Nr. 1773
Entscheidung auf Borrengold von Hubert Haensel Millionen von Galaktikern kamen in die kleine Galaxis Hirdobaan...
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Nr. 1773
Entscheidung auf Borrengold von Hubert Haensel Millionen von Galaktikern kamen in die kleine Galaxis Hirdobaan, rund 118 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Ihr einziges Ziel: Sie wollten Imprint-Waren kaufen, wollten den »Zauber der Hamamesch« spüren. Als die BASIS im Sommer 1220 Neuer Galaktischer Zeitrechnung unter dem Kommando von Perry Rhodan vor der Galaxis eintrifft, wird die Besatzung ebenfalls mit dieser Situation konfrontiert. Dann geht ein Funkspruch durch ganz Hirdobaan; alle Galaktiker können ihn empfangen. Sein Inhalt: »Es gibt Imprint-Waren für alle - kommt zu den Containerwelten«. Tausende von Raumschiffen starten zu acht Containerwelten. Dort bekommen alle Süchtigen einen merkwürdigen Würfel mit zwölf Zentimetern Kantenlänge. Seine Wirkung ist verheerend: Alle Betroffenen verschwinden spurlos ... Einige von Rhodans Begleiter werden unfreiwillig mit den Würfeln konfrontiert. Sie werden zu Phasenspringern und finden sich in einem unbekannten Kosmos wieder: in Endreddes Bezirk. Perry Rhodan sieht nur einen Ausweg aus der Misere: Er muß die Hamamesch und ihre Herrscher mit Gewalt dazu zwingen, den dreißig Millionen Galaktikern wieder die Freiheit zu schenken. Zusammen mit den Cryper-Rebellen starten die Galaktiker von der BASIS zum Angriff. Es kommt zur ENTSCHEIDUNG AUF BORRENGOLD...
Die Hauptpersonen des Romans: Julian Tifflor - Der Aktivatorträger leitet den Angriff der Galaktiker und Crypers. Icho Tolot - Der Haluter erweist sich als lebende Waffe. Arlo Rutan - Der Ertruser bringt seine Landetruppe zum Einsatz. Morran - Der Maschtar ist zuerst Jäger, dann Gejagter. Deliga - Eine Sydorrierin, die zur Mörderin wurde.
1. »Schirmfeldbelastung 80 Prozent, steigend...« »Landekoordinaten beibehalten!« befahl Arlo Rutan. »Wegen solcher Unpäßlichkeiten drehen wir nicht ab.« Was der Ertruser abfällig als »Unpäßlichkeiten« bezeichnete, waren schwere Thermo - und Desintegratorgeschütze, von deren Existenz niemand gewußt hatte. Allein über den Kontinent Staama waren 500 dieser mit Schirmfeldprojektoren kombinierten Türme verteilt. »Belastung 85 Prozent.« Rings um die Korvette tobten Sonnengluten, aber noch wurden die auftreffenden Energien abgewehrt. Sekundenlang erklang Julian Tifflors Stimme aus einem Akustikfeld, verzerrt und von Störgeräuschen überlagert. Niemand verstand, was Tifflor sagte. »Landeanflug fortsetzen!« bestimmte Rutan. »Welche Höhe haben wir?« »Die Sensoren zeichnen nicht mehr«, kam es von den Ortungen zurück. »Aber wir durchfliegen die Stratosphäre, 40 bis 45 Kilometer über Land.« Wie lange lag die Korvette inzwischen unter konzentriertem Beschuß? Eine halbe Minute, oder mehr? Die PERSEUS und die übrigen neun Schiffe der Landetruppen waren in diesem energetischen Chaos kaum auszumachen. »... 93 Prozent.« Die Außenhülle der BAS-KO-07 begann bereits zu schwingen. Bis in die Zentrale pflanzten sich die Erschütterungen fort.
Landen! hämmerte es unter Rutans Schädeldecke. Wir dürfen die Handelsfürsten nicht entkommen lassen. Ein unheilvolles Dröhnen erfüllte das Schiff. Die kontinentalen Geschützstellungen feuerten im Salventakt. ».. neu formier... wiederhole ...ückzug angeord... keine sich ...andung möglich ...« Der Ertruser grinste breit, als er antwortete: »Verstümmelten Funkspruch nicht verstanden! Um unsere Aufgabe zu erfüllen, setzen wir das Landemanöver fort. BASIS-KORVETTE-7 Ende.« Das Dröhnen steigerte sich zum Stakkato. Die Anzeige des Paratronschirms lag mittlerweile bei 98 Prozent, und selbst modernste Schiffe ertrugen über der Norm liegende Belastungen nur bis zu einem gewissen Grad. Die Geschütze auf Staama hatten eine hohe Ausgangsleistung, zudem war die Distanz denkbar gering. »Sinkgeschwindigkeit?« Arlo Rutan mußte schreien, um den Lärm zu übertönen. »Nahezu aufgezehrt«, antwortete Warren Mason, der Pilot. »Wir schaffen es nicht.« Der Rot-Alarm blinkte hektischer, die Schirmfeldbelastung stieg immer noch. »Schubleistung erhöhen!« befahl Rutan. »Wir müssen runter, egal wie.« »Wir kommen in Teufels Küche.« »Und wennschon.« Der Ertruser fixierte die eingeblendeten, rasch wechselnden Datenkolonnen. Vorübergehend zeigte sich eine Höhenmessung: 33 Kilometer. »Beginnende Überlastung! 105 Prozent - kritische Phase erreicht.« Der Paratronschirm war der einzige Schutz. Irgendwo im Hintergrund von Arlo Rutans Gedanken keimte die Frage, wie ein Tod in Sekundenschnelle wohl sein würde - doch mit einem ärgerlichen Kopf schütteln befreite er sich davon. An den eigenen Tod zu denken, das zersetzte die Kampfmoral. Die Landung war Routine, nichts Gefährliches ... Hatten die anderen Schiffe abgedreht? Der Chef der Landetruppe verstand Tifflors Rückzugsbefehl nicht. Zugegeben, das Risiko war groß geworden, aber ein Einsatz ohne Risiko war wie eine Suppe ohne Salz, fad, langweilig und "gewiß nicht der Kondition förderlich. Höhe 25 Kilometer. Das Inferno außerhalb der BAS -KO-07 pulsierte, die Aufrißfront begann sich auszuweiten. Zwischen Schirmfeld und Schiffsrumpf sprangen die ersten heftigen Entladungen über. »Paratronschirm wird instabil!« meldete der Syntron. »Fluchtbeschleunigung eingeleitet!« Mason hatte die Toleranzschwelle für die Intervention des Bordrechners hoch angesetzt; unter normalen Parametern wäre das Notfallprogramm längst aktiviert worden. Die abrupt wirksam werdende volle Beschleunigung gab den ohnehin angeschlagenen Absorbern den Rest. Während Borrengold unter dem Schiff zurückfiel, wurden hohe Andruckkräfte wirksam. 200.000 Kilometer über dem Planeten stoppte das Schiff. Der Notfallalarm blieb bestehen. Ein Hologramm zeigte zwei bewaffnete Hamamesch-Frachter, dickbäuchige Kolosse mit etwa tausend Metern Länge. Distanz rasch abnehmend. Glaubten die Mannschaften beider Schiffe, mit dem angeschlagenen Kugelraumer leichtes Spiel zu haben? »Paratron stabilisiert«, teilte die Syntronik mit. »Überrangschaltung freigegeben.« »Wo steht die BASIS?« »Von uns aus gesehen hinter Borrengold.« Warren Mason ließ eine deftige Verwünschung folgen. »Ich habe Aus fallmeldungen auf dem Schirm. Wir sollten uns jetzt keine Eskapaden erlauben.« Rutan lachte dumpf. »Ich glaube nicht, daß wir uns verstecken müssen. Geh auf Kollisionskurs!« Besorgnis stand im Gesicht des Piloten zu lesen, doch gleich darauf verwandelte sich diese Besorgnis in ein zufriedenes Grinsen. Die Frachterkapitäne hatten nicht mit einem Angriff des kleinen Kugelraumers gerechnet, ihre Reak tion zeigte Unsicherheit, ihre Schüsse waren schlecht gezielt und bedeuteten keine Gefahr. Die BAS-KO-07 raste mitten hinein in die Lücke zwischen den dicken Pötten; ihre Impuls- und Desintegratorgeschütze hämmerten in die Schirmfelder der Hamamesch, richteten aber wenig sichtbare Schäden an. Zugleich erfaßte die Ortung die PERSEUS. Julian Tiffl ors Schiff stand wesentlich näher an Borrengold und glitt soeben hinter dem Planetenrund hervor. »Worauf warten wir?« kommentierte Arlo Rutan. »Ring frei zur zweiten Runde.« * »Um in deiner Ausdrucksweise fortzufahren - das war ein klassisches K.o.« Tifflor fixierte den Ertruser über Hyperkom. »Was war los bei euch?« »Ich verstehe nicht.« Arlo Rutan, der Zweieinhalbmeterhüne mit der sichelförmigen Haarpracht, schlug
dröhnend die Fäuste aneinander. »Widrige Umstände haben uns daran gehindert, einen Befehl auszuführen. Wir konnten nicht ahnen ...« »Was soll das?« unterbrach Tifflor ärgerlich. »Mich interessiert nicht mehr, ob eines unserer Schiffe vielleicht hätte auf Staama landen können. Es geht darum, daß mein Rückzugsbefehl mißachtet wurde.« »Was bei uns ankam, war unverständlich«, behauptete der Ertruser. Timors Augenaufschlag ließ erkennen, wie wenig ihn diese Feststellung überzeugte, dennoch hakte er das Thema ab. Dem Chef des Landekommandos der BASIS eine Standpauke zu halten, war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Abgesehen davon hatte Arlo Rutan mit Vorhaltungen schon Erfahrung. Nach dem Aufbruch der BASIS mit dem Flugziel Große Leere war er von Perry selbst wegen seiner »Kriegsspiele« an Bord zurechtgewiesen worden. Aber Rutan gehörte zur Kämpferelite und befehligte eine Truppe, die sogar den Teufel aus der Hölle holen würde, sollte das je erforderlich sein. »Eine Landung wäre ohnehin nicht mehr möglich gewesen«, sagte Julian Tifflor betont. »Der gesamte Kontinent wird seit kurzem durch einen Schutzschirm abgeriegelt; fünffache Staffelung, für alle uns bekannten Waffensysteme der Hamamesch undurchdringlich. Mich wundert, daß dieser Vorgang an Bord der KO-07 offenbar übersehen wurde.« »Die Ortungsdaten liegen vor«, gestand der Pilot zähneknirschend. »Ich habe ihnen nur nicht sofort die erforderliche Bedeutung beigemessen. Mir erschien es wichtiger ...« Tifflor winkte ab. »Heldentum um jeden Preis.« Er seufzte ergeben. »Der Versuch, die Landung zu erzwingen, hätte ins Auge gehen können.« Warren Mason stemmte sich aus dem Pilotensessel hoch. »Ich weiß das und bin bereit, die Konsequenzen zu ziehen.« »Nichts wirst du«, stieß Tifflor ungehalten hervor. »Kopf und Kragen riskieren ist das eine, darüber kann man geteilter Meinung sein, aber hinterher kneifen, das halte ich für einen Mangel an Zivilcourage. - Die KO-07 zieht sich zur BASIS zurück.« »Wozu?« protestierte Rutan. »Unsere Aufgabe ist es ...« »Habe ich mich schon wieder unklar ausgedrückt?« »Natürlich nicht.« »Gut. Die MONTEGO BAY und Coram-Tills RACHES werden ebenfalls in Kürze auf der BASIS eintreffen. Lagebesprechung ist angesagt.« * Das Riffta-System war zum Schauplatz einer erbitterten Raumschlacht geworden. Tausend Regenbogenschiffe der Fermyyd hatten sich den Angreifern entgegengeworfen und banden die Rebellen in erbarmungslosem Kampf. Notrufe von Cryper-Einheiten waren drastischer Beweis für die Schlagkraft der Schutztruppe Hirdobaans. Ohne den koordinierten Einsatz der BASIS-Kreuzer und schnellen Korvetten hätten die Rebellen zweifellos höhere Anfangsverluste erlitten. »Dringender Hilferuf eines Cryper-Schiffes aus der Umlaufbahn des dritten Planeten«, meldete der Funker der BAS-KO-07. Arlo Rutan zögerte nur kurz. »Andere Einheiten stehen näher als wir«, wehrte er ab. ßekunden später erfaßten die Ortungen einen expandierenden Glutball. Der Notruf endete abrupt. Querab zur Korvette, in Entfernungen zwischen 50.000 und 100.000 Kilometern, drifteten weit mehr als hundert Raumschiffe unterschiedlichster Bauart. Überwiegend handelte es sich um Hama mesch-Frachter, aber auch Stelzmakalie-Raumer, Nischdrich-Rostschleudern und sogar, zwei schwarze Patruskee-Stäbe waren dabei. »Wie eine Herde verängstigter Schafe«, kommentierte Kain Merlo, Angehöriger von Rutans Truppe. »Sie suchen die Anonymität der Masse, anstatt zu beschleunigen und schnell zu verschwinden.« »Du vergißt, daß wir es mit dem Troß der Fürsten zu tun haben«, wandte Silo Fakata ein, weibliches Mitglied der Landungstruppe. »Vermutlich schwanken die Besatzungen zwischen Pflichtgefühl und Selbsterhaltungstrieb.« Regenbogenschiffe materialisierten vor ihnen. Die 300-Meter-Raumer der Fermyyd eröffneten sofort das Feuer. Sie wollten nach Borrengold durchbrechen. Doch die BASIS und die galaktischen Einheiten schirmten den Planeten vorzüglich ab. In der optischen Erfassung wuchsen Details der Kampfschiffe großflächig an, sogar das Flimmern ihrer Schirmfelder im Bugbereich war schon zu erkennen, hervorgerufen durch die zunehmende Materiekonzentration im planetennahen Raum. »Zielerfassung auf Punktbeschuß!«
»Bislang keine Kurskorrektur der Fermyyd.« Wollten die Panther galaktische Einheiten in Kamikaze-Manier ausschalten? Die Korvette erbebte unter dem Abschuß einer Breitseite. Aber die Schirmfelder des anvisierten Regenbogenschiffs hielten stand. »PERSEUS und HALUTA greifen ein.« Mason zog die KO-07 seitlich aus dem Kurs, ließ sie dem Planeten und der noch fernen BASIS entgegenfallen. Die syntrongesteuerte Zielerfassung ermöglichte trotz des Manövers den anhaltenden Punktbeschuß des Gegners. »Impulsgeschütze schlagen durch, Wirkungstreffer im Bugbereich!« Eine Explosion zerriß die Bugsektion des Regenbogenschiffs. In Gedanken schnelle wuchs ein riesiges glühendes Geschwür und brach in flammenden Eruptionen auf. »Warum können nicht alle Intelligenzen in Frieden miteinander leben? Das Universum hat Platz genug.« Mason lehnte sich im Sessel zurück und bedachte die in der Zentrale anwesenden Ertruser der Reihe nach mit einem durchdringenden Blick. »Den weiteren Anflug an die BASIS übernimmt die Automatik«, fügte er hinzu. Wie ein riesiger flackernder Stern hing das Trägerschiff über der Nachthälfte Borrengolds. Die BASIS lag unter dem massiven Beschuß der planetaren Geschütze. Arlo Rutan konnte sich eine herausfordernde Bemerkung nicht verkneifen. »Wir haben nicht angefangen und Millionen Individuen zu Süchtigen gemacht«, polterte er los. »Ich frage mich, wann Handelsfürsten und Maschtaren das begreifen werden.« 2.
Eine Stunde und zwanzig Minuten später: Coram-Tills Flaggschiff befand sich im Anflug auf die BASIS. Die RACHES war einem Pulk bedrängter SoltenCrypers zu Hilfe geeilt und in ein schweres Gefecht verwickelt worden, doch erst die Unterstützung mehrerer Kreuzer hatte den Rebellen die nötige Entlastung verschafft. Die erbitterte Schlacht über dem dritten Planeten tobte dessen ungeachtet unvermindert heftig weiter. »Coram-Till hat soeben die BASIS betreten«, verkündete die Kommandantin, Lugia Scinagra, aufgrund einer entsprechenden Information. »In wenigen Minuten wird er uns Rede und Antwort stehen.« Zwölf Männer und Frauen hatten sich versammelt, standen in Gruppen beieinander und diskutierten teils heftig. In den im Halbrund aufgestellten Sesseln saß noch niemand. Ein Hologramm im Mittelpunkt des Raumes informierte über das Geschehen im Riffta-System. Bildberichte und Ortungsdaten wurden überspielt, aber es hatte nicht den Anschein, als würde sich in absehbarer Zeit Entscheidendes ändern. Die Fermyyd leisteten den zahlenmäßig überlegenen Angreifern erbitterten Widerstand, gingen sogar ihrerseits zum Angriff über. »Kampf bis zum letzten Mann«, seufzte Julian Tifflor bitter. »Ich wünschte, wir könnten die Zeit um einige Tage vordrehen.« »Warum?« fragte Arlo Rutan rauh. »Meine Leute warten darauf, endlich löszuschlagen. Egal wie, aber wir haben den Sieg schon in der Tasche.« Tifflor setzte zu einer heftigen Erwide rung an, schüttelte dann jedoch ergeben den Kopf. Niemand würde den Ertruser ändern können, für den Kampf Lebensinhalt war wie für andere Essen und Trinken, Coram-Till betrat den Versammlungsraum. Moin-Art und Tolom-Nor folgten ihm. Alle drei verzichteten auf einen Sitzplatz. »Bereden wir schnell, was zu klären ist«, eröffnete Coram-Till. »In jeder Tix lassen tapfere Crypers ihr Leben. Ein hoher Preis für eure Gegenleistung.« »Noch mehr werden sterben, falls es nicht gelingt, entscheidende Vorteile zu erringen«, konterte Michael Rhodan, dessen MONTEGO BAY nicht auf der BASIS gelandet war, sondern wieder in die Kämpfe eingegriffen hatte. Er selbst hatte sich mit zwei Begleitern per Transmitter auf das Trägerschiff abstrahlen lassen. »Die angeblich hochgezüchtete galaktische Technik scheint so überlegen doch nicht zu sein.« Tolom-Nor wirkte verärgert. »Inzwischen haben wir dreißig Schiffe verloren.« »Und wir«, blieb Michael Rhodan trotz aller Hektik ruhig, »haben geglaubt, daß Coram-Till uns alles sagt, was er weiß. Leider sieht es so aus, als hätte er die wichtigsten Details eben im Vertrauen auf unsere Technik einfach >vergessen<.« Der Anführer der Ambraux-Crypers begann erregt zu schmatzen. Seine Fäuste öffneten und schlössen sich, als versuche er, etwas Unsichtbares zu greifen. »Verbündete dürfen sich nicht gegenseitig in die Strömung stoßen«, blubberte er. »Was werfen die Galaktiker mir vor? Euer Teil der Vereinbarung war es, das Oktogon zu erobern und die Handelsfür sten gefangenzunehmen. Ich stelle fest, daß das noch nicht geschehen ist.«
»Richtig«, bemerkte Talyz Tyraz schrill, der bluesche Funk- und Ortungschef. »Aber das liegt nicht an uns.« Tolom-Nor unterzog den Tellerkopf einer vorwurfsvollen Musterung. »An wem dann?« Schaumblasen traten zwischen seinen wulstigen Fischlippen hervor. Lugia Scinagra nickte dem Blue auffordernd zu. Talyz erhob sich umständlich und veränderte die holografische Projektion. Das Abbild eines Planeten erschien. Langsam drehte er sich vor den Betrachtern. »Das ist Borrengold, wie er sich unserem Landungstrupp darbot«, sagte der Blue. »Und das«, die TagNacht-Grenze verschob sich sprunghaft um einen Wert, der knapp zwei Standardstunden ent sprach, »ist die aktuelle Aufnahme, wie sie in diesem Moment von den Optiken erfaßt wird.« »Wir vergeuden Zeit.« Coram-Till zeigte sich ungeduldig. »Uns ist nicht entgangen, daß die BASIS unter schwerem Beschuß liegt. Aber eure Schirmfelder halten stand. Paktiert ihr mit den Fürsten oder mit uns Crypers? Dann gebt den Hamamesch keine Gelegenheit zur Flucht.« »Fünfhundert schwere Geschütztürme stehen allein auf Staama«, fuhr Talyz Tyraz fort, ohne auf den Vorwurf einzugehen. »Weitere tausend sind über ganz Borrengold verteilt.« »Haben die Hamamesch euch schon Verluste zugefügt?« fragte Moin-Art hastig. Die Atmosphäre wurde gereizt. »Nein«, sagte Tifflor. »Bei allen Tiefseedämonen, dann verstehen wir nicht, wieso ein solches Aufhebens ...« »Wir waren über die Abwehranlagen von Borrengold nicht ausreichend informiert. Ein derartiger Fehler macht die perfekteste Planung zu Makulatur.« »Eure Kugelschiffe - zumindest die größeren - sollten in der Lage sein, trotz des Abwehrfeuers zu landen«, bemerkte Tolom-Nor anzüglich. »Ich will noch nicht einsehen, daß wir uns wirklich in eurer Stärke getäuscht haben.« »Das Schirmfeld über Staama erschwert vieles«, sagte Arlo Rutan. Und Michael Rhodan ergänzte: »Hätten wir gewußt, was uns erwartet, wäre es leichter möglich gewesen, darauf zu reagieren. Dann wäre die momentane Si tuation nie entstanden.« »Ich wußte es nicht«, stieß Coram-Till ärgerlich hervor. Das plötzliche Miß trauen der Galaktiker kränkte ihn offenbar in seinem Stolz. Daß sie nur Gleiches mit Gleichem vergalten, fiel ihm nicht auf. »Was mir bekannt war, habe ich weitergegeben. Ihr könnt das akzeptieren oder nicht - mir ist es egal.« »Gut«, nickte Michael. »Damit kommen wir zum konstruktiven Teil. - Tyraz, du bist wieder an der Reihe.« »Danke«, sagte der Blue. »Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Ich gebe hier nur die Ergebnisse unserer Abtastungen wieder, die zum Teil durch intermittierende Störfelder behindert wurden. Insgesamt zählen wir 1500 Geschütztürme gleicher Bauart, bis zu 300 Meter durchmessend, 400 Meter hoch. Ihre Reichweite ist bekannt, der atmosphärische Streuverlust überraschend gering. Zudem bergen diese Stellungen starke Schirmfeldprojektoren. Der gesamte Kontinent Staama wird von einem nahezu undurchdringlichen Energiefeld abgeschirmt. Fünffache Staffelung. Die Präzision, mit der Strukturlücken für den rasch wechselnden Beschuß unserer Schiffe geschaffen werden, verblüfft. Das ist nicht nur Hamamesch-Technik ...« »Wir hatten keine Ahnung, daß Borrengold durch solche Anlagen gesichert ist«, zeigte sich Moin-Art betroffen. »Sag selbst - welchen Grund sollten wir haben, Verbündeten ausgerechnet diese Tatsache zu verschweigen?« »Keinen«, sagte Lugia Scinagra. »Jedenfalls keinen, den ich mir unter logischen Gesichtspunkten vorstellen könnte.« Sie ließ mit keiner Miene erkennen, was sie dachte. Ihr Gesicht wirkte starr, die leicht zusammengekniffenen Augen fixierten die Crypers. Michael Rhodan massierte sein Kinn mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. »Comme ci, comme ca«, murmelte er so leise, daß der Translator nicht übersetzte. »Ce n'est pas bien.« »Versagen eure Transformkanonen, wenn es darum geht, den kontinentalen Schutz zu durchbrechen?« Coram-Till wirkte ungehalten. Julian Tifflor erinnerte sich an Zeiten, als die halbe Milchstraße versucht hatte, das Geheimnis terranischer Transformgeschütze zu erbeuten. Er lächelte versonnen, als er antwortete: »Das ist kein Problem - nur fragt mich nicht, was danach von Staama noch übrig wäre.« »Was muß übrigbleiben?« konterte Coram-Till, und er gab auch gleich die schockierende Antwort: »Nichts die Verteidigungsanlagen müssen ein Geheimnis der Maschtaren gewesen sein, sonst hätte ich davon erfahren.« Er machte eine Pause, wie um die Wichtigkeit seiner Überlegungen herauszustellen. »Das kann nur bedeuten, daß Borrengold für die Maschtaren eine über den Zug der Herrscher hinausgehende Bedeutung hat. Deshalb halte ich es für angebracht, den Planeten nach seiner Eva kuierung komplett zu zerstören.« »Welche Bedeutung?« wollte Arlo Rutan wissen. »Das finden wir heraus, sobald wir gelandet sind«, erklang eine dröhnende Stimme vom Schott her. Icho Tolot schickte sich an, den Raum zu betreten. Er wandte sich an Tifflor. »Meine Erkundungsmission ist abgeschlossen. Sämtliche Daten liegen Cyrus Morgan zur Endauswertung vor.«
Insbesondere Tolom-Nor ließ den mächtigen Haluter nicht aus den Augen. Deshalb fühlte Julian Tifflor sich zu ei ner Erläuterung genötigt. »Icho Tolot hat sich nicht mit den anderen Schiffen aus der Atmosphäre von Borrengold zurückgezogen, sondern versucht, mehr über das Verteidigungssystem herauszufinden.« »Die Geschütze sind unbemannt und ferngelenkt«, behauptete der Haluter. »Ich konnte eine schwache Streustrahlung anmessen, vermutlich Befehlsimpulse. Die Funkpeilung reagierte deutlicher, sobald "die HALUTA beschossen wurde.« »C'est la vie«, bemerkte Michael Rhodan schulterzuckend. Tolot begann dröhnend zu lachen, brach jedoch abrupt ab, als er die schmerzverzerrten Gesichter der Crypers sah und daß sie sich die kiemenartigen Ohröffnungen zuhielten. »Entschuldigt bitte«, sagte er. »Mit der Strömung verweht«, wehrte Coram-Till großzügig ab. »Wo ist die Befehlszentrale? Im Oktogon? Dann sind Fürsten und Maschtaren noch nicht gefl ohen, und wir haben nach wie vor die Chance, sie festzusetzen.« Seinem Temperament folgend, redete er hastig, ja aufbrausend. »Bei der Silbernen Gottheit der Patruskee, ich versichere euch, daß wir kein Risiko scheuen werden. Wir bringen das Unternehmen Borrengold zu einem guten Abschluß.« * Der Chefwissenschaftler der BASIS meldete sich über Interkom. Er schürzte die Lippen, sein Blick suchte den Haluter. »Deine Daten waren hervorragend aufbereitet, Icho. Unter diesen Umständen kann ich meine Arbeit als Kinderspiel bezeichnen.« »Laß hören, Cyrus!« drängte Lugia. Der Wissenschaftler nickte knapp. »Spektral-, Streufeld und sonstige Analysen ergeben, daß das Schirmfeld über Staama außergewöhnlich widerstandsfähig ist. Ich wage die Behauptung, daß kein Waffensystem Hirdobaans die Staffelung durchdringen kann - erst länger andauernder Punktbeschuß dürfte die Struktur brechen.« »Das ist nichts grundlegend Neues«, wehrte Arlo Rutan ab. »Ein ähnliches Ergebnis hat schon der Bordsyntron unserer Korvette ausgespuckt.« »Rede ich dir drein, wie du deine Gladiatoren motivieren sollst?« protestierte Morgan. »Das möchte ich dir auch nicht geraten haben«, grollte der Ertruser. »Laß dir außerdem irgendwann von Atlan den Unterschied zwischen hochqualifizier ten Raumlandetruppen und - wie nanntest du meine Leute? - Gladiatoren erklären.« Eine gereizte Anspannung war nicht zu leugnen. Bislang war wenig erreicht worden, aber das lag nicht an der Planung. »Der Kontinent Staama wird von einem Kordon aus Geschütztürmen gesäumt«, fuhr Cyrus Morgan fort. »Auch das ist bekannt, ich erwähne es nur der Vollständigkeit halber. Interessant ist die Leistungsfähigkeit aller Geschütze. Für Angriffe aus dem All konzipiert, decken sie den gesamten Raum über Borrengold ab. Es gibt keine Schlupflöcher. Der Schutzschirm ist ebenso lückenlos. Nach den Berechnungen werden ausfallende einzelne Projektoren ohne Leistungsminderung überbrückt.« »Aber?« fragte Michael Rhodan, dem das Vibrieren in der Stimme des Wissenschaftlers keineswegs entgangen war. »Kein Aber - jedenfalls nicht in dem Sinn, daß wir vor einem unlösbaren Problem stünden. Einzig das Oktogon wird durch ein eigenes Feld geschützt. Acht innenliegende Generatoren sichern den Versammlungsort zusätzlich ab.« »Einige tausend Nicht-Hamamesch leben im nahen Umfeld des Oktogons«, erinnerte Michael Rhodan. Den Widerspruch schien Morgan geahnt zu haben, denn er hatte sofort das passende Argument parat. »Die Nebengebäude liegen innerhalb des Schirmfeldes. Niemand wird durch ablaufende Energien gefährdet.« »Niemand außer den Skatar.« Rhodan seufzte schwer. »Aber auch nur vielleicht. Ihre Siedlungen sind bisher nicht lokalisiert. Ich vermute, sie beschränken sich auf die Bergregionen.« »Wer?« echote der Chefwissenschaftler. »Die Skatar, eingeborene Intelligenzen auf Steinzeitniveau.« Cyrus Morgan brachte den Mund nicht mehr zu. »Das - wußte ich nicht«, gestand er. »Unter diesen Umständen ...« »Gib uns die restlichen Auswertungen«, bat Tifflor. Ein Hologramm entstand, das einen der Türme aus wechselnder Perspektive zeigte. Eine Vergrößerungssequenz sorgte dafür, daß das Bauwerk ausführlich betrachtet werden konnte. »Ist das alles?«
