Wie verrückt vor Eifersucht
Lori Heiter
Es war ein schwerer Schlag für Kay Westbrook, als Steve sie ohne ein Wort der ...
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Wie verrückt vor Eifersucht
Lori Heiter
Es war ein schwerer Schlag für Kay Westbrook, als Steve sie ohne ein Wort der Erklärung verließ. Mit aller Macht hat sie versucht, ihre Gefühle für ihn zu vergessen, was ihr besonders schwer fiel, denn Steve arbeitet in derselben Firma wie sie. Seit Kay mit Sohn befreundet ist, glaubt sie, endlich gegen Steves Charme gefeit zu sein. Völlig unbelastet reist sie zusammen mit ihm nach Irland – nicht ahnend, daß sie dort sogar ihre Hochzeit planen wird…
© 1985 by Lori Herter Unter dem Originaltitel: „Loving Deception“ erschienen bei Silhouette Books, Division of Harlequin Enterprises Limited, in der Reihe ROMANCE Übersetzung: Ingrid Herrmann © Deutsche Erstausgabe in der Reihe NATALIE Band 256 (6*), 1987 by CORA VERLAG GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten einschließlich des Rechtes der ganzen oder teilweisen Reproduktion in jeder Art und Form. Diese Ausgabe wird in Vereinbarung mit Harlequin Enterprises Limited, Toronto, Canada veröffentlicht. NATALIERomane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Axel Springer Verlag AG, Kettwig Druck: Eisnerdruck, Berlin Printed in Western Germany
1. KAPITEL Ausnahmsweise erschien Steve Rawlins an diesem Morgen schon um Viertel nach acht im Unternehmen. Unter dem Arm trug er einen in Geschenkpapier gewickelten Karton. An seinem Büro in der Einkaufsabteilung marschierte er vorbei und begab sich statt dessen geradewegs in die Buchhaltung. Don Edwards, der Vizepräsident des Finanzwesens, war bereits in seinem geräumigen Arbeitszimmer und stöberte in einem der Aktenschränke herum. Steve klopfte an die offene Tür. „Guten Morgen. Sie sind aber früh hier“, grüßte Don lächelnd. Er war Anfang Vierzig und hatte eine Stirnglatze. „Heute ist auch ein ganz besonderer Tag.“ Steve hielt den flachen, rechteckigen Karton hoch. Das bunte Papier zeigte Luftballons in den unterschiedlichsten Farben und Größen. „Ach, das hätte ich beinahe vergessen.“ Don öffnete die Aktentasche, die auf seinem Schreibtisch stand, und holte ein kleines, hübsch verpacktes Päckchen heraus. „Ich bat meine Frau, eine Flasche Parfüm zu kaufen. Wer hat Ihr Geschenk eingepackt?“ Er betrachtete die Schachtel in Steves Hand. „Ich selbst. Mit diesen vorgefertigten Schleifen ist das gar kein Problem.“ Er berührte die große weiße Rosette, die mitten auf dem Karton klebte. „Nicht schlecht“, meinte Don. „Wissen Sie was, ich schließe Kays Büro auf, und wir legen die Geschenke schon mal auf ihren Schreibtisch.“ „Genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.“ Steve grinste und strich sich das volle blonde Haar aus der Stirn. Die Geste stammte noch aus der Zeit, als er das Haar länger trug – teils, weil es modern war, doch in erster Linie, weil er wußte, daß es den Frauen gefiel. Don nahm ein Schlüsselbund aus seinem Schreibtisch und ging damit zum angrenzenden Raum, in dem sich das Büro der Leiterin der Buchhaltung befand. Kay Westbrook hatte fünf Monate zuvor diesen Posten übernommen, nachdem ihr Vorgänger, Ed Muncie, einen Schlaganfall erlitten hatte. Durch einen weitläufigen Korridor von den Büroräumen der leitenden Angestellten getrennt, lag ein modern eingerichteter Saal für Sekretärinnen und Schreibkräfte. Die beiden Männer betraten Kays Büro, das in gedämpften Farben gehalten war. Beigefarbene Wände und brauner Teppichboden. An einer Wand hing das gerahmte Aquarell eines beliebten Künstlers, das die Silhouette Chicagos darstellte. Außer dem Telefon und einem in Leder gebundenen Adreßbuch war die Schreibtischplatte vollkommen leer. Ihre Vorliebe fürs Schmucklose fängt an, krankhaft zu werden, dachte Steve mit einem stummen Seufzer. Während der vergangenen Jahre hatte er beobachtet, wie Kays Garderobe zwar immer teurer, dafür aber um so strenger und schlichter wurde. Und die Einrichtung ihres Arbeitszimmers grenzte ans Spartanische. Er wußte, daß sie aus beruflichen Gründen ihre Weiblichkeit herunterspielte, aber sie versuchte doch nicht etwa, sie ganz zu unterdrücken? Was war nur aus dem warmherzigen, süßen, scheuen Mädchen geworden, das vor fünf Jahren, soeben aus dem College entlassen, in die Firma eingetreten war? Hatte lediglich der Beruf diesen Wandel bewirkt, oder lag es an ihm und an dem, was im ersten Jahr ihrer Begegnung passiert war? Halbherzig hoffte er, er möge nicht der Grund für ihre drastische Veränderung sein. „Was haben Sie ihr gekauft?“ erkundigte sich Don, während er sein Päckchen und eine Glückwunschkarte auf dem Schreibtisch plazierte. Steve lächelte geheimnisvoll und legte sein Geschenk daneben. „Das soll eine
Überraschung werden.“ „Etwas Ähnliches dachte ich mir bereits“, gab Don schmunzelnd zurück. „Sie und Ihre Streiche. Wird sie sich denn wenigstens über das Geschenk freuen?“ „Das bleibt abzuwarten“, entgegnete Steve. Er war davon überzeugt, daß sie ihn für diesen Ulk hassen würde. Doch das störte ihn nicht. Er wollte lediglich, daß sie merkte, worauf er anspielte. Das war ihm wichtig. Gekleidet in eines ihrer grauen Kostüme mit der dazu passenden weißen Bluse, stieg Kay Westbrook aus dem Nahverkehrszug. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, daß es ziemlich spät war. Eilig bestieg sie den Bus, der sie zu dem Bürohochhaus an der Michigan Avenue bringen sollte. Sie setzte sich auf einen freien Platz und nahm den wuchtigen Aktenkoffer mit dem Zahlenschloß auf den Schoß. Es war eine Qual, sich mit einem so unhandlichen Gepäckstück abzuschleppen. Doch da der „Leitfaden für die berufstätige Frau“ einen ledernen Diplomatenkoffer vorschrieb und Kay sich nach den Anweisungen dieses Werkes streng richtete, war daran nichts zu ändern. Und offensichtlich hatte ihr ihre Lektüre genützt. Ihre Garderobe bestand nun im wesentlichen aus klassisch geschnittenen Kostümen in unauffälligen Farben, Schuhen mit halbhohen Absätzen und damenhaft eleganten Hüten. In weiteren sechs Monaten würde sie offiziell die Stelle der Chefbuchhalterin in der Firma Waterfront Imports einnehmen, wenn Ed Muncie nämlich in Rente ging. Zwar erledigte Kay bereits seine Arbeit, doch den Titel durfte sie erst führen, wenn Ed ganz aus dem Unternehmen schied. Dann wäre sie die erste weibliche leitende Angestellte seit Bestehen des Betriebs. Als sie noch Kleider und Blusen in fröhlichen Farben trug, hatte sie es sehr schwer. Obwohl sie einen akademischen Grad in Betriebswirtschaft erworben hatte, betraute man sie im wesentlichen mit den Aufgaben einer Sekretärin. Nun, fünf Jahre später und nach hart erarbeiteten Beförderungen hatte sie ihre eigene Sekretärin, Diane. Nachdenklich schaute Kay hinauf in den wolkenlosen, klaren Frühlingshimmel. Mittlerweile hatte sie sich an ihre zwar wertvolle, aber langweilige Garderobe gewöhnt, doch manchmal sehnte sie sich danach, aus ihrer selbstauferlegten Rolle auszubrechen und etwas Verspieltes, Weibliches anzuziehen, besonders heute an ihrem Geburtstag. Sie wußte, daß auf ihrem Schreibtisch Geschenke und Glückwunschkarten warteten. Und bestimmt würden ihre Kollegen und Kolleginnen sie zum Lunch ausführen. Wie gern hätte sie dann ein Kleid aus einem weichen, fließenden Stoff getragen, das beim Gehen ihre Figur umschmeichelte. Doch wenn sie einmal ihren Wünschen nachgäbe, würde diese Schwäche ihre Autorität untergraben, die sie sich so hart erkämpft hatte. Außerdem, dachte sie, während sie aus dem Fenster den dichten Verkehr beobachtete, ginge sie am Abend ja noch mit John aus. Zur Feier des Tages hatte er sie in ein exklusives französisches Restaurant eingeladen. Für diesen Anlaß konnte sie sich etwas Chic gönnen. Als sie vor Jahren beschlossen hatte, den Anweisungen des Buches zu folgen, das ein Ratgeber für ehrgeizige Frauen auf dem Weg zum beruflichen Erfolg sein wollte, nahm sie sich vor, ihre schmucke Garderobe auf die Stunden im Büro zu beschränken. Abends und an den Wochenenden konnte sie sich kleiden, wie es ihr in den Sinn kam. Doch nach einigen Monaten entdeckte sie, daß ihr die Lust fehlte, sich für John Holloway, ihren Freund, schön zu machen. Häufig holte er sie vom Büro ab und führte sie zum Essen aus, und wenn sie sich an den Wochenenden trafen, gab sie sich einfach nicht mehr die Mühe, an ihrem Aussehen irgend etwas zu ändern.
Was fehlt dir eigentlich? Heute wirst du erst fünfundzwanzig, ermahnte sie sich in Gedanken. Unwillkürlich rückte sie ihren Hut gerade und strich sich das schulterlange dunkelbraune Haar zurück. Sie trug eine schlichte, leicht zu pflegende Frisur. Ganz so, wie es ihr Handbuch für die Karrierefrau empfahl. Als sie sich zwei Jahre zuvor das lange Haar kürzen ließ, um den äußeren Eindruck von Tüchtigkeit und Sachlichkeit zu vervollkommnen, hatte Steve ihr gesagt, sie sähe aus wie seine ehemalige Englischlehrerin. Tiefer hätte er sie gar nicht verletzen können als mit dieser Bemerkung. Sie schloß daraus, daß sie in seinen Augen nicht mehr zu den begehrenswerten Frauen zählte. Obwohl ihr seine Ansicht zu diesem Thema im Grunde gleichgültig sein konnte. Kay zweifelte keine Sekunde daran, daß er sich an diesem Tag einen ganz besonderen Jux für sie ausgedacht hatte. Wahrscheinlich eine leicht anzügliche Geburtstagskarte oder sonst einen kleinen Streich. Im Büro gab es viele Kollegen, die Steve wegen seines ausgeprägten Sinns für Humor mochten. Kay zählte nicht dazu. Im allgemeinen ärgerte sie sich sogar sehr über seine Witze. Doch Steve besaß Persönlichkeit und eine hohe Intelligenz, beides konnte sie ihm nicht absprechen. Außerdem war er sehr zielstrebig. Trotz seiner manchmal hart ans Erlaubte grenzenden Streiche hatte man ihn deshalb bereits vor zweieinhalb Jahren, mit Ende Zwanzig, zum stellvertretenden Einkaufsleiter befördert. Und nie waren die Beziehungen zu den ausländischen Lieferanten besser gewesen als unter seiner Aufsicht. Kay verließ den Bus und betrat das Foyer des Wolkenkratzers. Mit dem Lift fuhr sie zur zwanzigsten Etage hinauf. Als sie sich der Abteilung für Buchhaltung näherte, sah sie das kleine Grüppchen, das sich vor der offenstehenden Glastür zu ihrem Büro versammelt hatte. Auch Steve stand da, lässig gegen den Türrahmen gelehnt. Sie spürte, wie sie sich innerlich ein wenig verkrampfte. Nachdem er sie lange Zeit wie eine beiläufige Bekannte und Arbeitskollegin behandelt hatte, begann er vor einigen Monaten plötzlich, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Hänseleien zu quälen. Sie mußte erst noch lernen, sich gegen die versteckten Sticheleien zu wappnen, die ihm so glatt über die Zunge kamen. „Ah, da ist ja das Geburtstagskind!“ sang Steve. Er war groß, besaß eine sportlich durchtrainierte Figur und sah ungemein attraktiv aus. „Ja, hier bin ich“, gab sie zurück, seinen Tonfall imitierend. Nachdem sie Diane, Don und die anderen Kollegen begrüßt hatte, schritt sie an Steve vorbei in ihr Büro. Lächelnd betrachtete sie die Glückwunschkarten und Geschenke, die auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet lagen. Sie schickte sich an, ein paar Dankesworte zu sagen, als Steve bemerkte: „Wie ich sehe, hast du dich zur Feier des Tages richtig herausgeputzt.“ Kay straffte die Schultern. Sie ahnte, daß dies erst der Auftakt zu einer weiteren Stichelei war. „Tatsächlich? Ich finde, sie sieht aus wie immer“, meinte Don. Steve war ihr ins Büro gefolgt, desgleichen Don und so viele Kollegen und Kolleginnen, wie in den Raum hineinpaßten. „Wo haben Sie denn Ihre Augen? Sie trägt heute eine goldene Krawattennadel. Dreh dich doch einmal um, Kay“, bestimmte Steve. Kay wandte sich um. Ihre weiße Bluse besaß einen Schalkragen, den sie wie eine Krawatte gebunden hatte. In der Mitte des Knotens steckte eine schmale Goldnadel mit einer Perle. John hatte sie ihr zu Weihnachten geschenkt. „Spitze“, äußerte Steve. „Darf ich sie mir vielleicht einmal ausborgen? Zu
meinem dunkelblauen Schlips sähe sie hervorragend aus.“ Am liebsten hätte sie ihm gesagt, er solle den Mund halten, doch sie beherrschte sich und begann, die Glückwunschkarten zu lesen. „Ich freue mich unwahrscheinlich“, begann sie, als ihr plötzlich der Hut vom Kopf gezogen wurde. „Nimm den Hut ab und mach's dir gemütlich“, sagte Steve. Mit dem Hut in der Hand tänzelte er auf den Garderobenständer zu. Ehe er ihn jedoch an einen Haken hängte, stülpte er sich ihn über den Kopf. „Wie steht er mir?“ fragte er grinsend und wandte sich an die kleine Schar von Zuschauern. „Du kannst so etwas tragen“, meinte einer der Männer. Tatsächlich wirkte der graue Hut mit der breiten Krempe sehr männlich. „Aber mit der weißen Feder sehen Sie ein bißchen albern aus“, warf Diane, Kays rothaarige Sekretärin, ein. Ich danke dir, Diane, dachte Kay im stillen und lächelte der jungen Frau zu. Nicht zum erstenmal ergriff ihre schlagfertige, hübsche Sekretärin für sie Partei. Kay hütete sich, bei den üblichen Bürospäßen mitzumachen, besonders, wenn Steve das Wort führte. Sie wollte stets den Eindruck von ruhiger Gelassenheit bewahren. Sie fand, Männern sähe man es nach, wenn sie sich auf witzige Wortgefechte einließen, aber eine Frau im Berufsleben mußte in dieser Hinsicht vorsichtig sein. Sie ging lieber auf Distanz, doch Diane Bower, die ihre Beweggründe zu erahnen schien, stärkte ihrer Chefin den Rücken, wenn Kay selbst es für diplomatischer hielt, zu schweigen. Alle lachten, und Steve nahm den Hut vom Kopf. Als er sich mit den Fingern durch den blonden Schopf fuhr, verspürte Kay einen feinen Stich im Herzen und schaute rasch fort. Alles an Steve war attraktiv, die klaren grünen Augen, die schmale, gerade Nase, das ansteckende, jungenhafte Lächeln doch sein auffallendstes Merkmal war vielleicht das blonde Haar. Als sie sich kennenlernten, trug er es noch länger. Es sah immer wie von der Sonne gebleicht aus, und eine Strähne neigte dazu, ihm in die Stirn zu fallen. Sie erinnerte sich noch gut, wie seidenweich es sich anfühlte… Kay gab sich innerlich einen Ruck. Sie durfte nicht an die Vergangenheit denken und nahm schnell die nächste Karte in die Hand, um sich auf andere Gedanken zu bringen. „Wie wäre es, wenn Sie jetzt die Geschenke auspackten?“ schlug jemand vor. Lachend entgegnete sie: „Die Verpackung ist viel zu hübsch, um sie zu zerstören.“ Auf dem Schreibtisch lagen drei Päckchen, eines von Don Edwards, ihrem Vorgesetzten, eines von Diane, und – wie hätte es anders sein können – eines von Steve. Zuerst öffnete sie Dons Geschenk und fand eine Flasche teuren Parfüms. Nachdem sie sich bedankt hatte, bemerkte Steve: „Ich glaube, so etwas braucht sie gar nicht mehr, Don. Weibliche Vorgesetzte müssen wie eine Aktentasche aus Leder riechen, nicht wie ein Blumengarten.“ Don blickte ein wenig verlegen, und Kay fühlte sich bemüßigt zu sagen: „Wenn ich ausgehe, benutze ich ein Parfüm. Und dieses hier gehört zu meinen bevorzugten Düften.“ Dann wickelte sie Dianes Päckchen aus, das eine hübsche Dose mit englischem Tee enthielt. Schweigend hörte Steve zu, wie Kay sich bei ihrer Sekretärin bedankte. Er dachte noch über Kays Bemerkung nach, sie benutze Parfüm, wenn sie abends ausginge. Für wen tut sie das denn, fragte er sich. Etwa für diesen Burschen Holloway, mit dem sie sich traf? Holloway sah aus wie jemand, der unter chronischen Magenbeschwerden litt. Steves Herz pochte, als Kay sein Geschenk in die Hand nahm.
„Was mag das wohl sein“, fragte sie in skeptischem Ton, der im Kreis der Umstehenden verhaltenes Gelächter erzeugte. Steves Arbeitskollegen waren daran gewöhnt, daß er sie mit seinen Spaßen unterhielt. Und sie rechneten damit, daß er sie auch an diesem Tag nicht enttäuschen würde. „Pack's doch aus“, forderte Steve sie mit gleichgültiger Stimme auf. Er merkte ihr an, daß sie das Geschenk am liebsten ungeöffnet fortgelegt hätte, doch in Anwesenheit der Kollegen mußte sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Er sah zu, wie sie den Karton vorsichtig auswickelte. Endlich hob sie den Deckel von der Schachtel und entfernte die Lage Seidenpapier. Mit unbewegtem Gesicht beobachtete er, wie sie das Bekleidungsstück in die Hand nahm. „Ah“ und „He, he!“ riefen ein paar Männer, als Kay ein hübsches Top mit Spaghettiträgern hochhielt. Dann folgten die erwarteten Lachsalven, als man den Aufdruck las, der quer über dem Busen verlief: Außerdem besitze ich noch Verstand! Steve stimmte nicht in das Gelächter der anderen mit ein. Zufrieden bemerkte er, wie eine feine Röte Kays Wangen überzog. Gott sei Dank war sie noch Frau genug, um rot werden zu können. Heutzutage versteckte sie ihren Busen unter lose sitzenden Kostümjacken, aber wenigstens erinnerte sie sich noch daran, was sie unter dem grauen Flanell verbarg. „Vielen Dank für das Kompliment. Jedenfalls fasse ich das Geschenk als ein solches auf“, versetzte Kay trocken, während sie das Trikot in die Schachtel zurücklegte. „Ja, auf dem Hemd steht, daß Sie Verstand haben“, meinte Ted von der Spedition. „Aber was Sie außerdem noch besitzen, können wir nur erraten. Vielleicht weiß Steve besser Bescheid?“ Nun war Steve an der Reihe zu erröten. Die ständigen Sticheleien, mit denen er Kay aufs Korn nahm, bargen den Nachteil, daß ihre Mitarbeiter sich eigene Gedanken über sie beide machten. Womöglich argwöhnte man bereits, daß mehr dahintersteckte als eine bloße Hänselei unter Berufskollegen, und das hätte ihm gerade noch gefehlt, daß Neugier ihre Situation noch weiter komplizierte. „Was seht ihr mich so an?“ erwiderte Steve scheinheilig, die Hände wie zur Abwehr erhoben. „Sie haben recht, Kay bietet einen interessanteren Anblick als Sie“, entgegnete einer der Kollegen. Allgemeine Heiterkeit war die Folge. Herb Muldaur, der Präsident der Firma, kam hinzu, um Kay zum Geburtstag zu gratulieren. Seine Sekretärin teilte ihr mit, daß die gesamte Abteilung um halb eins mit ihr in ein nahegelegenes Restaurant zum Essen gehen wollte. Danach zerstreute sich die Gruppe, und jeder suchte seinen Arbeitsplatz auf. Kay blieb allein zurück. Jetzt konnte sie endlich einen Moment über Steve nachdenken. Der Mann hatte Nerven! Von Woche zu Woche wurde es schlimmer mit ihm. Warum setzte er alles daran, ihre Stellung im Betrieb zu unterminieren? Die amüsierten Blicke und zweideutigen Bemerkungen der männlichen Kollegen waren ihr nicht entgangen. Indem er ihr das Nichts von einem Top mit dem offenbar witzig gemeinten Spruch schenkte, hatte er auf ihre Sexualität angespielt und sie als Lustobjekt dargestellt, ein Umstand, den sie hartnäckig zu vermeiden suchte. Im Laufe der Jahre hatte Kay sich bemüht, das Bild einer Frau zu vermitteln, die außer ihrem Beruf und ihrer Karriere nichts weiter im Sinn hat – und der nichts ferner steht, als zu kokettieren und mit Männern anzubändeln. Weder hielt sie Ausschau nach einem Ehemann, noch liebäugelte sie mit einer Affäre. Ihr Lebensziel war es, eines Tages den Posten einer Vizepräsidentin des
Finanzwesens zu bekleiden. Doch mit einem einzigen provozierenden Geburtstagsgeschenk hatte Steve es geschafft, jeden daran zu erinnern, daß sie eine Frau war, die nicht nur über Intelligenz, sondern auch über körperliche Reize verfügte. Seinem Streich war sie mit soviel Würde und Humor begegnet, wie sie aufbringen konnte, doch ergrimmt dachte sie daran, daß nichts den Schaden, den er angerichtet hatte, wiedergutmachen konnte. Warum hatte er es sich in den Kopf gesetzt, ihr dauernd Steine in den Weg zu legen? In den vergangenen Monaten hatte Steve keine Gelegenheit ausgelassen, sie mit irgendeinem Jux zu ärgern. Häufig, wenn sie von der Mittagspause zurückkam, fand sie auf ihrem Schreibtisch eine Rose in einer Vase vor. Diane oder jemand anders erzählte ihr dann, Steve habe sie dorthin gestellt. Jedesmal verschenkte Kay die Rose. Das Buch behauptete, Blumen auf dem Schreibtisch kennzeichneten die Sekretärin, sie wirkten verspielt und feminin. Eine leitende Angestellte hingegen mußte sowohl ihr äußeres Erscheinungsbild als auch ihr Büro so neutral wie möglich halten. Steve kannte ihre Ansichten zu diesem Thema. Sie hatten sich einmal darüber unterhalten, als er sie fragte, warum ihr Büro stets so kahl sei. Kurz darauf hatte er damit begonnen, ihren Schreibtisch zu schmücken. Zu ihrer Beförderung zur Chefbuchhalterin hatte er ihr ein Glas mit Schokoladenherzen geschenkt, die in rotes Stanniolpapier eingewickelt waren. Das Glas trug einen Aufkleber, auf dem stand: „Chefin“. Zusammen mit den anderen hatte sie über das Geschenk gelacht, doch sie wußte, daß Steve sie hatte hänseln wollen. Kay setzte sich an ihren Schreibtisch, holte ein paar Computerausdrucke hervor, an denen sie bereits tags zuvor gearbeitet hatte, und verstaute die Schachtel mit dem Trikot in der untersten Schublade. Sie schickte sich an zu arbeiten, doch bald schweiften ihre Gedanken ab, und sie erinnerte sich an ihren ersten Tag in der Firma… Ed Muncie führte Kay durch das Büro und machte sie mit den ungefähr dreißig Angestellten der Abteilung bekannt. Dabei sah sie Steve zum erstenmal. Er saß hinter seinem Schreibtisch und stand auf, um ihr die Hand zu schütteln. Er lächelte, und für einen Augenblick verlor sie die Fassung. Er sah ungemein attraktiv aus, und sein offenes, freundliches Wesen machten ihn ihr sofort sympathisch. Und den Blicken nach zu urteilen, mit denen er sie verfolgte, während Ed Muncie mit ihr von einem künftigen Kollegen zum nächsten ging, war auch er von ihr sehr beeindruckt. Mittlerweile wußte sie, daß ihr erster Eindruck sie nicht getrogen hatte. Steve besaß eine Vorliebe für elegant gekleidete, gutaussehende Frauen. Kay hatte sich nie für eine außergewöhnliche Schönheit gehalten, doch sie war groß, schlank, und in Fragen der Garderobe besaß sie einen ausgezeichneten Geschmack. Damals waren Kleider ihre Schwäche gewesen, und sie trug stets die neueste Mode. Mit ihrem langen braunen Haar, das sie jeden Morgen auf elektrische Lockenwickler zu drehen pflegte, und einem dezenten Makeup konnte sie hinreißend aussehen. Ein oder zweimal lud Steve sie in der Mittagspause zum Essen ein, danach sahen sie sich regelmäßig. Keine Firmenvorschrift verbot den Angestellten, sich miteinander anzufreunden, aber sie hielten es für besser, ihre Beziehung geheimzuhalten. Kay zweifelte nicht daran, daß einige ihrer Kollegen von dieser Freundschaft etwas ahnten, doch da sie nur zwei Monate dauerte, geriet alles bald in Vergessenheit.
Warum hatte ihre Beziehung so jählings geendet? Bis zu diesem Tag wußte Kay es nicht. An ihr hatte es jedenfalls nicht gelegen. Fast vom ersten Augenblick an war sie bis über beide Ohren in Steve verliebt gewesen. Auch während der Zeit im College hatte Kay keinen festen Freund gehabt, und Steve kam über sie wie ein Naturereignis. Er war unbekümmert und lebenslustig, genau der richtige Gefährte, den sie nach all den Jahren des fleißigen Studierens brauchte. Im Sturm eroberte er ihr Herz. Kay besaß keine Erfahrung mit Männern. Sie interessierte sich mehr für ihre Bücher, und da sie in der Schule und später auf dem College in Examen meist besser abschnitt als ihre männlichen Kollegen, hielt allein dieser Umstand viele davon ab, sich mit ihr anzufreunden. Sie bildete sich hingegen ein, genug Menschenkenntnis zu besitzen, um sicher zu sein, daß Steve ihre Gefühle erwiderte. Aus der Art, wie er sie anlächelte, schloß sie, sie müsse ihm ebenso viel bedeuten wie er ihr. Wenn er sie abends nach einem Rendezvous heimbrachte, nahm er sie in die Arme und küßte sie, als sei sie für ihn die einzige Frau auf der Welt. Im Laufe der Wochen wurde ihre Beziehung immer intensiver. Kay fragte sich, ob sie die Kraft aufbringen würde, ihn abzuweisen, wenn er sie bäte, mit ihm zu schlafen. Ihre Willensstärke wurde nie auf die Probe gestellt. An den letzten gemeinsamen Abend in ihrer Wohnung vermochte sie sich noch lebhaft zu erinnern. Allein der Gedanke daran ließ sie frösteln. Schon zu Anfang ihres Rendezvous hatte sie gespürt, daß Steve von einer fieberhaften Unruhe ergriffen war. Er schien sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen. Bereits bei ihrem vorherigen Treffen hatte sie an ihm eine gewisse Veränderung wahrgenommen. Doch alles schien wieder gut zu sein, als sie auf ihrer Couch saßen und einander küßten. Von Minute zu Minute wuchs seine Leidenschaft. Sie entsann sich, wie erregt sie beide waren, als er seine Hand unter ihre Bluse schob und ihre Brüste liebkoste. Wie sie seinen Mund und sein Kinn küßte, sein Haar streichelte und dann seinen Kopf auf ihren entblößten Busen hinabzog. Während sie leise stöhnte, als seine heißen Lippen über ihre zarte Haut wanderten, hörte sie ihn flüstern: „Ach, Kay, ich begehre dich so sehr. Ich brauche dich…“ Im nächsten Moment schien er sich zusammenzureißen. Er löste sich aus der Umarmung, verlegen und irgendwie bekümmert. Nach einem Blick auf die Uhr meinte er, es sei Zeit, daß er ginge, und ohne viel Aufhebens verabschiedete er sich. Sonst war er an Samstagabenden immer viel länger bei ihr geblieben. Am Sonntag rief er sie nicht an, geschweige denn, daß er sie wie üblich – besucht hätte. Montags im Büro war er zwar höflich zu ihr, ging ihr jedoch im großen und ganzen aus dem Weg. Es war, als hätte er plötzlich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen errichtet. Zu Anfang war Kay gekränkt und verwirrt, glaubte jedoch, alles würde sich wieder einrenken. Als Steve jedoch in der folgenden Woche mit einer attraktiven Blondine im Arm aus der Mittagspause zurückkehrte, stürzte für Kay eine Welt ein. Wie in Trance verrichtete sie ihre Arbeit, und während der Heimfahrt im Zug brach sie in Tränen aus. Niemals fragte sie Steve, warum er sie so plötzlich fallengelassen hatte. Ihr Stolz ließ es nicht zu, und außerdem befürchtete sie, vor ihm ihre mühsam errungene Fassung zu verlieren. Erst nach der Trennung wurde ihr klar, wie tief ihre Liebe zu Steve ging. Sie zermarterte sich das Gehirn, um einen plausiblen Grund für sein Verhalten zu finden, doch ihr fiel einfach keine Erklärung ein.
Kein einziges Mal hatten sie sich gestritten. Im Gegenteil, ihre Beziehung war so harmonisch verlaufen, daß dieser Umstand allein sie hätte stutzig machen sollen. Die Möglichkeit, daß seine Familie ihn beeinflußte, schied aus. Steves Eltern waren tot, und Geschwister hatte er keine. Im Laufe der Zeit lernte es Kay, ihre verletzten Gefühle zu überwinden, und sie konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Beruf. Fast ein Jahr lang traf sie sich mit keinem anderen Mann. Zum einen vermißte sie keinen Freund, zum anderen wagte sie nicht das Risiko einzugehen, ein zweites Mal enttäuscht zu werden. Steve hingegen wechselte unentwegt seine Begleiterinnen. Kay begann sich zu fragen, ob er jemals wirklich etwas für sie empfunden hatte. Sie stufte ihn als einen Playboy ein, der Frauen nur zu seinem Vergnügen brauchte und sich sofort nach einer neuen Freundin umsah, wenn die alte ihn langweilte. Wahrscheinlich hatte er sie genauso benutzt wie die anderen Mädchen, die er hofierte und dann verließ. Ein Jahr verging, und Steve und sie wechselten kaum ein Wort miteinander. Sie sprachen nur über berufliche Dinge, und auch nur dann, wenn es sich nicht umgehen ließ. Es war die Zeit, in der Kay das Buch mit den Ratschlägen für die Karrierefrau entdeckte und sowohl ihr Aussehen als auch ihr Benehmen veränderte. Ihre weiblichen, schmeichelnden Kleider wichen streng geschnittenen Kostümen, im Umgang mit Männern gab sie sich betont sachlich und resolut. Sie gewöhnte es sich ab, bei jeder Gelegenheit zu lachen oder zu lächeln. Sie wollte ein Flair von Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit ausstrahlen, auf ihrem Weg zum beruflichen Erfolg brauchte sie Ansehen und Autorität. Ihr Buch schrieb vor, daß eine Buchhalterin, die in ihrem Beruf voran kommen wollte, die besten Chancen hatte, wenn sie graue Kostüme, weiße Blusen und eine große Aktentasche trug. Mittlerweile besaß Kay vier qualitativ hochwertige Kostüme in verschiedenen Grauschattierungen und eine Auswahl weißer Blusen. Ihr fiel auf, daß ihr Leben gleichermaßen grau geworden war, doch diesen Gedanken unterdrückte sie lieber. Ihre klassische aber phantasielose Garderobe erfüllte ihren Zweck, und sie hatte nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Im Lauf der Zeit verzichtete Steve schließlich darauf, ihr aus dem Weg zu gehen. Statt dessen behandelte er sie mit der gleichen Freundlichkeit, mit der er allen anderen Arbeitskollegen begegnete. Offenbar hatte er vergessen, was zwischen ihnen einmal gewesen war. Warum auch nicht? Er traf sich weiterhin mit hübschen Frauen, schien jedoch keine Beziehung ernst zu nehmen. Die Freundinnen wechselten ständig, und an weiblicher Begleitung mangelte es ihm nie. Erst während der letzten sechs Monate hatte er sein Verhalten Kay gegenüber abermals geändert, indem er sie als Zielscheibe für seine Streiche benutzte. Sie wußte nicht, warum er diese seltsame Art von Humor an ihr erprobte, doch seine Einfälle war sie von Herzen leid. Obwohl er sogar noch attraktiver aussah als früher, fühlte sie sich nicht länger zu ihm hingezogen. Im Gegenteil, mittlerweile fand sie ihn abscheulich. In ihre Gedanken hinein schrillte das Telefon. Sie hob ab. „Kay? Ich bin's, John.“ „Guten Morgen, John“, grüßte sie. Automatisch nahm ihre Stimme eine höhere Tonlage an, weil sie sich unbewußt als Frau angesprochen fühlte. „Ich wollte nur nachfragen, ob es bei heute abend bleibt. Ist es dir recht, wenn ich dich gegen halb sechs vom Büro abhole?“ „Natürlich.“ „Gut. Ach so… herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“
Sie lachte. „Danke“, erwiderte sie fröhlich. „Wir sehen uns dann um… Moment,
warte mal… ich wollte vorher zu mir nach Hause und mich umziehen.“
„Das dauert doch viel zu lange. Für mich bist du hübsch genug.“
„Na schön“, gab sie ein wenig enttäuscht nach. Sie hätte früher daran denken
müssen und sich ein Kleid und andere Schuhe ins Büro mitnehmen sollen. Und da
sie in der Mittagspause mit der ganzen Abteilung zum Lunch ging, konnte sie sich
nicht rasch in der Boutique nebenan etwas Hübsches kaufen.
„Bis heute abend dann“, sagte John.
„Ich freue mich schon“, entgegnete sie lächelnd und hängte ein.
„Meine Güte. Wie aufgeregt du bist“, sagte eine leise Stimme von der Tür her.
Sie blickte hoch. Es war Steve. „Aufgeregt?“ wiederholte sie kühl.
„Sieht ganz danach aus, als hättest du heute abend ein interessantes
Rendezvous.“ Steve kam einen Schritt ins Büro hinein und lehnte sich mit dem
Rücken gegen die Glastür.
„John geht mit mir zum Essen aus“, entgegnete sie. Sie wunderte sich über
Steves Neugier.
„Das muß ja ein tolles Restaurant sein, wenn du sogar mit dem Gedanken
spieltest, dich umzuziehen.“
Sie seufzte. Jetzt fängt er schon wieder an, dachte sie. „Wir wollen das
französische Restaurant ausprobieren, das erst kürzlich in der Ohio Street
eröffnet wurde.“
„Donnerwetter!“ Steve tat beeindruckt. „Ich wußte gar nicht, daß Buchhalter
bereit sind, für ein Essen so viel Geld auszugeben.“
„Wie du weißt, ist John Mitinhaber einer gutgehenden
Steuerberatungsgesellschaft und nicht ganz ohne Vermögen.“
„Das kann ich mir vorstellen. Er trägt auch immer Grau, wenn er auf
geschäftlichen Erfolg abzielt. Ihr beide gebt ein gutes Paar ab.“ Sein Blick
wanderte über ihre Kostümjacke.
Seltsamerweise schien Steve genau zu wissen, mit welchem Mann sie befreundet
war, doch normalerweise enthielt er sich jeden Kommentars. Aus irgendeinem
unerfindlichen Grund hegte er jedoch eine tiefsitzende Abneigung gegen John
Holloway, der Kay oft nach Dienstschluß vom Büro abholte. Kay und John
kannten sich nun schon seit fast einem Jahr, so lange hatte sie noch nie eine
Beziehung zu einem Mann aufrechterhalten.
„Kommst du aus einem bestimmten Grund zu mir?“ fragte Kay gereizt.
„Ja. Ich wollte nur wissen, ob du den ganzen Vormittag über in deinem Büro zu
erreichen bist. Du hast doch keine Konferenzen, oder?“
„Nein, ich werde hier sein“, gab sie zurück. „Warum fragst du?“
„Ich bekomme Besuch von einem Herrn, den ich dir gern vorstellen möchte. In
ungefähr einer Stunde wird er hier sein“, erklärte Steve in nüchternem Ton.
