Paul Zindel
Wer rechnet schon mit einem Mord? die detektive #7
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Paul Zindel
Wer rechnet schon mit einem Mord? die detektive #7
s&c 07/2008 Auch vor den efeubewachsenen Gebäuden der Universität von New York macht das Verbrechen nicht Halt. Leblos liegt die Mathematik-Dozentin Mrs Dunaway vor der Tafel. Natürlich können Quentin und India es nicht lassen, ihre Nase in den Fall zu stecken. Doch der Mörder ist extrem berechnend und kaltblütig. Und als die beiden versuchen, ihn in eine Falle zu locken, stellen sie sich selbst ein Bein … ISBN: 3-7855-4822-2 Original: Hawke mysteries #5: The Square Root of Murder Aus dem Amerikanischen übersetzt von Simone Wiemken Verlag: Loewe Erscheinungsjahr: 2003 Umschlaggestaltung: Silvia Christoph & Andreas Henze
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Paul Zindel
Wer rechnet schon mit einem Mord? Aus dem Amerikanischen übersetzt von Simone Wiemken
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Zindel, Paul: Wer rechnet schon mit einem Mord? / Paul Zindel. Aus dem Amerikan. übers. von Simone Wiemken. -1. Aufl.. – Bindlach: Loewe, 2003 (Die Detektive) Einheitssacht.: The Square Root of Murder ‚dt.‘ ISBN 3-7855-4822-2 Der Umwelt zuliebe ist dieses Buch auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. ISBN 3-7855-4822-2 -1. Auflage 2003 ©2002 by Paul Zindel Die Originalausgabe ist in den USA und Kanada bei Hyperion unter dem Titel P.C. Hawke mysteries #5: The Square Root of Murder erschienen. Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung von Hyperion. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Simone Wiemken. © für die deutsche Ausgabe 2002 Loewe Verlag GmbH, Bindlach Umschlagillustration: Silvia Christoph Umschlaggestaltung: Andreas Henze Gesamtherstellung: GGP Media, Pößneck Printed in Germany www.loewe-verlag.de
Inhalt Ein genialer Kurs................................. 7 Viel Tee und noch mehr Streit .......... 16 Eine Gemeinheit zu viel .................... 26 Die letzte Gleichung ......................... 38 Zu viele Verdächtige ......................... 50 Im Kreuzverhör ................................ 59 Bedrohliche Briefe ............................ 69 In der Folterkammer ......................... 81 Das Austern-Alibi.............................. 94 Gänsehaut ....................................... 105 Zwielichtige Geschäfte .................... 117 Geldregen ....................................... 124 Eine Falle für den Mörder ............... 133 Am Ort des Verbrechens ................. 141 In der Schusslinie ............................ 149
Aus den Akten des Schreckens von Quentin Marlon: Wer rechnet schon mit einem Mord? Fall #7 FALL #7 BEGANN UNGEFÄHR SO: Auf das Unerwartete kann man sich nicht vorbereiten – das gilt ganz besonders für böse Überraschungen. Und in Großstädten scheint es mehr unangenehme Zwischenfälle zu geben als anderswo: Hauptwasserleitungen platzen, U-Bahn-Schächte gehen in Flammen auf, Taxis geraten außer Kontrolle und rasen in irgendwelche Geschäfte. Und dann sind da natürlich noch die Morde. Mordopfer tauchen an den ungewöhnlichsten Stellen auf: in Glockentürmen, in Kühlschränken, mit dem Gesicht nach oben in Hintergärten und mit dem Gesicht nach unten in Katzenklos. Meiner Freundin und Co-Detektivin India Riggs und mir sind schon diverse Leichen untergekommen, was auch daran liegt, dass ihre Mutter Gerichtsmedizinerin ist und wir sie oft in ihrem Labor besuchen. Doch auf den Anblick unserer Matheprofessorin, die von einem Pfeil durchbohrt vor der Tafel eines Klassenraums an der Columbia-Uni5
versität lag, waren wir nicht vorbereitet. Herauszufinden, wer sie in diese äußerst unangenehme Lage gebracht hatte, erwies sich als unser schwierigster Fall – ein Fall, bei dem nichts zusammenzupassen schien … Bis wir schließlich dem Mörder in die Augen sahen. Wie immer ist dies die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, euer Quentin Marlon
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Ein genialer Kurs Es war Samstagnachmittag und der letzte wirklich schöne Herbsttag. India und ich saßen auf einer Bank am Teich, unserem Lieblingsplatz im Central Park. Wir beobachteten die alten Männer, die ferngesteuerte Modellboote über das Wasser lenkten und so versuchten, ihre verlorene Kindheit wieder zurückzuholen. Kinder rannten kichernd um sie herum und spielten Fangen. Ihre Mütter saßen daneben in der Sonne und lächelten zufrieden. Doch India und ich waren mit unseren Gedanken woanders. Wir unterhielten uns über den Selbstmord von Henry Peachtree. Henry hatte die Oberstufe der Westside School besucht – ein Musterschüler mit einer viel versprechenden Zukunft. Aber als er in Physik durchfiel und ihm klar wurde, dass er es nicht an die EliteUniversität Yale schaffen würde, war er vom Dach seines Penthauses gesprungen – und die Dächer sind in New York wirklich hoch … Alle sagten, dass seine Mutter schuld war, die ihn ständig zu Höchstleistungen getrieben hatte. Und jetzt hatte sie ihn in den Tod getrieben. 7
„Es ist doch Wahnsinn, wie manche Eltern ihre Kinder unter Druck setzen“, sagte India. Wie üblich zog sie die Blicke der Leute auf sich. India hat lange blonde Haare und ein Gesicht wie ein Filmstar. An diesem Tag trug sie ein kurzes schwarzes Kleid mit einem lila Schlangenmuster. „Das kann man wohl sagen“, bestätigte ich. Und es stimmt. Jedes Jahr springen ein paar Erstsemester vom Dach der Universität, weil sie den Stress einfach nicht aushalten. Dasselbe passiert überall auf der Welt, aber es war das erste Mal, dass wir so etwas aus nächster Nähe erlebten. Kein Wunder also, dass wir an diesem Tag ziemlich aufgewühlt waren. Dazu kam, dass auch India und ich unter einem gewissen Leistungsdruck standen. Diesen Druck übten zwar nicht unsere Eltern aus, aber glaubt mir, Lehrer können das genauso gut. Nehmen wir zum Beispiel Mrs Gilroy, unsere Mathelehrerin an der Westside School. Im September hatte sie uns von einem Mathe-Leistungskurs erzählt, den die Columbia-Universität für besonders begabte Schüler anbot. Man hätte glauben können, Mrs Gilroy wäre unsere Mutter, so sehr drängte sie uns, an diesem Kurs teilzunehmen. Zugegeben, India und mir fällt Mathe leichter als den meisten unserer Mitschüler, aber trotzdem … Schließlich beschlossen wir, dass es für künftige Fälle nicht schaden konnte, unser logisches Denk8
vermögen und die Fähigkeit zur Lösung von Problemen ein wenig zu schulen. So kam es, dass wir uns jetzt jeden Mittwochnachmittag von vier bis sechs in den mit Efeu überwucherten Gebäuden der Universität aufhielten. Und mit uns zusammen ein ganzer Haufen von durchgeknallten, abgefahrenen und ausgeflippten Geistesakrobaten, die sich ebenfalls für diesen Kurs angemeldet hatten. „Da wir gerade von gestressten Schülern reden“, nahm ich den Faden wieder auf, „Was hältst du von Bernadette Lello? Ist es nicht eine Schande, wie das arme Kind ausgebeutet wird?“ Bernadette war erst elf Jahre alt. Sie war eindeutig das Genie unseres Kurses – wenn auch die Dozentin, Professor Dunaway, daran Zweifel zu haben schien. Bernadettes Vater, der zugleich auch ihr Manager war, hatte seine Tochter schon in ein paar Radio- und Fernsehshows getrieben. Er hatte sogar eine echt peinliche Website gestalten lassen, auf der Bernadette als winzige Kampfmaschine für den Umweltschutz präsentiert wurde. Ihr Vater protzte damit, wann immer sich die Gelegenheit bot. „Das stimmt“, sagte India. „Wenn Bernadettes Vater nicht bald die Notbremse zieht, wird sie nie ein normales Leben führen können. Glaubst du, dass sie auch nur einen einzigen Freund hat?“ „Kann ich mir nicht vorstellen“, erwiderte ich. „Ich wette, dafür fehlt ihr die Zeit.“ 9
„Aber wenn es darum geht, wer die schrägste Gestalt des Kurses ist, müsste Gaby Zoole die Goldmedaille kriegen.“ Unter all den ausgeflippten Typen in unserem Kurs nahm Gaby tatsächlich eine Ausnahmestellung ein. Ihre Haare sahen aus wie nasse Spagetti, und ihre Persönlichkeit war nicht besser. Wenn man India glauben konnte, bestanden die Kleider, die Gaby trug, aus alten Hühnerfuttersäcken. Ich fand, dass diese Stilrichtung perfekt zu ihren dünnen, verkniffenen Lippen passte. „Angeblich sammelt Gaby mittelalterliche Waffen“, meinte India. „Wusstest du das?“ „Echt?“ „Ja, sie soll eine ganze Sammlung der merkwürdigsten Dinge zu Hause haben.“ „Das glaube ich gern“, sagte ich. „Hast du den Anstecker gesehen, den sie im Kurs trägt? Den von diesem Waffennarren-Verein?“ „Der mit diesem beknackten Slogan Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen!“ „Nett, findest du nicht?“ In unserem Kurs waren noch etliche andere merkwürdige Gestalten, aber dazu komme ich später. Zunächst möchte ich berichten, was an diesem Tag im Park passierte, denn im Rückblick erwies es sich als erster Hinweis darauf, dass etwas Schreckliches geschehen würde. 10
Wir saßen also auf der Bank und schwatzten über unsere bekloppten Mitschüler und den Stress, den wir alle hatten, als wir plötzlich die Dozentin unseres Mathekurses, Professor Dunaway, auf der anderen Seite des Teichs entdeckten. Wenn es eine Lehrerin gab, die ihre Schüler wirklich unter Druck setzte, dann war es Eva Marie Dunaway. Sie nutzte jede Gelegenheit, ihren Schülern Bosheiten an den Kopf zu werfen. Dabei verschonte sie niemanden – nicht einmal die kleine Bernadette Lello. Aus irgendeinem Grund schien es die Professorin zu ärgern, dass die Kleine so clever war. Vielleicht nervte es sie, dass Bernadette selbst die kompliziertesten Aufgaben lösen konnte, ohne sich etwas aufzuschreiben. Dunaway folterte das Wunderkind ununterbrochen mit spitzen Bemerkungen. Aber andererseits machte sie das mit allen. Ein paarmal wäre ich liebend gern aufgesprungen und hätte sie vor der ganzen Klasse erwürgt. Ich glaube nicht, dass es in unserem Kurs jemanden gab, dem es nicht ganz genauso ging. Und jetzt war Professor Dunaway hier und kam auf uns zu. „He“, sagte India und stieß mich an. „Siehst du, was ich sehe?“ „Allerdings“, sagte ich. „Dunaway die Schreckliche. Aber wer ist der Kerl da bei ihr?“ „Keine Ahnung. Aber die beiden machen einen ziemlich verliebten Eindruck, findest du nicht?“ 11
„Fürwahr“, sagte ich – gelegentlich drücke ich mich gern etwas merkwürdig aus – und beobachtete, wie das Paar Arm in Arm um den Teich schlenderte. „Ob das ihr Mann ist?“ „Ich glaube, sie ist nicht verheiratet“, entgegnete India. „Sehr interessant …“ Als das Pärchen näher kam, zog Professor Dunaway ihren Arm weg, und die beiden begannen aufgeregt zu diskutieren. Ihrer Körpersprache nach wurde daraus schnell ein Streit. „Wollen wir hingehen und Hallo sagen?“, fragte ich. „Bloß nicht“, wehrte India ab. „Das sieht ziemlich heftig aus. Ich finde, wir sollten versuchen, näher heranzukommen, um mitzukriegen, worum es bei dem Streit geht.“ „Dann mal los“, sagte ich. Wir standen auf und schlenderten unauffällig in die Richtung der beiden. Die Gesichter wandten wir ab, damit Dunaway uns nicht erkannte. Ich vermutete allerdings, dass sie uns außerhalb des gewohnten Klassenraums ohnehin nicht erkannt hätte. So war Professor Dunaway – wenn sie sich auf etwas konzentrierte, nahm sie nichts anderes mehr wahr. Und im Augenblick konzentrierte sie sich auf den Streit mit dem Mann an ihrer Seite. Wahrscheinlich hätten wir direkt auf sie zumarschieren können, ohne dass sie uns bemerkt hätte. 12
Als wir die beiden passierten, konnten wir einen eingehenden Blick auf ihren Begleiter werfen. Er hatte zwar nicht mehr viele Haare, sah aber trotzdem nicht schlecht aus: groß und schlank, mit einem ganz angenehmen Gesicht. Im Moment bedachte er die Professorin mit einem gewinnenden Lächeln. „Komm schon, Evi, reg dich doch nicht so auf“, sagte er. „Ich soll mich nicht aufregen?“, fauchte Dunaway und riss ihren Arm weg, als er danach griff. „Du hältst mich hin!“ „Das ist nicht wahr, und das weißt du“, verteidigte sich der Mann. Er legte eine Hand auf seine Brust, um zu demonstrieren, wie tief ihn dieser Vorwurf traf. „Wie kannst du all das Schöne vergessen, das wir gemeinsam …“ Dunaway unterbrach ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Red dich nicht heraus. Du hast mir versprochen, dass du deine Frau verlassen würdest.“ „Nun, zufällig verlässt sie mich – und zwar nächste Woche. Sie geht ins Ausland.“ „Tatsächlich? Seit wann weißt du das?“ Dunaway blieb wie angewurzelt stehen, und wir taten natürlich dasselbe. Doch dann sagte sie: „Ich kann dir nicht mehr trauen, Harry.“ „Evi, bitte sei doch nicht so –“ 13
India und ich verstanden zwar nicht jedes Wort, aber wir waren gut trainierte Lauscher. Diese Fähigkeit hatten wir in Situationen gelernt, in denen es von entscheidender Bedeutung ist, dass einem nichts entgeht. Unter Stress sagen die Leute oft Dinge, die sich später als wichtig erweisen. Um es kurz zu machen: Dunaway wechselte plötzlich das Thema und begann diesen Harry über irgendwelche Investitionen auszufragen, die seine Firma für die Universität getätigt hatte. Daraufhin zog Harry alle Register. Er erzählte Dunaway mit vielen ausschmückenden Gesten, dass seine Firma für die Uni riesige Gewinne erwirtschaftete und so weiter. Aber Dunaway schien ihm kein Wort zu glauben. Mit eisiger Stimme stoppte sie sein Geschwätz, wie sie es auch immer in der Klasse machte, wenn irgendein armer Schüler ihre Frage nicht zufrieden stellend beantworten konnte. „Bla, bla, bla! Du hast drei Millionen von uns, Harry. Als Kassenprüferin des Komitees erwarte ich einen ausführlichen Bericht von dir.“ „Ja, natürlich, in einigen Wochen bekommst du einen ausführlichen Vierteljahresabschluss.“ „Das will ich hoffen!“ „Versprochen. Aber, Evi, so etwas sollte doch unserer Beziehung nicht im Wege –“ „Und der Bericht sollte besser sehr ausführlich 14
sein, andernfalls wird es dir und Americom Leid tun.“ „Das wird er, ich schwöre es. Aber Evi …“ „Hör auf mit deinem ‚Aber, Evi‘! Es reicht, Harry. Von jetzt an ist unsere ‚Beziehung‘, wie du sie nennst, rein geschäftlich. Und ich warne dich – ich werde deine Firma Americom nicht aus den Augen lassen.“ Dunaway machte auf dem Absatz kehrt und rauschte direkt an India und mir vorbei. Im Gehen warf sie Harry noch an den Kopf: „Und halt deine verrückte Tochter in Zukunft von mir fern!“ India packte meinen Arm. „Komm, lass uns verschwinden.“ Das Letzte, was wir sahen, war Harry, Professor Dunaways geheimnisvoller Liebhaber, der wie erstarrt auf dem Weg stand. Auf seinem Gesicht lag derselbe Ausdruck, den man an unseren Mitschülern regelmäßig beobachten konnte, wenn sie von Professor Dunaway niedergemacht wurden: eine Mischung aus Angst … und mörderischer Wut.
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Viel Tee und noch mehr Streit Am Sonntag nach unserer dritten Kurswoche wurden wir alle zum Tee in den Aufenthaltsraum der mathematischen Fakultät eingeladen, damit unsere Eltern Gelegenheit hatten, Professor Dunaway kennen zu lernen. Ich fühlte mich echt cool in meiner neuen dunkelblauen Hose und dem engen Pulli, in dem ich aussehe, als würde ich Gewichte stemmen. Außerdem hatte ich mir Gel in die Haare geschmiert, sodass sie glatter aussahen als sonst – irgendein neues Zeug, das vermutlich sogar einem Tornado standhält. Ich teilte mir mit India und ihrer Mutter ein Taxi. Indias Mutter ist Gerichtsmedizinerin, und ihre beruflichen Verbindungen und ihr Fachwissen haben uns schon öfter bei der Lösung eines Falles geholfen. Indias Vater, Dr. Riggs, hatte keine Zeit. Er ist ein berühmter Psychiater, dessen Patienten ihn vorzugsweise sonntagnachmittags aufsuchen. Auch mein Vater konnte nicht kommen. Dad ist leitender Archäologe am Naturgeschichtlichen Museum, und zurzeit trieb er sich in der Wüste Gobi herum. Bedingt durch seinen Beruf ist er schon immer viel gereist, aber seit dem Tod meiner 16
Mutter vor zwei Jahren ist er fast dauernd unterwegs. Ich habe sehr unter ihrem Tod gelitten, aber mein Dad war am Boden zerstört. Er ist seitdem nicht mehr derselbe. In letzter Zeit allerdings macht er mir wieder einen etwas besseren Eindruck. „Unglaublich“, sagte Mrs Riggs, als wir zwischen efeubewachsenem Gemäuer hinaufgingen zum großen viereckigen Innenhof der Universität. „Ist das friedlich hier – wie eine Insel mitten in der Stadt.“ Einen Moment lang fürchtete ich, dass sie hinzufügen würde „wie meine Leichenkammer“, denn schließlich wusste ich genau, dass das der Ort war, an dem sie sich am liebsten aufhielt. India und ich hatten uns mittlerweile daran gewöhnt, sie dort zu besuchen, aber ein bisschen unheimlich war es doch. „Es wundert mich, dass Sie noch nie hier waren“, sagte ich. „Ja, man sollte meinen, dass mich mein Beruf auch schon einmal hierher geführt hätte“, antwortete sie. „Aber die Uni scheint eine verbrechensfreie Zone zu sein.“ Das hätte sie nicht sagen sollen. Wir steuerten den Aufenthaltsraum der mathematischen Fakultät an, wo die Teeparty bereits in vollem Gang war. Der Saal war voller Leute, inge17
samt ungefähr 50, doch Professor Dunaway fiel trotzdem sofort auf. Groß, mit kurzen blonden Haaren und durchdringend blauen Augen dominierte sie wie immer den ganzen Raum. Wer vor ihr aufzumucken wagte, wurde gnadenlos zurechtgestutzt. Erst in der vergangenen Woche hatten India und ich mitbekommen, wie sie Jeremiah Jones, einen unserer Mitschüler, niedergemacht hatte. Jetzt stand Jeremiah am Büffet und vernichtete methodisch die Häppchen, die dort angerichtet waren. Es war unbegreiflich, wie er so schnell essen konnte, ohne sich an seinem Zungenpiercing zu verschlucken. Neben Jeremiah stand seine Freundin Natalie Baker. Wie üblich trugen die beiden identische Lederjacken, die zu ihren identischen Piercings passten – nur dass Natalie ihre Ringe in der Augenbraue und im Nabel trug. Damit auch jeder ihren Bauchnabelring sehen konnte, trug sie immer diese tief auf der Hüfte sitzenden Jeans. Neben mir schnaubte India angewidert. „Da sind unsere siamesischen Zwillinge.“ Ich stieß einen ähnlich angeekelten Laut aus. „Hätten die nicht wegbleiben können?“ Jeremiah und Natalie hatten große Pläne, aus denen sie keinen Hehl machten. Sie wollten im nächsten Jahr gemeinsam auf die Elite-Universität Harvard gehen. Doch offenbar lief nicht alles so, 18
wie sie es geplant hatten. Auf dem Weg in die Klasse hatten India und ich letzte Woche gehört, wie Jeremiah und Dunaway heftig diskutiert hatten. „Meine Empfehlung oder vielmehr das Fehlen derselben wird einen enormen Einfluss auf deine akademische Zukunft haben, junger Mann“, hatte Dunaway kalt geäußert. „Wenn ich den Daumen nach unten halte, kannst du Harvard vergessen.“ „Jetzt hören Sie mal zu“, hatte Jeremiah gefaucht. „Natalie ist schon angenommen, und ich gehe mit ihr nach Harvard, und niemand – weder Sie noch sonst jemand – wird mich daran hindern!“ „Das werden wir ja sehen. Aber vorerst solltest du meinen Rat beherzigen und weniger an Harvard denken und dafür mehr an Pythagoras!“ Danach war nur noch ein wuterstickter Laut zu hören gewesen, gefolgt von einem Knallen, als etwas Hartes auf den Fußboden krachte. „Mit Büchern zu werfen, bringt dich nicht weiter, Jeremy.“ „Mein Name ist Jeremiah“, hatte er betont cool erwidert. „Und wenn Sie mir in die Quere kommen, wird es Ihnen Leid tun.“ Aus den finsteren Blicken, die Jeremiah und Natalie Professor Dunaway zuwarfen, war eindeutig abzulesen, dass die beiden immer noch sauer auf sie waren. 19
Mrs Riggs, India und ich machten einen großen Bogen um die beiden Ekelpakete und mischten uns unters Volk und machten mit lauter seltsamen Leuten Konversation. In einem Kurs wie diesem blieb einem nicht viel anderes übrig. Nach etwa einer halben Stunde meldete sich Mrs Riggs’ Pieper. „In Chinatown wartet eine Leiche“, erklärte sie kurz darauf und drückte India Geld fürs Taxi und fürs Abendessen in die Hand. „Tut mir Leid, dass ich schon wieder losmuss, aber ihr wisst ja, wie das ist.“ „Klar, Mum, kein Problem“, sagte India und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Eure Professorin ist eine sehr interessante Dame“, sagte Mrs Riggs und hob vielsagend die Brauen. „So kann man es nennen.“ India verzog das Gesicht. „Wir reden später. Bis nachher, Mum.“ Die Teeparty verlief vergleichsweise harmonisch, wenn man bedenkt, zu welchen Szenen es in den ersten drei Kurswochen schon gekommen war. Professor Dunaway hielt auf ihre aufreizend hochnäsige Art Hof und schleimte sich bei den Eltern ein, die darauf alle mit einem geschmeichelten Lächeln reagierten. Die einzige Ausnahme war ein rothaariger Mann, der ebenfalls in der Gruppe der Eltern stand. Er sah aus, als hätte er gerade auf eine Peperoni gebissen und würde jeden Moment explodieren. 20
Ich stieß India an. „Wer ist das?“ Sie zuckte die Achseln. „Finden wir es heraus.“ Wir pirschten uns näher heran, denn es war deutlich zu spüren, dass etwas in der Luft lag. Der Rothaarige drängte sich rücksichtslos zwischen den Eltern hindurch. „Professor, ich möchte mit Ihnen über Ihre Art der Benotung sprechen“, knurrte er. Dunaway sah ihn von oben herab an. „Ich glaube kaum, dass dafür jetzt der richtige Augenblick ist, Mr Lello.“ „Ich bestehe darauf!“ Das höfliche Geplauder im ganzen Raum verstummte abrupt. Alle Anwesenden drehten die Köpfe. In einer Ecke entdeckte ich die kleine Bernadette, die in einem Sessel saß und den Kopf einzog. Wie gewöhnlich war sie allein. Sie tat mir Leid. Es war ihr bestimmt unangenehm, was ihr Vater hier abzog. „Wie Sie meinen“, sagte Dunaway kühl. „Aber wie Sie sehen, bin ich gerade …“ „Ja, ich weiß, dass Sie beschäftigt sind“, unterbrach Mr Lello sie, „aber sicher nicht zu beschäftigt, um vor Gericht zu erscheinen!“ „Wie bitte?“, fragte sie und schien ehrlich überrascht. „Jawohl“, sagte er und nickte bekräftigend. „Ich werde Sie wegen Verleumdung und Unfähigkeit verklagen!“ 21
„Mr Lello!“ „Kommen Sie mir nicht so“, fauchte er und bemühte sich vergeblich, seine Stimme zu dämpfen. „Bernadette hat in ihrem ganzen Leben noch nie – ich wiederhole, nie – eine andere Zensur bekommen als eine Eins. Ihre Mutter und ich, ganz zu schweigen von unserem Anwalt, sind der Meinung, dass hier etwas faul ist, zumal Sie sich von Anfang an dagegen gewehrt haben, Bernadette in Ihren Kurs zu lassen.“ „Nun, vielleicht sollte ich es Ihnen erklären.“ „Ja, das sollten Sie vielleicht.“ Mr Lello verschränkte die Arme vor der Brust, und seine Augen bohrten sich in ihre wie zwei Dolche. „Es stimmt, dass Ihre Tochter ein fotografisches Gedächtnis hat“, sagte Dunaway. „Aber darüber hinaus ist sie bestenfalls durchschnittlich begabt.“ Lello wollte wieder auffahren, doch sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Wie ich bereits sagte, ist Bernadette meiner Ansicht nach nur ein kluges Mädchen und keineswegs das Genie, für das Sie sie halten. Offen gesagt erscheint mir ihr Intellekt eher mittelmäßig.“ „Also, jetzt hören Sie mal“, begann Lello, doch sie unterbrach ihn erneut. „Ich weiß natürlich, dass Sie Ihre Tochter als intellektuelle Zirkusnummer vermarkten“, fuhr Dunaway fort. „Auftritte im Radio und im Fernsehen 22
und so etwas. Aber glauben Sie mir, ihre Fähigkeiten sind beschränkt, und sie benutzt ihr Gedächtnis, um diese Defizite auszugleichen. Doch damit wird sie nicht weit kommen. Sie hat an dieser Universität wirklich nichts zu suchen, Mr Lello. Sie sollte in die sechste Klasse ihrer alten Schule zurückkehren, denn da gehört sie hin.“ „Was haben Sie gegen meine Tochter?“, brüllte Lello und ballte die Fäuste, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich halte nichts davon, Kinder über ihre Fähigkeiten hinauszutreiben, Mr Lello. Wenn mir der Dekan nicht ausdrücklich befohlen hätte, Bernadette aufzunehmen, hätte sie niemals einen Fuß in mein Klassenzimmer gesetzt.“ Dunaway schnaubte verächtlich. „Wahrscheinlich hat er geglaubt, die Universität würde von dem Medienrummel profitieren, wenn bekannt wird, dass sie hier ist. Und beschweren Sie sich bitte nicht über ihre Zensuren. Eine Drei ist großzügig, das können Sie mir glauben. Und im Übrigen habe ich die Absicht, mich dagegen auszusprechen, dass sie für dieses Herbstsemester ein Stipendium bekommt.“ Einen kurzen Moment lang sah es so aus, als wollte Lello auf sie losgehen. Doch dann machte er auf dem Absatz kehrt, packte die arme Bernadette am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her aus dem Raum. 23
India und ich wechselten einen Blick. Langsam, aber sicher schien sich die Anzahl der Leute zu erhöhen, die etwas gegen Professor Dunaway hatten. „Die Arme. Kannst du dir vorstellen, wie es sein muss, solche Eltern zu haben?“, raunte ich India zu. „Hast du ihr Gesicht gesehen? Sie sah aus, als wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.“ Professor Dunaway dagegen sah aus, als hätte ihr die kleine Szene Spaß gemacht. Sie stand einfach nur da mit einem amüsierten und hochnäsigen Gesichtsausdruck. Alle anderen schienen unter Schock zu stehen. Glücklicherweise flog genau in diesem Augenblick die Tür auf, und alle drehten sich neugierig um. „Tut mir Leid, dass ich so spät komme“, sagte der Mann atemlos und grinste verlegen. „Hallo allerseits. Ich bin Harry Zoole, Gabys Vater.“ „Der ist das?“, flüsterte India mir ins Ohr. „Das ist der Typ, der mit Dunaway im Park war!“ „Gabys Vater“, murmelte ich und holte tief Luft. „Sag mal, was macht eigentlich deine Kopfhaut?“ Immer, wenn India ein Kribbeln auf ihrem Kopf spürt, kann das nur eines bedeuten: dass etwas faul ist. Und mit diesem Gefühl hat India noch nie danebengelegen. „Ungefähr acht Komma drei auf der Richter24
skala“, sagte sie. „Dasselbe Kribbeln, das ich immer spüre, bevor wir eine Leiche finden.“ Das sollte natürlich ein Scherz sein, und wir kicherten beide über Indias schwarzen Humor. Wenn wir gewusst hätten, was passieren würde, hätten wir das Ganze bestimmt nicht lustig gefunden.
