Nr. 323
Wächter des Goldenen Vlieses In der Dunklen Region lauert der Tod von Horst Hoffmann
Sicherheitsvorkehrungen ...
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Nr. 323
Wächter des Goldenen Vlieses In der Dunklen Region lauert der Tod von Horst Hoffmann
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtau senden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der verbannte Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die Männer sind auf einer Welt der Wunder und der Schrecken gelandet. Das Ziel der beiden ist, die Her ren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu set zen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, durch die Zerstörung des Kartaperators der irdischen Menschheit bereits einen wichtigen Dienst geleistet. Jetzt, nach der Zerstörung der Eiszitadelle und dem daraufhin eintretenden Wär meeffekt, sind die Kampfgefährten bereits zu fünft. Zusammen mit Koy, dem Tromm ler, und Gloophy, dem Antimateriewesen, flüchten sie vor den Fluten des Schmelz wassers. Dabei erfahren sie vom Traum der Valjaren und begegnen dem WÄCHTER DES GOLDENEN VLIESES …
Wächter des Goldenen Vlieses
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Razamon - Der Arkonide und der Atlanter in der Dunklen Region.
Koy, Gloophy und Fenrir - Atlans und Razamons Gefährten.
Blodgahn - Wächter des Goldenen Vlieses.
Taros - Blodgahns androidischer Diener.
Poiko und Tassio - Zwei »Zöllner«.
1. Die aufgehende Sonne hing wie ein blut roter Ball über der schwarzen Wand, die sich nur noch wenige Kilometer von der Gruppe entfernt im Osten auftürmte. Atlan stand schweigend am Rand der klei nen Mulde, die den Gefährten die Nacht über Schutz vor unliebsamen Überraschun gen geboten hatte, und versuchte zum wie derholten Mal, Einzelheiten in dem dunklen Streifen auszumachen. Nach einigen Minu ten gab er es auf. Der Arkonide kämpfte gegen die aufstei gende Unruhe an, die ihn immer dann befiel, wenn er daran dachte, was sie auf ihrem Weitermarsch erwarten würde. Es gab kein Zurück mehr. Atlan spürte, daß sie dem Ziel immer näher kamen. Viel leicht wartete dort vorne, wo die gewohnte Welt in einem Nebel aus Schwärze zu ver schwinden schien, der Schlüssel, mit dem sich die Macht der FESTUNG brechen ließ. Irgendwo in diesem unheimlichen Land streifen, der sich zwischen dem Fluß Xa myhr und der Nordostküste von Pthor aus breitete, befand sich das Goldene Vlies – was immer sich hinter dem Begriff verber gen mochte. Alles, was Atlan und seine Be gleiter über das Vlies wußten, hatten sie aus den oft wirren Träumen der Valjaren erfah ren, die in der Flußebene des Xamyhr hei misch waren – und das war nicht allzuviel. Der Arkonide war sich dessen bewußt, daß er sich zum großen Teil von Gefühlen und Ahnungen treiben ließ. Er hatte diese Ein sicht akzeptiert, denn auf Pthor herrschte nicht die Logik – zumindest nicht in dem Maß, wie es außerhalb des Dimensionsfahr stuhls der Fall war.
Atlans Weg durch das urplötzlich im At lantik aufgetauchte Gebilde, das von seinen Bewohnern Pthor, von den Menschen das Neue Atlantis genannt wurde (zumindest zu der Zeit, als Atlan sich noch draußen, in der »normalen« Welt befand), war bisher von unzähligen Gefahren und Abenteuern um säumt gewesen; uralte Legenden aus der Vergangenheit der Menschheit waren leben dig geworden, und der Arkonide hatte lernen müssen, sich einer Umgebung anzupassen, die von Zauber und Magie ebenso wie von einer hochentwickelten Technologie be herrscht wurde. Pthor war ein gigantischer Schmelztiegel der verschiedenartigsten Le bensformen und Rassen, die einen Zweck verband bildeten, um im Auftrag jener my steriösen Macht, die den Dimensionsfahr stuhl lenkte, blühende Kulturen ins Chaos und Verderben zu stürzen, wo immer Pthor materialisierte. Atlan machte kehrt und stieg in die Mulde hinab, wo die anderen dabei waren, ein großes, von Fenrir geschlagenes Wild aus einanderzunehmen. Noch einmal blieb der Arkonide stehen und sah hinüber zu der dunklen Wand am Horizont. Die Strahlen der Sonne sahen jetzt wie rote Lichtspeere aus, die sich in das Dunkel bohrten und dar in verschwanden, als ob sie einfach ge schluckt würden. Die Dunkle Region! Atlan ahnte, daß das, was nun vor ihnen lag, alles bisher Erlebte in den Schatten stel len würde. Welche Schrecken warteten dort auf sie? Welchen neuen Teufeleien der Her ren der FESTUNG würden sie begegnen? Grimmige Entschlossenheit trat auf das Gesicht des Arkoniden. Ohne es zu bemer ken, ballte er beide Fäuste und stieg weiter in die Mulde hinab.
4 Er wechselte einen Blick mit Razamon, ehe er sich zu den Freunden setzte. Der At lanter empfand zweifellos ähnlich wie er. Fenrir lief unruhig hin und her und win selte leise. Koy, der Trommler, und Gloo phy, das fünf Zentner schwere Antimaterie wesen, hockten schweigend auf einem großen Stein und sahen den beiden Männern zu, die sich einige Stücke aus dem Fleisch des erlegten Tieres schnitten. Gloophy nahm, wie immer, nichts zu sich. »Seinem Appetit nach müßte er eher die Statur eines Aras haben, der gerade eine Schlankheitskur hinter sich hat«, murmelte Razamon leise. Gloophy sprach bisher zwar nur einige Brocken Pthora, aber er hatte bei verschiedenen Gelegenheiten bewiesen, daß er schnell lernte und vieles von dem ver stand, was die anderen redeten. »Manchmal denke ich«, sagte Koy, »daß er sich von etwas ernährt, das wir nicht ein mal wahrnehmen können – vielleicht von ei ner hyperenergetischen Strahlung.« Atlan nickte. »Das wäre eine Möglichkeit. Aber das macht mir nicht die größten Sorgen.« Razamon grinste und fragte laut: »Du meinst, Gloophy ist wirklich schwan ger?« Razamon hatte kaum ausgesprochen, als der Kopf des Beras hochfuhr und Gloophy dem Atlanter einen undefinierbaren Blick zuwarf. »Schon gut, schon gut!« beeilte dieser sich zu sagen. Auf Englisch flüsterte er At lan zu: »Der versteht jedes Wort, Atlan, und er stellt sich an wie ein zwölfjähriges Mäd chen, dem man die erste Liebeserklärung ge macht hat.« Atlans Miene verriet, daß er das, was of fensichtlich mit Gloophy vor sich ging, überhaupt nicht witzig fand. »Ich glaube, er hat Schmerzen«, sagte er, ebenfalls auf Englisch. »Dieser verdammte Vogel hat ihm etwas unter die Haut gelegt, als Gloophy mit ihm schmuste. Die Stelzer müssen Parasiten sein. Kannst du dir vor stellen, was geschieht, wenn das Ding
Horst Hoffmann wächst und den Velst-Schleier sprengt?« »Ich kann es, aber ich will es nicht«, gab der Atlanter zu. »Wenn unser schweigsamer Freund«, At lan deutete auf Koy, »wenigstens den Mund aufmachen würde. Er weiß ganz genau, was mit Gloophy los ist, aber das Tabu ist zu stark in ihm verwurzelt.« »Ich bin sicher, daß er reden würde, wenn wirklich Gefahr bestünde.« Atlan nickte grimmig. »Hoffentlich hast du recht. Ich glaube, auch Gloophy hat eine Ahnung davon, was sich da auf seinem linken Oberarm bildet. Das weiße Gespinst ist gewachsen. Vorhin konnte ich einen Blick darauf werfen, als Gloophy einen Moment lang seine Hand fortnahm.« »Er fühlte sich vielleicht schon als Mutter – oder als Vater …« Plötzlich schrak Koy heftig zusammen und sah sich ängstlich um. »Fenrir kommt zurück«, stellte Atlan fest. »Es ist Zeit. Wir sollten aufbrechen.« Razamons und Koys Blicke sagten mehr als alle Worte. Atlan fühlte wieder das un bändige Verlangen, umzukehren und einen anderen Weg zur FESTUNG zu suchen. Ebenso wie Razamon wäre er niemals einem Gegner ausgewichen, den man sehen, fassen und fühlen konnte. Aber das hier war etwas völlig anderes. Das Grauen schlug wie ein kalter Hauch von der schwarzen Wand der Dunklen Regi on zu ihnen herüber. »Los!« sagte Atlan nur. Die Gruppe setzte sich in Bewegung, ohne noch länger zu zö gern. Das überschwemmte Flußgebiet lag weit hinter ihnen. Sie waren seit der Rauferei mit den Flüchtlingen aus Skarlotto, in deren Verlauf Bördo entführt wurde, keinen Valja ren mehr begegnet. Es schien, als ob alle Le bewesen die Nähe der Dunklen Region mie den. Sie gingen weiter. Langsam wuchs die dunkle Wand vor ihnen in die Höhe. Irgendwo in dem scheinbar endlosen
Wächter des Goldenen Vlieses Schwarz vor ihnen befand sich das Goldene Vlies. Atlan wurde sich dessen bewußt, daß es nicht genügen würde, das Vlies zu finden. Wenn es für die Wesen von Pthor von solch großer Bedeutung war, wie es den An schein hatte, würden sie früher oder später auf seinen Wächter stoßen. Atlan dachte mit Grauen an die alten Sa gen …
* Die Kilometer bis zum Rand der Dunklen Region waren eine harte Belastungsprobe für Nerven und Willenskraft. Nur Gloophy schien nicht von dem Bann befallen zu wer den, der von der schwarzen Wand ausging. Das undurchdringbar wirkende Dunkel schien Angstimpulse nach allem auszusen den, das sich ihm näherte, und sie wurden stärker, je näher die Gruppe herankam. Selbst als sie nur noch wenige hundert Me ter entfernt waren, konnten sie nicht sehen, womit sie es zu tun hatten. Manchmal wirkte das schwarze Etwas wie ein flimmernder Zerrspiegel. Sobald Atlan, Razamon oder Koy eine Kontur auszumachen glaubten, verschwand sie wieder und machte einem dunklen Wallen Platz, das bis in den Him mel zu reichen schien. Die Freunde brauchten mehr als zwei Stunden, um die relativ kurze Strecke von ihrem Lagerplatz zum Rand der Dunklen Region zurückzulegen. Und dann waren sie heran. Graue Nebel schwaden schwebten auf sie zu und hüllten sie teilweise ein. Gleichzeitig milderte sich der Druck in ihren Köpfen. »So etwas habe ich vermutet«, verkündete Razamon, als sie stehenblieben, um sich zu orientieren. »Was immer sich in diesem dü steren Landstrich verbirgt, hat sich offenbar mit einem Abwehrgürtel umgeben, der uner wünschte Eindringlinge abschrecken soll.« Atlan warf ihm einen skeptischen Blick zu. Er dachte bereits an das, was hier auf sie wartete. Noch befanden sie sich nicht in der eigentlichen Dunklen Region. Der Arkonide
5 vermutete, daß sie in einer Art Vorhang steckten, der sie nach Westen hin abschirm te. »Weiter!« »Es ist wie dunkler Rauch«, sagte Raza mon, während sie in das Ungewisse vor drangen. Mit jedem Schritt verminderte sich die Angst, aber das Unbehagen blieb. »Kein normaler Nebel, er wirkt fast künstlich.« »Und er wird dichter«, fügte Atlan hinzu. »Ich bin sicher, daß wir uns der Quelle nä hern.« Fenrir jaulte plötzlich laut auf und rannte in das Dunkel hinein. Nach zehn Metern war er aus dem Sichtbereich der anderen ver schwunden. »Laß ihn«, sagte Atlan, als Razamon nach dem riesigen Wolf rufen wollte. »Er wird auf uns warten, wenn er etwas gefunden hat.« Der Arkonide nutzte die Gelegenheit und blieb stehen, bis der hinter ihm gehende Koy heran war. Der Trommler hatte immer noch Furcht vor Fenrir und litt stark unter der Ab lehnung des Tieres, die in offene Aggressi vität umschlug, sobald er sich ihm bis auf wenige Meter näherte. »Bist du sicher, daß du alles gesagt hast, was du weißt?« fragte der Arkonide. Koy nickte. Seine kleinen Augen wander ten unruhig hin und her, als ob er jeden Au genblick mit einem Angriff irgendwelcher Spukgestalten rechnete. »Ganz sicher, Atlan. Niemand auf Pthor, von den Herren der FESTUNG abgesehen, weiß, was sich in der Dunklen Region ver birgt. Ich kann nur wiederholen, daß sie bis hinunter zum Mündungsdelta des Xamyhr reicht und etwa fünfzig Kilometer breit sein soll. Wir befinden uns demnach jetzt unge fähr an der Mitte des Landstrichs, wenn man die Längsausdehnung zugrunde legt.« »Es hat wohl wenig Zweck, dich zu fra gen, ob dir etwas eingefallen ist?« erkundig te Atlan sich bei Razamon. »Du sagst es«, antwortete der Pthorer mißmutig. »Obwohl es mir manchmal so vorkommt, als ob …«
6 »Als ob was?« Razamon winkte ärgerlich ab. »Ich melde mich schon, wenn ich mich an etwas erinnere, obwohl ich bezweifle, daß ich oder Angehörige meiner Familie früher jemals in dieser Gegend waren.« Sie marschierten schweigend weiter. Das Dunkel hatte sie nun völlig eingeschlossen. Die Sicht reichte etwa zwanzig Meter weit. Die eigentliche »Landschaft« bestand aus hügeligem Gelände, das von farblosem Gras bewachsen war. Bäume schien es weit und breit nicht zu geben. Sie mochten etwa fünf Minuten gegangen sein, als Razamon stehenblieb. »Was ist?« flüsterte Atlan. »Ein Geräusch vor uns.« Auch Koy und Gloophy hielten an. Die Gruppe stand dicht zusammengedrängt und lauschte. »Da ist es wieder«, zischte Razamon plötzlich. »Es ist Fenrir!« Atlan hörte es nun auch. Ein leises Knur ren, nicht weit vor ihnen. Der Arkonide gab den anderen einen Wink. Langsam schlichen sie weiter. Fenrirs Knurren wurde lauter. Und dann riß der Ne bel plötzlich auf. Der Wolf kauerte in drohender Haltung am Rand einer riesigen Schlucht, deren ge genüberliegendes Ende nur zu sehen war, wenn die aus der Tiefe aufsteigenden schwarzen Dampfschwaden sich hin und wieder teilten. Trotzdem genügte ein einzi ger Blick, um festzustellen, daß die Schlucht gut und gerne einhundert Meter breit sein mußte. Der Nebel war nicht mehr so dicht wie auf dem bisherigen Weg in dieses geheim nisvolle Land. Atlan hörte, wie Razamon laut stöhnte. Als er sich umdrehte, hatte der Atlanter die Augen weit aufgerissen und starrte gebannt auf die schwarzen Dampfschwaden, die aus der Erde stiegen. »Die Teufelsfurche«, murmelte er wie zu sich selbst. »Es ist die Teufelsfurche …«
Horst Hoffmann
* Das Eindringen der kleinen Gruppe in das Randgebiet der Dunklen Region war nicht unbeobachtet geblieben. Hoch über den Ge fährten kreiste ein schwarzes Monstrum, das am ehesten mit einer Riesenfledermaus zu vergleichen war, in den obersten Schichten der Dunkelheit und beobachtete mit seinen mutierten Sinnen jede ihrer Bewegungen, bis sie die Teufelsfurche erreicht hatten. Phiancha wartete, bis die Eindringlinge sich wieder in Bewegung setzten. Als sie ge nug erfahren hatte, drehte sie ab und flatterte über den Cañon zurück in ihre eigentliche Welt. Nach wenigen Minuten war sie am Ziel. Phiancha stieß einen schrillen, für menschliche Ohren nicht wahrnehmbaren Schrei aus und ließ sich wie ein Stein in ih ren Horst fallen. Wenige Meter über dem Boden breitete sie die ledernen Flügel aus und fing den Sturz ab. Das Monstrum machte eine Verwandlung durch. Es legte die Glieder an und senkte den Kopf auf die Brust. Dann schlossen sich die Flügel um den haarlosen Körper, bis Phiancha einer schwarzen Kugel von etwa zwanzig Zentimeter Durchmesser glich. Phiancha wartete. Als sie die Nähe ihres Herrn spürte, öffne te sie ihre Sinne und suchte den Kontakt. Unsichtbare Ströme flossen zu Phianchas Herrn hinüber, bis das Bewußtsein der Fle dermaus geleert war. Phiancha empfing freudige, dankbare Im pulse. Das Monstrum wartete, bis sein Herr sich entfernt hatte, und faltete die Flügel wieder auseinander. Phiancha hatte ihre Aufgabe erfüllt. Noch während sie aufstieg und sich auf die Jagd begab, wußte sie, daß ihr Herr dabei war, die Vorbereitungen zum Empfang der Eindring linge zu treffen. Sie würden auf die gleiche Art und Weise enden wie alle, die bisher versucht hatten, in ihrer Gier nach dem Goldenen Vlies das
Wächter des Goldenen Vlieses Schattenreich zu betreten. Phiancha würde schon bald den Lohn für ihre Dienste erhalten. Vorerst mußte sie sich noch mit den Geschöpfen des Schattenreichs begnügen …
* »Du erinnerst dich, Razamon! Was weißt du über diese Schlucht?« Der Pthorer erwachte aus der Trance und warf Atlan einen fast hilflosen Blick zu. »Ich weiß nichts! Nichts über die Schlucht und nichts über das Land, das da hinterliegt. Nichts über meine Heimat Pthor und die Verbrecher, die sie zu dem machten, was sie heute ist! Verdammt, kannst du nicht mit der Fragerei aufhören?« Der Arkonide wechselte einen betroffenen Blick mit Koy. Fenrir lief um Razamon her um und winselte leise. Mehr als die anderen spürte er die Qualen des Pthorers. »Entschuldige«, brachte Razamon hervor. »Aber es ist grausam. Irgendwo in mir schlummert die Erinnerung, aber es sind im mer nur kleine Stücke, die ins Bewußtsein zurückkehren, wenn ein bestimmter Auslö ser unverhofft auftaucht.« »Die Schlucht war ein solcher Auslöser?« fragte Atlan vorsichtig. »Es ist die Teufelsfurche«, sagte Raza mon. »Das ist alles, was ich dir sagen kann. Auf der anderen Seite beginnt die Dunkle Region. Aber ich habe keine Ahnung, was uns dort erwartet.« Atlan fiel die Karte des alten Kruden ein, der das Goldene Vlies gesehen haben wollte. Er hatte sie sich nur kurz einprägen können, ehe Bördo sie verbrannte. Auf dem Pergament war der Weg in die Dunkle Region eingezeichnet gewesen, aber es war mehr die Darstellung der allgemeinen Marschrichtung gewesen. Atlan hatte sie sich eingeprägt und die Gruppe nach den Markierungen auf der Karte geführt. Jetzt fielen ihm die Schraffierungen ein, die zwei fellos Hindernisse auf dem Weg darstellten, mit denen er aber bisher nicht viel anzufan
7 gen gewußt hatte. Atlans photographisches Gedächtnis re produzierte die Karte. Zwar hatte der dichte Nebel die Orientierung erschwert, aber die langgezogene Schraffierung auf der Karte konnte nur die Schlucht markieren. Dann aber zog sich der Graben bis zur Deltamün dung des Xamyhr hinunter und stellte ein unüberwindliches Hindernis dar. Dennoch war Kruden in die Dunkle Regi on gelangt. Irgendwo mußte sich ein Über gang befinden. Atlans rief sich ihre Position ins Gedächt nis, so gut es unter den gegebenen Umstän den eben möglich war und kam zu dem Schluß, daß sich der Übergang irgendwo im Südosten, also in Richtung der Flußmün dung befinden mußte. Die Freunde besprachen sich und be schlossen, entlang des Cañons südostwärts zu gehen. Ihre Unruhe war weitgehend gewichen. Nur wenn einer der Gefährten zu nahe an die Schlucht herankam, spürte er einen Anflug von Panik. Atlan brachte es fertig, die Angst zu über winden und trat so dicht an den Abgrund heran, daß er in die Tiefe sehen konnte. Es war kein Grund zu erkennen. Das Rauschen von Wasser verriet ihm jedoch, daß sich weit unter ihnen ein Fluß seinen Weg durch den Cañon bahnte. Manchmal glaubte er, die Gischt an die Steilfelsen der Schlucht klat schen zu hören. Der Fluß mußte von unbeschreiblicher Wildheit sein. Atlan hatte den Eindruck, daß die Dunkelheit, die die ganze Region aus füllte, direkt aus der Furche nach oben drang und sich über das Land ergoß. Wieder stieg eine schwarze Wolke aus der Tiefe empor. Sie schien sich aus dem Nichts zu bilden und näherte sich dem Arkoniden mit rasen der Geschwindigkeit. Atlan fühlte Übelkeit in ihm emporkriechen. Irgend etwas wollte in sein Gehirn dringen. Plötzlich drehte sich alles vor seinen Augen, die Konturen lösten sich auf, und er verlor das Gefühl für das Gleichgewicht.
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Horst Hoffmann
Er kam erst wieder richtig zu sich, als er in dem fast farblosen Gras lag. Razamon kauerte über ihm und starrte ihn wütend an. »Wenn du dich unbedingt umbringen willst, gibt es angenehmere Methoden«, hör te er die Stimme des Atlanters. Atlan griff nach Razamons Hand und richtete sich auf. Fenrir sprang an ihm em por und hätte ihn fast postwendend wieder zu Boden befördert, wenn Koy nicht hinzu gesprungen wäre, um ihn zu stützen. Sofort begann der Fenriswolf zu knurren und fletschte die Zähne, woraufhin Koy sich ei lig zurückzog. »Keine Angst«, murmelte Atlan noch ein wenig benommen, »dazu bin ich noch etli che Jahre zu jung. Mit Zehntausend fängt das Leben schließlich erst an.« »Immerhin hast du deinen Humor behal ten«, stellte Razamon fest. »Meinen Galgenhumor«, verbesserte der Arkonide. »Also weiter!« Sie mochten etwa zwei Stunden entlang der Teufelsfurche marschiert sein, als sie die Hängebrücke sahen. Und sie sahen noch etwas anderes. »Verdammt«, war Atlans einziger Kommen tar.
2. Sie nannten sich »Froijos«, was, frei über setzt, soviel wie »Zöllner« bedeutete. Es waren insgesamt sieben. Die Froijos waren humanoid, etwa anderthalb Meter groß, unglaublich dürr und stellten eine Mi schung zwischen einem Gibbon und einem Menschen dar. Das hervorstechendste Kör permerkmal war ein etwa zwei Meter langer, dünner Schwanz, mit dem sie sich an die Planken der schwankenden Hängebrücke klammerten. Bekleidet waren die »Zöllner« mit Fellen von erlegten Tieren und allen möglichen Kleidungsstücken, die sie denen abgenommen hatten, die sich geweigert hat ten, den Preis für die Überquerung der Brücke zu bezahlen und lieber mit Gewalt hinüber zur Dunklen Region gewollt hatten.
