GABLER EDITION WISSENSCHAFT Schriftenreihe der HHL – Leipzig Graduate School of Management
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GABLER EDITION WISSENSCHAFT Schriftenreihe der HHL – Leipzig Graduate School of Management
In dieser Schriftenreihe werden aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Bereich Unternehmensführung präsentiert. Die einzelnen Beiträge spiegeln die wissenschaftliche Ausrichtung der HHL in Forschung und Lehre wider. Sie zeichnen sich vor allem durch eine ganzheitliche, integrative Perspektive aus und sind durch den Anspruch geprägt, Theorie und Praxis zu verbinden sowie in besonderem Maße internationale Aspekte einzubeziehen.
Torsten Briegel
Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Suchanek
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation HHL – Leipzig Graduate School of Management, 2008
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Claudia Jeske / Nicole Schweitzer Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1606-8
V
Geleitwort Globalisierung und Digitalisierung haben Unternehmen eine Fülle neuer Möglichkeiten weltweiter Kooperation und effizienterer Wertschöpfung eröffnet. Doch damit einher ging auch eine Intensivierung der Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen. Sieht man von
der
zwar
verbreiteten,
aber
verfehlten
Interpretation
ab,
nach
der
Unternehmensverantwortung primär in einem (wohltätigen) gesellschaftlichen Engagement jenseits des Kerngeschäfts gesehen wird, zeigt sich immer deutlicher, dass der Fokus dieser Verantwortung die Vermeidung – oder ggf. möglichst raschen Bewältigung – von Konflikten zwischen Gewinnerzielung und Verletzung legitimer Interessen von Stakeholdern (z. B. durch Korruption, Umweltverschmutzung, Unterbietung von Sicherheitsstandards etc.) zu sehen ist.
Im Zusammenhang mit einer Reihe teilweise sehr prominent gewordener Konfliktfälle und den daraus resultierenden gesetzlichen Regulierungen wie dem Sarbanes-Oxley Act in den USA sind in den letzten Jahren viele Unternehmen dazu übergegangen, den damit verbundenen Risiken mit stark formalisierten Compliance-Programmen entgegenzuwirken. Ein für die Um- und Durchsetzung dieser Programme noch vergleichsweise selten genutztes Mittel ist die systematische Einbindung der Mitarbeiter zur Aufdeckung illegalen oder illegitimen Verhaltens. Diese besitzen aufgrund ihrer Position bzw. Tätigkeit meist sehr frühzeitig Informationen über Missstände, problematische Praktiken, Prozessschwächen usw. im Unternehmen. Dennoch schrecken viele Unternehmen davor zurück, Mitarbeiter dazu anzuhalten, solche Informationen zu kommunizieren, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Als Gründe hierfür werden genannt, dass Unternehmen befürchten, dass kritische Informationen aus dem Unternehmen an die Öffentlichkeit gelangen könnten sowie dass das Betriebsklima und die Zusammenarbeit im Unternehmen aufgrund von Angst vor gegenseitiger Bespitzelung und Denunziation beschädigt würden. Die Skepsis gegenüber Whistleblowing findet sich allerdings nicht nur auf Seiten des Managements. Auch Mitarbeiter stehen der Offenlegung von Informationen über Fehlverhalten oftmals sehr zurückhaltend gegenüber. Einerseits fürchten sich viele Mitarbeiter vor gegenseitiger Überwachung; anderseits haben potenzielle Whistleblower Angst vor Vergeltung durch Kollegen.
VI
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Arbeit von T. Briegel mit der Entwicklung eines institutionenökonomischen Theorierahmens, innerhalb dessen Whistleblowing nicht nur hinsichtlich
seiner
Funktionalität
rekonstruiert
werden
kann,
sondern
auch
die
Herausforderungen und Erfolgsbedingungen einer erfolgreichen Implementierung von unternehmensinternen Whistleblowing-Systemen theoretisch hergeleitet werden können. Damit bietet dieses Buch eine konzeptionelle Perspektive zum besseren Verständnis dieser Form informeller Kontrolle, die dazu beitragen kann, illegalen oder unethischen Verhaltensweisen in Unternehmen vorzubeugen oder zumindest den Schaden zu begrenzen.
Prof. Dr. Andreas Suchanek
VII
Vorwort Illegales oder unethisches Verhalten von Unternehmen besitzt das Potenzial, davon betroffene Unternehmen durch Geldstrafen oder Bußgelder sowie Reputationsschäden zu schädigen. Die Einrichtung innerbetrieblicher Whistleblowing-Systeme ist eine bisher von Unternehmen noch selten genutzte Möglichkeit dieses Gefahrenpotenzial mit Hilfe ihrer Mitarbeiter zu reduzieren. Die Fragen, welche Chancen sich Unternehmen durch die Einrichtung von internen
Whistleblowing-Systemen
bieten
und
welche
formellen
und
informellen
Bedingungen bei der Umsetzung eines solchen Vorhabens zu beachten sind, sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Beantwortung dieser Fragestellung leistet nicht nur einen konzeptionellen Beitrag zur Erschließung des Forschungsfeldes, sondern lässt hoffentlich auch Praktiker interessante Einsichten in dieses Thema gewinnen.
Für das Gelingen dieser Arbeit möchte ich mich bei einer Reihe von Personen ganz herzlich bedanken. Mein größter Dank gilt Herrn Prof. Dr. Andreas Suchanek vom Lehrstuhl für Nachhaltigkeit und Globale Ethik, der die Arbeit von der Entwicklung erster Ideen zur Fragestellung über die Erarbeitung von Struktur und Inhalt bis hin zum Abschluss begleitete und stets für fachliche und methodische Fragen sowie konstruktive Diskussionen zur Verfügung stand. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Torsten Wulf und Herrn Prof. Dr. Matthias Schmidt für die Erstellung des Zweit- und Drittgutachten sowie Herrn Prof. Dr. Arnis Vilks für die Übernahme des Vorsitzes des Prüfungsausschusses. Für viele fachliche Anregungen und konstruktive Diskussionen im Rahmen von Doktoranden- und Forschungskolloquien möchte ich mich bei den anderen Doktoranden des Lehrstuhls sowie der HHL bedanken. Dieser Dank gilt auch den Vertretern der Firmen, die sich als Interview- oder Gesprächspartner zur Verfügung stellten. Bei meinen Freunden bedanke ich mich für die Begleitung der emotionalen Höhen und Tiefen des Arbeitsfortschritts. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meinem Bruder und Katja. Ohne ihre vielfältige Unterstützung wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.
Torsten Briegel
IX
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis................................................................................................................... IX
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................XIII
Tabellenverzeichnis...............................................................................................................XV
Abkürzungsverzeichnis..................................................................................................... XVII
1 Einleitung .............................................................................................................................. 1 1.1 Stand der Forschung................................................................................................... 5 1.2 Zielsetzung der Arbeit und Gang der Untersuchung .............................................. 9 1.2.1 Zielsetzung der Arbeit......................................................................................... 9 1.2.2 Gang der Untersuchung .................................................................................... 11 1.3 Begriffsdefinition Whistleblowing ........................................................................... 14
2 Methodik ............................................................................................................................ 19 2.1 Integration von normativer und positiver Analyse................................................ 19 2.2 Mikrofundierung von Makrophänomenen als Modellrahmen ............................ 23 2.2.1 Modell individuellen Verhaltens....................................................................... 25 2.2.2 Verhaltensänderungen durch Anreizänderungen .............................................. 28 2.3 Organisationsform Unternehmen............................................................................ 29 2.3.1 Konzept des korporativen Akteurs.................................................................... 30
X
2.3.2 Gesellschaftliche Kontrolle des Handelns von Unternehmen........................... 33 2.4 Interaktionen als Bezugsrahmen der Mikrofundierung ....................................... 37 2.5 Rolle von Institutionen in Interaktionssituationen ................................................ 40 2.5.1 Funktionsweise von Institutionen ..................................................................... 40 2.5.2 Offenheit von Institutionen ............................................................................... 42
3 Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing........................... 44 3.1 Ausgestaltung der Governance-Struktur und das Auftreten von Whistleblowing ......................................................................................................... 45 3.1.1 Governance-Struktur von Unternehmen ........................................................... 45 3.1.2 Auftreten von institutionellen Misfits ............................................................... 48 3.1.3 Institutionelle Misfits als Auslöser von Whistleblowing.................................. 50 3.2 Whistleblowing als Ergebnis einer Interaktion zwischen Mitarbeiter und Unternehmen .................................................................................................... 52 3.2.1 Handlungsoptionen für Mitarbeiter................................................................... 52 3.2.2 Unternehmensseitige Handlungsoptionen......................................................... 57 3.2.3 Whistleblowing als Interaktionsprozess............................................................ 62 3.3 Whistleblowing als Verletzung der Prinzipal-Agenten-Beziehung ...................... 65 3.3.1 Arbeitsverhältnis als Prinzipal-Agenten-Beziehung ......................................... 65 3.3.2 Whistleblowing als Verstoß gegen Loyalitätserwartungen............................... 68 3.4 Der Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing als externer Risikofaktor für Unternehmen .............................. 72 3.4.1 Entzug der „licence to operate”......................................................................... 73
XI
3.4.2 Whistleblowing als Instrument der gesellschaftlichen Überwachung und Kontrolle von Unternehmen ...................................................................... 75 3.5 Zusammenfassung..................................................................................................... 78
4 Ökonomische Vorteilhaftigkeit und Anreizkompatibilität von Whistleblowing-Systemen................................................................................................. 81 4.1 Ökonomische Vorteile von Whistleblowing-Systemen .......................................... 82 4.1.1 Unternehmensspezifische Vorteile ................................................................... 83 4.1.2 Kollektive Vorteile.......................................................................................... 102 4.2 Anreizkompatibilität als Voraussetzung zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen ....................................................................... 110 4.2.1 Fehlende Anreizkompatibilität als Ursache des Verzichts auf Whistleblowing-Systeme................................................................................ 110 4.2.2 Überwindung der Anreizprobleme durch staatliche Normen ......................... 119 4.2.3 Überwindung der Anreizprobleme durch Selbstverpflichtungen ................... 140 4.3 Zusammenfassung................................................................................................... 148
5 Unternehmensinterne Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen.......................... 151 5.1 Informations- und Anreizprobleme bei Einrichtung interner Whistleblowing-Systeme.......................................................................... 152 5.1.1 Funktionierende Whistleblowing-Systeme als gemeinsames Interesse von Unternehmensführung und Mitarbeitern .................................. 152 5.1.2 Informationsprobleme beim Whistleblowing ................................................. 153 5.1.3 Anreizprobleme beim Whistleblowing ........................................................... 155 5.1.4 Überwindung von Informations- und Anreizproblemen durch unternehmensinterne Institutionen ................................................................. 157
XII
5.2 Whistleblowing und Corporate Compliance ........................................................ 159 5.2.1 Begriff und Bedeutung von Corporate Compliance ....................................... 159 5.2.2 Elemente eines Compliance-Programms ........................................................ 161 5.2.3 Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen ............................................... 168 5.3 Förderung von Whistleblowing durch Beeinflussung der Unternehmenskultur................................................................................ 181 5.3.1 Begriff und Bedeutung der Unternehmenskultur............................................ 182 5.3.2 Institutionenökonomische Theorie der Unternehmenskultur.......................... 183 5.3.3 Kritische Loyalität als Teil der Unternehmenskultur...................................... 192 5.4 Zusammenfassung ................................................................................................ 202
6 Fazit
.......................................................................................................................... 205
Literaturverzeichnis............................................................................................................. 209
XIII
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Gang der Untersuchung. ................................................................................ 13
Abbildung 2:
Praktischer Syllogismus................................................................................. 20
Abbildung 3:
Mikrofundierung von Makrophänomenen..................................................... 24
Abbildung 4:
Transaktionskosten in Abhängigkeit vom Spezifikationsgrad der Transaktion. ................................................................................................... 46
Abbildung 5:
Whistleblowing-Prozess ................................................................................ 64
Abbildung 6:
Loyalitätserwartungen zwischen whistleblowing-relevanten Akteuren ........ 69
Abbildung 7:
Art der indirekten Schäden durch Wirtschaftskriminalität bei Unternehmen in Deutschland 2005–2007...................................................... 88
Abbildung 8:
Verbreitung von Deliktsarten bei Unternehmen in Deutschland 2005–2007 ..................................................................................................... 96
Abbildung 9:
Entdeckungswege von Wirtschaftskriminalität in Deutschland ................... 99
Abbildung 10: Aufdeckung von Fehlverhalten durch Hinweisgebersysteme ..................... 100 Abbildung 11: Vorgehensweise der OSG bei der Bestimmung des Strafmaßes für Unternehmen................................................................................................ 126 Abbildung 12: Zweistufige Anreizwirkung der OSG .......................................................... 129 Abbildung 13: Zweistufige Anreizwirkung des SOA.......................................................... 138 Abbildung 14: Spieltheoretische Darstellung der Interaktion zwischen Mitarbeiter und Unternehmensführung beim Whistleblowing.............................................. 158
XIV
Abbildung 15: Elemente eines Compliance-Programms unter Einbeziehung des Compliance-Officers.................................................................................... 162 Abbildung 16: Funktionale Parameter eines Whistleblowing-Systems............................... 170 Abbildung 17: Elemente der informellen Institution Unternehmenskultur. ........................ 190
XV
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Auszug aus der „Offense Level Fine“-Tabelle der OSG
123
Tabelle 2:
„Culpability Score: Minimum and Maximum Multipliers“
125
XVII
Abkürzungsverzeichnis ALJ
Administrative Law Judge
AktG
Aktiengesetz
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
CEO
Chief Executive Officer
CFO
Chief Financial Officer
EU
Europäische Union
GG
Grundgesetz
NGO
Non Governmental Organizations
OECD
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
OSG
U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations
OSHA
Occupational Safety and Health Administration
PWC
PriceWaterhouseCoopers
SOA
Sarbanes-Oxley Act
SEC
U.S. Securities and Exchange Commission
SRO
Selbstregulierungsorganisation
StGB
Strafgesetzbuch
USA
Vereinigte Staaten von Amerika
USSG
U.S. Sentencing Guidelines Manual
1
1 Einleitung Die Globalisierung der Finanzmärkte und eine zunehmend sensibilisierte Öffentlichkeit haben illegales und unethisches Verhalten in den letzten Jahren zu einem unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiko für Unternehmen werden lassen. Kein Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit scheint von Rechtsverstößen durch Unternehmen ausgenommen zu sein: Korruption,
Bilanzfälschung,
Steuerhinterziehung,
Umweltverschmutzung
oder
die
Produktion ungesunder Lebensmittel sind häufig genannte Vergehen. Sanktionen gegen derartige Delikte richten sich nicht nur gegen die unmittelbaren Täter, sondern auch gegen das Top-Management und das Unternehmen als korporativen Akteur. Massive finanzielle Schäden durch Geldstrafen oder Bußgelder1 sowie langfristige Reputationsschäden können die existenzbedrohenden Folgen für Unternehmen sein.2 Gänzlich ausschließen lassen sich solche Rechtsverstöße aus Sicht der Unternehmen kaum. Zu groß ist die Komplexität der innerbetrieblichen Prozesse, zu hoch das Ausmaß der Arbeitsund Verantwortungsteilung. Dennoch bieten sich den Unternehmen Möglichkeiten, innerbetriebliches Fehlverhalten3 frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Insbesondere in den letzten Jahren haben Unternehmen verstärkte Anstrengungen zur Verhinderung rechtswidrigen Verhaltens unternommen. Ein hierzu systematisch bisher selten genutztes Mittel ist die Einbindung von Mitarbeitern in die Aufdeckung von Rechtsverstößen: Oftmals werden
Vergehen
von
Unternehmen
erst
dann
entdeckt,
wenn
Mitarbeiter
unternehmensinternen oder -externen Stellen Hinweise über entsprechende Vorkommnisse zukommen lassen.4 Dieses Verhalten von Mitarbeitern wird als internes bzw. externes Whistleblowing bezeichnet.5 In Anbetracht der erheblichen wirtschaftlichen Schäden, die Unternehmen durch rechtswidriges Verhalten entstehen können, ist es die Aufgabe einer verantwortungsvollen
1
2 3
4 5
Im Gegensatz zum angloamerikanischen Recht mit seiner „corporate criminal liability“ kennt das deutsche Recht keine strafrechtliche Verantwortung von juristischen Personen. Unternehmen können somit nicht für Straftaten, sondern lediglich für Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen bestraft werden. Vgl. z. B. Scholz (2000); Tiedemann (1986); Többens (1999). Vgl. Samson/Langrock (2007), S. 1684. Nachfolgend soll unter dem Begriff „Fehlverhalten“ illegales oder unethisches Verhalten verstanden werden. Siehe ausführlich hierzu Kapitel 1.3. Des Weiteren werden jeweils die Begriffe „illegales“ und „kriminelles“ sowie „unmoralisches“ und „unethisches Verhalten“ synonym verwendet. „Where such risk arises, usually the first people to realise or suspect the wrongdoing will be those who work in or with the organisation.“ OECD (2000), S. 12; vgl. auch Welp/Sprothen (2006), S. 130. Auf die in dieser Arbeit verwendete Definition von Whistleblowing sowie die Abgrenzung zwischen internem und externem Whistleblowing wird in Kapitel 1.3 eingegangen.
2
und um Wertsteigerung bemühten Unternehmensführung, die Bereitschaft von Mitarbeitern zum Whistleblowing als im positiven Sinne kritisches Potenzial zu sehen und im Interesse des Unternehmens entsprechend zu nutzen.
In den USA ist Whistleblowing bereits seit einigen Jahrzehnten Gegenstand der akademischen Diskussion.6 Spätestens seit den Bilanzierungsskandalen von Enron und Worldcom, die das „Corporate America“ in seinen Grundfesten erschütterten und einen entsprechenden Widerhall in der Presse fanden, ist der Begriff dort auch der breiten Öffentlichkeit geläufig.7 Infolge der wahrgenommenen Häufung von Skandalen, in die Unternehmen verwickelt sind, gelangt dieses Thema auch in Deutschland zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Hierzu trugen u. a. die Whistleblowing-Fälle des Schweizer Wachmanns C. Meili und des niederländischen Finanzkontrolleurs der Europäischen Kommission P. van Buitenen bei, die in ganz Europa kontrovers diskutiert wurden.8 Unternehmen stehen Whistleblowing allerdings vielfach skeptisch gegenüber. Um einen ersten Eindruck von den Problemen des Umgangs von Unternehmen mit Whistleblowing zu vermitteln, sollen nachfolgend die erwähnten Vorkommnisse bei Worldcom geschildert werden:
6
7
8
Eine der ersten umfassenden Publikationen zum Thema Whistleblowing erschien im Jahr 1972. Sie basiert auf den Vorträgen einer von R. Nader organisierten Konferenz über Verantwortung am Arbeitsplatz. Siehe Nader et al. (1972). Im Jahr 2002 erklärte das amerikanische Nachrichtenmagazin TIME die Whistleblowerinnen C. Cooper (Worldcom), C. Rowley (FBI) und S. Watkins (Enron) zu den Personen des Jahres. Vgl. Lacayo/Ripley (2002), S. 36–39. Vgl. auch Baynes (2002), S. 881; Davies (2003), S. 153; Eccles et al. (2006), S. 353; Hunziker (2007), S. 164; Johnson (2003), S. IX f. Vgl. Geißler (2006), S. 13; Hunziker (2007), S. 167. Der Wachmann Christoph Meili entdeckte bei einem Rundgang durch die Gebäude der Schweizer Bankgesellschaft Akten über die Geschäfte der Eidgenössischen Bank, welche Informationen über jüdische Konten enthielten. Diese Akten waren zur Vernichtung vorgesehen, was ein klarer Verstoß gegen das von der Schweizer Regierung erlassene Verbot der Vernichtung derartiger Informationen war. Meili stellte seine Erkenntnisse der Israelischen Kultusgemeinde in Zürich zur Verfügung. Für die Presse war er ein Held mit Zivilcourage, der das verantwortungslose Handeln der Bank entlarvte; viele seiner Landsleute und ehemaligen Kollegen hingegen sahen in Meili einen „Verräter“, der die Reputation der Schweiz und ihrer Banken beschädigt hatte. Vgl. Diermeier (2003); Leisinger (2003), S. 279–288. Der Finanzkontrolleur der Europäischen Union (EU) Paul van Buitenen stellte dem Europäischen Rechnungshof in Luxemburg Informationen über finanzielle Unregelmäßigkeiten in verschiedenen Förderprogrammen der EU zur Verfügung, nachdem seine Bitten um eine interne Untersuchung der fraglichen Vorgänge von den verantwortlichen Stellen zurückgewiesen worden waren. Das Europaparlament veranlasste daraufhin die Aufklärung der Vorwürfe durch einen Untersuchungsausschuss; diese führte zum geschlossen Rücktritt der Europäischen Kommission unter Jacques Santer im März 1999. Van Buitenen wurde für sein Handeln allerdings nicht belohnt, sondern aufgrund der Weitergabe von Dokumenten an Stellen außerhalb der Europäischen Kommission disziplinarrechtlich verwarnt. Siehe ausführlich hierzu: Buitenen (2000).
3
Kurz nachdem der US-Telekommunikationskonzern Bilanzmanipulationen in Höhe von 3,8 Mrd. USD eingestanden hatte, eröffnete Worldcom im Juli 2002 Insolvenz. Über Jahre hinweg waren auf Druck des Finanzvorstands bei Worldcom Gewinne systematisch überhöht ausgewiesen worden. Entdeckt wurden diese Bilanzmanipulationen durch die Leiterin der Internen Revision, C. Cooper. Durch den Hinweis eines Managers aus der Mobilfunksparte war sie auf finanzielle Ungereimtheiten aufmerksam geworden. Da sich die Aufgaben der Internen Revision bei Worldcom auf Fragen der Budgetierung und Leistungskontrolle beschränkten, informierte Cooper die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Anderson. Dort wurde sie mit ihren Bedenken abgewiesen. Da Arthur Anderson jedoch bereits beim zuvor erfolgten Zusammenbruch von Enron eine unrühmliche Rolle gespielt hatte9, entschlossen sich Cooper und ihre Abteilung zu einer detaillierten Prüfung der Ungereimtheiten auf eigene Verantwortung. Dabei entdeckten sie, dass Kosten für die Nutzung von Leitungen anderer Telefongesellschaften, sogenannte „line costs“, als Investitionen verbucht wurden, so dass sie über einen längeren Zeitraum abgeschrieben werden konnten. Auf diese Weise wurden die Gewinne von Worldcom künstlich aufgebläht. Als Coopers Untersuchungen im Unternehmen bekannt wurden, bat sie der Finanzvorstand S. Sullivan, die weitere Untersuchung der Vorgänge um einige Zeit aufzuschieben. Sie ignorierte den Wunsch Sullivans und wandte sich am nächsten Tag mit ihren Zwischenergebnissen direkt an den Leiter des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat. Kurz nach der Präsentation der Ergebnisse wurde Sullivan, der nicht in der Lage war, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften, entlassen und die Medien über die Vorgänge informiert.10 Trotz ihrer Verdienste um die Aufdeckung der kriminellen Vorgänge verließ Cooper Worldcom nach einiger Zeit, da sie intern als Nestbeschmutzerin bezeichnet wurde und ihr keine anspruchsvollen Aufgaben mehr übertragen wurden.11 Dieses Beispiel zeigt deutlich das Kernproblem des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing: Für unternehmensexterne Personen sind Whistleblower oft Helden mit Zivilcourage, welche zugunsten der Öffentlichkeit für Transparenz und Aufklärung über illegales oder unethisches Verhalten in Unternehmen sorgen und hierfür einen hohen
9
10 11
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Anderson musste zu Beginn des Jahres 2002 zugeben, dass sie gezielt interne Dokumente vernichtet hatte, welche Informationen zur eigenen Beteiligung am Bilanzierungsskandal bei Enron enthielten. Vgl. Peemöller/Hofmann (2005), S. 40. Vgl. Ripley (2002), S. 49–53.
4
persönlichen Preis bezahlen.12 Management und Kollegen hingegen sehen in Whistleblowern eher Verräter, die aus selbstsüchtigen Motiven die Reputation oder sogar die Existenz eines Unternehmens auf Spiel setzen und damit bewusst die Arbeitsplätze vieler Menschen gefährden.13 J. Roche beispielsweise, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von General Motors, urteilt dementsprechend: „Some of the enemies of business now encourage an employee to be disloyal to the enterprise. They want to create suspicion and disharmony, and spy into the proprietary interests of the business. However this is labelled – industrial espionage, whistle blowing, or professional responsibility – it is another tactic for spreading disunity and creating
conflict.”14
Auch
der
renommierte
amerikanische
Professor
für
Unternehmensführung P. Drucker äußert sich dem Whistleblowing gegenüber ablehnend. Er bezeichnet es als „simply another word for informing“15 und sieht darin ein Überwachungsinstrument totalitärer Regime, welches verhindert, dass sich gegenseitiges Vertrauen und ethisches Verhalten in Gesellschaft und Unternehmen ausbilden.16
In Deutschland wird diese Einstellung am ehesten durch das Hoffmann von Fallersleben zugeschriebene Sprichwort „der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“ wiedergegeben. R. Ogorek (2005) sieht den Grund für die sehr kritische Einstellung der Deutschen zum Whistleblowing darin, dass im „Deutschland der Nachkriegszeit […] in einem schmerzlichen Prozess kollektiver Wertebildung die Verachtung für das Denunziantenwesen eingeübt [wurde, TB], und nach 1989 konnte man sich ein weiteres Mal über die abstoßenden Erscheinungsformen von Bespitzelung und Verräterei empören.“17 In Anbetracht dieser Geisteshaltung verwundert es kaum, dass Unternehmen gegenüber Whistleblowern vielfach zu Sanktionsmaßnahmen greifen. Dementsprechend 12
13 14 15 16
17
Vgl. Baynes (2002), S. 882; Daub (2007), S. 11; De George (1993), S. 1276. Siehe für die Diskussion in Deutschland z. B. die Fälle von W. Borcharding (vgl. Scheytt 2004), M. Herbst (vgl. Deiseroth 2001b) und C. Jacoby (vgl. Thurn/Ott 1999/2001, S. 101). Vgl. Hofmann (2006), S. 124; Hunziker (2007), S. 166; Johnson (2003), S. 16; Murphy (1993), S. 51 f.; Schwarz (2003), 129 f. Roche (1971), S. 445 zitiert nach Walters (1975), S. 27. Drucker (1981), S. 33. „And perhaps it is not quite irrelevant that the only societies in Western history that encouraged informers were bloody and infamous tyrannies […]. It may also be no accident that Mao, when he tried to establish dictatorship in China, organised ‚whistle-blowing’ on a massive scale. For under ‚whistle-blowing’, under the regime of the ‚informer’, no mutual trust, no interdependencies, and no ethics are possible.” Drucker (1981), S. 33. Ogorek (2005), S. 540. So z. B. Hefendehl (2006): „Nur ist die Euphorie hinsichtlich des Whistleblowing gänzlich unangebracht. Eine wechselseitige und sich möglicherweise aufschaukelnde Kontrolle, bei der die Grenzen zwischen delinquentem und sozial bzw. unternehmerisch störendem Verhalten verschwimmen, scheint ein weiteres Mal […] eine Culture of Control als Schreckensbild hevorzubringen.“ Ebenda, S. 120.
5
haben Mitarbeiter, die gravierendes Fehlverhalten im Unternehmen feststellen, oft Angst vor Vergeltung und kommunizieren ihre Hinweise gar nicht oder direkt gegenüber unternehmensexternen Institutionen wie Behörden oder der Presse. Whistleblowing kann daher als ein Risiko sowohl für potenzielle Whistleblower als auch für Unternehmen aufgefasst werden.
1.1 Stand der Forschung Wer sich vor dem Hintergrund dieser für Unternehmen und Whistleblower gleichermaßen unbefriedigenden Situation auf der Suche nach Orientierungswissen zum Umgang von Unternehmen mit Whistleblowing an die Wissenschaft wendet, findet eine Fülle von Veröffentlichungen zum Thema Whistleblowing. In
der
angelsächsischen
organisationstheoretischer,
Literatur
existiert
rechtswissenschaftlicher
eine
Vielzahl
und
psychologischer,
unternehmensethischer
Untersuchungen sowohl empirischer als auch theoretischer Art. Sehr umfangreiche Literaturübersichten hierzu finden sich bei M. Miceli et al. (2008) sowie M. Hersh (2002).18 In der deutschsprachigen Literatur wird die wissenschaftliche Diskussion zu Whistleblowing von rechtswissenschaftlichen Arbeiten mit unterschiedlichen Schwerpunkten dominiert. Grund hierfür ist, dass Whistleblowing in Deutschland bisher in erster Linie ein Gegenstand des Arbeits- und Datenschutzrechts ist.19 Im Mittelpunkt der arbeitsrechtlichen Untersuchungen stehen die verfassungs- und zivilrechtlich verankerten Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezüglich der Anzeige rechtswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer gegenüber unternehmensexternen Institutionen.20 Dabei geht es insbesondere um die Frage der Zulässigkeit eines solchen Verhaltens in Bezug auf die arbeitsvertragliche Treuepflicht des Arbeitnehmers und dessen Schutz vor Kündigung nach Verrat von Betriebs- und
18
19 20
Weitere umfangreiche Literaturübersichten insbesondere zur amerikanischen Forschung zum Thema finden sich bei Barnett (1992) und Miceli/Near (1992). Barnett unterteilt die angelsächsische Literatur zu Whistleblowing in vier Gruppen: Fallstudien, Umfang des rechtlichen Schutzes von Whistleblowern, Konzeptionen des Whistleblowing-Ablaufes sowie empirische Untersuchungen zu persönlichen und unternehmensbezogenen Faktoren im Zusammenhang mit Whistleblowing. Vgl. Barnett (1992), S. 949. Vgl. Bürkle (2004), S. 2158. Ein solches Verhalten von Arbeitnehmern ist als externes Whistleblowing einzuordnen.
6
Geschäftsgeheimnissen.21 Ein damit im Zusammenhang stehender, vielfach untersuchter Gegenstand ist der Vergleich internationaler Rechtsordnungen. Hierbei wird insbesondere auf den Umgang und die Ausgestaltung von Schutznormen für Whistleblower eingegangen.22 Datenschutzrechtliche Untersuchungen beschäftigen sich insbesondere mit den Fragen, inwieweit die Möglichkeit der anonymen Abgabe von Hinweisen über WhistleblowingHotlines
rechtlich
zulässig
ist
und
welchen
Vorschriften
die
Speicherung
und
Weiterverarbeitung dieser Daten unterliegen. In diesem Zusammenhang wird oftmals auch auf die Frage eingegangen, welche Mitbestimmungsrechte einem Betriebsrat bei der Einführung von Whistleblowing-Hotlines zustehen.23
Im Gegensatz zur ausführlichen juristischen Diskussion finden sich auch in der angelsächsischen Literatur lediglich vereinzelte Hinweise zu den Chancen und Risiken der Nutzung der Bereitschaft von Mitarbeitern zum internen Whistleblowing.24 Dabei werden dessen Vorteile jedoch meist nur kurz aufgezählt und nicht detailliert bzw. methodisch fundiert untersucht. Ähnlich verhält es sich mit der Untersuchung der unternehmensinternen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit das interne Whistleblowing funktioniert.25 Hervorzuheben sind hier die Überlegungen von J. Bürkle (2004) sowie der OECD (2000). Bürkle beschreibt in seinem Artikel den Einfluss der Faktoren „Vertraulichkeit“26 und „Anonymität“ auf die Bereitschaft der Mitarbeiter zum internen Whistleblowing27, während die OECD sich mit der Frage auseinandersetzt, welche Faktoren zur Schaffung einer „Whistleblowing Publikationen
auf
Culture“ die
beitragen.28
selektive
Allerdings
Untersuchung
beschränken einzelner
sich
Aspekte
diese der
beiden
Förderung
unternehmensinternen Whistleblowings.
21 22 23 24 25 26
27 28
Siehe hierzu z. B. Deiseroth (2001a); Hartung (2006); Hunziker (2007); Kaenel (2007); Schmitt (2003). Siehe hierzu z. B. Deiseroth (2004); Graser (2000). Vgl. Behrendt/Kaufmann (2006); Breinlinger/Krader (2006); Mengel/Hagemeister (2006); Ohmann-Sauer (2006); Runte et al. (2005); Wisskirchen et al. (2006); Zimmermann (2006), (2007). Vgl. Barnett et al. (1993), S. 128; Bürkle (2004), S. 2159; Hunziker (2007), S. 169 f.; Miceli/Near (1985), S. 526; Miceli/Near (1992), S. 11–13; Ohmann-Sauer (2006), S. 52. Vgl. Barnett et al. (1993), S. 128 f.; Breinlinger/Krader (2006), S. 61 f. Darunter wird die Abgabe von Hinweisen unter Offenlegung der eigenen Identität verstanden, wobei diese Hinweise so zu behandeln sind, dass gegenüber unbefugten Dritten die Identität des Whistleblowers nicht offengelegt wird. Vgl. Bürkle (2004), S. 2161. Vgl. OECD (2000), S. 17 f.
7
Die Anzahl der Publikationen in der deutschen Betriebswirtschaftslehre, die sich theoretisch fundiert mit dem Thema Whistleblowing auseinandersetzen, ist sehr überschaubar. T. Berndt/I. Hoppler (2005) diskutieren Whistleblowing als ein Instrument der internen Risikoüberwachung zur Gewährleistung einer effektiven Corporate Governance29.30 Umfassendere Ansätze verfolgen K. Leisinger (2003), Schmidt (2005) und M. Wolz (2007). K. Leisinger untersucht das Thema Whistleblowing in einem unternehmensethischen Kontext aus Sicht der Unternehmensführung. Dabei beabsichtigt er, Möglichkeiten für einen aus Unternehmenssicht produktiven Umgang mit Whistleblowing aufzuzeigen.31 Zu diesem Zweck fordert er ein moralisches Handeln von Unternehmen ein; dieses bemisst er an der Erfüllung von „Ansprüchen, die Stakeholder an das Unternehmen stellen“.32 Über diese Ansprüche wurde zuvor im Diskurs zwischen allen Anspruchsgruppen per Konsens entschieden.33 Hierzu ist anzumerken, dass der Spielraum für moralisches Handeln, wie Leisinger es fordert, von Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen stark eingeschränkt ist.
In
einer
Marktwirtschaft
Unternehmenswertsteigerung
zu
sind betreiben.
diese 34
dazu
Leisinger
gezwungen, möchte
diesen
langfristige für
die
Unternehmensethik grundlegenden Konflikt zwischen Gewinn und Moral35 auflösen, indem er moralischen Anliegen von Stakeholdern den bedingungslosen Vorrang vor dem Gewinnstreben gewährt. Auf diese Art sollen Konfliktfälle verhindert werden, die Whistleblowing überhaupt erst auslösen.36 Dieser Ansatz ist insofern zu kritisieren, als dass die von ihm präsentierte Lösung für Unternehmen keine langfristig funktionierende Heuristik für einen produktiven Umgang mit Whistleblowing darstellen kann. Das Problem ist insbesondere darin zu sehen, dass er versucht, diesen Konflikt individualethisch zu lösen. In Fällen, in denen moralisches 29
Für den Begriff der Corporate Governance existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Beschreibungen. Für einen Überblick siehe z. B. Littger (2005), S. 20 f. sowie Pastner (2005), S. 19 f. Eine prägnante Definition findet sich u. a. bei Hofstetter (2002), S. 6, der Corporate Governance als „die Gesamtheit der Grundsätze und Regeln, welche die Funktionstüchtigkeit der Unternehmen […] gewährleisten […] sollen“ spezifiziert. 30 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2623. 31 Damit unterscheidet sich Leisingers Forschungsansatz zum Thema Whistleblowing in dieser Publikation stark von dem amerikanischer Unternehmensethiker: Bei diesen liegt der Fokus meist auf individualethischen Untersuchungen, die aufzuzeigen sollen, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise ein Mitarbeiter über Missstände in seinem Unternehmen berichten darf. Siehe z. B. Bowie (1982), S. 138–154; De George (1982/1986), S. 226–236. 32 Leisinger (2003), S. 216. 33 Vgl. Leisinger (2003), S. 202–235. 34 Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 135. 35 Vgl. Homann (2004), S. 2; Steinmann/Löhr (1992/1994), S. 27 f.; Suchanek (2001/2007), S. 128; Ulrich (1989/1991), S. 190. 36 Vgl. Leisinger (2003), S. 238 f.
8
Verhalten von Unternehmen durch die Konsumenten nicht monetär (z. B. in Form einer höheren Zahlungsbereitschaft oder durch häufigere Käufe des offerierten Produktes) honoriert wird, führt die konsequente Umsetzung seines Vorschlages zu einem langfristig unvermeidlichen Ausscheiden moralisch handelnder Unternehmen aus dem Markt. Dieses nicht-intendierte Ergebnis intentionalen Handelns würde jedoch eher zu einer Verschärfung als zu einer Lösung des Problems des Umgangs mit Whistleblowing aus Unternehmenssicht führen. Lediglich „unmoralisch“ handelnde Wettbewerbsteilnehmer könnten langfristig im Markt bestehen.37 M. Schmidt (2005) untersucht, welchen Beitrag Whistleblowing zur Durchsetzung von Bilanzierungsstandards leisten kann und welche Probleme mit gesetzlichen Anreizen verbunden sind, die Whistleblowing gegenüber unternehmensexternen Institutionen forcieren. Zur Überwindung dieser Probleme schlägt er die Schaffung gesetzlicher Anreize vor, die stattdessen die Einrichtung effizienter interner Whistleblowing-Systeme fördern. Schmidt argumentiert auf Basis eines neoinstitutionalistischen Ansatzes und nimmt daher eine ökonomische Einordnung von Whistleblowing vor, der in dieser Arbeit teilweise gefolgt wird.38 Ziel der Publikation von M. Wolz (2007) „ist es, ein Whistle Blowing-System [sic] zu entwickeln, das sich an die Anforderungen des Sarbanes-Oxley Act anlehnt und diese eventuell noch erweitert.“39 Positiv ist dabei hervorzuheben, dass Wolz die Frage nach der Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen aufgreift. Allerdings betrachtet er nicht systematisch die Frage der Anreizkompatibilität der Einführung und Ausgestaltung eines solchen Systems durch Unternehmen sowie dessen Akzeptanz und Nutzung durch Organisationsmitglieder.
Daher ist es das Ziel dieser Arbeit, die Vorteile aufzuzeigen, die Unternehmen durch die Nutzung der Bereitschaft von Mitarbeitern zur Offenlegung von Fehlverhalten, d. h. zum Whistleblowing, realisieren können. Des Weiteren sollen systematisch die institutionellen Bedingungen herausgearbeitet werden, welche zur Realisierung dieser Vorteile notwendig sind.
37 38 39
Vgl. Homann (1990/2002), S. 24; Homann/Blome-Drees (1992), S. 135; Suchanek (2001/2007), S. 132. Vgl. Schmidt (2005), S. 144 f. Wolz (2007), S. 2.
9
1.2 Zielsetzung der Arbeit und Gang der Untersuchung
1.2.1 Zielsetzung der Arbeit Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, Vorteile einer aus Unternehmenssicht produktiven Handhabung von Whistleblowing aufzuzeigen und für Unternehmen eine leistungsfähige Heuristik für den Umgang mit Whistleblowing bzw. für die Einrichtung und Ausgestaltung von unternehmensinternen, institutionalisierten Whistleblowing-Systemen zu erarbeiten. Referenzpunkt der nachfolgenden Überlegungen zur Erarbeitung einer solchen Heuristik ist der Status quo. Dieser entspricht meist der anhand des Beispiels von Worldcom geschilderten „Lose-Lose-Situation“ von Unternehmen und Whistleblower. Angeleitet wird die Erarbeitung der neuen Heuristik von der regulativen Idee der ökonomischen Ethik: Der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.40 Voraussetzung für eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Mitarbeiter zur Realisierung eines gegenseitigen Vorteils in Bezug auf den unternehmensinternen Umgang mit Whistleblowing ist die Identifikation gemeinsamer Interessen beider Akteure. Diese wurden in der bisherigen Diskussion des Themas oftmals ausgeblendet oder nicht erkannt. Whistleblowing
wird
von
den
beteiligten
Akteuren
i. d. R.
als
Null-
bzw.
Negativsummenspiel wahrgenommen: Unternehmen fürchten massive wirtschaftliche Nachteile durch externes oder eine deutliche Verschlechterung des Betriebsklimas durch internes Whistleblowing und stehen dem Thema entsprechend reserviert gegenüber. Mitarbeiter antizipieren diese Einstellung und verzichten aus Angst vor Vergeltung auf eine interne Offenlegung von Fehlverhalten gegenüber dem Management oder legen ihre Hinweise direkt extern gegenüber Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden offen. Folglich ist ein erster notwendiger Schritt zur Erarbeitung einer Heuristik des produktiven Umgangs von Unternehmen mit Whistleblowing die Identifikation unternehmensseitiger Vorteile, welche sich durch das interne Whistleblowing von Mitarbeitern realisieren lassen.41 Die erste These der Arbeit lautet somit wie folgt: Die Einrichtung funktionierender interner Whistleblowing-Systeme liegt prinzipiell im Eigeninteresse von Unternehmen.
40 41
Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 42. Mitarbeiter reagieren dann wiederum mit ihrem Verhalten auf die veränderte, nun positive Einstellung des Unternehmens zum Thema Whistleblowing.
10
Es sei angemerkt, dass im Kontext dieser Arbeit unter einem internen Whistleblowing-System ein unternehmensinterner, institutionalisierter Prozess des Whistleblowings verstanden werden soll. Dies kann z. B. die Schaffung einer Telefonhotline oder eines anonymen E-MailSystems sein.42 Allerdings kann vom Vorliegen eines Interesses nicht automatisch auf dessen Verwirklichung bzw. Umsetzung geschlossen werden. Entscheidend für die Umsetzung eines Interesses sind die empirischen Bedingungen. Diese eröffnen bzw. beschränken als Handlungsbedingungen die situativen Handlungsoptionen von Akteuren.43 Unternehmen werden nur dann bereit sein, internes Whistleblowing zu fördern, wenn sie hierfür einen ausreichend hohen Anreiz haben. Das bedeutet, die Vorteile des Förderns von Whistleblowing müssen
die
damit
verbundenen
Kosten
übersteigen.
Gleiches
gilt
für
die
44
Organisationsmitglieder – auch sie werden nur dann zum internen Whistleblowing bzw. zu dessen Förderung bereit sein, wenn ein solches Verhalten für sie anreizkompatibel ist und ihnen somit zumindest keine Nachteile daraus erwachsen.45 Aus diesen Bedingungen lässt sich die zweite These dieser Arbeit ableiten: Einrichtung und Funktionieren interner Whistleblowing-Systeme sind nur dann gewährleistet, wenn diese für Organisation und Organisationsmitglieder anreizkompatibel ausgestaltet sind.
Diese Thesen formulieren das Forschungsprogramm dieser Arbeit, welches sich, wie oben erwähnt, als Herausarbeitung der Vorteile der Einrichtung von Whistleblowing-Systemen für Unternehmen beschreiben lässt sowie als Aufzeigen der Bedingungen, unter welchen die Realisierung dieser Vorteile durch das Verhalten von Unternehmen und Mitarbeitern sichergestellt ist. Im Folgenden wird skizziert, wie dieser Aufgabenstellung nachgekommen werden soll.
42 43 44
45
Der Begriff des Whistleblowing-Systems findet sich auch bei Zimmermann (2006; 2007). Die OECD (2002) spricht von „mechanics of a whistleblowing scheme”. Ebenda, S. 5. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 43. Siehe ausführlich hierzu Kapitel 2.1. Als Organisationsmitglieder sollen nachfolgend sowohl Mitglieder des Managements als auch sonstige Mitarbeiter aufgefasst werden. Ebenfalls wird der Begriff Organisation nachfolgend als Synonym für Unternehmen verwendet. „Unless culture, practice and the law indicate that it is safe and accepted for them to raise a genuine concern about corruption or illegality, workers will assume that they risk victimisation, losing their job or damaging their career.“ OECD (2000), S. 12.
11
1.2.2 Gang der Untersuchung Nach der Definition des für diese Arbeit gültigen Begriffs von Whistleblowing in Kapitel 1.3 werden in Kapitel 2 die für die Theoriebildung erforderlichen methodischen Grundlagen erläutert. Darauf aufbauend wird in Kapitel 3 der Status quo des Umgangs mit Whistleblowing durch Unternehmen analysiert. Das Kapitel beginnt mit einer Analyse des ökonomischen Auslösers für Whistleblowing. Anschließend erfolgt eine Darstellung der Handlungsoptionen, die Unternehmen und Mitarbeiter im Umgang mit Informationen über illegales oder unethisches Verhalten im Unternehmen haben. Führt der Interaktionsprozess zwischen Unternehmen bzw. Unternehmensführung und einem Mitarbeiter dann zum Whistleblowing, kann dies im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie als Verletzung der von Unternehmen an Mitarbeiter gestellten Loyalitätserwartungen dargestellt werden. Eine Analyse der Risiken, die sich für Unternehmen aus der Unterdrückung von internem Whistleblowing ergeben, beendet das Kapitel. Kapitel 4 betrachtet zunächst die Vorteile interner Whistleblowing-Systeme für Unternehmen, wobei zwischen individuellen und kollektiven Vorteilen unterschieden wird. Anschließend wird skizziert, aus welchen Gründen Unternehmen trotz der existierenden Vorteile der Einrichtung von Whistleblowing-Systemen kritisch gegenüberstehen; der systematische Grund besteht in einer unzureichenden Anreizkompatibilität. Darauf aufbauend werden Mittel zur Erzeugung dieser Anreizkompatibilität analysiert; dabei handelt es sich zum einen um gesetzliche Normen (als Beispiele dienen der „Sarbanes-Oxley Act“ und die „Federal Sentencing Guidelines for Organizations“), zum anderen um Selbstverpflichtungen. Kapitel 5 greift die Frage nach der effektiven Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme auf. Es wird dargelegt, unter welchen Voraussetzungen die Nutzung solcher Systeme für Mitarbeiter anreizkompatibel ist. Zunächst wird daher untersucht, welche Informations- und Anreizprobleme dieser Nutzung entgegenstehen. Anschließend wird erläutert, weshalb Whistleblowing-Systeme als Teil umfassender Compliance-Bemühungen aufzufassen sind und wie die formellen Faktoren eines Whistleblowing-Systems ausgestaltet sein sollten, um Informationsprobleme zu überwinden und Anreizkompatibilität für die Organisationsmitglieder zu gewährleisten. Denn über deren bloße Einrichtung hinaus müssen interne Whistleblowing-Systeme von den Organisationsmitgliedern akzeptiert und genutzt werden, um sämtliche Vorteile zu gewährleisten. Anreizkompatibilität kann jedoch nicht nur durch die Art der Ausgestaltung der formellen Faktoren erreicht werden, sondern auch durch
12
Einflussnahme auf die informelle Institution Unternehmenskultur. Prinzipiell stehen formelle Ausgestaltung und Unternehmenskultur zur Förderung internen Whistleblowings in einem komplementären Verhältnis.46 Im Anschluss werden Maßnahmen analysiert, mittels derer eine Einstellung der „kritischen Loyalität“ als Teil der Unternehmenskultur etabliert werden kann.
46
Analog hierzu Schwarb (1998), S. 8. Er ist der Ansicht, dass ethisches Versagen „sowohl in der Organisationsstruktur als auch in der Organisationskultur seine Ursachen haben kann.“
13
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in Kapitel 6 schließt die Arbeit ab.
Einleitung
1 1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung
1.1 Stand der Forschung
1.3 Begriffsdefinition Whistleblowing
Methodik
2 2.1 Integration von normativer und positiver Analyse
2.2 Mikrofundierung als Modellrahmen
2.4 Interaktionen als Bezugsrahmen der Mikrofundierung
2.3 Organisationsform Unternehmen
2.5 Rolle von Institutionen in Interaktionssituationen
Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing
3 3.1 Ausgestaltung der Governance-Struktur und das Auftreten von Whistleblowing
4
3.2 Whistleblowing als Ergebnis einer Interaktion zwischen Mitarbeiter und Unternehmen
3.4 Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing als Risikofaktor
3.5 Zusammenfassung
Ökonomische Vorteilhaftigkeit und Anreizkompatibilität von Whistleblowing-Systemen
4.1 Ökonomische Vorteile von Whistleblowing-Systemen
5
3.3 Whistleblowing als Verletzung der Prinzipal-AgentenBeziehung
4.2 Anreizkompatibilität als Voraussetzung zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen
4.3 Zusammenfassung
Unternehmensinterne Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen
5.1 Informations- und Anreizprobleme beim Umgang mit internen WhistleblowingSystemen
5.3 Förderung von Whistleblowing durch Beeinflussung der Unternehmenskultur
5.2 Corporate Compliance und Whistleblowing
Fazit
6 6 Fazit
Abbildung 1: Gang der Untersuchung; Quelle: Eigene Darstellung.
5.4 Zusammenfassung
14
1.3 Begriffsdefinition Whistleblowing Der Begriff Whistleblowing stammt aus den USA und wurde erstmals Anfang der siebziger Jahre in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion über offengelegte Skandale verwendet, die sich im Zusammenhang mit technischen Mängeln und Korruptionspraktiken in amerikanischen Unternehmen und im Militär ereignet hatten.47 Aus dem Englischen wörtlich ins Deutsche übersetzt, bedeutet Whistleblowing soviel wie „die (Triller-)Pfeife blasen“.48 Weitere Übersetzungen sind u. a. „Alarm schlagen“, „Alarm geben“, „die Alarmglocke läuten“49, „etwas anzeigen oder enthüllen“50, „hinweisen“51 oder „verpfeifen“52. Da diese Übersetzungen teilweise stark normativ besetzt sind und sich der Begriff „Whistleblowing“ mittlerweile auch in der deutschen Literatur durchgesetzt hat53, wird dieser weiterhin verwendet.54 Eine weit verbreitete Definition von Whistleblowing geht auf die Arbeiten von J. Near und M. Miceli (1985) zurück. Diese definieren Whistleblowing als „the disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral, or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action.”55 In Anlehnung an diese Definition lassen sich drei Merkmale herausarbeiten, die Whistleblowing gegenüber anderen Verhaltensweisen von Mitarbeitern im Unternehmen abgrenzen56: Es ist erforderlich, dass es sich (1) um illegale, unmoralische oder illegitime Aktivitäten handelt, die sich in einer Organisation ereignen. (2) Diese müssen von einem Mitglied der Organisation (3) gegenüber einer Person oder Stelle offengelegt werden, welche
47 48 49 50 51 52 53
54 55 56
Siehe hierzu: Nader et al. (1972); Peters/Branch (1972); Roche (1971); Walters (1975). Geißler (2006), S. 13. Deiseroth (2001a), S. 108. Er bezeichnet Whistleblower auch als „ethische Dissidenten“. Ebenda, S. 108. Graser (2000), S. 4. Rhode-Liebenau (2005), S. 10. Schmitt (2003), S. 1. So wird in der Mehrzahl der deutschsprachigen Arbeiten mittlerweile der Begriff Whistleblowing verwendet. Siehe u. a. Deiseroth (2001b); Graser (2000); Leisinger (2003); Rhode-Liebenau (2005); Schmitt (2003). Für einen Überblick zur normativ geprägten Begriffsdiskussion in den englischsprachigen Ländern siehe Vinten (1994), S. 4 mit weiteren Literaturverweisen. Ein identisches Vorgehen wählen z. B. Bürkle (2004), S. 2158; Hunziker (2007), S. 164; Leisinger (1997), S. 131. Near/Miceli (1985), S. 4. Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2624 f.
15 57
die fragliche Aktivität beeinflussen kann.
Diese definitorischen Voraussetzungen für das
Vorliegen von Whistleblowing werden nachfolgend näher erläutert. (1) Die erste Voraussetzung für die Einordnung einer Verhaltensweise als Whistleblowing ist, dass das kritisierte Verhalten illegal, unmoralisch oder illegitim ist und sich in einer Organisation ereignet. Nachfolgend soll ausschließlich das Whistleblowing in Unternehmen betrachtet werden, da diese im Vergleich zu staatlichen Institutionen deutlich höhere diskretionäre
Entscheidungs-
anspruchvolleren
und
Handlungsspielräume
Untersuchungsgegenstand
darstellen.
besitzen
Ein
und
Großteil
somit der
den
weiteren
Überlegungen lässt sich jedoch auch auf das Whistleblowing in Behörden oder anderen staatlichen Institutionen übertragen. Die Abgrenzung von illegalem zu legalem Verhalten ist aufgrund der Existenz von kodifizierten Rechtsnormen der Rahmenordnung einfach.58 Schwieriger gestaltet sich jedoch die Abgrenzung von unethischem bzw. illegitimem Verhalten: Dieses kann im Gegensatz zu illegalem Verhalten gesetzlich zulässig, aus Sicht der Mitarbeiter oder der Gesellschaft jedoch moralisch fraglich oder kritikwürdig sein. Da für Unternehmen die Abwehr moralischer Ansprüche von Dritten an ihr Verhalten mit Verweis auf bestehende Gesetze (spätestens seit den Vorgängen um die „Brent Spar“, vgl. Kapitel 3.4.1) keine empfehlenswerte Handlungsoption mehr darstellt59, sollten Unternehmen bezüglich ihres Handelns auch die sich ständig verändernden Erwartungen der Gesellschaft beachten. Dementsprechend ist es sinnvoll, nicht nur rechtswidrige, sondern auch unethische und illegitime Verhaltensweisen als Fehlverhalten und damit als prinzipiell „whistleblowing-würdig“ einzuordnen. T. Berndt und I. Hoppler (2005) weisen darauf hin, dass unethisches Verhalten oftmals im Rahmen „von nicht strafbewehrter mangelnder Einsicht oder Kompetenz von Verantwortlichen“60 auftreten
57
58 59
60
Miceli/Near (1992), S. 15–21 definieren vier Merkmale der Abgrenzung; sie verwenden zusätzlich zu den oben genannten Attributen das Merkmal „Activities under the Control of the Organization“. Da durch Whistleblowing jedoch nicht nur Fehlverhalten, das im Unternehmensinteresse liegt, sondern auch eigennütziges Fehlverhalten von Mitarbeitern („wrongdoing on their own behalf“, Miceli/Near (1992), S. 20) offengelegt werden kann, wird dieses Merkmal für die Abgrenzung von Whistleblowing in dieser Arbeit nicht angewendet. Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2624; Miceli/Near (1992), S. 17. Vgl. Waldkirch (2002), S. 2–4. Im Jahr 1995 plante der Shell-Konzern die Öllager- und Verladeplattform „Brent Spar“ in der Nordsee zu versenken. Der massive öffentliche Protest gegen die gesetzlich zulässige Entsorgung auf See führte bei Shell zu dem Entschluss, die Plattform an Land zu verschrotten. Siehe Vorfelder (1995). Berndt/Hoppler (2005), S. 2624.
16
kann. Was nach Ansicht von Unternehmen unethisches Verhalten darstellt, kann für die Mitarbeiter durch Verhaltenskodizes festgehalten werden.61 Fehlverhalten, das zum Whistleblowing von Mitarbeitern führt, muss sich im Unternehmen ereignen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Motivation an, die eine Verhaltensweise initiiert hat: Das Verhalten kann whistleblowing-würdig sein, unabhängig davon, ob es auf Unkenntnis zurückzuführen ist, im Interesse des Unternehmens geschieht oder im Eigeninteresse eines Mitarbeiters liegt und gegen die Interessen des Unternehmens verstößt.62 (2) Um die Offenlegung eines wie oben definierten Fehlverhaltens als Whistleblowing zu klassifizieren, ist es außerdem erforderlich, dass sie durch ein Mitglied des Unternehmens erfolgt.63 Ob das Organisationsmitglied dabei in Erfüllung der Aufgaben seiner Position handelt oder ob sein Verhalten nicht zu seinem Aufgabenspektrum zu zählen ist, kann vernachlässigt
werden.64
Das
Merkmal
der
Organisationsmitgliedschaft
grenzt
Whistleblowing somit von der Arbeit unternehmensexterner Personen oder Institutionen ab, die (wie z. B. Steuerfahndung, Presse oder Wirtschaftsprüfer) aufgrund ihrer Funktion oft an der Aufdeckung und Kommunikation illegalen oder unethischen Verhaltens in Unternehmen beteiligt sind. (3) Die letzte Voraussetzung zur Einordnung einer Handlung als Whistleblowing ist, dass das aufgedeckte illegale oder unethische Verhalten gegenüber einer Stelle oder Institution kommuniziert wird, welche die Möglichkeit hat, die Verhaltensweise zu beeinflussen. Dies liegt darin begründet, dass der Whistleblower aufgrund der funktionalen Ausdifferenzierung des Unternehmens nicht selbst die Möglichkeit hat, das betreffende Verhalten zu unterbinden. Die Offenlegung gegenüber Dritten wie Freunden oder Verwandten, die keine Möglichkeit haben das jeweilige Problem abzustellen bzw. das Verhalten zu ändern, ist demnach nicht als Whistleblowing einzuorden.65 Empfänger der Information können Stellen oder Institutionen
61
62 63
64
65
Da eine sinnvolle Abgrenzung zwischen unethischem und illegitimen Verhalten kaum möglich ist, soll nur von unethischem Verhalten gesprochen werden. Illegales oder unethisches Verhalten wird, wie erwähnt, auch als Fehlverhalten bezeichnet. Vgl. Murphy (1993), S. 52; Suchanek (2003), S. 17. Vgl. Elliston (1982), S. 167. Dabei soll die Frage vernachlässigt werden, ob die Person, die das Verhalten kommuniziert, zum Zeitpunkt der Kommunikation noch Mitglied der Organisation ist oder diese kurz zuvor verlassen hat. Im Vorgriff auf das dritte Kriterium „Adressat der Offenlegung“ ist anzumerken, dass bei Mitarbeitern von Abteilungen, deren explizite Aufgabe die Aufdeckung von Fehlverhalten ist (z. B. die Interne Revision), nur die Offenlegung von Fehlverhalten unter Umgehung des vorgesehenen Dienstweges als Whistleblowing einzuordnen ist. Vgl. Miceli/Near (1992), S. 16.
17 66
innerhalb und außerhalb des Unternehmens sein.
Bei der unternehmensinternen
Kommunikation ist das Berichten an den Vorgesetzten ausgenommen, da es sich hierbei um Kommunikation über den üblichen Dienstweg handelt. Erst wenn unter Umgehung des Vorgesetzten durch eine direkte Berichterstattung an Institutionen oder Stellen wie z. B. Interne Revision, Controlling, Buchhaltung, Aufsichtsrat oder Vorstand gegen den Dienstweg verstoßen wird, ist dies als internes Whistleblowing zu klassifizieren.67 Eine Einbeziehung von Institutionen außerhalb des Unternehmens (wie etwa Wirtschaftsprüfer, Presse, Steuerfahndung oder Staatsanwaltschaft) wird als externes Whistleblowing bezeichnet.
Andere Autoren definieren für das Vorliegen von Whistleblowing abweichende bzw. weitere Voraussetzungen. So verlangt D. Deiseroth (2004) in Anlehnung an die angelsächsische Literatur68 neben dem Vorliegen einer brisanten Enthüllung und dem „Alarmschlagen“ das Vorhandensein von „primär uneigennützigen Motiven […], die am Schutz gewichtiger Rechtsgüter orientiert sind“. Darüber hinaus müssen Whistleblower gemäß Deiseroth in Kauf nehmen, „dass […] ihr Alarmschlagen mit erheblichen Risiken und/oder Nachteilen für die eigene berufliche Karriere oder persönliche Existenz (oder die von Angehörigen) etc. verbunden ist.“69 Ein Grund dafür, altruistische Motive für das Vorliegen von Whistleblowing vorauszusetzen, kann in der positiven Darstellung der Whistleblower gesehen werden – diese sollen als uneigennützig im Sinne des Unternehmen handelnde, loyale Mitarbeiter dargestellt werden. Dadurch soll Whistleblowing vom geächteten Denunziantentum, welches Dritten wissentlich Schaden zufügt, abgegrenzt werden.70 Die Voraussetzung altruistischer Motive kann aus drei Gründen abgelehnt werden. (1) Die konkrete Motivation eines Mitarbeiters zum Whistleblowing kann von anderen nur bedingt nachvollzogen werden. (2) Des Weiteren ist es für das Ergebnis des Whistleblowings oft unbedeutend, ob altruistische oder eigennützige Motive ausschlaggebend waren.71 (3) 66 67 68 69 70 71
Vgl. Hooks et al. (1994), S. 87. Vgl. Vinten (1994), S. 5. Siehe z. B. De George (1982/1986): „[…] the only motivation for whistle blowing we shall consider here is moral motivation.” Ebenda, S. 223. Deiseroth (2004), S. 297. Vgl. auch Hunziker (2007), S. 165. Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2624; De George (1982/1986), S. 222. Zu einem identischen Ergebnis kommt R. Ogorek (2005), S. 554: „Aber welche Rolle kann die Motivforschung bei der Entwicklung angemessener Lösungen für die Whistleblowing-Problematik spielen? Ist es wirklich überzeugend, wenn man zum Beispiel von dem Umstand, dass ein Unternehmen regelmäßig giftige Abwässer in öffentliche Gewässer einleitet, nur erfährt, wenn der Mitarbeiter und potenzielle Anzeigenerstatter von der Motivlage her sittlich rein […] ist? […] Der Rationalität des gesamten Verfahrens
18
Letztlich maßgeblich dafür, die Voraussetzung altruistischer Motive abzulehnen, ist jedoch ein methodischer Grund. Wie im folgenden Kapitel zur Methodik eingehend erläutert wird, kann das Verhalten eines Akteurs als systematisches Handeln entlang seiner Eigeninteressen erklärt werden.72 Auch wenn er keine finanziellen Vorteile durch sein Handeln erzielt, ist anzunehmen, dass er dadurch ein Ergebnis herbeiführen möchte, das er gegenüber dem Status quo bevorzugt. Entsprechend sind moralische Appelle, die an das Verhalten von Unternehmen und Mitarbeiter gerichtet sind, nicht systematisch geeignet, die Einrichtung von Whistleblowing-Systemen in Unternehmen sowie deren Nutzung durch Mitarbeiter zu fördern. Um dies zu erreichen, sollten Unternehmen, wie in These 2 dargelegt, systematisch auf die Schaffung von Anreizkompatibilität hinarbeiten, also auf eine Vereinbarkeit des normativ geforderten Verhaltens mit dem Eigeninteresse eines Akteurs. Nach dieser Einführung in die Probleme des Umgangs mit Whistleblowing, der Erläuterung der Zielsetzung der Arbeit sowie der begrifflichen Grundlagen soll nun die in der Arbeit angewandte Methodik vorgestellt werden.
72
käme es sicherlich zu Gute, die Motive (und die moralische Qualität) des Handelnden unberücksichtigt zu lassen und die Frage, ob Whistleblowing durch geeignete Schutzmaßnahmen zugunsten des Anzeigenden zu fördern sei oder nicht, in erster Linie davon abhängig zu machen, welche Ziele mit einer Förderung erreicht werden sollen.“ Vgl. auch Schmidt (2005), S. 157. Eigeninteresse soll in dieser Arbeit nicht als egoistisches, sondern als intentionales, rationales Handeln eines Akteurs entlang seiner Präferenzen interpretiert werden. Siehe hierzu Kapitel 2.2.1.1.
19
2 Methodik Die zentrale Bedeutung des Eigeninteresses von Unternehmen sowie die Notwendigkeit zur Schaffung
von
Anreizkompatibilität
für
die
Einrichtung
funktionierender
unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme wurden bereits dargelegt. Dementsprechend ist es sinnvoll, zu Beginn der Arbeit die Bedingungen zu betrachten, unter denen normative Vorgaben allgemeine Gültigkeit beanspruchen können – insbesondere die Unterbindung von Fehlverhalten in Unternehmen durch die Ermutigung von Mitarbeitern zum internen Whistleblowing.
Darauf
aufbauend
werden
die
theoretischen
Voraussetzungen
herausgearbeitet, an denen sich ein ökonomisch fundierter Vorschlag zum konstruktiven Umgang mit Whistleblowing in Unternehmen zu messen hat. Hierfür wird zunächst eine Heuristik für die Integration von normativer und positiver Analyse vorgestellt (2.1). Im Anschluss wird das in der Arbeit angewandte Schema der Mikrofundierung zur systematischen Erklärung des Handelns der Akteure dargestellt (2.2). Handelnde Akteure beim Whistleblowing sind Mitarbeiter als individuelle Akteure sowie das Unternehmen als korporativer Akteur. Die Annahme, dass Unternehmen als theoretisch eigenständig handelnde Akteure aufgefasst werden können, wird in Kapitel 2.3 analysiert. Anschließend werden die systematischen Grundlagen betrachtet, auf denen die eigeninteressierte Interaktion zwischen Mitarbeitern und Unternehmen basiert; diese Betrachtung erfolgt im Rahmen der Interaktions(2.4) sowie der Institutionentheorie (2.5) der Ökonomik.
2.1 Integration von normativer und positiver Analyse Der Umgang von Management, Mitarbeitern und sonstigen Stakeholdern im Innen- und Außenverhältnis
eines
Unternehmens
ist
stark
von
normativen
Vorgaben
des
gesellschaftlichen Umfeldes geprägt. Entsprechend hat die Beschäftigung mit der Frage, welche normativen Vorgaben in den Beziehungen zwischen diesen Akteuren Geltung beanspruchen können, bereits eine gewisse unternehmensethische Tradition. Der regulativen Idee der ökonomischen Ethik zufolge haben Normen die Aufgabe, zur „dauerhaft gelingenden Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“73 von Akteuren beizutragen.74
73 74
Suchanek (2001/2007), S. 42. Siehe grundlegend hierzu: Homann (1988), S. 159–186; Suchanek (2001/2007), S. 42 f., S. 79–87.
20
Um die Diskussion über die Umsetzung und Verwirklichung normativer Ideale zu rationalisieren, ist es erforderlich (normative) Sollens- und (positive) Seinsaussagen systematisch miteinander zu verknüpfen. Dies kann anhand des folgenden praktischen Syllogismus geschehen.75
Abbildung 2: Praktischer Syllogismus; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Suchanek (2000), S. 32.
Dabei wird wie folgt vorgegangen: Ausgangspunkt der Überlegung ist die Umsetzung einer bestimmten normativen Vorgabe (1). Im Fall dieser Arbeit geht es um die Verhinderung illegalen oder unethischen Verhaltens in Unternehmen durch die Ermutigung von Mitarbeitern zu internem Whistleblowing. Im zweiten Schritt sind die empirischen Bedingungen (2) herauszuarbeiten, unter denen die normative Vorgabe Anwendung finden soll. Dazu sind die im Status quo existierenden Anreize zu analysieren und die Hindernisse zu entdecken, die der Realisierung der normativen Vorgabe möglicherweise im Wege stehen. Im Kontext dieser Arbeit bedeutet dies, danach zu fragen, welche Gründe der Einrichtung und dem Funktionieren interner WhistleblowingSysteme aus Sicht von Unternehmen und Mitarbeitern entgegenstehen. Werden diese beiden Elemente miteinander verknüpft, kann eine Aussage über die Kompatibilität der normativen Vorgabe und der empirischen Bedingungen getroffen werden. Daraus lassen sich die gegebenen Implementierungschancen abschätzen: Eine vorhandene Kompatibilität führt unmittelbar zur Handlungsempfehlung (3), mit deren Hilfe die normative Vorgabe umgesetzt werden kann.
75
Siehe grundlegend hierzu: Gerecke (1998), S. 291–297; Suchanek (1997), S. 189–194.
21
Wesentlich wahrscheinlicher und herausfordernder ist jedoch der Konfliktfall, wenn die Abfrage der Implementierungschancen ergibt, dass die normative Vorgabe aufgrund der empirischen Bedingungen nicht umgesetzt werden kann. In diesem Fall lautet die Anweisung der Heuristik, den Blick systematisch auf die Gestaltung der empirischen Bedingungen zu richten. Es ist also danach zu fragen, wie unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme ausgestaltet werden müssen, damit sie illegales oder unethisches Verhalten im Unternehmen wirkungsvoll verhindern können.
Im Mittelpunkt dieser Überlegung steht folglich die Frage nach möglichen Änderungen der empirischen Bedingungen in der Hinsicht, dass Anreizkompatibilität für ein Handeln gemäß der normativen Vorgabe geschaffen wird. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass Akteure lediglich über die Vorteile eines bestimmten Handelns aufzuklären sind; so können etwa Unternehmen die systematischen Vorzüge internen Whistleblowings gänzlich unbekannt sein. Mitunter kann jedoch auch erst durch die Änderung bestimmter grundlegender Rahmenbedingungen, z. B. durch den Erlass von Gesetzen, Anreizkompatibilität geschaffen werden. Für die Mitarbeiter können darüber hinaus innerbetriebliche Hindernisse wie etwa Angst vor Vergeltung der Grund für die fehlende Anreizkompatibilität sein. Die Formulierung von Gestaltungsempfehlungen muss sich also stets an der Frage orientieren, „wie normative [Vorgaben, TB] unter den empirischen Bedingungen zur Geltung gebracht werden können.“76 Das Verhältnis von normativen Vorgaben und empirischen Bedingungen ist dabei derart geordnet,
dass
die
Formulierung
normativer
Vorgaben
der
Überprüfung
ihrer
Implementierbarkeit unter den gegebenen empirischen Bedingungen vorgeschaltet sein muss.77 Um eine systematische Integration der normativen Vorgaben und der empirischen Bedingungen sicherzustellen, darf allerdings weder unmittelbar von den normativen
76
77
Suchanek 1997, S. 189. Homann (2001/2002) weist darauf hin, dass die Gültigkeit normativer Vorgaben von der anreizkompatiblen Implementierbarkeit abhängig ist. „Die Implementierbarkeit schlägt auf die Geltung durch.“ Ebenda, S. 257. Vgl. auch Homann/Pies (1994), S. 11. Für diesen Primat des Normativen können zwei Gründe genannt werden: (1) Zum einen müssen sich Akteure zunächst überlegen, nach welchen Normen sie ihre Interaktion gestalten möchten. Erst dann können sie überprüfen, ob ein Handeln entlang dieser Normen für sie anreizkompatibel ist. (2) Zum anderen sprechen Effizienzgründe für diese Reihenfolge des Vorgehens. Zunächst ist das Forschungsprogramm festzulegen, erst dann kann an dessen inhaltlicher Ausgestaltung gearbeitet werden. Vgl. Gerecke (1998), S. 293. Die normativen Überlegungen spannen somit einen Rahmen für die positive Forschung auf, innerhalb dessen diese sich zu bewegen und Antworten zu suchen hat. Normative Prämissen üben demnach die Funktion eines Selektionsfilters für die positive Analyse aus. Vgl. Suchanek (1997), S. 191.
