WARREN NORWOOD
EIN BILD AUS STIMMEN Die Windhover-Bänder 1 Roman Science Fiction Scanned by Galan (sb)
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WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4866
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE WINDHOVER TAPES: AN IMAGE OF VOICES Deutsche Übersetzung von Michael Windgassen Das Umschlagbild malte Brian Waugh
Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1982 by Warren C. Norwood Copyright © 1992 der deutschen Ausgabe und Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1992 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-05386-9
1. 7035 - 1.8.
Bundesbasis 1744
Ein Tagebuch zu führen, das bis auf den Schreibenden selber wohl sonst niemand lesen wird, mag ein bißchen absurd erscheinen. Trotzdem, närrisch und schrullig, wie du nun mal bist, Gerard, legst du dir eins zu. Und fängst jetzt damit an. Die nach dem Ende der letzten Mission vorgenommene Gedankenwäsche hat, wie zu fürchten ist, allzu viele erhaltenswerte Erinnerungen ausgelöscht. Sie zu bewahren, will ich dir, liebes Selbst, also auftragen; sorge dafür, daß mein Fleiß nicht nachläßt, aber sei gewarnt, daß das Führen eines Tagebuches allen diplomatischen Regeln zuwiderläuft, die der Bund jemals aufgestellt hat. Deshalb werde ich jeden Eintrag in einem persönlich geschützten Unterverzeichnis von Windys Datenbank abspeichern. Wir müssen seine Existenz streng geheimhalten. Keiner darf davon wissen, ausgenommen Fairy Peg vielleicht. Ah, Fairy Peg, wo steckst du im Augenblick? Du bist bestimmt irgendwo in meinem Gedächtnis verlorengegangen, verborgen worden mit Hilfe der besten Techniken, die die Gedankenwäsche aufzubieten hat. Verschwunden bis auf den Namen allein und die süße, flüchtige Ahnung deines süßen Duftes in meinen Träumen. Seit der letzten Mission ist inzwischen ein Jahr vergangen; ein Jahr, seit der Bund seine rechtliche Möglichkeit in Anspruch und sämtliche Erfahrungen aus meinem Gedächtnis gelöscht hat. Ein Jahr der >Säuberung< und Vorbereitung auf den nächsten Einsatz. Es ist erstaunlich, liebes Selbst, woran ich mich erinnere und woran nicht. Und natürlich, woran du dich erinnerst. Das föderative DiploKorps behauptet, wir wären aus >strengsten Sicherheitsgründen< der Gedankenwäsche unterzogen worden, aber ich vermute einen anderen Grund dahinter. Ich glaube, wir haben unseren Auftrag verbockt. Mist gebaut. Ich wünschte, du würdest sprechen lernen, Selbst, oder wenigstens zur außersinnlichen Wahrnehmung in der Lage sein oder sonstwie mit mir kommunizieren können, und nicht nur in Traumsymbolen. Seien wir doch ehrlich und fair zueinander. Ich hocke hier vor der Tastatur und offenbare mich Windy, während du jeden meiner Schritte beobachtest oder womöglich sogar kontrollierst. Und was erhalte ich als Gegenleistung? Erklärungen? Nein, nur Träume. Verrückte Träume. Unzusammenhängende, symbolbeladene, überzeichnete Träume! Aber daß das Leben fair sei, hat mir natürlich niemand versprochen; warum also sollte ich ausgerechnet von dir Fairness erwarten? Ich bin schließlich nur der Organismus, der dein Überleben zu sichern hat. Ich schütze und verteidige dich, ernähre dich, gebe dir geistige Unterstützung und versorge dich gelegentlich mit einem Partner, der dich liebt und bettet. Mit meinem Appell zur Fairness und dem Wunsch, an den verborgenen Quellen deines Wissens und deiner Weisheit teilzuhaben, verlange ich sicherlich zuviel. Was? Du bist nicht beeindruckt von meinen ohnmächtigen Drohungen und billigen Schmeicheleien? Egal. Das regeln wir später. Bestandsaufnahme. Ein neuer DiploKontrakt ist unterzeichnet, die Schulung abgeschlossen (oder war's womöglich eine Umschulung?). Die Änderungen, die ich am Baird Z-Rangel-Übersetzer vorgenommen habe, zeigen unerwartet gute Resultate. Der Bund hat im Rahmen der >obligaten Instandhaltungsmaßnahmen< die Autoklinik gegen zwei überflüssige Verjüngungszellen ausgetauscht, aber zum Glück werden die zusätzlichen Kosten nicht auf Windys Hypotheken aufgeschlagen. Die Windhover ist beladen, poliert und startklar. So wie ich.
Jetzt brauchen wir nur noch die endgültige Starterlaubnis vom Einsatzkommando. Auf die ich lange warten mußte. Ich dachte schon, sie hätten uns den ganzen Tag festhalten wollen. Aber gleich läuft der Countdown; nur noch ein Tonsignal aus dem B-Kanal Halt dich fest, Selbst; es geht los. Alles weitere später. 7035 - 12 .8.
Anflug auf Diera
Dabei wollte ich so fleißig sein mit meinen Tagebucheintragungen ... Jetzt, nach drei Zeitschleifen und elf Tagen komme ich endlich wieder dazu. Ein erbärmlicher Anfang. Was steckt dahinter? Ein Mangel an Kommunikationsbereitschaft? Motivationsmangel? Ungenügende Hilfe deinerseits, Selbst? Nein. Wenn ich nicht ständig von Fairy Peg geträumt hätte, würde ich jetzt, wo wir uns Diera nähern, hier nicht sitzen. Diera: ein religiöser Planet von begrenztem Charme. Das Bundesamt für Feldforschung (kurz: Baff) berichtet (in seiner unmöglich verklausulierten Fachsprache), daß die humanoiden Bewohner in siebzehnter Generation von den Sylvanern abstammen, die seit der sechsten Generation dem Mystizismus verfallen sind, nicht zuletzt aufgrund verheerender Seuchen, die die Bevölkerung alle dreißig bis vierzig Jahre um die Hälfte reduziert hatten. Als sie die Seuchen endlich in den Griff bekamen, konnten die Überlebenden auf dem einen größeren Kontinent eine bescheidene Existenz aufbauen. Sie glauben an Magie, an das Übernatürliche und an die Wirksamkeit totaler Kooperation. Den ersten diplomatischen Kontakt mit diesem Volk stellte ein Sylvaner namens GrWrytte her, der von dem, was er sah, nicht besonders angetan war; im Gegenteil: Er schätzte die kulturellen Besonderheiten, die er antraf, überaus gering ein. Akribisch notierte er in seinem Bundesbericht, daß die Dieraner die Zeit ihres Wegganges von Sylva noch sehr gut in Erinnerung haben und sogar Videomaterial von den ersten Jahren aufbewahren, sich aber weigern, die >Mysterien< ihrer Artgenossen zu übernehmen. Dem bedauernswerten GrWrytte war nicht einmal aufgefallen, daß man ihn durchaus freundschaftlich empfangen und gepflegt hatte, bis er der Pest erlag und ehrenvoll bestattet wurde. Als Mrs. Caven zu Besuch kam, hatten die Dieraner ihr Immunserum mit Hilfe des Bundesamtes für Feldforschung perfektioniert. Caven wähnte sich im Diplomatenhimmel. Leider konnte sie nicht lange bleiben und mußte nach einem Jahr wieder aufbrechen, um anderen Bundesangelegenheiten nachzukommen. Ihr Bericht war jedoch äußerst umfangreich und ihre Beziehung zur dieranischen Bevölkerung offenbar auch sehr gut. Meine Aufgabe ist es, ein Bundesbüro einzurichten, einen Vertrag zur dauerhaften Zusammenarbeit auszuhandeln und zwei meiner Passagiere (die sich noch im Tiefschlaf befinden) als Verbindungsoffiziere zurückzulassen. Ich kann nicht verstehen, warum Verbindungsoffiziere immer im Tiefschlaf reisen. Vielleicht weiß Windy eine Antwort. Nein, auch sie hat keine Ahnung. Es wäre vielleicht einfacher, wenn Windy einen direkten Zugriff auf das Tagebuch hätte. Aber sicherer ist, daß sie ihn nicht hat. Seit zwei Monaten schon studiere ich die Berichte über Diera. GrWryttes durchweg negative und Cavens überschwengliche Eindrücke haben in mir das unwiderstehliche Gefühl entstehen lassen, daß beide Beobachter etwas sehr Wesentliches und Aufschlußreiches übersehen haben. Mir will nicht einleuchten, daß ein Volk so freundlich und nachgiebig sein kann. Okay, Windy, ich höre. Die erste Umlaufbahn ist erreicht.
7035 -13.8.
Austritt aus der Umlaufbahn. Diera
Sechs Stunden bis zur Landung. Windy hält uns genau auf Kurs. Diera bestätigt unseren Anflug. Als Ansprechpartner ist mir M'Litha zugewiesen worden, die Wirzelmagierin, das heißt, sie ist politisches Oberhaupt, Hexe, Zauberer und höchster Spinneflipp in einer Person. Wenn in den nächsten zwei Tagen alles glattgeht, werde ich mit Windy zwei Schläfer wachkitzeln und mit der eigentlichen Arbeit beginnen. 7035 - 22 .8.
Tam City. Diera
Man hat mich belogen. Von einem reibungslosen Ablauf kann keine Rede sein. Und was, um Kricks willen, will diese M'Litha bloß von mir? Der Empfang war alles andere als linear. Mir wurde aufgetragen, an die Arbeit zu gehen; danach könnte ich dann mit einer formellen Begrüßung rechnen — ein absolut nicht-linearer diplomatischer Empfang, vergleichbar mit dem, was auf der alten Erde >protokollwidrig< bezeichnet worden wäre. Ein nicht-lineares Treffen mit einer alten Magierin, die von mir verlangte, irgendein Manuskript zu übersetzen, das ich dann auch brav in den Baird getippt habe. Und jetzt erhalte ich eine per Hand gekrakelte Nachricht von M'Litha persönlich, durch die sie mir mitteilt, daß es zu einer formellen Begrüßung kommt, sobald die Übersetzung fertig ist. Windy kontrolliert den Baird und assistiert. Ich warte. Hier bleibt mir offenbar nichts anderes übrig. Seit sieben Tagen warte ich nun schon, mal in der Bibliothek, mal im Empfangszimmer oder in der Forschungsstation, wo man jede Menge weiß über Atmosphäre, Bodenbeschaffenheit, Flora und Fauna, aber auf praktische Fragen keine Auskunft geben kann. Immerhin haben sich die Leute dort ein bißchen von ihrer Routine abbringen lassen, was die Langeweile halbwegs erträglich machte. Aber nur für einen Tag. Ich leg mich jetzt aufs Ohr, Selbst. 7035 - 23. 8. Selbst wenn dieses Manuskript einen Teil der Antwort liefern sollte auf das, was hier vorgeht, sind wir, wie ich glaube, nicht sehr viel weitergekommen. Bairds wortwörtliche Übersetzung ergibt nicht mehr als ein sinnloses Blabla. Vielleicht wird das neue Programm weiterhelfen. Nun, es hat fast neun Stunden gedauert, aber am Ende haben wir es dann doch geschafft. Baird ist von Windy und Windy von mir gecoacht worden. Wort für Wort, Satz für Satz. Ich glaube, wir haben endlich Sinn in den Text gebracht. Das das Manuskript in einer Sprache geschrieben ist, die Caven als >heiligen Jargon< bezeichnet, war unser erstes Problem. Problem Nummer zwei: Es handelt sich um ein Gedicht, und zwar nicht nur um irgendein altes Gedicht, sondern um eines mit feierlich religiösem Inhalt. Ich bin erschöpft. Ich habe das Gedicht aufs Memorisierband kopiert, damit ich es bis morgen auswendig kann. Und du, mein Selbst, hast die Aufgabe, mir beizubringen, in welchem Zusammenhang die Verse zu unserer Mission hier stehen.
Dieras Ruf Drum sei ermuntert, Sternenkind. aus nächt'gem Dunst hinabzureisen, hinab auf den gebrannten Fels, und nenn es dein Zuhause. Drum sei ermuntert, Wirzelden Schatten von dir abzustreifen mit festem Griff und deiner Zunge und führe unsren Weg. Drum sei ermuntert, Magierin, der Ärzte Samen abzustoßen aus deines Leibes Tiefe und trage unsren Laich. Drum sei ermuntert. Mutter, das Antlitz Dieras zu gestalten mit Stammbaum und Geschlechterfolge und mit des Lebens Spiegel. Drum sei ermuntert, Sternenkind, als Wirzelmagierin zu wesen, als Medicus und wahre Mutter und unser aller Blut. 7035-1.9. Fleißig, fleißig, fleißig. Und erfolgreich. Wir haben nicht nur den Übersetzungstest mit Bravour bestanden, sondern sind auch mit einer Zeremonie beehrt worden, die vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung dauerte und, wenn ich recht verstanden habe, dazu bestimmt war, mir den Titel eines hochwürdigen Monkus zu verleihen. Mit anderen Worten: Ich bin jetzt eine geheiligte Person. Als ich M'Litha drängte, mich über diesen Punkt genauer aufzuklären, beauftragte sie eine der Magierinnen, mir ein weiteres Manuskript auszuhändigen. Noch ein Gedicht! Zwar von anderer Art und in anderem Dialekt, aber immerhin ein Gedicht. Der Titel: >Monkus' Pilgerfahrt über seinen Exilplaneten<. Diese Verse sind offenbar nicht annähernd so feierlich wie >Dieras Ruf<, und ich hoffe, daß deshalb die Übersetzung weniger schwerfällt. Ich brenne darauf zu erfahren, was mein hiesiger Titel eigentlich wert ist. Während wir darauf warten, daß Windy und der Baird eine erste, grobe Übersetzung ausarbeiten, möchte ich dich, mein Selbst, über den Traum befragen, den du mir vergangene Nacht eingeflüstert hast. Insbesondere würde ich gerne wissen, was Fairy Peg in einem Traum über protokollwidrige Empfänge zu suchen und warum sie mir die schmucke Robe über die Schultern gelegt hat. Willst du auf eine Sache mit Fairy Peg anspielen, die vor langer Zeit passiert ist? Oder willst du meinen müden und schwachen Geist foppen? Was hat es mit dem Sonnenbanner auf sich, das ständig auftauchte? War das wieder eins deiner feinsinnigen Symbole? Ein Symbol meines Herzens? Oder meiner Person, die sich hier auf Diera so gut macht? Komm schon, Selbst, du verheimlichst mir was. Wie? Keine flapsige Antwort? Ich kann warten. Wie immer. Windy und der Baird haben diesmal zügig gearbeitet. Zweieinhalb Stunden nach der Eingabe legten sie ein recht anständiges Ergebnis vor. Für die nötigen Verbesserungen und das Durchprobieren einiger Übersetzungsvarianten, die wir drei gemeinsam vorgenommen haben, brauchten wir eine weitere Stunde. Jetzt sieht es so aus, als hätten wir einen Hinweis auf meinen hiesigen Status gefunden. Zumindest haben wir jetzt eine ungefähre Vorstellung davon, wer dieser Monkus war, oder genauer: was er getan hatte, um die Dieraner so zu beeindrucken. Während der mehrtägigen Wartezeit, die ich vornehmlich in der Bibliothek zubrachte, konnte ich in Erfahrung bringen, daß es die dritte sylvanische Expedition wegen schlechten Wetters an eine Küste verschlagen hatte, die fernab vom Siedlungsort der beiden ersten Trecks gelegen war. Aus jener frühen Migrationswelle entwickelten sich demzufolge zwei
voneinander unabhängige Gemeinwesen: Tam City, wo wir uns jetzt befinden, und Chancor auf der gegenüberliegenden Seite des Kontinents. Monkus war offenbar Bürger von Tam City gewesen, der als Kurier oder Vertrauensmann zwischen beiden Städten hin und her pendelte. Um eine plötzlich ausgebrochene Epidemie in Schach zu halten, wurden diese Reisen unterbunden. Monkus hielt sich zu dieser Zeit in Chancor auf. Er beschloß, zu Fuß nach Tam City zurückzukehren. Wohin könnte ich wohl nach M'Lithas Meinung zurückkehren? Was macht mich mit diesem Monkus vergleichbar? Ich weiß nur eins: Als Monkus gehöre ich nun zu einer Elitegruppe, die ausschließlich aus Mitgliedern desselben Ranges besteht. Warum M'Litha glaubt, daß ich in diese Gruppe hineinpasse, ist mir schleierhaft. Trotzdem will ich das Gedicht wiedergeben, und sei es nur für die Akten: Monkus' Pilgerfahrt über seinen Exilplaneten I Nichts behinderte so sehr wie schnöde Habe ihn, der im Sonnenwind segeln konnte zum Geist der Sterne, zu Eldorados Bergen, der über wüsten Schnee des Weltraums glitt. Nichts krümmte ihm die Beine so sehr wie ein Stuhl. II Über das Land lief er, über liebliche Gesichter, über Dieras Lenden, Busenlande, Herz und Schultern, im Bein der alte, schreiende Schmerz, das Erschlaffen der Muskeln, der heiß strömende Schweiß. Die Hitze des rennenden Körpers spürend und in beständig stampfendem Takt, mit quälendem Drang erklomm er den Hügel und wankte hinab und lechzte nach Rast. III Monkus ging, zu sein sein Bruder, durch dichtes Wollgras, Riegelhaine, durch das Dickicht seiner Knochen und die Ranken seiner Sehnen. Er überflog die Berge wie ein Blick und lief, zu seh'n des Wandels Wandel. IV Zu sehen und zu werden, Monkus ging, finster über die Gipfel, heiter durch Flußbetten, trist im Regen; die Beine hart und willens, Lunge pumpend seine Arme, heil'gen Odem saugend. sich zu stärken
auf der Pilgerfahrt nach Hause Ich finde die Übersetzung ganz passabel. Mit der Botanik sind wir freizügig verfahren, was den Inhalt des Gedichts jedoch kaum tangiert. Ich habe >Dieras Ruf< in den Reportdatei eingespeichert, denn ich sehe in diesen Versen einen Schlüssel zum Verständnis der hiesigen Gesellschaft; außerdem kann ich mir vorstellen, daß unsere Bürokraten bei der Lektüre des Textes die Pimpernellen kriegen. Ich kenne die Typen; weil sie sich keinen Reim auf das Gedicht machen können, werden sie es wahrscheinlich für eine verschlüsselte Information halten, als ultra-geheim klassifizieren und in den Massencomputer einspeisen. Außerdem habe ich eine in Prosa gehaltene Übersetzung von >Pilgerfahrt< der Reportdatei beigefügt, wovor die Schreibtischhengste noch mehr scheuen dürften. Daß von meinem Tagebuch nichts rauskommt, ist um so wichtiger geworden. Ich glaube, ich lasse Windy ein paar Bögen Pergament synthetisieren und kopiere die >Pilgerfahrt< in alter Standardschrift als Geschenk an M'Litha. Morgen werde ich es ihr dann feierlich überreichen und zu dieser Gelegenheit das weiße Kleid und Monkus' Robe anlegen. Davon dürfte das alte Mädchen ziemlich beeindruckt sein. In der Zwischenzeit sollte ich wohl besser das Verbindungsteam aufwecken. 7035 - 3.9. >Beeindruckt< war das falsche Wort. Entweder sind meine Instinkte auf diesen Planeten geeicht, oder M'Litha schmeichelt mir maßlos. Als ich ihr die >Pilgerfahrt< auf Windys Pergament in einem mit Blattgold verzierten Schuber überreichte, in dem mein LightSpeedDiplom gesteckt hatte, traten ihr fast die blaßblauen Augen aus dem Kopf. Wenn Dieraner Tränen vergießen könnten, hätte sie es sicherlich getan. Ich schätze, das weiße Kleid, die rote Robe und der goldene Schuber bildeten eine Farbzusammenstellung von magischer Symbolik. Die Folge war, daß es erneut zu einer vom Morgen bis zum Abend dauernden Zeremonie kam, anläßlich der feierlichen Widmung des Gedichts. Davon bin ich gerade erst zurückgekehrt. In der nächsten oder übernächsten Woche steht mir eine Reise nach Chancor bevor, und zwar im Königlichen Flieger. Ich benutze das Wort >königlich<, weil M'Litha den Eindruck einer Königin auf mich macht. Sie gibt sich auch so. Bis dahin werden die Verbindungs- und Baff-Offiziere so tief in der Arbeit stecken und Informationen für den Vertrag sammeln, daß mein Verschwinden nicht weiter auffällt. Liebes Selbst, es scheint, wir haben uns einen kleinen Urlaub verdient. 7035 - 11. 9. Morgen geht's ab nach Chancor zusammen mit M'Litha und einer Abordnung von Magierinnen und Wirzeln, die mir heute vorgestellt worden sind. Insgesamt habe ich dreiundfünfzig Personen gezählt. Das wird was! M'Litha hat mich vorgewarnt: In Chancor sollen mehrere lange Zeremonien stattfinden, aber sie will dafür sorgen, daß ich Gelegenheit finde, die dort amtierende Wirzel-Magierin persönlich zu sprechen und in der Bibliothek von Chancor herumzustöbern, solange ich möchte. Da sind noch ein paar alte Videoschätze auszugraben. Ich nehme den von Windy modifizierten Memocorder mit, um einen offiziellen Bericht
abliefern zu können. Die Verjüngungszelle hat mich auf Herz und Nieren untersucht. Ich bin gesund (allerdings ein bißchen untergewichtig, so die Diagnose). Meine Sachen sind gepackt, zusammen mit ein paar neuen Zeremonienkleidern, die mir M'Litha gegeben hat. Ich bin klar zur Abreise. Gerard, mein Junge; leg dich jetzt schlafen; morgen beginnt ein neues Abenteuer. 7035 - 17.10.
Tam City
Die Floradalien sind verblüht. Der Held steht auf tönernen Füßen. M'Litha ist sehr verstört darüber, daß ich mich in Chancor so oft ins Fettnäpfchen gesetzt habe. Unser Verhältnis ist merklich abgekühlt, mit anderen Worten: Es hat sich normalisiert. 0 ja, der Monkus, Gerard Manley, der kosmische Diplomat, steht immer noch hoch im Ansehen, aber seine Instinkte sind offenbar doch nicht so sicher wie angenommen. Wir sind seit drei Tagen wieder in Tam City. Gefeiert wurde nur die Rückkehr. Die größte Peinlichkeit in Chancor war mir wohl unterlaufen, als ich die Wirzel-Magierin um Erlaubnis bat,den Tamos, das heilige Buch der Dieraner, studieren zu dürfen. Anscheinend hat bislang kein einziger Mann, nicht einmal ein Monkus, den wahren Tamos zu Gesicht bekommen. Die Männer von Diera lernen die Texte auswendig und legen eine jeweils persönliche Gedächtniskopie davon an. Sich eine solch vulgäre Kopie anzueignen, ist zwar zugelassen, wird aber nicht gefördert. Als unvollständige, mangelhafte Wesen, die sie sind, haben sich Männer eigentlich aus religösen Dingen rauszuhalten. Ich sehe zwar nicht so recht ein, warum diese Vorschrift existiert, mußte mir aber sagen lassen, daß sie einem Tabu gleichkommt und unverletzlich ist. Meine Bitte war ein grober Schnitzer. Der zweite Fehler hing unmittelbar mit dem ersten zusammen. Abgewiesen in meiner Bitte, den Tamos untersuchen zu dürfen, machte ich M'Litha den Vorschlag, mir zuliebe eine Ausnahme zu machen; immerhin stünden wir doch auf gutem Fuß miteinander, sagte ich. Weit gefehlt. Wirzel-Magierinnen pflegen niemals engeren Kontakt zu Männern, nicht einmal zu einem Monkus. Ihr Amt setzt voraus, daß sie alle physischen, emotionalen und intellektuellen Bindungen mit Männern ein für allemal abbrechen. Sie leben in strengem Zölibat. Gerard Manley, der mit den >sicheren Instinkten<, war von den Zeremonien und Schmeichelein so geblendet, daß er diesen Umstand völlig übersehen hatte. Wenn es die Gene erlaubten, könnte ich als Monkus wahrscheinlich jede Magierin meiner Wahl zur Mutter machen. Doch sobald sich eine Magierin auf den Wirzel-Pfad begibt, schwört sie allen weltlichen Dingen ab und weiht ihr Leben höheren Zwecken. Daran ist nichts ungewöhnlich. Auch nicht an M'Lithas Reaktion. Das Problem liegt wieder mal bei mir, mein Selbst. Ich glaube jedoch, daß uns die Zurechtweisung durch die herrschende Clique nun einen objektiveren Blick auf den Zustand Dieras ermöglicht. Zum Glück war mein Vergehen eher sittlicher und nicht moralischer Art, auf Unwissenheit zurückzuführen, nicht aber auf Dummheit. C'Rina, M'Lithas rechte Hand, hat mir versichert, daß mein Fehler zwar peinlich gewesen sei, aber keine ernsthaften Schwierigkeiten nach sich ziehen würde. C'Rina neigt zur Übertreibung; ich kann also ganz getrost sein.
7035 – 14.11. Im Report wird zu lesen sein, daß wir nach Chancor gefahren sind, um diese Stadt bei den Vertragsverhandlungen nicht zu übergehen. In Wahrheit aber mußte ich zurückkehren und mich in aller Form bei R'Mona entschuldigen, denn ohne ihre Zustimmung würde der Vertrag überhaupt nicht zustandekommen. M'Litha hat mir mein Fehlverhalten längst verziehen. R'Mona jedoch zeigt sich unerbittlich; sie ließ mich wissen, daß es großen Arger gibt, falls ich nicht in Demut um Verzeihung bitten würde. C'Rina war so freundlich, mir lang und breit den Charakter ihrer Chefin auszubreiten, was ihr offenbar Vergnügen machte, mich aber alles andere als heiter stimmte. Was mir Windy in fünfzehn Minuten hätte erklären können, dauerte bei ihr über vier Stunden. Genüßlich schilderte sie jedes Detail der verschiedenen Strafmaßnahmen, die R'Mona an Männern vornehmen ließ, die das Gesetz gebrochen oder sie beleidigt haben. Vor zwei Tagen also traf ich — ganz in Blau und ohne Schmuck — mit C'Rina und einer kleinen Eskorte ein. C'Rina stellte mich der Sekretärin von R'Mona vor. Fünf Stunden mußte ich warten, bevor mich ein Mädchen zur Audienz führte, das noch nicht das Alter eines Sternenkinds erreicht hatte, also vor der Pubertät war und sich hämisch darüber freute, an der Demütigung eines Monkus teilhaben zu können. R'Mona gab sich steif, förmlich und auf seltsame Weise höflich. C'Rina war auch anwesend, aber an dem Verfahren nicht beteiligt. Ich hatte mir einen langen Monolog zurechtgelegt und auswendig gelernt, den ich mit viel Pathos vortrug. Ich zieh mich der Unwissenheit und Verkommenheit, gestand meine Ahnungslosigkeit in bezug auf Wahrheit und Tugend, erklärte, daß ich geblendet sei vom Ruhm und der Reinheit Dieras, und beschied mir, der Gunst, hier verweilen zu dürfen, nicht würdig zu sein. Ich bat tausendmal um Entschuldigung, sowohl als Mann (und naturgemäß unvollkommenes Wesen) wie auch als Fremder (von niederer Herkunft) und als Diplomat (der in seiner geringen Funktion ständig im Schatten der Erhabenheit reist). R'Mona wußte, daß ich Theater spielte, C'Rina wußte es und ich natürlich auch. Von Bedeutung aber war nur der rituelle Wert meiner Selbstanklage. Mein rüder und ungeschickter Versuch, den Tamos zu sehen, wird nicht nur in Chancor, sondern wahrscheinlich auf ganz Diera bekannt sein. Jetzt haben alle erfahren, daß ich meine Sünden bereue und einsehe, wie unwürdig ich bin. Oh, Gerard, wie diplomatisch du doch manchmal sein kannst. Heute hat mich R'Mona wieder zu ihrem Amtssitz gerufen, wo sie in Anwesenheit von C'Rina und einigen Statisten noch einmal deutlichmachte, was ihr an dem vorläufigen Vertragswerk genehm sei und was nicht. C'Rina äußerte — einvernehmlich mit M'Litha — die Ansicht, daß die Dieraner über die wichtigsten Vertragspunkte selber entscheiden sollten. Da ich mit beiden Frauen grundsätzlich übereinstimmte, fiel es mir leicht, die überlegene Weisheit und Haltung meiner Gastgeber untertänigst anzuerkennen. (Zugegeben, die untertänige Miene war aufgesetzt, mein Einvernehmen aber ungespielt.) Morgen kommt M'Litha an, und ich habe R'Mona vorgeschlagen, daß wir der Einfachheit und Zweckmäßigkeit halber den endgültigen Vertragstext zu dritt und ohne zusätzliche Berater ausarbeiten sollten. R'Mona mochte sich nicht gleich zu diesem Vorschlag äußern; sie will erst mal eine Nacht darüber schlafen und sich dann mit M'Litha absprechen. Ich glaube, sie hat sich längst entschieden und spekuliert darauf, daß ich mich von den beiden Frauen in die Pfanne hauen lasse und zu jeder Forderung Ja und Amen sage. Mein Wissen darum verleiht mir die Oberhand, und darüber kann ich getrost eine Nacht schlafen. Wo wir nun schon mal vom Schlafen reden, von Riten und Diplomatie ... Falls du, mein
Selbst, mir wieder Träume von Fairy Peg einzuimpfen gedenkst, fände ich es nett, wenn du dich nicht ständig hinter diplomatischen Barrieren und symbolischen Anspielungen verschanzen würdest. Zur Abwechslung könntest du mal mit konkreteren Bildern aufwarten. Wenn dir nicht mehr einfällt als permanente Wiederholungen von Fairy Peg und dem Sonnenbanner-Mantel, halt dich lieber zurück. Frustriert bin ich zur Zeit ohnehin; ein ruhiger Schlaf täte mir gut. 7035 - 30.11.
Tam City
Erschöpfung. Der Vertrag ist unterzeichnet. Die Feierlichkeiten sind (zumindest für heute) überstanden. R'Mona hat mich öffentlich gesegnet mit dem Satz: »Auf daß du stets in interessanten Zeiten leben mögest mit vielen glücklichen Töchtern.« M'Lithas Segen lautete folgendermaßen: »Auf daß dich das Glück der Zeit und die Zeit des Glücks gleichermaßen erfüllen möge.« C'Rina segnete mich unter vier Augen mit der seltsamen Formulierung: »Geduld ist das Brennglas des Verstehens. Auf daß du durch die Zeit hindurch sehen mögest.« Segungen, die einem Monkus angemessen sind. 7035 -12.12. Die Zeremonien sind endlich vorbei. Windy ist fertig zur Abreise. Die Baff- und Verbindungsoffiziere arbeiten fleißig. R'Mona ist nach Chancor zurückgekehrt, nachdem sie sich persönlich von mir verabschiedet hat, und zwar auf eine Art und Weise, die ich unter anderen Umständen als relativ kühl bezeichnet hätte. Und wie immer gab es jede Menge Riten zu bewundern. Heute abend gibt M'Litha ein kleines Dinner; anschließend will sie mir persönlich Lebwohl sagen. Morgen bin ich weg. C'Rina hat mir geraten, für heute abend mein weißes Gewand und den Monkus-Umhang zu tragen. Außerdem hat sie mir ein Päckchen zugesteckt, das ich aber erst im All öffnen darf. Ich werde gehorsam sein. 2. 7035 - 14 .12 .
Im All
Zeit für eine kurze Zwischenbilanz. Wenn die Dieraner feindselig gesinnt wären, hätten meine Fehler die Mission in arge Schwierigkeiten gebracht. Unter ungünstigen Umständen wäre sie womöglich den Bach runtergegangen (und ich mit ihr). Merke: Selbstsichere Diplomaten leben selten lange. Ich darf jedoch die Mission als Erfolg verbuchen, und das ist gut so, denn der Bund hat mir wahrscheinlich nur deshalb das Gehirn gewaschen, weil ich meine letzte Mission verbockt habe. Wenn dem so war, verstehe ich allerdings nicht, warum mir das Gefühl sagt, daß während der fehlenden zehn Jahre etwas sehr Positives geschehen ist. Warum weiß ich, daß Fairy Peg existiert und in dieser Zeit eine zentrale Stelle eingenommen hat? Liebes Selbst, deine Aufgabe ist es, diese Frage zu beantworten, und zwar so schnell wie möglich. Beim Abschied von M'Litha hätte ich heulen können. Allen Ernstes. Sie war so gütig und sah
taktvoll darüber hinweg, daß ich mehrfach schlucken mußte. Eine fabelhafte Frau. Sie teilte meinen Kummer, bemerkte, daß sie meine Zuneigung zu ihr verstünde, und lehrte mich, mein Schicksal zu tragen und in Frieden abzureisen. Irgendwann einmal, so Bund und Bank es wollen, werde ich zurückkehren. Jetzt kann ich meinen Tränen freien Lauf lassen. C'Rinas Päckchen enthielt eine Kopie des Tamos mit folgender Widmung: Für Gerard Manley, Monkus Dieser Tamos gehörte meinem letzten Gespons. Niemand wird der Wahrheit jemals näher kommen als du. Möge dich die Weisheit der Schrift auf allen Wegen begleiten und bei allem, was du tust. Werde geduldig C'Rina In meiner Ignoranz werde ich wohl kaum ermessen können, wie schwer es C'Rina gefallen sein muß, mir dieses Buch zu schenken. Ich werde es in respektvollem Andenken an sie lesen und studieren. Liebe C'Rina. Ihre Zuneigung zu mir macht mich ergriffen. Auf jetzt, ab nach Moseen, wo ich vorübergehend den Posten des Botschafters zu übernehmen habe. Sobald der ständige Botschafter ankommt, werde ich zur Galaxy VI weiterziehen. Windy hat ausgerechnet, daß die kürzeste, durch den Zwischenraum führende Route nach Moseen hundertundzwei Tage in Anspruch nimmt. Auf Diera bin ich fast ebenso lange gewesen. Unsereins mußte in zähen Kämpfen erzwingen, daß auch die Reisezeit angemessen vergütet wird. Das ist mehr als gerecht, solange der Bund uns kreuz und quer durchs All scheucht und die Wissenschaft immer noch nicht imstande ist, den Weg zwischen Start und Ziel zu verkürzen. Krick, ach, was soll's? Windy entwickelt das Programm, ich tippe meinen Tamos in den Baird ein und lasse die beiden daran arbeiten, während ich mich für drei Monate in den Tiefschlaf begebe. Falls es Probleme gibt, kann mich Windy ja aufwecken. 7036 - 28.3.
Anflug auf Moseen
Ah, wie lieb von Windy, mich mit Nelsons Suite >Fremder vom roten Gebirge< zu wecken. Habe ich sie darum gebeten, oder war es ihr eigener Einfall? Oder hat mein Selbst nach dieser erholsamen Melodie verlangt, während es mich durch sein Traumreich aus Symbolen und Kapriolen schleppte? Egal. Es war schön, so aus dem Schlaf gerufen zu werden, und ich bin sehr dankbar dafür. Der AutoSchlaf ist ein notweniges Werkzeug für unsere Art des Reisens, wenngleich seine Nebenwirkungen alles andere als angenehm sind. Besonders quälend ist die Diskontinuität. Fara weiß, wie sehr ich das satt habe. Mein Selbst, du bist wieder gefordert. Lindere das Trauma meines zerklitterten Lebens. Du darfst den roten Faden nicht verlieren. Komm und laß mich Anschluß finden. Sitz nicht tatenlos herum. Mach hin. Bevor du mir nicht Rede und Antwort stehst, laß dich bloß nicht beim Flirt mit den Weibsbildern erwischen, die du im Hinterzimmer versteckt hast. Während ich schlief, hat Windy mich mit einem Band über Moseen gefüttert. Ich kann nur hoffen, daß der ständige Botschafter nicht lange auf sich warten läßt. Der Planet hat eine 9,2ge-Schwerkraft, eine giftige Atmosphäre und wird bevölkert von hochindustrialisierten, fremdenfeindlichen, fünfgliedrigen Fleischwesen der Kategorie drei. Sie leben untertage. Bis auf den Botschafter und seine engsten Mitarbeiter sind alle Bundesbeamten einheimisch,
sogar die Verbindungsoffiziere. Die Verständigung mit den Moseen läuft über alte BairdÜbersetzer vom Typ G-Mentor. Der körperliche Kontakt zu Einheimischen ist untersagt (und dürfte außerhalb der Botschaft auch kaum zu praktizieren sein bei einer Schwerkraft von neun Komma zwei). Das muß der Ort sein, an den der Bund seine Widersacher aussetzt. Als erster Diplomat mit diesen Moseen Kontakt aufzunehmen, wäre bestimmt eine enorme Herausforderung. Aber meine Aufgabe ist es nur, mich unter die Oberfläche des fremdenfeindlichen Planeten zu begeben und als Ersatz für den Botschafter einzuspringen, was mein diplomatisches Blut, weiß der Krick, nicht in Wallung bringen kann. Ich habe Windy veranlaßt, beim Bund nachzufragen, wann mit der Ankunft des neuen Botschafters zu rechnen ist. Die Antwort läßt noch auf sich warten. Beeilung, Bund, Beeilung! 7036 - 4.4.
Bundesbotschaft, Moseen
Wie klein das Universum doch ist. Vom gesamten Botschaftspersonal ist zur Zeit nur ein einziges Mitglied anwesend: eine sylvanische Frau von bemerkenswerter Schönheit. Sie steht erst seit wenigen Jahren im Dienst und hat in dieser Zeit unter anderem eine dreimonatige Übersetzungsschicht auf Diera abgeleistet. Ihr Name ist ShRil. Ich fragte, wie sie denn auf Moseen gelandet sei. Die Antwort umfaßte eine komplette Lebensgeschichte. Nach vier Stunden und einem ausgiebigen Dinner kam sie auf ihre Abhandlung über universelle Mythen und Legenden zu sprechen, die nach ihrem Eintritt in den Bundesdienst veröffentlicht worden war. Der moseeische Botschafter beim Bund hatte eine Kopie davon nach Hause geschickt, worauf sich der Technische Rat von Moseen förmlich um ShRil bewarb. Sie hält sich hier nun schon seit fünf Jahren auf, hat unter drei verschiedenen Botschaftern gearbeitet und tut (man höre und staune) ihren Job immer noch gern. ShRil sehnt sich offenbar nach Gesellschaft. Der letzte Botschafter ist vor zwei Monaten mit dem ganzen Personal abgezogen, das samt und sondern aus nichthumanoiden Typen bestand, aber nach Auskunft von ShRil sehr gesellig war. Den Weggang hätte sie noch gut verkraftet, wenn nicht ihr Moseenfreund, den sie >Professor< nennt, kurz darauf zu anderen Pflichten abgezogen worden wäre. Der Professor (dessen wirklicher, unaussprechlicher Name XRRTQMZT ist) scheint tatsächlich Professor an der Universität von Moseen zu sein. Er bekleidet außerdem eine wichtige Funktion in der hiesigen Regierung, war dreimal Präsident des Technischen Rates, einmal Botschafter beim Bund und ein anderes Mal auf Galaxy VI. Er ist übrigens derjenige, der ShRil nach Moseen gerufen hat, damit sie ihm bei seinen Forschungen über universelle Mythen und Legenden assistieren kann. Der Professor bleibt noch zwei oder drei Wochen weg, aber ich bin sicher, noch mehr über ihn und die Mythologie zu erfahren, vielleicht mehr als von Interesse sein kann. Aber mit ShRil läßt sich angenehm plaudern; außerdem ist sie umwerfend hübsch, zumal sie sich, gemäß sylvanischer Sitten, nur äußerst spärlich kleidet. Beim Abendessen trug dieser reizvolle homo sapiens sylvas drei Brustfleckchen, zwei rote und ein goldenes (das goldene auf der rechten Brust) sowie ein kurzes, rot-goldenes Kleid, das eng um die schmale Taille gewickelt war und mit seinem weiten Saum nur eine knappe Sichtblende vor ihrem Geschlecht bildete. Ihr Gesicht mit dem hohen, sylvanischen Nasenrücken und den weit
auseinanderstehenden himmelblauen Augen ist eine Pracht. Bevor ich ShRil gesehen habe, fand ich den kleinen Mund der Sylvanerinnen nie besonders attraktiv, aber der ihre ist es. Ich muß zugeben, Selbst, daß diese Frau eine große erotische Wirkung auf mich ausübt. Natürlich habe ich sie das nicht wissen lassen. Aber ich war drauf und dran. Oh, mein Selbst. Deine Aufgabe für heute nacht ist vorgezeichnet. Ich bin schon ganz gespannt, was du daraus machst. Aber laß die dicken Tänzerinnen weg; die bringen mich nicht in Schwung. Was schreib ich noch, wo doch das Traumland auf mich wartet! Bye. 7036 - 5.4. Heute morgen fand ich ShRil in der Computerbibliothek, wo sie Vergleiche in fünfhundert Sprachen anstellte mit dem Ziel, Unterschiede oder Ähnlichkeiten in der Verwendung der jeweiligen Worte für >Wanderer< herauszufinden. Sie erklärte mir, warum diese Frage von Bedeutung ist für die Forschung, mit der sie und der Professor sich zur Zeit beschäftigen. Mein Beitrag zur Unterhaltung hat der Sache, wie ich fürchte, kaum gedient, was ShRil jedoch nicht aufgefallen zu sein schien. Im Gegenteil: Sie vertiefte das Thema immer mehr und hatte mir um die Mittagszeit bereits den Unterschied zwischen >Pilger< und >Wanderer< erklärt, Begriffe, die sich in der Legendenforschung anscheinend nur schwer kategorisieren lassen. Doch mein Magen erinnerte mich, und ich erinnerte sie daran, daß es Zeit zum Essen war. Nach dem Mittagessen kehrte sie in die Bibliothek zurück; also nutzte ich den Nachmittag, die Botschaftsberichte zu studieren. Daran gibt es nichts zu beanstanden. Diejenigen jüngeren Datums sind fast ausnahmslos von ShRil angefertigt worden; darüber hinaus hat sie die älteren, vor ihrer Ankunft formulierten Berichte, allesamt überarbeitet und kommentiert. Ich sollte sie wirklich näher kennenlernen, Selbst. Intelligenz, Tüchtigkeit, Fleiß und Schönheit dieser Frau bieten sich mir geradezu an. Was soll ich tun? Sie aus der Bibliothek schleifen und für andere Dinge interessieren oder ihr in der Bibliothek Gesellschaft leisten und mich für ihre Sache interessieren? Letzteres scheint mir die bessere Wahl zu sein. Je mehr ich weiß, wofür sie sich interessiert, desto eher lerne ich ihre Lebensphilosophie und emotionale Haltung kennen. Vielleicht wird diese Etappe unserer Reise doch noch erträglich. 7036 – 15.4. Ist es denn möglich, daß seit meinem letzten Tagebucheintrag schon zehn Tage vergangen sind? Das kommt mir gar nicht so lange vor. Wäre ich nicht gerade von einem Traum über Fairy Peg erwacht, hätte es durchaus sein können, daß weitere zehn Tage verstreichen. Du scheinst deine Arbeit gut zu machen, Selbst. Der Traum war viel aufschlußreicher als dieser symbolträchtige Quatsch, mit dem du mich sonst schikanierst. Fairy Peg hat mir den Rücken zugekehrt und steht in einem kleinen, schummrig beleuchteten Raum. Musik spielt. Leise, sinnliche Musik, die ich irgendwo schon mal gehört habe. Ich gehe langsam auf sie zu. Plötzlich dreht sie sich um. Ihr Gewand ist offen, vom Hals bis zu den Zehen. Ihr Körper glüht im schummrigen Licht. Als ich sie in den Arm nehme, fällt ihr die Krone zu Boden. Von dem Geräusch bin ich aufgewacht. Darüber muß ich später noch nachdenken. Nein, ich werde jetzt darüber nachdenken. Mit geschlossenen Augen sehe ich sie immer noch
vor mir. Die Wand hinter ihr ist mit einer schmuckvoll stilisierten Sonne gemustert, die einen Teil der Zimmerbeleuchtung übernimmt. Aus der Nähe betrachtet, ist das, was ich für eine Krone gehalten habe, ein großer Stirnreif, dessen Juwelen ebenfalls das Sonnensymbol darstellen. Wir bewegen uns aufeinander zu; ich spüre die Wärme ihrer Nacktheit. Das Diadem schlägt auf dem Boden auf. Nicht so schnell. Hinter Fairy Peg und auf ihrem Kopf leuchten Sonnensymbole. Ihr Körper glüht im schummrigen Licht, das aus meiner Richtung auf sie zuströmt. Nein, nicht sie, sondern ihr Gewand glüht und wirft sinnliche Schatten über ihre Figur. Wir bewegen uns aufeinander zu. Sie trägt eine Halskette mit einem Ring als Anhänger. Unsere Körper schmiegen sich aneinander. Das Diadem prallt auf den Boden. Noch mal. Fairy Peg steht da mit glühendem Gewand, das vom Hals bis zu den Zehen geöffnet ist. Der Anhänger ihrer Halskette ist ein Siegelring. Wir schmiegen uns aneinander, und das Wappen drückt auf meine Bust. Das Diadem prallt auf den Boden. Fairy Peg trägt meinen Ring. Den Ring mit dem Wappen der Manleys. Warum habe ich ihn noch nicht vermißt? Natürlich! Weil mein Selbst wußte, daß sie ihn hat. O je. Selbst, wie sehr ich deine Arbeit manchmal behindere. Warum trägt Fairy Peg meinen Ring? Was soll der Traum bedeuten? Daß sie eine Königin ist und ich ihr Liebhaber? So ist es wohl zu verstehen; das muß die Lösung sein. Aber wo sind wir? Warum trägt sie meinen Ring? Wie tief reicht unser Verhältnis? Wenn sie die Königin ist, was könnte ich für sie sein? König? Prinz? Gemahl? Attaché Warum nicht Vizepräsident? Gouverneur? Majordomus? Berater? Hofnarr? Wo ist sie? Und wo bin ich? Es wird langsam Zeit, ShRil zu treffen. Seitdem ich ihr meine Hilfe angeboten habe, arbeiten wir, als gelte es, einen Termin einzuhalten. Vielleicht nutzt es was. Womöglich ebnet die Legendenforschung meinem Selbst einen Weg, auf dem mehr Informationen über Fairy Peg herbeigeschafft werden können. Vielleicht haben Mythologie und die Suche nach Fairy Peg einiges miteinander gemein. Vielleicht tue ich im Augenblick genau das Richtige. Wer hätte je gedacht, daß die Antwort auf Fairy Pegs Identität möglicherweise in der Mythologie zu finden ist? Nicht so voreilig, Gerard. Das sind noch ungelegte Eier. Mach dich lieber an die Arbeit. 7036 - 16.4. Wenn ich meinem Herz mehr zumuten könnte, würde ich allzugern den Rest meines Lebens so verbringen wie den letzten Tag. Zuerst träumte ich ganz intensiv von Fairy Peg. Dann traf ich ShRil in der Bibliothek, spielte am Computer herum und machte rein zufällig eine Entdeckung, die ganz danach aussieht, als hätten wir eine neue Legende ausfindig gemacht. ShRil nahm die Sache selber in die Hand und kreischte vor Vergnügen über jedes weitere Resultat. Sie hat mich wohl an die hundertmal umarmt. Als sie alle manuell zu bedienenden Funktionen ausgeführt hatte, ließ sie den Computer eine korrelative Suchaktion durchführen, während wir unsere Entdeckung mit einer Flasche >Zupe Pink, 6911< feierten, einem Wein aus meinen heimlichen Beständen. Was hatten wir für einen Spaß! Wir lachten, schrien, gibbelten, umarmten und küßten und liebten uns schließlich auf der großen Couch in der Bibliothek. Physisch sind wir zwar nicht hundertprozentig kompatibel, aber das störte uns wenig. Später liebten wir uns wieder, diesmal in meinem Bett, langsam und behutsam. Als ich heute
morgen aufwachte, war ShRil verschwunden. Aber ich brauche mir wohl keine Sorgen zu machen. Sie hat mir eins ihrer Brustfleckchen mitten auf die Stirn geklebt. Das goldene. Was für ein Orden! ShRil war heute morgen ein bißchen zurückhaltend, und zwar auf eine schüchterne, leicht befangene Art, die mein Herz in Aufruhr brachte. Zu Anfang haben wir mehr schlecht als recht zu arbeiten versucht, uns dabei gegenseitig im Weg gestanden und eine Menge gelacht. Aber im Laufe des Vormittags kamen wir dann wieder zügiger voran, und unsere Theorie über die neue Legende bestätigte sich immer mehr. Nach dem Mittagessen legten wir uns gemeinsam kurz aufs Ohr (ja, wir ruhten uns bloß aus) und machten uns am Nachmittag für weitere sechs Stunden an die Arbeit. In einer Stunde treffen wir uns zum Abendessen in der kleinen Gästesuite des Botschaftsgebäudes. Was soll ich von den vergangenen Tagen halten? Was kann ich darüber sagen? Allein die Intensität dieser Zeit ist fast beängstigend. Wir haben beschlossen, unsere Entdeckung >Die Legende vom Eleven< zu nennen. In über dreißig Sprachen gibt es Hinweise auf diesen legendären Typus, der mal als Greenhorn, Verporchting oder Leisetreter, mal als Eleve, Alter Novize oder Ewiger Lehrling bezeichnet wird. >Eleve< schien uns als übergeordneter Begriff am geeignetsten zu sein. ShRil hat gesagt, daß der Professor in seiner inzwischen über zweihundertjährigen Forschungszeit nur drei Legenden entdeckt hat, die mit Fug und Recht originär genannt werden können. Sie ist zuversichtlich, daß sich unsere Entdeckung ebenfalls als eigenständiger, nicht abgeleiteter Typus herausstellt, da der Korrelationstest keinerlei Querverweise finden konnte. Natürlich gibt es einige Parallelen, aber der Name scheint ein echter Schlüssel zu sein. Eine Legende wird erst dann als universell angesehen, wenn eine identifizierbare Figur daraus in mindestens drei grundsätzlich verschiedenen Kulturen auftaucht. Für ShRil und den Professor gelten jedoch sehr viel schärfere Kriterien. Sie setzen die Untergrenze auf zehn voneinander unabhängige Kulturen. Die zweiunddreißig Sprachen unserer Untersuchung repräsentieren sogar vierzehn Kulturen dieser Art. Das Ergebnis dürfte also kaum mehr anzufechten sein. Wir sind in der Tat auf viele Verweise gestoßen, aber an Beispielen mangelt es noch. Bislang haben wir nur einen einzigen wirklich literarischen Text ausfindig gemacht. Ich war sehr unzufrieden mit der Übersetzung, die der botschaftseigene Baird G-Mentor ausgespuckt hat, und habe deshalb Windy und den neuen Baird Z-Rangel an die Arbeit gestellt. Ob deren Version akkurater ist, kann ich nicht sagen; poetischer ist sie allemal. Vielleicht sollte ich das für Windy und Baird entwickelte Kooperationsprogramm >Barde< nennen. ShRil war von der Übersetzung des Barden so angetan, daß ich ihr versprechen mußte, ein ähnliches Programm für sie und den Professor zu schreiben. Aber das sollte wohl Windy besser übernehmen. Nun, hier ist das Gedicht: Der Aufstieg des Eleven Er klimmt empor die schroffe Wand, sucht mit den langen Zehen nach Spalten und Kanten, zu tragen sein Gewicht. Daß andere diesen Weg beschritten, kann ihn nicht trösten. Der Gipfel mag erstiegen sein, doch er hängt an der Wand.
Und klettert gegen das Gefüge. Die Schwerkraft zieht. Die Winde zerren. Es stürzt Geröll. Fluchend auf den kraftverzehr'nden Wind, tastet der Eleve sich mit wunden Zehen unaufhaltsam weiter fort und klammert sich ans Leben. Die Überhänge über seinem Kopf vermögen ihn nicht einzuschüchtern. Daß nun der leichte Weg zu Ende ist, zwingt ihn auf selbstgewählte Bahn. Fels um Wunde streckt sich der Eleve empor. 7036 - 17.4. Die Gästesuite ist ideal für Liebespaare. Wir aßen gemütlich miteinander zu Abend und genehmigten uns anschließend einen anständigen synthetischen Brandy aus den Vorräten der Botschaft. Derweil hörten wir sehr sinnliche und von ShRil ausgesuchte Musik aus Piltherien. Danach ließen wir uns viel, viel Zeit zum Lieben und tauschten, bevor wir in den frühen Morgenstunden endlich einschliefen, persönliche und intime Dinge aus. Spät wachten wir auf, nahmen das Frühstück während eines ausgiebigen, schwelgerischen Bades ein, zogen uns schließlich an und gingen zur Bibliothek. Der Professor ist zurück. Bei unserer Ankunft entdeckten wir sein Rufsignal auf der Anzeige zusammen mit einer kurzen Begrüßungsnotiz für mich als den zeitweiligen Botschafter. ShRil rief ihn sofort zurück, und es folgte eine Unterhaltung über ihren Baird, die so heftig und überschwenglich geführt wurde, daß ich mir Sorge um die empfindlichen Kristalle des GMentors machte. Liebes Selbst, offen gestanden fühlte ich mich ein bißchen an den Rand gedrängt, aber dann lud mich der Professor ein, am Gespräch teilzunehmen. ShRil wurde rot vor Verlegenheit, als ihr das Versäumnis, mich vorzustellen, auffiel, aber dann entwickelte sich ein so interessantes Gespräch, daß wir die Zeit darüber vergaßen. Der Professor stellte eine Menge Fragen, auf die wir keine Antwort wußten. Trotzdem konnten wir seine Neugier fürs erste befriedigen. Er ist offenbar sehr beeindruckt von unserer Arbeit, besonders gut gefällt ihm die Übersetzung von >Der Aufstieg des Eleven<, die der Barde geschaffen hat. Er versprach, uns am Nachmittag aufzusuchen und neue Vorschläge über Such- und Vergleichsmethoden zu unterbreiten. Gütige Fara! Er hat uns schon am Morgen genügend Vorschläge gemacht, um uns einen Monat lang beschäftigt zu halten. Und das ist ein Problem. Windy hat mich nach dem Mittagesssen an Bord gerufen und mir eine Nachricht vom Bund vorgelegt. Der neue Botschafter, seine Exzellenz Sir Loos Keen Deever-Deever Dan, G.M.B.T.H., FEAA, T.Z.Y., wird in genau siebenundzwanzig Tagen eintreffen. Danach soll ich so schnell wie möglich aufbrechen, um in Galaxy VI dringende Geschäfte zu erledigen. Wieder Diskontinuität. Mögen Binkley von Baun
und ihre zwölf blinden unehelichen Kinder die Bürokraten vom Bund so weit in den Staub der Verdammung jagen, daß nicht einmal Fara sie per Mikrostrahl finden könnte! Warum, um Kricks willen, tut man mir sowas bloß an? Reiß dich zusammen, Gerard! Du weißt ganz genau, warum. Du hast es nicht anders gewollt. Von allen Berufen, die dir zur Auswahl standen, hast du dich ausgerechnet für diesen entschieden. Niemand hat dir den Arm verdreht oder dein Leben bedroht, damit du den Job annimmst. Es war deine Wahl. Abenteuer, Reisen, Aufregung, Mobilität — erinnerst du dich? Und außerdem hast du das Amt gebeten, dich so schnell wie möglich von Moseen wieder abzuziehen. Man ist also auf deinen Wunsch eingegangen, und du bist sauer. Sehr profihaft, Gerard, wirklich sehr professionell. Na schön. Ich habe keinen Grund zur Klage. Aber wie sage ich's ShRil? Ich weiß nicht, ob das, was wir füreinander empfinden, echte Liebe ist, aber es kommt ihr verflixt nahe. Wie sollen wir es schaffen, all unsere Gefühle und Gemeinsamkeiten in siebenundzwanzig Tagen auszuleben? Ich muß ihr die Sache schonend beibringen. Morgen früh vielleicht. Für die kommende Nacht will ich ihr die schlechte Nachricht ersparen. Was bin ich doch für ein Esel. Mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, daß der Bund die Nachricht auch an die Botschaft geschickt haben könnte. Daß dem so ist, wurde mir sofort klar, als ich ShRil heute nachmittag sah. Sylvaner können wie ihre dieranischen Nachfahren nicht weinen; Traurigkeit bewirkt jedoch, daß ihnen die Nase läuft. ShRil mußte ständig die Nase putzen. Zum Glück mußte der Professor anderen Pflichten nachkommen, und so brauchten wir keine Rücksichten zu nehmen. Wir trösteten uns gegenseitig, so gut es ging, redeten miteinander, umarmten und küßten uns. Mehr nicht. ShRil bestand schließlich darauf, allein zusein, und zog sich in ihre Wohnung zurück. Will mich später anrufen. Ich habe dem Professor eine Nachricht zukommen lassen und ihm mitgeteilt, daß unser geplantes Treffen um mehrere Tage verschoben werden müsse, da die Ankunft des neuen Botschafters vorzubereiten sei. Der Nachricht fügte ich dann noch die Bundesreferenzen von Sir Loos Keen etc. pp. bei. Jetzt werde ich mich den rhythmischen Versen des Tamos hingeben und auf ShRils Anruf warten. 7036 - 21.4. Es ist soviel zu tun, aber die Zeit langt nicht. Ich bin zu ShRil in die Wohnung gezogen. Wir sind so oft wie möglich zusammen. Unser Liebesspiel ist zärtlicher und zugleich hitziger geworden. Wir zanken und fallen uns einen Moment später in die Arme. Solche Gefühlsumschwünge lassen sich nicht lange aushalten. Windy kommt mit der Adaption des Barden-Programms gut voran. In drei oder vier Tagen können wir die ersten Tests machen. Der Professor scheint zu glauben, daß unsere gereizte Stimmung von der Arbeit und den Vorbereitungen für den Botschafter herrührt. Vielleicht würde er den wahren Grund nicht verstehen. Oder aber doch. Ich weiß nicht. Womöglich ist er aufgrund seiner mythologischen Studien sogar Spezialist im Verstehen von Emotionen und Bindungen, obwohl er als Hermaphrodit keinen natürlichen Zugang zu solchen Dingen hat. Wir beide, ShRil und ich, vermeiden es, von meiner Abreise zu sprechen. Vorerst.
7036 - 26.4. Wir brauchen beide gelegentlich ein oder zwei Stunden, in denen wir jeweils allein sind. Das ist nötig, um im emotionalen Sinne Luft schnappen zu können. Das Programm des Barden läuft jetzt auch auf dem Botschaftscomputer. Der Professor arbeitet schon fleißig damit und schreibt einige seiner alten Übersetzungen um. Er ist begeistert über die Resultate und meint, der Barde beherrsche die moseeischen Dialekte so perfekt, daß man annehmen könne, in der Botschaft würde ein leibhaftiger Moseer am Werk sein. Das ist natürlich ein als Kompliment gemeinter Scherz. Kein Moseer käme je auf die Idee, so etwas zu tun. Ich habe das Kompliment an Windy weitergegeben, die nichts anderes erwartet zu haben scheint. Überheblich, dieses Luder. In Galaxy VI braut sich was zusammen. Tagtäglich empfängt Windy neue Meldungen vom Bund. Ich habe ihr die Anordnung gegeben, mich nur dann zu informieren, wenn eine Änderung der Befehle zu melden ist. Ich will mich erst um die andere Sache kümmern, wenn meine Zeit hier abgelaufen ist. 7036 – 30.4. Gestern habe ich ShRil gebeten, mir dabei zu helfen, die Daten über den Eleven sowie ein Suchkonzept zurechtzulegen, damit ich auf meiner Reise weitere Beispiele dieser Legende aufspüren kann. Sie nahm meine Bitte wie ein Geschenk entgegen und lächelte mir unaufhörlich zu, als wir besprachen, was Windy für diese Arbeit brauchen würde, und in ihren himmelblauen Augen schimmerte ein türkisfarbenes Licht. Vergangene Nacht war unser Liebesspiel fast so entspannt wie vor der verhängnisvollen Nachricht. Daß ich mich weiter mit der Legendensuche beschäftigen will, deutet ShRil — völlig zurecht — als mein Versprechen, ihr die Treue zu halten. Ich habe ihr versprochen, jeden Fund sofort zu melden oder, wenn irgend möglich, persönlich abzuliefern (was wahrscheinlich töricht von mir war). Auch der Professor ist begeistert. Er unterhält bereits in zahlreichen Winkeln des Universums die verschiedendsten Kontakte, von denen er mit interessanten Ergebnissen beliefert wird. Aber noch nie hat ihm ein umherziehender Feldforscher seine Dienste angeboten. Mein gutes Einvernehmen mit dem Professor hat dem Verhältnis zwischen ShRil und mir eine spezielle Note verliehen, und ich vermute, daß der Professor nach meiner Abreise in mancher Hinsicht meine Stellvertretung bei ihr übernimmt. Ich vermute auch, daß er längst ahnt, daß ShRil und ich nicht nur geschäftlich miteinander zu tun haben. Apropos Verhältnis, Selbst; das kurze Auftauchen von Fairy Peg heute morgen kann doch wohl beim besten Willen nicht als Traum bezeichnet werden. Ich wachte auf mit ihrem Bild vor Augen und hörte sie noch sagen: »Es gibt mich wirklich; ja, es gibt mich wirklich.« Ich denke, diese Zusicherung war nicht nötig. Aber offenbar bist du anderer Ansicht. Wie dem auch sei; schön daß du mir diese Tatsache noch einmal bestätigt hast. Vielen Dank, mein Selbst. 7036 - 5.5. Wer ShRil mit einer schwierigen, komplizierten Aufgabe betraut, für die nicht viel Zeit bleibt, sollte ihr besser aus dem Weg gehen. Sie ist fast so gründlich wie Windy. Übrigens: Windy
und ShRil haben hinter meinem Rücken über mich geredet. Aber ich weiß nicht was und bekomme es auch nicht heraus. Frauengeheimnisse, sagt ShRil. Unsinn! Ein dreibrüstiges sylvanisches Weibsbild, das sich jedem vorbeikommenden Diplomaten an den Hals wirft, und eine überzüchtete, eigensinnige Maschine, die sich für eine Frau hält ... was haben die sich schon zu sagen? Auf meinen Protest hin betätschelte mich ShRil sanft und vertraut unterhalb der Gürtelline, zwickte mich ins Glied und riet mir, mich um meine eigenen Angelegenheit zu kümmern. Der Streit mündete wenig später in einem Ringkampf auf dem Boden der Bibliothek, bei dem jeder Griff erlaubt war. Wenn ich mich nicht ergeben hätte, wäre ich von ihr noch zu Tode gekitzelt worden. Dann ritt sie mich so heftig, bis ich um Gnade flehte. Windys Antwort war: »Das geht dich nichts an, Gerard Manley.« Sie steht, wie ich feststellen muß, unter schädlichen Außeneinflüssen. Fara im Krick, ich wünschte, Windy wäre kitzelig! 7036 - 7.5. Heute kam eine Botschaft vom Bund mit >vorzüglicher Hochachtung< für meine Arbeit auf Diera und der Erlaubnis, Forschungsaufgaben für die Universität von Moseen zu übernehmen, solange meine dienstlichen Verpflichtungen darunter nicht zu leiden hätten. Der Professor scheint an den richtigen Stellen gehebelt zu haben. Mir ist nämlich nicht bekannt, daß es einem Diplomaten jemals gestattet worden wäre, einer Nebenbeschäftigung nachzugehen. Der Bund will nicht einmal wissen, um welche Forschung es sich handelt, und verlangt auch keinen besonderen Bericht von mir. »Kopien aller Forschungsergebnisse sind durch die Universität von Moseen oder durch ihren Rektor QTLKBBS XRRTQMZT, PL, an das Amt für Forschung und Statistik bei der Bundesbasis 1038 einzureichen.« Offizieller geht's nicht. Ich fragte mich, ob QTLKBBS der Vorname oder ein Titel des Professors ist. Die Nachricht vom Bund enthielt auch eine Einsatzänderung. Ich muß jetzt nach Thisseling fliegen, dem Hauptplaneten von Galaxy VI. Mein Aufbruch von Moseen ist für den 16. 5. angesetzt, zwei Tage nach der geplanten Ankunft von Sir Loos Keen. Mir bleiben noch sechs, vielleicht sieben Tage mit ShRil. Bei dem Gedanken, sie verlassen zu müssen, verkrampft sich mir die Brust. Die alte Philosophin von Bridgeport — ich glaube, Dortennov war ihr Name —sagte, daß eine solche Körperreaktion symptomatisch sei für die sogenannte Limeranz, jenes Nervenleiden, das auf ein ungesundes Übermaß an Liebe zurückzuführen ist. Was daran ungesund sein soll, weiß ich nicht, auch glaube ich nicht, daß in meinem Fall von einem Übermaß die Rede sein kann. Doch eins steht fest: Sobald ich an die Abreise denke, verkrampft sich mir die Brust. Wie sagt der Tamos jedoch so schön? »Wenn die Liebe wächst, lebt das verzagte Herz auf.« Ich muß bald mit ShRil über meine Abreise reden. Wenn wir die letzten Tage noch genießen wollen, dürfen wir uns um dieses Thema nicht länger herumwinden. Dieser unvergleichliche Monat, den wir erlebt haben, muß ebenso schön enden, wie er angefangen hat. Das fordert der Romantiker in mir, Selbst. Ich kann nicht dafür. 7036 - 8.5. Windy hat einen Datensatz durchforstet, der ihr heute morgen vom Professor eingegeben wurde. Sie leistete ihre Arbeit mit Bravour. Im Vergleich zu entsprechenden Ermittlungen durch den Basiscomputer waren ihre ersten Berechnungen zwar weniger gründlich, aber im-
merhin doch akkurat genug, um den Professor davon zu überzeugen, daß sie die wichtigsten Informationen in zwei oder drei Durchgängen herauszulesen versteht. Ich bin stolz auf sie — und auf ShRil, die bei der Programmentwicklung maßgeblich beteiligt war. Ich habe nur für die Abstimmung gesorgt und das Parameterprofil festgelegt. Heute nachmittag werden wir den zweiten und dritten Durchlauf testen, sobald ShRil ein paar Korrekturen an den Befehlssignalen vorgenommen hat. 7036 - 9.5. Der zweite und dritte Test liefen wie am Schnürchen. Der Professor sagt, daß Windy durchaus in der Lage ist, gute Feldforschung zu leisten. Und genau damit werden wir sie für die nächsten Tage beschäftigt halten. Mein Gespräch mit ShRil war nicht so erfolgreich. Es endete im Streit, mit Tränen meinerseits und einer laufenden Nase bei ihr. Sie schlief in ihrer Wohnung, ich an Bord von Windy. Windy ist an meine Anwesenheit nicht mehr gewöhnt; sie hat alle Systeme heruntergeschaltet, so daß ich fast erfroren wäre, bevor sie die Heizung wieder aufdrehte. Falls ShRil letzte Nacht schlafen konnte, ist es ihr besser ergangen als mir. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich drauf und dran war, aufzustehen und zu ihr zu gehen, und wie oft ich tatsächlich aufgestanden und bis zur Tür gegangen bin. Aber dann hielt ich mich doch zurück. Vielleicht ist es besser, sie jetzt alleinzulassen. Heute morgen lag eine Nachricht von ihr in der Bibliothek; sie wollte den Tag zu Hause bleiben, um dem Professor und mir Gelegenheit zu geben, ungestört Windys Suchfunktionen zu überprüfen. Ich bin gleich darauf hierher zurückgekehrt und habe im Tamos herumgeschmökert. Nicht die Worte, aber ihr Rhythmus werden mich vielleicht trösten können. 7036 - 10.5. ShRil läßt nichts von sich hören. Ich werde heute nachmittag in die Bibliothek gehen; vielleicht kreuzt sie ja doch noch auf. Wenn nicht, bleibt mir wahrscheinlich nichts anderes übrig, als im Tamos zu lesen. 7036 - 11.5. Es wird schon wieder werden mit uns, Selbst. Als ich gestern in der Bibliothek ankam, wußte ich zuerst mit der Zeit nichts anzufangen. Dann habe ich mir ein paar von ShRils Forschungsarbeiten vorgenommen. Faszinierender Stoff. Ich las gerade die spannende Abhandlung über den >Mythos des höchsten Wesens in Vogelgestalt<, als mir der Funkmelder einen Anruf von Windy signalisierte. Als ich zu antworten versuchte, gab der Funkmelder jedoch an, daß der Anruf in ShRils Wohnung umgestellt worden war. Das war jetzt nicht mehr rückgängig zu machen. Prima, dachte ich, ein guter Vorwand, um nach ihr zu sehen. Also ging ich los, klopfte an ihre Tür und trat ein. Zwei Nachrichten warteten auf mich: eine von Windy, die andere von ShRil. Letztere fand ich in ihren schlanken, warmen, zärtlichen Armen. >Taten, nicht Worte sind der Beweis für Liebe<, meint der Tamos.
