G.F. Wego
Ein Tramp aus Texas
… und ein verdammt sturer Dickschädel
Clay Horton weiß nicht, daß es die Pass-Creek-B...
34 downloads
841 Views
532KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
G.F. Wego
Ein Tramp aus Texas
… und ein verdammt sturer Dickschädel
Clay Horton weiß nicht, daß es die Pass-Creek-Berge sind, auf die er zugeht. Er hat nur rechts einen Bergzug vor sich und links den nächsten. Die Sonne steht im Südwesten, der Wind ist heiß und trocken. Der Mann geht mit regelmäßigen, gleichförmigen Schritten dem Einschnitt zwischen den Elch-Bergen und den PassCreek-Bergen zu. Manchmal verändert er die Lage seines Sattels. Das Klingeln des Bauchgurtes mit seiner Schnalle am Lauf der Winchester ist die gleiche Musik in seinen Ohren, die auch seine Sporen machen. Der Mann lächelt kaum, er hält auch nicht an. Er sieht weit und breit kein Haus, nur Berge, einige Bäume, sonst Buschgelände und das wadenhoch stehende Fettholz. Es riecht nach Sage, als er über einen Hügel geht und einen Schuppen links vor sich sieht. Einen alten, baufälligen Schuppen, dessen Erddach mit Steinen beschwert ist. Ein kleiner Zaun aus windschiefen Latten läuft um diesen Schuppen. Holz liegt verstreut umher, kein Mensch ist zu sehen. Unterhalb des Schuppens blinkt Wasser. Ein Erdwall, ein versandeter Bachlauf und ein paar Büsche, deren Blätter vom Staub gepudert sind, sieht man. Scharfer Wind kommt aus Westen. Seit dreieinhalb Stunden ist er schon unterwegs. Clay Horton betrachtet den Schuppen und das Wasser wie einen Palast. Er spürt das Brennen an seiner rechten Kopfseite, die Stiche im Hinterkopf, an dem er eine Beule hat. Und er grinst nun trotz all dieser Dinge, die einen anderen Mann vielleicht ärgerlich machen würden. Es ist sein Pech, und damit basta. Wozu sich ärgern, das Leben ist mal bitter, mal ist es
spaßig. Scheint heute nicht die Sonne, mein Gott, da wird sie morgen scheinen, oder übermorgen, das ist ganz sicher. Er geht mit seinen langen Beinen weiter. Die Dämmerung kommt in drei Stunden, es wird jetzt erst gegen neun Uhr abends dunkel. Vor ihm laufen zwei Wagenspuren durch das Tal und zweigen dann zum Schuppen hin ab. Clay nähert sich dem Schuppen ohne jede Vorsicht, denn hier ist doch niemand. Und wirklich ist der Schuppen leer. Die Tür hat nur einen Holzriegel. In der einen Ecke liegen die Reste einiger Decken oder Säcke. Zwei Töpfe sind da, beide durchgebrannt. Aber eine Wasserkanne ohne Henkel mit abgesprungener Emaille liegt nahe der Säcke. »Well«, sagt er ruhig, läßt den Sattel von der Schulter gleiten, packt sein Gewehr und sieht erst einmal hinter dem Schuppen nach. »Aha, da ist ein offener Herd. Sie haben also draußen gekocht und die Hütte nicht im Winter benutzt. Das Dach über dem Herd ist herabgefallen, aber der Herd ist in Ordnung. Habe ich noch Kaffee?« Er dreht um, findet einige Krümel Kaffee und entfacht ein Feuer. Dann holt er Wasser, kocht es ab und legt sich neben dem Feuer hin. Er hat Zeit, nachzudenken und kommt zu dem Entschluß, weiterzugehen. Solange es noch hell ist, kann er eine Strecke schaffen. Clay trinkt den Kaffee, der gerade den Inhalt eines Bechers ergibt, dann packt er seinen Sattel, schiebt den Riegel vor die Tür und nimmt seinen Weg wieder auf. Nach einer Stunde ist er auf der rechten Flanke des langgestreckten Höhenzuges, aber er ist immer noch nicht viel näher an den Einschnitt zwischen den Bergen herangekommen. Er geht in seinem üblichen Trott und pfeift. Die Sonne steht tief, der Einschnitt zwischen den Bergen liegt nun vor ihm. Keine Meile weiter links blinkt der Lauf eines
Creeks. Espen stehen dort, einige Pappeln und viel Büsche. Er schwitzt schon wieder, geht auf den Bach zu und schüttelt sich seinen Hut voll Wasser über den Kopf. Clay Horton kommt langsam zwischen den Büschen durch, von seinem Gesicht tropft das Wasser, der nasse Hut sitzt nach vorn geschoben auf seinem Kopf und kühlt seine Beule wenigstens etwas. Dann biegt er um die Baumgruppe, betrachtet das saftige Gras, das eine Strecke am Wasserfall entlang im vollen Grün steht und bleibt stocksteif stehen. Rechts unter den beiden einzelnen Pappeln steht ein Pferd. Ein Gewehr steckt am Sattel, einem prächtigen Sattel mit einer Menge Brennarbeit und durchgeflochtenen Biesennähten. Clay wendet langsam den Kopf, aber alles, was er zu sehen bekommt, ist eine Gerte, die blitzschnell nach hinten geschwenkt wird. Eine dünne Schnur, von der Wassertropfen davonschießen, segelt durch die Luft. Und im Wasser klatscht es leicht. Das Pferd steht gegen den Wind, es kann ihn nicht wittern. Clay geht leise weiter, kommt an den Büschen links vorbei und sieht nun genau auf den Felsblock, der mitten im Wasser liegt. Wasser schießt gurgelnd über diesen Block hinweg. Ein Junge steht mit hochgekrempelten Hosenbeinen barfuß im Wasser. Seine prächtigen Stiefel stehen ordentlich ausgerichtet am Ufer des Creeks. Die Angel wippt einmal, der Junge bewegt blitzschnell die Angelrute und läßt dann nach. Mit einem geschickten Griff klemmt sich der Junge die Rute unter den linken Arm und zieht dann die Schnur Hand über Hand, immer wieder etwas nachlassend, irgend etwas heran. Aus dem Wasser taucht der silbrige Leib eines Fisches auf. Clay beobachtet die Geschicklichkeit, mit der der Junge seinen
Fisch vom Haken löst, ihn hochhebt und sich nun umdreht. Und erst in dieser Sekunde entdeckt Clay, daß der Junge gar kein Junge, sondern ein Mädchen ist. Das Mädchen zuckt heftig zusammen, hält den zappelnden Fisch in der Hand und schrickt noch einmal zusammen, als der Fisch ihr aus der Hand gleitet und in wildem Aufbäumen über den schmalen Kiesstreifen in die Rinne des hinter dem Felsen durchschießenden Wassers zu entkommen versucht. Der Sattel hinter Clay plumpst zu Boden, das Gewehr poltert hin, dann macht Clay einen riesigen Satz und fliegt in das aufspritzende Wasser. Es ist klares und ziemlich kaltes Wasser, in das Clay hineinhechtet. Er richtet sich auf und wie eine Trophäe hebt er den Fisch zwischen den Händen hoch. Er sieht das Mädchen an, die großen grünen Augen, das rote Haar, den leicht geöffneten Mund und hält ihr, im Wasser kniend, den Fisch entgegen. »Hier«, sagt er ruhig, während ihm das Wasser über das Gesicht läuft. »Er wäre Ihnen nicht entwischt, wenn ich Sie nicht erschreckt hätte, Lady. Sie starrt ihn nur groß und verstört an. Wahrscheinlich hat sie erstens seine Schnelligkeit verblüfft und zweitens sein Sprung in das Wasser. Bestimmt hat sie noch keinen Mann gesehen, der wegen eines Fisches in den nächsten Bach springen würde. »Hallo«, sagt Clay noch einmal, packt den Fisch fester, geht zu ihr hin und wirft den Fisch zwei Schritt links von ihr ins Gras. »Ich hole nur meinen Hut.« »Nur den Hut«, sagt sie verwirrt und sieht, wie der langbeinige, große Bursche sich umdreht, zum Ufer geht und seinen Hut aus den Zweigen nimmt. »Hallo, Mister, wir kennen uns doch?«
Sie blickt an sich herunter, hebt dann den linken Fuß und beginnt, das Hosenbein wieder nach unten zu krempeln. Sie hat kleine zierliche Füße, denkt Clay, zierliche Zehen. Ich erkenne sie wieder. Das Mädchen saß auf dem Wagen, den ich zusammen mit dem dicken Denson durch Cheyenne habe fahren sehen. Wie heißt sie doch nur? »Ja«, sagt er ruhig. »Wir haben uns schon mal irgendwo gesehen. In Cheyenne, glaube ich. Sie haben auf einem Wagen gesessen, neben Mr. Waltman, ja, ich glaube, Waltman, wie?« »Ja, Brian Waltman. Und Sie sind der Mann, der sein Pferd nicht erschießen konnte, ja?« Er blickt auf ihr Haar. Sie schleudert den Hut in den Nacken und mustert ihn, während sie das andere Hosenbein nach unten krempelt, aufmerksam. Dann sagt sie. »Sie sind ja ganz naß, Mister.« »Ach, ich bin ein Stück zu Fuß gegangen, etwas Abkühlung kann nicht schaden, Lady.« »Sie sind Texaner, nicht wahr?« »So ungefähr, Madam.« »Ich bin Sandra Needhan, Mister. Sie sind hier auf unserem Land, unsere Außenstation liegt acht Meilen von hier. Ohne Pferd, Mister…« »Horton, Clay Horton, Madam. Ich habe kein Pferd mehr.« »Natürlich, Sie haben Ihr Pferd ja erschießen müssen, Denson hat es erzählt. Woher kommen Sie denn jetzt? Sie sind ziemlich weit von jeder Straße entfernt, Horton.« »Ich bin von dem Zug gesprungen, etwa zwischen Ramsey und Hanna muß es gewesen sein.« Sie geht zu ihren Stiefeln, zieht sich Wollstrümpfe an und fährt dann in den ersten Stiefel. »Vom Zug gesprungen, Mister? Warum denn das? Eine ganz schöne Strecke ist das von Ramsey bis hierher.
Warum vom Zug gesprungen, Horton?« Jetzt werde ich ihr die Wahrheit sagen und sehen, ob sie mich davonjagt, oder Angst vor mir bekommt, denkt Clay bitter. Ich werde diesem Girl alles sagen, wenn sie mich noch viel fragt. Seltsam, was sie für große Augen hat? »Der Zugbegleiter wollte mir eins über den Kopf geben.« »Aber, Horton, warum denn das?« »Ich hatte kein Geld für eine Fahrkarte und mich in einem Waggon versteckt.« Sie zieht nicht mehr den anderen Stiefel an, sie blickt ihn nur verwundert an und fragt: »Weshalb haben Sie denn ein Versteck in dem Waggon gesucht, Horton?« »Oh, in Cheyenne waren einige Männer hinter mir her, Lady. Ich bin weggelaufen und in den Waggon gekrochen, ehe sie mich erschießen konnten.« »Warum?« »Oh, es gibt unfreundliche Leute hier«, bemerkt Clay und lächelt schwach. »Ja, sie wollten mich erschießen, damit ich nichts sagen konnte. Hat Denson, der Viehhändler, nichts davon erzählt, daß ich mit seinen Freunden gewürfelt habe?« »Denson? Denson hat nur gesagt, daß Sie der verrückteste Bursche seien, entschuldigen Sie, Horton, der ihm jemals über den Weg gelaufen sei. Sie hätten beinahe einen Ohnmachtsanfall bekommen, als Sie Ihr Pferd erschießen mußten.« »Mein Pferd, sicher«, erwiderte er düster. »Es hatte mich noch nie im Stich gelassen. Ich mag Pferde, Lady.« Sie schweigt einen Augenblick, zieht den zweiten Stiefel an und fragt: »Mit welchen Leuten haben Sie gewürfelt, Horton?« »Mit den beiden Holloways und dem Zureiter John, Miss Needhan. Ich hatte ein wenig getrunken.«
»Ja, das hörte ich von Denson. Sie wären ganz verrückt auf eine Flasche Whisky gewesen. Nun, wenn ich mein Pferd erschießen müßte, weiß Gott, Horton, ich bin nicht sicher, ob ich nicht auch trinken würde.« Er krempelt seine Ärmel herunter, damit sie schneller trocknen. Natürlich hat er noch das Hemd mit dem zerrissenen Ärmel an. »Oh«, sagt er verlegen. »Ich habe beim Sturz mein Hemd zerrissen, Lady.« »Bei dem Sturz aus dem Zug?« »Nein, als Jimmy gestürzt ist.« »Wer ist Jimmy, Horton?« »Jimmy ist mein Pferd, war mein Pferd, Miss Needhan. Ich werde machen, daß ich weiterkomme. Nehmen Sie nur Ihren Fisch und lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten. Es wird dunkel, Sie wollen sicher auf die Außenstation reiten, wie?« »Man wird mich dort erwarten, sicher. Ja und Sie, Horton?« Er lächelt und sagt knapp: »Ich habe noch einen weiten Weg, Lady.« »Sie wollen zu Fuß weiter? Hören Sie, Horton, auf unserem Außenwerk sind zwar nicht viel Leute, aber Sie kommen natürlich mit. Ich lasse Sie doch nicht hier allein zurück oder bei Nacht zu Fuß durch die Berge laufen. Kennen Sie sich hier überhaupt aus?« »Ich bin überall zu Hause«, antwortet er träumerisch. »Ein paar Sterne genügen, ich verirre mich nie, Miss Needhan. Danke für Ihr Angebot, aber ich werde nicht mitkommen.« »Nicht?« fragt sie verwundert. »Horton, ich habe genug von Texanern gehört, mein Vater ist selbst einer. Und er hat den dicksten Schädel, den ein Mann überhaupt haben kann. Horton, Sie kommen mit, das ist ganz einfach. Meine Stute trägt uns zwei glatt die wenigen Meilen.«
Clay klopft sich leicht ab. Es ist noch warm, die Sachen werden an seinem Leib trocknen. Dann blickt er das Mädchen groß und kühl an und sagt bitter »Sie werden mich nicht mitnehmen, Miss Needhan. Ich bin sicher, es wird eine Menge Ärger für Sie bedeuten, wenn Sie mich aufnehmen. Nein, danke, ich bleibe lieber allein. Vielleicht vergessen Sie auch, daß Sie mich getroffen haben. Es kann sein, daß jemand nach mir fragt.« »Jemand nach Ihnen fragt? Horton, was ist los? Da sind einige Männer, die versucht haben, Sie umzubringen. Das sagten Sie. Was sollten Sie nicht sagen können, Mister? Sie reden nur herum, anstatt die Wahrheit zu sprechen. Was ist passiert?« »Natürlich nichts«, erwidert er trocken. »Man wird Ihnen sagen, daß ich ein Falschspieler sei, daß ich im Jail in Cheyenne gesessen habe und danach wird man mich hinauswerfen, wenn ich nicht vorher Besuch bekomme. Es könnte jemandem nicht sehr gefallen, wenn ich rede.« »Zum Teufel«, ruft sie wütend. »Was ist das für eine Geschichte? Sie haben im Jail gesessen? Wann denn, zum Teufel? Und warum? Haben Sie falschgespielt?« »Natürlich nicht, Lady. Ich war betrunken und habe Hugo Densons Platz am Tisch eingenommen, als er fortgegangen war. Dann habe ich gespielt und in meinem Zustand die Flasche vom Tisch geworfen. Mein Gewehr und meinen Revolver bin ich schon vorher losgeworden, verloren im Spiel, Lady. Ich habe mich dann nach der Flasche gebückt und mich an Brett Holloways Arm hochziehen wollen, aber dabei sind aus seinem Ärmel ein halbes Dutzend Würfel gefallen. Ich war klar genug, um zu erkennen, daß sie mich die ganze Zeit ausgenommen hatten. Und da bin ich wild geworden. Man schlug mich nieder, und ich erwachte dann, nun ja, Lady, eben im Jail.«
Sie bleibt stocksteif stehen und hebt die Hand zum Mund. »Mein Gott, im Jail sind Sie aufgewacht? Ja, und dann? Hat Ihnen Sheriff Perkins wenigstens die verlorenen Sachen beschafft?« »Nein«, erwidert er bitter. »Die drei Spieler hatten mir die angebohrten Würfel in die Tasche geschmuggelt und meine Sachen wieder zurückgegeben. Der Sheriff sollte glauben, daß ich der Falschspieler gewesen sei. Stunden hatte es gedauert, bis ich dem Sheriff klarmachen konnte, daß ich unschuldig war. Als ich aus dem Jail kam, verfolgten mich die drei Halunken.« Clay nimmt das Netz aus dem Wasser und legt den letzten Fisch hinein. »Du lieber Himmel, dann sind Sie nur in den Zug gestiegen, weil die Burschen hinter Ihnen her waren?« »Nein, ich will in dieser Ecke jemanden treffen, einen alten Bekannten. Sie glauben mir natürlich kein Wort, schließlich ist Perkins sicher ein ehrlicher Sheriff, und ich bin folglich ein Lügner, ein Tramp dazu, aber was ändert das an der Geschichte?« »Ich glaube Ihnen, Horton, so verrückt die Geschichte auch ist. Warten Sie, Salem hat mir da etwas gesagt, vor drei oder vier Jahren schon, irgend etwas von Brett Holloway. Der soll ihm schon früher mal begegnete sein, als Spieler in einem Saloon in Rapid City. Warten Sie, Horton, wenn ich mich recht erinnere, dann hat Salem mir gesagt, daß dieser Brett einen Mann in Deadwood erschossen haben soll, der ihn des Falschspieles bezichtigte. Wenn die Sache so ist, dann kann alles stimmen.« »Sie kann nicht nur, sie stimmt«, brummt Clay düster. »Denson muß es auch wissen, genau wie Harry Holloway. Sie ha-
ben gedacht, einen Tramp aus Texas vor sich zu haben, nur einen harmlosen, betrunkenen Tramp. Vielleicht sollte die ganze Sache ein harmloser Spaß sein, jedenfalls so lange, bis ich die Würfel aus dem Ärmel von Brett Holloway fallen sah. Erst dann wurde daraus blutiger Ernst. Nun, Lady, ich bin hier ein Fremder, jemand, dem man kaum glauben wird. Der Sheriff hat den Burschen ja auch geglaubt.« »Perkins ist gewiß kein schlechter Mann, er ist früher für uns geritten und von uns gewählt worden. Ich glaube Ihnen trotzdem, Horton.« »Danke, daß Sie mir glauben, Lady. Doch reiten Sie zur Ranch, ich gehe allein weiter.« »Ja, zum Teufel, Horton, und diese Burschen sollen ungestraft aus der Geschichte herauskommen?« »Ich habe nicht einmal einen Revolver«, sagt er gallenbitter. »Und dann, mir ist weiter nichts passiert. Ich kann nur eins tun, wenn ich etwas beweisen will: Gewalt anwenden. Und was das heißt, das weiß hier jeder. Ich glaube, darin steht Wyoming Texas in nichts nach, wie?« »Ja, wahrscheinlich würde es einen Kampf geben. Haben Sie Angst vor dem Kampf? Ach so, Ihr Pferd…« »Sie meinen, weil ich mein Pferd nicht erschießen konnte, da muß ich auch Angst haben, auf einen Mann mit dem Revolver loszugehen? Lady, ich schieße niemals gern, niemals. Ich will keinen Kampf wegen dieser Narrheit. Kampf heißt schießen, schießen heißt treffen. Und treffen bedeutet am Ende töten. Ich habe die Nase davon voll.« Er wirkt plötzlich kalt und zornig. Ein Mann, der sich erregt und allein sein möchte. Sie begreift gleichzeitig, daß er noch seltsamer ist, als sie gedacht hat. Von jenem Augenblick an, in dem sie ihn verstört und wie zerbrochen über die Straße in Cheyenne hatte gehen sehen, von dieser Sekunde an hat sie
immer wieder an den Mann denken müssen, der sein Pferd nicht hat erschießen können. Sie erinnert sich noch genau an den Abend, an dem Denson auf ihre Ranch kam und die Sache mit dem Gaul erzählt hat. Big Needhan hatte nur dagesessen und seine Tochter angesehen. Und sie hat gewußt, daß Big Sam den Mann verstand, denn ihr Vater ist ein Pferdenarr und besitzt die besten Pferde auf hundert Meilen in der Umgebung. »Ich habe nicht gedacht, daß Sie feige sind, Horton. Nun gut, wohin wollen Sie von hier aus?« »Nach Saratoga«, erwidert er nach kurzem Zögern und nimmt sich vor, irgendeinen Namen zu erfinden, wenn sie nach dem Mann fragen sollte, den er zu treffen beabsichtigt. »Gut, Horton, Sie kommen mit zur Außenstation, dort gebe ich Ihnen ein Pferd. Und dann reiten Sie nach Saratoga.« »Lady, Sie wollen mir ein Pferd geben?« »Ja, ich habe es gesagt. Wir haben genug Pferde da draußen. Dort ist nur unsere Pferdestation. Mein Vater und Brian Waltman sind am Nachmittag auf die Jagd in die Pennocks geritten. Sie bekommen ein Pferd, Horton.« Sie schenkt mir ein Pferd, oder borgt sie es mir nur? denkt Clay. Das ist ja verrückt! Wie kommt sie dazu, mir ein Pferd zu geben? »Hören Sie, Miss Needhan, ich kann das nicht annehmen. Ich kann ein Lügner, ein wirklicher Tramp sein.« »Reden Sie nicht solchen Unsinn zusammen, Horton. Kommen Sie, es ist dunkel, ehe wir dort sind. Nun, was ist noch?« »Ich möchte wirklich nicht.« »Dann gehen Sie doch zum Teufel«, sagt sie wild. »Ich will Ihnen nur helfen. Und alles, was Sie Narr tun, das ist, mit Ablehnung zu antworten. Gehen Sie zum Teufel!« Sie rafft ihre Angel auf, greift nach dem Fischnetz und geht
zu ihrem Pferd. Sie ist zierlich gebaut und geht in ihrem Zorn sehr schnell. Dann schwingt sie sich in den Sattel, blickt ihn von oben grimmig an und sagt scharf: »Folgen Sie meiner Spur, Mister. Sie werden auf die Station stoßen und dort ein Pferd am Stall angebunden finden, auch einen Revolver. Und dann hole Sie der Teufel!« Sie reitet an. Er bleibt verstört stehen und sagt, während er dem Hufschlag lauscht und sich am Kinn kratzt: »Alle Teufel, dieses Girl hat nicht nur Feuerhaare, sondern auch Feuer in den Adern. So weit kommt das noch, daß sie mir ein Pferd schenkt. Ich lasse mir nichts schenken. In diesem Wyoming sind die Leute allesamt verrückt und nicht mehr zurechnungsfähig. Ich werde gehen, aber nicht auf diese Station.« Er packt seinen Sattel auf den Rücken, nimmt das Gewehr als Tragestock nach vorn unter den Armen durch und marschiert los. Und genau wie vorher hält er sich südwestlich und nicht etwa an die Fährte, die Sandra Needhans Pferd gezogen hat. Er entfernt sich im spitzen Winkel immer mehr von der Fährte und marschiert leise summend in die dunkle Nacht hinein. Clay Horton läßt sich nichts schenken, schon gar nicht von einer Lady. Genauso ist es! Horton marschiert stur wie eine Maschine nach Südwesten. Seine feuchten Sachen trocknen, die Luft ist noch warm genug, es wird erst gegen Mitternacht kühler. Es mag keine Viertelstunde vergangen sein, als er den Hufschlag hinter sich hört, er dreht sich um. Aus dem Schatten der Dämmerung kommt die rostbraune Stute mit Sandra angefegt. Das Girl sitzt wie des Teufels wahrhaftiges Verführungsgirl im Sattel und hat anscheinend den Zorn von des Teufels Großmutter im Bauch, denn sie rast im halsbrecherischen Tempo
genau auf ihn zu und reitet ihn um ein Haar nieder. Als sie endlich anhält und sich vorbeugt, da sieht er in den Lauf ihres zweiunddreißiger Revolver. Die Stute schnaubt feurig und unruhig, Sandra Needhan aber hat den Colt genau auf seine Brust gerichtet und sagt mit zornbebender Stimme: »Dieser verdammte, eingebildete, sture, dickschädelige Texaner! Er rennt wirklich in die falsche Richtung, als wenn ich das nicht geahnt hätte. Aufsitzen, Mister, hoch mit dir! Jetzt habe ich genug. Ich bin zumindest die Tochter eines dickschädeligen Texaners. Und wenn du nicht augenblicklich aufsteigst, dann schieße ich dir ein Ohr ab!« »Reiten können Sie«, erwidert Clay ganz friedfertig. »Nun gut, ich will nicht aufsteigen. Welches Ohr soll es sein, Lady? Diese hier lassen mich erst wie einen richtigen Mann aussehen. Ich habe große Ohren, wie? Darum treffen Sie bestimmt leichter. Welches Ohr zuerst, das linke?« »Mein Gott, dieser Mensch«, bringt sie wütend heraus. »Horton, steigen Sie jetzt auf?« »Sie werden nichts als Ärger bekommen, Miss Needhan.« »Dann ist es mein Ärger allein, Horton! Steigen Sie jetzt auf oder soll ich vor Ihnen auf die Knie fallen und die Hände falten, Mann?« »Hm«, sagt Clay. »Wäre nicht schlecht, wirklich nicht. Aber ehe es soweit kommt, Sie geben ja doch keine Ruhe, das weiß ich schon. Gut, ich steige auf.« »Sie – Sie sind genauso ein verfluchter Dickschädel wie mein Vater. Mann! Ich kann verstehen, daß meine Mutter…« Dann schweigt sie und beißt sich auf die Lippen. Er geht neben das Pferd, sie zieht ihr linkes Bein aus dem Steigbügel und nimmt ihm den Sattel ab. »Ich behalte ihn vorn, Horton. Nun los, unsere Leute könn-
ten sich Sorgen machen und mich suchen kommen. Sitzen Sie?« »Ich denke«, sagt er brummend und sitzt nun wirklich hinter ihr. »Sie können…« »Dann rücken Sie gefälligst näher und halten sich am Sattel fest. Ich bin nicht gewohnt, wie eine Schnecke zu reiten!« »Ja«, erwiderte er und rutscht näher, berührt sie beinahe. »Reiten Sie nicht zu wild, mein Leben ist kostbar!« »Pah«, zischt sie wütend. »Dickschädel! Los, ab!« Die Stute zieht an, und Clay denkt, daß er wahrscheinlich jetzt hinter dem Gaul auf dem Boden sitzen würde, wenn er sich nicht festgehalten hätte, so scharf treibt sie das Pferd an. Reiten kann sie, wenn sie auch etwas zu wild reitet. »Ich sehe, daß Sie reiten können, aber jagen Sie diese Stute nicht so hart. Das ist kein Pferd für die starke Belastung, es ist ein ausgesprochen ausgezeichnetes Pferd für kurze Strecken im vollen Galopp.« Sie zügelt die Stute leicht, wendet den Kopf und blickt ihn an, um aber gleich wieder wegzusehen. »Etwas verstehe ich von Pferden, denke ich.« »Das habe ich auch schon gemerkt. Sie haben recht, aber ich möchte schnell auf der Station sein.« Danach sagt sie nichts mehr. Sie reitet nicht mehr so schnell, aber sie hüllt sich in Schweigen. Sie kommen über einen Höhenzug, dann durch ein Tal und mitten durch einen Bach. »Der Hat Creek«, sagt sie knapp. »Sobald wir um die Biegung sind, können Sie die Lichter der Station sehen, da, sehen Sie?« »Ich bin nicht blind.« Eine Barriere aus Holzpfählen steht am Weg, an einem Drahtzaun hängt ein Schild, das im schwachen Mondlicht gerade noch zu lesen ist.