22
Vorgaben (1) auf die Gestaltungsempfehlungen (3) geschlossen werden, noch dürfen nur die empirischen Bedingungen (2) für die Gestaltungsempfehlungen (3) maßgeblich sein.78 Werden bei der Ableitung der Gestaltungsempfehlungen die empirischen Bedingungen nicht beachtet, ist von einem normativen Fehlschluss zu sprechen. Bei diesem beruhen die abgeleiteten
Gestaltungsempfehlungen
ausschließlich
auf
normativen
Vorstellungen,
berücksichtigen jedoch nicht (bzw. nicht in systematischer Weise) die empirischen Bedingungen. Eine auf solche Weise abgeleitete Handlungsempfehlung wäre z. B. jene, dass Unternehmen internes Whistleblowing fördern sollten, weil die Verhinderung von Fehlverhalten moralisch geboten ist. Die gegebenen Empfehlungen in Form von Handlungsimperativen oder Vorschlägen für institutionelle Veränderungen entbehren der Grundlage für eine erfolgreiche Implementierung, weil weder die Voraussetzungen noch die Folgen eines Handelns entlang der gewünschten normativen Vorstellungen berücksichtigt wurden. Sie werden somit zum „leeren Sollen“79; Sollen setzt jedoch Können voraus.80 Eine
ökonomisch
fundierte,
normative
Theorie,
die
auf
die
Generierung
selbstdurchsetzender Argumente gerichtet ist, muss daher die Frage aufgreifen, aus welchen Gründen Unternehmen Whistleblowing fördern sollten. Dazu muss sie systematisch auf das Eigeninteresse von Unternehmen abstellen (vgl. These 1 dieser Arbeit) und die Anreizkompatibilität eines solchen Handelns für Unternehmen und Mitarbeiter sicherstellen (vgl. These 2). Nur dadurch können überzeugende und umsetzungsfähige Alternativen zum Status quo für die betriebliche Praxis entworfen werden. Um zu untersuchen, auf welche Art und Weise das gewünschte Verhalten der genannten Akteure herbeigeführt werden kann, ist es erforderlich, dass dieses systematisch erklärbar ist. Für diese Mikrofundierung des Handelns von Unternehmen und Mitarbeitern in Bezug auf den Umgang mit Whistleblowing soll der ökonomische Ansatz herangezogen werden.
78 79 80
Homann (1996) spricht davon, dass der normative Begründungsdiskurs strikt vom Implementierungsdiskurs zu trennen ist, wobei ersterer dem letzteren vorausgehen muss. Vgl. ebenda, S. 34. Gerecke (1998), S. 294. Vgl. Homann (2001/2002), S. 257. Voraussetzung für das Können des Individuums ist das Vorhandensein von Anreizkompatibilität. Siehe hierzu Kapitel 2.4.
23
2.2 Mikrofundierung von Makrophänomenen als Modellrahmen Die dieser Arbeit zugrunde gelegte Mikrofundierung des Verhaltens von Unternehmen und Mitarbeitern basiert auf dem ökonomischen Ansatz von G. Becker.81 Kern des Becker'schen Programms ist ein Rationalmodell individuellen Verhaltens. Dessen zentrale Annahme ist, dass sich individuelles Verhalten eigeninteressiert an Kosten und Nutzen orientiert.82 Unter den Begriffen Kosten und Nutzen werden dabei monetäre und nicht-monetäre Größen subsumiert, wodurch eine breite Anwendbarkeit des Ansatzes gewährleistet wird. Ein solcher Erklärungsansatz individuellen Verhaltens lässt sich nicht nur auf Fragestellungen der Wirtschaft, sondern auch auf sämtliche andere Gebiete des menschlichen Handelns anwenden.83 Das Erkenntnisinteresse der Ökonomik gilt dabei kollektiven Verhaltensänderungen, welche durch eine vielfache Änderung der individuellen Kosten-Nutzen-Kalküle erklärt werden.84 Es geht folglich nicht um die Erklärung individuellen Verhaltens im Einzelfall, sondern um aggregiertes Verhalten.85 Dementsprechend wird nicht das Verhalten eines einzelnen Unternehmens oder Mitarbeiters erklärt, sondern die Veränderung von deren aggregiertem Verhalten im Umgang mit unternehmensinternem Whistleblowing. Da zur Erklärung dieser Veränderung wiederum individuelle Verhaltensänderungen herangezogen werden, wird dieses Vorgehen auch als Mikrofundierung von Makrophänomenen bezeichnet. Diese kann wie folgt dargestellt werden.
81 82 83 84
85
Vgl Becker (1968; 1976/1993). Vgl. Pies (1998), S. 16. Vgl. Becker (1976/1993), S. 6. „Gegenstand des theoretischen Interesses sind Kollektivphänomene, die aber entweder als Produkt von Individuenhandlungen oder als Aggregat solcher Handlungen aufgefasst werden.“ Zintl (1989), S. 56. Ähnlich auch Kirchgässner (1991/2000): „Tatsächlich interessiert aber in der Ökonomie weniger das Verhalten einzelner Individuen als vielmehr das Verhalten größerer Gruppen von Individuen […]. Nicht das Verhalten eines bestimmten einzelnen Individuums ist für uns interessant, sondern wir suchen nach dem ‚typischen’ Verhalten, d. h. nach Regelmäßigkeit im Verhalten aller oder zumindest einer Mehrheit der betrachteten Individuen in der jeweils untersuchten Gruppe.“ Ebenda, S. 21. Vgl. Göbel (2002), S. 24; Scharpf (2000), S. 49 f.
24
Abbildung 3: Mikrofundierung von Makrophänomenen; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Suchanek (2000), S. 38.
Die Bezugseinheit der Mikroanalyse ist stets durch das zu analysierende Makroproblem bestimmt. Zur Untersuchung des Umgangs von Unternehmen mit Whistleblowing stellen sowohl Unternehmen als auch deren Mitarbeiter die Bezugseinheiten der Analyse dar. Unternehmen als kollektive Akteure stellen die Bezugseinheit für die Untersuchung der Frage dar, weshalb die Einrichtung interner Whistleblowing-Systeme anreizkompatibel für sie ist und in ihrem Eigeninteresse liegt. Organisationsmitglieder als individuelle Akteure stellen die Bezugseinheit für die Untersuchung der Frage dar, auf welche Art und Weise interne Whistleblowing-Systeme ausgestaltet sein müssen, um im Unternehmen auch akzeptiert und genutzt zu werden. Somit können in Abhängigkeit von der Fragestellung für eine Mikrofundierung auch kollektive Akteure herangezogen werden. Diesen werden dann die gleichen Eigenschaften zugewiesen wie individuellen Akteuren, ohne dass sie dabei von „sozialen Entitäten“ zu „natürlichen Entitäten“ werden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass vom Zielsystem des Individuums auf das Zielsystem der Gruppe geschlossen wird und vice versa.86 Nachfolgend werden zur Erklärung des Verhaltens von Unternehmen und deren Mitarbeitern zunächst ein Modell individuellen Verhaltens (2.2.1) sowie die Bedeutung von Anreizänderungen für Verhaltensänderungen (2.2.2) dargestellt. Im Anschluss daran wird in Kapitel 2.3 auf die Besonderheiten von kollektiven Akteuren im Vergleich zu individuellen Akteuren eingegangen.
86
So kann z. B. nicht von der Absicht der Einkommensmaximierung des Mitarbeiters auf die Wertsteigerungsabsicht des Unternehmens geschlossen werden. Bestimmend für die Wahl des Akteurs und dessen Handlungsmöglichkeiten sind letztlich nur die jeweilige Fragestellung der Analyse und deren Bezugspunkt. Vgl. Scharpf (2000), S. 111 f.; Suchanek (1994), S. 125–128.
25
2.2.1 Modell individuellen Verhaltens Im Mittelpunkt ökonomischer Analysen steht der einzelne Akteur87; aus diesem Grund wird auch von einem methodologischen Individualismus gesprochen. Wird in der Analyse auf Individuen Bezug genommen, ist auch vom Analysewerkzeug des „homo oeconomicus“ die Rede, einem Modell rationalen, individuellen Verhaltens.88 Eine Existenz kollektiver Akteure (z. B. Unternehmen), die sich den Kalkülen einer natürlichen Person entsprechend verhalten, wird durch eine solche Auslegung des methodologischen Individualismus vielfach ausgeschlossen.89 Dieser Ansicht wird in der vorliegenden Arbeit, wie im vorangehenden Kapitel dargelegt, nicht gefolgt. Individuelles Verhalten unterliegt dem Einfluss einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren, die zum Zwecke der Analyse in verschiedene Kategorien unterteilt werden. Als handlungsleitendes Prinzip wird angenommen, dass Akteure rational und eigeninteressiert handeln.90 Die Menge aller Einflussfaktoren auf die Entscheidungen eines Akteurs wird auf zwei Faktoren reduziert. (1) Der erste Faktor sind die individuellen Präferenzen. Diese werden aus methodischen Gründen über alle Akteure hinweg als invariant und universell angenommen.91 Sie werden daher auch als prinzipiell unabhängig vom jeweiligen Entscheidungskalkül betrachtet und können für die Analyse und Erläuterung von situativem Handeln gezielt ausgeblendet werden.92 (2) Der zweite Faktor sind die Anreize, denen das Verhalten von Akteuren unterliegt.
87 88 89
90 91
92
Vgl. McKenzie/Tullock (1978/1984), S. 28. Siehe zum Konzept des homo oeconomicus z. B. Kirchgässner (1991/2000); McKenzie/Tullok (1978/1984), Suchanek (1993); Zintl (1989). Diese Ansicht findet sich u. a. bei J. Buchanan (1991), S. 31; Richter/Furubotn (1996/2003), S. 3. „Letztere [Kollektive oder Aggregate; TB] haben auch keine eigenständigen Präferenzen, die von denen der in ihnen handelnden Individuen unabhängig wären. Kollektive Entscheidungen ergeben sich daher – im Unterschied zu anderen sozialwissenschaftlichen Theorien – aus der Aggregation individueller Entscheidungen und nicht aus dem eigenständigen Handeln von Kollektiven.“ Kirchgässner (1991/2000), S. 23. Etwas ausdifferenzierter findet sich diese Kritik bei Homans (1967/1972), S. 75: „Wir können eine Organisation so behandeln, als ob sie ein einzelner Entscheidungsträger sei; aber wir sind uns dessen bewusst, dass dies allenfalls eine erste Annäherung an die Wirklichkeit ist, und dass wir es uns bei der Erklärung, warum eine Organisation gerade so handelt und nicht anders und warum sie anders handelt als andere, scheinbar gleichartige Organisationen, nicht leisten könnten, die Individuen außer Betracht zu lassen.“ Vgl. Picot et al. (1997/2005), S. 1. Vgl. Pies (1993), S. 99; Zintl (1989), S. 53. Auf diese Weise soll auch verhindert werden, dass jede Verhaltensänderung auf veränderte Präferenzen zurückgeführt wird. Dadurch wird eine Immunisierung der aufgestellten Hypothesen vermieden. Erklärungen, welche Präferenzänderungen als Argument heranziehen, sind empirisch leer. Vgl. Becker (1976/1993), S. 6; Kirchgässner (1991/2000), S. 39 f. „Die Annahme stabiler Präferenzen bietet eine feste Grundlage, um Vorhersagen über Reaktionen auf verschiedene Veränderungen zu machen, und bewahrt den Analytiker vor der Versuchung, alle
26
Das Verhalten von Akteuren soll daher nachfolgend als rationales, eigeninteressiertes Verhalten (2.2.1.1) in Abhängigkeit von situativen Anreizen (2.2.1.2) interpretiert werden.
2.2.1.1 Rationalität und Eigeninteresse des Verhaltens Das zentrale theoretische, der Empirie vorgelagerte Element der Ökonomik besteht darin, Rationalität als handlungsleitendes Prinzip für das Verhalten von Akteuren anzunehmen.93 Diese Rationalitätsannahme ist die Voraussetzung für eine konsistente Erklärung des beobachteten Verhaltens und somit für dessen Verständnis. Sie ist also Bedingung für den theoretischen Gehalt der Ökonomik, da sie unterstellt, dass sich Akteure systematisch und nicht zufällig verhalten.94 Ausgangsüberlegung für die Rationalitätsannahme ist die Knappheit der Ressourcen, mit der sich Akteure konfrontiert sehen. Da es ihnen unmöglich ist, all ihre Ziele gleichzeitig zu verfolgen, müssen sie eine Auswahl zwischen den ihnen zur Verfügung stehenden Alternativen treffen.95 Dabei wird unterstellt, dass Akteure ihre Ziele mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz verfolgen; gleichzeitig wird ein möglichst hoher Grad der Zielerreichung angestrebt. Bei der Auswahl von Handlungsoptionen haben Akteure darüber hinaus zu beachten, dass die Folgen ihres heutigen Handelns einen Einfluss auf ihre zukünftigen
Handlungsbedingungen
und
die
anderer
haben
werden.96
Zukünftige
Interaktionen der Akteure werden also durch ihr heutiges Handeln vorstrukturiert. Diese Verhaltensweise wird als Nutzenmaximierung bzw. Maximierung des erwarteten Nutzens
93
94 95 96
augenscheinlichen Widersprüche zu seinen Vorhersagen dadurch zu ‚erklären‘, dass er einfach entsprechende Veränderungen der Präferenzen unterstellt.“ Becker (1976/1993), S. 4. In dieser gezielten Ausblendung einzelner, für die Problemstellung nicht relevanter Aspekte kann die besondere Stärke des ökonomischen Ansatzes gesehen werden. Vgl. Suchanek (1994), S. 101. Pies (1998) formuliert diesen Sachverhalt wie folgt: „Mit Gary Becker wandert die Rationalitätsannahme von der falsifizierbaren Peripherie, dem ‚Schutzgürtel’ in den nicht-falsifizierbaren – ‚kritikimmunen’ – Kern des ökonomischen Forschungsprogramms.“ Ebenda, S. 9. Damit folgt Becker der methodischen Vorgabe von K. Popper (1967/2000) der das Rationalitätsprinzip als ein „Nebenprodukt des methodischen Postulats“, „alle theoretischen Bemühungen“ in das Modell zu integrieren, bezeichnet. Das Rationalitätsprinzip, welches Popper als empirisch falsch erachtet, spielt für ihn nicht die Rolle einer überprüfbaren Hypothese. Es erhält einen der Empirie vorgelagerten Status, der es für a priori gültig erklärt. Für das Scheitern eines Modells ist seiner Auffassung nach „nicht das Rationalitätsprinzip, sondern der Rest der Theorie, nämlich das Modell, verantwortlich zu machen“. Dieses Vorgehen erhebt Popper zum methodologischen Grundsatz. Grund für die Anwendung des Rationalitätsprinzips ist für ihn, dass „der Versuch das Rationalitätsprinzip durch ein anderes zu ersetzen, […] zu totaler Willkür in unserem Bauen von Modellen zu führen“ scheint. Da die meisten Theorien das Rationalitätsprinzip teilen, ist deren Leistungsfähigkeit gemäß Popper somit besser vergleichbar. Vgl. (auch für Zitate) Popper (1967/2000), S. 352–356. Vgl. Becker (1976/1993), S. 167. Vgl. Kirchgässner (1991/2000), S. 12. Vgl. Suchanek (2001/2007).
27
interpretiert. Die den Akteuren unterstellte Rationalität bezieht sich somit lediglich auf das Vorgehen bei der Auswahl von zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen.97 Die Nutzenmaximierung auf Basis eines individuellen Kosten-Nutzen-Kalküls ist nicht, wie oftmals unterstellt, als situationsunabhängige Einstellung im Sinne von Egoismus zu verstehen. Das „Eigeninteresse“ eines Akteurs ist vielmehr als dessen intentionales bzw. rationales Handeln zu interpretieren, das sich an seiner Präferenzordnung orientiert, wobei die Interessen
anderer
durchaus
Berücksichtigung
finden
können.98
Das
Ziel
nutzenmaximierenden Handelns kann daher bei individuellen Akteuren gerade beim Offenlegen illegaler oder unethischer Verhaltensweisen im Rahmen von Whistleblowing durchaus in der Verbesserung des Wohlergehens Dritter bestehen.99
2.2.1.2 Anreize als Rahmenbedingungen des Handelns Anreize umfassen die von einer Interaktionssituation ausgehenden, auf das Kosten-NutzenKalkül des Individuums einwirkenden Knappheitsbedingungen sowie die Bedingungen zukünftigen Handelns. Sie können als Nebenbedingungen bzw. als Summe der Handlungsbeschränkungen
interpretiert
werden,
die
ein
Individuum
bei
seiner
Nutzenmaximierung zu beachten hat.100 K. Homann formuliert den Zusammenhang wie folgt: „Akteure maximieren ihren erwarteten Nutzen unter Nebenbedingungen.“101
Für eine Untersuchung des Umgangs mit Whistleblowing durch Unternehmen sind vor allem unternehmensexterne und -interne Anreize zu beachten. Diese Anreize können auch als institutionelles Einwirken auf das Entscheidungskalkül eines Akteurs im Sinne einer Ausweitung oder Verringerung der dem Individuum zur Auswahl stehenden Möglichkeiten interpretiert werden. Durch die Annahme eigeninteressierten, rationalen Handelns bei konstanten Präferenzen erlaubt die ökonomische Methode eine Reduktion der Analyse auf die 97
„Rational bezieht sich auf das beobachtbare Verhalten, die Reaktion auf die Anreize, nicht aber darauf, was die Akteure dabei denken.“ Suchanek (1993), S. 7. 98 Suchanek (2001/2007) weist darauf hin, dass „Menschen nicht völlig frei darin sind, was sie wollen und was sie können, sondern ihre Handlungen in aller Regel an Zielen und Interessen orientieren, die ihnen mindestens teilweise von ihrer Konstitution, ihrer Geschichte und ihrer Situation vorgegeben sind.” Ebenda, S. 47. Diese empirische Bedingtheit von Menschen kann unter dem Begriff „Eigeninteresse“ zusammengefasst werden. Es ist damit eine nicht zu hintergehende Annahme für die Rekonstruktion individuellen Verhaltens. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 47 f. 99 Vgl. Becker (1993), S. 385 f.; Binmore (1994), S. 22. 100 Vgl. Homann (1994/2002), S. 76; Pies (1993), S. 95. 101 Homann (1994/2002), S. 76. Vgl. auch Richter/Furubotn (1996/2003), S. 3.
28
situativen Anreizbedingungen und ermöglicht somit eine Fokussierung auf die vom Individuum
unabhängigen
Zusammenhänge.102
Abweichungen
vom
prognostizierten
Verhalten sind durch eine fehlerhafte Abbildung des Kosten-Nutzen-Kalküls bzw. der situativen Anreize zu erklären und sollten in der Ökonomik aus methodischen Gründen nicht durch instabile Präferenzen oder beschränkt rationales Verhalten103 begründet werden.104 Ändern sich nun die situativen Anreize, verändert sich auch die Einschätzung der relativen Vorteilhaftigkeit verschiedener Handlungsalternativen.
2.2.2 Verhaltensänderungen durch Anreizänderungen Durch die Unterstellung stabiler Präferenzen und nutzenmaximierenden, rationalen Verhaltens als Kern der ökonomischen Methode sind Verhaltensänderungen von Akteuren auf Anreizänderungen zurückzuführen.105 Technisch
formuliert
kann
eine
Anreizänderung
als
Störung
des
bisher
nutzenmaximierenden Verhaltens interpretiert werden, die aufgrund einer Veränderung in den Kosten oder dem Nutzen einzelner Alternativen erfolgt. Auf diese Art der Störung reagiert ein Akteur mit einer Anpassung seines Verhaltens an die geänderten Anreize. Ein Akteur wird die Kosten der Informationsbeschaffung und -bewertung auf sich nehmen, um die Veränderung seiner Handlungsalternativen zu erfassen und zu verarbeiten. Das heißt, er reagiert rational bzw. systematisch, indem er sich an das vorgegebene Optimierungskalkül hält.106
102
Vgl. Suchanek (1993), S. 7. Analog auch Zintl (1989), S. 59: „Offensichtlich sind Rationalmodelle gut geeignet, in der Mikrofundierung von Makrotheorien verwendet zu werden. Dies gerade deshalb, weil diese Modelle sich nicht auf systematisch oder ad hoc eingeführte individuelle Präferenzen stützen, sondern auf situative Restriktionen.“ 103 H. A. Simon kritisierte am Modell des homo oeconomicus, dass sich Akteure in ihren Entscheidungen eher am Erreichen einer für sie zufriedenstellenden („satisfizierenden“) statt maximierenden Zielerreichung orientieren würden. Ein weiterer Kritikpunkt von Simon lautet, dass Akteure nicht vollständig rational, sondern lediglich beschränkt rational sind („bounded rationality“). Siehe Simon (1955); (1987/1998); (1993) oder auch Selten (1990). Generell kann dem als Metakritik entgegengesetzt werden, dass derartige Kritiken in Form von Restriktionen im Modell (z. B. über Kosten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung) abbildbar sind und daher nicht den prä-empirischen Kern des homo oeconomicus treffen. Vgl. ausführlich hierzu: Homann/Suchanek (2000/2005), S. 364–366. 104 So führt Becker hierzu folgendes Beispiel an: „Wenn z. B. einige Theaterbesitzer auf dem Broadway Preise festsetzen, die lange Wartezeiten für freie Plätze zur Folge haben, wird unterstellt, dass die Besitzer die gewinn-maximierende [sic] Preisstruktur nicht kennen, statt davon auszugehen, dass der Analytiker nicht weiß, wieso die tatsächlichen Preise den Gewinn maximieren.“ Becker (1976/1993), S. 12. 105 Vgl. Becker (1976/1993), S. 6. 106 Vgl. Kirchgässner (1991/2000), S. 17.
29
Gerade die Reduktionsleistung, Verhaltensänderungen lediglich auf eine Veränderung der Anreize zurückzuführen, kann als die heuristische Stärke des ökonomischen Ansatzes betrachtet werden. Gewünschte Verhaltensänderungen von Unternehmen und Mitarbeitern im Umgang mit Whistleblowing sind also durch eine Änderung der Anreizstrukturen zu erreichen.107 Unternehmen werden ihr Verhalten im Umgang mit internem Whistleblowing nur ändern, wenn die Einrichtung entsprechender Systeme in ihrem Eigeninteresse liegt, d. h. hinreichende Anreize dazu existieren bzw. geschaffen werden können. Gleiches gilt für Mitarbeiter: Nur wenn diese das Gefühl haben, dass eine interne Offenlegung illegalen oder unethischen Verhaltens gewünscht ist und honoriert wird, werden sie dazu bereit sein. Versuche, direkt auf die Präferenzen der Akteure einzuwirken, um eine stärkere Verbreitung und Nutzung interner Whistleblowing-Systeme zu forcieren, können dagegen als nicht erfolgversprechend zurückgewiesen werden.
2.3 Organisationsform Unternehmen In Kapitel 2.2 wurde kurz auf die Unterschiede zwischen individuellen und kollektiven Akteuren hingewiesen. Für den Fortgang der Arbeit ist es jedoch erforderlich, die Besonderheiten des kollektiven Akteurs Unternehmen stärker herauszuarbeiten und eine zur Ausdifferenzierung fähige Theorie der Organisationsform Unternehmen anzuwenden. Diese Theorie der Organisation muss in der Lage sein, Binnen- und Außenperspektive eines Unternehmens zu verbinden und gleichzeitig die bisher definierten Anforderungen hinsichtlich der Beschreibung des Verhaltens von Akteuren erfüllen. Nachfolgend soll daher eine Konzeption vorgestellt werden, die ein Unternehmen nicht als kollektiven, sondern als korporativen Akteur begreift (2.3.1). Vor dem Hintergrund, dass in der Diskussion um die Förderung von Whistleblowing die soziale Verantwortung von Unternehmen ein stets wiederkehrendes Argument ist, wird im Anschluss die gesellschaftliche Kontrolle von Unternehmen und deren Handeln analysiert (2.3.2).
107
Anreize sind als „situationsbedingte handlungsbestimmende Vorteilserwartungen“ zu interpretieren. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 28 f. Sie können daher neben einer finanziellen im weiteren Sinne auch eine soziale oder intrinsische Dimension besitzen. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 48.
30
2.3.1 Konzept des korporativen Akteurs In der neoklassischen Theorie werden Unternehmen typischerweise als Akteure betrachtet, deren Zielsetzung darin besteht, unter den Nebenbedingungen gegebener Marktverhältnisse und Produktionstechnologien Unternehmenswertsteigerung zu betreiben.108 Diese Auffassung von Unternehmen als soziale Akteure mit eigenen, einheitlichen Zielen ist zweckmäßig, wenn es gilt, das Verhalten von Unternehmen auf Wettbewerbsmärkten zu beschreiben. Für Analysen hingegen, in welchen die Interaktion von Unternehmen mit anderen sozialen Akteuren
abseits
von
Wettbewerbsmärkten
betrachtet
wird,
ist
diese
komplexitätsreduzierende Sichtweise des Unternehmens nicht ausreichend.
Für eine ökonomische Analyse von Whistleblowing, die Unternehmen die Potenziale eines eigeninteressierten Einsatzes von Whistleblowing-Systemen sowie die Bedingungen für deren Funktionieren aufzeigen möchte, ist es erforderlich, sowohl die Außenperspektive eines Unternehmens (also das Verhältnis zwischen Unternehmen und Gesellschaft) als auch die Binnenperspektive zu betrachten. Schließlich gilt es nicht nur, die Vorteilhaftigkeit von Whistleblowing-Arrangements für Unternehmen in Kontakt mit der Gesellschaft zu analysieren.
Vielmehr
Voraussetzungen
soll
auch
die
Frage
Whistleblowing-Systeme
beantwortet im
werden,
Unternehmensalltag
unter
welchen
von
den
Organisationsmitgliedern tatsächlich akzeptiert und genutzt werden. Dementsprechend werden auch die Interaktionen der Organisationsmitglieder untereinander, also die Binnenperspektive eines Unternehmens, betrachtet. Für diese Art der Analyse ist demnach eine Organisationstheorie erforderlich, die es zulässt, die externen und internen Interaktionen eines Unternehmens und deren Interdependenzen zu untersuchen. Ausgehend von der getroffenen Entscheidung für einen methodischen Individualismus soll nun eine Konzeption des Unternehmens als korporativer Akteur skizziert werden, welche diesen kombinierten Anforderungen gerecht wird. R. Coase (1937) erklärt die Gründung von Unternehmen folgendermaßen: „The main reason why it is profitable to establish a firm would seem to be that there is a cost of using the price mechanism.“109 Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass sich Individuen zur Gründung von Unternehmen entschließen, wenn durch eine hierarchische Abwicklung von
108 109
Vgl. Milgrom/Roberts (1990), S. 58 f.; Nutzinger (1978), S. 519 f.; Richter/Furubotn (1996/2003), S. 394 f. Coase (1937), S. 390.
31
Transaktionen
aufgrund
geringerer
Such-
und
Transaktionskosten
größere
Kooperationsgewinne generiert werden können als über alternative institutionelle Arrangements.110 „[…] a central tenet of transaction-cost economics is that production in capitalist, profit-oriented economies will tend to be organized so as to economize on transaction costs.”111 Diese Überlegung gilt auch für die Organisationsmitgliedschaft von Akteuren, selbst wenn diese nicht den Status von Eigentümern haben.112 Die für die Senkung der Transaktionskosten bedeutsamsten Faktoren sind zum einen die gesunkene Anzahl von Verträgen, die für die Abwicklung von Transaktionen erforderlich sind, zum anderen die gesunkenen Kosten für die Vertragsdurchsetzung im Fall von Konflikten. Durch die Gründung eines Unternehmens können also die Anzahl von Verträgen sowie die Kosten für deren Durchsetzung deutlich reduziert werden.113 Des Weiteren kann bei hierarchisch organisierten Transaktionen durch die Offenheit der Verträge zwischen den Organisationsmitgliedern
schneller
und
kostengünstiger
auf
nicht
antizipierte
Umweltveränderungen reagiert werden als dies bei Transaktionen über Märkte möglich wäre, welche die Neuverhandlung von Verträgen erfordern.114 Da die Akteure vertraglich miteinander verbunden sind, werden Unternehmen in der Institutionenökonomik als „nexus of contract“ aufgefasst, d. h. als institutionelle Arrangements im Sinne eines impliziten oder expliziten Netzes von Verträgen. Deren Inhalt bezieht sich dabei auf die Erbringung bestimmter Leistungen oder die Bereitstellung bestimmter Ressourcen zu einem bestimmten Zweck. Um eine möglichst umfangreiche Senkung der Transaktionskosten zu realisieren, sollten die Ressourceneigentümer nicht jeweils untereinander Verträge abschließen, sondern nur einmalig mit einer Zentralstelle, dem Unternehmen an sich, kontrahieren. Dieser Gedanke spiegelt sich in der Rechtswissenschaft
110
Individuen treffen ihre Entscheidungen über ihnen zugeordnete Ressourcen, wie bereits in Kapitel 2.2.1.1 erwähnt, unter Knappheit und unter Beachtung der Auswirkungen auf die zukünftigen Bedingungen ihres Handelns. Aus diesem Grund wird ein Akteur sich unter verschiedenen Handlungsalternativen bezüglich des Ressourceneinsatzes für jene entscheiden, von welcher er den höchsten Ertrag erwartet. Vgl. Vanberg (1982), S. 12. „[…] Individuen [werden, TB] nur dann Ressourcen in einen korporativen Akteur einbringen und ihre Ressourcen nur so lange in diesem korporativen Akteur belassen, wie sie sich davon einen (relativen) Vorteil gegenüber alternativen Einsatzmöglichkeiten versprechen.“ Ebenda, S. 157. Ähnliche Überlegungen finden sich auch in der „Anreiz-Beitrags-Theorie der Organisation“ von Barnard-Simon. Siehe hierzu z. B. March/Simon (1958), S. 84–88. 111 Milgrom/Roberts (1990), S. 61. Ähnlich auch Wieland (1998), S. 53: „Jeder verfolgt sein Eigeninteresse in und mit der Firma und genau dies ist auch der Grund, warum sie dem Team beitreten. Die jeweiligen Erträge aus der Kooperation der Ressourcen sind höher als bei ihrer Marktkoordination.“ 112 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 288. 113 Vgl. Richter/Furubotn (1996/2003), S. 401 f. 114 Vgl. Nutzinger (1978), S. 541; Williamson (1996), S. 97.
32
im Ausdruck einer durch ihre Organe eigenständig handlungsfähigen juristischen Person wider.115 Dem Unternehmen wird auf diese Weise eine eigenständige Persönlichkeit zugewiesen, „die von derjenigen ihrer Organisationsmitglieder strikt zu unterscheiden ist“.116 Aus diesem Grund kann das Unternehmen als „korporativer Akteur“ betrachtet werden.117 „Diese Sichtweise [der Organisation, TB] erlaubt es, sowohl jene wechselseitig vorteilhaften Kooperationen in den Blick zu nehmen, die zwischen den Mitgliedern stattfinden, als auch jene zwischen der Organisation und ihren externen Interaktionspartnern.“118 Trotz seiner eigenständigen Persönlichkeit besitzt der korporative Akteur nicht per se die Fähigkeit zum intentionalen Handeln. Korporative Akteure handeln durch natürliche Personen; deren Handeln wiederum wird der Organisation zugerechnet.119 Um ein solches Handeln zu gewährleisten, muss es in Interaktionen innerhalb der Organisation abgestimmt werden.120 Konstituiert werden korporative Akteure durch eine Unternehmensverfassung. In dieser wird die Gesamtheit der langfristigen Regeln festgehalten, nach welchen sich das Handeln des korporativen Akteurs richtet. So werden, ergänzend zu gesetzlichen Regeln, explizit die Ziele der Organisation, ihre Rechtsform sowie die Aufgaben und Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse einzelner Positionen beschrieben, gleichermaßen werden die Vermögens-, Gewinn- und Entgeltansprüche der Eigentümer geregelt.121 Auf diese Weise leistet die Unternehmensverfassung einen Beitrag zur Bewältigung der durch unterschiedliche Interessen der Akteure bedingten Anreizprobleme. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass
115
„[…] Juristische Personen [Hervorhebung im Original, TB] sind nicht greifbare Wesen, die von uns natürlichen Personen noch niemand gesehen hat. Sie umfassen das, was wir üblicherweise als Körperschaften betrachten.“ Coleman (1974/1979), S. 2. Vgl. Kyora (2001), S. 90. 116 Waldkirch (2002), S. 171. Coleman (1974/1979), S. 4: „[…] die Interessen der korporativen Akteure sind nicht nur eine Summe der Interessen ihrer Mitglieder […]. Noch sind sie eine direkte Widerspiegelung der Interessen irgendeiner natürlichen Person.“ 117 Der Begriff „korporativer Akteur“ findet sich erstmals bei Coleman (1974/1979), S. 3. Die zentralen Merkmale sieht Coleman in den Erfordernissen der Zusammenlegung von Ressourcen verschiedener natürlicher Akteure sowie der Schaffung von Regeln, anhand derer Entscheidungen über das Handeln von korporativen Akteuren getroffen werden. Vgl. Coleman (1974/1979), S. 25. 118 Homann/Suchanek (2000/2005), S. 288. 119 In der vereinfachten und erweiterten Zurechnung von Interaktionsfolgen auf Unternehmen ist ein Vorteil von korporativen Akteuren für Stakeholder zu sehen. Als weitere Vorteile von korporativen Akteuren für Stakeholder gelten die Senkung des Informationsbedarfes zum Eingehen von Interaktionen sowie die Ausweitung der Möglichkeit zur gesellschaftlichen Arbeits- und Verantwortungsteilung. Vgl. Waldkirch (2002), S. 173–174. 120 Vgl. Scharpf (2000), S. 97. 121 Vgl. z. B. Coleman (1974/1979), S. 2. Die grundlegenden korporativen Entscheidungen betreffen die Regelung des Einsatzes gepoolter Ressourcen sowie die Verteilung des Kooperationsertrags. Bei letzterer ist darauf zu achten, dass der Verteilungsmodus individuelle Anreize zur Partizipation an der Generierung des Kooperationsertrags schafft. Vgl. Vanberg (1982), S. 4. Eine ausführliche Diskussion dieser beiden Aspekte findet sich ebenda, S. 15–19.
33
ein gemeinsames Interesse nicht automatisch zum individuellen Anreiz führt, selbst zur Realisierung dieses Interesses, d. h. zur Leistungserstellung im Unternehmen, beizutragen. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Kooperationsertrag eines Unternehmens für die Organisationsmitglieder einen Kollektivgutcharakter besitzt.122 Mit der Unternehmensverfassung und der Schaffung positionsgebundener Rechte und Pflichten wird auch die Grundlage für ein von bestimmten Personen prinzipiell unabhängiges Handeln des korporativen Akteurs gelegt.123 Zwar handelt der korporative Akteur, wie bereits erwähnt, nicht selbst, sondern durch Organisationsmitglieder; diese handeln jedoch nicht im eigenen Namen, sondern als „Vertreter“ oder „Agenten“ im Namen der Organisation. Die mit einer Position verbundenen Aufgaben, Rechte und Verpflichtungen richten sich nach deren Funktion im Gesamtgefüge der Organisation und werden jeweils von dem die Position besetzenden Organisationsmitglied wahrgenommen. Da eine Position prinzipiell unabhängig vom jeweiligen Positionsinhaber bestehen kann, kann eine Organisation als Gefüge von Positionen unabhängig von den jeweiligen Organisationsmitgliedern dauerhaft existieren.124
2.3.2 Gesellschaftliche Kontrolle des Handelns von Unternehmen Nachdem die theoretischen Grundlagen des korporativen Akteurs vorgestellt wurden, soll nun auf dessen Beziehung zur Gesellschaft eingegangen werden. Hierzu wird zunächst die Bedeutung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Handelns von Unternehmen im Sinne einer „licence to operate“ erläutert (2.3.2.1); anschließend wird die Einbettung des Handelns von Unternehmen in die Rahmenordnung (2.3.2.2) diskutiert.
2.3.2.1 Licence to operate Die Gesellschaft gewährt Individuen die Freiheit zur Konstitution von Unternehmen unter der Voraussetzung, dass diese durch die Folgen ihres Handelns zur kollektiven Besserstellung aller beitragen. Diese Annahme ist grundlegend für die Beantwortung der Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz für das Handeln von Unternehmen. Um die Freiheit zur Konstituierung von Unternehmen zu begründen, ist also systematisch nach den Vorteilen zu suchen, die sich „für die Bürger einer Gesellschaft, wenn sie unter 122
Vgl. Vanberg (1982), S. 163 f. Vgl. Coleman (1974/1979), S. 26; Homann/Suchanek (2000/2005), S. 290 f. 124 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 291. 123
34
spezifischen Bedingungen den Bürgern die Freiheit gewährt, Organisationen zu gründen“125, ergeben. Dementsprechend kann das verfassungsmäßig geschützte Recht von Individuen, Unternehmen zu gründen, welchen die Freiheit eingeräumt wird, auf Wettbewerbsmärkten frei zu agieren, aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen rekonstruiert werden.126 „The raison d' être for productive organisations turns out to be its contribution to society […]. The principal, although not the sole, reason why members of a society should want to have productive organizations rather than a state of nature is the enhanced contribution made possible by productive organizations”.127 Da Individuen Unternehmen jedoch, wie anzunehmen ist, überwiegend zu Zwecken der Gewinnerzielung gründen, sind es die nichtintendierten Folgen ihres Handelns, welche gesellschaftliche Vorteile generieren und somit zur Voraussetzung für die Erteilung einer „licence to operate“ werden. Diese nichtintendierten Vorteile für unternehmensexterne Akteure können aufgrund ihrer Bedeutung für die Konzession von Unternehmen auch als „reasons of organizations“ bezeichnet werden.128 Die „licence to operate“ ist Ausdruck (eine Art „Stempel“) der sozialen Erwünschtheit von Unternehmen; sie stellt die gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimität des Handelns von Unternehmen sicher, obwohl bezüglich deren Gründung individuelle und gesellschaftliche Motive auseinanderfallen.129
Bei der gesellschaftlichen Legitimierung handelt es sich nicht um einen einmaligen Akt, sondern um einen stetigen Prozess der fortlaufenden Bestätigung bzw. deren Überprüfung. Dieser Gedanke findet sich bereits bei J. Pfeffer und G. Salancik (1978/2003): „Because organizations are only components of a larger social system and depend upon that system's support for their continued existence, organizational goals and activitites must be legitimate or of worth to that larger social system.”130 Handeln Unternehmen illegal oder unethisch oder unterdrücken sie Bemühungen, dieses Handeln offenzulegen, so gefährden sie bewusst oder unbewusst ihre gesellschaftliche Legitimation und damit ihre „licence to operate“. Die Existenz und das Handeln von Unternehmen unterliegen somit einer externen, gesellschaftlichen Kontrolle. „It is the fact of the organization's dependence on the
125
Waldkirch (2002), S. 165. Vgl. Dahl (1982), S. 197. 127 Donaldson (1989), S. 47 f. 128 Vgl. Waldkirch (2002), S. 169. 129 Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 135; Suchanek/Lin-Hi (2006), S. 3; Wieland (2002), S. 11. 130 Pfeffer/Salancik (1978/2003), S. 193. 126
35
environment that makes the external constraint and control of organizational behaviour both possible and almost inevitable.”131 Ausdruck dieser gesellschaftlichen Kontrolle ist die Einbettung des Handelns von Unternehmen in die Rahmenordnung.
2.3.2.2 Handeln von Unternehmen innerhalb der Rahmenordnung Die Rahmenordnung, eingebettet in und verknüpft mit anderen Institutionen wie etwa der Verfassung einer Gesellschaft, ist erforderlich, da die Motive von Individuen und Gesellschaft bezüglich der Konstituierung von Unternehmen, wie oben dargelegt, systematisch auseinanderfallen. In Anlehnung an K. Homann und F. Blome-Drees (1992) kann auch von der Entkoppelung individueller Motive und gesellschaftlich gewünschter Ergebnisse gesprochen werden132: Individuen gründen Unternehmen mit der Absicht, möglichst hohe Gewinne zu erzielen, während die Gesellschaft aus diesem individuellen Handeln Kooperationsgewinne für alle Akteure erwartet.133 Um trotz dieser Entkopplung individueller und gesellschaftlicher Motive ein gesellschaftlich wünschenswertes Ergebnis zu erhalten, werden für die Unternehmen verbindliche Regeln erlassen. Diese sollen das Verhalten der Unternehmen dergestalt lenken, dass als nicht-intendierte Folge individuellen Handelns gesellschaftlich erwünschte Ergebnisse erzielt werden. „[…] die Unabhängigkeit, die ‚Freiheit’, der Marktteilnehmer [ist, TB] in hohem Maße institutionell vorstrukturiert [Hervorhebung im Original, TB].“134 Die Summe dieser Regeln, welche einen Rahmen für das Handeln der Unternehmen aufspannen, wird dementsprechend als Rahmenordnung bezeichnet.135 Im Rahmen dieser Regeln sind die Unternehmen in ihrem Verhalten frei. Es ist also zwischen der Rahmenordnung an sich und den Handlungen innerhalb der Rahmenordnung zu unterscheiden. An die Sprache des Sports angelehnt, kann auch von „Spielregeln“ und „Spielzügen“ gesprochen werden.136
131
Pfeffer/Salancik (1978/2003), S. 43. Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 22. 133 Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 23. 134 Homann/Suchanek (2000/2005), S. 237. 135 Die Rahmenordnung gilt im Sinne universaler, für alle Akteure geltender Regeln natürlich auch für Individuen. Aufgrund der für die Gesellschaft deutlich größeren Bedeutung von Unternehmen als Anbieter von Waren und Dienstleistungen soll nachfolgend daher nicht mehr spezifisch auf Individuen als Subjekte der wirtschaftlichen Betätigung eingegangen werden. 136 Für eine Beschreibung dieses Vergleichs siehe Homann/Blome-Drees (1992), S. 25–29. 132
36
Zu den wesentlichen Eigenschaften dieser Regeln zählen deren universelle Geltung für alle Unternehmen, ihre sanktionsbewehrte Durchsetzung sowie eine gewisse zeitliche Stabilität. Ein Beispiel für die universelle Geltung sind die für Unternehmen relevanten zivilrechtlichen Normen im BGB. Zwar gibt es größen-, rechtsform- oder branchenspezifische Regeln, aber auch diese sind stets von allen Unternehmen einer bestimmten Größe oder Rechtsform bzw. innerhalb einer Branche zu beachten. Der Geltungsbereich von Regeln ist also anhand funktionaler Kriterien zu spezifizieren und darf nicht an sonstigen Merkmalen von Unternehmen, wie z. B. der Person des Eigentümers, festgemacht werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Gesellschaft lediglich die Regeln ändert, nach denen die Unternehmen ihr Verhalten ausrichten, nicht aber selbst versucht, das Verhalten einzelner korporativer Akteure gezielt zu steuern. Um ein regelkonformes Verhalten der korporativen Akteure zu gewährleisten, sind die Regeln sanktionsbewehrt. Die Sanktionierung von Regelverstößen übt einen Anreiz zum regelkonformen Verhalten aus. „Gewünschte Interaktionen werden durch Kontrolle und Erzwingung der Regeln erst möglich.“137 Zur Sanktionierung von Regelverstößen bedient sich die Gesellschaft verschiedener staatlicher Institutionen wie etwa der Polizei und der Gerichte. Diese bilden demnach eine Art Infrastruktur für die Durchsetzung der Rahmenordnung.138
Die Durchsetzung der Regeln, verbunden mit der Erwartung, dass diese in ihren wesentlichen Inhalten langfristig Bestand haben, macht ihre Auswirkungen für die Unternehmen kalkulierbar; sie gehen als Restriktionen in das Handeln der Unternehmen ein. Auf diese Weise schafft die Rahmenordnung Erwartungsstabilität unter Interaktionspartnern; dementsprechend ist sie Voraussetzung für das Eingehen von Interaktionen und die daraus resultierende
Generierung
von
Kooperationsgewinnen.139
Das
hierfür
förderlichste
institutionelle Arrangement, das durch die gezielte Ausgestaltung der Rahmenbedingungen geschaffen werden kann, ist der Wettbewerb. Der Druck auf verschiedene Anbieter einer Leistung um Nachfrager zwingt Unternehmen dazu, Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Konkurrenten anzustreben. Dies wiederum kommt den Nachfragern bzw. Verbrauchern in Form von Innovationen oder verbesserten und günstigeren Angeboten zugute. Prinzipiell 137
Homann/Blome-Drees (1992), S. 27. Um Regelverstöße innerhalb der Organisation zu verhindern, sind viele Unternehmen in letzter Zeit dazu übergegangen, auch interne Verhaltensregeln für Mitarbeiter zu erstellen. Auf diese unternehmensinternen Compliance-Bemühungen wird in Kapitel 5.2 eingegangen. 139 Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 22. 138
37
sollten sich alle Handlungen von Unternehmen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen innerhalb
des
von
der
Rahmenordnung
abgesteckten
Radius
bewegen.140
Der
Wettbewerbsdruck jedoch führt immer wieder dazu, dass Unternehmen versuchen, durch illegales
Verhalten,
etwa
durch
Verstöße
gegen
Umweltschutzgesetze
oder
Sicherheitsauflagen, Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten zu erlangen. Eine Aufdeckung solcher Verhaltensweisen durch Mitarbeiter würde tiefgreifende Schäden nach sich ziehen wie etwa Kosten für Geldstrafen, Demoralisierung der Mitarbeiter oder Beschädigung der Unternehmensreputation.141 Um diese zu verhindern, liegt es im vermeintlichen Interesse von wissentlich illegal handelnden Unternehmen, Whistleblowing zu unterdrücken. Welche Risiken mit einer solchen Unterdrückung von Whistleblowing im Unternehmen verbunden sind, wird in Kapitel 3.4 näher untersucht.
2.4 Interaktionen als Bezugsrahmen der Mikrofundierung Nachdem vorausgehend die theoretischen Grundlagen des Handelns von Akteuren sowie die Konzeption der Unternehmung als korporativer Akteur dargestellt wurden, soll nun der Bezugsrahmen für das Handeln der Akteure, die Interaktion, näher betrachtet werden. Bereits zu Beginn der Arbeit wurde hervorgehoben, dass Whistleblowing als Interaktionsprozess zwischen Unternehmen und Mitarbeitern aufzufassen ist. In einem Unternehmen befinden sich Management und Mitarbeiter oftmals in einer Situation der gegenseitigen Abhängigkeit. Ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten werden durch die Handlungen anderer Akteure beeinflusst. Auch die Interaktion zwischen Unternehmen und Gesellschaft ist für den Umgang von Unternehmen mit Whistleblowing von hoher Bedeutung. Durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen kann der Gesetzgeber den unternehmensinternen Umgang mit Whistleblowing maßgeblich beeinflussen. Interaktionen werden durch das gemeinsame Interesse an Kooperationsgewinnen konstituiert. Zwei oder mehrere Akteure versprechen sich von einer Interaktion, z. B. vom Austausch von Ressourcen, Vorteile, die sie auf sich allein gestellt nicht realisieren können. So können Unternehmen durch die gezielte Förderung von internem Whistleblowing u. U. massive wirtschaftliche Schäden abwenden. Gleichzeitig profitieren Mitarbeiter davon, dass auch jenes Fehlverhalten unterbunden wird, welches sie selbst schädigen kann. Durch 140 141
Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 24. Vgl. Miceli/Near (1994a), S. 65.
38
Kooperation wird beiden Akteuren die Möglichkeit zur Erhöhung ihres Nutzens eröffnet. Durch
die
Umsetzung
des
gemeinsamen
Interesses,
d. h.
die
Schaffung
von
Kooperationsgewinnen, kann eine allgemeine Besserstellung der beteiligten Akteure in Bezug auf den Status quo erreicht werden.142 Allerdings stehen der Realisierung des gemeinsamen Interesses in gesellschaftlichen Interaktionen oftmals Informations- und Anreizprobleme entgegen. Solche Situationen, die durch das simultane Auftreten gemeinsamer und konfligierender Interessen gekennzeichnet sind und bei denen Informations- und Anreizprobleme das Zustandekommen einer für die beteiligten Akteure vorteilhaften Interaktion unterbinden, werden als Dilemmastrukturen bezeichnet143; ihre bekannteste Illustration ist das Gefangenendilemma.144 Die Anreizsituation im Gefangenendilemma bedingt, dass individuell rationales Verhalten zum kollektiv schlechtesten Ergebnis führt.145 Die individuelle Nutzenmaximierung resultiert somit in einer „kollektiven Selbstschädigung“146. Die Gründe, aus denen es den Akteuren nicht gelingt, diese kollektive Selbstschädigung durch Kooperation zu überwinden, sind in den beiden folgenden strukturellen Bedingungen zu sehen. (1) Das Resultat kann von keinem der Akteure selbst bestimmt werden. Das Ergebnis für jeden Akteur wird unabhängig von seiner eigenen Wahl durch die des jeweils anderen Akteurs bestimmt. „Jede soziale Interaktion ist grundsätzlich durch wechselseitige Abhängigkeit der Handlungen, durch ‚strategische Interdependenz’ geprägt.“147 Es liegt also eine strategische „Interdependenz des Verhaltens“ vor.148 Ein im Vergleich zur zu erwartenden kollektiven Selbstschädigung pareto-superiores Ergebnis kann nur durch gemeinsames Handeln von allen Akteuren erzielt werden. (2) Des Weiteren können die Akteure ex ante keine wirksame bzw. glaubhafte Verhaltensbindung eingehen. Die Ursachen
142
„The rational approach to reform is therefore […] to follow Coase in looking for equilibria in this game that are Pareto-improvements on the equilibirum that a society currently operates.” Binmore (1998), S. 138. 143 Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 52. 144 Vgl. z. B. Luce/Raiffa (1957), S. 95 sowie für eine deutsche Übersetzung Holler/Illing (1991/2006), S. 2. 145 „[…] Prisoner's Dilemma is seen as an illustration of the divergence between individual and collective rationality.” Rapoport (1987/1998), S. 974. 146 Jöhr (1976) verwendet diesen Begriff um darzulegen, dass sich „ein Vorteil im subjektiven Sinne […] aufgrund des gleichen Verhaltens der übrigen beteiligten Subjekte als ein Nachteil“ entpuppen kann. Der verfolgte Vorteil wird zum vermeintlichen Vorteil und resultiert in einer Selbstschädigung. Da dies für alle Akteure gleichermaßen gilt, handelt es sich um eine „kollektive Selbstschädigung“. Vgl. (auch für Zitate) ebenda, S. 133. 147 Suchanek (2001/2007), S. 55. 148 Homann (2000/2002), S. 96.
39
hierfür liegen jedoch nicht in der Gesinnung der Akteure, sondern in den Bedingungen der Interaktionssituation. Diese beiden Faktoren strukturieren die Interaktion der beiden Akteure dergestalt vor, dass keine wirksame Kooperation zwischen ihnen zustande kommen kann. Jeder Akteur muss befürchten, dass sein Beitrag zur Realisierung eines gemeinsamen Interesses, also seine Wahl der Verhaltensweise „Kooperation“, vom jeweils anderen Akteur durch „Defektion“ ausgebeutet wird. Selbst wenn beide Akteure an einem „kooperativen“ Verhalten interessiert sind, können sie dies ihrem Gegenüber nicht glaubhaft signalisieren, da ein solches Handeln ihrem Eigeninteresse widerspricht. Es liegt also ein Informationsproblem vor.149 Die Antizipation der Interaktionspartner, vom jeweils anderen ausgebeutet zu werden, führt durch den symmetrischen Aufbau der Interaktion dazu, dass kein Individuum einen Beitrag zur Realisierung des gemeinsamen Interesses leistet. Es gelingt ihnen, bedingt durch die von der Struktur der Interaktion ausgehenden Anreize, nicht, das gemeinsame Ziel zu realisieren, da das hierzu erforderliche Verhalten nicht mit dem Eigeninteresse der Akteure vereinbar ist. Genau hierin liegt das Anreizproblem.150 So kann z. B. die unternehmensinterne Förderung von Whistleblowing misslingen, wenn Mitarbeiter – trotz anderslautender Bekanntmachungen der Unternehmensführung – internes Whistleblowing aus Angst vor Vergeltung unterlassen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Dilemmastrukturen es erlauben, die Ursachen für das Scheitern von Interaktionen systematisch in das Blickfeld der Analyse zu rücken. Das Scheitern liegt in der rationalen Reaktion der Akteure auf gegebene Informationsund Anreizstrukturen begründet. Darüber hinaus ermöglichen es Dilemmastrukturen, die von den einzelnen Akteuren nicht-intendierten Folgen ihres intentionalen Handelns zu analysieren.151 Dies ist gerade für die Analyse des Verhaltens von Unternehmen und Mitarbeitern im Umgang mit Whistleblowing von zentraler Bedeutung, da diese Probleme bei der Einrichtung von Whistleblowing-Systemen sowohl im Außenverhältnis als auch im Innenverhältnis des Unternehmens eintreten können. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, auf welche Art und Weise eine gelingende Kooperation zwischen Akteuren organisiert werden kann, obwohl „jedes
149
Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 57. Vgl. Pies (1993), S. 161; Suchanek (2001/2007), S. 57. 151 Vgl. Kirchgässner (1991/2000), S. 22. 150
40
Individuum einen Anreiz besitzt, sich eigennützig zu verhalten“.152 Dazu ist eine Überwindung oder Etablierung der Informations- und Anreizprobleme erforderlich, welche eine wirksame Verhaltensbindung der Akteure verhindern.153
2.5 Rolle von Institutionen in Interaktionssituationen Institutionen können als Antwort auf das Problem der Etablierung einer gesellschaftlichen Kooperation zum gegenseitigen Vorteil unter den Bedingungen von Dilemmastrukturen betrachtet werden. Zunächst wird auf ihre Funktionsweise eingegangen (2.5.1). Aufgrund der prinzipiellen Ungerichtet- und Offenheit der Zukunft können Institutionen nicht alle möglichen Kontingenzen des Handelns von Akteuren abdecken. Dementsprechend werden in Kapitel 2.5.2 die Chancen und Risiken dieser Unvollständigkeit bzw. Offenheit von Institutionen herausgearbeitet.
2.5.1 Funktionsweise von Institutionen Institutionen können als erwartungsbildende, positiv oder negativ anreizbewehrte, formelle und informelle Strukturen definiert werden.154 Ihre Aufgabe ist die Herstellung von Sicherheit bzw., in Anlehnung an D. North (1990/1992) weniger ambitioniert ausgedrückt, die Verringerung der Unsicherheit über das zu erwartende Verhalten von Interaktionspartnern.155 Hierzu greifen sie auf Regeln oder Systeme von Regeln zurück. Institutionen können entweder formell sein (z.B. Verfassung, Gesetze und Richtlinien) oder informell im Sinne von Sitten und Gebräuchen.156 Institutionen haben zunächst eine Informationsfunktion. Durch die Vorgabe von Regeln werden die Kosten für die Beschaffung von Informationen, welche für eine erfolgreiche Interaktion erforderlich sind, reduziert. Dadurch sollen die Grundlagen für eine gelingende Verständigung zwischen den Akteuren geschaffen werden.157 Um die Befolgung der Regeln 152
Axelrod (1984/2000), S. 3. Der Begriff „Eigennutz“ ist dabei analog zum Begriff „Eigeninteresse“ zu verstehen. Die Etablierung von Dilemmastrukturen ist z. B. zur Verhinderung von Kartellen oder Korruption gesellschaftlich erwünscht. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 75. 154 Vgl. Gerecke (1998), S. 178. 155 Vgl. North (1990/1992), S. 6; Picot et al. (1997/2005), S. 10; Popper (1957/1965), S. 53. 156 Beispiele für weitere Institutionen finden sich u. a. bei Homann/Suchanek (2000/2005), S. 101. 157 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 104; Scharpf (2000), S. 78–80. 153
41
sicherzustellen, müssen diese jedoch insbesondere vor dem Hintergrund der oben angesprochenen Interessenskonflikte anreizkompatibel ausgestaltet sein.158 Dies bedeutet, dass durch Belohnung oder Sanktion eine gewisse erwünschte Verhaltensweise der Akteure gewährleistet wird.159 Anderenfalls werden sich Akteure aus Angst vor Ausbeutung durch ihre Interaktionspartner nicht auf riskante Interaktionen einlassen. Durch ihre Informationsund Anreizfunktion ermöglichen es Institutionen, einen stabilen Rahmen für Interaktionen zu schaffen. So ist es z. B. für die Förderung von Whistleblowing von hoher Bedeutung, dauerhaft funktionierende, formelle und informelle Institutionen im Unternehmen einzurichten, die wirksam auf das Verhalten der Mitarbeiter in Hinsicht auf eine Offenlegung illegalen oder unethischen Verhaltens hinwirken. Damit Institutionen diese Aufgabe dauerhaft erfüllen können, müssen Regelverstöße geahndet werden. Dabei werden einem gegen diese Regeln verstoßenden Akteur Kosten auferlegt, wodurch sich der aus dem Regelverstoß gezogene Nettonutzen verringert. Verstöße verlieren somit an Attraktivität. Spieltheoretisch kann dieser Sachverhalt wie folgt ausgedrückt werden: Die erwünschte Verhaltensweise soll durch eine institutionell bedingte Änderung der Auszahlungsmatrix zur bevorzugten Strategie der Akteure werden. Der „dilemmatische Charakter der Interaktion“160 wird dadurch überwunden. So können z. B. durch den Gesetzgeber positive oder negative Anreize für Unternehmen gesetzt werden, die auf die Schaffung von Anreizkompatibilität zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen hinwirken. Grundvoraussetzung hierfür ist jedoch, dass solche Anreize von den Akteuren wahrgenommen und verstanden werden. Nur wahrgenommene und verstandene Anreize können von Akteuren in entsprechende Handlungen umgesetzt werden. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass bei den Akteuren eine grundsätzliche Akzeptanz für die Existenz einer Institution besteht. Diese Akzeptanz hat einen hohen Einfluss auf den aus der Institution resultierenden Nutzen sowie die mit ihr verbundenen Kosten. Findet eine Institution keine Akzeptanz, kann sie zum einen aufgrund unzureichender Wirkung der von ihr ausgehenden Anreize nur einen geringen Nutzen schaffen. Zum anderen können zu hohe Kosten für die Regeldurchsetzung dazu führen, dass der Nettonutzen der jeweiligen Institution negativ wird. Eine 158
dauerhafte
Etablierung
der
jeweiligen
Institution
ist
in
solchen
Fällen
„Die Aufstellung einer Regel allein ist – jedenfalls bei Vorliegen von Interessenskonflikten – noch nicht selbstdurchsetzend [Hervorhebung im Original, TB], vielmehr braucht jeder Adressat der Regel einen hinreichenden Anreiz, also eine handlungsbestimmende Erwartung seiner eigenen [Hervorhebung im Original, TB] Vorteile, um sie auch zu befolgen.“ Homann/Suchanek (2000/2005), S. 105 f. 159 „Institutionen definieren und limitieren den Wahlbereich des Einzelnen.“ North (1990/1992), S. 4. 160 Gerecke (1998), S. 179.
42
unwahrscheinlich.161 Im Kontext von Whistleblowing müssen Unternehmen und deren Mitglieder daher über die Vorteile interner Whistleblowing-Systeme aufgeklärt und eine Akzeptanz für deren Etablierung im Unternehmen geschaffen werden.
2.5.2 Offenheit von Institutionen Aus Effizienzgründen werden bei der Ausgestaltung von Institutionen niemals alle denkbaren Handlungskontingenzen und deren mögliche Folgen berücksichtigt; Institutionen können demnach als unvollständig bezeichnet werden. Aus welchen Gründen diese Unvollständigkeit konstitutiv für die Erfüllung der Aufgabe von Institutionen ist, soll nachfolgend dargelegt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Theorie unvollständiger Verträge.162 Diese basiert auf der Frage, weshalb nicht alle Verträge vollständig ausgestaltet sind. Eine solche vollständige Ausgestaltung eines Vertrages wird von O. Hart (1995) wie folgt beschrieben: „[…] it will be ‚comprehensive’ in the sense that it will specify all parties' obligations in all future states of the world, to the fullest extent possible.”163 Solche Verträge sind in der Realität jedoch nicht vorzufinden, wofür drei Gründe genannt werden können. (1) Erstens existiert aufgrund der „Offenheit der Zukunft“164 eine prinzipiell unendliche Anzahl von möglicherweise vertragsrelevanten Kontingenzen165, deren Vorhersage bzw. Erfassung unmöglich ist.166 (2) Zweitens verursacht die Formulierung eines Vertrages Kosten, die umso höher werden, je mehr Kontingenzen darin aufgenommen und entsprechende Konsequenzen für die Vertragsparteien festgelegt werden.167 Daher wird die Anzahl der in den Vertrag aufgenommenen
Regelungen
zu
möglichen
Kontingenzen
Vertragsformulierung unterliegt also einem ökonomischen Kalkül.
161
168
beschränkt.
Die
(3) Drittens können
Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 66 und S. 69. Siehe grundlegend zur Theorie der unvollständigen Verträge z. B. Hart (1983; 1995); Hart/Moore (1988; 1990; 1999); Rosen (1985). 163 Hart (1995), S. 22. 164 Suchanek/Waldkirch (1999), S. 2. 165 Kreps (1990/1995) definiert den Begriff der Kontingenz wie folgt: „An unforeseen contingency is a set of circumstances that ex ante the parties to the transaction had not considered.” Ebenda, S. 116. 166 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 108; Kreps (1990/1995), S. 116 f.; Williamson (1985/1990), S. 79. 167 Siehe auch Richter/Furubotn (1996/2003), S. 301 mit weiteren Literaturverweisen. 168 Vgl. Hart (1995), S. 24; Kreps (1990/1995), S. 116. Die Ursache für die Unvollständigkeit ist daher explizit nicht in der begrenzten Rationalität der Akteure zu suchen. Vgl. Erlei et al. (1999), S. 193. 162
43
manche Bestandteile des Vertrags nicht verifiziert und daher z. B. nicht vor Gericht bewiesen werden; diese Bestandteile sind daher nicht kontrahierfähig.169 Durch die Unvollständigkeit eines Vertrages werden für die Vertragspartner diskretionäre Handlungsspielräume geschaffen, die diese zu Lasten des jeweils anderen nutzen können. Aus diesem Grund werden unvollständige Verträge im Vergleich zu ihren vollständigen Äquivalenten als defizitär eingeschätzt.170 Doch in der Unvollständigkeit eines Vertrages liegen auch Chancen für die beteiligten Interaktionspartner. Gezielt offen gelassene Spielräume können von Akteuren in geregelter Form zum gegenseitigen Vorteil genutzt werden.171 So ist die Offenheit des Arbeitsvertrages der zentrale Vorteil der hierarchischen Koordination im Vergleich zum Marktmechanismus bei der Abwicklung komplexer Transaktionen. Aus diesem Grund soll nachfolgend nicht mehr von Unvollständigkeit sondern von Offenheit gesprochen werden. In Abhängigkeit von den situativen Anreizen können Institutionen Handlungsmöglichkeiten öffnen oder unterbinden, indem sie in kontrollierter Form entsprechende Handlungsspielräume eröffnen oder unterbinden.
Im Laufe der Zeit können es veränderte Umweltbedingungen erforderlich machen, Institutionen anzupassen oder u. U. neue Institutionen zu schaffen.172 Nur durch den Vollzug notwendiger Anpassungen können Institutionen somit einen dauerhaften Wert für die an Interaktionen beteiligten Akteure darstellen.173 Die Offenheit von Institutionen ist demnach konstitutiv für ihre Dauerhaftigkeit. Nach dem Abschluss der methodischen Vorüberlegungen soll in Kapitel 3 der Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing untersucht werden.
169
Vgl. Suchanek/Waldkirch (1999), S. 9; Williamson (1985/1990), S. 79. „Dies bedeutet, dass die zunächst abgeschlossenen Verträge Lücken aufweisen, deren sich alle Transaktionsparteien bewusst sind, die sie aber gleichzeitig nicht unmittelbar zu füllen befähigt sind.“ Erlei et al. (1999), S. 193. „[…] the contract will contain gaps and missing provisions.” Hart (1995), S. 23. „That incomplete contracts, without more, pose trading risks is obvious: the natural posture for each party is to bargain opportunistically when contractual ambiguities develop.” Williamson (1975), S. 91. 171 Vgl. Suchanek/Waldkirch (1999), S. 10. 172 Dabei kann unterstellt werden, dass informelle Institutionen aufgrund ihrer Funktionsweise einen deutlich längeren Anpassungszeitraum haben als formelle Institutionen. „Im Unterschied zu formgebundenen Regeln, die infolge von politischen oder gerichtlichen Entscheidungen über Nacht geändert werden können, sind formlose Beschränkungen, wie sie in Sitten und Gebräuchen, Überlieferungen und Gepflogenheiten verkörpert sind, durch eine vorsätzliche Politik viel weniger leicht zu beeinflussen.“ North (1990/1992), S. 7. In Anlehnung an Hayek kann daher auch von einem evolutionären Charakter informeller Institutionen gesprochen werden. 173 Vgl. Suchanek/Waldkirch (1999), S. 11. 170
44
3 Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing Gegenstand
des
dritten
Kapitels
ist
die
Untersuchung
des
Status
quo
des
unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing. Das Ziel ist es, die grundlegenden Bedingungen dieses Umgangs mittels eines institutionenökonomischen Ansatzes zu identifizieren und potenzielle Folgen der Unterdrückung von Whistleblowing in Unternehmen aufzuzeigen. Zunächst soll der institutionelle Auslöser für illegales oder unethisches Verhalten identifiziert werden, welches gegebenenfalls zu Whistleblowing führen kann. Ein solches Verhalten von Organisationsmitgliedern kann durch institutionelle Misfits174 bedingt sein, welche in der Governance-Struktur eines Unternehmens oder in den von dieser geprägten Abläufen verortet sind (3.1). Werden institutionelle Misfits, die im Unternehmen zu illegalem oder unethischem Verhalten führen, durch einen Mitarbeiter entdeckt, so muss dieser über den Umgang
mit
dieser
Information
entscheiden.
Dementsprechend
werden
die
den
Organisationsmitgliedern zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen bei der Entdeckung solchen Verhaltens vorgestellt. Anschließend stellt sich die Frage, auf welche Weise das Unternehmen auf die Kommunikation eines institutionellen Misfits durch einen Mitarbeiter reagieren kann. Whistleblowing ist demnach als ein Interaktionsprozess zwischen Mitarbeiter und Unternehmen aufzufassen (3.2). Bestimmt wird das Ergebnis einer solchen Interaktion durch die situativen Interessen der beiden Akteure sowie die der spezifischen Situation zugrundeliegenden Handlungsbedingungen. Diese wirken auf das Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure bezüglich ihres interdependenten Verhaltens ein. Oftmals entschließen sich Unternehmen zu formellen oder informellen Sanktionen gegenüber Organisationsmitgliedern, die das Auftreten von Fehlverhalten in der Organisation gegenüber internen oder externen Stellen kommuniziert haben. Der Grund für die Ausübung von Vergeltung soll anhand der Prinzipal-Agenten-Theorie erörtert werden (3.3). Aus der Vergeltung von Unternehmen gegenüber Whistleblowern entsteht in der Öffentlichkeit oft ein wahrgenommener Widerspruch zwischen Unternehmens- und gesellschaftlichen Interessen. Die Frage, weshalb eine solche Wahrnehmung für die Unternehmen langfristig stark negative Konsequenzen bezüglich der zukünftigen Bedingungen ihres Wirtschaftens haben kann, wird in Kapitel 3.4 behandelt.
45
3.1 Ausgestaltung der Governance-Struktur und das Auftreten von Whistleblowing Grundlegend für eine ökonomische Annäherung an das Thema Whistleblowing ist die Frage nach
dem
Auslöser
illegalen
oder
unethischen
Verhaltens.
Im
Rahmen
des
institutionenökonomischen Ansatzes, der in dieser Arbeit angewandt wird, wird die Ursache für dieses Verhalten in und von Organisationen in institutionellen Misfits gesehen. Diese sind in der Struktur von Unternehmen bzw. in der Ausgestaltung der von der Organisationsstruktur beeinflussten Prozesse zu finden. Dementsprechend werden zunächst die Aufgabe und die Ausgestaltung der Governance-Struktur von Unternehmen beleuchtet (3.1.1); im Anschluss wird das Auftreten von institutionellen Misfits betrachtet (3.1.2) und erläutert, weshalb diese zum Auslöser von Whistleblowing werden können (3.1.3).
3.1.1 Governance-Struktur von Unternehmen Unter dem Begriff „Governance-Struktur“ soll in Anlehnung an A. Söllner (2000) die Kombination von mehreren Institutionen verstanden werden, die auf die Koordination von Transaktionen175 abzielt. Die Governance-Struktur stellt einen Steuerungsmechanismus dar, der mittels einer spezifischen Kombination von Institutionen dazu beitragen soll, Transaktionen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Merkmale effizient durchzuführen.176 In Anlehnung an O. Williamson lassen sich grundsätzlich drei Arten von GovernanceStrukturen unterscheiden: Die Koordination einer Transaktion über Marktstrukturen („market governance“), über Strukturen des relationalen Austausches („hybrid governance“)177 oder über hierarchische Strukturen („hierarchy“).178 Welche Governance-Struktur für eine bestimmte Art von Transaktionen am vorteilhaftesten ist, hängt vom jeweiligen
174
Der Ausdruck „Misfit“ bedeutet im Englischen „schlecht sitzend“. Nachfolgend soll unter ihm eine Abweichung der tatsächlichen von der normativ gewünschten Governance-Struktur verstanden werden. Siehe Kapitel 3.1.2. 175 Korrekterweise sollte an dieser Stelle von Interaktionen gesprochen werden. Die Transaktion als Subkategorie der Interaktion bezieht sich lediglich auf den Austausch von Ressourcen zwischen zwei oder mehreren Akteuren. In Anlehnung an die gängige Diktion soll jedoch weiterhin der Begriff „Transaktion“ verwendet werden. 176 Vgl. Söllner (2000), S. 15 f. und S. 54. 177 Strukturen des relationalen Austausches können als langfristig angelegte Austauschbeziehungen betrachtet werden, in denen Leistung und Gegenleistung aufgrund des langfristigen Charakters der Beziehung ex ante meist nur unvollständig festgeschrieben werden. Vgl. Picot et al. (1997/2005), S. 17. 178 Vgl. Williamson (1996), S. 104 f.
46
Spezifikationsgrad der jeweiligen Transaktion ab.179 Je höher dieser ist, desto höher sind die Transaktionskosten einer Koordination über den Markt und desto attraktiver wird eine
Transaktionskosten
Koordination über hierarchische Strukturen.180
Abbildung 4: Transaktionskosten in Abhängigkeit vom Spezifikationsgrad der Transaktion; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Williamson (1996), S. 108.
Damit ergeben sich in Abhängigkeit von der Art der Transaktion verschiedene, jeweils optimale Governance-Strukturen, die sich in ihrer Anreizkompatibilität und in ihrem Potenzial zur Kontrolle der Abwicklung von Transaktionen unterscheiden.181 Dabei bietet der Markt die höchste Anreizkompatibilität zur gegenseitigen Besserstellung, während hierarchische Strukturen, d. h. Unternehmen, das höchste Maß an Kontrollfähigkeit aufweisen. Der relationale Austausch bietet beides in mittlerer Ausprägung.182 Im Fokus der nachfolgenden Betrachtung sollen die Governance-Strukturen von Unternehmen stehen. Nur diese sind für 179
Die Faktorspezifität („asset specificity”) wird von Williamson (1996) wie folgt definiert: „Asset specificity has reference to the degree to which an asset can be redeployed to alternative uses and by alternative users without sacrifice of productive value.” Ebenda, S. 59. 180 Weitere Merkmale, die Einfluss auf die Art der Abwicklung einer Transaktion haben, sind deren Unsicherheit und Häufigkeit. Williamson betont allerdings, dass der Faktorspezifität die höchste Bedeutung zukommt. Vgl. Williamson (1985/1990), S. 59; Williamson/Ouchi (1981), S. 352. 181 Vgl. Laux (1995), S. 7–10; Milgrom/Roberts (1990), S. 75; Söllner (2000) S. 96.
47
die Untersuchung des Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing relevant.
