftsstrategie (Critical Awareness & Knowledge) oder einem Fallbeispiel (Case Study), entweder ein realer Fall aus dem Unternehmen oder ein externer Schulungsfall, der zur Strategie des Unternehmens passt, vorgetragen durch einen Repräsentanten des Senior Managements oder einen externen bekannten Manager, Professor oder Trainer. Darauf folgen Gruppenarbeiten, in denen die Fallstudie analysiert wird und Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und gemeinsam diskutiert und bewertet werden (Guided Application). Ein individueller Entwicklungsplan, der auf die Übertragung des Gelernten in die eigene Praxis abzielt (Independent Application), rundet das Programm ab. Das Social Capital der teilnehmenden Manager erfährt bei diesem Design keine systematische Berücksichtigung als differenziertes Entwicklungsziel. So wird zwar die physische soziale Interaktion grundsätzlich als hilfreich für den Lernprozess angesehen und anerkannt (Van Velsor et al. 2004), wird aber nur pauschal und unsystematisch unterstützt, indem in Pausen und beim Essen während solcher Trainings Kontakte zwischen den Teilnehmern im Sinne des Networking ermöglicht werden. Allerdings entsteht diese Komponente eher als Nebeneffekt aus der biologischen Notwendigkeit heraus, Ermüdung und Nahrungsaufnahme einzuplanen und weniger mit dem Ziel, die Social Capital-Entwicklung ähnlich systematisch wie die Human Capital-Entwicklung zu unterstützen. Auch deshalb fällt gerade in Krisenzeiten diese Komponente oft den Kosteneinsparungen zum Opfer. Physisches Zusammentreffen wird aufgrund von zu hohen Reisekosten minimiert und ggf. mit E-Learning-Komponenten ersetzt. Auf Basis der traditionellen Sicht mag damit der Human Capital-Entwicklung genüge getan sein. Die Möglichkeit, das notwendige Social Capital gleichzeitig mit zu entwickeln wird dadurch aber vergeben, was den gewünschten Effekt der Maßnahme insgesamt gefährdet. Um eine systematische Social Capital-Orientierung in der Leadership DevelopmentPraxis zu implementieren, muss aber zunächst die Entwicklung von Social Capital differenziert beleuchtet werden.
4.3 Entwicklung von Social Capital Ausschlaggebend für kooperative Handlungen im Unternehmenskontext sind (1) die Existenz einer sozialen Beziehung, (2) gegenseitiges Vertrauen und (3) eine gemeinsame Zielausrichtung und Wertebasis (Nahapiet u. Ghoshal 1998). Folglich kann von geringem Social Capital gesprochen werden, wenn diese Dimensionen schwach ausgeprägt sind und von hohem Social Capital, wenn sie stark ausgeprägt erfahren werden.
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Wie aber entwickelt sich das Social Capital von einer geringen zu einer hohen Ausprägung? Auch wenn bisher kein Entwicklungsmodell von Social Capital im Unternehmenskontext vorliegt, liefert die Vertrauensliteratur Ansätze, die diese Entwicklung skizzieren (Lewicki u. Bunker 1996). Demzufolge finden verschiedene Experiences (Interaktionserfahrungen) statt, die die jeweilige Wahrnehmung der Beziehung verändern. Zu Beginn ist dies eine Contact Experience (Kontakterfahrung), die ermöglicht, dass mit bestimmten Menschen in der Umgebung eine soziale Beziehung entstehen kann. Damit einher geht meistens ein gegenseitiges, erstes Kennenlernen. In Großunternehmen bezieht sich das auf den Kontakt verschiedener Abteilungen untereinander. Auf diesem Level können durchaus auch bereits kooperative Handlungen erfolgen, wie z.B. das Hinzuziehen eines Spezialisten aus einer anderen Abteilung bei einer speziellen Kundenanfrage. Dazu reicht es oft aus, dass die Existenz eines solchen Spezialisten bekannt ist. Allerdings fördert ein „sich kennen“ allein keine über die Situation hinausgehende, längere Zusammenarbeit. Dazu wird eine intensivere soziale Beziehung gebraucht, die mit einer Assimilation Experience (einer Gemeinsamkeitserfahrung) einhergeht. Dies bedeutet, dass es gelingt, sich auf sein Gegenüber einzulassen, trotz der Unterschiede, die im Laufe einer sozialen Interaktion festgestellt werden. Entscheidend ist dabei, dass die Partner in der Lage sind, auf Gemeinsamkeiten zu fokussieren oder diese in der Interaktion auszuhandeln. Beispielsweise können Einheiten unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Geschäfte machen, schaffen es aber trotzdem, sich auf eine gemeinsame Wertebasis, z.B. eine bestimmte Art, Kunden zu bedienen, zu einigen. Dann entsteht ein Vertrauen, das unabhängig von einer spezifischen Situation auf einer gemeinsamen Wertebasis fußt und damit auch Kooperationen ermöglicht, die einen Vertrauensvorschuss von einer Partei benötigen, wie z.B. bei der Weiterempfehlung eines Kunden an eine andere Abteilung. Im weiteren Verlauf einer solchen Beziehung kann die Aushandlung von Gemeinsamkeiten bis zur Identification Experience (einer gemeinsamen Identifikation) führen. Diese Art von Beziehung ist unabhängig von der Situation durch ein hohes, gegenseitiges Vertrauen geprägt, nicht nur in die Kompetenz und Werte des anderen, sondern auch in die gemeinsame Ausrichtung. Dieser Status der Beziehung ist von einer hohen Loyalität und Sympathie der Partner getragen, die füreinander „die Hand ins Feuer legen“ würden und somit grundsätzlich aus Überzeugung kooperieren und nicht allein aus persönlichem oder situativem Eigennutz. Ein solches Klima ist notwendig, um auch längerfristig und nachhaltig im Unternehmen zu kooperieren, insbesondere in Situationen, in denen der Ausgang und Nutzen noch ungewiss ist, wie z.B. bei gemeinsamen Produkt- und Marktinnovationen.
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5 Social Capital-orientierter Leadership Development-Ansatz 5.1 Social Capital-Ausrichtung von Leadership Development Eine Social Capital-Orientierung in der Leadership Development-Praxis beinhaltet, den Beitrag von Leadership Development auch in Bezug auf das interne Social Capital und dessen Entwicklung zu sehen und folglich diese Dimension genauso systematisch im Design von Leadership Development-Maßnahmen zu verankern, d.h. neben den o.g. traditionellen Human Capital-Entwicklungsmaßnahmen (vgl. Kap. 4.2) werden die Interaktionserfahrungen (vgl. Kap. 4.3) für die Entwicklung des Social Capitals bewusst mitberücksichtigt (vgl. Abb. 2). Angewandt auf ein Leadership Development-Training würde dies z.B. implizieren, auch über die Zusammensetzung der teilnehmenden Manager nachzudenken, inwieweit diese tatsächlich auch ein Zusammenarbeitspotenzial in der täglichen Geschäftstätigkeit haben.
