Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 576 Pers-Mohandot
Feinde der SOL von Falk-Ingo Klee Die Begegnung mit dem Weltraumvo...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 576 Pers-Mohandot
Feinde der SOL von Falk-Ingo Klee Die Begegnung mit dem Weltraumvolk In den mehr als 200 Jahren ihres ziellosen Fluges durch die Tiefen des Alls haben die Bewohner und Crewmitglieder des Generationenschiffs SOL mannigfaltige Gefahren und Abenteuer bestehen müssen. Doch im Vergleich zu den schicksalhaften Auseinandersetzungen, die sich seit der Zeit ereignen, da Atlan, der Arkonide, auf geheimnisvolle Weise an Bord gelangt ist, verblassen die vorangegangenen Geschehnisse zur Bedeutungslosigkeit. Denn jetzt, im Jahre 3804 Solzeit, geht es bei den Solanern nicht mehr um bordeigene Belange und interne Machtkämpfe – letztere wurden mit dem Amtsantritt von Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, gegenstandslos –, sondern um Dinge von wahrhaft kosmischer Bedeutung. Da geht es vordringlich um den Aufbau von Friedenszellen im All und um eine neue Bestimmung, die die Kosmokraten, die Herrscher jenseits der Materiequellen, für die Solaner parat haben. Und es geht um den Kampf gegen Hidden-X, einen mächtigen Widersacher, der es auf die SOL abgesehen hat. Jetzt glaubt man auf der SOL, den großen Gegenspieler endgültig stellen zu können. Nach der Auswertung des vom Kontakter stammenden Impulses fliegt man den betreffenden Ort im Universum an. Doch dort trifft man nicht auf Hidden-X, sondern auf neue FEINDE DER SOL …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide untersucht eine Dunkelwolke. Uster Brick, Sanny, Hage Nockemann und Blödel - Einige von Atlans Begleitern. Breckcrown Hayes - Seine SOL wird angegriffen. Jacta Tars - Eine junge Vulnurerin. Lichtquelle-Mara - Ein alter Gegner in neuer Tarnung.
1. . September 3804,14.03.17 Uhr. Die mächtigen Triebwerke, die die SOL durch eine Dimension transportiert hatten, die sich dem menschlichen Verstand entzog, waren verstummt, denn das Ziel war erreicht. Antriebslos schwebte das mächtige Generationenschiff im Raum. Eine gewaltige Reise lag hinter ihm. Der Hantelraumer war gestartet, als der Impuls des Kontakters eintraf, und nun war er hier, 36,7 Millionen Lichtjahre von PersMohandot entfernt, in einem Sektor, in dem man noch nie war. Aber war das wirklich das Ziel? Ringsumher war – nichts, kein Stern, kein Planetensystem, nur eine ausgedehnte Dunkelwolke aus kosmischem Staub mit einem Durchmesser von zwei Lichtmonaten. Konnte ein solcher Ort im Leerraum ein Ziel sein, ein Treffpunkt? Wo war Oggar, der doch angekündigt hatte, hier zu erscheinen? Seit Stunden suchten die Taster den umliegenden Raum ab, doch kein Ortungsecho zeichnete sich auf den Schirmen ab. Die SOL war allein in einer Umgebung, wie sie öder und trostloser nicht sein konnte. Jeder Terraner, überhaupt jeder Planetarier, hätte so empfunden, doch die Solaner hatten da andere Vorstellungen. Sie empfanden den Raum nicht als bedrückend, vermißten auch keine Sonnen und Welten, denn ihre Welt war die SOL. Und dennoch: Auch an Bord des Raumers gab es Leute, die sich so ihre Gedanken machten, weil sie die Verantwortung für das Schiff und seine Besatzung trugen.
Wie üblich hatten sie sich in der Zentrale zusammengefunden. Unruhig wanderte Breckcrown Hayes auf und ab, warf hin und wieder einen Blick auf den Bildschirm, blieb vor verschiedenen Instrumentenpulten stehen und nahm seine unterbrochene Wanderung wieder auf, weil sie keine neuen Daten verfügbar hatten. »Er macht mich ganz nervös mit seiner Herumlauferei«, raunte Hage Nockemann dem neben ihm sitzenden Arkoniden zu. »Kannst du ihm nicht sagen, daß er damit aufhören soll?« »Warum sagst du es ihm nicht?« »Weil er auf mich nicht hören wird.« »Laß ihn. Er ist nicht der einzige, dem die jetzige Situation Unbehagen bereitet.« Der Galakto-Genetiker murmelte etwas Unverständliches und zwirbelte mißvergnügt seinen Bart. Blödel, die einstige Laborpositronik, die nach Nockemanns kauzigen Vorstellungen zu einem Vielzweckroboter umgestaltet war, ließ sich wieder einmal zu einem Zitat hinreißen. »Es irrt der Mensch, solang er strebt«, sagte das komisch aussehende Synthowesen mit seiner männlich klingenden, knarrenden Stimme. »Findest du diesen Satz aus Goethes ›Faust‹ nicht auch sehr treffend, was das Verhalten des High Sideryt betrifft, Chef?« »Nein, Blödel, das ist völliger Quatsch«, schnaubte Nockemann. »Aber Chef, siehst du denn nicht die Parallelität? Er irrt herum, weil er nach neuen Informationen strebt.« Der Wissenschaftler verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Was dieser klassische Dichter gemeint und geschrieben hat, ist im übertragenen Sinne zu werten. Es ist so zu verstehen: Jegliches Lebewesen …« Er unterbrach sich und winkte ab. »Ach was, dir so etwas zu erklären, wäre vergebliche Liebesmüh. Du bist und bleibst ein Blödel.«
»Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.« Der Solaner schoß aus seinem Sessel hoch und starrte das einen Zentimeter kleinere Kunstgeschöpf wütend an. »Was willst du damit sagen?« »Du bist erregt, Chef. Gestatte mir deshalb eine Frage, bevor ich antworte.« »Und die wäre?« »Du weißt, es war wieder ein Zitat aus Goethes ›Faust‹. Hast du es wörtlich oder im übertragenen Sinne genommen?« »Natürlich wörtlich, du Dummkopf.« »Das habe ich befürchtet.« Blödel fuhr einen seiner überlangen Arme aus und zwirbelte seinen Kinnbart aus grünen Plastikhaaren; es war eine Geste, die die einäugige Maschine ihrem Herrn und Meister abgeschaut hatte. »Du bist nicht fair, Chef. Mal nimmst du alles wörtlich, dann wieder nicht. Hast du es darauf angelegt, meinen Logiksektor durcheinanderzubringen?« »Rutsch mir doch den Buckel herunter«, sagte der Genetiker böse und ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. »Als hochwertige Einheit muß ich dich vor den Folgen warnen, Chef. Das Skelett eines Menschen, insbesondere die Wirbelsäule, hält nur eine Belastung von …« »Jetzt reicht es mir!« rief Nockemann entnervt. »Du schweigst auf der Stelle.« Ein solcher Befehl war eindeutig, doch Blödel war kein simpler Robot, sondern eine Hochleistungspositronik mit Multi-Funktionen, die im Umgang mit dem Genetiker gewisse Eigenarten von ihm angenommen und fast ein eigenes Bewußtsein entwickelt hatte. Das Kunstgeschöpf fuhr einen der dünnen Arme aus und öffnete eine der zahlreichen Klappen seines röhrenförmigen Körpers, entnahm dem Fach eine Folie und reichte sie dem Wissenschaftler. Eher widerwillig nahm der Mann sie und begann halblaut zu lesen. »Wenn ich deine letzte Äußerung richtig interpretiere, war dein Angebot nicht ernst gemeint, sondern eine unlogische Redensart.
Du würdest es mir leichter machen, Chef, wenn du alles, was du sagst und im übertragenen Sinne verstanden wissen willst, entsprechend kennzeichnest.« Für einen Moment schnappte Nockemann nach Luft, dann schleuderte er das bedruckte Plastikstück mit einer wilden Bewegung in den Raum. »Ich muß nicht ganz bei Trost gewesen sein, als ich diesen Narren zu einer mobilen Einheit umbauen ließ«, erregte sich der Solaner. »Stets will dieser Blechkasten das letzte Wort haben. Ich sollte ihn einstampfen lassen.« Atlan wußte, daß Hage das nie übers Herz bringen würde, denn der Genetiker hing an der Positronik wie ein Kind an seiner Puppe, aber derartige Drohungen demonstrierten Macht und Überlegenheit. Das brauchte der kleine Solaner, um sein Selbstwertgefühl wiederzufinden, wenn er gegen den Rechner den kürzeren gezogen hatte. »Überlege es dir noch einmal, Hage. Ich glaube, Blödel hat durchaus seine Qualitäten.« Der Aktivatorträger bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das Geplänkel der beiden amüsiert hatte. »Er hat ein paar Eigenarten, ist aber durchaus brauchbar.« »Hm«, machte Nockemann und fuhr sich übers Kinn. »Wenn ich es so bedenke, hast du eigentlich recht. Ich werde darüber nachdenken.« »Tu das«, empfahl Atlan und wandte sich Hayes zu, der neben ihm Platz genommen hatte. »Gibt es etwas Neues?« »Nichts. Ich habe noch einmal alles überprüfen lassen, aber uns ist kein Fehler unterlaufen. Wir befinden uns exakt an den Koordinaten, die uns übermittelt wurden, doch von Oggar und seinem HORT ist keine Spur zu finden.« »Dann möchte ich auf meinen Vorschlag noch einmal zurückkommen. Das einzige Objekt weit und breit ist die Dunkelwolke. Wir sollten sie näher untersuchen, vielleicht hilft uns
das weiter.« »Was sollte in einer Wolke kosmischen Staubs schon verborgen sein?« wandte der Solaner ein. »Tatsache ist, daß uns die Warterei nicht weiterbringt«, stellte der Unsterbliche nüchtern fest. »Was spricht also gegen eine Exkursion?« »Ich halte sie für sinnlos.« »Wir benötigen Informationen, Breckcrown. Selbst wenn uns die Erkundung der Wolke keine neuen Erkenntnisse bringt, haben wir aber unsere Möglichkeiten ausgeschöpft. Und vergiß nicht, daß wir uns in einem Sektor befinden, der für uns völlig unbekannt ist. Da können Kleinigkeiten von Bedeutung sein.« »Wie ich dich kenne, dürfte es sinnlos sein, dich von deinem Vorhaben abbringen zu wollen.« Hayes erhob sich. »Ich werde einen Leichten Kreuzer startklar machen lassen.« Atlan stand ebenfalls auf. »Ein solcher Aufwand ist nicht erforderlich. Eine Korvette genügt.«
* Mit mäßiger Geschwindigkeit bewegte sich die DORANIA auf die Dunkelwolke zu. Auf Atlans Veranlassung war die Besatzung der Korvette auf ein erforderliches Minimum reduziert worden. Außer ihm befanden sich noch vierzehn Personen an Bord. Von seinem eigenen Team waren das Sanny und Nockemann, dem Blödel wie ein Schatten folgte, als Pilot hatte Hayes Uster Brick abgestellt, den kleineren der Zwillinge, die als Chefpiloten der SOL den Status von Stabsspezialisten hatten. Der sechzig Meter durchmessende Raumer hatte seine Schirmfelder aktiviert und stand in ständigem Funkkontakt mit dem Mutterschiff; so war gewährleistet, daß die relativ kleine Einheit vor
unangenehmen Überraschungen sicher war. Als der Rand des Staubgebildes erreicht wurde und die DORANIA darin eindrang, drosselte Brick die Geschwindigkeit erneut. Zwar bildeten die Partikel keine feste Masse, dennoch war diese Wolke ein anderes Medium als der Leerraum, der zwar auch nicht »leer« war, aber eine so geringe Teilchendichte aufwies, daß das für die terranischen Raumer selbst bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit nicht kritisch wurde. Hier war das ein wenig anders. Der Bildschirm zeigte nur verwaschene Konturen; eigentlich war es völlig überflüssig, die Optiken eingeschaltet zu lassen, denn sie vermochten es ohnehin nicht, brauchbare Bilder zu übertragen. Daß es nichts zu sehen gab, beeindruckte die Mannschaft nicht, denn man war es gewöhnt, sich anhand der anderen technischen Anlagen zu orientieren. Routiniert gingen die Männer und Frauen ihrer Arbeit nach, lediglich der Arkonide und seine Begleiter mußten sich mit der Rolle des Zuschauers begnügen. Stumm beobachteten sie, und selbst der vorlaute Blödel hielt sich zurück. Ereignislos verstrichen die Minuten, bis plötzlich die Funkabteilung meldete: »Kontakt zur SOL abgerissen. Wir bekommen keine Verbindung mehr.« »Wurde die Funkanlage überprüft?« fragte Atlan. »Ja, sie arbeitet einwandfrei. Die Störung muß externe Ursachen haben, doch wir können nichts Derartiges anmessen.« »Gut, ich habe verstanden. Bleibt trotzdem auf Empfang.« Brick, der die Durchsage ebenfalls mitbekommen hatte, drehte seinen Sessel und blickte den Aktivatorträger fragend an. »Wir kehren um, Uster.« »Es ist deine Entscheidung«, sagte der dunkelhäutige Mann schulterzuckend. »Solange nichts anderes anliegt, mache ich auch Ausflüge und Pendelverkehr.« Er lächelte spitzbübisch. »Damit
habe ich Vorlan etwas voraus.« »Und was?« erkundigte sich ein Techniker. Der Pilot, der bereits mit der Eingabe des neuen Kurses beschäftigt war, drehte den Kopf. »Er langweilt sich noch mehr als ich«, meinte er grinsend und wandte sich erneut seiner Arbeit zu. »Was bedeutet das alles eigentlich?« erkundigte sich Nockemann stirnrunzelnd. »Ich bin mir da selbst noch nicht ganz schlüssig«, gab Atlan ausweichend zur Antwort. »Tatsache ist jedenfalls, daß wir die Unmöglichkeit erleben, daß der Funkverkehr zwischen uns und der SOL auf eine solch kurze Distanz nicht funktioniert, obwohl es nichts gibt, was die Impulse abschirmen könnte.« »Wirklich merkwürdig«, murmelte Hage. »Und du hast keine Ahnung, was dahinterstecken könnte?« »Ein Gedanke kristalliert sich langsam heraus, aber noch ist alles Spekulation. Ich will dich damit nicht belasten.« »Ich will dir nicht zu nahe treten, Atlan, aber wenn ich etwas nicht mag, ist es Geheimniskrämerei.« »Publizierst du etwas als Wissenschaftler, ohne konkrete Erkenntnisse zu haben?« konterte der Arkonide. »Erinnere dich in diesem Zusammenhang einmal an die Ereignisse um die Zehnlinge und die Deccon-Kopien. Wie hast du dich da verhalten?« »Erinnere mich nicht daran.« Der Genetiker verdrehte die Augen. »Blödel wollte sich ständig abschalten, und ich zweifelte an meinem Verstand.« »Es war ein wenig anders«, wandte die zum Robot umgebaute ehemalige Laborpositronik ein. »Du hast dir gewünscht, ein simpler Robot zu sein, Chef, der sich abschalten kann, ich dagegen konnte es nicht, weil ich eine so hochwertige Einheit bin.« »Widersprich mir nicht dauernd, Blödel. Du bist nur eine simple Positronik, ich dagegen bin ein Mensch, also ein rein biologisches Produkt – und ein Galakto-Genetiker dazu. Im Gegenteil zu dir ist
meine Qualifikation über jeden Zweifel erhaben.« »Wir haben wieder Kontakt mit der SOL«, meldete die Funkabteilung. »Gebt mir eine Verbindung mit dem High Sideryt«, verlangte Atlan. Schon nach wenigen Sekunden stabilisierte sich das narbige, von SOL-Würmern zerfressene Antlitz Hayes' auf dem Schirm. »Ihr kommt zurück«, stellte er nüchtern fest. »Ja, aber nur deshalb, weil ich mich mit dir verständigen will, bevor wir erneut in die Dunkelwolke eindringen. Der Zwischenfall mit dem nicht funktionierenden Funkverkehr hat mich nämlich neugierig gemacht.« »Wie ich dich kenne, hast du dir bereits deine Gedanken darüber gemacht. Was vermutest du?« »Jedenfalls keine natürliche Ursache.« Die Miene des Solaners blieb unbewegt, als er sagte: »Du denkst an Hidden-X, nicht wahr?« »So ist es, Breckcrown. Nur er kann dahinterstecken, vielleicht ist diese Wolke sogar sein Domizil. Ich werde nicht eher ruhen und rasten, bis ich das herausgefunden habe«, antwortete der Arkonide entschlossen. »Ich muß gestehen, daß deine Überlegungen etwas für sich haben, andererseits könnte es auch eine Falle sein. Hidden-X hat sich in der Vergangenheit als äußerst gefährlicher Gegner gezeigt, der vor nichts zurückschreckt«, warnte Hayes. »Dein Vorstoß könnte der DORANIA zum Verhängnis werden.« »Dieses Risiko müssen wir eingehen.« Atlans Züge entspannten sich ein wenig. »Jedenfalls weißt du jetzt, daß es nichts zu bedeuten hat, wenn der Funkverkehr abreißt. Solange wir nicht von euren Ortern verschwinden, existieren wir noch. Und dann haben wir ja auch noch Sanny dabei.« Die kleine Molaatin, die in dem für Menschen konstruierten Sessel fast verschwand, hatte sich bisher still verhalten und sagte auch jetzt
nichts, nur ihr Blick, den sie Atlan schenkte, war ein wenig vorwurfsvoll. Bescheiden, wie sie war, mochte sie es nicht sonderlich, wenn man sie und ihre Fähigkeiten in den Mittelpunkt rückte. »Ich kann dich nicht daran hindern, das zu tun, was du für richtig hältst, obwohl mir wohler wäre, wenn du wenigstens einen Leichten Kreuzer nehmen würdest.« »Ich will nicht mehr Leute in Gefahr bringen, als unbedingt nötig«, lehnte der Aktivatorträger kategorisch ab. »Außerdem bin ich davon überzeugt, daß die Größe des Schiffes kaum Einfluß auf unser Vorhaben hat.« »Wie du willst. Jedenfalls werde ich die Telepathen bitten, auf euch aufzupassen.« Hayes zwang sich zu einem Lächeln. »Viel Glück. Und seid vorsichtig.« Der Schirm wurde dunkel, der Arkonide schaltete ebenfalls ab. Gleich darauf aktivierte er den Interkom und teilte den Männern und Frauen mit, was er vermutete und zu tun beabsichtigte. Er schloß seine kurze Ansprache mit den Worten: »Ich kann es keinem verdenken, wenn er angesichts der Gefährlichkeit unserer Mission lieber an Bord der SOL zurück will. Noch ist es dazu Zeit.« »Also doch kein Ausflug«, stellte Uster Brick fest. Er grinste. »Jedenfalls wird Vorlan sich nun ärgern, weil er nicht mit von der Partie ist.« Er sah zu Atlan herüber. »Zurück in die Höhle des Löwen?« Der Arkonide nickte. Niemand hatte sich gemeldet, der für diesen Einsatz abmustern wollte. Die Korvette nahm wieder Fahrt auf und hielt auf die Dunkelwolke zu, drang dann darin ein. Wie schon zuvor, riß der Funkverkehr zur SOL ab, doch das war nun keine Überraschung mehr. Unter den Anwesenden herrschte gespannte Erwartung, zugleich aber auch ein wenig Unbehagen. Wenn die Erwartung Atlans eintraf, ging es um Kopf und Kragen, denn man wußte, daß Hidden-X keine Skrupel hatte und jeden
Moment zuschlagen konnte. Wie und auf welche Weise, konnte man nicht einmal ahnen. Es war diese Ungewißheit, die an den Nerven zerrte. Unablässig wurde der umliegende Raum mit allen verfügbaren Instrumenten abgesucht, doch kein Reflex tauchte auf den Tastermonitoren auf. Um sie herum war nichts als kosmischer Staub, und mittlerweile hatte die DORANIA fast zwanzig Astronomische Einheiten zurückgelegt, ohne behelligt worden zu sein. Die anfängliche Nervosität ebbte ein wenig ab. »He, Liza, was ist mit euren Daten los?« beschwerte sich der dunkelhäutige Pilot. »Warum stabilisiert ihr nicht die Koordinaten?« »Wir tun unser Bestes, aber wir haben da einige Probleme«, meldete die blonde, ein wenig füllig wirkende Technikerin. Atlan schaltete sich in den Dialog ein. »Welcher Art?« »Die Ortung wird zunehmend schwieriger, die Reichweite unserer Geräte verringert sich von Minute zu Minute. Es hat den Anschein, als würden die Impulse absorbiert.« »Das sieht nach einer Teufelei von Hidden-X aus«, knurrte Nockemann. Du solltest umkehren, bevor es zu spät ist! mahnte der Logiksektor. Wenn die DORANIA die Orientierung verliert, ist sie auf ewig in dieser Dunkelwolke gefangen. »Sucht nach einer Möglichkeit, das abzustellen. Uster, versuche, den bisherigen Kurs beizubehalten.« Warum bist du so stur? Du handelst wider jedes bessere Wissen. Die Wolke durchmißt nur zwei Lichtmonate, dachte Atlan. Das reicht aus, um das Schiff für immer hier festzuhalten. Noch haben wir unsere technischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, erwiderte der Unsterbliche lautlos. Es besteht also kein Grund zu einem übereilten Rückzug. Jedenfalls habe ich dich gewarnt! Vielen Dank, gab Atlan sarkastisch zurück, aber mit
Schwierigkeiten habe ich gerechnet. »Wir bekommen die Sache nicht in den Griff«, verkündete Liza. »Ortungsradius eine Lichtstunde.« Das war nun wahrlich nicht der Rede wert, wenn man die Leistungsfähigkeit der terranischen Instrumente zugrunde legte; genau gesehen führte die Korvette einen Blindflug durch. »Soll ich die Geschwindigkeit drosseln?« erkundigte sich der Pilot bei dem Arkoniden. »Wie schnell sind wir im Augenblick?« »7.900 km/sec.« »Behalte diese Werte bei, Uster«, entschied der Aktivatorträger nach kurzem Nachdenken. »Glaubst du, wir schaffen es?« fragte der Genetiker skeptisch. »Es besteht kein Grund zur Besorgnis, Hage. Daß es kein Spaziergang würde, haben wir geahnt, aber mit derartigen Problemen werden wir fertig.« Gleich darauf erhielt Atlans Optimismus einen argen Dämpfer. Irgend etwas schien die DORANIA abzubremsen, denn das Schiff verlor ohne Eingriff der Besatzung an Geschwindigkeit. Gleichzeitig machte man die Beobachtung, daß sich die Materie außerhalb des Raumers auf unerklärliche Weise verdichtete und sich wie eine Haut zusammenzog. Atlan hatte die Gefahr sofort erkannt, die der DORANIA da drohte. Er zögerte daher keinen Moment, Brick zu befehlen, die Energiezufuhr bis zum Maximum zu erhöhen. Der erfahrene Pilot wußte ebenfalls, um was es ging. Ungeachtet der seltsamen Vorgänge um das Schiff herum beschleunigte er mit vollen Werten, den Kurs ließ er dabei völlig außer acht. Hatte die Korvette erst einmal eine Geschwindigkeit von 10.000 km/sec erreicht, konnte sie in den Linearraum überwechseln und war damit in Sicherheit. Wer in Reichweite der Instrumente war, verfolgte mit brennenden Augen die Geschwindigkeitsanzeige:
7.400 km/sec, 7.500, 7.600. Sie kletterte stetig, überschritt die Achttausendermarke. Schon atmeten einige befreit auf, da begann sie zu stagnieren und fiel unaufhaltsam zurück. Feiner Schweiß bildete sich auf Bricks Stirn. Noch einmal versuchte er es, setzte alles auf eine Karte. Rücksichtslos wurden die gewaltigen Kraftwerke auf einhundertvierzig Prozent hochgefahren. Ganze Batterien von Warnlämpchen begannen aufgeregt zu blinken, das Tosen der überlasteten Meiler drang bis zur Zentrale durch. Unvorstellbare Energiemengen wurden freigesetzt. Ein Ruck ging durch den Raumer. Sprunghaft schnellte die Anzeige um zweihundert km/sec nach oben, Vibrationen schüttelten die Korvette, wurden stärker und ließen Wände und Konsolen leicht erbeben. Die jäh aufkeimende Hoffnung wich tiefer Enttäuschung, als die Geschwindigkeit trotz des materialzermürbenden Manövers wieder abzusinken begann. Brick drosselte die Kapazität der Anlagen auf ein vertretbares Maß. Das Heulen verebbte, die Schwingungen verschwanden. »Es hat keinen Zweck«, meinte der Pilot. »Wir sitzen fest.« Der unerklärliche Vorgang draußen schien sich sogar noch zu beschleunigen. Immer dichter wurde die Materie, immer größer der Bremseffekt, den die Triebwerke nicht zu kompensieren vermochten. Noch bewegte sich die DORANIA vorwärts, doch ob wirklich geradeaus oder im Kreis, vermochte niemand zu sagen. Schon war die Geschwindigkeit auf 4.000 km/sec gefallen, und es war abzusehen, wann das solanische Beiboot endgültig nicht mehr von der Stelle kam. Unter der Mannschaft machte sich Niedergeschlagenheit breit, selbst Sanny wirkte ratlos. Soweit hätte es nicht kommen müssen, meinte der Extrasinn vorwurfsvoll. Der Arkonide verzichtete auf eine gedankliche Erwiderung und verzog trotzig das Gesicht. Er dachte nicht daran, so einfach
aufzugeben, nicht, solange noch ein Funken Leben in ihm war. »Diesmal hat uns Hidden-X eine Falle gestellt, aus der es kein Entrinnen gibt«, murmelte Nockemann. »Die Lage ist prekär, aber nicht hoffnungslos«, sagte Atlan scharf und warf dem Genetiker einen vorwurfsvollen Blick zu. Das Mienenspiel der Männer und Frauen um ihn herum zeigte ihm, daß die Solaner seine Meinung ganz und gar nicht teilten.
