Stephan Sonnenburg (Hrsg.) Swarm Branding
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Stephan Sonnenburg (Hrsg.)
Swarm Branding Markenführung im Z...
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Stephan Sonnenburg (Hrsg.) Swarm Branding
VS RESEARCH
Stephan Sonnenburg (Hrsg.)
Swarm Branding Markenführung im Zeitalter von Web 2.0
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16297-3
Inhalt
Stephan Sonnenburg Vorwort ................................................................................................................. 7 Felix Burgold / Stephan Sonnenburg / Markus Voß Masse macht Marke: Die Bedeutung von Web 2.0 für die Markenführung ........................................... 9 Robert Caspar Mueller Von der Markentechnik zum kollaborativen Branding: Markenführung in der Postmoderne ................................................................... 19 Frank Otto Dietrich / Ralf Schmidt-Bleeker Marken sind Gespräche: Über Anatomie und Diffusion von Markenkommunikation in Netzwerken ....... 27 Paula Hannemann Co-Creative Branding: Zur Markenführung in der neuen Kommunikationsmatrix ................................. 49 Stephan Sonnenburg Markenmodelle des Involvements: Von der Mission zur Transmission ..................................................................... 73 Kerstin Dintner / Katrin Falbe / Sandro Kolbe / Markus Voß Strudel des Involvements: Das Fallbeispiel „Apple“ ................................................................................... 87 Dina Blauhorn / Julia Both / Cathleen Möbius / Annette Schneider Plattform des Involvements: Das Fallbeispiel „American Apparel“ ............................................................... 97 Mirus Fitzner Markeninvolvement durch Moral: Das Fallbeispiel „Vaude“ ................................................................................. 111
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Inhalt
Gesamtliteraturverzeichnis ............................................................................... 125 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ......................................................... 133
Vorwort
Mein besonderer Dank gilt allen involvierten Autorinnen und Autoren – Studierende an der Universität der Künste in Berlin und TeilnehmerInnen an einer meiner Lehrveranstaltungen zur Thematik „Swarm Branding“ im Wintersemester 2007/08. Die Referate und schriftlichen Ausarbeitungen waren von einem außergewöhnlichen Niveau, und so beschlossen wir gemeinsam, unsere Gedanken weiterzuentwickeln und in einem Sammelband zu veröffentlichen. An dieser Stelle möchte ich mich beim VS Verlag für Sozialwissenschaften für seine Unterstützung des Projekts bedanken. Die unterschiedlichen Perspektiven auf Swarm Branding – worunter zu verstehen ist, dass sich Marken immer mehr in einer Art Schwarm von sich involvierenden Akteuren aus Unternehmen, Stakeholdern und vor allem Konsumenten bilden – werden im vorliegenden Werk zu einem facettenreichen Gesamtbild verknüpft. Der Sammelband gliedert sich in drei Themenbereiche: TheorieFundament, Theorie-Praxis-Transfer sowie Praxis-Beispiele. Das Theorie-Fundament beginnt mit dem Beitrag von Felix Burgold, Stephan Sonnenburg und Markus Voß, in welchem sie sich mit der Bedeutung von Web 2.0 für die Markenführung auseinandersetzen. Dies ist für die weiteren Ausführungen deshalb relevant, da das Web 2.0 schon lange nicht mehr nur ein Kanal ist, durch den Marken kommuniziert werden, sondern da es auch immer prominenter das Markenverständnis prägt. Und dies hat zwangsläufig eine direkte Auswirkung auf die Markenführung, die Robert Caspar Mueller in seinem Beitrag historisch beleuchtet. Er beschäftigt sich mit der Entwicklung des Markenwesens und spannt dabei einen Bogen von der Markentechnik bis zur kollaborativen Markenführung, welche sich gerade durch Konsumenten profiliert, die immer noch reagieren, aber vor allem agieren. Frank Otto Dietrich und Ralf Schmidt-Bleeker entwickeln in ihrem Beitrag eine Perspektive auf Swarm Branding, die Marken als Gespräche in Netzwerken beobachtet. Inhalte dieser Gespräche sind vor allem Geschichten, die sich wie Viren im Internet verbreiten. Dabei ist von besonderer Bedeutung der Konflikt, der ein entscheidendes produktives Element für die von ihnen als dialektisch bezeichnete Markenführung in Netzwerken darstellt. Paula Hannemann modelliert in ihrem Beitrag einen Markenbezugsrahmen, den sie als Kommunikationsmatrix bezeichnet – einen Raum, in welchem sich Marken im Wechselspiel von Medien, Menschen und Märkten entwickeln. Für das Management dieser Matrix steht ihr Konzept der ko-kreativen Markenführung.
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Stephan Sonnenburg
Der Theorie-Praxis-Transfer erfolgt durch den Beitrag von Stephan Sonnenburg, der eine Brückenfunktion in diesem Sammelband einnimmt. Er überträgt die theoretischen Überlegungen der vorhergehenden Beiträge auf zwei Markenmodelle, die Handlungskorridore für die Praxis darstellen: der MarkenInvolvement-Kreislauf und die Brand-Involvement-Pyramide. Beide Modelle versuchen, die Grundsätze der Schwarm-basierten Markenführung zu operationalisieren. Gerade im Involvement der interessierten Konsumenten wird die große Chance und Gelingensbedingung für die Kreation und Kommunikation von Marken gesehen, die (schon längst) durch das Agieren von Konsumenten bestimmt werden. Anhand von drei Praxis-Beispielen aus unterschiedlichen Branchen wird exemplarisch verdeutlicht, wie sich Markeninvolvement durch ein systematisches und konsequentes Vorgehen durchgesetzt hat. Die Darstellung der einzelnen Fallstudien erfolgt für jedes Praxis-Beispiel in einer maßgeschneiderten Struktur, wobei alle drei Beiträge selbst noch einmal mit einem Theorieteil beginnen und die vorausgegangen Überlegungen zum Involvement situationsadäquat weiterprofilieren. Die Fallstudien sollen eine Hilfestellung bei der Gestaltung und Umsetzung von Involvementaktivitäten geben. Die Marke „Apple“ steht im Fokus des Beitrags von Kerstin Dintner, Katrin Falbe, Sandro Kolbe und Markus Voß. Sie verdeutlichen ihre Involvementvorstellungen anhand eines Modells, das sie speziell für Apple entwickelt haben: der Apfelstrudel des Involvements. Dina Blauhorn, Julia Both, Cathleen Möbius und Annette Schneider beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit der Marke „American Apparel“. Basierend auf dem Marken-Involvement-Kreislauf kreieren sie für das Konsumenteninvolvement eine Kommunikationsplattform, mit der sie vor allem die gesellschaftliche Einbindung der Markenentwicklung betonen möchten. Abschließend betont Mirus Fitzner in seinem Beitrag die Bedeutung von Corporate Social Responsibility für das Konsumenteninvolvement und führt seine Überlegungen am Beispiel des Unternehmens „Vaude“ aus. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine inspirierende Lektüre dieser Momentaufnahme zur Markenführung im Zeitalter von Web 2.0. Zum Einstieg in die nun folgenden Beiträge möchte ich auf Konfuzius verweisen: „Tell me, and I will forget. Show me, and I may remember. Involve me, and I will understand.“
Stephan Sonnenburg
Masse macht Marke: Die Bedeutung von Web 2.0 für die Markenführung Felix Burgold / Stephan Sonnenburg / Markus Voß
In der Marketing- und Werbewelt gibt es aktuell kaum ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit erfährt als das Web 2.0.1 Es wird viel diskutiert, was Schlagzeilen macht und gut für das eigene Geschäft ist. Aber das Phänomen „Web 2.0“ ist weit mehr als eine Hypevokabel oder ein Modethema, das fast schon zwangsläufig in Fachartikeln und theoretischen Betrachtungen von Gegenwartsprozessen auftauchen muss. Web 2.0 „gilt inzwischen als Chiffre, um eine Reihe von Veränderungen zusammenzufassen, welche die Geschäftsmodelle, Prozesse der Softwareentwicklung und Nutzungspraktiken des Internets berühren“2, und ist der Auslöser, dass das Internet zum kommunikativen Leitmedium avanciert und somit eine neue Ära der Markenkommunikation eingeläutet wird. In Bezug auf Marketing und Marke geht es längst nicht mehr nur um die technologische Evolution und die Frage des effektivsten und effizientesten Medien- und Kanäle-Mixes. Es geht vor allem darum, dass Web 2.0 das Markenverständnis, die Markenführung und die Markenkommunikation fundamental wandelt. Und noch mehr: Web 2.0 verändert die Einstellung der Menschen zu Marke und Kommunikation grundlegend, was nicht nur die virtuelle bzw. synthetische3, sondern auch die reale, sinnliche Markenrezeption beeinflusst. 1
Vgl. für einen systematischen Einstieg und Überblick zur Thematik Schroll / Rodenhäuser / Neef (2007), für eine wissenssoziologische Perspektive Willems (2008) sowie für eine kritische Reflexion Schmidt (2008), S. 19-22. Der Begriff „Web 2.0“ entstand in einem Brainstorming zwischen Dale Dougherty und Craig Cline zur Namensgebung einer neuen Konferenzreihe, die in San Francisco im Oktober 2004 das erste Mal stattfand. Mitinitiator Tim O’Reilly manifestierte den Begriff im September 2005 in seinem Artikel „What is Web 2.0 – Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software“, zu finden unter http://www.oreillynet.com (20.01.2009). Neben Web 2.0 haben sich Bezeichnungen wie „Social Software“, „Social Computing“ und „Computer-Mediated-Communication“ etabliert, die allerdings semantisch stärker die technologische Facette betonen, vgl. Döbler (2008), S. 119; Stegbauer / Jäckel (2008), S. 7-8. Als Synonym kann „Social Web“ betrachtet werden, ein Begriff, der den Fokus auf das Soziologische und Kommunikative legt, vgl. Zerfaß / Welker / Schmidt (2008). 2 Schmidt (2008), S. 18. 3 Edward Castronova (2006) profilierte die Bezeichnung „synthetische Welt“, die sich jedoch gegenüber dem einprägsameren, aber unscharfen Begriff der virtuellen Welt bisher nicht durchsetzen konnte. Unscharf ist virtuell deshalb, weil auch die virtuellen Welten „real“ sind.
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Felix Burgold / Stephan Sonnenburg / Markus Voß
Die Kommunikationswelt im Wandel
In den letzten Jahren lässt sich im Zuge der Internetisierung und all ihrer neuen Handlungsmöglichkeiten eine radikale Verschiebung in der Kommunikationskultur beobachten. Sie lässt sich mühelos als stille Revolution bezeichnen, denn die Veränderungen finden gleichzeitig und im globalen Ausmaß statt, betreffen herkunfts-, bildungs-, alters- sowie einkommensunabhängig jedes einzelne Individuum und zerfasern eine bis dato stabile und monokanalige Kommunikationsvertikalität zugunsten einer omnikanaligen und reziproken Kommunikationsplattform mit beachtlicher Horizontalität.4 Diese Prozesse sind gegenwärtig noch lange nicht abgeschlossen und bergen weiterhin enorme Wertschöpfungen und Kommunikationshoheiten für jene, die heute die zukünftig geltenden Strukturen erkennen und dies für sich zu nutzen wissen, was sich erst morgen als gefestigt etablieren wird. Das Potenzial des Internets wurde in der Vergangenheit mitnichten unterschätzt. Angetrieben durch seine Innovationskraft veränderte sich das Internet in der Mitte der 1990er Jahre zum „Bullseye“ sämtlicher Projektionsflächen vielschichtiger Visionen wie auch Illusionen. Die Goldgräberstimmung griff branchenübergreifend um sich und schien jeden zu belohnen, der möglichst schnell im Internet Aktivität vorweisen konnte. Selten wurden die Effizienz, der Nutzen und die Strategie der Unternehmungen bewertet. Das als „Platzen der DotcomBlase“ bezeichnete Ereignis riss die Wirtschaftswelt in eine Krise und fast sämtliche Unternehmen, die im Fahrwasser visionärer Illusionen unterwegs waren, in den Abgrund. Doch trotz dieses harten Aufschlagens auf dem Boden der Realität und der darauf folgenden Ernüchterung sowie Skepsis hinsichtlich der ökonomischen Verwertbarkeit des Internets verändert sich sein ursprüngliches Potenzial in keiner Weise. Das Gegenteil ist der Fall, denn in den letzten Jahren entfaltet sich das Internet zu einer neuen Blüte. Zwei wesentliche Entwicklungsstränge wirken sich zeitgleich als Multiplikatoren auf die bereits anerkannten Möglichkeiten des Internets aus: zum einen die stetig voranschreitende Entwicklung im Bereich der Computertechnik, die sowohl Hardware, Software wie auch die Zugangsgeschwindigkeiten verbilligt und verbessert, zum anderen die rasant steigende Informationsvielfalt, die jedes Individuum durch die Nutzung des Internets für sich entdecken und verwenden kann. Der zweite Aspekt birgt wiederum zwei sich gegenseitig antreibende Motoren. Der steigende Anteil an Inhalten führt zu steilen Zuwachsraten Surfender und umgekehrt. Neue Inhalte ins Internet zu stellen bleibt durch die technologi4 Siehe erweiternd die Ausführungen von Paula Hannemann zur Thematik der Kommunikationsmatrix in ihrem Beitrag dieser Publikation.
Masse macht Marke
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schen Errungenschaften nicht mehr nur denen vorbehalten, die über hoch qualifiziertes Insiderwissen verfügen, sondern gestaltet sich mittlerweile so einfach, dass es jedermann bewerkstelligen kann, der es nur will. Aus den nach Informationen suchenden Surfern werden auf diese Weise Handelnde, die das Internet und seine Inhalte seitdem mitgestalten, ausbauen und verbessern. So überrascht es nicht, dass nach dem Zerfall der ehemals enttäuschten Erwartungen und dem Einläuten einer neuen Kommunikationsära des Netzes ein klarer Trennstrich zwischen den einstigen hypothetischen Potenzialen und den längst fortgeschrittenen, realen Verschiebungsprozessen in der Kommunikationskultur gezogen werden wollte. Als Abgrenzungsvokabel hat sich der Begriff „Web 2.0“, der als Kunstwort die vollzogene Zäsur und das bereits betretene Terrain neuer Möglichkeiten treffsicher und international lesbar in sich trägt, etabliert.5 Mit der Bezeichnung „Web 2.0“ rücken jene Phänomene in den Fokus von Analysen, die dazu führen, dass sich Millionen Individuen auf Internetseiten aktiv bewegen. Dafür lassen sich zahlreiche Ursachen, die sich zwischen Technik und menschlichem Verhalten bewegen, lokalisieren: x x x
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Statische, reine HTML-Websites werden immer stärker durch dynamische, einfach zu bedienende, unendlich an Inhalten erweiterbare Content Management Systeme (CMS) ersetzt. Die Nutzung kommunikativer Technologien des Internets wie Instant Messaging, Emails oder Peer-to-Peer-Telefonie via Headset und Soundkarte ist kostenlos und damit ein unumstößliches Argument für ihren Einsatz. Stetige Bandbreitenzunahme, kostenbegrenzende Flatrates und extrem günstiger werdende Hardware treiben das Angebot des Internets weiter voran. Wo einst Bilddokumente das Maximum an Abbildungsqualität bedeuteten, drängen vermehrt Animationen und Filme in die virtuelle Welt. Softwareprodukte, die das Bearbeiten und Erzeugen multimedialer Inhalte ermöglichen, gewinnen immer mehr an Ergonomie und verkürzen die Einarbeitungszeit, was gleichzeitig das Angebot und die Varianz in diesem Bereich explodieren lässt. Portale wie YouTube und das medienübergreifende MySpace können sich gerade deshalb national und global etablieren. Niemand beurteilt Produkte und Dienstleistungen uneigennütziger als Freunde, Kollegen oder Verwandte. Durch das Internet finden Nutzer sofort Zugang zu zahllosen derartigen Beurteilungen, in denen unverfälscht und
5 Für das weitere Voranschreiten des Internets finden sich mittlerweile Bezeichnungen wie Web 3.0, 4.0 oder gar 5.0, wobei zu sagen ist, dass diese Begriffe nicht die Wirk- und Abgrenzungskraft von Web 2.0 haben, sondern lediglich verdeutlichen sollen, dass auch das Web 2.0 nicht stehen bleibt. Deshalb wäre es überlegenswert, von Web 2.1 und fortlaufend zu sprechen.
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mehrheitlich altruistisch über positive wie negative Eigenschaften eines Produkts diskutiert wird.6 Neben der größeren Authentizität von Inhalten auf den Seiten ihres Vertrauens gibt es immer mehr kostenlose Pendants zu kostenpflichtigen Angeboten aus der realen Welt. Im Hobby- und Fachwissenssektor ist es in der realen Welt deutlich schwieriger, Gleichgesinnte und -interessierte zu finden, während über das Internet bereits zahlreiche Communities zu eben diesen Themen entstehen und einen jederzeit zugänglichen Austausch schaffen.
Wenn man sich die genannten Einflussfaktoren betrachtet und die technischen Aspekte außer Acht lässt, kommt man zur folgenden Erkenntnis: Menschen wählen von allen Angeboten genau jene aus, die ihnen die meisten Vorteile bringen. Und haben Produkte sowie Leistungen der realen Welt im Vergleich zu jenen der Virtualität auch nur geringfügige Nachteile, werden alte Gewohnheiten zugunsten der neuen und effizienteren Möglichkeiten, die das Internet bietet, korrigiert.
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Die Zukunft der internetdominierten Kommunikation
Die oben aufgelistete Skizzierung der Möglichkeitsbedingungen von Web 2.0 führt nur jene Punkte an, die mit Blick auf die Vergangenheit in die Gegenwart hinein festzustellen sind. Blicke in die Zukunft sind schwer zu prognostizieren, aber Entwicklungen lassen sich bereits beobachten, wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen: x x x x
Abbildungsqualitäten internetgestützter Videostreams werden die der herkömmlichen Fernsehtechnik erreichen oder sogar übertrumpfen. Ein großer Markt für wohnzimmertaugliche Technologien wird entstehen, und gleichzeitig wird die mobile iPod-Welt noch deutlicher über das MP3Format hinaus zum multimedialen Alleskönner werden. On-Demand-Angebote werden Urzeitdiktate der herkömmlichen Fernsehtechnik ablösen und klassische Videothekfilialisten existenziell bedrohen. Die tägliche durchschnittliche Nutzungsdauer des Fernsehens wird durch interessensindividuelle Angebote des Internets weiter fallen.
6 Selbstverständlich lassen sich solche Beurteilungen auch durch Nutzer manipulieren, die z.B. für das rezensierte Unternehmen arbeiten. Dennoch kann man von einer Tendenz zu seriösen und glaubwürdigen Beurteilungen allein auf Grund ihrer Masse sprechen.
Masse macht Marke
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Bestehende Fernsehsender werden Inhalte vermehrt parallel im Internet positionieren. Technologien zur Echtzeitfilterung von Werbepausen werden entstehen – mit unabsehbarer Konsequenz, welche Inhalte User zwischenzeitlich rezipieren werden. Reichweiten klassischer Fernsehwerbung werden durch die entstehende multimediale Formatvielfalt deutlich einbrechen. Die Generation der „Digital Natives“7, die mit den Möglichkeiten des Internets groß geworden ist, wird durch die Breite des Internetangebots mit weiter steigender Konsequenz klassischen Informationsträgern wie Print und TV den Rücken kehren.
Die genannten Einflüsse könnten mittel- bis langfristig zu großen Herausforderungen für erfolgreiche Kommunikationsplanung heranreifen, während gleichzeitig bei allen neuen Angeboten und Innovationen zwischen Hype und Trend unterschieden werden muss. Mit Blick auf die heutige Situation ist ein Innovationsfeld bereits in vollem Gange und für die weitere Entwicklung des Internets höchst spannend: das Geotagging. Darunter ist das Hinzufügen, das „Taggen“ von zumeist geografischen Daten zu verstehen. Informationen werden durch Geotagging lokalisierbar, so dass das Internet realer, lebensnäher und alltagstauglicher wird. In anderen Worten: Das Internet bekommt eine indexikalische Dimension bzw. die Dimension der räumlichen Realität.8 „Diese ,Renaissance‘ des Ortes dürfte für die weitere Entwicklung des Webs von fundamentaler Bedeutung sein. Am Horizont erscheint ein Netz, das mobil, immer verfügbar, kontextsensitiv und, ganz wesentlich, ortsbasiert ist, d.h. je nach Ort sich variabel präsentiert und situativ adäquate Informationen vorhält.“9
In Bezug auf Geotagging sei auf Aka-Aki verwiesen.10 Dahinter verbirgt sich eine Geotagging-Plattform für das Social-Networking. Auf dem Handy eines Aka-Aki-Users wird angezeigt, welche anderen Community-Mitglieder sich im Umkreis von 20 Metern befinden – und dies mit Foto und weiteren Infos zur Person, die eine Face-to-Face-Kontaktaufnahme erleichtern. Wie man am 7
Zerfaß (2007), S. 9. Weitverbreitete Anwendungsmöglichkeiten sind Google Maps und Google Earth, mit deren Hilfe die Erde neu erlebbar wird. Geotagging ist im Zusammenhang mit Entwicklungen zu sehen, die als „Augmented Reality“ oder „Hyperlocality“ bezeichnet werden, worunter grundlegend zu verstehen ist, dass sich das Internet von der Virtualität in die reale Welt ausdehnt, siehe einführend Celko (2008), S.8ff. 9 Schroll / Rodenhäuser / Neef (2007), S. 26. 10 Vgl. www.aka-aki.com. 8
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Beispiel von Aka-Aki sieht, gehen die physische Präsenz und das Internet eine neue Verbindungsqualität ein. Online und Offline verschmelzen, Realität und Virtualität werden eins. Das Szenario der Virturealität mag beunruhigend stimmen, letztlich bedeutet dieser wie alle anderen kommunikativen Transformationsprozesse eine völlige Neuordnung des Rezeptionsverhaltens, bei dem Passivität nicht mehr im Vordergrund steht.
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Die Marke im Zeitalter von Web 2.0
Markenkommunikation ist für Konsumenten bis heute noch in weiten Strecken ein „Über-sich-ergehen-lassen“ von Kommunikationsbotschaften bzw. eine Einbahnstraße, ein Monolog vom Unternehmen zu seinen Zielgruppen. Seit den 1970er Jahren gewinnt die Dialogkommunikation an Bedeutung. Wobei zu sagen ist, dass der Dialog bis zur Ausbreitung des Internets zwischen den Marktpartnern ungleich verteilt war. Denn die Kommunikationsinhalte wurden weiterhin von den Unternehmen diktiert. Gerade durch die Techniken des Web 2.0 kann der Konsument zum ersten Mal kommunikative Wirksamkeit erzielen. Und er gewinnt an Markenmacht in dem Sinne, dass er entscheidet, mit welchen Marken er sich umgibt, mit welchen er kommunizieren möchte und welche Botschaften er aufnimmt. Für den Erfolg im Marketing bedeutet dies einen Paradigmenwechsel weg vom „Push“-Prinzip, also der monologisierenden Markenansprache einer mehr oder weniger anonymen Klientel, hin zum „Pull“-Prinzip, dem individuellen, auf die speziellen Bedürfnisse ausgerichteten Markendialog mit dem Kunden über vielerlei verschiedene Medienkanäle. Konsumenten wollen aber mehr, denn mit zunehmender Macht begegnen sie den Unternehmen zum ersten Mal wirklich auf Augenhöhe. Sie fordern den gleichberechtigten Markendialog, da das Internet ihnen eine Stimme gibt, die inzwischen oft lauter ist als selbst die der großen Konzerne. So scheint es für Marketers unabdingbar zu sein, sich diesen neuen Spielregeln anzupassen, da die Markenbildung ansonsten ganz einfach ohne sie abläuft.11 Und noch bedeutender für das Markenmanagement: Konsumenten haben einen Raum erhalten, in dem sie selber Markeninhalte kreieren und archivieren sowie sich über Marken weltweit austauschen können, ohne dass die Unternehmen als „Markeneigentümer“, in welcher Form auch immer, beteiligt sind. In diesem Fall kann man von polylogischer Kommunikation oder C2C11 Zur Evolution und Wandlung der Kommunikation zwischen Unternehmen und Verbrauchern siehe Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 316-317.
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Kommunikation sprechen.12 Laut der Marketingkoryphäe Jackie Huba produzieren Konsumenten mittlerweile genauso viel oder sogar mehr Markeninformationen als die Unternehmen mit ihrer Kommunikation.13 Mit ihren Inhalten können sie Unternehmen und Marken einerseits erheblich schädigen, andererseits aber auch beachtlich unterstützen. Was passieren kann, wenn man sich den neuen kommunikativen Spielregeln nicht anpasst, zeigt anschaulich das Beispiel der Marke „Kryptonite“: Am 12. September 2004 wurde auf dem Internetforum bikeforums.net ein Eintrag veröffentlicht, in dem der Autor darauf hinwies, dass ein Kryptonite-Fahrradschloss – eigentlich ein Synonym für teueren, aber sicheren Fahrraddiebstahlschutz – mittels eines ordinären BIC-Kugelschreibers sehr einfach geknackt werden kann. Um Ungläubige zu überzeugen, wurde zwei Tage später an selber Stelle ein Video zum Download bereitgestellt, das die erstaunlich scheinende Behauptung auf entwaffnend plakative Weise veranschaulichte, denn es genügten wenige Sekunden, das Schloss zu öffnen. Das Dementi des betroffenen Unternehmens konnte nicht verhindern, dass die Geschichte binnen weniger Tage von großen Agenturen aufgenommen wurde, die das Thema weltweit verbreiteten. Nur zehn Tage später war Kryptonite gezwungen, einen kostenlosen Austausch der Schlösser anzubieten – mit Kosten für das Unternehmen in Höhe von 10 Millionen US-Dollar. Kryptonite machte zu diesem Zeitpunkt einen Jahresumsatz von 25 Millionen US-Dollar. Ein privater Eintrag auf einer Internetseite hatte also binnen weniger Tage zu dramatischem, wirtschaftlichem Schaden geführt.14 Die unvermeidlich durch die Verbraucher entstehenden Markenbildungsprozesse aus der Hand zu geben und teilweise den Nutzern oder Kunden zu überlassen, fällt vielen Unternehmen schwer. Für den langfristigen Erfolg ist es besser, wenn man seine Stakeholder in die Markenbildung und -kommunikation rechtzeitig einbindet. Durch ihre Involvierung können Markenschädigungen wie im Fall von Kryptonite frühzeitig vermieden und Konsumenten zu Markenunterstützern aufgebaut werden. Trotz der sich verändernden Markenhoheit wäre es jedoch eine falsche Vorstellung, dass die polylogische Markenkommunikation den Dialog zwischen Unternehmen und Konsumenten völlig ablöst. Für Marketingabteilungen und Agenturen stellt sich aber immer häufiger die Frage, auf welche Art und Weise überzeugende Markengestaltung und -kommunikation zwischen Dialog und Polylog funktionieren kann. Unbestreitbar ist in diesem Zusammenhang, dass die moderne Markenführung die technischen Entwicklungen des Internets nicht aus den Augen verlieren darf, die Relevanz einer enormen Vielzahl von kommunika12
C2C ist die Abkürzung für Consumer to Consumer, vgl. Kaiser (2007), S. 11. Vgl. Oetting (2006), S. 184. 14 Beispiel aus Oetting (2006), S. 175-176. 13
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tiven Trends und Spielarten richtig einzuschätzen hat und teilweise bestimmt nur punktuell – auf ein singuläres Event oder auf eine ephemere Plattform zugeschnitten – aktiv werden sollte. Darüber hinaus gilt es, die Markenkommunikate instantan mobilisierbar zu halten, sei es z.B. aus Sicht der Public Relations, um polarisierende Meinungsbildung, die jederzeit und allerorts stattfinden kann, dialogisch aufzufangen, oder sei es aus Sicht der Werbung, um an technologischen Trends mit großem Unterhaltungswert partizipieren zu können. Die erforderliche kommunikative Spontaneität lässt sich nur mit sorgfältiger Vorbereitung erreichen, und hier offenbart sich eine große Herausforderung für die Markenführung: Handelt es sich im Fall X nur um einen kurzlebigen Trend ohne Handlungsimperativ für die Marke oder um einen dauerhaften Kommunikationsknotenpunkt mit langfristiger Relevanz, der von nun an planerisch in künftige Aktivitäten der Markenführung inkludiert werden muss?
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Ein Web 2.0-affines Markenverständnis
Die bisherigen Vorstellungen von Marke als Technik, als Persönlichkeit, als Kommunikation oder System greifen zu kurz, um den veränderten Bedingungen der Markenführung Rechnung zu tragen.15 Denn sie begreifen, mehr oder weniger stark ausgeprägt, den Konsumenten als passives Wesen. Zwar hat sich für den neuen Konsumenten, der aktiv an der Markengestaltung und Markenkommunikation mitwirken will, noch kein richtungsweisender Begriff profiliert. Im Gespräch sind die Bezeichnungen „Akteur“, „Fan“, „Liebhaber“, „Marktpartner“16, „emanzipierter Konsument"17, das von Alvin Toffler kreierte Wort „Prosument“18 oder „Produser“19. Die Wandlung von ohnmächtigen Konsumenten zu mächtigen Prosumenten trägt maßgeblich dazu bei, dass die Bedeutung der klassischen Werbung für die Markenbildung schwindet. Man kann sogar Folgendes beobachten: Je gestörter sich Prosumenten durch Werbung fühlen, desto mehr verlassen sie sich auf Mundpropaganda bzw. C2C-Kommunikation im Internet und hören immer weniger auf die professionelle Markenkommunikation, die schöne Werbe(schein)welten entwickelt.20 15 Für einen Überblick zur Entwicklung der Wissenschaft vom Markenwesen siehe Hellmann (2003), S. 63-106 und die Ausführungen von Robert Caspar Mueller in seinem Publikationsbeitrag. 16 Vgl. Assmann / Schildhauer / Waller (2008), S. 311ff. 17 Vgl. Weibel (2007), S. 5-6. 18 Vgl. Toffler (1980), S. 265-288. Erweiternd Leadbeater (2008), S. 98-108. 19 Vgl. Bruns (2008). 20 Vgl. Oetting (2006), S. 176-177; Frick / Hauser (2007), S. 84-86.
Masse macht Marke
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Welcher Begriff sich auch immer für die Konsumentengeneration 2.0 durchsetzen mag, eines scheint klar zu sein: Marken sind immer mehr Kommunikationsphänomene, die sich im Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Markeninteressierten bilden. Noch schärfer formuliert und deshalb auch ein Verweis auf Fußball. In Folge von Web 2.0 kann eine große Marke nur dann erfolgreich sein, wenn es eine Art von Teamplay gibt, an dem alle Interessenten einer Marke mitwirken bzw. mitspielen dürfen. Und dieses Teamplay muss für erfolgreiche Markenkommunikation auf Ehrlichkeit, Vertrauen, Fairplay und vor allem Transparenz21 fußen.
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Vom Dialog über den Polylog zum Swarm
Wie bereits ausgeführt, findet ein Großteil der Markenführung mittlerweile ohne die Markeneigentümer und ihre Marketingabteilungen statt. Unternehmen, welche die Markenkommunikation trotz der veränderten Bedingungen weiterhin einigermaßen überblicken wollen, müssen auf das Zusammenspiel mit möglichst vielen Akteuren setzen. Denn sie können bei ihrem alltäglichen Erfahrungs- und Erlebnisaustausch über Produkte und Dienstleistungen bis hin zu aufwendig gestalteten Werbefilmen oder selbstkreierten Websites, welche die Marken im Internet rühmen oder anprangern, die Marketers unterstützen oder aber ihre Bemühungen höchst erfolgreich zunichtemachen. Für eine erfolgreiche Markenführung im Zeitalter von Web 2.0 muss sich die unternehmerische Markenkommunikation den Konsumenten gegenüber öffnen und sie in die Prozesse der Markenbildung einbeziehen. In Anlehnung an den Titel dieser Publikation kann man davon sprechen, dass sich zukünftig Marken immer stärker in einer Art Schwarm von Akteuren entwickeln. Anstatt Swarm Branding zu fürchten, sollte ein Unternehmen Teil dieses Schwarms werden, um positive Effekte für die eigene Wahrnehmung bei den Kunden zu erreichen. Durch die Möglichkeiten von Web 2.0 lassen sich Markenschwärme durchaus im Sinne der Markeneigentümer handhaben. In Abhängigkeit von den Zielsetzungen kann man das Internet z.B. nutzen, um Abstimmungen herbeizuführen, sich mittels Blogs mit den Prosumenten auszutauschen, Nutzern Produkttests zu ermöglichen oder fremdinitiierte Markencommunitys zu involvieren. Durch die Einbindung von Markenliebhabern entstehen nicht nur bessere Produktlösungen, sondern durch positive Mundpropaganda auch Markeneffekte, die in letzter Konsequenz eine Absatzsteigerung mitsichbringen werden. 21
Vgl. Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 60-61.
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Felix Burgold / Stephan Sonnenburg / Markus Voß
Wenn Unternehmen den Weg des Swarm Brandings bzw. der kooperativen Markenführung einschlagen, werden Marken mit ihrer Kommunikation die Chance erhalten, direkter (Reise-)Begleiter der Menschen zu sein und sich vollkommen in ihren sozialen und kommunikativen Alltag zu integrieren. Welche Auswirkungen dies für die Nutzung und Rezeption von Marken sowie für die Akzeptanz und Toleranz der Menschen gegenüber Marken hat, wird sich allerdings weisen müssen.
Von der Markentechnik zum kollaborativen Branding: Markenführung in der Postmoderne Robert Caspar Mueller
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Einleitung
Wirft man einen Blick auf die Selbstdarstellungen und Fallstudien von PR- und Werbeagenturen, so ist die Führung von Marken ein Prozess, bei dem, sofern man die richtigen Experten damit beauftragt, eigentlich nichts mehr schief gehen kann. Es mag zunächst nicht verwundern, dass besonders jene mit vorrangig geschäftlichen Interessen das Expertenwissen zur Führung von Marken für sich beanspruchen. Doch auch im wissenschaftlichen Diskurs stößt man – überraschenderweise? – immer wieder auf Modelle, die mehr einer Anleitung zur erfolgreichen Markenführung gleichen als die komplexen Zusammenhänge tatsächlich durchdringen. In diesem Beitrag sollen das Markenwesen und seine Paradigmen1 vom Standpunkt des Beobachters dritter Ordnung beleuchtet werden. Im ersten Teil wird dazu die historische Entwicklung des Markenwesens in Deutschland nachgezeichnet. Der zweite Abschnitt widmet sich dann dem Publikum von Marken, den Konsumenten und ihrem Rezeptionsverhalten. Abschließend werden diese Erkenntnisse den bisherigen Paradigmen des Markenwesens gegenübergestellt und deren Implikationen für eine kollaborative Markenführung an einem Beispiel aus der Praxis aufgezeigt. 2
Die Paradigmen der Markenführung
Seit der Entstehung des modernen Markenartikels in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts – als Beispiele seien Odol-Mundwasser oder Leibniz-Kekse genannt – haben Theorie und Praxis unermüdliche Versuche unternommen, das Phänomen „Marke“ in Modellen zu beschreiben und zu erklären. Die Wissenschaft vom Markenwesen entwickelte dabei immer wieder Paradigmen, die nach 1 Der Begriff des Paradigmas wird in diesem Text im Sinne des Wissenschaftstheoretikers Thomas Kuhn verwendet, der Paradigmen als die vorherrschenden Denkmuster einer bestimmten Zeit definiert, vgl. Kuhn (1976).
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Robert Caspar Mueller
einigen Jahrzehnten von neuen Paradigmen abgelöst wurden, teils aber auch bis heute weiter existieren. Der Soziologe Kai-Uwe Hellmann identifiziert drei symptomatische Paradigmen im Markenwesen der letzten einhundert Jahre: die Marke als Technik, die Marke als Persönlichkeit und die Marke als Kommunikation.2
2.1 Die Marke als Technik Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchte man zunächst, sich der Erscheinung erfolgreicher Markenartikel klassifikatorisch zu nähern. Dazu wurde das Produkt in einzelne Merkmale wie Warenzeichen, Qualität, Preis und Nutzen zerlegt, die danach wieder zu einem Merkmalskatalog zusammengefügt wurden. Dieser Ansatz stieß auch in der Wirtschaft auf großes Interesse, schienen diese Merkmalskataloge doch eine Art „Gebrauchsanleitung zum Bau von Marken“3 aus der Herstellerperspektive zu bieten. Doch bereits in den 1930er Jahren erkannte Domizlaff, dass die Herstellung einer Marke nicht mit der Herstellung eines Produkts über reine Merkmalskataloge gleichgesetzt werden kann, da die Marke selbst über eine Seele verfüge und „ausschließlich ein Erzeugnis der Massenpsyche“4 der Verbraucher sei.