Kompetenz- & Kooperationsorientierte Unternehmenskultur
Indpendent Application (Kontextunabhängige Anwendung)
Guided Application (Kontextabhängige Anwendung)
Critical Awareness & Knowledge (Kritisches Wissen & Know-how)
Identification Experience (Identifikationserfahrung)
Assimilation Experience (Gemeinsamkeitserfahrung)
Contact Experience (Kontakterfahrung)
Abbildung 2: Human und Social Capital-Entwicklungsstufen in der Leadership DevelopmentPraxis (Quelle: Eigene Darstellung)
Da sich Social Capital aber nur über mehrere Begegnungen entwickeln kann, rückt das Zusammenspiel verschiedener Leadership Development-Praktiken über die Zeit in den Fokus des Designs und erfordert Leadership Development als Prozess zu gestalten. Tatsächlich findet aber die synergetische Wirkung zwischen mehreren HR-Aktivitäten grundsätzlich bisher wenig systematische Berücksichtigung (Kepes u. Delery 2007), auch nicht im Bereich Leadership Development. Viele HR-Aktivitäten sind „silo-mäßig“ ausgerichtet, auch deshalb, weil unterschiedliche Bereiche oder Personen für die jeweiligen Praktiken im Unternehmen verantwortlich sind. Im Bereich Leadership Development findet zwar der Mix aus verschiedenen
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Praktiken im Rahmen des Designs von Programmen Anwendung (z.B. ein Training mit einem vorausgehenden 360 Grad-Feedback und einem später danach folgenden Mentoring etc.). Allerdings ist die Kombination weniger an einer gezielten Social Capital-Entwicklung im Unternehmen als vielmehr an den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Trends ausgerichtet. Aus strategischer Perspektive liegt aber genau in dieser Fragestellung nach der Kombination mehrerer Leadership DevelopmentMaßnahmen miteinander das Potenzial für einen Wettbewerbsvorteil (Boxall u. Purcell 2003; Kepes u. Delery 2007).
Kompetenz- & Kooperationsorientierte Unternehmenskultur Coaching Job Assignment
Kontextunabhängige Anwendung
Action Learning
Identifikationserfahrung Coaching
Kontextabhängige Anwendung
•
360 Grad-Feedback
•
Leadership Training
Gemeinsamkeitserfahrung Coaching
Kritisches Wissen & Know-how
Mentoring • Networks/Offsites •
Kontakterfahrung
Abbildung 3: Beitrag der Leadership Development-Praktiken zur Social CapitalEntwicklung (Quelle: Eigene Darstellung)
Umso mehr interessiert, wie die verschiedenen, gängigen Leadership DevelopmentPraktiken in Bezug auf ihr Potenzial, Social Capital zu unterstützen, beurteilt werden können und wie sie sich in einem Prozess ergänzen. Intuitiv lässt sich vermuten, dass alle kollektiven Maßnahmen grundsätzlich förderlicher für die Social CapitalEntwicklung sind als die individuellen Maßnahmen (vgl. Tab. 1). Bisher gibt es allerdings kaum Ansätze, die die Evaluation der Social Capital-Dimension im Kontext von Leadership Development aufgreifen (Day 2000; Storberg-Walker 2007). Somit soll die Diskussion auf Basis einer Studie4 angeregt werden, die die Leadership Development-Erfahrungen von Managern abhängig von ihren internen 4
Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurde eine Fallstudie mit 30 Managern des mittleren Managements durchgeführt, die in unterschiedlichen Geschäftsbereichen eines internationalen Großunternehmens tätig sind. Ihre Leadership Development-Erfahrungen wurden in Abhängigkeit von ihrem Erfolg, Synergien mit anderen Geschäftsbereichen zu realisieren, verglichen. Die Studie lässt im Ergebnis den Schluss zu, dass der Besuch von Leadership Development-Maßnahmen einen Einfluss auf den Kooperationserfolg der Manager hat, wenn diese bewusst geschäftsübergreifend gestaltet sind und so angeordnet werden, dass sie zunächst den Kontakt zwischen den Geschäftsbereichen fördern und im Weiteren auch höhere Ausprägungen von Social Capital-Erfahrungen ermöglichen (Bilhuber Galli 2009).
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Kooperationserfolgen vergleicht (Bilhuber Galli 2009). Dieses Forschungsprojekt, welches eine differenzierte Sichtweise der Social Capital-Entwicklungsstufen zugrunde legt (vgl. Kap. 4.3), kommt zu einem weniger intuitiven Ergebnis. Demnach werden manche kollektiven Maßnahmen in ihrer Wirkung auf das Social Capital überschätzt, während manche individuellen Maßnahmen in ihrem Potenzial unterschätzt werden. Abbildung 3 fasst das Ergebnis der Studie zusammen und zeigt, inwiefern die Leadership Development-Praktiken Potenzial beinhalten, die Social Capital-Entwicklung zu unterstützen.
5.2 Mentoring und Networks/Offsites Die Annahme, dass das kollektive Zusammentreffen von Personen pauschal ausreicht, um Social Capital zu entwickeln und deshalb allen eher individuellen Maßnahmen überlegen ist, scheint kurzsichtig zu sein. Mit der differenzierten Betrachtung der Social Capital-Entwicklung wird deutlich, dass diese Maßnahmen vorwiegend nur eine Contact-Experience (eine Kontakterfahrung) ermöglichen, aber nicht die weiteren notwendigen Erfahrungen, um die Beziehungsqualität auch zu vertiefen. So wiesen in der Fallstudie erfolgreiche und weniger erfolgreiche Manager eine ähnliche hohe Anzahl dieser beiden Leadership DevelopmentErfahrungen auf. Folglich können Networks/Offsites aufgrund ihrer hohen Teilnehmeranzahl, der kurzen Interaktionszeit, die zur Verfügung steht, und der meist wechselnden Teilnehmerschaft als gute Möglichkeiten gewertet werden, Kontakte über den eigenen Unternehmensbereich hinaus zu knüpfen. Insofern stellen sie einen guten Startpunkt für die Förderung von Kooperation zwischen Unternehmensbereichen dar. Ein möglicherweise sich daran anschließendes Mentoring mit einer Person aus einer Abteilung, mit der Zusammenarbeitspotenzial besteht, könnte helfen, Fragen in Bezug auf die Geschäftstätigkeit der anderen Abteilungen zu vertiefen (Critical Awareness & Knowledge), um so die Hemmschwelle weiterer Kontakte zu senken und die Grundlage für eine weitere Vertiefung der Beziehungsqualität zu legen. Das Potenzial für die Social Capital-Entwicklung ließe sich bei regelmäßiger Durchführung von Networks/Offsites mit den gleichen Teilnehmern und der Integration von gezielten Interaktionssequenzen, wie z.B. Workshops etc., aber sicherlich auch erhöhen.
5.3 Leadership Training und 360 Grad-Feedback Ein Leadership Training ermöglicht rein aus zeitlicher Perspektive bereits intensivere Kontakte als Network- oder Offsite-Treffen, denn meistens kommen die Manager für mindestens zwei bis drei Tage zusammen. Wird darauf geachtet, dass die Zusammensetzung der Gruppe die Zusammenarbeitspotenziale der Unternehmung widerspiegelt, kann über die Kontakterfahrung hinaus auch eine Assimilation Experience (die Erfahrung der Aushandlung von Gemeinsamkeiten) gemacht werden. Umgekehrt geht im Sinne der Social Capital-Entwicklung ein
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großes Potenzial verloren, wenn die Zusammensetzung der Teilnehmer sich eher willkürlich und zufällig nach der zeitlichen Verfügbarkeit ausrichtet. In diesem Fall lässt sich vielleicht bestenfalls eine „nette Bekanntschaft“ machen, die aber über die Grenzen des Trainings hinaus keine Bedeutung für eine nachfolgende geschäftliche Interaktion hat und somit auch in der Regel nicht weiterentwickelt wird. Eine gemeinsame Basis mit dem Gegenüber zu finden, ist insbesondere auch das Ziel von 360 Grad-Feedbacks, die sich auf die Wahrnehmung der Beziehungsqualität aus verschiedenen Richtungen beziehen (Vorgesetzter, Mitarbeiter, Kunde, Peer, Lieferant etc.). Insbesondere wenn beim Peer-Feedback Personen aus anderen Abteilungen integriert werden, mit denen ein Zusammenarbeitspotenzial besteht, kann dies wertvolle Hinweise für die Beziehungsgestaltung beinhalten und die Beziehungsqualität verbessern helfen. In jedem Fall setzt das 360 Grad-Feedback aber einen bestehenden Kontakt voraus. Folglich ist ein Einsatz dann besonders sinnvoll, wenn Kontakte zu Abteilungen, mit denen Zusammenarbeitspotenzial realisiert werden soll, schon bestehen und diese in die Evaluation einbezogen werden. Obwohl die individuelle Ausgestaltung dieser Maßnahmen offensichtlich einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Social Capital hat, scheinen sie grundsätzlich das Potenzial zu beinhalten, eine Contact & Assimilation Experience (Kontakt- und Gemeinsamkeitserfahrung) zu ermöglichen.
