Nr. 352
Flucht in den Kerker Der Arkonide spielt gefährlich von Clark Darlton
Pthor, dessen Horden Terra überfallen s...
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Nr. 352
Flucht in den Kerker Der Arkonide spielt gefährlich von Clark Darlton
Pthor, dessen Horden Terra überfallen sollten, hat sich längst wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wieder auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte dazu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nachdem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezogen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Darauf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden. Nach einer Reihe gefährlicher Abenteuer im All und auf fremden Welten hält Atlan sich gegenwärtig in einem Spercoiden-Raumschiff auf, wo er sich relativ sicher fühlen kann. Doch diese Sicherheit ist nicht von langer Dauer. Eine erneute Flucht beginnt – es ist die FLUCHT IN DEN KERKER …
Flucht in den Kerker
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan alias Botosc - Der Arkonide in der Maske eines Spercoiden. Koralbe - Herrscher der Tekrothen. Camauke - Der Tekrothe soll mit Sperco einen Vertrag aushandeln. Erytder - Camaukes Diener. Slosc - Kommandant der BESCHEIDENHEIT.
1. Solange sich die Tekrothen zurückerinnern vermochten, hatten sie Ärger mit den Spercoiden gehabt. Zu einer Eroberung ihres Heimatplaneten Vallischor und der dazugehörigen Kolonialwelten war es allerdings nie gekommen, was jedoch nicht dem guten Willen der Spercoiden zu verdanken war. Vielmehr befürchteten diese, bei den unvermeidlichen schweren Kämpfen die Welten der Tekrothen zu vernichten. Beide Völker besaßen verheerende Waffen. Der Planet Vallischor umkreiste die Sonne Vallisch, Zentrum eines relativ kleinen Sternenreichs, das nie die Absicht gehegt hatte, sich noch weiter auszudehnen. Zumal nicht zu diesem Zeitpunkt, in dem der Tyrann Sperco seine Macht in allen Teilen dieser Galaxis zu festigen suchte. Es gab kaum Völker, die ihm zu trotzen wagten. Bis zu einem gewissen Grad gehörte auch das Volk der Tekrothen dazu. Wenigstens bis vor kurzem. Immer wieder landeten die schwer bewaffneten »Botschafterschiffe« Spercos auf Vallischor und forderten jedesmal drängender sogenannte Freundschaftsverhandlungen. Das Sternenreich Vallischor sollte sich dem Imperium Spercos anschließen und dafür in den Schutz seiner unermeßlichen Macht genommen werden. Der Abschluß des eigentlichen Vertrages war Jahr um Jahr hinausgezögert worden, aber eines Tages würde die Geduld des Tyrannen Sperco erschöpft sein. Dann würde er keine Rücksicht mehr darauf nehmen, daß ein Krieg die erhoffte Beute vernichten konnte.
Koralbe, der Herrscher von Vallischor, hatte seine Ratgeber entlassen. Die letzte Entscheidung lag nun bei ihm, und er wußte, daß er ihr nun nicht mehr ausweichen konnte. Draußen auf dem Raumfeld wartete das Schiff der Spercoiden unter Kommandant Slosc auf die Antwort. Eine abschlägige Antwort würde endgültig den Krieg bedeuten, das war Koralbe klar. Aber er durfte diesen Krieg niemals riskieren, ohne den sicheren Untergang seines Volkes in Kauf zu nehmen. Blieb also nur der Abschluß eines »Freundschaftsvertrags« mit Sperco. Koralbe erinnerte äußerlich an einen prall gefüllten Sack mit kurzen Armen und Beinen. Auf dem kaum erkennbaren Halsansatz saß ein kugelrunder kahler Kopf mit fast humanoiden Sinnesorganen. Sein Körper war mit einem grünlichen Fell bedeckt, das in der Gesellschaft der Tekrothen eine besondere Rolle spielte. Koralbe als oberster Herrscher gehörte zur Kaste der »Fünftfelle«. Dann gab es noch die Viertfelle, Drittfelle, Zweitfelle und schließlich die Erstfelle. Letztere hatten niedrigste Arbeiten zu verrichten, bis Glück und Fleiß sie zu Zweitfellen werden ließ. Als Abgesandter und Vertreter der Tekrothen kam natürlich nur ein Viertfell in Frage. Koralbe ging die Reihe seiner engsten Berater durch, denn seine Wahl mußte auf den besten von ihnen fallen. Der Abgesandte würde mit Sperco selbst verhandeln müssen, da kam es auf viel Geschick und Diplomatie an, obwohl das am Endergebnis kaum etwas ändern würde. Camauke vielleicht …? Sehr sympathisch war er Koralbe gerade nicht, aber das Viertfell galt als raffiniert und hinterlistig. Genau das gehörte zu den
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hervorragenden Eigenschaften eines Diplomaten, nahm der Herrscher der Tekrothen an. Er befahl daher einem wartenden Erstfell, Camauke holen zu lassen.
* Camauke schreckte aus seiner Mittagsruhe auf, die er gerade erst begonnen hatte. Unwillig fuhr er das erschrockene Erstfell an: »Was willst du hier, Dicksack? Wer schickt dich?« »Der Herrscher, Herr«, stotterte der Palastdiener verwirrt. »Er bittet dich, sofort zu ihm zu kommen.« Camauke wußte zwar nicht, was der Herrscher von ihm wollte, aber er witterte eine Chance. Vielleicht benötigte der Herrscher seinen klugen Rat in der schwierigen Angelegenheit, die sie am Vormittag besprochen hatten. Natürlich würde er seinen Rat benötigen, war er – Camauke – doch sein klügster Ratgeber. »Ist gut, ich mache mich gleich auf den Weg«, entließ er den Diener. Diesen hatte er ganz zu Unrecht »Dicksack« getauft, denn er war selbst eine ganze Portion fetter. Wenn er es sich objektiv überlegte, so wußte er selbst nicht, wie er zu einem Viertfell geworden war, denn im Grunde genommen war er nicht nur dick, sondern auch dumm. Immerhin jedoch war er schlau genug, diesen Geisteszustand geschickt zu verbergen. Mühsam rollte er von seinem Lager und kam auf die kurzen Füße. Mit einem Klingelzeichen rief er seinen Diener Erytder, der auch sofort erschien. »Bring mir meine besten Kleider!«, herrschte er das Erstfell an. »Ich muß wieder zum Oberfell. Zum Herrscher«, fügte er überflüssigerweise hinzu. »Sofort, Herr«, beeilte sich der Diener zu sagen und verschwand, um das Gewünschte herbeizubringen. »Ich hole den Wagen.« »Tu das, Erytder«, gestattete Camauke. Die beiden hatten ein merkwürdiges Ver-
hältnis zueinander. Zwar galt Erytder als Camaukes Diener, aber dieser wußte die Schwächen seines Herren weidlich auszunutzen. Indem er ihm schmeichelte, beherrschte er ihn. Er gehorchte ihm widerspruchslos, und doch tat er immer genau das, was er selbst tun wollte. So betrachtet, hätte er leicht ein Viertfell sein können – und er gedachte, es auch eines Tages zu sein. Camauke zwängte sich in seine viel zu enge Kleidung und betrachtete sich wohlgefällig vor dem Spiegel. Er machte – seiner Meinung nach – eine imposante Figur. Er wälzte seinen massigen Körper die Treppe hinab bis auf die Straße, wo Erytder ihn mit dem Prachtwagen erwartete. Schnaufend kletterte er auf den Hintersitz und gab den Befehl zur Abfahrt.
* Koralbes Geduld war halbwegs erschöpft, als Camauke endlich erschien. »Hat lange gedauert«, empfing er seinen Ratgeber. »Ging es nicht etwas schneller? Wir haben nur wenig Zeit.« Camauke stöhnte und ließ sich in die Polster fallen, nachdem ihm der Herrscher durch einen Wink die Erlaubnis dazu gegeben hatte. »Verzeih, Koralbe, ich beeilte mich sehr. Der Weg ist weit …« »Unsinn, gerade um zwei Hausecken! Aber lassen wir das. Du wirst in meinem Auftrag mit dem Schiff der Spercoiden zum Tyrannen reisen und mit ihm die Verhandlungen führen. Sieh zu, daß der Vertrag geschlossen wird.« »Ach ja, ich habe dir ja geraten, den Freundschaftsvertrag …« Er verstummte plötzlich und starrte Koralbe an. »Was, ich soll … Warum gerade ich?« »Weil du der engagierteste Vertreter des Vertrags gewesen bist, aber nicht nur deshalb. Wir alle schätzen dich als klug und geschickt, ich wüßte also keinen besseren als dich. Aber bedenke: Du hast alle Vollmach-
Flucht in den Kerker ten und mußt je nach Situation entscheiden. Und zwar immer in meinem Sinn. Das ist nicht einfach unter den gegebenen Umständen.« »Nein, das ist nicht einfach«, sann Camauke verwirrt vor sich hin. »Und was soll ich tun, wenn sie völlige Unterwerfung verlangen?« »Natürlich ablehnen, das ist doch klar!« »Aber dann bringen sie mich um, diese gefühllosen Spercoiden!« »Wir werden deiner gedenken, denn du opferst dein Leben für unser Volk«, versprach Koralbe feierlich. »Aber soweit wird es nicht kommen. Du mußt den Vertrag so oder so abschließen, uns bleibt keine andere Wahl. Sieh nur zu, daß die Bedingungen äußerst günstig sind und wir die Oberhoheit über unser Reich behalten. Darum geht es mir in erster Linie. Du wirst es schon schaffen. Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, hätte ich einen anderen Viertpelz als Repräsentanten unseres Reiches gewählt.« Das wiederum schmeichelte Camauke. »Ich werde mich ganz in den Dienst unseres Volkes stellen, Koralbe«, versprach er. »Wer wird mich begleiten?« »Niemand.« »Darf ich meinen Diener Erytder mitnehmen?« »Warum?« »Ich … ich bin ihn eben gewohnt. Die kleinen Handreichungen … außerdem ist er besonders klug für ein Erstfell. Ich erhielt schon manchen guten Rat von ihm.« »Also gut, dann nimm ihn mit! Du wirst heute abend an Bord des Spercoidenschiffs erwartet. Man wird dich wie einen Herrscher behandeln, das wurde mir zugesagt. Viel Glück für die Reise und die Verhandlungen mit Sperco, Camauke.« Damit war das Viertfell verabschiedet. Camauke nahm sein Beglaubigungsschreiben und verließ den Palast mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite war er stolz, einen so wichtigen Auftrag erhalten zu haben, auf der anderen Seite mißtraute er den Spercoiden aus ganzem Herzen.
5 Und er fürchtete sich vor ihnen. Während der Fahrt nach Hause berichtete er Erytder von dem Auftrag und fragte ihn nach seiner Meinung. Das Erstfell schwieg eine Weile, dann meinte es: »Es gibt auf ganz Vallischor niemanden, der ihn ausführen könnte – außer dir. Jeder Tekrothe wird stolz auf dich sein, wenn du mit dem klug ausgehandelten Vertrag zurückkehrst, Herr. Und ich selbst bin auch stolz, weil ich dich begleiten darf.« Das Schiff der Spercoiden hieß BESCHEIDENHEIT, was natürlich eine unverschämte Heuchelei darstellte. Camauke entsann sich, daß alle Schiffe des Tyrannen Sperco derart heuchlerische Namen hatten. Camauke hatte noch nie in seinem Leben einem Spercoiden von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, aber da war er nicht der einzige. Noch nie hatte jemand einen Spercoiden ohne den schwarzen Schutzanzug gesehen, der alles verhüllte. Selbst das Gesicht hinter der dunklen Sehscheibe blieb unsichtbar. Immerhin mußte der hohe Würdenträger der Tekrothen zugeben, daß der Empfang an Bord des Schiffes seinem verantwortungsvollen Amt in etwa entsprach. Mit stolz erhobenem Kugelkopf rollte er durch das Ehrenspalier, gefolgt von seinem mit dem umfangreichen Gepäck belasteten Diener Erytder. Sie bekamen eine regelrechte Suite in einem der zahlreichen Korridore zugewiesen und wurden davon unterrichtet, daß der Start noch in dieser Nacht erfolgen sollte. Unmittelbar danach war die erste Unterredung mit dem Kommandanten auf dem Programm. Camauke machte es sich bequem und ließ Erytder arbeiten. Dann, nach einem kleinen Imbiß, der drei Familien satt gemacht hätte, kamen zwei Spercoiden, um Camauke zum Kommandanten zu begleiten. Die BESCHEIDENHEIT war inzwischen gestartet und hatte das System Vallisch längst hinter sich gelassen. Slosc saß hinter einem breiten und massiven Tisch, der mit Nachrichtengeräten übersät war. Auch wenn sein Gesicht unsichtbar
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blieb, merkte man ihm eine gewisse Höflichkeit dem Gast gegenüber an, wenn sie sich auch nur in Gesten ausdrückte. Camauke schöpfte neue Hoffnung und setzte sich in den angebotenen Sessel, dessen Konturpolster fast bis auf den Boden nachgaben, als sie sein beachtliches Gewicht aufnahmen. »Es freut uns, daß die Tekrothen endlich Vernunft angenommen haben«, sagte Slosc zur Einleitung. »Unser großer Herrscher Sperco wird sich als der Freund der Tekrothen erweisen und sie gegen jeden Angriff beschützen, der sie bedrohen sollte.« Camauke verspürte keine große Lust, sich mit Slosc über Dinge zu unterhalten, die nur Sperco entscheiden würde, nicht einer seiner Kommandanten. Trotzdem sagte er: »Gemeinsam mit dem Imperium der Spercoiden werden wir diese Galaxis beherrschen. Wie lange wird die Reise dauern?« Slosc spürte die Abneigung des Tekrothen, und er ließ sich das auch anmerken. »Bis wir am Ziel sind«, sagte er schroff. Sie wechselten noch einige Sätze, dann deutete Slosc zur Tür. »Ich habe zu tun.« Das war die ganze Verabschiedung. Camauke begann zu ahnen, daß seine Mission immer schwieriger wurde, je weiter sich das Schiff von Vallischor entfernte. Er stand auf und ging, ohne sich einmal umzudrehen.
* Drei Tage langweilte sich Camauke in seinen Kabinen und verschlang Unmengen von Speisen, die Erytder immer wieder anfordern mußte. Dann verrieten ihm die Geräusche draußen in den Korridoren, daß die BESCHEIDENHEIT zur Landung ansetzte. Waren sie etwa schon am Ziel? Niemand hatte sie davon unterrichtet. Das wäre allerdings auch kaum verwunderlich gewesen, denn Camauke hatte in den vergangenen drei Tagen keine guten Erfahrungen mit den Spercoiden machen können.
Wenn sie die Mahlzeiten brachten, stellten sie diese wortlos auf den Tisch und beantworteten keine Fragen. Von der anfänglichen Höflichkeit war keine Spur mehr geblieben. Bei der letzten Unterredung hatte Kommandant Slosc sogar schlimme Folgen für Vallischor prophezeit, wenn es nicht zu einem Vertragsabschluß käme. Zwei Stunden lang war Camauke tief beeindruckt und eingeschüchtert, dann begann sich in ihm der Widerstand zu regen. Er erlosch jedoch sofort wieder, als das Schiff landete. Stand die Entscheidung schon so kurz bevor? »Erytder!« rief er seinen Diener, der sofort erschien. »Erkundige, wo wir sind!« »Bin schon unterwegs …« Camauke blieb im ungewissen zurück, aber als er schon begann, die Geduld zu verlieren, kehrte sein Diener zurück. »Es handelt sich lediglich um eine Zwischenlandung. Wir befinden uns auf dem Stützpunkt Marsocc, um einige Güter an Bord zu nehmen.« »Was für Güter?« »Keine Ahnung, Herr. Auch soll eine Wartung vorgenommen werden. Vielleicht gab es einen leichten Defekt, der nun behoben wird.« »Ein Defekt!« rief Camauke entsetzt aus. »Das sind schlimme Nachrichten.« »Ein behobener Defekt ist keiner mehr«, gab Erytder zu bedenken. Camauke sank in die Polster seines Lagers zurück. »Na schön, mir soll es recht sein. Da habe ich noch etwas mehr Zeit, mich auf die Begegnung mit Sperco vorzubereiten. Geh und hole Essen und Trinken, ich habe Hunger.« In den nächsten Stunden waren im ganzen Schiff die Wartungsgeräusche zu hören, bis Camauke sich so daran gewöhnt hatte, daß er einschlief. Der Gedanke, noch Zeit genug zu haben, bis er dem Tyrannen gegenübertreten mußte, wirkte ungemein beruhigend auf ihn. Als er wieder wach wurde, lag das Schiff
Flucht in den Kerker noch immer auf dem Stützpunkt. Aber es war ruhiger geworden. Wahrscheinlich hatte man die Wartungsarbeiten beendet und würde bald starten. Camauke erhob sich mühsam und probierte einige Schritte. Er begann allmählich steif zu werden. Ein wenig Bewegung würde guttun. »Öffne die Tür, Erytder, ich unternehme einen Spaziergang.« Der Diener gehorchte. Der Botschafter der Tekrothen, nun wieder ausgeruht und guter Dinge, walzte durch den breiten Korridor und suchte neugierig nach einer geöffneten Sichtluke, um einen Blick nach draußen werfen zu können. Er hätte gern gewußt, wie es da aussah. Und abermals erlebte er eine herbe Enttäuschung. Als er um eine Biegung kam und von fern schon eine weit geöffnete Luke entdeckte, kamen ihm zwei Spercoiden entgegen. Erfreut wollte er auf sie zu eilen, da wurde er grob an den Armen gepackt und in den ursprünglichen Korridor zurückgezerrt. »Was soll denn das …?« wollte er protestieren, erhielt aber sofort einen heftigen Schlag auf den Mund, der ihn schnell verstummen ließ. Widerstandslos ließ er sich bis zu seinen Kabinen schleppen. Die Spercoiden klopften mit ihren Fäusten gegen die Tür, bis Erytder diese öffnete. Sein Gesicht war in diesem Augenblick alles andere als geistreich zu nennen. »Herr …!« stammelte er, kam aber nicht weiter. Camauke wurde vorangeschubst und in die Kabine gestoßen. Mit einem lauten Knall schloß sich hinter ihm die Tür. Erytder wurde von dem Gewicht seines Herren zur Seite geschleudert und landete auf dem Boden. Camauke selbst unterlag dem Gesetz des Beharrungsvermögens und konnte nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Mit voller Wucht prallte er gegen die Toilettentür, durchbrach sie und fand sich auf den Fliesen des intimen Ortes wieder. Das war zuviel! Auf allen vieren kroch er zu seinem
7 Wohn- und Schlafraum, hob sich auf sein Lager und schloß die Augen. Seiner Brust entrang sich das Stöhnen eines gefolterten Märtyrers, so daß Erytder sich hastig vom Boden erhob und herbeigeeilt kam. »Haben Sie sich weh getan, Herr?« »Natürlich, du Esel!« fauchte Camauke wütend. »Diese ungehobelten Verbrecher! Behandelt man so den Abgesandten eines freien Volkes, das man zum Verbündeten haben möchte! Ha, denen werde ich es aber geben!« »Ja, denen werden wir es aber geben!« stimmte Erytder begeistert zu und schloß sich gleich mit ein. »Wie können die es wagen, einen Viertpelz derart herabzusetzen? Ein unglaublicher Vorfall! Wie kam es eigentlich dazu?« »Das spielt überhaupt keine Rolle! Ich werde mich beim Kommandanten beschweren.« Erytder machte sein schlaues Gesicht. »Das wäre vielleicht nicht ratsam, Herr. Es könnte sein, daß er selbst den Befehl dazu gegeben hat, dann wäre es unklug, ihn noch mehr herauszufordern. Sie sollten eine solche Beschwerde gleich bei Sperco vorbringen hatten Sie denn nicht gerade das im Sinn?« Camauke richtete sich ein wenig auf und sah Erytder an. »Du kannst wohl Gedanken lesen, was? Aber du hast recht: Ich wollte mich natürlich bei Sperco beschweren, nicht bei diesem lächerlichen Kommandanten.« Er seufzte. »Besorge eine kräftige Mahlzeit, die habe ich jetzt nötig. Und einen Krug des sauren Weines. Aber schnell, ehe ich verhungere und verdurste.« Erytder verschwand, und kurz darauf waren Geräusch zu vernehmen, die auf den baldigen Start des Schiffes hindeuteten. Camauke ließ sich wieder in die Polster zurücksinken und überlegte, was er Sperco alles sagen würde.