»Mehr kann ich nicht bieten, allenfalls eine Simulation der Streubereiche. Aber es gibt keine Lücke. Die Maschtaren haben Borrengold sehr gut abgeschirmt - ein toter Winkel existiert jeweils nur bis auf Geschützhöhe, also etwa 400 Meter Höhenmessung.« »Rien ne vas plus.« Mike schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Das ist doch mehr, als wir dem Stand der Dinge nach erwarten durften.« Er forderte eine geänderte Simulation an. Weitgehend flach abfallende Strande bestimmten das Bild, das von den Oberflächentastern der BASIS stammte. Im Norden des Kontinents prägten zerklüftete Steilküsten das Bild. Überwiegend standen die Geschütztürme nahe der Küste. »Wir greifen so schnell wie möglich wieder an«, entschied Michael Rhodan. »Zehn Kreuzer sollten genügen, eine Bresche in die Verteidigung zu schlagen.« »Das schaffen wir mit den Korvetten ebenfalls«, widersprach der Ertruser. »Die Feuerkraft und die Stärke der Paratronschirme werden entscheiden. Deshalb brauchen wir die Kreuzer.« Forschend blickte Mike die Crypers an. »Ein Abzug von zehn Schiffen läßt unsere Flotte nicht untergehen«, bestätigte Coram-Till. »Auch bei unserem Volk heiligt der Zweck die Mittel.« 3. 7. Oktober 1220 NGZ, 4:20 Uhr Stan dardzeit. Mittlerweile hatte die planetare Ab wehr das Feuer auf die BASIS weitgehend eingestellt. Nur noch vereinzelt schlugen Strahlbahnen in den Paratronschirm des Trägerschiffs ein. Die Kampfhandlungen mit den Fermyyd hingegen tobten unvermindert heftig. Einzig die Schiffe der Hamamesch und anderer Hirdobaan-Völker aus dem Troß der Fürsten hielten sich zurück, nachdem Rebellen mehrere fliehende Raumer in expandierende Trümmerwolken verwandelt hatten. 4:22 Uhr. Talyz Tyraz' an Bord der BASIS schon sprichwörtliche Hektik bekam neue Nahrung, als auf mehreren Hyperfunkkanälen verschlungene Logos erschienen und innerhalb von Sekunden durch drastische Aufnahmen eines zerfetzten, ausgeglühten Raumschiffswracks ersetzt wurden. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß kaum einer der Besatzung überlebt haben konnte. Nicht umsonst hatten Terraner dem Funk- und Ortungschef den Spitznamen »Dalli« verpaßt. Der TentraBlue hätte fünf oder sechs Hände gebraucht, um alles zu Ende zu führen, was er innerhalb weniger Augenblicke begann. Mit einem Ohr hörte er dem Hamamesch zu, der die Flüche und Verwünschungen einer ganzen Sterneninsel auf Galaktiker und Crypers herabregnen ließ ... »Nur den Fermyyd verdanken wir unser Leben und daß wir an dieser Stelle noch berichten können. Es ist unbeschreiblich, mit welcher Zerstörungswut die Rebellen niedermetzeln, was ihnen vor die Geschütze kommt - selbst Schiffe, deren Besatzungen sich ergeben wollten, wurden zerstrahlt. Noch schlimmer wüten die Galaktiker. Ihnen liegt nicht daran, Gefangene zu machen, sie sind im Rausch, der sich nur mit einem Tiefseekoller vergleichen läßt.« ... mit dem anderen Ohr vernahm er, daß Lugia Scinagra auf seinen dringenden Interkom-Anruf reagierte; die hastig hergestellte Verbindung zu Michael Rho dan stand, und außerdem erläuterte eine Syntronstimme die Peilergebnisse. »Wir töten keine Wehrlosen«, zirpte Talyz Tyraz aufgebracht. »Der Kerl hat bandinische Würmer im ...« »Wie hoch ist die Sendeleistung?« unterbrach Lugia den Redeschwall. »Ausreichend für einen Empfang im Umkreis von zwei, drei Dutzend Lichtjahren. Aber zweifellos geht das Pamphlet über Relais ...« »Schaffst du es, die Sendung zu stören?« »Bin schon dabei«, zirpte der Blue aufgeregt; der diskusförmige Kopf pendelte auf dem langen Hals. »Wir sind keine galaktischen Verbrecher, die Leid und Entsetzen säen. Verdammt, die Hamamesch ...« Seine Stimme glitt vor Erregung in den für Menschen unhörbaren Ultraschallbereich ab. Doch schon im nächsten Moment begann er von neuem: »Michael Rhodan, ich überspiele dir die Koordinaten. Bring die Sendeteams zum Schweigen, putz ihnen die Antennen weg oder mach sonstwas.« Aufnahmen vom Aufbruch der Herrscher folgten, Bilder gigantischer Lasershows und Feuerwerke überlagert von der Einblendung explodierender Raumschiffe. Tote Hamamesch in zerfetzten Raumanzügen, halb verkohlte, verstümmelte Leichen vor dem Hintergrund funkelnder Sterne. »Das ist nicht wahr«, keuchte Tyraz. »Das sind Archivaufnahmen früherer Kämpfe gegen die Rebellen.« Aber wer in Hirdobaan würde das schon erkennen? Oder erkennen wollen? Die Wahrheit war nicht unumstößlich, sie hatte viele Seiten. Endlich griffen die Störfelder. Die Großaufnahme eines feuernden BASIS-Kreuzers, kombiniert mit dem
auseinanderbrechenden Wrack eines Frachters, in das noch immer Thermo - und Desintegratorstrahlen einschlugen, verwischte zu undefinierbaren Schlieren. Eine Fälschung. »Hab' ich dich, du Wortverdreher«, stieß Tyraz zornig hervor. Was blieb, war die deprimierende Erkenntnis, daß selbst 118 Millionen Lichtjahre von der heimischen Milchstraße entfernt Medien die Bevölkerung manipulierten. 4:24 Uhr. Die Nahortung brachte den Blue auf andere Gedanken. Zehn BASIS-Kreuzer hatten sich von den Kampfhandlungen mit den Fermyyd gelöst und nahmen Kurs auf Borrengold. Sie erschienen knapp eine viertel Million Kilometer über dem zweiten Planeten. Die BAS-KR-32 tauchte als erstes Schiff in die Atmosphäre ein. Ihr schlug heftiges Abwehrfeuer entgegen. Eine Feuerkugel, flammendes Fanal des Untergangs, so raste der Kreuzer in die dichteren Luftschichten. In unregelmäßigen Abständen fielen die anderen Schiffe der Oberfläche entgegen. »Zeigt es den Fürsten!« zirpte Tyraz. »Macht dem Drama ein Ende!« Zehn glühende Bahnen in der Nacht wie die Bruchstücke eines Kometen ... Die Piloten suchten die freie Weite der Ozeane. Ein neuer Ortungsreflex. Talyz Tyraz kniff seine vorderen Augen zusammen. Über dem Nordpol, in der exakten Verlängerung der Planetenachse, näherte sich ein weiteres Raumschiff. Keine Kennung identifizierte das anfliegende Objekt. Das Ortungsbild wurde deutlicher. Ein ovales, 110 Meter langes, bizarres Gebilde; keine nennenswerte Triebwerksfunktion, überhaupt kaum Energieemissionen. An Bord schienen sogar die lebenswichtigsten Aggregate ausgefallen zu sein. Der Blue verfolgte den Kursvektor zurück. Das Schiff hatte sich aus einem Pulk von fünf kleineren Frachtern abgesondert, der knapp 40.000 Kilometer über dem Nordpol des Planeten stand; die Scanner wiesen es als Handelsraumer der Nischdrich aus. Wahrscheinlich eine der schrottreifen Kisten, mit denen sie in selbstmörderischer Todesverachtung von Stern zu Stern hangelten. »Dreht ab!« zirpte der Blue. »Beeilt euch! Oder seid ihr auf allen Augen blind?« Sein Versuch, Funkkontakt herzustellen, blieb unbeantwortet. Vermutlich funktionierte an Bord der Rostschleuder nicht einmal mehr der Empfang. Eine unbedeutende Kurskorrektur erfolgte. Der Nischdrich-Raumer würde in etwas flacherem Winkel in die Atmosphäre eintauchen als vorherberechnet, aber immer noch zu steil. Ohne Prallfelder mußte er verglühen oder auseinanderbrechen - oder beides, was Talyz Tyraz für das wahrscheinlichste hielt. Er rief die PERSEUS, die zusammen mit den zehn Korvetten des Landungskommandos im Ortungsschatten der BASIS stand. Die Schiffe würden ihre vorübergehende Warteposition verlassen, sobald die Kreuzer erfolgreich waren. »Tyraz«, platzte der Blue heraus, als auf dem Bildschirm die Funkzentrale der PERSEUS sichtbar wurde. »Über dem Nordpol stürzt ein Nischdrich-Raumer ab - ihr seid die einzigen, die schnell genug eingreifen kön...« Die Mundöffnung im Halsansatz zuckte nur noch stumm. Meterdicke Thermostrahlen trafen das Handelsschiff. Zwei Geschütztürme auf dem nördlichen Doppelkontinent feuerten, aber noch immer flog der Raumer ohne ein Schirmfeld, das die tödlichen Energien absorbiert hätte. Die Bugsektion begann aufzuglühen, verformte sich zähflüssig, dann hielten die Platten dem Innendruck nicht mehr stand. Innerhalb weniger Augenblicke brach das ovale Schiff auseinander. In ohnmächtigem Zorn ballte Talyz Tyraz die Fäuste. Der Tod der Nischdrich war so sinnlos. *
»Ziel ist erkannt und erfaßt«, meldete Edgar »Snake« Rattle, Feuerleitoffizier der BAS-KR-13. »Von mir aus kann's losgehen. Je eher wir unten sind und unsere Sache erledigt haben, desto eher geht es wieder nach Hause.« »Du glaubst noch an den Weihnachtsmann?« rief Henry Albertson quer durch die Zentrale. »Weißt du überhaupt, wie viele Galaktiker in dieser seh...?« Der Pilot unterbrach sich jäh. »Sprich's ruhig aus! Die Wahrheit darf man sagen.« Snake trommelte mit den Fingern ein Stakkato auf seine Konsole. »... in dieser schönen Galaxis ver schwunden sind?« vollendete Albertson. »Keine Ahnung«, erklang ein abgrundtiefes Seufzen von den Ortungen. »Aber wie ich dich kenne, verrätst du uns die Zahl sofort.« Elena war eine Frau Mitte der Sechzig, also im besten Alter. Leider hielt sie wenig auf ihr Äußeres; sie neigte zur Korpulenz, hatte Schultern wie ein Mann und trug ihr Haar unterschiedlich gefärbt, links grün, rechts dunkelrot. Abgesehen von solchen Eigenheiten war sie jedoch eine Kapazität auf ihrem Gebiet.
Neidlos gestand die Crew ihr zu, daß sie die Sterne husten hörte. »Ich weiß es nicht«, sagte Albertson. »Allerdings bin ich überzeugt davon, daß uns noch einiges bevorsteht.« »Ich will endlich heim«, protestierte Snake. »Wenn ich daran denke, daß meine kleine Tochter inzwischen flügge geworden ist...« »Vielleicht bist du schon Großvater und weißt es nur noch nicht«, spottete Albertson. »Vergiß nicht, dann wartet eine Großmutter auf dich.« »Deine Scherze waren früher besser, du wirst alt, Henry.« Snake seufzte wehmütig. Den Spitznamen hatte er seit der ersten Begegnung mit den Kameraden weg - vor allem war sein Nachname daran schuld (wie konnte jemand Rattle heißen?), zum anderen die Tatsache, daßer die Geschützausbildung als Bester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte. Wenn Edgar Rattle zuschlug, dann tat er dies so treffsicher wie eine Schlange. An Bord der BAS-KR-13 hatte sich ohnehin eine besondere Besatzung zusammengefunden. Schon der Name, den die Crew ihrem Schiff gegeben hatte, sprach Bände: BLACK FRIDAY. »Der Tanz geht los«, meldete Doc. Doc war Funker, ein Mann mit ovalem Eierkopf und einigen spärlichen Haarbüscheln. Eigentlich hieß er Tom Smith, aber alle nannten ihn nur Doc; er war der Sohn einer Terranerin und eines Aras. Albertson ließ die BLACK FRIDAY in enger werdender Kreisbahn dem Planeten entgegenfallen. Die Nacht über Staama war den Blitzen der Thermogeschütze gewichen. Und das fahle Irrlichtern des kontinentalen Schirmfeldes war schon mit bloßem Auge zu erkennen. »Runter kommen wir auf jeden Fall«, bemerkte Doc anzüglich. Innerhalb von Sekunden war das Schiff zur energieumtosten Kugel geworden. Die Direktsicht brach zusammen; selbst die Filter konnten die Lichtflut nicht vollständig dämpfen. »Geringe Zielabweichung!« rief Elena. »Wir driften nach Norden ab.« »Und wennschon.« Edgar Rattle schnaufte empört. »Wir sehen uns ohnehin in der Hölle wieder.« Keiner widersprach ihm. Alles ging rasend schnell. Die BLACK FRIDAY trat in die Atmosphäre ein, zugleich stieg die Belastung des Paratronschirms weiter an. Vielleicht, dachte Rattle, haben wir uns nur den ungünstigsten Zielpunkt ausgesucht. Von Südwest nach Nordost hatte der Kontinent die geringste Ausdehnung, wirkte Staama wie eingeschnürt. Ungefähr 1800 Kilometer ostnordöstlich des Oktogons begann bereits das Meer, die Geschütztürme in diesem Bereich waren unter anderem der BLACK FRIDAY zugewiesen. Die Taster zeichneten ein deutliches Bild der Küste. Noch knapp 150 Kilometer hoch, tangierte der Kreuzer die Nordspitze des Kontinents. »Wasserung steht bevor«, meldete der Syntron. »Achtung: Eintauchen in fünf Sekunden.« Borrengold durchmißt 13.550 Kilometer, die Schwerkraft beträgt 1,07 g, also nicht spürbar mehr als gewohnt. Kein Mond. Snake wußte selbst nicht, warum ihm ausgerechnet jetzt diese Daten in den Sinn kamen. Jäh verschwanden die wabernden Gluten von den Schirmen. »Manöver vollzogen«, ließ der Syntron wissen. Wahrscheinlich viel zu ruppig. Wie ein Stein mußte die BLACK FRIDAY aufs Wasser geprallt sein. Daß die Absorber den mörderischen Ruck abgefangen hat ten, war selbstverständlich, doch zweifellos raste jetzt eine sich aufbauende Flutwelle den flacheren Küstengewässern entgegen. Blaugrüne Düsternis rings um das Schiff, dessen Scheinwerferbatterien erst nach und nach die ewige Nacht erhellten. Sprudelnde, kochende See, Myriaden von Luftblasen, die wieder in die Höhe quirlten. »Wir haben den vorausberechneten Eintauchpunkt verfehlt.« Elena war die erste, die das beinahe ehrfürchtige Schweigen in der Zentrale durchbrach. »Um exakt achtzehn Kilometer.« »Das interessiert doch keinen Menschen«, wehrte Doc ab. »Wir sind unten, und wenn wir auftauchen, befinden wir uns im toten Winkel der Geschütze.« »Wen interessiert das nicht?« prote stierte die Orterin. »Weniger als 500 Meter nördlich steigt der Meeresboden steil an. Wenn ihr mich fragt, wir hatten verdammtes Glück.« »Genau das brauchen wir«, sagte Albertson. Der Kreuzer tauchte auf. Ein Wasserberg schwoll an, zehn, zwan zig Meter hoch, er brach gischtend auf und gab das Ungetüm frei, das aus der Tiefe emporstieg. Von Antigravfeldern getragen, schwebte die BLACK FRIDAY über der See. Dreißig Kilometer südlich wuchs ein flirrender Vorhang in den Nachthimmel; noch weiter entfernt flackerten schon die ersten Strahlengewitter aus Schiffsgeschützen. Die BAS-KR-13 wurde nicht mehr angegriffen. Eine schroffe Felsenküste wuchs vor dem Schiff auf. Schnee und Eis bestimmten das Bild, in ein unstetes, unwirklich anmutendes Zwielicht getaucht.
Snake war ein Virtuose auf der Klaviatur seiner Feuerorgel. Salve um Salve jagte er in den heftiger flackernden äußeren Schirm, bis der Punktbeschuß nur noch geisterhaft verwehende Energieschleier übrigließ - und glutflüssig gewordene Klippen. Ein kilometerlanger Küstenabschnitt veränderte sein Aussehen. In wenigen Tagen würde nur eine peristaltisch erstarrte, glasiert wirkende Landschaft von den entfesselten Gewalten zeugen, jetzt verbarg sie sich in dichtem Dunst und aufgewirbeltem Dreck. Die vom Sturm herangepeitschten Wogen verdampften schlagartig, sobald sie die glühendheiße Lava überspülten. »Gute Nachricht von der HERAKLES!« rief Elena durch die Zentrale. »Das erste Geschütz liegt flach.« Minuten später triumphierte Edgar Rattle. Auf eine Länge von mehreren Dutzend Kilometern war das gesamte Schirmfeld zusammengebrochen. Eine volle Impuls-Breitseite zerfetzte den an visierten Geschützturm oberhalb des Sockels und ließ die Speicherbänke reagieren. Ein sonnenheller Glutball blähte sich auf. Jeder an Bord der BLACK FRIDAY empfand es, als hätten die lodernden Gluten eine Ewigkeit lang Bestand, be vor sie über einem zur Unkenntlichkeit zerschmolzenen Stahlgerippe in sich zusammenfielen. Eine tiefschwarze Wolke breitete sich aus. »Die Lücke schließt sich!« warnte Elena. Die optische Umsetzung der Energieortung verriet, daß die benachbarten Projektoren eine Trägerwelle aussandten, die den Ausfall kompensieren würde. Der Pilot reagierte präzise, machte in der Hinsicht sogar einer Syntronsteuerung Konkurrenz. Aus dem Stand heraus beschleunigt, beinahe mit Bodenberührung, durchbrach die BAS-KR-13 den im Aufbau befindlichen Schirm und stieg erst fünfzig bis sechzig Kilometer landeinwärts steil in die Höhe. Hinter der BLACK FRIDAY flackerte das Schirmfeld düster rot. Grelle Strukturrisse verzögerten den Lückenschluß in diesem Sektor. Keine Strahlen trafen den Kreuzer, als Snake weitere Impuls-Breitseiten abfeuerte. Jede Salve zerstörte einen Geschützturm, und Rattle leistete ganze Arbeit. Um 4:45 Uhr brach der kontinentale Schutzschirm entlang der Nordküste auf weiten Abschnitten zusammen. Julian Tifflors PERSEUS und die Korvetten mit den Landetruppen lösten sich aus dem Schatten der BASIS. Die Schifte landeten im Norden von Staama, noch 500 Kilometer vom Oktogon entfernt. Eine zweite Angriffswelle der zehn Kreuzer galt dem Oktogon und dessen Geschütztürmen und Schirmfeldprojektoren. In diesem sensiblen Bereich galt es, mit aller Vorsicht vorzugehen. Der Versammlungsort der Handelsfürsten durfte nicht zerstört, den Hamamesch keine Schuppe ausgerissen werden. Außerdem galt es Rücksicht zu nehmen auf die Angehörigen der übrigen Hirdobaan-Völker im Umkreis des Oktogons. Die waren ohnehin schon in Panik. 4. Seit zwei Stunden hielt der schrecklichste Alptraum an, den es für Sydorrier gab. Ob Deliga auf die Instrumente des Gleiters starrte oder hinaus in die vorbeihuschende tiefverschneite Landschaft, unauslöschbar sah sie die Szene vor sich, als sie dem Gardesoldaten den Strahler entriß, auf Karon von Omgenoch anlegte und Karons Gesicht inmitten greller Flammenzungen verglühte. »Es war deine Schuld«, keuchte sie. »Ich wollte es nicht, aber du hast mich dazu getrieben, du hast mich gequält.« Die eigene Stimme klang seltsam verzerrt. Trotzdem redete die Sklavin im Selbstgespräch weiter; das war wie ein Ventil, durch das ihr innerer Druck entweichen konnte, bevor sie daran zerbrach. »Ich bin keine Mörderin«, keuchte sie. »Ich mußte mich wehren. Karon war verrückt, und Zirrin auch. Ich mußte ihnen zuvorkommen, sonst hätten sie mich umgebracht.« Sie war jetzt eine Ausgestoßene, eine Gehetzte, die nie in die Zivilisation zurückkehren durfte. Von heute an war sie allein, für immer auf der Flucht. Und was morgen sein würde - nur banges Hoffen, Sehnen und Furcht. Ein schriller Ton fraß sich durch ihr Selbstmitleid und schreckte sie aus der beginnenden Lethargie auf. Die Distanztaster des Gleiters hatten angesprochen. Deligas schlanke Finger husc hten über die ungewohnten Kontrollen. Die exakte Einpeilung zeigte ihr ein in Bodennähe fliegendes Objekt in zwölf Kilometern Distanz. Der Größe nach ebenfalls ein Borrengleiter. Die Maschine kam aus Richtung des Oktogons. Nbltsgndpfrdbrms? Spontan dachte Deliga an den Stuuhr, der ihr zur Flucht verholfen und dabei drei Gardesoldaten der Hamamesch erschossen hatte. Natürlich hatte der Verfolger sie ebenfalls geortet. Angesichts seiner Höchstgeschwindigkeit von 400 Stundenkilometern würde er in zwei Rou aufgeschlossen haben. Deliga schob den Beschleunigungshebel bis zum Anschlag. Die Nacht über Staama war von einem seltsam fahlen Leuchten erfüllt. Ein energetisches Feld lag über dem Konti nent. Außerdem hatte die Sydorrierin gesehen, daß das Oktogon angegriffen worden war. Sie
vermutete, daß Galaktiker nach Borrengold vorgestoßen wa ren - ein Vorgang, der ebenso ungeheuerlich war wie ihre eigene Tat. Ein Anruf auf Normalfrequenz. Deliga nahm das Gespräch entgegen. Das Gesicht auf dem Monitor gehörte einem Hamamesch - und doch wieder nicht. Die gelben Fleckenmale rund um die Augen besaßen nur Maschtaren. Für einen Moment stockte der Sydorrierin der Atem. Wenn ein Maschtar ihre Verfolgung aufgenommen hatte, war sie verloren; niemand konnte sich den Gesandten Gomasch Endreddes entziehen. Aber vielleicht hatte es nur noch nie jemand wirklich versucht. »Ich bin Morran«, hallte eine markante Stimme durch den Gleiter. »Verzichte auf eine weitere Flucht, dafür werde ich dich schnell und schmerzlos bestrafen.« Knapp eine Rou Vorsprung. Heiß pulsierte das Blut durch ihren Körper. Deliga forderte dem Triebwerk ihres Gleiters das Letzte ab. Niemals würde sie sich dem Maschtaren ergeben, lieber mit Höchstgeschwindigkeit in den Tod rasen. Sie hatte unverzeihliche Schuld auf sich geladen, größeren Frevel konnte sie nicht mehr begehen. Aber noch hing sie an ihrem Leben. Morran hatte, als er keine Antwort erhielt, die Funkverbindung wieder abgebrochen. »Ich verfluche dich«, keuchte Deliga, »dich und Gomasch Endredde.« Die waldreiche Ebene begann sich zu verändern. Deliga folgte einem mäandernden Flußlauf. Dicht über dem Wasser raste sie dahin in der Hoffnung, Morrans Ortung zu entkommen. Eisschollen trieben in der Strömung, verkeilten sich, bildeten trügerische Brücken zwischen den Ufern. Einer Herde vierbeiniger Tiere war ein solcher Übergang zum Verhängnis geworden. Aneinandergedrängt drifteten sie auf einem winzigen Stückchen Eis nach Osten - und stoben panikartig auseinander, als der Gleiter über sie hinwegfegte. Im eisigen Wasser erlahmten ihre Kräfte schnell. Einen Herzschlag lang hatte Deliga sich von dem Drama ablenken lassen. Vor ihr beschrieb der Flußlauf eine scharfe Biegung, hier war das Bett seichter als anderswo. Die Eisschollen hatten sich übereinandergeschoben und bildeten nun ein meterhohes, schroffes Hindernis. Deliga schrie gellend auf, als sie die Gefahr erkannte. Instinktiv riß sie den Gleiter hoch, im selben Augenblick erbebte die Maschine unter einem dröhnenden Hammerschlag, Eisbrocken spritzten nach allen Seiten davon. Der Gleiter neigte sich, drohte aus dem Kurs auszubrechen und sich zu überschlagen. Mit der Wucht eines Geschosses würde er zwischen den Baumriesen am Ufer einschlagen. Schon klatschte er auf die Wasseroberfläche, prallte wieder ab, schlug erneut auf. Gischt, Schnee und ein Eishagel vermischten sich, während Deliga an der Steuerung hing und versuchte, die kippende Maschine mit der Nase hochzuziehen. Irgendwie schaffte sie es sogar, und ihre Zuversicht wuchs. »Du kriegst mich nicht, Morran!« stieß sie gepreßt hervor. Und plötzlich wußte sie, was sie tun würde: »Die Galaktiker werden mich schützen, wenn ich ihnen als Gegenleistung mein Wissen anbiete.« In weiter Ferne, nur als Silhouette erkennbar, die sich unscharf gegen das Firmament abhob, ein ausgedehnter Gebirgszug. Schroffe Felszacken ragten in den Himmel. Wenn es eine Chance gab, dem Verfolger zu entkommen, dann in dieser unwirtlichen Umgebung. * Ein fernes Aufblitzen wie Wetterleuchten zeugte vom beginnenden Angriff der BASIS-Kreuzer auf das Oktogon. In ihren flugfähigen SERUNS schwärmten Arlo Rutan und seine 300 Umweltangepaßten aus. Weitere 500 Mann unterstanden Julian Tifflors Kommando. Von zwölf Shifts begleitet, rückten sie gegen den Versammlungsort der Handelsfürsten vor. Tifflor hatte den Landeplatz mit Bedacht gewählt. Falls es auf dem Kontinent außer dem Oktogon eine mögliche Zuflucht für die Fürsten gab, dann hier, 500 Kilometer nördlich des Achteckbauwerks. Sowohl die Ortungen, der HALUTA als auch die Oberflächentaster der BASIS hatten einzelne Gebäude im Bereich einer ausgedehnten Wald - und Seenplatte entdeckt. Bodenschätze wie auch vermutlich extremer Fischreich tum hatten Hamamesch und andere Intelligenzen zur Ansiedlung in diesem Bereich verlockt. Wahrscheinlich von hier aus wurden die diplomatischen Abge sandten während des sechsjährigen Zyklus mit Nahrungsmitteln versorgt, für die Lieferanten zweifellos eine gute Einnahmequelle. Im Scheinwerferlicht wirkten die Wälder bizarr - fremdartige, von filigran bis klobig einzustufende Bäume. Manchenorts hing ein Meer von Luftwurzeln aus der Höhe herab wie faltenreiche dichte Vorhänge, vielleicht waren es auch Blüten oder Fruchtstände. Von einem kuppeiförmigen Bauwerk aus schlugen Arlo Rutan und fünf seiner Leute Desintegratorstrahlen entgegen.