5.4 Job Assignment und Action Learning Sofern das Job Assignment in einem anderen Unternehmensbereich stattfindet, mit dem Synergiepotenziale generiert werden sollen, fördert es alle notwendigen Interaktionserfahrungen, um ein hoch ausgeprägtes Social Capital zu entwickeln. Die Möglichkeit, sich in die Perspektive der anderen Bereiche zu begeben, aus deren Augen das Geschehen zu betrachten und zu agieren, fördert eine Assimilation & Identification Experience (Gemeinsamkeits- und Identifikationserfahrung). Einmal in einem anderen Bereich mitzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen, beinhaltet das Potenzial, die gemeinsame Ausrichtung erlebbar zu machen, und verhindert vor allem auch, Misstrauen der anderen Abteilung gegenüber zu entwickeln. Dafür reichen oft auch schon kurzzeitige Assignments aus oder das Empfangen eines Assignees aus einer anderen Abteilung. In Anbetracht der oft knappen Anzahl von Job Assignment-Möglichkeiten kann Action Learning eine gewinnbringende Alternative mit gleichem Effekt auf Social Capital beinhalten. Das projektbasierte und permanent reflektierte „on the job“Lernen ermöglicht ebenfalls den Perspektivenwechsel und das Auseinandersetzen mit der Sicht des anderen Bereichs über einen längeren Zeitraum. Und dies nicht willkürlich, sondern gezielt mit Selbstreflexion begleitet. Hierbei wird der Kontakt gefördert und die Überwindung von Unterschieden in Form einer Aushandlung von gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Ausrichtung entdeckt, für die es sich einzusetzen lohnt. Jedenfalls berichteten die meisten Manager mit Kooperationserfolgen in der Fallstudie davon, dass ihnen Job Assignments oder Action Learning eine solche Erfahrung mit Teilnehmern aus anderen Geschäftsbereichen ermöglicht haben.
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In Zeiten, in denen HR-Manager Mühe haben, umfangreiche Leadership Development-Programme wie z.B. Action Learning zu legitimieren, kann die Social Capital-Perspektive deutlich machen, dass eine solche Investition sich auszahlt, da sie nicht nur das Human, sondern auch das Social Capital fördert und darüber hinaus im Unternehmen möglicherweise noch eine Herausforderung mit Hilfe eines Projekts löst. Somit fördert insbesondere diese Form von Leadership Development nicht nur die individuelle Kompetenzentwicklung, sondern auch die Social CapitalEntwicklung im Unternehmen.
5.5 Coaching Coaching spielt im Hinblick auf die Förderung von Social Capital eher eine indirekte Rolle. Dennoch erscheint es gerade im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Social Capital ganz entscheidend zu sein, was auf den ersten Blick eher überraschend ist, da es sich um eine sehr individuelle Maßnahme handelt. Coaching erhöht die Selbstreflexionsfähigkeit von Managern ganz entscheidend, so dass sie die gemachten Zusammenarbeitserfahrungen in Beziehungen bewusster verarbeiten können, was die Grundlage dafür ist, dass die Beziehungen bewusster gestaltet werden. Somit scheinen sich Manager nicht zwingend danach zu unterscheiden, welche Erfahrungen sie gemacht haben, sondern wie sie die Erfahrungen verarbeitet und was sie daraus gelernt haben. So fiel in der Fallstudie auf, dass erfolgreich kooperierende Manager mehr Möglichkeiten der Selbstreflexion nutzten. Demzufolge scheint Coaching ein maßgebliches Potenzial zu beinhalten, die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen, zu unterstützen. Damit kommt ihm in der Social Capital-Entwicklung die entscheidende Rolle zu, die Entwicklung von einer niederen zu einer höheren Beziehungsqualität zu ermöglichen und erhöht so in Kombination mit jeder Art von Leadership Development-Maßnahme deren Effekt.
5.6 Maßnahmenmix Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch die Ableitung, wie sich die Leadership Development-Praktiken sinnvoll über die Zeit ergänzen, substituieren oder gar negativ beeinflussen können. Bei den weniger erfolgreichen Managern fiel auf, dass diese eine Störung der Social Capital-Entwicklung erfahren hatten: sei es einerseits, dass die Entwicklung auf einer Stufe stehenblieb, z.B. nach einer Kontaktinitiierung durch ein Meeting nichts mehr folgte. Oder andererseits, dass eine Stufe übersprungen wurde, d.h. bereits im ersten Meeting Vertrauen zur Kooperation vorausgesetzt wurde, obwohl noch keine dazugehörige Interaktionserfahrung gemacht werden konnte. In beiden Fällen entstand in der Folge Gleichgültigkeit oder sogar Resistenz gegenüber anderen Bereichen, was zu weniger Kooperationshandlungen und -erfolgen führte. Soll die Social Capital-Entwicklung durch Leadership Development systematisch unterstützt werden, spielt die Zusammensetzung der Teilnehmer sowie die
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Reihenfolge der erlebten Interaktionserfahrungen die entscheidende Rolle, um positive synergistische Effekte zwischen den einzelnen Maßnahmen zu erzielen (Kepes et al. 2007). Nur dann kann neben dem Human Capital auch das dazugehörige Social Capital in einer Unternehmung entwickelt werden. Durch eine derartig differenzierte Social Capital-Orientierung in der Leadership Development-Praxis wird nicht nur der individuelle Kompetenzerwerb, sondern gleichzeitig auch eine Kultur der Kooperation im Unternehmen gestärkt, die gerade in Krisenzeiten existenziell ist, um die Synergiepotenziale identifizieren und realisieren zu können. Dies wird insbesondere bei permanent veränderter Zusammensetzung von Teams durch Umstrukturierungen, Downsizing oder anderen strategischen Veränderungen immer bedeutungsvoller für Unternehmen werden.