Die Abwicklung von Transaktionen über hierarchische Strukturen ist für all jene Transaktionsarten vorteilhaft, die sich durch einen hohen Grad an Spezifikation charakterisieren lassen. Erst bei Transaktionsarten mit einem hohen Spezifikationsgrad können die Vorteile der hierarchischen Koordination (wie etwa die hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, die eingeschränkte Ausbeutungsgefahr spezifischer Investitionen sowie die besseren Kontrollmöglichkeiten) die damit verbundenen Bürokratiekosten und den Verlust an Anreizkompatibilität kompensieren. Die unternehmensspezifische Ausgestaltung einer Governance-Struktur orientiert sich an der Unternehmensaufgabe.183 Dabei wird unterstellt, dass eine von der Unternehmensführung normativ angestrebte Governance-Struktur prinzipiell mit den Normen der Rahmenordnung übereinstimmt.184 Bei der Ausgestaltung der unternehmensinternen Governance-Struktur ist zu berücksichtigen, dass die dabei zum Einsatz kommenden Institutionen mit ihrer Informations- und Anreizwirkung ein mit den Organisationszielen konformes Verhalten der Organisationsmitglieder sicherstellen sollen.185 Die Governance-Struktur eines Unternehmens kann
in
die
drei
Schichten
Unternehmensverfassung,
Makroorganisation
und
Mikroorganisation unterteilt werden. (1) In der Unternehmensverfassung wird die Gesamtheit der langfristigen Regeln festgehalten, nach welchen sich das Handeln des Unternehmens richtet. In der Unternehmensverfassung werden daher, ergänzend zu gesetzlichen Regeln, explizit die Ziele der Organisation, die Verteilung der Leitungs- und Kontrollrechte sowie die Vermögens- und Gewinnansprüche
der
Eigentümer
geregelt.186
(2)
Innerhalb
der
von
der
Unternehmensverfassung festgelegten Gestaltungsspielräume legt die Makroorganisation eines Unternehmens die Aufgabenverteilung, die Zuordnung von Entscheidungs- und Weisungsrechten einzelner Positionen sowie die Ausgestaltung des Wertschöpfungsprozesses
182
Vgl. Söllner (2000), S. 96 und S. 103; Williamson (1996), S. 105. Vgl. Kosiol (1962), S. 41; Picot et al. (1997/2005), S. 225. 184 Eine per se auf kriminelles Verhalten von Organisationsmitgliedern ausgelegte Governance-Struktur soll also nicht betrachtet werden. 185 Vgl. Söllner (2000), S. 112. 186 Vgl. z. B. Coleman (1974/1979), S. 2; Hungenberg/Wulf (2004/2007), S. 72 f.; Picot et al. (1997/2005), S. 246. 183
48
fest.187 Anstelle von Makroorganisation kann somit auch von der Organisationsstruktur im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Die mit einer Position verbundenen Rechte und Pflichten richten sich dabei stets nach deren Funktion im Gesamtgefüge der Organisation; sie gelten dann jeweils für das Organisationsmitglied, welches die Position besetzt. (3) Die Mikroorganisation stellt durch die Ausgestaltung von Anreiz- und Kontrollmechanismen im Bereich der primären Wertschöpfung ein Verhalten der Organisationsmitglieder im Sinne der Unternehmensziele sicher.188 Nach der Beschreibung der Governance-Struktur von Unternehmen soll im nächsten Abschnitt dargelegt werden, aus welchen Gründen Fehler in deren Ausgestaltung, sogenannte institutionelle Misfits, den Auslöser für das Auftreten von Whistleblowing darstellen können.
3.1.2 Auftreten von institutionellen Misfits Um im Wettbewerb zu bestehen, sind Organisationen auf effiziente Governance-Strukturen angewiesen: „Es geht darum, Strukturen […] zu realisieren, die einen möglichst großen Beitrag zur Knappheitsbewältigung leisten, indem sie die Differenz zwischen den ausgeschöpften Produktivitätspotenzialen und den für den Tausch und die Abstimmung wieder verbrauchten Produktivitätsgewinnen maximieren.“189 Diese Definition ist insofern zu präzisieren, als dass aus Unternehmenssicht eher eine Optimierung190 der Kosten für eine Sequenz von Transaktionen als für eine einzelne Transaktion angestrebt wird. Die Effizienz einer Governance-Struktur wird also an deren Pareto-Superiorität im Vergleich zu alternativen Governance-Strukturen beurteilt. Als Kriterien für die Überlegenheit einer Governance-Struktur gelten der Grad der Ausschöpfung von Produktivitätspotenzialen sowie die Optimierung der dabei anfallenden Transaktionskosten im Zeitablauf.191 Das
187
Vgl. Picot et al. (1997/2005), S. 279. Vgl. Picot et al. (1997/2005), S. 322. 189 Picot et al. (1997/2005), S. 5. Diese Überlegung gilt sowohl für Vergleiche zwischen Koordinationsmechanismen als auch für einen Vergleich der unterschiedlichen Ausgestaltungsoptionen derselben. 190 Es ist anzumerken, dass Unternehmen zwar meist eine Minimierung der innerbetrieblichen Transaktionskosten anstreben. Teilweise werden Transaktionskosten jedoch auch gezielt erhöht, z. B. um nicht gewünschte Kooperationen zwischen Akteuren zu vermeiden, die etwa zu Interessenskonflikten führen könnten. Um dieser Ausdifferenzierung Rechnung zu tragen, soll von einer Optimierung der Transaktionskosten gesprochen werden. 191 Vgl. Milgrom/Roberts (1990), S. 5 f. und S. 235; Williamson (1985/1990), S. 25. 188
49
Vorhandensein einer effizienten unternehmensinternen Governance-Struktur kann somit als notwendige Bedingung für das Erreichen der Unternehmensziele betrachtet werden.192 Die Herbeiführung von als effizient erachteten Strukturen kann als eine ständig wiederkehrende Aufgabe der Unternehmensführung betrachtet werden. Grund hierfür sind die sich stets ändernden Umweltbedingungen. Deren dynamischer Charakter mit ihren auf das Unternehmen einwirkenden Kräften193 zwingt dieses dazu, seine Strukturen beständig an die Umweltveränderungen anzupassen. Bereits F. A. v. Hayek (1945) betont, dass sich ökonomische Probleme und damit die Notwendigkeit der Anpassung von Unternehmen stets aus der Veränderung der Umwelt ergeben.194 Informationen über diese Veränderungen werden an Unternehmen durch Preissignale herangetragen. Zwar sagen diese nichts über die Ursache einer Veränderung aus, sondern nur über deren Konsequenzen für die Verfügbarkeit einer Ressource. Dennoch weisen sie die Organisationen auf mögliche Anpassungsnotwendigkeiten hin. Rückschlüsse auf Umweltveränderungen können darüber hinaus aus geänderten Transaktionsmerkmalen gezogen werden; auch hieraus lässt sich potenzieller Anpassungsbedarf ableiten.195
Zu den zentralen Aufgaben der Unternehmensführung zählt es demnach, die GovernanceStruktur beständig auf Anpassungsbedarf zu überprüfen und unter Beachtung der empirischen Bedingungen Vorschläge für die Anpassung von Strukturen und Prozessen auszuarbeiten.196 „The survival of an organization depends upon the maintenance of an equilibrium of complex character in a continuously fluctuating environment […], which calls for readjustment of processes internal to the organization.”197 Diese Vorschläge werden, die Zustimmung der Eigentümer vorausgesetzt, zu normativen Vorgaben für die weiteren Entscheidungsträger im Unternehmen. Durch die Umsetzung dieser Vorgaben wird ein hoher „Fit“, d. h. ein hohes Ausmaß an Übereinstimmung zwischen der Governance-Struktur eines Unternehmens und den Umweltbedingungen geschaffen. Im Umkehrschluss liegt ein institutioneller Misfit vor, 192
Es wird erneut auf die Annahme hingewiesen, dass die normativ angestrebte Governance-Struktur sich in Übereinstimmung mit den Normen der Rahmenordnung befindet. M. Porter nennt hierfür die Rivalität unter den bestehenden Unternehmen, die Bedrohung durch neue Konkurrenten, die Verhandlungsstärke der Lieferanten, die Verhandlungsstärke der Abnehmer sowie die Bedrohung durch neue Produkte. Vgl. Porter (1985/1992), S. 23. 194 Vgl. Hayek (1945), S. 523 f. 195 Vgl. Söllner (2000), S. 100 mit weiteren Literaturverweisen. 196 Die Vorstellungen darüber, welche Struktur und welche Prozesse in einer spezifischen Situation effizient sind, unterscheiden sich allerdings zwischen den verschiedenen Mitgliedern einer Organisation. Vgl. Söllner (2000), S. 95. 197 Barnard (1938/1968), S. 6. 193
50
wenn die tatsächliche Governance-Struktur von der normativ gewünschten Struktur abweicht.198 Institutionelle Misfits können grundsätzlich auf allen institutionellen Ebenen eines Unternehmens, also in der Unternehmensverfassung ebenso wie in der Makro- und der Mikroorganisation,
auftreten.
Aufgrund
des
geringen
operativen
Einflusses
der
Unternehmensverfassung sind sie jedoch überwiegend in der Makro- und Mikroorganisation anzutreffen.199 In Kapitel 3.1.3 soll untersucht werden, wie solche institutionellen Misfits zum Auslöser für Whistleblowing werden können.
3.1.3 Institutionelle Misfits als Auslöser von Whistleblowing Strukturelle Anpassungen der Makro- und Mikroorganisation eines Unternehmens sind in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße meist mit erheblichen Kosten verbunden. So müssen u. a. Prozesse umgestellt, Kommunikationslinien geändert und Verträge von Kunden, Mitarbeitern und Lieferanten angepasst werden. In Anbetracht der für eine solche Anpassung notwendigen Zeit und der damit verbundenen Kosten auf der einen und des dynamischen Charakters der Unternehmensumwelt auf der anderen Seite kann davon ausgegangen werden, dass in Unternehmen stets eine gewisse Anzahl institutioneller Misfits existiert.200 Deren Entwicklung und Abbau können als kontinuierlich ablaufender Prozess aufgefasst werden. Dies spiegelt sich u. a. in der Vielzahl von Berichten der Wirtschaftspresse über Reorganisationsmaßnahmen in Unternehmen wider.
Bei den Auswirkungen institutioneller Misfits auf die Profitabilität von Unternehmen lassen sich zwei Arten von Fällen unterscheiden. (1) So können institutionelle Misfits die Profitabilität eines Unternehmens senken. Ihre Verortung in der Makroorganisation eines Unternehmens bedingt, dass die Organisation nicht optimal auf die Bedürfnisse ihrer Stakeholder reagieren kann. Das Ergebnis eines solchen
198
Vgl. Söllner (2000), S. 134. Aus diesem Grund soll auf institutionelle Misfits im Bereich der Unternehmensverfassung nachfolgend nicht eingegangen werden. 200 In einer empirischen Untersuchung der organisationsinternen und -externen Faktoren, die illegales Verhalten in US-amerikanischen Unternehmen bedingen, heben M. Baucus und J. Near (1991) u. a. die beiden Faktoren Unternehmensgröße und Umweltdynamik hervor. Ebenda, S. 26 f. Diese Faktoren beeinflussen maßgeblich das Entstehen von institutionellen Misfits: Je höher die Umweltdynamik und je größer das Unternehmen, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten eines institutionellen Misfits, da mit zunehmender Unternehmensgröße i. d. R. eine geringere Anpassungsgeschwindigkeit sowie gestiegene Anpassungskosten verbunden sind. 199
51
institutionellen Misfits ist, dass die Effizienz der Organisation sinkt und im Extremfall die Organisation in ihrem Bestand gefährdet ist.201 Am deutlichsten wird dieser Zusammenhang im Hinblick auf Kundenbedürfnisse. Institutionelle Misfits in der Mikroorganisation eines Unternehmens, z. B. in Form mangelhafter Anreiz- oder Kontrollmechanismen, können für Mitarbeiter die Möglichkeit mit sich bringen, auf Kosten des Unternehmens private Ziele zu verfolgen. Als Ergebnis der reduzierten Arbeitseffizienz der Mitarbeiter sowie der möglicherweise auftretenden Schäden durch die Verfolgung privater Ziele ist ein Absinken des Effizienzgrades zu erwarten. Auch in diesem Fall sind institutionelle Misfits für die Organisation von großem Nachteil. Meist treten die beschriebenen Auswirkungen als Konsequenz von Misfits ein, die der Unternehmensleitung nicht bekannt sind.202 (2) Institutionelle Misfits können auch dazu führen, dass sich die Profitabilität eines Unternehmens
erhöht.
Solche
institutionellen
Misfits,
die
Verstöße
gegen
die
Rahmenordnung bedingen, können durch die Organisation mit der Absicht der Erzielung höherer Gewinne bewusst in Kauf genommen werden. Das Auftreten von Fehlverhalten kann sowohl aufgrund der Ausgestaltung der Makroorganisation als auch der Mikroorganisation erfolgen. So können sich Unternehmen z. B. im Falle einer nicht mehr wettbewerbsfähigen Makrostruktur dazu entscheiden, Normen des Umwelt- oder Arbeitsrechtes nicht mehr zu befolgen, um so auf dem Markt bestehen zu können, ohne eigentlich erforderliche Veränderungen der Governance-Struktur durchzuführen.203 Auch können Anreizsysteme in einem Unternehmen derart ausgestaltet sein, dass z. B. korruptes Verhalten von Mitarbeitern gefördert wird und diese durch den Einsatz von Bestechungsgeldern Aufträge für das Unternehmen generieren. In diesen Fällen wird der institutionelle Misfit als für die Organisation – im Sinne eines Beitrags zur Erfüllung der Organisationsziele – förderlich wahrgenommen. Beobachten Mitarbeiter ein solches Verhalten ihrer Kollegen oder werden sie durch diese zu einem solchen Verhalten angehalten, stellt sich die Frage, wie sie mit diesen Informationen umgehen. Entscheiden sie sich für die Offenlegung gegenüber unternehmensinternen oder externen Institutionen, so ist ein solches Verhalten als Whistleblowing zu klassifizieren.204
201
So können z. B. unflexible Produktionsverfahren in einem Markt mit sich rasch ändernden Kundenbedürfnissen einen die Unternehmensexistenz ernsthaft gefährdenden institutionellen Misfit darstellen. 202 Vgl. Near/Miceli (1987), S. 352. 203 Vgl. Schmidt (2005), S. 149. 204 Vgl. King (1999), S. 316.
52
Somit können institutionelle Misfits durch das von ihnen ausgelöste illegale oder unethische Verhalten den Auslöser von Whistleblowing darstellen.205 Allerdings ist Whistleblowing oft nur das Ende eines Interaktionsprozesses zwischen Mitarbeiter und Unternehmen. Die den Akteuren in diesem Prozess zur Auswahl stehenden Verhaltensweisen sowie der Einfluss organisationsinterner Faktoren hierauf werden in Kapitel 3.2 dargestellt.
3.2 Whistleblowing als Ergebnis einer Interaktion zwischen Mitarbeiter und Unternehmen Wie erwähnt, kann der Informationsbesitz von Mitarbeitern über das Vorliegen eines institutionellen Misfits bzw. über das dadurch bedingte Fehlverhalten zu Whistleblowing führen. Dabei handelt es sich allerdings um einen ergebnisoffenen und nicht um einen determinierten Prozess. Den Mitarbeitern steht eine Auswahl an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie mit dem Besitz einer solchen Information weiter zu verfahren ist (3.2.1). Die Auswahl der jeweiligen Handlungsoption ist abhängig von einem Kosten-Nutzen-Kalkül, auf das die erwartete bzw. tatsächliche Reaktion der Organisation einen erheblichen Einfluss hat (3.2.2). Werden diese sich aufeinander beziehenden Verhaltensweisen in einen Kontext gesetzt, kann Whistleblowing als Interaktionsprozess zwischen Mitarbeiter und Unternehmen konzeptionalisiert werden (3.2.3).
3.2.1 Handlungsoptionen für Mitarbeiter Erlangt ein Mitarbeiter Kenntnis über illegale oder unethische Verhaltensweisen im Unternehmen, stellt sich für ihn die Frage, auf welche Art und Weise er mit diesen Informationen verfahren soll. Auf Basis der vorgestellten Methodik sollen für die Entscheidung eines Akteurs über sein Verhalten die dabei anfallenden Kosten und der für ihn resultierende Nutzen maßgeblich sein.206 „Whistleblowing is an individual decision. A corporate employee who discovers ongoing fraudulent conduct (either by accident or through
205 206
Vgl. Schwarb (1998), S. 8. Es sei allerdings angemerkt, dass institutionelle Misfits nicht unbedingt zu illegalem oder unethischem Verhalten führen müssen. Vgl. Schmidt (2005), S. 150. „[…] the whistleblower will want to consider his or her private interests before taking action.” OECD (2000), S. 13. Vgl. auch Mauerer (2006), S. 74.
53
deliberate search) must make an affirmative choice to blow the whistle. The variables guiding that decision are complex, but ultimately whistleblowing can be viewed from a cost-benefit perspective.”207 T. Dworkin und J. Near (1997) bezeichnen die Idee, die Verhaltensentscheidungen auf ein Kosten-Nutzen-Kalkül zu stützen, als ein „New Whistle-blowing Model“.208 Bei ihren Überlegungen stellen sie primär auf die Förderung von Whistleblowing durch die Bereitstellung finanzieller Anreize durch den Gesetzgeber ab. Zwar begehen sie durch diese kategoriale Beschränkung von Anreizen auf Geld aus Sicht dieser Arbeit einen methodischen Fehler, erzielen jedoch eine Überwindung des „traditionellen“ Modells des Whistleblowers, dessen Handeln ausschließlich von moralischen Überlegungen geprägt ist. „[…]‚traditional’ whistle-blowers […] have been blowing the whistle regardless of costs.”209 Zur Darstellung der Handlungsoptionen, die einem solchen „neuen“ Whistleblower bei der Beobachtung von Fehlverhalten zur Verfügung stehen, wird Bezug auf A. Hirschman (1970) genommen.210 In seinem Buch „Exit, Voice and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States“ beschäftigt Hirschman sich mit der Frage, welche Möglichkeiten sich
Mitarbeitern
und
Kunden
eines
Unternehmens
bieten,
dieses
nach
einem
„Leistungsabfall“ von innen heraus zu erneuern. Ein möglicher Grund für einen solchen Leistungsabfall kann, wie bereits erläutert, das Auftreten institutioneller Misfits sein. Erhält ein Mitarbeiter Kenntnis davon, schlägt Hirschman als mögliche aktive Reaktionen die Verhaltensweisen Abwanderung und Widerspruch vor. Mit diesen soll die Organisation auf den Leistungsverfall aufmerksam gemacht und zum Gegensteuern veranlasst werden.211 Eine weitere Organisationsmitgliedern stets zur Verfügung stehende passive Handlungsoption ist das Schweigen bzw. die Inaktivität. Hirschman bezeichnet dieses Verhalten als Loyalität.212 Nachfolgend soll es als Schweigen bezeichnet werden.
207
Rapp (2007), S. 111. Vgl. auch Dozier/Miceli (1985), S. 827. Dworkin/Near (1997), S. 8. 209 Dworkin/Near (1997), S. 8. 210 Analog dazu unterscheidet auch die OECD (2000) zwischen den Handlungsoptionen „to stay silent“, „to blow the whistle internally“ und „to blow the whistle outside“. Vgl. ebenda, S. 13. 211 Vgl. Farrell (1983), S. 597. 212 A. Söllner (2000) ergänzt die drei Verhaltensweisen der Abwanderung, des Widerspruchs und des Schweigens um zwei weitere: Schmutzige Hände und Opportunismus. Beim Verhalten der „Schmutzigen Hände“ handelt es sich um einen bewussten Verstoß gegen bestimmte interne Verhaltensregeln zum Wohle der Organisation, da deren Ziele in den Augen des Handelnden anderweitig nicht erreicht werden können. Opportunistisches Verhalten zeichnet sich dabei im Gegensatz zu den Schmutzigen Händen dadurch aus, dass nicht zum Wohle der Organisation gehandelt wird. Vgl. Söllner (2000), S. 149. 208
54
3.2.1.1 Schweigen Als Schweigen wird die Verhaltensweise eines Organisationsmitgliedes bezeichnet, auf das als unakzeptabel empfundene Verhalten bewusst nicht zu reagieren. Schweigen zeichnet sich dadurch aus, „dass manche von ihnen [Organisationsmitglieder, TB] einfach nicht abwandern und schweigend ihr Leid tragen in der zuversichtlichen Hoffnung, dass sich die Lage bald bessern wird.“213 A. Söllner beschreibt zwei Fälle, um dieses Verhalten auf Basis der oben getroffenen Annahme rationalen Verhaltens zu erklären. (1) Das Organisationsmitglied beurteilt das wahrgenommene Fehlverhalten als irrelevant. (2) Es hält eine individuelle Korrektur des Verhaltens nicht für möglich.214 In beiden Fällen wird zur Erklärung des Schweigens eines Organisationsmitglieds ein Kosten-Nutzen-Kalkül herangezogen. Im ersten Fall entstehen aus dem beobachteten Fehlverhalten für das Organisationsmitglied keine Kosten; eine Korrektur würde ihm entsprechend keinen Nutzen stiften. Im zweiten Fall werden trotz eines potenziellen Nutzens aus der Korrektur des Fehlverhaltens die Kosten als prohibitiv hoch angesehen. Beide Ansätze Söllners stellen somit Unterfälle des Normalfalls des Schweigens dar. In diesem betrachtet ein Organisationsmitglied die individuellen Kosten einer Korrektur des Fehlverhaltens im Vergleich zu dem für ihn entstehenden Nutzen als zu hoch.215
3.2.1.2 Widerspruch durch internes oder externes Whistleblowing „Voice“ wird in der ökonomischen Literatur meist mit „Widerspruch“ übersetzt und im Sinne einer „Interessenartikulation“ als Form des politischen Handelns aufgefasst.216 „Als Widerspruch gilt dabei jeder wie immer geartete Versuch, einen ungünstigen Zustand zu verändern, anstatt ihm auszuweichen, sei es durch individuelle oder kollektive Petition an die unmittelbar Verantwortlichen, durch Berufung an eine höhere Stelle in der Absicht, einen Führungswechsel zu erzwingen, oder durch verschiedene Arten von Aktionen und Protesten,
213
Hirschman (1970/1974), S. 32. Vgl. Söllner (2000), S. 175. 215 Dies ist für die überwiegende Mehrheit der Organisationsmitglieder anzunehmen. In einer Erhebung von Near et al. (2004) gaben 74 % der befragten Personen an, nach der Beobachtung von Fehlverhalten geschwiegen zu haben. Die meistgenannten Gründe für das Schweigen von Organisationsmitgliedern sind, dass eine Korrektur des Fehlverhaltens nicht möglich (43 %) sei, die Kommunikation des Fehlverhaltens zu risikoreich sei (17,7 %) und dass nichts gegen das Fehlverhalten unternommen würde (9,9 %). Ebenda, S. 227 und S. 234. 216 Vgl. Farrell (1983), S. 598. 214
55
einschließlich jener, die zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung dienen sollen.“
217
Die
Intensität und der Adressat des Widerspruchs sind nicht vorgegeben und können von einem Organisationsmitglied selbst bestimmt werden.218 Die Intensität des Widerspruchs soll im Betrachtungsrahmen dieser Arbeit auf nicht-gewaltsame Formen beschränkt bleiben.219 Adressaten des verbalen Widerspruchs können unternehmensinterne oder -externe Institutionen sein.220 L. Kolarska und H. Aldrich (1980) unterscheiden daher zwischen direktem und indirektem Widerspruch. Während sich direkter Widerspruch an Stellen innerhalb
eines
Unternehmens
wendet,
beabsichtigt 221
Aufmerksamkeit externer Adressaten zu wecken.
indirekter
Widerspruch,
die
Um die Klarheit bezüglich des jeweiligen
Adressaten zu erhöhen, wird nachfolgend von internem oder externem Widerspruch gesprochen. Interner Widerspruch findet meist in der Form seinen Ausdruck, dass Mitarbeiter ihre Beobachtungen dem Vorgesetzten, Vorstand, Aufsichtsrat, Compliance-Officer oder Ombudsmann melden, um diesem die Möglichkeit zu geben, das fragliche Verhalten im Unternehmen mittels geeigneter Maßnahmen zu unterbinden. Externer Widerspruch hingegen kann sich sowohl an staatliche Institutionen wie z. B. Strafverfolgungs- oder Steuerbehörden als auch an private Institutionen wie etwa die Presse oder Vereinigungen (z. B. Branchen- oder Verbraucherschutzverbände) wenden. Entsprechend der Definition von Whistleblowing in Kapitel 1.3 ist ein solches politisches Verhalten des Widerspruchs von Organisationsmitgliedern dann als internes oder externes Whistleblowing zu bezeichnen, wenn der Inhalt des Widerspruchs illegales oder unmoralisches Verhalten in Organisationen betrifft und der Adressat die Möglichkeit hat, die entsprechende Verhaltensweise zu unterbinden.222 Ziel ist es, durch die formelle oder informelle Macht der Institutionen direkten oder indirekten Einfluss auf das Verhalten des
217
Hirschman (1970/1974), S. 25. Vgl. Hirschman (1970/1974), S. 13. 219 „Denn er [Widerspruch, TB] kann über die ganze Skala vom leisen Murren bis zum gewaltsamen Protest abgestuft werden.“ Hirschman (1970/1974), S. 13. 220 Adressat der Offenlegung von Fehlverhalten darf beim internen Whistleblowing allerdings nicht der direkt Vorgesetzte sein, da es sich, wie beschrieben, beim Whistleblowing um eine Offenlegung von Fehlverhalten unter Umgehung des normalen Dienstweges handelt. 221 Vgl. Kolarska/Aldrich (1980), S. 44. 222 Vgl. Mesmer-Magnus/Viswesvaran (2005), S. 280; Near/Miceli (1985), S. 4; Schwarb (1998), S. 12. Eine Diskussion, ob interner Widerspruch tatsächlich Whistleblowing ist oder ob nur externer Widerspruch als Whistleblowing zu klassifizieren ist, findet sich mit umfangreichen weiteren Literaturhinweisen bei Near/Miceli (1987), S. 327 f. 218
56
Unternehmens im Sinne einer Beseitigung des institutionellen Misfits und des durch ihn verursachten Fehlverhaltens zu nehmen.223 Damit es zum Whistleblowing kommt, muss ein Organisationsmitglied erwarten, dass der für ihn resultierende Nutzen des Widerspruchs die für ihn anfallenden Kosten übersteigt und dass
der
Widerspruch
im
Vergleich 224
Handlungsmöglichkeit darstellt.
zu
den
anderen
Alternativen
die
beste
Welche Überlegungen dieses Kalkül beeinflussen, wird in
225
Abschnitt 3.2.2 kurz diskutiert.
3.2.1.3 Abwanderung Eine andere Möglichkeit, beim Vorliegen eines institutionellen Misfits Einfluss auf das Verhalten der Unternehmensleitung zu nehmen, ist die Abwanderung. Während A. Hirschman dieses Verhalten nur als kundenseitige Reaktion auf das Güterangebot eines Unternehmens untersucht hat226, lässt es sich prinzipiell auf sämtliche freiwillige Austauschbeziehungen zwischen zwei Akteuren übertragen. Dies gilt entsprechend auch für die freiwillige Mitgliedschaft in einer Organisation bzw. für das zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingegangene Arbeitsverhältnis. Die Wahrnehmung eines institutionellen Misfits kann bei einem Mitarbeiter dazu führen, dass dessen Nutzen aus der Mitgliedschaft sinkt. Die Existenz eines Misfits und die sich daraus ergebenden Folgen können somit vom einzelnen Organisationsmitglied als Erhöhung der Kosten der Organisationsmitgliedschaft interpretiert werden.
Als
Resultat
des
veränderten
Kosten-Nutzen-Kalküls
kann
sich
ein
Organisationsmitglied dafür entscheiden, seine Organisationsmitgliedschaft zu beenden. Die Abwanderung eines Mitarbeiters ist daher nicht mit Whistleblowing gleichzusetzen. Gleichwohl zieht externes Whistleblowing oft ein Verlassen des Unternehmens nach sich, das
223
Vgl. Rhode-Liebenau (2006), S. 5. „[…] it is safe to assume that each whistleblower, at some point, decides that some combination of factors favors blowing the whistle over silence.” Rapp (2007), S. 113. 225 In Kapitel 5 wird hierauf ausführlich eingegangen. 226 Ist ein Kunde mit den Produkten eines Unternehmens z. B. aus Preis- oder Qualitätsgründen nicht zufrieden, wird er unter der Voraussetzung, dass relevante Alternativen vorliegen, diese zukünftig nicht mehr erwerben oder weiterempfehlen. Tritt dieses Verhalten vielfach auf, sieht sich das Unternehmen daher mit einem Umsatzrückgang konfrontiert, so dass es zu Maßnahmen greifen muss, um die begangenen Fehler zu korrigieren. Auf diese Weise soll ein weiterer Umsatzverlust bzw. die Abwanderung weiterer Kunden verhindert werden. Anderenfalls führt die langfristige Umlenkung von Ressourcen durch den Marktmechanismus zu einem Ausscheiden des leistungsschwachen Anbieters. Vgl. Hirschman (1970/1974), S. 18 f. 224
57
sowohl freiwillig also auch unfreiwillig (also als Folge von informellen Sanktionen der Kollegen oder von arbeitsrechtlichen Schritten des Unternehmens) erfolgen kann.227
3.2.2 Unternehmensseitige Handlungsoptionen Hat sich ein Mitarbeiter für die Option des Widerspruchs entschieden und wird die Unternehmensleitung von einem ihrer Mitarbeiter mit dem Vorwurf illegalen oder unethischen Verhaltens innerhalb der Organisation konfrontiert, muss sie entscheiden, auf welche Art und Weise sie darauf reagiert. Prinzipiell kann sie sich, sofern die Informationen zutreffend sind, dafür entscheiden, das Verhalten abzustellen (d. h. den institutionellen Misfit, der zu diesem Verhalten geführt hat, zu beseitigen) oder es fortbestehen lassen. Des Weiteren muss sie darüber entscheiden, ob sie den Whistleblower belohnen oder Vergeltung an ihm ausüben möchte.228 Die direkte Reaktion der Unternehmensleitung umfasst demnach zwei Dimensionen: Wie reagiert sie in Bezug auf den institutionellen Misfit (also auf der Sachebene, 3.2.2.1) und wie reagiert sie in der Beziehung zum Mitarbeiter (also auf der Personenebene, 3.2.2.2)?229 Indirekt kann die Unternehmensführung auch durch die Gestaltung unternehmensinterner Institutionen ex ante Einfluss auf die Entscheidung des Mitarbeiters zum Umgang mit Informationen über Fehlverhalten in der Organisation nehmen (3.2.2.3).
3.2.2.1 Beseitigung oder Fortbestand des institutionellen Misfits Ausgehend von den Annahmen, dass ein institutioneller Misfit das von einem Whistleblower kritisierte
Verhalten
herbeiführt
und
dass
dem
Entscheidungsverhalten
der
Organisationsführung ein Kosten-Nutzen-Kalkül zugrunde gelegt wird, ist es für das Handeln bzw. Nichthandeln der Organisation von entscheidender Bedeutung, ob der institutionelle Misfit die Organisationsziele fördert oder ihnen abträglich ist. Die Rolle des institutionellen 227
In der Literatur zu Whistleblowing hat sich noch keine eindeutige Zuordnung von internem und externem Whistleblowing zu den Begriffen „Widerspruch“ und „Abwanderung“ durchgesetzt. Während Leisinger (2003) internes und externes Whistleblowing als eine Form des Widerspruchs sieht (ebenda, S. 22), ordnet Rhode-Liebenau (2006) sämtliche Formen des Whistleblowings als Abwanderung ein. „Whistleblowing is the step out (‚exit’) of the regular intra-organisational reporting cycle (Phase I), out of the range of dissent (‚voice’) permitted in the workplace (Phase II).” Ebenda, S. 4. 228 Vgl. Mesmer-Magnus/Viswesvaran (2005), S. 281. 229 „[…] Organizations confronted by whistle-blowers must reach two critical decisions: whether to terminate the alleged wrongdoing and whether to retaliate against the whistleblower.” Near/Miceli (1987), S. 352. Vgl. auch Hersh (2002), S. 251.
58
Misfits übt somit maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl der nutzenmaximierenden unternehmensseitigen Handlungsoption aus. Ist das Bestehen des institutionellen Misfits für die Organisation von Nachteil und übersteigen die Vorteile von dessen Beseitigung die Kosten für den damit verbundenen Veränderungsprozess, wird sich die Unternehmensführung nach Erhalt der Informationen umgehend dazu entschließen, den Misfit schnellstmöglich zu beseitigen. Zu dieser Kategorie institutioneller Misfits zählen z. B. nicht funktionierende Kontrollmechanismen, die in der Unterschlagung finanzieller Ressourcen des Unternehmens resultieren; in solchen Fällen ist ein unverzügliches Handeln der Organisation anzunehmen.230 Im umgekehrten Fall, bei welchem der Nutzen aus einer Beseitigung geringer ist als die dadurch entstehenden Veränderungskosten, bleibt der Status quo erhalten und es wird keine Veränderung der Governance-Struktur des Unternehmens vorgenommen. Anders verhält es sich, wenn der institutionelle Misfit zur Erreichung der Organisationsziele förderlich ist. Aufgrund der durch den institutionellen Misfit generierten Vorteile ist anzunehmen, dass die Unternehmensführung nicht erwägt, das aus Sicht des Mitarbeiters kritikwürdige Verhalten abzustellen. Insbesondere in Fällen, in denen die Existenz des Unternehmens vom Fortbestehen des Fehlverhaltens abhängt, ist von einem Ignorieren der Hinweise seitens der Unternehmensführung und einem Fortbestand des institutionellen Misfits auszugehen.231
3.2.2.2. Belohnung oder Vergeltung gegenüber dem Mitarbeiter Nach der Entscheidung über Umgang mit dem institutionellen Misfit stellt sich die Frage, wie das Unternehmen in der Beziehung zum Mitarbeiter auf dessen Kommunikation des Misfits reagieren möchte. Die dabei zur Verfügung stehenden Verhaltensoptionen bewegen sich zwischen den Polen „Belohnung“ und „Vergeltung“.232 Wird unterstellt, dass die Unternehmensleitung rational agiert, ist davon auszugehen, dass sie in Abhängigkeit von den
230
In der Praxis finden sich allerdings immer wieder Fälle, in welchen zum vermeintlichen Schutz der Unternehmensreputation ein Vertuschen von Fehlverhalten präferiert und dieses daher nicht umgehend unterbunden wird. Vgl. PWC (2007), S. 51. 231 „Organizational wrongdoing often occurs because organizations and their managers perceive threats to their survival. Top executives of small firms, or of firms experiencing financial difficulties, may engage in wrongdoing because they know of no other way to keep the firms afloat.” Near (1989), S. 2. Vgl. auch Baucus (1989), S. 99 f.; Mesmer-Magnus/Viswesvaran (2005), S. 281. 232 Vgl. Dilger (2002), S. 69.
59
aus dem institutionellen Misfit gezogenen Vor- oder Nachteilen den Whistleblower belohnt oder sanktioniert. Die Belohnung des Whistleblowers ist vor allem dann zu erwarten, wenn der Organisation durch das kritisierte Verhalten massiver Schaden entsteht oder entstehen könnte. Des Weiteren ist in solchen Fällen zu erwarten, dass das Fehlverhalten der Unternehmensführung vormals nicht bekannt war. Die Belohnung kann sowohl materieller als auch immaterieller Natur sein. Allerdings weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass die finanzielle Belohnung von Whistleblowing innerhalb einer Organisation sehr kritisch betrachtet wird. „Such a system can nourish a climate of suspicion, hostility and defensiveness, which can result in a loss of group identity, loyalty and morale, with a consequent loss of efficiency.”233 Die Entscheidung für die Vergeltung gegenüber einem Whistleblower ist auf Basis eines strikten Kosten-Nutzen-Kalküls insbesondere dann zu erwarten, wenn die Organisation aus dem Fortbestehen des Fehlverhaltens einen sehr hohen Nutzen zieht oder sogar davon abhängig ist. Whistleblowing kann in solchen Fällen von der Unternehmensführung als Bedrohung für den Fortbestand der Organisation wahrgenommen werden. Der Grad der Abhängigkeit vom Fortbestehen dieses Fehlverhaltens kann dann als Indikator für die Wahrscheinlichkeit und Intensität der Vergeltung gesehen werden.234 Ein weiterer Grund für Vergeltung kann auch darin bestehen, dass die Fortsetzung des illegalen oder unethischen Verhaltens
zum
Vorteil
des
Unternehmens
aufgrund
einer 235
Aufdeckungswahrscheinlichkeit und/oder geringer Strafen attraktiv ist.
niedrigen
Ein geringeres Maß
an Vergeltung ist dann anzunehmen, wenn der Whistleblower aufgrund seiner Position und seiner Leistung für den wirtschaftlichen Erforg der Organisation von hoher Bedeutung ist.236 In solchen Fällen wird die Organisation nicht das Risiko eingehen, den Whistleblower durch umfassende Vergeltung zur Kündigung zu veranlassen. Als Motiv für die Vergeltung kann unterstellt werden, dass die Organisation dadurch eine weitere Kommunikation des illegalen oder unmoralischen Verhaltens an andere Stellen im
233
Dworkin/Near (1997), S. 10. Vgl. auch Miethe (1999), S. 70 f. „In particular, the more serious the fraud, the more likely the whistleblower is to find herself [sic] out of a job and socially ostracized.” Rapp (2007), S. 119. Vgl. auch Near/Miceli (1985), S. 12 und Miceli/Near (1994b), S. 777 und S. 788 f. 235 „[…] it may be efficient for corporations not to monitor effectively because the law may under-enforce certain regulations – either because there is imperfect monitoring or because penalities are set too low, or both – thus encouraging certain wrongdoing that is profitable.” Moberly (2006), S. 1161. 236 Vgl. Miceli et al. (2008), S. 103 und Pfeffer/Salancik (1978/2003), S. 46 f. Für den Fall, dass diese Attribute auf eine Person zutreffen, welche das Fehlverhalten ausübt, ist von einem hohen Maß an Vergeltung gegenüber dem Whistleblower auszugehen. Vgl. Miceli et al. (2008), S. 104. 234
60
Unternehmen oder an unternehmensexterne Institutionen verhindern möchte. Die formelle oder informelle Vergeltung dient daher der Einschüchterung und Abschreckung des Whistleblowers vor einer erneuten Preisgabe seiner Informationen. Als Nebeneffekt wird somit vorab Einfluss auf das Verhalten potenzieller zukünftiger Whistleblower genommen, welche die Vergeltung beobachten und in ihr eigenes Kosten-Nutzen-Kalkül einbeziehen werden, wenn sie selbst vor einer vergleichbaren Entscheidung stehen.237
Die Vergeltung gegenüber dem Whistleblower kann, wie bereits erwähnt, formelle und informelle Formen annehmen.238 Zu den formellen Sanktionen zählen u. a. Entlassung, Versetzung, schlechte Bewertungen, Ausschluss von Besprechungen sowie eine starke Überwachung der Arbeit. Zu den informellen Sanktionen zählen u. a. Mobbing, soziale Ausgrenzung sowie Diffamierung bei potenziellen zukünftigen Arbeitgebern.239 Während formelle Sanktionen ihren Ursprung meist in der Unternehmensführung haben, werden informelle Sanktionen i. d. R. von den Arbeitskollegen oder direkten Vorgesetzten veranlasst, welche das Whistleblowing eines Kollegen oder unterstellten Mitarbeiters als einen Verstoß gegen die Gruppenloyalität bzw. ihre Autorität betrachten.240 Neben den geschilderten Handlungsoptionen hat das Management auch die Möglichkeit, über die Gestaltung formeller und informeller Institutionen Einfluss auf das Verhalten potenzieller Whistleblower zu nehmen.
3.2.2.3 Einflussnahme über die Gestaltung unternehmensinterner Institutionen Eine Vielzahl von Publikationen zum Thema Whistleblowing beschäftigt sich mit dem Einfluss personeller Faktoren auf die Wahrscheinlichkeit dessen Auftretens.241 Auf diese Faktoren, zu denen u. a. demographische Größen (z. B. Alter, Geschlecht, Bildung), persönliche Faktoren (z. B. Selbstbewusstsein und moralische Einstellungen) sowie berufliche Faktoren (z. B. Leistung, Einsatz, Bezahlung, Verbundenheit mit dem Unternehmen, Zufriedenheit am Arbeitsplatz) zählen242, kann eine Organisation allerdings nur schwer 237
Vgl. Dozier/Miceli (1985), S. 824; Near (1989), S. 4; Parmerlee et al. (1982), S. 19; Weinstein (1979), S. 112. Vgl. Miethe (1999), S. 73–79. 239 Für eine detaillierte Übersicht zu Vergeltungsmaßnahmen siehe beispielhaft Miethe (1999), S. 75 sowie Rapp (2007), S. 119–125. 240 Vgl. Weinstein (1979), S. 108 f. 241 Siehe Near/Miceli (1996) mit weiteren umfangreichen Literaturverweisen. 242 Vgl. Near/Miceli (1996), S. 512; Sims/Keenan (1998), S. 412–414. 238
61
Einfluss nehmen.
243
Auch Faktoren, die im direkten Zusammenhang mit dem Fehlverhalten
stehen, wie dessen Art, die Qualität der Beweise oder der soziale Status des Handelnden im Unternehmen kann sie nicht beeinflussen.244 Beide Arten von Faktoren sollen daher nicht weiter betrachtet werden.
Unmittelbar in den Einflussbereich der Organisation fallen jedoch formelle und informelle Institutionen innerhalb des Unternehmens. Sie unterliegen der Gestaltung durch die Unternehmensführung. Zu den für die Beeinflussung der Mitarbeiter im Umgang mit Whistleblowing relevanten formellen Institutionen gehören Verhaltens- oder Ethikrichtlinien, auch „Codes of Conduct“ genannt, während zu den informellen Institutionen die Unternehmenskultur, die Integrität des Managements sowie dessen Einstellung zu Whistleblowing gezählt werden können.245 Verfügt eine Unternehmung über Verhaltens- oder Ethikrichtlinien, so ist dies in den meisten Fällen als ein klares Signal an die Beschäftigten zu interpretieren, dass von ihnen ein Verhalten erwartet wird, das den darin manifestierten Ansprüchen genügt.246 Auch die Unternehmenskultur hat einen signifikanten Einfluss auf die Bereitschaft der Organisationsmitglieder zum Whistleblowing. Dabei spielt die Offenheit der Kommunikation zwischen den Beteiligten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dies betrifft auch die seitens der Mitarbeiter wahrgenommene Integrität des Managements sowie dessen Einstellung zu Whistleblowing. Das wahrgenommene bzw. antizipierte Verhalten der Vorgesetzten kann das Kosten-Nutzen-Kalkül eines potenziellen Whistleblowers maßgeblich beeinflussen, indem z. B. der Vorgesetzte signalisiert, dass ein entsprechendes Verhalten nicht sanktioniert
wird.
Welche
Möglichkeiten
Unternehmen
zur
Förderung
internen
Whistleblowings durch die Gestaltung unternehmensinterner Institutionen haben, wird ausführlich in Kapitel 5.2 und 5.3 untersucht.
243
Des Weiteren legen Near/Miceli (1992) dar, dass keine signifikanten Ergebnisse gewonnen werden konnten, welche Charaktermerkmale bzw. -eigenschaften einer Person einen Rückschluss auf die Entscheidung zum Whistleblowing zulassen, nachdem von dieser Person Fehlverhalten in der Organisation beobachtet wurde. Vgl. ebenda, S. 49. 244 Vgl. Near/Miceli (1996), S. 514. 245 Vgl. Berry (2004), S. 2; Keenan (2002), S. 20–21. 246 Vgl. Sims/Keenan (1998), S. 412.
62
3.2.3 Whistleblowing als Interaktionsprozess Nachdem in Kapitel 3.2.1 und 3.2.2 die Handlungs- bzw. Reaktionsmöglichkeiten von Mitarbeitern und Management auf die Entdeckung von illegalem oder unethischem Verhalten im Unternehmen und dessen Kommunikation dargestellt wurden, liegt es nahe, diese Verhaltensweisen als interdependent zu betrachten und zu einem Prozess zusammenzufügen. Whistleblowing ist somit nicht als isolierter Akt aufzufassen, sondern als das Ergebnis einer Sequenz von Handlungen, in die Mitarbeiter und Unternehmensführung involviert sind.247 Insbesondere M. Miceli und J. Near betonen den Prozesscharakter von Whistleblowing.248 Sie unterteilen seinen Ablauf in vier Phasen. In Anlehnung an sie wird der Prozess des Whistleblowings in gebotener Kürze dargestellt.249 In Phase 1 wird fragwürdiges Verhalten, das illegales oder unmoralisches Handeln in der Organisation vermuten lässt, durch ein Organisationsmitglied beobachtet. Dieses Ereignis hat, wie beschrieben, einen den Prozess auslösenden Charakter.250 Anschließend beurteilt das Organisationsmitglied, ob das von ihm beobachtete Verhalten gegen rechtliche Normen oder gesellschaftliche Erwartungen an das Unternehmen verstößt; es muss nun überlegen, ob es hinsichtlich der fraglichen Verhaltensweise weitere Schritte unternehmen soll. Die Entscheidung hierüber, die Auswahl der zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen und der mögliche interne oder externe Adressat der Information werden auf Basis eines KostenNutzen-Kalküls bestimmt. Hierfür sind die antizipierte Reaktion des Unternehmens auf die Kommunikation des Fehlverhaltens sowie die Reaktion auf das Fehlverhalten selbst von entscheidender Bedeutung. Entschließt sich das Organisationsmitglied zum Handeln, wird das beobachtete Verhalten an eine oder mehrere Personen oder Institutionen im Unternehmen berichtet. Entscheidet es sich zum Schweigen, bricht der Prozess an dieser Stelle ab. In den folgenden Phasen wird von der Organisation entschieden, wie sie mit den an sie herangetragenen Informationen verfährt (Phase 2) und welche Verhaltensweise gegenüber dem Whistleblower zu wählen ist (Phase 3). Die Beschwerde kann ignoriert werden, ebenso können Untersuchungen zum Sachverhalt angestellt und anschließend entschieden werden, welche Maßnahmen bezüglich des kritisierten Verhaltens bzw. des dafür verantwortlichen
247
Vgl. Near/Miceli (1987), S. 323. Vgl. Miceli/Near (1992), S. 51–89; Near/Miceli (1987), S. 323–356. 249 Vgl. Near/Miceli (1987), S. 331–356. Alternative Konzeptionen finden sich u. a. bei Hooks et al. (1994), S. 89–92; Löhr (2001), S. 152–170. 250 Near/Micelli (1992) sprechen hier von einem „triggering event“. Vgl. Hooks et al. (1994), S. 89; King (1999), S. 316; Miceli/Near (1992), S. 58. 248
63
institutionellen Misfits zu treffen sind. In einem weiteren Schritt ist dann zu entscheiden, ob der Whistleblower für die Kommunikation des ihm bekannt gewordenen Fehlverhaltens belohnt oder ob an ihm Vergeltung geübt werden soll. In Phase 4 reagiert der Whistleblower auf die vorherigen Handlungen der Organisation. Dies betrifft sowohl die sachliche Reaktion der Organisation auf das Fehlverhalten als auch die persönliche Reaktion gegenüber ihm selbst. Schätzt der Mitarbeiter die von der Unternehmensführung getroffenen Maßnahmen als unzureichend ein oder wurde an ihm Vergeltung ausgeübt, kann er die Firma verlassen oder sich mit seiner Beschwerde (nach erneuter Anstellung der Überlegungen aus Phase 1) in Phase 2 an eine externe Instanz wenden. In diesem Fall würden die Phasen 3 und 4 erneut durchlaufen. Ist die Reaktion des Beschwerdeadressaten bzw. das Ergebnis dessen Handelns für den Whistleblower befriedigend, endet der Prozess hier. Grafisch lässt sich der beschriebene Verlauf wie folgt darstellen.
64
Erneute Entscheidungsfindung und anschließende Meldung des Fehlverhaltens an externen Adressaten
Beendigung des Prozesses
Abbildung 5: Whistleblowing-Prozess; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Near/Miceli (1987), S. 331.
In der Praxis zeigt sich, dass Whistleblower oft auch in jenen Fällen sanktioniert werden, in denen das kritisierte Verhalten für die Organisation von Nachteil ist.251 Entscheidend hierfür ist, dass Unternehmensleitung und Kollegen Whistleblowing als eine Verletzung der Loyalität gegenüber dem Unternehmen wahrnehmen. Die Gründe hierfür werden nachfolgend auf Basis des Prinzipal-Agenten-Ansatzes näher untersucht.
251
Vgl. Weinstein (1979), S. 109.
65
3.3 Whistleblowing als Verletzung der Prinzipal-Agenten-Beziehung Wie in Kapitel 3.2 erwähnt, sind Whistleblower einer hohen Gefahr der Vergeltung durch die Organisation ausgesetzt. Der Grund hierfür kann in dem vorgestellten Kosten-Nutzen-Kalkül der Organisationsführung gesehen werden. Vergeltung gegenüber Whistleblowern findet, wie erwähnt, oft auch dann statt, wenn diese die Organisation schädigende Verhaltensweisen aufdecken. Die Frage nach den Gründen hierfür soll anhand der Prinzipal-Agenten-Theorie analysiert werden. Hierzu werden zunächst die theoretischen Grundlagen der PrinzipalAgenten-Theorie vorgestellt und das Arbeitsverhältnis als Prinzipal-Agenten-Beziehung rekonstruiert (3.3.1). Anschließend wird untersucht, weshalb Whistleblowing als Verstoß gegen die aus dieser Beziehung resultierenden Loyalitätserwartungen aufgefasst werden kann (3.3.2).
3.3.1 Arbeitsverhältnis als Prinzipal-Agenten-Beziehung Gegenstand der Prinzipal-Agenten-Theorie ist die Untersuchung von Leistungsbeziehungen, denen ein Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis zugrunde liegt.252 Dabei ist der Prinzipal der Auftraggeber für Leistungen, welche durch den Agenten, den Auftragnehmer, erbracht werden.253 „Von einer Prinzipal-Agenten-Beziehung kann dementsprechend immer dann gesprochen werden, wenn eine Person im Auftrag einer anderen tätig ist.“254 In Unternehmen finden sich Prinzipal-Agenten-Beziehungen in verschiedener Ausprägung. So kann das Verhältnis zwischen Kapitaleignern und Geschäftsführung ebenso als PrinzipalAgenten-Beziehung charakterisiert werden wie das zwischen der Geschäftsführung als Arbeitgeber und den Arbeitnehmern.255 Dies lässt erkennen, dass die Rollenaufteilung in Prinzipal und Agent situationsspezifisch ist und derselbe Akteur in unterschiedlichen Situationen als Agent oder Prinzipal auftreten kann. Unternehmen werden dementsprechend oft als Geflecht ineinander verschränkter Prinzipal-Agenten-Beziehungen betrachtet.256
252
Siehe grundlegend hierzu: Jensen/Meckling (1976). Vgl. Hungenberg/Wulf (2004/2007), S. 84; Pratt/Zeckhauser (1985), S. 2. 254 Meyer (2004), S. 64. 255 Weitere Beispiele für Prinzipal-Agenten-Beziehungen sind die Verhältnisse zwischen Arzt (Agent) und Patient (Prinzipal), Unternehmensberater (Agent) und Unternehmen (Prinzipal), Rechtsanwalt (Agent) und Mandant (Prinzipal) oder Schuldner (Agent) und Gläubiger (Prinzipal). Vgl. z. B. Hungenberg/Wulf (2004/2007), S. 84; Meyer (2004), S. 61. 256 Vgl. Meyer (2004), S. 62; Picot et al. (1997/2005), S. 72. 253
66
Der Eintritt in ein Prinzipal-Agenten-Verhältnis ist für die beteiligten Akteure von Vorteilserwartungen geprägt und wird durch Konsens konstituiert.257 Der Prinzipal erfährt durch die Leistungserbringung seitens des Agenten eine Arbeitserleichterung und kann Spezialisierungsvorteile realisieren. Der Agent erhält hierfür eine Gegenleistung, z. B. in Form einer monetären Kompensation. Zur Erzielung höherer Kooperationsrenten258 und zur Erleichterung seiner Arbeit erhält der Agent gewisse Entscheidungsspielräume im Rahmen seiner Tätigkeit.259 Diese kann ein eigeninteressierter Akteur allerdings auch für Handlungen und Entscheidungen nutzen, die den Interessen des Prinzipals widersprechen. Ob es dazu kommen kann, ist davon abhängig, inwieweit die Interessen von Prinzipal und Agent kongruent sind und ob der Prinzipal vollständig informiert ist260: In Situationen, die durch das Vorliegen vollständiger Information gekennzeichnet sind, ist ein vertragswidriges (d. h. gegen die Interessen des Prinzipals verstoßendes) Handeln nicht zu befürchten. Der Prinzipal kann alle Handlungen und Entscheidungen des Agenten beobachten, die Wahrung seiner Interessen überwachen und den Agenten bei Verstößen entsprechend sanktionieren. Die Realität ist allerdings durch das Auftreten von Informationskosten geprägt. Die Kosten der Informationsbeschaffung
führen
dazu,
dass
zwischen
Prinzipal
und
Agent
eine
Informationsasymmetrie auftritt. Der Prinzipal kann die Tätigkeit des Agenten nun nicht mehr vollständig überwachen bzw. besitzt nun auch nicht mehr alle dem Agenten vorliegenden Informationen.261 Diese Fälle des Auftretens von Informationsasymmetrien werden auch als versteckte Handlungen oder versteckte Informationen bezeichnet und eröffnen dem Agenten einen diskretionären Verhaltens- und Entscheidungsspielraum zur Realisierung eigener Interessen auf Kosten der Interessen des Prinzipals.262 Als
Gegenmaßnahme
kann
der
Prinzipal
versuchen,
durch
Anreiz-
und
Kontrollmechanismen die Spielräume des Agenten zur Realisierung eigener Interessen zu beschränken.263 Dies führt allerdings dazu, dass die entstehenden Kontrollkosten die für den
257
Vgl. Meyer (2004), S. 66. „Wenn […] von ‚Kooperationsrenten’ die Rede ist, so ist damit jener zusätzliche [Hervorhebung im Original, TB] Nutzen gemeint, den der einzelne erlangt, wenn er kooperiert, im Vergleich zu seiner nächstbesten Alternative, bei der er nicht oder in anderer Weise kooperiert.“ Homann/Suchanek (2000/2005), S. 61. 259 Vgl. Richter/Furubotn (1996/2003), S. 173 f. 260 Vgl. Roiger (2007), S. 1. 261 Vgl. Pratt/Zeckhauser (1985), S. 2 f. 262 Vgl. Meyer (2004), S. 62. Die Probleme versteckter Handlungen („hidden actions“) und verstecker Informationen („hidden information“) werden in der Literatur oft auch unter dem Stichwort „moral hazard“ sowie „adverse selection“ diskutiert. Vgl. Arrow (1985), S. 38–40; Eisenhardt (1989), S. 61; Roiger (2007), S. 14–17. 263 Vgl. Meyer (2004), S. 62. 258
67
Prinzipal realisierbare Kooperationsrente mindern. Diese Verluste gegenüber dem hypothetischen Zustand vollständiger Information werden als „Agency-Kosten“ bezeichnet.264 Die Höhe der Agency-Kosten ist meist abhängig vom Grad der Kontrolle und von den Institutionen, welche zur Überwachung und „Incentivierung“ des Agenten eingesetzt werden.265 Diesen Kosten der Offenheit der Prinzipal-Agenten-Beziehung steht deren Produktivität gegenüber. Wie bereits in Kapitel 2.5.2 dargestellt, kann die Offenheit der Beziehung dem Prinzipal auch zum Vorteil gereichen, wenn sie durch geeignete Institutionen abgesichert wird.
Dem Prinzipal stehen formelle und informelle Institutionen zur Verfügung, die durch ihre Anreiz- und Kontrollwirkung die Offenheit seiner Beziehung zum Agenten absichern. Zu den formellen Institutionen zählt u. a. der Arbeitsvertrag, zu den informellen Institutionen u. a. die bereits erwähnte Unternehmenskultur. Der Prinzipal als Arbeitgeber hat bei der Überwachung seines Agenten ein Interesse daran, einen möglichst hohen Handlungs- und Entscheidungsspielraum, d. h. eine möglichst hohe Offenheit, mit einer möglichst wirkungsvollen Kontrolle und Incentivierung zu verbinden. Er möchte also seine Agency-Kosten minimieren. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, einen möglichst hohen Anteil informeller Institutionen anzuwenden, da diese meist mit geringeren Kosten
verbunden
sind
und
beim
Auftreten
von
Kontingenzen
eine
höhere
266
Orientierungswirkung entfalten können als formelle Institutionen.
Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber zu. Loyalität kann auch als wesentlicher Bestandteil des Arbeitsverhältnisses betrachtet werden. R. Ewin (1993) definiert Loyalität als „[…] a willingness, at least on occasion and to some extent, to subordinate one's interests to those of the object of loyalty.”267 Loyalität entfaltet im
264
Pratt/Zeckhäuser (1985) weisen darauf hin, dass die Agency-Kosten umso höher sind, je stärker sich die Interessen von Prinzipal und Agent unterscheiden und je kostspieliger eine Überwachung des Agenten für den Prinzipal ist. Vgl. ebenda, S. 3. Roiger (2007) zeigt auf, dass der Bezugspunkt der vollständigen Information die Gefahr birgt, dass Informationsasymmetrien als Bedrohung wahrgenommen werden, was zu einer Überbetonung von Nutzenverlusten und zu einer Verengung des Möglichkeitenraums zur Lösung des Anreizproblems führt. Vgl. ebenda, S. 31. Meyer (2004) argumentiert, dass statt des Zustands vollständiger Information als First-Best-Bezugspunkt der Status quo herangezogen wird. Vgl. ebenda, S. 163–168. 265 Vgl. Picot et al. (1997/2005), S. 73. 266 Dieser Gedanke findet sich u. a. bei Kreps (1990/1995). Er verweist auf die Unternehmensreputation, die potenziellen Vertragspartnern signalisiert, nach welchen Prinzipien die Unternehmung sich an (bei Vertragsschluss nicht antizipierte) Kontingenzen anpasst. Vgl. ebenda, S. 500. 267 Ewin (1993), S. 391. Das Merkmal der Unterordnung eigener Interessen findet sich auch in der Definition von Loyalität bei R. Larmer (1992): „Loyality is incompatible with self-interest, because it is something that necessarily requires to go beyond self-interest.“ Ebenda, S. 125.
68
Arbeitsverhältnis demnach eine Orientierungswirkung für das Verhalten eines Arbeitnehmers und kann somit auch als Ideologie im Sinne D. Norths interpretiert werden, welche dem Agenten eine „Weltanschauung“ für die Vereinfachung seines Entscheidungsprozesses im betrieblichen Alltag liefert.268 Die Bedeutung der Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber spiegelt sich auch darin wider, dass durch den Arbeitsvertrag, d. h. durch die Begründung der Prinzipal-Agenten-Beziehung, eine Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber konstituiert wird. Der Arbeitnehmer wird verpflichtet, in seinem Verhalten Rücksicht auf die Interessen des Arbeitgebers zu nehmen.269 „Traditionally, the employee has been viewed as an agent who acts on behalf of a principal, i.e., the employer, and as possessing duties of loyalty and confidentiality.”270 Angesichts der dezentralen Organisation von Unternehmen kommt der Loyalität
dabei
eine
Kontrollfunktion
zur
Überwachung
der
Offenheit
des
Arbeitsverhältnisses zu. Somit kann Loyalität im Arbeitsverhältnis als eine „Institution zum produktiven Umgang mit Offenheit“ betrachtet werden.271 Aufgrund ihrer produktiven Funktion wird sie vom Arbeitgeber geschätzt und trägt zu einem von gegenseitigem Vertrauen geprägten Betriebsklima bei, wie P. Jubb (1999) herausstellt: „This situation of trust depends, ultimately, on a morality which fills the gap in the absence of legal or role specific obligations but which also transcends all formal promises.”272 Der Loyalität des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber kommt somit eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren des Unternehmens zu.273
3.3.2 Whistleblowing als Verstoß gegen Loyalitätserwartungen Im Gegensatz zur klaren Loyalitätserwartung des Prinzipals gegenüber seinem Agenten ist der Umgang mit Loyalität für den Agenten, den Arbeitnehmer, deutlich komplexer. In seiner Rolle als Arbeitnehmer sieht er sich mit verschiedenen Loyalitätserwartungen konfrontiert.274
268
Vgl. North (1981/1988), S. 50. Vgl. Beauchamp/Bowie (1988/2004), S. 263; Bürkle (2004), S. 2158; Johnson (2003), S. 26; Schmitt (2003), S. 28 f. 270 Larmer (1992), S. 125. 271 Vgl. Alchian/Demsetz (1972), S. 790 f.; Arrow (1974/1980), S. 20. 272 Jubb (1999), S. 82; vgl. auch Elliston (1982), S. 23; Ewin (1993), S. 389. 273 „[…] the organization depends on their loyalty.” Vandekerckhove/Commers (2004), S. 226; vgl. auch Schmidt (2004/2007), S. 151; Weinstein (1979), S. 111. 274 Vgl. Warren (2003), S. 624. 269
69
In den jeweiligen Loyalitätserwartungen eines Akteurs oder einer Gruppe spiegeln sich auch stets dessen bzw. deren Interessen wider. Betrachtet man die betriebliche Sphäre, erwarten neben dem Arbeitgeber auch die Kollegen ein loyales Verhalten.275 Mit weiteren Loyalitätserwartungen sieht sich ein Organisationsmitglied aus seiner nicht-betrieblichen Umwelt konfrontiert. So erwarten unternehmensexterne Dritte von ihm ein loyales Verhalten, z. B. in seiner Rolle als Partner, Freund oder Staatsbürger.276 Probleme entstehen für einen Mitarbeiter dann, wenn diese Loyalitätserwartungen in Konflikt miteinander treten. Aus den drei betrachteten Arten von Loyalität, welche für die Untersuchung des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing relevant sind, können zwei
potenzielle
Loyalitätskonflikte
abgeleitet
werden.
(1)
Zum
einen
ist
ein
Loyalitätskonflikt zwischen den Erwartungen des Arbeitgebers und jenen der Kollegen vorstellbar. (2) Zum anderen kann ein Loyalitätskonflikt zwischen den Erwartungen des Arbeitgebers auf der einen sowie den Erwartungen der unternehmensexternen Umwelt auf der anderen Seite entstehen.277
Abbildung 6: Loyalitätserwartungen zwischen whistleblowing-relevanten Akteuren; Quelle: Eigene Darstellung.
275
Die Loyalitätserwartungen von Arbeitgeber und Kollegen werden differenziert dargestellt, da diese aufgrund unterschiedlicher Eigeninteressen als verschiedene Akteure aufzufassen sind. Vgl. hierzu auch Ewin (1992), S. 390; Jubb (1999), S. 82 f. 276 Vgl. Davies (2003), S. 155. 277 Der Fall divergierender Loyalitätserwartungen von Kollegen und unternehmensexterner Umwelt, in welcher das Unternehmen als eigenständiger Akteur keine eigenen Interessen hat, soll nicht betrachtet werden, da er für den Kontext der Arbeit nicht relevant ist.
70
(1) Zunächst soll der Konfliktfall zwischen Loyalitätserwartungen von Unternehmen und Kollegen betrachtet werden. Der Konflikt lässt sich wie folgt charakterisieren: Beobachtet ein Mitarbeiter z. B. illegales Verhalten eines Kollegen zum Schaden des Unternehmens wie Diebstahl oder Unterschlagung, so erwartet die Unternehmensleitung von einem loyalen Mitarbeiter, dass dieser solche Informationen an seinen Vorgesetzten bzw. direkt an die verantwortliche Stelle weiterleitet. „Somebody who has a ground for loyalty to the company […] will not be led by that loyalty to cover up for inefficiency, incompetence, or corruption on the parts of other members of the company, as she might be led to do by personal loyalty to them.”278 Kollegen können jedoch vom Mitarbeiter erwarten, dass er die Beobachtung für sich behält und die Loyalität im Kollegenkreis höher bewertet als die Loyalität gegenüber dem Unternehmen. Für Unternehmen ist eine solche Art der persönlichen bzw. Gruppenloyalität ein Risikofaktor, da sie kriminelle Handlungen von Mitarbeitern gegenüber dem Unternehmen begünstigt.279 (2) Anders stellt sich der Fall dar, wenn es zu konfligierenden Loyalitätserwartungen von Unternehmen und Umwelt kommt. P. Jubb (1999) bezeichnet diesen Loyalitätskonflikt als das zentrale Dilemma beim Whistleblowing.280 Solche Fälle sind stets dann vorstellbar, wenn das beobachtete illegale oder unmoralische Verhalten implizit im Interesse des Unternehmens liegt oder sogar explizit von diesem angeordnet wurde, gleichzeitig aber massiv gegen die Interessen der Unternehmensumwelt verstößt. „Some corporations push employees – in the name of organizational loyalty – to go along with illegal corporate actions and to refrain from betraying the company through disclosure.”281 Darunter fallen z. B. die Verarbeitung bzw. der Vertrieb verdorbener Lebensmittel oder die illegale Müllentsorgung. Weigert sich ein Mitarbeiter, dieses Fehlverhalten mitzutragen und entscheidet sich zum internen oder externen Whistleblowing, also zur Kommunikation der kritisierten Verhaltensweisen an die Unternehmensleitung (Fall 1) oder an eine unternehmensexterne Institution (Fall 2), so bricht er die Loyalitätserwartungen des Unternehmens.282 Ein solches Verhalten kann von der Unternehmensführung oder von Kollegen als „Untreue“ oder
278
Ewin (1993), S. 390. Vgl. Nooteboom (1996), S. 990. 280 „Persons contemplating whistleblowing face a dilemma because their roles entail loyalties to the targeted organisation that conflict […] with perceived responsibilites to others, for instance their professional associations or the general public.” Jubb (1999), S. 82. 281 Moberly (2006), S. 1142. 282 Für den Fall des Loyalitätsbruchs durch unternehmensexternes Offenlegen von Informationen vgl. Baynes (2002), S. 893. 279
71 283
„Illoyalität“ aufgefasst werden.
Als Reaktion auf diesen Bruch erwarteter Loyalität können
sich die betroffenen Akteure zur Vergeltung entschließen.284 So muss sich ein Mitarbeiter als Folge des Whistleblowings im Fall 1 möglicherweise auf informelle Sanktionen von Kollegen (z. B. soziale Ausgrenzung oder Verleumdung im Kollegenkreis) einstellen. Im Fall 2 kann die Vergeltung für das Whistleblowing sowohl formell seitens der Unternehmensleitung als auch informell durch Kollegen erfolgen, da in diesem Fall die Interessen von Unternehmen und Kollegen wahrscheinlich kongruent sind.285 Stellt die externe Offenlegung der kritisierten Verhaltensweise eine Gefahr für die Unternehmensexistenz dar, werden dadurch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter bedroht. „Wenn sie [die Whistleblower, TB] das aber tun, werden sie sofort als Deserteure gebrandmarkt. In einer Zeit des öffentlichen Unwillens gegen das Geschäftswesen sind die ‚guten Firmensoldaten’ begreiflicherweise entsetzt, wenn einer ihrer Chargen zum ‚Feind’ überläuft.“286 Beide Akteure – Unternehmensleitung und Kollegen – fassen Whistleblowing daher als einen Akt der Illoyalität, als eine Verletzung ihrer Interessen auf. Der Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing in diesem Fall lässt sich daher wie folgt beschreiben: „Since employers very rarely approve of whistleblowing and generally feel that it is not in their best interest, it follows that whistleblowing is an act of betrayal on the part of the employee, albeit a betrayal made in the interests of the public good.”287 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Kollegen, Unternehmensleitung oder beide das Whistleblowing in den beiden geschilderten Konstellationen, intern oder extern, als Illoyalität auffassen.288 Daraus resultiert die Gefahr einer möglichen Sanktionierung des Whistleblowers durch Kollegen oder die Organisation als Reaktion auf die Entscheidung zur Offenlegung illegalen oder unethischen Verhaltens in der Organisation.289 T. Tuleja (1985/1987) spricht in diesem Kontext von der „Tragödie einer ‚geteilten’ Loyalität in der Kapitalgesellschaft“.290
283
Vgl. Hunziker (2007), S. 166; Tuleja (1985/1987), S. 250 und S. 257. Vgl. Mathews (1988), S. 101. 285 „Stepping out of channels to level accusations is regarded as a violation of these obligations. Loyalty to the agency or to colleagues comes to be pitted against loyalty to the public interest.” Bok (1981), S. 206. 286 Tuleja (1985/1987), S. 257. 287 Larmer (1992), S. 126 f. 288 „[…] whistleblowing breached a duty of loyality of the employee to the employer.” Beauchamp/Bowie (1988/2004), S. 263. 289 Vgl. Schwarb (1998), S. 9 f. 290 Tuleja (1985/1987), S. 261. 284
72
In Kapitel 3.4 soll geklärt werden, welche Schäden Unternehmen durch einen solchen Umgang mit Whistleblowing bzw. durch die Duldung einer möglichen informellen Vergeltung durch Kollegen riskieren.
3.4 Der Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing als externer Risikofaktor für Unternehmen Im vorangehenden Kapitel wurde dargelegt, dass Whistleblowing in vielen Unternehmen deshalb unterdrückt wird, weil selbst das interne Offenlegen illegaler oder unethischer Verhaltensweisen als Verstoß gegen die Interessen von Arbeitgeber oder Kollegen und damit als Bruch der Loyalitätspflicht eines Mitarbeiters betrachtet wird. In der Realität jedoch kann die Unterdrückung von Whistleblowing zur Folge haben, dass sich die öffentliche Wahrnehmung eines Unternehmens im Hinblick auf aufgetretenes Fehlverhalten deutlich verschlechtert. Unterdrücktes Whistleblowing kann für Unternehmen aus gesellschaftlichen Gründen demnach zum Risikofaktor mit hohem Schadenspotenzial werden.291 Als Ergebnis dieser Unterdrückung bzw. der Vergeltung gegen Whistleblower wird in der Öffentlichkeit oftmals ein Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Interessen und individuellen Interessen der Unternehmen wahrgenommen. Dieser Widerspruch kann dazu führen, dass Unternehmen unbewusst hohe gesellschaftliche Risiken bezüglich der zukünftigen Voraussetzungen und Bedingungen ihres Handelns eingehen. „At the social level, when corporations retaliate against whistleblowers, the public receives the impression that the corporate world is in need of stricter external regulation.”292 Zum einen sind Unternehmen von Individuen konstituierte, aber auf gesellschaftlicher Zustimmung basierende institutionelle Arrangements. Daher kann einem Unternehmen bei wiederholtem Auftreten illegalen oder unethischen Verhaltens seitens der Gesellschaft seine „licence to operate“ entzogen werden (3.4.1). Eine zweite Gefahr besteht darin, dass die Gesellschaft Whistleblowing zu einem Instrument der Überwachung und Kontrolle macht, das gegen die Unternehmen gerichtet ist (3.4.2).
291
So stellt K. Leisinger (2003), S. 247 fest: „Wer Kritik aus dem Unternehmen mit Mobbing ahndet, statt die Ursachen für die Kritik zu beseitigen, bestätigt diejenigen gesellschaftlichen Kräfte, die mehr Kontrollen, engere Gesetzesvorgaben und somit auch mehr staatliche Bürokratie fordern.“ Vgl. auch Barnett et al. (1993), S. 128. 292 Mathews (1987), S. 43.