„Hast du Zeit?“
„Du kannst ihn zu mir bringen. Wer ist es denn?“
„Du erfährst mehr über ihn, sobald er eingetroffen ist.“
„Ist gut.“ Kay fragte sich nach dem Grund für diesen Besuch, doch sie nahm an,
Steve habe nicht genügend Zeit, ihr mehr über diesen Gast zu sagen.
Steve ging, und endlich fing Kay an zu arbeiten. Über die Computerausdrucke
gebeugt saß sie da, als er etwa eine Stunde später wieder in ihrem Büro
erschien.
„Kay? Hier ist der Herr, dessen Besuch ich dir versprochen habe.“
Kay stand auf, als ein gutaussehender junger Mann das Zimmer betrat. Er war
Anfang zwanzig und trug unter einer schicken Lederjacke ein bis zur Brust
offenes Hemd.
Als sie ihn lächelnd begrüßte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, daß sich vor ihrer Tür im Korridor mehrere Mitarbeiter versammelt hatten. Sie warteten offensichtlich auf etwas Bestimmtes. Nur mit Mühe schienen sie sich ein Schmunzeln zu verkneifen. „Sie sind Kay Westbrook? Einen wunderschönen guten Tag“, erwiderte der Fremde strahlend. „Ich heiße Bob, und ich überbringe Ihnen ein gesungenes Glückwunschtelegramm.“ Großer Gott, dachte Kay erschrocken. Natürlich steckte Steve dahinter. „Wie schön“, entgegnete sie und bemühte sich, gelassen zu klingen. Sie hoffte, er möge sein Verschen vortragen und dann rasch wieder verschwinden. Rob wandte sich an Steve. „Geben Sie mir jetzt bitte den Cassettenrecorder. Vielen Dank.“ Steve gab dem jungen Mann den Recorder, und Bob stellte ihn auf Kays Schreibtisch. Dann drückte er auf eine Taste. Geigen erklangen, und mit einer angenehmen Baritonstimme sang Bob das übliche HappyBirthdayLied. Danach hörte die Musik jedoch nicht auf, lediglich die Instrumente wechselten. In einem aufreizenden Rhythmus, untermalt von Trommelklängen, ging die Melodie weiter. „Jetzt kommt meine neue Version. Ich habe sie speziell für sexy Frauen wie Sie entwickelt“, erklärte Bob. Sein Körper begann sich in geschmeidigen, schlangengleichen Bewegungen zu winden, und er streifte die Jacke ab. Kays Kollegen, die durch die offene Tür und die verglaste Wand zuschauten, kicherten und stießen sich gegenseitig in die Rippen. Einen Moment lang war Kay vollkommen fassungslos. Es dauerte eine Weile, ehe sie begriff, was sich vor ihren Augen abspielte. O nein! Ein männlicher StripteaseTänzer! Dafür bringe ich Steve um! Die Jacke landete auf dem Boden. Die Beine gespreizt und mit provozierenden Bewegungen der Hüften entledigte sich Bob seines Hemdes. Zum Vorschein kamen ein tiefgebräunter, muskulöser Oberkörper und kräftige Arme. Er muß sein Leben lang Eisenstangen verbogen haben, dachte Kay nicht ohne eine gewisse Ehrfurcht, während sie langsam auf ihren Sessel sank. Das darf doch nicht wahr sein, stöhnte sie innerlich, als Bob plötzlich, im Gleichklang mit der Musik, die Seitennähte seiner Hose aufriß. Die Hose muß einen Klettverschluß haben, ging es Kay durch den Sinn. Speziell für derlei Vorführungen entworfen. Während ihre Kollegen applaudierten und Bob mit forschen Zurufen anfeuerten, sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel, er möge wenigstens seine winzige Unterhose anbehalten. Mit gekonnten Bewegungen schlüpfte Bob aus den Schuhen. Doch zu ihrer unendlichen Erleichterung hörte Kay, wie die Musik zu einem furiosen Finale ansetzte. Es sah ganz so aus, als bliebe Bobs letztes Bekleidungsstück doch noch an seinem Platz. Beim Schlußakkord indessen tänzelte Bob behende auf sie zu. Er beugte sich über den Schreibtisch, nahm ihr Gesicht in beide Hände, zog es ein wenig nach vorn und drückte ihr einen schmatzenden Kuß auf den Mund. „Alles Gute zum Geburtstag, Kay“, jubelte Bob. Dann ließ er sie los, sammelte seine verstreut umherliegenden Kleidungsstücke ein und hüpfte barfüßig aus ihrem Büro. Ihre Arbeitskollegen spendeten ihm begeistert Beifall. Wie betäubt saß Kay da. Sie brauchte ein paar Minuten um zu begreifen, was sich soeben in ihrem ruhigen, nüchternen Büro abgespielt hatte. Als ihr das volle Ausmaß dessen bewußt wurde, was Steve ihr angetan hatte, begann sie innerlich vor Wut zu kochen. Das zahle ich ihm heim, schwor sie sich. Das muß er mir büßen!
Der Gedanke an ihren verschmierten Lippenstift ließ sie nach einem Papiertaschentuch greifen. Als sie sich den Mund abwischte, kam Steve in ihr Büro marschiert, gefolgt von anderen Kollegen, die noch immer amüsiert schmunzelten. „Ich dachte mir, du würdest dich über ein etwas persönlicheres Geschenk von mir freuen“, meinte Steve. Kay warf das Taschentuch in ihren Papierkorb. „Das war sehr fürsorglich von dir, Steve“, entgegnete sie. „Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür bei dir revanchieren soll.“ Sie strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn, und ihre braunen Augen blitzten. „Laß dir etwas einfallen, Kay“, gab Steve mit unergründlicher Miene zurück. „He, haben Sie sich den Namen und die Adresse des Burschen notiert, Kay?“ rief Ted von der Spedition dazwischen. „Ein toller Kerl. Und küssen kann er auch!“ Die anderen quittierten seine Bemerkung mit ausgelassener Heiterkeit. Nur Steve lachte nicht mit. „Er hat eine gute Stimme, doch für meinen Geschmack ist er ein bißchen zu muskulös“, erwiderte Kay betont lässig. Keiner sollte ihr nachsagen, sie habe keinen Sinn für Humor. „Kay steht mehr auf den bläßlichen, mageren Buchhaltertyp“, warf Steve ein. „Es ist Viertel nach zwölf. Ich schlage vor, wir gehen jetzt alle ins Restaurant.“ Das Restaurant, in dem Tische für die Abteilung reserviert waren, lag eine Straße weiter. Kay ging in Begleitung von Diane und Don und bemühte sich, dem Gespräch zu folgen, während sie sich erst allmählich von ihrem Schock erholte. Sie ignorierte Steve, der dicht hinter ihnen schritt. Bald saßen sie in dem modern eingerichteten Restaurant. Von irgendwoher zauberte Steve ein Bukett, das man anstecken konnte. Er näherte sich Kay, um es ihr zu bringen. Es waren zwei rote Rosenknospen mit etwas Grün, von einer weißen Schleife zusammengehalten. „Da ich weiß, wie sehr du Blumen liebst, wollte ich dir diese kleine Freude machen“, erklärte Steve eine Spur zu höflich. „Das Rot paßt doch ausgezeichnet zu deinem grauen Kostüm.“ Er nahm das Bukett aus der durchsichtigen Schachtel, ging vor Kay in die Hocke und begann, es an ihrem Kragenaufschlag zu befestigen. „Zuerst dachte ich an eine Orchidee, doch dann fand ich, sie sei für grauen Flanell ein wenig zu exotisch.“ „Du überschüttest mich geradezu mit Aufmerksamkeiten, Steve“, entgegnete Kay nicht ohne eine gewisse Schärfe, während sie gleichzeitig zu lächeln versuchte. Sie bemühte sich, nicht darauf zu achten, wie Steve unter ihre Jacke faßte, um die Nadel an den richtigen Platz zu bringen. Trotzdem begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sein blonder Schopf befand sich dicht neben ihrer Schulter, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich plötzlich wünschte, sein Haar zu streicheln. Endlich steckte das Bukett an ihrem Revers, und sie atmete auf, als Steve sich auf seinen Platz setzte. „Ich finde es nett von Steve, Ihnen die Rosen zu schenken“, meinte Ted. Er saß zu Kays linker Seite, ein Kollege mittleren Alters, der sich auch noch über die fadesten Witze freuen konnte. „Ist es ein Friedensangebot, nachdem Steve Sie beim Squashspielen so oft geärgert hat?“ „Das müssen Sie Steve schon selbst fragen“, erwiderte Kay honigsüß. „Ich habe nichts wiedergutzumachen“, verteidigte sich Steve. „Ich kann schließlich nichts dafür, daß Kay eine so schlechte Spielerin ist.“ „Ich nehme noch Unterricht“, wandte Kay sich an Ted. „Eines Tages wird er es bereuen, mich herausgefordert zu haben.“
Nachdem Steve ein paar Monate zuvor erfahren hatte, daß Kay begonnen hatte,
Squash zu spielen, forderte er sie auf, am nächsten Tag in der Mittagspause eine
Partie mit ihm zu bestreiten.
Da Kollegen davon hörten, hielt Kay es für unklug, ihm die Bitte abzuschlagen.
Deshalb stimmte sie zu. Im Laufe der kommenden Wochen spielten sie mehrere
Partien miteinander. Weil sie von diesen Spielen meistens streitend zum Dienst
zurückzukommen pflegten, begannen ihre Kollegen bald, sie damit aufzuziehen.
„Wie wär's, wenn wir morgen wieder gegeneinander anträten?“ fragte Steve nun.
„Drei Sätze, wie immer. Ich wette fünf Dollar, daß du alle drei verlierst.“
„He! Das ist aber ein hoher Einsatz!“ rief Don amüsiert.
Kay verbiß sich eine freche Entgegnung. „Na schön. Die Wette gilt. Mein Lehrer
meint, daß ich Fortschritte zeige. Um die fünf Dollar wird es dir leid tun.“ Sie sah
Steve dabei an.
Er erwiderte ihren Blick aus klaren grünen Augen, sagte jedoch nichts.
Beim Lunch diskutierte man über ein Thema, das zur Zeit von vorrangiger
Bedeutung war: Ob die Firma ihren Sitz in einen Vorort verlegen oder in der
Chicagoer City bleiben sollte. Herb Muldaur, der Präsident, hielt einen Umzug für
vorteilhaft.
Nach mehreren Konferenzen mit leitenden Mitarbeitern des Betriebs hatte er die
Buchhaltung gebeten, die finanziellen Vor und Nachteile einer solchen
Firmenverlegung zu berechnen. In erster Linie beschäftigte sich Kay mit der
Auswertung der Daten, die komplizierte Berechnungen erforderte.
Nun bat man sie um eine Stellungnahme, mehrere Kollegen wollten wissen, in
welche Richtung die Auswertung zielte, doch Kay weigerte sich, etwas zu
verraten.
„Ich bin mit der Statistik noch nicht fertig, und ehe ich nicht sämtliche Umstände
und Fakten berücksichtigt habe, gebe ich kein Urteil ab“, erklärte sie.
„Der Umstand, daß du gern im Stadtzentrum arbeitest, wird dein Urteil doch wohl
nicht beeinflussen?“ zog Steve sie auf. Er selbst befürwortete einen Umzug in
einen der Chicagoer Vororte.
„Das Schöne an Zahlen und Fakten ist, daß man sie nicht beeinflussen kann“,
konterte Kay.
„Ach, hör auf!“ winkte Steve ab. „Jeder weiß doch, daß man mit Statistiken jede
Lüge beweisen kann.“
„Nur, wenn man das Zahlenmaterial fälscht und die Statistik dann Leuten vorlegt,
die nicht verstehen, sie richtig auszuwerten“, widersprach sie.
Steve nickte. „Wie üblich, weißt du auf alles eine Antwort.“ Mit einer Andeutung
von Respekt schaute er Kay an. Seltsamerweise brachte sie dieser Blick leicht
aus der Fassung. Nach all den Teufeleien, die er ihr an diesem Tag angetan
hatte, erwartete sie am allerwenigsten von ihm Respekt.
Nach dem Lunch hatte Kay ihre gute Laune wiedergewonnen. Und um halb sechs,
wie versprochen, tauchte John Holloway in ihrem Büro auf.
„Bist du bereit?“ fragte er lächelnd.
Sie lächelte zurück. „Du bist pünktlich, wie immer. Ja, von mir aus können wir
gleich aufbrechen.“
Auf dem Weg zu den Fahrstühlen begegneten sie Steve. Er sah sie kurz an, dann
wandte er den Blick ab, als seien sie beide Luft für ihn.
Steve wird immer unberechenbarer, dachte Kay, während sie sich bei John
einhängte. Sonst hatte er ihnen immer freundlich zugenickt, wenn sie an ihm
vorbeikamen. Manchmal, wenn sich die Gelegenheit erbot, knüpfte Steve mit
John sogar ein Gespräch an.
Kay wurde dann stets unbehaglich zumute, denn Johns methodischer Geist
arbeitete zu schwerfällig, um auf Steves raschen Witz zu reagieren. Mitunter ließ Steve eine beißende Bemerkung fallen, die John jedoch nie verstand. Kay vermochte nicht zu sagen, warum Steve auf John herabblickte oder warum diese Tatsache sie so sehr störte. Das französische Restaurant war aufwendig in den Farben Rot, Weiß und Gold dekoriert. In ihrem grauen Kostüm kam sich Kay fehl am Platze vor, doch an ihrer Garderobe ließ sich nichts mehr ändern. Sie zog lediglich die Jacke aus, was sie selbst in ihrem eigenen Büro niemals tat. Ihre weiße Bluse war von schlichtem Schnitt, und als einzigen Schmuck trug sie die goldene Nadel mit der Perle. Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, unterhielt sich Kay mit John. John Holloway war Anfang vierzig, groß, dunkelhaarig und von mäßig gutem Aussehen. Jetzt im Frühling litt er, wie jedes Jahr, unter einer Allergie gegen Blütenpollen, und seine Augenränder waren leicht gerötet. Kay wußte, daß er häufig Medikamente nahm, um seine ständig verstopfte Nase zu befreien. Er war ein wenig zu mager, aber recht gut proportioniert, und der graue Nadelstreifenanzug mit der konservativen Krawatte verlieh ihm ein distinguiertes Aussehen. Kay hatte John während eines Seminars über Steuerrecht kennengelernt, das seine Firma veranstaltete. Er war erst kürzlich geschieden worden und brannte nicht darauf, eine neue ernsthafte Bindung mit einer Frau einzugehen. Seine Einstellung paßte Kay sehr gut. Und auf unverbindlicher Basis hatten sie sich miteinander angefreundet. Einer genoß die Gesellschaft des anderen, und wenn keiner von ihnen bestrebt war, die Bindung zu festigen, so störte dies weder Kay noch John. Außer dem üblichen GuteNachtKuß war noch nichts zwischen ihnen passiert. Manchmal fragte sich Kay, woran es liegen mochte, daß sich zwischen ihnen keine Romanze entwickelte, doch sie gab sich nie die Mühe, diesen Gedanken weiter auszuspinnen. Sie war mit dieser Art von Freundschaft zufrieden, was wollte sie mehr? Während sie auf ihr Dessert warteten, zog John ein längliches, schmales Päckchen aus der Innentasche seines Jacketts und legte es vor Kay auf den Tisch. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, sagte er. Lächelnd nahm sie das Päckchen in die Hand. „Ich danke dir, John.“ Dies war wenigstens ein Geschenk, das sie mit freudiger Erwartung auspacken konnte. Sie entfernte das bunte Papier und sah ein Kästchen mit dem Namenszug eines Juweliers. Als sie es öffnete, blickte sie auf eine schmale, wunderschöne, sehr teuer aussehende goldene Uhr. Im ersten Moment verschlug es ihr vor Überraschung die Sprache. „Es ist eine herrliche Uhr, John. Aber… du hättest nicht… Sie muß sehr teuer gewesen sein.“ Ihre Miene wurde ernst. „Mache dir darüber keine Gedanken. Wir beide kennen uns schon sehr lange, Kay. Ich wollte dir nicht irgendwelchen billigen Tand schenken. Dazu bedeutest du mir viel zu viel.“ Sie blickte von der Uhr zu seinem Gesicht. „Nochmals… vielen Dank, John. Die Uhr ist ein richtiges Schmuckstück.“ „Warte. Ich helfe dir, sie umzulegen.“ Er griff nach ihrer linken Hand, nahm ihr ihre alte Uhr ab und vertauschte sie gegen die neue. Kay besaß eine Vorliebe für exklusive Accessoires, doch am liebsten hätte sie die kostbare Uhr gleich wieder abgenommen. Sie fand John sehr sympathisch, doch es widerstrebte ihr, ein so teures Geschenk von ihm anzunehmen.
Sie bedeutete ihm sehr viel, hatte er gesagt. Was genau mochte er damit meinen? Sie war davon ausgegangen, daß beide ähnliche Gefühle füreinander hegten. Plötzlich zweifelte sie an ihrem eigenen Urteil.
2. KAPITEL Bekleidet mit dunkelblauen Shorts und einem weißen Polohemd, betrat Kay das Squashfeld, das Steve für sie reserviert hatte. In einer Hand trug sie den Schläger, in der anderen einen Karton mit Bällen. Einige Monate zuvor hatte jemand in der Nähe ihres Büros ein FitneßCenter eröffnet, und Kay hielt es für eine gute Idee, mit dem Squashspielen zu beginnen. Ohne lange zu überlegen, hatte sie sich für Trainingsstunden angemeldet. Leider wußte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß Steve bereits seit mehreren Jahren Squash spielte. Wie immer, näherte sie sich dem Spielfeld mit Unbehagen. Sie fürchtete sich vor Steves üblichen Bemerkungen über ihr Aussehen, und sie wünschte sich, endlich auch einmal ein Spiel zu gewinnen. Steve wartete bereits auf sie. In den weißen Shorts und dem weißen Tennishemd sah er ungemein sportlich und attraktiv aus. Er war dabei, Übungsbälle gegen die Wand zu schlagen. „Ich hoffe, du erlaubst es, daß ich mich auch ein wenig warmspiele“, sagte sie mit leicht trotzigem Unterton. „Selbstverständlich! Sage mal“, begann er, während er sie von Kopf bis Fuß musterte, „warum trägst du diesen Dreß nicht auch einmal im Büro?“ Ausgiebig betrachtete er ihre langen, wohlgeformten Beine, die schmale Taille und ihren kleinen, festen Busen. „Aus dem gleichen Grund, weshalb du nicht in kurzen Hosen erscheinst“, gab sie schnippisch zurück. „Eins zu Null für dich“, erwiderte er grinsend. Doch gleich darauf verging ihm das Lachen. Kay fiel ihre neue Uhr ein, und sie legte sie in ein Fach, das man eigens für solche Zwecke in die Wand eingebaut hatte. „Ist die neu? Laß mich mal sehen.“ Mit zwei langen Schritten war er bei ihr und nahm die Uhr in die Hand. „Ein Geschenk von deinem Freund?“ Plötzlich klang seine Stimme schroff. „Ja. John hat sie mir zum Geburtstag gegeben.“ „Sehr hübsch. Er fängt an, in dich zu investieren, nicht wahr?“ Kay verzichtete auf eine Antwort. Steve hatte kein Recht, so mit ihr zu sprechen. „Hast du etwa ernste Absichten mit ihm?“ fragte Steve und schaute ihr in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick. Was ging ihn ihr Privatleben überhaupt an! „Wir sind seit einem Jahr miteinander befreundet.“ „Das weiß ich. Was findest du eigentlich an ihm?“ Die Frage empörte sie. „Er ist intelligent, liebenswürdig, rücksichtsvoll…“ „Blutleer und spießig“, ergänzte Steve. „Ich hatte angenommen, du würdest dich schon nach einem Monat mit ihm langweilen.“ „Tatsächlich? Soll ich dir verraten, was mich langweilt? Deine hämischen Bemerkungen über einen Mann, mit dem du nur flüchtig zusammengekommen bist und den du kaum kennst. Was interessiert es dich überhaupt, ob ich mich langweile oder nicht?“ Für den Bruchteil einer Sekunde wandte Steve den Blick ab, dann sah er sie wieder an. „Wir sind alte Freunde. Ich will nur verhindern, daß du dich an einen Mann bindest, der dich nach wenigen Monaten des Zusammenlebens anöden würde.“ Seine Miene spannte sich. „Oder wohnt ihr schon zusammen?“ Angewidert schaute Kay ihn an. „Ich führe einen anderen Lebenswandel als du.“ Steves Züge blieben ernst. „Wenn du diesen Mann lieben würdest, hätte meine
Frage dich nicht beleidigt.“
„Ich lehne es ab, mich über dieses Thema weiter mit dir zu unterhalten“,
versetzte Kay erbost. „Laß uns endlich spielen. Deshalb sind wir ja schließlich
hier.“
„Von mir aus. Du hast den ersten Aufschlag“, gab er nach. Sie nahmen ihre
Ausgangspositionen ein. „Entschuldige, wenn ich vorhin einen wunden Punkt
berührte“, sagte er.
Sie wollte gerade den Ball angeben, hielt jedoch noch einmal inne. „Du hast
keinen wunden Punkt berührt. Ich finde nur, daß du dich in Dinge einmischst, die
dich nichts angehen.“
„Mein Gott, sei doch nicht so empfindlich. Ich habe auch nichts dagegen, wenn
du mir Fragen nach meinem Privatleben stellst.“
„Was gäbe es da zu fragen? Dein Leben ist ein Karussell – jede Woche eine
andere Frau.“
„Übertreibe nicht, Kay. Mein Verschleiß an Frauen ist nicht annähernd so hoch.“
„Was macht eigentlich die Stewardeß, mit der man dich vor einigen Monaten so
häufig sah. Ist sie noch aktuell?“
„Nein.“
„Das dachte ich mir. Du wechselst die Frauen wie Männer das Hemd. Wer ist
denn deine neueste Flamme?“
„Zur Zeit habe ich keine.“
Sie war verblüfft. „Du meinst, im Augenblick gibt es keine Frau, mit der du dich
regelmäßig triffst?“
„Ich meine, daß ich überhaupt keine Freundin habe. Ich bin solo. Ende der
Diskussion.“
„Brauchst du eine Erholungspause?“ stichelte sie.
„Vielleicht.“ Nun klang seine Stimme gereizt. „Du wolltest doch spielen. Also fang
an.“
Kay betrachtete kurz seine undurchdringliche Miene, dann drehte sie sich um und
schlug den Ball. Steve parierte den Aufschlag, und das Spiel ging in raschem
Tempo weiter.
Wie Steve prophezeit hatte, verlor sie alle drei Sätze. Kay spielte noch schlechter
als sonst. Sie wußte, daß ihr Gespräch es ihr unmöglich gemacht hatte, sich zu
konzentrieren.
Als Steve und Kay ins Büro zurückkehrten, erkundigte sich jemand nach dem
Ausgang des Spiels. Bald kamen noch weitere Kollegen. Wie so oft fragte sich
Kay, warum sich jeder im Betrieb für ihre Wortgefechte mit Steve zu
interessieren schien.
„Wie ich schon sagte, habe ich Kay in allen drei Sätzen besiegt“, verkündete
Steve selbstgefällig.
„Also schuldet Kay Ihnen fünf Dollar“, meinte Don. „Hat sie schon bezahlt?“
„Nein, noch nicht.“ Erwartungsvoll blickte Steve sie an.
„Keine Angst, du bekommst dein Geld“, versetzte Kay. Sie schickte sich an, in ihr
Büro zu gehen, wo das Portemonnaie lag, doch auf dem Gang drängten sich die
Kollegen, so daß sie nicht vorbeikam, ohne dabei die Ellenbogen zur Hilfe zu
nehmen.
„Was ist passiert, Kay? Sie haben jeden Satz verloren?“ vergewisserte sich Diane
enttäuscht.
„Ich… ich hatte keine Gelegenheit, mich vor dem ersten Satz aufzuwärmen.
Deshalb klappte nichts“, verteidigte sie sich.
„Das stimmt. Kay ist immer besser, wenn sie vorher richtig aufgewärmt ist“, warf
Steve augenzwinkernd ein. Während die Männer lachten, stieg Kay das Blut in
die Wangen. Schon wieder hatte er ihr eins ausgewischt. Bald würde kein Mensch in der Firma sie noch respektieren. In ihrem Zorn kam ihr plötzlich eine Idee. Sie glaubte zu wissen, wie sie sich wirkungsvoll an Steve rächen konnte. Was diesen Geistesblitz in ihr ausgelöst hatte, vermochte sie nicht zu sagen, vermutlich färbten Steves Streiche mittlerweile auf sie ab. Aber sie wollte ihm mit gleicher Münze heimzahlen. In ihren Augen blitzte der Schalk, als sie sagte: „Tut mir leid, Steve, aber ich habe nicht genügend Kleingeld bei mir, um meine Wettschulden zu bezahlen. Kannst du bis morgen warten?“ „Klar“, erwiderte er. Er mußte immer noch über seinen letzten Witz grinsen. „Danke. Ich verspreche dir, morgen bekommst du, was dir zusteht.“ Er wird sich wundern, dachte sie. Kay schwor sich, Steve ebenso der Lächerlichkeit preiszugeben, wie er es in der letzten Zeit so häufig mit ihr getan hatte. Eine so günstige Gelegenheit für ihre Rache kehrte vielleicht nie wieder. Ehe Kay in den Bus stieg, der sie zum Bahnhof bringen sollte, betrat sie ein kleines Geschäft in der City. Wenn sie gelegentlich in ihrer Mittagspause Einkäufe erledigte, kam sie daran vorbei. Sonst tat sie stets so, als sähe sie die Schaufensterauslage nicht. Es kostete sie eine große Überwindung, doch an diesem Abend ging sie tatsächlich in das Geschäft hinein. Sie betete, kein Bekannter möge sie dabei beobachten. Von der Verkäuferin ließ sie sich eine Auswahl der Ware zeigen, die sie zu kaufen gedachte. Nachdem sie an der Kasse bezahlt hatte, verließ sie den Laden und erstand in einem Geschäft für Künstlerbedarf ein Fläschchen chinesischer Tusche. Vierzig Minuten später saß Kay in dem Nahverkehrszug, der sie in ihren Vorort brachte. Ihre Einkäufe steckten verborgen in der geräumigen Tasche. Sie konnte ein schadenfrohes Lächeln nicht vermeiden, während sie sich in Gedanken jeden einzelnen Schritt ihres Planes zurechtlegte. Sie konnte es kaum noch erwarten. Allein saß Steve am nächsten Morgen in seinem Büro und brütete finster vor sich hin. In der letzten Zeit mochte er sich manchmal selbst nicht leiden. Während der vergangenen Tage hatte er sich Kay gegenüber abscheulich benommen. Es war etwas anderes, ob er sie mit unerwünschten Blumen beschenkte oder ihr Streiche spielte, die sie in ihrer Würde als Frau herabsetzten. Dennoch fand er, er müsse sie irgendwie aufrütteln. Jemand mußte ihr doch begreiflich machen, wie sehr sie sich verändert hatte. Indem sie sich keusch und züchtig gab und sich mit diesem saft und kraftlosen John Holloway angefreundet hatte, verlor sie ihr herzliches, lebensbejahendes Wesen, das bis vor kurzem noch ihr wertvollstes Charaktermerkmal gewesen war. Immerhin, sagte sich Steve in Gedanken, bin ich ihr Freund auch wenn sie es nicht wahrhaben will. Jemand muß sie davon abhalten, arbeitssüchtig zu werden und sich an einen Mann zu binden, der ihrer nicht wert ist. Als er Kay kennengelernt hatte, war sie eine entzückende, warmherzige junge Frau. Steve hielt sich vor Augen, daß Kay nicht für ihn bestimmt sei, doch sie sollte sich nicht an jemanden verschwenden, der sie im Grunde nicht verdiente. Wie dieser Holloway zum Beispiel, dachte Steve voller Abscheu. Im Laufe der Jahre hatte sich Kay mit einer Reihe von Männern getroffen, doch diese Beziehungen dauerten niemals lange. Von keinem ihrer Verehrer hatte Steve viel gehalten. Doch Holloway war bei weitem der schlimmste. Er vermochte es kaum zu fassen, daß sie nun seit einem Jahr fest mit ihm befreundet war. Ein ungutes Gefühl machte sich in Steve breit. Beabsichtigte Kay etwa, diesen
Kerl zu heiraten? Eine sehr kostspielige Uhr hatte er ihr bereits geschenkt. Käme als nächstes ein Verlobungsdiamant? Sie durfte ihn nicht heiraten! Nicht, daß Steve ihr nicht eine Ehe gegönnt hatte, wenn sie darauf aus war. Aber Holloway sollte sie nicht bekommen. Im Geist stellte er sich vor, wie die beiden miteinander ins Bett gingen und sich liebten. Steve runzelte die Stirn. Genauso elend hatte er sich gefühlt, als der Stripteasetänzer Kay geküßt hatte. Er hatte nicht gewußt, daß das mit zum Programm gehörte. Niemals hätte er wissentlich Kay diese Demütigung zugemutet. Steve stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte und rieb sich mit den Händen das Gesicht. Er fühlte sich müde. Er wußte nicht, was ihm fehlte, doch in der letzten Zeit schlief er schlecht. Wahrscheinlich hatten ihn seine Pläne für Kays Geburtstag so sehr in Anspruch genommen, sagte er sich mit einem Grinsen. Trotzdem erklärte dies nicht, warum er manchmal nächtelang wach lag. Er erinnerte sich, daß sein Vater unter Schlaflosigkeit litt, nachdem… Nun, es nützte niemandem, wenn er jetzt daran dachte. Wie war er überhaupt darauf gekommen? Er blickte auf seine Uhr. Viertel nach neun. Vermutlich saß Kay jetzt schon in ihrem Büro. Vielleicht sollte er einmal kurz durch den Korridor schlendern. In diesem Augenblick zog Kay einen dicken braunen Geschäftsumschlag aus ihrer Tasche. Er war sorgfältig zugeklebt, und auf die Vorderseite hatte sie mit Schreibmaschine Steves Namen getippt. Sie verkniff sich ein Lächeln und verließ das Büro. Jeden Mitarbeiter, den sie im Vorbeigehen traf, fragte sie, ob er wüßte, wo Steve sei. „Ich muß meine Wettschulden bezahlen“, erklärte sie, den Umschlag hochhaltend. „Auf jeden Fall ist er schon im Hause“, erwiderte jemand. Wie Kay erwartet hatte, standen die Kollegen auf dem Gang herum, denn jeder wußte, daß ihnen gleich ein interessantes Schauspiel geboten würde. Als Kay Steve erblickte, der aus der Richtung seines Büros auf sie zukam, wedelte sie abermals mit dem Umschlag in der Luft herum und verkündete mit lauter Stimme: „Hier habe ich etwas für dich, Steve.“ Steve lächelte und beschleunigte seine Schritte. In dem blauen Anzug mit dem gestreiften Hemd und einer geschmackvollen Krawatte sah er blendend aus, wie immer. Das blonde Haar war noch glatt zurückgekämmt. Als Steve Kay erreichte, hatte sich bereits ein Grüppchen neugieriger Zuschauer versammelt. Kay gab ihm den Umschlag, wobei sie sagte: „Hier drin sind die fünf Dollar, die ich dir noch von gestern schulde. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, mit einem Scheck zur Bank zu gehen.“ „Bist du knapp bei Kasse? Nein, es macht mir natürlich nichts aus.“ Er nahm ihr den Umschlag aus der Hand. Als er die weiche Füllung ertastete, blickte er neugierig auf. Kay bemühte sich, die gleichgültige Miene beizubehalten. „Nun mach schon auf.“ Steve öffnete den Umschlag und zog etwas Knallrotes, Weiches heraus. „Was kann das sein?“ murmelte er belustigt. „Mein Scheck über die fünf Dollar“, erklärte Kay scheinheilig. Er breitete den Stoff aus. Es handelte sich um einen roten Damenslip, der mit schwarzer Spitze und schwarzen Schleifchen verziert war. Auf der Vorderseite stand mit schwarzer Tusche: Scheck über fünf Dollar, zahlbar an Steve Rawlins. Es folgte Kays Unterschrift. Die Kollegen, die sie umringten, begannen zu lachen. Besonders Diane Bower ergötzte sich an dem witzigen Einfall ihrer Chefin. „Ich möchte dabei sein, wenn Steve den Scheck bei der Bank einlöst“, meinte
Diane mit glühendem Gesicht. Ihre Bemerkung erzeugte einen neuerlichen Heiterkeitsausbruch. Steve errötete, und es schien ihm die Sprache verschlagen zu haben. Kay glaubte schon, sie habe ihn endlich einmal in Verlegenheit gebracht und ihm all die Streiche heimgezahlt, die er ihr in der letzten Zeit gespielt hatte. Doch plötzlich grinste er, strich über die zarten schwarzen Schleifchen am Slip und erwiderte: „Glauben Sie im Ernst, Diane, ich würde den Scheck einlösen? Der Slip ist mir wirklich mehr wert als fünf Dollar. Ich behalte ihn. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mann in Chicago, der sich rühmen kann, eines von Kay Westbrooks Unterhöschen zu besitzen.“ „Ooooooh!“ entfuhr es einigen der Umstehenden, die Steves Schlagfertigkeit bestaunten. Er enttäuschte sein Publikum eben nie. „Wer hätte gedacht, daß sie solche Unterwäsche trägt“, versetzte ein junger Bursche aus der Spedition und lachte entzückt. Nun war Kay an der Reihe, bis unter die Haarwurzeln zu erröten. Ihr Gesicht wurde beinahe so rot wie der Slip, auf den sie ihren Scheck geschrieben hatte. Ihr war gar nicht in den Sinn gekommen, daß der Schuß, den sie gegen Steve abzufeuern gedachte, auch nach hinten losgehen könnte. Sie fühlte sich in einer schrecklichen Klemme. Am liebsten hätte sie beteuert, der Slip gehöre ihr gar nicht und sie habe ihn eigens für diesen Zweck gekauft. Doch sie wußte, daß sie mit Erklärungen alles nur noch verschlimmern würde. Steve hatte es wieder einmal geschafft, sie zu blamieren. In diesem Augenblick beschloß sie, von nun an Steve zu meiden. Sie mußte weiterhin mit ihm zusammenarbeiten, aber sie würde sich nie mehr auf Wortduelle einlassen, die jeder mitanhören konnte. Mit dem Squashspielen sollte es auch aus sein. Er stand im Begriff, ihr Ansehen und ihren Respekt in der Firma zu untergraben und ihre Position zu gefährden, die sie sich so hart erarbeitet hatte. Das durfte nicht so weitergehen, nicht, wo sie so kurz davor war, Leiterin der Buchhaltung zu werden. „Freue dich darüber, Steve“, gab sie kalt zurück. „Das ist aber auch das einzige, was du je besitzen wirst.“ Sie wandte sich um, während ihre Kollegen lachten und miteinander tuschelten, und ging in ihr Büro. Durch die Tür und die verglaste Wand konnte sie das Grüppchen immer noch sehen, doch wenigstens war kein Wort mehr zu hören. Zum Teufel mit allem Humor, dachte Kay verbittert. Es war ihr gleichgültig, ob man sie von nun an für verknöchert und prüde hielt, Hauptsache, man respektierte sie. Und Respekt zollen würde man ihr – dafür wollte sie schon sorgen. Als Kay nach Hause fuhr, bereute sie ihren Ausbruch von schlechter Laune. In gewissem Sinne hatte sie ihre Niederlage selbst herausgefordert. Sie hätte die Konsequenzen ihrer scheinbar so glänzenden Idee sorgfältiger überdenken müssen. Nun, sie war auch nur ein Mensch und konnte sich irren. Sie mußte diesen Vorfall vergessen und ihr Bild der sachlichen, tüchtigen Karrierefrau wieder neu aufbauen. Sie hoffte, mit der Zeit würde kein Mensch mehr an ihre Blamage denken. Ihren Schwur, Steve fortan aus dem Weg zu gehen, wollte sie indessen halten. Leicht würde es nicht sein, denn Steve besaß die Gabe, anderen Leuten seine Persönlichkeit aufzudrängen. Doch ihr würde schon ein Weg einfallen, wie sie ihn meiden konnte, ohne bei den anderen Kollegen in den Ruf zu gelangen, unfreundlich und unnahbar zu sein.