Allerdings war das bisher keinem Eindring ling gelungen. Die Froijos hatten kurzen Prozeß mit ihnen gemacht und alles an sich genommen, was sie nur irgendwie gebrau chen konnten. Die Beutestücke, die sich nicht als Bekleidung eigneten, wurden ge sammelt. Immer wenn ein genügend großer Haufen zusammengekommen war, fand sich die gesamte Gruppe der Halbaffen zusam men und »spielte« um die Schätze. Diese »Spiele« sahen in der Regel so aus, daß die Froijos damit begannen, Planke für Planke von einer ganz bestimmten Stelle der Hän gebrücke abzureißen und von einem Ende zum anderen zu springen. Wer als letzter den Sprung zum jeweils anderen Ende schaffte, hatte sich die Beute verdient. Aller dings kam es kaum einmal zu einem solchen Sieg, denn normalerweise fielen die Froijos vorher übereinander her, wenn sie glaubten, daß sie sich gegenseitig bemogelten. Wenn etwa die Hälfte der jeweils wachhabenden Gruppe in die Schlucht gestürzt war, beru higten sich die Überlebenden und teilten sich den Schatz untereinander. Die Charaktermerkmale der Froijos waren Habgier, Grausamkeit und eine gute Portion Verrücktheit. Die Herren der FESTUNG lie ßen sie gewähren, weil sie ihnen, ohne es zu wissen, halfen, die Dunkle Region gegen un erwünschte Eindringlinge abzuschirmen. Das »Spiel« der Froijos war in vollem Gang. Noch vor einer halben Stunde waren es elf Halbaffen gewesen, die sich um die Beute der letzten Monate gestritten hatten. Und es sah so aus, als ob sie in wenigen Mi nuten nur noch sechs sein würden. »Poiko hat gemogelt!« rief ein besonders dürrer Froijo mit schriller Stimme. »Ich hab es genau gesehen! Er hat sich beim Springen mit dem Schwanz angeklammert!« »So?« fragte ein anderer in freudiger Er wartung der nächsten Segeltour eines unge liebten Konkurrenten um die Beute in die Tiefe. Die Froijos sprachen Pthora, und ihre Stimmwerkzeuge brachten verblüffend menschliche Laute hervor. »Das ist nicht wahr!« verteidigte sich Poi
Wächter des Goldenen Vlieses ko, der zu ahnen schien, was ihm blühte. Er sah sich schnell um, aber hinter ihm standen zwei weitere Froijos, die den Sprung vor ihm geschafft hatten, ohne angeblich zu mo geln. »Tassio mogelt selbst, er will nur von sich ablenken!« Aber alle Rechtfertigungsversuche nutz ten nichts mehr. »Tassio, du hast es genau beobachtet?« Der Ankläger bejahte heftig. Natürlich wußte er, daß mindestens der neben ihm ste hende Froijo gesehen hatte, daß er im Au genblick von Poikos Sprung gerade seine vom Spiel arg strapazierte Pelzjacke glattge strichen hatte und gar nichts beobachtet ha ben konnte, aber das Zwinkern seines Ne benmanns hatte ihm schnell klargemacht, daß Poikos Ausscheiden äußerst willkom men war. »Selbstverständlich! Oder will hier je mand behaupten, daß ich lüge?« »Heilige Brücke!« rief einer der hinter Poiko stehenden Froijos. »Das wäre ein star kes Stück!« Poiko suchte verzweifelt nach einer Aus rede, noch verzweifelter nach einer Mög lichkeit, aus der bedrohlichen Lage zu ent kommen. Plötzlich hielt er in der Bewegung inne und starrte auf einen Punkt am Rand der Schlucht, der hinter Tassio und seinen Kumpanen lag. »Fremde!« rief er schrill aus. »Dort kom men Fremde! Neue Beute!« »Typisch«, rief Tassio zurück. »Poiko kann nicht anständig verlieren. Wer das nicht kann, kann auch nicht ehrlich spielen!« Poiko begann aufgeregt zu schnattern. Seine Erregung ließ selbst Tassio unruhig werden. Er drehte sich um und stieß einen ekstatischen Laut aus. »Tatsächlich! Wir bekommen Besuch und neue Beute!« Nun fuhren auch die anderen herum. Sie sahen die Fremden am Rand der Schlucht. Sofort war aller Streit vergessen. Poiko und die beiden hinter ihm stehenden Froijos machten einen Satz über die ausgerissenen Planken hinweg und landeten zwischen ih
9 ren Kumpanen, die mittlerweile ihre Feuer peitschen in den Händen hielten. »Was schätzt du?« fragte einer der Froijos Tassio. Der Halbaffe betrachtete die Fremden und entblößte eine Reihe gelber Zähne. »Mindestens 200 Quorks«, kreischte Tas sio begeistert. »Wir werden mit ihnen han deln …«
* »Das kann heiter werden«, brummte At lan, als er die Affenwesen auf der primitiven Hängebrücke sah. Sie bestand aus vier star ken Seilen. Die oberen beiden dienten offen bar zum Festhalten, während an den unteren die schmalen Holzplanken befestigt waren. »Vielleicht sind sie harmlos«, meinte Koy. »Sehr gefährlich sehen sie nicht aus.« »Abwarten«, murmelte Razamon. »Die Stöcke in ihren Händen könnten Waffen sein. Wir dagegen haben nur ein Messer.« »Und Koys Broins«, sagte Atlan. »Also los. Versuchen wir, uns mit ihnen zu ver ständigen. Sie müssen von der Brücke her unter.« Razamon trat zwei Schritte auf den Rand der Schlucht zu und verzog das Gesicht. »Wenn wir das bloß schon hinter uns hät ten …« Atlan gab keinen Kommentar. Er fragte sich selbst, ob sie überhaupt in der Lage wa ren, die Schlucht auf der Brücke zu überque ren, selbst wenn die Wesen vor ihnen keine Schwierigkeiten machten. Nur Gloophy schien als einziger von ihnen immun gegen die Wirkung zu sein, die der Anblick der aus der Tiefe aufsteigenden Dunkelheit in ihnen auslöste. Sie erreichten die Stelle, an der die Brücke am Rand der Schlucht verankert war. Atlan holte tief Luft und sah die Ge fährten der Reihe nach an. Fenrir winselte leise und drückte sich an seine Seite, als ob er ihm Mut machen wollte. »Traust du dir zu, mitzukommen?« fragte der Arkonide den Trommler. »Eventuell
10 brauchen wir deine Broins.« Koy preßte die Lippen unter dem Schnauzbart zusammen und nickte. Gemeinsam mit Atlan betrat er die schwankende Brücke. Razamon blieb mit Gloophy und Fenrir vorerst zurück, um den Rand der Teufelsfurche gegen unliebsame Überraschungen abzusichern. Die mit Lumpen und Fellen bekleideten Halbaffen warteten etwa zwanzig Meter vom Rand der Schlucht entfernt auf der Brücke. Atlan und Koy hielten sich an den beiden oberen Seilen fest. Nach anfängli chem Schwindelgefühl gewöhnten sie sich überraschend schnell an die Schlingerbewe gungen der Brücke. Ihr gefährlichster Feind war nicht der Schwindel, sondern die fast hypnotische Wirkung der aus der Tiefe auf steigenden Dunkelheit. »Halt!« rief einer der Halbaffen, als sie bis auf drei Meter heran waren. »Froijos!« Atlan hielt Koy fest. Er wunderte sich über die recht eigenartige Art der Vorstel lung, assoziierte aber sofort den Begriff »Zöllner«. Der Arkonide stieß ein halblautes Stöhnen aus, als er begriff, weshalb diese seltsamen Wesen sie auf der Brücke erwar teten. »Ich hätte es mir denken können«, flüster te er Koy zu. »Wir sind sicher nicht die ein zigen, die das Goldene Vlies suchen. Hören wir, was sie wollen.« »Wir sind Froijos«, wiederholte der Halb affe, der offenbar der Anführer der Gruppe war. »Ihr wollt über die Brücke?« »Intelligent ist er auch noch«, flüsterte der Arkonide Koy sarkastisch zu. Zu dem »Zöllner« gewandt, sagte er: »Das ist allerdings unsere Absicht. Und ich nehme an, daß wir dafür bezahlen müs sen, stimmt's?« Der Halbaffe drehte sich zu seinen Kum panen um und verzog das Gesicht. »Ich sehe, daß wir uns verstehen«, schrill te die Stimme des Wesens. »Wenn ihr über die Brücke wollt, müßt ihr 220 Quorks be zahlen.« Der Sprecher der »Zöllner« wurde von
Horst Hoffmann seinem Nebenmann angestoßen. Der zweite Halbaffe flüsterte ihm etwas ins Ohr. »250 Quorks!« korrigierte sich der »Zöllner« und deutete auf Gloophy. »Für diesen Riesen müssen wir eine höhere Ge bühr berechnen.« Atlan vergaß für einen Augenblick den Ernst ihrer Situation und ertappte sich dabei, wie er sich über die Strolche amüsierte. Das war ein Fehler. Er merkte es erst, als er einen Schritt auf seinen »Verhandlungspartner« zu machte, um ihm zu erklären, was er von dessen Preisvorstel lungen hielt. Atlan erkannte die Armbewegung des Halbaffen im Ansatz und duckte sich in stinktiv. Die Peitsche fuhr in die Höhe. Aus dem etwa anderthalb Meter langen Stab lös te sich ein rotglühendes Knäuel, das sich aufrollte, als das Wesen den Arm nach vorne warf. Im nächsten Augenblick hörte der Ar konide Koys Aufschrei. Atlan fuhr herum. Die Hängebrücke sch lingerte heftig, und er konnte gerade noch eines der Halteseile greifen. Koy hatte sich die Hände vor das Gesicht geschlagen und stöhnte. Atlan glaubte, einen Moment lang ein helles Flimmern zu sehen, das seinen Kopf umspielte. »Zurück!« schrie der Arkonide Razamon zu, der sich dazu anschickte, auf die Brücke zu stürmen, um den Freunden zu helfen. At lan erfaßte die Situation schnell. Die Halbaf fen waren ihnen auf der schwankenden Brücke mit ihren seltsamen Peitschenwaffen überlegen. »Was ist los, Koy?« Der Trommler nahm Atlans Hand und klammerte sich daran fest. Er zitterte heftig, als er versuchte, wieder Halt zu finden. »Es ist schon gut«, stöhnte Koy. »Es brennt nur fürchterlich in meinen Broins …« Der Arkonide vergaß für einen Augen blick die Affenwesen und betrachtete die fühlerartigen Auswüchse an Koys Stirn. Sie vibrierten heftig und drohten unkontrolliert aneinanderzuschlagen. Die Broins stellten eine furchtbare Waffe dar. Wenn Koy die
Wächter des Goldenen Vlieses Kontrolle über sie verlor … »Nicht, Koy!« Atlan schloß unwillkürlich die Augen, als die Auswüchse zusammenschlugen. Aber nichts geschah. »Verdammt!« fluchte Atlan. Koys Blick sagte alles. Er mußte unter furchtbaren Schmerzen leiden. Was immer auch hinter den Waffen der »Zöllner« steckte – es hatte offenbar Koys Broins außer Funktion ge setzt. Atlan winkte Razamon zu, am Rand der Schlucht zu bleiben und auf Fenrir aufzupas sen, der immer unruhiger wurde. Dann dreh te er sich langsam um und sah den Sprecher der Halbaffen mit grimmiger Miene an. »Also gut, ihr habt alle Trümpfe in der Hand. Laßt uns handeln.« Der Affe wirkte einen Moment lang ver wirrt. Natürlich konnte er nicht wissen, was ein »Trumpf« war, aber er schien zu begrei fen, was der Arkonide hatte sagen wollen. »250 Quorks – das ist der Preis. Entweder ihr bezahlt, oder ihr kommt nicht über die Brücke. Natürlich könnt ihr es auch mit Ge walt versuchen …« Der Sprecher drehte sich kurz zu seinen Kumpanen um und stieß einen kreischenden Laut aus. Die anderen fielen schnatternd ein und produzierten einen Höllenlärm. Der Arkonide konnte sich denken, wor über sie sich amüsierten. »Wir haben keine 250 Quorks«, rief er so laut, daß er das Schnattern übertönte. Die »Zöllner« verstummten und steckten die Köpfe zusammen. Dennoch behielten sie Atlan und Koy im Auge. Eine schwarze Wolke stieg aus der Tiefe auf. Atlan spürte, wie ihn der Schwindel packen wollte. Er versuchte, sich nur auf die Affenwesen zu konzentrieren. Erleichtert stellte er fest, daß es half. Endlich trat der Sprecher wieder vor und entblößte seine Zähne. »Es gibt noch eine Möglichkeit«, rief er. »Und die wäre?« »Ihr könnt passieren, wenn ihr auf der an deren Seite den Pelchwagen besteigt.«
11 »Was soll das nun wieder?« murmelte der Arkonide. Was war ein Pelchwagen? Du mußt darauf eingehen! meldete sich der Extrasinn. Egal, was dahintersteckt. Es kommt jetzt darauf an, über die Brücke zu gelangen. Es ist die einzige Chance! »Ihr laßt uns übersetzen? Ohne Bezah lung?« »Nur, wenn ihr den Pelchwagen besteigt.« Atlan versuchte, in der Miene seines Ge genübers zu lesen. Er ahnte, daß irgendeine Teufelei hinter dem Vorschlag steckte. Aber was? Stimme zu! Es ist die einzige Möglich keit! »Wer sagt euch, daß wir den … Pelchwa gen auch tatsächlich besteigen, wenn wir drüben sind?« »Ihr werdet es tun«, erklärte der Halbaffe, als ob es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt gäbe. Was ist los? Willst du hier Wurzeln schla gen? drängte der Extrasinn. Atlan sah sich nach den Gefährten um. Razamon hatte Mü he, den Wolf zurückzuhalten. Er mußte han deln, wenn es nicht zur Katastrophe kom men sollte. »Also schön«, stieß er hervor. »Wir wer den den Pelchwagen besteigen. Könnt ihr uns wenigstens sagen, was uns erwartet?« Wieder begannen die Froijos zu krei schen. Sie schienen sich köstlich zu amüsie ren. »Ihr werdet es früh genug erfahren«, ver sicherte ihr Sprecher. »Der Weg ist frei, ihr könnt passieren!« Atlan sah das Loch in der Brücke und deutete auf die abgerissenen Planken, die hinter den Froijos gestapelt und an einem der Halteseile festgebunden waren. »Ihr erwartet doch nicht, daß wir da hin überspringen? Ich verlange, daß ihr die Brücke in Ordnung bringt.« »Nicht einmal springen können sie«, rief der Sprecher seinen Kumpanen zu. »Was sind das nur für Wesen …« Atlan hielt sich die Ohren zu, als das Ge
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schnatter erneut ertönte. Auf einen Wink ihres Anführers hin be gannen die »Zöllner« damit, die aufgerisse ne Brücke zu reparieren. Nur wenige Minuten später war die Hän gebrücke in Ordnung. Atlan und Koy zogen sich zum Rand der Schlucht zurück und machten Platz für die Froijos, die in einer Art feierlicher Zeremonie, die Peitschen in der Hand, an den Gefährten vorbeimar schierten, um sich in sicherer Entfernung hinzusetzen. Das Überqueren der Brücke durch Fremde schien ein ganz besonderes Schauspiel für sie zu sein. »Also los«, forderte Atlan die Freunde auf. »Konzentriert euch auf irgend etwas und versucht, die Dunkelheit gar nicht wahr zunehmen, dann wird es schon klappen.« »Ein schöner Trost«, knurrte Razamon und sah hinüber zu den sieben am Boden kauernden Gestalten. »Ich könnte ihnen ein zeln den Hals umdrehen.« »Versuch's lieber nicht«, stöhnte Koy. Sie betraten die Brücke. Zuerst Atlan, dann Razamon, Fenrir und Koy. Gloophy betrat als letzter die Planken.
* Sie waren heil auf der anderen Seite der Schlucht angelangt – außer Gloophy. »Nun mach schon!« schrie Razamon dem Bera zu, der etwa noch fünfundzwanzig Me ter vom Rand der Schlucht entfernt auf der schwankenden Hängebrücke stand und um sein Gleichgewicht kämpfte. Das Antimate riewesen war immer wieder stehengeblieben und hatte sich die rechte Hand auf den lin ken Oberarm gepreßt, wo sich das weiße Gespinst befand. »Er hat Schmerzen«, murmelte Atlan. »Hätten wir diesen Vogel nur nie getroffen.« »Ich glaube eher, daß er Angst um sein …« Razamon suchte nach Worten, »… um sein Junges hat …« Atlan sah den Freund fragend an, aber diesmal konnte er kein Anzeichen von Belu stigung im harten Gesicht des Atlanters er-
kennen. Gloophy stand unschlüssig auf der Brücke und versuchte, das Schwanken des primiti ven Übergangs durch entsprechende Körper bewegungen auszugleichen, was jedoch nur ein noch heftigeres Schlingern auslöste. Gloophy war mittlerweile bis auf etwa zehn Meter an den Rand des Cañons heran. »Um Himmels willen!« stieß der Arkoni de aus. »Halt dich fest, Gloophy!« Aber der Bera schien ihn überhaupt nicht zu hören. Er war ganz offensichtlich in Pa nik geraten und stieß schrille Schreie aus. Gloophy versuchte, an der linken Leine Halt zu finden, während er die rechte Hand nicht von dem Gespinst an seinem Arm nahm. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und rutschte von den Planken ab. Zwei der Holz latten brachen unter seinem immensen Ge wicht. »Die Brücke reißt«, schrie Razamon, »wenn er nicht sofort …« Aber es war schon zu spät. Das Halteseil, an dem der Bera sich festgeklammert hatte, riß hinter dem Zweieinhalbmeterriesen aus einander. Gloophy warf sich instinktiv nach vorne und klammerte sich an die erstbesten unbeschädigten Planken. »Gloophy!« rief Atlan verzweifelt. Raza mon mußte ihn mit Gewalt von der Brücke zurückhalten. Und dann war es soweit. Die drei restli chen Seile rissen gleichzeitig. Die Hänge brücke sauste in die Tiefe, und der Bera mit ihr. Atlan, der so nahe wie möglich an den Rand der Schlucht getreten war, sah, wie Gloophy zwischen den Planken hing und im Bogen nach unten fiel. Dann hörte er das Bersten von Holz und einen schrillen Auf schrei, als Gloophy mit dem Rest der Hän gebrücke gegen die Steilwand des Schlucht einschnitts klatschte. »Melde dich, Gloophy!« Atlan hörte ein leises Wimmern. Der Bera lebte! Er mußte sich irgendwo unter ihnen in den Felsen festgeklammert haben. Drüben, auf der anderen Seite, hob ein unbeschreibliches Schnattern und Kreischen
Wächter des Goldenen Vlieses an. Ohnmächtige Wut erfaßte den Arkoni den, der sich in diesem Moment nur wünschte, eine Skerzaal zur Hand zu haben. »Wir versuchen, ihn hochzuziehen«, sagte Razamon. Wie sollten sie es fertigbringen, den fünf Zentner schweren Koloß aus zehn Meter Tiefe zu ihnen heraufzuziehen, ohne daß auch der Rest der Brücke abriß? Es blieb ihnen keine andere Wahl. »Halt mich fest«, forderte Atlan den Ptho rer auf. Dann legte er sich flach auf den Bo den und kroch bis zum äußersten Rand des Einschnitts. Razamon hielt ihn an den Fü ßen. Am Ende der Brücke hing Gloophy zwi schen den Planken und baumelte hilflos zwi schen zwei hervorstehenden Felsvorsprün gen. Mit einer Hand hatte er sich an der Wand festgeklammert. »Wir versuchen es«, sagte Atlan. Er sah sich um. Allein schaffte er es auf keinen Fall, Gloophy an den Seilen hochzuziehen. Die Verankerung der Hängebrücke befand sich einige Zentimeter unterhalb des Schluchteinschnitts. »Du mußt zu mir kommen, Razamon. Koy, du versuchst, uns an den Füßen zu hal ten, so gut es geht!« Der Trommler nickte und kam der Auf forderung nach. Atlan und Razamon lagen auf dem Bauch und griffen nach den Seilen. Mit fast über menschlicher Kraftanstrengung gelang es ih nen, sie soweit hochzuziehen, daß sie die er sten Holzplanken packen konnten. Drüben johlten die Froijos über das herrli che Spektakel. Razamon fluchte hemmungs los. Mit vereinten Kräften gelang es den bei den Männern, die Hängebrücke zwei Meter hochzuziehen. Sie krochen langsam rück wärts, um einen sicheren Halt zu finden. Gerade als sie glaubten, daß sie nun leich tere Arbeit haben würden, verhakte sich die Brücke. Die Seile ließen sich keinen Zenti meter weiter ziehen. »Verflucht«, brummte der Atlanter. »Sie
13 hängt fest. Und was jetzt?« »Der Fels dort«, preßte Atlan hervor. »Ich halte fest, hänge du die Planken darüber.« Razamon verstand. Als sie die Brücke derart verankert hatten, schob Atlan sich wieder bis zum Rand der Schlucht. »Es ist Gloophy! Er klammert sich an den beiden Vorsprüngen fest!« Der Arkonide rief nach dem Bera, aber Gloophy zeigte keine Reaktion. »Ich weiß, was du vorhast«, sagte Raza mon, als Atlan sich aufrichtete. »Das ist Wahnsinn!« »Willst du ihn dort unten hängen lassen?« Der Arkonide warf einen grimmigen Blick hinüber zu den Froijos, die gerade hinter ei ner Wolke aus aufsteigender Dunkelheit ver schwanden. »Wir werden ihnen ihr Schau spiel bieten.« Bevor Razamon weiter protestieren konn te, hatte Atlan eines der Seile ergriffen und schob sich rückwärts auf den Schluchtrand zu. Einen Augenblick lang baumelten seine Beine im Nichts, dann fand er einen Halt an den Felsen und verschwand bis zur Brust hinter dem Abhang. »Du bist ein Dickkopf«, murmelte Raza mon. »Eines Tages wirst du sehen, was du davon hast.« »Das hoffe ich auch«, konterte der Arko nide grinsend. Dann verhärteten sich seine Züge wieder, und er begann mit dem gefähr lichen Abstieg. Die Felsen boten einen relativ guten Halt. Außerdem hatte Atlan die Seile. Die Gefahr kam direkt aus der Tiefe. Wenn er nicht auf paßte und in den Bann der Dunkelheit geriet … Das Schlimmste war der Blick hinunter in die Schlucht, aus der unablässig die unheim liche Schwärze aufstieg. Der Arkonide riß sich an den spitzen Vor sprüngen die Hände auf und biß die Zähne zusammen. Der Schmerz lenkte von der Dunkelheit ab. Dennoch spürte Atlan, wie etwas nach seinem Bewußtsein zu greifen versuchte, je weiter er nach unten kletterte. Ein weiterer Blick hinab. Noch vier Meter
14 bis zu den beiden Felsvorsprüngen, zwi schen denen Gloophy hing! Der Bera rührte sich nicht. Wenn er Atlan bemerkte, dann reagierte er nicht. Atlan holte Luft und stieg weiter ab. Er schwitzte heftig, was nicht allein an der nervlichen und körperlichen Anstrengung lag. Es war unerträglich warm, fast schwül. Noch drei Meter! Wenn er erst einmal auf einem der Vorsprünge stand … Atlan wartete, bis er einen sicheren Halt gefunden hatte, und sah dann wieder zu Gloophy hinab. Er blickte direkt in eine Wolke von Finsternis, die zu ihm hinauf schwebte. Dies geschah so plötzlich, daß At lan erst gar nicht dazu kam, schnell genug zu reagieren. Die Schwärze hüllte zuerst Gloophy ein, dann den Arkoniden. Er hörte, wie Razamon ihm von oben etwas zurief, aber er verstand die Worte nicht. Die Dunkelheit drang in sein Gehirn, lähmte den Willen, drohte ihm den Atem zu nehmen. Atlan zitterte am ganzen Körper. Er wuß te nicht mehr, wo er sich befand. Plötzlich war ein unheimliches Flüstern in seinem Be wußtsein, als ob tausend Dämonen auf ihn einredeten. Aus dem Wispern wurden Stim men – unmenschliche Stimmen, die ihn zu locken begannen. Von irgendwoher kam ein stechender Schmerz, aber er reichte nicht aus, um den Arkoniden zur Besinnung zu bringen. Die Stimmen wurden deutlicher und drängender. Komm zu uns! lockten sie. Hinab zu uns! Atlan hatte die Augen geschlossen, aber plötzlich drangen farbige Bilder von unbe schreiblicher Strahlkraft von überall auf ihn ein. Die Stimmen veränderten sich. Sie wur den sanft und melodisch. Ein Bewußtseinsfunke durchfuhr den Ar koniden. Die Stimmen der Sirenen aus der griechischen Sage! Konzentriere dich! drang eine andere un hörbare Stimme auf Atlan ein. Einen kurzen Augenblick lang begriff der Arkonide, daß sein Extrasinn versuchte, ihn dem fremden Bann zu entreißen, aber der Sirenengesang
Horst Hoffmann schwoll an und übertönte alles andere. Nur hinab! Ins Paradies! Keine Sorgen mehr, nur die unendliche Erfüllung … Atlan verlor endgültig jeden Bezugspunkt zur eigenen Identität. Er war nur noch ein Spielball der fremden Stimmen und Bilder. Er merkte nicht, wie sich seine Hände um die Seile schlangen, wie er langsam ab rutschte, als er längst den Halt unter den Fü ßen verloren hatte. Er fühlte nicht mehr den Schmerz, als sich die Innenflächen seiner Hände an den rauhen Seilen aufrieben. Der Gesang schwoll an, bis etwas in At lans Bewußtsein in einem gewaltigen, farbi gen Crescendo zersprang. Er ließ die Seile los. Einige Augenblicke lang schwebte er in dem Gefühl einer allumfassenden Glückse ligkeit. Dann zerriß etwas die Illusion. Die Welt versank in einem Meer zersplitternder Farben und löste sich in Schwärze auf …
* Schmerzen! Atlan schlug die Augen auf. Alles schien sich über ihm zu drehen. Einmal sah er den Rand der Schlucht, dann glaubte er, zwei vertraute Gesichter zu erkennen. Irgend etwas bewegte sich neben ihm! Atlan atmete tief durch, und langsam kehrten die Erinnerungen und die Fähigkeit des klaren Denkens zurück. Die Schlucht, Gloophy, der Abstieg, die Schwärze … Der Arkonide richtete sich mit einem Ruck auf. Im letzten Moment konnte er sich an einem scharfen Felsvorsprung festhalten. Furchtbare Schmerzen brachten ihn vollends zur Besinnung. Atlan befand sich auf einem der beiden aus der Wand ragenden Vorsprünge, direkt neben Gloophy, der ihn aus aufgerissenen Augen ansah. Der Arkonide kroch so weit auf die Steilwand zu, daß er Halt hatte. Er sah das Blut an seinen Händen und Armen und seine zerrissene Kleidung. Der Rücken schmerzte, als ob das Rückgrat gebrochen wäre.