Wie gesagt, Selbst, es wird wieder werden. 7036 - 13.5. In den vergangenen dreieinhalb Tagen gab es noch ein paar Vorbereitungen für die Ankunft des Botschafters zu treffen. Ansonsten verbrachten wir jede freie Minute zusammen, hörten Musik und tauschten Geschichten aus, persönliche Anekdoten, intime Geheimnisse, Ängste und Vorlieben. Daß wir die Zeit nicht nutzten, wird uns niemand zum Vorwurf machen können. Morgen nachmittag kommt Sir Loos etc. an. Diese Nacht gehört ShRil und mir allein. 3. 7036 - 18.5.
Im All
Ich will auf den Trennungsschmerz nicht weiter eingehen und mich nur erinnern an Spontanität, Schönheit, Freude und Frieden. Windy hat mir ein Hologramm hergestellt. Während ich hier schreibe, steht ShRil neben mir, heiter und einladend. Wie die leibhaftige Vorstellung von Liebreiz. Sir Loos Keen Deever-Deever Dan, G.M.B.T.H., FEAA, T.Z.Y. war eine angenehme Überraschung: ein auf den ersten Blick recht trockener Karrieretyp mit tadellosen, aristokratischen Manieren, der, wie sich herausstellte, ein Amateur-Mythologe ist, ansonsten, wenn er zwei Gläser Wein getrunken hat, derbe Witze reißt und auf eine Weise lacht, die man nur als >brüllend< bezeichnen kann. Sir Dan, der als Terra-Zwei Mensch Zeit seines Lebens im Bundesdienst steht, ist auf eigenen Wunsch nach Moseen versetzt worden, um hier seine letzten zehn Amtsjahre zusammen mit dem Professor verbringen zu können. Sein zweiköpfiges Personal besteht sozusagen nur aus einer Person: einem deltanischen Zwillingspaar, weiblich, das an den Ellbogen miteinander verwachsen ist und einen Unterarm sowie die elf Finger der >Deltahand< gemeinsam hat. Das Paar scheint seinem Chef völlig ergeben zu sein, und daß er auch ihm sehr zugeneigt ist, wird sehr schnell deutlich. Die beiden heißen Teeanne und Tiianni. Sir Dan nennt sie der Einfachheit halber bloß >TT<. Da Deltanerinnen für gewöhnlich Sechslinge zur Welt bringen, sind sie mit einer entsprechenden Anzahl von Milchdrüsen ausgestattet, die sie mit Farbe bemalen, nicht aber verhüllen, was zumindest den beiden, Teeanne und Tiianni, durchaus gut zu Gesicht steht. Die Gesellschaft der Drei war so erheiternd, daß wir, ShRil und ich, unseren Kummer bald vergaßen. Daß wir unsere letzten gemeinsamen Tage in Gesellschaft fremder Leute verbrachten und daran noch Gefallen fanden, hätten wir vorher nicht für möglich gehalten. Aber so war's. Mit den anderen zusammenzusein, half uns sogar: Wir kamen uns vor wie ein wirkliches Paar, wie Gastgeber und Gastgeberin, die neue Bekanntschaften schlossen. Sir Dan und >TT< registrierten sofort, was mit uns los war, und zeigten sich verständnisvoll, wenn immer wir uns zurückzuziehen wünschten. Bei meiner Abreise standen Teeanne und Tiianni hinter ShRil und hatten die Arme um sie gelegt. Sie überragten meine Freundin um fast einen halben Meter und wirkten wie ein Elternpaar, das ihr Kind beschützte. Sie wußten sich genau richtig zu verhalten und haben uns den Abschied erleichtert, nicht wahr, ShRil? Achtung, Gerard! Mit Windy zu sprechen, die dir Rede und Antwort stehen kann, ist eine Sache, und auch mit deinem Selbst magst du reden, das auf indirekte Weise antwortet; aber
etwas ganz anderes ist es, mit einem Hologramm zu reden, mit der Täuschung, die aus einem erhitzten Kristall geschaffen wird. Genausogut könntest du dich mit einem Gespenst unterhalten. Wenn du nicht anders kannst, gib wenigstens acht und beschränke dich auf besondere Anlässe. Sonst überfällt dich der Allwahn schneller, als Windy rechnen kann. In fünf Tagen ist Thisseling erreicht. Aus Bundesberichten geht hervor, daß im gesamten Bereich von Galaxy VI wirtschaftlicher Verfall, Inflation, politische Instabilität und soziale Unruhen grassieren. Der Bund ist alarmiert, weiß aber nicht genau, wie schlimm die Lage einzuschätzen ist. Falls sich eine Art Revolution zusammenbraut, will der Bund auf der Seite der Sieger stehen. Meine Aufgabe ist es, die Entwicklungen zu beobachten und entsprechende Berichte zu liefern. Außerdem soll ich zu allen streitenden Parteien Kontakt aufnehmen für den Fall, daß neue diplomatische Kanäle erforderlich werden. Unsereins, die unteren, austauschbaren Chargen der Diplomatie, die an Verträge gebunden und loyal (wie man glaubt) gegenüber dem Zahlmeister sind, werden immer gerne in solche Krisengebiete geschickt. In Galaxy VI werde ich sicherlich etliche Kollegen von mir antreffen, und wenn alles gutgeht, erhält der Bund seine gewünschten Berichte zu einem Mimimum an Kosten. Wenn was schiefläuft, hat er nicht mehr verloren als ein paar billige Schiffe, den einen oder anderen Handlanger und ein bißchen Zeit. Windy als ein billiges Schiff zu bezeichnen, fällt mir allerdings schwer. Meine Person wird in den Rechnungsbüchern kaum höher veranschlagt sein. Wir beide, Windy und ich, sind billig und austauschbar. Unsere Passagiere jedoch, die tiefschlafenden Verbindungsoffiziere, stehen viel höher im Kurs und müssen gleich nach unserer Ankunft auf ein Bundesschiff umverladen werden. Das soll mir recht sein. Dann brauchen wir uns darum nicht mehr kümmern und müssen, wenn es brenzlich wird, nur noch auf uns selber achtgeben. Ich rechne zwar nicht mit lebensbedrohlichen Schwierigkeiten, fürchte aber doch, daß diese Mission gefährlicher ist als die Aushandlung eines Vertrags oder eine Liebelei. Es wird wohl langsam Zeit, daß Windy die AutoSysTak-, Strat- und Evak-Programme analysiert. Vielleicht sind irgendwelche Schwächen oder Besonderheiten darin ausfindig zu machen, die zu kennen vielleicht noch wichtig sein wird. Man kann nicht vorsichtig genug sein — überängstlich, ja; aber nicht zu vorsichtig. 7036 - 23.5.
Thisseling Starport
Dieser Hafen ist ein Paradies für Chaoten. Seit unserer Landung hat uns die Hafenverwaltungviermal den Standort wechseln lassen; sie scheint hauptsächlich damit beschäftigt zu sein, Schiffe ständig umzuplazieren. Mannschaften, Passagiere, Verlader und Flughafenbeamte rennen den ganzen Tag über durcheinander auf der Suche nach den jeweiligen Schiffen. Unser letzter (und hoffentlich endgültiger) Standort liegt auf der zweiten Ebene am Südrand des Hafens. Von hier aus haben wir einen guten Uberblick. Noch höher gelegen sind nur noch ein paar Privat- oder Kuriermaschinen. Das eigentlich interessante Geschehen breitet sich in einem großen, bunten Kreis vor uns aus. Schräg gegenüber am Nordrand und hoch oben auf der vierten Ebene liegt das Kontrollzentrum. Unmittelbar darunter parken die Schiffe der königlichen Familie. Auf ihnen prangt in leuchtendem Grün das Wappenbild der Dynastie, ein Siebeneck, entweder als streng geometrische Figur oder aber als ein in die Länge gezogener, schnittiger Stern mit gewundenen Schriftzeichen oder gradlinigen Kreuzschraffierungen. Unter der Königsflotte, auf der zweiten und dritten Ebene, liegen die Schiffe der Diplomaten, Regierungsbeamten und Militärs, gekennzeichnet mit einem einzigen siebenstrahligen Stern, in dessen Mitte das
Symbol der jeweiligen Dienstbehörde eingetragen ist. In dem von beiden Seiten des Kontrollzentrums auf uns zulaufenden Kreis liegen die Schiffe von mindestens sechzig Planeten und zahllosen Handelsgesellschaften, darunter auch etliche unabhängige Lightspeed-Frachter. Wir nehmen die unserer Stellung und Größe angemessene, nämlich unterste Position ein. Dafür aber haben wir den besten Überblick. Windy schätzt das gesamte Aufkommen von Flugkörpern rund um den Planeten an die viertausend Stück, einschließlich der nicht landenden Kampfkreuzer, Truppentransportern, Passagierklipper und Massenfrachter. Die Maschinen in entlegeneren Umlaufbahnen oder in den unterirdischen Bunkern sind dieser Zahl nicht zugerechnet. Direkt neben uns liegt ein Bundestransporter der Klasse Zwölf-Medium, in den wir unsere tiefschlafenden Passagiere mitsamt ihres Gepäcks umladen konnten. Wenn uns jetzt die Verwaltung die endgültige Parkerlaubnis erteilen würde, könnte ich mich nach unten ins Quartier für Bundesbeamte verfügen und sehen, was man mit mir vorhat. 7036 - 24. 5. Ein Irrenhaus, unser hiesiger Stützpunkt. Den gestrigen Nachmittag und den größten Teil des heutigen Tages habe ich damit verbracht, um Informationen zu bitten. Schließlich bin ich ins Büro von Bellewedermucker verwiesen worden, den Chef der diplomatischen Abteilung für Verbindung und Koordination. Daß ich in offizieller Mission unterwegs bin, ist ihm zwar bekannt. Trotzdem weiß er mir nicht zu sagen, was ich nun eigentlich zu tun habe, geschweige denn wann, wo und mit wem. Ihm scheint meine Anwesenheit überhaupt nicht in den Kram zu passen. Er sagte, daß zwei >Typen meines Schlages< vor einigen Tagen aufgekreuzt und wieder abgezogen seien und daß er froh sei, sie wieder los zu sein. Er könne mir nur einen guten Rat geben, sagte er. Ich solle mich umgehend beim Bund melden, klarstellen, daß es hier nichts für mich zu tun gibt, und um einen anderen Auftrag bitten. Ich war drauf und dran, ihm das Geäse zu polieren, das er und seine tyllythyischen Brüder fälschlicherweise als Mund bezeichnen, und sagte, daß ich ihm Nachwuchs mit Ohren wünsche. Für einen Tyllythyen gibt es kaum eine schlimmere Beleidigung. Es fehlte nicht viel, und er hätte mich zum Duell herausgefordert. Sein tellerförmiges Hohlgesicht, das sonst in einem gesunden Orangerot leuchtet, wechselte plötzlich die Farbe und wurde so gelb wie der Kot von Leberkranken. Als er sich auf seinen drei Stelzen zur vollen Größe von drei Metern aufrichtete, erinnerte ich mich daran, daß meine Vorfahren, kaum daß sie ihren intellektuellen Höhepunkt erreicht hatten, von den seinen in den Ursümpfen zahlreicher Planeten aufgefressen worden waren. Ich konterte mit der einzigen mir bekannten Floskel, die für Tyllythyen knapp unterhalb der Schmerzgrenze liegt und übersetzt soviel heißt wie >Abkömmling einer Griske, die deinen Erzeuger nach der Zeugung fraß<. Ich ging und ließ ihn gutgelaunt zurück. Tyllythyen lieben Beleidigungen. Wer in einer geschäftlichen Unterredung darauf verzichtet, gilt nach ihren Maßstäben als rüde und unhöflich. Bellewedermukker und ich trennten uns also in gutem Einvernehmen. Der Bund, so ließ er mich indirekt wissen, will, daß ich auf eigene Faust und nach eigenem Gutdünken an die Arbeit gehe. Für diese Information dankte ich ihm von Herzen. Meine tyllythyischen Klassenkameraden aus der DiploSchule haben mir doch Nützliches beigebracht. Trotzdem konnte ich mich zu Anfang kaum bremsen und spürte das unwiderstehliche Verlangen, dem Gegenüber aufs Maul zu hauen. Vielleicht wirkt sich bei mir noch ein genotypischer Haß auf diese Spezies aus.
Wie dem auch sei, Bellewedermuckers Instruktionen sind einigermaßen klar. Ich selber habe zu entscheiden über die Fragen wer, was, wo und wann. Um das Warum hat sich bereits der Bund gekümmert. Außerdem soll ich meinen Bericht direkt und ohne Umweg über die Abteilung für Verbindung und Koordination an den Bund abliefern. Die hiesige Lage scheint schlimmer zu sein, als ich angenommen habe, es sei denn die Bürokraten liegen mit ihren Vorstellungen völlig daneben. Normalerweise wird unsereins nur in äußersten Notständen eine derart umfassende Autonomie zugebilligt. Für morgen nehme ich mir vor, die königliche Bibliothek und Publikationszentrale aufzusuchen, um mich über den Zustand des Reiches zu informieren. Vielleicht gelingt es mir, die Fronten zu klären. Übrigens werden Morrizon und Mikll'ggulls, die beiden >Typen meines Schlages<, bestimmt ein paar Hinweise dort für mich hinterlegt haben. 7036 - 26.5. Der Registratur für Anfragen ist zu entnehmen, daß Morrizon mehrere wissenschaftliche Abhandlungen über das Sonnensystem KAR-063 angefordert hat. Mikll'ggulls hat eine Führung nach Mysteleria beantragt, einem Planeten auf der gegenüberliegenden Seite der Galaxis. Außerdem wollte er Informationen haben über den Schulplaneten Rajor Zee, zog aber diese Anfrage wieder zurück. Die beiden sind also unterwegs nach KAR-063 beziehungsweise Mysteleria und geben mir den Wink, nach Rajor Zee zu fliegen. So einfach ist das. Schüler der DiploSchule haben gelernt, Informationen heimlich auszutauschen. Der Trick über die Registratur bietet sich überall dort an, wo es eine Bibliothek mit entsprechender Verwaltung gibt. Profihaft ist das vielleicht nicht gerade, aber wirksam. In der Bibliothek nahm ich außerdem die Gelegenheit wahr, nach Informationen über Diera, Moseen und Sylva zu forschen. Von Interesse war aber nur ein sylvanischer Katalog von beträchtlichem Umfang. Allein die aufgeführten Literaturtitel durchzugehen, würde knapp zwei Tage in Anspruch nehmen. Als ich jedoch nach Texten in Originalsprache suchte, wurde die Liste plötzlich sehr viel kürzer, was, wie ich finde, ein Schlaglicht wirft auf die linguistische Beschränktheit der hiesigen Bevölkerung. Ich ließ alle nicht-technischen Werke auf Windys Computer überspielen, mit denen sie sich in den nächsten Tagen auseinandersetzen darf. Danach suchte ich das Material nach Hinweisen auf die Elevenlegende durch, wobei ich alle Begriffe und Namen zum Einsatz brachte, die ShRil und ich zu diesem Zweck aufgelistet haben. Ergebnis gleich null. Die Hafenverwaltung hat uns für morgen abend Starterlaubnis gegeben. Die Reise nach Rajor Zee wird neun Tage dauern und unterhalb der Lichtgrenze zu fliegen sein. Der Verkehr ist nämlich in dieser Gegend zu dicht, um gefahrlos warpen zu können. Vielleicht werde ich ein bißchen Zeit haben, um mir die sylvanische Literatur anzusehen, die der Baird gerade übersetzt, und mehr über ShRils Heimat erfahren. 7036 - 1.6. Ich glaube, man hat uns belogen, Windy. Soeben ist von der Galaxy-VI-Kontrolle ein Signal gemeldet worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich schwören können, daß wir das einzige Schiff auf der Flugroute sind. Was hat man bloß mit uns vor? Ich schätze, das werden wir früh genug herausfinden.
7036 - 2.6. Wir haben uns gestern bei den königlichen Sicherheitskräften gewiß nicht beliebt gemacht. Aber das Mißfallen beruht auf Gegenseitigkeit. Natürlich habe ich mich den Vorschriften gebeugt und ein Inspektorenteam an Bord gelassen, legte jedoch heftigen Protest ein gegen die Art des Verfahrens und die rassischen und beruflichen Anspielungen gegen meine Person. Auf ganz diplomatische Weise, versteht sich. Meine Auseinandersetzung mit Teliuses — seines Zeichens Kapitän und Herzog —blieb nur deshalb in gesitteten Grenzen, weil uns die unverletzliche Position des jeweils anderen bewußt war. Ich lachte über dessen Bemerkung, daß mir mein Bundesausweis in >seiner< Galaxis nicht zum Vorteil gereichen würde. Nachdem er das Schiff wieder verlassen hatte, informierte ich den Bund über Teliuses' Warnung. Daß der Bund in dieser Gegend nicht gut gelitten ist, weiß man inzwischen. Daß aber ein hoher Beamter und Mitglied der königlichen Familie einem Diplomaten droht, ist bisher noch nicht dagewesen. Unsereins genießt traditioneller- und konventionellerweise Immunität gegen Anklagen und Verfolgung in allen Galaxien der Föderation und auch in den meisten unabhängigen Zonen. Man kann uns deportieren, aber wehe, uns wird Schaden zugefügt. Vielleicht hat der Herzog und Kapitän Teliuses seine persönliche Einstellung zum Ausdruck gebracht; vielleicht hat er aber, meine Meldung an den Bund voraussehend, wirklich nur warnen wollen. Es kann natürlich auch sein, daß die königliche Familie unsere Reaktion zu testen versucht. Wie dem auch sei; dem Bund liegt mein kommentierter Bericht über diesen Zwischenfall vor. Er mag entscheiden, was zu tun ist. Möglicherweise bin ich von dem rüden Besucher von gestern stimuliert worden; vielleicht war es aber auch rein zufällig, daß ich letzte Nacht nicht nur von Fairy Peg geträumt habe, sondern auch von zahllosen uniformierten Beamten, die eine deutlich feindselige Haltung mir gegenüber (ob als Privat- oder Amtsperson. kann ich nicht sagen) einnahmen und an Fairy Peg irgendwelche Forderungen zu stellen schienen. Das alles war zu konfus und zu hektisch, Selbst. Sieh zu, daß ich die Sache noch einmal träume, und zwar in kleineren, klareren Abschnitten. 7036 - 5.6.
Im Orbit um Rajor Zee
Mit einer umständlichen Vorrede, die sich wie ein Reiseführer liest, haben uns die entscheidenden Stellen auf Rajor Zee mitgeteilt, daß wir keine Landegenehmigung bekommen. Sehr höflich, voller Entschuldigungen und dennoch deutlich. Schönen Dank, daß Sie vorbeigeschaut haben, aber wir können Sie nicht zu uns lassen. Wir wollen nicht, daß Sie sich anstecken; hier ist nämlich eine kleine Epidemie ausgebrochen. Versuchen Sie's später noch mal; wir freuen uns über jeden Besuch. Anbei eine Liste von nahe gelegenen Touristenorten, die Sie besuchen könnten. Tut uns leid. Alles Gute, etc. pp. Oh, und melden Sie bitte Ihren nächsten Besuch vorher an. Wohin jetzt? Keine Zeit, den Bund zu fragen. Von der Reiseagentur Seiner Königlichen Majestät liegt mir ein Bulletin vor, mit dem alle Touristen im Bereich von Galaxy VI daran erinnert werden, daß das Festival der >Wollust< in zwanzig Standardtagen auf dem Planeten Val (KAR-063-L) beginnt. Ein typischer Touristenhinweis, abgesehen von einer Kleinigkeit: Er ist ausdrücklich an mich adressiert. Eine Mitteilung von Morrizon? Von Bellewedermucker? Oder von irgendeinem unbekannten Verbündeten? Ich tippe auf Bellewedermucker. Vielleicht steckt Morrizon in Schwierigkeiten. Hier kann ich ihm nicht
helfen; also muß ich den Standort wechseln. Da Val als Ausweichmöglichkeit auf der von Rajor Zee gefunkten Liste steht, wird es Windy vielleicht gestattet sein, die hiesige Bibliothek anzuzapfen und nach neuen Infos zu suchen. Windy ist eifrig bei der Arbeit und wird noch eine Weile brauchen, da die Bibliothek von Rajor Zee nicht gerade Bundesmaßstäben entspricht. In der Zwischenzeit arbeiten wir, der Barde und ich, an einem neuen Gedicht für unsere Sammlung. Unter den Daten, die Windy in Thisseling über Rajor Zee ausfindig gemacht hat, steckte ein ziemlich langes dajanisches Volkslied, das in einem äußerst seltenen und seltsamen Dialekt verfaßt ist. Es besteht in der Hauptsache aus Knittelversen, was die Übersetzung zum Vergnügen macht. Ich merke mir ein paar Zeilen und werfe den Rest in den Speicher. Hinterm Riff von Rajor Zee Hinterm Riff von Rajor Zee lebt eine Mutter, fromm und gut. Sechzehn Augen strahlen hell unter kobaltblauen Haaren, und gibt ein Gatte ihr den Stoß in den phosphorchloren Schoß, muß sie die alten Sitten achten und ihn hernach zu Tode schlachten. So will's nun mal die Biologie hinterm Riff von Rajor Zee. Wer nicht damit zufrieden ist, daß Männer sich den Frau'n ergeben, den großen Segen wohl vergißt von solcherlei gezeugtem Leben. Der Barde übersetzt den Rest ziemlich schnell (zwanzig Zeilen pro Minute), aber ich glaube kaum, daß wir in dieser Sammlung noch Verse finden, die ähnlich repräsentativ für die dajanische Dichtung sind. Zur Zeit bleibt mir nicht viel zu tun. Windy, zeig mir das Hologramm von ShRil. Hübsch. Sehr hübsch. Ja, sehr, sehr hübsch. Aber ich sollte sie mir wohl nicht allzu lange anschauen. Ich hätte nicht übel Lust, meinen Job hinzuwerfen und nach Moseen zurückzukehren. Dadurch wäre allerdings nichts erreicht. Apropos: Was erreichen wir eigentlich mit der Übersetzung dieser Gedichte? Hilft sie uns, die jeweiligen Kulturen besser zu verstehen? Ist die Dichtung einer Kultur aufschlußreicher als deren Prosaschriften? Das frage ich mich. 7036 - 6.6. Windy hat alles Brauchbare aus der Bibliothek von Rajor Zee bezogen. Wir können jetzt die Umlaufbahn verlassen. Die Verkehrskontrolle hat uns eine sehr abwegige Route nach Val empfohlen mit der Begründung, daß >ungewöhnlich starker Betrieb< auf der Normalstrecke herrsche. Der direkte Weg beträgt fünfzehn Tage (unterhalb der Lichtgrenze), die Umleitung
dagegen zweiundzwanzig. Wir dürfen das Festival aber nicht versäumen. Ich lege mich schlafen. Windy übernimmt. Wir fliegen los. 7036 – 18.6. . Seit Rajor Zee ist es nun schon das vierte Mal, daß mich Windy aus dem Schlaf reißen mußte. Immer wieder sind Sicherheitsüberprüfungen und Richtungskorrekturen vorzunehmen. Jetzt werden wir wohl erst am 27. 6. auf Val landen können. Wir hätten besser den Umweg nehmen sollen. 7036 – 21.6. Ich vermute, die Sicherheitskräfte Seiner Königlichen Majestät wollen verhindern, daß wir das Festival rechtzeitig erreichen. Neues Ankunftsdatum: 2. 7. Wieder schlafen zu gehen, hat wohl keinen Sinn mehr. Dieses ständige Hin und Her macht mich fertig. 7036 - 2.7.
Im Park-Orbit von Val
Das Festival ist vorbei. Der Verkehr nimmt zu. Erhalte Landeerlaubnis, kann aber wegen des starken Verkehrs erst morgen landen. Die vallunesische Flugleitung hat uns in knappen, aber höflichen Worten untersagt, die Bibliothek anzuzapfen, solange wir in der Warteschleife sind. Keine Begründung; man weigert sich schlichtweg. Habe versucht, Morrizon über den DiploKanal zu erreichen. Keine Antwort. Vielleicht ist er nicht hier. Vielleicht sollte ich mal richtig ausschlafen. Genau, den ausgefransten Geist ausruhen. Stopf mich wieder zusammen, Selbst. Ich brauche morgen einen klaren Kopf. 7036 - 3.7.
Starport von Val
Morrizon ist nach Auskunft der Flugleitung vor acht Tagen abgereist mit Ziel auf Thisseling. Wenn ich, wie geplant, am Fünfundzwanzigsten hier eingetroffen wäre. hätte ich ihn noch erwischt. Warum sagt mir die Leitung, daß er keine Nachricht hinterlassen hat, obwohl ich gar nicht danach gefragt habe? Regel Nummer dreiundvierzig: Hüte dich vor unverlangten Auskünften. Wenn Morrizon mich oder Mikll'ggulls erwartet hat, wird in der Bibliothek eine Nachricht liegen. Habe die Nachricht gefunden und bereue den Fund. Morrizon hat mir für die kommenden zwei Tage folgende Literaturliste anempfohlen: Mysteleria, Ein Reiseführer Revolution der Wissenschaft Val, Kunst und Kultur Anschluß an die Föderation: Eine politische Geschichte Bald wird es geschehen (Roman) Aufbruch mit Freuden (offizielles Handbuch der Emigration) Bevor das Glück eintrifft (Roman) Das Festival der >Wollust<
Ende gut, alles gut (über das Wettsystem von Carpath) Wenn ich die Titel richtig geordnet habe, lautet die Nachricht: »Revolution auf Mysteleria. Val schließt sich bald an. Verlasse das Festival, bevor es zu Ende ist.« Ei-ne alternative Lesart wäre: »Die Revolution endet vor dem Festival. Verlasse Val. Schließe mich dir bald an.« Oder: »Revolution auf Mysteleria: Schließe mich bald an. Verlasse Val, bevor das Festival endet.« Oder, oder, oder. Kravor im Krick! Was versucht mir Morrizon zu sagen? Immer mit der Ruhe. Denk nach! Was wissen wir mit Sicherheit? Nichts. Aber wir können davon ausgehen, daß Mysteleria in irgendeine Revolution verwickelt ist und daß Morrizon mir dringend rät, noch vor Ende des Festivals abzureisen. Aber wir wissen nicht, ob Val bei der Revolution mitmacht oder ob Morrizon mich zu treffen wünscht. Im Grunde wissen wir nichts, was uns weiterhelfen könnte. Brauche mehr Infos. Morgen werde ich mich umhören, mit den Händlern im Hafen sprechen und sehen, was ich in den Starbars aufschnappen läßt. Für diese Nacht halte ich Windy in taktischer Alarmbereitschaft für den Fall, daß wir einen schnellen Rückzug antreten müssen. Abzuhauen und dabei die Funkkopplung zu verlieren, ist mir überhaupt nicht recht; aber vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig. Ich habe so ein ungutes Gefühl in der Magengrube und fürchte, daß schlechte Zeiten auf uns zukommen. 7036 - 5.7. Ich will nicht behaupten, daß wir Gefangene sind, aber wir kommen nicht weg von hier. Vielleicht reagiere ich zu empfindlich. Die Hafenverwaltung hat mir versichert, daß die Ankunfts- und Abflugsperre, von der nur die Schiffe Seiner Königlichen Majestät ausgenommen sind, in einer oder zwei Wochen aufgehoben werden. Von dieser Sperre scheinen insbesondere auch Diplomaten betroffen zu sein. Ich bin zum Reichsgebäude gegangen, um bei Prinz Geladium, dem Gouverneur Seiner Königlichen Majestät offiziell Protest einzulegen. Nach kurzer Wartezeit wurde ich höflich und zuvorkommend ins Büro des Gouverneurs geführt, und zwar von Mr. Gwindel, einem jungen Adjutanten, der beflissen zu sein schien, meinen Arger zu dämpfen. Prinz Geladium ist ein beeindruckender Mann, mißt zweieinhalb Meter, hat eine dunkle, bronzefarbene Haut und hellgelbe Augen. Auf der smaragdgrünen Uniform trägt er nur ein einziges Abzeichen: den goldenen Stern des Gouverneurs, der an der linken Brust steckt. Bevor ich meine Klage vorbringen konnte, entschuldigte sich Prinz Geladium für die von der Regierung über den Hafen verhängte Sperre und für die Unannehmlichkeiten, die mir dadurch entstehen. Seine Manieren sind formvollendet, seine Stimme sympathisch und beschwichtigend, sein Verhalten herzlich und seine Einstellung mir, dem Repräsentanten des Bundes, gegenüber so angemessen wie irgend möglich. Als ich ihn jedoch darauf aufmerksam machte, daß die Behinderung eines Diplomaten nicht nur den Föderationsvertrag, sondern auch eine tausendjährige Tradition sowie alle guten Sitten und geltenden Gesetze verletzt, machte er keinen besonders betroffenen Eindruck. Er stellte klar, daß das Königreich von Galaxy VI nicht vorhabe, die vertraglichen Vereinbarungen mit der Föderation zu verletzen oder deren Repräsentanten zu behindern. Aufgrund bestimmter Umstände (die zu benennen er sich weigerte) seien jedoch gewisse Reisebeschränkungen vonnöten, die das Reich nur deshalb angeordnet habe, um seinen Vertragsverpflichtungen nachkommen zu können. Und so weiter und so fort. Unsere Unterredung dauerte eine gute Stunde, in der ich alle Register zog, um ihn davon zu überzeugen, daß ich von der Sperre auszunehmen sei. Ohne Erfolg. Wir verabschiedeten uns
so höflich, wie es sich für zwei Profis gehört, die den toten Punkt erkennen und akzeptieren, und als ich das Büro verließ, versicherte er mir, daß die Sperre bald aufgehoben und ich als erster davon benachrichtigt würde. Daß auch eine Kommunikationssperre verhängt worden ist, hat Prinz Geladium nicht erwähnt. Den ganzen Hafen überspannt ein Funkschirm. Windy informierte mich darüber, als ich wieder an Bord war. Diesmal werde ich einen schriftlichen Protest einreichen. Ein zweiter Besuch hätte keinen Zweck. Zum Glück ist mein Zwischenbericht an den Bund gestern noch rausgegangen. Wir hängen fest, und mir schwant, daß wir viel länger festhängen werden, als mir Prinz Geladium weiszumachen versuchte. 7036 - 20.7. Tja, ich habe eine Suche nach dem Eleven durchführen lassen und den Titel >Die Suche des Eleven< erhalten. Zufall? Faktor Psi? Schicksal? Nichts von alledem, Gerard. Du hast den Titel selber erfunden. Trotzdem, er paßt sehr gut. Windy hat im zweiten Durchlauf diesen Text ausfindig gemacht. Er stammt aus einer von Mysteleria importierten Anthologie, in der es um die Riten der Reise geht. Der Barde und ich haben bereits zwei Grobübersetzungen vorgenommen; die dritte müßte auch bald fertig sein. Bei Fara, wie gerne würde ich den Stoff ShRil und dem Professor zukommen lassen. Vielleicht übernimmt Prinz Geladium den Versand für mich. Fragen kostet nichts. Die Suche des Eleven Es folgte der Eleve den goldbraunen Wegen vergang'ner Sterne tausendfach, ein heiliges Symbol zu suchen, geweihte Namen, eine neue Vision vom ursprünglichen Feuer. Er kroch bis an den Rand des Eros in Träumen, heilig und profan, gejagt von einem schemenhaften Antlitz, von einer schwingenden Bewegung, der Schöpfung seiner Seele. Im eigenen Gefühl nur Rätsel der Eleve fand, Phantasien voll Erotik, kryptische Entwürfe aus einer unbekannten Zeit. Doch nirgends fand er Schonung von dem Schmerz und der Ekstase seines zügellosen Traums.
Der Barde kommt immer besser mit der Form zurecht, die wir der Zweckmäßigkeit halber entwickelt haben. Durch sie lassen sich Stimmung und Bedeutung dieser Gedichte wiedergeben, ohne ihrer Form und Metrik im Original entsprechen zu müssen. Ich finde unser System auch ästhetisch recht ansprechend, aber das tut nichts zur Sache. Hier kommt wohl Dichterstolz zu Wort. Immerhin ist zu bemerken, daß heutzutage in der geschriebenen Standardsprache viel zu wenig Wert auf Schönheit und Klang gelegt wird. Während der Barde mit mir an dem Entwurf herumgebastelt hat, ist Windy damit beschäftigt gewesen, die Bibliothek von Val weiter durchzuforsten. Sie konnte einige interessante Figuren ausfindig machen, aber keine hat etwas gemein mit dem Eleven. Bei der ganzen Arbeit ist nur ein einziges Gedicht rausgesprungen. Immerhin, mehr als gar nichts. Gut gemacht, mein Team. 7036 – 23.7. Ich habe Mr. Gwindel eine Kopie von >Die Suche des Eleven< gegeben mit einem Quellenvermerk und einer kurzen Nachricht an den Professor. Nach ausführlichen Erklärungen, worum es geht und warum mir die Sache wichtig ist, bat ich ihn, die Post mit Erlaubnis von Prinz Geladium der Universität von Moseen zuzustellen. Mr. Gwindels Reaktion vermittelte mir den Eindruck, einen Fehler gemacht zu haben. Seinen Fragen entnahm ich, daß er mein harmloses Gedicht für eine verschlüsselte Botschaft hielt. Ich wollte ihn nicht weiter drängen. Er glaubt wohl, daß ich Dinge weiß, von denen ich keine Ahnung haben darf. Offenbar gedenkt Galaxy VI mit der Föderation zu brechen. Das hat mir sein Argwohn verraten. Außerdem hat er durchblicken lassen, daß ich tatsächlich ein Gefangener bin. Mein diplomatischer Status ist mehr als fraglich. Meine Sicherheit ebenfalls. Deshalb habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde Windy den Zugriff auf dieses Tagebuch gestatten und sie so programmieren, daß alles, was ich schreibe oder spreche, automatisch kopiert wird auf eine unter meinem persönlichen Code laufende Sicherungsdatei. Falls mir etwas zustößt, kann sie das Tagebuch löschen. Die Kopie wäre dann nur von mir abrufbar, wenn ich heil aus der Sache rauskomme; wenn nicht, wird sie heimlich an ShRil übermittelt. Ich weiß, all das kling reichlich fatalistisch, Selbst, aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn mir etwas passiert, soll wenigsten ShRil Bescheid wissen. 7036 – 25.7. Also, Windy, du bist jetzt auf dem laufenden. Wenn etwas schiefgeht, weißt du, was mit dem Tagebuch zu geschehen hat. Schalte dann auf Konservierung und warte ab. Ich hoffe zwar auf einen glimpflichen Ausgang, aber mir ist wohler, wenn wir auf den Ernstfall vorbereitet sind. 7036 - 30.7. Wieder ist ein Monat um. Siebenundzwanzig Tage auf Val, und immer noch keine Freilassung in Aussicht. Vor einer Woche habe ich >Die Suche des Eleven< zu Mr. Gwindel gebracht, aber ob er das Gedicht an den Gouverneur weitergereicht hat oder nicht, bleibt fraglich. Mr. Gwindel war diesmal sehr reserviert. Für persönliche Belange fehle ihm die Zeit, sagte er. Soviel zur durchhängenden Seite der Waagschale. Auf der oben schwebenden Seite sitzen
Windy, der Barde und ich an der Arbeit und beackern die vallunesische Literatur, die wir in der Bibliothek ausgraben konnten. Durch die Information über das Festival der >Wollust< ist mir bekannt, daß die Valluneser einer sinnenfrohen Spezies angehören, die körperlicher Lust frönt. Allerdings ahnte ich bisher nicht, in welchem Ausmaß dieses Thema auch in der hiesigen Literatur seinen Niederschlag findet. Und wie! Einfach phantastisch. Besonders hat es mir eine Reihe von Liedern angetan, die ich unter dem Oberbegriff >Lobeshymnen< zusammenfassen werde. Es gibt buchstäblich Tausende solcher Freudengesänge, die den angenehmen Empfindungen, den verschiedenen Körperfunktionen, der physischen und verklärten Liebe sowie der Lust an der triadischen Paarung gewidmet sind. Eine vergnügliche und berauschende Literatur. Sie brennt darauf, übersetzt zu werden. Problematisch ist vor allem die Tatsache, daß die vallunesischen Lobeshymnen in einer emotionalen Syntax verfaßt sind; das heißt, der emotionale Inhalt eines bestimmten Gesangs entscheidet über dessen syntaktische Struktur. Zum Glück enthält die Bibliothek eine brauchbare Abhandlung über die Grundlagen dieses poetischen Systems. Leider beschränkt sie sich wirklich nur auf Grundlagen. Während der Barde und ich an der ersten, wortwörtlichen Übersetzung feilen, versucht Windy, ein paar weiterführende Hilfen aus der Abhandlung herzuleiten. # #Windy ist anwesend. Hinweis unnötig. # # Ja, Windy, ich weiß, daß du anwesend bist; aber ich schreibe in mein Tagebuch. Bitte, sei so gut, und halte dich zurück, solange nichts anderes von dir verlangt wird. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, daß du jetzt Zugang hast. Ich werde mich in Zukunft nur noch in der zweiten Person anreden, falls du deiner Rolle als Beobachterin zufriedenstellend nachkommst. Merke. Ich sprach von Beobachterin, nicht Kommentatorin. Gespeichert? # #Gespeichert. Instruktionen zur Kenntnis genommen. Unter Vorbehalt. # # Vorbehalt? Was soll das heißen? ##Das Notprogramm listet mehrere Ausnahmen auf, die einen Eintrag in dieses Tagebuch erforderlich machen. Quelle: Gerard Manley. # # Und? Gibt es noch weitere Vorbehalte? # #Fehlanzeige. # # Gut. Das war also dein letzter Eintrag, es sei denn, der Notfall tritt ein. Kein Kommentar? Schön. Sehr artig von dir, Windy. Du lernst wirklich schnell. Das mag ich an dir besonders. Laß uns jetzt die neue Fassung überarbeiten. Mal sehen, was du daran zu verbessern hast. Lobeshymne 73 Wirf herab dein Silber, wilder Wein des Lebens und des Lichts, herab auf schwüle Bluteswallung, auf den unablässig roten Wandel, auf die Freude wie den Schmerz, die wohl brennen durch die klare Mitte des Lebens und des Lichts, durchs wirbelnde Herz und der Seele goldenes Feuer; verwirrte, phantastische Blumen jenseits von Ferne und Zeit, leibhaftiger Raum
über allem Bösen erhaben, werdende Schöpfung, Anfang und Ende, zu sein, was ihr seid. Wie getriebene Sonnen brennt das Verlangen im Blut spornt an der Liebe und Leidenschaft Flanken hinauf durch geschwollene Adern, durch das brausende Herz und die Klauen vernünftelnden Vorwands, ergießt sich in den Hallen des Morgens wie Regen über der Wüste, läßt den öden Sand erblühen mit fruchtbaren Blumen, entläd in das kurze Wehen heiligen Pollen und Samen und Feuer. Nicht schlecht, mein Team. Wirklich nicht schlecht. Wenn wir uns, was die Flucht angeht, genauso ins Zeug legen könnten, wären wir in null Komma nichts weg. 7036 - 1.8. Einladung von Mr. Gwindel zum Abendessen mit dem Gouverneur in vier Tagen. Sehr förmlich, Kleiderordnung: Uniform; eine Absage wird nicht hingenommen. Einladung oder Befehl? 7036 - 3.8. Gwindel erinnert an den Termin. Wie kommt er darauf, daß ich den vergessen könnte? Ich glaube, dieser Kerl wird mir immer unsympathischer. Zum Henker mit Gwindel. Mich halten die Rhythmen vallunesischer Erotizismen gefangen. Die triadischen Paarungsverhältnisse mögen ja manchem seltsam erscheinen, trotzdem versteht man sich hier darauf, das sinnliche Vergnügen universell attraktiv darzustellen. Seit wir die Erotika übersetzen, sind meine Träume äußerst bizarr und fast immer erotisch. Ich träume von ShRil, von Frauen allgemein, aber auch von Fairy Peg. Da ist ein Traum, der um Fairy Peg kreist und mir zum wiederholten Male begegnet. Ihn zu entschlüsseln, ist mir allerdings noch nicht gelungen. Ich wache in einem riesigen Bett auf. An meiner Seite schläft Fairy Peg. In der Ferne sind Geräusche auszumachen; es klingt, als ob Leute durch einen Tunnel rennen und lauthals rufen. Ich stehe auf, gehe im Nachthemd ans Fenster. Die Nacht ist klar, drei Vollmonde leuchten. Plötzlich klopft es an der Tür. Fairy Peg springt auf und fängt zu schreien an. Dabei reißt's mich aus dem Schlaf. Wenn ich die Fokussiertechnik anwende, sehe ich das Sonnensymbol überm Bett und weiß, daß ein zweites auf meinem Nachthemd ist. Die drei Monde bilden eine Linie dicht über dem Horizont: Ein kleiner folgt den beiden größeren Monden. Der Horizont ist ungewöhnlich stark
gewölbt. Ich fühle mich sehr leicht auf den Füßen. Offenbar befinde ich mich auf einem kleinen Planeten. Die Rufe sind zu undeutlich, und ich kann nicht verstehen, was gerufen wird. Aber Pegs Schrei ist unmittelbar zu hören. Ich weiß nur ungefähr, was sie mir sagen will. Es ist wichtig, daß ich es ganz genau weiß. Versuch's noch einmal. Ich wache auf. Lausche. Gehe ans Fenster. Jetzt das Klopfen. Ich drehe mich um, Peg schreit auf: »Die Ratschen!« Die Ratschen? Wer, um Kricks willen, sind die Ratschen? Drei völle Monde Schreckem und Unheil bereiten, wenn die Gabriel-Ratschen zum Kampfe schreiten. Woher hab' ich das nun wieder? Oh, Selbst, was treibst du für ein Spiel mit mir? Aus einem Rätsel ergibt sich das nächste. Wie bei der mysteriösen Kril-Schachtel. Kril! Der Planet Kril! Drei Monde, ein kleiner und zwei große. Führender Planet in der RibbleGalaxis. Das lernt jeder in der Schule. Regiert von dem berühmten Ober On'Ell, Prinzregent von siebenundzwanzig Welten, Gemahl von Tania Houn Draytonmab, Kriegsherr über die Ribble-Flotte, die dem Bund die erste Niederlage in über siebenhundert Jahren zugefügt hat. Fara, ich hab's! Fairy Peg. Peg On'Ell, Hüterin der Ribble-Galaxis. Mein Kopf! Ich halt's nicht aus. 7036 - 4.8. Bei einer Gedankenwäsche werden Blocker installiert, die nur unter Schmerzen zu überwinden sind. Unsäglichen Schmerzen. Als ich Stunden später erwachte, fühlte ich nichts als Feuer und Druck hinter den Augen. Ich schaffte es kaum, mich in die Verjüngungszelle zu schleppen. Mein Nacken ist immer noch verspannt. Allein der Gedanke an Fairy Peg läßt die Schmerzen zurückkehren. Ich muß eine Weile davon Abstand nehmen, Selbst, freue mich aber, daß du nicht locker gelassen und mir zur Erinnerung verholfen hast. Die Blocker hätten ihre Wirkung fast erzielt. Aber blicken wir wieder nach vorn. Themenwechsel. Das Gedicht. Genau. Windy, hol mir das Gedicht auf den Schirm. Und jetzt starte den Barden zu einem neuen Durchlauf. Der Ton ist nicht übel, allerdings finde ich die Form noch reichlich sperrig. Schalte den funktionalen Modus ein. Mal sehen, was dabei rauskommt. Fehlanzeige. Vor lauter Kopfschmerzen mußte ich die Arbeit einstellen. Aber vielleicht hat's doch ein bißchen geholfen. Denn wie sagt der alte Onkel Doktor? »Was glaubst du, wie schlecht es dir ohne die Medizin jetzt ginge?« Die Übersetzung wird immer besser, Windy. Ob unsere Arbeit jemals gebührend honoriert wird? Wahrscheinlich nicht. Lippen Weder honigsüß noch rosenrot, wächsern oder weich als vielmehr schlicht vollkommen sein sollen Lippen, küssen und reisen in Kurven wandern und das Gefäß befruchten,
sich zitternd treffen und, sich treffend, halten Den Schleier unsrer Seelen lüften sollen Lippen, im Innern still uns halten, sich um unsre Zungen schlingen, die Herzen in Bewegung tauchen und, bewegt, zerfließen Einem Windhauch gleich berühren soll'n sich Lippen und unsere Seelen schließen, mit ihrem Siegel prägen, vor Leidenschaft erglühen und glühend sterben Sprechen sollen Lippen, sprechen zu uns. Wenn mich nicht alles täuscht, ist >Lippen< einer der vielen vallunesischen Paarungslieder, die sowohl von dem befruchtenden als auch dem katalysierenden Partner der Triade der zu befruchtenden Seite vorgesungen werden. Der Quellenangabe zufolge zählt es zu den ältesten aufgezeichneten Liedern dieser Art, an der sich über drei Jahrhunderte stilistisch kaum etwas geändert hat. >Lippen< scheint sehr populär zu sein, denn Windy hat eine leicht veränderte Version in dem Buch Stürmische Vereinigung gefunden, das 7035 in die Bibliothekssammlung aufgenommen wurde und von seinen Herausgebern als der modernste Lustleitfaden, der je im Druck erschien, angepriesen wird. Ein altes Liebeslied für moderne Sexomanen. Eine bessere Empfehlung gibt es kaum. Nenn es Ahnung, Eingebung oder weise Voraussicht, Selbst, aber ich habe das Gefühl, daß das morgige Abendessen mit Prinz Geladium sehr viel mehr sein wird als eine einfache Mahlzeit. Ich vermute, er will was von mir, weiß aber nicht, was. Genauso wenig weiß ich, wie weit er zu gehen bereit ist, um das, was er will, zu bekommen. Mir bleibt weiter nichts übrig, als mitzuspielen und abzuwarten, was passiert. Wie soll man eine Taktik entwickeln, wenn die strategische Situation unbekannt ist? ##7036 - 8.21. 1503 :17
KAR-063L, Starport I-A-I
Auf Befehl Notprogramm eins aktiviert. Eintrag vorgenommen durch Diplomatenkreuzer, Klasse 12, Reg.Nummer: T-Alpha 7731 Serie D, Name: Windhover, Rufcode: Windy. Gerard Manley, Vertragsdiplomat, Pilot des o.a. Kreuzers, ist seit fünfzehn Tagen, einundzwanzig Stunden, drei Minuten und siebzehn Sekunden Standardzeit verschwunden. ACHTUNG! Aus vorliegenden Informationen muß gefolgert werden, daß besagter Gerard Manley gegen seinen Willenzurückgehalten wird vom Gouverneur Seiner Königlichen Majestät auf KAR063L (Val) im System der Galaxy VI. Alle Aggregate dieses Raumschiff befinden sich im Zustand der Konservierung. Es laufen die Notprogramme eins und zwei. Selbstschutzzerstörer aktiviert. In Erwartung weiterer Instruktionen.##
4. 7039 - 7.2.
Im All
Wie steigt man wieder ein in ein Tagebuch, das zweieinhalb Jahre in der Ecke lag? Wer hat den ersten Teil geschrieben? Die naive Seele kenn' ich doch irgendwoher. Gut gemacht, Windy. Morrizon hat mir berichtet, wie du dich abgeschottest hast. Kompliment. Daß du ihre Funkkopplung gestört hast, war eine prima Idee. Hab' ich dir den Tip gegeben? Ach ja. Wir haben doch das Sicherungsprogramm modifiziert. Ist mir völlig entfallen. Ich war so lange weg, daß ich vieles vergessen habe. Aber auf dein Gedächtnis ist Verlaß. Was mich besonders überrascht: Wie sich der Bund für mich eingesetzt hat. Welche Hebel er in Bewegung setzen mußte, um mich freizueisen, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß Morrizon an meiner Freilassung maßgeblich beteiligt war; er hat gehebelt, was das Zeug hält. Einen besseren Kollegen kann man sich nicht wünschen. Genug davon. Wir haben einen neuen Auftrag, eine neue Bewährungsmöglichkeit, ein neues Leben. Nun, zumindest eine neue Perspektive. Mir ist jetzt ein bißchen klarer, wem meine Loyalität gehört. Meine Wünsche sind bescheidener, mein Verstand ist schärfer. Themenwechsel. Unterwegs nach Deloni Ahsus Zand Minor-17 in der Milius-Spirale, DAZM-17MS, zur Föderation gehörig. Es geht wieder einmal um Vertragsverhandlungen; diesmal mit der etwas zögerlichen Mehrheitsregierung eines Planeten, der auch noch einige starke Minderheitsregierungen unterhält, die allesamt in die Verhandlungen miteinzubeziehen sind, wenn ein gültiger und dauerhafter Vertrag zustandekommen soll. Eine hübsche Herausforderung. Der Bund wollte mich eigentlich für sechs Monate zur Erholung und Entspannung nach Pleasance schicken, aber ich konnte meine Vorgesetzten davon überzeugen, daß mir die letzten zweieinhalb Jahre genug Entspannung gebracht haben und daß ich mich am besten bei der Arbeit erholen würde. Ich bin froh, daß die Mannschaft der Verbindungsoffiziere ihren eigenen Transporter hat. Also brauchen wir auf unserer Reise keine Rücksicht auf Passagiere zu nehmen, und das ist gut so, denn immerhin müssen wir, um DAZM-17 zu erreichen, das Warp-Ring-System kreuzen. Dort wird Krieg geführt gegen einige Planeten, die sich aus der Föderation zu lösen versuchen, und es könnte brenzlig für uns werden. Mich in angespannter Lage um Passagiere kümmern zu müssen, kann ich nicht leiden. Die Allianz des Warp-Rings war nie besonders stark und ist nun zusätzlich geschwächt durch den Kampf gegen die Sezessionsgruppe der Wring-Connection, die von Galaxy VI während der fehlgeschlagenen Revolution aufgerüstet worden ist. Der Bund will sich, wie es scheint, nicht einmischen. Er schaut lieber geduldig vom Rand aus zu und spekuliert darauf, die Abtrünnigen, sobald ihnen das Pulver ausgeht, einzeln in die Koppel zurücktreiben zu können. Wenn die Allianz, wie nicht anders zu erwarten ist, auseinanderbricht, wird sich der Einfluß des Bundes auf diejenigen Planeten verstärken, die zur Föderation zurückkehren. Sie könnten dann mit der neu zu installierenden Regierung verhandeln und ihre Neutralität behaupten. Ich wünschte, wir könnten einen weiten Bogen um das Warp-Ring-System schlagen, würden dabei aber zu viel Zeit verlieren. Unser größtes Problem wird es also sein, zu den WarpBänken vorzudringen, um uns dann an den Rand des Systems durchmogeln zu können. Denn wenn wir erst einmal die Untiefen erreicht haben, dürfte es nicht mehr schwerfallen, über die innere Peripherie ans andere Ende zu schleichen. Hoffentlich sind die Streitkräfte der Allianz und der Wring-Connection so sehr miteinander beschäftigt, daß sie uns, sollten wir doch
auffallen, in Ruhe lassen. Hoffentlich. Wie dem auch sei; einen AutoSchlaf werde ich mir auf diesem Trip wohl nicht leisten können. Wir müssen in Alarmbereitschaft bleiben, bis wir die Untiefen verlassen und nach DAZM-17 weiterwarpen können. Windy, uns stehen vier Monate heikler Raumfahrt bevor. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich sogar darauf. Mein altes Hirn hat sich lange genug nach äußeren Problemen gesehnt. 7039 - 11.2. In drei Tagen erreichen wir die Warpbänke. Ich fühle mich richtig wohl mit dir, Windy; daran ändern auch nichts die neuen Tak-, Strat- und Evak-Programme der Anlage. Offenbar sind den Technikern dieselben Schwächen aufgefallen, die auch wir schon bemängelt haben. Trotzdem bin ich immer noch der Meinung, daß unsere Hybriden-Programme besser sind. Ich würde sie eigentlich mal gerne unter echten Bedingungen ausprobieren. Besser nicht. Ich habe den größten Teil meiner Forschungen gelöscht. Der ganze Wust liegt dem Professor inzwischen vor. Von der Zentrale weiß ich, daß ShRil und Sir Dan wohlauf sind und daß der Professor wieder dem Technischen Rat von Moseen dient. Ich hoffe, auf DAZM-17 eine Nachricht von ihnen vorzufinden. Wie sehne ich mich danach! Besonders nach einen Gruß von ShRil. Liebe ShRil, Traumgefährtin meiner Gefangenschaft. Wie sie wohl nach all den Jahren zu mir steht? Ob sie noch an mich denkt? Bald werde ich die Antwort wissen. Beeilung, Windy, spring in die Bresche! 7039 - 12.2. Träume von ShRil sind Höhepunkte meiner Nächte. Aber der von vergangener Nacht war besonders klar. Vielleicht hat der Gedanke, womöglich bald von ihr zu hören, mein Verlangen aus der Phantasie in die Wirklichkeit gerückt. Doch darauf wage ich nicht weiter einzugehen. Zwischen uns und unserer nächsten Begegnung — sollte sie denn je zustandekommen — liegen der weite Raum und sehr viel Zeit. Und wenn sie zustandekommt, wie wird die Begegnung dann ausfallen? Was ist dann aus uns geworden? Ich will mich lieber noch für eine Weile an die Phantasie halten. Sie erhebt keine Ansprüche und stellt keine Erwartungen. Habe an einem der vallunesischen Gedichte herumgebastelt, das wir bislang noch nicht zu Ende übersetzen konnten. Vom Original halte ich nicht allzu viel, aber die Idee hat mir so gefallen, daß ich den Text neu komponiert habe, und zwar so gründlich, daß das Gedicht eigentlich nicht mehr vallunesisch ist, sondern meines. Und wenn ShRils Reaktion auf mein Wiederauftauchen meiner heimlichen Hoffnung entspricht, werde ich ihr die Verse als private Botschaft zukommen lassen. Ihr werden die Anspielungen auf alte terranische Mythen gefallen; der Rest hoffentlich ebenfalls. Körper-Monolog In den weiten, geräumigen Bögen zwischen ihren Brüsten und Schenkeln wanderte er wie ein orestischer Geist
auf der Suche nach Unendlichkeit auf der Flucht vor alten Fehlern und zukünft'gen Potentaten. Durch die zierliche Ägäis ihrer vom Wasser umspülten Glieder folgte er mit salz'gen Lippen ihren Wellen, im Rücken atmende Winde, klebend an federnden Wogen mit seiner Zunge, die den Kurs erspürt. Gedrängt von seines Herzens alten Sog, trieb er in ihren weichen Strudeln hinauf in ihr zurückgekehrtes Angesicht, wo er empfing den endlos einen Kuß der Wiederauferstehung und des Lebens. Ob sie erkennt, wie sehr mir meine Erinnerung an sie geholfen hat? Ob ihr meine Liebe für sie in diesen Zeilen auffällt? Wird sie wissen, wie treu ich ihr bin? Wird ihr meine Treue etwas bedeuten? Im Gefängnis war alles einfacher. Die Antworten stimmten mit der Phantasie überein, dem selbstgefälligen (von meinem Selbst gebauten) Wolkenkuckucksheim, in dem ich mich verschanzt habe, um bei Verstand zu bleiben. Jetzt, nach drei kurzen Monaten, rükke ich der Wahrheit ein wenig näher und zögere. Apropos Wahrheit; während ich eingesperrt war, ist mir das getreue Bild von Fairy Peg wieder erschienen. Oder zumindest mein Bild von unserer Beziehung. Ich konnte mich wieder erinnern: an viel Zärtlichkeit und Leidenschaft, aber auch an viel Ärger und Streit. Interessant, Windy. Alle Erinnerungen an Ribble drehen sich um Fairy Peg, und das meiste, woran wir, mein Selbst und ich, uns erinnern, ist sehr intim und persönlich. Der Bund hat es offenbar nicht geschafft, alle Erinnerungen zu blockieren. Oder vielleicht waren sie am Ende einfach stärker als die Blocker. Während dieser Zeit träumte ich immer wieder denselben Traum, der eine Art Prüfstein für mein Selbst zu sein scheint. Darin schlendere ich mit Fairy Peg durch einen Garten; wir sprechen über meine Stellung auf Ribble. Sie will mich zum Prinzregenten küren, zum Prinzgemahl oder etwas in der Art, aber mir fällt es schwer, mich auf ihre Worte zu konzentrieren. Ich bin in ihrer Gegenwart viel zu befangen. Sie strahlt nicht nur Liebe und Schönheit aus, sondern auch Skrupellosigkeit und Machtstreben. All das verwirrt mich. Gegen Ende des Traums fordert sie von mir, aufmerksamer zu sein, und dann sagt sie, daß, wenn ich Prinz wäre, mir auch die GabrielRatschen unterstehen würden. Daraufhin küsse ich sie so wild und leidenschaftlich wie noch nie. Mit einer ungestümen Liebesszene endet der Traum schließlich, und zwar sehr abrupt. Siehst du, was ich meine, Windy? Der Traum und alle wiedergewonnenen Erinnerungen zielen ausschließlich auf Fairy Peg; alles andere, was womöglich sehr viel wichtiger ist, scheint verloren zu sein. Natürlich sind nicht alle Erinnerungen so angenehm wie dieser Traum. Im Gegenteil. Manche sind äußerst unangenehm. Aber seit ich von Mysteleria weg bin, häufen sich die Fragen. Zum Beispiel: Warum hat mir der Bund den Kopf gewaschen? Warum hat mich Peg überhaupt zurückgeschickt? Warum hat der Bund das Logbuch
gelöscht? Und warum hat Peg nicht versucht, mit mir in Kontakt zu treten? Vielleicht hat sie es ja versucht. Dieses Puzzlestück fehlt mir immer noch. Solange mein Selbst keine weiteren Informationen ausgräbt, darf ich mir über Peg kein Urteil erlauben. 7039 – 15.2. Wir haben die Warpbänke erreicht und halten uns bedeckt. Stille Kraft voraus, wie man früher sagte. Die Antennen sind eingefahren, die Detektoren auf minimalen Sicherheitsabstand zurückgedreht. Geringes Tempo. In acht bis zehn Stunden dürften wir tief genug drinstecken, um ein wenig entspannen zu können. Der Staub ist hier enorm dicht, aber die Deflektoren werden alles, was kleiner ist als unser Schiff, abprallen lassen. Dem Rest wird Windy aus dem Weg gehen. Radarwellen scheinen nicht auf uns gerichtet zu sein. Vorsichtig rein, behutsam durch und vorsichtig wieder raus. Uns neun Wochen lang durch einen dichten Nebel aus Gestein und Eis hindurchwursteln zu müssen, ist keine schöne Aussicht; aber sehr viel heikler wäre es, wenn wir versuchten, mitten durch den Ring zu schleichen. Dabei unentdeckt zu bleiben, wäre äußerst unwahrscheinlich. Wer uns hier ortet, müßte, um uns gefährlich werden zu können, selber in die Untiefen vorpirschen. Unsere Chancen stehen nicht schlecht, Windy. 7039 - 19.2. Langweilig. Gefährlich, aber langweilig. Ich habe wieder im Tamos geschmökert. Auch der ist zum größten Teil ziemlich langweilig, bis auf einige wenige Passagen, die mir rhythmisch gut gefallen. Ich frage mich, was Gracie zur Zeit macht. Ah, Gracie, unsterbliche Exilantin, Brunnen der Weisheit, Schützerin meines klaren Verstandes. Warum hat sie sich nicht schon früher blicken lassen, Windy? Wir hätten uns eine Menge Kummer ersparen können. Aber dann ist sie doch aufgetaucht und hat uns aus der Falle von Mysteleria gezogen. Na ja, für den, der nichts dagegen hat, ruhig gestellt und ständig von Alpträumen heimgesucht zu werden, war alles nur halb so schlimm. Aber darüber will ich jetzt nicht mehr reden. Gracie hat mir irgendwie beibringen können, daß meine Gefangenschaft kaum von Bedeutung ist. Wenn sie mich anschaute mit den Facetten ihrer niemals alternden Augen, wurde mir ganz friedlich ums Herz. Und als ich schließlich den Nerv aufbrachte, sie zu fragen, wer siesei, antwortete sie: »Ich bin die Durah, Lismav, das Kind, die Mutter, die Tochter, die Schwester, die Unsterbliche, auf immer an diesen Ort gebunden, bis daß ich sterbe. Mein Name ist Betress Grace ber Aftalon Petriffillon, die Zweiundzwanzigste der dreiundzwanzig Unsterblichen. Nenn mich Gracie.« Du findest es bestimmt seltsam, daß ich mich an all das erinnere, nicht wahr, Windy? Aber was sie sagte, war mindestens ebenso seltsam. Vielleicht habe ich ihren Namen nicht genau buchstabiert, doch ihre Worte sind exakt wiedergeben. Die haben sich mir ganz genau eingeprägt. Eigentlich ist sie keine richtige Gottheit, das heißt, sie hat im Grunde keine wirklich übernatürlichen Kräfte. Zumindest war davon nicht die Rede. Aber immerhin ist sie unsterblich, jedenfalls nach unserem Zeitmaßstab. Ich schweife wohl wieder ab. Vielleicht deshalb, weil ich nicht zu beschreiben weiß, was sie für mich gewesen ist. Sie ist an Mysteleria gebunden, scheint aber trotzdem den Planeten
unter ihrer Kontrolle zu haben. Sie hat unendlich viel Geduld mit mir gehabt, war aber, wie mir schien, nie ganz bei der Sache, wenn wir uns unterhielten. Trotzdem fühlte ich mich in keiner Weise ignoriert, denn mir war klar, daß ihre Sorgen weitaus größer sind als meine. Ich hatte oft den Eindruck, daß sie immer mit einem Ohr in den Kosmos lauschte. Genauer kann ich's nicht erklären, Windy. Auch kann ich nicht in Worte fassen, wie sie bei Sonnenuntergang die Farbe wechselte, Nuance um Nuance, so subtil ... 7039 - 22.2. Seit zwei Tagen denke ich über Gracie nach. Vielleicht werde ich nie erklären können, was passiert ist. Es reicht zu sagen, daß sie größer ist als jeder Sterbliche, geringer als eine Gottheit, mitfühlend, zärtlich, besorgt — ein Wesen, das zu kennen ich die Gnade habe. Sie rührte mich an und hinterließ einen Eindruck von Liebe, die jenseits aller Leidenschaft liegt, aber so rein und hell ist, das der Gedanke daran mein Herz zwinkern läßt. Auweia, das klingt wie von einem liebeskranken Backfisch. Die Vorstellung eines zwinkernden Herzens ist wohl das Albernste, was man je gehört hat. 7039 - 25.2. Gestern ist einer unserer Deflektoren von einem schweren Schlag getroffen worden. Der Ersatzschild hat uns gerettet; aber die Reparatur des Hauptdeflektors dauerte länger, als mir lieb war. Daß ich zwei Stunden lang draußen und vier von innen herumhantieren mußte, spricht nicht unbedingt für meine handwerklichen Fähigkeiten. Ich bin auf mich allein gestellt. Die Meteoriten fliegen uns nur so um die Ohren. Daß hier derartig viele Trümmer herumschwirren, ist nicht einmal auf den Karten vermerkt, obwohl die in der Regel übertreiben. Habe ein bißchen geschlafen und bin gleich darauf wieder an die Arbeit gegangen. Ich frage mich, ob Raumarbeiter mehr verdienen als Diplomaten. 7039 – 26.2. Geschafft. Bis zum Ende durchgehalten und völlig erschöpft. Es ist durchaus befriedigend, so hart zu arbeiten, Werkzeuge einzusetzen und die Muskeln anzustrengen. Die Schmerzen bestätigen mir, daß ich einiges geleistet habe (und körperlich nicht ganz auf der Höhe bin). Ich muß wohl mein Trainingsprogramm verschärfen. Fit bleiben reicht nicht, ich muß stärker werden. Morgen fange ich damit an. Heute will ich mich noch ein bißchen schonen. Zu müde zum Schlafen. Voller Unruhe. Seit elf Tagen in diesem aufgewühlten Labyrinth. Schon fühle ich mich wie eingepfercht, dabei liegen noch weitere neunundvierzig bis fünfzig Tage vor mir. Jetzt schon durchzudrehen, wäre reichlich verfrüht. Damit sollte ich besser noch warten, bis es Zeit wird auszubrechen. Wenn wir uns freisprengen und in die erste Warpschleife steuern, macht das Ausflippen erst richtig Spaß. »Geduld kennt die größte Freude«, sagt der Tamos. Die frommen Sprüche haben sich mir offenbar tief eingeprägt, obwohl sie nichts weiter sind als billige Allgemeinplätze. Na schön, ich will mich in Geduld üben. »Töricht ist, wer geduldig lernt und dann voller Ungeduld das Erlernte anzuwenden
versucht.« Siehst du, was ich meine, Selbst? Natürlich. Du bist schließlich meine Lerninstanz und stellst mich gerade wieder auf die Probe, wie ich vermute. Ist wohl einer deiner Tricks, mich bei Verstand zu halten. Dagegen habe ich auch nichts; mich ärgert nur zu erkennen, wie angewiesen ich auf diese Tricks bin. Sie erinnern mich an meine Knackpunkte. Kannst ruhig weitermachen, aber nicht länger als nötig. Bitte. 7039 - 9.3. Wir sind von einem Radar eingefangen worden. Da stecken welche in den Warpbänken und tasten seit einer Stunde die Gegend ab. Windy fliegt im Schatten des dicksten Brockens, den sie finden konnte, aber der ist zu klein. Noch halten sie sich auf Abstand, haben allerdings die Tastfrequenz erhöht. Sie scheinen neugierig geworden zu sein und wollen wissen, was sich da zwischen Trümmern und Staub sonst noch bewegt. Windy sucht im Winkel von hundertachtzig Grad nach einem größeren Versteck, kann aber keins auftreiben. Blindekuh im Steingarten. Wir warten. Den nächsten Schritt müssen die anderen machen. Sie ziehen ab, in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Könnte ein Trick sein. Ruhig bleiben. Verschwunden. Seit vier Stunden kein Zeichen von unserem aufmerksamen Freund. Wir forcieren das Tempo ein wenig und halten die Augen auf. Seit einer Stunde in voller Manövriergeschwindigkeit. Der Scanner ist vor fast sechs Stunden abgetaucht. 7039 - 10.3. Er ist wieder da; es sei denn, ein anderer hat uns entdeckt, was ich aber kaum glauben kann. Wir haben uns jedoch hinter einem Asteroiden verschanzt, der dreimal so groß ist wie unser Schiff. Problematisch ist nur, daß wir uns jetzt auf den Distanzsensor verlassen müssen, den Windy ausgefahren hat. Wenn der Scanner die Gegend nur routinemäßig abtastet, haben wir das Pech gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Wenn wir uns aus dem Staub machen können und stellen dann später fest, daß sie wieder aufkreuzen, wissen wir genauer Bescheid. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Der Scanner ist von seinem Kurs nicht abgewichen und wieder in entgegengesetzter Richtung abgetaucht. Sollen wir noch länger warten? Oder fliehen? Wir suchen das Weite. Windy, leg dich ins Zeug, schieb ab, so schnell du kannst. Wenn man Spielchen mit uns treiben will, wollen wir's ihnen so interessant wie möglich machen. Für die nächsten achtundvierzig Stunden rate ich zu einem Zickzackkurs im Winkel von mindestens zwanzig Grad. Windy, leg alle halbe Stunde einen Schlenker ein, falls genügend Platz zur Verfügung steht, und wenn ein größerer Fels vor uns liegt, richte den Mikrostrahl darauf, um eine möglichst breite Reflektion zurückzustreuen. Das Evak-Programm bringen wir erst im äußersten Notfall ins Spiel; dann werden wir sehen, was die andere Seite zu bieten hat. Ich werde jetzt ein bißchen schlafen. Wenn's ernst wird, will ich ausgeruht sein. Irgendwie macht mir die Sache Spaß, Windy. Es geht nichts über eine kleine Aufregung, wenn das Leben allzu öde wird.