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Eine Gemeinheit zu viel Am darauf folgenden Mittwoch fand unser Kurs zum vierten Mal statt, und Professor Dunaway ließ auf sich warten – bisher war sie immer da gewesen, bevor die ersten Schüler eintrafen. Jeremiah und Natalie nutzten die Gelegenheit, Bernadette Lello ein wenig zu quälen. Bernadette saß an ihrem Platz und starrte auf einen der schuleigenen Computer. Auf der Nase hatte sie eine Brille mit einem übergroßen Gestell und leicht rosa getönten Gläsern. Natalie und Jeremiah fanden die Brille offenbar zum Schreien komisch, was sie ehrlich gesagt auch war. Trotzdem war das keine Entschuldigung dafür, wie sich unsere verhassten Pseudo-Zwillinge aufführten. „Komm schon, ich will sie nur mal aufsetzen!“, bettelte Jeremiah und versuchte, Bernadette die Brille wegzunehmen. „Lass das! Das ist meine, und außerdem war sie sehr teuer!“, verteidigte sich Bernadette und stieß seine Hände weg. „Aber ich muss sie unbedingt anprobieren“, flehte Jeremiah. „Sie ist unglaublich schick! Ein echt verschärftes Teil! Und so cool!“ 26
Natalie prustete vor Lachen. Die beiden waren wirklich gemein. Ich sah, wie Bernadettes Schultern bebten und ihr Kinn anfing zu zucken. Da reichte es mir. „Lasst sie in Ruhe!“, fuhr ich Jeremiah und Natalie an. „Oh, Quentin ist in die kleine Bernadette verknallt!“, stichelte Jeremiah. „Halt die Klappe, du Versager!“, schnauzte India ihn an. „Warum hackst du nicht auf jemandem herum, der so intelligent ist wie du? Versuch es doch mal bei den Gorillas im Zoo!“ Natalie und Jeremiah verdrehten zwar die Augen, aber sie zogen ab. „Alles klar bei dir?“, fragte ich Bernadette, während India ihr sanft auf die Schulter klopfte. „Ja, ich glaub schon“, sagte Bernadette. Ihre Stimme zitterte, sie blinzelte krampfhaft und starrte weiter auf den Bildschirm, auf dem in knallbunter Schrift zu lesen war: Bernadettes Homepage Willkommen, Cyberfan! Du hast sie gefunden, die Wunderkind-Umweltschutz-Website. Wie ich bereits erwähnte, war diese Website irgendwie scheußlich. Bernadette wirkte darauf wie 27
eine perfekte, steril in Plastik verpackte Person, die nichts Menschliches an sich hatte. Schon traurig, wie ihre Eltern ihre Intelligenz vermarkteten, und nun auch noch dieses unechte, strahlende Wunderkind-Abziehbild im Netz! So viel zum Thema Eltern, die ihre Kinder unter Druck setzen! „Super gemacht“, bemerkte India. Ich wusste, dass sie dasselbe dachte wie ich, aber sie schafft es trotzdem immer, etwas Passendes zu sagen. Ich spürte genau, wie der Beschützerinstinkt in ihr erwachte. „Danke“, schniefte Bernadette. „Mein Dad hat die Seite von den besten Web-Designern New Yorks erstellen lassen.“ „Es muss ein komisches Gefühl sein, wenn man in deinem Alter schon so berühmt ist“, sagte ich in dem Bemühen, sie ein wenig aus der Reserve zu locken. Bernadette wirkte verlegen. „Ach, es geht. Mein Dad meint, dass man sich gar nicht früh genug für einen Beruf entscheiden kann.“ Ich wollte nichts Negatives über ihren so genannten Beruf sagen und wechselte deshalb das Thema. „Sag mal, ist das eine besondere Brille? Sie sieht irgendwie … ungewöhnlich aus.“ „Sie ist extra für das Arbeiten am Computer“, erklärte Bernadette. „Sie verhindert, dass der Bildschirm blendet. Ich habe sie gerade erst bekommen.“ 28
„Ehrlich?“, fragte ich. „Ich wusste gar nicht, dass es solche Brillen gibt. Bisher kannte ich nur diese blendfreien Bildschirme. Darf ich sie mal ausprobieren?“ „Ich weiß nicht – sie könnte verbiegen …“ „Schon gut. Muss nicht sein. Aber sie sieht echt cool aus“, versicherte ich ihr. „Wirklich?“ „Ja, wirklich“, bestätigte India. „Jeremiah und Natalie wollten dich nur ärgern.“ „Also, ihr beide wisst bestimmt, was cool ist und was nicht“, sagte Bernadette und strahlte uns an. „Ich habe gehört, dass ihr Detektive seid. Stimmt das?“ „Ja, das könnte man sagen“, murmelte ich. „Wir haben ein paar irre Fälle gelöst“, ergänzte India. „Ich hab sogar schon in der Zeitung von euch gelesen. Damals, als ihr diesen Mordfall im Naturgeschichtlichen Museum aufgeklärt habt.“ „Ertappt“, scherzte ich. „Das ist ja toll!“, hauchte Bernadette. „So was würde ich auch gern machen. Was meint ihr, könnte ich euch mal bei einem Fall helfen?“ „Äh, klar, warum nicht“, sagte ich ausweichend. „Vielleicht irgendwann mal …“ Der Gedanke, mit Bernadette Lello an einem Fall zu arbeiten, riss mich nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin. An dem 29
Blick, den India mir zuwarf, konnte ich erkennen, dass sie genauso dachte. Bevor wir uns zu weiteren Zugeständnissen hinreißen lassen konnten, tauchte zum Glück Professor Dunaway auf. „Entschuldigt meine Verspätung“, sagte sie. „Es wird nicht wieder vorkommen.“ Sie ließ ihren eisigen Blick durch den Raum schweifen. „Also, an die Arbeit. Bitte teilt diese Zettel aus. Wir schreiben einen Test.“ Der Test war ein Hammer, vier Seiten lang, und ich konnte gerade mal jede zweite Aufgabe lösen. Ich sah mich zu India um und stellte fest, dass sie genauso fassungslos auf ihre Zettel starrte wie die meisten anderen Schüler. Nur Bernadette schrieb munter drauflos, als wäre dieser Test für sie nichts anderes als ein lockerer Tag am Strand. Als wir es endlich hinter uns hatten, folgte Bernadette uns in Richtung U-Bahn. „Hey“, sagte sie, „wie seid ihr mit dem Test zurechtgekommen?“ „Frag nicht“, stöhnte ich. „Nicht besonders gut“, gab India zu. „Ich könnte euch Nachhilfe geben, wenn ihr wollt“, bot Bernadette an. „Schließlich sind wir jetzt Freunde, und da ihr versprochen habt, dass ich euch bei eurem nächsten Fall helfen darf …“ „Äh … das ist wirklich nett von dir, Bernadette …“, begann ich und suchte fieberhaft nach einer unverfänglichen Ausrede. Bernadette war in Ord30
nung, aber ich wollte sie nicht als Detektivpartnerin haben. Das war, als würde man einen Yorkshire-Terrier als Wachhund anheuern. India allerdings schien nicht abgeneigt. „Etwas Nachhilfe wäre nicht schlecht“, sagte sie und sah mich bittend an, als wollte sie damit sagen: „Es kann nicht schaden, ein bisschen nett zu ihr zu sein.“ Das sah ich zwar anders, aber gegen die beiden hatte ich keine Chance. Außerdem standen wir mittlerweile direkt vor der Treppe zur U-Bahn, und aus dem Schacht pfiff ein eiskalter Wind, der mich schaudern ließ. „Also gut, meinetwegen“, lenkte ich ein. „Super!“, jubelte Bernadette und klatschte in die Hände. „Wollen wir uns nächste Woche im Computerraum treffen? Sagen wir, eine halbe Stunde vor dem Unterricht?“ „Abgemacht“, sagte India und klopfte Bernadette auf die Schulter. „Dann bis nächsten Mittwoch, okay?“ „Okay!“, rief sie und rannte los, dass die Zöpfe wippten. „Niedliches Kind, nicht wahr?“, sagte ich und sah ihr nach. „Der perfekte Helfer bei einem Mordfall.“ „Sie tut mir einfach Leid, dir etwa nicht?“, verteidigte sich India. 31
„Doch. Trotz ihrer Genialität, ihres Ruhms und ihres Reichtums würde ich niemals mit ihr tauschen wollen.“ Ich zögerte einen Augenblick. „Andererseits“, grinste ich dann, „hätte ich gegen ein bisschen Genialität, Ruhm und Reichtum natürlich auch nichts einzuwenden.“ Wie sich herausstellte, war unsere erste Nachhilfestunde bei Bernadette ungemein lehrreich. Zu schade, dass wir nicht eine Woche früher damit angefangen hatten. Dunaway begann den Unterricht an diesem Tag damit, dass sie unsere Testergebnisse laut vorlas. „Für angeblich so helle Köpfe wie eure sind diese Ergebnisse erschütternd. Ich bin mehr als nur enttäuscht. Ich bin angewidert.“ Die Resultate reichten von beachtlichen 78 Prozent (Bernadette) bis zu lausigen 46 (Jeremiah). Die meisten anderen lagen irgendwo dazwischen, die Hälfte über den magischen 65 Prozent und die andere Hälfte, zu der auch India und ich gehörten, darunter. Die Ergebnisse auf diese Weise zu erfahren, war schon unangenehm genug, aber Dunaway schien auch noch große Freude daran zu haben, darauf herumzureiten. „Ich weiß, was ihr jetzt denkt: Der Test war nicht angekündigt, und deshalb hattet ihr keine Chance, nach Hause zu gehen und massenhaft Bücher auswendig zu lernen. Aber genau das 32
ist der Punkt: Bei der höheren Mathematik geht es nicht um das Auswendiglernen von Zahlen!“ Bei dieser Bemerkung sah sie Bernadette an, die leuchtend rot wurde. „Es geht darum, dass ihr lernt, logisch zu denken!“ India und ich tauschten einen Blick und schüttelten gleichzeitig den Kopf. Mehrere andere Schüler machten ihrem Ärger mit halblautem Gemurmel Luft. Professor Dunaway setzte ihre Attacke fort. „In der höheren Mathematik ist kein Platz für Dummköpfe und Schwächlinge. Hier überleben nur die Starken, also erwartet nicht von mir, dass ich es euch leicht mache. Wenn der beste Schüler dieser Klasse sich eine Drei erarbeitet, wird er eine Drei bekommen, und der Rest kriegt das, was er verdient.“ Das Protestgemurmel wurde lauter. „Sie kriegen auch noch, was Sie verdienen“, knurrte Jeremiah. Doch Dunaway ließ sich nicht beeindrucken. „Ihr seid hier in einem Kurs für Hochbegabte, falls ihr es noch nicht gemerkt habt. Wie kann es sein, dass ihr euch noch nicht einmal an die simpelste Anweisung halten könnt? Ich habe euch ein paarmal gesagt, dass ihr immer auf fünf Stellen hinter dem Komma abrunden sollt!“ Dunaway drehte sich um und schrieb riesengroß ,00000 an die Tafel. Das Quietschen der Kreide ging allen durch Mark und Bein. 33
„Und jetzt kommen wir zum Thema der heutigen Stunde.“ Nach einem Augenblick verblüfften Schweigens holten alle ihre Hefte heraus. Das neue Thema war Differenzialrechnung, und ich werde nicht versuchen zu erklären, was das ist, denn bisher weiß ich es selbst nicht und werde es vermutlich auch nie wissen. „Wenn aus einer bestimmten Entfernung ein Pfeil abgeschossen wird“, sagte Dunaway, „können wir die Teil-Strecke halbieren, die dieser Pfeil in einem Sekundenbruchteil zurücklegt, und dann die nächste Teil-Strecke, und die nächste und die nächste, bis in alle Ewigkeit – was bedeutet, dass der Pfeil zumindest theoretisch sein Ziel nie erreicht. Kannst du mir folgen, Gaby?“ „Äh, ich glaube schon“, stammelte Gaby entsetzt. „Ich – bin nicht sicher.“ „Und ich dachte, du wüsstest alles über Pfeile“, bemerkte Professor Dunaway spitz. „Bist du nicht Expertin für mittelalterliche Waffen?“ „Ja, äh, doch.“ Gaby wand sich vor Verlegenheit, als Dunaway auf sie zukam und sich über ihren Tisch beugte. „Und dabei habe ich das Beispiel extra für dich gewählt. Ich dachte mir, wenn du schon sonst nichts von meinem Unterricht begreifst, dann verstehst du vielleicht wenigstens das mit dem Pfeil.“ Dunaway machte kehrt und marschierte durch den 34
Mittelgang zurück in Richtung Pult. Hinter ihrem Rücken bedachte Gaby sie mit einem Blick, dem man deutlich entnehmen konnte, wohin sich Dunaway ihrer Meinung nach den Pfeil stecken konnte. Bei ihrem Blick begann ich mich zu fragen, ob sie von Dunaways Spielchen mit ihrem Vater wusste oder ob sie es einfach nur hasste, wenn man sie bloßstellte. „Jeremiah“, sagte Dunaway und blieb neben ihm stehen. Das gepiercte Affenhirn, das gerade noch über Gabys Verlegenheit gegrinst hatte, erstarrte auf seinem Stuhl. „Vielleicht kannst du uns erklären, worum es bei der Differenziation geht.“ „Äh …“ „Nun, vielleicht auch nicht“, fuhr Dunaway ungerührt fort. „Aber ich schreibe dir gern eine Empfehlung für ein Allerwelts-College. Vielleicht kommst du da in einer Förderklasse ganz gut mit.“ Jeremiah war ausnahmsweise sprachlos. Er senkte den Kopf und begann, wütend etwas in seinem Heft durchzustreichen, wobei er so hart aufdrückte, dass der Bleistift mittendurch brach. Natalie legte beruhigend die Hand auf seinen Arm, doch er riss ihn weg. Dunaway ignorierte diesen stillen Wutausbruch und setzte ihren Vortrag über die Differenziation fort. Als der Unterricht um 18 Uhr endlich vorbei war, hatte sie es geschafft, fast jeden Schüler zu 35
beleidigen, India und mich eingeschlossen. Als wir alle unsere Bücher und Hefte einpackten, verpasste sie uns noch eine letzte Breitseite: „Ich hoffe, dass ihr beim nächsten Mal besser vorbereitet seid – das heute war ja ein Trauerspiel.“ Am nächsten Mittwoch trafen wir uns wieder mit Bernadette im Computerraum. Ich konnte es kaum erwarten. In der vergangenen Woche hatte sie mir geholfen, die Note für meine Hausaufgabe von einer Drei auf eine Zwei zu verbessern, und da uns eine Klassenarbeit bevorstand, hatte ich keine Skrupel, ihre Intelligenz auszunutzen, so gut ich konnte. Bernadette wartete schon auf uns. Als wir um drei den Computerraum betraten, starrte sie durch ihre Spezialbrille auf den Bildschirm ihres Laptops. „Hi“, begrüßte sie uns überschwänglich. „Wie war eure Woche?“ „Todlangweilig“, sagte India und setzte sich auf den Stuhl links von Bernadette. Ich ließ mich auf den zu ihrer Rechten fallen. „Irgendein neuer Fall?“, fragte Bernadette hoffnungsvoll. „Noch nicht“, antwortete ich und bemühte mich, bei dem Gedanken an ein elfjähriges Wunderkind in unserem Team keine Miene zu verziehen. 36
„Aber wir könnten deine Hilfe bei einigen der Aufgaben brauchen, die Professor Dunaway uns vorgesetzt hat“, sagte India und lenkte die Unterhaltung damit wieder in unverfängliche Bahnen. Wir besprachen einige der Aufgaben bis genau 15 Uhr 46. In diesem Moment ertönte etwas, das wie ein Gewehrschuss klang, gefolgt von einem scharfen Klack. Das Geräusch kam aus unserem Klassenraum am Ende des Flurs. Ich sah instinktiv auf die Uhr, und Sekunden später schrie jemand: „Oh, mein Gott. Hilfe! Ich glaube, sie ist tot!“
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Die letzte Gleichung Sie erwies sich als Professor Dunaway. Und sie war tot, daran bestand kein Zweifel. Das Erste, was India, Bernadette und ich sahen, als wir ins Klassenzimmer stürmten, war Professor Dunaway, die vor der Tafel lag. Aus ihrer Brust ragte das Ende eines kurzen, stählernen Pfeils. Mit ihren vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sah sie aus, als könnte sie nicht fassen, wie schnell der Pfeil sie durchbohrt hatte. Was auch immer die Differenzialrechnung über den Flug eines Pfeils zu sagen hat, im wirklichen Leben erreichte er doch immer sein Ziel. Und das Ergebnis war wirklich ein grausiger Anblick. India und ich haben schon mehr grässliche Dinge gesehen als die meisten anderen Leute und verlieren deshalb angesichts einer unerwarteten Katastrophe nicht ganz so schnell die Nerven. Zugegeben, auch wir verbrachten die ersten Sekunden mit entsetztem Starren, aber wir waren doch wesentlich gefasster als alle anderen. Drei Mitglieder des Lehrerkollegiums blickten wie betäubt auf die Leiche hinunter und wussten nicht, was sie tun sollten. 38
India zeigte auf die Menschenmenge, die ins Klassenzimmer drängte. „Sie müssen dafür sorgen, dass keiner den Raum betritt! Und holen Sie die Polizei!“ Das schien die Lehrer wachzurütteln, denn plötzlich verwandelten sich die drei in perfekte Verkehrspolizisten. Sie wirkten erleichtert – wahrscheinlich, weil sie jetzt nicht länger gezwungen waren, sich die Leiche anzusehen. Nachdem der Klassenraum gesichert war, folgte ich mit meinen Augen der Flugbahn, die der Pfeil genommen haben musste. India und ich kamen gleichzeitig am Fenster an und sahen, dass draußen ein großer immergrüner Baum stand. Sein Stamm war nur rund drei Meter vom Fenster entfernt, und dicke, stabile Äste ragten in alle Richtungen. Ein idealer Kletterbaum und der perfekte Hochsitz für einen Mörder. Doch auf dem Baum saß niemand mehr. Wer immer Professor Dunaway erschossen hatte, war längst weg. Als ich nach unten sah, fiel mein Blick auf etwas Glänzendes. Selbst aus dieser Entfernung erkannte ich, dass es eine Armbrust war. „Siehst du, was ich sehe?“, murmelte ich India zu. „Wir sollten schnell nach unten gehen, bevor einer der Studenten die Armbrust findet“, flüsterte sie zurück. Als wir uns umdrehten, fiel mein Blick auf Ber39
nadette. Sie drückte sich an die hintere Wand des Klassenzimmers und starrte voller Entsetzen auf die Leiche von Professor Dunaway. Bernadette war vollkommen weggetreten und schien unter Schock zu stehen. Sie blinzelte hektisch, und ihre Hände, die auf einem der Computer lagen, zuckten unkontrolliert. Wenn der Computer nicht da gewesen wäre, um sie aufrecht zu halten, wäre sie bestimmt zusammengeklappt. Ich gab India einen Wink. „Nehmen wir sie mit.“ „Auf jeden Fall“, stimmte India mir zu. Sie nahm Bernadette an der Hand und führte sie durch die Menschenmenge, die sich immer noch an der Tür drängte. Wir hasteten die Treppe hinunter und hinaus in die kalte Novemberluft. Die Sonne ging gerade unter, und der Innenhof und die Bäume, die ihn umgaben, lagen bereits im Schatten. Die Armbrust war noch da. Sie lag zwischen dem Baum und dem Gebäude. Ich ging davor in die Hocke, achtete aber darauf, nicht zu nah heranzugehen. Ich wollte auf keinen Fall Spuren, wie zum Beispiel Fußabdrücke, zerstören. „Hast du deine Taschenlampe dabei?“, fragte ich India, die auf dem Plattenweg stehen geblieben war und den Arm um Bernadettes Schultern gelegt hatte. „Aber immer doch“, sagte India grinsend und holte die Mini-Stablampe aus ihrem Rucksack mit 40
Leopardenmuster. Nachdem sie mir die Lampe zugeworfen hatte, leuchtete ich damit den Boden rund um den Baum ab. Tatsächlich, in dem Matsch waren Fußabdrücke zu sehen. Meine natürlich, aber auch die von jemand anderem. Sie sahen aus wie Abdrücke von Wanderstiefeln. Eine Spur führte zum Baum, die andere vom Baum weg. Der Tathergang war eindeutig: Jemand war mit der Armbrust auf den Baum geklettert, hatte Professor Dunaway durch das offene Fenster erschossen und war dann wieder heruntergeklettert oder gesprungen. Die Armbrust hatte der Täter zurückgelassen – entweder mit Absicht oder aus Versehen. Dann hatte er die Flucht ergriffen. Die Armbrust war keines von diesen Dingern aus Metall und Plastik, die man in Sportgeschäften sieht. Diese war aus geschnitztem Holz und sah aus wie die Imitation einer alten Armbrust. „Vielleicht ist sie sogar echt“, dachte ich, als mir Gabys Begeisterung für mittelalterliche Waffen wieder einfiel. Womöglich war der Mörder gar nicht geflohen. Unter Umständen war er oder sie noch hier. Das Heulen von Sirenen riss mich aus meinen Gedanken. „Na, endlich“, sagte ich. „India, du bleibst mit Bernadette hier und sorgst dafür, dass niemand die Armbrust anfasst. Ich gehe nach oben und höre mir an, was die Polizei zu sagen hat.“ 41
„He!“, protestierte India. „Wieso bleibst du nicht hier, und ich gehe nach oben?“ „Schon gut“, lenkte ich ein. „Wir gehen beide. Bernadette, du bleibst hier und passt auf.“ Bernadette sah mich entsetzt an. „Ihr wollt mich hier allein lassen?“ India gab zuerst nach. „Also gut, Quentin. Geh du.“ „Bin schon weg“, sagte ich und bedachte sie mit einem Zwinkern, das sie bestimmt nicht lustig fand. Ich rannte wieder nach oben und kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Polizei den Raum mit Absperrband verschloss. Überall standen Leute herum, Professoren, Studenten und Neugierige. „Vielleicht sogar der Mörder“, dachte ich und ließ Gaby nicht aus den Augen. Ich konnte die Polizisten nicht überreden, mich noch einmal in den Klassenraum zu lassen, aber zumindest bedeutete das, dass auch der Mörder keinen Zutritt mehr hatte. Damit waren alle Beweise, die dort möglicherweise zu finden waren, gesichert. India und ich waren so schnell am Tatort aufgetaucht, dass der Mörder unmöglich vor uns dort gewesen sein konnte, und wir hatten uns nicht lange im Raum aufgehalten. Die Polizei fand also einen nahezu unberührten Tatort vor. Da ich den Klassenraum nicht mehr betreten 42
durfte, nutzte ich die Gelegenheit, mit einem Ohr zuzuhören, was die Polizei sagte, und mit dem anderen die Umstehenden, vor allem aber meine Mitschüler, zu belauschen. Es war 16 Uhr 05, und inzwischen waren auch die Zuspätkommer eingetroffen. Alle machten große Augen und redeten aufgeregt darüber, was passiert war. Ich wette, dass außer India und mir noch keiner von ihnen jemals den Schauplatz eines Mordes gesehen hatte. Die Polizisten schienen auf jemanden zu warten. Ich hörte, wie einer von ihnen den Namen Krakowski erwähnte, und verzog das Gesicht. Hoffentlich handelt es sich nicht um dieselbe Inspektor Krakowski, die schon in dem Mordfall im Naturgeschichtlichen Museum ermittelt hatte, den wir vor einigen Monaten aufgeklärt hatten. Damals waren wir heftig aneinander geraten. Sie war nicht gerade unsere Lieblingspolizistin. Aber natürlich war sie es doch. Keine zehn Sekunden später erschien Inspektor Helen Krakowski am Tatort. So ein Mist. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Ihr schwarzes Haar war immer noch zu einer Pagenkopf-Frisur geschnitten, die überhaupt nicht zu dem kunterbunten Parka passte, den sie über der Uniform trug. Und ihre Stimme war noch ätzender als ihr Geschmack. „Wer ist für diese Sauerei zuständig?“, bellte sie. Jeder Polizist in Hörweite unterbrach, was er gera43