73
3.4.1 Entzug der „licence to operate” „Das Einhalten von […] Regeln und Standards ist heute eine Grundvoraussetzung dafür, dass Unternehmen Geschäfte betreiben und am Markt auftreten dürfen.“293 Verstoßen Unternehmen gezielt oder wiederholt durch illegales oder unmoralisches Verhalten gegen die Rahmenordnung oder gegen gesellschaftliche Erwartungen, so droht diesen Unternehmen der Entzug ihrer „licence to operate“. Die Gründe hierfür liegen in den begangenen expliziten oder
impliziten
Verstößen
gegen
gesellschaftliche
Vorteilserwartungen,
zu
deren
Sicherstellung vor allem die Normen der Rahmenordnung beitragen sollen. Ein Entzug der „licence to operate“ kann sowohl auf Ordnungs- als auch auf Marktebene erfolgen und ist als gesellschaftliche Reaktion auf das Fehlverhalten des Unternehmens aufzufassen.294 „Social norms seemingly have shifted in the last thirty-five years in the directions of expecting greater transparency and accountability from institutions that have significant […] economic […] power. Institutions (and their leaders) that inappropriately conceal or dissemble are punished more harshly in the news media and in the markets of various sorts, as well as in the courts.”295 Während auf Ordnungsebene, d. h. auf Ebene der Rahmenordnung, der Staat handelnder Akteur mit legitimierter Sanktionsmacht ist, sind dies auf Ebene des Marktes eine Vielzahl voneinander unabhängig agierender Akteure in Form von Kunden oder Lieferanten. Voraussetzung für einen Entzug der „licence to operate“ auf Ordnungsebene ist, dass der Staat eine solche nicht nur in impliziter sondern auch in expliziter Form an das Unternehmen vergeben hat. In diesem Fall ist die „licence to operate“ im wörtlichen Sinne als Erlaubnis zum Betreiben eines Unternehmens aufzufassen. Diese Form einer staatlichen Aufsicht existiert für Unternehmen solcher Branchen, deren Geschäftszweck für die Öffentlichkeit von besonderer Bedeutung ist, oder wenn aus der Art der Geschäftstätigkeit besondere Gefahren für die Öffentlichkeit entstehen können. Das Betreiben eines solchen Unternehmens ist an die explizite Zustimmung des Staates gebunden. Als Beispiele können die Aufsicht der Passagierluftfahrt durch das Luftfahrtbundesamt, die Überwachung von Bankgeschäften durch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht sowie die Kontrolle von Atomkraftwerken durch das Bundesamt für Strahlenschutz genannt werden. In diesen Fällen ist die Erteilung der 293
Menzies (2006), S. 3. Die Unterscheidung zwischen Markt- und Ordnungsebene lehnt sich an die Unterscheidung von Homann/Blome-Drees (1992) zwischen wettbewerbs- und ordnungspolitischen Strategien an. Vgl. ebenda, S. 23. 295 Langevoort (2002), S. 965. 294
74
„licence to operate“ an festgelegte Voraussetzungen gebunden, deren Verletzung wiederum zu ihrem Entzug führen kann.296 Mit dem Entzug dieser staatlich gewährten „licence to operate“ hat ein Unternehmen seinen Betrieb einzustellen und aus dem Markt auszuscheiden. Im Gegensatz zu diesem formalen und inhaltlich überprüfbaren Prozess ist der Entzug der „licence to operate“ auf Marktebene an keine gesetzlichen Normen gebunden. Vielmehr treffen eine Vielzahl von Lieferanten oder Kunden aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen über Fehlverhalten die individuelle Entscheidung, nicht mehr mit einem Unternehmen zusammenzuarbeiten bzw. keine Waren mehr von diesem beziehen zu wollen. Es wird ihm die gesellschaftliche Legitimation entzogen. „Whether or not the corporation, once established, can in fact survive depends upon whether it develops goals and operations perceived as legitimate by the larger society.”297 Als eines der bekanntesten Beispiele hierfür gilt der Skandal um die vom Energieunternehmen Shell geplante Versenkung der Öllagerund Verladeplattform „Brent Spar“ in der Nordsee im Jahre 1995. Die geplante Versenkung verstieß gegen keinerlei Umweltschutzgesetze oder sonstige Normen. Allerdings verstieß der Plan in den Augen vieler Bürger und Unternehmen gegen sämtliche gesellschaftliche Erwartungen bezüglich eines verantwortungsvollen Verhaltens von Unternehmen.298 R. Waldkirch (2002) weist darauf hin, dass Shell vergessen hatte, „so etwas wie eine ‚soziale Lizenz’ einzuholen“299, die als breite gesellschaftliche Akzeptanz des Verhaltens eines Unternehmens gesehen werden kann.300 Die Basis einer solchen Akzeptanz ist jedoch die Erwartung gesellschaftlicher Vorteile durch das Handeln des Unternehmens. Gegen diese Vorteilserwartung hatte Shell mit der angekündigten Versenkung der „Brent Spar“ in der Nordsee massiv verstoßen. Der öffentliche Protest gegen Shell entlud sich in Demonstrationen und einem Boykott von Shell-Tankstellen, die deutliche Umsatzverluste zu verbuchen hatten.301 Während Shell aufgrund seiner globalen Präsenz und der hohen Finanzkraft die entstandenen Verluste ausgleichen konnte, wäre ein Boykott solchen Ausmaßes für viele kleinere Unternehmen existenzbedrohend gewesen. Der Entzug der „licence to operate“ kann, wie diskutiert, ein Unternehmen u. U. dazu zwingen, seine Geschäftstätigkeit einzustellen. In ihrer Wirkung eher langfristiger angelegt ist
296
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2624. Pfeffer/Salancik (1978/2003), S. 194. 298 Vgl. Osterloh/Tiemann (1995), S. 321. 299 Waldkirch (2002), S. 3. 300 Vgl. Waldkirch (2002), S. 3. 301 Vgl. Vorfelder (1995), S. 13–24. 297
75
dagegen eine Verschlechterung der zukünftigen Bedingungen des Handelns von Unternehmen. Dies kann dadurch geschehen, dass externes Whistleblowing durch die Gesellschaft zum Instrument der Überwachung und Kontrolle von Unternehmen ausgebaut wird.
3.4.2 Whistleblowing als Instrument der gesellschaftlichen Überwachung und Kontrolle von Unternehmen Diese Gefahr besteht insbesondere in Fällen, in denen einzelne Unternehmen wiederholt gegen gesetzliche Normen verstoßen oder es innerhalb von kurzer Zeit zu einer Häufung von Skandalen kommt, in die verschiedene Unternehmen verwickelt sind. Oftmals entsteht dann in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass das Verhalten von Unternehmen nicht mit den Interessen des Staates bzw. der Bürger einer Gesellschaft zu vereinen ist. Besonders groß ist die öffentliche Diskussion in solchen Fällen, in denen staatliche Kontrollen versagen und der jeweilige Sachverhalt nur durch gezielte Hinweise von Mitarbeitern der betreffenden Unternehmen ans Licht der Öffentlichkeit kommt.302 „The public perception is that, if whistleblower concerns had been heeded, some of the recent corporate disasters could have been avoided, and that in order to prevent future misconduct, whistleblowers should be encouraged to come forward and should be protected from retaliation.”303 In einem Klima des öffentlichen Misstrauens und der Empörung gegen Unternehmen finden Forderungen nach einer stärkeren Überwachung und Regulierung von Unternehmen schnell breite Unterstützung.304 Neben häufigeren Kontrollen durch staatliche Institutionen kommt die Förderung externen Whistleblowings als ein mögliches Mittel zur Erreichung dieses Zieles in Frage.305 Wie in den Vereinigten Staaten bereits geschehen, sollen durch staatliche Normen Anreize geschaffen werden, die Whistleblower umfassend vor Vergeltung schützen und finanziell zur Offenlegung von Missständen motivieren.306 Diese sollen Whistleblowing fördern und zum
302
Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 60. Davies (2003), S. 153. 304 Vgl. Oetinger/Reeves (2007), S. 3. 305 „[Whistleblowing, TB] could change its nature in regulated areas to provide evidence to regulatory bodies in support of legislation or regulations.” Hersh (2002), S. 246. 306 Auf das hieraus u. U. resultierende Problem opportunistischen externen Whistleblowings zum Schutz vor Entlassung bei ungenügenden Arbeitsleistungen soll kurz im Rahmen der Untersuchung des Sarbanes-Oxely Acts in Kapitel 4.2.2.2 eingegangen werden. 303
76
effektiven gesellschaftlichen Kontrollinstrument von Unternehmen ausbauen.307 „It [whistleblowing, TB] is encouraged in order to bring to light wrongdoing within organizations that is harmful to society.”308 „[…] the scandals demonstrate employees' efficacy as monitors with accurate insider knowledge about the inner workings of their corporations.”309
Auch in Europa existiert mittlerweile der Trend, dass von staatlicher Seite „die Tätigkeit des Whistleblowers honoriert und sein Tun instrumentalisiert wird.“310 Folglich können Schutznormen entstehen, die nur sekundär darauf abzielen, vermeintlich uneigennützig handelnde Whistleblower vor Vergeltung zu schützen, primär jedoch das Ziel verfolgen, möglichst effektiv Informationen über Fehlverhalten in Unternehmen zu generieren, um dieses durch Strafverfolgungsbehörden zu ahnden. „[…] the goal should be to optimize the quantity and quality of information that whistleblowers bring to light about ongoing corporate malfeasance, and to do so in a way that makes early intervention by public and private enforcement authorities feasible and effective.”311 Whistleblowing kann durch solche Anreize gegen die Wirtschaft in Stellung gebracht werden und somit als Instrument der Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen gegenüber Unternehmen dienen.312 „[…] in cases of whistle blowing, the public and hence the state is being protected from the immoral act of an institution within society. Hence […] it is in society's interest to promote whistle blowing.”313 Unterstützt wird dies durch eine positive öffentliche Wahrnehmung von Whistleblowing.314 Die positive öffentliche Wahrnehmung von Whistleblowing beruht vor allem auf dem Vorteil, dass eine stärkere Überwachung von Unternehmen zu einem besseren Schutz der 307
Vgl. Berka (2004), S. 68; Callahan/Dworkin (1992), S. 273; Felsberg (2005), S. 91; Near/Dworkin (1998), S. 1551. Als Beispiel hierfür kann der False-Claims-Act aus dem Jahr 1986 betrachtet werden, dessen Ursprünge bis in das Jahr 1863 zurückgehen. Mit seiner Einführung wurde beabsichtigt, den Umfang an Betrug auf Kosten des amerikanischen Staates zu beschränken. Er bietet jedem Bürger die Möglichkeit, gegen Unternehmen zu klagen, deren Verhalten zu einer finanziellen Schädigung des amerikanischen Staates bzw. dessen Institutionen geführt hat. Der erfolgreiche Kläger erhält dann zwischen 15 und 30 % der Schadenersatzsumme als Belohnung. Vgl. Glazer/Glazer (1989), S. 251; Rapp (2007), S. 96 f.; Westman (1991), S. 119–123. 308 Dworkin/Callahan (1991), S. 305. 309 Moberly (2006), S. 1107. 310 Berka (2004), S. 68. 311 Rapp (2007), S. 116. 312 Vgl. Dunfee (1990), S. 131. 313 Bowie (1982), S. 148. 314 „In the midst of this new anti-corporate environment, corporate whistleblowers recently have received a lot of favorable press.” Baynes (2002), S. 876.Vgl. auch Miceli/Near (1994b), S. 779.
77
Bürger vor Gefahren und Schäden, die von Unternehmen ausgehen, führt. Dies können z. B. Gefahren für die Gesundheit der Bürger durch Umweltschäden oder fehlerhafte Produkte sein.315 Des Weiteren können durch Whistleblowing Investoren frühzeitig vor Steuerdelikten, Korruptionsfällen und Bilanzmanipulationen in Unternehmen gewarnt werden.316 So können finanzielle Schäden für Investoren rechtzeitig begrenzt und eine allgemeine Vertrauenskrise auf den Kapitalmärkten verhindert werden, wie sie z. B. als Folge des Zusammenbruchs von Worldcom und Enron aufgetreten war. Der entscheidende Grund für die Förderung externen Whistleblowings durch die Gesellschaft ist darin zu sehen, dass dadurch die Kontrolle von Unternehmen im Vergleich zum Status quo verbessert werden kann. Die hohe Leistungsfähigkeit von Whistleblowing zur Unternehmenskontrolle basiert darauf, dass bei externem Whistleblowing die Informationen über Verstöße gegen gesetzliche Normen direkt aus dem Unternehmen heraus gegenüber der Gesellschaft offengelegt werden.317 „[…] die […] Schutzvorkehrungen, die dem Whistleblower andernorts zu Gute kommen, ebenso wie die verschiedenen Anreiz- und Belohnungssysteme, sind nicht etwa entwickelt worden, um ihn im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses zu privilegieren, sondern um – aus Gründen, die meist jenseits der Arbeitnehmer/Arbeitgeberbeziehung liegen – an die von ihm verwalteten InsiderInformationen zu gelangen. […] Vielmehr ist […] der Schutz des Arbeitnehmers die nicht wegzudenkende Bedingung für die Erreichung des eigentlichen Zieles: Nämlich mit Hilfe des Whistleblowers Kenntnis von massiven Missständen bzw. von rechtswidrigen oder kriminellen Praktiken zu erhalten, an deren Abstellung oder Verhinderung ein starkes öffentliches Interesse besteht.“318 Auf diesem Wege kann auf einen weiteren kostspieligen Ausbau der Kontrolle von Unternehmen durch staatliche Institutionen verzichtet werden. Unterstellt man, dass eine solche Überwachung durch intelligent gesetzte Anreize für Whistleblower insgesamt gelingt, so kann externes Whistleblowing dazu beitragen, dass die Gesellschaft die finanziellen Aufwendungen für die Kontrolle von Unternehmen reduzieren und das dadurch
315
„Whistleblowing in nuclear energy producing plants, pharmaceutical firms, automobile manufacturers, and many other organizations obviously can have consequences that could preserve life or its quality.” Miceli/Near (1992), S. 11. Vgl. auch Mansbach (2007), S. 124. Zu den bekannten Fällen, die in den Vereinigten Staaten durch Whistleblowing publik gemacht und vielfach diskutiert wurden, zählen die nachlässige Überwachung des Atomkraftwerkes auf Three Mile Island sowie der nur unzureichend gegen Auffahrunfälle geschützte Benzintank des Ford Pinto. In Deutschland sind insbesondere die Fälle verdorbenen Fleisches zu nennen, das von Unternehmen weiterverarbeitet wurde und in den Handel gelangte. 316 Vgl. Miceli/Near (1992), S. 14; Ogorek (2005), S. 550. 317 Vgl. Miethe (1999), S. 26. 318 Ogorek (2005), S. 550 f.
78
eingesparte Geld an anderer Stelle zum Wohle der Bürger einsetzen kann.319 T. Miethe (1999) weist jedoch darauf hin, dass aus gesellschaftlicher Sicht noch bedeutender als die Einsparung von Kontrollkosten die Vermeidung der Kosten von Schäden ist, die aufgrund des Abschreckungseffekts von Whistleblowing nicht entstehen.320 Unternehmen
betrachten
eine
solche
Förderung
des
externen
Whistleblowings
verständlicherweise kritisch. Abgesehen davon, dass Whistleblowing von Management und Kollegen als Loyalitätsbruch wahrgenommen wird, besitzt externes Whistleblowing für Unternehmen ein hohes Schadenspotenzial.321 Die Forcierung externen Whistleblowings hätte die Wirkung, dass Sachverhalte über Fehlverhalten von Unternehmen mit „möglichst viel bzw. nachhaltiger Öffentlichkeitswirkung“ publik gemacht würden, entsprechend wäre „die Breitenwirkung für die Betroffenen meist jeder Kontrolle entzogen.“ 322 Kritischer ist jedoch, dass von der Wirkung einer solchen Regulierung möglicherweise auch Unternehmen betroffen wären, die zu Unrecht eines Fehlverhaltens bezichtigt würden. Bereits aufgrund von vermeintlichem Fehlverhalten, das von der Presse aufgegriffen würde, wären sie der Gefahr öffentlicher Kritik mit entsprechenden wirtschaftlichen Auswirkungen ausgesetzt.323 Des Weiteren könnte durch die Forcierung von externem Whistleblowing zur Überwachung in den Unternehmen ein Klima der Angst vor Denunziation mit all den damit verbundenen Nachteilen geschaffen werden.
3.5 Zusammenfassung In Kapitel 3 wurden zunächst die organisationsinternen Auslöser für Whistleblowing analysiert. Diese institutionellen Misfits bedingen, dass es zu illegalem oder unethischem Verhalten im Unternehmen durch Mitarbeiter oder durch das Management kommen kann.
319
Vgl. Miceli/Near (1992), S. 14. „From the perspective of the wider society, the most obvious benefit of whistleblowing is its potential for reporting and subsequently deterring organizational misconduct. The enormous economic cost that are ulitimately passed on to the public for such offenses as employee theft, corporate tax fraud, misappropriation of funds, consumer fraud, and other types of occupational and organizational crime may be greatly reduced by the threat of detection provided by employees as potential whistleblowers.” Miethe (1999), S. 84. 321 Vgl. Near/Miceli (1987), S. 323. 322 Kittelberger (2007), S. 94. 323 Vgl. Miethe (1999), S. 87. Miceli/Near (1992), S. 8 f. weisen zu Recht darauf hin, dass eine solche Entwicklung nicht-intendierte negative gesellschaftliche Auswirkungen haben könnte. Diese sind vor allem darin zu sehen, dass Unternehmen aus Angst vor externem Whistleblowing in ihrem Entscheidungsverhalten tendenziell risikoaverser werden könnten. 320
79
Angesichts des Auftretens dieser Verhaltensweisen stellt sich die Frage, über welche Möglichkeiten Mitarbeiter und Unternehmen verfügen, um auf das Auftreten bzw. die Kommunikation solcher institutioneller Misfits zu reagieren. Mitarbeiter können auf das ihnen aufgefallene Fehlverhalten entweder durch Widerspruch, d. h. durch Offenlegung des fragwürdigen Verhaltens, durch Abwanderung aus dem Unternehmen oder durch Schweigen reagieren. Welche Verhaltensweise gewählt wird, ist im Einzelfall abhängig von einem Kosten-Nutzen-Kalkül des Mitarbeiters. In dieses wird auch die antizipierte Reaktion der Organisation in Form des Verhaltens von Management und Kollegen einbezogen. Die Organisationsführung hat auf der Sachebene darüber zu entscheiden, ob der betreffende institutionelle Misfit beseitigt wird oder fortbesteht. Bezüglich der Person des Whistleblowers ist zu entscheiden, ob dieser für sein Handeln belohnt oder ob ihm gegenüber mit Vergeltung reagiert wird. Auch Kollegen des Whistleblowers können gegenüber ihm zur Vergeltung greifen, wenn sie eine Verletzung ihrer Interessen durch das Whistleblowing wahrnehmen. Analog zum Mitarbeiter entscheiden auch die Unternehmensführung bzw. die Arbeitskollegen des Whistleblowers über ihre Verhaltenswahl auf Basis eines Kosten-Nutzen-Kalküls. Faktoren, die in dieses Kalkül einbezogen werden, sind insbesondere die Vor- und Nachteile, die aus der betreffenden Verhaltensweise für die Organisation bzw. deren Mitarbeiter resultieren. Oftmals wird Whistleblowern vorgeworfen, sich gegenüber Arbeitgeber und Kollegen illoyal verhalten zu haben. In deren spezifischen Loyalitätserwartungen spiegeln sich zum einen ihre Interessen wider; zum anderen wird der Loyalität vom Arbeitgeber insofern eine große Bedeutung beigemessen, als dass diese zur produktiven Nutzung der Offenheit des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber beiträgt. Dies kann anhand der Prinzipal-AgentenTheorie dargestellt werden. Dementsprechend wird beim Bruch der erwarteten Loyalität oftmals massive Vergeltung gegenüber Whistleblowern geübt. Diese ablehnende Einstellung zu Whistleblowing ist für Unternehmen als problematisch zu betrachten, da sie für diese zum Risikofaktor werden kann. Sie können durch illegales oder unmoralisches Verhalten nicht nur ihre „licence to operate“ verlieren, sondern es besteht auch die Gefahr, dass die Gesellschaft mittels monetärer Anreize und dem rechtlichen Schutz externer Whistleblower vor Vergeltung Whistleblowing zu einem Instrument der Überwachung und Kontrolle von Unternehmen ausbaut. Angesichts dieser Gefahr soll in Kapitel 4 Unternehmen ein anderer Weg zum Umgang mit Whistleblowing aufgezeigt werden. Dazu werden insbesondere die ökonomischen Vorteile
80
unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme in den Vordergrund der Untersuchung gestellt und die notwendige Anreizkompatibilität zu deren Einsatz in Unternehmen betrachtet.
81
4 Ökonomische Vorteilhaftigkeit und Anreizkompatibilität von Whistleblowing-Systemen In Kapitel 4 werden die ökonomischen Vorteile aufgezeigt, die sich für Unternehmen aus der Einrichtung eines institutionalisierten Whistleblowing-Prozesses realisieren lassen. Des Weiteren werden Anreizprobleme analysiert, die der Einrichtung solcher Systeme und der Realisierung der damit verbundenen Vorteile entgegenstehen; anschließend werden verschiedene Möglichkeiten zu deren Überwindung betrachtet. Durch Whistleblowing-Systeme können sowohl unternehmensspezifische als auch kollektive Vorteile, d. h. Vorteile für die Gesamtheit aller Unternehmen, generiert werden (4.1). Die unternehmensspezifischen Vorteile von Whistleblowing-Arrangements lassen sich in zwei Arten unterteilen: Die erste Art kommt im Außenverhältnis eines Unternehmens zur Geltung. Hierzu zählen insbesondere der bessere Schutz der Unternehmensreputation im Wettbewerb sowie die Vermeidung hoher finanzieller Kosten aufgrund von Rechtsansprüchen gegen ein Unternehmen als Folge von unternehmensinternem Fehlverhalten. Diese Vorteile beziehen sich vor allem auf jene Formen illegalen oder unethischen Verhaltens, von denen die Organisation vermeintlich profitiert.324 Die zweite Art unternehmensspezifischer Vorteile entfaltet ihre Wirkung sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis. Hierzu zählt der effektivere Schutz eines Unternehmens vor interner Wirtschaftskriminalität.325 Als kollektive Vorteile der Einrichtung eines internen Whistleblowing-Systems sind die Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung sowie die Senkung der Kosten der gesellschaftlichen Kontrolle von Unternehmen zu nennen. Allerdings stellt sich insbesondere bei den durch die Einrichtung interner WhistleblowingSysteme erzielbaren kollektiven Vorteilen die Frage nach der Anreizkompatibilität eines solchen Handelns für Unternehmen (4.2). Eine trotz dem Vorhandensein individueller und kollektiver Vorteile zu geringe Anreizkompatibilität kann für viele Unternehmen der Grund für den Verzicht auf die Installation eines Whistleblowing-Systems sein. Dieser ablehnenden Haltung von Unternehmen kann durch die gezielte Schaffung externer oder interner Anreize 324
Da bei der Aufdeckung von illegalem oder unethischem Verhalten eines Unternehmens oftmals hohe Geldbußen erlassen werden (nur bei illegalem Verhalten) und massive Reputationsschäden entstehen können, die entsprechende finanzielle Einbußen nach sich ziehen, werden die aus diesem Verhalten gewonnenen Vorteile als „vermeintliche“ Vorteile bezeichnet. 325 Hierunter fällt solches Verhalten von Mitarbeitern, das, teilweise auch in Kooperation mit organisationsfremden Dritten, explizit gegen die Interessen der Organisation gerichtet ist.
82
entgegengewirkt werden. Zu den externen Anreizen zählen insbesondere gesetzliche Regelungen oder branchenspezifische Selbstverpflichtungen. Unternehmensinterne Anreize zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen können durch individuelle, einseitig wirkende Selbstverpflichtungen geschaffen werden.
4.1 Ökonomische Vorteile von Whistleblowing-Systemen Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens ist zahlreichen unternehmensexternen und -internen Risiken ausgesetzt. Auf einen Großteil unternehmensexterner Risiken kann die Führung eines Unternehmens kaum Einfluss nehmen, so etwa Naturkatastrophen, terroristische Anschläge oder die allgemeine Konjunkturentwicklung. Beeinflussen können Unternehmen jedoch jene externen Risiken, die sich aus einer Änderung der gesellschaftlichen Bedingungen ihres Handelns ergeben. Diese Veränderungen können oftmals als Reaktion auf ihr vorausgegangenes Handeln aufgefasst werden. Hierzu zählen beispielsweise auch die in Kapitel 3.4.2 aufgezeigten potenziellen Auswirkungen einer Unterdrückung von Whistleblowing. Bei den unternehmensinternen Risiken sind zweierlei Arten zu unterscheiden. Zum einen können sich aus der regelkonformen wirtschaftlichen Betätigung des Unternehmens Risiken ergeben. Diese stehen meist im Zusammenhang mit strategischen Entscheidungen des Managements wie z. B. Investitionsrisiken oder Abhängigkeiten von Großkunden und Lieferanten. Davon abzugrenzen sind Risiken, die aus Verstößen gegen gesellschaftliche Regeln und Normen resultieren.326 Aufgabe der Unternehmensführung ist es, diese Risiken so zu managen, dass die daraus resultierenden Schäden für das Unternehmen möglichst gering bleiben. Im Folgenden wird analysiert, welche Vorteile unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme hinsichtlich des Managements der Risiken bieten, die aus Verstößen gegen gesellschaftliche Normen und Regeln resultieren. Dabei wird differenziert zwischen den Vorteilen, die sich für das einzelne Unternehmen ergeben (4.1.1), und jenen für die Gesamtheit der Unternehmen als Kollektiv (4.1.2.).
326
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2626. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass gesellschaftliche Regeln strafbewehrt sind und Verstöße gegen sie entsprechende rechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Gesellschaftliche Normen stellen Erwartungen dar. Verstöße gegen diese werden nicht rechtlich geahndet, können aber im Falle drastischer Übertretungen gesellschaftliche Sanktionen zur Folge haben.
83
4.1.1 Unternehmensspezifische Vorteile Bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen und Regeln kann unterschieden werden, ob Mitarbeiter oder Unternehmensführung im vermeintlichen Interesse des Unternehmens handeln oder ob sie bewusst gegen Unternehmensinteressen, oftmals in Kollusion mit Dritten, verstoßen.327 Bei Regel- oder Normverstößen im Interesse des Unternehmens328 („the action is primarily for the benefit of the firm”329), bzw. wenn deren Auftreten von der Öffentlichkeit als im Interesse des Unternehmens liegend interpretiert wird330, ergeben sich für die Organisation neben
finanziellen
Schäden 331
Reputationsschäden.
durch
Schadenersatzforderungen
vor
allem
massive
Diese reduzieren aufgrund ihrer universellen Wirkung auf sämtliche
Stakeholder-Gruppen und daher auf vielfältige Weise meist über einen längeren Zeitraum massiv den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.332 Oftmals sind die wirtschaftlichen Auswirkungen von Reputationsschäden für ein Unternehmen deutlich schwerwiegender als die mit dem Fehlverhalten direkt verbundenen Schadenersatzansprüche und Geldbußen.333 Im Extremfall können die Auswirkungen von Reputationsschäden sogar eine Existenzbedrohung für ein Unternehmen darstellen. Bei expliziten Verstößen gegen die Interessen des Unternehmens („illegal activities that primarily benefit the employee or agent of the firm“334), etwa bei der Unterschlagung von Unternehmensgeldern, sind es meist die direkt aus den illegalen Verhaltensweisen resultierenden finanziellen Schäden, welche den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens reduzieren. Um diese Art des Handelns abzugrenzen vom rechtswidrigen Handeln, das im
327
„We are dividing white-collar crime into these distinct types: occupational crime and corporate crime. Occupational crime [Hervorhebung im Original, TB] consists of offenses committed by individuals for themselves in the course of their occupations. Corporate crime [Hervorhebung im Original, TB] consists of the offenses committed by corporate officials on behalf of their corporations and the offenses of the corporations themselves.” Clinard et al. (1967/1994), S. 173. Vgl. auch Baucus (1989), S. 94 f.; Finney/Lesieur (1982), S. 263. 328 Während diese Unterscheidung in der angloamerikansichen Literatur als etablierter Standard betrachtet werden kann, bezeichnen die deutschen Autoren E. Samson und M. Langrock (2007) rechtswidriges Handeln von Mitarbeitern im vermeintlichen Interesse des Unternehmens als einen neuen „Typus von altruistisch motivierter Wirtschaftskriminialität im Unternehmen“. Samson/Langrock (2007), S. 1684. 329 Baucus (1989), S. 94. E. Szwajkowski (1985) definiert solche Verhaltensweisen wie folgt: „[…] legal prohibited action of organization members that is taken primarily on behalf of the organization.” Ebenda, S. 559. 330 Vgl. Samson/Langrock (2007), S. 1685. 331 Vgl. Cromme (2006), S. 21. 332 Vgl. Rafalko (1994), S. 626. 333 Vgl. Muschiol (2006), S. 42. 334 Baucus (1989), S. 94.
84
Interesse des Unternehmens geschieht, soll sie nachfolgend als unternehmensinterne Wirtschaftskriminalität bezeichnet werden. In den beiden folgenden Kapiteln soll aufgezeigt werden, welche Vorteile Unternehmen durch die Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme erzielen können. Zum einen wird der bessere Schutz der Unternehmensreputation betrachtet (4.1.1.1), zum anderen ein effektiverer Schutz vor unternehmensinterner Wirtschaftskriminalität (4.1.1.2).
4.1.1.1 Schutz der Unternehmensreputation Die Reputation eines Unternehmens kann als Vermögensgegenstand betrachtet werden (a). Im Interesse des Unternehmens besteht daher die Notwendigkeit, Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen (b). Welchen Beitrag interne Whistleblowing-Systeme hierzu leisten können, wird in Abschnitt (c) betrachtet. (a) Unternehmensreputation als Vermögensgegenstand Zu den langfristig wertvollsten Vermögenswerten eines Unternehmens zählt seine Reputation.335 Diese übt durch ihren Einfluss auf die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Kunden, Lieferanten, Eigentümern, Mitarbeitern und sonstigen Stakeholdern eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf dessen wirtschaftlichen Erfolg aus.336 C. Riel und C. Fombrun (2007) definieren die Reputation von Unternehmen als „overall assessment of organizations by their stakeholders. They are aggregate perceptions by stakeholders of an organization's ability to fulfil their expectations, whether these stakeholders are interested in buying the company's products, working for the company, or investing in the company's shares.”337 Entsprechend setzt sich die Reputation eines Unternehmens aus einer sozialen, einer
finanziellen,
zusammen.
338
einer
produkt-
und
einer
arbeitsmarktbezogenen
Komponente
Bevor auf die spezifische Wirkung dieser einzelnen Komponenten näher
eingegangen wird (2), sollen zunächst die Ursachen der hohen Bedeutung analysiert werden, die der Reputation von Unternehmen beigemessen wird (1).
335
„Reputation capital, then, seems to be a valuable asset and an important component of market value.” Mazzola et al. (2006), S. 387. Vgl. auch Roberts/Dowling (2002), S. 1077; Buff (2000), S. 38 f.; Shapiro (1983), S. 659; Wilson (1985), S. 27. 336 „Reputation […] can be a major factor in achieving competitive advantage.” Hall (1992), S. 138. Vgl. auch Brugger (2003), S. 81 und Schwalbach (2003), S. 228, S. 237. 337 Riel/Fombrun (2007), S. 43. 338 Vgl. Fombrun (1996), S. 37.
85
(1) Der Grund für die hohe Bedeutung der Reputation für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens liegt in den institutionellen Bedingungen, denen das Handeln von Unternehmen unterworfen ist. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Transaktionen auf Güter- oder Arbeitsmärkten oder um Interaktionen zwischen Unternehmen und sonstigen Stakeholdern handelt. All diese Interaktionen sind gekennzeichnet durch die Offenheit in Bezug auf die ihnen zugrunde liegenden Verträge bzw. die sie strukturierenden Institutionen. Darüber hinaus bestehen bei diesen Interaktionen Informationsasymmetrien über wesentliche Merkmale des Transaktionsgegenstands und das geplante Handeln der Interaktionspartner. Angesichts des eigeninteressierten Handelns individueller und korporativer Akteure führen Offenheit und Informationsasymmetrien zu Chancen und Risiken bezüglich des Gelingens der Interaktion bzw. bezüglich der Generierung von Kooperationsgewinnen.339 Um das im Interesse eines Akteurs liegende Gelingen der Interaktion zu ermöglichen, muss dieser glaubwürdig signalisieren, dass er auf die Nutzung der sich bietenden Chancen opportunistischen Verhaltens verzichtet. Glaubwürdiges „Signaling“ ist insbesondere dann gegeben, wenn einem Akteur durch sein eigenes opportunistisches Handeln ein Schaden entsteht, der den Nutzen dieses opportunistischen Handelns übersteigt.340 Für Unternehmen stellt das Tätigen von Investitionen in ihre Reputation eine solche Möglichkeit zum glaubwürdigen Signalisieren einer Nichtausbeutungsabsicht dar. Der Besitz einer „guten“ Reputation signalisiert einem potenziellen Interaktionspartner, dass er bei einer Interaktion
eine
Nichtausbeutung 341
vertrauenswürdig einstufen kann.
erwarten
und
folglich
das
Unternehmen
als
Die Reputation kann daher auch als „öffentliche
Information über die Vertrauenswürdigkeit eines Akteurs“ aufgefasst werden.342 Beim Vorliegen einer „guten“ Reputation kann somit eine Interaktion trotz Ausbeutungsrisiko eingegangen werden. Entsprechend besitzt die Reputation eine Überbrückungsfunktion in Situationen mit der Gefahr opportunistischen Verhaltens.343 Die Reputation eines Akteurs
339
Die sich aus der Offenheit von Institutionen ergebenden Chancen wurden in Kapitel 2.5.2 dargelegt. Es sei jedoch erneut betont, dass die Probleme der Offenheit von Institutionen und des Vorliegens von Informationsasymmetrien zwischen Akteuren darin zu sehen sind, dass diese beiden Faktoren opportunistisches Verhalten ermöglichen. Allein die potenzielle Gefahr, durch opportunistisches Verhalten eines Interaktionspartners ausgebeutet zu werden, kann Akteure dazu veranlassen, auf eine prinzipiell nutzengenerierende Interaktion zu verzichten. Diese Gefahr wird umso größer, je höher der Grad der Offenheit und das Ausmaß der Informationsasymmetrie zwischen beiden Akteuren sind. 340 Vgl. Klein/Leffer (1981), S. 616 f. 341 Vgl. Ripperger (1998/2003), S. 43. 342 Ripperger (1998/2003), S. 100. Ähnlich auch Wilson (1985), S. 28: „[…] the player’s reputation is the history of his previously observed actions.” 343 Vgl. Beckmann et al. (2005), S. 61.
86
schafft daher Berechenbarkeit für potenzielle Interaktionspartner und senkt somit die Transaktionskosten von Interaktionen mit diesen oder ermöglicht diese Interaktionen sogar erst.344 Eine solche „gute“ Reputation ist für Unternehmen jedoch nicht ad-hoc verfügbar, sondern muss allmählich durch entsprechende Investitionen, d. h. durch den Verzicht auf opportunistisches Verhalten, aufgebaut werden.345 Eine Reputation stützt sich zwar teilweise auf Erwartungen, basiert jedoch überwiegend auf gemachten Erfahrungen.346 Einem Unternehmen eröffnen Investitionen in seine Reputation demnach die Möglichkeit, gewinnbringende Interaktionen mit Marktteilnehmern einzugehen, die Konkurrenten mit fehlender oder „schlechterer“ Reputation nicht offenstehen, da diesen die Angst vor situationsabhängiger Ausbeutung entgegengebracht wird. Für ein Unternehmen stellt seine Reputation daher ein lohnendes Investitionsobjekt und einen Vermögensgegenstand dar.347 Erst das Vorhandensein einer entsprechenden Reputation macht das Verhalten eines Unternehmens in bestimmten Situationen für andere Marktteilnehmer berechenbar.348 (2) Wie sich Investitionen in die Reputation eines Unternehmens auf die Bereiche Produkt-, Finanz- und Arbeitsmarkt sowie auf die Beziehungen zu sonstigen Stakeholdern auswirken, wird nachfolgend skizziert.349 Dabei ist zu beachten, dass sich die Qualität der Reputation eines Unternehmens in verschiedenen Stakeholder-Gruppen massiv unterscheiden kann.350 Auf dem Gütermarkt ermöglicht es eine gute Reputation dem Unternehmen, für seine Produkte im Vergleich zu Wettbewerbern höhere Preise durchzusetzen, d. h. von einer geringeren Preissensitivität der Kunden zu profitieren und diese längerfristig an das
344
In diesem Sinne kann beim Vorhandensein einer „guten“ Reputation auch von einer „enabling“, also einer „ermöglichenden“ Reputation gesprochen werden. 345 Vgl. Schwalbach (2003), S. 227; Tirole (1988/1999), S. 80 346 Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 118 f. 347 Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 119. 348 Vgl. Bauhofer (2004), S. 15. 349 Oft werden bei Unternehmen die Begriffe Image und Reputation synonym verwendet. B. Bauhofer (2004), S. 17 f. argumentiert allerdings, dass es sich beim Image eines Unternehmens um eine Momentaufnahme dessen handelt, von dem Unternehmen „wollen, dass es die Öffentlichkeit sieht“ und dass es durch kurzfristig ausgerichtetes Marketing beeinflusst werden kann. Bei der Reputation hingegen handelt es sich um ein tiefer liegendes „Verständnis der dem Unternehmen zugrunde liegenden Werte“, welches im Allgemeinen auf gemachten Erfahrungen mit dem Unternehmen basiert und nur indirekt im Sinne der Handlungsfolgen von einem Unternehmen beeinflusst werden kann. Vgl. auch Argenti/Druckenmiller (2004), S. 369; Hall (1992), S. 138. Ein umfangreicher Überblick zur Abgrenzung der Begriffe Unternehmensimage und Unternehmensreputation anhand des Umfangs von deren inhaltlicher Überschneidung findet sich bei Argenti/Druckenmiller (2004) sowie bei Gotsi/Wilson (2001). 350 Vgl. Bauhofer (2004), S. 18; Gatewood et al. (1993), S. 419.
87 351
Unternehmen zu binden bzw. häufiger zu einem Kauf zu bewegen.
Als wesentlicher Faktor
für die Reputation eines Unternehmens in diesem Bereich gilt die Qualität der hergestellten Produkte.352 Auf den Finanzmärkten kann eine gute Reputation eines Unternehmens unter Investoren und Analysten dazu beitragen, dessen Fähigkeit zur Kapitalaufnahme zu stärken sowie gleichzeitig die damit verbundenen Kosten zu senken.353 Dies liegt zum einen daran, dass Investoren bei Unternehmen mit einer guten Reputation eine bessere Entwicklung des Unternehmenswertes erwarten.354 Zum anderen schätzen Investoren diese Unternehmen im Vergleich zur Gesamtheit der Unternehmen als weniger risikoreich ein. Die Investoren sind daher bereit, geringere Renditen bei gleichem Risiko zu akzeptieren. Als ausschlaggebend für die Reputation eines Unternehmens am Kapitalmarkt betrachten P. Mazzola et al. (2006) die persönliche Integrität des Managements, die Transparenz der Unternehmensziele sowie das Vorhandensein eines funktionierenden internen Kontrollsystems.355 Auf dem Arbeitsmarkt besitzen Unternehmen mit einer guten Reputation insofern einen Wettbewerbsvorteil, als dass ihre Mitarbeiter aufgrund der guten Reputation eine höhere intrinsische Motivation bei der Arbeit besitzen oder bereit sind, für ein geringeres Gehalt zu arbeiten. Dies resultiert u. a. in einem höheren Arbeitseinsatz oder geringeren Lohnkosten.356 Des Weiteren fallen geringere Kosten für den Vertragsabschluss sowie für dessen Überwachung an.357 Ein weiterer Vorteil einer guten Unternehmensreputation ist, dass solche Unternehmen eher in der Lage sind, hochqualifiziertes Personal auf dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren und langfristig an sich zu binden.358 Auch im Umgang mit sonstigen Stakeholder-Gruppen ist die Bedeutung der Reputation eines Unternehmens nicht zu unterschätzen. Leisinger (2003) weist zu Recht darauf hin, dass eine gute Unternehmensreputation hilfreich sei, „Friktionskosten mit dem gesellschaftlichen Umfeld“359 zu verhindern. Dadurch wird es der Führung eines Unternehmens ermöglicht, ihre 351
Vgl. Aaker (1991), S. 16; Wilson (1985), S. 52 f.; Yoon et al. (1993), S. 220–226. Vgl. Milgrom/Roberts (1986), S. 817; Klein/Leffer (1981), S. 624 sowie Shapiro (1983), S. 659. Vgl. Riel/Fombrun (2007), S. 47; Vergin/Qoronfleh (1998), S. 19. 354 Vgl. Shefrin (2001), S. 177. 355 Vgl. Mazzola et al. (2006), S. 390. 356 „Firms are able to earn rents from their information capital by paying wages that are lower than would otherwise be neccessary to attract and retain labor of a similar quality.” Chauvin/Guthrie (1994), S. 554. 357 Vgl. Roberts/Dowling (2002), S. 1079. 358 Vgl. Davies (2006), S. 52; Gatewood et al. (1993), S. 423; Riel/Fombrun (2007), S. 47; Vergin/Qoronfleh (1998), S. 19. 359 Leisinger (2003), S. 242. 352 353
88
Managementkapazität auf betriebswirtschaftliche Sachverhalte zu konzentrieren und so am langfristigen Erfolg des Unternehmens zu arbeiten, statt diese kurzfristig für die Erhaltung der „licence to operate“ und damit für die Erhaltung des Status quo einsetzen zu müssen. Welche Bedeutung dem Schutz der Unternehmensreputation in der Praxis beigemessen wird, zeigt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) zu den Schäden von Wirtschaftskriminalität.360 Darin beklagen die von Wirtschaftskriminalität geschädigten deutschen Unternehmen immaterielle Folgen, die sich nach eigener Einschätzung in einer Beeinträchtigung von Geschäftsbeziehungen, einem Reputationsverlust für das Unternehmen bzw. die Marke, einem Rückgang der Arbeitsmoral, in beeinträchtigten Beziehungen zu Regulierungsbehörden sowie einem gesunkenen Aktienkurs manifestieren.361
Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehung
54
Reputationsverlust für das Unternehmen/ die Marke
31
Rückgang der Arbeitsmoral
25
Beeinträchtigung der Beziehungen zu Regulierungsbehörden
23
Rückgang des Aktienkurses1
14 0
10
20
30
40
50
60
% der berichteten Fälle in Deutschland – Einschätzung durch das Topmanagement 1. Globale Erhebung
Abbildung 7: Art der indirekten Schäden durch Wirtschaftskriminalität bei Unternehmen in Deutschland 2005–2007; Quelle: PWC (2007), S. 21.
(b) Notwendigkeit zum Schutz der Unternehmensreputation Angesichts der hohen Bedeutung einer guten Reputation für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist es Aufgabe des Managements, beim Handeln des Unternehmens mögliche
360 361
Die Umfrage basiert auf den Daten von 1116 befragten deutschen Unternehmen. Vgl. PWC (2007), S. 3. Vgl. PWC (2007), S. 20.
89
Aus- bzw. Rückwirkungen auf dessen Reputation zu beachten. Dies muss insbesondere vor dem Hintergrund geschehen, dass sich der Aufbau von Reputation deutlich langsamer vollzieht als deren Abbau oder Zerstörung.362 Auslöser für den Reputationsverlust können oftmals schon einzelne Handlungen der Organisationsführung sein, die von der Öffentlichkeit als unethisch empfunden werden.363 Die Folgen eines Reputationsverlustes beschreiben P. Argenti und B. Druckenmiller (2004) wie folgt: „[…] a damaged reputation can harm employee and customer loyalty, threatening a company's viability. Public confidence in business is low, and public scrutiny of business is high.”364 Die Folgen ähneln also jenen, die mit dem Verlust der „licence to operate“ verbunden sind.365 Bei börsennotierten Unternehmen kann bei einem hohen Reputationsverlust auch die Marktkapitalisierung deutlich zurückgehen und das Unternehmen so anfälliger für Übernahmen durch Konkurrenten oder Finanzinvestoren machen.366
Angesichts des langen Zeitraums und der hohen Investitionen, die zum Aufbau einer guten Reputation erforderlich sind, und des Risikos, diese durch einen einzelnen Vorfall zu beschädigen
oder
zu
zerstören367,
zeigt
sich,
dass
es
für
eine
wertorientierte
Unternehmensführung erforderlich ist, die Reputation eines Unternehmens durch ein geeignetes unternehmensinternes Kontrollsystem vor Schaden zu bewahren. Zum Schutz der Unternehmensreputation reicht es jedoch nicht aus, lediglich ein unternehmensinternes Kontrollsystem einzurichten und dessen technisch fehlerfreies Funktionieren zu gewährleisten. Zwar können dadurch die „technischen Voraussetzungen“ für den Schutz der Unternehmensreputation als erfüllt betrachtet werden; mindestens ebenso wichtig ist es aber, die Gesellschaft bzw. die interessierten Stakeholder-Gruppen über dessen Existenz und Funktionsweise zu informieren.368 Schließlich wird die Reputation, wie oben
362
Vgl. Grunwald (2003), S. 198. So zerstörte das von der Öffentlichkeit als unverantwortlich wahrgenommene Handeln der Führung des amerikanischen Ölkonzerns Exxon in Folge des Unglücks der „Exxon Valdez“ vollständig dessen Reputation. Im Reputationsranking des amerikanischen Wirtschaftsmagazins Forbes fiel Exxon von Platz sechs im Jahr 1989 auf Platz 110 im Jahr 1990. Vgl. Vergin/Qoronfleh (1998), S. 20 f. In Europa hatte die bereits beschriebene geplante Versenkung der Brent Spar ähnliche Folgen für den Shell-Konzern. 364 Argenti/Druckmiller (2004), S. 368. 365 Vgl. Brugger (2003), S. 78. 366 Vgl. Vergin/Qoronfleh (1998), S. 24. 367 Vgl. Stock (2005), S. 10. 368 Vgl. Mazzola et al. (2006), S. 399. 363
90
diskutiert, durch das Bild der Öffentlichkeit hinsichtlich Werten und Einstellungen und durch die mit einem Unternehmen gemachten Erfahrungen geprägt. Glaubwürdigkeit wird insbesondere dann geschaffen, wenn an die Öffentlichkeit kommunizierte Informationen deutlich umfangreicher und detaillierter sind, als dies durch gesetzliche Normen im Rahmen von Veröffentlichungspflichten vorgeschrieben wird. Durch eine solche Verhaltensweise schafft ein Unternehmen eine hohe Transparenz. Indem ein Unternehmen
z. B.
detaillierte
Informationen
über
sein
internes
Kontrollsystem
kommuniziert, signalisiert es Vertrauenswürdigkeit und kann sich bei seinen Stakeholdern als Partner für bereits bestehende und zukünftige Interaktionen empfehlen. Die Ursache für die Glaubwürdigkeit und die bessere Reputation, die Unternehmen durch diese Transparenz schaffen, kann darin gesehen werden, dass sie den verschiedenen Stakeholdern durch die bereitgestellten Informationen die Möglichkeit geben, ihr Handeln besser zu überwachen oder zu kontrollieren. Diese Informationen können sich insbesondere auf das Vorhandensein sowie die Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems beziehen.369 Auf eine Offenlegung von Informationen über dessen Nutzung, z. B. die Anzahl gemeldeter und gelöster Fälle oder Formen gemeldeten Fehlverhaltens, sollte allerdings verzichtet werden, da hiervon die Gefahr einer öffentlichen Missinterpretation mit all den damit verbundenen Risiken ausgehen kann. Externen
Stakeholdern
zum
besseren
Schutz
der
Unternehmensreputation
Kontrollmöglichkeiten einzuräumen, scheint angesichts des substitutiven Verhältnisses von Reputation und Kontrolle zunächst widersprüchlich. Schließlich wird die Reputation gerade dazu eingesetzt, die Überwachung und Kontrolle von Interaktionen überflüssig zu machen. Dieser Widerspruch kann jedoch aufgelöst werden, indem die Einräumung einer Möglichkeit zur Kontrolle als Bedingung für den Einsatz von Reputation betrachtet wird. Unternehmen können sich im Rahmen ihrer spezifischen Reputation als vertrauenswürdige Akteure präsentieren, während Stakeholder auf eine Wahrung ihrer Interessen im Rahmen von Interaktionen mit solchen Unternehmen vertrauen können. Die Einräumung der Möglichkeit zur Kontrolle durch Stakeholder stützt somit „eine situative Nichtausbeutungserwartung“370 im gegenseitigen Interesse.
369 370
„[…] corporations could disclose information regarding their whistleblower system. For example corporations might pulicize the structure of their whistleblower disclose model”. Moberly (2007), S. 1111. Beckmann et al. (2005), S. 63.
91
Nachfolgend wird aufgezeigt, welchen spezifischen Beitrag unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme als Teil eines unternehmensinternen Kontrollsystems zum Schutz der Reputation von Unternehmen leisten können. (c) Interne Whistleblowing-Systeme zum Schutz vor Reputationsschäden Reputationsschädigende
Verhaltensweisen
können
in
sämtlichen
Bereichen
eines
Unternehmens auftreten. Zwar sind insbesondere in Großunternehmen verschiedene Organisationseinheiten explizit mit Kontrollaufgaben betraut, die ein gesetzeskonformes bzw. im Interesse des Unternehmens liegendes Verhalten von Management und Mitarbeitern sicherstellen sollen. Die Überwachung durch diese Organisationseinheiten (z. B. das Controlling, die Interne Revision oder die Rechtsabteilung) erfolgt jedoch meist stichpunktartig und ist auf spezifische Sachverhalte oder auf bestimmte sensible Bereiche und Stellen fokussiert, die mit vertraulichen Informationen in Berührung kommen oder besonders korruptionsanfällig sind. Verhaltensweisen, die das Potenzial haben, die Reputation eines Unternehmens
schwerwiegend
zu
beschädigen,
können
sich
allerdings
in
allen
Organisationseinheiten ereignen. Eine Unterbindung kann durch derartig selektive Kontrollen daher kaum gewährleistet werden.371 Ein
Vorteil
eines
internen
Whistleblowing-Systems
zum
Schutz
der
Unternehmensreputation besteht demnach in der Ausweitung der Reichweite der Kontrollwirkung. Durch die Einrichtung eines internen Whistleblowing-Systems wird allen Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben, Informationen über illegale oder unethische Verhaltensweisen,
deren
Entdeckung
durch
externe
Dritte
für
ein
Unternehmen
reputationsschädigend wäre, vertraulich oder anonym offenzulegen. Auf diese Weise wird der Kontrollbereich im Vergleich zum Status quo zum Vorteil des Unternehmens deutlich ausgeweitet und die Gefahr, dass Mitarbeiter aufgrund einer fehlenden internen Kommunikationsmöglichkeit zu externem Whistleblowing greifen, sinkt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass durch entsprechende Trainings im Rahmen der Einführung eines Whistleblowing-Systems das Bewusstsein der Mitarbeiter für ein gesetzeskonformes und gesellschaftlichen Erwartungen entsprechendes Handeln deutlich zunimmt. Die Zahl der illegalen oder unethischen Verhaltensweisen, die durch Unkenntnis hervorgerufen werden, kann so erheblich reduziert werden. Statt als Aufgabe einer spezifischen Abteilung oder Stelle kann die Sicherstellung eines mit gesellschaftlichen
371
Vgl. Hofmann (2006), S. 121.
92
Erwartungen oder Normen konformes Handeln als Aufgabe eines jeden einzelnen Mitarbeiters betrachtet werden. Des Weiteren kann die Erwartung an die Mitarbeiter ausgesprochen werden, beobachtetes Fehlverhalten frühzeitig zu kommunizieren. Ein weiterer Vorteil unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme zum Schutz gegen Reputationsschäden ist, dass durch Whistleblowing offengelegte Informationen der Unternehmensleitung deutlich schneller zur Verfügung stehen.372 Entsprechend zeitnah können notwendige Maßnahmen zur Beseitigung des Fehlverhaltens eingeleitet werden.373 Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass beim Whistleblowing die üblichen Hierarchiewege umgangen
werden.
Unternehmenseinheiten
wie
die
Interne
Revision,
die
mit
Kontrollaufgaben betraut sind, sind hingegen an die Dienstwege gebunden. Dieser Zeitvorteil ist für die Vermeidung von Reputationsschäden von großer Bedeutung, da die Stakeholder in den meisten Fällen von potenziell reputationsschädigendem Verhalten ein unverzügliches Handeln der Unternehmensleitung erwarten.374 Interne Whistleblowing-Systeme leisten demnach aus vier Gründen einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Unternehmensreputation bei Fehlverhalten von Mitarbeitern: (1) Aufgrund der größeren Reichweite ihrer Überwachungswirkung, (2) durch die verringerte Gefahr einer externen Kommunikation, (3) angesichts ihrer Aufklärungswirkung und (4) dank der verkürzten Reaktionszeit beim Auftreten von Fehlverhalten.375
Massive Reputationsschäden können allerdings nicht nur aus tatsächlichem, sondern auch aus der öffentlichen Kommunikation von vermeintlichem Fehlverhalten entstehen.376 So sind Situationen denkbar, in denen Mitarbeiter Verhaltensweisen anderer Mitarbeiter beobachten und diese irrtümlicherweise als illegal oder unethisch einordnen. Kommunizieren sie ihre Beobachtung zunächst an einen Vorgesetzten und werden von diesem hinsichtlich ihrer Befürchtungen nicht ausreichend ernst genommen, können sie sich möglicherweise dazu entschließen, sich mit ihren Informationen über einen vermeintlichen Skandal an die
372
Vgl. Berry (2004), S. 1; Moberly (2006), S. 1149. Auch Bednar et al. (2003) weisen auf diesen Aspekt im Rahmen von „effektiven“ Compliance-Systemen hin. „An effective compliance program enables organizations to detect violations at an earlier stage than might otherwise occur.” Ebenda, S. 27. Zutreffend ist dieses Argument jedoch nur für interne Whistleblowing-Systeme. 373 „Benefits of internal whistleblowing include facilitating the prompt investigation and correction of wrongful conduct”. Dworkin (2007), S. 1760. 374 Vgl. Dunfee (1990), S. 132. 375 „Internal whistle-blowing which reveals correctable harms should generally prevent a significant loss of reputation.” Dunfee (1990), S. 134. Vgl. auch Hunziker (2007), S. 169 f. 376 Vgl. Leisinger (2003), S. 53.
93
Öffentlichkeit zu wenden. Dies gilt auch für den Fall, dass Mitarbeiter Informationen über Fehlverhalten unmittelbar an unternehmensexterne Dritte kommunizieren.377 Werden diese Informationen dann ungeprüft von der Presse aufgegriffen, kann einem Unternehmen ein massiver Reputationsschaden entstehen. „Invalid external whistleblowing based upon incorrect facts or improper assessment of the consequences or character of the alleged wrong, can hurt the target firm. […] there may be substantial cost incurred by the target firm including the loss of reputation resulting from the false charges”.378 Auch wenn die Vorwürfe, die im Rahmen von externem Whistleblowing gegenüber einem Unternehmen geäußert werden, jeglicher Grundlage entbehren, belasten sie zunächst die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Stakeholdern. Durch die erhobenen Vorwürfe können sich auch staatliche Behörden zu Untersuchungen veranlasst sehen, was zu einer Verstärkung des Reputationsschadens führen kann. In solchen Fällen entstehen dem Unternehmen massive Kosten: Zum einen sind die Folgekosten des bis zur Klärung der Vorwürfe eintretenden Reputationsschadens zu nennen; zum anderen entstehen erhebliche Kosten zur Entkräftung der Vorwürfe und für eine entsprechende Pressearbeit, welche den durch die negative Berichterstattung entstandenen Reputationsschaden umgehend zu korrigieren versucht.379 Interne Whistleblowing-Systeme bieten in den Fällen, in denen eine erste Kommunikation der Beobachtung gegenüber dem direkten Vorgesetzten aus Sicht des Mitarbeiters erfolglos bleibt, einen internen Kommunikationskanal für derartige Mitteilungen. Dem Unternehmen bzw. der Unternehmensführung wird so die Möglichkeit gegeben, die berichteten Sachverhalte schnell unternehmensintern aufzuklären. „Internal whistleblowing also enables the correction of misunderstanding, which reduces the likelihood that the organization and its employees will unfairly suffer harm.”380 In Fällen, in denen dann trotz interner Untersuchungen und Klärung der Vorwürfe ein externes Whistleblowing erfolgt, kann auf Basis der vorausgegangenen Prüfung der Vorwürfe durch das Unternehmen zeitnah und umfassend dargelegt werden, weshalb die Vorwürfe als unzureichend zurückgewiesen
377
Vgl. OECD (2000), S. 7. Dunfee (1990), S. 131 f. 379 Vgl. Bürkle (2004), S. 2159. 380 Dworkin (2007), S. 1760. Ähnlich auch Moberly (2006): „When an employee reports wrongdoing internally rather than externally, corporations learn about mistaken employee views and perspectives before these mistaken views are made public, at which point they are harder to correct. This early detection allows corporations to avoid cost related to negative publicity and government intervention that follows external whistleblowing.” Ebenda, S. 1148 f. 378
94
wurden.381 Einer eventuell auftretenden öffentlichen Kritik und deren Auswirkungen auf die Reputation kann somit wirksam und frühzeitig entgegengetreten werden.
Ein möglicher Kritikpunkt an einem unternehmensinternen Whistleblowing-Systems zum Schutz der Unternehmensreputation ist, dass allein dessen Einführung die Reputation des Unternehmens schädigen könnte. Schließlich kann die Öffentlichkeit dieses Handeln als Hinweis auf bestehendes Fehlverhalten im Unternehmen interpretieren. Aufgrund der oben aufgezeigten Argumentation scheint diese Befürchtung allerdings unbegründet; vielmehr unterstreicht die Einführung eines internen Whistleblowing-Systems die Ernsthaftigkeit unternehmensspezifischer
Bemühungen,
einen
aktiven
Part
bei
der
Aufklärung
unternehmensinternen Fehlverhaltens zu übernehmen und damit ein vertrauenswürdiger Interaktionspartner für die eigenen Stakeholder zu sein. Auf diese Weise kann ein unternehmensinternes
Whistleblowing-System
maßgeblich
zur
Abwehr 382
Reputationsschäden bzw. zur Verbesserung der Unternehmensreputation beitragen.
von Zum
gleichen Schluss kommt J. Wieland (1998), der argumentiert, „dass es für Unternehmen rational ist, in ihre Reputation zu investieren und zwar durch die Aufdeckung eigenen Fehlverhaltens. Unabhängig davon, ob dies nun voll oder teilweise dem Unternehmen oder dem Mitarbeiter zugerechnet wird, erwirbt sich das Unternehmen auf diese Weise eine Reputation für Gesetzestreue [und, TB] Vertrauenswürdigkeit […]. Es bleibt dadurch kooperationsfähig auch mit Vertragspartnern, die es (oder einer seiner Mitarbeiter) zuvor geschädigt hat.“383
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass interne Whistleblowing-Systeme aufgrund ihrer im Vergleich zu anderen betrieblichen Kontrollsystemen spezifischen Vorteile einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Unternehmensreputation leisten können. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme dazu beitragen können, das Ausmaß eigeninteressierten, wirtschaftskriminellen Handelns von Managern und Mitarbeitern zu reduzieren.
381
Vgl. Moberly (2006), S. 1154. „[…] it seems plausible that the act of establishing a system whereby employees can express concerns internally would be favourably interpreted.” Dunfee (1990), S. 134. Vgl. auch Breinlinger/Krader (2006), S. 61. 383 Wieland (1998), S. 54. 382
95
4.1.1.2 Verbesserung des Schutzes vor unternehmensinterner Wirtschafts-kriminalität Kriminelles Handeln eigener Mitarbeiter und Manager auf Kosten des Unternehmens stellt eine große Herausforderung an Unternehmen dar. Daher soll zunächst die Notwendigkeit des Schutzes vor solchem Handeln durch interne Kontrollen dargelegt werden (a). Anschließend wird diskutiert, welchen Beitrag unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme hierzu leisten können (b). (a) Notwendigkeit des Schutzes In einer repräsentativen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC im Jahr 2007 wurde erhoben, dass zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2007 49 % aller deutschen Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität wurden.384 Im Vergleich zu einer vorausgegangenen Erhebung von PWC aus dem Jahr 2005 bedeutet dies einen Anstieg um drei Prozentpunkte bzw. um etwa sieben Prozent.385 Zu den Faktoren, die einen hohen Einfluss auf das Auftreten von Wirtschaftskriminalität im Unternehmen haben, zählen u. a. die Branche, die Unternehmensgröße, die jeweilige wirtschaftliche Situation, das Betriebsklima sowie das Problembewusstsein.386 Besonders häufig traten die Delikte Unterschlagung und Betrug auf.387 Diese beiden Arten kriminellen Verhaltens wurden von 33 % aller antwortenden Unternehmen in Deutschland als bei ihnen auftretende Form von Wirtschaftskriminalität genannt.388 Produktpiraterie bzw. Industriespionage sowie Korruption folgen mit 18 % bzw. 10 %.
384
Vgl. PWC (2007), S. 11. In einer Erhebung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG für die USA im Jahr 2003 gaben sogar 75 % aller befragten Unternehmen an, in den vorausgehenden zwölf Monaten Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden zu sein. Vgl. KPMG (2003), S. 4. 385 Vgl. PWC (2007), S. 11. 386 Siehe ausführlich hierzu: Bussmann/Salvenmoser (2006), S. 205–207. 387 Diese Begriffe werden in der vorausgegangenen Studie von PWC wie folgt definiert. „Betrug: Erlangung eines Vermögensvorteils durch Täuschung.“ „Unterschlagung: Zueignung von Sachen, über die man Verfügungsmacht besitzt.“ PWC (2005), S. 42. 388 Vgl. auch Huntington/Davies (1994/1998), S. 12.
96
Unterschlagung/Betrug
33
Produktpiraterie/Industriespionage
18
Korruption
10
Geldwäsche
7
Falschbilanzierung
4
Alle Deliktarten
49 0
10
20
30
40
50
% der Unternehmen
Abbildung 8: Verbreitung von Deliktsarten bei Unternehmen in Deutschland 2005–2007; Quelle: PWC (2007), S. 11.
Wird die Herkunft der Täter betrachtet, ist auffällig, dass es sich in 46 % der Fälle um Unternehmensangehörige handelt. In weiteren 10 % der Fälle sind Unternehmensangehörige sowie externe Dritte gleichermaßen verantwortlich.389 Dies stellt für Unternehmen insofern eine Bedrohung dar, als dass sich das Risikomanagement oft nur auf die Abwehr von unternehmensexternen Gefahren konzentriert.390 Bezüglich der Hierarchie im Unternehmen ist festzuhalten, dass fast die Hälfte (45 %) der internen Täter im Management des Unternehmens tätig ist.391 Trotz dieser Fakten stehen viele Unternehmen institutionalisierten Bemühungen, durch interne Maßnahmen ein mit den Interessen des Unternehmens übereinstimmendes Verhalten sicherzustellen, äußerst kritisch gegenüber. Die Einstellung „so etwas passiert doch bei uns nicht“ ist weit verbreitet.392 PWC (2007) weist jedoch darauf hin, dass das tatsächliche Risiko eines Unternehmens, Opfer von Wirtschaftskriminalität zu werden, sehr hoch ist: „Weltweit
389
Vgl. PWC (2007), S. 39. Dieser hohe Prozentsatz interner Täter wird auch in einer Befragung von KPMG für die USA bestätigt. Vgl. KPMG (2003), S. 4. Vgl. Huntington/Davies (1994/1999), S. 14. 391 Vgl. PWC (2007), S. 39. 392 Vgl. Tödtmann (2006), S. 8. 390
97
unterschätzen Unternehmen das Risiko, in den nächsten zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität zu werden, erheblich. Nur 11 % halten das Risiko, Opfer irgendeines Deliktes zu werden, für wahrscheinlich (Deutschland 10 %), und das, obwohl fast jedes zweite Unternehmen in unserer Studie hierüber berichtet hat.“393
Das fehlende Bewusstsein für die Gefahr, Opfer des kriminellen Verhaltens des eigenen Managements oder der Mitarbeiter zu werden, lässt sich in erster Linie dadurch erklären, dass Unternehmen, die über keine oder nur unzureichende Kontrollmechanismen verfügen, nicht in der Lage sind, illegales Verhalten zu entdecken. Es kann daher auch von einem Kontrollparadoxon gesprochen werden. Erst durch die Einrichtung von umfassenden Kontrollmechanismen und einer erhöhten Sensibilität gegenüber kriminellem Verhalten steigt die Wahrscheinlichkeit für dessen Entdeckung. Ohne diese Vorkehrungen wird illegales Verhalten kaum entdeckt. Somit ergibt sich das Paradoxon, dass durch zunehmende Investitionen in die Entdeckung und Prävention von Wirtschaftskriminalität steigende Fallzahlen
auftreten.
Erst
längerfristig
führen
umfassendere
Kontroll-
und
Entdeckungsmaßnahmen aufgrund eines höheren Entdeckungsrisikos zu einem Rückgang der Wirtschaftskriminalität.394 Entsprechend lässt sich beobachten, dass viele Unternehmen oft erst handeln, nachdem größere Fälle illegalen Verhaltens im Unternehmen aufgetreten sind.395 Bis zur Aufdeckung eines Falles von unternehmensinterner Wirtschaftskriminalität werden die vorhandenen Kontrollmechanismen wie das Vier-Augen-Prinzip als vollkommen ausreichend erachtet (sofern derlei Mechanismen überhaupt vorhanden sind).396 Die hohen finanziellen, teilweise existenzbedrohenden Schäden sowie ein möglicher Reputationsschaden weisen nachdrücklich auf die Konsequenzen falsch verstandenen Vertrauens hin.
393
PWC (2007), S. 12. Siehe hierzu ausführlicher Bussmann (2007), S. 17 f.; PWC (2007), S. 30. Vgl. auch Bussmann/Werle (2006), S. 1130. 395 Vgl. Schönefeldt (2005), S. 37; Schumacher (2007), S. 135 f. Beispielhaft hierfür können die Korruptionsvorfälle bei der deutschen Tochter eines Handelsunternehmens für Inneneinrichtung genannt werden. Die „Krisenkommunikatorin“ des Konzerns traf nach dem Auftreten dieser Fälle folgende Aussage: „Das war ein riesiger Schock für alle – mit solchen kriminellen Machenschaften hatten wir nie und nimmer gerechnet. Klar: Unsere Mitarbeiter haben viel Eigenverantwortung und Handlungsspielraum. Aber zugleich sind Bescheidenheit und Vertrauen Werte, die [das Unternehmen, TB] sehr hoch hält.“ Terpitz (2007), S. 1. 396 So besitzt z. B. nach einer Umfrage der Zeitung Handelsblatt und der Personalvermittlungsfirma Randstad nur jedes dritte von 300 befragten Unternehmen feste Kontrollmechanismen oder Gremien für die Früherkennung möglicher Korruptionstaten. Selbst bei Unternehmen mit über 2000 Mitarbeitern verfügt nur jedes zweite Unternehmen über irgendeine Form der institutionalisierten Kontrolle des Verhaltens von Organisationsmitgliedern. Vgl. Terpitz (2007), S. 1. 394
98
Bei den Bemühungen von Unternehmen zur Bekämpfung von unternehmensinternem Fehlverhalten kommen oft Verhaltenskodizes zur Anwendung. Diese sollen durch die Festlegung von verbindlichen Regeln und Verhaltensstandards für alle Mitarbeiter zur Unterbindung von Fehlverhalten im Unternehmen beitragen.397 Allerdings
kann,
wie
oben
analysiert,
eine
effektive
Bekämpfung
von
Wirtschaftskriminalität nicht ohne effiziente Kontrollsysteme auskommen. (b) Interne Whistleblowing-Systeme zur Verbesserung der Kontrollwirksamkeit Kontrollen zur Überwachung der Befolgung von Verhaltenskodizes werden meist von einer internen Compliance-Abteilung in Zusammenarbeit mit Rechtsabteilung, Controlling und Interner Revision durchgeführt.398 Eine solche organisatorische Ausgestaltung der Compliance-Kontrolle ist jedoch mit zwei Problemen behaftet: Derartige Kontrollen können meist nur stichpunktartig vorgenommen werden. Eine flächendeckende, effektive Überwachung ist angesichts knapper Ressourcen und der insbesondere in großen Unternehmen anzutreffenden dezentralen Entscheidungsfindung und stark ausgeprägten Arbeitsteilung kaum möglich. Das Abschreckungsrisiko für Mitarbeiter hinsichtlich illegalen Handelns zum Schaden des Unternehmens ist daher eher als gering zu betrachten. Das zweite Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass eine Compliance-Abteilung meist nur formal über die Befolgung des Verhaltenskodex wacht. Die tatsächliche Kontrolle wird oft von anderen Organisationseinheiten wie etwa der Rechtsabteilung, dem Controlling oder der Internen Revision wahrgenommen. Für diese Abteilungen stellt die ComplianceÜberwachung jedoch nur einen kleinen Bereich ihrer Gesamtaufgabe dar. Dementsprechend kann, z. B. aufgrund fehlenden Know-hows oder mangelnder Ressourcen, oft keine effektive Kontrolle gewährleistet werden. Als Ausdruck dieser Probleme bei der Bekämpfung interner Wirtschaftskriminalität kann die folgende Grafik interpretiert werden. 14 % aller bei deutschen Unternehmen entdeckten Fälle von Wirtschaftskriminalität lassen sich auf die Arbeit der Internen Revision zurückführen. 67 % der Fälle hingegen wurden aufgrund zufälliger bzw. unsystematischer
397
Auf das Konzept der Compliance, die Bestandteile eines Compliance-Programms, dessen Funktionsweise sowie die Einbettung von Whistleblowing-Systemen in Compliance-Bemühungen wird vertiefend in Kapitel 5.2 eingegangen. 398 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2627.
99 399
Hinweise von Mitarbeitern oder unternehmensexternen Dritten oder durch Zufall entdeckt.