»Needhan-Gebiet, kein Durchgang gestattet.« »Das Schild gilt nicht für Sie. Wir haben im Spätsommer manchmal Schafe hier, Horton.« »Das sind auch Tiere.« »Ich mag sie, aber mein Vater mag sie nicht. Wahrscheinlich hat er recht, wenn er sie nicht mag. Sie fressen das Gras nicht, sie rupfen es aus.« »Ja, ich weiß. Nun, für eine Station ist das ziemlich groß hier.« »Sehen Sie erst die Ranch, Horton. So, dort drüben ist der Stall. Ich reite gleich vorbei und zur Koppel. Dann können Sie sich ein Pferd aussuchen, Licht ist genug da.« »Miss Sandra?« »Ja«, antwortet sie sofort und wendet den Kopf nach rechts. Aus dem Stall kommt ein kleiner, krummbeiniger Mann, der unter der Laterne stehen bleibt und hastig die Hände hochreißt. »Miss Sandra, schnell! Ich habe schon Lew zu den Bergen geschickt, er soll Big Sam holen. Duke liegt auf der Seite und hat einen ganz aufgeblähten Bauch, eine Kolik, fürchte ich. Daß auch ausgerechnet Salem beim Boß sein muß. Ich weiß mir nicht zu helfen, alle Mittel haben nichts geholfen. Es hat am frühen Nachmittag angefangen, kaum, daß der Boß und Mr. Waltman fortgeritten sind. Schnell, Miss Sandra!« Sie will absteigen, aber natürlich sitzt Clay hinter ihr und muß erst einmal herunter. »Horton, schnell, Vaters Zuchthengst. Wenn dem etwas passiert, dann ist er drei Wochen ein kranker Mann und seine Leute ebenfalls. Runter, Horton!« »Ja«, sagt Clay nur und rutscht hinten herab. »Gehen Sie nur, Lady!« Sie ist schon unten und rennt in den Stall, aus dem das
dumpfe Dröhnen von Hufen dringt, röchelndes Schnauben. Die Stimmen von Männern kommen. Clay geht langsam hinterher, tritt in den geräumigen Stall und sieht auf einer mit Stroh ausgeschütteten Box einen prächtigen großen Hengst auf der Seite liegen. Ein mächtiges Tier, schwarz das Fell mit einem kleinen, zackigen weißen Brustfleck. Der Bauch ist entsetzlich aufgebläht. Horton genügt ein Blick, um zu erkennen, daß der Gaul elendig an seiner Kolik krepieren wird, wenn nicht innerhalb von zehn Minuten Hilfe kommt. Hier kann nur jemand helfen, der etwas von Krankheiten und Pferden versteht. Die Männer haben dem Tier die Hufe gebunden, ihm den üblichen Brechreizschleim eingeflößt und sehen mit bitter verzogenen Gesichtern zu, wie Sandra Needhan den Kopf des Pferdes anzuheben versucht. Der Gaul zuckt und röchelt furchtbar, er wird nicht ruhiger, er spannt sich und bringt einige der Männer zum Stöhnen, die ohnmächtig die Qualen ansehen müssen. »Miss Sandra«, sagt der kleine krummbeinige Reiter, der die Brust des Tieres mit feuchtwamen Tüchern bedeckt. »Ich habe nach Saratoga geschickt, zum Doc, ob der es noch schaffen kann, wenn er da ist? Mein Gott, was tun wir nur? Ein Pferd, das seine siebentausend Dollar wert ist. Ein Vermögen ist der Hengst wert, Miss Sandra.« »Ja, Charly, aber habt ihr alles getan, alles versucht? Wie kommt denn das so plötzlich? Großer Gott, er stirbt, Vaters ganzer Stolz. Ihr wißt doch alle, was ihm das Pferd bedeutet. Charly, haltet ihn.« Die Männer werfen sich auf das zuckende Pferd und halten es fest. Das Röcheln des Tieres wird schon pfeifender. Es ist Horton, als richte sich vor ihm und den Männern hier eine Nebelwand auf. Aus dieser Wand taucht ein Stall auf, düsteres
Zwielicht… Sonora in Texas und jemand, der groß, breitschultrig und mit langen Haaren, wie sie die ersten Männer in Texas trugen, die von den Seen kamen, neben das Pferd tritt. Sein Vater, der Veterinär-Doc Douglas Horton. Es ist Clay, als höre er die angstvollen Rufe des Mädchens nur aus weiter Ferne. Er sieht die Schimmelstute von Brazos S. King, dem größten Mann in Texas, hilflos verendend am Boden des Stalles liegen und hört seinen Vater sagen: »Ein Rohr, ich muß ein Rohr haben. Meins ist zerbrochen, ich warte täglich auf ein neues Rohr. Brazos, geh zur Seite, du rettest dein Pferd nicht damit, daß du seinen Hals in die Arme nimmst. Ein Rohr, schnell!« Wie alt war ich damals? denkt Clay Horton. Fünfzehn Jahre? Brazos King hat bei seinem Pferd gehockt und geschrien wie ein Hund, den man verprügelt, er hat den Himmel angefleht und den Teufel beschworen. Und geheult wie ein Kind, weil sein bestes Pferd hat sterben müssen. Der große King, dessen Rinderherden keiner hat zählen können, geheult hat er um sein Pferd. Der Nebel ist fort, die Erinnerung aus seiner Jugend ist wieder klar und deutlich. Das Rohr, denkt Clay, das Rohr ist es gewesen, ich weiß es noch wie heute. Und er hört Sandra schluchzend sagen: »Er stirbt, Duke stirbt uns unter den Händen. Laßt mich, laßt mich doch seinen Kopf halten.« »Lady, kommen Sie fort, er wird toben, schnell, gehen Sie zur Seite. Er ist nicht mehr zu retten! Mein Gott, was wird Big Sam sagen!« Auf einmal macht der langbeinige Mann aus Texas ein, zwei Schritte und packt den kleinen Charly an der Schulter. Er hebt ihn hoch wie ein Bündel Stroh und dreht ihn herum. »Ich brauche ein Rohr«, sagt der lausige Tramp aus Texas,
dem es plötzlich so ist, als stände sein Vater neben ihn und stieße ihn an. »Ein dünnes Rohr, nicht dicker als ein kleiner Finger. Ich brauche ein Rohr, Mann, schnell!« »Was, was? Laß mich los, Mensch!« Und da brüllt er, daß der Stall donnert: »Ich brauche ein Rohr, zum Teufel! Ein dünnes Rohr, nicht dicker als ein kleiner Finger!« »Horton, was sagen Sie, was wollen Sie?« »Ein Rohr, Lady, armlang und etwa so dick wie mein kleiner Finger, kann auch dünner sein.« »Wozu, Horton?« »Das ist die einzige Möglichkeit, das Pferd zu retten. Ich habe es einmal gesehen. Machen Sie schnell, ich brauche ein Rohr. Habt ihr einen Schleifstein hier, Charly?« »Ja, hinter dem Stall, im Schuppen!« »Dann soll einer rennen, Wasser in den Trog gießen und eine Lampe hinbringen. Und Sie, Lady, Sie kommen mit! Habt ihr Gardinen im Haus?« »Ja, Clay.« »Dann los.« Mehr sagt er nicht. Der Tramp packt das Girl, Erbin von einer unheimlichen Menge Geld, reißt sie mit und stürmt ins Haus. Dort sind Vorhänge, da die dicken Messingstangen der Übergardinen und auch Schalgardinen. Ein Satz, er steht auf der Fensterbank, sieht nach der Stange aus reinem Messing und reißt sie mit einem Ruck herunter, daß die Gardine fliegt. »Kommen Sie mit, Sandra!« Schon stürmt er hinaus, rennt über den Hof, sieht den Schleifstein und sagt hastig: »Drehen, Charly, drehen, schnell!« Dann schleift er das Rohr an einem Ende spitz zu und denkt wieder an die Nacht auf Kings Riesenranch, an die Lampe, die
der alte King kaum hat halten können, während sein Vater das Rohr geschliffen hat. Vater, hilf mir bloß. Wenn du mich sehen kannst, dann hilf mir. Vielleicht bin ich verrückt, das gleiche wie du zu versuchen. Ich habe es noch nie gemacht, aber ich kann den Gaul nicht sterben sehen, ich kann gar kein Pferd sterben sehen. Hilf mir jetzt. Das Rohr ist spitz und scharf. Er nimmt sein Messer und feilt die Spitze gerade und glatt, genauso wie der Doc Douglas Horton es vor dem Krieg in Texas getan hat. Dann rennt er in den Stall und bleibt vor dem Pferd stehen. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn, sein Atem geht keuchend. Und die Männer sehen diesen augenscheinlich verrückten und mit einem zerrissenen Hemd hereingestürmten Tramp groß an. Welche Stelle, überlegt Horton und bemerkt die Männer nicht mehr. Er sieht nur auf den Bauch des Pferdes. Drei Handbreit von rechts hinter dem Vorderlauf und sieben von oben, oder umgekehrt? Nein, doch sieben von oben und drei hinter dem Vorderlauf. So ist es gewesen. Drei und sieben, es stimmt. Am dritten bin ich geboren, im Juli, also stimmt es. Drei rechts, sieben von oben. »Geht weg hier, geht nach vorn und haltet ihn so fest ihr könnt. Kniet auf seinem Hals.« »Horton, was wollen Sie tun, um Gottes willen?« »Lady, das einzige, was ihn noch retten kann. Er stirbt ohnehin, er hält keine zehn Minuten mehr durch. Was wollen Sie, einen Versuch oder ihn langsam sterben sehen? Die Chancen stehen neunundneunzig zu eins, daß er am Leben bleibt, aber die Chance, ohne etwas zu tun, am Leben zu bleiben, die kann ihm doch keiner mehr geben. Kann ich?« »Wenn er stirbt, dann bringt dich Big Sam eigenhändig um«, sagt da der kleine Charly. »Er wird sich weigern, daran zu glauben, daß ein Pferd, wie Duke hier, sterben kann. Tue es, er
stirbt mit Sicherheit, das wissen wir alle.« Horton kniet sich hin, mißt ab und zaudert. Das Rohr ist in seiner Hand, es blinkt und wiegt plötzlich schwer. Die Stelle ist erreicht, an der das Rohr eingestoßen werden muß, aber wenn der Gaul trotzdem stirbt? Leben oder Tod, Leben oder Tod. Ich kann es nicht, denkt Horton. Bis hierher habe ich es gekonnt, aber wenn ich mich nun irre? Ich bin kein Doc, ich bin nur der Sohn des besten Mannes, den ich jemals kannte, weiter nichts. Kann ich das wagen? Und ihm ist, als griffe eine Hand nach seinem Arm. Es geht von ganz allein. Das Rohr sitzt auf der Stelle, an der sein Messer die Fellhaare abgekratzt hat. »Bringt mir Brandy«, sagt er und erkennt seine eigene Stimme nicht wieder. »Hat einer Brandy?« »Ja, hier, wir haben ihm etwas eingeflößt. Hier.« Brandy auf den Fleck, das Rohr ansetzen. Das Herz klopft ihm plötzlich ganz oben im Hals, über seine Stirn läuft der Schweiß. Drehen, ganz langsam drehen und dann die stumpfe Seite nehmen. Das angeschliffene Ende wird sonst alles innen zerreißen. Jetzt, ein Ruck, das Fell hat ein Loch, etwas Blut rinnt, und er dreht das Rohr um und stößt es ganz langsam und gleichmäßig immer tiefer. Es geht hinein, es blubbert im Rohr, es ist, als wenn aus der Tiefe eines Höllenschachtes ein schauriges und winselndes Geheul der verdammten Seelen klingt, die das Licht oben sehen und doch nicht zu ihm können. Und dann gibt es einen schwachen Laut, ein leises Schmatzen, dem ein Zischen folgt. Luft, da kommt die Luft heraufgeschossen, entweicht zischend und pfeifend. Nicht so viel auf einmal, langsam die aufgestaute Luft abblasen, nur immer langsam. Was ist mit dem Gaul, der liegt ja ganz still. Um Gottes willen, ist der Hengst tot? Der prustet leise und wie erleichtert,
der schnaubt und röchelt schon nicht mehr. Noch ein wenig Luft heraus, noch ein wenig nur, immer langsam mit der Luft, den Daumen auf das Rohrende, fest zupressen. Schweiß, was rinnst du mir in die Augen, es brennt doch scheußlich. »Ein Pflaster! Einer soll rennen und ein Pflaster holen, schnell!« »Seht doch den Hengst an, seht doch nur!« »Der Bauch wird ja dünner, gerechter Gott, der Bauch wird dünner!« »Er prustet schon wieder. Miss, Lady, sehen Sie!« Er hält das Rohr fest und lächelt. Ihre Stimmen sind so weit entfernt. Das Zischen aus dem Rohr wird leiser, das Fauchen klingt ab. Es blubbert nur noch leise, als wenn irgendwo ein Frosch sitzt, der unter dem Wasser sein Maul öffnet und eine Blase nach oben schickt. Der Hengst stirbt nicht, denkt Horton, der nicht mehr. Oder stirbt er doch noch? Die Luft ist beinahe alle heraus. Ein festes Pflaster muß her. Wo ist das Pflaster? »Gebt mir das Pflaster.« Er bekommt es und klebt es geschickt fest. Der Hengst will sofort schnaubend und prustend hoch, obwohl sein Fell nun schweißig glänzt. Das Pflaster sitzt, es kann nicht von allein oder durch die Bewegungen des Pferdes losgerissen werden. Der Bauch sieht jetzt wieder ganz normal aus. Wenn nur der verdammte Schweiß nicht wäre, der einem in die Augen rinnt. »Bindet ihn fest, er darf jetzt nicht aufstehen, er muß liegenbleiben! In zwei Tagen heilt die Wunde soweit, daß man ihn mit einer Bauchbinde beinahe wieder reiten kann, denke ich. Luft brauche ich, jetzt brauche ich Luft. Laßt mich mal raus.« Er kommt hoch, seine Knie sind weich wie die Baumwollwatte von Beaumonts Plantagen. Luft, Luft.
Raus aus der Tür und nach rechts. Immer weiter, ein Zaun, einige Büsche und der Lauf des Pass Creek. Murmelndes Wasser, Dunkelheit, die ihn umfängt. Er setzt sich am Ufer hin, um ihn ist alles still, irgendwo im Gras zirpen die Grillen. Er dreht sich eine Zigarette, sucht nach einem Streichholz und steckt sie an. Ruhe und Stille. Irgendwo rechts, fast hundert Schritte entfernt, dort brennen die Lichter der Außenstation. Der Tabakrauch schmeckt irgendwie schal und fade. Er wirft die Zigarette ins Wasser, taucht beide Hände hinein und schüttet sich das Naß über den Kopf, wäscht sein Gesicht ab und taucht die Arme bis über die Ellbogen in das Wasser hinein. Er weiß nicht, wie lange er so sitzt. Haben da nicht irgendwo Hufe getackt, hat da nicht jemand gerufen? Das Pferd wird doch gestorben sein, es gibt keine Wunder, die ein Laie vollbringen kann. Das Pferd ist doch tot, tot wie Jimmy. Ein Knall, eine Patrone, und schon ist es geschehen. Er steht auf und hastet los, stößt an den Zaun und reißt sich an einem krummen Nagel das linke Hosenbein auf. Ach, zum Teufel, soll auch die Hose hin sein, es kommt nicht mehr darauf an. Männerstimmen sind auf dem Hof, eine Traube Männer steht vor der Tür des Stalles. Er kommt aus der Dunkelheit und geht in das Licht. Und diesmal erkennt er ihre Blicke. Ja, denkt er, er ist tot, es ist sinnlos gewesen, ich kann nun mal nichts. Ein Tramp, bloß so ein lausiger Tramp aus Texas, das bin ich. Sie machen ihm Platz und sind alle seltsam still. Durch die Gasse der Männer geht er in den Stall und sieht einen Mann aufrecht stehen. Das Mädel ist links an der Wand der Box. Und den anderen Mann erkennt er an seinem weißen Haar schon von hinten. Das also war das Hufgetrappel.
Big Sam Needhan ist gekommen. Ein kleiner, dürr und mager aussehender Mann mit eisgrauen Augen richtet seine Blicke auf ihn. Der Mann steht neben seinem Boß und nickt ihm zu. »Big Sam, wer ist da.« »Wer, ach!« Big Needhan richtet sich auf und läßt den Kopf seines Pferdes los, das ganz normal schnaubt. Also doch nicht tot, nicht dazu verdammt, in die Knochenmühle zu kommen. Er steht da und ist so müde wie selten in seinem Leben. Meilen zu Fuß rennen, aus dem Zug springen, drei andere austricksen und immer weiter trampen, soweit er rennen kann. Clay Horton läßt die Arme hängen und blickt in die graugrünen Augen des alten Needhan. »Hallo«, sagt er matt. »Ich dachte schon, er hätte es doch nicht geschafft. Wird etwas Ruhe brauchen, Mr. Needhan, bis er das überstanden hat. Wenn ich vielleicht ein Essen haben kann, und eine Nacht hier schlafen darf.« Der eine Mann lacht leise. Clay wendet den Kopf und weiß nun, daß dies Brian Waltman ist. Nur dieser Mann kann so lachen, so kühl, so amüsiert wie über einen Narren. Er ist hochmütig, dieser Mann. Niemand braucht Clay das zu sagen. Er hat eiskalte Augen, denkt Clay, der sich auf Männer der eiskalten Art versteht, ihnen zu oft in seinem Leben begegnet ist. Eiskalt ist der Bursche. »Hast du das gehört, Big Sam? Er will ein Essen und eine Nacht schlafen. Ist das nicht ein Witz?« »Horton, Clay Horton aus Texas?« fragt der Alte, statt Waltman eine Antwort zu geben. »Du weißt, was ein Pferd jemandem wert sein kann, wie? Weißt du, was ich dir schulde? Dank, Mann!«
Er hat eine unheimliche Kraft in seinen Händen und zerquetscht Clay fast die Finger. Dann lacht er dröhnend und stößt ihm die Faust in die Rippen. »Brian, Junge, einige Dinge wirst du nie verstehen lernen. Du kennst niemals ganz einen Mann aus Texas, das lernst du nie. Horton, du kannst so lange bleiben, wie du willst. Mann, wenn Duke eingegangen wäre, ich weiß nicht, was ich getan hätte! Du bist mein Gast, solange du willst. Hast du gehört? Und such dir einen Gaul aus, das hast du frei, gleich welchen, mit Ausnahme von vier Pferden! Na, was ist?« »Ich will doch nur ein Essen, wenn ich es bekommen kann.« Waltman lacht schon wieder, und Clay hat einen Augenblick das Gefühl, daß er sich herumdrehen und ihm die Faust mitten unter das Kinn schlagen sollte. Irgendwo brüllt jemand in diesem Augenblick nach Big Sam, dann hastet ein Mann herein, der eine Tasche trägt, ein kleiner Mann, kein Riese, wie Douglas Horton einer war. »Wo ist der Gaul? Hallo, Big Sam, Waltman. Da liegt er ja. Wer hat Duke so gut verarztet?« »Der hier«, sagt Big Needhan grollend. »Steve, was sagst du dazu? Charly meint, Duke hätte keine Viertelstunde mehr gelebt.« Der Doc, der seine Tasche hingestellt hat, dreht sich um und sieht Horton groß an. Dann kommt er auf ihn zu, packt ihn mit beiden Händen und fragt: »Wo hast du das gelernt, Mann? Ich muß sagen, ich hätte es auch nicht besser gekonnt. Kein Blut außer der Wunde.« »Keins, Doc. Ich habe es, glaube ich, richtig gemacht. Gelernt habe ich es nicht, aber mein Vater war Veterinär, ich habe mal zugesehen.« »Dafür hast du es beinahe zu gut behalten. Ich habe gedacht, ich würde zu spät kommen, Big Sam. Was hat das Pferd denn
gefressen?« »Alles, was es sonst auch frißt, Doc«, sagt der kleine Charly von der Tür her. »Ich verstehe das nicht. Vielleicht anderthalb Stunden darauf, da legt sich der Gaul hin und beginnt zu toben.« »War er vorher draußen, Big Sam?« »Ich bin am Vormittag geritten, unterwegs hat er einige Male gefressen, irgendwo. Genau weiß ich es auch nicht.« »Dann wird das wohl der Grund sein. Laßt ihn nur so liegen, ich kann ihn nachher einen Augenblick aufstehen lassen und ihm eine Binde machen. Big Sam, du hast beinahe abscheuliches Glück gehabt.« »Ja, vielleicht, aber sicher den richtigen Mann im richtigen Augenblick. Hallo, Horton, nur nicht so weit weggehen, Mann. Aus welcher Ecke in Texas stammst du?« »Aus Sonora, Mr. Needhan.« »Oberlauf des Teufels-Flusses also. Salem, bleibe ein wenig bei dem Pferd und nimm noch zwei Mann dazu. Hallo, Joe, das ist Horton. Horton, Joe stammt aus San Angelo.« Ein großer hagerer Mann, der zwei Revolver trägt, kommt auf die kühle, ruhig-bestimmte Art durch die Tür und sieht Horton scharf an. In diesem Augenblick erkennt ihn Horton, aber auch Joe Slico bleibt starr stehen. In seinem sonst so beherrschten Gesicht taucht jäh ein anderer Zug auf, der aber sofort wieder verschwindet. »Kennt ihr euch?« fragt Big Needhan erstaunt. »He, Joe, das hat ja fast ausgesehen, als wenn ihr euch kennt.« Joe Slico wendet sich bewußt langsam um und sieht seinen Boß kühl wie immer an. »Ich habe ihn, glaube ich, verwechselt«, sagt er dann auf seine singende, schleppende und sehr deutlich herauszuhörende Texanersprechweise. »Nein, wir kennen uns nicht, Boß.«
Warum verschweigt er es? Er muß mich doch hassen, denkt Horton bestürzt. Er muß mich hassen wie die Pest, aber er verschweigt es. Großer Gott, Joe Slico ist hier in Wyoming! Hört denn das niemals auf, laufen mir alle Dinge nach oder auf einmal alle Dinge schief? Hier treffe ich Joe wieder. Und sicher muß ich schnell einen Revolver haben, denn es wird eine Schießerei geben, ehe ich hier weggehen kann. Ich habe keine Schuld, daß Larry, sein Bruder, anfing zu schießen, ich nicht. Der Junge war verrückt. Den Revolver hatte er in der Hand. Und mich sehen und schießen war eins. Ich habe doch erst zurückgeschossen, als er schon meinen Arm durchlöchert hatte. Mein Gott, des wilden Larrys Bruder Joe. Und er hat gesagt, daß er mich eines Tages umbringen wird. Was jetzt, er will mich nicht kennen, was heißt das nun wieder? Da dreht sich Joe Slico auch schon um und blickt Clay mit seinen kühlen Augen durchbohrend an. »Du heißt Horton, Clay Horton?« »Ja«, erwidert Clay ruhig. »So habe ich mich immer genannt, mein Freund.« »Seltsam, du hast Ähnlichkeit mit jemandem, der einen aus meiner Familie erschossen hat. Deinen rechten Arm, kann ich den mal sehen?« Er weiß genau, daß es der linke war, aber er spielt hier jemandem etwas vor, denkt Clay besorgt. Der Bursche ist so beherrscht und wirkt so sicher, daß er jeden bluffen kann. »Natürlich, Joe«, sagt er knapp und streift den rechten Ärmel hoch. »Na, was ist an dem Arm?« »Nichts«, erwidert Joe Slico träge. »Der Mann, der meinen Bruder erschossen hat, er muß ein Kugelloch im rechten Oberarm haben. Entschuldige, ich bin nun sicher, daß du es nicht warst.« »Hör mal, Joe, er ist mein Gast«, mischt sich da Big Needhan
grollend ein. »Was fällt dir ein, Joe? Ist das eine Art, einen Mann willkommen zu heißen?« »Ich habe mich entschuldigt, Boß«, bemerkt Joe Slico leise und sehr sanft. »Fühlst du dich beleidigt, Clay?« »Nicht ein Stück.« »Siehst du, Boß?« »Zum Teufel, Joe, trotzdem ist es nicht richtig. Er ist müde zum Umfallen, das sieht jeder, da fällt man nicht mit verrückten Fragen über ihn her. He, Charly, frage den Koch, ob er das Essen bereit hat. Wir gehen ins Haus. Tochter, geh in mein Zimmer, mach den Packen auf und nimm ein frisches Hemd für Mr. Horton heraus. Und dann muß ich da auch irgendwo eine zweite Hose haben.« Sie steht dabei und sagt nichts, wendet sich nur um und geht aus der Tür. »Mr. Needhan«, murmelt Clay schwach. »Wirklich, ich möchte nicht…« »Nun, treibe deine texanische Bescheidenheit nicht zu weit, Junge. Das ist schon in Ordnung. Kommt, wir gehen ins Haus!« Er stampft los. Und es ist wie selbstverständlich, daß er allein geht, immer voran. Wahrscheinlich ist er schon immer seinen Leuten bei jeder Sache vorangegangen. Er stampft genau wie ein Mann seinen Weg, der ganz sicher ist, immer den richtigen Weg zu gehen. »Horton, oben ist ein Zimmer. Charly, zeige Horton den Weg und mache Licht auf der Treppe. Was sagt Jesse?« »Das Essen ist in zehn Minuten fertig, Boß. Komm. Horton, hier in den Flur!« Big Needhan geht voraus, marschiert aber in ein Zimmer linkerhand. Rechts führt eine schmale Treppe nach oben und endet in einem kleinen Flur.