2.2 Die Marke als Persönlichkeit Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre wurden die Märkte von Produkten durchdrungen, die fast durchweg die Merkmalskataloge der Markentechniker erfüllten und mit Massenkommunikation beworben wurden. Für Markenartikler war jedoch kaum noch eine relevante Differenzierung im Markt möglich, und die Markentechnik konnte für dieses Phänomen auch auf theoretischer Ebene keine Erklärung anbieten. Wie schon bei Domizlaff zu erkennen, zeichnete sich ein Paradigmenwechsel weg von der rein technischen Herstellerperspektive hin zu einer psychologischen Betrachtung ab. Dabei rückten in den 1960er Jahren zunehmend der Verbraucher und seine Wahrnehmung der Marke in den 5 Mittelpunkt. Als entscheidend für die Differenzierung von Marken wurde nun nicht mehr der Grundnutzen des Produkts, sondern sein Zusatznutzen – ein emotionaler Mehrwert, welcher der Marke vom Verbraucher zugeschrieben wird – 2
Vgl. Hellmann (2003), S. 68-69. Hellmann (2003), S. 73. 4 Domizlaff (1992), S. 159. 5 Vgl. Hellmann (2003), S. 78. 3
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gesehen. Das Image einer Marke, also das Bild von ihr, das in den Köpfen der Konsumenten existiert, sollte demnach durch möglichst einzig-artige, über Werbung vermittelte Zusatznutzen gezielt beeinflusst werden.6 Da zur Beschreibung der psychologischen Wahrnehmung von Marken bestimmte Persönlichkeitsmerkmale des Menschen auf diese übertragen wurden, lag es nahe, die Marke auch selbst als Persönlichkeit zu betrachten. Auf anonymen Massenmärkten sollte die Marke nun in die Rolle eines vertrauenswürdigen Geschäftspartners schlüpfen und vom Verbraucher aufgrund ihrer Vertrauensund Orientierungsfunktion präferiert werden. Obgleich dieses Paradigma bis in die Gegenwart hinein weite Verbreitung erfährt, – so postulierte Kapferer noch 1992: „Die Marke ist eine Persönlichkeit und hat einen eigenen Charakter.“7 – stellte sich für die Forschung die Frage, welche Einflussfaktoren das Ziel einer stringenten Markenpersönlichkeit denn letztlich bestimmen.
2.3 Die Marke als Kommunikation Als sich gegen Ende der 1980er Jahre die Erkenntnis durchsetzte, dass sich wesentliche psychologische Funktionen der Marke, wie z.B. Vertrauens- oder Geltungsfunktion, auf die Kommunikation zwischen Marke und Verbraucher beziehen, ergänzte das Kommunikationsparadigma die Persönlichkeitsmodelle. Der wichtigste Einflussfaktor für die Entwicklung einer Markenpersönlichkeit und ihren Erfolg beim Publikum wurde nun ihre Kommunikation. Aber selbst wenn die Markenpersönlichkeit als ein in Theorie und Praxis des Markenwesens im Grundsatz nach wie vor akzeptiertes Identitätskonstrukt gilt, steht gleichfalls fest, „dass man die Markt- und Verbraucherforschung befragen muss, wenn man 8 erfahren will, was die Marke ‚wirklich’ ist.“ 3
Der postmoderne Konsument
Betrachtet man die aus den verschiedenen Paradigmen heraus entwickelten Modelle zur Führung von Marken, so fällt auf, dass speziell in der Praxis der bereits ganz zu Beginn des Markenwesens verkündete Anspruch einer Gebrauchsanleitung für Marken nach wie vor weit verbreitet ist. Ob Modelle wie der Genetische Code der Marke des Instituts für Markentechnik, das Brand Personality Game6
Vgl. Kroeber-Riel, (1990), S. 77-78. Kapferer (1992), S. 51. 8 Hellmann (2003), S. 106. 7
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Robert Caspar Mueller
board der Unternehmensberatung McKinsey oder das Markensteuerrad des Marktforschungsinstituts Icon Added Value, der Konsument wird in der Regel noch immer als eine eindeutig klassifizierbare Größe betrachtet, die – ähnlich den Merkmalskatalogen der Markentechniker – in Zielgruppen gepresst und mit Nutzenversprechen im Sinne eines überholten Stimulus-Response-Modells beeinflusst werden kann. Dem entgegen steht die These des unmanageable consumer, der sich durch ein höchst individuelles, multioptionales und teils widersprüchliches Konsumverhalten auszeichnet und über klassische Segmentierungsvariablen wie Alter, Geschlecht, Einkommen oder Freizeitbeschäftigungen für die Marktforschung kaum noch greifbar ist.9 Die Pluralisierung der Gesellschaft hat zudem eine Vielzahl neuer, posttraditionaler Formen von Vergemeinschaftung entstehen lassen. Vor allem jüngere Menschen auf der Suche nach Identität und sozialer Orientierung finden in Szenen zusammen, zu denen Außenstehende – und dazu gehören auch Marketingverantwortliche und Marktforscher – keinen Zugang besitzen.
3.1 Brand Communities statt Zielgruppen Für Hitzler sind Szenen „thematisch fokussierte kulturelle Netzwerke“10, Liebl sieht in ihnen außerdem „Deutungsgemeinschaften, die Deutungsmuster für Trends und Issues generieren“11. Im Gegensatz zu den nach herkömmlichen Merkmalskatalogen konstruierten Zielgruppen wirken Szenen aus sich selbst heraus als sinn- und identitätsstiftende Gemeinschaften und bilden somit auch die ausdifferenzierten Lebensstile der Postmoderne ab.12 Als eine Form der posttraditionalen Vergemeinschaftung gelten auch Brand Communities. Diese Markengemeinschaften sind geographisch ungebundene Netzwerke von Konsumenten, die ihr Interesse für eine Marke, ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen und in sozialen Beziehungen interagieren.13 Für Unternehmen und Marken bedeutet dies, dass – nicht zuletzt durch das Internet – unzählige neue Kommunikationsstrukturen und Netzwerke entstanden sind, auf deren Diskurse und Deutungsmuster sie mit klassischer Massenkommunikation nur noch geringen Einfluss nehmen können.
9
Vgl. Gabriel / Lang (2006), S. 4ff. Hitzler (2005), S. 20. Liebl (2000b), S. 83. 12 Vgl. Baumgartner (2007), S. 15 und erweiternd Welsch (2002). 13 Vgl. Baumgartner (2007), S. 16. 10 11
Von der Markentechnik zum kollaborativen Branding
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3.2 Bricolage und Détournement Eine weitere Herausforderung für das Markenwesen liegt in den zunehmend unberechenbaren Bedeutungszuschreibungen des postmodernen Konsumenten. Denn als eine Art Bastler wirkt er den Strategien der Unternehmen oft bewusst entgegen und entwickelt Konsummuster, die mit Marken und Produkten kontextüberschreitend spielen und diese neu interpretieren. Mit einer solchen Bricolage kann er seine Identität jenseits der in der Produktwerbung gezeigten Lebensstile und Erlebniswelten frei inszenieren.14 Dabei werden Marken und Produkte manchmal völlig anders verwendet, als der Hersteller es vorgesehen hat. Der Konsum wird so zu einem „zweiten Akt der Produktion“15, bei dem das Produkt durch Détournement auf kreative Weise umgedeutet und den eigenen Wünschen entsprechend zweckentfremdet wird.16 4
Die Zukunft der Marke
Es stellt sich die Frage, wie das Markenwesen diese Entwicklungen antizipieren und neue Konzepte entwickeln kann. Denn alle bekannten, aus den drei großen Paradigmen heraus entwickelten Markenmodelle blenden die Taktiken des in eigenen kulturellen Netzwerken organisierten, munter bastelnden, umdeutenden und zweckentfremdenden Konsumenten in weiten Teilen aus, geschweige denn vermögen sie es, sein Verhalten vorauszusagen. Und obwohl die Marktforschung mit immer wieder neu entwickelten Methoden, wie z.B. ethnographischen Interviews, verstärkt den Versuch unternimmt, das Verhalten des Verbrauchers zu entschlüsseln, scheint doch Luhmann Recht zu behalten, der das Paradox so beschreibt: „Je mehr die Bedingungen des Verstehens verstanden werden, desto 17 weniger ist es möglich.“ Zwar sah schon Domizlaff die Marke in den Köpfen der Verbraucher verankert, doch die eigentliche Konsequenz daraus, nämlich den Verbraucher auch an der Erschaffung und Führung seiner Marke unmittelbar zu beteiligen, ist erst in jüngster Zeit ins Blickfeld des Markenwesens gerückt.18
14
Vgl. Lévi-Strauss (1966), S. 19ff. Liebl / Düllo / Kiel (2005), S. 22. Vgl. de Certeau (1988), S. 23-24. 17 Luhmann (1986), S. 82. 18 Vgl. Feige (2007), S. 197. 15 16
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4.1 Die Marke als kollaborativer Prozess Erkennt man den Konsumenten nun als Co-Créateur der Marke an, bedeutet dies nichts anderes als die Fortführung des Produktionsaktes nach de Certeau auf der Ebene des Markenwesens. Während die Zweckentfremdung und Kontextverschiebung von Produkten durch den Konsumenten bereits als zusätzliche Inspirations- und Wertschöpfungsquelle für die experimentelle Produktentwicklung gesehen wird, erweitern sich diese Möglichkeitsräume nun auf die Marke selbst. Dabei geht die im Kern immer noch von den Unternehmen beanspruchte Deutungshoheit über ihre Marke tatsächlich weitgehend auf den Konsumenten über, der nicht länger nur über deren Rezeption bestimmt, sondern in einem kollaborativen Akt des Swarm Branding19 auch am Entstehungsprozess und der Führung von Marken unmittelbar beteiligt wird bzw. beteiligt werden möchte.
4.2 Swarm Branding im sozialen Netzwerk „StudiVZ“ Wie Konsumenten gemeinschaftlich als Co-Créateure einer Marke agieren können, soll im Folgenden am Beispiel des sozialen Web 2.0-Netzwerks StudiVZ untersucht werden. Um StudiVZ als Marke zu etablieren und neue Mitglieder zu gewinnen, wurde vom Unternehmen eine Werbeagentur mit der Entwicklung einer Kampagne beauftragt. Doch was zeichnete das erst wenige Monate zuvor gegründete StudiVZ bis dato aus, und was könnte die Marke kommunizieren? Bei der Konzeption der Kampagne stieß man auf ein für das StudiVZ charakteristisches Phänomen – die Namensgebung von Gruppen, die Mitglieder gründen und denen andere beitreten können. Schon bald hatten Mitglieder diese Gruppen im besten Sinne de Certeaus zweckentfremdet: Anstelle der Zusammenführung Gleichgesinnter, wie in Lerngruppen, war eine Art Wettbewerb um die kreativsten und lustigsten Gruppennamen entstanden, die teils an die Situationisten und Sponti-Sprüche der 1960er und 1970er Jahre erinnern, teils auch Züge eines spätpubertären Humors tragen, so z.B. die Gruppen „Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“, „Dicke Kinder sind schwerer zu entfüh20 ren“ oder „Geile Frauen scheißen nicht“.
19 Der Begriff des Swarm Branding bezeichnet in diesem Beitrag Markenbildungsprozesse durch die Schwarmintelligenz bestimmter Konsumentengruppen, siehe hierzu auch die Ausführungen von Burgold, Sonnenburg und Voß in dieser Publikation. 20 Vgl. Amirkhizi (2007), S. 27.
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Das Unternehmen sah in diesen Gruppen eine wichtige Facette der Marke StudiVZ und ließ einige der Titel von der Werbeagentur in schrägen Kurzfilmen visualisieren. Die Gemeinschaft der StudiVZ-Mitglieder wurde damit in einem Akt des Swarm Branding zu Co-Créateuren des Bildes der Marke in der Öffentlichkeit. Dies hätte durchaus eine Erfolgsgeschichte werden können, hätten die Beteiligten bedacht, dass die in der Szene des StudiVZ generierten Deutungsmuster nicht unbedingt darüber hinaus geteilt werden. Denn nachdem das Fachmagazin Horizont vorab über die Filme berichtet hatte, brach eine Welle der Empörung ob der angeblich Gewalt verherrlichenden und sexistischen Inhalte über das Unternehmen herein und man sah sich genötigt, die Kampagne noch vor dem offiziellen Start zurückzuziehen. Es stellt sich zwar der Verdacht eines bewusst kalkulierten Skandals, doch die Vehemenz der negativen Berichterstattung mit bis heute unabsehbaren Folgen für die Reputation der Marke StudiVZ lässt diesen Schluss als sehr unwahrscheinlich erscheinen. 5
Fazit
Sicherlich lassen sich auch positive Beispiele für Swarm Branding im Web 2.0 und anderen Märkten finden, einige sogar in diesem Buch. Gerade vor dem Hintergrund eines immer noch weit verbreiteten Plan- und Machbarkeitsoptimismus sollte jedoch dieser Beitrag aufzeigen, dass jene Art von Gebrauchsanleitung für das Markenwesen auch in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts eben nicht funktioniert und die viel beschworene neue Macht des Konsumenten gleichsam zahlreiche neue Risiken und Nebenwirkungen für die Markenführung mit sich bringen kann. Diese Sichtweise lässt sich nicht zuletzt auch systemtheoretisch begründen, denn „Marke ist keine triviale Maschine, sondern ein nicht-triviales soziales 21 Phänomen, welches nur bedingt bestimmbar, kalkulierbar und steuerbar ist“ . Vor allem das Internet als zukünftiges Leitmedium unserer Wissensgesellschaft gibt dem Einzelnen, aber auch posttraditionalen Gemeinschaften wie nie zuvor die Möglichkeit, weltweit zu publizieren, zu partizipieren und zu interagieren. Die bekannten Paradigmen des Markenwesens können dieser Entwicklung jedoch nicht gerecht werden. Denn trotz gegenteiliger Beteuerungen der Marketingbranche existieren neben den nicht vorhandenen Patentrezepten zur Führung von Marken erst recht keine Patentrezepte zur Führung des Kunden. Das „Ver-
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Hüllemann (2007), S. 237.
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stehen des Verstehens des Konsumenten“22 ist für das Markenwesen deshalb ein Anspruch, an dem es auch in Zukunft noch oft genug scheitern wird.
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Hellmann (2003), S. 106.
Marken sind Gespräche: Über Anatomie und Diffusion von Markenkommunikation in Netzwerken Marken sind Gespräche
Frank Otto Dietrich / Ralf Schmidt-Bleeker
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Kommunikation in Netzwerken
1.1 Das Web 2.0 ist kein Kanal Noch immer ist das Web 2.0 in aller Munde. Der Siegeszug der assoziierten Akteure, also der Social Networks, der neuen Applikationen und der großen Marken scheint nicht enden zu wollen. Steven Johnson beschreibt die Differenz zwischen Web 1.0 und seiner Nachfolgerversion als so extrem wie den Unterschied zwischen Wüste und Regenwald.1 Aber es gibt auch Gegenstimmen: Das Web 2.0 werde als Revolution überschätzt. So bezeichnet Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web das Web 2.0 lediglich als einen Hype.2 Für ihn sei das neue Netzverständnis nichts anderes als das alte, da bereits im „Web 1.0“ die Idee von der gleichzeitigen Rezeptions- und Produktionsmöglichkeit von Content vorhanden war. „If Web 2.0 for you is blogs and wikis, then that is people to people. But that was what the Web was supposed to be all along.”3 Welche Position man nun auch immer vertreten möchte, das World Wide Web bleibt also ein Netzwerk. Im Web 2.0 wird es aber für jeden einzelnen Menschen einfacher, Content zu erstellen und zu veröffentlichen. Betrachtet man diese Entwicklung aus einer Makroperspektive wird deutlich, dass schon immer technologische Neuerungen das Kommunikationsverhalten verändert haben. An dieser Stelle sei nur kurz zum einen auf Habermas verwiesen, der für die Entstehung von Öffentlichkeit das Aufkommen der Presse anführt4, und zum anderen auf Luhmann, der die Evolution der Verbreitungsmedien, also die Entwicklung 1 Vgl. Johnson, Steven: Emerging technology: Software upgrades promise to turn the Internet into a lush rain forest of information teeming with new life. In: Discover Magazine (Online-Ausgabe), 2005, vgl. www.discovermagazine.com (06.03.2009). 2 Vgl. Berners-Lee, Tim. in: developerWorks Interviews: Tim Berners-Lee, 2006, vgl. www.ibm.com (06.03.2009). 3 Vgl. Berners-Lee, Tim. in: developerWorks Interviews: Tim Berners-Lee, 2006, vgl. www.ibm.com (06.03.2009). 4 Habermas (1994), S. 85-90.
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Frank Otto Dietrich / Ralf Schmidt-Bleeker
von Sprache, Schrift, Buchdruck und elektronischen Medien, insgesamt in den „Trend von hierarchischer zu heterarchischer Ordnung und [den] Verzicht auf räumliche Integration gesellschaftlicher Operationen“5 einordnet. Autorität werde durch Mediennutzung überprüfbar. Genauer könne beispielsweise eine Expertenmeinung – noch vor kurzem quasi unumstößlich – durch die Meinung anderer überprüft, also durch die Beobachtung zweiter Ordnung mit Meinungen anderer Experten und auch Nicht-Experten verglichen werden. Dies eröffnet natürlich wiederum auch Probleme, die in der Bewertung der Beobachtung der Beobachtung liegen. „‚Stimmt das’, was gesendet wird, oder ist es durch ein besonderes Sendungsbewusstsein ausgewählt, stilisiert, verfälscht, erfunden?“6 Genau diese Ausführungen Luhmanns decken sich mit Nutzungserfahrungen, die jeder in Online-Foren und Blogs machen kann. Aus dieser Makroperspektive heraus betrachtet, sind die technologischen Neuerungen rund um das Web 2.0 eine Station auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die jeder Kommunikation die Möglichkeit gibt, gehört zu werden. Ob sie jedoch tatsächlich wahrgenommen wird, hängt nach wie vor davon ab, was sie sagt. Die Funktionsweise dieses Netzwerks scheinen viele noch immer nicht wirklich zu verstehen. Viele erkennen nicht mal an, dass es sich beim Web 2.0 um ein Netzwerk handelt, das unter entsprechenden Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Insbesondere Werbetreibende wollen häufig das Web nach wie vor als einen weiteren Kanal nutzen, den sie zu Fernseh- und Radiowerbeblöcken hinzubuchen und mit Ihrer Botschaft bespielen können. Ihnen ist nicht klar, dass nicht sie es sind, die im Web 2.0 kommunizieren, sondern dass es selbst kommuniziert. An dem in 1995 zum Wort des Jahres gekürten Begriff „Multimedia“ lässt sich diese Interpretation des Internetnutzens wunderbar ablesen. Multimedia wurde verstanden als eine Ansammlung von Sound, Bild, Bewegtbild und Interaktion in einem Gerät.7 Man zog den Schluss, dass eine crossmediale Werbekampagne entsprechend auf den praktischen und so schön kompatiblen neuen „Kanal“ Internet ausgeweitet werden könnte, ohne die Gesetzmäßigkeiten dieses Kanals zu beachten. Denn gerade die Interaktivität im multimedialen Internet schafft neue Anforderungen, denen eine klassische Kampagne nur schwer gerecht wird. So bringt die Interaktion auch immer eine Navigationsoption mit sich und damit natürlich in letzter Instanz auch die Möglichkeit des Ausstiegs aus dem Angebot.
5
Luhmann (1998), S. 312. Luhmann (1998), S. 313. 7 Vgl. Issing / Klimsa (2002), S. 5. 6
Marken sind Gespräche
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„Neben diesem Medienaspekt […] spielen aber auch Interaktivität, Multitasking (gleichzeitige Ausführung mehrerer Prozesse) und Parallelität (bezogen auf die parallele Medienpräsentation) eine wichtige Rolle […] Diese Aspekte der technischen Dimensionen des Multimediaverständnisses müssen um weitere Aspekte ergänzt werden: die der Dimension der Anwendung. Erst die Anwendung der multimedialen Technik konkretisiert den Begriff.“8 Und um diese Anwenderperspektive geht es. Hier stellt sich die Frage, was man dem Anwender bieten muss, damit er das Multimediaangebot nutzt. Was muss getan werden, damit der Kunde mitmacht? Vor allem aber muss man sich letztlich die Frage stellen: Was will man von ihm? Dies soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.
1.2 „Märkte sind Gespräche“ Unternehmen und Marken nutzen auf der einen Seite das Internet für neue Geschäftsmodelle, als Vertriebskanal oder einfach als Kommunikationsplattform. Auf der anderen Seite nutzen Konsumenten das Internet als Informationsquelle, Inspirationsquelle und als Plattform sozialer, zwischenmenschlicher Interaktion. „Märkte sind Gespräche“, so lautet die erste der 95 Thesen des 1999 von Weinberger, Levine, Locke und Searls verfassten Cluetrain-Manifests. Das Manifest trägt dem Umstand Rechnung, dass sich mit der Entwicklung des Internets Beziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten verändert haben. „Ein kraftvolles globales Gespräch hat begonnen. Über das Internet entdecken und gestalten die Menschen neue Wege, um relevantes Wissen mit rasender Geschwindigkeit auszutauschen.“9 Menschen reden miteinander, und diese Gespräche sind wichtiger Teil dieses neuen globalen Marktes. Märkte sind Gespräche und Konsumenten gleichberechtigte Partner. Die Macht zwischenmenschlicher Kommunikation wird im Internet zu einem wichtigen Marktfaktor. Ähnlich wie auf einem Wochenmarkt spielen Ehrlichkeit, Offenheit und Natürlichkeit eine wichtige Rolle. Marktteilnehmer sind Menschen, Marktteilnehmer kennen sich, Marktteilnehmer reden miteinander. Die Macht der Schwarmintelligenz im Internet, also die Vernetzung der Konsumenten untereinander, verbietet Unternehmen, unehrlich und unmenschlich zu agieren. Die Macht zwischenmenschlicher Kommunikation sowie die Verbreitung von Nachrichten in Netzwerken soll im Folgenden erläutert werden. 8 9
Issing / Klimsa (2002), S. 5. Vgl. www.cluetrain.de (19.03.2009).
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Gespräche und Geschichten unter Konsumenten verbreiten sich oftmals rasend schnell und unkontrollierbar. Malcom Gladwell vergleicht die Verbreitung eines Phänomens unter Konsumenten mit dem Ausbruch von Epidemien. Er nennt den Übergang, bei dem ein Phänomen die Schwelle der Massen überschreitet, Tipping Point. An diesem Tipping Point gibt es, ähnlich wie nach Ausbruch einer Lawine oder einer Epidemie, kein zurück mehr. Aus einem lokal begrenzten Phänomen wird rasend schnell ein überregionales Massenphänomen. Drei wichtige Faktoren werden beschrieben, die im Zusammenhang mit Virusepidemien und auch mit Gesprächen unter Konsumenten stehen.10
1.3 Infectious Minority Virusepidemien lassen sich oftmals auf einen kleinen Kreis von Menschen zurückführen, die durch ihre überdurchschnittlich hohe soziale Aktivität die Krankheit verbreiten. So lässt sich der Ausbruch einer Gonorrhöe-Epidemie in Colorado Springs letztendlich auf 168 Menschen zurückführen, die aus vier kleinen Bezirken der Stadt kamen und im Grunde alle dieselbe Bar besuchten.11 Wenige Menschen sind also dafür verantwortlich, dass viele Menschen krank werden. Übertragen auf die Verbreitung von Markenbotschaften in Netzwerken heißt dies, dass wenige Konsumenten den größten Teil der kommunikativen Arbeit verrichten. Die Wiederbelebung der eigentlich schon tot geglaubten amerikanischen Schuhmarke Hush Puppies lässt sich genau auf dieses Phänomen zurückführen. Wolverine, die Firma, die Hush Puppies herstellt, bemerkte zunächst gar nicht, dass ihr Produkt zu einem angesagten Accessoire amerikanischer Hippster-Kids geworden ist. Erst als 1995 plötzlich die Verkaufszahlen innerhalb eines Jahres von 30.000 Paar verkauften Schuhen auf 450.000 explodierten, ging man der Sache nach. Es waren zunächst wenige Jugendliche aus New York, die Hush Puppies für sich entdeckten; sicher nicht, weil sie die Absicht hatten, eine alte verstaubte Marke wiederzubeleben, sondern ganz einfach weil zu diesem Zeitpunkt niemand Hush Puppies trug. Prominente Modedesigner griffen diesen Trend von der Straße auf und schickten ihre Models in Hush Puppies über die Laufstege. Plötzlich fand die Marke ihren Weg von der Straße in die Shows angesagter Haute-Couture-Designer. An diesem Punkt wurde aus den Hush Puppies, die von wenigen New Yorker Jugendlichen getragen wurden, ein rasend schneller Modetrend. Bereits 1996 verkauften sich Hush Puppies mehr als
10 11
Vgl. Gladwell (2000). Vgl. Gladwell (2000), S. 19-20.
Marken sind Gespräche
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eine Million Mal in den USA – und das ohne Absicht und nur, weil einige wenige Konsumenten damit anfingen.12
1.4 Stickiness Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Verbreitung einer Viruserkrankung ist die so genannte Verankerung krankhafter Zellen im menschlichen Körper. Nur wenn der Virus in der Lage ist, sich einzunisten, und eine bestimmte Resistenz gegenüber dem Immunsystem aufweist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung. Markenbotschaften, die sich in Netzwerken verbreiten sollen, müssen ebenfalls eine Verankerungsfähigkeit aufweisen. Zum einen kann Innovation diese Verankerung erzeugen. „Das Neue ist neu im Verhältnis zum Alten, zur Tradition.“13 Nach Groys ist das Streben nach dem Neuen um des Neuen willen ein Gesetz und die Innovation eine Art Umwertung vorhandener Werte. Diese Werte würden innerhalb bestimmter Werthierarchien ökonomisch gehandelt und an diesem Handel muss teilnehmen, wer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will.14 Das gilt auch für Gespräche um Neuigkeiten. Ohne diese wird lediglich soziale Redundanz erzeugt. Neues wird durch Gespräche sichtbar und damit immer auch hochinfektiös für andere Konsumenten. So haben sich z.B. in nur 18 Monaten zwölf Millionen Nutzer bei dem E-Mail-Dienst „Hotmail“ registriert, obwohl dieser auf eine groß angelegte Einführungskampagne verzichtete. Lediglich unter jeder Email, die von einem Hotmail-Account versandt wurde, fügte Hotmail eine automatische Signatur ein: „Get your free email at Hotmail.com.“15 Sicherlich ist dies nicht gerade eine charmante Idee, aber zu jenem Zeitpunkt grundsätzlich eine neue Botschaft, die sich automatisch von Freund zu Freund weiterverbreitete. Zum anderen kann eine Geschichte so gut erzählt sein, dass sie Konsumenten nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Die Macht der Kreativität kann aus einer einfachen Botschaft eine ansteckende Idee machen. Unzählige Diskussionen rund um den Kinofilm „The Blair Witch Project“ sind ein gutes Beispiel, dass die richtige Idee Konsumenten anstecken kann. The Blair Witch Project ist ein in 1999 gedrehter US-amerikanischer Horror-Spielfilm in der Form einer Pseudodokumentation. Hauptfiguren des Films sind drei Filmstudenten, die eine Dokumentation über den Mythos der Hexe Blair Witch in den Wäldern im US12
Vgl. Gladwell (2000), S. 3-5. Groys (2004), S. 11. 14 Vgl. Groys (2004), S. 13-14. 15 Vgl. Rosen (2000), S. 21. 13
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Staat Maryland drehen. Die Studenten verirren sich im Wald. Klassisch dem Genre folgend scheint es die Hexe tatsächlich zu geben und der Horror beginnt. The Blair Witch Project war ein Low-Budget-Film. Die Produktionskosten lagen bei ca. 60.000 Dollar.16 Alle Szenen wurden mit Handkameras gedreht und wirkten absichtlich amateurhaft. Trotz kleinem Marketingbudget, niedriger Produktionskosten und fehlender Starbesetzung wurde der Film ein großer Erfolg. Im großen Wettbewerb der Hollywood-Studios sind das eigentlich alles keine Erfolgsfaktoren. Bereits vor dem Kinostart entstand die Popularität des Films im Internet, wo aufgrund absichtlich verbreiteter irreführender Informationen des Filmstudios diskutiert wurde, ob es sich um eine tatsächliche Dokumentation oder einen Spielfilm handelte. Mit Hilfe einer Website, eines Tatsachenberichts über das Verschwinden dreier Filmstudenten und fiktiver Interviews mit den Angehörigen der angeblich verschwundenen Filmstudenten erzeugte man täuschend echte Gerüchte über den Film. Zusätzlich wurde Neugierde erzeugt, indem man auf die typischen Pressevorführungen verzichtete. Kevin Foxe, der Produzent des Films, sagte: „The biggest part of the buzz was that we wouldn’t let anyone see it.“17 Die Macher des Films erkannten die Stärke der Blair-WitchGeschichte und vertrauten darauf, dass man sie weitererzählt. Womit sie recht hatten, denn der Film spielte mehr als 130 Millionen Dollar ein und wurde damit – relativ gesehen – zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.
1.5 Context Eine dritte wichtige Gemeinsamkeit von Epidemien und der Diffusion von Nachrichten in Konsumentennetzwerken lässt sich als die Macht der Umstände18 bezeichnen. Genauso wie sich ein Virus aufgrund von Umweltbedingungen besonders aktiv verbreitet, beeinflussen Umweltfaktoren die Verbreitung von Nachrichten und Botschaften. Für den Ausbruch von Epidemien sind oftmals banale Faktoren, wie z.B. das Wetter, von entscheidender Bedeutung. Der Anstieg von Syphilis-Kranken lässt sich immer wieder mit der Jahreszeit „Sommer“ in Verbindung bringen – nicht nur, dass sich auch der Virus bei Kälte unwohl fühlt, sondern auch ganz einfach, weil Menschen im Winter weniger sozial aktiv sind als im Sommer und damit weniger Menschen anstecken können. In Bezug auf das Marketing in Netzwerken bedeutet dies, dass die Umfeldkontexte für die Verbreitung von Botschaften eine wichtige Rolle spielen. Als Beispiel sei der in einem Berliner Zoo geborene Eisbär Knut erwähnt. Letztendlich hat Knut eine 16
Vgl. www.filmspiegel.de (19.03.2009). Kevin Foxe zitiert in: Rosen (2000), S. 172. 18 Vgl. Gladwell (2000), S. 139-140. 17
Marken sind Gespräche
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Lawine der Anteilnahme ausgelöst, wurde so zu einem öffentlichen Medienstar und zu einer erfolgreichen Marke. In Foren, Webblogs und anderen OnlineCommunitys haben sich Menschen aktiv an dieser Erfolgsstory beteiligt. Mit youknut.com entstand 2007 in Berlin eine erfolgreiche Knut-Plattform: „YouKnut.com ist die Anlaufstelle für jeden, der sich in Beziehung zu Knut setzen will: Du und Knut. In welcher Form diese Relation ihren Ausdruck findet, bleibt auf YouKnut dem Nutzer selbst überlassen. Bei YouKnut bestimmt der Nutzer, wie er die gebotenen Möglichkeiten nutzen will. So ist YouKnut.com ein Ort der Dokumentation und Information, ein Sammelarchiv für Gedanken, Hintersinniges und Einwürfe, für Emotionen und Begeisterung. YouKnut.com gibt den Einblick in das Echo, das rund um den Globus hallt. YouKnut ist jedoch auch ein Ort der Artikulation in Text, Bild und Ton. Persönliche Grußbotschaften, Kommentare und Diskussionen kann jeder nach eigenen Vorlieben auf YouKnut veröffentlichen.“19
Was hat nun aus einem kleinen Eisbären so viel Gesprächsstoff gemacht? In welchen Kontext wurde Knut hineingeboren? Umweltschutz, globale Klimaerwärmung und abschmelzende Polkappen sind die Stichworte, die in diesem Zusammenhang genannt werden müssen, um das Knut-Phänomen erklären zu können. Knut als Eisbär hat in gewisser Weise das Superthema Klimaerwärmung emotionalisiert. Egal ob Bundeskanzlerin Merkel nach Grönland reiste und sich vor Eisschollen und Gletschern ablichten ließ, oder ob sie im Rahmen des G8Gipfels Klimaerwärmung als einen wichtigen Agendapunkt definierte, Knut war stets anschlussfähig. So wurde sogar Al Gore für seinen Klimaschutzfilm „An Inconvenient Truth“ 2007 mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Natürlich standen im Mittelpunkt die globale Klimaerwärmung, abschmelzende Polkappen und der Appell, etwas dagegen zu tun. Knut der kleine Eisbär symbolisiert sozusagen die Opferrolle – nicht in Form von steigenden Wasserspiegeln oder Kohlenstoffmesswerten, sondern als kleines, weißes und flauschiges Eisbärenbaby, das durch die sanfte Hand eines Zoopflegers gestillt geborgen aufwächst. Knut ist quasi der Gegenentwurf zur Bedrohung durch den Menschen, er ist das Angebot zur Teilnahme einer friedlichen Symbiose zwischen Natur und Mensch in Zeiten der Klimaerwärmung. Sicherlich ist es ein besonderer Umstand, dass ein Eisbär in Gefangenschaft geboren wird; nur wurden vor Knut schon viele Eisbären in Zoos geboren und kein noch so süßer Kindertraum hat bisher einen solchen Hype ausgelöst. An diesem Punkt rückt der Kontext, in dem Knut zur Welt kam, in den Mittelpunkt; also jene Umstände, die zuvor als die Macht der Umstände beschrieben wurden und für die Verbreitung von Nachrichten eine wichtige Rolle spielen. 19
www.marketingclubberlin.de (10.03.2009).
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Das „Gesetz der Wenigen“, die „Verankerung“ und die „Macht der Umstände“ bestimmen die erfolgreiche Diffusion von Geschichten, wobei sich das „Gesetz der Wenigen“ mehr auf den Verteilungsprozess bezieht. Dieses Phänomen wird in Abschnitt 3.4 noch einmal aufgegriffen und vertieft. Ob Knut oder Blair Witch Project, sie haben etwas gemeinsam: Aus dem Zusammenspiel zwischen „Verankerungsfaktor“ und „Umständen“ ergeben sich bei beiden Themen Stoff für gute Geschichten. Was genau aber steckt nun dahinter? Beide Beispiele verdeutlichen, dass sich eine Story aus bestimmten Elementen konstituiert und daraus Online- und Offline-Kommunikation entsteht. Wie diese Elemente beschaffen sind und wie ihre häufig paradoxale Wirkungsweise zustande kommt, wird im nächsten Kapitel untersucht.
2
Die Anatomie von Storys in Netzwerken – von der Diegese zur Story
Die bisherigen Ausführungen belegen, dass Storys in Netzwerken dann weitergetragen werden, wenn Sie entweder neu sind, also gewissermaßen Nachrichtenwert besitzen, oder wenn Sie gut erzählt sind. Was bedeutet aber „gut erzählt“? Was macht eine „gute Story“ aus? Dieser Frage widmet sich das folgende Kapitel. Rosen empfiehlt für die Kreation einer guten Story im Großen und Ganzen eine Kommunikationspolitik, die gezielt Informationen streut oder auch zurückhält. Diese Informationen sollten entsprechend provokant formuliert sein und bestenfalls mit einem Helden in Verbindung gebracht werden.20 Diese wirklich sehr pragmatischen Hinweise beantworten aber noch nicht, welche Art von Information sich für eine gute Story eignet. Genauer gefragt, wie müssen Elemente beschaffen sein, die zur Entstehung einer Story führen und eine Verbreitung beschleunigen oder gar erst ermöglichen. Im Folgenden soll ein Modell entwickelt werden, das für die Selektion und Bewertung solcher Informationen geeignet ist. Es geht darum zu erkennen, was eigentlich erzählt werden soll. Lassen sich Elemente in Geschichten erkennen, die für die Story besonders wichtig sind? Lassen sich wichtige Elemente von unwichtigen unterscheiden? Um nun untersuchen zu können, welche Elemente eine Geschichte konstituieren, scheint ein Rückgriff auf die dem Strukturalismus einzuordnende Narrativik sinnvoll. Sie befasst sich mit der Kunst des Erzählens und der Struktur von Erzählungen und Texten. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die strukturale Erzähltheorie, genauer Lotmans Grenzüberschreitungstheorie gesetzt, deren räumlich-strukturelle 20
Vgl. Rosen (2002), S. 169-188.