*
8 Zwei Tage lang ging alles gut. Camauke verzichtete auf Spaziergänge. Daher war es auch unvermeidlich, daß er nun die doppelten und dreifachen Portionen wie vorher anforderte und verschlang. Erytder begann allen Ernstes um die Gesundheit seines Herren zu bangen. Dann aber geschah es. Als Erstfell Erytder an diesem Tag zum vierten Mal die Kabinentür öffnete und über die auf dem Gang angebrachte Bordsprechverbindung Essen anforderte, wurde der Kontakt bereits nach dem ersten Satz jäh unterbrochen. Er versuchte es noch einmal, erhielt aber keine Verbindung mehr. Ratlos kehrte er zu Camauke zurück und berichtete. Der Würdenträger war eine Weile sprachlos, dann entlud sich seine ganze aufgespeicherte Wut. »Diese Banditen, sie wollen mich verhungern lassen! Das Maß ist endgültig voll! Ich lasse mir das nicht länger gefallen!« »Sehr richtig, Herr! Wir lassen uns das nicht länger gefallen. Was sollen wir tun?« »Umkehren!« entschied Camauke, ohne zu wissen, wie er den Kommandanten dazu bewegen sollte. »Einfach umkehren!« Erytder sah sich vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Außerdem war seinem Herrn – und natürlich auch ihm selbst – nicht damit gedient, wenn sie ohne Resultat nach Vallischor zurückkamen. »Ich weiß nicht, ob das richtig wäre, Herr. Ich finde, man würde diesen ungehobelten Kommandanten viel empfindlicher treffen, wenn Sperco von seinem Verhalten erführe. Vielleicht wird er dann degradiert oder gar verbannt. Oder sie bringen ihn einfach um.« Letzteres erschien Camauke eine verlockende Aussicht. »Hm, kein schlechter Gedanke, der mir da gerade einfällt. Ich werde mich direkt bei Sperco beschweren, damit er einen Grund hat, Slosc zu bestrafen. Wirklich, eine gute Idee! Was meinst du, Erytder?« »Ja, eine fabelhafte Idee«, gab der Diener listig zu, der sich schon von der lästigen
Clark Darlton Aufgabe befreit sah, den Kommandanten aufsuchen zu müssen, um die Bitte seines Herrn vorzutragen. Aber er hatte sich zu früh gefreut. Ohne jede Ankündigung wurde die Tür geöffnet. Drei Spercoiden in ihren dunklen Rüstungen traten ein. Zwei blieben neben der Tür stehen, der dritte betrat ungeniert die Kabine und machte vor dem Lager halt. Erytder wurde unsanft zur Seite geschoben. Camauke sah hoch in das unsichtbare Gesicht, das wie eine finstere Drohung über ihm schwebte. »Hör gut zu!« sagte der Spercoide, den Abzeichen nach ein Offizier. »Deine Mahlzeiten werden ab sofort rationiert, ebenfalls der Wein. Befehl des Kommandanten! Heute gibt es nichts mehr!« Camauke versuchte, die ganze Tragweite dieser Information in sich aufzunehmen, und stöhnte bei dem Gedanken, von nun an hungern zu müssen. Dann aber siegte seine Empörung über die schimpfliche Behandlung. Er richtete sich auf, gestützt von seinen kurzen und fetten Armen. »Das ist eine Unverschämtheit, die ich mir nicht bieten lassen kann. Der Kommandant kann mich …« »Was kann er?« fragte der Spercoide drohend. Camauke sank zurück. »Er kann mich so nicht behandeln, mich, den Botschafter eines freien Volkes! Nein, das kann er nicht!« »Frei?« Der Kopf des Spercoiden kam etwas näher. »Ihr seid die längste Zeit frei gewesen, Tekrothe! Sobald der Vertrag unterzeichnet ist, werdet ihr so leben wie wir – im Dienste Spercos! Ihr werdet mit uns gemeinsam gegen unsere Feinde kämpfen. Das faule Leben hat ein Ende! Hast du das endlich begriffen?« Und ob Camauke begriff, daß die Maske endgültig gefallen war! Aber er brachte kein Wort mehr hervor, die Erkenntnis der Wahrheit verschlug ihm die Sprache, obwohl er sie geahnt hatte. Zum Glück griff Erytder ein, der sich von
Flucht in den Kerker seinem ersten Schreck erholt hatte. »Mein Herr braucht Ruhe«, sagte er zuvorkommend und höflich. »Verzeiht ihm seine Unbesonnenheit, die lange Reise hat ihn erschöpft.« Eine Handbewegung des Spercoiden wischte ihn in die nächste Ecke, aber damit hatte der Gepanzerte gleichzeitig seinen Zorn abreagiert. »Ich werde dem Kommandanten berichten«, sagte er nur noch und verließ mit seinen Begleitern die Kabine. Dumpf knallte die Tür zu. Erytder rappelte sich auf und kam zu Camaukes Lager gehumpelt. »Wir scheinen Gefangene geworden zu sein«, vermutete er düster. »Trotzdem war es gut, diesem Burschen die Meinung gesagt zu haben.« »Du hast mehr um Gnade gewinselt!« warf ihm sein Herr vor. »In Ihrem Sinne, denn sonst hätte er seine Wut an Ihnen ausgelassen. So traf mich sein ganzer Zorn.« Camauke nickte gnädig mit dem Kopf. »Gut gemacht, Erytder. Ich werde dafür sorgen, daß du bei unserer Rückkehr in die Kaste der Zweitfelle aufgenommen wirst.« Das war Erytder im Augenblick zwar ziemlich egal, aber er beeilte sich, Camauke seinen tiefempfundenen Dank für diese Belohnung auszusprechen. Doch die kalte Dusche kam zwei Minuten später. »Ich habe es mir überlegt, Erytder. Wir werden den Kommandanten aufsuchen und ihn bitten, uns nach Vallischor zurückzubringen. Unter den gegebenen Umständen ist es mir unmöglich, einen Vertrag mit Sperco abzuschließen. Nein, keine guten Ratschläge jetzt, mein Entschluß ist unabänderlich. Wir dürfen unser Volk nicht an diese Teufel verkaufen.« Innerlich mußte Erytder seinem Herren recht geben, obwohl ihm das gewaltig gegen den Strich ging. Auf der anderen Seite würde es nicht leicht sein, bis zum Kommandanten vorzudringen. »Hoffentlich ist Slosc für uns zu sprechen
9 …« »Du kennst den Weg zu ihm, denn einmal hast du mich schon begleitet.« Erytder starrte ihn an. »Ich soll allein gehen?« »Natürlich, Dummkopf! Es ist unter meiner Würde, diese Kabine vor der Landung auf Vallischor zu verlassen. Du wirst dem Kommandanten unsere Forderung überbringen! Und zwar sofort!« Erytder suchte verzweifelt nach einer Ausrede, aber zum ersten Mal fiel ihm keine ein. Er begann, sich selbst leid zu tun, denn er konnte sich vorstellen, was sie mit ihm machten. Sich beim Kommandanten offiziell anzumelden, war so gut wie zwecklos. »Vielleicht haben sie die Türen unserer Kabinen verschlossen«, hoffte er. »Dann probiere sie aus!« knurrte Camauke ungnädig. »Jedenfalls will ich dich in zwei Minuten hier nicht mehr sehen, ganz egal, wie du auf den Korridor gelangst.« Der faule und gefräßige Sack hat gut reden, dachte Erytder bei sich, als er zur Tür ging und dann verblüfft feststellen mußte, daß sich nicht verschlossen war. Seine letzte Hoffnung verflog. »Also gut, ich gehe«, verkündete er und sah hinaus auf den Gang. Er war leer, wie üblich. Leise schloß er die Tür und bewegte sich dann mit aller gebotenen Vorsicht in Richtung der Offiziersquartiere, die auf gleicher Ebene lagen. Er war froh, nicht den Lift benutzen zu müssen, das hätte eine Entdeckung wahrscheinlicher gemacht. Er hatte in der Tat mehr Glück als Verstand, denn unangefochten erreichte er die Kabine des Kommandanten. Blieb nur zu hoffen, daß er sich gerade in der Kommandozentrale aufhielt, dann gab es eine Galgenfrist. Aber die Tür ließ sich öffnen. Der Kommandant saß hinter seinem Tisch. Er blickte erstaunt auf, als er den unangemeldeten Besucher bemerkte. Dann hieb er die geballte Faust auf die Tischplatte. »Was hat das zu bedeuten? Wo sind mei-
10 ne Wachen?« Erytder näherte sich, nachdem er die Tür geschlossen hatte. »Mein Herr, der Botschafter des tekrothischen Sternenreichs, fordert die sofortige Umkehr dieses Schiffes nach Vallischor. Er verzichtet auf jede Verhandlung mit Sperco, dem Tyrannen, und lehnt den Abschluß eines Vertrages ab.« Eine Weile blieb es unheimlich still in der nüchtern eingerichteten Kabine des Kommandanten, dem es vor Überraschung glatt die Sprache verschlagen hatte. Dann fragte er: »Was war das?« Erytder wiederholte seinen Satz, den er auswendig gelernt zu haben schien. Er fügte diesmal noch hinzu: »Das ist sein unabänderlicher Entschluß!« Wieder schwieg Slosc für mindestens dreißig Sekunden, dann brüllte er nur ein einziges Wort: »Raus!« Erytder blieb stehen. »Du sollst verschwinden, oder soll ich dich in den Kerker werfen lassen?« Erytder hatte keine Lust, den Rest der Reise in einer Zelle verbringen zu müssen, auch wollte er seinen Herrn nicht allein und hilflos zurücklassen. Trotz aller Gegenstände mochte er ihn, auf jeden Fall war er ihm lieber als die Spercoiden, von denen man nicht einmal wußte, wie sie wirklich aussahen. Wortlos drehte er sich um und verließ den Kommandanten der BESCHEIDENHEIT. Draußen auf dem Korridor begann er mit seinen Überlegungen. Es stand fest, daß Camaukes Forderung nicht erfüllt wurde. Das Schiff würde nicht Kurs auf Vallischor nehmen, sondern sie zum Sitz Spercos befördern. Aber es mußte trotzdem einen Ausweg aus der verfahrenen Situation geben. Da er so tief in Gedanken versunken war, achtete er nicht so genau darauf, wohin er ging, und ehe er sich's versah, hatte er sich verirrt. Er befand sich plötzlich in einem
Clark Darlton ganz unbekannten Teil des Schiffes, ohne daß er auch nur einem einzigen Spercoiden begegnet war. Das war immerhin interessant. Wahrscheinlich wurde dieser Teil nur selten betreten. Man sollte sich ein wenig umsehen. Die Türen bestanden jetzt aus Metall. Wahrscheinlich lagen dahinter Vorratsräume … Seine Phantasie machte einen jähen Sprung. Vorratsräume bedeuteten Vorräte. Essen! Die erste Tür, die er probierte, war verschlossen, aber so schnell gab er nicht auf. Schließlich gab es hier Dutzende von Türen. Alle konnten sie nicht verschlossen sein, und da er meist vom Glück begünstigt war … Richtig! Die achte Tür war nur angelehnt. Schon wollte er sie aufstoßen, als er ein Geräusch zu hören glaubte. Aufmerksam lauschte er. Ja, das war das Atmen eines Lebewesens. Ein Spercoide? Aber warum verhielt er sich so verhältnismäßig still, so als habe er nichts in diesem Raum zu suchen? Das erregte Erytders Neugier. Er unterdrückte den ersten Impuls, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden und drückte behutsam die Tür nach innen auf, ohne ein Geräusch zu verursachen. Er sah nichts und trat in den Raum. Er fiel auf den ältesten Trick des Universums herein. Kaum hatte er einen Schritt in das Halbdunkel getan, war hinter ihm eine Bewegung. Die Tür wurde geschlossen. Vor ihm stand an die Wand gelehnt ein Spercoide, aber als Erytder genauer hinsah, mußte er feststellen, daß es sich nur um eine geöffnete schwarze Rüstung handelte. Sie war leer. Ihr Besitzer … Er fuhr herum, denn nun wußte er, wer die Tür geschlossen hatte. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen und wagte nicht mehr, sich zu rühren. Vor der Tür stand breitbeinig ein Lebewe-
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sen, wie er es noch nie gesehen hatte.
2. Nachdem Atlan die Flucht aus dem Strahlungslabor der Spercoiden gelungen war, trachtete er danach, den Stützpunktplaneten Marsocc so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Nachdem er sich in den Besitz einer Rüstung gesetzt hatte, mischte er sich unter eine Gruppe Wartungspersonal, das dabei war, ein Schiff startklar zu machen. Eine schnelle Entdeckung war kaum zu befürchten, da die Gesichter unkenntlich blieben und die Monteure fast die gleichen Rangabzeichen trugen wie das entsprechende Bordpersonal. So gelangte er in das Innere des Schiffes, das bald darauf startete. Das Fahrzeug hieß übrigens BESCHEIDENHEIT. Seine erste Sorge war, einen Raum zu finden, in dem er sich verbergen konnte. Er durfte die Rüstung nicht allzu lange anbehalten, da sie seine Mentalität immer stärker zu verändern begann. Seine Psyche begann der eines Spercoiden zu ähneln, je länger er die Rüstung trug. Er hatte diese Erfahrung schon früher gemacht. Seine Hoffnung, daß diese unheimliche Eigenschaft des schwarzen Panzers nachließ, traf nicht ein. Nur wenn er den Anzug ablegte, war er wieder er selbst, doch kaum zog er ihn wieder an, setzte die negative Entwicklung genau dort ein, wo sie vorübergehend aufgehört hatte. Allerdings hatte das Tragen des Panzers auch noch eine gute Seite: Der Metabolismus stoppte. Atlan benötigte keine Nahrung mehr, jedes Hungergefühl verschwand. Einen Stoffwechsel schien es nicht mehr zu geben. Niemand achtete auf ihn, als er mit dem Werkzeug, das er sich als Tarnung besorgt hatte, durch die Gänge eilte. Kurz nach dem Start war im Wohnsektor nur wenig Betrieb. Unangefochten erreichte er ihn, begegnete dort aber einem Spercoiden. »Was suchst du hier?« wurde er von die-
sem angefahren. Wenn Atlan den Anzug anlegte, verstand er auch perfekt die Sprache der Spercoiden und konnte sich mühelos in ihr verständigen. »Ein Auftrag des Kommandanten.« »Ausgerechnet in der Suite des Würdenträgers?« Einen Augenblick war Atlan verwirrt, dann reagierte er schnell. »Ja, ausgerechnet dort!« Er ging weiter. Das Schiff hatte also einen hohen Würdenträger an Bord? Das konnte nur bedeuten, daß es sich auf dem Weg zum Sitz des Tyrannen befand. Atlan wußte nicht sofort, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Doch schließlich war es sein Ziel, Sperco zu begegnen, wenn er schon allein den Weg nach Pthor nicht fand. Doch im Augenblick gab es andere Sorgen. Er mußte ein sicheres Versteck finden, um den Anzug ablegen zu können. Ein Bordoffizier kam ihm auf einem Seitengang entgegen. Atlan deutete einen Gruß an und ging weiter, wurde aber am Arm festgehalten. »Wohin willst du?« »In einer der Kabinen streikt die Belüftung, sie muß defekt sein. Eine Sache von wenigen Augenblicken.« »In welcher Kabine?« Natürlich konnte Atlan mit der Sprache auch die Zahlen und Bezeichnungen lesen. Ein schneller Blick informierte ihn. »Im nächsten Quergang, Kabine 17.« Der Spercoide ließ den Arm los. »Eine der Gastkabinen«, plauderte er aus. »Aber sie ist zur Zeit nicht besetzt. Los, beeilen wir uns!« Atlan ging neben dem Spercoiden her und überlegte fieberhaft, wie er ihn schnell genug wieder los werden konnte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, denn er hatte keine Ahnung, wie die Belüftungsanlage auf einem Schiff der Spercoiden funktionierte. »Hier ist es«, sagte der Offizier und öffne-
12 te die Kabinentür, auf der das Symbol für die Zahl 17 stand. »Nun fang schon an!« Atlan hatte den Gittergrill sofort entdeckt. Er befand sich dicht unter der Decke über dem spartanischen Ruhelager. Eine Tür führte in einen kleinen Nebenraum, der wahrscheinlich sanitäre Anlagen enthielt. Atlan angelte sich eine Art Stuhl heran, stieg darauf und untersuchte den Grill, um ihn dann nach Lösen dreier Schrauben herauszunehmen. Ein wenig ratlos blickte er dann in die dunkle Öffnung dahinter. Um Arbeit vorzutäuschen, griff er vorsichtig hinein. Ewig konnte der Spercoide ja auch nicht herumstehen und zusehen. Sicher würde er es bald leid werden und gehen. Er mußte wichtigere Aufgaben zu erledigen haben, als einen Monteur zu überwachen. Aber der Kerl blieb. »Hast du den Fehler gefunden?« fragte er. Atlan fühlte in sich den Haß emporsteigen, was bewies, daß seine menschliche Mentalität noch die Oberhand behielt und die beginnende Emotionslosigkeit in Schach hielt. Trotzdem war er sich darüber im klaren, daß die Beharrlichkeit dieses Offiziers alles verderben konnte. Wenn er nicht bald verschwand, mußte er ihn unschädlich machen. Draußen auf dem Gang ertönte ein pfeifendes Signal. »Aufhören! Runterkommen! Vollzähligkeitsappell! Du kannst dich später um die Reparatur kümmern …« Nun wußte Atlan, daß er sich entscheiden mußte. Die Gesichtspanzerung der Spercoidenrüstung war ziemlich stark, aber sie war keineswegs unzerstörbar. Außerdem genügte das kleinste Leck, den Insassen der Rüstung vergehen zu lassen. »Bin schon fertig«, sagte er und nahm sein Werkzeug fest in die rechte Hand. Dann sprang er mit beiden Beinen zugleich vom Stuhl, federte von den Polstern des Lagers ab und nutzte den so erhaltenen Schwung, um dem Spercoiden das schwere Metallwerkzeug mit aller Wucht in das ge-
Clark Darlton panzerte Gesicht zu schmettern. Der Offizier war von dem plötzlichen Angriff so überrascht, daß er keine Bewegung der Abwehr mehr machen konnte. Es gab ein leises Zischen, als entwiche irgendwo Atemluft, dann stürzte die schwarze Rüstung steif um. Um ganz sicher zu gehen, öffnete Atlan den Brustverschluß. Das Innere der Rüstung war, wie erwartet, absolut leer. Mühsam schleppte er das schwere Ding in den kleinen Nebenraum und schloß dann die Tür. Wenn jemand flüchtig in die Kabine selbst blickte, würde er kaum darauf achten, was sich im Bad befand. Nun wurde es aber höchste Zeit, ein Versteck zu finden. Vorsichtig sah er hinaus auf den Korridor und hörte eine Menge verschiedener Geräusche. Jeden Augenblick konnten Spercoiden auftauchen. Er hatte sich die unterschiedlichen Abzeichen an den schwarzen Rüstungen gut gemerkt und wußte daher, daß eine kleine Veränderung an ihnen auch seinen Status als Monteur veränderte. Er gehörte dann zum Reinigungs- und Überwachungspersonal. Immerhin garantierte diese Aufgabe eine relativ große Bewegungsfreiheit innerhalb des Schiffes. Er zog die Kabinentür wieder zu und nahm die kleine Veränderung an seinem Panzer vor. Es war leichter, als er gedacht hatte. Nach einem letzten Blick auf die geschlossene Badtür trat er endgültig auf den Gang hinaus.
* Die BESCHEIDENHEIT befand sich bereits tief im Weltraum, als Atlan zum zweiten Mal in eine heikle Lage geriet. Bisher war es ihm stets gelungen, gelegentlich auftauchenden Spercoiden auszuweichen. Mehrmals hatte er einen Lift benutzt und gelangte so in die tieferen Regionen des Schiffes. Hier wurde es ruhiger. Vielleicht war es das, was ihn weniger vorsichtig wer-
Flucht in den Kerker den ließ, jedenfalls sah er sich plötzlich drei Spercoiden gegenüber, als er eine der vielen Türen seitlich des Ganges öffnete. Ein Rückzug wäre in dieser Situation unklug gewesen und hätte sofort Verdacht erregt. Also vollendete er die begonnene Bewegung, trat ein und schloß die Tür hinter sich. In der Hand hielt er noch immer sein Metallwerkzeug. »Was willst du hier?« herrschte ihn einer der Spercoiden an, den das Abzeichen als zum Reinigungskommando gehörig bezeichnete. Er war somit ein ›Kollege‹ Atlans. »Wir haben Pause.« Atlan schätzte die Anzahl des Reinigungspersonals auf mindestens zwanzig Personen. »Wir haben unsere Arbeit beendet«, sagte er vorsichtig. »Wollte mal sehen, was ihr macht.« Spercoiden kannten keine Gefühlsregungen. Sich um andere zu kümmern, war schon beinahe zuviel. »Geh zurück in dein Quartier!« wurde er aufgefordert. »Dies ist nicht das deine.« Aha, sie bewohnten also zu dritt eine Kabine, und diese hier war voll besetzt. Gut zu wissen. Wortlos wandte Atlan sich um und verließ den Raum. Er atmete erleichtert auf, als er die Tür hinter sich schloß. In diesen wenigen Sekunden hatte er eine Menge Nützliches erfahren können. Die Gefahr einer Entdeckung wurde dadurch jedoch nicht wesentlich verringert. Ein wenig später fand er eine Art Abstellraum, in der sich allerlei Gerümpel stapelte. Er wurde höchste Zeit, den Anzug für einige Stunden abzulegen, um seine Wirkung auszuschalten. Hastig öffnete er ihn und schlüpfte heraus. Das Gefühl einer plötzlichen Befreiung von einem Alpdruck setzte sofort ein, allerdings auch der Hunger und der Durst. Aber das mußte in Kauf genommen werden. Er versteckte den leeren Anzug unter einigen Kisten und suchte sich ein passendes Versteck, wo man ihn von der Tür aus nicht
13 so leicht sehen konnte. Dann legte er sich hin, um zu schlafen.
* Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als ihn ein Geräusch weckte. Er blieb ganz ruhig liegen und hielt fast den Atem an. Ohne die Panzerung war er wieder ganz der »alte Atlan«. Trotzdem blieb er fest entschlossen, einen Gegner notfalls zu töten, denn sein eigenes Leben hing davon ab, nicht entlarvt zu werden. Ein Spercoide mit dem gleichen Abzeichen wie er kam in den Raum und blickte suchend um sich. Zum Glück schien sich das, was er hier vermutete und brauchte, auf der anderen Seite der Kammer zu befinden, aber als er es nicht fand, sagte er ein paar Worte zu sich selbst und verschwand wieder. Ohne seinen Anzug konnte Atlan nur ein paar wenige Brocken der Sprache der Spercoiden auffangen und verstehen. Das genügte manchmal. Hastig kroch er aus seinem Versteck und legte die Panzerung an. Die Verwandlung seiner Psyche war ihm durchaus bewußt, aber zum Glück verschwand sofort das nagende Hungergefühl. Als er die Schritte hörte, begann er damit, die chaotisch herumstehenden Kisten neu zu ordnen. Zwei Spercoiden betraten den Raum. Sie blieben an der Tür stehen. »Wir wurden beauftragt, hier Ordnung zu schaffen«, sagte der eine von ihnen, ebenfalls vom Reinigungskommando. »Unsere Gruppe auch«, gab Atlan kalt zurück. »Kann sein, daß ich mich im Raum geirrt habe.« »Hilf uns, es schadet nichts. Wer bist du?« »Botosc.« »Von welcher Gruppe?« Atlan blieb keine Zeit zum Überlegen. Wenn er die falsche Antwort gab, war die Entscheidung schon da. »Gruppe drei.« »Wir sind Gruppe sieben – also, an die
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Arbeit!« Atlan wußte, daß ihn nur ein Zufall gerettet hatte, und es konnte nicht dauernd Zufälle geben. Wenn eben möglich mußte er den Kontakt mit Spercoiden vermeiden. Auf der anderen Seite war es gut, einige von ihnen zu »kennen«. Also knüpfte er geschickt ein Gespräch an und erfuhr wiederum wertvolle Kleinigkeiten, die sich später als lebenswichtig erweisen sollten. Als der Abstellraum wieder einen ordentlichen Eindruck machte, ging man grußlos auseinander. Für Sentimentalitäten war unter Spercoiden kein Platz. Atlan beschloß, sich nun ein besseres Versteck zu suchen, wo die Gefahr einer Entdeckung geringer war. Außerdem würde es Alarm an Bord geben, wenn man die leere Rüstung in der Gastkabine fand. Erneut machte er sich auf den gefährlichen Weg.
* Mehrmals begegnete er Spercoiden, aber zu seiner eigenen Verwunderung fühlte er sich nun wesentlich sicherer als vorher. Grußlos ging er an ihnen vorbei, als habe er wichtige Aufgaben zu erledigen und könne sich keinen Aufenthalt erlauben. Sie beachteten ihn auch nicht. In den Wohnetagen war es am ruhigsten. Nur zur Zeit der Wachablösung ging es hier etwas lebhafter zu, was Atlan jedoch immer weniger Kopfschmerzen bereitete. In der Hand trug er noch immer das Werkzeug, denn auch gelegentliche Reparaturen mußten von »seiner Gruppe« ausgeführt werden. Tiefer und tiefer drang er in das Innere des Schiffes ein, bis er Mühe hatte, sich noch zurechtzufinden. Und immer öfter traf er leere und unbenutzte Räume an. Bald sah es so aus, als sei noch nie jemand in diesen Teil der BESCHEIDENHEIT vorgedrungen. Er mußte ziemlich abgelegen sein, obwohl die Räume an bescheidene Kabinen erinnerten. Vielleicht war die Besatzung früher größer als heute gewesen,
so daß dieser Sektor jetzt nicht mehr benötigt wurde. Atlan beschloß, hier zu bleiben. Einige der Türen waren verschlossen, trotzdem fand er ein kleines Lager haltbarer Lebensmittelvorräte, von denen er einiges mitnahm. Wenn er den Anzug ablegte, würde der Hunger wieder einsetzen. Endlich entschloß er sich für einen größeren Raum, der mit Sicherheit seit Monaten nicht mehr betreten worden war, wie die dünne Staubschicht auf dem Boden bewies. Allerdings bestand die ganze Einrichtung nur aus einem leeren Regal, das an der rechten Wand stand. Die Tür war von innen nicht zu verschließen. Atlan entledigte sich hastig seiner Rüstung und stellte sie einfach gegen die Wand. Wie ein hungriger Wolf machte er sich kurz darauf über die Vorräte her und aß sich satt. Um nicht überrascht werden zu können, legte er sich quer vor die Tür, die sich nur nach innen öffnen ließ. Wenn jemand kam, was so gut wie ausgeschlossen schien, würde er rechtzeitig gewarnt werden und konnte sich auf die Begegnung vorbereiten. Das Werkzeug war eine gewichtige Waffe. Er mußte fast zwanzig Stunden geschlafen haben, denn er fühlte sich frisch und gestärkt, als er wach wurde. Diesmal weckte ihn aber kein verdächtiges Geräusch, sondern nur Hunger und Durst. Er mußte sich bald etwas trinkbares besorgen oder den Anzug wieder anlegen. Er aß und überlegte, ob er noch warten sollte. Seiner Schätzung nach befand er sich nun schon mindestens zwei Tage an Bord der BESCHEIDENHEIT, es konnte also nicht mehr sehr lange dauern, bis sie ihr Ziel erreichte. Dann hörte er die schleichenden Schritte, die sich seinem Versteck näherten. So ging kein Spercoide! Atlan blieb keine Zeit mehr, den schützenden Anzug anzulegen, denn die Schritte machten genau vor seiner Tür halt. Ihm
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blieb nichts weiter übrig, als sich gegen die Wand neben der Tür zu pressen und abzuwarten. Sein Werkzeug lag einige Meter entfernt neben dem Panzer. Die Tür öffnete sich einen Spalt, dann langsam weiter. Ein seltsames Wesen lugte vorsichtig in den Raum und betrat ihn dann nach einigem Zögern. Da es wie fasziniert auf den leeren Panzer starrte, bemerkte es Atlan nicht, der nun dicht hinter ihm stand. Doch dann wandte es sich plötzlich um, die Augen in dem runden Kugelkopf weit aufgerissen. Das Entsetzen war unverkennbar.
3. Das Äußere konnte täuschen, wußte Atlan. Immerhin trug das Wesen keinen Schutzanzug, war also auch kein Spercoide. Der hätte sich ohne den Anzug längst in Nichts aufgelöst. Handelte es sich vielleicht um den sogenannten Würdenträger, der auf dem Weg zu Sperco war? Aber warum schlich er dann im Schiff umher? Es waren zuviel Fragen, und es blieb keine Zeit, sie sich selbst zu beantworten. Atlan wußte, daß die Initiative bei ihm lag. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte er sich auf den unverhofften Eindringling und warf ihn mit einem harten Schwung zu Boden. Mit dem Fuß stieß er gleichzeitig die Tür zu. Der sackförmige Fremde wehrte sich kaum, gab aber einige entsetzt klingende Laute von sich. Atlan konnte ihn nicht verstehen, da er seinen Anzug nicht trug, außerdem war er nicht sicher, ob der Unbekannte die Sprache der Spercoiden gebrauchte. Er brachte es nicht fertig, das hilflose Wesen zu töten, aber er wußte auch, daß es eine Gefahr für ihn bedeutete. Sollte er einen Weg der Verständigung suchen? Das schien ihm die beste Lösung zu sein. Er zog den um sich strampelnden Sack
mit Gliedmaßen über den Boden des Raumes bis hin zum Panzeranzug und machte ihm durch Gesten klar, daß er sich ruhig verhalten sollte. Dann erst ließ er ihn los. Der so plötzlich überrumpelte blieb reglos liegen, die Augen noch immer weit aufgerissen vor Schreck. Atlan nahm den Anzug und ging zur Tür, damit sein Gefangener nicht entweichen konnte. Dort erst zog er sich den Anzug über und kämpfte gegen die einsetzende Emotionslosigkeit an. Er blieb an der Tür stehen. »Wer bist du und was willst du hier?« fragte er, nun wieder der Sprache der Spercoiden mächtig. Erytder wußte nicht, woran er war. Zum ersten Mal in seinem Leben glaubte er einen Spercoiden ohne seinen Anzug gesehen zu haben. Wahrscheinlich bedeutete das den Tod für ihn. Aber warum hatte der Spercoide ihn dann nicht gleich umgebracht? Er schöpfte bei diesem Gedanken sofort neue Hoffnung. »Ich bin Erytder, der Diener meines Herren.« »Wer ist dein Herr?« »Camauke, der Botschafter der Tekrothen.« Atlan konnte sich nun einiges zusammenreimen, wenn vorerst auch noch alles pure Vermutung blieb. »Berichte, Erytder! Hab keine Furcht! Ich bin kein Spercoide.« Erytder bestätigte, daß er sich das bereits gedacht habe und fügte gleich hinzu, daß er die Spercoiden wie die Pest hasse, sein Herr übrigens auch. »Wollte dein Volk keinen Vertrag mit Sperco abschließen?« fragte Atlan. Nun erst berichtete das Erstfell, wie alles gekommen war. Atlan unterbrach den Tekrothen nicht mehr und wartete, bis er zum Schluß kam. Er war überzeugt, die Wahrheit gehört zu haben. »Ich muß dich warnen«, sagte er deshalb. »In diesem Anzug besitze ich die negativen Psycho-Eigenschaften eines Spercoiden. Ich
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wäre also in der Lage, dich beim geringsten Anzeichen des Verrats zu töten. Dein Herr, du und ich sind in der gleichen Lage. Ist dir das klar?« Erytder beeilte sich zu versichern, daß er das durchaus begriffen habe und fügte hinzu: »Mein Herr Camauke und ich brauchen Hilfe, denn allein können wir gegen die Spercoiden nichts ausrichten. Der Kommandant Slosc ist entschlossen, uns zu Sperco zu bringen, wie es ja auch ursprünglich vereinbart war. Aber wir haben unseren Entschluß geändert. Wir wollen zurück nach Vallischor. Würdest du uns dabei helfen?« »So gut ich kann«, versprach Atlan, obwohl er keinen Rat wußte. »Ich werde hier bleiben, du kehrst besser zu Camauke zurück und erstattest ihm Bericht. Vorher erklärst du mir den Weg zu euren Kabinen, damit ich ihn notfalls auch allein finde. Man sollte uns nicht zusammen sehen.« »Ich werde zurückkehren.« »Gut, aber laß dich nicht erwischen. Und warte einen vollen Tag, damit ich Zeit genug habe, gewisse Vorbereitungen zu treffen. Es erscheint mir besser, wenn ich ganz offiziell als Angehöriger des Reinigungstrupps zu euch gelange, das erweckt weniger Verdacht.« »Mein Herr wird überglücklich sein«, behauptete Erytder, obwohl er davon nicht so sehr überzeugt war.
* Erytder gelang es in der Tat, unbemerkt den Weg zum Wohnsektor zurück zu finden und war froh, als er die Tür hinter sich schließen konnte. »Wo hast du denn so lange gesteckt?« fauchte Camauke ihn wütend an und wälzte sich auf die andere Seite. »Willst du mir das vielleicht erklären?« »Oh, Herr, laß mich zu Wort kommen«, bat das Erstfell geduldig. »Ich war beim Kommandanten, aber er hat deine Forderung nach Rückkehr energisch abgelehnt. Er hat
mich wie einen Gefangenen behandelt, und ich kann froh sein, daß er mich nicht gleich einsperrte. Ich habe geredet und geredet, aber es hat nichts geholfen. Er wird uns zu Sperco bringen, ob wir wollen oder nicht.« Camauke begann zu jammern und sich und seine Aufgabe zu verfluchen. Als er auch noch damit begann, sich selbst zu bemitleiden, unterbrach ihn sein Diener respektlos: »Ich bin noch nicht fertig mit meinem Bericht, Herr! Als ich hierher zurückkehren wollte, begegnete ich einem Fremden, der sich an Bord versteckt hält. Er ist bereit, uns zu helfen.« »Ein Fremder?« Camauke richtete sich halb auf, und in seinen Augen begann es zu funkeln. »Ein Gefangener?« »Jedenfalls scheint er nicht freiwillig an Bord des Schiffes zu sein, und die Spercoiden dürfen nichts von seiner Gegenwart erfahren, sonst ist er verloren – das wenigstens sagte er mir.« Camauke faßte sofort einen schmutzigen Entschluß, egoistisch und feige wie er war. »Sehr gut, mein lieber Erytder. Du weißt, wo dieser Fremde sich aufhält?« »Ja, ich kenne sein Versteck. Er wartet dort auf mich.« »Sehr gut!« wiederholte Camauke. »Du wirst sofort zum Kommandanten gehen und ihm berichten, daß wir einen blinden Passagier an Bord entdeckt haben. Sage ihm, daß wir ihm das Versteck aber nur dann verraten, wenn er sofort Kurs auf Vallischor nimmt.« Erytder starrte seinen Herrn entsetzt an. So listig und selbstsüchtig er auch sein konnte, an diese Möglichkeit hätte er nicht einmal im Traum gedacht. Zum ersten Mal betrachtete er Camauke mit anderen Augen. »Aber Herr! Das wäre Verrat an einem Verbündeten!« »Na und? Wir wären gerettet!« Erytder setzte sich auf den erstbesten Stuhl. Er sah Camauke an. »Nein!« sagte er nur. »Was, nein?«
Flucht in den Kerker »Ich werde nicht zum Kommandanten gehen, und ich werde niemandem verraten, wo sich der Fremde verborgen hält.« »Du hast zu tun, was ich dir befehle!« Camauke wurde richtig wütend und setzte sich aufrecht hin. »Du gehst sofort, weil ich es dir befehle!« »Nein, ich gehe nicht!« Nun war der Botschafter der Tekrothen doch sprachlos. Ein Erstfell, das einem Viertfell den Gehorsam verweigerte, das hatte es noch nie gegeben. »Bist du verrückt geworden?« erkundigte er sich langsam. »Im Gegenteil, ich dachte noch nie so klar wie jetzt, Camauke.« Nun vergaß Erytder sogar die gewohnte Höflichkeit einem Viertfell gegenüber und zeigte keine Spur von Respekt mehr. »Der Fremde hat uns seine Hilfe angeboten, obwohl er mich hätte töten können. Er ist stark und sehr klug, hundertmal klüger jedenfalls als du! Wenn du auch nur den geringsten Versuch unternimmst, ihn an die Spercoiden zu verraten, bekommst du eine Tracht Prügel, die du nie in deinem Leben vergessen wirst. Hast du das verstanden, Camauke?« Der hohe Würdenträger starrte seinen Diener fassungslos an. Was jetzt geschah, war einfach unfaßbar und unmöglich. Das Erstfell verpfuschte sich sein ganzes Leben, denn jedes Aufrücken in eine höhere Kaste war nun zur Illusion geworden. Er konnte froh sein, wenn er nicht zu einem Nullfell wurde. »Du … du …!« »Schon gut«, unterbrach ihn Erytder und drückte ihn auf das Lager zurück. »Du bleibst ganz ruhig hier liegen und rührst dich nicht vom Fleck. Leider kann ich jetzt nicht mehr gehen, um den Fremden zu holen, denn du bringst es in deiner Dummheit fertig, die Spercoiden zu alarmieren, weil du einfach nicht begreifst, worum es geht. Glaubst du denn im Ernst, Kommandant Slosc würde uns nach Vallischor zurückbringen, wenn wir ihm den Fremden ausliefern? Niemals würde er das tun!«
17 Camauke ergab sich in sein Schicksal. »Aber er würde mir wenigstens mehr zu essen geben«, gab er zu bedenken. Erytder stieß einen tiefen Seufzer aus und schwieg.