Interne Revision Ermittlungen der Polizei/ Staatsanwaltschaft Unternehmenssicherheit
14 3 3
Risikomanagement Personal- oder Aufgabenwechsel Interner Hinweis
1 1 38
Externer Hinweis
Zufall
Kontrollen
Lediglich 3 % sind den Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden zu verdanken.400
26
Durch Zufall
3
Andere
6 0
10
20
30
40
% der berichteten Delikte – nur Erstentdeckung
Abbildung 9:
Ziel
der
Entdeckungswege von Wirtschaftskriminalität in Deutschland; Quelle: PWC (2007), S. 32.
unternehmensinternen
Bemühungen
zur
Bekämpfung
interner
Wirtschaftskriminalität muss es daher sein, das Wissen von Mitarbeitern sowie deren Hinweise auf illegales Verhalten systematisch zu nutzen. Zu diesem Zweck müssen Mitarbeiter dazu bewegt werden, ihr Wissen der Unternehmensführung bzw. der im Unternehmen für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität zuständigen Stelle zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise kann der Anteil zufällig eingehender Hinweise konsequent zugunsten systematisch eingehender Hinweise reduziert werden.401 Dies kann mit der Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems erreicht werden.402
399
Analog dem Vorgehen von PWC wurden die Entdeckungsquoten durch interne und externe Hinweise (38 % bzw. 26 %) sowie der Anteil zufälliger Hinweise (6 %) addiert. Vgl. PWC (2007), S. 32. Dieser Befund wird durch die Ergebnisse der genannten KPMG-Studie über amerikanische Unternehmen bestätigt. Vgl. KPMG (2003), S. 9. 401 Vgl. PWC (2007), S. 33. 402 Vgl. Bussmann (2007), S. 19. „Comparing companies which have implemented a whileblowing system with those which have not shows that whistleblowing seems to substitute for external or internal tip-offs as well as accidental detections.” Bussmann/Werle (2006), S. 1135. 400
100
Durch die Einbindung aller Mitarbeiter erzielen unternehmensinterne WhistleblowingArrangements eine Ausweitung des Überwachungsbereiches und damit dessen bessere Kontrolle. Durch die Einführung eines Whistleblowing-Systems erhält jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, Informationen über illegale Verhaltensweisen von Mitarbeitern, die das Unternehmen vorsätzlich schädigen, zu kommunizieren. Auf diese Weise werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, im Unternehmen vorhandenes Wissen um illegales Verhalten besser zu nutzen und die Wahrscheinlichkeit für die Entdeckung desselben zu steigern. Des Weiteren werden die Mitarbeiter durch die Einführung eines WhistleblowingSystems und die damit verbundenen Schulungen für die Rechtswidrigkeit bestimmter Verhaltensweisen nachhaltig sensibilisiert. Vor diesem Hintergrund ist anzumerken, dass der Erfolg von Whistleblowing-Systemen von der Art des illegalen Verhaltens abhängig ist. „Whistleblowing systems had a different impact on the detection of different types of crime. They proved to be most effective for detecting corruption and bribery, but insignificant for money laudering and illicit insider trading.”403 Die nachfolgende Grafik zeigt für unterschiedliche Arten von Fehlverhalten den Anteil, welcher in viktimisierten Unternehmen durch Whistleblowing-Systeme aufgedeckt wurde.
Korruption
15
Unterschlagung/Betrug
7
Industriespionage
4 0
5
10
15
% der viktimisierten Unternehmen
Abbildung 10: Aufdeckung von Fehlverhalten durch Hinweisgebersysteme; Quelle: Bussmann (2007), S. 18.
403
Bussmann/Werle (2006), S. 1135.
101
Fehlverhalten wie Korruption oder Unterschlagung bzw. Betrug wird oftmals nur dann aufgedeckt, wenn der Täter bzw. ein beteiligter Akteur bereit ist, seine Mitwirkung an derartigem Verhalten offenzulegen.404 Da er durch sein Handeln jedoch selbst das Unternehmen geschädigt hat, ist eine solche Offenlegung gewöhnlich nicht zu erwarten.405 Die hohe Eignung von Whistleblowing zur Aufklärung solcher Arten illegalen Verhaltens lässt sich auf die Kombination zweier Faktoren zurückführen. Erstens wird durch Whistleblowing Kollegen des Täters die Möglichkeit eingeräumt, eigene Hinweise bzw. Indizien für ein entsprechendes Fehlverhalten zu kommunizieren. Zweitens wird die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Abgabe von Hinweisen möglicherweise dadurch erhöht, dass durch diese Formen des Fehlverhaltens dem Unternehmen gravierender Schaden zugefügt werden kann und dessen Verhinderung somit innerbetrieblich als sozial akzeptiert gilt. Bei Fehlverhalten wie dem Insiderhandel, der eher als „Kavaliersdelikt“ aufgefasst wird, sind diese Bedingungen nicht erfüllt. Wie bereits betont, ist die Voraussetzung für die Realisierung der genannten Vorteile, dass von
Mitarbeitern
entdecktes
wirtschaftskriminelles
Verhalten
gegenüber
den
für
Whistleblowing verantwortlichen Stellen tatsächlich kommuniziert wird.406 Hierzu ist zum einen eine Ausgestaltung des Whistleblowing-Systems erforderlich, die den Interessen eines potenziellen Whistleblowers in überzeugender Weise Rechnung trägt. Zum anderen ist umfassende Überzeugungsarbeit durch das Management erforderlich. Es muss glaubhaft kommunizieren, dass Whistleblowing von der Unternehmensleitung tatsächlich gewünscht wird und der Mitarbeiter keine Vergeltung für sein Verhalten zu befürchten hat.407 Gelingt dies, kann durch die Einführung eines solchen Systems die Aufklärungswahrscheinlichkeit bei Korruption, Unterschlagung und Betrug erhöht und der Anteil zufälliger zugunsten systematischer Hinweise signifikant gesenkt werden.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Einführung eines Whistleblowing-Systems im Unternehmen einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung wirtschaftskriminellen Verhaltens von Mitarbeitern und Managern leisten kann. Dies spiegelt sich in der Aussage wider, dass „die große Mehrheit der Unternehmen, nachdem sie ein derartiges
404
Dies ist sowohl auf korruptes Handeln zutreffend, das dem Unternehmen unmittelbar Schaden zufügt, als auch auf solches, bei dem ein Organisationsmitglied im vermeintichen Interesse des Unternehmens handelt. Vgl. OECD (2000), S. 13. 406 Vgl. Salvenmoser/Kruse (2007), S. 77. 407 Diese beiden Probleme werden in Kapitel 5 näher untersucht. 405
102
Informationssystem eingeführt haben, mit seiner Wirkung zur Entdeckung und Prävention zufrieden (81 %)“ ist.408 Nach der Diskussion der individuellen Vorteile werden im nächsten Kapitel die kollektiven Vorteile analysiert, welche sich durch die Einrichtung interner Whistleblowing-Systeme realisieren lassen.
4.1.2 Kollektive Vorteile Im Gegensatz zu den individuellen Vorteilen ist bei den kollektiven Vorteilen von Whistleblowing-Arrangements zu beachten, dass diese für die Gesamtheit der Unternehmen anfallen und somit unteilbar sind. Dies bedeutet, dass davon nicht nur die Unternehmen profitieren, die ein solches System einrichten, sondern auch jene, die sich bewusst gegen die Einrichtung
eines
institutionalisierten
Whistleblowing-Prozesses
im
Unternehmen
entscheiden. Als kollektive Vorteile von Whistleblowing-Systemen gelten die Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung für Unternehmen (4.1.2.1) sowie die Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle (4.1.2.2). Nachfolgend wird näher dargelegt, welchen speziellen Beitrag Whistleblowing-Systeme zur Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung leisten können.
4.1.2.1 Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung Zunächst wird kurz darauf eingegangen, was unter der Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung zu verstehen ist (a). Im Anschluss wird dargelegt, welche Vorteile Unternehmen aus der Offenheit ziehen (b). Abschließend wird erläutert, worin der spezifische Beitrag unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme zur Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung besteht (c). (a) Die Offenheit der Rahmenordnung In Kapitel 2.3.2.2 wurde dargelegt, dass das Handeln von Unternehmen in die Regeln und Normen der Rahmenordnung eingebettet ist. Aufgabe der Rahmenordnung ist es, dazu beizutragen, dass eigeninteressiertes Handeln von Unternehmen in für die Gesellschaft vorteilhaften
408
Bahnen
PWC (2007), S. 33.
verläuft.
Gleichzeitig
stabilisiert
die
Rahmenordnung
durch
103
sanktionsbewehrte Regeln die Verhaltenserwartungen bei Interaktionen sowohl zwischen Unternehmen als auch zwischen Unternehmen und anderen Marktteilnehmern. Sie trägt somit wesentlich zu gelingenden Interaktionen im Interesse der Interaktionspartner sowie der Gesellschaft bei. Eines der wesentlichen Merkmale der Rahmenordnung ist deren Offenheit. Die Offenheit der Rahmenordnung mag sich zunächst in einem scheinbaren Widerspruch mit dem oben beschriebenen Ziel befinden, durch die Vorgabe von Regeln das Verhalten der Unternehmen zu kanalisieren. Eine vollständige Rahmenordnung, die Regelungen für alle theoretisch möglichen Situationen des Handelns von Unternehmen festlegt, ist jedoch nicht vorstellbar. Der prinzipielle Grund für die Offenheit der Rahmenordnung ist darin zu sehen, dass die „Offenheit
der
Zukunft“409
eine
unendliche
Anzahl
möglicher
Situationen
mit
unternehmerischem Entscheidungsbedarf generiert. Deren Vorhersage und das Treffen konkreter Vorkehrungen sind faktisch unmöglich. Diese von der Natur erzwungene Offenheit der Rahmenordnung ist nicht per se als negativ zu betrachten, sondern eröffnet Unternehmen und Gesellschaft Handlungsspielräume zum gegenseitigen Vorteil. (b) Die Vorteile der Offenheit der Rahmenordnung Unternehmen haben ein massives Interesse an der Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung. Zum einen ist die Befolgung staatlicher Regeln in Form von Gesetzen, Vorschriften und Auflagen für Unternehmen ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor.410 In Abhängigkeit von der inhaltlichen Ausgestaltung von neu erlassenen Regeln müssen die Unternehmen teilweise erhebliche Investitionen vornehmen, um deren Anforderungen zu erfüllen. So sind z. B. Mitarbeiter in aufwendigen Schulungen mit den Inhalten neuer Gesetze vertraut zu machen, Produktionsprozesse müssen umgestellt oder die betriebliche Organisation muss an geänderte staatliche Anforderungen angepasst werden. Zum anderen ermöglicht eine offene Rahmenordnung Unternehmen ein flexibles Handeln bei nicht antizipierten Kontingenzen. So können sich in der Vergangenheit getroffene Regelungen zum Umgang mit bestimmten Kontingenzen zum Zeitpunkt deren tatsächlichen Eintretens als nicht zweckmäßig erweisen. Dies gilt beispielsweise für den Umgang mit
409 410
Suchanek/Waldkirch (1999), S. 2. Vgl. Leisinger (2003), S. 246.
104
technologischen Neuerungen: Solange deren Potenziale und Risiken nicht vollständig abschätzbar sind, liegt es gleichermaßen im Interesse der Unternehmen sowie der Gesellschaft, keine vollständigen Regelungen zu treffen, sondern lediglich bestimmte Anwendungen zu unterbinden, die gegen bereits bestehende Gesetze verstoßen.
Neben den Unternehmen profitiert auch die Gesellschaft von der Offenheit der Rahmenordnung. F. A. v. Hayek weist darauf hin, dass in einer Gesellschaft von einem systematischen Defizit an Wissen ausgegangen werden kann.411 Um die bestmögliche Nutzung des bei den verschiedenen Akteuren einer Gesellschaft vorhandenen Wissens für den gesellschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten, ist es für die Gesellschaft vorteilhaft, Freiheit zur Wissensnutzung zu gewähren.412 Auf diese Weise wird die größtmögliche Nutzung und Verbreitung dieses Wissens zum Vorteil aller gesellschaftlichen Akteure sichergestellt.413 Ein zentraler Ort der Wissensnutzung ist der Markt. Auf ihm verwenden Akteure ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verfolgung eigener Ziele. Besteht zur Erreichung dieser Ziele die Notwendigkeit, auf die Ressourcen anderer Akteure zurückzugreifen, geschieht dies durch freiwillige, von beiderseitigen Vorteilserwartungen initiierte Austauschprozesse auf Märkten. Von vielen Liberalen wird der Markt daher zum Paradigma individueller Freiheit erhoben.414 Die abstrakte Idee der Freiheit zur Wissensnutzung auf Märkten spiegelt sich, übertragen auf konkrete gesellschaftliche Verhältnisse, in der Offenheit der Rahmenordnung wider. In diesem Sinne gewährleistet die Offenheit der Rahmenordnung eine optimale Nutzung des gesellschaftlichen Wissens.415 Als Konsequenz sollte diese Offenheit durch die Gesellschaft nicht stärker als unbedingt notwendig eingeschränkt werden. Idealerweise sollten Einschränkungen nur in Form von allgemeinverbindlichen Regeln vorgenommen werden, die für die Schaffung und Sicherung von Erwartungssicherheit in Interaktionen erforderlich sind.416 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung sowohl im Interesse der Unternehmen als auch der Gesellschaft liegt. 411
Vgl. Hayek (1945), S. 520, S. 525; Hayek (1960/2005), S. 31 f., S. 34; Homann (1988), S. 135. Dies birgt allerdings auch das Risiko, dass die Akteure die ihnen gewährte Freiheit missbrauchen, um Interessen zu verfolgen, die mit den Interessen der Gesellschaft nicht vereinbar sind. 413 Vgl. Hayek (1973/1996), S. 233. 414 Vgl. Homann (1988), S. 136. Bei Böhm (1971) findet sich dies in aller Deutlichkeit: „Fragt man, worin der Beitrag der klassischen Nationalökonomie zum politischen Freiheitskampf des 18. Jahrhunderts bestand, so lautet die Antwort: In der Entdeckung des Marktmechanismus.“ Ebenda, S. 14. 415 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 214 f. 416 Vgl. Pies (1993), S. 264 f. 412
105
(c) Unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme zur Erhaltung der Offenheit In einigen Fällen nutzen Unternehmen die Offenheit der Rahmenordnung, um individuelle Wettbewerbsvorteile zu realisieren, deren Auswirkungen nicht mit den Interessen der Gesellschaft zu vereinbaren sind. In solchen Fällen liegt eine einseitige Ausnutzung der Offenheit vor. Angesichts der Nichtexistenz gesetzlicher Regelungen kann in diesen Fällen allerdings nicht von einem illegalen Handeln der Unternehmen gesprochen werden; vielmehr ist derartiges Verhalten als unethisch zu klassifizieren. Die Gesellschaft kann nun auf solche Verstöße gegen ihre Interessen reagieren, indem sie entsprechende Regelungen zur Verhaltensweise in der jeweiligen, spezifischen Situation erlässt. Damit wird die Offenheit der Rahmenordnung eingeschränkt. Diese Einschränkung trifft die Unternehmen meist härter als die Gesellschaft. Zum einen wird ihre Flexibilität eingeschränkt, zum anderen müssen sie die direkten Kosten der Regelbefolgung tragen. Auf Seiten der Gesellschaft stehen den Kosten der Regelkontrolle zumindest noch die Vorteile aus der Unterbindung eines sie schädigenden Verhaltens gegenüber.
Unternehmen können durch die Einführung interner Whistleblowing-Systeme ein Signal zur Erhaltung der Offenheit setzen. Dies lässt sich wie folgt begründen: Die Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme kann dem Management eines Unternehmens dabei behilflich sein, schnell Informationen über unternehmensinternes Fehlverhalten unter Umgehung der sonst üblichen Hierarchie zu erhalten. Die Unternehmensführung wird somit in die Lage versetzt, frühzeitig auf das Auftreten von Fehlverhalten in ihrem Unternehmen zu reagieren. Angesichts der Gefahr einer zukünftigen Verschlechterung der Bedingungen ihres Wirtschaftens hat sie ein prinzipielles Interesse daran, Fehlverhalten zu unterbinden. Die Einführung eines funktionierenden Whistleblowing-Systems kann somit als Zeichen an die Gesellschaft verstanden werden, dass auf Unternehmensseite ein Interesse an der Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung und somit auch an der Bekämpfung unternehmensinternen Fehlverhaltens, das gegen die Interessen der Gesellschaft verstößt, besteht. Eng mit dem Vorteil der Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung ist für Unternehmen ein weiterer kollektiver Vorteil der Einführung unternehmensinterner WhistleblowingArrangements verbunden: Die Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle.
106
4.1.2.2 Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle Zur Untersuchung der Frage, welchen Beitrag unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme zur Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle leisten können, soll wie folgt vorgegangen werden: Zunächst wird der Grund für die staatliche Kontrolle des Handelns von Unternehmen untersucht (a). Diese Kontrolle des Handelns von Unternehmen ist allerdings für die Gesellschaft mit Kosten verbunden (b). Im Anschluss daran wird daher untersucht, welchen Beitrag Whistleblowing-Systeme zur Senkung dieser Kontrollkosten leisten können (c). (a) Staatliche Kontrolle des Handelns von Unternehmen Illegales Verhalten von Unternehmen wird in der Literatur meist durch wirtschaftliche Zwänge erklärt.417 Diese Begünstigung illegalen Verhaltens kann durch unternehmensinterne oder -externe Umstände bedingt sein. Als externer Grund wird insbesondere hoher Wettbewerbsdruck genannt; als unternehmensinterne Ursache gilt in erster Linie die schlechte finanzielle Lage eines Unternehmens.418 Diese beiden Gründe können dazu führen, dass sich das Management bewusst dazu entschließt, gegen kostensteigernde Vorschriften oder Gesetze zu verstoßen bzw. Anreize für die Organisationsmitglieder zu setzen, die solche Verstöße fördern. Während einzelne Unternehmen von illegalem Verhalten zwar in Form kurzzeitig höherer Gewinne profitieren können, erleiden Konkurrenten hierdurch Nachteile in Form von Wettbewerbsverzerrungen. Prinzipiell kann daher allen Unternehmen ein möglichst hohes Interesse an einem regelkonformen Wettbewerbsverhalten ihrer Konkurrenten unterstellt werden. Um ein gesetzeskonformes Verhalten der Unternehmen im Sinne der Rahmenordnung sicherzustellen, werden Regelverstöße seitens der Gesellschaft, d. h. durch staatliche Organe, mittels entsprechender Strafen sanktioniert.419 Durch die Bestrafung illegalen Verhaltens soll
417
Ein weiterer Faktor ist „Gelegenheit“ zu kriminellem Verhalten, die Akteure aufgrund unzureichender Kontrollen erlangen; die wissenschaftliche Diskussion ist jedoch stark auf den wirtschaftlichen Druck als Auslöser kriminellen Handelns fokussiert. Siehe ausführlich hierzu Baucus (1989). 418 Es ist anzumerken, dass diese beiden Erklärungsfaktoren nicht überschneidungsfrei sind; schließlich lassen sich finanzielle Probleme eines Unternehmens oftmals auf externen Wettbewerbsdruck zurückführen. 419 Auf den Einsatz von moralischen Appellen zur Bekämpfung von illegalem Verhalten soll im Hinblick auf deren Wirkungslosigkeit nicht eingegangen werden. Eine detaillierte Beschreibung und Kritik dieses „moralisierenden Ansatzes“ findet sich bei Pies et al. (2005), S. 169–175.
107
der Anreiz zu einem solchen Verhalten möglichst gering gehalten werden. Ziel der Sanktionen ist es, ein gesetzeskonformes Verhalten der Unternehmen zu erreichen. In der Literatur wird diese Art der Bekämpfung illegalen Verhaltens auch als „pönalisierender Ansatz“ bezeichnet.420 Konzeptionell beruht dieser auf der ökonomischen Theorie von Kriminalität und Strafe.421 Diese erklärt illegales Verhalten in Abhängigkeit von drei Variablen. Die erste Variable ist die Wahrscheinlichkeit der Aufklärung bzw. der Bestrafung des illegalen Verhaltens. Die zweite Variable ist die Strafhöhe, die mit dem jeweiligen Gesetzesverstoß verbunden ist. Eine dritte Variable bildet die sonstigen Einflüsse auf den Nutzen der Straftat ab.422 Dieser Theorie zufolge kann eine wirkungsvolle Abschreckung nicht allein auf die Höhe der Strafen für illegales Verhalten aufgebaut werden, da bei der Festlegung der Strafhöhe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist; darüber hinaus bestehen für die Abschreckungswirkung einer Strafe bestimmte Grenzen.423 Für eine wirkungsvolle Verbrechensbekämpfung
sind
daher
eine
entsprechende
Aufklärungs-
und
Bestrafungswahrscheinlichkeit sowie die Einsicht in den Wert und die daraus resultierende Vorteilhaftigkeit von verbindlichen Regeln erforderlich.424 (b) Kosten der staatlichen Kontrolle Eine Erhöhung der in (a) genannten Aufklärungs- bzw. Bestrafungswahrscheinlichkeit ist nicht kostenlos, sondern muss durch entsprechende Investitionen in Personal und Ausrüstung staatlicher Institutionen wie Polizei und Justiz erkauft werden.425 Prinzipiell gilt: Je höher bezüglich des Auftretens illegalen Verhaltens die Informationsasymmetrie zwischen Ermittlungsbehörden und Tätern ist, desto höher sind die Investitionen für eine Steigerung der Aufklärungs- und Bestrafungswahrscheinlichkeit.426 Die Kosten der Verbrechensbekämpfung werden gemeinhin durch das Steueraufkommen finanziert. Dies bedeutet, dass sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen im Rahmen ihrer
420
Vgl. Pies et al. (2005), S. 175. Siehe ausführlich hierzu Becker (1968). 422 Vgl. Becker (1968), S. 177. 423 Eine hohe Abschreckungswirkung ist auch bei hohen angedrohten Strafen nur dann gewährleistet, wenn eine nicht vernachlässigbare Aufklärungswahrscheinlichkeit für den Tatbestand existiert. Vgl. Garoupa (1997), S. 267; Shavell (1993), S. 266. 424 Geltende sinnvolle Regeln stellen einen gesellschaftlichen Vermögenswert dar, dessen Wert vom Verhalten eines jeden einzelnen Akteurs abhängt. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 69. 425 Vgl. Gneuß (2002), S. 59; Shavell (1993), S. 265. 426 Vgl. Wieland (1998), S. 49. 421
108
an den Staat zu entrichtenden Steuern daran beteiligt werden. Höhere staatliche Ausgaben zur Unterbindung illegalen Verhaltens führen folglich zu einer höheren Steuerlast für Privatpersonen
und
Unternehmen.
Daraus
kann
ein
prinzipielles
Interesse
aller
gesellschaftlichen Akteure abgeleitet werden, durch eine möglichst effiziente Bekämpfung illegalen Verhaltens von einer niedrigeren Steuern- und Abgabenlast zu profitieren. Eine Möglichkeit,
dieses
gemeinsame
Interesse
zu
verwirklichen,
ist
die
Einrichtung
unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme. (c) Whistleblowing-Systeme zur Senkung der Kontrollkosten Prinzipiell sind zwei Möglichkeiten vorstellbar, wie Whistleblowing-Systeme zur Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle beitragen können. (1) Zum einen können Unternehmen durch die Einrichtung interner Whistleblowing-Systeme ihnen bekannt gewordenes Fehlverhalten direkt bekämpfen. (2) Zum anderen können Unternehmen verpflichtet werden, dieses Fehlverhalten an die Behörden zu melden, welche sich dann um die Sanktionierung des Fehlverhaltens kümmern können. (1) Unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme können, wie bereits ausgeführt, dazu beitragen, die Unternehmensführung frühzeitig über unternehmensinternes Fehlverhalten zu informieren. Entsprechend der ihr vorliegenden Informationen kann diese das Fehlverhalten umgehend unterbinden. Durch die unternehmensinterne Bekämpfung von Fehlverhalten würden staatliche Institutionen entlastet, was die staatlichen Ausgaben für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität senken würde. In einer solchen Situation läge die Verantwortung zur Bekämpfung unternehmensinternen Fehlverhaltens in der Hand der Unternehmen. (2) Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Unternehmen zu verpflichten, unternehmensinternes Fehlverhalten direkt an die Behörden zu melden. Im Gegensatz zum internen Whistleblowing werden in diesem Fall nicht die Mitarbeiter, sondern die Unternehmen selbst zu Whistleblowern. Unternehmen wird somit eine Offenbarungspflicht von internem Fehlverhalten gegenüber den staatlichen Institutionen auferlegt. Neben der präventiven Wirkung einer solchen Verpflichtung kann so maßgeblich dazu beigetragen werden, die massiven Informationsasymmetrien zwischen Unternehmensangehörigen und jenen externen staatlichen Institutionen abzubauen, die mit der Überwachung und Sanktion von Regelverstößen betraut sind.427 Diese Reduzierung der Informationsasymmetrie ist mit
427
Vgl. Kittelberger (2007), S. 94.
109 428
einer deutlichen Erhöhung der Effizienz staatlicher Institutionen verbunden.
„[…] in many
contexts significant enforcement resources or sanction costs are saved by inducing people to come forward with information about their conduct.”429 Ähnlich wie bei der unternehmensinternen Bekämpfung von Fehlverhalten durch Whistleblowing-Systeme profitieren die Unternehmen bei einer allgemeinen Offenlegungspflicht von den Vorteilen in Form von niedrigeren Kosten der Kriminalitätsbekämpfung sowie von reduzierten Wettbewerbsverzerrungen. Allerdings ist zu betonen, dass Unternehmen aufgrund der zu erwartenden Bestrafung bei der Meldung von Fehlverhalten einen massiven Anreiz haben, in die Verschleierung von Straftaten zu investieren. Insofern ist ein solcher Ansatz kaum geeignet, Unternehmen zur Bekämpfung illegalen Verhaltens zu aktivieren.430
Die Präferenz von unternehmensinternem Whistleblowing (d. h. der Stärkung der Selbstkontrolle von Unternehmen) gegenüber alternativen institutionellen Arrangements zur Bekämpfung illegalen Verhaltens in Unternehmen lässt sich auch aus gesellschaftlicher Sicht stichhaltig begründen: „These benefits [which serve society's interests, TB] are present whether disclosures are made within or external to the organization. If, however, the primary goal of whistleblowing is reduction of wrongdoing rather than prosecution of wrongdoers, and the speed with which problems are addressed is significant, then internal whistleblowing should be preferred.”431 Trotz dieser überzeugenden Vorteile sowohl für das einzelne Unternehmen (Kapitel 4.1.1) als auch für die Gesamtheit der Unternehmen (Kapitel 4.1.2) bleibt zunächst offen, wie hoch die Anreizkompatibilität für ein einzelnes Unternehmen ist, sich aktiv bei der Bekämpfung von unternehmensinternem Fehlverhalten zu engagieren. Dies wird in Kapitel 4.2. näher untersucht.
428
Vgl. Garoupa (1997), S. 280. Kaplow/Shavell (1994), S. 602 f. 430 Vgl. Pies et al. (2005), S. 166. 431 Dworkin/Callahan (1991), S. 306. 429
110
4.2
Anreizkompatibilität
als
Voraussetzung
zur
Einrichtung
von
Whistleblowing-Systemen Nachdem
der
Blick
bislang
auf
die
individuellen
und
kollektiven
Vorteile
unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme gerichtet war, soll nachfolgend untersucht werden, wie deren Einrichtung durch unternehmensexterne (4.2.2) oder unternehmensinterne (4.2.3) Anreize unterstützt werden kann. Zunächst soll jedoch grundsätzlich geklärt werden, weshalb das Setzen solcher Anreize für die Realisierung der beschriebenen individuellen und kollektiven Vorteile unverzichtbar ist (4.2.1).
4.2.1 Fehlende Anreizkompatibilität als Ursache des Verzichts auf Whistleblowing-Systeme Angesichts der oben analysierten individuellen und kollektiven Vorteile unternehmensinterner Whistleblowing-Arrangements, die von einem besseren Schutz der Unternehmensreputation bis zur Senkung der gesellschaftlichen Kosten der Unternehmenskontrolle reichen, stellt sich die Frage, weshalb sich in Deutschland bisher nur eine geringe Anzahl von Unternehmen dazu entschlossen hat, unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme einzurichten. Eine Umfrage der Zeitung Handelsblatt und der Sicherheitsberatungsfirma Result Group ergab, dass lediglich 2,5 % der befragten 3870 Unternehmen ein anonymes Online-WhistleblowingSystem besitzen. Nur 11 % bieten Mitarbeitern einen Ansprechpartner zur Offenlegung von Hinweisen auf Fehlverhalten an.432 Schließlich kann nach der bisherigen Diskussion der Vorteile unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme die Erwartungshaltung wie folgt beschrieben werden: „Smart, selfinterested corporations will adopt efficient whistleblowing disclosure channels and prosper, while those entities that do not encourage whistleblowing will founder.”433 Wird aus einer strikt positiven Sichtweise der Ökonomik argumentiert, lässt sich die geringe Verbreitung unternehmensinterner Whistleblowing-Arrangements und der damit
432
Vgl. Tödtmann (2007), S. 8. PWC (2007) zufolge geben zwar 22 % aller deutschen Unternehmen an, ein Whistleblowing-System zu besitzen. Vgl. ebenda, S. 31. Dem Autor erscheint dieser Anteil jedoch zu hoch, inbesondere angesichts des Aufwands für kleinere Unternehmen, ein solches System einzuführen. Die Verbreitung von Whistleblowing-Systemen in Deutschland erscheint insbesondere im Vergleich mit den USA gering. Gemäß Bussmann/Werle (2006), S. 1136 bzw. PWC (2007), S. 31 geben dort 74 % bzw. 75 % aller Unternehmen an, ein solches System zu besitzen. 433 Moberly (2006), S. 1160.
111
verbundene Verzicht auf die Realisierung der mit ihnen verbundenen Vorteile dadurch erklären, dass die vom einzelnen Unternehmen antizipierten Kosten die erwarteten Vorteile übersteigen. Demnach fehlt einem einzelnen Unternehmen der Anreiz zur Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems. Dem Argument der fehlenden Anreizkompatibilität als Grund für die geringe Verbreitung von Whistleblowing-Systemen könnte, spezifisch aus Sicht deutscher Unternehmen, entgegengehalten werden, dass durch das Vorhandensein von Betriebsräten bereits ein funktionales Substitut für Whistleblowing-Systeme existiert. Diese These wird allerdings nach der entsprechenden Analyse in Kapitel 4.2.1.1 entkräftet. Damit wird der Blick auf die Gründe gerichtet, die aus Unternehmenssicht zur mangelnden Anreizkompatibilität führen. Hierzu wird in Kapitel 4.2.1.2 die unternehmensspezifische Kosten-Nutzen-Kalkulation näher betrachtet.
4.2.1.1 Betriebsräte als funktionales Äquivalent zu Whistleblowing-Systemen Durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist jedes deutsches Unternehmen ab einer Mindestgröße von fünf Mitarbeitern verpflichtet, auf Verlangen von mindestens drei Mitarbeitern einen Betriebsrat einzurichten. Dessen Größe sowie die Anzahl der dafür von ihrer Arbeit freigestellten Mitarbeiter richten sich nach der Größe des Unternehmens bzw. des Unternehmensteils, in dem ein Betriebsrat eingerichtet wird.434 In Deutschland liegt der Anteil von Unternehmen mit Betriebsrat bei ca. 22 %.435 Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen bzw. ein Unternehmensteil einen Betriebsrat besitzt, steigt mit der Anzahl der in ihm beschäftigten Mitarbeiter.436 Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates erstrecken sich auf die sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten eines Unternehmens.437 Durch die Mitwirkung und Mitbestimmung sollen insbesondere die Rechte des Arbeitnehmers im abhängigen Beschäftigungsverhältnis geschützt werden. 434
Vgl. § 9 BetrVG. Vgl. Pries et al. (2006), S. 22. 436 A. Dilger (2002) nennt hierfür zwei Gründe. Zum einen steigen mit der Anzahl der Mitarbeiter auch die gesetzlich verankerten Rechte des Betriebsrates und somit die Attraktivität, einen solchen einzurichten. Zum anderen können, wie erwähnt, unabhängig von der Betriebsgröße bereits drei Mitarbeiter die Einrichtung eines Betriebsrates herbeiführen. Die Wahrscheinlichkeit, unter allen Mitarbeitern eines Betriebs drei solche Mitarbeiter anzutreffen, steigt mit deren Gesamtzahl. Ebenda, S. 87 f. Eine empirische Erhebung von L. Pries et al. (2006) bestätigt dies. Vgl. ebenda, S. 22. 437 Für eine umfangreiche Darstellung dieser Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte siehe Niedenhoff (2002), S. 114–141. 435
112
Es stellt sich nun die Frage, inwieweit ein Betriebsrat ein Substitut für ein unternehmensinternes Whistleblowing-System darstellen kann. In Kapitel 3.2.1.2 wurde darauf hingewiesen, dass Organisationsmitglieder die Möglichkeit des Widerspruchs haben, wenn sie Kenntnis über Fehlverhalten im Unternehmen erlangen. Überspringt ein Organisationsmitglied dabei seinen direkten Vorgesetzten, ist dieses Verhalten als Whistleblowing einzustufen. Verfügt ein Unternehmen über einen Betriebsrat, so kann dieser als Institution aufgefasst werden, welche die Funktion übernimmt, die kollektiven Interessen der Organisationsmitglieder gegenüber der Organisationsleitung zu vertreten und gegebenenfalls Widerspruch zu artikulieren.438 Im Vergleich zum einzelnen Organisationsmitglied besitzt der Betriebsrat die Möglichkeit, effektiver auf mögliches Fehlverhalten im Unternehmen hinzuweisen. Für diese Aussage sprechen nach Ansicht von A. Dilger (2002) folgende Gründe: „Erstens werden die Betriebsratsmitglieder durch spezielle Rechte vor Vergeltungsmaßnahmen der Betriebsleitung geschützt. […] Zweitens wird eine vernünftige Betriebsleitung Äußerungen des Betriebsrats ernst nehmen, weil sie weiß, dass sie es mit dem gewählten Repräsentativorgan der Belegschaft und nicht mit einem einzelnen Querulanten zu tun hat. Außerdem ist der Betriebsleitung bewusst, dass sie auf längere Zeit mit dem Betriebsrat auskommen muss […], was ebenfalls zu einer kooperativen Atmosphäre beiträgt, in der auch unangenehme Wahrheiten angesprochen werden können.“439 Diese Einschätzung einer höheren Effektivität ist noch dadurch zu ergänzen, dass Organisationsmitglieder dem Betriebsrat gegenüber eher bereit sind, auf Fehlverhalten hinzuweisen, da dieser als Vertrauensinstitution der Belegschaft u. U. ein hohe Glaubwürdigkeit besitzt und ihm zugetraut wird, Hinweise auf Fehlverhalten ernst zu nehmen und gegenüber dem Management auf Abhilfe zu bestehen.440 Allerdings ist diese Einschätzung in drei Punkten zu kritisieren. Diese betreffen (1) die Zuständigkeit des Betriebsrates für leitende Mitarbeiter im Rahmen des BetrVG, (2) dessen rechtliche Stellung sowie (3) den thematischen Schwerpunkt der Betriebsratsarbeit.
438
Vgl. Freeman (1976), S. 361; Freeman (1980), S. 643 f.; Freeman/Lazear (1995), S. 27 f. Dilger (2002), S. 69 f. 440 So weisen auch G. Peter und B. Rohde-Liebenau darauf hin, dass „Whistleblowing – ein neues Thema für die Betriebsratsarbeit“ ist. Peter/Rohde-Liebenau (2004), S. 615. Ähnlich auch die Aussage der OECD (2000) in Bezug auf Gewerkschaften: „[…] trade unions often provide a valuable whistleblowing role and channel for concerns about wrongdoing.” Ebenda, S. 8. 439
113
(1) Betriebsräte sind entsprechend des BetrVG nur für „normale“ Arbeitnehmer zuständig441; ihr Verantwortungsbereich erstreckt sich somit nicht auf leitende Mitarbeiter und Führungskräfte. Doch oftmals sind es gerade diese in der Unternehmenshierarchie höher angesiedelten Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Stellung Informationen über Fehlverhalten erhalten und durch ihr tätigkeitsübergreifendes Wissen in der Lage sind, bestimmte Verhaltensweisen als legal oder illegal einzuordnen. Gerade für diese Mitarbeiter stellt der Betriebsrat keinen Ansprechpartner dar. (2) Ein weiterer Kritikpunkt ist die rechtliche Stellung des Betriebsrates. Dieser Betriebsrat ist kraft seines Arbeitsvertrags verpflichtet, vom Unternehmen Schaden abzuwenden und muss daher Kenntnisse über Fehlverhalten umgehend an die Unternehmensleitung weiterleiten.442 Dabei ist er im Gegensatz zu einem Anwalt dazu verpflichtet, die Identität seines Informanten offenzulegen. Dies bedeutet, dass gegenüber dem Betriebsrat keine anonymen oder vertraulichen Mitteilungen über Fehlverhalten gemacht werden können. Wenn ein Whistleblower eine anonyme Mitteilung vornehmen möchte oder eine vertrauliche Behandlung seiner Hinweise anstrebt, wird er sich demnach kaum an den Betriebsrat wenden. (3) Als dritter Kritikpunkt ist der thematische Schwerpunkt der Betriebsratsarbeit zu nennen. Durch deren starke inhaltliche Fokussierung auf Themen mit Personalbezug kann der Betriebsrat zwar für Beschwerden oder Hinweise in diesem Bereich (z. B. bei sexueller Belästigung oder Mobbing) ein sachlich kompetenter Ansprechpartner sein. Betreffen die Hinweise
jedoch
Themen
wie
etwa
Bilanzfälschung
im
Rechnungswesen
oder
Korruptionszahlungen im Einkauf, so kann sich der Betriebsrat möglicherweise keine fundierte Meinung über die Qualität der Hinweise bilden und daher nicht sachgerecht handeln.
Zusammenfassend lässt sich somit konstatieren, dass der Betriebsrat für Fehlverhalten, das Personalthemen betrifft, durchaus ein funktionales Äquivalent zu Whistleblowing-Systemen sein kann. Bei Hinweisen von leitenden Angestellten oder Arbeitnehmern, die den Wunsch einer anonymen Abgabe oder vertraulichen Behandlung von Hinweisen haben, sowie bei Hinweisen auf Sachverhalte, die nicht in sein üblichen Tätigkeitsspektrum fallen, kann der Betriebsrat ein internes Whistleblowing-System jedoch nicht ersetzen.
441 442
„Dieses Gesetz [BetrVG, TB] findet, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf leitende Angestellte.“ § 5, III BetrVG. Vgl. § 242 BGB.
114
Dies bedeutet nicht, dass der Betriebsrat bei der Einrichtung eines WhistleblowingSystems nicht mit einzubeziehen ist. Eine Einbindung des Betriebsrates in die Überlegungen zur Einführung eines Whistleblowing-Systems ist sowohl aus arbeitsrechtlichen als auch aus Kommunikationsgründen
sinnvoll.443
Der
Betriebsrat
kann
über
diverse
Kommunikationskanäle und -mittel erheblichen Einfluss auf die mitarbeiterseitige Akzeptanz eines Whistleblowing-Systems nehmen. Im Folgenden soll, wie angekündigt, analysiert werden, aus welchen Gründen Unternehmen internen Whistleblowing-Systemen reserviert gegenüberstehen. Hierzu wird zunächst das unternehmensspezifische Kosten-Nutzen-Kalkül bezüglich der Einführung eines internen Whistleblowing-Arrangements betrachtet.
4.2.1.2 Unternehmensspezifisches Kosten-Nutzen-Kalkül Bei einem unternehmensspezifischen Kosten-Nutzen-Kalkül über die Einführung eines unternehmensinternen
Whistleblowing-Arrangements
ist
zu
beachten,
dass
dessen
Einrichtung neben individuellen auch kollektive Vorteilen mit sich bringt. Von diesen kollektiven Vorteilen wie der Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung sowie der Senkung der gesellschaftlichen Kosten der Unternehmenskontrolle profitieren neben dem jeweiligen das System einführenden Unternehmen auch andere Unternehmen. Ein Ausschluss vom Nutzen dieser kollektiven Vorteile ist nicht möglich. Unternehmen, die sich zur Institutionalisierung von Whistleblowing in ihrem Unternehmen entschließen, stellen somit zumindest in Teilen ein Kollektivgut bereit. Weshalb diese kollektiven Vorteile von Whistleblowing-Systemen durch ihren Kollektivgutcharakter nicht zu deren stärkerer Verbreitung beitragen, soll kurz anhand der Logik kollektiven Handelns von M. Olson (1968/2004) dargestellt werden. Dazu wird diese zunächst in ihren Grundzügen skizziert (a). Anschließend wird auf die Probleme von Whistleblowing-Systemen eingegangen, die ihrer stärkeren Verbreitung entgegenstehen und u. a. daraus resultieren, dass deren Vorteile teilweise Kollektivgutcharakter haben (b).
443
Zu den arbeits- und datenschutzrechtlichen Anforderungen an Whistleblowing-Systeme in Deutschland bzw. anderen europäischen Ländern siehe beispielhaft Behrendt/Kaufmann (2006); Mengel/Hagemeister (2007); Mengel/Hagemeister (2006); Ohmann-Sauer (2006); Runte et al. (2005); Schmidl (2006); Wisskirchen et al. (2006).
115
(a) Die Logik kollektiven Handelns Ausgehend von der Fragestellung, weshalb rationale, eigeninteressierte Individuen als Teil einer Gruppe nicht so handeln, dass ein gemeinsames Interesse verwirklicht wird, entwickelte M. Olson eine Theorie kollektiven Handelns.444 In dieser erklärt er, mikroökonomisch fundiert, welche individuellen Anreize der Erstellung von Kollektivgütern entgegenstehen. Als gemeinsames Interesse einer Gruppe von Individuen unterstellt er die Produktion von Kollektivgütern, deren Bereitstellung allen Gruppenmitgliedern ein Bedürfnis ist. Kollektivgüter werden Olson zufolge dadurch charakterisiert, dass andere Gruppenmitglieder vom Konsum des Gutes nicht ausgeschlossen werden können, wenn irgendein Mitglied der Gruppe dieses konsumiert.445 Wird nun vorausgesetzt, dass der Konsum des öffentlichen Gutes nutzenstiftend ist, führt die Annahme individuell rationalen Verhaltens dazu, dass eine Inanspruchnahme des Gutes erfolgt. Da aufgrund des Charakters des Kollektivgutes ein Ausschluss von dessen Nutzung jedoch nicht möglich ist, existiert für einen Akteur kein Anreiz, freiwillig für die Erstellung des Gutes einen Beitrag, im Sinne der Übernahme von Kosten, zu leisten. Der einzelne Akteur verhält
sich
als 447
Gruppenmitglieder.
„Trittbrettfahrer“.446
Dieses
Kalkül
gilt
prinzipiell
für
alle
Da die Bereitstellung bzw. Produktion von Kollektivgütern jedoch mit
Kosten behaftet ist, ergibt sich als nicht-intendierte Folge aggregierten, individuell rationalen Verhaltens, dass diese Güter trotz eines gemeinsamen Interesses an ihrer Erstellung nicht über freiwillige Beiträge von Gruppenmitgliedern bereitgestellt werden. Olson bezeichnet solche Gruppen, die nicht in der Lage sind, das einzelne Mitglied zum Handeln im Sinne der Gruppeninteressen zu bewegen, als „latente“ Gruppen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gruppe latent ist, steigt Olsons Überlegungen zufolge mit der Gruppengröße.448 „Je größer eine Gruppe ist, um so [sic] weniger wird ihr eine optimale Versorgung mit irgendeinem Kollektivgut gelingen, und um so unwahrscheinlicher ist es, dass sie so handelt, dass sie auch nur die kleinste Menge eines solchen Gutes erlangt. Kurz, je größer die Gruppe, um so
444
Vgl. Olson (1968/2004), S. 2. Vgl. Olson (1968/2004), S. 13 f. 446 Für nutzenmaximierende Akteure ist es nicht rational, sich an der Produktion eines öffentlichen Gutes bzw. an deren Kosten zu beteiligen. Vgl. Wicksell (1896/1969), S. 100. 447 Nur in manchen Situationen ist der Nutzen eines Kollektivgutes für ein bestimmtes Gruppenmitglied derart hoch, dass es bereit ist, das Kollektivgut auch ohne Beitrag von anderen Gruppenmitgliedern zu erstellen. Vgl. Olson (1968/2004), S. 21. 448 Eine ausführliche Kritik dieser Annahme findet sich bei Pies (1993), S. 204–220. 445
116
weniger wird sie ihre gemeinsamen Interessen fördern.“449 Olson geht also davon aus, dass der Nutzen aus dem Kollektivgut unabhängig von der Gruppengröße ist. Durch einen Anstieg der Gruppengröße sinkt demnach der auf den einzelnen Akteur entfallende Nutzen. Gleichzeitig wird angenommen, dass die Kosten für die Leistung eines Beitrags unverändert bleiben oder in einem geringeren Ausmaß sinken als der Nutzen.
Nur wenn für einen Akteur ein zusätzlicher individueller Nutzenbeitrag entsteht, der größer ist als die für ihn entstehenden Kosten, wird er aufgrund dieser positiven Differenz bereit sein, einen Beitrag zur Erstellung eines Kollektivgutes zu leisten. Durch solche „selektiven“ Anreize können nun die Mitglieder latenter Gruppen zu einem Handeln im Sinne des Gruppeninteresses mobilisiert werden.450 Dies wird dadurch erreicht, dass ein selektiver Anreiz also „nicht wie das Kollektivgut unterschiedslos auf die Gruppe als Ganzes wirkt, sondern vielmehr ‚selektiv’ auf die einzelnen Personen der Gruppe. Der Anreiz muss in jenem Sinne ‚selektiv’ sein, dass jene, die sich nicht der Organisation anschließen, welche auf das Gruppenziel hinarbeiten [sic] oder die nicht auf eine andere Weise zur Erlangung des Gruppenziels beitragen, anders behandelt werden können als jene, die dies tun. Diese ‚selektiven Anreize’ können negativer oder auch positiver Art sein.“451 Nachfolgend wird dargelegt, welche Anreizprobleme daraus resultieren können, dass die Einrichtung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems teilweise einen Beitrag zur Erstellung eines Kollektivgutes darstellt. (b) Anreizprobleme bei der Einführung von Whistleblowing-Arrangements Wie bereits erwähnt, haben Whistleblowing-Arrangements aufgrund ihrer kollektiven Vorteile zumindest teilweise Kollektivgutcharakter. Die kollektiven Vorteile der Einrichtung von Whistleblowing-Systemen generieren somit positive externe Effekte. Da keine Möglichkeit existiert, Dritte von deren Nutzung auszuschließen und den Nutzen zu internalisieren, ist es entsprechend der Überlegungen von M. Olson für ein einzelnes Unternehmen rational, trotz der existierenden kollektiven Vorteile auf deren Einrichtung zu verzichten.
449
Olson (1968/2004), S. 35. Vgl. Olson (1968/2004), S. 49. 451 Olson (1968/2004), S. 49 f. 450
117
Das Kalkül für eine solche Verhaltenswahl lässt sich wie folgt beschreiben: Führt eine ausreichende Zahl von Unternehmen interne Whistleblowing-Systeme ein, so ist es möglich, von den dadurch entstehenden kollektiven Vorteilen zu profitieren, ohne eigene Kosten dafür aufwenden zu müssen.452 Jene Unternehmen, die sich zur Einführung eines internen Whistleblowing-Arrangements entschließen, müssen jedoch die vollen Kosten eines solchen Systems tragen, während die auf sie entfallende Wirkung der kollektiven Vorteile verhältnismäßig gering ist. Die kollektiven Vorteile interner Whistleblowing-Systeme stellen somit keinen handlungswirksamen Anreiz für Unternehmen dar; werden nur diese betrachtet, ist die Zurückhaltung der Unternehmen bei deren Einführung also nachvollziehbar. Es liegt ein klassischer Fall fehlender Anreizkompatibilität vor: Kosten und/oder Erträge einer Handlung fallen nicht (nur) bei dem Handelnden selbst, sondern (auch) bei anderen an.453 Allerdings existieren neben den kollektiven Vorteilen auch individuelle Vorteile von institutionalisierten unternehmensinternen Whistleblowing-Prozessen. Diese können als selektive Anreize im Olson'schen Sinne interpretiert werden. Ihr Nutzen kann im Gegensatz zu den kollektiven Vorteilen lediglich von jenen Unternehmen realisiert werden, die sich dazu entschließen, selbst einen institutionalisierten internen Whistleblowing-Prozess einzuführen. Nur diese Unternehmen können von den Vorteilen eines internen Whistleblowing-Systems in Form eines besseren Reputationsschutzes sowie einer effektiveren Bekämpfung von interner Wirtschaftskriminalität profitieren. Eine Möglichkeit zum „Trittbrettfahren“ durch andere Unternehmen in Form der Nutzung von externen Effekten ist aufgrund des individuellen Charakters der Vorteile ausgeschlossen.
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der unternehmensspezifische Gesamtnutzen der Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Arrangements aus der Partizipation an den kollektiven Vorteilen sowie den jeweiligen individuellen Vorteilen resultiert. Allerdings sind diesen Vorteilen wiederum die Kosten solcher Systeme gegenüberzustellen. Viele
Unternehmen
befürchten,
durch
die
Einführung
der
Möglichkeit
zu
unternehmensinternem Whistleblowing auch die Wahrscheinlichkeit unternehmensexternen
452
Die Vorteile eines Whistleblowing-Systems „Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung“ und „Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle“ besitzen Kollektivgutcharakter, somit ist ein Ausschluss von deren Nutzung nicht möglich. 453 Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 91.
118
Whistleblowings zu erhöhen. Hierdurch könnte insbesondere der individuelle Vorteil eines besseren Reputationsschutzes konterkariert werden. Als weitere Kosten empfinden Unternehmen oft die vermeintlich negativen Auswirkungen der Einführung unternehmensinternen Whistleblowings auf die Unternehmenskultur. So kann die Einführung eines internen Whistleblowing-Systems von den Organisationsmitgliedern als Instrument der gegenseitigen Überwachung aufgefasst werden. Letztlich kann die Angst vor einer Überwachung durch Kollegen zu einem Klima des gegenseitigen Misstrauens454 und zu einer Einschränkung der Kommunikation zwischen Kollegen führen.455 Dies würde die Effektivität und Effizienz der Zusammenarbeit zwischen diesen erheblich einschränken.456 Die beschriebenen Kosten einer beschädigten Unternehmensreputation wurden im Laufe der Arbeit als vermeintliche Kosten identifiziert457; das Argument der negativen Auswirkungen auf die Unternehmenskultur wird im weiteren Verlauf widerlegt.458 Dennoch ist im Sinne einer strikt positiven Analyse festzuhalten, dass die meisten Unternehmen diese vermeintlichen Nachteile unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme derzeit stärker gewichten als die geschilderten Vorteile. Sie gelangen somit zu einer negativen Entscheidung hinsichtlich der Einführung institutionalisierter Whistleblowing-Systeme: „But these market forces often do not work effectively. Although the market has begun pressuring large corporations to encourage whistleblowers, several barriers exist that may prevent corporations from voluntarily implementing a sufficient system.”459 Aus Unternehmenssicht kann daher festgehalten werden, dass der Grund für die bisher geringe Verbreitung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme in der fehlenden Anreizkompatibilität zu sehen ist. R. Moberly (2006) stellt zutreffenderweise fest: „For organizational acceptance to occur, the benefits of this Model [sic] [unternehmensinternes Whistleblowing-System, TB] to the corporation [Hervorhebung im Original, TB] must outweigh its cost. A corporation will implement a truly workable and effective disclosure system when encouraging whistleblowers is in its best interest.“460
454
Dieses kann sogar den kontraproduktiven Effekt einer Erhöhung des wirtschaftskriminellen Verhaltens von Mitarbeitern haben. Vgl. Bussmann (2007), S. 18. 455 Vgl. Hofmann (2006), S. 126. 456 Auf letztere Befürchtung soll in Kapitel 5 der Arbeit näher eingegangen werden. 457 Siehe Kapitel 4.1.1.1 (c). 458 Siehe Kapitel 5.3.3. 459 Moberly (2006), S. 1161. 460 Moberly (2006), S. 1148.
119
Angesichts
der
unzureichenden
Bereitstellung
von
Anreizen
zur
Einführung
unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme durch den Markt stellt sich die Frage, ob solche Anreize nicht durch die Gesellschaft bereitgestellt werden können: „An […] effective way to police corporate wrongdoing might be to encourage firms, through governmental incentives, to provide internal channels to whistleblowers.“461 Dementsprechend soll nun analysiert werden, ob die der Einführung von WhistleblowingSystemen entgegenwirkenden Anreizprobleme auf institutionelle Weise überwunden werden können. In den beiden folgenden Kapiteln werden zu diesem Zweck formelle Institutionen zur Überwindung der genannten Anreizprobleme betrachtet und auf ihren Erfolg hin untersucht.462 Dabei werden zunächst staatliche Normen bzw. Gesetze (4.2.2) und anschließend selbstverpflichtende Ansätze betrachtet (4.2.3).
4.2.2 Überwindung der Anreizprobleme durch staatliche Normen Staatliche Normen zur Überwindung des dargestellten Anreizproblems, das sich bei der Einführung interner Whistleblowing-Arrangements ergibt, können für Unternehmen durchaus attraktiv sein. Insbesondere der Befürchtung eines verschlechterten Betriebsklimas, das aus der Angst vor einer Kultur der gegenseitigen Überwachung und Denunziation resultiert, kann die Etablierung staatlicher Normen in Form von Gesetzen zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen entgegenwirken. So können Unternehmen auf die entsprechenden gesetzlichen Anforderungen verweisen und eventuelle Besorgnisse zerstreuen – etwa bei jenen Mitarbeitern, die befürchten, dass ihnen ihr Arbeitgeber nicht vertraut und aus diesem Grund ein internes Whistleblowing-System einführt.463 In diesem Kapitel wird untersucht, welche Anreize zur Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme von den U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations (4.2.2.1) sowie vom Sarbanes-Oxley Act (4.2.2.2) ausgehen.464 „Direct incentives for creating 461
Near/Dworkin (1998), S. 1559. Es sei erneut darauf hingewiesen, dass die Struktur von Institutionen entweder formell oder informell sein kann. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Art und Weise, in der eine Institution ihrer Informationsfunktion nachkommt. Formelle Institutionen wie z. B. Gesetze sind meist schriftlich fixiert, während informelle Institutionen, wie etwa Gebräuche, ihrer Informationsfunktion i. d. R. durch tatsächliche „Einübung” oder mündliche Kommunikation nachkommen. 463 Vgl. Langevoort (2002), S. 98; Moberly (2006), S. 1161. 464 Zwar finden sich auch explizite Anreize zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen in anderen amerikanischen Gesetzen wie z. B. dem False-Claims-Act oder in deutschen Gesetzen wie z. B. dem Aktiengesetz (AktG). So legt etwa § 91, II AktG fest, dass es zu den Aufgaben des Vorstands gehört, „geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den 462
120
internal procedures are included in congressional mandates such as the federal [sic] Corporate Sentencing Guidelines.”465 So kommt auch C. Mezger (2006) in einer Umfrage unter deutschen Unternehmen zu dem Schluss, dass für die Mehrheit der Unternehmen „gesetzliche Vorgaben“ ausschlaggebend waren, sich mit dem Thema Whistleblowing zu beschäftigen.466 Bei der Untersuchung der Anreize, die von den beiden genannten Gesetzen ausgehen, wird folgendermaßen vorgegangen: Zunächst wird jeweils die Ausgestaltung der Vorschriften dargestellt, die als Anreiz zur Einführung eines Whistleblowing-Systems dienen (a). Im nächsten Abschnitt wird analysiert, welche Wirkung von diesen Vorschriften auf die Ausgestaltung interner Whistleblowing-Systeme ausgeht (b). Eine Einschätzung der Eignung der von den Vorschriften ausgehenden Anreize zur Förderung der Einrichtung unternehmensinterner Whistleblowing-Arrangements beendet das jeweilige Kapitel (c).
4.2.2.1 U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations Die U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations (OSG)467 traten im Jahr 1991 in Kraft.468 Ziele der Einführung der OSG waren, die Effektivität der Bekämpfung organisationsinternen Fehlverhaltens zu steigern sowie die strafrechtliche Praxis zur Verurteilung von Organisationen469 zu vereinheitlichen.470 Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Geldstrafen für illegales Verhalten von Organisationen im Vergleich zu den dadurch erzielten Gewinnen sehr gering. Des Weiteren wurden fast identische Fälle illegalen Verhaltens von Unternehmen durch die Gerichte mit stark unterschiedlichen Strafmaßen belegt. Das Ergebnis war u. a., dass Unternehmen massiv in die Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“ Obwohl hierunter auch die Einrichtung eines Whistleblowing-Systems fallen kann, existieren im Gegensatz zu den nachfolgend untersuchten amerikanischen Gesetzen jedoch keine zwingenden Normen (Sarbanes-Oxley Act) und keine expliziten Anreize (U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations), die auf die Einrichtung eines solchen Systems abzielen. Aus diesem Grund wird die Untersuchung auf diese beiden Gesetze beschränkt. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt, auf die USA bezogen, auch Hess (2007). 465 Callahan et al. (2002), S. 190. 466 Vgl. Mezger (2006), S. 44. 467 Diese werden oftmals auch als „Organizational Sentencing Guidelines“ bezeichnet. Daher wird nachfolgend die Abkürzung „OSG“ verwendet. 468 Die nachfolgend zitierten Paragraphen beziehen sich zur Gewährleistung einer hohen Aktualität auf das U.S. Sentencing Guidelines Manual (USSG) in der Version von 2006. 469 Der Begriff der Organisation wird von den OSG wie folgt definiert: „‚Organization’ means a ‚person other than an individual.’ […] The term includes corporations, partnerships, associations, joint-stock companies, unions, trusts, pension funds, unincorporated organizations, governments and political subdivisioins thereof, and non-profit organizations.” USSG (2006), Application Notes to § 8A1.1. 470 Vgl. Dannecker (1998), S. 6; S. 10.
121
Verschleierung von Straftaten investierten, statt bei deren Aufklärung mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.471 Die Verabschiedung der OSG war für die Bekämpfung von organisationsinternem Fehlverhalten in zweierlei Hinsicht wegweisend. Zum einen wurden systematisch sowohl die Organisation als auch die unmittelbar handelnden Personen strafrechtlich sanktioniert. Zum anderen wurden erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten die Unternehmen mittels geeigneter Anreize in die Bekämpfung von Fehlverhalten mit einbezogen. „A critical component of the Sentencing Commission's effort to prevent and deter organizational wrongdoing through its design of the organizational sentencing guidelines was its creation of a sentencing credit”.472 Diese beiden Überlegungen basieren auf den folgenden drei Annahmen473: (1) Erstens existieren zwischen verschiedenen Unternehmen deutliche Unterschiede im Ausmaß der Verantwortlichkeit für illegale Handlungen von Mitarbeitern sowie von Mitgliedern des Managements. So können Unternehmen Vorkehrungen treffen, um solche Regelverstöße zu verhindern, andere Unternehmen hingegen können Mitarbeiter sogar zu entsprechenden Taten anweisen. (2) Zweitens kann das Management die Wahrscheinlichkeit von kriminellem Verhalten und dessen Ausmaß im Unternehmen signifikant beeinflussen.474 (3) Drittens sind die Berechenbarkeit der Strafe sowie die Möglichkeit, diese zu beeinflussen, Voraussetzungen dafür, gezielt auf das Verhalten der Unternehmen einzuwirken.475 Die Bedingung für eine Strafreduktion ist die Existenz eines unternehmensspezifischen Compliance-Programms, das den Richtlinien der OSG entspricht. Im Jahr 2004 wurden die OSG erstmals seit deren Einführung signifikant überarbeitet. Grund hierfür war, dass eine Reihe amerikanischer Unternehmen wie Enron, Tyco und Worldcom, die sich dem schweren Betrug an Investoren und der Bilanzfälschung schuldig gemacht hatten, Compliance-Programme besaßen, die den Richtlinien der OSG aus dem Jahr 1991 entsprachen.476 „[…] corporations could easily create superficial structures that
471
Vgl. Swenson (1998), S. 37. Bednar et al. (2003), S. 1. Ähnlich auch Langevoort (2002): „The federal Organization Sentencing Guidelines were developed to make clear that corporations with a reasonable compliance system would get some credit at the sentencing phase even though they were found by imputation to have violated federal law […].” Ebenda, S. 952. Der Begriff „sentencing credit“ kann als eine Strafreduktion aufgefasst werden. 473 Vgl. Swenson (1998), S. 39 f. 474 Vgl. Rafalko (1994), S. 625; Steinherr et al. (1998), S. 162. 475 Wie in Kapitel 2.5.1 dargelegt, gewährleisten Instiutionen, in diesem Fall vorgegebene Richtlinen, durch ihre Informationsfunktion die Berechenbarkeit des Verhaltens von Interaktionspartnern. 476 Vgl. Kimmich (2006), S. 3; Bednar et al. (2003), S. 36 f. 472
122
satisfied the OSG but were ineffective. These structures were often little more than ‚windowdressing’.“477 Aufgrund dieser offensichtlichen Unzulänglichkeiten wurden die OSG umfassend überarbeitet.478 Diese Änderungen, die als „2004 Amendments“ im November 2004 in Kraft traten, hatten zum Ziel, die Effektivität der Bekämpfung unternehmensinternen Fehlverhaltens durch Compliance-Programme signifikant zu erhöhen. Im Rahmen dieser Änderungen wurde besonderer Wert darauf gelegt, Compliance nicht nur als die Befolgung rechtlicher Standards, sondern auch als ethisches Verhalten aufzufassen. Des Weiteren wurde die Anforderung an Unternehmen gestellt, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, in welcher gesetzestreues Verhalten nicht nur formal, sondern auch faktisch erwartet und im täglichen betrieblichen Umgang gelebt wird. Auch der vormals enge Fokus, der lediglich auf die Vermeidung kriminellen Verhaltens zielte, wurde zugunsten einer deutlich breiteren Perspektive auf norm- und regelkonformes Verhalten geändert.479 Statt die Zuständigkeit für das Compliance-Programm vollständig an bestimmte Abteilungen oder Stellen zu delegieren, ist es seitdem Aufgabe des Top-Managements, dessen Inhalte und Prozesse zu kennen sowie die Umsetzung und das effektive Funktionieren des Programms zu gewährleisten und zu überwachen.480 Nachfolgend soll dargestellt werden, wie die skizzierten ursprünglichen Überlegungen zum Zeitpunkt der Einführung der OSG im Jahr 1991 und deren Überarbeitung und Ergänzung im Jahr
2004
einen
Anreiz
für
Unternehmen
zur
Einführung
unternehmensinterner
Whistleblowing-Systeme darstellen. (a) Anreize zur Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme Zentrales Element der OSG ist die Abhängigkeit der Strafhöhe vom Ausmaß des organisationsinternen Fehlverhaltens.481 Vorausgesetzt, dass es sich nicht um eine Organisation handelt, die überwiegend für kriminelle Zwecke oder durch kriminelles Verhalten betrieben wird482, wird zur Bemessung der Geldstrafe, die von der Organisation für das Fehlverhalten ihrer Mitglieder zu entrichten ist, wie folgt vorgegangen.483 477
Moberly (2006), S. 1135. Vgl. Bednar et al. (2003), S. 3. 479 „[…] create incentives for organizations to put in place policies, practices, and cultures to deter and prevent misconduct.” Bednar et al. (2003), S. 8. 480 Vgl. USSG (2006), § 8B2.1. 481 Vgl. Metzger et al. (1993), S. 28. 482 Für solche Arten von Organisationen ist eine Strafe festzulegen, deren Höhe geeignet ist, der Organisation sämtliches Vermögen zu entziehen. Vgl. USSG § 8C1.1. 483 Vgl. für die nachfolgenden Abschnitte Dalton et al. (1994), S. 8 – 9; Steinherr et al. (1998), S. 168–176. 478
123
Zunächst ist zu bestimmen, ob die Straftat unter die OSG fällt. Dies ist der Fall, wenn ein (schweres) Verbrechen („felony“) vorliegt oder es sich um ein Vergehen („misdemeanor“) der „Class A“ handelt.484 Ist diese Voraussetzung erfüllt, wird im ersten Schritt ein Richtwert für die Strafhöhe bestimmt. Diese „base fine“ oder Basisstrafe orientiert sich an der Art der Verbrechenskategorie, der das illegale Organisationsverhalten zuzuordnen ist. Je nach Art des Verbrechens wird ein Punktwert zwischen eins (für leichte Vergehen) und 43 (für schwere Verbrechen) vergeben. Dieser kann in Abhängigkeit von dem erzielten Gewinn bzw. von den an Dritten verursachten Schäden sowie durch die Art des Vorgehens bei der Vorbereitung und der Ausübung des illegalen Verhaltens erhöht werden.
Offense level
Amount
6 or less
$ 5,000
10
$ 20,000
14
$ 85,000
18
$350,000
22
$1,200,000
26
$3,700,000
30
$10,500,000
34
$28,500,000
38 or more
$72,500,000
Tabelle 1: Auszug aus der „Offense Level Fine“-Tabelle der OSG; Quelle: USSG (2006), § 8C2.4.d.
In einem zweiten Schritt wird der Grad des organisationsspezifischen Fehlverhaltens bzw. das Verschulden der Organisation, der „culpability score“, bestimmt. Ausgehend von einem Basis-Punktwert von fünf können zwischen einem und fünf Punkten addiert oder subtrahiert werden. Das Ausmaß dieses „culpability score“ ist abhängig von den folgenden sechs Faktoren. Abhängig von der Mitarbeiteranzahl wirken strafverschärfend: (1) Die Verwicklung der Unternehmensleitung in kriminelles Verhalten oder deren Untätigkeit nach der internen
484
Vgl. USSG (2006), § 8A1.1. „Major offenses governed by the 1991 Guidelines include big rigging, fraud, customs violations, theft, embezzlement, extortion, drug offenses, civil rights violations, antitrust violations, conflict of interest, invasion of privacy, forgery, racketeering, tax fraud, transportation of hazardous materials, copyright infringements and environmental crimes.” USSG (1994) [ohne Seitenangabe, TB], zitiert nach Kimmich (2006), S. 71.
124
Offenlegung entsprechender Vorkommnisse, (2) die wiederholte Verwicklung des Unternehmens in Straftaten, (3) die Nichtbeachtung einer gerichtlichen Anordnung bzw. einer Bewährungsauflage sowie (4) die Behinderung der Justiz während der Ermittlungen.485 Die strafmildernden Faktoren sind abhängig von der Mitarbeiterzahl, so dass kleineren Unternehmen tendenziell eine größere Milde entgegengebracht wird. Zu diesen Faktoren zählen (5) die unverzügliche Mitteilung des Vergehens nach seiner internen Aufdeckung an die zuständigen Behörden, die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden und die Übernahme von Verantwortung für das aufgetretene Fehlverhalten sowie (6) ein zum Zeitpunkt des Vergehens effektives Compliance-Programm.486 Entscheidend für die Beurteilung der Effektivität des Compliance-Programms ist, ob bei dessen Entwicklung und Umsetzung mit hinreichender Sorgfalt („due diligence“) vorgegangen wurde. Alternativ oder ergänzend hierzu kann die Förderung einer Unternehmenskultur beurteilt werden, welche ethisches und gesetzestreues Verhalten begünstigt.487 Die Effektivität solcher Bemühungen wird anhand der nachfolgenden sieben Faktoren bemessen: (a) Es existieren Verhaltensrichtlinien im Unternehmen, die dazu geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit von illegalem Verhalten zu reduzieren und kriminelles Verhalten zu entdecken. (b) Das Management des Unternehmens ist mit den Inhalten des ComplianceProgramms vertraut und sorgt für die Umsetzung und Effektivität sowie für die Überwachung der
Einhaltung
dieser
Richtlinien.
(c)
Mitarbeiter,
denen
Entscheidungs-
bzw.
Handlungsspielräume eingeräumt werden sollen, werden sehr sorgfältig ausgewählt. Kriminelles Verhalten oder Verstöße gegen ein Compliance-Programm in der Vergangenheit gelten als Ausschlusskriterium. (d) Die Inhalte des Compliance- und Ethikprogramms werden allen Mitarbeitern in regelmäßigen Abständen und in praktischer Weise, z. B. durch Schulungen, kommuniziert. (e) Die Befolgung des Compliance-Programms wird durch geeignete Anreize gefördert und seine Nichtbefolgung sanktioniert. (f) Nach der Aufdeckung illegalen Verhaltens werden Vorkehrungen getroffen, um ein ähnliches Verhalten in Zukunft zu verhindern.488 (g) Des Weiteren stellt die Organisation durch Überwachung und Überprüfungen sicher, dass die Verhaltensrichtlinien befolgt werden. Die Effektivität des
485
Vgl. USSG (2006), § 8C2.5.b-e. Vgl. USSG (2006), § 8C2.5.f-g. 487 „[…] promote an organizational culture that encourages ethical conduct and a commitment to compliance with the law.” USSG (2006), § 8B2.1.a. 488 Vgl. USSG (2006), § 8B2.1.b.1–4; 6–7. 486
125 489
Compliance-Programms wird regelmäßig kontrolliert.
Darüber hinaus hat die Organisation
ein internes Whistleblowing-System eingerichtet und dessen Vorhandensein kommuniziert. Dieses gibt Mitarbeitern die Möglichkeit, Verdachts- oder tatsächliche Fälle von Verstößen durch Kollegen oder Vorgesetzte vertraulich oder anonym und ohne Angst vor Vergeltung zu melden.490 Aus der Auswertung der beschriebenen straferhöhenden und -mildernden Faktoren ergibt sich dann der „culpability score“; dieser determiniert einen Minimum- und einen MaximumMultiplikator.
Culpability Score
Minimum Multiplier
Maximum Multiplier
10 or more
2.00
4.00
9
1.80
3.60
8
1.60
3.20
7
1.40
2.80
6
1.20
2.40
5
1.00
2.00
4
0.80
1.60
3
0.60
1.20
2
0.40
0.80
1
0.20
0.40
0 or less
0.05
0.20
Tabelle 2: „Culpability Score: Minimum and Maximum Multipliers“; Quelle: USSG (2006), § 8C2.6.
In einem dritten Schritt wird dann der „culpability score“ mit der „base fine“ multipliziert und so ein Rahmen für die monetäre Strafhöhe ermittelt. Im letzten Schritt trifft das den Fall verhandelnde Gericht innerhalb dieses Strafrahmens eine Ermessensentscheidung. Dabei berücksichtigt es u. a. Faktoren wie die Bedeutung („seriousness“) des Verstoßes, die Förderung von Respekt vor dem Gesetz, die Sicherstellung einer „gerechten“ Bestrafung, eine adäquate Abschreckung und den Schutz der Öffentlichkeit 489 490
Vgl. USSG (2006), § 8B2.1.b.5(A)-(B). „The organization shall take reasonable steps to have and publicize a system, which may include mechanisms that allow for anonymity or confidentiality, whereby the organization's employees and agents may report or
126
vor weiteren Straftaten.491 Unter bestimmten Umständen kann von diesem Strafrahmen sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden.492 In Fällen, in denen finanzielle Strafen keine ausreichende Wirkung zeigen oder die Existenz des Unternehmens ungewollt gefährden, können Organisationen auch zu Bewährungsstrafen verurteilt werden.493 Diese stellen dann auf operative Maßnahmen zur Sicherstellung bzw. Verbesserung der Corporate Compliance ab.494 1. Schritt
Ermittlung der Basisstrafe (base fine): Betrag aus Offense-LevelTabelle Monetärer Gewinn des Unternehmens Montetärer Schaden anderer Art des Vorgehens bei der Vorbereitung und Ausübung des illegalen Verhaltens
2. Schritt
3. Schritt
4. Schritt
Verurteilung innerhalb des Strafrahmens
X
Mimimum- und MaximumMultiplikatoren
=
Bestimmung des Grades des organisationsspez. Fehlverhaltens (culpability score): Beteiligung am bzw. Wissen über das Vergehen Vergangenheit Nichtbeachtung einer gerichtlichen Anordnung Behinderung der Justiz Effektives ComplianceProgramm Selbstanzeige und Kooperation
Strafrahmen (fine range)
und/oder
Bewährungsstrafe
Abbildung 11: Vorgehensweise der OSG bei der Bestimmung des Strafmaßes für Unternehmen; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Steinherr et al. (1998), S. 178.
seek guidance regarding potential or actual criminal conduct without fear of retaliation.” USSG (2006), § 8B2.1.b.5.C. 491 Vgl. USSG (2006), § 8C2.8.a. 492 Vgl. USSG (2006), § 8C4.1–11. 493 Es soll erneut betont werden, dass es sich um eine Bewährungsstrafe für die Organisation und nicht für Mitglieder der Unternehmensführung o. Ä. handelt. 494 Vgl. USSG (2006), § 8D1.1.