Es war ein Jammer, überlegte sie in einer Anwandlung von Erinnerungsschmerz. Einmal hatte sie Steve sehr geliebt. Alles hätte ganz anders kommen können, wenn… Diesen Gedanken dachte sie besser nicht zu Ende, ermahnte sie sich. Steve hatte mit ihr Schluß gemacht, aus Gründen, die nur er allein kannte. Und nun wollte sie ihn endgültig aus ihrem Leben streichen. Spät nachts konnte Steve immer noch nicht einschlafen. Rastlos stand er vom Bett auf, knipste das Licht an und trat an die Kommode. Schmunzelnd betrachtete er den roten Slip, den er dort hingelegt hatte. Wer hätte Kay diesen Einfall zugetraut? Diese Art von Streiche paßte gar nicht zu ihr. Wenigstens hatte Holloway ihr nicht jeden Sinn für Komik genommen. Steve bereute es, daß er Kay an diesem Vormittag so wütend gemacht hatte. Er hätte den Mund halten und sie die Runde gewinnen lassen sollen, aber die Bemerkung war ihm spontan eingefallen, und er konnte nicht widerstehen, sie auch auszusprechen. Seine Schlagfertigkeit hatte ihm dieses Mal keinen guten Dienst erwiesen, auch wenn er seine Arbeitskollegen köstlich unterhalten hatte. Ihm war nicht entgangen, wie tief verletzt sich Kay fühlte, und er hatte wirklich nicht die Absicht gehabt, sie zu kränken. Im Geist sah er noch einmal ihr Gesicht. Wenn sie sich ärgerte, wurden ihre Augen immer dunkel und glitzerten. Und Kay konnte so übermütig sein, wenn sie wollte. Warum bedeutete ihr ihre verflixte Karriere denn so viel? Warum trat sie immer so gedämpft und reserviert auf, veränderte ihre gesamte Persönlichkeit? Er wünschte sich die alte Kay von früher zurück… Wie erstarrt stand Steve da und lauschte dem Echo seiner Gedanken. Ach Gott, stimmte das wirklich? Hatte er sich die ganzen Jahre über etwa selbst belogen? War er denn nicht reifer, vernünftiger geworden? Es mußte doch eine Möglichkeit geben, den verhängnisvollen Weg zu meiden, den sein Vater gegangen war. Steve hatte Kay nicht erzählt, auf welche Weise seine Eltern gestorben waren. Es war ein Thema, über das er nicht gern sprach. Seine Mutter war einer unheilbaren Krankheit erlegen, und Carl Rawlins starb bei einem Unfall, der wahrscheinlich gar keiner war. Er hatte nie aufgehört, um die Frau zu trauern, die er einige Jahre zuvor verloren hatte. Seitdem fand Steve, es sei gefährlich, sein Herz so an einen Menschen zu hängen, ihn so stark zu heben, daß einem das eigene Leben nichts mehr wert schien, wenn man ihn auf die eine oder andere Weise für immer verlor. Als Steve Kay kennenlernte, hatte er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen gefühlt. Die Tiefe seiner Empfindungen erschreckte ihn. Er wußte, er mußte sich von ihr trennen, ehe es zu spät war, ehe er ihr hoffnungslos verfiel. Nun, fünf Jahre später, spürte er, daß er sich immer noch nicht von ihr gelöst hatte. Eine Zeitlang lenkten ihn die Frauen ab, mit denen er flüchtige Beziehungen anknüpfte. Er hatte sich dahingehend geschult, Kay nicht in seine Gedanken dringen zu lassen – das heißt, die Kay, wie er sie zu Anfang gekannt hatte. Erst als sie anfing, ihr Erscheinungsbild und ihr Auftreten zu wandeln, wurde er wieder auf sie aufmerksam. Er sorgte sich um sie und mißbilligte es, was sie sich selbst antat. Zu allem Überfluß mußte auch noch dieser Holloway auftauchen. Ein wehmütiges Lächeln umspielte Steves Lippen. Er hockte sich auf die Kante seines zerwühlten Bettes. Allmählich dämmerte es ihm. Er selbst war bereit, auf Kay zu verzichten, doch die Vorstellung, ein anderer Mann könne sie erobern, vermochte er nicht zu ertragen. Beinahe wünschte er sich, er hätte sie nie kennengelernt. Doch sie waren einander begegnet. Und sie befand sich immer noch in Reichweite. Aber für wie lange noch? Er mußte sich Klarheit darüber verschaffen, was er vom Leben verlangte. Sollte
er das Risiko eingehen und eine Frau über alles lieben, auch wenn dieses Gefühl ihn am Ende verzehren würde? Oder sollte er seinen bisherigen Lebensstil beibehalten, der, das hatte er mittlerweile erkannt, in ihm nur eine Leere zurückließ?
3. KAPITEL „Haben Sie sich in letzter Zeit einmal mit Ed unterhalten?“ wollte Don von Kay wissen, während sie nebeneinander an dem langen Eichentisch im Konferenzzimmer saßen. „Ja, erst gestern noch. Sein Zustand bessert sich ständig, aber er ist immer noch auf einen Rollstuhl angewiesen. Er hat mich mit ein paar Daten versorgt, die unseren Umzug betreffen“, erwiderte Kay. „Es muß schrecklich für ihn sein, nach dreißig arbeitsreichen Jahren nicht mehr zum Dienst kommen zu können“, meinte Don. „Er trägt zwar immer noch den Titel, aber seine Pflichten haben Sie übernommen. Möglicherweise fühlt er sich in seinem Stolz verletzt.“ „Anfangs hat er wohl sehr darunter gelitten“, räumte Kay ein, „aber ich glaube, mittlerweile hat er sich an die Situation gewöhnt. Und er hilft mir, wo er kann…“ Kay schwieg, als Steve seinen Platz direkt ihr gegenüber einnahm. Sie blätterte eifrig in Papieren, die sie bereits vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Mit verstohlenen Seitenblicken behielt sie Steve im Auge. Er unterhielt sich mit den Kollegen, die rechts und links von ihm saßen, vermied es indessen, seine Mitarbeiter gegenüber auch nur anzuschauen. Zwei Wochen war es nun her, seit Kay ihm den roten Slip beschrieben hatte und er sie mit seiner unverschämten Bemerkung in Verlegenheit brachte. Dem Vorsatz, ihm aus dem Weg zu gehen, war sie treu geblieben. Seit jenem Vorfall hatte sie kaum drei Sätze mit ihm gewechselt. Im Grunde fiel es ihr leicht, ihm auszuweichen – weil er seinerseits eine Begegnung mit ihr vermied. Jedenfalls glaubte sie, daß es so sei. Wenn sie im Korridor aneinander vorbeigingen, setzte sie eine unnahbare Miene auf und deutete lediglich einen Gruß an. Er schien ihr Verhalten zu kopieren. Bei der Konferenz in der vergangenen Woche hatte er sich ausschließlich mit dem Vizepräsidenten der Verkaufsabteilung unterhalten und seinen Mitarbeitern kaum ein Wort gegönnt. Dieses Verhalten war untypisch für Steve. Sonst hatte er seinen Kollegen immer etwas zu sagen, und sei es nur eine witzige Randbemerkung oder ein ulkiger Kommentar zu irgendwelchen Dingen. Zielscheibe seines Humors war meistens Kay gewesen. Die Tatsache, daß sie die einzige Frau bei diesen Konferenzen war, versorgte ihn mit nie versiegenden Einfällen. Doch auf diesem Treffen der leitenden Angestellten ignorierte er sie einfach, genau wie bei der Zusammenkunft in der Woche davor. Er schien es sogar vermeiden zu wollen, auch nur ihrem Blick zu begegnen, denn die männlichen Kollegen, die zu beiden Seiten von Kay saßen, behandelte er ebenfalls wie Luft. Kay schluckte krampfhaft, während sie sich niederbeugte, um den goldenen Kugelschreiber aus ihrem Aktenkoffer zu holen. In ihrer Magengrube machte sich ein leeres Gefühl breit. Sie haderte mit sich, weil sie sich durch Steves Verhalten beeinflussen ließ. Doch es erinnerte sie an die Zeit vor fünf Jahren, als Steve sie jählings aus seinem Leben verbannt hatte. Auch damals hatte er sie im Büro einfach übersehen. Und sie hatte Höllenqualen gelitten. Wahrscheinlich war dies der Grund dafür, daß sie sich nun ein bißchen verletzt fühlte, obwohl sie sich eigentlich über die Entwicklung der Dinge freuen sollte. Lediglich die schmerzliche Erinnerung setzte ihr zu, das war alles. Doch insgeheim fragte sie sich, weshalb er sich plötzlich wieder so verhielt wie damals vor fünf Jahren. „Nehmen die Berechnungen noch viel Zeit in Anspruch?“ erkundigte sich Don. „Wie bitte?“ „Sie wissen doch, die Statistiken, ob ein Umzug in einen Vorort vorteilhaft wäre
oder nicht?“ Don bedachte sie mit einem merkwürdigen Blick. „Ach so.“ Sie hätte sich von Steves Benehmen nicht so ablenken lassen sollen. „Ja, es gibt noch einiges zu tun, aber ich komme gut voran.“ „Sie scheinen ja sehr gründlich vorzugehen“, erwiderte Don. Auch ihm schien aufzufallen, wie sonderbar still sich Steve verhielt. Abwechselnd blickte er von Kay zu ihm. Der Präsident trat ein und nahm am oberen Ende des Tisches Platz. Die Konferenz begann. Nach einigen Diskussionen über ziemlich belanglose Probleme mit verschiedenen Kunden brachte Herb Muldaur die geplante Firmenverlegung zur Sprache. „Kay hat Berechnungen für Wheaton, Bolingbrook und einige andere Vororte erstellt. Nun hat Steve mir Oak Brook vorgeschlagen. Bis jetzt schied dieser Vorort als zu teuer aus, aber ich möchte den Vorschlag ruhig noch einmal zur Diskussion stellen. Was meinen Sie? Sollen wir Oak Brook auf Kays Liste setzen?“ Schmunzelnd fügte er hinzu: „ Sie wird mit ihren Berechnungen nie fertig, wenn wir ihre Statistik ständig um neue Vororte erweitern.“ „Oak Brook mag zwar eine teure Gegend sein“, sagte Scott Mason, der Vizepräsident der Verkaufsabteilung, „aber das Geschäftsviertel dort dehnt sich ständig aus. Ich finde, wir sollten Oak Brook nicht einfach übergehen.“ „Vornehmes Pflaster“, warf Don ein. „Aber der ideale Ort“, konterte Steve. „Viele große Betriebe verlegen ihre Büros dorthin. Wenn wir schon einen Umzug planen, sollten wir dann nicht auch Viertel mit einem hohen Mietspiegel berücksichtigen? Hier in der City zahlen wir immerhin auch einen horrenden Mietzins.“ „Einer der Gründe für einen Umzug war doch, daß die Miete in den Außenbezirken niedriger ist“, hielt Don ihm entgegen. „Ich meine, es lohnt sich, Oak Brook in die engere Wahl zu ziehen“, beharrte Steve. „ In der letzten Zeit war ich oft dort draußen und habe mich umgesehen. Das Zentrum entwickelt sich zu einem blühenden Geschäftsviertel.“ „Was hatten Sie denn so häufig in Oak Brook zu suchen?“ fragte Don. „Ich habe mir Häuser angeschaut.“ „Häuser?“ wiederholte Don grinsend. „Für wen?“ „Für mich.“ „Wollen Sie etwa Ihr Junggesellenappartement aufgeben und in ein Haus in einem Vorort ziehen?“ wunderte sich Don. „Für mich wird es Zeit, ein paar ernsthafte Investitionen zu machen. Ich habe lange genug in einem Appartement gewohnt. Und nachdem ich mich gründlich umgeschaut habe, muß ich feststellen, daß ich am liebsten in Oak Brook leben und arbeiten möchte. Gewiß, wenn ich in diesen Stadtteil ziehe, habe ich ein persönliches Interesse daran, daß der Firmensitz dorthin verlegt wird. Aber verglichen mit anderen Gegenden, bietet dieses Viertel ungeheuer viele Vorteile.“ „Hat jemand etwas dagegen, wenn wir Oak Brook auf unsere Liste der in Frage kommenden Vororte setzen?“ erkundigte sich der Präsident. „Ich finde, Steve hat recht. Wir sollten Oak Brook ins Auge fassen, auch wenn es sich um eine teure Gegend handelt“, meinte Scott, ein dunkelhaariger Mann in Steves Alter. „Nun, ich glaube, Sie bekommen wieder Arbeit, Kay“, sagte Herb und lächelte ihr zu. „Das ist in Ordnung“, erwiderte Kay, während sie sich Notizen machte. In Gedanken setzte sie hinzu, daß sie mit ihrem Bericht nie fertig würde. Steve wollte in einen Vorort ziehen? Vielleicht war er aus diesem Grund in der letzten Zeit so ruhig. Vielleicht befaßte er sich mit privaten Plänen. Wahrscheinlich sucht
er ein intimes Plätzchen, um die Abende mit seinen Freundinnen noch besser auskosten zu können, dachte Kay erbittert. „Der nächste Punkt der Tagesordnung ist unsere Reise nach Irland“, fuhr Herb fort. „Meine Sekretärin hat sich mit einem Reiseveranstalter in Verbindung gesetzt, und unsere Geschäftspartner in Irland haben für uns ein paar Gesellschaften und Besichtigungstouren geplant. Das übliche.“ „Ich hoffe, es wird genauso schön wie unsere Spanienreise im vergangenen Jahr“, sagte jemand. „Ich verspreche Ihnen, es wird sogar noch schöner“, entgegnete Herb. „Sie alle nehmen doch Ihre Ehefrauen mit, stimmt's? Außer Steve natürlich und… ach ja, Kay. Es wird Ihre erste Firmenreise, nicht wahr?“ Kay lächelte und nickte. „Ich freue mich darauf.“ „Wir brauchen also überall zwei Einzelzimmer“, bemerkte Herb und machte sich eine Notiz. „Die Firma würde doch viel Geld sparen, wenn Steve und Kay sich ein Doppelzimmer teilten“, schlug Don mit einem vergnügten Augenzwinkern vor. „Was haltet ihr zwei von diesem Plan?“ Sein Blick wanderte zwischen Steve und Kay hin und her. Die meisten der Anwesenden lachten. Kay sah nicht, wie Steve auf diese Bemerkung reagierte, denn sie hielt den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet. „Ich würde es nicht wagen, die zwei zusammen in einem Raum unterzubringen“, verkündete Scott. „Wer kommt dann für den Schaden auf, wenn das Mobiliar zu Bruch geht?“ Schallendes Gelächter. Kay spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie hätte gern gewußt, wie Steve diesen Witz aufnahm, doch sie brachte es nicht über sich, ihn anzuschauen. „Ich glaube, Kay möchte ein Zimmer für sich allein“, meinte Herb. Seine Stimme klang mitfühlend. „Wenn es möglich ist, eines mit einem eisernen Vorhängeschloß!“ hörte Kay sich plötzlich sagen. Irgend etwas veranlaßte sie, Steve wütend anzufunkeln. Sie sah, wie er den eisigen Ausdruck in ihren Augen bemerkte. Seine Miene erstarrte. Dann senkte er den Blick. Er lächelte kaum merklich und nickte, doch kein Wort kam über seine Lippen. Er akzeptierte es, daß der Scherz dieses Mal auf seine Kosten ging. Steve trank einen Schluck von seinem lauwarmen Kaffee und schob den Rest des Abendessens beiseite. Er saß in einem kleinen Restaurant unweit seines Appartements. Dieses Lokal pflegte er regelmäßig aufzusuchen, zwei bis dreimal in der Woche speiste er dort. Doch an diesem Abend vermochte er dem herzhaften, köstlichen Mahl keinen Geschmack abzugewinnen. Seit fast einer Stunde saß er nun hier. Seine Gedanken kreisten um Kay. Ihr eisiger, wütender Blick hatte ihn tief getroffen. In den vergangenen Wochen hatte er oft an Kay gedacht, und während der letzten vierzehn Tage beschäftigte er sich im Geist beinahe unentwegt mit ihr. Er hatte beschlossen, sich endgültig von ihr zu lösen. Denn wenn er seinen Gefühlen für sie nachgäbe, wäre er ihr bald mit Haut und Haaren verfallen – und was dann? Was wäre, wenn er sie plötzlich verlöre… wenn sie ihn verließe… oder ernsthaft erkrankte, wie seine Mutter? Steve hatte niemals daran glauben können, daß der Tod seines Vaters auf einem Unfall beruhte. Er selbst hatte sehr unter dem Verlust der Mutter gelitten, doch sein Vater erholte sich nie wieder von dem Schicksalsschlag. Nach dem Tod seiner Frau war er nicht mehr derselbe. Kein geistig gesunder, intelligenter
Mensch hätte sich so verhalten wie er. Auf einer stark befahrenen Autobahn hielt er an, um einen platten Reifen seines Wagens zu prüfen, und dabei wurde er von einem vorbeibrausenden Lkw erfaßt. Steve hatte von Anfang an vermutet, sein Vater habe dieses Schicksal selbst herausgefordert, weil er ohne seine Frau nicht weiterleben wollte. Wenn Steve seinem Vater glich – und er hatte viel von ihm – dann mußte er sich schützen. Carl Rawlins hatte seine Frau zu sehr geliebt, und Steve befürchtete, er könne sich in der gleichen, verhängnisvollen Weise an Kay verlieren. Aber wie sollte er gegen diese Möglichkeit ankämpfen? Indem er sein Leben weiter führte wie bisher, die Freundinnen ständig wechselte, aus Angst, eine tiefe Bindung einzugehen? Er war diese haltlose, oberflächliche Existenz leid, er sehnte sich nach Stabilität. Aus diesem Grund hatte er beschlossen, sein Appartement aufzugeben und in ein Haus zu ziehen. Sein Vater hatte mit zwanzig geheiratet, und ehe seine Frau von ihm ging, hatte er fünfundzwanzig Jahre lang ein zufriedenes, glückliches Leben mit ihr genossen. War es dann wirklich so tragisch, daß eines Tages eine Katastrophe über ihn hereinbrach? Vorher hatte er doch all die Jahre des Glücks gekannt. Steve zog Bilanz. Er hatte einen guten Beruf und viele Freunde. Doch dies genügte ihm nicht mehr. Im Innern seines Herzens empfand er eine quälende Leere. Lediglich während der kurzen Zeitspanne seiner Freundschaft mit Kay hatte er sich zufrieden und glücklich gefühlt. Er hatte alles versucht, um sie zu vergessen, doch es gelang ihm nicht. Er brauchte sie, und es wurde höchste Zeit, daß er sich diese Tatsache eingestand. Es wäre töricht, jedes Risiko im Leben ausschließen zu wollen. Ja, er wollte Kay, und er mochte nicht länger auf sie verzichten. Er brauchte ihre Liebe, gleichgültig, welche Konsequenzen daraus erwuchsen. Und wenn sie nur ein paar glückliche Jahre miteinander erlebten. Er war zu der Erkenntnis gelangt, daß nur ein gefühlsmäßig toter Mensch unverletzlich war. Und lieber riskierte er es, vom Schicksal hart getroffen zu werden, als seine Seele absterben zu lassen. Versonnen lächelte Steve vor sich hin. Er bedeutete der Kellnerin, sie möge ihm Kaffee bringen, und mit neuerwachtem Appetit begann er zu essen. Doch schon wenige Minuten später beschlichen ihn Zweifel. Wie mochte Kay auf seinen Entschluß reagieren? Wollte sie sich überhaupt von ihm zurückerobern lassen? Hatte er bereits zu lange gezögert? Womöglich liebte sie diesen Holloway. O Gott, dachte er. Er wußte nicht, wie er ihre Abweisung verkraften sollte. Der frostige Blick, mit dem sie ihn an diesem Morgen bedachte, hatte ihm schwer genug zu schaffen gemacht. Würde sie ihn glatt abblitzen lassen, wenn er ihr zu verstehen gäbe, daß er sie immer noch begehrte? Es war Freitag, und Kay atmete auf. Sie brauchte eine Ruhepause von der Arbeit, und außerdem war sie, wie jeden Freitag, mit John zum Dinner verabredet. In letzter Zeit schien sich alles im Büro gegen sie verschworen zu haben. Die Berechnungen über den geplanten Firmenumzug nahmen kein Ende, und ihre Arbeit häufte sich. Außerdem bot Steve ihr neuen Stoff zum Nachdenken. Urplötzlich hatte er sein Verhalten ihr gegenüber abermals geändert. Er mied sie nicht mehr, im Gegenteil, er schien ihre Gesellschaft zu suchen, und anstatt sie mit Sticheleien aufzuziehen, überschüttete er sie mit Freundlichkeiten. Am Tag zuvor hatte er ihr tatsächlich vorgeschlagen, gemeinsam mit ihm essen zu gehen. Zum Glück mußte sie zum Friseur. Nun blickte sie auf die Uhr. Es war vier, und der Dienstschluß rückte näher.
„Kay? Kann ich dich einen Moment sprechen?“
Sie hob den Kopf und sah Steve in der Tür stehen. Seine Stimme klang nüchtern,
geschäftsmäßig, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn in ihr Büro zu bitten.
Lächelnd trat er ein. Er schien kurz zu zögern, ehe er weitersprach. Er wirkte
beinahe schüchtern.
„Bist du für heute fertig mit deiner Arbeit?“ fragte er. Seine Miene und Haltung
verrieten Unsicherheit.
„Ja“, erwiderte Kay. „Was hast du auf dem Herzen?“ Sie wollte zur Sache
kommen. Seine Plaudereien irritierten sie nur.
„Ach, eigentlich nichts besonderes. Ich wollte dich lediglich um einen Gefallen
bitten.“
„Um welchen Gefallen?“
„Ich interessiere mich für ein Haus in Oak Brook. Ich möchte, daß du es
gemeinsam mit mir besichtigst. Es… es geht mir darum, eine zweite Meinung
einzuholen.“
Kay war erstaunt. „ Von Häusern verstehe ich nichts. Ich wohnein einem
Appartement. Warum fragst du nicht Don oder Scott?“
„Weil ich die Meinung einer Frau hören will.“ Er blickte nahezu melancholisch
drein. Kay fühlte sich unbehaglich. Sie hatte nicht die Absicht, sich in Steves
private Angelegenheiten zu mischen.
„Du kennst doch so viele Frauen“, versetzte sie. „Warum bittest du nicht eine
deiner Freundinnen, dich auf diese Besichtigungstour zu begleiten?“
Er blickte zu Boden. „Ich halte sehr viel von dir, Kay. Ich respektiere deine
Ansichten.“
Er schaute ihr wieder ins Gesicht, und der eigenartige Ausdruck in den grünen
Augen machte Kay nervös.
„Vielen Dank, aber…“
„Hast du morgen nachmittag Zeit?“
„Eigentlich nicht…“
„Hast du schon etwas anderes vor?“
„Ja. Ich bin mit John verabredet.“
Er kniff leicht die Augen zusammen und schwieg einige Sekunden. „Um wieviel
Uhr?“
„Er – er holt mich um sieben ab.“
„Aber vorher hättest du Zeit?“
„ Ich muß Wäsche waschen und noch für die Woche Lebensmittel einkaufen.“
„Könntest du das nicht heute abend erledigen?“
„Nein. Freitags führt John mich immer zum Essen aus. In einer Stunde holt er
mich hier ab.“
„Wie wäre es mit Sonntag, oder läßt dieser Mann dir gar keine freie Zeit?“ fragte
Steve gereizt.
Sein Benehmen verwirrte sie, und auf Anhieb fiel ihr keine passende Antwort ein.
„Sieh mal, Steve“, sagte sie nach einer Weile, „das einfachste wäre doch, du
bittest jemand anderen, dich zu begleiten.“
„Ich will aber, daß du dir das Haus ansiehst“, beharrte er.
„Wieso ich?“
Abermals schien er zu zögern. „Ich – ich sagte dir doch bereits, daß ich auf deine
persönliche Meinung großen Wert lege.“
„Du mußt später in diesem Haus wohnen. Was ich davon halte, spielt keine
Rolle.“
Seine Augen blitzten vor Ungeduld. „Wir kennen uns schon sehr lange, Kay. Ich
dachte, wenn ich dich um einen kleinen Gefallen bäte, würdest du ihn mir
erweisen.“
Plötzlich kam sie sich sehr egoistisch vor. „Na schön“, gab sie seufzend nach. Ihr
waren die Argumente ausgegangen. „Morgen nachmittag paßte es mir am
besten. Länger als eine Stunde wird das Ganze doch wohl nicht dauern, oder?“
Steve schien erleichtert zu sein. „Bestimmt nicht. Ist es dir recht, wenn ich dich
um eins abhole?“
„Natürlich.“
„Vielen Dank, Kay. Ich weiß deine Hilfsbereitschaft zu schätzen. Wirklich.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Es macht ja keine Umstände.“
Steve ging, und Kay widmete sich wieder ihrer Arbeit. Nun bereute sie ihre
Zusage, sie hätte hart bleiben und ablehnen sollen. Wie war er überhaupt auf die
Idee gekommen, sich an sie zu wenden? Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte sie
weiterhin ignoriert.
Kurz nach fünf tauchte John Holloway in Kays Büro auf. Vor den Aufzügen trafen
sie Steve, der gleichfalls hinunterfahren wollte. Kay entging nicht der abweisende
Ausdruck in seinem Gesicht. Nach einer knappen Begrüßung betraten alle drei
den Aufzug. Schweigend ließen sie sich nach unten bringen.
Im Foyer hängte sich Kay bei John ein. Während sie Steve hinterhersah, der
raschen Schrittes dem Ausgang zustrebte, wünschte sie sich einen flüchtigen
Augenblick lang, er sei ihr Begleiter und nicht John. Doch gleich darauf ermahnte
sie sich energisch, keinen solchen Unsinn zu denken.
Wie versprochen, holte Steve Kay am Samstagmittag um ein Uhr ab. In seinem
roten Porsche fuhren sie nach Oak Brook. Kay hatte nicht recht gewußt, wie sie
sich für diesen Ausflug kleiden sollte, doch schließlich entschied sie sich dafür,
bei ihrer konservativen Garderobe zu bleiben.
Steve war ein Arbeitskollege, und es gab keinen Grund, weshalb sie sich eigens
für ihn chic anziehen sollte. Also trug sie eines ihrer grauen Kostüme mit einer
weißen Bluse.
Steve schien enttäuscht zu sein, als sie ihm die Tür öffnete. Nachdem er sie von
Kopf bis Fuß gemustert hatte, meinte er:
„Deine Aktentasche brauchst du heute aber nicht mitzunehmen.“
„Das weiß ich.“
„Hast du eigentlich nichts Bequemeres zum Anziehen? Schau mich an.“ Er zupfte
an seinem Kaschmirpullover, den er zu einer verwaschenen Jeans trug, die an
ihm saß wie eine zweite Haut.
Seinen Vorschlag, sich rasch umzuziehen, lehnte sie resolut ab. Als sie in dem
Porsche saß, fand sie insgeheim, daß ihre Kleidung tatsächlich nicht zu dem
sportlichen Wagen paßte.
„Wie war die Verabredung gestern abend?“ fragte Steve.
„Ich habe mich gut unterhalten.“
„Holloway scheint ein anregender und kurzweiliger Gesellschafter zu sein, nicht
wahr?“ stichelte er.
„Er ist sehr gebildet.“
„Findest du ihn auch als Mann aufregend?“
„Das geht dich wirklich nichts an, Steve.“
„Ich wette, er ist ein schlechter Liebhaber. Du siehst aus, als hätte seit Jahren
kein Mann mehr dein Blut in Wallung gebracht.“
„Was interessiert dich mein Liebesleben?“
Steve nahm sich Zeit mit der Antwort. „Dein Wohlergehen liegt mir am Herzen,
Kay.“
Mit großen Augen sah sie ihn an. Dann wandte sie rasch den Kopf ab und starrte
auf die vorbeiflitzenden Schaufensterauslagen der kleinen Geschäfte, die die
Straße säumten. Steves Bemerkung verblüffte Kay über alle Maßen. Sie zog es jedoch vor, nichts darauf zu erwidern. Eine Zeitlang schwiegen beide, bis Steve ein unverfänglicheres Thema anschnitt, indem er begann, über die geplante Reise nach Irland zu sprechen. In Oak Brook hielten sie vor einer Immobilienfirma. Einer der Makler brachte sie zu dem Haus, das Steve sich offenbar schon mehrere Male angeschaut hatte. Auf Anhieb verliebte sich Kay in das hübsche, zweigeschossige Gebäude aus roten Klinkern und Fachwerk. Ein wunderschön angelegter Garten lud zum Verweilen ein. Sie betraten das Haus und schlenderten von einem Zimmer ins andere. Der ehemalige Besitzer war bereits ausgezogen, und die Räume standen leer. Der Makler blieb unten, während sie die Treppe hinaufstiegen und die obere Etage besichtigten. „Das Haus ist ein Traum“, bemerkte Kay, als sie auf dem großen Balkon des Schlafzimmers standen und auf einen Swimmingpool hinabblickten. „Ich hatte gehofft, daß es dir gefallen würde“, entgegnete Steve, indem er sich ihr zuwandte. Ein Windstoß zauste sein blondes Haar und blies ihm die Strähne in die Stirn. „Ganz besonders gefällt mir dieser Balkon mit Blick auf den Pool. Die hohen Sträucher schirmen das Anwesen von der Außenwelt ab. Ich stelle mir vor, wie herrlich es sein muß, in einer lauen Sommernacht nackt im Pool zu schwimmen und dann wieder ins Schlafzimmer heraufzukommen. Wenn man die Balkontür offen läßt, weht eine sanfte, kühlende Brise durch den Raum. Der ideale Platz zum Schlafen… und für andere schöne Dinge.“ Seine grünen Augen blitzten. Rasch wandte Kay den Blick ab. Einen Moment lang hatten seine Stimme und seine Worte sie verzaubert, und plötzlich fühlte sie sich scheu und verunsichert. „Du mußt es ja wissen“, versetzte sie trocken, den Blick starr nach draußen geheftet. „Weißt du es denn nicht?“ fragte er mit weicher Stimme. Gereizt funkelte Jay ihn an. „Wir sollten den Makler nicht so lange warten lassen“, sagte sie und rüstete sich zum Gehen. Doch Steve griff nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich. Im nächsten Moment fand sie sich in seinen Armen wieder. „ Steve, was fällt dir ein!“ Seine Lippen liebkosten ihren Mund. Seine Hände schoben sich unter die Kostümjacke und wanderten streichelnd über ihren Rücken. Durch den dünnen Stoff ihrer Bluse hindurch fühlte sie die Wärme, die von ihnen ausströmte. Sie spürte, wie seine Zärtlichkeiten sie körperlich und seelisch entspannten. Im Geist fühlte sie sich zurückversetzt in die kurze Zeit des Glücks, die sie mit Steve erleben durfte. Doch als sie sich dabei ertappte, wie sie sich an ihn klammerte, als wolle sie ihn nie wieder loslassen, wurde sie jählings in die Gegenwart zurückgerissen. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, damals hatte Steve sie kaltblütig verlassen. Trotzdem kostete es sie eine große Überwindung, sich aus seiner Umarmung zu lösen. „ Hör auf damit!“ flüsterte Kay und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Sie wandte sich um und flüchtete ins Schlafzimmer. Von dort aus hastete sie in den Flur und die Treppe hinunter. Plötzlich fühlte sie sich so schwach, daß sie sich am Geländer festhalten mußte. Steve folgte ihr in gemächlicherem Tempo, und dann verließen sie und der Makler das Anwesen. Unterwegs zu ihrem Appartement sprachen Kay und Steve kaum ein Wort miteinander. Zwar äußerte er ein paar scherzhafte Bemerkungen, als sei nichts geschehen, doch Kay gab nur einsilbige Antworten. Sie war
verwirrt, verstört und wütend. Glaubte er, er könne nach fünf Jahren einfach wieder da anfangen, wo sie aufgehört hatten? Meinte er etwa, sie besäße keinen Stolz? Vor dem Appartementhaus, in dem Kay wohnte, hielt Steve an. Rasch öffnete sie ihren Gurt. Als sie die Hand auf den Türgriff legte, beugte Steve sich vor und hinderte sie am Aussteigen. „Warte, Kay. Ich finde, wir sollten uns aussprechen.“ „Worüber?“ fragte sie schnippisch. Sein Gesicht war dicht vor ihrem. „Über das, was vorhin in dem Haus geschehen ist.“ „Zu deinem empörenden Benehmen habe ich nichts zu sagen.“ „Der Kuß hat dir gefallen – bis du plötzlich Angst bekamst und fortliefst. So ist es doch gewesen, nicht wahr?“ „Es hat mir keineswegs gefallen, wie du mich behandelt hast. Wahrscheinlich bist du es so gewöhnt, daß Frauen dich anhimmeln, daß du das gleiche von mir annimmst. Verwechsle mich bitte nicht mit einer deiner unzähligen Freundinnen.“ „So etwas würde ich niemals tun, Kay. Du bist unverwechselbar. Du hast mir sehr viel bedeutet.“ Wehmütig blickte sie nach draußen. Schweren Herzens spürte sie, wie gern sie Steve glauben wollte. „Dann konntest du dieses Gefühl gut verbergen“, gab sie zurück. „Ich… ich hatte meine Gründe, Kay.“ „Was für Gründe? Andere Frauen? Mach mir doch nichts vor, Steve.“ „Eines Tages, wenn du bereit bist, mir zuzuhören, werde ich dir die Gründe für mein Verhalten erklären“, erwiderte Steve ruhig. Kay ließ sich nicht beschwichtigen. „Ich habe keine Lust, mir deine Ausreden anzuhören. Ich weiß, daß dein Lebensinhalt darin besteht, Frauen zu erobern. Auf die Liste deiner Opfer brauchst du mich aber nicht zu setzen. Und jetzt laß mich bitte aussteigen.“ Sie faßte ein zweites Mal nach dem Türgriff, doch wieder hielt er ihre Hand fest. „Du kennst mich nicht, Kay. Du weißt gar nicht, wie ich wirklich bin. Und was ist aus dir geworden? Du kleidest dich, als wolltest du verbergen, daß du eine Frau bist, und du triffst dich mit einem Mann, der von Sex vermutlich noch nie etwas gehört hat. Aber ich glaube, daß hinter der Fassade aus Unnahbarkeit, die du rings um dich her errichtet hast, ein Vulkan an Leidenschaft steckt.“ „Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen?“ „Ich spreche lediglich aus, was ich denke. Du ahnst ja gar nicht, wie gut ich dich verstehe. Auf meine Art habe ich meine Persönlichkeit auch verleugnet, Kay. Wir beide sollten nicht länger vor dem Leben davonlaufen. Laß uns doch den Gefühlen nachgeben, die wir immer noch füreinander empfinden.“ Er zog sie in seine Arme. Sie wollte sich losreißen, doch er ließ es nicht zu. „Ich kann fühlen, wie dein Herz klopft“, flüsterte er, während er ihren Rücken streichelte. „Küß mich noch einmal.“ „Nein“, sagte sie und wandte das Gesicht von ihm ab. Er umfaßte ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich herum. Dann beugte er sich rasch vor und bedeckte ihren Mund mit hungrigen Küssen. Immer enger preßte er sie an sich. Obwohl die Autositze Steve daran hinderten, Kay allzu dicht an sich zu ziehen, spürte sie, wie ihr innerer Widerstand durch seine Liebkosungen dahinzuschmelzen begann. Eine wohlige Wärme durchströmte ihren ganzen Körper, und eine Sehnsucht ergriff von ihr Besitz, die nach Erfüllung drängte. Als Steve ihren Busen streichelte, stöhnte er auf, während er sanft und dennoch drängend ihre weiblichen Reize erforschte. Seine Lippen liebkosten ihren Mund, ihr Kinn, und dann küßte er sie weich und zart auf den Hals, bis sie glaubte, ihre
Haut müsse verbrennen. Als Kay spürte, wie er ihre Bluse aufknöpfte, erwachte sie augenblicklich aus diesem Zustand der Hingabe. „Hör auf damit, Steve!“ sagte sie und hielt seine Hände fest. Sie wich seinem Mund aus. „Laß das sein! Ich will es nicht!“ „Das glaube ich dir nicht. Wem versuchst du eigentlich etwas vorzumachen?“ entgegnete er mit rauher Stimme. Abermals beugte er sich vor, um sie zu küssen. „Laß mich in Ruhe!“ brauste sie auf und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Er prallte zurück, mehr überrascht als wütend. Sie hatte nicht fest zugeschlagen. Doch er schien zu begreifen, daß sie es ernst meinte. „Warum hast du das getan?“ fragte er verdutzt. „Ich sagte, du solltest mich in Ruhe lassen“, fauchte sie und knöpfte die Kostümjacke zu. „Ich habe es nicht gern, wenn du mich berührst.“ „Das nehme ich dir nicht ab.“ Kay spürte, wie sie rot wurde. Es war kindisch, abzustreiten, daß sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Die Art und Weise, wie sie auf seine Zärtlichkeiten reagierte, sprach für sich. Trotzdem konnte sie ihre wahren Empfindungen nicht zugeben. „Ich habe dich begleitet, um mir gemeinsam mit dir ein Haus anzusehen, und nicht, um amouröse Abenteuer zu erleben. Von nun an laß mich bitte in Frieden. Ich weiß nicht, was plötzlich über dich gekommen ist, aber nur weil wir vor Jahren einmal kurz miteinander befreundet waren, kannst du jetzt nicht irgendwelche Rechte ableiten. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, Steve!“ Kay stieg aus dem Wagen und schlug heftig die Tür zu. Ohne sich noch einmal umzublicken, verschwand sie in dem Appartementhaus. Drinnen in ihrer Wohnung blieb sie zitternd stehen und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ihr Herz hämmerte wie wild, und sie spürte, daß sie nahe daran war, zu weinen. Sie versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Es war alles gut gegangen. Sie hatte ihn abblitzen lassen. Er würde sie nicht noch einmal belästigen. Ihre Lippen bebten, und Tränen brannten in ihren Augen. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als wieder in seinen Armen zu liegen. Steve war der einzige Mann, den sie je begehrt hatte, obwohl sie alles getan hatte, um ihn zu vergessen. Warum hatte er sich heute so eigenartig benommen? Wollte er sie tatsächlich zurückerobern? Oder spielte er nur mit ihr? Gewiß, das mußte es sein. Er betrachtete Frauen als Spielzeuge. Einmal hatte er ihre Liebe und ihr Vertrauen besessen und dann fortgeworfen wie ein Papiertaschentuch. Sie würde sich hüten, noch einmal seinem Charme zu verfallen. Ein zweites Mal wollte sie sich einer solchen Enttäuschung nicht aussetzen. Mittlerweile war sie fünfundzwanzig Jahre alt und nicht mehr so naiv wie zuvor. Steves Verhalten hatte sie frühzeitig und gründlich desillusioniert. Sie hatte ihre Lektion gelernt und brauchte keine Wiederholung. Steve saß in seinem Wagen, die Arme über das Lenkrad gelegt. Er fühlte sich zutiefst deprimiert. Mit schmerzendem Herzen hatte er Kay nachgeschaut, wie sie in das Haus geflüchtet war. Wieso hatte er nur annehmen können, es sei leicht, sie wieder für sich zu gewinnen? Seine erste Annäherung war viel zu forsch gewesen, sie hatte sich bedrängt und überrumpelt gefühlt. Aber sie hatte sich gern von ihm küssen lassen, davon war er nach wie vor überzeugt. Also bestand noch ein Funken Hoffnung. Er mußte sich in Geduld fassen und ganz sanft versuchen, ihr Vertrauen neu zu erringen.