de tat, und sah sie an. „Alles mal herhören. Von jetzt an ist das mein Fall. Ich erwarte Ihren Bericht.“ Sie sah sich um, und erst jetzt bemerkte sie mich. „Oh, nein“, knurrte sie. „Nicht du schon wieder.“ Sie starrte genervt zur Decke. Dann winkte sie mich mit ihrem dicken, gekrümmten Zeigefinger zu sich heran. „Hi, Inspektor Krakowski.“ Ich konnte nichts dagegen tun, ich musste auf ihren keineswegs dezenten Damenbart starren. Er schien buschiger als beim letzten Mal. „Wie läuft’s so?“ „Kannst du mir verraten, was du hier zu suchen hast?“, fragte sie mich gereizt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin in Professor Dunaways Mathekurs“, erklärte ich. „Ich meine, ich war in dem Kurs.“ „Womit habe ich das verdient?“, murmelte Inspektor Krakowski. Ihre dünnen Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Grinsen. „Hör mal zu, Junge. Nur weil du einmal Glück hattest, bedeutet das noch lange nicht, dass du das Zeug zum Detektiv hast. Dazu bedarf es einer langen Ausbildung, Disziplin, Intelligenz –“ „Sind Sie zufällig an der Mordwaffe interessiert?“, unterbrach ich sie. „Sie liegt draußen unter dem Baum, der direkt vor diesem Klassenzimmer steht.“ 44
Inspektor Krakowski bedachte mich mit einem Blick, bei dem ich spontan an einen toten Karpfen denken musste. „Weißt du was? Am liebsten würde ich dich als Tatverdächtigen festnehmen lassen, damit du mir nicht länger auf die Nerven gehen kannst.“ Zum Glück wurde sie von einem Beamten abgelenkt, der ihr berichtete, was die bisherigen Ermittlungen ergeben hatten. „Rühr dich nicht vom Fleck!“, warnte sie mich. „He, Robert!“, brüllte sie dann einen großen, bärtigen Polizisten an. „Treib alle zusammen, die sich zur Zeit des Mordes im oder vor dem Gebäude aufgehalten haben, und bring sie in den leeren Klassenraum da vorn, bis ich Zeit habe, sie zu verhören.“ Robert machte sich sofort an die Arbeit, und kurze Zeit später drängten sich außer India, Bernadette und mir noch 15 Mitschüler, der Hausmeister, mehrere Studenten, Professoren und ein paar Unglückliche, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren, in dem kleinen Raum. Insgesamt hatte Robert rund 50 Leute wie Ölsardinen in ein Kämmerchen gequetscht, das höchstens 20 Platz bot. Das Scheppern der Heizung, die wie immer auf vollen Touren lief, trug noch zur allgemeinen Gemütlichkeit bei. India stand neben Bernadette, die an einem 45
Tisch in der Ecke saß und wie ein Zombie ins Leere starrte. Mit einem Blick gab mir India zu verstehen, dass sie sich Sorgen um die Kleine machte. Als ich ihr ein Zeichen gab, zu mir in die Ecke zu kommen, in die ich eingekeilt war, flüsterte sie Bernadette etwas ins Ohr, bevor sie sich zu mir durchkämpfte. „Sie steht immer noch unter Schock“, sagte India leise. „Das Letzte, was sie jetzt braucht, ist ein Verhör mit Inspektor Krakowski“, bemerkte ich. „Krakowski? Bitte sag, dass das nicht wahr ist!“ „Doch, es ist wahr.“ „Sie sollte Bernadette lieber in Ruhe lassen“, knurrte India, „sonst werde ich …“ „Was wirst du?“ India seufzte und warf ihr Haar zurück. „Ich werde ihr jedes Barthaar einzeln ausreißen. Übrigens habe ich einem Beamten die Armbrust gezeigt.“ „Auch die Fußabdrücke?“ „Logisch.“ „Gut. Jetzt könnten die mal in die Hufe kommen.“ Doch die liebe Krakowski ließ uns über eine Stunde lang schmoren, bevor sie endlich anfing, uns einzeln zur Befragung abholen zu lassen. Mittlerweile war auch ein Seelenklempner aus dem 46
Psychologieseminar eingetroffen und gab Tipps zur Verarbeitung des Schocks. Wir ließen Bernadette in seiner Obhut, als Krakowski uns zu sich rief. Wir waren auf das Schlimmste gefasst. Krakowski war nicht nur ein boshaftes Mannweib, sie war nicht einmal eine gute Polizistin. Bei dem Museumsfall hatten wir sie nicht dazu bringen können, unsere Theorie zum Tathergang, die sich später als richtig erwiesen hatte, auch nur in Betracht zu ziehen. Sie hatte ihre eigenen Theorien, und in dieser Beziehung war sie unschlagbar: Sie lag immer falsch. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund führte Krakowski ihre Befragung ausgerechnet in dem Klassenraum durch, in dem der Mord verübt worden war. Wenigstens war sie so taktvoll, die hintere Hälfte des Raums zu benutzen, denn vor der Tafel lag immer noch die Leiche von Professor Dunaway, nur teilweise von einem Tuch bedeckt. Für India und mich war Krakowskis makabre Ortswahl ein unerwarteter Glücksfall, weil wir dadurch die Möglichkeit erhielten, einen zweiten Blick auf den Tatort zu werfen. Wir betraten den Raum durch die vordere Tür und mussten direkt an der Leiche vorbeigehen. Viel war von ihr allerdings nicht zu sehen, weil sie von Fotografen, Fingerabdruck-Spezialisten und anderen Kriminaltechnikern umgeben war. 47
Als wir vorbeigingen, tat sich zwischen all diesen Leuten zufällig eine Lücke auf, und ich bemerkte etwas, das mir bisher nicht aufgefallen war: Kreidespuren auf dem Ärmel der Toten. Unsere verstorbene Professorin hielt ein Stück Kreide fest umklammert, als hätte sie gerade etwas an die Tafel schreiben wollen, als der Pfeil sie durchbohrte. Ich stieß India an. „Sieh doch!“ An der Tafel stand eine Gleichung, direkt oberhalb der Stelle, wo Dunaways Leiche lag. Es war keine einfache Gleichung: x = √9 · 0,0257906. Aber die Schrift sah ganz anders aus als die von Dunaway. „Jemand hat diese Aufgabe für sie angeschrieben“, flüsterte ich India zu. Blitzschnell holte sie ihr Notizbuch heraus und schrieb die Gleichung ab. „Bewegt euch“, fauchte Inspektor Krakowski. Als wir durch den Mittelgang auf sie zugingen, überlegte ich mir, wie der Mord abgelaufen sein musste: Professor Dunaway betritt den leeren Raum. Das Fenster steht weit offen, aber das ist nichts Ungewöhnliches, denn die Heizung ist wie immer viel zu weit aufgedreht. Sie sieht eine Aufgabe an der Tafel und will sie abwischen, tut es aus irgendeinem Grund dann aber doch nicht. Stattdessen greift sie zur Kreide und fängt an zu rechnen, wodurch sie genau in die Schusslinie gerät. Sie hört draußen ein Geräusch, dreht sich um, und … 48
Das Ganze nahm mich ziemlich mit. Trotz ihrer ständigen Bosheiten und ihrer Arroganz war sie doch ein Mensch gewesen. Ein Mensch mit Gefühlen, Hoffnungen und Träumen. Niemand verdiente einen solchen Tod. „Also gut, ihr zwei“, blökte Inspektor Krakowski und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Ich warte auf eine Erklärung. Und es sollte besser eine gute sein!“
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Zu viele Verdächtige Ich glaube zu wissen, warum Krakowski es nicht leiden kann, dass India und ich unsere Nase in Mordfälle stecken. Ihr ist klar, dass wir alle nur denkbaren Tricks einsetzen, um den Täter zu fassen. Für uns gibt es keine Vorschriften. Natürlich riskieren wir gelegentlich, bei der Durchsuchung von Wohnungen, Büros oder Autos – offiziell nennt man das Einbruch – verhaftet zu werden, aber das kann schließlich jedem passieren. „Haben Sie wirklich uns im Verdacht?“, fragte India, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah Krakowski misstrauisch an. „Sogar nachdem wir Ihnen geholfen haben, den Fall im Museum aufzuklären?“ „Ihr seid Verdächtige, genau wie alle anderen“, warf uns Krakowski an den Kopf, doch dann wurde sie etwas freundlicher. „Hört mal, ich bestreite ja gar nicht, dass ihr zur Aufklärung dieses Museums-Falls beigetragen habt.“ „Wofür Sie den ganzen Ruhm eingestrichen haben“, rutschte es mir heraus. Krakowski machte ein finsteres Gesicht. „Immerhin habe ich dir das Leben gerettet, Quentin, 50
du solltest mir dankbar sein.“ Plötzlich lächelte sie. „Aber ich bin nicht sauer auf euch. Ich habe meine Beförderung bekommen und auch die damit verbundene Gehaltserhöhung. Von mir aus können wir die Vergangenheit ruhen lassen und noch einmal von vorn anfangen.“ India und mir blieb nichts anderes übrig, als den Mund zu halten. Ich vermute, dass ich etwas Dummes gesagt hätte, wenn India nicht so klug gewesen wäre, mir mit ihrem Absatz im entscheidenden Moment den großen Zeh zu zerquetschen. „Jetzt will ich alles hören, was ihr wisst – und damit meine ich wirklich alles, kapiert? Wo ihr wart, als der Mord geschah, was ihr gemacht habt und jede andere Einzelheit, die euch aufgefallen ist.“ „Okay“, sagte ich. „Wir waren mit Bernadette Lello, einer Mitschülerin, im Computerraum und haben Hausaufgaben gemacht, als wir den Schuss hörten.“ „Wisst ihr auch, wann genau das war?“, fragte Krakowski. „Natürlich“, antwortete India empört. „Auf der Wanduhr im Computerraum war es 15 Uhr 46, und auf meiner Armbanduhr ebenfalls.“ „Sehr gut“, sagte Krakowski und notierte die Tatzeit. „Ich habe nichts anderes von euch erwartet. Und weiter?“ 51
„Wir sind in diesen Raum gerannt, in dem schon einige aufgeregte Schüler standen. Professor Dunaway lag vor der Tafel aufgespießt, und aus ihrer Brust ragte ein Pfeil“, fuhr ich fort. „War unter den Anwesenden jemand, den ihr kanntet?“, fragte Krakowski. „Nur Bernadette“, erwiderte India. „Es war noch zu früh für den Unterricht, und deshalb waren unsere Mitschüler noch nicht da. Die anderen waren einfach Studenten, die zufällig in der Nähe waren.“ „Also habt ihr drei ein Alibi“, stellte Krakowski fest. „Und jetzt erzählt mir bitte, was eurer Meinung nach passiert ist.“ Ich unterbreitete ihr meine Theorie von dem Attentäter auf dem Baum. „Wenn der Mörder sofort nach dem Schuss vom Baum gesprungen ist und die Armbrust zurückgelassen hat, konnte er mühelos entkommen.“ „Mmmh. Das bringt uns nicht weiter“, murmelte Krakowski stirnrunzelnd. „Was meint ihr, wer es war? Fällt euch jemand ein, der ein Motiv hatte?“ „In unserem Kurs gibt es ein Mädchen, das Gaby Zoole heißt“, sagte ich. „Ich bezweifle zwar, dass sie ein besseres Motiv hatte als jeder andere von uns –“ „Die ganze Klasse hat Professor Dunaway gehasst“, erklärte India. 52
„Aber Gaby hat dieses Hobby … Sie sammelt mittelalterliche Waffen. Das haben wir zumindest gehört.“ „Interessant“, meinte Krakowski. „Gab es sonst noch Schüler, die sie besonders gehasst haben?“ „Jeremiah Jones hat einen Privatkrieg mit ihr geführt“, berichtete India. „Sie hat gedroht, ihn durchfallen zu lassen, damit er nicht nach Harvard kommt.“ „Er hat sie sogar ein paarmal bedroht“, fügte ich hinzu. „Tatsächlich!“ Krakowski machte sich noch ein paar Notizen. „Also Jeremiah Jones. Sonst noch jemand?“ „Äh, wir haben ein paar Streitereien zwischen Dunaway und einigen Eltern mitbekommen“, sagte ich. „Zum Beispiel mit Gabys Vater Harry Zoole. Dabei ging es um irgendwelche Investitionen, die seine Firma für die Universität getätigt hat.“ „Aha.“ „Und Mr Lello. Seine Tochter Bernadette ist die, die zum Zeitpunkt des Mordes bei uns war. Sie ist erst elf“, ergänzte India. „Elf?“ „Sie ist eine Art Wunderkind“, erklärte ich. „Und ihr Vater war wütend auf Dunaway, weil sie seine Tochter nicht bevorzugt behandelt hat, wie sie es seiner Meinung nach verdient hätte.“ 53
„Verstehe“, sagte Krakowski. „War das alles?“ „Wir sagen Ihnen, wenn uns noch etwas einfällt“, versprach India. „Das macht bisher vier Verdächtige, wenn wir Eltern und Kinder getrennt zählen“, stellte Krakowski fest. „Ach, Sie sollten auch Natalie Baker überprüfen“, sagte India noch. „Sie ist Jeremiahs Freundin, und die beiden sind unzertrennlich.“ „Alles klar. Ich muss euch bitten, noch zu bleiben, zumindest bis ich die Verdächtigen befragt und ihre Alibis überprüft habe.“ „Können wir hier bleiben und zuhören, wenn Sie Ihre Fragen stellen?“, schlug India vor. „Vielleicht fällt uns etwas auf.“ „Etwas, das mir entgeht?“, fragte Krakowski spitz. „Wohl kaum. Wie lange spielt ihr jetzt schon Detektiv? Ich habe schon 16 Dienstjahre hinter mir.“ „So war das nicht gemeint“, sagte ich schnell. „Aber wir kennen diese Leute. Wir merken vielleicht eher, ob sie lügen oder die Wahrheit sagen.“ Krakowski machte ein mürrisches Gesicht. Das machte Sinn, und das wusste sie. „Also meinetwegen“, knurrte sie, „aber seid still und macht euch Notizen. Ich will nicht, dass ihr meine Befragung stört.“ Als Erstes befragte Krakowski den Dekan der 54
mathematischen Fakultät. Er berichtete, dass Professor Dunaway nur für ihre Arbeit gelebt und kein nennenswertes Privatleben gehabt habe. Das wussten India und ich natürlich besser, nachdem wir Dunaways kleine Unterhaltung mit Zoole im Park belauscht hatten. Davon hatten wir Krakowski allerdings nichts erzählt. Bei Leuten wie ihr war es nie verkehrt, sich ein paar Dinge aufzusparen – gewissermaßen als Köder, damit sie uns auch weiterhin an dem Fall mitarbeiten ließ. Dem Dekan zufolge waren die Einzigen, die Dunaway gehasst hatten, ihre Schüler und deren Eltern gewesen. Dem konnte ich nicht widersprechen. Doch Inspektor Krakowski bohrte weiter. Gab es keinen eifersüchtigen Liebhaber? Feinde unter den Kollegen? Jemanden, der nichts mit der Universität zu tun hatte? Der Dekan schüttelte immer wieder den Kopf. Schließlich gab Krakowski es auf und wandte sich wieder ihrer Liste mit Verdächtigen zu. Es dauerte bis halb sechs, bis die Verhöre richtig losgingen. Die Leiche war inzwischen abgeholt worden, aber das Blut war noch auf dem Boden. Es war nicht viel, aber genug, um fast jeden, der den Raum betrat, erst einmal zurückzucken zu lassen. Die Erste auf der Liste war Gaby Zoole. Krakowski fragte sie nach ihrer Waffensammlung aus, doch Gaby hielt sich tapfer und bestritt jede Betei55
ligung an dem Mord. Ihrer Aussage zufolge hatte sie sich gerade ein Hotdog von einem Straßenhändler gekauft, als die Turmuhr um 15 Uhr 45 die Dreiviertelstunde schlug. Inspektor Krakowski kündigte an, dass sie Gabys Alibi überprüfen würde, und schickte sie heim. Anders als Gaby, die relativ cool geblieben war, war Bernadette Lello immer noch so außer sich, dass sie kaum einen zusammenhängenden Satz hervorbrachte. Krakowski merkte schnell, dass es sinnlos war, ihr weitere Fragen zu stellen. So ließ sie sich nur bestätigen, dass Bernadette zum Zeitpunkt des Mordes mit mir und India zusammen gewesen war, und schickte die Kleine dann wieder zurück zu dem Psychologen, bei dem sie bleiben sollte, bis ihr Vater sie abholte. Gegen 18 Uhr stürmte Mr Lello ins Klassenzimmer. Es passte ihm ganz offensichtlich überhaupt nicht, dass seine Tochter befragt worden war. „Mein Kind ist ein nervliches Wrack“, schrie er, und sein Gesicht hatte dieselbe Farbe wie sein karottenrotes Haar. „Bernadette ist sehr sensibel, und Sie hatten kein Recht, sie ohne meine Anwesenheit zu verhören. Sie werden von meinem Anwalt hören!“ „Soll mir recht sein“, sagte Krakowski gelassen. „Aber jetzt wüsste ich gern, wo Sie heute Nachmittag um 15 Uhr 46 waren.“ 56
„Was? Sie denken doch wohl nicht, dass ich etwas damit zu tun habe!“ „Beantworten Sie die Frage!“, bellte Krakowski. „Also gut. Ich habe ein verspätetes Mittagessen in der Austernbar des Plaza-Hotels eingenommen.“ „Mit?“ „Allein“, betonte er. „Aber ich bin sicher, dass sich dort jemand an mich erinnern wird.“ „Das wird sich zeigen“, sagte Krakowski. „Und was haben Sie gegessen?“ Lello musste einen Moment nachdenken. „Ein Dutzend Austern und dann Schwertfisch.“ „Was war das Tagesgericht?“, fragte sie weiter, wobei sie ihn keinen Moment aus den Augen ließ. „Ich glaube, es war Rotbarsch asiatische Art“, antwortete er. „Ja, da bin ich ziemlich sicher.“ „Vielen Dank, Mr Lello“, sagte Krakowski. „Sie können Ihre Tochter jetzt nach Hause bringen. Wir melden uns bei Ihnen.“ Als Lello fort war, nutzte ich die Gelegenheit, Krakowski auf die Gleichung aufmerksam zu machen. „Inspektor“, begann ich, „diese Rechenaufgabe an der Tafel –“ „Was ist damit?“, unterbrach sie mich. „Hör zu, ich habe Wichtigeres –“ „Ich denke, sie könnte wichtig sein“, sagte ich. „Und weshalb?“ „Das weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall war es 57
nicht Professor Dunaway, die sie angeschrieben hat. Es ist nicht ihre Handschrift.“ „Na und?“ Krakowski sah mich ungeduldig an. „Also, ich glaube, sie wollte die Aufgabe lösen. Sie hatte ein Stück Kreide in der Hand und stand allein vor der Tafel, sodass–“ „Sodass was?“, fragte sie. „Sie ist doch Mathelehrerin, oder? Ich meine, sie war Mathelehrerin. Was sollte sie denn sonst tun?“ Natürlich hatte Krakowski Recht, aber sie machte es sich zu einfach. „Ich dachte nur, dass jemand diese Aufgabe mit Absicht angeschrieben haben könnte. Wissen Sie, um …“ „Nun, durch Zufall ist sie sicher nicht an die Tafel geraten.“ Krakowski verdrehte die Augen. „Jetzt hör mir mal zu: Die Tatsache, dass eine Rechenaufgabe an der Tafel eines MatheKlassenzimmers steht, hat gar nichts zu bedeuten. Nicht das Geringste.“ „Nun“, sagte ich schnippisch. „Sie müssen es ja wissen – nach 16 Dienstjahren!“
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Im Kreuzverhör Krakowski machte ein Gesicht, als hätte sie mir am liebsten eine geknallt, aber stattdessen sah sie sich zu ihrem Mitarbeiter um. „Wie viele haben wir noch auf der Liste?“, fragte sie. „Von denen, die hier sind? Zwei, Inspektor“, sagte er. „Jeremiah Jones und Natalie Baker.“ „Ach ja, das Pärchen. Gut, schicken Sie mir zuerst das Mädchen.“ Der Sergeant verschwand, um Natalie zu holen. Sie kam herein. Auf ihrem Gesicht lag der übliche hochnäsige Gesichtsausdruck. „Also, fangen Sie an“, sagte sie und setzte sich auf einen Tisch. Krakowski sah sie missmutig an. „Wo warst du heute um 15 Uhr 46?“ „In der Löwengrube“, sagte Natalie. Das war ein beliebtes Café auf dem Unigelände, das gern von Studenten und Professoren besucht wurde. „Mit meinem Freund.“ „Das ist Jeremiah Jones?“ „Ja.“ „Hmmm, ein sehr praktisches Alibi für euch beide, nicht wahr?“ Natalie rutschte verlegen auf dem Tisch herum 59
und begann mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herumzutrommeln. „Wir waren da. Sie können jeden fragen, der da arbeitet.“ „Was habt ihr bestellt?“ „Wir hatten beide Hamburger und ich noch einen Milchshake.“ „Und ihr wart die ganze Zeit da?“, bohrte Krakowski weiter. „Ja, waren wir.“ Sie hatte mit dem Getrommel aufgehört und ballte nun so stark die Fäuste, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Kann ich jetzt gehen?“ „Vorläufig ja“, sagte Krakowski. „Sie lügt“, sagte India, nachdem Natalie den Raum verlassen hatte. „Ist Ihnen ihre Körpersprache aufgefallen?“ Auf diesem Gebiet ist India Expertin, denn sie hat viel von ihrem Vater, dem berühmten Psychotherapeuten, gelernt. Ich verstehe zwar nicht so viel davon wie sie, aber in diesem Fall musste ich ihr Recht geben. Natalie hatte nervös gewirkt. Schuldig. Das hatte sogar Krakowski bemerkt. „Sie verbirgt etwas, das stimmt“, bestätigte sie. „Aber keine Sorge, das kriegen wir aus ihr heraus. Oder aus ihm.“ Jeremiah Jones kam lässig hereingeschlendert. „He! Sie haben kein Recht, uns hier festzuhalten. Meine Eltern kennen viele wichtige Leute in dieser Stadt, und sie werden –“ 60
„Ich habe jedes Recht“, unterbrach Krakowski ihn. „Halt den Mund, setz dich hin, und sag mir, wo du heute Nachmittag um 15 Uhr 46 warst.“ Jeremiah setzte sich. „Wir waren in der Löwengrube. Von dem Mord haben wir erst erfahren, als wir um vier zum Unterricht herkamen.“ „Was hast du in der Löwengrube gegessen?“ Jetzt kamen die Fragen Schlag auf Schlag. „Einen Hamburger.“ „Und deine Freundin?“ „Äh – auch einen Burger.“ „Was noch?“ „Was noch? Äh …“ „Nach dem Hamburger. Zum Nachtisch!“ „Nachtisch?“ „Ja!“ „Hm, sie hatte … Käsekuchen, glaube ich – ja, das war’s. Käsekuchen.“ Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen. „Vielleicht war es aber auch ein Eis. Ich … ich weiß es nicht mehr genau.“ „Ach? Und warum weißt du es nicht? Warst du nicht dabei, als sie bestellt hat?“ Krakowski sprang auf und rückte ihm auf die Pelle. „Doch, war ich! Es ist nur … Sie machen mich nervös.“ „Welchen Grund hast du, nervös zu sein? Du warst doch die ganze Zeit dort, oder? Oder?“ 61
„Doch! Ich war dort!“ Jetzt fing Jeremiah an zu zittern, und seine übliche Selbstgefälligkeit war wie weggeblasen. „Bringen Sie ihn nach draußen und holen Sie sie noch einmal herein“, befahl Krakowski ihrem Kollegen. „Und passen Sie auf, dass die beiden nicht miteinander reden.“ Natalie wurde wieder hereingebracht. „Du kannst uns die Wahrheit sagen“, fuhr Krakowski sie an. „Dein Freund ist überführt.“ Natalie ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen. „W-wie meinen Sie das?“ „Er hat das Café früher verlassen. Das wissen wir bereits. Und du erzählst uns jetzt, wann er die Löwengrube verlassen hat und wohin er gegangen ist.“ „Ich weiß nicht, wovon Sie reden!“, stieß Natalie mit gepresster Stimme hervor. „Doch, das weißt du – und lüg mich nicht wieder an. Du hast schon eine Falschaussage auf deinem Konto. Willst du mit deinem Freund untergehen?“ „Er hat sie nicht umgebracht!“, protestierte Natalie verzweifelt. „Das schwöre ich!“ „Woher weißt du das? Du warst doch nicht dabei, oder?“, bohrte Krakowski. „Du warst in der Löwengrube, als er wegging, um Professor Dunaway zu ermorden!“ 62