Marken sind Gespräche
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Betrachtungsweise von Texten und Erzählungen auch für die Fragestellung dieser Arbeit gute Ergebnisse liefern kann.21
2.1 Semantische Räume Grundlage der strukturalen Erzähltheorie Lotmans ist die Überlegung, ein räumliches Modell zur Analyse und Interpretation von verbalen und nonverbalen Texten zu verwenden. Räume seien seit jeher als Mittel zur Modellbildung, zur Deutung der Wirklichkeit verwendet worden und deshalb auch für die Analyse von konstruierten Wirklichkeiten verwendbar.22 Entsprechend der Bedeutung werden bestimmte Elemente des Textes in einem semantischen Raum betrachtet. Dazu ist es wichtig, in der Tiefenstruktur des Textes nach potenziellen Teilräumen zu suchen. Beispielsweise könnten in einem Text die Räume „Stadt“ und „Land“ Teilräume darstellen. Solche topografischen Räume werden in Erzählungen häufig semantisiert. Das heißt, es wird ihnen eine bestimmte Bedeutung zugeordnet. Mit dem Begriff „Stadt“ könnte beispielsweise „Fortschritt“, „Unehrlichkeit“, „Schmutz“, mit dem Begriff „Land“ hingegen „Rückständigkeit“, „Ehrlichkeit“ und „Natürlichkeit“ konnotiert werden. Damit haben beide Räume ihre eigene Semantik, ihre eigene Ordnung (Diegese). Auch auf die Analyse von Marken- und Konsumentenwirklichkeiten lässt sich das Analysemodell der semantischen Räume übertragen. Das SemiometrieModell z.B. versucht, menschliche Werte und Einstellungen in einem semantischen Raum abzubilden und zu interpretieren.23
2.2 Grenzüberschreitungen als Ereignisse Die Diegese umfasst die universelle Ordnung der dargestellten Welten. Das heißt, sie umfasst die Gesetze und Regeln, nach denen die dargestellte Welt eines Textes strukturiert ist. Diese Ordnungen müssen räumlich gedacht und dargestellt werden. Eine Grenze teilt diese Räume in disjunktive Teilräume. „Ihre wichtigste Eigenschaft ist ihre Unüberschreitbarkeit. Die Art, wie ein Text durch eine solche Grenze aufgeteilt wird, ist eines seiner wesentlichen Charakteristika. Ob es sich dabei um eine Aufteilung in Freunde und Feinde, Lebende und Tote, 21
Vgl. Lotman (1972), S. 300-393. Vgl. zur Verwendung von räumlichen Beschreibungen auch für nicht-räumliche Sachverhalte (z.B. rechts/links für politische Gruppierungen) Lotman (1972), S. 313. 23 Vgl. dazu beispielsweise das Semiometrie-Modell, www.tns-emnid.de. 22
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Frank Otto Dietrich / Ralf Schmidt-Bleeker Arme und Reiche oder andere handelt, ist an sich gleich. Wichtig ist etwas anderes: die Grenze, die den Raum teilt, muß unüberwindlich sein und die innere Struktur der beiden Teile verschieden. So gliedert sich z.B. der Raum des Zaubermärchens deutlich in ‚Haus’ und ‚Wald’.“24
Für eine Story ist das Vorhandensein einer narrativen Struktur konstituierend. Lotman folgend existiert in einem Text dann eine narrative Struktur, wenn der Text mindestens ein Ereignis mitteilt. „Ein Ereignis im Text ist die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes.“25 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die Grenzüberschreitung willentlich oder unwillentlich macht; wichtig ist, dass eine Grenzüberschreitung stattfindet. Ein Beispiel dafür könnte der Bauer sein, der vom Land in die Stadt kommt. Dabei sind „Stadt“ und „Land“ zum einen topografisch voneinander getrennte Räume, zum anderen stellen die beiden Räume aber auch verschiedene Ordnungen dar. Der Bauer verlässt seine Weltordnung und betritt eine neue – mit völlig anderen Gesetzmäßigkeiten. Besonders deutlich wird die Idee der verschiedenen Weltordnungen beim Ereignis der Grenzüberschreitung zwischen den semantischen Räumen „Leben“ und „Tod“. Lotman differenziert des Weiteren noch verschiedene Ereignistypen und hierarchisiert sie. Diese Überlegungen sollen hier aber vernachlässigt werden.26 Für die Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit ist wiederum wichtig, dass die Entscheidung, was ein Ereignis ist und was nicht, vom Weltbild abhängt, das als Maßstab verwendet wird. Es ist also perspektivabhängig, was ein Ereignis darstellt und wie wichtig es ist. Lotman verdeutlicht dies am Beispiel des sich über Kunst streitenden Ehepaars, das sich entschließt, den Fall der Polizei zu übergeben. Das für das Ehepaar wichtige Ereignis wird für den Polizeibeamten hingegen kein Ereignis sein, da er den Streit wohl nicht als Gesetzesbruch bewerten und zu Protokoll nehmen wird.27 Überträgt man diese Gedanken in das Feld der Auftragskommunikation, wird klar, dass die Perspektive des Konsumenten, welcher die Story weitertragen soll, mit in eine Analyse einbezogen werden muss. Deshalb muss auf der einen Seite die Welt der Marke bzw. des Produkts untersucht werden und auf der anderen Seite die Welt des Konsumenten – insbesondere in Bezug auf die Marke und das Produkt – erfasst werden. Beide Welten stellen dann semantische Räume dar, die auf vorhandene oder potenzielle Grenzüberschreitungen untersucht werden können. Analog sind Marke, Produkt und Konsument als handelnde Figuren zu 24
Lotman (1972), S. 327. Lotman (1972), S. 332. 26 Vgl. Lotman (1972), S. 329-340. 27 Vgl. Lotman (1972), S. 333. 25
Marken sind Gespräche
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verstehen. Grenzüberschreitungen dieser Figuren sind Ereignisse, die entweder bereits eine Story sind oder potenzielle Elemente von zukünftigen Storys darstellen.
2.3 Konflikte als Motor der Story Wie sind aber wichtige von unwichtigen Ereignissen zu unterscheiden? Zum einen ist die zurückgelegte Entfernung zwischen den beiden Welten maßgeblich für die Bewertung des Ereignisses. Diese Differenz äußert sich in einer Wahrscheinlichkeit, mit der das Ereignis aus der Perspektive des Rezipienten eintritt.28 Übertragen auf die Fragestellung dieser Arbeit ist hier die Wahrscheinlichkeit zu bewerten, dass der Rezipient Kontakt mit der Marke bzw. mit dem Produkt hat. Für ihn wird z.B. der Kontakt mit einer Meica-Würstchen-Werbebotschaft im hiesigen Kontext relativ wahrscheinlich, im Kontext einer Dschungel-Tour in Papua-Neuginea wohl ziemlich unwahrscheinlich sein. Zudem ist bei dieser Überlegung offensichtlich, dass Innovationen aus Sicht des Rezipienten die höchste Unwahrscheinlichkeit der Grenzüberschreitung haben, da sie vorher schlichtweg nicht da waren – vorausgesetzt, die Innovation hat eine gewisse Relevanz für ihn. Für erzielte Aufmerksamkeit ist die Art und Weise der Grenzüberschreitung ausschlaggebend. Dies zeigt folgende Überlegung, welche den Kontakt erst spannend genug für ein weitreichendes Ereignis macht. Inwiefern betrifft die Grenzüberschreitung die Weltordnung beider semantischer Räume? Bestätigt der Übertritt lediglich die Weltordnung des anderen oder verändert er sie gar. Diese Ereignisse haben die stärkste Kraft. Lotman nennt als Beispiel den Tod des Helden in der mittelalterlichen Chronik, dessen Ableben für den damaligen Leser eigentlich kein Ereignis darstellte, da zu jener Zeit der Sterblichkeit bzw. der Vergänglichkeit jedes Menschen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In nachfolgenden Zeiten wurde der Heldentod aber so unwahrscheinlich, so dass er die Weltordnung des Lesers provozieren konnte.29 „Da bedeutsam nur das ist, was eine Antithese besitzt“30, sind es entsprechend Konflikte, die besondere Ansatzpunkte für Ereignisse darstellen. Konflikte sind dabei als direkte Auseinandersetzungen zwischen den Weltordnungen beider semantischer Räume zu verstehen oder können sich auf bestehende Konflikte beziehen. Solche Konflikte können sich auf zeitgenössische Spannungen beziehen oder sogar dem Tagesgeschehen zugeordnet werden – in 28
Vgl. Lotman (1972), S. 336. Vgl. Lotman (1972), S. 336. 30 Lotman (1972), S. 374. 29
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diese Kerbe schlagen Knut und Klimawandel. Darüber hinaus greifen ebenfalls Konflikte, die im kulturellen Wissen der Menschheit beispielsweise als Mythen oder Archetypen verankert sind. Mit diesen Konflikten spielt beispielsweise „The Blair Witch Project“. In seinen psychoanalytischen Deutungen entdeckt Jung mythenbildende Strukturelemente als Archetypen im kollektiven Unbewussten der menschlichen Gattung. Heinrich nahm später diese psychoanalytischen Deutungen wieder auf. Mit den in Mythen enthaltenen Konflikten, welche die Menschheit bis heute noch nicht lösen konnte, erklärt er die bleibende Faszination, die von Mythen ausgeht.31 Auch der Strukturalismus hält eine Interpretation parat. Lévi-Strauss bezeichnet das „mythische Denken“ dem positivistischwissenschaftlichen als gleichwertig und sieht in ihm den Versuch, Widersprüche aufzulösen, welche die Gesellschaft bedrängen. „Durch den Mythos bringt der Mensch intellektuelle Paradoxien und damit verbundene tiefgreifende soziale Konflikte zur Sprache. Die Mythen sind ein Mittel, um unliebsame und unauflösbare logische Gegensätze und soziale Probleme auszudrücken.“32
Typische Beispiele für solche Mythen sind die alttestamentarische Geschichte „David gegen Goliath“ oder die neutestamentarische Geschichte, wie „Saulus zum Paulus“ wird. Ebenso bekannt sind Geschichten aus der griechischen Mythologie, wie z.B. Ödipus, Ikarus oder Sisyphus. All diese Mythen haben als zentralen Bestandteil besondere Konflikte, welche ihre narrative Spannung generieren und dadurch ihre Rezeption auch heute noch lohnenswert macht. Ob Tages- oder Urkonflikt – all diese Konflikte sind als Elemente zu verstehen, aus denen Geschichten entstehen können. Sie speisen sich einerseits aus dem Umfeld, was die Erklärung für die bereits unter Punkt 1.5 beschriebene Macht der Umstände ist. Es gibt aber auch Konflikte, die tief im Bewusstsein des Menschen verankert sind. Dies erklärt den bereits ebenso im Abschnitt 1.5 erwähnten Verankerungsfaktor. Dass in Konflikten besonderes Potenzial liegt, bestätigt auch die Kommunikationswissenschaft. Sind es doch konfliktäre Themen, die aufgrund ihres Nachrichtenwerts leichter einen Weg in die Öffentlichkeit finden.33 Bei der Selektion potenzieller Ereignisse ist zunächst zu eruieren, ob eine Grenzüberschreitung im Sinne von Lotman stattfindet. Dann sollte bewertet werden, inwiefern diese Ereignisse selbst konfliktär sind oder mit einem vorhan31
Vgl. Heinrich (1991), S. 335-398. de Ruijter (1991), S. 77. 33 Vgl. Schulz (1994), S. 330. 32
Marken sind Gespräche
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denen Konflikt in Verbindung gebracht werden können und sich somit als Grundelemente von zu streuenden Storys eignen. Diese Ereignisse als Grundelemente bilden den Stoff, aus dem sie entstehen – Storys, die sich in Netzwerken fortpflanzen, Storys, die neu entstehen, sich verändern und vergehen.
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Dialektische Markenführung in Netzwerken
Grundsätzlich produzieren Konflikte soziale Aktivität. Beteiligen sich Konsumenten an diesem Phänomen, entsteht kommunikativer Wert, der sich z.B. anhand von Partizipation ablesen lässt. Der Konflikt, als ein semantisches Phänomen betrachtet, indiziert gewissermaßen spannende Elemente einer Geschichte. Der Umstand, dass sich Geschichten in Konsumentennetzwerken verbreiten und dies im Kontext von Web 2.0 zu einem immer wichtigeren Hebel wird, ist Gegenstand dieser Arbeit. Die Herausforderung der Markenführung besteht darin, den Konflikt für die Markenkommunikation zu kapitalisieren. Für die Markenführung scheint es daher weniger interessant, nach Homogenität oder Übereinstimmung zu suchen, sondern eher die Abweichung oder die Antithese in der Markenwelt zu suchen.
3.1 Kapitalisierung 1: Antithese Betrachtet man z.B. die Entwicklung der Trendsportart „Snowboarding“, lassen sich wichtige Bestandteile dieser noch relativ jungen Sportart in der Abgrenzung zum alpinen Skisport finden. Dinge, die eigentlich im Widerspruch zu Berg und Skisport stehen, sind genau die Themen, die Snowboardfahrer vereinen. Hier rückt die Abgrenzung in den Mittelpunkt sozialer Aktivität von Konsumenten. Zu Beginn dieser Sportart gab es mehr oder weniger zwei gleichberechtigte Ausprägungen. Die eine Variante des Snowboardfahrens nennt sich „Alpin“ und die andere „Freestyle“. Während Freestyle-Snowboarder in so genannten Softboots, in einer Art Schalenbindung, auf ihren Brettern stehen, sind alpine Snowboardfahrer mit Skischuhen in einem einer Skibindung ähnlichen System unterwegs. Die Abgrenzung zum Skisport ist bei den alpinen Snowboardern nicht nur weniger spürbar, sondern auch deutlich weniger sichtbar. Während Freestyler begannen, unkontrolliert vorwärts und rückwärts die Hänge zu bewältigen, kurvten alpine Snowboardfahrer schon immer eher gesittet auf der Piste. Für FreestyleSnowboarder wurden Parks in den Skigebieten eröffnet, da sich das Bergverhalten grundsätzlich von einem Skifahrer unterscheidet. Urbane Elemente wie Treppengeländer, kaputte Autos oder Mülltonnen dienen als so genannte „Ob-
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Frank Otto Dietrich / Ralf Schmidt-Bleeker
stacles“ für Freestyler und wurden Bestandteil dieser neuen Bergwelt. Die Grenzüberschreitung, also die Differenz der Freestyle-Variante zum traditionellen Skisport, kann nicht größer sein. Genau solch eine Grenzüberschreitung dieser zwei Welten aber fehlte dem alpinen Snowboardsport und führte letztlich zu einer Verkümmerung des alpinen Zweigs. Nach einer Phase des ersten Ausprobierens war der Grund, alpiner Snowboarder zu sein, nicht mehr ersichtlich. Die fehlende Antithese führte zu keiner wirklichen Sozialisierung zwischen den Konsumenten. Alpiner Snowboardsport entwickelte sich nie zu einer Community und ist heute fast nicht mehr existent. Snowboardmarken, die sich zu Beginn der Antithese verschrieben, positionierten sich unweigerlich im Freestyle-Sport. Damit profitieren sie auch heute noch unweigerlich von Konsumenten, die sich in Communitys vernetzen und über den Konflikthebel Skisport aktiv sozialisieren.
3.2 Kapitalisierung 2: Synthese Will man nun für die Markenführung oben Gesagtes nutzen, also die Vergemeinschaftung von Konsumenten, muss das Konzept der Antithese noch ein Schritt weitergedacht werden. Antithesen helfen, spannende Themen und damit auch Chancen für die Markenkommunikation zu identifizieren. Abgrenzung allein ist aus der Perspektive der Markenführung aber kein stabiles Konzept. Es ist daher zu kurz gedacht, weil jede Antithese zwangsläufig irgendwann überholt scheint und damit für die Markenführung oftmals von nicht ausreichender Dauer ist. Typisch für solche Entwicklungen sind kurzlebige Trendzyklen. Das, was heute angesagt ist, scheint morgen schon Mainstream zu sein. Somit verlieren Antithesen oftmals schneller ihre Kraft, als dass Marken sie kommunikativ nutzen könnten. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auf die Idee des Paradoxes zu verweisen. Sein Kern stellt einen semantischen Konflikt dar. Paradoxe vereinen zwei Dinge, die im Widerspruch zueinander stehen. Dadurch wird das Gegenteil des einen Dings zum Bestandteil des anderen Dings. Oder systemtheoretisch betrachtet, ist ein Paradox ein Beobachtungsproblem. Denn beobachtet ein System die Welt und unterscheidet und bezeichnet es ein Ding als echt oder unecht, kann diese Unterscheidung nur durch eine vorhandene Leitdifferenz, dem „blinden Fleck“, zu Stande kommen. Versucht der Beobachter nun wiederum seinen eigenen blinden Fleck zu beobachten, würde er sich in Paradoxien verstricken, also damit in eine Situation der Unentscheidbarkeit geraten, da er eben jene Leit-
Marken sind Gespräche
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unterscheidung in die Beobachtung mit einbauen muss.34 Das Paradox ist deshalb ein so spannendes semantisches Konzept, weil auf der einen Seite diametrale Positionen aufeinandertreffen, und auf der anderen Seite dieser Widerspruch Stabilität ermöglicht. Eine genaue Erörterung der Funktionsweise von Paradoxien würde an dieser Stelle zu weit führen. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Rezeption von zwei kontrahenten Positionen in einer Synthese den Betrachter in Paradoxien verstrickt, denn die Zirkularität eines Paradoxes führt zu einem unauflösbaren Widerspruch. Die Marke „Dove“ setzt auf die Botschaft „wahre Schönheit“ und verbindet mit dieser Botschaft authentisch die Markenwelt und die Welt der Konsumenten. Es entsteht eine Synthese zweier eigentlich diametral gegenüberliegenden Positionen – eine Synthese aus perfekter Schönheit und menschlicher Imperfektion. Aus einer herkömmlichen Beautypositionierung betrachtet, ist die Differenz zwischen ewiger Schönheit in der Markenkommunikation und dem körperlichen Verfall bei fortschreitendem Alter der Konsumenten der größtmöglich zu identifizierende Konflikt. Wahre Schönheit ist die stabile Synthese dieses Konflikts. Dove erzeugte so mit einer klassischen Werbekampagne sehr viel Aufmerksamkeit. Konsumenten thematisierten wahre Schönheit in ihrem Alltag. Das Ereignis, das dieser Synthese zu Grunde liegt, lässt sich hier also in der Grenzüberschreitung von Markenwelt und Konsumentenwelt beschreiben. Die Betrachtung dieser Synthese verstrickt den Rezipienten in Paradoxien, denn sein eigener Konflikt ist in der Markenbotschaft enthalten. Pinkberry ist kein fruchtiges Parfum oder eine neue Teenager-Modemarke. Pinkberry verkauft „frozen yoghurt“, eine Art Speiseeis in den Varianten „plain“ und „green tea“, wahlweise mit vielen verschiedenen fruchtigen „toppings“. Einen Becher „frozen yoghurt“ gibt es bei Pinkberry für 5 Dollar, dafür sitzt der Konsument dann aber auch in Philip-Starck-Möbeln. Seit 2005 genießen Kalifornier diese neue Form von Eisdiele in West-Hollywood. Pinkberry ist eine Franchise-Kette mit nun mehr als 30 Filialen. Ende 2007 erhielt Pinkberry Investitionen in Höhe von 27,5 Millionen Dollar von der von Starbucks-Chairman Howard Schultz gegründeten Venture-Capital-Firma Maveron.35 Pinkberry ist auch in der Tat eine Art Starbucks, nur viel kleiner, viel gesünder und um ein vielfaches angesagter. Pinkberry schaffte es mit einem Bericht in US Weekly und People, in zwei der wichtigsten US-amerikanischen Publikationen, große Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Phänomen besonders loyaler Kunden, die extrem lange Warteschlangen in Kauf nehmen und sogar vor horrenden Parkstrafen
34 35
Vgl. Luhmann (1990), S. 123. Vgl. www.fastcompany.com (19.03.2008).
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nicht zurückschrecken, bescherte Pinkberry den Spitznamen „Crackberry“.36 Was aber steckt hinter Pinkberry? Was unterscheidet Pinkberry von Ice Cream? „Sorry ice cream I’m dreaming of a different dessert. Pinkberry shaved ice and frozen yoghurt. It doesn’t feel like I’m cheating when eating it, cause it’s healthy, I’m feeling better already ... Sorry ice cream I’m on my way to Pinkberry. ... P-I-N-K-BE-R-R-Y ... P-I-N-K-B-E-R-R-Y ... P-I-N-K-B-E-R-R-Y.“37
So lautet der offizielle Text des Songs von Pinkberry. Die Marke verspricht „swirly goodness“, übersetzt meint das „nur Gutes“. Der Konflikt, der hinter Pinkberry steckt, ist die Sünde, symbolisiert durch kalorienhaltige Ice-Cream – eine Sünde, der sich besonders gerne Frauen hingeben, um diese dann auch besonders schnell wieder zu bereuen. Man könnte den Konsum von Ice-Cream als einen ständig dissonanten Prozess beschreiben. Die Konsumreue, also die kognitive Dissonanz nach der Sünde, ist das Konfliktthema. Pinkberry steht für die gesunde Sünde, für gesundes Essen, ohne dabei auf die Sünde, also das Dessert im herkömmlichen Sinne, verzichten zu müssen. Die ehemalige British Petroleum nennt sich seit dem Jahr 2000 Beyond Petroleum. Auf der Website des Unternehmens beschreibt BP seine Markenbotschaft wie folgt: „’Beyond petroleum’ is a summation of our brand promise and values. It’s our way of expressing our brand to the world in the most succinct and focused way possible. It is both our philosophical ideal and a practical description of our work.”38
Hinter dieser Beschreibung steckt jedoch mehr. Mit der Aussage „Beyond Petroleum“ besetzt das Unternehmen zudem ein Zukunftsszenario, das durchaus problematisch, ja konfliktär besetzt ist. Zum einen neigen sich vielen Berichten zufolge die globalen Ölvorräte dem Ende zu, wobei es allerdings auch gegenteilige Äußerungen gibt. Zum anderen trägt die intensive Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Erderwärmung bei – dazu gibt es ebenfalls konträre Haltungen. Wie man auch immer dazu steht, der Ölgigant BP artikuliert diese Konflikte und versucht durch sein „grünes“ äußeres Erscheinungsbild, aber auch durch intensive Forschungsarbeiten in Richtung regenerativer Energiequellen, eine Lösung für diese Konflikte, also eine Synthese, anzubieten. Dass der Konzern zeitgleich seine Ölausbeute weiter betreibt, ja sogar betreiben muss, um seinen Bestand zu sichern und um an der Lösung der Versorgungs- und Klimakonflikte weiterarbei36
Vgl. www.fastcompany.com (19.03.2008). www.pinkberry.com (19.03.2008). 38 Vgl. www.bp.com (19.03.2008). 37
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ten zu können, drückt die Markenbotschaft aus – ein perfektes Paradox, in das sich auch der trotzdem tankende Konsument verstrickt. Ein weiteres Beispiel für eine erfolgreich entwickelte Synthese findet sich bei der Betrachtung der australischen Biermarke „Blowfly“. Die Geschichte um die Entstehung der Marke hat es bis in klassische Printmedien geschafft.39 Das Besondere bei der Produkt- und Markenentwicklung war die Übertragung der Open-Source-Idee aus dem Software-Bereich auf ein klassisches Produkt. Mit dem Gedanken, dass viele gemeinsam ein besseres Produkt schaffen können, machte Liam Mulhall, Open-Source-Software-Experte und Gründer von Brewtopia, bereits in seinem vorherigen Job positive Erfahrungen. Und mit dem Transfer dieser Idee auf die Welt des Bieres erhoffte sich Mulhall, dass die Schwarmintelligenz einer Vielzahl von „Bierexperten“ ein neues besseres Produkt schaffen könnte. Aber „im Grunde ist das alles ein Marketingexperiment gewesen“40, so Mulhall, das klären sollte, wie es möglich ist, mit einem unbekannten Produkt in einen Markt einzutreten, der von zwei großen Brauereien beherrscht und damit faktisch ein Duopol darstellt. Dieser unmöglich erscheinende Versuch spiegelt sich auch im Namen der Open-Source-Brauerei Brewtopia wider. In einem ersten Schritt sendeten die Gründer 140 E-Mails an ihren Bekanntenkreis und fragten, ob sie Lust hätten, ein eigenes Bier zu entwickeln. Alle sollten gemeinsam über sämtliche Attribute des Produkts und der Marke entscheiden – vom Geschmack bis zur Flaschenform, vom Markennamen bis zum Logo. Bevor das Produkt überhaupt zu kaufen war, nahmen 16.000 Menschen an den Abstimmungen zur Marken- und Produktentwicklung teil, die auf einer Community-Website stattfanden. Zur Belohnung bekamen die Mitentwickler Aktienanteile der Brewtopia AG, die mittlerweile ihr Kerngeschäft auf die Produktion von Getränken ausgeweitet hat, welche sie für andere Firmen mit personalisierten Getränkelabels versieht. Hier steht aber nicht das Geschäftsmodell eines Web-2.0-Open-SourceBieres im Vordergrund – die Aktienanteile der 16.000 Entwickler haben keine ernstzunehmende Wertsteigerung erfahren –, wichtig ist die Geschichte, die hinter der Marke steckt, und mit Rückblick auf die vorangegangenen Überlegungen die Konflikte, die den Kern dieser Geschichte bilden. Der Kapitalismus scheint besiegt oder zumindest zurückgeschlagen von der Intelligenz der Masse bzw. einer Revolution von unten. Darüber hinaus lassen sich hier ebenso Motive aus „David gegen Goliath“ erkennen sowie auch aus „Gullivers Reisen“, wo ein Riese von Zwergen besiegt wird. Die Marke „Blowfly“ von Brewtopia bildet eine Synthese aus den Positionen „Kapitalismus“ und bloßem „Anti-Kapitalismus“ und damit eine Geschichte, die es wert ist weitererzählt zu werden. 39 40
Vgl. Ramge (2008), S. 69-73. Ramge (2008), S. 69-73.
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3.3 Kapitalisierung 3: Ereignis Die im vorherigen Absatz beschriebene Idee der Synthese muss jedoch einen Raum haben, um stattfinden zu können. An dieser Stelle hilft ein Rückgriff auf das in Abschnitt 2.2 entfaltete Konzept des Ereignisses, welches sich durch die Überschreitung der Grenze zwischen zwei semantischen Räumen konstituiert. Wie bereits beschrieben, kann eine Grenzüberschreitung soweit gehen, dass die Weltordnungen beider Räume kollidieren, es also zu einem Konflikt kommt. Aber um diesen Konflikt überhaupt stattfinden lassen zu können, muss er an eine topografische Grenzüberschreitung gekoppelt werden. Übertragen auf das Problem der Markenführung bedeutet dies, dass die Marke in die Welt des Konsumenten eintreten muss – physisch oder doch zumindest medial. Ein gutes Beispiel für den physischen Eintritt in die Welt der Konsumenten ist eine sehr aufmerksamkeitsstarke Promotion zum Start des Hitchcock-Films „Frenzy“ aus dem Jahre 1972. Eine lebensgroße Alfred-Hitchcock-Puppe wurde in London in der Themse schwimmen gelassen. Die Puppe stellte Hitchcock als Leiche mit über der Brust gefalteten Händen dar. Diese selbstverständlich übernatürliche Darstellung einer Leiche erregte höchste Aufmerksamkeit, als die Puppe am Themseufer angespült wurde.41 Dieser Übergang eines Elements aus der Marken- bzw. Produktwelt in die Konsumentenwelt gestaltet sich besonders interessant. Vom konfliktären Gehalt einmal abgesehen entsteht durch die Überschreitung von der Fiktion in die Realität, die allerdings wiederum Fiktion ist und auf Fiktion verweist, ein spannendes Paradox und damit vor allem eine interessante Story. Es kann aber auch der Eintritt in die Medienwelt des Konsumenten ein ausreichendes Ereignis sein, um ein Element für eine Geschichte zu bilden. Weniger bedeutend ist hier die Unterscheidung zwischen realer und medialer Welt, denn nach MacLuhan42 können Medien als Ausweitung der eigenen Person verstanden werden. Egal ob Medienwelt oder physisch erfahrbare Welt, entscheidend ist, dass überhaupt ein Ereignis stattfindet; und dieses Ereignis kann natürlich ebenso gut durch eine Überschreitung der Marke in die virtuell vom Konsumenten bewohnte Welt des Web 2.0 stattfinden.
41 42
Vgl. Rosen (2000), S. 183. Vgl. MacLuhan (1968), S. 13.
Marken sind Gespräche
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3.4 Kapitalisierung 4: Diffusion Die Marketingliteratur bezeichnet die Diffusion von Gesprächen über Produkte und Marken in Konsumentennetzwerken als word of mouth (WOM). Dies ist kein neues Phänomen, sondern wird bereits seit mehr als 50 Jahren wissenschaftlich untersucht. Im kommunikationswissenschaftlichen Terminus spricht Pürer von der Diffusionsforschung, welche sich „mit der Frage beschäftigt, wie Informationen, Nachrichten und Innovationen sich in der Gesellschaft verbreiten, welche Kanäle dabei genutzt werden und auf welche Weise sich neues Wissen in der Gesellschaft […] niederschlägt“43. Bei den Grundlagenforschungen von Lazarsfeld und seinen Kollegen lag die Erkenntnis darin, dass Information über so genannte Opinion Leader diffundiert. Mediale Botschaften werden zuerst von Meinungsführern bzw. Multiplikatoren aufgenommen und verarbeitet. Dann geben sie die Informationen an die soziale Gruppe weiter, der sie angehören.44 Den Multiplikatoren wird eine hohe persuasive Wirkung zugesprochen, so dass die Meinungsänderung innerhalb der entsprechenden sozialen Gruppe durch sie sichergestellt werden kann. In der Theorie werden Meinungsführer durch verschiedene Dimensionen, Eigenschaften und Fähigkeiten charakterisiert. Allgemein ausschlaggebend für eine Meinungsführerschaft sind der sozioökonomische Status und das Ausmaß der sozialen Kontakte.45 Je nach Thema bestimmt die Position im Lebenszyklus, also das Alter, die Meinungsführerschaft. Weiter schärfen lassen sich diese Merkmale durch je nach Entscheidungsfeld variierende Eigenschaften und Fähigkeiten: Kompetenz, Erfahrung, Bildung, Engagement und Interesse. Soziale Integration und Anerkennung sind bei der Identifizierung von Meinungsführern wichtige Faktoren. Einfacher gesagt, Menschen fragen andere Menschen, die sie für kompetent halten, und bilden erst im zweiten Schritt ihre Meinung. Dieser Prozess wird als two step flow of communication bezeichnet.46 Diese aus der Meinungsforschung stammende Überlegung, übertragen auf das Marketing, bedeutet, dass Konsumenten bestimmte Kaufentscheidungen erst dann treffen, nachdem sie Freunde oder Bekannte um Rat gefragt haben. Die Bezeichnung „Opinion Leader“ hat sich demnach auch in der Marketingpraxis durchgesetzt. Mancuso untersuchte 1969 in seiner Studie über den Verkauf von Rockmusik einen weiteren Aspekt von Meinungsführerschaft. Er ging der Hypothese nach, dass die Grundlage für Meinungsführerschaft Involvement sei. Des Weite43
Pürer (2003), S. 362. Vgl. Pürer (2003), S. 363. 45 Vgl. Katz / Lazarsfeld (1955), S. 219-234. 46 Vgl. Lazarsfeld / Berelson / Gaudet. (1969), S. 190. 44
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ren soll Meinungsführerschaft zu einem erhöhten Sendebewusstsein führen und damit letztendlich zu WOM.47 In einem Versuch an amerikanischen Highschools wurden bestimmten Schülern exklusive Informationen zu neuen Bands vermittelt. Es wurden Schüler ausgewählt, die eine höhere soziale Aktivität aufwiesen als der Durchschnitt. So wurden z.B. Klassensprecher, Cheerleaders oder Mannschaftskapitäne selektiert. Dennoch gaben alle Teilnehmer an, keine überdurchschnittliche Affinität zu Rockmusik zu haben. Die ausgewählten Schüler sollten sich in Diskussionen zu Qualität und Potenzial verschiedener Rockbands äußern. Erkenntnis dieser Studie war zum einen, dass die Qualität der Information aus Schülern Rockmusikexperten machte und somit WOM stimuliert werden konnte. Zum anderen ließ sich auch ein Zusammenhang zwischen WOM und verkauften Tonträgern feststellen. Dort, wo Mancuso den Versuch durchgeführt hatte, wurden mehr Platten verkauft als in den Kontrollmärkten. Oetting und Jacob folgen der Überlegung, dass Involvement WOM stimuliert. Vor dem heutigen Hintergrund des Marketings haben sie den Begriff Empowerment eingeführt.48 Involvement und in der Folge WOM sollen durch eine aktive Beteiligung der Konsumenten am Marketingprozess erzeugt werden. Oetting und Jacob verstehen Konsumenten nicht als passive Zielgruppen, sondern als aktive Partner im Marketingprozess. Die Beteiligung von Konsumenten an Kampagnenprozessen oder die Einbeziehung bestimmter ausgewählter Konsumenten als Produkttester sind Beispiele für ein solches Empowerment. Durch das Internet und die technischen Möglichkeiten des Web 2.0 findet dieser Ansatz besondere Beachtung. Waren es bei Mancuso noch persönliche Gespräche, die in einem lokal begrenzten Markt WOM stimulierten, ermöglicht das Internet heute zeitlich und räumlich unabhängige Gespräche unter Konsumenten.
4
Fazit
Konflikt bestimmt den Nachrichtenwert einer Marke, bzw. die Ambivalenz einer Marke erzeugt spannende Geschichten. In diesem Zusammenhang plädierte der Beitrag für einen Perspektivwechsel, der mehr Offenheit und mehr Teilnahme durch die Konsumenten bedeutet. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation stößt die konventionelle Markenführung an ihre Grenzen. Das ist nichts Neues. Dennoch scheint diese Erkenntnis nur langsam in die Marketingabteilungen und Agenturen zu diffundieren. Die Mechanik des Internets und die zurzeit aktuellen Web 2.0-Technologien werden noch immer nicht gemäß ihrer Interaktionspotenziale verwendet, sondern einfach als Kanäle gesehen. Häufig produziert das 47 48
Vgl. Mancuso (1969). Vgl. Oetting / Jacob (2007), S. 5-8.
Marken sind Gespräche
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Zauberwort „Involvement“ auch heute noch lediglich schlichte Ideen zwischen Gästebuch und Fotowettbewerb. Der vorliegende Text präsentierte eine andere Herangehensweise. Das Internet ist als Netzwerk zu verstehen, in dem Gespräche stattfinden. Hier setzte diese Arbeit an, denn Inhalt dieser Gespräche sind Geschichten. Es wurde zum einen die Art und Weise beschrieben, wie sich Gespräche über Marken in Netzwerken verbreiten. Sie zeigte, dass sich gute Geschichten wie Viren verhalten, sich also einnisten, sich sozusagen in den Köpfen verankern und dann weiterverbreitet werden. Zum anderen untersuchte der Text diesen Verankerungsfaktor genauer und stellte ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Element heraus, das zur Qualität der Geschichten beiträgt – den Konflikt. Das konfliktäre Ereignis konstituiert sich aus der Überschreitung einer Grenze zwischen zwei Welten – der Konsumentenwelt und der Markenwelt. Die Intensität des Ereignisses ist bestimmt durch den Konflikt zwischen den Weltordnungen beider Parteien. Das aus diesen Überlegungen entwickelte Modell der dialektischen Markenführung soll als ein Ansatz verstanden werden, eine Marke in Netzwerken führen zu können. Dabei wird zum Konflikt bzw. zur Antithese eine Synthese gebildet, mit der die Marke kommunizieren kann, ohne lediglich den Konflikt herauszustellen. Diese Konstruktion bildet paradoxale Rezeptionssituationen, die wesentlich stabiler sind als konventionelle lineare Markenkonstrukte. Das Internet darf dabei nicht als Kanal gedacht werden, sondern als Netzwerk, das zur Verbreitung von Geschichten beiträgt. Ein sehr gutes Beispiel für eine solche Nutzung ist ein Projekt der Word-of-Mouth-Agentur „trnd“.49 Für den Reiseveranstalter Shoestring machte die Agentur Kunden zu Fernreiseberichterstattern. Sechzehn Kunden reisten bei diesem Projekt für neun Tage gemeinsam mit dem Shoestring-Gründer Hans van den Bout durch die Welt. Als Gegenleistung für den Urlaub ließen die Veranstalter die Reisenden Reportagen über den Trip auf Blogs veröffentlichen. Die Teilnehmer wurden selbstverständlich vorher entsprechend ihres Kommunikationsverhaltens selektiert und damit als Networkhubs50 identifiziert. Dieses Beispiel zeigt, wie aus einem Ereignis, also der Kollision von Marken- und Konsumentenwelt, Stoff für Geschichten entsteht – Geschichten mit wohl wesentlich höherer Nachhaltigkeit als jede klassische Kampagne erzielen kann. Zeitgenössische Markenführung erfordert einen Perspektivwechsel. Die technische, analoge und lineare Konstruktion von Marken scheint nicht mehr tragfähig zu sein. So ist Oetting der Überzeugung, dass Unternehmen die Sprache und die Umgangsformen von Menschen erlernen und damit insgesamt ihr 49 50
Vgl. das Shoestring-Projekt von trnd, www.shoestring.trnd.com (20.03.2009). Vgl. zu den Themen Networks, Networkhubs und Buzzmarketing Rosen (2000), S. 3-80.