Wächter des Goldenen Vlieses Glücklicherweise war er relativ unver letzt. Der Sturz auf den Felsvorsprung war nicht allzu tief gewesen. Atlan fehlte die Er innerung an das, was während der letzten Minuten geschehen war. Aber er wußte, daß er verloren gewesen wäre, wenn er nicht auf der kleinen, aus der Wand ragenden Fels platte gelandet wäre, als er die Seile losge lassen hatte. »Bist du in Ordnung, Atlan?« hörte er Razamons Stimme. Er sah auf. Der Atlanter hatte sich bis zur Brust über den Rand der Schlucht geschoben. »So kann man es nennen«, brummte At lan. »Was ist mit Gloophy? Er bewegt sich!« Atlan vergaß seine Schmerzen und drehte sich zu dem Bera um. Gloophy klammerte sich immer noch an den Felsen und den Planken der Leiter fest. »Hörst du mich, Gloophy?« Der Bera stieß ein leises Wimmern aus. »Wir müssen dich hier herausholen, Gloo phy. Allein schaffe ich es nicht. Du mußt mir helfen.« Wieder erklang das schrille Wimmern. Aber Atlan glaubte herauszuhören, daß das Antimateriewesen verstand. Plötzlich fiel der Blick des Arkoniden auf das weißte Gespinst auf Gloophys linkem Oberarm, der jetzt unbedeckt war. Das weiße Geflecht pulsierte heftig! Gloophy hatte Atlans Blick bemerkt. Er schrie gepeinigt auf und ließ den Fels los. Einen furchtbaren Augenblick lang schien er den Halt zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Die rechte Hand legte sich auf das pulsierende Etwas. Nur noch mit der linken hielt der Bera sich an zwei Seilen gleichzei tig fest. Die Planken waren mittlerweile zer brochen. Aber die Seile hielten – vorerst. Atlan rea gierte sofort. »Zieh jetzt, Razamon!« rief er dem Atlan ter zu. Gloophy hing freischwebend zwi schen den Felsen. Razamon verlor keine Se kunde. Unendlich langsam glitt der massige Körper des Beras nach oben.
15 Atlan warf einen schnellen Blick an dem Vorsprung vorbei in die Tiefe. Noch verhielt die Schlucht sich relativ ruhig. Langsam, aber sicher näherte sich das En de der Hängebrücke mit Gloophy dem Rand der Steilwand. Atlan verlor keine Zeit mehr und kletterte ebenfalls nach oben. »Beeile dich«, rief Razamon. »Unter dir braut sich wieder einiges zusammen!« Atlan biß die Zähne aufeinander und ver doppelte seine Anstrengungen. Er spürte sei ne Hände mittlerweile kaum noch. Trotzdem erschien es ihm wie eine halbe Ewigkeit, bis er endlich den Oberkörper über den Rand schob und von zwei starken Armen gepackt wurde. »Es hat ihnen die Sprache verschlagen«, grinste Razamon. Erst nach einer Weile begriff Atlan, was der Freund meinte. Das Gejohle auf der anderen Seite der Schlucht war verstummt. Atlan lag reglos auf dem Rücken und ver suchte, wieder zu Kräften zu gelangen. Aber die Dunkle Region ließ ihnen keine Zeit zum Ausruhen. Von irgendwoher kam ein knatterndes Geräusch. Es näherte sich.
3. Jener Teil von Pthor, den die Bewohner des Dimensionsfahrstuhls die »Dunkle Regi on« nannten, erstreckte sich in einer Breite von rund 50 Kilometer zwischen dem Fluß Xamyhr und der nordöstlichen Küste Pthors. Vom Nordostzipfel des Inselkontinents reichte sie bis zum Mündungsdelta des Xa myhr hinab. Ihre Länge betrug etwas mehr als 200 Kilometer. Die eigentliche Grenze der Dunklen Regi on zum Land im Westen hin bildete die »Teufelsfurche«, die parallel zur Küste ver lief und sich ebenfalls fast bis zum Mün dungsdelta hinunterzog. Durch die aus der Schlucht steigende Dunkelheit hatte die Re gion ihren Namen erhalten. Wer sich ihr nä herte, glaubte, eine schwarze Wand vor sich
16 zu sehen. Aber die Dunkelheit ergoß sich nicht nur über jenen schmalen Grenzstreifen im We sten, sondern über die gesamte Dunkle Regi on. Zwar herrschten dort bessere Lichtver hältnisse als in unmittelbarer Nähe des Cañons, aber immerhin dominierten tags über Düsternis und tristes Halbdunkel. In der Nacht war es völlig finster. Kein Stern stand je am Himmel über der Dunklen Regi on. Doch nicht nur die ewige Dunkelheit machte die Lebensverhältnisse in diesem Teil von Atlantis unerträglich für Wesen, die sich nicht durch jahrtausendelange Mutation angepaßt hatten. Die Atmosphäre war stickig und feuchtwarm, und die Temperatu ren lagen bei Tag und Nacht nicht unter dreißig Grad. Im Gegensatz zu der spärlichen Vegetati on auf der anderen Seite der Teufelsfurche bestand die Pflanzenwelt aus mannshohem, dornigen Gestrüpp, das teilweise derart zu sammengewachsen und verfilzt war, daß es kein Durchkommen gab. Außer diesen Ran kengewächsen, die fast überall anzutreffen waren, gab es mutierte Pflanzen, die vor al lem in den ausgedehnten Sumpfgebieten zu finden waren. Die Tierwelt stand der Flora in ihrer Monstrosität in nichts nach. Nur die Wesen, die sich den Lebensverhältnissen in der Dunklen Region durch fortgesetzte Mu tation angepaßt hatten, waren am Leben ge blieben. Hinter dieser grausamen Fassade verbar gen sich uralte Geheimnisse. Der größte Schatz der Dunklen Region jedoch war das Goldene Vlies. Er war von so großer Wichtigkeit für die Herren Pthors, daß die FESTUNG einen Wächter zu seiner Bewachung in die Dunkle Region geschickt hatte, der in den seltenen Fällen, in denen es Eindringlingen gelang, die Tücken der Dunklen Region zu überle ben, dafür sorgte, daß ihr Weg ein schnelles Ende fand. Bisher hatte er diese Aufgabe zur Zufriedenheit seiner Auftraggeber erfüllt, und es konnte kein Zweifel daran bestehen,
Horst Hoffmann daß dies auch nun der Fall sein würde, nach dem Phiancha ihm die Ankunft der fünf Fremden angekündigt hatte. Der Wächter bereitete sich auf den Emp fang der Eindringlinge vor. Er schickte ih nen seinen Boten. Phiancha kehrte von einem weiteren Er kundungsflug zurück und ließ ihren Bewußt seinsinhalt in den Wächter überfließen. Er verspürte Genugtuung. Alles verlief nach Plan.
* Atlan hatte sich bereits wieder aufgerich tet. Er spürte die belebenden Ströme des Zellaktivators, ohne den er wahrscheinlich Tage gebraucht hätte, um wieder zu Kräften zu kommen. Erst durch Razamon hatte er er fahren, was beim Abstieg mit ihm gesche hen war. Auch Gloophy hatte offenbar den Schock überwunden. Der Bera wanderte unruhig hin und her und nahm die rechte Hand nicht von seinem linken Oberarm. Atlan hatte Raza mon und Koy von seiner Beobachtung er zählt, als das Antimateriewesen, das im Schutz seines Velst-Schleiers in einer »normalen« Umgebung existieren konnte, noch benommen am Boden lag. Seitdem hatte der Arkonide das Gefühl, daß Gloophy ihn genauer als vorher beob achtete. Atlan erinnerte sich daran, daß Gloophy während der Floßfahrt auf dem über die Ufer getretenen Xamyhr und später, als sich die Gruppe auf der »Flucht« vor rauflustigen Valjaren auf die Dunkle Region zu bewegte, angefangen hatte, zunächst konfuse, dann zusammenhängende und sinnvolle Sätze in Pthora zu sprechen. Seitdem sie in die Rand bezirke der Dunklen Region eingedrungen waren, hatte das Antimateriewesen ge schwiegen. Atlan war sicher, daß es mit dem Gespinst an seinem Oberarm zusammen hing. Irgend etwas wuchs dort heran, und das Pulsieren hatte endgültig gezeigt, daß dieses
Wächter des Goldenen Vlieses Etwas lebte! Sowohl die Valjaren als auch Koy redeten nicht über die seltsamen Stelzer, Schmarot zervögel, die ihre Eier (oder vergleichbare Keimträger) unter die Haut wehrloser We sen setzten. Sie stellten ein scheinbar un überwindbares Tabu für sie dar. Aber Gloophy war ein Wesen aus Anti materie! Was auch immer normalerweise aus den abgelegten Eiern der Parasiten schlüpfte – bei Gloophy bestand die Gefahr, daß sich etwas völlig andersgeartetes ent wickelte. Atlan ging davon aus, daß die her anwachsenden Nachkommen der Parasiten einen großen Teil ihrer »Nahrung« aus der Körpersubstanz des Wirtes bezogen. Atlan nahm sich vor, Koy bei der näch sten Gelegenheit zur Rede zu stellen. Er durfte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn der Velst-Schleier des Beras platzte. Aber auch, wenn es nicht zur Kata strophe kam, bestand weiterhin die bange Frage, was sich aus der »Symbiose« zwi schen dem Ableger des Vogelwesens und dem Bera entwickeln würde. Razamons Stimme riß den Arkoniden aus seinen Gedanken. »Dort vorne!« rief der Atlanter und zeigte auf eine Bresche zwischen zwei ausgedehn ten Gruppen der seltsamen Dornengewäch se, die an einigen Stellen bis zum Rand der Schlucht reichten. Die Gefährten waren noch keinen Meter weit in die eigentliche Dunkle Region eingedrungen. Fenrir lief unruhig zwischen ihnen hin und her und knurrte drohend, was Koy dazu veranlaßte, lieber im Hintergrund zu blei ben. Das Knattern war nun ganz nahe. Irgend etwas brach mit vehementer Gewalt durch die Dornenbüsche und schob alles zur Seite, das sich ihm in den Weg stellte. Dann tauchte in der Bresche ein flaches, schwarzes Gefährt auf und schob sich auf die Freunde zu. Etwa fünfzehn Meter vor ih nen hielt es an. Das Knattern verstummte, aber Atlan hörte deutlich das Summen von Motoren.
17 »Der Pelchwagen«, murmelte er. Er sah sich das Gefährt genauer an. Auf der ihnen zugewandten Seite konnte er acht Räder er kennen, die ihn an die Kette einer Raupe er innerten. Über dem Chassis hing eine schmutzige Plane, die den Blick ins Innere des Wagens verdeckte. »Ich sehe keinen Fahrer«, sagte Koy leise. »Die Affen sprachen davon, daß wir ihn besteigen sollten«, überlegte der Arkonide. »Mehr noch – sie waren vollkommen sicher. Sie wußten also, daß uns dieses Ding abho len würde. Ich frage mich nur, wer es ge schickt hat.« »Wir dürfen den Wagen nicht besteigen«, warnte Razamon. Atlan erschrak über den Klang seiner Stimme. Wieder hatte er das Gefühl, daß Razamon eine plötzliche Erin nerung hatte. »Laß uns um Himmels willen deine Ab machung mit diesen Verrückten vergessen, Atlan. Wenn wir diesen Wagen besteigen, geschieht ein Unglück! Ich kenne deine Fra ge, aber glaub mir, daß ich nichts Konkrete res sagen kann. Irgendwo in mir gibt es eine Erinnerung an diese Kutsche, genau wie an die Schlucht. Aber sie steckt unter einem un durchdringlichen Schleier. Es ist ein Teu felsding! Laß uns zu Fuß weitergehen.« Razamons beschwörende Worte wurden von Fenrirs wildem Knurren begleitet. Atlan sah den Freund nur kurz an. Razamons Mie ne sagte ihm genug. »Also gut«, meinte der Arkonide. »Versuchen wir's.« Razamon atmete auf. Gloophy sah Atlan abwartend an. Der Arkonide zweifelte nicht daran, daß der Bera jedes Wort ihrer Unter haltung verstanden hatte. Wenn er doch nur reden würde! Sie setzten sich in Bewegung, an dem wartenden Pelchwagen vorbei. Das Fahr zeug zeigte keine Reaktion. Atlan wäre wohler gewesen, wenn sich irgend etwas er eignet hätte. Vielleicht eine verborgene Waffe, die in Aktion getreten wäre, eine Stimme aus einem unsichtbaren Lautspre cher, die sie zum Einsteigen gezwungen hät
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te – irgend etwas! Nichts rührte sich. Wie ein paar Diebe, die jeden Augenblick damit rechnen mußten, auf frischer Tat ertappt zu werden, schlichen die Gefährten in weitem Bogen an dem Wa gen vorbei. Atlan hatte nur einen Gedanken. Er dach te an die Ankündigung des FroijosSprechers. Die Worte des Affenwesens hallten in sei nen Ohren. Ihr werdet es tun! Nur wenige Minuten später wußte Atlan, was die Froijos so sicher gemacht hatte.
* Nachdem sie es an allen möglichen Stel len und in allen Richtungen versucht hatten, wußten sie, daß der Boden rings um den Übergang herum sumpfig und vollkommen unbegehbar war. Dazu kamen die gefährlich wirkenden Schlingpflanzen, deren Ausläufer wie Schlangen wenige Zentimeter unter der Oberfläche des wäßrigen Bodens lagen und nach allem schnappten, das in ihre Nähe kam. Die ewige Dunkelheit unterstrich noch den Eindruck einer Alptraumlandschaft. Nach einigen erfolglosen Versuchen wußte die Gruppe, daß es hier kein Durchkommen für sie gab. Somit blieb nur eine Möglichkeit. »Ich warne dich, Atlan«, sagte Razamon. »Wenn wir den Wagen nehmen, liefern wir uns aus.« »Wem?« fragte der Arkonide. »Genügt dir meine Warnung nicht?« fuhr Razamon auf. »Es ist ein Fehler, Atlan!« Der Arkonide holte tief Luft. Er kämpfte mit sich. Sie hatten unzählige Abenteuer hinter sich gebracht und dem Tod manches Mal ins Auge gesehen, um die Gefahr, die Pthor für die Erde darstellte, von Terra abzu wenden. Atlan spürte, daß sie kurz vor dem Ziel waren. Was immer das Goldene Vlies war, es mußte eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung mit den Herren Pthors spielen. Vielleicht war es die Waffe, mit der
sich die Macht der Tyrannen brechen ließ. Das gab den Ausschlag. »Wir werden den Pelchwagen besteigen«, erklärte der Arkonide. »Wir sind gewarnt, Razamon. Das ist unser Vorteil.« »Du bist und bleibst ein Narr«, knurrte der Pthorer.
* Razamon folgte nur unwillig, aber schließlich stieg er als letzter unter die stin kende, schmutzige Plane ins Innere des Ge fährts. Einen wirklichen »Eingang« gab es nicht. Ebensowenig ließ sich von außen in das Fahrzeug hineinblicken. Der Vorderteil bestand aus einem polierten, schwarzen Schild, der entfernt an eine Fahrerkanzel er innerte. Außer den Rädern und einigen Tei len des schwarzen Chassis war nicht viel von der Konstruktion zu erkennen. Die Pla ne hing, durch mehrere schwarze Stachel ge halten, die fast wie Antennen aussahen, lose über dem Gefährt. Die fünf fanden sich in einem lorenähnli chen Gebilde wieder, das offenbar eigens für den Transport irgendwelcher Passagiere vor gesehen war. Sie hatten genügend Platz, aber das war der einzige Komfort. Sofort, nachdem Razamon den Wagen be stiegen hatte, straffte sich die Plane und ver ankerte sich am unteren Teil des Chassis. Alle Bemühungen, sie wieder hochzuziehen, scheiterten. Das Material war überaus stabil und ließ sich nicht zerreißen. »Da habt ihr's«, knurrte der Atlanter. Im Halbdunkel konnte er keine Reaktion auf Atlans Gesicht erkennen. Razamon litt unter der verlorenen Erinne rung. Irgend etwas hatte es mit dem Pelch wagen auf sich, aber je mehr er versuchte, sich zu erinnern, desto verschwommener wurde die Vorstellung. Nach einiger Zeit verblaßte sogar das Gefühl der drohenden Gefahr. Razamon litt nicht nur unter dem Verlust fast aller Erinnerungen an seine Heimat Pthor. Sein Zeitklumpen bereitete ihm wie
Wächter des Goldenen Vlieses der große Schmerzen. Er sagte den anderen nichts davon, um sie nicht noch mehr zu be unruhigen. Für den Atlanter stand jedoch fest, daß etwas Gewaltiges bevorstand – et was, das ganz Pthor betraf. Wie so oft in den letzten Stunden, fiel ihm Bördo ein, der von sich behauptet hatte, der Sohn Sigurds zu sein, und somit ein Enkel des legendären Odin. Bördo hatte seine al leinigen Ansprüche auf das Goldene Vlies angemeldet, falls sie es finden sollten. Wenn der Junge nicht von den Valjaren entführt worden wäre, hätte er ihnen mit Sicherheit eine große Hilfe sein können. Razamon fielen die Worte des Unbekann ten ein, der im Auftrag Sigurds aufgetaucht war, um Bördo zu seinem Vater zu bringen. Uralte Prophezeiungen beginnen sich zu erfüllen! Der Pthorer ahnte – ebenso wie seine Ge fährten – nichts davon, daß Sigurd mittler weile die anderen Odinssöhne zu sich geru fen hatte, weil er Ragnarök, die Götterdäm merung, kurz bevorstehen sah. Aber die Schmerzen im unsichtbaren Zeitklumpen signalisierten ihm, daß ent scheidende Ereignisse bevorstanden – Ereig nisse, die vielleicht das Ende der FESTUNG einleiteten, vielleicht aber auch ganz Atlan tis in den Untergang stürzten. Plötzlich wußte der Atlanter, daß sie nie eine andere Wahl gehabt hatten, als den Pelchwagen zu besteigen. Es war eine neue Herausforderung der Macht, die Pthor be herrschte, an die Eindringlinge. Sie mußten sie annehmen und versuchen, auch diese Ge fahr zu überwinden. Razamon machte sich keine Illusionen über das, was ihnen bevorstand. Der Tag der Rache für all das, was die Herren der FE STUNG den Bewohnern von Atlantis und den Kulturen unzähliger blühender Welten angetan hatten, schien kurz bevorzustehen. Die Erinnerung an den Pelchwagen war verschwunden. Nur das Gefühl einer unsäg lichen Gefahr war in Razamons Bewußtsein geblieben. Egal, was sie am Ende der Fahrt erwartete – sie waren im Nachteil. Die fünf
19 Gefährten hatten sich dem Unbekannten ausgeliefert. Die einzige Waffe, die sie besaßen, war nach dem Ausfall von Koys Broins ein Mes ser – und Fenrir, wenn man den Riesenwolf als Waffe betrachten wollte. Razamon preßte die Zähne zusammen, als die Schmerzen am Bein unerträglich zu wer den drohten. Irgend etwas geschah auf Pthor – jetzt, wo sie sich auf dem Weg in die Hölle der Dunklen Region befanden. Und Razamon ahnte, daß sie – zumindest momentan – nur mittelbar davon betroffen waren. Es wurde finster, ein Zeichen dafür, daß draußen jetzt die Nacht hereinbrach.
* Sie mochten etwa fünf Stunden unterwegs gewesen sein, als sich die Fahrtgeräusche des Pelchwagens änderten. Hatte der erste Teil der Fahrt durch überwiegend sumpfiges Gelände geführt, so schien man jetzt über Stein zu rollen. Der Wagen hielt an, und das Knattern ver stummte. Mittlerweile wußten die Freunde, daß es von den Windungen beim Rollen des Gefährts erzeugt wurde. Das eigentliche Motorengeräusch war ein relativ leises Sum men. »Wir sind angekommen«, flüsterte Raza mon so leise, als fürchtete er, daß draußen bereits ein Empfangskomitee um den Wagen herumstand und nur darauf wartete, daß sie sich rührten. Im nächsten Moment wurde der Pthorer eines Besseres belehrt. Der Wagen ruckte an, und das Knattern begann erneut. Sie fuh ren weiter über holprigen Boden, so daß die Insassen einige Male hart durchgeschüttelt wurden. »Vielleicht lassen unsere unbekannten Freunde uns in Ruhe, wenn wir ihnen bei bringen, wie man Stoßdämpfer baut«, sagte Atlan. »Nicht Freunde«, zirpte Gloophy völlig unerwartet.
20 »Lieber Himmel, er redet«, stieß Raza mon aus. Gloophy beugte sich vor und legte Atlan die Linke auf die Schulter. Die Rechte nahm er nicht von dem Gespinst am Oberarm. »Du bist Freund«, sagte das Antimaterie wesen und verbreitete dabei den charakteri stischen Zimtgeruch. »Du hast gerettet.« »So stellten sich deine Vorfahren die erste Unterhaltung mit Marsmenschen vor«, kom mentierte Razamon, der für einen Augen blick seine Schmerzen und ihre Lage ver gaß. »Laß ihn«, sagte Atlan eine Spur zu hef tig. »Immerhin hat er es nicht nötig, seine Sprachkenntnisse mittels Hypnoschulung zu erlangen.« Der Arkonide fing eine neuerliche Er schütterung auf und legte die Hand auf Gloophys ausgestreckten Arm, der durch den Velst-Schleier so rauh war, als bestünde die Haut aus feinen, gesplitterten Glasstück chen. »Du verstehst uns. Kannst du reden, Gloophy? Ich meine – über das, was mit dir geschah, bevor du in der Burg der Zyklopen eingesperrt wurdest?« »Nicht ›Gloophy‹«, zirpte Bera schrill. »Kolphyr?« Atlan war einen Moment lang sprachlos. »Du willst sagen … du meinst, du heißt Kolphyr?« »Kolphyr«, bestätigte der Riese. »Kolphyr ist Bera.« »Wie ein Bär sieht er auch aus«, brummte Razamon, der scheinbar jede Gelegenheit wahrnahm, um die unangenehme Realität zu verdrängen. Atlan drehte den Kopf und versuchte, Razamons Gesicht in der Dunkelheit auszu machen. »Hast du eigentlich vor, mit mir zur Erde zurückzukehren, wenn wir das hier hinter uns haben?« rief er laut, um das Knattern zu übertönen. »Nein, ich werde auf Pthor bleiben. Wie so?« »Ich würde Perry Rhodan vorschlagen, dir
Horst Hoffmann zu Ehren einen großen Nostalgieabend zu geben, in dessen Verlauf eine dieser uralten Karnevalssitzungen abgehalten würde und du in die Bütt steigen könntest.« Razamon war verwirrt. »Bütt? Was ist das nun wieder?« Atlan winkte ab. »Du scheinst deine Zeit auf der Erde ver schlafen zu haben, sonst wüßtest du über die volkstümlichen Bräuche der alten terrani schen Barbaren Bescheid.« Razamon lachte trocken und murmelte et was vor sich hin. Atlan schwieg, als ihm plötzlich wieder bewußt wurde, daß er wohl kaum jemals auf die Erde, die für ihn zur zweiten Heimat geworden war, zurückkeh ren konnte, wenn er sein Vorhaben, Pthor von Terra wegzumanövrieren, verwirklichen würde. Wieder änderten sich die Fahrtgeräusche. Atlan glaubte, jetzt, da das Knattern leiser geworden war, Tierlaute von draußen zu hö ren. Einmal zerriß ein schriller Schrei das Fahrgeräusch, als ob eine gepeinigte Kreatur ihre Todesangst hinaus in die Wildnis der ewigen Finsternis schrie. Aber jetzt schien sich der Pelchwagen tat sächlich seinem Ziel zu nähern. Er wurde langsamer. Und dann kam er zum Stillstand. Das Knattern verstummte, das Summen des An triebs ebenfalls. Die Freunde sprachen kein Wort mehr. Sie wußten, daß innerhalb der nächsten Mi nuten oder Sekunden etwas geschehen wür de. Noch war die riesige Plane straff, und sie konnten keinen Blick nach draußen werfen. Irgend etwas machte sich an der Plane zu schaffen. Atlan hörte ein rauhes Kratzen, und dann erklang ein Geräusch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen wollte. Der Arkonide krallte seine Finger in den Boden des Wagens, der an einigen Stellen aus einer morschen Holzschicht bestand, die über das eigentliche Chassis gelegt war. Wieder erklang der Laut. Es war das wü tende Fauchen von großen Katzen.