„Ich sage Ihnen doch, dass er es nicht war!“, kreischte sie. „Er kann es nicht getan haben! So etwas würde er nie tun!“ „Also hat er das Café vor dir verlassen?“, fragte Krakowski und beugte sich über Natalie. Natalies Augen füllten sich mit Tränen, doch sie sagte nichts, sondern verschränkte nur die Arme. Krakowski warf ihrem Mitarbeiter einen Blick zu. „Bringen Sie sie raus, und holen Sie ihn noch einmal herein.“ An der Tür begegneten sich Jeremiah und Natalie, und als er die Wimperntusche über ihre Wangen laufen sah, stürmte er auf uns zu. „Lassen Sie sie in Ruhe. Sie hat nichts getan. Ich habe sie gebeten, für mich zu lügen.“ „Willst du uns davon erzählen?“, fragte Krakowski freundlich. Jeremiah setzte sich und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Ich habe die Löwengrube um viertel nach drei verlassen, um mit Dunaway zu sprechen“, berichtete er. „Ich wollte sie bitten, mir irgendwelche Sonderaufgaben zu geben, um meine Zensur zu verbessern. Damit ich nach Harvard komme, weil ich qualifiziert bin, und nicht, weil meine Eltern ihr alle möglichen Gefallen getan haben.“ „Gefallen?“ Krakowski hob die Brauen. „Was für Gefallen?“ 63
„Sie wissen schon, eine Wochenendeinladung in unser Haus in den Bergen, Flüge zu Konferenzen auf den Bahamas und so was. Meine Eltern sitzen mit Professor Dunaway im Vorstand der Universität.“ „Tatsächlich?“, murmelte Krakowski und machte sich hektisch Notizen. „Ja, doch das schien Dunaway nicht zu beeindrucken. Sie war eine boshafte Hexe, aber ich habe sie nicht umgebracht. Das müssen Sie mir glauben!“ „Erzähl uns, was passiert ist, als du heute Nachmittag bei ihr warst“, forderte Krakowski ihn auf. „Sie war in ihrem Büro und hat den Unterricht vorbereitet“, sagte Jeremiah. „Ich habe sie nach Sonderaufgaben gefragt, wie ich schon sagte, aber sie hat mich nur ausgelacht. Sie sagte, ich wäre wie all die anderen Versager – immer nur ‚Ich will, ich will, ich will‘ –, und alles, was ich wirklich wollte, sei ein Freifahrtschein nach Harvard. Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass es mir ernst damit war, meine Note zu verbessern, aber sie hat mich nicht einmal zu Wort kommen lassen.“ „Und da hast du sie umgebracht?“, fragte Krakowski. „Natürlich nicht!“, fauchte Jeremiah. „Ich war vollkommen fertig. Ich habe mich umgedreht und bin gegangen. Gegen 20 vor vier war ich dann 64
wieder in der Löwengrube, wo ich mit Natalie zusammen war, bis es Zeit war, zum Unterricht zu gehen. Und als wir ankamen, da war sie tot. Zugegeben, es tut mir kein bisschen Leid um sie, aber ich habe sie nicht umgebracht.“ „Haben Sie alles mitbekommen?“, fragte Krakowski ihren Kollegen. Als er nickte, ordnete sie an, Jeremiah für weitere Fragen aufs Revier zu bringen. „Was ist mit dem Mädchen?“, fragte der Sergeant. „Ihre Aussage müssen wir auch zu Protokoll nehmen“, entschied Krakowski. „Mal sehen, was sie uns noch zu erzählen hat. Aber fahrt sie mit einem anderen Wagen aufs Revier!“ „Ich habe Professor Dunaway nicht getötet!“, wiederholte Jeremiah hitzig. „Sie müssen mir glauben!“ „Bringen Sie ihn zum Streifenwagen“, befahl Krakowski. „Ich komme in fünf Minuten nach.“ Der immer noch protestierende Jeremiah wurde abgeführt. Der kleine Raum, in dem alle gewartet hatten, war jetzt fast leer. Polizeibeamte nahmen die Aussagen der letzten Studenten auf, die noch da waren. Krakowski marschierte den Flur hinunter, und wir folgten ihr mit zwei Schritten Abstand. „Ich will nur nachsehen, wie meine Kollegen in Professor 65
Dunaways Büro vorankommen“, bemerkte sie. „Dann verschwinde ich. Wir haben unseren Täter.“ „Einen Moment mal“, sagte India, die genauso fassungslos war wie ich. „Sie wollen Jeremiah doch wohl nicht des Mordes beschuldigen? Aufgrund welcher Beweise?“ „Er hat gelogen, was sein Alibi betraf, und er hat auch seine Freundin zum Lügen angestiftet. Er war der Letzte, der Professor Dunaway lebend gesehen hat, und er gibt zu, dass er einen Streit mit ihr hatte. Motiv und Gelegenheit – eindeutiger geht es kaum.“ „Und was ist mit der Waffe?“, fragte ich. „Behaupten Sie etwa, er hätte sich mit Dunaway gestritten, ist dann abgedampft, hat sich eine Armbrust besorgt, ist auf den Baum geklettert und hat auf Dunaway gewartet? Und nachdem er sie erschossen hat, hat er die Waffe und seine Fußabdrücke zurückgelassen und in aller Ruhe seinen Hamburger zu Ende gemampft?“ „Genau“, bestätigte Krakowski. Anscheinend war ihr die Ironie in meinen Worten völlig entgangen. Sie lächelte mich verkniffen an und betrat Dunaways Büro, in dem es noch immer von Polizisten wimmelte. „Haben Sie etwas Besonderes gefunden?“, fragte sie ihre Kollegen. „Noch nicht“, gab der leitende Beamte zu. 66
„Inspektor“, mischte sich India ein, „hätten Sie etwas dagegen, wenn Quentin und ich noch eine Weile bleiben und uns im Büro umsehen, wenn ihre Leute hier fertig sind?“ Krakowski sah aus, als hätte sie am liebsten sofort Nein gesagt, doch dann überlegte sie es sich. „Warum nicht? – Cooper“, wandte sie sich an den leitenden Beamten, „die beiden hier sind Amateurdetektive, und sie haben schon einmal Glück gehabt – wer weiß, vielleicht klappt es noch einmal. Lassen Sie sie ein bisschen herumschnüffeln.“ „Wenn Sie meinen, Inspektor“, knurrte Cooper und bedachte uns mit einem abschätzigen Blick. „Sie sind der Boss.“ Krakowski lächelte. „So ist es.“ Sie kratzte ihren Damenbart, machte kehrt und verließ den Raum. India und ich traten an das einzige Fenster und sahen hinunter auf den Hof. Nach kurzer Zeit kam Krakowski aus dem Gebäude und setzte sich mit triumphierendem Gesichtsausdruck neben Jeremiah auf den Rücksitz des Streifenwagens. Nachdenklich beobachteten wir, wie der Wagen davonfuhr. „Ein bisschen voreilig, die Dame, findest du nicht?“, fragte India halblaut. „Das kann man wohl sagen“, bestätigte ich. „Aber voreilige Schlüsse sind bekanntlich ihre Spezialität.“ „Andererseits könnte Jeremiah es wirklich getan 67
haben. Er ist gemein, hinterhältig und boshaft, und er hat zugegeben, dass er bei Dunaway war.“ „Das bedeutet aber nicht, dass er sie auch umgebracht haben muss“, widersprach ich. „Deine Beschreibung seines Charakters ist zwar absolut zutreffend, und er hat gelogen, was sein Alibi angeht, aber das finde ich durchaus verständlich, du nicht auch? Ich meine, du siehst doch, wohin ihn die Wahrheit gebracht hat.“ „Das stimmt allerdings.“ „Ich persönlich glaube nicht, dass er es getan hat“, sagte ich und hockte mich auf die Fensterbank. „Er ist nicht clever genug, wenn du verstehst, was ich meine. Wer immer es war, hat alles bis ins Kleinste geplant.“ „Ich weiß, was du meinst“, musste India zugeben. „Und damit rückt Gaby Zoole wieder auf Platz eins der Verdächtigen.“ „Genau“, stimmte ich ihr zu. „Zumal sie die Einzige ist, die möglicherweise eine mittelalterliche Armbrust zu Hause herumliegen hat.“
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Bedrohliche Briefe Die Polizisten beendeten ihre Durchsuchung des Büros. „Wenn ihr euch umsehen wollt, tut es jetzt“, sagte Detective Cooper. „Wir machen ein paar Minuten Kaffeepause.“ „Haben Sie schon etwas gefunden?“, fragte ich. „Nicht viel“, meinte er mit einem Achselzucken. „Nur diesen Brief.“ Er reichte ihn mir, und India beugte sich über meine Schulter, um mitzulesen. Sehr geehrte Professor Dunaway, trotz der Tatsache, dass meine Tochter von mehreren führenden Organisationen offiziell als Wunderkind anerkannt worden ist, haben Sie ihre Intelligenz öffentlich angezweifelt. Diese Entgleisungen könnten verheerende Auswirkungen auf Bernadettes Zukunft haben. Bernadette hat viele Bewunderer, die ihre Interviews im Radio, im Fernsehen und in der Presse aufmerksam verfolgen, und wie Sie wissen, nutzt sie ihre Bekanntheit dazu, wichtige Umweltschutzprogramme zu unterstützen. Sollte Bernadette im nächsten Herbst nicht zum 69
Studium an der Columbia-Universität zugelassen werden, wäre der Fortbestand dieser Programme gefährdet. Aus diesem Grund muss ich Sie dringend ersuchen, künftig davon abzusehen, sie vor ihren Mitschülern zu beschimpfen und zu beleidigen. Dies schreibe ich nicht leichtfertig, denn genau das haben Sie getan. Auf der Teeparty diesen Sonntag erwarte ich eine Erklärung von Ihnen – andernfalls sehe ich mich zu drastischeren Maßnahmen gezwungen. Mit freundlichen Grüßen Burton Lello Dieser Brief war ohne Zweifel ein ebenso handfester Hinweis wie alles, was Krakowski gegen Jeremiah in der Hand hatte. Ich fragte mich, ob der Brief sie dazu bringen würde, noch einmal über alles nachzudenken. Wahrscheinlich nicht. Es war fast unmöglich, Krakowski das Zugeständnis abzuringen, dass sie sich geirrt hatte. Wenn sie sich festgebissen hatte, war sie stur wie eine Bulldogge, das wussten India und ich aus Erfahrung. Die Polizisten verzogen sich schließlich zu ihrem Kaffee, und wir gingen an die Arbeit. Wir durchsuchten Akten, Schubladen und alles, was uns sonst noch in die Finger kam. Gegenüber der Polizei hatten wir einen Vorteil – wir kannten die beteiligten Personen und wussten deshalb eher, wo70
nach wir suchen mussten. Wir teilten uns die Aktenberge und begannen, sie zu durchsuchen, während Detective Cooper draußen vor der Tür stand, seinen Kaffee schlürfte und ein Stück Kuchen vertilgte. „He, hier ist etwas Interessantes“, sagte India nach ein paar Minuten. „Bernadettes IQ-Test. Sie ist wirklich ein Wunderkind. Stell dir vor, sie hat einen IQ von 185!“ „Nicht zu fassen“, erwiderte ich. „Aber trotzdem ist es nur eine Zahl.“ „Hier sind Bemerkungen am Rand. Sieh doch.“ Die Bemerkungen waren in Dunaways Handschrift geschrieben, und sie unterstrichen ihre Vermutung, dass Bernadette Lellos Genialität überwiegend auf heißer Luft beruhte. „Mathematische Auffassungsgabe begrenzt“, lautete eine Bemerkung. „Bewältigt Standard-Testfragen besser als alles andere“, eine weitere. „Das sollten wir Detective Cooper zeigen“, schlug India vor. „Es passt zu dem Brief von ihrem Vater.“ „Glaubst du, dass er es gewesen sein könnte?“ „Möglich“, sagte India. „Denk doch mal an seinen Auftritt bei der Teeparty! Da ist er doch total ausgeflippt.“ „Schon“, sagte ich gedehnt. „Aber meiner Meinung nach war es kein Verbrechen aus Leiden71
schaft. Nicht das Werk eines Hitzkopfs, der sich nicht unter Kontrolle hat, sondern das von jemandem, der Professor Dunaway schon seit langer Zeit tief und inbrünstig gehasst hat.“ India gab ein zustimmendes Grunzen von sich, und wir stöberten weiter in den Akten herum. Schließlich fiel mir eine ins Auge, die mit Americom beschriftet war, dem Namen der Firma von Gaby Zooles Vater. „Sieh dir das mal an“, sagte ich und breitete den Inhalt der Akte auf dem Tisch aus. Darunter waren eine Hochglanzbroschüre und mehrere Seiten, die entfernt an Kontoauszüge erinnerten. Ich blätterte zuerst die Broschüre durch, in der erläutert wurde, welche Vorteile es hatte, wenn man sein Geld bei Americom anlegte, und auch, was die Firma mit dem Geld machte. Harry Zoole war nicht nur Geschäftsführer der Firma, sondern auch ihr leitender Investmentberater. Am Rand entdeckte ich eine von Dunaways handschriftlichen Bemerkungen: „Interessenkonflikt?“ Die Adresse von Americom war 1 Chase Plaza, Büro 1222. „Teure Lage in der Innenstadt“, murmelte ich und zeigte India die Anschrift und auch Dunaways Bemerkung. „Guck dir mal diese Ausdrucke an“, sagte sie und hielt mir die Seiten hin, die sie gerade studiert hatte. Auf der ersten Seite war eine Investition der Columbia-Universität in Höhe von drei Millionen 72
Dollar verzeichnet, aus der jetzt, drei Monate später, schon 3,3 Millionen geworden waren. Ein zehnprozentiger Zuwachs in nur drei Monaten. An anderer Stelle war zu lesen, dass der voraussichtliche jährliche Zuwachs bei 40 Prozent lag. Das war fantastisch. Dunaway schien jedoch anderer Meinung gewesen zu sein. An den Rand hatte sie Dinge gekritzelt wie: „Wo sind die OriginalKontoauszüge?“ und „Das erscheint mir viel zu hoch! Unglaubwürdig!“ India warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. „Was sagt dir das?“, fragte sie. „Mir scheint, dass Dunaway Beweise gesammelt hat, um Americom wegen irgendwas dranzukriegen. Denk nur an den Streit zwischen ihr und Zoole, den wir mitangehört haben.“ „Sie hat gesagt, dass sie einen ausführlichen Bericht haben wollte“, erinnerte sich India. „Aber das hier kann man beim besten Willen nicht als ausführlich bezeichnen. Es ist kaum mehr als eine Reklame dafür, was für eine tolle Firma Americom ist. Kein Wunder, dass sie Zoole so angefahren hat.“ „Sie hat ihm auch damit gedroht, das alles überprüfen zu lassen. Von irgendeinem Komitee. Es hörte sich so an, als wollte sie dafür sorgen, dass die Uni Americom das Geld wieder wegnimmt.“ 73
„Und Zoole hat sie umgebracht, um zu verhindern, dass sie das Komitee informiert?“ India überdachte diese Möglichkeit und spielte dabei mit einer Strähne ihres blonden Haars. „Das ist auf jeden Fall ein Motiv, zusätzlich zu der Beziehung, die die beiden ganz offensichtlich hatten. Und wenn bei Gaby wirklich überall Waffen herumliegen, wäre es für ihren Vater kein Problem, sich eine Armbrust zu schnappen.“ Während India laut nachdachte, blätterte ich Professor Dunaways Notizbuch durch. Ihre Unterrichtsvorbereitung war ausgefeilt und detailliert. Ich entdeckte die Stelle, an der Dunaway ihre Absicht notiert hatte, die Flugbahn eines Pfeils als Beispiel zu verwenden. Welche Ironie! „He, was ist denn das?“ India hatte die Broschüre durchgeblättert, und dabei flatterte ein einzelnes Blatt Papier zu Boden. Ich hob es auf und las vor, was daraufstand: „Sehr geehrter Mr Zoole, ich muss Sie bitten, besser auf Ihre Tochter Gaby zu achten. Ich werde ein Verhalten, wie sie es in der letzten Woche an den Tag gelegt hat, nicht länger hinnehmen und nötigenfalls eine gerichtliche Verfügung erwirken, wenn sie nicht aufhört, mich zu belästigen. Ich denke, ich brauche hier nicht aufzulisten, wie oft 74
ich sie vor meinem Haus beobachtet habe, denn darüber haben wir bereits gesprochen. Betrachten Sie dies als letzte Warnung. Ich habe nicht die Absicht, mir diese Bedrohung noch länger gefallen zu lassen. Ihre Tochter braucht professionelle Hilfe. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie sie umgehend erhält, andernfalls werde ich Klage erheben – gegen Ihre Tochter und gegen Sie als Erziehungsberechtigten. Mit freundlichen Grüßen, Eva Marie Dunaway.“ „Upps“, sagte India. „Das ist ein neuer Aspekt. Und der Brief ist wirklich reizend!“ „Die Polizei hat ihn übersehen.“ Sie hielt die Broschüre hoch. „Ich habe ihn auch erst beim zweiten Anlauf entdeckt.“ „Was hältst du davon? Harry Zoole hatte eine Affäre mit Dunaway, aber sie hat Schluss gemacht und ihm gedroht, das Geld der Uni aus seiner Firma abzuziehen. Und jetzt noch das mit seiner Tochter Gaby …“ India legte die Stirn in Falten. „Ich habe vorhin mitbekommen, wie Krakowski mit einem anderen Polizisten gesprochen hat. Er sagte, sie hätten Zoole telefonisch befragt, und er hätte ausgesagt, dass er zur Tatzeit mit der U-Bahn zu einem Klienten unterwegs war.“ 75
„Das ist ein ziemlich schlechtes Alibi.“ „Ja, ungefähr genauso gut wie das von Gaby“, gab India zu bedenken. „Hmmm“, machte ich und trommelte mit den Fingerspitzen auf Dunaways Schreibtisch herum. „Gaby Zoole …“ „Ich finde, wir sollten einen Blick auf ihre Waffensammlung werfen“, sagte India. „Gute Idee“, meinte ich. „Aber es ist schon fast sieben. Ein bisschen zu spät, um jetzt noch in die Bronx zu fahren. Immerhin haben wir morgen Schule. Außerdem fragen sich deine Eltern wahrscheinlich schon, wo du bleibst.“ „Stimmt. Und außerdem sterbe ich gleich vor Hunger.“ „Gehen wir ins Cosmic Café“, schlug ich vor. „Zu weit weg“, entschied India. „Ich habe jetzt Hunger. Lass uns in die Löwengrube gehen. Die ist gleich hier, und außerdem können wir die Alibis von Jeremiah und Natalie überprüfen.“ „Abgemacht. Und morgen nach der Schule besuchen wir Gaby.“ Nachdem wir unseren Fund einem dankbaren Detective Cooper in die Hand gedrückt hatten, steuerten wir schnurstracks die Löwengrube an. Eine ausgesprochen nette rothaarige Kellnerin namens Irene bestätigte, dass sie Jeremiah und Natalie am Nachmittag gesehen hatte. Leider wusste sie 76
nicht mehr genau, wann die beiden gekommen und gegangen waren, aber sie erinnerte sich daran, dass Jeremiah eine Weile weg gewesen war und dass er einen hochroten Kopf gehabt hatte, als er wiederkam. Eine Viertelstunde später vertilgte India ihren vegetarischen Burger, während ich meine Zähne in den üblichen Hamburger mit allem Drum und Dran schlug. Beim Essen fassten wir zusammen, was wir bisher wussten. „Auf den ersten Blick deutet alles auf Jeremiah“, stellte India fest. „Aber die Armbrust belastet eher Gaby, deren Alibi ebenfalls nicht wasserdicht ist. Ich schätze, dass es in dieser Gegend mindestens ein Dutzend Hotdogstände gibt, und ich wette, dass sich keiner der Verkäufer an Gaby erinnert. Sehr auffällig ist sie nicht gerade, wenn man von dem Waffen-Anstecker absieht.“ „Vergiss nicht, dass dieser Mord eine sorgfältig geplante Hinrichtung war“, sagte ich und überflog meine Notizen. „Wer auch immer diese Armbrust abgeschossen hat, hat seine Hausaufgaben gemacht. Er wusste, dass das Fenster offen stehen würde, oder er ist vorher in der Klasse gewesen und hat es geöffnet. Und er war sicher, dass Dunaway um viertel vor vier in der Klasse sein würde.“ „Außerdem war es jemand, der kräftig genug ist, um sechs Meter hoch auf einen Baum zu klettern, 77
wieder herunterzukommen und zu verschwinden, ohne dass ihn jemand bemerkt“, fügte India hinzu. „Stimmt. Er muss auf dem Baum gewartet haben, bis Dunaway ins Schussfeld kam. Dann hat er sich vergewissert, dass ihn niemand sieht, und hat geschossen. Der Baum ist immergrün, was bedeutet, dass er den Mörder perfekt getarnt hat.“ India nickte. „Wie du schon sagtest: Sorgfältig geplant.“ Ich tippte mit meinem Kugelschreiber auf die Tischplatte. „Aber irgendjemand muss doch gesehen haben, wie der Schütze vom Baum gestiegen ist. Zu dieser Zeit ist der Hof immer voller Studenten, die auf dem Weg zu ihren Vorlesungen sind.“ „Wahrscheinlich hat der Mörder gewartet, bis die Luft rein war, und ist dann so unauffällig davongeschlendert, dass niemand etwas gemerkt hat.“ „Und die Armbrust hat er liegen lassen. Das klingt vernünftig. Damit hätte er niemals unbemerkt über den Hof gehen können.“ India nahm einen großen Bissen von ihrem Gemüseburger. „Und was jetzt?“ „Ich habe mir erlaubt, die Adressen unserer Verdächtigen aufzuschreiben“, sagte ich und blätterte in meinem kleinen Notizbuch. „Die Zooles wohnen in der Bronx …“ 78
„In Riverdale“, verbesserte India. „Gaby sagte mal, dass sie in einem großen Haus am Hudson River leben.“ „Riverdale ist ein ziemlich vornehmes Pflaster“, stellte ich fest. „Aber das ist kein Wunder, wenn die Firma von Gabys Vater so gut läuft. Die Lellos wohnen in der West End Avenue, Jeremiah im Central Park West und Natalie in der 80. Straße West.“ „Gute Arbeit“, lobte India. „Außerdem sollten wir Mr Lellos Alibi in der Austernbar des PlazaHotels überprüfen. Das können wir auf dem Rückweg von Riverdale machen.“ „Ist gut.“ Nachdem das geklärt war, widmeten wir uns den Überresten unseres Abendessens. Doch da war noch eine Sache, die mich störte. „Natürlich belastet es Gaby, dass sie Dunaway nachgeschlichen ist, aber warum sollte sie ausgerechnet eine Armbrust benutzen und sie dann auch noch am Tatort zurücklassen? Wenn es wirklich ein so sorgfältig geplanter Mord war, hätte ihr klar sein müssen, dass der Verdacht sofort auf sie fallen würde. So dämlich kann sie doch nicht sein, oder? Ich meine, schließlich ist jeder in unserem Kurs ziemlich clever. Sogar Jeremiah.“ „Ja, und?“ „Vielleicht versucht jemand, den Verdacht auf 79
sie zu lenken“, sagte ich. „Es könnte sogar jemand aus unserem Kurs sein, zum Beispiel der Bekloppte, der in seinem Heft jede Null mit zwei schielenden Augen versieht, oder dieses Mädchen, das in der Stunde immer miaut, ohne die Lippen zu bewegen. Wir beide sind die Einzigen in diesem Kurs, die noch normal sind.“ „Klar doch“, nickte India – aber nur mir zuliebe.