* Atlan ahnte nichts von der Auseinandersetzung zwischen Herr und Diener. Er blieb in seinem Versteck und wartete die verabredete Zeit ab. Als Erytder nicht mehr erschien, wußte er mit Sicherheit, daß er durch die Umstände daran gehindert wurde. Er mußte also versuchen, allein den Weg zur Suite des Würdenträgers zu finden. Noch einmal aß er sich satt, ohne seinen brennenden Durst stillen zu können, dann verließ er sein Versteck, nachdem er den Anzug angelegt hatte. Die Beschreibung des Tekrothen war dürftig und ungenau, das konnte er schon nach einigem Umherirren feststellen. Ihm wurde klar, daß er ohne Hilfe jenen Teil des Wohnsektors nicht finden würde, in dem sich seine neuen Verbündeten aufhielten. Aber wer sollte ihm schon helfen? Reinigungstrupp 7! Der Gedanke kam wie eine Erlösung. Nach einigem Suchen fand er die Quartiere des Kommandos und studierte die Symbole an den Türen. Er fand die 7 sofort und drückte entschlossen die Tür auf. Als er den Raum betrat, blickten ihm zwei Spercoiden mit dem Abzeichen des Reinigungskommandos entgegen. Wenigstens wandten sich ihre unkennbaren Gesichter ihm zu. »Was willst du?« fragte der eine von ihnen. »Ich bin Botosc, ein Neuer an Bord und wurde euch jetzt zugeteilt.« »Gut, dann sind wir vollzählig. Dort ist dein Platz.« Er deutete auf eine unbenutzte Lagerstätte, von denen es drei in der geräumigen Kabine gab. »In zwei Stunden haben wir einen Auftrag.« Atlan setzte sich und wagte nicht zu fra-
18 gen, um welchen Auftrag es sich handele. Die beiden Spercoiden kümmerten sich nicht mehr um ihn und gingen ihren eigenen privaten Beschäftigungen nach. Er streckte sich auf dem Lager aus. Es war gut, daß er die Gewohnheiten der Spercoiden einigermaßen kennengelernt hatte und ungefähr wußte, wie er sich verhalten mußte, um nicht sofort aufzufallen. Früher oder später würden sie aber bestimmt fragen, ob er ohne Gepäck gekommen sei, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was jemand mit Gepäck anfangen wollte, der seinen Anzug nicht ablegen konnte. »Es ist soweit!« sagte einer der Spercoiden und rüttelte an seiner Schulter. Atlan mußte eingeschlafen sein. Er schrak hoch, erfaßte aber seine Situation sofort. Er stand auf und folgte seinen beiden Stubengenossen auf den Gang. Sie sprachen kein Wort miteinander, ließen das Quartier und einige Gänge hinter sich und benutzten zweimal den Lift. Atlan zerbrach sich den Kopf, welchen Auftrag sie wohl hatten, aber er wollte sie auch nicht danach fragen. Woher sollst du es wissen? fragte sein Extrasinn. Du bist neu! Natürlich, das war es! Er hatte sich ihnen doch selbst als neu zugeteilt vorgestellt. Woher sollte er also wissen, welchen Auftrag sie erhalten hatten? »Wohin gehen wir?« fragte er, als sie in einen breiten Korridor einbogen, der ihm bekannt vorkam. »Gastkabinen müssen in Ordnung gebracht werden«, lautete die knappe Antwort. »Unmittelbar neben der Suite für bevorzugte Passagiere.« Atlan fuhr der Schreck in die Glieder. Denn in einer der Gastkabinen lag der leere Anzug eines Spercoiden, dessen Gesichtsteil zerschmettert worden war. Aber bei der Suite für bevorzugte Kabinen konnte es sich nur um das Quartier der Tekrothen handeln. Vielleicht konnte er sich während der bevorstehenden Arbeiten unauffällig entfernen und so den neuen Verbündeten Erytder und
Clark Darlton seinen Herren wiederfinden. Er achtete nun noch mehr auf den Weg als vorher, um sich im Notfall allein zurechtfinden zu können. Vorerst bestand jedoch noch keine Möglichkeit, sich legitim zu entfernen. Seine Begleiter würden sofort Verdacht schöpfen. Die Reinigung der Kabinen erfolgte mit Hilfe automatischer Geräte, die jedoch von Hand bedient werden mußten. Es war keine schwere Arbeit, und sie ließ Zeit zu Überlegungen. Da kaum gesprochen wurde, war das kein Problem. Wenn man nach Erytder das Volk der Tekrothen beurteilen wollte, so mußte es sich um ein harmloses und friedliches handeln, das nur aus der Angst vor endgültiger Vernichtung heraus beschlossen hatte, mit dem Tyrannen einen Pakt abzuschließen. Wahrscheinlich bedeutete dieser Pakt auch keinen Unterschied, aber dann fand die allmähliche Vernichtung legal statt. Sperco legte also doch noch Wert auf gewisse Legalität in der Politik. Das war interessant zu wissen. Aber auch allein aus diesem Grund würde es gut sein, den Pakt zu verhindern, wenn man den Tekrothen helfen wollte. Nur mit Mühe drängte Atlan bei seinen Überlegungen den negativen Psychoeinfluß zurück, der die Oberhand zu gewinnen trachtete. Als Spercoide würde er nicht im Traum daran denken, einem anderen Volk Hilfe zu gewähren. Er mußte unter allen Umständen Atlan bleiben. Nach der vierten Kabine sagte einer der Spercoiden: »Botosc, du kannst ins Quartier zurückkehren. Den Rest schaffen wir allein.« Atlan war zu überrascht, um Fragen zu stellen. Die beiden mochten ihre Gründe haben, den Rest der Arbeit allein zu erledigen. Jedenfalls befand sich jene Kabine, in der er den Spercoiden getötet hatte, in einem anderen Sektor. So schnell würden sie ihn nicht entdecken. Grußlos ging er und schloß die Tür. Als er den breiten Korridor erreichte, der ihm schon beim Hinweg aufgefallen war,
Flucht in den Kerker sagte ihm ein einfaches Rechenexempel, daß hier die Suite sein mußte. Sie grenzte unmittelbar an die normalen Gastkabinen. Aber es gab mehrere Türen auf der linken Seite. Gegenüber war nur die glatte Wand. Aus einer Eingebung heraus – sie kam vom Extrasinn – wählte er die mittlere, die zugleich auch am breitesten war. Sie war die richtige. Als er sie öffnete, stand der sackförmige Erytder vor ihm. Aber Erytder hielt ihn natürlich für einen Spercoiden. »Mein Herr, der Botschafter von Vallischor, verspürt Hunger«, sagte er. »Und Durst!« fügte er mit Nachdruck hinzu. Atlan trat ein und zog die Tür hinter sich zu. »Ich auch«, sagte er. »Erschrick nicht, Erytder! Ich bin es, euer Freund. Ist das dort dein Herr?« »Ja, er ist es«, bestätigte der Tekrother. Atlan stellte bei sich fest, daß der Würdenträger fast doppelt so dick war wie sein Diener. Camauke richtete sich ein wenig auf, als Atlan an sein Lager trat. Sein Blick wanderte zu Erytder. »Er trägt den Panzer eines Spercoiden«, jammerte er. Erytder bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Das habe ich dir doch bereits erklärt, Camauke. Er trägt ihn nur, damit er nicht erkannt wird. Wann wirst du das endlich begreifen.« Er wandte sich an Atlan. »Du mußt wissen, daß er unter der jetzigen Situation ein wenig gelitten hat. Er vergißt alles, ist voller Furcht um sein Leben und vergeht fast vor Hunger. Er ist zu einem richtigen Nullfell geworden.« Camauke richtete sich protestierend auf, sank aber sofort wieder stöhnend in die Polster zurück. »Sehr richtig, ich bin halb verhungert«, murmelte er voller Selbstmitleid. Atlan konnte sich nicht vorstellen, daß dieser Tropf Vertreter eines Sternenreichs sein sollte, aber andere Völker haben nun
19 einmal andere Sitten. Er hätte sich Erytder viel eher als Repräsentant vorstellen können. »Ich bin bereit, euch zu helfen«, sagte er, um keine weitere Zeit zu verschwenden, »aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie. Vor allen Dingen müßt ihr mich hier verstecken, weil ich von Zeit zu Zeit den Anzug ablegen muß. Das hat bestimmte Gründe, die ich dir, Erytder, schon erklärte. Vor allen Dingen möchte ich verhindern, daß man euch zu Sperco bringt, denn das würde den endgültigen Untergang eures Volkes bedeuten.« »Ich will zurück nach Vallischor!« rief Camauke aus. »Mir wird ein Weg einfallen«, versprach Atlan und winkte Erytder zu sich. »Hat diese Suite einen Raum, in den ich mich zurückziehen kann? Wir können uns auch ohne diesen Anzug unterhalten, wenn auch nicht so schnell und fließend.« »Die Suite hat fünf Räume, also Platz genug.« Die nun schon gewohnte Erleichterung trat sofort ein, als er den Anzug auszog. Im Bad der Suite gab es Wasser. Er trank sich regelrecht satt und kehrte dann zu Camauke und Erytder zurück. »Erzählt mir mehr von eurem Volk«, bat er. Camauke sprach nur wenig, aber Erytder berichtete nun ausführlich von den Verhältnissen auf Vallischor und den Drohungen der Spercoiden. Je mehr Atlan erfuhr, desto entschlossener wurde er, den beiden zu helfen, obwohl er davon überzeugt war, nur eine Galgenfrist für die Tekrothen zu erreichen. Früher oder später würde Sperco ein neues Ultimatum stellen oder sogar das Sternenreich angreifen lassen. An der Tür waren Geräusche. Jemand versuchte von außen, sie zu öffnen. Atlan sprang auf und rannte in den Nebenraum. Er sah sich nach einer Waffe um, konnte aber nichts Geeignetes finden. Die Zwischentür ließ er angelehnt. Erytder ließ sich Zeit. Erst als er Atlan in Sicherheit wußte, öffnete er die Tür zum
20 Korridor. Zwei Spercoiden schoben ihn beiseite und betraten den Hauptraum der Suite. Der eine von ihnen trug ein Tablett mit Speisen, der andere einen Krug. »Nur noch eine Mahlzeit am Tag«, sagte der mit dem Krug und stellte ihn auf den Tisch. Der andere entledigte sich seines Tabletts. »Der Kommandant läßt fragen, ob inzwischen ein Sinneswandel eingetreten ist.« »Wir wollen zurück nach Vallischor«, sagte Camauke von seinem Lager her. »Daran wird sich nichts ändern.« Der Spercoide ging überhaupt nicht darauf ein. »Wir werden in drei Tagen das Hauptquartier Spercos erreichen«, teilte er lediglich mit und ging zur Tür. Sein Begleiter folgte ihm, sehr zur Erleichterung Atlans, der das Gespräch belauschte. »Der Kommandant hat angeordnet, daß ihr die Kabinen bis dahin nicht mehr verlassen dürft.« Die Tür schloß sich hinter ihnen. Atlan kam aus dem Nebenraum. »Praktisch haben sie euch zu Gefangenen gemacht«, sagte er und setzte sich, während Erytder ohne Rücksicht auf den hohen Rang seines Herren die Speisen gerecht aufteilte und auch Atlan anbot, der jedoch dankend ablehnte. Er bat nur um einen Schluck Wein. »Damit ändert sich die Situation aber keineswegs. Ihr wart von Anfang an Gefangene.« Während Erytder und Atlan sich unterhielten, stopfte Camauke seine Ration in sich hinein. Als er damit fertig war, machte er ein verzweifeltes Gesicht und jammerte: »Davon soll ich satt werden und es bis morgen aushalten? Dieser Slosc ist ein Sadist, und das werde ich Sperco auch sagen.« »Sperco? Ich dachte, du wolltest ihn nicht sehen«, wunderte sich Erytder. »Was willst du nun eigentlich?« »Zurück nach Vallischor …« Die Tekrothen, das wußte Atlan nun mit Sicherheit, waren rettungslos verloren, wenn Camauke den Vertrag mit Sperco unterschrieb. Er würde auf jede diktierte Bedingung eingehen, wenn man ihm nur genug zu
Clark Darlton essen gab. Dafür würde er sein Volk bedenkenlos verraten. Auf der anderen Seite tat ihm der Dicke leid. Darauf war jedoch nur in zweiter Linie Rücksicht zu nehmen. Die Hautsache war und blieb, daß die beiden Unterhändler Sperco niemals zu Gesicht bekamen. Um dieses Ziel zu erreichen, das war Atlan klar, würde er ein großes Risiko eingehen müssen. Die Zeit drängte, denn in drei Tagen würde es zu spät sein. Nur eine erzwungene Zwischenlandung konnte die Katastrophe für die Tekrothen verhindern. Eine Notlandung vielleicht …? Atlan war in den Nebenraum zurückgekehrt und hatte sich auf dem einfachen Lager ausgestreckt. Er schloß die Augen, um besser nachdenken zu können. Der Plan mußte fertig sein, ehe er den Anzug wieder anlegte. Wie sollte er den Kommandanten dazu bewegen, eine Zwischenlandung vorzunehmen? Nein, dazu bewegen konnte er ihn nicht, aber vielleicht zwingen. Er mußte seine relative Freiheit an Bord der BESCHEIDENHEIT ausnützen und versuchen, den Antrieb des Schiffes so zu beschädigen, daß eine Reparatur im Raum unmöglich wurde. Die Beschädigung durfte dann allerdings wiederum nicht so stark sein, daß es zu einem Wrack wurde. Drei Tage waren nicht viel Zeit … Während er den Anzug überstreifte, sagte er zu Erytder: »Ich will versuchen, eine Lösung zu finden, aber ich kann sie euch noch nicht versprechen. Verhaltet euch ruhig und verlaßt die Suite nicht. Achte darauf, daß dein Herr nicht die Dummheit begeht, den Kommandanten sprechen zu wollen, das würde den Verdacht nur auf euch lenken.« »Welchen Verdacht?« Atlan lächelte. »Das weiß ich selbst noch nicht«, erwiderte er geheimnisvoll und bat ihn, einen Blick auf den Korridor zu werfen. Als Erytder ihm mitteilte, daß niemand zu sehen sei,
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nickte er ihm zu und huschte hinaus auf den Gang. »Ich komme bald zurück«, flüsterte er ihm noch zu, ehe er davonging. Es fiel ihm nicht schwer, Quartier Nr. 7 wiederzufinden.
* Seine beiden »Kollegen« vom Reinigungskommando wollten natürlich wissen, wo er so lange gesteckt hatte. »Ein Offizier hielt mich an und befahl mir, in seiner Kabine die Klimaanlage zu überprüfen, was einige Zeit beanspruchte. In der Tat hatte sich eine der Lüftungsklappen verklemmt.« »Sie haben immer wieder Arbeit für uns«, sagte der eine Spercoide mürrisch. »In drei Stunden müssen wir 'runter in den Maschinenteil. Schlaf dich ein wenig aus, kann nämlich lange dauern.« »Was sollen wir dort?« fragte Atlan, als er auf dem Bett lag. »Eine Reparatur, nehmen wir an. Wir haben zu wenig ausgebildetes Wartungspersonal, da müssen wir öfter helfen. Kennst du dich mit dem Antrieb aus?« »Eigentlich nicht besonders«, gab Atlan wahrheitsgemäß zu. »Macht nichts, sie teilen bei solchen Arbeiten immer noch einen Spezialisten ein, der uns beaufsichtigt und anleitet.« »Dann kann ja nicht viel passieren«, meinte Atlan und schloß die Augen. Maschinenteil also! Das war vielleicht die Chance, auf die er wartete. Aber wenn er dort einen Sabotageakt verübte, durfte kein Verdacht auf ihn fallen, sonst war er verloren. Eine Bombe mit Zeitzünder an der richtigen Stelle – das wäre die ideale Lösung. Wie aber sollte er zu einer Bombe kommen? In diesen drei Stunden schlief er kaum, dazu war er viel zu erregt. Er war froh, als es endlich soweit war. Zusammen mit seinen Kabinengenossen verließ er das Quartier und gelangte dann mit dem Lift in die tiefer
gelegenen Regionen des Schiffes. Spercoiden mit den Merkmalen der Offiziere ließen sich hier unten nicht blicken, dafür um so mehr Wartungspersonal. Einer der Truppführer wies ihnen den Weg. Seine beiden Begleiter schienen sich in diesem Teil des Schiffes ebensowenig auszukennen wie er, das war beruhigend. So fiel seine Unkenntnis nicht weiter auf. Ein Spercoide vertrat ihnen den Weg. »Seid ihr vom Reinigungskommando?« Sie bejahten das. »Gut, dann kommt mit. Eine der Zuleitungen ist undicht, sie muß ersetzt werden. Dreckige Arbeit, das Richtige für euch.« Er ging voran und führte sie durch verschiedene Gänge. Aufmerksam studierte Atlan die Inschriften auf den Türen, die rechts und links zu unbekannten Räumen führten. Die meisten Schilder deuteten auf Lager und Vorräte hin, einige auch auf Ersatzteile. Der ersehnte Hinweis auf ein Waffenlager fehlte. Durch die beschädigte Leitung wurde eine zähe Flüssigkeit gepumpt, die an Schmieröl erinnerte. Die Pumpe war abgestellt worden, aber man schien den Schaden zu spät bemerkt zu haben. Der ganze Boden des Raums war glitschig und verschmutzt. Das etwa zwei Meter lange Ersatzrohr lag schon bereit. Ohne zu reden, machten sie sich an die Arbeit, die zum Glück keine besonderen Fachkenntnisse erforderte. Unter der Aufsicht des fremden Spercoiden lösten Atlan und seine beiden Begleiter die Verschraubungen, nahmen das undichte Rohrteil heraus und bauten das Ersatzstück ein. Sie brauchten dafür knapp eine halbe Stunde. »Reinigen könnt ihr den Raum auch ohne mich«, sagte der Aufseher, nachdem er eine Inspektion vorgenommen hatte, die zu seiner Zufriedenheit ausfiel. »Holt euch, was ihr dazu benötigt.« Trotz der halbwegs funktionierenden Automation war das Saubermachen alles andere als angenehm. Das ausgelaufene Öl war bis in die äußersten Ecken vorgedrungen und schwer zu beseitigen. Zum ersten Mal
22 konnte Atlan bei seinen »Kollegen« Unzufriedenheit feststellen. Endlich waren sie fertig. »Wir gehen zurück ins Quartier«, sagte einer von ihnen zu Atlan. »Du kannst inzwischen dem Aufseher melden, daß der Raum gereinigt wurde. Jeder wird dir sagen, wo er wohnt.« Damit gingen sie, ohne eine Antwort abzuwarten. Atlan konnte das nur recht sein. Der Zufall half ihm abermals, denn er konnte sich keine bessere Gelegenheit wünschen, sich weiter in diesem Teil des Schiffes umzusehen, ohne Verdacht zu erregen. Mit schnellen und sicheren Schritten, so als habe er ein bestimmtes Ziel, wanderte er die Gänge entlang und studierte erneut die Hinweisschilder. Sie waren dazu angetan, seinen Optimismus nicht einschlafen zu lassen. Ersatzteile für Handstrahlwaffen …! Damit ließ sich zwar nichts anfangen, aber es bestand die Hoffnung, daß er sich nun den waffentechnischen Lagerräumen näherte. Einmal begegnete ihm ein Spercoide, der eine Kiste schleppte. Es wurde kein Wort gewechselt. Seine Schritte verhallten im Korridor. Der Boden unter Atlans Füßen vibrierte und verriet die Nähe arbeitender Maschinen. Die Klimaanlage? Oder der Antrieb selbst? Sprengstoff! Die Aufschrift verriet es nur allzu deutlich, ein Irrtum war ausgeschlossen. Die Tür war offen, wie alle Türen an Bord der BESCHEIDENHEIT. Hastig trat Atlan in den halbdunklen Raum und zog die Tür hinter sich zu. Wenn er hier überrascht wurde, mußte er sich schnell eine glaubhafte Ausrede einfallen lassen. Oder er mußte den unbequemen Frager erledigen. Sein Leben hing davon ab. In Kisten und langen Regalen lag der Sprengstoff in verschiedensten Formen gestapelt. Die Aufschriften verrieten den Zweck der einzelnen Ausführungen und ga-
Clark Darlton ben auch die Stärke der Sprengwirkung an. Atlan war auf eine Schätzung angewiesen, und natürlich auch auf die Größe. Der Sprengsatz mußte klein genug sein, um ihn im Anzug verstecken zu können. Kein Spercoide würde je auf die Idee kommen, den Anzug eines anderen zu öffnen. Nach längerem Suchen fand Atlan eine Kiste mit der Aufschrift: Zeitzünder. Die angegebene Sprengwirkung entsprach etwa der, die er sich vorstellte. Günstig war auch die Plattenform der kleinen Bomben. Zwei davon ließen sich bequem innerhalb einer Rüstung unterbringen. Als er die Verschlüsse einschnappen ließ, wurde die Tür geöffnet. Ein Spercoide betrat den Raum und blieb mit einem Ruck stehen. Atlan überwand die Schrecksekunde erstaunlich schnell. Ohne den Eindringling zu beachten, ging er an ihm vorbei zur Tür und wollte den Raum verlassen. Aber der Spercoide schien zu einer neugierigen Sorte zu gehören. Er hielt ihn am Arm fest. »Du bist vom Reinigungskommando! Was hast du hier zu suchen?« »Man sagte mir, Aufseher Karosc sei hier. Ich wollte ihm melden, daß wir die Reparaturarbeiten durchgeführt haben.« »Karosc! Nie gehört! Wer hat dir die Auskunft gegeben?« »Ich kenne seinen Namen nicht. Er schickte mich hierher, aber ich habe Karosc nicht gefunden.« Der andere schien unsicher zu werden und trat ein wenig zur Seite. Auch ließ er Atlans Arm endlich los. »Frage vorn bei den Liften nach ihm«, rief er schließlich. »Gut, das werde ich tun.« Atlan atmete erleichtert auf, als er auf dem Gang stand. Das hätte schiefgehen können. Aber das, was er gesucht hatte, trug er nun bei sich. Die Frage allerdings, wo er die beiden Bomben anbringen sollte, blieb vorerst offen. Die wichtigen Antriebsräume lagen ein oder zwei Etagen tiefer. Bevor er den Lift erreichte, meldete er ei-
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nem Angehörigen des Wartungspersonals die erfolgte Reinigung des Raumes, in dem die Leitung undicht gewesen war. Wenig später war er wieder in Quartier 7. Seine beiden »Kollegen« schliefen fest.