Er seufzte tief. Kay würde wohl nie wieder allein mit ihm ausgehen. Nicht nach dem, was heute vorgefallen war. Doch im Büro war es schwer, sich ihr auf freundlichem Wege zu nähern. Dazu standen sie viel zu sehr im Blickfeld ihrer neugierigen Kollegen. Wie sollte er sich verhalten? Bald darauf leuchteten Steves Augen jedoch wieder. Ihm war die Reise nach Irland eingefallen.
4. KAPITEL Drei Wochen später landeten die Angehörigen des Managements der Firma Waterfront Imports in Dublin. Die Gruppe bestand aus dem Präsidenten, Herb Muldaur, mit seiner Frau, den Vizepräsidenten des Rechnungswesens und der Verkaufsabteilung, Don Edwards und Scott Mason, die ebenfalls von ihren Ehefrauen begleitet wurden, und schließlich Steve und Kay. Den Nachmittag nach ihrer Ankunft verbrachten sie, indem sie sich ein wenig in der Stadt umschauten und sich von dem langen Flug erholten. Tags darauf suchten sie ihre Dubliner Lieferanten auf, die die Firma mit handgewebten Tweedstoffen, Wollpullovern, irischem Leinen und anderen Erzeugnissen zu versorgen pflegten. Am dritten Tag verließen sie ihr Hotel in Dublin und fuhren in einem gemieteten Kleinbus in Richtung Wexford. Steve chauffierte als erster. Kay saß allein auf einer der Sitzbänke und blickte hinaus auf die sanft gewellten, endlos grünen Hügel, die von niedrigen Steinwällen umgebenen Bauernhöfe und die kleinen Waldstücke. Alle außer ihr und Steve wurden von ihren Ehepartnern begleitet, was notgedrungen dazu führte, daß sie beide die meiste Zeit zusammen waren. Kay war froh, daß Steve nun am Steuer saß und sie wenigstens für eine Weile allein sein konnte. Nach ihrer gemeinsamen Hausbesichtigung in Oak Brook war sie bemüht gewesen, ihm im Büro aus dem Weg zu gehen. Einige der Kollegen, nicht zuletzt Diane, hatten gemerkt, daß sie sich Steve gegenüber betont kühl verhielt. Das einzige, was ihr an der Reise nach Irland nicht behagte, war der Umstand, daß sie viel von ihrer Zeit gemeinsam mit ihm verbringen mußte. Wie sie so dasaß und auf seinen breiten Rücken schaute, hoffte sie, er möge das Fahren so sehr genießen, daß er sich freiwillig anbieten würde, sie während der gesamten Dauer ihres Aufenthaltes zu chauffieren. Kay war nicht entgangen, daß Steve bereits während der recht hektischen Tage in Dublin ständig versuchte, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Beim Dinner am vergangenen Abend hatte er es sogar geschafft, den Platz neben ihr zu bekommen. Die ganze Zeit über nahm er Anläufe, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Zum Schluß hatte er sogar erwähnt, er würde sie bis zu ihrem Hotelzimmer begleiten, doch während er im Foyer einen Augenblick lang von Herb Muldaur in Anspruch genommen wurde, war sie ihm entwischt. Manchmal fiel es Kay schwer, ihre erste Reise in ein fremdes Land zu genießen, wenn sie ständig darauf bedacht sein mußte, einem Mann auszuweichen, der sie offenkundig zu verfolgen schien. Besonderes Kopfzerbrechen bereitete ihr die Frage, aus welchem Grund er sie plötzlich mit seiner Aufmerksamkeit überschüttete. Ungefähr dreißig Meilen von Dublin entfernt hielten sie an, um Glendalough in den Wicklow Mountains zu besichtigen. Es war ein geheimnisvoller Ort, eine alte Klosterruine inmitten eines lieblichen Tales, bewacht von zwei stillen, glatten Seen. Schroffe Granitfelsen und hohe, dunkle Tannen umgaben das Tal. Im neunten und zehnten Jahrhundert war das Kloster von den Dänen und später noch einmal von den Engländern geplündert worden. Alles, was von der religiösen Stätte noch übrigblieb, waren ein hochaufragender, runder Steinturm, die verwitterten Wände einer Kirche und eine winzige Kapelle aus Naturstein, die aus dem Jahre 533 stammte. Schiefstehende alte Grabsteine und Keltenkreuze bedeckten den Friedhof, der sich zwischen den einzelnen Gebäuden erstreckte.
Nachdem sie eine halbe Stunde durch die Ruinen geschlendert waren, kam Steve auf Kay zu und ergriff ihre Hand. „Komm mit, ich zeige dir etwas“, raunte er in ihr Ohr. In der freien Hand hielt er einen Reiseführer. „Was denn?“ fragte Kay leicht gereizt. Sie hatte die ruhige und friedvolle Atmosphäre genossen, und Steve riß sie abrupt aus ihrer Versunkenheit. „Am Unteren See vorbei führt der sogenannte Grüne Pfad. Er beginnt dort drüben, gleich hinter der Brücke.“ Er deutete auf einen schmalen, hölzernen Steg, der einen Wasserlauf überspannte. „Komm, rasch, ehe die anderen uns sehen.“ Steve zog sie einfach mit sich, und Kay blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Sie wollte es nicht riskieren, in Hörweite ihrer Gefährten einen Streit zu entfachen. Niemand schien es zu bemerken, daß die beiden sich von der Gruppe absonderten. Auf der anderen Seite der Brücke lag ein breiter, mit Steinen gepflasterter Weg, und bald entzogen sie die dicht an dicht wachsenden Bäume, die die Ufer des Baches säumten, den Blicken ihrer Reisegefährten. „Wäre es nicht besser, wir blieben bei den anderen?“ meinte Kay, während sie sich Steves Hand entzog. Steve zuckte mit den Schultern. „Die Ehefrauen schwatzen mir zu viel. Das ständige Geplapper geht mir auf die Nerven. Ich brauche eine Weile Ruhe.“ „Typisch Mann! Und was ist, wenn sie ohne uns abfahren?“ Nervös begann Kay, ihre Kostümjacke zuzuknöpfen. „Das tun sie ganz bestimmt nicht. Ich habe nämlich die Schlüssel zu unserem Bus.“ Steve machte einen zufriedenen, beinahe glücklichen Eindruck. Die Sonne drang durch das hellgrüne Laubdach der Bäume, zu beiden Seiten des Pfades wuchs dichtes, saftiges Gras, und über dem Tal lag eine friedliche Stille. Nachdem sie eine Zeitlang schweigend einhergeschritten waren, erreichten sie einen kleinen See. Am gegenüberliegenden Ufer stiegen steil die Hänge eines mit Gras und Bäumen bewachsenen Hügels empor. „Ist es nicht schön, in dieser herrlichen Gegend ein paar Minuten lang allein zu sein?“ schwärmte Steve. „Ja“, gab Kay widerstrebend zu. Es war ein beglückendes Erlebnis, doch es paßte ihr nicht, mit Steve einer Meinung zu sein. „Halte dich ruhig an mich, Kleines, ich zeige dir die interessantesten Sehenswürdigkeiten“, sagte er, während er ihr den Arm um die Schultern legte und seine Nase an ihrer Wange rieb. „Laß das!“ wehrte sie ihn ab. „Ach, Kay“, sagte Steve halb schmeichelnd, halb tadelnd. „So unangenehm ist es dir gar nicht, wenn ich dich berühre.“ „Doch, es ist mir sogar sehr unangenehm. Und vor allen Dingen finde ich es nicht korrekt, da wir uns immerhin auf einer Dienstreise befinden.“ Sie trat einen Schritt zur Seite. „Unsere Irlandreise schließt auch Besichtigungen und ein Erholungsprogramm mit ein. Wie hier in Glendalough zum Beispiel. Wir brauchen nicht unentwegt an die Firma zu denken.“ „Vielleicht sollten wir es aber“, entgegnete Kay, ein wenig schärfer als gewollt. Sie machte kehrt und ging den Pfad zurück. „Du fängst an, mir Sorgen zu machen, Kay“, gestand Steve, als er sie eingeholt hatte. „Du kennst nur die Arbeit, kein Vergnügen. Aber wahrscheinlich liebt Holloway genau das an dir. Vergnügen ist vermutlich ein Fremdwort für ihn.“ Wenn dies stimmte, dachte Kay, dann stand John im Begriff, dazuzulernen. In
der letzten Zeit waren seine Küsse entschieden fordernder geworden, und zu ihrer nicht geringen Beunruhigung mußte sie sich eingestehen, daß sie seine Zärtlichkeiten abstoßend fand. Unlängst hatte John sogar von Heiraten gesprochen. Sie war froh, als ihr die Irlandreise die Möglichkeit bot, sich eine Zeitlang von ihm zu trennen. Kay beschloß, einfach nicht auf Steves Bemerkungen über John einzugehen. Sie überhörte den Kommentar, und schweigend gingen sie zur Klosterruine zurück. Als sie sich wieder zu den anderen gesellten, bemerkte Kay die fragenden Gesichter und verschmitzten Mienen. Offenbar machte man sich eigene Gedanken darüber, daß sie beide sich von der Gruppe abgesondert hatten. Niemand sagte jedoch etwas, und bald bestiegen sie wieder den Bus. In einer nahegelegenen Ortschaft aßen sie schließlich zu Mittag. Danach löste Don Edwards Steve am Steuer ab. Kay fand, die Gelegenheit sei günstig, Mrs. Edwards näher kennenzulernen, und kurzerhand setzte sie sich auf den freien Platz neben ihr. Dieses Mal hatte Steve eine ganze Sitzbank für sich allein. Am Spätnachmittag begann es zu regnen, zuweilen goß es in Strömen. Nur langsam kamen sie voran. Jeder atmete auf, als sie den Gasthof am Rande der Stadt Waterford erreichten, wo sie Zimmer reserviert hatten. An diesem Abend schaffte Steve es, Kay bis vor ihre Tür zu begleiten. „Wie sieht dein Zimmer aus?“ erkundigte er sich, während sie aufschloß. „Vermutlich genauso wie deins.“ „Hast du ein Doppelbett?“ „Nein, ein einzelnes.“ „Wirklich? Laß mich mal sehen“, erwiderte Steve neugierig. Ehe Kay ihn daran hindern konnte, stieß er die Tür auf und marschierte in den Raum. Das Zimmer war winzig, die gesamte Einrichtung bestand aus dem Bett, einem schmalen Nachttisch und einem Kleiderschrank. Doch vor dem Fenster hingen duftige, blütenweiße Gardinen, und die Vorhänge bestanden aus einem hübschen Blumenstoff. Dasselbe Muster kehrte auf der Bettdecke wieder. Rasch knipste Kay die kleine Nachttischlampe an. „Ist das Zimmer nicht ein bißchen zu verspielt für dich?“ fragte Steve, während er sich kopfschüttelnd umschaute. „Es ist spät, Steve. Ich möchte gern zu Bett gehen.“ „In meinem Zimmer würdest du dich bestimmt wohler fühlen. Die Einrichtung ist zwar nicht in Grau gehalten, aber wesentlich schlichter.“ Er rückte näher an sie heran. „Das Bett ist auch größer. Es hat Platz für zwei…“ „Nein, danke“, wich Kay ihm aus. „Mir gefällt es sehr gut hier.“ Steve seufzte übertrieben. „Wie du willst. Wahrscheinlich wird des nachts die Heizung abgedreht. Zu zweit in einem Bett ist es viel wärmer.“ Kay riß die Geduld. „Steve, würdest du mein Zimmer jetzt bitte verlassen?“ Er ging zur Tür. „Ich mache dir nur ein Angebot, das du dir gut überlegen solltest“, verteidigte er sich scheinheilig. „Hör endlich mit diesem Getue auf! Du weißt sehr gut, daß ich niemals mit dir ein Bett teilen würde.“ Im matten Schein der Lampe blickten sie einander an. „Oh, doch, Kay. Eines Tages wirst du es tun. Das verspreche ich dir.“ Steve drehte sich um und ging. Kay ließ sich mit weichen Knien auf das Bett sinken. Am nächsten Vormittag besichtigten sie die Glasbläserei von Waterford. Ein Angestellter des Betriebes führte sie umher, und Kay war von der Größe und Ausstattung des Werkes beeindruckt. Nebenbei fiel ihr auf, wie gut die jungen Iren aussahen, die mit freiem Oberkörper in der Hitze der Schmelzöfen
arbeiteten. Die Hallen, in denen das Glas geblasen und später geschnitten wurde,
erregten ihre uneingeschränkte Bewunderung. Als Don seine Frau fragte, ob sie
sich ein Andenken aus WaterfordGlas mit nach Hause nehmen wolle, gab sie
humorvoll zurück: „Natürlich. Und einen dieser hübschen jungen Iren gleich mit
dazu.“
Jeder lachte. Herb Muldaur wandte sich an Kay. „Und wie ist es mit Ihnen, Kay?
Wollen Sie auch einen dieser strammen Burschen als Souvenir heimnehmen?“
„Warum eigentlich nicht?“ erwiderte sie gutgelaunt.
„Wirklich?“ staunte Steve. Mit einem Unterton von Sarkasmus setzte er hinzu:
„Ich hätte gedacht, Glas sei dir lieber.“
„Hört ihr? Sie fangen schon wieder an“, verkündete Scott grinsend.
Kay blickte Steve kühl an. „Meine Vorlieben und Abneigungen wirst du niemals
kennenlernen, Steve.“
„Oooh!“ machte jemand.
„Jetzt hat sie es Ihnen aber gegeben“, wandte sich Don an Steve. Steve wollte
etwas entgegnen, schwieg aber. Nachdenklich runzelte er die Stirn.
Kay war stolz auf ihre schlagfertige Antwort. Sie hoffte, sie möge auch während
des weiteren Verlaufs der Reise nie um eine Erwiderung verlegen sein. Vielleicht
gelang es ihr auf diese Weise, Steve in Schach zu halten.
In einem gemütlichen Gasthof übernachteten sie. An diesem Abend suchte Kay
schon früh ihr Zimmer auf – allein.
Zeitig am nächsten Morgen betrat Steve das Frühstückszimmer. Er lächelte
zufrieden, als er Kay erspähte, die mit Don Edwards und dessen Frau an einem
Tisch für vier Personen saß.
„Diesen Platz habt ihr doch sicher für mich reserviert, nicht wahr?“ bemerkte er
fröhlich, während er sich auf den freien Stuhl setzte. Ihm entging nicht, wie Kay
mißvergnügt die Lippen zusammenkniff.
„Wirst du heute den Stein küssen?“ eröffnete Steve munter ein Gespräch, indem
er sich an Kay wandte. Nach dem Frühstück wollten alle die fünf Meilen weit
entfernte Burg Blarney besichtigen.
„Ich denke, ich werde mich damit begnügen, ihn mir anzuschauen“, antwortete
Kay lustlos.
„Ich hörte, dazu muß man bis auf die Spitze der Burg klettern“, wandte Mrs.
Edwards ein und sah Steve fragend an.
„Richtig, es sind genau einhundertsiebenundzwanzig Stufen. So steht es in
meinem Reiseführer. Dann muß man sich auf den Rücken legen, während
jemand einen an den Beinen festhält, sich nach hinten über den dreißig Meter
tiefen Abgrund beugen und den Stein küssen. Er befindet sich unter einer Zinne
auf der Spitze des Turms“, erklärte Steve.
„Meine Güte!“ staunte Mrs. Edwards. „Ich glaube, ich bleibe lieber unten und
sehe mir die Burg vom festen Boden aus an. Was meinst du, Don?“ wandte sie
sich an ihren Mann.
„Ich klettere hinauf“, erklärte Don.
„Man kann doch nicht in Irland gewesen sein, ohne den Stein geküßt zu haben!“
behauptete Steve. „Er verleiht einem die Gabe zu schmeicheln.“
„Wozu brauchst du ihn dann noch zu küssen?“ versetzte Kay. „Im Süßholzraspeln
bist du doch ohnehin schon Meister.“
Don und seine Frau lachten. Steve erwiderte: „Ich möchte sichergehen, daß mir
dieses Talent nicht abhanden kommt. Aber ich brauche jemanden, der mich
festhält, wenn ich den Stein küsse. Hast du keine Lust, mich auf die Turmspitze
zu begleiten?“
„Es klingt verlockend“, gab Kay zurück. „Ich werde den richtigen Moment
abwarten und dich dann loslassen. Lebe wohl, Steve!“ Während die anderen sich vor Lachen ausschütten wollten, senkte Steve den Blick. Ihre Bemerkung hatte ihn gekränkt, doch rasch gewann er seine gute Laune wieder. „Ich wußte doch, daß ich dir eine Freude machen könnte. Du kommst also mit nach oben?“ Sie verzichtete auf eine Antwort. Auf einem Parkplatz ließen sie den Minibus stehen. Ein bequemer Fußweg führte zur Burg. Von der Festung aus dem 15. Jahrhundert stand nur noch der wuchtige, quadratische Steinturm. Doch selbst diese Ruine war noch immer beeindruckend. Die Spitze ragte weit über die Baumwipfel hinaus. Eine Seite war eingestürzt, doch die anderen wurden noch von dem leicht vorspringenden Kranz von Zinnen gekrönt. Die Hälfte der Gruppe beschloß, unten zu bleiben, während die anderen den Ausblick von der Turmspitze genießen wollten. Kay stieg mit hinauf. Zwischen den dicken Wänden des Gemäuers führte eine steile Wendeltreppe nach oben. Kay klammerte sich an das Geländer, als sie die alten, ausgetretenen Steinstufen hinaufklomm. Nach einer Weile wurde ihr schwindlig, und sie war froh über die eingelassenen Nischen, in denen sie sich eine kleine Ruhepause gönnen konnte. Keuchend erreichte Kay schließlich die Spitze der Burg. Rings um den Turm führte ein schmaler, unebener Weg. Außen war er mit den steinernen Zinnen besetzt, und den inneren Rand sicherte ein Metallgeländer. Man konnte ungehindert nach unten blicken, und nur Balkenstümpfe in den Wänden ließen noch erkennen, wo sich ehemals die Zwischendecken befunden hatten. Wenn man nach draußen schaute, blickte man über sanft gewellte grüne Wiesen mit vereinzelten Baumgruppen. Kays Genuß an diesem herrlichen Ausblick wurde dadurch getrübt, daß sie eine Eigenschaft an sich entdeckte, von der sie bisher nichts geahnt hatte: Sie war nicht schwindelfrei. Trotz der Zinnen und des Geländers hatte sie ständig das Gefühl, sie müsse abstürzen. „Ich gehe lieber wieder hinunter“, sagte sie, indem sie sich umdrehte und sich an Steve vorbeizwängen wollte, der ihr dichtauf gefolgt war. Dabei trat sie zu nahe an das Eisengeländer heran. Sie stieß einen leisen Schrei aus und hielt sich an Steves Pullover fest. Sofort legte er stützend seinen Arm um ihre Schultern. „Was ist los?“ „Hier oben wird mir ein bißchen schwindlig“, erklärte Kay. Sie kam sich sehr albern vor. „Auf etwas höherem als einer Leiter habe ich noch nie gestanden.“ „Aber du arbeitest doch in einem Wolkenkratzer“, hielt Steve ihr lächelnd entgegen. „Das ist etwas anderes. Ich gehe nach unten.“ Steve hielt sie weiterhin fest. „Du mußt noch den Stein küssen. Da drüben ist er.“ Er deutete auf die andere Seite des Turmes, wo sich bereits ein paar Leute versammelt hatten. „Bis dorthin soll ich laufen? Nein, danke.“ „Halte dich an mir fest. Es kann überhaupt nichts passieren. Du bist bis auf die Spitze geklettert, da wäre es doch schade, wenn du eine solche Gelegenheit verpassen würdest. Schau mir wenigstens zu, wenn ich den Stein küsse.“ Er begann, sie nach vorn zu schieben. „O Steve“, protestierte Kay, ließ sich jedoch weiterdrängen. Auch als sie den Stein erreicht hatten, umfaßte er noch ihre Taille, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Sie beobachteten Scott, der vor ihnen angekommen war und nun auf einem
kleinen, eigens zu diesem Zweck ausgebreiteten Teppich lag. Ein junger Ire, der
in der Burg arbeitete, war ihm behilflich. Er gab Scott Anweisungen und hielt ihn
bei den Beinen fest, während dieser sich mit dem halben Oberkörper über den
Rand beugte, um den in eine Zinne eingelassenen Stein zu küssen.
„Und das willst du auch tun?“ wandte sich Kay erstaunt an Steve.
„Natürlich“, entgegnete er lächelnd. „Gut gemacht, Scott!“ lobte er seinen
Kollegen, der das Ritual soeben beendet hatte.
„Der Stein ist kalt“, sagte Scott, indem er aufstand. „Jetzt sind Sie an der Reihe.“
Steve ließ Kay los, und sogleich ergriff sie das Geländer. Sie fühlte sich immer
noch unsicher auf den Beinen, und ihr Atem ging schnell.
Sie sah zu, wie Steve sich auf den Rücken legte. Während der Ire ihn festhielt,
packte er die beiden senkrecht angebrachten Eisengriffe, die hinter ihm aus der
Mauer ragten, beugte sich rasch nach hinten, küßte den Stein und richtete sich
wieder auf.
„Es ist gar nichts dabei“, verkündete er, wobei er Kay anschaute. „Du bist dran.
Los!“
„Nein, das kommt gar nicht in Frage“, erklärte sie mit Nachdruck.
„Warum denn nicht?“ drängte er und schritt auf sie zu. „Na gut, wenn du nicht
willst, dann gib mir schnell einen Kuß, damit sich der Zauber des Steins auf dich
überträgt.“
„Gute Idee“, kommentierte Don Edwards. Kay hatte gar nicht gemerkt, daß er sie
mittlerweile eingeholt hatte. In der Nähe standen Scott und seine Frau und
grinsten.
„Du hast die Wahl, Kay, entweder du küßt mich oder den Stein“, meinte Steve.
Er sah aus, als ergötze er sich an ihrem Dilemma.
Sie hatte keine Ahnung, warum er sie immer dann in Verlegenheit brachte, wenn
eine Gruppe neugieriger Arbeitskollegen sich um sie scharte. Dabei grenzte ihre
Höhenangst an Panik, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder drunten
auf festem Boden zu stehen.
„Na schön, dann küsse ich den Stein“, sagte sie schließlich. Steve hielt ihren
Arm, während sie sich zögernd darauf zubewegte. Sie machte es wie Scott und
Steve, und bald lag sie rücklings auf dem Teppich, mit dem Kopf über dem Rand
der Lücke zwischen den Zinnen.
Kay reckte die Arme nach hinten, konnte jedoch die eisernen Griffe nicht finden.
Der Ire riet ihr, sich noch mehr zu strecken, und mit Worten lenkte er sie, bis
ihre Finger schließlich die Metallstäbe ertasteten.
Sie ließ den Kopf in den Nacken fallen, zog sich mit den Händen so weit über den
Rand hinweg, bis ihre Lippen den kalten grauen Stein berührten, dann richtete
sie sich mit Hilfe des Iren wieder auf.
„Siehst du, es war halb so schlimm“, meinte Steve.
Vor Erleichterung lachte sie. „Trotzdem bin ich froh, daß es vorbei ist.“
Als sie wieder unterhalb der Burg standen, spürte Kay, wie ihre innere Sicherheit
zurückkehrte. Während sie zum Bus zurückschlenderten, hielt Steve seinen Arm
immer noch leicht um ihre Taille gelegt. Kay fühlte sich jetzt ausgelassen und
erhob keinen Einwand. Falls sich jemand aus der Gruppe darüber wunderte, so
sprach er es nicht aus.
Nach dem Lunch, den sie in einem kleinen Gasthof einnahmen, fuhren sie weiter
nach Killarney, das berühmt war für seine wunderschönen Seen.
Es regnete, als sie das GreatSouthernHotel außerhalb der Ortschaft erreichten.
Nachdem sie alle ihre Zimmer aufgesucht hatten, klopfte es an Kays Tür. Sie
öffnete, und vor ihr stand Steve, in der Hand einen Regenschirm.
„Hallo! Hast du Lust auf Ponytrekking?“
„Was bedeutet das?“ „Ganz in der Nähe des Hotels kann man sich Pferde und Kutschen mieten und einen Ausflug zu den Seen unternehmen.“ „Aber es regnet doch“, wandte sie ein. „Na und? Wir haben nur heute Zeit, uns die Gegend anzuschauen. Das Wetter sollte uns nicht daran hindern.“ „Kommen die anderen mit?“ Steve zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. Die Frauen möchten nicht naß werden, und die Männer unternehmen nichts ohne ihre Frauen.“ „Ich lege auch keinen Wert darauf, mich vom Regen durchnässen zu lassen.“ Es stimmte nicht ganz. Natürlich störte Kay der Regen, doch die einzige Gelegenheit, sich das Seenpanorama anzuschauen, wollte sie nicht versäumen. Ihr behagte nur nicht, schon wieder mit Steve allein zu sein. „Du warst mutig genug, um den Stein zu küssen“, meinte er. „Läßt du dir jetzt von einem bißchen Wasser Angst machen?“ „Der Regen würde mein Kostüm verderben“, erwiderte sie. Es klang nicht überzeugend. „Um Himmels willen, du mußt doch noch etwas anderes zum Anziehen mitgebracht haben als dieses eine graue Kostüm.“ „Ich habe zwei graue Kostüme bei mir!“ „In meinen Augen sehen sie vollkommen gleich aus. Jedenfalls kann ich sie nicht voneinander unterscheiden. Hast du denn keine Hosen und Pullover eingepackt?“ „Doch“, erwiderte Kay zögernd. „Aber du mußt mir ein paar Minuten Zeit geben, damit ich mich umziehen kann.“ „Klar. Ich setze mich hier hin und warte.“ Steve trat zu ihr ins Zimmer und setzte sich in einen Sessel. Kay hatte gehofft, er würde auf dem Korridor warten. Verstimmt öffnete sie ihren Koffer und holte eine schicke grüne Hose und einen farblich passenden Pullover heraus. „Grün“, kommentierte Steve, der ihr interessiert zuschaute. „Wie erfrischend!“ „Ach, sei doch still!“ versetzte sie, während sie ins Bad ging und hinter sich die Tür schloß. Kay hatte vergessen, einen Regenschirm einzupacken, und diesen Umstand bedauerte sie lebhaft, als sie zehn Minuten später im Regen in einer offenen Kutsche saßen. Notgedrungen mußte sie sich mit Steve einen Schirm teilen, und das bedeutete, daß sie dicht an ihn heranrückte. Der Kutscher, ein vierschrötiger Mann mit einem breiten, irischen Dialekt, versorgte sie zusätzlich mit Decken. Eine schlangen sie sich um die Schultern, die andere legten sie sich über die Knie. Alles war wunderbar kuschelig und gemütlich, dachte sie ironisch. Und genau diese Situation hatte sie vermeiden wollen. Aber jetzt konnte sie nichts mehr dagegen tun. Diese Kutschfahrt würde Kay nie vergessen. Ein kalter Wind peitschte ihnen ins Gesicht, der Regen strömte in Sturzbächen herab. Dichter Nebel verhüllte die Berge, die die Seen umringten, und im grauen Wasser spiegelte sich der wolkenverhangene Himmel. Nach ungefähr einer Stunde kehrten sie ins Hotel zurück. Trotz des Schirms und der Decken fühlte sich Kay von Kopf bis Fuß durchnäßt. Lachend erreichten sie Kays Zimmer. Das Erlebnis hatte ihre Laune nicht getrübt, im Gegenteil, obwohl Kay sich klamm und durchfroren fühlte, fand sie, sie habe sich seit Jahren nicht so gut amüsiert. „Darf ich eines von deinen Handtüchern benutzen?“ fragte Steve, während er sich
mit allen zehn Fingern durch den triefendnassen Schopf fuhr. „Natürlich“, erwiderte Kay. Sie ging ins Bad und kam mit zwei Handtüchern zurück. „Dein Pullover ist völlig durchweicht“, meinte Steve. „Ziehe ihn lieber aus, ehe du dich erkältest.“ Sie streifte den Pullover über den Kopf und merkte, daß die weiße Bluse, die sie darunter trug, ebenfalls feucht war. Wie eine zweite Haut klebte sie an ihrem Körper. Als sie aufblickte, sah sie, wie Steve aufmerksam ihre weiblichen Rundungen betrachtete. „Solltest du deinen Pullover nicht auch ausziehen?“ fragte sie mit einem Anflug von Verlegenheit. Er zog ihn aus und warf ihn auf das Bett. Dann trat er dicht an Kay heran. Leicht umfaßte er ihre Taille. „Die feuchte Bluse steht dir gut. Jetzt siehst du aus wie eine richtige Frau, und nicht wie eine menschliche Buchungsmaschine.“ Sein Mund näherte sich dem ihren. „Du bist schön, Kay.“ „Nein. Laß das…“ Seine Lippen verhinderten ihren Protest. Kay genoß es, von den starken Armen gehalten zu werden. Seine Äußerung, sie sei schön, hatte sie seltsam berührt. Am liebsten hätte sie ein bißchen geweint. Niemand sagte ihr mehr, daß sie schön sei. Selbst John machte ihr keine Komplimente. Steve war der einzige Mann, der ihr je zu verstehen gegeben hatte, daß er sie attraktiv fände. Während er sie küßte, massierte er mit sanften, kreisenden Bewegungen ihren Rücken. Kay spürte, wie sie sich immer mehr entspannte. Die Art, wie er sie an sich zog, bis ihr Busen sich fest gegen seinen Brustkorb preßte, erregte sie ungemein. Er liebkoste ihre Wange, knabberte an den Ohrläppchen, drückte schnelle, heiße Küsse auf ihren Hals. „Ach, Kay“, flüsterte er erregt, „ich habe mich so danach gesehnt, dich wieder zu küssen.“ Sein Mund näherte sich erneut ihren leicht geöffneten Lippen. „Ich brauche dich.“ Kay erinnerte sich, wie er ihr diesen Satz schon einmal ins Ohr geraunt hatte, vor fünf Jahren, als er sie zum letzten Mal in seinen Armen hielt. Brauchte er sie wirklich? Konnte sie ihm trauen? Während Steve ihren Hals zurückbog und seine Küsse immer leidenschaftlicher und intimer wurden, wußte sie, daß auch sie seine Liebe brauchte. Ihre Haut begann zu glühen, wo immer er sie berührte. Nun berührte er ihre Taille und dann die Brüste. Zärtlich streichelte er ihre weiblichen Rundungen, dann begann er, ihr mit einer Hand die Bluse aufzuknöpfen. Wenige Minuten zuvor hatte Kay noch gefröstelt, nun jedoch durchströmte ein erquickendes Feuer ihren Körper. Während Steve ihren Mund mit glühenden Küssen bedeckte, zog er ihr die nasse Bluse vom Leib und warf sie hinter sich. Ein Gefühl der Erwartung ergriff von Kay Besitz, eine nervöse Hochstimmung schärfte ihre Sinne, als seine Hände unendlich sanft über ihre nackte Haut und den haudünnen Stoff ihres Büstenhalters strichen. Steve war der einzige Mann, dem sie es je gestattet hatte, sie so intim zu berühren. Der Gedanke, daß er sie wieder liebkoste wie früher, ließ sie vor Aufregung erschauern. Langsam streifte Steve die Träger des Büstenhalters herab. Er schob Kay ein Stück von sich, damit er sie anschauen konnte, während er das winzige Dessous bis zur Taille herunterschob und die anmutig gerundeten Brüste mit den zartrosa Spitzen enthüllte. „Meine bildschöne Kay“, flüsterte Steve so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte. Sie spürte, wie sich sein Mund heiß und feucht um eine Brustwarze
schloß, und seine Lippen sich in die weiche Rundung drückten. Kleine elektrische Ströme durchzuckten sie, als er zärtlich auf die harte Spitze biß und sie mit seiner Zunge umspielte. Vor Wonne stöhnte sie auf. Sie umarmte ihn, und ihre Finger verschwanden in seinem dichten blonden Schopf. Er liebkoste die andere Brust. Abermals stöhnte Kay, als eine neue, glückselige Empfindung sie durchströmte. Wie eine richtige Frau sähe sie aus, hatte Steve gesagt. Jedenfalls fühlte sie sich in diesem Augenblick wie eine Vollblutfrau. Endlich wieder einmal. Das war es, was sie all die Jahre vermißt hatte. Das brauchte sie, um sich jung, lebendig und hundertprozentig weiblich zu fühlen. Steve hob den Kopf und blickte Kay tief in die Augen. „Es gefällt dir, nicht wahr?“ fragte er zuversichtlich. „Ich hatte schon befürchtet, du hättest all das Schöne vergessen. Jetzt möchtest du nicht mehr vor mir davonlaufen… wie damals auf dem Balkon?“ Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte nicht, daß er aufhörte, und diese Tatsache bereitete ihr Sorgen. Warum lag sie halbnackt in seinen Armen und erlaubte ihm diese Intimitäten? Sie hatte nicht gewollt, daß so etwas passierte. Warum hatte sie es dann so weit kommen lassen? „Ich werde das Haus kaufen, Kay.“ „Wwirklich?“ Sie erwiderte seinen Blick. Rasch streifte er das Hemd ab. Als Kay seinen wohlproportionierten Körper sah, holte sie tief Luft. Dann zog er sie wieder in seine Arme. Kay schloß die Augen, als sie spürte, wie ihre Brustspitzen seine bloße Haut berührten. Sie konnte hören, wie sein Herz im gleichen Rhythmus klopfte wie das ihre. „Oh, mein Liebling“, stöhnte er, während er sie fest an sich preßte. Im nächsten Moment legte er sie sanft auf das Bett nieder. Das Gewicht seines Körpers drückte sie in die weiche Steppdecke hinein. „Ich begehre dich“, murmelte er voller Leidenschaft. „Schlafe mit mir, Kay. Ich brauche dich.“ Kay öffnete die Augen. „Was?“ Ihre Stimme klang nicht lauter als ein dahingehauchtes Flüstern. „Laß uns miteinander schlafen.“ Steve richtete sich auf, um sie anschauen zu können. Sie sah es ihm an, daß er seine Worte ernst meinte. Die Glut in seinem Blick schien sie verzehren zu wollen. Ihre eigene Leidenschaft verflog. Sie spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. „Du möchtest mit mir schlafen? Jetzt? Einfach… so?“ „Du willst doch wohl nicht abstreiten, daß wir einander begehren.“ „Selbst wenn es so wäre, ist dies noch lange kein Grund, um jede Hemmung fallenzulassen und…“ Sie vermochte den Satz nicht zu beenden. Ein leiser Groll stieg in ihr auf. „Was glaubst du eigentlich – daß ich genauso leicht zu haben bin wie deine anderen Freundinnen? Vor fünf Jahren, als wir… Zärtlichkeiten auszutauschen pflegten, hast du mich nicht gefragt, ob ich mit dir ins Bett gehen möchte. Was ist über dich gekommen? Brauchst du so dringend eine Frau, daß ich deinen Ansprüchen plötzlich genüge?“ „Kay…“ Es klang verärgert, doch sie stieß ihn von sich und hob die Bluse vom Boden auf. Nachdem sie sie übergestreift hatte, trat sie ans Telefon und hob den Hörer ab. „Wenn du nicht sofort aus meinem Zimmer verschwindest, rufe ich die Rezeption an“, drohte sie. Steve erhob sich vom Bett. „Kay, laß uns einmal in Ruhe darüber sprechen. Du klingst, als glaubtest du, ich sei lediglich auf der Suche nach einer leichten Eroberung.“
„Stimmt das denn nicht?“ versetzte sie. Steve hatte gesagt, daß er sie brauchte.