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In der Folterkammer Am nächsten Tag konnte ich mich in der Schule nicht konzentrieren, weil mir die Ereignisse des vergangenen Tages ständig im Kopf herumgingen. Ich schaffte es nicht, den Anblick der toten Professor Dunaway aus meinen Gedanken zu verbannen. Was ich zu Mittag gegessen habe? Nicht viel. Ich hatte einfach keinen Appetit. Ganz zu schweigen davon, dass das Tagesgericht in unserer Schulkantine aussah wie etwas, das unter ein Auto gekommen war. Nach der Schule fuhren India und ich mit der U-Bahn in die Stadt. Über dem Hudson River ging die Sonne unter und tauchte alles in ein fantastisches orangefarbenes Licht. Zu schade, dass India und ich gerade auf dem Weg zu einer Mordverdächtigen waren. An der ersten Haltestelle in der Bronx stiegen wir aus. Gaby wohnte in der 232. Straße West. „Hausnummer 54“, sagte ich nach einem kurzen Blick auf meine Notizen. Wir marschierten also nach Westen, den Hügel nach Riverdale hinauf, wo es massenhaft große Gärten mit alten Bäumen und viele schicke Häuser mit Pförtnern gibt. Ich merkte ziemlich schnell, dass etwas nicht stimmte. 81
„He“, sagte ich zu India. „Wir sind schon bei den Hausnummern mit 600, und sie werden höher, nicht niedriger.“ „Dann muss Gaby wohl in der anderen Richtung wohnen.“ „Das ist aber nicht mehr Riverdale“, wandte ich ein. India zuckte nur die Schultern. Also liefen wir den Hügel wieder hinunter und gingen unter einer Hochbahnbrücke hindurch. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Mietshäuser waren schäbige alte Kästen von der Sorte, in denen es gewöhnlich nach Kohl riecht und in denen es nicht einmal Fahrstühle gibt. Die Häuser wirkten dreckig, und bei den meisten hingen die Dachrinnen durch wie nasse Säcke. Auch die zwischen den Mietskasernen eingekeilten Einfamilienhäuser waren nicht besser in Schuss. „Das ist nicht Riverdale“, stellte ich fest. „Vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden.“ „Oder Gaby hat gelogen. Vielleicht wollte sie den Eindruck erwecken, dass ihre Eltern wohlhabender sind, als es tatsächlich der Fall ist.“ „Aber ihr Vater hat doch diese Investmentfirma“, widersprach India. Ich bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Schon gut, vielleicht existiert die Firma noch nicht lange, oder ihre Eltern protzen nicht gerne mit ihrem Reichtum.“ 82
„Das werden wir herausfinden. Hier ist es.“ Ich betrachtete das schäbige alte Holzhaus, das zwar schmal, aber dafür unendlich lang war. Vorn war eine Veranda angebaut, und eine Zufahrt voller Schlaglöcher führte zu einer weiter hinten liegenden Garage. „Nach dir“, sagte ich großzügig. „Und vergiss nicht, dass in diesem Viertel auch der Serienkiller Sam gewohnt hat.“ „Vielen Dank“, entgegnete India sarkastisch und ging zögernd die paar Stufen zur Eingangstür hinauf. Sie drückte auf den Klingelknopf, und drinnen ertönte ein mittelalterliches Glockenspiel. Einen Moment später öffnete Gaby die Tür. Sie sah uns entgeistert an. „Was wollt ihr denn hier?“ „Die Polizei hat uns gebeten, ihnen im Fall Dunaway behilflich zu sein“, behauptete India dreist. „Ach, wirklich?“, sagte Gaby misstrauisch, „Wir versuchen, mehr über die Mordwaffe in Erfahrung zu bringen. Es war eine Armbrust aus dem Mittelalter, und du kennst dich doch mit so etwas aus?“ „Ein bisschen“, gab Gaby zu. „Und jetzt schnüffelt ihr in dem Mordfall herum und glaubt, dass ich es war.“ „Das haben wir nicht gesagt“, protestierte ich. „Schon gut. Kommt rein. Ich habe nichts zu verbergen.“ Sie öffnete die Tür ein Stück weiter und ließ uns hinein. „Tut mir Leid wegen des Hauses. Es ist eine Zumutung.“ 83
„Ach, es ist doch okay“, erwiderte ich, obwohl es drinnen roch, als faulten irgendwo ein paar Dutzend Eier vor sich hin. „Kann ich euch etwas anbieten?“, fragte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Eine Cola oder einen Saft?“ „Nein danke“, sagte ich. „Also, was wollt ihr wissen?“, fragte sie. „Für den Anfang“, begann India, „wüssten wir gern, wo jemand eine mittelalterliche Armbrust herbekommen kann.“ „Jetzt hört schon auf“, fauchte Gaby gereizt. „Ihr wollt wissen, ob es meine war.“ „War sie es?“, hakte ich rasch nach. „Nein. Gut, ich habe ein paar Waffen aus dieser Zeit, aber sie sind unten im Keller.“ „Können wir sie sehen?“, fragte India. Gaby starrte sie wütend an. „Warum? Weil ihr denkt, dass ich sie umgebracht habe?“ India hatte wie immer die richtige Antwort parat. „Weil du nichts zu befürchten hast, wenn du unschuldig bist. Und vielleicht können wir dazu beitragen, das zu beweisen. Wenn wir zusammenarbeiten, gelingt es uns eventuell sogar, den wahren Mörder zu überführen.“ India kann sich wirklich gut in andere Leute hineinversetzen. Und den mitfühlenden Tonfall beherrscht sie absolut perfekt, vor allem, wenn es 84
darum geht, Leuten etwas zu entlocken, das sie normalerweise nicht gesagt hätten. Mit dieser Antwort hatte Gaby offenbar nicht gerechnet. Sie dachte kurz darüber nach, dann atmete sie hörbar aus. „Also gut. Wie ich schon sagte, ich habe nichts zu verbergen. Kommt mit.“ Sie führte uns wieder nach draußen, über die Einfahrt nach hinten und zu einer an die Hauswand angebauten Kellerluke. Gaby klappte beide Flügel der Luke auf, sodass eine Treppe sichtbar wurde, die in die Dunkelheit hinabführte. „Folgt mir“, sagte sie. Vorsichtig stiegen wir hinunter und tasteten uns von einer Stufe zur nächsten, bis Gaby endlich das Licht einschaltete. Wir mussten feststellen, dass wir mitten in einer Folterkammer gelandet waren. Überall an den Wänden hingen gusseiserne Handschellen, Keulen, Schwerter, Dolche und – tatsächlich – Armbrüste. In der Mitte des riesigen Kellerraums stand ein großer Tisch mit Zahnrädern. „Was ist denn das?“, fragte India. „Eine Streckbank“, erklärte Gaby sachlich. „Ihr wisst schon, zum Foltern.“ „Reizend“, würgte ich hervor. Einerseits war ich fasziniert, andererseits aber auch ziemlich angewidert. „Ist das Ding echt?“ „Nein, nur ein Nachbau. Ein Original wäre zu teuer, das könnte ich mir nie leisten.“ 85
„Sind alle diese Sachen nachgemacht?“, fragte India und ließ ihren Blick über das Waffenarsenal an der Wand schweifen. „Nein, ein paar davon sind echt. Einige der Schwerter und Keulen und auch ein paar von den Langbogen. Es kommt immer wieder vor, dass ich bei einer Tauschbörse oder auf einem Flohmarkt etwas Echtes finde, das ich mir leisten kann. Aber auch manche der Nachbauten, wie etwa die Armbrüste, sind ziemlich alt.“ „Das ist ein echt interessantes Hobby“, bemerkte India für meinen Geschmack ein wenig zu beeindruckt. „Danke“, sagte Gaby, der entgangen war, was India wirklich von ihrer Sammlung hielt. „Ein paar von den Dingen aus Holz habe ich sogar selbst geschnitzt.“ Sie zeigte uns ein paar Schilde und Armbrüste, die alle sehr echt aussahen und im Stil perfekt zu der Mordwaffe passten. India und ich tauschten einen Blick. Wenn Gaby wirklich etwas zu verbergen hatte, musste sie eine ausgezeichnete Schauspielerin sein. „Hey, einen Moment mal. Wo ist –“ Was immer Gaby auch sagen wollte, es wurde von einem lauten Rumpeln oben an der Treppe übertönt. Dann brüllte eine uns nur zu gut bekannte Stimme: „Keine Bewegung! Polizei!“, und Inspektor Krakowski donnerte die Treppe herunter, 86
gefolgt von drei bierbäuchigen Uniformierten, die ihre Waffen auf uns richteten. Wir alle rissen die Arme hoch. „Nicht schießen!“, kreischte Gaby. Krakowski blieb wie angewurzelt stehen, als sie mich und India entdeckte. „Das hätte ich mir denken können“, knurrte sie und bedachte uns mit ihrem üblichen abschätzigen Blick. „Es erstaunt mich außerordentlich, Sie hier zu sehen, Inspektor“, sagte ich boshaft. „Ich dachte, Sie hätten Ihren Täter.“ Krakowski fand das gar nicht witzig. „Klugscheißer“, murmelte sie gereizt. „Jeremiah Jones ist wieder auf freiem Fuß. Eine der Putzfrauen, eine Dame namens Alicia McGhee, behauptet, sie habe um 15 Uhr 35 den Eingangsbereich des Mathematikgebäudes gefegt. Sie bestätigt, dass Jeremiah um diese Zeit das Gebäude verlassen hat und direkt zur Löwengrube gegangen ist. Das stützt seine Aussage. Wenn er sich nicht sofort die Armbrust geschnappt hat, zurückgerannt und auf den Baum geklettert ist, um Professor Dunaway zu erschießen – und das alles innerhalb von ungefähr zwölf Minuten –, ist er entlastet. Und das bringt uns zu dir, junge Dame“, wandte sie sich an Gaby. „Zu mir?“, stammelte diese. „Wir werden uns jetzt hier ein wenig umsehen“, erklärte Krakowski und holte ein Blatt Papier 87
aus der Tasche. „Dies hier ist ein Durchsuchungsbefehl.“ Sie drehte sich zu ihren Kollegen um. „Ihr geht nach oben und nehmt euch den Teil des Hauses vor.“ Die beiden stiegen schnaufend die Kellertreppe wieder hoch. Krakowski ließ ihren Blick über das Waffenarsenal an den Wänden schweifen. „Du hast eine ganz schöne Sammlung.“ Sie ging zu einem kahlen Fleck an einer der Wände. „Mir scheint, hier fehlt etwas.“ Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die Staubschicht, in der sich der Umriss des fehlenden Objekts abzeichnete. „Etwas, das die Form einer Armbrust hat.“ „Jemand muss hier eingebrochen sein“, sagte Gaby schnell. „Ich bin gerade zum ersten Mal seit zwei Wochen hier heruntergekommen und habe gemerkt, dass Stücke aus meiner Sammlung fehlen.“ „Eine Armbrust?“ „Zwei oder sogar drei“, gab Gaby zu. „Und auch ein Köcher mit Pfeilen – Stahlpfeilen.“ „Aha. Du sagst, dass hier jemand eingebrochen sein muss. Es wundert mich, dass du nicht wenigstens eine einfache Alarmanlage hast – bei all den wertvollen Objekten, die hier lagern.“ „Ich wollte eine anbringen“, sagte Gaby und starrte verlegen auf den Boden. „Wer’s glaubt“, knurrte Krakowski. 88
„Es ist denkbar, dass sie die Wahrheit sagt, Inspektor“, warf ich ein. „Halt du dich da raus, Junge“, warnte Krakowski. „Wenn ich deine Meinung hören will, werde ich dich danach fragen. Und dasselbe gilt für dich“, fauchte sie India an, die schon den Mund aufgeklappt hatte, um mir zu Hilfe zu kommen. „Es interessiert euch vielleicht“, fuhr Krakowski fort, „dass wir inzwischen den Bericht von unserer Waffenexpertin haben.“ Sie wedelte mit einer Hand voll Papier. „Sie sagt, dass die Mordwaffe der handgeschnitzte Nachbau einer mittelalterlichen Armbrust ist.“ Krakowski las aus dem Bericht der Expertin vor: „‚Die Waffe wurde nachträglich mit einem Gewehrlauf ausgerüstet, durch den der Stahlpfeil abgeschossen wurde, der das Opfer traf. Die Wirkungsweise entspricht der einer modernen Harpune, wie sie zum Walfang verwendet wird.‘“ „Dieser Umbau hat die Armbrust also stärker und treffsicherer gemacht?“, vergewisserte ich mich. „Und es erfordert weniger Kraft, sie abzufeuern – weniger Fingerdruck“, bestätigte Krakowski. Dann sah sie wieder Gaby an. „Und da wir gerade von Fingern sprechen – zur Mordwaffe gibt es noch etwas zu sagen: Sie ist übersät mit deinen Fingerabdrücken.“ Gaby gab einen halb erstickten Laut von sich. 89
„Ja, wir konnten die Abdrücke mit denen vergleichen, die wir schon im Computer hatten.“ „Mein Gott, das ist doch Jahre her. Verdammt, ich habe nur ein paar lausige Videos geklaut! Aber Professor Dunaway habe ich nicht umgebracht. Merken Sie denn nicht, dass jemand versucht, mir den Mord in die Schuhe zu schieben?“ Krakowski trat dicht an Gaby heran und starrte in ihr blasses, verängstigtes Gesicht. „Deine Mutter ist seit zwei Wochen weg?“, erkundigte sie sich fast beiläufig. „Ja. Und?“ „War es wegen der Beziehung zwischen deinem Vater und Professor Dunaway?“ Das hatte Krakowski also herausgefunden, obwohl wir es ihr verschwiegen hatten. „Meine Güte, nein! Sie ist nur im Urlaub!“, behauptete Gaby, aber ihre schrille Stimme verriet, dass sie log. „Du hast Dunaway dafür gehasst, dass sie die Ehe deiner Eltern zerstört hat, so sehr gehasst, dass du sie eine Woche lang verfolgt hast. Und dann passierte es eben!“ „Nein!“ Gaby brach in Tränen aus. Die beiden Polizisten kamen wieder die Treppe herunter. Einer von ihnen nickte Krakowski zu und hielt seine Beute hoch: ein paar schlammverschmierte Wanderstiefel. 90
„Was hattest du vor dem Fenster von Professor Dunaways Klassenzimmer zu suchen?“ „Ich war da nicht! Niemals!“ Krakowski betrachtete die Stiefel. „Die sehen aus, als würden sie zu den Fußabdrücken rund um den Baum passen“, sagte sie und nickte. „Ich mische mich nur ungern ein –“, begann India. „Dann lass es!“ „Aber jemand, der klug genug ist, diese Armbrust umzubauen, wäre doch nicht so dämlich, das Beweisstück zurückzulassen. Vor allem nicht, wenn sich seine Fingerabdrücke darauf befinden. Und matschige Schuhe, deren Abdrücke mit denen am Tatort übereinstimmen, stellt sich auch niemand in den Schrank.“ Krakowskis vernichtender Blick veranlasste India, den Kopf einzuziehen. „Tut mir Leid“, sagte sie. „Aber das musste ich einfach loswerden.“ Krakowski richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Gaby. „Professor Dunaway hat dich und deinen Vater gewarnt, dass sie euch verklagen würde, wenn du nicht aufhören würdest, sie zu verfolgen.“ „Ja, sicher“, erwiderte Gaby, deren Augen jetzt kampfeslustig funkelten. „Ich habe versucht, in der Uni mit ihr zu reden, aber sie hat mich nie zu Wort kommen lassen. Also dachte ich, ich versu91
che sie zu erwischen, wenn sie ihren Hund ausführt oder so, weil sie mir dann vielleicht zuhören würde. Ich wollte doch nur, dass sie meinen Dad in Ruhe lässt.“ Tränen erstickten ihre Stimme, doch Krakowski blieb ungerührt. „Keiner der Hotdogverkäufer, die wir befragt haben, erinnert sich an dich, was bedeutet, dass du auch kein Alibi hast. Deine Fingerabdrücke sind auf der Mordwaffe, und diese Stiefel sehen aus, als würden sie zu den Fußabdrücken am Tatort passen. Ich denke, du musst jetzt leider mit uns mitkommen.“ „Sie bringen mich nirgendwohin! Jedenfalls nicht, solange mein Vater noch nicht da ist!“ Gaby wich zurück und kam dabei der Reihe von Schwertern an der Wand gefährlich nahe. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob sie mit den Waffen aus ihrer Sammlung auch umgehen konnte. Krakowski wirkte unbeeindruckt. „Ich möchte ungern Handschellen verwenden müssen.“ „He!“, protestierte India. „Sie ist doch kein Schwerverbrecher!“ „Und begreifen Sie es denn nicht?“, brüllte ich verzweifelt. „Es sprechen einfach zu viele Beweise gegen sie!“ „Euch kann man es wohl nie recht machen!“, fauchte Krakowski. Auch India konnte ihren Mund nicht halten. 92
„Es ist doch eindeutig, dass jemand versucht, ihr den Mord anzuhängen!“ Es nützte nichts. Hilflos mussten wir zusehen, wie die Polizisten die sich sträubende Gaby einfach mitnahmen. „Was machen wir jetzt?“, fragte India, als von dem Trupp nichts mehr zu hören war. Ich sah mich in dem düsteren, unheimlichen Keller um. „Wir verschwinden von hier – und zwar sofort.“
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Das Austern-Alibi Wir gingen eilig zurück zur U-Bahn und fuhren heimwärts. Obwohl wir beide hungrig und erschöpft waren, kamen wir nicht darüber hinweg, was gerade passiert war. India schüttelte den Kopf. „Du glaubst doch auch nicht, dass Gaby die Mörderin ist, oder?“ „Nie im Leben“, sagte ich. „Sie ist vielleicht sehr merkwürdig. Aber sie ist bestimmt nicht so dämlich, einen Haufen Beweise zurückzulassen, die direkt zu ihr führen.“ „Natürlich nicht“, stimmte India mir zu. „Das Ganze ist doch offensichtlich. Jemand ist in ihren Keller gegangen und hat das Zeug mitgenommen. Er hat sogar daran gedacht, auch Gabys Stiefel einzupacken und sie für den Mord anzuziehen, damit die Spur direkt zu Gaby führt. Und danach war unser Mörder sogar so dreist, die Stiefel wieder in ihren Schrank zu stellen.“ „Nicht zu fassen, dass Krakowski darauf hereingefallen ist“, bemerkte ich. „Hattest du etwas anderes erwartet?“ „Schon gut. Es war vorauszusehen, dass sie sich darauf stürzen würde.“ 94
„Was haben wir als Nächstes auf unserer Liste?“, fragte India. Ich sah in meinem Notizbuch nach. „Wir wollten das Alibi von Mr Lello überprüfen.“ „Glaubst du wirklich, dass sich jemand im Restaurant an ihn erinnert?“ „Bei seinen quietschroten Haaren? Ich denke schon.“ Wir stiegen an der 59. Straße aus, liefen das letzte Stück bis zum Plaza-Hotel und schlenderten durch die luxuriöse Empfangshalle zur Austernbar. Die große, blonde Empfangsdame, die ein schlichtes, aber dennoch hochelegantes schwarzes Kleid trug, fragte uns, ob wir einen Tisch wünschten. Daran, wie sie uns von oben bis unten musterte, konnte ich erkennen, dass sie hoffte, wir würden Nein sagen. „Wir kommen nicht zum Essen“, sagte ich. „Wir wollten nur fragen, ob Sie sich zufällig an einen Gast erinnern, der gestern Nachmittag hier war.“ „Oh. Also, ich war im Dienst, aber wir haben hier viele Gäste … Habt ihr ein Foto von diesem Gast?“ „Nein“, sagte India. „Aber er ist Ihnen bestimmt aufgefallen. Er ist sehr groß und dünn und hat leuchtend rotes Haar, das immer irgendwie zerzaust aussieht.“ 95
„Ja, ich glaube, ich weiß, wen ihr meint. Ist er um die 40?“ „Genau“, sagte ich. „Erinnern Sie sich, um welche Zeit er hier war?“ „Er muss so gegen halb drei gekommen sein, denke ich.“ „Und wie lange ist er geblieben?“, fragte India. „Ungefähr eine Stunde, aber ganz sicher bin ich nicht.“ „Dann hätte er unmöglich rechtzeitig an der Uni sein können“, stellte India fest. „Was war gestern Ihr Tagesgericht?“, fragte sie die Empfangsdame. „Mal überlegen. Ach ja, es war Rotbarsch asiatische Art.“ Das deckte sich mit Lellos Aussage. „Wissen Sie zufällig noch, was der Herr bestellt hat?“, fragte ich. „Ja“, sagte sie. „Er hat ein Riesentheater gemacht.“ Meine Augenbrauen hoben sich, und auch India sah erstaunt aus. „Ein Theater?“ „Er hat behauptet, seine Austern wären verdorben, hat eine in seine Serviette gespuckt und lautstark herumgezetert. Die Austern waren vollkommen in Ordnung – er hatte von dem Dutzend schon fünf gegessen und hat dann noch die Frechheit besessen, darauf zu bestehen, dass wir ihm 96
stattdessen ein Dutzend Muscheln bringen. Solche Kunden haben wir etwa einmal im Monat. Was sie machen, ist im Grunde Diebstahl, und das ärgert mich.“ „Ja, manche Leute sind wirklich abgebrüht“, bemerkte ich mitfühlend. Habe ich schon erwähnt, wie klasse die Blondine aussah? India zupfte an meinem Ärmel. „Komm schon, Quentin. Lass uns gehen.“ Wir dankten der Empfangsdame und verließen die Bar. Draußen hatte es angefangen zu regnen, und so stellten wir uns unter dem Vordach des Hotels in die Schlange der Leute, die darauf warteten, dass der Türsteher Taxis heranwinkte. „Es gibt keinen Zweifel“, sagte ich. „Lello war hier. Sein Alibi ist wasserdicht.“ „Was mich stört“, bemerkte India, „ist, dass es sich so anhört, als hätte er das Theater mit den Austern nur veranstaltet, damit man sich an ihn erinnert.“ Ich zuckte die Achseln. „Schon möglich. Aber trotzdem kann er unmöglich rechtzeitig an der Uni gewesen sein und diesen Pfeil abgeschossen haben.“ „Das stimmt“, bestätigte India. Wir sprachen nicht weiter darüber, aber aus irgendeinem Grund ging mir Indias Bemerkung nicht aus dem Kopf. 97