Wächter des Goldenen Vlieses
* Blodgahn sah befriedigt aus einem der schmalen Fenster seines Wohnturms. Ein diabolisches Lächeln umspielte die schma len Lippen. »Sie sind da, mein Liebling«, flüsterte er Phiancha zu, die auf einer Zinne des Bogen gangs hockte, der den Turm in etwa acht Meter Höhe umlief. Blodgahn trat heraus und lehnte sich ne ben dem schwarzen Monstrum auf die Zin ne. Der Pelchwagen hatte im Innenhof der verfallenen Festung haltgemacht. Noch wa ren die Eindringlinge innerhalb der Plane gefangen. Die hungrigen Katzen (wenn man die Bestien noch so bezeichnen konnte, denn auch sie hatten sich durch Mutation der Um gebung angepaßt) umschlichen das Fahrzeug und fauchten ärgerlich, weil sie nicht an die nahe Beute herankamen. Das hatte Zeit. Vielleicht würde Blodgahn ihnen später einen der Fremden überlassen. Vorerst hatte er anderes mit ihnen vor. Auch Phiancha wurde unruhig. Blodgahn spürte ihre Erregung. »Warte ab, mein Lieb ling, du wirst nicht zu kurz kommen.« Auf eine Art und Weise, die selbst Blod gahn nicht verstand, funktionierte die Kom munikation mit der Riesenfledermaus. Sie verstand jedes seiner Worte, aber Blodgahn wußte, daß sie nicht auf akustischer Basis »hörte«. Umgekehrt verlief der Verständi gungsprozeß einfacher. Wenn Phiancha ih rem Herrn etwas zu sagen hatte, rollte sie sich zusammen und ließ ihren Bewußtseins inhalt einfach in ihn überfließen. »Wieder ein paar Narren, die ihr Glück versuchen wollten«, murmelte Blodgahn. »Sie werden das gleiche Ende nehmen wie alle anderen. Die Herren werden zufrieden sein und sich erkenntlich zeigen. Das be schert mir viele Jahre, Phiancha!« Das schwarze Monstrum verhielt sich ru hig. Blodgahn wußte, daß Phiancha sich im Lauf des Tages zwei Murrkel geschlagen hatte. Im Augenblick war sie satt. Aber
21 Blodgahn wußte auch, daß dieser Zustand niemals lange vorhielt. Phiancha benötigte Unmengen von Nahrung, um den Energie haushalt ihres mutierten Metabolismus zu decken. »Es wird nicht lange dauern«, versprach Blodgahn. »Ihr seid alle meine Lieblinge – und ihr werdet zufrieden sein.« Als die Raubkatzen immer unruhiger wur den, richtete Blodgahn sich auf. »Es ist Zeit«, sagte er. »Bleib hier und halte Wache. Ich bin bald zurück.« Blodgahn verschwand in seinem Turm und legte die Kleidung an, die ihn als das kennzeichnete, was er darstellte. Blodgahn war der Wächter der Dunklen Region und des Goldenen Vlieses.
* »Ich will hier 'raus«, knurrte Razamon. »Ich habe wenig Lust, in diesem stinkenden Ding zu verschmachten. Angriff war noch immer die beste Verteidigung.« »Ich werde es eigenhändig in deinen Grabstein ritzen«, sagte Atlan. »Wer immer uns hierhergelotst hat, wird sich früher oder später zeigen. Ich glaube kaum, daß ein paar Raubkatzen den Wagen geschickt haben.« »Dein Sarkasmus ist berauschend. Ich ha be noch das Messer aus Krudens Hütte. Zur Not kann ich versuchen, damit die Plane zu zerschneiden.« »Was machen deine Broins, Koy?« fragte der Arkonide. Von dort, wo der Trommler saß, kam ein verzweifeltes Stöhnen. »Nichts, Atlan. Ich habe nicht das gering ste Gefühl in ihnen.« »Und ich drehe diesen Froijos den Hals um, wenn wir ihnen noch einmal begegnen«, schwor Razamon. »Das glaube ich kaum«, sagte Atlan. »Die Affen spielen mit Sicherheit keine große Rolle in der Dunklen Region. Wir haben es mit anderen Mächten zu tun, wenn wir das Goldene Vlies holen wollen.« Fenrir knurrte und schlich aufgeregt zwi
22
Horst Hoffmann
schen den Freunden umher. Er witterte die Katzen. Lange würden sie ihn nicht mehr halten können. Seltsamerweise hatte der Wolf sich die ganze Zeit, in der sie auf eng stem Raum zusammengepfercht gewesen waren, Koy gegenüber friedfertig verhalten. »Ich habe dich gewarnt«, brummte Raza mon, ohne aber überzeugend zu wirken. »Still!« zischte Atlan plötzlich. Das Fauchen der Katzen war plötzlich verstummt. Von einem Augenblick zum an deren herrschte draußen eine regelrechte Grabesstille. Und dann hörten sie die schlurfenden Schritte. »Na bitte, wir bekommen Besuch, und diesmal …« »Sei still!« schnitt Atlan dem Pthorer das Wort ab. Sie lauschten. Die Schritte kamen näher. Plötzlich erklang eine knarrende Stimme. Atlan verstand nicht, was der Fremde sagte. Erst als er ganz nahe am Wagen sein mußte, wurden seine Worte deutlicher. »Geduld, meine Lieblinge«, schnarrte er. »Es ist bald soweit.« Der Stoff der Plane schien einen Augen blick lang in sich zusammenzufallen. Dann wurde er ruckartig nach oben gezogen. Seltsames Licht fiel ins Innere des Pelch wagens. Eine kleine, bucklige Gestalt stand vor dem Fahrzeug. Die rußige Fackel in ih rer Hand warf ein gespenstisches Licht auf das häßliche Gesicht. »Euer Weg ist zu Ende«, sagte der Frem de. »Steigt aus.« Rings um den Buckligen standen die riesi gen, schwarzen Katzen. Es war mindestens ein halbes Dutzend.
* Sie befanden sich im Innenhof eines ural ten, zerfallenen Gemäuers. Die finstere Sze nerie wurde durch überall an den Wänden angebrachte, rußig flackernde Fackeln er hellt. Fenrir knurrte und fletschte die Zähne,
und nur mit Razamons Bärenkräften war es möglich, den Wolf davon abzuhalten, sich auf die löwengroßen Katzen zu stürzen. Den Buckligen schien Fenrir gar nicht zu beach ten. Atlan musterte den Mann genauer. Er war ein Gnom, höchstens einen Meter zwanzig groß. Sein Gesicht war weiß und von lan gen, grauen Haarsträhnen umrahmt, die bis über die Schultern fielen. Der Körper des Zwerges war mit einem in allen Farben leuchtenden Umhang bedeckt, der kurz über den viel zu groß geratenen Füßen endete. »Ihr habt Angst vor meinen Lieblingen?« fragte der Gnom mit diabolischem Grinsen. »Keine Angst, sie werden euch vorerst nicht belästigen.« »Wer bist du?« fragte der Arkonide. Der Zwerg lachte meckernd. »Ich heiße Blodgahn, aber wozu sollte euch das interessieren? Die Suche nach dem Goldenen Vlies ist wieder einmal für ein paar Eindringlinge zu Ende. Tröstet euch, ihr seid nicht die ersten, die es versuchten, und ihr werdet nicht die letzten sein.« Atlan hörte den offenen Hohn aus den Worten des Buckligen heraus. Schlagartig verfinsterte sich die Miene des Gnomen. »Kommt mit mir!« forderte er die Freun de auf. Als sich niemand rührte, lachte er laut auf und machte den Katzen ein Zeichen. Sofort scherten sie nach allen Seiten aus und bildeten einen Halbkreis um sie. »Bisher konnte ich sie beruhigen«, knarrte Blodgahns Stimme. »Es liegt nur an euch, wie lange dies noch der Fall sein wird …« Atlan und Razamon sahen sich an. Schließlich zuckte der Arkonide resigniert die Schultern. »Also schön, wenn dir so viel daran liegt …« »Das tut es«, kicherte der Zwerg. »Geh darauf ein, Atlan«, flüsterte Raza mon auf Englisch. »Mit dem Burschen wer den wir spielend fertig, sobald die Katzen erst einmal verschwunden sind.« Razamon täuschte sich. Sie merkten es,
Wächter des Goldenen Vlieses als Blodgahn sie in das Gewölbe führte.
* Es war ihnen überhaupt keine andere Wahl geblieben, als Blodgahn zu folgen. Die Katzen trieben sie förmlich vor sich her. So bald einer der Freunde stehenblieb, rückten gleich zwei oder drei heran und nahmen eine drohende Haltung an. Atlan zweifelte keinen Augenblick daran, daß ein einziges Wort des Buckligen genü gen würde, um sie von den Tieren zerreißen zu lassen. Wenn wenigstens Koys Broins einsatzfä hig wären! Sie erreichten ein halbzerfallenes Gemäu er. Der Schein der Fackeln reichte nur weni ge Meter an den Steinen hinauf, so daß ge nauere Umrisse nicht zu erkennen waren. Vor ihnen führte eine von kleinen Gräsern und allerlei Unkraut überwucherte Treppe in einen Gang. Blodgahn blieb stehen und deu tete mit der Fackel nach unten. »Dort hinein!« Atlan stieg als erster die Stufen hinab. Als er den Eingang des unterirdisch angelegten Stollens erreichte, schlug ihm ein widerli cher Gestank entgegen. Es roch nach Moder und Fäulnis. Der Arkonide zögerte. Noch konnten sie vielleicht zurück. Wenn sie den Gnomen überwältigten, bevor die Katzen über sie herfallen konnten. »Hinein!« krächzte Blodgahn. Gleichzei tig erklang wieder das Fauchen, das von den Wänden der Anlage zurückgeworfen wurde. Atlan mußte erkennen, daß sie im Augen blick hilflos waren. Es war das gleiche de primierende Gefühl wie bei der Begegnung mit den Froijos auf der Hängebrücke. »Es hat keinen Zweck«, flüsterte Raza mon auf Englisch. Im nächsten Moment fuhr Blodgahn mit einer Hand unter den Umhang und brachte einen etwa dreißig Zentimeter langen Stab hervor, mit dem er dem Atlanter einen Hieb ins Genick versetzte. Razamon stöhnte und sank auf die Knie.
23 »Das wird euch lehren, euch gegen Blod gahn aufzulehnen«, schrie der Zwerg erregt. »Und nun vorwärts!« Fenrir war herumgefahren, als Razamon ihn losgelassen hatte. Blodgahn reagierte mit unglaublicher Schnelligkeit. Ein Schlag mit dem Stab auf die Schnauze des Wolfes ge nügte. Das riesige Tier winselte gequält und wand sich am Boden. »Sie stehen von alleine auf«, schnarrte der Gnom, als Atlan und Koy sich um Razamon kümmern wollten. »Jetzt hinein!« Razamon kam stöhnend auf die Beine. Der Blick, den er dem Zwerg zuwarf, jagte Atlan einen Schauer über den Rücken. Wortlos traten sie in das Gewölbe. Der Gang war knapp anderthalb Meter breit und zweieinhalb Meter hoch, so daß Gloophy (oder Kolphyr, wie er sich selbst nannte) ge rade noch hindurchpaßte. Atlan ging an der Spitze, hinter ihm Raza mon, Koy, Fenrir und Gloophy. Blodgahn bildete den Abschluß. Die Raubkatzen blie ben im Innenhof der alten Anlage zurück. Es schien, als ob Blodgahn ihre Hilfe jetzt nicht mehr benötigte. Atlan beschloß, sich vorerst dem Buckli gen zu fügen. Er hatte wenig Lust, die Be kanntschaft des seltsamen Stabes zu ma chen. Der Gang führte immer tiefer in das Ge mäuer hinein. Der Gestank wurde immer schlimmer. Es roch nach Verwesung. »Halt!« rief Blodgahn, als sie eine Gabe lung erreichten. Er schob sich an den Ge fährten vorbei, als ob für ihn nicht die ge ringste Gefahr bestünde. Atlan war fast si cher, daß der Zwerg über entsprechende Ab sicherungen verfügte, die einen Angriff auf ihn unmöglich machten. Razamons Augen flammten im flackernden Licht der auch hier überall angebrachten Fackeln auf, als Blod gahn sich an ihm vorbeidrängte, aber der Pthorer beherrschte sich. Blodgahn trat an Atlan vorbei in den frei en Gang. Nach rechts und links verzweigte sich der Stollen. Aber Blodgahn blieb in der Mitte der Kreuzung stehen.
24 Er stieß ein höhnisches Lachen aus, als er die zur Hilflosigkeit verurteilten Gefangenen vor sich sah, und bückte sich. Er scharrte mit der freien Hand im Staub, der den Gangbo den zentimeterdick bedeckte, und fand einen Mechanismus. Atlan hörte ein kratzendes Geräusch. Dann schob sich eine runde, etwa einen Meter durchmessende Platte mit oh renbetäubendem Knirschen zur Seite. Atlan sah in ein dunkles Loch. An den Rändern erkannte er Leitersprossen. Ein leichtes Flackern verriet, daß es sich um einen Durchstieg zu einer tiefer gelegenen Etage des Gangsystems handelte. »Dort hinunter!« forderte Blodgahn die Freunde auf. Nacheinander stiegen sie in die Öffnung. Razamon half dabei Fenrir. Nach etwa drei Metern hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen. Gloophy schaffte es mit Mühe, seinen massigen Körper durch die Röhre zu zwängen. Der Bera mußte dabei zwangsläu fig seinen linken Oberarm entblößen. Atlan erschrak heftig, als er sah, wie groß das Ge spinst mittlerweile geworden war. Und es pulsierte wieder! Sie befanden sich wieder auf einem von Fackeln erhellten Gang. Aber nur wenige Augenblicke, nachdem sie hier herausge kommen waren, wußten die Gefangenen, daß sich etwas verändert hatte. Der Gang führte nur in eine Richtung. Und von dort kamen Schreie und das Stöh nen gequälter Kreaturen. »Dieser Teufel«, murmelte Atlan. Blod gahn stieß ein meckerndes Lachen aus. »Vorwärts, Hellhaariger. Es ist nicht mehr weit!« Diese Aussicht schien den Gnomen noch mehr zu erheitern. Er kicherte und schwang seinen Stab. Sie gelangten wieder an eine Kreuzung. Atlan blieb stehen und starrte auf das Gebil de, das sich genau in ihrer Mitte befand. Es war eine janusköpfige Statue aus wei ßem Marmor. Die beiden Gesichter blickten jeweils in einen der beiden abzweigenden Gänge.
Horst Hoffmann Blodgahn drängte sich wieder an den Freunden vorbei, bis er vor der Statue stand, die ihn um zwei Köpfe überragte. »Dies ist die entscheidende Kreuzung«, erklärte er, wobei er sich nur mit Mühe ernst halten konnte. Immer wieder begann er, lei se vor sich hin zu kichern. Atlan fragte sich, was in diesem Augenblick im Kopf des Buckligen vorging. Blodgahn zeigte mit dem Stab auf die bei den Gesichter. »Seht ihr das?« fragte er. »Eines ist blind, die Augen sind erloschen. Das andere …« Er sprach nicht aus, sondern machte nur eine vielsagende Geste. Atlan begriff auch so, was der Zwerg meinte. Die Augen des zweiten Gesichts leuchte ten in wildem Feuer und strahlten in den zur Rechten abzweigenden Gang hinein. »Dort ist der Weg zum Goldenen Vlies«, erklärte Blodgahn voller Hohn und Genug tuung. »Dort aber«, er deutete auf den Gang, in den die toten Augen der Statue wiesen, »liegt das Verderben. Das ist euer Weg!« Der Zwerg hatte laut gesprochen. Im glei chen Augenblick war das Stöhnen und Weh klagen in dem finsteren Gang verstummt. Nach einigen Sekunden der Stille brach ein ohrenbetäubendes Geschrei los. Atlan hörte das Rasseln von Ketten und das Aufeinan derschlagen von schweren Gegenständen. Wenn sie diesen Gang betraten, hatten sie kaum noch Hoffnung. Blodgahn erwies sich auch jetzt wieder als umsichtig. Er schien Atlans Gedanken lesen zu können. Die Hand des Gnomen sauste mit dem Stab in die Höhe und versetzte dem Arkoni den einen Schlag auf den Rücken. Atlan bäumte sich auf, als die Schmerzen wie Feu er das Rückgrat hinauffuhren und im Gehirn zu explodieren schienen. Einige Augen blicke taumelte er benommen umher, bis er an einer Wand Halt fand. Die Steine waren feucht und glitschig. In den Fugen wuchs Moos. »Vorwärts!« schrillte die Stimme des Gnomen, der bereits wieder den Stab zum
Wächter des Goldenen Vlieses Schlagen erhoben hatte. Es war eine unwirkliche Szene: fünf be währte Kämpfer, unter ihnen ein Riese, die wie die Mäuse vor der Schlange – einem buckligen Zwerg – standen und kaum wag ten, sich zu rühren. Es war nicht nur der Stab Blodgahns, der jeglichen Widerstand unterdrückte. Irgend etwas anderes lähmte ihren Willen … »Glaube nicht, daß du gewonnen hast«, zischte Atlan dem Zwerg zu. Aber Blodgahn lachte nur. Das Geräusch hallte von den Wänden des Ganges zurück wie die Stimmen von tausend Teufeln. Was verlieh dem Zwerg diese Überlegen heit? Atlan setzte sich in Bewegung, nachdem er einen Blick Razamons aufgefangen hatte. Koy hatte die Augen geschlossen. Atlan war sicher, daß der Trommler verzweifelt ver suchte, seine Broins gegen den Buckligen einzusetzen – ohne Erfolg. Sie drangen in den finsteren, nur schwach von einigen kleinen Fackeln erleuchteten Gang ein. Nach etwa zehn Metern kamen sie an den ersten Kerkern vorbei. Rechts und links vom Stollen befanden sich die Verliese der Unglücklichen, die auf der Suche nach dem Goldenen Vlies in Blodgahns Hände gefallen waren. Atlan sah Männer, die sie aus irren Augen ansahen. Da kamen sie an Kerkern vorbei, hinter deren Gittern sich Gefangene in ihren Ketten wanden. Sobald sie Blodgahn sahen, begannen sie zu schrei en und an ihren Ketten zu zerren. Atlan mußte seinen Ekel unterdrücken. Sie alle waren hierher verschleppt wor den, als sie das Goldene Vlies suchten. Sie hatten die Dunkle Region betreten und wa ren Draufgänger – Männer, die keine Angst gehabt hatten, ins Unbekannte vorzudringen, ebenso wie Atlans Gruppe. Sie waren von der Gier nach dem Golde nen Vlies getrieben worden. Mehr denn je fragte sich der Arkonide, was sich hinter diesem Schatz verbarg. Und er war plötzlich sicherer denn je, daß das Goldene Vlies einen Machtfaktor von unvorstellbarem
25 Ausmaß darstellte. Sie hatten eine Reihe von freien Verließen erreicht. »Hier hinein!« forderte Blodgahn sie auf. Als niemand Anstalten machte, dem Befehl zu folgen, sprang er vor und schlug nachein ander auf Razamon, Koy und Atlan ein. Es ging so schnell, daß keine Möglichkeit einer Gegenwehr bestand. Überdies hinaus hatten die Schläge nun eine andere Wirkung. Die Getroffenen wurden paralysiert und konnten kein Glied mehr rühren. Fenrir erhielt einen weiteren Schlag und sank winselnd zu Bo den. Gloophy, der sich bisher völlig passiv verhalten hatte, drehte sich unendlich lang sam zu Blodgahn um, nachdem er jeden der Freunde lange betrachtet hatte. »Und du?« keifte der Zwerg. »Willst du auch …?« Blodgahn hatte den Stab erhoben. Plötz lich begann Gloophys Hand, die die Ge schwulst auf dem linken Oberarm bedeckte, heftig zu beben. Atlan war zwar unfähig, sich zu bewegen, aber er konnte jede Bewe gung der beiden so ungleichen Wesen ver folgen. Das weißliche Gespinst schien unter Gloophys Hand hervorzukriechen! Blodgahn verlor die Geduld und schlug nach Kolphyr. Der Bera fuhr zusammen. At lan schloß die Augen. Er wollte nicht sehen, wie auch der letzte von ihnen gefällt wurde – von einem wahnsinnigen Zwerg. Er hörte einen erstickten Schrei. Blod gahns Schrei! Als er die Augen aufriß, lag der Gnom reglos vor Gloophy am Boden! Der Bera massierte sich den Oberarm und stieß kla gende Laute aus. Dann erst drehte er sich zu den Gelähmten um. Atlan hatte einen Au genblick lang den Eindruck, als wollte er sich über sie beugen, um ihnen zu helfen. Dann erst erkannte er, daß Gloophy stürzte. Im gleichen Moment roch er das Gas. At lan verlor das Bewußtsein.
5.
26 Blodgahn lag in einer Bodennische, die mit weichen Tüchern ausgelegt war und starrte in den Schein der Kerze, die seinen Wohnraum nur schwach erhellte. Langsam begann die lebensspendende Kraft der Kap seln in seinem Körper zu wirken. Blodgahn dachte über die Fremden nach. Von Taros, seinem ergebenen Diener, hatte er inzwischen erfahren, daß sie betäubt und von dem Dello in die Verliese geschafft und angekettet worden waren. Blodgahn war wü tend über seine Schlappe. Er fragte sich im mer wieder, wie das große Wesen es fertig gebracht hatte, ihn zu Boden zu strecken, obwohl es vorher einen Schlag mit dem Stab erhalten hatte. Der Stab! Das Monstrum hatte ihn zer stört! Es würde viele Tage dauern, bis Blod gahn einen Ersatz aus der FESTUNG be kam, zusammen mit den Kapseln, der Be lohnung für das Ausschalten der Glücksrit ter. Sie waren hinter dem Goldenen Vlies her, wie alle anderen, die Blodgahn bisher un schädlich gemacht hatte. Der Zwerg korrigierte sich. Einmal war es einem Valjaren gelungen, bis zum Vlies vor zudringen, er war sogar ungeschoren in sei ne Heimat zurückgekehrt. Aber der Valjare hatte kein Unheil anrichten können. Blodgahn wagte nicht, sich vorzustellen, was mit ihm geschehen würde, wenn jemals Fremde das Goldene Vlies finden und es entweihen würden. Das Goldene Vlies war ein unermeßlich wertvolles, aber ebenso ge fährliches Beutestück der Herren der FE STUNG. Selbst ihre Macht reichte nicht aus, um das Geheimnis dieses Schatzes vollkom men zu lüften. Blodgahn wußte, daß sie bei dem Versuch, es zu benutzen, sterben wür den. Deshalb hatten sie es in die Dunkle Re gion geschafft und ihn, Blodgahn, als seinen Wächter eingesetzt. Blodgahns Schicksal war mit dem Vlies aufs engste verbunden. Sollte es jemals einem Fremden gelingen, das Vlies zu entweihen, wäre das gleichbe deutend mit Blodgahns Tod. Für jeden aus-
Horst Hoffmann geschalteten Eindringling gab es Lebenskap seln aus der FESTUNG. Wenn die Kapseln ausblieben, war sein Schicksal besiegelt. Die Gefangennahme der Fremden hatte Blodgahn viel Kraft gekostet. Er hatte zwei Kapseln schlucken müssen, um wieder zu Kräften zu kommen. Der Gedanke daran, daß sein Leben den Herren der FESTUNG ausgeliefert war, bereitete ihm Schmerzen. Er war ein lebender Toter, der seine Energi en ausschließlich aus den Kapseln bezog. Blodgahn richtete sich auf und trat hinaus auf die Brüstung. Phiancha hockte immer noch auf der Zinne und zeigte Ungeduld. Der Gnom wußte, daß es Zeit war, ihr die versprochene Belohnung zukommen zu las sen. Aber er würde ihr noch keinen der Frem den überlassen. Er wollte beobachten, wie sie langsam zugrunde gingen. Sie hatten ihn herausgefordert. »Warte, mein Liebling«, flüsterte Blod gahn Phiancha zu. Er ging in den Wohnturm zurück und rief nach Taros. »Hole einen der Gefangenen aus unserem letzten Fang. Die neuen bleiben vorerst un angetastet, du haftest mir für ihr Leben.« Der Dello verneigte sich und wollte sich bereits zurückziehen, um Blodgahns Befehl auszuführen, als der Gnom ihn noch einmal zu sich rief. Taros wartete in Blodgahns Unterkunft, während der Zwerg sich wieder auf die Brü stung begab und durch die Zinnen in den In nenhof spähte. Es war immer noch Nacht, und die Katzen bewegten sich unruhig im Licht der Fackeln. »Auch ihr sollt euren Lohn haben, meine Lieblinge«, murmelte er. Blodgahns trat vor Taros. »Hole drei Gefangene. Zwei von ihnen wirfst du den Katzen vor. Der schmackhaf teste ist für Phiancha bestimmt.« Der Dello verneigte sich noch einmal und verschwand. Blodgahn fühlte sich wieder kräftig. Er trat neben Phiancha. »Es wird nicht lange dauern, mein Lieb
Wächter des Goldenen Vlieses ling …« Das schwarze Monstrum ließ einen Strom dankbarer Gefühle zu Blodgahn überfließen und breitete die ledernen Schwingen aus.
* ZWISCHENSPIEL In der FESTUNG herrschte völlige Ver wirrung. Die von den Dellos übermittelten Infor mationen über die Ereignisse an der Eisküste und in der Ebene des Xamyhr hatten die Herren von Pthor in tiefe Unruhe versetzt. Immer noch hatten sie keine Spur von dem aus der Eiszitadelle entkommenen An timateriewesen, aber gewisse Hinweise spra chen dafür, daß es sich den Eindringlingen angeschlossen hatte, an deren Existenz jetzt kein Zweifel mehr bestand. Auch sie befanden sich immer noch auf freiem Fuß. Allein das war etwas ungeheu erliches. Doch nicht nur das beunruhigte die Her ren der FESTUNG. Mit großer Aufmerk samkeit verfolgten sie die plötzlichen Akti vitäten der bislang geduldeten Göttersöhne. Zum erstenmal in der langen Geschichte des Dimensionsfahrstuhls trat ein Ereignis ein, das man bisher für undenkbar gehalten hatte. Die FESTUNG wurde in Alarmbereit schaft versetzt. Schlummernde Reserven wurden aktiviert, und ein Instrumentarium des Grauens erwachte zum Leben. Vorerst wartete man ab und beobachtete. Sollte der unvorstellbare Fall eines An griffs auf die FESTUNG eintreten, waren ih re Herren gewappnet.