* Er legte sich hin und entspannte sich. Aber kaum ließ seine psychische Konzentration nach, meldete sich wieder der Spercoide in ihm: Warum gehst du dieser Tekrothen wegen ein so hohes Risiko ein und gefährdest deine eigene Aufgabe? Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, da hast du genug zu tun … Auf seiner Haut konnte er die beiden flachen Sprengkörper spüren. Sie waren es, die ihm die Kraft gaben, der Spercoidenpsyche nicht zu erliegen. Außerdem war er müde genug, um einige Stunden schlafen zu können. Bis ihn ein neuer Auftrag des Kommandos weckte. Leider war es wieder nicht der Antrieb, zu dem sie geschickt wurden, aber wenigstens bot sich danach die Möglichkeit, unauffällig zu verschwinden. Er nahm sich fest vor, nicht mehr ins Quartier Nr. 7 zurückzukehren. Er war sicher, nun allein zurechtzukommen. Auf allerlei Umwegen gelangte er schließlich doch in die unterste Etage und begegnete prompt einem dort herumlungernden Aufseher, der ihn anhielt. »Wer schickt dich?« wurde er barsch gefragt. »Karosc.« »Wer ist das? Ein Waffenoffizier?« »Ja. Natürlich.« »Ich kenne ihn nicht. Was sollst du hier?« »Mit der Leitung zur Feuerleitzentrale stimmt etwas nicht. Karosc meint, daß sie an den Kontaktstellen verschmutzt ist. Ich soll das überprüfen.« »Was hat der Antriebssektor damit zu
tun?« erkundigte sich der Spercoide mißtrauisch. »Es handelt sich um eine Direktleitung. Jene zur Kommandozentrale ist in Ordnung.« Atlan hoffte im stillen, daß so wichtige Verbindungen auch in den Schiffen der Spercoiden existierten. Wenn nicht, konnte die Sache mulmig werden. »Bei einem überraschenden Angriff muß die Feuerleitzentrale in der Lage sein, dem Antrieb direkte Anweisungen zu geben.« »Als ob ich das nicht wüßte!« verbarg der Spercoide seine Unkenntnis. »Melde mir, wenn der Schaden behoben ist.« Atlan bestätigte und ging weiter. Er hatte Glück gehabt. Ungeniert drang er nun immer weiter in den Antriebssektor vor. Hier unten wimmelte es von Spercoiden, die den verschiedensten Tätigkeiten nachgingen. Niemand achtete auf den anderen, und keiner von ihnen hielt Atlan an. »Überlichtantrieb« besagte ein Schild an einer metallenen Tür und ließ Atlan anhalten. Ein Gedanke durchzuckte ihn. Wenn der Überlichtantrieb ausfiel, würde die BESCHEIDENHEIT ihr Ziel nicht so schnell erreichen. Ein anderes Schiff mußte ihr zu Hilfe eilen, oder es mußte versucht werden, den Schaden im Raum oder auf einem Planeten zu beheben. Wenn allerdings kein geeignetes System in unmittelbarer Nähe war … Es hatte wenig Sinn, über die Konsequenzen nachzudenken. Die Sterne standen in diesem Sektor der unbekannten Galaxis ziemlich dicht, so daß die Chancen eines nahen Planeten recht groß waren. Atlan drückte gegen die Tür, die sich sofort öffnen ließ. In dem großen Raum standen mächtige Maschinenblöcke, die den Überlichtantrieb bargen. Die Frage war nur, ob die beiden relativ kleinen Sprengkörper die dicke Panzerung durchbrechen konnten. Es war erstaunlich, daß sich kein Spercoide hier aufhielt. Wahrscheinlich arbeitete die
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Anlage vollautomatisch und benötigte kaum eine Wartung. In aller Ruhe suchte Atlan eine empfindliche Stelle, die sich ihm in Form eines Verteilers bot, der die einzelnen Maschinen miteinander verband. Wenn diese Querverbindungen unterbrochen wurden, mußte der gesamte Überlichtantrieb ausfallen.
* Atlan besaß genügend technische Kenntnisse und das dazugehörige Einfühlungsvermögen, um auch mit dem Produkt einer ihm fremden Entwicklung fertig werden zu können, zumal die Unterschiede nicht sonderlich groß waren. Da bei der zu erwartenden Explosion auch Teile des eigentlichen Antriebs beschädigt wurden, würde eine längere Reparatur notwendig sein. Wahrscheinlich konnte sie nur in einem Hangar ausgeführt werden, auf keinen Fall aber im Raum selbst. Er holte die beiden flachen Pakete aus der Rüstung. Wenn man den aufgedruckten Angaben trauen konnte, würde die Detonation zwei Stunden nach dem Scharfmachen erfolgen. Eine Zeiteinstellung war nicht vorhanden. Zwei Stunden …? Das mußte genügen. In zwei Stunden war er längst wieder bei Erytder und Camauke. Dort würde man den Saboteur zuletzt vermuten, wenn überhaupt der Verdacht einer Sabotage auftauchte. Einen der Sprengkörper versteckte er mitten im eigentlichen Verteiler, der mit Sicherheit total zerfetzt würde. Den anderen brachte er an der Wandung eines Maschinenblocks an, hinter dem das Summen und Vibrieren volle Leistung vermuten ließ. Dann drückte Atlan die beiden Feuerknöpfe fast gleichzeitig ein. Die Detonationen würden rasch hintereinander erfolgen. Vorsichtig öffnete er die Metalltür und blickte hinaus auf den Gang. Es war niemand zu sehen. Es war von äußerster Wichtigkeit, hier unten keinem Spercoiden mehr
zu begegnen. Mit dem Lift erreichte er das gewünschte Stockwerk, in dem die Suite der Tekrothen lag. Er drückte die Tür auf und sah in das gespannte Gesicht Erytders, der sichtlich verwirrt schien. Erst als Atlan sich zu erkennen gab, glätteten sich die Falten. »Sie haben Camauke geholt, Slosc will mit ihm reden.« Atlan zog die Rüstung aus. »Das ist keine schlechte Nachricht, denn wer beim Kommandanten ist, kann nicht gleichzeitig woanders sein.« »Das verstehe ich nicht«, gab Erytder zu. »Bald wirst du es verstehen«, prophezeite Atlan und überlegte, ob er dem Tekrothen reinen Wein einschenken sollte. Die Gelegenheit war insofern günstig, als Camauke nicht zuhören konnte. »Setz dich zu mir, ich habe dir einiges zu berichten ….«
4. »Und das soll nach Plan verlaufen?« Erytder hatte mehrere Minuten geschwiegen, als Atlan ihm alles berichtet hatte. »Wenn nun nichts Lebenswichtiges zerstört und das Schiff nach dem Saboteur durchkämmt wird. Ich glaube nicht, daß sie unsere Kabinen dabei übersehen werden.« »Na, und wenn schon? Ich bin vom Reinigungsdienst, ihr habt mich angefordert.« »Du bist sehr zuversichtlich. Ich frage mich nur, was Camauke dazu sagt.« »Er muß es vorerst nicht erfahren. Warten wir ab, was Slosc von ihm gewollt hat.« Atlan legte sich auf sein Bett. Erytder war sichtlich beunruhigt. Die Ungewißheit machte ihm arg zu schaffen. Hinzu kam die Furcht, Camauke könnte dem Kommandanten etwas über Atlan verraten, um seine eigene Position zu verbessern. Bei dem labilen Charakter des Viertfells war mit dem Schlimmsten zu rechnen. Die zwei Stunden würden lang werden. Als Camauke endlich eintraf, war erst eine Stunde vergangen. Erytder begann ihn sofort auszufragen,
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aber der Dicke winkte ermattet ab. »Nichts Neues, Erytder. Er hat mir nur noch einmal eingeredet, wie günstig sich ein Vertrag mit Sperco für uns auswirken würde. Ich war es leid, ihm zu widersprechen und brachte auch meinen Wunsch, nach Vallischor zurückgebracht zu werden, nicht noch einmal vor. Es wäre sinnlos gewesen. Außerdem bekommen wir ab sofort wieder zwei Mahlzeiten am Tag.« Erytder sah ihn forschend an. »Ohne Gegenleistung?« wunderte er sich gedehnt. »War es nicht Gegenleistung genug, ihm ständig zuzustimmen?« »Kein Wort über unseren Freund, der sich hier versteckt hält?« Das stritt Camauke energisch ab, und Atlan, der das Gespräch mitanhörte (es wurde in der Sprache der Spercoiden geführt), glaubte sogar seinen Versicherungen. Außerdem wären die Spercoiden dann auch gleich mitgekommen, um ihn festzunehmen. Erytder wartete, bis sein Herr sich wieder niedergelegt hatte, dann kam er zu Atlan. »Er hat den bequemsten Weg gewählt«, flüsterte er ihm zu. »Ist das richtig?« »Ich glaube schon. Weiterer Widerstand wäre zwecklos gewesen. Ihr wart schon störrisch genug. Aber in einer knappen Stunde wird Slosc ganz andere Probleme haben – hoffe ich.« »Ich wollte, ich wäre auf Vallischor geblieben«, gab Erytder offen zu und zog sich wieder zurück.
* Unter seiner Rüstungsmaske hatte der Kommandant für den scheidenden Camauke nur ein spöttisches Lächeln übrig. Mit dem würde Sperco leichtes Spiel haben, davon war er überzeugt. Der Vertrag würde widerstandslos unterschrieben werden. Er widmete sich wieder seinen Aufgaben als Kommandant der BESCHEIDENHEIT und nahm Sichtkontakt zur Führungszentrale auf. Man näherte sich einem Sonnensystem, das man in geringer Entfernung streifen
würde. Slosc zog die Karten zu Rate. Aha, ein unbewohntes und unbedeutendes System mit einigen Planeten, von denen einer allerdings erste Spuren primitiven Lebens zeigte. Er würde sich gut als Siedlerwelt eignen. Oder als Strafplanet, dachte Slosc grimmig. Um den Antrieb nicht zu überlasten, hatte er die Geschwindigkeit auf zehnfach Licht zurücknehmen lassen. Ausgerechnet diese Vorsichtsmaßnahme verhinderte die Katastrophe, die dem größten Teil der Besatzung wahrscheinlich das Leben gekostet hätte, doch das stellte sich erst später heraus. Aber auch so war die Wirkung der beiden Sprengsätze verheerend genug. Slosc schrak zusammen, als die Explosion das Schiff bis in die letzten Fugen erschütterte und auf dem Bildschirm der Rückfall unter Lichtgeschwindigkeit zu erkennen war. Für einige Augenblicke saß er starr in seinem Sessel und versuchte, das schier Unglaubliche in sich aufzunehmen. Natürlich gab es immer wieder technische Unfälle auf den Schiffen des Imperiums, aber daß sich ausgerechnet auf dem seinen ein solcher ereignete, konnte und wollte er nicht so schnell begreifen. Die Alarmsirene weckte ihn aus seinen Gedanken. Mit wenigen Knopfdrücken stellte er die Verbindungen zu den wichtigsten Abteilungsleitern her. »Explosion unbekannter Ursache im Antriebsraum für LG«, meldete die Technik. »Der Normalantrieb ist unbeschädigt.« »Mit Unterlicht ist der nächste Planet in wenigen Stunden zu erreichen«, gab die Astronautik bekannt. »Die für die Reparatur benötigten Ersatzteile müssen angefordert werden«, schaltete sich die Abteilung Reparatur ein. »Alle Sektionen des Schiffes abgeriegelt«, teilte die Sicherheitsabteilung mit. Slosc nahm die einzelnen Meldungen mit steigender Nervosität entgegen. Für ihn war
26 klar, daß es sich nicht um einen technischen Fehler in der Antriebsanlage handeln konnte. Jemand an Bord der BESCHEIDENHEIT war ein Saboteur. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es sich bei diesem um einen Spercoiden handelte. Blieb also nur ein Fremder. Und es gab nur zwei Fremde an Bord: die beiden Tekrothen! Aber die Reparatur ging vor. Er stellte abermals Kontakt zu der RAbteilung her. »Untersucht den Schaden, ich erwarte einen genauen Bericht. Vor allen Dingen muß ich die Ursache wissen, es ist wichtig!« »Wir sind schon bei der Arbeit, Kommandant«, kam es zurück. Dann nahm er Verbindung mit der Sicherheitsabteilung auf. »Der Repräsentant der Tekrothen wird ab sofort streng überwacht«, befahl er. »Die Kabinen sind zu durchsuchen, ob Sprengstoff vorhanden ist. Die beiden stehen ab sofort unter ständiger Beobachtung.« Er lehnte sich in seinen Sessel zurück. Die Explosion bedeutete keine Lebensgefahr, denn Notfunksprüche waren bereits unterwegs, die Hilfe herbeiholten. Aber unangenehm war der Zwischenfall trotzdem. Er bedeutete Aufenthalt und damit Zeitgewinn für die Tekrothen. Das war ein zweiter Grund, sie des Attentats zu verdächtigen. Aber sicher war sich Slosc seiner Sache trotzdem nicht. Camauke machte nicht den Eindruck, als sei er einer solchen Tat fähig. Er wirkte feige und labil, nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Aber Sabotage? Nein, das konnte Slosc nicht glauben. Trotzdem … Einer mußte es gewesen sein! Aber wer? Er wandte sich wieder dringenderen Problemen zu. Sperco erwartete die BESCHEIDENHEIT zu einem bestimmten Termin, der in drei Tagen verstrich. Der Vertrag mit Vallischor eilte. Er, Slosc, würde in Ungnade fallen, wenn er nicht pünktlich im Haupt-
Clark Darlton quartier eintraf. Und was Ungnade in den Augen Spercos bedeutete, wußte er nur zu genau. »Was ist los?« erkundigte er sich ungeduldig bei der R-Abteilung. Die Antwort war wenig ermutigend. »Ganz offensichtlich eine absichtlich herbeigeführte Explosion, also Sabotage. Der Verteiler ist total zerstört und nicht zu reparieren. Die gelagerten Ersatzteile reichen nicht aus, sie sind nur für kleinere Schäden vorgesehen. Der Verteiler muß komplett ersetzt werden. Eine solche Reparatur sollte in einem Hangar mit der entsprechenden Ausrüstung vorgenommen werden.« »Wir befinden uns in der Nähe eines Planeten.« »Wenn er einen solchen Hangar nicht hat, nützt das nichts.« »Ich habe schon Hilfe angefordert. Der Ersatzverteiler wird bald eintreffen. Kann er dann ausgetauscht werden?« »Auf einem Planeten – ja. Nicht im Raum.« »Also gut, dann werden wir den Planeten anfliegen und landen. Ich werde die Koordinaten weiterleiten. Das Reparaturschiff wird in ein oder zwei Tagen eintreffen.« Damit unterbrach er die Verbindung und gab der Zentrale entsprechende Anweisungen. Als alle Nachrichtengeräte abgeschaltet waren, lehnte er sich in seinem Sessel zurück. Also doch! Sabotage! Er unterdrückte seinen Zorn und versuchte, die Angelegenheit nüchtern zu durchdenken. Wer – außer den beiden Tekrothen – konnte ein Interesse daran haben, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um den Flug zum Hauptquartier zu verzögern? Außer den beiden gab es keinen Fremden an Bord. Oder doch? Erneut rief er den Sicherheitsdienst der BESCHEIDENHEIT. »Die Durchsuchung des Schiffes hat vor wenigen Minuten begonnen, Kommandant.
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Die gesamte Besatzung wird überprüft. Eine entsprechende Bekanntmachung wurde über den Bordfunk verbreitet.« »Dummköpfe!« unterbrach Slosc den Leiter der Sicherheitsabteilung grob, weil er wütend war. »Damit ist der Saboteur gewarnt.« »Wo soll er denn hin?« hielt ihm der Offizier entgegen. Slosc gab keine Antwort und schaltete ab. Ratlos brütete er vor sich hin, während das Schiff das unbekannte System ansteuerte.
* Als die Stimme aus den Lautsprechern auf dem Korridor nicht zu verstehen war, öffnete Erytder die Tür einen Spalt. Der Sicherheitsdienst der BESCHEIDENHEIT kündigte eine Kontrolle der Besatzung an. Jeder Spercoide wurde aufgefordert, sein Quartier nicht zu verlassen, bis die Überprüfung beendet war. Hastig schloß der Tekrothe wieder die Tür. »Und was jetzt?« fragte er verstört. »Du bist nicht in deinem Quartier, wie es befohlen wird. Wenn du der Anordnung keine Folge leistest, gerätst du sofort in Verdacht.« »Du hast recht«, gab Atlan beunruhigt zu. »Ich muß zurück in Quartier Nr. 7. Ihr selbst habt nichts zu befürchten, niemand wird auf den Gedanken kommen, ihr hättet Sabotage betrieben. Dafür sorgte schon Camauke durch seine … seine zurückhaltende Vornehmheit.« Der Würdenträger grunzte zufrieden, aber Atlan kümmerte sich nicht darum. In aller Eile legte er die Rüstung an und gab Erytder letzte Anweisungen. »Was immer auch geschieht, verlaßt die Kabinen nicht, laßt jedoch immer eine der Türen unverschlossen. Es kann sein, daß ich sehr hastig und übereilt hier Zuflucht suchen muß. Mit höchster Wahrscheinlichkeit dann, wenn man eure Kabinen durchsucht hat. Zweimal wird das kaum geschehen.«
Er trat hinaus auf den Korridor und erreichte einen der Lifte ohne Zwischenfall. Wahrscheinlich erfolgte die Kontrolle nach einem ganz bestimmten System, das er allerdings nicht kannte. Wenn es ihm aber gelang, in einer der Etagen durchzuschlüpfen und wieder die Suite der Tekrothen zu erreichen, war die schlimmste Gefahr vorüber. Er glitt zehn Etagen in die Tiefe und verließ den Schacht. Spercoiden eilten an ihm vorbei, um ihre Quartiere aufzusuchen. Er schloß sich ihnen an. Einer nach dem anderen verschwanden sie hinter den zahlreichen Türen, bis er allein war. Quartier Nr. 7 lag eine Etage höher. Ziellos wanderte er durch die Korridore, sich dabei stets in der Nähe eines Liftes haltend. So wartete er, bis endlich die Spercoiden mit den Merkmalen des Sicherheitsdiensts erschienen. Kaum tauchten sie auf, da setzte er sich erneut in Bewegung, genau auf die sich verteilenden Wachen zu. Prompt wurde er angehalten. »Hast du nicht die Anordnung gehört? Jeder hat sich in seinem Quartier aufzuhalten, bis die Genehmigung zum Verlassen erteilt wird.« »Ich habe erst meine Arbeit beendet.« »Zu welchem Trupp gehörst du?« »Quartier 7!« Der Spercoide war gut informiert. »Quartier 7 liegt eine Etage höher. Ab mit dir!« Atlan mußte noch seinen Namen – Botosc – angeben, der notiert wurde, dann stieg er in Begleitung eines anderen Spercoiden in den Lift. Zielsicher fand er »seine« Kabinentür und drückte sie auf. Seine beiden »Kollegen« saßen auf ihren Betten. »Gehört der zu euch?« fragte der Sicherheitsmann. »Dann nennt mir seinen Namen.« »Botosc«, erwiderte einer von ihnen, ohne zu zögern. Das genügte. »Wo hast du denn gesteckt?« fragte der
28 andere, als sich die Tür hinter dem Schnüffler geschlossen hatte. »Würde mich nicht wundern, wenn du dich verlaufen hattest.« Atlan nahm den Tip gern auf. »Stimmt, ich kenne mich noch zu wenig aus. Die meiste Zeit arbeite ich in Hangars und Werften. Was soll denn die Kontrolle bedeuten? Nur wegen einer kleinen Explosion?« »Es war Sabotage«, wurde er informiert. »Jedenfalls werden wir in der nächsten Zeit viel Arbeit bekommen.« Atlan änderte seinen ursprünglichen Plan. Er hatte das Gefühl, in Quartier Nr. 7 in den folgenden Stunden am sichersten zu sein. Die Sicherheitsabteilung würde genug zu tun haben, alle eingehenden Informationen zu überprüfen. Wenn sie allerdings auf den Namen Botosc stieß … Zwei Stunden hielt er es aus, dann wurde der Alarmzustand plötzlich aufgehoben. Hatte man jemand gefaßt? Eine Finte von Slosc, um den Saboteur in Sicherheit zu wiegen, teilte der Extrasinn mit. Die Gefahr ist noch nicht vorbei. Er stand auf und ging zur Tür. »Wohin willst du?« wurde er gefragt. »Zum Aufseher, ich hatte vergessen, ihm die Beendigung meiner letzten Arbeit zu melden. Das muß ich nachholen.« »Verlauf dich nicht wieder«, lautete der gutgemeinte Rat. »Keine Sorge, bald kenne ich mich aus.« Er hatte insofern Glück, als ihm auf dem Weg zur Suite niemand begegnete. Wie verabredet fand er eine der Türen offen und zwängte sich schnell durch, da er in einiger Entfernung Schritte auf dem Korridor hörte. Erytder empfing ihn aufgeregt. »Sie haben alle Räume systematisch durchsucht. Du wärest unweigerlich entdeckt worden, wärest du hier geblieben. Wie ist es dir ergangen?« Atlan berichtete kurz, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Camauke ruhte auf seinem Lager wie immer. Fast war es so, als ginge ihn die ganze
Clark Darlton Sache nichts an.