* Ist da nicht etwas in meiner Nähe, ein Fremdkörper? Was tut das Ding hier, wie ist es hierhergekommen? Ich dulde nichts in meiner Umgebung, jedenfalls nichts, was mir gefährlich werden kann, aber was kann mir schon gefährlich werden, mir, Hidden-X? Gewiß, es gab diese Zwerge, Atlan und die Solaner, aber ich habe ihre Existenz aus den Annalen der Ewigkeit gelöscht. Dennoch stört mich das Ding, es gehört nicht hierher. Ich sollte es zumindest kontrollieren. Oder ist es unwichtig? Doch da, was ist das? Das Ding sendet, und ich habe es nicht verhindert! Andererseits, warum hätte ich mich um solche Banalitäten kümmern sollen? Immerhin ärgert es mich, daß etwas gegen meinen Willen geschieht, denn sogar Raum und Zeit sind mir Untertan. Ich werde den Impuls einfach verfälschen. So, nun kann ich mich wieder den eigentlichen Problemen widmen, aber habe ich überhaupt welche? Gewiß, meine Feinde sind vernichtet, doch mein Einfluß ist geschwunden. Ob ich meine Macht wieder auf jene Völker ausdehnen soll, die ich vernachlässigt habe? Nein, ich werde mir neue suchen, mächtigere, stärkere, denn ich werde auch mächtiger und stärker sein als je zuvor. Niemand kann mir widerstehen, ich werde nicht nur Galaxien kontrollieren, sondern das halbe Universum – selbst wenn es Äonen dauern sollte, bis es soweit ist, aber was bedeutet für ein unsterbliches Wesen wie mich schon Zeit? Da ist schon wieder etwas, was meine Zukunftsträume stört, etwas, was
ich kenne. Es ist die SOL! Ich wähnte sie vernichtet, doch sie existiert, dazu noch im normalen Universum. Wie konnte das geschehen? War ich zu voreilig? Ich gestehe, daß ich verwundert bin, verwundert und enttäuscht zugleich. Meine Feinde leben noch, dabei war ich mir meiner Sache sicher. Vielleicht war ich mir zu sicher, denn ich habe mich nicht mehr um sie gekümmert, als ich alles arrangiert hatte, und habe mich in mich selbst zurückgezogen, um von der Zukunft zu träumen. Ich gestehe, es war ein Fehler, aber noch läßt sich alles korrigieren. Schon weiß ich, daß dieser Oggar mit seinem HORT irgendwo ist, doch ich kann nicht lokalisieren, wo. Bin ich schwach geworden? Seit wann bleibt Hidden-X etwas verborgen? Eigentlich interessiert er mich jetzt auch nicht. Ich kann den Schalter ausmachen – und Atlan und die SOL. Sie sind in meiner Nähe. Deutlich empfange ich, daß sich der Schalter rehabilitieren will. Er ist mein Geschöpf, ich habe ihn geprägt, doch er hat nur Fehler gemacht. Eine Chance werde ich ihm noch geben, doch ein nochmaliges Versagen lasse ich nicht mehr durchgehen. Ich glaube, ich war ohnehin schon viel zu nachsichtig mit ihm. Beunruhigt darüber, daß die SOL wieder aufgetaucht ist, bin ich eigentlich nicht. Hier im Flekto-Yn bin ich sicher. Ich bin zuversichtlich, daß es der letzte Auftritt dieser anmaßenden Zwerge ist. Niemand vermag es letztendlich, sich mir in den Weg zu stellen, denn ich bin Hidden-X. Macht und Unsterblichkeit sind in mir vereint, kein Geschöpf aus Materie vermag mich zu überwinden. Wer auch immer gegen mich ist, wird unterliegen. Mein einziger Gegner ist derzeit Atlan und sein Anhang. Ich werde sie meine Macht spüren lassen und sie vernichten.
2. Der Ingenieur Ventarko Tars konnte sich noch deutlich daran erinnern, als seine Frau Melis ihn angerufen und ihm mitgeteilt
hatte, daß die Geburt des ersten Kindes bevorstand. Er hatte sich sogleich freistellen lassen und war zu der Unterkunft geeilt, die er mit seiner Gefährtin teilte. In jenem Teil der Doppelkabine, der als Ruheraum gestaltet war, stand der quaderförmige Behälter, in dem die Puppe ruhte. Noch hatte das längliche Gebilde, das von einer pergamentenen Hülle umgeben war, keine Ähnlichkeit mit seinen Eltern, doch das würde sich ändern, sobald es gesprengt würde. Ventarko war aufgeregt wie selten zuvor in seinem Leben. Ungeduldig verfolgte er die Bewegungen der verpuppten Larve, dann bildete sich ein erster Riß in der weißlichen Umhüllung, der zunehmend größer wurde. Der Nachwuchs setzte die Kieferzangen ein, um sich von der nun lästig gewordenen Hülle zu befreien. Schon wurde der Kopf mit den markanten Facettenaugen sichtbar, dann kam der restliche Körper zum Vorschein. Das Aufbeißen der ledrigen Substanz hatte das Wesen einige Kraft gekostet. Es blieb ruhig liegen, um wieder zu Kräften zu kommen, doch es beobachtete bereits seine Umgebung. Endlich erhob es sich und entstieg dem Behälter. Es war ein weibliches Exemplar. »Ist sie nicht anmutig?« zirpte der Ingenieur begeistert. Er betastete Melis mit den Fühlern, sie erwiderte die Berührung. »Sie ist so schön wie du. Wir werden sie Jacta nennen.« Stolz betrachteten die glücklichen Eltern ihre Tochter, die bereits so groß war wie die beiden. Noch war der transparent wirkende, mahagonifarbene Körper weich und biegsam, doch in wenigen Minuten würde der Chitinpanzer, der fast den gesamten Leib bedeckte, an der Luft härten und damit seine Funktion als äußeres Skelett erfüllen können. Allmählich entfalteten sich auch die beiden dreißig Zentimeter langen borstenartigen Fühler, die bisher am Kopf angelegen hatten. »Ihr seid meine Eltern, nicht wahr?« fragte Jacta. Überwältigt ging Ventarko Tars zu seiner Tochter und rieb seine Fühler intensiv an ihren, eine Geste, die etwa einem Kuß entsprach.
»Komm, Jacta, wir müssen deine Geburt feiern!« rief er ausgelassen und führte sein Kind nach nebenan. Melis folgte ihnen. Sie war genauso selig wie ihr Partner.
* Daß Jacta Tars gleich nach ihrer Geburt reden konnte, war kein Einzelfall, sondern bei den Vulnurern üblich. Das lag zum einen an ererbten Geninformationen, zum anderen an einer Art passiver Lernphase, die sie bei ihrer Entwicklung vom Ei zum fertigen Vulnurer durchmachten. Aus dem gelegten Ei schlüpfte nach vierzehn Tagen eine Made, die sich vor allem durch eine ungeheure Freßsucht auszeichnete. Vier Wochen lang stopfte sich das raupenartige Wesen mit Nährstoffen voll, dann verpuppte es sich; weitere drei Wochen später war die Entwicklung abgeschlossen, der erwachsene Vulnurer entstieg der Hülle. Aufzuchtstationen oder ähnliche Einrichtungen kannte man nicht. Während der gesamten Zeit kümmerten sich die monogam lebenden Eltern um den Nachwuchs, pflegten und versorgten ihn in der eigenen Kabinenflucht. Stets wurde nur ein befruchtetes Ei gelegt. Mehrlingsgeburten kamen nicht vor. Die Vulnurer sahen aus wie 1,80 Meter große, aufrecht auf zwei Beinen gehende Ameisen. Die Sauerstoffatmer verfügten über zwei in kleinen Zangen endende Armpaare. Kleidung trugen sie nicht. Waffen oder Geräte wurden bei Bedarf in Schlaufen oder Gürteln untergebracht. Die Hierarchie war streng gegliedert. An der Spitze der Gesellschaft stand der Mono, ein männlicher Vulnurer, der von der Priesterschaft für zweieinhalb Jahre terranischer Zeitrechnung gewählt wurde. Der derzeitige Mono hieß Ferrunger-Mono. Ihm waren alle anderen, in einem kastenähnlichen System
lebenden Vulnurer praktisch unterstellt. Die höchste Wertigkeit besaßen die Piloten und Techniker, zu denen auch Ventarko Tars gehörte, dann folgten die Techniker und Versorger, die dritte Stufe bildeten die Mediziner und Forscher, der Rest gehörte zum gemeinen Volk. Wer zu den oberen drei Kasten gehörte, erhielt seinen Namen zehn Tage nach der Geburt auf den Brustpanzer eingebrannt; so war er nicht nur deutlich zu unterscheiden, es war auch eine Art Statussymbol, das ihn aus dem Heer der Namenlosen hervorhob. Eine Sonderstellung nahmen die Priester ein, die jedoch so gut wie nie in Erscheinung traten und über die man kaum etwas wußte, allenfalls Gerüchte waren im Umlauf. Angeblich gab es nur sieben von ihnen, und sie waren es auch, die den Mono wählten. Der Mono war nicht nur eine Art Staatsoberhaupt, sondern zugleich Kommandant der drei Raumschiffe mit den Namen GESTERN, HEUTE und MORGEN. Diese drei Raumer waren die Heimat der rund fünfundsechzigtausend Vulnurer, was in ihrer eigenen Sprache soviel wie »Bekehrer« bedeutete. Die Vulnurer konnten sich nicht erinnern, jemals auf einem Planeten gelebt zu haben. Nach ihrer Überzeugung wurde das Leben auf stationären Himmelskörper stets von bösen Mächten gelenkt, die Hinwendung zum Positiven und die Stabilisierung des Guten war nur im freien Raum erreichbar. Wann immer die Bekehrer bei ihrem Flug durch das All auf Welten mit intelligenten Bewohnern trafen, schickten sie Kleinerkunder-Beiboote aus, die mit freiwilligen Missionaren besetzt waren, die sich aus allen vier Kasten rekrutierten. Unermüdlich versuchten die Abgesandten der Vulnurer, den anderen Völkern ihre Lehre zu vermitteln, doch bisher waren alle der unzähligen Bekehrungsversuche gescheitert, niemand hatte sich überzeugen lassen und sich den Insektoiden angeschlossen. So kam es, daß die drei Schiffe der Bekehrer weiterhin allein den Raum durcheilten, doch ihr Mut zur Missionierung war ungebrochen.
Die Bekehrung anderer war aber nicht das Hauptanliegen der Vulnurer. Sie waren mit ihren Schiffen unterwegs, um die Wiedergeborene Lichtquelle aufzufinden. Dieses Ziel hatten alle Vulnurer vor Augen, doch was sich hinter diesem Begriff verbarg, wußte niemand. Man vermutete, daß nur die Priesterschaft darüber informiert war. Einen Großteil dieser Informationen hatte Jacta schon verfügbar, als sie die Larvenhülle verließ, den Rest hatte sie aus den Gesprächen mit ihren Eltern erfahren. Ventarko und Melis stellten erfreut fest, daß ihre Tochter nicht nur die passive Lernphase gut genutzt hatte, sondern zudem auch ungewöhnlich intelligent war. Sie beschäftigte sich nicht nur mit allen möglichen Dingen ihres Volkes, sondern sie stellte auch Fragen – und Überkommenes in Frage. Jacta war erst wenige Tage alt, doch in ihrer Entwicklung schon weiter, als andere Vulnurer selbst der obersten Kaste es während ihres ganzen Lebens sein würden.
* Jactas Wissensdurst war geradezu unstillbar. Wann immer ihre Eltern den Dienst hinter sich gebracht hatten und in die Unterkunft zurückkehrten, bestürmte die Vulnurerin sie mit Fragen. Ventarko und Melis standen ihr Rede und Antwort, so gut es ging. »Habt ihr schon einmal erlebt, daß ein Planet angeflogen wurde?« »Ja, vor zwei Jahren war das. Vier Kleinerkunder sind damals gestartet, um den dort lebenden Intelligenzen die wahre Lehre zu bringen.« »Warst du bei den Missionaren, Vater?« »Nein, deine Mutter und ich haben die GESTERN noch nie verlassen, aber die Kameras der Beiboote haben Bilder von dieser Welt übertragen.« »Wie sieht so ein Planet aus?«
»Nun, er ist natürlich viel größer als unsere Raumer zusammen, aber bei weitem nicht so zweckmäßig.« Der Ingenieur suchte nach einer passenden Formulierung. »Alles ist so anders, so fremd. Nehmen wir einmal das Wasser. Es kommt dort nicht aus Leitungen oder fließt in Rohren, es ist einfach überall, es kommt sogar aus dem Nichts, das die Planetarier ›Himmel‹ nennen. Auf einem Planeten ist nichts geordnet und gegliedert, es ist ein Chaos aus Zufall und Willkür. Es ist unmöglich, ein solches Durcheinander mit Worten zu beschreiben.« »Kann ich es einmal sehen?« fragte Jacta, die diese Erklärung nicht befriedigte. »Wenn du willst, besorge ich dir nachher eine Kassette mit einer Aufzeichnung«, sagte Melis Tars. »Au, fein«, freute sich die Vulnurerin. »Kommen in dem Film auch diese Wesen vor, die auf dem Planeten leben?« »Ja.« »Erzählt mir davon. Wie sehen sie aus? Sind sie wie wir?« »Nein, sie sind völlig anders. Sie gehen zwar auch auf zwei Beinen, aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Diese Wesen sind zwar auch intelligent, aber …« »Was ist, warum sprichst du nicht weiter?« Ventarko gab einen schrillen Laut von sich und deutete mit seinen rechten Armen zum Eingang. Zwei mattschwarze Gestalten schwebten auf der Schwelle. Melis stieß ein erschrecktes Zirpen aus. Bis zum Brustteil sahen die Eindringlinge aus wie Vulnurer, allerdings fehlte ihnen der Hinterleib mit den Beinen, statt dessen besaßen sie eine Art Sockel, einen Kegelstumpf, auf dem sich das Oberteil befand. Erst bei genauem Hinsehen bemerkte man, daß das untere Armpaar keine Greifzangen besaß. »Es gibt sie also doch, die schwarzen Roboter der Priester!« stieß der Vulnurer hervor. »Was wollt ihr von uns?« Die Automaten glitten auf ihren Prallfeldern ein Stück nach vorn, ins Zimmer hinein. Der Durchlaß verschloß sich wieder.
»Wir sind gekommen, um Jacta abzuholen.« »Ventarko, was hat das zu bedeuten?« Melis klammerte sich an ihren Mann. »Was wollen sie von Jacta?« Der Ingenieur hatte sich überraschend schnell gefaßt. Sanft schob er seine Partnerin zur Seite und stellte sich schützend vor seine Tochter. »Niemand wußte, ob es euch wirklich gibt, aber auch wenn ihr real seid, so habt ihr noch lange kein Recht, euch so aufzuspielen. Verlaßt auf der Stelle diese Wohnung. Niemand hat euch gerufen.« »Du wirst uns nicht daran hindern, unsere Aufgabe zu erfüllen«, sagte einer der Schwarzen und schwebte auf die junge Vulnurerin zu. »Ihr entführt meine Tochter nicht!« schrie Tars und stürzte sich auf den vordersten Roboter. Obwohl die Maschine nur über ein Paar mit Greifzangen bestückte Extremitäten verfügte, parierte sie den Angriff mühelos, doch der Insektoide blieb unbeeindruckt. Die Sorge um das Schicksal seines einzigen Kindes verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Mit dem Mut der Verzweiflung griff er erneut an. Der andere Automat nutzte das Handgemenge und griff nach Jacta. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, ohne sich jedoch aus der Umklammerung befreien zu können. Nun wurde auch ihre Mutter aktiv. Wie eine Furie attackierte sie das Synthowesen. Der Kampf dauerte nicht einmal eine Minute, dann fanden sich die Eltern Jactas auf dem Boden wieder. Bevor sie sich erneut aufrappeln konnten, ruckten die rechten Unterarme der schwarzen Roboter hoch. Was wie ein Stumpf aussah, war in Wirklichkeit die Abschußvorrichtung für mikroskopisch kleine Bolzen, die eine hypnotische Wirkung hatten. Sie errichteten eine Gedankensperre, so daß der Getroffene sich an den Auftritt der Roboter nicht erinnern bzw. darüber sprechen konnte. Das Abfeuern der Waffe geschah völlig lautlos, und da das winzige Projektil für das Auge nicht erkennbar war, tat sich subjektiv gesehen nichts, nur die
Wirkung war zu beobachten. Ohne die Automaten zu beachten, standen die beiden auf. »Ich habe Hunger, Melis. Machst du mir einen Imbiß?« Verzweifelt versuchte Jacta, sich dem Griff der Schwarzen zu entwinden, doch die Automaten hielten sie eisern fest. »Ihr Scheusale, was habt ihr mit meinen Eltern gemacht? Laßt mich los!« Die Roboter setzten sich in Bewegung und zogen die sich Sträubende mit sich. »Vater, Mutter, helft mir!« rief Jacta. Ihre Eltern schienen sie nicht einmal gehört zu haben. Als die Tür sich hinter ihr und den Maschinen wieder automatisch schloß, gab sie ihren Widerstand auf, weil sie einsah, daß es sinnlos war. Aufgegeben hatte sie sich allerdings noch nicht.