»Jemand scheint uns nicht zu mögen«, knurrte Rutan und forderte den Pikosyn auf, alle Ortungsergebnisse auf die Innenseite der vorderen Helmwandung zu projizieren. Keine erkennbare Wärmestrahlung. Das Baumaterial, verdichteter Kunst stoff, isolierte nahezu perfekt. Kuppeldurchmesser 25 Meter, größte Höhe zwölf Meter. In geringer Distanz existierte ein schwach energetisches Zaunfeld, vermutlich als Sperre für wilde Tiere gedacht. Der Servo folgte Rutans Blickrichtung in den Bereich, aus dem die Schüsse gefallen waren, ein Blinzeln veranlaßte zur optischen Vergrößerung. Aber erst ein weiteres Detailbild ließ die Umrisse einer Wandöffnung erkennen. Aus der Hüfte heraus feuerte Rutan, und in einem mehrere Quadratmeter großen Bereich floß die Hauswand irrlichternd auseinander. »Aktive Lebensform geortet«, teilte der Pikosyn mit. »Wo?« fragte Rutan. Der akustische Servo veranlaßte eine neue Einblendung. In weiterer Vergrößerung war nur noch das Schmelzloch in der Kuppelwandung zu sehen. Und ein vager Schatten im Hintergrund, jedoch zu undeutlich und auf Anhieb nicht zu identifizieren. »Konturen verstärken!« befahl Rutan. Die Aufzeichnung stoppte. Ein kleiner Leuchtpunkt umrandete die schemenhafte Gestalt. Das nächste Bild, sprunghaft verän dert, zeigte einen massigen Körper, aus der Projektion herausgelöst, in perspektivischer Drehung. Einzelheiten wurden deutlich, die zuvor nicht erkennbar ge wesen waren. Der Ertruser sah einen Hamamesch, der mit beiden Händen einen langläufigen Desintegrator umklammert hielt. »Aktualisieren!« Nur Sekunden hatte die Identifikation in Anspruch genommen, dennoch war der Raum jetzt leer. Restlichtaufheller und Vergrößerung zeigten Einrichtungsgegenstände, die darauf schließen ließen, daß es sich lediglich um eine Wohnung handelte. Arlo Rutan durchbrach das Zaunfeld. Flirrende Entladungen sprangen auf ihn über, wurden vom SERUN aber problemlos abgewehrt. Die Auswertung zeigte in der Tat nur ein niederfrequentes Feld, gerade stark genug, um eindringende Tiere zu lahmen. Scheinwerferkegel geisterten durch die Nacht. Die Restlichtaufhellung der SERUNS genügte, ihren Trägern eine sonnenüberflutete Landschaft vorzugaukeln. In fünfzig Metern Höhe glitten zwei Shifts über die Lichtung hinweg. Ein Desintegratorschuß zuckte zu den Flugpanzern hinauf. Jemand lachte dröhnend: »Der Kerl muß verrückt sein. Schießt mit einem Spielzeug auf uns.« Rutan aktivierte das Feldtriebwerk seines Gravo-Paks und glitt schneller über die Lichtung. Vor ihm floh der Hamamesch durch den hüfthohen Schnee. Den ohnehin nutzlosen Desintegrator hatte er endlich weggeworfen, um schneller voranzukommen. Dennoch erreichte er den vermeintlich schützenden Waldrand nicht vor den Fremden. »Feigling«, sagte Arlo Rutan verächtlich, als er dem Fliehenden den Weg versperrte. Mehrere Ertruser stießen zu ihnen. »Warum hast du auf uns geschossen?« Der Hamamesch fror erbärmlich, das war nicht zu übersehen. Verbissen starrte er die Galaktiker an. »Falls es dir die Sprache verschlagen hat ...« »Ihr Ungläubigen!« keuchte der Fischabkömmling. »Borrengold ist heiliger Boden.« Vielleicht meinte er wirklich »heilig«, vielleicht fand der Translator nur kein Synonym, das der usprünglichen Bedeutung näher gekommen wäre. »Heiliger Boden?« Die Aussage war verblüffend und lächerlich zugleich. »Nur weil die Handelsfürsten sich auf dieser Welt treffen? Oder die Maschtaren? Dann ist Borrengold aber kaum heiliger als einige der Raumschiffe in der Umlaufbahn.« Rutans Gegenüber reagierte nicht. Nicht einmal, als der Ertruser ihn mit einer Hand am Kragen packte und in die Höhe stemmte. »Du kennst das Oktogon?« Keine Antwort. »Natürlich kennst du es. Ich bin überzeugt davon, als Hamamesch hast du irgendwann einer Delegation angehört. Welcher Oktant?« Immer noch Schweigen. »Wir haben wirksame Methoden, dich zum Reden zu bringen.« Ein anderer zerrte den Hamamesch zu sich herum, als Rutan ihn wieder auf die Füße stellte. »Unsere Geduld reicht nicht ewig.« »Gibt es Raumschiffe auf dem Kontinent? Oder eine andere Fluchtmöglichkeit für die Fürsten?« »Wie heißt du?« Arlo Rutan, der den Fischabkömmling aufmerksam beobachtete, bemerkte, daß der Kerl seine seitlich am Hals sitzenden Ohröffnungen verschloß. Immer noch fiel es ihm schwer, das beherrschende Volk von Hirdobaan einzuschätzen. Vermutete er richtig, daß sein Gegenüber die besten Jahre schon hinter sich hatte, oder durfte er aus den bleichen Pigmentflecken der Schuppenhaut solche Rückschlüsse nicht ziehen? Der vorgewölbte Mund mit den Wulstlippen öffnete und schloß sich ruckartig, wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Er hatte panische Angst.
»Rede endlich!« stieß Rutan ungeduldig hervor. »Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen.« Sein Gegenüber ließ mit keiner Regung erkennen, ob er die Worte überhaupt verstand. Er war weit über einen Kopf kleiner als der Ertruser und blickte starr geradeaus. Unsinn - der Blick der seitlichen, vorgewölbten Augen umfaßte einen wesentlich größeren Bereich als bei Lemurerabkömmlingen. Der Hamamesch brauchte den Kopf nicht zu drehen, um Rutan und die umstehenden Ertruser anzustarren. »Was ist mit Transmittern? Existieren Transmitter auf Staama?« Ebensogut hätte er die Frage einem Eisblock stellen können und wahrscheinlich sogar eher eine Antwort erhalten. Arlo Rutan wurde mit jedem Wort lauter. Er hatte den Helm seines SERUNS zurückgeklappt, und vor seinem Gesicht stand der Atem als dichte Wolke. Es war empfindlich kalt, aber nicht einmal die beißende Kälte konnte die Verstocktheit des Hamamesch lösen. »Wie viele leben hier in der Siedlung?« Das Karpfenmaul verharrte halb ge öffnet. Und zum erstenmal hatte Arlo Rutan den Eindruck, daß die Fischaugen ruckartig herumschwenkten. Eines der Augen schien sich weiter nach hinten zu richten, das andere blickte ihn an - sie waren groß und rund, bleiche Kugeln mit dunklen, fast schwarzen Pupillen. »Nur Hamamesch, oder auch Angehörige anderer Völker?« Rutans Stimme klang jetzt ruhig. Er war über den eigenen Schatten gesprungen und hatte sich bemüht, die sture Haltung des Gefangenen zu ignorieren. Niemand sollte ihm nachsagen können, daß er versäumt hatte, guten Willen zu zeigen. Aber allzu große Nachgiebigkeit wurde oft ausgenutzt. Das Fischgesicht blubberte verächtlich. Rutans Rechte zuckte vor. Nicht besonders heftig, und er hielt vor dem Gesicht des Hamamesch an, dennoch taumelte der Kerl zurück und stürzte rückwärts in den Schnee. Ein klägliches Ächzen ausstoßend, versuchte er, wieder hochzukommen. Bevor er überhaupt begriff, wie ihm geschah, stand der Ertruser über ihm und zerrte ihn hoch. »Red endlich!« herrschte Rutan ihn an. »Ich bin es leid, meine Zeit mit stummen Fischen zu vergeuden.« Das Blubbern wurde hektischer. Der Translator brachte jedoch keine Übersetzung zuwege. »Gibt es Raumschiffe auf Staama - vielleicht in verborgenen Hangars?« Arlo Rutan schüttelte den Hamamesch wie einen nassen Sack. Man mußte mit der Physiognomie der Hirdobaan-Völker nicht vertraut sein, um zu erkennen, daß der Fischabkömmling endgültig in Panik geriet. »Und was ist mit Transmittern? Rede, Bursche, ehe ich mich vergesse!« Der Ertruser hatte zuletzt gebrüllt, dann ließ er den Hamamesch los. Der Hamamesch taumelte, fiel in eine Schneewehe. Er zitterte vor Angst. »Also von vorne«, begann der Ertruser dröhnend. »Gibt es Transmitter im Oktogon?« Die Glubschaugen des Hamamesch traten ein Stückchen weiter hervor. »Ich - ich weiß nicht«, kam es stockend über seine Lippen. »Und du weißt natürlich auch nichts von Raumschiffen?« »Nur die Residenzschiffe der Handelsfürsten durften landen - aber sie sind nach dem Einzug der Abordnungen ins Oktogon wieder gestartet.« »Und die Maschtaren? Wie haben sie Borrengold erreicht?« Der Hamamesch stammelte wirres Zeug. Irgend etwas von allmächtig und daß niemand je danach gefragt hätte. »Ich glaube, er weiß wirklich nichts«, bemerkte Silo Fakata geringschätzig. Rutan verzog die Mundwinkel zu einer abfälligen G rimasse. »Verschwinde!« herrschte er den Hamamesch an. »Komm uns nicht mehr in die Quere.« Drohend schwebten die Shifts über der Szene. Ein Teil der Landetruppen war schon weitergezogen, während andere die Gebäude durchsuchten. Routine für die Männer, denen sich kaum Widerstand entgegenstellte. Elektronische Sperren wurden aufgebrochen, Desintegratoren und Thermostrahler ersetzten Handabdrücke oder Kodekarten ebenso effektiv. Einige hundert Hamamesch und Angehörige anderer Völker lebten in dieser Region des Kontinents. Eine Gruppe Stelzmakalies wertete die Ankunft der Galaktiker auf Staama offensichtlich schon als Beginn einer neuen Zeit, sie trieben den anrückenden Galaktikern gefangene Hamamesch entgegen. Stelzmakalies boten mit ihrer va riierenden Erscheinung stets den Anblick unfertiger, bizarr zusammengesetzter Körper, die auf wundersame Weise das Laufen gelernt hatten. Einige von ihnen stakten auf spindeldürren Stelzenbeinen, andere hatten wohl versucht, ihre in der Grundform amorphe Gestalt den Hamamesch nachzubilden, wirkten aber eher wie dunkelblaue, aufrecht gehende Krabben denn wie Fischabkömmlinge. Ihre Waffen waren weit weniger bizarr - Handelswaren der Hamamesch, die sich erstaunlich schnell gegen die richteten, die noch Monate zuvor mit eben diesen Waffen guten Profit gemacht hatten. Es war in der Tat jedesmal von neuem erstaunlich, wie schnell scheinbar gewachsene Staatsgebilde ins Wanken gerieten und die Stimmung umschlug. Heute waren es erst ein Dutzend Stelzmakalies, die sich gegen die Vorherrschaft der Händler auflehnten, aber der Funke der Revolte würde sich irgendwann zum
Flächenbrand ausweiten ... ... und verbrannte Erde zurücklassen, überlegte Arlo Rutan. Für Sekundenbruchteile hatte er die Vision einer im Chaos versinkenden kleinen Galaxis, in der Hunderte verschiedenster Gruppierungen ihr eigenes Süppchen kochten. Jeder gegen jeden und alle gegen einen - die Geschichte kannte genügend Beispiele. Auch die Stelzmakalies konnten keine neuen Erkenntnisse beisteuern. Für sie war das Oktogon ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln, das keiner von ihnen je betreten hatte, obwohl einige schon seit Jahrzehnten auf Staama lebten. »Gewalt ist der falsche Weg«, predigte ein Patruskee. »Geht in euch und erkennt, daß die Freundschaft zu Crypers eine tödliche Freundschaft sein kann. Erkennt die Botschaft des Silbernen Gottes, nur sie ist der Weg in ein besseres Leben. Im Zentrum des Universums wohnen Glück und Frieden ...« »Glaubst du wirklich daran?« fragte Rutan den Patruskee. »Warum bist du dann noch hier und nicht längst unterwegs zu deinem Silbernen Gott?« Der scheibenförmige Körper des Patruskee begann sich jäh zu drehen. Wie eine Münze, die man auf die Kante gestellt und in langsame Rotation versetzt hatte. Die handtellergroßen gelben Augen beider Gesichter blickten den Ertruser durchdringend an. Immer schneller begann der Prediger sich auf seinen Gliedmaßen zu drehen. »Frevler!« hallte sein Schimpfen durch die Nacht. »Wie sehr werdet ihr euch noch wundern. Schwört eurem Unglauben ab, sonst wird der Silberne Gott euch vernichten.« Arlo Rutan achtete nicht mehr auf den Patruskee, dessen beide Münder gleichzeitig zu reden schienen und Phantastereien von sich gaben. Patruskee lebten in einer Welt der Wünsche und Träume fernab der Realität, sie galten als liebenswürdige Spinner - aber für Spinner hatte der Ertruser sich nie interessiert. 5. Diese «Nacht über Staama hatte keine Sterne. Ein stetes Flackern wie von fernem Wetterleuchten hing in der Luft, ein fahles Glimmen, das sich in Gedankenschnelle über das halbe Firmament ausbreitete, auffaserte und ebenso abrupt wieder verlosch, das kaum Schatten warf und den Schnee rot färbte. Manchmal jedoch schien der Himmel aufzureißen. Dann wurde für kurze Zeit in eng begrenzten Regionen das Schwarz des Weltalls wieder sichtbar. Der Zusammenbruch des gesamten kontinentalen Schirmfeldes stand bevor. Die Landetruppen waren weiter ausgeschwärmt und näherten sich dem Oktogon. Das Achteckbauwerk schien zu brennen, zumindest ergab sich dieser optische Eindruck aus mehr als zwanzig Kilometern Distanz. Trotz Syntronunterstützung hatten die Kreuzerkommandanten keine leichte Aufgabe. Im Augenblick hingen Wohl und Wehe der Operation Borrengold von ihnen ab. Blindwütig mit den Geschützen draufzuhalten war ein Kinderspiel, doch der Einsatz der zehn BASISKreuzer glich eher einer komplizierten medizinischen Operation. Es galt, den Widerstand auszuschalten, ohne das gigantische Gebäude zum Einsturz zu bringen oder gar in den entfesselten Energien eines durchgehenden Reaktors zu vernichten. Punktgenau koordinierter Beschuß war nötig, um die starken Schirmfelder zu knacken; noch exaktere Zielvorgaben bedurfte es, die Geschützstellungen außer Gefecht zu setzen. Eine winzige Kurskorrektur , eine fehlerhafte Berechnung der Abdrift infolge des anhaltenden gegnerischen Beschüsses, und schon würden Impulsstrahlen das Dach des Oktogons zerfetzen und Hunderte von Hamamesch töten. Angehörige aller Völker aus dem Troß der Fürsten, deren Quartiere in den bunkerartigen Gebäuden rings um das Oktogon gelegen hatten, suchten ihr Heil in der eisigen Winterlandschaft. Übereinstimmend berichteten sie, daß sie den Zusammenbruch des ersten Schirmfeldes während des Erscheinens der Maschtaren genutzt, sich dann aber eine Zeitlang in nur wenigen Kilometern Entfernung aufgehalten hatten. Erst der neue Angriff der Kreuzer hatte sie in blinder Panik fortgetrieben. Sie behaupteten, daß die Handelsfürsten und ihr Gefolge das Oktogon nicht verlassen hatten, daß sie auch nicht daran dachten, anderswo Zuflucht zu suchen. Die Maschtaren hatten alle Hamamesch aufgefordert, Ruhe zu bewahren, und ihnen versichert, daß sie für aller Sicherheit sorgten. Momentan sah es allerdings nicht danach aus, als würden die technischen Anlagen der Maschtaren dem Beschuß noch lange widerstehen. Fünf der Geschütze hatten zu feuern aufgehört. »Wenigstens sind die Vögel noch nicht ausgeflogen«, lachte Arlo Rutan. »Vögel?« fragte Silo Fakata verblüfft. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war sehenswert. »Ich rede von den Handelsfürsten«, erklärte der Ertruser. »Und von den Maschtaren.« »Natürlich.« Die Frau nickte zögernd. »Aber Vögel? Wieso ausgerechnet?« »Weil ...« Rutan wußte selbst nicht, wie er den Begriff erklären sollte. Irgendwann hatte er die Redewendung aufgeschnappt, vermutlich von einem der Aktivatorträger.
Die Suche nach einer zufriedenstellenden Antwort blieb ihm erspart. Juliän Tifflor meldete sich aus einem der vorausfliegenden Shifts. »Das Schirmfeld um das Oktogon steht vor de m endgültigen Zusammenbruch. Unsere Kreuzer legen die letzten Geschütze lahm, danach beteiligen sie sich wieder an der Raumschlacht. Was nun noch kommt, ist unser Part.« * Von der scheinbaren Normalität zum Chaos war es mitunter nur ein kleiner Schritt. Rani von Buragar, die Handelsfürstin des Buragar-Oktanten, hatte oft erlebt, daß Furcht und scheinbare Aus weglosigkeit aus einer verfahren wirkenden Situation eine explosive Mischung ergaben. Dann genügte schon ein falsches Wort, um sogar friedfertige Hamamesch in einen Rausch zu versetzen, der sie jede Kontrolle über sich selbst verlieren ließ. Vor allem verweichlichte Höflinge und Diener, die ihr Leben lang nur einstecken mußten, neigten zu Extremreaktionen. Sie waren dann wie Schlachtvieh, das, auf engem Raum zusammengepfercht, zitternd wartete, das aber irgendwann in blinder Panik die Ketten sprengte. Der Vergleich erschreckte Rani, er war makaber und schuppend zugleich. Aber dieses unaufhörliche dumpfe Grollen von außerhalb des Oktogons, das wä hrend der letzten Tix erschreckend intensiv geworden war, hatte ihr Weltbild ins Wanken gebracht. 1000 Regenbogenschiffe der Fermyyd schirmten das Riffta-System während des Zuges der Herrscher ab. Trotz ihrer in Hirdobaan gerühmten Schlagkraft hatten sie es nicht geschafft, die Schiffe der Galaktiker und der Queeneroch-Rebellen am Durchbruch nach Borrengold zu hindern. Ein dumpfer Schlag, eine Explosion in allernächster Nähe; ohrenbetäubendes Prasseln aus der Höhe, und der Boden bäumte sich auf - Rani hatte Mühe, ihren sicheren Stand zu bewahren. Breitbeinig stand sie da, gar nicht so erhaben wie sonst, während vor ihr Diener stürzten und andere mitrissen. Und immer noch drang dieses schreckliche Prasseln aus der Höhe herab, ein Geräusch, als verbrenne Papier unter heftiger Sauerstoffzufuhr. Die Fürstin starrte entsetzt in die Höhe, dorthin, wo sich jeden Moment die Decke rotglühend aus den Verankerungen lösen und auf die Delegationen herabstürzen konnte. Was war nur aus den Hoffnungen und begehrlichen Wünschen der Handelsfürsten geworden? Gemeinsam Mittel und Wege zu finden, der Bedrohung durch die Fremden Einhalt zu gebieten, deshalb hatten sie sich früher als üblich zusammengefunden - und nun sah es ganz so aus, als würden die Galaktiker eben diesen Umstand für sich nutzen. »Es besteht kein Anlaß zur Besorgnis«, dröhnte eine Lautsprecherstimme durch die Parkanlage - laut genug, um selbst das lärmende Chaos zu übertönen. Rani von Buragar konnte die Stimme nicht identifizieren. Vielleicht Maschtar Uwwen, aber was spielte das für eine Rolle? »Wir haben die Situation im Griff. Weder die Rebellen noch die Galaktiker können in das Oktogon eindringen. Also bewahrt Ruhe, bis der Angriff vorüber ist, bis die Fermyyd die letzten Raumschiffe der Fremden vertrieben oder vernichtet haben ...« Welch ein Hohn diese Worte doch waren. Phrasen wurden nicht durch häufige Wiederholungen wahr. Und diese Sätze hatte Rani seit dem Beginn des Angriffs zu oft gehört. Ihr Glaube an die Macht und die Unfehlbarkeit der Maschtaren war ins Wanken geraten. Warum hatten sie sich ins Oktodrom zurückgezogen? Wirklich nur, um die Verteidigung Borrengolds zu organisieren? Als Gesandte und Sprachrohr des göttlichen Gomasch Endredde wäre es ihre Aufgabe gewesen, dem Volk beizustehen. Statt dessen meldeten sie sich in unregelmäßigen Abständen über Lautsprecher mit Parolen, die leicht als solche zu durchschauen waren. Zumindest für Ranis scharfen Verstand. Andere mochten sich davon einlullen lassen, sogar einige der Fürsten waren dumm genug. Die Erschütterungen ebbten nicht ab, selbst die Luft schien zu vibrieren. Rani rang nach Atem, sog die merklich wärmer gewordene Luft gierig in sich hinein. Die eigene Hilflosigkeit machte ihr zu schaffen, sie fühlte sich eingesperrt, betrogen um die Chance, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Kein Wunder, daß eine solche Situation ketzerische Gedanken gebar. Ein Stakkato von Explosionen fegte über die Parklandschaft hinweg, in einem der gegenüberliegenden Bereiche herrschte plötzlich Finsternis. Dort glühte tatsächlich die Decke. Flüssiges Metall zerstob in einem funkelnden Re gen. Vergeblich rannten Höflinge und Diener auseinander, sie behinderten sich gegenseitig. Nur wenige Augenblicke vergingen, in denen Rani von Buragar der Atem stockte, dann wälzten sich einige Hamamesch schreiend am Boden. Der Glutregen hatte aufgehört, doch flackerte durch einen Riß in der Decke das Geschützfeuer der Angreifer. Rings um einen der acht mächtigen Türme, die wie von Geisterhand geführt aus dem Boden gewachsen waren, war die Deckenkonstruktion zerschmolzen. Und der Turm selbst schien in der Höhe
nachzuglühen. »Wir haben alles unter Kontrolle«, behaupteten die Lautsprecher. Lüge! Rani von Buragar verbiß sich einen Aufschrei. Entschlossen, die Wahr heit herauszufinden, und wenn es das letzte war, das sie in ihrem Leben tat, hastete sie los. Ihre sydorrischen Berater hatten sie selten so erregt gesehen. Rani dachte an Razano Omre, ihren Gemahl. Er war ein tüchtiger Kaufmann, aber würde er wirklich die Chance nutzen können, Buragar die benachbarten Oktanten einzuverleiben, falls deren Fürsten im Feuer der Galaktiker ums Leben kamen? Oder Itta und Seriffi, ihre Töchter, die mit keinem sehr attraktiven Duft ausgestattet waren und nur ihrer Erbansprüche wegen von den Männern umworben wurden? Immerhin war Buragar der wohlhabendste aller Oktanten. Rani zerbiß eine Verwünschung zwischen den Lippen. Wäre sie jetzt Fürst Jeschdean von Jondoron begegnet, sie hätte genau das mi t ihm gemacht, was Karon von Omgenoch widerfahren war, so ungeheuerlich das auch sein mochte. Jeschdean hatte die Galaktiker nach Hirdobaan geholt - er war schuld daran, daß alte Werte und gewachsene Strukturen nicht mehr galten. »Wohin willst du?« Die Fürstin schreckte aus ihren Überlegungen auf. Maschtar Grirro stand vor ihr. Ahnte er ihre Gedanken? Seine Miene wirkte jedenfalls wie versteinert. Für einen flüchtigen Moment spürte Rani Unsicherheit. Erschrocken preßte sie die Lippen aufeinander. Aber was war falsch an ihrem Wunsch nach Infor mation? »Ich will wissen, was wirklich geschieht!« sprudelte sie hervor. »Und ich glaube nicht, daß das zuviel verlangt ist.« Grirros Finger lagen auf der Gürtelschnalle des Maschthoms. Die flüchtige Berührung eines der Sensorfelder genügte, die Fürstin in Gedankenschnelle sterben zu lassen. Die drei Roboter des Maschtaren versperrten ihr den Rückweg; Rani erkannte es, ohne den Kopf wenden zu müssen. »Hast du die Informationen nicht gehört?« »Zwischen hören und glauben besteht ein Unterschied«, versetzte sie wenig ehrfürchtig. »Ich will erfahren, was verschwiegen wurde. Mögen die anderen in ihrer Dummheit die Ungereimtheiten übersehen; ich frage mich, warum die Galaktiker uns ungestraft angreifen können. Was ist mit unseren Schiffen? Ich verlange, daß eine Funkverbindung zu meiner AGGOSH geschaltet wird.« Rani von Buragar zuckte zusammen, als Grirro die Finger bewegte. Doch er berührte keines der Sensorfelder. »Deine AGGOSH«, stieß er verächtlich hervor, »wird ebensowenig über Staama erscheinen wie eines der anderen Schiffe. Es gibt keine Unterstützung für uns, Rani von Buragar, wir müssen uns selbst helfen.« »Meine Besatzung läßt mich nicht im Stich«, begehrte sie auf. Der Maschtar vollführte eine ärgerliche Geste. »Wir haben versucht, Kampfschiffe über Staama zu beordern. Es ist unmöglich. Euer gesamter Troß, von einigen Frachtern und kleineren Schiffen abgesehen, ist in Kämpfe gegen die Rebellen verwickelt. Auch die Fermyyd können nicht nach Borrengold durchbrechen. Ron -Er-Kan wollte uns Regenbogenschiffe zu Hilfe schicken - sie wurden vernichtet. Das riesige Trägerschiff der Galaktiker, das seit einigen Zehnern bei SCHERMOTT stand, schirmt Borrengold ab.« »Das heißt, wir sind verloren?« »Gibst du dich so schnell geschlagen, Rani von Buragar?« antwortete Grirro mit einer spöttischen Gegenfrage. »Die Fermyyd werden bis zum letzten Mann kämpfen, und ich hoffe, die Gardesolda ten der Fürsten ebenfalls.« »Unsere Soldaten?« Rani von Buragar schmatzte verwirrt. »Sind wir im Oktogon nicht mehr sicher? Hatte ich also recht mit meinen Befürchtungen?« »Vielleicht werden wir uns verteidigen müssen«, sagte Grirro betont. »Es ist wohl nur eine Frage weniger Rou, bis die Galaktiker versuchen werden, das Oktogon zu stürmen. Das Schinnfeld ist soeben im letzten Sektor zusammengebrochen, von den Geschützen feuert nur noch eines.«
* Im Kontrollstand seines Shifts nickte Julian Tifflor zufrieden, als die letzten Energieschleier über dem Oktogon verwehten. Im Osten zeichnete sich der beginnende neue Morgen als fahler Silberstreif am Horizont ab. Die ersten der an der Aktion beteiligten BASIS-Kreuzer entfernten sich mit steigender Geschwindigkeit. Sie würden wieder in die Kämpfe gegen die Fermyyd eingreifen und einigen bedrängten Crypers zu Hilfe eilen. »Ein Gespräch auf Interkom - für dich, Julian.«
Tiff zog überrascht die Brauen hoch. »Die BAS-KR-13«, erhielt er als zusätzliche Information. Henry Albertsons Bartgesicht grinste ihm vielsagend entgegen. Tifflor nickte auffordernd. »Die Nuß ist geknackt«, eröffnete der Pilot. »War ein schweres Stück Arbeit.« Tifflor schwieg dazu. Was hätte er auch erwidern sollen? Albertson sah ihm die Irritation wohl an. Er grinste schräg und drückte ihm demonstrativ beide Daumen. »Das wollte ich nur sagen: Die Crew der BLACK FRIDAY wünscht dem Landetrupp Hals- und Beinbruch. Schnappt euch die Handelsfürsten und holt aus ihnen heraus, wie wir die verschwundenen Imprint-Outlaws zurückholen können. Danach geht es hoffentlich nach Hause; die Milchstraße wartet auf uns.« Ehe Tifflor etwas antworten konnte, wurde die Verbindung von der anderen Seite unterbrochen. Wahrscheinlich fürchtete Albertson eine heftige Antwort; der versteckte Vorwurf in seinen Worten war nicht zu überhören gewesen. »Die BAS-KR-13 beschleunigt, verläßt die Atmosphäre. - Julian, so unrecht hat der Mann nicht; viele von uns wollen endlich heim. Auf Terra und den anderen Welten ist die Zeit nicht stehengeblieben.« Daheim ... Tiff massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. Das Bild der Milchstraße zeichnete sich vor seinem geistigen Auge ab und wuchs rasend schnell an, er tauchte ein in die vertraute Sternenfülle. Es kam vor, daß potentiell Unsterbliche den richtigen Bezug zur Zeit verloren. Wen Jahrhunderte nicht altern ließen, der vergaß allzu leicht, daß siebeneinhalb Jahre für andere mehr waren als nur ein Augenblick der Ewigkeit, daß diese Zeit einen Teil des Lebens bedeutete, unwiederbringlich und endgültig. Verlorene Zeit, Nährboden für Entfrem dung von Verwandten und Freunden. Und bis zur Heimkehr würden weitere endlos lange Monate vergehen. Wenn Männer wie Albertson unterschwellig dagegen protestierten, stimmte ihn das nachdenklich. Kinder, die Vater oder Mutter nur noch aus Holo-Aufzeichnungen kannten; Lebenspartner, die wegen der langen Zeit des Wartens einseitig den geschlossenen Vertrag aufgelöst hatten - wie viele Sorgen und Leid würden die Heimkehrer allen Auswahlverfahren zum Trotz erfahren? Die BASIS war kein Generationenschiff wie einst die SOL, und die G enugtuung, 200 Millionen Lichtjahre überwunden zu haben, ersetzte keineswegs menschliche Verluste. Unter solchen Bedingungen mußten Raumfahrer auch im 13. Jahrhundert NGZ aus besonderem Holz sein. Aber leider traf das längst nicht auf alle Besatzungsmitglieder der BASIS und der Begleitschiffe zu. Der Shift überflog die Grenze, bis zu der das Schirmfeld das Oktogon eingehüllt hatte. Das Land ringsum wirkte in der beginnenden Morgendämmerung schmutzig braun; der Schnee war im weiten Umkreis geschmolzen. Während auf Staama frostige Temperaturen herrschten, zeigten die Messungen hier 35 Grad und mehr. In Panik flohen die letzten Nicht-Hamamesch aus den vorgelagerten bunkerartigen Gebäuden. Große Prallfeldgleiter stoben in wilder Fahrt davon. »Laßt sie passieren!« ordnete Tifflor an. Ihn interessierten nur die Handelsfürsten und die Maschtaren. 1800 Meter durchmaß das Oktogon. Die Flugpanzer landeten in geringer Distanz. »Niemand kommt rein und raus ohne unsere Zustimmung. Widerstand wird vorrangig mit Lähmwaffen niedergekämpft.« 6.