* Atlan kam zu sich. Er spürte ein unange nehmes Kribbeln in den Finger und Zehen spitzen und unter der Schädeldecke. Der Arkonide schlug die Augen auf. Eini ge Sekunden lang drehte sich alles um ihn. Er schüttelte den Kopf, bis die Benommen
27 heit von ihm abfiel. Er lag auf dem staubigen Boden eines Kerkers, mit dem Rücken gegen eine feuch te Wand gelehnt. Seine Hände befanden sich in schweren Ketten. Atlan hörte ein Stöhnen. Er drehte den Kopf und sah Koy in dem Verlies links ne ben ihm. Die Zellen waren nur durch eng beieinanderstehende Gitterstäbe voneinander getrennt. Koy hatte ebenfalls die Augen aufge schlagen und sah sich benommen um. Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges waren Razamon und Gloophy einge sperrt. Fenrir war nicht zu sehen. Wahr scheinlich befand er sich weiter hinten im Gang. Razamon war wach. Er starrte Atlan mit ausdrucksloser Miene an. Nur das Antimate riewesen rührte sich nicht. Atlan erschrak bei der Vorstellung, daß das Gas, das sie mit Sicherheit nur betäuben sollte, bei ihm etwas anderes, Schlimmeres bewirkt haben konnte. Was wußten sie schon über den Metabolis mus des Beras? Ein anderer Gedanke durchfuhr den Arko niden. Blodgahn war von Gloophy zu Boden ge schlagen und betäubt worden. Wer hatte sie dann in die Verliese gesperrt und angeket tet? »Einen Quork für deine Gedanken«, rief Razamon herüber. »Hast du eine Idee, wie wir hier wieder herauskommen?« Atlan wollte etwas zurückrufen, als er rechts neben sich eine Bewegung wahr nahm. Er fuhr herum. Zwei Zellen weiter lag ein abgemagerter Humanoider in seinen Ketten und starrte sie aus ausdruckslosen Augen an. Nur manchmal trat Leben in sei nen Blick. »Wartet, bis ihr einige Wochen hier seid, dann zerbrecht ihr euch nicht mehr eure Köpfe. Wer in die Gewalt dieses Teufels ge raten ist, ist verloren.« »Du bist ein Valjare?« fragte Atlan. Der Abgemagerte bekam einen heftigen Hustenanfall und nickte.
28 »Ein Valjare aus Krahntz«, stieß er her vor. »Ein Valjare, der seinem Traum folgte, wie so viele, die hier ihr Ende fanden.« Atlan fiel etwas ein. »Nicht alle können Blodgahn in die Hän de gefallen sein. Mindestens einer ist bis zum Goldenen Vlies vorgedrungen und heil zurückgekehrt.« Der Kopf des Valjaren fuhr in die Höhe. Sofort zuckte er unter Schmerzen zusam men. In seinem Blick stand der Unglaube. »Ihr habt Kruden getroffen? Habt ihr mit ihm gesprochen? Und ihr seid trotzdem hier her gekommen?« Atlan war einen Moment lang verwirrt. Was hatten die seltsamen Fragen zu bedeu ten? Was hieß, daß sie trotzdem hierhergekom men waren? »Ich habe Kruden gesehen und mit ihm gesprochen, aber nur kurz. Er zeigte mir die Karte mit dem Weg zum Goldenen Vlies. Dann kam die Flut und riß ihn mit sich fort. Kruden ist tot.« »Kruden …« flüsterte der Valjare. Der al te Mann schien tatsächlich bereits eine Le gende für die Valjaren zu sein. »Kruden stand unter dem Schutz der Göt ter«, erklärte der Abgemagerte. »Nur des halb konnte er Blodgahn entkommen.« »Unsinn!« rief Razamon herüber, der die Unterhaltung, ebenso wie Koy, mitverfolgte. Atlan dachte daran, daß Krudens Tochter mit einem der Odinssöhne, Sigurd, einen Sohn gezeugt hatte. Es war anzunehmen, daß daraus die phantastischen Spekulationen unter den Valjaren erwachsen waren. »Ihr werdet sehen«, rief der Valjare. »Nach ein paar Tagen werdet ihr anders re den. Für euch ist hier Endstation. Wir alle versuchten zu entkommen, und ihr seht, was aus uns geworden ist. Wer nicht verhungert oder durch Krankheit umkommt, wird ge holt, um die Bestien zu füttern.« »Dieser Teufel!« stieß Razamon aus. In den letzten Stunden hatte der Atlanter viel von seiner ehemaligen Wildheit zurücker langt. Atlan befürchtete schon, daß er früher
Horst Hoffmann oder später wieder einen Anfall bekommen würde. Und wenn schon! meldete sich der Extra sinn. Vielleicht wäre das unsere einzige Chance. Bis Koy seine Broins wieder einset zen kann, sind wir wehrlos! »Hast du gesehen, wer uns in die Zellen brachte?« fragte Atlan. »Allerdings«, stöhnte der Valjare. »Es war Taros, Blodgahns Diener. Ihr werdet ihn bald kennenlernen, wenn er mit unserem Fraß kommt.« Atlan und Razamon unterhielten sich wei ter mit dem Gefangenen. Aber er konnte ih nen nicht viel Neues sagen, außer, daß Blod gahn tatsächlich der Wächter des Goldenen Vlieses war.
* Im Halbdunkel des Gewölbes gab es kei ne Möglichkeit festzustellen, wieviel Zeit von einem bestimmten Ereignis bis zum an deren verging. Atlan konnte nur schätzen, daß seit ihrem Erwachen zwei Stunden ver gangen waren, als er die Schritte hörte. »Es ist Taros«, erklärte der Valjare und rasselte ungeduldig mit den Ketten. »Er bringt Nahrung.« Ein häßlicher Dello erschien im flackernden Licht der Fackeln und schob eine Art Tablettwagen vor sich hin, auf dem Näpfe und eine große Schüssel standen. »Ich wünsche guten Appetit!« rief der Valjare, der Atlan mit seinem Zynismus langsam auf die Nerven ging. »Ihr seid also die Neuen«, sagte der Spe zialandroide, der, wie alle Dellos, in Agh month gefertigt worden war, mit tonloser Stimme. Atlan versuchte, dennoch etwas herauszuhören – ohne Erfolg. Auch das Gesicht des Dellos war aus druckslos, fast roboterhaft, was nicht zu ei nem Dello passen wollte. Diese Spezialan fertigungen waren normalerweise nicht von einem Menschen zu unterscheiden. Taros wirkte eher wie ein Mann, dem man den Le benswillen genommen hatte.
Wächter des Goldenen Vlieses Atlan ertappte sich bei der Spekulation, ob dieser Taros zu einem potentiellen Ver bündeten gemacht werden konnte. Die näch sten Worte des Androiden machten seinen Hoffnungen ein jähes Ende. »Hier«, rief Taros und warf jedem der Freunde durch die Gitter einen Napf vor die Füße. »Eure Schüsseln, wohl bekomm's!« Der Androide ging an ihnen vorbei und teilte Nahrung aus. Der Valjare zu Atlans Rechten verschlang gierig den grünlichen Brei, nachdem Taros mit einer langstieligen Kelle seinen Napf gefüllt hatte. Atlan konnte hören, wie weiter hinten im Gang andere Gefangene gierig mit ihren Näpfen auf den Boden schlugen, bis Taros sie gefüllt hatte. »Und wir?« fragte Razamon laut. »Wo bleiben wir?« Atlan hatte keinen Hunger, aber er fragte sich, was das Verhalten des Dellos zu be deuten hatte. Nach etwa einer Viertelstunde hatte Taros offenbar alle noch lebenden Eingekerkerten »bedient« und kehrte zurück. Zwei relativ stämmige Valjaren trotteten angekettet hin ter ihm her. Ihre Augen waren leblos. Vor der Zelle rechts von Atlan blieb Ta ros stehen. »Du da«, rief er dem Valjaren zu. »Du kommst ebenfalls mit.« Der Valjare begann am ganzen Leib zu zittern und starrte den Dello aus weit aufge rissenen Augen an. »Nein, Taros – nicht ich! Weshalb nimmst du nicht einen von den Neuen? Sie sind kräftiger als ich!« »Rede nicht!« fuhr Taros den armen Teu fel an und schloß das Verlies auf. Der Valjare sank in sich zusammen. Er er gab sich in sein Schicksal. »Was hat das zu bedeuten?« rief Atlan. Der Dello sah ihn an, und wieder zeigte er keinen Ausdruck eines Gefühls. »Blodgahns Lieblinge sind hungrig«, war sein einziger Kommentar. Der Androide kettete den Valjaren los und stieß ihn auf den Gang hinaus. Als er an den
29 Zellen der Freunde vorbeikam, füllte er ihre Näpfe mit seiner Kelle. Ein ekliger Gestank schlug Atlan entgegen. Der Arkonide begriff den makabren Sinn von Taros' Worten erst, als der Dello mit den drei Unglücklichen verschwunden war. Er war so angewidert, daß er sich fast über geben mußte.
* Taros lieferte die drei Valjaren bei seinem Herrn ab und beobachtete, wie Blodgahn zwei von ihnen eigenhändig über die Brü stung in den Innenhof der Festungsanlage stieß. Den dritten überließ er einfach Phian cha. Taros sah dem grausamen Schauspiel zu, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. Der Dello war im wahrsten Sinne des Wortes ge fühlsmäßig ausgebrannt. Die Jahre im Dienst Blodgahns hatten ihn geprägt. Der Dello machte sich keine Gedanken, wenn er den Gefangenen das Essen brachte und fest stellen mußte, daß wieder einige von ihnen gestorben waren. Die Feuchtigkeit und Trostlosigkeit der Kerker, Blodgahns teufli sche Spiele und das unzumutbare Essen brachte sie früher oder später alle um. Nur wenige wurden bevorzugt behandelt und bei Kräften gehalten, aber gerade das waren die jenigen, denen das schlimmste Schicksal winkte: Blodgahns »Lieblinge«. Taros machte sich objektiv schuldig, aber er war nicht eigentlich böse. Als er in die Dienste Blodgahns getreten war, hatte der Gnom ihm etwas verabreicht, das seine Ge fühle vollkommen auslöschte. Und doch war etwas mit Taros geschehen, als er den neuen Gefangenen ihre Näpfe ge bracht hatte. Es war einer unter ihnen, der eine unerklärliche Ausstrahlung hatte. Taros hatte zunächst versucht, das, was sich in ihm ausbreiten wollte, mit aller Kraft zu unter drücken. Als er merkte, daß dies nicht mög lich war, begann er, über das Phänomen nachzudenken.
30 Es war noch nicht das, was man eine ge fühlsmäßige Beziehung zu dem Fremden mit den beiden Fühlern nennen konnte, eher ein Ansprechen auf einen Reizimpuls, über dessen Natur sich Taros im unklaren war. Der Dello verspürte eine aufsteigende Un ruhe – wie die ersten Anzeichen einer na henden Krankheit. Aus der Furcht und der Ungewißheit entstand Haß – Haß gegen den Fremden mit den Fühlern, Haß gegen alle fünf! Es war eine natürliche Abwehrreaktion ei nes gefühlsbetonten Wesens! Bei dem Ge danken fuhr Taros heftig zusammen und stöhnte. Blodgahn wandte sich von seinen »Lieblingen« ab und sah seinen Diener miß trauisch an. »Was ist mit dir los, Taros?« fragte der Gnom. »Es ist schon wieder gut«, versuchte der Dello sich herauszureden. »Die Anstrengung bei dem Anketten der neuen Gefangenen, Herr, und die Furcht, daß Euch etwas ge schehen sein könnte, als …« »Schweig!« herrschte der Zwerg seinen Diener an. Er wollte nicht an seine Schlappe erinnert werden. Andererseits schmeichelte ihn die Sorge des Dellos um sein Befinden. Sie sollten ihn lieben! Alle – die Katzen, Phiancha und auch Taros, obwohl er nur ein Androide ohne Gefühle war. Blodgahn erkannte den Widersinn in sei nen Überlegungen nicht. Ein Wesen, dem man alle Gefühle genommen hatte, konnte sich keine Sorgen um sein Befinden ma chen. Das war Taros' Glück. »Es ist gut«, verkündete der Gnom. »Du darfst dich jetzt zurückziehen. Aber vergiß nicht, den Gefangenen ihr Futter zu bringen, wenn in einigen Stunden die Sonne auf geht.« Natürlich ging in der Dunklen Region nie die Sonne auf. Blodgahn hatte jedoch nicht immer in diesem finsteren Teil von Pthor gelebt und gebrauchte unbewußt noch For-
Horst Hoffmann mulierungen, die hier bedeutungslos gewor den waren. Taros verneigte sich und verschwand aus Blodgahns Gemächern. Der Gnom spürte, wie ein dankbarer und glückseliger Strom von Phiancha zu ihm überfloß. Er beschloß, den neuerlichen Er folg gebührend zu feiern. Daß die Fremden, die jetzt in seinen Verliesen schmachteten, etwas Besonderes waren, war Blodgahn so fort aufgegangen, als er sie erblickt hatte. Die Herren der FESTUNG würden sich erkenntlich zeigen und ihm viele Jahre Le ben schenken! Blodgahn schritt auf einen Schrank zu und nahm eine dunkelblaue Flasche heraus. Dann nahm er einen Becher und schüttelte ihn bis zum Rand voll. Wenige Minuten später hatte er das, was man auf der Erde jenseits der Energieschir me einen ausgewachsenen Rausch nannte. Der Gnom begann, mit seiner knarrenden Stimme eine fürchterliche Melodie zu sin gen und tanzte dazu, bis er umfiel. Die Kombination des Getränks und der kurz vorher geschluckten Kapseln tat ihre Wirkung. Blodgahn lag auf dem Rücken und genoß die Euphorie, die sich in ihm ausbrei tete. Und dann träumte er von seiner Rück kehr in die FESTUNG …
* Der Wechsel von Tag und Nacht spielte keine Rolle für die Gefangenen. Für sie gab es nur das ewige Halbdunkel und das Flackern der Fackeln. Weder Atlan noch einer seiner Gefährten hatte etwas von dem angerührt, was der in zwischen abgeführte Valjare treffend als »Fraß« bezeichnet hatte. Mittlerweile war auch Gloophy wieder bei Sinnen. Die Freunde nannten den Bera nun zumeist »Kolphyr«. Seit Taros' Auftauchen waren wiederum Stunden vergangen. Atlan, Razamon und Koy, der durch den Umstand, daß Fenrir nicht in unmittelbarer Nähe war, erstaunlich
Wächter des Goldenen Vlieses gesprächig geworden war, hatten sich über ihre Situation unterhalten und waren zu dem Ergebnis gelangt, daß sie im Moment nichts tun konnten. Sie hatten sich Blodgahn aus geliefert. »Wir hätten es riskieren müssen«, beharr te Razamon. »Wenn wir uns alle gleichzeitig auf den Zwerg gestürzt und Fenrir auf die Katzen losgelassen hätten, hätten wir es schaffen können, sie zu überwältigen.« »Ich bin sicher, daß das Gas nicht die ein zige Teufelei ist, die der Gnom im petto hat«, widersprach Atlan. »Außerdem hätten die Katzen Fenrir zerrissen. Mit zweien wä re er vielleicht fertig geworden, aber nicht mit einem halben Dutzend.« Er drehte sich nach Koy um. »Du bist unsere einzige Chance, Koy. Du mußt deine Broins unter Kontrolle bringen.« »Es geht nicht, Atlan«, klagte der Tromm ler. »Manchmal spüre ich Ströme in den Broins, aber immer nur kurz. Ich brauche Zeit …« »Und die haben wir«, knurrte Razamon sarkastisch. »Danach gnade diesem Gift zwerg der Himmel!« Sie warteten. Fenrir war aus undurch schaubaren Gründen von ihnen getrennt worden. Manchmal hörten sie sein wütendes Heulen. Nach einiger Zeit erklangen Schritte. »Taros«, vermutete Razamon. »Er wird nachsehen wollen, ob wir unseren Brei ge gessen haben.«
* Taros war zur zweiten Essenverteilung unterwegs. Wie immer, führte sein Weg an der Statue mit dem Januskopf vorbei. Es war Zufall, daß sein Blick auf das zu den Verliesen weisende Gesicht fiel. Taros stolperte fast und stieß einen der Töpfe von seinem Wagen, in denen die Nahrung für die Gefangenen war. Der Dello blieb stehen und starrte einige Augenblicke lang fassungslos auf die blin den Augen der Statue. Die Augen des zwei
31 ten Gesichts leuchteten wie immer und wie sen in die Richtung des Weges zum Golde nen Vlies. Aber die bisher toten Augen des anderen Gesichts begannen plötzlich zu glü hen! Das war etwas, das nicht sein durfte! Taros wollte umkehren und zu Blodgahn rennen, als das Licht zu explodieren schien. Ein unnatürliches helles Leuchten erfüllte die Kreuzung und hüllte den Spezialandro iden ein. Taros war unfähig, sich zu bewegen. Sein Blick haftete auf dem Doppelgesicht der Statue, während das Leuchten noch stärker wurde. In diesen Minuten ging eine tiefgreifende Veränderung in dem Dello vor. Als die Augen erloschen und wieder blind wurden, stand Taros immer noch reglos vor der Marmorstatue. Es dauerte weitere Minuten, bis er sich wie in Trance in Bewegung setzte und in den Gang eindrang, der zu den Kerkern führte. Den Wagen mit der Nahrung stieß er achtlos zur Seite.
6. »Da kommt der Bursche«, rief Razamon. »Vielleicht holt er diesmal einen von uns.« »Mach keine schlechten Scherze«, sagte Atlan, als der Dello vor Koys Verlies ste henblieb. Taros stand einige Augenblicke lang un schlüssig vor dem Gitter und umklammerte zwei Stäbe mit den Händen. »Er ist wie in Trance«, rief Atlan Koy lei se zu, ohne den Blick von dem Androiden zu nehmen. »Wer weiß, was er vorhat. Ver halte dich ruhig, Koy!« Aber der Trommler reagierte überhaupt nicht. »Koy?« Atlan drehte den Kopf. Er erschrak, als er sah, daß der Gefährte ebenso in sich versun ken zu sein schien wie Taros. Irgend etwas ging zwischen den beiden vor, das die ande ren nicht begriffen.
32 Plötzlich kam Bewegung in den Dello. Taros holte einen Schlüssel unter seinem Wams hervor und schloß die Zelle auf. Dann trat er ein und beugte sich über Koy. Kurz darauf war der Trommler frei. Atlan fing einen Blick Razamons auf. Sie verhielten sich vollkommen still, als ob sie befürchten mußten, den Dello aus seiner Trance aufzuwecken. Was hatte Taros' selt sames, völlig unlogisches Verhalten zu be deuten? Was war mit Koy geschehen? Atlan hatte einen vagen Verdacht, als er die beiden sich gegenüberstehen sah. Taros war ein Dello – ein perfekter Spezialandro ide aus Aghmonth. Koy war der Sohn des Androidenpärchens Kergho und Dagrissa. Atlan blieb keine Zeit mehr für weitere Spekulationen, denn Taros drehte sich plötz lich auf dem Stiefelabsatz herum und verließ Koys Zelle. Er beachtete die anderen Gefan genen überhaupt nicht und schritt, immer noch in tranceartigem Zustand, weiter in den Gang hinein, bis er aus dem Sichtbereich der Freunde verschwunden war. Taros' Gesicht war zwar noch ausdrucks los, aber Atlan glaubte, eine Aura von Trau er wahrzunehmen, als der Androide an sei ner Zelle vorbeiging. Auch Razamon war dies aufgefallen. Er bestätigte die Beobach tung mit den Worten: »Das ist nie im Leben der gleiche Kerl, der die Valjaren abführte.« »Koy, hörst du mich?« rief Atlan, der zwar nicht begriff, was um sie herum vor ging, dafür aber ahnte, daß sie keine Sekun de zu verlieren hatten. Der Trommler war aus der Trance er wacht und hielt den Schlüssel zu den Zellen und für die Kettenschlösser in der Hand. Er zögerte keinen Augenblick. Nach wenigen Minuten waren Atlan, Raz amon und Gloophy ebenfalls frei. Razamon nahm den Schlüssel und suchte nach dem Verlies, in dem Fenrir steckte. »Nach oben können wir nicht«, überlegte Atlan. »Dort warten Blodgahns Bestien auf uns. Außerdem ist der Zwerg mir unheim-
Horst Hoffmann lich. Ich habe keine Lust, ihm wieder zu be gegnen – jedenfalls nicht, solange wir keine Waffen haben.« (Der Arkonide konnte nicht wissen, daß Blodgahn ohne seinen Stab, den Gloophy zerschlagen hatte, relativ hilflos war). »Dann bleibt nur eine Möglichkeit«, ver mutete Koy. Atlan nickte. »Wir werden den Gang nehmen, der zum Goldenen Vlies weist. Vielleicht sind wir näher an unserem Ziel, als wir alle dachten.« Koys Blick verriet Skepsis. Razamon erschien mit Fenrir, der freudig erregt an Atlan hochsprang, dann aber leise zu knurren begann, als er Koy sah. Sofort trat der Trommler einige Schritte zurück und hüllte sich wieder in Schweigen. Razamon redete erfolglos auf den Fenrir wolf ein. »Los!« flüsterte Atlan. »Versuchen wir unser Glück, bevor Blodgahn auf die Idee kommt, nach uns zu sehen.« »Sollten wir nicht den Dello suchen?« schlug Razamon vor. »Vielleicht hat er eine Waffe bei sich, die wir gebrauchen können.« »Dazu haben wir keine Zeit, Razamon.« Sie liefen los. Auf dem Weg zur Kreu zung kamen sie an Zellen vorbei, in denen schmachtende Gefangene – in der Hauptsa che Valjaren, aber auch andere Humanoide, zu denen sich die Kunde vom Goldenen Vlies herumgesprochen hatte – sie anriefen und um Hilfe flehten. »Es hat keinen Zweck«, rief Atlan leise, während sie sich der Statue näherten. »Sie wären viel zu schwach, um den Ausbruch mitzumachen. Aber wir kehren zurück, Raz amon! Wir werden sie alle befreien und die sem Teufel eine Lehre erteilen.« »Das letztere kannst du getrost mir über lassen!« knurrte der Atlanter. Die blinden Augen der Statue waren in zwischen längst wieder erloschen. Die Ge fährten hatten keine Ahnung davon, was hier noch vor kurzem geschehen war. Vor ihnen lag der Gang, in den die Augen des zweiten Gesichts wiesen.
Wächter des Goldenen Vlieses »Wir nehmen Fackeln«, sagte Atlan. Die Freunde bedienten sich. Sie hatten eine große Auswahl. Dann drangen sie in den Gang ein. Fenrir lief voran und verschwand hinter der ersten Biegung. Wieder führte ihr Weg ins Ungewisse. Sie hatten keine Ahnung, welche Überraschun gen in dem unterirdischen Gewölbe noch auf sie warten mochten.
* Blodgahn erwachte mit einem ziemlichen Brummschädel. Er richtete sich auf und war tete ein paar Minuten, bis die Umgebung ei nigermaßen zum Stillstand gekommen war. Ächzend kam er auf die Füße. Der Gnom stöhnte und stieß eine Reihe von Flüchen aus, als die Kopfschmerzen nicht aufhörten, sondern eher noch schlim mer wurden. Dementsprechend war auch seine Laune. Blodgahn trat hinaus auf die Brüstung und holte tief Luft, mit dem Effekt, daß die Krei selbewegungen der Umgebung wieder ein setzten. »Ich rühre in meinem ganzen Leben kei nen Tropfen Kweel mehr an«, schwor sich der Zwerg und überlegte, wie sich sein Zu stand bessern ließ. Er fühlte sich miserabel. Draußen war es längst Tag. Der Innenhof der alten Festungsanlage war in das übliche Halbdunkel getaucht. Die Sicht reichte kaum bis zu der Stelle, an der der Pelchwagen stand. Phiancha war nicht zu sehen. Sie befand sich schon wieder auf der Jagd. Blodgahn kehrte in seine Gemächer im Turm zurück. Er ließ sich ächzend in einen Sessel fallen. Taros mußte Rat wissen! Sicher würde er ihm einen Trank zusammenbrauen können, der ihn schnell wieder auf die Beine brachte. »Taros!« krächzte Blodgahn, so laut er konnte. Die Anstrengung trieb ihm das Blut in den Kopf und ließ ein farbiges Mosaik vor seinen Augen entstehen.