6 Schlussgedanken Aus strategischer Perspektive betrachtet, beinhaltet Leadership Development durchaus das Potenzial, ein effektives Führungsinstrument der Unternehmensleitung in Krisenzeiten zu sein. Allerdings ist dies an die Integration einer systematischen Social Capital-Perspektive gebunden. Nur damit kann gelingen, dass keine parallelen Lernwelten in Leadership Development-Programmen aufgebaut werden, die von der eigentlichen Geschäftswelt getrennt stattfinden und deren Distanz dann mit mühevollen Transferübungen überwunden werden muss. Gelungen ist die Integration der Social Capital-Perspektive dann, wenn Leadership Development und Strategierealisierungsprozess miteinander verbunden werden, d.h. dass der Leadership Development-Prozess im Rahmen des Geschäftsprozesses stattfindet. Dies würde dazu führen, dass nicht nur individuell kompetente Manager (Leader) entwickelt werden, sondern tatsächlich Leadership als sozialer Prozess im Geschäftsgeschehen direkt gefördert würde. Damit könnte die Brücke zwischen den Facetten Management und Leadership geschlagen werden, die nicht nur in der Führungspraxis, sondern auch in der Ausbildungspraxis ganz offensichtlich nach wie vor zwei getrennte Welten darstellen (Schwertfeger 2009). Die Brücke zwischen diesen Welten zu schlagen impliziert allerdings, dass Leadership Development-Experten Leadership weniger als individuelle Kompetenz verstehen, sondern vielmehr als sozialen, kontexteingebetteten Prozess. Damit geht es weniger darum, Menschen zu verändern, als vielmehr Kontexte zu schaffen, in denen Menschen Veränderungen herbeiführen können. Soll diesem Anspruch Rechnung getragen werden, sind Leadership DevelopmentExperten gefordert, zwischen der Makroperspektive von betriebswirtschaftlichen Konzepten und der Mikroperspektive von psychologischen Konzepten zu vermitteln und Integrationsarbeit zu leisten. Daraus ergibt sich die Frage, ob Leadership Development nicht eher mit Geschäfts-, Unternehmens- und Strategieentwicklung zu tun hat als mit HRM und ob folglich Leadership Development nicht sinnvollerweise diesen Funktionen im Unternehmen zugeordnet werden sollte statt der HR-Funktion. In der Loslösung von der reinen Human Capital-Orientierung hin zu einer integrierten Social Capital-Ausrichtung liegt die Chance, nicht nur auf
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individueller Ebene und indirekt, sondern ganz direkt einen Beitrag zur Strategierealisierung auf organisationaler Ebene zu leisten. Dies verlangt allerdings von einer Leadership Development-Praxis in Bezug auf sich selbst, das anzuwenden, was Gegenstand ihres Handelns ist und was sie jedem Manager mitunter versucht beizubringen: sich selbst kritisch zu hinterfragen, weiter zu entwickeln und Veränderungen und Krisen als Chance zu begreifen – in anderen Worten Leadership zu übernehmen. In diesem Sinne sollte auch die Leadership Development-Praxis für sich die Chance sehen, sich kritisch mit der eigenen Profession auseinanderzusetzen, den Dialog und die Auseinandersetzung zu suchen, daraus für sich zu lernen und entsprechende Veränderungen abzuleiten. Nur dann gibt es die Chance, das Stigma, eine Luxusbeschäftigung in guten Zeiten zu sein, abzulegen und sich tatsächlich zum strategisch wichtigen Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens zu wandeln und auch in Krisenzeiten relevanter Bestandteil jeglicher Strategierealisierung oder Veränderung zu werden.
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Standpunkt Gedanken zur Entwicklung strategischer Kompetenz in Unternehmen
Claude Heini
Kaum jemand bestreitet, dass jedes Unternehmen eine strategische Richtung haben muss, um Ressourcen gezielt einzusetzen. Auch ist davon auszugehen, dass eine Strategie definiert, wie ein Unternehmen seine Ziele erreichen will, und wie der basierend auf den relevanten Umwelten große Plan aussieht. Strategien sollen demnach Antworten auf die Frage liefern, was das „Richtige“ ist, unter Berücksichtigung der Erwartungen und Bedürfnisse der wichtigen Anspruchsgruppen (Stakeholder). Dem entgegen steht jedoch eine Vielzahl von Nachrichten über gescheiterte Strategien oder Strategieumsetzungen. Dies gilt in besonderem Maße für die aktuelle Krise und Zeiten des fundamentalen Wandels. Folgende Kernfrage ist demnach zu stellen: Haben Manager in den durchlaufenen Ausbildungen über Strategie zu wenig gelernt, oder muss strategische Kompetenz und deren Vermittlung grundsätzlich neu gedacht werden? Das Strategische Management sollte als Veränderungskompetenz aufgefasst werden. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass das Strategische Management als Disziplin eine ganzheitliche Betrachtung erfordert. Diese schließt die Strategieentwicklungswie auch die Strategieumsetzungsprozesse und die damit verbundenen Heraus forderungen in der Führung ein. Werden beim Strategischen Management nicht die Dynamik einer Organisation als soziales System und die damit verbundenen Implikationen wie z.B. Geschichte des Unternehmens, Verhalten von Menschen in Organisationen, vereinbarte Normen und Glaubenssysteme berücksichtigt, nützt alles Wissen über strategische Planung relativ wenig. Dazu gehört auch die Tatsache, dass eine akademische Definition des Strategischen Managements höchstens den Ausgangspunkt für eine Diskussion dazu im Unternehmen darstellen kann. Viel wichtiger ist nämlich, dass das Führungsteam und alle Führungskräfte in einem Unternehmen eine explizit geteilte Interpretation und Bedeutung von Strategie – Richtung des Handelns – und Strategieumsetzung haben, welche sicherstellt, dass ein gemeinsames mentales Modell vorliegt. Wird dem nicht Rechnung getragen, scheinen sich zwar alle Beteiligten vermeintlich rasch einig zu sein, sind dann allerdings meistens zu einem späteren Zeitpunkt überrascht, dass unterschiedliche Deutungszuschreibungen zu substantiellen Schwierigkeiten bei der Umsetzung führen. Das bedeutet, dass Veränderungsmanagement nur schlecht vom S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Claude Heini
Strategischen Management zu trennen ist, denn mit Strategieumsetzung gehen stets Veränderungen einher, kleinere wie auch fundamentalere. Das Strategische Management sollte als Grundhaltung begriffen werden. Die Theorie hat lange Zeit den Zeithorizont für eine Unternehmensstrategie auf mindestens zwei bis drei Jahre, manchmal sogar auf fünf Jahre festgelegt. Die damit verbundenen Annahmen entsprechen seit geraumer Zeit nicht mehr der heutigen Realität. Die Stakeholder-Systeme funktionieren in einer Dynamik, welche das Denken in für alle Interessengruppen gemeinsamen Zeitrahmen fast unmöglich macht. Damit wird das Balancieren zwischen kurzfristigen (Shareholder-) und längerfristigen (Kunden- und Mitarbeiter-) Aspekten zum entscheidenden Kriterium für erfolgreiche Unternehmensführung. Hinzu kommt, dass Manager in der Regel auf der Basis von Anreizsystemen arbeiten, welche für sie persönlich das Dilemma noch verstärken. In diesem Spannungsfeld scheint sich zu bestätigen, dass dem Faktor Persön lichkeit inklusive der Haltung gegenüber Grundwerten und der damit verbundenen Standfestigkeit einer Führungsperson besondere Bedeutung zukommt. Diese Grundhaltung wäre zu definieren als Fähigkeit und Stärke von Managern, Wertedilemmata zu identifizieren und ggf. auch entgegen äußeren Zwängen und Erwartungsdruck den definierten Weg mit deklarierten Grundwerten nicht zu verlassen und dennoch den multiplen Ansprüchen zu genügen. Die Anreizsysteme der jüngsten Vergangenheit haben, wie die aktuelle Krise zeigt, sicherlich nicht zur Lösung des Dilemmas beigetragen; erste Überlegungen zu auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Kompensationselementen zeigen allerdings in die richtige Richtung. Zudem ist unsere Arbeitswelt einschließlich der Managerrolle nach wie vor stark rational orientiert, was grundsätzlich nicht falsch sein muss. Die diesbezügliche Einseitigkeit ist allerdings zu bedenken und in Richtung Ganzheitlichkeit zu erweitern. Dazu gehören emotionale Aspekte ebenso wie die genannte Werteebene, welche die Erfolgschancen im Strategischen Management für die Zukunft deutlich erhöhen. Das Strategische Management sollte als Fähigkeit verstanden werden. Für das Erlernen von Fähigkeiten im Strategischen Management können die voranstehenden Überlegungen folgende Konsequenzen haben. Erstens: Manager müssen verstehen, wie ein Managementteam zur Strategiearbeit vereint wird und wie gemeinsam definiert wird, wie die Umsetzung der Strategie mit dem Faktor Mensch mit allen Führungsherausforderungen angegangen werden soll. Dabei steht die Frage im Zentrum, wie das Strategische Management als Veränderungskompetenz integrativ und holistisch vermittelt werden kann, um die Handlungsfähigkeit von Führungskräften in der Komplexität unternehmerischer und zwischenmenschlicher Realität zu ermöglichen.