Der Verfolger war hartnäckig. Deliga zog Vergleiche zu den Wracksaugern von Riau, die oft tagelang einem auserwählten Opfer folgten und zuschlugen, so bald niemand mehr damit rechnete. Selbst im vermeintlich sicheren Schutz der Häfen waren diese Bestien inzwischen aufgetaucht. Das Gebirge schien endlich zum Greifen nahe. Es war eine schroffe, endlos anmutende Schnee- und Eiswüste, faszinierend und tödlich zugleich. Schlanke Felsnadeln ragten 5000 Meter und höher auf, zwischen ihnen erstreckten sich tiefe Einschnitte, Täler, deren Ausdehnung nur als Folge gewaltiger tektonischer Beben erklärt werden konnte. Die gletscherbedeckten Berghänge lagen im flackernden Widerstreit von Licht und Schatten. Höchstens dreißig Kilometer voraus war ei ne Geschützstation in den Ausläufern des Massivs verborgen. Deliga wußte nicht, ob Hamamesch das Geschütz bedienten oder die Anlage robotgesteuert war, sie hatte auch nicht vor, dort Zuflucht zu suchen, aber die heftigen energetischen Emissionen konnten ihr helfen, endlich den Ortungen des Verfolgers zu entkommen. Die Sydorrierin kannte sich selbst nicht mehr. Gefühle wie Wut und Haß waren ihr früher fremd gewesen; erst in Karon von Omgenochs Diensten. hatte sie sich verändert. Während andere Fürsten ihre Sydor-Sklaven ehrfürchtig behandelten und als scharfsinnige Ratgeber verehrten, hatte Karon von Anfang an kein Hehl aus seiner unterschwelligen Ablehnung gemacht. »Laß mich in Frieden sterben«, keuchte Deliga.
Ein heftiges Zittern durchlief ihren grazilen Leib, der Kopf mit der weit vorspringenden stabförmigen Mundpartie sackte vornüber, doch der Warnton des Autopiloten schreckte sie auf. Mit Höchstgeschwindigkeit raste der Gleiter einer senkrecht aufragenden Felswand entgegen. Flüchtig spielte Deliga mit dem Gedanken, die Augen zu schließen und auf das Ende zu warten. Was spielte es für eine Rolle, daß ein solcher Tod einer Sydorrierin unwürdig war? Und daß Fürst Karon und Kanzlerin Zirrin letztlich doch über sie triumphiert hatten? Sollte das jetzt wirklich alles gewesen sein? Selbstzweifel als Erfolg ihres Lebens? Jäh griff Deliga nach der Steuerung. Die Felswand glitt seitlich weg, vor ihr öffnete sich ein weitläufiges Tal. Wasser sprudelte in schäumenden Kaskaden über eisbedeckte Grate und Vorsprünge. Jahrhundertealter Schnee hatte zu schmelzen begonnen. Ein Blick auf die Temperaturanzeige verriet der Sydorrierin, daß außerhalb des Gleiters ungewöhnliche zehn Grad plus herrschten. Vermutlich würde die Wärme unter dem Schirmfeld noch weiter ansteigen. Ohne die Geschwindigkeit wesentlich zu verringern, raste Deliga tiefer in die Bergwelt hinein, durch eine Traumwelt tief grüner Gletscher. Filigrane Vorhänge aus Eis, in denen sich das Flackern des Schutzschirms über Staama in unzähligen Facetten spiegelte, wechselten ab mit kahlen Felsen und Nestern riesiger Kristalle. Die Entfernungen schrumpften, Deliga war gezwungen, die Geschwindigkeit weiter zu verringern. Aber auch ihr Verfolger mußte sich anpassen. Aus der Ortung hatte sie den Maschtar inzwi schen verloren. Sie flog jetzt in südwestlicher Richtung. Der mächtige Geschützturm lag inzwischen hinter ihr, er spie nicht mehr Tod und Verderben. Eine im Zenit aufflammende zweite Sonne überschüttete das Gebirge mit grellweißem Licht. Zwei Rou hatte die Erscheinung Bestand, bevor sie in sich zusammenfiel und flackernd erlosch. Deliga war klar, daß außerhalb der Atmosphäre ein Raumschiff verglüht war. Hatten die Galaktiker den Kampf um Borrengold und das Oktodrom für sich entschieden? Vergeblich fragte die Sydorrierin sich, was die Fremden wirklich nach Hirdobaan geführt hatte. Ihre Suche nach ImprintWaren konnte nur ein Vorwand gewesen sein. Ein anschwellendes Donnern ließ sie aufmerken. Im ersten Moment glaubte sie an ein Raumschiff dicht über dem Gebirge, aber dann prasselten Schnee und Eis auf den Gletscher herab. Die angestiegenen Temperaturen lösten Schneebretter und Geröllawinen aus. Deliga reagierte in stummem Ent setzen, als eine Titanenfaust den Gleiter zur Seite fegte. Ein Aufprall, das Kreischen von Metall über Fels, danach das Gefühl, abrupt in die Höhe geschleudert zu werden. Ein zweiter, heftigerer Ruck; die Sydorrierin prallte schwer gegen die Instrumente. Und immer noch war dieses Prasseln und Dröhnen zu vernehmen, das den Rumpf aufzuschmirgeln schien. Jeden Moment konnten Tonnen von Schnee hereinbrechen und sie ersticken. Vielleicht das Schicksal, das sie verdient hatte. Der Borrengleiter kam zum Stillstand. Trotzdem erklang das beängstigende Knistern und Knacken überbeanspruchten Materials. Mühsam stemmte die Sydorrierin sich hoch. Es gab wohl keine Stelle an ihrem Körper, die nicht schmerzte. Blut aus einer Schürfwunde rann über ihr Gesicht, doch Deliga achtete kaum darauf. Vorsichtig tastete sie über die Kontrollen. Der Gleiter ruckte an - ein paar Schritte weit. Schnee rutschte über die Sichtscheibe und gab einen schmalen Spalt frei, durch den der Himmel sichtbar wurde. Nach endlos lang anmutenden Rou gab Deliga auf. Allein war sie hilflos. Hatte der Maschtar ihre Spur verloren? Durch das verbeulte Schott zwängte sie sich ins Freie. Sie hattexäie Berge beinahe wieder hinter sich gelassen; in der Ferne, im Dunst des neuen Tages mehr zu ahnen als wirklich zu erkennen, begann die zentrale Ebene Staamas. Dort draußen, Hunderte von Kilometern entfernt, waren vielleicht die Fremden gelandet. Deligas Neugierde erwachte. Es hieß, daß die Galaktiker aus einem Sternennebel kamen, der über 100 Millionen Lichtjahre entfernt lag. Eigentlich unvorstellbar ... Die Sydorrierin wußte plötzlich, daß das Schicksal ihr eine Aufgabe zugedacht hatte, die wichtiger war, als die ungeliebte Sklavin eines lasterhaften Hamamesch zu sein. Vielleicht hatte sie Karon töten müssen, damit sie ihre wirkliche Bestimmung erfuhr, die Aufgabe, die Wahrheit über die Galaktiker herauszufinden. Durch knietiefen nassen Schnee stapfte sie in Richtung Ebene. Der Marsch kostete unwahrscheinlich Kraft. Und die kühle Nässe, die sie anfangs noch als angenehm empfunden hatte, wurde bald unerträglich. Sooft sie zurückblickte, erschien es ihr, als wäre der Gleiter nur unmerklich kleiner geworden. Irgendwann brach Deliga erschöpft in die Knie. Noch einmal schaffte sie es, sich aufzurichten und den Weg fortzusetzen. Aber dann hörte sie das Rauschen der Meeresbrandung vor dem Palast von Riau, und der aufkommende Sturm verwirbelte ihre letzten Gedanken. Daß sie in den Schnee sank, spürte sie nicht mehr. Auch nicht, daß heftiges Schneetreiben einsetzte. Große feuchte Flocken deckten die Sydorrierin zu.
* »Endlich«, stieß Arlo Rutan hervor, als die Thermitladung das tonnenschwere Schott aus seiner Verankerung löste. Mit Impulsstrahlern und Desintegratoren war dem offensichtlich molekular gehärteten Material nicht beizukommen gewesen. Acht mal acht Meter maß der Zugang. Ein halbrunder, mit gerippten Stahlplatten ausgekleideter leerer Gang lag vor den Ertrusern. Er mündete nach wenig mehr als zwanzig Metern in eine geräumige Halle. Kein lebendes Wesen war zu sehen, nicht einmal Roboter. Daß selbst SERUNS nicht vor allen Eventualitäten schützten, wußte Silo Fakata ebenso gut wie alle anderen. Vier, fünf Meter weit drang sie in den stählernen Tunnel ein, dann preßte sie sich an die Wand und sicherte die nachfolgende Gruppe. Der schwere Kombistrahler in ihrer Armbeuge war noch nicht auf Lähmung umgestellt. Roboter ließen sich nicht paralysieren. Alle akustischen und optischen Ein drücke während des Einsatzes wurden zur späteren Auswertung vom SERUN-Logbuch aufgezeichnet. Auf der Sichtscheibe des Helmes ließ Silo Rasterfeldprojektionen einblenden. Auf diese Weise sah sie ihre Umgebung detaillierter vor sich als mit bloßem Auge. Noch 16 Meter Korridor, dahinter die Halle, vierzig Meter t i e f , ovaler Grundriß. Energieflüsse wurden dargestellt: gepolte Antigravfelder im Hintergrund. Silos Blick wanderte zurück in den Korridor. Der Servo setzte die Bewegung ihrer Pupillen in eine veränderte Abbildung um, zeigte ihr die linke Seitenwand in halb optischer Vergrößerung, hinterlegt mit der Wiedergabe der Massetaster, einem filigran wirkenden, engmaschigen Gittermuster. »Deutlicher!« befahl die Ertruserin. Ohne ihren Standort zu wechseln, hatte sie den Eindruck, auf die Wand zuzugleiten. Menschen, die derartige Projektionen nicht gewöhnt waren oder über einen empfindlichen Gleichgewichtssinn verfügten, reagierten auf solche Veränderungen zumeist mit unkontrollierten Bewegungen. Wer aus einer abrupt gestoppten Zentrifuge ausstieg, kämpfte für gewöhnlich mit ähnlichen Problemen. Verzerrungen des Gittermusters ließen erkennen, daß die Sensoren die obersten Schichten der Molekularstruktur analysierten. Schrifteinblendungen folgten: Unbekanntes Material, atomar verdichtet. Mehrschichtlegierung, stabil auch bei größerem Energiedurchfluß. Die Ertruserin stutzte. »Detaildarstellung!« verlangte sie. Eine farbige Abhebung erfolgte. An drei Stellen durchzogen energetische Adern die Wand, ohne daß jedoch erkenntlich wurde, welchem Zweck sie dienten. Höchstens fünfzehn Sekunden waren vergangen, seit Silo Fakata in den Gang gestürmt war. Jetzt hasteten die nächsten des Trupps an ihr vorbei. Der dargestellte Energiefluß begann jäh zu pulsieren. Silos warnender Ausruf kam zu spät. Quer durch den Gang spannte sich ein Hochenergiefeld. Daß die Männer nicht zu Asche verglühten, verdankten sie nur den Paratronschirmen. Trotzdem zappelten sie zwischen den Feldlinien wie Fliegen in einem klebrigen Spinnennetz. Silo feuerte auf die gegenüberliegende Wand. Scharf gebündelt fraß sich der Thermostrahl in die verborgenen Projektoren. Dann schössen auch die anderen. Eine überaus heftige Explosion war die Folge. Trotz ihres SERUNS fühlte Silo Fakata sich hochgehoben und davongewirbelt, und ihr bewußtes Denken setzte erst Sekunden später wieder ein, als Arlo Rutan sich über sie beugte. »Nichts ist geschehen«, kam sie seiner Frage zuvor. »Wir wissen jetzt, daß es Sperren gibt, die uns gefährden kön nen.« Rutan zuckte mit den Achseln. »Tifflors Trupp hat eben eine ähnliche Erfahrung gemacht. Nur hat er einen Verletzten zu beklagen. Teilausfall des Pikosyns.« Selbst modernste Technik schützte nicht vor Versagern, auch wenn sie statistisch höchst selten auftraten. Haftladungen schalteten die anderen Hochenergiefelder aus und hinterließen zerfetzte Wände. Die Ertruser drangen weiter vor. Schon die Peripherie des Oktogons erwies sich als Irrgarten von Korridoren und Hallen, Antigravschächten, Treppen und Unterkünften, deren Ausstattung auf eine Benutzung nur durch Hamamesch schließen ließ. Frühzeitig stellte sich den Stoßtrupps erbitterter Widerstand entgegen. Uniformierte Hamamesch hatten sich an neuralgischen Punkten verschanzt. Teilweise setzten sie sogar Sprengladungen ein. Das Fauchen der Strahlwaffen und das Dröhnen starker Explosionen waren bald überall zu vernehmen.
Arlo Rutan stieß auf die Gegner, als er ein prunkvolles Schlafgemach stürmte. Nahezu die Hälfte des Raumes wurde von einem zweieinhalb Meter hohen Wasserbecken mit Pflanzen und Fischen eingenommen. Roboter flankierten das Becken. Sie reagierten mit der Maschinen eigenen Geschwindigkeit. Ihre seltsam anmutenden Harpunenwaffen hatte Rutan in Hirdobaan noch nicht gesehen. Das erste, knapp armlange Geschoß bohrte sich hinter ihm in die Wand, das zweite krachte auf den Boden. Den sonnenhellen Lichtblitz des jäh zwischen den Pfeilen entstehenden Lichtbogens abzuschirmen, schaffte selbst der Pikosyn nicht schnell genug. Halb geblendet taumelte Arlo Rutan zur Seite. Nur Sekundenbruchteile blieben ihm, gerade ausreichend, den Strahler auf Thermo umzuschalten und in Anschlag zu bringen. Dann traf der nächste Harpunenpfeil. Nur noch grelles Lodern war ringsum. Und ein gewaltiger Sog, der Rutan in wahnsinnig schnelle, wirbelnde Bewegung versetzte. Am Ende dieses Soges lauerte das Nichts. Der Ertruser spürte, daß dort nichts existierte, nichts existieren konnte. Vergingen nur Nanosekunden oder eine Ewigkeit? Eine undefinierbare Beklemmung griff nach ihm, ein hypnotischer Einfluß, wie er ihn nie zuvor wahrgenommen hatte. Vergeblich wehrte Arlo sich gegen das unheimliche, synthetisch wirkende Fremde in seinem Gehirn. Seine Gedanken verwirrten sich, die eigene Stimme schien ihm nicht mehr zu gehören. »Servo«, hörte er sich sagen, während er zugleich verzweifelt versuchte, nichts zu sagen, »desaktiviere das Schirmfeld.« Der Pikosyn antwortete mit einem unmißverständlichen Warnhinweis. »Desaktivieren!« beharrte Rutan. Das war sein Tod, er wußte es, doch er konnte nicht anders. Das nächste Geschoß würde ihn durchbohren, würde eine Sprengladung zünden und ... Verwirrt starrte er das Gesicht an, das sich über ihn beugte. Den jähen Wechsel zu verkraften, fiel schwer. »Er lebt«, stellte Kain Merlo sachlich fest. Rutan verzichtete auf eine Antwort. Der eben noch prunkvolle Raum glich einem Schlachtfeld, das Wasserbecken war zerborsten, eine Mischung aus Schlamm und matschigen Pflanzen hatte sich auf den Korridor hinaus gewälzt. Von den Robotern waren nur ausgeglühte Torsi übrig. Allmählich registrierte Rutan, daß nahezu sämtliche Funktionen seines SERUNS abgeschaltet waren. Nur undeutlich entsann er sich der Stimme, die den Anzug lahmgelegt hatte: seiner Stimme. »Servo, alle Funktionen wiederherstellen! Künftige Desaktivierungsbefehle während dieses Einsatzes ignorieren!« »Wir konnten den hypnotischen Einfluß ebenfalls spüren, waren aber nicht unmittelbar betroffen«, sagte Merlo. Auch wenn Rutan es niemals zugegeben hätte, die Worte waren Balsam für seine verwundete Kämpferseele. Ein Arlo Rutan versagte nicht, wie es eben geschehen war. Nur, was halfen Reaktionsschnelligkeit und Kraft gegen eine heimtückische geistige Beeinflussung? Mit spielerischer Leichtigkeit wuchtete er den Kombistrahler hoch, den ein normal gebauter Terraner ohne Unterstützung durch einen Mikrogravitator nie vom Boden hochgebracht hätte. Mit wuchtigen Schritten stapfte er durch die aufspritzende Kies- und Schlammschicht. Herk Solmar hielt ihm ein verbogenes Metallrohr hin. »Was ist das?« herrschte er den Mann an, ohne innezuhalten. »Eine der Waffen der Roboter.« Vor ihm lag ein Antigravlift. Hamamesch-Soldaten ergossen sich in endloser Flut nach allen Seiten. »Und? Die Harpune ist funktionsunfähig. Was soll ich damit?« Arlo jagte eine Thermosalve in den Schacht; glutflüssi ges Metall spritzte nach allen Seiten. Der Pikosyn verriet ihm, daß das Antigrav feld zusammenbrach. »Die Waffe stammt keinesfalls aus Hamamesch -Produktion.« »Dann ist sie Siegelware.« Arlo Rutan stieß ein unheilvolles Grollen aus. Das Ortungsbild zeigte achtzehn Hamamesch, die hinter einer mehr oder weniger sinnvollen Deckung lagen. Der Kor ridor verbreiterte sich zusehends, der ausgefallene Antigravschacht bildete den Mittelpunkt einer weitläufigen Galerie, von der außerdem eine Vielzahl von Rampen und Treppen wegführte. Rutan schaltete den Kombistrahler auf Paralyse um. »Das ist fremdartige Technik, die mit Sicherheit nicht aus Hirdobaan stammt«, behauptete Solmar im Brustton der Überzeugung. »Ich nehme an, es existierten nur diese beiden Exemplare.« Der Chef der Landetruppe nahm die harpunenartige Waffe an sich. »Von unseren Strahlern wird das in späteren Jahrhunderten hoffentlich niemand behaupten können.« Mit weit ausholender Bewegung schleuderte er die Harpune von sich. Sie beschrieb eine wirbelnde, aufsteigende Flugbahn, krachte gegen die Verkleidung der Antigravröhre und torkelte dem Rand der Galerie entgegen. Bevor sie den Boden
berühren konnte, verglühte sie im Zentrum von mindestens einem Dutzend Thermostrahlen. Einen Kampfruf ausstoßend, stürmte Arlo Rutan vorwärts. Ebenso schnell vereinte sich der gegnerische Beschuß auf ihn und den hinter ihm folgenden Ertrusern. In diesen Augenblicken glichen sie vorwärtsstürmenden feurigen Schemen. Den ersten Hamamesch schlug Arlo mit dem Kolben seiner Waffe nieder, den nächsten fällte eine Paralysatorladung aus einer Distanz von nur wenigen Metern. Arlo Rutan stand jetzt mitten auf der Galerie, ein Hüne im Vergleich zu den Hamamesch, eine furchterregende, muskelbepackte Gestalt. Aufreizend langsam drehte er sich im Kreis; jeder seiner Schüsse fegte einen Soldaten von den Beinen. Mit allen Anzeichen panischen Entsetzens flohen die letzten Gegner, als sie endlich erkannten, daß sie ihm nichts anhaben konnten. Mit weit ausgreifenden Sprüngen folgte ihnen der an höhere Schwerkraftverhältnisse gewöhnte Ertruser. Er holte auf und rammte zwei Soldaten im Vorüberhasten die Faust in die Seite. Die Hamamesch überschlugen sich in vollem Lauf und blieben bewußtlos zurück. Der letzte ahnte wohl das Unheil. Jedenfalls wirbelte er herum und feuerte seinen Thermostrahler aus einer Distanz von weniger als zehn Metern ab. Arlo Rutan stoppte ebenso plötzlich. Dröhnend begann er zu lachen und streckte auffordernd eine Hand aus, als er auf den Hamamesch zuging. Das Fischgesicht verzerrte sich zur Grimasse. Schritt für Schritt wich der Kerl zurück, blubberte unverständliche Laute. Er feuerte immer noch und schien nicht zu begreifen, daß er dem grobschlächtigen Riesen nichts anhaben konnte. »Laß die Spielerei!« Der Außenlautsprecher des SERUNS sagte die Worte in Hamsch. »Ich will nur mit dir reden.« »Spielerei?« Der Hamamesch riß die Waffe hoch und feuerte auf Rutans Kopf.Aber wieder verpuffte die tödliche Thermoenergie einfach. »Was seid ihr Galaktiker? Tiefseekreaturen?« Endlich registrierte er, daß er nicht mehr zurückweichen konnte. Eine Balustrade versperrte ihm den Weg. Arlo Rutan hatte genug von dem Spiel. Mit einer Hand entriß er dem Soldaten die Waffe und schleuderte sie achtlos hinter sich. »Du wirst uns führen, Freundchen, nur keine Dummheiten!« Endlich beruhigte sich der Hamamesch. Er bemerkte wohl, daß er nicht geschuppt werden sollte. »Was ... habt ihr vor?« brachte er abgehackt über die Lippen. »Nichts Besonderes«, sagte Arlo Rutan, »nur ein nettes Pläuschchen mit den Handelsfürsten und den Maschtaren in angenehmer Atmosphäre. Du führst uns auf dem kürzesten Weg zu ihnen - aber keine Dummheiten.« Minuten später kam über Funk die Mitteilung, daß Icho Tolots HALUTA kurz vor der Landung auf Staama stand. Der Haluter hatte mit knappen Worten gemeldet, daß er von mehreren Regenbogenschiffen angegriffen worden war, nachdem diese den Abwehrgürtel der Rebellen durchbrochen hatten. »Die Fermyyd verzichten auf eine Landung auf Borrengold«, waren die letzten Worte gewesen. »Das hat Tolot gesagt?« fragte Arlo Rutan nach. »Exakt so«, bestätigte der Funker im Shift. Damit war klar, daß die Regenbogenschiffe, die es gewagt hatten, sich der HALUTA in den Weg zu stellen, nur noch als Wracks durch den Weltraum trieben.