»Moment. Freund aus Texas, ich mache dir erst mal Licht an«, sagt der kleine Charly kichernd. »Junge, weißt du, daß du von Old Big alles haben kannst? Das vergißt er dir niemals. Hier ist Licht, so, jetzt komm herein. Mann, ich hatte den Gaul schon aufgegeben.« »Ich auch beinahe, Charly. Dieser Joe, wie lange ist er schon hier?« »Gut zwei Jahre. Ruhiger Bursche, aber in Ordnung, wenn auch so schnell, daß es kein Mann hier mit ihm aufnehmen kann. Hat dich verwechselt, was?« »Ja, das ist mir schon oft passiert«, erwidert Clay gedehnt. »Ist Wasser hier, ah, ein Handtuch auch? Nun, dann danke, Charly, du hast mir vorhin sehr geholfen.« »Oach, ich? Mann, wie du mich gepackt hast, da war alles drin. Die Boys meinen, du solltest noch ein wenig bleiben.« Er geht aus der Tür und sagt: »Du, Clay, Moment noch, komm in zehn Minuten herunter. Big Sam ißt verdammt pünktlich.« Dann geht Charly. Clay macht das Fenster auf, zieht sich das Hemd aus und gießt sich Wasser in die Schüssel. Er ist gerade dabei, sich den Oberkörper abzuseifen, als er Schritte auf der Treppe hört. Zugleich aber sagt unten Brian Waltman: »Augenblick, Joe, nur einen Moment. Mit wem hast du diesen Horton verwechselt, he?« »Mr. Waltman?« Joes Stimme ist förmlich, leise und sehr sanft. »Mit wem du diesen Horton verwechselt hast?« »Mit jemandem, der meinen Bruder erschossen hat, Mr. Waltman.« »Und wie hieß dieser Mann?« »Sie haben ihn in Texas den ›Pfeifer‹ genannt«, sagt da der Revolvermann Joe Slico, und in seiner Stimme klingt plötzlich
etwas mit, das sich verteufelt nach Spott anhört. »Er hat die Angewohnheit, zu pfeifen, wann immer er seinen Revolver ziehen mußte, Mr. Waltman. Ein sehr ruhiger und sehr höflicher Mister, dieser ›Pfeifer‹, der aber tödlich genau trifft, wenn er schießen muß.« »Also ein schneller Bursche, wie?« »Ja«, erwidert Joe Slico unten leise. »So schnell, daß ich wahrscheinlich tot wäre, wenn ich nicht… Aber, das ist eine andere Sache, Mr. Waltman, rein persönlicher Art.« »Dann paß nur auf, daß er dir nie begegnet, Joe.« »Das wünsche ich Ihnen auch, Mr. Waltman.« »Bitte?« »Ich habe einen Wunsch erwidert, Mr. Waltman.« »Geh zum Teufel, Mann! Du hast manchmal eine Art, die mir auf die Nerven geht.« In der nächsten Sekunde beginnt Joe Slico, laut und durchdringend zu pfeifen und geht schnell davon, während Clay Waltman fluchen hört. Gleich darauf aber klopft es an seine Zimmertür. »Ja«, sagt er ruhig. »Immer herein, Charly.« Aber es ist nicht Charly. Es ist Sandra Needhan, die in den Raum tritt und erschrocken stehenbleibt. »Oh«, sagt Clay auf seine höfliche Art. »Miss Sandra, ich beiße bestimmt nicht.« »Nein, ich weiß«, antwortet sie und legt eine Hose und ein hellgelbes Hemd über den nächsten Stuhl. »Clay, dieses Pferd war nicht nur Vaters Lieblingspferd, ich habe genauso…« Sie bricht plötzlich ab und sieht starr auf seinen linken Oberarm und das deutlich erkennbare Loch, das die Kugel von Larry Slico in dem Arm hinterlassen hat. Clay aber blickt an sich herab, wechselt dann in einer törichten Regung das Handtuch von der rechten auf die linke Schul-
ter und wendet sich dem Waschständer zu. Er sagt nichts, er weiß nur plötzlich, daß es keinen Sinn hat, ihr etwas vormachen zu wollen. Sie hat es in dieser Sekunde erkannt. Hinter ihm nähert sich ihr Schritt, dann sagt sie gepreßt: »Also nicht der rechte, der linke Arm war es. Ich erinnere mich, daß jemand gepfiffen hat, als er hinter mir auf das Pferd stieg und ich ihn gegen seinen Willen mitnahm. Clay, warum haben Sie den Bruder erschossen?« Er sieht in den kleinen Spiegel und versucht zu lächeln, aber er schafft nicht mehr als eine Grimasse. »Er kam mit zwei anderen aus einer Bank und hat mich an der Ecke auftauchen sehen, fünfzehn Yards entfernt. Vielleicht war er zu nervös, oder zu jung, erst neunzehn Jahre alt. Larry schoß, ehe ich überhaupt an etwas dachte. Ich weiß nicht, was den Jungen auf einmal so verrückt gemacht hatte. Ziehen und schießen war eins. Und da er nun mal auf mich geschossen hatte und ich nicht mehr hinter die Ecke zurückspringen konnte, nun ja, da habe ich auch gezogen und gefeuert. Er hat sich geduckt, dadurch hat er die Kugel mitten in den Kopf bekommen, anstatt in die Brust. Und Joe, der auf seinen kleinen Bruder nicht recht aufgepaßt hatte, er wollte mich später fordern, kam aber nie.« »Dann war also Joes Bruder ein Bankräuber?« »Ja. Joe ging immer auf den Trail nach Norden, hat Larry das Geld geschickt, damit er in Houston was lernen sollte. Larry hat ihn an der Nase herumgeführt. Er hat nichts getaugt.« »Und Joe, was ist das für ein Mann?« »Er ist ehrlich bis auf die Knochen, aber schnell mit dem Revolver, Lady.« Sie nickt bitter und tritt neben ihn. »Ist noch etwas?« fragt er leise. »Lady, wenn Sie etwas länger in diesem Zimmer sind, ich möchte nicht, daß es heißt, Sie ha-
ben bei einem Tramp…« »Sind Sie ein Tramp, Clay?« »Ich bin aus Texas und den Nachbarstaaten weggelaufen, Sandra. Wenn weglaufen gleichbedeutend ist, daß man zum Tramp wird, dann bin ich einer.« »Nein, nein«, sagt sie stockend und sieht ihn von unten her an. »Clay, Sie sind so wenig ein Tramp wie ich ein leichtsinniges Girl bin. Clay, das Pferd, ich wollte sagen, Vater hat Sie eingeladen. Und ich, Clay, ich kann Sie nicht einladen, ich kann Ihnen auch nicht viel sagen, aber ich kann etwas anderes tun, Clay.« Er steht steif und beinahe entsetzt da und merkt, daß sie sich an seine Brust lehnt. Ihre Hände heben sich, sie nimmt sein Gesicht in beide Hände und sieht ihn schluckend an. »Vom ersten Augenblick an mochte ich dich.« »Mein Gott, Lady!« Es ist ihm, als wenn seine Knie nun ganz und gar weich werden sollen. Was ist das? Ist das ein Spiel einer zu reichen Tochter eines großen Mannes oder was ist es sonst? Er weiß plötzlich, daß sie ihm das sein könnte, was ihm noch kein Mädchen vor ihr bedeutet hat. Er spürt es mit erschreckender Deutlichkeit und sieht sie groß an. »Sandra, ich bin nichts und habe nichts.« »Du wirst niemals wissen, was du für mich bist. Oh, Clay, geh bitte nie fort.« Sie macht sich los und dreht sich hastig um. Dann klappt die Tür. Er ist allein und steht verstört und mit halberhobenen Armen vor dem Spiegel, aus dem ihn sein Gesicht ansieht. »Du lieber Himmel«, sagt er ächzend und setzt sich auf die Bettkante. »Du lieber Himmel, es wird zu schlimm, es wird einfach zu schlimm. Diese Welt steht für mich seit zwei Tagen auf dem Kopf. Ich werde verrückt, wenn es so weitergeht.«
Er hockt da, erinnert sich aber noch rechtzeitig daran, daß Old Big Needhan an Pünktlichkeit gewöhnt ist und geht das Stück bis zum Stuhl mit weichen Knien. In ihm ist ein Gefühl, das er schlecht deuten kann. Er weiß nur eins, und das mit aller Genauigkeit: Er wird wieder gehen und fortreiten, sehr schnell und sehr eilig, denn es gibt Dinge, die man niemals bekommen kann. Zu diesen Dingen gehört, daß man nie die Tochter eines reichen Mannes bekommt, wenn man selbst ein armer Hund ist. Clay Horton zieht sich an, streift die Weste über und geht dann die Treppe runter. Charly steht im Flur, sieht ihn seltsam an und deutet auf die erste Tür links. In diesem Moment hat Clay das Gefühl, als habe der kleine Charly schon eine ganze Weile hier gestanden. »Sie sind alle da, Clay«, sagt Charly monoton und zu unnatürlich beherrscht. »Alle bis auf Miss Sandra. Geh nur hinein, Junge.« »Hör mal, Charly…« »Schon gut, Mann, schon gut, ich bin manchmal blind und taub.« »Ich habe nichts…« »Ich weiß, aber du kennst die Needhans nicht. Du wirst dich noch wundern, Junge. Nur so viel, denke nie, daß es ein Spiel ist.« Clay nimmt sich zusammen, nickt Charly zu und tritt in den Raum, in dem der Tisch gedeckt ist, an dem Big Needhan, Waltman und Joe Slico sitzen. Der Platz der Lady ist leer. Clays Stuhl steht Joe gegenüber. Waltman sitzt am unteren Ende des Tisches, Big Sam am oberen. »Na, auf die Sekunde, kann man sagen«, sagt Big Sam lächelnd. »So ernst und müde, Horton, was? Jetzt siehst du schon bedeutend besser aus, als in deinen anderen Sachen. He,
Charly, die Suppe kann kommen!« Er blickt dabei auf die Tür, als erwarte er seine Tochter und runzelt die Brauen. »Charly!« »Yes, Boß?« »Wo steckt Sandra?« »Ich weiß nicht, Boß, vielleicht in ihrem Zimmer?« »Dann geh hin und hole sie, wenn sie in einer Minute nicht unten ist, werde ich wütend.« »In Ordnung, Boß.« Charly macht ein gleichmütiges Gesicht und geht hinaus, kommt aber nach einer Minute wieder herein und sagt knapp: »Sie will nicht, die Tür ist verschlossen. Ich glaube, die Lady kommt nicht, Boß.« »Was ist das? Wartet einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.« Er stampft hinaus, während seine Zigarre im Ascher qualmt. Joe schiebt Clay die Zigarrenkiste zu. »Du kannst hier beim Essen rauchen, Clay.« »Danke, ich glaube, ich kann eine Zigarre vertragen, Joe.« »Nichts zu danken, es sind nicht meine Zigarren.« Clay kennt Joe zu gut, um nicht den kargen Humor dieses kühlen Mannes zu schätzen. Es dauert eine Minute, es dauert zwei, drei Minuten. Dann endlich kommt Big Sam herein, geht schweigend zu seinem Stuhl und setzt sich umständlich. »Charly, die Suppe, sofort!« »Was ist denn, Sam?« fragt Waltman auf seine nachlässighochmütige Art. »Will sie nicht?« »Sie kann nicht, Brian, sie liegt auf ihrem Bett und heult. Die Geschichte mit Duke ist ihr zu nahe gegangen. Aber das wirst du vielleicht nicht begreifen können.«
Clay blickt starr auf die Zigarre und das Streichholz, während ihm ist, als müsse er aufspringen und zu ihrem Zimmer laufen. Und doch ist er dazu verdammt, an seinem Platz zu bleiben. Sie liegt also auf dem Bett und heult. Und es ist angeblich wegen Duke, angeblich. In seine Gedanken hinein sagt Brian Waltman lässig: »Sam, du glaubst, daß ich viele Dinge nicht verstehe, aber ich verstehe zumindest diese Sache. Nun gut, sie müßte ein wenig mehr Beherrschung besitzen, deine Tochter, das meine ich. Wenn sie erst meine Frau ist, dann werde ich es ihr wohl langsam beibringen können.« »So?« fragte der Alte lauernd und sieht ihn starr an. »Das denkst du, Brian? Ich bin froh, daß sie nicht so beherrscht ist, wie du es nennst. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge, damit solltest du von vornherein rechnen. Hallo, deine Zigarre, Horton!« Clay sieht seiner Zigarre nach, die über die Tischkante gefallen ist und auf dem Boden liegt. »Ja«, murmelt er mühsam und bückt sich tief. »Entschuldigung, Mr. Needhan, ich habe auch gerade…« »Du denkst auch an das Pferd, wie?« Ich? denkt Clay. Mein Gott, wenn du wüßtest, woran ich denke! »Ja, Mr. Needhan.« »Nur nicht sentimental werden, mein Freund«, sagt Waltman jovial und bläst den Rauch seiner Zigarre gegen die Lampe. »Mit Sentimentalitäten kann man schlecht leben und kaum Geschäfte machen. Das mußt du dir abgewöhnen, Horton.« »Ich glaube nicht, mein Freund«, gibt Clay zurück und hat den unwiderstehlichen Drang, zu pfeifen. »Man muß immer wissen, wann eine Sache jemanden mitnimmt und wann sie einen kalt läßt. Zu dem letzteren Typ, den wohl alles kalt lassen dürfte, darf ich Sie doch rechnen, oder?«
Old Big sieht hoch und furcht etwas die Brauen, als er den Zorn über die kühle, beinahe scharfe Antwort Clays in Waltmans Augen erkennt. »Nun fangt nicht an, euch zu streiten«, sagt er brummend. »Wenngleich Horton dich ziemlich genau einstuft, Brian. Wir wollen uns den Abend nicht verderben, wie?« »Natürlich nicht«, erwidert Waltman mit mühsam gebändigter Wut und blickt den grinsenden und zum erstenmal ganz offen über ihn lächelnden Joe Slico wild an. »Er ist dein Gast, Big Sam, sonst würde ich…« »Also, Brian, nun hör auf!« »Nein«, sagt Clay ganz ruhig. »Mr. Needhan, lassen Sie Mr. Waltman nur reden. Ich höre ganz gern seine Meinung über mich. Was würden Sie sonst tun, Mr. Waltman?« »Ich würde es Ihnen zeigen«, zischt Waltman, der selbst nicht über die nötige Beherrschung verfügt, »wie groß Sie eigentlich sind, Mister. Und ich sage Ihnen, Sie kämen sich am Ende ziemlich winzig vor.« Old Big Needhan läuft rot an. Charly, der die Suppe hereinbringt, bleibt starr stehen. Nur ein Mann bleibt ganz ruhig: Joe Slico. »Brian«, sagt Big Sam fauchend. »Brian, das geht zu weit. Du hast eine verdammte Art, die Leute von deinem Haufen Macht zu überzeugen, das muß ich schon sagen! Zum Teufel, ich habe gleich keinen Hunger mehr. Horton…« »Schon gut«, sagt Clay mit so schneidender Schärfe, daß selbst der alte Needhan zusammenfährt. »Mister, wenn ich hier nicht Gast wäre, dann lägen Sie jetzt samt dem Fensterkreuz hier unten auf dem Hof. Und das in einem Augenblick. Fangen Sie nicht an, mit mir zu streiten. Es kostet Sie mehr, als Sie glauben werden!« Big wird kreidebleich, aber nicht wegen Clays Schärfe, eher
wegen der offenen Hand von Brian Waltman, in der plötzlich ein Derringer liegt. »Joe, ruhig«, sagt da auch schon Clay, sanft wie nie zuvor. »Mr. Waltman, stecken Sie den Derringer weg. Sie müssen erst noch Beherrschung lernen, fürchte ich. Und dann…« Seine Hand fährt plötzlich von unten nach oben, der Derringer fliegt nach hinten und wird Waltman aus der Hand geprellt. Dann beugt sich Clay vor, reißt Waltman mit einem Ruck über den Tisch und preßt ihn wie in einem Schraubstock auf die Platte. »Jetzt paß auf, Freundchen«, sagt Clay freundlicherweise. »Ziele nie wieder mit einem Derringer auf mich, andernfalls nimm gleich deinen letzten Ruheplatz ein. Ich kann dich nicht hinauswerfen. Aber mich bedrohen, das darfst du nun auch wieder nicht. Wenn ich auch nicht mal ein Pferd besitze, brauchst du mir deshalb noch lange nicht zu drohen. Und jetzt kannst du losgelassen werden. Charly, nimm sein Spielzeug hoch!« »Ja«, sagt Charly grinsend und stellt die Suppe fort. »Sofort, Clay.« Waltman rutscht auf seinen Stuhl zurück und ist leichenblaß geworden. Er starrt vor sich hin, steht dann ruckhaft auf und sagt mühsam: »Sam, unter diesen Umständen gehe ich. Entweder er oder ich, hast du gehört?« »Bist du wirklich verrückt, Junge?« fragt der Alte und lächelt dünn. »Du hast eine Lektion erhalten, die du dir verdient hast. Du hast selbst gesagt, daß es für dich keine Gefühle gibt, also hat Horton dich nicht beleidigen können. Daß du ihm dann gedroht hast, das hätte dein Vater zum Beispiel nie getan, Junge. Und in meinem Hause auf jemanden den Derringer zu richten, Brian, das ist ein starkes Stück. Ich dulde es einfach nicht.«
»Ich brauche mir nicht von jedem x-beliebigen Mister etwas sagen zu lassen, Sam. Du kannst mir mein Essen auf das Zimmer bringen lassen. Ich habe das Gefühl, hier zu stören.« »Junge, sei nicht so hitzköpfig, dir ist doch nichts passiert«, ermahnt ihn Old Big. »Setz dich hin, Brian.« »Nein, ich will nicht«, gibt Waltman bissig zurück. »Dann werde mit deinen Texanern selig. Ich hoffe nur, dieses Gesicht nicht mehr allzulange sehen zu müssen!« Er geht hinaus und vergißt sogar seinen Derringer. »Füll die Suppe auf, Charly«, brummt Old Big und kichert plötzlich auf die Art alter Männer. »Horton, er ist seinem Vater ein wenig zu sehr entglitten, fürchte ich. Ich dachte wirklich, du würdest ihn aus dem Fenster werfen. Wie man sich doch irren kann! Ich stelle mir Brian in seinem prächtigen Jagdanzug mitten im Hof liegend vor. Was sagst du dazu, Joe?« »Nichts, Boß«, antwortet Joe Slico kühl. »Ich meine nur, daß sich jemand von dieser Sekunde an vorsehen sollte. Ich kenne niemanden, dem Waltman bis jetzt einen Ärger vergessen hat. Boß, sieh in ihm nicht den kaum sechsundzwanzigjährigen und unerfahrenen Burschen, ich sage es dir jetzt.« »Was willst du damit sagen, Joe?« »Ich sage, du solltest in ihm einen anderen Mann sehen, als er vorgibt zu sein. Er ist gefährlich, Boß!« »Unsinn, dieser Junge ist nur eingebildet und falsch erzogen worden. Der glaubt daran, daß man mit Geld alles kaufen kann, auch so ein Fehler vieler Narren.« »Wenn du dich nur nicht irrst, Big.« »Ich irre mich nie, Joe. Du mußt immer unken, ich kenne dich. He, Horton, hast du keinen Hunger?« Clay sieht von seinem Teller hoch und fragt sich immer noch, warum er sich beherrscht und Waltman nicht wirklich durch das Fenster geworfen hat. Er ist sich in bitterer Selbsterkennt-
nis gerade bei Big Sams Frage darüber im klaren, daß er Sandra diesem Waltman nicht gönnt. Darum die Wut. »Big Sam, ich habe keinen Hunger mehr.« »Jetzt fang du auch noch an«, brummt der Alte wild. »Du hast zu essen, verstanden? Erst Sandra, dann dieser junge Narr und schließlich du, seid ihr alle verrückt? Charly, füll ihm den Teller bis an den Rand, er wird essen!« Clay schweigt, muß dann aber doch erzählen, wie er Duke von der Kolik befreit hat und atmet auf, als das Essen endlich vorüber ist. »Ich sehe es dir an«, sagt der Alte. »Geh schlafen, Horton, du bist müde. Morgen suchst du dir einen Gaul aus, aber sei bloß nicht zu bescheiden. Und um Brian mach dir keine Sorgen, mit dem werde ich schon fertig. Ist noch etwas?« »Big Sam, ich stehe immer sehr früh auf. Macht es etwas aus, wenn ich mir in der Frühe ein Pferd nehme und dann ein Stück reite?« »Macht gar nichts, tue hier nur immer, was du willst. He, gehst du auch, Joe?« »Ich will mal nach Duke sehen!« »Komm aber gleich wieder, hörst du?« Joe nickt nur, geht dann hinter Clay hinaus und stößt ihn leicht an. »Hör zu«, sagt der kühle Revolvermann zischend. »Clay, ich habe erst nachher von der Geschichte mit Larry erfahren, nachdem ich in meiner ersten Wut wild geredet hatte. Ich will keinen Streit zwischen uns haben, wir werden uns vielleicht noch öfter begegnen. Wundere dich über nichts, was immer ich auch tue. Und spiele jedes Spiel mit. Sieh dich vor, daß du Waltman niemals in deinem Rücken hast. Er vergißt dir das nicht. Das war eine tödliche Beleidigung für den Halunken.« »Halunke?«
»Ja, Clay, und glaube mir, er ist der dreckigste Schuft, den ich jemals gesehen habe. Geh hoch, man braucht nichts von uns zu wissen.« Er geht hastig nach vorn hinaus, während Clay verwirrt die Treppe nach oben steigt und die Tür zu seinem Zimmer öffnet. Er sieht den Revolver sofort. Der Colt liegt auf der Platte. Es ist ein langläufiger, schwerer Navy-Revolver mit einem abgefeilten Hammer, der keine scharfe Stelle mehr aufweist und dessen Abzugshahn fehlt. Vielleicht brauchst du ihn, steht auf einem Zettel, der neben dem Revolver auf dem Tisch liegt. Er stammt aus Vaters Sammlung und hat einmal Sam Brains gehört. Der Colt ist gut genug für den besten Mann. Er lächelt einen Augenblick und steckt den Zettel ein. Sie hat eine zierliche und energische Handschrift. Morgen wird sie wieder allein sein. Morgen, denkt Clay und seufzt bitter, während er die Stiefel auszieht und sich auf die Bettkante setzt. Morgen gehe ich fort, weil ich keinen Streit mehr will und genug von allen Warnungen habe. Selbst Joe Slico warnt mich. Seltsam, was er da geredet hat. Ich will keinen Streit, keinen Kampf, nichts. Gut, ich werde mir ein Pferd nehmen und zu Ben reiten. Es wird Zeit, daß ich meinen prächtigen Vetter Ben zu sehen bekomme. Wenn er eine ordentliche Arbeit hat, dann bleibe ich dort und schicke Big Sam später das Geld für den Gaul. Er legt sich hin, deckt sich zu und ist so fertig, daß er wirklich fest einschläft, ehe er weiter an Ben denken kann. * Einen Augenblick hat er das Gefühl, daß diese Straße leer ist und irgendwo eine Gefahr auf ihn warten könnte. Zwei, drei
Sekunden hält er an, steht nun auf vor der breiten, mitten durch den kleinen Ort laufenden Straße und sieht sich um. Die Sonne steht schon hoch, es ist neun Uhr. Auf der Außenstation wird Big jetzt sicher fluchen und den Zettel betrachten, den Clay zurückgelassen hat. Sandra wird an ihn denken und wissen, daß er gegangen ist, um sie nie mehr wiederzusehen. Vielleicht, denkt Clay, vielleicht ist sie traurig, aber sie muß wissen, daß ich ihr nicht viel geben kann, nicht das, was sie gewohnt ist, nicht ein Zehntel davon. Arm und reich passen nun mal nicht zusammen. Es sind feine Märchen, die das Gegenteil behaupten. Was Joe wohl so denken wird? Vielleicht ist er froh, daß ich fortgegangen bin, alles mitgenommen habe und nie mehr zurückkommen werde. Sicher ist er froh. Da ist der Saloon von Riverside, aber die Straße ist wie ausgestorben. Leben denn keine Menschen hier in Riverside? Aus den Schornsteinen steigt doch Rauch, also wird die Stadt nicht von Geistern bewohnt. Jetzt klingt irgendwo ein Hammer, ein Reiter taucht auf, kommt auf ihn zu. Jemand schiebt einen Handkarren über die Straße, sogar zwei Frauen werden sichtbar. Also hat er sich wohl geirrt. Er reitet wieder an, nähert sich dem Saloon und sieht nun ein Schild über dem Eingang. Es ist Lymans Saloon, in dem er warten soll. Irgendwann wird Ben wohl eintreffen und ihn abholen. Wann hat er Ben eigentlich zuletzt gesehen? Das ist lange her, beinahe dreieinhalb Jahre. Vor dem Saloon stehen keine Pferde. Die beiden Frauen drüben vor dem Store bleiben stehen und sehen ihm nach. Dann ist er auch schon genau vor dem Saloon, steigt ab und bindet sein Pferd so an, daß er es von innen stets beobachten kann. Er rückt einmal an seinem Revolvergurt. Wenn er daran denkt,
daß er noch vor einem Tag mit einem zerrissenen Hemd und ziemlich verschrammt im Zug gekauert hat, dann kommt ihm das wie ein Traum vor. Seine Lage hat sich wesentlich gebessert. Er geht langsam den einen Tritt zum Vorbau hoch. Im Saloon, das hört er nun, klappert jemand mit Geschirr. Ein durchaus friedliches Geräusch. Er öffnet die Tür, schiebt sich vorsichtig in den Saloon, die rechte Hand flach über dem Revolver haltend und ist auf alles gefaßt. Doch es kommt gar nichts. Im Saloon sitzen nur zwei Männer. Einer, ein kleiner, alter und wirklich wie ein Tramp aussehender Mann mit einer roten Knollennase und der typisch blaugeäderten Haut eines Gewohnheitstrinkers, hängt halb über dem Tisch am Tresen und glotzt ihn blöde an. Der Mann hinter dem Tresen, der einen Haufen Teller zusammenstellt, sieht kurz hoch und sagt dann mürrisch: »Hallo.« »Da, da kommt mein Freund, siehst du ihn, Byrd?« fragt der auf dem Tisch ruhende Säufer lallend. »Du bist doch mein Freund, ah?« »Ganz bestimmt«, versichert Clay ruhig und geht auf den Tresen zu. »Hallo, Byrd Lyman?« »Ja«, brummt der Mann hinter dem Tresen, der gar nicht wie ein Kneipenbesitzer aussieht. »Bekomme ich nun Whisky, ah?« fragt der kleine Mann. »Nein«, sagt Lyman und kommt um den Tresen herum nach vorn. »Pete, seit gestern abend säufst du und pennst du bei mir. Du hast schon wieder Schulden. Los, geh nach draußen!« »Wer bist du denn?« fragt Pete und reißt die Augen auf, als Lyman ihn am Kragen packt. »Das da ist mein Freund, jawohl, mein Freund, sage ich. Und wer bist du? Laß mich los, du bist
nicht mein Freund, nein, das bist du nicht. Ich pro – prote – protestiere! Ich bin ein freier Bürger in einem freien Land, Gottes eigenem Land, jawohl. Du – du bist ja…« »Ja«, sagt Lyman grimmig. »Du bist eine Schnapsleiche, du Deliriumaspirant. Raus mit dir, in den Hof! Moment nur, Mister, bin gleich wieder da.« Pete kreischt was von Freiheitsberaubung und Menschenrechten. Das Gekreische aber ist keine Argumentation für Lyman, der die Tür aufmacht und Pete durch den Flur auf einen schmuddeligen Hof schiebt. »Jack, komm her und schaff mir den Kerl vom Hals«, brüllt Lyman. »Stecke ihn in die Regentonne, wenn noch Wasser drin ist.« Dann knallt er die Tür zu und kommt wieder hinter den Tresen, genauso mürrisch aussehend wie vorher. »Drink, Mister?« »Ja, auch«, erwidert Clay knapp. »Lyman, hat jemand nach mir gefragt?« »Ha?« »Ob jemand nach mir gefragt hat, Lyman.« »Wer bist du denn, daß jemand nach dir fragen sollte«, sagt Lyman und sieht ihn erstaunt an. »Wer soll gefragt haben?« »Ein Mann, der Ben Latham heißt, Lyman.« »Ben Latham?« erwidert Lyman und sieht dabei verstört aus. »Latham, Latham? Kenne keinen Latham. Ben auch nicht. Moment, gleich hast du deinen Drink. Willst du einen sauberen oder einen normalen?« »Einen sauberen, was sonst. So, du kennst keinen Latham?« »Wenn ich es dir doch sage. Ich vertrage das Bücken so schlecht. Aber, wer kommt hier schon herein und verlangt einen sauberen Drink? Oha, die Leber, verdammt, die Leber. Latham, habe ich schon mal gehört, aber wo bloß? Ich werde
mal nachdenken oder Jack fragen.« Die Flaschen unter dem Tresen klirren, dann taucht Lymans linke Hand mit der Flasche auf, während sich der Kneipenbesitzer ächzend aufrichtet. Und dann erst sieht Clay die andere Hand. Lyman hält zwar in der linken Hand die Flasche, aber in der rechten Hand hält er auch etwas. Der Revolver ist genau auf Clay Hortons Bauch gerichtet. Und der Hammer ist gespannt. Lyman hat in diesem Augenblick sein Leberzwicken gänzlich verloren. Er sieht kalt und scharf aus und sagt zischend: »Steh ganz still und nimm die Arme hoch, Mister! Jack, Budd, Slim, kommt näher!« Clay hört deutlich die Schritte und wendet langsam den Kopf, während er die Hände hochhebt und sich ruhig verhält. Er sagt nichts, er wartet ab. Drei Männer kommen. Der eine aus der Tür links, der andere aus der Tür rechter Hand und der nächste kommt durch den Eingang herein und ist genau hinter ihm. »Steh still, dann passiert dir nichts«, sagt Lyman scharf. »Slim, nimm seinen Revolver. Und sei vorsichtig.« Sie sind nun alle drei heran, der eine rechts, der andere links und Slim wohl von hinten. Lyman hält seinen Colt genau auf Clays Bauch gerichtet, hat aber den Daumen nicht über dem Hammer liegen, also muß er erst abdrücken. Der Mann hinter ihm will Clays Revolver nehmen, die beiden anderen stehen dicht neben ihm. Und da stößt sich Clay, der den rechten Fuß an die Tresenunterkante gestellt hat, jäh nach hinten ab, duckt sich dabei und schlägt beide Arme nach hinten. Er erwischt nur den links von ihm stehenden Mann, schleudert ihn zurück, während er zugleich auf den hinter ihm stehenden Slim prallt, und den Mann zurückwirft. Seine rechte
Hand aber saust nun zum Revolver. Er wirbelt weg, stößt Slim die linke Faust in die Seite und holt mit dem Bein aus. Ein glatter Säbelhieb aus der Drehung, der den dritten Mann hart am rechten Bein trifft und ihn förmlich umsäbelt. In das Durcheinander der fallenden Männer hinein setzt Clay zurück. Er erwischt Slim von der Seite und bohrt ihm seinen Revolver in die Hüfte, ihn zugleich noch weiter herumdrehend. »Keine Bewegung, sonst stirbt er«, sagt Clay fauchend und sieht Lyman verzweifelt nach einem Ziel suchen. Lyman hat nicht schießen können, er würde eher einen seiner Freunde getroffen haben. Clay hört nun eine Tür knarren, dreht sich nach rechts und sieht dann einen Mann. Der Mann kommt in den Saloon. Er hat seine schwarze, prächtige Jacke offen und eine bestickte Weste darunter. Seine Daumen stecken in den Westenobertaschen. Und dann beginnt der Mann zu lachen und lehnt sich an die Wand neben der Tür. Er sieht genau dem Bild des vollendeten Gentleman ähnlich. An seinem linken kleinen Finger steckt ein feuersprühender Ring. Der Gentleman zeigt beim Lachen seine weißen Zähne und sagt japsend: »Bill und ihr anderen, hört auf, der Spaß ist vorbei. Nun, was habe ich euch gesagt? Etwa auch nur ein Wort übertrieben, Leute? Er hat euch alle vier erwischt! He, Budd, reibe nur ordentlich dein Bein. Und du, Jack, du bist doch nicht etwa gefallen? Was ist denn mit dir, Slim? Und du, Bill, warum hast du nicht geschossen? Nun.« Er lacht wieder und nimmt endlich die Daumen aus den Taschen der Weste. Er ist immer noch der alte, wilde und lachende Ben Latham, der Vetter aus Wyoming, der sich kranklachen kann, wenn andere die Narren sind.