Während wir warteten, klingelte Indias Handy. „Hi, Bernadette!“, hörte ich sie sagen. „Wie geht’s dir? Fühlst du dich besser?“ Sie rückte mit dem Telefon so dicht an mich heran, dass ich mithören konnte. „Mir geht’s wieder gut“, antwortete Bernadette. „Und vielleicht könnte ich euch helfen, den Täter zu fassen. Ihr sagtet doch, dass ich eure Detektivpartnerin sein darf.“ India und ich tauschten einen betretenen Blick. Das hatte uns noch gefehlt, dass uns eine Elfjährige nachdackelte, wohin wir auch gingen. Aber andererseits hatte Bernadette einen scharfen Verstand. Sie war ohne Zweifel wesentlich klüger, als wir beide es in ihrem Alter gewesen waren. Bernadette wartete nicht auf unsere Antwort, sondern sprach weiter. „Ihr kennt doch Gabys Vater? Er hat eine Investmentfirma. Also, bei der Teeparty an der Uni hat er meinem Vater eine Broschüre aufgedrängt und versucht, ihn dazu zu überreden, bei ihm zu investieren. Und in dieser Broschüre stand, dass Mr Zoole die Universität Georgetown besucht hat. Aber als ich dort in der Verwaltung angerufen habe, hatten die noch nie etwas von ihm gehört!“ „Bist du sicher?“, fragte India, die genauso verblüfft war wie ich. „Allerdings. Ganz sicher“, bestätigte Bernadette. 98
„Und ich dachte, wenn er schon lügt, wenn es um seine Ausbildung geht, fragt man sich doch, wie oft er sonst noch lügt. Ich wette, ziemlich häufig.“ „Das vermute ich auch“, gab ich ihr Recht. „Aber wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, ihn zu überprüfen?“ „Mir ist aufgefallen, dass er sich jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, über die Nase gestrichen hat.“ India blinzelte. „Na und?“ „Habt ihr schon einmal vom PinocchioSyndrom gehört?“ „Nein“, gestand ich. „Was ist das?“ „Es ist erwiesen, dass sich beim Lügen das Blut in der Nase staut und sie anfängt zu jucken. Und deshalb kratzen sich Lügner oft an der Nase.“ „Ist ja irre“, sagte India. „Du treibst das Studium der Körpersprache wirklich auf die Spitze.“ „Nicht ich“, wehrte Bernadette ab. „Das FBI. Es hat diese Studie 1936 veröffentlicht.“ Bernadette hatte sich angehört, als würde sie laut vorlesen. Ich fragte mich allerdings, ob sie wirklich abgelesen hatte, oder ob das eine Kostprobe ihres fotografischen Gedächtnisses gewesen war. Jetzt fuhr sie mit ihrer normalen Stimme fort: „Mr Zoole ist ein Lügner, das steht fest. Vielleicht ist er sogar der Mörder!“ India und ich starrten uns an. 99
„Was sagt ihr?“, fragte Bernadette aufgeregt. „Kann ich euer Partner sein?“ India sah mich fragend an, und ich zuckte die Achseln. „Klar, Bernadette“, antwortete India. „Bleib an dem Fall dran. Wir überprüfen inzwischen Mr Zoole.“ „Klasse! Was soll ich als Nächstes tun?“ „Dir fällt bestimmt etwas ein“, versicherte ich ihr. „Danke, Bernadette. Wir melden uns, sobald wir etwas Neues wissen.“ „Unglaublich“, sagte India, nachdem sie das Handy wieder eingesteckt hatte. „Was meinst du, wie lange wir gebraucht hätten, bevor wir auf die Idee gekommen wären, in Georgetown anzurufen und Harry Zooles Angaben zu prüfen?“ Ich nickte. „Bernadette ist clever, das muss ich zugeben. Dunaway hat sie falsch eingeschätzt.“ „Und was hältst du von Harry Zoole?“ „Er ist mit Sicherheit ein Hochstapler“, sagte ich. „Was, wenn Dunaway mit ihrem Verdacht gegen ihn und Americom ins Schwarze getroffen hat?“ „Soll das ein Wortspiel sein?“ „Tut mir Leid, das war geschmacklos. Aber denk doch einmal darüber nach: Er kommt genauso leicht an Gabys Waffen heran wie sie selbst. Vielleicht hat er irgendeinen verdrehten Plan ausgebrütet. Sein Alibi ist ja nicht gerade vom Feins100
ten: allein in der U-Bahn. Vielleicht war er verzweifelt, und es war ihm vollkommen egal, wen er belastet.“ „Seine eigene Tochter?“, fragte India zweifelnd. „Sieh es doch einmal so. Dunaway war so wütend, dass sie ihm den Laufpass gegeben und dazu noch gedroht hat, seine Geschäfte genauer unter die Lupe zu nehmen. Und daraufhin hat er beschlossen, sie umzubringen. Vielleicht hat er wirklich die Armbrust seiner Tochter genommen und sich gesagt, dass die Polizei sie zwar verdächtigen, aber irgendwann feststellen würde, dass sie unschuldig ist. Wer kann schon ahnen, was er sich dabei gedacht hat?“ „Dem kann ich nur zustimmen“, bestätigte India. „Zoole macht tatsächlich einen etwas durchgeknallten Eindruck. Und Krakowski ist dafür bekannt, dass sie voreilige Schlüsse zieht. Erst Jeremiah und jetzt Gaby. Die ganze Zeit, in der wir bei Gaby waren, hat meine Kopfhaut nicht ein einziges Mal gekribbelt.“ Die Reihe der Wartenden in der Taxischlange war vorgerückt, während wir mit Bernadette telefoniert hatten, und jetzt endlich waren wir an der Reihe. Ein Taxi fuhr vor, und wir traten unter dem Vordach heraus. Doch gerade als wir einsteigen wollten, wurde die Tür auf der Straßenseite aufgerissen, und zwei Leute sprangen auf den Rücksitz. 101
„He!“, schrie India. „Das ist unser Taxi!“ Erst da sahen wir, wer es war: Jeremiah und Natalie! Ihre identischen Lederjacken waren vollkommen durchweicht, und sie schienen noch überraschter als wir. „Entschuldigen Sie“, sagte der Türsteher und beugte sich ins Innere des Taxis. „Dieser Wagen ist für Hotelgäste reserviert.“ „Verpiss dich!“, brüllte Natalie ihn an. Der Türsteher zuckte zusammen und starrte sie entgeistert an. „Bemühen Sie sich nicht“, beruhigte ich ihn. „Wir werden uns das Taxi teilen.“ „Wie Sie meinen, Sir“, sagte er höflich und zog sich zurück. Ich warf die Tür zu und versuchte, auf dem überfüllten Rücksitz eine halbwegs bequeme Position zu finden. Es war hoffnungslos. „Kann ich mich nach vorn setzen?“, fragte ich den Fahrer. „Tut mir Leid“, erwiderte er mit deutlich russischem Akzent. „Nicht erlaubt. Vier hinten auch nicht erlaubt.“ „Dann sehen Sie eben nicht hin“, fuhr Natalie ihn an. Ich seufzte und versuchte, mich möglichst klein zusammenzufalten. India, die zwischen mir und Natalie eingequetscht war, sah allerdings noch unglücklicher aus. Die beiden Taxidiebe nahmen fast zwei Drittel des Rücksitzes ein. 102
„Wohin?“, fragte der Fahrer. „211 Central Park West“, sagte Jeremiah wie aus der Pistole geschossen, bevor India und ich Zeit hatten, den Mund aufzumachen. „Also ehrlich“, meckerte Natalie und blinzelte mit ihren mascaraverkrusteten Lidern. „Ich wünschte, ihr würdet endlich aufhören, uns zu belästigen. Nur weil euch diese dämliche Polizistenkuh erlaubt hat, bei unserer Befragung im Raum zu bleiben, bedeutet das noch lange nicht, dass ihr Scotland Yard oder die CIA seid.“ „Nimm bitte zur Kenntnis, dass wir nicht euch verfolgen“, konterte India gereizt. „Ihr habt versucht, uns das Taxi wegzuschnappen, schon vergessen?“ Jeremiah ignorierte diese Spitze. „Ich kann euch beiden eine Menge Zeit sparen“, sagte er und beugte sich über Natalie, um uns besser auf die Pelle rücken zu können. „Ich habe Dunaway nicht umgebracht, weil ich das gar nicht nötig habe. Natürlich wollte ich, dass sie mir eine Empfehlung für Harvard schreibt, und sie hat sich geweigert. Aber mein Vater kennt eine Menge wichtiger Leute. Es gibt immer Wege, an eine anständige Uni zu kommen, auch ohne lästige Prüfungen oder schwachsinnige Professoren wie Dunaway.“ Zufrieden, uns in unsere Schranken verwiesen zu haben, wandte er sich an den Fahrer. „Das Haus 103
da an der Ecke“, sagte er und zeigte auf ein aufgemotztes Vorkriegsgebäude, vor dem gleich zwei uniformierte Pförtner standen. „War schön, mit euch zu plaudern“, bemerkte er dann noch mit einem verächtlichen Grinsen. „Komm, Natalie.“ „Weißt du was, Jeremiah“, meinte ich, „ihr zwei verdient einander.“ „Allerdings“, bestätigte India boshaft. „Ein Vollidiot und seine Dumpfbacke.“ Die beiden grunzten nur und stiegen aus. Erst als sie weg waren, fiel mir auf, dass sie so großzügig gewesen waren, uns das Bezahlen zu überlassen.
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Gänsehaut Der nächste Tag war Freitag, und die letzte Schulstunde fiel aus. Das passte uns gut, weil wir uns vorgenommen hatten, die Aktivitäten von Harry Zoole genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein Anruf reichte aus, um herauszufinden, dass der Vorsitzende des Investitionskomitees der Columbia-Universität ein Dr. Ernest Kaufman war. Wir riefen ihn an und vereinbarten einen Termin um 15 Uhr. Wir betraten das Gebäude der mathematischen Fakultät und kamen an unserem Klassenzimmer vorbei, das immer noch abgesperrt war und von einem Polizisten bewacht wurde. Drinnen waren zwei Kriminaltechniker an der Arbeit und sammelten Fasern, Staub und Haare – winzige Beweisstücke, die mit bloßem Auge nicht zu sehen sind, die aber heutzutage mehr und mehr Verbrecher überführen. Die DNS lügt nicht. Dr. Kaufman, ein älterer Herr, dessen lockiger weißer Haarkranz seinen Kopf umgab wie ein Heiligenschein, erwartete uns bereits. Er kam sofort zur Sache. „Was wollt ihr wissen?“, fragte er. 105
„Wir möchten alles über die Firma Americom erfahren“, sagte ich. „Insbesondere über Harry Zoole“, fügte India hinzu. „Nun, ich kann euch versichern, dass Mr Zoole ein sehr vertrauenswürdiger und kompetenter Investmentberater ist. Wenn das nicht der Fall wäre, hätte die Universität ihm wohl kaum einen Scheck über eine siebenstellige Summe anvertraut.“ „Sie haben ihm den Auftrag erteilt, drei Millionen aus dem Kapital der Universität anzulegen?“, fragte India. „In der Tat“, bestätigte Kaufman. „Es war Professor Dunaway, die ihn dem Komitee vorgestellt hat. Doch in letzter Zeit schienen ihr Zweifel gekommen zu sein.“ Er seufzte. „Ihr müsst wissen, dass Professor Dunaway das Kapital der Universität sehr am Herzen gelegen hat. Wenn es um Mathematik und um finanzielle Dinge ging, war sie geradezu genial.“ Meine Güte. In diesem Fall wimmelte es nur so von Genies! „Nun, Sir, ich möchte nicht respektlos sein“, sagte ich vorsichtig, „aber wenn Professor Dunaway sich auf diesem Gebiet so gut auskannte, hat ihr plötzliches Misstrauen gegenüber Mr Zoole Sie dann nicht beunruhigt?“ Kaufman zuckte die Achseln. „Offen gestanden, und ohne etwas Schlechtes über die Tote sagen zu 106
wollen“, antwortete er, „bin ich der Ansicht, dass meine verstorbene Kollegin eine, sagen wir, etwas schwierige Person war. Sie konnte ziemlich unangenehm werden, und es gab viele Leute, mit denen sie nicht zurechtkam. Ich fürchte, dass Mr Zoole nach einiger Zeit auch zu ihnen zählte.“ „Wollen Sie damit sagen, dass es viele Leute gab, die sie nicht gemocht haben?“, fragte India nach. „Und dass unter ihnen mindestens eine Person war, die sie so gehasst hat, dass sie sie tot sehen wollte?“ „Ganz offensichtlich.“ Mehr erfuhren wir nicht von Dr. Kaufman. Zoole hatte ihn offenbar eingewickelt, und ich konnte auch verstehen, wie Americom hatte in nur drei Monaten zehn Prozent Gewinn für die Universität erwirtschaftet, und das, obwohl der Aktienmarkt im selben Zeitraum um fünf Prozent gefallen war. Wie es aussah, leistete Zoole großartige Arbeit für die Uni. Aber wieso war Dunaway trotzdem misstrauisch geworden? Und warum waren India und ich es ebenfalls? Draußen auf dem Hof holte ich mein Handy heraus und rief Jesus Lopez, unseren Freund und Computerspezialisten, an. „Hi, Jesus! Wie läuft’s?“ „Quentin! Wie geht’s dir, Amigo?“, ertönte seine Stimme aus dem Hörer. 107
„Alles bestens. Ich soll dich auch von India grüßen.“ „Danke! Also, was liegt an?“ „Hör mal, wir arbeiten an einem Fall und brauchen deine Hilfe.“ „Super! Lass hören.“ Ich berichtete ihm von dem Mord und bat ihn, alles Ungewöhnliche über Harry Zoole und Americom herauszufinden. „Ach ja“, fügte ich noch hinzu, „vielleicht kannst du auch rausbekommen, wo seine Frau Urlaub macht. Ich weiß nur, dass sie geflogen ist.“ „Kein Problem, Mann. Ich kann mich in die Computer der Fluggesellschaften einhacken.“ Ich grinste wissend. „Und wenn du gerade dabei bist …“ „Ja?“ „Sieh doch auch mal nach, ob du etwas über Burton und Bernadette Lello findest.“ „Kein Problem. Alles notiert. Ich melde mich dann bei euch.“ „Fürwahr, Jesus, du bist der Beste.“ „Das merkst du erst jetzt?“, konterte er. Als ich das Handy wieder einsteckte, fiel mir auf, dass India mich komisch ansah. „Was ist?“, fragte ich. „Warum willst du, dass er Bernadette überprüft? Sie war bei uns, als Dunaway umgebracht wurde. Sie hat ein perfektes Alibi: uns.“ 108
„Ich weiß“, gab ich zu. „Ich schätze, es ist reine Gewohnheit. Du weißt doch, dass ich immer auf Nummer sicher gehen will.“ „Stimmt.“ India lenkte ein. „Aber dann sollten wir auch den ekligen Jeremiah noch nicht abhaken, trotz seines angeblich wasserdichten Alibis.“ „Dem kann ich nur zustimmen. Ich traue dem kleinen Angeber nur so weit, wie ich ihn werfen kann. Er könnte alles arrangiert haben, auch die angebliche Putzfrau, die ihm sein Alibi verschafft hat.“ „Ist es nicht total albern, dass er und Natalie immer dasselbe Outfit tragen?“, lästerte India. „Das ist doch abartig. Mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich die beiden sehe.“ Wir waren jetzt in der U-Bahn unterwegs, und da der Lärm eine Unterhaltung fast unmöglich machte, holte ich mein kleines Notizbuch heraus und las noch einmal alles durch, was ich bisher zu diesem Fall aufgeschrieben hatte. Als ich zu der Rechenaufgabe kam, die ich aus Indias Buch übertragen hatte, hielt ich inne. Sie hatte mich beschäftigt, seit ich sie das erste Mal an der Tafel gesehen hatte. Es war nicht nur die Tatsache, dass jemand sie als Köder benutzt hatte, damit Dunaway sich genau in der Schusslinie aufhielt. Da war noch etwas anderes, aber ich wusste nicht, was es war. „Hey, India“, rief ich. „Hast du deinen Ta109
schenrechner dabei?“ Sie griff in ihre Umhängetasche und holte ihn heraus. Ich betrachtete die Aufgabe: x = √9 · 0,0257906 Mit anderen Worten: 3 · 0,0257906 India tippte die Zahlen in ihren Taschenrechner ein. Mit einem Achselzucken zeigte sie mir das Ergebnis: x = 0,0773718. „Das hat nichts zu bedeuten, oder?“ „Krakowski hat es jedenfalls gesagt.“ India grinste. „Ich glaube, die kann gar nicht rechnen.“ Ich studierte noch einmal die Aufgabe, hinter die ich jetzt die Lösung geschrieben hatte. „Scheint eine ganz normale Gleichung zu sein. Aber irgendetwas sagt mir, dass mehr dahinter steckt. Vergiss nicht, dass sie in einer merkwürdigen Handschrift geschrieben war, die wir nicht kannten. Als hätte sie jemand mit der linken Hand an die Tafel geschrieben, damit niemand merkt, von wem sie stammt.“ „Warum sollte sich jemand die Mühe machen?“ „Um Dunaway an die richtige Stelle zu locken.“ „Aber was hat diese Gleichung an sich, das Dunaway veranlasste, sich mit ihr zu beschäftigen?“ Mir fiel jemand ein, der dieses Rätsel möglicherweise lösen konnte. „Lass uns zu Bernadette Lello gehen und sie fragen, was sie davon hält.“ 110
Ich fand ihre Adresse in meinem Notizbuch. Wir stiegen an der 86. Straße aus und legten den Rest des Weges zu Fuß zurück. Es war schon vier Uhr, und die Sonne ging allmählich unter. Vom Hudson River wehte ein eisiger Wind herüber, der uns schaudern ließ. Bernadette und ihr Vater wohnten in einem schicken Mietshaus, einem von der Sorte, in dem alle Wohnungen Parkettfußböden und hohe Decken haben und die Wände noch richtig gemauert sind und nicht aus dem dünnen Zeug bestehen, aus dem Apartmenthäuser heutzutage gebaut werden. Der Pförtner rief oben an, um uns anzumelden. Im Fahrstuhl fragte ich mich, wie Bernadettes Leben wohl aussehen mochte. „Es muss unheimlich sein, ein Wunderkind zu sein“, bemerkte ich. „Stell dir vor, du wärst ein kleiner Mozart oder Einstein.“ „Es gibt sehr verschiedene Arten von Genies“, sagte India nachdenklich. „Vielleicht hat Dunaway Bernadette niedergemacht, weil sie ein Problem mit ihrer Intelligenz hatte oder einfach neidisch war. Vielleicht verkörpert Bernadette all das, was Dunaway immer sein wollte.“ Bernadette öffnete uns die Tür. Sie schien sich über unseren Besuch zu freuen, aber man sah doch, wie erschüttert sie immer noch war. Das war kein 111
Wunder – immerhin war sie erst elf. Und den Anblick einer Toten, in deren Brust ein Pfeil steckt, schüttelt man nicht so leicht ab, auch wenn man noch so clever ist. Sogar ich hatte immer wieder dieses schreckliche Bild vor Augen, und bei mir war es bei weitem nicht die erste Leiche, die ich gesehen hatte. „Mein Dad ist bei einem Essen mit den Produzenten der Samstagabend-Talkshow“, erklärte Bernadette. „Ich soll da in der Woche vor Weihnachten auftreten.“ „Das ist schon okay“, sagte ich. „Schließlich wollten wir nicht deinen Vater besuchen, sondern dich.“ Bernadette strahlte. „Ich habe gerade meine Website etwas aufgepeppt“, erzählte sie stolz. „Wollt ihr sie sehen?“ „Klar“, sagte India lächelnd. Bernadette führte uns zu ihrem Computer. Auf dem Bildschirm prangte ihre Homepage mit neuen, leuchtend bunten Grafiken. Bernadettes Homepage Sei gegrüßt, Pilger, deine Suche ist vorbei! Zu den angebotenen Menüs gehörten:
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Bernadettes Gesellschaft zur Rettung der Tiger von Bangladesch Bernadettes Kreuzzug gegen den Hunger in Afrika Geplante Auftritte Bernadettes Fotogalerie India klickte die Fotogalerie an. „Ist ja irre“, sagte sie. Bernadettes Gesicht leuchtete auf wie eine Neonröhre. Ich fand, dass India es ein wenig übertrieb – wahrscheinlich, damit Bernadette nicht merkte, wie grausig wir ihre Seite tatsächlich fanden. Bernadette war in allen möglichen Posen abgelichtet: auf einem Elefanten sitzend, bei der Teilnahme an einem Greenpeace-Marsch und neben Pappfiguren von ihrem Vater und einer Frau, die ihre Mutter sein musste. Ich studierte das letzte Bild, was Bernadette nicht entging. „Ich sehe meine Mutter kaum noch“, sagte sie. „Aber Dad benutzt für Werbefotos immer diese Pappfiguren, damit alle denken, dass wir eine glückliche Familie sind. Er würde sich auch in echt mit mir fotografieren lassen, aber dann würde es komisch aussehen, wenn meine Mum nicht dabei ist.“ „Wo ist deine Mutter, Bernadette?“, fragte ich und dachte im selben Moment, dass ich besser den Mund gehalten hätte. 113
Und tatsächlich, Bernadette traten Tränen in die Augen. „Sie ist weggegangen“, würgte sie hervor. „Daddy sagt, dass sie nie zurückkommt.“ „Arme Kleine“, sagte India und tätschelte Bernadette die Schulter. „Wie geht es dir inzwischen? Hast du Albträume oder so?“ Bernadette schüttelte den Kopf. „Nein. Das einzige Problem ist, dass ich nicht einschlafen kann.“ Das glaubte ich ihr gern. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und gähnte dauernd. Ich beschloss, ihr die Gleichung zu zeigen, bevor sie hier an Ort und Stelle einnickte. Bernadette warf nur einen kurzen Blick darauf und sagte: „Das ist eine simple Gleichung. Was ist damit?“ „Sie stand an der Tafel, als Dunaway erschossen wurde“, erklärte ich. „Dunaway war dabei, sie zu lösen.“ „Oh.“ Bernadette schien nicht zu begreifen, was das bedeutete. „Habt ihr Mr Zoole schon überprüft?“, fragte sie stattdessen. „Mein Instinkt sagt mir, dass ihr das möglichst bald tun solltet.“ Sie nickte energisch, wie um ihre Aussage zu unterstreichen. „Wir sind dabei“, sagte ich. „Wir warten auf einen Anruf. Und wir dachten uns, dass wir die Zeit bis dahin genauso gut nutzen könnten, dich zu besuchen und dir die Gleichung zu zeigen.“ 114