7. Die HALUTA landete nur wenige Kilometer östlich des Oktogons; Icho Tolot kam ohne Umschweife zur Sache. Einige Nicht-Hamamesch, die aus vermeintlich sicherer Distanz das anthrazitfarbene Raumschiff beobachteten, würden das gebotene Schauspiel ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Das schwarzhäutige Wesen blickte kurz zum Oktogon hinüber, ein wahrer Koloß, nahezu doppelt so groß wie ein Hamamesch und in den Schultern so breit wie ein Fermyyd lang. Das ließ schon seine Gefährlichkeit ahnen. Der halbkugelförmige Kopf war gänzlich anders als bei den Galaktikern, auch verfügten diese nur über ein Armpaar, während das monströse Geschöpf ein zweites, in Brusthöhe angesetztes Armpaar aufwies. Manchem Beobachter stockte der Atem, als das Wesen sich auf das kürzere Armpaar niederließ und mit atemberaubender Geschwindigkeit losraste. Aus der Entfernung zwischen dem anthrazitfarbenen Schiff und dem Oktogon sowie der Zeitspanne von nur wenigen Inx, die der Koloß für die Distanz benötigte, berechneten besonders Schlaue eine Geschwindigkeit von ungefähr 120 Stundenkilometern. Noch mehr fröstelten sie, als dieses Wesen ungebremst die Stahlwandung durchbrach. Nie in ihrem Leben hatten sie von Halutern gehört, sie hatten keine Ahnung, daß diese Geschöpfe aus Fleisch und Blut
ihr Zellsystem bewußt umwandeln konnten, daß der atomare Aufbau in seiner Härte und Widerstandskraft dann einem massiven Terkonitstahlblock entsprach - aber sie begriffen, daß ein solches Wesen wohl unangreifbar sein mußte. Bewiesen die Galaktiker allein schon hohe waffentechnische Überlegenheit, so hatten die Fürsten einem Angreifer wie dem schwarzhäutigen Koloß überhaupt nichts mehr entgegenzusetzen. Und warum hatten die Maschtaren eine solche Entwicklung überhaupt zugelassen? Ketzerische Gedanken wurden in diesen Rou geboren, aber auch ebenso schnell wieder verbannt. Der Mief von Jahrhunderten unterdrückte immer noch ernsthafte Zweifel. Von solchen Überlegungen frustrierter Stelzmakalies, Snucmors und sogar einiger Patruskee ahnte Icho Tolot nichts. Er hatte sich noch nie von Stahlwänden aufhalten lassen, und während das Ordinärhirn sofort nach dem Durchbruch die Beweglichkeit seines Körpers wiederherstellte, befaßte sich das Planhirn mit seinem weiteren Vordringen. Eine Strecke der Verwüstung lag hinter ihm, verbogene Stahlträger, aus den Verankerungen gerissene, zerborstene Wandplatten und bis zur Unkenntlichkeit deformierte Türelemente. Mit einer unwilligen Rundumbewegung befreite Tolot sich von dem lästigen Schrott. Im äußeren Bereich des Oktogons lagen die Unterkünfte. Coram-Tills Angaben bewahrheiteten sich zumindest in der Hinsicht. Energetische Sperren konnten den Haluter nicht aufhalten. Mit blanken Fäusten fetzte er die Projektoren aus den Wänden heraus, während zuckende Flammen über seinen Schutzanzug leckten. Eigentlich hätten die Energien ihn verbrennen müssen. Der Meinung waren jedenfalls die Hamamesch, die scheinbar zu Salzsäulen erstarrt - in geringer Entfernung standen. Panik und Entsetzen mischten sich in ihren Gesichtern, aber Tolot achtete nicht auf solche Nuancen. Sein dröhnendes Gelächter schreckte die Soldaten aus ihrer Starre auf. Sie feuerten auf ihn - aber sie begriffen erst, daß auch ihre Strahler ihm nichts anhaben konnten, als Tolot sich zu voller Größe aufrichtete. Sein Schädel mit den rotglühenden Augen streifte fast die Decke. Mit einer beiläufig anmutenden Bewegung drückte der Haluter die Gangwand zu seiner Linken ein. Immer noch ignorierte er die Hamamesch, die offen Front gegen ihn machten. Ein Explosivkörper detonierte vor seinen Füßen und verwandelte den Boden in eine glutflüssige Lache. Tolot stapfte achtlos hindurch, ein Regen zähen Metalls verspritzte nach allen Seiten. Fünfzehn Meter trennten die Soldaten noch von dem vierarmigen Ungetüm, als sie auf die Decke zu feuern begannen. Berstende Leuchtplatten überschütteten den Korridor mit einem Splitterregen, dann krachten die ersten Verkleidungen herab. Die Luft wurde unerträglich heiß. Angesichts des unaufhaltsam näherkommenden Kolosses mußten die Hamamesch dem Wahnsinn nahe sein. Tolot sah ihre Fischmäuler weit aufgerissen, aber das Fauchen der Waffen übertönte jeden noch so lauten Schrei. Auf mehrere Meter Länge brach die Decke herab, glühendheiße Platten, die sich während des Aufpralls verformten und ineinander verkeilt ein schier unüberwindbares Hindernis bildeten. Zumindest solange sie tödliche Hitze ausstrahlten. Die ersten Thermostrahlen erloschen. Mit zitternden Fingern setzten die Soldaten neue Magazine ein. Sie zogen sich zurück, weil die Hitze ihre Schutzanzüge angriff, starrten aber immer noch fassungslos auf den unbegreiflichen Gegner, der rotglühenden Stahl mit Händen aufbog. Selbst Roboter hätten dieses Chaos nicht unbeschadet überstanden. Tolot räumte die Trümmer beiseite. Einen schenkeldicken Träger, der sich in Kopfhöhe verkeilt hatte, riß er nach mehreren Versuchen auseinander. Der Anblick war selbst dem hartgesottensten Hamamesch zuviel. Während die einen zitternd zu schießen begannen, wandten die anderen sich in heilloser Panik zur Flucht. Sie kamen nicht weit. Zum einen, weil sie sich gegenseitig behinderten, zum anderen, weil Tolot ebenfalls zu laufen begann. Höchstens drei Minuten waren seit dem Eindringen des Haluters in diesen Sektor vergangen, als der letzte Soldat stürzte. Icho Tolot stürmte weiter. Ernsthafter Widerstand stellte sich ihm nicht mehr entgegen, viele Soldaten warfen bei seinem Anblick die Waffen weg und flohen. Sein dröhnendes Gelächter brachte manchen fast um den Verstand. Verweichlichte, mit farbenfrohen Gewändern gekleidete Höflinge begannen angstschlotternd zu kreischen, als er in eine kleinere Halle einbrach. Wie Papier zerfetzten seine Fäuste den dünnen, mit schwerem Brokat beklebten Stahl. Ein Gestalt gewordener Alptraum, so verharrte Tolot kurz und nahm begierig alle neuen Eindrücke in sich auf. Die schweren Teppiche; Möbel, die wie poliertes Perlmutt glänzten und offenbar wirklich aus mächtigen Muschelschalen gefertigt worden waren; ein Prunkbett, in dem eine halbe Ko mpanie Platz gefunden hätte - all das verriet eine fürstliche Unterkunft. Tumultartige Szenen spielten sich ab. Eine einzige Tür im Hintergrund des Raumes stand den Höflingen als Fluchtweg zur Verfügung, aber sie war nicht breit genug, Dutzende Hamamesch gleichzeitig hindurchzulassen. Sie behinderten sich nicht nur gegenseitig, sie schlugen mit Fäusten und Ellenbogen aufeinander ein, jeder
darauf bedacht, nur die eigene Haut zu retten. »Soldaten, hierher!« kreischte eine sich überschlagende Stimme. Tolot räusperte sich dezent, aber immer noch ohrenbetäubend laut. Es wurde still, beinahe totenstill. Nur eine dünne Stimme in der entferntesten Ecke war noch zu vernehmen. »Soldaten!« wimmerte sie. »Befreit mich von dieser Bestie!« Tolots Geste war unmißverständlich. Wortlos scheuchte er die angstschlotternde Meute zur Seite. »Solda...« Die Stimme brach kräch zend ab. Der Hamamesch, der halb in der Ecke kauerte, sich mit einer Hand abstützend und die andere hinter dem Rücken verborgen, hatte endlich bemerkt, daß der Eindringling auf ihn aufmerksam geworden war. Er war nicht groß, kaum 1,60 Meter, aber er trug die kostbarste Robe von allen, einen weit fallenden, perlenbestickten Umhang, dazu eine blaugrüne Pluderhose. »Du bist von Feiglingen umgeben, Fürst«, wisperte der Haluter. »Auch deine Soldaten werden dir nicht beistehen.« Das Gerangel vor der Tür begann sich endlich aufzulösen. Tolot entging es keineswegs, daß die Zahl der Männer und Frauen rasch abnahm. Auch der Fürst bemerkte es. »Wer mich im Stich läßt, der ist für alle Zeit gestorben«, keuchte er. »Niemand hört noch auf dich, Hamamesch«, betonte Icho Tolot. »Deine Zeit ist vorbei.« »Fürst!« Die Stimme bebte, obwohl er sich inzwischen klargeworden sein mußte, daß der vierarmige Riese nicht die Absicht hatte, ihn zu töten. »Fürst Martosch von Grencheck.« »Das warst du die längste Zeit - jetzt bist du nur noch Gefangener der Galaktiker.« Die Hand, die Martosch hinter dem Rücken verborgen hatte, ruckte nach vorne. Er hielt eine kleine Waffe umklammert, und diese Waffe spie mit hellem Klacken ein Dutzend fingerlanger Nadeln. Keine davon konnte die Haut des Haluters auch nur ritzen, sie zersplitterten wie Glas und verspritzten dabei eine klare Flüssigkeit. Eine Hamamesch -Frau, die von einem Bruchstück im Gesicht geritzt wurde, taumelte. Innerhalb von Sekunden brach sie zusammen. Sie war tot, ehe sie den Boden berührte. Martosch von Grencheck sackte entsetzt in sich zusammen. Daß der Vierarmige dem tödlichen Gift widerstand, war unmöglich; die Tief see von Kyschnoch barg das tückischste Gift von ganz Hirdobaan. Zitternd ließ Martosch es zu, daß der Koloß ihm die Waffe abnahm und sie zwischen zwei Fingern zerquetschte. In dem Moment begann er sich damit abzufinden, daß er wirklich zum Gefangenen der Galaktiker geworden war. * Die Handelsreiche von Perm und Buragar grenzten aneinander, und nicht zuletzt das dürfte der Grund gewesen sein, weshalb der mumienhaft wirkende Adebis von Perm Fürstin Rani den Vorschlag unterbreitet hatte, gemeinsam den Widerstand gegen die Galaktiker zu organisieren. Dabei hatte er zweifellos sein eigenes Wohl im Auge gehabt. Rani von Buragars Streitmacht war entsprechend der wirtschaftlichen Bedeutung ihres Oktanten wohl am schlagkräftig sten. Die eindringenden Galaktiker erst innerhalb der Parkzone abzufangen, wäre Wahnsinn gewesen. Selbst Adebis, trotz seiner 43 Jahre alt und ausgemergelt wirkend, plädierte dafür, die Angreifer schon in der Peripherie abzufangen. Die unüberschaubaren Räumlichkeiten boten den Verteidigern viele Vorteile. Die Soldaten schlugen sich wacker. Seite an Seite gegen einen gemeinsamen Feind zu kämpfen, war ein eigenartiges Gefühl. Auf gewisse Weise verwirklichte sich so ein Ziel dieses Zuges der Herrscher. Rani von Buragar fragte sich indes, ob es nicht zu spät war für eine Al lianz aller Oktanten. Schon beim ersten Auftreten der Fremden hätten die Fürsten zusammenstehen müssen, aber zu dem Zeitpunkt hatte jeder noch seine eigenen Vorteile im Blick gehabt, eine Denkweise, die so alt war wie das Handelssystem in Hirdobaan. Wenn die Informationen aus allen Bereichen des Oktogons stimmten, griffen die Galaktiker mit nicht mehr als 800 Mann an. Eine kleine Truppe, gemessen an der Zahl der versammelten Hamamesch. Selbst wenn sie die Diplomaten und kampfunerfahrenen Vertreter der Handelshäuser unberücksichtigt ließ, überwogen die Gardesoldaten die Angreifer immer noch um ein Mehrfaches. Die Galaktiker hatten die anderen Bereiche des Oktogons eher angegriffen als bei den Unterkünften von Perm und Buragar. Die Zeit bis zu ihrem Eindringen hatte ausgereicht, eine erste Verteidigungslinie vor den Antigravschächten aufzubauen. Fünfzig Meter weiter nach innen, für den Fall, daß wider Erwarten Galaktiker durchbrechen würden, wartete eine zweite Front. Wider Erwarten? Rani von Buragar fragte sich, was sie wirklich noch erwartete, nachdem Angreifer das geheime Schirmfeld der Maschtaren über dem Kontinent und die Abwehrgeschütze lahmgelegt hatten. Kämpften die Handelsfürsten nicht längst auf verlorenem Posten?
Die Galaktiker waren eine Plage ungeahnten Ausmaßes, weit gefährlicher als die Seuche, die vor rund 200 Jahren von einer Handelskarawane des Perm-Oktanten aus einer fremden Galaxis eingeschleppt worden war. Eigentlich galt es nur noch Zeit zu gewinnen - bis zum Eingreifen der Maschtaren. Wie lange hatte sie eigentlich keinen Maschtar mehr gesehen? Sie sind ins Oktodrom zurückgekehrt, um Gomasch Endredde zu befragen, schoß es der Fürstin durch den Sinn. Gomasch Endredde wird die Galaktiker vernichten oder sie zu sich holen, bevor es zum Schlimmsten kommt. Ihre Hoffnung schwand, je näher der Kampflärm kam. Obwohl viele Gardesoldaten tapfer aushielten, drangen die Galaktiker unaufhaltsam voran. Eine Zeitlang versiegte der Nachrichtenfluß, dann tröpfelte er wieder spärlich. Was Rani zu hören bekam, war erschreckend und deprimierend zugleich. Die Angreifer waren unverwundbar. Sogar konzentriertes Feuer aus Thermostrahlern überstanden sie scheinbar unversehrt. Nur die leider in zu geringer Zahl vorhandenen energetischen Sperren konnten sie vorübergehend aufhalten. »Was sollen wir tun? Was können wir noch tun?« wandte Rani sich an ihre sydorrischen Begleiter. Clossan senkte die Augenlider, deutliches Eingeständnis seiner Hilflosigkeit. Die Fürstin konnte es ihm nicht einmal verübeln. »Wir haben nicht genügend Waffen«, bemerkte Mylass. »Fragt die Angreifer nach den Gründen für ihr Handeln«, wandte Fenerod ein. »Gomasch Endredde wird uns beistehen«, versicherte Clossan. »In der größten Not wird er ein Zeichen setzen.« All ihre Zweifel, ihre Furcht und die Unsicherheit, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte, drängten sich wieder in den Vordergrund. Rani von Buragar raffte ihren Schmuck zusammen und reichte den Beratern die Schatullen. »Wir räumen die Gemächer, bevor es zu spät ist«, sagte sie. »Du sprichst, als hätten wir den Kampf schon verloren«, bemerkte Clossan, »aber zugleich sorgst du dich um deinen Reichtum. Glaubst du, dich freikaufen zu können?« Seine Worte klangen scharf, schärfer, als je ein Sydorrier in ihrem Beisein geredet hatte. Rani schrieb den ungewohnten Ton der ebenso ungewohnten Situation zu. Auf gewisse Weise beruhigte es sie sogar, daß selbst die besonnenen Sydorrier Gefühlsregungen zeigten. Beinahe hätte sie Deligas Morde an Karon von Omgenoch und Zirrin vergessen. Kein Hamamesch hätte sich eine solche Handlungsweise einer Sydorrierin je vorstellen können. Schroffer als beabsichtigt antwortete sie: »Wir werden im Oktodrom Zuflucht finden. Halt uns nicht auf.« Sie wurde nicht schlau aus den Galaktikern. Einerseits hatte sie, unter unangenehmen Umständen, Männer wie Harror und Nyman kennengelernt, die wohl ihr Leben gegeben hätten, um an Imprint-Waren zu gelangen, andererseits hatten Galaktiker zugunsten von Hamamesch eingegriffen und ihre eigenen Leute bekämpft. Adebis von Perm wartete mit einigen Höflingen am Rand der Parkzone auf sie. Er wirkte nicht mehr ganz so eingefallen wie eine knappe Tix vorher, aber Rani wußte, daß sein Zustand sich aus unerklärlichen Gründen oft veränderte. Es gab Zeiten, in denen Adebis völlig gesund zu sein schien. »Schade um das schöne Fest«, murmelte er betroffen. »Ich hatte große Hoffnungen.« »Wir werden das Versäumte nachholen«, versprach die Fürstin. Adebis blickte sie ungläubig an. Die Muskeln in seinem Gesicht zuckten heftig. Dann wandte er den Kopf, blickte suchend in die Runde. Auch Rani hatte den schwachen Lufthauch gespürt, ihn aber ignoriert. Erst Adebis' Reaktion ließ sie aufmerken. Fünf Schritte entfernt bogen sich die Äste eines blühenden Strauches - und schnellten in die Ausgangslage zurück. Im selben Augenblick, wie aus dem Nichts erschienen, standen zwei Galaktiker vor ihnen. »Esker Harror?« stieß die Fürstin irritiert hervor, biß sich aber sofort auf die Zunge. Das waren nicht die beiden Galaktiker, deren Geisel sie gewesen war, sie trugen nur ähnliche Anzüge. »Oh«, sagte einer von ihnen. Rani interpretierte den Laut als Ausdruck von Überraschung, war sich aber nicht klar, ob des Namens wegen oder weil einer von Adebis' Begleitern die Waffe hochriß. Der Galaktiker schoß schneller. Lautlos brach Adebis' Mann zusammen. »Er ist nicht tot, nur für eine Zeitlang gelähmt. Ich bin Julian Tifflor, und wenn ich mich nicht irre, habe ich das Vergnügen mit mindestens einem Handelsfürsten.« Sie verstanden es, sich unsichtbar zu machen. Und sie besaßen eine provozierende Höflichkeit. »Mein Name ist Rani von Buragar«, sagte die Fürstin. Was hätte sie sonst tun sollen? Sie wußte, wann Widerstand zwecklos war. »Auch an einem Adebis von Perm geht niemand achtlos vorbei«, murrte ihr Nachbar. Der Galaktiker sagte etwas; es klang wie »zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«. Aber keiner verstand, was er damit meinte.