* Wann immer sie allein war, hatte Jacta sich nicht nur im stillen Kämmerlein eingeschlossen und gegrübelt, sondern sich auch mit ihrer Umgebung vertraut gemacht, doch schon sehr bald verlor sie die Orientierung. Die Roboter benutzten Wege, deren Eingänge getarnt waren. Die Vulnurerin bezweifelte, daß dieses Labyrinth aus Korridoren und Abzweigungen ihren Artgenossen bekannt war; selbst ihr Vater, der doch zur obersten Kaste gehörte, hatte nie erwähnt, daß es Geheimgänge gab. Damit nicht genug, benutzten sie auch einige Transmitter, aber über welche Distanz sie die Geräte beförderten, ließ sich nicht einmal abschätzen. Entsprechende Fragen ließen die Robots unbeantwortet. Überhaupt gaben sich ihre Entführer recht wortkarg. Außer Anweisungen, die erforderlich waren, um dieses oder jenes zu tun, ließen sie nichts verlauten, dennoch vermutete Jacta, daß sie die
GESTERN verlassen hatten und sich in der HEUTE oder MORGEN befanden. Wieder hatten sie einen Transmitter benutzt und kamen in einer kleinen Halle an, die nur spärlich beleuchtet war. Die Schwarzen, die sie in die Mitte genommen hatten, hielten zielstrebig auf eine reliefverzierte Wand zu. Kurz bevor sie sie erreichten, glitt ein Teil des massiv wirkenden Materials zurück und gab einen Durchlaß frei. Dämmerlicht erfüllte den dahinterliegenden, schnurgeraden Gang, der sich irgendwo im Nichts zu verlieren schien. Als die Insektoide zögerte, den Flur zu betreten, versetzte ihr eine der Maschinen einen sanften Stoß. »Geh, es geschieht dir nichts!« Jacta Tars setzte sich in Bewegung. Es war unnatürlich still, kein Laut war zu hören, die Luft war steril und frei von Duftstoffen. Angespannt konzentrierte sie sich auf den Gesichtssinn, doch auch die Facettenaugen, die fast eine Rundumsicht ermöglichten, nahmen keine Besonderheit wahr. Der scheinbar endlose Gang entpuppte sich als optische Täuschung, die durch geschickt angebrachte Spiegelflächen hervorgerufen wurde. Die dicht folgenden schwarzen Roboter ließen Jacta keine andere Wahl, als vorwärts zu gehen. Schon nach drei, vier Dutzend Schritten endete der Flur in einem dunklen Raum, der von wenigen Lichtern erhellt wurde. Eine geheimnisvolle, fast magische Aura erfüllte das Halbdunkel. »Wo sind wir hier?« »Du wirst es gleich erfahren. Geh weiter.« Links von ihr entstand ein leuchtendes Rechteck, das semitransparent war und den Eindruck eines angestrahlten Wasserfalls erweckte. Wieder zögerte das Mädchen. »Folge mir«, sagte einer der Roboter und schwebte auf die unerklärliche Lichtkaskade zu. Fasziniert beobachtete Jacta, wie der Automat den leuchtenden
Vorhang einfach passierte. Neugierig geworden, folgte sie ihm, doch als sie die Barriere aus Licht durchschreiten sollte, zögerte sie erneut. Der zweite schwarze Roboter nahm ihr die Entscheidung ab. Er schwebte heran, faßte die Vulnurerin am oberen linken Arm und zog sie mit sich. Die junge Bekehrerin versteifte sich innerlich, als sie durch das gleißende Leuchten ging, doch sie fühlte keine Veränderung. Jenseits der Lichtkaskade erwartete sie ein schmaler Flur, der so eng war, daß Jacta die Wände mit ihren ausgestreckten Armen berühren konnte. Die Bespannung fühlte sich warm und plüschig an, so wie der Körperüberzug der Roboter. Auch hier war die Beleuchtung schummrig, es war absolut still. Ein Durchlaß, der als solcher nicht zu erkennen war, glitt vor dem führenden Automaten lautlos zurück, gleichzeitig flammte eine grelle Leuchte auf, die die Vulnurerin anstrahlte und blendete. Abrupt verharrte sie, doch die hinter ihr befindliche Maschine schob sie vorwärts. Halb blind, mit den zierlichen Greifzangen tastend, tappte Jacta einige Schritte nach vorn. »Bleib stehen!« befahl einer der Schwarzen. Da sie wußte, daß Widerstand zwecklos war, leistete sie der Anweisung Folge. Inzwischen konnte sie auch wieder sehen. Neugierig blickte sie sich um. Sie befand sich in einem Raum, der wesentlich größer war als der erste. Die Wände glommen in einem düsteren Rot, als wenn sie von innen heraus zu glühen schienen, wirre Farbmuster huschten wie Schatten über die Flächen. Ein Hauch von Unwirklichkeit und magischem Fluidum erfüllte das in ein geheimnisvolles Licht getauchte Zimmer, in dessen Mitte ein dunkler Würfel stand. Er wirkte drohend und finster, eine Art Schwarzes Loch, das jede Lichtwelle zu verschlingen schien. Wie es den Anschein hatte, war dieser Block der einzige Gegenstand im Raum. Erst jetzt nahm Jacta wahr, daß ein schwerer süßlicher Duft die Luft erfüllte. Sie war ein
unerschrockenes Mädchen, aber diese Umgebung war dazu angetan, auch bei dem Hartgesottensten eine gewisse Beklemmung hervorzurufen. »Was habt ihr mit mir vor? Wo bin ich hier?« »Wir haben dich zu den Priesterinnen der Lichtquelle gebracht.« Die Stirnwand veränderte ihre Farbe, wurde heller, fast weiß, schließlich wirkte sie wie eine von hinten schwach beleuchtete Milchglasscheibe. Wie aus dem Nichts heraus entstanden davor plötzlich fünf konturlose Gestalten, die Jacta trotz der fließenden Umrisse sofort als Artgenossen erkannte. Die dunklen Schatten verharrten bewegungslos. Mit dem Würfel ging eine seltsame Veränderung vor. Auf einmal absorbierte er das Licht nicht mehr, sondern begann zu strahlen, zuerst wie ein Aquarium in tiefstem Blau, dann verlor sich die Farbe nach und nach bis zur Durchsichtigkeit, doch er wurde nicht transparent, obwohl seine Flächen glatt und ungeschliffen waren. Wie ein Brillant klassischen Schliffs verwandelte er sich in eine Art Edelstein, der das Licht brach und gleich grellen Blitzen in allen Farben des Spektrums reflektierte, zugleich begann er, von innen heraus zu leuchten. Sein kaltes weißes Licht riß die schattenhaften Körper der fünf förmlich aus der Anonymität des Diffusen heraus. Wie Jacta vermutet hatte, waren die bewegungslosen Gestalten Vulnurer – Vulnurerinnen. Sie trugen schwarze Umhänge, die ihren Körper völlig bedeckten, trotzdem war erkennbar, daß sie schon ziemlich alt sein mußten, gemessen an der allgemeinen Lebenserwartung, die nach terranischer Zeitrechnung zehn Jahre betrug. »Jacta Tars, wir haben dich zu uns bringen lassen, weil wir dir eine Aufgabe zugedacht haben, die dich mehr als jede andere Qualifikation aus unserem Volk hervorheben wird«, sagte die mittlere der Bekehrerinnen feierlich. »Eine aus unserer Mitte ist kürzlich gestorben, und du bist auserwählt, ihren Platz als Priesterin der Lichtquelle einzunehmen.«
»Demnach besteht die Priesterschaft nur aus Vulnurerinnen?« fragte Jacta überrascht. »So ist es«, lautete die würdevolle Antwort. »Und du wirst eine davon sein – eine von sieben.« Es war nicht allein jugendliche Unbekümmertheit, die dafür sorgte, daß Jacta Tars sich von der Kulisse nicht blenden ließ, sondern vor allem ihr Genius. »Ich muß gestehen, daß ich mit einem solchen Angebot nicht gerechnet habe, und sicherlich ist der Status einer Priesterin der Lichtquelle ehrenvoll, aber ich habe mir meine Zukunft eigentlich anders vorgestellt.« »Du bist ein undankbares Geschöpf, Jacta.« Die Stimme schien von allen Seiten zu kommen, klang aber seltsam verzerrt. »Andere würden alles dafür geben, um an deiner Stelle zu sein.« Die junge Insektoide hatte den Eindruck, daß da jemand über Lautsprecher zu ihr gesprochen hatte, doch die schlechte akustische Qualität machte sie unsicher. »Wer war das?« »Das war Lichtquelle-Mara, die Oberpriesterin. Lichtquelle-Mara hört und sieht alles, nichts entgeht ihr.« »Sie ist also nicht hier?« »Nein, denn sie hat vielfältige Aufgaben zu erfüllen.« »Die Berufung einer neuen Priesterin ist demnach also eine Nebensächlichkeit?« versuchte das Mädchen zu provozieren. »Was ist denn so wichtig, daß sie verhindert ist und nicht selbst kommt?« »Für deine unverschämten Worte hättest du eigentlich Strafe verdient, doch da du noch jung bist und bald zu uns gehören wirst, verzeihen wir dir noch einmal«, sagte die Sprecherin. »In Zukunft solltest du dir jedoch überlegen, was du sagst.« »Klärt sie auf«, meldete sich erneut die verzerrte Stimme. »Was weißt du über uns?« erkundigte sich die Priesterin in der Mitte. »Fast so gut wie nichts. Über die Priesterschaft sind nur Gerüchte
im Umlauf. Man vermutet, daß ihr sieben seid, doch daß ihr Frauen seid, ist unbekannt. Sicher weiß man nur, daß ihr den Mono wählt, der die Geschicke aller Vulnurer bestimmt.« Die Alte gab das Äquivalent eines boshaften Kicherns von sich. »Deine Mitbürger täuschen sich gewaltig, Kindchen. Der Mono ist nicht mehr als eine Marionette, die tut, was wir wollen. Wir sind es, die in Wahrheit die Herrschaft über alle Bekehrer ausüben, doch wir halten uns lieber im Hintergrund.« Die Aussage der Priesterin überraschte Jacta. Jeder ihrer Artgenossen war davon überzeugt, daß Ferrunger-Mono die absolute Befehlsgewalt hatte, zumindest, was die Dinge betraf, die keinen religiösen Charakter hatten, doch nun wurde sie eines Besseren belehrt. Sieben Priesterinnen – im Augenblick waren es ja nur sechs – bestimmten das Schicksal ihres Volkes. Diese Machtfülle stimmte sie nachdenklich. »Welche Bedeutung hat das Auffinden der Wiedergeborenen Lichtquelle für uns?« »Jeder von uns strebt es von ganzem Herzen an«, kam es würdevoll zurück. Jacta empfand diese Antwort mehr als unbefriedigend. »Besteht der einzige Sinn unseres Daseins etwa darin, zu versuchen, andere Völker zu bekehren und diese ominöse Wiedergeborene Lichtquelle zu suchen?« »Gibt es ein höheres Ziel, für das es sich zu leben lohnt?« antwortete die Priesterin mit einer Gegenfrage. »Du weichst mir aus. Sage mir konkret, was es mit der Wiedergeborenen Lichtquelle und den Missionierungsversuchen auf sich hat.« »Aus dir spricht das Ungestüm der Jugend. Dir fehlt die Erleuchtung und Weisheit des Alters, Jacta. Übe dich in Geduld.« »Wie könnt ihr von mir verlangen, daß ich für etwas eintrete, von dem ich nichts weiß?« »Du verlangst zuviel von uns. Nur die Lichtquelle-Mara bzw. die
jeweilige Oberpriesterin ist im Besitz der wahren Erkenntnis. Wir sind nur Dienerinnen der reinen Lehre.« »Aber ihr beschäftigt euch nicht nur mit geistig-ethischen Dingen, sondern mischt euch auch in Belange ein, die damit durchaus nichts zu tun haben, wie ihr mir selbst offenbart habt«, erwiderte die Insektoide heftig. »Wäre es nicht denkbar, daß der ganze Kult um das Bekehrertum nur aufgezogen wurde, um die Herrschaft der Priesterinnen zu untermauern? Wird euer Machtanspruch nicht nur religiös verbrämt, um den wahren Sachverhalt zu verschleiern?« In die Reihe der schwarzgekleideten Gestalten kam Bewegung. Alle fünf zirpten schrill durcheinander, sie gestikulierten heftig, gleichzeitig nahmen sie eine drohende Haltung gegenüber der jungen Vulnuerin ein. »Wir dulden keinen Widerspruch. Das gilt nicht nur für die reine Lehre, sondern auch für unseren Status.« Die Sprecherin wirkte nun nicht mehr verbindlich, sondern hart und unnachgiebig. »Unser Volk ist auserwählt, und wir führen es seiner Bestimmung zu. Wer sich dem widersetzt, schließt sich aus der Gemeinschaft aus.« Die Drohung ließ das Mädchen unbeeindruckt. »Ich bin noch nicht fertig. Ihr verkündet, daß das Leben auf einem Planeten vom Bösen bestimmt wird, doch ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Intelligenzen nicht im freien Raum entstehen können – das trifft zumindest für uns zu. Um zu existieren, benötigen wir nicht nur bestimmte Temperaturen, sondern auch Sauerstoff, aber beides gibt es nicht im All. Woher kommt das Material unserer Schiffe?« Jacta Tars hatte sich in Eifer geredet. »Wißt ihr darauf eine Antwort? Natürlich nicht, aber ich habe eine Erklärung. Auch unser Volk stammt von einem Planeten, und diese Lichtquelle, die wir suchen, ist unsere Heimatwelt, vielleicht auch ihre Sonne oder ein anderes Gestirn, das Bezug zu unserer Vergangenheit hat.« »Das ist nicht wahr!« rief eine der Priesterinnen unbeherrscht. »Alle Bekehrer als Einheit verkörpern das Gute, doch wer auf einem
Planeten lebt, wird von bösen Mächten gelenkt. Wir sind positiv, also muß unsere Heimat das All sein.« »Deine Gedanken sind ketzerisch«, keifte eine andere. »Du taugst nicht zur Priesterin, denn du stellst in Abrede, was die geistigen Werte unserer Art ausmacht. Vielleicht wäre es besser, dich von den Robotern töten zu lassen, bevor du Schaden anrichtest und Zwietracht säst.« Beifälliges Gemurmel kam auf. Nun wurde Jacta doch ein wenig bange. Zwar hatte sie Widerspruch erwartet, die Toleranz der Frauen jedoch unterschätzt. Gewiß, sie hatte etwas gesagt, was im Gegensatz zur geltenden Lehre stand, aber sie hatte nur ihren Überlegungen Ausdruck gegeben. Daß man sie dafür gleich umbringen wollte, hatte sie nie und nimmer ins Kalkül gezogen. Die Skrupellosigkeit und die unbarmherzige Härte der Priesterinnen erschreckten sie zutiefst. Sprach aus den Schwarzgekleideten Senilität, oder waren sie tatsächlich so machtbesessen, wie es den Anschein hatte? Unbehaglich beobachtete sie die beiden Robots, doch die schwebten unbeweglich auf der Stelle und machten keinerlei Anstalten, gegen sie vorzugehen. Wieder erklang diese verzerrte Stimme. »Laßt sie. Es ist das Vorrecht der Jugend, alles und sogar sich selbst in Frage zu stellen, doch ist dieser Zustand nicht von Dauer. Es gibt Werte, die nicht in Abrede zu stellen sind. Sie wird es begreifen, wenn sie seelisch gereift ist und den Status einer Priesterin hat. Erklärt ihr, welche Aufgabe sie zu erfüllen hat, bevor sie mich, Lichtquelle-Mara, und meine Geheimnisse kennenlernt.« Es war der Sprecherin der Priesterinnen anzumerken, daß sie nicht sonderlich erbaut war, dennoch kam sie der Anweisung nach. »Du hast gehört, was die Oberpriesterin gesagt hat, also hör zu. Bevor du die Weihe erhältst, mußt du eine Bewährungsprobe bestehen, die dich hoffentlich läutert.« »Was soll ich tun?«
»Nicht so hastig, zuerst muß ich dir einige Dinge erklären. Wir Priesterinnen verständigen uns anonym über ein gesondertes Bordinterkomnetz, das alle drei Heimatschiffe gleichzeitig erfaßt, doch unser Quartier befindet sich in der HEUTE.« Jacta Tars hatte bereits vermutet, daß sie sich nicht mehr an Bord der GESTERN befand, doch sie zog es vor, zu schweigen. »Du befindest dich in diesem Quartier, und wie du festgestellt haben wirst, ist es nicht schlecht getarnt, denn dies ist der Großkessel einer Lebensmittelfabrik.« Die Vulnurerin gab ein erheitertes Zirpen von sich. »Allerdings wird hier nichts produziert, denn wir haben die Anlage zweckentfremdet, wie du siehst.« Als die junge Insektoide keine Antwort gab, fuhr die Priesterin fort: »Deine Aufgabe ist es nun, dieses Quartier heimlich zu verlassen und dich eines Kleinerkunders zu bemächtigen, mit ihm zu starten und draußen im All einen Kurs abzufliegen, der dir vorgegeben wird. Traust du dir das zu?« »Ich glaube, der Flug mit dem Beiboot wird mir keine Schwierigkeiten bereiten, das Problem ist, wie ich hier wieder herausfinde und den Kessel ungesehen verlassen kann.« »Die Roboter werden dich zu einer Luke bringen, was dann kommt, bleibt dir überlassen. Wenn du die Prüfung bestehst, bist du eine von uns.« »Und wenn ich es nicht schaffe?« »Geh jetzt, bevor Lichtquelle-Mara ungeduldig wird. Sie hat sich dir gegenüber ohnehin schon ungewöhnlich nachgiebig gezeigt«, lautete die ausweichende Antwort. Sie winkte die beiden Automaten heran. »Begleitet sie hinaus.« »Komm«, sagte einer der Schwrzen und glitt auf seinem Prallfeld langsam davon. Jacta folgte ihm mit gemischten Gefühlen, die andere Maschine bildete den Abschluß. Sie benutzten nicht den Weg, auf dem sie hergekommen waren, sondern steuerten auf den Würfel zu. Bevor sie ihn erreichten,
öffnete sich der Boden auf einer Fläche von umgerechnet zwei Metern im Quadrat. Der senkrechte Stollen entpuppte sich nicht als Falle, wie Jacta befürchtet hatte, sondern als Antigravschacht, in dem sie und die Automaten sanft nach unten schwebten. Wer auch immer dieses System geschaffen hatte – er hatte an alles gedacht. Eine sicherlich versteckt angebrachte Kamera versorgte einen Monitor innerhalb des Antigravschachts mit wechselnden Sektorenausschnitten, so daß gewährleistet war, daß kein zufälliger Beobachter anwesend war, wenn jemand den Kessel verließ. Der vorderste Roboter bremste den sanften Fall und klammerte sich mit einem seiner Arme an den in die Wand eingelassenen Sprossen fest; notgedrungen folgte Jacta seinem Beispiel. Eine Weile betrachtete der Schwarze die hereinkommenden Bilder, dann, als er sicher war, daß sich niemand in der Halle aufhielt, ließ er sich wieder absinken und betätigte einen simplen Schalter. Ein kreisrundes Metallstück wich zurück, man konnte den Boden sehen, auf dem der Kessel stand. Seine untere Wölbung war umgerechnet knapp zwei Meter davon entfernt, doch das war nicht tragisch, denn die Wirkung der Gravitationsneutralisatoren reichte über die Kuppel hinaus. Leicht wie eine Feder landete die junge Vulnurerin auf dem Boden. Die Öffnung im Kessel schloß sich wieder. »Du bist nun auf dich selbst gestellt«, sagte einer der Automaten. Bevor er mit seinem Gegenstück zwischen den Produktionsanlagen verschwand, erklärte er der Bekehrerin noch den Weg zum nächstgelegenen Hangar, dann überließen sie Jacta ihrem Schicksal. Ein wenig unschlüssig blickte sie sich um. Wie es aussah, war sie allein, doch sie war sicher, daß die Priesterinnen sie überwachten, um sicherzugehen, daß sie nicht einfach verschwand. Nur für einen Augenblick blitzte in ihrem Gehirn der Gedanke auf, irgendwo unterzutauchen und zu versuchen, an Bord der GESTERN und zu ihren Eltern zurückzugelangen, aber sie verwarf diese Idee sogleich wieder. Mittlerweile wußte sie zu viele Einzelheiten, als daß die
Priesterinnen sie einfach ungeschoren in ihre vertraute Umgebung zurückkehren ließen. Die schwarzen Roboter würden Jagd auf sie machen, und daß die Dienerinnen der reinen Lehre keine Hemmungen hatten, sie töten zu lassen, hatten sie bereits gesagt. Diese Überlegung war aber nicht ausschlaggebend. Zwar hatte Jacta ihre Überzeugung nicht geändert und war durchaus nicht versessen darauf, den Status einer Priesterin zu erhalten, andererseits reizte es sie, diese Bewährungsprobe zu bestehen und die verkrusteten Strukturen der alten Hierarchie aufzubrechen. Das konnte sie aber nur, wenn sie in unmittelbarer Umgebung der alten Frauen weilte und selbst Macht besaß – die Macht einer Priesterin. Jacta setzte sich in Bewegung. Sie war entschlossen, die Herausforderung anzunehmen – und durchzustehen, wobei ihr der Flug als Bewährungsprobe geradezu lächerlich einfach erschien. Schwieriger würde es schon sein, ein Beiboot zu entwenden und damit zu starten, ohne daß sie daran gehindert wurde. Während sie noch überlegte, wie sie das anstellen sollte, sprach ein verborgener Lautsprecher an. Die Vulnurerin identifizierte eindeutig die Stimme der Sprecherin der Priesterinnen. »Übrigens, Jacta: Stelle dir die Aufgabe nicht zu leicht vor. Gewiß, der Flug als solcher ist einfach, aber es werden Gefahren auftauchen, auf die du nicht gefaßt bist und die du überwinden mußt, um die Prüfung zu bestehen.« »Ich werde es schaffen«, meinte Jacta grimmig. Sie konnte nicht wissen, was sie wirklich erwartete.
* Mit wachsender Geschwindigkeit entfernte sich der Kleinerkunder von der HEUTE. Es war wirklich kinderleicht gewesen, sich des Beiboots zu bemächtigen und damit zu starten. Der Hangar war unbewacht gewesen, niemand hatte versucht, sie aufzuhalten. Ob
die Priesterinnen dafür gesorgt hatten, daß sie unbehelligt blieb? Jacta verdrängte die Gedanken daran und blickte auf den Bildschirm. Vor ihr war nur der unendliche Raum, dunkel und sternenarm. Von einer wie auch immer gearteten Gefahr war nichts zu sehen. Eine transparente Luke ermöglichte die direkte Sicht nach draußen ohne Zwischenschaltung einer Optik. Die Vulnurerin sah hinaus, dorthin, wo die immer kleiner werdenden Heimatschiffe im All schwebten. Plötzlich vermeinte sie, hinter den drei bekannten Konstruktionen ein viertes, etwas kleineres Objekt zu sehen, das ihr unbekannt war, doch als sie sich darauf konzentrierte, war es auf einmal verschwunden. Diese merkwürdige Beobachtung beschäftigte sie innerlich. War das schon eine der Prüfungen, oder wurde sie heimlich verfolgt? Sie blickte auf die Ortungsanzeigen, aber die zeigten nur die Reflexe der eigenen Raumer. Gab es da wirklich etwas Unerklärliches, was die Instrumente nicht erfassen konnten, oder hatten ihr ihre Augen einen Streich gespielt? War sie einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen? Jacta lauschte in sich hinein. Sie war konzentriert, doch nicht verkrampft oder erregt, sie war also nicht überreizt, im Gegenteil, dennoch wurde sie unsicher. Konnte ein organischer Sinn etwas ausmachen, was der Technik verborgen blieb? War es nicht eher umgekehrt? Wie alle Vulnurer besaß Jacta ein ausgesprochen feines Schwerkraftempfinden. So merkte sie sofort, daß die übliche Gravitation schwächer wurde, zwar nur ganz minimal, aber sie kümmerte sich sofort darum. Das beobachtete Phänomen wurde dadurch zweitrangig. Die Kontrollen der Gravitationssteuerautomatik zeigten an, daß die künstliche Schwerkraft 0,09 Prozent von der Norm abwich und weiter sank. Durch Überbrückung der Sensorik versuchte Jacta, den offensichtlichen Defekt manuell zu beheben, aber es gelang ihr
nicht, der Vorgang beschleunigte sich sogar noch. Schon betrug die Gravitation nur noch acht Zehntel des Soll-Wertes. Die junge Bekehrerin gab den sinnlosen Versuch auf und rief ein Kontrollprogramm ab, um den Fehler lokalisieren zu können. Die Überprüfung der Funktionen ergab, daß die Energiezufuhr aus unerklärlichen Gründen rapide gedrosselt wurde. Von ihrem Pult aus gab sie eine gegenteilige Anweisung ein, doch der Befehl kam nicht an. Irgend etwas blockierte den elektronischen Impuls. Mittels mehrerer Hilfsschaltungen versuchte sie, doch noch zum Erfolg zu kommen, aber ihre Anstrengungen waren vergeblich. Und dann fiel die Gravitation völlig aus. Schwerelos schwebte Jacta vor dem Pult und ruderte verzweifelt in der Luft herum. Nun war der Wegfall der künstlichen Schwerkraft zwar kein Defekt, der die Funktionstüchtigkeit des Raumschiffs beeinträchtigte, dafür war die Wirkung auf den einzigen Passagier um so deutlicher. Die Schwerelosigkeit bereitete Jacta körperliches Unbehagen, ja, sogar ihr empfindlicher Orientierungssinn geriet in Unordnung. Zwar sah sie, wo oben und unten war, doch das Gleichgewichtsempfinden rebellierte gegen den optischen Eindruck, worauf der Organismus mit Übelkeit reagierte. Binnen weniger Minuten verwandelte sich die agile Jacta in ein hilfloses Bündel, dem sterbenselend war. Hilflos, mit gespreizten Gliedern und unfähig, sich fortzubewegen, schwebte sie knapp zwei Meter über dem Boden. Übergangslos setzte die übliche Gravitation wieder ein. Wie ein Stein stürzte die Vulnurerin nach unten und landete auf dem Hinterleib. Es war fast wie ein Wunder, daß sie sich dabei nicht ernsthaft verletzte. Benommen blieb sie liegen. Ihr war schlecht, Schmerzen strahlten über den ganzen Körper aus, die Bilder tanzten vor ihren Augen, alles wirkte verschwommen und unscharf. Sie fühlte sich erbärmlich und wünschte sich in die GESTERN zu ihren Eltern zurück. »Ortungsalarm!« plärrte eine mechanische Stimme.
Nur allmählich drang der Sinn der Durchsage zu ihrem Gehirn durch, dann allerdings handelte sie. Trotz ihres beklagenswerten Zustands richtete sie sich auf und schleppte sich zu ihrem Sessel. Allmählich klärte sich ihr Blick, und sie erkannte, daß der Kleinerkunder mit hoher Geschwindigkeit auf ein Asteroidenfeld zuraste. Warum reagierte die Positronik nicht und brachte das Boot auf einen Ausweichkurs? Die drohende Gefahr ließ sie ihre Schwäche vergessen. Mit einem Griff schaltete sie den Autopiloten aus und übernahm per Handsteuerung, nur – das Schiff reagierte nicht. Gleich darauf fiel ihr auch ein, warum das so war: Die Priesterin hatte gesagt, daß der Kurs vorgegeben war, und offensichtlich ließ sich diese Prioritätsschaltung nicht neutralisieren. Immerhin hatte sich der Schutzschirm aufgebaut. Voller Unbehagen betrachtete Jacta die Kontrollskalen. Es war ein ungutes Gefühl, allein an Bord eines Schiffes zu sein, dessen Programmierung man auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Ein kaum merklicher Ruck ging durch die vergleichsweise winzige Einheit, gleichzeitig stieg die Belastung des Schirmfelds an. Der Kleinerkunder hatte ersten Kontakt mit den Materiebrocken bekommen, dessen ungeachtet seine Geschwindkeit jedoch nicht gedrosselt. Die Bekehrerin machte einen entsprechenden Versuch, doch ihr Eingriff in das Programm wurde abgeblockt. Ohne daß sie etwas dagegen tun konnte, mußte sie zusehen, wie die Anzeige des Schutzschirms bedrohlich auf die Höchstmarke kletterte. Schon wollte sie aufatmen, weil die Instrumente eine abnehmende Dichte signalisierten, als das Energiefeld plötzlich zusammenbrach. Einige Sekunden lang war Jacta vor Schreck wie gelähmt, dann sprang sie auf und streifte sich den Raumanzug über, verzichtete im Augenblick aber noch darauf, Schutzschirm und Lebenserhaltungssystem zu aktivieren. Die Schiffszelle begann zu schwingen und zu dröhnen. Ein
Bombardement aus winzigen Gesteinstrümmern traf die ungeschützte Hülle des Kleinerkunders. Bei der Geschwindigkeit des Bootes hatten sie die Wirkung von Geschossen, und es war nur eine Frage der Zeit, wann das Material der Belastung nicht mehr gewachsen war und einer der Mikrobrocken die metallene Außenhaut durchschlug. Ein grelles Warnlicht blinkte rhythmisch auf, gleichzeitig schrillte Sirenengeheul durch das Boot. Knallend schlossen sich irgendwelche Sicherheitsschotte. »Vakuumeinbruch in Sektor 3«, plärrte eine Automatenstimme. »Ein Reparaturkommando ist bereits unterwegs.« Nervös bewegte Jacta die Fühler und die schwach ausgeprägten Kieferzangen. Das, was nun eingetreten war, hatte sie vorausgesehen, aber noch bestand für sie selbst keine unmittelbare Gefahr. Abschnitt 3 befand sich an der äußeren Peripherie des Heckteils. So plötzlich, wie der Schutzschirm verschwunden war, entstand er wieder und erfüllte die ihm zugedachte Funktion. Die Vulnurerin registrierte es mit Erleichterung, wurde aber gleich darauf abgelenkt, weil ein vielarmiger Wartungsrobot in die Zentrale schwebte. Einige Sekundenbruchteile verharrte er auf der Schwelle, dann schoß er mit Höchstgeschwindigkeit auf Jacta zu. Bevor sie die Maschine fragen konnte, welchen Auftrag sie hatte, war sie bereits heran und attackierte die Insektoide mit ihren Werkzeugarmen. Die Tochter von Ventarko und Melis Tars war nicht nur überdurchschnittlich begabt, sondern verfügte fast über hellseherische Fähigkeiten. Gedankenschnell wich sie aus, so daß der Automat sie verfehlte. Gleichzeitig schaltete sie den Schutzschirm des Raumanzugs ein und zog einen Strahler. Mit einem treffsicheren Schuß schaltete sie den Robot aus, ohne ihn jedoch zu zerstören. Wie vom Blitz getroffen, sank er zu Boden. Hatte Jacta schon vorher etwas gedämmert, so begriff sie nun
endgültig, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Wahrscheinlich hatten die Priesterinnen ganz bewußt dafür gesorgt, daß sie ein defektes oder nach einem bestimmten Plan funktionierendes Boot nahm, dessen Einrichtungen ganz und gar nicht dem entsprachen, was sein Benutzer erwartete. Selbst die Positronik schien – zumindest zeitweilig – gegen sie zu arbeiten, denn eine derartige Anhäufung von Zufällen und Ausfällen war unwahrscheinlich. Von ihren Eltern wußte sie, daß alle Vulnurerischen Produkte von geradezu sprichwörtlicher Zuverlässigkeit waren. Das war verständlich bei einem Volk, das ausschließlich in Raumschiffen lebte und das All als seine Heimat betrachtete, denn lebensfeindlicher als das Universum konnte selbst der unwirtlichste Planet kaum sein. Immer deutlicher wurde Jacta, daß die Aneinanderreihung von Unmöglichkeiten geplant sein mußte, daß es ein Teil dessen war, was die Priesterinnen als Prüfung verstanden. Was sie nicht logisch fand, war der Zusammenhang. Was hatte dieser Flug mit der reinen Lehre zu tun, was mit ihrer Qualifikation als angehende Priesterin? Wieder gaben die robotischen Anlagen Alarm. Die Vulnurerin schaffte es gerade noch, den Individualschirm abzuschalten und sich im Sessel anzuschnallen, als ein Energiesturm von ungeheurer Wucht über das Schiffchen hereinbrach und es wie ein welkes Blatt herumwirbelte. Ein Gewitter ganz eigener Art tobte durch den Schutzschirm, der bedrohlich flackerte; ein ums andere Mal schlugen die entfesselten Naturgewalten gleich Blitzen bis zur Schiffshülle durch. Sicherungen schlugen durch, knallend gingen irgendwelche Anlagen zu Bruch. Aus einer kompakten Einheit schoß eine grelle Stichflamme. Sie fand Nahrung in den Plastikkomponenten, schwefelgelbe Zungen leckten an der Verkleidung empor. Es roch nach verbranntem Kunststoff, übelriechender, schwarzer Qualm breitete sich aus. »Alarm, Alarm«, plärrte eine Automatenstimme stereotyp.