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Marketing überdenken müssen.51 In den Mittelpunkt rücken die Kommunikationsphänomene, die in Konsumentennetzwerken stattfinden. Das Internet und die Möglichkeit, dass sich Ideen, Meinungen und Ereignisse rasend schnell verbreiten können, sind die Umstände, die Marketingabteilungen zum Umdenken bewegen müssen. Dem Cluetrain-Manifest folgend muss das Marketing in gewisser Weise menschlicher werden. Die Konstellationen, in denen heute Markenkommunikation stattfindet, stellt eine große Chance dar. So können auch mit kleinen Budgets große Dinge bewegt werden. Oder wie es Oetting und Tejada-Schmitz formulieren: „vorbei am Lärm und durch die Hintertür in die Köpfe der Verbraucher.“52 Natürlich und ganz im Sinne dieses Beitrags und wie bei allen spannenden Themen steht der Chance auch eine Gefahr gegenüber. So werden kleine Fehler in der Kommunikation, die früher ausgesessen wurden, heute oftmals zu nicht mehr beherrschbaren PR-Desastern.53 Hierunter leidet dann der Markenwert und wird zu einer tatsächlichen Größe in einer Unternehmung. Nichtsdestotrotz muss sich Markenführung heute dieser neuen Welt stellen. Wenn sie sich aber den neuen Gegebenheiten des Marktes gemäß dem Cluetrain-Manifest verwehrt, und sie anstatt in menschlichen Paradigmen weiterhin in technischen Marketingwelten denkt, besteht die Gefahr, dass Marken trotz großer Budgets bei den Konsumenten nicht mehr stattfinden werden. Strategische Markenführung wird dann nicht mehr möglich sein. Es sind nicht die Unternehmen, welche die Marken besitzen, es sind die Konsumenten, die letztlich Marken durch Gespräche entstehen lassen. Für die Markenführung wird es höchste Zeit, diese Geschichte ernst zu nehmen.
51 Vgl. Martin Oetting in einem Vortrag zum Thema „Markets are conversations – Wie können Unternehmen mitreden?“ in Düsseldorf am 03. Februar 2005. 52 Oetting / Tejada-Schmitz (2003), S. 12. 53 Pro-Jamba-Blogger entpuppten sich als Jamba-Mitarbeiter. Nach kurzer Zeit berichtete Spiegel Online über Jamba und widrige Geschäftspraktiken.
Co-Creative Branding: Zur Markenführung in der neuen Kommunikationsmatrix Paula Hannemann
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Der Wandel in der Kommunikationsmatrix „The greatest danger in times of turbulence is not the turbulence: it is to act with yesterday’s logic.“ Peter F. Drucker (1969)
Bereits 1980 schrieb der Trendforscher Alvin Toffler The Third Wave, eine Zukunftsstudie über die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in welcher er das Aufkommen gänzlich neuer Strukturen in allen bedeutenden Gesellschaftsbereichen beschreibt. 28 Jahre später erweisen sich wesentliche der von Toffler getroffenen Vorhersagen als zutreffend: Die Machtverschiebung innerhalb der Medienstrukturen zugunsten der Rezipienten, die Atomisierung bzw. Ausdifferenzierung der Lebenskonzepte sowie der konsequente Wandel des Konsumenten hin zum Akteur oder „Prosumenten“ innerhalb der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette.1 Faszinierenderweise sind die genannten Veränderungen u.a. auf einen Treiber zurückzuführen, der gewiss nicht im Möglichkeitsraum von Tofflers Liste der schwachen Signale2 und Trendvorboten existiert haben kann: das Internet, konstituierendes Medium des hyperkommunikativen Raumes der Gegenwart. Das Aufkommen des World Wide Web kann zurecht als Katalysator der oben genannten, elementaren Veränderungen gesehen werden, da die Grundthemen des Wandels, wie z.B. Ausdifferenzierung und Demokratisierung, ebenfalls elementare Merkmale des Onlinemediums sind. Über die katalytische Wirkung hinaus kommt dem Onlinemedium eine weitere gesellschaftliche Rolle zu: Mehr und mehr etabliert es sich zum Leitmedium und übernimmt somit eine konstituierende Funktion in der Schaffung von Kommunikation und Öffentlichkeit. Um der Veränderung einen Namen zu geben, bietet sich der Begriff der Internetisierung an.3 Die Internetisierung ist für Ökonomie und Arbeit, für die 1
Vgl. Toffler (1980), S. 1-18. Vgl. Ansoff (1976), S. 130. 3 In Anlehnung an den Begriff der „Mediatisierung“ von Krotz (2007, S. 38). 2
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Art der persönlichen Erfahrung, für Identität, Wirklichkeit und soziale Beziehungen der Menschen von fundamentaler Bedeutung.4 Die Folgen der Umstellung der Gesellschaft auf eine Kommunikation über das Verbreitungsmedium des Computers werden, so Luhmann, ähnlich weitreichend sein, wie die Umstellungen auf die Kommunikation in den Medien der Schrift (antike Hochkultur) und des Buchdrucks (moderne Gesellschaft).5 Dieser Prozess innerhalb der Gesellschaft ist von so turbulenter Veränderungskraft, dass eine erfolgreiche Markenführung traditionelle Handlungen neu definieren oder hinter sich lassen muss. Im Folgenden wird der Bezugsrahmen, in welchem die Flut der Veränderungen stattfindet und in welchem sich die Marke behaupten muss, als Kommunikationsmatrix6 bezeichnet – jener theoretische Raum, in welchem sich die Handlungsfelder der Markenkreation „Medien“, „Menschen“, „Märkte“ und „Marke“ realisieren und gegenseitig beeinflussen. In den vorangegangenen Beiträgen dieses Buches wurde die Veränderung eben dieser Kommunikationsmatrix zur Genüge anschaulich und eindrucksvoll beschrieben. Deshalb sollen an dieser Stelle nur kurz die wichtigsten Stichworte des Wandels ins Gedächtnis gerufen werden: Abbildung 1:
Involvement Stories
Stichworte der Veränderung, eigene Darstellung.
Märkte sind Gespräche
Empowerment
Markengemeinschaften
Machtverschiebung Kollaboration
Internet als neues
Schwärme 4
WOM
Prosument
Interaktive Wertschöpfung
Leitmedium
Intentionalität der Mediennutzung
Vgl. Krotz (2007), S. 38. Vgl. Luhmann zitiert nach Baecker (2007), ohne Seitenangabe. Der Begriff wurde von Sven John im Rahmen des Seminars „Die neue Kommunikationsmatrix“ im Wintersemester 2007/08 an der Universität der Künste Berlin geprägt, vgl. www.vdl.udk-berlin.de/ qisserver/rds?state=wsearchv&search =2&veranstaltung.veranstid=2204 (01.09.2008). 5 6
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Würde man versuchen, aus der gegenwärtigen Veränderung einen gemeinsamen Grundmodus zu kondensieren, böte sich das Moment der Interaktivität an. Sie ist an dieser Stelle zu verstehen als die wechselseitigen, aufeinander bezogenen, kommunikativen Handlungen des Beeinflussens, die durch kommunikative Eigenschaften des Internets geprägt sind. Das eindrucksvolle Aufkommen interaktiver Kommunikationsmöglichkeiten in Form einer „informationstechnischen Grundwelle“ scheint primärer Anstoß dieser Entwicklung zu sein, die Leben, Alltag, Kultur und Gesellschaft massiv beeinflusst.7 2
Ko-kreative Markenführung – Die Antwort der Marke auf den interaktiven Raum „Some would argue that all creation is co-creation, just as Isaac Newton said that in his great work, he stood on the shoulders of giants.“ http://en.wikipedia.org/wiki/Co-creation (10.02.2009)
Im Folgenden soll es darum gehen, die beobachteten Veränderungen und den Grundmodus der Interaktivität, welcher durch das neue Leitmedium „Internet“ besondere Prominenz erlangt, in der Markenführung zu verankern. Zu diesem Zweck wird der Begriff der ko-kreativen Markenführung bzw. des Co-Creative Branding eingeführt.8 Markenführung meint an dieser Stelle sowohl die kernstrategische Ausrichtung der Marke als auch das holistische Management der verschiedenen, markenspezifischen Wertschöpfungsbereiche (Innovation, Produktion, Kommunikation etc.).9 Der Begriff „Ko-Kreation“ ist eine Weiterführung der Erkenntnis, dass Interaktivität das entscheidende Moment innerhalb der neuen Kommunikationsmatrix ausmacht. Eine Betrachtung aus Markenperspektive rückt jedoch neben der Tatsache der wechselseitigen Beeinflussung (Interaktivität) auch die Schaffung bzw. Schöpfung (Kreation) eines einzigartigen (Marken-)Wertes in den Vordergrund; denn pure Interaktivität allein produziert keinesfalls den strategi7
Vgl. Krotz (2007), S. 120. Es herrscht eine rege Diskussion darüber, wer den Begriff „Ko-Kreation“ geprägt hat. Viele Autoren beziehen sich auf den Wirtschaftswissenschaftler C. K. Prahalad (Prahalad / Ramaswamy, 2004), der sich selbst den Begriff zuschreibt. Mit der Begriffsaneignung rief Prahalad jedoch auch Kritik hervor. So kann man auf dem Blog des eLearning-Experten Jay Cross lesen: „C.K., it’s about time. I’ve been rattling on about co-creation for more than five years, and I was hardly the first.“ (http://in ternettime.com/2008/05/23/co-creation-2/, 01.09.2008). Dem aktuellen Wissensstand der Autorin nach ist der Diskurs zur Herkunft des Begriffes im Rahmen von ökonomischen Betrachtungen noch nicht entschieden. 9 Vgl. hierzu Herrmann (1999), S. 59. 8
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schen Wettbewerbsvorteil einer Marke. In Anlehnung an Wikström definiert Ko-Kreation eine wechselseitige Beeinflussung zwischen Konsumenten und Unternehmen, die für beide Seiten einzigartige Werte schafft.10 Der Wert wird durch die Qualität, der mit dieser Interaktion und ihren Resultaten gemachten Erfahrungen, beeinflusst.11 Ko-Kreation meint dabei nicht die Gleichverteilung der Aufgaben und eine Gleichberechtigung in der Entscheidungskompetenz. Diese Annahme wäre zugleich unrealistisch und fahrlässig. Ko-Kreation ist immer nur dann sinnvoll, wenn für beide Seiten ein echter Wert entstehen kann: Eine Einbindung des Kunden um der Einbindung willen ist nicht Ziel der Ko-Kreation und kein befriedigendes Konzept einer ko-kreativen Markenführung. Der ko-kreative Anteil innerhalb der Markenführung kann dabei sehr stark variieren. So ist davon auszugehen, dass dieser äußerst gering ist, wenn es innerhalb der Markenführung um das Verdichten von Informationen oder finalen Entscheidungen (z.B. in der Markenpositionierung) geht. Innerhalb von Ideenfindungsphasen hingegen wird der ko-kreative Anteil deutlich an Bedeutung gewinnen. Wie genau stellt sich das Konzept des Co-Creative Branding nun dar? Der gezielte Auf- und Ausbau ko-kreativer Marken setzt die Entwicklung eines systematischen Gedankengebäudes voraus. Die hier vorgestellte Systematik, die sich vorrangig auf die Führung von Konsummarken konzentriert, manifestiert sich in zwei Dimensionen: einer inhaltlichen und einer prozessualen. Die Denkfiguren „Content“, „Competence“ und „Community“ definieren dabei die Dimensionen auf inhaltlicher Seite. Auf prozessualer Seite bilden Ko-Innovation, Ko-Produktion, Ko-Konsum, Ko-Kommunikation und Ko-Destruktion die Ausprägungen. Die folgenden zwei Kapitel erläutern den so umrissenen Raum genauer.
2.1 Inhaltliche Denkfiguren des Co-Creative Branding Die inhaltlichen Denkfiguren verfolgen das Ziel, den strategischen Überlegungen innerhalb des Markenführungsprozesses einen gedanklichen Fokus zu geben. Als Antwort auf die gegenwärtigen Veränderungen bilden sie Leitlinien einer kokreativen Kommunikationsarbeit. Zur besseren Schärfung werden die drei Denkfiguren durch folgende inhaltliche Leitsätze bzw. kommunikative Regeln ergänzt, die in Teilen von James Cherkoffs 21 Co-Creation Rules inspiriert sind:
10 11
Vgl. Wikström (1996), S. 326. Vgl. Ramaswamy (2006), S. 25.
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„Create Conversation“, „Provide Knowledge“ und „Set a Scene and Get Involved“.12 Co-Created Content: Create Conversation Im Rahmen des Co-Creative Branding beschreibt die Denkfigur „Co-Created Content“ zunächst das Angebot einer Marke, aufmerksamkeitsstarke Inhalte anzubieten, auf deren Basis sich Gespräche entwickeln können.13 Während das traditionelle Marketingverständnis das Ziel verfolgt, ein fertiges Kommunikationspaket zu produzieren, macht es sich der ko-kreative Ansatz zur Aufgabe, den Kunden am Markengespräch zu beteiligen und so gemeinsam Markeninhalte zu kreieren. Die besondere Bedeutung dieser Denkfigur speist sich vor allem aus der Rolle des Internets als neuem Leitmedium der Gesellschaft: Wo früher das Medium die Botschaft war, müssen Botschaften innerhalb des Internets zu attraktiven und interaktiven Inhalten werden, denn nur zu diesen Konditionen starten die Rezipienten einen intendierten Kommunikationsprozess. Darüber hinaus gewinnen besonders im virtuellen Raum die „Social Media“ wie Blogs oder Foren für Gespräche an Bedeutung. Markenkommunikation ist in diesem Zusammenhang erfolgreich, wenn sie die bestehenden Gespräche interessanter macht. Der ehemalige Geschäftsführer der Word of Mouth Association Sernovitz erklärt hierzu: „The role of an ad agency or brand is to empower the existing conversation. >…@ Consumer swarm is happening because consumers have something to say, it’s not going to be something that’s started by an ad agency or a marketer.”14 Diese Ansicht findet sich auch in dem schon vor zehn Jahren veröffentlichten Cluetrain Manifest, 95 Thesen, die einen direkteren und ehrlicheren Gesprächsstil in der werblichen Kommunikation fordern.15 „Märkte sind Gespräche“, so lautet die erste These, in denen Marken demnach als Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe mit den Kunden agieren.16 Das ko-kreative Moment der Inhalte- und Gesprächsthemenproduktion kann auf unterschiedliche Art und Weise stattfinden: So startete eine erfolgreiche Dove-Kampagne des Jahres 2006 zunächst mit einer Frage („Was ist wahre Schönheit?“), ließ die Antwort offen und wartete die Reaktionen der meist weiblichen Konsumenten ab. Erst als sich zeigte, dass sich das ästhetische Verständ-
12
Vgl. www.collaboratemarketing.com (10.02.2009). Vgl. hierzu u.a. Prahalad/Ramaswamy (2004), S. 49. www.ddb.com/pdf/presskit/Eprint_Adage_nov_dec_07.pdf (10.02.2009). 15 Vgl. Levine / Locke / Searls (2000). 16 Levine / Locke / Searls (2000), S. XXI. 13 14
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nis vieler Frauen von den makellosen Bildern der Kosmetikindustrie abgrenzt, verschärfte Dove den Dialog in eine gesellschaftskritische Richtung.17 Ein anderes Moment der Ko-Kreation im Bereich „Co-Created Content“ bietet die New York Times ihren Kunden: Auf dem Internetportal mytimes.com besitzt jeder die Möglichkeit, die journalistischen Inhalte der Zeitung selbst anzuordnen, den eigenen Interessen nach auszurichten und Feedback an die Redaktion zu geben. Die so gewonnenen Informationen erweisen sich als nützliche Informationsquelle über die Rezeptionsmodi der Leser virtueller Zeitungsangebote – eine Quelle, die der redaktionellen Arbeit der Unternehmen zugute kommen kann. Auch das Mütterportal „vocalpoint.com“ von Procter & Gamble ist ein gutes Beispiel der gemeinsamen Kreation von Gesprächsinhalten. Die Interessen und Sorgen der Mütter werden von Procter & Gamble dazu verwendet, Produktinnovationen und Verbesserungen zu entwickeln, die dann wiederum in der Community getestet und diskutiert werden können. Als relevante Erfolgsfaktoren für die Konzeption von markennahen Gesprächsinhalten könnten folgende Punkte genannt werden: Es müssen Erzählstoffe sein (Storytelling), die sich differenzierend abheben (Distinctiveness) und an die dritte Gesprächspartner anknüpfen können (Linkability). Zusammengefasst vertritt die erste inhaltliche Denkfigur der ko-kreativen Markenführung folgende Auffassung: Marken müssen sich als Anbieter und Lieferant von Inhaltsangeboten verstehen, auf deren Basis sich die Konsumenten zu Gesprächspartnern entwickeln können. Der Wandel von non-intentionalen zu intentionalen Kommunikationsmustern und -erwartungen ruft die Notwendigkeit hervor, Botschaften in Medieninhalte zu wandeln, die über ein hohes Maß an Relevanz verfügen und folglich intentional angesteuert werden. In diesem Zusammenhang bemerkt auch Huntington: „Creative agencies must free themselves from media – they are content creation companies and increasingly content co-creation companies.”18 Co-Created Competence: Provide Knowledge Im Zeitalter des Wissens müssen erfolgreiche Marken den Menschen Kompetenzangebote machen, anhand derer sich alltägliche Herausforderungen sowie individuelle und kollektive Bedürfnisse bewältigen lassen. Kompetenz kann als die Fähigkeit zur Selbstorganisation eines Einzelnen oder eines sozialen Systems im Hinblick auf die sinnvolle, effektive und reflektierte Nutzung von Informationen beschrieben werden, um dadurch die Lebensqualität in der Wissensgesellschaft zu steigern. Ein Ausschöpfen der Denkfigur „Co-Created Competence“ 17 18
Siehe erweiternd den Beitrag von Sonnenburg in dieser Publikation. http://www.adliterate.com/archives/2006/06/brands_and_20_p.html (01.09.2008).
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bedeutet dabei nicht nur die Präsentation fertiger Lösungen seitens der Marke, sondern das Angebot echten Wissens, mit dessen Hilfe Kunden ihre eigenen Lösungsmöglichkeiten entwickeln können. Zaltman stellt hierzu fest: „Consumers view firms as resources. Specifically they want companies to [...] provide them with knowledge.“19 Kompetenz meint in dieser Lesart nicht nur den Kompetenzgewinn für Kunden, sondern gleichermaßen den für Unternehmen. Santala und Parvinen gehen davon aus, dass das Wissen von (und nicht über) Kunden eine zentrale Quelle des Wettbewerbsvorteils darstellt.20 Folgt man diesen Überlegungen, so ändert sich teilweise auch das Konzept der Kernkompetenzen.21 Neben dem Fakt, dass die kundenseitige Ressourcenintegration zukünftig eine der wichtigsten Kernkompetenzen darstellt, wird es auch Kernkompetenzen geben, die von Unternehmen und Kunden gemeinsam gebildet werden.22 Erfolgsfaktoren für die Beurteilung von Kompetenzangeboten könnten z.B. die ursprünglich von Baetzgen zur Passungskontrolle zwischen werblicher Kommunikation und Lebenskontexten entwickelten Punkte „Alltagsrelevanz“ und „Konsistenz“ darstellen.23 Die Alltagsrelevanz von Kompetenzangeboten ist dabei in hohem Maße abhängig von den Erwartungen der Konsumenten. Baetzgen zufolge ist es hilfreich, die Gebrauchsweisen und Konsumpraktiken der Kunden zu kennen, um anhand dieser Informationen einen Kompetenz-Mix aus Erwartetem und Überraschendem anzubieten. Der Erfolgsfaktor „Konsistenz“ meint die markenspezifische Passung eines Kompetenzangebots. Auch Konsistenz versteht sich dabei nicht als die Wiederholung von Vertrautem, sondern als die Variation von gewohnten und neuartigen Gestaltungselementen innerhalb der Markenwelten.24 In der Praxis lassen sich zahlreiche Beispiele für die Bereitstellung von KoKompetenzwissen sowohl auf Unternehmens- als auch auf Kundenseite finden. So veröffentlicht z.B. die Sandwichkette „Pret à Manger“ die Rezepte ihres gesamten Speiseangebots, so dass Kunden die Gerichte nachmachen und (!) verbessern können. Das angesehene Massachussets Institute of Technology (MIT) stellt seit kurzem die gesamte Lehr- und Kursplanung online und liefert so eine Informationsquelle für die akademische Didaktik. Eine der wichtigsten Aufgaben im Bereich Kompetenz besteht jedoch derzeit darin, komplizierte technische Vorgänge mit einfachen Interfaces zu versehen. Produkte wie der iPod oder die Suchmaschine Google haben u.a. deshalb Erfolg, weil sie dem Nutzer die Kom19
Zaltman (2003), S. 97. Vgl. Santala / Parvinen (2007), S. 583. 21 Vgl. Hamel / Prahalad (1990). 22 Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 214-223. 23 Vgl. Baetzgen (2007), S. 193-206. 24 Vgl. Baetzgen (2007), S. 202ff. 20
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petenz zurückgeben, gewaltige Datenmengen übersichtlich und einfach zu kontrollieren. Anhand der aufgeführten Beispiele wird deutlich, dass die gemeinsame Kompetenzkreation dort anfängt, wo Wissen geteilt und erreichbar gemacht wird. Co-Created Community: Set a Scene and Get Involved In einer Ära der kulturellen Globalität und im Zeitalter der technologischen Konvergenz ist die Fähigkeit des Vernetzens eine Schlüsselkompetenz. Die inhaltliche Denkfigur „Co-Created Community“ eröffnet Unternehmen gezielt Ansatzpunkte zur Stärkung gruppenbezogener Interaktivitäten: Erstens stellt die Gemeinschaft eine wichtige Informationsquelle für andere Konsumenten dar; zweitens besitzt die Community eine Form von moralischer Verantwortung, die sich in der Sozialisierung neuer Konsumenten bemerkbar macht; drittens veredeln Communitys den Konsumprozess durch ein „feierliches“ Moment, da der Konsum nicht im isolierten Raum des Individuellen verhaftet bleibt, sondern in der Gemeinschaft Gleichgesinnter zelebriert wird. Beispielhaft für diese Communityeffekte ist die Adidas-Superstar-Community, die durch konstante kreativ-visuelle und sprachliche Reflektionen rund um den Schuh dessen Kultfaktor stets erneuert und am Leben hält. Adidas erkannte das spielerische Potenzial zwischen Besitzer und Schuh und entwickelte passend zum 35. Geburtstag der Superstars ein weißes Modell, welches mit einer Packung bunter Stifte verkauft wurde – die Kultur der „Remixed Shoes“ war geboren. Solche „Interaktivitäten“ rahmen für Unternehmen eine hochinformative Szenerie, innerhalb derer Fragen zur Produktzufriedenheit, Serviceanforderungen und Innovationsgedanken angesprochen werden. Bei der Aktivierung gruppenbezogener Interaktivitäten steht die Inszenierung sogenannter Kollektivitätstreiber im Vordergrund. Unternehmen können Gemeinschaften stärken, wenn sie gruppenspezifische Rituale und Zeichen gemeinsam mit den Mitgliedern etablieren. Darüber hinaus ist es für die Gemeinschaft förderlich, wenn genügend Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Community-Mitgliedern, zwischen Mitgliedern und Unternehmen sowie zwischen Community-Themen und zentralen Hubs des Internets (Google, relevante Blogs, youtube.com, wikipedia.com) bestehen. Communitys dieser Art können und dürfen nicht vom Unternehmen etabliert, gemacht oder gemanagt werden; vielmehr müssen sie, bei Bedarf, ermöglicht und dann mit den Nutzern gemeinsam gestaltet werden. Die Erfolgsfaktoren einer funktionierenden Communityarbeit lassen sich in den Punkten „Vertrauen“, „Lernen“ und „Adaption“ zusammenfassen. Vertrauen entsteht vor allem durch den Umstand, dass seitens des Unternehmens ein echtes
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Anliegen am Fortbestehen der Community besteht und dass nicht vordergründig profitorientierte Interessen das Handeln der Marke bzw. des Unternehmens leiten. Lernen und Adaption legen den Fokus auf das Brand Involvement. Normalerweise loben Verantwortliche in Markenfragen ein hohes Kundeninvolvement; das Gerüst der ko-kreativen Markenführung setzt jedoch auch ein tiefes Markeninvolvement voraus: Die Arbeit mit Konsumenten und Communitys verlangt wesentlich mehr Involviertheit und Empathie als jede traditionelle Form der Markenkommunikation.25 Abschließend bleibt zu bemerken, dass die Implementierung der drei inhaltlichen Denkfiguren ein Beziehungsverständnis zwischen Konsument und Unternehmen bedingt, welches Fehler in der Kommunikationsarbeit toleriert: Wenn Kommunikation nicht mehr rückkopplungsfrei verläuft, lassen sich Irritationen nicht vermeiden. Die perfekte Kampagne bzw. die bis ins kleinste Detail geplante Kommunikationsstrategie müssen Fehler als Systembestandteil aufnehmen und auf irritierende Einflüsse flexibel reagieren, sich verändern und/oder anpassen. Nur Marken, die Veränderung selbst als Status quo begreifen, werden innerhalb vernetzter Medien zu Wort kommen.
2.2 Prozessuale Denkfiguren des Co-Creative Branding Während Content, Competence und Community inhaltliche Leitlinien für die ko-kreative Markenarbeit darstellen, widmet sich das folgende Kapitel der KoKreation als Prozess. Die Begrifflichkeit „Prozess“ wächst in diesem Kontext über ihre engen Grenzen hinaus, welche ein linear geprägtes Handlungsgefüge mit Anfangs- und Endpunkt nahelegen. Im Folgenden soll deshalb unter Prozess allgemein eine handlungsbedingte Entwicklung verstanden werden.
2.2.1 Prozessdimensionen Die Entwicklung der Marken-Ko-Kreation teilt sich in die fünf Prozessdimensionen „Ko-Innovation“, „Ko-Produktion“, „Ko-Konsum“, „Ko-Kommunikation“ und „Ko-Destruktion“. Damit sind die unterschiedlichen Bereiche der Wertschöpfung einer Marke bzw. die verschiedenen Ansatzpunkte der Markenführung gemeint. Die Dimensionen verhalten sich nicht chronologisch zueinander, sondern ordnen sich – ähnlich einer Rhizomstruktur – vernetzt an und sind prinzipiell von äquivalenter Bedeutung. Keine der Prozessdimensionen bildet 25 Siehe ausführlich zum Thema des Markeninvolvements den Beitrag von Sonnenburg in dieser Publikation.
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einen Anfangs- oder Endpunkt, vielmehr beeinflussen sie sich durch einen fortlaufenden Wissensaustausch innerhalb des ko-kreativen Netzwerks der Markenführung. Ko-Innovation Die Darstellung des ko-kreativen Prozesses beginnt mit der Konzentration auf die Dimension „Ko-Innovation“. Diese steht am Anfang des Lebenszyklusses einer Marke und beherbergt demnach ein besonders großes Potenzial zur Integration ko-kreativer Elemente. Der Blogger Karl Long bemerkt in diesem Zusammenhang: „For me the concept of co-creative marketing is something that should, at its best, be built into the DNA of your products and services.“26 Ko-Innovation bezeichnet die ko-kreative Wertschöpfung innerhalb des Innovationsprozesses, indem Unternehmen und ausgewählte Kunden bzw. Nutzer gemeinschaftlich Innovationen generieren.27 Sie vollzieht sich nicht mehr nur im Unternehmen, sondern kann als interaktiver Prozess zwischen Unternehmen und einem weiten, horizontalen und vertikalen Netzwerk aus Innovationsgruppen gesehen werden.28 Ziel ist die Nutzung des kreativen Potenzials unternehmensexterner Quellen zur Minderung des Risikos von Innovationsinvestitionen. Dabei werden besonders Kunden nicht nur als Quelle der Bedürfnisinformation, sondern vor allem auch als Ressource für Lösungsinformationen gesehen.29 So belegen z.B. Kristensson, Magnusson und Matthing in einer Studie zur Kundeneinbindung in Innovations- und Designprozesse, dass Kunden zum einen originellere Ideen als Mitarbeiter des Unternehmens generieren und zum anderen konsequent andere Ideen für innovativ bewerten als Unternehmensangestellte.30 Ko-Innovationen sollten von oberflächlichen Marketingaktionen wie z.B. „send-us-your-product-idea-and-win-a-voucher-for-a-free-ice-cream-but-don’texpect-us-to-actually-do-something-with-it“31 abgegrenzt werden. Viel eher geht es darum, die Potenziale des kollektiven Wissens für Produktideen, -innovationen und -verbesserungen tatsächlich zu nutzen. Paradebeispiele dieser Art der Wertschöpfung sind z.B. onlinebasierte Plattformen wie ideaswin.com, crowdspirit.com, legomindstorm.com, Procter & Gambles connect + develop32, BMWs Customer Innovation Lab33 und Audi’s Virtual Lab oder reale Orte der Ko26
http://experiencecurve.com/archives/beyond-viral-3-ideas-for-co-creative-marketing (01.09.2008). Vgl. Piller / Reichwald (2006), S. 96. Vgl. Laursen / Salter (2004), S. 3. 29 Vgl. Piller / Reichwald (2005), S. 3. 30 Vgl. Kristensson / Magnusson / Matthing (2002), S. 59. 31 Vgl. www.trendwatching.com (01.09.2008). 32 Vgl. www.pgconnectdevelop.com (01.09.2008). 33 Vgl. www.hyve-special.de/bmw/index1.php (01.09.2008). 27 28
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Kreation wie das Co-Innovation-Lab von SAP34. Im Fall von Procter & Gamble generieren die ko-kreativen Projekte mittlerweile 35% der Innovationen im Unternehmen (z.B. Swiffer Dusters, Crest SpinBrush) und steigerten die gesamte Innovationskraft um 60%.35 Ko-Produktion Die Prozessdimension der Ko-Produktion meint den Austausch zwischen Kunde und Hersteller im Rahmen der Konkretisierung einer vom Unternehmen angebotenen Leistung, um einen Differenzierungsvorteil innerhalb des Wettbewerbs zu erlangen. In Abgrenzung zur Ko-Innovation werden in dieser Dimension nicht die grundlegenden Eigenschaften eines Produkts neu entwickelt. Stattdessen findet eine Auswahl unter vorgedachten Optionen statt.36 Die Teil-Auslagerung von Produktionsschritten an den Kunden kann finanzielle Vorteile versprechen (siehe etwa das Do-it-yourself-Geschäftsmodell von IKEA), sollte aber nicht primär kostengetrieben initiiert werden, sondern sich aus praktischen Gründen an den Lebensweisen und aus psychologischen Gründen an dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein der Konsumenten orientieren. In vielerlei Hinsicht stellt der iPod ein treffendes Beispiel der Ko-Produktion dar: Zunächst stellt das Gerät nur eine Benutzeroberfläche zur Verfügung, auf welcher die User durch Aufspielen der verschiedensten Medienformen das Produkt vollenden, in dem sie es an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Auch das Portal mymuesli.de bietet seinen Kunden die Möglichkeit, aus vorausgewählten biologischen Zutaten mit nur ein paar Clicks das Lieblingsmüsli zu mischen und sich innerhalb von zwei Tagen nach Hause liefern zu lassen. Die Nutzer haben über den Kauf hinaus die Möglichkeit, ihre eigenen Mischungen vorzustellen und weitere Zutaten vorzuschlagen. An dieser Stelle wird besonders deutlich, welche wertvolle Informationsquelle Ko-Produktionsprozesse bilden können. Interaktivitäten dieser Form müssen daher auch laufend ausgewertet werden, um die Ko-Produktion zu optimieren und die Ko-Kreation von Werten zu steigern.37
34
Vgl. www.coil.sap.com (01.09.2008). Ein weiteres lohnendes Beispiel erfolgreicher Ko-Innovation des Unternehmens SAP stellt das Projekt SAPiens dar (www.sapiens.info). SAPiens fordert junge noch in der Ausbildung befindende SAP-Nutzer dazu auf, ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen zu teilen und sich so schon früh mit dem System und der Marke kreativ auseinanderzusetzen. 35 Vgl. http://trendwatching.com/trends/CUSTOMER-MADE.htm (10.02.2009). 36 Vgl. Piller / Reichwald (2006), S. 195-200. 37 Weitere Praxisbeispiele: IKEA bietet Kunden an, einzelne Möbelstücke wie Sofas hinsichtlich Farbe, Bezugsstoff und Form zu konfigurieren. VOLVO bietet seinen Kunden die Möglichkeit, beim Kauf zahlreiche Designelemente des Fahrzeugs selbst zu variieren.
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Ko-Konsum Die Prozessdimension „Ko-Konsum“ spielt innerhalb der gesamten Ko-Kreation eine gewichtige Rolle. Sie stellt den Raum dar, in welchem ein Großteil der Konsumenten mit der Marke in Berührung kommt und die Kreation von Werten einer Marke vor allem durch Konsumpraktiken im Alltag und im Austausch innerhalb des sozialen Umfeldes entsteht. Ko-Konsum meint hierbei nicht den bloßen „Akt des Kaufens“, sondern die interaktive Kreation von Erlebnisräumen des Konsums von Kunde(n) und Unternehmen.38 Diese „Räume“ erstrecken sich über den gesamten Konsumprozess – von der ersten Aufmerksamkeitsäußerung über Informationsbeschaffung und Kaufentscheidung bis hin zur Anwendung und gegebenenfalls Nachkauf oder Ablehnung der Serviceangebote. Teilweise gehen hierbei die Dimensionen „KoProduktion“ und „Ko-Konsum“ ineinander über bzw. lassen sich nicht eindeutig abgrenzen. Die zumindest verbale Trennung ist trotz allem sinnvoll, eröffnet sie doch bei der praktischen Arbeit Möglichkeitsräume mit tendenziell unterschiedlichen Schwerpunkten. Zur Illustration eines ko-kreierten Konsumerlebnisses findet sich bei Ramaswamy (2006) folgendes Beispiel: „Consider the case of Apple. Through its iTunes service, customers have downloaded over 350 million songs of their choice, after listening to a sample of the song, thereby escaping the tyranny of the CD (although individuals still can download an entire CD if they wish so). Individuals – including musicians – can also publish and share their own playlists using the iMix tool that Apple provides. The community of music lovers is engaged in helping individuals discover new music. The downloaded music can be transferred to the Apple iPod [...]. Moreover, at the Apple stores, individuals can learn about how to actually get music into the iPod (from their own music collections) or download songs from iTunes [...]. The Apple store is a ‚learning’ environment, besides being a ‚sales’ environment. Individuals’ interactions with knowledgeable people at the ‚genius bar’ supports the consumer’s learning experience.“39
Apple schafft es anhand zahlreicher interaktiver Anwendungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Internets den reinen Kaufakt und die alltägliche Nutzung in ein individuelles und gemeinschaftliches Konsumerlebnis zu verlängern. Diese Implementierung von interaktiven Kanälen reduziert Unsicherheiten z.B. bezüglich der Funktionsweise eines Produktes und maximiert somit die Wertentstehung während der Nutzung. Ein solches Verständnis von Konsum
38 39
Vgl. Ramaswamy (2006), S. 26. Vgl. Ramaswamy (2006), S. 26.
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bildet eine grundlegend wichtige Basis für die Implementierung der ko-kreativen Markenführung.40 Ko-Kommunikation Die Prozessdimension der Ko-Kommunikation ergibt sich einerseits quasi automatisch durch die kommunikative Interaktionen der in den Phasen „Innovation“, „Produktion“ und „Konsum“ eingebundenen Kunden; andererseits fallen in den Wirkungsbereich dieser Dimension auch intentional-strategische Handlungen seitens des Unternehmens, um ein Serviceangebot oder eine Marke mit Hilfe der Kunden zu verbreiten. Die kommunikative Verbreitungsarbeit gemeinsam mit den Konsumenten unterteilt sich in drei verschiedene Formen: Die einfachste und zugleich am wenigsten ko-kreative Form ist die kundenseitige Kreation verschiedener Werbemedien innerhalb eines vom Unternehmen abgesteckten Rahmens. In einer von Marken und Werbung durchsetzten Welt, in der Konsumenten die Täuschungsmechanismen werblicher Kommunikation zeitgleich mit der Rezeption dekodieren,41 führen Aktionen dieser Form jedoch oft zu Verballhornungen und bieten Angriffsfläche für Kritikbewegungen, wie z.B. das „Adbusting“ und das „Culture Jamming“. Ein anschauliches Beispiel für den Misserfolg kokommunikativer Aktionen stellt die Einführung des Chevrolet Tahoe in den USA dar. Konsumenten wurden aufgefordert, den TV-Spot für das neue SUV mit eigener Musik und eigenen Slogans zu bestücken, was diese auch taten, jedoch sicherlich nicht im Interesse von General Motors (siehe Abbildung 2).42 Die zweite Form der gemeinsamen kommunikativen Verbreitung findet in vom Unternehmen initiierten Kommunikationsräumen wie Communitys, Blogs oder Foren statt. So existiert innerhalb der 65.000 Mitglieder großen TiVoCommunity43 ein Diskussionsforum zum Thema „How to convince friends and family to buy a TiVo“, welches für die Marketingabteilung wertvolle Erkenntnisse zur Neukundenakquise liefert.