*
Seit dem Aufbruch von der Residenzwelt Clorech vermißte der elfjährige Clarven von Ammach sein Shourachar, in dem er die Wirklichkeit nach seinem Wunsch formen konnte. Das Treffen mit den anderen Fürsten hatte ihm Magengrimmen verursacht. Weil ihm von Anfang an nicht klargewesen war, worüber er mit ihnen hätte reden sollen. Sie verstanden nichts von Shourachar. Die Galaktiker griffen das Oktogon an. Clarven verspürte deshalb keine Furcht. Vielmehr amüsierte ihn die Hektik der anderen Fürsten und ihrer Bera ter, und daß die Gardesoldaten in den Außenbezirken Stellung bezogen hatten, war eine Abwechslung. »Du begreifst den Ernst der Lage nicht.« Je mehr Halena Diza auf ihn einredete, desto mehr sperrte er sich. Diza mochte schimpfen, soviel sie wollte, er war überzeugt davon, daß die Galakti ker ihm nichts tun würden. Seit langem träumte er fast jede Nacht von Perry Rhodan und Mike. Mit ihnen hatte er reden können, sie hatten mit ihm gemeinsam die Hauben aufgesetzt und Schingo in Shourachar besucht. Und vor allem: Sie waren davon beeindruckt gewesen. Deshalb hatte er Shourachar inzwischen modifiziert. Clarven drückte die Puppe aus Pflanzenfasern an sich, das einzige Andenken an seine Mutter. Halenas vorwurfsvollen Blick ignorierte er. Tief in seinem Innern haßte er die Kanzlerin, die ihm seit der Begegnung mit Perry Rhodan noch fremder geworden war. Rhodan hatte ihm neue Ideen für Shourachar versprochen - daran dachte Clarven, als der Kampflärm lauter wurde. Sie waren nicht schlecht, die Fremden, sie waren nur - anders. »Hörst du nicht, du kleines Scheusal?« keuchte die Kanzlerin, und ihre Finger krallten sich in seine Schulter. »Deinetwegen werde ich nicht vor den Angreifern kapitulieren.« »Dann geh doch!« stieß er hervor. »Laß mich allein.« Sie tat ihm weh. Beinahe hätte er vor Schmerz geschrien, doch er biß sich auf die Unterlippe und kämpfte gegen die Tränen an. »Das Spiel hat dich verwirrt. Komm jetzt!« Halena zerrte ihn mit sich, fort aus dem Bereich der Unterkünfte. Gekämpft wurde inzwischen auf allen Ebenen und schon sehr nahe. Es gehörte keine große Phantasie zu der Vorstellung, daß die Gardesoldaten den Galaktikern unterliegen würden. Shourachar muß modifiziert werden, schoß es Clarven durch den Sinn. Halena nahm keine Rücksicht darauf, daß er noch ein Kind war. Ein Hustenanfall ließ ihn taumeln, er stolperte über die eigenen Beine und wäre beinahe gestürzt. Die Kanzlerin zerrte ihn hoch. Alles andere als sanft, sie hätte ihm fast den Arm ausgekugelt. »Reiß dich zusammen!« herrschte sie ihn an. Sie hat Angst, stellte Clarven nicht ohne Schadenfreude fest. Und genau das hatte er ihr voraus. Er fürchtete die Galaktiker nicht. Eine Wand glühte auf, zerplatzte in Gedankenschnelle und spie die ersten Angreifer aus. Sie waren größer als jeder Hamamesch, größer sogar als Crypers, und unwahrscheinlich massig gebaut. Strahlschüsse zuckten durch die Parklandschaft, über die Köpfe der Hamamesch hinweg. Ringsum herrschte nur noch Chaos, der fliehende Hofstaat stieß und trampelte sich gegenseitig nieder. Die Realität endete stets im Chaos, nur in der virtuellen Wirklichkeit des Spiels gab es bessere Lösungen ... Clarven von Ammach fühlte sich brutal in die Höhe gerissen. Halena zerrte ihn an sich, und ihre Stimme dröhnte neben ihm. »Das ist Fürst Clarven!« schleuderte sie den Galaktikern entgegen. »Bleibt zurück, oder ich töte ihn. Ich verlange freien Abzug.« Clarven rang nach Atem. Die Kanzlerin zerrte ihm den Kopf in den Nacken und drückte ihm die Luft ab. Er strampelte lediglich schwach mit den Beinen, war viel zu überrascht, um Halenas Handlungsweise zu begreifen. Aus hervorquellenden Augen bemerkte er die Galaktiker. Einige von ihnen senkten die Waffen. Halena würde nicht zögern, ihn umzubringen, das spürte er. Sie hatte ihn immer nur ausgenutzt, hatte ihm die virtuelle Wirklichkeit des Computerspiels geschenkt, in der er wie ein Fürst handeln und fühlen konnte, aber in der Realität hatte sie alle Macht an sich gerissen. Nur ein Spiel, durchzuckte es ihn. Das ist nur ein Spiel; du mußt den Helm abnehmen, um alles zu beenden. Er konnte es nicht. Und dann ging alles sehr schnell. Gardesoldaten schössen auf die Galaktiker. Die Thermostrahlen zeichneten die Umrisse körpernaher Schutzschirme nach. Halenas Griff lockerte sich für einen Moment, und Clarven nutzte die Gelegenheit und stieß ihr mit aller Kraft die spitzen Ellenbogen in den Leib. Die Kanzlerin wollte nachfassen, aber er wand
sich halb zur Seite, seine Linke zuckte hoch, und die vier Finger krallten sich in Halenas Kehle. Clarven war schwach, aber er wußte, wie man kämpfte. In Shourachar hatte er viel gelernt. Halena warf den Kopf zur Seite, und Clarven riß sich endgültig los. Er stürzte, raffte sich auf, wollte blindlings davonhetzen - doch das Fauchen eines Thermoschusses und ein gurgelnder Aufschrei ließ ihn herumfahren. Halena Diza hielt einen der kleinen Strahler in der Hand, die unauffällig unter der Kleidung zu verbergen waren. Ihr linker Arm hing steif herunter, die Schulter war von einem Streifschuß verkohlt. Mehr denn je verzerrte sich ihr Gesicht zur haßerfüllten Grimasse. Stirb! las der junge Fürst von ihren Lippen ab. Die Fremden sollen dich nicht lebend... Ihr Daumen berührte den Auslöser. Doch den Bruchteil einer Inx eher feuerten die Angreifer. Er sank zitternd in die Knie, und er reagierte beinahe hysterisch, als er jäh die Hand eines Galaktikers auf seiner Schulter spürte. »Du brauchst keine Angst zu haben, junger Mann«, sagte der Fremde. »Niemand wird dir ein Leid antun.« * Unaufhaltsam drangen die Invasoren vor. Jetzt noch anzunehmen, daß es Mittel und Wege gab, sie aufzuhalten, wäre ein tödlicher Irrtum gewesen. Der Widerstand der Gardesoldaten war in Auflösung begriffen, ihre Koordination ließ ohnehin zu wünschen übrig. Gegen einen beinahe unangreifbaren Feind konnte niemand bestehen. Vereinzelte Nachrichten aus den Bereichen der anderen Oktanten waren deprimierend gewesen. Im Bereich Grencheck schienen übernatürliche Kreaturen ihren Zorn ausgetobt zu haben. Sich ein Wesen vorzustellen, das glühenden Stahl zerfetzte, fiel Jeschdean von Jondoron jedenfalls verdammt schwer. Da klang es schon glaubwürdiger, daß ein schwarzhäutiger Riese angeblich stählerne Wände durchbrochen hatte. »Diese Galaktiker sind die schlimmste Heimsuchung seit den Olkheol -Kriegen«, fluchte einer von Jeschdeans Begleitern. »Ich will das nicht hören!« widersprach der Fürst heftig. »Wenn du nichts anderes zu sagen hast, schweig!« Er vermißte Kamheles Nähe. Stets hatte er Kraft aus der freundschaftlichen Beziehung zu seiner Sklavin geschöpft, aber in dem herrschenden Durcheinander noch einen klaren Gedanken zu fassen, wurde immer unmöglicher. Fürst Jeschdean war schweißgebadet, das prachtvolle Gewand klebte ihm unangenehm auf der Haut. Keuchend stolperte er dem Oktodrom entgegen. Hinter ihm herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Irgendwer brüllte Befehle. Vergeblich, wie es schien. Trotz aller Verbitterung mußte Jeschdean eines vorbehaltlos anerkennen: Die Galaktiker hätten Ort und Zeitpunkt ihres Überfalls nicht besser wählen können. Die Handelsfürsten tot oder in Gefangenschaft - ein entsetzlicher Gedanke. Seit einigen Rou fragte Jeschdean sich, warum die Maschtaren nicht eingriffen - seit er den Entschluß gefaßt hatte, sich über ihre Verbote hinwegzusetzen. Das Oktodrom war tabu, solange die Maschtaren nicht zum Betreten aufforderten. Aber tot zu sein war so ziemlich das Ungesündeste, was Jeschdean sich vorstellen konnte. Und in Gefangenschaft abzumagern, war mindestens ebenso grauenvoll. Nur für den Zug der Herrscher wurde das Oktodrom geöffnet. Die Halle des Gomasch Endredde stand dann Verhandlungsgesprächen und Kontakten mit den Maschtaren zur Verfügung. Eine weitere Gruppe näherte sich dem zentralen Bauwerk: Adrom Cereas von Mereosch mit mindestens zwei Dutzend seiner Soldaten und etlichen Gefolgsleuten. Jeschdean beschleunigte unwillkürlich seine Schritte. Doch gleichzeitig wurde ihm klar, daß sie gemeinsam bessere Chancen hatten. »Der Widerstand bricht zusammen«, keuchte der Fürst von Mereosch. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Adrbm Cereas hatte recht. Schon ein flüchtiger Blick zurück zeigte, daß inzwischen überall gekämpft wurde. Es gab keine deutlich erkennbare Front mehr, von allen Seiten rückten die An greifer heran oder stießen wie riesige Insekten aus der Luft herab. Jeden Moment konnten sie vor dem Oktodrom erscheinen. Es war ein eigenartiges Gefühl, ungebeten in das Reich der Maschtaren einzudringen. Jeschdean schob alle Bedenken von sich; besondere Umstände erforderten eben außergewöhnliches Verhalten. »Der Zugang muß bewacht werden«, stieß Adrom Cereas hinter ihm hervor. Ohne den Einwand wäre er blindlings weitergestürmt. Aber das brauchte Adrom nicht zu wissen. Jeschdean bestimmte zehn Bewaffnete als Torwachen, sicherer fühlte er sich danach allerdings nicht. Auch ni cht, als Adrom Cereas ebenfalls einige Männer seines Trupps postierte. Dreihundert Meter durchmaß das achteckige Zentrum des Oktogons, das Oktodrom. Was half es, einen Zugang
zu bewachen, wenn die Angreifer durch alle anderen eindringen konnten? Ohnehin würden sie sich von einigen Handvoll mutlos gewordener Verteidiger nicht abschrecken lassen. Schnurgerade führte der Korridor zur Halle des Gomasch Endredde. Ein gleichmäßiges Licht, das keine Schatten warf, entströmte den Wänden. Bei früheren Gelegenheiten hatte Fürst Jeschdean dieses Licht als angenehm empfunden, diesmal achtete er kaum darauf. Seine überflüssigen Pfunde, einmal in rasche Bewegung versetzt, zogen ihn unaufhaltsam vorwärts. Die kreisrunde Halle durchmaß hundert Meter und war im Zenit ebenso hoch. Die Kuppelwände dienten als Laserprojektionsflächen, schimmerten im Moment jedoch in stumpfem Grau. Zwanzig Meter vom Mittelpunkt entfernt, im Kreis angeordnet, erhoben sich acht steinerne Sitz- und Schreibpulte. Über integrierte Terminals dienten sie den Fürsten dazu, Daten abzurufen und sowohl untereinander als auch mit den Maschtaren zu kommunizieren. Im Mittelpunkt erhob sich ein rundum geschlossenes, ebenfalls steinernes Rednerpult für die Maschtaren. Mit einem Durchmesser von fünf Metern bot es mehreren Maschtaren ausreichend Platz. Jeschdean von Jondoron hatte die Maschtaren noch nie anders dieses Rednerpult betreten sehen als durch den von unten heraufführenden Antigravschacht. Zwei Maschtaren, Lokkor und Grirro, hantierten an den Terminals. Überrascht blickten sie auf, als die Hamamesch in die Halle stürmten. Ihre Gesichter drückten Verärgerung, ja sogar Zorn aus. Aber auch Jeschdean war wütend. Darüber, daß niemand den Fürsten zu Hilfe geeilt war. Die Maschtaren hatten sich in die Halle des Gomasch Endredde zurückgezogen und die Delegationen ihrem Schicksal überlassen. »Der Kampf ist für uns verloren«, platzte er heraus. »Wir hatten nie eine Chance, und die Maschtaren ...« »Wir wissen das«, sagte Lokkor scharf. »Wir bitten u m eure Hilfe«, stieß Adrom Cereas hervor. Grirro musterte den Fürsten von Mereosch durchdringend. Seine Züge verhärteten sich, als er hinter dem Terminal aufstand. »Keiner hat euch aufgefordert, das Oktodrom zu betreten.« »Aber...« »Niemand wird euch helfen!« Die Fürsten verfärbten sich. Jeschdean schwankte sogar, er hatte plötzlich Mühe, die aufrechte Haltung zu bewahren. Das Gefühl, in einen sich jäh öffnenden Abgrund zu stürzen, wurde übermächtig. »Aber die anderen Maschtaren sind aufgebrochen, für uns zu kämpfen«, verlieh er seiner letzten Hoffnung Ausdruck. »Sie befinden sich längst in Sicherheit«, widersprach Lokkor eisig. »Grirro und ich folgen ihnen jetzt. Wir haben erkannt, daß der Kampf verloren ist.« »Dann bringt ihr uns ebenfalls in Si cherheit?« Mit bebender Stimme verlieh Adrom Cereas seiner Hoffnung Ausdruck. Grirro drehte den Kopf zur Seite, ließ seinen Blick über die aus dem Korridor nachdrängenden Höflinge und Soldaten schweifen. »Der Pöbel muß für sich selbst sorgen«, stellte er fest. »Das gilt auch für euch.« »Wir sind die Fürsten!« begehrte Jeschdean auf. »Als Herrscher unserer Oktanten haben wir stets nach eurem Wunsch regiert.« »Du bist ein Nichts, Jeschdean von Jondoron. Genauso klein und unbedeutend wie Adrom Cereas von Mereosch und alle anderen. Glaubt ihr in eurer Verblendung wirklich, daß ihr ohne uns wichtiger wäret als das Gesindel an eurer Seite? Wir erwarten von euch, daß ihr eher in den Tod geht, als die Sicherheit auch nur eines Maschtars zu gefährden.« Das war deutlich. Jedes Wort grub sich in Jeschdeans Seele ein wie die Giftstacheln des Todesigels in das Fleisch eines unvorsichtigen Riffschwimmers. Waren die Handelsfürsten denn wirklich nie mehr gewesen als Marionetten der Maschtaren? Wir erwarten von euch ... hallte es in seinem Schädel nach. Wir erwarten ... Die Erkenntnis, daß sein eigenes Leben plötzlich nichts mehr wert war, traf Jeschdean wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Eine Welt brach für ihn zusammen. Wie durch einen dichten Schleier hindurch nahm er wahr, daß er sich umwandte und einem der hinter ihm erstarrten Soldaten die Waffe entriß. Ein böser Traum ... Nie hätte er zu denken gewagt, daß er einmal auf einen Maschtar zielen würde. - Er schaffte es nicht, den Auslöser zu drücken. Schieß! hämmerte es in ihm. Sie haben Hirdobaan an die Fremden verraten. Er zögerte zu lange. Und dann waren Grirro und Lokkor in dem Antigravschacht verschwunden, dessen Endpunkt niemand kannte. Eine heftige Explosion erschütterte die Halle des Gomasch Endredde. Das Rednerpult zerbarst in einer grellen
Stichflamme. Wie durch ein Wunder blieben die Handelsfürsten unversehrt, aber andere Männer und Frauen aus ihrem Gefolge wälzten sich verwundet am Boden. Das war kein Traum mehr. Auch nicht die Galaktiker, die wenig später die Halle des Gomasch Endredde stürmten. Sie fanden einen Haufen verstörter Hamamesch vor, denen offensichtlich alles egal war. Und einen fettleibigen Fürsten, der die Waffe gegen sich selbst richtete, aber nicht einmal mehr die Kraft besaß, abzudrücken. 8. 7. Oktober, 17:35 Uhr Standardzeit. Während Julian Tifflor an dem synthetischen Whisky nur nippte, stürzte Arlo Rutan gleich den ganzen Drink hinunter. Mit dem Handrücken wischte er sich über die Lippen und gab Michael Rhodan durch ein Kopfschütteln zu verstehen, daß er nicht nachgeschenkt haben wollte. »Im großen und ganzen können wir mit dem Ablauf des Landungsunternehmens zufrieden sein«, stellte er fest. »Ganz zufrieden wäre übertrieben.« »Zumindest haben wir keine Verluste zu beklagen. Nach Lage der Dinge heute morgen war das nicht anzunehmen.« »Fünf Verletzte wurden in die Medostation der PERSEUS gebracht«, sagte Tifflor. Mike nickte knapp. Leicht vorgebeugt saß er in seinem Sessel. »Es hat auf Seiten der Hamamesch mehrere Tote gegeben. Sie werden uns vorwerfen, als Eroberer gekommen zu sein.« »Andersherum wird ein Schuh daraus«, grollte der Ertruser. »Hätten die Hamamesch mit ihren verfluchten Waren nicht Millionen Galaktiker zu Süchtigen gemacht und nach Hirdobaan gelockt, wir wären glatt an dieser Kleingalaxis vorbeigeflogen.« »So einfach dürfen wir es uns nicht machen.« Arlo Rutan schloß seine Finger um das Whiskyglas und drückte zu. Ein dumpfes Knacken war zu vernehmen, dann rieselten Kunststoff Splitter auf den Tisch. »Skrupel, Mike, sind naturwissenschaftlich gesehen ein Schutzmechanismus der Evolution, und aus ethischer Sicht sind sie unabdingbar. Ich weiß, daß du es nicht hören willst, aber ich erinnere dich trotzdem an ein Wort aus der altterranischen Geschichte ...« »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Michael Rhodan seufzte ergeben. »Barbaren handeln so, nicht zivilisierte Intelligenzen.« »Frag Atlan, was wir in seinen Augen sind.« Rutan grinste breit. »Barbaren«, vollendete Tifflor. »Mitunter hege ich den Verdacht, Atlan könnte gewisse Ertruser damit gemeint haben.« Das Grinsen um Rutans Mundwinkel gefror. »Ich halte nur nicht gerne auch die andere Wange hin, wenn ich geschlagen wurde«, entschuldigte er sich. Sie saßen in einer der Nebenzentralen der MONTEGO BAY, die in unmittelbarer Nähe des Oktogons gelandet war. Zugleich waren allerdings acht der zehn Korvetten des Landungskommandos wieder gestartet, um einen Entlastungsangriff für die Rebellen im Bereich des dritten Planeten zu fliegen. Während auf Borrengold Ruhe eingekehrt war, tobte die Raumschlacht heftig. »Mir tut weh, was im Weltraum geschieht«, bemerkte Michael Rhodan. »Die Verluste sind auf beiden Seiten hoch. Aber vielleicht lassen die Fermyyd sich zu einem Waffenstillstand zwingen. Acht Handelsfürsten sind ein gutes Faustpfand.« »Sieben«, berichtigte Julian Tifflor. Mike blickte ihn überrascht an. »Du weißt es bisher nicht, aber Karon von Omgenoch ist tot. Wir haben seinen Leichnam und den seiner Kanzlerin vorerst konserviert.« »Unsere Leute?« fragte Rhodan schnell. »Beide waren schon vorher tot. Möglicherweise aufgrund von Rivalitäten, der Fürsten untereinander. Mehr wissen wir noch nicht.« Mike ließ eine Hyperkomverbindung zu den Fermyyd aufbauen. Geraume Zeit verging, bis sich endlich das Abbild des Kommandeurs stabilisierte, aber er kam ohne Umschweife zur Sache. »Zieht eure Schiffe zurück, Galaktiker, dann nehme ich die Kapitulation an.« »Du unterliegst einem folgenschweren Irrtum, Ron-Er-Kan. Nicht wir kapitulieren, sondern du wirst uns einen Waffenstillstand anbieten.« Die funkelnden Raubtieraugen verengten sich jäh. Der Fermyyd duckte sich sprungbereit, und das Spiel der Muskeln unter dem bläulich schimmernden Fell verriet ungeahnte Kraft und Geschmeidigkeit. Zu sehen war außerdem, daß sein kräftiger Schwanz heftig hin und her peitschte.
»Falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, Ron-Er-Kan: Unsere Truppen haben das Oktogon erobert. Dir dürfte daran gelegen sein , daß den Handelsfürsten nichts geschieht. Noch leben sie.« »Du willst mir drohen, Galaktiker?« »Ich schlage einen Handel vor, Ron-Er-Kan. Aber falls du nicht darauf eingehen willst, die Hamamesch an Bord der Residenzschiffe dürften in der Hinsicht ganz an derer Meinung sein.« Vorübergehend verwischte die Bildübertragung. Es war offensichtlich, daß der Ferm-Kommandant sich erst rückversicherte. Zweifellos setzte er alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, was auf Borrengold geschehen war. Nach endlos langen Minuten stabilisierte sich die Übertragung wieder. »Ich stelle Gegenforderungen, Galaktiker.« »Laß hören!« Nicht ein Muskel zuckte in Mikes Gesicht. Er ahnte, daß der Fermyyd jede seiner Regungen analysieren ließ; er hätte nicht anders reagiert. »Ich spreche für meine Flotte und für alle Hamamesch«, begann Ron-Er-Kan. »Wir erklären uns zu einem vorüberge henden Waffenstillstand und zu Verhandlungen bereit. Voraussetzung ist die sofortige Freilassung der Handelsfür sten und die Bestrafung der Crypers. Es wird Zeit, daß ihren Überfällen ein Ende gemacht wird.« »Du verkennst deine Situation, Ron-Er-Kan. Wenn ich es richtig sehe, befindest du dich in der Position eines Bittstellers. Ich glaube nicht, daß man dir in Hirdobaan den Tod der Fürsten jemals verzeihen würde.« »Das wagst du nicht.« In einer überaus heftigen Reaktion stieß der Ferm-Kommandant auf die Optik zu. Sekundenlang waren nur sein mächtiges Gebiß und die nach oben ragenden Hauer zu sehen. »Ich mache dir einen Gegenvorschlag«, sagte Michae l Rhodan. »Das Leben der Handelsfürsten gegen die Freilassung aller Galaktiker aus dem Zentrum von Hirdobaan. Das ist keineswegs zuviel verlangt.« »Das ist unmöglich.« »Deine Sache, Fermyyd. Wir vermissen nur ungefähr dreißig Millionen ehemalige Imprint-Süchtige. Wenn unsere Bordrechner nicht lügen, dürfte von deiner stolzen Flotte gerade noch die Hälfte aller Schiffe manövrierfähig sein. Späte stens morgen wird es keine Verteidiger im Riffta-System mehr geben.« Ron-Er-Kans Lefzen bebten. Schaum stand vor seinen Mundwinkeln, die Schnurrhaare spreizten sich borstig ab. Verglichen mit ihm war ein schwarzer Panther wahrscheinlich ein Schmusekätzchen. »Die Warfen werden schweigen«, fauchte er endlich. »Aber über deine Forderung kann nur Gomasch Endredde entscheiden.« * 7. Oktober, 18:07 Standardzeit. Seit acht Minuten war im Riffta-System kein Schuß mehr gefallen. Die Flottenverbände der Crypers und der Fermyyd lösten sich langsam voneinander, die ersten Schiffe gingen auf Distanz. Das galt auch für die Kreuzer und Korvetten der BASIS. Es war für Michael Rhodan nicht leicht gewesen, Coram-Till von der Notwendigkeit einer Vereinbarung mit den Fermyyd zu überzeugen. Gerade jetzt, da die Crypers, wie er behauptete, die Oberhand gewannen. »Wie soll ich unsere bisherigen Verluste rechtfertigen?« hatte der Ambraux Mike angefahren. »Es wird zumindest keine Verluste mehr geben«, hatte Michael Rhodan geantwortet. »Du hast die Bezahlung unserer Dienste nicht vergessen?« Das hatte lauernd geklungen, beinahe ungeduldig. Darüber dachte Mike immer noch nach, als er in Begleitung Tifflors und einiger Beausoleils aus dessen Landegruppe den verschütteten Antigravschacht im Oktodrom aufsuchte. Er wurde aus Coram -Till nicht schlau. Hatte der Rebellenführer den Angriff auf Borrengold nur vorgeschlagen, um mit Hilfe der Galaktiker seine ureigensten Ziele rasch zu verwirklichen? Trotz aller Vertrautheit, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, war nicht völlig auszuschließen, daß er sein privates Süppchen kochte. Andererseits war man aufeinander angewiesen, das wußten auch die Crypers sehr genau. »Durch diesen hohlen Schacht sind sie gekommen«, sagte Tiff. »Wer?« Mit einer irritierten Bewegung wischte Michael alle Gedanken an Coram-Till beiseite. »Die Maschtaren«, erläuterte Tifflor. »Ich vermute, daß dort unten ein Transmitter stand.« Der Schacht war nicht nur verschüttet, sondern der Schutt weitgehend ge schmolzen und fest zu einer homogenen Masse verbacken. »Die Maschtaren haben sich abge setzt, wahrscheinlich auf eine Welt im galaktischen Zentrum«, vermutete Michael Rhodan. »Darum werden wir uns später kümmern. Vorerst ist mir wichtig, die Freilassung aller Imprint-Outlaws zu erreichen.«
»Dafür wären die Maschtaren die be ste Adresse gewesen.« »Da sie fort sind, halten wir uns an die Fürsten.« Die Spuren der Zerstörung waren unübersehbar. Mit Desintegratoren hatten die Landetruppen nachgeholfen und innerhalb der ehemaligen Parkzone weitgehend freies Gelände geschaffen. Von energetischen Sperren umgeben, harrten Hamamesch, Sydorrier und einige Angehörige anderer Völker mittlerweile der Dinge, die noch kommen würden. Sie wurden von Angehörigen der Landetruppe mit Getränken und Nahrung versorgt; sogar für die Verrichtung ihrer körperlichen Notdurft waren Desintegratortoiletten innerhalb kleiner Zellen aufgestellt worden. Die Handelsfürsten waren separat untergebracht. In einem geräumigen Feld, das von außen zwar ermöglichte, die Gefangenen zu beobachten, von innen aber gänzlich undurchsichtig war. Mike ließ eine Strukturlücke schalten. Der eine oder andere haßerfüllte Blick streifte ihn, ansonsten schienen die Fürsten in Agonie zu schweben. »Bastard«, zischte einer verächtlich. Mike kannte Adrom Cereas von Mereosch, der schon im Juli nach SCHERMOTT gekommen war, um mit Perry Rhodan zu sprechen. In Wahrheit war es ihm nur darum gegangen, galaktische High-Tech zu ergaunern. »Du solltest mit solchen Begriffen vorsichtig sein, Adrom Cereas«, konterte Mike. Der Fürst verstand die Anspielung auf seine auf 70 geschätzte und nicht immer legitime Nachkommenschaft und schwieg. Der Reihe nach blickte er sie durchdringend an. Er sah verschlossene, widerwillige Gesichter. Am liebsten hätten sie sich wohl auf ihn gestürzt, doch dazu fehlte ihnen der Mut. »Ich bin hier, um euch einen Handel vorzuschlagen«, sagte Mike. »Jedem von euch und allen gemeinsam. Es geht um ein Gut, das ihr vielleicht nicht zu schätzen wißt, wenn es anderen gehört, aber wenn ihr selbst betroffen seid, versteht ihr sicher besser. Ich biete euch die Freiheit an!« Rani von Buragar antwortete als erste. »Welchen Preis verlangst du dafür?« wollte sie wissen. »Eure Freiheit gegen die Freilassung von rund dreißig Millionen Galaktikern, die ins Zentrum von Hirdobaan versetzt wurden.« »Das ist etwas, was wir dir nicht geben können.« Langsam und bedächtig drehte die Fürstin den Kopf. »Gomasch Endredde hat sie zu sich geholt«, sagte Martosch von Grencheck. »Glaubst du wirklich, wir könnten dem göttlichen Gomasch Endredde vorschreiben, was er tun und lassen soll? Lieber beende ich mein Leben in Gefangenschaft, als einen solchen Gedanken auch nur in Erwägung zu ziehen.« Mikes Minikom sprach an. »Hier ist jemand, mit dem du reden solltest«, erklang es aus dem Akustikfeld. »Wer?« »Nibbl... - was weiß ich. Der Name ist zungenbrecherisch. Auf jeden Fall hat er nach Tekener gefragt.« »Ich komme«, versprach Michael Rhodan. Und an die Fürsten gewandt, fügte er hinzu: »Ihr wißt jetzt, was wir von euch erwarten. Denkt darüber nach, aber wartet nicht zu lange.« * Eine leicht verfettete Stubenfliege mit riesengroßem Kopf, das Geschöpf drei Meter groß, schwarzhäutig und mit untauglichen Stummelflügeln versehen - der Stuuhr, obwohl von zwei Bewachern flankiert, machte einige hastige Schritte auf Michael Rhodan zu. Er scherte sich einen Dreck um die Waffen der Galaktiker. »Du bist nicht Tekener«, stieß er in korrekt moduliertem, aber abgehacktem Hamsch verärgert hervor. »Wenn ihr mich nur hinhaltet, sage ich nichts mehr.« »Ich bin Michael Rhodan.« Der Stuuhr stutzte für einen Moment. »Der Herrscher der Milchstraße?« entsann er sich. »Sein Sohn«, korrigierte Mike, ohne auf einige unbedeutende politische De tails einzugehen. »Ich rede nur mit Tekener, mit nie mand sonst.« »So geht das schon eine ganze Weile«, seufzte einer der Bewacher. Julian Tifflor kam im Laufschritt heran. »Vielleicht kann ich helfen.« Er bedachte den Schwarzhäutigen mit einem forschenden Blick. »Auf Mommen hat Tek einen Stuuhr aus dem High-Tech-Fundus eines OutlawSchiffes entschädigt. - Wie heißt du?« »Nbltsgndpfrdbrms.« »Ich meine, Ronald Tekener gab dir einen anderen, weniger zungenbrecherischen Namen.« »Bräämsää.« Ein amüsiertes Grinsen huschte über Tifflors Gesicht. »Kein Zweifel«, stellte er fest. »Tek hat von einem Stuuhr namens Bremse erzählt. Er hat ihm syntrongesteuerte Haushaltsgeräte überlassen und ein Uralt-Aggregat, eine Art Hyperkom-Vermittler.« Das war der letzte Beweis. Michael verbiß sich ein Grinsen. Der Smiler hatte doch tatsächlich mehr oder
weniger wertlose Waren verhökert. Hyperkom-Kleingeräte waren eine Zeitlang als Versuchstypen in Umlauf gewesen; mit ihrer Hilfe konnte man von jedem Punkt eines Raumschiffs auf die zentrale Hyperfunkanlage zugreifen, quasi als Relaisstation. Bewährt hatten die Dinger sich nie, sie besaßen heute quasi Schrottwert. »Du wirst mit uns vorliebnehmen müssen, Bremse«, meinte Michael Rhodan. »Ronald Tekener ist zwar unser Freund, aber wir können nicht zu ihm.« Nbltsgndpfrdbrms legte den Kopf schräg, sein Saugrüssel zuckte heftig. Eine fragende Geste? Warum sollte er nicht erfahren, was geschehen war? »Tekener befindet sich im Zentrum von Hirdobaan«, fügte Mike hinzu. »Dann hat Gomasch Endredde ihn zu sich geholt«, platzte der Stuuhr heraus. »Ja und nein. Aber das müssen wir hier nicht erörtern«, sagte Tifflor. »Was wolltest du von Tek, und wie bist du überhaupt nach Borrengold gelangt? So viel ich weiß, warst du auf die Hamamesch nicht besonders gut zu sprechen.« »Darüber müssen wir hier ebenfalls nicht reden«, konterte der Stuuhr. »Ich will weg von Borrengold, sofort. Mein Raumschiff steht im Orbit und ...« »Die Crypers kennen ein passendes Sprichwort«, unterbrach Michael. »Mitgeschnappt - mitgeschuppt.« Bremse vollführte eine heftige Geste mit zwei Armen. »Mir gefällt es nicht unter so vielen stinkenden Hamamesch. Der Weltraum ist meine Heimat. - Bringt mich zu meinem Schiff.« »Das kann nicht dein Ernst sein«, seufzte Tifflor. »Du läßt dich von Tekener für eine kleine Hilfe auszahlen, und wir sollen dich ohne jede Gegenleistung freilassen, einfach so?« »Was ist euch ein Maschtar als Gefangener wert?« Die Frage schlug mit der Brisanz einer Thermitladung ein. Beinahe hätte Michael Rhodan dem Stuuhr jedes Zugeständnis gemacht, erst im letzten Mo ment biß er sich auf die Zunge. Eine ungehinderte Passage aus dem Riffta-System war ein angemessener Preis. Bremse erzählte von der Sydorrierin Deliga, von ihrem Totschlag an Karon von Omgenoch und Kanzlerin Zirrin und davon, daß er ihr zur Flucht verholfen hatte. Weil Nicht-Hamamesch zusammenhalten mußten. »... Maschtar Morran hat die Verfolgung Deligas in einem Borrengleiter aufgenommen. Er kam nicht wieder zurück. - Und jetzt nehmt endlich die Waffen weg, oder ich vergesse mich!« Ein flüchtiger Wink Tifflors schickte die Wachen fort. Die Überraschung war gelungen. Bremse hatte nicht mehr und nicht we niger ausgesagt, als daß sich keineswegs alle Maschtaren ins galaktische Zentrum in Sicherheit gebracht hatten. Morran weilte irgendwo auf Staama, ohne nennenswerten Schutz und ohne die Möglichkeit, sich auf Dauer zu verstecken. Es durfte nicht allzuviel Mühe kosten, seiner habhaft zu werden. * Die Waffen schwiegen, und Ron-Er-Kan leckte seine Wunden. Zum erstenmal, seit er auf der AXXOK das Kommando hatte, war seine Flotte auf eine Niederlage zugesteuert. Nicht nur, um das Leben der Handelsfürsten zu schonen, hatte er sich auf den Waffenstillstand eingelassen. Vor allem ging es ihm darum, Verluste wettzumachen. Von ursprünglich tausend Regenbogenschiffen waren nur noch rund 500 voll manövrierfähig. Eine erschreckend geringe Zahl. Vordringlich galt es, wrackgeschossene Schiffe zusammenzuflicken, damit sie den überlebenden Mannschaften wieder Schutz vor der Leere boten. Ver wundete waren zu versorgen, die Toten mußten dem Weltraum übergeben wer den. Einzelne Raumer absolvierten weiterhin Patrouillenflüge innerhalb des Systems; auch die AXXOK. RonEr-Kan wagte sich mehrmals nahe an Borrengold heran und passierte das gigantische Trägerschiff der Galaktiker in einer Distanz von weniger als zehntausend Kilometern, ohne daß die Fremden das Feuer eröffneten. Der Waffenstillstand hatte wirklich Bestand. Die Ortungen erbrachten neue Daten über Stärke und Verhalten der Gegner. Irgendwann zeigten die Taster ein kleines scheibenförmiges Schiff, das von Staama startete und einen Pulk von Handelsraumern im Orbit anflog. Die Scheibe dockte an einem Prospektoren schiff an, das kurze Zeit später aus der Umlaufbahn ausscherte und mit tangentialem Kurs zur Sonne beschleunigte. Ron-Er-Kan argwöhnte eine Provokation. Die Crypers, die ebenfalls hohe Verluste erlitten hatten, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie die Fermyyd, fieberten wohl dem Augenblick entgegen, in dem sie erneut angreifen konnten. Jenseits der Umlaufbahn des ersten Planeten verschwand das Prospektorenschiff im Hyperraum. Ermutigt durch das Beispiel flohen während der nächsten Stunden weitere Schiffe aus dem Troß der