Bernadette sah sich die Aufgabe noch einmal an. „Die Lösung ist 0,0773718. Na und?“ India und ich sahen uns verblüfft an. Sie hatte nicht einmal einen Taschenrechner gebraucht. „Sagt dir das denn gar nichts?“, fragte ich. „Nein, nichts. Tut mir Leid“, erwiderte sie. „Ich würde euch zu gern begleiten bei euren Nachforschungen über Mr Zoole, aber wenn mein Dad nach Hause kommt und ich nicht da bin, kriegt er einen Anfall. Ich wünschte, ich wäre ein paar Jahre älter.“ Sie stützte das Kinn in die Hände und starrte das Foto auf dem Bildschirm an, das sie mit „Vater und Mutter“ zeigte. Ich fand, dass es an der Zeit war, sie allein zu lassen, und so sagte ich ihr, dass wir gehen müssten. „Wir rufen dich an, falls wir etwas über Mr Zoole herausfinden“, versprach ich, als sie uns zur Tür brachte. „Super. Danke!“ Sie winkte uns nach, als wir in den Aufzug stiegen. Auf der Fahrt nach unten bemerkte India: „Sie trägt es erstaunlich gefasst, findest du nicht?“ „Ja, schon“, sagte ich. „Aber vielleicht verbirgt sie auch nur, wie sie sich wirklich fühlt. Ich fand, dass sie ziemlich fertig aussah.“ „Sie scheint überzeugt, dass Zoole der Täter ist.“ „Den Eindruck hatte ich auch.“ Ich nagte ge115
dankenverloren an meiner Unterlippe, und plötzlich fiel mir etwas ein. „Weißt du, was mir aufgefallen ist?“ „Was?“ „Sie hat ihre Spezialbrille nicht getragen. Du weißt doch, die, die verhindert, dass der Bildschirm blendet.“ „Na und?“ India zuckte die Achseln. „Vielleicht hatte sie keine Lust, sie aufzusetzen, oder das Ding funktioniert nicht. Vielleicht hat sie sie auch verloren oder sich versehentlich draufgesetzt.“ „Kann schon sein.“ Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und wir stiegen aus. „Aber nachdem ihr Vater so viel Geld für eine Spezialbrille ausgegeben hat, sollte man doch meinen, dass sie ein bisschen besser darauf aufpasst.“ „Ihr geht zu viel anderes im Kopf herum“, gab India zu bedenken. „Wie wahr. Mehr, als einer Elfjährigen zugemutet werden sollte“, sagte ich. „Dieser Fall verursacht sogar mir eine Gänsehaut.“
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Zwielichtige Geschäfte Es war schon halb sechs, als wir das Bürogebäude am 1 Chase Plaza erreichten. Die Fahrt mit der überfüllten U-Bahn hatte ewig gedauert, aber im Feierabendverkehr ein Taxi zu suchen, war hoffnungslos. Wahrscheinlich hatte Zoole sein Büro längst verlassen. Wir betraten das Gebäude. Im Eingangsbereich gab es ein elektronisches Verzeichnis aller dort ansässigen Firmen, und wir tippten Americom ein, um die Durchwahl zu bekommen. Aber die Firma war nicht in der Liste. India und ich sahen uns an. „Sieht aus, als hätte Bernadette Recht, was Zoole betrifft“, sagte ich. „Lass es uns unter Nummer 1222 probieren, der Adresse, die auf der Broschüre stand.“ Wir versuchten es, aber als nichts passierte, gingen wir schließlich zum Informationsschalter in die Halle. „Americom?“, wiederholte die Dame hinter dem Tresen und erweckte den Eindruck, als hätte sie noch nie von dieser Firma gehört. Sie sah in ihrem Computer nach, schüttelte den Kopf und teilte uns 117
mit, was wir schon wussten. „Im Computer ist die Firma nicht gelistet.“ „Sie soll in Nummer 1222 sein“, sagte ich. Ein wissender Ausdruck breitete sich auf ihrem aufgedunsenen, müden Gesicht aus. „Ach so“, erwiderte sie. „Nummer 1222. Warum habt ihr das nicht gleich gesagt? Tragt euch bitte hier ein.“ „Sie meinen, wir können einfach hochfahren?“, fragte India verblüfft. „Natürlich.“ „Ist da denn überhaupt noch jemand?“ „Bis abends um neun ist von Montag bis Samstag immer jemand da.“ „Hmmm“, machte ich, als wir in den Fahrstuhl stiegen. „Merkwürdige Bürozeiten für einen Finanzmakler.“ Noch merkwürdiger war die Aufschrift auf der Glasscheibe der Tür von Nummer 1222: Zippy Post- und Paketservice. Hinter der Tür befand sich ein winziges Büro, in dem ein langer Tisch die Besucher von den Angestellten trennte. Um diese Uhrzeit handelte es sich allerdings nur noch um einen einzigen Angestellten: einen kleinen, kahlköpfigen Mann mit Brillengläsern, die so dick waren wie der Boden einer Colaflasche. Er starrte auf irgendwelche Papiere und schaute nicht auf, als wir hereinkamen. „Was für ein Laden ist das hier?“, fragte India leise. 118
„Ich denke“, sagte ich, „und ich betone, dass das nur eine Vermutung ist, ich denke, dass dies hier eine Adresse für Briefkastenfirmen ist. Du weißt schon: Jemand mietet sich ein Postfach, damit es so aussieht, als existiere tatsächlich ein Büro.“ „Was?“, flüsterte India empört. „Bedeutet das, dass es Americom gar nicht wirklich gibt und Mr Zoole das ganze Geld in die eigene Tasche steckt?“ „Das sollten wir überprüfen“, entgegnete ich. „Kannst du den Kerl ablenken, während ich einen Blick in seinen Computer werfe?“ Der Mann schaute auf und räusperte sich. „Kann ich Ihnen helfen?“ India schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. „Und ob Sie das können!“, säuselte sie und beugte sich über den Tisch. „Vermieten Sie Postfächer?“ Der Mann strich sich über sein nicht vorhandenes Haar. „An welche Größe hatten Sie denn gedacht?“ „Warum sagen Sie mir nicht, was noch zu haben ist?“, fragte India. Als ich sicher war, dass der Angestellte abgelenkt war, huschte ich um den Tisch herum und schlich zu dem Schreibtisch, auf dem der Computer stand. Ich fummelte mit dem Programm herum, bis ich endlich auf Suchen stieß, und tippte hastig Americom ein. Auf dem Bildschirm erschien Fach 43032, Monatsmiete 20 $, bezahlt bis Dezember. Alle Post weiter119
leiten an Harry Zoole. Zooles Adresse war angegeben und auch seine Telefonnummer. Ich hatte alles gesehen, was zu sehen war, und gab India ein Zeichen. Mir war klar, dass sie sauer sein würde, wenn sie ihre Show länger abziehen musste als unbedingt nötig. Sie hat nichts dagegen, ihr Aussehen als Waffe einzusetzen, aber nur, wenn sie jemanden einwickeln will, den sie cool findet. Und dieser Typ fiel eindeutig nicht in diese Kategorie. „Ich überlege es mir noch“, sagte sie und wich im selben Augenblick zurück, in dem ich wieder auf der anderen Seite des Tisches auftauchte. „Wiedersehen.“ Sie winkte neckisch und verließ dann fluchtartig das Büro. Der Mann erwiderte das Winken mit einem dümmlichen Lächeln. Erst als die Tür hinter India zufiel, bemerkte er mich. „Äh, ja?“, sagte er. „Kann ich Ihnen helfen?“ „Ich gehöre zu ihr“, erklärte ich und beeilte mich, zur Tür zu kommen. Der arme Kerl. Jetzt war sein Traum zerplatzt wie eine Seifenblase. „Und?“, fragte India, als wir auf den Fahrstuhl zurannten. „Zooles Gesellschaft ist tatsächlich eine Briefkastenfirma!“ „Nicht zu fassen, dass Leute darauf hereinfallen!“ 120
„Und nicht nur irgendwelche Leute – kluge Leute“, betonte ich. „Wie Dr. Kaufman.“ „Aber nicht Professor Dunaway und Bernadette“, stellte India fest. „Jetzt sollten wir wohl Krakowski informieren“, bemerkte ich. „Und Kaufman“, fügte India hinzu. „Er kann nur hoffen, dass das Geld der Uni nicht schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.“ Auf der Straße angekommen, versuchten wir, ein Taxi anzuhalten, aber wir fanden keines, das frei war. Schließlich stellte sich India mitten auf die Straße, um eines zu erwischen. Genau in diesem Moment klingelte mein Handy. „Hallo?“ „Ich bin’s, Jesus.“ „Hi! Wie läuft’s?“, fragte ich. „India und ich haben gerade Americom überprüft. Die Adresse ist oberfaul. Hier ist nur eine Firma, die Postfächer vermietet.“ „Ich habe herausgefunden, dass die Firma nicht einmal im Handelsregister eingetragen ist“, berichtete Jesus. „Und unser guter Harry Zoole hat Unsummen auf ein Konto in Buenos Aires überwiesen.“ „In Argentinien?“ „Was dachtest du – in der Ukraine? Natürlich Argentinien!“ „Der Typ ist wirklich raffiniert“, bemerkte ich. 121
„Er hat auch hier ein Konto“, fuhr Jesus fort. „Bei der Chase-Bank. Da sind ein paar Hunderttausend drauf. Für mich sieht das aus, als hätte er die Leute von der Uni in den letzten Monaten bei der Stange gehalten, indem er ihnen so genannte Renditen von dem Geld gezahlt hat, das sie ihm gegeben haben. Und den Rest hat er fleißig außer Landes geschafft.“ „Was bedeutet“, unterbrach ich ihn, „dass auch Zoole in nächster Zeit verduften wird.“ „Dazu komme ich gleich“, sagte Jesus ungeduldig. „Du wolltest doch wissen, wo seine Frau ihren Urlaub verbringt. Genau da, Kumpel.“ „Buenos Aires?“ „Exakt. Sie ist vor ein paar Tagen abgereist, kurz bevor eure Professorin ermordet wurde.“ „Jesus, pass auf“, sagte ich, als India herkam, um zu hören, was los war. „Ich möchte, dass du überprüfst, ob Zoole schon Tickets gekauft hat.“ „Längst erledigt“, erwiderte Jesus gekränkt. „Er und jemand namens Gabriella Zoole nehmen heute Abend um 20 Uhr 30 den Flug Nummer 403 von American Airlines.“ „Heute?“ „Sag mal, hast du was an den Ohren? Ja, heute um 20 Uhr 30.“ „Jesus, hättest du nicht ein bisschen früher anrufen können? Es ist schon halb sieben!“ 122
„Na hör mal. Ich hab’s eben erst rausgefunden.“ Als ich das Gespräch beendete, hatte India ein Taxi erobert, indem sie sich praktisch vor die Kühlerhaube geworfen hatte. Wir sprangen hinein, und ich schrie: „Zum Flughafen! Sie kriegen den doppelten Fahrpreis, wenn Sie es in der halben Zeit schaffen.“ Der Fahrer, ein runzliger Mann mit einem weißen Turban, betrachtete mich im Rückspiegel. „Was kann ich tun?“, sagte er sorgenvoll. „Straßen voll Verkehr. Aber macht nichts. Ich schnell hinbringen.“ „Sehr gut.“ Ich wandte den Kopf, um etwas zu India zu sagen, doch genau in diesem Moment schoss das Taxi los, machte unter dem ohrenbetäubenden Gehupe der anderen Fahrer eine Kehrtwendung quer über drei dicht befahrene Spuren und raste auf den Eingang des Brooklyn-BatteryTunnels zu. „He!“, rief India. „Wenn Sie uns umbringen, gibt’s kein Trinkgeld!“ „Sie nicht sorgen“, erwiderte der Fahrer mit einem strahlenden Lächeln. „Ich schnell hinbringen!“
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Geldregen Unser Fahrer war einer der letzten echten indischen Taxi-Cowboys. Bisher hatte ich nicht gewusst, dass es schneller ist, New York auf Nebenstraßen zu durchqueren, als im Freitagabendverkehr die Highways zu benutzen. Keine in zweiter Reihe geparkten Autos, keine lästigen Scharen von Fußgängern und auch keine Laster beim Be- oder Entladen störten unsere rasende Fahrt Richtung Flughafen. Und das war auch gut so, denn die Zeit wartet auf niemanden, und internationale Flüge schon gar nicht. Ich wusste, dass die Gesellschaften ihre Fluggäste anwiesen, sich schon einige Stunden vor dem Abflug am Flughafen einzufinden, damit genug Zeit für die Abfertigung und die scharfen Sicherheitskontrollen blieb. Das bedeutete, dass Gaby und ihr Vater vermutlich schon längst am Flughafen waren. Wir konnten nur hoffen, dass wir noch rechtzeitig kamen, um sie aufzuhalten. „Damit wäre das Rätsel wohl gelöst“, bemerkte India. „Zoole hat Dunaway umgebracht, weil sie gedroht hat, seinen Schwindel auffliegen zu lassen.“ „Es sieht zumindest so aus.“ Insgeheim hatte ich 124
Zweifel an dieser Version. Klar, Zoole war ein Betrüger, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass er auch ein Mörder war. Es gab einiges, was gegen Zoole als Mörder sprach, aber es war schwer, sich zu konzentrieren, während unser Taxi im Zickzack um kreischende Fußgänger und hysterische Autofahrer herumraste. „Ja-ha!“, schrie unser Fahrer. „Ich schaffen in 25 Minuten! Neuer Rekord! Ja! Ja!!“ „Sie kriegen Ihren Bonus nur, wenn wir lebend ankommen!“, erinnerte India ihn. „Kein Problem, Miss. Ich sehr guter Fahrer“, versicherte er ihr und machte eine Vollbremsung, um nicht mit einem direkt vor uns stehenden Krankenwagen zusammenzukrachen. „Sorry.“ Er kicherte verlegen und trat das Gaspedal wieder durch. Die Krankenpfleger schrien empört hinter uns her, aber gleich darauf waren sie auch schon aus unserem Blickfeld verschwunden. „Wir sollten Krakowski anrufen“, sagte ich und holte mein Handy heraus. „Wozu? Die hat doch noch nie auf uns gehört.“ „Vielleicht nicht, aber ich halte es für keine gute Idee, dass wir allein versuchen, mit den Zooles fertig zu werden.“ „Was ist mit dem Sicherheitsdienst am Flughafen?“, fragte India. „Die wissen doch nicht, was los ist. Außerdem 125
werden sie wahrscheinlich eher Mr Zoole glauben als zwei verschwitzten Teenagern.“ „Ich verbitte mir, dass du mich als verschwitzt bezeichnest“, gab India grinsend zurück. Ich wählte die Nummer des Polizeireviers und fragte nach Inspektor Krakowski – nur um zu erfahren, dass sie im Einsatz war. „Wann kommt sie wieder?“, fragte ich. „Woher soll ich das wissen?“, kam eine reichlich genervte Antwort. „Kann man nie voraussagen, wie lange so etwas dauert. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?“ „Ja, das will ich. Richten Sie ihr aus, dass Harry Zoole und seine Tochter gerade versuchen, das Land zu verlassen! Sagen Sie ihr, dass sie mit Verstärkung am Schalter von American Airlines am Flughafen antraben soll – und zwar schnell, denn das Flugzeug nach Buenos Aires geht um halb neun! Ach ja, und sie soll versuchen, den Flug bis zu ihrem Eintreffen aufzuhalten!“ „Ich werde es ihr sagen“, versprach der Beamte am anderen Ende, doch er hörte sich ausgesprochen misstrauisch an. „Wie war doch Ihr Name?“ „Quentin Marlon. Sie weiß Bescheid. Rufen Sie sie sofort an! Es ist wirklich dringend!“ „Ich werde mein Bestes tun, aber versprechen kann ich nichts.“ „Ist klar. Danke.“ Ich beendete das Gespräch 126
und seufzte. „Diese Krakowski geht mir sogar auf die Nerven, wenn sie nicht da ist!“ Wir rasten noch immer im Taxi durch New York, doch die Zeit raste auch. „Es ist schon halb acht“, drängte India verzweifelt. „Können wir nicht schneller fahren?“ „Sie wollen schneller?“, fragte unser Fahrer und drehte sich zu uns um. In seinen Augen funkelte der Wahnsinn. „Nur ein bisschen“, verbesserte sich India hastig. „Achten Sie auf die Straße!“, schrie ich. Als wir am Flughafen ankamen, war es nach acht. Mr Zoole und Gaby hatten wahrscheinlich bereits die Sicherheitskontrolle hinter sich und waren schon am Flugsteig. Ich gab dem TaxiRennfahrer ein Zehn-Dollar-Trinkgeld, doch wir blieben nicht lange genug bei ihm, um festzustellen, ob es genug war, um ihn glücklich zu machen. Wir rannten in die Abflughalle und sahen uns hektisch nach den Zooles um. Der Abflugbereich von American Airlines bestand aus zwei Gebäuden, in denen gerade gebaut wurde. Wir merkten bald, dass wir uns im falschen Gebäude befanden, dem für die Inlandsflüge. Also rannten wir wie wild quer durch den ganzen Terminal und wichen den Reisenden und ihrem Gepäck aus, so gut es ging. 127
„Glaubst du, dass die Polizei schon nach ihnen Ausschau hält?“, schnaufte India. „Hoffen wir’s“, keuchte ich. „Und hoffen wir auch, dass der Typ vom Polizeirevier Krakowski gleich erwischt hat.“ Als wir endlich den Bereich des Terminals mit den Auslandsflügen erreichten, suchten wir zuerst auf der Anzeigetafel nach Flugnummer 403. Der Flug sollte pünktlich starten, und zwar von Flugsteig 35. Wieder rasten wir durch die Halle, doch vor dem Eingang zum Flugsteig stoppte uns ein Sicherheitsbeamter. „Kann ich bitte Ihre Tickets sehen? Hier haben nur Passagiere Zutritt.“ Ich setzte gerade dazu an, ihm alles zu erklären, als ich direkt hinter ihm Gaby und Mr Zoole an der Sicherheitskontrolle entdeckte. Zoole griff gerade nach einem Aluminiumkoffer, als sein Blick auf uns fiel. Er schien uns zwar nicht gleich zu erkennen, aber man sah, dass wir ihm bekannt vorkamen. Gaby hatte dieses Problem nicht. Sie schnappte hörbar nach Luft, packte ihren Vater am Handgelenk und zerrte ihn in Richtung Flugzeug. „Der Koffer!“, rief ich, denn ich wusste sofort, was sich darin befinden musste. „Bitte, Sir, Sie müssen uns durchlassen“, flehte India den Wachmann an. „Tut mir Leid“, sagte er. „Ich habe meine An128
weisungen und kann leider keine Ausnahme machen.“ Ich nutzte meine Chance, tauchte nach links ab und rannte in den abgesperrten Bereich, der für ankommende Fluggäste reserviert war. „Hey!“, brüllte ein anderer Wachmann. „Halt! Stehen bleiben!“ Ich dachte gar nicht daran. Und als der erste Wachmann sich umdrehte, um zu sehen, was los war, flitzte India auch an ihm vorbei. Sie stürmte auf mich zu, gefolgt von einem halben Dutzend weiterer Wachleute! Ich konnte die Zooles nirgendwo entdecken. Waren sie schon an Bord? Ich rannte zuerst in Richtung Flugzeug, und tatsächlich, die beiden standen in einer Schlange von Passagieren, die einsteigen wollten. Doch als sie mich sahen, machten sie kehrt und flohen auf die Rolltreppe, die zum oberen Stockwerk mit den Duty-free-Geschäften und Restaurants führte. Ich folgte ihnen, so schnell ich konnte, und nahm auf der Rolltreppe immer zwei Stufen auf einmal. Fast oben angekommen, schrie ich India über die Schulter zu: „Schneid ihnen unten in der Halle an der anderen Rolltreppe den Weg ab!“ „Das sagst du mir jetzt“, schrie sie zurück, drehte sich aber um und rannte unter großen Schwierigkeiten die aufwärts führende Rolltreppe wieder 129
hinunter. Unsere Verfolger hatten es anscheinend aufgegeben und holten Verstärkung. Natürlich tat India mir Leid, doch meine Idee erwies sich als Geistesblitz. Meine Rolltreppe befand sich an dem einen Ende der großen Halle, und ich vermutete, dass am anderen Ende auch eine war. Wenn das stimmte, konnten wir die Zooles zwischen uns in die Zange nehmen. Und tatsächlich, als ich oben ankam, verschwanden die beiden gerade am hinteren Ende der Ladenzeile auf der abwärts führenden Rolltreppe, doch plötzlich änderten sie die Richtung und rannten wieder aufwärts. Als sie mich oben entdeckten und merkten, dass sie in der Falle saßen, erstarrten sie für einen Augenblick. Genau in diesem Moment traf India bei ihnen ein und entriss Mr Zoole den Koffer. Das schien Mr Zooles Lebensgeister wieder zu wecken. Er achtete nicht länger auf mich, sondern rannte die Rolltreppe hinunter hinter India her. India bog scharf ab und hechtete auf die aufwärts führende Rolltreppe, und als wir uns begegneten, warf sie mir den Koffer zu, womit die Zooles offenbar nicht gerechnet hatten. Jetzt mussten sie die aufwärts führende Rolltreppe wieder hinunterrennen, und als sie unten ankamen, hatte ich längst Gas gegeben und sprintete quer durch die riesige Halle. Die Uniformierten 130
hatten sich in einer Reihe vor dem Ausgang postiert. Ich bremste abrupt vor ihnen ab, und Harry Zoole krachte in mich hinein. Der Koffer flog mir aus der Hand, knallte an den Monitor mit den Abflugzeiten und platzte auf. Auf einmal regnete es Geld. Hunderte von Banknoten flatterten durch die Luft, und von überall kamen Leute angestürmt und grapschten wie wild nach den Scheinen. Ich suchte in dem Chaos nach Zoole, konnte ihn aber nirgends entdecken. Es dauerte eine Weile, bis ich mich aus dem Gewirr gierig zugreifender Hände freigekämpft hatte. Mein erster Blick galt dem Ausgang. Da waren Harry und Gaby, die Hände hochgereckt, umgeben von mindestens einem Dutzend Polizisten mit gezogener Waffe. Hinter mir war das Wachpersonal des Flughafens damit beschäftigt, die Schatzsucher wegzuzerren und von Zooles Beute zu retten, was noch zu retten war. India kam angerannt, grinste und schlug mir auf die Schulter. „Coole Vorstellung, Quentin“, lobte sie. Ein junger Polizist löste sich aus der Gruppe. Er steckte seine Waffe weg und lächelte. „Inspektor Krakowski schickt mich“, sagte er. „Sie erwartet euch auf dem Revier. Und sie hat noch gesagt, dass ihr beide gute Arbeit geleistet habt.“ 131
„Wie bitte?“, fragte ich. Ich hatte ihn sehr wohl verstanden, aber das wollte ich noch ein zweites Mal hören.