127
(b) Analyse der Wirkung Im vorausgegangenen Abschnitt wurde erwähnt, dass die Einführung der OSG insofern wegweisend war, als dass für Unternehmen erstmals ein Anreiz geschaffen wurde, sich an der Verhinderung von organisationsinternem Fehlverhalten zu beteiligen. Die OSG bedienen sich in den Worten von A. Swenson eines „carrot and stick approach“.495 Ins Deutsche lässt sich dieser Ansatz näherungsweise mit „Zuckerbrot und Peitsche“ übersetzen. Zur Unterbindung des illegalen Verhaltens von Organisationen wird sich dabei einer Kombination von positiven und negativen finanziellen Anreizen bedient.496 Das zentrale Element der Anreizsteuerung ist dabei der verschuldensabhängige Multiplikator, der „Culpability Score“.497 Dessen mögliche Verringerung, gemessen am Basis-Multiplikatorsatz von fünf, setzt einen positiven Anreiz, möglichst effiziente unternehmensinterne Vorkehrungen zur Verhinderung von illegalem Verhalten zu treffen. Werden diese Vorkehrungen nicht getroffen, so wird durch die mögliche Erhöhung des Multiplikators und damit der Strafe ein negativer Anreiz gesetzt.498 Bei der Analyse der durch die OSG bereitgestellten Anreize ist von hoher Bedeutung, dass diese nicht isoliert, sondern stets als Bündel von simultan wirkenden Anreizen betrachtet werden. So kann etwa das ausschließliche Setzen negativer Anreize dazu führen, dass Unternehmen vermehrt in die Verschleierung illegalen Verhaltens investieren, d. h. in die Erhöhung der Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Gesellschaft. Aufgrund einer sehr geringen Aufklärungsquote kann dies eine bevorzugte Strategie darstellen. Umgekehrt kann auch das isolierte Setzen positiver Anreize wirkungslos bleiben. Zwar handelt es sich bei positiven Anreizen um eine Art notwendige Bedingung für die Aktivierung von
Unternehmen
zur
Bekämpfung
internen
Fehlverhaltens.
Ohne
nachhaltig
ausdifferenzierte Strafhöhen können diese positiven Anreize jedoch wirkungslos bleiben. In einem solchen Fall ist die zu erzielende Minderung der Strafhöhe im Vergleich zu den
495
Swenson (1998), S. 36. Vgl. Bednar et al. (2003), S. 8; Near/Dworkin (1998), S. 1557. 497 „The defendant organization's ‚culpability score’ now plays a major role in the penalty determination process.” Metzger et al. (1993), S. 28. 498 Vgl. Ruhnka/Boerstler (1998), S. 310; Wieland (1998), S. 47. Um die Wirkung von Anreizen stärker zu differenzieren, soll hier von positiven und negativen Anreizen gesprochen werden. Als positive Anreize können solche definiert werden, die einen Akteur durch die Erhöhung seines Nutzens zu einer bestimmten Verhaltensweise veranlassen. Negative Anreize versuchen, durch Sanktionen die Kosten für eine 496
128
notwendigen Investitionen (z. B. in Compliance-Programme) und den entgangenen Vorteilen durch den Verzicht auf illegales Verhalten zu gering. Erst durch eine hinreichende Ausdifferenzierung der Strafhöhe durch negative sowie positive Anreize wird eine ausreichende Anreizkompatibilität der Investition in unternehmensinterne Kontrollsysteme sichergestellt.499 J. Wieland (1998) folgert daher: „Die Anreizstruktur der Sentencing Guidelines […] zielt […] auf die Motivation der Unternehmen, in Prävention zu investieren und in einer Situation unvollständiger Information Offenheit und Rechtstreue zu zeigen.“500 Durch die hohe Gewichtung des Vorhandenseins eines „effektiven“ ComplianceProgramms als strafmildernder Faktor setzen die OSG einen starken Anreiz für Unternehmen, ein solches einzuführen. Wesentlicher Bestandteil eines solchen Compliance-Programms ist u. a.
ein
institutionalisierter
Whistleblowing-Prozess.
Gleichwohl
garantiert
dessen
Einrichtung im Unternehmen nicht per se das effektive Funktionieren eines ComplianceProgramms. Dieses ist nur dann sichergestellt, wenn die innerbetrieblichen Voraussetzungen für dessen Nutzung durch die Mitarbeiter geschaffen werden. Die OSG tragen diesem Problem im Verhältnis zwischen Organisation und Organisationsmitglied Rechnung, indem sie konkrete Maßnahmen beschreiben, die zu einer effektiven Compliance im Unternehmen beitragen sollen.
Die von den OSG ausgehenden, auf das Unternehmen einwirkenden Anreize sind somit zweistufig. So werden zum einen im Außenverhältnis der Unternehmen Anreize für ein gesetzeskonformes Verhalten der Unternehmen geschaffen. Dies wird durch eine in Aussicht gestellte Minderung der Strafen bei entsprechenden Vorkehrungen gegen illegales Verhalten erreicht. Im Binnenverhältnis des Unternehmens, d. h. in der Beziehung zwischen Organisation und Organisationsmitglied, sorgt die Koppelung der in Aussicht gestellten Strafreduktion an die Umsetzung der Vorschriften für ein effektives Compliance-Programm als Anreiz dafür, dass diese Vorschriften auch tatsächlich umgesetzt werden.
unerwünschte Verhaltensweise derart zu erhöhen, dass diese für einen Akteur an Attraktivität verliert bzw. gänzlich unattraktiv wird. 499 Vgl. Dalton et al. (1994), S. 8. 500 Wieland (1998), S. 51.
129
Abbildung 12: Zweistufige Anreizwirkung der OSG; Quelle: Eigene Darstellung.
Allerdings
ist
im
Hinblick
auf
die
Vorschriften
zur
Einrichtung
eines
unternehmensinternen Whistleblowing-Systems anzumerken, dass die Wahlmöglichkeiten bei dessen Ausgestaltung in Bezug auf Vertraulichkeit und Anonymität dazu führen können, dass Unternehmen auf diese beiden Elemente verzichten und somit die Effektivität eines solchen Systems massiv einschränken.501 Der Grund für diese Einschränkung kann darin gesehen werden, dass die Vertraulichkeit der übermittelten Informationen sowie die Möglichkeit zum anonymen Einreichen von Hinweisen einen Whistleblower vor Vergeltung schützen können. Mitarbeiter, denen Hinweise auf illegales Verhalten vorliegen, werden das Fehlen dieser Elemente in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül
bei
der
Entscheidung
über
eine
interne
Kommunikation
berücksichtigen und möglicherweise aus Angst vor Vergeltung von einer Mitteilung absehen. (c) Beurteilung Durch die Kombination positiver und negativer Anreize setzen die OSG einen starken Anreiz für Unternehmen, Investitionen in Compliance-Programme vorzunehmen. „As a result, U.S. companies have never before had greater incentives to do everything they can to avoid illegal
501
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2629.
130
behavior.”502
Hierzu
gehört
auch
die
Einrichtung
eines
unternehmensinternen
Whistleblowing-Systems. Eine Stärke der OSG ist, dass der zweistufige Aufbau der Anreize nicht nur im Außensondern auch im Binnenverhältnis der Unternehmen zur wirkungsvollen Umsetzung eines unternehmensinternen Compliance-Programms beiträgt. Somit wird sichergestellt, dass Compliance-Programme in Unternehmen „mit Leben gefüllt“ werden und damit ihren Zweck – die Verhinderung von illegalem Verhalten durch Organisationsmitglieder – erfüllen können. Durch das Festlegen konkreter Anforderungen an strafmindernde Compliance-Programme wirken die OSG der Schaffung von Compliance-Programmen entgegen, denen eine bloße PRbzw. Alibi-Funktion zukommt. Kritik ist am Aufbau der OSG insofern angebracht, als dass die (ansonsten sehr konkreten) Anforderungen an das interne Compliance-Programm gerade in Bezug auf die Ausgestaltung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems als „Kann-“ und nicht als „MussVorschriften“ ausgelegt sind. Durch das potenzielle Fehlen der Möglichkeit zur anonymen oder
vertraulichen
unternehmensinternen
Einreichung
von
Informationen
Whistleblowing-Systems
wird
die
eingeschränkt.
Wirksamkeit
Gerade
dies
eines jedoch
konterkariert die Absicht der OSG, eine möglichst effektive Compliance sicherzustellen.503 Ein strukturelles Problem der OSG ist, dass die Informationen, die von Unternehmen im Rahmen des „self-reporting“ publik gemacht werden, oftmals dazu verwendet werden, zivilrechtliche Ansprüche gegen diese Unternehmen geltend zu machen. Dieses Problem, auch als „litigation dilemma“ bezeichnet, wirkt dem Anreiz, ein effektives ComplianceProgramm einzuführen, sehr stark entgegen. „There is substantial evidence demonstrating that, as strong as the guidelines' compliance incentives are, equally weighty incentives created by forces outside [Hervorhebung im Original, TB] the organization may persuade organizations to pursue less than optimal, and in some cases, ineffective compliance programs. This situation […] is recognized as one of the major greatest impediments to the institution or maintenance of truly effective compliance programs.”504
502
Metzger et al. (1993), S. 28. So auch Parker (2002), S. 20: „They [Federal Sentencing Guidelines, TB] have put compliance programs on management agendas.” Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der amerikanischen Unternehmen ein Compliance-Programm besitzt. Vgl. Parker (2002), S. 23 f. mit weiteren Literaturverweisen. 503 Interessanterweise schlug die „Advisory Group“, welche mit der Überarbeitung der OSG befasst war, der „Sentencing Commission“ vor, die Möglichkeit zur anonymen Abgabe von Hinweisen zwingend vorzuschreiben: „[…] make the following modifications and additions: […] Require a mechanism for anonymous reporting.” Bednar et al. (2003), S. 4. 504 Bednar et al. (2003), S. 6.
131
Zusammenfassend kann vor diesem Hintergrund das Fazit gezogen werden, dass die OSG grundsätzlich das vom amerikanischen Gesetzgeber mit deren Einführung und Modifikation verfolgte Ziel, die Förderung des gesetzeskonformen Verhaltens von Unternehmen, erfüllen.505 Der Anreiz zur Förderung der Compliance wird im Außenverhältnis des Unternehmens durch das „litigation dilemma“ allerdings deutlich reduziert. Auch im Innenverhältnis weisen die OSG noch Defizite auf, da sie Wahlmöglichkeiten für die Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme vorsehen und damit deren potenzielle Wirksamkeit unnötig einschränken.
4.2.2.2 Sarbanes-Oxley Act Der Sarbanes-Oxley Act (SOA)506 wurde im Juli 2002 vom amerikanischen Kongress als Reaktion auf die Bilanzierungsskandale und den Betrug an Investoren bei einer Vielzahl börsennotierter
Unternehmen
verabschiedet.507
Das
Gesetz
soll
Transparenz
und
Glaubwürdigkeit schaffen, um das durch Skandale erschütterte Vertrauen der amerikanischen Gesellschaft in die US-Finanzmärkte wieder herzustellen.508 Die im SOA enthaltenen Vorschriften
zielen
daher
insbesondere
auf
eine
verbesserte
Einhaltung
der
Bilanzierungspraxis sowie der Grundsätze der Unternehmensführung im Sinne der Investoren ab.509 Zur Erreichung dieser Ziele werden an die dem SOA unterworfenen Unternehmen sehr hohe Anforderungen hinsichtlich der Qualität ihrer unternehmensinternen Kontrolle gestellt.510 Da der SOA primär auf den verbesserten Schutz von Investoren abzielt, wenden sich die Regelungen vor allem an Manager, Mitarbeiter, Lieferanten und Vertreter jener Unternehmen, die an einer der Börsen in den Vereinigten Staaten notiert sind.511
505
„The organizational sentencing guidelines must be counted a great success to the extent that the objective was to induce many organizations to focus on compliance and to create programs to prevent and detect violations of law.” Bednar et al. (2003), S. 47. 506 Teilweise wird der Sarbanes-Oxley Act auch mit „SOX“ abgekürzt. 507 Vgl. Cherry (2004), S. 1055; Krimmer (2006), S. 5 f. 508 Vgl. Baynes (2002), S. 876 f.; Hess (2007), S. 1782; Langevoort (2006), S. 965. 509 Vgl. Menzies (2006), S. 16; Rosenberg (2004), S. 15. 510 Vgl. Felsberg (2005), S. 91. 511 Vgl. Franze (2002), S. 13. Eine Ausnahme hiervon bildet der § 1107, SOA (2002), welcher für sämtliche Unternehmen unabhängig von deren Börsennotiz gilt.
132
Nachfolgend werden die wesentlichen Paragraphen des SOA, die Vorschriften und Anreize zur Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems enthalten, kurz vorgestellt; hierzu zählen insbesondere die Paragraphen 301, 302, 404, 806 und 1107.512 (a) Anreize zur Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme Im SOA findet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Anreize, die auf die Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems abzielen. Sie reichen vom expliziten gesetzlichen Zwang des Managements, adäquate interne Kontrollsysteme einzuführen und diese auf ihr Funktionieren hin zu kontrollieren, über die Androhung empfindlicher Strafen bei Verstößen bis hin zu indirekten Anreizen für Mitarbeiter, zu Whistleblowern zu werden. So wird in § 301 das „Audit Committee“, das in seiner Funktion im Wesentlichen dem Prüfungsausschuss in einem deutschen Aufsichtsrat entspricht, zur Einführung eines Systems verpflichtet, das es Mitarbeitern ermöglicht, anonym Hinweise zu fragwürdigen Rechnungslegungs- oder Bilanzprüfungspraktiken abzugeben.513 Informationen hierüber werden dann unter Umgehung des Managements direkt an die Mitglieder des Prüfungsausschusses weitergeleitet. Auch wenn der Terminus „Whistleblowing“ im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist der Inhalt dieses Paragraphen dahingehend auszulegen, dass darin der Aufbau institutionalisierter unternehmensinterner WhistleblowingProzesse verlangt wird. Die meisten Unternehmen reagieren hierauf, indem sie eine unternehmensexterne, unabhängige Hotline einrichten, welche Hinweise über Fehlverhalten aufnimmt.514 Verstößt ein Unternehmen gegen die Vorschriften dieses Paragraphen, so kann ihm seitens der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission, SEC) die Erlaubnis zur Börsennotiz entzogen werden.515 In § 302 wird festgelegt, dass der Vorstandsvorsitzende (Chief Executive Officer, CEO) und der Finanzvorstand (Chief Financial Officer, CFO) eines Unternehmens nicht nur für die 512
Auch der § 307 des SOA enthält Vorschriften, die Rechtsanwälte eines Unternehmens dazu verpflichten, in ihrem Besitz befindliche Informationen über Verstöße gegen Bilanzierungsrichtlinien oder Steuergesetzte gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden oder der im Konzern für Recht verantwortlichen Führungskraft offenzulegen; falls diese Adressaten jedoch nicht oder nicht angemessen reagieren, müssen die Informationen dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates oder dem Aufsichtsrat selbst unterbreitet werden. Da es sich bei externen Rechtsanwälten jedoch nicht um Mitarbeiter des betreffenden Unternehmens handelt, ist ein solcher Tatbestand nicht als Whistleblowing einzuordnen. Dementsprechend soll dieser Paragraph nicht weiter untersucht werden. Eine ausführliche Diskussion dieses Sachverhaltes findet sich bei Daub (2007), S. 22–44. 513 „Each audit committee shall establish procedures for […] the confidential, anonymous submission by employees of the issuer of conerns regarding questionable accounting or auditing matters.” SOA (2002), § 301(4)(B). Vgl. Menzies (2004), S. 57. 514 Vgl. Dworkin (2007), S. 1761. 515 Vgl. SOA (2002), § 301.
133
Einrichtung eines internen Kontrollsystems verantwortlich sind, sondern auch für die regelmäßige Überprüfung von dessen Effektivität sowie für die Kommunikation eventueller Schwächen und aufgetretener Betrugsfälle an den Prüfungsausschuss und an den mit der Prüfung des Jahresabschlusses beauftragten Wirtschaftsprüfer.516 Im Vergleich hierzu teilweise redundant verlangt § 404, dass CEO und CFO im Rahmen eines internen Prüfungsberichtes jährlich die Wirksamkeit des unternehmensinternen Kontrollsystems beurteilen und vom Wirtschaftsprüfer testieren lassen.517 Neben diesen gesetzlichen Zwängen bedient sich der SOA indirekter Anreize zur Einrichtung eines wirksamen unternehmensinternen Kontrollsystems. So ist ein wesentliches Element des SOA darin zu sehen, dass er massive Anreize zur externen Offenlegung unternehmensinterner Informationen über Fehlverhalten durch Mitarbeiter setzt. „The most recent attempt to encourage employees to become more effective corporate monitors is the Sarbanes-Oxley Act of 2002.”518 Um für die Mitarbeiter einen wirkungsvollen Anreiz zu schaffen, bieten die Regelungen des SOA einen deutlich verbesserten Schutz von Whistleblowern.519 Der SOA ist das erste amerikanische Gesetz auf Bundesebene, das Whistleblower in der Privatwirtschaft schützt. Zuvor wurde dieser Schutz von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich geregelt.520 So schützen die Vorschriften des § 806 alle Mitarbeiter eines börsennotierten Unternehmens gegen Vergeltung, wenn diese Informationen preisgegeben haben, die auf Basis einer nachvollziehbaren Begründung Betrug gegen Investoren (v. a. Bilanzfälschung) oder Verstöße gegen SEC-Vorschriften darstellen. Empfänger dieser Informationen können verschiedene Institutionen sein: Börsenüberwachungs- oder Strafverfolgungsbehörden, Mitglieder des amerikanischen Kongresses, Kongressausschüsse, Vorgesetze oder Personen innerhalb des Unternehmens, welche im Rahmen ihrer Position die Möglichkeit haben, Fehlverhalten zu untersuchen, zu entdecken und zu unterbinden.521 Des Weiteren sind solche
516
Vgl. SOA (2002), § 302(a)(4). Der Unterschied zu § 302 liegt darin, dass § 404 zusätzlich verlangt, dass der mit der Prüfung des Jahresabschlusses beauftragte Wirtschaftsprüfer nicht nur über die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems informiert wird, sondern diese auch testiert. Vgl. auch Menzies (2004), S. 45. 518 Moberly (2006), S. 1108. 519 Vgl. Baynes (2002), S. 877. 520 Vgl. Baynes (2002), S. 887 f. Eine Übersicht der Regelungen in den jeweiligen Bundesstaaten der USA findet sich u. a. bei Cherry (2004), S. 1087–1120; Dworkin/Callahan (1991), S. 275. 521 „to provide information, cause information to be provided, or otherwise assist in any investigation regarding any conduct which the employee reasonably believes constitutes a violation of section 1341, 1343, 1344 or 1348, any rule or regulation of the Securities and Exchange Commission, or any provision of Federal law 517
134
Personen geschützt, die zur Aufklärung eines eingereichten oder kurz vor der Einreichung stehenden Falles von Wertpapierbetrug oder Betrug an Investoren beigetragen haben.522 Deutlich weiter in Bezug auf die Art des Fehlverhaltens sowie den Geltungsumfang ist § 1107 gefasst. Er untersagt sämtlichen Unternehmen, egal ob börsennotiert oder nicht, unternehmensinterne Vergeltung gegenüber Mitarbeitern, wenn diese wahrheitsgemäße Informationen über Gesetzesverstöße jedweder Art gegenüber Strafverfolgungsbehörden offengelegt
haben.523
Der
inhaltliche
Fokus
des
§ 806
auf
Wertpapier-
und
Bilanzierungsvergehen wird somit deutlich erweitert. Allerdings sind die Voraussetzungen, um den beschriebenen Schutz zu genießen, im Vergleich zu § 806 wesentlich strenger. So ist es erforderlich, dass das gemeldete unternehmensinterne Fehlverhalten tatsächlich einen Verstoß gegen Bundesgesetze darstellt. Des Weiteren muss eine Offenlegung diesbezüglicher Informationen auf jeden Fall gegenüber Strafverfolgungsbehörden stattfinden. Die Entscheidung zu einem besseren Schutz von Whistleblowern basierte vor allem auf der Einsicht, dass Informationen über unternehmensinternes Fehlverhalten nur dann von Organisationsmitgliedern weitergegeben werden, wenn der Gesetzgeber diesen einen umfassenden Schutz vor organisationsinterner Vergeltung gewährt.524 Vor diesem Hintergrund ist anzumerken, dass zur Abwendung von Schäden an Unternehmen durch „öffentliche Anklage“ insbesondere bei vermeintlichem Fehlverhalten die Weitergabe von Informationen an die Presse sowohl von § 806 als auch § 1107 nicht als schutzwürdig eingestuft wird.525 Die Organisation sowie die ihr zuzurechnenden Personen, d. h. Mitarbeiter, Mitglieder der Unternehmensführung, etc., dürfen an einem von diesen Vorschriften geschützten Whistleblower keine Vergeltung üben. Als Vergeltung zählen Entlassung, Degradierung,
relating to fraud against shareholders, when the information or assistance is provided to or the investigation is conducted by – (A) a Federal regulatory or law enforcement agency; (B) any Member of Congress or any committee of Congress; (C) or a person with supervisory authority over the employee (or such other person working for the employer who has the authority to investigate, discover, or terminate misconduct).” SOA (2002), § 806(a)(1). Vgl. auch Steinberg/Kaufman (2005), S. 451. 522 „to file, cause to be filed, testify, participate in, or otherwise assist in an proceeding filed or about to be filed (with any knowlegde of the employer) relating to an alleged violation of section 1341, 1343, 1344 or 1348, any rule or regulation of the Securities and Exchange Commission, or any provision of Federal law relating to fraud against shareholders.” SOA (2002), § 806(a)(2). Vgl. auch Franze (2002), S. 13. 523 „Whoever knowingly, with the intent to retaliate, takes any action harmful to any person, including interference with the lawful employment or livelihood of any person, for providing to a law enforcement officer any truthful information relating to the commission or possible commission of any Federal offense, shall be fined under this title or imprisoned not more than 10 years, or both.” SOA § 1107(a). Vgl. auch Dworkin (2007), S. 1764. 524 Vgl. Baynes (2002), S. 890. 525 Vgl. Cherry (2004), S. 1065; Franze (2002), S. 13.
135 526
Suspendierung, Einschüchterung sowie Diskriminierung.
Der Schutz vor Vergeltung ist
inhaltlich so ausgestaltet, dass die erlittenen Schäden des Whistleblowers vollständig auszugleichen sind („to make the employee whole“527). Dies umfasst die Wiedereinstellung in eine Position mit dem gleichen Senioritätsstatus, die Erstattung eventuell ausgefallener Gehaltszahlungen und der Zinsen hierauf, den Ausgleich für sonstige Schäden sowie die Übernahme von Kosten für den Rechtsstreit mit dem Unternehmen.528 (b) Analyse der Wirkung Zur Verhinderung künftiger Fälle von Bilanzfälschung und Betrug an Investoren bedient sich der SOA im Wesentlichen zweier Mittel. (1) Zum einen verlangt der SOA vom Management eines Unternehmens, ein wirksames unternehmensinternes Kontrollsystem aufzubauen. (2) Zum anderen fördert er internes und externes Whistleblowing durch einen verbesserten Schutz der Whistleblower. (1) Von der Unternehmensleitung wird die Einführung eines unternehmensinternen Kontrollsystems verlangt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Kontrollsystems ist ein institutionalisierter Whistleblowing-Prozess, durch den Informationen über Bilanzfälschung direkt an die Mitglieder des Prüfungsausschusses weitergeleitet werden können. Die bei Verstoß gegen diese Vorschriften angedrohten drastischen Sanktionen können als Garant dafür gesehen werden, dass ein entsprechendes Kontrollsystem eingerichtet wird. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Unternehmen die Vorschriften zur Einrichtung von Whistleblowing-Systemen nicht nur pro forma befolgen und diese daher nur einen förmlichen „window-dressing“529 Charakter besitzen. Damit wäre zwar den Vorschriften des SOA Rechnung getragen, de facto wird Whistleblowing in den Unternehmen jedoch weiterhin nicht gefördert.Um dies zu verhindern werden klar definierte Anforderungen an das Design des Whistleblowing-Systems gestellt.
526
„No company […] may discharge, demote, suspend, threaten, harass, or in any other manner discriminate against an employee”. SOA (2002), § 806(a). SOA (2002), § 806(c)(1). 528 „Relief […] shall include restatement with the same seniority status that the employee would have had, but for the discrimination; the amount of back pay, with interest; and compensation for any special damages sustained as a result of the discrimination, including litigation costs, expert witness fees, and reasonable attorney fees.” SOA (2002), § 806(c)(2).Vgl. auch Franze (2002), S. 14; Steinberg/Kaufman (2005), S. 455. 529 Unter „window-dressing” sollen oberflächliche Veränderungen verstanden werden, die lediglich auf eine Änderung der Außenwahrnehmung bestimmter Sachverhalte abzielen. Das zugrundeliegende Problem wird durch die Veränderungen aber nicht beseitigt. 527
136
Gemäß den Vorschriften des SOA für das Design von Whistleblowing-Prozessen können Informationen unter Umgehung des Managements direkt an die Mitglieder des Prüfungsausschusses
weitergeleitet
werden.
Dadurch
sind
die
Möglichkeiten
des
Managements, missbeliebige Informationen zu unterdrücken, sehr stark eingeschränkt.530 Darüber hinaus wird durch die vorgeschriebene Möglichkeit der anonymen Abgabe von Hinweisen die Fähigkeit des Managements, Whistleblower zu identifizieren und ihnen gegenüber Vergeltung zu üben, deutlich reduziert. Die potenziellen Kosten, die Mitarbeiter durch Whistleblowing erfahren, werden somit reduziert, was deren Bereitschaft, illegales Verhalten im Unternehmen offenzulegen, tendenziell erhöht.
(2) Um die Wirksamkeit dieser Vorschriften zum Design des Systems zu erhöhen, setzt der SOA einen weiteren, indirekten Anreiz für das Management eines Unternehmens, ein tatsächlich funktionierendes internes Whistleblowing-System einzurichten: Die Förderung von internem und externem Whistleblowing durch einen besseren Schutz vor Vergeltung. „Not only does SOA prohibit retaliation against whistleblowers, but it also solicits, encourages, and reinforces the very act of whistleblowing.”531 Insbesondere durch die Förderung von externem Whistleblowing setzt der SOA einen wirkungsvollen Anreiz, damit die von Unternehmen einzurichtenden WhistleblowingSysteme die ihnen zugedachte Funktion auch erfüllen. Der umfassende Schutz vor Vergeltung, den Whistleblower durch den SOA erfahren, ermutigt Organisationsmitglieder zum externen Whistleblowing, wenn sie interne Whistleblowing-Strukturen als inadäquat wahrnehmen. Hierfür ist besonders wichtig, dass die Voraussetzungen, an die der Schutz gegen Vergeltung gebunden ist, bei Bilanzfälschung und Betrug an den Aktionären bewusst niedrig gehalten sind: Entscheidend ist nicht, ob sich die Vermutungen des Whistleblowers über das Vorliegen eines dieser beiden Tatbestände als richtig erweisen. Entscheidend ist vielmehr, ob der geäußerte Verdacht ausreichend plausibel („reasonably believes“532) ist.533 Die Gefahr eines Verzichts auf Whistleblowing aus Unkenntnis der genauen Rechtslage wird somit verhindert. Gleichzeitig stellt diese Plausibilitätsprüfung, die von einem potenziellen
530
„[…] it should increase whistleblowers' effectiveness by providing a channel for employees to bypass potential blocking and filtering by corporate executives and to report information directly to the board of directors.” Moberly (2006), S. 1146. 531 Franze (2002), S. 12 f. 532 SOA (2002), § 806(a)(1). 533 Vgl. Felsberg (2005), S. 92; Steinberg/Kaufman (2005), S. 452.
137
Whistleblower vorzunehmen ist, für die Unternehmen einen Schutz vor unbegründeter und bösartiger Denunziation dar.534
(2) Die Vorschriften zum Schutz des Whistleblowers vor Vergeltung führen dazu, dass die potenziellen
Kosten
bei
externem
Whistleblowing 535
Handlungsoption für Mitarbeiter an Attraktivität.
sinken.
Damit
gewinnt
diese
Allerdings ist anzumerken, dass ein
umfassender Schutz vor Vergeltung insbesondere bei externem Whistleblowing u. U. zu opportunistischem Whistleblowing führen kann. Ein solches Verhalten ist gegeben, wenn Mitarbeiter versuchen, sich durch Whistleblowing vor Sanktionen aufgrund mangelhafter Arbeitsleistungen zu schützen.536 Aufgrund einer solchen Missbrauchsgefahr jedoch generell auf Schutznormen vor Vergeltung für Whistleblower zu verzichten537, ist jedoch kritisch zu betrachten, da ggf. ansonsten kein ausreichender Anreiz zur Einrichtung eines tatsächlich funktionierenden internen Whistleblowing-Systems existiert . Vielmehr sind entsprechende Regelungen u. U. vor Gericht derart differenziert auszulegen, dass in begründeten Fällen (z. B. bei vorheriger Abmahnung) ein solcher Missbrauch verhindert wird. Um externes Whistleblowing zu verhindern, müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern glaubhaft vermitteln, dass die interne Kommunikation einer solchen Information der effektivere Weg zur Beseitigung des beobachteten Fehlverhaltens ist. Dies kann nur durch eine Erhöhung des individuellen Nutzens aus internem Whistleblowing geschehen, da die verabschiedeten Schutznormen die Möglichkeit einer Erhöhung der Kosten für externes Whistleblowing ausschließen. Unabdingbare Voraussetzung für die Erhöhung des individuellen Nutzens ist jedoch das Vorhandensein eines funktionierenden WhistleblowingSystems, welches mehr als nur Alibi-Funktion besitzt. Es stellt sozusagen die „conditio sine qua non“ zur Abwendung von Schaden vom Unternehmen durch externes Whistleblowing dar. 534
Ein weiterer Schutz für Unternehmen vor bösartiger Denunzination und dem absichtlichen Zufügen von Reputationsschäden kann darin gesehen werden, dass der Schutz vor Vergeltung bei einem Whistleblowing an die Medien nicht greift. Vgl. Cherry (2004), S. 1065. 535 „Part of the whistleblower's decision depends on the incentives or disincentives the law provides. […] employees who are trying to decide if reporting illegal activity is worth losing their jobs may be influenced, if they know retaliatory discharges are against the law.” Cherry (2004), S. 1085 f. Etwas zurückhaltender äußert sich Rapp (2007): „To the extent that the fear of retaliation prevents potential whistleblowers from exposing fraud, the SOX anti-retaliation provision might marginally increase the rate or effectiveness of whistleblowing.” Ebenda, S. 114. 536 Vgl. Gobert/Punch (2000), S. 32. 537 „[…] legitimate rules should not induce any direct influence on the whistle blower’s calculus.“ Schmidt (2005), S. 161.
138
Verpflichtung zur Einrichtung eines unternehmeninternen Kontrollsystems inkl. eines Whistleblowing-Systems Verhinderung von Bilanzfälschung und Betrug an Investoren Verbesserter Schutz von Organisationsmitgliedern vor Vergeltung bei internem und externem Whistleblowing
Abbildung 13: Zweistufige Anreizwirkung des SOA; Quelle: Eigene Darstellung.
(c) Beurteilung Durch die Kombination von Vorschriften zur Ausgestaltung eines internen WhistleblowingSystems und zum besseren Schutz von Whistleblowern vor Vergeltung sowie hoher Strafen für Verstöße können die Vorschriften des SOA als ein wirksamer Anreiz zur Einrichtung unternehmensinterner
Whistleblowing-Systeme
und
damit
zur
Unterbindung
von
Bilanzfälschung und Betrug an Aktionären betrachtet werden.538 Trotz der erheblichen Fortschritte, die der amerikanische Gesetzgeber bei der Bereitstellung
handlungswirksamer
Anreize
zum
Aufbau
unternehmensinterner
Whistleblowing-Systeme erzielt hat, sind einige kritische Anmerkungen gegenüber dem SOA angebracht. So ist insbesondere der eingeschränkte Geltungsbereich des SOA zu beanstanden.539 Wie bereits dargelegt, verfolgt der SOA vor allem einen besseren Schutz der Aktionäre börsennotierter Unternehmen. Entsprechend einseitig zielen die Vorschriften des SOA zur Einrichtung eines unternehmensinternen Kontrollsystems auf eine Befolgung der gültigen Bilanzierungsvorschriften und der Regelungen im Wertpapierbereich ab. Dies gilt auch für 538
Kritiker der Whistleblower-Paragraphen des SOA, wie z. B. Dworkin (2007) und Rapp (2007), die stärkere finanzielle Anreize zur Offenlegung von Fehlverhalten in Unternehmen fordern, wie sie etwa im FalseClaims-Act vorgesehen sind, berücksichtigen nach Ansicht des Autors nicht ausreichend, dass die vom SOA ausgehenden Anreize in ihrer Wirkung als Bündel und nicht isoliert zu betrachten sind. 539 Vgl. Baynes (2002), S. 891 f.
139
die Normen des § 806, welche einen umfassenderen Schutz für Whistleblower regeln.540 Dieser Schutz für Whistleblower vor Vergeltung gilt dementsprechend nur für solche Vergehen, bei denen gegen das amerikanische Wertpapier- bzw. Börsenrecht verstoßen wurde. Als Konsequenz ist folglich auch der inhaltliche Fokus unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme stark auf diesen Bereich gerichtet, was deren potenzielle Wirksamkeit unnötig reduziert.541 Aufgrund der starken Arbeitsteilung in einer Organisation ist davon auszugehen, dass Mitarbeiter oft nicht einschätzen können, ob unternehmensinternes Fehlverhalten ein Vergehen gegen das Wertpapierrecht darstellt oder ein anderes Rechtsgebiet betrifft. Die daraus resultierende Unsicherheit kann Mitarbeiter dazu veranlassen, auf eine Offenlegung von beobachtetem illegalem Verhalten zu verzichten.542 Zwar kann dieser kritischen Einschätzung entgegengehalten werden, dass die von § 1107 abgedeckten Tatbestände deutlich umfassender sind und sämtliche Verstöße gegen Bundesgesetze umfassen. Dem ist jedoch zu erwidern, dass dieser Ausweitung der Tatbestände eine drastische Reduzierung des Schutzbereiches gegenübersteht. So sind im Rahmen des § 1107 nur solche Whistleblower gegen Vergeltung geschützt, die Informationen über
tatsächlich
eingetretene
Gesetzesverstöße
gegenüber
Strafverfolgungsbehörden
offenlegen. Diese hohe Anforderung dürfte eher abschreckend denn ermutigend auf etliche potenzielle Whistleblower wirken.543 Ein weiterer Nachteil des SOA ist die starke Fokussierung auf Pönalisierung des Unternehmens bzw. des Managements bei Verstößen gegen den SOA. Die drastischen Strafen können u. U. einen Anreiz setzen, massiv in Verschleierung von Fehlverhalten zu investieren, statt entdecktes Fehlverhalten offenzulegen und zu beseitigen.
540
In diesem Kontext weist F. Daub (2007) auf einen weiteren Kritikpunkt des SOA hin. Da viele Arbeitsverträge in den USA vor dem Gang des Rechtsweges zunächst den Versuch eines außergerichtlichen Vergleichs („mandatory predispute arbitration“) vorschreiben, kann es u. U. vorkommen, dass auf diesem Weg einem Whistleblower sein Anspruch auf Ausgleich erlittener Vergeltung vorenthalten wird. Ebenda, S. 21. 541 „However § 806 is an area-specific whistleblowing statute; it applies only to fraud. There are still many other areas where employees may feel compelled to report violations of a state or federal rule or regulation, and such reports would be in the public interest, yet employees could be dismissed from their positions, harassed, or otherwise retaliated against.” Cherry (2004), S. 1084 f. 542 Dies gilt auch für die dem SOA nachgelagerten administrativen Prozesse zur Einreichung einer Klage aufgrund von Vergeltung als Reaktion auf Whistleblowing. Die daran beteiligten Institutionen Occupational Safety and Health Administration (OSHA) sowie die Verwaltungsrichter des amerikanischen Arbeitsministeriums (ALJs) sind mittlerweile dazu übergegangen, die hierzu erforderlichen formalen Voraussetzungen sehr strikt auszulegen, so dass oftmals inhaltlich berechtigte Klagen aus formalen Gründen abgewiesen werden. Siehe ausführlich hierzu: Dworkin (2007), S. 1764–1767 sowie Moberly (2007). 543 Vgl. Dworkin/Callahan (1991), S. 285.
140
Auch werden von vielen, insbesondere kleinen Unternehmen die sehr hohen Kosten zur Umsetzung der umfangreichen und detaillierten Vorschriften des SOA kritisiert.544 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der SOA durch die Kombination verbindlicher Vorschriften bezüglich des Designs für ein Whistleblowing-System, durch das Setzen von Anreizen zur Förderung externen Whistleblowings sowie mittels drastischer Strafen für Bilanzfälschung und Betrug an Investoren545 für eine wirkungsvolle Bekämpfung dieser beiden Tatbestände sorgt. Durch den engen inhaltlichen Fokus sowie die Betonung der Pönalisierung vergibt der SOA jedoch die Chance auf eine umfassendere, aktivere Verhinderung von illegalem oder unethischem Verhalten in Unternehmen.
4.2.3 Überwindung der Anreizprobleme durch Selbstverpflichtungen Neben den Anreizen, die von Gesetzen ausgehen, können auch Selbstverpflichtungen Anreize für Unternehmen schaffen, die auf die Einführung effektiver interner WhistleblowingSysteme hinwirken. Bei Selbstverpflichtungen handelt es sich um grundsätzlich freiwillige, einseitig wirkende Erklärungen von Unternehmen, zukünftig auf eine bestimmte Art und Weise zu handeln. Im Gegensatz zu Gesetzen kann dieses Handeln nicht eingeklagt werden, und Verstöße gegen die Selbstverpflichtung können nicht rechtlich sanktioniert werden. Prinzipiell kann zwischen individuellen und kollektiven Selbstverpflichtungen differenziert werden. Im Folgenden sollen zunächst die von kollektiven Selbstverpflichtungen ausgehenden Anreize und deren Wirkung diskutiert werden (4.2.3.1). Im Anschluss daran wird auf die Anreizwirkung individueller Selbstverpflichtungen (4.2.3.2) eingegangen. Bei der Untersuchung der Anreizwirkung von Selbstverpflichtungen wird wie folgt vorgegangen: Zunächst werden die Anreize zum Eingehen einer (kollektiven oder individuellen) Selbstverpflichtung für die Einrichtung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems beschrieben (a). Anschließend wird analysiert, welche Wirkung diese Anreize ausüben (b). Abschließend wird eine Bewertung der Eignung der jeweiligen Selbstverpflichtung zur Einführung interner Whistleblowing-Systeme in Unternehmen vorgenommen (c).
544 545
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2627; Glaum et al. (2006), S. 32; Menden et al. (2006), S. 17. Vgl. SOA (2002), §§ 802, 902, 903, 904, 906.
141
4.2.3.1 Kollektive Selbstverpflichtungen Der Begriff der kollektiven Selbstverpflichtung ist nicht eindeutig definiert. Kollektive Selbstverpflichtungen fanden bisher vor allem als Instrument des Umweltschutzes (z. B. zur Reduzierung des CO²-Ausstoßes) Anwendung.546 In diesem Kontext wird eine kollektive Selbstverpflichtung als „einseitig abgegebene – rechtlich nicht bindende – Erklärung von Wirtschaftsverbänden oder -unternehmen“547 aufgefasst. Sie hat demnach keinen rechtlich verpflichtenden Charakter und ist somit als rein informell zu betrachten.548 Trotz dieser rechtlichen Unverbindlichkeit können Selbstverpflichtungen gegenüber Stakeholdern einen verbindlichen Charakter besitzen. Sie können daher „ein funktionales Äquivalent zu staatlichen Maßnahmen […] sein, um die damit einhergehenden (Transaktions-)Kosten zu senken“.549 Gerade darin ist ihr „Raison d' Être“ zu sehen. Kollektive Selbstverpflichtungen werden von Unternehmen bzw. von den sie vertretenden Verbänden oft mit der Absicht eingegangen, einer anderenfalls drohenden Regulierung durch staatliche Institutionen zuvorzukommen550: „Die Wirtschaft verpflichtet sich zu bestimmten Verhaltensweisen, und der Staat verzichtet im Gegenzug auf Regulierungen.“551 O. Schlecht stellt sogar die Behauptung auf, Selbstverpflichtungen seien „nicht freiwillig, sondern in Wahrheit Verhandlungs-,
Tausch-
und
Kooperationsgeschäfte
zwischen
Regierung/Staat
und
Wirtschaft“.552 Schlechts Ansicht ist jedoch zu widersprechen: Verhandlungs-, Tausch- und Kooperationsgeschäfte zwischen Staat und Wirtschaft finden auf freiwilliger Basis statt. Kein Akteur ist durch gesetzliche Normen zu Verhandlungen über eine kollektive Selbstbindung verpflichtet. Sowohl Staat als auch Unternehmen gehen diese in beidseitiger Erwartung individueller Vorteile ein. Nachfolgend sollen kollektive Selbstverpflichtungen dementsprechend als „politisch verbindliche, jedoch rechtlich unverbindliche Erklärung von mehreren Unternehmen bzw. dem oder den sie vertretenden Unternehmensverbänden hinsichtlich der Realisierung bestimmter Kooperationsgewinne verstanden“ werden.553
546
Vgl. z. B. Eickhof (2004); Geldsetzer (2001). Weitere Beispiele von kollektiven Selbstbindungen finden sich u. a. bei Holzhey/Tegner (1996), S. 42; Merkel (1997), S. 89; Suchanek (2000), S. 151–159. 547 Merkel (1997), S. 92. 548 Vgl. Frenz (2001), S. 221. 549 Suchanek (2000), S. 161. 550 Vgl. Holzhey/Tegner (1996), S. 425; Rennings et al. (1996), S. 142 f. 551 Frenz (2001), S. 221. 552 Schlecht (1996), S. IX. 553 Suchanek (2000), S. 162.
142
(a) Anreize zum Eingehen kollektiver Selbstverpflichtungen Der unternehmensspezifische Anreiz zum Eingehen einer kollektiven Selbstverpflichtung zur Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Arrangements besteht vor allem darin, dass sie im Vergleich zu alternativen gesetzlichen Maßnahmen Vorteile bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung sowie bei der Umsetzung in den Unternehmen bieten.554 Dies schlägt sich entsprechend in niedrigeren Kosten für die Realisation solcher Systeme in den Unternehmen nieder. Der Vorteil hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung ist darin zu sehen, dass bei kollektiven Selbstverpflichtungen den Bedingungen, unter denen eine Branche operiert, deutlich stärker Rechnung getragen werden kann, als dies bei gesetzlichen Lösungen der Fall ist. Diese sind meist für alle Branchen identisch. Bei der Umsetzung bieten Selbstverpflichtungen den Unternehmen erhebliche Vorteile im Vergleich zu gesetzlichen Regelungen, da die Umsetzung deutlich stärker an die jeweiligen Bedingungen des Unternehmens angepasst werden kann. So unterscheiden sich z. B. die Anforderungen an ein Whistleblowing-System in einem Großunternehmen stark von jenen in einem
Kleinbetrieb.555
Im
Rahmen
kollektiver
Selbstverpflichtungen
kann
diesen
Unterschieden durch flexible Regeln bei der Umsetzung Rechnung getragen werden. (b) Analyse der Wirkung kollektiver Selbstverpflichtungen Die Kritik, die an Selbstverpflichtungen geübt wird, konzentriert sich vor allem auf deren rechtliche Unverbindlichkeit, die Gefahr eines möglichen „rent-seekings“556 auf Kosten unbeteiligter Dritter sowie auf wettbewerbsschädigende Absprachen zwischen Unternehmen, die ordnungspolitische Bemühungen des Staates untergraben können.557 Die Gefahr des „rent-seekings“ auf Kosten Dritter sowie das Argument, dass Selbstverpflichtungen
wettbewerbsschädigende
Selbstverpflichtungen
zur
Einführung
Absprachen
unternehmensinterner
darstellen,
können
bei
Whistleblowing-Systeme
ausgeschlossen werden. Schließlich wirken Whistleblowing-Systeme gerade diesen beiden Problemen entgegen. Nachfolgend soll daher insbesondere auf das Problem der rechtlichen Unverbindlichkeit der Selbstverpflichtung eingegangen werden. Hinsichtlich der Anreize zur
554
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2628 f. Vgl. Langevoort (2002), S. 958. 556 Als „rent-seeking“ können Verhaltensweisen einzelner Akteure bezeichnet werden, die darauf abzielen, durch Einflussnahme auf staatliche Entscheidungen ein „Renteneinkommen“ (auf Kosten Dritter) zu erzielen. 557 Vgl. Rennings et al. (1996), S. 142–145 und S. 165 f.; Suchanek (2000), S. 166 f. und S. 192. 555
143
Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme stellt sich die Frage, ob kollektive Selbstverpflichtungen prinzipiell in der Lage sind, geeignete Anreize zur Überwindung des dargelegten Problems kollektiven Handelns zu setzen. Der Grund für die Untersuchung unternehmensexterner Institutionen zur Schaffung von Anreizen, die auf die Einrichtung unternehmensinterner Whistleblowing-Arrangements hinwirken, liegt letztlich genau darin: Aufgrund der kollektiven Vorteile von WhistleblowingArrangements ist dabei zumindest teilweise ein Problem kollektiven Handelns zu beobachten. Probleme kollektiven Handelns finden sich allerdings auch bei der Implementierung kollektiver Selbstverpflichtungen. Durch deren rechtliche Unverbindlichkeit ist prinzipiell ein zweistufiger Anreiz zu einem Trittbrettfahrer-Verhalten gegeben. Um diesem entgegenzuwirken, stellt sich zum einen die Frage, welche Anreize gesetzt werden können, um die Unternehmen zur Einhaltung der kollektiven Selbstverpflichtung zu bewegen. Zum anderen ist auch das tatsächliche Funktionieren
der
einzurichtenden
Whistleblowing-Systeme
in
den
Unternehmen
558
sicherzustellen.
A. Suchanek (2000) betont im Rahmen seiner Überlegungen zur Überwindung des „freerider“-Problems bei kollektiven Selbstverpflichtungen, dass vor allem durch die langfristige Einbindung von Unternehmen in eine Vielzahl wechselseitiger Abhängigkeiten und institutioneller Arrangements ein Anreiz für Unternehmen geschaffen wird, sich kooperativ im Sinne der Befolgung kollektiver Selbstverpflichtungen zu verhalten und daher ein Trittbrettfahrer-Verhalten zu unterlassen. Konkret resultiert der Anreiz zur Befolgung einer kollektiven Selbstverpflichtung aus den Vorteilen, welche sich aus der institutionellen Einbindung eines Unternehmens ergeben.559 Im Gegensatz zu den kollektiven Vorteilen aus der Selbstverpflichtung sind diese Vorteile als weitestgehend unternehmensspezifisch zu betrachten. So kann ein Ignorieren oder ein Verstoß gegen die kollektive Selbstverpflichtung negative Sanktionen durch den Staat, die Öffentlichkeit, Kunden oder Lieferanten nach sich ziehen.
558
„[…] indem generell nach den Anreizen gefragt wird, die die sich verpflichtenden Akteure haben, eine – gesellschaftlich erwünschte – Selbstverpflichtung nicht nur abzugeben, sondern auch einzuhalten.“ Suchanek (2000), S. 191. 559 Suchanek (2000) spricht dabei von Anreizen „aufgrund von Gegenleistungen anderer Interaktionspartner“ sowie hinsichtlich der verbesserten Leistung von Mitarbeitern von Anreizen „unternehmensinterner Art“. Ebenda, S. 196–198.
144
Als relevanter Akteur können in diesem Kontext auch Branchenverbände betrachtet werden.560 Sie treten bei kollektiven Selbstverpflichtungen oft stellvertretend für ihre Mitgliedsunternehmen
auf.561
In
Abhängigkeit
von
der
Ausgestaltung
der
Selbstverpflichtungen können die Branchenverbände bei Nichtbefolgung Sanktionen erlassen. Eine solche Verbandslösung kommt auch zur Sicherstellung des Funktionierens der Whistleblowing-Systeme in den Unternehmen in Frage. So schlagen T. Berndt und I. Hoppler (2005) die Überwachung des effektiven Funktionierens der Whistleblowing-Systeme durch eine Selbstregulierungsorganisation (SRO) vor.562 Unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung kann eine SRO in solchen Fällen tätig werden, in denen interne Versuche, auf illegales Verhalten hinzuweisen, fehlgeschlagen sind. In Abhängigkeit des Fehlverhaltens kann die SRO dann entweder die Unternehmensführung (erneut) auf das Problem aufmerksam machen und auf Abhilfe drängen oder die erhaltenen Informationen direkt an staatliche Institutionen weiterleiten. Des Weiteren besitzt eine SRO den Vorteil, dass mittels der gezielten Auswertung von Meldungen Informationen über Tat- bzw. Deliktsmuster in einer Branche erhoben werden können. „Die SRO würde damit eine […] Scharnierfunktion [Hervorhebung im Original, TB] zwischen dem Unternehmen bzw. der Branche und den Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden einnehmen.“563 Die Unabhängigkeit der SRO in Bezug auf die Entscheidung zum Umgang mit erhaltenen Informationen stellt für das Unternehmen einen Anreiz dar, das Funktionieren ihrer internen Systeme möglichst umfassend zu gewährleisten. (c) Beurteilung Die Analyse des Instruments der kollektiven Selbstverpflichtung von Unternehmen zur Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Arrangements zeigt, dass eine staatliche Regulierung auf diesem Gebiet nicht per se erforderlich ist.564 Eines der zentralen Erfordernisse kollektiver Selbstverpflichtungen ist jedoch, dass diese hinreichend unternehmensspezifische Anreize zur Überwindung des Problems kollektiven Handelns bereitstellen. Auf diese Weise lassen sich dem Eingehen und der Erfüllung von kollektiven Selbstverpflichtungen entgegenwirkende Anreize überwinden. Analog zur
560
Vgl. Vobruba (1992), S. 87 Vgl. Frenz (2001), S. 199. Für eine rechtliche Würdigung dieses Sachverhaltes siehe ebenda, S. 199–204. 562 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2629. 563 Berndt/Hoppler (2005), S. 2629. 564 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2628. 561
145
Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen kann bei der Einführung von WhistleblowingSystemen aufgrund ihres Beitrags zur Bekämpfung illegalen Verhaltens eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit unterstellt werden. Das Ignorieren einer entsprechenden Selbstverpflichtung kann daher für ein Unternehmen sehr negative Auswirkungen für seine Reputation und seine Stellung im Markt haben. Sieht etwa ein Branchenverband entsprechende Sanktionen bei Verstößen gegen das Abkommen vor, setzen diese einen weiteren Anreiz zur Befolgung der Selbstverpflichtung. Um jedoch das tatsächliche Funktionieren der Whistleblowing-Systeme in den Unternehmen zu gewährleisten, erscheint es zweckmäßig, im Rahmen der Selbstverpflichtung eine externe Institution wie z. B. die erwähnte branchenbezogene SRO zu bilden, die eine Anlaufstelle beim Versagen der internen Systeme darstellt. Diese kann sich unabhängig von den Unternehmen ein Bild über die Vorwürfe machen und Informationen möglicherweise ohne weitere Rücksprache an Aufsichts- oder Ermittlungsbehörden weiterleiten. Somit ist für Unternehmen ein Anreiz gegeben, ihre internen Systeme möglichst effektiv auszugestalten. Es lässt sich demnach feststellen, dass Branchenverbände bzw. von diesen initiierte SROs prinzipiell
als
wirkungsvolle
Kontroll-
und
Sanktionsinstanzen
für
kollektive
Selbstverpflichtungen in Frage kommen. Trotz des Vorhandenseins gegenteiliger Anreize aufgrund ihrer rechtlicher Unverbindlichkeit und obwohl bisher noch keine z. B. von Branchenverbänden initiierten kollektiven Selbstverpflichtungen und SROs in Bezug auf die Einrichtung und die Kontrolle des Funktionierens von Whistleblowing-Systemen existieren, können die von ihnen ausgehenden Anreize nicht nur im Außen- sondern auch im Binnenverhältnis
von
Unternehmen
für
eine
Einhaltung
solcher
kollektiven
Selbstverpflichtungen sorgen.
4.2.3.2 Individuelle Selbstverpflichtungen Kollektive Selbstverpflichtungen werden meist mit der Absicht eingegangen, eine drohende Regulierung durch den Staat abzuwenden; somit sind sie stark auf die Erfüllung von Ansprüchen externer Stakeholder, wie Staat und NGOs, ausgerichtet sind. Individuelle Selbstverpflichtungen hingegen wenden sich i. .d. R. an einen spezifischen Kreis externer oder interner Stakeholder wie Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter. Der Grund hierfür ist primär darin zu sehen, dass durch eine einzelne individuelle Selbstverpflichtung nicht die breite Wirkung einer kollektiven Selbstverpflichtung mit einer Vielzahl an verpflichteten Unternehmen erzielt werden kann. Vielmehr zeigt ein
146
Unternehmen durch das Eingehen einer individuellen Selbstverpflichtung, dass es sich bemüht, für diese spezifischen Stakeholder ein glaubwürdiger und vertrauensvoller Interaktionspartner zu sein.565 (a) Anreize zum Eingehen individueller Selbstverpflichtungen Individuelle
Selbstverpflichtungen
zur
Einrichtung
eines
funktionierenden
internen
Whistleblowing-Systems bieten – analog zu kollektiven Selbstverpflichtungen – Anreize, die sich aus der Interaktion eines Unternehmens mit den genannten Stakeholdern ergeben. Insbesondere die aus einer besseren Reputation bei Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern resultierenden Vorteile können für Unternehmen einen wirksamen Anreiz darstellen, eine solche individuelle Selbstverpflichtung einzugehen. Das
Eingehen
einer
individuellen
Selbstverpflichtung
zur
Einrichtung
eines
unternehmensinternen Whistleblowing-Systems kann z. B. Mitarbeitern den Eindruck vermitteln, dass ihr Arbeitgeber hohe und glaubhafte Anstrengungen unternimmt, unternehmensinternes
Fehlverhalten
zu
unterbinden
und
dadurch
versucht,
sozial
verantwortlich zu handeln. Ein solches Verhalten stellt für Unternehmen einen Übergang von der Fremd- zur Selbstregulierung dar. Statt sich nur externen Anreizen zu unterwerfen, werden diese nun selbst geschaffen.
(b) Analyse der Wirkung individueller Selbstverpflichtungen Bei der Analyse der Wirkung individueller Selbstverpflichtungen ist noch stärker als bei kollektiven Selbstverpflichtungen auf deren rechtliche Unverbindlichkeit hinzuweisen. Bei individuellen Selbstverpflichtungen besteht nicht die Möglichkeit, durch eine übergeordnete Brancheninstanz Fehlverhalten zu sanktionieren. Auch die Abwehr einer möglichen staatlichen Regulierung spielt im Gegensatz zur kollektiven Selbstverpflichtung keine bedeutende Rolle. Unter diesen beiden Voraussetzungen besteht ein Anreiz zur Einhaltung individueller Selbstverpflichtungen nur in den negativen Folgen des Bekanntwerdens eines Verstoßes
unter
den
adressierten
Stakeholdern.
Entsprechend
sind
die
mit
der
Selbstverpflichtung angesprochenen Stakeholder-Gruppen auch als Kontrollinstanz für die Einhaltung einer individuellen Selbstverpflichtung zu betrachten.566
565 566
„[…] market pressures and perceived operating benefits from an ethical culture […] are key mechanisms for getting firms to meaningfully implement their compliance programs”. Hess (2007), S. 1812. Vgl. Frenz (2001), S. 248 f.
147
Um dieser Funktion gerecht werden können, bedürfen die Stakeholder jedoch konkreter Informationen über den Inhalt der Selbstverpflichtung sowie über deren Umsetzung. Um die mit der individuellen Selbstverpflichtung verfolgten Zwecke zu realisieren, d. h. um eine glaubhafte Selbstverpflichtung einzugehen, muss ein Unternehmen also auch für Transparenz sorgen. Dies kann z. B. durch Prüfberichte unabhängiger Institutionen in Ergänzung zur Finanzberichtserstattung geschehen. Das Eingehen einer individuellen Selbstverpflichtung kann dementsprechend als Investition eines Unternehmens in seine Reputation bzw. in seine Glaubwürdigkeit gegenüber relevanten Stakeholdern aufgefasst werden.567 Für die erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen ist es erforderlich, dass sich die Organisationsführung zu den Inhalten der Selbstverpflichtung bekennt und vor allem auch ihr Handeln auf deren Einhaltung bzw. Erfüllung ausrichtet. Das Handeln der Organisationsführung ist nämlich stets auch ein Signal an die Mitarbeiter in Bezug auf die Anforderungen und Erwartungen an deren eigenes Verhalten.568 Im Falle einer erfolgreichen Selbstverpflichtung zahlt sich diese Investition durch eine verbesserte Reputation aus; diese wiederum hat positive Rückwirkungen auf die Interaktionen mit den Stakeholder-Gruppen, die für die individuelle Selbstverpflichtung relevant sind. Erfolgreiche Selbstverpflichtungen können somit für das Unternehmen einen Vermögenswert darstellen, in welchen zu investieren sich lohnt.569 Hält das Unternehmen die Selbstverpflichtung nicht ein, ist umgekehrt ein massiver Reputationsverlust die Folge. Entsprechend dienen die möglichen Auswirkungen auf die Reputation eines Unternehmens als Anreiz, nach dem Eingehen einer Selbstverpflichtung diese auch erfolgreich umzusetzen. (c) Beurteilung Die Einführung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme durch die individuelle Selbstverpflichtung eines Unternehmens scheint erfolgversprechend zu sein, wenn sich dadurch Vorteile in den Austauschbeziehungen zu Stakeholdern wie Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden erzielen lassen. Diese Vorteile wirken zusammen mit den individuellen Vorteilen 567
Zwar gelten entsprechende Überlegungen auch für kollektive Selbstverpflichtungen. Hier stellt sich aber im Gegensatz zu individuellen Selbstverpflichtungen deutlich stärker das Problem des Umgangs mit „freeridern“. Im Gegensatz zur individuellen Selbstverpflichtung bestehen bei kollektiven keine ausreichenden selektiven Anreize zur erfolgreichen Durchführung. Vgl. Suchanek (2000), S. 200. 568 In Kapitel 5.3.3.2 soll dieser Faktor in Bezug auf die Förderung einer kritischen Loyalität im Unternehmen und einer Bereitschaft zum internen Whistleblowing detailliert diskutiert werden. 569 Vgl. Suchanek (2000), S. 199. Zwar können die monetären Auswirkungen einer solchen Investition nur schwer beziffert werden; prinzipiell ist jedoch anzunehmen, dass Unternehmen nur solche individuellen Selbstverpflichtungen eingehen, mit deren Erfüllung sie eine positive „Rendite“, d. h. einen die Investition übersteigenden Kapitalrückfluss erzielen.
148
interner Whistleblowing-Arrangements, so dass deren Einführung für das Unternehmen eine lohnende Investition darstellt. Der dabei zur Geltung kommende Reputationseffekt wirkt allerdings nicht nur bezüglich der Einrichtung, sondern auch auf die funktionierende Ausgestaltung eines solchen Systems. Schließlich
wäre
das
Bekanntwerden
von
illegalem
Verhalten
nach
dem
öffentlichkeitswirksamen Eingehen und Verkünden einer individuellen Selbstverpflichtung zur Einführung von Whistleblowing-Systemen mit einem sehr hohen Reputationsschaden verbunden. Da ein Unternehmen ein Interesse daran hat, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios möglichst gering zu halten, existiert ein hoher Anreiz, das effektive Funktionieren seines internen Whistleblowing-Systems sicherzustellen.570
4.3 Zusammenfassung In Kapitel 4 wurde gezeigt, dass unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme vielfältige individuelle und kollektive Vorteile besitzen. Als individuelle Vorteile sind vor allem die bessere Wahrung der Unternehmensreputation durch die effektive Unterbindung von Fehlverhalten im Unternehmen sowie der wirksamere Schutz des Unternehmens gegen wirtschaftskriminelles Verhalten von Mitarbeitern zu nennen. Kollektive Vorteile von Whistleblowing-Systemen (d. h. Vorteile, von welchen auch Unternehmen profitieren, die selbst kein Whistleblowing-System eingeführt haben) sind zum einen die Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung durch die effektivere Unterbindung illegalen Verhaltens in den Unternehmen und zum anderen die Reduktion der gesellschaftlichen Kontrollkosten für die Überwachung
der
Unternehmen,
die
aus
der
nachhaltigeren
Bekämpfung
von
Wirtschaftskriminalität resultiert. Unternehmen profitieren von einer Senkung dieser Kosten u. U. im Rahmen von Steuersenkungen bzw. durch die Verwendung der Steuergelder für aus ihrer Sicht vorteilhaftere Investitionen, z. B. in Infrastrukturprojekte. Allerdings stellt sich angesichts der geringen Verbreitung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme die Frage, welche Gründe auf Basis eines Kosten-Nutzen-Kalküls der Unternehmen gegen die Einführung interner Whistleblowing-Arrangements sprechen. Ein Grund hierfür ist das Problem kollektiven Handelns. Darunter ist zu verstehen, dass auch
570
Dies geschieht oftmals im Zusammenhang mit Compliance- bzw. Wertemanagement-Programmen. Hierauf wird in Kapitel 5.2 näher eingegangen.
149
Unternehmen ohne eigene Whistleblowing-Systeme in den Genuss der mit ihnen verbundenen kollektiven Vorteile kommen, sofern nur eine ausreichende Anzahl anderer Unternehmen diese einführt. Des Weiteren scheuen viele Unternehmen deren Einführung aus Angst vor einer erhöhten Wahrscheinlichkeit externen Whistleblowings und möglichen negativen Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Das Argument, dass in deutschen Unternehmen der Betriebsrat ein funktionales Äquivalent zu Whistleblowing-Systemen darstellt, ist zurückzuweisen. Die Gründe hierfür liegen darin, dass der Betriebsrat kein Ansprechpartner für Führungskräfte ist, die aufgrund ihrer Position oftmals eher in der Lage sind, Fehlverhalten zu identifizieren; ebenso kann der Betriebsrat Hinweise nicht anonym entgegennehmen oder vertraulich behandeln. Ferner kann eine Einschätzung von Fehlverhalten, das Bereiche außerhalb der üblichen Betriebsratstätigkeit betrifft, für den Betriebsrat sehr schwierig sein.
Angesichts dieses Zustands offensichtlich unzureichender Anreizkompatibilität stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise das Kosten-Nutzen-Kalkül von Unternehmen beeinflusst werden kann. Prinzipiell kommen hierzu sowohl regulierende Ansätze durch den Staat in Form von Gesetzen als auch selbstregulierende Ansätze in Form von Selbstverpflichtungen in Frage.
Sowohl
gesetzliche
Normen
als
auch
kollektive
oder
individuelle
Selbstverpflichtungen, die auf eine Förderung von Whistleblowing-Systemen abzielen, müssen so ausgestaltet sein, dass die von ihnen ausgehenden Anreize nicht nur auf die Einführung, sondern auch auf das tatsächliche Funktionierens dieser Systeme abzielen. Gesetzliche Normen aus den Vereinigten Staaten wie die Federal Sentencing Guidelines for Organizations (OSG) oder der Sarbanes-Oxley Act (SOA) kombinieren zu diesem Zweck konkrete Vorschriften mit positiven und negativen Anreizen. Während die OSG ausschließlich versuchen, das Kosten-Nutzen-Kalkül des Unternehmens zu beeinflussen, wirken die vom SOA ausgehenden Anreize darüber hinaus auch auf das Kalkül von potenziellen Whistleblowern ein. Bei der Einführung von Whistleblowing-Systemen im Rahmen kollektiver oder individueller Selbstverpflichtungen sind die positiven (bei Einhaltung) bzw. negativen (bei Nichteinhaltung) Auswirkungen auf die Austauschbeziehungen eines Unternehmens mit seinen
Stakeholdern
die
wichtigsten
Anreize
zur
Umsetzung
einer
solchen
Selbstverpflichtung. Bei kollektiven Selbstverpflichtungen kann als zusätzlicher Anreiz noch eine Selbstregulierungsorganisation eingeführt werden, die das effektive Funktionieren der Whistleblowing-Systeme in den teilnehmenden Unternehmen gewährleistet.
150
Durch
diese
Institutionen
kann
dementsprechend
unzureichenden Anreizkompatibilität überwunden werden.
das
Problem
der
potenziell
151
5 Unternehmensinterne Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen In der zweiten These dieser Arbeit und an verschiedenen Stellen in vorausgegangenen Kapiteln wurde bereits auf die Bedeutung der anreizkompatiblen Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen für deren Funktionieren hingewiesen.571 Während bei der Untersuchung der Vorteile von Whistleblowing-Systemen vor allem die Außenperspektive von Unternehmen, d. h. die Beziehung zwischen Unternehmen und deren externen Stakeholdern, im Mittelpunkt der Betrachtung stand, untersucht die Analyse der funktionalen Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen die Binnenperspektive, d. h. die Beziehung zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern sowie deren Beziehung untereinander. Gegenstand der Analyse ist dabei zum einen die Frage, wie interne WhistleblowingSysteme funktional ausgestaltet sein müssen, damit Mitarbeiter die ihnen angebotene Möglichkeit zur internen Meldung von beobachtetem Fehlverhalten auch tatsächlich wahrnehmen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob deren Funktionieren durch weitere Institutionen im Unternehmen unterstützt werden kann. In diesem Kapitel wird somit untersucht, wie durch die Gestaltung formeller und informeller Institutionen das KostenNutzen-Kalkül potenzieller Whistleblower derart beeinflusst werden kann, dass Unternehmen die Vorteile von Whistleblowing-Systemen auch realisieren können. Zu diesem Zweck sollen zunächst Anreiz- und Informationsprobleme analysiert werden, deren Auftreten in einer Vielzahl von Fällen das Funktionieren von Whistleblowing-Systemen massiv beeinträchtigt (5.1). Im Anschluss daran wird untersucht, wie diese Probleme durch den gezielten Einsatz von Institutionen überwunden werden können. Dazu wird zunächst die funktionale Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen, die in umfassendere ComplianceProgramme integriert werden sollten, analysiert. Zu deren Ausgestaltung werden entsprechende Empfehlungen abgeleitet (5.2). Anschließend wird betrachtet, inwieweit die Unternehmenskultur als informelle Institution, komplementär zur funktionalen Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems, die Offenlegung von Fehlverhalten im Unternehmen fördern kann. Auch hier werden entsprechende Gestaltungsempfehlungen abgeleitet (5.3).
571
Siehe z. B. Kapitel 4.1.1.2 und 4.2.2.1.
152
5.1
Informations-
und
Anreizprobleme
bei
Einrichtung
interner
Whistleblowing-Systeme In diesem Kapitel werden zunächst mögliche Gründe für das oft mangelhafte Funktionieren unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme untersucht. Ausgehend von der Betrachtung der Binnenperspektive eines korporativen Akteurs werden Informations- und Anreizprobleme analysiert, die in der Interaktion zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern ein effektives Funktionieren interner Whistleblowing-Systeme systematisch behindern oder unterbinden. Da
eine
interne
Offenlegung
von
Hinweisen
über
Fehlverhalten
durch
Organisationsmitglieder nur dann anzunehmen ist, wenn bei diesen ein grundsätzliches Interesse hieran besteht, werden zu Beginn der Analyse die Gründe dargelegt, weshalb Unternehmensführung und Mitarbeiter ein gemeinsames Interesse an einem funktionierenden internen Whistleblowing-System haben (5.1.1). Im Anschluss daran wird analysiert, welche Informations- (5.1.2) und Anreizprobleme (5.1.3) der Realisierung dieses gemeinsamen Interesses entgegenstehen. Abschließend wird aufgezeigt, durch welche formellen und informellen Institutionen diese Probleme überwunden werden können (5.1.4).
5.1.1 Funktionierende Whistleblowing-Systeme als gemeinsames Interesse von Unternehmensführung und Mitarbeitern In Kapitel 4.1.1 wurde dargelegt, welche individuellen Argumente aus Unternehmenssicht für die Einrichtung eines internen Whistleblowing-Systems sprechen. Hierzu zählt insbesondere ein besserer Schutz gegen Reputationsschäden und gegen wirtschaftskriminelles Verhalten von Organisationsmitgliedern. Wird nun, wie in der Einleitung dieses Kapitels beschrieben, ein Wechsel von der Außen- zur Binnenperspektive von Unternehmen vorgenommen, stellt sich die Frage, welches Interesse Unternehmensführung und Mitarbeiter an einem funktionierenden Whistleblowing-System haben. Aus Fehlverhalten resultierende finanzielle bzw. Reputationsrisiken können durch ein Whistleblowing-System frühzeitig erkannt und eliminiert werden. Darüber hinaus hat ein funktionierendes internes Whistleblowing-System für die Mitarbeiter den Vorteil, dass sie – ohne Angst vor Repressionen durch die Unternehmensführung oder durch Kollegen – auf das Unternehmen oder sie selbst gefährdendes oder schädigendes Verhalten im Unternehmen
153
aufmerksam machen können. Zwar kann dieses Anliegen auch prinzipiell durch externes Whistleblowing verfolgt werden. Es soll jedoch unterstellt werden, dass Mitarbeiter meist aus Angst vor rechtlichen Sanktionen des Arbeitgebers (z. B. Entlassung oder Abmahnung) oder vor informeller Vergeltung durch Kollegen und Arbeitergeber (z. B. Mobbing oder soziale Ausgrenzung), aus Loyalitätsgefühl zum Arbeitgeber oder aus Unsicherheit über die tatsächliche Rechtslage internes gegenüber externem Whistleblowing präferieren. Diese Annahme ist insbesondere dann plausibel, wenn, wie in Deutschland, der rechtliche Schutz bei externem Whistleblowing kaum vorhanden bzw. stark fallabhängig und daher meist erst vor Gericht zu klären ist sowie keine finanziellen Anreize für externes Whistleblowing existieren. Des Weiteren kann für einen potenziellen Whistleblower eine interne Offenlegung auch deshalb attraktiver sein, weil auf diesem Weg ein vorliegendes Problem deutlich schneller beseitigt werden kann als durch externes Whistleblowing. Bei letzterem ist der jeweilige Sachverhalt erst mühsam und zeitaufwendig durch externe Aufsichts- oder Ermittlungsbehörden zu klären, bevor entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung des Missstands eingeleitet werden können. Es kann daher angenommen werden, dass internes Whistleblowing im gemeinsamen Interesse von Unternehmensführung und Mitarbeitern liegt. J. Bürkle (2004) kommt dementsprechend zu dem Fazit: „Wenn man akzeptiert, dass internes Whistleblowing somit allen Beteiligten nützen kann und im Regelfall nichts mit Denunziantentum zu tun hat, müssen unternehmensinterne organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, um den Prozess des Whistleblowings sinnvoll und effektiv zu strukturieren.“572 Um jedoch problemadäquate interne Whistleblowing-Strukturen entwerfen zu können, muss zunächst analysiert werden, welche Probleme der Realisierung des gemeinsamen Interesses von Unternehmensführung und Mitarbeitern, also der effektiven Ausgestaltung interner Whistleblowing-Arrangements, entgegenstehen. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden mögliche Informationsprobleme betrachtet werden.