Handelsfürsten. Unvermittelt wurde die Box in der Zentrale der AXXOK aktiv. Der Schiffscomputer unterbrach eine wichtige Auswertungsphase und gab den eingetroffenen Befehl modifiziert bekannt. »Ron-Er-Kan, fliege mit deinem Flaggschiff und weiteren drei Einheiten Borrengold an und errichte auf dem Kontinent Staama zwei Brückenköpfe. Diese sind mit allen Mitteln gegen die Galaktiker zu verteidigen, auch unter Einsatz deines Lebens. Die Probleme innerhalb des Riffta-Systems sind bekannt. Du erhältst ausreichend Verstärkung, damit Galaktiker und Crypers-Rebellen vernichtet werden können.« Der Befehl hatte oberste Priorität. Obwohl er eine Verletzung des Waffenstillstands bedeutete. Ron-Er-Kan handelte prompt. Er gab die Order an drei zufällig ausgewählte Kommandanten weiter. Die Schiffe flogen Borrengold nicht auf geradlinigem Kurs an. Sie erweckten den Eindruck einer neuerlichen Pa trouille und erreichten unbehelligt die Nähe des zweiten Planeten. Die mit dem Befehl übermittelten Koordinaten bezeichneten zwei zerstörte Geschütztürme auf Staama, annähernd entgegengesetzt zum Oktogon gelegen. Ron-Er-Kan stellte keine Fragen; er gehorchte, wie er es gewohnt war. Kurz vor dem Einflug in die Atmosphäre wurden die Schiffe angefunkt. »Hier spricht Lugia Scinagra, Kommandantin der BASIS. Ich fordere die Fermyyd auf, umgehend den Bereich Borrengold zu verlassen. Jeder Versuch einer Landung wird als Bruch des Waffenstillstands betrachtet und entsprechend beantwortet.« In einem Gewaltmanöver rasten die Regenbogenschiffe dem Kontinent entgegen, bevor die Galaktiker sie abfangen konnten. Zwei Raumer landeten im Osten von Staama, die AXXOK und das letzte Schiff nahe der Westküste. Noch war kein einziger Schuß gefallen. Weiterhin ignorierte Ron-Er-Kan alle Bemühungen, ihn über Funk anzusprechen. Auch als Kugelraumer auf die Landeplätze zuhielten, reagierte er nicht. Übergangslos griffen die Galaktiker an. Dem Ferm-Kommandanten war klar, daß seine Schiffe am Boden kaum Chancen hatten, den Galaktikern effektiven Widerstand zu leisten. Die Schirmfelder brachen nach wenigen Rou zusammen. Desintegratoren und Impulssalven rissen die Schiffsleiber auf. Danach drehten die Kugelraumer ab. Zurück blieben vier flugunfähige Regenbogenschiffe. 9. Ein schmaler Grat zwischen Leben und Tod, das Gefühl eines schrecklichen Alptraums - ihr Dasein beschränkte sich auf ein Kaleidoskop undeutlicher Wahrnehmungen. Die Kälte fraß sich in ihre Glieder, aber schon im nächsten Moment fürchtete sie, verbrennen zu müssen. Sie krümmte sich vor Schmerzen, aber sie wachte nicht auf. Da waren Stimmen, fremd und unverständlich, ein gutturales Schnattern. Und da waren Hände, die sanft und einfühlend ihren Körper berührten. Hände, die ihr Linderung brachten. Endlich schlief sie ruhiger. Tief und traumlos. Als Deliga erwachte, war sie allein. Ein zäher Pflanzenbrei bedeckte ihre nackte Haut. Und ein Wust aus grob gewebten Decken und Fellen lag über ihr ausgebreitet. Ruckartig setzte sie sich auf. Sanfte pastellfarbene Helligkeit fiel durch einen Vorhang aus Eis, ein wundervolles Spiel von Licht und Schatten. Dem Winkel der einfallenden Sonnenstrahlen nach zu schließen, war es früher Morgen. Deliga erschrak. Hatte sie einen ganzen Tag verschlafen? Sie dachte an ihren Verfolger, aber dann entsann sie sich ihrer vagen Träume. Schnatternde, sanfte Wesen hatten sie in der Wildnis gefunden und vor dem Erfrieren gerettet. Skatar, durchzuckte es sie - die Eingeborenen, deren Entwicklung nicht über das Steinzeitalter hinausgekommen war. Sie lebten in Höhlen, im Winter auch in Wohnburgen aus Eis, und ihre Zahl beschränkte sich auf höchstens 100.000 auf ganz Staama. Skatar galten als possierliche, aber auch leicht reizbare Wesen. Die Eishöhle war gerade so hoch, daß sie darin stehen konnte, und ziemlich eng. Deliga fand ihre kostbaren Kleider zwischen stinkenden Fellen. Während sie sich anzog, erklang hinter ihr ein empörter Ausruf. Der Skatar war unvermittelt zwischen den Eiszapfen aufgetaucht, hinter ihm drängten weitere seines Volkes. nach vorne. Mit einem scharfen Befehl hielt er die anderen auf Distanz. Er ist der Häuptling! schoß es Deliga durch den Sinn. Sein Fell war braun, mit gelber Bauchseite, darüber trug er einen Umhang aus Raubtierfell. Den Schädel des Monstrums mit den fingerlangen Reißzähnen hatte er sich - vermutlich als Zeichen seiner
Würde - auf den Kopf gesetzt. Unaufhörlich klapperte er mit dem kleinen spitzen Schnabel. »Ihr habt mich gerettet und gepflegt?« fragte Deliga eigentlich völlig unnötig. Der Skatar deutete mit beiden Händen auf sich und stieß Laute aus, die wie »Ae'genim« klangen. Das war sein Name. Deliga reckte ihm dankbar ihren Röh renmund entgegen. Sie brauchte lange, um mit dem Häuptling und einigen anderen Skatar eine halbwegs sinnvolle Unterhaltung zu führen. Diese Wesen verstanden Hamsch zwar leidlich, doch ausdrücken konnten sie sich nur in ihrer eigenen primitiven Sprache. Deliga war für den Häuptling schlicht und einfach »Die-aus-dem-Himmel-fiel-als-Gott-glühende-Tränenweinte«. Von Maschtar Morran wußte er nichts, und Deliga versuchte gar nicht, weiter in ihn zu dringen. Obwohl sie allen Grund hatte, den Skatar dankbar zu sein, durfte Deliga nicht bleiben. Das Risiko, daß Morran sie in der Siedlung aufspürte, war einfach zu groß. Mit Händen und Füßen redend, überzeugte sie Ae'genim endlich davon, daß er sie zu ihrem Gleiter führen sollte. Der Häuptling wirkte zwar abweisend, beugte sich aber ihrem Wunsch. Zweieinhalb Kilometer weit stapften sie durch hohen Schnee, die Skatar lärmend und singend, Deliga gerade deshalb zunehmend bedrückter. Sie begann Übles zu ahnen, als sie einen zerschlissenen Passagiersitz fand. Einige Meter weiter lagen Teile der Kabinenverkleidung. Und dann stand sie vor dem Gleiter und war nahe daran, sich auf die liebenswerten Skatar zu stürzen. Ein Großteil der Inneneinrichtung war demontiert; alles, was irgendwie geglänzt hatte oder wertvoll erschienen war. Die Maschine würde nie wieder in die Luft zu bekommen sein. »Ae'genim reich«, krächzte der Häuptling. *
Noch in den späten Nachtstunden des 7. Oktober hatten die Fernortungen in 500 Meter Tiefe unter dem Oktogon einen gewaltigen Hohlraum mit einer Ausdehnung von ungefähr 25 Quadratkilometern entdeckt. Da war allerdings noch nicht sicher, ob es sich möglicherweise nur um natürliche Verwerfungen handelte. Erst hochsensible Geräte und Messungen aus dem Umkreis der oberirdischen Anlagen wiesen schwache, schwankende Energiefelder nach. Hyperdimensionale Strukturen ergaben sich jedoch in keinem Fall. Für Michael Rhodan, Tifflor und Tolot war klar, daß sie das Versteck der Maschtaren entdeckt hatten, die vermutlich sogar die Lufterneuerung in 500 Metern Tiefe auf ein Minimum gedrosselt hatten, um nicht entdeckt zu werden. Am frühen Morgen wurde geeignetes Bohrgerät von Bord der MONTEGO BAY in das Oktodrom transportiert. Roboter übernahmen die Arbeiten, die sich schon zu Beginn als zeitraubend darstellten. Das wiedererstarrte Material innerhalb des Antigravschachts löste sich unter dem Einfluß der Desintegratorbohrer nur zögernd auf, auch Thermostrahlen bewirkten nur eine allmähliche Verflüssigung. »Ich habe von Anfang an nicht an eine Flucht ins galaktische Zentrum geglaubt«, betonte Icho Tolot. »Die Maschtaren halten die Geschehnisse auf Borrengold unter Kontrolle, sie warten nur darauf, daß wir uns eine Blöße ge ben.« Mit beiden Händen massierte Tiff seinen Nacken und streckte sich. Seit Stunden fühlte er bleierne Müdigkeit. Auch Aktivatorträger kamen nicht ohne Schlaf aus, und er hatte seit längerem kein Auge zugetan. Er blickte zu Tolot auf. »Gibt es Grund für deine Vermutung? Eine Streustrahlung vielleicht, die du von der HALUTA aus angemessen hast?« »Nein«, grollte der Haluter. »Keine Hinweise.« Tifflor zuckte mit den Achseln. »Vermutlich schmoren die Maschtaren im eigenen Saft. Das ist aber immer noch kein Vergleich zu dem, was den Völkern der Milchstraße angetan wurde. Auf jeden Fall geht es Morran bald an den Kragen. Auf Dauer kann er sich nicht vor unseren Suchtrupps verbergen.« Im Laufe des Vormittags begann es wieder zu schneien. Dicke, schwere Flocken fielen und verwischten alle Spuren außerhalb des Oktogons. Die Bohrarbeiten am verschütteten Antigravschacht blieben schwierig. Indes gab es auch gute Nachrichten. Mehrmals waren die Arbeiten unterbrochen worden und Hohlraumtaster in die Tiefe hinabgelassen worden. Die letzte Messung bewies, daß der Antigravschacht nur auf ungefähr 200 Meter völlig unpassierbar war, unterhalb dieses Niveaus schien sich die Explosion kaum noch ausgewirkt zu haben. Nachdem sie zwei Stunden Schlaf nachgeholt hatten, übewachte Julian Tifflor wieder den Fortgang der Arbeiten, während Michael Rhodan den Handelsfürsten einen wunderschönen Tag wünschte. Die Ironie in seinen Worten blieb den Hamamesch aber vermutlich verborgen. Keiner reagierte auf sein erneutes
Ansinnen, den Austausch von 30 Millionen Galaktikern aus dem Zentrum gegen ihre Freiheit in die Wege zu leiten. Lediglich Clarven von Ammach ließ sich zu einem Kommentar verleiten. »Bring mich zurück nach Clorech und ins Shourachar«, sagte er. »Dann werde ich sehen, was ich für dich tun kann.« Die Meldung, daß vier Regenbogenschiffe das Stillhalteabkommen gebrochen hatten und auf Staama gelandet waren, kam kurze Zeit später. »Die Fermyyd haben den Auftrag, Bastionen zu errichten, in denen Maschtar Morran Zuflucht finden kann«, vermutete Michael Rhodan. »Es war zu erwar ten, daß die anderen Maschtaren ihn nicht im Stich lassen.« »Das heißt, wir schicken zwei Einsatztrupps zu den Brückenköpfen der Fermyyd«, folgerte Tifflor. »Zunächst, um die Panther zu beobachten und die Umgebung zu sondieren - und um den Maschtar abzufangen, sobald er in der Nähe eines der Schiffe erscheint.« * 8. Oktober, 10:11 Uhr Standardzeit. Die Miniatursonde drang in unbekannte Tiefen vor. Unmittelbar nach dem Überschreiten der 200-MeterMarke wichen die glatten Wände des Bohrkanals dem Abbild des ursprünglichen Antigravschachts. Nur in seinem oberen Breich waren noch Schmelzschäden zu sehen, danach führte er unbe rührt in die Tiefe. 504 Meter, der Endpunkt des Schach tes. Ein lichtloser, leerer Korridor schloß sich an. Von einem winzigen Prallfeld algustranischer Baureihe getragen, schwebte die Sonde weiter. Infrarot und Restlichtaufhellung sorgten nach wie vor für eine den Umständen entsprechende optimale Bildübertragung. Der Eindruck einer verlassenen Station drängte sich auf. Endlos anmutende, verwinkelte Gänge und Hunderte von Türen, viele geschlossen, aber nicht alle. Dahinter kubische Räume, spartanisch eingerichtet, kein Komfort - zumindest in dem Sinne, daß Terraner den Luxus auch als solchen erkannt hätten. »Vielleicht ein Gefängnis.« Die Vermutung lag nahe. »Für unbotmäßige Hamamesch?« Ei nes der üblichen Sitzgestelle geriet in den Erfassungsbereich. Deshalb die Bemerkung. »Auf 25 Quadratkilometern nur Zellen?« fragte Icho Tolot. »Und das Ganze über eine Höhe von 200 Metern? Das ergibt rund 30 Etagen.« Sie übermittelten der Sonde einen neuen gerafften Steuerimpuls, der von dem Pikosyn augenblicklich umgesetzt wurde. In der Übermittlung erschien ein Treppenschacht. Danach wieder Korridore und verlassene Räume, in den nächstfolgenden Stockwerken zwar größer, aber immer noch spärlich eingerichtet. Nach zwanzig Minuten Monotonie ließ Michael Rhodan die Sonde weiter absteigen. Auf der siebten oder achten Etage wurden Versorgungsleitungen entdeckt. Eine Anlage zur Lufterneuerung und -Umwälzung, daran angrenzend ein ausgedehntes Wasserreservoir. Mächtige Rohrleitungen ließen vermuten, daß unterirdische Wasserläufe angezapft worden waren. Entsprechendes galt wohl auch für die Abfallentsorgung. »Diese Anlage ist für etliche tausend Hamamesch ausgelegt«, stellte Michael Rhodan fest. »Wo sind.sie?« Er erwartete keine Antwort. Noch nicht. Technik trat in den Vordergrund. Kommandoräume, ausgestattet mit Bildschirmgalerien, Terminals und Dutzenden von Sitzgestellen, deren Anordnung entfernt an Lehrsäle erinnerte. »Irgendwo werden wir auf den Transmitter stoßen, durch den die Maschtaren entkommen sind«, behauptete Tifflor. Die Überraschung folgte nur Minuten später. Fahler Lichtschein drang durch eine stillgelegte Antigravröhre nach oben. Die Sonde schwebte tiefer. »Maschtaren!« stieß Tiff hervor. Den Irrtum erkannte er allerdings sofort. Einige hundert Hamamesch hatten sich hier versammelt. Sie trugen schmucklose graue Kombinationen und waren durchweg so schlank wie Maschtaren, aber keiner trug das Emblem oder den Maschthom. Andere Hamamesch hatten einige Dutzend Schalträume besetzt und standen oder lagen im Halbdunkel rings um eine große Halle. Groß genug, um die ge suchte Transmitterstation zu sein. Und überall desaktivierte Opera-Roboter. Alle drei Typen waren vorhanden. »Notbeleuchtung. Nur die Lufterneuerung arbeitet.« Michael Rhodan nickte schwer. »Die Hamamesch warten. Vermutlich darauf, daß wir uns von Borrengold zurückziehen.« »Das Nest heben wir aus«, sagte Icho Tolot dumpf. »Die Hamamesch haben keinerlei Technik im Einsatz und können sich demzufolge nur optisch und akustisch orientieren.«
Michael Rhodan stimmte zu. »Wenn wir mit entsprechender Vorsicht einen größeren Schacht vorantreiben und überraschend zuschlagen, erwischen wir die Hamamesch hier, bevor sie sich ebenfalls per Transmitter absetzen können.« * Die Winter auf Staama waren kurz, aber heftig. Während des Rückwegs zu den Eishöhlen hatte es erneut zu schneien begonnen. Deliga war froh darüber; schließlich würde der Schnee das Wrack des ausgeschlachteten Borren gleiters zudecken. Alles weitere mußte sich finden. Häuptling Ae'genim hatte ihre Verärgerung gespürt und erst heftig gestikulierend auf sie eingeredet und ihr anschließend die kalte Schulter gezeigt. Deliga hatte plötzlich Mühe, mit den Skatar Schritt zu halten. Mit jeder Rou wurde es kälter. Ein eisiger Wind blies von den Bergen herab. Die Sydorrierin zog ihre dünne Robe enger. Vor ihrem Röhrenmund stand der Atem als dichte weiße Wolke. Den Kopf gesenkt, stapfte sie hinter den Eingeborenen her. Erst deren lauter werdendes Schnattern veranlaßte sie, innezuhalten. »Kukka!« riefen sie und stießen aufgeregt ihre primitiven Steinwaffen in die Luft. »Kukka!« »Macht, was ihr wollt.« Deliga fror erbärmlich. »Ich gehe weiter.« »Kukka!« Ae'genim streckte ihr seinen krummen Speer mit der roh behauenen Steinspitze hin. »Was soll ich damit? Ich brauche keine Waffe? - Ich danke dir, Häuptling, aber ...« Ae'genim deutete auf eine Spur im Schnee, den Abdruck einer krallenbe wehrten Tatze. Danach zeigte er auf seinen Fellumhang, den mächtigen Raubtierschädel, den er als Kopfschmuck trug, und tänzelte einmal im Kreis herum. Erneut streckte er der Sydorrierin den Speer entgegen. »Ich verstehe«, murmelte Deliga. »Kukka ist noch in der Nähe, er hat Hunger und ist gefährlich.« Ae'genim schnatterte aufgeregt und zustimmend. Diesmal nahm Deliga den Speer aus seiner Hand. Dafür tätschelte der Häuptling ihren verlängerten Rücken, offensichtlich eine Geste der Zufriedenheit. Sie erreichten die Eishöhlen ohne weiteren Zwischenfall. Die Sicht reichte inzwischen nur noch wenige Meter weit. Zitternd vor Kälte kuschelte Deliga sich in die Decken und Felle, aber mit der Wärme, die ihren Körper tangsam wieder belebte, kamen auch die Gedanken an Riau und Karon. Ihr Leben war verpfuscht, sie war unwürdig, eine Sydorrierin zu sein, und selbst ein Ruhetanz würde ihr die Qual der Erinnerung nicht nehmen. Unvorstellbar, wenn ihr einstiger Lehrmeister von ihrer Tat erfuhr ... Im Laufe des Nachmittags verkroch Deliga sich völlig im Schneckenhaus ihrer verwirrten Gefühle. Die Einsamkeit fraß sie auf. Trotzdem sehnte sie sich nicht nach Gesellschaft. Mußte sie mit ihrer Schuld leben, um zu sühnen? Die Nacht wurde grauenvoll, erfüllt von den Gespenstern der eigenen Vergangenheit. Deliga. erwachte in fahler Dämmerung. Tief in ihr nagte ein quälendes Unbehagen. Es war still geworden. Zu ruhig. Nicht einmal die Laute der Skatar klangen zu ihr herüber. Unwillkürlich griff sie nach dem Speer. Es schneite noch immer, die Sicht reichte kaum weiter als am Vortag. Deliga nahm all ihren Mut zusammen und stapfte durch hüfthohen Neuschnee hinüber zu den Behausungen, in denen die Eingeborenen in unterschiedlich großen Gruppen lebten. Die Höhlen waren leer, nur Felle, Waffen und Utensilien aus dem Gleiter lagen verstreut herum. Es sah ganz so aus, als hätten die Skatar alles liegen- und stehenlassen und wären von einem Moment zum anderen geflohen. Deliga schluckte krampfhaft. Eine eisige Hand schien ihr die Kehle zuzudrücken. Etwas Unheimliches lastete auf den Höhlen. Oder bildete sie sich die nahe Gefahr nur ein? Sie warf sich herum und hetzte ins Freie hinaus. Im Schnee vor der Höhle fand sie halb verwischte Spuren, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Die Skatar waren demnach erst vor kurzem ins Tal hinabgestiegen. Deliga folgte der Fährte, die im Schneetreiben rasch unkenntlich wurde. Doch sie fühlte sich nicht wohler als in der Höhle. Tausend Augen schienen sie aus der Düsternis heraus anzustarren. Ein ungutes, beängstigendes Gefühl. Deliga umklammerte den Speer fester. Und dann sah sie den Schemen. Zapfenartige Umrisse verdichteten sich in der Düsternis - ein silberner Opera-Roboter. Entsetzt fuhr die Sydorrierin herum. Sie kam nur wenige Schritte weit, prallte vor einem Blauoperator zurück. Und linker Hand, scheinbar schon zum Greifen nahe, näherte sich ein rostbrauner Roboter. Deliga stockte der Atem. Von Panik erfüllt, riß sie den Speer hoch. »Willst du wirklich kämpfen?« Die Stimme des Maschtars ging ihr durch und durch. »Das ist doch einer Sydorrierin nicht würdig.« Morrans schlanke Gestalt löste sich aus einer Felsnische. Er war nahe genug, daß Deliga die gelben
Fleckenmale rund um seine Augen erkennen konnte. »Du hast dir angemaßt, was nur Maschtaren zusteht: über Leben und Tod eines Handelsfürsten zu entscheiden.« »Ich...« Die Furcht schnürte ihre Kehle zu. Wie sehr hatte sie diesen Moment gefürchtet, ihn aber vielleicht auch unbewußt herbeigesehnt. Manchmal konnte der Tod gnädiger sein als das Leben. Morrans Hände näherten sich dem Maschthom, berührten einen Kontakt. Ein roter Laserpunkt erschien auf Deligas Brust, dann spürte sie einen dumpfen, brennend heißen Schlag. Schwärze löschte alle Empfindungen aus. * Sie hatten die Wahl gehabt, seitlich oder gar außerhalb des Oktogons einen neuen Schacht in die Tiefe vorzutreiben, sich letztlich aber dafür entschieden, den verschütteten Antigravlift freizulegen. Hier war zumindest bekannt, daß es keine Sperren oder gar Alarmvorrichtungen gab, die in der unterirdischen Station frühzeitig Alarm ausgelöst hätten. Kurz vor Mitternacht des 8. Oktober stieß Icho Tolot mit einem Trupp Ertruser in unterirdische Bereiche vor. In ihren flugfähigen SERUNS benötigten sie nur Minuten bis zum Ende des Schachtes und drangen im Schutz aktivierter Deflektorfelder weiter vor. Nichts hatte sich verändert. Leere, lichtlose Korridore; einfache Unterkünfte; Gemeinschaftsräume. Die Pikosyns der SERUNS verfügten über alle von der Miniatursonde gelieferten Erkenntnisse, die eine Orientierung innerhalb des unterirdischen Labyrinths erleichterten. Mit jedem Stockwerk, das die Männer hinter sich brachten, wuchs jedoch die Gefahr einer zufälligen Entdeckung. Trotz aller Perfektion waren auch SERUNS keine hundertprozentigen Wunderanzüge. Energetische Streufelder konnten nicht vollständig abgeschirmt werden und stellten für entsprechende Ortungsgeräte ein wahres Leuchtfeuer dar. Die Ertruser verteilten sich weiträumig. Ihre Kommunikation beschränkte sich auf den Austausch unverzichtbarer Informationen in Form von Rafferimpulsen, die von den Pikosyns entzerrt und entweder als Schrifteinblendung oder akustische Wiedergabe dem Träger mitgeteilt wurden. Die unterirdische Anlage war eine Ausbildungsstätte großen Stils. Viele Details, angefangen von der Größe der Räume, über die technische Ausstattung bis hin zu ihrer Anordnung, legten diesen Schluß nahe. Das deckte sich mit den von der Sonde übermittelten Aufnahmen. Die schlanken Hamamesch in den schmucklosen Kombinationen hatten augenscheinlich einen Ring um jene »Mitschüler« gebildet, die es bereits geschafft hatten, in einen höheren Rang aufzusteigen. Icho Tolots Planhirn versah diese Feststellung mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit. Auf der zehnten Etage stieß der Haluter überraschend auf einen reglosen Blauoperator. Der Roboter war im Zugang zu einer größeren Maschinenhalle erstarrt. Warum, blieb dahingestellt. Umzukehren war für Tolot in diesem Augenblick zu spät, in dem er den Opera entdeckte. Falls der Blaue über aktivierte Sinne verfügte, hatte er inzwischen Alarm ausgelöst. Icho Tolot schnellte sich vorwärts. Der Aufprall war heftig genug, einen Teil der Felswand einzudrücken, während seine Handlungsarme den Blauoperator förmlich zerfetzten. Der Gewalt eines Haluters war ein solcher Roboter nicht gewachsen. Abgesehen von gerade einmal handflächengroßen Trümmerstücken blieb ein Torso zurück, der überwiegend an ausgewalztes Stahlblech erinnerte. Sekundenlang aktivierte Tolot die Ortungen seines Anzugs: Der Zwischenfall war offensichtlich unbemerkt geblieben. Kurze Zeit später registrierte er einen flüchtigen Impuls - ein gebündeltes Ortungsfeld, das von zentraler Stelle aus über die unteren Etagen wanderte. Nur Sekunden vergingen, bis die Station zu jähem Leben erwachte. Die Energieortung zeigte ein Feuerwerk anlaufender Maschinen; Verteidigungsanlagen wurden aktiviert, ebenso Schirmfelder, die einzelne Etagen gegeneinander abriegelten. Jede Zurückhaltung war überflüssig geworden. Icho Tolot stürmte los. Er zog eine Spur der Verwüstung, nicht einmal energetische Sperren konnten ihn aufhalten; er umging sie, indem er mit ungestümer Gewalt Wände und Decken durchbrach. Gleichzeitig griffen die Roboter an. Dutzende Blauoperatoren stellten sich Tolot entgegen, aber ihre Thermostrahler und Desintegratoren vergrößerten nur das Chaos. Jeder Fausthieb des Haluters zermalmte einen der zapfenförmigen Roboter. Einige Wracks begannen aus sich selbst heraus zu glühen, andere versuchten sich schwankend wiederaufzurichten und wurden von Explosionen in ihrem Inneren gänzlich zerfetzt. Die nächste Etage. Noch mehr Blauoperatoren. Nur die vordersten von ihnen feuerten, als Icho Tolot sich auf die Laufarme niederließ. Dann eine gewaltige Explosion. Eine Vielzahl Roboter hatte sich selbst in die
Luft gesprengt. Kein schlechter Versuch, aber wirkungslos. Weder die enorme Druckwelle noch die freiwerdende Energie schadeten dem Haluter. Tonnenschwere Platten lösten sich aus der Decke und zermalmten die Überreste der Operas. Icho Tolot konnten sie nichts anhaben, doch sie verkeilten sich ineinander, türmten sich in Sekundenschnelle auf. Feiner Schutt begann die Hohlräume auszufüllen, und noch immer stürzte Geröll aus der Höhe herab und füllte den Korridor. Tolot hatte bereits Mühe, sich aus der gebückten Haltung aufzurichten. Wie ein Fesselfeld umgab ihn das Geröll und ließ ihm kaum eine Chance, seine überlegene Kraft auszuspielen. Gucky durfte nie erfahren, daß er auf derart primitive Weise mattgesetzt worden war. Minuten vergingen, bis er we nigstens mit den Laufarmen versuchen konnte, den Schutt zur Seite zu drücken. Der Widerstand war unglaublich, abe r er schaffte es und kämpfte sich zentimeterweise vorwärts. Inzwischen wüteten die Ertruser in den Reihen der Opera-Roboter. Über Funk bekam Tolot teilweise mit, was sich abspielte. Sein Groll auf die eigene mißliche Lage wuchs. Hinter den Operas bildeten Hunderte schlanker Hamamesch eine zweite Verteidigungslinie. MaschtarenZöglinge. Tolot war inzwischen überzeugt davon, daß innerhalb der Station die Assistenten der Maschtaren ausgebildet wurden. Die Verteidiger mußten zurückwei chen. Obwohl sie es immer wieder schafften, die Ertruser für kurze Zeit aufzuhalten, konnten sie letztlich nicht verhindern, daß diese von mehreren Seiten zur Transmitterhalle vorstießen. Das war der Zeitpunkt, zu dem der Haluter sich endlich aus den Trümmern befreit hatte. Nur wenige Operas stellten sich ihm entgegen. Sie blieben als Schrott zurück. Tolot erreichte die zentrale Halle gemeinsam mit den ersten Ertrusern. Vier rote Transmitterfelder flackerten in der Düsternis. Die Hamamesch brachten sich in Sicherheit. Im nächsten Moment ein grelles Leuchten; das Rot begann sich von innen heraus aufzulösen. Die letzten Hamamesch innerhalb des Feldes wurden zu halbstofflichen, grotesk verzerrten Schemen, alptraumhafte Kreaturen im Grenzbereich zwischen den Dimensionen. Grauenvolle Schreie vermischten sich mit gurgelnden Lauten und dem Zischen schmelzenden Metalls. Die Transmitterbögen begannen zu zerfließen. Ein letztes rotes Flackern noch, ein Hauch verwehender Leiber, dann hatten die Transmitter sich selbst zerstört. Zweifellos eine Si cherungsschaltung, die verhindern sollte, daß Angreifer ebenfalls an den Zufluchtsort der Maschtaren versetzt wurden. Die Hamamesch, die zuletzt hindurchgegangen waren, gehörten zu den bedauernswerten Opfern. Vielleicht hatten sie ihr Ziel verstümmelt erreicht, vielleicht waren sie für immer im Hyperraum verschwunden. Es war nicht anzunehmen, daß sie soviel Glück hatten wie einst Alaska Saedelaere, der über lange Zeit hinweg ein Cappin-Fragment im Gesicht getragen hatte. Knapp drei Dutzend Hamamesch hatten es nicht mehr geschafft, sich abzusetzen. Der Schock über das Unbegreifliche stand ihnen in die Gesichter geschrieben, als sie ihre Waffen fallen ließen und sich den Ertrusern ergaben. Tolot achtete nicht darauf. Eine einzige schwache Emission war nach dem Zusammenbruch der Transmitterfelder geblieben, eine Amplitude, die sich langsam aufschaukelte. Irgend etwas war mit der Zerstörung der Transmitter in Gang gesetzt worden. Pulsierende Energie! Der Ausgangspunkt war plötzlich deutlich anzumessen, unmittelbar neben dem Hauptschott. Zwei Ertruser rissen ihre Strahler hoch ... »Nicht schießen!« brüllte Tolot. Eine zweite Selbstvernichtungsanlage, vermutlich ausreichend, die gesamte Station in Schutt und Asche zu legen. Tolots Finger durchstießen die Wandverkleidung. Ein energetischer Zünder lag frei, Leiterbahnen führten sternförmig davon weg. Die Vorrichtung war altmodisch, aber wirkungsvoll, und vor allem nicht störanfällig. Ein einziger Strahlschuß hätte die sofortige Auslösung bewirkt. Tolot riß das eigentliche Kernstück heraus. »Das war das zweite Kuckucksei«, dröhnte der Haluter. »Weitere Überra schungen halte ich für unwahrscheinlich.« *
Die gefangenen Hamamesch schwiegen beharrlich. Weder Drohungen noch Versprechen entlockten ihnen Aussagen über den Verbleib der Maschtaren und ihrer Assistenten. Diesmal hatten die Ortungen der MONTEGO BAY die Transmitterimpulse angemessen. Sie waren jedoch derart schwach, daß sie bereits bei größerer Distanz mit der Hintergrundstrahlung verschmolzen wären.