Das einzige, wozu er sie benötigte, war Sex!
„Natürlich nicht! Ich… habe dich sehr gern. Heute haben wir gemeinsam so viel
Schönes erlebt. Ich dachte, du… hättest für mich vielleicht auch noch etwas
übrig.“ Er schien Mühe zu haben, die passenden Worte zu finden.
„Du behauptest allen Ernstes, du hättest mich noch gern?“ echote sie verdutzt.
„Fünf Jahre lang hast du mich mit deinen Sticheleien traktiert, und jetzt glaubst
du, ich würde gleich mit dir ins Bett hüpfen, nur weil wir einen schönen Tag
miteinander verbracht haben?“
Kay brauchte keine Verblüffung zu heucheln. Selbst einem Schürzenjäger wie
Steve hätte sie mehr Feingefühl zugetraut.
„Warum hast du es dann soweit kommen lassen?“ fragte er.
„Weil…“ Sie blickte zu Boden. „Ich weiß es auch nicht.“ Ihre Stimme klang
verbittert. „Wahrscheinlich hatte ich mich an die alten Zeiten erinnert.“ Sie war
wütend auf sich selbst.
„Ich erinnere mich auch an die alten Zeiten, Kay“, erwiderte Steve ruhig. „Und
ich möchte sie gern zurückholen.“
Mit einem schmerzerfüllten, halb mißtrauischen Blick sah sie ihn an. „Warum?
Weil ich dir gelegen komme? Weil ich die einzige alleinstehende Frau auf dieser
Reise bin?“
„Nein! Weil ich dich mag!“
„Wie käme ich dazu, dir nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, zu
glauben?“
Er suchte nach Worten. „Manche Dinge sind nicht leicht zu erklären. Ich bitte dich
nur, mir zu vertrauen.“
Sie lachte voller Ironie. „Warum sollte ich? Weil du mit mir ins Bett gehen willst?“
„Das ist nicht der einzige Grund.“
„Aber in deinen Augen bestimmt der wichtigste. Ich bewundere deine schnelle
Arbeit, Steve. Eine gemütliche Kutschfahrt unter ein paar Decken, und Minuten
später hast du mich ausgezogen und aufs Bett gelegt. Kein Wunder, daß du so
viele Frauen hast. Du besitzt ein einmaliges Talent, eine harmlose Situation in
eine Verführungsszene umzufunktionieren.“
Mit einer raschen, ärgerlichen Bewegung hob Steve seinen Pullover auf. „Jetzt
reicht es mir! Ich hatte gehofft, du würdest mir wenigstens zuhören. Und lege
um Himmels willen den Hörer auf den Apparat zurück. Ich gehe ja schon.“ Laut
fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
5. KAPITEL Am nächsten Morgen brachen Kay und die anderen gleich nach dem Frühstück in dem Minibus auf. Herb Muldaur setzte sich ans Steuer und lieferte Steve somit die Gelegenheit, den Platz neben Kay einzunehmen. Als sie ihr übliches Manöver vollführen und sich neben Herbs Frau setzen wollte, umfaßte Steve, der sich ständig dicht hinter ihr gehalten hatte, ihre Taille und schob sie einfach auf den freien Platz hinter Mrs. Muldaur. Dann setzte er sich neben sie. Kay blieb nichts anderes übrig, als sich stillschweigend in die Situation zu fügen. Sie vermied es jedoch, Steve anzusehen und blickte starr aus dem Seitenfenster. Der größte Teil des Tages sollte damit verbracht werden, die berühmte einhundertzehn Meilen lange Route des „Ring of Kerry“ zu befahren, ein Rundweg, der entlang der Küste der Halbinsel Iveragh führte. Steve unternahm mehrere Anläufe, um ein Gespräch in Gang zu bringen, doch hartnäckig überhörte Kay seine Bemerkungen über die Schönheiten der Landschaft und ähnlich unverfängliche Themen. Doch als sie in einen kleinen Gasthof einkehrten, merkte Kay, wie sie ihre Sturheit nicht mehr aufrecht zu halten vermochte. Beim Lunch entspann sich zwischen Steve und dem Rest der Gruppe eine harmlose Meinungsverschiedenheit. „Ich finde, wir sollten ein schnelleres Tempo vorlegen, damit wir uns auch noch die Halbinsel Dingle anschauen können“, meinte er, während sie an einem Tisch in der gemütlichen Gaststube saßen und Irish Stew verzehrten. „Der ,Ring of Kerry' gilt als einer der Höhepunkte jeder Irlandreise“, hielt Scott ihm entgegen. „Wir dürfen diese herrliche Gegend nicht einfach durchrasen.“ „Aber eine Freundin von mir, die Irland recht gut kennt, hält die Halbinsel Dingle für noch interessanter“, erklärte Steve. „Eine Freundin von Ihnen?“ wiederholte Scott schmunzelnd. Steve verzog das Gesicht, so als ärgere er sich, weil ihm dieser Schnitzer passiert sei. „Steves Freundinnen sind alle nicht auf den Kopf gefallen“, witzelte Scott. „Es besteht kein Grund, an der Aussage der Dame zu zweifeln. Haben Sie sich vor unserem Abflug nach Irland von ihr ein paar Tips geben lassen?“ Steve schien die Wende des Gesprächs immer weniger zu behagen. „Nein. Ich entsinne mich nur, wie sie mir vor ungefähr einem Jahr von einem vierzehntägigen Urlaub in Irland erzählte.“ Kay mußte den Blick von ihm abwenden. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte sich auch in die beachtliche Schar von Steves Freundinnen eingereiht. Sie war froh, daß sie im letzten Augenblick doch noch einen kühlen Kopf behalten hatte. Steve mußte doch passen. Für einen Abstecher zur Halbinsel Dingle reichte die Zeit nicht aus. Auch während des Nachmittags saß Steve im Bus neben Kay. Und schließlich schaffte er es, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Zu Anfang verlief ihre Unterredung etwas steif, denn Steve schien verlegen zu sein, und Kay wußte überhaupt nicht, wie sie sich verhalten sollte. Doch dann lockerte sich die Stimmung, und als sie Schloß Dromoland unweit der Stadt Limerick erreichten, genoß Kay sogar Steves Gesellschaft. Sie sagte sich, im Grunde sei nichts dabei, wenn sie sich angeregt miteinander unterhielten. Sie mußte nur auf der Hut bleiben und dafür sorgen, daß sie nicht noch einmal in eine verfängliche Situation mit ihm geriet. Schloß Dromoland war eine spätmittelalterliche Burg, die man in ein Hotel
verwandelt hatte. Staunend betrachtete Kay die luxuriöse Inneneinrichtung. Holzgetäfelte Wände, dunkelgrüne Teppiche, mit Goldbordüren verzierte Vorhänge. Von den hohen Decken hingen funkelnde Kristallüster. Durch die großen Fenster blickte man auf einen parkähnlichen Garten und einen gepflegten Golfplatz, der alle in Entzücken versetzte. Nach dem Dinner schlug Steve Kay vor, mit ihm im Park spazierenzugehen. Sie befanden sich so hoch im Norden, daß es trotz der vorgerückten Stunde draußen noch hell war. Die Idee klang gut, und Kay stimmte zu. Nachdem sie eine Weile geschlendert waren, begann Steve: „Kay, ich möchte mich für mein gestriges Verhalten entschuldigen. Ich habe mich hinreißen lassen. Bitte, glaube mir, als ich dich auf dein Zimmer begleitete, hatte ich nicht die Absicht, dich… zu verführen.“ Den Blick hielt er geradeaus auf den Weg geheftet. „Du warst vollkommen im Recht, als du mich hinausgeworfen hast.“ Kay wunderte sich über seine Betroffenheit. Sie wußte nicht, was sie erwidern sollte, deshalb schwieg sie. Steve blickte sie von der Seite her an. „Glaubst du, wir könnten diesen Vorfall vergessen und versuchen, wieder Freunde zu sein?“ Kay sann einen Augenblick lang nach. „Na schön“, gab sie schließlich zurück. Als sie Steve ins Gesicht schaute, lächelte sie. „Wenn du dich in Zukunft besser benimmst.“ Er erwiderte ihr Lächeln, und sie spürte, wie ihr Herz einen Purzelbaum schlug. Sein Lächeln wirkte entwaffnend. Sie konnte ihm nicht mehr böse sein, selbst wenn sie es gewollt hätte. Am Ende des Spaziergangs begleitete Steve sie bis vor ihre Zimmertür. Sie fragte sich, ob er wohl versuchen würde, sie zu küssen. Sie hoffte, er täte es nicht. Doch als er ihr lediglich eine gute Nacht wünschte, bemerkte sie zu ihrem Verdruß, wie enttäuscht sie war. Steve suchte sein eigenes Zimmer auf. Gedankenverloren hockte er sich auf die Bettkante. Dann mußte er lächeln. Er hatte seine Sache an diesem Abend gut gemacht. Er war sehr mit sich zufrieden. Keine Fehler, keine voreiligen Schritte mehr, schwor er sich. Am nächsten Tag gäbe es in Limerick geschäftlich viel für sie zu tun, und er würde kaum Zeit finden, um sich mit Kay endgültig auszusprechen. Doch übermorgen, an ihrem letzten Reisetag, mußte er alles auf eine Karte setzen. Er legte sich rücklings auf das Bett und verschränkte die Hände im Nacken. Versonnen blickte er zur Zimmerdecke empor. Er mußte sich jeden einzelnen Schritt sehr gut überlegen. Der Aufenthalt in Limerick war angefüllt mit Besuchen bei Lieferanten. Für den Abend hatten ihre Gastgeber indessen eine Unterhaltung ganz besonderer Art geplant. Im nahegelegenen Schloß Bunratty fand ein mittelalterliches Bankett statt, und das Ereignis übertraf noch alle ihre Erwartungen. In dem riesigen Saal standen lange, massive Holztische mit Bänken. Kay saß neben Steve. Hübsche Frauen in langen Gewändern aus schwerem Samt banden jedem Gast einen roten Stofflatz um den Hals. Das einzige Eßbesteck bestand aus einem scharfen Messer. Das Festmahl begann mit einer sämigen Gemüsesuppe, die die Dienerinnen aus Kellen in kleine Schüsseln gossen, woraus sie dann getrunken wurde. Als nächsten Gang gab es in Gemüse gedünstete Schweinerippen, danach gebratenes Huhn mit einer dicken braunen Soße. Als Beilage wurde Kohlsalat gereicht.
Anfangs behagte es Kay gar nicht, mit den Fingern zu essen, wie es im Mittelalter
üblich war, doch bald amüsierte sie sich köstlich. Vor allen Dingen schmeckte ihr
der Met, ein alkoholhaltiges, süßes Getränk aus fermentiertem Honig.
„Trink nicht zuviel von diesem Zeug“, flüsterte Steve ihr ins Ohr.
„Ich trinke nicht mehr als du“, gab Kay übermütig zurück. Sie war in
Hochstimmung.
„Sicher, aber wahrscheinlich vertrage ich den Alkohol besser.“
„Eine typisch männliche Überheblichkeit“, erwiderte sie mit gespielter Arroganz.
„Nein. Ich wiege nur mehr als du, und der Alkohol verteilt sich besser im Körper.
Außerdem bist du an starke Getränke nicht gewöhnt. Wenn du so weitermachst,
wirst du es morgen bereuen.“
„Na und? Morgen ist unser letzter Reisetag. Was macht es also schon aus?“ Sie
trank einen weiteren Schluck Met. „Da ohnehin alle im Hotel bleiben und Golf
spielen wollen, kann ich den Tag ruhig vertrödeln.“
„Du spielst doch auch kein Golf, nicht?“ meinte Steve versonnen. „Eigentlich
wollte ich erst später davon anfangen, aber vielleicht ist gerade jetzt der rechte
Augenblick. Ich möchte morgen in einem Mietwagen zur Halbinsel Dingle
zurückfahren. Hast du Lust, mich zu begleiten?“
Plötzlich schien der Saal leicht zur Seite zu kippen. „Du meinst, wir beide sollten
den Ausflug allein unternehmen – nur du und ich?“ Es klang halb skeptisch, halb
belustigt.
Eine Weile blickte Steve sie prüfend an, als wüßte er nicht, wie er Kays
Gesichtsausdruck deuten sollte. „Ja. Sei unbesorgt, ich möchte nur deine
Gesellschaft – weiter nichts.“
Aus warmen, glänzenden Augen erwiderte sie seinen Blick. Der Teufel mußte sie
reiten, denn plötzlich hörte sie sich fragen:
„Gibst du mir denn wenigstens heute abend einen GuteNachtKuß?“
Steves Augen wurden vor Überraschung ganz groß. Verstohlen spähte er zu ihren
Kollegen hinüber, die jedoch in eigene ausgelassene Unterhaltungen verwickelt
waren. „Psst“, warnte er. „Möchtest du, daß morgen den ganzen Tag lang über
uns geklatscht wird?“
Verlegen senkte Kay die Lider. Sie wußte selbst nicht, was über sie gekommen
war, als sie diese alberne Frage stellte. Es stimmte, sie hatte dem Met zu kräftig
zugesprochen. Doch es tat ihr gut, sich zur Abwechslung einmal gehenzulassen.
Sie war es leid, sich ständig vernünftig, sachlich und tugendhaft zu geben. Es war
ein herrliches Gefühl, ein rotes Lätzchen zu tragen, Met zu trinken und mit den
Fingern zu essen. Sie wollte über die Stränge schlagen.
Steve beugte sich näher an sie heran und flüsterte mit weicher Stimme:
„Möchtest du denn von mir geküßt werden?“
Kay schaute in sein Gesicht, das jetzt ganz nah war. Am liebsten hätte sie ihn
gleich auf der Stelle geküßt.
Ihre Verwirrung wuchs. „Ich… nein, natürlich nicht.“ Sie errötete.
„Warum hast du mich dann gefragt?“
Sie befeuchtete ihre Lippen. „Das war nur so dahingesagt. Es hat nichts zu
bedeuten.“
„Bestimmt nicht?“ erwiderte er mit einem vielsagenden Blick.
Nervös griff Kay nach ihrem Kelch voller Met. Der köstliche Nebel, der ihren Geist
umhüllte und sie so herrlich entspannte, begann sich zu lichten, und sie wollte
den Zustand völliger Gelöstheit zurückgewinnen.
Besorgt beobachtete Steve, wie sie den Honigwein trank, warnte sie allerdings
nicht mehr vor den möglichen Folgen. Er wußte, daß es keinen Zweck haben
würde.
„Kay, ehe du überhaupt keinen Entschluß mehr fassen kannst, laß uns noch eines klären. Kommst du morgen mit?“ „Wohin?“ Er seufzte. „Zur Halbinsel Dingle. Ich sagte doch, ich wollte einen Wagen mieten…“ „Ach ja.“ Sie schüttelte den Kopf, wie um ihre Gedanken zu klären. „Und wir werden uns auch nicht verirren?“ Steve grinste. „Ganz bestimmt nicht. Ich verspreche es dir, Kay. Es wird sicher ein sehr schöner Ausflug.“ „Na gut… immer noch besser, als den anderen beim Golf spielen zuzusehen. Ich komme gerne mit, Steve.“ „Geht es dir schon besser?“ erkundigte sich Steve. „Ja“, erwiderte Kay und stellte die Tasse Tee auf den Unterteller zurück. In einem kleinen Hotel hoch oben auf den Klippen, die die Bucht von Dingle säumten, aßen sie zu Mittag. Die Aussicht aus dem Fenster war atemberaubend. Träge rollten die Wellen des Ozeans auf dem breiten, weißen Sandstrand aus, und über allem spannte sich ein klarblauer Himmel. Seit dem Aufstehen litt Kay unter Kopfschmerzen, und ihr Magen hatte sich auch noch nicht wieder beruhigt. „Du siehst heute hübsch aus“, meinte Steve. „Auch wenn du noch ein bißchen verschwollen um die Augen bist.“ „Danke“, entgegnete sie. „Vor allen Dingen freue ich mich, daß du auf deine graue Uniform verzichtet hast“, fuhr er fort, während er beifällig ihre dunkelblaue Hose und die schicke, farblich darauf abgestimmte Bluse betrachtete. „Und es war ein Erlebnis, dich gestern abend so… sagen wir mal, ausgelassen zu sehen.“ „Das kann ich mir vorstellen“, versetzte sie trocken. „Wahrscheinlich habe ich mich gründlich blamiert. Du hättest mich daran hindern sollen, soviel von diesem Met zu trinken.“ „Ich hab's versucht, aber du wolltest nicht auf mich hören. Außerdem war mir dein beschwipster Zustand nicht ganz unlieb. Um die Wahrheit zu sagen, fiel es mir so viel leichter, dich auf diesen Ausflug zu locken.“ Sie spitzte die Ohren. „Was sagst du da?“ „Du hast richtig gehört, Kay.“ Vorsichtig stellte er seine Tasse Tee auf den Tisch zurück. Er schien zu überlegen. „Ich wollte unbedingt mit dir allein sein, weil ich dir einen Vorschlag machen möchte.“ Ihr wurde unbehaglich zumute. „Würdest du bitte näher erklären, was du damit meinst?“ forderte sie ihn auf. Gerade, als Steve zu einer Antwort ansetzte, brachte die Serviererin die Rechnung. Mit wachsender Spannung wartete Kay, bis Steve gezahlt hatte und sie wieder allein waren. „Laß uns doch den Klippenpfad hinuntergehen und ein Stück am Strand entlanglaufen“, schlug Steve vor. „Steve, ich möchte auf der Stelle wissen, was in deinem Kopf vor sich geht“, versetzte Kay mit Nachdruck. „Am Strand ist es romantischer. Dort können wir uns besser unterhalten.“ „Ich begleite dich nirgendwohin, wo es ,romantisch' ist, wenn du mir nicht sofort sagst, was du im Schilde führst!“ Steve holte tief Luft. Kay wurde es mulmig. Sie befand sich allein mit Steve an einem Ort, wie er abgeschiedener nicht sein konnte, in einem winzigen, fast leeren Hotel hoch oben auf einsamen Klippen. Er hatte die Wagenschlüssel, und
sie war auf ihn angewiesen, wenn sie wieder heimkommen wollte zu ihrer Gruppe. Sie fand es im Nachhinein töricht, diesen Ausflug mit ihm zu machen. Vor Nervosität und Spannung fühlte sie sich ganz schwach, als er endlich wieder das Wort ergriff. „Vielleicht ist es das beste, wenn ich mit der Tür ins Haus falle, Kay. Ich möchte dich heiraten.“ Zuerst glaubte sie, sie habe sich verhört. „Heiraten? Mich?“ Wie betäubt saß sie da. Erwartungsvoll blickte Steve sie an. Es dauerte eine Weile, ehe sie begriff, daß er auf ihre Antwort wartete. Was sollte sie ihm sagen? Sie fühlte sich, als sei sie soeben von einem Trampolin gesprungen und schwebe mitten in der Luft. Mitten in ihrer Verwirrung bemerkte sie, wie eine Gruppe junger Leute den großen Raum betrat und sich lärmend um die Tische verteilte. Das lebhafte Geschnatter zerrte an ihren Nerven. „Laß uns gehen, Steve. Am Strand ist es ruhiger.“ Zehn Minuten später nahm Steve ihre Hand, um Kay das letzte steile Stück des Klippenweges hinabzuhelfen. Bald schlenderten sie den endlosen Sandstrand entlang. Zu hören war nur noch das leise Rauschen der Wellen. Sie waren jetzt vollkommen allein. Steve legte den Arm um ihre Taille. „Nun, Kay, wie denkst du darüber?“ „Ein Heiratsantrag war das letzte, was ich von dir erwartet hatte“, entgegnete Kay mit einem dünnen Lachen. Sie fühlte sich immer noch so benommen, daß sie beim Gehen im Sand hin und wieder über ihre eigenen Füße stolperte. „Ich hätte mich geschickter anstellen sollen. Aber es ist mein erster Heiratsantrag, und ich habe mich wohl etwas zu lässig ausgedrückt. Ach so, das Wichtigste vergaß ich zu sagen: Ich liebe dich, Kay. Eigentlich hatte ich dir das als erstes sagen wollen.“ Steve wandte sich zu ihr um. Abermals fühlte sich Kay zutiefst ergriffen. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Das hast du noch nie zu mir gesagt“, flüsterte sie. „Ich weiß. Ich liebe dich schon seit Jahren, aber erst in der letzten Zeit habe ich es mir selbst eingestanden. Meine Gefühle habe ich so lange hinter Witzen und Streichen verborgen, daß ich manchmal selbst daran glaubte, mein Leben sei ein einziges Karnevalsfest. Doch im Grunde bin ich ganz anders, Kay.“ Seine Stimme wurde weich. „Ich war schrecklich einsam, weil ich mich selbst dazu zwang, zu dir Distanz zu halten.“ Sie betrachtete sein ernstes Gesicht und versuchte, das Gesagte zu verstehen. „Warum hast du es dann getan, Steve?“ Er senkte den Kopf. „Es wird dir schwerfallen, mir zu glauben, aber als du vor Jahren anfingst, in unserer Firma zu arbeiten, verliebte ich mich beinahe auf den ersten Blick in dich. Du warst schön, intelligent, warmherzig, freigebig – du warst meine Traumfrau. Ich fand dich so unwiderstehlich, daß dieses Gefühl mich beinahe erschreckte. Ich… ich hatte Angst davor, mich innerlich so stark an einen Menschen zu binden. Ich hatte mir geschworen, so etwas dürfe mir nie passieren.“ „Und warum?“ fragte sie verwirrt. „Kay“, erwiderte er mit einem tiefen Seufzer, „mein Vater starb bei einem Unfall auf der Autobahn, den er hätte vermeiden können. Ich selbst habe nie so recht an ein Unglück geglaubt. Meine Mutter, die er buchstäblich anbetete, war ein paar Jahre zuvor an einer unheilbaren Krankheit gestorben, und ihren Tod konnte er nicht verwinden. Sieh doch, Kay, danach habe ich befürchtet, das gleiche Schicksal könnte auch mich treffen. Es ist grausam, einen über alles geliebten
Menschen zu verlieren. Und als ich merkte, daß du anfingst, mein ein und alles zu werden, dachte ich nur noch ans Fortlaufen.“ „Ach, Steve.“ Kay umarmte ihn, während ihr die Tränen die Wangen hinunterrannen. „Das geschah vor fünf Jahren“, fuhr er mit rauher Stimme fort. „Ich wußte, daß du mich nicht verstehen würdest, und ich verabscheute mich selbst, weil ich dich ohne eine Erklärung verließ. Aber ich konnte nicht anders. Damals war ich in vielerlei Hinsicht noch sehr unreif. Ich besaß nicht die Kraft, mich mit meinen Gedanken auseinanderzusetzen. Also versuchte ich dich zu vergessen, indem ich ein Playboyleben führte. Keine der Frauen, mit denen ich zusammen war, hat mir je etwas bedeutet. Und das war mir gerade recht so.“ „Du wolltest also keine einzige von ihnen heiraten?“ „Ach, ich trug mich durchaus mit dem Gedanken, irgendwann einmal zu heiraten, aber mehr aus praktischen Gründen. Zum Beispiel wollte ich eine Familie gründen. Ich dachte mir, einmal fände ich schon eine Frau, mit der ich gut auskäme. Mit anderen Worten eine Frau, die auch nicht annähernd an dich herangekommen wäre. Großer Gott, ich wäre todunglücklich geworden. Zum Glück bin ich noch rechtzeitig aufgewacht.“ Kay lächelte schüchtern. „Und was hat dich aufgeweckt?“ Steve blickte ihr in die Augen. „Du warst es. Du und deine gräßlichen grauen Kostüme. Ich begann, mir Sorgen um dich zu machen. Und dann tauchte noch dieser John Holloway auf, der dich für meinen Geschmack viel zu hartnäckig verfolgt. Allein die Vorstellung, du und er könntet…“ Angewidert verzog er den Mund. Kay wandte ihr Gesicht ab. John. Sie hatte ihn gänzlich vergessen. Deshalb also hatte sich Steve ihm gegenüber manchmal so unausstehlich benommen. Er war eifersüchtig. Sie verkniff sich ein Lächeln. Es tat gut zu wissen, daß Steve auf John eifersüchtig war. Sie selbst hatte jahrelang mit dem quälenden Stachel der Eifersucht leben müssen. „Wie dem auch sei“, fuhr Steve fort, „schließlich habe ich erkannt, daß sich ein Leben ohne Risiken nicht lohnt. Ich will das Wagnis eingehen, dich zu lieben und meine gesamte Existenz auf dich zu konzentrieren, Kay. Ich möchte, daß du meine Frau wirst. Wie ist deine Antwort?“ Sie lächelte schüchtern. „Ich fühle mich ein bißchen überrumpelt. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.“ Steve schien enttäuscht zu sein. Doch dann lächelte er. „Natürlich, das kann ich verstehen.“ „Eines sollst du noch wissen, Steve“, ergänzte sie. „Vor fünf Jahren verliebte ich mich Hals über Kopf in dich. Und obwohl ich alles getan habe, um dich zu vergessen, ist es mir im Grunde nie gelungen. An John zum Beispiel dachte ich überhaupt nicht mehr, bis du ihn vorhin erwähntest.“ „Hoffentlich bleibt das so!“ Sie lächelte. „Der arme John. Ich fürchte, ich werde ihn enttäuschen müssen.“ „Ausgezeichnet.“ Steve senkte den Kopf und küßte sie. Kay preßte sich dicht an ihn und erwiderte hingebungsvoll die Liebkosung. Ihre Lippen öffneten sich, und sie spürte, wie seine Erregung wuchs. Plötzlich hob er sie hoch und schwenkte sie herum. „Steve!“ rief sie lachend. Sie klammerte sich an ihn. Dann ließ er sie behutsam auf den Sandboden nieder. Bald lagen sie nebeneinander und umarmten sich. „Ach, Kay“, flüsterte er, „warum sagst du nicht einfach, daß du mich heiraten willst? Es besteht doch kein Zweifel daran, was wir füreinander empfinden. Was gibt es da noch zu überlegen?“
Kay blickte bekümmert drein und rückte ein Stück von ihm ab. Dann richtete sie sich halb auf. „Steve, obwohl wir uns vor fünf Jahren ineinander verhebt haben, kommt mir die ganze Situation plötzlich neu vor. Vor allen Dingen, nachdem du mich in den vergangenen Monaten ständig mit deinen Sticheleien verfolgt hast.“ Er griff nach ihrer Hand. „Das tat ich doch nur, um wieder deine Aufmerksamkeit zu erregen.“ „Ich weiß. Ich glaube, daß ich dich auch recht gut verstehe. Trotzdem ändert es nichts an der Tatsache, daß wir lange Zeit nichts miteinander zu tun hatten. Wir haben uns entfremdet, auch wenn noch gewisse Gefühle füreinander da waren. Im Grunde kenne ich dich kaum. Und dann… all diese Frauen, mit denen du in der Zwischenzeit befreundet warst…“ „Sie bedeuten mir nicht das geringste“, fiel Steve ihr hastig ins Wort. „Das mag sein“, erwiderte Kay. „Aber du bist an ein ungebundenes Leben mit reichlich Abwechslung gewöhnt. Bist du sicher, daß du dich auf die Dauer mit einer Frau zufriedengeben wirst?“ „Wenn du die Frau bist, ja!“ behauptete er mit Nachdruck. „Kay, seit Monaten, seit ich weiß, daß ich ohne dich nicht leben kann, habe ich keine andere Frau mehr angeschaut. Mein Junggesellenleben werde ich nicht vermissen, das verspreche ich dir.“ Sie spürte, daß er an das glaubte, was er ihr sagte. Allerdings fragte sie sich, ob er sich nicht selbst betrog. Vielleicht würde er seine Freiheit eines Tages doch vermissen. „Ich halte es für das beste, wenn wir noch ein wenig warten, ehe wir uns unüberlegt in eine Ehe stürzen.“ Sie lächelte. „Aber ich bin glücklich, daß du es ernst mit mir meinst… daß du mich nicht als deine nächste Affäre betrachtest.“ Er beugte sich über sie und sah sie durchdringend an. „Du irrst dich. Du bist meine nächste Affäre – und meine letzte. Ein Mann sollte mit seiner Frau eine Liebesaffäre haben, findest du nicht auch?“ Ehe Kay antworten konnte, küßte er sie wieder. Den Rest des Nachmittags und frühen Abends verbrachten Kay und Steve damit, kreuz und quer über die Halbinsel Dingle zu fahren, ohne indessen viel von den grandiosen Naturschauspielen wahrzunehmen. Es dunkelte bereits, als sie Schloß Dromoland wieder erreichten. Zu Kays Erleichterung beobachtete keiner ihrer Arbeitskollegen ihre Rückkehr. Langsam, Arm in Arm, schritten Kay und Steve die breite Treppe hinauf zur oberen Etage. Vor der Zimmertür blieben sie stehen. Nervös suchte Kay nach ihrem Schlüssel. Sie sperrte die Tür auf, und dann sah sie Steve ins Gesicht. Mit einer Spur von Schüchternheit erwiderte er ihren Blick. „Darf ich noch mit hineinkommen?“ fragte er leise. Zu ihrer eigenen Überraschung zögerte sie kaum. „Ja, gern.“ Sie traten ein und schlossen die Tür. Kay fühlte sich schwach, als sie zur Kommode ging und dort Schlüssel und Handtasche ablegte. Im Spiegel sah sie, wie Steve ihr folgte. Von hinten umarmte er sie, dann küßte er ihren schlanken, weichen Hals. Seine Hände ruhten unter ihrem Busen. Schließlich begann er, durch den Stoff der Bluse sanft ihre Brüste zu streicheln. Vor Wonne schloß sie die Augen. Sie lehnte sich zurück. „Steve“, flüsterte sie. Langsam knöpfte er ihre Bluse auf. Voller Bewunderung betrachtete er dann ihre entblößten, anmutig gerundeten Formen. Mit dem Finger zog er die Kontur ihres Büstenhalters nach, ehe er den Mittelverschluß öffnete und die Spitzenkörbchen zur Seite streifte.
Warm umschlossen seine Hände ihre Brüste. Im Spiegel begegneten sich ihre Blicke, und sie lächelten ohne Scheu, vollkommen eins mit sich. Steve zog ihr die Bluse und den Büstenhalter ganz aus und ließ beides geräuschlos zu Boden gleiten. Rasch streifte er dann sein eigenes Hemd ab. Kay wandte sich ihm zu, um die breite Brust und die muskulösen Oberarme besser bewundern zu können. Viel Zeit zum Schauen ließ er ihr nicht, denn stürmisch riß er sie an sich. Sie wurde gegen seine Brust gepreßt. „Kay, du fühlst dich wunderbar an“, stöhnte er, „du bist eine ungemein reizvolle Frau.“ Ihre Lippen verschmolzen miteinander. In wachsender Erregung klammerte sie sich an ihn. Erwartungsvoll öffnete sie den Mund. „Ach Kay, Kay, Kay“, murmelte er, während er hungrige Küsse auf ihren Hals und ihre Schultern tupfte. Sein Mund schloß sich um ihre Brustknospe. Kay hob sich auf die Zehenspitzen, um sich seinen forschenden, liebkosenden Lippen näherzubringen. Sie stöhnte leise, als er sanft an ihren harten Brustwarzen knabberte. Ihre Erregung steigerte sich, bis sie hingebungsvoll Steves Namen flüsterte. Er hob den Kopf und schaute auf Kay hinab. In seinen Augen brannte ein dunkles Feuer. „Ich hatte gehofft, daß du noch genauso sein würdest, Kay. In letzter Zeit sahst du so leblos, so kalt aus. Ich hatte schon befürchtet, du wüßtest gar nicht mehr, was Sinnlichkeit und Erotik bedeuten.“ Ihre Lippen bebten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Die gleichen Befürchtungen hatte ich auch.“ Er drückte sie fester an sich. „Ich begehre dich, Kay. Ich möchte mit dir schlafen. Ich will dich lieben. Ich will am Morgen neben dir im Bett aufwachen und dich von neuem in meine Arme schließen.“ Kay seufzte auf und preßte die Stirn gegen seine Brust. „Steve“, flüsterte sie betroffen. „Ich liebe dich“, wiederholte er, wie um sie zu beruhigen. „Ich liebe dich so sehr.“ „Ich liebe dich auch, Steve. Und es macht mich glücklich, daß du mich begehrst. Aber… ich finde, wir sollten es noch nicht zum Letzten kommen lassen. Mir geht alles ein bißchen zu schnell.“ „Zu schnell?“ wiederholte er mit einem traurigen Lächeln. „Wir kennen uns seit fünf Jahren.“ „Aber die meiste Zeit waren wir getrennt, wenigstens, was unser Privatleben betrifft. Wir sollten unsere Gefühle prüfen, bis wir uns ganz sicher sind. Wir müssen mehr Zeit zusammen verbringen, um festzustellen, ob wir wirklich zueinander passen.“ „Ich bin mir jetzt schon sicher, Kay. Keine andere Frau hat je deinen Platz in meinem Herzen eingenommen.“ „Ich weiß. Genauso empfinde ich für dich. Trotzdem…“ „Was bedrückt dich noch?“ „Steve…“ Sie zögerte, ehe sie weitersprach. „Ich… ich weiß, für eine Frau in meinem Alter klingt es albern, aber ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Ich war noch nie für flüchtige Affären. Du warst der einzige, dem ich nachgegeben hätte, und als du mich verlassen hast, wollte ich keinen anderen Mann mehr. Ich beschloß, mich voll und ganz auf meine berufliche Karriere zu konzentrieren. Kein Mann sollte mehr auf mein Leben Einfluß nehmen. Es fällt mir nicht leicht, plötzlich umzudenken… auch bei dir nicht.“ Sie machte eine kleine Pause, ehe sie fortfuhr: „Wenn ich mich dir das erstemal hingebe, soll es ein schönes Erlebnis sein. Ohne Bedenken und ohne Zweifel an dem, was ich tue. Es soll die köstlichste Erinnerung meines Lebens werden. Aber
noch habe ich Angst, Steve, obwohl ich dich auch begehre.“ Sie wischte ein paar Tränen fort und hoffte, er möge ihren Standpunkt verstehen. Als ihr Blick sich klärte, sah sie zu ihrer Verwunderung den feuchten Schimmer in seinen Augen. „Damit hatte ich nicht gerechnet – daß du dich für mich aufgehoben hast.“ Sanft küßte er ihre Wangen, ihre Nase und ihren Mund. Dann zog er sie an sich. „Eine Frau wie dich verdiene ich gar nicht.“ Lächelnd blickte sie zu ihm hoch. „Doch, du verdienst mich.“ Zögernd erwiderte er ihr Lächeln. „Aber du läßt mich warten?“ „Nur ein Weilchen.“ Er nickte. „Auf dich würde ich eine Ewigkeit lang warten. Das weißt du. Aber welche Bedenken hast du eigentlich?“ „Ich habe Angst, daß du doch noch nicht so bereit bist wie du glaubst, eine Ehe einzugehen.“ Und ich habe Angst, du könntest es dir zum Schluß anders überlegen und mich ein zweites Mal verlassen, fügte sie in Gedanken hinzu. Ich habe Angst, daß du eines Tages dein Junggesellenleben vermißt, daß ich dir nicht genügen werde daß ich dich nicht halten kann. Laut sprach sie ihre Zweifel jedoch nicht aus. Er sollte nicht glauben, daß sie ihm mißtraute. Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Kay, das Haus in Oak Brook habe ich so gut wie gekauft. So etwas geschieht nicht aus einer momentanen Laune heraus. Ich habe es für uns beide gekauft. Deshalb wollte ich auch, daß du es dir ansiehst. Es sollte dir gefallen. Damals traute ich mich noch nicht, dir von meinen Plänen zu erzählen. Aber ich wollte das Haus für uns beide haben, damit wir als Mann und Frau darin wohnen werden. Wenn das nicht meine Bereitschaft beweist, mich endgültig häuslich niederzulassen, dann weiß ich nicht, was ich noch tun soll.“ Kay lächelte und neigte den Kopf. Gewiß, seine Argumente klangen überzeugend. Dennoch fand sie, sie müßten mehr Zeit gemeinsam verbringen, daheim in Illinois und nicht in einem verwunschenen Schloß in einem schönen fremden Land, wo das Leben selbst wie ein Märchen schien. „Ich danke dir, Steve“, flüsterte Kay. Dann drückte sie ihre Lippen gegen die glatte Haut seiner Schulter. „Du bist ein feiner Kerl. Doch ich schlage vor, daß wir beide jetzt zu Bett gehen – du in deines und ich in meines. Wir müssen morgen zeitig aufstehen, wenn wir noch packen und von Shannon aus nach Amerika zurückfliegen wollen. Einmal kommt für uns der richtige Tag, an dem wir uns lieben werden.“ „Eher, als du denkst“, versprach Steve. Zärtlich liebkoste er ihr Gesicht. „Und an deinem Finger steckt bald ein Ring.“ Glücklich strahlte Kay ihn an. „Ich liebe dich“, hauchte sie. Dann reckte sie sich empor und küßte ihn auf den Mund.