Standpunkt
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Zweitens: Die Grundhaltung eines Managers ist entscheidend für erfolgreiches Strategisches Management. Die Frage ist, inwiefern eine solche Grundhaltung im Fokus von heutigen Ausbildungen für Manager steht, und wie die Entwicklung von Grundwerten – oder wertebewusstes Management – entsprechend vermittelt werden kann. Da die persönliche Grundhaltung auch mit persönlicher Reife zu tun hat, kommt möglicherweise der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit der Kompetenz für Strategisches Management zusätzliche Bedeutung zu. Konsequenz für das Lehren und Erlernen von Fähigkeiten im Strategischen Management könnte eine wertebasierte Führung als fester Bestandteil von solchen Ausbildungen sein. Ebenso müsste die Frage nach der Ausbildung persönlicher Grundwerte gestellt werden. Zudem könnte in diesem Zusammenhang auch die Überlegung angestellt werden, ob bei der Auswahl von Führungskräften – vor allem für das Topmanagement – werte-, motivations- und einstellungsorientierte Assessments einen festen Bestandteil der Beurteilung für eine Anstellung sein müssen. Drittens: Es ist zu überlegen, ob nichtrationale Aspekte und Methoden wie z.B. die intuitive Entscheidungsfindung nicht ebenfalls Eingang in entsprechende Curricula finden sollten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Strategiearbeit nicht Fähigkeiten wie Zuhören, Einnehmen vielfältiger Perspektiven und Entwickeln von Empathie stärker in den Vordergrund rücken sollten, da mit diesen Fähigkeiten viele Fehler in der Strategiedefinition und -umsetzung vermieden werden könnten. Ganzheitlichkeit ist schwierig in Theorie alleine zu vermitteln, konkrete Anwendungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden. Für das Erlernen vornehmlich erlebensorientierter Fähigkeiten scheint der Ansatz des Learning by Doing der einzige gewinnbringende Weg zu sein, um die Komplexität heutiger strategischer Herausforderungen in Unternehmen entsprechend zu erfassen und einen effektiven Umgang mit diesen zu erlernen. Das würde z.B. bedeuten, nicht in der bekannten Form an Fallstudien zu arbeiten, sondern im Sinne eines Action Learning-Ansatzes an konkreten strategischen unternehmensinternen Herausforderungen.
Autorenverzeichnis Miriam K. Baumgärtner, Diplom-Psychologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Disability and Integration der Universität St. Gallen (CDI-HSG). Hier forscht sie zu Fragen der Workplace Diversity unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen (Re-)integration von Menschen mit Behinderung. Sie studierte an den Universitäten Konstanz und Mannheim sowie an den amerikanischen Univer sitäten University of North Carolina und Western Carolina University. Sie war mehrere Jahre bei gesis (Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften; ehemals ZUMA) tätig und arbeitete als Unternehmensberaterin bei Kenexa im Bereich Mitarbeiterbefragungen und HR-Managementlösungen. Dr. Stephan Böhm ist seit 2009 Direktor des neugegründeten Centers for Disability and Integration an der Universität St. Gallen (CDI-HSG). Hier forscht er zu Fragen der Workplace Diversity unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen (Re-)integration von Menschen mit Handicap. Zudem widmet er sich Fragestellungen hinsichtlich der Bewältigung des demographischen Wandels auf Unternehmensebene. Nach seiner Promotion am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen war er als Visiting Research Fellow am Oxford Institute of Ageing der University of Oxford tätig. Stephan Böhm hat Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten St. Gallen (Schweiz), Stellenbosch (Südafrika) und Lausanne (Schweiz) studiert und war u.a. bei Mercer Management Consulting, Siemens sowie der Deutschen Telekom tätig. Prof. Dr. Heike Bruch ist seit 2001 Professorin und Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Außerdem ist sie akademische Direktorin des International Study Program (ISP) an der Universität St. Gallen, Mitglied des McKinsey Academic Sounding Board und wissenschaftliche Leiterin von TOP JOP – die Initiative zur Auswahl des besten mittelständischen Arbeitgebers Deutschlands. Heike Bruch arbeitete zwischen 1999 und 2001 an der London Business School als Visiting Scholar und als Senior Research Fellow. Vorher war sie wissenschaftliche Assistentin an der Universität St. Gallen (Habilitation 2001) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hannover (Promotion 1996). Ihre Forschungsinteressen beinhalten Managerhandeln, Leadership sowie Organisationale Energie und Arbeitgeberexzellenz. Dr. Eva Bilhuber Galli ist selbständige Unternehmensberaterin und Gründerin der Firma human facts ag für Management- und Organisationsentwicklung. Zuvor war sie zehn Jahre in verschiedenen leitenden Funktionen in der Mitarbeiter-, Management- und Organisationsentwicklung in der Unternehmenspraxis tätig. Sie hat zum Thema Strategic Alignment of Leadership Development an der Universität St. Gallen promoviert und zu verschiedenen strategischen HR Development-Themen publiziert. S. Kunisch et al. (eds.), Strategische Führung auf dem Prüfstand, DOI 10.1007/ 978-3-642-05474-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010
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Isabel Collischonn, B.A. HSG und Sportökonomin (ebs), studiert momentan im Masterprogramm in Banking & Finance an der Universität St. Gallen. Sie absolvierte Studien in Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen und in Sport ökonomie an der European Business School, Oestrich-Winkel. Im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit war sie maßgeblich an einer ersten Studie zum Chief Strategy Officerin S&P 500-Unternehmen beteiligt. Praktische Erfahrung sammelte sie bei der UBS Investment Bank. Zuvor war sie mehrere Jahre professionelle Tennisspielerin auf der Tour der Women’s Tennis Association (WTA). Prof. Steven W. Floyd, Ph.D., ist Professor für Strategisches Management an der Universität St. Gallen und Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Lehre, Forschung sowie Beratung im Bereich von Strategieerstellungsprozessen. In den vergangenen 20 Jahren konzentrierte sich seine Forschung auf die Beteiligung von Organisationsmitgliedern bei der Strategieentwicklung, der Generierung eines gemeinsamen Strategieverständnisses innerhalb einer Organisation und dem Management strategischer Initiativen. Seine Forschungsbeiträge wurden in zahlreichen führenden internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Dr. Peder Greve ist Senior Research Fellow an der Forschungsstelle für Inter nationales Management, Universität St. Gallen. Er hat im Jahr 2009 zum Thema International Mobility in Executive Labour Markets an der Universität St. Gallen promoviert. Seine Forschung konzentriert sich auf die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Führungskräfte sowie die Rolle der Führungskräfte in der Unternehmensinternationalisierung. Dr. Claude