»Also ein Transport über relativ kurze Distanz«, folgerte Michael Rhodan. »Das bedeutet, daß die Empfänger irgendwo auf Borrengold stehen.« »Wahrscheinlich sogar auf Staama«, wandte Icho Tolot ein. »Dann sollten wir eins und eins zu sammenzählen«, sagte Tifflor. »Die Fermyyd haben vor wenigen Stunden zwei Brückenköpfe errichtet, es könnte durchaus sein, daß sich in diesen Gebieten weitere subplanetare Anlagen befinden, in die sich die Maschtaren zurückgezogen haben.« »Das heißt«, folgerte Mike, »daß Maschtar Morran eigentlich gar kein Risiko eingegangen ist, als er der Sydorrierin folgte. Obwohl er zu dem Zeitpunkt schon wissen mußte, daß er nicht ins Oktogon zurückkehren konnte. Ihm blieben immerhin zwei Ausweichstationen.« »Also haben die Maschtaren die Fermyyd nach Staama gerufen. Sie sollen Morran beide Fluchtwege offenhalten.« Michael Rhodan nickte knapp. »Wir verstärken unsere Präsenz vor den Regenbogenschiffen. Falls Morran sein Ziel noch nicht erreicht hat, muß er uns über kurz oder lang in die Arme laufen.« 10.
Maschtar Morran flog nach Osten. Nach der Vollstreckung des Urteils an der Sydorrierin hatte er über den Maschthom Verbindung zu den anderen Maschtaren aufgenommen und von ihnen erfahren, daß der Stützpunkt unter dem Oktogon an die Galaktiker verloren worden war. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war die Selbstzerstörung nicht aktiviert worden. Die Maschtaren, die sich schon während des Kampfes um das Oktogon in den Ost -Flügel ihres dreigeteilten subplanetaren Stützpunktes zurückgezogen hatten, ließen den dortigen Zugang von Fermyyd verteidigen. Morran fürchtete keine Probleme. Er wußte, daß er sich jederzeit ungehindert in die Sicherheit der unterirdischen Anlagen zurückziehen konnte. Nichts und niemand war in der Lage, einen Maschtar zu besiegen, der den göttlichen Go masch Endredde in sich trug. Endlich erfaßten die Ortungen des Borrengleiters den zerstörten Geschützturm, unter dem der Zugang zu den subplanetaren Anlagen lag. Aber erst aus großer Nähe stellte Morran fest, daß Fermyyd und Bodentruppen der Galaktiker sich einen erbitterten Kampf um diese Stellung lieferten. Maschtar Grirro meldete sich. »Wir konnten nicht ahnen, daß die Galaktiker derart massiv angreifen würden. Sie müssen Informationen über die Station erhalten haben. Wir gehen in den West-Flügel und erwarten dich dort, Morran.« »Wenn die Fremden Informationen besitzen, sind wir nirgendwo auf Staama mehr sicher.« In Grirros Erwiderung schwang deutlicher Spott mit. »Der West-Flügel ist absolut sicher und kann von ihnen nicht aufgespürt werden. Wir haben die Fermyyd an einem falschen Geschützturm postiert, den sie unter Einsatz ihres Lebens verteidigen werden. Der eigentliche Zugang bleibt unbewacht. Er wird für dich frei passierbar sein.« Unmittelbar nach dieser Aussage brach der Kontakt ab. Morran wußte, daß die Maschtaren den Weg über den Transmitter gegangen waren. Er würde bald zu ihnen stoßen. Geduldig wendete er den Gleiter und nahm Kurs nach Westen. * 9. Oktober, 9.43 Uhr Standardzeit. Manches lief anders als vorhergesehen. Auf die Verstärkung der Boden truppen vor ihren Schiffen reagierten die Fermyyd übernervös und griffen augenblicklich an. Erbitterte Kämpfe waren die Folge. Da die Shifts wegen der geringeren Entfernung vom Oktogon den Brückenkopf im Osten des Kontinents zuerst er reicht hatten, konnte zumindest an der Westküste eine Konfrontation vermieden werden. Michael Rhodan gab Befehl an die dortigen Truppen, sich auf mehrere Kilometer Distanz zurückzuziehen. 10:05 Uhr. Von einem der Suchtrupps traf die Meldung ein, daß ein ausgeschlachteter Borrengleiter in den Ausläufern des Zentralgebirges gefunden worden war. Knapp drei Kilometer entfernt, am Rande einer verlassenen Eissiedlung der Skatar, hatten die Männer wenig später die halb zerstrahlte Leiche einer Sydorrierin entdeckt. Oder eines Sydorriers. Der Unterschied war für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Trotzdem schien festzustehen, daß es sich um den Leichnam Deligas handelte.
11:18 Uhr. Die Stellung der Fermyyd war aufgerieben. Es gab Verwundete auf Seiten der Galaktiker, keine Toten. Die Panther hatten sich sogar für Ertruser als ernstzunehmende Gegner erwiesen. Ohne SERUNS und Paratronschirme wäre ein Desaster vorprogrammiert gewesen. »Die Maschtaren haben ihre Hilfstruppen gut rekrutiert«, bemerkte Julian Tifflor an Bord der MONTEGO BAY bitter. »Ich werde mich wohl immer wieder fragen, warum friedliche Lösungen rar sind«, murrte Michael Rhodan. »Was haben wir falsch gemacht?« »Nichts«, sagte Tiff. Was immer er hatte hinzufügen wollen, die in dem Mo ment eintreffende Meldung, daß innerhalb des zerstörten Geschützturmes ein diesmal noch intakter Antigravschacht in die Tiefe gefunden worden war, ge hörte zu den guten Nachrichten. 11:58 Uhr. Die unterirdische Station, nahezu eine Kopie der Anlage unter dem Oktogon, befand sich nahezu in galaktischer Hand. Zwar gab es immer noch vereinzelte Geplänkel mit Opera-Robotern, doch war diesmal die Gefangennahme einiger hundert Gefolgsleute der Masch taren zu verzeichnen. Offensichtlich hatte jemand die Transmitter abgeschaltet, ohne die Selbstzerstörungsanlage zu aktivieren. Wollten die Maschtaren sich einen Rückweg offenhalten, oder lag es nur in ihrer Absicht, die Galaktiker in falscher Sicherheit zu wiegen? »Den Stützpunkt räumen!« befahl Mike. »Sofort!« Erst jetzt erfuhr er, was beinahe schon zwei Stunden zurücklag. Zwei Ertruser behaupteten, während der Kämpfe um den Brückenkopf einen näher kommenden Gleiter bemerkt zu haben, der jedoch abrupt abdrehte und innerhalb von Sekunden wieder im Schneetreiben verschwand. »Maschtar Morran?« sagte Tifflor. »Natürlich war es der Maschtar.« Tolot verschränkte beide Armpaare. »Morran hat Zuflucht in der Station gesucht und sich in dem Moment zurückgezogen, in dem er erkannte, daß er zu spät kam.« »Das bedeutet, Morran fliegt inzwischen nach Westen.« »Diesmal erwischen wir ihn«, versi cherte Tifflor. * 12:24 Uhr. Drei weitere Fermyydschiffe hatten gegen den Waffenstillstand verstoßen und waren in einem Gewaltmanöver nach Borrengold durchgebrochen. Ihre Landung ließ nur einen Schluß zu: Die Maschtaren fühlten sich in die Enge ge trieben. In ihrem dritten und zweifellos letzten subplanetaren Stützpunkt saßen sie in der Falle. »Darauf wetten möchte ich allerdings nicht«, sagte Tifflor. »Die Maschtaren haben bewiesen, daß sie immer für eine Überraschung gut sind.« Maschtar Morran würde kommen. Weil ihm keine andere Wahl blieb. Michael Rhodan hatte einen Großteil seiner Kräfte in respektvollem Abstand um die fünf Regenbogenschiffe zusammengezogen. Lediglich eine Handvoll Ertruser weilte noch im Oktogon, unterstützt von der Mannschaft der MONTEGO BAY. Auch die Fermyyd warteten. Von beiden Seiten geführte Scheinangriffe dienten nur dazu, die Stärke des Gegners zu sondieren. Eine Stunde verstrich, ohne daß die Ortung der Shifts nur den Hauch eines Gleiters erfaßt hätte. Die nach wie vor aktiven Suchkommandos meldeten ebenfalls keine Sichtung. Erschwerend machte sich ein aufziehender Blizzard bemerkbar. Starke elektrische Entladungen in der unteren Atmosphäre beeinträchtigten die Ortungen. Den letzten Stützpunkt mit Gewalt zu stürmen, wollte Mike vorerst noch vermeiden. Jedenfalls so lange, wie die Aussicht bestand, Morran ohne Blutvergießen in die Hände zu bekommen. Der Blizzard brach mit unbeschreiblicher Gewalt über die Küstenregion herein. Mit mehr als 200 Stundenkilometern peitschte er Hagel heran, und das folgende Gewitter hatte etwas von einem Weltuntergang. Eiswolken machten den Tag zur Nacht. In nicht enden wollender Folge zerrissen Blitze die Schwärze, und der Donner klang wie Geschützfeuer. Mitten hinein in dieses Toben der Naturgewalten platzte die Nachricht, daß die Fermyyd verrückt spielten. Sie waren wie von Sinnen, liefen orientierungslos durcheinander, schössen wild um sich. Als hätten sie völlig die Kontrolle über sich verloren. Der Blizzard versetzte sie offenbar in Raserei und verwirrte ihre Sinne. Immerhin waren Fermyyd in der Lage, mittels der fingerlangen fühlerähnlichen Organe, die wie Hörner über ihren Augen aufragten, die von
organischen Körpern ausgehende schwache Spannung anzupeilen. Die starken elektrischen Entladungen in der Atmosphäre hatten offenbar verheerende Auswirkungen. Eine bessere Chance, die Stellungen einzunehmen, würde sich kaum bieten. Entgegen seiner bisherigen Absicht befahl Michael den Angriff. Die meisten Fermyyd begriffen nicht, wie ihnen geschah. Und die wenigen, die den Galaktikern trotzdem Widerstand entgegensetzten, standen auf verlorenem Posten und wurden schlichtweg überrannt. Reihenweise fielen sie unter den Paralysestrahlen der Angreifer. Trotz allem jedoch ein Pyrrhussieg. Kurz danach stand nämlich fest, daß unter dem Brückenkopf der Fermyyd keine Hohlräume existierten; auch nach einem in vermeintliche Tiefen führenden Antigravschacht suchte man vergebens. Icho Tolot begann schallend zu lachen, als er die verblüfften Gesichter sah. »Die Maschtaren haben uns überlistet«, gestand Michael Rhodan zähneknirschend ein. »Sie haben die Fermyyd an einer völlig falschen Position eingesetzt.« »Die Frage ist, wo liegt der dritte Stützpunkt der Maschtaren wirklich?« Tifflor blickte nicht minder sauer drein. Sie hatten sich übertölpeln lassen wie Anfänger. * »Wir jagen Morran, und diesmal lassen wir nicht ein Mauseloch aus, in dem er sich verkriechen könnte.« Michael Rhodan holte endlich das nach, was er schon längst hätte tun sollen: Er beorderte die 14 Landungsboote der MONTEGO BAY ebenso wie die Kleinst-Space-Jets, die Shifts und Gleiter in den Einsatz. Auch die 16 Space-Jets verließen nacheinander ihre Hangars. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, unnötige Provokationen zu vermeiden. Dennoch war es eines der bisherigen Suchkommandos, das endlich die Sichtung eines Borrengleiters meldete. Der Versuch, den Gleiter zur Landung zu zwingen, endete mit einem Angriff dreier Operas. In ihrem Feuerschutz erreichte der Borrengleiter einen unversehrten, jedoch desaktivierten Geschützturm im Nordwesten des Kontinents. Die Entfernung zu dem eroberten falschen Brückenkopf der Fermyyd betrug nicht mehr als lächerliche 450 Kilometer. Es war klar, daß jener Turm nordwestlich der Zugang zur dritten und letzten Bastion der Maschtaren sein mußte und daß Morran nun alles auf eine Karte setzte, um zu den anderen Maschtaren aufzuschließen. Eine Space-Jet holte Michael, Tifflor und Tolot sowie eine Handvoll Ertruser unter Rutans Kommando ab. Das Gros des Einsatzkommandos würde nachfolgen. Doch zuerst galt es, keine Zeit mehr zu verlieren. * Morran opferte seine Roboter in der Gewißheit, sie nicht länger zu benötigen. Die Operatoren schafften es, den verfolgenden Gleiter wenigstens so lange aufzuhalten, bis er das nahe Ziel endlich erreicht hatte. Morran war jedoch klar - ebenso den anderen Maschtaren, mit denen er nun in permanenter Verbindung stand -, daß die Galaktiker spätestens jetzt das Täuschungsmanöver durchschauen und das wahre Versteck erkennen mußten. Die Maschtaren drängten zur Eile. Da sie endlich ihre Zurückhaltung aufgeben konnten, fiel es ihnen leicht, die aus unterschiedlichen Richtungen anfliegenden Space-Jets zu orten. »Es liegt uns fern, dich im Stich zu lassen«, verkündete ausgerechnet Kaiddan III, der erst vor kurzem das Maschtar-Stigma erhalten hatte, »aber wenn du es nicht rechtzeitig schaffst, müssen wir ohne dich nach Tampir gehen.« Zu dem Zeitpunkt schwebte Morran schon im Antigravschacht, in die Tiefe. Viel zu langsam, wie ihm schien. * Sie hatten nichts mehr zu verlieren, konnten nur noch gewinnen. Ohne auf irgend etwas Rücksicht zu nehmen, bahnte Icho Tolot sich einen Weg quer durch den Geschützturm bis in dessen Zentrum. Minuten, wahrscheinlich sogar Sekunden, würden über den Ausgang des Unternehmens Borrengold entscheiden.
Die Stützpunkte der Maschtaren glichen einander im Detail. Tolots Ziel war die Transmitterhalle. Korridore, Rampen und Schächte auf dem Weg dorthin waren nur Hindernisse, die unnötig Zeit kosteten. In vollem Lauf, diesmal auch die Handlungsarme zur Unterstützung einsetzend, brach der Haluter schräg durch alle Etagen, eine lebende Kampfma schine, die Hindernisse einfach niederwalzte. Hamamesch und Roboter registrierte er kaum. Dann die Transmitterhalle ... Tolot durchbrach die Wand, kam aber doch zu spät. Vor ihm verschwand der letzte Maschtar im rot flirrenden Entstofflichungsfeld, das sich augenblicklich aufzulösen begann. Und wieder schmolzen die Transmitterbögen. Auch eine Selbstzerstörungsanlage existierte. Tolot brauchte nur wenig Zeit, um die Wandverkleidung abzureißen und die Schaltung zu unterbrechen. Aber dann wurde er überrascht. Maschtar Morran taumelte in die Halle, am Ende seiner Kräfte. Ein heiseres Ächzen drang über seine Lippen, als er erkannte, daß er zu spät gekommen war. »Kein schöner Tag«, sagte Tolot. Der Maschtar torkelte zur Seite. Aus seinem Brustgürtel zuckten Thermo- und Desintegratorstrahlen. Morran schnappte nach Luft, als er sah, daß die Waffen wirkungslos blieben. Er wich zurück - bis eine Wand ihm Widerstand bot. Als Michael Rhodan und Julian Tifflor beinahe zehn Minuten später die Transmitterhalle betraten, war Morran hilflos in ein Fesselfeld gepackt. »Die anderen sind weg«, sagte Tolot. »Wahrscheinlich ist diesmal die Vermutung richtig, daß sie sich ins Zentrum abgesetzt haben.« »Wir haben einen von ihnen.« Nachdenklich musterte Michael den Maschtar. »Er wird uns die Informationen geben, die wir dringend benötigen.«
ENDE
Borrengold konnte erobert werden; die Handelsfürsten und ein Maschtar sind Gefangene der Galaktiker. Damit, so glaubt Perry Rhodan, hat er ein Faustpfand in der Hand, um weitere Verhandlungen führen zu können. Letztlich geht es um die Existenz von rund 30 Millionen Milchstraßen-Bewohnern, die in Endreddes Bezirk festgehalten werden ... Der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche liefert erneut eine Innenansicht von Endreddes Bezirk. Dort ist Ronald Tekener unterwegs, als unsterblicher Phasenspringer. Sein Schicksal beleuchtet Peter Griese in seinem Roman, der folgenden Titel trägt: DER WEG DES SMILERS
STERNGESELLSCHAFTEN Wenden wir uns diesmal einem astronomischen Background-Thema zu, den Sterngesellschaften. Bereits die Philosophen des Altertums bemerkten, daß einige Sterne in Gruppen auftreten und andere regelrechte Haufen bilden. Ein klassisches Beispiel sind die Plejaden (M 45). Man unterscheidet verschiedene Gruppierungen. Neben den allein im Raum stehenden Sternen, den sogenannten Feldsternen, den Doppel- und Mehrfachsternen, kennt man die Sternhaufen und die Assoziationen. Bei den Sternhaufen unterscheidet man zwischen Offenen Sternhaufen (auch Galaktische Haufen genannt) und den Kugelsternhaufen. Offene Sternhaufen sind lose und unregelmäßige Ansammlungen von Sternen, die ein paar hundert bis ein paar tausend Einzelsterne enthalten. Diese kann man leicht unterscheiden. Die helleren Vertreter sind bei den Plejaden oder den Hyaden für das bloße Auge sichtbar. Etwa zwei Dutzend solcher Offenen Haufen sind ohne Hilfsmittel zu erkennen. Mit der Hilfe von Fernrohren steigt die Zahl auf über eintausend. Die meisten davon befinden sich nahe der galaktischen Ebene oder der Milchstraße. Sie sind von unserer Sonne nicht mehr als 10.000 Lichtjahre entfernt. Jenseits dieser relativ geringen Entfernung gibt es zweifellos auch Sternhaufen, aber sie sind schwer auszumachen, da sie mit den Hintergrundsternen verschmelzen. Kugelsternhaufen sind dichtgepackte Anhäufungen von Hunderttausenden oder gar Millionen von Sternen. Klassischer Vertreter ist M 13. Kugelsternhaufen verteilen sich ziemlich gleichmäßig in einer gedachten Kugel, die die ganze Milchstraße einschließt. Diese Kugel ist der Halo. Viele sind also relativ weit entfernt (über 100.000 Lichtjahre).
Etwas mehr als hundert von ihnen sind in der Galaxis bekannt. Nach astronomischen Maßstäben sind ihre Durchmesser klein. Sie liegen zwischen 20 und 360 Lichtjahren. Sie müssen sehr alt sein, wie man aus dem Vorhandensein bestimmter Sterntypen, wie z.B. der Weißen Zwerge, schließen kann. Die hellsten Kugelsternhaufen, die wir auf der nördlichen Halbkugel beobachten können, sind M 5 und M 13. Auf der südlichen Halbkugel sind die auffälligsten Vertreter Omega Centauri und 47 Tucanae. Assoziationen sind etwas losere Sternfamilien. Sie besitzen keine auffällige Struktur. Sie bestehen hauptsächlich aus sogenannten 0- und B-Sternen und besitzen eine gemeinsame Bewegung durch die Galaxis. Ferner befinden sie sich in Expansion. All diese Anzeichen deuten darauf hin, daß Assoziationen verhältnismäßig jungen Ursprungs sind. Sternhaufen sind für die Astrophysik von großer Bedeutung, denn jeder Haufen ist eine Musteransammlung von Objekten, die sich annähernd zur gleichen Zeit und mit ähnlicher Zusammensetzung verdichteten. Man kann durch Vergleiche daraus lernen, wie die Masse eines Sterns seinen Lebenslauf beeinflußt. Zusätzlich zu diesen Sterngesellschaften sollte man noch die Sternpopulationen betrachten, in die die Sterne eingeteilt werden. Bei der Untersuchung des Andromedanebels (M 31), bekanntlich der uns nächsten Galaxie, stellten die Astronomen fest, daß die Sterne im Zentralgebiet denen in den Spiralarmen sehr unähnlich sind. Aus dieser Beobachtung leitete man den Grundgedanken der Sternpopulationen ab. Die Eigenschaften der beobachteten Sterne in einer Galaxie sind von Ort zu Ort verschieden. Das junge Material in einer Galaxie findet sich vorzugsweise in den Spiralarmen und umfaßt heiße junge Sterne, Gasnebel und Staub. Man nennt es Population l. Kennzeichnend ist der relativ hohe Anteil an schweren Elementen. Älteres Material findet man in Kugelsternhaufen, galaktischen Kernen und elliptischen Galaxien. Es besteht aus alten, entwickelten Sternen, z. B. Roten Riesen oder Weißen Zwergen. Man bezeichnet es als Population II. Chemisch gesehen enthält diese Materie nur eine kleine Menge schwerer Elemente. Die Objekte der Population l bestehen aus interstellarem Gas, das durch die Bruchstücke explodierender Sterne angereichert wurde, während die der Population II vor langer Zeit aus verhältnismäßig unverarbeitetem Ausgangsstoff entstanden. Der Begriff der Sternpopulation ist von großer Bedeutung für den Auf bau der Galaxis.