40
Vgl. zum Markeninvolvement bei Apple die Fallstudie in dieser Publikation. Das Portal „trendwatching.com“ verleiht den Konsumenten den Titel „MC“, also den Master of Consumerism: „These ckle, wired, empowered, infolusty, opinionated and experienced holders of a MC (Master of Consumerism) are getting used to 'having it their way', in ANY way imaginable, which includes wanting to have direct inuence on what companies develop and produce for them“, vgl. http://trendwatching.com/trends/CUSTOMER-MADE.htm (01.09.2008). 42 Siehe z.B. www.youtube.com/watch?v=4oNedC3j0e4, www.youtube.com/watch?v=aasSEl-Cr9Y &feature=related (01.09.2008). 43 TiVo ist die in den USA am weitesten verbreitete Festplatten-Set-Top-Box, mit der sich Fernsehen aufzeichnen und zeitunabhängig rezipieren lässt. 41
62 Abbildung 2:
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Wenn Ko-Kommunikation schief geht.44
Die dritte und zugleich herausforderungsreichste Form der Ko-Kommunikation umfasst die Beeinflussung sozialer Gespräche in den vorhandenen Kommunikationsplattformen der Gesellschaft. Die Kampagne von Smirnoff zur Markteinführung eines neuen Eisteegetränks in den USA veranschaulicht z.B. diese Form der Beeinflussung: Statt einer groß angelegten Werbekampagne ließ Smirnoff das unterhaltsame Musikvideo „Tea Partay“45 drehen und veröffentlichte es auf YouTube. Innerhalb weniger Tage generierte das Video eine riesige Fangemeinde im Internet und wurde so zum Gesprächsthema der gesamten YouTube-Generation. Ko-Destruktion Die Ko-Destruktion von Marken meint den gemeinsamen Dialog innerhalb des Markenführungsnetzes hinsichtlich der Auflösung einer Marke, der seine Berechtigung aus der Tatsache zieht, dass Destruktion zugleich eine Konstruktion von Neuem bedeutet. Bevor sich Marken oder Produkte dem Ende ihres Lebenszyklusses nähern, existieren meist zahlreiche Warnsignale innerhalb der verschiedenen Bereiche des Unternehmens, seitens der Konkurrenz und seitens der Kunden. Eine erfolgreiche Ko-Destruktion verfolgt zwei Ziele. Erstens muss sie eventuellen negativen Informationen eine Andockstelle bieten und unerfreuliche Vorzeichen gerade nicht reflexartig als wirtschaftlichen Pessimismus oder neidische Missgunst etikettieren. Ein eindringliches Negativbeispiel gibt hierfür die Firma SONY, die, Anfang der 1990er Jahre aufgrund des weltweiten Erfolgs des SONY-Walkmans in unternehmerische Hybris verfallen, die nächste Generation tragbarer Musikgeräte, den MP3-Player, verschlief. Ein konstanter Austausch mit Lead-Usern und die rechtzeitige Destruktion des Kassetten-Walkman und Konstruktion des MP3-Walkman hätte diesen unternehmerischen Misserfolg verhindern können. 44 45
Vgl. www.youtube.com/results?search_query=chevy+tahoe&search_type=&aq=f (01.09.2008). Vgl. www.youtube.com/watch?v=PTU2He2BIc0&feature=related (01.09.2008).
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Die Dimension der Ko-Destruktion soll zweitens die Trennungsprozesse bestehender Kundengruppen managen, so dass diese nicht verloren gehen, sondern lediglich verschoben werden. Am Beispiel der Produktmarke Apple Newton, Vorgänger der heutigen Handheld-Computer, die im Jahr 1998 stillgelegt wurde, zeigt sich die Gefahr einer fehlenden gemeinsamen Marken-Dekonstruktion: Die lebendige Newton-Community, die sich von Apple im Stich gelassen fühlte und das Produkt bis heute weiterentwickelt und somit „künstlich“ am Leben hält, ist oft auch jetzt noch Quelle für Kritik im Internet gegen das Unternehmen Apple.46 Es ist demnach von Bedeutung, innerhalb des Markenmanagements das Ende einer Marke zumindest mitzudenken: Denn nur, wenn alle Entscheidungsoptionen strategisch antizipiert werden, können Unternehmen Alternativstrategien entwickeln und das konstruktive Potenzial eines Neuanfangs gezielt nutzen. In Abbildung 3 können sowohl die inhaltlichen als auch die prozessualen Denkfiguren nochmals nachvollzogen werden. Abbildung 3:
46
Denkfiguren der ko-kreativen Markenführung, eigene Darstellung.
Vgl. Cova / Pace (2006), S. 1089.
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2.2.2 Ko-kreative Prozessbemerkungen Legt man dem Markenführungsprozess das neu gewonnene Paradigma der KoKreation zugrunde, so ergeben sich neue Ansätze für Organisationsabläufe und damit einhergehend eine Neugewichtung gängiger Prozessvokabeln. Den strategischen und handlungsorganisatorischen Besonderheiten der ko-kreativen Markenführung soll im Folgenden in einem Entwurf ko-kreativer Organisationsstrukturen für die Markenführung kursorisch Rechnung getragen werden. Grundsätzlich gilt, dass sich ko-kreative Strategien oder Prozesse weder autonom noch linear steuern lassen. Aufgrund der interaktiven Ausrichtung stehen nicht Stabilität und Konsistenz im Vordergrund, vielmehr formt sich Strategie als gemeinsame Suche nach „Innovation und Entdeckung“47. Das ko-kreative Verständnis der Markenführung unterscheidet nicht zwischen Planung und Umsetzung. Statt der punktgenauen Implementierung von Maßnahmen steht im Zentrum der Nutzengenerierung die Adaption: das Streben nach der Angleichung zwischen unternehmens- und kundenseitigen Wertvorstellungen. Um das Handlungsgefüge der Markenverantwortlichen zu beschreiben, wird der Begriff des Wertschöpfungsnetzwerks bzw. Markenführungsnetzwerks etabliert. Die Machtverteilung im Sinne eines Netzwerkes ermöglicht ein größeres Maß an Involviertheit seitens der Konsumenten. Prahalad und Ramaswamy sprechen in diesem Zusammenhang auch von Erfahrungsnetzwerken, welche die lineare Form der Wertschöpfung ersetzen.48 Sie besitzen kein Zentrum, sondern vielmehr Hubs, die je nach Aktivitätslevel als wichtiger in den Vordergrund oder als weniger zentral in den Hintergrund treten. Zum Netzwerk zählen alle, die über Wissen, Fähigkeiten oder andere Ressourcen verfügen, die für die Führung der jeweiligen Marke bedeutsam sind. Je nach Anforderung bedient sich das Netzwerk geeigneter Spezialisten. Einer der wichtigsten Knotenpunkte innerhalb des Markenführungsnetzwerks ist das Co-Creative Branding Board (CCBB). Diese Managementgruppe ist ein Zusammenschluss aus (wechselnden) Markenverantwortlichen, der sich aus folgenden Grundrollen zusammensetzten könnte (siehe Abbildung 4): Ein bis zwei Brand Consumers, die je nach Problemstellung aus einem Pool von involvierten Verbrauchern ausgewählt werden; ein Brand Communitist, dessen Aufgabenbereich von klassischer Marktforschung bis hin zur Betreuung der Verbrauchergemeinschaften reicht; ein Brand Journalist, der in Anlehnung an die Tätigkeit einer PR-Abteilung Content-Fokussierungen der Marke begleitet und die Bespielung der verschiedenen Medienoberflächen koordiniert; ein Brand Resourcer, dessen Fokus auf der informationstechnischen Entwicklung, Koordi47 48
Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 292. Vgl. Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 155.
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nation, Anreicherung und Selektion von Wissensressourcen innerhalb und außerhalb des Unternehmens liegt; ein externer Brand Consultant, der das eigene Beratungswissen je nach Bedarf um das Wissen geeigneter Experten aus dem Markenführungsnetz ergänzt; ein Chief Branding Officer, der im Top-Management des eigenen Unternehmens verankert ist, eine quasi-vorsitzende Funktion ausfüllt und je nach Aufgabenstellung passende Zuständige aus den verschiedenen Unternehmensbereichen rekrutiert. Abbildung 4:
Das Co-Creative Branding Board, eigene Darstellung. Brand Consumers Chief Branding Officer
Brand Communitist
Co-Creative Branding Board Brand Resourcer
Brand Journalist
Brand Consultant
Die Konzeption des CCBB spiegelt erstens die inhaltlichen Denkfiguren der ko-kreativen Markenführung – Content (Brand Journalist) sowie Competence und Community (Brand Resourcer, Brand Consumers, Brand Communitist) wider, verankert sich zweitens innerhalb des gesamten Markenführungsnetzes (externer Brand Consultant) und bildet drittens die prominente Rolle von Marken im Unternehmen als solide strategische Wettbewerbsvorteile (Chief Brand Officer als Teil des Top-Managements) ab. An dieser Stelle bleibt zu bemerken, dass es sich bei diesem Konzept lediglich um einen Entwurf handelt, dessen reale Umsetzbarkeit ausführlich in verschiedensten Praxisbereichen zu testen und zu verbessern ist.
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Herausforderungen des Co-Creative Branding
So vielversprechend die Idee einer gemeinsamen Markenführung klingt, kann nicht darauf verzichtet werden, die größten Herausforderungen zu benennen, die sich aus deren Umsetzung ergeben. Die größte Hürde liegt im Konzept selbst begründet. Dies mag paradox klingen, betrachtet man jedoch die Bedeutung der zentralen Konzeptbegriffe – Ko-Kreation und Führung – wird der immanente Widerspruch offensichtlich. Gleichzeitig aber liegt in diesem Paradoxon von Gemeinsamkeit und Führung selbst seine Lösung: Weder das Element der absoluten Gemeinsamkeit noch das Element der starren Führung bringen erfolgreiche Ideen, Businessmodelle und Marken hervor. Die entscheidende Herausforderung liegt daher in der richtigen Mischung aus Einbindung und Ausschluss. KoKreativität bedeutet schließlich keine vollständige Umkehrung der Prämissen hin zu einer Struktur, in der Marken gänzlich von Konsumenten gelenkt würden. Sie funktioniert nur dann, wenn sie konzeptionell eingebunden ist und konsumentenseitiger Input offen, aber reflektiert und innerhalb vernünftiger Rahmen implementiert wird. Zur weiteren Herausforderungsanalyse werden die Risikoquellen der kokreativen Markenführung auf Unternehmens- und Konsumentenseite betrachtet. Ziel des Kapitels ist, eine theoretische Reflexion anzustoßen, auf deren Basis in zukünftigen Forschungsvorhaben Vermeidungsstrategien und -methoden zu erarbeiten sind, um so einer ko-kreativen Markenführung den Weg zu ebnen.
3.1 Herausforderungen und Risikoquellen auf Unternehmensseite „Viele Entscheider kennen die sozialen Netze nur aus zweiter Hand. Ebenso fehlen ihnen Ansätze zur Neuberechnung des Return on Marketing Investment und zur Anpassung der Strukturen, auch Agenturen sind auf das klassische Sender-Empfänger-Modell getrimmt.“ Stefan Kaiser (2007, S. 14)
Unternehmen bringen, gleich welcher Branche sie angehören, Barrieren in den Prozess der ko-kreativen Markenführung ein. Die erste Risikoquelle, das Hierarchie-Dilemma, beschreibt das grundsätzliche Problem, dass Interaktivitäten zwischen Kunde und Unternehmen in der Regel von Mitarbeitern geleistet werden, die in der Machthierarchie des Unternehmens eher niedrig angesiedelt sind, da der hohe Zeitaufwand einer engen Kundeninteraktion innerhalb des höheren Managements nicht aufgebracht werden kann. Meist sind es Verkaufs- oder Serviceangestellte (z.B. Mitarbeiter einer Hotline), die in ihrer täglichen Arbeit
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den interaktiven Erfahrungsraum bestimmen.49 Diese Mitarbeiter besitzen, so lässt sich zumindest vermuten, wenig Einblick in die Meta-Strategie des Unternehmens oder in die Geschehnisse in anderen Abteilungen und verfügen nur über geringe Autoritätsbefugnisse, um die Erlebnisse und Erkenntnisse aus dem direkten Kundenkontakt in einer fruchtbaren Unternehmensstrategie zu verankern. Die zweite Risikoquelle speist sich aus dem Massen-Dilemma, also jener Zwangsläufigkeit, dass jede Form der Interaktivität in massenstarken Konsumentenmärkten zu einem gewissen Grad standardisiert und automatisiert werden muss. Die dadurch hervorgerufene Statik steht diametral entgegengesetzt zu allen Prozessbestrebungen eines ko-kreativen Konzepts. Die dritte Herausforderung, die als Risikoquelle auf Unternehmensseite verortbar ist, lässt sich unter dem Stichwort fremde Wissenssprachen zusammenfassen und meint den systematischen Wissensunterschied zwischen Unternehmen und Kunden. Aufgrund der Differenz zwischen Expertenwissen über die Marke seitens der Unternehmen sowie ihrer involvierten Agenturen und intuitiven und fragmentarischen Meinungen individueller Konsumenten bedarf es einer gemeinsamen Sprache, die weder die eine noch die andere Wissensart in ihrer Stofflichkeit angreift. Die vierte Herausforderung liegt in der Implementierung eines ko-kreativen Prozesses. In den meisten Unternehmen existieren standardisierte Verfahrensund Reportingabläufe sowie Berechnungsmethoden des Marketing Return on Investment (MROI). Ko-kreative Konzepte bringen die Verantwortlichen in unbekannte und ungewohnte Fahrwasser der Argumentation – die Gefahr des Kontrollverlustes und folglich die Furcht vor der eigenen Machteinbuße bis hin zur Sorge um die Legitimation des eigenen Arbeitsplatzes können die Implementierung des ko-kreativen Ansatzes erheblich hemmen. Auch Martin Oetting, der bekannte Blogger und Mitbegründer der Word of Mouth Marketing-Agentur trnd, identifiziert die Etabliertheit der „effizienten und gut geölten Maschine dieses gesamten Werbe-Kommunikationskomplexes“50 als große Bremse, die neuen Markenmechanismen in das tägliche, unternehmerische Arbeiten aufzunehmen. Neben den genannten Hürden muss abschließend festgestellt werden, dass sinnvolle Ansatzpunkte für die ko-kreative Markenführung innerhalb der unterschiedlichen Branchen und Serviceangebote sowie auch von Marke zu Marke verschieden stark ausgeprägt sind. Sicherlich ist nicht jede Marke für ein kokreatives Branding geeignet.51 Marken, die ko-kreative Elemente integrieren, 49
Vgl. Wikström (1996), S. 372. Siehe http://www.media-ocean.de/2008/06/02/dresden-future-talks-2-martin-otting-von-trnd/ (01.09.2008). 51 Vgl. Wipperfürth (2005), S. 91. 50
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müssen vor allem ehrlichkeits- und transparenztauglich sein. Als Nike mit der Aktion „Nike ID“ den Konsumenten die Möglichkeit gab, ihre eigenen Schuhe zu gestalten, war dies eine willkommene Gelegenheit für Kritiker, direkt auf den Schuhen ihren Unmut über die systematische Ausbeutung von Nike-Arbeitern in sogenannten „Sweatshops“ der Niedriglohnländer auszudrücken.52 Auch für Marken, die, wie etwa bei hochkarätigen Anlagefonds der Fall, kommunikativ eine angemessene Fachkompetenz und Sicherheit ausstrahlen müssen, gestaltet sich Ko-Kreativität gänzlich anders, als es z.B. bei Konsumgütermarken der Fall ist. Ko-Kreation besitzt demnach keine feste Gestalt. Sie sollte zur Marke und zum Unternehmen passen und sich organisch aus dem jeweiligen Kontext ergeben; denn das Versprechen von Ko-Kreation birgt erhebliche Gefahren für das Image einer Marke, wenn es letztendlich nicht gehalten werden kann. Allgemein gesprochen steht und fällt der Erfolg ko-kreativer Markenführung mit der Ko-Kreationskompetenz eines Unternehmens, also die „Gesamtheit der Kompetenzen und Fähigkeiten eines Anbieters, um die Prinzipien der interaktiven Wertschöpfung erfolgreich umzusetzen“53. Diese Kompetenz konkretisiert sich laut Piller und Reichwald „in den Organisationsstrukturen (interaktionsfördernde Ablaufstrukturen), in Anreizstrukturen (z.B. monetäre Anreize) als auch in den Systemen und Werkzeugen der Information und Kommunikation (z.B. Toolkits oder Interaktionsplattformen)“54. Ein weiterer wichtiger Baustein der Ko-Kreationskompetenz ist das Vermögen der Markenverantwortlichen, das richtige Maß der Kontrollabgabe zu bestimmen. Piller und Reichwald sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Anwendungswissen“ oder „Interaktionswissen“ und erklären: „Der Erfolg [der Ko-Kreation] wird weniger von der Leistungsfähigkeit der vorhandenen Produktionsfaktoren bestimmt, als vielmehr von der Verfügbarkeit der knappen Ressource Anwendungswissen.“55 Nur ein konsequenter Aufbau von Ko-Kreationskompetenz führt laut der Autoren zu nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen.
52
Eine aufschlussreiche Dokumentation des Fallbeispiels findet sich unter: www.contagiousmedia. org/press/nike/nike-today.htm (01.09.2008). Piller / Reichwald (2006), S. 84. 54 Piller / Reichwald (2006), S. 84. 55 Piller / Reichwald (2006), S. 84. 53
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3.2 Herausforderungen und Risikoquellen auf Konsumentenseite In diesem Beitrag werden Konsumenten als Ko-Kreateure und Ressourcenträger einer gemeinsamen Wertschöpfung zwischen Kunde(n) und Unternehmen verstanden. In dieser Wirklichkeit der Ko-Kreation existieren aber neben den zahlreichen Potenzialen selbstverständlich auch auf Konsumentenseite Risikodimensionen. Die Grunddebatte der konsumentenseitigen Risikodiskussion fokussiert das Fehlen eines Möglichkeitsraumes seitens der Konsumenten, ihre Ideen und Wünsche in konkrete, an den strategischen Zielen des Unternehmens orientierte Konzepte zu übersetzen. Wie schon Henry Ford formulierte: „If I asked my customers what they needed, they would have told me they needed a faster horse.“56 Die ko-kreative Einbindung bedeutet auch für Konsumenten eine neuartige Anforderung. In den meisten Fällen steht noch kein Erfahrungskatalog bereit, um diesen neuen Aufgaben zu begegnen. Piller und Reichwald identifizieren in diesem Zusammenhang anhand von sechs Fallstudien weitere Herausforderungen, die besonders bei Ko-Innovationsprozessen auftreten. Erstens hat der Konsument ob der zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten von Produkt- und Bedürfnisideen die Qual der Wahl – die Beurteilung von erfolgversprechenden Entscheidungen fällt oft schwer.57 Auch fehlt vielen Konsumenten der Erfahrungshorizont, um Bedürfnisse und Produktspezifikationen aufeinander abzustimmen, also „to transfer their personal needs and desires into a concrete product specification“58. Eine dritte Herausforderung äußert sich in der Erwartungsunsicherheit seitens der Kunden gegenüber den Unternehmen. Viele Kunden gehen schlicht nicht davon aus, in die Rolle eines gleichberechtigten Kreateurs schlüpfen zu können. Ein weiteres risikoreiches Moment auf Kundenseite stellt die Gefahr der Unproportional Outcomes dar. In ihren explorativen Arbeiten zeigen Bendapudi und Leone, dass bei der ko-kreativen Teilnahme der Konsumenten an der Wertschöpfung positive Ergebnisse zwar die Kundenzufriedenheit überproportional verstärken, negative Ergebnisse jedoch die Unzufriedenheit der Kunden ebenfalls in überproportionalem Maße beeinflussen.59 Darüber hinaus spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Kunden als Ko-Kreateure müssen Zeit investieren, genug Motivation und Interesse mitbringen, um sich zusätzlich zu den Aufgaben ihres Alltags in eine Zusammenarbeit einzubringen. An dieser Stelle 56
http://zitate.net/suche.html?query=pferd (01.09.2008). Siehe Piller / Reichwald (2005), S. 2 sowie www.data-management.de/files/open_innovation_aus fuehrlich.pdf (01.09.2008). 58 Vgl. Piller / Reichwald (2006), S. 9. 59 Vgl. Bendapudi / Leone (2003). 57
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bietet das Internet auf organisatorischer Ebene überhaupt erst die notwendigen Strukturen, um räumliche und zeitliche Barrieren zu überbrücken. Ein letztes Risiko soll mit dem Etikett Macht der Gemeinschaft umrissen werden. Trotz der Begeisterung, mit welcher derzeit die Bedeutung von Konsumgemeinschaften hervorgehoben wird, stellen diese eine Herausforderung für die Unternehmen dar. Die einfache Frage „Wem gehört die Marke?“ lässt die entstehende Problematik deutlich werden. Muniz und O’Guinn führen hierzu aus: „Brand communities assert considerable claims on ownership. [...] These impassioned and empowered consumer collectives assert more channel power and make claims on core competencies formerly reserved for the marketer.“60 Wie die beiden Autoren feststellen, ist der Kontrollverlust der Unternehmen über ihre Marke im Kontext von Markengemeinschaften eines der Kernmerkmale heutiger Markenführung. Wipperfürth nennt diesen Vorgang „Brand Hijack“ und definiert ihn wie folgt: „the consumer’s act of commandeering a brand from the marketing professionals and driving its evolution“61. Er unterscheidet dabei eine produktive Form der Markenaneignung durch verschiedene Subkulturen, den „Co-Created Hijack“, und eine gefährliche Usurpation der Markenkontrolle durch Gruppierungen außerhalb des Unternehmens, den „Serendipitous Hijack“.62Auf die Frage, wer der Eigentümer einer Marke ist, könnte eine zeitgemäße Antwort lauten: Die Marke gehört den Unternehmen, doch der Konsument besitzt sie. 4
Ko-Kreation – der richtige Ansatz in einer interaktiven Welt?
Der vorliegende Text hatte das Ziel, die aktuellen Veränderungen innerhalb der Kommunikationsmatrix konzeptionell in die Führung von Marken zu integrieren. Zum Ende der Konzeptvorstellung scheint es zunächst notwendig, Position zu beziehen hinsichtlich der Frage, ob das vorgestellte Konzept der ko-kreativen Markenführung zukünftig der richtige Ansatz zur Generierung eines konstanten Markenerfolgs darstellt. Diese Frage kann zunächst positiv beantwortet werden. Die gemeinsame Markenkreation zieht ihre Stärke vor allem aus einer Konsequenz: Sie erzeugt hohe Relevanz für die jeweiligen Beteiligten. Dabei meint Relevanz das Maß, wie stark eine Sache die Markenrealität beeinflusst. Sie ist in 60
Muniz / O’Guinn (2001), S. 268. Muniz / O’Guinn (2001), S. 12. 62 Vgl. Wipperfürth (2005), S. 17. Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis zeigen die Serendipitous Hijacks der Marken „New Balance“ und „Ben Sherman“ durch die Neonazi-Szene in Frankreich, Deutschland und Italien. Um den Kontrollverlust auszugleichen, musste das Unternehmen Ben Sherman einen Distributionsstopp in den betroffenen Ländern einleiten. 61
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der Markenkreation eine der wichtigsten Stellgrößen, da sie maßgeblich das Handeln und die Einstellungen des Individuums in Bezug auf Marken bestimmt. Jedoch war es nicht das Ziel dieses Beitrags, ein voll entwickeltes neues Paradigma der Markenführung auszurufen. Das Fazit liegt demnach auch nicht in der binären Beantwortung der oben gestellten Frage. Vielmehr soll die vorliegende Konzeption neue Impulse geben, eine Perspektive für die Markenführung eröffnen sowie einen Anreiz dafür schaffen, bestehende Prinzipien zu überdenken. In diesem Sinne schließt der Text mit einem Zitat von Alvin Toffler: „Even the most powerful metaphor, however, is capable of yielding only partial truth. No metaphor tells the whole story from all sides, and hence no vision of the present, let alone the future, can be complete or final.“63
63
Toffler (1980), S. 6.
Markenmodelle des Involvements: Von der Mission zur Transmission Stephan Sonnenburg
„Masse macht Marke“ könnte man als eine pointierte Quintessenz der vorangegangen Beiträge herauslesen. Das theoretische Fundament ist hiermit weitgehend gelegt, so dass es in den Ausführungen dieses Beitrags vor allem darum geht, wie man in Form von Modellen die kommunikativen Veränderungen im Zuge der Internetisierung für die unternehmerische Markenführung operationalisieren kann. Bei der Entwicklung der Modelle wurde darauf geachtet, dass sie einerseits als Beobachtungs- und Analyseinstrumentarium in Theorie und Praxis eingesetzt werden können, andererseits die Gestaltung und Durchführung von Involvementaktivitäten im Alltag des Markenmanagements unterstützen. Die Ausführungen thematisieren zunächst die kommunikativen Gegebenheiten und Bedingungen der Markenführung im Zeitalter von Web 2.0, bevor zwei Modellvarianten mit ersten ausschnitthaften Praxisbezügen vorgestellt werden: der Marken-Involvement-Kreislauf und die Brand-Involvement-Pyramide. Der Beitrag endet mit einer kritischen Würdigung beider Markenmodelle. 1
Markenführung zwischen Narzissmus und Echoismus
Wie im ersten Beitrag dieses Buches ausgeführt, beginnen sich im Zuge von Web 2.0 die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten aufzulösen. Und dies hat eine grundlegende Auswirkung auf das Markenmanagement. Natürlich spielte der Konsument als Einflussfaktor schon in der Vergangenheit für die Markengestaltung und -kommunikation die zentrale Rolle, denn Marken(bilder) entstehen nicht nur in der Werbung, sondern gerade in den „Köpfen“ der Konsumenten – gemacht wurden Marken allerdings ausschließlich von den Markeneigentümern. Mit ihrer zunehmenden kommunikativen Macht greifen Konsumenten jetzt aktiv in die Markenführung ein, man könnte sagen, sie unterliegt einem Prozess
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Stephan Sonnenburg
der Demokratisierung.1 Dabei fällt es den meisten Unternehmen schwer, ihren Führungsanspruch zu teilen, haben sie doch (berechtigterweise?) die Befürchtung, dass sich das Profil der von ihnen gemanagten Marken verwässert bzw. die Marken-DNA verselbstständigt. In diesem Zusammenhang tauchen folgende Fragen auf: Wie weit dürfen Meinungen zur Marke von den unternehmerisch gewünschten Vorstellungen abweichen, bevor das Markenmanagement steuernd eingreift? Öffnet sich ein Markeneigentümer Akteuren2, welche die kommunikative Nähe zur Marke suchen, obwohl sie einen abweichenden Standpunkt vertreten und diskutieren wollen? Gibt es unternehmensferne Markenplattformen mit ähnlichen Themenschwerpunkten, in denen inhaltliche Abweichung möglich ist und Zensur nicht anzutreffen ist? Eines scheint für die Markenführung im Zeitalter von Web 2.0 klar zu sein: Ohne Meinungsfreiheit keine Glaubwürdigkeit und ohne Glaubwürdigkeit keine Partizipationsmotivation. Markeneigentümer befinden sich folglich in einem Handlungsdilemma zwischen Diktatur und Demokratie, oder in anderen Worten, zwischen einem narzisstischen, manipulierenden und einem echoistischen, imitierenden Handeln. Der Ausweg aus diesem Dilemma kann nicht darin liegen, sich für Narzissmus oder Echoismus zu entscheiden, sondern darin, die beiden Pole situationsadäquat auszubalancieren.3 Dieses Vorgehen zeigt sich auch in Konzeptideen wie der kooperativen, diktokratischen4, ko-kreativen5 oder Schwarm-basierten Markenführung. Allerdings bleiben diese Überlegungen noch auf einer theoretischen Konzeptstufe ohne Implikationen und Handlungsempfehlungen für die Markenpraxis. Und sie beantworten nicht die Frage, wie Kontrolle trotz Kontrollverlust möglich ist bzw. wie Marken professionell gesteuert werden können, ohne dass die Konsumenten das Gefühl haben, manipulativ gesteuert und für den unternehmerischen Erfolg missbraucht zu werden.6 Die folgenden Ausführungen von Prahalad und Ramaswamy sind richtungsweisend: „Für das Markenmanagement bedeutet die Fokussierung auf individuelle Erfahrungen eine subjektive Erweiterung der Markendefinition, die das Unternehmen nicht direkt steuert. Demzufolge müssen Firmen zum Management von Erfahrungsumfeldern übergehen und mit den Verbrauchern und Verbrauchergemeinschaften zusam1 In gewissen Situationen werden Markeneigentümer immer absolute Macht haben, denn sie können z.B. Markennamen ändern oder Marken durch Produkteinstellung desavouieren, was dazu führt, dass sie zwangsläufig bei den Konsumenten verblassen. 2 Für Konsumenten, die sich aktiv an der Markengestaltung und Markenkommunikation beteiligen wollen, wird im Folgenden die Bezeichnung „Akteur“ benutzt. Siehe zur Verwendung von Akteur die Ausführungen von Burgold, Sonnenburg und Voß in dieser Publikation. 3 Zur Handhabung von dilemmatischen Momenten siehe Sonnenburg (2007), S. 223-225. 4 Vgl. Mei-Pochtler / Bordenache / Beinhauer (2004), S. 187-190. 5 Siehe erweiternd die Ausführungen von Hannemann in dieser Publikation. 6 Vgl. Kaiser (2007), S. 12; Leadbeater (2008), S. 234.
Markenmodelle des Involvements
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menarbeiten. Markenmanager müssen heute neue Erfahrungen ermöglichen und neue Interaktionspunkte schaffen, wobei sie den Kunden die Wahl der Kommunikationswege freistellen.“7
Unternehmen sollten deshalb den unumgänglichen Verlust ihrer bisherigen Kontrolle als kommunikative Chance begreifen, denn es entsteht eine neue Transparenz „mit der Hoffnung auf authentischere Formen des Dialogs, die dazu beitragen können, ein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Legitimation von Unternehmen [und Marken, Anm. d. Verf.] aufzubauen“8. In diesem Zusammenhang könnte man von einem Führungskonzept sprechen, das Leadbeater als „benevolent dictator“9 oder der Verfasser dieses Beitrags als „Primus inter Pares“10 bezeichnet mit dem Anspruch, ein Maximum an Beteiligung oder besser Involvement11der Konsumenten zu erreichen. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, als Markeneigentümer eine relevante Kommunikationsposition einzunehmen, die die Markeninteressierten dazu einlädt, (pro)aktiv und ko-kreativ an der Markengestaltung und -kommunikation mitzuwirken. Diesem Ansatz folgend werden Markeneigentümer immer mehr zu Providern, die eine inspirierende Infrastruktur zur Verfügung stellen, damit die Markennutzer ihre eigenen Inhalte kreieren oder sich selbst zum Inhalt machen können.12 Aber warum sollen oder wollen sich Konsumenten überhaupt bei der Markenführung involvieren bzw. was ist ihre Motivation für ihr Markeninvolvement? Dafür lassen sich zwei Aspekte anführen. Zum einen haben Menschen bedingt durch das Web 2.0 immer mehr das Bedürfnis, etwas mitteilen zu wollen. Zum anderen wollen sie für ihr Mitteilen auch die Anerkennung ihrer Umwelt, seien es Freunde, Bekannte oder unbekannte Menschen: „For the majority the main motivation is recognition: they want the acknowledgement of their peers for doing good work that they enjoy, that gives them a sense of achievement and in the process solves a problem for which other people are seeking a solution.“13 7
Prahalad / Ramaswamy (2004), S. 315. Zerfass / Sandhu (2008), S. 296. 9 Leadbeater (2008), S. 80. 10 Sonnenburg (2007), S. 218. 11 Involvement wird hier ausschließlich in dem Sinne verstanden, dass sich Konsumenten an der Markenführung beteiligen bzw. sich für eine Marke engagieren. Somit weicht die Verwendung des Begriffs von der Werbewirkungsforschung ab, bei der Involvement mittlerweile zu einem Leitbegriff avanciert ist und für die mehr oder weniger starke Verfolgung von Werbung durch die Zuschauer steht, vgl. Kloss (2007), S. 86-90. 12 Siehe erweiternd die Ausführungen von Weibel (2007, S. 5-6), der vom emanzipierten Konsumenten als Künstler spricht. 13 Leadbeater (2008), S. 75. 8
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Damit sich Konsumenten involvieren, müssen die kommunikativen Angebote weit über Produktinformationen hinausgehen und vor allem faktische und ideelle Mehrwerte schaffen. Wie sieht nun Markenkommunikation als Involvementkommunikation ganz konkret aus? Dafür ist es wichtig zu wissen, dass es unterschiedliche Stufen des Involvements gibt. Als Inspirationsquelle für die Konzeptionierung der beiden Markenmodelle diente ein Modell von Andreas Weigend, das die basalen Stufen des Involvements für Internetplattformen thematisiert, wie in Abbildung 1 dargestellt wird. Abbildung 1:
Architekturen der Beteiligung.14
Option of Community Urform: The Well; Foren: Motor-Talk.de
Architectures of Interaction Man geht hin, um Menschen zu entdecken und sich mit ihnen auszutauschen (YouTube, MySpace, Flickr, LinkedIn) Architectures of Participation Zurückkommen, teilen, mitmachen. Authentischer Ausdruck des Selbst (Blogs, Rezensionen, Kommentare, Del.icio.us) Architectures of Experimentation Instrumente für A/B-Tests, aktives Lernen, Design von Kundenbefragungen Daten Sammeln, messen, Analyse, Data-Mining
Die unterste Stufe in seinem Modell ist geprägt von Daten, die ein Unternehmen sammelt, misst und analysiert. Danach folgt die Stufe der Experimente, die es Plattformbetreibern u.a. erlaubt, per Feedback-Loops schnell und komfortabel Dinge zu testen. Auf der Stufe der Partizipation werden User ermutigt, aktiv auf der Plattform mitzuwirken. Für das Entdecken sowie das Management des Bekanntenkreises steht die Interaktion, aus der heraus sich die höchste Form der Beteiligung bilden kann: eine funktionierende Community. Obwohl Weigend in seinem Modell Perspektivenstringenz über die Stufen hinweg vermissen lässt, – die beiden untersten Stufen sind vor allem aus Sicht des Unternehmens konzipiert, die weiteren Architekturen aus Sicht des Users – zeigt er auf, wie wichtig es für die Handhabung von Konsumenteninvolvement ist graduelle Unterschiede zu profilieren. 14
In Anlehnung an Weigend / Kaiser (2007), S. 23.
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Sowohl der Marken-Involvement-Kreislauf als auch die Brand-InvolvementPyramide stellen einen Versuch dar, den Markeneigentümern in Zeiten des Swarm Brandings ein Handlungsgerüst für das Markenmanagement zu offerieren. Beide Modelle begreifen Involvement als Orientierung für die Gestaltung kommunikativer Aktivitäten einer Marke. Sie folgen dem soeben vorgestellten Grundgedanken, dass Marken immer mehr als Provider zu verstehen sind, die den markeninteressierten Akteuren eine Plattform oder Bühne bieten, um sich aktiv an der Markenprofilierung und -kommunikation zu beteiligen. Dabei liegt die große konzeptionelle Herausforderung darin, einerseits den unterschiedlichen Interessen andererseits dem vielfältigen Medienverhalten der Konsumenten gerecht zu werden. Gerade im Internet und in Folge von Web 2.0 lassen sich, Christina Schachtner folgend, vier grundlegende Medientypen beobachten, die typischen Lebensformen des Unterwegsseins entlehnt sind: (1) der Pilger, der ein festes Ziel vor Augen hat und sich nirgends lange aufhält, (2) der Spaziergänger, der nach einem festen Ritual kommt und geht, aber sich an nichts bindet, (3) der Tourist, der einen festen Ort hat, von dem er aufbricht, aber dorthin immer wieder zurückkehrt, und (4) der Vagabund, für den jeder Ort eine Zwischenstation auf seiner unberechenbaren Reise ist.15 An dieser Stelle sei betont, dass die beiden Modelle zwar stark von den Entwicklungen des Web 2.0 beeinflusst sind, jedoch den selbstverständlichen Anspruch verfolgen, virtuelles und reales Markeninvolvement abzubilden. Denn heutzutage ist diese Trennung eher als artifiziell zu betrachten, erzeugt doch das (Unterwegs-)Sein im virtuellen Raum immer stärkere Präsenzgefühle, teilweise intensivere als in der physischen Realität.16 Insgesamt kann man beobachten, dass physische und virtuelle Präsenz zu einer komplexen Gesamtrealität mit noch ungeahnten Potenzialen für die Markenführung gravitieren.17 In dieser Hinsicht sollte modernes Markenmanagement von Obamas Wahlkampf lernen, der in einer noch nie dagewesenen Weise physische und virtuelle Präsenz im Politiksystem kombinierte. Anders formuliert kann man von einer „Graswurzelbewegung“ sprechen, die Tür-zu-Tür-Aktivitäten mit den Möglichkeiten von Web 2.0 mischte.