Heini ist aktuell als Leiter der Abteilung Group Leadership Development bei der UBS AG tätig und zuständig für die Entwicklung des Senior Managements. Nach einem Erststudium als Sekundarlehrer an der Universität Zürich und einem Zweitstudium in Organisations- und Sozialpsychologie an der Universität Bern promovierte er an der Uni Fribourg in angewandter Psychologie zum Thema A Mega Merger. Seit 1995 ist er bei der UBS AG als Führungskräfteberater, Coach und Programmleiter für Führungskräfteprogramme auf Senior Level tätig, seit 2000 in verschiedenen Führungspositionen. Lisa Hopfmüller ist Doktorandin und Forschungsassistentin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Ihr wissenschaftliches Interesse konzentriert sich auf Entscheidungsprozesse auf strategischer Führungsebene in Verbindung mit Fragen zur Corporate Governance. Vor ihrer Tätigkeit in St. Gallen studierte Frau Hopfmüller Internationale Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Lima und lebte für längere Zeit in Südamerika. Arndt Kaminski, Ph.D., MBA ist als Partner bei Bain & Company in München tätig. Der Fokus seiner Tätigkeit liegt in den Bereichen Commercial Due Diligence, Full
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Potential- und Turnaround-Programme für Private Equity-Portfoliounternehmen sowie Corporate Transformation. Nach einem betriebswirtschaftlichen Studium an der Otto Beisheim School of Corporate Management WHU Koblenz promovierte er in Produktions- und Logistikmanagement. Sven Kunisch ist seit Herbst 2007 Chefredakteur der Fachzeitschrift M&A REVIEW. Zeitgleich promoviert er am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich auf Fragen zur Dynamik des Corporate Centers in diversifizierten Konzernen und dabei u.a. speziell die Auswirkungen von Wechseln in der Strategischen Führung. Er hat Wirtschaftsinformatik an den Universitäten in Rostock und Adelaide, Australien, studiert und war u.a. bei der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG sowie als Management Consultant bei Accenture tätig. Er ist Mitglied des Vorstands des Doktorandenvereins an der Universität St. Gallen. Florian Kunze, Diplom-Verwaltungswissenschaftler, ist seit Oktober 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen. Er hat an der Universität Konstanz (Deutschland) sowie der Universität Pavia (Italien) studiert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Management des demographischen Wandels, Diversitätsprozesse in Teams und Unternehmen sowie angepasstes Führungsverhalten für altersgemischte Teams und unterschiedliche Altersgruppen. Prof. Dr. Christoph Lechner ist Professor für Strategisches Management an der Universität St. Gallen und Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft. Zudem verantwortet er an der Universität St. Gallen den institutsübergreifenden Profilbereich Responsible Corporate Competitiveness (RoCC). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategieprozesse, strategische Allianzen und Geschäftsmodelle. Er war Gastprofessor an den Business Schools in Connecticut und Wharton und ist Mitglied des Editorial Boards von führenden internationalen Fachzeitschriften. Außerdem ist er Mitglied des Verwaltungsrats der Helvetia AG (Versicherung) und Hügli AG (Lebensmittel), beide an der Schweizer Börse notiert. Dr. Markus Menz ist Senior Research Fellow und Habilitand am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Zuvor war er für ein Jahr Visiting Fellow an der Harvard Business School in Boston. Er promovierte am Lehrstuhl von Prof. Dr. Günter Müller-Stewens an der Universität St. Gallen und studierte Banking & Finance an der gleichen Universität. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit dem Corporate Center in diversifizierten Unternehmen, Management Innovation und dem Chief Strategy Officer als neue Position in Topmanagementteams. Praktische Erfahrungen sammelte er u.a. bei Beratungsprojekten in den Bereichen Strategie und Organisation sowie im Investment Banking.
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Dr. Timo Meynhardt ist seit 2007 Leiter des Zentrums für Führung und Werte in der Gesellschaft an der Universität St. Gallen. Sein Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt ist die Wertschöpfung zum Gemeinwohl. Zu dieser Thematik hat er zahlreiche Publikationen verfasst. Der studierte Psychologe absolvierte Forschungs- und Studienaufenthalte an der Oxford Brookes University und an der Peking University und wurde an der Universität St. Gallen promoviert. Zudem hat er von 1999 bis 2007 praktische Arbeitserfahrung als Practice Expert bei McKinsey & Company in Berlin gesammelt und ist heute ebenso als selbständiger Unternehmer aktiv (www.meinkompetenzprofil.de). Dr. Lukas Müller ist Habilitand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich. Er befasst sich hauptsächlich mit Fragen in den Bereichen des Privat-, Handels-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Vor seiner Tätigkeit in Zürich arbeitete Herr Dr. Müller an der Universität St. Gallen, wo er zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften promoviert wurde. Parallel hierzu absolvierte er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, war Stipendiat des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, arbeitete im Privatkundenbereich einer Schweizer Bank und unterrichtete studienbegleitend an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Prof. Dr. Günter Müller-Stewens ist seit 1991 Professor an der Universität St. Gallen und Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft. Sein Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt ist das Strategische Management. Zu dieser Thematik hat er zahlreiche Publikationen verfasst; u.a. ist er Koautor des Lehrbuchs Strategisches Manage ment sowie Gründer und Herausgeber der Fachzeitschrift M&A REVIEW. Aktuell beschäftigt er sich primär mit Fragen zum Corporate Management. Er absolvierte Forschungsaufenthalte an den Business Schools in Harvard und Stanford sowie an der University of Michigan Ann Arbor und der University of California Irvine. Zudem ist er in verschiedenen Arbeitskreisen, Verbänden und Jurys sowie als Beirat, Trainer und Berater internationaler Unternehmen tätig. Carsten Rahlf ist als Projektleiter bei Bain & Company in München tätig. Der Fokus seiner Beratungstätigkeit liegt auf Finanzdienstleistungen und Commercial Due Diligence im Private Equity-Bereich. Vor seinem Einstieg bei Bain war er vier Jahre bei der Deutschen Bank sowie Saint Gobain tätig. Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen sowie an der Nanyang Technological University in Singapur. Prof. Winfried Ruigrok, Ph.D., ist Professor für internationales Management und akademischer Direktor des MBA-Programmes an der Universität St. Gallen. Seine Forschung konzentriert sich auf Corporate Governance, die Internationalisierung von Topmanagementteams und Boards sowie Internationalisierungs- und Restrukturierungsstrategien in multinationalen Unternehmen.