33 »Die FESTUNG sollte veranlassen, daß der Eingeborenenstamm, der das Kweel her gestellt, bis auf den letzten Mann ausgerottet wird!« fluchte Blodgahn. »Wo steckt der blöde Taros? Er müßte längst von der Nah rungsverteilung zurück sein.« Blodgahns Hand legte sich auf einen großen Knopf auf der Sessellehne. Im näch sten Moment dröhnte ein Gong durch die Gemäuer der Anlage. Blodgahn fuhr zusam men. Er hatte das Gefühl, in einer riesigen Glocke eingeschlossen zu sein, die von au ßen angeschlagen wurde. »Jetzt reicht's!« zeterte der Gnom und er hob sich vorsichtig. Langsam, jeden Fuß be dächtig vor den anderen setzend, ging er in einen abgelegenen Nebenraum. Er stützte sich immer wieder auf Einrichtungsgegen stände und erreichte endlich eine große, schwarze Truhe. Blodgahn öffnete sie und nahm einen Be cher heraus. Dann suchte er verschiedene belebende Kräuter, die er einmal von einem Magier erhalten hatte. Er gab von jedem Kraut ein wenig in den Becher, goß einige scharfe Flüssigkeiten darüber und mixte al les mit einem seiner langen Finger. Blodgahn roch an dem Gebräu und verzog angewidert die große Nase. »Wenn das nicht hilft …« Er überwand den Ekel und trank den Be cher in einem Zug aus. Blodgahn stand wie angewurzelt vor der Truhe und starrte ins Leere. Plötzlich began nen sich seine Pupillen zu verdrehen. Der Gnom öffnete den Mund und stieß unartiku lierte Laute aus. Die Nackenhaare richteten sich auf, und einem unbefangenen Beobach ter wäre es so vorgekommen, als stiege eini ge Augenblicke lang Rauch aus den Ohren des Zwerges. Das Ganze dauerte etwa eine halbe Minu te. Dann kam urplötzlich Bewegung in den Buckligen. Blodgahn sprang in die Höhe und bekam einen fürchterlichen Hustenan fall. Mit verdrehten Augen rannte er krei schend aus dem Zimmer, vollführte einen Veitstanz auf einem Korridor und schlug
34 seinen Schädel ein paarmal gegen eine Wand. Danach stand er einige Augenblicke wie eine Statue auf dem Gang. Langsam norma lisierte sich der Ausdruck seiner Augen, da für bekam er nun einen hochroten Kopf. Wieder schien etwas in seinem Innern zu explodieren. Blodgahn schrie laut auf und machte einen Satz in die Höhe, drehte sich einige Male um seine Achse und rannte zu rück in den Raum, wo er einen großen, mit Wasser gefüllten Topf entdeckte. Blodgahn kniete davor nieder, steckte den Kopf hinein und trank in langen Zügen. Blodgahns Kopf fuhr in die Höhe. »Aaah«, seufzte der Gnom. »Das tut gut!« Und zu der Truhe mit den Gewürzen und Flüssigkeiten gewandt, fügte er hinzu: »Die FESTUNG sollte veranlassen, daß alle Ma gier in der Großen Barriere von Oth sofort hingerichtet werden!« Immerhin war Blodgahn nun wieder bei Sinnen. Seine Laune hatte sich jedoch nicht ge bessert. Er hatte vorgehabt, die neuen Ge fangenen erst einmal genau zu studieren, um dann zu verfolgen, wie sie langsam, aber si cher ihren Stolz verlieren und ihn am Ende um Gnade anflehen würden. Jetzt aber dachte er plötzlich nur noch an die Schmach, die sie ihm, dem Wächter des Goldenen Vlieses und dem ehemaligen Hof narren der Herren der FESTUNG, zugefügt hatten. Nein, dachte Blodgahn, sie sollten leiden und spüren, was es hieß, sich gegen ihn aufzulehnen. Einer von ihnen würde noch heute für Phiancha freigegeben wer den. Blodgahn steigerte sich in seinen Haß hin ein. Er haßte alles Lebende – mit Ausnahme seiner Lieblinge. Sie würden alle sterben, einer nach dem anderen – und langsam! Blodgahn fühlte sich wieder frisch. »Vielleicht sollte man die Magier doch lieber schonen«, murmelte er auf dem Weg in seinen Aufenthaltsraum. Noch einmal ließ er den Gong schlagen.
Horst Hoffmann Taros meldete sich nicht. Blodgahn beschloß, selbst nach dem Rechten zu sehen. Er legte sein Gewand an und suchte nach seinem Stab. Erst jetzt fiel ihm ein, daß das Monstrum mit der seltsam rauhen Haut ihn zerbrochen hatte. Auch das sollten sie büßen! Blodgahn machte sich dennoch auf den Weg in die unterirdischen Gewölbe. Auch ohne Stab würden die technischen Anlagen der alten Festung dafür sorgen, daß ihm nichts geschah. Und Taros sollte eine Lektion für seinen Ungehorsam bekommen. Blodgahn war be reits im Innenhof angelangt, als er stehen blieb und ein dämonisches Grinsen aufsetz te. Er rief nach seinen Katzen.
* Taros kauerte im hintersten Winkel des Ganges, wo die Verliese noch leer waren. Neben ihm führte eine Treppe nach oben. Taros wußte, daß er über sie in Sicherheit gelangen konnte, aber er machte keine An stalten, hinaufzuklettern. Taros wußte, daß Blodgahn früher oder später auftauchen würde, um nach ihm zu suchen. Dabei würde er an den geöffneten Zellen vorbeikommen. Der Dello zitterte am ganzen Körper. Was war mit ihm geschehen? Immer, wenn er versuchte, die Ursache für sein Ver halten zu ergründen, schob sich ein dunkler Schleier vor seine Gedanken. Er sah zwar noch die plötzlich aufleuchtenden Augen der Statue, die Verliese, an denen er vorbeige kommen war, seine Hände, die den Schlüs sel in das Schloß der Zelle steckten, in der der Fremde mit den Fühlern lag … Der Fremde mit den Fühlern! Es war kein Fremder gewesen! durchfuhr es den Dello. Es war ein Gleichartiger! Ein Geschöpf wie Taros! Bereits bei der ersten Begegnung hatte ihn ein seltsames Gefühl beschlichen, als er den Eindringling sah. Während Taros vor der leuchtenden Statue gestanden hatte, mußte irgendwo in seinem
Wächter des Goldenen Vlieses Innern etwas geschehen sein, das ihn die wahre Natur des Fremden erkennen ließ. Der Haß wich einem unerklärlichen Gefühl tiefer Verbundenheit. Sie waren von der gleichen Art! Taros' Gedanken kreisten. Er versuchte zu begreifen, was das plötzliche Aufleuchten der blinden Augen zu bedeuten hatte. Es mußte viel mehr dahinterstecken, als nur die Anwesenheit der neuen Gefangenen. Etwas, das Taros nicht begriff, das aber ohne Zwei fel derart auf ihn eingewirkt hatte, daß es sein ganzes Weltbild über den Haufen ge worfen hatte. Zum erstenmal seit langer Zeit hatte Taros bewußt zu denken begonnen. Ein Teil des Bannes, den Blodgahn ihm auferlegt hatte, war gewichen. Taros hatte begonnen, seinen Herrn für das, was er ihm angetan hatte, zu hassen. Taros wurde sich dessen bewußt, was er im Namen Blodgahns unzähligen unschuldigen Kreaturen angetan hatte. Der Schmerz war so heftig, daß er nicht mehr leben wollte. Er konnte die Last seiner Vergehen nicht mehr ertragen. Taros' einzige Genugtuung war, daß er den neuen Gefangenen die Flucht ermög licht hatte. Er wußte, daß sie kaum eine Chance hatten, aus dem Gewölbe zu ent kommen, aber er hatte getan, was in seiner Macht lag. Die Fremden waren keine normalen Ge fangenen. Irgend etwas an ihnen hatte Taros Furcht eingejagt, aber auch Hoffnung gege ben. Die Hoffnung, daß sie in der Lage wä ren, Blodgahns Macht zu brechen, wenn sie erst einmal in Freiheit waren. Vielleicht wurden sie auch mit den Grau en der Dunklen Region fertig. Taros wünschte sich plötzlich, sie auf ihrem Weg begleiten zu können. Aber er wußte, daß dies unmöglich war. Taros war ein Androide, aber er war so perfekt, daß er einem organischen Wesen aufs Haar glich. Seit dem Ereignis vor der Statue hatte er seine Gefühle wiedererlangt. Der Dello wußte, daß er nicht mehr länger
35 als eine Stunde zu leben hatte. Weit vorne im Gang hörte er das Fauchen von Blodgahns Katzen. Der Gnom würde kein Erbarmen mit ihm haben. Taros zitterte noch heftiger. Ein weiteres Gefühl machte sich in ihm breit. Der Dello wollte nicht sterben.
* Als Blodgahn den umgekippten Wagen mit den Nahrungstöpfen sah, ahnte er bereits Schlimmes. »Taros!« rief er in den Gang, so laut er konnte, um das Fauchen der Raubkatzen zu übertönen. Keine Antwort. Blodgahn drang in den Gang ein. Die noch lebenden Gefangenen verhielten sich auffallend ruhig. Blodgahn kam ein fürchter licher Verdacht. Er ging weiter, auf die Verliese der neuen Gefangenen zu. Immer noch fand er keine Spur seines Dieners. Blodgahn erreichte die Zellen der Neuan kömmlinge. Er brauchte nur wenige Augen blicke, um zu begreifen, was geschehen war. Glühender Haß stieg in dem Zwerg auf. Die Gefangenen waren entkommen, und das war Taros' Werk! Zwei der Katzenwesen fauchten und sch lichen an ihm vorbei, auf das Ende des Gan ges zu. Blodgahn folgte ihnen, bis er den Dello in der Ecke kauern sah. »Er gehört euch!« schrie er den Raubtie ren zu. »Greift ihn!« Der Gnom drückte sich an die Gitter eines Kerkers, um auch die restlichen seiner »Lieblinge« an sich vorbei zu lassen. Er sah zu, wie sie den schreienden Dello zerrissen. Blodgahn empfand kein Mitleid. Taros hatte ihn verraten und erhielt seine Strafe. Erst nach einigen Minuten machte er kehrt und ging zur Kreuzung zurück. Blod gahn konnte sich leicht ausmalen, wohin die Gefangenen verschwunden waren.
36 Vielleicht hatte er sie unterschätzt, aber dies beruhte auf Gegenseitigkeit. Hätten die Fremden von Blodgahns Machtfülle gewußt und geahnt, was sie in dem Stollensystem erwartete, so hätten sie erst gar nicht den Versuch einer Flucht unternommen. Der Gnom stand vor der Statue und be trachtete das Gesicht mit den leuchtenden Augen. Schon oft hatte er versucht, in den Gang einzudringen, der den Weg zum Gol denen Vlies wies. Aber jedesmal waren sei ne Anstrengungen vergeblich gewesen. Eine Willensbarriere hinderte den Gno men daran, in den Gang einzudringen. Es war paradox. Blodgahn fühlte Unmut in sich aufsteigen. Ihm, dem Wächter des kostbar sten Schatzes Pthors, war der Weg versperrt, aber die entflohenen Gefangenen konnten ungehindert in den Gang eindringen. Blodgahn beschloß, einen neuen Versuch zu wagen. Er spürte, daß irgend etwas vor ging, das vielleicht dazu geeignet war, die Grundfesten der bestehenden Ordnung auf Pthor zu erschüttern. Vielleicht bestand die Willensbarriere nicht mehr. Blodgahn wartete, bis seine Katzen wie der bei ihm waren. Dann ging er vorsichtig um die Statue herum und schickte sich an, in den verbotenen Gang einzudringen. Im nächsten Moment prallte er gegen die unsichtbare Wand. Benommen taumelte der Gnom zurück. »Euch wird man nicht aufhalten«, rief er seinen Bestien zu. »Los, bringt mir die Aus brecher zurück, egal wie!« Die Katzen fauchten und stürzten sich in den Gang. Sie verschwanden darin, ohne daß etwas passierte. Blodgahn zog eine Grimasse. Seine Lieblinge würden ihren Spaß haben. Blodgahn kam gar nicht erst auf den Gedan ken, daß der Vorsprung der Fremden so groß sein könnte, daß sie sie nicht vor der Kam mer des Todes einholen würden, was immer sich hinter dem Begriff verbarg. Blodgahn bezog sein ganzes Wissen über das Laby rinth von Phiancha, deren großartige Sinne bis hinab in die Tiefe drangen.
Horst Hoffmann Irgendwo in den Stollen befand sich etwas unvorstellbar Grauenhaftes, aber Blodgahn wußte nichts Genaues. Wieder einmal befiel ihn maßlose Wut darüber, daß die Herren der FESTUNG ihm als einzigem den Weg, den Zugang zu dem Gangsystem versperrt hatten. Warum eigentlich? Weshalb war ihm dieser Weg versperrt? Die Herren der FESTUNG! Blodgahn mußte ihnen Meldung über die Vorkommnisse erstatten! Sie würden ihn bestrafen und ihm keine neuen Kapseln schicken! Der Gnom zitterte vor Angst. Er beschloß, auf die Rückkehr der Katzen zu warten. Er war sicher, daß sie die Entflohenen stellen würden. Blodgahn drang in den Gang ein, der zum Schacht nach oben führte, und kehrte in sei ne Gemächer zurück. Die Angst vor der Strafe für sein Versa gen lähmte seine Stimme.
7. »Das reinste Labyrinth«, fluchte Atlan. »Bei all den plötzlich zum Leben erwachten Legenden unserer terranischen Barbaren würde es mich überhaupt nicht wundern, wenn plötzlich der Minotauros vor uns auf tauchen würde.« »Früher oder später werden wir den Aus gang finden« meinte Razamon. »Fenrir hat eine gute Nase.« Atlans Blick verriet deutlich, was er von dem plötzlichen Optimismus des Gefährten hielt. Sie steckten tief in einem unterirdi schen Gangsystem, und es war kaum zu er warten, daß sie gleich bei ihrem ersten An lauf den Weg zur Oberfläche finden würden. Atlan rechnete damit, daß ihnen noch eine Reihe von unangenehmen Überraschungen bevorstand. Dabei mußte es sich nicht unbe dingt um von Blodgahn installierte Fallensy steme handeln. Der Arkonide bezweifelte, daß Blodgahns Macht bis in die Tiefen des Gangsystems hineinreichte. Irgend etwas an dem Verhal
Wächter des Goldenen Vlieses ten des Zwerges, als sie vor der janusköpfi gen Statue gestanden hatten, hatte in Atlan den Eindruck erweckt, daß Blodgahn eine gewisse Scheu vor dem erleuchteten Gang hatte. Sie bewegten sich im Schein der Fackeln weiter in den Stollen hinein. Bisher hatten sie noch keine Abzweigung gefunden, die weiter als einige hundert Meter führte. Nach den ersten erfolglosen Versuchen hatten sie beschlossen, dem Hauptgang zu folgen. Irgendwann würde Blodgahn ihre Flucht bemerken. Wie würde der Gnom reagieren? Welche Mittel hatte er zur Verfügung? »Wir müssen auf Kolphyr warten«, rief Razamon. Atlan blieb stehen. Der zweieinhalb Meter große Bera zwängte seinen Körper durch eine für ihn viel zu niedrige Stelle im Stollen. Wieder mußte er die Hand von seinem Gespinst am linken Oberarm nehmen. Atlan und Razamon sahen sich betroffen an. Das Gespinst war mittlerweile etwa fünf Zentimeter dick und bedeckte eine ovale Fläche auf dem Arm des Beras, die jetzt et wa fünfzehn Zentimeter lang und zehn Zen timeter breit war. Aber das war nicht das Schlimmste! Das Gespinst pulsierte heftig und war nicht mehr weiß, sondern blutrot. An einigen Stellen schimmerte es dunkelviolett. Atlan glaubte, ein Flimmern zu bemerken, das das Gebilde umgab. Was wuchs dort an Gloophys Arm heran? Der Arkonide sah plötzlich eine weitere, furchtbare Gefahr für den Bera. Was war, wenn das Etwas unaufhörlich weiterwuchs und Gloophy langsam auffraß? Der Bera hatte die enge Stelle überwun den und sich wieder aufgerichtet. Sofort fuhr die Hand wieder auf den Arm. Wenn Kol phyr die Blicke der Männer bemerkt hatte, so zeigte er es nicht. »Sobald wir eine geeignete Stelle gefun den haben, werden wir eine Rast einlegen«, kündigte der Arkonide an. Zu Razamon ge wandt, flüsterte er grimmig: »Koy wird end
37 lich reden müssen, sonst werde ich unge mütlich.« Razamon sah Gloophy verständnislos an. »Wenn er nur auftauen würde. Aber er be hütet das Gespinst wie eine Mutter ihr Jun ges. Ich glaube sogar, daß er Blodgahn nur deshalb angriff, weil er Angst um sein … seinen Ableger hatte.« »Langsam kommen mir Zweifel, was die Theorie mit dem Ableger angeht. Ich habe Koys Blicke bemerkt. Er ist verdammt unsi cher, auch wenn er's nicht zugeben will. Er muß endlich reden!« Sie gingen weiter, an einer kleinen Ab zweigung vorbei, die sie nicht weiter beach teten, nachdem Fenrir einige Dutzend Meter hineingelaufen und knurrend zurückgekom men war. Der Wolf lief vor ihnen her in den Hauptstollen. Die Wände wurden durch die Fackeln in gespenstisches Licht getaucht. Manchmal glaubten die Freunde, glänzende Adern im Gestein zu sehen. An einigen Stellen tropfte Wasser von der Decke herab. Es gab keinen Zweifel, daß der Stollen weiter in die Tiefe führte – was überhaupt nicht im Sinn der Flüchtlinge lag. Nach einer halben Stunde erreichten sie eine Gabelung. Der Gang teilte sich. »Das habe ich die ganze Zeit über be fürchtet«, brummte Razamon. »Was jetzt, großer Meister?« Fenrir stand vor der Gabelung und wirkte unschlüssig. Atlan trat neben den Wolf und stutzte. Aus dem linken Stollen floß ein kleines Rinnsal und vereinigte sich mit dem Wasser im Hauptgang, das mittlerweile zu einem kleinen, unterirdischen Bach geworden war. Er strömte in den rechten Stollen. »Hier geht's nach oben«, überlegte der Arkonide. »Wir versuchen es hier.« Razamon, Koy und Kolphyr setzten sich in Bewegung und folgten ihm. Nur Fenrir rührte sich nicht von der Stelle. Die Nacken haare des riesigen Wolfes waren aufgerich tet. Fenrir knurrte und fletschte die Zähne. Atlan spürte, wie es ihn kalt überlief. Das
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Tier wollte sie warnen. Es spürte eine Ge fahr, die sie im Gang erwartete. Aber sie hatten keine Wahl, wenn sie nach oben wollten. Der rechte Gang führte noch weiter in die Tiefe. »Na los schon«, rief Razamon. »Denke an Blodgahn und seine Bestien! Mittlerweile muß er unseren Ausbruch bemerkt haben.« Eine Gefahr, dachte Atlan. Fenrir führt sich nicht umsonst so auf. »Komm schon, Fenrir, wir wollen nach oben. Es gibt nur diesen Weg.« Nur widerwillig gehorchte der Wolf. At lan erschrak, als er die glühenden Augen sah. Fenrir machte einen Satz an ihm und den anderen vorbei und lief in den Gang. Auch Gloophy war stehengeblieben und starrte ängstlich in das Dunkel vor ihnen. »Wir … nicht hinein …«, brachte das Wesen hervor. Da riß dem Arkoniden die Geduld. »Sei nicht albern, Kolphyr! Ich will hier 'raus, und das möglichst schnell! Wenn du auf Blodgahn warten möchtest – bitte schön!« Atlan schob sich an dem Bera vorbei, wo bei er mit dem Kopf die Hand streifte, die das Gespinst bedeckte. Täuschte er sich, oder hatte er eine feine, zirpende Stimme gehört? Es war keine Zeit für fruchtlose Spekula tionen. Razamon wartete einige Meter vor ihnen und winkte ungeduldig. Sie stiegen in den Gang hinein. Niemand sprach mehr ein Wort. Jeder von ihnen schien zu ahnen, daß sie etwas Unheimliches erwartete.
* Phiancha kreiste über dem von Dornbü schen übersäten Gelände, das die Burg ihres Herrn in weitem Kreis umgab. Sie war hungrig. Die mutierten Sinne des schwarzen Mon strums drangen durch die Dunkelheit und suchten nach Beute. Endlich fand sie ein größeres Tier. Phiancha schoß auf die ahnungslose Krea-
tur hinab und tötete sie mit einem Hieb des spitzen Schnabels ins Genick. Nach wenigen Minuten war ihr Hunger fürs erste gestillt. Phiancha stieg wieder auf und beschloß, nach den Fremden zu suchen. Sie hatte die Erregungsimpulse ihres Herrn aufgefangen, als sie über die Festungsanlage flog, und wußte, daß sie ausgebrochen waren. Phianchas Sinne durchdrangen mühelos die viele Meter dicken Bodenschichten über dem Gangsystem, das weit hinaus in die Dunkle Region führte. Phiancha kreiste oft über den unterirdischen Gängen, bis die von unten auf sie eindringenden, furchtbaren Im pulse ihr Pein bereiteten. Phiancha wußte, daß ihr Herr nicht in die se Stollen eindringen konnte, und das war gut so. Das Monstrum und sein Herr waren auf schicksalhafte Weise miteinander ver bunden. Sollte einer von ihnen den Tod fin den, so würde auch das Leben des anderen zu Ende sein. Nach einer Weile empfing Phiancha die Impulse der Fremden. Die Riesenfledermaus verfolgte die Bewegungen der Entflohenen, bis sie genug wußte. Außerdem spürte sie bereits wieder die nahen Schreckimpulse. Die Fremden beweg ten sich genau darauf zu. Phiancha drehte ab und flog zu ihrem Hort. Sie kugelte sich ein und wartete. Diesmal dauerte es etwas länger, bis ihr Herr erschien. Phianchas Bewußtseinsströ me flossen in ihn über und informierten ihn. Sie spürte Betroffenheit und Schmerz. Dann signalisierte ihr Herr Dankbarkeit und versprach, sie noch vor dem Abend zu be lohnen. Aber die Bestürzung blieb. Phiancha wartete, bis ihr Herr gegangen war und entkugelte sich. Sie stieg wieder auf und verschwand in der ewigen Finsternis der Dunklen Region. Wenig später zerriß der Todesschrei eines Tieres die Geräusche der Wildnis.
* Blodgahn war bestürzt.
Wächter des Goldenen Vlieses Er hätte es nie für möglich gehalten, daß die entflohenen Gefangenen bereits so weit in den Gang eingedrungen waren, daß sie schon die Gabelung erreicht hatten. Und wenn Phianchas Informationen stimmten – woran es für den Gnom keinen Zweifel gab –, dann befanden sie sich im Gang, der zur Kammer des Todes führte! Und die Katzen waren hinter ihnen her! Sie würden ihnen folgen, bis sie sie erreicht hatten! Blodgahn machte sich keine Sorgen um die Flüchtlinge. Was mit ihnen geschah, war ihm einerlei – wenn sie nur nicht entkamen und zur Gefahr für das Goldene Vlies wur den. Aber seine Lieblinge befanden sich in höchster Gefahr! Der Zwerg hatte niemals auch nur einen Fuß in den Gang setzen können, in den die leuchtenden Augen der Statue führten. Er wußte nur, daß er zum Goldenen Vlies führ te – oder in den Tod. Von Phiancha hatte er einen Eindruck des Grauens bekommen, das in dem Stollensy stem auf denjenigen lauerte, der nicht den richtigen Weg kannte. Die Fremden gingen ihrem Verderben entgegen – und mit ihnen Blodgahns Lieblinge. Der Gnom war verzweifelt. Schließlich stieg er in die Gewölbe hinab und wartete vor der Statue. Blodgahn machte sich schwere Vorwürfe. Das Auftauchen der Fremden erschien ihm plötzlich wie ein Signal. Innerhalb kürzester Zeit hatte er Taros verloren, und jetzt die Katzen … Er hätte sie nicht in den Gang schicken sollen. Der Gnom hatte aus reinem Haß her aus gehandelt. Sollten die Flüchtlinge den Weg an die Oberfläche finden, so verfügte er noch über ausreichende Möglichkeiten, sie unschädlich zu machen. Vielleicht gelang es den Katzen, sie noch einzuholen, bevor sie die Kammer des To des erreichten. Blodgahn wußte nicht, was dort auf die Eindringlinge wartete, aber nach Phianchas Schilderungen mußte sich dort et
39 was Grauenhaftes befinden. Der Begriff Kammer des Todes war ebenfalls nichts weiter als ein Äquivalent zu Phianchas Ein drücken. Blodgahn hockte vor der Statue und grü belte. Einige Male war es Gefangenen geglückt zu entkommen und in den Gang zu seiner Rechten zu fliehen. Sie waren niemals an der Oberfläche herausgekommen und auch niemals hierher zurückgekehrt. Blodgahn mußte erkennen, daß ihm all sein technisches Instrumentarium jetzt über haupt nichts nützte. Er konnte nur warten.