15
Vgl. Schachtner (2008, S. 112-113) in Anlehnung an Zygmunt Baumann. Vgl. Breuer (2008), S. 464 und speziell zur „Körperlichkeit“ des Instant Messaging siehe Tipp (2008), S. 188-191. 17 Siehe erweiternd Tilmann Sutter (2008, S. 69), der in Bezug auf Interaktivität auf „den eingefahrenen Dualismus zwischen einer subjekt- und sinnfreien Technik einerseits und einer technikfreien menschlichen Sozialität andererseits“ verweist, den es zu überwindend gilt. 16
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2.1 Der Marken-Involvement-Kreislauf18 Wie Abbildung 2 verdeutlicht, stellt der Marken-Involvement-Kreislauf von seiner Grundkonzeptionierung ein prozessuales Modell dar, in dessen Mittelpunkt die Markenmission steht, welche die inhaltliche Marschrichtung und erhoffte kommunikative Wirkung für die Marke vorgibt. Sie fußt zumeist auf der Markenhistorie und leitet sich entweder direkt aus den Werten ab oder kristallisiert sich aus einem (gesellschaftsrelevanten) Thema, das die Marke gerne für sich besetzen möchte. Wenn das Involvement und die Identifikation mit der Mission bei den interessierten Konsumenten groß genug ist, kann der Kreislauf beginnen. Abbildung 2:
Der Marken-Involvement-Kreislauf
Transformation
Sozialisation
Partizipation
Vermittlung
Mission
Orientierung
Profilierung
Marken mit hohem Involvementpotenzial, wie z.B. Harley Davidson oder Louis Vuitton, können selbst zur Mission werden; Marken mit geringem Involvementpotenzial, wie z.B. viele Produkte des täglichen Bedarfs, benötigen produktaffine interessante Themen mit dem Ziel, einen strategischen Dialog zwi-
18 Der Marken-Involvement-Kreislauf in der hier dargestellten Form ist maßgeblich während der beruflichen Tätigkeit des Autors bei der Werbeagentur ECONOMIA entstanden – keine Einzelleistung, sondern ein kooperativer Akt. Ein herausragender Dank gebührt Katrin Herrmann, der „geistigen Mutter“ der Modellidee und Steff Ehrhart, ohne deren Fachwissen und inspirativer Kraft es den Marken-Involvement-Kreislauf in dieser Form nicht gäbe.
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schen Marke und Menschen zu initiieren. Somit sind die Konsumenten eher bereit, sich in die Markenwelt zu involvieren.19 Als ein gelungenes Beispiel für Marken mit geringem Involvementpotenzial kann Dove mit ihrer Initiative für wahre Schönheit gelten, mit der sich Dove seit 2005 für ein vielfältiges und positives Verständnis von Schönheit engagiert. Dadurch etabliert sich die Marke als Wegbereiter im Kampf gegen das globale Phänomen „mangelndes Selbstwertgefühl“. Ausgehend von der Kampagne, in der „ganz normale Frauen mit ganz normalen Figuren“ die Pflegeserie von Dove bewerben, bietet diese Marke eine umfassende Plattform bzw. viele weitere Maßnahmen und Aktionen zum Austausch und zur Vernetzung über das Thema „wahre Schönheit“.20 Dieses Fallbeispiel soll die theoretischen Ausführungen idealtypisch begleiten, wobei zu sagen ist, dass das Modell bezüglich Dove ausschließlich als Beobachtungs- und Analyseinstrumentarium zum Einsatz kommt. Die erste Stufe im Marken-Involvement-Kreislauf ist die Vermittlung der Mission. Wenn Menschen die Mission nicht kennen, können sie sich auch nicht als Akteure involvieren. Deshalb muss sie zuerst kommunikativ inszeniert werden. Hierfür eignen sich immer noch klassische Medien wie Anzeigen oder Spots, aber auch One-to-Many-Onlineaktivitäten. Auf dieser Stufe wird die Mission zum ersten Mal erlebbar. So setzte auch Dove zu Beginn der Initiative für wahre Schönheit auf klassische Medien, um die Idee der Initiative zu präsentieren – aber nicht nur zu diesem Zeitpunkt. Spots, Anzeigen und Plakate unterstützen immer wieder massenmedial die Aktion und sorgen für anhaltenden Gesprächsstoff. Marken müssen aber auch Orientierung geben, damit sich Menschen für sie interessieren. Genauso verhält es sich mit der Marke und ihrer Mission. Sie muss Informationen filtern, auswählen und bereitstellen, um den Akteuren die entscheidenden Inhalte zu liefern. Letztendlich wird sie ab dieser Stufe zu einer Art Reisebegleiter. Im Zentrum der Dove-Initiative steht die spezielle Microsite, die umfassende Informationen über den Stellenwert des Themas „Schönheit“ anbietet und darüber hinaus ein kommunikativer Knotenpunkt ist, mit dem alle relevanten und von Dove initiierten Maßnahmen verbunden sind.
19
Man spricht von einem strategischen Dialog, wenn ein Thema oder Themenfeld vorgegeben ist oder sich zu Beginn des Kommunikationsprozesses herauskristallisiert, vgl. Hartkemeyer / Hartkemeyer / Dhority (1998), S. 15; Sonnenburg (2007), S. 115-117. 20 Vgl. www.initiativefuerwahreschoenheit.de. Obwohl Dove in den folgenden Ausführungen als ein Paradebeispiel für Markeninvolvement vorgestellt wird, sei darauf hingewiesen, dass neben Dove auch die Marke „Axe“ zum Konzern Unilever zählt. Beide Marken stehen für völlig unterschiedliche Vorstellungen von Schönheit, so dass man sich durchaus die Frage stellen darf, wie ernsthaft das Engagement für wahre Schönheit im Hause Unilever ist. Vgl. für einen kritischen Einstieg http:// www.youtube.com/watch?v=3u6Qh099AK0 (25.01.2009).
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Jeder Mensch hat den mehr oder weniger stark ausgeprägten Wunsch der Profilierung. Dafür bietet das Web 2.0 unendliche Möglichkeiten, die auch für das Markeninvolvement genutzt werden können. Auf dieser Stufe gilt es, eine kommunikative Bühne zu bieten, damit sich die Akteure selbst inszenieren und präsentieren können. Im Zentrum stehen Variieren, Mixen oder Kreieren im Sinne von MySpace oder YouTube. Die Akteure sind auf der Suche nach Gleichgesinnten, mit denen sie ihre Ansichten teilen können. Auch Dove offeriert Möglichkeiten der Profilierung, indem Mütter und Töchter z.B. in einem Online-Fotoalbum und Tagebuch über ihre Erfahrungen und über ihren Umgang mit dem Thema „Selbstwertgefühl“ berichten. Menschen wollen sich aber nicht nur darstellen und inszenieren, sondern auch an einer Markenmission mitgestalten oder sogar mitentscheiden. Hinter Partizipation verbirgt sich die Idee der Open Source-Kultur mit dem Ziel, kooperativ Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Ab dieser Stufe beginnt die Möglichkeit der Zusammenarbeit unter Gleichgesinnten bzw. „Peer Production“21. Ein schönes Beispiel für Partizipation ist der Dove-Aktionssong „True Colors“, der von den Funny Singers, einem Kinderchor aus Nordrhein-Westfalen, gesungen wird. Mit diesem Song und diversen Live-Auftritten bei von Dove unterstützten Aktionen werden die Funny Singers zu Botschaftern der „Initiative für wahre Schönheit“. Aus dem Mitmachen entsteht häufig der Wunsch zur Sozialisation. Menschen wollen dazugehören – heutzutage in erster Linie zu einer selbst gewählten Gemeinschaft. Auf dieser Involvementstufe geht es darum, den Akteuren die Chance zu geben, Communitys zu bilden und eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Die Marke wird zu einer Art Coach, damit sich Verbindungen bilden und die polylogische Kommunikation angeregt wird. Unter der Rubrik „Was denken Sie“ bietet Dove vielfältige Sozialisationsmöglichkeiten. So können sich Interessierte mit anderen Menschen zu den verschiedensten Themen rund um Schönheit und Selbstwert austauschen mit der Folge, dass sich feste Communitys herauskristallisieren. Transformation ist die höchste zu erreichende Stufe im Marken-Involvement-Kreislauf. Die Mission wächst hierbei über sich hinaus und erzeugt gesellschaftliche Relevanz. Die Akteure werden von der Marke gerade darin bestärkt und unterstützt Gutes zu tun – sei es z.B. in Form von sozialem Engagement oder von ökologischem Einsatz. Die Idee der Mission wird zu einem sinnstiftenden Momentum. Dove ermöglicht Transformation durch den „SelfEsteem"-Fond, welcher Menschen, Projekte und Initiativen unterstützt, die Mädchen zu einer umfassenderen Definition von Schönheit aufklären und inspirieren 21
Vgl. Benkler (2006), S. 59-90.
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wollen. So kooperiert Dove u.a. mit dem Frankfurter Zentrum für Essstörungen, das ein differenziertes und umfassendes Angebot zur Prävention, Beratung und Behandlung von Essstörungen und Esssucht macht. Gemeinsam wurde das Präventionsprogramm “BodyTalk” entwickelt, das sich an SchülerInnen und Lehrkräfte wendet. Dabei sollen sich die Teilnehmer in den Workshops mit den verbreiteten Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Normen und Erwartungen auseinandersetzen. Als Fazit zu den Involvementaktivitäten von Dove ist festzuhalten, dass es der Marke gelungen ist, einen wichtigen Wert, nämlich „wahre Schönheit“, quasi als Synonym und damit als Markeneigentum zu besetzen. Dadurch ist die Konsummarke Dove zum Treiber eines gesellschaftlichen Diskurses geworden, der kommunikative Bindungskraft erzeugt. Dove kann durch die involvierende Initiative Glaubwürdigkeit und Relevanz erzielen, welche die Marke ebenbürtig – wenn nicht gar überlegen – gegenüber dem Wettbewerb, vor allem Nivea, macht. 2.2 Brand-Involvement-Pyramide22 Die Brand-Involvement-Pyramide, wie in Abbildung 3 visualisiert, stellt eine Fortführung des Marken-Involvement-Kreislaufs dar, die sich bereits im grundlegenden Aufbau des Modells zeigt. Die Pyramide versucht, die Prozessorientierung des Kreislaufs um eine strukturelle Dimension zu erweitern. Neben den Stufen werden zwei strategische Übergänge konzeptioniert, die man als „Deckeneffekte“ des Involvements bezeichnen könnte und der Pyramide somit eine Dreiteilung geben. Transmission 1 und 2 sind entscheidungsbasierte Möglichkeitsbedingungen, ohne die die nächsthöhere Stufe kaum erreicht werden kann. Die pyramidale Form hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil, denn sie veranschaulicht, dass mit zunehmender Involvierung die Anzahl der Involvierten im Regelfall abnimmt.23 Während Consumption ein großes Publikum durch Massenkommunikation anspricht, wird auf den höheren Ebenen die Kommunikation intimer und exklusiver, sei es in dialogischer oder polylogischer Form. In den weiteren Ausführungen dieses Abschnitts werden die einzelnen Bausteine
22
Das Modell ist erst im Laufe des Jahres 2009 während der beruflichen Tätigkeit des Autors bei der Werbeagentur SelectNY.Berlin entstanden und stellt somit keine theoretische Basis für die Beiträge in diesem Sammelband dar. Ein großer Dank geht an Florian Bolte, mit dem der Autor zusammen das Modell entwickelte. Das Copyright liegt bei der Strategieberatung SelectNY.Transmission, bei der das Modell als „Brand-Commitment-Pyramid“ bezeichnet wird. 23 Siehe einführend Shirky (2008), S. 122-130.
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der Brand-Involvement-Pyramide im Einzelnen vorgestellt und bei Bedarf mit dem Marken-Involvement-Kreislauf verglichen. Abbildung 3:
Die Brand-Involvement-Pyramide
Assimilation
Transmission 2
Cooperation Participation Experimentation Transmission 1
Consumption
Während im Mittelpunkt des Marken-Involvement-Kreislaufs die Markenmission steht, die eine Voraussetzung für den Beginn des Kreislaufs darstellt, setzt die Brand-Involvement-Pyramide konzeptionell einen Schritt früher an, denn sie geht von folgendem Involvementaxiom aus: Nur eine Marke, die bei den interessierten Konsumenten bekannt ist und ein gewisses Maß an emotionaler Bindung bewirkt, hat die Chance, einen Involvementprozess in Gang zu setzen. Deshalb stellt die Basis der Pyramide Consumption dar, worunter man versteht, dass eine Marke kommunikativ von den Konsumenten zu konsumieren ist, um in ihren Relevant Set zu gelangen. In anderen Worten: Consumption sorgt für einen medialen Nährboden, auf dem ein überzeugendes Involvementkonzept gedeihen kann. Die fundamentale Möglichkeitsbedingung, damit die höheren Stufen des Markeninvolvements erreicht werden können, ist Transmission 1. Dies bedeutet, dass die Marke anfängt, sich vom Produkt als Anker zu entkoppeln bzw. über das zumeist am Produkt orientierte Nutzenversprechen hinauszuwachsen, indem eine sich selbst erhaltende Idee oder Initiative, wie am Beispiel von Dove gezeigt wurde, etabliert wird. Transmission 1 kann man mit der Mission im Marken-Involvement-Kreislauf vergleichen, wobei mit dem Zusatz „Trans“ stärker betont
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werden soll, dass es gerade um die Generierung von ideellen Mehrwerten geht, die nicht mehr durch das Marken-Produkt-Verhältnis erklärt werden können. Experimentation, Participation und Cooperation bilden den Involvementdreiklang der Pyramide, der aktiv von den Markeneigentümern gesteuert werden kann. Während Experimentation Markenaktivitäten umfasst, durch die Interessierte die Mission erleben können, werden Konsumenten auf den Stufen der Participation und Cooperation zu Akteuren der Mission. Dabei nimmt der Grad an Involvierung stetig zu, beginnend bei der Selbstinszenierung über das Mitgestalten bis hin zur Zusammenarbeit mit anderen Markenliebhabern, um die Missionsinhalte weiterzuentwickeln. Dieser Dreiklang stimmt mit den Stufen Orientierung, Profilierung, Partizipation und Sozialisiation des Marken-Involvement-Kreislaufs weitgehend überein, wobei hier strikter zwischen Teilnehmen und Zusammenarbeiten unterschieden wird und die Community-Bildung eindeutig in der Stufe Cooperation inkludiert wird. Je intensiver sich die Akteure mit der Mission auseinandersetzen, je stärker sie sich involvieren, desto mehr haben sie den Wunsch, die Idee der Mission in ihren Alltag zu integrieren. Dies ist für die Markeneigentümer ein kritischer Moment, denn nun beginnen sie ganz offensichtlich die Hoheit über die Markenführung zu verlieren. Dies lässt sich gerade bei Marken mit hohem Involvierungspotenzial, wie z.B. bei Harley-Davidson, Barbie oder Louis Vuitton, beobachten. Die Möglichkeitsbedingung für die letzte Stufe der Brand-Involvement-Pyramide ist Transmission 2 – das „Loslassen“ der Markeneigentümer –, damit Marke, Mission und Mensch die intimste Form des Involvements erreichen können: die Assimilation. Der Markeneigentümer nimmt sich zurück und übernimmt allenfalls die Rolle eines Involvementsupervisors oder Involvementcoaches. Obwohl Assimilation auch Übereinstimmungen mit der Stufe Transformation im Marken-Involvement-Kreislauf aufweist, zeigt sich ein wesentlicher Unterschied in der Modellierung: Während Transformation einem Katalysator für die Mission gleichkommt, wird bei Assimilation die Marke und ihre Mission zu einem wesentlichen Bestandteil der Lebensführung. Man könnte sogar soweit gehen, dass auf dieser Stufe der Brand-Involvement-Pyramide Akteur und Marke verschmelzen; in Anlehnung an „Du bist Deutschland“ könnte man von „Du bist die Marke“ sprechen. Assimilation kann für eine Marke und ihre Mission eine enorme kommunikative Streuwirkung bedeuten. Konsumenten sind auf der höchsten Involvementstufe nicht mehr nur (konforme) Akteure, sondern auch in Anlehnung an Gladwell Mavens24 oder gar Evangelisten25, die durch ihre Aktivitäten mediale Reso24 25
Gladwell (2000), S. 61-63. Vgl. McConnel / Huba (2003).
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nanz hervorrufen und Markeninteressierte, die sich auf niedrigeren Involvementstufen bewegen, beeinflussen können. Mavens oder Evangelisten sind eine Mischung aus Liebhabern und Experten mit hohem Multiplikatorenpotenzial. Sie sind höchst intrinsisch motiviert und setzen sich auf freiwilliger Basis für, manchmal bewusst oder unbewusst, auch gegen eine Marke und ihre Mission ein, wie die Beispiele zu Louis Vuitton in Abbildung 4 und 5 verdeutlichen. Abbildung 4:
Positive Assimilation am Beispiel Louis Vuitton
Kuchen in LV-Optik26
Abbildung 5:
Rapper Lil Kim mit LV-Bodypainting28
Negative Assimilation am Beispiel Louis Vuitton
Elektrischer Stuhl im LV-Design30 26
Vespa in LV-Design27
Müllsack mit LV-Muster29
Gewehrkugel mit LV-Prägung31
Vgl. http://www.patacake-parties.com/Louis%20Vuitton%20Cake.jpg (10.02.2009). Vgl. http://zedomax.com/blog/wp-content/uploads/2008/06/lv-scooter.jpg (10.02.2009). 28 Vgl. http://www.brandspankingnew.net/img/headers/lil_kim_lachapelle.jpg (10.02.2009). 29 Vgl. http://dannydaily.typepad.com/danny_daily/images/2008/06/26/img_5056.jpg (10.02.2009). 30 Vgl. http://blog.ilodeco.com/wp-content/uploads/2008/07/louis-vuitton-trash-bag.jpg (10.02.2009). 31 Vgl. http://www.freshdaily.info/wp-content/uploads/2008/12/f2d.bmp (10.02.2009). 27
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In diesem Zusammenhang kann man folgende Hypothese aufstellen: Assimilation ist dann positiv für eine Marke, wenn sich die Aktivitäten der Mavens noch im Wertekontext der Marke(nmission) bewegen. Die große Herausforderung für die Markenverantwortlichen liegt darin, inwieweit sie im Sinne ihres Markenverständnisses Mavens thematisch irritieren können. 3
Kritische Würdigung der Markenmodelle des Involvements
Erfolgreiche und nachhaltige Involvementaktivitäten hängen von einer überzeugenden (Trans-)Mission ab, die Markeninteressierte anspricht, einlädt und eine thematische Drehscheibe für Mitmachen und Mitentwickeln darstellt. Die maßgebliche Aufgabe liegt darin, eine (Trans-)Mission zu kreieren, die einerseits markenkonform, stabil und wegweisend ist, anderseits inspirierend, dynamisierend und offen für Entwicklungen ihrer selbst ist. Dies ist ein permanenter Balanceakt, bei dem die Marke auf Kontinuität und Konsistenz in der Veränderung achten muss, damit ihre DNA erhalten bleibt. Dabei muss die (Trans-)Mission bei den Konsumenten auch auf eine ausgeprägte Grundaffinität stoßen, damit sie überhaupt die ersten notwendigen Involvementschritte unternehmen und zu sinngenerierenden Akteuren werden. Falls dies gelingt, können in Anlehnung an Kevin Roberts mit Hilfe von Involvement einzigartige „Lovemarks“ geschaffen werden, die geliebt und respektiert werden.32 Wie zu Beginn dieses Beitrags ausgeführt, muss Markenführung, die bewusst auf Involvement der Konsumenten setzt, auf totale Kontrolle und Machbarkeit im Markenmanagement verzichten. In anderen Worten: Die Beteiligung der Konsumenten gibt es nicht zum Nulltarif und spätestens auf höheren Stufen des Involvements, wie Transformation im Kreislauf oder Assimilation in der Pyramide, führt die Marke ein mediales Eigenleben. Markeneigentümer haben jedoch die Möglichkeit, den Schwarm von Interessierten, Akteuren und Mavens zu navigieren, ihnen einen inhaltlichen Aktionskorridor zu offerieren, in dem sie sich idealerweise mit ihren Aktivitäten freiwillig bewegen. Der Marken-Involvement-Kreislauf und die Brand-Involvement-Pyramide dürfen nicht als Patentrezepte für die Einbindung der Konsumenten in die Markenführung missverstanden werden, sie zeigen lediglich Möglichkeitsoptionen auf – und dies bestimmt nicht für jede Marke, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Eines scheint für die erfolgreiche Markenführung in Zukunft prägend zu sein: Auch wenn Marken nicht das ganze Stufenspektrum des Involvements bespielen können oder wollen, wird es keine marktkommunikativ relevante Marke mehr 32
Vgl. Roberts (2008), S. 15-18.
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geben, bei der nicht irgendeine Art von Involvement möglich, wünschens- und empfehlenswert wäre.33 Obwohl sich heutzutage die Konsumenten schon längt das Recht genommen haben, ein prägender Teil der Markengestaltung und -kommunikation zu sein, verschließen sich viele Unternehmen dieser nicht mehr aufzuhaltenden Entwicklung. Dies mag zu einem großen Teil daran liegen, dass Markenverantwortliche noch nicht wissen, wie sie Konsumenten produktiv und zum Wohle ihrer Marken einbinden sollen. Der Marken-Involvement-Kreislauf und die Brand-Involvement-Pyramide sind eine erste Antwort auf eine ko-kreative bzw. Schwarm-basierte Markenführung. Bewusst wird von erster Antwort gesprochen, denn die beiden Modelle befinden sich noch auf dem Stand von Prototypen – mit der Hoffnung, dass sie in der Markentheorie produktive Resonanz erzeugen und der Markenpraxis inspirierende Handlungsempfehlung und Spielräume für die Markenführung geben.
33
Vgl. Hofmeyr / Rice (2000), S. 64.
Strudel des Involvements: Das Fallbeispiel „Apple“ Kerstin Dintner / Katrin Falbe / Sandro Kolbe / Markus Voß
1
Die Marke „Apple“
Apple wurde am 1. April 1976 von Steven P. Jobs (21 Jahre) und Stephen G. Wozniak (26 Jahre) in Palo Alto/Kalifornien gegründet. In einer Garage, so will es die Gründungslegende, entwickelten und produzierten die beiden Jungunternehmer die erste funktionstüchtige PC-Platine, den legendären Apple I. 1977 firmierte Apple als Aktiengesellschaft und stellte im gleichen Jahr den Apple II vor. Er kostete 1298 Dollar, akzeptierte einen Fernseher als Bildschirm und war der erste vollwertige Personalcomputer. Apple übersprang 1980 die 100-Millionen-Dollar-Umsatzgrenze und beschäftigte über 1.000 Mitarbeiter. Ein Jahr später erhielt der Apple II Konkurrenz: IBM stellte seinen Personal Computer vor. In den 1990er Jahren geriet Apple – u.a. durch den Wettbewerber IBM – in eine Unternehmenskrise und entwickelte daraufhin ein neues Betriebssystem sowie eine neue Unternehmenskultur. Umberto Eco schrieb 1995 in einem Artikel über die „Religion der Betriebssysteme“: „Ich bin zutiefst überzeugt, dass Macintosh katholisch und MS-Dos protestantisch ist. Genauer: [...] [Ein Mac] ist heiter, konziliant und er sagt seinem Gläubigen, was er zu tun hat, Schritt für Schritt, um, wenn schon nicht das Himmelreich, so doch den endgültigen Druck eines Dokuments zuwege zu bringen. Er ist katechetisch, das Wesen der Offenbarung löst sich auf in verständliche Formeln und prächtige Ikonen. Alle haben ein Recht auf Heil.“1
Die neue Apple-Kultur spiegelte sich in der Vereinfachung der Produktpalette wider. Das Unternehmen führt seitdem eine Rechnerlinie für Profis und eine Linie für Home-User mit je einem Gerät für den stationären und für den mobilen Gebrauch. Im Herbst 1997 startete Apple die Aufsehen erregende ”Think different“-Werbekampagne, um die neu definierte Unternehmensphilosophie auch kommunikativ auf den Punkt zu bringen. Die Kampagne porträtierte berühmte „Querdenker“ der Zeitgeschichte, darunter Albert Einstein, Gandhi und Martha 1
Eco (1995), S. 138-139.
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Graham. Die Botschaft von ”Think different“ lautete: Gerade die leidenschaftlichen, kreativen Menschen können die Welt verändern. Es ist die Mission von Apple, Werkzeuge für diese kreative Elite zu entwickeln. Auf diese Weise schaffte es Apple, der eher steifen IBM-Welt ein eigenständiges kulturelles Artefakt entgegenzusetzen.2 Anfang der 1990er Jahre war das Image eines tragbaren Computers noch zwiespältig. Einerseits war der Laptop zum Statussymbol für den modernen und mobilen Menschen geworden. Er signalisierte jedoch andererseits „Achtung, Karrierist!“. Der Apple Macintosh hingegen hat schon immer als Signum für den modernen, spielerischen, polyglotten Kreativen gegolten.3 Die Abgrenzung von IBM wirkt in Hinblick auf das Apple-Community-Building nachhaltig identitätsstiftend. Im Oktober 2001 drang Apple erstmals in den Markt der Unterhaltungselektronik vor und brachte den ersten iPod auf den Markt. Der iPod zählt seither zu den meist verkauften und beliebtesten tragbaren Musikplayern – trotz der Anzahl an Konkurrenzprodukten, die teilweise wesentlich mehr Funktionalität zu günstigeren Preisen anbieten. 2003 eröffnete der iTunes-Store in den USA, der seit 2004 nach und nach in europäischen Ländern online ging. Apple kreierte aus den Bausteinen des iPod, der kostenlosen Software iTunes und dem iTunes-Store einen neuen, aufeinander abgestimmten und ineinander greifenden Vertriebsweg. Das DRM-System „FairPlay“ z.B. stellt sicher, dass sich die beim iTunes-Store gekaufte Musik, abgesehen von selbstgebrannten CDs, nur mit iTunes, dem iTunes-Mobiltelefon von Motorola, dem iPhone und allen iPods abspielen lässt. So wird der iTunes-Music-Store von Apple auch als Marketingplattform für den iPod sowie für die eigenen Computer verwendet. Am 9. Januar 2007 verkündete Apple im Rahmen der Macworld Expo in San Francisco einen tief greifenden Wechsel der Firmenpolitik. Im Zuge der Veröffentlichung des Apple-TV und des iPhone im März bzw. Juni 2007 begann Apple, sich stärker im Bereich der Unterhaltungselektronik zu engagieren. Aus diesem Grund wurde der Name des Unternehmens von ehemals Apple Computer Inc. auf Apple Inc. umfirmiert. 2
Der Apfelstrudel
Ausgehend von dem vorgestellten Marken-Involvement-Kreislauf im Beitrag von Stephan Sonnenburg wird am Beispiel des iPod untersucht, mit welchen Marketingstrategien das Unternehmen Involvement bei seinen (potenziellen) Kunden erzeugt. Die Wahl für dieses Produkt begründet sich in der Strahlkraft 2 3
Vgl. Horx (1993), S. 236. Vgl. Horx (1993), S. 236.
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der Marke Apple verbunden mit dem widersprüchlichen Image des iPod als gemeinschaftsstiftenden Identifikationspools für den individuellen Musikliebhaber. Im Gegensatz zu dem bereits erwähnten Involvementbeispiel der Marke Dove, die mit ihrer Kampagne um die Initiative für wahre Schönheit ein gesellschaftliches Thema besetzt, funktioniert das Apple-Involvement durch andere Mechanismen. Aufgrund dessen wurde, wie in Abbildung 1 dargestellt, das zweidimensionale Modell modifiziert und um eine hierarchische Spiralbewegung erweitert. Es soll zeigen, wie Apple versucht, mittels zeitgeistiger Werteaufladung der Marke, Produktverschränkung (iPod, iTunes, Mac-Rechner) und einheitlicher Usability den Konsument an die Erlebniswelt der Marke zu binden. Abbildung 1:
Der Apfelstrudel, eigene Darstellung.
2.1 Brand Mission: Your Style, Your Music Die Brand Mission des iPod umfasst die Kombination aus Stil, Musik und Individualität. Das Gerät besticht durch sein unverwechselbares Design und seinen Accessoire-Charakter. Musik fungiert identitätsstiftend und somit als Community-Treiber; der Konsument kann sich seine Lieblingsmusik auf den iPod laden. Die Möglichkeit, selbst gewählte Musiktitel als Playlists zusammenzustellen, suggeriert den Eindruck eines individuell gestaltbaren Produkts.
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2.2 Socialization Die Marketingstrategie des iPod setzt auf Hedonismus und technischen Fortschritt. Der iPod wird als unverzichtbares Utensil der „HighTech-Hedonisten“ präsentiert – lustorientierte Menschen mit einem Faible für materielle Genüsse, die auch technisch auf dem neuesten Stand sein wollen. Die Käufer eines iPod wollen zwar auch technisch gerne einen Schritt voraus sein, aber vor allem geht es ihnen um Möglichkeiten der Selbstdarstellung. HighTech-Hedonisten wollen ihrem soziokulturellen Umfeld demonstrieren, dass sie am Puls der Zeit leben. In diesem Zusammenhang setzt Apple darauf, dass sich Menschen in ihrer individuellen Selbstdarstellung zu einer hedonistischen Gruppe dazugehörig fühlen wollen. Allerdings muss dieses Bedürfnis Apple nicht künstlich kreieren; es ist als postmodernes Gesellschaftsphänomen bei vielen Menschen bereits vorhanden. Dies ist die Basis, auf welcher die Vermarktung des iPod aufbaut.
2.3 Presentation Das Leitmotiv der Werbekampagne (siehe Abbildung 2) ist gleichzeitig das Erkennungsmerkmal unter iPod-Usern: das weiße Kopfhörer-Kabel. Anzeigen, Plakatmotive und Spots sind geprägt von einer reduzierten Ästhetik. Die schwarzen Tänzer-Silhouetten heben sich kontrastreich von den einfarbig-flächigen Hintergründen ab und dienen als Projektionsflächen für den Betrachter bzw. Zuschauer. Bei der Gestaltung der Motive wurde auf Text weitgehend verzichtet. Die Message scheint zu sein, dass ein iPod keiner Erklärung bedarf und erst recht nicht verbal angepriesen werden muss. Style bedeutet, ihn nicht zu thematisieren; iPod-Werbung redet nicht über ihn, sondern ist stylish. HighTech-Hedonisten sind empfänglich für diese Art von Botschaften. Für die hohe gesellschaftliche Wirkkraft und den starken plakativen Projektionscharakter der Kampagne spricht auch eine US-Militär-kritische Persiflage, die sich unverkennbar der iPod-Werbeästhetik bedient (siehe Abbildung 3). Durch die weißen Kabel in Kombination mit einer Silhouette, die Bezug auf die schockierenden Fotos gefolterter Häftlinge in Abu Ghraib nehmen, entsteht eine völlig andere kommunikative Aussage.
Strudel des Involvements
Abbildung 2:
Beispiele aus der iPod-Kampagne.4
Abbildung 3:
Variation der iPod-Werbung.5
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2.4 Confrontation Bereits beim Kauf eines iPod wird der Neu-User durch das Verpackungsdesign und die Usability an die Apple-Haptik herangeführt. Dies drückt sich auch augenfällig im Design der iTunes-Software aus, die auf dem iPod vorinstalliert mitgeliefert wird. Die komfortable Usability der Software bildet Gewohnheiten im Umgang mit dem technischen Gerät aus, die sich mühelos auf die weiteren 4 5
Vgl. http://www.chaosmint.com/mac/ipod-ads/ipod_macworld.jpg. Vgl. www.radioopensource.org/abu-ghraib-take-two/ (02.03.2009).
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Produkte aus dem Hause Apple übertragen lassen. iPod und iTunes inhalieren wiederum das Apple-Image und profitieren von den Attributen, die mit Apple assoziiert werden: Kreativität, Benutzerfreundlichkeit, Design, Style und Innovation. Die Werte „Style“ und „Life-style“, welche die Konsumenten zum Kauf motivieren, spiegeln sich in jedem Detail wider und machen Lust auf mehr.
2.5 Dive-in Natürlich bietet die Produktpalette Innovationen und Ergänzungen rund um den iPod und alle anderen Apple-Produkte: von iPod-Boxen über das iPhone bis zum MacBook Air. Der Umstieg auf andere Produkte ist durch die einheitliche, komfortable Benutzerführung geebnet. Apple unternimmt selbst jedoch keine Community-bildenden Maßnahmen. Dieses Feld scheint Apple überraschenderweise in Bezug auf Musik Internetplattformen wie MySpace oder LastFM zu überlassen. Das Community-Building erfolgt lediglich über das Image, das geprägt ist von Musik, Lifestyle und dem Versprechen der Marke, innovative, benutzerfreundliche Produkte für die Kreativ-Elite zu entwickeln und als „rebellischer David“ dem „reaktionären Goliath“ IBM gegenüberzutreten. Diese Lebenswelt muss regelmäßig gepflegt werden, wodurch Apple einerseits unter einem hohen Innovationsdruck steht, andererseits aber immer wieder neue Kaufimpulse beim trendbewussten HighTech-Hedonisten auslöst – der Innovationsdruck als Verkaufsmotor.
2.6 Celebration Die Pflege der Apple-Lebenswelt erfolgt durch die offensive Kommunikation der Produktinnovationen. Regelmäßige Updates auf der Homepage sowie Newsletter und die allgegenwärtigen Apple-Stores bieten Informationen rund um neue Produkte. Der iTunes-Store zeigt die Top Ten der Titel, die derzeit am meisten heruntergeladen werden und empfiehlt dem Konsumenten nach dem AmazonPrinzip neue Alben auf Grundlage der persönlichen Download-Historie. Einer Markterhebung der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge ist iTunes mit einem Marktanteil von ca. 42% der unangefochtene Marktführer in Deutschland.6 Das David-Goliath-Prinzip der Apple-Computer-Welt trifft demnach in diesem Bereich nicht mehr zu. Eine weitere Variante der Apple-Imagepflege ist Product Placement in TV-Formaten und Kinofilmen. So tippt beispielsweise die 6
Vgl. http://www.macup.com/news/talk/itunes_fuhrt_in_deutschland/ (27.01.2009).
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New Yorker Journalistin Carrie Bradshaw in der TV-Serie „Sex and the City“ ihre Kolumnen auf einem Power Book. Auch in Kinofilmen, zum Beispiel in „I am legend“ tauchen zahlreiche Apple-Produkte auf. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass der US-amerikanische iTunes-Store bereits um einen Filmverleih erweitert wurde. Dieser bietet Spielfilme großer Studios wie Warner Brothers, Disney, Paramount, Universal oder Sony an.
2.7 Craving Apple Entscheidend für Involvement und Community-Building ist der inszenatorische Aufwand, den Apple bei Veröffentlichungen neuer Produkte betreibt. Von einer ausgeklügelten PR-Maschinerie getragen, werden Produktlaunches zu Höhepunkten für die Apple-Community. Anzeichen für das hohe Involvement der Zielgruppe sind u.a. Internetportale, auf denen im Vorfeld von Neuveröffentlichungen wilde Gerüchte kursieren. Einige dieser Portale wurden auf Initiative von Apple bereits geschlossen. Markus Hübner, Geschäftsführer von Brandflow, merkt dazu kritisch an: „Die Community lebt. Ist eine Domain abgestellt, geht die nächste mit dem gleichen Inhalt online. Der Kommunikationswulst ist für Konzerne wie Apple nicht mehr überschaubar. Kontrolle durch Einschränkungen in Erwägung zu ziehen, ist kein zeitgemäßer Ansatz. Ein vernünftiger Dialog mit den Apple-Fans, das gemeinsame Gestalten von Produktneuheiten und Open-Source-Marketing wären bedeutend sinnvoller, als zu klagen.“7
Das Bedürfnis nach Informationsaustausch unter den Apple-Usern ist vor allem ein Indiz für ihre Vorfreude und Neugier. Apple heizt das Begehren seiner neuen Produkte auch mit anderen Mitteln und eigens lancierten Gerüchten an. Künstliche Verknappung und Nachrichten über Lieferschwierigkeiten des Displaylieferanten sorgten bei der Veröffentlichung des iPhone dafür, dass in den USA wie bei einem Rockkonzert vor den Kaufhäusern Zelte aufgeschlagen wurden. Apple betreibt auf diese Weise erfolgreich Agenda-Setting, wobei sich die mediale Berichterstattung nicht auf Fachmedien beschränkt; selbst das ARD Nachtmagazin berichtete über den iPhone-Launch 2007 in Deutschland. Die bedeutendste Plattform für die Präsentation der neuen Entwicklungen ist die Macworld Expo, die alljährlich im Januar in San Francisco stattfindet. Apple nutzt die Macworld Expo, um Produkte spektakulär in Szene zu setzen. 7 www.welt.de/webwelt/article1480947/Apple_macht_unliebsamen_Blogger_mundtot.html (27.02.2009).