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Anita R. Salt, MBA, absolvierte nach einer kaufmännischen Grundausbildung und einer berufsbegleitenden betriebswirtschaftlichen Weiterbildung einen VollzeitMBA an der Cranfield University, England, mit einem Fokus auf Strategic HRM, Finance, Supply Chain Management. Sie sammelte Erfahrungen durch inter nationale Fach- und Führungstätigkeiten in Finanz-, Verkaufs- und Marketingfunktionen und war als stellvertretende Geschäftsführerin tätig. Mit 34 Jahren stieg sie in den ExecutiveSearch ein, 2006 gründete sie die Salt Consulting AG, eine international tätige Executive Search Boutique mit breiter Kunden- und Kandidatenbasis in Industrie, FMCG, Chemie/Pharma und öffentlichen Institutionen. Markus Schimmer ist Doktorand und Forschungsassistent am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Sein wissenschaftliches Interesse gilt Fragen der Führung und Aufsicht von Mehrgeschäftsunternehmen. Vor seiner Tätigkeit in St. Gallen studierte Herr Schimmer Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Hohenheim und St. Gallen und arbeitete in der Konzernzentrale der Allianz SE. Dr. Martin Schmitt ist seit 2001 Senior Vice President Executive Personnel bei der Deutschen Lufthansa AG in Frankfurt. Er ist in dieser Funktion für die Gestaltung der übergreifenden Personalpolitik des Konzerns verantwortlich. Zuvor war er in verschiedenen Personalleitungsfunktionen bei der Lufthansa beschäftigt und ergänzte diese Erfahrungen um operative Führungsverantwortung als Leiter des HUBs (Station) der Lufthansa AG in München. Er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz und wurde mit einer Arbeit über Interessen bei der Ausübung des Betriebsratsamtes bei Prof. Dr. B. Rüthers promoviert. Ramona Schmitt ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Völker- und Europarecht, ausländisches öffentliches Recht und Rechtsvergleichung an der Universität St. Gallen. Ihre wissenschaftlichen Interessen liegen im Bereich des internationalen und europäischen Investitionsschutzrechts. Sie studierte Rechtswissenschaft an der Universität Würzburg und absolvierte ein Begleitstudium im Europäischen Recht. Sie ist Vorstandsmitglied des Doktorandenvereins an der Universität St. Gallen. Eric Schulze ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Leadership and Values in Society an der Universität St. Gallen (CLVS-HSG). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Public Value Management sowie Führung und Steuerung im Öffentlichen Sektor. Von 2005 bis 2008 arbeitete er bei einer der führenden Strategieberatungen und unterstützte hauptsächlich Organisationen aus dem Öffentlichen Sektor in Strategie- und Restrukturierungsfragen. Dr. Arpad A. Sölter ist Leiter der Stabsabteilung Strategie und Evaluation in der Zentrale des Goethe-Instituts. Er hat u.a. Philosophie, Soziologie und Ethnologie in Cambridge (Emmanuel College) und Köln studiert. Nach der Promotion war er vier Jahre als Honorary Research Fellow am University College London tätig und
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dort zugleich Lektor zur besonderen Verwendung beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), bevor er als Vorstandsreferent zum Goethe-Institut kam. Anschließend leitete er sechs Jahre das Goethe-Institut Toronto. 2008 wurde er als erster Deutscher mit dem German Canadian Friendship-Award der BRD ausgezeichnet und übernahm die Leitung der Strategieabteilung. Rebekka Sputtek, MSc, erhielt ihren Master of Science in International Business von der Universität Maastricht. Sie ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Betriebswirtschaft (IfB) der Universität St. Gallen. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Einflüsse von Persönlichkeit und Emotionen auf Entscheidungs- und Führungsverhalten. Dr. Inga Voss, Dipl. Kulturwissenschaftlerin, ist als Beraterin bei Bain & Company in Zürich tätig mit Fokus auf Reorganisation und Implementierung. Vor ihrem Einstieg bei Bain war sie drei Jahre Leiterin des Bereichs M&A am Lehrstuhl für Strategie & Organisation an der Universität St. Gallen, wo sie parallel auch promovierte. Zuvor war sie zwei Jahre bei der Heinrich Bauer Verlag KG tätig. Sie absolvierte ein Studium der Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien in England, Spanien und Deutschland. Julian Weber ist Masterstudent an der Universität St. Gallen und Redakteur des Wirtschaftsmagazins DenkBar. Im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der Universität St. Gallen setzte er sich vertieft mit der Thematik von Nachfolgeprozessen auf der Ebene des Topmanagements auseinander. Während seines Bachelorstudiums war er Präsident des Vorstands der Rekrutierungsveranstaltung Forum HSG. Er ist Gründungsmitglied des Vereins DialogKlub an der Universität St. Gallen und der ETH Zürich. Christian Welling ist seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Sein Forschungsschwerpunkt ist das Zusammenspiel von Organisationslehre und Sozialer Netzwerktheorie. Er ist im Rahmen von Forschungsprojekten bei General Electric und Volkswagen tätig. Er hat Internationale Betriebswirtschaftslehre an der European Business School in Oestrich-Winkel und an der EDHEC Business School in Lille, Frankreich, studiert. Er ist Vizepräsident des Doktorandenvereins der Universität St. Gallen. Peter Wiegand ist Partner im Restrukturierungsbereich von KPMG. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die strategische Refokussierung sowie die finanzwirtschaftliche und operative Restrukturierung. Er ist spezialisiert auf Geschäfts- und Finanzplanungen sowie Reorganisationsberatung und verfügt über vieljährige Erfahrung im Bereich Unternehmensanalyse, Restrukturierung, Umsetzungsbegleitung und Liquiditätsmanagement. Er verantwortet das Thema Cash- und Working CapitalManagement in Deutschland. Zudem hat er einen inhaltlichen Schwerpunkt im Segment Automotive und leitet den Automotive-Restrukturierungsbereich in Deutschland.
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Alexander Zimmermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Organizational Excellence (CORE) am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Auswirkungen von Organisationsstrukturen und -mechanismen auf das nachhaltig profitable Wachstum von Unternehmen. Er ist im Rahmen von Forschungsprojekten bei BMW, Nestlé und Siemens tätig.
Stichwortverzeichnis AACSB 203 Action Learning 239 Anreizsysteme 238 Arbeitsfähigkeit 26, 27 Arbeitsmarkt für Führungskräfte Ausländeranteil 104, 106, 107 Auslandserfahrung 103 Entwicklungstrends 107 Internationalisierung 104, 106, 108 Mobilität 103, 104 Ärger 127, 129, 130, 135, 136, 137, 139, 140, 142, 143 Aufsicht Arbeitsbelastung 42 Auditierungsfunktion 44 Beratungsfunktion 44 Führungsfunktion 44 Haftungsrisiko 46 Informationsversorgung 43 Kognitive Fehler 52 Mandat 41 präventive Überwachung 41 rechtliche Grundlagen 41 Rollenmodell 43 Rollentriade 44 Selbstüberwachungsfunktion 45 Baby Boomer 25 Behavioral Theory 86 BMW 119 Bounded Rationality 86 British Council 161 Business Schools 195, 215, 217 Handelsschulen 202 Interdisziplinarität 204 Journal-Kultur 201 ökonomische Effizienz 199 qualitative Forschung 202 Quantifizierung der Forschung 202 Rankings 203 soziale Verantwortung 199 Verhaltenskodex 199 Wissenschaftsgemeinde 201