* Der Gang stieg fast unmerklich an. An ei nigen ebenen Stellen hatten sich knöcheltie fe Pfützen gebildet, in denen sich das Was ser staute, das aus der Wand trat und von der Decke tropfte. Gloophy hatte jetzt immer größere Schwierigkeiten, sich durch die engen Stel len im Stollen zu schieben. Atlan und Razamon halfen ihm dabei, so gut sie konnten. Der Bera wehrte sich gegen die Unterstützung, als ob er jede Berührung mit den Gefährten scheute. Sie mochten etwa dreihundert Meter in den feuchten, stickigen Gang eingedrungen sein, als Fenrir abrupt stehenblieb und ein markerschütterndes Heulen ausstieß. »So habe ich ihn noch nie erlebt«, sagte Razamon. »Er hat etwas entdeckt.« Der Atlanter hatte sein Messer in der Hand. »Sehen wir es uns an!« Atlan versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Mit vorgehaltener Fackel ging er auf Fenrir zu. Das Tier drehte den Kopf. Atlan erschrak, als er in die Augen des Wolfes sah. Sie glüh ten förmlich. Fenrir knurrte und winselte. Er hatte Angst! Aber er war gewillt zu kämp fen. Der Schein der Fackel fiel auf einen Ge genstand unmittelbar vor Fenrirs Vorderpfo ten. Atlan stieß einen Fluch aus, als er er
40 kannte, worum es sich handelte. Razamon war ihm gefolgt. »Ein Schädel«, flüsterte er, als ob die Wände des Stollens Ohren hätten und sie ir gend jemanden oder irgend etwas verraten könnten, das irgendwo in diesem Labyrinth auf sie wartete. »Und zwar der eines Menschen«, fügte Atlan leise hinzu. »Besser gesagt: eines Humanoiden, vielleicht war der arme Teufel ein Valjare.« »Verdammt, was hat das zu bedeuten, At lan? Der Zwerg erklärte, daß dieser Gang zum Goldenen Vlies führte – der andere führte in das Verderben.« Atlan gab keine Antwort. Er kniete sich über den Schädel. Das Licht seiner Fackel schälte die Konturen weiterer Knochen aus der Dunkelheit. Wieder stieg ein grauenhafter Verdacht in ihm empor. Eine weitere Spukgestalt aus den Sagen der Terraner. Der Minotauros! Atlan fielen Bilder ein, die er von dem stierköpfigen Monstrum gesehen hatte, das einst auf der Insel Kreta in einem Labyrinth unter dem Königspalast gelebt haben sollte und in regelmäßigen Abständen Menschen opfer dargebracht bekam, bis der junge The seus ihm den Garaus gemacht hatte. Hatte auch diese Legende ihren Ursprung auf Pthor? Konnte es nicht sein, daß bei dem letzten Auftauchen des Dimensionsfahr stuhls auf der Erde Menschen nach Atlantis gebracht wurden und daß einigen von ihnen die Flucht gelang? Spielte nicht der Mythos von Atlantis ge rade in den frühen Kulturen im Mittelmeer raum eine bedeutende Rolle? War es nicht Platon gewesen, der über Atlantis Zeugnis abgelegt hatte? Die Legende vom Goldenen Vlies! Jason und die Argonauten! Der Gedanke daran trieb dem Arkoniden den Schweiß auf die Stirn. Es ist nicht reali stisch! meldete sich der Extrasinn. Du mußt dich auf die wirklichen Gegebenheiten kon zentrieren!
Horst Hoffmann Atlan stieß ein trockenes Lachen aus. Razamon sah ihn erstaunt an. Was waren die »wirklichen Gegebenhei ten«? Seitdem Atlan die Küste des Neuen Atlantis betreten hatte, schien Reales und Ir reales ineinander überzufließen. Die Gestal ten der Edda, der nordischen Götterdich tung, waren zum Leben erwacht. Dunkle Magie und finstere Mächte beherrschten Pthor. Reiß dich zusammen! Atlan erwachte aus seinen Gedanken. »Wir verlieren Zeit«, hörte er Razamon sagen. »Laß uns weitergehen.« Der Arkoni de legte eine Hand auf Fenrirs Rücken und tätschelte den Wolf beruhigend. Fenrir sah ihn fast flehend an und wedelte mit dem Schweif. »Weiter, mein Guter«, preßte Atlan her vor. »Du hast nicht zufällig wieder eine Er innerung?« fragte er Razamon. »Keine Spur.« Sie gingen weiter. Gloophy stieß wim mernde Laute aus. Das Antimateriewesen hatte Angst – und Schmerzen. Verfügte der Bera über bisher nicht zum Vorschein getre tene Fähigkeiten? Wußte er, was ihnen be vorstand? Plötzlich verbreiterte sich der Gang. Die Flüchtlinge befanden sich in einer kleinen Felshalle mit etwa fünf Meter Durchmesser. Sie war hoch genug, um auch dem Bera be quem Platz zu bieten. »Wir machen eine Rast«, verkündete At lan. Sie hatten keine Vorräte bei sich, um den Hunger zu stillen. Razamon ging zu ei nem der vielen kleinen Rinnsale und schöpf te etwas Wasser mit der Hand. Er roch kurz daran und verzog angewidert das Gesicht. Gloophy hatte sich schweigend auf den steinigen Boden gesetzt. Atlan beobachtete ihn einige Augenblicke. Der Bera zitterte. Der Arkonide hockte sich zu Koy, während Razamon die kleine Halle durchstreifte und nach etwas suchte. Vielleicht war der arme Teufel, dessen Skelettreste sie vorhin gefunden hatten, ein fach verhungert oder verdurstet – auf der
Wächter des Goldenen Vlieses Flucht vor Blodgahn und seinen Bestien, versuchte Atlan sich einzureden. Sie hatten nicht viel Zeit, um neue Kräfte zu sammeln. Atlan selbst brauchte keine Rast. Der Zellaktivator tat seine Wirkung. Er sah Koy tief in die Augen. »Findest du nicht, daß es Zeit ist, endlich zu reden?« fragte er eindringlich. »Ich habe Respekt vor euren Tabus, aber ich werde nicht dulden, daß Gloophy langsam zugrun de geht, nur, weil du nicht über deinen Schatten springen kannst.« »Er wird nicht zugrunde gehen«, sagte der Trommler ausweichend. »Koy, meine Geduld ist zu Ende! Glaubst du, ich wäre blind? Ich sehe doch, wie du ihn dauernd anstarrst. Irgend etwas stimmt nicht, du mußt endlich den Mund aufma chen.« Der Trommler versuchte, Atlans Blicken auszuweichen. Es war deutlich zu sehen, daß er mit sich kämpfte. »Du mußt dich überwinden, Koy! Wir ha ben nicht viel Zeit!« Atlan sah, daß Raza mon sich hinter einem Felsvorsprung zu schaffen machte. Offensichtlich hatte er et was entdeckt. Koy gab sich einen Ruck. »Also schön, Atlan. Die Stelzer sind Para siten, die ihren Samen unter die Haut ande rer Wesen legen, die dann für sie …« »… die ihre Brut für sie großziehen?« Koy sah den Arkoniden dankbar an. Er nickte. »So ist es. Die Stelzer werden auf ganz Pthor gefürchtet. Als der Vogel zu uns aufs Floß sprang, ahnte ich nicht, eines dieser be rüchtigten Wesen vor mir zu haben, sonst hätte ich euch rechtzeitig gewarnt. Ich merk te es erst, als ich nach der Paralyse zu mir kam und sah, was sich an Gloophys Arm bildete …« »Weiter! Was geschieht mit ihm?« »Normalerweise bildet sich unter der Haut der Befallenen eine Art Ei, das auf platzt, wenn der junge Stelzer herangereift ist. Die Wirte sterben nicht, nach einer Wei le verheilt die Narbe …«
41 »Und Gloophy? Mein Gott, wir haben keine Zeit, Koy! Sieh dir den armen Teufel an! Er muß furchtbar leiden!« »Bei ihm ist es ganz anders. Irgend etwas wächst in seiner Haut, im Velst-Schleier, heran. Es muß damit zusammenhängen, daß Gloophy aus Antimaterie besteht. Die Jun gen der Stelzer nehmen einen Teil der Sub stanz ihrer Wirte in sich auf. Das, was auf Gloophys Arm heranwächst, zapft ihn an, Atlan. Es zapft die Antimaterie an!« Der Arkonide starrte Koy ungläubig an. »Das ist unmöglich, Koy, und du weißt es …« »Es ist so, Atlan!« Razamon bereitete der Unterhaltung ein Ende. Er winkte heftig. Atlan stand auf und ging hinüber zu dem Gefährten. Razamon hatte einige aufgehäufte Stein brocken zur Seite geräumt. Sie waren künst lich aufgetürmt worden. Der Atlanter trat zur Seite und leuchtete mit der Fackel in den freigelegten Hohlraum, der tief in den Fels hineinreichte. Atlan kämpfte gegen die Übelkeit an, die ihn beim Anblick der Skelette überkam. Es waren Dutzende! »Sollten wie nicht lieber doch umkeh ren?« fragte Razamon. Atlan versuchte, ihre Lage zu analysieren. Das war nicht mehr das Werk des Gnomen. Und das waren keine verirrten Flüchtlinge, die in den Gängen des Labyrinths verdurstet waren. Jemand hatte die Schädel und die Knochen in der Felsnische gestapelt und die Steine davor aufgetürmt. Jemand, der in diesen Gängen zu Hause war und sie jetzt, in diesem Augenblick, mit großer Wahrscheinlichkeit beobachtete. Minotauros! Wir müssen weiter, dachte Atlan, an die Oberfläche. Nur das zählte! Immer noch unterlag er einem verhäng nisvollen Trugschluß, dem bereits Dutzende von anderen Wesen zum Opfer gefallen wa ren. Selbst, wenn er den Irrtum erkannt hätte,
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wäre es jetzt zu spät zur Umkehr gewesen. Ein markerschütterndes Gebrüll erfüllte die Felshalle. Es war nicht zu bestimmen, aus welcher Richtung es kam. Atlan hielt sich die Ohren zu. Er sah die schmerzerfüll ten Gesichter der Gefährten, sah, wie Fenrir aufsprang und in die Fortsetzung des Ganges rannte, als ob tausend Teufel hinter ihm her wären, sah, wie Gloophy unendlich langsam aufstand und die Hand von seinem Arm nahm … Razamon lief hinter dem Wolf her und verschwand einen Augenblick lang in dem gewundenen Gang. Nur Sekunden später taumelte er rückwärts zurück und brach in der Mitte der Felsenhalle zusammen. Das Gebrüll ertönte erneut – diesmal stär ker. Und dann geschahen zwei Dinge auf einmal. Eine monströse Gestalt schob sich aus dem Gang – und Gloophys linker Arm be gann zu strahlen.
* Phianchas Sinne lauschten. Sie durch drangen die Gesteinsschichten ohne Mühe. Sie ortete nur die Fremden. Sie hatten Angst. Offensichtlich hatten sie gemerkt, daß sie geradewegs in ihr Verderben liefen. Aber Phiancha nahm noch etwas anderes wahr: bittere Entschlossenheit! Phiancha war intelligent. Sie vermochte sogar, sich teilweise in die Gedankengänge und Gefühle fremder Wesen zu versetzen. Dies war ein wesentlicher Bestandteil der engen Beziehung zu ihrem Herrn. Phiancha lebte zu einem gewissen Teil von seiner geistigen Substanz, während er im Lauf der Zeit von ihren mentalen Strö men abhängig geworden war, ohne dies al lerdings im vollen Ausmaß zu erkennen. Dennoch verstand Phiancha nicht, was in den Fremden vorging. Sie schienen immer noch nicht begriffen zu haben, was sich vor ihnen befand! Hatten sie keine Sinne, um das Grauen zu spüren?
Plötzlich wurde Phianchas Flug unruhig. Sie spürte die erwachenden Impulse und stieg höher, fast bis zur oberen Grenze der Dunkelheit. Das Grauen war erwacht. Die Impulse waren so schrecklich, daß sie Phianchas hochempfindliche Sinne mit voller Wucht trafen und ihr Schmerzen bereiteten. Das schwarze Monstrum kreiste in wei tem Bogen über jene Stelle der Oberfläche, unter der das Drama sich vollzog …
8. Er hatte keinen Namen – niemals, solange er zurückdenken konnte, hatte sich die Not wendigkeit für ein derartiges individuelles Unterscheidungsmerkmal ergeben. Er wußte nicht einmal, was er war. Er hat te keine Erinnerung mehr an seine Vorfah ren, die einst die Herrscher dieses Land strichs gewesen waren, der heute die Dunkle Region auf Pthor bildete. Er war das Ergeb nis einer langen Kette von Mutationen. Auch davon wußte er nichts. All sein Denken war auf die Befriedigung seiner ani malischen Triebe gerichtet. Er erwachte, als er die Nähe von Leben spürte. Vom ersten Augenblick an be herrschte nur eines sein Denken: Hunger! Hunger nach Leben!
* Atlan war gewarnt gewesen. Er hatte sich in Gedanken auszumalen versucht, wie das Ungeheuer aussah, das in dem Labyrinth hauste. Daß es einen solchen monströsen Bewohner des Gangsystems gab, stand nach Razamons grausiger Entdeckung außer Zweifel. Minotauros! Es war nicht das stierköpfige Ungeheuer, das in diesem Augenblick die Felshalle be trat. Es war tausendmal schlimmer! Atlan glaubte einen Moment lang, einen Maahk vor sich zu sehen. Beim zweiten Hinsehen beschränkte sich die Ähnlichkeit
Wächter des Goldenen Vlieses jedoch lediglich auf den monströsen Körper bau. Das Ungeheuer war etwa so groß wie Gloophy. Der ganze Körper war behaart und unbekleidet. Auf den stämmigen Schultern saß ein Kopf, der an den eines Zyklopen er innerte. Allerdings besaß das Monstrum zwei Augen, die jedoch sehr eng beieinander saßen. Über ihnen ragte ein etwa zehn Zenti meter langes dickes Horn aus der Stirn des Ungestüms. Es war nicht nur der Anblick des Unge heuers, der Atlan lähmte. Irgend etwas ging von ihm aus, ein psionischer Einfluß, der sich wie ein Bann auf die Gefährten legte. Razamon lag immer noch reglos am Bo den. Nur seine Augen verrieten, daß er bei Bewußtsein war. Atlan sah die reine Todes angst in ihnen, als das Ungeheuer einen Schritt auf ihn zu machte. Widerlicher Gestank schlug dem Arkoni den entgegen. Er lag zwischen den Steinen, die vor den Skelettresten aufgetürmt gewe sen waren, und konnte sich nicht bewegen. Fenrir lag neben ihm und winselte leise. Auch er war gelähmt, ebenso wie Koy und Razamon. Das Ungeheuer beugte sich unendlich langsam über den Atlanter und streckte seine behaarte, riesige Hand nach ihm aus. Ein heftiges Zittern durchlief den Körper des At lanters, aber er war nicht fähig, sich auch nur um einige Zentimeter zur Seite zu bewe gen. Er wird ihn töten! Du mußt ihm helfen! Die Hilflosigkeit war schlimmer als alles andere. Noch wenige Zentimeter trennten die Pranke des Monstrums von Razamons Brust. Plötzlich nahm Atlan aus den Augenwin keln eine Bewegung wahr. Gloophy, der sei nen linken Oberarm entblößt hatte, der so hell strahlte, daß er Atlans Augen blendete, stand plötzlich vor dem Ungestüm und stieß einen schrillen Schrei aus. Das Monstrum fuhr in die Höhe. Die bei den Giganten standen sich einen Augenblick lang unbeweglich gegenüber und starrten sich an.
43 So schnell, daß Atlans Augen die Bewe gung kaum erfassen konnten, riß das Unge heuer die Rechte in die Höhe und ließ sie auf die linke Schulter des Beras hinabsau sen. Gloophy fuhr mit einem lauten Schmer zensschrei zusammen und kämpfte um sein Gleichgewicht. Der Bera taumelte. Das Monstrum sah seine Chance und sprang mit einem Gebrüll, das Atlans Trommelfelle zu zerreißen drohte, vor. Der Arkonide schloß die Augen. Er wollte nicht sehen, was jetzt in der Mitte der Felsenhalle geschah. Eine gewaltige Lichtflut durchdrang die geschlossenen Lider. Atlan schrie auf und warf sich auf die Seite. Er hatte sich bewegt! Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken und zwang sich, hinzusehen. Einige Augenblicke lang zweifelte er an seinem Verstand. Das Monstrum war nur noch ein Schatten. Unendlich langsam lösten sich seine Kontu ren auf. Es verschwand! Atlan sah zu Gloophy hinüber – das heißt, er wollte es. Aber dort, wo sich das Antima teriewesen befinden mußte, war nichts mehr! Manchmal glaubte er, ein Flimmern zu sehen, das sich immer wieder bis zu ei nem gewissen Grad stabilisierte, dann aber wieder verschwand. Es war wie ein blinder Fleck. Atlan spür te, daß Gloophy sich nach wie vor in der Mitte der Felsenhöhle befand, aber er konnte ihn nicht sehen. Irgend etwas packte ihn an der Schulter und versuchte, ihn aufzurichten. Atlans Kopf fuhr herum. Vor ihm war ein flimmerndes Etwas, aber sobald er versuchte, zu erkennen, worum es sich handelte, ließen ihn seine Augen im Stich. Es war Gloophy, aber er sah ihn nicht! Plötzlich glaubte er wieder, das feine Zir pen zu hören. Und dann flackerte es vor ihm. Die Um risse einer massigen Gestalt schälten sich aus dem Nichts heraus und nahmen Form an.
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Gloophy! »Keine Gefahr mehr«, hörte er die schrille Stimme des Beras. »Böses ist weg …« Atlans Blick fiel auf das Gespinst auf Gloophys Oberarm. Es pulsierte wieder, aber der Arkonide hatte den Eindruck, daß es jetzt von einer feinen Haut überzogen war. Und in der Mitte dieses Häutchens be fand sich eine Narbe.
* Die Lähmung war von ihnen abgefallen. Razamon schüttelte fassungslos den Kopf. »Das war verdammt knapp«, brummte er. »Ich konnte kein Glied rühren.« Atlan nickte. Seine Gedanken kreisten um das phantastische Phänomen, das von Gloo phy ausgegangen war. Oder von seinem Symbionten? »Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden«, sagte der Arkonide, als er sah, wie Fenrir schon wieder unruhig auf und ab lief. »Ich habe ein ungutes Gefühl – als ob die Gefahr noch nicht vorüber wäre …« »Wir müssen umkehren«, erklärte Raza mon. »Der Gang führt nicht weiter. Bevor das Ungeheuer vor mir auftauchte, konnte ich weit genug eindringen, um zu sehen, daß er in eine zweite Höhle mündet. Wahr scheinlich die Behausung der Bestie.« »Wie kannst du sicher sein, daß keine weiteren Stollen abzweigen?« Razamon zuckte mit den Schultern, als der Arkonide in den Gang lief und sich über zeugte. Mittlerweile brannten die Fackeln, die Atlan und Razamon fallen gelassen hat ten, wieder, nachdem Koy sie angezündet hatte. Der Gang war tatsächlich nur noch etwa zwanzig Meter lang und mündete in eine rie sige, mit Knochen und Schädeln übersäte Höhle, aus der kein weiterer Weg heraus führte. Sie waren in eine Sackgasse marschiert! Aber die andere Abzweigung führte noch weiter in die Tiefe!
»Atlan!« hörte er plötzlich Razamons Aufschrei. »Komm zurück, mit Gloophy stimmt etwas nicht!« Nur Sekunden später war der Arkonide bei seinen Gefährten. Der Bera zitterte und hatte die Augen seltsam verdreht. Die rechte Hand lag wieder auf dem Gespinst, das unter der mächtigen Pranke hervor erneut zu strahlen begann. Auch Fenrir war unruhiger geworden. »Wir weg!« stieß das Antimateriewesen aus. »Böses kehrt zurück. Nicht warten, nicht viel Zeit …« Im gleichen Augenblick erklang wieder das markerschütternde Gebrüll. In der Mitte der Felsenhöhle flimmerte die Luft. Sekun denbruchteile lang tauchten die Konturen des Monstrums wieder auf. »Raus hier!« schrie Atlan und rannte los – zurück in die Richtung, aus der sie gekom men waren. Was immer Gloophy dem Un geheuer angetan hatte, es hatte offenbar nicht ausgereicht, um es vollkommen un schädlich zu machen. Die anderen zögerten keinen Augenblick. Sie rasten den Gang hinab, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her. Wieder erscholl das Gebrüll, und Atlan hatte das Gefühl, als ob die Wände des Stol lens jeden Augenblick in sich zusammenfal len würden. Fenrir drängte sich an ihm vor bei und verschwand im Dunkel vor ihnen. Vor ihnen ertönte ein anderes Geräusch. Das Fauchen von großen Katzen! Blodgahns Katzen! Atlan wäre fast über Fenrir gestolpert, der wie angenagelt stehengeblieben war. Sie saßen in der Falle. Hinter ihnen konn te jeden Augenblick das Ungeheuer auftau chen, und an der Gabelung warteten die »Lieblinge« des Buckligen. Als das Gebrüll erneut erklang – jetzt nä her als vorhin – überlegte der Arkonide nicht lange. »Jetzt geht's los, Razamon!« rief er dem Atlanter zu. Ein Blick auf Koys unglückli ches Gesicht verriet ihm, daß er seine Broins immer noch nicht einsetzen konnte. Der Be
Wächter des Goldenen Vlieses ra wand sich vor Schmerzen und Angst. Razamon hatte das Messer in der Hand. »Los, Fenrir!« Sie rannten wieder los, bis sie die glühenden Augen der Bestien in der Dunkelheit vor sich sahen. Die löwengroßen Katzen scheu ten sich offenbar, in den Gang einzudringen. Fenrir stürzte sich auf die Raubtiere. Sein Knurren und das Fauchen erfüllten das Gangsystem und wurden nur noch vom Ge brüll des Monstrums übertroffen. Atlan und Razamon schwangen ihre Fackeln und warfen sich in das Knäuel aus sich windenden und anspringenden Körpern. Koy hielt sich zurück – er war wehrlos. Gloophy stand im Gang und schien auf das sich nähernde Ungeheuer zu warten. Es war ein Kampf ohne Gnade. Atlan schlug seine Fackel einem anspringenden Tier auf den Schädel und verlor sie. Raza mon erging es ähnlich. Er kämpfte jetzt mit dem Messer. Atlan sah jetzt wieder den Ber serker. All die Kraft, die sich früher in sei nen Anfällen Ausbruch verschafft hatte, schien jetzt, nachdem sie lange aufgestaut worden war, mit einem Mal zum Vorschein zu kommen. Der Atlanter hatte innerhalb kürzester Zeit zwei Katzen erledigt. Gloophy stieß einen schrillen Schrei aus. Atlan fuhr herum und versuchte, in der Dun kelheit (nur noch Koys Fackel erhellte den Gang) etwas auszumachen. Er sah das Mon strum erst, als es bei dem Bera aufblitzte – unter der rechten Hand. »In den zweiten Gang!« rief er Koy und Gloophy zu. Razamon begriff sofort und entledigte sich eines weiteren Angreifers. Von den ursprünglich sechs Katzen lebten nur noch drei. »Gloophy!« schrie Atlan, als der der Bera sich nicht von der Stelle rührte. »Kolphyr! Komm mit uns!« Ein Ruck ging durch den Körper des An timateriewesens. Der Bera drehte sich um und kam auf die Gruppe zu. Atlan dirigierte ihn an der Gabelung vorbei in den nach un ten führenden Gang. Zusammen mit Raza mon wartete er, bis auch Koy und Fenrir, der
45 aus einigen Wunden blutete, in Sicherheit waren. Der Arkonide war einen Augenblick lang unaufmerksam. Eine Katze sprang ihn von hinten an und warf ihn zu Boden. Koy war mit seiner Fackel bereits im rechten Stollen verschwunden, so daß sie nur noch spärli ches Licht hatten. Razamon reagierte wieder spontan. Er sprang hinzu und riß Atlan das Tier vom Rücken. Er holte weit aus und schleuderte die um sich schlagende und wild fauchende Katze direkt vor die Brust des Ungeheuers, das in diesem Augenblick unmittelbar vor ihnen auftauchte. »Und jetzt nichts wie weg!« Sie rannten davon, den Gefährten hinter her. Erst nach einigen hundert Metern mach ten sie halt. »Nichts mehr zu hören«, murmelte Raza mon. »Es sieht so aus, als hätte sich unser Freund mit den Katzen zufriedengegeben. Blodgahn wird das gar nicht freuen.« »Mich auch nicht«, sagte Atlan. »Ich hätte viel mehr dafür gegeben, wenn wir dieses Vieh unschädlich gemacht hätten, bevor ihm weitere Flüchtlinge in die Hände fallen.« »Ich höre Wasser«, sagte Koy plötzlich. »Ein Fluß …«
* Phiancha war vollkommen verwirrt. Die Impulse des Schrecklichen waren von einem Moment zum anderen verstummt. Es war so, als hätte es das Grauen niemals ge geben. Dann waren sie zurückgekehrt, lang sam und seltsam unregelmäßig, bis sie sich stabilisiert hatten. Phiancha war unruhig geworden. Sie spürte, daß irgend etwas passiert sein mußte, das sich ihren Sinnen entzog. Was dann folgte, war noch schrecklicher. Phiancha verließ ihre Beobachtungspositi on und flog zu ihrem Hort, wo sie sich ein kugelte und auf ihren Herrn wartete. Sie spürte, wie etwas in ihm zerbrach, als ihre Bewußtseinströme in ihn überflossen.
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Horst Hoffmann
Phiancha hatte Mitleid mit ihrem Herrn. Sie verharrte lange in ihrem Hort, nachdem er gegangen war. Phiancha spürte tief in ih rem Innern, daß etwas Schlimmes bevor stand. Es betraf ihren Herrn und damit sie. Die Riesenfledermaus stieg in die Lüfte und suchte nach einem Opfer. Sie tötete er barmungslos, um ihren Hunger zu stillen. Aber sie tat es nicht aus reiner Grausamkeit. Phiancha war ein Kind und ein Opfer ih rer Umgebung – wie alle Geschöpfe der Dunklen Region. Es gab nur eine Ausnahme.