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Untermalt von Licht- und Soundeffekten präsentiert Steve Jobs die Innovationen mit einer gelungenen Melange aus Understatement und Effekt. Die Summe an medienwirksamen Maßnahmen vor und während der Produktpräsentationen erzeugt Community-Happening-Charakter, der potenziell Gesprächsstoff für jede Party bietet. 3
Ausblick
Die Marktführerschaft des iTunes-Stores, Kooperationen von iPod und Nike sowie der iTunes-Store-Filmverleih in den USA lassen erkennen, dass Apple seinen Geschäftsbereich zunehmend auf den Bereich der Unterhaltungselektronik verlagert. Apple setzt weiterhin auf technische Innovation als ständigen Motor zum Neukauf. So sehr die Marke Apple mit ihrer Zielgruppe der HighTechHedonisten auf ein Zeitphänomen setzt, umso erstaunlicher ist zu bemerken, dass das Unternehmen neue gesellschaftliche Entwicklungen, wie das der Corporate Social Responsibility, nur aufgrund von äußerem Druck berücksichtigt. So kritisierte Greenpeace das Unternehmen mehrfach in Bezug auf seine ökologische Verantwortung und Nachhaltigkeit. Zeitlich verzögert führte dies zu einer persönlichen Entschuldigung von Steve Jobs und dem Versprechen, dass AppleProdukte umweltfreundlicher werden sollen. Konkret will Apple bis 2010 z.B. doppelt so viele Altgeräte recyceln wie heute. Da-rüber hinaus wird es einen Apple-Umweltbericht geben. Im weitesten Sinne als Corporate Social Responsibility ist der Verkauf der „(Product) Red Special Edition“ und das Angebot „Apple-on-Campus“ zu erwähnen. Ein Teil der Gewinne durch den Verkauf des iPod-Shuffle Red und des iPod-Nano Red geht an den Global Fund zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Afrika. Apple-on-Campus bietet kostengünstige Apple-Artikel für Studierende. Beide Maßnahmen sind allerdings klar an den Verkauf der eigenen Produkte gekoppelt bzw. dienen eher der Nachwuchsetablierung, als dass es ernst zu nehmendes gesellschaftliches Engagement vermuten lässt. Mit Imageschäden ist Apple im Zusammenhang mit der Preispolitik für das iPhone und im Zuge des Werteverfalls des Dollars konfrontiert. In den Medien wird zum einen der Kopierschutz der im iTunes-Store gekauften Musik kritisiert, der nur durch eine erneute Zahlung aufhebbar wird, zum anderen das gerichtliche Vorgehen gegen alternative Software wie Hymn oder Doubletwist. In der Wahrnehmung der Konsumenten bewegt sich Apple derzeit mit seinem Geschäftsgebaren bezüglich der Sparten „iPod“ und „iTunes-Store“ auf einem schmalen Grad zwischen technischer Innovation, Style und kalkuliertem Profitstreben. Letzteres schmälert die Bereitschaft des Konsumenten, sich als
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Teil der Marke verstehen zu wollen. Vielmehr entsteht der Eindruck, für das Mehr an Style und technischer Aktualität einen zu hohen Preis zu zahlen, wie in der Mad-TV-Adaption eines iPod-Werbespots besungen wird: „They keep changing the iPod […] The i screwed me again.“8 Für Apple wird die zukünftige Herausforderung sein, die involvierende Verführungsspirale hinsichtlich des Individualversprechens abzuwandeln, denn mit zunehmendem Erfolg des iPod verliert sich das Besondere und transformiert sich zum Mainstream, von dem sich der HighTech-Hedonist doch so gerne abgrenzt.
8
http://www.youtube.com/watch?v=2i32NkW0s94 (29.02.2008).
Plattform des Involvements: Das Fallbeispiel „American Apparel“ Dina Blauhorn / Julia Both / Cathleen Möbius / Annette Schneider
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Einleitung
Als theoretische Grundlage für diesen Beitrag dient der im Beitrag von Sonnenburg vorgestellte Marken-Involvement-Kreislauf, der aus sechs Stufen profiliert ist: Vermittlung, Orientierung, Profilierung, Partizipation, Sozialisation und Transformation. Dabei kann man beobachten, dass die Ebenen ihre Perspektive stärker auf den Konsumenten oder das Unternehmen richten. Die Ebene der Vermittlung bezieht sich verstärkt auf die Präsentation des Unternehmens. Orientierung, Profilierung und Partizipation nehmen eher die Sicht des Konsumenten ein und stellen nutzenstiftende Quellen des Involvements dar. Die letzte Stufe, die Transformation, kann sich sowohl auf den Konsumenten als auch auf das Unternehmen beziehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, die Markenkommunikation unter dem Aspekt der B2B-Kommunikation (Businessto-Business), B2C-Kommunikation (Business-to-Consumer), C2B-Kommunikation (Consumer-to-Business) sowie der C2C-Kommunikation (Consumer-toConsumer) genauer zu analysieren, um die Ursachen und Wirkungszusammenhänge des Involvements näher beschreiben zu können. 2
Die Kommunikationsplattform des Involvements
Mit dem Modell der Kommunikationsplattform wird der Versuch unternommen, das Involvement im kommunikativen Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Konsumenten näher zu bestimmen. Das Modell enthält die grundsätzlichen Parameter Konsumenten (C), das Unternehmen (B) aber auch den gesellschaftlichen Kontext und gesellschaftlich relevante Themen (Gesellschaft). Die Pfeile des Modells spiegeln die Kommunikationsrichtung wider. Es existiert nicht nur B2C-Kommunikation, in der ein Unternehmen eine Botschaft an den Konsumenten richtet, sondern auch C2B-Kommunikation, bei welcher der Konsument einen Impuls an das Unternehmen gibt und eine Botschaft mitteilt. Die gestrichelten Pfeile verdeutlichen die Kommunikation zwischen den
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Konsumenten, wobei zu sagen ist, dass sie nicht im luftleeren Raum erfolgt. Vielmehr können aktuelle gesellschaftliche Issues, aber auch gesellschaftliche Gruppen (u.a. Nicht-Konsumenten der Marke) Einfluss auf diesen Kommunikationszusammenhang nehmen und somit Auswirkungen auf Interpretationen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Markenkommunikation haben. In diesem Modell wird Markenkommunikation als eine Präsentations- und Partizipationsplattform für ein Unternehmen und seine Stakeholder verstanden. Die Marke kann dabei kooperativ zwischen Unternehmen und Konsumenten weiterentwickelt werden. Im Folgenden werden die einzelnen Kommunikationsbeziehungen anlehnend an Abbildung 1 kurz thematisiert. Abbildung 1:
Kommunikationsplattform des Involvements, eigene Darstellung.
Die klassische Form der Werbung und Kommunikation eines Unternehmens bzw. einer Marke mit den Konsumenten, die B2C-Kommunikation, kann bereits Involvement generieren. Die Präsentation einer Marke in Anzeigen, auf der Website, beim Vertrieb, am Point-of-Sale etc. erfolgt im Idealfall einheitlich. Sie trägt das Leitbild bzw. das Versprechen nach außen und zeigt, für welche Werte und Ziele sie steht. Der Konsument ist bereits involviert, wenn er ein Produkt zur Profilierung nutzen kann und/oder es seinem Selbstkonzept entspricht. Eine Marke kann aber auch die B2C-Kommunikation dafür einsetzen, um an die Partizipationsbereitschaft der Kunden zu appellieren und um ein Feedback (C2BKommunikation) der Konsumenten einzufordern. In der C2B-Kommunikation kommunizieren die Konsumenten mit dem Unternehmen und wirken so an der Entwicklung der Marke mit. Indem Konsumenten z.B. ihre Meinungen oder Fotos auf der Homepage des Unternehmens veröffentlichen, besteht für sie die Möglichkeit, aktiver Teil der Unternehmens-
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kommunikation zu werden. Diese Partizipation des Kunden kann das Involvement erhöhen, da eine aktive Teilnahme am Unternehmen auch die psychologische Involviertheit des Konsumenten stärkt. Das bietet dem Kunden eine weitere Plattform zur Selbstdarstellung und Identitätsgewinnung. Eine weitere Quelle des Konsumenteninvolvements ist die C2C-Kommunikation. Sie stellt eine andere Art der Partizipation dar und funktioniert auf sozialpsychologischen Bedingungen von Gruppen. Die direkte Kommunikation und Interaktion zwischen den Konsumenten, wie in Weblogs1 oder bei Events (z.B. The Real World), ermöglicht den Austausch der Konsumenten untereinander und im Extremfall entwickelt sich eine Gruppenidentität und ein Gruppenzugehörigkeitsgefühl. Die Position in dieser C2C-Community bietet nicht nur die Möglichkeit zur Profilierung, sondern auch zur Selbstdefinition als Gruppenmitglied. Da diese Form des Involvements direkt mit dem Mittel der Identitätsstiftung durch Zugehörigkeit zu einer Kommunikations- und Konsumentengemeinschaft arbeitet, ist eine noch stärkere Bindung an die Marke zu erwarten als durch C2B-Kommunikation. Als Konsequenz versuchen Unternehmen, eigene Kommunikationsangebote und -plattformen für Konsumenten zu schaffen, um einerseits die Eigendynamik der Konsumentenkommunikation im Web 2.0 zu regulieren sowie Imageschäden abzuwenden, und andererseits das Web 2.0 als Chance zu nutzen, um neue und stärkere Kundenbindungen durch C2B- und C2C-Kommunikation zu initiieren. Die bisherigen theoretischen Reflexionen führen zu folgenden Annahmen, welche jedoch im Rahmen einer empirischen Studie auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen wären. Es ist davon auszugehen, dass alle Kommunikationstypen (B2C, C2B, C2C) prinzipiell Involvement durch die Profilierungsmöglichkeit und Identitätsfunktion beim Konsumenten auslösen können. Aufgrund der partizipativen und aktiven Elemente der C2B-Kommunikation kann ein gesteigertes Involvement im Vergleich zur reinen B2C-Kommunikation erreicht werden. Die C2C-Kommunikation bietet durch Gruppenzugehörigkeit eine zusätzliche und besonders starke Möglichkeit Involvement aufzubauen. Die Gruppenzugehörigkeit entspricht weitgehend der Sozialisationsstufe im Marken-Involvement-Kreislauf.2 Das Modell der Kommunikationsplattform als Quelle von Involvement legt nahe, dass Konsumenten durch ihre Einbindung eine Marke und deren Kommunikation beeinflussen und prägen können. Es ist davon auszugehen, dass die 1 Ein Weblog, abgekürzt Blog, ist eine Wortkreuzung aus „World Wide Web“ und dem Wort „Log“ im Sinne von Logbuch. Der Blog ist eine Art Online-Tagebuch, herausgegeben von einem Blogger, welcher dieses Medium zur Darstellung seines Lebens, seiner Gedanken und Meinungen zu spezifischen Themengruppen etc. kontinuierlich nutzt. 2 Vgl. den Beitrag von Sonnenburg in dieser Publikation.
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Wahrscheinlichkeit der Transformation der Marke durch die Konsumenten größer ist, als dass eine Marke direkt eine transformierende Kraft auf Konsumenten ausübt. Transformierend könnte allerdings die Mitgliedschaft in Markencommunitys wirken. Eine gesellschaftstransformierende Kraft durch eine einzelne Marke ist bislang nicht zu erwarten. Allerdings können Marken als Akteure in Bezug auf gesellschaftsrelevante Issues aktiv werden. Diese Positionierung birgt nicht nur Chancen, sondern auch enorme Risiken, wie z.B. Konsumboykott oder Markenkritik. Diese Hypothesen können im Zuge dieses Beitrags nicht überprüft werden. In den weiteren Ausführungen wird vielmehr mit Hilfe des Modells der Plattform des Involvements die Markenkommunikation von American Apparel auf Stärken und Schwächen hin untersucht. Zunächst wird mit einer kurzen Präsentation des Unternehmens begonnen, wobei die primäre Quelle für diese Analyse die Website von American Apparel ist.3 3
Die Marke „American Apparel“
American Apparel wurde 1997 von Dov Charney gegründet. Zunächst stellte das Unternehmen nur T-Shirts her, mittlerweile ist American Apparel eine bekannte und beliebte Modemarke, die Basics (T-Shirts, Pullover, Hosen, Schals, Unterwäsche usw.) auf den Markt bringt. Der Unternehmensgründer hingegen ist eine umstrittene Persönlichkeit: Einerseits gewann er zahlreiche Preise, wie z.B. den Preis der Los Angeles Times als einer der „100 Most Powerful People in Southern California, Los Angeles“, andererseits wurde er bereits mehrmals, wenn auch erfolglos, wegen sexueller Belästigung von Angestellten angeklagt.4 Eine Besonderheit der Marke ist der Produktionsstandort in Los Angeles, da es in den USA keine Kleidungsfabriken mehr gibt, die selbst produzieren. Das Unternehmen hat enorm expandiert, so dass es mittlerweile weltweit ca. 7.000 Mitarbeiter hat und in 16 verschiedenen Ländern vertrieben wird. In Deutschland hat das Unternehmen u.a. Filialen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Köln sowie München. Vertriebswege sind die Stores, der Online-Shop sowie der Katalog.
3 4
www.americanapparel.net (Juli bis August 2008). Vgl. Gehrs (2008), S. 48.
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3.1 Die Markenmission von American Apparel American Apparel verspricht junge „sexy“ Mode, die sozial verantwortlich produziert wird. Da der Produktionsstandort in Los Angeles angesiedelt ist, gilt die Marke als „sweatshop free“5, was bedeutet, dass nicht in Schwellen- oder Entwicklungsländern produziert wird, in denen die Arbeiter häufig ausgebeutet werden. Außerdem stellt sich das Unternehmen als sozial verantwortlich gegenüber Mitarbeitern und Umwelt dar. Seit 2003 hebt es sein Engagement für Immigranten hervor, welche einen Großteil der Mitarbeiter stellen. Die Elemente der Brandmission finden sich in der Markenkommunikation wieder, die nicht nur aus B2C-, sondern wesentlich auch aus C2B- und C2C-Elementen besteht, die im weiteren Verlauf des Beitrags vorgestellt werden.
3.2 Die Selbstdarstellung auf der Homepage (B2C-Kommunikation) Die Elemente der Markenmission zeigen sich in der Selbstdarstellung des Unternehmens im Sinne einer typischen B2C-Kommunikation. Das Unternehmen sieht sich der Jugendkultur verbunden und ist spezialisiert auf moderne und originelle Basismode für junge Erwachsene. Kunst, Design und Technologie werden vom Unternehmen explizit als Inspirations- und Innovationsfaktoren genannt. Ebenso wird stolz auf die Verwendung von so genannter „Provocative Photography“ zu Selbstdarstellungszwecken verwiesen. Das Unternehmen suggeriert durch den Claim „Made in Downtown LA“ eine Art Kultstatus und betont damit, dass die Marke in den USA hergestellt wird. Die Produktion der Ware erfolgt unter einem Dach in der Fabrik in Los Angeles: Design, Marketing aber auch die Herstellung der Stoffe und das Nähen finden vor Ort statt. Es wird kommuniziert, dass die Mitarbeiter vorwiegend einen Migrationshintergrund haben, jedoch bei American Apparel einen fairen Lohn und zudem Sozialleistungen erhalten. Sie bekommen bezahlten Urlaub, Gesundheitsvorsorge, subventionierte Verpflegung, Unterricht in Englisch als Fremdsprache, Massagen, Fahrradleihmöglichkeiten und einiges mehr. Auf der Homepage werden die Arbeitsbedingungen der Arbeiter beschrieben, von deren Einhaltung man sich bei einer Führung durch die Fabrik überzeugen kann. Die faire Behandlung der Mitarbeiter begründet aus Firmensicht die qualitativ hochwertigen Produkte, denn ein motivierter Arbeiter steht für eine sorgfältige Herstellung und Verarbeitung der Produkte. 5 Der Begriff „sweatshop free“ stand bis 2005 im Claim von American Apparel und wurde erst Ende 2005 durch den neutraleren Begriff „vertically integrated manufacturing“ ersetzt.
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Das Unternehmen kommuniziert ebenso sein durch Nachhaltigkeit geprägtes Verhalten gegenüber der Umwelt: in Form einer speziellen Produktionslinie aus Organic Cotton6 und der Teilnahme an einem Recycling-Programm. Diese Informationen bieten die Basisinhalte für das potenzielle Involvement der Konsumenten.
3.3 Die klassische Werbung (B2C-Kommunikation) Die typische American Apparel-Werbung verwendet Fotografien in einer amateur-pornographischen Art und Weise (siehe Abbildung 2). Das Unperfekte der Models wird hierbei bewusst als Stilmittel eingesetzt. In Interviews kommuniziert das Unternehmen, dass Dov Charney die Aufnahmen häufig zu Hause oder in der Firma macht. Nicht selten werden American Apparel-Mitarbeiter abgelichtet. Das Unternehmen offeriert auf der Homepage jedem die Möglichkeit, sich als American Apparel-Model zu bewerben, so dass die Konsumenten Teil der Markenkommunikationen werden können. Abbildung 2:
Beispiele für American Apparel-Werbung in 2005-2006.7
6 Organic Cotton verfügt aktuell aus ökologischer Sicht über die beste Baumwollqualität. Die hautfreundlichen Eigenschaften von Organic Cotton sind ideal für Menschen mit sensibler Haut. 7 Vgl. www.americanapparel.net (28.08.2008).
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Die laienhafte, pornografische Anmutung der Werbung ist beabsichtigt; so posierte im Jahr 2006 die Pornodarstellerin Lauren Phoenix für American Apparel. Die kleineren Fotos der linken Plakathälfte zeigen Nahaufnahmen ihres Gesichts, scheinbar beim Sexualakt. Die Headline des Plakats lautet: „Safe to say she loves her socks“.8 In einem Interview erklärte Dov Charney den Stil dieser Werbung dahingehend, dass sie zeigt, dass jeder in American Apparel-Kleidung sexy aussehen kann.
3.4 Spezielle Werbung zum Thema Migration (B2C-Kommunikation) Im Dezember 2007 erschien in der New York Times und der LA Times eine Printanzeige, in der American Apparel zur Migrationspolitik in den USA Stellung bezog (siehe Abbildung 3). Unter der Headline “American Apparel on Migration” sieht man im Bildmotiv Mitarbeiter des Unternehmens. Der Text der Long-Copy beginnt mit einem Zitat von Präsident George W. Bush aus dem Jahr 2005: „America’s immigration system is outdated, unsuited to the needs of our economy and to the values of our country. We should not be content with laws that punish hardworking people who want only to provide for their families and deny businesses willing workers, and invite chaos at our border.”9 Der Gesetzesentwurf von Präsident George W. Bush, welcher im Senat scheiterte, hätte die Legalisierung der illegal in den USA lebenden 12 Millionen Immigranten zur Folge gehabt. Auf diese Thematik weist die Long-Copy hin und spricht von einem Apartheid-System gegenüber den illegalen Migranten. Eine Erklärung für die Kampagne liefert American Apparel in der Anzeige: „At American Apparel we support our workers. We support our community. We support Los Angeles. We support the pride of America and the American Dream... Enough is enough. It‘s time to Legalize LA, and Legalize the USA.“ Den symbolischen Aufruf zu „Legalize LA“ gab es bereits im Jahr 2003 in einer Printanzeige von American Apparel. Vor einiger Zeit wurde sogar auf der Homepage der Menüpunkt „Mission“ durch „Legalize LA“ ersetzt. Festzuhalten ist, dass American Apparel als Akteur zum Thema „Migrationspolitik in den USA“ sehr aktiv ist. Fraglich ist, inwiefern dies eine positive oder negative Auswirkung auf das Unternehmen und dessen Umsätze hat. Es besteht die Chance, dass die Konsumenten dieses Engagement für ihre eigene Profilierung und Selbstdarstellung verwenden möchten. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass ein Teil der Konsumenten dieses Engagement des Unterneh8 9
Vgl. das erste Plakat links in der unteren Reihe der Abbildung 2. Vgl. http://americanapparel.net/presscenter/ads/newyorktimes0712.html (13.08.2008).
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mens nicht unterstützt. Inwieweit das Unternehmen eine transformierende Wirkung auf die Einstellung von Menschen haben wird, also aktivierend im politischen Feld wirken kann, ist abzuwarten. Abbildung 3:
Werbung zum Thema Migration im Dezember 2007.10
Die Reaktionen von Konsumenten und Journalisten hinsichtlich der Werbung zum Thema der Migration werden auf der Website von American Apparel publiziert. Das Unternehmen nutzt die Informationen eines anderen gesellschaftlichen Akteurs und gibt diese über seine Internetpräsenz an die Öffentlichkeit weiter. Der Artikel „Do the Right Thing”, der am 28. Dezember 2007 als Reaktion auf die Migrations-Printanzeige in der Women’s Wear Daily erschien, beinhaltet auch kritische Aspekte zur besagten Kampagne. Er wurde jedoch trotzdem unter dem Menüpunkt „Legalize LA“ eingestellt; ebenso das positive Feedback einzelner Personen auf die Printanzeige, die sich eigenständig an das Unternehmen wendeten und somit das positive Markenimage von American Apparel
10
Vgl. www.americanapparel.net (28.08.2008).
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äußerst effektiv unterstützten. Hier zeigt sich C2B-Kommunikation, die auf der Homepage veröffentlicht wird. Dies sollen die beiden folgenden Zitate exemplarisch verdeutlichen: „December 31, 2007 – David, Advertising: I wanted to thank you for having the courage to place the advertisement in the 12/28 New York Times and the 12/30 LA Times. Your honesty in recognizing and speaking of the "apartheid system" is praiseworthy. The voices we all too often hear are those of the hate and fear mongers; it is refreshing and hopeful to hear a counterpoint like yours. I only wish some of the candidates for President would display the same courage. Please, continue speaking out on this topic!” „December 24, 2007 – Jed, Advertising: Thank you for placing the advert in the NY Times. I appreciated the positive tone of the message. I hope it will encourage other businesses to take similar public positions on this issue."11
3.5 Der American Apparel Newsletter (B2C-Kommunikation) Der Newsletter von American Apparel mit dem treffenden Titel „Hear it first“ wird als klassisches Medium des Vertriebs genutzt. Er positioniert sich als exklusives Angebot, das den Konsumenten einige finanzielle Zusatzangebote offeriert, sobald sie der American Apparel-Gemeinschaft beitreten: „Sign up for e-mail updates and you will be the first to receive exclusive offers, invitations to sales, and updates on our latest styles. We'll also send you a 10% off promo code for our online store, plus a chance to make it 15%.“12
3.6 Aktionen und Events (B2C-Kommunikation) American Apparel kommuniziert auf der Homepage zwei Aktionen, die für die soziale Verantwortung des Unternehmens stehen. Zum einen den „American Apparel Clothing Drive“ (2007) und zum anderen die Teilnahme an der “Immigrants' Rights Rally” (2004). Im Dezember 2007 fuhr ein American ApparelTruck mit 250.000 Kleidungsstücken quer durch die USA und verteilte American Apparel-Kleidung an bedürftige Personen, die eindeutig nicht zu der typischen Käufergruppe der Marke gehören (siehe Abbildung 4).
11 12
Beide Zitate unter www.americanapparel.net (21.07.2008). www.americanapparel.net (21.07.2008).
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Die Teilnahme an der „Immigrants‘ Rights Rally” demonstriert gleichermaßen das Engagement von American Apparel bei der Migrationsthematik. An der “Immigrants Rights Rally” nahmen mehr als 1.000 Demonstranten teil, darunter auch einige American Apparel-Mitarbeiter. Themen der Rally waren die Rechte der Immigranten, die Gesundheitsversorgung sowie der Krieg im Irak. Das öffentliche Engagement, das sich in diesen Aktionen zeigt, eignet sich gut zur Stärkung des Markeninvolvements bei den Konsumenten. Abbildung 4:
Fotos vom American Apparel Clothing Drive.13
3.7 Partizipative Markenkommunikation bei American Apparel American Apparel lässt die eigenen Mitarbeiter am Unternehmen und dessen Erfolg teilhaben. Am 16.01.2008 investierte das Unternehmen 39 Millionen USDollar in Mitarbeiteraktien. Das sind vier Prozent der Unternehmensanteile, welche auf circa 4000 Mitarbeiter übertragen wurden. Teilnahmeberechtigt waren alle Vollzeitmitarbeiter, vom Manager bis zum Fabrikarbeiter oder Verkäufer, die bereits über ein Jahr für das Unternehmen arbeiteten.14 Mit „DeepThoughts“ bietet American Apparel seinen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich aktiv an der Markenkommunikation zu beteiligen und somit aktiver Teil der Unternehmenskommunikation nach außen zu werden. Mitarbeiter stellen hierfür ihre eigenen Filme auf die Homepage. Die patchworkartigen Eindrücke reichen von persönlichen Erfahrungen mit der Familie bis hin zu kleinen, selbstdarstellerischen Image-Filmen. Die Partizipation der Mitarbeiter fördert durch deren authentische Wirkung das Markenimage des Unternehmens und kann somit dazu beitragen, das Involvement der Konsumenten zu erhöhen.15
13
Vgl. www.americanapparel.net (28.08.08). Vgl. http://investors.americanapparel.net/releasedetail.cfm?ReleaseID=284517 (17.08.2008). 15 Die Konsumenten können allerdings nicht direkt auf die Beiträge der Mitarbeiter kommunikativ reagieren, da es bei Deep-Thoughts keine Feedbackfunktion gibt. 14
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Abbildung 5:
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Fabrikarbeiter bei American Apparel.16
Amateurfotografie als Involvement-Strategie Die Rubrik „Amateur Photography“ fordert die Kunden auf, an der visuellen Gestaltung der Marke teilzunehmen und enthält gleichzeitig eine Plattform zur Selbstdarstellung. Kunden haben an dieser Stelle die Möglichkeit Fotostrecken einzureichen, die auf der Website präsentiert werden. Neben der Aufwandsentschädigung von 10 US-Dollar pro Foto wird der Amateurfotograf auf der Seite „gefeatured“ und erhält einen persönlichen Emaillink, wodurch eine direkte Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Fotografen ermöglicht wird, was die C2CKommunikation fördert. Gleichzeitig kann American Apparel diese Bildinformationen als C2B-Kommunikation nutzen, um aufkommende Trends sowie Konsumentenbedürfnisse zu beobachten. Das Unternehmen erhält direkten Einblick in die Lebens- und Konsumwelten seiner Kunden – und dies weltweit. Das Feedback-Formular Eine weitere C2B-Partizipationsmöglichkeit findet sich in dem eher klassischen Instrument des digitalen Feedback-Formulars. American Apparel weicht jedoch auch hier von der Norm ab. So kann der Kunde nicht nur Produkte, sondern auch Werbemaßnahmen und Community-Programme kommentieren und sogar Produktwünsche äußern. Durch das Gefühl, dass sein Feedback wichtig und erwünscht ist, kann das Markeninvolvement des Kunden durch dieses C2BKommunikationsangebot gestärkt werden. Da das Feedback zufriedener Kunden zudem als Referenz der Marke genutzt und unter dem Link “Testimonials” auf der Website des Unternehmens veröffentlicht wird, erhalten die zitierten Kunden eine Selbstdarstellungs- und Profilierungsplattform. Gleichzeitig sprechen die ausgewählten Kundenkommentare auf der Homepage zu den anderen Kunden und stärken im Idealfall deren Markeninvolvement.
16
Vgl. www.americanapparel.net (28.08.2008).
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Die Weblogs Das Unternehmen bietet durch Blogs Kunden und Mitarbeitern die Gelegenheit, ihre Meinung zu kommunizieren und sich auszutauschen. Weblogs ermöglichen sowohl die C2C- als auch die C2B- und B2C-Kommunikation, d.h. Konsumenten und Mitarbeiter können prinzipiell direkt auf die einzelnen Beiträge in den Blogs reagieren. Diese bieten die Chance, durch Interaktion und den direkten Austausch zwischen den Mitarbeitern, dem Unternehmen und den Kunden ein Community- und Zugehörigkeitsgefühl entstehen zu lassen, welches das Markeninvolvement der Konsumenten maßgeblich steigern kann. Seit November 2005 gibt es den American Apparel-Blog „Daily Update“, der direkt mit der firmeneigenen Website verlinkt ist. Hier sind Informationen zu allgemeinen Aktivitäten, Links zu den sogenannten „Best Friends Forever“Items, weitere Plattformen des American Apparel-Netzwerks, Geschäftseröffnungen, Video- und Audio-Pods zu finden. Mitarbeiter und Kunden können hier ihre Meinung über American Apparel im Sinne von Lob, Anregungen, Erfahrungsberichten, aber auch von Kritik äußern. Der Blog ist mittlerweile ein wichtiges Instrument für die kooperative Zusammenarbeit innerhalb und ebenso mit der Umwelt des Unternehmens, da hier die Kommunikation auf Augenhöhe erfolgt. Jedoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass bisher hauptsächlich Mitarbeiter als Blogger agieren. Ein reger Austausch mit den weltweiten Konsumenten fand bislang noch nicht statt. Das Netzwerk „B.F.F“ und weitere Kommunikationsmittel im Internet Die B.F.F sind die sogenannten „Best Friends Forever“ von American Apparel. Dazu zählen ausgesuchte junge Szene-Plattformen der realen, aber auch der virtuellen Welt.17 Auf diese Weise wird der interaktive und direkte Austausch zwischen Kunden, Mitarbeitern, Unternehmen und Communitys gefördert, was wiederum das Gemeinschaftsgefühl intensiviert. Der unabhängige Blog „Pauline & ihre Freunde“ z.B. wurde privat von Mitarbeitern initiiert und direkt mit der Site von American Apparel verlinkt. Er enthält Fotoeinträge und Video-Pods, die Pauline und ihre Freunde tanzend im angesagten Vice-Pub „The Old Blue Last“ in London zeigen. Das Unternehmen kann sich auf diese Weise als Brand-Community innerhalb einer internationalen Lifestyleszene präsentieren.
17
Im BFF findet man auch Weblogs.
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Abbildung 6:
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„Pauline & ihre Freunde“.18
American Apparel erkannte die wachsende Bedeutung des CommunityGedankens für das Marketing und setzte auf eine „Cyberpräsenz” im webbasierten Computerspiel Second Life. Im Sommer 2007 eröffnete das Unternehmen dort eine virtuelle Shoppräsenz, vermutlich weniger als weiteren Vertriebskanal, sondern vielmehr als eine Möglichkeit, PR zu generieren. Obwohl der Shop Anfang 2008 geschlossen wurde, dürfte sich der Schritt in diese virtuelle Welt trotzdem für American Apparel gelohnt haben, zumal über dieses Medium sonst nur schwer erreichbare Zielgruppen angesprochen werden konnten. Das Unternehmen ist bestrebt, Präsenz auf den von der Zielgruppe favorisierten virtuellen Plattformen zu zeigen, um so auf sich aufmerksam zu machen. American Apparel ist u.a. bei der beliebten Online-Community MySpace mit einem eigenen Profil vertreten. Indem sich das Unternehmen mit den Communitys seiner Zielgruppe verlinkt, präsentiert es sich nicht nur als Mitglied dieser Szene, sondern erreicht auch eine höhere Listung bei der Suchmaschine Google. 4
Fazit aus der Betrachtung der Fallstudie American Apparel
American Apparel ist es gelungen, mit seiner ungewöhnlichen Markenpositionierung, die „Sexyness“ und soziale Verantwortung verspricht, ein spannendes, medienwirksames Image aufzubauen, das für viel Aufmerksamkeit und kostenlose PR gesorgt hat. Das aktuelle Engagement für die Legalisierung illegaler Migranten, das in vereinzelten Anzeigenkampagnen und auf der American Apparel-Homepage kommuniziert wird, passt zur bisherigen Positionierung des 18
Vgl. bei www.Blogger.com (25.08.2008).
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Unternehmens und unterstützt dessen provokantes Image. Allerdings bezog sich das bisherige soziale Engagement vor allem auf allgemeine soziale Themen wie „sweatshop free“, Nachhaltigkeit und Armut. Inwiefern durch das verstärkte Engagement für eine soziale Randgruppe rein positive Effekte für das Unternehmen entstehen werden, bleibt abzuwarten. Neben der ungewöhnlichen Positionierung und den damit verbunden Kommunikationsinhalten dürften aber auch die genutzten Kommunikationsmittel und -kanäle stark dazu beigetragen haben, das Markenimage glaubwürdig zu unterstützen und vor allem auch die Konsumenten an sich zu binden. Das Unternehmen nutzt alle möglichen Kommunikationsvarianten, die in der Plattform des Involvements systematisch dargestellt wurden, um höchstmögliches Markeninvolvement der Konsumenten zu erreichen. Die starke Nutzung des Web 2.0 und die ungewöhnlichen Kommunikationsangebote auf der Homepage lassen die Marke als starken und eigenwilligen Akteur erscheinen. Durch die Transparenz der internen Unternehmensstrukturen erreicht American Apparel außerdem eine hohe Authentizität; so stehen Mitarbeiter als „Testimonials“ für eine erfolgreiche Unternehmenskultur. Die Konsumenten wiederum erhalten die Chance, sich als Akteure zu präsentieren, aktiv zu werden und sich untereinander und mit der Marke und den Mitarbeitern auszutauschen. Dadurch werden die Konsumenten aktiv in die Markenkommunikation einbezogen und können Teil der American Apparel-Markenwelt werden.
Markeninvolvement durch Moral: Das Fallbeispiel „Vaude“ Mirus Fitzner1
Seit einigen Jahren wird die öffentliche Diskussion über die soziale Verantwortung von Unternehmen verstärkt geführt: Exzesse des „Finanzkapitalismus“ werden angeprangert, der „rheinische Kapitalismus“ wird als Vorbild gelobt, staatliche Regulierung und ethische Kriterien für die Entscheidungsfindung werden gefordert.2 Ziel dieses Beitrags ist, den Marken-Involvement-Kreislauf am Beispiel von Corporate Social Responsibility in einer Fallstudie zu untersuchen: Nach einer kurzen Darstellung des Konzepts der Corporate Social Responsibility stellt der zweite Teil des Beitrags die Firma Vaude vor und erläutert die dortige Umsetzung von sozialem Verantwortungsbewusstsein anhand verschiedener Beispiele – mit besonderem Fokus auf das Web 2.0. Abschließend wird die Schwierigkeit der Verbindung von Corporate Social Responsibility mit der Markenführung im Web 2.0 beleuchtet. 1
Corporate Social Responsibility
In einem allgemeinen Verständnis ist Corporate Social Responsibility (CSR) die freiwillige, aktive Übernahme von Verantwortung durch Unternehmen in verschiedenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Zusammenhängen. Dies kann antizipativ oder reaktiv geschehen. Ob gesetzestreues Handeln und tarifliche Bezahlung der Beschäftigten bereits zu CSR gezählt werden können, ob der Einbezug externer Fachleute für eine Optimierung der Abfallbeseitigung oder sogar die Unterstützung der Rettung des Re-
1
Für die Durchsicht einer früheren Fassung dieses Artikels und hilfreiche Hinweise danke ich Andreas B. Krüger. Für zahlreiche Informationen über das Unternehmen bin ich dessen Mitarbeiterin Johanna Weishaupt Dank schuldig. Sollten diese unvollständig oder verzerrt wiedergegeben worden sein, ist dies dem Verfasser zuzuschreiben. 2 Dies beschränkt sich keineswegs auf die Diskussionen während der Finanzkrise im Herbst 2008, vgl. dazu etwa Schweickart (2007), Jungbluth (2007) oder Rodenstock (2008).