5.1.2 Informationsprobleme beim Whistleblowing Informationsprobleme bestehen stets dann, wenn die Realisierung gemeinsamer Interessen aufgrund fehlender Informationen über die jeweiligen Interaktionsbedingungen scheitert.573
572 573
Bürkle (2004), S. 2159. Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 100.
154
Übersetzt in den Kontext unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme bedeutet dies, dass Organisationsmitglieder aufgrund fehlender Informationen (etwa über Vorhandensein und Ausgestaltung) auf deren Nutzung verzichten. Zwar ist in vielen Fällen anzunehmen, dass diese Informationen für die Mitarbeiter eines Unternehmens z. B. im Intranet grundsätzlich verfügbar sind. Die bloße Möglichkeit zur Kenntnisnahme reicht jedoch nicht aus, um das vom Management gewünschte Verhalten der Mitarbeiter zu erzeugen.574 Die im Interesse beider Akteure liegende Nutzung eines internen Whistleblowing-Systems kann durch die faktische Unwissenheit der Mitarbeiter bezüglich der konkreten Interaktionsbedingungen verhindert werden. Dies bedeutet, dass eine vom Management ungewollte Informationsasymmetrie das Zustandekommen eines gewünschten Interaktionsergebnisses, in diesem Fall die Nutzung des internen Whistleblowing-Systems durch Mitarbeiter, blockiert. Wie bereits angedeutet, kann sich die Unkenntnis der Mitarbeiter nicht nur auf Informationen über die prinzipielle Existenz eines Whistleblowing-Systems beziehen, sondern auch auf verschiedene Aspekte der Ausgestaltung desselben sowie des innerbetrieblichen Umgangs damit. Während es offensichtlich ist, dass die Unkenntnis von Mitarbeitern über das Vorhandensein eines internen Whistleblowing-Arrangements dessen Nutzung bei der Beobachtung von Fehlverhalten im Unternehmen per se ausschließt, stellen sich die Informationsprobleme in Bezug auf die Ausgestaltung sowie den innerbetrieblichen Umgang mit Whistleblowing differenzierter dar. Bei der Ausgestaltung des Whistleblowing-Systems kann sich die Unkenntnis der Mitarbeiter auf zentrale Elemente desselben beziehen, so etwa auf die Wahrung der Anonymität des Hinweisgebers sowie auf die interne oder externe Ansiedlung des Informationsempfängers. Potenzielle Unsicherheit über die Ausgestaltung dieser Faktoren kann als Risikofaktor in das individuelle Kosten-Nutzen-Kalkül eines Whistleblowers einbezogen werden; dementsprechend ist tendenziell eine ablehnende Entscheidung hinsichtlich der Weitergabe von Informationen über beobachtetes Fehlverhalten zu erwarten.575
574 575
Vgl. Trevino/Weaver (2001), S. 654. Auf den Aspekt der Anonymität weist z. B. Schönefeldt (2005), S. 36 hin: „Da sich Hinweisgeber […] zum Teil hohen persönlichen Risiken ausgesetzen, trauen sie sich oft nur, ihr Wissen anonym preiszugeben.“
155
Ein weiterer Faktor, welcher ein Informationsproblem in Bezug auf die Nutzung eines Whistleblowing-Systems darstellen kann, ist die Unklarheit über den innerbetrieblichen Umgang mit Whistleblowing. Dieser Faktor kann insbesondere dann eine Rolle spielen, wenn die funktionale Ausgestaltung eines internen Whistleblowing-Systems den Mitarbeitern zwar bekannt ist und den Interessen potenzieller Whistleblower Rechnung trägt, diese jedoch unsicher über die normative Einstellung von Organisationsführung und Kollegen zu Whistleblowing sind. Statt eine gewünschte Verhaltensweise darzustellen, kann die Nutzung eines Whistleblowing-Systems im Unternehmen von Management und Mitarbeitern allgemein als „Verrat“, „Untreue“ oder „Loyalitätsbruch“ betrachtet werden. Auch hier wirkt sich die Unsicherheit tendenziell negativ auf die Entscheidung von Mitarbeitern zur Offenlegung von Fehlverhalten durch Whistleblowing aus. Informationsprobleme
bzw.
-asymmetrien
zwischen
Organisationsführung
und
Mitarbeitern können also ein von beiden Akteuren nicht-intendiertes Scheitern der internen Offenlegung von Fehlverhalten im Unternehmen bedingen.
5.1.3 Anreizprobleme beim Whistleblowing Während es beim Auftreten von Informationsproblemen die Unkenntnis über die Interaktionsbedingungen ist, die zum Scheitern von Interaktionen führt, sind im Falle von Anreizproblemen die Ursachen für das Scheitern in den konfligierenden Interessen der Interaktionspartner zu suchen.576 Nachdem in Kapitel 4 das Anreizproblem in Bezug auf die Einführung von Whistleblowing-Systemen aus Unternehmenssicht577 betrachtet wurde, ist es im Hinblick auf die Ausgestaltung der internen Whistleblowing-Strukturen nun erforderlich, sich dem Anreizproblem aus Sicht der Unternehmensführung und der Mitarbeiter zu nähern. Wird die Unternehmensführung betrachtet, ist zu analysieren, weshalb einzelne Manager der Förderung von internem Whistleblowing kritisch gegenüberstehen, obwohl internes Whistleblowing prinzipiell im Interesse des Unternehmens ist, dessen Belange sie zu vertreten haben. Ein möglicher Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass Mitglieder des Managements durch Whistleblowing eine Unterwanderung ihrer persönlichen Autorität befürchten. So kann Whistleblowing möglicherweise dazu führen, dass eine von ihnen getroffene Entscheidung durch ein ihnen nicht vorgesetztes Organisationsmitglied überprüft
576 577
Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 91. „Aus Unternehmenssicht“ ist im Sinne des Unternehmens als korporativer Akteur zu verstehen.
156
und in Frage gestellt wird. Ein zweiter Grund für die Ablehnung seitens des Managements kann schlichtweg darin liegen, dass Mitglieder der Unternehmensführung in der Vergangenheit möglicherweise selbst in Fehlverhalten verwickelt waren und dessen Offenlegung verhindert werden soll. Ein weiterer Grund kann in der Befürchtung eines verschlechterten Arbeitsklimas bestehen.
Hinsichtlich der Perspektive der Mitarbeiter muss untersucht werden, welche Anreize der Offenlegung ihrer Informationen über Fehlverhalten im Unternehmen mittels des zur Verfügung stehenden Whistleblowing-Systems entgegenstehen. Neben der mit der Unternehmensführung geteilten Befürchtung, das Arbeitsklima zu verschlechtern, kann vor allem die Angst vor Vergeltung durch Management oder Kollegen sowie das Fortbestehen des kritisierten illegalen oder unethischen Verhaltens genannt werden. In Kapitel 3.2.2.2 wurde dargelegt, dass sich die Unternehmensführung der Vergeltung bedienen kann, um zu verhindern, dass durch Whistleblowing ein im vermeintlichen Interesse des Unternehmens liegendes illegales Verhalten offengelegt wird. Die Androhung oder Ausübung von Vergeltung soll daher potenzielle Whistleblower von einer solchen Verhaltensweise abhalten. Wird nun der umgekehrte Fall betrachtet, dass Whistleblowing von Mitarbeitern durch die Unternehmensführung gefördert werden soll, muss diese potenziellen Whistleblowern Schutz vor Vergeltung bieten und bereit sein, auftretendes Fehlverhalten umgehend abzustellen. Mittels eines solchen Verhaltens kann die Organisationsführung versuchen, die Kosten für das gewünschte Verhalten möglichst niedrig zu halten bzw. den hieraus resultierenden Nutzen zu erhöhen, um es auf diese Weise zu fördern. Ein zentraler Faktor für die Förderung von internem Whistleblowing ist die Unternehmenskultur. Ist in der Kultur eines Unternehmens eine ablehnende Haltung gegenüber dem Whistleblowing verankert, können potenzielle Whistleblower aufgrund der von der Unternehmenskultur ausgehenden Signale eine ablehnende Reaktion auf ihr Verhalten seitens der Unternehmensführung und ihrer Kollegen antizipieren und dies in ihrer Entscheidung entsprechend berücksichtigen. Im folgenden Kapitel werden die beschriebenen Informations- und Anreizprobleme bei der Förderung von internem Whistleblowing theoretisch dargelegt und mögliche Auswege aufgezeigt.
157
5.1.4 Überwindung von Informations- und Anreizproblemen durch unternehmensinterne Institutionen Wie oben dargelegt, können Informations- und Anreizprobleme das effektive Funktionieren unternehmensinterner Whistleblowing-Strukturen systematisch verhindern. Die Realisierung des gemeinsamen Interesses von Unternehmensführung und Mitarbeitern kann somit am Problem unzureichender Kommunikation, an einer fehlenden Anreizkompatibilität zur Förderung von Whistleblowing durch die Unternehmensführung oder an der fehlenden Anreizkompatibilität zu dessen Nutzung durch die Mitarbeiter scheitern.578 Die Realisierung des gemeinsamen Interesses ist zwar für beide Akteure von Vorteil. Informationsasymmetrien sowie Anreizprobleme verhindern jedoch eine prinzipiell mögliche Besserstellung beider. „[…] klar ist, dass sich jede Person in abhängiger Stellung, also namentlich Arbeitnehmer, dieser Gefahr bewusst ist und aus Angst, Nachteile bis hin zum Stellenverlust zu erleiden, nur in großen Ausnahmefällen nach außen tritt. Der erwünschte Informationsfluss zur Unternehmensspitze und die Möglichkeit, illegalen oder unethischen Praktiken im Unternehmen begegnen zu können, werden damit untergraben.“579 Gleichzeitig haben einzelne Mitglieder der Unternehmensführung u. U. aus persönlichen Gründen ein Interesse daran, Whistleblowing zu unterdrücken. Spieltheoretisch lässt sich diese Interaktion zwischen Unternehmensführung und Mitarbeiter folgendermaßen darstellen:
578
So stellt C. Mezger (2006) zu den Problemen bei der Einführung eines Whistleblowing-Systems fest: „In jedem vierten Unternehmen stellte der Betriebsrat einen Widerstand dar. In 18,8 % der Fälle wurde es als schwierig angesehen, das Vertrauen der Mitarbeiter für dieses Instrument zu gewinnen und sie zur Nutzung desselben zu animieren.“ Ebenda, S. 45. 579 Kaenel (2007), S. 311.
158
Abbildung 14: Spieltheoretische Darstellung der Interaktion zwischen Mitarbeiter und Unternehmensführung; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Suchanek (2003), S. 18.
Für die Auszahlung des Mitarbeiters in dieser Interaktion gilt: q > r. Ein Mitarbeiter entscheidet sich zur Offenlegung, wenn q > 0 ist. Wenn jedoch 0 > q > r, so wird der Mitarbeiter auf eine Offenlegung seiner Hinweise auf Fehlverhalten verzichten, da diese für ihn nicht anreizkompatibel ist. Ein weiteres Problem tritt auf, wenn aus den oben angesprochenen Gründen die Unternehmensführung kein Interesse an der Offenlegung von Fehlverhalten hat (s < t < 0). In einem solchen Fall würde trotz Präferenz eines Mitarbeiters für die Kommunikation von Fehlverhalten (q > 0 > r) keine Offenlegung stattfinden, da er mit Vergeltung durch die Organisationsführung rechnen muss (Auszahlung r). Er wird es daher bevorzugen, zu schweigen.580 Entsprechend der methodischen Vorüberlegungen in Kapitel 2.4 können solche Situationen handlungstheoretisch nicht aufgelöst werden. Vielmehr ist es erforderlich, durch die Bereitstellung
neuer
Unternehmensführung
bzw. und
die
Änderung
Mitarbeiter
zu
bestehender
Institutionen
setzen,
zu
die
einer
Anreize
für
Änderung
der
Auszahlungsprofile und damit zu einer Änderung des Verhaltens der Akteure führen. Im obigen Beispiel bedeutet dies, dass für Mitarbeiter sichergestellt werden muss, dass q > 0. Für die Unternehmensführung muss gelten, dass s > 0, t. Anreizkompatibilität ist dann 580
Vgl. Suchanek (2003), S. 18.
159
gewährleistet, wenn Mitarbeiter eine Kommunikation von Fehlverhalten dem Schweigen vorziehen (q > r > 0) und die Unternehmensführung eine Offenlegung gegenüber dem Schweigen präferiert (s > t > 0). Institutionen, die zu einer Änderung der Anreizwirkung bzw. der Auszahlungsbeträge für Unternehmensführung und Mitarbeiter führen, können entweder formell oder informell ausgestaltet sein. In Bezug auf die Umsetzung funktionierender Whistleblowing-Strukturen kommen hierfür sowohl die funktionale Ausgestaltung des Whistleblowing-Systems im Rahmen eines Compliance-Programms (5.2) als auch eine gezielte Beeinflussung der Unternehmenskultur (5.3) in Frage. Dabei wird insbesondere auf die Frage eingegangen, wie Anreizkompatibilität für Mitarbeiter erreicht werden kann.581
5.2 Whistleblowing und Corporate Compliance Um zu klären, welche Bedeutung der Corporate Compliance bei der Einführung eines Whistleblowing-Systems zukommt, wird zunächst auf den Begriff sowie dessen Bedeutung eingegangen (5.2.1). Anschließend werden die Elemente eines Compliance-Programms dargelegt (5.2.2). In einem dritten Schritt wird beschrieben, aus welchen Gründen ein Whistleblowing-System in ein Compliance-Programm integriert werden sollte und welche Faktoren bei der konkreten Ausgestaltung des Whistleblowing-Systems zu beachten sind (5.2.3).
5.2.1 Begriff und Bedeutung von Corporate Compliance Der Begriff der Compliance hat seinen Ursprung in der Finanz- und Bankenbranche und lässt sich aus juristischer Sicht als Handeln in Übereinstimmung mit geltendem Recht übersetzen.582
581
Es wird unterstellt, dass das Verhalten der Unternehmensführung aufgrund von Anreizen finanzieller Art stark an den Interessen des Unternehmens ausgerichtet ist. Auf eine Untersuchung von Maßnahmen, die speziell auf eine stärkere Zustimmung der Unternehmensführung zu einem Whistleblowing-System abzielen, wird daher verzichtet. Des Weiteren lässt sich ein Großteil der nachfolgenden Überlegungen auf Mitglieder der Unternehmensführung übertragen, da diese trotz ihrer exponierteren Posititon im Unternehmen auch als Organisationsmitglieder und damit als Agenten des korporativen Akteurs betrachtet werden können. 582 Vgl. Buff (2000), S. 10 f.; Holliger-Hagmann (2007a), S. 52; Mengel/Hagemeister (2006), S. 2467; Parker (2002), S. 19.
160
C. Menzies (2006) definiert Compliance als „die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen, regulatorischen Standards und die Erfüllung weiterer wesentlicher Anforderungen der Stakeholder“.583 Entsprechend der Vorgabe, durch ComplianceProgramme ein mit unternehmensinternen und -externen Regeln und Normen konformes Verhalten von Mitarbeitern auf allen Ebenen sicherzustellen und unternehmensinternes Fehlverhalten sowohl zu Lasten der Gesellschaft als auch zu Lasten des Unternehmens zu verhindern, sieht Menzies die Zielsetzung von Compliance-Konzepten darin, „die Beständigkeit des Geschäftsmodells, das Ansehen in der Öffentlichkeit und die finanzielle Situation eines Unternehmens zu verbessern“.584 Etwas konkreter beschreiben A. Breinlinger und G. Krader (2006) die mit ComplianceBemühungen
verfolgten
Unternehmensgrundsätzen
Ziele: und
der
„Durch
verbindliche
öffentlichen
Formulierung
Zusicherung
der
von
Einhaltung
gesetzeskonformer und ethisch korrekter Verhaltensweisen von Beschäftigten und Führungskräften soll die im Wettbewerbsmarkt entscheidende Bindung an das Unternehmen erreicht bzw. unterstützt werden.“585
Waren Compliance-Bemühungen bei den meisten Unternehmen zunächst regelorientiert, d. h. es wurde primär auf eine Befolgung der für ein Unternehmen relevanten Gesetze abgestellt, ist in den letzten Jahren festzustellen, dass viele insbesondere größere Unternehmen und Konzerne den Umfang ihrer Compliance-Programme erweitert und sich freiwillig auch zur Einhaltung gesellschaftlicher Erwartungen und Werte verpflichtet haben.586
Compliance-Bemühungen
von
Unternehmen
können
daher
auch
als
unternehmensseitige Investitionen in die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Gesellschaft zum gegenseitigen Vorteil betrachtet werden.587 Aufgrund der hohen Risiken, die sich durch „Non-Compliance“ ergeben können588, ist Compliance als Teil des Risikomanagements eines Unternehmens und damit als eine „originäre Aufgabe des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats“ zu betrachten.589
583
Menzies (2006), S. 2. Menzies (2006), S. 2. 585 Breinlinger/Krader (2006), S. 61. 586 Vgl. Brugger (2003), S. 76; Muschiol (2006), S. 42; Ogorek (2005), S. 548. 587 Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 42 f. und S. 79 f. 588 Vgl. Pastner (2005), S. 89. 589 Menzies (2006), S. 5. 584
161
Um die Befolgung der rechtlichen und ethischen Normen eines Compliance-Programms sicherzustellen, sind innerhalb der Organisation Maßnahmen zu treffen, die gewährleisten, dass die Mitarbeiter über diese Normen unterrichtet, die Einhaltung der Vorschriften kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden.590 Whistleblowing-Systemen kommt bei der Umsetzung dieser Maßnahmen eine zentrale Rolle zu.591 Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang eines Compliance-Programms sind stark von unternehmensspezifischen
Faktoren
wie
Unternehmensgröße
und
-struktur,
Internationalisierung, Börsennotierung und Branchenzugehörigkeit abhängig. Diese Faktoren bestimmen, welchen rechtlichen Restriktionen das Handeln eines Unternehmens unterliegt.592 Dennoch verfügen fast alle umfassenderen Compliance-Systeme über einige gemeinsame Kernelemente. Um ein Verständnis für die Funktionsweise eines Compliance-Programms zu schaffen, werden diese Kernelemente nachfolgend dargestellt.
5.2.2 Elemente eines Compliance-Programms In Anlehnung an J. Bürkle (2004), H. Buff (2000) und P. Kimmich (2006) können die Elemente Verhaltenskodex, Information, Schulung und Beratung sowie ein WhistleblowingSystem zur Kontrolle als zentrale Bestandteile eines Compliance-Programms betrachtet werden.593 Der Compliance-Officer ist dafür zuständig, diese Elemente eines ComplianceProgramms in der Organisation zu verankern.
590
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2627. Ähnlich auch Hess (2007): „The goal of a code of conduct is to ensure that (1) employees act lawfully and in ways consistent with the values and rules embodied in the code; (2) employees report behavior that is inconsistent with the code; and (3) the company takes actions to prevent the non-compliant behavior from occuring again.” Ebenda, S. 1789. 591 Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 61; Hofmann (2006), S. 121. 592 Vgl. Mengel/Hagemeister (2007), S. 1386; Parker (2002), S. 18. 593 Vgl. Bürkle (2004), S. 2160; Buff (2000), S. 21; Kimmich (2006), S. 43.
162
Compliance-Officer (5.2.2.1)
Whistleblowing-System (5.2.3)
Information, Schulung und Beratung (5.2.2.3)
Verhaltenskodex (5.2.2.2)
Compliance-Programm
Abbildung 15: Elemente eines Compliance-Programms unter Einbeziehung des ComplianceOfficers; Quelle: Eigene Darstellung.
Nachfolgend werden die Funktion des Compliance-Officers (5.2.2.1), die Ausgestaltung eines Verhaltenskodex (5.2.2.2) sowie die Bedeutung von Information, Schulung und Beratung (5.2.2.3) näher betrachtet. Auf die Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen wird im darauffolgenden Kapitel (5.2.3) eingegangen.
5.2.2.1 Compliance-Officer Der Compliance-Officer, teilweise auch als Ethics-Officer oder Ethik-Beauftragter bezeichnet594, ist für die Konzeption, Umsetzung, Überwachung und Fortentwicklung eines Compliance-Programms verantwortlich. Je nach Größe des Unternehmens steht ihm zur Erfüllung dieser Aufgaben eine Compliance-Abteilung zur Verfügung. Meist ist die Stelle bzw. Abteilung direkt unterhalb der obersten Leitungsebene einer Organisation angesiedelt. Auf diese Weise soll im Unternehmen die Bedeutung der Compliance hervorgehoben, dem Compliance-Officer eine selbstständige und weisungsfreie Tätigkeit ermöglicht und bei
594
Vgl. Noll (2002), S. 127.
163
Verstößen eine umgehende und umfassende Information des Managements gewährleistet werden.595 Des Weiteren soll die exponierte Ansiedlung der Organisationseinheit in der Unternehmenshierarchie sicherstellen, dass der Compliance-Officer kraft seiner Position und Autorität auch solche Fälle von Fehlverhalten untersuchen kann, in die Mitglieder des oberen Managements verwickelt sind; gleichermaßen ist er dadurch in der Lage, gegebenenfalls Maßnahmen zur künftigen Unterbindung solchen Fehlverhaltens zu initiieren.596 Entsprechend sorgfältig sollten die für die Besetzung der Stelle eines Compliance-Officers in Frage kommenden Kandidaten auf ihre Eignung hin überprüft werden.597 Aufgrund des stark rechtlichen Charakters von Compliance-Programmen wird diese Position überwiegend von Juristen bekleidet.598 Die Tätigkeit des Compliance-Officers hat oftmals einen eher formalen als einen operativen Charakter. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass weitere Abteilungen die Überwachung der Befolgung des Compliance-Programms unterstützen. Hierzu zählen die Interne Revision, die Rechtsabteilung oder das Controlling.599 Es ist wichtig, die Zuständigkeiten des Compliance-Officers bzw. seiner Abteilung gegenüber diesen Abteilungen abzugrenzen. Nur durch eine klare Zuordnung von Aufgaben lassen sich Probleme in der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmenseinheiten vermeiden.600 Vor diesem Hintergrund gilt es unbedingt zu verhindern, dass Mitarbeiter Compliance lediglich als eine Aufgabe der Compliance-Abteilung begreifen, ohne sich selbst dafür verantwortlich zu fühlen.601 Idealerweise sollte im Unternehmen eine Situation angestrebt werden, in der sich jede einzelne Führungskraft zur Umsetzung und Einhaltung des Compliance-Programms innerhalb der von ihr geführten Einheit verpflichtet fühlt. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Aufklärung über die Beweggründe der ComplianceBemühungen sowie die Vorgabe eines Verhaltenskodex.
595
Vgl. Mengel/Hagemeister (2007), S. 1386. Vgl. Dunfee (1990), S. 136; Schönefeldt (2005), S. 40. 597 Vgl. Near/Dworkin (1998), S. 1558. 598 Vgl. Bürkle (2004), S. 2160; Buff (2000), S. 54 f. 599 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2627. Buff (2000) weist darauf hin, dass die Interne Revision „im Gegensatz zur primär präventiven Funktion von Compliance […] eine eher ‚reaktive’ Rolle wahrnimmt.“ Ebenda, S. 58. 600 Vgl. Menden et al. (2006), S. 11. 601 „Compliance findet dort statt, wo jeder Mitarbeiter gesetzeskonformes und ethisches Verhalten als seine eigene Aufgabe und Pflicht [Hervorhebung im Original, TB] betrachtet und wahrnimmt […] – und nicht als Aufgabe des (oder der) anderen.“ Buff (2000), S. 77; Vgl. auch Noll (2002), S. 128 und Terpitz (2007), S. 1. 596
164
5.2.2.2 Verhaltenskodex Kernstück eines jeden Compliance-Programms ist dessen Verhaltenskodex. Alternativ finden sich im Deutschen und Englischen die Bezeichnungen Ethikkodex, code of conduct, code of practice, corporate credo, mission statement sowie value statement.602 Der Verhaltenskodex stellt mit seinen ethischen und rechtlichen Vorschriften eine Verhaltensrichtlinie für die Mitarbeiter im Kontakt zu Kollegen, Kunden, Lieferanten und weiteren Stakeholdern dar.603 Verstoßen Mitarbeiter gegen die Regeln des Verhaltenskodex, können seitens des Arbeitsgebers Sanktionen ausgesprochen werden. Für das Funktionieren des Compliance-Programms ist es aufgrund der Signalwirkung von hoher Bedeutung, Sanktionen für Regelverstöße in den Verhaltenskodex einzubeziehen. „[…] without consistent and unbiased enforcement, the code may not be taken seriously.”604 Nur wenn explizite oder implizite Anreize für die Befolgung des Compliance-Programms bestehen, können die in ihm festgehaltenen Verhaltensregeln Wirkung entfalten. Werden Verstöße gegen das Compliance-Programm nicht sanktioniert, erweckt dies den Eindruck, dass die festgehaltenen Grundsätze im Unternehmen keine Handlungsrelevanz besitzen605 und daher nicht ernst zu nehmen sind.606 „Once the code has been communicated it is critical that explicit actions be taken to see that it is policed and enforced.”607 In der Literatur zu den Merkmalen effektiver Compliance-Programme findet sich die Forderung, in Verhaltenskodizes genau zu spezifizieren, welche Aktivitäten gegen den Kodex verstoßen. „[…] a code needs to be comprehensive. The more specific it is, the more likely it is to reduce illegal behavior.”608 Eine solch klare Spezifikation verbotenen Verhaltens entfaltet eine hohe Orientierungswirkung für die Mitarbeiter und schafft durch die 602
Vgl. Kimmich (2006), S. 29 und Schwartz (2004), S. 324 mit weiteren Literaturverweisen. Vgl. Bürkle (2004), S. 2160. 604 Schwartz (2004), S. 337. 605 Eine Übersicht der Studien, zum Einfluss von Verhaltenskodizes auf das Handeln von Mitarbeitern findet sich bei Schwartz (2004), S. 325. Es sei darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Untersuchungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. 606 Vgl. Metzger et al. (1993), S. 31 f.; R. Seubert (2005) weist darauf hin, dass Verhaltenskodizes oftmals dazu missbraucht werden, Unternehmen bzw. deren Management vor strafrechtlichen Konsequenzen zu schützen. „Their original ethical intents notwithstanding, they may serve as a formal documentation for firms' or superiors' innocence, shielding the latter from criminal liability.” Ebenda, S. 4. Die Verantwortung für kriminelles Verhalten wird auf diese Weise vom Management an die Mitarbeiter delegiert. Vgl. ebenda, S. 10; Bray (2005), S. 118 f.; Gellermann (1989), S. 74; Hess (2007), S. 1793; Langevoort (2002), S. 108; Mengel/Hagemeister (2006), S. 2467; Thielemann (2005), S. 40; Trevino et al. (1999), S. 138. 607 Weeks/Nantel (1992), S. 758. 608 Schnatterly (2003), S. 590. Vgl. auch Gellermann (1989), S. 74; Laczniak/Murphy (1991), S. 269; o.V. (1994), S. 14. 603
165
Möglichkeit zur stringenten Sanktion von Verstößen eine starke Anreizkompatibilität. „When the ethics code is specific and consistently enforced, it reduces the opportunity for commission of a fraud and makes it difficult for employees to rationalize prohibited behavior.”609 Allerdings sind solche Forderungen kritisch zu betrachten, da die Komplexität des Arbeitslebens eine vollständige Aufzählung verbotener Verhaltensweisen selbst für einen bestimmten Tätigkeitsrahmen kaum zulässt. H. Buff (2000) weist darauf hin, dass solche umfangreichen Verhaltenskodizes Mitarbeiter zur Annahme veranlassen können, dass jegliches Verhalten, das darin nicht explizit untersagt wird, zulässig ist.610 Auch kann die detaillierte Auflistung von verbotenem Verhalten den Umfang des Verhaltenskodex derart erweitern,
dass
Mitarbeiter
davor
zurückschrecken,
sich
mit
dessen
Inhalten
auseinanderzusetzen.611 Für Mitarbeiter ist es daher hilfreicher, wenn die in Verhaltenskodizes enthaltenen Normen und Regeln tendenziell etwas allgemeiner gehalten sind, so dass sie in verschiedenen Bereichen eines Unternehmens angewendet werden können. Gleichwohl müssen sie so weit differenzierungsfähig
sein,
dass
sie
den
spezifischen
Bedingungen
eines
jeden
Unternehmensteils Rechnung tragen und präzise Verhaltensanweisungen von ihnen ausgehen.612 Im Kontext von Orientierungspunkten613 gibt A. Suchanek (2004) die Empfehlung, dass Verhaltensanweisungen „(a) allgemein, (b) differenzierungsfähig und (c) einfach sein“614 müssen.
Da
die
kodifizierten
Regeln
und
Normen
auch
als
innerbetriebliche
Orientierungspunkte aufzufassen sind, lassen sich diese Überlegungen entsprechend auf Verhaltenskodizes übertragen.
609
Schnatterly (2003), S. 590. Vgl. auch Miceli/Near (1994a), S. 67; Mitchell et al. (1996), S. 450 f. Vgl. Buff (2000), S. 35. 611 Vgl. Schwartz (2004), S. 330. 612 So kritisieren u. a. Mengel/Hagemeister (2007), dass „die Verhaltenskodizes deutscher Unternehmen nur wenige konkrete Regelungen, sondern […] überwiegend pauschale Appelle an die Mitarbeiter zu ethischem und gesetzestreuem Verhalten“ enthalten. Verhaltenskodizes amerikanischer Unternehmen dagegen seien deutlich ausführlicher und konkreter in ihren Erwartungen an das Verhalten der Mitarbeiter. Vgl. (auch für Zitat) ebenda, S. 1386. 613 Auf das Konzept der Orientierungspunkte wird in Kapitel 5.3.2.1 ausführlich eingegangen. 614 Suchanek (2004), S. 203. 610
166
Die Forderung der „Einfachheit“ von Vorschriften eines Verhaltenskodex ist dahingehend zu interpretieren, dass ihre Auslegung und Anwendung für Mitarbeiter auch ohne detaillierte Vorkenntnisse möglich sein muss.615 Weiterhin ist beim Einsatz von Verhaltenskodizes zu beachten, dass deren Inhalt in regelmäßigen Abständen auf seine Zweckmäßigkeit hin überprüft wird.616 Auf diese Weise wird
gewährleistet,
dass
der
Verhaltenskodex
stetig
an
die
sich
Rahmenbedingungen, unter denen ein Unternehmen operiert, angepasst wird.
verändernden
617
Darüber hinaus ist zu überlegen, ob bei der erstmaligen Einführung eines Verhaltenskodex in einem Unternehmen eine Amnestie für in der Vergangenheit vorgefallenes Fehlverhalten erlassen wird. Zum einen wird den Organisationsmitgliedern damit signalisiert, dass es sich bei Compliance um ein Instrument zur Vermeidung von zukünftigem Fehlverhalten handelt und keine „Vergangenheitsbewältigung“ betrieben werden soll. Zum anderen hat dadurch jedes Organisationsmitglied die Möglichkeit, mit einer „weißen Weste“ zu beginnen, ohne die Lasten der Vergangenheit fürchten zu müssen. Auf diese Weise kann möglicher Widerstand von einzelnen Mitgliedern der Unternehmensführung oder Mitarbeitern verhindert werden, die in der Vergangenheit in Fehlverhalten verwickelt waren; die Akzeptanz für die Einführung eines Compliance-Programms wird also erhöht. Umfragen zufolge verfügten im Jahr 2007 bereits knapp 60 % aller deutschen Unternehmen über einen Verhaltenskodex.618 Der Anteil der deutschen Unternehmen, die den Verhaltenskodex systematisch in ein Compliance-Programm integriert haben, beträgt allerdings lediglich 37 %.619
5.2.2.3 Information, Schulung und Beratung In vielen Unternehmen, die einen Verhaltenskodex erlassen haben, beschränkt sich die Vermittlung von dessen Inhalten darauf, dass er neuen Mitarbeitern vorgelegt wird und diese die Kenntnisnahme der Inhalte sowie eine Verpflichtung zu deren Einhaltung per Unterschrift
615
Vgl. Suchanek (2004), S. 2003. Vgl. Tuleja (1985/1987), S. 267. 617 Vgl. Laczniak/Murphy (1991), S. 269. 618 Vgl. PWC (2007), S. 45; Terpitz (2007), S. 1. Dies stellt einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Jahr 1990 dar, in dem lediglich 41 % der 200 größten deutschen Unternehmen über einen Verhaltenskodex verfügten. Vgl. Langlois/Schlegelmilch (1990), S. 522. 619 In den Vereinigten Staaten ist die Verbreitung von Verhaltenskodizes mit 94 % und von ComplianceProgrammen mit 73 % weitaus höher. Vgl. PWC (2007), S. 45. 616
167
bestätigen müssen. Eine tatsächliche Auseinandersetzung bzw. Vermittlung der Inhalte findet nicht oder nur in geringem Maße statt.620 Ein solcher Verhaltenskodex, der von Organisationsmitgliedern nur als Teil des „public relations or liability management“621 betrachtet wird, entfaltet keinerlei Wirkung im Unternehmensalltag.622 Um ein derartiges Ergebnis zu verhindern, ist es erforderlich, dessen Inhalte den Mitarbeitern in Einstellungsgesprächen und regelmäßigen Schulungen zu vermitteln.623 „[…] simply publishing policies or codes is not enough. Policies must be clearly communicated”.624 Nur wenn Mitarbeiter darüber informiert sind, welche Anforderungen an ihr Verhalten gestellt werden, sind sie in der Lage, diese auch zu erfüllen.625 Informations- und Schulungsmaßnahmen sind insbesondere in solchen Bereichen eines Unternehmens erforderlich, in denen sehr hohe Compliance-Standards gelten, wie z. B. in Personal- und Rechtsabteilungen. In Abhängigkeit von der Branche kann dies allerdings auch auf operative Geschäftsbereiche zutreffen; so gelten etwa in der Finanzbranche oder der Unternehmensberatung für sämtliche Mitarbeiter äußerst strenge Compliance-Regeln, da diese im Rahmen ihrer Tätigkeit mit streng vertraulichen Daten in Berührung kommen. Durch Schulungen kann bei Bedarf auch auf Änderungen des Umfelds, der Gesetze oder auf interne Weiterentwicklungen reagiert werden, ebenso können bestehende Inhalte aufgefrischt oder vertieft werden. Trotz regelmäßiger Schulungen können beim Mitarbeiter Fragen auftreten, die aufgrund ihres besonderen
Charakters oder
ihrer
Komplexität
nicht
im Rahmen
solcher
Veranstaltungen beantwortet werden können bzw. für die auch der vertiefte Blick in den Verhaltenskodex keine Antwort aufzeigt. Dementsprechend ist es sinnvoll, dass Mitarbeiter
620
Vgl. Hauenschild (2007), S. 45; Weaver et al. (1999), S. 541; Weeks/Nantel (1992), S. 756. Langevoort (2002), S. 107. 622 „Many corporate codes, however, may do little more that serve as a pretext for public posturing, as they provide little meaningful guidance […]. All too often, new employees are merely asekd to read and sign off on the corporate code upon accepting employment and existing employees are required to sign annual compliance letters certifying that they understand, and have complied with, the code.” Metzger et al. (1993), S. 29 f. Vgl. auch Laczniak/Murphy (1991), S. 268, die solche Verhaltenskodizes als „public relations boilerplate“ und „motherhood and apple pie statements“ bezeichnen, sowie Gellermann (1989), S. 77 mit der Bezeichnung „set of platitudes“. 623 Vgl. Schumacher (2007), S. 136. 624 Miceli/Near (1994a), S. 67. Vgl. auch Weeks/Nantel (1992), S. 758. 625 Vgl. Menzies (2006), S. 399. 621
168
sich zur Beantwortung solcher Fragestellungen an den Compliance-Officer bzw. an die für Compliance zuständige Abteilung wenden können.626
Unabhängig vom spezifischen Zuschnitt eines Compliance-Programms ist insbesondere in den Vereinigten Staaten (dort maßgeblich durch rechtliche Vorschriften wie den SarbanesOxley Act und die U.S. Federal Sentencing Guidelines for Organizations bedingt)627 die Entwicklung feststellbar, dass immer mehr Unternehmen interne Whistleblowing-Systeme in ihre Compliance-Programme mit einbeziehen.628 Teilweise kann dies auch auf die Bemühungen von Vorständen oder Aufsichtsräten zurückgeführt werden, die aufgrund einer früheren Tätigkeit oder anderer Aufsichtsratspositionen die Vorteile von WhistleblowingSystemen für Unternehmen kennen und dementsprechend ein solches auch bei ihrem aktuellen Arbeitgeber bzw. im Rahmen ihrer Aufsichtsratstätigkeit einrichten wollen. Ein weiterer Grund für die Bemühungen kann auch darin gesehen werden, dass sich diese Akteure vor eventuellen Schadenersatzansprüchen Dritter, z. B. von Aktionären, die aus dem Fehlverhalten von Mitarbeitern resultieren, zu schützen versuchen. Aus welchem Grund die Einbeziehung eines institutionalisierten WhistleblowingProzesses von zentraler Bedeutung für die Effektivität eines Compliance-Systems ist und wie ein Whistleblowing-System ausgestaltet sein sollte, wird nachfolgend näher betrachtet.
5.2.3 Ausgestaltung von Whistleblowing-Systemen Ein zentrales Problem bei der Einführung eines Compliance-Programms ist, dass die Unternehmensführung den Mitarbeitern ein regel- und normkonformes Verhalten nicht per Dekret verordnen kann. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass die Befolgung eines Verhaltenskodex durch Anreize unterstützt wird. Dies kann insbesondere dadurch sichergestellt werden, dass die Befolgung eines Verhaltenskodex kontrolliert wird und Verstöße gegen dessen Inhalte sanktioniert werden. Allein das Bewusstsein von Mitarbeitern, dass die Befolgung der Compliance-Vorschriften
626
überwacht
wird,
kann
aufgrund
der
damit
verbundenen
Vgl. Bürkle (2004), S. 2160; Weeks/Nantel (1992), S. 756. Siehe Kapitel 4.2.2. 628 „[…] there is widespread agreement that such a device [internal hotline or other provision for anonymous employee reporting of ethical concerns, TB] is essential to an effective corporate ethics program.” Metzger et al. (1993), S. 31. Vgl. auch Berry (2004), S. 1; Breinlinger/Krader (2006), S. 61. 627
169
abschreckenden Wirkung bereits dazu führen, dass sich weniger Fehlverhalten im Unternehmen ereignet.629 „[…] a company must still make sure that the code affects not only what people say, but also what they do [Hervorhebung im Original, TB]. The best way to achieve this is to increase the probability that anyone who violates the code will be exposed.”630
Für die Integration eines Whistleblowing-Systems in die (bestehende) Struktur eines Compliance-Programms können folgende Gründe aufgeführt werden: (1) Um die Befolgung eines Verhaltenskodex zu überwachen, ist ein Unternehmen auf die Hilfe seiner Mitarbeiter angewiesen. Diese können beobachtete Verstöße grundsätzlich durch Ansprache des Vorgesetzten oder im Rahmen einer „open-door-policy“631 an die Unternehmensführung kommunizieren. Solche Kommunikationsstrukturen können allerdings insbesondere dann versagen, wenn Verdachtsfälle sehr schwerwiegend sind oder seitens eines Mitarbeiters der Verdacht besteht, dass der Vorgesetzte oder ein Mitglied der Unternehmensführung selbst in das Fehlverhalten verwickelt ist.632 „Human nature dictates that employees will come forward depending on the type of available reporting mechanisms, not on the requirement to use it.”633 Daher ist es sinnvoll, durch die Einrichtung eines Whistleblowing-Systems sämtlichen Mitarbeitern die Möglichkeit einzuräumen, solche Verstöße anonym und damit ohne Angst vor Vergeltung zu melden und so zu einem verbesserten Risikomanagement des Unternehmens beizutragen.634 (2) Des Weiteren kann durch die Einbindung eines institutionaliserten WhistleblowingProzesses in das Compliance-Programm bereits im Rahmen von Compliance-Schulungen umfassend über Existenz, Funktionsweise und Verhaltensregeln von WhistleblowingSystemen aufgeklärt werden. Im Vergleich zu einer „Insellösung“ werden durch solch integrierte Schulungen zum einen die Kosten gering gehalten, zum anderen können die Risiken des Missbrauchs von Whistleblowing im Interesse des Unternehmens reduziert werden. 629
Vgl. Bürkle (2004), S. 2161; Gellermann (1989), S. 78; OECD (2000), S. 5; Trevino et al. (1999), S. 146; Trevino/Weaver (2001), S. 665. Gellermann (1989), S. 78. 631 Unter einer „open-door-policy” soll verstanden werden, dass sich Mitarbeiter jederzeit mit ihren Anliegen an die Unternehmensführung wenden können. 632 Vgl. Kimmich (2006), S. 50. 633 Kimmich (2006), S. 50. 634 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2628. 630
170
Ob ein solches System von den Organisationsmitgliedern tatsächlich akzeptiert und genutzt wird, ist von dessen funktionaler Ausgestaltung abhängig. Oftmals übersehen Unternehmen bei der Einführung von Whistleblowing-Systemen, dass gerade deren anreizkompatible Ausgestaltung im Sinne der Organisationsmitglieder entscheidend für den Erfolg eines solchen Systems ist. Statt sich mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter auseinanderzusetzen, werden möglichst schnell und kostengünstig umsetzbare Lösungen implementiert.635 Vor diesem Hintergrund werden die Parameter eines Whistleblowing-Systems nachfolgend näher dargestellt, ihre Ausgestaltung diskutiert und entsprechende Empfehlungen abgeleitet. Die Grafik zeigt die wichtigsten funktionalen Parameter eines Whistleblowing-Systems:
Abbildung 16: Funktionale Parameter eines Whistleblowing-Systems; Quelle: Eigene Darstellung.
5.2.3.1 Einbezogener Personenkreis Bisher wurde aus definitorischen Gründen unterstellt, dass sich potenzielle Whistleblower lediglich aus dem Kreis der Mitarbeiter eines Unternehmens rekrutieren können. Zur Gewährleistung der Effektivität eines Compliance-Programms kann es jedoch auch sinnvoll sein, den Adressatenkreis eines Whistleblowing-Systems um Kunden und Lieferanten bzw. um deren Mitarbeiter zu erweitern.636
635 636
Vgl. Kimmich (2006), S. 50. Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 61.
171
So weist G. v. Zimmermann (2007) unter umgekehrten Vorzeichen darauf hin, dass die unternehmensinterne Limitierung des Rechts zum internen Whistleblowing (z. B. auf den Kreis der Führungskräfte), die Effektivität eines Whistleblowing-Systems einschränkt.637 Die Einbeziehung eines unternehmensexternen Personenkreises kann insbesondere vor dem Hintergrund geschehen, dass bei manchen Arten von Fehlverhalten, wie z. B. Korruption, unternehmensexterne Dritte eine wesentliche Rolle spielen. Korruptes Verhalten kann entweder von ihnen ausgehen oder sie stellen den Adressaten für Korruptionszahlungen durch das Unternehmen dar. Dementsprechend verfügen unternehmensexterne Dritte oft über Beweise oder signifikante Hinweise auf Fehlverhalten im Unternehmen. Um diese Informationsquelle nutzen zu können, ist es erforderlich, diesen Personenkreis in ein Whistleblowing-System mit einzubeziehen.638 Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Informationen über das Whistleblowing-System eines Unternehmens auf dessen Internetseite zur Verfügung gestellt werden.
5.2.3.2 Verortung der Whistleblowing-Stelle Ein wesentliches Element einer effektiven Whistleblowing-Struktur ist die eindeutige Verortung der Whistleblowing-Stelle, also der Stelle oder Organisationseinheit, bei der Whistleblower
Hinweise
über
Fehlverhalten
hinterlassen 639
unternehmensintern oder -extern angesiedelt sein (1).
können.
Diese
kann
Des Weiteren ist insbesondere für
multinational tätige Unternehmen zu klären, ob eine einzelne, globale Whistleblowing-Stelle in der Konzernzentrale eingerichtet werden soll oder ob eine Vielzahl dezentraler Stellen zu bevorzugen ist (2). (1) Die Frage nach der internen oder externen Ansiedlung der Whistleblowing-Stelle ist zum einen von zentraler Bedeutung für den Whistleblower, da diesem klar sein muss, wem gegenüber er möglicherweise Informationen offenlegt. Zum anderen ist dies für das Unternehmen wichtig, da disziplinarisch geklärt werden muss, welche Stelle innerhalb oder außerhalb des Unternehmens die Verantwortung für die Annahme und Überprüfung möglicher Informationen trägt. Nur durch Klärung dieser Zuständigkeit kann ein „Kompetenz-Wirrwarr“ oder „Gerangel“ zwischen verschiedenen internen Stellen und 637
Vgl. Zimmermann, (2007), S. 1064. Vor dem Hintergrund der dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition, die sich als akademischer Standard etabliert hat, soll trotz der vorangehenden Ausführungen im weiteren Verlauf auf die Einbeziehung unternehmensexterner Akteure in die Untersuchung verzichtet werden. 639 Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 61. 638
172
Abteilungen (wie Compliance-Officer, Rechtsabteilung, Geschäftsleitung oder Interne Revision)
und/oder
externen
Institutionen
(wie
Ombudsmännern
oder
sonstigen
640
Dienstleistern) vermieden werden.
Bei der Entscheidung über die Ansiedlung einer solchen Stelle ist zu beachten, dass einer externen Institution prinzipiell eine höhere Unabhängigkeit zugebilligt wird, da sie nicht dem Weisungsrecht der Organisationsführung unterworfen ist.641 Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn, ähnlich wie im Falle von Enron, das Top-Management des Unternehmens in Fehlverhalten involviert ist. Insbesondere für potenzielle Whistleblower ist die Ansiedlung der Stelle von hoher Bedeutung. Nur bei einer glaubwürdigen Unabhängigkeit der zuständigen Stelle vom Management werden potenzielle Whistleblower bereit sein, dieser ihre Informationen mitzuteilen. Eine Ansiedlung der Whistleblowing-Stelle in „normalen“ Stabsabteilungen, z. B. in der Personalabteilung, der Rechtsabteilung oder der Internen Revision, ist keine optimale Lösung, da solche Abteilungen nur bedingt unabhängig von der Unternehmensführung sind.642 Durch ihre im Vergleich zu internen Stellen größere Unabhängigkeit ist eine externe Stelle eher in der Lage, potenziellen Whistleblowern einen glaubhaften Schutz vor Vergeltung, die vertrauliche Behandlung ihrer Hinweise sowie die Wahrung ihrer Anonymität zu garantieren.643 Des Weiteren können Unternehmen durch die Ansiedlung der WhistleblowingStelle bei spezialisierten externen Anbietern wie etwa einem Rechtsanwalt von deren weitreichender Erfahrung im Umgang mit Hinweisen (z. B. bezüglich der Einschätzung von deren Art und Qualität) profitieren.644 Gegen eine externe Ansiedlung ist anzuführen, dass externe Stellen Hinweise oftmals nur entgegennehmen oder im Rahmen eines Fragebogens abfragen können, um sie anschließend zur weiteren Untersuchung an unternehmensinterne Stellen weiterzuleiten. Interne Stellen wiederum sind aufgrund ihrer Kenntnis des Unternehmens in der Lage, präzisere Fragen zu stellen und somit mehr Informationen von einem Whistleblower zu erhalten, so dass schneller auf Hinweise reagiert werden kann.
640
Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2629. Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 62. 642 Vgl. Hofmann (2006), S. 125. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Ausführungen, dass Betriebsräte kein ausreichender Ersatz für Whistleblowing-Systeme sind, überraschen die Zahlen von C. Mezger (2006), die darlegen, dass die Mehrheit der befragten deutschen Unternehmen eine Offenlegung von Fehlverhalten bei Betriebsrat, Revision und Personalabteilung vorsieht. Ebenda, S. 47. 643 Vgl. Bender (2007), S. 10; Breinlinger/Krader (2006), S. 61 f.; Schönefeldt (2005), S. 39. Die Gründe für die hohe Bedeutung dieses Aspektes werden im nächsten Kapitel betrachtet. 644 Vgl. Kimmich (2006), S. 51. 641
173
Eine dritte Option besteht darin, die beiden beschriebenen Arten der Verortung zu kombinieren und potentiellen Whistleblowern dadurch die Möglichkeit einzuräumen, entsprechend ihrer persönlichen Präferenzen einen internen oder einen externen Ansprechpartner zu wählen.645 Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Vor- und Nachteile der internen und externen Verortung einer Whistleblowing-Stelle ist es von hoher Bedeutung, die konkrete Situation im Einzelfall zu betrachten. So ist beispielsweise eine interne Verortung dann zu empfehlen, wenn ComplianceBemühungen im Unternehmen eine lange Tradition haben und entsprechend in den formellen und informellen Institutionen eines Unternehmens verankert sind; in diesem Fall sind die Anstrengungen des Unternehmens zur Unterbindung illegalen Verhaltens für Mitarbeiter glaubhaft und es herrscht Vertrauen hinsichtlich des diskreten Umgangs mit Hinweisen. In Unternehmen hingegen, die erst nach dem Auftreten von Skandalen auf öffentlichen Druck hin beginnen, Compliance-Programme zu entwerfen, und in denen die Mitarbeiter den Compliance-Bemühungen der Unternehmensleitung noch nicht vertrauen, kann es aus den oben geschilderten Gründen sinnvoller sein, eine solche Stelle außerhalb des Unternehmens anzusiedeln. Auch die Organisationsgröße kann Einfluss auf die Entscheidung über interne oder externe Ansiedlung nehmen. So kann es für kleinere Unternehmen aus Kostengründen oder zur Wahrung von Anonymität sinnvoll sein, die Stelle extern anzusiedeln, während in großen Unternehmen die Kostengründe eher für eine interne Ansiedlung sprechen.
(2) Bei der Frage, ob ein Unternehmen eine einzige globale Whistleblowing-Stelle in der Zentrale einrichten soll oder ob mehrere dezentrale Stellen, z. B. in Länder- oder regionalen Organisationseinheiten, zu bevorzugen sind, spielen neben rechtlichen vor allem kulturelle und sprachliche Aspekte eine Rolle. Politisch-rechtliche Gesichtspunkte können diese Entscheidung insofern beeinflussen, als dass spezifische gesetzliche Anforderungen eine bestimmte Ausgestaltung erfordern bzw. empfehlenswert erscheinen lassen. So erfassen viele Unternehmen aufgrund der drastischen Strafen bei Verstößen gegen den Sarbanes-Oxley Act relevante Hinweise zu Verstößen gegen Rechnungslegungs- und Bilanzprüfungsvorschriften über eine zentrale Hotline, während sonstige Hinweise von dezentralen Hotlines entgegengenommen werden. 645
Vgl. Bender (2007), S. 10.
174
Kulturspezifische Überlegungen sind in die Entscheidung über die Verortung der Whistleblowing-Stelle dann mit einzubeziehen, wenn ein Unternehmen in verschiedenen Ländern mit kulturell stark unterschiedlichen Hintergründen tätig ist. Bereits kulturelle Unterschiede in Bezug auf einen einzigen Aspekt der Landes- oder Unternehmenskultur können es empfehlenswert erscheinen lassen, dezentrale Hotline einzurichten. So sind etwa die USA im Gegensatz zu europäischen Ländern deutlich stärker sensibilisiert, was den Umgang zwischen den Geschlechtern am Arbeitsplatz angeht. Vorwürfe wegen sexueller Belästigung werden dort erheblich schneller erhoben als z. B. in Deutschland.646 Auch die wirtschaftlichen Risiken, die aus solchen Rechtsstreitigkeiten erwachsen können, sind deutlich höher als in Deutschland. Länderspezifische Whistleblowing-Stellen können diesen Problemen zum Vorteil von Whistleblowern und Unternehmen deutlich stärker Rechnung tragen als zentrale Hotlines, denen für den sachgerechten Umgang mit solchen Hinweisen die notwendige rechtliche Fachkenntnis oder kulturelle Sensibilität fehlt. Ähnlich verhält es sich mit sprachlichen Aspekten. So ist anzunehmen, dass Mitarbeiter eher bereit sein werden, Hinweise in ihrer Landes- als in einer Fremdsprache abzugeben. Maßgeblich hierfür ist u. a., dass sie sprachliche Nuancen und Fachwörter eher in ihrer Muttersprache als in einer Fremdsprache beherrschen. Umgekehrt profitiert das Unternehmen von einer höheren Präzision der Hinweise. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass insbesondere global tätige Konzerne sowohl über zentrale als auch über dezentrale Whistleblowing-Stellen verfügen.
5.2.3.3 Vertraulichkeit, Anonymität und Schutz vor Vergeltung Der wohl wichtigste Faktor für die Etablierung eines funktionierenden WhistleblowingSystems ist, dass die Anonymität des Whistleblowers oder die Vertraulichkeit seiner Hinweise gewahrt bleiben, sofern dieser dies wünscht.647 „To encourage internal reporting […] compliance programs often include the availability of an anonymous or confidential reporting channel that enables employees the opportunity to report, without fear of retaliation, their concerns regarding organizational conduct.”648
646
Für einen Vergleich kultureller Unterschiede in den Verhaltenskodizes der größten europäischen und USamerikanischen Unternehmen siehe z. B. Langlois/Schlegelmilch (1990). 647 Vgl. Berndt/Hoppler (2005), S. 2629; Bürkle (2004), S. 2161; Dunfee (1990), S. 136; Kimmich (2006), S. 51. 648 Berry (2004), S. 1.
175
Der Grund, aus dem Unternehmen ihren Mitarbeitern die Möglichkeit einräumen sollten, Fehlverhalten anonym oder vertraulich zu berichten, ist darin zu sehen, dass etliche Mitarbeiter Angst vor Vergeltung haben, wenn sie Informationen über illegales oder unethisches Verhalten offen kommunizieren.649 Um Mitarbeiter zur Nutzung eines internen Whistleblowing-Systems zu bewegen, muss diesen glaubhaft signalisiert werden, dass sie keine Angst vor Vergeltung haben müssen. Durch die Möglichkeit zur anonymen oder vertraulichen Offenlegung von Fehlverhalten werden ex ante die Kosten des Whistleblowings reduziert. „[…] organizations that want to encourage the raising of ethical issues should make it clear to employees that whistleblowing will not result in retaliation against the whistleblower.”650 Schließlich kann auch bei diskreten Nachforschungen zur Überprüfung der Hinweise nicht ausgeschlossen werden, dass, je nach Art der Hinweise, die betroffenen Organisationsmitglieder auf den Whistleblower aufmerksam werden.651 Das Versprechen eines umfassenden Schutzes vor Vergeltung ist für Mitarbeiter dann glaubhaft, wenn gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, diesen Schutz gewähren zu müssen, minimiert wird. Dementsprechend sollte den Faktoren „Wahrung von Vertraulichkeit“ und „Möglichkeit der anonymen Abgabe von Hinweisen“ eine hohe Bedeutung für das Funktionieren des Systems beigemessen werden. „[…] the system must not only be confidential, but must appear to be confidential.”652 Ein Verzicht auf die Gewährleistung von Vertraulichkeit oder auf die Möglichkeit zur anonymen Abgabe von Hinweisen würde die Effektivität eines Whistleblowing-Systems massiv einschränken.653 Neben dem bereits genannten Grund, dass Compliance-Programme einen stark rechtlichen Charakters haben, werden Rechtsanwälte oft deshalb als Compliance-Officer oder Ombudsmänner654 eingesetzt, weil sie durch ihre anwaltliche Verschwiegenheitspflicht dazu angehalten sind, die Hinweise eines Whistleblowers vertraulich zu behandeln.655 Im
649
Vgl. Barnett et al. (1993), S. 129. Callahan/Collins (1992), S. 945. 651 Vgl. Hofmann (2006), S. 126; Schönefeldt (2005), S. 39. 652 Dunfee (1990), S. 137. Beinahe identisch auch Hess (2007) in Bezug auf Anonymität: „For example, requiring firms to provide a mechanism for anonymous reporting should improve employee attitude toward the behavior and increase the reporting of misconduct. However, this mechanism will do little to change attitudes if employees do not believe they will actually have anonymity.” Ebenda, S. 1811. 653 Vgl. Zimmermann (2006), S. 242 f. 654 Siehe Kapitel 5.2.2.1. 655 Vgl. Bürkle (2004), S. 2161; Samson/Langrock (2007), S. 1687; Welp/Sprothen (2006), S. 130. Als weitere Privilegien eines Anwalts zum Schutz der Anonymität eines innerbetrieblichen Whistleblowers können das für ihn bestehende Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 Satz 3 StPO) sowie das Beschlagnahmeverbot in dessen Räumlichkeiten (§ 97 Abs. 1 StPO) genannt werden. 650
176
Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern sind sie arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, sämtliche Informationen über das Fehlverhalten und über die Person des Hinweisgebers zur Abwehr von Schaden vom Unternehmen an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Verstoßen sie gegen ihre Verschwiegenheitspflicht, drohen ihnen strafrechtliche Konsequenzen.656
Bemüht sich ein Unternehmen, durch die Umsetzung dieser Empfehlungen potenzielle Whistleblower vor Vergeltung zu schützen und werden diese Bemühungen als glaubwürdig anerkannt, wird sich dies entsprechend positiv auf die Bereitschaft der Mitarbeiter auswirken, beobachtetes Fehlverhalten in der Organisation offenzulegen. „Systems that ensure confidentiality and anonymity, especially where employees avoid confrontation or fear retribution, can motivate employees to come forward.”657 Zu Recht wird allerdings auch betont, dass die Möglichkeit zur anonymen Abgabe von Hinweisen das Missbrauchsrisiko bei einem internen Whistleblowing-System erhöht.658 Hierzu ist prinzipiell anzumerken, dass unzufriedene Mitarbeiter auch in Unternehmen ohne Whistleblowing-System unwahre Behauptungen aufstellen und Gerüchte lancieren können, um Kollegen zu schaden.659 Welche organisatorischen Maßnahmen getroffen werden können, um dies zu verhindern, wird in den beiden folgenden Kapiteln angesprochen.
5.2.3.4 Kommunikationsmittel des Whistleblowing-Systems Für die Kontaktaufnahme eines Mitarbeiters mit der Whistleblowing-Stelle kommen grundsätzlich sämtliche gebräuchlichen Kommunikationsmittel wie Telefon, E-Mail, Fax oder Brief in Frage. Durch all diese Medien können anonym Hinweise abgeben werden. In der unternehmerischen Praxis ist allerdings der Trend zu beobachten, dass sich Telefon-Hotlines und E-Mail-Systeme immer stärker durchsetzen. Der entscheidende Grund hierfür liegt seitens der Unternehmen darin, dass diese Kommunikationsmittel es im Gegensatz zu Fax und Brief erlauben, eine umfassendere Kommunikation mit dem Whistleblower aufzubauen. Insbesondere über Telefon-Hotlines können seitens der Whistleblowing-Stelle direkt vertiefende Fragen zu den abgegebenen Hinweisen gestellt werden. Dadurch wird ein Unternehmen in die Lage versetzt, die
656
Vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Kimmich (2006), S. 50. 658 Vgl. Schwartz (2004), S. 336. 659 Vgl. OECD (2000), S. 16. 657
177
Ernsthaftigkeit der Hinweise durch Rückfragen an den Whistleblower zu überprüfen und so zu einer Einschätzung der Qualität der Hinweise zu gelangen, um Missbrauch zu verhindern.660 Des Weiteren ist es möglich, dem Whistleblower durch die Vereinbarung eines Kennwortes sowie eines Termins für einen weiteren Anruf vertiefende Fragen zu den Hinweisen zu stellen bzw. Ergebnisse der Untersuchung seiner Hinweise mitzuteilen.661 Diese Möglichkeit der Kommunikation mit dem Whistleblower kann auch durch den Einsatz von E-Mails gewährleistet werden, indem entweder ein spezielles E-Mail-System662 verwendet oder über eine anonyme E-Mail-Adresse kommuniziert wird.663 Prinzipiell ist anzunehmen, dass E-Mails und Telefon-Hotlines auch von potenziellen Whistleblowern bevorzugt werden. So können Hinweise etwa im Schutz der Anonymität von öffentlichen Telefonzellen oder von Internetcafés abgegeben werden.
5.2.3.5 Definition und Kommunikation einer Whistleblowing-Policy Die Notwendigkeit einer konkreten Anleitung zur Kommunikation von Hinweisen durch internes Whistleblowing, einer so genannten „Whistleblowing-Policy“ liegt darin begründet, dass diese im Vergleich zu einem unstrukturierten Verfahren mehr Verhaltenssicherheit für die Mitarbeiter schafft.664 Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn das Unternehmen den Schutz vor Vergeltung nach
der
Kommunikation
illegalen
oder
unethischen
Verhaltens
an
bestimmte
Voraussetzungen knüpft. Ein Vorteil eines solchen Vorgehens ist aus Sicht des Unternehmens zum einen, dass hierdurch das Missbrauchsrisiko der anonymen Abgabe von Hinweisen für Denunziationszwecke reduziert wird.665 Zum anderen stärken derartige Empfehlungen zur Vorgehensweise die Wahrnehmung von Organisationsangehörigen, dass das interne Whistleblowing aus Loyalitätsgründen dem externen stets vorgeschaltet sein sollte, um
660
Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 62. Vgl. Stock (2005), S. 10 sowie (2007), S. 17. Hierauf wird in Kapitel 5.2.3.6 vertiefend eingegangen. 662 Für weitere Informationen hierzu siehe z.B. www.business-keeper.com 663 Vgl. Breinlinger/Krader (2006), S. 65. 664 „Codes and formal policies should also specify what actions are desired. For example, to whom should employees report a potential wrongdoing”. Miceli/Near (1994a), S. 67. Vgl. auch Kimmich (2006), S. 50; Welp/Sprothen (2006), S. 130. 665 Viele Unternehmen knüpfen den Schutz vor Vergeltung an eine „gutgläubige“ Meldung von Hinweisen. Damit soll das Risiko des Anschwärzens von Mitarbeitern reduziert werden. Vgl. OECD (2000), S. 14. Als „gutgläubig“ soll ein Handeln im Vertrauen auf den objektiven Wahrheitsgehalt von Hinweisen verstanden werden. 661
178
Schaden vom Arbeitgeber abzuwenden.666 „[…]guidelines developed for enhancing employee effectiveness might include recommending employees report to an anonymous hotline only after normal communication channels have been exhausted, guidance on the importance of gathering documentation to support a thorough investigation, and understanding hotline ethics, including what is appropriate to report. Organizational intolerance towards allegations that are made maliciously or in bad faith also helps to develop constructive attitudes towards this reporting venue.”667 Dementsprechend kann es auch sinnvoll sein, zu betonen, dass durch Whistleblowing insbesondere gravierende Rechtsverstöße sowie grob unethische Verhaltensweisen gemeldet werden sollten.668 Die Empfehlungen zur Offenlegung beobachteten Fehlverhaltens sollten allerdings nicht derart detailliert sein, dass ihre Ausdifferenziertheit oder Komplexität abschreckend wirken. Vielmehr sollten sie dazu dienen, eine möglicherweise vorhandene Unsicherheit bei den Mitarbeitern abzubauen. Entsprechend positiv sollten sie sich auf die Bereitschaft der Belegschaft, Whistleblowing-Systeme zu nutzen, auswirken. Bemerkenswert ist, dass in den USA zahlreiche Unternehmen derartige Empfehlungen bereits eingeführt haben. In einer Erhebung von M. Near und T. Dworkin (1998) gaben ca. 67 % aller antwortenden Unternehmen an, dass sie ihre Mitarbeiter darauf hinweisen, welche Person bei der Beobachtung von Fehlverhalten zu informieren ist. Des Weiteren gibt knapp die Hälfte (52 %) der Unternehmen ihren Mitarbeiter genaue Informationen darüber, auf welche Art Hinweise übermittelt werden sollen.669
Die Notwendigkeit, Mitarbeiter über das Vorgehen bei der Beobachtung von Fehlverhalten aufzuklären, wurde im Rahmen der Darstellung der Grundzüge eines Compliance-Programms bereits dargelegt.
666
Eine entsprechende Schlussfolgerung lässt sich aus den Ergebnissen einer Umfrage von Callahan/Collins (1992) ziehen. Diese befragten Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Zustimmung zu einem gesetzlichen Schutz von Whistleblowern unter bestimmten Umständen. 93,8 % aller Befragten äußerten starke Zustimmung („strongly agree“) oder Zustimmung („agree“), wenn die Informationen über illegales Verhalten eines Kollegen intern kommuniziert wurden. Die Summe an Zustimmung für die externe Kommunikation eines solchen Sachverhalts an Strafverfolgungsbehörden hingegen lag bei lediglich 86,6 %. Noch geringer war die Zustimmung bei einer Kommunikation an die Medien (74,6 %). 667 Berry (2004), S. 10. 668 Die Verhinderung kleinerer Rechtsverstöße kann demnach eher als Aufgabe des Werkschutzes denn einer Whistleblowing-Hotline betrachtet werden. Vgl. auch Hersh (2002), S. 243, der Whistleblowing auf „nontrivial activities“ beschränkt. 669 Vgl. Near/Dworkin (1998), S. 1555.
179
Hinsichtlich einer Whistleblowing-Policy besteht dieses Erfordernis noch deutlich stärker, da eine falsche Handhabung bzw. der Missbrauch eines solchen Systems dem Unternehmen erheblichen Schaden zufügen kann. „The only way in which an internal whistle-blowing system can achieve its primary mission is for all parties to understand its functions. Otherwise there is the danger that the system will be used as a forum for other types of disputes.”670 Durch die Kommunikation der Whistleblowing-Policy kann ein Unternehmen somit auch dazu beitragen, potenziellen Missbrauch ex ante zu verhindern. Wenn kommuniziert wird, auf welche Art und Weise gegebene Hinweise überprüft werden, können potenzielle Denunzianten die Erfolglosigkeit ihres Vorhabens erkennen und auf eine Nutzung des Systems verzichten.671 Auf die prinzipiell naheliegende Möglichkeit, explizit zu kommunizieren, dass ein Missbrauch des Systems verfolgt wird, sollte jedoch verzichtet werden. Zwar kann dies bei geplantem Missbrauch abschreckend wirken, es kann jedoch auch ungewolltes Misstrauen schaffen, z. B. wenn potenzielle Whistleblower vermuten, dass sich die Anrufe bei einer Compliance-Hotline zurückverfolgen lassen. Darüber hinaus könnten Mitarbeiter bei Unsicherheit über die Stichhaltigkeit ihrer Hinweise Abstand vom Whistleblowing nehmen, da sie sich nicht dem Verdacht des Missbrauchs aussetzen wollen, falls ihre Hinweise sich im Nachhinein als unzutreffend herausstellen.
Vor diesem Hintergrund überrascht eine US-amerikanische Erhebung aus dem Jahr 1998 mit dem Ergebnis, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht gezielt im Umgang mit einem Whistleblowing-System schult. Diesbezügliche Informationen werden den Mitarbeitern vor allem schriftlich kommuniziert.672 Das meistgenutzte Kommunikationsmedium ist der Studie zufolge das „employee handbook“. Ob dies von einer hohen Anzahl an Mitarbeitern gelesen wird, ist allerdings fraglich. Es kann jedoch angenommen werden, dass durch die Vorschriften des SOA zumindest bei börsennotierten Unternehmen in dieser Hinsicht zwischenzeitlich eine deutliche Verbesserung eingetreten ist. Des Weiteren ist anzumerken, dass bei der Einbeziehung unternehmensexterner Dritter in das
Whistleblowing-System
ein
„employee
handbook“
ein
wenig
zweckmäßiges
Kommunikationsmittel darstellt. Sinnvoller erscheint es vielmehr, die entsprechenden
670
Dunfee (1990), S. 137. Vgl. Salvenmoser (2006), S. 208. 672 Vgl. Near/Dworkin (1998), S. 1555. 671
180
Informationen in Mitarbeiterschulungen, durch Broschüren und an prominenter Stelle im Intra- und Internet zu kommunizieren.
5.2.3.6 Ablauf der Prüfung von Hinweisen Beim Eingehen von Hinweisen auf illegales Verhalten im Unternehmen ist seitens der Organisation darauf zu achten, dass die Hinweise unverzüglich geprüft und die resultierenden Ergebnisse kommuniziert werden.673 Durch die unverzügliche Untersuchung der Vorwürfe wird demonstriert, dass ein Unternehmen die durch Whistleblowing erhaltenen Hinweise auf Fehlverhalten ernst nimmt. Dies schafft zum einen unter den Mitarbeitern Glaubwürdigkeit für die Bemühungen des Unternehmens, Fehlverhalten zu unterbinden; zum anderen wird sichergestellt, dass ein Fortdauern des betreffenden illegalen oder unethischen Verhaltens zeitnah unterbunden wird. Zum Zweck der Untersuchung von Hinweisen werden in vielen Unternehmen ComplianceKomitees gebildet, die aus dem Compliance-Officer und weiteren Führungskräften bestehen. In diesen Komitees werden eingegangene Hinweise auf ihre Plausibilität hin diskutiert, der weitere Umgang mit ihnen geklärt sowie die Ergebnisse untersuchter Hinweise analysiert und potenziell entstehender weiterer Handlungsbedarf abgestimmt. Der Ermutigung von Mitarbeitern zum Whistleblowing ist es auch zuträglich, wenn der Whistleblower nach der Prüfung seiner Hinweise über die Untersuchungsergebnisse informiert wird. Dies setzt allerdings u. U. den Verzicht des Whistleblowers auf Anonymität voraus. Auch für den Fall, dass der Whistleblower anonym bleiben möchte, können ihm die Ergebnisse mitgeteilt werden. Dies kann, wie oben erwähnt, durch Einrichtung eines anonymen Postfaches oder einer E-Mail-Adresse bzw. durch einen Anruf bei der Whistleblowing-Hotline geschehen. Alternativ können in einem viertel- oder halbjährlichen Bericht der Compliance-Abteilung der aktuelle Stand und die Ergebnisse von Untersuchungen in anonymisierter Form veröffentlicht werden. Im Hinblick auf die Vermeidung von Gerüchten und Spekulationen im Unternehmen sind jedoch die beiden erstgenannten Wege die deutlich empfehlenswertere Praxis. Prinzipiell schafft die Kommunikation von Untersuchungsergebnissen Vertrauen in das Funktionieren des internen Whistleblowing-Systems sowie in die Ernsthaftigkeit der Bemühungen
673
der
Organisationsführung,
Vgl. Near/Dworkin (1998), S. 1559.
unternehmensinternes
Fehlverhalten
zu
181 674
unterbinden.