* Blodgahn war ein Häufchen Elend, als er vor der Marmorstatue darauf wartete, daß seine Katzen zurückkehrten. Vielleicht hatte Phiancha sich getäuscht, vielleicht waren es die Fremden gewesen, die dem schreckli chen Wesen zum Opfer gefallen waren, das in den Gängen hauste. Sie mußte sich getäuscht haben, versuchte der Gnom sich einzureden. Niemand konnte aus der Kammer des Todes entkommen. Wenn es aber doch so war? Blodgahn dachte mit Unbehagen daran, daß er dann nicht nur seine Lieblinge verloren hatte. Wenn die Fremden den richtigen Weg ge funden hatten, würden sie bald zur Oberflä che gelangen, und dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Sie das Goldene Vlies fanden. Blodgahn verfluchte die Tatsache, daß ihm der Weg in das Gangsystem verwehrt war. Was versprachen sich seine Herren in der FESTUNG davon? Der Zwerg wußte nicht einmal, wo die Fremden an die Ober fläche gelangen würden, denn noch nie war einem oder mehreren Gefangenen die Flucht geglückt. Phiancha würde sie zwar beobach ten und ihm berichten, aber Blodgahns Macht reichte nicht aus, um sie an ihrem weiteren Weg zu hindern. Erst wenn sie das Ruinenschloß mit dem Goldenen Vlies be traten, konnte er wieder eingreifen. Er würde die FESTUNG vorerst nicht in-
formieren. Blodgahn zweifelte nicht daran, daß er sie spätestens im Ruinenschloß zur Strecke bringen würde. Es hatte wenig Sinn, die Herren unnötig zu beunruhigen. Natürlich wurden Blodgahns diesbezügli che Überlegungen von der Angst beherrscht, daß man ihn für sein Versagen bestrafte und durch einen anderen ersetzte. Vorerst hatte er noch genügend Lebens kapseln. Er würde der FESTUNG Meldung machen, wenn er die Eindringlinge erledigt hatte. Außerdem hatte er eine ganz persönli che Rechnung mit ihnen zu begleichen. Sein Haß auf die Fremden kannte keine Grenzen mehr. Blodgahn würde sie quälen. Er wollte zu sehen, wie sie fast bis zum Goldenen Vlies gelangten und sie kurz vor dem ersehnten Ziel töten. Er hoffte, daß sie nicht schon vor her durch die Mutanten ihr Ende fanden. Plötzlich fuhr der Gnom herum. Er sprang erregt auf, als er das Miauen hörte. Es kam aus dem Gang, in den die leuchtenden Au gen der Statue wiesen! Zwei seiner Katzen kamen, aus vielen Wunden blutend, aus dem Stollen und kau erten sich vor ihm auf den Boden. Der Gnom wartete ab, ob ihnen weitere folgten. Als dies nicht geschah, wußte er, daß Phian cha sich nicht getäuscht hatte. »Das werden sie büßen«, flüsterte er haß erfüllt, als er sich zu seinen beiden »Lieblingen« hinabbeugte und sie streichel te. Plötzlich standen Tränen in den Augen des Gnomen. »Kommt mit mir«, sagte er leise. Die Kat zen folgten ihm hinkend durch einen Gang, der direkt in den Innenhof führte. Blodgahn verarztete die Tiere, so gut es ging. Dann stieg er hinab in seine Gemächer. Blodgahn trat auf die Brüstung und starrte lange in die Dunkelheit. Phiancha war auf der Jagd. Sie würde die Fremden beobachten und ihn benachrichtigen, wenn sie sich dem Ruinenschloß im Emmorko-Tal näherten. Der Schmerz über den Verlust seiner Kat zen und die Wut ließen den Gnomen zu dem Gefäß mit dem Kweel greifen. Er leerte es
Wächter des Goldenen Vlieses ganz und ließ sich in seine Schlafnische fal len. Die Welt sah schon wieder ganz anders aus. Er würde sich neue Katzen besorgen, und mit den Eindringlingen würde er leichtes Spiel haben, sobald sie glaubten, an ihrem Ziel zu sein. Er, Blodgahn, war noch mit jedem Gegner fertig geworden! »Die FESTUNG sollte die Eingeborenen, die das Kweel herstellen, doch noch eine Weile schonen«, murmelte der Zwerg und nahm einen Schluck aus einem neuen Gefäß. Dann fügte er hinzu: »Und die Magier auch, wenigstens vorerst …« Nach einem weiteren Schluck entspannten sich Blodgahns Züge. Er lag still auf dem Rücken und träumte von vergangenen Zei ten, als er als Hofnarr die Herren der FE STUNG erheitert hatte, bis er seinen Sinn für jene Späße, die sie bevorzugten, verlor und in die Dunkle Region verbannt wurde. Blodgahns Züge wirkten nun fast mensch lich, aber der äußere Eindruck täuschte. Es hatte nicht der grausamen Umgebung der Dunklen Region bedurft, um Blodgahn zu pervertieren und zu dem zu machen, was er immer schon gewesen war. Blodgahn war ein Teufel, grausam und unbarmherzig. Er haßte alles Lebende und lebte für das Böse. Das unterschied ihn von den Geschöpfen der Dunklen Region – sogar von Phiancha. Der Gnom versuchte, sich aufzurichten und eine Kerze anzuzünden. Sofort begann die Umgebung zu kreisen. Ächzend sank der Zwerg in seine Nische zurück. »Nein!« preßte er mit krächzender Stim me hervor. »Sie sollen sie nicht schonen. Al le müssen ausgerottet werden – die Eingebo renen und die Magier in der Großen Barriere von Oth …« Draußen landete Phiancha, aber Blod gahns Sinne waren vom Kweel bereits viel zu vernebelt, um ihren Ruf zu hören.
9. Das Rauschen war stärker geworden, je
47 weiter sie in den Gang eingedrungen waren. Nach etwa einer Viertelstunde sahen die Freunde einen hellen Schimmer vor sich. »Was ist das nun wieder?« wunderte sich Razamon. Sie gingen schweigend weiter. Koy schritt jetzt voran und leuchtete den Gang aus, so gut er konnte. Das Leuchten wurde stärker. Es schien aus den Wänden zu dringen. »Wenn ich nicht wüßte, daß wir immer tiefer in dieses Stollensystem eindringen würden …«, mur melte Atlan. Plötzlich verbreiterte sich der Gang. Und dann standen sie unvermittelt in einem riesi gen Felsendom, in dessen Mitte sich ein mindestens einhundert Meter durchmessender See befand. Der Anblick war so faszinierend, daß es Minuten dauerte, bis sie Worte für das fan den, was sie sahen. Razamon war es, der den Bann brach. »Das ist phantastisch! Eine ganze unterir dische Welt! Mitten in der Dunklen Regi on!« Atlan hatte etwas viel Wichtigeres ent deckt. »Eine Leiter«, rief er mit ausgestreckter Hand. »Dort im See – sie führt zu einem Schacht in der Decke. Das ist unser Weg, Freunde. Wir haben es geschafft!« Fast andächtig betraten die Gefährten die unterirdische Halle. Das gegenüberliegende Ende war mindestens einen Kilometer von ihnen entfernt. Überall waren die Felswände von in allen Farben schillernden Adern durchzogen. Auf dem Boden neben dem See wuchs violett schimmerndes Moos. Atlan konnte ausgedehnte Pilzfelder ausmachen, die sich rings um den See, in den sich die Bäche und kleinen Flüsse ergossen, befan den. Eine Insel der Stille und des Friedens – wenige hundert Meter von der Stätte des Grauens entfernt, dem sie nur knapp ent kommen waren. Wie ließ sich dieser Gegensatz erklären? War dieser abrupte Wechsel von zwei voll
48 kommen verschiedenen Welten nicht sym ptomatisch für ganz Atlantis? Plötzlich fragte sich Atlan, ob Pthor im mer das Schreckensgebilde gewesen war, das sie vorgefunden hatten. Hatte es einmal eine Zeit gegeben, in der Pthor nicht unter dem Bann des Bösen gestanden hatte? Atlan dachte an die Göttersöhne und an Odin, dessen Rückkehr von den Göttersöh nen herbeigesehnt wurde. War er das Sym bol für eine Epoche, in der auf Pthor Friede und blühendes Leben geherrscht hatte? Odin war ein Krieger und ein grausamer Jäger, erinnerte der Extrasinn. Deine Senti mentalität ist unlogisch! »Die Leiter führt in den Schacht«, meinte Razamon. »Wir sollten vorsichtig sein. Wer weiß, was uns oben erwartet.« »Wir haben keine Wahl«, beharrte Atlan. »Blodgahn hatte keinen Anlaß, uns etwas vorzulügen. Er war sich seiner Sache voll kommen sicher, daß wir ihm nicht entkom men würden. Wenn es einen Weg nach oben und zum Goldenen Vlies gibt, dann haben wir ihn hier vor uns.« Wieder kamen ihm alle möglichen Speku lationen in den Sinn. Es sah ganz so aus, als wären die einzelnen Bezirke dieses unterir dischen Systems durch unsichtbare Barrie ren voneinander getrennt. Wie sonst war es zu erklären, daß Blodgahn nicht selbst ihre Verfolgung aufgenommen hatte? Außerdem war es unvorstellbar, daß das monströse We sen aus der Knochenkammer über eine Mög lichkeit verfügte, in Blodgahns Festung ein zudringen. Der Arkonide bezweifelte, daß der Gnom in einem solchen Fall noch am Leben wäre – von den Gefangenen ganz ab gesehen. Wer hatte die Leiter installiert, wenn Blodgahn der Zugang hierher verwehrt war? »Aufgewacht, Arkonide!« rief Razamon. »Du bist dir im klaren, daß wir schwimmen müssen, um zur Leiter zu gelangen?« »Daraufhin wäre ich nie von selbst ge kommen, Atlanter. Nur Gloophy macht mir Sorgen.« »Nichts Sorgen«, schrillte die Stimme des
Horst Hoffmann Beras. »Jetzt ist gut. Ich gehe durch Was ser.« Atlan und Razamon sahen sich an. Beide mußten grinsen. Atlan erinnerte sich an die erste Flutwelle nach dem Abschmelzen der Eisküste, als sie sich in Bäumen festgebun den hatten. Gloophy hatte ganz einfach ge wartet, bis die Fluten über sie hinwegge strömt waren und war dann aus dem Wasser gestiegen. Er konnte offenbar ebenso ohne Luft auskommen wie ohne Nahrung. »Wer sagt uns, daß uns keine Meeresun geheuer erwarten?« fragte Razamon. Atlan schüttelte den Kopf. Es war eine Vorstellung, die ganz einfach nicht in diese idyllische Mikrowelt paßte. »Wir versuchen es. Oder bist du wasser scheu?« »Ganz bestimmt«, brummte der Atlanter mit einem Grinsen. Die unterirdische Wun derwelt hatte einen Großteil der Spannung von ihnen genommen. Es war, als könnten sie endlich wieder frei atmen. Das Moos und die kleinen, überall in den Felsspalten wuchernden kleinen Pflanzen lieferten frischen Sauerstoff, und die Wände produzierten ein Licht, als ob die Felshalle durch eine kleine Kunstsonne erhellt würde. Selbst Koy wirkte endlich wieder gelöst. Er schleuderte die Fackel in hohem Bogen zur Seite. Sie erreichten den Ring der Pilze. Die größten von ihnen erreichten eine Höhe von anderthalb bis zwei Metern. Kleine Tiere huschten zwischen ihnen hindurch und be äugten die fünf aus neugierigen Augen. Eine Wunderwelt! Atlan erinnerte sich an die alte Geschichte von Alice im Wunderland. Wie lange war es her, daß er sie zum erstenmal gelesen hatte? 700 Jahre – oder eine Ewigkeit? Dann standen sie am Ufer. Das ruhige Wasser spiegelte die schillernden Farben der Wände und der Decke wider. Nur der Schacht, in den die Leiter führte, wirkte wie ein dunkles Loch. Fenrir beugte sich über das flache Ufer und trank von dem Wasser. Das beseitigte
Wächter des Goldenen Vlieses Atlans letzte Zweifel. Er erinnerte sich dar an, daß Razamon weiter oben im Gang eine Probe aus einem Rinnsal genommen und an gewidert das Gesicht verzogen hatte. Der See mußte über biologische Selbstreini gungsmechanismen verfügen. Fenrir, dessen Verletzungen aus dem Kampf mit den Katzen halb so schlimm wa ren wie angenommen, warf sich in das Was ser und schwamm auf die Mitte des Sees zu. »Also dann«, sagte Atlan. »Wir werden ihn irgendwie tragen müssen, das ist unser größtes Problem.« Sie stiegen in den See und schwammen auf die Leiter zu. Der Bera marschierte ein fach in das Wasser, bis er nicht mehr zu se hen war. Atlan war sicher, daß er noch vor ihnen auf der Leiter erscheinen würde. Er sollte recht behalten. Und Gloophy tat noch mehr. Er lud sich Fenrir einfach über die rechte Schulter und stieg mit ihm die Leiter hoch. Bis zum Schacht waren es etwa fünfzig Meter. Razamon und Koy folgten den beiden, Atlan bildete den Abschluß.
* Sie lagen ausgestreckt auf dem weichen, moosbewachsenen Boden und atmeten tief durch – mit Ausnahme von Gloophy. Der Bera hockte vor einem großen Dornbusch und schien eine Art Zwiesprache mit dem Gespinst an seinem Arm zu halten. Der Aufstieg hatte mehr Kraft gekostet als erwartet. Atlan schätzte, daß sie einhundert fünfzig Meter hoch geklettert waren. Im Schacht hatten sich vier kleine Plattformen befunden, von denen aus weitere Leitern nach oben geführt hatten. Der Arkonide überwand die Strapazen als erster. Wie schon nach dem Zwischenfall an der Hängebrücke spürte er, wie der Zellakti vator ihm schnell die verbrauchten Kräfte zurückbrachte. Atlan richtete sich auf und sah sich um. Die Sicht reichte an dieser Stelle der Dunklen Region höchstens dreißig bis vier
49 zig Meter weit. Die Luft war schwül und stickig. Eine elende, trostlose Welt – und nur 150 Meter unter ihnen befand sich ein Paradies! Atlan drehte den Kopf und musterte den verfallenen Brunnen, aus dem sie an die Oberfläche gestiegen waren. Er mußte uralt sein und zu einer Zeit gehören, als dieser Landstrich vielleicht noch nicht mit Dunkel heit überzogen war. War auch die Festungs anlage, in der Blodgahn hauste, das Relikt einer uralten Kultur? Wie mochten jene Wesen ausgesehen ha ben, die damals diese Gegend bewohnten? Der Arkonide rief sich Krudens Karte ins Gedächtnis zurück. Sie befanden sich ir gendwo jenseits der »Teufelsfurche« – das war alles, was er mit Gewißheit sagen konn te. Während der Fahrt mit dem Pelchwagen hatte es keine Orientierungspunkte gegeben. In der Karte des Valjaren waren zwei we sentliche Markierungen enthalten gewesen. Eine von ihnen bezeichnete die Stelle, wo sich das Goldene Vlies befinden mußte, die andere war nicht näher gekennzeichnet. At lan war aber sicher, daß damit der Brunnen gemeint war. Kruden war auf einem anderen Weg zu seinem Ziel gelangt als sie. Den noch war Atlan überzeugt davon, daß der Brunnen einen zentralen Punkt auf dem Weg zum Goldenen Vlies darstellte. Er wirkte wie ein Pol der Ruhe inmitten einer Welt, von der sie bisher nur wenig gesehen hatten. Die beiden Markierungen lagen nahe bei einander. Sie befanden sich demnach nicht mehr weit vom Ziel entfernt. Aber in welche Richtung sollten sie weitermarschieren? Atlan merkte, daß er an einem toten Punkt in seinen Überlegungen angelangt war und widmete sich den Gefährten. Razamon kam langsam auf die Beine. Der Atlanter hatte ei nige schlimme Schrammen aus dem Kampf mit den Katzen davongetragen, aber er ließ sich nichts anmerken. Atlan suchte nach ei nem Vergleich für Razamon, aber er gab es bald auf. Er konnte sich nicht erinnern, je mals in seinem langen Leben einen solch zä hen Brocken wie den Pthorer getroffen zu
50 haben. Koy lag immer noch total erschöpft im Moos. Atlan empfand Mitleid mit dem Trommler. Koy war ein gefürchteter Jäger gewesen, aber in der letzten Zeit wurde er von einer Pechsträhne verfolgt. Zuerst setz ten ihn die vergifteten Pfeile der Valjaren außer Gefecht, und kaum, daß er wieder vollkommen hergestellt war, lähmte der Schlag mit der Feuerpeitsche der Froijos sei ne Broins. Dazu kam die ständige Ableh nung durch Fenrir. Koy litt sehr darunter. Atlan konnte sich vorstellen, daß der Trommler sich momentan als fünftes Rad am Wagen fühlte und beschloß, ihm bei nächster Gelegenheit ein paar aufmunternde Worte zu sagen. Fenrir war ebenfalls wieder bei Kräften und hatte begonnen, die Umgebung zu un tersuchen. Atlans größtes Sorgenkind war immer noch der Bera. Kolphyr, wie er sich nannte, hatte zwar zu reden begonnen, aber immer noch wußte niemand, was an seinem Arm heranwuchs. Atlan war sicher, daß das Anti materiewesen ebenfalls ahnungslos war, ob wohl es das Gebilde behütete wie eine Glucke ihr Gelege. Was immer aus der Brut des Stelzers erwachsen würde – es war ein Teil von Gloophy. Aber es war dem Arkoniden unheimlich. Er erinnerte sich an die gleißende Helligkeit in der Höhle des Ungeheuers, nachdem Gloophys Arm zu strahlen begonnen hatte. Atlan hatte nicht genau verfolgen können, was in diesen Augenblicken geschehen war, aber es konnte kaum ein Zweifel daran be stehen, daß das rätselhafte Verschwinden des Monstrums auf das Strahlen zurückzu führen war. Eine phantastische Spekulation: Ein We sen, das aus einer Kombination aus Materie und Antimaterie entstand. Atlan wußte, daß dies ganz und gar unmöglich war. Aber was hatte dann den Effekt verursacht? Es war ge wesen, als ob das Ungeheuer für kurze Zeit aus dem Universum gefegt worden wäre … Es wird nicht mehr lange dauern, bis jener
Horst Hoffmann kritische Punkt erreicht ist, an dem der Bera den Symbionten nicht mehr tragen kann, teilte der Extrasinn mit. Atlan nickte grimmig. Er hatte Angst vor diesem Augenblick. Eine Unmenge von Fragen war in den letzten Stunden auf sie eingeströmt, Fragen, auf die es vielleicht nie eine befriedigende Antwort geben würde. Das Monstrum im unterirdischen Gangla byrinth. War es tatsächlich die »Vorlage« für die Legende vom Minotauros gewesen? Ein riesiges, menschenfressendes Ungeheuer in einem Labyrinth – verbunden mit dem auf Kreta herrschenden Stierkult zur Zeit des Königs Minos, und fertig war die Sage vom Minotauros … »Wenn du wieder zu dir kommst, können wir vielleicht überlegen, was wir jetzt anfan gen werden«, hörte der Arkonide Razamons Stimme. Koy war aufgestanden und hatte sich zu ihnen gesellt. Atlan teilte den Freunden mit, zu welchen Überlegungen er in Zusammenhang mit Krudens Karte gelangt war. »Wir müssen fast am Ziel sein. Aber in welcher Richtung sollen wir gehen?« »Wenn wenigstens die Sonne einmal durchbrechen würde«, brummte Razamon. »Dann wäre alles kein Problem.« Plötzlich stand Gloophy auf und kam ver gnügt quietschend herbei. »Ist der verrückt geworden?« stöhnte Razamon. »Atlan, er wird doch nicht wieder schmusen wollen?« Der Atlanter trat unwillkürlich ein paar Schritte zurück und brachte sich hinter dem Brunnen in Sicherheit. Gloophys Liebesbe kundungen waren lebensgefährlich. Aber der Bera blieb einen Meter vor dem Arkoniden stehen. Dann drehte er sich halb zur Seite und wies mit ausgestrecktem Arm in eine bestimmte Richtung. »Mir folgen«, forderte er Atlan auf. »Ich führe!« »Der macht mich schwach«, brachte Raz amon hervor. »Er führt.« »Und zwar nach Punkten, wenn er uns
Wächter des Goldenen Vlieses den richtigen Weg weist. Es ist verrückt, Razamon, wenn er uns den richtigen Weg weist. Es ist verrückt, Razamon, aber ich glaube, daß er ihn kennt.« »Vielleicht sucht er nur ein Nest, in dem er sein geliebtes Junges zur Welt bringen kann …« »Mir folgen«, wiederholte der Bera und setzte sich in Bewegung. Atlan drehte sich nach Razamon um und zuckte die Schultern. Sie marschierten durch Dornengestrüpp, mußten immer wieder Umwege machen, wenn die Ranken so dicht waren, daß sie ih nen den Weg versperrten, oder wenn ihr Weg durch sumpfiges Gelände führte. Es wurde bereits dunkel – noch dunkler, als es sowieso den ganzen Tag lang war –, und bald würde die Nacht hereinbrechen. Und dann standen sie vor dem Tal. Die Sicht reichte jetzt kaum mehr als 25 Meter weit. Aber Gloophys deutlich sichtbare Erre gung verriet ihnen, daß sie sich kurz vor ih rem Ziel befanden. Sie marschierten in das Tal hinab. Immer wieder tauchten verkrüppelte Tiere auf, aber bei ihrem Anblick verschwanden sie sofort im Dickicht. Sie schienen Angst vor den Fremden zu haben. Plötzlich durchdrang ein fahler Licht schein das Dunkel. Der Boden wurde stei nig, die Vegetation spärlicher. Vor den Gefährten schälten sich die Um risse einer gewaltigen Anlage aus der Fin sternis. Unzählige Fackeln erhellten den Komplex. Es war eine Schloßruine. Eine breite Treppe führte hinauf zu dem teilweise völlig verfallenen Gemäuer. Atlan wartete, bis Razamon und Koy ne ben ihm standen. »Wir sind am Ziel«, war sein einziger Kommentar. Der Arkonide spürte mit untrüglicher Si cherheit, daß sie nun nur noch ein paar Dut zend Meter von dem Goldenen Vlies trenn ten. Er hatte recht. Aber diese Strecke war die
51 Hölle.
* Blodgahn trank den Becher in einem Zug leer. Er fuhr zusammen, stand eine halbe Minute lang mit hochrotem Kopf, verdreh ten Augen und rauchenden Ohren vor der Truhe, rannte auf den Korridor hinaus und vollführte einen Veitstanz, kam zurück und trank den Wasserkübel bis zum letzten Trop fen aus. »Sie sollen alle ausgerottet werden – dies mal endgültig!« kreischte der Gnom. »Die Eingeborenen und die Magier!« Dann rannte er zurück in sein Wohnge mach und schlug den Gong. Erst, als sich seine Sinne vollkommen geklärt hatten, fiel ihm ein, daß Taros nicht mehr am Leben war. Dafür hörte er Phianchas Ruf. Blodgahn stand ächzend aus seinem Ses sel auf und begab sich zu ihrem Hort. Sie wartete ungeduldig und gab ihre Nachricht an ihn ab. Blodgahn fluchte, bis ihm der Hals weh tat. Die Fremden hatten das Emmorko-Tal er reicht und standen vor dem Ruinenschloß! Blodgahn suchte sich seine Ausrüstung zusammen und bestieg den Pelchwagen. Wenig später raste er mit dem Gefährt aus dem Innenhof der alten Festungsanlage – hinaus in die Nacht. Phiancha kreiste über ihrem Herrn. Von Zeit zu Zeit landete sie auf der nachgiebigen Plane und warnte Blodgahn vor Hindernis sen. Mittlerweile wußte Blodgahn auch, daß die Flüchtlinge durch den Brunnen an die Oberfläche gelangt waren. Der Gnom mach te einen weiten Bogen um den Brunnen, denn dies war die einzige Stelle in der Dunklen Region (abgesehen von dem unter irdischen Stollensystem, in das die leuchtenden Augen der Statue wiesen), die für ihn ta bu war. Der Zwerg erreichte den Eingang des Em morko-Tales und brachte den Pelchwagen
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zum Stehen. Jetzt hatte er Zeit. Phiancha würde die Fremden beobachten und ihm re gelmäßig Meldung machen. Wieder drohte der Haß in ihm übermäch tig zu werden. Blodgahn hoffte inbrünstig, daß die Fremden die Angriffe der Mutanten überleben würden, bis er selbst mit ihnen ab rechnen konnte. Der Gnom wartete.
den Raben Hugin und Munin hatte er inzwi schen erfahren, daß Heimdall, Honir und Baldur auf dem Weg zu ihm waren. Alles war in Bewegung geraten. Sigurd wünschte, daß seine Brüder bereits bei ihm wären, damit sie vereint waren, wenn die Zeit reif war. Ihr Weg war voller Gefahren. Ragnarök hatte begonnen – die Götter dämmerung … ENDE
EPILOG Sigurd saß unruhig in seinem pelzge schmückten Sessel und wartete. Von den beiE N D E