* Slosc ließ seinen Zorn und seine Enttäuschung über den Fehlschlag bei der Suche nach dem Saboteur an der Besatzung aus. Inzwischen hatte man sich dem System soweit genähert, daß die Landung eingeleitet werden konnte. Sie würde weiter keine Schwierigkeiten bereiten, da der Normalantrieb einwandfrei arbeitete. Mit düsterer Miene studierte der Kommandant den Monitor, der ihm die Eindrücke aus der Zentrale überspielte. Das Schiff nahm direkten Kurs auf den dritten Planeten der gelbweißen Sonne. Die Oberfläche war reichlich mit Vegetation bedeckt, es gab große Ozeane und einige Kontinente. Die Landung sollte auf dem größten von ihnen erfolgen. Slosc sah nicht die Schönheit einer noch unberührten Welt, sie interessierte ihn nicht. Er konnte immer nur an den Zeitverlust denken. Inzwischen würde auch Sperco unterrichtet sein und einen seiner berüchtigten Wutanfälle hinter sich haben. Solche Anfälle endeten meist mit einer Verbannung einiger hoher Würdenträger und verantwortlicher Offiziere. Vielleicht war sein – Sloscs – Urteil auch schon gefällt. Wehe, wenn er diesen Saboteur doch noch erwischte! Nein, er würde ihn nicht töten lassen, sondern Sperco gefesselt vor die Füße legen. Vielleicht ließ sich damit der Zorn des Tyrannen besänftigen. Aber noch war es nicht soweit. Nach zwei Umkreisungen befahl Slosc die Landung auf dem größten der Kontinente, möglichst in der Nähe eines Flusses, da die Wasservorräte bei dieser Gelegenheit ergänzt werden sollten – abgesehen von der Tatsache, daß Kühlwasser bei der Reparatur ohnehin benötigt würde. In einigen Kilometern Höhe trafen erste Störungen des bis dahin nicht defekten An-
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triebs auf. Diesmal konnte es sich unmöglich wieder um Sabotage handeln, höchstens um eine Nachlässigkeit des Wartungspersonals. Slosc fluchte und befahl die Notlandung. Die BESCHEIDENHEIT kam ein wenig vom beabsichtigten Kurs ab. Das Schiff sank langsam und ziemlich kontrolliert in die Tiefe, genau auf den Fluß zu. Die Instrumente zeigten eine nur geringe Wassertiefe an. Eine radikale Kursänderung wurde dadurch überflüssig. Trotzdem gab es eine heftige Erschütterung, als die Standbeine Bodenberührung erhielten. Sie standen etwa in drei Meter tiefem Wasser auf Felsen. Die Ufer waren in beiden Richtungen mehrere hundert Meter entfernt. Slosc atmete auf, als der Antrieb abgeschaltet wurde. Instinktiv hatte er mit einer neuerlichen Explosion gerechnet, vielleicht eine Folge der ersten beiden. Aber nichts geschah. Die Zentrale meldete, daß erneut Kontakt mit der fliegenden Werft aufgenommen worden sei. Das Hilfsschiff konnte den Planeten in zwei Tagen erreichen und brachte alle erforderlichen Ersatzteile und die entsprechenden Spezialisten zum Einbau mit. Der Kommandant befahl, daß man mit dem Ausbau des zerfetzten Verteilers beginnen solle, um Zeit einzusparen. Außerdem verlangte er einen detaillierten Bericht der Wartungsabteilung und genaue Angaben über die Schäden. Als er seine Kabine verließ, beschloß er, die zwei folgenden Wartetage zu nutzen. Noch einmal würde ihm der Saboteur nicht entwischen.
5. Atlan erwachte, als das Schiff aufsetzte. Ohne lange zu überlegen, zog er die Rüstung wieder an und sagte zu Erytder, der ihn zur Tür begleitete: »Ich sehe mich draußen ein wenig um, außerdem möchte ich mit den beiden Spercoi-
den des Reinigungskommandos weiterhin Kontakt halten.« »Und wenn sie Verdacht schöpfen?« »Die beiden bestimmt nicht, denn sie glauben, daß ich ihnen zugeteilt bin. Es kann höchstens sein, daß abermals eine Personalkontrolle durchgeführt wird, eine strengere als die erste. Dann wird es gefährlich.« »Nützt uns dieser Aufenthalt überhaupt etwas?« »Das weiß ich noch nicht. Jedenfalls ist Zeit gewonnen. Ich muß herausfinden, ob sich mit ihr etwas anfangen läßt. Wäre der Planet bewohnt, würde ich euch zur Flucht raten, denn ohne Camauke als Bevollmächtigten kann Sperco keinen Vertrag abschließen.« »Vielleicht ist er bewohnt …?« »Nein, soweit ich in Erfahrung bringen konnte. Es soll sich um eine Urwelt handeln. Gut, Erytder, ich gehe jetzt. Sollte ich nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden zurück sein, so fordere Botosc vom Reinigungskommando, Quartier Nr. 7, an. Vergiß es nicht.« Unangefochten erreichte er Quartier Nr. 7 und schloß die Tür. »Zeit, daß du kommst«, wurde er von den »Kollegen« empfangen. »Es wird Arbeit geben. Wir müssen zerstörte und nutzlose Gegenstände aus dem Schiff transportieren. Wahrscheinlich aus dem Antriebsraum für Überlicht. Wenigstens bekommen wir dann frische Luft zu atmen.« Atlan beeilte sich zu versichern, daß er nichts dagegen habe, den Boden eines fremden Planeten zu betreten. Er folgte den beiden in den Antriebsteil der BESCHEIDENHEIT. Mehrere Trupps hatten bereits mit der Arbeit begonnen. In dem Raum, in dem die Maschinen des Überlichtantriebs standen, sah es furchtbar aus. Die beiden Sprengkörper hatten mehr Schaden angerichtet, als Atlan vermutet hatte. Eine Maschinenwand war herausgerissen und quer durch den Saal geschleudert worden, dabei hatte sie wichtige Leitungen unterbrochen und Kurzschlüsse verursacht.
30 Der Verteiler selbst war nur noch ein Haufen ineinander verkeilter Trümmer. Spercoiden waren damit beschäftigt, die einzelnen Teile einzusammeln und in Behältern zu verstauen, die aus dem Schiff gebracht werden sollten. Atlan wunderte sich, daß man sie nicht zu einer gründlichen Untersuchung in ein Labor schaffte, um die Ursache der Explosion herauszufinden. Slosc schien so fest von Sabotage überzeugt zu sein, daß er eine solche Untersuchung für überflüssig hielt. Zusammen mit seinen Quartiergefährten übernahm er einen der gut transportablen Behälter und fuhr ihn zum nächsten Lastenlift. Ein Aufseher notierte sich die Fuhre und ihre Begleiter. Die Güterschleuse befand sich in der untersten Etage. Durch das weitgeöffnete Luk strömte Atlan eine etwas stickige, aber trotzdem wohltuend frische Luft entgegen. Das Schiff mußte in der Nähe des Äquators niedergegangen sein. Es roch nach Urwald und Sumpf. Vor allen Dingen roch es nach Wasser. Die breite und stabile Rampe war ausgefahren worden. Sie endete in dem schwach dahinströmenden Wasser des Flusses, der eine Menge von Schlamm und Baumstämmen mit sich führte. Atlan schob den Behälter, die beiden Spercoiden zogen. Dann aber, als die Neigung der Rampe begann, mußte Atlan kräftig zurückhalten, damit der schwere Behälter nicht abwärtsrollte. Der Befehl lautete, die Trümmer einfach ins Wasser zu schütten. Das war eine einfache Lösung, aber sie hatte auch ihre Tücken. Einst, wenn sich auf dieser Welt intelligentes Leben entwickelt hatte, konnte es geschehen, daß man Teile des unvergänglichen Materials fand. Die Folgen würden Spekulationen sein, die oft zu falschen Schlüssen führten. Atlan entsann sich, daß auf der Erde Ähnliches geschehen war. Während sie arbeiteten, sah er sich aufmerksam um. Zu beiden Seiten des Ufers gab es nichts als undurchdringlichen Ur-
Clark Darlton wald, der nicht gerade zu einem Spaziergang verlockte. Ohne Waffen würde man in ihm hilflos eventuellen Raubtieren ausgeliefert sein. Aber vielleicht gab es noch keine …? Atlan dachte an Flucht aus dem Schiff. Zumindest wollte er die beiden Tekrothen dazu bewegen. Später würde sich schon eine Gelegenheit finden, den Herrscher auf Vallischor davon zu unterrichten, daß sein Repräsentant sich hier aufhielt. Und wenn nicht, so entgingen Camauke und Erytder einem mehr als ungewissen Schicksal. Es ging jedoch in erster Linie um das gesamte Volk der Tekrothen. Das Schicksal von nur zwei seiner Angehörigen war bedeutungslos, wenn man das ganze Volk in Erwägung zog. Leicht fiel es Atlan nicht, die Entscheidung zu fällen.
* Nach zehn Stunden Arbeit wurden die einzelnen Kommandos abgelöst. Atlan registrierte die Tatsache, daß sie auch beim Betreten des Schiffes jedesmal kontrolliert wurden, mit einigem Unbehagen. Es würde also unmöglich sein, unbemerkt von Bord zu verschwinden. Die Zeit außerhalb des Schiffes hatte ihn einigermaßen mit den Verhältnissen des Planeten vertraut gemacht. Der Tag dauerte etwa acht Stunden, die Gravitation war normal. Die mittags senkrecht stehende Sonne bestätigte seine Vermutung, daß man sich unmittelbar am Äquator aufhielt. Die Ruhepause verbrachte er vorsichtshalber in Quartier Nr. 7, nachdem er Erytder vorher unterrichtet hatte. Das schien ihm sicherer. Inzwischen war auch bekannt geworden, daß es noch anderthalb Tage dauern würde, bis das Hilfsschiff mit den notwendigen Ersatzteilen eintraf. Immer konzentrierter mußte Atlan gegen die intensiver einsetzende Spercoidenmentalität ankämpfen, wobei ihm sein Extrasinn tatkräftig half. Trotzdem ließ sich der Augenblick absehen, in dem er diesem Einfluß
Flucht in den Kerker unterliegen würde. Zwei Tage vielleicht noch, oder drei, wenn er den Anzug zwischendurch nicht längere Zeit ablegte. Aber es war einfach unmöglich, seinen beiden »Kollegen« laufend plausible Gründe für seine Abwesenheit zu liefern. Sie würden allmählich Verdacht schöpfen. Er war erleichtert, als es wieder hinaus zur Arbeit ging. Außerhalb des Schiffes fühlte er sich sicherer, obwohl dazu eigentlich keine Veranlassung vorlag. Dieser Planet war unbewohnt, zumindest gab es auf ihm keine intelligenten Lebewesen, die ihm hätten weiterhelfen können. Die einzige Möglichkeit bestand darin, ein Beiboot der BESCHEIDENHEIT zu kapern und damit zu fliehen. Doch: wohin? Sein Ziel war der Sitz des Tyrannen Sperco. Die Tekrothen hatten alle seine Pläne durcheinandergebracht. Er konnte ihnen aus dem Schiff helfen und sich dann wieder einfangen lassen, dann wären zwei Probleme auf einmal gelöst. Die Tekrothen konnten den Vertrag mit Sperco nicht abschließen, und ihn würde man mit Sicherheit als Gefangenen zu Sperco bringen. Während er seiner Arbeit nachging, studierte er noch einmal die nächste Umgebung des Landeplatzes. Auch hatte er bemerkt, daß zwei Gleiter ausgeschickt worden waren, um den Planeten zu erkunden. Vom Ergebnis dieser beiden Flüge erfuhr er nichts. Es fiel ihm schwer, sich auf sich selbst zu besinnen. Noch einen Tag würde er es vielleicht aushalten, aber besser wäre es, den Anzug wieder auszuziehen. Also entfernte er sich nach Beendigung der Arbeitsschicht nach der letzten Kontrolle mit einer Ausrede aus Quartier Nr. 7 und suchte die Tekrothen auf. Als er sich des Anzugs entledigt hatte, spürte er die wohltuende Wirkung des eigenen Ichs. Aber er wußte auch, daß es nur ein Aufschub war, denn sobald er den Anzug wieder anlegte, würde die negative Beein-
31 flussung genau an dem Punkt einsetzen, an dem sie unterbrochen wurde. »Erytder, wir müssen jetzt etwas unternehmen, denn wir haben nicht mehr viel Zeit. Camauke darf niemals mit Sperco zusammentreffen, oder euer Volk ist für immer versklavt.« »Ich will zurück nach Vallischor!« jammerte Camauke vom Bett her. »Das wird nicht so einfach sein«, dämpfte Atlan seine Hoffnungen. »Wichtig ist, daß es euch gelingt, aus dem Schiff zu kommen. Der Planet ist bewohnbar, ein urweltliches Paradies. Ich selbst werde danach versuchen, zurück ins Schiff zu gelangen, denn ich muß zu Sperco. Irgendwann werde ich Gelegenheit bekommen, eine Nachricht nach Vallischor zu senden. Man wird euch ein Schiff schicken.« »Eine Urwelt?« stöhnte Camauke voller Entsetzen. »Was soll ich da denn zu essen bekommen?« »Halt endlich den Mund!« fuhr sein Diener Erytder ihn wütend an. »Eine Fastenkur täte dir verdammt gut!« Camauke sank erschüttert in die Polster zurück und schwieg. »Eine Flucht aus dem Schiff ist natürlich mit Gefahr verbunden, aber ich habe mich inzwischen mit den Verhältnissen an Bord vertraut machen können. Die Güterluke in der untersten Etage wird nachts nicht bewacht. Ihr unbefugtes Öffnen würde allerdings einen Alarm auslösen, aber bis die Jagd auf uns beginnt, könnten wir schon weit sein. Nun ist aber zu bedenken, daß im Augenblick Tag und Nacht gearbeitet wird.« »Ich würde notfalls auch die Rüstung eines Spercoiden anlegen«, schlug Erytder vor. Atlan warf ihm einen Blick zu. »Du würdest eventuell hineinpassen, aber bei Camauke habe ich ernstliche Bedenken. Er ist zu dick.« Sie argumentierten noch eine ganze Stunde, ohne eine Lösung zu finden. Dann legte Atlan den Anzug wieder an, um in Quartier Nr. 7 zurückzukehren, versprach aber, sich
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in Kürze wieder zu melden. Auf dem Weg zu den Quartieren des Reinigungskommandos erfuhr er über die Bordsprechanlage, daß die Aufräumungsarbeiten beendet seien und das Hilfsschiff WAHRHAFTIGKEIT im Verlauf des morgigen Tages eintreffen würde. Kurz entschlossen kehrte Atlan um. Die Zeit zum Handeln war gekommen.
* Kommandant Slosc konnte das Ergebnis der zweitägigen Kontrolle nicht befriedigen. Sicher, es hatte sich nur um eine Routineüberwachung gehandelt, wie sie fast immer bei Außenarbeiten vorgenommen wurde, aber bei sich hatte er doch mit einem Erfolg gerechnet. Wenn es diesen mutmaßlichen Saboteur wirklich gab, mußte er sich früher oder später selbst verraten. Morgen kam die WAHRHAFTIGKEIT. Die Reparatur würde etwa einen Tag und eine Nacht dauern, dann konnte der Flug fortgesetzt werden. Notfalls mit dem ungefaßten Saboteur an Bord. Im Hauptquartier angekommen, würde er mit Sicherheit entlarvt werden können, denn dort existierten die vollkommenen Listen aller im Dienst Spercos befindlichen Spercoiden. Allmählich begann er darüber wütend zu werden, daß man ausgerechnet ihm den Auftrag gegeben hatte, die Tekrothen abzuholen und zu Sperco zu bringen. Und was war daraus geworden? Eine lebensgefährliche Angelegenheit, wenn es ihm nicht gelang, diesen Saboteur zu finden. Slosc verließ nach einigen Anordnungen an die Sicherheitsabteilung seine Dienstkabine und begab sich in seine Wohnräume, die direkt mit der eigentlichen Kommandozentrale in Verbindung standen. Er hatte wenig geschlafen in den letzten Nächten und war müde. Diese Nacht, das hoffte er, würde keine Überraschungen bringen. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Mitternacht war gerade vorbei, als eine
Explosion den oberen Teil des Schiffes erschütterte und ein Großteil der Beleuchtung ausfiel. Slosc hatte einen guten Schlaf und wurde erst durch das Aufgellen der Alarmsirenen geweckt. Die Sicherheitsabteilung teilte ihm den Sachverhalt mit und bat um Anweisungen. Abermals erließ der Kommandant den Befehl, daß niemand seine Unterkunft verlassen dürfe und ordnete die Durchsuchung des Schiffes an. Sie wurde dadurch erschwert, daß mit der Beleuchtung auch die Bildübertragung an Bord teilweise ausfiel, was die Beobachtung der vielen Korridore und Etagen arg behinderte. Die Explosion hatte den Energieverteiler beschädigt, aber zum Glück nicht völlig zerstört. Immerhin verriet die Anbringung des Sprengsatzes technisches Können, was den Verdacht auf Angehörige des Wartungs- und Reparaturpersonals lenkte. Die erste Überraschung erlebte Slosc, als ihm gemeldet wurde, daß die Kabinen der Tekrothen verlassen waren. Von dem Würdenträger und seinem Diener war keine Spur zu finden. Die beiden waren verschwunden. Gleichzeitig fast erfuhr er, daß man den leeren Anzug eines technischen Leiters in einer der unbenützten Gastkabinen aufgefunden hatte. Es handelte sich sogar um einen Offizier. Der Helm war mit einem schweren Gegenstand zersplittert worden und hatte den sofortigen Tod des in der Rüstung befindlichen Spercoiden herbeigeführt. Der Verräter an Bord der BESCHEIDENHEIT war nicht nur ein Saboteur, er war auch ein Mörder. Er mußte unter allen Umständen gefaßt werden, und zwar lebendig, damit man etwas über sein Motiv erfuhr. Eine weitere halbe Stunde verging, in der Slosc nichts anderes tun konnte, als auf eintreffende Meldungen zu warten. Er wartete nicht ganz umsonst, denn man teilte ihm mit, daß die untere Ladeluke unsachgemäß verschlossen sei. Es bestehe der begründete Verdacht, daß jemand heimlich das Schiff verlassen habe. War der Saboteur geflohen? Das erschien
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absurd, denn wohin wollte er sich auf dieser Urwelt wenden? Daß die Tekrothen die beiden Sabotageakte ausgeführt hatten, glaubte Slosc nicht. Sie schienen ihm jeder Eigeninitiative unfähig. Also mußten sie einen unbekannten Helfer haben, eben den Saboteur, der sie aus dem Schiff gebracht hatte. Aber warum? Slosc gestand sich ein; weiter denn je von einer befriedigenden Antwort entfernt zu sein. Und morgen traf die WAHRHAFTIGKEIT ein, und mit ihr einige unbequeme Fragen. »Sobald es hell wird, sind Suchgleiter einzusetzen. Die Umgebung des Landeplatzes muß intensiv nach Spuren abgesucht werden.« Der Offizier der Sicherheitsabteilung, der ihm mündlichen Bericht erstattet hatte, salutierte und wollte gehen. Aber Slosc fügte noch hinzu: »Die beiden Tekrothen dürfen unter keinen Umständen verletzt werden, sie müssen Sperco vorgeführt werden. Das gilt auch für den Saboteur, der sich bei ihnen befinden muß.«
* Atlan wußte, daß er keine Minute mehr verlieren durfte. So schnell er konnte, suchte er die Munitionskammer auf und nahm eins der flachen Pakete mit. Da die Bombe erst zwei Stunden nach dem Scharfmachen explodierte, drückte er bereits jetzt den Feuerknopf ein. Ihm blieben etwas mehr als hundert Minuten, seinen Plan auszuführen. Die Explosion im Oberteil des Schiffes würde die Aufmerksamkeit von der unteren Region ablenken. Ohne jemandem zu begegnen, erreichte er die Etage, auf der sich auch die Kommandozentrale befand. Wider Erwarten traf er hier ebenfalls keine Wache an. Der Kontrolleifer der Spercoiden schien nachgelassen zu haben. Atlan konnte das nur recht sein, denn seine Aufgabe wurde dadurch erleichtert. Nach einigem Suchen fand er das, was er suchte. Energieleiter wiesen ihm den Weg
zum Verteiler. In der Anlage selbst war es dann nicht schwer, den Sprengsatz so anzubringen, daß er die gewünschte Wirkung erzielte. Atlan schätzte, daß noch achtzig Minuten bis zur Detonation blieben. Sorgfältig verschloß er den Raum wieder und suchte den nächsten Lift auf. Wortlos ging er an einem Wachtposten vorüber, der ihm begegnete. Reinigungspersonal trieb sich in allen Teilen des Schiffes herum, auch nachts. Wenn ein Offizier einen Mann dieser nicht besonders geachteten Truppe anforderte, so hatte dieser zu erscheinen. Erytder erwachte, als Atlan die Suite betrat. Camauke schnarchte auf seinem Lager und schlief weiter. »Es ist soweit, Erytder. Wecke deinen Herren auf. Wir müssen das Schiff verlassen.« Erytder hatte sich bereits mit diesem Gedanken vertraut gemacht und zögerte nicht, Camauke einen derben Stoß zu versetzen. Der Dicke grunzte und wollte weiterschlafen, aber sein Diener kannte keinen Pardon. Er rollte ihn einfach von dem flachen Bett. Die harte Berührung mit dem Boden ließ den Würdenträger rasch munter werden. »Mitten in der Nacht?« begann er zu jammern, wurde aber von Atlan unterbrochen: »Wir können uns die Zeit nicht aussuchen. In einer Stunde ist hier die Hölle los, Camauke. Wenn wir bis dahin nicht aus dem Schiff sind, werden wir es nie mehr verlassen können.« Mit Hilfe von Erytder zog Camauke sich an und bedeckte sein grünes Fell mit den schwarzen Farbtupfern. Nun sah er noch mehr wie ein Sack aus als vorher. Atlan wußte, daß er mit diesem Verbündeten seine Mühe haben würde, aber ihm blieb keine andere Wahl. Sie nahmen nur das Notwendigste mit, das dazu angetan war, das Überleben auf einer Urwelt zu sichern. Dazu gehörten Feuerzeuge und ein Messer, letzteres mehr eine Zierde als eine brauchbare Waffe. Atlan drängte zur Eile. Noch fünfzig Minuten bis zur Explosion.