„Feedback to those invoking the system is important, and should be
substantive as possible. A description of a full, efficient investigation, followed-up by appropriate action, is likely to encourage future use of the system.”675
All diese formalen Faktoren der Ausgestaltung institutionalisierter WhistleblowingProzesse zur Förderung regel- und normkonformen Verhaltens im Unternehmen sind nicht hinreichend wirksam, wenn nicht in gleichem Maße informelle Institutionen eingesetzt werden, um die Mitwirkung der Mitarbeiter bei solchen Bemühungen zu fördern. M. Metzger et al. (1993) gelangen ebenfalls zu diesem Ergebnis: „But structural changes such as hotlines and/or corporate ombudsmen will not assure honesty in intracorporate communication unless managerial practice is conducive to frankness.”676 Eine Vielzahl von Unternehmen und interessanterweise auch der amerikanische Gesetzgeber haben hieraus ihre Konsequenzen gezogen und weiten in jüngster Zeit ihre Bemühungen aus, durch Vorschriften oder gezielte Anreize zur Gestaltung informeller Institutionen beizutragen und so Einfluss auf das Funktionieren interner WhistleblowingSysteme zu nehmen, um damit die Compliance zu erhöhen. Hauptansatzpunkt derartiger Bemühungen ist die Unternehmenskultur.677 „On the business side, it was accepted that employers needed to create a culture where a worker who honestly believes something is going wrong has the confidence to raise the matter internally.”678
5.3
Förderung
von
Whistleblowing
durch
Beeinflussung
der
Unternehmenskultur Zu Analyse der Möglichkeiten, wie durch die informelle Institution Unternehmenskultur Whistleblowing im Unternehmen gefördert werden kann, wird zunächst auf den Begriff und die Bedeutung der Unternehmenskultur eingegangen (5.3.1). Daraufhin wird ein institutionenökonomisches Modell von Unternehmenskultur vorgestellt (5.3.2). Abschließend 674
Vgl. Barnett et al. (1993), S. 129. Dunfee (1990), S. 136. 676 Metzger et al. (1993), S. 31. 677 So u. a. Berry (2004): „The complexity associated with whistleblowing, including the multiple levels of analysis and number of factors related to whistleblowing, as well as the status of whistleblowing as a form of organizational dissent suggests that organizational culture plays a key role in employee disclosure.” Ebenda, S. 2. Vgl. auch Keenan (1988), S. 247; Ogorek (2005), S. 547. 678 OECD (2000), S. 8. 675
182
wird dann analysiert, durch welche Maßnahmen des Managements die Unternehmenskultur dahingehend beeinflusst werden kann, dass sich unter den Organisationsmitgliedern eine Einstellung der kritischen Loyalität etabliert, in der berechtigtes unternehmensinternes Whistleblowing gefördert und honoriert wird (5.3.3).
5.3.1 Begriff und Bedeutung der Unternehmenskultur Die Auseinandersetzung der Betriebswirtschaftslehre mit dem Thema Unternehmenskultur geht in erster Linie auf die Arbeit von W. Ouchi (1981) zurück. Dieser versuchte Anfang der 1980er-Jahre, die unterschiedlichen Produktivitätsfortschritte japanischer und amerikanischer Unternehmen in den vorausgehenden Jahrzehnten zu erklären. Hauptansatzpunkt seiner Überlegungen war, dass diese Unterschiede vor allem in der Art der Personalführung und der Arbeitsorganisation zu suchen waren. Die methodischen Unterschiede sah er vor allem in den landesspezifisch und kulturell unterschiedlich geprägten Institutionen der Unternehmen verortet. Während amerikanische Unternehmen durch starke formale Institutionen zur Kontrolle und Belohnung des Verhaltens ihrer Mitarbeiter geprägt waren, setzten japanische Unternehmen hierzu in einem viel stärkeren Ausmaß informelle Institutionen ein.679 T. Peters und R. Waterman (1982/1984) griffen diesen Gedanken auf. Doch statt die Leistungsunterschiede
zwischen
Unternehmen
auf
interkulturelle
Unterschiede
zurückzuführen, stellten sie die Kultur einzelner Unternehmen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung.680
Als
Ergebnis
ihrer
Forschung
heben
sie
die
Bedeutung 681
„Selbstverständnisses“ eines Unternehmens für dessen Erfolg am Markt hervor.
des Nach
Ansicht der Autoren ist das Selbstverständnis eines Unternehmens geprägt von Grundüberzeugungen und Leitwerten.682 T. Deal und A. Kennedy (1982) sprechen erstmals von einer „corporate culture“, welche maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten einer Organisation und deren Erfolg an Markt nimmt. „Whether weak or strong, culture has a powerful influence throughout an organization; it affects practically everything […]. Because of this impact, we think that culture also has a major effect on the success of the business.”683
679
Vgl. Ouchi (1981), S. 3–70. Vgl. Staehle (1988/1998), S. 497. 681 Vgl. Peters/Waterman (1982/1984), S. 33. 682 Vgl. Peters/Waterman (1982/1984), S. 323. 683 Deal/Kennedy (1982), S. 4. 680
183
Mittlerweile hat sich der Begriff „Unternehmenskultur“ (oder „Organisationskultur“) fest in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung etabliert. Dies kann folgendermaßen begründet werden: Die steigende Komplexität und Ausdifferenzierung der Arbeitswelt sowie die ständig zunehmenden Umweltdynamik stellen Unternehmen vermehrt vor die Herausforderung, mit prinzipiell unbekannten Kontingenzen umzugehen. Als Antwort auf diese
Herausforderung
sind
Unternehmen
dazu
übergegangen,
insbesondere
ihre
Arbeitsverträge als offene Verträge zu gestalten. Die Offenheit solcher Verträge erlaubt einen produktiven Umgang mit den genannten Kontingenzen. Sie eröffnet allerdings auch einen größeren Spielraum für opportunistisches Verhalten. Um die Produktivitätsvorteile vor dem Hintergrund der Offenheit tatsächlich realisieren zu können, sind geeignete informelle Institutionen zur Führung und Kontrolle der Mitarbeiter erforderlich. Die für diesen Zweck wohl bedeutendste informelle Institution ist die Unternehmenskultur.684 Diese strukturiert und koordiniert das Denken und Handeln der Organisationsmitglieder auf Basis geteilter Normen und Regeln.685 Diese Normen und Regeln haben sich über einen längeren Zeitraum hinweg im Unternehmen herausgebildet und koordinieren die Interaktionen zwischen den Mitarbeitern. Durch sie werden erwünschte Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder gefördert und unerwünschte sanktioniert oder unterdrückt. Die Organisationskultur bildet somit „ein Komplement zu den formellen Institutionen, die in der Organisation gelten“.686 Für die Analyse, welchen Beitrag die Unternehmenskultur zum Erfolg eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems leisten kann und auf welche Weise sie funktioniert,
wird
nachfolgend
ein
institutionenökonomisches
Verständnis
von
Unternehmenskultur skizziert (5.3.2).
5.3.2 Institutionenökonomische Theorie der Unternehmenskultur Die institutionenökonomische Auseinandersetzung mit dem Thema Unternehmenskultur basiert auf dem Aufsatz „Corporate culture and economic theory“ von D. Kreps (1990/1995). Kreps schafft darin die Grundlagen einer institutionenökonomischen Theorie der
684
Vgl. Homann/Suchanek (2000/2005), S. 321 f. Staehle (1988/1998) weist darauf hin, dass alle Definitionen von Kultur das Merkmal aufweisen, diese als „ein System gemeinsam geteilter Werte, Normen, Einstellungen, Überzeugungen und Ideale“ (ebenda, S. 498) aufzufassen. Siehe hierzu z. B. Schein (1985), S. 6. 686 Homann/Suchanek (2000/2005), S. 321. 685
184
Unternehmenskultur und hebt ihre Bedeutung für den Erfolg eines Unternehmens im Wettbewerb hervor. Ausgehend von der Frage, auf welche Weise Unternehmen mit dem erwähnten Problem unbekannter Kontingenzen umgehen können, zeigt Kreps die Möglichkeit auf, offene Verträge anzuwenden. Der Abschluss offener Verträge setzt Akteure jedoch stets der Gefahr opportunistischen Verhaltens ihrer Interaktionspartner aus. Dieses Problem versucht Kreps zu lösen, indem er argumentiert, dass die Organisation bzw. die Organisationsführung gegenüber ihren Mitgliedern nicht nur durch formale Verträge, sondern auch durch ihre Reputation als fairer Interaktionspartner gebunden ist.687 Erst das Vorhandensein eines solchen Sozialkapitals (in Form einer Reputation als fairer Interaktionspartner) ermöglicht es Organisationsmitgliedern, offene Arbeitsverträge anzunehmen. Die Qualität der Reputation einer Organisation lässt sich wiederum an der Ausgestaltung ihrer Organisationskultur bemessen, die durch allgemeine Verhaltensprinzipien und deren Kommunikation geprägt ist. Von der Unternehmenskultur einer Organisation geht eine Informations- und Anreizwirkung
aus,
die
für
stabile
Verhaltenserwartungen
zwischen
potenziellen
Interaktionspartnern sorgt. Aus diesem Grund wurde die Unternehmenskultur einleitend als informelle Institution beschrieben.688 Um stabile Verhaltenserwartungen zu gewährleisten, muss sie zum einen dazu beitragen, innerbetriebliche Koordinationsprobleme bei der Leistungserstellung durch die Bereitstellung geeigneter Informationen zu überwinden und auf eine möglichst effiziente Ausgestaltung des Leistungserstellungsprozesses hinzuwirken. Zum anderen muss eine Unternehmenskultur positive oder negative Anreize schaffen, die bei sämtlichen Akteuren eines Unternehmens die Bereitschaft wecken, produktive Interaktionen einzugehen bzw. auf die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens zu verzichten.689 Da
diese
Aufgaben
von
unterschiedlichen
Elementen
der
Unternehmenskultur
übernommen werden, sollen nacheinander Orientierungspunkte (5.3.2.1) und mentale Modelle (5.3.2.2) näher betrachtet werden. Abschließend werden die Elemente zu einem institutionenökonomischen Modell der Unternehmenskultur zusammengefasst (5.3.2.3).
687
Vgl. Kreps (1990/1995), S. 499 f. Vgl. Göbel (2002), S. 262 f. 689 Vgl. Jäger (2004), S. 129. 688
185
5.3.2.1 Orientierungspunkte Die Koordination des Verhaltens verschiedener Organisationsmitglieder ist grundsätzlich dann möglich, wenn allen beteiligten Akteuren Informationen darüber vorliegen, welches Verhalten von ihnen erwartet wird. Diese Informationen tragen dazu bei, das Handeln der Organisationsmitglieder insbesondere beim Auftreten unbekannter Kontingenzen zu regeln. Eine Möglichkeit, den Mitarbeitern eines Unternehmens derartige Informationen zur Verfügung zu stellen, sind Orientierungspunkte.690 Das Konzept der Orientierungspunkte bzw. „focal points“ geht auf T. Schelling zurück.691 Oft
ist
es
vor
dem
Hintergrund
interdependenter
Handlungsergebnisse
in
Interaktionssituationen erforderlich, das Verhalten von Interaktionspartnern aufeinander abzustimmen. Nur durch abgestimmte Verhaltensweisen verschiedener Akteure lassen sich angestrebte Kooperationsgewinne realisieren. „What is necessary is to coordinate predictions, to read the same message in the common situation, to identify the one course of acting that their expectations of each other can converge. They must mutually ‚recognize’ some unique signal that coordinates their expectations of each other.”692 Orientierungspunkte dienen in solchen Situationen als ein einzigartiges Signal, das zur Wahl eines bestimmten Verhaltens führen soll. Ihr Vorhandensein ermöglicht es den Interaktionspartnern, aus den verschiedenen zur Verfügung stehenden Verhaltensweisen auch ohne vorherige Absprache eine abgestimmte Auswahl zu treffen.693 Dies basiert darauf, dass das von einem Orientierungspunkt ausgehende Signal von Akteuren als Verhaltensanweisung wahrgenommen wird und sie darauf vertrauen können, dass ihre Interaktionspartner das Signal auf identische Weise wahrnehmen und interpretieren, so dass durch diese Information ein abgestimmtes Verhalten möglich ist.694 Orientierungspunkte können sich z. B. aus der Bildung von Analogien, dem Heranziehen von Präzedenzfällen, aus zufällig sich hervorhebenden Anordnungen, aus Symmetrie oder aus
690
K. Macharzina (1993/2003) beschreibt diese Funktion wie folgt: „Von dieser [der Unternehmenskultur, TB] kann eine Einengung des Interpretationsspielraums bei Problemlösungen erzeugt werden.“ Ebenda, S. 117. Vgl. Schelling (1960/1968), S. 57. 692 Schelling (1960/1968), S. 54. 693 Vgl. Richards (2001), S. 259. 691
694
Vgl. Suchanek (2004), S. 199.
186
ästhetischen oder geographischen Anordnungen ergeben.695 Im betrieblichen Alltag können auch Unternehmensslogans Orientierungspunkte darstellen.696
Es stellt sich die Frage, welche Eigenschaften Regeln und Normen besitzen müssen, um als Orientierungspunkte Anwendung zu finden. Dies soll im Folgenden näher betrachtet werden. Von einer Organisationskultur können nur dann dauerhafte und stabile Informationen und Anreize ausgehen, wenn die Prinzipien, d. h. die Orientierungspunkte, durch die sich diese Kultur beschreiben lässt, einer gewissen Dauerhaftigkeit unterliegen. Schelling nennt hierzu die beiden Kriterien „Bekanntheit“ und „Einzigartigkeit“.697 D. Kreps zieht weitere Kriterien heran, um die Eignung von Regeln und Normen als Orientierungspunkte einer Unternehmenskultur zu überprüfen698: Zunächst ist es erforderlich, dass von einem Orientierungspunkt tatsächlich eine Orientierungswirkung ausgeht. Er muss beim Auftreten unbekannter Kontingenzen den betroffenen Interaktionspartnern eine eindeutige Anweisung zur Verhaltenswahl liefern.699 Des Weiteren muss der Orientierungspunkt eine inhaltliche Qualität besitzen, die es den beteiligten Interaktionspartnern plausibel erscheinen lässt, dass seine Anwendung in ihrem Interesse liegt. Nur unter dieser Voraussetzung werden sie bereit sein, die vom Orientierungspunkt ausgehende Handlungsempfehlung für ihr eigenes Verhalten gelten zu lassen700; und nur dann besitzt ein Orientierungspunkt neben einer Informationsfunktion auch Anreizkompatibilität.701 Weitere Voraussetzungen sind, dass nach der Anwendung des Orientierungspunktes keine Unsicherheiten auftreten, die der weiteren Koordinierung bedürfen und dass seine
695
Vgl. Schelling (1960/1968), S. 57. Hierauf wird in Kapitel 5.3.2.3 kurz eingegangen. 697 „A prime charateristic of most of these ‚solutions’ to the problems, that is, of the clues or coordinators or focal points, is some kind of prominence or conspicuousness. […] Equally essential is some kind of uniqueness.” Schelling (1960/1968), S. 58. 698 Siehe z. B. auch Waldkirch (2002), S. 155. 699 „What is needed is the ability, after observing a particular contingency, to know what should be done”. Kreps (1990/1995), S. 124. 700 „[…] a belief ex ante [Hervorhebung im Original, TB] by the hierarchical inferiors that application of what should be done will be good enough to warrant undertaking the transaction.” Kreps (1990/1995), S. 124. Ähnlich auch Suchanek (2004): „Die Funktion der so bestimmten Orientierungspunkte ist die wechselseitige glaubwüdige Signalisierung von Vertrauenswürdigkeit [Hervorhebung im Original, TB] im Hinblick darauf, dass vertraglich nicht absehbare Möglichkeiten der ‚Ausbeutung’ von Interaktionspartnern nicht wahrgenommen werden.“ Ebenda, S. 199. 701 Dennoch kann eine Organisation einen Orientierungspunkt auch in solchen Fällen zur Anwendung bringen, in denen sein Einsatz für sie kurzfristig von Nachteil ist. Ebenso kann sie ihn in Bereichen einsetzen, in denen er keinem organisationsbezogenen Zweck dient. In diesen Fällen dient der Einsatz des Orientierungspunktes primär dazu, dessen Inhalt zu kommunizieren und seine Anwendung einzuüben. Vgl. Kreps (1990/1995), S. 93 und S. 127. 696
187
Anwendung für alle Akteure beobachtbar ist. Kreps betont dies explizit und spricht von einer „conditio sine qua non“.702 Ebenfalls als Voraussetzung gilt, dass Orientierungspunkte einfach zu kommunizieren sind. Hierzu ist es erforderlich, dass ihre zentrale Aussage einfach verständlich und inhaltlich konsistent
ist.
Verständlichkeit
und
Konsistenz
sorgen
zum
einen
dafür,
dass
Orientierungspunkte auch von Interaktionspartnern mit schwächer ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten richtig interpretiert werden. Zum anderen wird auf diese Weise die Komplexität gering gehalten, so dass keine Spielräume für inhaltliche Interpretationen entstehen.703 Dies ist für eine Unternehmenskultur insofern von hoher Bedeutung, als dass im Unternehmen oftmals zwischen verschiedenen Hierarchieebenen und Funktionen kommuniziert werden muss.
Für Kreps stellen Orientierungspunkte bzw. die von ihnen ausgehenden Signale im Sinne verhaltensleitender Prinzipien sowie deren Anwendung daher den Gegenstand und den Sinn von Unternehmenskultur dar: „[…] I interpret corporate culture as partly the principle itself (or, more realistically, the interrelated principles that the organization employs) and partly the means by which the principle is communicated to hierarchical inferiors (so they can monitor its application) and hierarchical superiors (so they can apply it faithfully). It says how things are done, and how they are meant to be done in the organization.”704 Er erwähnt des Weiteren, dass Orientierungspunkte einem evolutionären Wandel unterworfen sind. „[…] it seems to me that focal points arise in part because of evolutionary fitness. A good, useful focal principle in a particular situation will tend to have had successful wide applicability in similar past situations for the individual using it. This will tend to favor principles that are more universal or broader and, of course, that are clearer in a particular context.”705 Damit weist Kreps auf zwei weitere Elemente von Unternehmenskultur hin: Zum einen zeigt er auf, dass das tatsächliche Handeln der Organisation einen maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmenskultur hat; zum anderen, dass Orientierungspunkte einer ideologischen Evolution unterworfen sind. Organisationsmitglieder beobachten die Effektivität und Effizienz von Orientierungspunkten in ihrer Anwendung im betrieblichen Alltag und bilden sich im Laufe der Zeit Meinungen hierzu. Wird bei diesen sich längerfristig vollziehenden 702
„Ex post unambiguity […] is the sine qua non [Hervorhebung im Original, TB].” Kreps (1990/1995), S. 125. „[…] it may be more important that uniqueness avoids ambiguousness.” Schelling (1960/1968), S. 58. 704 Kreps (1990/1995), S. 93. 705 Kreps (1990/1995), S. 122. 703
188
Beobachtungen Handlungsbedarf entdeckt, kann dieser durch „praktische Einübung“ in der täglichen Arbeit umgesetzt werden. Dies bedeutet, dass alte Orientierungspunkte allmählich verworfen und durch neue Orientierungspunkte substituiert werden. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass es sich um einen evolutionären und keinen konstruktivistischen Prozess handelt. Nachfolgend soll diskutiert werden, wie von Organisationsmitgliedern geteilte Überzeugungen Einfluss auf die Gültigkeit und Evolution von Orientierungspunkten nehmen.
5.3.2.2 Geteilte mentale Modelle Um die Komplexität der betrieblichen Realität angesichts beschränkter individueller Informationsverarbeitungskapazitäten
sinnvoll
zu
verarbeiten,
verwenden
Organisationsmitglieder mentale Modelle zur Komplexitätsreduktion. Diese helfen ihnen dabei, ihre Umwelt zu erfassen und zu verstehen, indem sie Informationen filtern und eine Art „Algorithmus“ zur Verarbeitung wahrgenommener Informationen bereitstellen. „[…] mental models are the internal representations that individual cognitive systems create to interpret the environment”.706 Mentale Modelle bilden somit eine Art „Brille“, durch welche Akteure ihre Umwelt erfassen; dadurch helfen sie ihnen, darüber mit anderen Akteuren zu kommunizieren und eine aus ihrer Sicht geeignete Reaktion auf Umweltimpulse zu definieren.707 „Mental models organize the empirical world and thus organize interpretations, communication, and behavior.”708 Die Ausprägung der mentalen Modelle eines Akteurs ist insbesondere von dessen individuellen Erfahrungen bei Interaktionen mit seiner Umwelt abhängig. Diese Erfahrungen können sich sowohl auf seine physische als auch auf die soziokulturelle Umgebung beziehen. Aufgrund der individuellen Unterschiede in Bezug auf die materiellen und sozialen Parameter ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die mentalen Modelle unterschiedlicher Personen niemals deckungsgleich sind.709 Organisationsmitglieder nehmen ihre Umwelt – jeweils in Abhängigkeit von ihrer Position im Unternehmen, von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit, von ihrer Ausbildung und von zahlreichen anderen Faktoren – unterschiedlich wahr. So hat
706
Denzau/North (1994), S. 4. Vgl. Suchanek (2004), S. 195. 708 Richards (2001), S. 260. 709 „In fact, no two individuals have exactly the same experiences and accordingly each individual has to some degree unique percepitions of the world.” Denzau/North (1994), S. 14. 707
189
ein junger Ingenieur wahrscheinlich eine andere Sichtweise auf Probleme und deren Lösung als ein langjähriger Mitarbeiter der Controlling-Abteilung.
Die mentalen Modelle eines Akteurs unterliegen aufgrund ihrer Interaktionsabhängigkeit einem permanenten Änderungsprozess; sie sind demnach als dynamisch aufzufassen. Entsprechen gemachte Erfahrungen den „Vorhersagen“ eines Modells bzw. ist dieses in der Lage, die Realität in konsistenter Weise abzubilden, so wird das mentale Modell durch Feedback gestärkt. Umgekehrt verhält es sich, wenn das Modell nicht in der Lage ist, Erfahrungen und Beobachtungen in konsistenter Weise zu erklären. In diesem Fall wird das mentale Modell modifiziert oder durch ein neues abgelöst.710 Dieser Prozess des Lernens und der Evolution mentaler Modelle vollzieht sich relativ langsam. Ein wesentlicher Bestandteil der Weiterentwicklung bzw. Modifikation mentaler Modelle ist dementsprechend der Austausch über diese mit anderen Akteuren. Wenn relevante Teile der mentalen Modelle der an einer Interaktion beteiligten Akteure übereinstimmen, steigt auf der einen Seite die prinzipielle Bereitschaft der Akteure zum Eingehen dieser Interaktion, während auf der anderen Seite der zu ihrem Gelingen notwendige Koordinationsaufwand sinkt.
Die
ausgetauschten
Informationen
betreffen
insbesondere
Strukturen
zur
Informationsverarbeitung. Der wiederholte Austausch hat zur Folge, dass die Akteure die Umwelt in einer zunehmend ähnlicheren Weise wahrnehmen.
Werden auf diese Weise Teile der mentalen Modelle verschiedener Akteure schließlich synchronisiert, kann von geteilten mentalen Modellen („shared mental models“) gesprochen werden. In einem Unternehmen tragen solche geteilten, d. h. gemeinsamen, Überzeugungen maßgeblich zur Senkung der innerbetrieblichen Transaktionskosten bei, indem sie Informationskosten reduzieren und zur Überwindung von Anreizproblemen beitragen.711 Ein Faktor, der den Austausch und Transfer von Denkstrukturen deutlich vereinfacht, ist ein gemeinsamer kultureller Hintergrund. „The cultural heritage provides a means of reducing
710
Vgl. Denzau/North (1994); S. 13.
711
Der Beitrag von geteilten mentalen Modellen zur Überwindung von Anreizproblemen kann anhand des spieltheoretischen Konstrukts „stag hunt game“ illustriert werden. Nur wenn die beiden Beteiligten sich darauf verlassen können, dass ihr Interaktionspartner ebenfalls ein Verständnis für die Logik der spezifischen Interaktionssituation hat, werden sie bereit sein, die zur Realisierung des Pareto-Optimums führende Strategie zu wählen. Anderenfalls wird Unsicherheit dafür sorgen, dass beide Akteure sich für eine paretoinferiore, aber risikodominante Strategie entscheiden. Vgl. Skyrms (2004), S. 3.
190
the divergence in mental models that people in a society have and also constitutes a means for the intergenerational transfer of unifying perceptions.”712 Finden geteilte mentale Modelle durch weitere Kommunikation stärkere Verbreitung, kommen sie schließlich in Ideologien und Institutionen zum Ausdruck.713 Für die Unternehmenskultur sind dabei Orientierungspunkte von besonderer Bedeutung. Sie können als Ergebnis mentaler Modelle betrachtet werden. Ihre koordinierende Wirkung in Interaktionen ist maßgeblich davon abhängig, inwieweit das dem Orientierungspunkt zugrundeliegende mentale Modell vom Interaktionspartner geteilt wird. Umgekehrt kann die erfolgreiche Anwendung von Orientierungspunkten mentale Modelle bestätigen und verfestigen. Sie tragen somit dazu bei, die Wahrnehmung der betrieblichen Umwelt durch die Organisationsmitglieder
noch
stärker
zu
synchronisieren,
so
dass
zwischen
Orientierungspunkten und mentalen Modellen eine Wechselwirkung unterstellt werden kann. Nachfolgend werden diese Interdependenzen in einem institutionenökonomischen Modell von Unternehmenskultur zusammengefasst.
5.3.2.3 Institutionenökonomisches Modell der Unternehmenskultur Das institutionenökonomische Modell zur Erklärung der Förderung von Koordination und Kooperation zwischen den Organisationsmitgliedern über die informelle Institution Unternehmenskultur umfasst die drei Elemente Orientierungspunkte, geteilte mentale Modelle und Handlungsmuster.
Abbildung 17: Elemente der informellen Institution Unternehmenskultur; Quelle: Eigene Darstellung.
712 713
Denzau/North (1994), S. 15. Vgl. Denzau/North (1994), S. 4; S. 20.
191
Der Ausgangspunkt eines institutionenökonomischen Modells von Unternehmenskultur ist ein von der Mehrheit der Organisationsmitglieder geteiltes mentales Modell.714 Die Anzahl und die Stärke der von allen Organisationsmitgliedern geteilten Überzeugungen und Denkmuster sind die Parameter, die darüber entscheiden, in welchem Umfang eine Organisation in der Lage ist, Orientierungspunkte zur Förderung der innerbetrieblichen Koordination und Kooperation zu bilden. Die
Orientierungspunkte
können
als
wichtigstes
Element
der
Institution
Unternehmenskultur aufgefasst werden. An ihnen lässt sich die Kultur eines Unternehmens am ehesten erfassen. Sie sind Ausdruck eines von den Organisationsmitgliedern geteilten mentalen Modells und somit prägend für die Handlungsmuster der Mitarbeiter im betrieblichen Alltag. Die Organisation lässt sich demnach anhand der Orientierungspunkte, die beim Handeln ihrer Mitglieder Anwendung finden, charakterisieren.715 Die Stärke einer Unternehmenskultur kann an der Stärke der Wirkung gemessen werden, die die Orientierungspunkte im betrieblichen Alltag ausüben. Eine starke Wirkung kann Orientierungspunkten dann unterstellt werden, wenn sie trotz einer hohen Abstraktheit einen umfassenden Einfluss auf die Handlungsmuster der Organisationsmitglieder in verschiedenen Interaktionssituationen ausüben. Beispiele für wirksame Orientierungspunkte sind die Slogans deutscher Automobilhersteller wie „Vorsprung durch Technik“ (Audi) oder „Aus Freude am Fahren“ (BMW). Obwohl diese Leitsprüche zunächst für Werbezwecke entwickelt worden waren, entfalten sie auch innerbetrieblich eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung für die Handlungsmuster der Mitarbeiter. So ist in den beiden genannten Unternehmen von einem Primat der Technik gegenüber kaufmännischen Belangen auszugehen.
Dem Konzept der Unternehmenskultur liegt trotz der beschriebenen Abhängigkeiten kein monokausaler Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zugrunde. Vielmehr stehen geteilte mentale Modelle, Orientierungspunkte und Handlungsmuster in einer Wechselwirkung zueinander. Erweist sich in einer Konfliktsituation ein aus einem Orientierungspunkt abgeleitetes Handlungssignal als zielführend, erfährt der Orientierungspunkt dadurch Bestätigung. Dies ist für alle an der Interaktion beteiligten Akteure ein Signal, dass auf dessen Geltung vertraut werden kann. Wird ein Orientierungspunkt wiederholt bestätigt, führt dies auch dazu, dass das
714 715
Vgl. Jäger (2004), S. 140. Vgl. Jäger (2004), S. 139.
192
mentale Modell, auf welchem der Orientierungspunkt basiert, ebenfalls bestätigt wird.716 Als Konsequenz kann sich ein neuer Orientierungspunkt herausbilden, der das mentale Modell noch stärker als der vorherige repräsentiert. Wird umgekehrt im betrieblichen Alltag das von einem Orientierungspunkt ausgehende Handlungssignal durch Mitarbeiter oder das Management ignoriert oder explizit dagegen verstoßen, verliert der Orientierungspunkt an Reputation und damit an Signalwirkung. Dies kann dazu führen, dass er im Laufe der Zeit modifiziert oder durch einen anderen Orientierungspunkt abgelöst wird. Sind gleich mehrere von einem mentalen Modell ausgehende Orientierungspunkte von Nichtanwendung bzw. -akzeptanz betroffen, kann das entsprechende mentale Modell in der Folge modifiziert oder gänzlich in Frage gestellt werden.
5.3.3 Kritische Loyalität als Teil der Unternehmenskultur Nachdem im vorausgegangen Kapitel die Grundzüge einer institutionenökonomischen Unternehmenskultur dargelegt wurden, soll nun die Art und Weise diskutiert werden, in der eine Unternehmenskultur gestaltet werden kann, damit von ihr gezielt Anreize zur Förderung von institutionalisiertem internem Whistleblowing ausgehen. Von zentraler Bedeutung hierfür ist eine kritische, aber gleichzeitig loyale Einstellung der Organisationsmitglieder zur Organisation. In Kapitel 5.3.3.1 wird dementsprechend der Begriff der „kritischen Loyalität“ präzisiert. Anschließend wird untersucht, wie kritische Loyalität als geteiltes mentales Modell der Organisationsmitglieder – und somit auch die Bereitschaft zum unternehmensinternes Whistleblowing – gefördert werden kann. Von entscheidender Bedeutung hierfür sind die Signale, die vom Handeln der Organisationsmitglieder ausgehen. Dies betrifft das Handeln und die Entscheidungen sowohl von Führungskräften als auch von sonstigen Mitarbeitern (5.3.3.2). Haben diese Signale über längere Zeit Bestand, tragen sie maßgeblich zur Bildung von
Orientierungspunkten
bei,
welche
Organisationsmitgliedern forcieren (5.3.3.3).
716
Vgl. Jäger (2004), S. 140.
ein
kritisch-loyales
Verhalten
unter
den
193
5.3.3.1 Begriff der kritischen Loyalität Eine Unternehmenskultur, in der Whistleblowing nicht als unerwünschte Verhaltensweise, sondern als loyales Verhalten von Mitarbeitern gegenüber dem Unternehmen verstanden wird, zeichnet sich durch kritische Loyalität gegenüber dem Unternehmen aus. Nachfolgend soll daher dargelegt werden, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Der Begriff „kritische Loyalität“ findet sich u. a. bei Suchanek (2003): „[…] kritische Loyalität meint die Eigenschaft von Mitarbeitern, grundsätzlich gegenüber dem Unternehmen loyal zu sein, jedoch ein kritisches Gespür dafür zu behalten, dass es in Unternehmen zu Fehlentwicklungen und Missständen kommen kann, die es möglichst frühzeitig zu bemerken und korrigieren gilt.“717 Kritische Loyalität verlangt vom Mitarbeiter Wachsamkeit gegenüber potenziellem Fehlverhalten
im
Unternehmen
sowie
die
Bereitschaft,
entdecktes
Fehlverhalten
offenzulegen. Bei der Offenlegung von Fehlverhalten wird jedoch vom Mitarbeiter erwartet, dass er Rücksicht auf die Belange des Unternehmens nimmt und seine Beobachtung intern kommuniziert, so dass sein Arbeitgeber die Möglichkeit hat, unter Ausschluss von Öffentlichkeit, Strafverfolgungs- oder Aufsichtsbehörden auf die Vorkommnisse zu reagieren. Um eine solche kritische Loyalität zum Bestandteil der Unternehmenskultur zu machen, d. h. sie als Teil des von den Organisationsmitgliedern geteilten mentalen Modells zu etablieren,
sind
geeignete
Handlungsmuster
der
Organisationsmitglieder
sowie
Orientierungspunkte zu etablieren. Nur wenn Mitarbeiter wahrnehmen, dass zwischen den im Unternehmen vorherrschenden Handlungsmustern und Orientierungspunkten und dem geforderten kritisch-loyalen Verhalten eine Anreizkompatibilität gewährleistet ist, werden sie bereit sein, solche Ansprüche an ihr Verhalten im betrieblichen Alltag gelten zu lassen und entsprechend zu handeln. Kritische Loyalität unter den Mitarbeitern kann dabei zur Folge haben, dass Fehlverhalten zum Vorteil des Unternehmens schneller entdeckt und unterbunden wird. Gleichermaßen kann auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Fehlverhalten gesenkt werden, denn die erhöhte Bereitschaft von Mitarbeitern zum internen Whistleblowing steigert die
717
Suchanek (2003), S. 19. Der Begriff „kritische Loyalität“ findet sich unterschiedlich definiert bei Ulrich (1993), S. 247 und Leisinger (2003), S. 23. Letzterer definiert sie als „Loyalität gegenüber übergeordneten Interessen“ und Pflicht zum Widerspruch gegen signifikante Missstände.
194
Wahrscheinlichkeit, dass rechtswidriges oder grob unethisches Verhalten gar nicht erst begangen wird.718
Eine grundlegende Voraussetzung dafür, kritische Loyalität als einen Teil der Unternehmenskultur zu etablieren, ist eine konsistente Ausgestaltung von formellen und informellen Institutionen. Diverse Anforderungen an die effektive Ausgestaltung formeller Institutionen zur Förderung von Whistleblowing wurden in Kapitel 5.2 bereits diskutiert. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend aufgezeigt, durch welche Maßnahmen die Unternehmensführung die Kultur eines Unternehmens in diese Richtung beeinflussen kann.719
5.3.3.2 Förderung kritischer Loyalität durch organisationsinterne Verhaltensweisen Die Förderung von kritischer Loyalität durch das innerbetriebliche Handeln der Organisationsmitglieder kann sowohl auf Ebene der Führungskräfte (a) als auch auf Ebene der sonstigen Mitarbeiter (b) erfolgen. (a) Verhaltensweisen von Führungskräften Den wohl höchsten Einfluss auf die Kultur einer Organisation haben deren Führungskräfte; durch ihr Verhalten können sie auf die Art der Unternehmenskultur einwirken, die sich langfristig in einer Organisation etabliert.720 „The example set by senior managers is […] vitally important. […] It is a message that most of them [employees, TB] probably want to hear.”721 C. Menzies (2006) etwa führt aus: „Der 'Tone at the Top' ist […] ein normatives Instrument der Unternehmensleitung zur Etablierung einer angestrebten Kultur im Unternehmen.“722 Durch ihre exponierte Position im Unternehmen werden die Führungskräfte von Mitarbeitern oft als Referenzgruppe in Bezug auf deren eigenen Umgang mit
718
„[…] a potential perpetrator of a fraudulent act is less likely to proceed if prospects of being reported are increased.” Hooks et al. (1994), S. 89. 719 Die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Unternehmenskultur gezielt beeinflusst werden kann, ist in der Literatur umstritten. Siehe beispielhaft hierzu Jacobsen (1996), S. 133–136 sowie Schmid (1995), S. 42–45. Im Rahmen des zugrunde gelegten Ansatz einer institutionenökonomischen Unternehmenskultur wird jedoch angenommen, dass durch gezieltes Handeln, d. h. durch das Signalisieren von Handlungsmustern, auf die Etablierung von Orientierungspunkten und somit auf die allmähliche Änderung eines von den Organisationsmitgliedern geteilten mentalen Modells hingewirkt werden kann. Vgl. Suchanek (2001/2007), S. 121. 720 Vgl. Laczniak/Murphy (1991), S. 268; Leisinger (2003), S. 176; Trevino et al. (1999), S. 136. 721 Gellerman (1989), S. 73 f. 722 Menzies (2006), S. 340.
195 723
Whistleblowing und ihre Einschätzung dieses Themas herangezogen.
„The organization's
culture […] will either support or dissuade employee whistleblowing behaviors. Leadership behavior is a key determinant of employee perceptions and beliefs.”724 Identisch auch die OECD (2000): „A whistleblowing culture cannot succeed without a strong and clear signal from the very top of the organization.”725 Der
Grund
für
den
entscheidenden
Einfluss
der
Führungskräfte
auf
die
Unternehmenskultur kann darin gesehen werden, dass Führungskräfte einen hohen diskretionären Handlungs- und Entscheidungsspielraum über das Setzen positiver und negativer Anreize haben. So entscheiden sie darüber, ob ihnen unterstellte Mitarbeiter für ihr Verhalten im Einzelfall oder längerfristig durch Beförderungen oder Prämien belohnt oder auf verschiedene Weise sanktioniert werden. Ihr unmittelbares eigenes Handeln sowie die von ihnen getroffenen Entscheidungen können als Signale aufgefasst werden, die Mitarbeitern mitteilen, welche Art von Verhalten im Unternehmen erwartet und gewünscht wird.726 „Supervisors are responsible for rewards and punishments and they carry the message of how things are really done in the organization.“727 Um bei den Mitarbeitern ein in Bezug auf Fehlverhalten kritisches und demnach der Organisation gegenüber loyales Verhalten zu fördern, müssen die vom Verhalten und den Entscheidungen der Organisationsführung ausgehenden Signale und Anreize konsistent mit dieser Bestrebung sein.728 Das mit Abstand wichtigste Signal, welches vom Verhalten des Managements zur Förderung von unternehmensinternem Whistleblowing ausgehen muss, ist, dass dieses die erhaltenen Hinweise auf Fehlverhalten ernst nimmt und entsprechend bereit ist, dieses Verhalten durch unverzügliches Handeln abzustellen.729 Organisationsmitglieder werden nur dann auf Dauer bereit sein, Hinweise auf Fehlverhalten zu kommunizieren, wenn sie 723
Vgl. Leisinger (2003), S. 180. Parker (2002) kommt zu einem analogen Schluss für den Erfolg eines Compliance-Programms. Ebenda, S. 50–52 mit weiteren Literaturverweisen. Vgl. auch Buff (2000), S. 80 f. ebenfalls mit weiteren Literaturverweisen. 724 Berry (2004), S. 4. 725 OECD (2000), S. 17. 726 Vgl. Hungenberg/Wulf (2004/2007), S. 104. 727 Trevino et al. (1999), S. 142. 728 „Employees will compare the organization's espoused values with organizational behavior. […] The most powerful strategy that can be relied upon to faciliate credibility, […] is attending to and monitoring congruence […]. The role of leadership is central to this strategy.” Berry (2004), S. 5. 729 Eine Untersuchung von J. Keenan (1988) unter 139 amerikanischen Managern ergab, dass 51 % von diesen die wichtigste Maßnahme zur Förderung unternehmensinternen Whistleblowings in der Beseitigung des jeweils beanstandeten Problems sahen. Danach folgten mit einigem Abstand andere formelle oder informelle
196
berechtigterweise erwarten können, dass das Fehlverhalten als Folge ihres Handelns (die Richtigkeit der Hinweise vorausgesetzt) unterbunden wird und daraus ein Nutzen für die Organisation bzw. für sie selbst resultiert.730 Der von einem potenziellen Whistleblower erwartete Nutzen seines Handelns kann in die Faktoren „Nutzen aus Abstellen des Fehlverhaltens“ und „Wahrscheinlichkeit des Eintreffens dieses Nutzens“ unterteilt werden. Beide Faktoren sind multiplikativ verknüpft. Auf den Nutzen aus der Abstellung des Fehlverhaltens, der primär von dessen Art und Umfang abhängig ist, kann die Unternehmensführung keinen unmittelbaren Einfluss nehmen. Aufgrund der multiplikativen Verknüpfung der beiden Faktoren kann sie jedoch den erwarteten Nutzen beeinflussen, indem sie sicherstellt bzw. für eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sorgt, dass tatsächlich vorhandenes Fehlverhalten abgestellt wird. 731
Neben diesen expliziten Signalen sind auch die impliziten Signale, die vom Verhalten von Führungskräften ausgehen, von großer Bedeutung für die Förderung unternehmensinternen Whistleblowings. Betrachtet die Unternehmensführung internes Whistleblowing (im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen) als potenzielle Gefahr für das Unternehmen oder sehen einzelne Führungskräfte dadurch ihre Autorität gefährdet, gehen von deren Verhalten entsprechend negative Signale an die Mitarbeiter aus. Um nicht gegen die impliziten Erwartungen der Unternehmensführung zu verstoßen und als illoyaler Mitarbeiter dargestellt zu werden bzw. um die eigene Karriere nicht zu gefährden, werden Mitarbeiter unter diesen Umständen kaum bereit sein, ihnen möglicherweise vorliegendes Wissen über Fehlverhalten offenzulegen. Nur wenn Mitarbeiter „einen Verdacht äußern können, ohne fürchten zu müssen, als Denunziant dazustehen“732, werden sie bereit sein, Informationen über Fehlverhalten zu kommunizieren. Hierfür ist es zunächst erforderlich, dass Manager, die internem Whistleblowing sehr kritisch gegenüber stehen, lernen, Whistleblower nicht als Denunzianten, sondern als Maßnahmen wie die Möglichkeit zum anonymen Whistleblowing (13 %) sowie der Schutz vor Vergeltung oder die Akzeptanz von Kollegen (jeweils 10 %). Ebenda, S. 249. 730 Vgl. Schmidt (2005), S. 159. 731 Withey and Cooper (1989) weisen darauf hin, dass für das Handeln von Organisationsmitgliedern neben den Kosten des Handelns und der Wahrscheinlichkeit, durch ihr Handeln eine Veränderung des bestehenden Zustands herbeizuführen, u. a. auch eine ehemals bestehende Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz einen hohen Einfluss hat. Vgl. ebenda, S. 522; S. 530–534. Allerdings legen die publizierten Daten die Vermutung nahe, dass Organisationsmitglieder die ehemals bestehende Zufriedenheit mit ihrem Arbeitsplatz auch als Indikator für den potenziellen Erfolg eines Handelns heranziehen. Des Weiteren kann die Wiederherstellung der Zufriedenheit am Arbeitsplatz als ein aus dem Handeln erwarteter Nutzen abgebildet werden.
197
wertvolle, verlässliche Mitarbeiter zu betrachten, die im nachhaltigen Interesse des Unternehmens handeln. Zum gleichen Ergebnis gelangen auch M. Miceli und J. Near (1994a): „[…] it is time for managers to see that many whistleblowers can be a value resource. If they are viewed as committed employees who can provide useful information and solutions to problems, managers can take actions in many ways that benefit their companies.”733 In einem nächsten Schritt muss den Mitarbeitern glaubhaft signalisiert werden, dass internes Whistleblowing ein im Unternehmen erwünschtes Verhalten darstellt. Diese Einforderung eines kritisch-loyalen Verhaltens kann z. B. dadurch erreicht werden, dass Führungskräfte ihnen zugeordnete Mitarbeiter für Schulungen freistellen und somit erhebliche Ressourcen auf die Vermittlung erwünschter Verhaltensweisen verwenden. Der Einsatz umfangreicher Ressourcen in Form von Mitarbeiterstunden oder Kosten für externe Trainer kann von den Mitarbeitern als implizites Signal dafür gewertet werden, dass die Organisation aus diesen Investitionen einen entsprechenden Nutzen erwartet und die Befolgung des vermittelten Verhaltens folglich gewünscht ist. Ein solches Signal besitzt aus Sicht der Mitarbeiter eine hohe Glaubwürdigkeit, da der hohe Ressourceneinsatz zur Förderung von internem Whistleblowing für das Unternehmen eine hohe Investition darstellt. Würde eine Führungskraft gegen die von der Unternehmensführung eingeführten Prinzipien verstoßen, wäre eine solche Investitionen plötzlich wertlos.
Nachdem auf diesem Wege Mitarbeitern gegenüber die Erwünschtheit von internem Whistleblowing signalisiert und Informationsprobleme beseitigt werden, gilt es nun, ein solches Verhalten auch durch Anreize zu fördern. Dies umfasst sowohl die Vermeidung negativer als auch das Setzen positiver Anreize. Als Vermeidung negativer Anreize kann betrachtet werden, dass Mitarbeiter für das Offenlegen illegaler Verhaltensweisen von Führungskräften nicht sanktioniert werden. Dies erfordert, dass gegenüber Mitarbeitern, die Informationen über unerwünschtes Verhalten offengelegt haben, seitens der Organisationsführung keine Verhaltensänderung stattfindet, die in der Wahrnehmung des Whistleblowers als negativ aufgefasst werden könnte. Es ist allerdings fraglich, inwiefern solche auf die bloße Vermeidung negativer Anreize ausgelegten Anstrengungen unter den Mitarbeitern eine umfassende Förderung von Whistleblowing
732 733
Terpitz (2007), S. 1. Miceli/Near (1994a), S. 70.
198
erreichen können.734 Schließlich wird bei der Vermeidung negativer Anreize lediglich darauf geachtet, dem Whistleblower keine Kosten für sein Verhalten aufzuerlegen. Dies kann zwar für
einen
Teil
der
Mitarbeiter
in
Kombination
mit
weiteren,
insbesondere
organisationsexternen positiven Anreizen (wie z. B. Anerkennung aus dem sozialen Umfeld, einem stärkeren Selbstbewusstsein oder einer höheren Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit) einen ausreichenden Anreiz darstellen, Informationen über Fehlverhalten mitzuteilen.735 Um jedoch unter allen Organisationsmitgliedern eine Einstellung der kritischen Loyalität zu fördern, scheint es erforderlich, dass die Organisationsführung durch die Schaffung zusätzlicher positiver Anreize bewusst auf ein solches Verhalten hinwirkt. „[…] organizational leaders demonstrate what is important by rewarding valued behaviors.”736 Sofern dies nicht bereits durch formelle Institutionen wie etwa entsprechende Richtlinien zur Leistungsbewertung geschehen ist, kann die Whistleblowing-Bereitschaft eines Mitarbeiters z. B. bei Beförderungsentscheidungen oder bei der Festlegung eines Jahresbonus berücksichtigt werden.737 Diese Einbeziehung des kritisch-loyalen Verhaltens setzt neben einer deutlichen Signalwirkung auch dahingehend einen Anreiz, dass dieses Verhalten nicht nur erwünscht ist, sondern auch entsprechend gewürdigt wird.738 „[…] if ethical behavior is desired, the performance measurement, appraisal and reward system must be modified to account for ethical behavior.”739 Dies bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Manager, die (z. B. durch Korruptionszahlungen) ein unerwünschtes Verhalten gezeigt haben oder illegale Verhaltensweisen in ihrem Verantwortungsbereich tolerieren, nicht befördert werden. Auf diese Weise soll eine Unterminierung der Bemühungen zur Förderung einer kritischen Loyalität glaubhaft verhindert werden.
734
So äußert sich G. Rapp (2007), S. 114 f. im Zusammenhang mit den isoliert betrachteten Schutzmaßnahmen des Sarbanes-Oxley Act kritisch zur Ermutigung zum Whistleblowing, da diese Maßnahmen lediglich auf die Vermeidung von individuellen Kosten beim Whistleblowing gerichtet sind. 735 Vgl. Hooks et al. (1994), S. 92. 736 Berry (2004), S. 5. 737 So kann z. B. im Rahmen der Festlegung der Ziele für die persönliche Weiterentwicklung von Führungskräften das Ziel „Förderung von ethischem und integrem Verhalten im eigenen Verantwortungsbereich“ vereinbart werden. Als Beurteilungsmaßstab zur Zielerreichung können dann etwa die Ergebnisse eines Prüfberichtes im Rahmen einer Überprüfung des Bereichs durch die Interne Revision herangezogen werden. 738 „[…] if an employee believes that she is being rewarded for the means of achieving a result, and not just the ends, she will have a more positive attitude toward following the company's code of conduct and her own ethical values.” Hess (2007), S. 1976. Vgl. auch Seubert (2005), S. 20; Thielemann (2005), S. 37; Trevino et al. (1999), S. 144. 739 Sims (1992), S. 511.
199
(b) Verhaltensweisen von Mitarbeitern Die Einstellung der Mitarbeiter zu Whistleblowing ist ein weiterer Faktor, der darüber entscheidet, ob sich in einer Organisation eine Einstellung der kritischen Loyalität als Teil der Unternehmenskultur etablieren kann. „The collective culture influences employee reflections that ultimately result in a decision to speak out, or not.”740 Auch vom Verhalten der Mitarbeiter gehen positive oder negative Signale und Anreize aus, die für die Entscheidung eines Organisationsmitglieds für oder gegen die Offenlegung von Informationen über Fehlverhalten maßgeblich sein können. Negative Anreize, die einer Entscheidung zum Whistleblowing entgegenwirken, gehen von Mitarbeitern vor allem dann aus, wenn Kollegen einem Whistleblower gegenüber informelle Vergeltung üben oder dieser im Kollegenkreis als illoyal dargestellt wird.741 Oftmals sind solche Verhaltensweisen dadurch motiviert, dass die Einrichtung von WhistleblowingSystemen als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Mitarbeitern gewertet wird.742 Um Whistleblowing zu fördern, ist es demnach erforderlich, dass solche Reaktionsweisen der Mitarbeiter antizipiert743 und durch die Organisationsführung unterbunden werden.744 Dies kann z. B. durch persönliche Gespräche erfolgen, die der Compliance-Officer mit dem Whistleblower führt (sofern dieser seine Identität preisgegeben hat). Auf diese Weise kann in regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob der Whistleblower sich einer Vergeltung ausgesetzt sieht.745 Durch eine solche Überwachung im Rahmen der ComplianceArbeit kann zukünftige Vergeltung gegenüber dem Whistleblower unterbunden werden.
Vielversprechender als die Anwendung solch reaktiver Ansätze ist es, unter den Mitarbeitern Akzeptanz für institutionalisiertes Whistleblowing zu schaffen. Von dieser ist insbesondere dann auszugehen, wenn internes Whistleblowing nicht als Loyalitätsbruch, sondern gerade als Ausdruck von Loyalität gegenüber Unternehmen und Kollegen aufgefasst wird.746 740
Berry (2004), S. 2. Vgl. auch Trevino/Victor (1992), S. 39. „Even where these obstacles [fear of reprisals, TB] are overcome or reduced, the whistleblower will fear that he or she will be labelled as disloyal by the generality of colleagues.” OECD (2000), S. 14. 742 Vgl. Bussmann (2007), S. 17. 743 Vgl. Trevino/Victor (1992), S. 39. 744 „If employee norms in the organization suggest whistleblowers are disloyal, ‚tattlers’, or ‚narks’, the organization must not allow perpetuation of these perspectives.” Berry (2004), S. 6. Vgl. auch Seubert (2005), S. 22. 745 Vgl. Schönefeldt (2005), S. 39. 746 Vgl. Keenan (1988), S. 249. 741
200
Dies ist dann der Fall, wenn die Offenlegung von illegalem Verhalten in der Organisation in deren Interesse liegt. „Peer reporting may then be defined as a way of protecting the group and its interests rather than a way of harming the group.”747 Unter den Mitarbeitern ist also ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht Whistleblowing, sondern rechtswidriges oder grob unethisches Verhalten den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens gefährdet. Auf diese Weise kann sich unter den Mitarbeitern eine positive Einstellung zur Förderung internen Whistleblowings etablieren748 und dessen Akzeptanz durch die Belegschaft gewährleistet werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass ein Klima des gegenseitigen Misstrauens geschürt wird. Das Handeln der Unternehmensführung muss folglich darauf abzielen, durch akzeptierte Kontrollen Vertrauen im Unternehmen zu etablieren. Um einen solchen Zustand herbeizuführen, ist es lohnenswert, im Unternehmen über die Absichten und Ziele eines Whistleblowing-Systems aufzuklären; die Unternehmensführung muss dessen Einführung stichhaltig begründen und umfassend kommunizieren. Zielführend ist
insbesondere
die
Aufklärung
darüber,
dass 749
existenzbedrohende Folgen für das Unternehmen haben
Fehlverhalten
im
Extremfall
und Entlassungen von Mitarbeitern
nach sich ziehen kann. „[…] the organization should ensure employees are in a position to identify the potential consequences of ethical, compliance and legal breaches, including opportunity costs and harm to the organization, its reputation, and stakeholders.”750 Angesichts der Vorteile des Verhaltens kritischer Loyalität für die Organisation und ihre Mitglieder und entsprechend der dargelegten Konzeption einer institutionenökonomischen Unternehmenskultur ist davon auszugehen, dass sich aus kritisch-loyalem Verhalten allmählich entsprechende Orientierungspunkte zum Umgang mit beobachtetem illegalem Verhalten im Unternehmen bilden. Nachfolgend werden diese Orientierungspunkte vorgestellt und analysiert.
747
Trevino/Victor (1992), S. 41. Vgl. Trevino/Victor (1992), S. 51. 749 So können z. B. bei Kartellabsprachen in der Europäischen Union mittlerweile Bußgelder von bis zu 10 % des Jahresumsatzes eines beteiligten Unternehmens erhoben werden. Das Bekanntwerden getroffener Kartellabsprachen kann somit insbesondere in Branchen mit geringen Umsatzrenditen existenzbedrohend sein. Vgl. Welp/Cornelius (2006), S. 130. 750 Berry (2004), S. 3. 748
201
5.3.3.3 Förderung kritischer Loyalität durch Etablierung von Orientierungspunkten Basierend auf den vorausgegangenen Überlegungen kommen drei Orientierungspunkte in Frage, deren Etablierung im betrieblichen Alltag der Förderung von kritischer Loyalität zuträglich ist. (1) Der erste zu etablierende Orientierungspunkt zur Förderung von Whistleblowing lautet: Keine
Sanktionierung
von
internen
Whistleblowern!
Damit
einem
gutgläubigen
Whistleblower gegenüber Vergeltung in jeglicher Form unterbleibt751, ist dies seitens der Organisation durch entsprechende institutionalisierte Prozesse und Aufklärung zu unterstützen und zu kontrollieren. Nur wenn einem Mitarbeiter durch Whistleblowing keine beruflichen Nachteile entstehen, wird er u. U. bereit sein, Informationen über Fehlverhalten zu kommunizieren. Ein solcher Orientierungspunkt kann daher auch als Verhaltensanweisung für vom Prozess des Whistleblowings nicht unmittelbar betroffene Organisationsmitglieder betrachtet werden, da ihre Reaktion auf vorausgegangenes Whistleblowing maßgeblich die zukünftigen Handlungsbedingungen für Whistleblowing prägt. (2) Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Strategie, die ausschließlich auf die Vermeidung negativer Anreize abzielt, lediglich als Mindestanforderung zur Förderung von Whistleblowing betrachtet werden kann. Um jedoch über diese Mindestanforderung hinaus kritische Loyalität im Unternehmen umfassend zu fördern, ist es erforderlich, positive Anreize zu schaffen. Ein hierauf abzielender Orientierungspunkt muss dafür sorgen, dass „kritische Loyalität auch honoriert und nicht sanktioniert wird“.752 Er kann somit als konsequente Weiterentwicklung des obigen Orientierungspunktes betrachtet werden. Diese Honorierung von Whistleblowing ist vor allem die Aufgabe der Organisationsleitung bzw. der Führungskräfte.753 Im Hinblick auf die vorausgegangenen Überlegungen ist eine mögliche Ausprägung eines solchen Orientierungspunktes, der mit positiven Anreizen zur Förderung von Whistleblowing arbeitet,
dass
offengelegtes,
tatsächlich
existentes
Fehlverhalten
durch
die
Unternehmensführung bzw. durch eine von ihr autorisierte Stelle, z. B. den ComplianceOfficer,
unverzüglich
unterbunden
wird.
Die
Verbalisierung
eines
solchen
Orientierungspunktes kann z. B. lauten: Keine Toleranz im Unternehmen gegenüber illegalem 751
Das „bösgläubige“ Anschwärzen von Kollegen soll davon bewusst ausgenommen werden. Suchanek (2003), S. 19. 753 „Unternehmen, welche bewusst eine gute Fehlerkultur pflegen, können von Whistleblowern als Schadenverhüter profitieren. Dies setzt jedoch voraus, dass der Überbringer schlechter Nachrichten dankbar und mit offenen Armen empfangen wird.“ Holliger-Hagmann (2007b), S. 60. 752
202
Verhalten!754 Diese Forderung mag zunächst selbstverständlich erscheinen und einfach klingen;
sie
kann
Orientierungswirkung
jedoch entfalten
bei
einer und
konsequenten damit
das
Umsetzung
beträchtliche
Kosten-Nutzen-Kalkül
von
755
Organisationsmitgliedern maßgeblich beeinflussen.
(3) Positive Anreize können auch durch bestimmte Vorschriften geschaffen werden. So kann, wie beschrieben, festgelegt werden, dass die Bereitschaft zum Whistleblowing als Ausdruck hoher Loyalität gegenüber dem Unternehmen zu interpretieren und bei Beurteilungen,
Beförderungen
oder
der
Bestimmung
variabler
Gehaltsbestandteile
entsprechend positiv zu berücksichtigen ist. Ein entsprechender Orientierungspunkt könnte lauten: Kritisches und loyales Verhalten gegenüber dem Unternehmen wird honoriert! Eine solche Festlegung ist insbesondere vor dem Hintergrund empfehlenswert, dass zur Etablierung eines Orientierungspunktes dessen Bestätigung im täglichen Handeln der Organisation von tragender Bedeutung ist. Damit diese Orientierungspunkte in Verbindung mit den entsprechenden formellen Institutionen im betrieblichen Alltag zur Geltung kommen, sind, wie in Kapitel 5.3.3.2 (a) bereits dargelegt, das Verhalten und die Kommunikation der Führungskräfte eines Unternehmens von entscheidender Bedeutung. Nur wenn das organisationsinterne Verhalten Raum für die Umsetzung dieser Orientierungspunkte lässt, kann davon ausgegangen werden, dass kritische Loyalität allmählich auch Bestandteil des von den Organisationsmitgliedern geteilten mentalen Modells wird. Von dort aus kann sie dann wiederum einen verstärkten Einfluss auf die Handlungsmuster von Mitarbeitern und Führungskräften und auf die drei Orientierungspunkte ausüben.
5.4 Zusammenfassung In Kapitel 5 wurde aufgezeigt, wie die Organisationsführung das Funktionieren interner Whistleblowing-Systeme durch das Setzen geeigneter Signale und Anreize, die von formellen oder informellen Institutionen ausgehen, gewährleisten kann. Prinzipiell liegen zwar funktionierende unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme im Interesse aller Organisationsmitglieder. Wie jedoch bereits im Rahmen der methodischen Vorüberlegungen dargelegt, kann nicht vom Vorhandensein eines gemeinsamen Interesses auf 754 755
Vgl. Fröndhoff (2006), S. 18. Vgl. Near et al. (2004), S. 230; Trevino/Weaver (2001), S. 665.
203
dessen
Verwirklichung
geschlossen
werden.
Bei
der
Einführung
eines
internen
Whistleblowing-Systems können Informations- und Anreizprobleme dessen Funktionieren entgegenwirken. So haben Mitarbeiter keine Gewissheit darüber, ob es sich bei der Einrichtung
eines
solchen
Systems
um
eine
glaubwürdige
Verpflichtung
der
Organisationsleitung zur Bekämpfung unternehmensinternen Fehlverhaltens handelt oder lediglich um eine Absicherungsmaßnahme des Managements. Letzteres kann z. B. dann der Fall sein, wenn einzelne Mitglieder der Unternehmensführung in der Vergangenheit selbst in Fehlverhalten verwickelt waren. Des Weiteren stellt sich selbst für den Fall, dass sich die Organisationsführung ernsthaft zur Unterbindung von Fehlverhalten verpflichten möchte, aus Sicht des Mitarbeiters die Frage, aus welchem Grund er Informationen über beobachtetes Fehlverhalten offenlegen sollte. Dem in der Regel geringen (direkten) eigenen Nutzen stehen oft beträchtliche potenzielle Kosten gegenüber. Zur Überwindung dieser beiden klassischen ökonomischen Probleme können sowohl formelle als auch informelle Institutionen herangezogen werden. Sowohl die funktionale Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems als
auch
die
Beeinflussung
der
Unternehmenskultur
sind
als
Maßnahmen
der
Unternehmensführung zu verstehen, durch welche das Schweigen von Mitarbeitern, denen Informationen über Fehlverhalten vorliegen, aufgelöst werden soll.
Bei der funktionalen Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems ist zu betonen, dass es sich empfiehlt, dieses mit Compliance-Bemühungen bzw. -vorschriften zu verzahnen. So können formale Aspekte der Ausgestaltung eines Whistleblowing-Systems wie z. B. die Verortung der für die Informationsaufnahme zuständigen Stelle oder die Gewährleistung von Vertraulichkeit, Anonymität und Schutz vor Vergeltung mit bereits bestehenden Stellen oder Vorschriften verbunden werden. Die informelle Förderung von Whistleblowing hat durch die Beeinflussung der Unternehmenskultur hin zu einem kritisch-loyalen Verhalten der Mitarbeiter zu erfolgen. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, Glaubwürdigkeit im entsprechenden Handeln und den Entscheidungen der Führungskräfte zu schaffen und einen Verzicht auf Vergeltung zu erreichen. Letzteres gilt auch für das Verhalten unter Kollegen. Diese Glaubwürdigkeit können Führungskräfte durch entsprechendes eigenes Verhalten (wie z. B. die konsequente und unverzügliche Unterbindung von offengelegtem Fehlverhalten) schaffen oder durch hohe Investitionen in entsprechende Schulungen signalisieren, die im Falle von eigenem Fehlverhalten allerdings wertlos würden. Zur umfassenden Förderung von Whistleblowing ist es erforderlich, Akzeptanz und Anreize für
204
ein kritisch-loyales Verhalten nicht nur unter den Führungskräften, sondern gleichermaßen bei den Mitarbeitern zu schaffen. Akzeptanz seitens der Mitarbeiter kann z. B. erreicht werden, indem diese über die möglichen ernsthaften wirtschaftlichen Konsequenzen von Fehlverhalten für das Unternehmen aufgeklärt werden. Zur Schaffung positiver Anreize ist es u. a. empfehlenswert, die Beurteilung kritisch-loyalen Verhaltens in die Bewertung von Mitarbeitern bei Beförderungsentscheidungen oder Festlegung von Boni mit einfließen zu lassen.
Auf diese Weise ergeben sich aus dem alltäglichen Handeln in einem Unternehmen Orientierungspunkte in Bezug auf die unverzügliche Unterbindung von Fehlverhalten, den Schutz vor Vergeltung sowie die Belohnung von kritisch-loyalem Verhalten gegenüber der Organisation. Diese Orientierungspunkte können bei entsprechend langfristiger Bestätigung Teil des mentalen Modells der Organisation werden. Auf diesem Wege findet die Einstellung der kritischen Loyalität Eingang in alle Ebenen der Unternehmenskultur und entsprechend auch ihren Ausdruck im Denken und Handeln von Mitarbeitern und Management.
205
6 Fazit Illegales oder unethisches Verhalten in bzw. von Unternehmen stellt für diese ein unkalkulierbares
wirtschaftliches
Risiko
dar;
hohe
Geldstrafen
und
massive
Reputationsverluste können die Folgen sein. Um dieses Risiko zu minimieren, werden erhebliche Anstrengungen unternommen, die i. d. R. von strengeren und häufigeren Kontrollen durch die Revisionsabteilung bis hin zur Einführung eines Verhaltenskodex im Unternehmen reichen. Ein in deutschen Unternehmen bisher kaum genutztes Mittel zur Unterbindung von Fehlverhalten sind Whistleblowing-Systeme. Diese geben Mitarbeitern die Möglichkeit, Hinweise auf Fehlverhalten im Unternehmen intern offenzulegen. Die Unternehmensführung kann umgehend auf diese Hinweise reagieren und damit Schaden vom Unternehmen abwenden. Unternehmen betrachten die Einführung von Whistleblowing-Systemen allerdings vielfach kritisch. So wird im Management eine damit einhergehende Verschlechterung des Betriebsklimas mit entsprechenden Auswirkungen auf die Mitarbeiterproduktivität oder der Verrat von „Betriebsgeheimnissen“ befürchtet. Mitarbeiter wiederum fürchten eine potenzielle gegenseitige Überwachung und Denunziation. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Whistleblower, die auf Risiken oder Fehlverhalten in Unternehmen hinweisen,
in
diesen
oftmals
als
„schwarze
Schafe“
betrachtet
und
durch
Unternehmensführung und Kollegen sanktioniert werden. Aus Angst vor dieser Form innerbetrieblicher Vergeltung schweigen viele Mitarbeiter, wenn sie auf Fehlverhalten im Unternehmen
aufmerksam
werden,
oder
sie
bevorzugen
es,
ihre
Hinweise
unternehmensexternen Institutionen wie z. B. Strafverfolgungsbehörden oder Medien zur Verfügung zu stellen. Beide Verhaltensweisen bringen für Unternehmen ein beträchtliches Schadenspotenzial mit sich. Angesichts dieser für Unternehmen und Whistleblower gleichermaßen unbefriedigenden Situation stellt sich die Frage, ob – und wenn ja wie – Unternehmen die Bereitschaft ihrer Mitarbeiter zur Offenlegung von Fehlverhalten produktiv nutzen können. Hierzu gilt es zunächst, Unternehmen darüber aufzuklären, weshalb die Einrichtung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme in ihrem Eigeninteresse liegt. Aus dem bloßen Vorliegen eines Interesses an einem Handeln folgt jedoch nicht notwendigerweise ein Handeln im Sinne dieses Interesses. In einem weiteren Schritt ist demnach zu analysieren, auf welche Art und Weise für Unternehmen Anreizkompatibilität zu
206
einem solchen Schritt geschaffen werden kann. Diese Betrachtung lässt sich auch auf die Organisationsmitglieder übertragen. Nur wenn die Einrichtung und Benutzung eines Whistleblowing-Systems für diese anreizkompatibel ist, lassen sich die damit verbundenen Vorteile auch realisieren.
Diese Überlegungen bilden den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Zunächst wird dementsprechend der Status quo des unternehmensinternen Umgangs mit Whistleblowing analysiert. Die Auslöser von illegalen oder unethischen Verhaltensweisen, die zu Whistleblowing führen, können institutionelle Misfits darstellen, welche in der Governance-Struktur von Unternehmen verankert sind. Das Auftreten derartiger Misfits kann zum einen dazu führen, dass ein Unternehmen auf illegales oder unethisches Verhalten angewiesen ist, um am Markt zu bestehen. Zum anderen können institutionelle Misfits Organisationsmitgliedern die Möglichkeit einräumen, Verhaltensweisen auszuüben, die massiv zu Lasten des Unternehmens gehen. Der Grund, aus dem Unternehmen bzw. die Unternehmensleitung und Kollegen des Whistleblowers mit Vergeltung reagieren, ist darin zu sehen,
dass
Whistleblowing
teilweise
als
Verletzung
der
Loyalitätspflicht
eines
Organisationsmitglieds betrachtet wird. Die Loyalität ihrer Mitglieder ist für eine Organisation von hoher Bedeutung, da sie es dieser erlaubt, die Offenheit des Arbeitsverhältnisses produktiv zu nutzen. Entsprechend wird Whistleblowing als ein Verstoß gegen diese vom Unternehmen erwartete Loyalität sanktioniert. Für
Unternehmen
ist
dieser
Umgang
mit
Whistleblowing
ein
Risikofaktor.
Unternehmerisches Handeln ist auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen; diese manifestiert sich in der Erteilung einer „licence to operate“. Verstoßen Unternehmen durch das Verschweigen von illegalem oder unethischem Verhalten gegen die an sie gerichteten Erwartungen, so droht ihnen ein Entzug ihrer „licence to operate“ durch die Gesellschaft. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass sich die Gesellschaft dazu entscheidet, durch die Schaffung geeigneter Anreize externes Whistleblowing zur Überwachung von Unternehmen zu forcieren. Gerade vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, Unternehmen die Vorteile interner Whistleblowing-Systeme aufzuzeigen. Dabei gilt es, unternehmensspezifische und kollektive Vorteile zu unterscheiden. Zu den unternehmensspezifischen Vorteilen zählen ein besserer Schutz
der
Unternehmensreputation
sowie
eine
effektivere
Verhinderung
von
unternehmensinterner Wirtschaftskriminalität. Als kollektive Vorteile gelten die Senkung der Kosten der Unternehmenskontrolle sowie die Erhaltung der Offenheit der Rahmenordnung.
207
Die geringe Verbreitung von Whistleblowing-Systemen legt jedoch die Vermutung nahe, dass die mit der Einführung interner Whistleblowing-Systeme verbundenen Vorteile vielen Unternehmen zu gering erscheinen, um die befürchteten Nachteile und Kosten zu kompensieren. Zur Überwindung dieser fehlenden Anreizkompatibilität bietet sich auf staatlicher Seite die Schaffung gesetzlicher Anreize an. An den Beispielen der „Federal Sentencing Guidelines for Organizations“ sowie des „Sarbanes-Oxley Act“ wird die Ausgestaltung solcher gesetzlicher Anreize, die auf die Einrichtung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme hinwirken, untersucht. Als zentrales Fazit hieraus lässt sich festhalten, dass die Anreize nicht nur auf die Einrichtung, sondern auch auf das Funktionieren solcher Systeme hinwirken müssen. Eine weitere Möglichkeit zur Überwindung der Anreizprobleme ist das Eingehen individueller oder kollektiver Selbstverpflichtungen, die die Einführung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems vorsehen. Die aus deren Einhaltung oder Nichteinhaltung resultierenden Auswirkungen auf die Austauschbeziehungen eines Unternehmens mit seinen Stakeholdern sind ein bedeutender Anreiz zur Umsetzung des Inhalts der Selbstverpflichtung. Ein weiterer zentraler Aspekt unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme ist darüber hinaus, dass deren Einrichtung und Nutzung nicht nur für die Organisation, sondern auch für die Organisationsmitglieder anreizkompatibel ist. Prinzipiell haben Unternehmensführung und Mitarbeiter zwar gleichermaßen Interesse an einem funktionierenden WhistleblowingSystem. Der Realisierung dieses gemeinsamen Interesses stehen jedoch Informations- und Anreizprobleme entgegen. Auf Mitarbeiterseite ist hier vor allem die Angst vor Vergeltung zu nennen, während die Unternehmensführung möglicherweise aufgrund eigener Verwicklung in Fehlverhalten in der Vergangenheit einem solchen System kritisch gegenübersteht. Diesen Anreiz- und Informationsproblemen gilt es bei der Einführung und Ausgestaltung eines unternehmensinternen Whistleblowing-Systems Rechnung zu tragen. Nur wenn dabei die Interessen der Organisationsmitglieder beachtet werden, kann davon ausgegangen werden, dass die mit der Einführung eines solchen Systems verbundenen Vorteile auch tatsächlich realisiert werden.
Es empfiehlt sich, unternehmensinterne Whistleblowing-Systeme in umfassendere Compliance-Bemühungen
einzubinden.
Formale
Faktoren
der
Ausgestaltung
eines
Whistleblowing-Systems können dadurch mit bestehenden Compliance-Vorschriften verzahnt werden. Komplementär zu den formalen Faktoren der Ausgestaltung eines WhistleblowingSystems ist auch die Einflussnahme auf die informelle Institution Unternehmenskultur von
208
entscheidender Bedeutung für dessen Akzeptanz und Funktionieren. Dabei sollte insbesondere die oberste Unternehmensführung den Mitarbeitern durch ihr Handeln und ihre Entscheidungen glaubwürdig signalisieren, dass berechtigtes internes Whistleblowing eine im Unternehmen erwünschte Verhaltensweise darstellt. Um Akzeptanz und Anreize für internes Whistleblowing zu schaffen, ist es darüber hinaus erforderlich, dass im Unternehmen entsprechende Orientierungspunkte geschaffen und gelebt werden, die auf die Förderung einer kritischen Loyalität unter den Organisationsmitgliedern hinwirken und kritische Loyalität als Teil der Unternehmenskultur etablieren.
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