Die Beleuchtung flackerte, fiel schließlich ganz aus. Die Notaggfegate sprangen an, das Licht flammte wieder auf, erlosch gleich darauf aber erneut. Jedes Quentchen Energie wurde an die derzeitigen Primärverbraucher abgegeben, vornehmlich den Schutzschirm. Kopfüber hing Jacta in ihrem Sitz, nur die Gurte bewahrten sie davor, nicht herausgeschleudert zu werden; Oben und Unten hatten sich verkehrt. Längst hatten sich die Filter vor die Optiken geschoben, dennoch erfüllte ein fahles blaues Leuchten die Zentrale, durchlief alle Farben des Spektrums und tauchte den kleinen Kommandostand in orangene Glut. »Alarm, Alarm!« ertönte es nervtötend. An verschiedenen Stellen waren Brände ausgebrochen. Löschroboter, die ausgerückt waren, um das Feuer zu bekämpfen, verloren durch die unberechenbaren Bewegungen des Kleinerkunders die Kontrolle über sich und wurden hilflos herumgewirbelt. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, sauste durch die Zentrale und richtete weitere Verwüstungen an. Die Lufterneuerungsanlage kämpfte vergeblich gegen den immer dichter werdenden Rauch an; schon wurde das Atmen zur Qual. Jacta zögerte nicht mehr länger. Sie aktivierte wieder ihren Individualschirm und schaltete die Anzugversorgung ein. Um sie herum war ein Inferno aus Feuer und Qualm, das Knistern und Prasseln der Flammen ging in Lärm zerbrechender Instrumente unter. Ein hohles Brausen erfüllte die Luft, mischte sich mit dem Heulen der überlasteten Meiler zu einer furchterregenden Sinfonie. Und immer noch plärrte es aus allen Lautsprechern: »Alarm, Alarm!« Ein heftiger Ruck ging durch das Schiff, ließ es eine Bewegung von fast einhundertachtzig Grad vollführen. Die Begriffe »oben« und »unten« stimmten nun fast wieder, dafür schlingerte der Kleinerkunder wie ein Wasserfahrzeug bei rauher See.
Übergangslos stabilisierte sich die Lage des Bootes wieder, noch einmal wetterleuchtete es durch den Schutzschirm, dann war der Spuk vorüber. Das winzige Schiffchen hatte es tatsächlich geschafft, doch um welchen Preis. Die Zentrale bot ein Bild der Verwüstung, um sie herum herrschte das absolute Chaos. Von den vier Löschrobots waren nur noch zwei einsatzfähig, die beiden anderen lagen zu skurrilen Gebilden verformt auf dem Boden. Mit zitternden Gliedern schnallte Jacta sich los, nahm einen Handlöscher aus der Halterung und unterstützte die Automaten in ihren Anstrengungen, die Flammen einzudämmen. Es dauerte eine Weile, aber dann hatten sie den Brand endlich unter Kontrolle gebracht. Das Feuer war nun zwar aus, aber die Schäden, die es angerichtet hatte, waren teilweise irreparabel, zumindest mit Bordmitteln. Wenn der Kleinerkunder noch einmal eine Etappe mit einer solchen Belastung hinter sich bringen mußte, war sein und damit auch Jactas Schicksal besiegelt. Ein wenig mutlos ließ die Vulnurerin sich in den Sessel vor den Kontrollen nieder. Sie konnte ablesen, welche Strecke das Boot zurückgelegt hatte, doch an welchem Standort sich die Heimatschiffe befanden, wußte sie nicht. In diesem Augenblick sprach das wie durch ein Wunder unversehrt gebliebene Funkgerät an. Sofort ging Jacta auf Empfang. »Hier spricht Lichtquelle-Mara«, drang die verzerrte Stimme der Oberpriesterin aus dem Lautsprecher. »Du hast die Prüfung bestanden und bist damit zur Priesterin geweiht. Das Schiff wird dir ab sofort gehorchen, du kannst den Rückflug programmieren.« Die Bekehrerin gab die notwendigen Koordinaten durch. »Komm zurück, wir erwarten …« Die Oberpriesterin unterbrach sich mitten im Satz. Schon befürchtete die frischgebackene Priesterin, daß das Funkgerät doch etwas abbekommen hatte, als sich die Frau wieder meldete. »Hier spricht Lichtquelle-Mara. Ich wende mich an alle Vulnurer, insbesondere an den Mono. Es ist ein Feind aufgetaucht, der alle, die
Anhänger der reinen Lehre sind, vernichten will. Um dieses Schicksal von uns Bekehrern abzuwenden, verkünde ich hiermit eine Ausnahmesituation, so daß mein Eingreifen gerechtfertigt ist.« Nach einer winzigen Pause fuhr sie fort: »Der Feind, mit dem wir es zu tun haben, steht mit der bösesten aller Mächte im Bunde, jenen Mächten also, die über die sündhaften Planeten herrschen. Sie besitzen zwar nur ein Schiff, aber es ist riesig und von gewaltiger Kampfkraft. Es besteht aus zwei Kugeln und einem Mittelteil, die eine Einheit bilden, aber getrennt operieren können. Jeder Kontakt, auch per Funk, ist verboten.« Der Empfänger schwieg, nur noch ein Prasseln und die üblichen Störgeräusche waren zu hören. Jacta war ein wenig enttäuscht. Nach allem, was sie durchgestanden hatte, hatte sie ein wenig mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Oberpriesterin für ihre eigene Person erwartet, doch Lichtquelle-Mara schien sie förmlich vergessen zu haben und konzentrierte sich nur noch auf den ominösen Feind. Die junge Vulnurerin war da ein wenig skeptisch, was diese Aussage betraf, denn daß ein solcher Gegner existierte, war ihr völlig neu. Woher sollte er auch so plötzlich kommen, woher bezog die Oberpriesterin überhaupt ihr Wissen, daß dieses Schiff ein Werkzeug des Bösen war? Von welcher Welt stammte es? Jacta verdrängte die Gedanken daran und kümmerte sich um die Instrumente. Diesmal reagierte die Positronik auf ihre Eingabe. Sie programmierte den Kurs für den Rückflug und begann damit, in der Zentrale ein wenig Ordnung zu schaffen. Immer wieder mußte sie dabei an die Fremden denken. Was mochten das für Wesen sein? Wollten sie wirklich alle Bekehrer töten und ihre Heimatschiffe vernichten? Sie war so in ihre Grübeleien vertieft, daß ihr entging, daß der Kleinerkunder in eine Dunkelwolke eindrang. Das war an und für sich auch kein Grund zur Besorgnis, nur – es war die gleiche Wolke, in der Atlan mit der DORANIA steckte.
Erst als die Automatik Alarm gab, wurde Jacta aufmerksam. Sie stellte fest, daß das Boot unaufhaltsam abgebremst wurde und daß sich dieser unerklärliche Vorgang auch durch erhöhte Energiezufuhr nicht abwenden ließ. Noch blieb sie ruhig, doch das änderte sich, als sie feststellte, wie gering die Reichweite der Orter auf einmal war – sie hatte die Orientierung verloren. Diesmal konnte es keine Prüfung mehr sein, also würde sie Hilfe erhalten. Voller Zuversicht nahm die junge Priesterin das Funkgerät in Betrieb und rief die HEUTE, doch eine Antwort blieb aus. Noch mehrmals versuchte sie es, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Anlage intakt war, dann wußte sie, daß die Verbindung zu den Heimatschiffen abgerissen war. Jacta Tars steckte mit ihrem Kleinerkunder in der gleichen Klemme wie Atlan und die DORANIA.
3. An Bord der SOL schrieb man mittlerweile den 4.9.3804. Daß sich die DORANIA schon seit Stunden nicht mehr gemeldet hatte, beunruhigte Hayes nicht, denn man wußte ja um das Phänomen dieses »Funk-Vakuums«. Niemand ahnte, in welch böser Lage die Korvette sich befand, nicht einmal die Telepathen. Zwar konnten sie die Gedanken der kleinen Crew nicht exakt erfassen, aber die mentalen Impulse als eine Art Lebensäußerung, also das Denken an sich, vermochten sie durchaus zu espern. Auch die Ortung konnte keine Besonderheit feststellen. Nach wie vor konnte man die DORANIA eindeutig ausmachen. Für die Techniker an den Geräten und damit auch für den High Sideryt erweckte der unregelmäßige Flug des Beiboots den Anschein einer systematischen Suche; aus der Sicht der SOL geschah jedenfalls nichts Auffälliges. Ereignislos verstrichen die Stunden. Von Oggar gab es noch immer kein Lebenszeichen.
Die Chronometer zeigten 10 Uhr 14 an, als Breckcrown Hayes in der Zentrale erschien. Schnurstracks marschierte er auf Curie van Herling zu, die als Stabsspezialistin zugleich Chefin des Funk- und Ortungspersonals war. Sie deutete den fragenden Blick des Solaners richtig. »Von Oggar noch keine Spur, die DORANIA scheint dagegen etwas gefunden zu haben. Sie bewegt sich nicht mehr von der Stelle.« »Ich glaube, ich werde ein oder zwei Schiffe startklar machen lassen, die der DORANIA folgen«, meinte Hayes. »Wenn Atlan wirklich auf etwas gestoßen ist, wird er sicherlich Unterstützung gebrauchen können.« Bevor er konkrete Anweisung dazu geben konnte, gellte der Ortungsalarm durch die SOL. Mit einem Blick erfaßte der High Sideryt, daß es keineswegs Oggar war, der da aufgetaucht war, sondern drei relativ große Einheiten mit Abmessungen von 1.200 mal 800 Metern. Die elektronische Wiedergabe zeichnete sie als eine Art umgedrehter Trichter, auf dem man eine Schüssel mit der Wölbung nach oben gestülpt hatte. Die sofortige Auswertung ergab, daß Raumer dieses Typs unbekannt waren. Weitere Konstruktionsdetails waren nicht auszumachen, denn die drei Schiffe hüllten sich in Energieschirme, fächerten auseinander und eröffneten ohne Warnung das Feuer auf die SOL. Es war SENECA zu verdanken, daß der überfallartige Angriff wirkungslos verpuffte, denn noch bevor die erste Salve den Giganten erreichte, standen seine HÜ- und Paratronschirme. »Curie, versuche, eine Funkverbindung mit den Fremden aufzunehmen«, rief der Solaner und eilte auf seinen Platz. Mit der ihm eigenen Ruhe und Umsicht erteilte er seine Befehle. Die SOL nahm Fahrt auf, doch noch schwiegen ihre Geschütze. Hayes wollte zeigen, daß man an einer bewaffneten Auseinandersetzung nicht interessiert war, und hoffte, mit den Fremden eine friedliche Verständigung zu erreichen.
Die anderen Schiffe machten die Bewegung des Hantelraumers mit, vollführten aber gleichzeitig ein Manöver, das leicht zu durchschauen war: Sie wollten den Koloß in die Zange nehmen. Nach wie vor feuerten sie ganze Breitseiten ab, ohne die SOL jedoch ernsthaft in Gefahr bringen zu können. Curie van Herling meldete, daß die andere Seite die Anrufe unbeantwortet ließ. Offensichtlich war man drüben nicht an einer Kontaktaufnahme interessiert. »Vielleicht werden sie für eine friedliche Lösung aufgeschlossener, wenn wir ihnen zeigen, was die SOL zu bieten hat«, knurrte Gallatan Herts, der als Leiter der Hauptzentrale im Mittelteil fungierte. »Also gut, wir schießen zurück, doch die schweren Waffen kommen nicht zum Einsatz«, stimmte Hayes zu. Die Feuerleitzentrale setzte seinen Befehl sogleich in die Tat um. Von einer Sekunde zur anderen hüllte wabernde Glut die drei Angreifer ein, doch unversehrt tauchten sie aus dem Energieinferno auf. Herts nickte anerkennend. »Daß ihre Schutzschirme das ausgehalten haben, spricht für ein hohes technisches Niveau.« »Die Frage ist nur, warum sie hartnäckig versuchen, die SOL zu vernichten, obwohl sie uns noch nie begegnet sind«, meinte Breckcrown Hayes nachdenklich. »Meinst du, Hidden-X könnte dahinterstecken?« erkundigte sich der Stabsspezialist. Der Solaner mit dem Narbengesicht wiegte unschlüssig den Kopf. »Ich weiß es nicht. Eigentlich bedient es sich anderer Methoden, aber auszuschließen ist es nicht. Für diese These spricht, daß die fremden Schiffe wohl nicht zufällig hier aufgetaucht sind, denn sie griffen sofort an, andererseits kann das auch in ihrer Mentalität begründet liegen. Wir wissen ja nichts über sie, aber vielleicht läßt sich das ändern.« Er schaltete eine Verbindung zu Breiskolls Kabine. »Hier ist Breckcrown. Bjo, bist du da?«
Der kleine Monitorschirm erhellte sich und zeigte das Gesicht des Katzers. »Ja, was gibt es?« »Du weißt ja, in welcher Situation wir uns befinden«, begann Hayes ohne Umschweife, denn er war sicher, daß der Mutant längst Bescheid wußte. »Wäre es dir und Federspiel möglich, auf telepathischem Weg etwas über die Fremden herauszufinden?« »Wir werden es versuchen«, versprach Breiskoll. »Lasse einige Strukturlücken schalten.« »Geht in Ordnung«, sagte der High Sideryt und trennte die Interkom-Verbindung, dann wählte er einen neuen Anschluß und gab die entsprechende Anweisung an die zuständigen Techniker. Die Schirmfelder der SOL waren für Para-Impulse undurchdringlich. Die Strukturlücken sorgten dafür, daß die Mutanten ihre telepathischen Fühler ins All hinausstrecken und die Gedanken der Angreifer erfassen konnten. Voraussetzung dafür war allerdings, daß deren Schutzschirme die mentalen Kräfte nicht reflektierten oder sonstwie beeinflußten. Für einen Moment dachte Hayes an Atlan und seine Begleiter. Zu gerne hätte er gewußt, wie es jetzt bei der DORANIA aussah und was ihre Besatzung tat, doch dann nahm ihn das Geschehen um die SOL wieder gefangen. Das Sperrfeuer des Hantelraumers – denn mehr war es eigentlich nicht – ließ die Angreifer unbeeindruckt, dennoch mußten sie eingesehen haben, daß der Gigant durchaus seine Qualitäten hatte, vor allem, was die Defensivsysteme betraf. Sie hatten daher ihre Taktik geändert und griffen nun nicht mehr von drei Seiten an, sondern formierten sich zu einem Keil. Diese Formation erlaubte Punktbeschuß und war durchaus dazu angetan, die Schirmfelder zu überlasten und zusammenbrechen zu lassen. Nun waren die Solaner alles andere als Dilettanten. Das galt nicht nur für das Führungsteam, angeführt von Deccons Sohn und Nachfolger, sondern auch für die anderen Spezialisten, allen voran
Vorlan Brick. Unterstützt von SENECA, ließ er den Koloß Manöver vollführen, die den Gegner bei Ausspielung der vollen Kampfkraft der SOL keine Chance gelassen hätte. Da Hayes aber mehr an einer Zermürbungstaktik als an der Vernichtung der drei Raumer gelegen war, wurde das Ganze zu einer Auseinandersetzung, bei der niemand einen Vorteil erringen konnte. Auf der SOL hatte man mittlerweile erkannt, daß diese TrichterSchüssel-Schiffe deutlich langsamer waren als der eigene Raumer. Zwar ließ sich noch keine endgültige Aussage darüber machen, was die unbekannten Konstruktionen wirklich zu leisten vermochten, aber eine Hochrechnung ergab, daß die gegnerischen Einheiten die eigenen Beschleunigungswerte bei weitem nicht erreichten. Diese Erkenntnis nutzte Brick. Bevor die drei Schiffe ihre endgültige Formation einnehmen konnten, beschleunigte er den Hantelraumer mit vollen Werten und ging auf Kollisionskurs. Wütendes Abwehrfeuer schlug dem solanischen Schiff entgegen, doch die Schirme hielten der Belastung stand, ohne daß die Anzeigen kritische Werte erreichten. Das unorthodoxe Manöver schien die Kommandanten der kleinen Flotte in deutliche Verlegenheit zu bringen. Während zwei der Raumer noch auf die beabsichtigte Position zuhielten, bremste der dritte rapide ab und versuchte, dem drohenden Zusammenprall zu entgehen. Vorlan Brick, der größere der beiden Zwillinge, verzog das dunkle Gesicht mit den wulstigen Lippen zu einem Grinsen. »Es hat den Eindruck, als hätten wir die Kameraden dort drüben ein wenig verwirrt. Nutzen wir die Gunst der Stunde und wirbeln wir sie noch ein wenig durcheinander.« Der Pilot korrigierte den Kurs geringfügig. Die Schubleistung der Triebwerke wurde variiert und ließ den Giganten um einige Grad von der bisherigen Flugrichtung abweichen. Nun reagierten auch die beiden anderen Schiffe der Fremden und leiteten ein Ausweichmanöver ein, ohne jedoch ihr Feuer einzustellen.
Mittlerweile hatte Breiskoll die Zentrale betreten. Spornstreichs eilte er zu Hayes. Dieser war so mit der Kontrolle der Anzeigen und der Betrachtung der übermittelten Bilder beschäftigt, daß er den Katzer erst bemerkte, als dieser sich räusperte. »Oh, Bjo, du bist es. Hast du etwas herausfinden können?« »Es war schwierig, aber in Zusammenarbeit mit Federspiel ist es gelungen, einiges in Erfahrung zu bringen.« Der Katzer verzog das Gesicht. »Einiges ist eigentlich übertrieben, denn an die, die das Sagen haben, kamen wir nicht heran. Das, was dich sicherlich am meisten interessiert, vorab: Hidden-X ist den Wesen in den drei Schiffen völlig unbekannt, sie haben nichts mit ihm zu tun.« »Das zu wissen, ist schon viel wert«, meinte der High Sideryt erleichtert. »Bitte, berichte.« »Bei den Angreifern handelt es sich um Insektoide, die hierarchisch gegliedert leben, und zwar in einer Art Kastensystem. Wir konnten nur allgemeine Informationen gewinnen, da sich die Führungsschicht als telepathisch nicht ausspähbar erwies. Alles, was wir herausfinden konnten, stammt von den Angehörigen der untersten, der vierten Kaste. Sie wissen über den Sinn der Aktion gegen die SOL so gut wie nichts, nur, daß wir das Böse verkörpern sollen und sie vernichten wollen.« »Aber das ist doch verrückt«, entfuhr es dem Solaner. »Wir hatten noch nie Kontakt mit ihnen, und schließlich waren sie es, die angegriffen haben.« »Ich muß zugeben, daß alles schon ein wenig merkwürdig ist, denn das Ziel dieser Insektoiden, die sich selbst ›Bekehrer‹ nennen, ist es, die Wiedergeborene Lichtquelle zu finden. Als ihre Heimat betrachten sie die drei Schiffe, die angeblich seit Urzeiten den Raum durcheilen. Sie betrachten sich als Kinder des Universums.« Breckcrown Hayes atmete tief durch. »Aber dann sind sie doch wie wir, Bjo, auch wenn sie ein anderes Ziel haben. Wir müssen ihnen klarmachen, daß sie und die Solaner sich ähnlich sind, daß beide Völker planetenunabhängig leben.
Glaubst du, es ist möglich, ihnen das zu verdeutlichen?« »Nein, denn sie sind überzeugt davon, daß ihre Rasse nicht auf einem Planeten entstand, im Gegenteil, sie betrachten alles Leben auf stationären Himmelskörpern als etwas, das von dunklen Mächten gelenkt und beeinflußt wird. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, senden sie Missionare aus, um die Völker zu bekehren, die auf Planeten leben. Nach Ansicht der Bekehrer kann sich das Gute nur im Raum entfalten und stabilisieren.« Breiskoll machte eine resignierende Handbewegung. »Von dieser Überzeugung sind sie nicht abzubringen, dafür sorgen schon ihre Führer. Eigentlich ist es nur einer, der ›Mono‹ genannt wird, aber es existiert eine Priesterschaft, die ebenfalls einen nicht unerheblichen Einfluß hat. Genaueres war leider nicht in Erfahrung zu bringen.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Bjo, denn mit dem, was ihr herausgefunden habt, ist uns schon gedient.« Breckcrown Hayes lehnte sich zurück. »Ist es eine Prüfung oder eine Ironie des Schicksals? Erstmals treffen wir auf Wesen, die sich auch als Geschöpfe des Alls verstehen, doch anstatt Verständigung gibt es Konfrontation.« »Das scheint der Lauf der Dinge zu sein«, sagte der Katzer philosophisch. »Als Atlan in der SOL auftauchte, hatte er ähnliche Probleme, doch ich will die Vergangenheit ruhen lassen. Es gibt da noch etwas, was ich nicht klar definieren kann, von dem du aber wissen solltest.« »Worum handelt es sich?« »Wie gesagt, es läßt sich nicht erklären oder logisch begründen, aber es ist etwas, was weder die Optiken noch die Orter erfassen können, doch ich spüre es. Es ist ein unsichtbares Ding, daß sich hinter den drei Schiffen verbirgt. Noch verhält es sich abwartend, aber es geht von ihm etwas Bekanntes, etwas Böses aus.« »Kannst du genauere Angaben machen?« »Nein, irgendwie entzieht sich mir dieses Ding.« »Trotzdem danke ich dir, Bjo. Eine Gefahr, die erkannt ist, ist nur
noch eine halbe Gefahr.« »Soll ich hierbleiben?« »Ich glaube, du hast eine Pause verdient. Wenn ich dich wieder brauche, melde ich mich.« »Du findest mich in meiner Kabine«, sagte der Katzer und verließ die Zentrale. Nachdenklich betrachtete Breckcrown Hayes den Bildschirm. Er hätte sich ein Zusammentreffen mit den Insektoiden unter anderen Vorzeichen gewünscht, doch die Bekehrer ließen ihm keine andere Wahl, als auch Stärke zu zeigen. Nach wie vor belauerten sich die SOL und die drei Fremdraumer, versuchten, sich mit blitzschnellen Vorstößen und gewagten Manövern einen Vorteil zu verschaffen, doch über ein Patt kamen beide Seiten nicht hinaus. Zweifellos hätte der Einsatz der Transformzwillingskanonen das Blatt zugunsten der Solaner gewendet, aber vor dem Einsatz dieser Waffe schreckte Hayes zurück. So dauerte das Gefecht an. Die Meldung, daß die Impulse der DORANIA plötzlich von den Ortungsschirmen verschwanden, wurde nur am Rande vermerkt und ging im allgemeinen Datenfluß unter.