7039 – 13.3. Zwei Tage ohne Kontakt. Aber dann, kaum daß wir den Normalbetrieb wiederaufgenommen haben, schickt uns Fara in ihrer unendlichen Güte dieses mysteriöse Etwas über den Weg. Ein unbekanntes Flugobjekt, auf parallelem Kurs, dreimal langsamer als wir, ohne Rück-Scanner. Es hat von uns keine Notiz genommen. Wenn doch, scheint es auf Ausweichmanöver verzichten zu wollen. Windy, gib mir freie Sicht, wenn wir in Reichweite sind. Oder besser noch: Geh auf gleiche Geschwindigkeit zurück und schick eine Drohne rüber. Bevor wir näher rangehen, will ich das Schiff genauer inspiziert haben. Carpath-Frachter. Klasse acht oder neun, wie's aussieht. Lädiert. Im Flug zusammengeflickt. Es scheint, als habe ein Laser einen Teil des Hecks abgeschnitten. Carpath-Frachter sind selbst im neuen Zustand häßlich. Dieses Exemplar sieht aus wie die Mutter alles Häßlichen. Von ihren zehn Triebwerken funktionieren offenbar nur vier. Stotternder Protonenausstoß; das Ding verliert weiter an Geschwindigkeit. Näher ran, Windy! Mal sehen, ob irgendeine Kennung auszumachen ist. Ich will mich zwar nicht aufspielen, aber einen solchen Schrotthaufen durchs All fliegen zu lassen, ist ein Verbrechen gegen die Natur. Je mehr ich sehe, desto weniger gefällt mir der Anblick. Zerkratzt, angesengt, ramponiert. Das Ding müßte längst verschrottet sein. Bundeskennung! Verflucht, das ist ein Schiff von uns. Frage: Wer steckt darin? Freund oder Feind? Was glaubst du, Windy? Sollen wir einen Funkruf rüberschicken und schauen, was passiert? Oder sollten wir lieber schnellstens abhauen? Wir funken. Die Frage war natürlich nur rhetorisch, gell, Selbst? Pflicht, Ehre, Gewissen und so weiter. Schließlich könnte ich ja in dem Ding stecken. Oder Morrizon. Oder der verschollene Mikkl'ggulls. Okay, Windy, schick ihnen eine Kurzwelle auf dreifacher Bandbreite rüber mit dem üblichen Hilfsangebot. Zwanzig Minuten, und immer noch keine Antwort. Windy, die zweite Meldung: An Bundesfrachter, Koordinaten: 22181-00397, Vektor B-Farkon 184.19:11 lateral, 201.07:48 Standard. Hier ist der Diplomatenkreuzer Windhover. Wir haben Sie im Visier und stellen mittlere bis schwere Schäden an Ihrem Schiff fest. Bieten Hilfe an oder werden die nächste Bundesbasis per Komm-Relais über Ihren Zustand unterrichten. Erbitten sofortige Antwort. Dieser Sektor der Warpbänke wird von einem oder mehreren fremden Schiffen überwacht. Warnung. Funk den Spruch rüber, Windy. Wir geben ihnen zehn Minuten für eine Antwort. Richte dich darauf ein, einen weiten Bogen um das Ding zu schlagen, und zwar mit voller Geschwindigkeit. Wenn sie die Antwort verweigern oder komisch werden, will ich weg sein, bevor sie uns orten. Hol die Drohne über die Tangente zurück, wenn wir durchstarten, aber brems bloß nicht ab. Sie kann uns eine Weile folgen, und wenn's allzu kritisch wird, geben wir sie halt auf. Nur kein Risiko eingehen, um die Drohne zu retten. Das Evac-Programm steht in Bereitschaft. Warte. Sie zünden die Lagedüsen und versuchen beizudrehen. Die Hauptriebwerke sind ausgefallen. Ich glaube, gleich kommt die Antwort.
7039 – 14.3. Kriegsverletzt. Zwei schwer bzw. kritisch und drei leicht. Habe die beiden ernsten Fälle in die Verjüngungszelle gesteckt. Die anderen werden warten müssen, bis sie an der Reihe sind. Da haben wir uns eine krumme Mannschaft aufgehalst, Windy. Der Pilot, FödFraKpt. Gosek Ralugeristanosionoster-mon, scheint's nicht mehr lange zu machen. Daß er überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Der Cinq-PAC Beobachter hat eine Menge Federn lassen müssen und so viel Kreislaufflüssigkeit verloren, daß er noch eine Weile am Tropf hängen wird. Unsere drei Beithurun-Soldaten, FödKommandant Teever Loze und seine zwei Korporale, dürften sich bald erholt haben. Teever Loze will mir ihre Geschichte erzählen, sobald sie sich ausgeruht haben. In der Zwischenzeit werde ich noch mal auf den Schrotthaufen rübersteigen und den Selbstzerstörer aktivieren. Paß auf unsere Patienten auf und gib acht, daß uns keine unangemeldeten Besucher überraschen. Ruf mich, wenn was passiert. 7039 - 15.3. Um Kpt. Gosek steht's immer noch schlecht. Sehr schlecht. Zu viele Organe streiken gleichzeitig. Die Verjüngungszelle sorgt für ein Gleichgewicht von Flüssigkeit, Stimulanz, Ernährung, Medikamentierung und Temperierung. Der Fehlermelder piept mit der Monotonie eines Metronoms. Wir haben uns daran gewöhnt; was wir hören, sind seine Herztöne. Unser zweites Sorgenkind, Alvin, Baris-lon-Jelvo, hat ein umwerfendes Gemüt. Wir werden ihn wohl bald aus der Zelle entlassen können. Er beklagt sich ständig, will besseres Essen, Bewegung, neue Federn und Cusith-Symphonien hören. Die Federn werden wahrscheinlich nachwachsen, aber eins seiner Räder bleibt wohl auf Dauer unbrauchbar. Teever Loze sagte, daß Alvin sein Rad verletzte, als sie auf die Fähre zugejagt waren. Alvin hatte Kpt. Gosek wie einen Säugling in den Schwingen gehalten, während Krp. Zeewilt auf der Rückentrage ritt und für Deckung sorgte. Das Terrain war zu holprig für schnelles Rollen, und als Alvin in ein Schlagloch geriet, schleuderte es ihn und den Kapitän vier Meter hoch durch die Luft. Weil er den Kapitän hielt, konnte er die Flügel nicht öffnen, um den Sturz abzufangen, und so stürzte er mit der Last der beiden Kameraden auf das linke Rad. Teever Loze und Kpl. Moot mußten sie, einer nach dem anderen, dreißig Meter weit zur Shuttle tragen. Zeewilt und Kpt. Gosek waren besinnungslos, und Alvin litt derart unter Schmerzen, daß er mit ohrenbetäubendem Lärm aus seiner Pfeife schrillte. Diesen Effekt hatten Alvins Schmerzenspfiffe zum Glück auch auf die Verfolger, die ihre Waffen fallen ließen und entsetzt die Hände vor die Ohren schlugen. Den Flüchtigen blieb jetzt genug Zeit, die Fähre zu erreichen und abzuheben. Als sie wieder an Bord des Frachters waren, wurde Kpt. Gosek mit Wachmachern zum Leben erweckt, mit Anästhetika besprüht und soweit aufgepäppelt, daß er das Schiff steuern konnte. Teever Loze und Krp. Moot versorgten alle Wunden, so gut es ging, und halfen dann Alvin, die gebrochenen Speichenknochen zu richten. Das Pleuhockle-Rad steht am Ende der für die Physiologie wohl interessantesten evolutionären Spezialentwicklung und ist entsprechend kompliziert aufgebaut. Sieben gebrochene Speichenknochen und die jeweiligen Felgengelenke zu richten — wobei nur der Tastsinn und Alvins Gespür verläßliche Hilfe boten —, erforderte äußerste Präzision. Glücklicherweise waren die Nabengelenke nur geprellt. Die Speichen wachsen schon wieder zusammen. In Zukunft wird Alvin wieder rollen können, wenn auch nicht mit jener Eleganz,
die Pleuhockles im allgemeinen auszeichnet. Aber er ist immerhin dankbar, überlebt zu haben. Windy führt uns auf der ersten Stufe des Evak-Programms. Goseks Frachter ist von einem Zerstörer der Wring-Connection angeschossen und bis in die Warpbänke verfolgt worden. Ich habe den Selbstzerstörer so eingestellt, daß das Schiff am Rand der Bänke explodiert. Derweil sendet der Notruf verzweifelte Schreie aus. Wenn sie das Wrack orten, werden sie die Suche vielleicht einstellen. Vielleicht aber auch nicht. Wir sind gut beraten, so lange wie möglich in den Untiefen zu verharren, und dann über die kurze Distanz zur Bundesbasis 2112 durchzuwarpen. Solange wir in den Untiefen stecken, wäre ein Funkruf zu riskant. Wir können nur zu Fara beten (oder zur entsprechenden Gottheit der Carpather, Pleuhockles und Beithurunesen), daß diese Bundesbasis besetzt ist. FödKommandant Teever Loze hat auf Faarkon-Bet eine der Rückzugstruppen angeführt. Alvin war als neutraler Beobachter mit von der Partie. °Die WringConnection startete ihr Bombardement, als Loze gerade dabei war, die Einheiten an Bord des letzten TruppenShuttles zu bringen. Kpt. Gosek erlitt einen Beinbruch und wurde von einem Richtstrahl angesengt, als der Angriff losging. Kpl. Zeewilt stolperte über Gosek beim Versuch, die Rampe zu erreichen. Es mag verrückt erscheinen, aber die Wring-Connection legt sich offenbar sowohl mit der Allianz als auch mit der Föderation an. Teever Loze vermutet, daß sich der Bund von allen Basen zurückzieht, bis die Lage überschaubar geworden und Verstärkung angekommen ist. Keine heiteren Aussichten. 7039 - 17.3. Kpt. Gosek hängt am Leben so zäh wie eine Schlange an ihrem Opfer. Sein Zustand ist immer noch kritisch, aber stabil. Morgen werden wir uns aus den Untiefen herausschleichen. Alvin will unbedingt eine Nachricht ins Pleuhockle-System senden, um seinen Leuten die Situation zu schildern. Wir könnten Basis 2112 per Kurzwelle erreichen, müßten aber die Langwelle einsetzen, um eine Relaisstation für Pleuhockle anzupeilen. Daß irgendein Planet im Warp-Ring unser Echo empfängt, erscheint mir zu riskant. Besser wäre es, bis zur Basis vorzudringen und dort den Funkspruch vornehmen zu lassen. Ich kann gut verstehen, daß sich Alvin nützlich machen will, und werde ihn deshalb so taktvoll wie möglich von seinem Vorhaben abbringen. Er ist ein seltsamer Vogel, aber sehr liebenswert. Sie sind alle sehr nett. Teever Loze und seine Männer (und auch Alvin, wenn er sich nicht gerade ausruht) unterhalten mich mit amüsanten Gesprächen. Sie sind allesamt erstaunlich belesen (hast du in deiner Hochnäsigkeit von Soldaten etwas anderes erwartet, Gerard?) und kennen jede Menge Geschichten und Anekdoten, die für Kurzweil sorgen. Die drei Beithurunesen sind wandelnde Anthologien für Gedichte, Fabeln, Volks- und Kriegslieder. Hauptsächlich Kriegslieder. Ich mußte ihnen schließlich klarmachen, daß ich keine weiteren Kriegslieder mehr hören kann. Sie nehmen Rücksicht auf mich, ohne beleidigt zu sein. Um mich als artverwandte Seele zu produzieren, habe ich ihnen von meiner Entdeckung der Eleven-Legende erzählt und die zwei Fundstücke vorgelesen. Sie waren begeistert und berichteten zu meiner Überraschung, daß sie die bescheidene Sammlung ergänzen könnten. Teever Loze und Moot hatten je ein Gedicht beizusteuern, Zeewilt kannte zwei weitere. Wir tippten sie auf beithurunisch in den Barden ein, der vier Variationen über das Gedicht >Das Begehren des Eleven< ausspuckte.
Anschließend legten sie sich schlafen. Ich setzte mich an den Barden und arbeitete mit Hilfe unserer funktionellen Formel eine fünfte Variation aus, die ein Amalgam der vier anderen ist. Meine Bordgäste fanden die Standardübersetzungen ein wenig zu holprig. Ich bin gespannt, wie die neue Version bei ihnen ankommt. Ich werde sie ihnen morgen als eine Art Geschenk vorlegen, bevor wir die Untiefen verlassen und in die Gefahrenzone eintreten. Jetzt will ich mal nach Kpt. Gosek und Alvin sehen und dann selber zu Bett gehen. Der morgige Tag könnte ziemlich lang werden. 7039 - 18.3. Meine Arbeit findet Beifall. Sie haben ein paar Verbesserungsvorschläge gemacht und mich damit verblüfft, daß sie alle fünf Standardversionen im Chor aufsagten. Meine kam zum Schluß. Gibt es Schmeichelhafteres? Das Begehren des Eleven »Segne mich mit Bildnissen, zu prächtig, um sie an die Wand oder in den Kopf zu nageln, zu prächtig, um sie in den Rahmen oder auf die Zunge zu zwingen, zu prächtig, um sie einzufangen oder zu berühren«, rief der Eleve. »Ich brauche Raum, von Kumulus-Augen zerlegt, geformt von milden Jahreszeiten, brauche Visionen jenseits von Anblick und Traum.« Der Eleve schöpfte Luft. »Ich brauche einen Grund im Nichts, damit ich ihn berühren kann, den kalten leeren Raum, und weiß, wes Königreich gekommen ist.« Seufzend legte der Eleve den Kopf auf die Brust, ans Ohr sein Herz, und flüsterte den Rippen: »Segne mich mit Bildnissen.« Selbst Alvin gefällt das Gedicht, obwohl er nicht versteht, warum wir so viel Aufhebens darum machen. Ich habe ihm zu erklären versucht, daß dies das dritte Beispiel zur ElevenLegende ist und daß der alte loosanische Philosoph Jake Jasper einmal gesagt hat: »Drei Quarks bilden eine Reihe.« Leider löste ich mit diesem Zitat eine esoterische Diskussion über Quarks, alte Physik und die ihr innewohnende Komik aus. Ich glaube kaum, daß Alvin verstanden hat, worum es mir geht. Oder aber er ignoriert meinen Standpunkt einfach. In
seiner höflichen Art verzichtet er auf Diskussionen über Fragen, die für ihn längst gelöst sind. Wie dem auch sei, aller guten Dinge sind drei, und unsere drei Eleven-Gedichte sind gut. Sobald sich mir eine Gelegenheit bietet, werde ich eine Kopie davon nach Moseen schicken. Ohne Erklärungen oder Anmerkungen — bloß die Verse vom >Begehren des Eleven<. Die Anmerkungen folgen. ShRil und der Professor werden wissen, warum. Es wird Zeit, den Durchbruch zu wagen. Wir sollten alle Systeme noch mal durchchecken, Windy. Bundesbasis 2112 ist besetzt und drängt uns, voranzumachen. Man hat uns empfohlen, den Notwarp bis zu 10 000 km durchzuführen. Auf so kurze Distanz auszubrechen und in den Bremsorbit einzutauchen, ist ziemlich heikel und gefährlich. Und da scheint's ebenfalls rauh zuzugehen, denn sonst würde man uns nicht soviel riskieren lassen. Teever Loze und die Mannschaft sorgen sich um Kpt. Gosek und Alvin. Sobald alle festgeschnallt sind, geht's los. 7039 - 19.3.
Bremsorbit. Asrai, Bundesbasis 2112
Gut gemacht, Windy. Ich weiß nicht, ob sich das, was wir soeben veranstaltet haben, reibungsloser abwickeln läßt, aber du hast die Sache glatter über die Bühne gebracht, als ich für möglich gehalten habe. Noch drei Umkreisungen, dann treffen wir mit der Krankenfähre zusammen. Kpt. Gosek wird umsteigen; Alvin dagegen will unbedingt mit uns landen. Die Kontrollstation der Basis hat Alvins Meldung weitergegeben und ihm zugebilligt, mit uns runterzukommen. Als er die Meldung hörte, grinste er mir auf seine federflaumige Art zu und wackelte zurück in die Verjüngungszelle. Zum ersten Mal brauchte er nicht ausdrücklich dazu aufgefordert zu werden. Moot und Zeewilt bereiten Kpt. Gosek auf den Transport vor. Der arme Teever Loze liegt in der Koje und quält sich mit den letzten Auswirkungen der Warpkrankheit herum. Er ist ein guter Offizier und hat, als das Manöver abgeschlossen war, sofort zu helfen versucht. Aber wer anfällig ist, den erwischt die Warpkrankheit besonders übel. Die Basis will, daß wir so schnell wie möglich landen. Mich würde es nicht wundern, wenn man uns anschließend gleich zu einer längeren Berichterstattung abkommandiert. Keine Mahlzeit, kein »Wie schön, daß ihr es geschafft habt«, kein Schlaf. Nur: »Setzt euch und erzählt, was ihr wißt.« Oder was ihr glaubt zu wissen. Falls dir's noch nicht klar ist, Gerard, mein Junge, sei dir gesagt, daß hier Krieg herrscht, und wahrscheinlich nicht nur einer. In solchen Zeiten ist nicht mit Annehmlichkeiten zu rechnen. Kapiert? Na bitte. Und jetzt entspann dich und tu, was dir die netten Kollegen von der Basis auftragen. Für einen mickrigen Diplomaten stellst du manchmal reichlich hohe Ansprüche. Das macht wohl die Gewohnheit. Immer umhätschelt zu werden. Vorsicht! Abgefüttert und ausgeruht hat man dich schnell um den Finger gewickelt. Es gibt zwar noch andere Methoden, aber diese taugt in manchen Fällen schon ganz gut. Ich schwätze wieder drauflos, Selbst. Aber so läßt sich die Spannung lösen. Das schlaucht nämlich: zehn Tage auf der Hut zu sein vor Bösewichtern, die hinter jedem Felsenbrocken lauern könnten. Die Zustände in Galaxy VI wirken sich hier zwar auch noch aus, aber darüber möchte ich jetzt nicht nachdenken. Wahrscheinlich stehen außerdem noch ein paar Probleme an in bezug auf Fairy Peg und Ribble. Früher oder später werden wir uns — so sagte Gracie — mächtig ins Zeug legen müssen, um mit all den Schwierigkeiten ins reine zu kommen. Der Schädel brummt mir schon davon.
Umstieg durchgeführt. Kpt. Gosek ist jetzt in Behandlung. Der Arzt, der an Bord gestiegen ist, um die Verlegung zu überwachen, zeigte sich überrascht von der Leistung unserer kleinen Verjüngungszelle. Habe ich jemals behauptet, daß die Zellen überflüssig sind? Noch fünf Umrundungen im Bremsorbit. Zirka sieben Stunden. Schade, daß du nicht einfach wie die Krankenfähre durch die Atmosphäre stoßen kannst, Windy. Aber andererseits kann eine Krankenfähre auch nicht wie du durchs All peitschen. Wie sagt man so schön? Jedes Schiff hat seinen Kniff. Teever Loze ist aufgestanden und ganz ungeduldig. Er hat Moot und Zeewilt nach unten ins Lager geschickt, damit sie ihre Ausrüstung überprüfen. Als ich ihm vorschlug, er möge doch mithelfen, winkte er ab mit der Bemerkung, den beiden wohl nur im Weg zustehen. Aber ich glaube, daß er ihnen doch noch helfen wird. Er braucht Beschäftigung. Das Schiff, in dem der Rest seiner Truppe steckt, konnte nicht durchwarpen und wird wohl erst in einer Woche aufkreuzen. Bis dahin hat er sich bestimmt soweit erholt, daß er das Kommando wieder übernehmen kann. 7039 - 24. 3 Drei Tage lang Bericht erstatten müssen. Zwischendurch gab's ein paar Tests auf Herz, Nieren und Gesinnung. Letztere waren nicht besonders gründlich. Danach mußte ich mich bis heute morgen in eine der hiesigen, aufwendigen Verjüngungssysteme verfügen. Ich fühle mich runderneuert und kerngesund. Gleich nach meiner Entlassung bin ich losgegangen, um nach Alvin zu sehen. Aus Rücksicht auf seine neutrale Stellung ist seine Befragung weniger intensiv ausgefallen. Aber offenbar hat er von sich aus jede Menge Informationen preisgegeben, denn er sagte, die Beamten mit >einem Kropf voller Körner< zurückgelassen zu haben. Auch mir hat er einen solchen Kropf verpaßt. Er war ganz scharf darauf, sich mit mir unterhalten zu können, oder genauer: in mir einen Zuhörer zu finden, und hat mir von seinem Wohnort erzählt (den er bescheidenerweise >Alvins Bleibe< nennt), von seiner Meinung über die Regierung im allgemeinen und der Föderation im besonderen, von seiner Liebe zur Musik, Kunst und Literatur und davon, wie sehr er den im wahrsten Sinne des Wortes >verflogenen< Tagen seiner Jugend nachtrauert (Pleuhockles verlieren nämlich mit der Reife die Fähigkeit zu fliegen, weil vor allem die Räder zu schwer werden), aber als Erwachsener gelernt hat, auch am Gleitrollen Freude zu finden und so weiter und so fort. Ich versicherte ihm schließlich, die Unterhaltung mit ihm morgen fortsetzen zu wollen, und ging los, um nach den anderen zu sehen. Kpt. Gosek hat sich ein wenig erholt, aber der Arzt meint, daß einige Nervenbahnen aufgrund der Verbrennungen unheilbar zerstört seien und Gosek von Glück reden könne, wenn er wieder auf die Beine käme; zum Piloten würde er wohl nicht mehr taugen. Ich sagte dem Arzt, daß er den alten Mann nicht aufgeben solle und schilderte ihm kurz und bündig, wie Gosek den Frachter schwerverletzt und über Stunden hinweg gesteuert hat. Der Arzt schüttelte bloß den Kopf und verzog sich. Teever Moze, Moot und Zeewilt sind ins Lazarett verlegt worden. Ich werde sie erst morgen nach dem Besuch bei Alvin sehen können. Wahrscheinlich werden die drei immer noch ausgehorcht. Ich sollte die Zeit vielleicht nutzen und dich ein wenig aufräumen, Windy. Unsere Gäste waren zwar, wenn man die Umstände bedenkt, recht ordentlich, aber trotzdem ist eine Menge Dreck angefallen. Nachricht von Alvin:
Ein Pleuhockle-Schiff ist angekommen und fliegt mich nach Hause. Morgen früh werde ich weg sein. Wenn du mal in unser System kommst, schau bei mir vorbei. Du braucht dich nur nach Alvins Bleibe zu erkundigen. Was ich dir schulde, läßt sich kaum begleichen. Zum Dank möchte ich hiermit deine Sammlung bereichern: Drei Quarks bilden eine Reihe Auf der Suche nach Gott, der Vision, dem brennenden Busch und Felsen, jenseits vom Plasma der Bewegung, der Komplexität des Handelns, eifert das Herz der Glaubensangst nach, mystikt Verlangen den Wunsch zu bekennen. Drei Quarks bilden eine Reihe. Auf der Suche nach Freunden, Zuneigung, Anerkennung und Sinn, jenseits von Gestalt und Gesten des Gewebes aus Wörtern, hält sich Abhängigkeit an das Bedürfnis, kurzsichtigt Erfüllung die Makel der Bindung. Drei Quarks bilden eine Reihe. Auf der Suche nach der großen Liebe, dem Seelengefährten, der Vollendung von Herz und Verstand, Jenseits von osmotischem Eros, der geistigen Einheit, befruchtet Imagination das kosmische Zentrum, quantet die Kraft die ungesehene Leere. Drei Quarks bilden eine Reihe. Das habe ich für dich geschrieben. Bitte besuche mich, wenn es dir möglich ist. Mit den besten Wünschen, Alvin Baris-lon-Jelvo Ich fürchte, Alvins Verse noch nicht so recht verstanden zu haben, bin aber von seinem Geschenk tief gerührt. Wie gerne hätte ich ihn näher kennengelernt. Vielleicht werde ich das eines Tages nachholen können. Wie gehabt: Es scheint das Los von Vertragsdiplomaten zu sein, kurze, intensive Beziehungen zu knüpfen, um dann wieder weiterzuziehen. Liegt das an der Natur des Berufs oder womöglich an dir, Gerard Manley? Ich erinnere mich an Lelouchs berühmten Einakter >Flüchtige Begegnung<, in dem der Protagonist Chachelle, sobald er Zuneigung zu einer Person gefunden hat, gezwungen wird, Abschied zu nehmen. Bin ich ein zweiter Chachelle,
den unsichtbare Fäden führen? Nein, ich glaube nicht. Wenn die Zeit kommt, werde ich Chachelles Maske ablegen und meinen eigenen Kurs verfolgen, und mag sich mir noch so viel in den Weg stellen. Wenn die Zeit kommt, werde ich C'Rina wiedersehen und ShRil und Morrizon und Alvin und all die anderen, die mir unterwegs lieb und teuer geworden sind. 7039 - 26.3. Wahrhaftig, wie klein das Universum doch ist. Während ich ausgehorcht, getestet und ärztlich behandelt worden bin, verließ gerade ein Kommandoschiff den Orbit des hiesigen Planeten; an Bord: die königliche Hohheit Peg On'Ell, Hüterin der Ribble-Galaxis, Badh der Sieben Systeme, Patronin des Glaubens, Prinzessin von Kril und Herrin der Gabriel-Ratschen. Fairy Peg. Laut Auskunft des FödMarschalls ist sie auf dem Weg nach Hause und hat hier Zwischenstation gemacht, nachdem der Versuch fehlgeschlagen war, einen Nichtangriffspakt mit der Warp-Ring-Allianz (und wahrscheinlich auch mit der Wring-Connection) zu schließen. Einer ihrer Ratgeber wurde schwer krank, und weil die Mediziner an Bord nichts für ihn tun konnten, baten sie um Erlaubnis, ihn hier auf der Basis behandeln zu dürfen. Fairy Peg begleitete den Ratgeber mit ihrer Eskorte ins Lazarett (wobei sie die hiesige Anlage zweifellos genaustens in Augenschein genommen hat). Zwei Tage lang pfuschte sie den Ärzten ins Handwerk und ging dem FödMarschall mächtig auf die Nerven. Der Ratgeber starb an seinen schweren inneren Blutungen, deren Ursache ungewiß ist. Drei Stunden später war sie mit der vereisten Leiche wieder auf ihrem Schiff, um gleich darauf den Orbit zu verlassen. Da habe ich, ohne es zu wissen, fast zwei Tage in demselben Gebäude gewohnt wie Fairy Peg. Ob ihr bekannt war, daß ich mich hier aufhalte? Ob sie die Windhover gesehen hat, als sie in ihrem Shuttle zurück zum Schiff flog? Aber wie hätte sie dich, meine liebe Windy, wiedererkennen können? Bis auf deinen Namen am Bug unterscheidet dich doch, oberflächlich betrachtet, nichts von allen anderen Diplomatenkreuzern deiner Klasse. Von innen gesehen bist du natürlich anders, viel schöner, aber rein äußerlich ... Natürlich wußte sie nicht, daß ich hier bin. Meine törichten Fragen sind völlig unbegründet und entspringen bloß meiner grenzenlosen Verwirrung. Da sind wir uns so nahe gewesen! Haben aus Unkenntnis eine solche Gelegenheit verpaßt. Verrückt. Aber was hätte ich tun sollen, Selbst? In jedem Hafen nachfragen, ob eine Prinzessin namens Fairy Peg aufgekreuzt ist? Und außerdem, warum wünschen wir eigentlich so sehr, sie wiederzusehen? Hat sie nicht veranlaßt, daß mir das Gehirn gewaschen wird, damit ich die intimen Geheimnisse vergesse, die sie mir in den kalten Nächten auf Kril anvertraut hat? Tja, hat sie das nun wirklich veranlaßt oder nicht? Wer weiß? Vielleicht werden wir die letzten Blocker der Gehirnwäsche nie überwinden. Deshalb, Selbst, müssen wir Fairy Peg irgendwann einmal wiedersehen. Wir müssen sie fragen, warum sie mich zurückgeschickt hat. Die Gabriel-Ratschen haben ihr bestimmt keinen Grund geliefert. Die sind ihr völlig ergeben. Dem Kronrat fehlte die Macht dazu. Warum also? Das müssen wir herausfinden. Warum hat die Prinzessin von Kril ihren Geliebten, ihren Ehemann und Prinzgemahl den ärgsten Feinden Ribbles ausgeliefert? Hör auf mit dem Grübeln, Gerard. Vorläufig jedenfalls. Teever Loze, Moot und Zeewilt sind geheilt und helfen bei den Arbeiten, die hier anfallen. Die Bundesbasis 2112 wird in einen einfachen Außenposten umgewandelt. Teever Loze
möchte gerne hierbleiben als Garnisonskommandant. Er hat zwar nicht konkret davon gesprochen, läßt aber deutlich durchblicken, daß er sich an der Wring-Connection rächen will. Wenn der FödMarschall dahinterkommt, hat Teever Loze keine Chance zu bleiben. Der Bund verurteilt das Motiv persönlicher Rache und würde ihn und seine Truppen bis an den Rand des Universums schicken, um ihn daran zu hindern. Hoffentlich wird so entschieden. Teever Loze ist ein guter und anständiger Mann, und je öfter ich mit ihm zusammen bin, desto sympathischer wird er mir. Ich fände es allzu traurig, wenn er aus idiotischen Rachegelüsten seine Karriere aufs Spiel setzen würde. Morgen wird der Rest seiner Truppen eintreffen. Vielleicht kommt er zur Einsicht, wenn er das Kommando wieder übernehmen kann. Wir wissen jetzt, wie bedrohlich der Warp-Ring Krieg ist. Am 5. 4. müssen wir mit dem zweiten Konvoi ausfliegen. Der erste bricht morgen auf. Konvois gehören zur Kriegstaktik. Wir dürfen erst nach mindestens zwei Teilsektoren jenseits der Warpbänke den Konvoi verlassen und unsere Reise nach DAZM-17 wiederaufnehmen. 7039 - 30.3. Asrai ist ein herrlicher Planet. Ich gehe seit drei Tagen regelmäßig spazieren. Heute nachmittag bin ich mit Teever Loze über die Hügel rund um die Basis gezogen. Wir bewunderten die blaugrünen Gräser und die seltsamen stangenförmigen Bäume, die sich schon bei der Ahnung eines Windhauchs biegen und ständig in Bewegung zu sein scheinen. Wir setzten uns ans Ufer eines zähflüssigen Baches, der von jenen roten Algen verstopft wird, die die Einheimischen zu medizinischen Zwecken fermentieren. Und da setzten wir unser Gespräch fort, das nie zu Ende zu führen wäre, und hätten wir noch soviel Zeit dazu. Teever Loze vertritt den Standpunkt, daß Musik, bildende Kunst und Literatur nur dann wirklich gut gelingen, wenn sie quasi als Freizeitvergnügen gepflegt werden. Kreative Leute sollten seiner Meinung nach nicht materiell für ihre Werke entlohnt werden. Ich dagegen behaupte, daß die größten künstlerischen Werke in solchen Kulturen und Gesellschaften geschaffen werden, die für Bedingungen sorgen, in denen junge Künstler ihr Talent ungehindert zur Entfaltung bringen und die geschaffenen Werke auf dem entsprechenden Markt gewinnbringend absetzen können. Wir haben schnell eingesehen, daß unsere Ansichten nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, aber es stimuliert und macht Spaß, über solche Themen zu streiten. Als ich darauf hinwies, daß unsere Diskussion selber eine Form von Kunst sei, fragte er, wer denn dafür bezahlen wolle. Ich fühle mich in seiner Gesellschaft wohl, so, als würde ich ihn schon jahrelang kennen. Sein Esprit, seine Liebe zum Leben, seine Schlagfertigkeit und strenge Logik sind auf beglückende Weise ansteckend. Er hat mich für morgen eingeladen, den PatroonSpielen beizuwohnen, die zwischen den Regimentern ausgetragen werden. Patroon ist, wie er mir erklärte, ein strategischer und taktischer Wettkampf, der auf Beithurun sehr beliebt ist und auf einem dreieckigen Feld gespielt wird. Drei Mannschaften zu je fünfunddreißig Spielern versuchen, einen kleinen Ball in die Ekken der jeweiligen Gegner zu treten. Was er mir alles über Regeln, Spielzüge und Spielerfunktionen erzählt hat, war mehr, als ich behalten konnte. Gekämpft wird um den Regimentspreis, der Sonderprivilegien für einen Monat und die Siegerehre umfaßt. Zuzuschauen wird bestimmt Spaß machen und eine willkommene Abwechslung sein.
7039 - 1.4. O Fara. Wo versteckst du dich an Tagen wie heute? Teever Loze und zwanzig seiner Männer — tot. Ebenso viele sind verwundet. Angriff der Guerilla. Wring-Connection. Diese Schweine. Haben uns mit Raketen beschossen. Explosionen. Sperrfeuer. Tod auf dem Spielfeld. Und Teever Loze mitten im Kugelhagel. Fara. O Fara. Wo warst du? 7039 - 2.4. Der ganze Planet ist unter Beschuß. Guerillaverbände sind gelandet. Im Orbit werden unsere Schiffe attakkiert. Die Verteidigung ist ohne Führung, und die Asrainer kämpfen sowohl für uns wie auch für den Gegner. Was für ein Wahnsinn! 7039 - 3.4. Wir haben keine Chance wegzukommen, Windy. Ich hab's versucht, aber man läßt uns nicht. Wir sitzen in der Klemme, stecken mitten im Krieg. 7039 - 5.4. Windy und ich sind eingezogen worden, für sub-orbitale Kurierdienste, Ambulanz, Transport und Diplomatie. Ich stehe jetzt im Rang eines Kommandanten. Paßt mir gar nicht, hab's aber nicht aussuchen können. Ach, wenn doch Gracie käme, um uns zu retten. 7039 - 7.4. Es ist zum Verrücktwerden, aber immerhin kommt jetzt ein bißchen Ordnung in unsere Reihen. Die Bundestruppen sind nicht das Problem, allerdings scheint die hiesige Miliz auf unserer Seite noch nicht begriffen zu haben, was Ordnung und Disziplin bedeuten. Woher sollte sie das auch wissen? Sie waren kaum angekommen und wurden schon bewaffnet, einen Tag lang ausgebildet und gleich ins Feuer geschickt. Ich fürchte, wir kommen bald alle in den Krick. 7039 – 8.4. Bin unterwegs nach Eleia Fork City, um zwei verwundete Soldaten und den Ersten Bürger der Stadt an Bord zu nehmen. Mit uns fliegen sechs frisch bestallte Leutnants, die gestern noch Unteroffiziere waren und einen gemeingefährlichen Eindruck auf mich machen. Ein Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Alles scheint sich in Zeitlupe zu bewegen, obwohl allgemeine Hektik herrscht. Leichen werden weggeschafft, Verwundete ins Lazarett transportiert, Truppen verladen. Was langsam ist, läßt sich nicht antreiben, nicht bremsen, was
schnell ist. Ich finde keinen Rhythmus. 7039 - 12.4. Bin ins Sperrfeuer geraten, als ich in Eleia Fork City fünf verwundete Soldaten und den Ersten Bürger an Bord nahm, der völlig von der Rolle ist. Er war nur mit Tabletten zur Ruhe zu bringen. Ich kann ihm nachfühlen. Seine Stadt ist ein Schlachtfeld und scheint im Stich gelassen zu werden. Es stehen einfach nicht genügend Truppen zur Verfügung. Die Allianz weigert sich, Soldaten aus ihren Städten und Garnisonen abzuziehen, denn die werden selber belagert und warten auf Verstärkung. Aber woher? Im All ist kein entscheidender Durchbruch zu erwarten. Die Fronten sind gleich stark. Die Kreuzer und Zerstörer am Boden, die hätten helfen können, sind während der ersten Attacke von Saboteuren außer Betrieb gesetzt worden. Diejenigen Schiffe, die sich noch flottmachen lassen, bleiben wirkungslos. Das kriegerische Denken hat sich auf mich abgefärbt. So wird man Soldat. »Wir bekämpfen den Feind im All. Wir bekämpfen ihn in den Asteroidengürteln. Wir bekämpfen ihn auf den Planeten. Wir kämpfen bis zum letzten Mann. Und selbst nach dem Tod kämpfen unsere Seelen weiter in den Hallen der Ewigkeit.« Das mußten wir in der Schule auswendig lernen. 7039 - 18.4. Man hat dich bewaffnet, Windy. Schrecklich, aber irgendwie müssen wir ja für unsere Verteidigung sorgen. Wer sollte das sonst tun? Als wir von einem Ort zum anderen rasten, um zerschossene Soldaten aufzusammeln, waren wir und unsere Passagiere völlig schutzlos. Und noch unbeschwert. 7039 - 23.4. Noch mehr Tote. Mehr Verwundete. Weitere Umbauten an Windy. Wir können jetzt oben acht und im Frachtraum zehn Personen mitnehmen. Ich komme mir vor wie der Pilot der Klonos, der die ihm anvertrauten Seelen über den Abgrund des Todes in die Nachwelt schleust. 7039 - 25.4. Heute hat einer unserer Zerstörer einen feindlichen Angriffskreuzer abgefangen, der von NariSöldnern im Dienst der Wring-Connection gesteuert wurde. Aber was bringt das schon?
7039 - 27.4. Ich glaube, ich fange an zu halluzinieren. Ich sehe waffenstarrende Schatten in den Bäumen. Soldaten rennen übers offene Feld und verschwinden, wenn ich das Fernglas hebe, um besser sehen zu können. Und Teever Loze stirbt in meinen Träumen jede Nacht aufs neue. 7039 - 3.5. Heute sind wir viel zu spät dran. Das kommt öfters vor, aber meist hat die Verspätung einen anderen Grund. Wir haben einen Verband der Wring-Connection auf den Hügeln entdeckt und ihn mit Laserstrahlen bombardiert. Ich habe immer noch draufgehalten, als alle Soldaten längst tot waren. Konnte den Abzug nicht mehr loslassen. Konnte nicht aufhören zu schießen. Was ist nur los mit mir, Windy? 7039 - 6.5. Kein Eintrag. Kein Eintrag. Kein Eintrag. Nichts. Keine Wörter. Nur Blut. 7039 - 11.5. Seit zwei Tagen sitze ich untätig rum. Der Krieg scheint zu schlafen. Krick, worauf warten wir eigentlich? Knöpft sich denn keiner die Schweine vor, die Teever Loze umgebracht haben? 7039 - 20.5. Was soll ich noch sagen? Das Blutbad geht weiter. Auf beiden Seiten werden die Reihen neu aufgefüllt. Aber wer soll mir Teever Loze ersetzen? Wer ersetzt Leutnant Zeewilt, der auf dem Weg ins Lazarett in Windys Bauch sein Leben aushauchte? Und wer, wer will Fara ersetzen? Gibt es noch eine Gottheit, an die ich glauben kann? Wird sie den Krieg beenden? Schick sie herab, Fara, ich flehe dich an! 7039 – 29.5. Die Särge stapeln sich in der Leichenhalle, tiefgefroren und fertig zum Abtransport. Gedanken am Rand eines Sarges: Leichen in Frischhaltefolien wie Butterbote, nach Hause gebracht in Aluminiumdosen, s o viele fleischige Happen, eingetütet für die Reise,
zum Verzehr für geschmacklose Mäuler, Henkelmänner fürs galaktische Picknick des Stolzes. 7039 - 4.6. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Windy fliegt ihre Einsätze, und unterwegs zum Lazarett ärgern wir den Feind mit unserem Laser. In jeder dritten Nacht führe ich eine Patrouille und durchkämme die Hügel, wo wir Asrainer jagen, die für die Wring-Connection kämpfen. Wenn nichts zu tun ist, helfe ich im Lazarett aus. Ich habe gemordet. Und Gefallen daran gefunden. Heute nacht wird wieder gejagt. In drei Stunden brechen wir auf. Ich fühle, wie die Spannung in mir wächst. Ich bin bereit. Ich bin gut. Aber wer bin ich? 7039 - 6.6. Was soll's? Die Blumen blühen. Die meisten davon sind rot, rosa- oder orangefarben. Die Bäche strömen rot zu Tal. Alles ist rot. Auch wenn ich aufwache, sehe ich Teever Loze vor mir. Er ist rot. Wie die Blumen, das Blut und das Wasser. Rot. Alles ist rot. 7039 - 7.6. Habe letzte Nacht mit Teever Loze gesprochen. Er sagte, ich solle fliehen. Aber wohin? Er hat nicht gesagt, wohin, Windy. Wohin können wir fliehen? Gracie! Ich hab's! Wir fliegen zurück zu Gracie. Bei ihr war ich sicher. Sicher, Windy. 7039 - 9.6. Sie kommen, Windy! Sie kommen! 7039 - 11.6. Bundesflotte acht-drei. Sie ist da und treibt den Feind davon. Tausende von Soldaten landen. Wir können gehen. Freier Transport für uns. Im Bauch eines Riesenfrachters. Endlich ziehen wir ab. Ich sollte froh sein, bin es aber nicht. Wer hätte denn noch Verwendung für mich, einen Diplomaten, der gemordet hat? Wir können nicht weg, Windy. Wenn wir gingen, nähmen sie dir die Laserkanone ab. Wir wären wieder nackt. Schutzlos.
7039 – 12.6. Uns bleibt keine Wahl, Windy. Wir müssen weg. Sofort. Befehl von oben. 7039 - 13.6.
Bundesschiff Glazione
Ich schließ' dich ab, Windy. Hier bist du in Sicherheit. Wir sind auf einem gutem Schiff. Ein riesiger Frachter. Jede Menge Platz. Ich habe den Memocorder im Gepäck. Du bekommst neue Schilder und wirst aufpoliert. Unser nächstes Ziel ist Pleasance. Da werden wir uns ausgiebig erholen. Aber zuerst muß ich hoch aufs Krankendeck und mich untersuchen lassen. Ein freier Transport, Windy. Du darfst dich ausruhen. Es wird alles wieder gut. 5. 7039 - 17.11.
Rehab-Lager, Pleasance
Es sind eine Menge Kameraden von Asrai hier, Windy. Die Zahl der Opfer ist höher, als ich angenommen habe. Aber hier ist es schön. Wir unterhalten uns viel, mit den Ärzten und Schwestern und allen, die gesprächig sind. Man behandelt uns wie Gäste. Doch ich weiß es besser. Wir sind Patienten. Mit mir scheint es bergauf zu gehen, denn sie haben mir den Memocorder zurückgegeben, und so kann ich wieder mit dir reden. Ich gebe Schreibunterricht und helfe einigen >Gästen< dabei, ihre Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen. Sie führen Tagebuch, verfassen kleine Geschichten oder Gedichte, von denen manche sehr gut sind. Andere sind sehr gut und sehr schmerzlich. Einem Beithurunesen zum Beispiel habe ich bei einem Gedicht geholfen, das er >Nach dem Blitzkrieg< nennt. Es bringt mich zum Heulen, ist aber sehr gut. Ich glaube, wir sollten es in unsere Sammlung aufnehmen. Nach dem Blitzkrieg Die zersprengten Trümmer unter zerrissenem Schleier sind voller Reste von Freunden. Eine entkörperte Stimme inmitten gedämpfter Gewehre wimmert: »Sanitäter.« Feldwebel Leston Tullot 503. Beithurun Regiment 18. Korps der Bundestruppe
Mit der Therapie hält man es hier sehr genau. Und was es nicht alles gibt: physiotherapeutische Behandlungen, Psychotherapie, Beschäftigungstherapie, Verhaltenstherapie, Traumanalyse, Maltherapie, Primär-und Sekundärtherapie und vieles mehr. Ich habe mich für die Traumanalyse entschieden. Die scheint mir am leichtesten zu sein. Für zwei Stunden am Tag geht's ab in die Traummaschine. Das kann doch nicht schwer sein. Ist es auch nicht. Meine Therapeutin Mznna Gnnr Stt Crti Clddn Floggb (die ich der Einfachheit halber bloß Doktor Flo nenne) hilft mir bei der Entspannung und schlägt mir dann ein Thema vor, über das ich träumen soll. Und davon träume ich dann auch, so sehr ich mich auch dagegen wehren mag. Nach dem Erwachen muß ich den Traum schildern, und dann versuchen wir ihn spielerisch zu deuten. Es fällt mir manchmal schwer, den Traum, seine Bedeutung und das Spiel voneinander zu unterscheiden. Aber auch das läßt sich lernen. Doktor Flo macht aus der Traumtherapie eine recht angenehme Erfahrung. Sie strengt an, ist aber wirklich angenehm. Meine gewöhnlichen Träume außerhalb der Therapie sind weniger schön. Sie rufen Bilder von Asrai zurück, die mich auch noch im wachen Zustand verfolgen. Besonders quälend ist der Alptraum über Teever Lozes Tod, der mich fast jede Nacht heimsucht. Kaum zu glauben, aber wahr: Eine Nacht, in der ich nicht davon träume, kommt mir auf seltsame Weise leer vor. Ich habe schon mit Doktor Flo darüber gesprochen; allerdings setzt der Traum nicht auf Kommando ein. Doktor Flo meint, daß er noch viel zu tief vergraben sei und daß wir warten müßten, bis er zur Oberfläche aufsteigt. Dafür bist du zuständig, Selbst. Je früher du damit anfängst und auch den Rest erledigst, desto schneller kommen wir hier weg. Ich habe mehrere Gespräche mit Oberst Q. ES't'phons, dem FödRep für Verträge, Schlichtungsverfahren und Anpassung, geführt und von ihm erfahren, welche Möglichkeiten mir offenstehen. Ich habe in letzter Zeit etliche Kreditpunkte gesammelt: zwei während meiner Gefangenschaft auf Mysteleria, drei für meine Kriegseinsätze und anderthalb für die Zeit hier auf Pleasance. Die Zahlen sind ein bißchen verwirrend und unvollständig, denn der Bund schuldet mir eigentlich noch Kreditpunkte für acht Jahre, drei Monate und drei Tage, abzüglich der zwei Jahre, einen Monat und zehn Tage von der tatsächlichen Laufzeit des Vertrages. Bleiben also noch sechs Jahre, ein Monat und dreiundzwanzig Tage auf mein Kreditkonto anzurechnen, plus der Punkte, die ich zusätzlich angesammelt habe. Wenn mich nicht alles täuscht. Soll ich mir die gesamte Summe auf einmal aushändigen lassen oder lieber eine festverzinsliche Lebensrente (mit der Option auf eine einmalige Auszahlung) in Anspruch nehmen? Oder eine Auszahlung auf zehn Jahre verteilt? Oder, oder, oder? Oberst Q. ES't'phons hat mir eine Tabelle mit den entsprechenden Erläuterungen mitgegeben, aber je mehr ich darin lese, desto weniger verstehe ich. Als ich meinen ersten Vertrag beim Bund unterschrieb, waren alle Regeln und Verpflichtungen in einer einfachen, verständlichen Sprache aufgeführt. Jetzt kapiere ich gar nichts mehr. Zum Glück brauche ich meine Entscheidung erst zu treffen, wenn ich klar zum Abflug bin. Fara sei Dank. Ah, Fara, Göttin meiner weit zurückliegenden Vergangenheit. Mein Glaube an dich war wie das Futter im Mantel des Lebens, der sich noch bequem tragen ließ. Ich habe hie und da Konkurrenz kennengelernt, aber du warst für mich die Größte. Jetzt ist mein Glaube erschüttert, Fara. Schwer erschüttert. Soll ich dich zu einer persönlichen >Hausgöttin< degradieren, die nur für kleinere Gefälligkeiten und Tröstungen gut ist? Soll ich nach deinen Vorgesetzten suchen? Wo könnte ich sie finden, wenn es sie gibt? Und was haben sie für das Universum getan? Fara, hilf.
Wenn du kannst. Für heute werde ich Schluß machen, Windy, denn es ist Zeit, zur Traumtherapie zu gehen. Schön, wieder reden zu können, auch wenn's bloß wirres Zeug ist, was ich von mir gebe. Bald werden wir zu neuen Abenteuern aufbrechen, und daß ich bald wieder bei dir bin, freut mich besonders. Du bist mein Zuhause. 7039 - 22 . 11. Heute ist mein Glückstag. Über den Umweg von DAZM-17 sind zwei Botschaften von Moseen eingetroffen. Die erste und längere ist eine Nachricht von ShRil und dem Professor, in der sie mir herzlich danken für meine Forschungen und die Gedichte kommentieren, die ich ihnen geschickt habe. Besonders gut gefällt ihnen >Die Suche des Eleven<, wovon sie inzwischen zwei Versionen besitzen: die meine vom 11. 2. dieses Jahres sowie eine etwas holprige, kaum verständliche Version aus Val mit einer kurzen Bemerkung von Mr. Gwindel. (Hab' ich doch recht behalten. Gwindel hielt die Verse für eine verschlüsselte Nachricht. Erstaunlich, daß er sie trotzdem übermittelt hat.) Der Professor interessiert sich vor allem für die >Lobeshymne 73< und die >Lippen< und meint, daß die in diesen Gedichten verwendete >emotionale Syntax< der tonalen Syntax bei Burnal Sevene außerordentlich ähnlich sei. (Was, um Kricks willen, soll das nun wieder heißen?) Mich interessiert vielmehr die zweite, persönliche Botschaft von ShRil, verfaßt in vorsichtigem DiploCode. Sie sei, so sagt sie, sehr froh, daß ich DAZM-17 sicher erreicht habe, daß sie meine Gesellschaft und Hilfe vermisse, dankbar sei für die kurze Zeit unseres Zusammenseins und hoffe, daß ich vorbeischauen würde, wenn ich wieder einmal in ihrer Galaxis aufkreuze. Windy, gib eine Meldung auf. An ShRil, Bundesbotschaft, Moseen: Und wäre ich noch tausend Teilsektoren entfernt, ich käme sofort vorbei, wenn ich darf. Folgende Zeilen habe ich dir gewidmet ... An dieser Stelle ist >Körpersprache< einzusetzen (siehe 7039 — 12. 2.) Unterschreibe in meinem Namen, verschlüssele alles in DiploCode und schick die Nachricht jetzt unverzüglich ab. Was kann ich wohl als Antwort auf >Körpersprache< erhoffen? Wovon darf ich träumen? Wie tief ist das All? Wie kann ich noch von ihr träumen nach so langer Zeit? Es wagen, an Liebe zu denken? Was klopft da so ungestüm? Mein Herz? Halt mich fest, Selbst. Halt mich zurück. Ich will zuviel. Mein Verstand ist umnebelt vor Glück, und ich spreche von allzu zarten Dingen, die nicht entblößt werden dürfen. Verschließ die Schleusen meines Herzens, bis ich ihre Antwort erhalten habe. 7039 - 25 11. Doktor Flo bescheinigt mir große Therapiefortschritte und sagt, daß ich in drei bis vier Monaten wieder fit sei und weiterfliegen könne. Drei bis vier Monate noch! Das halt ich nicht aus. Ich drehe durch. Für morgen habe ich einen Termin bei Oberst Q. ES't'phons; vielleicht kann er mir helfen. Vielleicht hat der Bund irgendeinen kleinen Auftrag für mich, damit ich wieder ganz gemächlich an die Arbeit komme.
7039 - 26. 11. Oberst Q. ES't'phons hat mir nicht viel Hoffnung gemacht, versprach aber, sich für mich einzusetzen. Er hält mich wohl für verrückt, weil ich's so eilig habe, von hier wegzukommen. Soll er mich doch für verrückt halten! Ich werde in ein paar Tagen nach dir sehen, Windy. Doktor Flo meint, die Abwechslung täte mir gut und würde meiner Wiederanpassung förderlich sein. Wiederanpassung woran? An dieses Erholungslager? An diesen Planeten, dessen intelligente Ureinwohnerschaft einzig und allein in den Kristallmeeren an den Polkappen zu finden ist? Wiederanpassung an etwas, woran ich mich von Anfang an nicht anpassen konnte? Windy, wir verschwinden spätestens am 14. 12., oder ich heiße nicht Gerard Manley. 7039 - 28. 11
Pleasance, an Bord von Windy
Ah, wie schön ist es, hier sitzen und mit dir reden zu können, ohne darauf acht geben zu müssen, ob auch keiner zuhört. Ich vermute, sie belauschen mich auch, wenn ich allein auf meinem Zimmer bin. »Aus rein medizinischen Gründen, Kommandant.« So reden sie sich immer raus, wenn ich sie dabei erwische. Kommandant. Das ist mein Titel in diesem Lager. Ich habe Oberst Q. ES't'phons erklärt, daß ich kaum daran interessiert bin, meinen Rang zu behalten, und daß der Bund, wenn er denn darauf bestünde, wenigstens dafür sorgen könne, mich den Reservisten zuzuschlagen und aus dem aktiven Dienst zu nehmen. Ja, Windy, du hast richtig verstanden. Wir sind noch im aktiven Dienst. Es scheint, daß ich für fünf Jahre verpflichtet wurde, als man mich während des Krieges zum Kommandanten befördert hat. Wenn ich für fünf Jahre bei der föderierten Truppe festsitze, muß mir der Bund nicht nur das Diplomatenhonorar zahlen, sondern auch den Militärsold, einen Bonus für den Kriegseinsatz, Gefahrenzulagen und wer weiß, was noch alles. Mußte wieder das Geschwätz und die Aufmunterungsversuche von Oberst Q. ES't'phons über mich ergehen lassen. Eine Möglichkeit, die er mir in Aussicht stellte, wäre, den diplomatischen Dienst zu verlassen und von hier zu verschwinden. Ich müßte dann meine ganzen Kreditpunkte aufwenden, um dich abzubezahlen, Windy. Aber das würde sich lohnen. Wenn ich jedoch diese Möglichkeit wähle, bevor sie mich aus dem Militärdienst entlassen, können sie mir befehlen hierzubleiben, oder aber sie schicken mich an irgendeine Front. Ich müßte wohl oder übel gehorchen. Bevor ich also den nächsten Schritt unternehme, muß ich den Militärdienst quittieren. Das wird schwierig sein und vor allem zeitraubend. Aber so düster sind unsere Aussichten eigentlich nicht. Ich habe einen Drei-Tage-Paß und die Erlaubnis, mit dir zum kulturellen Austauschzentrum nach Besseracc zu fliegen, das am Rand des südlichen Kristallmeeres liegt. Dort hat man im Zuge der Erforschung der heimischen Kristallwesen ein paar linguistische Entdeckungen gemacht. Der Bund nennt diese Wesen >Pleasance-iten< — eine reichlich umständliche Bezeichnung, aber keiner weiß, wie sie sich selber nennen. Wenn sie einen Namen für sich haben, wird er übersetzt bestimmt >das Volk< lauten. Egal wie sie heißen, wir werden sie sehen und hoffentlich auch mit ihnen >reden< können. Vielleicht machen wir einen interessanten Fund, der in unsere Sammlung paßt. Wir werden um 18:30 aufbrechen und müssen am 1. 12. um 24:00 wieder zurück sein. Aber vielleicht kommt ja was dazwischen, das uns zu einem verlängerten Aufenthalt zwingt. Wenn wir rechtzeitig losfliegen wollen, muß ich jetzt mein Geplappere einstellen und die
Checkliste durchgehen. Unterwegs. Ich fürchte, ich bin kein guter Patient, denn ich weiß am besten, was mir fehlt: der ganz normale Alltag. Doktor Flo und ihre Kollegen halten mich nach meinen Erlebnissen auf Asrai für schockgeschädigt, aber anstatt mich so schnell wie möglich wieder in den Alltag zu entlassen, halten sie mich wegen meiner Alpträume für durchgedreht, erschöpft und lebensuntüchtig. Na schön, auch sie machen Fehler, aber ihre Motive sind durchaus löblich. Ich bin sicher, daß sie sich sehr um ihre Patienten kümmern und sie wie Personen zu behandeln versuchen. Ich bin da keine Ausnahme. Mehr will ich zu diesem Thema nicht mehr sagen, Windy. Wir sollten jetzt den Barden einschalten und uns ein wenig vergnügen. Von C.P.O Largsznkyte, einem der Patienten und Schüler von mir, habe ich ein Gedicht, das er 7019 während des Tun'Tean-Krieges in seiner Muttersprache, dem Txizkyl, verfaßt hat. Er kann es nicht in die Standardsprache übersetzen und bat mich, das für ihn zu erledigen. Er ist eine so sympathische Spinne (nun, keine Spinne im eigentlichen Sinne, sondern nur dem Aussehen nach), daß ich ihm die Bitte nicht ausschlagen konnte. Bis zur Ankunft bleiben uns nur noch fünf Stunden Zeit. Tun wir also unser Bestes. 7039 - 29. 11. Es gibt nichts Schöneres, als einen Ort zu erreichen, in dem alles schläft. Sogar die Kontrollstation scheint uns nicht registriert zu haben. Egal. Largsznkytes Gedicht wird uns noch eine gute Stunde beschäftigen, und bevor es losgeht, legen wir uns für ein paar Stunden ins Bett. Kein Wunder, daß Largsznkyte das Gedicht nicht übersetzen wollte oder konnte. Die Schlüsselmetapher läßt sich kaum übertragen. Ich mußte eine Analogie erfinden, die etwas Ähnliches zum Ausdruck bringt. Seine Metapher bezieht sich auf eine intellektuelle Übung, während die meine dem Sportbereich entlehnt ist, aber, wie ich hoffe, das Wesentliche trifft. Wenn nicht, werden wir gemeinsam eine andere Lösung suchen müssen oder das Gedicht als unübersetzbar abheften. Auch über die erste Zeile, die ich nach langem Überlegen auf urterranisch wiedergegeben habe, müssen wir uns noch verständigen. Widerhall aus der Arena (zirka 7019) Morituri salutamus. Wir, die hier im Sterben liegen, salutieren dir mehr schlecht als recht, denn wir wollen weder sterben, noch unseren Gruß entrichten, und Ruhm und Ehre, dieser ganze Unsinn langweilt uns. Uns liegt nicht viel an diesem Spiel, es ist uns schnuppe, wir glauben nicht, daß es uns weiterhilft. Viel lieber wären wir Daheim
bei Weib und Wein, voll Jubel für vorüberziehende Soldaten. Denn hier im Feld herumzurennen, durch dieses blutige Getümmel, bringt uns nur um. C.P.O. Nz Largsznkyte Waffenoffizier Bundesschiff St. Kraane, Bundesflotte 163 Jetzt für ein paar Stunden ab ins Bett; dann können wir raus und die Eingeborenen 'treffen<. Faszinierend. Absolut faszinierend. Die Kristallmeere bestehen aus einer Anhäufung verschiedendster Siliziumverbindungen, gelöst in einer zähen Flüssigkeit, die ihrerseits zu siebenundneunzig Prozent aus Silizium besteht. Das ganze Meer lebt; es reflektiert sich selber im Plural, und zwar als eine sich ständig kristallisierende und auflösende Einheit multipler Zentren oder >Denkgruppen<. Alle >Gespräche< werden geführt in Form von kurzen, stilisierten Versen oder Gesängen. Auf die poetisch formulierte Frage, wie sie oder es ihr oder sein Leben unterhalten bzw. unterhält, wurde zum Beispiel folgende Antwort gegeben: Die dunklen Winde heulen durchs Kristall der präformierten Zellen, als wir noch feucht waren und rund, vor Katalysation und Bad und wahrhaft klaren Dimensionen. Alte, scharfe Konturen locken uns. Licht bricht sich in unsrem Verstand wie Licht. Kleine Kristalle vibrieren. Wir lösen uns auf. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß sich keine schnellen Schlüsse ziehen lassen aus dieser Antwort auf die simple Frage nach den Lebensgrundlagen. Ich habe mich bereiterklärt, dem kulturellen Austauschzentrum zu helfen. Du, Windy, wirst ein Programm schreiben, das die Talente unseres Barden auch hier voll zur Entfaltung bringt. Vielleicht wird es dann gelingen, die Antworten der Kristallwesen zu verstehen. Und weil wir mindestens zwei oder drei Wochen benötigen, um das Programm zu schreiben, zu testen und zu modifizieren, dürfte es eigentlich nicht schwer fallen, unsere Rückkehr ins RehabLager entsprechend aufzuschieben. 7039 - 30. 11. Wir haben die Erlaubnis zu bleiben und mitzuhelfen. Direktor Franiingcard wußte die richtigen Hebel zu bedienen und behält uns bei sich, solange wir von Nutzen 'sind. Sie ist ein charmanter Sepoleve. Erinnert mich an einen Kreisel mit Tentakeln und bunten Blinklichtern. Sie spricht Standard, und zwar auf eine wohlklingende, rhythmische Weise, die sehr beruhigend wirkt. Ihre Fragen, Kommentare und kritischen Bemerkungen sind so anregend,
daß ich mich ununterbrochen mit ihr unterhalten könnte. (Da sie einer jener Spezies angehört, die sowohl Samen spenden als auch empfangen können, ist es natürlich streng genommen inkorrekt, Direktor Franiingcard als eine weibliche Person zu bezeichnen. Ihr Auftreten zeugt jedoch von einer Zielgerichtetheit, die grenzenlose Ausdauer und Hartnäckigkeit verrät und meiner Meinung nach spezifisch weiblich ist. Ich werde sie demnächst fragen, ob sie Einwände hat gegen diese Einschätzung.) Du bist bestimmt genauso begeistert wie ich, Windy, aber wenn wir ihrer Fürsprache für uns gerecht werden wollen, müssen wir gleich an die Arbeit gehen und Ergebnisse liefern. Sie ist eine Dame, die ich nur ungern enttäusche. 7039 - 4. 12. Ist dir schon aufgefallen, daß ich, seit wir das Rehab-Lager verlassen haben, kein einziges Mal mehr von Teever Loze geträumt habe? Ich fürchte fast, daß die Therapie dir, mein Selbst, das Traumzentrum durcheinander gebracht hat. Auf jeden Fall danke ich dir herzlich. Allnächtlich den Tod von Teever Loze vor Augen geführt zu bekommen, ist meiner >Wiederanpassung< nicht besonders förderlich gewesen. Jetzt hat Fairy Peg wieder Platz in meinen Träumen. Vergangene Nacht träumte ich, im großen Thronsaal zu sitzen, wo mich Fairy Peg gegen Anschuldigungen verteidigte, die von Vertretern der Hauptversammlung gegen mich erhoben wurden. Ich glaube, man hat mir sogar gedroht, verhohlen zwar, aber deutlich genug. Der Kronrat und die Gabriel-Ratschen spielten sich in den Vordergrund. Ihre Mäuler waren beim Sprechen grotesk verzerrt. Sie waren aufgebracht, streitsüchtig und unversöhnlich. Sie forderten meinen Kopf. Oder mein Blut. Oder zumindest meine Verbannung. Fairy Peg reagierte gelassen, ruhig, beschwichtigend und unbeirrt. Bei ihr konnte ich mich sicher fühlen. Wieder ein Stück für unser Puzzle, Selbst. Je tiefer wir in der Erinnerung kramen, desto weniger verstehe ich. Wie verwoben doch alles ist. Womöglich werden wir diese Zeit niemals richtig aufdröseln können. Aber das Bild gewinnt zusehends an Konturen. Zwei Fragen rücken immer weiter in den Mittelpunkt: Bin ich immer noch Prinzregent, Fairy Pegs Gemahl und Liebhaber? Und warum hat sie mich zurück zum Bund geschickt? Mir fallen natürlich gleich jede Menge anderer Fragen ein, aber denen nachzugehen, führt uns der Lösung nicht näher. Du machst dich gut, Selbst, und ich bin zufrieden mit dem, was du an Puzzlestücken für mich ausgräbst. Meine Sorge um Fairy Peg legt sich allmählich; gleichzeitig wächst meine Neugier. Ich brenne darauf, mehr zu erfahren, so schnell wie möglich. Du tust dein Bestes, Selbst, ich weiß. Laß dich nicht hetzen. Vielleicht hat C'Rinas Geduld ein wenig auf mich abgefärbt. Geduld ist ebenso nötig, um das Programm des Barden auf die Wünsche von Direktor Franiingcard abzustimmen, was schwieriger ist als angenommen. Allein die lexikalischen Eintragungen werden noch zwei oder drei Wochen in Anspruch nehmen. Erst dann können wir die Schnittstelle anpassen. Außer mir scheint niemand in Eile zu sein. Ich werde mich also auf den hiesigen Lebensrhythmus einstellen und in gemächlichem Tempo weiterarbeiten. Ja, ich gewöhne mich langsam ein. Und daß ich wieder gebraucht werde, macht mich glücklich und zufrieden.