6. KAPITEL Ein paar Wochen später betrat Kay ihr Büro. Sie begrüßte Diane, um deren Lippen ein verschmitztes Lächeln spielte. Zu ihrer Überraschung war die Tür bereits aufgeschlossen. Sie wußte, warum, als sie auf ihrem Schreibtisch die schmale, hohe Vase stehen sah, in der eine einzige rote Rose steckte. Lächelnd öffnete sie den danebenliegenden Umschlag. Auf einer weißen Karte stand nur das eine Wort: „Wann?“ Seit ihrer Rückkehr aus Irland bedrängte Steve sie mit dieser Frage. Wann würde sie ihn heiraten? Wann würden sie sich endlich lieben? Wann? Es war eine schwierige Frage. Steve und sie kamen in ihrer Freizeit häufig zusammen, sie sahen sich abends nach Büroschluß und an den Wochenenden. Alles zwischen ihnen lief glatt und reibungslos. Ihre Beziehung zueinander war wieder genauso harmonisch und herzlich wie vor fünf Jahren. Wann also? Kay wußte es nicht. Sie empfand ihre jetzige Situation als angenehm, und sie zögerte immer noch, den entscheidenden Schritt in die Ehe zu wagen. Vielleicht konnte sie es nicht vergessen, daß Steve sie einmal im Stich gelassen hatte, als zwischen ihnen auch alles genauso harmonisch verlief. Unbewußt befürchtete sie wohl immer noch, der Vorfall von damals könne sich wiederholen. Zum Glück hatte sie ihre Beziehung zu John Holloway auf unkomplizierte Art und Weise gelöst. Sie war sich gemein vorgekommen, als sie ihm gestehen mußte, sie liebe einen anderen. Er blieb gelassen, doch sie sah es ihm an, wie schmerzlich ihn ihre Mitteilung getroffen hatte. „Das ist aber eine Überraschung“, erwiderte er nach einer langen Pause. „Ich… ich bin selbst ein wenig überrascht. Er ist ein Arbeitskollege, und wir sehen uns jeden Tag.“ „Dieser junge blonde Bursche… wie heißt er doch gleich? Rawlins?“ „Ja. Wie hast du es erraten?“ „Ich dachte mir schon lange, daß du ihm nicht gleichgültig bist. Es war die Art, wie er dich immer ansah.“ Kay löste die Uhr von ihrem Handgelenk. „Es ist eine sehr kostbare Uhr, John. Unter diesen Umständen möchte ich sie dir lieber zurückgeben.“ „Das kommt gar nicht in Frage“, wehrte er ab. „Ich habe sie dir geschenkt, und du sollst sie behalten.“ „Nein, bitte…“ Er legte seine Hand auf ihren Arm. „Kay, ich bitte dich, behalte die Uhr. Sie war ein Ausdruck meiner Zuneigung zu dir, und diese Zuneigung besteht nach wie vor. Du hast gemerkt, daß du einen anderen liebst, und das akzeptiere ich. Wir trennen uns in aller Freundschaft. Und falls sich deine Gefühle einmal ändern sollten… dann rufst du mich hoffentlich an.“ Vor Rührung stiegen ihr Tränen in die Augen. „Danke, John.“ Seinen Worten und seiner Miene entnahm sie, daß er ihre Liebe zu Steve nicht ernst nahm. Vermutlich glaubte er, es handele sich lediglich um ein Strohfeuer, das bald erlöschen würde. Wie sehr er sich doch irrt, dachte sie. Ihre Liebe zu Steve wäre so leicht nicht zu erschüttern. Als sie an jenem Abend in ihre Wohnung zurückkehrte, verwahrte sie die Uhr in einer Schublade. Sie wußte nicht, was sie damit anfangen sollte. Steve wäre es sicherlich nicht recht, wenn sie sie weiterhin tragen würde. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, sie ihrer Mutter zu schenken, um dann die Angelegenheit zu vergessen.
Nun setzte sich Kay hinter den Schreibtisch und nahm einen kleinen Spiegel aus
ihrer Handtasche. Kritisch prüfte sie ihr Makeup. Seit sie aus Irland
zurückgekommen war, hatte sie wieder damit begonnen, sich ein wenig
sorgfältiger zu schminken. Lippenstift und Rouge hatte sie zwar immer benutzt,
doch nun tuschte sie sich zusätzlich die Wimpern und trug einen dezenten
Lidschatten auf. Ihre Verwandlung war im Büro nicht unbemerkt geblieben, und
man machte ihr Komplimente.
Sie ging sogar so weit, die Ratschläge ihres Buches hin und wieder zu ignorieren.
Zwar trug sie immer noch Kostüme, doch nun in hellen, freundlichen Farben und
von raffiniertem Schnitt.
Wenige Minuten später erschien Steve in ihrer Tür. „Du siehst hübsch aus,
heute“, meinte er anerkennend.
Sie lächelte ihm zu. „Danke. Und vielen Dank für die Rose.“
Er nickte. „Wann erhalte ich die Antwort auf meine Frage?“
Einen kurzen Moment lang blickte Kay nach unten, doch dann blickte sie Steve
an. Ihre Augen glänzten. „Bald.“
„Dein Lieblingswort“, versetzte er wehmütig. „Sollen wir heute gemeinsam zu
Mittag essen?“
„Gern.“
„Kannst du es einrichten, daß wir ein wenig früher gehen – so gegen elf?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Hast du ein spezielles Restaurant
im Sinn, das um die Mittagszeit sehr voll wird?“ fragte sie interessiert.
„Ja, ich habe etwas Spezielles im Sinn“, räumte er ein.
„Wohin gehen wir?“ erkundigte sich Kay, nachdem Steve bereits eine Weile mit
ihr die Michigan Avenue entlanggegangen war. Im Grunde war es Kay
gleichgültig, wohin Steve sie führte. Es war ein milder, sonniger Frühlingstag,
ideal zum Spazierengehen.
„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Kay“, erwiderte er, „aber vor dem Lunch
möchte ich noch rasch ins Rathaus, um ein paar Papiere abzuholen.“
„Ach so“, entgegnete sie. „Welche Papiere denn?“
„Ich brauche sie, damit ich bestimmte Formalitäten erledigen kann. Es wird wohl
nicht lange dauern.“
Gemeinsam betraten sie das Rathaus, und bald standen sie in einem düsteren,
langen Korridor in einer Schlange. Erst als sie allmählich vorrückten, bemerkte
Kay das Schild über der Tür, vor der sie warteten.
„Heiratsurkunden!“ las sie laut. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, um dann noch
schneller zu pochen. „Was hat das zu bedeuten, Steve?“
„In zehn Tagen ziehe ich in unser Haus in Oak Brook, Kay. Ich habe keine Lust,
allein dort zu leben“, erwiderte er.
„Aber, Steve…“
„Willst du es mir zumuten, daß ich tagtäglich mutterseelenallein die lange Fahrt
zum Büro zurücklege?“
Kay fühlte sich wie benommen. Gleichzeitig mischten sich in ihr die
unterschiedlichsten Gefühle. Sie empfand Aufregung, Heiterkeit, Nervosität – und
einen leisen Groll.
„Heiraten ist eine ernste Angelegenheit“, sagte sie, während sie sich bemühte,
ruhig zu bleiben. „Du… du willst mich überrumpeln.“
Die Schlange rückte abermals vor. Bald würden sie an der Reihe sein.
„Nein. Ich habe nur beschlossen, meine Frage selbst zu beantworten. Wir können
sofort heiraten oder erst in ein paar Wochen. Wie ich gesagt habe handelt es sich
hier bloß um gewisse Formalitäten. Die Hauptsache ist und bleibt die
Trauungszeremonie.“
„Und wie ich annehme, hast du auch in dieser Hinsicht bereits Pläne
geschmiedet“, erwiderte sie, indem sie die Arme vor der Brust verschränkte.
„Ja, das stimmt. Richter Clark ist ein alter Freund meiner Familie. Ich rief ihn an,
und er erklärte sich bereit, die Trauung zu vollziehen. Ich dachte mir, die Feier
könnte am zwanzigsten Juni in unserem Haus stattfinden. Es ist ein Samstag.“
Kay war vollkommen überrascht. „Am zwanzigsten Juni! Bis dahin sind es ja noch
nicht einmal vier Wochen!“
„Wir sollten es kurz und schmerzlos machen“, fuhr Steve fort. „Wie beim
Heftpflaster. Man kann es mit einem Ruck abziehen, man kann es aber auch ganz
langsam und schmerzhaft lösen.“
Ihr schwindelte. „Steve, wie kannst du eine Hochzeit mit einem Heftpflaster
vergleichen? Ich… ich muß mir ein Brautkleid kaufen, überlegen, welche Gäste
wir einladen…“
„Mit der Gästeliste habe ich bereits begonnen“, erklärte er, während er Kay ein
Stück weiter auf die Tür des Amtszimmers zuschob. „Ich finde, wir sollten im
kleinen Kreis heiraten. Das vereinfacht die Angelegenheit, und wegen des
Swimmingpools haben wir ja auch nicht allzuviel Platz im Garten. Bist du damit
einverstanden?“
„Ich glaube schon“, erwiderte sie. Nervös verschränkte sie ihre Finger. Ihre
Gedanken überstürzten sich. „Trotzdem wird die Zeit für die Vorbereitungen nicht
reichen.“
„Wenn man die Heiratserlaubnis erst einmal hat, muß die Trauung innerhalb
einer vorgeschriebenen Frist stattfinden“, klärte er sie auf.
„Aber es gibt so viel zu tun“, Kay war verwirrt. „Wir müssen Möbel kaufen, das
Haus einrichten…“
„Ich dachte mir, wir könnten heute abend damit anfangen, Möbel auszusuchen.
Wäre dir das recht?“
„Wie konntest du nur all diese Entscheidungen treffen, ohne vorher mit mir zu
sprechen?“ fragte sie verärgert.
„Du hast das Thema doch immer vermieden“, hielt er ihr entgegen.
Kay nickte; es stimmte. „Aber… aber du setzt es als selbstverständlich voraus,
daß ich dich heiraten werde. Bis jetzt habe ich meine Zustimmung noch nicht
gegeben.“
Steve blickte sie an. Seine grünen Augen waren unergründlich. „Spielst du etwa
mit dem Gedanken, mir einen Korb zu geben?“
Verwirrt und verlegen wandte Kay das Gesicht ab. Er konnte in ihr lesen wie in
einem offenen Buch. „Nein, natürlich hatte ich nichts dergleichen vor.“ Sie
schaute ihm in die Augen und lächelte. „In Ordnung, ich heirate dich, Steve.
Trotzdem brauchen wir mehr Zeit, um die Hochzeit zu planen“, beharrte sie.
„Ich sagte dir doch, es gibt eine bestimmte Frist. Wir können den Termin nicht
verschieben.“ Er nahm ihren Arm und zog sie in die Amtsstube.
„Doch, wenn wir uns später um die Heiratserlaubnis bemühen“, widersprach sie.
Sie blickte nach vorn und merkte, daß ein älterer, kahlköpfiger Beamter sie
beobachtete.
„Warum sollten wir?“ versetzte Steve mit wachsender Ungeduld. „Möchtest du
etwa eine anderes Mal wiederkommen und noch einmal stundenlang Schlange
stehen? Jetzt sind wir hier!“
„Ehrlich, Steve, manchmal benimmst du dich unmöglich!“
Der Glatzkopf musterte sie skeptisch. „Sie beide möchten heiraten?“
„Warum nicht?“ gab Steve gereizt zurück. „Zanken wir uns nicht schon wie ein
altes Ehepaar?“
„Grund genug zum Heiraten“, entgegnete der Kahlköpfige gelassen. Er griff nach
einem Kugelschreiber. „Haben Sie die Befunde der Bluttests dabei?“
Einen Moment lang starrte Steve ihn verständnislos an. „Bluttests? Ach ja, Blut
tests!“ Ihm ging ein Licht auf. „Daran hatte ich gar nicht gedacht, verflixt noch
mal!“
Kay konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Einer von Steves umsichtig
ausgeklügelten Plänen war schiefgegangen.
„Es tut mir leid“, meinte der Beamte, „aber ehe Sie sich um die Heiratserlaubnis
bemühen, müssen Sie die Bluttests durchführen lassen.“
„Verflixt“, brummte Steve.
„Wie lange ist die Heiratserlaubnis gültig, wenn man sie erst einmal hat?“
erkundigte sich Kay. „Sechzig Tage“, antwortete der Beamte.
Kay kämpfte immer noch gegen ihren unbändigen Lachreiz an, als sie das
Rathaus verließen. Obwohl Steve ihr im Grunde leid tat. Er blickte finster drein
und schien sich über sein Versäumnis zu ärgern. Tröstend nahm sie seinen Arm.
„Ich rufe meinen Hausarzt an, und wahrscheinlich kann ich die Tests noch heute
abend in seiner Praxis machen lassen. Vielleicht geht es bei dir genauso rasch.“
Seine Miene erhellte sich. „Das willst du wirklich tun?“
„Natürlich“, erwiderte sie. Kay hob sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen
Kuß. „In ein paar Tagen kommen wir zurück und stellen uns noch einmal in die
Schlange. Aber wir sollten lieber zuerst etwas essen.“
Steve machte ein glückliches Gesicht. „Okay.“
„Da die Heiratserlaubnis sechzig Tage lang gültig ist, können wir den
Hochzeitstermin ohne weiteres um ein paar Wochen verschieben“, schlug Kay
vor.
„Das kommt gar nicht in Frage!“ protestierte Steve. „Es bleibt beim zwanzigsten
Juni. An diesem Tag hat Richter Clark für uns Zeit, und ich möchte ihn nicht
damit belästigen, daß wir ständig den Termin ändern.“
„Es wäre doch nur dieses eine Mal…“
„Nein“, beharrte er. „Das Datum steht ein für alle Mal fest. Du hattest Zeit genug
zum Überlegen, und ich will nicht länger allein leben. Ich bin das
Junggesellendasein leid. Ich will dich bei mir haben jede Nacht.“
Kay schwieg. Seine Worte und die Betonung, mit der er sie aussprach,
verursachten in ihr ein angenehmes Prickeln. Ihr wurde leicht ums Herz. Sie
lächelte und mußte blinzeln, weil ihre Augen plötzlich feucht wurden. „Wie du
willst, Steve. Dann heiraten wir also am zwanzigsten Juni. Ich weiß zwar nicht,
wie wir die Vorbereitungen schaffen sollen, aber…“
„Wir schaffen es schon“, beruhigte Steve sie mit einem strahlenden Lächeln. Er
legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich.
„Ich bin hungrig“, erklärte sie, während sie die State Street entlangschritten.
Hoffentlich bekamen sie in dem Restaurant noch einen Platz.
„Das ist gut“, erwiderte er und sah sie liebevoll an.
Doch anstatt in ein Restaurant, dirigierte Steve sie wenige Minuten später in ein
Juweliergeschäft.
„Steve“, flüsterte Kay, als der Verkäufer sie einen Augenblick lang allein ließ, um
eine Auswahl neuer Ringe zu holen, „du kannst mir doch nicht einen so großen
Diamanten schenken. Immerhin hast du gerade ein Haus gekauft.“
„Die monatlichen Belastungen kannst du ja von deinem Gehalt bezahlen“, zog er
sie auf.
„Steve, ich meine es ernst.“
„Gefällt dir der Stein nicht?“
„Doch, natürlich, aber…“
„Dann sollst du ihn auch haben. Welche Fassung möchtest du?“
Eine geraume Zeit später, nachdem sie Kays Verlobungsring und für sie und Steve Trauringe ausgesucht hatten, fragte Kay mit schwacher Stimme: „Können wir jetzt essen gehen?“ „Bist du hungrig?“ erkundigte sich Steve, als sie das Geschäft verließen. „Du wirst von Minute zu Minute hinterhältiger“, klagte sie ihn an. „Du läßt mich hungern, damit du bei mir besser deinen Willen durchsetzen kannst.“ Schmunzelnd öffnete er die Tür zu einem bekannten Restaurant in der Nähe des Juwelierladens. „Wenn Hungern bei dir etwas nützen würde, dann hättest du mir mittlerweile mehr versprochen als mich zu heiraten. Falle mir bloß nicht vor Schwäche in Ohnmacht.“ Sie seufzte. „Das Leben mit dir wird sicher nie langweilig.“ Er strahlte. „Es wird sicher noch viel interessanter, als du es dir jetzt vorstellen kannst“, flüsterte er ihr bedeutungsvoll zu.
7. KAPITEL Während der nächsten Tage verbrachten Kay und Steve jede freie Stunde damit, für das Haus in Oak Brook Möbel, Gardinen und Tapeten auszusuchen. Bis spät in die Nacht hinein blieb Kay auf und studierte Bücher, die sich mit dem Einrichten von Häusern befaßten. Steve überließ die meisten Entscheidungen ihr, obwohl er sich für jede Einzelheit interessierte. Noch vor Ende der Woche hatten sie die Bluttests durchführen lassen und sich auch die Heiratserlaubnis besorgt. Eines Abends waren sie bei Kays Eltern zum Dinner eingeladen, die sich offenkundig darüber freuten, daß ihre Tochter endlich beschlossen hatte zu heiraten. Am Freitagabend, nachdem sie ihre Einkäufe erledigt hatten, fuhr Steve Kay zu ihrer Wohnung in Elmhurst. „Was unternehmen wir morgen?“ erkundigte er sich, als sie in ihrem Appartement saßen. Steve hatte auf dem Sofa Platz genommen und Kay neben sich gezogen. „Ich wollte mich nach einem Brautkleid umschauen.“ „Ach so“, erwiderte er ein wenig enttäuscht. „Das heißt wohl, daß ich dich nicht begleiten darf.“ „Es wäre gegen jede Tradition, wenn du mitkämst“, gab sie lächelnd zurück. „Aber abends können wir uns sehen.“ „Okay. Ich muß ohnehin damit beginnen, meine Sachen in Kartons zu packen. Der Umzug rückt näher.“ Er umarmte sie und zog sie an sich. „Bald ist es so weit, Kay. Nur keine Angst, es wird keine Probleme geben.“ Er senkte den Kopf und küßte erst ihre Wange, dann ihren Mund. Sie legte die Arme um seinen Hals und erwiderte seine Küsse. Sanft begann er, sie zu streicheln. Er schob eine Hand unter ihre Kostümjacke und verfolgte zärtlich die Kontur ihres Busens. Ein Gefühl der Wärme durchströmte Kay, und sie küßte Steve voller Hingabe und Sehnsucht. „Ach, Kay“, murmelte er, während er die Hand von ihrem Busen nahm und sie auf ihr Knie legte. Er schob seine Finger unter ihren Rock, und langsam ließ er die Hand ihren weichen Oberschenkel hinauf fast bis zur Hüfte gleiten. Ihre Erregung wuchs, doch gleichzeitig wuchs auch ihre Nervosität. „Kay, laß uns nicht länger warten“, drängte Steve. Sein warmer Atem streifte ihr Ohr. „Wir sind ohnehin bald verheiratet. Und so übertrieben altmodisch bist du doch nicht, oder?“ „Aber…“ Kay schloß die Augen, während er an ihrem Ohrläppchen zupfte. „Es ist schon sehr spät.“ „Morgen ist Samstag. Wir brauchen nicht früh aufzustehen, um ins Büro zu fahren. Wir haben viel Zeit.“ Nun streichelte er ihren anderen Schenkel. „Hinter uns liegt eine anstrengende Woche. Und heute haben wir den ganzen Tag lang gearbeitet und abends Einkäufe gemacht. Vielleicht sind wir zu müde, um…“ Er lachte leise und drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Ich bin niemals zu müde, Darling. Nicht für die Liebe.“ Seine Worte schockierten sie ein wenig. Sie dachte daran, wie weit er ihr an sexueller Erfahrung voraus war, daß er seine körperlichen Wünsche kannte und es gewöhnt war, daß sie befriedigt wurden. Sie spürte, wie ihr Mut sank. „Ich… ich glaube aber, daß ich zu müde bin“, entgegnete Kay zögernd. Sie hatte Angst, ihn im Bett zu enttäuschen. „Ich bin ziemlich nervös und gereizt wegen all dieser Hochzeitsvorbereitungen.“ „Sex ist ein gutes Mittel, um sich zu entspannen“, sagte Steve, während er ihren Busen liebkoste.
„Aber, Steve“, entgegnete sie, wobei sie ihn daran hinderte, die Bluse aufzuknöpfen, „es ist doch ganz natürlich, daß ich vor dem ersten Mal ein bißchen Angst habe. Und wenn ich hektisch und nervös bin…“ „Wird das erste Mal nicht so vollkommen, wie du es dir wünschst“, beendete er für sie den Satz. „Ich weiß, es soll ein ganz besonderes Erlebnis sein.“ Er erinnerte sich an das, was sie ihm in Irland gesagt hatte. „Ja.“ Sie war froh, daß er sie zu verstehen schien. „Auch für dich soll es besonders schön sein, Steve.“ Eine Zeitlang blickte er ihr prüfend ins Gesicht. Dann nickte er. Unwillkürlich biß sich Kay auf die Unterlippe, als er von der Couch aufstand. Es tat ihr leid, ihn enttäuschen zu müssen, doch sie konnte nicht über ihren eigenen Schatten springen. Sie erhob sich gleichfalls und brachte ihn zur Tür. „Gehen wir morgen abend zusammen essen?“ fragte sie. „Kannst du mich um sechs abholen?“ An der Tür wandte er sich zu ihr um. Er lächelte strahlend. „Natürlich. Aber zieh bitte nichts Graues an!“ neckte er sie. Nach einem GuteNachtKuß verabschiedete er sich und ging. In der Nacht hatte Kay gut geschlafen. Sie fühlte sich erfrischt und ausgeruht, und sie freute sich auf den kommenden Tag. Beim Frühstück überlegte sie, zu welchem Brautausstatter sie gehen sollte, um sich einzukleiden. Plötzlich kam ihr eine Idee. Ihr fiel die Schneiderin ihrer Mutter ein. Ihre Mutter hatte ein paar Probleme mit ihrer Figur, und so ließ sie sich ihre Garderobe nach Maß anfertigen. Mrs. Westwood war eine attraktive Frau und liebte chice, erstklassig sitzende Kleider. Warum nicht, dachte Kay. Es war ein glänzender Einfall und ersparte ihr viel Zeit und Lauferei durch die Geschäfte. Sofort rief sie ihre Mutter an und ließ sich die Telefonnummer der Schneiderin geben. Die nächsten Stunden waren die vergnüglichsten, die Kay mit ihrer Mutter je erlebte. Mrs. Westwood war von der Idee begeistert und hatte ihre Tochter begleitet. Kay war es nur recht. Die Schneiderin versorgte sie mit einem Stapel Modehefte und überließ es den beiden Damen, das Richtige auszusuchen. Am Ende bestellte Kay zwei Kleider. Das Brautkleid sollte in einem romantischen Stil gehalten sein, am Hals hochgeschlossen und mit reichem Spitzenbesatz. Außerdem gab sie ein aufregendes Modell im Folklorestil in Auftrag, das sie gut auf ihrer Hochzeitsreise nach Mexiko tragen konnte. Kays Mutter billigte beide Male die Wahl ihrer Tochter, und sie machte keinen Hehl aus ihrer Freude, daß Kay wieder mehr Interesse an Mode zeigte. „Mir scheint, Steve macht wieder eine richtige Frau aus dir“, äußerte sie anerkennend. Statt eines Schleiers oder Hutes wollte Kay Blumen im Haar tragen, und sie nahm sich vor, am kommenden Wochenende mit einem Floristen zu sprechen. Plötzlich konnte sie es kaum abwarten, Steve wiederzusehen. Sie wollte sofort zu ihm fahren, ihm beim Packen helfen und später… vielleicht… Sie lächelte in sich hinein. Sie fühlte sich in gehobener Stimmung, und alle Ängste, die sie am vergangenen Abend daran gehindert hatten, mit Steve zu schlafen, waren plötzlich verflogen. Nachdem sie sich von ihrer Mutter und der Schneiderin verabschiedet hatte, brauste sie zu ihrem Appartement zurück. Steve hatte ihr immer eingeschärft, sie solle nichts Graues tragen. Er wird sich wundern, dachte sie verschmitzt. Eine Stunde später parkte Kay ihr Auto in der Tiefgarage des Hochhauses, in dem Steve wohnte. Mit dem Lift fuhr sie in den zehnten Stock. Kritisch blickte sie an sich hinab, um ihre Erscheinung noch einmal zu prüfen.
Kay trug eine eng sitzende Jeans, Sandalen und das tiefausgeschnittene
schwarze Oberteil, das Steve ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Wegen der
Spaghettiträger hatte sie auf einen BH verzichtet. Sie wußte, Steve würde
begeistert sein, trotzdem war sie froh, daß ihr unterwegs zu seinem Appartement
niemand begegnete.
Mit pochendem Herzen kungelte sie an seiner Tür. Vor Ungeduld und Vorfreude
war sie ganz zappelig.
Kurz darauf wurde geöffnet. Doch anstatt Steve sah Kay eine hübsche junge Frau
vor sich. Das lange blonde Haar fiel ihr in einer dichten Mähne über die
Schultern, die knappen Shorts und das winzige Bikinioberteil ließen viel von ihrer
tadellosen Figur sehen.
Noch einmal schaute Kay auf das Schild an der Tür, da sie im ersten Moment
glaubte, sie habe sich im Appartement geirrt.
„Ja?“ fragte die junge Frau.
„Wo… wo ist Steve?“
Die Frau musterte Kay neugierig. „Er ist für eine kurze Zeit fortgefahren. Aber
wahrscheinlich kommt er gleich zurück.“
Wie betäubt stand Kay im Korridor und starrte die Frau an. Sie fühlte sich kalt
und schwach, und sie merkte, wie eine leichte Übelkeit in ihr aufstieg. „Wer sind
Sie?“ stieß sie schließlich im Flüsterton hervor.
„Ich heiße Ireen. Ich bin eine alte Freundin von Steve.“
„Eine alte Freundin?“ wiederholte Kay. Sie gewann ihre Fassung wieder.
Ireen verlagerte ihr Gewicht auf das andere wohlgeformte Bein und lehnte sich
gegen den Türrahmen. „Ich kenne ihn schon sehr lange. Und wie ist es mit
Ihnen?“
Die lässig vorgebrachte Frage ergrimmte Kay. „Ich kenne ihn auch seit
längerem“, erwiderte sie schnippisch. „Darf ich fragen, was Sie hier tun?“
Die Blondine zuckte mit den Schultern. „Ich wohne für ein paar Tage bei ihm.
Weiter nichts.“
„Sie wohnen hier? Soll das heißen, daß Sie sich mit Steve das Appartement
teilen?“
Ireen stieß einen kleinen Seufzer aus, als wolle sie damit andeuten, daß das
Gespräch sie langweile. „Er sagte, bis zu seinem Umzug könnte ich bei ihm
bleiben. Sind Sie seine neue Freundin?“
Kay verzog den Mund. „So könnte man es wohl nennen.“
„Menschenskind, Sie brauchen sich doch nicht gleich aufzuregen“, meinte Ireen
herablassend. „Steve hat viele Freundinnen. Das müssen Sie akzeptieren.“
„Natürlich“, versetzte Kay trocken. Die Frau hat Nerven, setzte sie in Gedanken
hinzu.
„Wußte er, daß Sie heute Nachmittag kommen?“
„Nein.“
Ireen hob die blonden Augenbrauen. „Möchten Sie hereinkommen und drinnen
auf ihn warten?“
Kay schluckte krampfhaft. „Nein“, entgegnete sie voller Abscheu.
„Okay. Ich werd's ihm ausrichten, daß Sie hier waren. Wie heißen Sie?“
Abermals mußte Kay schlucken. Angesichts der Gleichgültigkeit, mit der die
junge Frau die Situation handhabte, kam sie sich gedemütigt vor. Die Blondine
gebärdete sich, als sei sie in Steves Appartement zu Hause. „Das ist unwichtig“,
gab sie zurück und ging davon.
Mit Tränen in den Augen bestieg Kay den Lift. O Steve, dachte sie, wie konntest
du mir das antun! Dabei hatte er ihr gesagt, er sei das Junggesellenleben leid, er
sehne sich nach einem Zuhause. In Irland hatte er behauptet, er habe seit
Monaten keine andere Frau außer ihr angesehen. Wie hatte er es nur übers Herz bringen können, mit dieser Blondine anzubändeln, während sie schon dabei waren, die Einrichtung für ihr gemeinsames Haus auszusuchen? Wie konnte ich ihm nur vertrauen, fragte sie sich. In diesem Augenblick haßte sie Steve, und sie haßte sich selbst. Sie haßte die ganze Welt. Tränen blendeten Kay, als sie durch die Tiefgarage ging und sich zu erinnern versuchte, wo sie ihr Auto abgestellt hatte. Endlich glaubte sie, es zu entdecken. Ein eleganter roter Sportwagen parkte gerade in der Lücke daneben ein. Im nächsten Moment meinte sie, ihr Herz verwandele sich in einen Klumpen Eis. Sie erkannte Steves Porsche. Er sprang aus dem Wagen und kam lächelnd auf sie zu. „Kay“, rief er, als sei er angenehm überrascht. „Na, so etwas! Ich hätte nie gedacht, daß du es tatsächlich anziehen würdest!“ Schmunzelnd zeigte er auf ihr schwarzes Oberteil. Da bemerkte er ihre geröteten Augen und den bestürzten Gesichtsausdruck. „Was ist los?“ fragte er. „Ach, nichts“, versetzte sie erbittert. „Ich hatte nur gerade das Vergnügen, Ireen kennenzulernen. Das ist alles.“ Steve riß die Augen auf und wurde blaß. „Oh! Ich… ich hatte sie ganz vergessen“, stotterte er. „Vergessen?“ echote Kay. „Vergessen. Manchmal staune ich über deine Unverfrorenheit, Steve, wirklich. Du vergißt einfach die attraktive Blondine, die in deinem Appartement wohnt. Kein Wunder, daß wir uns in letzter Zeit ständig bei mir aufgehalten haben.“ „Das kam daher, weil ich dich mit dem Wagen heimbringe, wenn wir ausgehen“, hielt er ihr entgegen. „Im übrigen wohnt Ireen nicht bei mir. Sie hält sich für ein paar Tage bei mir auf. Sie wurde arbeitslos, konnte ihre Miete nicht mehr bezahlen und mußte deshalb ihre Wohnung kündigen. Sie rief mich an und fragte mich, ob sie für eine kurze Zeit bei mir unterkommen könnte. Ich sagte ihr, ich würde bald umziehen, aber solange dürfe sie bei mir bleiben.“ „Ich verstehe“, erwiderte Kay ironisch, „du hilfst nur einer alten Freundin aus einer Klemme.“ „Genauso ist es. Bei all der Packerei, die ich zu tun habe, kam sie mir sehr ungelegen, aber sie wußte nicht, an wen sie sich sonst wenden sollte. Gestern hat sie eine Stelle als Kellnerin bekommen.“ Er nannte den Namen eines Restaurants. „Nun versucht sie, ob sie nicht bei einem anderen Freund bleiben kann, bis sie wieder auf eigenen Füßen steht.“ „Bei einem anderen Freund“, wiederholte Kay verächtlich. „Ihr Singles scheint ja jede Menge Freunde und Freundinnen zu haben. Hast du ihr erzählt, daß du heiraten willst? Und zwar schon bald?“ Steve blickte zu Boden. „Ich sagte ihr, ich hätte eine ernsthafte Beziehung zu einer Frau.“ „Warum hast du ihr nichts von unserer Verlobung erzählt?“ „Wahrscheinlich hätte sie mich ausgelacht. Aber warum interessiert dich das eigentlich? Die Sache mit Ireen ist längst vorbei.“ „Aber früher warst du mit ihr eng befreundet?“ „Ja“, gestand Steve. „Du hast dich doch auch mit anderen Männern getroffen.“ „Aber ich habe nicht mit ihnen geschlafen.“ Steve schwieg eine Weile. „Kay“, sagte er dann mit leiser, aber ungeduldiger Stimme, „ich behaupte ja gar nicht, ich hätte genauso enthaltsam gelebt wie du. Es stimmt, ich hatte viele Freundinnen, aber diese Affären liegen doch lange zurück. Du bist die einzige Frau, mit der ich den Rest meines Lebens gemeinsam verbringen will. Es gibt jetzt nur noch dich.“
„Warum lädtst du dann eine deiner ehemaligen Geliebten in dein Appartement ein?“ beharrte sie. „Egal, in welchen Schwierigkeiten sie momentan steckt, du hättest ihr sagen müssen, daß du verlobt bist. Es gehört sich nicht, daß sie zu dir zieht! Aber du hattest Angst, sie könnte dich auslachen! Ist es dir peinlich, was deine Bekanntschaften aus den SinglesBars über dich sagen werden, wenn es sich herumspricht, daß Steve Rawlins unter den Pantoffel kommt?“ „Kay…“ „O Gott, Steve, wie konntest du mir das antun? Wenn du mich wenigstens vorher gefragt hättest! Hast du denn gar nicht daran gedacht, wir mir zumute wäre, wenn ich es erfahren würde? Hast du auf meine Gefühle überhaupt keine Rücksicht genommen?“ „Doch, deine Gefühle lagen mir sogar sehr am Herzen. Ich habe dir nichts von Ireen erzählt, weil ich mir gleich dachte, daß du mit deinen prüden Ansichten die Situation nicht verstehen würdest. Aber ich mußte das tun, was ich für richtig hielt. Sie war meine Freundin. Sie hat Pech gehabt und braucht Hilfe. Es sollte ja nur für wenige Tage sein. Sie schläft auf der Couch – allein –, und ich habe ein reines Gewissen.“ „Ich gebe dir hundertprozentig Recht. Ich verstehe die Situation wirklich nicht. Vor allen Dingen begreife ich nicht, wie du mir zumuten kannst, ich solle an die Harmlosigkeit dieser Beziehung glauben. Keine Frau mit einem Funken Verstand würde dir das abnehmen – vor allem dann nicht, wenn sie weiß, welches Playboyleben du geführt hast. Ich verstehe nicht einmal deine oder ihre Einstellung zu dem Ganzen. Sie fühlt sich in deinem Appartement wie zu Hause! Und dir macht es offenbar nichts aus, mit einer Frau Heiratspläne zu schmieden und derweil mit einer anderen zusammenzuleben. Wie käme ich dazu, dir zu glauben, du wolltest lediglich einer ehemaligen Freundin helfen, die plötzlich in Not geraten ist? Ich denke viel eher, du willst dich ein letztes Mal austoben!“ Ihre Stimme klang allmählich hysterisch. Kay wurde immer wütender. „Warum willst du überhaupt heiraten?“ fuhr sie fort, außerstande, sich zu beherrschen. „Damit du vor deinen Geschäftsfreunden seriöser wirkst? Damit du in einem schönen großen Haus wohnen kannst, wo dich jemand umsorgt? Oder bist du es leid, jeden Abend auszugehen und dir bereitwillige Mädchen zu suchen? Es ist doch auch viel bequemer, wenn zu Hause eine brave Ehefrau wartet, mit der man ins Bett gehen kann, falls einem nicht der Sinn nach Eroberungen steht!“ „Kay!“ rief Steve zornig. „Sei still! Wie kannst du so über mich denken – wo ich die ganze Zeit lang verdammt viel Geduld mit dir hatte!“ „Aha, jetzt begreife ich alles!“ schrie Kay zurück. „Bei mir konntest du nicht landen, deshalb suchtest du dir eine für die Zwischenzeit, bis ich reif wäre, mit dir ins Bett zu gehen! Mein Gott, wie konnte ich nur so naiv sein!“ Tränen liefen ihr über die Wangen. „Kay“, sagte er mit leiser Stimme und kam auf sie zu. Sie wich zurück. „Wage es nicht, in meine Nähe zu kommen! Ich würde es nicht zulassen, daß du mich anrührst, und wenn du der einzige Mann auf der Welt wärest. Ich bin froh, daß ich nie mit dir geschlafen habe. Ich bin froh, daß du mich nicht auf deine endlose Liste der Eroberungen setzen kannst. Du bist nicht reif für eine Ehe und wirst es nie sein. Du widerst mich an, und ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.“ Er tat einen Schritt zurück. In seinen Augen blitzte Zorn. „Das paßt mir gut! Großartig! Du widerst mich nämlich auch an. Du bist das engstirnigste, intoleranteste Wesen, das mir je begegnet ist. Ich will dich auch nicht mehr heiraten. Wahrscheinlich würdest du graue Bettlaken kaufen und in einem deiner abscheulichen Kostüme schlafen.“
„Wie kannst du…“ zischte sie ihn an.