»Oh, verdammt, ist der Bursche schnell«, ächzt der angebliche Lyman – hinter dem Tresen. »Ich habe eher einen von uns vor dem Lauf gehabt als ihn. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Wir hatten doch gar keine Chance.« Clay kneift leicht die Augen zusammen, dann läßt er Slim jäh los und sieht Ben an. Der schüttelt den Kopf und kämpft immer noch mit seinem Lachen. »Ben, du Rindvieh, hör auf«, sagt Clay dann wütend. »Um ein Haar hätte ich deine Leute niederschlagen müssen. Wie bist du nur auf die Idee gekommen, Mann? Wenn ich nun…« »Ach was, solange keiner schießt, schießt du auch nicht«, erwidert Ben japsend. »Du lieber Himmel, Junge, sie wollten mir nicht glauben, wie schnell du bist. Jetzt haben sie es selbst erlebt. Nach deinem Abenteuer in Cheyenne…« »Das weißt du? Woher?« »So etwas spricht sich doch herum, Junge. Was denkst du denn?« fragt Ben und lacht. »He, Lyman, komm herein, die Sache ist in Ordnung.« Jetzt kommt der wirkliche Lyman herein, ein kleiner, dicker Mann, der keine Ähnlichkeit mit seinem Vertreter hat. Die drei Männer vor dem Tresen starren Clay immer noch verwirrt und ungläubig an. Bill kommt hinter dem Tresen hervor und nimmt gleich die Flasche. »Das ist Bill Donogan und das Slim Gaines. Dort steht Jack Sundin und hier hast du Budd Sundin. Sie sind Brüder. Sie reiten für mich, Clay. Damit kennst du die Hälfte meiner Leute. Und nun lach endlich und laß dein ernstes Gesicht verschwinden. Junge, wie freue ich mich, daß du hier bist. Wie geht es dir? Brauchst du etwas, hast du Hunger?« »Langsam, Ben, langsam. Du bist etwas dicker geworden, finde ich, aber es steht dir nicht schlecht. Hallo, altes Sumpfhuhn, du kommst doch auf die verrücktesten Dinge, das
kannst nur du tun!« »Was denn sonst?« brüllt Ben, kommt auf ihn zu und klopft ihm auf beide Schultern. »Sie sollen doch nicht sagen, daß ein Mitglied meiner Familie sich von einigen Gaunern aufs Kreuz legen läßt.« »Was, du weißt, daß sie Gauner sind?« »Sei leise, Lyman redet zwar nicht, aber andere könnten es hören«, murmelt Ben. »Im Vertrauen, Junge, sie sind Gauner. Du kannst sie dir kaufen, einzeln sogar, warte nur die Zeit ab. Wir werden es schon beweisen, daß ein Horton kein Falschspieler ist. Bei mir bist du sicher, was immer auch kommt. Setz dich hin und nimm einen Drink mit uns. Was macht dein Bein, Budd?« »Er ist ein Gaul«, knurrt Budd und grinst. »Tut mir leid, Horton, wenn wir dich erschreckt haben, aber der Boß hat es sich so einfallen lassen.« Sie setzen sich alle an den Tisch, Lyman bringt Gläser, und Ben sagt auf seine ewig lächelnde und freundliche Art: »Trinken wir auf dein Kommen, Clay. Du ahnst nicht, was ich für einen Spaß habe, daß du hier bist. Endlich mal jemand aus der eigenen Familie.« Er hebt sein Glas und trinkt. In seinen braunen Augen schimmert ein warmes Licht. Es ist der alte Ben Latham, der immer von der ganzen Verwandtschaft wegen seines Geldes beneidet worden ist. Er ist freundlich, hilfsbereit und offenherzig. Ich bin beinahe zu Hause, denkt Clay, als er trinkt. Ben ist noch genau der alte, ewig spaßige Bursche geblieben. Nun ja, er kennt also die Holloways und ihren Anhang, wir werden sehen, was daraus wird. »Hör mal«, brummt Ben, als sie getrunken haben. »Warum hast du mir denn nicht geschrieben, daß ich dir Geld schicken soll. Ich hätte es doch weiß Gott getan. Sitzt in Cheyenne, ohne
einen Cent sozusagen. Was sagst du dazu, Budd?« »Texaner haben einen besonderen Stolz«, erwidert Budd Sundin. »Ich kenne ihn schon. Boß, wenn du nichts dagegen hast, dann werden wir reiten, die Arbeit…« »Du scheinst ziemlich genau gewußt zu haben, wann ich ankomme, Ben«, sagt Clay neugierig. »Dieser Aufmarsch hier…« Ben greift nach seinem Glas und grinst. »Ziemlich einfach, Clay. Wir hörten von der Sache in Cheyenne, da konnte ich mir leicht ausrechnen, daß du heute kommen würdest. Ich hätte dir jemanden entgegenschicken können, aber ich kenne dich und weiß genau, daß du von niemandem Hilfe annimmst, vielleicht nicht einmal von mir. Los, Budd, macht, daß ihr zu den anderen kommt, ich will die Rinder pünktlich abliefern. – Sie haben zu tun, Clay, es macht dir doch nichts aus, wenn sie reiten?« »Geschäfte gehen vor«, erwidert Clay lächelnd. »Budd, keinen Ärger wegen des Trittes, wie?« »Natürlich nicht. Was meinst du, wie oft mich ein Gaul tritt«, erwidert Budd Sundin und steht mit den anderen auf. »Bist du gegen zwei Uhr auf der Ranch, Boß?« »Ich denke ja.« Ben sieht kaum hoch, als seine Männer gehen, dann wirft er einen Blick auf Lyman, der hinter dem Tresen seine Gläser spült und beugt sich etwas vor. »Clay, du reitest ein Pferd der Needhans. Dann hast du also Joe Slico gesehen. Und?« Sein Gesicht ist plötzlich ernst und beinahe sorgenvoll. Und Clay hat noch genau in Erinnerung, daß Ben damals kurze Zeit nach der Geschichte mit Larry Slico bei ihm war. Ben kennt Joe also. Clay sagt nachdenklich. »Ich werde aus Joe nicht schlau. Zuerst glaubte ich, er würde zum Revolver greifen, aber dann hat
er doch nicht gezogen. Er hat sogar gesagt, daß er erst später über die wahren Gründe des Kampfes zwischen mir und Larry unterrichtet worden sei. ›Keinen Streit‹, das hat Joe gesagt.« »Das hat er gesagt? Glaubst du ihm?« fragt Ben besorgt. »Du kennst ihn doch, den Burschen. Alles zu seiner Zeit, das ist sein Wahlspruch. Er läßt seinen Gegner immer im Ungewissen, bis er dann plötzlich mit dem Revolver in der Hand auftaucht und den anderen herausfordert. Bist du sicher, daß er es friedlich meint? Und was hat er sonst noch gesagt?« »Das ist verrückt, ich habe ihn ein wenig anders in Erinnerung behalten, Ben«, murmelt Clay düster. »Er redete davon, daß ich mich über nichts von dem, was er täte, wundern solle. Und dann hat er mich stehenlassen. Früher war er ganz anders.« »Wem sagst du das, ich werde aus ihm auch nicht mehr klug«, brummt Ben Latham. »Er hat irgend etwas. Eine bestimmte Sache muß ihn verändert haben. Einen meiner Bekannten hat er erschossen, ehe der überhaupt eine Chance bekam.« »Was?« sagt Clay verstört. »Das paßt doch nicht zu Joe, Ben? Ich habe zwar angenommen, daß er mich irgendwann fordern würde, aber er paßt. Ich verstehe das nicht ganz, schließlich hat er damals geschworen, mich umzubringen!« »Das nimmst du nur an. Frage dich, ob er es ehrlich meint, wenn du die Geschichte von Calmin gehört hast. Lyman, komm mal her.« Lyman kommt und sieht Ben fragend an. »Byrd, wie war das mit Jesse Calmin?« Lyman fährt sich mit der Hand über den Mund. »Hier in meinem Saloon war es«, berichtet der Storebesitzer dann heiser. »Ein ganz friedlicher Abend. Jesse war mit ein paar Freunden gekommen und hat getrunken. Nun, vielleicht
ein wenig viel. Mir ist gleich aufgefallen, daß Jesse nur einen Sporen hatte. Ich habe ihn noch danach gefragt, und er sagte mir, daß er ihn wohl tags zuvor bei einem Besuch in Walcott verloren haben mußte. Na ja, soweit so gut. Es mag so um Mitternacht gewesen sein, als die Tür aufging und Joe Slico hereinkam. Die anderen tranken alle, und Jesse, der sonst schnell wie der Teufel war, der hatte wohl am meisten getrunken.« Er greift zu einem der Gläser, nimmt einen kleinen Schluck und trinkt hastig. »Weiß der Teufel, die beiden haben sich nie richtig leiden können. Jesse und Slico hatten wohl auch mal einen kleinen Streit. Jedenfalls kam Slico herein und sah natürlich, daß Jesse betrunken war, aber er rief ihn an. ›Jesse‹, rief er scharf. Und Jesse drehte sich um, zog seinen Colt, war aber zu langsam, weil er zuviel getrunken hatte. Aus sieben Schritt Entfernung schoß ihn Joe Slico nieder. Dann ging er zu ihm hin, warf ihm den einen Sporen auf die Brust und sagte eisig: ›Das hast du vergessen, als du heute nachmittag auf mich aus dem Hinterhalt geschossen hast!‹ Und dann ging er hinaus. Sicher, Jesse hatte zuerst gezogen, aber geschossen hat Slico zuerst. Und Big Sam hat ihn gegen den Sheriff gedeckt. Dabei hat jeder gewußt, daß Jesse schon am Vortag nach Walcott geritten war. Zwei seiner Freunde haben beschworen, daß er mit ihnen Pferde eingebrochen hat und das genau zu der Zeit, als jemand auf Slico geschossen haben sollte. Er ist sozusagen durch ein böses Versehen gestorben, aber da er ein schlimmer Bursche war, hat sich nichts danach getan.« »Und Joe hat sonst keinen Beweis dafür gebraucht, um zu beweisen, daß es wirklich Jesse war, der auf ihn geschossen hatte?« fragt Clay lauernd. »Wozu denn noch einen Beweis, wenn Jesse doch zuerst zum Revolver gegriffen hat?« fragt Lyman. »Davon ist Jesse auch
nicht mehr lebendig geworden.« Er zuckt die Achseln und geht wieder zum Tresen zurück, während Ben den Blick hebt und leise sagt: »Wird dir jetzt klar, was von Joes Versprechen zu halten ist, Clay? Einige Wochen nach der Geschichte hat sich Lin Taylor, der beste Freund von Jesse, mit Joe gestritten. Und Joe hat auch ihn erschossen. Ich war dabei. Von diesem Tag an bin ich etwas vorsichtig geworden. Du weißt, ich trug kaum einen Revolver, jetzt trage ich einen. Er hat dich auf seine übliche Art bluffen wollen. Du weißt doch, alles zu seiner Zeit.« »Das ist doch verdammt seltsam«, erwidert Clay bestürzt. »Ich habe Joe anders in Erinnerung. Aber es ist wahr, er erledigt seine Dinge immer zu seiner Zeit. Kann sein, daß er mit mir auf der Station keinen Streit gewollt hat Du meinst, er steht eines Tages irgendwo hinter mir und ruft mich an?« »Das weiß man nie bei ihm. Vielleicht versucht er es auf andere Art«, erwidert Ben. »Ich würde an deiner Stelle etwas vorsichtig sein. Wie bist du auf die Ranch gekommen?« »Ich erzähle dir am besten die ganze Geschichte«, sagt Clay. »Dann weißt du gleich alles. Laß mich damit anfangen, daß sich mein Pferd den Huf brach.« Er erzählt ihm alles, verschweigt nur seine Begegnung mit Sandra Needhan in seinem Zimmer und sieht dann Ben, der nicht eine Zwischenfrage stellt, fragend an. »Was meinst du nun zu Joes Verhalten?« »Man ist bei ihm nie sicher, wie ich schon sagte, Clay. Well, was hältst du von dem Gaul?« »Von Duke? Oh, mein lieber Mann, Old Ben hat da einige Pferde, die jedes Rennen gewinnen können. Ich schätze, ein halbes Dutzend. Ben, weshalb hast du mich kommen lassen? Und warum sollte ich unbedingt nicht später als bis zum morgigen Tag hier ankommen?«
Ben lächelt und verwischt mit seinem Zeigefinger die Whiskylache auf dem Tisch zu weiten Kreisen. »Ich werde es dir zeigen«, sagt er dann geheimnisvoll. »Du mußt es sehen, um mir dann zu sagen, was du von der Sache hältst. Clay, ich habe niemals jemand kennengelernt, der mehr Pferdeverstand besessen hat als du. Ich kenne auch keinen zweiten Reiter wie dich. Genügt dir diese Antwort?« »Es hat also mit Pferden zu tun?« »Ja, genau, aber warte ab, ich muß dir etwas zeigen, erst dann wollen wir reden. Clay, noch etwas. Du hast mit diesem Narren Brian Waltman einen Zusammenstoß gehabt?« »So kann man es nennen, Ben. Warum nennst du ihn einen Narren?« »Weil er eines Tages einer sein wird, Junge. Ich mag ihn nicht, aber ich mache gute Geschäfte mit ihm, seitdem sein Alter an den Rollstuhl gefesselt ist und nichts mehr tun kann. Der Alte lebt nicht mehr lange, aber dieser Lümmel ist der verdammteste Narr und hochmütigste Bursche, der mir jemals begegnet ist. Und wahrscheinlich ist er ein ausgekochter Lump.« Clay zuckt leicht zusammen und blickt Ben groß an. »Ist was?« fragt Ben erstaunt. »Du wunderst dich, daß ich das sage?« »Nein, Ben, ich wundere mich, daß du das auch sagst. Joe Slico hat genau dasselbe gesagt.« In einem Augenblick erscheint auf Bens Gesicht ein Schatten, dann fragt er erstaunt: »Joe hat das auch gesagt? Das ist ja…« Er beginnt wieder, auf seine Art zu lachen und gießt sich einen Whisky ein. »Dieser Joe, aus dem wird man wirklich nicht klug. Er macht sich auch seine Gedanken über diesen Brian, sieh einer an«,
sagt Ben dann lächelnd. »Nun ja, wer Brian richtig kennt, der wundert sich über nichts mehr. Well, Clay, willst du hier essen oder kommst du mit auf meine Ranch hinaus? Du weißt, ich kann kein schlechtes Essen vertragen. Ich bin sicher, ich habe den besten Koch auf hundert Meilen in der Welt. Nun?« »Dann wollen wir sehen, was dein Koch alles kann«, erwidert Clay Horton grinsend. »Ben, handelst du noch immer?« »Mit allem, was sich handeln läßt«, protzt Ben Latham. »Und nicht mal schlecht. Man muß nur nicht zu genaue Fragen stellen, wenn jemand etwas verkaufen will. Byrd, schreibe es auf meine Rechnung, wir reiten zur Ranch.« »In Ordnung, Mr. Latham.« Ben steht auf und geht mit Clay hinaus in den grellen Sonnenschein. Irgendeiner seiner Männer muß wohl sein Pferd, einen Schnelligkeit verratenden Rotschimmel, neben Clays Pferd angebunden haben. Clay betrachtet den Gaul aufmerksam und pfeift dann durch die Zähne. »Wie gefällt er dir?« »Gut, Ben. Er ist bestimmt schnell, wie?« »Aber nur auf kurze Distanz, dann läßt er nach. Nun, Clay, es sind von hier ungefähr siebzehn Meilen bis zu meiner Ranch, kein sehr langer Weg, vielleicht zwei Stunden. Wenn wir dort sind, dann werde ich dir etwas zeigen. Und dann kannst du mir sagen, ob du für mich arbeiten willst. Ich zahle dir im Monat zweihundert Dollar!« »Wieviel?« Clay nimmt den Kopf herum, sieht Bens lächelndes Gesicht und schluckt schwer. »Ja, genau zweihundert. Du kannst eine Anzahlung bekommen, von der du Big Needhans Pferd bezahlst, kannst es auch zurückschicken, wenn du willst. Und einen anderen Revolver bekommst du von mir. Zufrieden?«
»Du weißt noch nicht, ob ich für dich arbeiten werde, Ben.« »Ich bin sicher, du wirst es.« Ben reitet an. Es geht nach Westen, in die Berge hinein. Clay erzählt von seiner Zeit in Texas und Colorado, während Ben ihm die Gegend erklärt. Langsam wird das Gelände steiler, sie kommen am wild schäumenden Cow Creek vorbei und nehmen den Weg über eine Steilhalde zur nächsten Schlucht hoch, durch die der Fahrweg läuft. Seit ihrem Aufbruch von Lymans Saloon mag etwa eine Stunde vergangen sein, als Clay auf die Rauchfahne im Süden deutet. »Was ist dort, Ben?« »Eine der Außenstationen von Waltmans Ranch, Clay. Er hat hier einige Ecken Land, während seine Hauptranch jenseits der Berge in unserem Rücken am Mittelarm des kleinen Leramie-Rivers liegt. Von hier aus ist es keine Stunde mehr, dann sind wir auf meiner Ranch. Das Tal vor uns ist eine alte Indianerfalle, hier haben mal die Indianer die Kavallerie angegriffen. Vor ein paar Jahren noch konnte man alte Patronenhülsen und Pfeilspitzen hier finden, wenn man das nötige Glück besaß. Reiten wir schneller, ich habe mächtigen Hunger, Vetter, du nicht auch?« »Noch bin ich kein Wolf. Aber wer weiß, was heute abend aus mir geworden ist, bekomme ich kein Essen«, unkt Clay. »Du wolltest mir noch einige Dinge über die Holloways sagen. Was sind das für Burschen?« Sie reiten in das Tal ein. Clay blickt sich um und kann sich vorstellen, daß in diesem langgestreckten und von hohen Wänden eingerahmten Tal einmal die Indianer für die Armee eine prächtige Falle aufbauen konnten. Drüben wachsen einige Tannen. Birken säumen das Ufer eines kleinen, träge fließenden Baches, der durch das Tal seinen
gewundenen Lauf nimmt. Rechterhand ist die Halde aus Felsgeröll von etwa hundertdreißig Yards Höhe, Felstrümmer liegen unten. »Harry ist etwa fünf Jahre hier«, sagt Ben an seiner Seite. »Brett ist ein notorischer Kartenhai. Das wissen nur wenige Eingeweihte, und die halten den Mund. Es ist nicht gesund, mit den Holloways Ärger zu bekommen. Wenn sie auch ziemlich friedlich erscheinen, sie sind wie Vipern, deren…« Er kommt nicht weiter, denn genau in diesem Augenblick, mitten in der alten Indianerfalle für die Armee, in der Clay und Ben stecken, sieht Clays suchender Blick hoch oben am rechten Hang der Schlucht das Blinken. Clay Horton, gerade noch in die Betrachtung dieser gewaltigen Schlucht versunken, wird durch das Blinken jäh aus seinen Gedanken gerissen und sagt scharf: »Ben, rechts! Weg mit dir!« Zugleich holt er mit dem rechten Fuß aus und tritt zu. Ihm bleibt keine andere Wahl, als Bens Pferd in die Seite zu stoßen. Ben reitet rechts neben ihm und genau zwischen ihm und jenem Blinken auf dem rechten Rand der Schlucht. Bens heiserer und erschreckter Ruf fällt mit dem Sprung seines Rotschimmels zusammen. Der Rotschimmel fegt sofort los. Während Clay erst noch einige Schritt Abstand verliert. Er wirft sich flach auf den Hals seines Pferdes, blickt nach oben und sieht nun auch schon den Blitz. Verzweifelt versucht er, noch sein Pferd herumzureißen, aber die Kugel ist schneller. Mitten in der Drehung packt sie seinen Gaul. Wirbelnd schlagen die Vorderhufe des Pferdes in die Luft, dann kommt jener gräßliche und von Clay gefürchtete Todesschrei des Pferdes. Der Gaul bricht zusammen wie unter einem Hieb. Clay Horton reißt sein rechtes Bein hoch, stößt das linke ab und fliegt zur Seite. Der Gaul bricht keine vier Schritte neben
ihm zusammen. Sofort rollt er sich zurück, sein Pferd ist auf die Gewehrseite gefallen, zuckt zweimal und liegt dann still. Das Gewehr ist unter dem schweren Leib des Pferdes begraben worden. »Ben, schnell, geh in Deckung!« brüllt Clay heiser und sieht Ben beinahe auf die linke Seite des Rotschimmels rutschen. Zwar sieht er Ben zum Gewehr greifen, doch muß Ben sein Pferd im Zickzack lenken. Im nächsten Augenblick peitscht es oben zweimal auf. Der Gaul von Ben, neben dem links eine Staubfahne vom Boden hochgerissen wird, macht einen Satz in die Luft. Dann fliegt Ben auch schon im Bogen ab, bleibt wie tot liegen, während sein Pferd in rasendem Galopp zu den Felsen jagt. Clay stemmt sich blitzschnell hoch. Er will sein Gewehr greifen und die Waffe unter dem Pferd herausreißen. Doch faucht es in der gleichen Sekunde von oben her. Die Kugel schlägt haarscharf neben ihm ein und überschüttet ihn mit einem Regen von Staub und Sand. Er läßt sich fallen, hört das Bellen oben und den dumpfen Laut, mit dem die Kugel in den Sattel schlägt. Noch liegt er hier sicher, aber was wird, wenn der Bursche sich einschießt und stundenlang wartet? Was macht Ben? Ben liegt etwa dreißig Schritte von den ersten Felsen entfernt auf dem Bauch. Aber im Knall des nächsten Schusses von oben zieht er sein Bein an. An der Clay zugewendeten Seite hebt Ben matt die Hand. Clay taucht hoch, läßt sich wieder fallen und hat das zweimalige Krachen in den Ohren. Seiner Schätzung nach hat der Bursche oben nun keine drei Patronen mehr im Gewehr. Wieder winkt Ben. Clay begreift und zeigt sich etwas. In den Hall des Schusses hinein, der seinem kurzen Sichtbarwerden folgt, dem Donner, der durch das Tal rollt, springt Ben auf und
rennt in wilden Sätzen los. Ben Latham hat sein Gewehr in der Hand, wirft sich hin und entgeht der nächsten Kugel nur mit knapper Not. Er hat sich um zwei Sekunden früher fallenlassen, springt wieder auf und rennt auf die Felsen zu. Er läuft im Zickzack wie ein flüchtender Hase. Die Furcht vor der nächsten Kugel treibt ihn zu rasendem Lauf an. Clay sieht hoch und erstarrt zur Bildsäule. Die Entfernung mag hundertachtzig Schritte betragen, aber der Mann oben ist ganz deutlich zu erkennen. Der Mann, der halb aufgetaucht ist und sein Gewehr rasend schnell zu laden versucht, trägt einen breitrandigen hellgrauen Hut, eine schwarze geschlossene Jacke und ein knallrotes Halstuch. Es war erst letzte Nacht, daß Clay Horton diesen Mann gesehen und gesprochen hat, der jetzt etwas höher auftauchen muß, weil Ben Latham bereits dicht vor den größeren Felsen ist hinter denen er Deckung finden kann. Der da oben muß sich jetzt zeigen. Er reißt das Gewehr an die Schulter feuert zweimal und sieht dann nach links. Er erkennt nun Clay, nimmt das Gewehr herum und legte auf ihn an. Im gleichen Augenblick feuert aber auch schon Ben, der endlich in Deckung ist. Die Kugel jagt dicht neben dem Mann an einen Felsen und jault davon. Jetzt erst läßt der Mann mit dem Wahlspruch sich fallen. Es wird zu gefährlich für ihn. »Joe, du verdammter Bluffer«, sagt Clay voller Zorn und Abscheu. »Alles zu seiner Zeit, wie? Dafür wirst du noch bezahlen müssen, das verspreche ich dir!« Er sieht Ben laufen, der gleich ganz aus dem Schußwinkel von Joe Slico sein wird. Während Ben wie ein Wilder zwischen den Felsen auf sein Pferd zurennt, das ein Stück weiter stehengeblieben ist, trommelt oben an der Schlucht jäh Hufschlag los.