4. Die Lage der DORANIA und ihrer Besatzung war mehr als prekär, das Schiff saß endgültig fest und bewegte sich nicht mehr einen Millimeter von der Stelle. Die kosmische Materie schnürte die Korvette immer mehr ein, dabei wurde ein Phänomen besonderer Art beobachtet: Obwohl die Schutzschirme nach wie vor aufgebaut und intakt waren, erwiesen sie sich als völlig nutzlos, denn die festen Partikelchen durchdrangen sie. Atlans letzte Hoffnung, doch noch mit heiler Haut
davonzukommen, hatte sich als trügerisch erwiesen: Der Transmitter der DORANIA funktionierte zwar, doch er ließ sich nicht auf eine Gegenstelle an Bord der SOL einpegeln. Auf Geheiß des Arkoniden hatten sich seine vierzehn Begleiter in der Zentrale eingefunden. Pausenlos strahlte der auf Automatik eingestellte Sender Notrufe ab, doch niemand glaubte ernsthaft daran, daß sie das Mutterschiff erreichten. Mittlerweile reichte die Ortung nicht einmal mehr zwei Kilometer weit. Die Stimmung war auf den absoluten. Nullpunkt gesunken. Selbst der stets zu Scherzen aufgelegte Uster Brick saß trübsinnig in seinem Sessel und knetete nervös seine Hände. Längst waren die Triebwerke abgeschaltet worden, es gab für ihn nichts mehr zu tun. Wie die anderen konnte er nur noch warten – warten auf das Ende. Ein unheilvolles Knistern und Knacken erfüllte die DORANIA. Plötzlich zerriß ein Schrei die lähmende Stille. Liza hatte ihn ausgestoßen. Mit schreckerfüllten Augen deutete sie auf einen Kontrollmonitor, von dem aus die Schleusen und die Außenhülle optisch überwacht werden konnten. Deutlich war zu sehen, wie die hervorstehenden Teile, primär Funk- und Ortungsantennen, abbrachen und zerquetscht wurden, als hätte sie eine Riesenfaust gepackt, gleichzeitig durchlief ein Beben das Beiboot. Atlan blickte nur kurz auf, dann versank er wieder in dumpfes Brüten. Er machte sich heftige Vorwürfe, daß er die Warnungen seines Extrasinns in den Wind geschlagen hatte. Er allein war dafür verantwortlich, daß er sich und seine Begleiter in diese ausweglose Lage gebracht hatte; selbst Sanny mit ihrer besonderen Begabung hatte keinen Weg gefunden, wie sie sich doch noch retten konnten. Gibt es wirklich keinen Ausweg? fragte er lautlos. Nein, meldete der Logiksektor nüchtern. Aus dieser Dunkelwolke gibt es kein Entkommen mehr. Das Schiff erzitterte, Bersten und Dröhnen ging wie ein Paukenschlag durch die Korvettte, gleichzeitig begann eine Sirene zu heulen, deren schrilles Jaulen von mächtigen Schlägen fast
übertönt wurde. Teile des Ringwulsts rissen ab und wurden zusammengeknüllt wie Papierfetzen. »Vakuumeinbruch!« plärrte eine synthetische Stimme. »Risse in der oberen Polkuppel.« »Raumanzüge anlegen!« Bleich, aber gefaßt, kamen die Männer und Frauen Atlans Aufforderung nach. Sie wußten ebensogut wie der Arkonide, daß diese Maßnahme mehr symbolischen Charakter hatte, denn wenn der unheimliche Staub draußen die Hülle eines Raumschiffs einfach zerbrechen konnte, taugte auch die beste Schutzkleidung nichts. Niemand sprach ein Wort, man hätte sich ohnehin nur noch lautstark miteinander verständigen können. Der Lärm brechender Streben, berstender Wände und platzender Schotte erfüllte das Wrack, denn mehr als ein Schrotthaufen war die DORANIA nicht mehr. Ein System nach dem anderen fiel aus, die Bildübertragung war zusammengebrochen, die Außenkameras zerquetscht worden. Mehrere Explosionen erschütterten die Reste der Korvette. Nockemann trat zu Atlan, ergriff dessen Rechte und schüttelte sie wortlos. »Ich hoffe, es wird kein Abschied für immer sein«, sagte er über Helmfunk, dabei glitzerten seine Augen verdächtig. Das Gesicht des Arkoniden war maskenhaft starr. »Es ist meine Schuld«, stieß er hervor. »Ich hätte den Befehl zur Umkehr geben sollen.« »Niemand macht dir einen Vorwurf, Atlan. Das, was hier und jetzt geschieht, konnte keiner voraussehen. Ich bin in dieser Beziehung wahrlich kein Fachmann, aber ich habe noch nie gehört, daß kosmische Materie in der Lage ist, gestaffelte Energieschirme zu durchdringen und ein Raumschiff förmlich zu erdrücken.« »Laß es gut sein, Hage, jedenfalls danke ich dir für deine Worte. Es ist tröstlich, zu wissen, Freunde zu haben.« Die Augen des Aktivatorträgers begannen zu tränen, ein deutliches Zeichen für seine innere Erregung. Er schluckte. »Laß mich jetzt bitte allein.«
Der Genetiker kehrte zu den anderen zurück, die dichtgedrängt zusammenstanden, als könnten sie sich so gegenseitig schützen. Blödel hatte die kleine Molaatin an die Hand genommen. Die Zentrale begann sich erschreckend zu verändern. Instrumente fielen zu Boden, knallend zerplatzten Bildschirme, in den Wänden bildeten sich Beulen, dann Risse und Brüche. Explosionsartig entwich die Luft und wirbelte die kleine Schar wie Stoffpuppen durcheinander, riß sie in einen schwarzen, lichtlosen Abgrund. Doch da, war da nicht ein Licht? »Ein Schiff!« brüllte jemand begeistert. Seine Stimme überschlug sich fast. »Ein Schiff! Rettung!« Eine Verständigung auf der Helmfunkfrequenz war nicht mehr möglich. Manche stammelten sinnlose Worte, weil sie es einfach nicht glauben konnten, was sie da sahen, andere machten ihrer Erleichterung durch Freudenschreie Luft, unglaublicher Jubel herrschte. Die Männer und Frauen hatten sich bereits aufgegeben, sich innerlich darauf vorbereitet, zu sterben – und nun das. Was machte es da schon, daß das Schiffchen winzig und sein Typ unbekannt war?
* Ziel- und orientierungslos bewegte sich der Kleinerkunder Jacta Tars durch die Dunkelwolke; zunehmend sank die Geschwindigkeit, und auch die Reichweite der Orter verringerte sich zusehends, als sie in weniger als einer Lichtminute Entfernung plötzlich ein Objekt ausmachte. Es war wesentlich größer als ihr Beiboot, allerdings war es keine vulnurerische Konstruktion. Die junge Priesterin zögerte nicht lange und richtete den Kurs darauf aus. Zum einen hatte sie endlich einen Orientierungspunkt gefunden, zum anderen war es denkbar, daß das fremde Schiff über bessere technische Möglichkeiten verfügte und sie aus dieser
unheimlichen Materieansammlung herauslotsen konnte. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit nahm der Flug einige Zeit in Anspruch. Ein wenig verwundert stellte Jacta fest, daß sich der kugelige Körper nicht bewegte, aber ein Energieecho erzeugte. Eine dunkle Ahnung stieg in ihr auf. Saßen die Fremden etwa fest? Wenn das so war, konnte sie von dort keine Hilfe erhoffen, doch nach kurzem Nachdenken entschied sie sich dafür, weiter darauf zuzuhalten; es war schließlich egal, was sie tat oder nicht tat. Als sie bis auf eine Fünfzigstel Lichtsekunde an das Objekt herangekommen war, verschwand das Energieecho plötzlich, nur der Massetaster vermochte noch auszumachen, wo sich das Gebilde befand. Jacta drosselte die Energiezufuhr der Triebwerke und hielt vorsichtig darauf zu. Die Bremswirkung der Dunkelwolke tat ein übriges, so daß der Kleinerkunder schon in umgerechnet gut hundert Metern Entfernung zu den Fremden zum Stillstand kam. Sie eilte zum Funkgerät und suchte sämtliche bekannten Frequenzen ab, hatte aber keinen Erfolg; dennoch blieb sie auf Empfang und überließ es der Automatik, die Wellenbereiche durchzugehen. Die optische Wiedergabe der Tasterimpulse veränderte sich in erschreckender Weise von Minute zu Minute. Wurde der Körper anfangs ziemlich deutlich als Kugel mit einem zentralen Ring wiedergegeben, so wurden die Umrisse nun unsymmetrisch, fast bizarr. Auf Anhieb erkannte Jacta, daß sich dort drüben eine Katastrophe abspielen mußte, daß eine unbekannte Kraft das Raumschiff förmlich zermalmte. Fünfzehn schwache Energieechos tauchten auf dem Ortungsschirm auf, gleichzeitig waren sie auch optisch als leuchtende Gestalten auszumachen. Das Funkgerät sprach an. Unbekannte Laute drangen aus dem Empfänger. Die Bekehrerin war sicher, eine solche Sprache noch nie gehört zu haben, dennoch entschloß sie sich spontan, zu helfen. Es gelang ihr, um die Fremden herum einen Schutzschirm
aufzubauen und gleichzeitig die Trümmer abzuwehren. Das verlangte ihr ganzes Geschick, denn die Konsistenz der Wolke unterschied sich an dieser Stelle nicht mehr von fester Substanz. Dabei machte sie die für sie überraschende Feststellung, daß die Materie die energetische Hülle durchdrang, nicht sofort und anfangs fast zögernd, aber dann doch immer schneller, als wäre in dem Schirm ein Loch entstanden, das sich rasch vergrößerte. Nach eigenen Maßstäben lebten die Vulnurer seit Urzeiten im Raum, waren mit seinen Eigenheiten und Tücken vertraut, aber Jacta war sicher, daß keiner ihres Volkes jemals ein solches Phänomen beobachtet hatte. Es war eine Tatsache, daß ein Schutzschirm für feste Stoffe undurchdringlich war – hier erlebte sie das Gegenteil. Fast hatte sie den Eindruck, daß die kosmische Materie quasi gezielt vorging, die Struktur der Energie analysierte, sich darauf einstellte und sie dann überwinden bzw. durchdringen konnte, ohne die äußere Form des Schirmfelds zu verändern. Das war an und für sich Unfug, aber eine andere Erklärung bot sich nicht an. Während Jacta diese Gedanken durch den Kopf gingen, bemühte sie sich weiter tatkräftig um die Rettung der Fremden. Sie hatte das Glück des Tüchtigen. Bevor die Substanz die Gestalten in den Raumanzügen einschnüren und erdrücken konnte, hatte sie alle an Bord geholt. Bevor sich die Priesterin um die Geretteten kümmerte, versuchte sie, den 16 mal 11 Meter großen Kleinerkunder zu starten, doch es gelang ihr nicht. Allen Bemühungen zum Trotz bewegte sich das Boot nicht von der Stelle. Es saß fest wie die DORANIA, die mittlerweile auf ein Zehntel ihres Volumens zusammengepreßt worden war – ein Klumpen von sechs Meter Durchmesser. Als Atlan und seine Begleiter ihre Retterin zum ersten Mal zu Gesicht bekämen, drängte sich ihnen unwillkürlich der Vergleich mit einer riesigen, fast zwei Meter großen aufrecht gehenden Ameise auf. Was die Insektoide von ihnen dachte, war nicht zu
erkennen; weder die starre Gesichtsmaske noch die exotisch wirkenden Facettenaugen gaben Aufschluß darüber. Das Wesen sagte etwas und gab dabei Laute von sich, die wie das Zirpen einer Grille klangen. Obwohl der Arkonide natürlich nichts verstand, war er höflich und zugleich erfahren genug, zu antworten. Zwar trug die Riesenameise an Schlaufen allerlei Gerät mit sich herum, doch es war nichts dabei, was wie ein Translator aussah. Das veranlaßte ihn zu dem Schluß, daß die Schiffspositronik wahrscheinlich diese Aufgabe übernommen hatte. Um ihr Gelegenheit zu geben, eine Sprachgrundlage zu schaffen, begrüßte er die Insektoide freundlich, dankte ihr ein wenig langatmig für die Errettung und stellte dann alle der Reihe nach vor, sogar Blödel. Noch bevor der Roboter an Bord des Kleinerkunders gelangt war, hatte er ein paar Brocken dieser zusammengebackenen Staubmaterie zusammengeklaubt und in einem Fach seines Körpers untergebracht. Als der Aktivatorträger seinen Namen nannte, stieß er Nockemann an. »He, Chef, was willst du zuerst untersuchen, den Staub, den ich mitgebracht habe, oder die Ameise dort?« fragte er mit seiner männlichen klingenden, knarrenden Stimme. »Laß mich mit diesem Unsinn zufrieden«, zischte der Wissenschaftler. »Mir steht im Augenblick nicht der Sinn nach solchen Dingen.« »Aber wir sind doch jetzt in Sicherheit, Chef.« Blödel zwirbelte seinen künstlichen Bart. »Man erwartet, daß du als der einzige Genetiker hier im Team deine Pflicht tust. Soll ich ihr eine Gewebeprobe entnehmen?« »Untersteh dich«, raunte Hage. Das Verhalten des vorlauten Kunstgeschöpfs war ihm sichtlich peinlich. »Ich will jetzt keinen Mucks mehr von dir hören.« Jacta Tars hatte den Dialog interessiert verfolgt. Sie trat einen Schritt vor, deutete auf die mobile Laborpositronik und zirpte in
Interkosmo: »Blödel!« Die Maschine blieb stumm. Nockemann versetzte ihr einen unauffälligen Tritt. »Nun sag gefälligst etwas, du Tölpel.« »In Abwandlung eines Goethe-Zitats möchte ich sagen: Chef, du bist der Geist, der stets verneint.« Würdevoll wandte sich der Robot der Vulnurerin zu. »Guten Tag. Wie du richtig erkannt hast, bin ich Blödel, neben mir siehst du meinen Chef. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, dir im Namen aller für die Freundlichkeit zu danken, uns gerettet zu haben, doch Atlan hat sich bereits ausführlich darüber ausgelassen, deshalb kann ich mich auch kurz fassen. In solanischen Kreisen sieht man es ohnehin nicht sonderlich gern, wenn eine Laborpositronik ihren Erbauern vorgezogen wird, obwohl ich als hochwertige Einheit durchaus …« »Es ist genug, Blödel!« fauchte Nockemann. »Mit dir blamiert man sich ja ständig.« »Aber sie versteht mich doch sowieso nicht«, verteidigte sich der Analyserechner. »Warum redest du dann wie ein Wasserfall?« »Seit wann spricht in Massen auftretendes H2O Interkosmo, Chef?« Blödel wirkte beleidigt. »Es ist absolut logisch, daß eine positronische Einheit wie ein Translator ein möglichst umfangreiches Vokabular benötigt, um ein fremdes Idiom analysieren und umsetzen zu können. Oder ist dir an einer Verständigung nicht gelegen, Chef?« »Jedenfalls sollte kein Roboter das große Wort führen«, ergriff Uster Brick für den Galakto-Genetiker Partei. »Bitte, dann schweigt weiter und lernt schnell zirpen.« »Ich lernen schnell«, radebrechte die junge Priesterin. Wie alle Bekehrer war sie ein Sprachgenie und konnte sich in kürzester Zeit auch mit völlig andersartigen Wesen verständigen. »Ihr gut?« »Ja, wir sind gut«, sagte Atlan ernsthaft. »Unsere Absichten sind
friedlicher Natur.« »Wir zusammen sprechen. Gut?« »Ja, das ist gut. Wie heißt du?« »Meinst Name von mir?« »Ja.« »Jacta. Du Atlan?« »Richtig, Jacta, ich bin Atlan.« Die Verständigung klappte immer besser. Anders, als der Arkonide es erwartet hatte, benötigte die Insektoide keinen Translator, sondern machte sich die Grundlagen des Interkosmo mit einer Schnelligkeit zu eigen, die den Aktivatorträger verblüffte. Das Gespräch zwischen den beiden hatte friedlichen Charakter. Während sich der vorsichtig taktierende Atlan damit begnügte, die letzten Ereignisse innerhalb der Dunkelwolke zu schildern, hatte Jacta keinerlei Vorbehalte und berichtete alles über sich und ihr Volk, was ihr wichtig erschien. Der Arkonide hätte gern noch das eine oder andere Detail erfahren, doch ein unheilvolles Geräusch, das er noch gut in Erinnerung hatte, ließ ihn aufhorchen. Das Mienenspiel seiner Begleiter verriet ihm, daß sie das Knistern und Knacken ebenfalls vernommen hatten. Einige wirkten wie versteinert, bei anderen zeichnete sich Hoffnungslosigkeit auf den Gesichtern ab, eine Frau weinte still. Atlan verstand sie und auch das, was sie bewegte. Nur knapp waren sie dem Tod entronnen, waren gerettet worden, als sie sich schon aufgegeben hatten. War alles umsonst gewesen, nur ein Aufschub? Konnte das Schicksal so grausam sein? »Jacta, was ist mit deinem Schiff?« fragte Atlan drängend. Die großen, irisierenden Facettenaugen der Priesterin blieben unverändert, musterten ihn wie einen Gegenstand. Der Unsterbliche hatte das Gefühl, in tausend kleine farbige Spiegel zu blicken. »Der Kleinerkunder sitzt fest, und ich fürchte, der Schutzschirm ist wirkungslos geworden.« Mit wenigen Worten umriß sie, was sie bei
der Bergung der DORANIA-Crew beobachtet hatte. »Was sich hier tut, darf es eigentlich nicht geben.« »Dieser Ansicht waren wir auch«, warf ein Techniker ein, »aber dann wurden wir eines Besseren belehrt. Wir sind endgültig verloren.« »Nein, dieses Boot verfügt über eine Einrichtung, die uns retten wird. Folgt mir.« Niemand schien den Worten der Vulnurerin so recht Glauben zu schenken; daran änderten auch Atlans Versuche nichts, die Männer und Frauen zuversichtlich zu stimmen. Wie eine Herde Vieh, das zur Schlachtbank geführt wurde, stapften sie hinter Jacta, dem Arkoniden und seinem Team her. »Nun, reißt euch mal zusammen!« dröhnte Brick. »Was soll denn unsere Retterin von uns Solanern halten?« »Frag doch Blödel«, brummte Nockemann. »Er weiß auf alles eine Antwort.« »Du hast nicht ganz unrecht, Chef, nur: Am Ende hängen wir doch ab von Kreaturen, die wir machten. Das ist auf mich bezogen, denn die Solaner sind schließlich meine Erbauer.« »Aber du Narr kannst uns nicht retten«, rief der Genetiker erbost. »Und jetzt verschone mich mit diesen blöden Faust-Zitaten, oder du lernst mich kennen.« »Ich verstehe dich nicht, Chef. Da nennst du deine Mitmenschen Banausen und bringst mir Kultur bei, und dann willst du auf einmal nichts mehr davon wissen.« Verstohlen blickte Nockemann sich um, doch niemand schien die Äußerung der mobilen Laborpositronik bewußt zur Kenntnis genommen zu haben. Er näherte sich dem Robot und flüsterte: »Du bist ein Idiot, Blödel. Was ich dir anvertraut habe, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Also richte dich in Zukunft danach, oder ich sehe mich gezwungen, mich von dir und deinen Äußerungen zu distanzieren.« »Das würde ich bedauern, Chef.«
Hage Nockemann hatte sich so auf seinen positronischen Assistenten konzentriert, daß er gegen den Piloten prallte, weil der stehengeblieben war wie die anderen vor ihm. Ein böser Blick Usters traf den Genetiker. »Entschuldige«, murmelte der Wissenschaftler und reckte den Hals, um zu erkennen, was sich vor ihm befand. Der Raum war klein, geradezu winzig. Zwar war er gut fünf Meter hoch, doch seine Grundfläche betrug nicht mehr als vier Quadratmeter. Eine Art Torbogen mit einem Block davor, der trotz aller Fremdartigkeit als Schaltpult zu identifizieren war, bildete den einzigen Einrichtungsgegenstand. »Ist das ein Transmitter?« fragte Atlan ahnungsvoll. »Ja. Er wird uns retten.« »Da bin ich mir durchaus nicht sicher, denn wir haben gegenteilige Erfahrungen gemacht.« Jacta ließ sich von der Skepsis des Arkoniden nicht anstecken. Sie eilte auf die Steuereinheit zu und nahm verschiedene Einstellungen vor. »Der Transmitter ist sendebereit und auf eine Gegenstelle in der HEUTE ausgerichtet. Gehen wir.« Die Solaner zögerten. Sie hielten sich nicht zu Unrecht auf ihre Technik einiges zugute, doch warum funktionierte dieser Transmitter, während ihr eigener versagt hatte? Die Schiffszelle dröhnte, irgendwo krachte und donnerte es unheilverkündend. Die Geräusche bewiesen, daß auch dieses Boot dem Untergang geweiht war. Die kleine Schar hatte es auf einmal eilig und drängte auf das Gerät zu. Jacta ging als erste, dann verschwanden die anderen nacheinander in diesem dunkelroten, wesenlosen Wallen zwischen den Bogenschenkeln. Atlan bildete den Abschluß. Gleich darauf erfüllte eine heftige Explosion den Kleinerkunder, dann brach das Entmaterialisionsfeld zusammen, Wände platzten auf. Wie eine überdimensionale Presse zerquetschte die unheimliche
Substanz das Boot.