34 Als sie endlich die Suite verließen, wußte er, daß sie von jetzt an niemandem mehr begegnen durften, ohne ihn töten zu müssen. Aber sie hatten Glück. Unangefochten erreichten sie die untere Ladeluke. Nachdem die Arbeiten eingestellt worden waren, hatte man auch die Wachtposten hier abgezogen. Die Luke war geschlossen, aber nicht gesichert. Das Öffnen bereitete keine Schwierigkeiten und löste auch keinen Alarm aus, wie Atlan heimlich befürchtet hatte. Frische Nachtluft strömte ihnen entgegen. »Es ist aber sehr dunkel da draußen«, flüsterte Camauke ängstlich. »Und es rauscht so. Ist das Wasser?« »Das Schiff ist mitten in einem Fluß gelandet«, klärte ihn Atlan auf. »Wir werden schwimmen müssen.« »Aber ich kann nicht schwimmen …« »Bei deinem Fett wirst du ganz von allein oben bleiben«, fuhr Erytder ihn an. »Notfalls helfe ich dir. Ist ja nicht weit.« »Aber dunkel …!« Die Rampe war eingezogen worden. Von der Lukenschwelle bis zur Wasseroberfläche waren es schätzungsweise fünf bis sechs Meter, also kein Problem. »Wir müssen springen, Erytder. Du nimmst Camauke und sorgst dafür, daß er mit dir zusammen springt. Das Wasser ist etwa drei Meter tief. Wir halten uns flußabwärts, dann in Richtung rechtes Ufer. Ich habe dort eine Bucht bemerkt, die ruhiges Wasser verspricht. Versuche sie zu erreichen: Das Wasser wird dort seichter sein.« »Ich habe Angst«, gab Camauke zu. »Wir auch«, tröstete ihn Atlan. »Aber hier zu bleiben wäre der sichere Tod. Die Wildnis hingegen bietet uns eine Chance.« Erytder nahm Camauke beim Arm. »Also dann los! Wir springen zuerst.« Camauke hatte jenen Punkt erreicht, den jedes Lebewesen mindestens einmal in seinem Leben erreicht. Es ist jener Punkt, der aus Feiglingen Helden macht, und im Grunde kann man jeden einen Feigling nennen, der sein Leben liebt. Dieser eine Augenblick läßt keine Zeit für Entscheidungen, denn sie
Clark Darlton werden einem aufgezwungen. Camauke war so ein unfreiwilliger Held, als er seinerseits auch Erytder an der Hand nahm und die Augen schloß, um dann den Schritt nach vorn zu machen. Sein Diener sprang gleichzeitig. Atlan hörte das Aufklatschen im Wasser und besann sich nicht mehr lange. Er zog die Luke zu, ohne sie ganz schließen zu können, dann sprang auch er. Er fühlte Grund unter den Füßen, dann einen harten Gegenstand – wahrscheinlich ein Trümmerstück, das man aus dem Schiff geworfen hatte – und stieß sich ab. Sein Kopf brach durch die Oberfläche, und als er die Augen wieder öffnete, hatten sie sich an die Finsternis gewöhnt. Ein Stück flußabwärts hörte er ein platschendes Geräusch und ein Gurgeln. Er schwamm darauf zu und erreichte die beiden Tekrothen gerade noch rechtzeitig, um Camauke vor dem Ertrinken zu retten, weil es Erytder unmöglich wurde, den um sich Schlagenden noch länger festzuhalten. Atlan betäubte den unfreiwilligen Helden mit einem Faustschlag, legte sich auf den Rücken und nahm Kurs auf die Bucht auf der rechten Seite des Stroms, der nun tiefer wurde. Dafür floß er ruhiger. Erytder hielt sich tapfer an der Seite Atlans. Er schwamm besser, als dieser vermutet hatte. Aber auch Camauke wäre kaum untergegangen. Sein Fett trug ihn tatsächlich, so daß er wie ein Kork auf der Oberfläche trieb. Als er das endlich begriff und aufhörte, sich wie ein Ertrinkender zu benehmen, konnte Atlan sich sogar an ihm festhalten, ohne selbst unterzugehen. Sie trieben in die Bucht hinein und spürten bald Boden unter den suchenden Füßen. Sie wateten an Land. Der Urwald begann nicht unmittelbar am Ufer, so daß ein breiter Streifen entstand, der zumeist aus felsigem Boden bestand. Angeschwemmte Baumstämme waren zwar hinderlich, brachten Atlan jedoch auf einen guten Gedanken. Schlingpflanzen gab es genug, so daß der Bau eines Floßes kein Problem darstellen würde.
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Bis zur Explosion waren es höchstens noch zehn Minuten. Camauke hatte sich lang auf den feuchten Felsen ausgestreckt und schien entschlossen, keinen Schritt mehr weiterzugehen. Atlan sagte zu Erytder: »Wir müssen Baumstämme zusammenlegen und zu einem Floß verbinden. Damit können wir flußabwärts treiben, bis wir außer Sichtweite der Spercoiden gelangen. Wir beide übernehmen die Schwerarbeit, während Camauke mit dem Messer Schlingpflanzen abschneidet. Los, wir fangen gleich damit an. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr, denn wenn es hell wird, müssen wir hier weg sein.« Camauke maulte zwar, aber die Angst vor der neuerlichen Gefangennahme machte ihn wieder munter. Er tastete sich in das Dickicht hinein und begann, die zähen Schlingpflanzen abzusäbeln. Atlan und Erytder schleppten die Stämme herbei, soweit sie am Ufer lagen und noch schwimmfähig waren. Zum Glück fanden sich auch einige trockene, die mithalfen, die anderen zu tragen. Als der Morgen graute, schoben sie das Floß ins Wasser. Es trug sie.
* Längst mußte in der BESCHEIDENHEIT die Explosion erfolgt sein, denn Atlan hatte das plötzliche Verlöschen einer Reihe von Lukenlichter bemerkt. Jetzt begann an Bord die Suche nach dem Verbrecher, und früher oder später würde man das Fehlen der Tekrothen feststellen. Das Floß trieb flußabwärts, und dann kam eine Biegung. Das Schiff verschwand aus dem Gesichtsfeld. Atlan hatte schon lange seine Spercoidenrüstung abgelegt und sie auf dem Floß festgebunden. Er durfte sie unter keinen Umständen verlieren. Jetzt aber genoß er trotz aller Gefahren seine zurückgekehrte Menschlichkeit, die nichts mit der harten
Spercoidenmentalität zu tun hatte. Der Fluß wurde reißender und nahm das Floß immer schneller mit sich. Die nun felsigen Ufer traten enger zusammen, erste Stromschnellen erschwerten die rasende Fahrt, die sie immer weiter weg vom Landeplatz führte. Bisher hatte Atlan noch nichts von Leben bemerken können, auch im Wasser nicht. Trotzdem mußte es zumindest Tiere auf dieser Welt geben, denn mehr als einmal waren große summende Insekten über das Floß hinweggeflogen. Gegen Mittag erschien stromaufwärts ein größeres Beiboot der Spercoiden. Zum Glück befand sich das Floß gerade nahe beim Ufer, das wieder flacher und bewachsener geworden war. Atlan steuerte es sofort unter die weit überhängenden Äste riesiger Urwaldriesen und befestigte es am Ufer, so daß es nicht mehr weitertreiben konnte. Das Beiboot flog langsam und ziemlich niedrig, aber nicht tief genug, um die Flüchtlinge zu entdecken. Einige Minuten später war es stromabwärts verschwunden, würde aber mit Sicherheit wieder zurückkehren. Der Fluß bot die einzige Fluchtmöglichkeit. »Wir bleiben solange hier«, sagte Atlan, der das Versteck für gut hielt. »Gib mir dein Messer, Camauke. Ich will versuchen, uns eine Mahlzeit zu besorgen. Meine Lebensmittel sind knapp geworden.« »Ich habe Hunger«, bemerkte Camauke und gab damit keine besondere Neuigkeit preis. Bereits eine Viertelstunde später kam das Beiboot wieder flußaufwärts geflogen und kehrte damit zum Schiff zurück. Atlan war ein wenig überrascht, daß die Spercoiden die Suche in dieser doch sehr wahrscheinlichen Fluchtrichtung so schnell aufgaben. Das mußte seinen besonderen Grund haben. »Wir müssen weiter«, sagte er, nachdem er alle Möglichkeiten in Betracht gezogen hatte. »Hier sind wir auf die Dauer nicht sicher. Trotzdem will ich versuchen, etwas zum Essen aufzutreiben. Bleibt auf dem Floß und verlaßt es unter keinen Umstän-
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den.« Widerstrebend fast überließ Camauke dem Arkoniden sein Ziermesser, das immerhin eine scharfe Klinge aufwies und recht widerstandsfähig zu sein schien. Das Absäbeln der Schlingpflanzen jedenfalls hatte keine Spuren hinterlassen. Der Boden war zu Atlans Erstaunen trockener, als er gehofft hatte. Auch das Unterholz war weniger dicht, als angenommen werden mußte. Er kam gut voran, merkte sich jedoch am Stand der Sonne die Richtung, in der er in den Urwald eindrang. Ein Feuer zu machen und ein Stück Wild zu braten, schien ihm nicht ratsam zu sein, aber vielleicht fand er Früchte, die man roh essen konnte. Früchte gab es tatsächlich genug, aber sie hingen hoch in den Wipfeln der Bäume. Notfalls mußte er hinaufklettern, denn die wenigen, die herabgefallen waren, wirkten verfault. Aber sie rochen nicht schlecht. Je weiter Atlan in den Dschungel vordrang, desto niedriger wurden auch die Bäume. Auch stieg das Gelände kaum merklich an. Einmal sah er einen Vogel mit buntem Gefieder, der krächzende Laute ausstieß und unbeholfen davonflatterte. Verhungern würde man also nicht in dieser Wildnis, wenn man es wagen konnte, ein Feuer zu entzünden. Doch dann mußte man weiter vom Schiff entfernt sein. Endlich fand er einen jüngeren Baum am Rand einer Lichtung, dessen Äste fast bis zum Boden herabhingen. Er pflückte eine der birnenförmigen Früchte und probierte sie. Sie schmeckte süß und aromatisch und löschte zugleich mit dem Hunger auch den Durst. Eine Viertelstunde wartete er, aber es stellten sich keine Nebenwirkungen ein. Atlan wußte, daß diese Frucht nahrhaft und bekömmlich war. Er sammelte einen gehörigen Vorrat und machte sich auf den Rückweg zum Floß.
*
Inzwischen machte Camauke seinem Ärger Luft. »Dieser Botosc, oder wie er sich nennt, geht mir auf die Nerven. Immer müssen wir tun, was er will. Jetzt ist er auch noch mit meinem Messer auf und davon.« »Er kommt zurück und bringt Essen mit. Ohne ihn wären wir rettungslos verloren, das sollte dir doch klar sein.« »Aber im Schiff wären wir sicher gewesen. Niemand hätte es gewagt, die Repräsentanten eines Sternenreiches auch nur anzurühren.« »Sicher, und du hättest einen Vertrag unterzeichnet, der unser Volk für alle Zeiten versklavt hätte. Findest du das richtig?« »Der Herrscher hat mich ausgesandt, diesen Vertrag zu unterzeichnen.« »Rede keinen Unsinn, Camauke! Du hast inzwischen am eigenen Leibe erfahren, wie gefährlich es ist, mit den Spercoiden zu paktieren. Dieser Slosc hat sein wahres Gesicht zu früh gezeigt, das solltest auch du bemerkt haben. Flucht war die einzige Möglichkeit, die Unterzeichnung des Vertrags zu verhindern.« Camauke schwieg verbittert. Seiner Meinung nach war das ganze Universum ungerecht ihm gegenüber. Selbst sein Diener, der ihm sonst stets nach dem Mund geredet hatte, war zur Gegenseite übergelaufen. »Ich habe Hunger«, lenkte er ab. »Dieser Botosc hat in seinem Beutel noch einen hübschen Vorrat. Wir sollten ihm das Zeug wegnehmen.« Erytder rückte näher an ihn heran. »Wenn du es auch nur wagst, den Beutel anzusehen, werfe ich dich ins Wasser. Das ist Notverpflegung, verstanden? Unser Freund wird mit einer Mahlzeit zurückkehren, wie er es versprochen hat. Und bis jetzt hat er immer gehalten, was er versprochen hat.« »Wir kennen ihn überhaupt nicht«, wagte Camauke eingeschüchtert einzuwenden. »Warum machen wir uns eigentlich nicht selbständig?« Erytder beschloß in diesem Augenblick,
Flucht in den Kerker seinen bisherigen Herren auf der Stelle zu verlassen, sobald sie wieder auf Vallischor gelandet waren. Bei einem solchen Versager würde er niemals den Rang eines Zweitfells erreichen. »Ich rede nicht mehr mit dir«, sagte er nur verbittert. Von nun an schwieg auch Camauke beharrlich. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als Atlan zurückkehrte und die Früchte aufteilte. »Es gibt mehr als genug davon, wir werden also nicht verhungern.« »Bleiben wir hier in diesem Versteck?« fragte Erytder kauend. »Nein, wir müssen weiter flußabwärts. Die Spercoiden werden die Suche nach uns bald fortsetzen. Je größer die Entfernung zum Schiff ist, desto besser für uns. Wenn sie die Gleiter einsetzen, wird es gefährlich für uns. Die können sogar zwischen den Bäumen hindurchfliegen.« »Ob das Hilfsschiff schon eingetroffen ist?« Atlan zuckte die Schultern und beobachtete Camauke, der seine Ration wie ein Verhungernder in sich hineinstopfte. Als weder Beiboote noch Gleiter auftauchten, stieß Atlan das Floß vom Ufer ab, hielt sich aber weiterhin in seiner Nähe, um jederzeit Schutz unter dem Blätterdach finden zu können. Erytder suchte ständig den Himmel ab, soweit er sichtbar blieb. Camauke lag auf dem Bauch und starrte in das Wasser, das zwischen den zusammengebundenen Stämmen gluckerte. Das Floß trieb schnell dahin. Die Strömung schien stärker geworden zu sein. Atlan lauschte und hoffte, daß er sich getäuscht hatte, aber das ferne Rauschen und Brausen schien sich zu nähern. Plötzlich wußte er, warum das Beiboot der Spercoiden so überraschend schnell wieder zurückgeflogen war. Ein riesiger Wasserfall beendete den Fluchtweg zu Wasser …
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6. Es war reiner Zufall, daß Kommandant Slosc auf den Namen Botosc stieß. Zwar ging die Sicherheitsabteilung die Namensliste der Besatzung durch und kontrollierte deren Anwesenheit, aber dieser Liste nach zu urteilen fehlte niemand. Dann aber meldete sich ein Mitglied der Reinigungstruppe und gab an, daß der erst kürzlich zugeteilte Botosc seit einiger Zeit nicht mehr in Quartier Nr. 7 erschienen sei. Eine neuerliche Überprüfung ergab, daß ein Spercoide Botosc niemals in die Besatzungsliste eingetragen worden war. Aufseher und Kontrolleure entsannen sich zwar, jemand mit diesem Namen öfter begegnet zu sein, wußten aber auch nicht mehr. Und nun war dieser geheimnisvolle Botosc plötzlich spurlos verschwunden! Damit war für Slosc der Fall klar. Der Unbekannte mußte Saboteur und Mörder sein. Und er hielt sich mit Sicherheit nicht mehr an Bord der BESCHEIDENHEIT auf. Das war einer der Gründe, warum die Suche außerhalb des Schiffes intensiviert werden mußte. Der zweite Grund waren die entflohenen oder entführten Tekrothen. Zur Sicherheit ließ er die beiden Reinigungsleute von Quartier Nr. 7 einsperren, außerdem reagierte diese Maßnahme ein wenig seine Wut ab. Die Beiboote kehrten ohne Ergebnis zurück. Zwar hatte eins von ihnen weiter flußabwärts einen gewaltigen Wasserfall erkundet, der eine Flucht in dieser Richtung unwahrscheinlich werden ließ, aber das war auch schon alles. Die Flüchtlinge würden sich also landeinwärts wenden müssen, und der unübersehbare Urwald bot Tausende von Verstecken. Obwohl damit die Suche so gut wie aussichtslos wurde, befahl Slosc den Einsatz der wendigen Gleiter. Er mußte die Tekrothen finden, bevor die WAHRHAFTIGKEIT eintraf. Und erst recht mußte bis dahin auch der
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geheimnisvolle Botosc gefaßt worden sein. Slosc starrte blicklos vor sich hin, als die Flotte der Gleiter die Hangars verließ und sich nach Plan aufteilte. Seine Zukunft sah alles andere als rosig aus.
* Als das Brausen des Wasserfalls jede Verständigung unmöglich zu machen drohte und der Absturz an der leichten Stauung der Flußoberfläche bereits zu ahnen war, entdeckte Atlan auf der rechten Seite die Mündung eines Nebenflusses. Vielleicht war es auch nur ein Nebenarm des Hauptstroms, aber das spielte keine Rolle. Auf jeden Fall bot er Schutz. Es war nicht so einfach, das schwerfällige Floß in die gewünschte Richtung zu bewegen. Atlans Holzstange fand zum Glück sehr bald Grund und konnte die rasende Fahrt abbremsen. Die beiden Tekrothen paddelten mit den Händen im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben, denn wenn das Floß die rettende Einmündung nicht erreichte, würde es mit Sicherheit von den tobenden Wassermassen in die Tiefe gerissen werden. Sie schafften es praktisch im letzten Augenblick, indem sie sich und damit auch das Floß an den tief herabhängenden Ästen der Uferbäume festhielten und weiterhangelten. Das Wasser war plötzlich ganz ruhig, aber eine leichte Strömung war dennoch vorhanden. Gegen sie war anzukommen, wenn man paddelte. »Ich kann nicht mehr«, stöhnte Camauke erschöpft. »Wir suchen ein Versteck und ruhen uns aus, aber wir müssen damit rechnen, daß die Spercoiden klug genug sind, unseren Fluchtweg zu rekonstruieren. Sobald wir an Land sind, stoßen wir das Floß in den Seitenarm zurück. Es wird in den Strom gelangen und dann mit dem Wasserfall in den Abgrund stürzen. Wenn die Spercoiden die zerfetzten Reste flußabwärts treiben sehen, werden sie ihre Schlüsse ziehen und die Suche nach uns
aufgeben, wenigstens hoffe ich das.« »Und dann?« fragte Erytder. Atlan lächelte. »Dann bauen wir uns ein neues Floß und fahren damit auf diesem Nebenarm weiter in den Urwald hinein.« »Du willst also ewig auf dieser Welt bleiben?« »Nein, natürlich nicht. Die Spercoiden werden noch einige Tage hier bleiben. Wenn es gelingt, eins ihrer Beiboote zu kapern, können wir diesen Planeten verlassen.« »Wie sollen wir ein Beiboot kapern?« »Das weiß ich auch noch nicht. Man müßte es zur Landung verführen und die Besatzung übertölpeln.« »Dann haben wir die ganze Meute auf dem Hals.« »Damit müssen wir rechnen, Erytder. Aber sind wir mit dem Boot durch die Lichtmauer, dann finden sie uns nicht mehr. Vielleicht können wir sogar Vallischor anfliegen, wenn ihr die Koordinaten kennt.« »Keine Ahnung«, gab Erytder zu. »Was versteht ein Erstfell schon von Astronautik. Camauke müßte es wissen.« Aber Camauke verneinte und gab zu verstehen, daß er hungrig sei. Atlan zog das Floß mit einem Ruck unter die überhängenden Zweige, als vom Hauptstrom her der erste Gleiter sichtbar wurde.