Der Trommelwirbel entfernt sich rasend schnell. Ben kommt nach knapp einer Minute zu seinem Pferd, springt in den Sattel und will die Schlucht hochjagen, als Clay brüllt: »Ben, er ist weg! Komm zurück, er ist weg, der Schuft!« Ben hält, dreht sein Pferd und kommt dann mit dem Gewehr im Arm herangeritten. Latham hat sich die Wange aufgekratzt beim Fall. Er ist über und über dreckig, sein ganzer, prächtig neuer Anzug sieht ramponiert aus. Wachsam starrt er auf den Rand der Schlucht und sagt keuchend, die Anstrengung des Laufes noch auf dem Gesicht. »Der verdammte Schurke da oben. Ist er wirklich weg, Clay? Ich habe nur seinen Schatten sehen können, dann hat er sich auch schon fallen lassen. Clay, he, was ist, was siehst du mich so an?« Clay Horton starrt auf das tote Pferd, tritt an die Seite, zieht mühsam sein Gewehr hervor und blickt dann wieder Ben an. »Ich hätte auf dich hören sollen, Ben«, sagt er gallenbitter. »Eigentlich hätte ich Narr mir sagen müssen, daß ein Mann niemals etwas vergißt, wenn die Sache schlimm genug war. Ben, Joe Slico hat nichts vergessen. Er war da oben!« Einen Moment verliert Ben seine sprichwörtliche Beherrschung. Er sieht Clay völlig verstört an und flucht dann wild los. »Du hast ihn erkannt?« »Ja, Ben, so sicher, wie ich mich selbst erkennen würde. Er hat es also nicht vergessen. Ich werde ihn einige Dinge zu fragen haben und das bald!« »Clay, mach keinen Unsinn, du weißt, daß er so schnell wie du bist. Hör zu, überschlafe die Sache erst, ich möchte dich nicht verlieren. Du, im Grunde ist es meine Schuld, Clay, ich hätte dich nicht herkommen lassen dürfen. Ich mache mir einen Haufen Vorwürfe, Junge. Aber die andere Sache ist so
wichtig für mich, daß ich gar nicht mehr mit Joe gerechnet habe. Nach all den Jahren soll er die alte Geschichte wieder beginnen? Clay, ich bin schuld daran.« »Jetzt redest du Unsinn«, erwidert Clay nachdenklich und düster. »Immer ruhig, Ben, ich werde mir Joe ansehen. Und ich werde es genau wie er tun, denn er ist nur mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ich werde warten. Alles zu seiner Zeit, wie? Alles zu seiner Zeit!« »Clay, hör mir zu…« »Du heulst den Mond an, Vetter.« »Dein verdammter, sturer Texanerschädel!« brüllt Ben so wütend wie noch niemals zuvor. Er lächelt jetzt nicht mehr. »Du verdammter Narr, du wirst es zurückstellen, ich werde dafür sorgen, daß so etwas nicht noch einmal passieren kann. Clay, mach jetzt keinen Strich durch meine Pläne! Meinst du, ich lasse dich von Texas bis nach Wyoming kommen, nur um mit dir drei Stunden reden zu können? Ich habe ein Pferd, ein Pferd habe ich, ach was, das ist kein Pferd, das ist ein Blitz, aber es feuert jeden Mann ab. Es ist noch nicht gezähmt. Und in zwei Wochen findet in Kansas City das größte Rennen des Mittelwestens statt. Weißt du, was das heißt? Ich habe ein Pferd, wie es niemals zuvor eins gegeben hat. Und ich habe nun einen Mann, von dem ich sicher weiß, daß er mit einem Pferd fühlen kann. Donnerwetter, du reitest diesen Gaul für mich ein, das ist alles, was ich will. Du reitest ihn auch auf dem Rennen bei Mittelwest-Rodeo. Und du wirst für mich und uns Männer der Horton-Sippe siegen. Jetzt weiß du es, du verdammter Narr, ich wollte dich überraschen. Hänge dich auf, geh doch zum Teufel, Mann! Das ist zuviel für mich! Die ganzen Jahre…« Er ist so wütend, daß Clay tatäschlich glaubt, den sonst so ruhigen und freundlichen Ben treffe der Schlag. Ben flucht ent-
setzlich, wird aber mit der ihm eigenen Plötzlichkeit ruhig und wendet ihm den Rücken zu. »Entschuldige«, sagt Ben nach einer Pause leise und steckt sich eine Zigarette an. »Diesen Gaul habe ich vor allen Blicken versteckt, ich habe ihn gehütet wie eine Mutter ihr Kind, wie – ich weiß nicht wer. Das ist ein Pferd, wie du es noch niemals gesehen hast. Ich habe meine beste Stute immer auf einer besonderen Weide gehabt, ein Pferd, wie es vielleicht kaum hier zu finden sein wird, auch bei Big Sam vielleicht nicht. Eines Nachts muß ein verdammter Wildhengst in den Corral gekommen sein. Gott lobe es ihm, obwohl ich ihn eben verdammt habe. Dann hat die Stute ein Fohlen bekommen, ein brandhäßliches Fohlen, aber Beine wie eine Jungfrau aus dem Bilderbuch. Du hast so ein Pferd noch nie gesehen, noch nie. Ich kann es nicht mit Gewalt einbrechen lassen, weil ich Angst habe, daß man es verdirbt. Hörst du, ich habe mal wirklich vor etwas Angst, Clay. Ich kenne nur einen Mann, der ihn zähmen kann, lammfromm machen, wenn vielleicht auch nur für sich, das bist du. Deshalb mein Wunsch, mit niemandem über dein Reiseziel zu sprechen, verstehst du mich?« »Ja«, sagt Clay und denkt plötzlich an ein Pferd, das wie Jimmy sein wird, wie Jimmy. Guter, alter Jimmy, auf dessen Rücken ich viele, viele Meilen geritten bin, ein großes, schönes Pferd, wie es kein zweites gibt, der Traum jeden Reiters. »Jetzt weiß ich, warum du so geheimnisvoll getan hast. Ben, wenn du sagst, daß es ein besonderes Pferd ist, dann muß ich es sehen. Gleich, sofort! Dann soll mich Joe sonstwo, yes, soll er mich. Ein Pferd, wie ich noch keins gesehen habe, wirklich.« »Ich mag viel gelogen haben in meinem Leben«, erwidert Ben Latham ernst. »Aber du mußt es sehen, um mich zu begreifen, sehen mußt du diesen Hengst.«
»Dann«, sagt Clay und macht den Bauchgurt seines Sattels auf. »Dann hilf mir, meinen Sattel herauszuziehen, Vetter. Ich muß dieses Pferd sehen!« Er blickt auf den Sattel, und ihm ist, als liege der Sattel schon auf dem Rücken eines Pferdes, wie es kein zweites mehr gibt. Joe ist vergessen, alles andere. Nur das Pferd ist da, das Pferd füllt seine Gedanken aus. Ein Pferd wie Jimmy, auf dem er viele Meilen geritten, und das ihm ein guter Partner geworden war. Er ist zu sehr ein Reiter und Pferdenarr, um noch an etwas anderes denken zu können. Der Traum eines jeden Reiters, einmal ganz vorn zu sein, ein Pferd zu haben, das seinen Reiter liebt, dieser Traum kann Wahrheit werden. Er muß das Pferd sehen. Er wird es sehen. * Der Hengst ist tiefbraun, sein Fell hat beinahe eine schwarze Färbung. Seine Nüstern sind weich wie der Flaum des reifen Pfirsichs und seine Augen goldbraun mit einigen Tupfen von tiefem Schwarz. Ein feines Netz von Äderchen überzieht seinen schlanken, rassigen Kopf. Seine Brust ist breit, verrät eine fast unerschöpfliche Energie und Ausdauer. Die Mähnenhaare flattern, wenn er davonjagt und seinen Schweif fast waagerecht in die Luft streckt. Seine Läufe sind lang und wirken beinahe dünn. Aber wenn er läuft, dann scheinen sie zu wirbeln, zu trommeln wie etwas nie Erlebtes. Wie Unwirklichkeit selbst schießt der Hengst dahin. Clay liegt still im Gras und hat einen Halm zwischen den Lippen, als der Hengst kommt und den langen, schlanken Hals beugt. Clay Horton hat die Lider geschlossen und rührt
sich nicht. Der Hengst stößt ihn an, fährt dann über sein Gesicht und zupft an dem Halm, den Clay zwischen den Lippen hält. Dann prustet dieses große, mächtige Tier ihm mitten ins Gesicht und wirft den Hals hoch, als sich Clay bewegt und die Lider öffnet. »He, Jimmy«, sagt Clay und lächelt. »Na, du Tramp?« Der Hengst steilt und wirft sich dann krachend auf die Seite. Er wirkt wie ein zu groß geratenes und noch immer verspieltes Fohlen, das sich im Gras wälzt und prustet, als Clay kommt und seinen Kopf anhebt. »Siehst du, genau sieben Tage«, murmelt Clay Horton und krault Jimmy hinter den Ohren. »Sieben Tage hast du nur gebraucht, um zu merken, daß ich es gut mit dir meine, wenn ich mich auf deinen Rücken setzen will. Du bist ein kluger Bursche, ein mächtig kluger Bursche, Jimmy. Ich kenne kein Pferd, das so klug ist wie du, so schnell und so verspielt. Mistvieh, laß meine Hemdärmel los. Na, Jimmy, wirst du wohl? Gestern habe ich Ben gesagt, daß ich heute mit dir einen Ritt machen würde, meilenweit, zehn, dreißig Meilen, immer schneller. Und was hast du getan? Du bist gerannt wie der Teufel vor seiner besenschwingenden Großmutter. Steh auf, Jimmy, aufstehen, hopp.« Er muß ihm erst das linke Ohr kraulen, ehe sich Jimmy aufrichtet und mit gesenktem Hals auf den Sattel zutrottet. Der Hengst mag den Sattel immer noch nicht richtig. Er mag seinen Reiter, der ihm zuerst einen Sandsack, dann am übernächsten Tag einen Sattel aufgepackt und ihn ruhig beobachtet hatte, während Jimmy versuchte, den Sattel abzustreifen. Dann hat er sich daran gewöhnt, von demselben Mann Wasser zu bekommen, nachdem er einen ganzen Tag und eine Nacht gar nichts bekam. Und schließlich hat dieser Zweibeiner sich in seinem starken Pfahlcorral hingelegt. Er hat gelernt, Clay
Zucker aus der Tasche zu stehlen. Jetzt schielt Jimmy zum Sattel und macht den Hals lang. »Tritt ihn bloß nicht wieder, du verspieltes, eigensinniges Ungeheuer«, sagt Clay und zieht schnell den Sattel weg. »So, nun stehen wir ganz ruhig, ganz ruhig, Jimmy. Der Sattel tut dir gar nichts. Wir legen ihn schon auf, nur friedlich, Junge, nicht zu beißen versuchen. Ich weiß, daß du das nicht magst, aber mit mir rennen, wenn ich dich am Zaumzeug halte, das magst du. Dich im Gras wälzen wie ein Hund und dich kratzen lassen, das magst du auch. So, so ist gut. Nun steht der brave Jimmy still.« Es dauert keine zwei Minuten, dann hat er ihn gesattelt, gibt ihm ein Stück Zucker und klopft ihm den Hals. Jimmy wird schon lernen, daß es Zucker gibt, wenn er sich den Sattel auflegen läßt. Clay zieht sich langsam hoch, dann nimmt er die Zügel locker und drückt Jimmy leicht die Hacken an. Sofort will der Hengst lostoben, aber er wird gezügelt und trabt nur. Etliche kurze Strecken läßt Clay ihn galoppieren, dann verhält er ihn wieder und führt mit ihm Links- und Rechtsschwenkungen aus. Jimmy hat gut begriffen, daß er beim Schenkeldruck, auch ohne am Zügel gerissen zu werden, nach links oder rechts drehen muß. »Ich werde in Wyoming bleiben, um dich nicht verlassen zu müssen, Jimmy«, sagt Clay dicht vor dem kaum drei Meter hohen und zwei Meter breiten Felsspalt, der in den Talkessel führt, in dem der Corral und die Hütte stehen. »So ein Pferd wie dich läßt man nicht allein. Ich kann dich nicht mitnehmen nach Texas, weil du Ben gehörst, darum muß ich wohl bleiben. Wir werden beide viele Rennen gewinnen, Jimmy, ich weiß es. Du bist nicht zu schlagen, selbst Duke ist gegen dich zu langsam und wahrscheinlich auch nicht ausdauernd genug. Du bist ein freches Ungeheuer, willst du schon wieder Zucker?
Vernascht wie ein Mädchen, und das will ein Hengst sein? Jimmy, schäme dich.« Er redet seit Tagen dauernd mit ihm. Und Jimmy hat sich an ihn gewöhnt, stellt die Ohren auf, wenn er die Stimme hört und treibt sich dauernd an der Corralseite zur Hütte hin herum. Es ist, als kenne dieses Pferd keinen anderen Platz mehr als den an seiner Seite. Clay bückt sich leicht, reitet unter den überhängenden Ästen des Faulbaumes her und kommt in den Einschnitt. Noch zehn Schritte, dann liegt der Talkessel vor ihm. Links ist die Hütte. An der rechten Wand entspringt ein kleiner Quell, der unterhalb der Wand im Boden versickert. Genau vor Clay ist der feste Corral. Schenkelstarke Baumstämme tragen ein Gewirr von ineinander verflochtenen Ästen. Kein Pferd bricht aus diesem Corral aus. Zudem ist der Zugang zur Felsspalte durch ein doppelt starkes Gatter gesichert. Clay macht das Gatter auf, erkennt augenblicklich Spuren und sagt halblaut: »Nanu, noch eine Spur? Sollte Ben hier sein?« Gleich darauf sieht er Ben, der auf der einfachen Stangenbank vor dem Blockhaus hockt und ihm ernst entgegensieht. Sein Gesicht verrät Unruhe. Clay hält genau vor dem Gatter, bindet vom Sattel aus die Zügel an den Pfahl und steigt dann erst ab. »Hallo, Ben«, ruft Clay. »Wenn du auch ein verdammt seltsames Gesicht aufgesetzt hast, ich muß dir sagen, daß Jimmy jedes andere Pferd schlagen kann. Er ist schnell wie der Blitz und ausdauernd wie ein Kamel in der Wüste, wenn das ein Vergleich sein kann. Was ist, freust du dich nicht? Ich habe ihn sechzig, siebzig Meilen rennen lassen. Und er ist kaum müde. Sieh ihn dir an, zeigt er Erschöpfung?«
Ben steht langsam auf, einen Augenblick liegt Freude auf seinem Gesicht, dann geht er dicht an Clay vorbei und sagt nur: »Die Sache kann mich freuen.« Gleich darauf steht er neben Jimmy, langt zum Sattel und zieht Clays Winchester 72 aus dem Scabbard. Er dreht das Gewehr um, riecht am Lauf und sieht dann Clay seltsam verstört an. »Also doch«, sagt er stockheiser und gepreßt. »Du Narr, wie hast du das tun können? Sie haben sein Gewehr gefunden, aus dem nicht eine Kugel abgefeuert worden ist. Und dein Lauf hier stinkt auf drei Meilen nach verbranntem Pulver. Warum hast du es getan?« Clay ist, als käme etwas auf ihn zu, das wie eine düstere schwarze Wolke den Horizont verfinstert. Er blickt Ben starr in die Augen und fragt knapp: »Warum soll ich was getan haben? Wessen Gewehr hat man gefunden? Wie redest du, Alter?« »Wie ich rede? Nun verdammt, wann bist du hier losgeritten, Clay? Antworte genau auf meine Frage?« »Gegen fünf Uhr früh. Zum Teufel, was ist los, Mann?« »Gegen fünf Uhr früh. Und in welche Richtung?« »Du hast doch gesagt, daß am Savery Creek eine ebene, lange Fläche ist, auf der man ein Pferd ausreiten kann. Nun gut, genau dorthin bin ich geritten. Was ist denn los, willst du nicht endlich sagen, was es gegeben hat?« »Du hast also geschossen.« »Natürlich habe ich geschossen. Ich habe bestimmt dreißig Schuß verknallt, um Jimmy an dieses Geräusch zu gewöhnen. Bißchen viel für ihn gleich zu Anfang, aber ich habe ihn halten können. Er begreift so schnell, daß es beinahe ein Wunder ist. Willst du mir jetzt bald sagen, was passiert ist?« Ben hält das Gewehr in der Hand, greift dann in die Tasche
und zieht eine Patrone heraus, von der die Bleikugel fehlt. »Winchester 72, denke ich«, sagt Ben hart. »Und vier von diesen Patronen sind bei Joe Slicos Pferd gefunden worden, zusammen mit seinem Gewehr, aus dem kein Schuß gefehlt hat. Du Narr, der Sheriff war bei mir und hat dich holen wollen. Sie haben Joe nicht finden können und werden ihn auch nicht finden. Genau an der Stelle, an der es ihn erwischt hat, ist ein Felsspalt von unergründlicher Tiefe. Sie haben nur Blut und seinen Hut an der Spalte gefunden. Und weißt du, was er gesagt hat. als er vor einem Tag von der Ranch verschwand? Er würde dich besuchen, das hat er gesagt. Und das Mädel hat gesagt, daß du seinen Bruder umgebracht hast. Sie hat sich versprochen, als der Sheriff mit zwei von Big Sams Reitern von der Suche nach Joe zurückgekommen war. Woher hat sie es gewußt?« »Von mir«, sagt Clay entsetzt. Und die Wolke hat ihn erreicht und hüllt ihn ein. Es ist ihm, als würde die Wolke ihn ersticken. »Mein Gott, ich habe es nicht getan, ich doch nicht. Ben, ich schwöre dir, ich bin es nicht gewesen! Gerechter Himmel, wo haben sie Joe gefunden?« »Achtzehn Meilen von hier. Er hat dich also wirklich besuchen wollen. Clay, lüge mich nicht an. Du hast ihn vielleicht umbringen müssen. Sage mir die Wahrheit. Der Sheriff sucht dich, er sucht dich wegen Mordes, Junge.« Mord? Er soll Joe Slico umgebracht haben? Das ist doch Wahnsinn, das ist einfach zu verrückt, um wahr zu sein. Er hat sich die ganzen Tage nur mit dem Hengst beschäftigt. Und heute hat er nichts von Joe Slico gesehen, weder heute noch an einem der anderen Tage. Es ist dieselbe Geschichte wie in Cheyenne. Sie schieben ihm etwas in die Schuhe. Man will ihn, den Fremden, der als Tramp in dieses Land kam, für einen Mord bezahlen lassen.
»Er sucht mich wegen Mordes?« fragt Clay gedehnt und mit so düsterer Stimme, daß Ben ihn besorgt ansieht. »Ben, hast du gesagt, daß ich wegen Mordes…« »Ja«, erwidert Ben und steckt das Gewehr mit einem Ruck an den Sattel zurück. »Er sucht dich. Und alle Dinge scheinen zu passen, Junge. Du warst es also nicht?« »Sag mal, Ben, hältst du mich für verrückt? Ich habe Joe nicht zu Gesicht bekommen, ich schwöre es dir! Mein Gott, wenigstens du mußt mir doch glauben. Ben, glaubst du mir etwa nicht?« Ben sieht ihn lange an und lächelt dann dünn. »Natürlich glaube ich dir«, erwidert er mit seiner üblichen Ruhe. »Wenn du es sagst, dann stimmt es auch, das weiß ich. Clay, der Sheriff sucht dich. Er ist mit zwei Deputys unterwegs und versucht dich zu fangen. Ich habe ihm gesagt, daß du dich nur zwei Tage bei mir aufgehalten hättest und dann weitergeritten wärest. Wohin, das wüßte ich nicht. Vielleicht hat er mir nicht geglaubt. Ich habe ihn beobachten lassen. Er ist drüben in den Bergen und sucht dort nach Spuren. Wer immer aber Joe umgebracht haben mag, der Mann wird nicht so närrisch gewesen sein, auch noch Spuren zu hinterlassen, aus denen man seinen Fluchtweg lesen kann. Warte, rege dich nicht auf, die Sache bringe ich in Ordnung. Du brauchst nicht wütend zu werden. Alles, was wir im Augenblick brauchen, das ist etwas Zeit. Ich werde dem Narren von Sheriff drei Zeugen bringen.« »Was willst du tun?« fragt Clay lauernd. »Zum Teufel, ich habe Joe nicht umgebracht, ich brauche folglich auch keine Zeugen. Ich gehe hin, stelle mich dem Sheriff und werde ihn fragen, ob er verrückt ist.« »So?« fragt Ben düster. »Junge, ich kenne deinen Dickschädel. Du bekommst das fertig. Und wie willst du beweisen, daß du zu der Zeit, als Joe sterben mußte, meilenweit entfernt
warst? Moment, ich weiß es, ich weiß es.« »Was?« fragt Clay gereizt. »Mach schon den Mund auf, Ben. Ich lasse mich noch zur Not einen Falschspieler nennen, aber einen Mörder nennt mich niemand, verstanden? Was weißt du?« »Ich denke an Jesse Calmin.« »Der ist doch tot?« »Aber seine Freunde sind verdammt lebendig, Junge«, erwidert Ben Latham und faßt sich an den Kopf. »Natürlich, Jesses Freunde. Einer von ihnen hat Joe einen Denkzettel verpaßt und ihn hinterrücks an der Flucht über dem Felsspalt erschossen.« »Calmins Freunde, Ben? Mann, das könnte sein, aber Beweise mußt du haben, Beweise. Meinst du, einer von denen gibt zu, daß er Joe erschossen hat? Ist überhaupt sicher, daß Joe tot ist?« »Was?« sagt Ben Latham verstört. »Hör mal, ich kenne die Gegend, und ich kenne den Spalt, wie fast alle hier die Ecke kennen. Ich sage dir, der Spalt ist zweihundert oder mehr Yards tief. Ein verrückter Bursche hat vor ein paar Jahren versucht, mit Hilfe von Strickleitern hinabzusteigen, weil er unten Gold zu finden hoffte. Er bildete sich ein, da unten sei Gold. Die Indianer sollen in diesem Gebiet früher Gold gefunden haben. Weißt du, wie tief er gekommen ist? Genau zweihundert Yards. Sie haben ihn rufen hören, daß kein Ende zu finden sei. Dann gab es einen Schrei, und er ist abgestürzt. Wohin, das wissen die Götter. Jedenfalls liegt er noch dort unten. Niemand hat seitdem gewagt, in den Spalt zu steigen. Wer immer dort hinabfällt, ist tot. An den Spuren haben sie gesehen, daß Joe wohl noch Deckung gesucht haben muß. Genau wie bei dir, als er dich unter Feuer genommen hat, war auch sein Gewehr unter seinem Pferd eingeklemmt. Er ist dort hineingestürzt.«
Clay blickt auf seine staubigen Stiefel und sagt fast tonlos: »Beinahe tut mir Joe leid. Er war immer ein ordentlicher Mann, ganz anders als sein kleiner Bruder Larry. Ben, wie willst du Calmins Freunde zum Reden bringen?« Ben Latham lächelt auf seine übliche, ruhige Art. Dann steckt er sich die Zigarre erneut an, reicht Clay eine andere und sagt träge: »Du weißt nicht alles von mir, ich werde es schaffen. Ich habe so einige Mittel, wenn ich etwas erfahren will. Clay, in sechs Tagen ist der letzte Termin zur Nennung beim Rennen. In fünf Tagen müssen wir unterwegs nach Kansas City sein. Einen Tag liegen wir auf der Bahn. Du mußt dieses Pferd reiten, aber du mußt bis dahin auch verschwunden bleiben. Gib mir vier Tage Zeit, wage dich hier nicht weiter heraus, ich werde den Mörder finden. Niemand, außer zwei von meinen Leuten, kennt diesen Platz, hier findet dich kein Mensch. Clay, du mußt Jimmy für das Rennen fit machen, nur du kannst es schaffen. Gib mir vier Tage, Clay.« »Und wenn du es nicht erreichst und ich weiterhin als Mörder umherlaufe, Ben? Vielleicht finde ich eine Spur dieses Mörders. Du weißt, ich finde sie so gut wie ein Indianer. Ist es nicht besser, wenn ich suche?« »Sie werden auf dich ohne Anruf schießen. Deine Geschichte aus Cheyenne ist hier bekannt, sie werden dir zutrauen, ein Mörder zu sein«, sagt Ben verzweifelt. »Ich schaffe es, Junge, ich kenne einige Mittel, um jemanden zum Reden zu zwingen. Und wenn nicht, wenn der Mörder von Joe vielleicht schon verschwunden ist, dann bleibt immer noch der Weg, daß ich drei Zeugen beschaffe, die beschwören, daß du an jedem Ort der Welt gewesen bist, nur nicht hier oben. Dir kann nichts geschehen, wenn du nur hier oben bleibst. Warte, ich schicke dir Budd Sundin, obwohl ich eigentlich jeden Mann brauche.
Wenn hier oben etwas ist, dann kann Budd mir wenigstens Nachricht geben. Clay, er kann dir helfen. Besser zwei Männer hier oben, als du nur allein.« »Ich kann mir selbst helfen.« »Aber Budd kennt hier jeden Steg und Weg, Clay, du nicht. Entdeckt dich dieser sture Sheriff doch, dann kann Budd dich in Sicherheit bringen und Jimmy. Jimmy darf nichts passieren, Junge. All meine Hoffnung ist dieser Hengst. Du weißt, ich habe immer jedem geholfen, ich werde auch dich nicht im Stich lassen, Junge, niemals. Jimmy muß das Mittelwestrennen gewinnen.« »Ben, ich ertrage es nicht, als Mörder umherzulaufen. Untätigkeit ist nie mein Fall gewesen. Geh ich hier hinaus, dann erwischen sie mich vielleicht und schießen ohne Anruf, das kann sein. Ich kenne die Gegend auch nicht wie meine Westentasche. Suche mir diesen Burschen, der mir die Sache mit Joe eingebrockt hat. Es ist nichts als ein blödsinniger Zufall, daß Joe ausgerechnet nach mir gesucht und es auch noch gesagt hat, ehe er weggeritten ist. Weiß jemand etwas von dem Pferd?« »Ich habe es wegschaffen lassen, um keine Fragen zu erleben«, gibt Ben zurück. »Du hast doch selbst gesagt, den Gaul würde man vielleicht finden und sich wundern, warum er erschossen worden ist. Sicher, vielleicht wäre es klüger gewesen, ihn liegenzulassen und Joe auf das Fell zu rücken, aber wir haben über Jimmy hier dein erschossenes Pferd und Joe vergessen. Laß sein, rege dich darüber nicht auf, ich bin Zeuge, daß Joe auf dich geschossen hat. Ich habe mich erkundigt, Joe ist dir nachgeritten, von der Außenstation an.« »Warum hast du mir das nicht eher gesagt, Ben?« »Warum?« fragt Ben düster. »Ich habe dich mit dem Pferd arbeiten sehen und wollte dich auch nicht ablenken. Es ist nicht mehr zu ändern, Junge. Ich weiß, daß du Joe nicht erschossen
hast, ich kenne dich. Du kennst auch mich, du mußt nur Vertrauen zu mir haben. Clay, hast du kein Vertrauen zu mir? Ich finde den Mörder schon.« Clay Horton sieht seinen Vetter forschend an und nickt dann langsam. Er vertraut Ben. Ben ist ein kluger Kopf und weiß seine Sache bestimmt aufzuklären. Wenn er dieses Camp verläßt, dann geht er das Risiko ein, auch erwischt zu werden. Vielleicht schießen sie ihn tot, ehe er ein Wort sagen kann. Und Jimmy, was wird dann aus diesem prächtigen Hengst? Wer gewinnt das Mittelwest-Rennen? Der Hengst braucht noch einige Tage, ehe er alles gelernt haben wird. Er kann den Hengst nicht im Stich lassen. Unwillkürlich sieht er zu Jimmy hin, der ihm den langen Hals entgegenstreckt. »Ben«, sagt Clay Horton dann düster. »Ich bin sicher, daß du alles tun mußt, um meine Unschuld zu beweisen. Wer soll sonst das Pferd reiten, wie? Finde diesen Burschen. Ich sehe ein, daß ich hier ein Fremder bin, mich nicht auskenne in der Landschaft, kaum einen Mann kenne und nichts von den Leuten und Joes Ärger mit Jesse Calmins Freunden weiß. Ich kenne die Burschen nicht. Ich weiß nicht einmal, wo ich sie zu suchen habe. Ben, ich warte vier Tage, hörst du? Genau vier Tage von dieser Stunde an. Dann hast du den Mörder gefunden, sonst muß ich reiten und ihn mir selbst suchen. Ben, ich verlasse mich auf dich.« Ben Latham nickt schwer, lehnt sich an den Corral und blickt starr auf den Boden. »Du kannst dich auf mich verlassen. Clay, sei nur unbesorgt. Ich werde den Mörder finden. Rühre dich hier nicht heraus. Denke an Jimmy, er braucht dich, er wird außer dir niemanden in den Sattel lassen. Als ich es gestern versuchte, da hat er mich abgeworfen, das weißt du. Clay, das Pferd und du, ihr
gehört zusammen, das vergiß nicht. Ich schicke dir Budd Sundin, er wird in zwei Stunden hier sein. Nun, wir haben nicht mehr viel Zeit, ich muß anfangen, den Kerl zu suchen. Verprichst du mir zu bleiben?« »Ich verspreche es dir. Du weißt, ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen. In Ordnung, Ben?« »In Ordnung«, erwidert Ben fest. »Paß ein wenig auf, es kann nichts schaden!« »Das werde ich tun.« »Nachher kann Budd dich ablösen, während du mit Jimmy arbeitest. Mann, ich muß los. Verteufelte Sache, daß dieser Narr Joe auch ausgerechnet sagen mußte, daß er dich besuchen wollte.« Er dreht sich um, sitzt auf und streckt vom Sattel aus die Hand herab. Clay ergreift sie und spürt Bens beruhigenden und festen Händedruck. »Immer tapfer, Texaner – und kaltes Blut!« sagt Ben fest. »Und, Clay, wenn, wenn…« Ben Latham bricht ab und zieht sein Pferd herum. »Was ist, Ben?« Langsam sieht Ben seinen Vetter aus Texas mit starrem Gesicht an. »Clay«, sagt der sonst immer lächelnde Ben bitter. »Ich habe nicht immer in meinem Leben alles richtig und gut gemacht, aber ich habe viele Dinge einfach so erledigen müssen. Wenn ich eines Tages…« Er macht eine Pause und sieht seinen Vetter nun nicht mehr an. Es ist, als ringe er sich seine Worte nur mit größter Mühe ab, obwohl er sonst ein glänzender Redner ist. »Wenn ich eines Tage sterben sollte, dann gehört Jimmy dir, Junge. Und all das, was ich auf der Welt besitze. Ich habe das schriftlich hinterlassen, schon vor Monaten. Mach's gut, Clay
und halte die Ohren steif.« »Hör mal, Ben?« Aber Ben Latham reißt sein Pferd herum und jagt auf das Doppelgatter zu. Ein Mann, der sich anscheinend mit Todesahnungen quält und zwei Seelen in seiner Brust hat, der lächelt und nie sein wahres Gesicht gezeigt hat, bis zu dieser Minute. »Ben, Alter«, sagt Clay verstört. »Du Narr, du spinnst ja manchmal. Ausgerechnet du denkst an den Tod und ans Sterben? Ben, du wirst noch hundert Jahre alt.« Er denkt daran, daß Budd Sundin sicher bald kommen wird. Vielleicht ist es besser, wenn er Budd hier hat, der kennt bestimmt jeden Fußbreit Boden hier in den Bergen. Ben aber, Ben wird auf die Suche nach dem Mörder von Joe Slico gehen. Vielleicht ist diese Suche gefährlich, wie? Sind Bens Ahnungen nur verrückte Gedanken? Es gibt Dinge, die niemand erklären kann. Er wird es sehen. * »Budd«, ruft Clay heiser nach oben. »Budd, komm herunter, du kannst ja doch nichts mehr sehen. Sind sie noch da?« »Nein«, erwidert Budd, beugt sich über die Felsen und lächelt nervös. »Clay, sie sind verschwunden, aber ich bin nicht sicher, ob sie weit genug weg sind. Der Teufel, es wird dunkel, du hast recht, es ist nicht mehr viel zu erkennen. Ich komme, warte.« Er bleibt doch noch zwei, drei Minuten oben auf den Felsen hocken und starrt durch sein Glas. Dann erst kommt er herabgeklettert und lehnt sein Gewehr an die Wand des Blockhau-
ses. Clay Horton steht innen am Herd, schüttet das Fett über die Steaks und blickt ihm entgegen. Er erkennt deutlich die Unruhe in Budds Augen, aber er selbst ist auch unruhig. Dies ist der dritte Abend, den Budd nun schon bei ihm ist. Die meiste Zeit sitzt Budd oben auf den Felsen und beobachtet die Gegend. Am Nachmittag haben sie einige Reiter gesehen, und in der Dämmerung sind sie wieder aufgetaucht. Budd ist beinahe krank vor Unruhe geworden, hat schon sein Pferd gesattelt und alles zum Verschwinden vorbereitet. Durch das Glas hat Clay deutlich Salem, den Vormann von Big Sam Needhan und einen Mann mit einem Orden erkannt, von dem Budd sagt, daß es der Deputy Tude Graines aus Rawlins ist. Sie suchen also noch immer. »Hoffentlich kommen sie nicht zu nahe«, murmelt Clay. »Ich lösche gleich das Feuer, Budd, sie riechen sonst den Rauch. Die haben eine Ausdauer, was?« »Sheriff Martin ist stur wie ein Büffel, der verdammte Kerl«, flucht Budd Sundin und setzt sich auf die Bank in der Küche. »Woher wissen die nur etwas von dem Versteck hier? Ich fürchte beinahe, sie suchen dieses Loch. Warum reiten sie sonst in der Gegend umher, he?« »Nur ruhig, Budd, sie entdecken es schon nicht.« »Charly ist dabei, ein halber Indianer. Seine Mutter war eine Indianerin. Der verdammte Charly Coles, der findet beinahe jede Fährte.« »Was ist das für ein Mann?« »Der, der ist ein Schlaukopf, dabei Big Sam so treu wie ein Hund. Ein Indianer ist er, ein verdammter Indianer.« Budd schlingt sein Steak herunter, ißt Brot dazu und steht immer wieder auf, tritt aus der Tür und lauscht. Jedesmal kommt er wieder und schüttelt stumm den Kopf.