7039 - 9.12. Ich sollte mich eigentlich schlafen legen, muß aber ständig an die Jahre im Gefängnis zurückdenken. Damals habe ich viel geschlafen. Fast die ganze Zeit über. Die Mystelerianer haben ein einzigartiges System entwickelt. Viel Schlaf, ein wenig Gymnastik, um uns gesund zu halten, und kleine Denksportübungen. Zeit spielte keine Rolle, bis Gracie kam und uns aus unserem Dämmerzustand aufweckte. Das letzte halbe Jahr ging auf fast angenehme Weise vorüber. Bis auf die Schmerzen, die mich wie Schatten belagerten. Gracie sagte, daß sie bald verschwinden würden, und als es Zeit für mich wurde aufzubrechen, waren sie tatsächlich weg. Ich weiß diese Schmerzen bis heute nicht richtig zu beschreiben und werde wohl nie erfahren, woher sie rührten. Warum rede ich davon? Warum jetzt? Warum vergesse ich diese vergeudeten Jahre nicht einfach? Weil mir damals irgend etwas Teuflisches widerfahren ist. Nein, mit Gracie hat das nichts zu tun. Sie ist selber nur Opfer, von ihren unsterblichen Artgenossen in die Verbannung nach Mysteleria geschickt, aus Zorn über ihr Vergehen, gemeinen Sterblichen ihre Hilfe angeboten zu haben. Aber einen verbitterten Eindruck machte sie dennoch nicht. Im Gegenteil: Während der untere Mund mir die Geschichte ihres Exils erzählte, lächelte sie mit dem oberen. Ich brauche bloß an diese Szene zu denken und fühle mich sofort wohler. Wenn Gracie über ihr Schicksal lachen kann, dürften mich meine Schwierigkeiten auch nicht verdrießen. Merkwürdig, wie sehr mich die Gedanken an Gracie entspannen. Ich glaube, gleich werde ich einschlafen. Gute Nacht. 7039 - 16.12. Wir sind nun schon zwei Tage länger als geplant auf Pleasance, Windy, und ich habe auch in nächster Zukunft nicht die Absicht abzureisen. Die Herausforderung hier macht mir Spaß. Vor ein paar Tagen kam eine Nachricht von Oberst Q. ES't'phons: Ich werde mit Wirkung vom 30. 12. aus dem Militärdienst entlassen. Offenbar ist nach Meinung des Bundes sogar der Reservistenstatus unvereinbar mit diplomatischen Aufgaben, und deshalb wird mit Jahresfrist meine Zeit als Soldat beendet sein. Gut so. Ich habe dem Oberst geantwortet und ihn gebeten, mein Soldbuch auszufüllen. Wenn ich die Daten dann habe, werde ich sie auswerten und über weitere Schritte entscheiden. Hoffentlich sind die Eintragungen nicht in militärischem Kauderwelsch abgefaßt; wenn doch, wird mir Direktor Franiingcard bestimmt bei der Entschlüsselung helfen. Sie versteht sich gut darauf, unter wirrem Geschwafel das Wesentliche aufzudecken. Vor ein paar Tagen kam sie ins Labor gerollt, schaute sich alle neusten Ergebnisse auf einmal an (erstaunlich, wie sie das schafft) und hatte nach dreißig Minuten fünf Fälle tangentialer Divergenz entdeckt, die uns nicht weiterführen. So kennt man sie. Ich habe ihr vorgeschlagen, sie solle sich doch einen anderen Titel zulegen: Doktor Quintessenz. In Antwort pulsierten ihre Blinklichter tiefblau, woraus ich schließen konnte, daß ihr meine Bemerkung gut gefiel. Allerdings sagte sie, daß, wer sich beim Vorgesetzten einzuschmeicheln versuche, meist mangelhafte Arbeit zu kaschieren habe. Ich gab ihr recht und bat um Entschuldigung mit dem Hinweis, daß ich bloß ein glückloser Diplomat ohne besondere Fähigkeiten bin, der in anderen die Größe sucht, die er bei sich selber nicht finden
kann. Sie ließ ein tief surrendes Schnaufen verlauten, ein pfefferminzgrünes Licht aufblinken und rauschte aus dem Labor. Ich fürchte, mein ernst gemeintes Kompliment hat sie verlegen gemacht (wenn das überhaupt möglich ist), und meine Entgegnung auf ihre Stichelei war nicht gerade dazu angetan gewesen, die Situation zu entkrampfen. Trotzdem glaube ich, daß der Respekt und die Bewunderung, die wir füreinander empfinden, weiter zugenommen haben. Galley, der erste Labortechniker, sagte, daß er sie noch nie so zufrieden erlebt habe; ich solle aber vorsichtig sein, da sie erst neu im Amt und noch unerfahren im Umgang mit Fremden sei. Weil ich ihm nicht glauben wollte, erklärte er mir, daß Direktor Franiingcard für sepolevische Verhältnisse gerade erst erwachsen geworden ist (trotz ihrer dreihundert Jahre!) und deshalb von den Älteren, die über ihre weitere Karriere entscheiden, kritisch beäugt wird. Ich war sprachlos. Unsere durchschnittliche Lebenspanne von zweihundert Jahren fällt dagegen vergleichsweise kurz aus, nicht wahr? 7040 – 7.1. Die lexikographische Arbeit ist abgeschlossen. Wir können jetzt auf drei Referenz- und Inferenzebenen verfahren. Direktor Franiingcard ist glücklich und beeindruckt von der Anwendbarkeit des Bardenprogramms. Wir haben noch ein paar neue Techniken entwickelt, um den Barden sowohl mit weiterem Vokabular als auch mit zusätzlichen Übersetzungsregeln zu füttern. Morgen beginnt Phase eins der Schnittstellenanpassung. 7040 — 11.1. Phase eins der Schnittstellenanpassung ist voll in die Hose gegangen. Es lassen sich zwar einfache Aussagesätze fehlerlos hin und her übersetzen, aber alles andere führt zu einem bruchstückhaften Unsinn aus unvollständigen Parenthesen und Fragen sowie logisch falschen Syllogismen. Direktor Franiingcard glaubt, daß Phase zwei der Schnittstellenanpassung diese Fehler korrigiert, und macht uns Mut. Ich habe allerdings meine Zweifel. Wer von uns recht hat, wird sich bald herausstellen, zumal Phase zwei ein rein mechanischer Prozeß ist und nur einen Tag in Anspruch nimmt. Bisher ist alles glatt verlaufen. Um so mehr frustriert es, wie schlecht die Angleichung der kritischen Syntax gelingt. Als ich noch ein Kind war und an der Seite meines Vaters zu programmieren gelernt habe, sagte er immer, wenn irgend etwas schiefging: »Die Glitschen sind los, die Glitschen sind los! Beeil dich, Gerry, und hol den Käfig, damit wir sie wieder einfangen können!« Welcher Käfig gemeint war, weiß ich his heute nicht. Trotzdem habe ich jede Menge Glitschen, die sich in Programmecken versteckt halten, gefangen und verscheucht. Jetzt scheinen wieder einige Glitschen los zu sein. Windy, du übernimmst Papas Rolle, und gemeinsam werden wir die kleinen Biester zur Strecke bringen. 7040 - 13.1. Direktor Franiingcard hat zum Teil recht behalten. Als wir Phase zwei der Schnittstellenanpassung vornahmen, fielen einige Probleme weg. Jetzt kann auf die restlichen Glitschen Jagd gemacht werden, und das scheint ein Kinderspiel zu sein. Cheftechniker
Galley und seine Leute sind bereits auf dem Weg zum Erfolg. Wir, Windy, halten uns in Bereitschaft, für den Fall, daß wir gebraucht werden. Endlich habe ich von Oberst Q. ES't'phons eine detaillierte Auflistung meiner jüngsten Dienstverpflichtungen und Kreditpunkte erhalten. Hatte ich es doch geahnt! Dieser Datensalat läßt sich nur mit Hilfe dechiffrieren. Warum muß denn immer alles so kompliziert sein? Ich glaube, ich sollte mir wirklich alle Kreditpunkte auszahlen, mir den Preis für Windy davon abziehen lassen und dann einen neuen Auftrag annehmen. Wenn ich dazu einen neuen Vertrag unterzeichnen muß, tue ich das halt. Obwohl mir das Übersetzen und Programmieren hier sehr gefällt, fühle ich mich doch unwohl, nicht das zu tun, wofür ich ausgebildet worden bin. Die Vertragsdiplomatie ist zwar kein besonders angesehener Beruf, aber den habe ich einmal und darauf verstehe ich mich, bin sogar stolz darauf. Ich will meine Arbeit wieder aufnehmen. Na, stärke ich so mein Selbstbewußtsein, Selbst? Oberst Q. ES't'phons sagt, daß er einen Auftrag für mich hat, der am 1. 5. anzutreten ist und sehr interessant zu sein verspricht. Mehr hat er nicht durchblicken lassen, aber das ist mir egal. 7040 - 15.1. Phase zwei ist fast abgeschlossen; es müssen nur noch ein paar kleine Korrekturen vorgenommen werden. Jetzt gilt es, den größten Brocken zu bewältigen und die Schnittstelle zum Einsatz zu bringen. Die Techniker haben schon angefangen, und heute nachmittag werden wir, Windy, sicherlich bis zum Hals in der Arbeit stecken. Wenn nichts dazwischenkommt, können wir spätestens am Fünfundzwanzigsten den ersten Probedurchlauf starten. Eine lange, lange Nachricht von ShRil. Entschuldigungen, nicht früher geantwortet zu haben (seit meinem >Körpersprachen<-Gruß sind knapp zwei Monate vergangen). Aber sie war fast ein Jahr weg von Moseen. Der Professor hat beim Bund ein Stipendium für sie lockergemacht und auf eine Forschungsreise geschickt. Acht Monate lang hat sie in der Zentralbibliothek von Challistone gehockt, einer Stadt auf Castle-byHearte im Merlinsystem. Ich fürchte, sie ist in eine Bibliothek verknallt. Im großen und ganzen waren ihre Forschungen sehr erfolgreich. Unter anderem konnte sie elf lange Prosatexte und zahlreiche Hinweise entdecken, die zur Elevenlegende passen. Leider keine Gedichte. Sie weiß, daß mich das ein bißchen enttäuscht. Aber immerhin haben wir jetzt soviel Stoff beieinander, daß der Professor sie als Vertreterin der Universität von Moseen nach Quadra schicken will, wo eine Konferenz über >Universale Legenden und Literaturen< stattfindet, um dort über unsere bisherigen Entdeckungen zu berichten. Für ShRil bedeutet das eine große Ehre, und sie ist schon ganz aufgeregt. Der Bund hat offenbar keine Einwände gegen ihren langen Dienstausfall (zumal sich Sir Dan und der Professor dafür einsetzen), und so werden ShRil und der Professor für die nächsten Monate damit beschäftigt sein, die Präsentation vorzubereiten. Ich bin sehr, sehr stolz auf sie. Und froh, daß sie für ihre Arbeit Anerkennung findet. Froh bin ich auch über ihre Reaktion auf >Körpersprache< — nicht überschäumend glücklich, aber froh. ShRil hält sich mit ihren Gefühlen sehr zurück. Durch kleine versteckte Anspielungen verrät sie mir jedoch, daß sie einsam ist und sich nach mir sehnt, wenn sie zum Beispiel in ganz nüchternem Ton darauf hinweist, wie gut und eng wir miteinander gearbeitet haben und daß eine solch gelungene Kooperation wohl ein Glücksfall sei. Weil wir — soweit ich mich erinnere — in der gemeinsam verbrachten Zeit nur wenig gearbeitet haben, glaube
ich, daß sie mit >Kooperation< etwas anderes meint. Am Ende ihrer Nachricht steht ein sylvanisches Sprichwort: »Gute Freunde, und seien sie noch so weit weg, sind immer zur Stelle.« Ah, ShRil, auch du bist immer ganz nah bei mir. 7040 - 16.1. Habe auf ShRils Nachricht geantwortet, ihr herzlich gratuliert, Mut gemacht und sie meiner Liebe versichert. Ja, Liebe. Ich kann meine Gefühle nicht so gut zurückhalten. 7040 - 22.1. Die Arbeit an der Schnittstelle ist erledigt. Morgen lassen wir den ersten Probedurchgang laufen. Zugegeben, ich bin ziemlich nervös, Windy. Wir haben volle sieben Wochen Arbeit investiert und dabei die Hälfte des Laborpersonals sowie die meisten Computer mit Beschlag belegt, um bis an diesen Punkt zu kommen. Ich zweifle nicht daran, daß sich akzeptable Ergebnisse erzielen lassen, würde mir aber mehr als das wünschen. Die Leute hier sollen begeistert sein von unserem Erfolg. Das klingt nicht gerade bescheiden, Selbst, aber immerhin geht's um unser Programm und somit auch um unsere Reputation. Vor allem möchte ich mich jedoch ganz herzlich bei Direktor Franiingcard bedanken, denn sie hat uns geholfen, den Klauen des Rehab-Lagers zu entkommen. Sie machte uns das Geschenk der Arbeit, und Arbeit ist der beste Weg zur Genesung. 7040 – 23.1. Das Universum ist eine nie versiegende Quelle der Überraschung. Wir konnten sehr beachtliche Ergebnisse erzielen, die jedoch ganz anders als erwartet ausgefallen sind. Wir haben im ersten Probedurchlauf zehn >Gedichte< des Kristallmeeres übersetzen lassen. Dabei herausgekommen sind nicht etwa Verse, sondern Gleichungen und Formeln, ein für mich völlig unverständliches Zeug, aber Direktor Franiingcard startete zu einer fulminanten Light-Show, als die ersten Ergebisse zum Vorschein traten. Sie rollte frohlockend im ganzen Labor umher, winkte mit den Tentakeln und strahlte auf in allen Farben. Dabei gab sie ein ununterbrochenes, tiefes und sinnliches Brummen von sich. Mit jeder neuen Übersetzung, die auf dem Bildschirm auftauchte, wurde ihr Brummen lauter, schwungvoller, und die Lichtblitze folgten in immer kürzerem Abstand aufeinander. Das Beeindruckendste waren nicht die Übersetzungen, sondern ihre Reaktionen. Wenn ihre Erregung typisch für Sepoleven ist, wie mag es dann erst zugehen, wenn sie sich paaren? Wenig später hat sie sich wieder gefaßt, unser Erstaunen über sie ignoriert und gefordert, alle aufgezeichneten >Gedichte< durchlaufen zu lassen. Dann rollte sie in sprühendem Blinklicht davon. Cheftechniker Galley und ich sind von Direktor Franiingcard zum Abendessen eingeladen worden. Wahrscheinlich werden wir im privaten Rahmen ein bißchen feiern, und wenn ich jetzt nicht mit dem Schwätzen aufhöre und mich anziehe, komme ich noch zu spät. Wir sind mit Lob überschüttet worden, Windy. Es wurde in der Tat gefeiert, aber nicht nur ein bißchen und beileibe nicht privat. Direktor Franiingcard hat eine Videoverbindung geschaltet mit dem kulturellen Austauschzentrum von Vance (was sie wer weiß nicht wie viele
Kreditpunkte gekostet haben mag), und die Generalsekretärin des Zentrums (ebenfalls ein Sepoleve) hat uns höchstpersönlich zu unserer Arbeit gratuliert. Sie wollte das Programm nach mir benennen, aber ich empfahl ihr eine passendere Bezeichnung: das WindhoverManley-Barden-Programm für interkulturelle Übersetzungen. Und unter diesem Namen wird es in die Geschichte eingehen. In einem Monat erhalten wir noch eine offizielle Belobigung (wovon natürlich auch eine Kopie an den föderativen Diplomatendienst geht). Wir können stolz auf uns sein, Windy. 7040 – 24.1. Zum gestrigen Abend ist noch einiges nachzutragen. Nachdem die Videoverbindung abgeschaltet war, haben wir, Direktor Franiingcard, Galley und ich, in privater Runde weitergefeiert. Galley wird auf den Posten des Laborleiters befördert. Sein Einsatz und seine Fachkenntnisse sind, wie ich selber bestätigen kann, vortrefflich und unentbehrlich. Wie ich einigen Bemerkungen entnehmen konnte, wird unser Erfolg auch für Direktor Franiingcard positive Folgen haben. War es wirklich unser Erfolg, Windy? Im Grunde haben wir — mehr oder weniger zufällig — nur eine Lücke gefüllt im Bereich der mathematischen Linguistik, und zwar unter Verwendung eines nichtmathematischen Programms. Alle früheren Versuche, die mit mathematischen Mittel durchgeführt wurden, sind offenbar weniger erfolgreich gewesen. Direktor Franiingcard vermutete schon lange, daß die Kristallmeer->Gedichte< Formeln und Gleichungen sind, und war sich dessen sicher, als sie zum ersten Mal unser Lexikon sah, das aus lauter Zahl/Symbol/Zeichen Wörter besteht. Sie wußte von Anfang an, daß wir uns auf dem richtigen Weg befanden, hielt sich aber mit ihren Kommentaren zurück aus Sorge, uns einen mathematischen Ansatz einreden zu können. Das erklärt auch, warum wir die Syntaxprobleme in Phase eins hatten und warum in Phase zwei die meisten dieser Probleme ausgeräumt werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war Galley bereits in das Geheimnis eingeweiht; er hat die Glitschen weggeputzt, die der mathematischen Syntax im Weg standen. Die endgültige Schnittstellenanpassung war nur noch ein Kinderspiel, zumal die funktionalen Formverfahren des Barden nun zum Einsatz kommen konnten. Galley und Direktor Franiingcard waren vor dem Probelauf die ganze Nacht über auf, um alle Vorarbeiten noch einmal zu überprüfen und sich auf eventuell auftauchende Probleme einzustellen. Erst als sie so gut wie sicher sein konnten, daß die Sache klappen würde, haben sie die Zentrale informiert und um Erlaubnis gebeten, eine Videoverbindung mit dem Generalsekretariat herstellen zu dürfen. Ich bin wirklich froh, daß ich von alledem nichts wußte, Windy. Hätte ich geahnt, was auf dem Spiel steht, wären mir vor dem ersten Probedurchlauf bestimmt die Nerven durchgegangen. Direktor Franiingcard hat das vorausgesehen. Deshalb ließ sie mich im Ungewissen. Wenn der Probedurchlauf fehlgeschlagen wäre, hätten wir uns ohne den enormen Druck von außen an die Fehlersuche machen können. Was wieder einmal heweist, Windy, daß Unwissenheit manchmal ein Segen sein kann. # #Windy wußte Bescheid. # # WAS? ##Windy wußte Bescheid.## Drück dich klarer aus! Worüber wußtest du Bescheid und seit wann? Und warum mischt du dich in meine Tagebuchaufzeichnungen ein, ohne dazu aufgefordert worden zu sein?
# #Sollen die Fragen detailliert beantwortet werden? # # Nein. Mir kommt's nur auf das Wesentliche an. ##Cheftechniker befahl nach Arbeitsgang 8073-122, den mathematischen Ansatz fallenzulassen. Windy fragte nach dem Grund. Erklärung war logisch. Windy führte Befehl aus. Resultate waren wie erwartet. # # Und du hast mir nichts davon gesagt? ##Windy wußte Bescheid.# # Warum hast du mich nicht eingeweiht? # #Befehle. Windy wußte Bescheid. # # Mehr hast du dazu nicht zu sagen, du tückisches Miststück? # #Windy wußte Bescheid. Ende der Durchsage. # # Das will ich dir auch raten. Daß ausgerechnet du dich gegen mich verschwörst, hätte ich nie für möglich gehalten. Was hältst du davon, Selbst? Unsere Windy handelt einfach auf eigene Faust. Ich kann's kaum fassen! Wem soll man da noch trauen? Schon gut, Windy. Ich bin jetzt im Bilde. Du hast mich nur zu schützen versucht und wußtest, wie sehr ich deine Hilfe brauche. Für einen elektronischen Lötkasten bist du wirklich eine ganz besondere Dame. 7040 - 2.2. Die Silikoniten. So haben wir die intelligenten Kristallmeere genannt. Der Name klingt vielleicht ein wenig aufgesetzt, zumal sie, die Kristallmeere, keinen eigenen Begriff von sich haben (nicht einmal >das Volk<). Daß wir sie so benannt haben, halten sie für überflüssig — zähflüssig, wie sie sind. Die Silikoniten von Pleasance. Ich finde den Namen nicht schlecht. Die Nachricht über den Erfolg unseres Übersetzungsprogramms hat die ortsansässigen Bundesbürokraten mächtig beeindruckt. Mir wurde offiziell mitgeteilt, daß ich Pleasance verlassen kann, sobald mir danach ist. (Mit anderen Worten: Ich kann mich vom Krankenhaus abmelden, in dem ich schon zwei Monate nicht mehr gewesen bin.) Von Doktor Flo habe ich Kprpkpschys Weiterführendes Traumhandbuch geschickt bekommen. In dem Begleitbrief äußert sie die Ansicht, daß ich nun in der Lage sei, selbständig zu träumen. (Als ob ich nicht schon immer selbständig geträumt hätte.) Nächste Woche kommt Oberst Q. ES't'phons zu uns, um mit mir über meine — wie er meint: >äußerst unbescheidenen< — Kreditforderungen und zukünftigen Einsätze zu diskutieren. Die schönste Nachricht kam von Direktor Franiingcard, die mir heute morgen mitteilte, daß ich vom Zentrum für kulturellen Austausch ein Forschungsstipendium verliehen bekommen habe (und zwar für die bereits geleistete Programmarbeit). Die zu erwartende Summe entspricht etwa der, die ich noch für Windy abzuzahlen habe. Ich weiß nicht, wie Fran soviel hat lockermachen können. Aber jetzt, Windy, bin ich mit einem Schlag meine Schulden los, kann die rückständigen Gehälter einstreichen und einen neuen Einsatzauftrag annehmen. Ich bin wieder im Dienst, und du kannst dich auch wieder nützlich machen. Reich und berühmt werden wir von hier aufbrechen. Nicht schlecht für jemanden, der als Soldat mit zerrütteten Nerven eingeliefert wurde. (Ich sage allzu oft >nicht schlecht<.) Sobald wir unsere Arbeit hier endgültig abgeschlossen haben, sollten wir uns auszahlen lassen und neuen Horizonten entgegenfliegen, bevor man entdeckt, wie viele Fehler im Programm stecken. Die Erinnerung an Helden lebt nur dann fort, wenn sie sterben oder auf der Höhe ihres Ruhms verschwinden. Das gleiche gilt für Diplomaten. Gib dein Bestes, und mach dich aus dem Staub, bevor man Dinge von dir verlangt, die du nicht bewältigst.
Ich hoffe, Oberst Q. ES't'phons hat mir Aufträge anzubieten, die nicht bloß schnöde Routine erfordern. Routine ist an und für sich nichts Schlechtes, aber trotzdem sind mir Herausforderungen lieber. Sowas brauche ich. Ich wiederhole mich wohl, nicht wahr, Selbst? Daß ich immer beschäftigt sein will und Langeweile scheue ... In uns stecken immer noch zu viele Probleme, die sich nicht lösen lassen. Dämonen, die wir abzuschütteln versuchen, unverarbeitete Erfahrungen von Kril, von Galaxy VI, von Mysteleria und Asrai. Reste, die nicht mit gut gemeinten Worten oder Traumtherapien wegzuwischen sind. Oder durch Arbeit. Ja, wie steht's damit, Selbst? Versuche ich, durch Arbeit meinen Ängsten zu entfliehen, oder gewinne ich durch sie Zeit, um meine Wunden ausheilen zu lassen? Bin ich denn schon soweit, daß ich den Furien entgegentreten könnte, die mir in meinen heimlichen Träumen nachstellen? Nein. Noch nicht. Durch Arbeit werden wir stärker; später können wir uns dann den Problemen zuwenden und sie zu lösen versuchen. Wie schwer wir's uns doch manchmal machen, du und ich. Wir wollen den jeweils anderen schützen, behindern ihn ständig und streiten um die innere Führung. Bei all den Komplikationen erstaunt es doch, wie gut wir zurechtkommen. 7040 - 5.2. Es gibt wenig zu tun und noch weniger zu berichten. Ich hänge mit Galley im Labor rum und warte auf die feierliche Verleihung des Stipendiums, die auf den 8. angesetzt ist. 7040 - 7.2. Oberst Q. ES't'phons hat sich mit mir für heute abend zum Essen verabredet. Anschließend wollen wir übers Geschäftliche reden. Als er heute morgen ankam, habe ich kurz mit ihm sprechen können. Es scheint, daß sich seine Haltung mir gegenüber zum Positiven entwickelt hat. In seinen Augen bin ich wohl jetzt eine wichtige Person, die besondere Aufmerksamkeit verdient. Er tat mir fast ein bißchen leid. Ich muß mich wohl bald wieder auf eine Bauchlandung gefaßt machen, Windy. In letzter Zeit läuft alles viel zu glatt. Das Abendessen mit Oberst Q. ES't'phons in der Gästesuite war sehr angenehm. Danach hat er meine Prämien aufgelistet und die noch offen stehenden Vergütungen nachgerechnet. Er schien es nicht eilig zu haben und erklärte jedes Detail in aller Ausführlichkeit, was ihm anscheinend so viel Spaß machte, daß ich ihn gewähren ließ. Meine Fragen waren kurz, seine Antworten lang und mit Anekdötchen angereichert. Es war ganz nett, ihm zuzuhören. Ganz nett. Als die Abrechnung endlich erledigt war, stellte er mir vier diplomatische Aufträge zur Auswahl, die für mich von Interesse sein könnten. Erstens, die Vereinbarung über eine Koloniegründung auf Trigoter in der Rosenspirale. Zweitens, ein Handelsabkommen zwischen dem Bund und Good Stand II in einem der kleinen Cluster jenseits von Calypso. Und drittens (bei diesem Angebot tat mein Herz vor Freude einen Satz), die Vertragsverhandlung über eine einzurichtende Bundesbasis auf Quadra. Quadra! Dahin wollte doch auch ShRil verreisen. Ich sagte dem Oberst, daß er sich den vierten Vorschlag sparen könne. Aber dann erklärte er mir alles, was er über den QuadraAuftrag wußte. Überrascht von meiner Erregung und meinem Interesse, gab er mir Einblick in
die Unterlagen des DiploKorps. Der Auftrag stellt in der Tat eine große Herausforderung dar. Quadra ist ein Planet, dessen intelligente Ureinwohnerschaft ausgestorben ist. Jetzt leben dort zwei zugezogene Volksgruppen: Die eine beherrscht den Planeten, die andere regiert ihn. Die beherrschende Gruppe besteht aus >körperlosen, intelligenten Wesen< — so die Bezeichnung des Bundes für das, was gemeinhin unter Geistern verstanden wird. Geister von allen Ecken und Enden des Universums. Die Föderation glaubt natürlich nicht an Geister und hat sich deshalb eine nüchterne Erklärung ausgedacht, wie all diese >körperlosen, intelligenten Wesen< nach Quadra gelangt sind. Aber der Oberst meint, daß niemand den wahren Grund kennt, geschweige denn die Frage zu lösen weiß, warum die Geister sämtlicher Spezies auf einen Planeten emigrieren, dessen ureigene Zivilisation schon vor mehr als fünfhundert Jahren ausgestorben ist. Aber daß dem so ist, läßt sich nicht leugnen, genauso wenig wie die Tatsache, daß diese Geister den Planeten und alles, was darauf geschieht, unter ihrer Kontrolle haben. Kundschafter, die früher versuchten, die Wünsche der Geister zu ignorieren, lernten bald kennen, was es heißt, zu jeder Tages- und Nachtzeit von verärgerten Gespenstern heimgesucht zu werden. Die regierende Bevölkerung setzt sich aus unterschiedlichen Spezies zusammen. Sie regelt den Tourismus, den sehr unergiebigen Bergbau, die Konsum- und Dienstleistungsbetriebe und so weiter. Jede größere und viele kleinere Entscheidungen wird in Absprache mit dem sogenannten Spiritum getroffen, dem unsichtbaren Rat der Geister, der in allen Belangen das letzte Wort hat. Da im Tourismus (die alten Ruinen der Quadraner locken viele Besucher an) die Haupteinnahmequelle liegt, will der Regierungsrat den Fremdenverkehr fördern. Für die Geister sind diese Ruinen jedoch heilig oder zumindest quasi-heilig. Deshalb versuchen sie, das Touristengewerbe durch strenge Auflagen zu behindern. Auf Quadra werden inzwischen viele interplanetare Konferenzen abgehalten. Mit dieser Entwicklung sind beide Parteien zufrieden, denn es kommen zahlreiche Besucher, denen es nicht in erster Linie darum geht, die antiken Orte zu besichtigen. Eine dieser regelmäßig stattfindenden Treffen ist die Konferenz über universelle Legenden und Literaturen; sie findet vom 25. 4. bis zum 25. 5. statt, und an ihr wird ShRil teilnehmen. Der Bund unterhält seit fünfundachtzig Jahren ein Team von Verbindungsoffizieren auf Quadra und möchte nun einen zivilen Stützpunkt installieren mit einem Forschungszentrum, einer Hafenanlage zum Betanken und Warten von Bundesschiffen, einer Fernmeldestation und ähnlich wichtigen Einrichtungen. Meine Aufgabe wäre es, eine entsprechende Genehmigung von Regierungsrat und Spiritum einzuholen und mit beiden Gremien einen Vertrag auszuhandeln, der dem Bund möglichst viele Privilegien einräumt. Was für die Geister dabei rausspringen soll, ist mir nicht ganz klar. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, welchen Vorteil sie aus den bereits laufenden Vereinbarungen für sich ziehen. Oberst Q. ES't'phons, der schon einmal auf Quadra gewesen ist, behauptet, daß die Geister gerne in Gesellschaft ihrer früheren Artgenossen sind. Dem, der die Ruinen besichtigt, begegnet oft der eine oder andere Geist, von dem er dann Auskunft erhält über die alte quadranische Zivilisation. Diese Erscheinungen sind so zuverlässig, daß die meisten Reiseunternehmen ihren Kunden Preisnachlässe anbieten, wenn sie das Pech hatten, keinen Geist anzutreffen. Soviel der Oberst weiß, brauchte bislang noch niemand auf dieses Angebot zurückzugreifen. Die Geister erscheinen manchen Touristen auch gerne privat und unterhalten sich mit ihnen über alles mögliche. Der Oberst berichtete von drei Besuchen dieser Art, in deren Verlauf er viel über seine Heimat, die Stsilfo-Galaxis, erfahren konnte, ja, mehr noch, als er überhaupt wissen wollte. Und das muß wirklich eine Menge gewesen sein, bedenkt man seine Vorliebe für detaillierte Informationen.
Der Auftrag scheint mir auf den Leib geschneidert zu sein, Windy. Delikate Verhandlungen, die Chance, ein paar Geister zu treffen und meine Forschungen weiterzuverfolgen — alles, was das Herz begehrt. Daß ShRil an der Konferenz teilnimmt, beeinflußt mich in meiner Entscheidung natürlich nicht im geringsten. Allerdings bin ich auch nicht abgeneigt, sie wiederzusehen. Ganz und gar nicht. 7040 – 8.2. Wenn mir jetzt noch jemand zu gratulieren versucht, breche ich in einen Schreikrampf aus. Die Feier, das Festessen, die Tischgespräche und einzelnen Ehrungen habe ich mir ja noch gefallen lassen. Aber unzählige Male auf das eigene Wohl anstoßen zu müssen und ständig beklatscht zu werden, geht entscheiden zu weit. Ich will nicht undankbar erscheinen, aber jetzt reicht's mir langsam. Erholung war mir nur ein einziges Mal beschert, als mich Direktor Franiingcard zwischen Dinner und Party in einen ihrer Privaträume entführte und sich eine halbe Stunde mit mir unterhielt. Oberst Q. ES't'phons hatte ihr erzählt, daß ich am Morgen einen neuen Vertrag unterschrieben und mich für einen Einsatz auf Quadra verpflichtet habe. Direktor Franiingcard bat mich, der Konferenz über universelle Legenden und Literaturen, die vom Zentrum für kulturellen Austausch mitfinanziert wird, einen Vortrag über das Windhover-Manley-BardenProgramm zu halten. Das Universum scheint mit jedem Rundblick kleiner zu werden. Mir ist bisher nie in den Sinn gekommen, daß das Zentrum in irgendeiner Beziehung zur Konferenz stehen könnte, was mir aber jetzt, da ich informiert bin, durchaus plausibel erscheint. Dadurch, daß das Zentrum diese Veranstaltung sponsert, trägt es auch dazu bei, daß der Bund auf Quadra Fuß fassen kann. Meine Verhandlungsposition wird durch diesen Umstand sicherlich gestärkt. Ich äußerte Zweifel daran, das Programm angemessen präsentieren zu können, versprach aber, einen Versuch zu unternehmen. Direktor Franiingcard hält meine Zweifel für unbegründet und glaubt, daß ich meine Sache gut machen werde. Wenn ich aber zu schüchtern wäre, könntest du, Windy, meine Aufgabe übernehmen. Du solltest dich schon einmal darauf vorbereiten. Die Glückwünsche und Trinksprüche, der massenhafte Weinkonsum und meine nach Quadra hin abstreifenden Gedanken haben den Abend zu einer Tortur werden lassen. Mein Schädel brummt. Der Magen rumort. Die Augen brennen. Und morgen früh wird es mir bestimmt nicht besser gehen. Gute Nacht, Windy. 7040 - 9.2. Morgen geht's los. Zuerst zurück ins Rehab-Lager, wo ich C.P.O. Largsznkyte die Übersetzung seines Gedichts geben und den Beithurunesen Lebwohl sagen werde, während Windy startklar gemacht wird. Dann ab nach Quadra. Fran hat versprochen, mich ohne weitere Feierlichkeiten abziehen zu lassen. Es scheint, daß nicht nur ich die Nase voll davon habe. Ich leg mich jetzt wieder ins Bett. Der Kopf tut immer noch weh.
7040 - 11.2. Volle Kraft voraus. Beschleunigung in Richtung auf Quadra. ShRil entgegen. Glücklichen Tagen entgegen. 6. 7040 - 18.2.
Bremsorbit, Quadra
Kaum zu glauben, daß erst ein Jahr vergangen ist, seit wir durch die Warpbänke schlichen auf der Flucht vor den Kriegshorden. Daß mein Leben seit meiner Freilassung durch Gracie ereignislos gewesen sei, kann ich beim besten Willen nicht behaupten. Die vor uns liegende Zeit verspricht ebenso kurzweilig zu werden, hoffentlich aber ein bißchen weniger gefährlich. Physisch wie psychisch. Vergangene Nacht habe ich Doktor Flos Tricks angewendet, um Fairy Peg in meine Träume zu rufen, aber es tauchten nur ein paar kurze, unzusammenhängende Szenen auf: Fairy Peg und ich auf einem Maskenball, zu sanfter Musik tanzend; flankiert von marschierenden Gabriel-Ratschen (als Eskorte oder Wache?); beim Haschespiel mit Peg im Burgturm. Zum Schluß liebten wir uns, und als ich aufwachte, stand mir ShRils Bild vor Augen. Vielleicht wende ich die Techniken nicht richtig an; es kann aber auch sein, daß sich die Gedächtnisblocker immer noch nicht gänzlich überwinden lassen. Was meinst du, Selbst? Entweder, oder? Sowohl als auch? Du weißt es auch nicht? Na schön. Laß dir von mir aus Zeit. Quadra-Control hat uns Landeerlaubnis erteilt. In neun Stunden gehen wir auf dem Flughafen von Monument City nieder. Mitten in der Nacht läßt es sich gemächlich landen. Keiner, der einem dazwischenfunkt; keiner, der zur Begrüßung herbeigeeilt kommt. Ganz ruhig und gelassen Kontakt mit dem fremden Planeten aufnehmen und den Tag erwarten ... Je mehr ich über die Situation auf Quadra erfahre, desto unsympathischer wird mir der Regierungsrat. Gleichzeitig wächst mein Respekt für die Geister. Im >Eda<-Abschnitt des Tamos stehen eine Reihe von Lebensregeln. Eine davon lautet: Das Reich der Liebe ist groß, aber nur wenige wohnen darin. Das Reich der Habsucht ist klein, aber viele wohnen darin. Hütet euch vor der Habsucht, die Raum zu gewinnen versucht; verteidigt das Reich der Liebe gegen seine Feinde Ihr seid der Zahl nach gering, aber der Geist ist mit euch. Nach meinen Informationen scheint der Regierungsrat dem Reich der Habsucht anzugehören, aber ob er deswegen auch schlecht ist, wird sich später herausstellen. Gehört das Spiritum dem Reich der Liebe an? Ich weiß nicht. Vielleicht stelle ich eine Zuordnung an, die nicht zulässig ist. Trotzdem stimmt mein Instinkt mit dem Tamos überein: »Hütet euch vor der
Habsucht.« Wenn der Regierungsrat dem Reich der Habsucht angehört, was für einen Platz nimmt dann die Föderation ein? Oder Gerard Manley, der den Bund repräsentiert? Eine heikle Frage, Selbst, aber die pragmatische Antwort lautet: Wir sind neutral. Der neutrale Verhandlungspartner sucht nach einem für alle Parteien akzeptablen Kompromiß. Nur so können wir vorgehen, offiziell jedenfalls. Was wir im stillen denken, steht auf einem anderen Blatt. Im Landeorbit. Die Flugkontrolle hat mir die örtliche Zeit durchgegeben und mich auf einen interessanten Gedanken gebracht. Auf einem Planeten wie Quadra zu arbeiten, dessen Tag nur neunzehn Stunden lang ist, kommt einem Zeitgeschenk gleich. Zwanzig Standard-Tage entsprechen fünfundzwanzig Tage und fünf Stunden örtlicher Zeitrechnung, was einen Zuschlag von 26 Prozent ausmacht. An der Zeitmenge ändert sich natürlich nichts, aber der Arbeitszeitrahmen ist ein anderer. Früher ist mir dieser Unterschied noch nie so richtig aufgefallen. Ich bin neugierig, wie sich das auswirken wird. Wahrscheinlich fällt mir der Unterschied nicht mehr auf, sobald ich mich an den hiesigen Tagesrhythmus gewöhnt habe. 7040 - 19.2.
Flughafen von Monument City, Quadra
Ich sollte jetzt noch ein wenig schlafen, bevor ich mich fertigmache und losziehe, um Dulmer Gyfgh Yerled, dem Vorsitzenden des Regierungsrats, meine Referenzen vorzulegen. Yerled ist ein Castonianer, gehört also jener humanoiden Spezies an, die für ihr freundliches Gemüt bekannt ist sowie für ihre ausgeprägte Toleranz gegenüber Riten, Gebräuchen und Sitten anderer Völker und Kulturen. Castonianer sind hervorragende Händler und Diplomaten. Auch Dulmer Gyfgh Yerled besitzt beide Talente. All das spricht für ihn und macht mich zuversichtlich. Das erste Treffen war in der Tat sehr erfreulich. Mr. Yerled (so möchte er angeredet werden) zeigte sich von äußerster Freundlichkeit. Über wichtige Themen haben wir noch nicht gesprochen. Dafür ist morgen Zeit, wenn der Rat zusammentrifft. Wir haben uns lediglich über Struktur und Aufgaben des Rats unterhalten, über die Sehenswürdigkeiten von Quadra und über den Wandel von Monument City während der siebenundzwanzig Jahre seines Hierseins. Er hofft, daß ich einen angenehmen Aufenthalt haben werde. Mit meinen Fragen zu den Geistern brachte ich nur wenig in Erfahrung, was ich nicht schon wußte. Das Spiritum, so sagte er, könne mir sehr viel besser Auskunft geben. Wir haben dann eine kleine Spitztour im Luftwagen unternommen, die uns über die Stadt und die angrenzenden Ruinen führte. Nach einem gemeinsamen Mahl ließ er mich dann allein. Eine wirklich liebenswerte Person, dieser Mr. Yerled. Er erinnert mich an Uwe Buskas Julinho Metrevili, eine castonianische Klassenkameradin von der DiploSchule. Im Gegensatz zu Mr. Yerled legte sie Wert auf eine weibliche Anredeform; sie bestand darauf, Metrevili-sha angeredet zu werden, wie es sich für eine feminine Person von Telephia gehört. Da nur geschlechtslose Castonianer ihren Heimatplaneten verlassen dürfen, war mir schon damals nie ganz klar, was es mit dieser geschlechtsspezifischen Anrede auf sich hat. Geht es darum, besondere Aufmerksamkeit zu erregen, oder versuchen die im Ausland lebenden Castonianer, ihren Mangel an Sexualität zu kompensieren? Auf meine Fragen, warum sie mit Metrevili-sha angeredet werden wolle, gab mir Julinho immer ein und dieselbe Antwort: »Weil ich es so wünsche.« Wenn man ihre Entwicklung nicht unterbrochen hätte, wäre sie vielleicht eine Frau geworden. Und Mr. Yerled vielleicht ein Mann. Wenn sie sich als Mister oder Missis besser fühlen, tue ich den Gefallen gern. Windy, heute nacht sollte ich wohl lieber per HypnoSchlaf ausruhen, um mich an den
kürzeren Tageswechsel zu gewöhnen. Das Treffen findet schon um sechs in der Früh statt, also um drei Uhr Standardzeit. Gescheiter wäre es gewesen, wenn ich mich schon unterwegs auf den neuen Rhythmus eingestellt hätte. Dumm, daß ich daran nicht gedacht habe. 7040 - 20. 2 . Ich weiß nicht, wie ich mir das Spiritum vorgestellt habe, aber gewiß nicht so, wie es tatsächlich ist. Ich glaube, daß ich mehr als zwei sichtbare Geister anzutreffen erwartet habe. Völlig unerwartet aber war dann die Begegnung mit einem Wesen, das wie eine ein Meter hohe Pflanze aussieht und sich mir als Rosa Distel vorstellte. Genausowenig vorbereitet war ich auf jene uralte terranische AmerIndianerin mit dem unmöglichen Namen Ronda Loner Kriegskrähe. Aber ist nicht immer alles anders, als man denkt? Im Regierungsrat sitzen neben dem Vorsitzenden Mr. Yerled auch noch Generalin Tizelrassel (Korps der föderierten Truppen, im Ruhestand, ein weiterer Castonianer), Srotisiv Secivero Odi (ein cuallischer Zwerg, der die Interessen der Bergwerker vertritt), Maurice Mossmann (ein auf Quadra geborener Humanoid) und Bistelfaith-der-Gläubige (ein Roaker Amoebalite, der alles, was er sagt, mit einem frommen Zitat aus dem Korakan belegt). Generalin Tizelrassel scheint sämtlichen castonianischen Regeln zu widersprechen. Wie ein feminines Wesen dieser Volkgruppe seinen Heimatplaneten verlassen und Generalin der föderierten Truppen werden konnte, würde mich sehr interessieren. Vielleicht frage ich sie einmal danach. Diesem Rat habe ich genau erklärt, wie meine Mission lautet und was der Bund beabsichtigt. Ich versicherte, so gut ich konnte, daß eine Bundesbasis kein Hindernis darstellen und nur wenig Anforderungen stellen, dafür aber die Wirtschaft mächtig ankurbeln würde. Überraschenderweise wurde ich genau an diesem Punkt von Ronda Loner Kriegskrähe unterbrochen, die in dunkler, wohltönender Stimme erwiderte: »Viele Male schicken ferne Häuptlinge kleine Männer mit großen Versprechungen, die dann nicht eingehalten werden.« Mit diesen Worten verschwand sie. Peng-puff! Verschwand innerhalb eines Wimpernschlags. Ich war ziemlich irritiert, aber alle anderen schienen ganz gelassen zu reagieren, und nach einer kleinen Pause bat mich Mr. Yerled fortzufahren. Viel hatte ich nicht mehr zu sagen, also kam ich schnell zum Schluß und setzte mich. Daraufhin fragte Mr. Yerled Rosa Distel, ob das Spiritum einen Kommentar abzugeben wünsche. In der Tat, das wünschte es. In dröhnendem Bariton dozierte Rosa Distel über den Ruhm der quadranischen Zivilisation, die heilige und ehrenwerte Pflicht, die Reste dieser Zivilisation zu schützen, über Verseuchung und Schmutz, mit denen Fremde den Planeten überziehen, weil sie die Schätze Quadras mißachteten, und so weiter und so fort. Doch in diesem überspannten Monolog wiesen auch einige Bemerkungen darauf hin, daß das Spiritum zu weiteren Gesprächen über die Möglichkeit einer Stützpunkterrichtung auf Quadra bereit sei, wenn es dem Regierungrat und der Föderation gelänge, alle niederen Beweggründe fallen zu lassen und sich aufzuschwingen aus ihrem natürlichen Zustand der Verderbtheit. Ich war beeindruckt und belustigt zugleich und bat Rosa Distel um eine Spezifikation der Bedingungen, unter denen das Spiritum zu weiteren Gesprächen bereit sei. Bevor Rosa Distel antworten konnte, tauchte Ronda Loner Kriegskrähe wieder auf und verkündete, daß die Sitzung morgen um sechs Uhr fortgesetzt werden würde. Daraufhin waren beide, sie und Rosa Distel, wieder verschwunden. Mr. Yerled kam nicht umhin, die Sitzung zu vertagen. Alle eilten dem Ausgang zu, nur ich blieb sitzen und versuchte, mich zu fassen. Maurice Mossmann und Mr. Yerled traten auf
mich zu und luden mich zum Essen ein. Ich lehnte dankend ab und sagte, daß ich noch verdauen müsse, was mir soeben zu Ohren gekommen sei, und daß ich mich auf die morgige Auseinandersetzung vorbereiten wolle. Mossmann lachte darüber und meinte, daß von Auseinandersetzung noch gar nicht die Rede sein könne; was ich heute gehört hätte, wäre der übliche Prolog, den das Spiritum jeder Diskussion über durchgreifende Veränderungen voranschicken würde. Uber diese Information war ich, offen gestanden, sehr erleichert. Drum nahm ich ihre Einladung dann doch an. Und wenn ich mich jetzt nicht beeile, komme ich zu spät. Wenn Maurice Mossmann auch nur einen intelligenten Gedanken in seinem olivengroßen Kopf hegt, so hat er ihn am heutigen Abend gut zu verstecken gewußt. Er ist ein aufgeblasener, überfressener, eingebildeter und gieriger Wicht, der, weil er hier geboren wurde, zu glauben scheint, über das Schicksal Quadras im Alleingang entscheiden zu können, wenn nötig, auch gegen die >dahergelaufenen Gespenster<, wie er sich ausdrückt. Seine Vorurteile sind gewaltig und betreffen alle Fremden, aber auch die meisten Vertreter humanoider Gattungen. Während des gesamten Essens und bis ich mich dann schließlich unter dem Vorwand, schlafen zu müssen, aus dem Staub machte, spie er galligen Haß aus und gab sich großkotzig. Der freundliche Mr. Yerled saß schweigend dabei; nur ab und zu meldete er sich kurz zu Wort und meinte, daß nicht alles so schlecht sei, wie Maurice es darstellen würde. In der Ratsversammlung heute morgen hielt sich Maurice Mossmann bemerkenswerterweise zurück. Haben seine Ratskollegen die Nase voll von seinen Sprüchen und einen Weg gefunden, ihn zum Schweigen zu bringen? Oder wagt er es nicht, seine Reden vor dem Spiritum zu schwingen? Ich vermute, letzteres ist der Fall. Er haßt die >Gespenster<, weil er sie fürchtet. Sie stehen seiner Raff sucht im Weg und bedrohen damit das, was er erstrebt. Und dessen ist er sich bewußt. Er sprach sogar davon, daß er nach einem Weg suche, sie von Quadra zu vertreiben. Dann, so meinte er, »können anständige Humanoiden endlich nach ihrer Fasson leben, frei von diesen Ghulen, die am Tor der Ewigkeit zurückgewiesen wurden«. Fara, verschone mich davor, jemals wieder mit ihm ein Privatgespräch führen zu müssen. HypnoSchlaf, Windy. Schnell! Ich will keinen einzigen Gedanken mehr an ihn verschwenden. 7040 - 21 . 2.
(13:23 Ortszeit; 5:44 Standard)
Nein, Windy, ich glaube kaum, daß ich mich jemals an den Zeitunterschied gewöhnen werde. Ich weiß nicht, woran ich mich halten soll: ans Standardmaß, die örtliche Zeit, die Zahl der Treffen oder die Zahl der Überraschungen. Heute morgen eröffnete Mr. Yerled die Runde mit einer kurzen, rätselhaften Anregung: Das Spiritum möge doch für zukünftige Sitzungen weitere Mitglieder bestellen. Generalin Tizelrassel und Odi schlossen sich diesem Vorschlag an; Mossmann enthielt sich der Stimme. Rosa Distel schien ebenfalls einverstanden zu sein, doch Ronda Loner Kriegskrähe legte ihr Veto ein. Die Sitzung wurde vertagt, und alle verschwanden oder gingen. Bis auf meine Person. Ich fürchte, einen Teil der Spielregeln immer noch nicht begriffen zu haben. Als auch ich schließlich den Sitzungssaal verließ, mietete ich mir einen Luftwagen und flog hinaus zu den Ruinenfeldern. Es ist sehr schön dort zwischen all den Steinen und Stahltürmen. Vor allem ruhig. Die Gehwege sind bedeckt von einer gelben, festen Moosart, die jeden Schritt abfedert. Man kann kaum hören, wenn von hinten jemand kommt, besonders dann nicht, wenn es sich
um einen Geist handelt. Ich stand vor einer kleinen Bank, als sich plötzlich eine krächzende Stimme hinter mir meldete: »Gerard Manley, ich will mit Ihnen reden.« Vor Schreck sprang ich in die Luft und wirbelte herum. Da stand ein kleiner Geist, anderthalb Meter hoch, ziemlich mickrig, transparent mit einem Stich ins Blaue, gebaut wie ein schlankes, gleichschenkliges Dreieck. Auf dem kurzen, stengelförmigen Kopf saß ein blauer, schlabbriger Hut mit breiter Krempe. »Ich heiße Sheets«, quiekte mein Besucher. »Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Körperliche Wesen lassen sich von meiner Stimme leicht irritieren, deshalb spreche ich sie nur selten an. Aber wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, würde ich Ihnen gerne eine Geschichte erzählen.« Ich setzte mich oder besser gesagt: plumpste fassungslos auf die Bank neben mir und hörte zu. Um eine Geistergeschichte handelte es sich nicht. Shttz (ich ließ mir den Namen im Standardalphabet buchstabieren) erzählte von einem tricholdäischen Raubtier, dem sogenannten Soo-sat, das seine Beute fängt, indem es ein Abbild seiner selbst vor das Opfer wirft. Das Opfer macht fliehend vor dem Abbild kehrt und rennt geradewegs in das aufgesperrte Maul des Originals. Shttzs Erzählung war sehr viel feingesponnener als meine Wiedergabe, die jedoch im großen und ganzen zutreffend ist. Shttz bedankte sich für meine freundliche Aufmerksamkeit und verriet mir, daß hier im Schiff eine Nachricht auf mich warten würde. Dann löste er sich — mit Hut und allem drum und dran — vor meinen Augen in einer bläulichen Gaswolke auf, die vom Wind verweht wurde. Als ich wieder hier war, sah ich diesen Bogen Pergament auf meinem Stuhl liegen, und darauf stand eine Mitteilung von Ronda Loner Kriegskrähe, geschrieben in terranischer Ursprache. Der Barde arbeitet gerade an einer Übersetzung. Windy schwört, daß niemand an Bord gewesen ist. Hätte ein Unbefugter die Tür geöffnet, wäre Alarm gegeben worden. Aber ein Geist geht nicht durch Türen. Doch wie schaffte es ein körperloser Geist, ein festes Stück Pergament in die Kabine zu schmuggeln? Rondas Botschaft ist eine wahre Geistergeschichte: Ronda Loner Kriegskrähe war, nach allem, was man hört, ein Vollblut, amerindianisch, ein Liebling ihres Stammes, Liedersängerin und und wahrer Erdenmensch. Plötzlich, eines Tages, verschwand sie auf einem Pony, buntgemalt (rot, weiß und blau); nur an Geburts- und Feiertagen hörte man von ihr in R-Gesprächen vom Herz des Stammes, von den Legenden der Berge oder dem Longbranch Saloon. Manche glauben, sie im Film gesehn zu haben als Senorita in Alt-Mexiko, bei einem Gringo, der Guitarre spielt;
doch an den Namen dieses Films kann sich niemand erinnern, und deshalb bleibt auch unbewiesen (von R-Gesprächen abgesehen), daß sie tatsächlich existiert,» nicht nur in unseren Köpfen. Was soll ich davon halten? In Fußnoten und Hinweisen erklärt der Barde die meisten Namen und Ortsangaben. Aber warum wurde mir diese Botschaft übermittelt? Was bedeutet sie? Ist das die Biographie von Ronda Loner Kriegskrähe? Versucht mir ein anderer Geist etwas über Ronda zu erzählen? Woher wußte Shttz, daß die Nachricht hier auf mich wartete? Hat er sie gebracht? Viele Fragen, keine Antwort. Die Geschichte von Shttz ist leichter zu verstehen. Aber vielleicht täusche ich mich auch nur. Mit seiner Fabel wollte er mir wahrscheinlich zu verstehen geben, daß ich mich, wenn Gefahr droht, nicht einfach umdrehen soll, bevor ich nicht sicher bin, ob der Feind vor mir wirklich echt ist. Aber vielleicht habe ich auch nur die sinnlose Geschichte eines einsamen Geistes gehört. Bemerkenswert ist, daß sich bislang noch niemand ernsthaft für den Vorschlag bezüglich des Bundesstützpunktes interessiert hat. Weder vom Regierungsrat noch von den Geistern war eine konkrete Stellungnahme zu hören. Ich finde das seltsam, wenn nicht gar suspekt. Aber vielleicht werden hier auf diesem ungewöhnlichen Planeten ungewöhnliche Wege eingeschlagen, wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen. Ich fürchte, mit meiner Mission auf Probleme zu stoßen, mit denen ich nicht gerechnet habe. (10:17 Ortszeit; 21:39 Standard) Ein neuer Tag, ein weiteres Treffen, das endlich einmal ein wenig ergiebiger war. Das Spiritum ist um zwei Stimmen verstärkt worden. Shttz war zugegen, ignorierte mich aber; also nahm ich ihn auch nicht zur Kenntnis. Der zweite Neuling scheint ein castonianischer Geist zu sein. Niemand hielt es für nötig, mich den beiden neuen Mitgliedern vorzustellen. Da sie nur zuhörten, sich aber nicht an der Diskussion beteiligten, beachtete ich die beiden kaum. Nachdem Mr. Yerled die Sitzung eröffnet hatte, gab er das Wort an Bistelfaith-denGläubigen, der eine Reihe verschiedener Übereinkünfte aufzählte, die während der vergangenen drei Jahre zwischen Regierungsrat und Spiritum getroffen worden waren. Dabei streute er fleißig Segenssprüche aus dem Korakan ein und bemerkte schließlich, daß alle Forderungen des Spiritums streng eingehalten worden seien. (Mossmann prustete an dieser Stelle, und Generalin Tizelrassel räusperte sich.) Dann wies der Gläubige darauf hin, daß der Rat schon vor meiner Ankunft der Meinung gewesen sei, daß Quadra von der Einrichtung eines Bundesstützpunktes profitieren würde. (An dieser Stelle gähnte Ronda Loner Kriegskrähe ungeniert und ausdauernd.) Von Vorteil sei vor allem der stabilisierende Effekt für die Wirtschaft, die noch allzusehr unter den launischen Trends der Tourismusbranche leiden müsse. Zum Schluß erklärte er Punkt für Punkt und in ermüdender Länge, wie es zu einer solchen Stabilisierung kommen könne. Ich wäre vor Ungeduld fast geplatzt, beherrschte mich aber. Nachdem Bistelfaith geendet hatte und auf seinen Stuhl zurückfiel, richtete sich Srotisiv Secivero Odi zur vollen Höhe seiner dreißig Zentimeter auf, erhob seine kehlige Stimme und erklärte in einer zwanzigminütigen Ansprache, warum die Interessensvertreter des Bergbaus Bistelfaiths Meinung unterstützten. Auf Odis Rede reagierte zu meinem Erstaunen die gesamte Tischrunde mit beifälligem Gemurmel. Bistelfaiths Stellungnahme, die ich trotz aller frommen Sprüche sehr viel klarer und verständlicher fand, hatte keinerlei Beifall hervorgerufen. Mr. Yerled wollte nun wissen, ob das Spiritum den bisherigen Verlauf der Sitzung zu
kommentieren wünsche. Ich erwartete die eine oder andere scharfe Bemerkung von Ronda oder einen der umständlichen Vorträge von Rosa Distel. Statt dessen verwies Ronda ganz sachlich auf die Einwände des Spiritums, die jedoch zurückgezogen würden, wenn der Regierungsrat oder der Bund entsprechende Zugeständnisse machte. Grundsätzlich halte das Spiritum die ökonomische Lage für stabil genug; ein Bundesstützpunkt würde unerwünschte Elemente herbeilocken und immer größer, anmaßender und dominierenden werden; außerdem bestünde die Gefahr, daß ein nicht-militärischer Stützpunkt unmerklich in einen militärischen umgewandelt werde. Die größte Sorge des Spiritums besteht darin, daß Archäologen des Bundes in Sperrbezirke einbrechen könnten, was zwangsläufig zu Vergeltungsmaßnahmen seitens der Geistergemeinschaft führen würde. Und solche Vergeltungsmaßnahmen hätten mit Sicherheit einen schlechten Einfluß auf die Wirtschaft. Zuerst wollte ich meinen Ohren nicht trauen. Dann erkannte ich, daß Ronda auf die Geizhälse in der Regierungsrunde einzuwirken und ihnen begreiflich zu machen versuchte, daß eine Bundesbasis nicht unbedingt von Nutzen sei, sondern im Gegenteil enorme Schäden für die Wirtschaft anrichten könne. Vielleicht wollte sie auf indirekte Weise auch nur daran erinnern, daß die Geistergemeinschaft ohnehin sämtliche Geschäfte letztendlich kontrolliert. Sehr geschickt, diese Ronda. Sie führte diesen Punkt nicht weiter aus, tat nur präsize ihre Meinung kund und gab das Wort wieder ab. Ihr war klar, daß die Ratsmitglieder an ihrer Stellungnahme noch länger würden zu schlucken haben. So wie ich. Ich ahnte, daß der Zeitpunkt ungünstig war, einen Kommentar abzugehen. Der Same war gepflanzt und würde keimen. Mir blieb nichts weiter übrig, als abzuwarten, welcher Keimling aus dem Boden sprießen würde. Zum Glück kann und wird der Bund einen abschlägigen Bescheid hinnehmen. Quadra bietet zwar in diesem Sektor die geeignetste Lage, aber meinen Auftraggebern ist durchaus klar, daß sich der Plan womöglich nicht realisieren läßt. Rondas Stellungnahme macht mir jedoch Hoffnung. Ihre Einwände sind allzu berechtigt und könnten durch entsprechende Zugeständnisse ausräumt werden. Aber damit wären die Ratsmitglieder wahrscheinlich nicht einverstanden; sie würden ihre Profitchancen schwinden sehen. Windy, wir scheinen nun endlich zum eigentlich strittigen Punkt vorgedrungen zu sein. 7040 - 24. 2 . (7. Tag) Was den Beruf des Vertragsdiplomaten so reizvoll macht, ist das Vergnügen, den Verlauf einer Verhandlung zu beobachten und ihn gleichzeitig zu steuern. Der Regierungsrat ist unentschieden. Bistelfaith und Odi plädieren für eine Fortsetzung der Verhandlungen. Mossmann und Generalin Tizelrassel wollen erst einmal die wirtschaftlichen Auswirkungen prüfen lassen. Mr. Yerled könnte mit seiner Stimme den Ausschlag bringen, hat sich aber während der letzten drei Tage immer wieder enthalten. Ronda Loner Kriegskrähe mußte jedesmal grinsen. Beide Ratsfraktionen haben mich jeweils auf ihre Seite zu ziehen versucht. Ich verhielt mich jedoch beharrlich neutral, gab jeder Seite dieselben Informationen und weigerte mich, Ratschläge zu erteilen. Im stillschweigenden Einvernehmen mit dem Spiritum stellte Srotisiv Odi gestern den Antrag, mich zu einem stimmberechtigten Ratsmitglied zu ernennen. Meinem Einspruch wurde nicht stattgegeben; also muß ich jetzt zusehen, wie ich mich am besten aus dem Konflikt heraushalte. Zwei Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen. Patt.
Um meine Theorie zu prüfen, daß das Spiritum nicht grundsätzlich gegen einen Stützpunkt eingestellt ist, schlug ich eine Sondersitzung des Regierungsrates ohne Beteiligung des Spiritums vor. Mr. Yerled unterstützte meinen Antrag, der einstimmig angenommen wurde. Rosa Distel legte für das Spiritum Veto ein, und die Sitzung wurde auf morgen vertagt. Meine Theorie scheint sich zu erhärten. Wenn das Spiritum den Stützpunkt schlichtweg ablehnen würde, hätte es den Rat separat tagen lassen, weil es davon ausgehen kann, daß Mossmann und Generalin Tizelrassel eine Abstimmung zu verzögern wissen und alles daran setzen, Bistelfaith für sich zu gewinnen. Yerled würde dann zusammen mit Odi gegen ein neues Wirtschaftsgutachten stimmen in der Hoffnung, daß ich mich ihnen anschließe und somit eine weitere Pattsituation geschaffen wäre. Ich würde mich natürlich enthalten, und der Aufschub wäre beschlossene Sache. Das Spiritum könnte sich damit zufrieden geben, würde die Weisheit des Rats loben und das Stützpunktvorhaben zum Scheitern bringen. Dadurch, daß es sich gegen eine getrennte Sitzung entschieden hat, stützt das Spiritumdie Position von Bistelfaith, setzt Mr. Yerled unter Druck und drängt mich, begünstigend auf ihn einzuwirken. Ein geschickter Schachzug. Mr. Yerled wird als ehemaliger Diplomat erst dann zustimmen, wenn ein vertretbarer Kompromiß erreicht ist. Als amtierender Diplomat werde ich mich hüten, Druck auf ihn auszuüben. Leider bleibt aber trotzdem fraglich, ob der Rat in Anwesenheit des Spiritums zu einem Kompromiß finden kann. Mossmann hat sich in seine neue Oppositionsrolle so sehr hineingesteigert, daß er zu Zugeständnissen nicht mehr bereit zu sein scheint. Generalin TizeIrassel leistet ihm eifrig Schützenhilfe; aber ich vermute, daß sie sich noch auf die andere Seite ziehen läßt. Hier ist diplomatisches Geschick gefragt. Wahrscheinlich könnte ich, wenn Mossmann nicht zugegen ist, in Einzelgesprächen davon überzeugen, daß ein Kompromiß in Ordnung ist. Tizelrassels schwammige Diskussionsbeiträge legen den Verdacht nahe, daß sie einen persönlichen Groll gegen den Bund hegt. Vielleicht ist ihr unrecht getan worden, für das sie sich rächen will. Wenn ich ihr also klarmachen könnte, daß ein Kompromiß, der strenge Auflagen für den Stützpunkt vorsieht, für alle Parteien von Vorteil wäre, ließe sich die Pattsituation aufbrechen. Morgen werde ich, wenn es das Spiritum erlaubt, mit jedem Ratsmitglied ein persönliches Gespräch führen, wobei ich, wohlgemerkt, niemanden überreden will, sondern nur die Fronten zu klären versuche. Zuerst knöpfe ich mir Mossmann vor. Er wird sich geschmeichelt fühlen, den Anfang machen zu dürfen, und davon ausgehen, daß er die Situation im Griff hat. Jetzt will ich noch ein wenig im Tamos schmökern und mir dann eine geruhsame Nacht wünschen. Wenn's sein kann, Selbst, laß mich von ShRil träumen. (8.Tag) Es hat geklappt, Windy. Das Spiritum war sofort einverstanden. Mossmann maulte ein wenig, bis ich darum bat, zuerst mit ihm sprechen zu dürfen. Sein plumpes, kleines Gesicht strahlte vor Selbstgefälligkeit. Auf seinen Vorschlag hin werden wir uns heute nachmittag in seiner Wohnung treffen. Wenn er nicht so ein abstoßendes Individuum wäre, könnte mir die Sache fast Spaß machen. Na, vielleicht wird es trotzdem noch amüsant. 7040 - 25 . 2 . (immer noch der 8. Tag) Mitten am Tag das Datum ändern zu müssen, stört meinen Realitätssinn. Aber den stört Maurice Mossmann nicht weniger. Nachdem wir uns gesetzt hatten, meinte er, ich könne
frank und frei meine Meinung kundtun, da die Wohnung >gespenstersicher< sei. Ich hätte fast laut aufgelacht. Jeder weiß, daß Geister lebende Wesen nur schemenhaft und ihre Stimmen nur als ein undeutliches Brummen wahrnehmen, sofern sie, die Geister, nicht sichtbare Gestalt annehmen. Sie können zwar vieles erahnen, aber in Gedanken zu lesen gelingt ihnen nicht. Trotzdem herrscht unter weniger gebildeten Leuten immer noch der Aberglaube vor, daß sie den Lebenden nachspionieren. Und zu den Leuten gehört sicherlich auch Mossmann. Ich stellte meine Fragen. Mossmann antwortete. Fünf Stunden lang markierte ich den naiven Fremdling, der von einem alteingesessenen Experten des Pudels Kern zu erfahren versucht. Ich halte Mossmann Liebe zu Quadra und seine Sorge um ihr Wohlergehen für durchaus ernsthaft. Aber genauso ernst zu nehmen sind seine geizigen, bigotten und selbstsüchtigen Motive. Der Mann ist jenseits aller Tücke. Er glaubt tatsächlich, was er in seiner >gespenstersicheren< Wohnung zum besten gibt und hält seine Worte für der Wahrheit letzten Schluß. Für Bistelfaith und Odi empfindet er echtes Mitleid. Daß sie die Wahrheit nicht sehen, liegt seiner Meinung nach an deren mangelhaften Konstitution. Sie sind eben nicht humanoid. Er respektiert Mr. Yerled als Vorsitzenden, glaubt aber, daß er, Yerled, in den langen Jahren seiner Diplomaten- und Händlerlaufbahn allzuoft unter dem Einfluß niederer Wesen gestanden und sich von ihnen den Verstand hat trüben lassen. Nur für Generalin Tizelrassel empfindet Mossmann ungeteilte Bewunderung und Respekt, und er schlägt mir vor, mit ihr das nächste Gespräch zu führen, damit ich, bevor der Rest an die Reihe kommt, den Sachverhalt in seiner ganzen Komplexität kennenlerne. Er riet mir sogar, das Treffen für den frühen Morgen zu verabreden, >denn dann ist die GeneraIin in bester Laune<. Wunderbar. Besser hätte ich es nicht planen können. Wenn sich jetzt noch Tizelrassel mit einer passenden und geschickt vorgetragenen Frage zur gewünschten Antwort bewegen läßt, haben wir so gut wie gewonnen. Mossmann wird Jahre brauchen, um meine List zu durchschauen. Immer mit der Ruhe, Gerard. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, besonders dann nicht, wenn man mit den Tageszeiten nicht klarkommt. Du hast es mit einer BundesGeneralin a.D. zu tun und nicht mit einem Trottel, der noch nie über den Tellerrand geblickt hat. Tizelrassel ist weit rumgereist. Sei bloß vorsichtig. Laß ihr die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Daraus magst du dann deine Schlüsse ziehen. »Nachgiebig und flexibel bleiben.« Das hat man dir in der Schule beigebracht. Erinnerst du dich? (9. Tag) Generalin Tizelrassel hat mir wirklich diplomatische Kopfstände abverlangt. Sie wollte keine Fragen beantworten, sondern selber welche stellen. Als ich an mein Versprechen dem Spiritum gegenüber erinnerte und feststellte, daß es mir ausschließlich um das Sammeln von Informationen gehen würde, lachte sie höhnisch und fragte, wie ich die denn bekommen wolle, ohne selber welche preiszugeben. Sie ließ mich einfach zappeln. Fünfeinhalb Stunden lang ging es zwischen uns hin und her. Ich erzählte ihr was, sie erzählte mir was, und am Ende waren wir in etwa quitt. Trotzdem gelang es mir, in diesem Ping-Pong unserer Unterhaltung etliche Fragen zu stellen, auf die es mir ankam. Sie hat mir zwar nicht auf alle Fragen geantwortet, aber immerhin bin ich sie losgeworden. Gleich zu Anfang wies sie darauf hin, daß sie das Gespräch für ihre Akten aufzuzeichnen gedenke. Ich hatte nichts dagegen. Methodisch und genau, wie sie ist, wird sie die Aufnahme wahrscheinlich mehrere Male abhören, um sicher zu sein, daß ihr die springenden Punkte nicht entgangen sind. Natürlich wird sie sich auch alle meine Fragen neu zu Gemüte führen, immer und immer wieder. Und genau das kommt mir zupaß, denn nichts bleibt so schön
haften wie die Wiederholung. Welche Wirkung ich auf sie ausgeübt habe, wird sich erst zeigen, wenn der Rat wieder zusammentritt. Bis dahin sollte ich mir nicht allzu viele Gedanken machen. Aber das Warten fällt mir so schwer, Selbst. Ich würde so gerne Resultate sehen, wenn nicht sofort, so doch wenigstens bevor ShRil ankommt — was mich übrigens daran erinnert, Selbst, daß einer von uns langsam mal damit anfangen sollte, den Vortrag für die Konferenz vorzubereiten. Morgen starten wir zur Vernebelungsaktion unseres Manövers und geben Srotisiv Secivero Odi ein paar Rätsel auf. Er ist mir eigentlich sehr sympathisch, trotz seiner kehligen Aussprache des Standards, wovon ich zuerst kaum ein Wort verstand. Aber vielleicht habe ich einfach nicht richtig hingehört, als er sich in seiner Rede zugunsten des Stützpunkts aussprach. Ich glaube, seine unverblümte Art hat mich so irritiert, daß ich nur auf den Akzent geachtet habe. Doch je häufiger ich ihn höre, desto mehr lerne ich seinen scharfen, praktischen Verstand zu schätzen. Ich bin um fünf Uhr mit ihm in Zeche 1 verabredet, um die Sonne hinter den Bergen aufgehen zu sehen. Damit ich rechtzeitig ankomme, muß ich wohl schon mitten in der Nacht aufbrechen. Aber immerhin locken ein herrlicher Ausblick und eine unbeschwerte Unterhaltung. 7040 - 26 .2 . (10. Tag) Total erschöpft. Seit zwei Uhr früh auf den Beinen. Pünktlich an der Zeche gewesen. Erlebt, wie die Sonne von Quadra einer riesigen, orangefarbenen Klaue gleich über die Gipfel langte. Dann hat mich Odi den ganzen Tag lang herumgeführt. Er zeigte mir den Hauptschacht von Zeche 1, den Verbindungsstollen zu Zeche 2, die Verarbeitungs- und Entschlackungsanlagen, den Transportbetrieb, die Wohnquartiere und Freizeitparks der Bergleute sowie einen Großteil der Ruinen auf der anderen Seite des Tals. Die Tour legten wir fast ausschließlich zu Fuß zurück. Er ist unermüdlich. Unterwegs redeten wir, oder besser gesagt: Odi redete. Über die Minen, den Bergbau im allgemeinen, über seine Vorfahren von Cuallum und wie sie sich zu den besten (und reichsten) Bergwerkern des gesamten Universums emporarbeiteten. Und über die Ruinen. Odi liebt die Ruinen wie übrigens die meisten der hier Ansässigen, für die sie fast ebenso heilig sind wie für die Geistergemeinschaft, zu der Odi ein gutes Verhältnis zu haben scheint. Besonders gerne hat er Ronda Loner Kriegskrähe. Er behauptet, vieles mit ihr gemeinsam zu haben. Sobald ich jedoch versuchte, das Gespräch auf den Stützpunkt zu lenken, lächelte er bloß und sagte, daß ich mir darüber keine Sorgen zu machen brauche. Wenn ich näher in ihn drang, wechselte er das Thema. In Anbetracht seiner Unterstützung des Projekt und seines guten Einvernehmens mit den Geistern bin ich sicher, daß meine Theorie richtig ist. Ich bat Odi, eine Unterredung mit Ronda für mich zu vereinbaren. »Alles ist möglich«, antwortete er. Mehr nicht. Direkt, pragmatisch, freundlich, unermüdlich, humorvoll und feinfühlig. Und ein Verstand wie ein Bohrer, der selbst durch härtestes Erzgestein geht. Das ist Odi. Genug für heute, Windy. Fara sei Dank, daß ich erst um zehn mit Bistelfaith verabredet bin. Früher schaff ich's beim besten Willen nicht.