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Eine Falle für den Mörder Krakowski schien wirklich ausnahmsweise zufrieden mit uns zu sein, doch leider war sie es auch mit sich selbst. Ich muss gestehen, dass ich dabei ein ungutes Gefühl im Magen hatte. Seit dem Telefonat mit Jesus war jede Menge Adrenalin durch unsere Adern geschossen – erst die irre Taxifahrt mit dem durchgeknallten Inder und dann noch die hektische Jagd durch die Abflughalle. Das alles war so aufregend gewesen, dass wir uns auf der Fahrt zum Polizeirevier gefühlt hatten wie die Könige. Doch jetzt war dieses Hochgefühl wie weggeblasen. „Ihr habt gute Arbeit geleistet“, sagte Krakowski und kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um uns die Hand zu schütteln. „Aber wir waren ohnehin schon an Zoole dran“, fügte sie hinzu. Wahrscheinlich wollte sie uns damit unter die Nase reiben, dass sie ihren Ruf als Superpolizistin nicht zu Unrecht hatte. „Er hatte allen Grund, Dunaway umzubringen. Sie wollte ihn auffliegen lassen.“ Meine Magengegend fühlte sich an, als hätte sie noch einen Tiefschlag kassiert. Krakowski zog mal wieder voreilige Schlüsse – wie immer. Am Tag des Mordes war Jeremiah Jones der Mörder gewe133
sen. Noch gestern Abend war sie überzeugt, dass es Gaby war. Und jetzt Harry Zoole. Als ich zu India hinübersah, legte sie die flache Hand auf ihren Kopf, um mir zu zeigen, dass sich dort etwas tat. Ich beschloss, etwas zu sagen, bevor dieses Affentheater noch weiter ging. „Zoole könnte es natürlich gewesen sein“, begann ich, „aber meinen Sie nicht, dass er zu klug ist, um ausgerechnet eine der Waffen seiner Tochter zu benutzen? Warum sollte er riskieren, dass man seine Tochter des Mordes anklagt?“ Krakowski stand einfach nur da und starrte mich dümmlich an. Dann verhärteten sich ihre Züge. Ich sah, wie sich ihre Schultern verkrampften, als sie die Fäuste ballte. „Machst du Witze?“, fauchte sie. „Genau deshalb wollte er sie doch so schnell außer Landes schaffen!“ Das war ein solcher Schwachsinn, dass ich nicht sofort wusste, was ich dazu sagen sollte. Krakowski nutzte mein Zögern, um energischen Schrittes zur Tür zu gehen. „Ich muss los“, sagte sie. „Zu einer Pressekonferenz im Rathaus.“ Obwohl sie sich bemühte, es zu verbergen, war doch deutlich zu sehen, wie gut ihr der Gedanke an das Lob gefiel, das sie zweifellos einheimsen würde. Und sie wollte ihren Augenblick im Rampenlicht genießen – daran würden unsere lächerlichen Einwände sie ganz bestimmt nicht hindern. 134
„Warten Sie!“, rief ich. „Warum sollte er Dunaway umbringen, wenn er ohnehin vorhatte, mit dem ganzen Geld das Land zu verlassen?“ „Hör mal zu“, erwiderte Krakowski, „in dieser Stadt werden Leute schon für drei Dollar erstochen, ganz zu schweigen von drei Millionen! Gut, er wollte abreisen, aber es war Dunaway, die seinen Betrug durchschaut hat. Sie wusste einfach zu viel, und deshalb hat er sie umgebracht. So war es, und nicht anders.“ „Aber warum sollte er dieses Risiko eingehen?“, konterte ich. „Weil die meisten Kriminellen glauben, dass sie nie erwischt werden“, erklärte Krakowski. Sie betrachtete sich kurz im Spiegel, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und öffnete dann die Tür. „Die meisten von ihnen halten sich für genial. Sie sind richtig blind für die Realität, wenn du verstehst, was ich meine.“ Mit diesen Worten verschwand sie, und India und ich blieben zurück. „Das war’s dann wohl“, sagte India deprimiert. Als ich nicht antwortete, sah sie zu mir auf. „Was ist? Was denkst du?“ „Ich glaube, dass Harry Zoole nicht der Mörder ist.“ „Was?“ „Krakowski sagte doch etwas von wegen ‚blind 135
für die Realität‘. Vielleicht waren alle bisher total blind in diesem Fall. Wir eingeschlossen.“ „Wie meinst du das?“ „Wir haben die ganze Zeit angenommen, dass Dunaway von jemandem erschossen wurde, der draußen vor dem Fenster auf dem Baum gesessen hat.“ „Ja, und?“ „Eine andere Möglichkeit haben wir nie in Betracht gezogen … Aber was, wenn niemand auf diesem Baum war? Was, wenn die Armbrust schon vorher dort befestigt wurde, ausgerichtet auf die Tafel, und der Rückschlag ließ sie dann herunterfallen?“ „Willst du damit sagen, der Mörder hat per Fernbedienung geschossen?“ „Schon möglich. Ein Minisender in einem Kugelschreiber hätte gereicht.“ „Aber er konnte doch nicht wissen, wann er abdrücken soll“, gab India zu bedenken. „Wie hätte er wissen sollen, dass Dunaway in der Schusslinie stand?“ „Nein, er muss es gewusst haben“, versicherte ich ihr. Allmählich ging in meinem Hinterkopf ein kleines Licht auf. „Ich ahne auch, wie er es gemacht hat. Und wer es war.“ Rasch holte ich mein Notizbuch aus der Tasche. Ich musste mir unbedingt noch einmal diese 136
Gleichung ansehen. Es musste ein Hinweis darin stecken, einer, den wir bisher übersehen hatten. Ein winziger Hinweis auf die Lösung, versteckt von einem ausgesprochen raffinierten und sehr selbstbewussten Mörder. Ich fand die Stelle wieder, an der ich die Gleichung und ihre Lösung x = 0,0773718 notiert hatte. India und ich starrten auf die Zahlen, bis wir anfingen zu schielen. „Ich sehe immer noch nichts“, stellte India fest. „Warte mal“, sagte ich. „Erinnerst du dich noch, wie Dunaway uns eingehämmert hat, dass wir immer auf fünf Stellen nach dem Komma runden sollen? Das würde bedeuten, dass x gleich 0,07737 ist. Und die Null vor dem Komma kann man weglassen – das macht dann also ,07737! Siehst du, was ich sehe?“ „Mein Gott!“, stieß India hervor. Sie nahm mir das Notizbuch aus der Hand und drehte es auf den Kopf. „LELLO! Es bedeutet Lello. Aber welcher von beiden?“ „Wer weiß?“, erwiderte ich. „Auf jeden Fall war es einer von ihnen. Und wir müssen herausfinden, wer.“ In demselben Augenblick fiel mir noch etwas ein. „Was ist mit Bernadettes Mutter? An sie haben wir noch gar nicht gedacht!“ 137
„Sagte Bernadette nicht, dass sie tot ist?“, fragte India zweifelnd. „Sie sagte nur, dass sie weggegangen ist und nicht zurückkommen wird. Vielleicht leben ihre Eltern getrennt oder sind geschieden.“ „Wir sollten die Lellos anrufen und unauffällig fragen“, schlug India vor. „Ja, und gleichzeitig stellen wir dem Mörder, wer es auch immer ist, eine Falle. Ich weiß auch schon wie.“ Ich holte mein Handy heraus. Die kleinen Zahnräder in meinem Kopf machten Überstunden. In meinem Notizbuch fand ich die Nummer und tippte sie ein. Burton Lello meldete sich. „Hallo?“ „Mr Lello? Hier ist Quentin Marlon – Sie wissen schon, aus Bernadettes Mathekurs. Wir haben uns bei der Teeparty an der Uni kennen gelernt.“ „Oh.“ Er hörte sich eindeutig nervös an. „Ja?“ „Kann ich bitte Bernadette sprechen?“ „Sie muss gleich ins Bett“, sagte er. „Es ist schon nach zehn.“ „Oh, tut mir Leid, dass ich so spät noch störe“, entschuldigte ich mich. „Könnte ich dann vielleicht Sie etwas fragen?“ „Was?“ „Ihre Frau – ist sie … tot?“ Eine ganze Weile herrschte Schweigen, und als 138
Lello dann doch antwortete, bebte seine Stimme. „Sie ist in einer Klinik. Seit drei Jahren. Einer … Nervenklinik.“ „Oh, das tut mir Leid.“ „Schon gut. Meine Frau ist – war ebenfalls hoch begabt, weißt du, genau wie Bernadette. Aber sie hat sich selbst zu sehr unter Druck gesetzt, und eines Tages ist sie daran zerbrochen. Es war schrecklich.“ Wieder entstand eine lange Pause, bevor er hinzufügte: „Deshalb habe ich mir auch Sorgen gemacht, als Professor Dunaway Bernadette so zugesetzt hat. Ich will nicht, dass sie endet wie …“ Er konnte nicht weitersprechen. Ich räusperte mich. „Sind Sie sicher, dass Ihre Frau noch in der Klinik ist?“ „Natürlich. Was ist denn das für eine Frage?“ „Und wann haben Sie sie das letzte Mal besucht?“ „Vor ein paar Monaten. Wenn Sie entlassen worden wäre, hätte man mich zweifellos sofort informiert. Was soll das alles?“ Damit war Bernadettes Mutter als Verdächtige wohl aus dem Rennen. „Würden Sie Bernadette etwas von mir ausrichten?“, bat ich. „Was denn?“ „Sagen Sie ihr bitte, dass Quentin und India ihr danken möchten. Wissen Sie, sie hat uns bei der 139
Aufklärung des Mordes an Professor Dunaway geholfen.“ „Oh …“ Da war sie wieder, die Nervosität in seiner Stimme, diese spürbare Angst. „Ja. Sie hat uns ein paar wertvolle Tipps gegeben. Wir wissen jetzt, wie Dunaway wirklich umgebracht wurde. Wir werden die Polizei bitten, morgen Früh als Erstes den Klassenraum noch einmal gründlich unter die Lupe zu nehmen. Dort befindet sich nämlich etwas Wichtiges, das die Polizei bisher nicht entdeckt hat.“ Ich beendete das Gespräch, bevor er noch etwas sagen oder fragen konnte. Ich hatte den Mörder aufgescheucht und hoffte nun, dass er etwas Dummes tat. „Komm schon“, sagte ich zu India. „Wir müssen zur Uni – aber zackig!“
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Am Ort des Verbrechens Nebel hatte sich über die Stadt gesenkt, und als wir an der Uni aus dem Taxi stiegen, waren die Straßen nahezu menschenleer. In New York gibt es unzählige Viertel, in denen an einem Freitagabend um halb elf das Leben tobt. Aber das Univiertel gehörte nicht dazu. Ein paar vereinzelte Fußgänger hasteten die Straße hinunter, und im Schatten der Hauseingänge lungerten zwielichtige Gestalten herum. Wir hatten auf dem Revier eine Nachricht hinterlassen, dass Krakowski uns hier treffen sollte, aber bevor ihre Pressekonferenz zu Ende war, würde sie garantiert nicht kommen – vielleicht nicht einmal danach. Deshalb hatte ich darauf bestanden, dass der Dienst habende Beamte die Nachricht mit dem Vermerk DRINGEND! versah. Natürlich wusste ich nicht, ob unser Mörder überhaupt auftauchen würde, aber ich wollte für alle Fälle gerüstet sein. Auf dem Gelände der Uni war niemand zu sehen, und angesichts der matt beleuchteten, von Efeu überrankten Gebäude im Stil antiker Tempel hatte ich plötzlich das verrückte Gefühl, als wäre 141
ich gerade aus einer Zeitmaschine gestiegen und im alten Rom gelandet. Plötzlich erschien ein Student in einem langen, hellen Mantel und hastete quer über den Hof. Im Nebel hätte man seinen Mantel genauso gut für eine Toga halten können. Vor uns huschte eine Ratte über den Weg, und wir erstarrten. „Pfui Spinne!“, sagte India. „Um diese Zeit ist es hier ganz schön unheimlich.“ „Ich hoffe nur, dass das Gebäude nicht abgeschlossen ist“, murmelte ich. Ich weiß nicht, wie ich überhaupt auf die Idee kam, dass es offen sein könnte. Und tatsächlich, obwohl in der Halle Licht brannte, waren die Eingangstüren mit einer Kette und einem Vorhängeschloss versperrt. „Vielleicht ist irgendwo eine andere Tür oder ein Fenster offen“, sagte ich. Wir umkreisten das Gebäude und entdeckten an der Nordseite tatsächlich eine Tür, die sogar einladend offen stand. Ich trat ein, sah mich um und zog mich dann schnell zurück. Der Hausmeister war da und fegte den Flur. „Wir können ihn fragen, ob er uns reinlässt“, flüsterte India. „Wir behaupten einfach, wir hätten unsere Bücher oben vergessen.“ „Und wenn er Nein sagt?“ „Guter Einwand. Frag nie um Erlaubnis, wenn die Antwort Nein lauten könnte.“ 142
„Genau.“ Ich nickte bekräftigend. „Also?“ „Also warten wir auf den richtigen Augenblick – und ich glaube, der ist gerade gekommen.“ Der Hausmeister hatte den Besen an die Wand gelehnt und stieß die Tür zum Waschraum auf. „Das ist unsere Chance, India“, raunte ich ihr zu. „Los, schnell!“ Wir rannten um die Ecke und liefen auf die Treppe zu. Im Gegensatz zur Halle war die Treppe unbeleuchtet. Es war stockdunkel, denn das einzige Licht, das ins Treppenhaus drang, war der matte Schein der Laternen vom Hof. Wir tasteten uns hinauf in den zweiten Stock, wo zumindest am Anfang und am Ende des Flurs eine dürftige Notbeleuchtung brannte. Auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut. India klammerte sich etwas zu heftig an meinen Arm. Daran merkte ich, dass auch sie Angst hatte. Aber das wäre wohl jedem so gegangen. Das Gebäude kam uns vor wie eine unheimliche, düstere Gruft. Wir betraten unser Klassenzimmer und begannen mit der Arbeit. Es dauerte eine Weile, alles so herzurichten, wie wir es haben wollten. Ich wusste nicht genau, wo der Mörder das versteckt hatte, was wir suchten, und wir mussten ziemlich lange im Schein unserer Taschenlampen herumstöbern. 143
Gerade, als wir die letzten Kabel angeschlossen hatten, hörten wir die Tür im Treppenhaus zuschlagen. Sofort schalteten wir unsere Lampen aus und gingen hinter ein paar Stühlen in Deckung. Das schwache Licht des Flurs zeichnete sich an der Decke des Klassenraums ab. In dem matten Schein erschien plötzlich ein riesiger Schatten, der etwas trug, das aussah wie eine übergroße Sporttasche. Ich spähte über die Stuhllehne. Vor Überraschung blieb mir die Luft weg. Das konnte doch nicht sein! Die Sporttasche war längst nicht so groß wie ihr Schatten, und dasselbe galt für das kleine Mädchen, das sie trug. Aber in dem geisterhaften Licht sah Bernadette Lello aus wie ein bösartiger Kobold mit einem Sack voller geraubter Schätze. Langsam ging mir ein Licht auf. Ich drehte mich kurz zu India um, die mich mit großen Augen ansah, als wollte sie fragen, ob wir im falschen Film waren. Bernadette ging schnurstracks in den hinteren Teil des Raumes. Wir saßen vollkommen still und hofften, dass sie uns nicht entdeckte – noch nicht. Sie blieb vor einem der beiden Computer an der hinteren Klassenzimmerwand stehen. Aus ihrer Sporttasche holte sie einen Schraubenzieher, mit dem sie geschickt die Lautsprecherabdeckung von einem der Computer abhebelte. Dann griff sie in das Lautsprechergehäuse. 144
„Suchst du deine Kamera, Bernadette?“, fragte ich, und wir beide standen auf und richteten die Lichtkegel unserer Taschenlampen auf ihr erschrockenes Gesicht. Eilig verstellte India Bernadette den Weg zum Ausgang, während ich mit der Taschenlampe an die Decke leuchtete, wo India und ich die winzige Videokamera mit Klebeband befestigt hatten. „Wir haben uns erlaubt, sie zu entfernen – und die Signalübertragung zu beenden.“ „Wovon redet ihr?“, fragte Bernadette, die den ersten Schock überwunden hatte und jetzt wieder ihr gewohnt unschuldiges Kindergesicht zur Schau trug. „Ich rede von der Kamera, durch die du wusstest, wann du die Armbrust auf dem Baum abfeuern musstest.“ India richtete die Fernbedienung, die wir gefunden hatten, auf die drei Monitore, die wir nebeneinander auf dem Lehrerpult aufgestellt hatten. Augenblicklich zeigten alle drei dasselbe Bild: Bernadettes leichenblasses Gesicht, in dem sich zusehends Panik ausbreitete. „Ich verstehe nicht …“ „Doch, Bernadette, das tust du“, widersprach ich. „Zugegeben, ich habe nur eine vage Ahnung von Elektronik, aber du bist ein Genie. Du wusstest genau, wie so etwas funktioniert.“ „Ich weiß gar nicht, wovon du redest“, behauptete sie. 145
„Dann werde ich es dir erklären“, bot ich hilfsbereit an. „Eine gewöhnliche Lichtquelle – zum Beispiel das Abbild dieses Klassenzimmers – wird von einer speziellen Linse in polarisiertes Licht verwandelt, ähnlich einem Laserstrahl. Dieses neue Abbild wird dann elektronisch zu einem Empfänger weitergeleitet und sichtbar gemacht. Kommt dir das bekannt vor?“ „Nein.“ „Mit anderen Worten“, sagte India, „du hast das Abbild dieses Klassenraums auf dem Computer empfangen, vor dem du im Computerlabor gesessen hast.“ „Aber ihr wart doch da!“, protestierte Bernadette. „Wir haben zusammen Matheaufgaben gelöst. Ihr habt den Bildschirm doch selbst gesehen!“ „Ja“, räumte ich ein, „zugegeben, dadurch hast du uns auf eine völlig falsche Fährte gelockt. Deshalb hatten wir eigentlich auch deinen Vater und nicht dich unter Verdacht. Aber es muss wohl so gewesen sein, dass nur du das Bild auf dem Computerbildschirm sehen konntest. Und zwar mit deinem kleinen Spielzeug. Die Brille, die es nur dir erlaubte, das umgewandelte Bild zu sehen.“ „Ich habe sehr empfindliche Augen!“, behauptete Bernadette. „Die Brille ist mir verschrieben worden!“ „Bernadette“, sagte ich kopfschüttelnd. „Wir 146
wissen doch beide, dass das nicht stimmt.“ Ich ging einen Schritt auf sie zu. „India und ich haben uns übrigens erlaubt, das hier aus deiner Kamera zu entfernen.“ Ich zeigte ihr den kleinen schwarzen Kasten, den ich in der Hand hielt. „Den Umwandler.“ Bernadette sah sich hektisch um, und ihr Blick erinnerte mich an den eines gefangenen Tieres. „Ihr … ihr wollt mir doch nur Angst machen!“ „Du warst an diesem Tag schon früh hier“, fuhr ich unbeirrt fort. „Du hast die Gleichung an die Tafel geschrieben, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Du wolltest Dunaway in die Schusslinie locken und zugleich eine Art Visitenkarte hinterlassen, um ihr zu beweisen, dass sie dich unterschätzt hat.“ Bernadette hatte immer noch diesen wilden Blick. „Ach, und wie hätte ich die Waffe abfeuern sollen?“ „Du hast sie schussbereit im Baum festgeklemmt“, erläuterte India. „Und abgeschossen hast du sie per Fernbedienung. Ich vermute, dass der Auslöser in einem Kugelschreiber steckte. Ein Klick, und wumm!“ „An der Armbrust ist kein Empfänger gefunden worden“, sagte Bernadette. „Stimmt“, bestätigte ich. „Das war wirklich clever von dir. Ich weiß nicht genau, wie du das ge147
macht hast, vielleicht mit einer winzigen Sprengladung, die beim Abschuss ausgelöst wird und den Empfänger zerstört? Aber das spielt keine Rolle, denn wir haben auf Video, wie du versuchst, die Kamera aus dem Computer zu holen, in dem du sie versteckt hast. Nur der Mörder konnte wissen, wo diese Kamera ist.“ Bernadette griff in ihre Sporttasche. „Aber eines wisst ihr nicht“, sagte sie. „Als Waffe habe ich nicht nur zufällig die Armbrust gewählt. Und ich habe auch nicht nur eine davon.“ Sie holte eine gespannte Armbrust aus ihrer Tasche und zielte damit direkt auf meinen Kopf. „Quentin, pass auf!“, schrie India. Sie tauchte ab und stieß mich genau in dem Augenblick zur Seite, als der Stahlpfeil dort vorbeischoss, wo gerade eben noch meine Augen gewesen waren. Bernadette lud bereits nach. India und ich rannten zur Tür, als der zweite Schuss kam. Der Pfeil krachte neben uns gegen die geflieste Wand, und Splitter flogen durch die Gegend. „Wie kann sie das Ding so schnell laden und abfeuern?“, keuchte India. „Viel Übung“, schrie ich, als wir den Flur entlangrasten – verfolgt von Bernadette.
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In der Schusslinie Wir stürmten ins Treppenhaus, immer noch gefolgt von Bernadette. „Ich weiß, dass ihr da seid. Eins, zwei, drei – ich komme!“ Unten in der Halle brannte kein Licht mehr. Wir rasten im Dunkeln auf die Tür zu, durch die wir gekommen waren, doch jetzt war sie mit einer dicken Kette verschlossen. Der Hausmeister musste seine Arbeit beendet haben und war wahrscheinlich längst zu Hause. „In den Keller!“, schnaufte ich atemlos. Wir rannten an der Treppe vorbei ans andere Ende der Halle zu einer Tür, hinter der die Kellertreppe lag. Genau in dem Augenblick, als wir durch die Tür stürmten, schoss Bernadette einen weiteren Pfeil ab. Er verfehlte uns nur knapp und krachte neben uns gegen die Wand. Wir hetzten die Treppe hinunter in den dunklen Keller. Außer dem Hämmern meines eigenen Herzens konnte ich nichts hören. Der Keller, in dem ein paar matte Funzeln brannten, war das reinste Labyrinth. Ein Gewirr von Heizungsrohren säumte unseren Weg um Öltanks und gewaltige Brenner. Ganze Bündel von 149
elektrischen Leitungen hingen über unseren Köpfen. „Hier entlang“, keuchte India und rannte los. „Ich hoffe nur, dass Krakowski unsere Nachricht bekommen hat!“, flüsterte ich, kurz bevor wir hörten, wie die Kellertür geöffnet wurde. „Jetzt sitzt ihr in der Falle!“, rief Bernadette. „Ich komme …“ Hinter ihr fiel dröhnend die Kellertür ins Schloss. India und ich gaben uns Mühe, so leise wie möglich die Gänge entlangzuschleichen. Doch in der Dunkelheit rannten wir ständig gegen irgendwelche Dinge, sodass Bernadette immer wusste, wo wir waren. Je tiefer wir in das Gewirr der Gänge vordrangen, desto dunkler wurde es, und wir konnten oft nicht richtig erkennen, was ein Gegenstand war und was ein Schatten. Die Taschenlampen konnten wir nicht benutzen – dann hätten wir uns genauso gut Zielscheiben auf den Rücken malen können. „Das ist eine Sackgasse!“, flüsterte India plötzlich panisch. Wir machten kehrt, wählten einen anderen Weg und warfen alles, was sich bewegen ließ, hinter uns auf den Boden, in der Hoffnung, dass es Bernadette aufhielt. „Quentin!“, hörte ich India keuchen. „Ich will es nicht hören!“ 150
„Das ist wieder eine Sackgasse!“ „India, ich sagte doch, dass ich es nicht hören will!“ Bernadettes winzige Silhouette tauchte vor uns auf, und wir stoppten. Ich erhaschte einen Blick auf einen Stahlpfeil in der gespannten Armbrust. „Schade, dass es nicht geklappt hat, Gaby oder ihrem Vater den Mord anzuhängen“, bemerkte Bernadette, während sie näher auf uns zukam. „Ist auch echt schade, dass ich euch töten muss. Ihr wart so nett zu mir. Wenn ich es mir recht überlege, wart ihr die Ersten, die richtig nett zu mir waren … Wir hätten Freunde werden können.“ „Denk doch einmal nach, Bernadette“, sagte ich. „Du machst alles nur noch schlimmer, wenn du noch einen weiteren Mord begehst.“ Während ich sprach, wichen wir immer weiter zurück, vorbei an drei Meter hohen Kartonstapeln auf der einen und einer Betonmauer auf der anderen Seite. Als wir den an der Wand hängenden Feuerlöscher erreichten, schrie India plötzlich: „Deckung!“ Ich ließ mich fallen wie ein Sack Kartoffeln. India riss den Feuerlöscher von der Wand und sprühte damit blindlings in Bernadettes Richtung. Wolken von Kohlendioxid quollen durch den Raum, und über das Zischen des Feuerlöschers hinweg hörte ich auch das Knallen der Armbrust, bevor 151
Bernadette schreiend zu Boden ging. Ich sprang auf und suchte in meiner Hosentasche nach meiner Minilampe. Mit beiden Händen versuchte ich, das Gas wegzuwedeln, und entdeckte zwei Gestalten auf dem Boden. India saß auf der heftig strampelnden Bernadette, und die Armbrust lag außer Reichweite in ein paar Metern Entfernung. „Hol die Bullen!“, schrie India. „Hol irgendwen! Schnell!“ Doch über uns hörten wir bereits Türen schlagen. Ich half India, Bernadette am Boden zu halten, und wir riefen gemeinsam um Hilfe. Es dauerte nicht lange, bis ein Dutzend Polizisten, angeführt von Inspektor Krakowski, auf uns zugestürmt kamen. Und dann ging flackernd das Licht an. „Bin ich froh, Sie zu sehen, Inspektor!“, seufzte ich. Ich wette, Krakowski hätte nie gedacht, dass ich das jemals zu ihr sagen würde. Als wir gerade in einen der Streifenwagen stiegen, die auf dem Hof parkten, klingelte mein Handy. „Hallo?“ „He, Amigo, ich bin’s, Jesus! Hör dir an, was ich über dieses Wunderkind herausgefunden habe …“ „Zu spät, Kumpel“, sagte ich in mein Handy. „Die Kleine ist gerade verhaftet worden.“ 152
„Oh“, machte Jesus enttäuscht. „Willst du es trotzdem hören?“ „Klar, warum nicht“, meinte ich und rutschte auf dem Rücksitz des Streifenwagens näher an India heran, damit sie mithören konnte. „Also, ich habe mir die Website von dieser Bernadette angesehen und festgestellt, dass sie in nächster Zeit jede Menge Auftritte in Fernsehshows und sogar Werbespots geplant hat. Dieses Kind ist die reinste Goldgrube.“ „War“, verbesserte ich. „War eine Goldgrube. Dieses Kind wird jetzt einen schönen langen Urlaub in einer Erziehungsanstalt verbringen.“ „Ach so“, murmelte Jesus und hielt kurz inne. „Aber ich möchte wetten, dass sie es trotzdem zu was bringen wird“, behauptete er dann. „Sie wird bestimmt Millionen scheffeln. Denkt doch nur an das Buch über ihre Haftzeit! Und dann die Filmrechte!“ Mir lief es eiskalt über den Rücken, als ich mir vorstellte, wie Bernadette sein würde, wenn man sie irgendwann entließ. Jesus hatte Recht. Sie würde zu jemandem heranwachsen, mit dem man rechnen musste – in jeder Beziehung. Ein paar Tage später saßen India und ich wieder an unserem Lieblingsplatz im Park. Unser letzter Besuch lag noch nicht lange zurück, doch inzwischen 153
war es Winter geworden. Es war ein grauer, windiger Tag, und winzige Schneekristalle trieben waagerecht über den Teich, der an den Rändern schon zugefroren war. Die alten Männer hatten ihre Boote zu Hause eingemottet. Wir waren nach der Schule nicht nach Hause oder ins Cosmic Café gegangen, sondern hatten instinktiv den Park angesteuert und waren so lange gelaufen, bis wir unseren Lieblingsplatz erreicht hatten. Wir mussten endlich in Ruhe über alles reden, was vorgefallen war. Dies war der beste Ort dafür. „Weißt du was?“, begann India. „Irgendwie tut Bernadette mir Leid. Eigentlich war auch sie nur ein Opfer.“ „Ach ja?“, machte ich nur und zog fragend die Augenbraue hoch. „Als kleines Kind hat sie wahrscheinlich noch voller Staunen ihre Fähigkeiten entdeckt und fest daran geglaubt, dass die Welt gut ist – bis ihre Mutter den Verstand verlor und ihr Vater anfing, sie unter Druck zu setzen.“ „Ich glaube nicht, dass es allein seine Schuld ist“, gab ich zu bedenken. „Das wäre ein bisschen zu einfach.“ „Kann schon sein. Aber als wir Bernadette kennen gelernt haben, war sie nur noch das professionelle Wunderkind, zu dem ihr Vater sie gemacht 154
hat. Und als Dunaway an ihrem Status als Genie gekratzt hat, ging eine Welt für sie unter. Deshalb musste sie eben umgebracht werden.“ „Und zwar auf eine geniale Weise“, fügte ich hinzu. „Was wieder einmal beweist, dass man seine Intelligenz für Gutes und für Schlechtes nutzen kann.“ „Also, wenn du mich fragst, ist ihr Vater derjenige, der ins Gefängnis gehört. Und damit basta.“ Ich seufzte tief. Jede weitere Diskussion war zwecklos. „Ohne die Gleichung wäre ich nie darauf gekommen, dass es Bernadette war, du etwa?“ „Nur gut, dass wir darauf gekommen sind, bevor wir tot waren“, stellte India fest. „Das ist eben das Tückische am Bösen: Es kann in jedem lauern, sogar in dir oder mir.“ „He, sprich bitte nur von dir!“ „Aber es stimmt doch!“, verteidigte ich mich. „Jeder kann der Böse sein! Jemand, dem du im Supermarkt begegnest, oder einer deiner Nachbarn. Du kannst nie sicher sein, was in seinem Innern vorgeht.“ „Ach, Quentin, das ist doch verrückt!“ Na gut, vielleicht hatte India Recht. Vielleicht sah ich heute wirklich alles ein bisschen zu schwarz … „Hey“, sagte ich grinsend. „Kennst du den Unterschied zwischen Genialität und Blödheit?“ 155
„Nein.“ „Die Genialität endet irgendwo, aber Blödheit ist grenzenlos.“ „Hä?“ „Denk mal darüber nach! Und wenn du das tust, stell dir Krakowski vor.“ India begann zu lächeln und legte den Arm um mich. Ich erkannte sofort, was sie jetzt wollte: einfach spazieren gehen und nur noch an nette Dinge denken, wie die bevorstehenden Weihnachtsferien oder die vielen Geschenke, die wir bekommen würden. Also hielt ich zur Abwechslung die Klappe und ließ meinen Blick über die beeindruckende Skyline schweifen und sah den braunen Blättern nach, die durch die Luft wirbelten.
Bereits in der Highschool begann Paul Zindel, kleine Geschichten und Theaterstücke zu schreiben. Trotzdem arbeitete er nach dem Studium zuerst einige Jahre als Chemielehrer, bevor er sein Hobby zum Beruf machte. In der Zwischenzeit ist er einer der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren Amerikas und wurde unter anderem mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Paul Zindel lebt mit seiner Familie in New Jersey. 156