»Mann, in der Dunkelheit finden sie keine Spuren.« »Graines vielleicht nicht, aber Charly, der verdammte Kerl. Ein Glück, daß wir die Pferde gesattelt gelassen haben. Hör zu, Clay, wenn sie zu nahe kommen, dann müssen wir weg. Der Boß hat Slim und Jack hinter Burdow hergeschickt. Hoffentlich holen sie den Lumpen ein und schleppen ihn her.« Clay, der gerade ein Stück Fleisch im Mund hat, schluckt heftig, würgt das Stück herunter und sagt dann düster: »Ben ist wohl sicher, daß Burdow Joe Slim erschossen hat, aber bekommt er ihn auch? Ich sage dir, Budd, wenn er ihn bis morgen abend nicht hat, dann reite ich selbst los.« »Er hat ihn, oder er bringt drei Zeugen, verlaß dich darauf. Ist doch klar, daß Burdow aus lauter Angst vor Ben geflüchtet ist. Wir hätten es uns gleich sagen müssen. Aber Jack und Slim haben die besseren Pferde. Immer ruhig, Clay, dir passiert schon nichts. Wenn bloß dieser Indianer Charly nicht das Loch findet. Du nimmst diese Wache, ich dann nach drei Stunden die nächste. Clay, mach dir keine Sorgen, du kennst Bens Energie sicher nicht ganz.« Horton blickt düster auf die verschwimmenden Schatten des Corrals und schweigt eine ganze Weile. Dann trinkt er einen halben Becher Kaffee, nimmt sein Gewehr und sagt in der Tür: »In drei Stunden haben wir den Mond am Himmel, eher wird auch der kleine Charly nicht genau sehen könne, Budd. Leg dich hin und schlafe, ich passe solange draußen auf.« »Aber weck mich, sobald du etwas hörst, klar?« »Natürlich«, brummt Clay. »Ich komme dann schon herein.« Er geht los, tätschelt Jimmy, der an die Corralseite kommt, einmal den Hals und nähert sich dann dem Doppelgatter. Ruhig macht er es auf, geht durch den engen Felsspalt nach draußen und hockt sich an den Stamm des Faulbaumes. Die Nacht ist ruhig, kein Geräusch durchbricht diese Stille.
Dunkel und schweigend liegt das Tal mit seinen finsteren Schatten vor seinen Blicken. Horton denkt an den ersten Tag nach Budds Kommen, an dem Ben erschienen ist und ihm gesagt hat, daß Hank Burdow, einer von Jesse Calmins Freunden, seit dem Tag von Joes Todessturz in den Spalt spurlos verschwunden ist. Einen von Burdows Freunden hat sich Ben vorgenommen. Ben hat nicht gesagt, auf welche Weise er den Mann zum Reden gebracht hat. Er hat es Clay überlassen, sich das auszudenken. Aber Clay hat es sich nicht ausdenken wollen. Noch in der Nacht ist Ben dann wiedergekommen und hat die Nachricht mitgebracht, daß Burdows Girl geredet hat. Danach ist Burdow nach Craig in Colorado, um dort bei Bekannten Rast zu machen und dann nach Utah weiterzureiten. Die Fährte ist also da. Und Ben wird sie durch seine Leute bis an das Ende verfolgen lassen. »Hoffentlich erwischt er ihn«, sagt Clay bitter. »Dieser Bursche, mir die Sache in die Schuhe zu schieben. Als wenn er nur auf mein Eintreffen gewartet hätte. Es kann Zufall sein, daß er Joe erschossen hat, ausgerechnet jetzt, aber es werden bald zuviel Zufälle. Hoffentlich schleifen sie den Burschen an. Ben ist nicht gekommen, also wird auch er warten. Ein Glück, daß ich Ben habe, ein Glück. Natürlich, wenn Sandra sich nicht versprochen hätte, dann wüßten sie nichts von der alten Feindschaft zwischen mir und Joe. Es ist zum Wahnsinnigwerden, wenn man stillsitzen muß. Irgendwo kollert ein Stein, doch danach bleibt wieder alles still. Clay Horton starrt in die Dunkelheit, denkt an die Suchmannschaft und weiß, daß Big Sam Needhan genau der Mann ist, der stur und ohne Gnade so lange nach dem Mörder seines besten Mannes suchen läßt, bis er ihn gestellt hat. Big Sam
wird nicht aufgeben. Und die Suchmannschaft streift hier umher, sie kann bei einigem Glück herankommen und ihn und Budd finden. Die Zeit verrinnt. Er denkt an jenen Abend in dem Zimmer, an dem ihm Sandra ein Stück ihres Herzens offenbart hat. Sandra ist weit, die Gefahr ist nahe. Er lauscht, aber alles bleibt still. Schüchtern zeigt sich nach drei Stunden der Mond, steigt hinter den Bergen auf und schießt sein kaltes bleiches Licht in die Schlucht. Hastig steht Clay auf, geht in den Talkessel und kommt zum Haus. Er hört bereits am Corral Budds heisere Stimme: »Clay, bist du das? Antworte!« »Natürlich bin ich das, Budd. Nichts rührt sich draußen, es ist vollkommen still.« »Still«, wiederholt Budd wegwerfend und gähnt laut. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich mich nicht an die Indianer erinnere, Mann. Immer, wenn es besonders still ist, dann sind sie da. Und Charly ist ein halber Indianer, vielleicht innerlich ein ganzer. Hast du noch 'n Stück Steak?« »In der Pfanne.« Es poltert innen, dann kommt Budd Sundin kauend heraus und sagt muffelnd: »Also, ich gehe jetzt. Schlaf ein wenig, ich wecke dich, sobald es hell wird. Ist das ein Dreck, wenn man sitzen und warten muß. Für meine Nerven ist das nichts. Dieser Charly macht mich noch krank.« Er stampft los und verschwindet vom am Mondlicht gut erhellten Gatter. Clay aber geht in die Hütte, raucht eine Zigarette und trinkt noch einen halben Becher Kaffee, dann legt er sich hin und schläft, müde von der Arbeit mit Jimmy, entzwei von den drei Tagen und Nächten, die wenig Schlaf gebracht haben, sofort
ein. Er schläft tief und traumlos. Und er weiß nicht, wie spät es ist, als er den schrillen, entsetzlichen Schrei hört. Er richtet sich auf. Der Schrei ist verklungen, alles ist wieder totenstill. Einen Augenblick glaubt er, nur geträumt zu haben, aber dann weiß er, daß der Schrei Wirklichkeit gewesen ist. Jemand hat heiser und schrill geschrien. Es kann nur vor dem Talkessel gewesen sein. Sofort setzt sich Clay auf die Bettkante, macht das hintere kleine Fenster auf und greift nach seinem Gewehr, das neben dem Bett an der Wand lehnt. Dann steigt er vom Bett aus durch das Fenster nach draußen, duckt sich blitzschnell und kriecht hinter der Hütte her zu den Gattern. Seine Stiefel hat er zurückgelassen. Er kriecht wie eine Schlange durch das Gras, verhält dreißig Schritt vor dem Gatter und duckt sich in die tiefen Schatten unter den Büschen. Der ganze rechte Talgrund ist von vielen Büschen bestanden, hier fällt auch wenig Mondlicht hin. Clay liegt still, er hat sein Gewehr neben sich. Vor ihm sind deutlich die gelbbraunen Pfosten des Gatters zu erkennen. Die Stille ist da, nicht einmal die Pferde schnauben. Er liegt flach am Boden, starrt zum Gatter und wartet. Nichts geschieht. Einen Augenblick kommt er in die Versuchung, nach Budd Sundin zu rufen, aber dann sagt er sich, daß schließlich irgendwer geschrien hat. Und wenn es nicht Budd war, dann hätte er sich längst gemeldet. Hat Budd so entsetzlich geschrien? Drei Minuten, vier, er liegt immer noch still. Dann zieht er das rechte Bein langsam an und will los. Und im gleichen Moment sieht er an dem einen Gatterpfosten einen Schatten. Gleich darauf ist er verschwunden, der Pfosten sieht wieder
gelbbraun aus. Dort ist ein Mann gekrochen, wie ein Indianer. Charly! Und wohin kriecht er? Er muß auf dieser Seite des Corrals bleiben, zwischen den Büschen. Langsam zieht sich Clay zurück, wirft einen Blick nach hinten und schiebt sich behutsam unter die nächsten Büsche, verschwindet völlig unter ihnen und preßt sich flach auf den Boden. Er wartet und liegt völlig ruhig. Dann knistert es rechts vor ihm etwas. Der Mann taucht dort auf, liegt still für eine halbe Minute, kriecht dann weiter, kommt immer näher. Der Mann wird keine zwei Schritte an ihm vorbeikriechen. Horton sieht ihn kommen, bewegt nicht einmal den Kopf. Unter diesen Büschen ist es stockdunkel. Der Mann kommt weiter, ist nun auf seiner Höhe und verschwindet unter einem Busch. Nicht einmal sein Gesicht ist zu erkennen. Er ist nur ein Schatten, weiter nichts. Springe ich ihn an? denkt Clay. Wozu soll ich das tun? Alles zu seiner Zeit, denkt er auf einmal, Joes ständige Regel, alles zu seiner Zeit. Nun gut, auch den Mann hier. Er läßt ihn kriechen, schiebt sich dann erst, als der Mann gut zehn Schritte entfernt ist, herum. Nun kriecht auch er und hält sich hinter ihm. Fünf Minuten vergehen, ehe der Mann dicht genug an der Hütte ist. Und da denkt Clay an das eine Bett, sie haben keine zwei benutzt. Er wird also, selbst wenn er in die Hütte kommt, nur ein Bett sehen, nur ein Lager mit zwei Decken. Und er wird denken müssen, daß hier auch nur ein Mann ist. Budd. Um Himmels willen, was ist mit Budd Bundin passiert? Der Mann richtet sich an der Hütte auf, Minuten vergehen, dann erst sieht der Mann in das Fenster, geht nach rechts um
die Hütte auf die Tür zu. Clay kriecht nach rechts, bleibt so liegen, daß er die Hüttentür schräg von der Seite und gleichzeitig das Gatter zum Corral einsehen kann. Vor ihm verschwindet der Mann in der Hütte, taucht gleich wieder auf. Er zaudert vor der Hütte sekundenlang, dann huscht er auf den Corral zu. Und genau jetzt wird er zwei gesattelte Pferde sehen und wissen, daß noch ein Mann hier sein muß. Clay Horton liegt etwa zwölf Schritte von ihm entfernt und richtet sich hinter dem Busch auf. Clay nimmt den Revolver in die Faust. Der Mann steht am Gatter, blickt nach rechts und zuckt zusammen. Und da sagt Clay eiskalt: »Keine Bewegung!« Zwei Worte, die den Mann wie einen Hieb treffen und ihn erstarren lassen, obwohl der kleine Mann seinen Revolver in der Hand hat. Er steht ganz steif am Gatter und wagt sich nicht zu rühren. »Laß den Colt fallen!« »Clay?« »Laß fallen, Charly, ich erschieße dich sonst.« Charlys Revolver fällt zu Boden. Der kleine Mann krümmt sich förmlich zusammen, aber er wagt nicht, wegzuspringen, denn bis zur nächsten Deckung ist es zu weit. »Clay, schieß nicht, nicht schießen, Clay, nicht, hörst du?« »Steh still, Kleiner, sonst muß ich es tun. Was ist mit Budd, antworte schnell.« »Er hat mich kommen sehen und mich mit dem Messer erledigen wollen. Ich sage die Wahrheit, er hat einen Stich seines eigenen Messers in die Brust bekommen, aber er lebt. Ich habe ihn gebunden und sein Halstuch auf die Wunde gepreßt. Clay,
nicht schießen.« »Wo sind die anderen und Graines?« »Sechs Meilen von hier, du kannst es glauben. Ich bin allein losgeritten. Konnte nicht schlafen, habe mich an das Tal hier erinnert.« »Was, du kennst es?« »Ja, seit Jahren, aber ich habe nie an dieses Tal gedacht. Ist mir erst vorhin eingefallen! Clay, hör zu, Joe ist verschwunden.« »Damit sagst du mir nichts, was ich nicht schon weiß, Mann. Und ich bin sein Mörder, he?« »Ich weiß nicht, Clay.« »Du weißt es ganz genau. Mann, oder glaubst es zu wissen. Du bist sogar verdammt sicher, daß ich es getan habe. Er liegt da unten in dem Spalt. Und ich habe ihn da hineingeschossen.« »Nein«, sagt der kleine Charly würgend, und es ist, als packe ihn bei seinen Worten das Gruseln. »Er ist ja gar nicht drin.« »Was sagst du da, Mensch?« »Er ist nicht drin. Ich habe einen Zugang unterhalb der Felswand zu dem Spalt gefunden, ein kleines, winziges Loch, aber ich habe mir gesagt, daß es eine Verbindung mit dem großen Spalt geben muß. Da bin ich mit einem der Boys und mit Fackeln hineingekrochen. Wir haben wirklich den Spalt gefunden, aber nur Blut, und nichts von Joe. Ich schwöre es dir, nichts von Joe. Er ist hinuntergeklettert und muß dann genau auf den Vorsprung gefallen und herausgekrochen sein! Clay, er ist nicht drin. Du hast ihn nicht gut genug getroffen.« »Also doch«, faucht Clay ihn wütend an. »Du verdammter Zwerg glaubst also wirklich, daß ich ihn erschossen habe? Ich habe ihn nicht gesehen, du Idiot. Sieh da hinein, dann kannst du einen Gaul sehen, wie du noch keinen gesehen hast. Den
habe ich seit dem Tag, an dem ich von euch weg bin, eingebrochen. Sieh hinein, du Narr. Geh schon.« Charly schielt nach hinten, geht dann aber bis ans Gatter und starrt hinein. Er steht am Gatter und sagt krächzend: »Mein Gott, ist das ein Pferd. Woher ist es? Habt ihr es vielleicht auch gestohlen?« »Wie bitte?« »Was für ein Gaul. Ob er auch gestohlen ist?« »Gestohlen? Bist du verrückt. Mensch? Ich habe den Gaul geritten. Vor mir hat es niemand geschafft. Wie kommst du darauf, daß er gestohlen sein soll?« »Weil ich annehmen mußte, daß Duke und die anderen Pferde hier untergestellt worden sind. Unsere besten Pferde sind gestern nacht gestohlen worden – aus dem Stall, Mann. Duke, die Stute der Lady, alle anderen, die schon im Stall fertig zum Ritt zur Bahn gestanden haben.« »Aber«, fragt Clay entsetzt. »Wer hat euch die Pferde gestohlen?« »Wenn ich das wüßte, dann würde ich doch wohl nicht hier sein, wie?« erwiderte Charly finster. »Sie sind weg. Und ich will verdammt sein, wenn nicht von der Ranch ein halbes Dutzend Fährten nach allen Seiten führen. Wir haben vier Suchtrupps unterwegs. Ich führe den einen mit Salem, aber die Spuren haben wir auf den Felsen verloren. Jemand hat sechs verschiedene Fährten hinterlassen, verstehst du? Unsere Pferde sind weg, wir sollen das Rennen nicht mitmachen können, genau das ist es. Mann, wir suchen nach den Pferden, nicht nach dir. Ist dir das klar?« »Mensch, Charly, das tut mir leid für euch. Dieses Pferd hier wird auch euren Duke schlagen können. Aber irgendwer muß doch einen Grund haben, euch die Pferde zu stehlen. Hast du keinen Anhaltspunkt?«
»Nicht den geringsten. Einen Moment habe ich gedacht, als ich von Budd Sundin angegriffen wurde, daß sie Ben Latham gestohlen haben könnte. Er hat bis jetzt nie ein Rennen gewinnen können mit seinen Pferden, aber jetzt? Du weißt auch nichts, Clay? Und du hast wirklich nicht auf Joe geschossen?« »Du Narr, ich sagte es doch. Es war ein Mann von Jesse Calmins Freunden, Hank Burdow, Charly. Ben hat mir versprochen, ihn zu jagen und zu fangen!« Charly dreht sich jetzt hastig um und starrt Clay groß an. »Dieser Viehdieb, den wir im Verdacht haben, uns Rinder gestohlen zu haben? Das kann sein, aber daß Ben ihn jagt?« »Was ist dabei, Charly?« »Hat Ben dir nicht gesagt, daß Burdow sozusagen zu seinen Freunden gehört?« »Nein, er hat nur einmal von Calmin behauptet, er sei sein Bekannter gewesen. Woher wißt ihr von Ben und mir? Wer hat euch gesagt, daß Ben mein Vetter ist, daß wir uns kennen?« »Joe. An dem Tag, an dem du weggeritten bist, da ist er losgeritten und hat gesagt, daß du mit Ben zusammen bist. Er war es, der uns erzählt hat, daß Ben dein Vetter ist.« Clay kann nicht anders, er lacht bitter auf und sagt gallig: »Aber daß er mein Pferd erschossen, mich beinahe durchlöchert und Ben um ein Haar auch getroffen hat, das hat er wohl nicht gesagt, wie?« »Was, was? Joe soll auf dich geschossen haben? Großer Manitu, das kann nicht wahr sein. Er hat noch gesagt, daß du ein prächtiger Bursche seiest, er müßte dir eine Menge erzählen, so ginge es nicht weiter. Das war an dem Tag, an dem er losritt, um dich zu besuchen. Er ist nie wiedergekommen von diesem Ritt.« »Dann hat er auch dich geblufft, Mann. Kennst du nicht seinen Wahlspruch? Alles zu seiner Zeit? Ich habe ihn deutlich
erkannt, Charly, er hat auf mich gefeuert, als ich mit Ben zu dessen Ranch geritten bin. Und das ist die reine Wahrheit, ich lüge nicht.« Der kleine Charly wird bleich und wagt noch immer nicht, die Hände herabzunehmen. »Clay, kein Irrtum?« »Nein, Mann, ich habe ihn erkannt, er ist es gewesen. Ich habe seinen Bruder erschossen, und Joe hat mir den Tod geschworen, Charly. Er hat mich bluffen wollen, genau nach seinem Stil. Alles zu seiner Zeit. Genug davon. Ich hatte einen Grund, auf ihn zu schießen, aber niemals aus dem Hinterhalt, Charly. Wann immer ich jemand gefordert habe, es habe tun müssen, ich bin von vorn gekommen, immer offen und gerade. Moment, da fällt mir etwas ein.« Er denkt plötzlich an Bens Worte über einen gewissen Mann. Auch Joe hat gesagt, daß dieser Mann der größte Lump unter der Sonne sei. Die Pferde, denkt Clay. Lieber Himmel, diesem Burschen traue ich alles zu. Wenn er nun Big Sam einen Streich spielen will? »Was ist?« fragt der kleine Charly. »Ich glaube dir, daß du Joe nicht umgebracht hast. Auf jeden Fall ist Joe verschwunden. Er muß gekrochen sein, also hat er noch gelebt. Ich habe es an den Spuren da im Spalt sehen können. Hör zu, Clay, ich muß los, hier sind die Pferde nicht, also müssen wir weitersuchen. Übrigens, die Lady wollte zu Ben reiten, heute gegen Mittag. Sie hat gesagt, daß Ben genau wüßte, wo du steckst. Du würdest die Pferde finden.« »Was hat sie gesagt? Ich würde die Pferde finden?« »Ja, Clay. Sie hat es steif und fest behauptet. Sie will es von Joe erfahren haben, hat wohl mit ihm über dich gesprochen. Und er hat ihr gesagt, du wärest ein so guter Mann, daß du die Spur deines Gegners immer finden würdest. Sie meinte, daß
du ihr bestimmt helfen würdest, die Pferde zu finden.« »Wie kommt sie darauf? Sie suchen mich wegen Mordes, und sie muß glauben, daß ich Joe umgebracht habe.« »Das hat sie in ihrem ersten Schreck gedacht und auch laut gesagt, aber doch nach ein paar Stunden ist sie anderer Meinung gewesen, Clay. Sie sagte, du würdest nie jemanden von hinten erschießen können. Kann ich die Hände herabnehmen?« »Nimm sie runter. So, sie ist zu Ben geritten?« Einen Augenblick muß er lächeln. Sie vertraut ihm also, sie glaubt an ihn. Und sie ist zu Ben geritten, um von Ben seinen Aufenthaltsort zu erfahren. Hat sie so viel Vertrauen zu ihm, wirklich derartig viel Vertrauen? Aber warum ist Ben dann noch nicht hier und hat es ihm gesagt? Ach so, Ben kann nicht kommen, weil das Suchkommando hier ist, das er sicher auch wie Budd als Suchtrupp nach dem Mörder Joes ansehen muß. Er hat ihr also nichts sagen können. »Ja, wird sie wohl getan haben. Clay, verstehst du etwas von Spuren?« »Ich denke, daß Joe nicht gelogen hat, Mann. Zum Teufel, was mache ich, wenn ich hier herausreite und euch suchen helfe? Kann mich der Deputy festnehmen?« »Das wird er wohl tun, er muß es sicher auch«, erwidert der kleine Charly bitter. »Ich glaube dir schon, aber der ist so stur wie sein Sheriff. Clay, hör mal, können wir nicht beide allein suchen, ich meine nur so.« »Du meinst, daß wir beide, eh? Und was wird aus Budd? Der arme Kerl, er hat geglaubt, daß du mich suchst und hat sicher nicht zu schießen gewagt, weil er deine Partner nicht aufmerksam machen wollte. Charly, ich weiß vielleicht einen Weg, um eure Pferde zu finden, aber ich muß erst zu Ben.«
Charly blickt ihn seltsam an und schweigt etwas zu lange. »Was ist, Charly?« »Kennst du deinen Vetter ganz genau, Clay?« »Nun, was heißt hier ganz genau. Wer kennt schon jemanden ganz genau? Was ist mit Ben?« »Clay, nichts gegen dich, aber mit Ben stimmt vielleicht nicht alles«, erwidert Charly geheimnisvoll. »Wir hatten oft den Verdacht, er könnte ein Viehdieb sein.« »Was? Bist du verrückt?« »Nun ja, es gab niemals einen Beweis, aber viele Leute denken von deinem Vetter die seltsamsten Dinge, Clay. Du kannst sie hier fast alle fragen. Ich sage nichts, was nicht allgemein behauptet wird.« Clay schüttelt den Kopf, wird dann aber sehr ruhig. Hat Ben nicht selbst gesagt, daß er nicht immer alles richtig gemacht hat? Budd ist ein rauher Bursche, die anderen, die er kennt, sind es auch. Aber Ben ein Viehdieb? Er handelt mit allem, das hat er selbst gesagt. Ja, richtig, wie hat er doch gesagt? Du mußt nur nicht zu genaue Fragen stellen, wenn jemand etwas verkaufen will. Du lieber Himmel, hat Ben etwa gestohlenes Vieh aufgekauft? Er hat mit allem gehandelt. Heißt das, daß er auch mit gestohlenen Rindern gehandelt hat? Teufel, wenn es das ist? Clay Horton sagt mühsam. »Charly, ich bin sicher, daß er kein Viehdieb ist. Aber ob er seine Finger vielleicht in dieser Sache hat, das kann ich nicht beschwören. Auf jeden Fall weiß ich davon nichts, Mann. Ich muß zu Ben und ihn einige Dinge fragen. Hast du genug Vertrauen, mit einem Mörder zu reiten?« »Ich glaube dir, ich kenne Männer. Und du hast mir gleich vom ersten Augenblick an gefallen. Clay, mir tut Budd leid, wenn ich den Burschen auch nie habe leiden mögen, so wenig
wie alle Männer deines Vetters, aber er hat sich wohl für dich geopfert. Er muß ja gedacht haben, daß ich dich suche. Hast du nichts von dem Diebstahl unserer Pferde gehört? Hat Budd dir nichts gesagt?« »Er ist seit drei Tagen bei mir, woher soll er es gewußt haben? Nein, wir haben beide nichts gewußt. Komm mit, nimm deinen Revolver, wir werden Budd holen und in die Hütte schaffen. Los, komm.« Sie gehen beide hastig nach vorn, finden Budd gebunden am Faulbaum liegen und heben ihn vorsichtig auf. Budd stöhnt, er hat Blut verloren und ist schwach, er sieht kreidebleich aus. »Tut mir leid, verdammt, tut mir leid«, sagt Charly bitter. »Er ist auf mich los, Clay. Was sollte ich denn machen?« »Ihm geht es nicht besonders, Charly. Hoffentlich stirbt er nicht, der arme Kerl. Ohnmächtig ist er auch. Wir müssen ihn richtig verbinden. Tragen wir ihn vorsichtig.« Sie schaffen Budd zur Hütte, Clay sieht nach seiner Wunde und stellt nun erst fest, daß der Stich nicht sehr gefährlich ist, daß die Wunde nur sehr stark geblutet hat. Er macht ihm einen ordentlichen Verband, gibt ihm dann zu trinken und redet ihn an. »Budd, wach auf, Budd.« Wirklich macht Budd Sundin die Augen weit auf, versucht zu lächeln, wird aber sofort unruhig und ängstlich, als er den kleinen Charly sieht. »Der – der Indianer«, sagt Budd abgerissen. »Vorsicht – Clay – nicht trauen.« »Nein, Budd, du brauchst dich nicht aufzuregen. Er glaubt mir, daß ich Joe Slico nicht umgebracht habe. Hör zu, Budd, du bist ziemlich böse getroffen worden, aber sterben wirst du nicht daran. Budd, sie haben Big Sams besten Pferde gestohlen, ich werde ihnen suchen helfen und reite jetzt zu Ben.«
Budd Sundin reißt die Augen weit auf, will hoch, fällt aber seufzend zurück. »Nein – nein«, sagt er lallend und versucht, den Kopf zu schütteln. »Umbringen, nicht reiten, nicht…« »Was ist, Budd? Du redest zu leise, Junge.« Budd starrt ihn groß an. Sicher wird er denken, daß Clay dem Aufgebot helfen will. Und natürlich nimmt er an, daß man Clay zumindest fesseln, wenn nicht erschießen wird. »Nicht«, sagt er schrill und pfeifend. »Umbrin…« Und da fällt er flach zurück. »Der arme Kerl«, sagt Clay bitter. »Da regt er sich so auf, weil er glaubt, ich wäre ein Narr, wenn ich nicht hierbleibe. Ben hat ihm befohlen, für meine Sicherheit zu sorgen. Er führt bestimmt jeden Befehl Bens aus und hat mich warnen wollen. Tut mir leid, Budd, ich muß reiten.« Er deckt ihn zu, geht dann zum Tisch und zieht seine Stiefel an. »Komm, Charly, wir werden uns beeilen müssen. Deine Partner suchen dich hier, finden deine Spur hierher und Budd dann endlich auch. Kannst du schreiben?« »Nein«, erwidert Charly leise und verlegen. »Das habe ich nie gelernt, Clay. Schreibst du für mich?« Clay schreibt schnell einige erklärende Worte auf einen Zettel, legt den Zettel auf den Tisch und hastet dann hinaus. Kurz darauf jagt er mit Charly aus dem Tal. »Was für ein Tier«, sagt der kleine Mann. »Wie es die Hufe setzt, Clay. Laß es mal laufen.« Clay tut es. Der Hengst zieht ab, und Charly, der selbst ein sehr gutes Pferd reitet, bleibt innerhalb einer Minute um viele Längen zurück. Als er neben Clay ist, sagt er eine ganze Weile gar nichts. Endlich macht er den Mund auf und fragt keuchend:
»Kann der Hengst noch schneller laufen? Ich glaube, das ist nicht alles, wie?« »Nein, Charly, er hat nicht alles hergegeben. Er rennt zehn Meilen, ohne langsamer zu werden.« »Dann schlägt er jedes Pferd, das ich kenne.« Mehr sagt der kleine Mann nicht. Er sitzt stumm neben Clay. Die Schatten der Büsche ziehen vorbei. Irgendwo voraus liegt Ben Lathams Ranch. Ich werde Ben einige Dinge unter vier Augen zu fragen haben, denkt Clay Horton? Viele Dinge vielleicht. Und sicher nicht immer angenehme Fragen. Aber er muß mir antworten. Und dann weiß ich vielleicht, warum er und Joe über einen Mann der gleichen Meinung sind. Dann habe ich einige Fragen an diesen Mann. Er wird sie mir beantworten müssen, oder er muß sterben. Pferdediebe hängt man auf, das ist überall so. Der Mann muß reden, oder ich werde pfeifen, wenn ich mich umdrehe und zu gehen beginne. Dann hat er seine Chance, er sieht meinen Rücken, und er hört mich pfeifen. Vielleicht wird er schießen wollen. * »Charly, komm her! Was ist das?« fragt Clay scharf. »Sieh dir das an. Wofür hältst du das?« Charly kommt hastig über den Hof der verlassenen Ranch. Hier ist es totenstill. Der kleine Mann tritt in den Flur, steigt über den umgeworfenen Blumenständer und tritt in die Scherben des Spiegels am Boden. Dann blickt er auf Clays Hand und sieht noch genug, ehe Clay den Lampenschirm auf sein Gesicht richtet. »Das sind rote Haare, Clay.«