7040 - 27. 2 . (11. Tag) Bistelfaith-der-Gläubige saß in seiner goldverzierten Sitzschale (die wohl einen Meter breit und einen Meter hoch sein muß) und belehrte mich in einem siebenstündigen Vortrag. Nun, das Wort >belehren< ist vielleicht übertrieben, allerdings hatte ich den Eindruck, als versuchte er, mir Geschichtsunterricht zu geben über die Entwicklung von Quadra im Blickwinkel des Korakan. Zum Glück braucht man nicht alle religiösen Anspielungen zu verstehen, um Bistelfaith auf die Schliche zu kommen. Er hängt mit logischem Geschick eine Idee an die andere und läßt so eine Ideenkette entstehen, die logisch unantastbar zu sein scheint. Zum Schluß unterhielten wir uns noch etwa eine Stunde lang über allgemeine Dinge, und ich war überrascht zu erfahren, wie weit Bistelfaith herumgekommen ist. Er machte mich darauf aufmerksam, daß fast alle Roaker Amoebaliten eine starke Abneigung gegen die Raumfahrt entwickeln. Eine Erfahrung reicht ihnen, zu einer zweiten lassen sie es in der Regel nicht kommen. Der Grund, so sagte er, liege in der Tatsache, daß die meisten ihren Heimatplaneten Roak schon vor der Ersten Teilung verlassen und in dieser Phase körperlich noch nicht auf der Höhe sind. Bistelfaith hat auf Anraten seines Arztes die Erste Teilung auf Roak erlebt und begeistert sich nach wie vor für die Raumfahrt. Bevor er auf Quadra landete und hierzubleiben beschloß, hatte er siebzehn Planeten in fünf verschiedenen Systemen besucht. Warum ist er auf Quadra geblieben? Weil Dulmer Yerled ihm einen lukrativen Posten vermachte, und weil er müde war vom vielen Reisen, genug hatte von billigen Unterkünften auf Planeten, wo seine verstandesunbegabten Vettern und Cousinen immer noch auf dem Speiseplan standen, und außerdem war er es einfach leid, ständig unter Ungläubigen zu leben. Quadra bot ihm Zuflucht. Hier fand er Inspiration in der Person von GustAmufe, einem korakanäischen Geist, der ihm schon am ersten Tag begegnet war und theologische Fragen mit ihm diskutiert hatte. Tags darauf meldete sich Mr. Yerled, weil er von GustAmufe erfahren hatte, daß ein heiliges Wesen angekommen sei, das von ihm, Yerled, eingestellt werden möge, um die Buchhaltung seiner Handelsgeschäfte zu übernehmen. Das war vor über zwanzig Jahren. Bistelfaith arbeitet inzwischen nicht mehr für Mr. Yerled. Trotzdem sind die beiden immer noch enge Freunde und Verbündete im Rat. Als ich Bistelfaith fragte, ob Mr. Yerled wohl für eine Unterstützung des Projekts zu gewinnen sei, antwortete Bistelfaith wieder einmal mit einem Zitat. »Alles hat seine Zeit.« Ich verstand diesen Satz als Aufmunterung, bedankte mich höflich für die Gastfreundschaft und gut gemeinten Ratschläge und ging. Mr. Yerled wird mich erst übermorgen empfangen können. Also bleibt mir ein Tag zur Entspannung. Vielleicht sollte ich ein paar Zeilen aus dem Tamos auswendig lernen, um Bistelfaith damit zu überraschen. Aber vielleicht sollte ich jetzt doch besser schlafen. 7040 - 29 ./30 . 2 . Als ich in Dulmer Gyfgh Yerleds riesigem Landhaus am Rand der Handelszone ankam, sagte er mir, daß wir nicht allein seien. In Kürze würde ein Gast eintreffen, der unserer Unterhaltung beizuwohnen wünsche. Ich erinnerte ihn an die Vereinbarung eines privaten Gesprächs. Er aber entgegnete, daß ich mit diesem Gast einverstanden sein würde. Und während wir warteten, zeigte er mir sein Haus. Ein phantastisches Haus. Ein Kuppelbau aus Kunststahl und Kristall mit einer freischwebenden Wendeltreppe im Innern, die den ersten und zweiten Stock verbindet. Ein altes Haus, aber wunderschön proportioniert. Im Gegensatz zu den neueren, verschachtelteren
Bauformen, die jetzt auf zahllosen Planeten in Mode sind, hat Yerleds Haus Charakter. Der kreisrunde Querschnitt verleiht dem Bau trotz seiner Größe eine gemütliche Atmosphäre, eine intime Behaglichkeit, in der man sich wohl fühlen kann. Und darauf legt Mr. Yerled allem Anschein nach viel Wert. Besonders gern hält er sich offenbar im zweiten Stock auf, wo die privaten Zimmer, die Bibliothek, eine Hygienestation und zwei Gästezimmer untergebracht sind. Die Ausstattung jedes Raums trägt unverkennbar Yerleds Handschrift. Wir standen gerade in der Bibliothek, und ich betrachtete die Sammlung kleiner Skulpturen, als sich plötzlich eine voll tönende Stimme von hinten meldete. »Darf ich mich dazugesellen?« Bevor ich mich umdrehte, wußte ich, daß es Ronda Loner Kriegskrähe war. Sie stand im Türrahmen. Sie lächelte verschmitzt, und ihre transparente Gestalt schimmerte auf eine Weise, zu der mir nur der Ausdruck >umwerfend< einfällt. Ich war wie vom Donner gerührt, so schön, so rätselhaft schön war dieses Geistwesen vom Mutterplaneten der Menschheit. Eine Augenweide. Das also war Mr. Yerleds zweiter Gast. Zu meinem Erstaunen übernahm Ronda die Rolle der Gastgeberin, schlug vor, daß wir in der Bibliothek bleiben sollten, und bestellte für mich und Mr. Yerled Erfrischungen an der Konsole. Sie ließ sich aus über die einzigartige Gediegenheit des Hauses, bis schließlich die Erfrischungen ankamen und wir uns hinsetzten, um ernsthaft miteinander zu reden. Ronda wollte gleich von mir wissen, was ich von den Ratsmitgliedern und deren Einstellung zum geplanten Bau des Stützpunktes halte. Ich begann mit einer vorsichtigen und allgemeinen Wertschätzung, wurde aber schnell unterbrochen von Mr. Yerled, der darauf hinwies, daß der Sache besser gedient sei, wenn ich ehrlich und offen meine Meinung sagen würde. Bevor ich meinen Ansatz verteidigen konnte, überraschte mich Ronda mit der Bemerkung, daß es mir wohl leichter fiele, offen zu sein, wenn ich wüßte, daß sie, die Mehrheit der Geistergemeinschaft und Mr. Yerled entschieden für den Bau eines Stützpunktes auf Quadra plädierten. Die Information als solche überraschte mich weniger als die Tatsache, daß sie von sich aus damit herausrückte. Mir blieb keine andere Wahl mehr, als freimütig zu sprechen. Also gab ich Auskunft, erklärte, was ich von den Ratsmitgliedern und der Position des Spiritums halte, wie ich mit Mossmann und Tizelrassel zu taktieren versucht habe, wie ich die Möglichkeiten einer alle Seiten zufriedenstellenden Lösung einschätze und so weiter. Ich berichtete Ronda sogar von dem mysteriösen Pergamentbogen, den ich an Bord von Windy entdeckt hatte. Ronda schmunzelte nur und sagte, daß wir später darüber reden könnten. Als ich mit meinen Ausführungen fertig war, fragte Ronda, ob ich mir über den gesamten Sachverhalt gründlich im klaren sei, ein umfassendes Bild gemacht habe. Das Gewicht ihrer Frage war mir bewußt, und so antwortete ich, daß ich, wenn überhaupt, erst nach Abschluß dieses Gesprächs dazu in der Lage sei. (Obwohl ich die Sachlage längst eingehend analysiert hatte, wurde ich den Verdacht nicht los, daß mir ein wichtiger Punkt oder zumindest etwas, das Ronda und Mr. Yerled für wichtig erachteten, entgangen war.) Mr. Yerled spürte meine Verunsicherung und wollte mehr wissen über mein Treffen mit Shttz in den Ruinen. Ich hatte diese Begegnung bisher nur angeschnitten, aber keine Einzelheiten genannt. Als ich die Geschichte wiedergab, die Shttz mir erzählte hatte, erkannte ich, was mir entgangen war. Ein in der Tat wichtiges Detail. Der Soo-sat, der sein Abbild vor das Opfer wirft. Mossmann ist beileibe kein Soo-sat und als Gegner kaum ernstzunehmen. Er ist vielmehr das Abbild, die Täuschung, die den Unachtsamen in die Falle locken soll. Wer ist also der wahre Soo-sat? Generalin Tizelrassel. Ja, sie muß es sein. Jemand anders kommt nicht in Frage. Ich hatte meine Erzählung allzu offensichtlich unterbrochen, als mir die Zusammenhänge plötzlich dämmerten. Ich setzte also die Geschichte fort und erklärte dann mit zögerlicher
Stimme, daß mir aufgegangen sei, was Shttz mit dieser Fabel gemeint haben könnte. Die beiden grinsten. »Wer, was glauben Sie wohl, ist der Soo-sat in dem auf unseren Fall übertragenen Sinn?« fragte Yerled. Als ich meine Vermutung äußerte, schauten sich die beiden zufrieden an. Yerled machte sogar einen richtig erleichterten Eindruck. Gemeinsam unterhielten wir uns nun über Generalin Tizelrassel, und zwar in aller Ausführlichkeit. Allerdings konnten wir weder ihre Beweggründe enträtseln noch eine Antwort finden auf die Frage, ob Mossmann von Tizelrassel beherrscht oder nur gebraucht wurde. Je länger wir über sie redeten, desto mehr Fragen eröffneten sich, und unsere Versuche, darauf zu antworten, wichen immer stärker auseinander. Ronda verriet, daß Tizelrassel in Kontakt stünde mit ein paar abtrünnigen Geistern, konnte aber weder Beweise noch Gründe für eine Verschwörung gegen das Bauprojekt nennen. Mr. Yerled äußerte denselben vagen Verdacht wie ich, nämlich daß sich die Generalin womöglich zu rächen versuche für ein im Bundesdienst erlittenes Unrecht. Aber ihr ein so billiges Motiv zu unterstellen, kam einer Verkennung ihres Charakters gleich. Schließlich einigten wir uns darauf, weitere Informationen zu sammeln. Ronda will sich unter den Geistern umhören, Mr. Yerled nimmt sich Mossmann vor (worum ich ihn nicht beneide), und ich werde meine Kontakte zum Korps der föderierten Truppen spielen lassen. Wir bitten das Spiritum, die nächste Ratssitzung offiziell um eine Woche zu verschieben. Bevor sie verschwand, fragte ich Ronda, warum sich das Spiritum in der Stützpunktfrage nicht einfach durchsetzen und den Rat in seine Schranken verweisen würde. Ihre Antwort war so simpel, daß ich mich für die Frage schämte: Weil der Bund eine solche Entscheidung nicht akzeptieren würde. Sie muß von der amtierenden Regierung in freier Abstimmung getroffen werden. Also fragte ich Mr. Yerled, warum er nicht dafür stimmen und die Pattsituation aufheben würde. Er dachte lange nach und sagte dann, daß er seine Stimme abgeben wolle, wenn es notwendig werde; seinen Vorsitz würde er aber in dem Fall abtreten müssen und womöglich auch die Mitgliedschaft im Rat, denn es sei für einen Vorsitzenden außer in extremen Notlagen nicht üblich, mit seiner Stimme den Ausschlag zu geben. Das Gleichgewicht im gegenwärtigen Rat habe zu viel Mühe und politische Querelen gekostet, als daß er es leichtfertig aufs Spiel setzen wolle. So sieht's aus, Windy. Die Pattsituation wird wohl noch eine Weile andauern. Es dreht sich alles um Generalin Tizelrassel. Wir müssen irgendein Mittel finden, mit dem wir sie zum Einlenken bewegen können. Unsere Aussichten sehen zur Zeit nicht gerade gut aus, denn ob wir ein geeignetes Druckmittel finden, ist zweifelhaft. Trotzdem werde ich, wie verabredet, ein paar geheime Nachforschungen anstellen. Generalin Tizelrassel ist allerdings hochdekoriert und in allen Ehren aus dem Militärdienst entlassen worden. Sie wird wohl kaum Spuren hinterlassen haben, die uns interessieren könnten. Ich bin, wie gesagt, sehr skeptisch, was den von uns eingeschlagenen Weg angeht. Ich tappe noch im dunklen, aber irgend etwas sagt mir, daß wir am Ziel vorbeischießen. 7040 – 2. 3. Habe mich heute nachmittag mit Mr. Yerled getroffen. Er ist gestern bei Mossmann zu Besuch gewesen unter dem Vorwand, Geschäftliches mit ihm besprechen zu müssen. Dann lenkte er das Thema auf Generalin Tizelrassel, worauf Mossmann deren Charakter lobte, ihre Intelligenz, ihre Leistungen und militärischen Ehren, doch all das hatte Yerled auch schon früher gehört. Keine neuen Informationen. Kein Hinweis auf einen Makel oder ein Fehlverhalten. Keine Anspielung auf ein mit dem Bund zu rupfendes Hühnchen. Nichts.
Yerled will sich morgen mit der Generalin treffen — aus rein geschäftlichen Gründen, versteht sich — und hofft, von ihr mehr zu erfahren. Er ist zerknirscht über sein Versagen, so daß ich ihm gut zureden mußte, obwohl mir selber die Zuversicht fehlt, eine Handhabe gegen Tizelrassel zu finden. 7040 - 4. 3 . (19. Tag) Von den vier Anfragen, die ich losgeschickt habe, sind bisher drei beantwortet worden, die jedoch keine neuen Erkenntnisse liefern. Daß Tizelrassel einige Probleme mit dem Korps hatte, ist nicht einmal gerüchteweise zu hören. Wir sind auf dem Holzweg, Windy, und ich glaube jetzt zu wissen, warum. Wir haben uns zu sehr auf Generalin Tizelrassel eingeschossen, dabei ist sie nicht der einzige Grund für unsere Schwierigkeiten. Ich fürchte, wir haben es noch mit einem anderen Widersacher zu tun. Mir wird mulmig, wenn ich nur daran denke. Ich muß unbedingt mit Ronda sprechen und mit ihr über meinen Verdacht reden. Vielleicht ist sie in der Lage, mir weiterzuhelfen. Ich könnte Yerled bitten, mich mit Ronda in Verbindung zu setzen. Als Grund ließe sich angeben, daß ich mit ihr über das mysteriöse Gedicht zu sprechen wünsche. Von den Ergebnissen meiner Nachforschungen sage ich ihm vorläufig nichts und bereite ihn statt dessen darauf vor, daß die Ratssitzung womöglich um eine weitere Woche verschoben werden muß. Da seine Verabredung mit der Generalin erst morgen zustande kommt, wird er nichts dagegen haben. Er braucht noch nicht zu wissen, daß ich in meinen Ermittlungen eine andere Richtung einschlage. Aber Ronda muß Bescheid wissen. 7040 - 5 . 4. (20. Tag) Wachte auf mit einem Traum von ShRil, der wie ein Blumenkranz um meine Gedanken rankte. Es passiert hier so viel, daß ich in letzter Zeit nicht sehr oft an sie gedacht habe. Aber offenbar hegst du, liebes Selbst, weiterhin Gedanken an sie, und zwar sehr angenehme, wie ich hinzufügen darf. Ich hoffe, sie wird es mir nicht übelnehmen, daß ich ihr nichts von meinem Aufenthalt auf Quadra berichtet habe und dies auch nicht tun werde, so schwer es mir auch fällt. Ich bin gespannt auf ihr Gesicht, wenn sie mich sieht. Mr. Yerled hat vor einer Weile angerufen und gesagt, daß sich Ronda noch heute bei mir blicken lassen werde. Wie bereitet man sich auf den Besuch eines Geistes vor? Ich will nicht den ganzen Tag über mit dem Rükken zur Spantwand hocken, um ihr Erscheinen beobachten zu können. Aber vielleicht taucht sie auch diesmal so unvermittelt auf wie bei ihrem Besuch in Yerleds Haus. Am besten, ich mache noch schnell ein kleines Geschäft. 'I' Gäste tauchen anscheinend immer im unpassendsten Augenblick auf. Daß sie mich gerade mit heruntergelassener Hose und in voller Konzentration auf dem Klo erwischen, ist schon des öfteren passiert. Aber noch niemand hat mich gegrüßt mit den Worten: »Wie steht's, Bleichgesicht?« Ich glaube kaum, daß sie mich in Verlegenheit bringen wollte, aber verlegen war ich trotzdem. Und wie. Das war ihr natürlich klar. Ich mußte sie bitten, die Tür von draußen zu schließen. Aber mit der Ruhe, die man zur Erledigung eines solchen Geschäfts braucht, war es vorbei. Die Peinlichkeit legte sich jedoch schnell, als ich sie nach dem Gedicht fragte. Ronda antwortete, daß es vor dreieinhalbtausend Jahren von einem vagabundierenden Troubador auf Pax für sie gedichtet worden sei und daß es ihr auf Anhieb gefallen habe, nicht zuletzt wegen
seiner vielen Unstimmigkeiten. Ihr Pferd sei in der Tat ein Rotfuchs mit weißen Söckchen gewesen, und ein R-Gespräch (eine auditive Fernmeldung, für die der Empfänger bezahlt) habe sie auch geführt, und zwar am Jahrestag der Unabhängigkeit ihres Stammes rund sechzig Jahre nach ihrem Tod. Ronda erklärte weiterhin, daß ein Mann mit Videokamera zur Stelle war, als sie auf dem Friedhof erschien, den sie besonders gern mochte. Was aber mit der Aufzeichnung geschehen sei, wisse sie nicht. Ein Geist von Mysteleria hatte Ronda berichtet, daß ich an Legenden interessiert sei. Einer von Odis Leuten besorgte das Pergament und kopierte die Zeilen darauf, womit sie dann an jenem Morgen hinter meinem Rükken durch die Luke schlüpfte, als ich gerade ausstieg. Daß ich durch das Auftauchen des Pergaments so irritiert worden bin, hat ihr besonders viel Spaß gemacht. Eigentlich wollte sie mich im Ungewissen lassen, konnte sich aber nicht länger zurückhalten. Ich sagte Ronda, daß auch ich eine Sache auf dem Herzen habe, die ich loswerden müsse, aber leider nicht so amüsant und charmant sei wie ihre Überraschung. Dann berichtete ich von den Negativergebnissen meiner Anfragen beim FöderiertenKorps und äußerte den Verdacht, daß wir uns auf der falschen Fährte befänden. Ihre Stimmung schlug sofort um. Sie fragte, ob ich eine neue Richtung vor Augen habe, was ich bejahte, ohne jedoch handfeste Beweise vorlegen zu können. Das Gespräch verflachte, weil ich nur um den heißen Brei herumredete. Schließlich platzte es dann doch aus mir heraus: »Ich glaube, es ist Mr. Yerled. Ich glaube, er ist es, der die Verhandlungen blockiert.« Ronda lachte. Es war ein ganz kurzes, hohles Lachen. Dann starrte sie mich an, und ich konnte ihrem Blick nicht standhalten. Ich sagte, daß kein anderer Schluß zu ziehen sei. Yerled ist schließlich derjenige, der die Mehrheitsentscheidung verhindert. Er ist derjenige, der mich nach der ersten Ratssitzung auf Maurice Mossmanns Spur angesetzt hat. Ich fragte sie, ob Yerled ihr gegenüber klipp und klar erklärt habe, daß er für den Stützpunkt sei. Ihr Blick entsprach einer Verneinung. Sie ist bisher lediglich davon ausgegangen, daß er das Projekt unterstützt. Yerled hatte sich sichtlich erleichert gezeigt, als ich sagte, daß Generalin Tizelrassel wohl der Soo-sat im übertragenen Sinne sei. Außerdem erscheint mir Mossmanns Haltung Yerled gegenüber viel zu friedfertig, viel zu einvernehmlich, bedenkt man, mit welchen Vorurteilen er behaftet ist. Mossmann kritisiert an Yerled nur, daß er allzu lange dem >Einfluß niederer Wesen< ausgesetzt gewesen sei. Für Mossmann, diesen Schwarz-Weiß-Denker, ist sonst immer alles absolut gut oder schlecht. Dazwischen gibt es für ihn nichts. Keine Grautöne. Kein differenziertes Urteil. Nur in seiner Meinung über Yerled. Nicht einmal Bistelfaith konnte mir verraten, ob Yerled für oder gegen den Stützpunkt ist. Was mich endgültig auf den Trichter brachte, war Yerleds zauderhaftes Getue, nachdem er mit Mossmann gesprochen hatte und mit keinerlei Informationen rausrücken wollte. Was hätte er auch sagen sollen? Yerled ist zu gescheit, um einen seiner Verbündeten in Verruf zu bringen. Das hat er nicht nötig. Er braucht nur abzuwarten. Die Pattsituation wird zum Dauerzustand. Der Bund sieht sich nach anderen Stationierungsmöglichkeiten um. Niemand wird je erfahren, daß uns Yerled einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. So einfach geht das. Dann stellte Ronda die Frage, auf die mir keine Antwort einfällt. »Warum?« Ich gestand, daß ich meinen Verdacht nicht zu begründen wisse. Dabei müsse sie mir helfen. Ronda war verärgert, geradezu wütend. Sie stand mitten in der Kabine und starrte mich an, bis mir mit jeder Faser meines Wesens klar wurde, warum man sich besser nicht mit einem Geist anlegt. Unter ihren heißen Blicken lief es mir kalt über den Rücken. Das Wechselbad reizte meine Nerven aufs äußerste. Ich schwitzte. Ich schlotterte. Ich war wie gelähmt von ihren Blicken,
denen ich weder begegnen noch ausweichen konnte. Ich wollte laut aufschreien, bekam aber keinen Ton heraus. Plötzlich war die Folter zu Ende. Ronda fing zu sprechen an. Sie wollte und konnte mir nicht glauben und versuchte deshalb, mich eines Besseren zu belehren, meinen Verdacht zu entkräften, bis ich zugeben würde, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben. Sie versuchte mir einzureden, wie befangen und hoffnungslos dumm ich sei aufgrund der Verhaftung in meiner körperlichen Hülle. Dann verschwand sie. Verpuffte grußlos und ließ einen sauren Geruch zurück, der mir immer noch um die Nase weht und mich an ihren Zorn erinnert. Soll sie doch wütend sein. Vielleicht kommt sie so der unangenehmen Wahrheit näher. Ich weiß, daß ich recht habe, Selbst, und Ronda wird in ihrer Wut den Beweis dazu erbringen. O Gerard, wie sicher, wie borniert du doch bist. Unschlagbar. Und wenn du dich irrst? Was dann? Angenommen, der Sturm im Wasserglas, den du eifrig aufwühlst, wird dir zum Whirlpool. Was hast du dann von deiner selbstgerechten Art? Hüte dich vor der Gier auf eine Lösung, Gerard, denn du könntest dich ins eigene Fleisch schneiden. Sicher? Ja. Borniert? Vielleicht. Unschlagbar? Nie. Aber sicher, Selbst, so sicher wie nur irgendwas. Ronda wird, wenn sie sich anstrengt, Yerled auf die Schliche kommen und herausfinden, warum er sich querstellt. Wenn sie sich anstrengt ... 7040 - 7. 3 . (22. Tag) Zwei vertane Tage. Eine Nachricht von Mr. Yerled, der darauf hinweist, daß die nächste Ratsitzung bis auf weiteres verschoben ist und daß er und Generalin Tizelrassel aufgrund wichtiger Geschäftsinteressen für mehrere Tage nicht zu erreichen sind. Auch die letzte Auskunft vom FöderiertenKorps ist negativ. Ronda läßt nichts von sich hören. Habe den Bund darüber informiert, daß die Verhandlungen stocken, in Kürze jedoch ein Durchbruch zu erwarten ist. Konnte mich nicht länger zurückhalten und mußte ShRil mitteilen, daß ich hier bin. Einsamkeit und Vorfreude haben die Oberhand gewonnen. Gestern war ich bei den Ruinen und habe versucht, ein Gedicht zu schreiben. Dabei kam nichts weiter heraus als ein Gestammel aus Selbstmitleid und Trübsinn. Oder Depression. Ach, ich weiß nicht was. Vielleicht lädt mich Odi ein, in der Bibliothek herumzustöbern. Täte mir bestimmt gut, mal auf andere Gedanken zu kommen. 7040 - 9. 3 (25. Tag) Besuche dieser Art sind nicht dazu angetan, die Stimmung zu heben, Windy. Odi war höflich (wahrscheinlich auf Rondas Drängen hin), aber mehr auch nicht. Er weiß nicht, was zwischen Ronda und mir vorgefallen ist, und kann sich auch nicht erklären, warum sie so wütend auf mich ist. Zur Zeit werde ich behandelt wie eine persona, die auf dem besten Weg ist, sich das Prädikat non grata einzuhandeln. Niemand erklärt sich bereit, mit mir zu den Ruinen hinauszufahren, und auf eigene Faust darf ich nicht hin. Habe die meiste Zeit in der Bibliothek zugebracht, die ziemlich groß, aber schlecht bestückt ist und hauptsächlich aus Fachbüchern über das Hüttenwesen sowie aus Cuallum-Geschichtswerken von bescheidener literarischer Qualität besteht. Hier wie auch in der kleinen Stadtbibliothek von Monument
City läßt sich kein Eleven-Material finden. Der hauseigene Übersetzer ist ein vorsintflutliches StnwatsModell mit einem äußerst beschränkten Standard-Vokabular. Sehr deprimierend. Allerdings habe ich im Anthologiebereich des Hauptspeichers ein paar Geschichten, Gedichte und Lieder gefunden, die von cuallumesischen Knappen geschrieben worden sind. Zweiundzwanzig Texte, deren grobe Übersetzung einigermaßen gelungen waren, habe ich mitgenommen. Die meisten davon sind recht durchschnittliche Hauruck- und schweißtriefende Arbeitergesänge. Harte Plackerei triumphiert über die Not und so weiter. Die Texte handeln von Quadra und sind von einem gewissen S. S. Odi verfaßt, hinter dem ich Srotisiv Secivero Odi vermute. Der Bibliothekar konnte (oder wollte) dies nicht bestätigen, und ich bereute es; überhaupt gefragt zu haben, zumal Odis Haltung mir gegenüber deutlich abgekühlt ist. Trotzdem bat ich Odi, Ronda auszurichten, daß ich sie gerne treffen würde. Er wirkte nicht gerade hilfsbeflissen, versprach aber, meinen Wunsch weiterzuleiten, falls er ihr über den Weg liefe und daran dächte. Er wird's wohl tun, denn er brennt darauf zu erfahren, warum ich sie so verärgert habe, und meine Bitte ist für ihn ein guter Vorwand, sie auszufragen. Allerdings glaube ich kaum, daß sie ihm Auskunft gibt, es sei denn, sie kann meinen Verdacht inzwischen bestätigen. Aber in dem Fall wird sie wahrscheinlich zuerst mit mir reden wollen. Glaube ich zumindest. Der Barde hat wieder gute Arbeit geleistet. Odis Gedicht hat bei näherer Betrachtung durchaus eine gewisse Tiefe und Vielschichtigkeit. Auf Quadras kaltem Felsen Jenseits der frühen Sterne stakt durch silbrige Schatten ein Phantom, vom Mond beschienen, am Rande friedlicher Stille und spürt Gedichte auf. Schon schirmt das Urfeuer der samtene Horizont ab, und im kalten Fluß der Dämmerung sucht das Phantom Symbole in und von vergangener Hitze. Zum Dank dafür, daß Odi Ronda bei der Kopie ihres Gedichts für mich geholfen hat, werde ich diese Verse für ihn kopieren. Wenn der Streit beigelegt ist, kann ich ihm damit vielleicht eine Freude machen. Während wir darauf warten, daß sich was tut, können wir ein bißchen mit den cuallumesischen Texten herumspielen. Auf überraschende Funde werden wir wohl nicht stoßen, aber auf diese Weise bleibt der Barde wenigstens in Übung, die mir im übrigen auch nicht schaden kann. Windy, ich muß dir was gestehen: Das Warten fällt mir ungemein schwer, weil ich viel zu ungeduldig bin, und ungeduldig bin ich, weil mir das Warten schwerfällt. Ist doch logisch, oder? Gracie hatte schon recht, als sie sagte: »Gerard, übe dich in Geduld.«
7040 - 10. 3 (26. Tag) Wer auf den Besuch eines Geistes wartet, sollte zum Klo gehen. Heute nachmittag wäre ich fast von der Brille gerutscht, als Rosa Distel plötzlich vor mir auftauchte und mit donnernder Stimme verkündete: »Ronda Loner Kriegskrähe wird morgen früh hier erscheinen.« Bevor ich antworten konnte, war er wieder verschwunden. Mir brummte der Schädel. Aus dem Bauch tönte es quakend. Ich wurde wilder als ein Grisk, der mit den Klauen in der Falle steckt. Diese Geister brauchen wirklich mal eine Lektion zum Thema Anstand und Etikette. Morgen. Nun, wir werden sehen, ob mir meine indianische Prinzessin endlich recht gibt oder den Kopf zurechtrückt. Ich glaube, Windy, ich sollte ein HypnoNikkerchen machen, in aller Frühe aufstehen und auf unseren Gast warten. Die Alarmanlage scheint zwar auf Geister nicht anzusprechen, aber schalte sie trotzdem ein, man kann nie wissen. Ich möchte nach Möglichkeit gewarnt sein, wenn Ronda an Bord kommt. Ein paar Sekunden Warnzeit wären nicht schlecht. 7040 - 11. 3 . (27. Tag) Eine halbe Lösung des Problems ist besser als gar keine. Auf mehr können wir in diesem Fall vielleicht nicht rechnen. Ronda ist heute morgen erschienen (ohne Vorwarnung, Windy) und hat mir erzählt, was sie in Erfahrung bringen konnte. Herzlich war sie nicht gerade, gab aber zu, daß ich auf der richtigen Spur und Mr. Yerled offenbar wirklich in eine Art Verschwörung gegen den Stützpunkt verwickelt sei. Ich war erleichert und gleichzeitig auch betrübt. Ronda hat, wie es scheint, viel Bewunderung für ihn übrig. Vielleicht sogar Zuneigung. Ihre Recherche förderte einen Teil der Wahrheit zutage, bereitete ihr aber auch einige Schmerzen. Nicht nur wegen Yerled. Die Verschwörung (oder vielleicht gibt es auch einen harmloseren Ausdruck) hat in der Geistergemeinschaft ihren Ausgang genommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als noch eine Minderheit gegen das Projekt wetterte. Sie machte Mr. Yerled zu ihrem Komplizen, der zunächst zögerte, sich aber schließlich überreden ließ. Man drohte ihm nämlich an, daß sein Handelsgeschäft großen Schaden nehmen könne, wenn er bei seinen Partnern angeschwärzt werden würde. Außerdem hätte er zu befürchten, von ein paar üblen Exemplaren der Geistergemeinschaft laufend heimgesucht zu werden. Falls er sich aber davon nicht abschrecken ließe, würde man bekannt machen, daß er an der Planung eines Aufstands gegen die Geistergemeinschaft beteiligt gewesen sei. Es ist nicht schwer, sich Mr. Yerled vorzustellen, umzingelt von einer Gruppe feindseliger Geister, bedroht von finanziellem Ruin, belästigt und erpreßt. Ja, ich kann mir denken, wie eingeschüchtert er sich fühlen muß. Aber ich kann mir nicht erklären (und Ronda geht es ebenso), warum Yerled von alledem nichts erzählt hat. Die Geschichte des Universums ist voller Aggression gegen Geister, angefangen von Beschwörungsformeln bis hin zur elektrostatischen Kriegsführung. Wenn Yerled tatsächlich an einem solchen Versuch beteiligt gewesen sein sollte, ließe sich das durchaus verzeihen. Seit er auf Quadra ist, hat er sich den Geistern gegenüber immer mustergültig verhalten — vielleicht aus Reue für vergangene Untaten, doch das schmälert sein Verdienst nicht. Yerled ist verschwunden. Geschäftlich unterwegs zu einem anderen Planeten, wie sein Büro mitteilt. Was Ronda vor allem Sorge bereitet, ist nicht er, sondern das Problem der abtrünnigen Geister. Quadra ist ein Himmel für Geister, eine beseelte Demokratie, in der jeder frei seine Meinung äußern und an Entscheidungen der Gemeinschaft mitwirken kann, wenn er verspricht, sich dem Beschluß der Mehrheit unterzuordnen. Er hat jederzeit die Möglichkeit,
den Planeten zu verlassen. Manche tun das auch, obwohl jeder weiß, daß es im gesamten Universum keinen Ort gibt, der soviel Freiheit und Mitbestimmung in der Gemeinschaft bietet. Auf Quadra sind die Kräfte der Geister größer als auf irgendeinem anderen Planeten. Hier ist die Demokratie tief verwurzelt und nahezu heilig. Sie ist das Erbe der Ureinwohnerschaft von Quadra, die noch heute hochverehrt wird. Zum ersten Mal hat sich jetzt eine kleine Gruppe von Geistern zusammengetan, um den Willen der Mehrheit zu untergraben. Ronda fürchtet, daß es zu einem Putsch kommen könnte, zu einer Erhebung, die die Existenz der Gemeinschaft bedroht. Was ich zu Anfang für einen harmlosen Zwist gehalten habe, stellt für Ronda eine mittlere Katastrophe dar. Sie übertreibt natürlich, aber das liegt wohl daran, daß in diesem Land allein der Gedanke an einen Aufstand völlig abwegig ist. Wir haben uns lange unterhalten; sie suchte verzweifelt nach Gründen, und ich versicherte ihr immer wieder, daß diese Affäre durchaus zu bereinigen sei. Ich schlug ihr sogar vor, Berishka-Senk-ka einzuladen, den vermeintlichen Anführer der Dissidenten, und riet ihr, daß wir gleich morgen mit ihm reden sollten. Sie starrte mich nur ungläubig an. Aber ich bestand darauf und konnte sie schließlich davon überzeugen, daß sich ein Gegner am besten bezwingen läßt, wenn man genug über ihn weiß. Sie will nun ein Treffen vereinbaren, und zwar auf dem Zentralplatz der Ruinenstadt, denn Berish-ka-Senk-ka würde in mein winziges Schiff nicht hineinpasssen. (Daß du winzig bist, Windy, ist mir noch nie aufgefallen.) Ronda glaubt nicht daran, daß mit einem Gespräch etwas zu erreichen ist. Berish-ka-Senk-ka hält offenbar von Gesprächen genauso wenig wie von körperlichen Wesen, und Ronda meinte, daß ich mich mit einem Vaporisierer ausrüsten soll, denn er könnte ungemütlich werden. Als ich sagte, daß ich dazu nicht bereit wäre, drohte sie, das Treffen platzen zu lassen. Ein Vaporisierer, so erklärte sie, könne einem Geist keinen Schaden zufügen, ihn aber an der Entfaltung seiner Gestaltkräfte hindern, und ein voll sychronisierter Frontalbeschuß würde jeden Geist für mehrere Stunden davon abhalten, sich zu materialisieren. Das ist tröstlich zu wissen, mehr aber auch nicht. Eine voll synchronisierte Salve reißt in fünf Sekunden eine zehn Zentimeter dicke Kunststahlplatte auf, und wie ich jetzt weiß, läßt sich ein Geist damit vorübergehend außer Gefecht setzen. Ich fragte Ronda, warum sich noch nicht herumgesprochen hat, wie der Einsatz von Vaporisierern auf Geister wirkt. Ihre Antwort leuchtete mir unmittelbar ein. »Weil diejenigen, die eine solche Waffe auf uns gerichtet haben, gestorben sind, bevor sie ihre Erfahrungen mitteilen konnten.« Das zu wissen, ist nun wirklich sehr tröstlich. Der Vaporisierer, so sagte sie, wäre nur im äußersten Notfall einzusetzen, dann nämlich, wenn Berish-kaSenk-ka wild werden würde und sie ihn nicht zur Ruhe bringen könnte. Ich war plötzlich gar nicht mehr erpicht darauf, ihn zu treffen. Ronda erriet offenbar meine Gedanken und lachte. Sie sagte, ich solle keine Angst haben, aber zusehen, daß ich vor sieben Uhr in der Früh auf dem Platz bin, und zwar mit dem Rücken zur Zahlensäule im nördlichen Winkel. Als ich ihr das versprach, verschwand sie. Was bin ich für ein Esel, Windy. Ich habe sie nicht einmal gefragt, wie Berish-ka-Senk-Ka aussieht, um ihn auch rechtzeitig erkennen zu können. Aber ich werde da sein, mit dem Vaporisierer bewaffnet, und mich auf die größte und häßlichste Erscheinung gefaßt machen, die ich mir vorstellen kann. (28. Tag) Groß? Ja. Häßlich? Nein. Berish-ka-Senk-ka ist ein wunderschöner Vierbeiner, fünfzehn bis sechzehn Meter hoch und zwanzig lang. Das Fell von einer Farbe wie poliertes Kupfer. Offenbar gehört er irgendeiner pferdeartigen Rasse an. Hübsch anzusehen, aber wenig ge-
sprächig. Ich stellte mich ihm vor und sagte, daß ich gerne erfahren würde, warum er gegen den Bau eines Stützpunktes eingestellt sei. Er wieherte. Ich sagte, daß es mir darum ginge, allen betroffenen Parteien gerecht zu werden, und daß ich deshalb Informationen brauchte, um mir ein möglichst stimmiges Bild machen zu können. Er wieherte wieder und kratzte mit einem seiner gewaltigen Hufe auf dem Boden herum, so dicht an mir vorbei, daß ich nervös wurde. Ich wollte mir aber nichts anmerken lassen und redete weiter, zählte ihm alle Bedenken und Kritikpunkte auf, die hinsichtlich des Projekts bereits geäußert wurden, und fragte ihn, ob er zu dieser Liste etwas beizusteuern habe. Er hörte zu kratzen auf, starrte mit seinen großen, schwarzen Augen auf mich herab, senkte dabei den Kopf und zog die Oberlippe über die stumpfen, grauen Zähne zurück. Den Rücken an die Säule gepreßt, stand ich langsam auf und langte mit der rechten Hand an den Kolben des Vaporisierers. Wie riesig er war! Wie einschüchternd. Ich dachte an Mr. Yerled und ahnte nun, was er durchgemacht haben mußte. Ich versuchte, so langsam wie möglich zu reden, bat Berish-kaSenka-ka eindringlich um Rat und Hilfe, weil, so sagte ich, mein Bericht alle Standpunkte und Meinungen zu berücksichtigen habe. Ich schwätzte einfach drauflos, um mich von der Angst freizureden. Er fing wieder an, mit dem Vorderhuf zu kratzen, und ich fürchtete schon den Vaporisierer einsetzen zu müssen, als Ronda neben mir auftauchte und ihn aufforderte, Abstand zu halten. Überraschenderweise gehorchte er ihr und ließ schließlich seine weinerliche, nasale Stimme ertönen. »Es ist nicht gut«, sagte er. »Es wird unsere Heimat ruinieren. Wir kennen eure Stützpunkte auf anderen Welten. Sie sind wie Pickel auf der Haut eines Planeten. Nicht bei uns, kleiner Wicht, nicht bei uns.« Er neigte den Kopf, schaute zuerst mich an, dann Ronda und richtete den Blick am Ende wieder auf mich. »Auf daß du heute abend deine eigenen Innereien verschlingen mögest«, sagte er in fast munterem Tonfall. »Und dir wünsche ich, daß du ohne einen Tropfen Wasser einen steilen Pfad hinaufklettern mußt«, entgegnete ich. Er schnaubte, drehte sich um und verschwand zwischen den Säulen. Ronda sah mich an und grinste überheblich, als wollte sie sagen: >Na bitte, hab' ich doch vorausgesagt.< Dann vertröstete sie mich auf morgen oder übermorgen und löste sich auf. Wenig später glaubte ich donnernde Hufschläge in der Ferne verhallen zu hören. Wahrscheinlich hat mir nur die Einbildung ein Schnippchen geschlagen. Auf dem Rückweg hierher wurde ich die Vorstellung nicht los, daß Ronda Loner Kriegskrähe auf dem breiten Rücken von Berish-ka-Senka-ka hockt, sich an seiner zerzausten Mähne festklammert und mit ihm über eine weite Ebene galoppiert. Und irgend etwas sagte mir, daß diese Vorstellung nicht bloß Einbildung war. 7040 - 12. 3 . (29. Tag) Nachricht von ShRil. Traum von Fairy Peg. Botschaft von Yeled. Und all das gleich am frühen Morgen! Am besten, ich beschäftige mich zuerst mit dem Traum, bevor die Eindrücke verblassen, denn einige davon sind neu. Fairy Peg steht dicht neben mir. In Uniform. Sie flüstert mir etwas zu. Kurze, flüchtig formulierte Sätze, die ich nicht verstehe. Wir sind nicht allein. Uns gegenüber steht eine Gabriel-Ratsche. Ebenfalls in Uniform. Targ Alpluakka. Kommandant Alpluakka. Die Luke öffnet sich. Fairy Peg verabschiedet sich. Sehr förmlich. Alpluakka salutiert. Beide gehen durch die Luke nach draußen. Langsam hebe ich die Hand zum Gruß. Die Luke schließt sich. Die Luke, Windy. Wir sind hier an Bord.
Was sagt Fairy Peg? Ich rücke näher an sie heran, höre die Worte, die sie spricht, kann mir aber keinen Reim daraus machen. Eilig gesprochene Worte. Liebesbeteuerungen. Heimliche Worte. Hör genauer hin, Dummkopf! Was sagt sie? »Komm zurück ... brauchen dich ... hier ... vorsichtig ... Liebling.« Die Luke öffnet sich. »Lebt wohl und ... Majestät.« Soldatischer Gruß. Die Luke schließt sich. Noch einmal. Zögern. »Komm zurück, wenn du kannst. Wir ... brauchen dich ... wie hier. Schnell ... vorsichtig ... Liebling.« Luke. »Lebt wohl und laßt es Euch gut gehen, Majestät.« Gruß. Luke. Konzentriere dich, Selbst! »Komm zu uns zurück, wenn du kannst. Wir von Kril brauchen dich. Dort wie hier. Schnell, du mußt zu deinen Gabriel-Ratschen zurück. Und sei vorsichtig, mein fremder Liebling.« Luke. »Lebt wohl und laßt es Euch gut gehen, Majestät.« Gruß. Luke. Meine Gabriel-Ratschen? Kril braucht mich? Komm zu uns zurück? Was soll das bedeuten, Selbst? Hat Fairy Peg mich auf eine offizielle Mission geschickt? Unmöglich. Ich stand doch beim Bund unter Vertrag. Aber warum hat Fairy Peg von >deinen Gabriel-Ratschen< gesprochen? Wieso sind das meine? Tut mir leid, Selbst, aber das kann ich nicht glauben. Das bilde ich mir wohl alles nur ein. Immerhin ist seither eine Menge Zeit vergangen. Das haben wir uns im Schlaf nur so ausgedacht. Ein Wunschtraum. Etwas, das wir uns damals schon gerne erträumt hätten, aber ganz anders stattgefunden hat. Es ist zu vollkommen, um wahr zu sein. In seinen Implikationen zu beängstigend. Jetzt zur Nachricht von Yerled. Eine Entschuldigung dafür, so plötzlich aufgebrochen zu sein, und das Versprechen, so bald als möglich zurückzukehren. In sehr förmlicher Diplomatensprache formuliert. Yerled weiß Bescheid. Wieviel er weiß, ist mir noch nicht klar. Aber er weiß Bescheid. Das wollte er mir mitteilen. Und noch etwas: Er wird zurückkehren, kann aber noch keinen genauen Zeitpunkt nennen. Ich glaube ihm. Mir diese Botschaft zu schicken, würde keinen Sinne ergeben, wenn er nicht die Absicht hätte, zurückzukehren und sich der Situation zu stellen. Im Grunde kommt seine Botschaft einem ersten Akt der Reue gleich. Und vielleicht bittet er mich auch indirekt um Hilfe. Yerled rechnet bestimmt damit, daß ich zwischen den Zeilen lese und meine Erkenntnisse Ronda mitteilen werde. Dadurch, daß er den DiploCode benutzt, will er mir sagen: »Ich bin dein Kollege, einer deinesgleichen. Versteh und hilf mir, bitte.« So lese ich das. Ich wünschte bloß, handfestere Informationen für Ronda zu haben. Außerdem brenne ich vor Neugier. Geduld, Gerard. Geduld. Geduld ist immer gut. Woher kommt es, Selbst, daß sich die besten, aktivsten und anregendsten Zeiten erst nach langen Phasen des Wartens einstellen und so schnell wieder vorbei sind? Eine vereinfachende Frage, ich weiß. Trotzdem hat sie seit eh und je Gültigkeit für mich. Zum Beispiel sitzen wir hier auf Quadra und warten darauf, wie sich unsere Mission entwickelt, warten darauf, Ronda wiederzusehen, warten auf Antworten für unsere Fragen, auf eine Lösung des Stützpunktproblems, auf ShRil. Das Auswärtige Amt bezahlt uns schnelle Arbeit, und die subjektive Zeit fliegt vorbei wie ein Zachors durchs All. Dann warten wir wieder, reisen an einen anderen Ort, warten auf die Ankunft, brauchen Zeit, um zu einer Einschätzung der Lage zu gelangen, um Vertrauen zu gewinnen und so weiter. Warten, warten, warten. Und mir wird alles zu langweilig. Das Warten macht mich ungeduldig. So wie jetzt. ShRils Nachricht macht mich so ungeduldig auf sie, daß ich es kaum mehr aushalten kann. Ich will sie in die Arme schließen, bei ihr sein. Ich will ihre wunderschöne Stimme hören und ihre weiche Haut spüren. Ich möchte alles mit ihr teilen. Aber wenn es gelingen sollte, das Stützpunktproblem bis zu ihrer Ankunft zu lösen oder zumindest halbwegs
gelöst zu haben, will ich mich noch ein wenig in Geduld fassen. Ihre Nachricht ist so süß, so voll von freudiger Erwartung, daß mir das Warten leichter fällt. Denn ich weiß, daß ich am Ende dafür reich belohnt werde. Aber wir wollen nicht länger schwelgen, Selbst. Die Phantasie geht sonst noch mit uns durch. Er reckt sich schon erwartungsvoll. Es reicht zu sagen, daß ich bereit sein werde, wenn ShRil ankommt. Vor einer Weile hat sich Rosa Distel mit donnernder Stimme in der Kabine gemeldet, um mir zu sagen, daß ich für die nächsten achtunddreißig Stunden nicht mit Rondas Erscheinen rechnen kann. Dann verzog er sich wieder. Zum Glück saß ich diesmal nicht auf dem Klo. Achtunddreißig Stunden. Zwei Tage. Vielleicht sollte ich Odi nochmal besuchen, Windy. Ihm unser Friedensangebot bringen. Ich kann doch nicht einfach zwei Tage untätig rumsitzen. 7040 - 14 .3 . (31. Tag) Tja, zu Anfang haben wir uns ziemlich schwer getan, aber als es Zeit wurde zu gehen, hatten wir wieder zu dem guten Einvernehmen des ersten Besuchs zurückgefunden. Offenbar hatte Odi von Ronda erfahren, daß ich es ehrlich und gut meine mit Quadra. Er glaubte sich wohl deshalb bei mir entschuldigen zu müssen, und die Verkrampfung zu Anfang wurde noch größer, weil ich ihm zu versichern versuchte, daß eine Entschuldigung nicht nötig sei. Egal. Die Peinlichkeit war schnell beigelegt. Wir fühlten uns zwar noch ein bißchen verlegen, kamen aber dann ganz gut miteinander klar. Doch als ich ihm die Kopie von >Auf Quadras kaltem Felsen< gab, sackte die Stimmung wieder in den Keller. Meine Annahme, daß er der Autor sei, erwies sich als falsch. Nicht er, sondern sein Bruder hat das Gedicht geschrieben. Sein Bruder Sovini Socios Odi kam bei dem einzig großen Grubenunglück ums Leben, das sich seit dem Einzug der Cuallumesen auf Quadra ereignet hat. Srotisiv fühlte sich für den Tod des Bruders mitverantwortlich. Und so ließ ich, indem ich an ihn erinnerte, alte Wunde wieder aufbrechen. Doch Srotisiv war auch gerührt von dem Gedicht und sagte, daß er eine Übersetzung in die Standardsprache — geschweige denn eine so gut gelungene — nie für möglich gehalten hätte. Anschließend klarte die Stimmung wieder auf. Odi und ich sehen uns nun in einem anderen Licht, in einem helleren Licht, das eine offene und natürliche Verständigung ermöglicht. Zu meinem Bedauern wird sich aber auch diese neu gewonnene Freundschaft auf längere Sicht kaum ausbauen und pflegen lassen. Daran haben wir immer zu schlucken, nicht wahr, Selbst? Das ist der Schatten, der über uns zieht, sobald wir uns einer Person verbunden fühlen. Aber auf dieses Gefühl will ich nicht verzichten. Ich bin vom Typ her auf Beziehungen angewiesen und brauche solche Kontakte, Begegnungen, die das Gefühl von Einheit hervorrufen. In der DiploSchule hat mir ein Lehrer einmal vorgeworfen, daß ich Personen benutzen würde. Aber das stimmt so nicht, denn ich möchte diese Kontakte halten, egal wie weit und wie lange ich entfernt bin von denen, die mir lieb und teuer geworden sind. Mit denen werde ich mich immer verbunden fühlen, egal, was passiert. Ich hoffe, daß dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Meine Klassenkameraden, C'Rina und Gracie, Morrizon und Alvin, Teever Loze (Fara sei seiner Seele gnädig) und vor allem ShRil — sie alle sind ein Teil von mir, und ich bin ein Teil von ihnen. Mit ihnen verbindet mich etwas, das wahr, wirklich und bedeutungsvoll ist. Wie die richtungsweisenden Sterne, so markieren sie Orientierungspunkte auf meinem Lebensweg, ohne die ich aufgeschmisssen wäre. Jetzt fühle ich, wie sich in mir eine ähnliche Zuneigung zu Odi entwickelt. Eine Zuneigung,
die über alle Distanzen wirksam ist. Und dafür bin ich dankbar, Windy, wie für alle Beziehungen dieser Art. Es ist bemerkenswert, daß diejenigen, zu denen ich Zuneigung faßte, nicht immer die zentralen Figuren waren, mit denen ich auch dienstlich zu tun hatte. Ich fand M'Litha zwar äußerst sympathisch, habe aber zu ihr keinen engeren Kontakt knüpfen können. Das gleiche gilt für den Professor. Und Direktor Franiingcard. Und Ronda Loner Kriegskrähe. Und Botschafter Wattuvorschie von der DiploSchule. Verzeih mein philosophisches Gestümper, Windy, aber dieses Phänomen scheint mir metaphysischer Natur zu sein. Wie sollte ich sonst meine Gefühle für Morrizon erklären können? Ich bin ihm nur dreimal begegnet, aber zwischen uns kam es zu einer spontanen Verbundenheit, die sich nicht rational erklären läßt. Zugegeben, er hat mir geholfen, daß ich wieder freikam; allerdings empfinde ich mehr für ihn als bloße Dankbarkeit. Vielleicht werden wir uns nie wiedersehen, aber ich weiß, daß meine Verbundenheit mit ihm andauern wird. Golifa von der DiploSchule hat in diesem Zusammenhang immer von >der Physik< gesprochen. Sie starrte mich dann jedesmal an mit ihren schillernden Augen und sagte: »Gerard, wenn die Physik stimmt, ist alles möglich«, und mit sanfterer Stimme fügte sie meist hinzu: »Besonders zwischen Individuen.« Das habe ich an die hundertmal von ihr gehört. Und Golifa kannte sich aus. Sie war eine richtige Kontaktnudel, attraktiv, faszinierend, ständig von Liebhabern, oder solchen, die es werden wollten, umgeben, nicht zuletzt jedoch auch von Personen, die aufgrund allzu egozentrischer Neigungen nie zu ihren Freunden zählten, es aber trotzdem behaupteten, weil sie das, was Golifa zu geben imstande war, nötig hatten. Sie brauchten den inneren Bezug. Im Hinblick auf Fairy Peg ist all dies ohne Belang, und das macht sie um so rätselhafter. Wenn es eine Verbindung zwischen uns gibt — und ich glaube, nein, ich bin mir sicher, das es sie gab —, dann ist etwas dazwischengekommen. Meine wiederholten Träume von ihr sind wahrscheinlich der Versuch, diese Beziehung zu flicken und zu verstehen, was passiert ist. Hab' ich recht, Selbst? Damit bist du doch beschäftigt, oder? Was haben wir — nach sechs Jahren — heute morgen wieder einmal getan? Wir haben frische Haut über die alten Wunden gelegt, ein Transplantat, kosmetisch aufpoliert mit Hilfe der Einbildungskraft, so daß wir in weiteren sechs Jahren zurückschauen können auf eine saubere, glatte Oberfläche, die uns nicht mehr so nachdrücklich und schmerzhaft an das Darunterliegende erinnert. Wenn eine solche Selbsttäuschung nötig ist, um über den Kummer hinwegzukommen, soll's mir recht sein. Wir wollen uns täuschen, Selbst, bis der abgrundtiefe Schmerz, in den wir gestürzt sind, den Anschein eines harmlosen Tals hat, bevölkert von einfachen Wurmhirten, mit denen wir einst, als wir zu neuen Ufern unterwegs waren, eine Mahlzeit teilten und eine Nacht verbrachten. Sollen wir das tun, Selbst? Ist das die Lösung? Werden wir auf diese Weise unsere Probleme vergessen können? Ich wünschte, so wäre es, kann aber nicht daran glauben. Das ist nicht die Antwort, denn sie entspricht nicht der Wahrheit, und sie ist es, der wir uns früher oder später stellen müssen. Die Wahrheit wird uns vielleicht nicht von der Erinnerung befreien, dafür aber ein klares Bild geben von dem, was wir bekämpfen. Und das wäre schon der halbe Sieg. Täuschen wir uns also nicht, Selbst. Halten wir uns an Tatsachen. Graben wir die einzelnen Teile des Puzzles aus. Nur so läßt sich der Kummer vergessen. (32. Tag) So viel Innenschau vor der Schlafenszeit bringt den alten Traummechanismus richtig in Schwung, nicht wahr, Selbst? Ich habe nicht nur von Teever Loze geträumt, aber als ich aus dem Schlaf aufschreckte, schrie ich seinen Namen. Wie oft muß ich ihn noch sterben sehen?
Wann endlich wird die Erinnerung an seinen zerfetzten Körper verblassen? Warum werde ich so gequält? Ich weiß, daß du darauf keine Antwort hast, Selbst. Du kannst nichts dafür. Auf uns lastet ein Schrecken, der ausgeht von der irrigen, perversen Annahme intelligenter Lebewesen, daß durch Mord und Totschlag Frieden, Freiheit und Wohlstand zu erreichen wäre. Aber so irrig scheint diese Annahme doch nicht zu sein; immerhin akzeptieren wir Kriege als einen Teil unseres Lebens. Wir beobachten fast ungerührt, wie auf fernen Welten gemordet wird, und greifen mit Hurra in Kriege ein, die uns persönlich bedrohen. Darf ich mir ein kritisches Urteil anmaßen? Ich habe selbst gekämpft. Getötet. Ich habe mich mit aller Kraft in solche Schlachten gestürzt und war auch noch stolz darauf. Irgendwie hat es mir — Fara möge mir verzeihen! — sogar Spaß gemacht. Es war faszinierend, ja, ich fühlte mich jedesmal auf ungewöhnliche Weise lebendig. Mit jeder Erholungspause, die auf eine Schlacht folgte, wuchs die erwartungsvolle Bereitschaft, wieder losschlagen zu können, bis mir schließlich bewußt wurde, daß ich kämpfen wollte, zu töten wünschte, aus Lust und Laune. Ich trachtete danach, Teever Lozes Tod immer wieder aufs neue zu rächen. Ich verlor allen Halt, wußte nicht mehr, wer ich war. Und daß dieser Zustand so plötzlich über mich hereingebrochen war, entsetzte mich am meisten. Jetzt erst ahne ich, wie genau Doktor Flo über mich Bescheid wußte, denn sie hat es auf eine für mich immer noch unerklärliche Weise geschafft, mein wirkliches, gesundes, vernünftiges Ich wieder in Kraft zu setzen. Auch du, Selbst, bist nicht untätig gewesen. Als ich anfing durchzudrehen, hast du in Sicherheit gebracht, was noch zu retten war. Ich gratuliere uns zu diesem Akt der Selbstverteidigung, dem wir es verdanken, nicht verlorengegangen zu sein. Gut gemacht, Selbst. Auf dich ist wirklich Verlaß. 7040 - 15. 3 . (32. Tag) Drei Quarks bilden eine Reihe, aber gleich von drei Geistern auf dem Klo überrascht zu werden, ist des Guten zuviel. Ich schrie auf sie ein und fluchte in sechs verschiedenen Sprachen, so laut ich konnte, worauf sie sich verzogen. Und das machte mich noch wütender. Wie konnten sie es wagen, einfach abzuhauen, obwohl ich meine Wut noch nicht vollends losgeworden war? Aber sie verschwanden, und als ich ein wenig verlegen über meinen Anfall das Klo verließ, waren sie an Bord nirgends aufzutreiben. Erst nach einer Stunde kehrten Ronda und Rosa Distel zurück. Shttz kam diesmal nicht mit; ich hatte ihn wohl verschreckt. Erstaunlich, daß sich Geister auch verschrecken lassen. Aber das geschieht ihm recht. Taucht einfach so dicht vor mir auf, daß mir die Krempe seines dummen Huts fast durchs Gesicht streift. Ich glaube, ich habe ihn sogar naß gemacht (falls man Geister überhaupt naß machen kann), doch das wird ihn wohl am wenigsten gestört haben. Ich versprach Ronda und Rosa Distel, daß ich demnächst einen Vaporisierer mit aufs Klo nehmen und erbarmungslos um mich schießen würde, wenn es noch einmal zu solch ungelegenen Besuchen käme. Windy, vielleicht sollten wir eine zusätzlich Sichtblende installieren. Mit dem Vaporisierer habe ich natürlich bloß geblufft. Möglich, daß sie es mit der Angst bekommen haben und sich in Zukunft besser vorsehen. Nachdem ich mich beruhigt hatte, schilderte Ronda kurz, was von der Geistergemeinschaft in der Zwischenzeit unternommen worden war. Sie berichtete von Untersuchungen, Verhören, politischen Manövern und Überzeugungsversuchen, von denen einige, wie ich vermute, mit Nachdruck vorgenommen wurden. Nähere Einzelheiten bekam ich nicht zu hören. Ich fragte auch gar nicht erst danach, erfuhr aber, daß Berish-kaSenka-ka und seine Gefolgsleute isoliert
und gezwungen sind, sich dem Willen der Mehrheit zu beugen. Ich habe auf Berish-ka-Senkaka offenbar keinen Eindruck machen können, doch es scheint, daß unser Treffen einige seiner Anhänger verunsichert hat. Ronda garantiert, daß den leibhaftigen Bewohnern von Quadra keinerlei Gefahr droht von seiten der Dissidenten. Die Ratsmitglieder sind informiert, und sobald Mr. Yerled und Generalin Tizelrassel zurückkehren, wird eine neue Sitzung einberufen. Wie steht's um Mr. Yerled? Ronda plädiert für Milde. Er scheint wirklich von Berish-kaSenka-ka erpreßt worden zu sein und mußte nicht nur um sein Geschäft, sondern auch um sein Leben fürchten. Daß er wegen einer geplanten Bundesbasis nicht sterben wollte, kann Mr. Yerled kaum zum Vorwurf gemacht werden. Ich bat Ronda, mir über Shttz mitteilen zu lassen, wann die nächste Ratssitzung stattfinden wird. Sie sagte, daß sie ihn zu mir schicken würde, wenn er dazu bereit wäre. Danach entstand eine peinliche Stille. Schließlich meinte ich, daß ich noch ein paar Nachrichten aufgeben und meinen Konferenzbeitrag vorbereiten müsse. Als sie verschwanden, fiel mir auf, daß Ronda lieber geblieben wäre; es schien, als habe sie noch etwas tun oder sagen wollen. Wer kennt sich schon mit Geistern aus? Vielleicht war sie einfach nur müde. Aber womöglich hatte sie doch noch etwas auf dem Herzen, Windy. Erinnerst du dich an das erste Treffen mit Shttz? Und an die Unterhaltung mit Ronda über ihr Gedicht? Und an Odis Bemerkung, daß er sich mit Ronda gut verstünde? Vielleicht sucht Ronda Gesellschaft, Gesellschaft mit leibhaftigen Wesen. Vielleicht geht's allen Geistern ebenso. Womöglich hatte Oberst Q. ES't'phons recht, als er sagte, daß die Geister auf Geselligkeit hofften und deshalb das Projekt unterstützen würden. Wohlgemerkt: Sie wollen bestimmt keinen Rummel, sind aber doch auf unsere Anwesenheit irgendwie angewiesen. Vielleicht widersteht Berish-kaSenka-ka diesem Bedürfnis. Vielleicht ... Jetzt reicht's mit den >Vielleichts<. Allzu viele davon verderben jede Theorie. Aber die Hypothese, daß Geister die Gesellschaft körperlicher Wesen brauchen, klingt recht plausibel. Alles spricht dafür. Wenn ich von Bedürfnis rede, meine ich natürlich keine materielle, sondern vielmehr ideelle Abhängigkeit. Ich vermute, Geister wünschen und suchen den Kontakt zu Personen, die sie an die Vergangenheit erinnern. Es muß nicht unbedingt die jeweils persönliche Vergangenheit sein (obwohl Ronda mit ihrem Gedicht genau darauf anspielt); es scheint ihnen vielmehr um das körperliche Vorleben im großen und ganzen zu gehen. Das würde auch erklären, warum ihnen so viel liegt an der Geschichte Quadras. Eine hübsche Theorie, Windy, auch wenn das Lob von mir selber stammt. 7040 - 17. 3. (35. Tag) Irgendein Bundesbeamter ist mal wieder ganz besonders eifrig bei der Planung. Heute morgen habe ich eine Nachricht erhalten, die uns bereits auf den nächsten Auftrag vorbereitet. Es geht um Vertragskorrekturen auf einem Planeten namens Burnal Sevene. Im Anhang stehen die üblichen Maßgaben und Richtlinien wie auch ein Hinweis der Linguistik-Abteilung, mit dem sie uns auf ein paar ungewöhnliche Schwierigkeiten aufmerksam machen will. Außerdem schlägt man uns vor, schon jetzt mit den Vorbereitungen zu beginnen etc. pp. Eine komplette Abschrift des Originalvertrages sowohl auf sevenesisch als auch auf standard ist gleich mitgeschickt worden. Von einem bestimmten Termin ist zwar nicht die Rede, aber ich fürchte, daß wir nach Abschluß der hiesigen Verhandlungen sofort nach Burnal Sevene aufbrechen müssen.
Das von ihnen übersandte Lexikon scheint mir viel zu lückenhaft zu sein, Windy. Wir sollten es gleich in den Barden einspeisen und sehen, ob sich noch einige spezifische Probleme feststellen lassen, die von der Linguistik-Abteilung übersehen worden sind. In der Zwischenzeit kannst du, Windy, mal die Akten überfliegen und nach Hinweisen auf Burnal Sevene suchen. Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Da war doch was, aber ich kann mich nicht mehr erinnern. Gut gemacht, Windy. Ich habe selber gar nicht daran gedacht, im Tagebuch nachzusehen. Die Bemerkung des Professors, daß die emotionale Syntax im Vallunesischen der tonalen Syntax von Burnal Sevene sehr ähnlich ist, könnte uns weiterhelfen bei der Bewältigung der Probleme, die auf uns warten. Soweit ich sehe, tut sich der Barde mit dem Lexikon schwer; jeder zusätzliche Hinweis könnte von Bedeutung sein. Versuch mal folgendes, Windy: Laß zuerst beide Verhandlungstexte entgegengesetzt durch den Baird und dann parallel durch den Barden laufen. Eine Analyse der Schlüsselwörter wird uns das Ausmaß der Probleme verdeutlichen und dem Barden das Differenzieren erleichtern. Das müßte für den Grundwortschatz reichen. Wenn nicht, bleibt uns nichts anderes übrig, als zur allgemeinen Lexikographie I zurückzugehen. 7040 - 18. 3. (36. Tag) Yerled ist zurück, das heißt: Er wird morgen landen. Noch ist er im Bremsorbit. Seinem Funkspruch nach zu urteilen, freut er sich darauf, nach Hause zurückzukehren. Keine Ahnung, wo er gewesen ist, aber in den zehn Standardtagen, die er weg war, kann er nicht sehr weit gekommen sein. (37. Tag) Shttz ist endlich wieder aufgetaucht und sagt, daß Yerled heute nachmittag landet und daß der Rat morgen um sechs zusammentrifft. Armer Shttz. Ich mußte eine halbe Stunde auf ihn einreden und klarmachen, daß ich seinen letzten, unpäßlichen Besuch nicht als einen persönlichen Affront aufgefaßt habe. Ich mag den kleinen Kerl mit der quiekigen Stimme. Wir haben uns doch schon recht gut hier eingelebt, Windy, nicht wahr? Ich kann ganz entspannt im Sessel sitzen und stundenlang mit einem Geist von blauer, dreieckiger Erscheinung mit schlabbrigem Hut palavern, ohne mir besonders seltsam dabei vorzukommen. Die Test auf der DiploSchule, die mir ein geringes Maß an Xenophobie bescheinigen, waren doch nicht so dumm, wie ich damals angenommen habe. Shttz wird an der Ratssitzung teilnehmen und hat mir — ganz im Vertrauen — mitgeteilt, daß der Antrag mit vier zu eins Stimmen angenommen wird. Odi, Bistelfaith, Yerled und Mossmann werden für den Stützpunkt stimmen. Ja, du hast richtig gehört, Windy. Selbst Mossmann steht auf unserer Seite. Shttz und ein paar andere Geister haben ihm, wie es scheint, erfolgreiche Geschäfte in Aussicht gestellt, wenn er das Projekt unterstützt. Ich bin sicher, daß auch von der Möglichkeit alternativer Lösungen die Rede war, aber Mossmanns Befürchtungen sind offenbar nur halb so groß wie seine Habgier, die letztlich den Ausschlag gegeben hat. Generalin Tizelrassel ist also als einzige gegen den Plan. Das enttäuscht mich, weil ich darauf gehofft habe, sie durch meinen Besuch umstimmen zu können. Aber Shttz glaubt mit Sicherheit zu wissen, daß sie den Antrag nicht unterstützt. Vielleicht hat sie erfahren, wiesich Mossmann und Yerled entschieden haben, und will mit ihrer Gegenstimme bloß eine Art symbolisches Zeichen setzen. Das hoffe ich zumindest.
Ich bat Shttz, mir mehr über sich zu erzählen, und er berichtete von seinen Reisen als Geist. Er hat nach seiner Rechnung über tausend Planeten besucht. Die Schilderungen der unbewohnten Gebiete haben mich ein wenig neidisch gemacht. Offenbar können Geister Orte aufsuchen, die körperlichen Wesen verwehrt bleiben. Bislang habe ich nicht einmal eine Vorstellung gehabt von den Dingen, die sie im Gegensatz zu uns mit eigenen Augen sehen können. Ich beschrieb Shttz ausführlich, was es mit der Eleven-Legende auf sich hat, und fragte ihn, ob er schon einmal auf ähnliche Geschichten gestoßen sei. Dem ist nicht so, aber er versprach mir, sich bei anderen Geistern umzuhören. Als ich Shttz fragte, wie man ein Geist wird, hielt er mir einen langen, sehr technischen Vortrag über psychische Oszillationsereignisse, Strahleneinflüsse und so weiter. Ich verstand von alledem kaum ein Wort. Ich vermute allerdings, daß die Antwort im Grund ganz simpel ist: Wenn ein empfindungsfähiges Lebewesen einen bestimmten Grad an psychischer Energie erreicht hat und in einem entsprechendem Umfeld rasch verstirbt, entsteht aus ihm eine Geistgestalt, die in Erscheinung treten, Bewegungen ausführen, sprechen kann und vieles mehr. Wenn das Umfeld nicht stimmt oder der Grad an psychischer Energie nicht ausreicht, verschmilzt der Geist des Verstorbenen mit dem kosmischen Bewußtsein und verliert seine Identität als Person, die er einmal war. Die Entscheidung darüber wird also einzig und allein vom Zufall getroffen. Als Shttz verschwunden war, mußte ich noch lange darüber nachdenken. Schließlich kam ich zu dem Schluß, daß es mir lieber wäre, eine Geistgestalt zu werden, als im großen Teich des kosmischen Bewußtseins herumzuschwimmen. Immerhin geht's um Unsterblichkeit, Windy, obwohl Shttz davon sprach, daß am Ende jeder Geist in den Teich zurückkehren würde. Aber bevor es dazu kommt, vergeht eine Menge Zeit, und wahrscheinlich wäre es mir dann sowieso langweilig geworden und durchaus recht, dahinzuschmelzen. Ich glaube, Gracies Einfluß macht sich wieder geltend. Auch sie sagte, daß die Unsterblichkeit mit der Zeit langweilig wird. Und sie muß es wissen. 7040 – 19. 3 . (37. Tag) Yerled hat sich gleich nach der Landung bei mir gemeldet und mich in sein Haus eingeladen. Er sagte, daß er noch vor der Ratssitzung mit mir sprechen wolle. Tja, und er hatte in der Tat eine Menge auf dem Herzen, redete und redete in einem fort. Beichten, Erklärungen, Geständnisse und Begründungen. All das bekam ich zu hören, ausführlicher als nötig. Aber er ließ sich nicht unterbrechen. Es ging ihm wohl nicht so sehr um Verständnis als darum, sich ausschütten und von einer Last befreien zu können. Ich bin offenbar der geeignete Kummerkasten, denn er weiß, daß ich dichthalte, und wenn ich Quadra verlasse, werden seine Geheimnisse mit mir verschwunden sein. Ich verzichte darauf, seine Enthüllungen im einzelnen festzuhalten, Windy, denn dazu sind sie mir nicht wichtig genug. Nur soviel: Er war in jüngeren Jahren ein übler, gemeiner Schuft, der einiges auf dem Kerbholz hatte, dann aber eine tiefgreifende, spirituelle Wandlung durchmachte. Also versuchte er, seine frühen Untaten zu sühnen und sein Wesen durch gute Taten zu läutern. Aber dann setzte Berish-ka-Senka-ka ihn unter Druck und ließ den Schrecken von früher in allen Einzelheiten wiederaufleben. Weil Yerled dadurch all seine ehrenhaften Bemühungen in Frage gestellt sah, packte ihn die Verzweiflung, und er ließ sich auf die Erpressung ein: Erst als Ronda ihn an Bord seines Schiffes zur Rede stellte und ihm klarmachen konnte, daß sein Ansehen durch nichts zu beschädigen sei, faßte er wieder neuen Mut.