* Unversehrt verließen alle den Empfangstransmitter, der sich abschaltete, als der Arkonide wiederverstofflicht war. Sie befanden sich in einem Raum, den düsteres, blaues Licht nur spärlich erhellte. Als sich ihre Augen an das farbverfälschte Zwielicht gewöhnt hatten, erkannten sie im Hintergrund ein knappes Dutzend dunkler Gestalten. Fünf von ihnen trugen lange Gewänder, die restlichen glichen Jacta nur bis zum Brustteil und schwebten mit ihren Sockeln wenige Zentimeter über dem Boden; es mußten demnach Roboter sein. Über Lautsprecher erklang die verzerrte Stimme der Oberpriesterin. »Jacta, was hast du getan?« rief sie anklagend. »Du hast gegen meine Anordnung verstoßen. Unsere Heimatschiffe liegen mit dem Raumschiff dieser Fremden im Kampf, und du bringst unsere ärgsten Feinde zu uns an Bord. Diese Wesen sind es, die uns vernichten wollen, sie sind es, die schlecht und mit den bösen Mächten im Bunde sind. Ergreift diese Bestien und setzt sie fest, bevor sie Unheil anrichten können.« In die Priesterinnen und die schwarzen Roboter kam Bewegung. Die Crew der DORANIA stand noch ganz unter dem Eindruck ihrer unerwarteten Rettung und der letzten Ereignisse, so daß die fünf Vulnurerinnen und die Automaten leichtes Spiel hatten. Bevor sie wußten, wie ihnen geschah, waren sie entwaffnet und ihrer Ausrüstungsgegenstände beraubt, gleich darauf fanden sie sich in einem kleinen Raum wieder. Er wies keinerlei Mobiliar auf, eine Leuchtplatte an der Decke tauchte ihn in schummeriges Licht. »Ich bin nicht abergläubisch, aber heute scheint wirklich nicht unser Glückstag zu sein«, meinte Brick sarkastisch. »Jedesmal, wenn
wir uns in Sicherheit wähnen, geraten wir in die nächste verhängnisvolle Situation.« »Wir haben uns überrumpeln lassen wie Anfänger«, grollte ein Techniker. »Mit Waffengewalt hätten wir auch nichts erreicht«, widersprach Nockemann. »Oder glaubst du, wir könnten aus einem Schiff entkommen, das nach Jactas Angaben fast die Größe einer SOL-Zelle haben muß?« »Jedenfalls kommen wir hier ohne fremde Hilfe nicht wieder heraus«, sagte der Pilot und deutete auf das massive Schott und die schmalen Lüftungsschlitze. Prüfend klopfte er mit dem Knöchel gegen eine Wand. »Wirkt ebenfalls recht stabil.« Atlan beteiligte sich nicht an der Diskussion. Er hatte sich in eine Ecke gehockt und dachte nach. Anders als Jacta schienen die anderen Bekehrer, vornehmlich die Priesterinnen, nicht an einer friedlichen Verständigung interessiert zu sein, im Gegenteil. Die junge Insektoide hatte ihm einiges über sich und ihr Volk erzählt, so daß der Arkonide sich zusammenreimen konnte, was geschah. Man hielt die Solaner für Werkzeuge des Bösen und hatte die SOL in einen Kampf verwickelt mit dem Ziel, sie zu vernichten. Eine Unbekannte in dieser Rechnung war nun der technische Stand der Vulnurer. Hatten sie den gleichen oder einen ähnlichen Standard – und er war geneigt, das zu glauben –, dann stand es um die SOL nicht sonderlich gut. Die kleine Molaatin trat zu ihm. »Darf ich dich mal stören?« Atlans Gesicht entspannte sich, er brachte sogar die Andeutung eines Lächelns zustande. »Du doch immer, Sanny. Was hast du auf dem Herzen?« »Blödel hat doch einige Brocken von dieser kosmischen Materie mitgenommen«, begann die Humanoide. »Was ist damit?« »Sie beginnt sich wieder zu verflüchtigen, aber das ist es nicht,
was ich dir sagen, wollte. Ich habe Berechnungen darüber angestellt und bin zu dem Schluß gekommen, daß diese Substanz in einer völlig fremdartigen Form so etwas Ähnliches wie Leben enthält. Die Materie hat nichts mit Hidden-X zu tun, ›kennt‹ ihn aber irgendwie.« »Interessant«, murmelte der Arkonide. »Wir werden uns später noch einmal ausführlich damit beschäftigen, Sanny, aber im Augenblick müssen wir erst einmal sehen, daß wir hier herauskommen. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse.« »Aber nein«, sagte die Molaatin und blinzelte ihm vertraulich zu. Der Aktivatorträger erhob sich und steuerte auf Uster Brick zu. Bevor er ihn erreichte, glitt das Schott zurück, und Jacta schlüpfte in den Raum. Sie trug jetzt den dunklen Umhang der Priesterinnen. Die Solaner musterten sie mit gemischten Gefühlen. »Bist du gekommen, um uns zur Exekution abzuholen?« erkundigte sich der Genetiker. »Nein, niemand weiß, daß ich hier bin.« »Warum bringst du dich in Gefahr, Jacta?« Atlan wirkte besorgt. »Ich könnte mir vorstellen, daß du Ärger bekommst, wenn die anderen Priesterinnen herausfinden, daß du uns heimlich besucht hast.« »Ich will die Wahrheit herausfinden, und dazu muß ich wissen, wer und wie ihr wirklich seid.« »Du glaubst der Oberpriesterin also nicht?« »Ich habe Zweifel, es ist alles zu undurchsichtig. Erzählt mir von euch. Stammt ihr wirklich von diesem Schiff, das aussieht wie zwei Kugeln, die miteinander verbunden sind?« »Ja, das ist richtig. Wir kommen von dort.« Nachdenklich sagte die Bekehrerin: »Aber das Schiff ist nicht eure Heimat. Von welchem Planeten stammt ihr?« »Na, hör mal, wie kannst du so etwas behaupten«, rief Brick empört. »Natürlich ist die SOL unsere Heimat.« Beifälliges Gemurmel der anderen Solaner kam auf. »Wir haben noch nie auf
einem Planeten gelebt und wollen es auch gar nicht.« Diese Aussage überraschte Jacta Tars ganz offensichtlich. »Ihr lebt wie wir nur im Raum?« »So ist es, und es wird auch nie anders werden«, sagte der Pilot im Brustton der Überzeugung. »Wenn das so ist, dann folgt ihr ja gar nicht den bösen Mächten von den Planeten, sondern müßt gut sein wie wir. Wir dürfen uns nicht bekämpfen, denn wir sind eigentlich Verbündete. Noch nie trafen wir ein Volk wie euch, noch nie begegneten wir einer Rasse, die so lebt wie wir.« Jacta wirkte aufgeregt, ihre Fühler zuckten. »Ich weiß nicht, was die Oberpriesterin beabsichtigt, aber es ist offensichtlich, daß sie uns alle hintergeht.« Sie betätigte einen Kodegeber, der an ihrem Gürtel hing. Das Schott öffnete sich wieder. »Ich werde euch helfen«, versprach sie und verließ eilig den Raum. Gedämpfter Optimismus machte sich unter den Gefangenen breit. »Eine Helferin haben wir bereits«, meinte Atlan befriedigt. »Wenn noch mehr erkennen, daß diese Oberpriesterin ein falsches Spiel treibt und alle hinters Licht geführt hat, stehen unsere Chancen nicht schlecht, mit heiler Haut davonzukommen.« Werde nicht gleich wieder übermütig, meldete sich der Logiksektor. Halte dich an die Realität – ihr seid eingesperrt. Nicht mehr lange, wenn Jacta Wort hält, gab der Arkonide lautlos zurück. Und ich zweifle nicht daran. Selbst wenn ihr hier herauskommt, habt ihr nichts gewonnen als ein wenig Bewegungsfreiheit. Ist das vielleicht nichts? erwiderte Atlan gedanklich. Wenn bekannt wird, daß ihr frei seid, wird die Oberpriesterin euch suchen lassen. Und selbst wenn ihr noch tausend Verbündete findet, bleiben immer noch zwanzigtausend, die gegen euch sind und euch jagen werden, wandte der Extrasinn ein. Ich werde mich darauf einrichten und auf der Hut sein, versprach
,der Aktivatorträger. Ich werde dich daran erinnern. Das erneute Auftauchen Jactas enthob ihn einer Antwort. Sie schob eine Transportplattform vor sich her, die mit ihren Waffen und den Ausrüstungsgegenständen beladen war. Sofort herrschte um sie herum ein dichtes Gedränge, weil jeder danach trachtete, wieder zu seinen Sachen zu kommen. Endlich waren alle versorgt. »Jetzt fühle ich mich gleich wohler«, kommentierte Brick und grinste. »Vorhin kam ich mir direkt nackt vor.« Niemand ging darauf ein, alle brannten darauf, ihr Gefängnis zu verlassen. Atlan mahnte zur Besonnenheit. »Ihr müßt von der HEUTE verschwinden«, sagte Jacta. »Nehmt ein Beiboot und fliegt zurück zur SOL. Wenn ihr in Sicherheit seid, werde ich versuchen, den Mono von seinem falschen Verhalten zu überzeugen. Unsere Völker dürfen sich nicht länger bekriegen.« Der Arkonide nickte zustimmend. Das war eigentlich mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. So gut es ging, erklärte die Priesterin den Solanern den Weg zum nächsten Hangar. Sie schärfte ihnen ein, was sie zu beachten hatten und welche Markierungen wichtig waren. Als sie sicher war, daß sie nichts vergessen hatte und daß alles richtig verstanden worden war, benutzte sie wieder ihren Kodegeber und führte die Männer und Frauen nach nebenan, in jenen Raum, der von dem blauen Licht erfüllt wurde. »Geht jetzt!« Atlan setzte sich in Bewegung. Bevor er drei Schritte gemacht hatte, tauchten plötzlich Dutzende der schwarzen Roboter auf und umkreisten ihn und seine Begleiter. Hinter den Automaten stand eine dunkle Gestalt. »Lichtquelle-Mara!« entfuhr es Jacta.
5.
Dieses merkwürdige Objekt hinter den drei Schiffen der Vulnurer hatte Breiskoll keine Ruhe gelassen. Er hatte noch einmal Kontakt mit Hayes aufgenommen und darum gebeten, dieses Ding näher untersuchen zu dürfen. Der High Sideryt, der jedes unnötige Risiko vermeiden wollte, hatte sich anfangs dagegen gesträubt, sich schließlich aber doch überreden lassen und dem Katzer einen Leichten Kreuzer zur Verfügung gestellt. Bei einem geschickt vorgetragenen Scheinangriff, der die Aufmerksamkeit der gegnerischen Einheiten ganz auf die SOL lenkte, war das Beiboot ausgeschleust worden. Wie geplant, wurde es von der Gegenseite nicht beachtet, vielleicht einfach deshalb, weil es ein zu kleines Objekt war, um einen der Heimatraumer ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. Breiskoll und der Kreuzerbesatzung war das nur recht. So konnten sie sich voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren. Da das Ziel weder optisch noch durch die Instrumente auszumachen war, steuerte der Pilot das Schiff nach Angaben des Katzers. Der Kurs war geradezu abenteuerlich, denn irgendwie kam man an das Ding nicht heran. Leben war nicht feststellbar, aber deutlicher als an Bord der SOL spürte Bjo, daß von dem nicht erfaßbaren Objekt etwas Böses ausging, ja, er ging sogar soweit, zu behaupten, daß es sich um ein »Zentrum böser kosmischer Mächte« handelte, was immer auch das zu bedeuten hatte. Unbehelligt von den Bekehrern, versuchte Breiskoll, mit Hilfe der Raumschiff-Crew doch noch zu einem verwertbaren Erfolg zu kommen, greifbare Daten und Fakten zu sammeln, doch vergeblich. Das Ding entzog sich jeder konkreten Erfassung. Schließlich, mach über zwei Stunden, gab der Mutant den Befehl zum Rückflug. Auch diesmal beachteten die Insektoiden den Leichten Kreuzer nicht. Unangefochten gelangte er zum Mutterschiff zurück und wurde eingeschleust.
Schon über Funk hatte Bjo Breiskoll Hayes mitgeteilt, daß die Mission seine Erwartungen nicht erfüllt hatte, wollte allerdings auch nicht von einem völligen Mißerfolg sprechen. Breckcrown Hayes beließ es einstweilen dabei, denn er hatte genug um die Ohren. So hatte er auch keine Einwände, daß der Katzer sich in seine Kabine zurückzog. Kurz darauf tauchte Breiskoll in der Zentrale auf und legte Hayes eine bemalte Folie vor. Der warf einen kurzen Blick darauf und blickte Bjo fragend an. »Was ist das?« »Eine Zeichnung.« »Das sehe ich, doch was bedeutet dieses Gekritzel?« »Es handelt sich um die Umrisse des unidentifizierbaren Objekts. Ich habe sie nach dem Gefühl skizziert.« Der High Sideryt nahm die Folie zur Hand. Eingehend studierte er die wirren Linien, dann legte er sie kopfschüttelnd zur Seite. »Tut mir leid, aber damit kann ich nichts anfangen. Was soll das darstellen?« »Da bin ich überfragt. Ich dachte, du wüßtest darauf vielleicht eine Antwort.« Herts, der herangekommen war, beugte sich über die Zeichnung und betrachtete sie. »Was ist denn das für ein merkwürdiges Muster?« Breiskoll erklärte es ihm. »Hm«, machte der Stabsspezialist. »Könnte das der Ort sein, an dem Hidden-X sich aufhält?« »Ich weiß es beim besten Willen nicht, Gallatan.« Der Katzer zuckte die Schultern. »Ich habe nur gespürt, daß etwas Böses davon ausgeht. Es ist ein ›Zentrum böser kosmischer Mächte‹.« »Immerhin scheint klar zu sein, daß dieses Ding zu den drei Angreifern gehört«, brummte der verwachsene Mann. »Ganz sicher bin ich mir ja auch nicht, wenn zutrifft, daß es sich bei dem Objekt um den Aufenthaltsort von Hidden-X handelt. Die
Bekehrer kennen Hidden-X nicht.« »Klammern wir Hidden-X erst einmal aus, bevor wir vollends in eine gedankliche Sackgasse geraten«, meinte Herts. »Tatsache ist doch, daß dieses Ding sich gewissermaßen hinter den Schiffen der Fremden verbirgt, auch wenn es nicht zu orten ist.« »Das ist richtig«, stimmte Bjo zu. »Dann erhebt sich doch die Frage, warum es gerade dort und nicht woanders ist.« Der ehemalige Magnide blickte die beiden der Reihe nach an. »Logische Schlußfolgerung: Das Ding muß eine wie auch immer geartete Beziehung zu den Fremden haben.« »Gut, aber welche Funktion erfüllt es?« fragte Hayes. »Es muß doch ein Sinn dahinterstecken.« »Wir sollten SENECA fragen«, schlug der Katzer vor. »Vielleicht kann er das Rätsel lösen.« »Versuchen wir es.« Breckcrown Hayes nahm Verbindung mit der Bio-Positronik auf und übermittelte als erstes Breiskolls wirre Skizze. SENECA reagierte sofort, doch seine Antwort überraschte die drei Männer. »Angreifen!« sagte er – nur dieses eine Wort. »Warum?« erkundigte sich der High Sideryt verblüfft. »Was hast du herausgefunden?« »Bitte habt Geduld. Ich bin mir meiner Sache selbst noch nicht ganz sicher, denn meine Vermutung ist zu unwahrscheinlich, zu phantastisch, daher möchte ich erst das Ergebnis abwarten.« Schon glaubten die Solaner, daß SENECA die Verbindung getrennt hatte, als er sich mit seiner wohlmodulierten Stimme noch einmal meldete: »Zögert nicht, greift an – sofort. Und setzt schwere Waffen ein.« »Jetzt ergeht sich sogar SENECA schon in dunklen Andeutungen.« Breiskoll wirkte nachdenklich. »Was kann er damit gemeint haben? Vor allem aber würde mich interessieren, was ihm diese Skizze sagt.« »Wir werden es bald wissen«, sagte Hayes entschlossen. »Wajsto
soll sich mit der SZ-1 darum kümmern.«
* Für die Vulnurer mußte es so aussehen, als würde die SOL sich zurückziehen, um sich abzusetzen. Hayes taktierte dabei behutsam, denn daß der Hantelraumer die Flucht ergriff, obwohl er den drei anderen Einheiten bisher Paroli geboten hatte, mußte die Gegenseite stutzig machen. Vielmehr sollte der Eindruck entstehen, daß man des Kampfes überdrüssig geworden war und freiwillig die Stellung räumte, weil es in dieser Auseinandersetzung keinen Sieger geben würde. Die Absicht des Solaners war klar: Zum einen wollte er die Angreifer in Sicherheit wiegen und von dem Objekt weglocken, zum anderen lag ihm daran, Kölsch bei seinem Einsatz den Rücken freizuhalten und dafür zu sorgen, daß dieser nicht plötzlich zwischen die Fronten geriet. Die SOL nahm langsam Fahrt auf und schlug dabei einen Kurs ein, der sie von der Dunkelwolke wegführte. Klar und deutlich hatte man die exotischen Konstruktionen auf den Orterschirmen und verfolgte gebannt, ob sie die Taktik der Solaner durchschauten. Anfangs hatte es den Eindruck, doch dann machten sie das Manöver des Giganten mit. Die Waffen des Riesenschiffs wurden nur noch sporadisch eingesetzt, und zwar immer dann, wenn sich eins der Heimatschiffe ein wenig zu weit vorwagte oder einen Angriff versuchte. Bjo, der sich völlig auf das unsichtbare Objekt konzentrierte, versicherte, daß dieses seinen Standort nicht veränderte. »Bis jetzt klappt alles nach Plan«, freute sich Hayes. Per Interkom nahm er Verbindung zur Zentrale der SZ-1 auf. »Wajsto, wie weit seid ihr?« Der Kommandant der Kugelzelle machte einen gelassenen
Eindruck. »Wir sind fertig. Von uns aus kann es losgehen.« »Dann gilt's!« Wieder einmal mehr zeigte sich das hervorragende Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Positronik. Blitzschnell wurde die SZ-1 abgekoppelt. Während die Rest-SOL die Vulnurer angriff und in ein Gefecht verwickelte, steuerte die Teileinheit mit hoher Geschwindigkeit jene Koordinaten an, an denen der Katzer mit seinen Para-Sinnen das Ding ausgemacht hatte. Keines der anderen Schiffe folgte. Das wütende Feuer der im Verbund fliegenden Verbindung Mittelteil-SZ-2 band die Heimatschiffe der Bekehrer. So einfach mochten die Insektoiden die Kugelzelle nicht davonziehen lassen. Sie schickten ihr ein paar Salven hinterher, die jedoch wirkungslos blieben. Die gestaffelten Schirmfelder wurden damit fertig, ohne daß kritische Werte erreicht wurden. Bei Ursula Grown, der Cheftechnikerin der SZ-1, liefen alle Fäden zusammen. Ihr war die Aufgabe zugefallen, den Feuerschlag gegen das unsichtbare Objekt vorzubereiten. Sie wußte, daß dies ihre große Stunde war, und sie genoß die Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte. Gestenreich und vom Sinn ihrer Mission erfüllt, gab sie ihre Anweisungen. Sämtliche Transformzwillingskanonen waren ausgerichtet. Diese wahrhaft furchtbaren Geschütze zielten nicht auf einen Punkt, sondern waren so eingepegelt worden, daß sie einen möglichst großen Raum abdeckten, ohne an Wirkung zu verlieren. Hemmungen, diese ultimate Waffe einzusetzen, hatte man nicht. Das lag nicht nur daran, daß die Solaner SENECAS Empfehlung folgten, sondern auch an Breiskolls Feststellung, daß in diesem Ding kein Leben existierte. Wajsto Kölsch, der sich bei diesem Einsatz mehr um die Koordination und die navigatorischen Aufgaben kümmerte, gab der Ex-Magnidin das vereinbarte Zeichen. Die optimale Distanz war
erreicht, viel näher durfte die SZ-1 nicht an das nach wie vor verborgene Ziel heran, wenn sie sich nicht selbst gefährden wollte. Ursula Grown zögerte keine Sekunde, sondern gab den Feuerbefehl. Ein Teil des vor ihnen liegenden Raumsektors verwandelte sich in ein Inferno entfesselter Energien, das die Leuchtkraft eines jeden Sterns übertraf. Was dort draußen explodierte, waren Geschosse, die die Sprengkraft von hunderttausend Gigatonnen TNT und mehr in sich vereinten. Ein Riß schien durch das Universum zu gehen und die Dimensionen durcheinanderzuwirbeln, die Schwärze des Alls wurde transparent. Fahlblaue Blitze zuckten wie Irrlichter umher, verästelten sich und verschwanden irgendwo im Nichts. Und dann geschah etwas Unglaubliches: Dort, wo das Energiegewitter nur am Rand getobt hatte, teilte sich das Dunkel. Aus dem Nichts heraus griffen Energiefinger nach der SZ-1, trafen ihre Schirmfelder und ließen die Belastungsanzeigen in den kritischen Bereich hochschnellen. Der unsichtbare Gegner hatte zurückgeschlagen, sich aber auch gleichzeitig verraten. Die Stabsspezialistin hatte ihren Waffentechnikern und Feuerleitoffizieren vorher genaue Anweisungen gegeben, so daß sich neue Befehle erübrigten. In Sekundenbruchteilen hatten sich die Geschützsteuerungen neu ausgerichtet, und diesmal war das Ziel nicht mehr imaginär, sondern bekannt. Dutzende von Geschosse wurden gleichzeitig auf einen bestimmten Punkt abgestrahlt und explodierten unmittelbar nach der Rematerialisation. Wieder schien der Raum aufgerissen zu werden, kurzfristig gewann man den Eindruck, einen Körper mit verwaschenen Umrissen zu sehen, dann entstand eine Miniatursonne genau an jener Stelle. Sie expandierte, wurde schwächer, dann verlor sich ihre Leuchtkraft immer mehr. Dort, wo sie entstanden war, trieben Trümmer durch den Raum. »Wir haben es geschafft, Wajsto«, freute sich Ursula Grown. »Dieses Ding ist vernichtet.«
»Zweifellos hast du recht«, murmelte Kölsch, ohne den Blick zu wenden. Wie hypnotisiert starrte er auf die Anzeigen. »Wir haben es geschafft, und wie es aussieht, hatte SENECA auch recht.« »Was meinst du damit?« fragte die Cheftechnikerin verständnislos. »Sieh dir die Trümmer an, verbinde sie gedanklich und setze sie zusammen, dann wirst du erkennen, daß SENECAS Vermutung richtig war.« Die Stabsspezialistin konzentrierte sich, dann stieß sie hervor: »Bei Gott, was du sagst, stimmt. Dieses Gebilde kenne ich. Und Bjo hat es trotz der Tarnung erkannt.« »SENECA hat es erkannt, Breiskoll hat nur den Hinweis geliefert.« »Immerhin stammt die Skizze von Bjo.« »Ursula, es ist müßig, darüber zu streiten, wichtig ist nur, daß wir Erfolg hatten. Daß SENECAS These sich als zutreffend erwiesen hat, beweist einmal mehr, daß wir uns wieder auf ihn verlassen können.« »Ich glaube, das haben wir zu einem nicht geringen Teil Atlan zu verdanken.« »Wo steckt er überhaupt?« »Er ist mit einer Korvette unterwegs in dieser Dunkelwolke, mehr weiß ich auch nicht.« »Wir können ja Breckcrown fragen, wenn wir wieder angekoppelt haben.« Wajsto Kölsch gab den Befehl zum Rückflug. »Jedenfalls war unsere Aktion ein Volltreffer im wahrsten Sinn des Wortes. Die anderen werden Augen machen, wenn sie erfahren, was wir da vernichtet haben.« »Das glaube ich auch.« Die Stabsspezialistin lächelte versonnen. Eher beiläufig blickte sie auf ihre Anzeigen. »He, es gibt noch eine Überraschung.« »Mach es nicht so spannend. Was ist es?« »Die Fremden schießen nicht mehr und verhalten sich ruhig. Ob zwischen der Waffenruhe und unserem erfolgreichen Einsatz ein
Zusammenhang besteht?« »Ich tauge weder für Hochrechnungen noch als Prophet«, brummte der ehemalige Magnide. »In Kürze werden wir es genau wissen, also warte es ab.«
6. Der Arkonide verdankte sein unglaubliches Alter von mehr als zehntausend Jahren nicht zuletzt seinen ausgeprägten Reflexen. Den Strahler zu ziehen und den Individualschirm zu aktivieren war eins. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er, wie auch seine Begleiter die Waffen zogen und sich in ihre Schutzschirme hüllten. Ein Kampf ist sinnlos, signalisierte der Logiksektor, die Übermacht ist zu groß. Gib auf! Diesmal folgte Atlan der Empfehlung seines Extrasinns widerspruchslos. Er ließ den Strahler fallen und schaltete das Energiefeld wieder ab. Einige folgten seinem Beispiel, andere zögerten noch. »Ich will nicht, daß Blut vergossen wird«, sagte Atlan. »Wir sind hoffnungslos unterlegen, also spielt hier nicht die Helden.« Die restlichen Waffen polterten zu Boden, die Schutzschirme wurden desaktiviert. Die schwarzen Roboter reagierten nicht darauf; nach wie vor waren ihre unteren, nur als Stümpfe ausgebildeten Armpaare auf die kleine Gruppe gerichtet und bedrohten sie. Was weder der Aktivatorträger noch sein Extrasinn wissen konnten: Die Waffenarme hätten ihnen bei aktivierten Individualschirmen nichts anzuhaben vermocht, denn sie bestanden nur aus Paralysatoren und einer Abschußvorrichtung für mikroskopisch kleine Bolzen, die eine technisch-hypnotische Wirkung hatten. Zwar verfügten die Automaten auch über tödlich wirkende Waffen, doch dazu war direkter Körperkontakt
erforderlich, nämlich ein Biß mit den Kieferzangen. In etwa hatten sie die Funktion der Giftzähne einer Schlange, indem ein Biogift in den Körper des Opfers gepreßt wurde, das ähnlich tödlich wirken konnte wie Zyankali. Es war eine gewisse Ironie des Schicksals, daß der alte Haudegen vor einer Übermacht kapitulierte, die ihm und seinen Begleitern in Wahrheit trotz ihrer Minderzahl unterlegen war, denn die schwarzen Roboter verfügten über keine körpereigenen Schutzschirme. Ihr massiertes Auftreten und ihre Reaktion täuschten eine Gefährlichkeit vor, die rein optischer Natur war. In die mit einem langen schwarzen Gewand bekleidete Gestalt der Oberpriesterin kam Bewegung. Gemessenen Schrittes trat Lichtquelle-Mara nach vorn; bereitwillig wichen, die düsteren Automaten zur Seite und öffneten den Kreis. Jacta war wie erstarrt. Die kleine Molaatin ließ der Auftritt unbeeindruckt. Sie drängte sich nach vorn, faßte Atlan an der Hand und zog ihn mit sich. Der Logiksektor zerstreute seinen Zweifel, ob das, was die Kleine tat, richtig war. Laß sie gewähren und geh mit ihr! Seite an Seite schritten die so ungleichen Wesen von der SOL auf die Oberpriesterin zu, ohne daß die schwarzen Roboter sie daran gehindert hätten. Als sie vor der hochaufgerichteten Gestalt von Lichtquelle-Mara standen, sagte Sanny, jedes einzelne Wort betonend: »Diesmal täuscht du mich nicht, deine Tarnung ist durchschaut.« Noch während der Arkonide sich vergeblich den Kopf darüber zerbrach, was sie gemeint haben könnte, rief Sanny: »Du bist weder eine Vulnurerin noch Lichtquelle-Mara. Du bist Hapeldan!« Sannys Behauptung war nicht nur ungeheuerlich, sondern kam für alle auch völlig überraschend. Sie hatten sich gedanklich mit der Situation auseinandergesetzt, wie sie eindeutiger nicht sein konnte. Man befand sich an Bord eines fremden Raumschiffs in der Gewalt
von Robotern und einer verbohrten Oberpriesterin, die sie für Abgesandte des Bösen hielt und sie vernichten wollte. Der Fluchtversuch war gescheitert, bevor er recht begonnen hatte, Milde war also nicht zu erwarten. Und nun kam dieser grünpelzige Winzling daher und behauptete kühn, daß ihre Gegnerin keine Bekehrerin war, sondern der abtrünnige Molaate Hapeldan, eine Kreatur von Hidden-Xl Ungläubig starrten die Männer und Frauen erst Sanny an, dann die Oberpriesterin; selbst Atlan war ziemlich perplex. Auch die dunkle Gestalt war wie vom Donner gerührt, nicht aber die mobile Laborpositronik. Blitzschnell ließ Blödel seine langen Arme vorschnellen, packte Lichtquelle-Mara an Kopf und Körper und zog die Extremitäten wieder ein. Für einen Lidschlag hatte es den Anschein, daß die Molaatin sich verrechnet hatte, als die insektoide Gestalt durch den Griff ins Taumeln geriet, sich aber nicht veränderte, doch eine ruckartige Bewegung Blödels entlarvte die angebliche Vulnurerin. Er hatte ihr die Maske entrissen, Sanny hatte recht. Vor ihnen stand Hapeldan alias Schalter alias Tdibmufs. Einmal mehr bewies das zwergenhafte Geschöpf von der Größe eines Neugeborenen seine Qualitäten. Bevor die Solaner sich gefaßt hatten, befahl es den schwarzen Robotern im zirpenden Idiom der Bekehrer: »Tötet die Gefangenen und Jacta!« Atlan und seine Begleiter verstanden nicht, was Hapeldan gesagt hatte, aber die Reaktion der Maschinen war eindeutig. Sie setzten sich in Bewegung und schwebten auf sie zu, wobei sie einen dichtgestaffelten Ring bildeten, der ein Entkommen unmöglich machte. Schrittweise wichen die Männer und Frauen zurück. Jacta, die überzeugt gewesen war, daß die Oberpriesterin zu ihrem Volk gehörte, hatte die Demaskierung fassungslos mitangesehen, fand aufgrund ihrer überraschenden Fähigkeiten aber erstaunlich schnell in die Wirklichkeit zurück. Furchtlos trat sie den Maschinen entgegen.