»Ja«, erwidert Clay eisig. »Frauenhaare, Sandras Haare, um ganz genau zu sein. Hier hat ein Kampf stattgefunden, hier ist Blut an der Wand, sieh her. Und dort liegt der zerbrochene Stiel der Reitpeitsche. Ein Stück fehlt, Charly. Es ist Sandras Reitpeitsche.« »Es ist ihre Reitpeitsche«, bestätigt der kleine Mann mit dem Indianerblut. Seine Stimme ist ganz leise und heiser geworden. »Was bedeutet das?« »Das wird bedeuten, daß jemand hiergewesen ist, der Sandra überfallen hat, jemand, der eins mit ihrer Reitpeitsche über das Gesicht bekommen hat, Charly. Daher das Blut. Er ist auch hier an der Peitsche. Und was hast du gefunden?« »Drei Männer waren hier«, murmelt das Halbblut. »Die Lady ist vom Bach her gekommen, hinter dem Haus herumgegangen und unter dem Fenster stehengeblieben. Sie hat sich geduckt, um nicht gesehen zu werden. Wahrscheinlich war es so. Die Stiefeleindrücke sind danach, Clay. Dann hat sie zurück wollen, aber ein Mann ist von hinten gekommen und hat sie mitgerissen bis hier in den Flur. Ich kann nur sagen, wie es draußen war.« »Wie alt sind die Spuren?« »Die hier sind keine zwölf Stunden alt, Clay. Die drei Männer sind mit der Lady weggeritten. Acht oder neun Stunden darauf ist noch ein Mann gekommen und hat die Ranch schon verlassen vorgefunden. Er war es sicher, der die Tür hier eingeschlagen hat. Ich möchte sagen, nur ein Mann kann das getan haben.« »Wer?« »Jemand, der überall hingeht, auch wenn Türen geschlossen sind, Big Sam, der Boß.« »Du meinst, er hat Sandras Spuren auch gelesen?« »Er hat sie gelesen und genau erkannt, daß der Mann sie ge-
packt und in den Flur geschleift hat. Ihre Stiefel haben eine Schleifspur hinterlassen, Clay. Der Boß wird sie gesucht haben, als sie am späten Nachmittag noch immer nicht zu Hause war. Er ist nach der Dämmerung angekommen.« »Und wie hat er in der Dunkelheit ihre Spuren sehen können, Charly?« »Die Stallaterne fehlt, er muß sie genommen haben.« »Das heißt also, er hat in der Dunkelheit die Spur verfolgt. Warum hat er keinen Mann bei sich?« »Er ist fast verrückt geworden, als seine Pferde fort waren, Clay. Er hat sich eingeschlossen, nachdem er uns losgeschickt hat. Wir sollen entweder mit seinen Pferden oder gar nicht wiederkommen, das hat er gesagt. Zuerst wird er keine große Sorge um Sandra gehabt haben, aber langsam hat diese Sorge die anderen Gedanken um seine Pferde verdrängt. Ich kenne ihn genau, Clay. Er macht auch etwas ganz allein, wenn es sich um ihn oder um Sandra handelt. Vielleicht war gerade niemand auf der Ranch? Jedenfalls ist er ihr nachgeritten. In der Dunkelheit hat er die Laterne gebraucht.« »Dann kann er nicht mehr als zwei Stunden vor uns sein. Weißt du, daß Ben nicht unter den drei Männern gewesen sein kann?« »Nicht?« fragt Charly erstaunt. »Nein, er trägt nur Stiefel ohne hochhackige Absätze. Diese drei Männer haben hochhackige Reitstiefel geragen, also war Ben nicht dabei. Er weiß vielleicht nichts von der Sache.« Das Halbblut blickt weg und sagt gar nichts. »Er weiß nichts von der Sache«, wiederholt Clay hart. »Das würde er nicht mitmachen, niemals. Warum hat man Sandra nur mitgeschleppt?« Der kleine Charly blickt zum Fenster, sieht aus der Tür und sagt:
»Ich glaube, sie hat die Männer gesehen oder gehört. Entweder waren es Fremde oder diese Leute haben etwas geredet, was die Lady nicht hat hören sollen. Was meinst du?« »Ich weiß es nicht, auf jeden Fall haben diese Schurken sie mit Gewalt mitgenommen. Charly, wir werden reiten müssen, die Spur ist sicher deutlich genug. Es sieht aus, als wenn das Rudel von hier Hals über Kopf aufgebrochen wäre und dabei sogar vergessen hat, die Spuren zu verwischen. Hier haben wir nichts mehr verloren. Komm, wir reiten.« Er geht hinaus und schwingt sich auf sein Pferd. »Charly«, sagt Clay Horton von dort aus und wirft dem kleinen Mann einen düsteren Blick zu, daß Charly ahnt, wie wütend Horton sein muß. »Du kommst mir genau nach. Ich will versuchen, schneller zu sein als jeder andere. Big Sam reitet ein müdes Pferd, vielleicht hole ich ihn ein. Hast du gehört, du kommst nach.« »Ja«, erwidert Charly nur und sieht dann auch schon den mächtigen Hengst anspringen. Clay Horton jagt von der Ranch seines Vetters und beginnt zu pfeifen, ehe er noch die Mitte des Hofes erreicht hat. In dieser Sekunde befällt den kleinen Mann, der sich auf sein Pferd zieht, die dumpfe Ahnung von Pulverdampf und Tod. Charly kennt die Geschichte jenes Mannes, der immer dann pfeift, wenn er wütend ist, der pfeift, wenn er sich seinem Gegner nähert. Dem kleinen Mann graust, als das Pfeifen mit dem wilden Trommelwirbel der Hufe verklingt. Clay Horton reitet der Spur nach, schneller als jeder andere Mann es tun kann. Und der Mann pfeift. *
Einen Augenblick, während er aus dem Buschgelände kommt und Jimmy zäh und ausdauernd selbst am Hang, den er zu steigen hat, seine Geschwindigkeit nicht verringert, denkt er an die Spur von Big Sam Needhan. Vielleicht hat der Alte die Fährte wirklich auf den Felsen der Medicine Bow-Berge verloren und ist dann abgebogen. Was hat der Alte vor, warum ist er abgebogen? Clay hat keine Zeit mehr, sich über Big Sam den Kopf zu zerbrechen. Er reitet mitten in der Sonne dicht am Hang entlang, am leichten Wall des Bachlaufes vorbei, der hier den Weg durch die Täler nimmt. Links vor sich hat er die Staubwolke gesehen, drei Reiter erkannt. Horton zügelt Jimmy nun, der seit fünf Stunden fast ununterbrochen im Galopp gegangen ist und dessen Fell vom Schweiß glänzt. »Langsam, Jimmy«, sagt er warm und fährt sich über das staubige Gesicht. »Jemand jagt auf die Ranch zu, wir wollen sehen, wer es ist. Immer langsam, du Bursche, du bist noch lange nicht am Ende. Was du gerannt bist, das macht dir kein Gaul nach. Bleib schon stehen.« Vorsichtig stellt er sich im Sattel hoch, kann nun über den Hang blicken und erkennt die drei Reiter. Er zuckt leicht zusammen, starrt auf den Mann, dessen große Fuchsstute allen voran dahinjagt und weiß es nun mit bitterer Gewißheit: Auch Ben hängt also in der Sache drin. Er kommt dort mit Bill Donogan und einem Mann, den Clay nicht genau erkennen kann, weil er sich hinter Donogan befindet, auf die Ranch im Tal zu. Ben Latham wird die Ranch in weniger als drei Minuten erreichen. Clay wirft nur noch einen Blick auf die Ranch, die im offenen Rechteck erbaut worden ist, dann gleitet er blitzschnell aus dem Sattel. Die Lage der Gebäude hat er sich genau einge-
prägt. Auf dem Windradgestell hockt ein Mann. Clay allerdings hat den Bachlauf vor sich, an dem genug hohes Gras und genügend Büsche stehen. Die Entfernung beträgt keine vierhundert Schritte mehr. Sofort bindet er Jimmy an, dann nimmt er sein Gewehr in die rechte Hand, duckt sich und huscht über den Hang am Bachlauf. Er steht Augenblicke später bereits mitten im Bach, duckt sich tief und geht los. Das Wasser gurgelt um seine Stiefel, doch die Büsche rechts und links decken ihn. Der Mann auf dem Wasserradturm aber blickt auf die drei Reiter, die jetzt schon bedeutend näher an die Ranch herangekommen sind. Clay muß ein Stück kriechen, bleibt dann jedoch liegen und bewegt sich nicht um einen Zoll. Er ist auf der Hälfte der Strecke und starrt auf die Spur im Gras vor sich. Hier ist jemand gegangen, immer in Deckung der Büsche. Die Spur muß aus der Nacht stammen, denn das Gras hat sich aufgerichtet, doch nicht so weit, wie es sich nach zwei taufeuchten Nächten aufrichten könnte. Jemand ist hier schon vor Stunden hergeschlichen. Noch ein Mann, der auf die Ranch gekommen ist, oder einer der Burschen, die dort unten hausen, und der hier vielleicht auf dem Hang Posten gestanden hat? Er gibt es auf zu grübeln, huscht geduckt weiter und wirft immer wieder einen Blick auf den Posten auf dem Windradgestell. Der Mann dort oben sieht nicht in seine Richtung. Clay kommt bis dicht an die Scheune heran, die hinter dem Haus steht. Der Bach sprudelt hier etwa zehn Schritte an der Scheune vorbei. Horton muß kriechen. Er kriecht schnell, das Gewehr an seiner Seite mitziehend, auf die Scheune zu. Hinter ihr lehnt er sich an das rauhe Holz, atmet keuchend durch und hört nun auch schon wilden, trommelnden Hufschlag kommen.
Ben Latham fegt auf den Hof der Ranch, während Clay um die Ecke der Scheune huscht, im offenen Tor verschwindet und geduckt durch die Scheune rennt. Zuerst will er zum Fenster, entdeckt dann jedoch die Tür an der Stirnwand und zieht sie langsam auf. Im nächsten Augenblick steht er in einem Holzschuppen. Hier ist Holz aufgestapelt, hinter dem er Deckung findet. Er kann nun in den Hof blicken. Rechterhand ist der Giebel des Ranchhauses, der Vorbau und die Haustür. Auf dem Vorbau stehen drei Männer abwartend und etwas nervös. Links ist der Stall. Dort taucht nun ein vierter Mann auf, hat ein Gewehr im Arm und blickt starr, sich an die Wand des Stalles lehnend, auf Ben Latham. Als Clay diesen Mann erkennt, geht ihm ein Licht auf. »Das also ist es«, brummt Clay verstört und blickt zwischen den Holzkloben hindurch bestürzt auf den Mann am Stall. Da kommt ja auch der zweite, gerechter Himmel, dort ist auch der dritte Lump. Ich werde verrückt. Auf wessen Ranch bin ich denn hier? Ist es keine Außenstation dieses Narren mit dem Drang, sich in fremden Häusern aufzuspielen? Erst jetzt weiß er genau, daß er sich die ganze Zeit geirrt hat. Das sind die Männer aus Cheyenne, die ihn des Falschspiels bezichtigt haben. Ben, der irgendwie hagerer und eiskalt wirkt, reißt sein Pferd mit einem wilden Ruck vor dem Vorbau und den Männern zur Seite. Clay sieht nun die beiden Revolver, die Ben sonst nie getragen hat. Der Mann, der sehr selten einen kurzläufigen Taschenrevolver irgendwo in seiner Jacke stecken hat, er trägt zwei Revolver. Die Männer auf dem Vorbau ducken sich fast alle. Nur der eine Mister blickt starr und hochmütig auf Ben Latham. Latham steigt ganz langsam ab, dann wirft er die Zügel seines Pferdes Bill Donogan zu. Und erst, als er losgeht und sich
dem Mann mit dem hochmütigen Gesicht nähert, sagt er scharf: »Du Idiot!« Er sagt nur diese zwei Worte, doch sie wirken wie zwei Peitschenhiebe auf alle Männer im Hof. Selbst jener Bursche mit dem leichten und überlegen wirkenden Grinsen um den Mund, grinst nun nicht mehr, er senkt seine Hand auf den Revolverkolben. »Willst du schießen, du Narr?« fragt Ben grausam kalt und marschiert genau auf ihn zu. »Na los, zieh doch, du Feigling. Zieh, dann habe ich wenigstens einen Grund, dich zu erschießen, ehe andere es tun. Wo ist das Mädel?« »Ben«, sagt da der Mann am Stall krächzend. »Ben, es ist nicht unsere Schuld, wirklich nicht. Wir haben doch nicht wissen können…« »Halt dein Maul, du Falschspieler. Mit dir habe ich noch zu reden. Und wie ich mit dir zu reden habe. Halte nur deinen Mund, ehe ich ihn dir zuschlagen muß. Harry, mein Freund, wo ist das Mädel?« Harry Holloways feistes Gesicht ist vor Angst verzerrt. Er sieht auf einmal klein und häßlich aus. Kein freundliches Grinsen mehr auf seinem dicken Gesicht, nur noch Angst. »Ich habe es nicht gewollt, ich habe es ihm gesagt, aber er hat ja nicht hören wollen«, kreischt Harry und weint beinahe vor Furcht. »Ich habe es ihm gesagt, gleich gesagt, bestimmt, Ben, ganz bestimmt.« »Stimmt das?« fragt Ben Latham fauchend. »Ist das wahr, du junger, nichtsnutziger Dieb, der seinen eigenen Vater von früh bis spät bestiehlt, ist das wahr?« »Was sollte ich denn machen?« Die Stimme des Mannes klingt schrill und hoch, die Furcht spricht auch aus ihr. Er geht langsam und widerwillig zurück,
als Ben ihm immer dichter auf den Leib rückt. »Was solltest du schon machen, du elender Narr, der sich einbildet, Gehirn zu haben, was? Gehirn hast du nur so lange, als dich das Geld deines Alten alles gewinnen läßt. Nicht dein Verstand läßt dich etwas gewinnen, dein Geld ist es, du blöder Narr! Gehirnloser Schwächling, warum hast du das getan? Mensch, ich schlage dich tot, ich bringe dich um! Weißt du, was passieren wird?« In dieser Sekunde wird Brian Waltman kreidebleich und versucht wirklich, den Revolver zu ziehen. In seiner Wut über die Zurechtweisung verliert er wieder einmal die Beherrschung. Er rechnet nur nicht mit Ben Lathams Schnelligkeit. Ben macht einen Satz, rammt ihm sein hochgerissenes Knie in die Seite und preßt ihn gegen die Wand. Dann holt er aus, knallt ihm die Faust unter das Kinn und gibt ihm einen Stoß. Brian Waltman fliegt drei Schritte weiter und kracht vor Densons Füßen hin, der hastig die Hände hochstreckt. »Nimm deine schmutzigen Finger herunter, du Viehdieb«, sagt Ben fauchend. »Du brauchst doch keine Angst zu haben, du bist nur ein Gauner, ein Händler. Aber jetzt hängt ihr alle drin! Nimm ihm seine Schießeisen ab, Hugo!« Hugo Denson bückt sich voller Hast und sagt, nachdem er Brian entwaffnet hat: »Ich gehorche immer, Ben. Hier sind sie.« »Halt den Mund. Du gehorchst nur so lange, wie dir vor Angst dein dickes Gesäß zittert! Harry, erzählst du bald alles?« »Ja«, erwidert Harry Holloway greinend. »Ich sage alles, aber hätte Brian auf uns gehört…« »Lassen sich von diesem Narren etwas sagen. Los, wie war es wirklich? John hat mir nur gesagt, daß euch das Girl belauscht hat und ihr sie mitgenommen habt. Also, wie ist es passiert?« »Eigentlich ist es deine Schuld«, sagt da Brett vom Stall her.
»Wenn du…« Er verschluckt sich, denn Ben fährt herum und sieht ihn nur starr an. Das genügt, Brett Holloway schließt den Mund. »Weiter, Harry!« »Wir kamen zu dir, um dir zu sagen, daß wir alles erledigt hatten, aber du warst nicht zu Hause und kein Mensch auf der Ranch. Also haben wir gewartet. Ich habe noch zu Brian gesagt, daß es vielleicht besser wäre, wenn wir nicht warten würden, aber er hat gesagt, wir hätten zu bleiben. Nun gut, dann haben wir über alles mögliche gesprochen, auch über die Pferde. Und auf einmal gab es vor dem Fenster einen Schrei, dann fluchte Brett.« »Brett, du hast sie erwischt?« »Ja«, erwiderte Brett verbissen. »Ich war im Stall, um einen Eimer für die Pferdetränke zu holen. Da sehe ich sie, schleiche mich hinter sie und kann hören, wie diese Narren da drin ganz sorglos über Big Sams Pferde sprechen. Das Girl hat alles angehört, will herum und rennt mir genau in die Arme. Verdammt, mein Ohr.« Er hat ein dickes Pflaster auf dem Ohr, also da hat ihn die Reitpeitsche getroffen. »Sie weiß also alles«, sagt Ben eisig. »Und jetzt soll ich wieder helfen, was? Ich habe für euch Narren und diesen gehirnlosen Burschen da genug Pferdespuren gemacht, obwohl ich von der Sache nie viel gehalten habe. Habt ihr wenigstens die Spuren gelöscht?« Sie sehen sich an, dann sagt Harry weinerlich: »Wir sind ja meilenweit über die Felsen…« Ben wird steif und richtet sich hoch auf. »Harry«, sagt er gedehnt und gefährlich ruhig. »Habt ihr die Spuren alle gelöscht oder nicht?« »Wir sind doch über die Berge…«
Ben Latham blickt sich jäh um und schweigt. »Wenn man euch einmal etwas allein tun läßt«, sagt er dann irgendwie leer und fassungslos. »Also werden wir alle in der Geschichte drinstecken, alle. Verwischen nicht die Spuren? Was habt ihr euch denn gedacht, ihr Narren? Denkt ihr nicht daran, daß doch jemand in der Lage sein könnte, selbst auf felsigem Boden noch Spuren zu entdecken? Verdammtes Gesindel, idiotisches Packzeug, ihr gehirnlosen…« Er brüllt los und ist so wütend, wie ihn Clay noch niemals erlebt hat. Er stürzt sich auf den vom Boden hochtorkelnden Brian Waltman und will ihn mit dem Revolver niederschlagen. Erst im letzten Augenblick besinnt er sich, packt Brian an den Aufschlägen der Jacke und stößt ihn gegen die Wand. »Weißt du, was jetzt passieren wird?« fragt er dann furchtbar ruhig. »Du hast dein Spiel verloren, Junge. Du bist ein toter Mann. Nur um deine Pferde gewinnen zu sehen, läßt du Big Sams beste Gäule stehlen. Das ist für dich das letzte, was man dir nachsehen wird. Du bist fertig, denn der Alte wird kommen und dich und seine Pferde haben wollen. Er kennt in dieser Beziehung keine Gnade. Er wird dich erwischen und fertigmachen, du Idiot! Dann werden noch mehr Dinge herauskommen, noch viel mehr. Harry wird fertig sein, Denson und Brett, schließlich auch ich. Hast du gehört, auch ich!« »Warum«, keucht Waltman schrill, »warum warst du denn nicht auf der Ranch? Es war doch abgesprochen.« »Ich habe jemand suchen müssen, du Narr. Das geht dich gar nichts an. Ich bin einmal nicht da, und schon passiert es. Was hat das Girl auf meiner Ranch gewollt?« »Sie hat dich bitten wollen, deinen Vetter zu benachrichtigen, damit der ihr bei der Suche nach den Pferden hilft.« »Harry, was ist das?« fragt Ben stockheiser und läßt Waltman los. »Wo ist sie jetzt?«
»Im Keller. He, Brian.« Aber der Platz, an dem Waltman gerade noch gestanden hat, ist leer. Statt dessen poltert es im Haus heftig, eine Tür knallt, und Waltmans schrille Stimme kommt von unten her: »Ich hole sie herauf, Ben. Du mußt mit ihr sprechen. Wartet, ich bringe sie hoch. Vielleicht haben wir noch eine Chance.« »Ben, und wenn er die Spur nicht findet, wenn Big Sam nicht kommt?« »Harry, seit wann kannst du nicht mehr richtig denken?« fragt Latham düster. »Du kennst den Alten nicht, der geht über Leichen, wenn er kämpfen muß. Eher wird er auf seine Pferde verzichten, als auf seine Tochter. Und dann sind da noch einige Dinge. Harry, hat sich niemand der Ranch genähert?« »Nein, niemand. Wir haben ja Posten aufgestellt.« »Du bist sicher?« Ben Latham blickt sich um, ein gehetzter Ausdruck liegt plötzlich auf seinem Gesicht. Es erweckt den Anschein, als ob er sich vor irgendeiner Sache fürchte. »Ich bin ganz sicher, Ben.« »Nun gut, vielleicht ist er ja auch…« In diesem Moment entsteht an der Tür eine Bewegung, Sandra Needhan wird von Brian Waltman herausgeschoben. Brians Gesicht zuckt vor Erregung. Er steht genau hinter ihr, stößt sie nach links und sagt plötzlich, während seine rechte Hand nach oben schnellt: »Zurück, Ben, geh nur zurück. Ich habe einen Revolver in ihrem Rücken. Ich werde schießen, wenn sich einer einmischt. Jetzt geht es um meinen Kopf. Seht zu, daß ihr die euren rettet! Brett, steh nur still! Sie bleibt vor mir, ich werde…« Ben wird kreidebleich, als er Sandra Needhan sieht und das Tuch, das ihr den Mund verstopft. Sandra ist an den Beinen
nicht gefesselt, nur ihre Hände hat man auf dem Rücken gebunden. Sie steht mit aufgelösten Haaren und blaß vor Waltman. Auch Ben ist blaß geworden. Links bewegt sich plötzlich Bill Donogan, aber ehe er noch seinen Revolver ziehen kann, feuert Waltman bereits. Der Schuß faucht über den Hof, Bill knickt ein, dreht sich dann hilflos und stürzt nicht weit vom Haltebalken zu Boden. Zwar macht Ben Latham eine Bewegung, aber er hört sofort Waltmans schrille und vor Furcht sich überschlagende Stimme: »Laß deine Colts fallen, ich schieße! Alles wirft die Waffen weg, du auch, Brett!« Er steht mit dem Rücken an der Wand, vor sich das Mädchen. Er hat jeden Mann vor sich, niemand besitzt auch nur die geringste Chance. »Vorsicht, der ist verrückt genug, sie zu erschießen«, sagt Ben Latham mit kalter Überlegung. »Brett, laß deine Waffen fallen, er hat den Verstand verloren, er schießt sonst. Laßt alle die Waffen fallen, schnell.« Ben greift langsam zu seinen beiden Revolvern, zieht sie und läßt sie auf die Bohlen des Vorbaues fallen. Hinter ihm fällt Harry Holloways Colt zu Boden, auch Denson greift unter den Rock und wirft seinen Revolver hin. »John«, sagt Harry Holloway schluckend. »John, tue, was Ben sagt. Dieser Junge, dieser verdammte…« »Noch ein Wort, dann hast du eine Kugel im Kopf«, schreit ihn Waltman an. »Weg mit den Waffen, Brett!« »Dir habe ich nie getraut«, sagt Brett zwischen den Zähnen. »Wer seinen Vater laufend bestiehlt, der kann nicht viel taugen.« »Und ihr habt die Rinder abgetrieben und verkauft, ihr seid nicht besser«, brüllt Waltman giftig. »Ich werde euch zeigen, was ich alles kann! Nach hinten, Ben, geht alle zurück! Geht
zurück, ich schieße!« Sie weichen alle vor ihm aus. Er treibt sie vom Vorbau und zuckt leicht zusammen, als Ben Latham eiskalt sagt: »Du kommst nicht weit genug, Narr. Rechne es dir richtig aus. Du hast keine Chance, selbst wenn du hier vom Hof kommst.« »Das werden wir sehen. Ich weiß schon, was ich mache. Sandra, immer mitgehen, wir nehmen deinen Gaul und meinen hier. Ben, dann versucht mal, uns einzuholen, versucht es mal.« Er kommt vom Vorbau herunter, hält Sandra mit der linken Hand fest, während er mit dem Revolver in der rechten Brett Holloway über den Hof jagt und einmal kurz zu dem Mann auf dem Wasserrad hinblickt. Das Gestell aber ist so weit entfernt, daß der Mann dort oben ihn mit seinem Revolver niemals treffen kann, ein Gewehr besitzt der Posten nicht. »Ich werde«, sagt er nun, »auch noch Duke mitnehmen. Dann versucht es alle. Jetzt gehe ich in den Stall und hole Duke heraus. Und wer immer mir nachkommt, den erwische ich, ehe er etwas tun kann. Ich habe das Girl. Vergeßt es nicht und bleibt dort alle stehen. Hast du gehört, Ben?« »Ich höre. Geh nur, du kommst nicht weit.« »Halte deinen Mund. Los, Sandra, wir wollen einen Spaziergang machen.« In diesem Augenblick ist Clay bereits aus der Scheune, kommt zwischen Haus und Scheune langsam nach vorn und bleibt kurz hinter der Ecke stehen, denn es poltert heftig auf dem Turm des Wasserrades. Dort oben schreit der Posten gellend und voller Furcht: »Harry, Harry, Reiter kommen, mehr als ein Dutzend. Reiter kommen von Westen!« »Wer, wer?« schreit Harry japsend zurück. Seine Stimme
kippt bei den nächsten Worten über. »Wer ist es, kannst du sie erkennen?« »Noch nicht, aber sie kommen schnell!« Jemand lacht im Hof. Ben Latham lacht leise und wild, sieht den bleich gewordenen Brian Waltman an und sagt glucksend: »Na, Narr, wie weit willst du noch? Ich wette alles, was ich besitze, daß dort Big Sam kommt. Was ist dir denn, brauchst du uns jetzt vielleicht wieder? Soll ich nicht doch besser meine Revolver holen, Brian, du Narr? Nun?« »Bleib stehen, bleib stehen, ich schieße! Ich komme weg, ich schaffe es. Vielleicht beschäftigt er sich mit euch, dann habe ich Zeit genug gewonnen, um zu flüchten. Ich komme schon weg.« Clay Holton zieht langsam seinen Revolver, stößt sich dann von der Wand ab und geht die letzten Schritte. Irgendwo vom Stall schallt das Echo zurück. Der Mann kommt und pfeift. Er geht mit dem Revolver in der Hand um die Ecke, sieht nun den Rücken von Brian Waltman. In diesem Moment ist es totenstill auf dem Hof, dann aber wirft sich Brian mit einem gellenden Schrei herum. Sandra Needhan sieht den Mann breitbeinig an der Ecke stehenbleiben. Sein Pfeifen ist verstummt. Er steht groß und langbeinig da, seinen Hut leicht in die Stirn gedrückt, den Revolver in der linken Hand. Brian Waltman feuert in der Sekunde, in der er Clay gegenübersteht und stößt den zweiten Schrei aus. Clay zuckt nur leicht zusammen, als die Kugel sein linkes Bein trifft, dann feuert er. Seine rechte Hand schlägt auf den Hammer des Revolvers. Er sieht Waltman sich drehen, den seltsam verwirrten Blick des Mannes und sagt dann eiskalt:
»Zurück, Ben, zurück.« Ben Latham stürzt zusammen mit John und Harry Holloway auf den Vorbau, will zu seinen Revolvern greifen und sieht mitten in Clays scharfkantiges Gesicht. Clay Horton dreht sich schwerfälliger als sonst. Er könnte Ben in diesem Augenblick erschießen, feuert aber auf den kleinen John, der sich mit dem vom Boden aufgenommenen Revolver nach rechts vom Vorbau wirft. Seine Kugel trifft den kleinen Mann in die linke Schulter. John rollt wimmernd nach rechts zurück und wirft schreiend seinen Revolver fort. Harry Holloway macht einen wilden Satz auf die Tür zu. Er ist nicht schnell genug, um sie noch zu erreichen. Clay senkt den Revolver und die rechte Hand schlägt noch einmal auf den Hammer. Mitten im Sprung wird Harry Holloways rechtes Bein getroffen. Harry kracht dicht vor der Tür auf die Bretter des Vorbaues. Der schwere Fall seines mächtigen Körpers läßt den ganzen Vorbau erzittern. »Brett, Hände hoch!« ruft Clay scharf. »Nimm sie hoch, Mann!« Brett Holloway, mit der linken Hand keinen halben Meter mehr vom Revolver Johns entfernt, kauert im Staub dicht an der rechten Vorbaukante und starrt auf den rauchenden Revolver in Clay Hortons Hand. Die Mündung sieht ihn dunkel und drohend an. Der Falschpieler schluckt schwer, hebt dann beide Hände langsam in die Höhe und sagt gurgelnd vor Wut: »Ben, Ben, schieß!« Der Mann auf dem Wasserradturm kommt schreiend nach unten gerannt und kreischt buchstäblich, während er zum Corral rennt: »Es ist Big Sam, es ist Big Sam mit zehn Mann! Lauft weg, lauft doch weg, er bringt uns alle um!«