Ich vermute, daß er durch sein Geständnis mir gegenüber endgültig die Krise überwunden hat. Die Schuld von damals wird zwar immer noch auf ihm lasten, aber ich glaube kaum, daß er sich noch einmal davon niederdrücken läßt. Ronda hat ihm eine Lektion zum Thema Selbstachtung verpaßt, die er so schnell nicht vergißt, die er nicht zu vergessen wagt, wenn er lebendig und bei Verstand bleiben will. Jetzt käme mir ein HypnoSchläfchen gelegen. Wenn du dafür sorgen könntest, Windy. Ich möchte nicht länger darüber nachdenken und würde mir gerne, wenn ich könnte, selber das Gehirn waschen. Vergiß, was du gehört hast, Selbst. Ich will nicht auch noch von Yerleds Vergangenheit verfolgt werden, denn an eigenen Problemen fehlt's mir beileibe nicht. (38. Tag) Die Überraschungen reißen nicht ab, Windy. Der Antrag ist einstimmig angenommen worden. Der Wahlgang dauerte nur knapp fünf Minuten. Anschließlich saßen wir sechs Stunden lang an der Formulierung des Vertrags. Generalin Tizelrassel steuerte äußerst zweckdienliche Vorschläge bei. Ihr ganzes Auftreten verriet mir, daß sie sich die Fragen, die ich ihr während meines Besuches stellte, gründlich durch den Kopf hat gehen lassen. Uns stehen immer noch ein paar schwierige Verhandlungen bevor, aber jetzt, da alle Beteiligten in dieselbe Richtung steuern, macht die Arbeit doppelt Spaß. Unangenehm wird es nur, wenn Mossmann zu jaulen anfängt, sobald Shttz das Wort ergreift. Aber darauf achtet keiner mehr, und Mossmann hat sich meist schnell wieder beruhigt. Er mag halt keine >Gespenster<, bemüht sich aber, anständig zu kooperieren, und darauf kommt es an. Der Vertrag wird vor ShRils Ankunft wohl noch nicht fertig ausgearbeitet und unterzeichnet sein, aber was jetzt noch zu schaffen ist, nimmt nicht mehr viel Zeit in Anspruch, so daß wir ungestört zusammen sein können. 7040 - 22 . 3. (41. Tag) Auf der holprigen Straße der Verhandlungen geht es nur stockend voran. Ständig sind irgendwelche Stolpersteine wegzuräumen. Es gilt, Kompromisse zu finden, zu feilschen, zu schmeicheln, Überzeugungsarbeit zu leisten. So gefällt's mir. Fara weiß, wie sehr ich das liebe! Manchmal bin ich so vertieft in die Sache, daß ich jedesmal, wenn eine Übereinstimmung erzielt wird, aufspringen und jubeln könnte. Es zermürbt mein Hirn, schlaucht meinen Körper (wenn ich aufhöre darüber nachzudenken, wie ich mich fühle), es frustriert meinen Glauben an die Vernunft und reizt mich nicht selten zur Weißglut. Aber wenn diese Säfte erst einmal in Bewegung sind, wenn die Diskussion hitzig und lebend wird, dann knistert eine Elektrizität in der Luft, die sogar auf den trägen alten Rosa Distel überspringt. Und wenn es bei dem erst einmal geblitzt hat, entlädt sich ein ohrenbetäubender Donner. Mir fällt auf Anhieb nur eine Sache ein, die noch aufregender ist und die ich noch lieber täte. Doch du, Windy, bist mir ein so unschuldiges, junges Mädchen, daß ich dich mit dieser Auskunft nur in Verlegenheit bringen könnte. Gute Nacht.
7040 - 24. 3. (44. Tag) Du, mein Selbst, hast es offenbar immer dann besonders leicht, mich zum Träumen zu bringen, wenn ich bis zum Hals in Arbeit steckte, nicht wahr? Soviel ist jedenfalls jetzt klar: ShRil und Fairy Peg zerren aus entgegengesetzter Richtung an mir herum und lassen mir keine Chance, den einen oder anderen Weg einzuschlagen. Anscheinend willst du mir damit sagen, daß ich mir zuerst über meine Gefühle zu Fairy Peg im klaren sein sollte, bevor ich mich für ShRil entscheide. Mit deinem indirekten Vorschlag, mich an ShRil zu binden, lehnst du dich ja ziemlich weit aus dem Fenster. Was für eine beängstigende, komplizierte Enthüllung! Und damit wartest du gerade jetzt auf, wohlwissend, daß sie morgen zum Konferenzbeginn erwartet wird. Mit anderen Worten: Du willst mir sagen, daß das heitere, sorglose Wiedersehen des Liebhabers und seiner Geliebten am Ende doch nicht so sorglos ist und mir im Grunde meines Herzens viel mehr bedeutet, als ich freiwillig zugeben würde. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, und dafür bin ich dir dankbar. Ich weiß noch nicht, wie ich, nein, wie wir Fairy Peg aus unserem System verscheuchen können, aber daß wir es schließlich schaffen, steht außer Frage. ShRil wird uns dabei helfen. Es muß uns gelingen, auch dann, wenn sich herausstellen sollte, daß ShRil für mich weniger empfindet als ich für sie. Und überhaupt, wie könnte ich jemals darauf hoffen, ein Geist zu werden, wenn ich weiterhin zulasse, daß die Affäre mit Fairy Peg meine psychische Energie lahmlegt. Selbsterhaltung ist angezeigt. Kümmere dich darum! Um jedoch keine Verwirrung zu stiften, sollten wir damit warten, bis wir von hier fort sind. Die Emotionen schwappen zu hoch und verhindern womöglich den Erfolg. Steck Fairy Peg in irgendeinen Winkel, Selbst. Wenn wir wieder im freien All sind, können wir diesem Problem die Aufmerksamkeit widmen, die es verdient. Vorläufig steht es uns nur im Weg. Jetzt noch hie und da ein paar kleine Veränderungen vornehmen, über einen Zusatzantrag abstimmen, die Präambel formulieren — dann müßte der Vertrag endgültig stehen. Es sind ein paar Hürden eingebaut, die dem Bund sicherlich nicht gefallen werden, aber im großen und ganzen bekommt er das, was er wollte. Die zwei, drei Klauseln zur örtlichen Kontrolle werden ihn nicht weiter stören, zumal unmittelbar einsichtig ist, daß nur so die Bedürfnisse zweier so unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden können. Das letzte Wort hat natürlich die Föderation, und um dies zu unterstreichen, wird sie bestimmt noch ein paar Veränderungen vornehmen. Aber ich glaube kaum, daß sie am >Geist des Vertrags< herumpfuschen wird. Schließlich waren hier Experten am Werk. Merkwürdig, Windy. Ich bin überhaupt nicht müde und könnte gut und gerne auf den HypnoSchlaf verzichten. Ich möchte mich einfach bloß zurücklehnen, entspannen und zufälligen Gedanken nachhängen. Morgen wird ShRil hier sein, die ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen habe. Na, was wird mir wohl so alles durch den Kopf gehen? Was meinst du, Selbst? 7040 - 26. 3 . (46. Tag) Nein, Windy, ich bin gestern abend nicht an Bord zurückgekehrt, sondern am Bett einer kranken Freundin geblieben. Ehrlich. ShRil ist von ihrem Schiff, der Liencam, geradewegs ins Touristenhospital gebracht worden. Krank. Nicht ernsthaft, Fara sei Dank!, aber krank genug,
um schlapp zu machen. Ein Magenvirus von Delta, verschärft durch einen kleinen Anfall von Warpkrankheit. Ich habe meine Beziehungen spielen lassen und die Erlaubnis erhalten, bei ihr zu bleiben. Sie hat kaum schlafen können, also redeten wir die halbe Nacht miteinander. Genauer gesagt, redete ich die meiste Zeit. Sie stellte mir irgendeine Frage, worauf ich eine lange Geschichte erzählte, ihre Hand hielt und sie mit meiner Stimme einlullte. Dann döste sie eine halbe Stunde lang weg, ohne aber wirklich tief einzuschlafen. Wenn sie schließlich wieder aufwachte, stellte sie eine andere Frage. So verbrachten wir die Nacht, und am Morgen sagte sie, daß es ihr schon viel besser ginge. Aber der Arzt, der sie untersuchte, verordnete ihr noch zwei, drei Tage Bettruhe. Also beschloß ich, ShRil mit an Bord zu nehmen. Ich schlug ihr vor, sich in einer meiner Verjüngungszellen zu erholen, womit sie spontan einverstanden war. Noch einmal habe ich meine Beziehungen spielen lassen müssen. Mr. Yerled setzte sich schließlich gegen den Chefarzt durch. Man wird sie in einer Stunde herbringen. ShRil ruht sich aus. Sie wollte keinen HypnoSchlaf. Statt dessen habe ich Nelsons Verrückte Spiralensymphonie für sie aufgelegt. Die Beschallung wird dieselbe Wirkung erzielen. Ich kann immer noch nicht glauben, daß sie hier ist, Windy. Nicht nur hier auf Quadra, sondern hier bei uns. Ich habe während der letzten halben Stunde mindestens zehnmal bei ihr vorbeigeschaut, nur um mich von ihrer Anwesenheit zu überzeugen. Jawohl, sie ist immer noch da und viel schöner als in der Erinnerung oder auf dem Hologramm. So, jetzt muß ich aber auch ein bißchen ausruhen. Ruf mich, Windy, wenn sie aufwacht. (47. Tag) Heute fühlt sich ShRil erfrischt und ausgeruht. Wir haben uns stundenlang unterhalten, bis ich schließlich darauf bestand, daß sie eine Weile ausruht. Der Beschaller ließ sie auch bald einschlummern. Wir haben uns noch längst nicht alles erzählt; in den vier vergangenen Jahren ist viel passiert, und doch habe ich den Eindruck, als wären wir nie getrennt gewesen. Ich habe ihr dieses Gefühl nicht zu gestehen gewagt, doch kurz bevor sie einschlief, hat ShRil etwas ganz Ahnliches geäußert. Harmonie, Verständnis, Übereinstimmung, Nähe — all das ist vorhanden. So stark wie früher. Vielleicht stärker noch. Hilf mir, Selbst. Schneller als eine Spinne an ihren silbernen Netzen spinne ich Phantasien aus. Brems mich! Die Wellen der Ekstase reißen mich sonst noch fort oder ertränken ShRil. Ich bin völlig vernarrt aus Liebe zu ihr, schaffe es aber nicht, meine Gefühle zu zeigen, meinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Zu viele Komplikationen sind zu befürchten; mir ist noch so manches ungewiß, was ShRils Gefühle, Wünsche und Pläne angeht. O Fara, ich halte die Spannung kaum aus. Aber wir wollen uns in Geduld üben, Selbst. 7040 – 27. 3. (47. Tag) Morgen werden noch ein paar Punkte am Vertrag zu regeln sein. Mr. Yerled sagte, daß man sich nicht entscheiden könne, ob die Zusatzvereinbarung mit einfacher Mehrheit oder aber einstimmig angenommen werden sollte. Ich hatte gehofft, daß wir über diese Frage längst hinaus sind, aber offenbar plädieren Mossmann und Odi hartnäckig für Einstimmigkeit. Es ist mir egal, wie sie sich entscheiden, Hauptsache, sie entscheiden sich. Als ich ShRil mitteilte, daß ich für eine Weile weg muß, hat sie übertrieben heftig geschmollt. Anscheinend geht es ihr wirklich schon viel besser. Sie sagte, daß ihr meine Abwesenheit bestimmt kaum auffallen würde, da sie mit Windy noch einiges zu bereden habe, und als ich
ihr den Rat gab, daß auszuruhen besser sei als mit dir, Windy, zu tratschen, hat sie schallend gelacht. Tu mir einen Gefallen, ja? Wenn ihr unbedingt miteinander reden müßt, paß bitte auf, daß sie sich nicht übernimmt. Sie sollte alle zwei Stunden ausruhen. Die Verjüngungszelle hat ihre Müdigkeitsdaten errechnet. Richte dich danach, um ihretwillen. Verstanden? Verstanden. Wenn jemand das Tagebuch in die Hände bekommt, wird er aufgrund meiner Zwiegespräche mit dir und meinem Selbst den Schluß ziehen, daß ich nicht richtig ticke. Keiner wird verstehen, daß ihr Persönlichkeit habt, Charakter besitzt und eine sehr einfühlsame Zuhörerschaft abgebt. Für mich seid ihr auch in der Beziehung wirklich und äußerst wertvoll. Aber was rede ich? Das wißt ihr ja längst. Nichts für ungut. Ihr versteht mich schon. Zeit, ins Bett zu gehen. ShRil erholt sich wacker und nimmt auch schon feste Kost zu sich. Wir haben noch eine Zeitlang über die Eleven-Legende gesprochen; dann ist sie eingeschlafen. Ein unverfängliches, neutrales Thema. Aber immer wenn unsere Unterhaltung ins Stocken geriet, drückte sie meine Hand, und schon war's mit der Sicherheit und Neutralität vorbei. Wenn ich morgen zurückkomme und sie in guter Stimmung ist, werde ich das Gespräch auf uns lenken. Aber vorsichtig und nur wenn ich glaube, daß sie dazu bereit ist. (48. Tag) Ich gehe jetzt, Windy. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Sorge dafür, daß ShRil ausreichend Ruhe findet. Und paß auf, was du ihr sagst. Es sieht so aus, als wäre ShRil vor Erschöpfung eingeschlafen. Hast du sie nicht genügend ausruhen lassen? Schon gut, schon gut. Ich glaube dir ja. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, mehr nicht. Die Zusatzvereinbarung ist jetzt auch unter Dach und Fach. Mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit. Jetzt gilt es, die letzte Hürde zu nehmen. Die Präambel. Ich habe den Ratsmitgliedern acht sehr unterschiedliche Beispiele aus anderen Vertragstexten zur Auswahl gestellt, glaube aber, daß sie mit keiner der Vorlagen zufrieden sein werden. Odi und Bistelfaith haben jeweils eine eigene Präambel entworfen. Mossmann wird sich nicht lumpen lassen und ebenfalls einen Entwurf erarbeiten. Ich habe vorgeschlagen, daß jeder Vertreter aus Rat und Spiritum eigene Texte vorlegen möge, die dann miteinander auf Gemeinsamkeiten hin verglichen werden könnten. Das Verfahren wäre zwar ein bißchen kompliziert, aber immerhin nicht unmöglich. Außer Rosa Distel hat wohl niemand gemerkt, daß mein Vorschlag ironisch gemeint war. Es wird schon klappen. Sie sind stolz auf sich. Mit Recht. Selbst Mossmann hat seine Vorurteile abgelegt (wenn nicht alle, so doch zumindest einen Teil davon) und arbeitet auf konstruktive Weise mit. Mr. Yerled erweist sich als starke Führungspersönlichkeit. Sogar Generalin Tizelrassel respektiert ihn, und das will schon was bedeuten. Es wird vielleicht länger dauern, als erwartet, aber am Erfolg ist nicht mehr zu zweifeln. Jetzt, da alle wesentliche Arbeit erledigt ist, bin ich vom Verhandlungspartner in die Rolle des Ratgebers geschlüpft. Damit bleibt mir nicht nur mehr Zeit für ShRil, sondern bedeutet überdies, daß sich der Rat und das Spiritum wieder unabhängiger fühlen können. Deshalb sprechen sie jetzt auch immer öfters von >unserem Vertrag< und nur noch selten vom >Vertrag über den Bundesstützpunkt<. Eine, wie mir scheint, gesunde Einstellung. Ich frage mich, was ShRil gerne zu Abend essen würde. Ist sie schon wach? Na, ich werde mal nach ihr sehen. Daß die Verjüngungszelle auch als Ort für ein romantisches Dinner herhalten kann, ist vielleicht schwer vorstellbar, aber es kommt nur auf die teilnehmenden Personen an. Deine improvisierte Simulation schummrigen Kerzenlichts hat nicht gestört, Windy. Genausowenig wie der Wein. Aber ich denke, es wäre auch ohne all dies sehr romantisch gewesen, denn ShRil und ich wollten es nicht anders. Wir unterhielten uns nett und nippten am Wein, bis ich
feststellte, daß sie sehr müde war, und sie ins Bett schickte. Über ernsthafte Dinge haben wir nicht gesprochen; Gefühle und Stimmungen wurden nur am Rande gestreift. Wir kamen vom Hölzchen aufs Stöckchen, von Kunst über Religion auf das Wesen der Bürokratie. Von den Tugenden verschiedener Regierungsformen war auch die Rede. Wir lachten viel. Und gaben uns einen Gutenacht-Kuß. Unser erster Kuß. Nun, unser erster inniger Kuß. Ich habe sie bei ihrer Ankunft auf die Stirn geküßt; mehr ließ sie nicht zu. Bis heute abend. ShRil ergriff die Initiative. Ihr Kuß war süß und weich und sanft und zärtlich und — auf eine subtile Weise — sogar leidenschaftlich. Wir werden später bestimmt noch Gelegenheit haben, darüber hinauszugehen. 7040 - 28. 3. (49. Tag) Wer hätte gedacht, daß das >Später< so bald sein würde? Ich muß zugeben, daß ich ziemlich erschrocken war, als ShRil mitten in der Nacht zu mir ins Bett kroch, aber von diesem Schock habe ich mich rasch erholt, als sie meine Brust und meinen Bauch mit heißen Küssen bedeckte. Soeben sind wir aufgewacht. Ich habe sie in die Verjüngungszelle geschickt und ihr weitere Ruhe verordnet. Du, Windy, solltest sie weiter im Auge behalten; aber wenn mich nicht alles täuscht, hat sie sich zu neunundneunzig Prozent wieder erholt. Ich könnte platzen vor Glück. Oder dahinschmelzen. Oder mir die Lunge aus dem Hals brüllen. Statt dessen summe ich ununterbrochen die Melodie aus Euieays >Liebeskonzert<. Ich komme nicht mehr los davon. Da da, dida di da, da di, da da, dadi da da. Ich wette, Windy, du würdest auch gerne singen können. Dann könnten wir ein hübsches Duett anstimmen. Duett. Ein nettes Wort. Apropos. ShRil läßt sich in der Wanne aufweichen. Wir haben den ganzen Nachmittag über unser Verhältnis gesprochen. Ziemlich ernsthaft. Der Auftakt für weitere Gespräche dieser Art. Wir haben uns unsere Liebe eingestanden, konnten aber nicht einmal ansatzweise klären, was dies für unsere Zukunft bedeutet. Immerhin sind wir biologisch von unterschiedlicher Art. Wir könnten zwar Kinder haben, aber die wären mit Sicherheit steril. Daran habe ich bislang überhaupt nicht gedacht. Warum auch? Ich war ja nicht einmal sicher, ob ShRil an einer engeren Beziehung wirklich interessiert ist. Jetzt ist sie mit diesem Thema rausgerückt. Wir haben vieles gemeinsam, aber auch so manches, was uns trennt, und ich wüßte im Augenblick nicht zu sagen, welche Seite überwiegt. Ich habe ein bißchen Angst, Selbst. 7040 – 29. 3 . (50. Tag) ShRil fühlt sich stark genug, um heute nachmittag die eine oder andere Konferenzsitzung aufzusuchen, und ich werde zu einem Treffen um elf Uhr gehen. Wenn ihr danach ist, nehmen wir anschließend am Bankett teil. Wir haben beschlossen, daß sie noch mindestens vier oder fünf Tage hier an Bord wohnt. Mal abwarten, wie sie sich dann fühlt. Wie wir uns fühlen. (51. Tag) Das Bankett war eine Wucht, für ShRil jedoch allem Anschein nach zu anstrengend. Sie schlief fast im Sitzen ein; ich mußte sie an Bord tragen und habe sie zur Vorsicht in die Verjüngungszelle gelegt. Heute morgen hat sie ein bißchen gegessen, ist aber gleich wieder zu
Bett gegangen, nachdem ich ihr das Versprechen abnahm, heute an keinem Treffen teilzunehmen. Sie ist mit ihrem Vortrag erst in einer Woche an der Reihe, und ich muß drei Tage später ran. Es liegt also kein zwingender Grund vor, auch die übrigen Termine wahrzunehmen. Gib acht auf sie, Windy! Ich muß zu einer Ratssitzung. Wenn es heute wieder so gut läuft wie gestern, wird der Text fertig sein und kann dem Bund zugeschickt werden. Bis zum 15. 4. wäre er dann wieder hier. Dann stünden noch Ratifizierung und entsprechende Feierlichkeiten an, und es blieben mir noch eine Woche für die Konferenz und das Zusammensein mit ShRil, bevor ich nach Burnal Sevene aufbrechen muß. Schöne Aussichten. 7040 - 30 . 3 . (51. Tag) Morgen werde ich den Vertrag abschicken können. Die Abschlußarbeiten waren irgendwie ernüchternd. Das Drama hat sich in' schlappes Wohlgefallen aufgelöst. Von der Kombüse strömen mir seltsame Düfte entgegen. Mal sehen, was ShRil dort treibt. (52. Tag) Es fällt schwer, ein Tagebuch zu führen, wenn jemand in der Nähe ist. Jetzt aber habe ich ein paar Stunden Zeit. ShRil ist auf der Konferenz, und ich bin erst um drei Uhr am Nachmittag mit ihr verabredet. Während du, Windy, den Vertrag codierst und abschickst, werde ich das Gedicht zu Ende schreiben, das ich nach der letzten Liebesnacht begonnen habe. Nicht schlecht. Gerard. Nicht schlecht. Hymne an ShRil Segeln ohne Reue vor frischem Wind, Momenten der Einheit entgegen Blut um Lunge, Knochen, Muskeln und Herz Ungezähmtes Tier der Herrlichkeit schwebt ins heilige Bewußtsein, zeugt neue Elysien, gartenlose Paradiese ohne Sünde oder Strafe, wirft Feuer in den Himmel und lacht im Widerhall der Götter: Jetzt kommt die Raserei, rauscht der blanke Wahnsinn in den Moschus der Ekstase: Jetzt kommt der heiße, feuchte Fall, heult das warme Tier mit stinkendem Brodem: Jetzt kommt das wüste Feuer, taucht das undressierte Tier ans Ziel des Lebens, stürzt zur Erfüllung vorschnell und zuckend, in bebender Ergebenheit,
erschöpft in den Schlaf, verwandelt in Träume von Liebe und Werden. Na ja. Auf Val würde mein Dithyrambus wohl kaum einen Preis erzielen, aber ich will mich damit auch nicht an einem Wettbewerb beteiligen. Die für mich einzig wichtige Jurorin wird es heute abend lesen. Wenn ich sie noch treffen will, muß ich mich jetzt aber auf die Socken machen. Windy, kopier die Zeilen auf ein Blatt Pseudo-Pergament. Wenn wir zurückkommen, muß der Ausdruck fertig sein. 7040 - 1. 4 . (53. Tag) ShRils Reaktion auf das Gedicht war ganz anders, als ich es erwartet habe. Sie zeigte sich geschmeichelt, zögerte aber mit ihrem Urteil und sagte, daß sie es noch ein paarmal durchlesen wolle. Offen gestanden, war mir ihre wohlwollende Zurückhaltung ein bißchen wenig; ich habe mit Überschwenglichkeit gerechnet. Aber ShRil war wieder ziemlich müde. Ich hätte sie mit dem Gedicht nicht überfallen dürfen. »Hab' was geschrieben. Ich lese es dir mal vor.« Hab's gelesen und ihr dann das Blatt gegeben. »Na, was hältst du davon?« Diplomatisch war das nicht gerade, Gerard. Vor lauter Aufregung und Erwartung bist du gar nicht auf die Idee gekommen, daß ShRil auch anders reagieren könnte. Jetzt bist du zerknirscht. Laß ihr ein wenig Zeit. Und versuch es mal mit mehr Anmut. 7040 – 2. 4. (54. Tag) Na, was hab' ich gesagt, Gerard? ShRils Zögern war durchaus angemessen. Als guter Diplomat solltest du dir diese Lektion zu Herzen nehmen. Ronda kommt heute abend, um ShRil kennenzulernen. Das dürfte interessant werden. Natürlich habe ich ShRil über die hiesigen Umstände aufgeklärt, aber bisher ist ihr noch nie ein Geist begegnet, weder hier noch anderswo. Verständlich, daß sie ein bißchen nervös ist. Sie weiß noch nicht, daß ich auch Rosa Distel und Shttz eingeladen habe. Ronda mußte mir versprechen, daß sie noch vor der Luke Gestalt annehmen und wie ganz normale Leute eintreten würden. Wehe, sie erschrecken ShRil. Oder mich. 7040 - 3. 4. (55. Tag) Ich glaube, die Geister von Quadra haben eine neue, im wahrsten Sinne des Wortes begeisterte Freundin. ShRil, Ronda und Shttz redeten immer noch miteinander, als ich schon längst zu Bett gegangen war. ShRil war mit ihnen sofort ins Gespräch gekommen, das im Laufe des Abends immer lebhafter wurde. Sowohl Ronda als auch Shttz schienen sehr daran interessiert zu sein, ShRil von ihrer körperlichen wie auch jüngeren Vergangenheit zu erzählen. Am Ende war ich von der Unterhaltung so gut wie ausgeschlossen. Shttz erklärte, daß er sich in Sachen Eleven-Legende umgehört habe, leider nur mit
bescheidenem Erfolg. Allerdings, so sagte er, habe er von einem Geist auf Yuma am Rand der Fernen Zonen erfahren, daß der Typus des Eleven zur dortigen Geschichte gehöre. Wir, ShRil und ich, haben uns Notizen gemacht. Danach beschränkte ich mich aufs Zuhören und die stille Freude zu beobachten, wie gut die drei miteinander auskamen. Die Stimmung war so herzlich, so natürlich und entspannt, daß ich mit meinen Gedanken abschweifte und mein Körper wohlig-träge wurde. Ich ließ schließlich die drei allein und legte mich schlafen. ShRil war heute morgen schon vor mir aufgestanden, zeigte sich noch ganz angetan von dem schönen Abend, dankte mir, die Gäste eingeladen zu haben, und verkündete, daß die beiden in ein paar Tagen wiederkommen wollten. Dann, als sie sich zur Konferenz auf den Weg machte, gab sie mir einen flüchtigen Kuß auf die Wange und sagte: »Ich habe beschlossen, nicht ins Gästehaus zurückzukehren, sondern hier zu bleiben.« Sie drückte meine Hand, stieg durch die Luke und schenkte mir noch ein strahlendes Lächeln. »Natürlich nur, wenn dir das recht ist.« Lachend entgegnete ich, daß ich darüber nachdenken würde. Als ich sie über die Rampe gehen und im Terminal verschwinden sah, dachte ich darüber nach. Jetzt denke ich immer noch über dieselbe Sache nach und kann nicht aufhören. Der Bund bestätigt den Erhalt des Vertragstextes und meiner beigefügten Nachricht, auf weitere Befehle zu warten. Das ging schnell. Der gute alte Bund, verliert nie Zeit, es sei denn, er hält es für angebracht. (Soviel zu dem von ShRil und mir besuchten Seminar über >Kleine Galaxis-Legenden und universelle Themen<.) Die Befehle dürften in etwa drei Stunden eintrudeln. Ich sollte besser darauf warten, um sie lesen zu können, solange ich allein bin. Der Knoten im Magen; der die Zukunft voraussieht, verrät, daß mir wahrscheinlich nicht gefallen wird, was der Bund zu melden hat. Es ist weniger schlimm als befürchtet, aber auch nicht so gut, wie es hätte sein können. »Abflug nach Burnal Sevene festgesetzt für den 15. 4. bzw. so schnell wie möglich nach Ratifizierung des Vertrages auf Quadra.« Ist dir, Windy, jemals aufgefallen, wie herzlich und persönlich die Einsatzbefehle vom Bund sind? Darin schwingt jedesmal eine ganz spezielle Note mit, die davon zeugt, wie sehr man uns schätzt. Es bleiben also noch mindestens fünfzehn Tage hiesiger Zeitrechnung, die ich mit ShRil verbringen kann. Ich fühle mich betrogen, Selbst. Dabei müßte ich doch glücklich sein, soviel Zeit zur Verfügung zu haben. Trotzdem fühle ich mich betrogen. ShRil nahm die Nachricht ziemlich gelassen zur Kenntnis und sagte, wir müßten eben jeden Tag so gestalten, daß er einem Investment auf unsere Zukunft gleichkommt. Unsere Zukunft, Selbst. Wie, um alles im Universum, können wir unter diesen Umständen an eine gemeinsame Zukunft denken? Ich stehe jetzt noch für fünf Jahre unter Vertrag, und nicht einmal Fara weiß, wohin der Bund uns schickt. Was läßt sich da von uns planen? Natürlich könnten wir uns aus dem Vertrag freikaufen, aber mir wird ganz mulmig bei der Vorstellung, wieviel Kredit mir dann noch übrig bleibt. Ich muß positiv denken. (56. Tag) Trister Morgen. In wenigen Minuten gehen wir gemeinsam zur Konferenz. Uns beiden ist recht traurig zumute. Nur nicht melancholisch werden. Sonst fällt zwischen uns die Jalousie herunter. Wir haben keine Zeit zu vergeuden.
7040 - 4. 4 (56. Tag) ShRil ist während der Versammlung richtig aufgelebt. Sie hat auch das Spätseminar über >Mythen von Göttern in Vogelgestalt< besucht. Wenn sie zurückkommt, muß ich ihr von Alvin erzählen. Entweder ist der von uns aufgesetzte Vertrag perfekt gelungen oder irgend jemand bei der zuständigen Bundesbehörde hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich kann beides nicht glauben. Aber in der jüngsten Meldung heißt es, daß Bestätigung und Zustimmung in drei Tagen eintreffen werden. Das muß ein Fehler sein. In so kurzer Zeit kann doch keiner den Text gründlich gelesen haben, geschweige denn von den jeweiligen Ämtern absegnen lassen. Da scheint uns jemand einen Streich spielen zu wollen. ShRil will diese Nacht im Gästehaus zubringen. Um nachzudenken, wie sie sagt. Habe ihr versucht zu erklären, daß sie hier genauso gut nachdenken könne, aber davon wollte sie nichts wissen. Wie komme ich dazu, ihr zu sagen, was sie tun, wo sie die Nacht verbringen und was sie denken soll? Ich bin schließlich nur ein umherziehender Diplomat, der vor vier Jahren in ihr Leben getreten und kurz darauf wieder abgezogen ist. Jetzt bin ich ein zweites Mal aufgetaucht und stifte nichts als Verwirrung, so daß sie nicht mehr weiß, was sie von sich, ihrer Karriere und der Zukunft halten soll. Kann ich ihr Vorschriften machen? Quatsch, natürlich nicht. Na schön, was hast du ihr denn anzubieten? Deine Liebe? So einmalig ist das nun auch wieder nicht. Was sonst? Achtung, Verständnis, Ergebenheit, Aufmerksamkeit? Großartig, aber auch nichts Besonderes. Aber sie hat doch die Sache mit den Kindern aufs Tapet gebracht. Sie war es, die von >unserer< Zukunft gesprochen hat. Es muß doch irgend etwas geben, irgendein Gefühl der Verbundenheit, auch von ihrer Seite aus. Oder — verzeih mir den Gedanken — oder hat sie mich bloß auf die Probe stellen und herausfinden wollen, wie tief meine Gefühle in Wirklichkeit sind, selbst dann, wenn sie nicht erwidert würden? Oh, Selbst, ich will nicht länger grübeln. Daß ShRil mit mir gespielt haben könnte, will ich nicht einmal als Möglichkeit in Betracht ziehen. Wenn sie mir gegenüber nicht ehrlich ist, dann ... Verflucht! Das führt doch zu nichts. Schick mich in den Schlaf, Windy. (57. Tag) Manchmal, liebes Selbst, kannst du einem gehörig auf den Wecker gehen. Habe ich nicht genug Sorgen am Hals? Mußtest du mich ausgerechnet jetzt von Fairy Peg träumen lassen? Und damit ich den Traum nur ja nicht vergesse, belästigst du mich mit x-facher Wiederholung. Sei's drum. Fairy Peg ist im Bett. Sie legt sich nieder. Es riecht nach Medizin, vermischt mit Duftkräutern. Ich sehe sie aus der Distanz. Vom anderen Ende des Zimmers aus. Es wird im Flüsterton gestritten. Ein Helm und ein Schild. Schatten. Zwei Stimmen. Eine Hand legt sich auf meinen Arm. Mit Nachdruck. Ein Schwert kratzt in der Scheide. Peg richtet sich auf. »Chon!« Ich wachte auf. Noch einmal. Langsamer. Fairy Peg liegt im Bett. Kerzenlicht flackert über ihr fiebriges Gesicht. Medizinfläschchen. Brennende Duftkräuter. Wir stehen in einer Ecke des Zimmers und streiten flüsternd. Schild und Helm verdüstern sein Gesicht. Er packt mich beim Arm. Zieht das Schwert aus der Scheide. Peg sitzt aufrecht im Bett, starrt uns an und schreit: »Chon!« Ich wache auf. Wer ist dieser Kerl? Wer streitet da mit mir und zieht das Schwert gegen mich? Hol mir das Gesicht näher ran, Selbst. Und die Stimme. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers liegt Fairy Peg im Bett. Auf einem Tisch
daneben stehen Medzinfläschchen. Duftkräuter glimmen in einer Schale. Ihr Schwert hängt am Bettpfosten. Er sagt, daß ich nichts für sie tun kann. Wir streiten. Es ist Alpluakka, Targ Alpluakka. Der Schild des Kommandanten der Gabriel-Ratschen. Er hält mich zurück, zieht das Schwert aus der Scheide. Fairy Peg hat sich aufgerichtet und zeigt mit dem Schwert auf uns. Ihre Augen flackern wild. »Chon!« schreit sie. Ich wache auf. »Chon!« Gehorche! Was? Wem? Fordert sie mich auf, Alpluakka zu gehorchen? Oder soll er mir gehorchen? Woher kommt es, Selbst, daß in diesen Träumen jede Antwort neue Fragen aufwirft? Ich glaube, Fairy Peg fordert Targ auf, mir zu gehorchen. Er soll von mir ablassen, damit ich ihre Krankheit behandeln kann. >Chon< ist doch der königliche Imperativ, nicht wahr, Selbst? Ja, so muß es sein: Peg gebietet Targ, mir zu gehorchen. Wann hat sich das zugetragen? Bin ich der Prinzgemahl? Oder bin ich erst vor kurzem auf Kril gelandet? Als Diplomat, der den Auftrag hatte, sich einzuschalten in die Behandlung der kranken Prinzessin? In diesem Fall gilt der Befehl mir. Ich soll dem Kommandanten der Gabriel-Ratschen und Hüter des Throns gehorchen. Ja, so paßt alles zusammen. Ich soll Kommandant Targ Alpluakka gehorchen. Oh, wie mühselig es doch ist, die verschütteten Erinnerungen an diese Zeit hervorzukramen. Habe ich versucht, Fairy Peg von irgendeiner Krankheit zu heilen? Habe ich mein Leben riskiert aus Wut darüber, daß man sich weigerte, die richtige Behandlung anzuwenden? Aus welchem Grund sollte man sich geweigert haben? Aus politischem, beruflichem, persönlichem Grund? Hat mich deren Ignoranz in Wut gebracht oder die Weigerung, mich helfen zu lassen? Auf Antworten kann ich wohl noch lange warten. Gefunden habe ich wieder einmal nur ein kleines Puzzle-stück, das ins Bild passen könnte. Gracie sagte einmal, daß von Puzzles nicht die Rede sein könne, weil es keine Einzelstücke geben würde; es gäbe nur ein Ganzes, das sich zum Ganzen zusammensetze. Klingt nicht schlecht, läßt sich aber kaum verstehen und noch viel weniger erfahren. 7040 - 5 . 4 . (57. Tag) ShRil hat soeben angerufen. Sie wird in einer Stunde hier sein. Ihre Stimme klang recht heiter. Sie sagte, daß sie Hunger habe. Windy, bitte zaubere doch eine Kleinigkeit in der Kombüse zusammen. (58. Tag) ShRil geht noch einmal die Notizen durch, die sie sich für den morgigen Vortrag gemacht hat, und ich sitze hier und wundere mich über die seltsamen Wendungen, die eine Liebesgeschichte einschlagen kann. Wir haben fast die ganze Nacht über miteinander gesprochen und einen Entschluß gefaßt. ShRil will, daß wir zusammenbleiben, und ich will dasselbe. Aber jeder von uns hat eigene Verpflichtungen und Aufgaben, die ein Zusammenleben vorerst unmöglich machen. Darum wollen wir eine Cylceia eingehen, eine Art Treuegelöbnis, das für Sylvaner den ersten Schritt zur dauerhaften Vereinigung darstellt (die nach weiteren zwei Schritten erreicht ist). In alten terranischen Begriffen ließe sich, glaube ich, sagen, daß wir nun verlobt sind. Wenn es dann nach unseren Wünschen geht, wird ShRil im nächsten Jahr ihren Dienst bei der Botschaft quittieren und den Job einer reisenden Forscherin annehmen, der ihr von der Universität von Moseen angeboten worden ist. Dann wollen wir uns irgendwo treffen und
entscheiden, ob wir den zweiten Schritt, das sogenannte Scheiteln, wagen können. In dieser Phase wird eine bestimmte Zeit der Trennung notwendig sein, nach der das Paar (das sind wir) beschließt, ob es die permanente Verbindung der Dowonache einzugehen wünscht. >Dowonache< heißt, wörtlich übersetzt: >den einen Pfad gehen<. Im Anschluß an die nach sylvanischen Gebräuchen vorgenommene Zeremonie beschreitet das frisch vermählte Paar Seite an Seite den Weg, der in sein neues Heim führt. Die für das Scheiteln vorgesehene Trennungsdauer wäre überbrückt durch meine Restzeit, die ich beim Bund unter Vertrag stehe. Dieser Plan scheint mir sehr behutsam und vernünftig zu sein. Es gibt etliche Orte, an denen vermeintlich dauerhafte Treuegelöbnisse allzuleicht und schnell eingegangen werden und später auf langwierige und schmerzhafte Art und Weise wieder zu brechen sind, wenn die Verbindung scheitert. Vorzuziehen ist der schwierigere Weg, der aber letztlich zum Erfolg führt. Wir wollen die Cylceia-Riten hier auf Quadra feiern, ganz privat. Ich bin schon sehr gespannt und nervös. Wir haben uns da etwas sehr Ernsthaftes vorgenommen, Selbst. Dieser Schritt geht in eine Richtung, die wir nicht vorhergesehen haben. Oder doch? Bevor der zweite Schritt getan wird, müssen wir unser Verhältnis zu Fairy Peg klären. Wir wissen immer noch nicht, durch welche Versprechen und Gesetzlichkeiten ich an Fairy Peg gebunden bin. Das müssen wir herausfinden. Möge Fara verhindern, daß uns die Vergangenheit einen Strich durch die Rechnung macht. Nach unserem Aufbruch von Quadra sollten wir zuallererst versuchen, mit Fairy Peg Kontakt aufzunehmen. Daran habe ich bisher nicht einmal zu denken gewagt, denn zuerst wollte ich erst einmal im klaren darüber sein, was uns in der Ribble-Galaxis wirklich widerfahren ist. Aber jetzt sieht es so aus, als käme ich nicht um diesen Versuch herum. Solange das Rätsel nicht gelöst ist, bin ich nicht zufrieden. Wir sollten diese Aufgabe jetzt bald in Angriff nehmen, Selbst. Daß die Sache heikel werden könnte, ist mir bewußt. Der Bund darf natürlich nicht wissen, daß wir mit seinem Erzfeind Kontakt aufnehmen wollen. Das wäre mit Sicherheit das Ende unserer Diplomatenkarriere. Wir könnten sogar im Gefängnis landen. 7040 - 6. 4. (59. Tag) ShRils Vortrag über die Eleven-Legende und die anschließende Diskussion nahm fast den ganzen Tag in Anspruch. Ich habe mich ein wenig beteiligt, aber sie stand eindeutig im Mittelpunkt. Sie ist — trotz ihrer gegenteiligen Meinung — eine ausgezeichnete Rednerin, die ihre Zuhörerschaft zu fesseln versteht, egal, ob sie nun über trockene Forschungsmethoden oder über die eigentlichen Legenden spricht. Ich kann ganz ohne Befangenheit sagen, daß sie einen hervorragenden Eindruck gemacht hat. Die Kollegen zollten ihr stürmischen Beifall. Ich bin sehr, sehr stolz auf sie. Und auch ein bißchen eifersüchtig. Meine Präsentation des W-M-B-Programms wird nicht halb so interessant und unterhaltend sein. Zum Glück bin ich nicht gleich im Anschluß an sie an der Reihe. Wer morgen einen Vortrag zu halten hat, ist wirklich nicht zu beneiden. Jetzt zu der Nachricht, die wir vom Bund erhalten haben. Windy, bist du sicher, daß das alles war? »Vertrag über Bundesstützpunkt auf Quadra Wort für Wort genehmigt. Alles weitere wie besprochen.« Ziemlich knapp formuliert, findest du nicht? Ich kann kaum glauben, daß unser Amt den Vertrag bereits nach sechs Tagen genehmigt hat. Ohne irgendwelche Änderungen vorzunehmen. Bevor ich mich darauf einlasse, will ich die Sache per DiploKonfirmation bestätigt wissen, Windy. Setz eine entsprechende Meldung auf, und zwar
verschlüsselt nach dem Sicherungscode. Auf diese Weise erhalten wir eine Antwort von höherer Stelle. 7040 - 7. 4. (60. Tag) Morgen wird Cylceia gefeiert. Unsere Cylceia. Heute nacht schlafen wir getrennt (falls wir überhaupt schlafen können). Mit der Morgendämmerung fangen die Riten an. Wenn ich nicht nervös bin, frage ich mich, warum mir danach ist, ständig auf und ab zu hüpfen, um meine Energie loszuwerden. Soll ich mich vielleicht doch besser in den HypnoSchlaf schicken lassen? Nein, lieber nicht, Windy. Wenn mein Selbst die Nacht über wach bleiben und nachdenken will, sollten wir ihm diesen Wunsch erfüllen. Oder was meinst du, Selbst. Äußere dich! 7040 -8. 4. (61. Tag) Da du, Windy, nicht weißt, was dir heute entgangen ist, will ich dich einweihen. Es war wunderschön, poetisch, faszinierend, ekstatisch. Nach diesem Erlebnis zögere ich, mir vorzustellen, wie das Scheiteln wohl sein wird. Ich habe mich wahrscheinlich nie glücklicher gefühlt, Windy. Nie war mir wohler zumute. Ein Wink in Richtung auf unsere Zukunft? Das hoffe ich. Nur eins ist sicher: Den heutigen Tag würde ich gegen keinen anderen Tag, den ich gelebt habe, eintauschen. Das habe ich ShRil zu verdanken. Sie gab mir das Gefühl, als hätte ich meiner eigenen Geburt beigewohnt. Mit ihr ist alles so neu, so lebendig für mich. Mir fehlen die Worte, Windy. Was ich hier von mir gebe, ist nur das demütige Gestammel eines dankbaren Mannes, der überglücklich ist, mit dieser wunderbaren Frau zusammen zu sein. Gute Nacht, Windy. 7040 - 9. 4. (62. Tag) Wieder ein schöner Tag. Meine Präsentation des Windhover-Manley-Barde-Programms ist recht günstig aufgenommen worden, und nachdem wir dich, Windy, zugeschaltet hatten, entwickelte sich eine Diskussion, wie ich sie mir nicht besser hätte wünschen können. Dann eine Überraschung. Direktor Franiingcard! Hier auf Quadra, um uns eine weitere Ehrung vom Zentrum für kulturellen Austausch zukommen zu lassen. Ich hätte heulen können, Windy, so aufgewühlt war ich. Stolz bin ich auch über die vom Bund gemeldete Bestätigung der Vertragsannahme. Es ist tatsächlich nicht ein Wort verändert worden. Erstaunlich. Im Grunde muß man dafür den Rat und das Spiritum loben. Morgen setzen wir den Rat davon in Kenntnis, und dann kann die feierliche Ratifizierung vorgenommen werden. Heute nacht habe ich die Freude und das Vergnügen, mit ShRil zusammen zu sein.
7040 - 12. 4. (66. Tag) Schnell, Windy, schnell. Die Tage scheinen zu enden, bevor sie angefangen haben. Vier übervolle Tage: Parties, Planungen für die Feierlichkeiten Einweisung der Verbindungsoffiziere, Ankunft der Bundesrepräsentanten, Treffen mit Bürgervertretungen und ein paar kurze Augenblicke, die ich mir freinehmen konnte, um ShRil zu sehen. Die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern. Morgen wird der Vertrag ratifiziert. Übermorgen entführt uns Odi an einen für andere gesperrten Ort bei den Ruinen, wo ich mit ShRil einen Tag allein verbringen kann. Wir hatten gehofft, den Geist von Yuma zu treffen, aber leider mag er keine körperlichen Wesen, wie Shttz sagte. Wenn es die anderen Geister zulassen, werden wir also einen ganzen Tag für uns alleine haben. Shttz will dafür sorgen, daß uns niemand stört. Ich muß mich beeilen, Windy. 7040 - 15. 4. (70. Tag) Fertig zum Abflug, Windy. Minus fünfzehn, der Countdown läuft. Optimale Bedingungen. Alle Systeme sind bereit. Bring uns fort! 7. 7040 - 17. 4.
Im All
Du, Windy, und ShRil, ihr zwei gebt ein prima Team ab. Alle Achtung. Ich wette, du hast ihr den Tip gegeben, wo sie ihren Abschiedsbrief am besten verstecken kann. Du wußtest, daß ich die Verjüngungszellen routinemäßig kontrolliere, bevor wir auf Warpschub gehen. Und du wußtest auch, daß ich nicht schon vorher nachsehe. Hab' ich doch geahnt, daß ihr hinter meinem Rücken tuschelt, allerdings ist mir entfallen, wie gerne du Ränke schmiedest. Darf ich wieder weinen? Nein. Nur tief seufzen. Ich weiß nicht, was ShRil an mir findet, aber was es auch ist, ich bin glücklich, dieses Etwas zu besitzen. Meine Cylceiate, meine ShRil. Mein sylvanischer Schatz, der nicht weinen kann und mir in den Armen lag, während seine Nase lief und lief und lief. Wie ist es möglich, gleichzeitig so abgrundtief traurig und so überglücklich zu sein? Voll Zuversicht sehe ich unserer Zukunft entgegen, bin aber wie benommen von der Trennung. Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich auf unser Wiedersehen freue. Ich träume von Schönheit ohne Form, von einem Licht ohne Quelle, von schierem, bezugslosem Glück. Ich empfinde Harmonie und Gleichgewicht, ein Gefühl von Orientierung und Bestimmung. Und doch, ich kann es nicht leugnen, fühle ich auch einen kleinen, harten Kloß der Angst, daß nichts von alledem Wirklichkeit wird, daß ich zu weit hinausträume in eine ungewisse Zukunft. Aber diese Angst kann mich nicht niederdrücken, kann mir den Glauben nicht nehmen, daß sich für uns alles zum Besten wendet. Wir werden eine eigene Zeit und einen eigenen Raum für uns entstehen lassen und gemeinsam, von unseren Herzen geführt, die Windungen des Kontinuums bereisen. Schwärme ich zu sehr, Windy? Singe ich zu laut? Bin ich in diesem Zustand überhaupt zu ertragen? Denk nur, wie es mit uns dreien, mit dir, mir und ShRil sein wird und stell dein
teures, elektronisches Herz darauf ein, daß dies nur die Ouvertüre zu einer kosmischen Symphonie ist. Ja, ja, ich beruhige mich gleich wieder. Du sollst dich nicht länger langweilen. Aber glaube nicht, daß ich zu diesem Thema nichts mehr zu sagen weiß. Mach dich auf weiteres gefaßt. Aber jetzt wird's wieder mal Zeit, an die Arbeit zu gehen. Wie sollen wir auf Burnal Sevene Neuverhandlungen über einen Vertrag aufnehmen, wenn uns angemessene Übersetzungen des Originalvertrages fehlen? Das vorhandene Lexikon ist ein Verbrechen gegen die Linguistik. Daß der Originalvertrag vor über sechshundert Jahren geschrieben wurde, ist keine Entschuldigung. Beim Auswärtigen Amt oder in der LinguistikAbteilung hätte man immerhin Zeit genug gehabt, ein anständiges Lexikon zu erstellen. Statt dessen aber schickt man uns dieses erbärmliche Vokabularium. Stehen wir vor einem Übersetzungsproblem? Oder mangelt's an Informationen? Wir sollten ein paar Experimente vornehmen, Windy. Wir suchen jetzt alles zusammen, was wir auf sevenesisch haben, füttern den Baird damit und lassen eine Variantenfrequenzanalyse vornehmen. Auf die Weise müßten wir eine Anzahl von Grundeinheiten für das tonale System erhalten sowie einen mehr oder weniger groben Syntaxfaktor. Mit etwas Glück bekommen wir auch einen Hinweis auf die Größe des gesamten Wertesystems. 7040 - 19 . 4 . Blödsinn, Windy, nichts als Blödsinn. Ich kann nur hoffen, daß diese Resultate nicht beispielhaft sind für das, was uns erwartet. Mit solchen Abweichungen läßt sich nicht arbeiten. Aber vielleicht gelingt es, die Ungenauigkeiten in der Übersetzung mit diesem achtzehnstelligen Syntaxmuster zu isolieren, das uns von der Linguistik-Abteilung geschickt worden ist. Ich weiß, das klingt altmodisch, aber es könnte sein, daß wir auf dem Weg einen Hinweis erhalten, wie weiter vorzugehen ist. 7040 – 20.4. Sehr interessant, Windy. Jetzt haben wir achtundvierzig Grundtöne plus acht Standardabweichungen. Macht zusammen sechsundfünfzig. Bei einem achtzehnstelligen Syntaxmuster kommen wir auf 1 016 064 Bedeutungseinheiten, vorausgesetzt natürlich, die Abweichungen verteilen sich gleichmäßig über das gesamte Muster. Eine gewagte Annahme, zugegeben, aber nicht, weil sie zu weit reicht. Sie greift eher zu kurz, wenn man bedenkt, daß wir immer noch eine Zufallsabweichung von fünf-plus haben. Aber das bringt mich auf eine Idee. Die normale Zwölfton-Ableitung liegt bei achtundvierzig. Sechsundfünfzig ist demnach zu hoch. Ausgehend von einer herkömmlichen Zwölftonskala, müßte die Sequenz über achtundvierzig, sechzig, zweiundsiebzig, vierundachtzig und so weiter laufen. Wenn wir bei sechzig anfangen und in regelmäßigen Stichproben das ganze Abweichungsmuster durchgehen, ließe sich vielleicht zumindest das mathematische System bestimmen.
7040 - 23 . 4 . Dir ist doch sicherlich auch aufgefallen, daß wir nur noch elf Tage von Burnal Sevene entfernt sind, aber nur soviel mit Bestimmtheit wissen, daß wir nichts Bestimmtes wissen. Keine Bange. In elf Tagen läßt sich eine Menge schaffen, vor allem dann, wenn man nichts anderes zu tun hat. Natürlich könnte ich mich auch ruhig hinsetzen, im Tamos schmökern und auf die Beantwortung unserer Anfrage warten, die wir von Quadra aus zur Ribble-Galaxis geschickt haben. Aber dabei wäre ich wohl nicht allzu glücklich. Außerdem habe ich eine neue Idee. 7040 – 29. 4. Hält man uns zum besten, Windy? »Nicht autorisierte Kontakte zu Bundesrepräsentanten sind untersagt.« Na bitte. Das hat uns wahrscheinlich irgendein kleiner Beamter von der RibbleGalaxis übermittelt. Wenn's nicht anders geht, muß man sich eben an höhere Stellen richten. Setz diesmal eine neue Adresse ein: »Ihre königliche Hoheit, Hüterin der Ribble-Galaxis, Peg On'Ell, Badh der Sieben Systeme, Patronin des Glaubens, Prinzessin von Kril, Herrin der Gabriel-Ratschen ... meine süße Fairy Peg.« Der vertraute Zusatz der Anrede wird einige bestimmt verärgern. Um sicherzugehen, füge noch hinzu: »Tochter von Ober On'Ell und Tania Houn Draytonmab.« Zum besten halten wollen sie uns? Daß ich nicht lache. Sollen sie sich doch über folgende Zeilen die Haare raufen: »Liebste Prinzessin, unerledigte Dinge müssen zum Abschluß gebracht werden, und zwar so, daß beide Seiten zufrieden sein können. Für eine unverzügliche Antwort wäre ich dankbar. Auf Anfrage sind vertrauliche Informationen zu haben.« Und unterzeichne mit »Gerard Manley, Vertragsdiplomat, Fize der Gabriel-Ratschen (a. D.).« Als Anschrift trage Burnal Sevene ein, Windy. Ich glaube kaum, daß auch diese Nachricht abgefangen wird. Dazu sind viel zu viele Beleidigungen enthalten. Die Frage ist nur, ob Fairy Peg davon in Kenntnis gesetzt wird. Aber woher soll ich die Antwort wissen? Und zum Grübeln fehlt uns die Zeit. Die Parallelreihenauswertung, die wir vorgenommen haben, scheint eine Teillösung des Übersetzungsproblems anzudeuten. Allerdings ist die lexikographische Aufgabe, die noch vor uns liegt, so riesig groß, daß ich nicht weiß, wie wir die bewältigen sollen. Alle bisherigen Ergebnisse deuten auf ein System von sechsundneunzig Tönen hin bei je vierundzwanzig syntaktischen Variationen im Quadrat. Daraus ergibt sich eine Anzahl von 5 308 415 Bedeutungseinheiten, wovon wir nur 746 496 identifizieren können. Bestimmen läßt sich davon wiederum nur ein Drittel. Immerhin. Wenn unsere Analyse stimmt, können wir eine Lexikographie erstellen, wenn auch auf ungewöhnlichem Weg, und zwar per Interpolation. Wenn wir die vorhandenen sevenesischen Dokumente durch dieses Raster laufen lassen, müßten wir in der Lage sein, die syntaktischen Rudimente im Sinne der entsprechenden Werte zu berechnen. Anschließend können wir versuchen, unser Standard-Universal-Lexikon in ein vergleichbares Äquivalenzraster zu zwängen. ' Dieser Vorgang dürfte nicht mehr als zwanzig bis dreißig Jahre in Anspruch nehmen. Heiliger Bimbam, Windy. Stell mal besser gleich eine Wahrscheinlichkeitsrechnung an.
7040 - 1 .5 . Träume von ShRil, gemischt mit verzerrten, blitzenden Zahlenrastern und unverständlichen Symbolen. Als ich aufwachte, war ich so müde wie vorm Einschlafen. Deine Wahrscheinlichkeitsberechnung gefällt mir, Windy. Plus minus 7,339218 Jahre. Mehr wollte ich nicht wissen. Wir brauchen also zur Erstellung der kompletten Lexigraphie mindestens neun Monate und maximal fünfzehn Jahre. Wunderbar. Einfach wunderbar. Na schön, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für einen lesbaren Vertrag? 7040 - 4.5.
Bremsorbit, Burnal Sevene
Sechs bis einundzwanzig Monate? Ich muß zugeben, daß mir dieses Ergebnis besser gefällt als die Aussicht auf fünfzehn Jahre. Immerhin sind wir hier, um einen Vertrag zu überarbeiten, und nicht um ein Lexikon zu kompilieren. Wenn unsere Analyse korrekt ist, können wir sie der Linguistik-Abteilung überlassen. Soll die doch fünfzehn Jahre daran arbeiten. Für ein solches Langzeitprojekt wird auch sicherlich das Budget aufgestockt. Eine Nachricht von der Ribble-Galaxis liegt hier auf Burnal Sevene nicht vor. Noch nicht. Das ist gut so. Daraus mag zu schließen sein, daß unser kleiner Brief sorgfältig unter die Lupe genommen wird. Unsere Kontaktperson ist SubGouverneur Maestro Atherd'it. Er überläßt uns die V.I.P.-Suite im sauerstoffbelüfteten Teil der Botschaft. Ich bleibe über ein noch einzurichtendes Interface mit dir, Windy, in Verbindung, bekomme einen Mitarbeiterstab von drei Personen und habe außerdem freien Zugang zur Bibliothek. Ich habe dem Maestro zu verstehen gegeben, daß es mir auf die Mitarbeiter nicht ankommt, aber er bestand darauf. In Anbetracht der Arbeit, die wir zu erledigen haben, und der dichten Methanatmosphäre von Burnal Sevene, werde ich wohl kaum dazu kommen, mich hier in der Gegend umzuschauen. Aber für den Fall, daß ich doch Gelegenheit dazu haben werde, nehme ich mir einen zweiten Anzug mit. Ich würde mir gerne — rein interessehalber — die hiesige Flora und Fauna zu Gemüte führen. Warum? Vermutlich weil ich rastlos bin. Noch vierzehnmal durch die Umlaufbahn. Eigentlich könnte ich mich noch eine Weile aufs Ohr legen. 7040 – 6. 5.
Bundesbotschaft, Burnal Sevene
Zum Glück ist Botschafter Naryehdecchoq ein relurischer Methanatmer; deshalb werden wir nur wenig Kontak miteinander haben. Unsere Anwesenheit stimmt ihn nicht gerade fröhlich. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, erklärte er, daß wir uns, solange ich hier sei, nicht mit belanglosem Gewäsch aufhalten sollten, und daß er Wert darauf lege, nur in äußerst dringlichen Fällen, also ausschließlich in Vertragsangelegenheiten um Rat gebeten zu werden. An mir soll's nicht liegen. Ich bin sowieso nicht scharf darauf, ihn öfters zu sehen. Maestro Atherd'it hat mich dagegen mit offenen Armen empfangen. Sechs seiner acht Arme langten nach vorn an die Kristallwand, die zwischen uns stand, und als ich meine Hände von meiner Seite aus an die Wand legte, fühlte ich mich, offen gestanden, ein wenig fehl am Platz. Aber meine Grußgeste war offenbar die richtige, denn er schien sehr erfreut zu sein. Selbst in der durch den Kopfhörer vermittelten Übersetzung hörte ich die Kraft und Wärme seiner Worte heraus, was mich sehr erleichterte.
Nachdem ich ihm auf seine wiederholten Fragen hin versichert hatte, daß für mein Wohl bestens gesorgt sei, wollte er wissen, auf welche Weise er mir bei der Arbeit helfen könne. Wir haben — ich kann's immer noch kaum glauben — fast drei Stunden miteinander gesprochen. Unter anderem konnte er unsere Annahme (96/24 im Quadrat) bestätigen. Die Sevenesen beziehen sich zwar auf eine andere Größe (144/16 Im Quadrat), aber die Resultate sind fast identisch, da die Ausnahmen innerhalb der Verteilung gleichartig sind. Maestro Atherd'it war sehr erfreut darüber, daß wir unterwegs schon so viel Arbeit geleistet haben. Mir tat es natürlich gut zu erfahren, daß unsere Lösung dieses Teilproblems richtig ist. Er will nun dafür sorgen, daß wir die Lexigraphie der Zentralbibliothek anzapfen können, um Baird an die Arbeit zu stellen. Ich habe ihn auch um eine kleine Literaturauswahl gebeten und erklärt, daß wir zum richtigen Verstehen einer Sprache eben auch auf die Übersetzung literarischer Texte angewiesen sin. Davon war er ganz angetan und versprach, die Auswahl selber zu treffen. Trotz des kühlen Empfangs von Botschafter Naryehdecchoq war der heutige Tag recht angenehm und, wie ich glaube, auch erfolgreich. Auf meine Frage, warum die LinguistikAbteilung es noch nicht fertiggebracht habe, die sevenesische Sprache zu verstehen, antwortete Maestro Atherd'it, daß seinen Vorgängern erklärt worden sei, das Baird-System der Einszu-eins-Korrelation wäre das entwickeltste Übersetzungssystem im ganzen Universum. Da es sich für den normalen Umgang miteinander als durchaus brauchbar erwiesen habe, sei bislang von der Bundesseite aus kein Bedarf für eine Weiterentwicklung angemeldet worden. Erst als das Präsidium darauf drängte, den Vertrag zu aktualisieren, habe die Linguistik-Abteilung erkannt, wie ungenau das althergebrachte Baird-Programm arbeitet. Deshalb hat man uns gerufen, Windy. Unser Ruhm scheint uns vorauszueilen. Jetzt müssen wir den Erwartungen gerecht werden. Wir sind gefragt. Mein >Mitarbeiterstab< wird wahrscheinlich keine allzu große Hilfe sein. Alle drei sind Trows (so wie Morrizon), scheinen aber von Diplomatie und Übersetzung keine Ahnung zu haben, zumal ihre Ausbildung im Fach für funktionale Bürokratie liegt. Sie werden sich wahrscheinlich wichtig tun, doch einer von ihnen, Tirem, beherrscht die sevenesische Sprache und könnte uns von Nutzen sein. Maestro Atherd'it hat mir Tirem als gute Hilfskraft empfohlen. An ihm muß also was dran sein. Was ich jedoch den Personalakten über ihn entnehmen konnte, ist nicht besonders ermutigend. Er scheint ein recht ungestümes Temperament zu haben und einen Hang zu unkontrollierten Wutausbrüchen im Beisein seiner Vorgesetzten. Ich will mir nicht aufgrund dieser Berichte ein Urteil über ihn erlauben, werde mich aber vor ihm zu hüten wissen. Solange seine Mitarbeit hilfreich ist, bin ich bereit, so manches wegzustecken, es sei denn, er wird gewalttätig. Noch eins, Windy, bevor ich zu Bett gehe. Was die Lexikographie angeht, sollten wir eine Abkürzung wählen und die Daten aus der Bibliothek sowohl übers Raster als auch durch den Speicher laufen lassen. Mit der Methode müßten wir auf Anhieb ein paar Leerstellen in unserem Wissen füllen können. Schaden kann's nicht. 7040 - 9 . 5. Keine weiteren Abkürzungen. Ich dürfte eigentlich nicht klagen, aber daß wir nur ein Prozent unserer Lükken schließen konnten, ist weniger, als ich erhofft habe. Vielleicht sollten wir die Überleitung aufs Raster modifizieren. Maestro Atherd'it hat diesbezüglich ein paar Vorschläge gemacht, die sich als sinnvoll herausstellen könnten, und Tirem glaubt, daß eine genauere Voranpassung zu Beginn der Überleitung die Ausbeute erheblich verbessern würde.
Das kommt mir zwar vor wie ein Rückschritt, aber versuchen können wir's ja mal. Obwohl du, Windy, die meiste Arbeit selber erledigst, habe ich immer noch keinen Gefallen gefunden am Programmieren. Was ich will, sind Resultate; ich muß Werkzeuge zur Hand haben, mit denen sich die Probleme lösen lassen. Wenn ich wüßte, wie das zu erreichen ist, würde ich dich so programmieren, daß du die Programmierarbeit in Zukunft eigenständig vornehmen könntest. Aber müßiges Drumherumgerede und Wunschdenken bringt uns nicht weiter. Besser ist, wir konzentrieren uns auf das, was ansteht, und sorgen uns später um den Rest. 7040 - 12.5. Tirem geht mir langsam auf die Nerven. Egal, was ich sage — er meint, widersprechen zu müssen. Er ist davon überzeugt, daß unser Überleitungsprogramm schon im Ansatz unbrauchbar und falsch ist, und schlägt vor, auf ein 144/16-Raster umzusteigen, obwohl ich ihm erklärt habe, warum das nichts bringt. Außerdem fordert er immer wieder, daß wir die Linguistik-Abteilung um Hilfe bitten sollten. Und all das muß ich mir von jemandem sagen lassen, der nicht einmal einen Rechner anständig bedienen kann. Verfluchter Bürokrat. Einige Male ist mir der Kragen geplatzt, und ich fürchte, daß ich ziemlich unwirsch reagiert habe. Er hält jetzt zwar das Maul, bedenkt mich aber aus seinem Mittelauge mit bitterbösen Blicken, Das kann mich jedoch im Augenblick nicht weiter kümmern. Wir haben bisher einen siebenprozentigen Fortschritt erzielt, und ich glaube zu wissen, wie sich dieses Ergebnis verdoppeln läßt. Wir modifizieren das Überleitungsprogramm, Windy. Wir schalten ein paralleles Anpassungssystem im Modus von vier-zu-eins hinter das von eins-zu-eins. Die Einrichtung wird wohl kaum mehr als einen Tag in Anspruch nehmen. 7040 - 28. 5 .
An Bord von Windy
Daß ich einmal auf diese Weise in der Verjüngungszelle landen werde, hätte ich nie gedacht, Windy. Wenn Tirem in Wut gerät, ist er nicht mehr zu bremsen. Meine Rippen verheilen zwar prächtig, aber der Kiefer macht mir noch Sorgen. Zum Glück brauchen wir uns um Tirem keine Gedanken mehr zu machen. Botschafter Naryehdecchoq hat ihn hinter Schloß und Riegel gebracht und wird ihn so bald wie möglich in die nächste FödKlinik ausfliegen lassen. Er wollte Anklage gegen ihn erheben, aber ich sagte, daß Tirem nicht kriminell, sondern krank sei, und mit Hilfe von Maestro Atherd'it konnte ich den Botschafter davon überzeugen, daß die FödKlinik der geeignete Aufbewahrungsort für Tirem ist. Wie sehr sich doch der Botschafter und Maestro Atherd'it voneinander unterscheiden. Der eine ist ständig schlechter Laune und der andere voller Sympathie und Anteilnahme. Maestro Atherd'it fühlt sich schuldig, weil er mir Tirem als Assistenten empfohlen hat. Von meinen Beteuerungen, daß er nichts dafür könne, nimmt er nichts an. Mein Versagen ist es, daß ich Tirems Jähzorn zu lange ignoriert und ihn über die Maßen genervt habe, als ich auch seinen letzten Vorschlag in Bausch und Bogen als unsinnig abtat. Wenn jemand schuld hat, dann bin ich es. Wenn in letzter Zeit jemand Lob verdient hat, dann du, Windy. Die Verdopplungsschranke, die du dem Überleitungsprogramm hinzugefügt hast, funktioniert hervorragend. Wir haben die Lücken jetzt zu achtundsechzig Prozent geschlossen und dabei eine Genauigkeit von dreiundvierzig Prozent erzielt. Der vom Bund bereitgestellte Wortschatz ist inzwischen um
das Siebenfache angewachsen. Wir können uns jetzt an das SynonymProgramm heranwagen und dem Barden einige der literarischen Texte vorlegen, die ich von Maestro Atherd'it bekommen habe. Aber das hat Zeit bis morgen. Jetzt brauche ich ein wenig Ruhe. 7040 - 30 . 5 . Ich habe wohl ziemlich lange geschlafen, stimmt's, Windy? Immerhin geht's mir schon sehr viel besser. Die Träume von ShRil, die mir mein Selbst eingeflüstert hat, kamen sehr gelegen. Eine kleine Aufmunterung für den geschundenen Körper, Selbst? Liebe als die beste Medizin, oder was? Wie dem auch sei, ich kann mich nicht beklagen. Bist du nicht auch der Meinung, Windy, daß die Werke von Maestro Atherd'it weniger literarischer als musikalischer Natur sind? Wenn man sich die Originale zu Gehör führt, ist man sofort an Musik erinnert, und selbst die groben Übersetzungen des Barden klingen immer noch äußerst musikalisch. Dicht, komplex, faszinierend. Wie schwierig eine Übersetzung dieser Texte ist, leuchtet unmittelbar ein. Wenn wir an der syntaktischen Oberfläche bleiben, gehen subtile Nuancen und Anspielungen verloren. Wenn wir in die Tiefe gehen, müssen wir einen Teil der wortwörtlichen Bedeutung opfern. Jeder Kompromiß führt zu Einbußen, und jede Einbuße ist fragwürdig. 7040 – 18. 6.