„Du hast deine Meinung gesagt“, schnitt er ihr das Wort ab. „Jetzt laß mich bitte
aussprechen. Ich habe viel Geduld mit dir bewiesen und versuchte, deine
Bedenken wegen meines angeblich »ausschweifenden Lebenswandels', wie du es
zu nennen beliebst, zu zerstreuen. Ich dachte, durch mein Verständnis für deine
verklemmte Einstellung zum Sex hätte ich dein Vertrauen gewonnen. Aber das
war offenbar nicht der Fall. Du glaubst nur das, was du glauben willst, und mein
Wort zählt überhaupt nicht.“
„Ich rege mich über das auf, was du mir verheimlicht hast. Und darüber, daß du
deiner Freundin nichts von deiner Verlobung erzählen wolltest.“
Einen Moment lang schienen Steve die Worte zu fehlen. „Über dieses Thema
kann man mit dir nicht diskutieren. Ich habe dir erklärt, warum ich mich vor
einer festen Bindung fürchte. Ich habe dir auch erklärt, daß ich meine Meinung
änderte und daß ich bereit sei, eine Ehe einzugehen – mit dir. Seit Monaten
verhalte ich mich mustergültig. Doch kaum taucht ein kleines Mißverständnis auf,
und schon glaubst du mir überhaupt nichts mehr.“
„Du hast mich schon einmal fallenlassen, vor fünf Jahren. Wie kann ich dir da
noch vertrauen?“
„Damals waren wir nicht miteinander verlobt.“
„Jetzt sind wir es, was dich allerdings nicht daran hindert, dich weiterhin mit
anderen Frauen herumzutreiben.“
Kay wußte nicht mehr, was sie denken sollte. Ihr Streit bewegte sich im Kreis,
einer beschuldigte den anderen. Beide schwiegen eine Zeitlang.
Als Steve endlich sprach, klang seine Stimme ruhiger. „Sieh doch, ich gebe zu,
daß ich wahrscheinlich falsch handelte, als ich Ireen bei mir wohnen ließ. Aber du
könntest wenigstens versuchen, auch meinen Standpunkt zu verstehen.“
„Deinen Standpunkt? Was für ein Standpunkt ist das? Daß du nicht bereit bist,
deinen alten Lebensstil aufzugeben?“ Die Tränen strömten ihr über die Wangen.
„Ich habe genug von dir. Geh zurück zu deiner Ireen.“ Sie wandte sich um und
lief zu ihrem Wagen.
„Kay.“ Hinter sich hörte sie Steves Schritte. „Warte!“
Sie erreichte ihr Auto und wirbelte herum. „Worauf? Wir beide haben gesagt, daß
wir uns gegenseitig anwidern. Wir sollten froh sein, daß wir unsere wahren
Gefühle füreinander noch vor der Eheschließung entdeckt haben. Du kannst dich
wieder deinen Gespielinnen widmen, ich kehre zu John zurück. Ich glaube, so ist
es für uns beide das beste. Was meinst du?“
Steves Gesichtsausdruck ähnelte dem einer Maske. „Du denkst also, du könntest
mit John glücklicher werden als mit mir? Wunderbar! Ihr zwei paßt ideal
zusammen. Zur Hochzeit schenke ich euch einen Satz grauer Bettlaken – mit
einer Gebrauchsanweisung, was man darauf alles tun kann!“
„Du bist abscheulich!“ schrie sie ihn an.
„Und du bist…“ Lange starrte er Kay ins Gesicht, ohne den Satz zu beenden.
Schweigend drehte er sich um und ging fort.
Steve fühlte sich hundert Jahre alt, als er sich der Tür zu seinem Appartement
näherte. Seine Kehle war vor innerer Anspannung wie zugeschnürt, und sein
Magen schmerzte. Er schloß auf und betrat das Wohnzimmer, wo Ireen auf der
Couch saß und in Illustrierten blätterte.
„Hast du die Umzugskartons bekommen?“ fragte sie.
„Ja. Was hast du zu Kay gesagt?“
„War das die mit dem schwarzen Sonnentop?“
Steve nickte.
Ireen zuckte mit den Schultern. Sie regte sich so gut wie nie auf. Früher einmal
hatte Steve ihr ausgeglichenes Gemüt geschätzt, doch nun störte ihn ihr Mangel
an Temperament. „Ich sagte ihr, du seiest fort und kämst bald zurück. Ich schlug
ihr vor, hereinzukommen und auf dich zu warten.“
Steve betrachtete ihr ovales, ausdrucksloses Gesicht. Vermutlich sprach sie die
Wahrheit. Um sich Lügen auszudenken, wäre sie viel zu bequem. Er zog ein
kleines schwarzes Adreßbuch aus seiner Tasche und trat ans Telefon.
„Ireen, kennst du eigentlich meinen Freund Gregg?“
„Ich glaube, ich habe ihn ein paarmal bei dir getroffen. Ich fand ihn sehr nett.“
„Ich werde ihn jetzt anrufen und ihn fragen, ob er dich für eine Weile bei sich
aufnehmen kann. Bei mir kannst du nicht länger bleiben. Es tut mir leid, aber…
ich muß mal eine Zeitlang allein sein.“
„Na klar“, erwiderte sie. „Ich kann dich verstehen, Steve. Hoffentlich bekommst
du keinen Ärger. Du scheinst wirklich an ihr zu hängen.“
„Das stimmt. Ich liebe sie schon lange. In ein paar Wochen wollten wir heiraten.“
Seine Augenränder röteten sich.
Ireen grinste. „Du und Heiraten?“
„Was ist so witzig daran?“ fragte er gereizt.
„Ach nichts“, sagte sie, während sie ein Kichern unterdrückte. „Ich kann es mir
nur nicht vorstellen.“
„Ich mir dafür um so besser!“ Seine Stimme klang fest, doch in seinen Augen
standen Tränen.
Ireens Lächeln erlosch. Ich wollte dich nicht verletzen. „Entschuldige, Steve“, bat
sie leise. „Es war nicht so gemeint.“
8. KAPITEL Steve lag auf dem neuen breiten Bett und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Es war drei Uhr morgens, und er hatte noch kein Auge zugetan. Den Tag davor, Samstag, hatte er damit verbracht, in sein neues Heim in Oak Brooks zu ziehen, in das Haus, in dem er gemeinsam mit Kay hatte wohnen wollen. Am Freitag hatte sie im Büro wieder die kostbare goldene Uhr getragen, und der Anblick hatte genügt, um seine Hoffnung sinken zu lassen. Abends hatte John Holloway sie vom Dienst abgeholt. Steve kniff die Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten, die hinter seinen Lidern brannten. Es hatte keinen Sinn, um Kay zu trauern. Sollte sie sich doch an diesen Holloway hängen! Es war einzig und allein seine Schuld, daß er sie verloren hatte, sagte sich Steve wohl zum tausendsten Mal. Er hatte kein Recht, ihr böse zu sein oder ihr etwas nachzutragen. Steve richtete sich im Bett auf und fuhr mit den Fingern durch sein zerzaustes Haar. Er fühlte sich elend und erschöpft. Und er gestand sich ein, daß er trotz allem gegen Kay einen Groll hegte. Er nahm es ihr übel, wie sie ihn behandelt hatte, obwohl er wußte, daß er unfair dachte. Aber hätte sie nicht toleranter sein und ihm verzeihen können? Mußten sie sich gleich trennen, nur weil er einen Fehler gemacht hatte? „Kay, ich bin gekommen, um mich noch einmal bei dir zu entschuldigen und mich mit dir auszusprechen“, hatte er zu ihr gesagt, als er am späten Sonntagnachmittag, vierundzwanzig Stunden nach ihrem Streit, vor ihrer Wohnungstür auftauchte. Er hatte sich absichtlich nicht angemeldet. „Ich wüßte nicht, was wir zwei noch zu besprechen hätten“, hatte sie erwidert. Aber sie ließ ihn nicht auf dem Flur stehen, sondern bat ihn herein. Ihre Augen waren rot und verschwollen, sie mußte stundenlang geweint haben. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, doch er traute sich nicht. „Laß mich nur das eine sagen“, fuhr er so höflich und voller Respekt fort, „es tut mir leid, daß ich Ireen bei mir wohnen ließ. Im übrigen ist sie schon wieder fort. Gestern bat ich sie zu gehen. Du hattest Recht, es gehörte sich nicht, daß eine andere Frau in meinem Appartement übernachtete – auch wenn nicht das geringste passiert ist.“ Kay erwiderte seinen Blick. Sie gab sich unversöhnlich. „Ich freue mich, daß du deinen Fehler wenigstens einsiehst, Steve. Aber mußte es erst zu diesem häßlichen Streit kommen, damit du Rücksicht auf meine Gefühle nimmst? Du hättest von dir aus wissen müssen, was richtig ist und was nicht. Und hier liegt das Problem, Steve. Du empfindest nicht wie ein Mann, der verlobt ist und in Kürze heiraten möchte. Im Geist bist du der ungebundene Junggeselle geblieben. Dieser Vorfall beweist mir nur, daß du noch nicht zum Ehemann taugst.“ „Ich tauge zum Ehemann“, verteidigte er sich. „Für das, was geschehen ist, habe ich mich entschuldigt. Zählt das denn überhaupt nicht?“ Sie senkte den Blick. „Ich akzeptiere deine Entschuldigung. Trotzdem zählt sie in meinen Augen nicht. Es ist zu spät, um durch eine einfache Bitte um Verzeihung alles wieder einzurenken.“ „Was soll ich denn tun, verflixt noch mal?“ schimpfte er. Wie konnte sie nur so verbohrt sein! Nachdem er reumütig vor sie hingetreten war und sich entschuldigt hatte? „Das weiß ich auch nicht“, gab sie zurück. „Wahrscheinlich brauchst du noch ein paar Jahre Zeit, bis du begreifst, was es heißt, sich an eine Frau zu binden.“ „Und du hast keine Ahnung, was es bedeutet, sich an einen Mann zu binden“, beschuldigte er sie. „Du kannst nicht durchs Leben gehen und von allen deinen
Mitmenschen Vollkommenheit erwarten. Und wenn jemand an deine hochgesteckten Ansprüche nicht heranreicht, läßt du ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.“ „Ich erwarte keine Vollkommenheit“, hielt Kay ihm entgegen. „Aber von meinem zukünftigen Ehemann erwarte ich, daß er zuerst meine Gefühle berücksichtigt, ehe er einer ehemaligen Geliebten aus der Klemme hilft. Er sollte nicht einfach vergessen, daß er nicht mehr tun und lassen kann, was er will.“ „Mein Einverständnis, sie für wenige Tage bei mir aufzunehmen, hatte doch nichts mit dir zu tun.“ Er bemühte sich, seinen aufsteigenden Zorn zu beherrschen und sachlich zu bleiben. „Es sollte lediglich eine Übergangslösung sein. Wenn du es nicht durch Zufall bemerkt hättest, wäre in unserer Beziehung alles beim alten geblieben.“ Kay nickte, als fühle sie sich in ihrer Meinung bestätigt. „Ja, das ist wohl das übliche Argument, das Männer benutzen, wenn sie einen Seitensprung rechtfertigen wollen. Was meine Frau nicht erfährt und meiner Familie nicht schadet, ist halb so schlimm, behaupten sie. Leider bedenken sie nicht, daß sie das Vertrauen der Frau mißbrauchen, der sie ewige Liebe und Treue geschworen haben.“ „Seit ich wußte, daß ich dich zu meiner Ehefrau haben wollte, war ich dir keine Sekunde lang untreu! Ich habe dir doch gesagt, Ireen schlief auf der Couch. Es ist absolut nichts passiert!“ „Woher weiß ich, daß du nicht lügst?“ „Du mußt es mir schon glauben.“ Kay schwieg eine Weile. „Irgendwer sagte mal, in jeder Minute würde ein Mensch betrogen. Ich möchte nicht zum Narren gehalten werden, Steve. Schon einmal habe ich meine ganze Liebe, meine Hoffnung und mein Vertrauen in dich gesetzt. Und du hast mich bitter enttäuscht.“ „Ich habe dir erklärt, was damals…“ „Ich weiß“, unterbrach sie ihn. „Du erklärst und erklärst. Doch im Grunde weiß ich nie, was ich dir glauben soll. Und das ist keine Basis für eine Ehe. Ich bin alt genug, um mir keine Illusionen mehr zu machen. Ich spiele nicht mit meinem Leben. Ich brauche Sicherheit, einen Ehemann, auf den ich mich blindlings verlassen kann, denn ich finde, eine Ehe sollte ein Leben lang dauern.“ Ihr Kinn zitterte, und ihre Stimme wurde brüchig. „Du bist eben nicht der Richtige für mich, Steve.“ „Ich dachte, du liebst mich“, entgegnete er heiser. „Das… das spielt keine Rolle.“ „Liebe spielt keine Rolle?“ Er war fassungslos. „Wie kannst du so etwas sagen?“ „Weil eine Ehe auch mit Vernunft geschlossen werden muß. Liebe ist nicht das einzige, was zählt.“ „Das ist die kaltschnäuzigste Bemerkung, die ich je von einer Frau gehört habe.“ „Es tut mir leid. Aber viele Frauen, die nur aus Liebe geheiratet haben, lassen sich später scheiden. Ich wünsche mir einen Mann, der weiß, was Verantwortung und Verpflichtung bedeuten.“ „Und wer ist dieser Mann? Etwa John Holloway?“ fragte Steve mit funkelnden Augen. „Ist er nicht geschieden?“ „Seine Frau ging fremd. Dafür kann er nichts.“ „Seine Frau nahm sich einen Liebhaber. Das sollte dir zur Warnung dienen. Vermutlich hielt sie es vor Langeweile nicht bei ihm aus.“ „Ich habe es nicht nötig, ihn vor dir zu verteidigen!“ Kay bebte vor Wut. Erbost funkelte Steve sie an. „Du läßt mich also einfach sitzen? Nach allem, was wir gemeinsam geplant haben? Nachdem wir erkannten, daß wir uns seit Jahren
lieben? Du bringst es fertig, mir das anzutun?“ Sie schloß die Augen, wie wenn sie versuchte, ihre Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Eine große Träne kullerte ihr über die Wange. Als sie die Augen wieder öffnete, lag in ihrem Blick ein unendlicher Schmerz. „Ja!“ flüsterte sie mit rauher Stimme. „Ich bringe es fertig!“ Steve schlug die Decke zur Seite und stand auf. Wie hartherzig und gefühllos Kay doch war, sagte er sich in Gedanken. Er trat hinaus auf den Balkon. Während der gesamten letzten Woche im Büro hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Sie tat so, als habe er aufgehört, für sie zu existieren. Und zu allem Überfluß traf sie sich wieder mit diesem Holloway! Es war mehr, als er ertragen konnte. Das Mondlicht einer wolkenlosen Juninacht spielte über dem Wasser des Swimmingpools und glänzte auf den Fliesen. Die Luft war frisch, und Steve trug kein Pyjamaoberteil, doch er merkte die Kühle nicht. In seiner Verzweiflung dachte er nur an Kay, die einzige Frau, die er je geliebt und dann verloren hatte. Vielleicht hätte er doch bei seiner ursprünglichen Einstellung bleiben sollen, sinnierte er. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte seiner Liebe zu ihr nicht nachgegeben. Der Verlust tat ihm unglaublich weh, dabei waren sie noch nicht einmal verheiratet gewesen. Steve merkte, daß seine Gedanken sich im Kreis bewegten. Nachdem er alles durchdacht und überlegt hatte, war er immer noch nicht weiter als zuvor. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück und schloß die Balkontür. Fast haßte er Kay für das, was sie ihm angetan hatte. Verflixtes Frauenzimmer, dachte er, indem sein Kummer in Groll umschlug. Es mußte doch einfach eine Möglichkeit geben, sich wieder mit ihr zu versöhnen! Schweigend saß Kay an dem langen Konferenztisch neben Don und blätterte in einem Stapel von Papieren. Steve hatte ihr gegenüber seinen üblichen Platz eingenommen. Sie achtete darauf, nicht versehentlich in seine Richtung zu blicken, doch sie spürte seine Nähe, und dieses Gefühl machte sie nervös. Die letzten anderthalb Wochen nach ihrem Bruch waren schrecklich gewesen. Sie bemühte sich, Steve im Büro auszuweichen, doch wenn sie ihn nur von Ferne sah, mußte sie sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ständig mußte sie um Selbstbeherrschung ringen, und es kostete sie viel Nervenkraft, um sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Sie hatte die Schneiderin angerufen und den Auftrag für die beiden Kleider abbestellt. Vor ein paar Tagen hätten Steve und sie ihren Verlobungsring und die beiden Trauringe abholen müssen. Sie hoffte, Steve dachte daran, die Bestellungen zu stornieren. Sie fragte sich, wie die gemeinsam ausgesuchten Möbel in dem Haus aussähen. Kollegen im Büro hatte er von seinem Umzug nach Oak Brook erzählt, doch Einzelheiten hörte man nicht. Sie überlegte, wie er sich wohl fühlen mochte, so allein in dem großen Haus. Aber… vielleicht hatte er ja jemanden bei sich. „Guten Morgen, allerseits“, grüßte Herb Muldaur und nahm am Kopfende des Tisches Platz. Kay schaute zu ihm hin. „Die heutige Konferenz wird nicht lange dauern“, fuhr er fort. „In erster Linie möchte ich mich mit Kays Bericht befassen. Sie hat die Kostenrechnungen, die einen etwaigen Umzug in einen Vorort betreffen, fertiggestellt. Wie ich sehe, haben Sie alle eine Kopie davon vor sich auf dem Tisch liegen. Ich habe den Bericht bereits geprüft, aber ich möchte, daß Kay die Resultate noch einmal vorträgt. Kay?“ Kay nickte und begann, mit ihrer klaren und angenehmen Stimme die Statistiken zu erklären. Den Blick hielt sie zumeist auf ihren Bericht geheftet, hin und wieder schaute sie nach rechts oder links, doch niemals sah sie den Mann an, der ihr direkt gegenübersaß.
„Die Berechnungen haben ergeben“, schloß sie ihren Vortrag, „daß ein Umzug in einen Außenbezirk der Stadt keinerlei Kostenvorteile erbrächten. In der Tat scheint es das Günstigste zu sein, den gegenwärtigen Firmenstandort beizubehalten.“ „Ich stimme dem zu“, äußerte Herb Muldaur. „Hat jemand Fragen oder Einwände?“ „Mir scheint, Kay hat eine sehr gründliche Arbeit geleistet“, meinte Don stolz. „Das ist richtig“, pflichtete ihm ein anderer Kollege bei. Bald hatte sich jeder im Raum seinem Lob angeschlossen, nur Steve schwieg beharrlich. Kay fragte sich, ob er sie nicht insgeheim verdächtigte, sie habe mit ihrer Statistik absichtlich einen Umzug in einen Vorort blockiert, nur weil er ein überzeugter Befürworter dieses Planes war. Seine Miene blieb jedoch unergründlich. Am Freitag derselben Woche saß Kay noch in ihrem Büro, als alle anderen bereits heimgegangen waren. Sie wartete darauf, daß John sie zum Dinner abholte. Er hatte angerufen und ihr gesagt, er käme etwas später als fünf, würde sich aber beeilen. Um sich die Zeit zu vertreiben, räumte Kay ihre Schubladen auf. Ständig sammelte sich überflüssiges Zeug an, das sie fortwerfen konnte. John war überglücklich gewesen, als sie ihn anrief und um ein Wiedersehen bat. Er tat, als habe er die ganze Zeit lang gewußt, daß sie zu ihm zurückkehren würde. Er wirkte überaus selbstsicher. „Das beweist nur, daß wir beide füreinander bestimmt sind“, äußerte er. „Ich wußte von Anfang an, daß du nicht zu diesem Rawlins paßt. Du bist der ernsthafte, ruhige, seriöse Typ wie ich. Es war richtig, daß du dich nicht an einen Mann gebunden hast, der das genaue Gegenteil von dir ist.“ Kay fand, John habe Recht, wenn er meinte, Menschen mit gegensätzlichem Naturell sollten sich nicht aneinander binden. Und nachdem Steve sie abermals so bitter enttäuscht hatte, erkannte sie, daß sie einen Mann brauchte, auf den sie sich verlassen, und dem sie in jeder Hinsicht trauen konnte. John Holloway erfüllte diese Voraussetzungen. Kay gestand sich ein, daß sie zum Teil nur deshalb zu John zurückgekehrt war, um dadurch Steve eher zu vergessen, doch allmählich wuchs in ihr die Gewißheit, daß John für sie der richtige Mann fürs Leben wäre. Im Büro herrschte eine absolute Stille, während sie in den Schubladen kramte. Plötzlich hörte sie Schritte. In der Erwartung, John eintreten zu sehen, blickte sie hoch. Statt dessen sah sie Steve, der an ihrer Tür vorbeiging. Er blieb stehen und schaute zu ihr hinein. „Was tust du noch hier?“ fragte sie, ohne zu überlegen. Seine Anwesenheit paßte ihr nicht, da John jeden Moment auftauchen mußte. „Ich vergaß, für Scott ein paar Fotokopien anzufertigen. Deshalb kam ich noch einmal zurück. Und was machst du so spät im Büro?“ Es widerstrebte ihr, es ihm zu sagen. „Ich… warte auf John. Wir gehen aus.“ „Ach so. Natürlich, das hätte ich mir wirklich denken können“, versetzte er spöttisch. „Dementsprechend bist du ja auch angezogen. Gestärkte weiße Bluse und eines deiner unvermeidlichen Kostüme. Wie genau heißt diese Farbe eigentlich? Kampfschiffgrau?“ Kay knallte wütend die Schublade zu, in der sie gerade noch gekramt hatte und stand von ihrem Schreibtisch auf. Sie ging an den Aktenschrank, um ein paar lose Papiere abzuheften. Zu ihrer Überraschung betrat Steve ihr Büro und kam langsam auf sie zu. Ehe sie wußte, wie ihr geschah, fand sie sich in seinen Armen wieder. Seine Lippen senkten sich heiß und fordernd auf ihren Mund. Sie wollte sich aus der
Umklammerung lösen, doch Steves Arme hielten sie wie in einem Schraubstock. Seine Küsse wurden sanfter, zärtlicher, doch er dachte nicht daran, seinen Griff zu lockern. Eine Hand glitt unter ihre Kostümjacke, und er begann, durch den Blusenstoff hindurch ihren Rücken zu Streichern. Unter dem Druck seiner Lippen öffnete sie den Mund, und die Liebkosungen wurden intimer. Seine Zunge spielte mit der ihren, und unwillkürlich stöhnte Kay auf. Ihre Knie wurden weich, und anstatt sich zu wehren, klammerte sie sich an Steve. Er streichelte zärtlich ihre Brust. Sie schloß die Augen und kämpfte gegen das sinnliche Gefühl an, das sie zu überwältigen drohte. Schauer durchrannen ihren Körper, als sein Daumen ihre Brustspitze massierte. Vor Erregung ging ihr Atem schnell und flach. Sie konnte nicht anders, seine Nähe, seine Berührungen, versetzten sie in eine Art Rausch. Plötzlich erwiderte sie seine Küsse, preßte sich noch enger an ihn, schmiegte ihre Hüfte aufreizend gegen die seine. Jählings schob er sie von sich. Er atmete tief durch. „Daran solltest du dich erinnern, wenn du heute abend mit ihm ausgehst, Kay!“ Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt davon. Kay mußte sich an einem Türgriff des Aktenschranks festhalten. Minuten später setzte sie sich wieder hinter ihren Schreibtisch. Mit Tränen in den Augen ordnete sie hastig ihre Kleidung und knöpfte die Jacke zu. Ach, Steve, seufzte sie in Gedanken, ich begehre dich immer noch. Und daran wird sich nie etwas ändern. Kurz darauf erschien John an der Tür. Mittlerweile hatte sie sich wenigstens so weit gefaßt, daß sie ihn äußerlich ruhig begrüßen konnte. John sah aus wie immer – bieder, solide, verläßlich. Er machte einen reifen, verantwortungsbewußten Eindruck, was wollte sie mehr? Doch Kay vermißte das wilde, freie Gefühl, das sie in Steves Armen empfunden hatte. Sie sehnte sich nach dem verwegenen jungen Mann mit dem zerzausten blonden Schopf und der durchtrainierten Figur. Was sollte sie tun, fragte sie sich, als sie ihre Handtasche nahm und mit John das Büro verließ. Noch ehe sie das Restaurant erreichten, stand ihr Entschluß fest. „John“, begann sie, um sich gleich darauf zu unterbrechen. Was sie zu sagen hatte, kam ihr nicht leicht über die Lippen. Doch sie mußte ehrlich sein. „Es… es tut mir schrecklich leid, aber es wäre das beste, wenn wir uns nicht wiedersehen. Ich möchte dir keine falschen Hoffnungen machen. Ich habe dich sehr gern, John, aber ich werde dich niemals lieben können.“ John nahm sich Zeit mit einer Erwiderung, bis sie an einem Tisch Platz genommen hatten. Dann fragte er: „Du gehst zu diesem Rawlins zurück?“ „Nein. Das wäre sicher das Dümmste, was ich tun könnte“, entgegnete sie resigniert. „Aber ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß ich ihn immer noch liebe – obwohl er nicht der Richtige für mich ist. Und solange ich nicht die gleichen starken Gefühle für einen anderen Mann aufbringen kann, sollte ich wohl nicht heiraten.“ „Ich habe lediglich angedeutet, daß in der Zukunft eine Ehe zwischen uns nicht ausgeschlossen wäre“, erklärte John. „Im Augenblick brauchst du ans Heiraten nicht einmal zu denken. Wenn du nicht zu ihm zurückgehst, dann könnten wir uns doch weiterhin treffen wie bisher.“ Es klang vernünftig. Doch sie wußte, daß sie sich endgültig von John trennen mußte. Sie konnte sich nicht länger vormachen, sie erwarte nicht mehr vom Leben, als John ihr zu bieten vermochte. Sicherheit allein genügte ihr nicht. Sie
verschwendete nur ihre und Johns Zeit.
„Nein, das geht nicht“, antwortete sie leise. Es tat ihr leid, daß sie ihn
enttäuschen mußte, doch ihre Freundschaft war nicht länger aufrechtzuerhalten.
Allein und trübsinnig verbrachte sie den Rest des Abends in ihrer Wohnung.
Vielleicht war sie unglaublich dumm, oder sie täuschte sich selbst, doch ständig
tauchte in ihr die Frage auf, ob sie einen Fehler begangen hatte, als sie Steve
verließ. Vielleicht war sie wirklich engstirnig und intolerant.
Hatte sie ihm Unrecht getan? Ließ er Ireen tatsächlich nur bei sich wohnen, weil
er jemandem helfen wollte, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte? Hatte er
sich auf etwas eingelassen, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken?
Kay kannte Steves Großzügigkeit. Obwohl er stets zu Sticheleien und einem
Schabernack aufgelegt war, würde er seinen letzten Dollar verschenken, wenn
ein anderer ihn brauchte.
Plötzlich hatte sie eine Idee. Steve hatte ihr den Namen des Restaurants
genannt, in dem Ireen eine neue Anstellung gefunden hatte. Sie griff nach dem
Telefonbuch.
„Arbeitet eine Kellnerin namens Ireen bei Ihnen?“ erkundigte sich Kay bei dem
Mann, der die Speisekarten austeilte. „Ich möchte gern an einem ihrer Tische
sitzen.“
Der Mann nickte und führte Kay in einen hinteren Raum des gutbürgerlichen
Speiselokals. Er wies ihr einen Tisch in einer Nische zu und reichte ihr dann die
Karte. Es war Montag, und die Mittagszeit rückte heran, doch Kay war eigens
etwas früher in die Pause gegangen, um den größten Ansturm der Gäste zu
vermeiden.
Wenige Minuten darauf kam Ireen. Sie trug ein rotweiß kariertes Kleid mit einer
adretten weißen Schürze. Den Kugelschreiber in der Hand, blickte sie von ihrem
Bestellblock hoch. Ihr ovales Gesicht glich einer schönen Maske. „Was darf ich
Ihnen bringen?“ Einen Moment lang schien sie Kay prüfend zu mustern, ohne
indessen anzudeuten, daß sie sie kannte.
„Guten Tag, Ireen. Ich bin Kay. Wir trafen uns…“
„Ach ja“, fiel Ireen ihr ins Wort. „Steves Freundin. In diesem Kostüm hatte ich
Sie nicht wiedererkannt. Sie sehen so verändert aus. Was möchten Sie essen?“
Ihre Stimme klang wie ein monotones Murmeln.
„Äh… bringen Sie mir bitte einen Hamburger“, antwortete Kay. Sie staunte über
Ireens Gleichgültigkeit. „Wie geht es Ihnen?“
„Gut. Etwas zu trinken?“
„Nein… doch, bringen Sie mir einen Kaffee. Gefällt Ihnen die neue Stelle? Steve
erzählte mir, daß Sie vorübergehend arbeitslos waren.“
„Ich bin zufrieden. Welche Beilage?“
„Wie bitte?“
„Zum Hamburger. Es gibt heute Mixed Pickles, Zwiebeln, Tomaten…“
Einen Augenblick lang war Kay völlig verwirrt. „Tomaten. Wissen Sie, Ireen, ich
kam hierher, um Sie etwas zu fragen, wenn ich darf.“
Das Mädchen sah hoch. „Über mich und Steve?“
Ireens plötzliche Hellsicht brachte Kay noch mehr aus der Fassung. „Ja“,
bekannte sie und senkte unwillkürlich die Stimme.
„Wie lange haben Sie in seinem Appartement gewohnt?“
„Ich blieb nur für ein paar Nächte dort.“
„Und… ist zwischen Ihnen etwas… haben Sie mit ihm… ich meine…“
„Ob wir zusammen geschlafen haben? Nein. Ich sah ihn ja kaum, außer an dem
Samstag, als er seine Sachen in Kartons packte. Tagsüber ging er ins Büro, und
abends war er ständig fort… ich nehme an, mit Ihnen“, erzählte Ireen in
sachlichem Ton. Das stimmt, dachte Kay. Die meiste Zeit war er wirklich nicht daheim. „Und nachts, wenn er sich in dem Appartement aufhielt? Was war da?“ Ireen seufzte leise, wie wenn sie sich langweilte. „Ich sagte Ihnen doch, es ist nichts passiert. Ich verstehe nicht, warum Sie sich solche Sorgen machen. Er ist richtig vernarrt in Sie – ich habe den guten alten Steve gar nicht mehr wiedererkannt. Früher hatte man viel Spaß mit ihm. Doch als ich bei ihm war, dachte er an nichts anderes als den Umzug.“ „Woher wollen Sie wissen, daß er in mich vernarrt ist?“ fragte Kay rasch. „Er sagte es mir. Er regte sich fürchterlich auf, als er erfuhr, daß Sie mich in seinem Appartement gesehen hatten.“ „Er regte sich auf?“ „Und wie. Um ein Haar wäre er in Tränen ausgebrochen. Einen Moment lang tat er mir sogar richtig leid.“ „Waren Sie in ihn verliebt, als Sie mit ihm befreundet waren?“ erkundigte sich Kay. Mit dem Bestellblock klopfte Ireen ein paarmal auf die Tischplatte. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr so leer wie sonst. „Ja, aber es dauerte nur wenige Wochen. Er suchte sich eine andere, und ich fand auch einen neuen Freund. Ich wußte, daß Steve es bei keiner lange aushält, deshalb hatte ich damit gerechnet. Es war keine Tragödie“, setzte sie gelassen hinzu. Als sie Kay dann ansah, war ihr Blick jedoch nicht ohne Neugier. „Er erzählte mir, Sie beide würden heiraten. Stimmt das?“ „Wir waren miteinander verlobt.“ „Damit hätte ich nie gerechnet. Von wem stammte die Idee? Von Ihnen oder von Steve?“ „Von Steve.“ Ireen senkte den Blick, und zu Kays Überraschung wirkte sie plötzlich gekränkt. „Wie haben Sie das geschafft? Ich dachte immer, Steve wäre der letzte, der ans Heiraten dachte.“ „Sie lieben ihn immer noch, habe ich Recht?“ fragte Kay leise. Sie betrachtete die junge Frau mit völlig neuen Augen. Hinter dem ausdruckslosen Gesicht verbarg sich viel Kummer. Wahrscheinlich war Ireen ein Mädchen, das sich nach Liebe sehnte. Um den Männern zu gefallen, machte sie es ihnen leicht, doch anstatt ihre Liebe zu erringen, wurde sie von einem zum anderen gereicht. Ihre einzige Abwehr bestand darin, so zu tun, als sei es ihr gleichgültig. „Nein, das stimmt nicht“, behauptete Ireen, während sie auf ihren Block ein kleines Zeichen malte. „Ich habe einen neuen Freund. Die Sache mit Steve ist schon lange vorbei. Wann werden Sie denn heiraten?“ „Wir… die Hochzeit ist abgesagt.“ Ireen lächelte spöttisch. „Deshalb sind Sie also hier und fragen mich aus. Nein, er fing nichts Neues mit mir an. Seit er mich an die frische Luft setzte, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber mittlerweile hat er bestimmt wieder eine neue Freundin gefunden. Sieh einer an, Steve hat sich doch nicht geändert.“ Sie lachte in sich hinein. „Kartoffelsalat oder Pommes frites?“ Nach dem Essen ging Kay in die Firma zurück. Unentwegt kreisten ihre Gedanken um Ireens Worte. Ihretwegen wäre er beinahe in Tränen ausgebrochen, hatte sie ihr erzählt. Sie lächelte. Er liebte sie also doch. Würde sie ihm doch alles verzeihen können? Als Kay das Büro betrat, entdeckte sie auf dem Schreibtisch einen kleinen Briefumschlag. In Steves großzügiger Handschrift stand ihr Name darauf. Sie riß ihn so hastig auf, daß sie sich an dem Papier schnitt. Vielleicht wiederholte er
seinen Heiratsantrag. Vielleicht bat er sie, sie mögen noch einmal ganz von vorn
anfangen.
Sie zog eine knallbunte Karte heraus. Die Oberseite zeigte Cartoonfiguren mit
Knollennasen, die sich, mit Sonnenbrillen und Trinkgläsern bewaffnet, um einen
Swimmingpool aalten. Auf der Rückseite stand die handgeschriebene Einladung.
„SwimmingpoolParty“, las sie. „Erfrischungen und Getränke in rauhen Mengen.
Geschenke und Mitbringsel jeder Art verboten!“
Es folgten die Adresse und Telefonnummer seines neuen Hauses in Oak Brook,
anschließend waren Datum und Uhrzeit für das Fest angegeben. Es sollte am
zwanzigsten Juni um zwei Uhr nachmittags beginnen.
Kraftlos ließ sich Kay auf ihren Schreibtischsessel sinken! Sie zitterte am ganzen
Körper. An dem Tag, an dem sie hatten heiraten wollen, gab Steve eine
SwimmingpoolParty. Es war nicht zu fassen!
Und er besaß die Frechheit, sie auch noch dazu einzuladen. Was bezweckte er
damit? Wollte er ihr zeigen, wie glücklich er über die geplatzte Hochzeit war? So
glücklich, daß er an diesem Tag feiern wollte? Welche Beleidigung. Ein Schlag ins
Gesicht. Und noch wenige Minuten zuvor hatte sie beschlossen, wieder an ihn zu
glauben.
„Kay“, rief Diane Bower. „Haben Sie Steves Einladung gefunden? Er bat mich, sie
auf Ihren Schreibtisch zu legen. Die ganze Abteilung ist eingeladen. Ich wette,
Steve gibt tolle Partys. Ich kann es kaum noch abwarten, sein Haus zu sehen.“
„Ich glaube auch, daß er zu feiern versteht“, entgegnete Kay trocken.
„Sie gehen doch auch hin, oder?“
„Nein, wahrscheinlich nicht.“
Diane verzog sich. Sie sah aus, als befürchte sie, etwas Verkehrtes gesagt zu
haben. Kay nahm die Einladungskarte, zerriß sie und warf alles in den
Papierkorb.