Clay Horton steht still, das Blut läuft warm an seinem Bein herunter. Er hat den Revolver in der linken Hand und sieht auf Ben, der beide Revolver in den Händen, aber die Mündungen nach unten gerichtet hat. »Ben, schieß doch«, japst Holloway greinend. »Warum schießt du denn nicht?« Ben Latham lächelt. »Verschwinde, solange du noch Zeit hast, Ben«, sagt Clay langsam. »Ben, hinter dem Kamm, den Bachlauf hoch, steht Jimmy. Nimm ihn, er wird dich vielleicht tragen und nicht abwerfen. Nimm ihn, du hast noch eine Chance. Ich schieße nicht auf dich, du hast mit der Sache hier nicht viel zu tun, also geh schon. Geh zu deinem Pferd. Nun mach schon, sie holen dich sonst ein.« »Junge, du würdest mir sogar Jimmy überlassen? Das hätte ich wirklich nicht geglaubt. Du wirst nicht auf mich feuern, ich weiß. Ruhig, ruhig, Bill, du bist nicht schwer verletzt. Liege still, dir wird nicht viel passieren. Ihr habt nur immer meine Befehle ausgeführt, verstanden? Tut mir leid, Clay, du brauchst mich noch, Junge. Ich habe immer mal etwas Anständiges in meinem Leben tun wollen, etwas, womit ich einige Dinge vielleicht aufwiege. Ich laufe jetzt nicht weg, denn du mußt Jimmy reiten und brauchst einen Zeugen dafür, daß du Joe nicht erschossen hast.« »Verdammt, ich höre schon den Hufwirbel. Verschwinde. Ben, noch schaffst du es.« Ben Latham lächelt wie immer, wie damals in Texas. Er sieht seinen Vetter irgendwie belustigt an. Ein großer, breitschultriger und lässig auf dem Vorbau stehender Mann, dessen prächtiger Anzug verstaubt ist. »Pech, Junge. Ich will nicht weg, das mußt du begreifen. Schließlich ist da noch die Sache mit Joe.«
»Die ist nicht wichtig, ich weiß ja, wer der Mörder ist, wer auf ihn geschossen hat. Daß Joe aus dem Spalt entkommen ist, das weißt du sicher nicht, aber es ist wahr.« »Ich weiß, ich weiß«, entgegnet Ben Latham lächelnd. »Es ist doch schlecht, wenn man vorbeischießt. Du brauchst mich hier, Clay, ich kann nicht weggehen.« »Ben, woher weißt du es?« Clay hat plötzlich wieder jenes Gefühl, daß eine düstere Wolke auf ihn zukommt. Ben lächelt so seltsam und ist so ruhig und sicher. »Woher weißt du es?« »Nun, ich muß es wissen. Jemand von Big Sams Leuten hat die ganzen Jahre für mich gearbeitet. Ich habe natürlich gewußt, daß du bei Big Sam warst, noch am gleichen Abend, Junge. Ich habe auch gewußt, daß Joe losritt, um dich zu sprechen. Aber das hat Zeit, jemand wird es dir schon erklären. Vielleicht sogar Joe.« »Joe?« »Ja«, sagt eine tiefe, knarrende Stimme in diesem Augenblick vom Geräteschuppen her. »Ich glaube, ich kann jetzt kommen, Ben. Ich habe dir gesagt, daß ich alles zu meiner Zeit tun würde, Ben. Die Zeit ist jetzt meine Zeit! Du hast nur meine Seite getroffen, Ben, aber es hat genügt, um mich abrutschen zu lassen. Clay, steh ganz still und misch dich nicht ein. Ich habe versprochen, den Mörder meines Bruders zu töten. Nicht du hast ihn umgebracht, Ben war es, dein prächtiger und schlauer Vetter Ben.« Clay sieht Bens Gesicht, das nun nicht mehr lächelt, das eiskalt geworden ist. Ben steht da, seine Revolver deuten auf den Boden. Aus dem Schuppen aber tritt Joe Slico heraus. Er geht leicht schief und hat in jeder Hand einen Revolver. »Zum Teufel, Joe, Ben! Ich habe Larry erschossen, ich! Joe, ich
weiß es ganz sicher. Ben war zu der Zeit doch noch gar nicht bei uns, Joe.« »Doch, er war schon in der Stadt, der Schlaukopf«, gibt Joe knarrend zurück. »Er hat Larry umgebracht. Nicht mit einer Kugel, wie du es denkst, Clay, er hat ihn zu einem Banditen gemacht. Und daran ist mein kleiner Bruder gestorben. Elf Banküberfälle, bei denen nur ein Mann gestorben ist, mein Bruder, hat dein prächtiger Vetter in Texas ausgeführt. Dein lächelnder, freundlicher Ben, Clay. Dann hat er sich hier oben zur Ruhe gesetzt mit einigen von seinen Leuten. Und erst als ich aufgetaucht bin, da hat er es mit der Angst bekommen. Ben, ich hätte dich schon lange erwischen können. Ich habe gewußt, daß du mir Jesse Calmin und seinen Freund Lin Taylor auf den Hals geschickt hast, aber ich hatte Zeit – bis heute. Hier bin ich, Ben, dreh dich.« »Ben«, sagt Clay verstört. »Ben, das ist doch nicht wahr? Du bist der Mann, der in Texas die Banken überfallen hat?« »Manchmal«, erwidert Ben und lächelt nicht mehr, »manchmal hat es keinen Zweck mehr, zu lügen. Jedes seiner Worte ist wahr. Paßt du auf, Joe? Ich drehe mich, jetzt!« Er wirbelt jäh herum, schießt augenblicklich und hat den brüllenden Klang von Joe Slicos beiden Revolvern zugleich in den Ohren. Ben Latham stürzt mit einer lahmen Bewegung gegen die Hauswand, gleitet an ihr ab und fällt zu Boden. Dort liegt er still, hört Clay rufen und sieht ihn vor sich auftauchen. Clay kauert an seiner Seite, hat ein ganz starres Gesicht und sagt tonlos: »Ben, warum hast du das alles getan, warum denn nur?« »Hab' mir immer«, sagt Ben schwach und lächelt, »hab' mir immer eingebildet, ich sei ein Meisterdieb. Es hat nie einen Toten gegeben, bis auf Larry. Tut mir leid, war ein guter, wilder
Junge, bißchen zu wild, aber in Ordnung. Junge, lächeln mußt du. Ist trotzdem schön gewesen, das wilde Leben. Hab' sie alle bluffen können. Junge – das Pferd – ich sehe dich reiten – reiten auf deinem Jimmy. Mein Pferd – als erstes Pferd durch das Ziel, schön, mein Pferd – gewinnt. Immer tapfer, Texaner – lächeln mußt du – lächeln.« »Ben, Alter, du kannst doch jetzt nicht sterben. Du mußt Jimmy siegen sehen, Alter.« »Ich – werde ihn sehen«, erwidert Ben Latham leise. »Ich habe Waltman gewarnt, nicht Big Sams Pferde, aber er hat gewinnen wollen, diesmal. Hat nichts von Jimmy gewußt, der Narr. Joe?« Joe Slico kommt heran und bleibt mit dem Revolver in der Hand zwischen Ben und den anderen Männern stehen. »Nur ruhig«, sagt Joe knarrend. »Seid friedlich. Big Sam ist gleich hier. Es wird rauh, wenn ihr etwas versucht. Ben, warum hast du mich erschießen wollen? Sollte ich nicht mit Clay sprechen können?« »Du bist von der Ranch aus genau auf den Felskessel losgeritten«, murmelt Ben Latham. »Ich habe dich gesehen, bin dir nach und als du am Spalt warst…« »Ja, ich kenne den Kessel mit deinem Gaul«, sagt Slico düster. »Ich habe dich oft genug beobachtet. Dabei entdeckte ich dieses Tal. Alles, was ich jemals gegen dich gebraucht habe, das war ein Beweis. Und den habe ich jetzt. Du hast Waltman geholfen, Big Sam die Pferde zu stehlen.« »Nein«, erwidert Ben stockend. »Ich nicht. Die Spuren gemacht. Bin nicht dafür gewesen – zu gefährlich. Dieser junge Narr. Clay – tut mir leid, daß ich auf dich schießen ließ.« »Du, auf mich?« fragt Clay verstört. »Was redest du?« »Ja, habe von Mitch Stevens gleich erfahren, daß du auf dem Flur mit Joe gesprochen hast. Wollte, daß du mir eines Tages
gegen Joe helfen solltest.« Er blickt zu Donogan hin und sagt heiser: »Bill hat in den gleichen Sachen, wie Joe sie trägt, auf dich schießen müssen.« »Was ist das?« fragt Joe scharf. »Donogan hat in meinen Sachen – Mitch Stevens ist also der Mann, der für dich bei Big Sam spioniert hat? Ritt er noch an dem gleichen Abend zu dir?« »Ja, du hast im Flur mit Clay gesprochen. Und Mitch – er hat auf dich – achten müssen. Er hat mir auch gesagt – verstehst du, Joe –, daß du Clay sprechen wolltest. Da habe ich dich zur Ranch kommen sehen und bin dir gefolgt. Clay, Joe weiß alles von mir, er weiß von Larry, von Texas, weiß alles.« »Mein Gott«, sagt Clay Horton und ist bleich wie der Tod. »Ich sollte also Joe für dich erschießen. Als er aber zu mir ritt, da konntest du nicht anders und hast die günstigste Stelle abgewartet, um ihn zu erschießen.« »Was sollte ich tun? Jimmy mußte doch erst gezähmt werden.« Hinter ihnen stürmen Pferde auf den Hof, Big Sam brüllt wie ein Löwe und kommt mit seinen Männern heran. »Big Sam, laß Harry Holloway und John Ardmore festnehmen«, sagt Joe scharf. »Sie sind die beiden letzten Mitglieder einer Bande texanischer Bankräuber. Und paß auf diesen schmutzigen Kartenhai auf. Deine Pferde stehen im Stall!« Es ist Clay, als wäre sein Kopf völlig leer und ausgebrannt. Er kauert neben Ben auf dem Vorbau, hört Männer fluchen und Pferde schnauben. »Ben«, sagt er tonlos. »Ben, warum hast du das getan? Ich hätte Joe erschossen, sobald er mir über den Weg gelaufen wäre. Ich war sicher, daß er auf uns in dieser alten Indianerfallenschlucht gefeuert hat. Hattest du derartige Angst vor ihm?«
»Er hat alles zusammengetragen, er hat genau gewußt, daß ich früher ein Bandit war, ein lächelnder, alle bluffender Bandit. Habe immer gedacht – morgen steht er – mit dem Revolver vor dir. Schlimm, wenn du – von den Schatten deiner Vergangenheit eingeholt – verstehst du?« »Du hast hier Rinder gestohlen, mein Gott, Ben.« »Nein, kein Rind, kein einziges, ich schwöre! Habe nur Rinder gekauft und verkauft. Brian hat mit Brett gespielt und verloren, konnte dem Alten nichts sagen von Spielschulden. Hat dann von Denson – den Holloways und John seine Rinder stehlen lassen. Lump, bestiehlt seinen Vater. Joe weiß alles.« »Ja«, sagt Joe Slico düster. »Ich weiß das alles, Ben. Du kannst weglaufen, aber deine Vergangenheit holt dich immer wieder ein. Larry war ein leichtsinniger Bursche, aber du hast ihn ganz auf die schiefe Bahn gebracht. Gearbeitet hat er nie, der Junge. Er sollte mal besser leben als ich. Dann habe ich nach seinem Tode alles Geld gefunden, das ich ihm geschickt hatte. Von dieser Sekunde an wußte ich, daß er nicht nur diesen einen Überfall mitgemacht haben konnte, wovon hätte er sonst leben können? Ich bin herumgeritten und habe mich in jeder Stadt erkundigt, in der eine Bank ausgeraubt worden war. Und überall hat die Beschreibung auf Larry gepaßt, und auf dich, denn du warst sein prächtiger Boß. In jeder Stadt, deren Bank erleichtert worden war, bist du einige Tage vorher oder nachher gesehen worden. Niemand hat dir lächelndem Burschen zugetraut, ein Bandit zu sein. Nur ich, Ben. Ich habe Zeit gehabt, viel Zeit, alles zu meiner Zeit. Trotzdem tust du mir leid, Mann.« Ben Latham liegt still und blickt Clay groß an. »Du mußt nicht – ernst sein«, sagt er ganz leise. »Es ist wahr, sie waren früher mit mir zusammen, Harry, John und Larry. Wollte ehrlich leben hier oben. Die anderen haben es nicht auf-
geben können. Rinder gestohlen, Pferde. Ich habe sie – verkauft. Clay – es ist besser so! Clay…« Er schließt die Augen und hat Schweiß auf der Stirn stehen. »Ben, Alter, du mußt nicht so viel reden.« Ben macht die Lider wieder auf und lächelt dünn. »Jimmy – immer gut mit Jimmy, hörst du? Du wirst – ihn zuerst durchs – Ziel bringen. Und sie werden – sagen – was für – ein Pferd – mein Pferd.« Er blickt an ihm vorbei, als sehe er ihn dort oben in den Wolken galoppieren, als höre er alles, den wilden, trommelnden Klang der Hufe, das grelle und schmetternde Wiehern seines Pferdes. »Ben,« Der Mann liegt still. Er ist schon weit fortgeritten. Clay Horton richtet sich auf und sieht die Männer im Halbkreis um den Vorbau stehen. Sie blicken ihn schweigend an. Er senkt den Kopf und weiß, daß er für sie alle der Vetter dieses Mannes ist. Auch wenn Brian ein Pferdedieb war, wird man Ben für den schlimmeren von beiden halten. Er denkt einen Augenblick an den Weg, den jeder ohne die Chance zur Umkehr geht, jeder, der wie Ben Latham ist. Ich bin sein Vetter, denkt Clay und spürt, daß die Leere in ihm immer größer wird. Sie werden sagen, daß ich sein Vetter bin, ein Tramp aus Texas. Wenn einer gestorben ist, dann schieben ihm die anderen, die mitgemacht haben, immer alles in die Schuhe, er war dann ein ganz übler Lump. So wird es mit Brian Waltman sein, der seinen Vater bestohlen hat. Vielleicht hat ihn der Alte, bevor er gelähmt war, zu streng gehalten, vielleicht war Brian auch schon immer ein Taugenichts. Die meisten hochnäsigen Burschen taugen nichts. Daß er zuletzt nun Big Sams Pferde gestohlen hat, das wird man schon schlimmer beurteilen, auch Sandras Entführung.
Nun, jeder macht einen Fehler, auch dieser Bursche hat ihn gemacht. Er hebt den Kopf wieder und sieht Sandra an. Sie steht neben Big Sam. Ihr Gesicht ist ganz starr. Ja, denkt Horton, ich bin nichts als ein Tramp, ein kleiner schmutziger Tramp, dessen Vetter ein Bandit war. Jetzt denkt sie es auch, sie muß es ja denken. Was kann ich dafür, daß Ben so gewesen ist? Und trotzdem, ich habe ihn richtig gern gehabt, ich glaube sogar, er mich auch. Hat er nicht einmal gesagt, daß er so wie ich sein möchte? Er hat meinen Geburtstag nie vergessen. Nein, er hat mir immer etwas geschenkt. Er blickt sie nun alle an. Seine Stimme ist rauh, aber er kann nicht anders, er muß reden. »Er hat vor Jahren gestohlen«, sagt Clay Horton heiser. »Dann hat er versucht, ein ehrliches Leben zu führen, aber seine alten Freunde haben das Stehlen nicht aufgeben können, wenn sie jetzt auch sagen werden, daß er sie dabei angeführt hat. Zu mir war er immer gut. Der einzige Mann, der sich außer meinem Vater jemals richtig um mich gekümmert hat, der auch helfen konnte. Wenn er versucht hat, Joe gegen mich und mich gegen Joe zu hetzen, wer von uns hat noch niemals Angst kennengelernt? Er hat gewußt, daß ich ein wenig schneller war als Joe. Diese jämmerlichen Burschen, die mich zum Falschspieler gestempelt haben, sie werden alles auf ihn schieben. Und vielleicht werden die Richter ihnen sogar glauben. Aber ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Es war seine Sache, sein Leben zu gestalten. Das ist allein die Sache jedes Mannes. Nun werde ich sein Pferd holen und ihn mitnehmen. Ich werde ihn begraben. Nun könnt ihr über ihn reden.« Er dreht sich um und geht los. Und hinter ihm ist alles still. Er zieht sein angeschossenes Bein leicht nach und biegt um die Ecke. Und es ist wie Trotz und Not in ihm, daß er hinter der
Ecke zu pfeifen beginnt. Er kommt sich so allein wie nie zuvor in seinem Leben vor. Er ist beinahe am Haus vorbei und an der Scheune, als er jemanden laufen hört. Ein Schatten taucht klein und schmal neben ihm auf und bemüht sich, mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Er pfeift immer noch. Und ihm ist es, als wenn ihm mit Ben ein Stück seiner selbst genommen wurde. Dann wendet er langsam den Kopf. Er sieht Sandra von der Seite an und stellt sein Pfeifen ein. »Was willst du, Lady?« fragt er bitter. »Ich bin ein Tramp, das weißt du doch. Nichts, als ein kleiner, billiger Tramp, ohne richtige Heimat, ohne Freunde, selbst ohne Pferd. Warum gehst du also an meiner Seite, Lady?« »Weil ich mitgehen werde, wenn du gehst, Tramp«, antwortet sie ganz leise und stockend. »Wohin du auch gehst, ich komme mit. Ich mag es nicht mehr hören, ich kann nicht mehr hören, daß du dich einen Tramp nennst, Clay. Sage es nicht wieder, denn du bist es nicht. Ich komme mit dir.« »Wohin geht ein Tramp wie ich, weißt du das?« fragt er müde. »Weißt du, wie weit dieser Weg sein kann? Du hast eine Ranch, du hast alles, was man sich wünschen kann, aber es ist nichts für mich. Meine Frau muß ganz arm sein, weißt du das?« »Ich bin arm. Sieh mich an und sage, ob du etwas siehst, Clay. Ich will auch nichts weiter als dich, obwohl du hier alles hast, was du nicht zu besitzen glaubst. Du hast mich, denn ich liebe dich, Clay. Du hast diese Männer dort hinten, die genau wissen, was einen Mann erst ausmacht. Sie sind deine Freunde, sie sind alle deine Freunde, aber du willst es nicht begreifen. Nur ein richtiger Mann hätte so über seinen Vetter reden können. Mich hält nichts zurück, wenn du gehst. Ich werde auch nicht daran denken, daß wir beide etwas verloren haben. Du mußt wissen, wohin du gehst, aber du sollst auch wissen,
daß ich mitkommen werde. Nimmst du mich also mit?« Er bleibt stehen und faßt sie an der linken Schulter, zieht sie herum und sieht Tränen in ihren Augen. »Du würdest überallhin mitkommen?« »Ja«, erwidert sie schluckend. »Mit dir auf Züge springen und wieder hinunterfliegen, irgendwo schlafen und weiterziehen. Ich will so arm sein wie du, wenn du mich nur haben willst.« Er denkt, daß sie sehr tapfer ist, tapferer als er, der wieder einmal davonlaufen will. Er hat nichts zu verlieren, denn er besitzt nichts, was er sich selbst erarbeitet hat. Doch, da ist ja noch Jimmy. Und da ist Bens Ranch, aus der etwas zu machen ist. Sie lehnt sich an ihn und legt die Arme um seinen Hals. Und es scheint sie nicht zu stören, daß hinter ihnen viele Männer stehen und alles sehen und hören können. Ich habe viel Arbeit, denkt Clay, ich habe zu tun. Und ich muß Jimmy zum Rennen bringen, damit Ben ihn gewinnen sieht. Dann kann ich auf der Ranch bleiben. Ich brauche nicht fortzulaufen. Warum auch eigentlich? Ich kann ja arbeiten für sie und mich. Ich werde arbeiten und sie irgendwann zu mir holen, irgendwann suche ich sie. Vielleicht steht sie wieder mit aufgekrempelten Hosen in einem Bach und sieht mich groß an, die Angel in der Hand. Er sieht nun den kleinen Mann kommen, der sich aus der Gruppe der anderen gelöst hat und noch schneller geht als sein großer Boß mit den weißen Haaren. Der kleine Charly kommt heran und nimmt seinen Hut vor ihm ab, vor dem Tramp. »Ich«, sagt der kleine Mann und wendet leicht den Kopf, als sein Boß reden will, »ich rede jetzt, Boß!« Es ist sicher das erstemal in seinem Leben, daß er Big Sam zu
widersprechen wagt, sicher das erstemal, doch er macht es. »Clay, ich rede für alle«, sagt er und dreht seinen Hut zwischen den Fingern. »Ich soll es dir sagen, Clay. Diese Mannschaft entschuldigt sich für alle Gedanken, die sie über dich gehabt hat wegen Joe Slico. Diese Mannschaft möchte, daß du nicht wieder wegläufst. Wir meinen nur, daß ein Mann zu seinen Freunden gehört. Und ich denke, dies ist ein wahres Wort. Jetzt kannst du reden, Boß.« Big Sam Needhan steht da und nickt nur kurz. »Manchmal«, sagt er, »manchmal muß man es jemandem sagen, wohin er gehört. Charly hat es dir gesagt. Ich weiß, daß ich Sandra verliere, wenn du weggehst, Clay, denn sie wird mitgehen, wie hart es auch immer kommt. Ich bin alt und fürchte mich davor, sie zu verlieren, aber ich würde keinen Mann zu halten versuchen, der sie nicht wert ist. Eher schieße ich ihn eigenhändig tot. Du hast lauter Freunde. Ich werde stolz sein, wenn du mich dazurechnen willst. Gib mir eine Antwort, Clay.« Lauter Freunde, denkt Clay. Sie wollen mich wirklich, lieber Himmel, sie wollen mich. Er blickt Sandra an und sieht ihr scheues und doch hoffendes Lächeln. Sie sagt nichts, doch er weiß, was sie denkt und hofft. »Geh zu Big Sam«, sagt er ruhig. »Geh jetzt zu ihm, Sandra.« Sie läßt ihn los, tritt neben ihren Vater und wartet. Sie wartet, wie die Männer warten, die langsam näher gerückt sind. »Ja«, sagt Clay Horton, der Tramp aus Texas. »Ich werde bleiben. Aber zuerst muß ich noch einige Dinge tun, das müßt ihr verstehen. Ja, ich werde bleiben.« Er sieht nur Sandra dabei an und weiß, daß er kein Recht hat, ihr die Heimat zu nehmen. Dann wendet er sich um und geht los. Er geht groß, langbeinig und etwas humpelnd auf den Bach
zu. Ein Mann, der sich entschieden hat. Und er denkt, daß diese Entscheidung für den Rest seines Lebens gilt. Er wird nie mehr allein sein, er wird Freunde haben. Und sicher wird er später lächeln, wenn er daran denkt, denn er wird es nie mehr sein, nie mehr. Ein Tramp aus Texas! * Es ist ein Jahr später. Über Kansas strahlt die Sonne heiß. Hufwirbel dröhnt über die Bahn. Er reitet weit hinten, er sieht sie vor sich in die Gegengerade einbiegen und lächelt immer noch. Jimmy läuft, er jagt dahin, wie ein Wirbelwind. Er denkt an Ben, der jetzt Jimmy vielleicht auch sieht und genauso verrückte Augen machen wird wie Big Sam, denn Jimmy ist das letzte Pferd, die anderen sind alle vorn, aber sie haben noch zwei Runden. Wie hat doch Joe Slico gesagt? »Alles zu seiner Zeit.« Richtig, alles zu seiner Zeit. Der Bogen kommt, Jimmy wird etwas schneller. »Seht mal den lahmen Gaul mit den Spinnenbeinen«, schreit jemand gellend. »Mit so einem Ziegenbock will er das Rennen gewinnen, hoho!« Er lacht wie Harry Holloway, denkt Clay, aber diesem falschen Hundesohn ist das Lachen auch vergangen. Ziegenbock – Spinnenbeine – wartet nur ab. Die Gerade ist da. Er hört Joe schreien und sieht ihn an der Barriere stehen: »Hol auf, hol auf, du verlierst zuviel! Das schaffst du nicht
mehr!« Er lächelt nur und denkt an die Streiterei mit Big Sam, der behauptet hat, daß Duke nicht zu schlagen sei. Ah, da vorn sitzt Big Sam ja. Und neben ihm die Lady. Und wo ist Duke mit dem kleinen Charly? Dort vorn, mitten im Rudel der anderen jagt Duke dahin. »Jimmy«, sagt Clay und beugt sich weit vor. »Du darfst jetzt niemanden enttäuschen. Mich nicht und Sandra auch nicht, denn sie hält zu mir und dir. Und noch jemanden nicht, den Mann, der dich großgezogen hat, ihn vor allen Dingen nicht. Siehst du, ich habe im vergangenen Jahr auf einen Start hier verzichtet. Du warst zwar schnell, aber nicht erfahren genug. Jetzt kennst du das alles, dich stören keine brüllenden Menschen mehr. Los, Jimmy!« Jimmy wackelt buchstäblich mit den Ohren und legt etwas zu, von ganz allein, wie es scheint. Am Ausgang des Bogens liegt er bereits dicht hinter dem letzten Pferd. Dann kommen die anderen in die Gerade, voran Gordon Simpsons Gaul aus Hays. Und in der Geraden sagt Clay, der Big Sams breites Grinsen nur zu deutlich sieht: »Jimmy, jetzt ärgern wir ihn noch mehr. Lauf, Jimmy, go on, Jimmy, zeige es ihnen allen.« Dieser lahme Gaul mit den Spinnenbeinen streckt sich nur einmal und saust los, als wenn ihn hundert Bremsen auf einmal in das Hinterteil stechen würden. Er rast mitten durch den Pulk von Pferden, sucht sich eine Bahn und weicht jedem anderen Gaul mit spielerischer Leichtigkeit aus. Jetzt verschwindet er mitten in den anderen, dann hat er noch vier Pferde vor sich und kommt wie ein Geschoß aus dem Pulk herausgefegt. Clay liegt lang auf seinem Hals und brüllt schrill: »Noch schneller, du Teufelsbraten, noch schneller! Lauf, Jim-
my, lauf!« Auf der Tribüne springen die Leute auf. Big Sam, die Zigarre noch in der Hand, steht plötzlich und brüllt: »Duke, Duke!« Und da holt Jimmy den dritten Gaul ein, kommt nicht innen, sondern auf der ungünstigen Außenbahn in die Kurve, rast auch an dem Gaul aus Hays vorbei. Das ist der zweite von vorn. Und vorn ist Duke mit Charly. Neben Charly taucht ein Kopf auf. Der kleine Mann sieht zur Seite. Die Gerade liegt vor ihnen, die Pferde liegen Kopf an Kopf. »Los, schneller, Charly!« »Du Hundesohn, du Bluffer, du nachgemachter Reiter!« Die Peitsche, denkt Charly, die Peitsche. Noch dreihundert Schritte. Ich muß es schaffen! Die Peitsche fliegt, Duke streckt sich. »Duke! Duke!« schreit Big Sam. Und da streckt sich auch Jimmy und wiehert einmal mitten im Galopp. Das Rund kocht, die Menschen springen auf und sehen diesen lahmen, spinnenbeinigen Gaul kommen. Und wie er kommt! Eine Länge, anderthalb, zwei, drei Längen Vorsprung. »Braver Jimmy, da wird Ben stolz sein auf dich. Lauf, Alter, lauf und zeige es ihnen! Er wird stolz auf dich sein!« Auf der Tribüne springt Big Sam wütend hoch, will in seiner Erregung einen Zug aus der Zigarre nehmen und steckt sich das dicke Monstrum umgekehrt zwischen die Lippen. Jetzt brüllt und flucht er erst richtig. Die Zigarre fliegt davon und beinahe einer dicken vollbusigen Lady sonstwohin. Durch das Ziel kommt Jimmy und wird gezügelt. Er hat genau fünfundzwanzigtausend Dollar verdient.
Die Menge brüllt fürchterlich. Sie weiß nicht, daß dieses Pferd seine eigene Geschichte hat, eine lange Geschichte, die nicht immer schön war. Der Mann mit dem Megaphon brüllt von der Tribüne: »Ladys and Gentleman! Sieger über die Meile: Mr. Clay Horton auf Jimmy. Besitzerin Missis Sandra Horton, geborene Needhan, von der Needhan-Ranch in Wyoming. Three Cheers für Jimmy!« Drei Hochrufe auf Jimmy. Einer hört sie, ein alter weißhaariger Mann. »Ich denke – ich denke, das ist Clays Pferd«, sagt Big Sam stotternd. »Er gehört ja dir, dieser Teufelsgaul, Tochter. Hast du gehört, Joe, hast du gehört? Needhan-Ranch in Wyoming. Das sind ja wir, das bin ja ich! Ich habe gewonnen, ich habe doch gewonnen, ich bin Needhan!« Dann erst fällt ihm ein, daß Clay es bestimmt vorher gewußt haben muß. Er war sicher, daß Jimmy als erstes Pferd durchs Ziel ging. Er ist für die Ranch geritten. Die Menge brüllt noch immer drei Hochrufe auf Jimmy. Hört er sie auch, der Mann mit dem freundlichen Lächeln, Ben Latham? Dann wird er auf etwas in seinem Leben stolz sein, auf sein Pferd. Und darauf darf er stolz sein. Dort drüben aber reitet er, der Mann, der dieses Pferd durch das Ziel gebracht hat. Auch er ist stolz auf das Pferd. Oder kann er auch auf sich einmal stolz sein? Ich glaube, er hat es verdient, der Tramp aus Texas! ENDE
Lesen Sie nächste Woche:
Der Trail des Ringo-Kid Betrüge niemals deinen Partner! Western von G.F. Wego