Bundesbotschaft, Burnal Sevene
Es sieht so aus, Windy, als könnten wir in etwa einer Woche anfangen, den Vertrag umzuschreiben. Die meisten der noch ausstehenden Lücken im Raster sind nur von mathematischer Bedeutung, und diese Probleme zu lösen, dauert länger als unser Aufenthalt hier. Dank deiner Verdopplungsschranke und dem Synonym-Programm des Barden haben wir jetzt eine 61prozentige Ausbeute an erfreulich genauen Definitionen: fast drei Millionen semantische Werteinheiten mit direkter oder indirekter Korrelation. Es gilt noch einige Mehrdeutigkeiten im formalen diplomatischen Vokabular zu klären, aber das musikalische Gedicht, das ich gestern mit Hilfe des Barden überarbeitet habe und Maetro Atherd'it, als er es in der Standardübersetzung las, zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen hat, beweist, daß uns nun ein solider Grundwortschatz zur Verfügung steht. Über die Unterdrückung von Impulsen Grob und grau gewandet, betrachten wir und seh'n – durchs nebeltrübe Mittelalter kalt gelöschte Fieber, felsenwarme Furten suchend, wie wenn eines Fluten seelenloser Strom am hohen, brütend warmen Ufersand ins Strandnest seine kleinen Strudel legt (versengte, kaltgeschwasch'ne Quintessenzen). Vom Zufall auf den fremden Strand gehustet, betrachten wir die Fieber rettungslos vorüberwaschen, und rufen Leidenschaft zurück, verzehrt in Jugendzeit,
verblichen hinter eines teuren Augenblickes Pause, zu alt, um zu erinnern, zu kalt, um sie zu fühlen. Im nebeltrüben Mittelalter fiebrig fröstelnd, wir stehen steifgebeugt und greisenhaft, freudlos und ohne Wahrheit, ohne Traurigkeit und Lüge, die uns zurück zum Schöpfungsfeuer führen könnten. Maestro Veeter (Entstehungsdatum unbekannt) In dieser Übersetzung kommen zwar Bedeutung und Rhythmus dem Original ziemlich nahe, doch wäre es vermessen zu behaupten, daß wir die musikalische Ausdruckskraft der Vorlage auch nur annähernd getroffen hätten. Die Standardsyntax läßt sich einfach nicht mit den impliziten Sinnstrukturen in Einklang bringen. Zum anderen müssen die eigenartigen und für das Sevenesische typischen Begriffsbildungen im Standard unterschlagen werden. Es würde bestimmt Spaß machen, bei der Neuformulierung des Vertrags ähnliche Kadenzen und freie Wortschöpfungen zu verwenden. Aber wahrscheinlich wäre der Bund derart verärgert, daß wir uns nach einem sicheren Versteck umschauen müßten. Nein, ich fürchte, für eine so authentische Übersetzung hat man bei der Föderation kein Verständnis. Vielleicht können wir einen Kompromiß vorschlagen und zwei Übersetzungen anbieten, die beide als zutreffend beglaubigt und unterschrieben würden. Auf diese Weise wären die Banausen vom Bund gezwungen, die künstlerische Version zur Kenntnis zu nehmen, ohne sie akzeptieren zu müssen. Ich muß Maestro Atherd'it fragen, was er von der Idee hält. Vielleicht läßt sich die Sache so drehen, daß es am Ende aussieht, als wäre der Vorschlag von ihm gekommen. 7040 - 20. 6 . »An Seine Hohheit, Gerard Manley, Prinzgemahl von Kril, Fize der Gabriel-Ratschen, königlicher Botschafter. Seid uns gegrüßt. Lange haben wir um Euch getrauert, als uns der Bund die Nachricht von Eurem Tod zukommen ließ. Jetzt überquert Eure Nachricht den Abgrund von Klonos, erreicht uns gleichsam vom Jenseits. Wir heißen Euch in unserem Reich willkommen, müssen aber zuvor bestätigt wissen, daß Ihr den Namen Gerard Manley zurecht tragt. Nennt uns den Namen, den Euch unsere Majestät verliehen hat. Nur dann können wir Eurem Wunsch auf ein Wiedersehen entsprechen. Gezeichnet: Der Kronrat Ihrer königlichen Hohheit (etc. pp.).« Tja, Selbst, was hältst du davon? Sie dachten, ich wäre tot, und wollen nun wissen, ob ich tatsächlich am Leben bin. Verständlich, daß sie eine Garantie wollen, aber die Sache hat einen Haken. Ich weiß nicht mehr, wie Fairy Peg mich genannt hat. Kannst du dich erinnern? Wenn die Nachricht tatsächlich vom Kronrat stammt — und davon muß ich ausgehen, dann scheint er das Rätsel meines gegenwärtigen Verhältnisses zu Fairy Peg gelöst zu haben. Aber für ihn war ich doch angeblich tot; wie ist es in dem Zustand möglich, Prinzgemahl und Fize der Gabriel-Ratschen zu sein? Da bestätigt sich wieder einmal: Mit jeder Antwort tauchen neue Fragen auf. Kannst du mir weiterhelfen, Selbst? Wir wenden Doktor Flos Technik an und lassen uns vom HypnoSchlaf die entsprechenden Rahmenbedingungen herstellen. Alles weitere liegt bei dir.
Ich weiß, daß sich die erhofften Resultate nicht erzwingen lassen, aber wir müssen so viel wie möglich herausfinden und das Beste daraus machen. Bist du bereit für einen Versuch? 7040 – 21. 6 . Was glaubst du, Selbst; haben wir im Trüben gefischt oder einen Fang gemacht? Mit den chaotischen Bilderfolgen und seltsamen Symbolen kann ich nicht viel anfangen. Was sollen all die Sterne bedeuten? Was haben sie mit Fairy Pegs Kosenamen für mich zu tun? Sie hat mich doch wohl nicht Stern, Sonnenschein oder ähnlich einfallslos genannt? Ich kann mich nicht erinnern und habe außerdem so eine Ahnung, daß es auf die Sterne selber nicht ankommt. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Traumbilder wieder vor mir. Sterne und Symbole bewegen sich auf sonderbar regelmäßige Weise über ein dunkles Feld. Was hat das zu bedeuten? Nun, wir müssen in der nächsten Nacht einen neuen Versuch starten, Selbst. Vorläufig bin ich noch ratlos. Die Einzelheiten sind zu konfus. Maestro Atherd'it hat mich durchschaut, als ich ihm gestern den Vorschlag unterjubeln wollte, dem Bund zwei Übersetzungen anzubieten. Die Idee gefällt ihm aber sehr gut, und er will sie dem Präsidium unterbreiten. Ich habe ihm die wortgetreue Übersetzung von >Über die Unterdrückung von Impulsen< überlassen, damit den Präsidiumsmitgliedern die Unterschiede zu der poetischeren Version deutlich gemacht werden können. Heute nachmittag dürfte es eine erste Reaktion darauf geben. Windy, ich glaube, ich habe uns in Bredouille gebracht. Das Präsidium will nur eine Übersetzung als gültige Standardversion anerkennen — und zwar die lyrische. Man drängt uns, den Vertragstext so schnell wie möglich entsprechend zu übersetzen. Die Arbeit sollte, wie mir der Maestro mitteilte, am besten schon morgen erledigt sein. Ich habe ihm klargemacht, daß wir mindestens vier oder fünf Tage dafür brauchen werden. Wenn wir den Termin einhalten wollen, müssen wir zwanzig Stunden am Tag arbeiten, Windy. Zum Glück ist das Vertragsvokabular relativ beschränkt, so daß wir es schaffen könnten. 7040 - 22. 6. Du hast mich beim Wort genommen, nicht wahr, Windy, und mir nur vier Stunden Schlaf gegönnt, nachdem ich vor dem Terminal eingenickt bin. Mein Selbst muß davon gewußt haben. Ich war nämlich gerade mitten im Traum, als du den Wecker hast läuten lassen. Auch Fairy Peg hat versucht, mich aufzuwecken. »Man muß dem Tag ins Gesicht sehen, Pilot.« Das waren ihre Worte, die sie mir immer wieder ins Ohr geflüstert hat. Ich bin sofort aufgewacht, so sehr ich auch den Traum zu halten versucht habe. Pilot. Warum hat sie mich >Pilot< genannt? Ha, jetzt weiß ich es, Selbst. Weil ich ihr die verschiedenen Sterne gezeigt habe. Zuerst war ich ihr >Sternenpilot<, dann nannte sie mich nur noch kurz >Pilot<. Also deshalb habe ich vorletzte Nacht von den Sternen geträumt. Hätte ich intensiver darüber nachgedacht, wäre mir die Antwort womöglich schon gestern eingefallen. Egal. Du, mein Selbst, hast es in zwei Nächten geschafft, und das finde ich allerhand. Wenn wir uns zusammenreißen, geben wir ein hervorragendes Team ab. Jetzt können wir dem Kronrat antworten und abwarten, wie er darauf reagiert. Sollen wir auch gleich fragen, ob ich immer noch Prinzgemahl und Fize der Gabriel-Ratschen bin? Oder kann ich einfach davon ausgehen und entsprechend unterzeichnen? Nein, ich glaube, es ist besser,
wenn ich als Vertragsdiplomat unterschreibe und dem Kronrat dadurch zu verstehen gebe, daß ich keinen Wert auf diese Titel lege. Was für einen Treffpunkt soll ich vorschlagen? Ein Ausflug zur Ribble-Galaxis ist vorläufig nicht ratsam, denn wehe, der Bund erführe etwas davon. Wir sollten ein neutrales System wählen, das auf halbem Weg liegt und mit ein paar leichten Warpmanövern zu erreichen ist. Nach unseren Erfolgen auf Pleasance und Quadra wird uns der Bund bestimmt einen Monat oder so freigeben. Erst recht, wenn wir auch hier unsere Arbeit gut machen. Das heißt: Sobald die Nachricht abgeschickt ist, müssen wir uns richtig ins Zeug legen. 7040 - 25. 6 . Geschafft. Der Text ist zwar nicht so gut gelungen wie die >Impulse<, kann sich aber durchaus sehen lassen. Einen wohlklingenden Vertrag wird es sowieso nie geben. Ich habe ihn Maestro Atherd'it bringen lassen mit der Nachricht, daß ich eine Weile Erholung brauche. Ich lege mich jetzt schlafen, Windy. Sorge in der Zwischenzeit für eine wortwörtliche Standardübersetzung des Originals. Laß sie durchlaufen, bis die Korrekturrate unter einem halben Prozent liegt. Wenn ich heute nachmittag aufwache, werde ich nachsehen, wie weit der Barde mit der Arbeit gediehen ist. Die wortwörtliche Übersetzung wird weniger lange dauern als die poetische, zumal sämtliche Grundlagen geklärt sind. Weck mich um drei: Mir fallen gleich die Augen zu. 7040 - 26. 6. Unglaublich. Der Barde hat für die wortwörtliche Übersetzung des Vertragstextes nur ein Drittel der Zeit gebraucht, die wir zu dritt für die lyrische Version aufwenden mußten. Dabei ist die wortwörtliche doppelt so lang. Vielleicht sollten wir alle Verträge in Versen abfassen, Windy. Wir könnten unsere Arbeit um die Hälfte verkürzen. Vielleicht wär's gar nicht schlecht, wenn Maestro Atherd'it auch diese Version dem Präsidium vorlegt, damit es sieht, wie der Vertrag ausgesehen hätte, wenn er von Anfang an richtig übersetzt worden wäre. Dem Bund sind in der Tat etliche Nuancen überhaupt nicht aufgefallen. Was den neutralen Treffpunkt angeht, so bleiben uns deiner Analyse zufolge offenbar nicht viele Möglichkeiten zur Auswahl, Windy. Ich denke, das Mithindoll-System können wir von der Liste streichen, weil, wenn ich mich recht erinnere, die Beziehungen zwischen Mithindoll und Ribble nicht gerade freundschaftlich sind. Bliebe also nur noch die Entscheidung zwischen dem ELY18-System mit seinen vier bewohnten Planeten, die allesamt ohne Sauerstoff sind und eine enorm hohe Gravitation haben, und der Tradeshote-Union. Augenblick mal! Gehört das Pleuhockle-System nicht auch zu den Tradeshotes? Was ist los, Windy? Wo bleibt die Antwort? Na bitte, ich war ziemlich nahe dran. Das Pleuhockle-System und die Tradeshote-Union sind neutrale Allierte. Sie liegen zwar näher an der Ribble-Galaxis, als mir lieb ist, kommen aber als Treffpunkt durchaus in Frage. Wir haben Alvins Adresse und sind jederzeit bei ihm willkommen. Ich hätte nichts dagegen, den alten Vogel wiederzusehen, selbst auf die Gefahr hin, daß er mir wieder die Ohren vollquatscht oder — wie er sich ausdrückt — >einen Kropf voll Körner< verpaßt. Wenn also Fairy Peg mit einem Treffen einverstanden ist, werden wir Alvin Bescheid geben
und fragen, ob er sein Haus zur Verfügung stellt. Sobald der Burnal-Sevene-Vertrag umgeschrieben, unterzeichnet, beglaubigt und abgeschickt ist, nehmen wir uns ein paar Monate frei, lassen Fairy Peg wissen, daß wir sie bei Alvin erwarten, und düsen los. Klingt eigentlich zu simpel dieser Plan, aber ich wüßte nicht, was verkehrt an ihm sein könnte. Problematisch wäre die Sache nur, wenn Alvin verreist sein oder uns eine Abfuhr erteilen würde —oder wenn Fairy Peg Einwände hätte gegen den Treffpunkt. Aber was kümmern wir uns um ungelegte Eier? Zuerst sollten wir Alvin berichten, daß wir in seine Nähe reisen und uns eventuell mit einem Repräsentanten der Ribble-Galaxis treffen müssen. Mal sehen, wie er darauf reagiert. Wenn Fairy Peg mit dem Treffpunkt nicht einverstanden ist, könnten wir trotzdem einen Abstecher unternehmen und bei Alvin vorbeischauen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker wird mein Wunsch, ihn wiederzusehen. Los, Windy, machen wir uns daran, die Nachricht aufzusetzen! 7040 – 27.6. Windy nutzt die Wartezeit und sucht im Bestand der hiesigen Bibliothek nach Spuren der Eleven-Legende. Leider fehlen uns Anhaltspunkte oder konkrete Namen. Laß gut sein, Windy! Wir kommen nicht weiter. Wahrscheinlich gibt's hier überhaupt nichts zu finden. 7040 - 28 .6. Laut Auskunft von Maestro Atherd'it hat das Präsidium beschlossen, daß die Neuformulierung des Vertrages weniger vonnöten sei; wichtiger wäre es, die alte und sehr umständlich abgefaßte Zusatzklausel umzuschreiben sowie fünf bis sechs weitere Klauseln hinzuzufügen. Mir soll's recht sein. Das erleichtert unsere Arbeit. Man will mir morgen einen Vertragsentwurf zur Übersetzung vorlegen. Maestro Atherd'it hat vom Präsidium die Vollmacht bekommen, etwaige Konfliktpunkte in Absprache mit mir zu beseitigen. Botschafter Naryehdecchoq hat sich per Videophon bei mir gemeldet, nachdem er über Maestro Atherd'it von der neuen Entscheidung erfahren hatte. Er war außer sich vor Wut und sagte, daß er mit den kleinen Änderungen, die die Sevenesen jetzt verlangten, selber fertig geworden wäre; dafür hätte man keinen zweitrangigen Chargen herbeiordern müssen. Er will, bevor wir die Texte dem Präsidium vorlegen, selber Einblick nehmen. Ich habe ihn so behutsam wie möglich in die Schranken verwiesen und ihm erklärt, was er eigentlich wissen müßte: Der Bund läßt Aufgaben, wie sie hier anstehen, bewußt von >zweitrangigen Chargen< erledigen, weil er so die Leute vom FödDienst aus der eigentlichen Politik raushalten kann, damit sie im Ernstfall als Vermittler einzusetzen sind. Und so weiter und so fort. Der Botschafter hatte eingehängt, bevor ich mit meinen Erklärungen zu Ende war. Ich glaube, sie haben ihm nicht gefallen. 7040 - 29 . 6 . Guten Morgen, Windy. Guten Morgen, Selbst. Guten Morgen, ShRil. Schön, dich in meinen Träumen anzutreffen. So fängt der Tag gut an. Windy, Selbst, ich möchte euch hiermit verkünden, daß ich vorhabe, ShRil zu einem Treffen bei Alvin zu bewegen (wenn gewisse
Personen wieder abgereist sind, versteht sich). Außerdem will ich sie fragen, ob wir dort unser Scheiteln vollziehen können. Werft mir nicht vor, ich sei ungeduldig. Ich bin lediglich voller Erwartung. Letzte Nacht habe ich von der Cycleia geträumt und deutlich gefühlt, daß es nun an der Zeit ist, den zweiten Schritt zu wagen. Wenn wir, ShRil und ich, uns nach unserem nächsten Treffen trennen müssen, soll es bald sein. Um so schneller ist die Trennung vorüber. Das hat nichts mit Ungeduld zu tun. Maestro Atherd'it hat gerade den Entwurf der neuen Zusatzklausel abgeliefert. Wir können also gleich mit der Arbeit beginnen. Die Übersetzung dürfte nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen, aber wir wollen sie gründlich machen. Das Präsidium wünscht zwei Versionen: eine wortwörtliche und eine poetische. Der Maestro meint, daß seine Leute am Ende womöglich doch beide Texte akzeptieren würden. Das hoffe ich sehr, denn sonst werde ich dem Bund eine Menge Fragen zu beantworten haben. Dumme Fragen, bei denen nichts rumkommt. Wenn der Bund nun aber zwei Texte erhält, die beide vom Präsidium unterzeichnet sind, wird er sich nicht überrumpelt zu fühlen brauchen und vielleicht sogar einsehen, daß poetische Übersetzungen nicht die schlechtesten sind. Übrigens würde ich gerne dem Zentrum für kulturellen Austausch ein Kopie des kompletten Lexikons zusenden, mitsamt dem Rastersystem und der poetischen Übersetzung des Vertrages. Wir müssen uns schließlich irgendwie erkenntlich zeigen für die großzügige Behandlung, die wir dort erfahren haben. Falls wir je den diplomatischen Dienst verlassen, sollten wir uns vom Zentrum anheuern lassen. 7040 - 2. 7. Ist dir schon aufgefallen, Windy, daß ich das Tagebuch schludern lasse, wenn wir viel zu tun haben, so wie in den vergangenen Tagen? Vielleicht hat das auch seine guten Seiten. Ein Blick auf die letzten Einträge verrät, daß ich einen Hang dazu habe, Belanglosigkeiten festzuhalten. Außerdem scheine ich mich zu oft zu wiederholen. Der Kronrat — oder vielleicht sollte ich besser sagen: der Hofstaat — zweifelt immer noch an meiner Identität. Jetzt wollen sie deine für Ribble ausgestellte Registriernummer wissen, Windy. Eigentlich müßte sie gespeichert sein, doch offenbar ist sie vom Bund gelöscht worden. Ich glaube kaum, daß ich mich daran erinnere, Selbst, aber wir können's ja mal versuchen. Die Erfolgschancen sind gering, zumal wir anscheinend eine Vorliebe für Symbole und Schatten haben. Trotzdem wollen wir unser Bestes geben. Heute morgen habe ich den überarbeiteten Text Maestro Atherd'it ausgehändigt. Wenn das Präsidium keine weiteren Änderungen vornimmt, werden wir, der Maestro und ich, die Vorlage Punkt für Punkt durchsprechen und eventuelle Korrekturen vornehmen, was kaum Probleme aufwerfen dürfte. Die meisten Änderungen sind technische oder auf den neuesten Stand gebrachte Verfahrensvorschriften, die die Beziehung zum Bund regeln sollen. In einem Punkt könnte es jedoch zu Schwierigkeiten kommen: Das Präsidium besteht darauf, daß in allen Streitsachen zwischen Burnal Sevene und der Föderation die Alpha-, das heißt: die poetische Standardversion des Vertrages als rechtsgültige Grundlage heranzuziehen ist. Das wird den Juristen beim Bund sicher nicht schmecken. Zum Glück habe ich in dieser Sache Entscheidungsvollmacht. Aber das Glück könnte sich auch zu meinem Nachteil auswirken, dann nämlich, wenn der Bund mit meiner Entscheidung nicht einverstanden ist und mir die Kündigung ausspricht. Ich muß herausfinden, ob die Hartnäckigkeit des Präsidiums einer Laune entspricht oder auf Prinzipien beruht. Wenn letzteres der Fall ist, werde ich mich nicht querstellen und auf seine
Forderung eingehen. Falls aber Laune im Spiel ist, läßt sich wohl eine Menge Ärger ersparen, wenn ich dieser Klausel widerspreche. Wenn ich's recht bedenke, würde mir eine Kündigung auch nicht viel ausmachen. Sicher, ich würde meinen Diplomatenstatus verlieren und auf spannende Verhandlungen verzichten müssen; statt dessen aber könnte ich für die Universität von Moseen als reisender Forscher an der Seite von ShRil durchs Weltall ziehen. Allerdings bin ich mir bewußt, daß solche romantischen Vorstellungen meist mit der Praxis kollidieren und nur wenig Gewähr auf eine glückliche Zukunft bieten. Ich sollte mir lieber Gedanken darüber machen, wie lange ich noch vom Bund abhängig sein will. Bislang bin ich recht fair behandelt worden, abgesehen von der RibbleAffäre, über die ich aber mangels Informationen nicht urteilen kann. Trotzdem muß ich seit meiner Befreiung von Galaxy VI immer wieder daran denken, daß es nicht schlecht wäre, die Bundesfesseln abzustreifen und eigene Wege zu gehen. Immerhin könnte ich auch auf anderen Gebieten meine Talente zum Einsatz bringen und das nötige Kleingeld verdienen. Da ich dich, Windy, inzwischen abbezahlt habe und ein Posten bei der Universität für uns in Aussicht steht, wäre es vielleicht wirklich an der Zeit für eine Veränderung. Aber das sind im Augenblick bloß Spekulationen, so vielversprechend sie auch sein mögen. Wie hat Meister Glinyas von der DiploSchule immer so treffend bemerkt? »Rechnen Sie stets mit dem Schlimmsten, um im Entscheidungsfall die beste aller möglichen Lösungen zur Hand zu haben.« 7040 – 3. 7. Über eine Registriernummer war in diesem Traum nichts zu erfahren. Oder hast du etwas bemerkt, Selbst? Ich vermute fast, daß Windy auf Ribble überhaupt nicht registriert worden ist. Wir sollten dem Hofstaat klipp und klar mitteilen, daß uns Unterlagen über eine Registration fehlen, falls es die überhaupt jemals gegeben hat. Außerdem wäre eine Protestnote angebracht, mit der wir die Hinhaltestrategie anprangern und darauf aufmerksam machen, wie dringlich ein Treffen ist, da vertrauliche Mitteilungen zu machen sind. Nicht wir, sondern die Höflinge haben sich zu rechtfertigen. Bei der Gelegenheit können wir auch gleich eine kurze Nachricht an ShRil schicken und ihr ganz unverbindlich, aber liebevoll ein Treffen bei Alvin vorschlagen. Allerdings dürfen wir weder ihre noch unsere Hoffnungen allzu hoch schrauben. Morgen treten wir mit Maestro Atherd'it in Verhandlungen. Das Problem der rechtsgültigen Version sparen wir uns für das Ende auf, damit die Spannung gewahrt bleibt. Windy, wie wär's, wenn du ShRils Hologramm projizierst und ich den Beschaller einschalte, um besser einschlafen zu können? Außerdem bitten wir mein Selbst, ein paar erotische Träume für mich auszuhecken. Einverstanden, Selbst? Ob du das schaffst? Gut. Versuchen wir's. 7040 – 4 . 7 . Beim Aufwachen mußte ich an Shttz denken und das, was er mir und ShRil am Abend seines Besuchs über Yuma erzählt hatte. Shttz sagte, daß der Geist von Yuma von einer historischen Person gehört habe, die zur Eleven-Legende passen würde. Wenn mir der Bund den Vertrag kündigt, könnten wir im Auftrag der Universität von Moseen zuerst einmal nach Yuma reisen.
Das muß ich im Auge behalten. Maestro Atherd'it hat heute mit mir die technischen Änderungen zügig und ohne Pause durchgesprochen. Als ich schließlich darauf hinwies, daß die Entscheidung für die AlphaVersion als rechtsgültige Vorlage nicht sehr glücklich sei, kamen wir ins Stocken. Nach einstündiger Diskussion verschoben wir die Verhandlung auf morgen. Ob sich allerdings an den unterschiedlichen Positionen etwas ändern wird, ist zu bezweifeln. Maestro Atherd'it hat das Präsidium davon überzeugt, daß die poetische Version präziser sei als die wortwörtliche, und jetzt will sich auch der Vorstand nicht mehr zufriedengeben mit einer nach seiner Meinung zweitklassigen Übersetzung. Recht hat er, aber das ist nicht der springende Punkt. Es geht nämlich darum, daß die Alpha-Version pragmatischen Beziehungen zur Föderation im Wege steht, anstatt sie zu fördern. An dem Problem sind wir selber schuld, Windy. Das kommt davon, wenn man seine Arbeit zu gut macht. Oder zu stolz sein will. Wenn wir uns an Meister Glinyas Lehren gehalten und diese Schwierigkeiten vorausgesehen hätten, wären wir jetzt besser dran. Aber wir waren so stolz auf uns, das sevenesische System entschlüsselt zu haben, so eingebildet und hochnäsig, daß wir nicht mehr geradeaus sehen und die Konsequenzen erkennen konnten. Morgen werde ich alles daransetzen, den Maestro davon zu überzeugen, daß es für Burnal Sevene besser sei, beide Übersetzungen als gleichwertig anzuerkennen. Wenn er sich auch nur annähernd auf diese Position einläßt, werde ich ihn bearbeiten, bis er endgültig zustimmt. Falls er aber weiter auf dem Prinzip der größtmöglichen Präzision herumreitet und keinen Kompromiß zuläßt, werde ich mich geschlagen geben. Ich weiß zwar noch nicht, wie sich eine solche Entscheidung dem Bund verkaufen läßt, aber wenn der Maestro darauf besteht, muß unsere Seite den kürzeren ziehen. 7040 - 6. 7. Ich habe nachgegeben. Nach erschöpfenden Auseinandersetzungen, die zwei volle Tage in Anspruch genommen haben, war mir klar, daß ich mit meinem Vorschlag nicht durchkommen konnte. Das Präsidium will zwar beide Texte unterschreiben, besteht aber darauf, daß die Alpha-Version als einzig rechtsgültige Vertragsgrundlage angesehen wird. Der Tamos bringt's auf den Punkt: »Was ist, ist; was sein wird, wird sein.« Der Vertrag wird am 10. 7. unterzeichnet. 7040 - 8. 7. Alvin läßt uns wissen, daß wir jederzeit herzlich willkommen sind. Sein verletztes Rad ist recht ordentlich verheilt, behindert ihn aber bei Raumfahrten. Deshalb verreist er nur noch, wenn es nicht zu umgehen ist. Er sagt, daß ich jeden Gast mitbringen könne, der mir lieb sei und eine Aufenthaltsgenehmigung für das Pleuhockle-System bekommen würde. >Alvins Bleibe< ist nicht nur seine Wohnung, sondern ein ganzer Planet! Er hat uns die Fixstern-Koordinaten für das >Pleuhockle-System, Planet Jelvo-fünf, Alvins Bleibe< übermittelt. Windy, erinnere mich daran, ihm demnächst mehr Respekt entgegenzubringen. An die Arbeit. Ich muß dem Bund mitteilen, daß der Vertrag um den 12. 7. herum abgeschickt wird, daß wir anschließend zwei Monate unbezahlten Urlaub zu nehmen gedenken und in Alvins Bleibe zu erreichen sind. Außerdem ist Fairy Peg zu benachrichtigen; sag ihr, daß wir auf Pleuhockle als Treffpunkt bestehen (der Name von Alvins Bleibe braucht vorerst nicht
erwähnt zu werden). Mach außerdem deutlich, daß wir bis zum 20. 7. eine Antwort erwarten. Unser Terminvorschlag wäre der 20. 8. Dann müssen wir ShRil fragen, ob sie uns nach dem 25. 8. bei Alvin aufsuchen kann. Zu guter Letzt eine Nachricht an Alvin, daß wir kommen. Na los, worauf warten wir noch, Windy? 7040 - 10.7.
An Bord von Windy, Flughafen Burnal Sevene
Einen Vertrag zu unterschreiben, während man im Raumanzug steckt, macht keinen besonders eleganten Eindruck. Maestro Atherd'it hat es mir so einfach wie möglich gemacht, aber da Sevenesen keine Tische benötigen, mußte ich auf dem Boden knien, um mein Signum unter den Text zu setzen. Botschafter Naryehdecchoq schien an meiner unbequemen Pose Gefallen zu haben, während die Mitglieder des Präsidiums so taten, als sei der Anblick eines humanoiden Wesens, das in einem ausgebeulten Schutzanzug auf allen vieren herumrutscht, um einen Vertrag zu unterschreiben, durchaus nichts Ungewöhnliches. Wie dem auch sei, ich konnte über den Botschafter zuletzt lachen. Ihm fiel erst auf, daß es zwei Standardübersetzungen gibt, als seine Unterschrift als Zeuge gefragt wurde. Ich drückte ihm die Kopien für die Botschaft in die Hand und machte mich so schnell, wie es die Etikette erlaubt, aus dem Staub. Dann habe ich meine Sachen von der Botschaft abgeholt und bin an Bord geeilt. Als uns seine Nachricht über Videophon erreichte, mußte ich so laut lachen, daß seine Worte nicht mehr zu hören waren. Laß uns jetzt die vorsichtig formulierte Mitteilung an den Bund aufgeben und anschließend mit dem Countdown beginnen. Ich habe dem Maestro und den Mitarbeitern schon auf Wiedersehn gesagt, und von der Flugaufsicht ist soeben die Starterlaubnis durchgekommen. Warum komme ich mir eigentlich so vor wie ein Schuljunge, der anderen einen Streich gespielt hat? Vielleicht weil der Botschafter ein so dummer Kauz ist. Wahrscheinlich setzt er gerade eine geharnischte Botschaft an den Bund auf. Ich wette um ein Monatsgehalt, daß er die Verträge überhaupt nicht gelesen, geschweige denn verstanden hat, was Sache ist. Während seine Nachricht vom Botschafts- zum Diplomatendienst weitergeleitet wird, hat das Bundesamt für Verträge längst auf die Texte reagiert. Über die Beschwerde wird sich also niemand mehr kümmern. Das hast du nun davon, Botschafter Naryehdecchoq, ätsch. In einer Stunde ist Abflug, Windy. Laß uns die Checkliste durchgehen und dann zu Alvin nach Barislon-Jelvo düsen. 8. 7040 - 12. 7.
Im All
Ich bin in guter Stimmung, Selbst, ja, man könnte sagen: verhalten überschwenglich. Warum? Weil ich der Autorität getrotzt habe, einfach so. Bislang ist mir nicht klar gewesen, wie sehr mich meine Position beim Bund eingeschränkt hat. Daß ein so kleiner Akt der Auflehnung eine so große Wirkung hervorruft, ist mir eine wichtige Lehre. Ich bin nicht sicher, ob ich sie in Worte kleiden kann, erkenne aber ganz deutlich, daß wir ständig unter Druck stehen. Ein Teil davon ist gewichen, weil wir den Sevenesen in der Vertragsfrage nachgegeben und dem Botschafter eine Abfuhr erteilt haben. Aber noch sind wir alles andere als unbeschwert. Das kann ich fühlen.
Eine klägliche Analyse, Selbst; nebulös, verschwommen, ungenau. Was für einen Reim soll ich mir machen aus so unbestimmten Gefühlen? Wenn du nicht mit präziseren Ergebnissen aufwarten kannst, sollten wir uns besser wieder in Verdrängung üben. Es hat keinen Zweck, im dunklen zu tappen. Alvin scheint vor seinem KommGerät gesessen zu haben, als unsere Nachricht durchtickerte, denn er meldete sich postwendend. Kurz und direkt. »Komm sofort. Habe ein ElevenMärchen ausfindig gemacht. Warte ungeduldig auf deine Ankunft.« Als wäre die Reise nicht schon aufregend genug; jetzt hat Alvin sogar noch ein >Märchen< für uns. Erstaunlich, daß er sich daran erinnert. 7040 - 15. 7. Noch ein kleines Warpmanöver und vier weitere Tage — dann müßten wir Alvins Bleibe erreicht haben. Der verrückte Vogel konnte es nicht abwarten und hat uns einen Teil seines Fundes übermittelt: ein merkwürdiges Gedicht, das in einer Sprache abgefaßt ist, die terranischen Ursprungs zu sein scheint. Laut Alvin ist die Quelle unbekannt. Den Text hat er rein zufällig in der Bibliothek eines seiner Tradershote-Freunde ausgegraben, als er von Asrai unterwegs nach Hause war. Ein Teil der bruchstückhaften Transkription steht unter dem Titel >Frontplaneten<. Die Übersetzung dürfte uns nicht schwerfallen, Windy. Der Verfasser des Textes hatte anscheinend keine sehr hohe Meinung vom Eleven. Besonders faszinierend ist die archaische Terminologie. Entweder war der Autor sehr vertraut mit den alten terranischen Sprachen, oder aber es handelt sich um ein besonders altes Gedicht. Der Tod des Eleven Auf frischer Tat erschossen wurde der Eleve; er plünderte ein Wörterbuch für seltene Begriffe, Kunstobjekte, in denen er nach Auskunft suchte, nach Reimen für sein Leben. Wäre er verhaftet worden, so hätte man für leichten Diebstahl ihm eine Strafe auf Bewährung angehängt. Doch es geriet in Panik der Eleve. Ein Verleger (der dann freigesprochen wurde) schoß ihn nieder, und das war's. O ja. Am Gaunerhügel wurde er begraben. Auf einem Briefumschlag, als Inschrift an den Sarg geheftet, stand zu lesen: »Tintenkleckser, auf frischer Tat ertappt.« Wenn dies ein legitimer Teil der Legende ist — woran kein Grund zu zweifeln besteht —, so erfahren wir aus ihm einiges, was uns bisher unbekannt war, nämlich, daß der Eleve
schriftstellerische Ambitionen hatte, daß er seine Texte zu publizieren versuchte, aber erfolglos blieb, weil sein Geschreibe offenbar von schlechter Qualität war. Ich habe einen vagen Verdacht, Windy. Womöglich hat der Eleve das Gedicht selber verfaßt. Wäre es nicht prima, wenn wir dafür Belege finden würden? Alvin besitzt eine vollständige Kopie des >Frontplaneten<-Fragments, und sein Freund kann erzählen, wie er darangekommen ist. Vielleicht reichen diese Informationen für eine gezielte Suche aus. Oder spintisiere ich jetzt bloß aus purer Langeweile? Wer interessiert sich schon für die Eleven-Legende, abgesehen von meiner Person, ShRil, dem Professor und einem Dutzend anderer, die ShRil während der Konferenz möglicherweise beeindruckt hat? Was für einen praktischen Nutzen könnte eine solche Beschäftigung haben? Keinen. Aber sie macht Spaß. 7040 - 17. 7 .
Anflug auf Alvins Bleibe
Bei all den Gedanken daran, Alvin bald wiederzusehen, mußte es wohl so kommen: Der Alptraum von Teever Lozes Tod ist nach Monaten wieder da. In zwei Nächten hintereinander. Ich wünschte, Selbst, es wäre ein Traum, der sich mit Hilfe einer klärenden Analyse verscheuchen ließe. Aber das ist offenbar nicht der Fall. Wir wissen längst, was er zu bedeuten hat. Er bedeutet, daß Teever Loze tot ist, daß wir seinen Tod miterlebt haben und daß uns der Schrecken darüber nicht losläßt. Wir sind — und Fara alleine weiß, wie lange — dazu verurteilt, immer wieder mitansehen zu müssen, wie Teever Loze zerfetzt wurde. Wir schreien seinen Namen, schrecken auf, das entsetzliche Bild vor Augen, und der Schweiß quillt wie Blut aus der Haut. Wird es jemals ein Entrinnen geben? Werden wir jemals Ruhe finden? Anruf von Alvin. Wir können sofort auf Barisport landen; der Hafen liegt, wie es scheint, ganz in der Nähe seiner Wohnung. Dem Namen nach handelt es sich offenbar um eine private Flugstation. Besitzer von Planeten können sich so etwas leisten. Außerdem ist eine Nachricht vom Bund angekommen. »Urlaub genehmigt. Vertrag zwischen Burnal Sevene und der Föderation wird geprüft.« Nicht mehr und nicht weniger. Eine hübsch neutrale Erklärung. Der Empfang wurde bereits bestätigt, und da kein weiterer Einsatz für mich anliegt, gab es keinen Grund, mein Urlaubsgesuch abzulehnen. Was soll also die Nachricht? Mein lieber Gerard, daß der Vertrag >geprüft< wird, soll heißen: »Was, um Kricks willen, hast du uns da vorgelegt? Wir verstehen kein Wort, und das gefällt uns nicht. Du hast sie wohl nicht mehr alle beieinander, so etwas zu unterschreiben.« Das ist die eigentliche Botschaft. Man muß sie nur zu lesen wissen. Die zurückhaltende Kritik läßt jedoch darauf hoffen, daß man unsere Arbeit wohlwollend zu prüfen gedenkt. Was wollen wir mehr? 7040 - 19.7.
Barisport, Alvins Bleibe
Die Sachen sind gepackt; ich bin bereit. Alvin wird mich in wenigen Minuten abholen und in sein >Nest< führen. Ich nehme den Memocorder mit, um dir, Windy, diktieren zu können, was im Tagebuch festzuhalten ist. Ruf mich, sobald eine Nachricht eintrifft. Oh, und noch eins: Es werden ein paar Techniker kommen und den Rumpf waschen und polieren. Eine kleine Aufmerksamkeit von Alvin.
Bis dann, altes Mädchen. 7040 - 20. 7 .
Herznest, Alvins Bleibe
Ich wünschte, du könntest sehen, was Alvin als sein Nest bezeichnet, Windy. >Palast< wäre der angemessenere Ausdruck dafür. Und was für einer! Stell dir vor: tausend prächtige Räume, gemeißelt aus schroffem, glitzerndem Gestein, mit breiten, spiralförmigen Rampen, die von Raum zu Raum führen. Wäre mir von Alvin nicht versichert worden, daß dies sein Nest ist, hätte ich die Anlage für eine Stadt gehalten. Das Wort >atemberaubend< reicht bei weitem nicht aus, um meinen Eindruck zu beschreiben. Der ausgehöhlte Berg ist an die achtzehnhundert Meter hoch. Von den obersten Räumen aus (einschließlich meiner Suite) kann man die Doppelsonne auf- und untergehen sehen. Zur jetzigen Jahreszeit folgt die rote Sonne der gelben im Abstand von dreißig Minuten, und das phantastische Farbspiel ihres Untergangs dauert über eine Stunde. Alvin sagt, daß der Anblick während der kalten Jahreszeit noch beeindruckender sei, dann nämlich, wenn die Sonnen Seite an Seite abtauchen. Wie aber das, was ich heute abend erlebt habe, noch zu überbieten sein soll, ist mir schlicht unvorstellbar. Für die Erfahrung dieses einen Sonnenuntergangs hat sich unsere Reise schon gelohnt. Übrigens hat sich Fairy Peg immer noch nicht gemeldet. Die Frist, die wir ihr für eine Antwort gesetzt haben, ist bald verstrichen. Wir sollten uns langsam Gedanken machen, welcher Schritt nun zu tun ist. Daß ShRil noch nichts von sich hat hören lassen, ist weniger beunruhigend. Womöglich hat sie der Professor nach ihrer Rückkehr von der Konferenz wer weiß wo hingeschickt. Noch haben wir Zeit. Morgen will Alvin mir das ganze Herznest zeigen, von unten bis oben. Er hat mir viele Überraschungen versprochen und einen interessanten Tag vorausgesagt. Du, Windy, kannst uns übrigens ständig erreichen, indem du das Herznest mit dem Zusatzzeichen siebennullneun anwählst. Dann brauche ich den Memocorder nicht mitzunehmen. Ich melde mich, bevor wir aufbrechen. 7040 - 21 . 7. Es ist in der Tat eine Stadt, Windy, mit Parks und Feuchtbiotopen, einem Zoo, drei Gemäldegalerien, zwei Bibliotheken, einem unterirdischen Kraftwerk und Wasserreservoir. Ja, es gibt sogar Ampelanlagen, die an Kreuzungen den Verkehr regeln. Auch wir mußten gelegentlich warten. Alvin ist zwar der Baris-lon-Jelvo und besitzt den ganzen Planeten mit allem, was sich darauf befindet, wird aber von den hiesigen Bürgern nicht als Herrscher, sondern vielmehr als bester Freund angesehen. Die Jungen flattern uns grüßend entgegen und wackeln freundlich mit ihren noch unausgebildeten Rädern. Tappergreise (ein Ausdruck Alvins) mit ausdünnendem Federkleid und wackligen Rädern winken uns überall zu. Ich verstehe von der Pleuhockle-Sprache zwar nur wenig, konnte aber heraushören, daß mein Gastgeber von den meisten als Vetter Alvin begrüßt wurde. Als ich ihn daraufhin ansprach, erklärte er mir, daß über zwei Drittel der viertausend Bewohner von Herznest direkt oder über ein paar Ecken miteinander verwandt und daß >Vetter< oder >Cousine< die übliche Anrede ist. Der Tag war sehr anstrengend, aber wie müde er mich gemacht hat, spüre ich erst jetzt,
zurückgekehrt in meine Räume ... Daß uns Fairy Pegs Meldung erst heute erreicht hat, ist wohl kaum mit einer verzögerten Übertragung zu entschuldigen, denn so lange hat nicht einmal der Ruf nach Burnal Sevene gedauert. Sie kann (oder will) nicht kommen. Allerdings hat sie versprochen, auf jeden Fall einen Vertreter zu schicken, dem ich vertrauen kann. Kommandant Targ Alpluakka. Warum sollte ich ihm vertrauen? Ich kann mich nicht erinnern, daß ich dazu Grund hätte. Fehlt hier wieder ein Steinchen in unserem Puzzle, Selbst? Oder will man uns reinlegen? Ich habe Alvin die Situation zwar schon kurz geschildert, will aber noch einmal Rücksprache mit ihm halten, bevor ich auf die Nachricht antworte. Daß ich Fairy Peg nicht persönlich treffen kann, schmeckt mir nicht, genausowenig wie ein Treffen mit Targ. Gehört er nicht zu denjenigen, die sich im Traum mit mir gestritten haben, Selbst? Und zu so einem soll ich Vertrauen haben? Zumindest scheint die Nachricht eines klarzustellen: Der an mich gerichteten Adresse fehlt jedweder Titel. Ich hoffe, daß dies nicht bloß eine Unterlassung ist. 7040 - 22. 7 . Alvin versteht meinen Argwohn, meint aber, daß ich der Ankunft von Targ getrost entgegensehen könne. Er will mich bei dem Treffen begleiten und bürgt dafür, daß nichts passiert. Ich habe mir die Sache zwar anders vorgestellt, muß mich aber wohl oder übel mit der neuen Situation zufriedengeben. Laß uns Fairy Peg benachrichtigen, Windy. Ein Aufschub bringt nichts ein. 7040 - 23. 7 . Alvin mußte sich um seine Geschäfte kümmern; derweil verbrachte ich fast den ganzen Tag in der Bibliothek. Ich würde gerne einen Suchdurchlauf starten, um weiteres Eleven-Material ausfindig zu machen, aber es wird wohl einige Tage dauert, um dich an das vorhandene System anschließen zu können. In der Zwischenzeit übermittele ich dir eine Abschrift des >Frontplaneten<, Alvins Quellenangabe dazu sowie eine Liste von Hinweisen auf den Eleven, die zu verfolgen sich vielleicht lohnt. Einige davon beziehen sich auf Werke aus Alvins Bibliothek; die Herkunft der anderen kann er aber leider nicht benennen. Trotzdem, die Spur, die in seine Bibliothek führt, müßte uns eigentlich schon weiterhelfen. Den Rest dieser Übertragung speichere bitte im Eleven-Archiv ab, Windy. 7040 - 26 .7. Nun, es hat etwas länger gedauert, als ich dachte, Windy, aber der Anschluß scheint jetzt hergestellt zu sein. Der Test hat keinerlei Probleme ergeben. Ich komme deshalb morgen zum Flughafen, um von Bord aus einen Suchdurchlauf zu starten. Die Schnittstelle ist so eng, daß ein Versuch von hier aus wahrscheinlich nicht funktionieren würde, was Alvin übrigens sehr leid tut. Ich mußte ihm versichern, daß die Konfiguration durchaus passabel und zweckdienlich ist. Ich glaube, Alvin ist mindestens so gespannt auf die Ergebnisse wie wir. Er will von der Bibliothek aus mit uns in Kontakt bleiben. Ich habe ein Signal mit ihm verabredet für den
Fall, daß wir fündig werden. Die Bestände seiner Bibliothek sind enorm umfangreich; er geht davon aus, daß wir eine Menge Material ausgraben werden. Das wäre nicht übel, doch zwei, drei Texte würden mich schon zufriedenstellen. Habe vergangene Nacht wieder von Teever Loze geträumt. Ich würde gerne mit Alvin darüber sprechen, will ihm aber nicht zumuten, daß auch er von der Vergangenheit wieder eingeholt wird. Über Teever Lozes Tod hat er noch kein Wort verloren. Ich glaube kaum, daß er weiß, auf welche Weise der Freund gestorben ist. Soll Alvin nur schöne Dinge in Erinnerung behalten. 7040 - 28. 7. Das ist ja phantastisch, Windy! Einundneunzig Hinweise in vier Durchgängen, und neunzehn davon sehen vielversprechend aus. Als wir nach achtzehnstündiger Suche heute morgen endlich aufhörten, konnte Alvin nicht verstehen, warum wir nicht weitermachen. Ich versuchte ihm zu erklären, wie müde ich sei, doch er ist so begeistert von unseren Funden, daß er, wie es scheint, keinerlei Müdigkeit verspürt und überhaupt nicht versteht, daß wir es sind. Ich leg' mich jetzt ein wenig aufs Ohr. Am Nachmittag setzen wir die Suche fort. Du kannst derweil schon mal die gefundenen Hinweise durchleuchten und analysieren, Windy. Dadurch bliebe uns Zeit erspart für den fünften Durchgang. Ergiebige Hinweise. Jede Menge Stoff. Ich denke, es wäre am besten, wenn wir alles, was wir haben, durch den Barden laufen lassen und dann den ganzen Wust der originalen und übersetzten Texte an den Professor übermitteln. Alleine schaffen wir's nicht. Welche Bezüge gültig sind und welche nicht, ist zu schwer zu entscheiden. Enttäuschend an der ganzen Operation ist nur der Mangel an eindeutigen Beispielen für die Eleven-Literatur. Unsere besten Quellen sprechen zwar von Figuren, die anscheinend mit der Legende zu tun haben, sind aber hauptsächlich in erzählender Prosa verfaßt und müssen erst einmal sorgfältig übersetzt und analysiert werden. Sie entsprechen bei weitem nicht der Qualität unserer bisherigen Funde. 7040 - 29 . 7. Bloß nicht zu früh das Handtuch werfen, Windy. Was finden wir im siebten Durchgang der Schlagwörter? Ein Gedicht mit dem Titel >Der alte Novize entscheidet im Augenblick der Wahrheit<. Es paßt nicht nur ins Eleven-Schema, sondern ist sogar in einem frühstandardschen Dialekt geschrieben. Während der Durchgang zu Ende läuft, werden der Barde und ich mit diesem kleinen Text ein wenig herumspielen und zusehen, ob wir ihn auch auf neu-standard in akzeptabler Form wiedergeben können. Der siebte und achte Durchgang hat wieder eine Reihe von Hinweisen eingebracht, aber nur ein einziges Beispiel wirklicher Literatur. Der Barde hat sich, was Stil und Form angeht, ziemlich genau an die Vorlage gehalten; ich glaube, das lassen wir so stehen. Da jedoch in einer Fußnote des Orginals vermerkt ist, daß der Herausgeber den Titel willkürlich eingesetzt hat, erlaube ich mir die Freiheit, eine andere Überschrift zu wählen.
Irgendwie läuft alles darauf hinaus Irgendwie läuft alles hinaus auf diesen Tag, die eine Entscheidung, auf diese einzige Wahl, den Finger des Schicksals beringend. Armer Eleve, dem dürftige Ausflüchte nicht liegen, er muß die Kraft der Logik bemühen und wählen, im Wissen darum, daß Logik blind, in ihren Vorgaben lückenhaft ist. Gewinn, Verlust oder beides ... Soweit er weiß, der Eleve, läßt sich nur wenig erreichen: die Angst unterdrücken, Ekel verwinden und Fehlurteile meiden. Der Glaube geht den Bach hinunter. »Noch ein Bier«, sagt der Eleve jammernd. Der Barde hat schon bessere Gedichte ausgespuckt, dennoch gefällt es mir; schließlich ist es das einzig gültige Ergebnis unserer Recherche. Noch zwei Durchgänge, dann beenden wir die Suche. Wir sind jetzt bei der Restauslese, die aber, wie ich fürchte, nicht mehr viel bringen wird. Was wir dem Professor schicken können, reicht allemal; damit kann er sich für gut ein Jahr beschäftigen. Gleich esse ich mit Alvin zu Abend. Windy, druck mir eine Kopie für ihn aus. Auf Pergament. 7040 – 30. 7. Unser gestriges Abendessen wurde auf reizende Weise unterbrochen. Alvin, der Baris-lonJelvo, erhielt eine persönliche Nachricht vom Kommandanten der Tradershote-Schutztruppe, die darauf hinwies, daß sich ein Forschungsschiff der Elfenklasse, zugelassen unter dem Namen Liencam, in einer Geschwindigkeit unterhalb der Warpgrenze Alvins Bleibe nähert. Mein Gastgeber schien über diese Mitteilung nicht besonders erfreut zu sein — ganz im Gegensatz zu mir. Das ist ShRils Schiff! Sie kommt, Windy. Aber warum hat sie sich nicht angekündigt? # #Meldung empfangen. # # Wann? Was soll denn das heißen, >Meldung empfangen # #Meldung empfangen am 21. 7. um 0855:41. Fakt. Interpretation unzulässig. # # Windy, hast du etwa schon vor neun Tagen eine Nachricht von ShRil bekommen und mir nichts davon gesagt? ##Nachricht war nicht bestimmt für Gerard Manley. Sie erging an die Windhover.## Oh, ich verstehe. >Nachricht an Windhover, nicht wahr? Jetzt aber mal dalli, Windy. Zeig mir die Nachricht! # #Negativ. # #
Ich will die Nachricht sehen, Windy! # #Negativ. # # Ist sie ein Geheimnis? Hat ShRil dir aufgetragen, nichts davon zu erwähnen? # #Positiv. Positiv. # # Na schön, die Überraschung ist geglückt. Ich befehle dir jetzt, mir die Nachricht zu zeigen. # #Negativ. # # Gerard Manley, Pilot der Windhover, dem Diplomatenkreuzer der Klasse zwölf, amtlich registriert unter der Nummer T-Alpha 7731, Reihe D, fordert auf das Energischste, Einblick nehmen zu können in alle am 21. 7. empfangenen Meldungen der Liencam, Forschungsschiff der Elfenklasse, zugelassen in Moseen unter der Nummer 833C21X5. ##Negativ. Negativ. Negativ. Ende der Durchsage. # # Hör auf mit dem Blödsinn. Ich will endlich die Mitteilung sehen. Los jetzt! Ich geb's auf. Was ihr zwei, ShRil und du, auf Quadra miteinander ausgeheckt habt, um private Meldungen vor mir geheimzuhalten, scheint ja mustergültig zu funktionieren. Ich könnte zwar, um an die Information ranzukommen, dich auseinandernehmen, halte mich aber zurück. ShRil will mich überraschen, und das gefällt mir. Aber daß du dich mit ihr gegen mich verschwörst, kann ich ganz und gar nicht billigen. Du bist ein hinterlistiges Weibsstück, Windy. Genau wie ShRil. Falls ihr zwei auch jetzt miteinander in Verbindung steht, kannst du meiner Verlobten mitteilen, daß die hiesige Kontrollstation die Überraschung hat platzen lassen. Sag ihr auch, daß ich es kaum abwarten kann, sie wiederzusehen. Der Kommandant schätzt das Ankunftsdatum auf den 7. 8. Kannst du das bestätigen, Windy? Wenn nicht, bitte ShRil um genauere Auskunft. Ich habe eine Nachricht für sie, möchte aber euer kleines Spielchen nicht stören. Bevor wir zur Tagesordnung übergehen, muß ich dir noch eine Frage stellen. Warum mischst du dich gegen meinen ausdrücklichen Befehl in die Tagebuchaufzeichnungen ein? Von einem Notfall kann wahrhaftig nicht die Rede sein. Ich erlaube dir ausnahmsweise, an dieser Stelle zu antworten. Kein Kommentar? Du bist nicht nur hinterlistig, sondern auch verbohrt. Zur Strafe sollen dir die Schaltkreise heißlaufen. Ich trage dir auf, vier weitere Suchdurchgänge auszuführen, Windy. Und zwar sofort! 7040 - 1. 8. Vielleicht freut es dich zu hören, Windy, daß ich meinen kleinen Wutanfall überwunden habe und außerdem erschöpft bin. Ich war wohl ein wenig sauer darüber, daß ShRil mir nichts über ihr Kommen gesagt hat. Denn stell dir vor, wir wären nicht hier. Ach, ich vergaß, du hältst sie ja über uns auf dem laufenden, nicht wahr? Kravor im Krick! Warum müßt ihr mich bloß so ärgern? Wie dem auch sei, es ist ganz schön zu wissen, daß man unter so liebevoller Aufsicht steht. Wenn unsere Analyse korrekt ist, mußt du noch mindestens vier Wochen lang an Alvins Bibliothek angeschlossen bleiben, um adäquate Übersetzungen für den Professor zu liefern. Es wird hauptsächlich Routinearbeit zu erledigen sein, und das schaffst du mit dem Barden auch ohne mich. In zwei Tagen müßte die Aufgabensequenz geschaltet sein. Dann kann ich ins Herznest zurückkehren und dich von dort aus überwachen. Bis zur Ankunft von ShRil will ich mich an Alvins Gastfreundschaft und der schönen Aussicht erfreuen. Nachricht vom Hofstaat. »An Vertragsdiplomat Gerard Manley: Bedingungen akzeptiert.
Kommandant Targ Alpluakka wird auf den Tag genau am 20. 8. Alvins Bleibe erreichen.« Gut. 7040 – 3. 8. Aha, du hast ShRil also mitgeteilt, daß ich mich nach ihr sehne. Davon hat sie in ihrer Nachricht zwar nichts erwähnt, aber ihre Antwort als solche ist Beweis genug. Ihre süßen, heiteren Worte sagen mir, daß auch sie es kaum erwarten kann, mich wiederzusehen. Morgen werde ich in die Stadt zurückkehren. Da die Aufgabensequenz eingerichtet ist, können wir gleich jetzt mit der Arbeit beginnen. Auf diese Weise läßt sich sicherstellen, daß wir auch nichts übersehen haben. 7040 - 5. 8 .
Herznest
Alvin ist nicht nur ein blendender Unterhalter, sondern kann auch sehr aufmerksam zuhören. Die vergangenen zwei Tage haben wir mit langen, entspannten Gesprächen zugebracht. Er stellte fast nur Fragen, während ich die meiste Zeit über geredet habe. Vor allem wollte er wissen, wo ich schon überall gewesen bin, was ich so getrieben habe und wie meine diplomatischen, religiösen und politischen Ansichten sind. Zu Anfang war mir wie bei einem Bewerbungsgespräch zumute, aber nach einer Weile wurde ich lockerer und nahm die Gelegenheit, über all diese Dinge sprechen zu können, freudig wahr. Im Vergleich zu Alvin weiß inzwischen nur noch ShRil besser über mich Bescheid. Über die Episode in der RibbleGalaxis ist sie allerdings weniger gut informiert. Sie weiß bloß, daß ich dort gewesen und anschließend einer Gehirnwäsche unterzogen worden bin. Aus Gründen, die er nicht näher bestimmt hat, ist Alvin erstaunlich stark interessiert an meiner Person. Wir kommen gut miteinander aus. Ich mag ihn sehr und fühle mich zu ihm hingezogen. Hier, Selbst, haben wir ein Beispiel für jene intensiven Beziehungen, von denen ich schon einmal gesprochen habe. Ich bin sicher, daß er ganz ähnlich empfindet. Wir spüren beide diese Verbundenheit und sorgen dafür, daß sie weiterhin zunimmt. Aber irgendwie kommt es mir so vor, als wenn Alvins Interesse an mir darüber hinausginge. Wir haben uns ausführlich über den diplomatischen Dienst unterhalten. Der Schwerpunkt unserer Gespräche lag jedoch eindeutig bei den Themen Forschung und Übersetzung. Manche Fragen verblüfften mich dann wieder, und ich hatte erneut den Eindruck, ausgehorcht zu werden. Er wollte zum Beispiel wissen, wann genau mein Vertrag beim Bund ausläuft. Vielleicht sollte ich ihn mal fragen, was an derlei Auskünften so interessant ist. ShRil kommt morgen abend an. Ich hatte eigentlich vor, sie vom Barisport abzuholen, aber Alvin hat schon eine Eskorte zum Empfang bestellt. Wir werden ihr auf elektrischen Dreirädern bis an den Rand von Herznest entgegenfahren. Als mich Alvin davon in Kenntnis setzte, lag ein merkwürdiges Zwitschern in seiner Stimme, dem ich entnehme, daß irgendeine Feier geplant ist. Da in letzter Zeit einiges hinter meinem Rücken ausgeheckt wird, würde es mich nicht wundern, wenn er mit Windy und ShRil gemeinsame Sache macht. Windy, Windy, du, du!
7040 - 7.8 . Wach auf, Windy, du kleines Luder! Hab' ich doch recht gehabt. Ihr drei wolltet mich überraschen. Allerdings hätte ich im Traum nicht damit gerechnet, mit einer Musikkapelle und einer feierlichen Gardeabordnung geehrt zu werden, die der jubelnden Volksmenge unsere Ankunft verkündet. Aber die größte Überraschung kam selbst für ShRil unvorbereitet. Wir, sie und ich, sind zu Ehrenbürgern von Herznest, Alvins Bleibe und Pleuhockle ernannt worden. Man hat uns im Rahmen eines Banketts Medaillons und gefiederte Umhänge verliehen. Hunderte von Gästen saßen an langen, trogähnlichen Tischen und tranken auf unser Wohl. Und was ist der Grund für so viel Ehre? Alvin bedankt sich offiziell bei mir, ihn während des WarpRing-Krieges gerettet zu haben. Außerdem gilt es, >Gerard und ShRils Nestversprechen< gebührend zu feiern. Das Scheiteln wird — wie die Cylceia — ohne großes Aufhebens und über die Länge eines ganzen Tages vollzogen. Um der Sitte zu genügen, muß ShRil sofort danach abreisen. Alvin hat sich über die sylvanischen Sitten und Gebräuche kundig gemacht und herausgefunden, daß, wenn das Paar in den Stand des Scheitelns eintritt, sein Freundeskreis der Tradition nach eine Party feiert. Was für ein lieber Kerl er doch ist. Und ShRil. In ihrem besten sylvanischen Kostüm gekleidet, verschlug sie mit ihrer Schönheit allen den Atem. Sie trug drei goldene Ruzen (so werden die Brustfleckchen genannt), deren schmale, gold-grüne Träger ein Dreieck bilden und durch ein Band mit dem kurzen, grünen Kleid verbunden sind. Ihr dunkles Haar war aus dem Gesicht zurückgekämmt, von einer goldenen Schleife zusammengefaßt und — wie die Armreifen und Schuhe — mit glitzernden grünen Sternen verziert. Den wunderschönen Schwung ihrer Lippen hatte sie mit einem glänzenden Goldstift nachgezogen, der, wie ich später feststellte, nach Ambrosia schmeckte. Langweile ich dich, Windy? Mache ich dich verlegen? Sei's drum! Ich könnte stundenlang weitererzählen und jeden Quadratzentimeter dieses einzigartigen Geschöpfs beschreiben. Aber davon werde ich absehen, denn ShRil wacht gerade auf, und ich muß nachsehen, ob ihr nichts fehlt. Bis dann. 7040 - 8. 8. ShRil hat mir die Nachricht so schonend wie möglich beigebracht, aber ich wollte nichts davon hören. Sie muß bis zum 15. 8. abgereist sein. Das Scheiteln ist für den 14. 8. vorgesehen, und am Tag darauf wird sie in aller Frühe aufbrechen. Den Gedanken an unsere Trennung habe ich offenbar bislang verdrängt. Wenn ich bei ihr bin, so wie jetzt, vergesse ich alles andere und denke nicht an morgen. Aber wir müssen uns der Sache stellen, und darum tun wir es gemeinsam. Sie ist so verständig, praktisch und organisiert, daß ich den Vorwurf äußerte, sie sei ganz und gar unromantisch. Ich wollte eigentlich nur ein wenig sticheln, bewirkte jedoch mit dieser Bemerkung, daß ihre Nase zu laufen anfing. Anschließend mußten wir uns gegenseitig trösten. Später setzten wir unsere Diskussion fort und beschlossen, die Zeit der Trennung im dritten Monat des nächsten Jahres zu beenden. Dann läuft auch ihr Vertrag im Bundesdienst aus. Dann wollen wir uns möglichst bald in sylvanischer Umgebung treffen und entscheiden, ob wir die Dowanache wagen sollen. Für mich ist diese Frage zwar längst entschieden, aber ShRil betont immer wieder die ernste Bedeutung dieses Schritts und will, daß wir die
Entscheidung bis zum letzten Moment offenhalten. Wir müssen uns im Verlauf der Feierlichkeiten anläßlich des Scheitelns eine Reihe von formalen Fragen stellen. Wenn einer von uns die Antworten des jeweils anderen unbefriedigend findet, können wir den eigentlichen Akt verschieben oder auch ganz sein lassen. Mir kamen schon Zweifel an ihrer Entschlossenheit auf, aber sie erklärte mir, daß auch diese Prozedur sylvanischem Brauch entspreche. Was unter normalen Umständen jeder sylvanische Jüngling von dem Ältesten der Familie erlernt, müsse sie mir nun beibringen. Ich fühle mich inzwischen ein wenig besser, aber sicher sein kann ich wohl erst nach dem vollzogenen Scheiteln. Das ganze Verfahren nimmt mich ziemlich mit. Die nächsten fünf Tage werden wir Alvin auf eine Besichtigungstour der Planeten begleiten. Ihr, der Barde und du, Windy, seid so fleißig bei der Übersetzung, daß ihr mich bestimmt nicht vermissen werdet. Doch für den Fall, daß du mich erreichen mußt, habe ich alle nötigen Daten ins Kommunikationsnetz eingegeben. Am 13. 8. werden wir zurück sein; dann werde ich vorbeikommen. 7040 - 15 . 8. ShRil ist weg. Zum erstenmal erfahre ich, daß es viel schwerer zu ertragen ist, zurückgelassen worden zu sein, als selber jemanden zurückzulassen. Wie ist es möglich, daß man sich so leer und gleichzeitig so übervoll vorkommt? Was wäre noch über das Scheiteln zu sagen? In vielerlei Hinsicht war es strenger, disziplinierter und formaler als die Cylceia. Vielleicht lag es gerade am Kontrast, daß mir dieses Ritual noch bedeutungsvoller und schöner vorkam. Wir schliefen während der letzten Nacht im selben Bett, symbolisch getrennt voneinander durch eine kleine goldene Schranke. Weil wir uns nicht berühren durften und nicht schlafen konnten, verbrachtenwir die Nacht mit langen, intimen Gesprächen und ausgedehnten Phasen des Schweigens. Ich durfte ihr nicht einmal die Hand geben, als wir uns heute morgen voneinander verabschiedeten, aber dadurch fühlte ich mich nur um so stärker mit ihr verbunden. Wie verabredet, nahmen wir vor der Tür unserer Suite Abschied. Alvin brachte sie in seinem Privatdreirad zum Flughafen. Ich schaute ihnen so lange wie möglich nach, als sie über die spiralförmige Rampe nach unten fuhren. Sie waren schon längst verschwunden, Windy, aber ich blieb auf dem Balkon stehen und starrte unverwandt hinunter an den Rand von Herznest, voll Freude und Trauer zugleich. Mir ist, als hätte ShRil mich in einem Zustand zurückgelassen, der größer und vollkommener ist als die Summe meiner Teile. Was hat meine wundervolle Scheitelpartnerin aus mir gemacht? 7040 - 16. 8 . Gestern und heute bin ich die meiste Zeit mit Alvin zusammengewesen. Eigentlich wäre ich auch ohne seine Gesellschaft ausgekommen, aber daß er sich um mich zu kümmern versuchte, rechne ich ihm hoch an. Am frühen Abend fragte er mich, was ich vorhabe, wenn mein jetziger Vertrag ausläuft. Ich antwortete ganz ehrlich, daß ich mir darüber noch im unklaren sei, aber ja noch viel Zeit hätte, darüber nachzudenken, zumal über vier Jahre ausstünden. Nach einer langen Pause wollte er wissen, wie ich reagieren würde, wenn jemand versuchte, mich vom Vertrag freizukaufen und
zusammen mit ShRil als forschende Diplomaten im privaten Dienst anzuheuern. Mit diesem Jemand meinte er natürlich sich, aber weil ich dafür keine Erklärung fand, fragte ich, was er im Sinn habe und welchen Vorteil er sich davon versprechen würde. Seine Antwort überraschte mich nicht schlecht. Alvin will eine Universität und ein Forschungszentrum gründen. Er hat mir einen großartigen Plan beschrieben, der im ganzen Universum seinesgleichen sucht. Er versucht, Dozenten und Studenten von aller Herren Planeten zu sich zu holen. Dieses Vorhaben ist keineswegs nur ein Traum oder eine entfernte Möglichkeit. Der Bau hat schon begonnen. Fünfzig Kilometer südlich von Herznest stehen bereits elf Halbkugeln; jede dieser Halbkugeln mißt fünfzehn Kilometer im Durchmesser und ist darauf angelegt, verschiedene Umweltbedingungen und Schwerkraftverhältnisse zu simulieren. über dreihundert Studenten haben bereits Aufnahmegebühren vorausbezahlt und einen vorläufigen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Alvin glaubte, die Planung schon abgeschlossen zu haben. Aber als ShRil und ich aufkreuzten, gelangte er zu der Überzeugung, daß es sinnvoll wäre, für die einzelnen Disziplinen reisende Forscher einzustellen, die den Wissensschatz bereichern, Dozenten und Studenten anwerben und den kulturellen Austausch fördern. Ein phantastisches Angebot, Windy. Alvin wäre bereit, mich aus den bestehenden Verträgen beim Bund auszulösen, auf Pleuhockle einzubürgern und mit einem schier unglaublichen Salär auszustatten. Ähnliches würde für ShRil gelten, und wir könnten gemeinsam als Repräsentanten des Jelvo-Instituts den Weltraum bereisen. Ich konnte kaum glauben, was er mir da vorschlug, und war nicht in der Lage, mich sofort zu entscheiden. Also sagte ich, daß ich ungemein geschmeichelt, ja, überwältigt sei, das Ausmaß seines Angebotes nicht begreifen könne und mit einer Antwort überfordert wäre. Statt dessen antwortete er mit dem für ihn typischen langanhaltenden Gelächter, das wie ein schrilles Pfeifen klingt. Er sagte, ich solle darüber nachdenken, mich aber noch vor meinem Abflug entscheiden, damit es mir erspart bliebe, weiterhin >Botengänge für die Föderation< versehen zu müssen. Mit der Formulierung hat er genau ins Schwarze getroffen, Windy. Wir versehen nichts weiter als Botengänge. Sie mögen zwar ganz gut angesehen sein, sind aber nichtsdestoweniger Botengänge. Mich beunruhigt, in letzter Zeit soviel Glück gehabt zu haben. Seit Pleasance läuft alles wie geschmiert. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Ob mich mein Glück verläßt, wenn ich Alvins Angebot annehme? Sorgen Kräfte des Universums für ein Gleichgewicht von Glück und Pech? Ach was, ich glaube weder an Glück noch an ein Schicksal. Außerdem habe ich mich schon festgelegt, Windy. Ich muß noch mit ShRil darüber reden, und dann werden wir Alvin die Antwort geben. Ich weiß noch nicht, inwieweit der Professor ihre Entscheidung beeinflussen könnte, aber Alvin ist so großzügig, daß sich bestimmt ein Kompromiß finden läßt. Sie könnte zum Beispiel weiterhin für die Universität von Moseen forschen, während ich für Alvin arbeite. Morgen früh werde ich mit Alvin frühstücken und anschließend die Baustelle besuchen. Was ich dort zu sehen bekomme, will ich dir, Windy, mitteilen, sobald ich zurück bin.