9. KAPITEL Am Samstag, dem zwanzigsten Juni, stürzte sich Kay in Hausarbeit. Sie putzte ihr Appartement und räumte in den Schränken auf. Sie war entschlossen, nicht an Steves SwimmingpoolParty zu denken und auch nicht an die Tatsache, daß an diesem Tag ihre Hochzeit hätten stattfinden sollen. Seufzend setzte sich Kay auf die Couch, um sich eine Verschnaufpause zu gönnen. Sie blickte auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Wahrscheinlich hatten sich alle bereits bei Steve versammelt. Na und? Was kümmerte es sie? Sie sollten sich alle gut amüsieren. Vermutlich hatte Steve wieder eine bildhübsche Freundin, die er seinen Gästen vorzeigen konnte. Kay stand auf. Sie war wütend auf sich selbst. Vielleicht sollte sie lieber einen Einkaufsbummel machen, um sich besser von ihren Grübeleien abzulenken. Sie beschloß, erst einmal zu duschen und sich das Haar zu waschen. Eine halbe Stunde später schrillte das Telefon. Kay war gerade dabei, sich das Haar trockenzufönen. „Kay?“ Sie erkannte Dianes helle Stimme. „Ja, hallo.“ „Ich bin's, Diane. Ich rufe von Steve aus an. Das ganze Büro hat sich hier eingefunden. Alle fragen nach Ihnen. Möchten Sie wirklich nicht kommen?“ Kay wurde nervös. „Nein, wirklich nicht. Ich habe etwas anderes vor und wollte gerade weggehen. Sie haben Glück, daß Sie mich noch erreichen.“ „Schade“, bedauerte Diane. „Es ist wirklich ein Jammer, denn es ist eine so schöne Party. Alle schwimmen, sitzen um den Pool herum und trinken Champagner. Später gibt es ein kaltes Büfett. Es tut mir wirklich leid, daß Sie nicht kommen können. Sagen Sie Ihre Verabredung doch einfach ab.“ Champagner? Kaltes Büfett? wiederholte Kay in Gedanken. Das klang nicht nach einer Geselligkeit mit Bier und Kartoffelchips, wie Kay es aufgrund der Einladung erwartet hatte. „Welche Verabredung?“ fragte sie zerstreut. „Sie sagten doch, Sie wollten weggehen.“ „Ach ja… zum Einkaufen.“ Kay wußte selbst nicht, warum, aber plötzlich wünschte sie sich, sie wäre doch auf der Party. Natürlich konnte sie nicht hingehen. Nicht nach dem, was zwischen ihr und Steve vorgefallen war. Nicht an einem Tag, an dem sie ihre Hochzeit geplant hatten. Außerdem – was sollte sie dort? Ihn dabei beobachten, wie er mit seiner jüngsten Eroberung flirtete? Trotzdem brannte Kay vor Neugier zu erfahren, was genau dort vor sich ging. „Sie wollten bloß Einkäufe erledigen?“ vergewisserte sich Diane. „Das können Sie verschieben. Von dieser Party wird man im Büro noch nach Jahren sprechen. Es wäre doch schade, wenn Sie als einzige das Fest verpaßten.“ Kay lächelte wehmütig. Diane war wirklich lieb, sie hielt treu zu ihrer Chefin. Es tat Kay leid, aber sie würde es seelisch nicht durchstehen, ausgerechnet an diesem Tag zu Steve zu gehen. Kay befand sich in einem echten Konflikt. Ginge sie nicht hin, würde sie ewig glauben, sie habe etwas Sensationelles verpaßt. Ginge sie aber doch, würde das vielleicht kaum verheilte Wunden wieder aufreißen. „Sie sagten, alle fragten nach mir. Wer genau hat denn gefragt?“ erkundigte sie sich. Ihr war klar, daß Diane diese Frage seltsam vorkommen mußte, doch ihre Neugier besiegte ihren Wunsch nach Diskretion. „Ach, Don, Scott, Mr. Muldaur, Steve…“ „Steve auch?“
„Ja. Er wollte ja, daß ich Sie anrufe.“ „Ach so.“ Kay wußte nicht recht, was sie davon halten sollte. „Er sagte noch ganz andere Sachen“, fuhr Diane ein wenig zögernd fort. „Sie wissen ja, wie gern Steve Witze macht. Er trug mir auf, Ihnen auszurichten, er würde Sie in den Swimmingpool werfen, wenn Sie in einem Ihrer grauen Kostüme kämen.“ „Das könnte ihm so passen“, erwiderte Kay nüchtern. Es klang ganz danach, als habe Steve sie lediglich anrufen lassen, weil die anderen Kollegen sie vermißten. Vielleicht hatte er ihr auch nur eine Einladung gegeben, damit im Büro kein Klatsch entstand. Es hätte merkwürdig ausgesehen, wenn er sie als einzige übergangen hätte. Sie zweifelte daran, daß er wirklich Wert auf ihre Gesellschaft legte – und wenn doch, dann nur, um sie mit seinem Spott zu demütigen. Und wenn es so wäre? Im Kreis der anderen Gäste mußte er sich ein wenig beherrschen. Und sie traute es sich zu, die Situation in den Griff zu bekommen. Warum ging sie dann nicht hin? Sie war neugierig zu erfahren, wie er sie vor den anderen behandelte. In den Pool wollte er sie werfen! „Na schön, Diane. Sie haben mich überredet. Sagen Sie den anderen Bescheid, daß ich bald komme!“ „Herrlich“, freute sich Diane. „Vergessen Sie nicht, Schwimmzeug mitzubringen.“ Kay legte auf und fragte sich, was sie überhaupt anziehen sollte! Natürlich konnte sie, aus lauter Trotz, eines ihrer Kostüme tragen. Aber wie sie Steve kannte, würde er seine Drohung wahrmachen und sie tatsächlich ins Wasser werfen. Und außerdem sähe ein graues Kostüm auf einer SwimmingpolParty wirklich albern aus. Warum sollte sie Steve also nicht zeigen, wie attraktiv sie sein konnte? Das würde ihn härter als alles andere treffen. Sobald der Entschluß feststand, sich so hübsch wie möglich zu machen, brauchte sie nicht zweimal zu überlegen, was sie anziehen sollte. In ihrem Schrank hing das hinreißend schicke Kleid im FolkloreLook. Sie hatte sich oft gefragt, ob sich überhaupt einmal eine Gelegenheit ergeben würde, es zu tragen, vor allem, nachdem sie sich von John getrennt hatte. In ihrer Wut, nach ihrem Streit mit Steve, hatte sie zuerst beide Kleider abbestellt, doch später hatte sie ihre Schneiderin noch einmal angerufen und das FolkloreKleid wieder in Auftrag gegeben. Kay holte das Kleid aus dem Schrank. Es bestand aus einer tiefausgeschnittenen, weiten Bluse und einem dazu passenden, gestuften Rock. Das Material war ein weißer, weich fallender Stoff, und den farblichen Akzent setzten blaßlila Bänder, die durch den Rand des Ausschnitts und der weiten Ärmel gezogen waren. Das Kleid war auffallend genug, um Steve zweimal hinschauen zu lassen, gleichzeitig wirkte es sommerlich und lässig, genau das richtige für eine Party. Kay besaß einen weißen Bikini, und sie beschloß, ihn unter dem Kleid zu tragen. Später, nachdem sie geschwommen war, würde sie ihn ohnehin ausziehen müssen. In der Straße, in der Steves Haus stand, parkten so viele Wagen, daß Kay ihr Auto ein gutes Stück weit entfernt stehenlassen mußte. Während sie auf das Haus zuschritt, spürte sie, wie ihr Herz klopfte und sich ihr vor Nervosität die Kehle zusammenschnürte. Kay liebte keinen großen Auftritt, doch nun würde jeder mit Spannung auf ihr Erscheinen warten. Sie fragte sich, wie Steve wohl reagieren mochte. Ohne Zweifel mit irgend einem ironischen Kommentar über ihr Kleid. Auch war sie fest davon überzeugt, daß er eine neue Freundin hatte, und wenn auch nur, um ihr zu beweisen, daß ihre Trennung ihn nicht im geringsten bekümmerte.
Und wenn schon, sagte sich Kay. Sie war eine fünfundzwanzigjährige Frau. Im Laufe der Jahre hatte sie genug Kostproben seines Verhaltens mitbekommen, um jeden seiner Hiebe parieren zu können. Sie mußte ihn lediglich davon überzeugen, daß ihr Bruch sie ebenfalls nicht niedergeschmettert hatte. Während sie ihren eigenen Gedanken lauschte, wurde ihr plötzlich bewußt, wie kindisch im Grunde alles wirkte. Einer versuchte den anderen glauben zu machen, er sei ihm gleichgültig, obwohl das Gegenteil der Fall war. Ach, Steve, wenn du doch nur… Kay gestattete es sich nicht, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Steve mochte ungemein attraktiv aussehen, er mochte sie mit seinen Zärtlichkeiten verzaubert haben, dennoch blieb er ein Mann ohne moralische Grundsätze, auf den sie sich nicht verlassen konnte. Steve war eben kein Mann zum Heiraten, auch wenn sie ihn noch so sehr hebte. Sie ging zur Haustür und läutete. Es dauerte eine geraume Weile, ehe jemand kam. Wahrscheinlich saßen alle hinten im Garten. Dann ging die Tür auf, und Diane stand ihr lächelnd gegenüber. Sie trug einen türkisfarbenen Badeanzug, und um ihre Schultern hing ein Frottiertuch. „Kay… ein todschickes Kleid haben Sie an! Kommen Sie herein. Steve dachte sich gleich, daß Sie es sein müßten, und er bat mich zu öffnen. Er serviert gerade Champagner.“ Kay folgte Diane durch das Wohnzimmer, den Speiseraum und die Küche. Sie betrachtete die Möbel, die sie gemeinsam mit Steve ausgesucht hatte. Sie paßten wunderbar ins Haus, sogar noch besser, als sie gedacht hatte. Kay holte tief Luft. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als sie durchs Küchenfenster hinaus auf den Swimmingpool schaute. Rings um das Becken saßen die Gäste, in Gartenstühlen oder auf Handtüchern. Sie sah auch Steve, der sich mit Don und seiner Frau unterhielt. Über einer blauen Badehose trug er ein weißes Tennishemd. Als Kay mit Diane den Hof betrat, entdeckte Don sie als erster. „Da ist sie ja!“ rief er lächelnd. Dann begrüßten die anderen sie. Kay sah auch Gäste, die sie nicht kannte. Aber es war keine junge Frau darunter. Steve wandte sich um, erhob sich aber nicht von seinem Platz. „Hallo, Kay. Schön, daß du noch gekommen bist“, grüßte er ruhig. Seine Stimme klang ruhig, weder spöttisch noch erfreut, seine Miene war unergründlich. Kay hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob er sich über ihr Kommen freute oder nicht. „Möchtest du etwas trinken?“ Stumm schüttelte sie den Kopf. Sie bemühte sich, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. „Dann schwimm doch ein bißchen. Das Wasser ist herrlich.“ „Gute Idee“, erwiderte sie mit spröder Stimme. Sie wußte nicht, wie sie Steves Benehmen deuten sollte. Er behandelte sie wie eine flüchtige Bekanntschaft. „Das Kleid steht Ihnen phantastisch, Kay“, meinte Scott anerkennend. „Sie sehen großartig aus.“ „Das kann man wohl sagen“, pflichtete Don bei. Steve war der einzige, der sich über ihr Aussehen nicht äußerte. Er saß auf einem Gartenstuhl, nippte an einem Saft und schwieg. Alle anderen schienen vom Champagner ein wenig beschwipst zu sein. Er benimmt sich so merkwürdig, dachte Kay, während sie zu einem Stuhl ging und sich Rock und Bluse abstreifte. Freundlich, aber distanziert. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Kay stieg ins Wasser und schwamm ein paar Runden. Das kühle Wasser tat gut. Sie steuerte auf das flache Ende zu und richtete sich auf. Während sie um sich
schaute, begegnete sie Steves Blick. Er mußte sie die ganze Zeit lang beobachtet haben. Doch als er merkte, daß Kay ihn ansah, wandte er rasch das Gesicht ab und begann ein Gespräch mit Don. Sein Blick enthüllte nichts von dem, was in seinem Kopf vorgehen mochte. Eher drückte er Gleichgültigkeit aus. Gleichgültigkeit – nach allem, was zwischen ihnen passiert war. Kays Augen füllten sich mit Tränen, und sie glitt zurück ins Wasser. Sie schwamm weiter, bis sie sich so weit beruhigt hatte, daß sie nicht mehr befürchten mußte, vor den Gästen zu weinen. Als sie zu dem Stuhl ging, über den sie ihre Kleidung gehängt hatte, fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, ein Handtuch mitzubringen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Steve durch den Kücheneingang das Haus betrat. Sie fragte ein paar Gäste, ob sie ihr mit einem trockenen Handtuch aushelfen konnten, aber keiner hatte mehr als eines dabei. Scott sagte ihr, Steve habe Tücher für Gäste bereitliegen, die keines mitgebracht hätten. Lieber hätte sie auf das Handtuch verzichtet, als sich an Steve gewandt, doch der Wind ließ sie frösteln. Um ein Handtuch zu bitten, ist doch nicht die Welt, dachte sie. Vorsichtig, um nichts naß zu machen, nahm sie ihre Kleidung und schritt zum Kücheneingang. Als sie das Haus betrat, war Steve gerade dabei, Eiswürfel aus dem Gefrierschrank zu holen. „Entschuldige, aber kann ich mir von dir ein Handtuch borgen?“ fragte sie zögernd. Steve sah sie kurz an, um sich gleich darauf wieder den Eiswürfeln zu widmen. „Natürlich“, erwiderte er in dem freundlich reservierten Tonfall, als habe er es mit einer Fremden zu tun. „Geh nach oben ins Bad, das zu dem Hauptschlafzimmer gehört. Dort findest du welche.“ „Danke“, entgegnete sie mit dünner Stimme und durchquerte die Küche. Er würdigte sie kaum eines Blickes. Seine augenscheinliche Gleichgültigkeit schmerzte sie wieder. Hatte er so schnell sämtliche Gefühle für sie vergessen? Erst wenige Wochen zuvor hatten sie sich noch voller Leidenschaft in den Armen gelegen. „Ach, Kay?“ rief er ihr hinterher, als sie den Fuß der Treppe erreichte. „Könntest du mir von oben Streichhölzer mitbringen? Ich glaube, in der oberen rechten Kommodenschublade sind welche.“ „Selbstverständlich. Ich bin gleich wieder da, Steve“, gab sie zurück und stieg rasch die Treppe hinauf. Als Kay das Schlafzimmer betrat, war sie beinahe überwältigt, wie wundervoll der Raum aussah. Durch die Balkontür schien die Sonne. Spiegelungen vom Wasser des Swimmingpools tanzten über die Zimmerdecke und bewirkten eine heitere, fast unwirkliche Stimmung. Ein großes französisches Bett beherrschte den Raum. An einer Wand stand der großzügige Kleiderschrank, bei dessen Preis es ihnen die Sprache verschlagen hatte, und den Steve trotzdem kaufte, weil er ihr so gut gefiel. Kay hob die Hand an die Augen, als könne sie dadurch die Tränen zurückhalten. Sie rang um Fassung. Sie durfte nicht mit verweinten Augen hinunterkommen. Steve würde es vielleicht gar nicht bemerken, dafür aber die anderen. Sie durchquerte das geräumige Schlafzimmer und ging ins Bad. Vom Ständer, der neben der in den Boden eingelassenen Badewanne stand, nahm sie ein flauschiges Frottiertuch und nibbelte sich damit genüßlich trocken. Als sie ihr Kleid wieder anziehen wollte, merkte sie, daß sie vergessen hatte, einen Büstenhalter mitzubringen. Es war halb so schlimm, da die Weite der Bluse viel von ihrer Figur verdeckte. Niemandem würde etwas auffallen.
Nachdem sie ihr feuchtes Haar zu einer Frisur gekämmt hatte, warf sie einen
letzten prüfenden Blick in den Spiegel. So konnte sie sich wieder unten sehen
lassen.
Erst als sie wieder im Schlafzimmer stand, erinnerte sie sich an Steves Bitte, sie
möge ihm Streichhölzer mitbringen. Sie trat an die Kommode und öffnete die
Schublade. Sie war so gut wie leer. Darin lagen ein paar Streichholzbriefchen von
verschiedenen Restaurants, einige Münzen und ein Kugelschreiber.
Kays Blick heftete sich indessen auf eine kleine, in Geschenkpapier eingewickelte
Schachtel. Daran war ein Anhänger befestigt, auf dem in Steves kühner
Handschrift ein Name stand: KAY.
Sie zögerte eine Weile, dann nahm sie die Schachtel in die Hand.
„Hast du die Streichhölzer gefunden, Kay?“
Beim leisen Klang der Stimme schrak sie zusammen. Sie drehte sich herum und
starrte Steve fragend an. Langsam kam er auf sie zu. Er beugte sich vor, wie
wenn er nachsehen wolle, was sie in den Händen hielt.
„Was ist das?“ erkundigte er sich.
„Ein Geschenk.“ Sie legte das Päckchen auf die Kommode und trat einen Schritt
zurück.
„Ach. Für wen?“
„Für mich!“ versetzte sie gereizt. Das Verwirrspiel ärgerte sie.
„Und du stehst nur da und siehst es dir aus der Ferne an?“
Sie zögerte und zuckte mit den Schultern. Handelte es sich um einen neuen
Streich? „Wie… wie kommt ein Geschenk für mich in diese Kommode?“ fragte sie
dann verlegen. Sie konnte Steve nicht in die Augen schauen.
„Das weiß ich nicht“, erwiderte er scheinheilig. „Vielleicht solltest du das
Päckchen einfach öffnen.“
10. KAPITEL Kay nahm das Päckchen, und während sie es hin und her drehte, fragte sie sich,
was wohl darin sein mochte. Gleichzeitig fürchtete sie sich aber, es
herauszufinden. Steve trat von einem Fuß auf den anderen. Obwohl er kein Wort
sagte, spürte sie seine Ungeduld.
Sie holte tief Luft und wickelte dann das Päckchen aus. Es enthielt einen kleinen,
kostbar aussehenden Schmuckkasten aus Leder. O mein Gott, dachte sie,
während ihre Finger zu zittern begannen. Was hatte das zu bedeuten? Was
steckte in diesem aufwendigen Kästchen? Ein ebenso luxuriöses Schmuckstück
oder irgendein Ulk – ein Ring aus einem Kaugummiautomaten zum Beispiel?
Langsam öffnete sie den Kasten. Es funkelte. Sie klappte den Deckel gänzlich
zurück und schnappte vor Erstaunen nach Luft.
Auf einem weichen Polster aus schwarzem Samt lagen drei Ringe – ein großer,
glitzernder Verlobungsdiamant und zwei schmale Goldreifen, ein kleiner und ein
größerer.
Kays Augen füllten sich mit Tränen. Sie senkte den Kopf, bemühte sich, ihre
Emotionen zu verbergen und gleichzeitig zu begreifen, was hier vor sich ging.
„Ich finde sie wunderschön“, äußerte Steve. Seine Stimme schwankte ein wenig.
Kay nickte stumm. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Als sie blinzelte, kullerten ihr
dicke Tränen über die Wangen.
Steve räusperte sich. „Zwei davon sind für dich.“
Kay wischte die Augen trocken. „Willst du mich immer noch heiraten?“
„Ja.“
„Nach allem, was passiert ist?“
„Ich liebe dich, du süße kleine Närrin“, erwiderte er mit rauher Stimme.
Wieder trübten Tränen ihren Blick. „Ich dachte, du wolltest nichts mehr von mir
wissen. Du hast dich so gleichgültig mir gegenüber benommen, mich gar nicht
beachtet.“
Er umfaßte ihre Taille und zog Kay näher zu sich. „Ich wollte mich nicht verraten.
Irgendwie mußte ich dich wegen der Ringe doch nach oben ins Schlafzimmer
locken. Eine Zeitlang befürchtete ich schon, du kämst überhaupt nicht zu meiner
Party.“
„Diane hat mich dazu überredet“, flüsterte sie.
„Ich dachte mir, daß sie das schaffen würde. Ich hätte dich selbst angerufen,
aber dann hättest du vielleicht etwas geahnt.“
„Etwas geahnt?“ wiederholte sie. „Ach so, daß du mir den Verlobungsring
schenken wolltest.“
Verliebt sah er sie an. „Wirst du ihn tragen?“
„Glaubst du, daß es klug wäre, wenn wir zwei es noch einmal versuchten?“ fragte
sie zweifelnd.
„Es kommt darauf an. Liebst du mich?“
„Ja, aber…“ Sie unterbrach sich.
„Kein ,Aber'. Dein ,Ja' genügt mir.“ Er nahm ihr das Kästchen aus der Hand und
holte den Diamanten heraus. „Gib mir deine Hand“, bat er.
Kay zog die Hand zurück, als er danach griff. „Steve, wir müssen so vieles
überdenken.“
„Was? Holloway zum Beispiel?“
„Nein. Ich habe mich endgültig von ihm getrennt.“
„Möchtest du mit mir über Ireen sprechen?“
„Auch nicht. Ich… habe mich schon mit ihr unterhalten. Ich glaube, daß zwischen
euch nichts war, als sie bei dir gewohnt hat. Im Grunde tut mir Ireen sogar ein
bißchen leid.“
„Was möchtest du dann noch überdenken?“
„Ich finde, bei uns beiden tauchen immer sehr schnell Probleme auf. Ich weiß
nicht, ob es an mir oder an dir liegt.“
„Wir sind beide daran schuld. Du hast dir stets ein Hintertürchen freigehalten,
durch das du zu deinem John Holloway zurückkehren konntest, und das hat mich
geärgert. Und du konntest dich mit meinem früheren Lebenswandel nicht
abfinden. Beide Hindernisse sind nun beseitigt. Was sollte uns da noch im Wege
stehen?“
Kay blickte ihm in die Augen. Sie wußte keine Antwort auf seine Frage, mochte
es jedoch nicht eingestehen, weil sie an ihrer Fähigkeit, in diesem Moment klar
denken zu können, zweifelte. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken wie ein
Mühlrad.
„Nichts!“ beantwortete er sich selbst die Frage. „Gib mir deine Hand“,
wiederholte er.
Kay ließ sich von Steve den Ring über den Finger streifen.
„Er ist wunderschön“, flüsterte sie. Plötzlich begann sie zu lachen, obwohl ihr die
Tränen in den Augen standen. „Steve, du hast mir den Ring an die rechte Hand
gesteckt. Es muß doch die linke sein!“
„Später kannst du das ändern“, entgegnete er. Er griff nach dem Kästchen, das
er auf die Kommode gestellt hatte.
„Später?“ fragte sie stirnrunzelnd.
„Liebling“, sagte er, indem er ihr den Arm um die Schultern legte und sie an sich
drückte. „Ich mag es, dich zu überraschen, aber in diesem Fall sollte ich dich
wohl doch ein wenig vorbereiten.“
„Worauf?“ fragte sie verblüfft.
„Hast du den älteren weißhaarigen Herrn gesehen?“
„Der auf der Terrasse im Schatten sitzt?“
„Ja. Das ist Richter Clark.“
„Richter… ach, der Mann, der uns trauen sollte?“
„Genau.“
„Wie schön, daß er gekommen ist. Ich würde ihn gern kennenlernen.“
Nachdenklich schaute Steve sie einen Moment lang an. „Ist dir aufgefallen, daß
beinahe alle Gäste, die wir zur Hochzeit einladen wollten, hier sind? Mit
Ausnahme deiner Eltern. Sie warten aber nur auf einen Anruf von mir.“
„Meine Eltern? Aber warum, Steve. Soll das etwa heißen, daß du… o nein, das
kann doch nicht wahr sein!“
„Wir wollten am zwanzigsten Juni heiraten, Kay, und dieser Tag ist heute. Die
Heiratserlaubnis ist immer noch gültig. Und ich habe alles vorbereitet.“
„Aber… das sollte doch eine SwimmingpoolParty werden? Auf der Einladung
stand doch…“
„Und unsere Hochzeit wird noch informeller, als wir es geplant hatten. Mir macht
es nichts aus, wenn es dich auch nicht stört. Du siehst hinreißend aus in diesem
Kleid. Du wirst eine bildhübsche Braut abgeben.“
Kay blickte an sich hinunter und betrachtete das Kleid, das ihrer Figur sehr
schmeichelte. Plötzlich lachte sie. „Diane meinte, von dieser Party würde im Büro
noch nach Jahren geredet. Ich glaube, sie wird recht behalten.“
„An dieses Fest werde ich mich noch nach fünfzig Jahren erinnern“, gab Steve
zurück und zog Kay enger an sich.
„Wissen die Gäste unten Bescheid, was du im Sinn hast?“ erkundigte sie sich.
„Nein, nur der Richter. Es soll auch für die anderen eine Überraschung sein.“
Kay lachte wieder. „Steve, damit setzt du allem die Krone auf,“ meinte sie.
Schmunzelnd blickte er auf seine Uhr. „Und ich war fast krank vor Sorge, du würdest mir einen Korb geben. Wenn wir uns beeilen, ist die Trauung vorbei, wenn das kalte Büfett geliefert wird. Dann ist die Planung wirklich perfekt.“ Er rieb seine Nase an ihrem Ohr und flüsterte: „Aber das Allerschönste kommt, wenn die Gäste gegangen sind.“ Kay blickte zu Boden und errötete. In diesem Moment sah sie, daß Steve noch immer die Badehose trug. „In der Badehose siehst du gut aus, Steve“, meinte sie, „aber ich hatte mir immer vorgestellt, daß mein Bräutigam bei der Trauung eine lange Hose tragen würde. Ist es zuviel verlangt, wenn…“ „Ich wollte mich sowieso gerade umziehen. Möchtest du zuschauen?“ fragte er mit spitzbübischem Lächeln. Kay wurde verlegen. „Ich denke, ich werde lieber noch einmal ins Bad gehen und mich ein wenig schminken.“ Sie wollte gehen, doch er hielt sie zurück. „Zuerst laß mich dich küssen.“ Seine Lippen liebkosten ihren Mund. Sie umarmte Steve und schmiegte sich an seine breite Brust. Ein paar Tränen liefen Kays Wangen hinunter – es waren Freudentränen. Erlebte sie das alles wirklich, fragte sie sich. Gehörte Steve jetzt endgültig ihr? Während sie über sein Haar strich und voller Sehnsucht seine Küsse erwiderte, vergegenwärtigte sie sich, daß sie nicht träumte, sondern daß alles tatsächlich passierte. Als sie an diesem Morgen aufgestanden war, und aus lauter Verzweiflung mit ihrem Hausputz begonnen hatte, hätte sie nie daran geglaubt, daß sie noch am selben Tag Steve heiraten würde. Von seinen Plänen hatte sie wirklich nichts geahnt. Plötzlich mußte sie lachen. Steve schob sie ein Stück von sich und fragte: „Was findest du so witzig?“ „Ich denke gerade daran, daß das Zusammenleben mit dir ein richtiges Abenteuer wird. Ich weiß nie, was ich als nächstes erwarten kann.“ Steve nickte und stimmte in ihr Lachen ein. Doch dann wurde er ernst. „Eins kannst du von mir erwarten, Kay, und das ist Treue. Das verspreche ich dir. Du bist die einzige Frau, der je mein Herz gehört hat. Ich liebe dich. Ohne dich wäre mein Leben sinnlos. Du sollst dich in unserer Ehe sicher und geborgen fühlen. Ich werde dich bestimmt nicht enttäuschen.“ In seinem Sommeranzug stand Steve vor Richter Clark, die überglückliche Kay an seiner Seite. Die Zeremonie nahm ihren Gang. Niemand schien sich sicher zu sein, ob er Steve glauben sollte oder nicht, als er kurz zuvor an den Swimmingpool getreten war und verkündet hatte, er und Kay wollten gleich heiraten. Erst als Steve bat, die Gartenstühle so aufzustellen, daß sie einen Mittelgang bildeten, legte sich die allgemeine Skepsis ein wenig. Einige Gäste fanden es passender, sich für die Dauer der offiziellen Trauung wieder anzuziehen. Kays Eltern trafen ein, und alles lief wie am Schnürchen. Dann war die Zeremonie vorbei, und mit strahlendem Lächeln blickten Kay und Steve sich an. Ihre Kollegen brachten Hochrufe aus, die klangen, als hätte man allgemein seit Jahren nur auf diesen Augenblick gewartet. Bald war die Party wieder in vollem Gange, übermütiger und ausgelassener als zuvor. Steve jedoch wünschte sich nichts sehnlicher, als daß die Gäste bald gingen, und er mit Kay allein wäre. Endlich war es soweit. „Ich hatte schon Angst, die würden die ganze Nacht lang bleiben“, seufzte Steve und ergriff Kays Hand Soeben hatten sie den letzten Gast an der Haustür verabschiedet. Er blickte auf die Uhr. „Zehn Uhr vorbei, und wir sind schon seit fünf Stunden verheiratet!“ Verträumt sah er Kay an. „Was hältst du davon, wenn wir noch einmal
schwimmen gehen?“
„Jetzt? Es ist doch dunkel.“
„Das ist ja das Schöne daran. Im übrigen ist der Pool beleuchtet Komm, mach
mit, es ist eine wundervolle Art, sich zu entspannen“, drängte er.
„Von mir aus“, Kay zögerte. „Wo habe ich nur meinen Bikini gelassen? Ach ja,
oben im Badezimmer…“
„Du brauchst keinen Bikini.“
„Ich… ich brauche ihn nicht?“ Fragend blickte sie ihn an.
„Genausowenig, wie ich eine Badehose brauche. Nackt zu schwimmen, ist viel
bequemer“, fügte er schmunzelnd hinzu. Steve legte den Arm um ihre Schultern
und schob sie sanft nach draußen.
„Aber Steve, wenn uns jemand sieht“, wandte Kay ängstlich ein.
„Das Grundstück ist von hohen Büschen umgeben. Wer soll uns sehen?“
beruhigte Steve sie. „Aber ich hole rasch ein paar Handtücher, damit du dich
nicht erkältest, wenn du aus dem Wasser kommst. Zieh dich schon aus, ich bin in
einer Sekunde zurück.“
Steve eilte davon. Kay war sich unschlüssig, was sie tun sollte. Er sorgte wirklich
für immer neue Überraschungen.
Ein Windhauch zerzauste Kays Haar, als sie zu einem der Gartenstühle ging und
die Schuhe abstreifte. Es war eine herrliche Nacht, angenehm kühl nach der Hitze
des Tages.
Während Kay den Gürtel öffnete, wurde ihr bewußt, wie still es ringsherum war.
Die Dunkelheit schien alles zu verzaubern, und das Wasser des Swimmingpools
schimmerte in einem bläulichen Licht.
Dann hörte sie Schritte. „Immer noch angezogen?“ fragte Steve. Er trug zwei
Handtücher über dem Arm.
Kay lächelte. „Du bist zu schnell zurück.“
„Du bist doch nicht etwa schüchtern, oder?“ neckte er sie.
Sie senkte den Kopf. „Wenn du schon einmal davon anfängst…“
Er nahm ihre Hand. „Kay, ich weiß, wie du nackt aussiehst. Ich habe dich schon
ohne Bluse gesehen, weißt du noch?“
„Ich weiß es. Aber ich bin noch niemals nackt mit einem Mann geschwommen.“
„Ich bin dein Ehemann. Und heute nacht wirst du noch vieles erleben, was dir
neu ist“, sagte er lächelnd, während er die Tücher über eine Stuhllehne hängte.
„Ja, das weiß ich auch.“
Er legte den Arm um ihre Taille und zog Kay nahe an sich heran. „Kay, alles wird
wunderschön werden. Entspanne dich und genieße es, mit mir allein zu sein. In
der letzten Zeit waren wir so häufig getrennt. Denke an nichts anderes. Es gibt
keine Probleme, Darling.“
„Du hast recht“, sagte sie und gab ihm einen Kuß. Er schmiegte sie an sich, und
sie kostete es aus, seine wärmende Nähe zu spüren.
„Du fühlst dich so sexy an“, flüsterte Steve in ihr Ohr, während er ihre Arme und
ihren Rücken streichelte. „Du trägst keinen BH, das ist mir sofort aufgefallen.“ Er
schob seine Hand unter ihre Bluse und begann, sanft ihre Brustspitze zu
streicheln. Ein paar köstliche Augenblicke lang liebkoste er sie auf diese Weise,
dann umfaßte er mit der ganzen Hand ihre Brust.
Kay schloß die Augen. Sie ließ es zu, daß Steve ihr behutsam die Bluse
abstreifte. Als er ihren nackten Körper sah, der wie Alabaster im Mondlicht
schimmerte, stöhnte er auf und bedeckte ihre Schultern mit glühenden Küssen.
Kay schrie leise auf, als Steves Mund sich über ihrer Brustwarze schloß. Seine
Zunge spielte mit ihr, bis sie sich prall aufrichtete. Kay spürte süße Schauer.
Voller Verlangen drückte sie sein Gesicht gegen ihren Busen.
„Es ist besser, wir gehen jetzt schwimmen“, sagte Steve und atmete tief. „Am liebsten würde ich mit dir hier im Gras schlafen.“ Kay kuschelte sich an ihn. „Ich wünschte, du würdest es tun“, murmelte sie verträumt. Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn, bis sie ihm in die Augen sehen mußte. „Wirklich? Ich dachte, du bist verschämt und schüchtern.“ „Du läßt mich meine Hemmungen vergessen.“ Kays Stimme klang weich und herausfordernd. Zu ihrer eigenen Überraschung begann sie, sein Hemd aufzuknöpfen. Vielleicht lag es daran, daß sie verheiratet waren, vielleicht tat der Zauber der Nacht sein übriges dazu. Kay brannte vor Verlangen nach Steve, sehnte sich danach, die Geheimnisse der Liebe zu erforschen. Tief in ihrem Herzen wußte sie, daß es ein vollkommenes Erlebnis sein würde. Sie spürte, wie ihr Körper sich nach der Vereinigung sehnte. Sie streifte sein Hemd ab und streichelte zärtlich seine behaarte Brust. Das Mondlicht brach sich funkelnd in ihrem Diamanten. Sie drängte sich näher an Steve heran, bis ihre Brustspitzen sich an den feinen Härchen rieben. Seine Lippen preßten sich auf Kays Mund, hungrig und voller Verlangen. Er drückte sie so fest an sich, daß sie kaum noch zu atmen vermochte. Plötzlich schob er sie von sich. Steves Augen glänzten. „Kay, zuerst möchte ich schwimmen gehen“, sagte er mit heiserer Stimme. Zärtlich sah er seine Frau an. „Warum?“ „Ich möchte dich im Wasser neben mir fühlen, nackt. Ich möchte ein bißchen mit dir spielen, und dich dann in unser Bett tragen.“ Lächelnd öffnete sie den Verschluß ihres Rocks. Nun trug sie nur noch einen hauchzarten Slip. Ohne Scheu streifte sie auch ihn ab. Steve stand vor ihr und betrachtete sie voller Bewunderung. „Wer als erster im Wasser ist!“ rief sie fröhlich und rannte los. „Heh, das ist nicht fair!“ Lachend wandte sie sich um und sah, wie er sich hastig von seiner restlichen Kleidung befreite. Sie lief die flachen Stufen hinunter ins Wasser hinein. Es hatte sich noch nicht abgekühlt. Sekunden später folgte ihr Steve. Er umfaßte ihre Taille und zog sie mit sich. Lachend wehrte sie sich und spritzte ihn naß. Eine Zeitlang tollten Kay und Steve umher wie Kinder, einander haschend, neckend, übermütig und ohne Sorgen. Sie waren in ihrem eigenen, kleinen Paradies. Vor Lachen ging Kay schon der Atem aus, als Steve abermals ihre Taille umarmte. Wieder versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, doch dieses Mal hielt er sie unerbittlich fest. Seine Haut fühlte sich angenehm glatt an, als er Kay an sich zog und innig küßte. Die Liebkosungen wurden besitzergreifender, während er ihren nackten Körper an seinem rieb. Ihr war, als fände in ihrem Innern eine kleine Explosion statt, als seine Zunge sich in ihren Mund drängte. Sie spürte, wie das kühle Wasser ihren Körper umschmeichelte, wie Seide ihre Schenkel entlangstrich, ihre Sinne stimulierte. Steve streichelte ihren Rücken, massierte ihre Brüste, steigerte ihre Erregung, bis sie sich vor Verlangen kaum noch beherrschen konnte. Dann hob er sie hoch und trug sie aus dem Wasser. Neben dem Stuhl ließ er sie vorsichtig auf den Boden. Er nahm eines der Handtücher und begann, Kay sanft damit abzutrocknen. Zuerst ihre Schultern und den Rücken, dann jede Brust einzeln. Anschließend rieb er ihren Bauch und ihre Schenkel ab. Der Vorgang erregte sie ungemein. Kay nahm das zweite Handtuch und tat das gleiche mit Steve. Sie staunte über seinen mächtigen Brustkorb und die Breite seiner Schulter.
Während sie mit dem Handtuch langsam über seinen Körper strich, schien er ungeduldig zu werden. Plötzlich nahm er das feuchte Tuch fort und warf es achtlos beiseite. Wieder hob er sie hoch, um sie ins Haus zu tragen. Die Balkontür stand offen, als sie ins Schlafzimmer traten. Eine Brise strich durch den Raum. Steve setzte Kay vor dem Bett ab, dann schlug er die breite Decke zurück. „Steve!“ rief sie leise. „Bettlaken aus Satin?“ Bewundernd blickte sie auf den mattglänzenden weißen Stoff. „Bist du jetzt froh, daß wir gewartet haben?“ „Ja“, flüsterte sie. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. „Ich liebe dich, Steve. Du bist wunderbar!“ „Nein, du bist wunderbar“, entgegnete er und erwiderte ihren Kuß. „Obwohl ich weiß, wie man eine perfekte Hochzeitsnacht plant, findest du nicht auch?“ setzte er schmunzelnd hinzu. Sie errötete. „Ich weiß nicht recht. Die Nacht ist ja noch nicht vorbei.“ „Das Beste habe ich mir für zuletzt aufgehoben“, erwiderte er und nahm sie zärtlich in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn. „So habe ich es mir vorgestellt, Steve“, flüsterte Kay beglückt. „Es ist das vollkommene Erlebnis.“ ENDE