»Zurück mit euch!« rief sie. »Zurück, sage ich. Erkennt ihr denn nicht, wer euch den Befehl gegeben hat? Es war nicht LichtquelleMara, sondern dieser fremde Zwerg, der sich nur als Bekehrer getarnt hat. Seht euch das Wesen an! Sieht so ein Vulnurer aus oder gar eine Oberpriesterin?« Der Vormarsch der Maschinen geriet ins Stocken. »Hört nicht auf sie! Tötet sie – alle!« schrie Hapeldan. »Ich als Lichtquelle-Mara befehle es euch!« »Dieses Geschöpf ist keine Priesterin, sondern ein Abgesandter des Bösen«, widersprach Jacta Tars. »Ihr dürft nicht darauf hören, ihr müßt mir folgen. Ergreift den kleinen Fremden, denn er ist ein Feind unseres Volkes.« In den Reihen der schwarzen Roboter entstand Verwirrung. Sie waren so programmiert, daß sie die Oberpriesterin als höchste Instanz betrachteten, andererseits waren sie auch den Priesterinnen zum Gehorsam verpflichtet. Der Befehl von Lichtquelle-Mara war eindeutig, doch sie hatte sich auf merkwürdige Weise verändert – auf eine Art und Weise verändert, wie es nicht in den Speichern verankert war. Jacta war Priesterin, und sie entsprach rein äußerlich auch dem programmierten Standard, aber sie war eben nur eine einfache Priesterin. Optischer Eindruck und Eingabe wichen grundlegend voneinander ab, welche Information besaß Priorität? Keine, entschieden die Positroniken der Automaten, denn der Widerspruch war zu offensichtlich. Diese für Elektroniken wahrhaft salomonische Entscheidung bewahrte das technische Innenleben der Maschinen vor möglichen Schäden, sorgte aber gleichzeitig auch dafür, daß die schwarzen Roboter sich abwartend verhielten und einfach auf der Stelle schwebten. Als Hapeldan erkannte, daß die Synthowesen ihm ihre Gefolgschaft verweigerten, wandte er sich zur Flucht. So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, rannte er davon. »Los, hinterher«, rief Atlan. »Jacta, Blödel, kommt mit, ihr anderen wartet hier.«
Die schwarzen Roboter behinderten die drei erheblich, denn sie bildeten noch immer einen Kordon um die kleine Gruppe und wichen und wankten nicht. Die mobile Laborpositronik erkannte auf Anhieb, wie mühsam es war, sich einen Weg durch die dichtgestaffelten Reihen zu bahnen, und wie zeitraubend das war. »Bleibt hinter mir«, sagte Blödel und marschierte los. Er funktionierte sich zu einer Art Rammbock um und durchbrach mit Brachialgewalt die Formation der fremden Automaten, ohne sich daran zu stören, daß seine robotischen Pendants regelrecht zur Seite gestoßen und herumgewirbelt wurden. Zustatten kamen ihm dabei seine langen beweglichen Arme, die er gleich Windmühlenflügeln einsetzte. Wie Schatten folgten ihm der Arkonide und die Vulnurerin. Als sie den Kordon der schwarzen Roboter hinter sich gebracht hatten, war der Molaate bereits verschwunden, doch Atlan hatte gesehen, durch welche Tür er geflohen war. Mit mächtigen Sprüngen setzte er hinterher, so daß Jacta und Blödel Mühe hatten, ihm auf den Fersen zu bleiben. Der Arkonide stoppte abrupt, als er den Durchlaß passiert hatte. Ein schwerer süßlicher Duft hing in der Luft. Seine Vermutung, daß es sich um ein Giftgas handelte, das Hapeldan freigesetzt hatte, um mögliche Verfolger aufzuhalten, bewahrheitete sich nicht, wie eine rasch durchgeführte Analyse Blödels bewies. Die Wände des Raumes, in dem sie sich befanden, glommen in düsterem Rot, als wenn sie von innen heraus zu glühen schienen, wirre Farbmuster huschten wie Schatten über die Flächen. Ein Hauch von Unwirklichkeit und magischem Fluidum erfüllte das in ein geheimnisvolles Licht getauchte Geviert, in dessen Mitte ein dunkler Würfel stand. Er wirkte drohend und finster, eine Art Schwarzes Loch, das jede Lichtquelle zu verschlingen schien. Hapeldan war wie vom Erdboden verschluckt. »Diesen Raum kenne ich«, sagte Jacta. »Es gibt mehrere geheime Ausgänge, einer davon befindet sich vor dem Würfel und ist ein
Antigravschacht. Er führt aus dem Großkessel, in dem wir uns befinden, hinaus in eine Produktionsstätte.« Der Aktivatorträger überlegte kurz. »Ich glaube nicht, daß er diesen Weg genommen hat, denn wo er auftaucht, wird er sofort als Fremder erkannt. Ich vermute, daß er sich hier irgendwo in der Nähe verbirgt, in jenem Sektor also, der nur den Priesterinnen vorbehalten ist. Wo würdest du ihn suchen?« »Ich weiß es nicht«, gestand die junge Bekehrerin bedauernd. »Ich kenne weder das Quartier der Priesterschaft noch die geheimen Ausgänge.« Atlan unterdrückte eine Verwünschung. »Los, wir müssen ihn finden, denn weit kann er noch nicht sein. Haltet Ausschau nach allem, was ein getarnter Ausgang sein kann.« Blödel hatte sich weder um die unwirkliche Atmosphäre noch um die Unterhaltung der beiden gekümmert und bereits damit begonnen, auf eigene Faust Untersuchungen anzustellen. Unter Zuhilfenahme seiner überlangen Arme tastete er in atemberaubenden Tempo die glasitähnlichen Wände ab. Plötzlich wich ein Teil der Fläche zurück. Dahinter erstreckte sich ein schwachbeleuchteter Gang von wenigen Metern. Der Ruf des Roboters alarmierte die beiden. Sie kamen herbeigeeilt. »Durch einen solchen Flur bin ich von den schwarzen Robotern hierhergebracht worden, aber ich bin sicher, daß es dieser Korridor nicht war«, erklärte die Priesterin mit Bestimmtheit. »Immerhin ist es einen Versuch wert.« Atlan stürmte los, notgedrungen folgten Jacta und Blödel. Das massiv wirkende Gangende entpuppte sich als ein Schott, das als solches nicht zu erkennen war, bei Annäherung des Arkoniden jedoch zurückwich. Dahinter tat sich ein kleiner Raum auf, den flackernde Spots in ein psychedelisches buntes licht tauchten. Die grellen Farbenspiele machten es den Augen schwer, Einzelheiten auszumachen, doch dann erkannte der Arkonide im Hintergrund einen dunklen Vorhang. Er rannte darauf zu und schlug den
schweren Stoff zur Seite. Erstaunt blieb er stehen. Alles hatte er erwartet, nur nicht das, was er nun sah. Vor ihm stand ein Torbogen mit einem Block davor, zwischen den Bogenschenkeln herrschte jenes dunkelrote, wesenlose Wallen, das er bereits kennengelernt hatte. »Ein Transmitter«, entfuhr es Jacta. »Ja, ein Transmitter«, bestätigte der Arkonide. »Hapeldan hat wie immer an alles gedacht und sogar seine Flucht gründlich vorbereitet.« Begehe jetzt keine Dummheit und versuche, ihm zu folgen! warnte der Extrasinn. Es könnte eine Falle sein. Wenn er während des Sendevorgangs die Empfangsstation abschaltet, bist du als atomisiertes Etwas für alle Zeit Bestandteil der n-Dimension. Aber er muß unschädlich gemacht werden, bevor er weiteres Unheil anrichten kann, gab der Aktivatorträger gedanklich zurück. »Jacta, auf welche Gegenstelle ist das Gerät justiert?« Die Vulnurerin studierte aufmerksam die Kontrollen. »Der andere Transmitter befindet sich an Bord des Blitzaufklärers der HEUTE, der an der oberen Polkuppel angedockt ist.« Während Atlan noch überlegte, ob er das Risiko auf sich nehmen sollte, Hapeldan zu folgen, erlosch das Transportfeld. Gleich darauf erfolgte über Bordlautsprecher eine Durchsage, die Jacta Tars übersetzte. »Der Blitzaufklärer ist gestartet.« »Wir dürfen nicht zulassen, daß Hapeldan entkommt. Du mußt die Schiffsführung alarmieren, wer sich des Beiboots bemächtigt hat«, beschwor der Arkonide sein Gegenüber. »Das dürfte wenig Sinn haben. Der Zwerg hat sich als LichtquelleMara ausgegeben und behauptet, eine wichtige Mission durchführen zu müssen. Der Mono hat dem zugestimmt.« »Ja, ist denn dieser Mono blind?« erregte sich Atlan. »Nein, aber zur Verständigung benötigt man nicht unbedingt Bilder. Sprache und Funk reichen aus.«
»Entschuldige, Jacta, das hatte ich ganz vergessen.« Der Arkonide wirkte niedergeschlagen und verstimmt zugleich. »Weißt du, dieser Hapeldan ist ein Molaate wie Sanny, die zu meinem Team gehört, aber anders als sie ist er ein Werkzeug des Bösen, der Handlanger einer negativen Macht, die wir Hidden-X nennen. Ihr Ziel ist es, die Solaner zu vernichten, wobei Hapeldan eine wichtige Funktion erfüllt. Jetzt und hier hatte ich die Chance, ihn unschädlich zu machen, doch er ist mir entwischt.« »Die Zusammenhänge werden mir immer klarer«, sagte Jacta nachdenklich. »Dieser Hapeldan ist in die Rolle der Oberpriesterin geschlüpft und hat unser Volk unter dem Deckmantel unserer Religion so manipuliert, daß wir unsere Heimatschiffe eingesetzt haben, um die SOL zu vernichten. Dabei seid nicht ihr die Abgesandten des Bösen, sondern er selbst. Wären wir uns nicht zufällig begegnet, wäre der wahre Sachverhalt nie ans Licht gekommen.« Sie blickte Atlan an. »Was mag mit der wirklichen Lichtquelle-Mara geschehen sein?« »Hapeldan hat keine Skrupel. Wahrscheinlich hat er sie getötet und sie verschwinden lassen.« »Und einem solchen Scheusal sind rund 65.000 Bekehrer gefolgt und tun es noch immer.« »Vielleicht läßt sich das ändern, jetzt, wo er geflohen und verschwunden ist. Du mußt versuchen, die anderen Priesterinnen zu überzeugen – und den Mono. Gelingt das, sind wir ein gutes Stück weiter.« Atlan berührte Jacta leicht. »Komm, gehen wir zurück zu den anderen. Sie werden schon ungeduldig sein, und ich bin es ebenfalls. Hoffentlich hat es keine Zwischenfälle gegeben.«
* Atlans Befürchtung, daß es eventuell zu Zusammenstößen zwischen seinen Leuten und den schwarzen Robotern gekommen sein könnte,
bewahrheitete sich zu seiner Erleichterung nicht. Die Solaner verhielten sich nach wie vor ruhig, so daß die Automaten keinen Anlaß sahen, einzugreifen. Mit knappen Worten berichtete er, daß Hapeldan wieder einmal entkommen war, daß er aber Hoffnung hatte, daß es zwischen Solanern und Vulnurern respektive deren Führern zu einer friedlichen Verständigung kam, wenn die Bekehrer erst einmal begriffen hatten, daß der Schalter eine Kreatur des Bösen war und sie und ihre Überzeugung schändlich für seine eigenen, verwerflichen Zwecke mißbraucht hatte. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, daß Jacta, die ohnehin schon auf ihrer Seite stand, ihre ganze Autorität als Priesterin geltend machen würde, um den wahren Sachverhalt aufzuklären und mit ihrer ganzen Kraft dazu beitragen wollte, alles doch noch zu einem guten Ende zu bringen. »Hat sich Blödel anständig benommen?« erkundigte sich Nockemann bei dem Arkonujen. Bevor dieser eine Antwort geben konnte, tauchten fünf Gestalten in schwarzen Umhängen auf. Unter den Männern und Frauen, die bereits Hoffnung geschöpft hatten, daß sich in Kürze alles zum Guten wenden würde, machte sich Unbehagen breit. Konnte Jacta ihre Amtskolleginnen überzeugen? Würden sie ihr glauben? »Ich weiß nicht, ob ihr bereits informiert seid über das, was vorgefallen ist«, sagte Jacta Tars anstelle einer Begrüßung. »Wir wissen Bescheid«, gab eine der Insektoiden zurück. »Die Gefangenen sind Sendboten der bösen planetaren Mächte, die vernichtet werden müssen.« »Ihr irrt.« Die junge Vulnurerin gab einen kurzen Abriß über die letzten Ereignisse wieder. »Erkennt ihr nun, daß dieser Fremde das Böse verkörperte, der sich als Lichtquelle-Mara getarnt und ausgegeben hat?« Die Priesterinnen spalteten sich in zwei Lager. Heftige Diskussionen entbrannten, dabei wurde erkennbar, daß drei geneigt
waren, Jacta zu glauben, die anderen zwei hielten sie dagegen für eine Lügnerin und befahlen den Robotern, die Fremden auf der Stelle zu töten. Dem widersprachen die anderen heftig. Die schwarzen Roboter verhielten sich passiv. Lediglich einer scherte aus der Formation aus und steuerte auf die Gruppe der Priesterinnen zu, vor der er dann verharrte. »Wir sind gewohnt, zu gehorchen, aber unter euch herrscht Uneinigkeit«, zirpte die Maschine in dem für Solaner unverständlichen Idiom. »Priorität hat der Befehl der Oberpriesterin, doch es gibt sie nicht mehr. Wir, die schwarzen Roboter, sind dadurch handlungsunfähig und nicht mehr in der Lage, unsere Aufgabe zu erfüllen. Das aber es ist nicht im Sinn unserer Erbauer und widerspricht unserem Programm. Es ist daher erforderlich, daß eine neue Oberpriesterin aus eurer Mitte eingesetzt wird, die dann allein darüber entscheidet, was wir tun sollen. Und wie es der Brauch will, entscheidet das Los.« Jacta hatte flüsternd übersetzt, so daß Atlan und die anderen wußten, um was es ging. Die Maschine holte einen ganz normalen Würfel hervor, dessen Felder unterschiedliche Augenzahlen von eins bis sechs trugen. Leise erklärte die junge Bekehrerin, was es damit auf sich hatte. Die Priesterinnen waren namenlos und besaßen lediglich Nummern in der Reihenfolge, in der sie in das Amt berufen worden waren. Jacta, die nicht nur die Jüngste, sondern auch als letzte zur Priesterin geweiht worden war, besaß demzufolge die Nummer sechs. Die Art der Wahl, nämlich die Oberpriesterin einfach auszuwürfeln, bereitete Atlan Verdruß. Ihm war das Unbehagen darüber deutlich anzusehen. Wenn eine dieser erzkonservativen, halsstarrigen Priesterinnen gewann, war ihr Schicksal besiegelt – daran konnte auch Jacta dann nichts mehr ändern. »Keine Sorge«, raunte Sanny, die das Mienenspiel des Arkoniden richtig gedeutet hatte, »ich habe berechnet, daß eine Sechs gewürfelt
wird.« Und so war es auch. Mit Erleichterung registrierten die Männer und Frauen, daß Jacta, die nun Lichtquelle-Jacta hieß, die neue Oberpriesterin war. Die anderen fünf Vulnurerinnen akzeptierten die Entscheidung durch den Würfel und erhoben auch keinen Widerspruch, als Lichtquelle-Jacta den schwarzen Robotern befahl, zurückzuweichen und die Leute von der SOL unbehelligt zu lassen, als diese wieder ihre Waffen an sich nahmen. Die Autorität der Oberpriesterin war unantastbar, das war ein ungeschriebenes Gesetz. Hapeldan, verkleidet als Lichtquelle-Mara, hatte es für seine negativen Zwecke zu nutzen gewußt, Jacta war zumindest im Augenblick nicht daran gelegen, ihre Machtfülle selbst zu beschneiden, da sie die ihr gegebenen Möglichkeiten in ihrem Sinn wahrnehmen wollte. Die fünf Vulnurerinnen verneigten sich vor der neuen Oberpriesterin und baten darum, sich entfernen zu dürfen. Jacta gewährte ihnen den Wunsch. Sie verschwanden, während die schwarzen Roboter zurückblieben. Lichtquelle-Jacta trat zu Atlan. »Wir haben dir und deinen Begleitern zu danken. Ohne euch würden wir immer noch von dem Bösen beherrscht, das wir eigentlich bekämpfen – und wir wüßten es nicht einmal.« »Du schuldest uns keinen Dank«, wehrte der Arkonide ab. »Immerhin warst du es, die unser Leben gerettet hat.« »Sprechen wir nicht mehr davon und lassen wir die Vergangenheit ruhen. Die Zukunft wird andere Anforderungen an uns stellen. Es wird für mich und mein Volk viel zu tun geben. Zunächst gilt es, für Ordnung zu sorgen und die Schäden zu beheben, die die falsche Oberpriesterin angerichtet hat, meine erste Anordnung wird jedoch sein, daß der Kampf gegen die SOL sofort beendet wird.« Mit ihren glitzernden Facettenaugen blickte sie alle der Reihe nach an. »Natürlich werdet ihr zu eurem Schiff zurückgebracht. Sagt eurem Volk, wie ähnlich wir uns sind, daß wir
auch den Frieden lieben, durch die Macht des Bösen jedoch verblendet waren.« »Bitte folge uns nun, Lichtquelle-Jacta«, sagte der schwarze Roboter, der bereits als Sprecher der anderen Automaten hervorgetreten war. »Wir wollen dich in alle Geheimnisse einweihen, die nur die jeweilige Oberpriesterin kennt. Von nun ab gehorchen wir nur noch dir, und du kannst über alle geheimen Mittel verfügen, die uns bekannt sind.« Die Worte der Maschine erstaunten die Bekehrerin ein wenig. Die schwarzen Roboter waren demnach nicht nur einfache Handlanger der Priesterschaft und ausführende Organe, sondern mußten über ein Wissen verfügen, das den anderen Priesterinnen nicht zugänglich gemacht wurde. Wenn sie es recht bedachte, war das eine sehr sinnvolle Einrichtung, denn anders als die Vulnurer waren Automaten unsterblich im übertragenen Sinn, niemand anders war besser dazu geeignet, Geheimnisse zu bewahren und weiterzugeben. »Wartet noch einen Augenblick. Ich möchte, daß zwei von euch unsere Freunde zum nächsten Beiboothangar führen, damit sie zu ihrem Schiff zurückgebracht werden können. Ihr seid mir persönlich dafür verantwortlich, daß sie unbehelligt bleiben.« Der Robotkommandant stellte zwei der Automaten ab, die anderen nahmen hinter der neuen Oberpriesterin Aufstellung. Da das Gespräch im Idiom der Vulnurer geführt worden war, sagte Jacta in Interkosmo: »Ich habe diesen beiden befohlen, euch zu einem Beiboothangar zu führen, ihr könnt ihnen also getrost folgen. Sie werden auch dafür sorgen, daß euch niemand belästigt. Geht jetzt, ich melde mich noch einmal, bevor ihr die HEUTE verlaßt.« Die Insektoide drehte sich um und schritt davon; hinter ihr setzte sich das Gros der düsteren Automaten lautlos in Bewegung. Auch die beiden Führer schwebten davon, allerdings in eine andere Richtung. Durch ein Gewirr von Gängen und Fluren, verborgenen
Schächten und getarnten Durchlässen geleiteten sie die Männer und Frauen von der SOL aus dem Quartier der Priesterschaft zu einer Halle, in der mehrere Kleinerkunder standen. Selbst Atlan, der sich rühmen konnte, ein photographisches Gedächtnis zu haben, war sich nicht sicher, ob er den Weg zurückgefunden hätte. Zielstrebig glitten die Automaten auf ein Boot zu und bedeuteten den Solanern,an Bord zu gehen; sie selbst blieben zurück. In der Zentrale des Schiffchens erwartete sie ein Vulnurer, der offensichtlich als Pilot fungierte. Eine Verständigung mit ihm war nicht möglich, denn Fragen in Interkosmo beantwortet er mit Zirplauten. Bevor der Raumer aus der Schleusenkammer schwebte, meldete sich Jacta, wie versprochen, noch einmal über Bordlautsprecher. »Unsere Heimatschiffe haben das Feuer eingestellt, und auch die Geschütze der SOL schweigen, ihr habt also nichts zu befürchten. Vorbo, der den Kleinerkunder fliegt, ist ein erfahrener Pilot. Er weiß Bescheid und wird euch sicher zu eurem Heimatschiff zurückbringen. Ich bitte euch nochmals um Fürsprache für uns.« »Du kannst dich auf uns verlassen«, versprach Atlan. »Sobald sich die inneren Verhältnisse bei uns stabilisiert haben, werde ich selbst die Verhandlungen mit eurer Führung aufnehmen, denn mir ist daran gelegen, mit euch Erfahrungen auszutauschen. Vor allem aber möchte ich, daß unsere Völker in Frieden leben.« »Die Aufgabe, die dich erwartet und die du dir vorgenommen hast, wird nicht leicht sein, aber ich denke, du wirst es schaffen, Jacta. Viel Glück.« »Lebt wohl!« Der Lautsprecher verstummte. Für den Piloten schien das das verabredete Zeichen zu sein. Langsam setzte sich das Beiboot in Bewegung und glitt auf die Hangarschleuse zu.
7.