7040 - 17. 8 . Aus sicherer Entfernung sahen wir, Alvin und ich, Sprengarbeiten auf der Baustelle zu, doch keine der Explosionen erschütterte mich so sehr wie der Schock, den Alvins mir während des Frühstücks verpaßt hatte. Ich hatte ihm erklärt, daß ich mich mit ShRil absprechen wolle und das Angebot annehmen würde, wenn sie einverstanden sei. Darauf erwiderte er, daß er bereits mit ShRil geredet habe; sie sei, falls ich mitziehen würde, allzu gerne bereit, das Angebot anzunehmen, zumal der Professor schon zugestimmt habe, dem zukünftigen Lehrkörper beizutreten. Über meine Sprachlosigkeit schüttete sich Alvin aus vor Lachen. Er hatte mir diese Information absichtlich vorenthalten, denn er wollte mich nicht unter Druck setzen und verhindern, daß ich meinen Entschluß von persönlichen Erwägungen abhängig mache. Was hätte ich sagen sollen, Windy? Ich lachte mit. Morgen werde ich mit Alvins Rechtsberatern meinen Bundesvertrag durchsehen. Alvin hofft, mich auf billige Weise loseisen zu können, da er vermutet, daß sich der Bund regelwidrig verhalten hat, als er die Pleasance-Affäre per Abfindung zu bereinigen versuchte. Alvin hat mit dem Bund nicht viel am Hut und meint, der fällige Schadenersatz solle doch lieber der Jelvo-Universität zugute kommen. Mir wär's recht. Ich bin bloß froh, daß uns die von Oberst Q. ES't'phons ausgerechneten Kreditpunkte schwarz auf weiß vorliegen. Es sieht so aus, als würden wir den Dienstherrn wechseln, Windy. 7040 - 19 . 8. Targ ist im Bremsorbit. Ich habe während des letzten Umlaufs kurz mit ihm über Videophon gesprochen. Sehr förmlich. Nach all den Jahren sein Gesicht zu sehen, war wie ein Schock. Noch schockierter reagierte ich jedoch, als er meldete, daß ihm untersagt worden sei zu landen; er werde mit Erlaubnis der hiesigen Flugkontrolle in der Umlaufbahn verweilen und für morgen abend auf meinen Besuch warten. Meine Pläne sind also abzuändern. Um deine Verbindung mit der Bibliothek nicht unterbrechen zu müssen, würde ich dich, Windy, lieber im Hafen lassen und versuchen, einen gewöhnlichen Shuttle-Flug zu buchen. Aber, ehrlich gesagt, schmeckt mir dieses Rendezvous im All überhaupt nicht. Ich werde ihn wohl lieber von einem Shuttle abholen lassen. Alvin ist derselben Meinung. Targ läßt sich nicht darauf ein, sagt, daß ihm verboten worden sei, den Planeten zu betreten. Er läßt mir offenbar keine andere Wahl, Windy. Ich habe das Treffen unter zugegebenermaßen falschem Vorwand gefordert, also muß ich mich auf den Weg machen und mit ihm reden. Alvin will mich begleiten, doch darin sehe ich keinen Sinn. Die Begegnung mit Kommandant Targ Alpluakka könnte zwar ein bißchen unangenehm werden, aber zu befürchten gibt's eigentlich nichts. Mir geht es nur darum zu erfahren, in welchem Verhältnis ich zu Fairy Peg und zur Ribble-Galaxis stehe. Alvin stellt mir ein kleines Schiff für morgen früh zur Verfügung. Ich habe meinen Fragenkatalog, den Memocorder, ein paar Sachen zum Wechseln und andere Kleinigkeiten eingepackt und denke, daß es jetzt Zeit ist, schlafen zu gehen.
7040 - 21.8.
H.S.H.S Syke, Startorbit, Alvins Bleibe
Ich habe deine Empfangsbestätigung erhalten, Windy, und werde mit dir so lange wie möglich in Kontakt bleiben. Dreh den Empfänger auf volle Leistung. Ich werde entführt. Wir verlassen die Umlaufbahn. Kommandant Targ ist nervöser als ich, weil uns zwei Pleuhockle-Zerstörer auf den Fersen sind. Alvin war offenbar weniger vertrauensselig als ich. Targ hat mich in eine Kabine eingesperrt; deshalb weiß ich nicht, was er tut, vermute aber, daß er die nächstbeste Gelegenheit zum Warpen nutzt. Wenn Alvins Schiffe uns durch den Warpraum verfolgen können, bleibt mir noch eine Chance, wenn nicht ... darüber mache ich mir lieber keine Gedanken. Paß auf dich auf, Windy. Ich bin sicher ... an Alvin weil ... ShRil… 9. 7041 - 27. 3
Herznest, Alvins Bleibe
Wie geht's, Windy? In den vergangenen sieben Monaten ist soviel passiert, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Es war sehr aufschlußreich, die eigenen Reaktionen in äußerster Bedrängnis zu beobachten und feststellen zu können, daß ich auch unter widrigen Umständen den Kopf nicht verliere. Als sich aber die Situation beruhigte, war es plötzlich mit meiner Disziplin und Selbstbeherrschung vorbei. Mein Selbst und ich lassen offenbar nur dann die Zügel schleifen, wenn wir in Sicherheit sind. Alvin ist diese Reaktion nicht entgangen. Auf dem Rückflug hat er mir die Geschichte eines legendären Humanoiden namens Carver erzählt, der einst auf diesem Planeten lebte. Carver war ein Heiliger, eine jener Personen, die vom göttlichen Wahn besessen sind und auf eine dem Alltag entrückte Weise Einblick nehmen können in die Welt der Metaphysik. Carver war ein Pilger im Land von Alvins Vorfahren und predigte allen Vögeln, die sich auf seinen Wahnsinn einließen und seinen langen, apokalyptischen Reden zuzuhören bereit waren. Noch immer erinnert man sich an ihn. Von Generation zu Generation wurden Zeugenberichte überliefert von Leuten, die Carver aus der Ferne gesehen oder ihn tatsächlich getroffen und mit ihm gesprochen hatten. Carver lebte in ihrer Erinnerung fort, im Herzen ihrer Legenden, und zwar als ein lebendes Beispiel dafür, daß jedes empfindsame Wesen Zeit seines Lebens von Dämonen besessen ist. Um zu beweisen, wie universell Carvers Geschichte ist, hat mir Alvin ein Mikrobuch geschenkt mit dem schlichten Titel Carver. Es enthält zahlreiche Balladen, die diese Person besingen und in den dreiundvierzig Hauptsprachen des Pleuhockle-Systems und der Tradershote-Union abgefaßt sind. Es gibt sogar eine Standardversion. Vom Inhalt her sind all diese Werke in etwa gleich. Es handelt sich nicht um Übersetzungen, sondern um Variationen ein und desselben Themas. Ich würde nicht so weit gehen, das Standardgedicht als Ballade zu bezeichnen, aber urteile selbst, Windy. Die Verse sind ein wenig ungehobelt; trotzdem hüte ich mich, auch nur ein einziges Wort zu verändern.
Carvers Geschichte Siebenmalig mehrere Momente Carver wartete auf die Vision, doch statt ihrer zog vorbei ein Jahr ums andere in einer langer Reihe von Gesprächen (flücht'gen Botschaften, durch Vogelfüße übermittelt). Ein Vogel war's, der ihn ergriff, ein großer Greif von Vogel, der sich mit Anmut stürzte auf sein Jugendhirn, in seinen Geist die Krallen schlug und mit sich auf die Oberleitung trug. Gespräche schleppten sich von Jahr zu Jahr unter des Knaben und des Vogels Last, des Mannes und der Bestie, des Dichters und Dämons, zum Wahnsinn getrieben vom Hauch elektrischen Stroms. An hellen Nachmittagen, wenn der Himmel sein Blau aufs graue Gebirge paust, ist Carver zu seh'n, auf der Leitung hockend, ein Bild aus Stimmen, ein schillerndes Geräusch nach dem Ebenbild der Götter, Und auf seinem Haupt so klar und wirr wie Schreckgespinste thront jener stolze Vogel, verkrallt in seinem Geiste. In der dunklen Nacht Pupille Carver sieht durch seinen Dämon auf des Kosmos bunte Blumen, in den schwarzen Schlund des Nichts. Dann singt er dem Universum mit der Melodie aus Träumen von Visionen und der Trauer, von dem Wahnsinn und vom Licht. Dann fängt er zu weinen an, daß ein jeder ihn im Alptraum höre, und vergießt der Zeiten Tränen, schluchzt wie Kinder schluchzen. Siebenmalig mehrere Momente Carver wartete auf die Vision,
doch statt ihrer zog vorbei ein Jahr ums andere in einer langen Reihe von Gesprächen (flücht'gen Botschaften, durch Vögelfüße übermittelt). Irgendwie kann ich diesen >Carver< verstehen. Ich verstehe auch, warum Alvin mir das Gedicht gegeben hat. Es enthält eine Warnung für alle, die noch klar genug bei Verstand sind, um die eigenen Abgründe in sich erkennen zu können. Zugegeben, dies mag als Auftakt zu meiner Geschichte, die ich zu erzählen habe, merkwürdig erscheinen, paßt aber in der Stimmung genau zu dem, was passiert ist, zu den bizarren und tatsächlichen Ereignissen. Aber jetzt bin ich müde und muß mich ausruhen. Die Erzählung kann warten. Doch eins möchte ich dir noch sagen, bevor ich zu Bett gehe. Wir arbeiten nicht mehr für den Bund. Während meiner Abwesenheit haben Alvins Rechtsberater unseren Vertrag aufgelöst (und für eine ordentliche Nachzahlung gesorgt). Alvins Auskünften war zu entnehmen, daß sich der Bund nicht besonders angestrengt hat, uns zu behalten. Wahrscheinlich ist man dort immer noch verstimmt wegen des Vertrags von Burnal Sevene. Über unsere Einstellung am JelvoInstitut hat Alvin kein Wort verloren; er sagte nur, daß ShRil ihren Vertrag bereits unterzeichnet habe. Vielleicht geht er davon aus, daß wir ebenfalls schon unterschrieben haben. Ich werde ihn fragen. Später. 7041 - 28 .3. Alvin kam zum Frühstück, und wir haben stundenlang miteinander gesprochen. Ich hatte recht. Zum Teil jedenfalls. Wir stehen seit dem Tag der Vertragsauflösung auf Alvins Gehaltsliste. Ja, wir. Zu den üblichen Konditionen: Der Pilot wird entlohnt, das Schiff gemietet. Das Gehalt ist allerdings alles andere als üblich. Es sei viel zu hoch, sagte ich, aber er wollte mir nicht zuhören und antwortete, daß ich mir >die humanoiden Knochen< krumm schuften könne, sobald es mir gesundheitlich wieder besser ginge. Sei's drum. Wenn er es nicht anders will ... Alvin enttäuschte mich ein wenig, als er sagte, daß ShRil nicht herkommen wird. Die Begründung ist aber durchaus einsichtig. Es hat keinen Zweck, daß sie herkommt, um gleich darauf wieder loszufliegen, an Moseen vorbei auf unserem Weg zu den Fernen Zonen. Der erste Einsatz wird uns nach Yuma an den Rand der Fernen Zonen führen. Das ist Eleven-Territorium, Windy. Aber vorher muß ich mich noch erholen. Alvin meinte, daß ich für meine Dowonache doch sicherlich >revitalisiert< zu sein wünsche, und fing lauthals zu lachen an. Ich weiß gar nicht, was es darüber zu lachen gibt. Natürlich muß ich vorher wieder klarkommen, und das läßt sich unter anderem dadurch erreichen, daß ich meine Geschichte erzähle. Ins Tagebuch zu schreiben, was einem auf dem Herzen liegt, kommt einer Katharsis gleich. Hier nun der Bericht, Windy: Als ich die Fähre bestieg, um Targ Alpluakka zu treffen, war ich gefaßt auf eine verbale Auseinandersetzung mit Targ. Auf mehr nicht. Nachdem ich dann zwanzig Stunden an Bord der H.S.H.S. Syke zugebracht hatte, war ich immer noch völlig arglos. Targ empfing mich kühl, aber höflich und mit einstudierter Förmlichkeit. Dann suchten wir eine Lounge auf, die
neben der mir zugewiesenen Kabine lag, und fingen mit unseren Gesprächen an. Targ interessierte sich dafür, wo ich überall gewesen war und was ich seit meiner Abreise von der Ribble-Galaxis getan hatte. Ich gab ihm Auskunft, knapp und sachlich, und versuchte, das Thema auf Fairy Peg zu lenken. Nach einer Weile wurde mir klar, daß er an der Gesprächsführung festzuhalten gedachte, bis alle seine Fragen beantwortet sein würden. Ich gab mich also ein wenig offener und erzählte ausführlich von meinen Erlebnissen der vergangenen fünf Jahre. Er hörte zu, ohne Reaktionen zu zeigen oder Kommentare abzugeben, aber in seinen Fragen schwang ein Unterton mit, der mich zunehmend verunsicherte. Nach einer opulenten Mahlzeit zog ich mich in meine Kabine zurück und schlief in der Hoffnung ein, daß der folgende Tag auch meine Neugier befriedigen würde. Ich erinnere mich, aus einem Alptraum über Teever Loze aufgeschreckt zu sein, zitternd und schweißnaß wie gewöhnlich. Dann aber merkte ich, daß irgend etwas anders war. Es dauerte eine Weile, bis ich die Erklärung fand. Ich hörte jenes dumpfe Summen, das durch große Schiffe vibriert, wenn die Haupttriebwerke gestartet werden. Die Syke bewegte sich. Sofort zog ich mich an und suchte den Weg zum Flugdeck. Mit der Hilfe eines jungen Kadetten kam ich wenige Minuten später dort an, gerade rechtzeitig, um einen heftigen Wutanfall des Kommandanten mitzuerleben. Er brüllte auf eine junge Deckoffizierin ein, die sich körperlich von ihm bedroht zu fühlen schien, obwohl Targs Wut eigentlich den Pleuhockles galt, die es — wie er sich ausdrückte — wagten, ihm mit Wachposten auf die Pelle zu rücken. Ich warf einen Blick auf die Radarschirme und entdeckte zwei Zerstörer der Pleuhockles. Als ich mich dann auf dem Flugdeck umsah, fiel mir auf, daß mit Ausnahme von Targ alle anderen Anwesenden Kriegsuniform trugen. Was, um alles im Universum, ging hier vor? Ich wollte gerade meine Frage in den Raum werfen, als mich die junge Frau, die von Targ angefahren worden war, ansah und mit scharfer, klarer Stimme meldete: »Eindringling an Deck!« Alles wirbelte fast gleichzeitig herum, doch Targ war der erste, der mich erblickte. Über sein Gesicht breitete sich ein hartes, hämisches Grinsen aus, das ich nie vergessen werde. »Ach, das ist doch bloß der Verräter. Er will wohl sehen, was er angerichtet hat. Nicht wahr? Sehr schön, aber es wird ihm nichts nützen. Ratschen! Sperrt den Kerl in seiner Kabine ein!« Meine Proteste waren umsonst. Zwei Gabriel-Ratschen packten mich bei den Armen und schleppten mich hinaus. Ich schrie, so laut ich konnte, und versuchte Targ klarzumachen, daß er einen großen Fehler machte; aber die Tür hatte sich schon geschlossen, und meine >Eskorte< zerrte mich, ohne sich aufhalten zu lassen, durch die Gänge und in meine Kabine. Dann wurde ich aufs Bett gestoßen und eingeschlossen. Es dauerte eine Weile, bevor ich mich von dem Schock erholt hatte. Schließlich kramte ich den Memocorder aus dem Gepäck und meldete mich bei dir, Windy. Ich hielt die Verbindung offen, auch als das Schiff schon längst außer Reichweite war, und versuchte zu schildern, was sich ereignet hatte — nicht zuletzt, um mich selber zu beruhigen. Ich bin erstaunt zu erfahren, wieviel du noch empfangen konntest. Während der folgenden zwei Tage war Targ damit beschäftigt, den Verfolgern auszuweichen. Ich blieb eingesperrt in meiner Kabine und bekam niemanden zu Gesicht, konnte aber einige Gesprächsfetzen aufschnappen, wenn Teile der Mannschaft an der Tür vorbeikamen. Ich hörte, wie schwer die Pleuhockle-Zerstörer abzuschütteln waren und daß man darauf hoffte, ihnen in den Raumschleifen zu entkommen. Aber durch keinen Hinweis erfuhr ich, wohin die Reise gehen sollte. Oder warum ich entführt wurde.
Irgendwann im Laufe des dritten Tages kam ein Arzt in Begleitung von zwei GabrielRatschen zu mir in die Kabine. Er untersuchte mich flüchtig und verpaßte mir eine Hypnose. »Damit Sie schlafen können«, sagte er und schnallte mich am Bett fest. Bevor ich abdriftete, fiel mir noch am Blinken der Kontrolleuchten auf, daß Vorbereitungen zum Warpen getroffen wurden. Die Erinnerung daran setzt mir immer noch zu. Ich bin müde, Windy, und mache jetzt ein Nickerchen. Um den nächsten Teil der Geschichte richtig wiedergeben zu können, muß Alvin ein paar Dinge für mich besorgen. 7041 - 29. 3 . Hätte nicht gedacht, daß ich so müde war, Windy. Das Nickerchen hat die ganze Nacht gedauert. Ich kann mich kaum erinnern, jemals so erschöpft gewesen zu sein. Dafür darf ich wohl Targ danken. Aber ich will der Geschichte nichts vorwegnehmen. Laut Alvins Auskunft hat die Syke, um ihre Verfolger abzuschütteln, in zweiundfünfzig Tagen nicht weniger als vierunddreißig Warpschleifen durchflogen. Als sie aus der letzten Schleife auftauchte, waren mittlerweile achtundsechzig Pleuhockle- und Tradeshote-Schiffe hinter ihr her, einschließlich Alvins persönlichen Kreuzers. Leider habe ich von der Verfolgungsjagd nichts mitbekommen. Ich stand die ganze Zeit unter Drogen. Als Targ die Triebwerke der Syke schließlich mitten im All abschalten ließ, waren wir knapp hundert Teilsektoren von Alvins Bleibe entfernt. Der Zickzackkurs und alle Hakenschläge hatten ihn kaum weitergebracht. Was Targ am meisten fuchsen mußte, war die Tatsache, daß, als wir anhielten, sieben Verfolger auf gleicher Höhe waren. Zu diesem Zeitpunkt beschloß Targ wohl, die Taktik zu ändern. Er ließ mich aus meiner Ohnmacht aufwecken, was fast eine Woche dauerte — so sehr hatte man mich vollgepumpt. Ich war während dieser Woche derartig benommen, daß man nichts mit mir anzufangen wußte. Targ hatte den Verfolgern meinen Tod angedroht, falls sie nicht einen Mindestabstand von fünfhundert Kilometern einhalten würden. Zur Antwort ließ man ihn wissen, daß die Syke beim geringsten Fluchtversuch eingeäschert würde. Gut, daß mir davon nichts zu Ohren gekommen ist. Nachdem ich mich erholt hatte, simulierte ich noch ein paar Tage und stellte mich stur. Aber das half nicht viel. Der Arzt untersuchte mich vier- bis fünfmal am Tag und behauptete, daß ich wieder voll auf der Höhe sei. Schließlich gab ich ihm recht und zeigte mich erholt genug, um mit Targ reden zu können. Mir war an ein paar klärenden Worten ja auch gelegen. Targ zeigte sich grob und direkt. Er schilderte die Situation und stellte mir, falls ich mich fügen würde, in Aussicht, bis Ende der Woche auf eines der Begleitschiffe überstellt zu werden. Worin ich mich fügen sollte? Ja, natürlich in die Verhandlung der Hochverratsanklage, die gegen mich verhängt worden war, nachdem ich Kril verlassen hatte. Wieder stand ich vor der Lücke in meinem Gedächtnis. Es gab also ein Problem, doch ich schien der einzige zu sein, der sich dessen bewußt war. Als ich Targ anvertraute, daß mir nicht im geringsten klar sei, worum es ging, spuckte er mir ins Gesicht. Danach wurde alles noch schlimmer. Je mehr ich von Targ an Prügel einstecken mußte, desto klarer erinnerte ich mich an die Gabriel-Ratschen, jene äußerst disziplinierte und in ihrer Ausbildung einzigartige Truppe aus Sadisten, die als Wachgarde des königlichen Hofes fungiert — die härtesten, brutalsten und grausamsten Schurken, die jemals aus drei Gattungen und sieben Rassen zusammengemischt worden sind. Targ Alpluakka war ihr Kommandant, weil er der härteste von ihnen war.
Er kannte an meinem Körper jede Stelle, die sich aufs Schmerzlichste bearbeiten ließ, ohne daß dauerhafte oder sichtbare Schäden verursacht wurden. Er nahm keine davon aus und verlangte mir mit Unterstützung des Arztes, der mich ständig aus der Ohnmacht befreien mußte, immer wieder Auskünfte ab, die ich nicht geben konnte. Das Verhör stellte er erst ein, als sich mein Körper versagte und nicht mehr aufwecken ließ. Ich wachte erst am nächsten Tag wieder auf und fühlte mich wie von einem tollwütigen Grisk auf die Stoßzähne genommen. Mein Körper schmerzte unerträglich. Der Gedanke, wie es wohl unter all den Verbänden, die um meine Glieder gewickelt waren, aussehen mochte, versetzte mir einen heillosen Schrecken. Noch mehr ängstigte ich mich vor einer neuerlichen Begegnung mit Targ. Er ließ sich den ganzen Tag über nicht blicken, dafür aber am nächsten und auch am übernächsten. Und am Tag danach. Irgendwann hörte ich auf zu zählen. Eines Tages wachte ich auf und stellte fest, daß die Verbände wie auch die Schmerzen verschwunden waren. Als dann Targ in meine Kabine kam, rührte er mich nicht an. Statt dessen hielt er mir einen Vortrag. Er sagte, daß ich stärker sei, als anzunehmen war, und daß er Respekt habe vor Leuten, die so viel wie ich ertragen könnten; die Folter sei zu Ende, er würde mich auch so zum Reden bringen, auf subtile Weise, die einem Verräter zwar nicht zustünde, aber in meinem Fall angemessen wäre. Das reicht für heute, Windy. Alvin kommt zum Abendessen. und das Schläfchen, das ich soeben gehalten habe, hat längst nicht ausgereicht. Katharsis hin, Katharsis her; ich hätte nicht gedacht, daß mir der Bericht so schwerfallen wird. Zu jeder Zeile, die jetzt steht, hätte ich eigentlich den ganzen Bildschirm voll-tippen können. Aber einige Details brauchst du nicht zu wissen. Niemand braucht das. Den Rest muß ich mir allerdings vom Leib schreiben. Langsam geht's mir wieder besser. Sehr langsam. Viel zu langsam. 7041 - 30 .3. Gut, daß ShRil nicht hier ist, Windy. Wir haben zwar schon ein paar Grüße ausgetauscht, aber wie schlecht es mir geht, weiß sie nicht. Sie soll es auch nicht wissen. Ein Alptraum hat mich wieder aus dem Schlaf gerissen; ich brüllte wie am Spieß und war völlig verwirrt. Teever Loze zerfetzte vor meinen Augen, und dann drehte mir Targ langsam sein Gesicht zu, grinste mich heimtückisch an und zückte ein riesiges gebogenes Messer. Was für ein gelungener Tagesanbruch, Selbst! Ist dir bewußt, daß sich Teever Lozes Tod morgen zum zweitenmal jährt? Die Alpträume sind so lebendig wie eh und je. Wie kommen wir endlich davon los, Selbst? Wie lange dauert es noch? Wie oft wird sich dieses Entsetzen noch wiederholen? Ob wir uns jemals davon befreien können? Als Targ die Folter abbrach, war ich alles andere als erleichtert. Im Gegenteil. Die Angst nahm zu, denn ich ahnte (zutreffenderweise, wie sich später herausstellte), daß meinem Hirn nun eine chemische Attacke bevorstand, und weil ich aus eigener Erfahrung wußte, wie wirksam eine Gedankenwäsche ist und welche Konsequenzen sie zeitigt (einschließlich der Anstrengungen, wieder mit sich ins reine zu kommen), versuchte ich alles mögliche, um dieser Behandlung zu umgehen. Zuerst redete ich auf Targ ein. Ich bat um Erlaubnis, ihm all mein Wissen gestehen zu dürfen, gestatte ihm sogar, meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, und versprach, mein bestes zu tun, um seinen Wünschen zu entsprechen. Er grinste über mein wehleidiges Betteln und
meinte, daß er sich anhören wolle, was ich zu berichten hätte, doch anschließend werde man mit Mitteln der Chemie die Wahrheit aus mir herausholen. Ich wollte unbedingt vermeiden, daß man mir Drogen verabreicht, und plapperte drauflos, erzählte alles, woran ich mich im Zusammenhang mit Fairy Peg und der Ribble-Galaxis erinnern konnte, nachdem ich mit gewaschenem Hirn aus der Bundesklinik entlassen worden war. Ich erklärte Targ und dem Arzt von dem Gedächtnisblock, der mir die Erinnerung an Voraufgegangenes versperrte, berichtete von meinen Träumen, in denen Fairy Peg herumgeisterte, und von den Bemühungen, die einzelnen Details zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen. Ich erwähnte auch den Durchbruch, mit dem ich auf Kosten entsetzlicher Kopfschmerzen einen Teil der Gedächtnissperre hatte überwinden können, kurz bevor ich auf Galaxy VI verhaftet wurde. Die beiden hörten mir zu und verzogen keine Miene, als ich erzählte, wie mir Gracie in der Zelle auf Mysteleria zu helfen versucht hatte, das Puzzle der Erinnerungsbruchstücke zusammenzusetzen. Aber weder Targ noch den Arzt schienen meine Auskünfte zufriedenzustellen. Sie zeigten keinerlei Reaktion oder Regung, geschweige denn Mitleid. Bis ich dann auf den Warp-Ring-Krieg zu sprechen kam. Plötzlich horchte Targ interessiert auf. Er ließ mich jeden Satz, den ich zu diesen Ereignissen äußerte, Wort für Wort wiederholen und wollte haarklein wissen, was mich ins Warp-Ring-System geführt habe und warum ich nach meinem Aufenthalt auf Asrai nach Pleasance geflogen sei. So oft ich ihm versicherte, daß ich nicht aus freien Stücken auf Pleasance gewesen, sondern als Kriegsverletzter dorthin verschickt worden sei, grinste er übers ganze Gesicht und fing mit der Fragerei von vorn an. Was mich nach Asrai verschlagen habe und so weiter. Wie seinen Bemerkungen zu entnehmen war, vermutete Targ wohl, daß ich von Asrai aus Fairy Peg zu erreichen oder ihr Schaden zuzufügen versucht hatte. Er fragte mich, ob ich denn nicht gewußt hätte, daß Prinzessin Peg On'Ell im Warp-Ring-System gewesen sei und mit der Wring-Connection verhandelt habe, und zwar zu der Zeit, als ich von Galaxy VI aufgebrochen war. Daß ich die Frage verneinte, schien ihn nicht zu überzeugen. Nach drei oder vier Tagen, in denen ich immer wieder meine Geschichte vorgetragen und alle Fragen zum x-ten Mal beantwortet hatte, war mir klar, daß ich mich geschlagen geben mußte. Sie hielten mich für einen Verräter und ließen sich durch nichts, was ich dazu zu sagen hatte, von ihrer Meinung abbringen. Irgendeine Änderung in meinem Verhalten oder der Klang meiner Stimme muß wohl den Arzt veranlaßt haben, Targ mitzuteilen, daß auf normalem Wege nichts mehr aus mir herauszuholen sei. Seine Worte und der Ausdruck auf Targs Gesicht ließen mir die Haare zu Berge stehen. »Morgen wirst du endlich mit der Wahrheit rausrücken«, sagte Targ und verließ die Kabine. Als er weg war, wandte sich mir der Arzt zu. In seiner Stimme klang zum erstenmal ein wenig Mitleid an. Er sagte, daß wir uns von Kril her kennen würden, stellte sich mit dem Namen Omna-Seay vor und meinte, daß ihm leid täte, was jetzt an mir vollzogen werde, da er vermute, daß ich mich wirklich nicht an mehr Details erinnern könne. Dann verfinsterte sich seine Miene wieder, und er sagte, daß es an meiner verräterischen Treulosigkeit gegenüber der Prinzessin nichts zu deuteln gebe und daß er mich deshalb ohne Ansehen unserer früheren Freundschaft als Verräter behandeln werde. Dann setzte er mir die Spritze und ging. Die Wirkung der Droge ließ eine Weile auf sich warten. Mein Selbst kämpfte dagegen an, während ich mich auf ShRil zu konzentrieren und meine Gedanken an sie festzuhalten versuchte, um dem Bewußtsein zu einem unverrückbaren Fixpunkt zu verhelfen, der mir auch nach der Gehirnwäsche bleiben und die verloren gegangenen Bezüge wieder aufdecken würde. Danach habe ich wohl sehr bald die Besinnung verloren. Ich erinnere mich an schreckliche,
surreale Träume, in denen ich von brennenden und klauenbewehrten Phantomen verfolgt wurde und endlos durch dunkle Strudel wirbelte, überschattet von berstenden Planeten und platzenden Sonnen. Mein Selbstbild flog davon und stürzte in die klaffenden Mäuler von Dämonen. Stimmen, immerzu Stimmen, fordernde, drängende, widerhallende Stimmen, die mich an Orte lockten, die voll gleißenden Lichts und ohrenbetäubender Laute waren. Und Fairy Peg fragte: »Warum? Warum?« Zu dieser Zeit wußte ich natürlich nicht, daß Targ ein sehr großes Risiko eingegangen war und die H.S.H.S. Syke in eine Kreisschleife manövriert hatte, um den Sperriegel der Verfolger zu sprengen. Jeder angehende Lightspeed-Pilot lernt schon im ersten Jahr seiner Ausbildung, wie gefährlich eine Kreisschleife ist. Moderne Schiffe, die für den Warpflug gebaut sind, lassen sich zwar innerhalb von dreißig Sekunden ohne weiteres aus dem Stand in den Kreis bringen, bewegen sich aber dann wie auf einer Möbiusschleife durchs All und können aus Gründen der diametralen Energiebalance nur am Eintrittspunkt die Warpschleife wieder verlassen. Wenn dieser Punkt verfehlt wird, fliegt das Schiff auseinander. Die Geschichte der Raumkriege weiß von etlichen Piloten zu berichten, die in waghalsigen Manövern ihre Schiffe durch enge Kreisschleifen lotsten, nach zehn Tagen oder noch später an der Stelle ihres Verschwindens wieder auftauchten, um feststellen zu können, daß der gefoppte Gegner die Front geräumt hatte. Es gibt aber ebenso viele Berichte von Schiffen, denen dieses Manöver nicht gelang, oder von solchen, die, obgleich sie es schafften, vom Gegner erwartet und nach ihrem Auftauchen abgeschossen wurden. Doch in seiner Arroganz wollte Targ diese Geschichten noch um eine weitere Sensation bereichern. Er steuerte die Syke in eine weite Kreisschleife, die erst nach zweiundsechzig Tagen abgeschlossen war. Ein Wahnsinnsunternehmen, denn je länger sich ein Schiff im Kreis befindet, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, den Ausgangspunkt zu treffen. Targs tolldreiste Tat läßt sich nur auf seine Besessenheit zurückführen, mit der er den Verfolgern zu entkommen versuchte, um sich anschließend in aller Ruhe mit mir befassen zu können. Und um mich nach Kril zu bringen. Die lange Schleife bot ihm und Omna-Seay außerdem Gelegenheit, mich zwei Monate lang zu verhören, und sie nutzten jeden Tag. Als ich wieder zur Besinnung kam, fing das ganze Spiel von vorne an. Pech für Targ, daß sich die Verfolger durch seine Aktion nicht irritieren ließen. Ein aufmerksamer junger Leutnant der Tradershote-Korvette Aspidar hatte Daten registriert, die Aufschluß über den Antriebsschub der Syke gaben, und die Schleifenlänge beziehungsweise dauer exakt vorausbestimmen ließen. Alvins Kreuzer Galayuh, ein Pleuhockle-Zerstörer und die Aspidar blieben in Stellung und hielten eine Art Totenwache, denn auf den drei Schiffen rechnete niemand damit, daß die Syke unversehrt wieder auftauchen würde. Trotzdem wollten sie auf Nummer sicher gehen. Und tatsächlich, wir schafften es. Wir überlebten Targs Vabanquespiel. Wie schon gesagt, von alledem habe ich nichts mitbekommen. Ich erinnere mich nur, wie ich für kurze Zeit aus der Ohnmacht erwachte und in das schrumpelige Gesicht des alten Arztes blickte, der neben meinem Bett saß. Mir war wichtig, das Datum zu erfahren, und versuchte immer wieder, mit geschwollener Zunge eine entsprechende Frage zu stellen. Schließlich verstand er mich und nannte den Tag — allerdings nach ribblescher Zeitrechnung. »Standard«, krächzte ich, »Standard.« Die Antwort (»7041 — 5. 1.«) war für mich ein derartiger Schock, daß ich wieder in Ohnmacht fiel und im Traum die Zahl in verzerrter, monotoner Stimme nachhallen hörte. Als ich das nächste mal zu mir kam, saß der alte Arzt wieder da, und wieder fragte ich ihn
nach dem Datum. Diesmal war ich klarer bei Verstand. »7041 — 7. 1.« Es erschien mir unglaublich, soviel Zeit verpaßt zu haben, wußte aber, daß es an dieser Angabe nichts zu zweifeln gab. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, überlebt zu haben, und rechnete nach, daß ich nun schon über vier Monate von ShRil getrennt war. An ShRil zu denken, erschien mir zu diesem Zeitpunkt ganz natürlich; erst später fiel mir auf, wie wichtig dieser Gedanke war. Ich weiß nicht, Windy, ob du zu würdigen verstehst, was mein Selbst und ich geleistet haben. Je mehr ich darüber nachdenke, desto verwunderter bin ich. O ja,wir haben ein paar tiefe Wunden davongetragen, und ich bin sicher, daß einiges von uns auf der Strecke geblieben oder auf Dauer beschädigt ist. Aber wir haben überlebt, und darauf kommt es an. Wir müssen unverschämt viel Glück gehabt haben. Wie Alvin meint, kam mir vor allem der Umstand zugute, daß sich die Syke in der Kreisschleife befand, als man mir die Wahrheitsdroge verpaßte. Um nämlich während der Schleifenbewegung am Leben bleiben zu können, muß nicht nur die physische, sondern auch die psychische Energie intakt gehalten werden. Daß ausgerechnet Alvin zu dieser fast mystischen Erklärung greift, finde ich einigermaßen verwunderlich. Ich wünschte, ich könnte Shttz bitten, diese These zu bewerten; so aber kann ich nichts damit anfangen. Aus welchen Gründen auch immer — wir haben's geschafft. Wahrscheinlich wüßte Gracie eine Erklärung zu nennen. Vielleicht läßt sich unser Überleben sogar auf ihren Einfluß zurückführen. Zum Teil jedenfalls. Als sie uns berührte, hat sie meinem Selbst womöglich eine schützende Nische eingeräumt, in die es sich im Krisenfall zurückziehen kann. Genug für heute, Windy. 7041 -1. 4. Der zweite Teil der Geschichte geht auf Alvins Schilderungen zurück, die jedoch — bescheiden, wie er ist —so knapp und trocken ausgefallen sind, daß wir die unterschlagenen Details aus dem, was er berichtete, deduzieren müssen. Als Alvin gemeldet wurde, daß die Syke mit meiner Person an Bord den Orbit verließ, richtete er einen scharfen Protest an die Ribble-Galaxis und forderte die Verantwortlichen dort auf, Targ umgehend den Befehl zu erteilen, nach Alvins Bleibe zurückzukehren. Als die Antwort kam, war Targ natürlich längst nicht mehr zu erreichen. Nach all den Ausweichmanövern, die er vollzogen hatte, wußte nur noch die Spürflotte, wo er sich befand und wie Kontakt mit ihm aufzunehmen war. Der Hofstaat leugnete, daß Targ mich gegen meinen Willen mitgenommen hatte, und behauptete, es sei mein eigener Wunsch gewesen, mit der Syke abzufliegen. Alvin machte nun richtig Dampf und schickte eine Flut von Nachrichten durchs halbe Universum: nach Tradershote, Calypso, Morgan Neun-Neun, Mithindoll, an den Qquartzl-Rand und, nachdem die Föderation Wind von der Sache bekommen hatte, sogar an das Kommando der Bundesflotte im Sektor 103. Die unabhängigen Systeme setzten die Botschafter und Konsuln von Ribble unter Druck. Die Bundesflotte verstärkte die >Routinekontrollen< und fing jedes Ribble-Schiff ab, das die von ihr beaufsichtigten Sektoren passierte. Alle Piloten dieser Schiffe wurden informiert, daß die entsprechenden Flugrouten für sie gesperrt seien, da sich die Ribble-Galaxis an den Neutralitätsrechten vergangen habe. Der Hofstaat ließ mit seiner Reaktion nicht lange auf sich warten, maulte über die Schikanen und versuchte, Targ zurückzupfeifen. Einen der an ihn gerichteten Befehle konnte die Spürflotte sechs Stunden, bevor die Syke in die Kreisschleife eintauchte, abfangen. Ribble stand Kopf während der zwei Monate, in denen Targ seinen Verzweiflungsritt
unternahm. Botschafter und Konsuln wurden in mehreren Systemen unter Arrest gestellt. Frachtgüter von und für Ribble blieben wegen vermeintlich technischer Pannen an den Umschlagsorten liegen. Der Bund zwang Ribble-Schiffe zu Kursänderungen und schickte sie auf weite Umwege durch den von ihm kontrollierten Raum. Ich fragte Alvin, warum sich all die verschiedenen Systeme und der Bund zu diesen Aktionen bereitgefunden hätten; es sei doch unvorstellbar, daß man wegen meiner so viel Aufhebens mache. Alvin ließ sein fröhliches Gezirpe verlauten und sagte, daß meine Entführung für viele Systeme nur als Vorwand gedient habe, um sich an der Ribble-Galaxis für vergangene Willkürakte zu rächen. Meine Person sei den meisten einerlei gewesen. Wichtig zu wissen war nur, daß ein Ribble-Schiff unter dem Kommando eines der höchsten Offiziere die Neutralitätsrechte verletzt und das neutralste aller Systeme, nämlich Pleuhockle, damit geschädigt hatte. Auf Einzelheiten kam es nicht an. Den Bund einzuschalten, war ebenfalls nicht schwer. Die Ribble-Galaxis hatte ihm in zwei Raumkriegen empfindliche Schlappen beigebracht. Kein Kommandant eines föderierten Flottenverbandes ließ sich die Gelegenheit entgehen, einen legitimen Angriff auf RibbleSchiffe zu starten. Außerdem wußte der Bund, daß ich der Entführte war, und da er fürchten mußte, daß man aus mir Geheimnisse herauszupressen versuchte, hatte er Grund genug, in die Affäre einzugreifen. Der Hofstaat merkte dann auch bald, was auf dem Spiel stand. Er beantragte und erhielt die Erlaubnis, sich mit einer Fregatte an der Suche nach Targ zu beteiligen. Zwei Tage, bevor die Syke aus der Schleife auftauchte, erreichte das Schiff den Sperrgürtel. An Bord befand sich keine geringere als die Hofadmiralin Gannack, Omega-Kommandantin der Sternflotte Ihrer königlichen Hoheit. Nur der Prinz und die Prinzessin stehen noch höher im Rang als die Hofadmiralin. Sie ist direkt dem Thron unterstellt und führt die gesamte Streitmacht von Ribble an. Ihrem Befehl hat sich sogar der Kommandant der Gabriel-Ratschen zu beugen. Gleich nach ihrer Ankunft ließ sich Gannack auf Alvins Kreuzer bringen, wo sie im Namen des Kronrats ihr Bedauern über den Zwischenfall zum Ausdruck brachte. Als die Syke auftauchte, bat sie um Erlaubnis, an Bord zu gehen und Targ eine Nachricht zu überreichen. Damit fingen die eigentlichen Verhandlungen an. Targ stand vor allerhand Problemen. Erstens: Ich war noch immer nicht ganz bei mir. Zweitens: Er hatte es versäumt, mich nach Ribble zu bringen und des Hochverrats zu überführen. Drittens: Er hatte die Neutralitätsrechte aufs Gröbste verletzt und dadurch seine Galaxis auf Dauer in Schwierigkeiten gebracht, denn auch Ribble war an interstellare Gesetze gebunden, wenn auch nicht juristisch, so doch immerhin de facto. Viertens: Er hatte ein Ribble-Schiff und seine achtzigköpfige Besatzung ohne Not in Gefahr gebracht. Fünftens — und dieser Punkt war für ihn der wohl gravierendste: Er hatte sein Gesicht verloren, weil es ihm nicht gelungen war, der gegnerischen Spürflotte zu entkommen, und vom obersten Befehlshaber der ribbleschen Streitmacht zurückgepfiffen werden mußte. Targ stand außerdem noch vor einigen Problemen geringfügigerer Art. Eines davon gefällt mir besonders: Omna-Seay ist nämlich der Auffassung, daß ich in den Verhören wahrheitsgemäß Rede und Antwort gestanden habe. Der Arzt gab mir in einem Gespräch unter vier Augen zu verstehen, daß er die Gültigkeit der Hochverratsanklage gegen mich anzweifeln würde und inzwischen überzeugt davon sei, daß ich aufgrund der an mir vorgenommenen Gehirnwäsche seitens des Bundes nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könne, auch dann nicht, wenn mir wirklich eine Schuld nachzuweisen wäre; weitere Verhöre hätten also keinen Sinn mehr. Ich fragte ihn, ob denn Targ derselben Meinung sei, aber Omna-Seay antwortete bloß: »Wir werden sehen.« Und so war es. Nach diesem Tag wurde jedesmal kurz nach dem Mittagessen die Tür zu
meiner Kabine aufgeschlossen, und ich hatte dann Gelegenheit, mit Targ über — wie er sich ausdrückte — >unser Problemchen< zu sprechen. Im Unterschied zu Omna-Seay war Targ immer noch fest von meiner Schuld überzeugt und behauptete, mir ein Geständnis abringen zu können, wenn ihm nur genügend Zeit dazu bliebe. Er verhehlte nicht, daß er mir von Anfang an mißtraut und dafür plädiert hatte, meine Akkreditierung für Ribble entziehen zu lassen. Daß er mit mir über diese Dinge diskutierte, kam für mich einer vorgezogenen Befreiung gleich. Von Tag zu Tag wurde mir klarer, daß er unter großem Druck von außen stand. Meine Hoffnung wuchs, bald befreit und keiner Folter mehr unterzogen zu werden. Ich muß gestehen, Windy, daß wir, mein Selbst und ich, zu diesem Zeitpunkt immer noch völlig fertig waren. Es geschah manchmal, daß wir, wenn Targ eine Frage stellte, wie versteinert dasaßen. Targ ließ sich dadurch irritieren. Ich war natürlich auch irritiert, wußte aber, daß es mit uns bergauf ging. Doch jetzt bin ich von Alvins Teil der Geschichte abgewichen, nicht wahr, Windy? Ständig geraten mir die Gedanken durcheinander. Ich ertappe mich manchmal dabei, daß ich wer weiß wie lange zum Fenster hinaus-starre. Schon wieder geht mir die Konzentration verloren. Ich lege jetzt wohl besser mal eine Pause ein. Kann nicht schlafen. Habe zu lesen versucht, kann mich aber immer noch nicht konzentrieren. Fairy Peg spukt mir wieder im Kopf herum. Daß mich offiziell oder beruflich nichts mehr an sie oder Ribble bindet, ist mir ja inzwischen klar, aber wie steht's zwischen uns auf persönlicher Ebene? Und das zu erfahren, hatte ich doch so sehr erhofft. Ich mag keine offenen Fragen. In welcher Beziehung standen wir zueinander? Ich gehe mal davon aus, daß es nicht Liebe war, aber dennoch muß diese Beziehung ziemlich intensiv gewesen sein. Jetzt werde ich wohl nie erfahren, was ein Treffen zwischen uns ergeben hätte. Ich weiß nur, daß ich in Ribble als Hochverräter angesehen werde. Vielleicht liegt in diesem Umstand ein Teil der Lösung. Während der von Omna-Seay durchgeführten chemischen Attacke auf mein Unterbewußtsein ist mir unter anderem ein Detail ins Gedächtnis zurückgekehrt: Ich erinnere mich wieder an eine zwischen Fairy Peg und mir vereinbarte Chiffre, die Variante einer uralten mathematischen Figur. Vielleicht erinnere ich mich deshalb, weil der Vorschlag von mir gekommen war. Wir benutzten diese Chiffre, um persönliche Botschaften zu verschlüsseln. Vielleicht erinnere ich mich auch deshalb daran, weil mein Selbst gegen die Hochverratsanklage protestiert. Was denkst du, Selbst? Sollen wir Windy den Code eingeben, den Inhalt des Tagebuches von ihr verschlüsseln und Fairy Peg zukommen lassen? Klingt ein bißchen verrückt, ich weiß. Und eigennützig. Die Idee ist trotzdem nicht schlecht, wie mir scheint. Auch wenn nichts dabei herausspringt, würde ich mich nach einem Versuch wohler fühlen. Schlafen wir erst mal eine Nacht darüber. 7041 - 2. 4. Der Anfang war in Ordnung, Windy, aber dann fiel die Geschichte irgendwann auseinander. Immerhin weiß ich jetzt, auf welche Stellen es ankommt. Alvins Anteil daran ist wichtig; verzichten können wir jedoch auf eine detaillierte Beschreibung der Rolle, die Admiralin Gannack während der Verhandlungen gespielt hat. Nur die Auswirkungen derselben sollten erwähnt werden. Admiralin Gannack ist eine äußerst tüchtige Frau und von hohem Ansehen. Sie hatte eine heikle Aufgabe zu erfüllen. Fünf Wochen nach dem spektakulären Wiederauftauchen der
Syke wurde ich zur Fregatte der Admiralin überführt und erreichte von dort Alvins Galayuh. Zwischen Gannack und mir fand nur ein kurzer, recht förmlicher Austausch von Worten statt, doch an ihrem Blick war zu erkennen, daß sie nur wenig Sympathie für mich aufbrachte. Für sie war ich offenbar nichts weiter als ein Bauer, der am Ausgang des Spiels nur unmaßgeblich beteiligt war. Was kümmert mich also noch an dieser Frau? Vielleicht war und bin ich wütend darüber, daß sie so lange auf sich warten ließ. Und was läßt sich über den Bund sagen, Selbst? Wie beurteilen wir seine Rolle in dieser jüngsten Episode unseres Lebens? Unentschieden? Ja, wir sind dankbar, daß er sich aktiv eingesetzt hat, wollen über seine Motive hinwegsehen, sind uns aber durchaus im klaren darüber, daß ihn zumindest eine Teilschuld in dieser Angelegenheit trifft, wenn nicht mehr. Dann wäre noch die — vielleicht wichtigste — Frage zu klären, was Fairy Peg mit der ganzen Sache zu tun hat. Sind wir während all der Jahre, in denen wir uns ein Bild von ihr zusammenzusetzen versuchten, auf dem Holzweg gewesen? Waren unsere Träume nur Wunschträume ohne realen Hintergrund? Warum, Selbst, warum spukt uns diese Frau, die wir einmal geliebt haben (oder glauben, geliebt zu haben) im Kopf herum? Warum findet sich keine Antwort auf unsere Fragen? Wenn Fairy Peg ihren Kommandanten Targ auf mich angesetzt hat, wird sie wohl davon ausgegangen sein, daß ich nicht nur Ribble, sondern auch ihre Liebe und ihr Vertrauen zu mir verraten habe. Sie vom Gegenteil zu überzeugen, wird mir nun kaum mehr möglich sein, auch nicht durch den wilden Einfall, ihr meine Tagebuchaufzeichnungen zukommen zu lassen. Oder doch? Alvin hat mich angerufen und meine Gedanken unterbrochen. Aber Unterbrechungen dieser Art lasse ich mir gerne gefallen. Wir fliegen nun doch nicht nach Yuma, Windy. Jedenfalls vorläufig nicht. Zuerst müssen wir eine junge Frau besuchen, die mich an einer Paarungszeremonie teilnehmen lassen will. Du hast doch wohl nichts dagegen, mich nach Sylva zu befördern, damit ich mit ShRil dort eine ruhige, kleine Dowonache feiere, nicht wahr, Windy? Wußte ich doch, daß ich mit dir rechnen kann. Die Frage ist nur: Wann brechen wir auf? Ich muß ShRil eine Antwort schicken, damit wir zur selben Zeit ankommen. Denn so will es der Brauch. Sind wir auch bereit, Selbst? Ist unsere Genesung soweit vorangeschritten, daß wir in einer oder zwei Wochen losfliegen können? Sagen wir, in fünfzehn Tagen; dann wären noch dreiundzwanzig Tage für die Reise einzuplanen. Auch wenn sie meine Nachricht erst in einigen Tagen erhält, müßte ihr genug Zeit bleiben, um sich selber auf die Reise vorzubereiten. Wir können uns also noch fünf Wochen erholen. Der Vorschlag, in zwei Wochen aufzubrechen, ist einstimmig angenommen. Gut. Schicken wir also gleich die Nachricht ab. 7041 - 3. 4. Alvin hatte gestern nachmittag noch eine kleine Überraschung für uns auf Lager. Er hat den Psychotherapeuten, der demnächst einen Lehrstuhl im Jelvo-Institut besetzen wird, einfliegen lassen, damit er sich ein wenig um uns kümmert. Der Knabe erinnert mich irgendwie an Bistelfaith. Er ist ein Pseudopod von T-Aqua Major Four, dessen Name unübersetzbar ist. Alvin nennt ihn scherzhaft Signor Denker, worüber sich beide köstlich zu amüsieren scheinen. Während er mich untersuchte, nannte ich ihn Häuptling Kopffüßer, und laut Alvin gefällt ihm auch dieser Spitzname.
Im Gegensatz zu Bistelfaith muß Häuptling Kopffüßer einen nimonischen Übersetzer tragen. Manche seiner Äußerungen sind total verdreht und kaum zu verstehen. Als Alvin ihn bat, mir seinen theoretischen Ansatz zu erklären, antwortete er: »Die Psyche reagiert, wie der Glaube wirkt.« Aus den übrigen Bemerkungen konnte ich den Sinn dieser Worte in etwa erschließen. Ich denke, er meint folgendes: Wenn wir fest an unsere Gesundung glauben und uns entsprechend verhalten, werden wir tatsächlich gesund werden. Ich finde, das klingt nicht besonders revolutionär oder aufregend, will aber nicht vorschnell urteilen. Einer seiner merkwürdigen Sätze hat mir gut gefallen: »Die Vergangenheit des einzelnen ist in Gänze stets weniger als sein Werden.« Häuptling Kopffüßer beschäftigt sich vornehmlich mit Veränderungsprozessen. Heute morgen sagte er mir, daß er mich für einen Neuling hält, der neuer wird. Eine seltsame Vorstellung, Selbst, aber so zu denken, kann sicherlich nicht schaden und schafft Perspektiven für die Zukunft. Bis zu meinem Abflug sind täglich zwei Therapiestunden festgesetzt. Heute nachmittag muß ich wieder hin, aber vorher leg' ich mich noch eine Weile aufs Ohr. Die Behandlung war nicht übel. Der Häuptling hat mir ein paar Denkaufgaben vorgeschlagen, die ich vor dem Schlafengehen durchführen soll. Er will, daß ich mir möglichst viel Ruhe gönne. Die Tür, die er da einrennt, könnte nicht offener sein. 7041 - 5. 4. Ich weiß nicht, Selbst, ob uns der Häuptling hilft; aber müde macht er uns, das steht fest. Meine Kraft reicht gerade aus, um mit ihm zu reden und dann wieder zu schlafen. Mehr ist nicht drin. Der Häuptling meint, daß diese Reaktion für Vertreter meiner Art durchaus normal sei. Ich muß darauf bauen, daß er weiß, was er tut. 7041 - 8. 4. Letzte Nacht war Teever Loze wieder da, entsetzlicher als je zuvor. Ich habe dem Therapeuten alles über meine Alpträume erzählt und wie sie angefangen haben. Es sprudelte nur so aus mir heraus. Vermutlich wußten wir, mein Selbst und ich, bislang gar nicht so recht, wie tief der Schmerz steckt. Nachdem ich mit meiner Schilderung fertig war, wollte Häuptling Kopffüßer meine Gefühle und Reaktionen auf jeden Aspekt dieser Geschichte kennenlernen. Er versteht sein Geschäft, Windy. Er überrascht mich mit den einfachsten Fragen, die wir uns eigentlich längst selber hätten stellen sollen, aber immer unterschlagen haben. Er hilft uns, die Einzelbilder zusammenzufügen, ohne selber in das Puzzle einzugreifen. Er schlug auch vor, daß ich mich in meinem Kummer Alvin anvertrauen solle. Das wird schwerfallen, trotzdem will ich es heute abend versuchen. Als ich endlich den Anfang gemacht hatte, fiel es mir erstaunlich leicht, über Teever Loze zu reden. Alvin weiß, wie er umgekommen ist, und fühlt genau wie ich. Mir ist, als wäre eine innere Tür in uns aufgegangen, als würde Licht in einen dunklen Winkel fallen. 7041 - 11 . 4. Vergangene Nacht haben mein Selbst und ich Überstunden abgerissen und dabei Ergebnisse erzielt, die, wie ich meine, sehr wichtig und einzigartig sind. Zwei Träume. Zwei völlig
unterschiedliche Träume. Der erste war eine Variation des alten Alptraums, der jedoch zum erstenmal sehr weit entrückt zu sein schien. Als ich, seinen Namen schreiend, aufwachte, war dieser Schrei längst nicht so schrill und verstört wie früher. Ich schlief wieder ein und hatte einen anderen Traum. Ich saß auf dem Bett am Fenster des Zimmers, das mein Bruder und ich teilten, als wir Kinder waren. Bei mir war eine junge Frau, nackt wie ich. Plötzlich tauchte ein Fremder vor dem Fenster auf, und wir fingen mit ihm zu reden an. Sein Gesicht kam mir sehr vertraut vor, aber ich wußte nicht, wer er war. Schließlich lud ich ihn ein, ins Haus zu kommen, und als er sich uns durch die Diele näherte, sahen wir ihn die Kleider vom Leib reißen. Lachend und ausgezogen blieb er vorm Wäscheschrank stehen, nahm ein Bettuch zur Hand, wickelte es um sich und warf das lose Ende über die Schulter. Dann kam er zu uns, und wir lachten und redeten miteinander. Als ich ihn wiedererkannte, wachte ich auf. Zuerst war ich noch ganz benommen, dann aber langte ich zu Stift und Papier und schrieb ein paar Zeilen auf, die mir durch den Kopf gingen. Ein Gedicht, wie aus einem Guß entstanden. Während der Sitzung heute morgen schilderte ich dem Häuptling diese Träume und las ihm das Gedicht vor. Hier nun die überarbeitete Version: Teever Lozes Wiederauferstehung Zwei Jahre fiel dein Todesfries durch meine Träume mit Erinnerungen, wie in Stein gehauen, wuchtig auf mein Lager, spritzte schreiend durch meine dunklen Nächte in blutroter Angst, platzte wie dein Name mir in meiner Kehle, und meine Tränen waren ohne Trost. Vergang'ne Nacht sah ich dich in der Ferne sterben, davongeworfen wie ein Stein. Im Echo zur Vergangenheit schrie ich deinen Namen und zitterte. Am Morgen sah ich dich nackt durch meine Diele laufen, lachend und in ein Laken eingehüllt. Als ich erwachte, machte ich dich mit einem Freund bekannt. Das muß man dir lassen, Selbst; wenn's bergauf geht, läufst du mir fast davon. Abgesehen von dem Traum über Teever Lozes Wiederauferstehung, gibt es noch etwas, worüber ich mit dem Häuptling gerne reden würde. Es mag simpel erscheinen, ist aber bestimmt von Bedeutung. Der zweite Traum spielte sich ab im Schlafzimmer meiner Kindheit. Ich vermute, das heißt, daß ich die Erfahrungen im Zusammenhang mit Teever Loze als einen Teil meiner Vergangenheit akzeptieren kann und nicht ständig mit mir herumschleppen muß. Der Freund ist tot und die Erinnerung an ihn in einem Raum aufbewahrt, der keine Schrecken mehr birgt, sondern so angenehm ist wie der Rückblick auf meine Jugend. Wir haben für ihn ein Zuhause gefunden, Selbst, ein Zuhause, wo wir zufrieden gewesen sind und wo unsere Erinnerung an ihn friedlich ruhen kann.
Aber wer war die Frau neben uns? ShRil war's nicht. Fairy Peg vielleicht? Ich glaube ja, bin mir aber nicht sicher. Wenn dem so ist, was hat sie dann in einem Traum über Teever Loze zu suchen? Ich mag noch so viel darüber nachdenken, komme aber zu keiner schlüssigen Antwort. Trotzdem ist mir ganz und gar wohl zumute. Manchmal wünschte ich, du hättest einen Empathie-Sensor, Windy; dann könntest du nämlich jetzt nachempfinden, wie ich mich fühle. Aber natürlich bin ich auch schon oft froh darüber gewesen, daß du nicht wußtest, wie dreckig es mir ging. Sei's drum. Laß bitte zwei Kopien des Gedichts durch den Bibliotheksdrucker laufen, Windy. Eine für den Häuptling und eine für Alvin. Ich will nicht beschreien, daß wir uns vollkommen erholt haben, aber seit letzter Woche geht unsere Genesung mit großen Schritten voran. Wir haben ein paar neue Techniken erlernt, die uns auch in Zukunft nützlich sein werden. Jetzt kann ich viel unbelasteter dem Treffen mit ShRil entgegensehen. Vielleicht beschleunigt das unsere Reise. 7041 - 13 . 4. Erste Vorbereitungen für den Aufbruch. Irgendwie merkwürdig, daß es schon fast soweit ist. Ich hätte noch so vieles mit Alvin und dem Häuptling zu bereden und würde eigentlich noch gerne hierbleiben. Aber ShRil wartet, und ich sehne mich nach ihr. Die Trennung von meinen Freunden hier wird nicht so schwerfallen. Wir bleiben mit Alvin in Kontakt. Und mit Häuptling Kopffüßer. Ich fragte den Häuptling, ob ihm der von mir verpaßte Spitzname gegen den Strich ginge. Seine Antwort sagt alles über ihn. »Vor allem Kopf. Sieht aus wie Füße. Häuptling der Psychotherapie am Jelvo-Institut. Hervorragender Titel. Dienlich für alle Standardsprecher.« Sogar Alvin nennt ihn inzwischen so. Klingt komisch, schmeichelt mir aber. Wir sollten auf Alvins Vorschlag eingehen und die Aufzeichnungen unserer Legendenforschung hier lassen, Windy. Es hat keinen Zweck, das ganze Material an den Professor zu schicken, zumal er in sechs Monaten selber hier sein wird. Schöner wär's zwar, wenn wir alles und nicht nur den Index mitnehmen könnten, aber wir brauchen deine Speicherkapazität für neue Aufgaben. Wenn wir zurückkommen, werden wir sehen, was der Professor aus unseren Vorlagen gemacht hat. 7041 - 16. 4 .
Barisport, Alvins Bleibe
Abschied genommen. Die Startsequenz ist eingeleitet. Mir kommt's plötzlich so vor, als würden wir die Heimat verlassen. Aber wir kommen zurück. 7041 – 18. 4.
Im All
Noch ein Traum von Fairy Peg. Ich knie vorm Thron und schaue zu ihr auf. Sie hält ihr Zepter. Stützt sich darauf ab. Sieht bleich aus. Sie spricht. Was sind ihre Worte? Ihre Worte sind matt, gehaucht. Ich kann sie nicht verstehen. Dann richtet sie sich im Thron auf und lächelt mir zu. Langsam erhebe ich mich. Und wache auf. So intensiv ich mich auch zu erinnern versuche —mehr weiß ich nicht mehr. Die Worte
bleiben unverständlich, aber ihr Lächeln ist warm und liebevoll. Was willst du mir damit sagen, Selbst? Daß ich etwas Wichtiges übersehen habe? Wie dem auch sei, der Traum hat mir geholfen, eine Entscheidung zu treffen. Wir werden meine verrückte Idee in die Tat umsetzen und Fairy Peg eine Kopie des Tagebuchs zukommen lassen. Ich weiß, wir werden uns auch weiterhin mit vagen Erinnerungen und Träumen bescheiden müssen, aber zum Glück belasten sie uns nicht mehr so sehr. Wir haben uns damit abgefunden, in eine Sackgasse geraten zu sein. Trotzdem wäre es mir lieb zu wissen, daß Fairy Peg nicht schlecht von mir denkt. Vielleicht wird sie über die Lektüre meiner Aufzeichnungen ein neues Bild von mir gewinnen und das, was zwischen uns vorgefallen ist, aus meiner Sicht zu verstehen lernen. Wir verschlüsseln den Text mit der persönlichen Chiffre und schicken ihr alles, was wir bis zum heutigen Tag aufgeschrieben haben. An die Arbeit! 7041 – 21. 4 . Die Übermittlung kann beginnen. Fangen wir mit folgenden Worten an: Liebe Fairy Peg! Jetzt hast Du alles, was ich zu sagen weiß. Leider werde ich wohl nie erfahren, wie Du auf diese Übertragung reagieren wirst, hoffe aber, daß Du meine liebevolle Absicht zu würdigen verstehst. Mein Herz lernt zu verzeihen, und ich wünsche mir inständig, daß auch Deinem Herzen eine solche Lehre zuteil wird. Lebe wohl und laß es Dir gut ergehen, meine schöne Prinzessin. Dein Pilot Gerard Das war's, Windy. Es wird Zeit, der Zukunft zu begegnen. Übermittle! NACHWORT Meine Urgroßmutter Peg On'Ell hat ihr ganzes Leben archiviert. Als ich noch ein kleines Kind war, nahm sie mich oft mit ins Archiv und erzählte mir Geschichten. Sie starb, zwei Jahre nachdem sie die Krone an meinen Großvater Carpen von Yeraf abgegeben hatte; da war ich gerade zehn. Ihre letzten beiden Jahre sind, soweit ich mich erinnere, die glücklichsten meines Lebens. Von all ihren Enkeln und Großenkeln mochte sie mich am meisten, vielleicht weil ich ihre erste Urenkelin und zum Teil nach ihr benannt war. Aber die Gründe sind unerheblich; wichtig ist, daß sie mir die Archive ans Herz gelegt hat, die für mich zum schönsten Ort im ganzen Universum geworden sind. Ich ging dorthin, um nachzudenken, um zu spielen oder einfach nur um allein zu sein. Der damalige Chefarchivar hieß Fianne Tackona und war so alt wie meine Urgroßmutter. Ihm schien es zu gefallen, von mir, dem kleinen Mädchen, so oft besucht zu werden, und wenn ich Langeweile hatte, konnte ich mich immer darauf verlassen, daß er mir eine Geschichte erzählte, ein Gedicht vortrug oder mit seiner kratzigen, schiefen Stimme ein Lied anstimmte. Ich erinnere mich, ihn an meinem zwölften Geburtstag gefragt zu haben, ob er über alles, was in den Archiven gespeichert sei, Bescheid wisse. Er sah mich mit seinem trüben, graugrünen
Augen an und antwortete: »Keiner kennt sich hier besser aus als ich, Prinzessin, aber verglichen mit dem Reichtum an Wissen, das hier lagert, bin ich der ärmste Bettler auf dem Markt.« Wie der ärmste Bettler auf dem Markt. Diese Formulierung hat sich in meinem Gedächtnis festgesetzt und schwirrt mir seither im Kopf herum. Im Alter von fünfzehn Jahren verbrachte ich den größten Teil meiner Freizeit in den Archiven, wo ich mir von Fianne verstaubte, alte Manuskripte herbei schaffen ließ, die von Helden und Heldinnen erzählten, deren Gebeine schon Hunderte von Jahren vor der Herrschaft Peg On'Ells verfallen waren. Fianne brachte mir auch bei, die Bandmaschinen und Lesegeräte zu bedienen, und ich fing an, modernere Geschichten zu lesen, einschließlich solcher, in denen von Personen die Rede war, die zum Zeitpunkt meiner Lektüre noch lebten. Weil ich soviel las, wurde ich zur >Historikerin< der Familie. Als dann nach Ausgang des Großen Krieges, dem viele der besten Ribblesen zum Opfer fielen, mein Onkel Tetroff den Thron bestieg, wollte er von mir Geschichten erzählt bekommen, die von unseren Vorfahren handelten. Oft blieben die Mitglieder der königlichen Familie, nachdem sie gespeist hatten, zu Dutzenden an der langen Tafel sitzen und hörten gespannt zu, wenn ich die ruhmreichen Geschichten vortrug, die so sehr ein Teil meines Lebens geworden waren. Das waren herrliche Zeiten, von denen ich noch heute profitiere, denn als Familienhistorikerin steht mir ein fester Platz im komplizierten Gefüge des Hofstaates zu. Nach meinen jüngsten Berechnungen stehe ich an fünfunddreißigster Stelle der Thronnachfolge, und alle zukünftigen Kinder der mir übergeordneten Verwandten werden mich weiter zurückdrängen. Ich habe weder die Hoffnung noch den Ehrgeiz, über meine jetzige Stellung hinauszukommen. Als Fianne Tackona starb, überredete ich Onkel Tetroff, mir die Verwaltung der Archive anzuvertrauen. Er richtete für mich das Amt der >Königlichen Archivarin der Krone< ein. Königliche Archivarin zu sein, bedeutet mir mehr als ein Beruf; dieses Amt ist mein Leben, der Brennpunkt meiner Energien und war — bis ich die Mikroakte über Gerard Manley fand — alles, was mein Herz begehrte. Doch Gerard Manleys Geschichte eröffnete eine völlig neue Welt für mich, eine Welt, die nichts mit den Kriegen und Heldentaten unserer Vergangenheit zu tun hat, sondern den Hintergrunde einer sehr persönlichen Lebensgeschichte bildet, die von Zweifel, Unsicherheit und Trennungsschmerz erzählt, und zwar aus einem Blickwinkel, den ich bislang nicht kannte. Hier war die Geschichte eines Mannes, der für kurze Zeit eine bedeutende Rolle im Leben meiner Urgroßmutter gespielt und Abenteuer erlebt hatte, die fremd und zugleich wunderbar anmuten. Ich fand das Tagebuch von Gerard Manley per Zufall, als ich in den persönlichen Katalogen meiner Urgroßmutter herumstöberte, und nach den ersten Seiten war mir klar, daß ich eine Geschichte ausgegraben hatte, die es wert ist, mitgeteilt zu werden. Nach mehrmaligem Durchlesen unterbreitete ich Onkel Tetroff den Plan zur Veröffentlichung, den ich ihm mit kleinen Lektüreauszügen schmackhaft machte. Wochen später bat ich ihn dann um Erlaubnis. Er hatte mir schon früher gestattet, Geschichten aus den Archiven zusammenzustellen und herauszugeben, doch das waren jeweils ganz und gar traditionelle Erzählungen, die denen entsprachen, die ich bei Tisch vorgetragen hatte. Diese Geschichte ist gänzlich anders. Ich setzte alles daran, den Onkel günstig zu stimmen. Zuerst schien er alles andere als begeistert zu sein, als ich ihm die Kopie überreichte, die ich eigens für ihn angefertigt hatte. Aber dann sah er, welche Arbeit ich mir gemacht hatte, und nahm das Geschenk dankbar an. Ungeduldig wartete ich auf seine Reaktion. Nach drei Wochen schließlich rief er mich in seine Privatgemächer. Ich war gespannt und aufgeregt, obwohl ich mir nicht allzuviel Hoffnungen machte und auf eine Absage vorbereitet war. Aber ich wollte mir den Plan nicht so ohne weiteres vereiteln lassen und für die Veröffentlichung streiten. Erwartungsgemäß beklagte sich Onkel Tetroff
darüber, daß Gerard Manleys mit seinen Kommentaren die Ribble-Galaxis in ein unfreundliches Licht rückte. Ich erinnerte ihn daran, daß die Wahrheit nicht immer rosig sei und daß Gerard nur eine einzige Person anprangere, nämlich den Kommandanten Alpluakka, der weder Vergebung noch Schonung verdient habe. Es folgte eine lange Diskussion über die im Namen der Krone begangenen Untaten der Gabriel-Ratschen, und wir stimmten darin überein, daß ihre von der Noblen Versammlung erwirkte Auflösung eine der positiven Folgen des Großen Krieges war. Am Ende unserer Unterhaltung gab mir der Onkel zu meiner großen Erleichterung seine Erlaubnis. Ich bitte alle Leser, besonders die, denen die prosaischen Details meiner Biographie schon bekannt sind, die langen Erklärungen zu verzeihen, aber ich finde es wichtig zu berichten, wie diese Geschichte in Umlauf gekommen ist. Ich möchte mich auch bei denen entschuldigen, die es lieber gesehen hätten, wenn der Text nicht in Standard, sondern in Kulitti veröffentlicht worden wäre. Auf Onkel Tetroffs Bitte hin arbeite ich an einer Übersetzung, fürchte aber, daß bei meinem Versuch viel von der Kraft und Anmut des Originals auf der Strecke bleibt. Schließlich — und daran liegt mir sehr viel — möchte ich mich herzlich bedanken bei meinem Onkel TetroffTania On'Ell, Seiner königlichen Hoheit, dem Hüter der Ribble-Galaxis, Badh des Sieben Systeme, Patron des Glaubens, Prinzregent von Kril, der dem hier Geschriebenen sowie meinem bescheidenen Nachwort seine gütige Billigung zuerkannt hat. Ich denke, Gerard Manleys Geschichte bedarf keiner redaktionellen Hinweise meinerseits. Man wird sich nach der Lektüre allerdings fragen, was wohl aus Gerard und ShRil, aus der Windhover und Alvin geworden ist und welche schönen neuen Geschichten uns entgehen, wenn sich der Rest der Tagebücher nicht auffinden lassen sollte. Wäre aufgrund all der Kriege und politischen Spannungen die Ribble-Galaxis nicht so isoliert von anderen Teilen des Universum, würde ich mich eifrig an die Suche begeben, nicht nur um meine eigene Neugier zu befriedigen. Als königliche Archivarin lege ich nämlich auch großen Wert auf Vollständigkeit. Prinzessin Coasta-Peg Jeni On'Ell Königliche Archivarin der Krone von Ribble Kril Albar 53, 8901 s.p.i (7283 — 14. 6. nach Standardzeitrechnung)