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Mirus Fitzner
genwaldes dafür notwendig sind, liegt im Ermessen des Betrachters. Damit ist Corporate Social Responsibility immer in der Gefahr, zum polemischen Schlagwort zu werden: „'Corporate Social Responsibility' has become a catchall phrase for the ways by which businesses manage reputations and strike relationships with the social sector.“3
Bereits die Definition des Begriffs „Corporate Social Responsibility“ ist somit Ausdruck der Funktion, die man dem Konzept zuschreibt. Der in diesem Kontext vielzitierte Milton Friedman schrieb 1962: „There is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception or fraud.“4
Damit bliebe die einzige Verantwortung des Unternehmers, sich an Recht und Gesetz zu halten. Die Gegenposition formuliert Mintzberg 1983: „Legalistic approaches only set crude and minimum standards of behavior, ones easily circumvented by the unscrupulous. […] Socially responsible behavior will infuse the organization not through procedures but through attitudes […]. The question is one of simple, old-fashioned ethics.“5
Dies ist das Spannungsfeld, in dem sich Corporate Social Responsibility bewegt: Einerseits steht jedes Geld, das nicht für das Kerngeschäft ausgegeben wird, nicht für zentrale Investitionen bereit und bedroht damit im Ansatz die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens; andererseits gibt es Forderungen der KundInnEn, MitarbeiterInnen, Konkurrenten und unter Umständen auch der UnternehmerInnen selbst, gewisse soziale Mindestanforderungen zu erfüllen. Corporate Social Responsibility unterscheidet sich damit von Social Entrepreneurship, bei der die Lösung eines gesellschaftlichen Problems die Grundlage des Geschäftsmodells ist (z.B. Mohammed Yunus' Mikrokredite vergebende Grameen-Bank). CSR ist aber auch von Corporate Governance, bei der die transparente Entscheidungsstruktur im Unternehmen und damit eher die Strukturen als die Inhalte im Fokus stehen, zu unterscheiden. Die Differenzierung ist 3
Brugmann / Prahalad (2007), S. 85. Friedman (1962), S. 133. Vgl. zu Erwähnungen seit 2000: Lantos (2001), S. 603f.; Moir (2001), S. 17; Lougee / Wallace (2008), S. 96; Svensson / Wood (2008), S. 308. 5 Mintzberg (1983), S. 13. 4
Markeninvolvement durch Moral
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allerdings keineswegs trennscharf und muss im Einzelfall getroffen werden. Synonym wird der Begriff „Corporate Citizenship“ verwendet. Die Autoren nennen unterschiedliche Gründe für CSR: Moral, Nachhaltigkeit, die Rechtfertigung des Geschäftsmodells gegenüber der Öffentlichkeit („gesellschaftliche Betriebslizenz“) und Reputation;6 aufgeklärtes Eigeninteresse zur positiven Beeinflussung des Umfelds und um dem Eingreifen des Staates zuvorzukommen sowie die Belohnung des Investments durch den Aktienmarkt;7 Einfluss auf das Personalmanagement (Fluktuation und Rekrutierung), Risikomanagement, Markendifferenzierung und Vermeidung staatlicher Einflussnahme.8 Es wird dabei zurecht betont, dass das Messen von CSR-Aktivitäten anhand der auf die Darstellung von CSR verwendeten Zeilen im Jahresbericht9 oder der aufgebrachten Finanzmittel10 zu kurz greift: eher steht das Erreichen von gesetzten Zielen für den Erfolg verantwortungsbewussten Handelns.11 Dabei ist letztlich nicht klar, ob der Erfolg eines Unternehmens (auch) von seinem verantwortungsbewussten Handeln abhängt, ob Unternehmen sich CSR nur dann leisten können, wenn sie ohnehin erfolgreich sind, oder ob sich dies zu einem „virtuous circle“ ergänzt.12 Für das Fallbeispiel gilt Folgendes festzuhalten: x x
x
6
Die Bezeichnung einer Aktivität als sozial verantwortlich ist immer abhängig von der Perspektive des Betrachters. Hier kann es große Koalitionen geben, aber auch fundamentale Widersprüche. Jede Entscheidung eines Unternehmens hat automatisch Einfluss auf soziale Prozesse oder Bedingungen, es gibt keine rein ökonomischen Entscheidungen. Politische oder soziale Aspekte spielen stets eine Rolle. Zugleich steht dem Entscheider aber eine Reihe von Optionen zur Verfügung, von denen einige mehr, andere weniger Rücksicht auf diese Aspekte nehmen.13 Die getroffenen Entscheidungen werden im Unternehmen mit zunehmender Hierarchiestufe auf wenige Parameter reduziert und evaluiert; zuvorderst steht dabei der finanzielle Aspekt. Solange es keine anerkannten und praktikablen Möglichkeiten der Berechnung von gesellschaftlichen Vor- und Nachteilen gibt, ist man auf eine Kultur im Unternehmen angewiesen, die auf breiter Grundlage langfristig orientierte Entscheidungen möglich macht.
Vgl. Porter / Kramer (2007), S. 4ff. Vgl. Mintzberg (1983), S. 3ff. Vgl. Lougee / Wallace (2008), S. 99f. 9 Vgl. Mintzberg (1983), S. 6f. 10 Vgl. Mintzberg (1983), S. 10. 11 Vgl. Porter / Kramer (2006), S. 4. 12 Vgl. Lougee / Wallace (2008), passim. 13 Mintzberg (1983, S. 13) spricht von einer „'zone of discretion' in strategic decision-making“. 7 8
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x
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Nur wenn das skrupellose, egoistische Handeln im Unternehmen nicht durch Provisionen und Beförderung belohnt wird, kann sich verantwortliches Handeln auf Dauer durchsetzen.14 Die CSR-Aktivitäten müssen keineswegs vollkommen altruistisch sein. Wenn man auch Porter und Kramer nicht dahin folgen muss, CSR grundsätzlich als Investition zu betrachten, so bieten sich für jedes Unternehmen bestimmte Aktivitäten vor allen anderen an, weil das Unternehmen spezifische Kompetenzen in sich vereint, die neben der geschäftlichen Verwertung auch das Verfolgen gemeinnütziger Ziele oder die Lösung aktueller, im Umfeld auftretender Probleme erlauben. Die Aktivitäten dürfen dabei natürlich keineswegs das Bestehen des Unternehmens gefährden. Wenn sie dazu auf längere Sicht neue Geschäftskontakte oder technologische Innovationen erbringen, dann ist dies nur umso positiver zu betrachten. Das Unternehmen Vaude
Die Vaude Sport GmbH und Co. KG ist ein Familienunternehmen mit Sitz in Tettnang am Bodensee und vertreibt Berg-, Bike- und Wassersportausrüstungen sowie Taschenkollektionen als eine der führenden Marken in Europa. In Deutschland hat Vaude 420, weltweit etwa 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; produziert wird auch in Spanien und China. Der Firmenname Vaude [fau'de:] setzt sich aus den Initialen des Firmengründers Albrecht von Dewitz zusammen. Die Firma wurde 1974 gegründet und erwirtschaftet kontinuierliche Zuwachsraten. „Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer Acht läßt.“ – Albert Schweitzer15
Vaude verbindet „höchste Ansprüche an Funktionalität und Qualität mit Trendbewusstsein“16. Dabei legt das Unternehmen nach eigener Aussage Wert auf einen ständigen Dialog mit KundInnEn und Partnern und bemüht sich um die kontinuierliche Weiterentwicklung von Materialien und Produkten. Eigens hergestellte Produktinnovationen und Forschung im eigenen Testcenter sollen den „Pioniergeist“ der Firma verkörpern. Ein fairer, verantwortungsbewusster Umgang mit den MitarbeiterInneN, Partnern und der Umwelt steht im Vordergrund. Als Unternehmen in Familien14
Vgl. Mintzberg (1983), S. 13; Verbos et al. (2007). Vgl. http://www.vaude.de/hps/client/vaude/public/hxfront/index.hbs (17.10.2008). 16 http://www.vaude.de/hps/client/vaude/public/hxfront/index.hbs (06.08.2008). 15
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besitz ist Vaude frei von Interessen von Fremdkapitalgebern und kann sich somit, statt von kurzfristig orientierten Renditezielen unter Druck gesetzt zu werden, auf die langfristige Entwicklung seines Potenzials konzentrieren.
2.1 Aktivitäten im Corporate Social Responsibility-Bereich Das Engagement im Bereich Corporate Social Responsibility des Unternehmens ist sehr weitläufig. Im ökologischen Bereich beteiligte sich das Unternehmen 1994 an einem Zusammenschluss verschiedener Unternehmen, der das rückstandslose Recycling von polyesterhaltiger Bekleidung durch Entwicklung sortenreiner Produkte sichern sollte. Seit 2002 ist Vaude offizieller Partner und Sponsor des Deutschen Alpenvereins. In diesem Rahmen unterstützt das Unternehmen verschiedene Projekte zum Schutz des Alpenraums und zur Vereinbarkeit von Bergsport und Umweltschutz. Vaude führt ein jährliches Öko-Audit durch, mit dem Ziel, das Umweltprogramm weiter auszubauen und die Umweltbilanz des Unternehmens kontinuierlich zu verbessern. Mitte 2008 ist die Zertifizierung nach internationalen Umweltstandards erreicht worden. Dafür hatte das Unternehmen seit September 2007 eine Umweltbeauftragte für die Ausarbeitung des Vaude-Umweltprogramms eingestellt. Als erste Maßnahme beteiligt sich Vaude als Gründungsinvestor beim Aufforstungsprojekt BaumInvest an der Bepflanzung gerodeter Regenwaldgebiete in Costa Rica, um seine CO2-Bilanz auszugleichen. Sämtliche solartauglichen Dächer am Standort Obereisenbach bei Tettnang und am Firmensitz der Tochtergesellschaft Edelrid sollen mit Photovoltaikanlagen auf den Dächern bestückt werden, um die firmeneigene Energieversorgung zu sichern und überschüssige Kontingente in den Stromkreislauf einzuspeisen. Das soziale Engagement weist ebenfalls verschiedene Aktivitäten auf. Die Firma gewährleistet faire Arbeitsbedingungen und überdurchschnittliche soziale Standards in allen Produktionsstätten und versucht, dies auch durch die Entwicklung eines Verhaltenskodex auf die Zusammenarbeit mit Lieferanten auszuweiten. Westliche Produktionsstandards werden dabei auch an den außerdeutschen Standorten angelegt. Mit der Ausweitung der weltweiten Produktion wird auch der Standort Deutschland kontinuierlich ausgebaut. Zudem hat Vaude 2006 das Management des öffentlichen Freibads am Firmensitz übernommen und damit dessen Schließung verhindert. Seit 2007 ist Vaude offizieller Partner des Deutschen Bundesverbands Natur- und Waldkindergärten. Entscheidungen über Corporate Social Responsibility werden von der Geschäftsführung und von einzelnen Abteilungen getroffen. So setzt sich die Personalabteilung für die Wiedereinstiegsangebote für Mütter ein; die Produkt-
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manager verantworten den Einsatz umweltfreundlicher Materialien bei der Herstellung der Waren. In der Unternehmenszeitschrift werden die CSR-Aktivitäten immer wieder thematisiert und auf diese Weise den MitarbeiterInneN vermittelt. Nach innen und außen richtet sich die Kommunikation der Aktivitäten über die Website. Darüber hinaus sind auch Informationsangebote im Haus selbst geplant. So soll eine Anzeige angeben, wie viel Strom durch die Solaranlagen zu einem Zeitpunkt produziert wird.17
2.2 CSR-Beispiel 1: Das Vaude-Kinderhaus Ausschlaggebend für das Vaude-Kinderhaus waren der persönliche Bezug der Unternehmensführung durch die Familie von Dewitz, die innerbetriebliche Struktur (50% der Führungskräfte haben 3 oder mehr Kinder) und die Prägung des Begriffs „Vaude-Familie“. Ein hoher Anteil von Mitarbeiterinnen (67% des gesamten Personals) führte zudem aufgrund der unzureichenden Betreuungssituation im ländlichen Raum Oberschwabens zu Ausfällen während der Elternzeit – oft aber kehrten die Mütter auch nach dem Mutterschutz nicht mehr ins Unternehmen zurück. So entstanden höhere Kosten für die Personalneugewinnung. Das Projekt sah den Aufbau eines Betreuungsangebots in einer halböffentlichen Einrichtung als Public-Private-Partnership vor. Für die Finanzierung des Projekts bedeutet dies: Die Kosten für Auf- und Ausbau sowie die laufenden Kosten für die Räumlichkeiten werden durch Vaude übernommen, während die Personalkosten durch Elternbeiträge und einen Zuschuss des Landes BadenWürttemberg finanziert werden. Deshalb werden Kinder bzw. Enkelkinder sowohl von MitarbeiterInneN als auch von Externen aufgenommen. Das Konzept eines „Familiendienstleisters“ ermöglicht die flexible und angepasste, ganztägige und ganzjährige Betreuung für mehr als 30 Kinder zwischen 1 und 10 Jahren. Des Weiteren finden eine Kernzeitbetreuung in Zusammenarbeit mit einer nahe gelegenen Schule sowie Ferien- und Notfallbetreuung statt. Dieses Projekt wird auch durch personalpolitische Maßnahmen ergänzt: Das Unternehmen nimmt am Audit „Familie und Beruf“ mit Zertifizierung durch die Hertie-Stiftung teil. Es wurden dazu langfristig Arbeitskreise zur Entwicklung und Bearbeitung mitarbeiterbezogener Themen und Prozesse eingerichtet. Als Ergebnis wurde die Arbeitszeit durch individuelle Arbeitszeitmodelle flexibilisiert. Außerdem wurden der interne Informationsfluss und die Service17 Vgl. zum Einsatz von Symbolen im Unternehmen Celia V. Harquail (2007): Employee Branding: Enterprising selves in the service of the brand, unter http://authenticorganizations.com/articles/emplo yee-branding-enterprising-selves-in-service-of-the-brand/ (08.03.2009). Siehe in Bezug auf Employee Branding auch Vilnai-Yavetz / Rafaeli / Schneider-Yaacov (2005).
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leistungen für die MitarbeiterInnen verbessert: Die betriebliche Altersvorsorge wurde initiiert, Informationsveranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen werden angeboten und ein umfangreiches Sport- und Freizeitangebot steht für die MitarbeiterInnen zur Verfügung. Diese Angebote senkten vor allem die personelle Fluktuation. Dadurch sanken auch die Kosten des Unternehmens bei der Personalbeschaffung; schwieriger zu beziffern ist die Kostensenkung durch die Reduktion des Wissensverlustes. In zweiter Linie wird durch das Modell des Kinderhauses die Arbeitszufriedenheit und damit auch die Identifikation der MitarbeiterInnen mit dem Unternehmen gesteigert. Dies wurde durch die Möglichkeit der Teilhabe an der Gestaltung des neuen Arbeitsumfeldes sicherlich noch verstärkt.18 Indirekt verankert das Unternehmen durch diese Aktivitäten natürlich auch seine Stellung im regionalen Umfeld und schafft Akzeptanz oder Interesse bei Anwohnern – die Wirkung, so muss vermutet werden, ist aber auf einen recht kleinen Umkreis begrenzt. Ist dies nun ein gelungenes Beispiel für Corporate Social Responsibility? Das Unternehmen übernimmt mit der Kinderbetreuung eine Aufgabe, die eigentlich dem Staat zukommt, und verbessert damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ein Problem, das besonders in Deutschland (im Vergleich zu anderen europäischen Staaten) Frauen an der gleichzeitigen Bewältigung von Arbeitsund Familienleben hindert. Es ist somit in kleiner Version eine Lösung eines drängenden gesellschaftlichen Problems.
2.3 CSR-Beispiel 2: Die Vaude-Frau Vaude suchte eine Werbefigur. Nutzerinnen und Nutzer der Vaude-Produkte waren online gleichermaßen aufgefordert, sich zu bewerben. Es gab mehr als 500 Einsendungen. Ausgewählt wurde die Bergsportlerin Martina Mrak, „die unsere Werte und unsere Bergsportkompetenz teilt und am überzeugendsten verkörpert“19. Sie vertritt das Unternehmen auf Messen und Fachausstellungen und gibt auf der Internetseite tagebucheintragähnliche Produkttests und Produkteinschätzungen ab. Kann man auch diese Initiative Corporate Social Responsibility nennen oder ist dies eine Variation des in den vergangenen Jahren beliebten Castings? Mit der Auswahl von Martina Mrak setzte das Unternehmen erneut ein Statement. Bei einem derart hohen Anteil an Mitarbeiterinnen und dem beschriebenen Einsatz für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist es nur konse18 Vgl. zu Partizipation Sundstrom / Sundstrom-Graehl (1986), S. 232f. und zum Zusammenhang von Personalisierung und Commitment Wells / Thelen / Ruark (2007), S. 617f. 19 http://www.vaude.de/hps/client/vaude/public/hxfront/index.hbs (17.10.2008).
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quent, auch für einen eher männerdominierten Sport eine Frau als Markenpersönlichkeit zu wählen. Dies betont das Unternehmen auch auf seiner Website. Mrak qualifiziert sich aber keineswegs nur durch ihr Geschlecht und ihre Bergsportaktivitäten, sondern ist auch Ausbilderin und Universitätsdozentin.
2.4 Anwendung des Marken-Involvement-Kreislaufs auf das Vaude-Kinderhaus und die Vaude-Frau Für ein mittelständisches Unternehmen wie Vaude ist es sehr wichtig, den MitarbeiterInneN die Identifikation mit der Unternehmensmission zu ermöglichen. Die Mission lässt sich im engeren Sinne beschreiben mit „für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Im weiteren Sinne spielt die Sorge um die Vereinbarkeit des von den Produktnutzern ausgeübten Sports mit dem Schutz der Umwelt eine Rolle.20 Vaude ist es gelungen, durch tangible und nachvollziehbare Aktivitäten die Präsentation der Mission an die in diesem Stadium wichtigsten Stakeholder21 – die MitarbeiterInnen – zu kommunizieren. Behauptungen und Aktivitäten stimmen überein; somit wirkt das Unternehmen glaubwürdig. Für den Erfolg des Kinderhauses dürfte der Einbezug der MitarbeiterInnen in die Planung des Projekts essenziell gewesen sein, um den Bedarf an Kinderbetreuungsangeboten feststellen zu können. Mit der Einrichtung des Kinderhauses und der expliziten Wertschätzung familiärer Strukturen können potenzielle MitarbeiterInnen einschätzen, bei welcher Art Unternehmen sie sich bewerben. Damit findet erstens eine Art Selbstselektion der BewerberInnen statt, zweitens werden die sich mit der Mission des Unternehmens identifizierenden MitarbeiterInnen zu dessen effektivsten Botschaftern.2223 Die Marke dient dabei als eine Art Reisebegleiter und bietet Orientierung.24 Da von der Einrichtung des Kinderhauses vor allem das direkte Umfeld des Unternehmenssitzes profitieren soll, wird dies vor Ort bekannt gemacht. Dafür genügen Offline-Medien vollständig. Die Profilierung als Unternehmen, das bereit ist, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, erfolgt bei diesem 20 Das Unternehmen hat es geschafft, diese Mission durch die externe Kommunikation auch erlebbar zu machen, vgl. zu den genauen Unternehmenszielen die Umwelterklärung auf der Website: http:// www.vaude.de/hps/upload/cmi24/download/umwelterklaerung_2008_vaude.pdf, S. 9 (17.10.2008). 21 Vgl. zu Begriff und Konzepten Liebl (2000b), S. 30. 22 Vgl. zu Employer Branding – allerdings sehr konzeptuell und wenig operationalisiert – Barrow / Mosley (2005); Mosley (2007), zu Employee Branding Celia V. Harquail (2007): Employee Branding: Enterprising selves in the service of the brand, siehe http://authenticorganizations.com/ articles/employee-branding-enterprising-selves-in-service-of-the-brand/ (08.03.2009). 23 Vgl. zu Corporate Branding Schultz / Antorini / Csaba (2005), vor allem Kapitel 2 und 8. 24 Vgl. neben Sonnenburg in dieser Publikation auch Liebl / Düllo / Kiel (2005).
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Projekt eher indirekt. Die stetige Verbesserung des Arbeitsklimas findet natürlich ebenfalls offline statt. JedeR kann sich einbringen und ist durch einen gewissen sozialen Druck sogar dazu gezwungen, zu dem Projekt Stellung zu beziehen. Darüber hinaus wird aber auch die größere gesellschaftliche Teilhabe gesucht. Die halb öffentliche, halb private Finanzierung bedingt einen Einbezug der Stadt und des Landes. Für Externe gibt es die Möglichkeit, ihre Kinder betreuen zu lassen, einen Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem Thema – und mit der Firma. Zuletzt verankert das Unternehmen sein Projekt „Kinderhaus“ durch die Einbindung dieser verschiedenen Stakeholder – MitarbeiterInnen, AnwohnerInnen, Politik – ganz real in deren Lebenswelten. Durch das Kinderhaus erreicht das Unternehmen eine erhöhte Identifikation, im Idealfall sogar Stolz, einE MitarbeiterIn des Unternehmens zu sein. Sie gehören „dazu“. Gleichzeitig ermöglicht das Projekt den Eltern, Freiräume zu schaffen und zu gestalten und an gesellschaftlichen oder kulturellen Aktivitäten teilzunehmen, im Unternehmen oder außerhalb. Darüber hinaus entstehen eher beiläufig auch neue Gemeinschaften: Eltern, die sonst keinen Kontakt gehabt hätten, lernen sich gegenseitig kennen. Es entsteht natürlich auch eine Gemeinschaft zwischen den Kindern. Diese Formen der Vergemeinschaftung sind nicht in gleicher Weise messbar wie die Teilnehmerzahlen einer Online-Community, sind aber nicht weniger stabil und persönlich.25 Im letzten Schritt des Kreislaufs wird der auf der Website zitierte Aphorismus Albert Schweitzers („Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer Acht lässt.“) mit Leben erfüllt. Das Unternehmen kann mit der abstrakten Idee eines wertorientierten Handelns identifiziert werden. Gleichzeitig werden aber auch die sonstigen Aktivitäten des Unternehmens an dieser Aussage gemessen. Dies zeigt sich im konsequenten Ausbau seines CSR-Engagements. Hier wird dann der Kreislauf des Markeninvolvements deutlich. Ohne eine stabile Basis bei den MitarbeiterInneN, welche die Mission verstanden haben und unterstützen, sind anschließende Aktivitäten nur halb so erfolgreich. Mittels eines im Unternehmen verstandenen Ethos aber kann in einem zweiten Kreislauf die Ausweitung des Markenbildes auch auf die KundInnEn gelingen. Das „Casting“ der Vaude-Frau als Aktivität hat auf den ersten Blick nicht die Übernahme sozialer Verantwortung zum primären Ziel. Vielmehr scheint hier klassische Markenkommunikation – noch dazu mit einer Mischung aus Testimonial und dem überholten Modell der Markenpersönlichkeit – im Vordergrund zu stehen.26 Doch der erste Schritt für einen zweiten Zyklus des Marken25 26
Vgl. Muniz / O'Guinn (2001), S. 426. Vgl. dazu Liebl / Düllo / Kiel (2005) sowie Liebl (2006).
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involvements ist damit getan. Die Suche nach der Verkörperung des Unternehmens durch eineN herausragendeN NutzerIn im Netz bietet die Möglichkeit der Präsentation der Markenwerte durch die Offenheit gegenüber den Kundenvorschlägen. Die anschließende Auswahl der Protagonistin durch das Unternehmen bietet den MitarbeiterInneN eine prototypische Kundin der eigenen Produkte als Identifikation des Unternehmens nach außen und den Kunden eine idealtypische Repräsentantin ihrer Kompetenzen und Bedürfnisse, die direkten Einfluss auf das Unternehmen zu haben scheint. Hier tritt aber deutlich zu Tage, was an anderer Stelle in diesem Band ausführlicher beschrieben wird. Obgleich das Unternehmen das Potenzial von Kommunikation mit NutzerInnen über das Internet offenbar weitgehend verstanden hat, fehlt der Mut oder die Bereitschaft, dieses Commitment mit allen Risiken, die dabei eingegangen werden müssen, einzugehen.27 Die Präsentation des Unternehmens durch Martina Mrak auf Messen und Ausstellungen findet sich im Netz immer wieder erwähnt, die Internetseite von Vaude meldet dies nicht. Auch das Online-Tagebuch wurde nur wenige Wochen lang gepflegt.28 Damit verspielt das Unternehmen großes Identifikationspotenzial über sein direktes Einzugsgebiet hinaus. Im Gegensatz zu einem direkt vor Ort befindlichen Kinderhaus ist die „halb-virtuelle“ Vaude-Frau für MitarbeiterInnen und KundInnEn im direkten Umfeld der Firma natürlich weniger zugkräftig. Für alle KundInnEn außerhalb des direkten Umkreises allerdings ermöglichte Martina Mrak als Vaude-Frau ein stellvertretendes Testen bekannter oder neuer Produkte unter professionellen Bedingungen und das Gefühl, eine Vertreterin des Unternehmens und zugleich eine kompetente Nutzerin zu kennen. Damit würde auch das Involvement erhöht. Im Gegensatz zum sehr erfolgreichen und konsistenten Aufbau des Projekts „Kinderhaus“ ist die Vaude-Frau ein Beispiel für die ausbaufähigen Online-Aktivitäten von Vaude und im weiteren Sinne auch ein Indiz für das Misstrauen, das Unternehmen gegenüber der rein virtuellen Kommunikation im Vergleich zu „handfesten“ interpersonalen Kontakten nach wie vor haben.
2.5 Corporate Social Responsibility und Web 2.0 bei Vaude Für gesellschaftlich verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln trifft selbstverständlich all das zu, was für jede ökonomische Aktivität ohnehin gilt: Es muss profitabel sein. Das Beispiel Vaude zeigt hervorragend, wie ein Unterneh27
Vgl. dazu den Beitrag von Burgold, Sonnenburg und Voß in dieser Publikation. Auf der im Oktober 2008 lediglich als Beta-Version zugänglichen neuen Website taucht der Name nur noch einmal in einem Testimonial-Bericht über ein Produkt auf. 28
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men mit der Investition erheblicher Mittel Aktivitäten anstößt, die sich in einem geldwerten Wettbewerbsvorteil niederschlagen. Das Kinderhaus ist nicht einfach imitierbar und bietet MitarbeiterInneN, KundInnEn und AnwohnerInneN zugleich einen wahrnehmbaren Unterschied zu vergleichbaren Arbeitgebern.29 Die Voraussetzung für die problemlose Akzeptanz des Kinderhauses ist das Fehlen vergleichbarer Angebote in Baden-Württemberg und die spezifische Mitarbeiterstruktur. Dies trifft auf BaumInvest in Costa Rica nicht zu. Hier ist der Bezug zwischen dem Engagement und dem Unternehmen nicht mehr intuitiv zu erfassen. Dies mag an der Intangibilität von Vorhaben wie einem CO2-Ausgleich liegen, dennoch ist dieses Engagement austauschbarer als vergleichbare Aktionen des Unternehmens. Gerade bei mittelständischen Unternehmen ist ein konkretes, im direkten Umkreis angesiedeltes Projekt, eines, das an die Vorstellungswelten von (potenziellen) KundInnEn anknüpft, sinnvoller als eines auf der anderen Seite der Erde. Denn die Frage ist im vorliegenden Falle, ob Vaude erstens tatsächlich die erforderliche Kompetenz hat, um das Geld für die Aufforstung von Tropenhölzern ideal einzusetzen, und zweitens, ob ein Einsatz für – auch lokal – näher gelegene Projekte nicht eine höhere Glaubwürdigkeit genießen würde. Insofern erscheinen die installierten Photovoltaikanlagen allein aufgrund ihrer physischen Nähe greifbarer als das BaumInvest. Sehr groß erscheint hier die Gefahr, den Fehler zahlreicher Firmen zu wiederholen, „eine Reihe unzusammenhängender Aktivitäten auf[zulisten], um zu demonstrieren, wie wichtig dem Unternehmen seine soziale [bzw. hier: ökologische] Verantwortung ist“30. Vaude verfolgt (für Unternehmensexterne) sehr nachvollziehbare Ansätze der Corporate Social Responsibility, was sympathisch wirkt. Die Gefahr eines Missverständnisses oder eine Interpretation des Einsatzes als bloße Imagepolitur ist nicht übermäßig hoch. Es werden allerdings viele Potenziale verschenkt. Eine Beschränkung auf bestimmte Themenbereiche (z.B. Naturschutz im Alpenraum), noch enger aufeinander abgestimmte Projekte sowie eine integrierte Kommunikationsstrategie könnten sich in der Effektivität und Effizienz gegenseitig weiter verstärken, weitere Ressourcen freisetzen und sich auch finanziell noch positiver auf das Unternehmen auswirken, indem die KundInnEn über die CSR-Aktivitäten das Unternehmen im Wettbewerb differenzieren können und das gute Gewissen als tertiärer Nutzen konsumiert wird.31
29
Vgl. Porter (2004), S. 137ff. Porter / Kramer (2007), S. 4. 31 Vgl. dazu Liebl (2000a). 30
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Fazit aus der Betrachtung der Fallstudie Vaude
Die Anwendung des Marken-Involvement-Kreislaufs auf das Beispiel Vaude zeigt, wie das Modell bei einer sich stets ausdifferenzierenden und weiterentwickelnden Praxis wie Corporate Social Responsibility seine Vorteile ausspielen kann. Der Abschluss des ersten Zyklus liefert die Ausgangsbedingungen für einen erneuten Durchlauf. Gleichzeitig zeigt sich hier auch eine Herausforderung: Die Anwendung eines zyklischen Modells verlangt die stetige Optimierung und Rekalibrierung der eingesetzten Mittel mit dem Ziel, die interne und externe Markenkommunikation ständig an sich verändernde Erwartungen und Bedingungen anzupassen. Doch es ist mehr als das zu tun, um Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Am vorliegenden Modell lassen sich abstrakt Möglichkeiten des Involvements, die durch das Geschäftsmodell32 des Unternehmens denkbar sind, durchspielen, auf ihre potenzielle Wirkung prüfen und bewerten. Beschränkt man sich auf das Beispiel der CSR, bietet es sich an, Kompetenzen des Unternehmens und Möglichkeiten deren Nutzung für das Gemeinwohl zu untersuchen, das mögliche Involvement-Potenzial abzuschätzen und anhand dieser Analyse Entscheidungen zu treffen. Es ist im vorliegenden Beitrag deutlich geworden, dass der MarkenInvolvement-Kreislauf bereits Potenziale im Unternehmen erkennen lässt, die noch bei weitem nicht ausgeschöpft werden, gerade weil das Modell den Einsatz des Internets als Dialogplattform zwischen NutzerInnen und Unternehmen betont. Dieser Dialog wird möglicherweise gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen nicht vollständig ernst genommen, wo zumeist jeder Mitarbeiter jeden kennt und das Unternehmen genau weiß, wer die Kunden sind. Am Ende stehen drei Ergebnisse. Erstens zeigt das vorliegende Beispiel, dass Corporate Social Responsibility keineswegs nur ein weiteres Instrument der externen Markenkommunikation ist. Wird CSR als Instrument verstanden, um Imagegewinne zu erzielen, bleibt sie unglaubwürdig und stellt für das Unternehmen vor allem einen Kostenfaktor dar. Vielmehr muss sie als zentrales Element im Geschäftsmodell des Unternehmens verankert werden, wenn die Entscheidung getroffen wird, dass auch ethische Prinzipien einen Einfluss auf die Unternehmensprozesse nehmen sollen. Damit wird Corporate Social Responsibility zu einem Element eines „ethischen Business“33 oder einer „positiv ethischen Organisation“34.
32
Vgl. zum Konzept einleitend Magretta (2002), zum Begriff erweiternd Osterwalder / Pigneur / Tucci (2005). 33 Svensson / Wood (2008). 34 Verbos et al. (2007).
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Zweitens erweist sich die im Kopf zahlreicher Theoretiker wie Praktiker nach wie vor existente Trennung zwischen digital und analog, zwischen virtuell und real, als simplifizierender Trugschluss.35 Am Beispiel von CSR wird dies sehr deutlich. Engagement für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder ein Ausgleich zwischen Naturschutz und Alpinsport ist nur in der realen Welt zu leisten – nichtsdestotrotz kann dies kommunikativ verwertet und begleitet werden. Andere Aspekte der Geschäftsaktivitäten sind eventuell eher virtuell oder bleiben zumindest schwer erfassbar, wie z.B. die Energieerzeugung durch Photovoltaik, und müssen durch Artefakte vergegenständlicht werden. Ist ein Unternehmen nicht neugierig auf die Meinungen der KundInnEn, wird auch Technologie diese Neugier nicht erzeugen. Sie schafft nur die Grundlage, die den Kontakt einfacher zustandekommen ließe. Damit zeigt sich schließlich drittens, dass die behauptete Unterscheidung zwischen Geschäft und sozialem Bewusstsein (bzw. Ökologie) so klar nicht ist, wenn man beides als Elemente in einem Geschäftsmodell interpretiert: „Competitive advantage grows out of the entire system of activities. […] Beyond that, the competitive value of individual activities […] cannot be decoupled from the system or the strategy.“36
Moral kann also zum Konsumgut werden, ohne dass man dem Konsumenten Bigotterie vorwerfen muss. Ist soziales Verantwortungsgefühl dabei immer ein Kriterium für die Entscheidungsfindung im Unternehmen, können CSRAktivitäten, die das Unternehmen aus freien Stücken unternimmt, Thema der Markenkommunikation werden und sind durch die Kohärenz mit dem Bild, welches das Unternehmen durch Geschäftsprozesse nach außen vermittelt, glaubwürdig. Gleichzeitig erlaubt das stets umsichtige Handeln und Entscheiden dem Unternehmen, seine gemeinwohlorientierten Aktivitäten auch kommunikativ aufzubereiten und für die eigene Positionierung zu nutzen, ohne dadurch die Glaubwürdigkeit der eingegangenen Engagements anzutasten.
35 36
Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Sonnenburg in dieser Publikation. Porter (1996), S. 73.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Dina Blauhorn studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin mit den Schwerpunkten Marketing und Text und arbeitet neben dem Studium in einer international tätigen Softwarefirma im Bereich B2B-Marketing und PR. Julia Both absolvierte ein Studium der visuellen Kommunikation in Berlin, London und New York und war u.a. tätig für Scholz & Friends. Im Moment studiert sie Gesellschaftsund Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin mit den Schwerpunkten Marketing und Text. Felix Burgold studiert nach einigen Ausflügen in die Agenturwelt momentan Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Hierbei zählen die Kommunikationsplanung und die verbale Kommunikation zu seinen Steckenpferden. Frank Otto Dietrich arbeitet zurzeit als Senior Creative Planner in einer Düsseldorfer Kommunikationsagentur. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Marketingkommunikation bei Grey Worldwide folgte das Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist, gemeinsam mit Ralf Schmidt-Bleeker, das Narrative Brand Planning. Kerstin Dintner ist als gelernte Grafikdesignerin Apple-Nutzerin und trotzdem oder deswegen in stetiger Beziehungsarbeit mit dem Elektro-Obst. Sie studiert derzeit Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation mit den Schwerpunkten verbale Kommunikation und audiovisuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin. Katrin Falbe studierte Soziologie und schaute als Regieassistentin hinter die Kulissen verschiedener deutscher Bühnen. Gegenwärtig studiert sie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin mit den Schwerpunkten verbale Kommunikation und Kommunikationsplanung. Mirus Fitzner studiert seit 2003 Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Er beschäftigt sich mit den Bereichen Hochschulpolitik, Dramaturgie und Film, Strategie, Kulturmarketing und Marketinggeschichte. Er koordinierte 2007/08 eine Filmreihe in Berlin. Paula Hannemann arbeitet als freie Markenberaterin und betreut dabei große Namen von A wie Atomkraftgegner über S wie Social Community bis Z wie Zeitungsverlag. Sie studierte an der Universität der Künste Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus ihrer 2008 fertiggestellten Diplomarbeit.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Sandro Kolbe stand als diplomierter Bühnentänzer auf französischen, spanischen, niederländischen, schweizerischen und deutschen Bühnen. Heute studiert er Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Mit den Schwerpunkten verbale Kommunikation und Kommunikationsplanung probt er den Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Cathleen Möbius studiert derzeit an der Universität der Künste Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Nebenbei arbeitet sie in einer bekannten Werbeagentur und engagiert sich bei AIESEC und Amnesty International. Zum Abschalten betrachtet sie das Leben gern durch den Sucher ihrer Kamera. Robert Caspar Mueller arbeitet als freier Markenberater für Kommunikationsagenturen und Unternehmen. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Erforschung von Markenbeziehungen und deren Implikationen für die strategische Markenführung. 2008 gründete er gemeinsam mit Gordon Faehnrich die Initiative für post-postmoderne Marketingstrategien. Ralf Schmidt-Bleeker ist zurzeit als Berater bei einer Berliner Unternehmensberatung im Bereich Marketingkommunikation und Electronic Business tätig. Vor seinem Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin näherte er sich als ausgebildeter Mediengestalter der Markenwelt aus visueller Perspektive. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist, gemeinsam mit Frank Otto Dietrich, das Narrative Brand Planning. Annette Schneider studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation mit den Schwerpunkten Text und audiovisuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin. Davor war sie als Produktionsassistentin in der Filmsynchronisation tätig. Neben dem Studium gestaltet sie Szenenbild und Kostüme für Film- und Theaterproduktionen. Stephan Sonnenburg, Dr. phil., ist Professor für Marketing und Kommunikation an der Karlshochschule International University in Karlsruhe. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Markenführung, Unternehmenskommunikation sowie Kreativitäts- und Innovationsforschung. Vor seiner Hochschultätigkeit arbeitete er mehrere Jahre in verschiedenen Werbeagenturen als Strategic Planner und betreute nationale und internationale Marken aus dem Profit- und Non-Profit-Bereich. Markus Voß studiert Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Nach kaufmännischer Ausbildung arbeitete er lange Zeit im Marketing für Unternehmen aus der Unterhaltungssoftware und der Telekommunikation. Er spezialisierte sich im Anschluss auf Konzeption und Umsetzung crossmedialer Unternehmenskommunikation, gerade im Realfilm-, Präsentations- und Websegment.