An Bord der inzwischen wieder kompletten SOL hatte man mit einiger Verwunderung registriert, daß die drei fremden Schiffe plötzlich das Feuer eingestellt hatten, ohne sich jedoch zurückzuziehen. Die Meinungen darüber waren widersprüchlich. Einige Stabsspezialisten waren der Ansicht, daß der Angreifer mittlerweile eingesehen hatte, daß dem Hantelraumer nicht beizukommen war, andere hielten das für ein taktisches Manöver, für eine Finte, die die Solaner in Sicherheit wiegen sollte. Hayes, der sich auf den unerwarteten Sinneswandel der Gegenseite ebenfalls keinen Reim machen konnte, hatte den Gefechtsalarm zwar aufgehoben, jedoch keine Entwarnung gegeben. Alle Positionen waren besetzt, die Ablösungen hielten sich in Bereitschaft. Um keine unangenehme Überraschung zu erleben, blieben die Schirmfelder des Giganten aktiviert. Nun, wo es etwas ruhiger war, konnte man sich auch um das Problem kümmern, was die Schiffsführung zwar unterschwellig ständig beschäftigt hatte, für das man infolge der unmittelbaren Bedrohung der SOL durch die Vulnurer aber kaum Zeit gefunden hatte. Es ging um das Schicksal der DORANIA, die seit geraumer Zeit bereits von den Ortern nicht mehr erfaßt werden konnte. War das allein schon Grund zur Sorge, so beunruhigte Hayes weit mehr, daß es auch den Telepathen Bjo Breiskoll und Federspiel nicht mehr gelang, die Impulse der Besatzung in der Dunkelwolke auszumachen. War es in dem Materiehaufen zu einer Katastrophe gekommen, für die möglicherweise Hidden-X verantwortlich war, oder hatte dort eine wie auch immer geartete Energieumstrukturierung stattgefunden, die es nun selbst ParaSinnen unmöglich machte, sie zu durchdringen? Schließlich war es ja auch ein Phänomen besonderer Art, daß kosmischer Staub Funkwellen selbst auf kurze Distanz absorbierte. Für kosmische Begriffe waren zwei Lichtmonate eine geringe
Strecke – und größer war der Durchmesser der Staubwolke nicht. Andererseits war ein Gebilde, das mehr als zwei Billionen Kilometer durchmaß, auch nicht so klein, daß es kein Geheimnis bergen konnte, ein Geheimnis, das sich allen Messungen entzog. Wenn Hidden-X dahintersteckte, war das eine akzeptable These, denn es hatte seine negative Genialität in solchen Dingen schon mehrmals unter Beweis gestellt, und immer zum Leidwesen der Solaner. Unterstellt, Hidden-X hatte seine Hände im Spiel, dann waren zwei Erklärungen möglich: Entweder hatte es die DORANIA vernichtet, oder es hatte sie so abgeschirmt, daß auch die Fähigkeiten der Mutanten versagten. Beides erfüllte letztendlich den gleichen Zweck, nämlich, die Schiffsführung zu Nachforschungen zu veranlassen. Wurden kleine Einheiten ausgeschickt, passierte mit ihnen dasselbe wie mit der Korvette -sie verschwanden einfach. Es blieb dann nur noch die Alternative, daß die SOL selbst in die Dunkelwolke eindrang oder sich davonstahl und die Vermißten sich selbst und ihrem ungewissen Schicksal überließ. Das aber widersprach der menschlichen Mentalität. War die Anhäufung kosmischen Staubes also in Wirklichkeit eine Falle für die SOL? Breckcrown Hayes wußte es nicht, er war verunsichert und machte sich heftige Vorwürfe, daß er Atlan nicht von seinem Vorhaben abgebracht hatte. Ob SENECA Rat wußte? Ein Ausruf Curie van Herlings riß ihn aus seinen Grübeleien. »Was gibt es?« »Sieh selbst. Ich lege um auf den Hauptbildschirm.« Die drei exotischen Konstruktionen der Fremden waren zu erkennen, dann stellten mehrere Dutzend Augenpaare überrascht fest, daß vom mittleren Schiff eine winzige Einheit ablegte und mit steigender Geschwindigkeit direkt auf das Fernraumschiff zuhielt. »Es sieht so aus, als wollten sie mit uns Kontakt aufnehmen«, meinte die Stabsspezialistin. »Findest du das nicht merkwürdig?« erkundigte sich Herts. »Ich meine, wo es doch Funk gibt?«
»Sicher ist es ein wenig ungewöhnlich, aber vielleicht entspricht es ihren Gepflogenheiten, Friedensverhandlungen durch einen Parlamentär zu führen.« »Soll ich dir mal was sagen, Curie?« Der Verwachsene verzog das Gesicht, was ihn noch häßlicher machte. »Mir gefällt die Sache ganz und gar nicht. Was ist, wenn sich anstelle eines Unterhändlers nur eine robotische Besatzung mit einer Ladung Bomben an Bord befindet? Wir schleusen das Schiffchen ein, und dann zerreißt es uns.« »Also ganz so pessimistisch wie Gallatan bin ich nun nicht, aber ich denke, wir sollten vorsichtig sein.« Der High Sideryt gab eine Reihe von Anordnungen über Interkom, dann wandte er sich an die beiden Stabsspezialisten. »Curie, versuche, Funkkontakt zu bekommen, Gallatan, du läßt eine Robotkorvette startklar machen und ausschleusen, die dem fremden Beiboot entgegenfliegt. Ich möchte jedes Risiko für die SOL ausschalten.« »Bist du nicht zu übervorsichtig?« erkundigte sich Lyta Kunduran, die wegen ihres fast paranormalen Verständnisses für Positroniken den Spitznamen »Bit« bekommen hatte. »Was sollen die Insektoiden von uns halten, wenn sie feststellen,daß wir ihnen ein unbemanntes Schiff entgegenschicken?« »Ich glaube nicht, daß sie wie wir über Telepathen verfügen.« In dem von SOL-Würmern verunstalteten Antlitz Hayes' zuckte kein Muskel. »Warum sollte es nicht unserer Mentalität entsprechen, einen Beauftragten der anderen Seite zu eskortieren?« »Ich empfange Signale in einer fremden Sprache«, meldete Curie van Herling. »Eine Entschlüsselung ist noch nicht möglich.« Helles Zirpen, elektronisch verstärkt, erfüllte das Rund der Zentrale, dann verstummte es, der vertraute Klang von Interkosmo wurde hörbar. »Hallo, SOL, hört ihr mich?« »Das ist ja Atlan«, entfuhr es Hayes. Er war förmlich perplex, gleichzeitig aber unendlich erleichtert. »Wie um alles in der Welt
kommst du auf dieses Boot?« »Das ist eine lange Geschichte, Breckcrown. Ich werde sie dir erzählen, wenn wir wieder an Bord sind. Übrigens: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wir sind alle wohlauf, es gab keine Verluste. Und was die Bekehrer betrifft: Du kannst ihnen voll vertrauen, sie wollen Frieden mit uns.« »Wir hatten hier aber einen ganz anderen Eindruck«, sagte der Solaner anzüglich. »Das glaube ich, aber das Blatt hat sich gewendet. Du wirst überrascht sein, wenn ich dir sage, wer für den Angriff verantwortlich war.« »Ich habe auch eine Neuigkeit für dich, doch mehr darüber später.« Er warf Gallatan Herts einen fragenden Blick zu. Als dieser nickte, fuhr Hayes fort: »Wir haben eine Korvette ausgeschleust, die euch aufnehmen und zurückbringen wird.« Der Arkonide war ein so gewiefter Taktiker, daß er den tieferen Sinn der Worte sofort verstand. »In Ordnung, Breckcrown. Informiere Bjo, daß wir unterwegs zur SOL sind. Ende.« Auch Hayes war erfahren genug, den versteckten Hinweis Atlans richtig zu deuten. Er setzte sich mit Breiskoll in Verbindung und bat ihn, seine Psi-Fähigkeiten einzusetzen und die zurückkehrenden Solaner telepathisch zu kontrollieren. Bereits nach wenigen Minuten meldete der Katzer Vollzug. Seine Antwort fiel so aus, wie der High Sideryt es erwartet hatte. Die Männer und Frauen waren unbeeinflußt und wurden nicht bedroht, und die Insektoiden meinten es ernst mit ihrem Willen zur freundschaftlichen Koexistenz. Zwar hatte der Mutant die letztere Information nur den Gehirnen der eigenen Artgenossen entnommen, aber der Hinweis genügte Hayes. Die Sicherheit der SOL war nicht gefährdet. Das war es wohl auch, was Atlan hatte andeuten wollen, als er den Namen des Katzers erwähnte. Wahrscheinlich mußte er damit rechnen, daß man seinen Funkspruch auf der anderen Seite hörte und übersetzte, also hatte er eine unverfängliche Grußformel
gewählt, die die Fremden nicht vergraulte und Zweifel an ihrer Friedfertigkeit aufkommen ließ, andererseits aber eine kodierte Nachricht war. Die Optiken erfaßten die Korvette, die dem Schiffchen entgegenraste. Ebenso wie der Kleinerkunder hatte sie die Schirmfelder nicht aktiviert. Der Abstand zwischen den beiden ungleichen Flugkörpern verringerte sich rapide, schon leiteten beide Bremsmanöver ein. Kurz darauf legten sie nebeneinander an, das solanische Beiboot bildete einen energetischen Schlauch aus, der es Atlan und seinen Begleitern ermöglichte, von einem Raumer auf den anderen überzuwechseln, ohne die Raumanzüge anzulegen. Nach knapp fünf Minuten verschwand die leuchtende Röhre, die Vakuum und Weltraumkälte gleichermaßen abhielt, gleich darauf nahmen beide Schiffe wieder Fahrt auf und entfernten sich in entgegengesetzter Richtung. Nach wie vor verzichteten sie auf den Einsatz der Defensivsysteme. »Das ging mir alles zu glatt und reibungslos«, unkte Herts. »Es sollte mich nicht wundern, wenn die anderen eine Teufelei planen.« Niemand gab darauf eine Antwort. Gebannt verfolgten sie den Flug der Robot-Korvette, die zielstrebig auf den Hantelraumer zuhielt. Nach einigen Minuten machte sich Unruhe breit. »Warum melden sie sich nicht?« fragte Bit nervös. Als wäre damit ein Stichwort gefallen, sprach der Normalfunkempfänger an. Das Bild Uster Bricks stabilisierte sich. »Curie, du kannst Breckcrown sagen, daß er Vorlan beurlauben kann.« Der dunkelhäutige Solaner grinste. »In Kürze wird der bessere von uns beiden wieder den Platz des Piloten einnehmen. Bis gleich.« »Ein unmöglicher Mann ist das«, empörte sich die füllige Frau. »Wir machen uns Sorgen, und er hat nichts als alberne Witze im Kopf.« »Stell dir vor, er hätte dich im Kopf.« Gallatan Herts kicherte. »Bei
deinen Pfunden würde er das Übergewicht bekommen und könnte sich nur noch kriechend fortbewegen.« »Schweig!« schrillte die Stabsspezialistin. Ihr geschminktes Gesicht verzog sich zu einer spöttischen Grimasse. »Körper und Geist bilden eine Einheit, das ist erwiesen. Dein Körper ist dürr, fast vertrocknet, also muß auch dein Gehirn in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Lasse dich doch einmal diesbezüglich untersuchen. Es würde mich nicht wundern, wenn man bei dir eine Affinität zum Weltraum feststellen würde.« »Was willst du damit andeuten?« »Daß du ein Vakuum unter der Schädeldecke hast«, prustete die Solanerin los. »Ich habe noch nie soviel ausgelassenes Fett auf einer Stelle gesehen«, konterte der Verwachsene. »Wie ihr wißt, habe ich für vieles Verständnis, aber Komplimente gleich welcher Art sind der Freizeit vorbehalten«, sagte Hayes. Der Tonfall seiner Simme verriet, daß es ihm ernst war und er keinen Widerspruch duldete. »Kümmert euch jetzt gefälligst um das, was man von euch erwartet.« Die beiden Streithähne wechselten zwar noch giftige Blicke, schwiegen aber und taten ihre Pflicht. Eine Strukturlücke entstand, dann schwebte das Robotschiff in einen besonders gesicherten und eigens dafür präparierten Hangar. Die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Ohne Zwischenfälle verließen Atlan, sein Team und die Crew der DORANIA die Korvette.
* Unmittelbar nach der Einschleusung hatten sich Atlan und der High Sideryt zu einem kurzen Gespräch getroffen, dabei aber nur ein paar Informationen ausgetauscht. Man kam überein, für den 6. September 3804 eine Konferenz einzuberufen, in der die Ereignisse
der letzten Tage aufgearbeitet werden sollten. Zuvor wollte man den Männern und Frauen von der DORANIA Gelegenheit geben, sich ein wenig zu erholen, zu duschen und auszuschlafen. Exakt um 14.00.00 Uhr waren alle Beteiligten in einem der Besprechungszimmer versammelt. Dazu zählten der Arkonide, Sanny, Nockemann mit Blödel im Schlepp sowie die Besatzung der vernichteten Korvette. Auf der anderen Seite war das gesamte Führungsteam der SOL vertreten, also Hayes und alle Stabsspezialisten, zu denen ja auch die Brick-Zwillinge zählten. Deccons Sohn eröffnete die Sitzung und gab einen kurzen Abriß darüber, was sich während Atlans Abwesenheit getan hatte. Zentraler Punkt war dabei die Auseinandersetzung mit den Schiffen der Bekehrer und das, was die Mutanten, die ebenfalls anwesend waren, über die Insektoiden herausgefunden hatten. Breiskolls Mission ließ er dabei ebenso unerwähnt wie den Einsatz der SZ-1. Dieses Bonbon wollte er sich für zuletzt aufheben. Dann war der Aktivatorträger an der Reihe. Er schilderte die ungewöhnlichen Verhältnisse in der kosmischen Wolke und berichtete von ihrer wundersamen Rettung durch Jacta sowie ihrer anschließenden Begegnung mit den Priesterinnen. Von Hapeldan sagte er – noch nichts. Damit wollte er die anderen überraschen. »Wir wissen jetzt also einiges über die Kultur und die Hierarchie der Vulnurer«, zog Hayes Bilanz. »Sie sind uns Solanern tatsächlich sehr ähnlich, was ihre Art zu leben betrifft. Das dürfte in etwa auch für ihren technischen Standard gelten.« Der Arkonide nickte zustimmend. »Ich glaube, wir haben in ihnen potentielle Verbündete gefunden, die lediglich durch ihre Führung fehlgeleitet wurden. Ein bißchen erinnern mich die Verhältnisse, wie wir sie dort vorfanden, an die Zustände in der SOL, als ich hier auftauchte.« Einige der ehemaligen Magniden verzogen das Gesicht. An die früheren Zeiten mochten sie nicht gern erinnert werden. »Ich habe aber noch mit einer faustdicken Überraschung
aufzuwarten, Atlan. Bjo hatte ein unsichtbares Objekt hinter den Heimatschiffen der Bekehrer aufgespürt und eine Skizze davon angefertigt, wie das Ding rein gefühlsmäßig aussehen müßte. Niemand konnte damit etwas anfangen, aber SENECA hat es sofort erkannt und uns geraten, dieses Objekt anzugreifen. Das haben wir getan, und es gelang der SZ-1 unter Führung von Wajsto und Ursula, es zu vernichten. Was, glaubst du, haben wir zerstört?« Der Triumph in seiner Stimme war unüberhörbar. »Nun?« Der Arkonide zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber ich denke, du wirst es uns gleich verraten.« »Es war der Zentralkegel des Schalters.« Hayes ließ seine Worte wirken und sah sich beifallsheischend um. »Was sagst du nun?« Verblüfft blickte Atlan erst Sanny und Hage, dann Breckcrown und Bjo an. »Und es ist sicher, daß es wirklich der Zentralkegel war, den ihr vernichtet habt?« »Ja, SENECA hat es bestätigt. Hapeldan kann uns nun nicht mehr gefährlich werden.« »Ich glaube, da sind meine Begleiter und ich anderer Ansicht.« »Du sprichst in Rätseln«, sagte der High Sideryt verständnislos. »Was soll das heißen?« Gespannt versuchten die Stabsspezialisten, in den Gesichtern der anderen zu lesen, doch die Männer und Frauen von der DORANIA verzogen keine Miene. Sie genossen es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen, schließlich kam es nicht alle Tage vor, daß man ihnen eine solche Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Das entschädigte sie für manches, was sie in der letzten Zeit durchgemacht hatten. »Ich habe diese Oberpriesterin erwähnt, die sich Lichtquelle-Mara nannte und für den Angriff verantwortlich war.« »Na, und?« »Es war keine Vulnurerin, sondern ein verkleideter Molaate.« »Etwa Hapeldan?« fragte Hayes ahnungsvoll.
»So ist es.« Diesmal war die andere Seite sprachlos. »Leider ist er uns entkommen. Wir werden also auch in Zukunft mit ihm rechnen müssen.« »Und ich habe schon gedacht, wir hätten einen entscheidenden Schlag gelandet«, ärgerte sich der Solaner. »Zweifellos war es ein Erfolg«, widersprach Atlan. »Die technischen Möglichkeiten, die ihm der Zentralkegel bot, fehlen Hapeldan nun. Er verfügt jetzt nur noch über den Blitzaufklärer der HEUTE, mit dem er geflohen ist.« »Wir haben ein Objekt geortet, etwa 150 mal 100 Meter groß, als es von einem der vulnurischen Schiffe aus startete, es aber unbehelligt gelassen, weil es sich in entgegengesetzter Richtung entfernte.« »Das war der Blitzaufklärer mit Hapeldan an Bord.« Betretenes Schweigen machte sich breit. Jeder dachte dasselbe, doch niemand sprach es aus. »Es hat keinen Zweck, sich Vorwürfe zu machen.« Der Arkonide versuchte, Optimismus zu verbreiten. »Gut, Hapeldan ist uns erneut entwischt, aber was kann er jetzt noch anrichten? Er verfügt über das Raumschiff einer fremden Rasse, und es ist kaum größer als ein Leichter Kreuzer. Glaubt ihr, damit zieht er gegen die SOL zu Felde?« »Nein, aber er ist und bleibt ein Risikofaktor.« »Der jedoch berechenbar geworden ist, Breckcrown.« Die kleine Molaatin hatte bisher schweigend zugehört, nun meldete sie sich zu Wort. »Wo ihr gerade von ›berechenbar‹ sprecht: Ich habe auch etwas berechnet, was euch bestimmt interessieren wird, das heißt, ich habe es mit Blödels Hilfe herausgefunden.« »Ich bin stets zu Diensten, wenn es etwas zu analysieren gibt, meine Herrschaften«, sagte die mobile Laborpositronik mit ihrer knarrenden Stimme. »Egal, ob jemandem der Kaffee zu dünn ist oder es sich um hochwissenschaftliche Untersuchungen handelt –
alles wird prompt und exakt erledigt. Nicht wahr, Chef?« Der Galakto-Genetiker lächelte. »Gewiß, Blödel, doch nun sei still und laß Sanny reden.« Die Kleine bedankte sich mit einem Lächeln, dann fuhr sie fort: »Atlan habe ich bereits einige Details über diese Materie der Dunkelwolke mitgeteilt, als wir uns noch in der Gefangenschaft der Vulnurer befanden. Zum besseren Verständnis für alle anderen will ich das noch einmal kurz wiederholen. Der kosmische Staub ist nach meinen Berechnungen eine Substanz, die in einer völlig fremdartigen Form so etwas wie Leben enthält. Die Materie hat nichts mit Hidden-X zu tun, ›kennt‹ ihn aber irgendwie. Davon ausgehend, habe ich mich weiter und eingehender mit dieser Substanz befaßt und kam zu der Schlußfolgerung, daß sie mißbraucht wurde, und zwar von Hidden-X.« Sie machte eine Pause, doch niemand widersprach. »Hidden-X hat die natürliche Fähigkeit dieser Materiewolke ausgenutzt, um einen Impuls zu verfälschen, nämlich den Impuls des Kontakters.« Unter den Anwesenden brandeten erregte Diskussionen auf. Ein wenig hilflos blickte Sanny zu Atlan. Der verstand sofort. »Moment, Sanny ist mit ihren Ausführungen noch nicht am Ende«, rief der Arkonide. Die erhitzten Gemüter beruhigten sich wieder. »Ja, ich habe noch etwas mitzuteilen«, bestätigte die Molaatin. »Nach meinen Berechnungen befindet sich der Ort, von dem dieser Impuls in Wahrheit kam, hier ganz in der Nähe, nur 4,3 Lichtjahre entfernt. Dort ist auch Hidden-X.« Nachdem sie geendet hatte, herrschte für einen Moment völlige Stille. Sannys Zuhörer mußten die Konsequenz, die sich aus ihrer kühnen These ergab, erst einmal verarbeiten, dennoch zweifelte niemand daran, daß die Kleine recht hatte. Zu oft schon hatte sie bewiesen, über welch ungewöhnliche Fähigkeiten sie verfügte und mit ihrer besonderen Gabe Dinge zu erfassen imstande war, die selbst die Möglichkeiten eines Mutanten, Atlans mit seinem
Logiksektor oder die von SENECA übertrafen. »Ich bin dafür, sofort mit der SOL zu starten.« Gallatan Herts sprang erregt auf. »Diesmal geht es Hidden-X an den Kragen.« Andere Stabsspezialisten teilten seine Meinung und waren nicht weniger enthusiastisch, doch Hayes mahnte in seiner ruhigen Art zur Besonnenheit. »Warum sollen wir denn jetzt noch warten?« fragte Wajsto Kölsch. »Ich sehe keinen Grund mehr dazu. Alle befinden sich wieder an Bord, wir kennen den Aufenthaltsort von Hidden-X, und das Schiff ist einsatzbereit. Warum zögerst du noch, Breckcrown?« »Ich bin dafür, nichts zu überstürzen. Begeisterung trübt das logische Denkvermögen genauso wie Haß oder jede andere Gefühlsregung. Doch wer gegen ein Wesen wie Hidden-X bestehen will, braucht einen klaren Kopf.« Der High Sideryt kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich im Sessel zurück. »Wie habt ihr euch unser Vorgehen überhaupt Vorgestellt? Sollen wir dort auftauchen und einfach unsere Transformkanonen abfeuern in der Hoffnung, etwas zu treffen? Welche Vorstellung habt ihr von Hidden-X?« »Nun gut, es gibt noch einiges zu klären, aber schließlich haben wir ja Sanny, Bjo und SENECA.« »Damit ist es nicht getan, Curie. Wir müssen vorher wissen, was wir tun müssen, ein Plan mit mehreren Alternativen muß ausgearbeitet werden. Nichts darf dem Zufall überlassen werden, nur dann haben wir eine Chance, Sieger zu bleiben. Ihr habt in der Vergangenheit erlebt, über welche Mittel dieses Wesen verfügt.« Breckcrowns Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, die allgemeine Euphorie ebbte ab und wich nüchterner Überlegung. Atlan, Nockemann, Sanny und erstaunlicherweise auch Blödel hatten sich nicht an der Diskussion beteiligt. Kleinlaut fragte Curie van Herling den Aktivatorträger: »Was ist denn deine Meinung?« »Ich teile Breckcrowns Bedenken gegen ein überhastetes Vorgehen, denn diesmal wagen wir uns in die Höhle des Löwen.« »Und wie heißt es da in einem alten Dichterwort so wahr:
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken«, mischte sich der Roboter respektlos ein, was ihm einen verweisenden Knuff Nockemanns eintrug. Irritiert blickte die Solanerin zuerst Atlan, dann den Genetiker an. »Was meint er damit?« »Daß es gefährlich ist, schlafende Raubtiere zu wecken«, antwortete der Arkonide schnell, als er sah, daß der Wissenschaftler zu einer langatmigen Erklärung ausholen wollte. »Aber um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, Curie: Ich bin noch aus anderen Gründen dafür, erst einmal abzuwarten. Bevor wir gegen Hidden-X vorgehen, sollten wir uns mit den Bekehrern in Verbindung setzen und unsere Kontakte normalisieren, also Beziehungen aufnehmen, wie sie zwischen zivilisierten Völkern üblich sind.« Er erhob sich und strebte dem Ausgang zu. Bevor er ihn erreichte, drehte er sich noch einmal um. »Und außerdem warten wir noch immer auf Oggar.« »Seit über drei Tagen warten wir auf ihn!« rief die Solanerin. »Was ist, wenn ihm etwas zugestoßen ist?« Atlan hörte die Frage nicht mehr. Er hatte den Raum bereits verlassen, doch den anderen klangen Curie van Herlings Worte deutlich in den Ohren. Was war mit Oggar?
ENDE
Mit der Entlarvung Hapeldans ist der Konflikt zwischen Bekehrern und Solanern gegenstandslos geworden, und zwei völlig andersgeartete Weltraumvölker erkennen die Grundzüge ihrer Gemeinsamkeit. Gemeinsam folgen die Raumschiffe nun dem Mörder der Pers-Oggaren – bis an DIE LETZTE ZUFLUCHT …
DIE LETZTE ZUFLUCHT – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Roman. Als Autor zeichnet Horst Hoffmann.