Cash- und Liquiditätsmanagement 10 CEO-Wechsel Auslöser 88 Auswirkungen 91, 92 Boomerang CEOs 90 Entlassung 88 Framework 87 Inside-Wechsel 94 Nachfolgeereignis 88 Nachfolger 87, 88, 89, 90, 92 Nichtroutine-Wechsel 88, 92, 94, 95 Outside-Wechsel 88, 94 Routine-Wechsel 92, 94, 95 Wechseltypen 85, 88, 90, 91, 92, 96 CFA Institute 198 Chief Strategy Officer 67 Aufgaben 73 Charakteristika 75 Definition 72 Erfahrungen 76 Erfolgswirkung 80 Fähigkeiten 75 Nutzen 79 Position 75 Rolle 72 Verbreitung 67 Continental 12 Corporate Governance Herausforderungen 42 Corporate Social Responsibility 169, 188, 199, 209 Covert Positive Self Perception 138, 142 Customer Value 188 DaimlerChrysler 122 Demographiefeste Unternehmensführung Charakteristika 21 Handlungsfelder 17, 21, 22, 23, 24, 31 Mitwirkung des Topmanagements 21 Demographischer Wandel Arbeitsbevölkerung 19 War for Talents 19 Diskriminierung 20, 27
250 EQUIS 203 European Foundation for Quality Management 198 Frühpensionierung 27, 29 Führung Altersspezifisch 27 Führungskräfteberatung 149 Führungskräfte-Coach 149 Führungsstile 116 Führung und Kultur 17, 27, 31 Ganzheitlichkeit 238, 239 Gemeinwohl 187, 189 Generationenmix 20 Generationenvielfalt 20 Gesellschaftliche Wertschöpfung 187 Gesundheitsmanagement 17, 22, 26, 31 Gesundheitsprobleme 26 Goethe-Institut 159, 161 Hard Power 157, 158, 159, 160, 161, 165, 167, 168, 169 Human Capital Critical Awareness & Knowledge 224, 228 Entwicklung 213, 223 Guided Application 224 Independent Application 224 Innungen 198 Inside Non-Relay Succession 90 Inside Relay Succession 89 Integrierte Führungsstrukturen Führungsfähigkeiten 123 Führungskontext 124 Intelligenz Fluide 28 Kristalline 28 Investitionen 7, 10, 12 Karrieremanagement 17, 29, 31 Kerngeschäft 10, 12 Kernkompetenzen 33 Komplementäre Führungsstrukturen 118 Balance zwischen Vorstand und mittlerem Management 122 Balance zwsichen Vorstand und Aufsichtsrat 121
Stichwortverzeichnis
Temporärer Wechsel 118 Komplexitätsreduktion 10 Kontext 77 Branche 79 Organisation 78 Region 79 Umwelt 79 Krisenmanagement 33 Kritikempfindlichkeit 127, 136, 137, 138, 142 Leadership Begriff 216 Leadership Development als HR-Aktivität 218 Definition 217 Praktiken 218, 226, 227, 228, 230 Rolle von Social Capital 221 Social Capital-Orientierung 223, 224, 226 Strategierealisierung 219, 221, 222, 231, 232 Wirksamkeit 219 Lean Management 216 Learning by Doing 239 Lernmethoden 29 Liquiditäts-Stresstest 9 Lufthansa 176, 178, 180, 181, 182, 183 M&A-Aktivitäten 12 Management Berufsstand 195, 196 ethisches Verhalten 197 Professionalisierung 197, 199, 203, 210 Wissensfundus 197, 205 Zertifizierungssystem 198 Management Development 217 Margen 9, 11 Marktführer 6, 7, 12 Merck & Co. 12 Microsoft 120 Nachhaltigkeit 209 Begriff 174 Indizes 177 Narzissmus 127, 129, 130, 132, 135, 136, 137, 140, 141
Stichwortverzeichnis
Offene positive Selbstwahrnehmung 138 ökonomische Effizienz Begriff 173 Spannungsverhältnis 174 Oracle 12 Overt Positive Self Perception 138, 142 Pensionierungsalter 30 Personalentwicklung 22, 28, 31 Persönlichkeit 129, 130, 131, 133, 134, 136, 139, 140, 141, 142, 143 Persönlichkeitsprofil 127, 130, 139 Pragmatiker 117, 118, 122, 123 Projektbüro 14, 15 Public Value 166, 168, 188, 189 Rezession Betroffenheit der eigenen Industrie 6 finanzielle Ressourcen 7 kurzfristige Maßnahmen 9, 10, 14 strukturelle Maßnahmen 8, 10, 12 Rollen 113, 115, 116, 118 institutioneller Führer 116 Kritiker 116 Mentor 116 Sponsor 116 Unternehmer 116 RWE 12 Schaeffler 12 Schlüsselkunden 12 Shareholder 88 Shareholder Value 187 Silver Market 20, 21 Smart Power 157 Social Capital Action Learning 229, 230 Assimilation Experience 225 Coaching 230 Contact Experience 225 Entwicklung 225, 226, 227, 228, 229, 230 Identification Experience 225 Job Assignment 229 Leadership Training 228 Mentoring 228 Networks/Offsites 228
251 Soft Power Cultural Diplomacy 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164 Evaluation 164 im Management 158, 167, 169, 170 in der Außenpolitik 157, 158, 159 in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik 158, 159, 162, 167, 169 Nation Branding 162 Public Diplomacy 162, 163 Soziale Verantwortung Corporate Social Responsibility 174 Firmenleitsätze 178 Grünbuch über die soziale Verantwortung der Unternehmen 177 Leuchtturmprojekte 180 Siemensstadt 177 Spannungsverhältnis 178 Stakeholder 91, 237, 238 Stakeholder Value 188 Strategie 67 -abteilung 75 Business Strategy 73 Corporate Strategy 73 -formulierung 73 -implementierung 73 -kompetenz 67 -prozess 73 Strategieausschuss Ausschussgröße 59 Delegation an 45 funktionale Besetzung 59 Pflichtverletzung 47 Rechtliche Grundlagen 45 Risiken 48 Vorteile 50 Strategie Professional Aus- und Weiterbildung 205 Gemeinwohl 209 Professionalisierung 208, 210 Verhaltensregeln 209 Wissensfundus 206 Zertifizierungssystem 208 Strategische Planung 34 Strategisches Management als Fähigkeit 238 als Grundhaltung 238 als Veränderungskompetenz 237
252
Stichwortverzeichnis
SWOT-Analyse 151 Symmetrische Überwachung 40, 52 Debiasing 52
Unternehmensstrategie Überwachung 40 Upper Echelons-Forschung 86
Talent Development 213, 215 Thyssen Krupp Nirosta GmbH Projekt JAN 22, 23 ThyssenKrupp Nirosta GmbH 25, 31 Topmanagement 21, 23, 28, 52, 103, 107, 122, 239 Topmanagementteam 67, 86 Mitglied 68 Nachfolge 79 Zusammensetzung 68 Training 27, 28, 29 Transformationale Führung 127, 130, 133, 134, 137, 143
Vattenfall 12 Verdeckte positive Selbstwahrnehmung 138 Verwaltungsrat 196, 206 Virgin Group 7 Visionär 117, 120, 122 Volkswagen 121, 174
Umsatz 10, 11 Unternehmenskäufe 33 Unternehmenskultur 20, 27, 28, 151 Wandel 27, 28 Unternehmensleitbild 151
Wandelinitiativen 113, 116, 122, 123, 124, 125 Wirtschaftsprüfer 198 Wissen Erfahrungsbasiert 28 Explizit 25 Implizit 25 Verlust 25 Wissensmanagement 17, 22, 24, 31 Zentrale Selbstbewertung 127, 131, 135
Responsible Corporate Competitiveness (RoCC) ist ein 2008 gegründeter Profil bereich der Universität St. Gallen. An ihm beteiligen sich rund 30 Professoren(innen) und Wissenschaftler(innen) aus verschiedenen Disziplinen und Instituten. Inhaltlich stehen die Herausforderungen einer verantwortungsvollen Führung und Strategie von Unternehmen im Fokus. Konkret stellt sich die Frage nach organisationalen und individuellen Fähigkeiten, die für die Bewältigung von zentralen Spannungsfeldern in diversifizierten Unternehmen erforderlich sind. Wie kann durch die Gruppenebene nachhaltig ein Mehrwert für die einzelnen Geschäfte generiert werden, den diese alleinstehend nicht realisieren können? Zu diesem Zweck werden ausgewählte Themen in Form von Forschungsprojekten, Workshops, Fallstudien, Konferenzen etc. untersucht. Erkenntnisse werden an Wissenschaft, Führungskräfte, Studierende, Medien und die allgemeine Öffentlichkeit weitergegeben. Aktivitäten des Profilbereichs im Jahr 2009 beinhalteten u.a. die Organisation einer Vortragsreihe zum Thema Responsible Corporate Competitiveness mit führenden Wissenschaftlern(innen) und Praktikeren(innen), die Produktion einer vierteiligen Sendung zu diesem Thema, die im Bayerischen Fernsehen (BR Alpha) der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde sowie Aktivitäten in Bezug auf die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Unter dem Titel Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise – Perspektiven der HSG analysierten Professorinnen und Professoren der Universität St. Gallen die Ursachen und Konsequenzen der Finanzmarktkrise und lieferten neue Lösungsansätze im Sinne einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. Diese Thematik wurde in einer Tagung zum Thema Nachhaltige Wege aus der Krise aufgegriffen, zu der ca. 15 Professoren(innen) aus dem Profilbereich RoCC mit einer gleich großen Gruppe von Topmanagern (VR Präsidenten, CEOs, CFOs) aus der Schweiz, Liechtenstein, Deutschland, Österreich und Frankreich zusammen kamen. Detaillierte Informationen zu vergangenen und kommenden Veranstaltungen finden sich auf der Website www.rocc.unisg.ch.