* Er flog nur wenige Meter hoch über der Mitte des Nebenarms. Atlan war überzeugt, daß es Dutzende dieser ruhigen Nebenarme gab, nur waren die Einmündungen in den Strom nicht immer zu erkennen gewesen. Sie mußten sie unbemerkt passiert haben. Das erschwerte natürlich auch die Sucharbeit der Spercoiden. »Die Zweige festhalten, damit sie ihre Stellung nicht verändern und uns decken«, warnte er seine beiden Gefährten. Durch die Lücken in der Blätterwand ließ er den nahenden Gleiter nicht aus den Augen. »Wenn
Flucht in den Kerker sie nur oberflächlich suchen, werden sie uns hier nicht finden.« Jetzt war er auf gleicher Höhe mit dem Floß – und flog weiter. Wenig später folgte er einer Biegung des Nebenarms und verschwand hinter dem Blätterdach des Waldes. Jetzt erst fand Atlan Zeit, sich der neuen Umgebung zu widmen. Der Ort war als Landeplatz geeignet, wenn der Boden auch feucht war. Dünne, trockene Stämme versprachen ein leichtes und schnelles Floß. Sie banden das alte an den Zweigen fest und stiegen an Land. Das Ufer stieg bereits nach wenigen Metern steil an, der Grund wurde trockener und teilweise felsig. Dadurch verringerte sich auch die Dichte der Vegetation. Atlan ließ die beiden Tekrothen zurück, nahm Camaukes Messer und unternahm einen Erkundungsgang. Das immer noch wahrnehmbare Rauschen des Wasserfalls erleichterte ihm die notwendige Orientierung. Mitten durch den Urwald zog sich zwischen Nebenarm und Hauptstrom ein Höhenrücken dahin. In einer niedrigen Steilwand entdeckte Atlan sogar eine Höhle, die drei Personen gut Platz bot. Als er sie untersuchen wollte, traf er zu seiner Überraschung auf den Besitzer. Es war ein mit gelbem Fell bedeckter Vierbeiner, der an ein irdisches Schaf erinnerte, aber bei weitem nicht so friedlich war. Mit einem heiseren Knurren stürzte er sich auf den ungebetenen Gast, dem nichts anderes übrigblieb, als sich gegen den plötzlichen Angriff zur Wehr zu setzen. Camaukes Messer drang tief in die Brust des Tieres ein und tötete es auf der Stelle. Atlan zog es heraus und reinigte es von dem Blut, das hellrot aus der Wunde strömte. Dann untersuchte er die Höhle und beschloß, hier mit seinen Gefährten die Nacht abzuwarten. Camauke war zuerst nicht bereit, die Qual eines kurzen Fußmarsches auf sich zu nehmen, aber als Atlan ihm einen nahrhaften Braten in Aussicht stellte, wurde er sehr lebendig.
39 Sie schoben das Floß hinaus in die Strömung und sahen zu, wie es langsam davontrieb. In einer knappen Stunde würde es den Wasserfall erreichen. Blieb nur zu hoffen, daß es vorher nicht von den Spercoiden gesichtet wurde. Atlan führte die kleine Gruppe an. Auf dem Land fühlten sie sich viel sicherer als auf dem Wasser. Der Wald bot Schutz gegen Sicht von oben, und die Höhle versprach Wärme in der kühlen Nacht. Als sie die Höhle erreichten, nahm Erytder das getötete Tier aus und zerlegte es in appetitliche Teile. Atlan legte seinen Spercoidenanzug, den er nicht im Stich gelassen hatte, in die Ecke. Camauke ging widerwillig, um trockenes Holz zu sammeln. Es war Atlan schon lange klar, daß er sich mit den beiden Tekrothen eine schöne Suppe eingebrockt hatte, aber er wollte sie in dieser Situation nicht verlassen. Wenn sie sich erst einmal an das Leben auf der Urwelt gewöhnt hatten, würden sie es auf ihr auch ohne seine Hilfe eine Zeitlang aushalten. Er selbst, so plante er, würde allein versuchen, ein Beiboot zur Landung zu bewegen. In einem sicheren Versteck würde er den Abflug der Spercoiden abwarten und dann mit den Tekrothen diesen Planeten verlassen. Sie entfachten das kleine Feuer im Höhleneingang und sorgten dafür, daß es keine Rauchentwicklung gab. Erytder übernahm das Braten der saftigen Fleischstücke, bei deren Anblick Camauke das Wasser im Mund zusammenlief. Der Wald war hier oben lichter als unten am Fluß, aber die Bäume standen immer noch so dicht zusammen, daß der Durchflug eines Gleiters unmöglich wurde. Eine Entdeckung war nur dann zu befürchten, wenn Kommandant Slosc Suchmannschaften zu Fuß losschickte. Nachdem sie gegessen hatten, beschloß Atlan erneut einen Erkundungsgang. Was er suchte, war ein geeigneter Landeplatz für ein Beiboot, notfalls auch für einen Gleiter. Ein Gleiter eignete sich zwar nicht zur
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Flucht von dieser Welt, aber mit seiner Hilfe ließ sich vielleicht ein Beiboot kapern. Er wandte sich an Erytder: »Ich komme vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Achte auf das Feuer, hier oben auf dem Höhenrücken ist es trocken.« Er warf einen Blick in die Höhle, verzichtete dann aber darauf, die Rüstung anzulegen. Heute wollte er nur erkunden, nicht handeln. »Am besten ihr löscht es aus.« Er wanderte nach Osten, weg vom Strom. Zuerst ging es noch ein wenig bergauf, dann wurde das Gelände flacher, blieb aber trocken. Die Bäume rückten weiter auseinander und die ersten Lichtungen entstanden. Atlan schätzte, daß er sich hier etwa zwei Kilometer vom Nebenarm entfernt aufhielt. Das Gelände war für seine Absicht ideal, er hätte es kaum besser treffen können. Die Sicht nach oben war frei, jeder Suchgleiter würde ihn sofort entdecken. Er brauchte sich nur mitten auf eine der zahlreichen Lichtungen zu stellen oder sich sonstwie bemerkbar zu machen. Es war damit zu rechnen, daß die Besatzung erst dann eine Erfolgsmeldung durchgab, wenn sie ihn sicher in ihrer Gewalt hatte. Daß es nicht dazu kam, dafür würde er schon sorgen. Er kehrte zur Höhle zurück. Erytder hatte die Abendmahlzeit schon zubereitet.
* In dieser Nacht beging Camauke den größten Fehler seines Lebens. Er lag in der Höhle dicht neben dem verglimmenden Feuer und erwachte, weil ihm der Magen knurrte. Seine beiden Gefährten schliefen tief und fest. Vorsichtig tastete er mit suchenden Händen in der Dunkelheit umher, bis er das in Blätter eingewickelte Fleisch fand. Dann zog er einen noch glühenden Ast aus der Glut und kroch aus der Höhle. Die Sterne gaben nur wenig Licht, und er versuchte, seine Furcht vor eventuellen Raubtieren zu überwinden. Der Ast begann zu brennen, durch den Wind angefacht.
Camauke glaubte, sich nun weit genug von der Höhle entfernt zu haben. Mitten zwischen Bäumen und trockenem Gebüsch machte er sein Feuer und begann, die erbeuteten Fleischstücke zu braten. Er dachte an Atlans Warnung und legte sparsam Holz nach, um die Flammen nicht zu hoch lodern zu lassen. Aber er vergaß den Wind und den Funkenflug. Camauke bemerkte es nicht, daß in seiner näheren Umgebung kleine, neue Feuerstellen entstanden, die sich rasch ausbreiteten. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den Fleischbrocken an den Holzspießen, die sich langsam braun färbten und einen verführerischen Duft verbreiteten. Seine Augen, an die Helligkeit der nahen Flammen gewöhnt, sahen den beginnenden Waldbrand ringsum nicht sofort. Zwar spürte er den wärmer gewordenen Wind auf seinem Fell, aber er achtete nicht darauf. Seine ganze Sorge galt dem Braten. Dann jedoch, als er einmal aufblickte, stand die Flammenwand vor ihm, hinter ihm und an seinen Seiten. Mit rasender Geschwindigkeit breitete es sich nach allen Seiten aus. Vor Schreck ließ er die Spieße fallen und sprang auf. Zu seinem Glück erspähte er eine dunkle Lücke in dem grellen Vorhang, und ohne viel zu überlegen, rannte er darauf zu, durch sie hindurch und weiter in Wald und Nacht hinein. Sein einziger Gedanke war: weg von hier! An Erytder und Atlan dachte er nicht mehr, nur noch an die Rettung seines eigenen Lebens. Atlan erwachte durch ein ungewöhnliches Geräusch. Zuerst glaubte er, der Wind hatte sich gedreht und trage das ferne Rauschen des Wasserfalls in die Höhle, aber dann fiel ihm der helle Schein auf, der in die Dunkelheit drang. Er wußte, daß er höchstens zwei Stunden geschlafen hatte, die Sonne konnte demnach noch nicht aufgegangen sein. Dann fegte der warme Wind in die Höhle. Hastig weckte er Erytder. »Aufstehen!
Flucht in den Kerker Ein Waldbrand! Wo ist Camauke?« Jetzt erst bemerkte er das Fehlen des Viertfells. Erytder taumelte schlaftrunken aus der Höhle. »Er ist weg, und mit ihm der halbe Fleischvorrat. Was hat das zu bedeuten?« Atlan ahnte es sofort, aber es blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Der Feuerring begann, die Höhle einzuschließen. »Wir müssen hier fort, sonst werden wir gebraten, Erytder. Los, nimm den Rest des Fleisches und dann hinab zum Nebenarm!« »Aber Camauke …« »Um den kümmern wir uns später.« Er zog den Spercoidenanzug an und suchte nach einer Lücke in dem Feuer, das schon längst von den Verfolgern bemerkt worden sein mußte. Sie würden noch vor Morgengrauen hier sein, diesmal aber mit einer ganzen Flotte. Das vereitelte seinen ursprünglichen Plan. Erytder folgte ihm nur zögernd. Immer wieder blieb er stehen und sah sich um, als hoffe er, Camauke würde ihnen folgen. Aber der Waldbrand hatte sich schon zu sehr ausgebreitet. Nur der Weg zum kleinen Fluß schien noch frei zu sein. Atlan hastete weiter. Wenn es überhaupt noch eine Rettung gab, dann unten beim Wasser. Er schimpfte sich einen Narren, das Floß abgestoßen zu haben. Jetzt konnten sie es gebrauchen, um sich auf die andere Flußseite in Sicherheit zu bringen. Aber vielleicht wurde das Feuer rechtzeitig von der Feuchtigkeit in der Nähe des Wassers erstickt. Die überhastete Flucht hatte sie einen anderen Weg nehmen lassen, so daß sie den Nebenarm an einer ihnen unbekannten Stelle erreichten. Sie war einigermaßen trocken, und die angeschwemmten Baumstämme bildeten einen natürlichen Damm, der Land und Wasser trennte. Atlan sah zurück. Das Feuer schien langsamer voranzukommen, es mußte bereits die feuchten Regionen erreicht haben. Dahinter jedoch schien das ganze Land zu brennen, der Höhenrücken war ein
41 einziges Flammenmeer, dessen Schein Dutzende von Kilometern weit zu sehen sein mußte. »Ich muß mich um Camauke kümmern«, sagte Erytder. Atlan hielt ihn am Ärmel fest. »Nicht jetzt, es wäre sinnlos. Warte, bis es dämmert.« »Er kann sich selbst nicht helfen …« »Er ist heimlich aus der Höhle geschlichen, um sich Fleisch zu braten, dabei verursachte er den Waldbrand. Er ist selbst schuld.« »Deshalb kannst du ihn nicht zum Tode verurteilen!« Atlan schüttelte den Kopf, nachdem er die Sichtscheibe der Rüstung geöffnet hatte, um sich besser verständigen zu können. »Im Gegenteil, eine sinnlose Suche jetzt wäre sein Todesurteil. Jetzt müssen wir die Zeit nutzen, um ein neues Floß zu bauen. Hier können wir nicht mehr bleiben, denn in wenigen Stunden sind die Spercoiden hier.« Ohne jede Begeisterung machte sich Erytder an die Arbeit und schleppte Baumstämme herbei. Atlan ging, um Schlingpflanzen zu holen. Als er mit einem Armvoll zurückkehrte, war Erytder verschwunden.
7. Als der Morgen graute, wurde Kommandant Slosc mit zwei Neuigkeiten geweckt. Die WAHRHAFTIGKEIT meldete ihre Ankunft für die Mittagsstunde, und im Norden von der Landestelle war ein riesiger Waldbrand beobachtet worden. Da es sich um die Fluchtrichtung der Entwichenen handelte, war der Zusammenhang sofort klar. Slosc befahl, die Suchflotte startklar zu machen. Der Verbrecher und Saboteur mußte noch vor dem Eintreffen des Hilfsschiffes gefaßt werden, sonst gab es Komplikationen. Offiziere der Sicherheitsabteilung begleiteten das Suchkommando. Sie sollten dafür sorgen, daß der Saboteur bei der Gefangen-
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nahme nicht verletzt oder gar getötet wurde. Slosc wollte ihn unter allen Umständen lebendig haben. Vier Beiboote und zwei Dutzend Gleiter stiegen noch vor Sonnenaufgang auf und verteilten sich, um das verdächtige Gebiet einzukreisen. Diesmal würde es für die Flüchtlinge kein Entkommen geben. Weiter nach Norden und Osten brannte der Wald noch immer. Das Feuer fraß sich langsamer fort als in der Nacht, aber es erlosch nicht. Nahrung gab es genug. Nur das Wasser setzte ihm eine natürliche Grenze. Beiboote und Gleiter begannen mit ihrer systematischen Suche. Wenn die Flüchtlinge noch lebten, waren sie nur außerhalb des verbrannten Gebiets oder auf dem Wasser zu finden. Das schränkte die Versteckmöglichkeiten gewaltig ein. Dort wo der Waldbrand gewütet hatte, war es noch viel zu heiß, um Schutz finden zu können. In geringer Höhe flogen die Gleiter mit geringer Geschwindigkeit dahin, während die Beiboote in größerer Höhe die einzelnen Aktionen beobachteten, jederzeit zum Eingreifen bereit. Zwischen den Einheiten bestand eine ununterbrochene Funkverbindung. Das war genau das, was Atlan befürchtet hatte.
* Im Dunkel der Nacht band Atlan das primitive Floß zusammen und schob es ins Wasser. Es schwamm sehr gut und trug ihn leicht. Aber er band es nur am Ufer fest und begann dann mit der Suche nach Erytder und Camauke. Schon nach einer halben Stunde wußte er, daß seine Suche nur mit Hilfe eines Zufalls erfolgreich sein konnte. Erytders Spuren verloren sich bald in der fußhohen Asche der verbrannten Bäume. Der Tekrothe war durch eine Lücke hindurch in das Zentrum des Waldbrands gelangt, um seinen Herren zu suchen. Atlan hätte ihm eine derartige
Anhänglichkeit nicht zugetraut, aber vielleicht kannte er auch die Mentalität des Tekrothen zu wenig. Zwei Stunden irrte er ziellos durch das nun kaum noch Schutz bietende Gelände, dann gab er es auf. Außerdem war es längst hell geworden. Von den Spercoiden bemerkte er noch nichts. Er eilte zum Nebenarm zurück, löste das Floß vom Ufer und trieb in die Flußmitte hinaus. Mit einem breiten Paddel fiel es ihm nicht schwer, die leichte Strömung zu überwinden. Er kam schnell voran. Es gab zwei Gründe, sich in Ufernähe zu halten. Erstens war hier die Strömung schwächer, und zweitens boten die weit über das Wasser hängenden Zweige Deckung. Sein Ziel war die weite Gras- und Buschsteppe in südlicher Richtung, die er gestern vom Höhenzug aus gesehen hatte. Durch sie wandernd, konnte er einigermaßen unbemerkt wieder in die Nähe der BESCHEIDENHEIT gelangen und auf seine Gelegenheit warten, wenn es ihm nicht vorher schon gelang, einen Gleiter und seine Besatzung zu überlisten. Aber es kam anders, als er erwartet hatte. Die ersten Gleiter, die sehr niedrig flogen, störten ihn nur wenig, denn im Schutz der Uferbäume sahen die Besatzung ihn nicht. Er kam durch ihr ständiges Auftauchen nur langsamer voran. Wenn sie verschwunden waren, ruderte er weiter, und dabei verließ er über weite Strecken den sicheren Schutz des Blätterdaches. Die sehr hoch stehenden Beiboote beobachteten mit ihren stark vergrößernden Fernkameras das verdächtige Gebiet, und so entdeckten sie ihn, als er eine Bucht überquerte und sich der Flußbiegung näherte, die das Steppengebiet begrenzte. Die Meldung ging weiter an alle Sucheinheiten. Die Gleiter begannen, ihr Opfer einzukreisen. Atlan landete an einer unübersichtlichen Stelle und stieß das Floß zurück ins Wasser. Langsam trieb es mit dem Strom abwärts. Er
Flucht in den Kerker hegte die Hoffnung, daß es die Verfolger von seiner Spur ablenkte, aber auch in diesem Punkt irrte er sich. Die Spercoiden hatten nur deshalb noch nicht zugepackt, weil sie immer noch hofften, daß er sie zu den vermißten Tekrothen führte. Aber sie behielten ihn ständig im Auge und verfolgten seinen Fluchtweg mit ihren Instrumenten, ohne sich selbst zu verraten. Atlan wandte sich sofort landeinwärts. Die vielen Büsche und das mannshohe Gras – so glaubte er – gaben ihm genügend Deckung. Oft genug sah er einen Gleiter, der das Gelände absuchte. Er duckte sich und wähnte sich in Sicherheit. Er richtete sich nach der Sonne und wußte, daß er dem Landeplatz der BESCHEIDENHEIT näher kam. Dann, etwa gegen Mittag, erblickte er das Hilfsschiff. Die WAHRHAFTIGKEIT war ein ähnlicher Typ wie die BESCHEIDENHEIT. Um eine Übernahme der Ersatzteile zu erleichtern, landete es ebenfalls im flachen Wasser des Stromes, dicht neben dem havarierten Schiff. Die eigentliche Landung konnte Atlan allerdings nicht mehr optisch verfolgen, dazu war er noch zu weit vom Strom entfernt. Aber er kam schnell voran. Dann sah er den Gleiter. Er kam vom Landeplatz der Schiffe her und flog sehr niedrig. Und er kam direkt auf ihn zu. War das die Chance, auf die er gewartet hatte? Hastig blickte er sich nach allen Seiten um und stellte fest, daß kein weiterer Gleiter in Sicht war. Damit stand sein Entschluß fest. Er gab sich keine Mühe, unbemerkt zu bleiben. Absichtlich taumelnd bewegte er sich weiter, so als sei er am Ende seiner Kräfte. Das würde, so hoffte er, die Spercoiden unvorsichtig machen. Der Gleiter kam näher, die Besatzung hatte ihn bemerkt. Keine zwanzig Meter vor Atlan landete er im hohen Gras, das fast die kleine Luke verdeckte, die sich sofort geöffnet hatte. Zwei
43 Spercoiden erschienen und richteten drohend ihre Waffen auf den Flüchtling, der auf sie zu wankte, scheinbar hilflos und verzweifelt. Doch dann sah Atlan aus den Augenwinkeln heraus einen zweiten Gleiter herbeischweben, der unmittelbar hinter ihm landete, dann einen dritten und vierten. In diesem Augenblick erst wußte er, daß der Gegner ihm eine Falle gestellt hatte, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Atlan blieb stehen. Seine Arme hingen schlaff am Körper herab, und in seinen Händen waren keine Waffen, mit denen er sich hätte wehren können. Zur Flucht war es nun zu spät. Die Spercoiden kamen aus ihren Gleitern und näherten sich ihm vorsichtig mit schußbereiten Waffen. Atlan hatte noch rechtzeitig das Helmvisier schließen können. Sollten sie ihn ruhig für einen Spercoiden halten – vorerst wenigstens. Wenn sie ihn töten wollten, würden sie es tun, indem sie den Anzug öffneten. Vielleicht gelang es dann, ihre Überraschung erneut auszunutzen. »Deine Flucht ist zu Ende, Botosc«, sagte einer der Spercoiden. Aha, dachte Atlan, sie kennen schon deinen Decknamen. »Du ergibst dich?« »Bringt mich zum Kommandanten«, forderte er kaltblütig. »Ich habe mit ihm zu reden.« »Wo sind die Tekrothen? Wo hast du sie versteckt?« »Ich suche sie selbst und weiß nicht, wo sie sind.« »Hast du den Waldbrand verursacht?« Atlan beschloß, die Sache kurz zu machen. »Bringt mich zum Kommandanten!« wiederholte er seine Forderung. »Ich werde nur ihm Auskunft geben.« Etwa ein Dutzend Spercoiden waren es die um ihn herumstanden und ihn mit ihren Waffen bedrohten. Er begann sich darüber zu wundern, daß sie ihn nicht gleich getötet hatten, aber wahrscheinlich hatten sie stren-
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ge Anweisungen von Slosc erhalten. Der Kommandant benötigte ihn als Zeugen, um sich zu rechtfertigen. Das war vorerst so gut wie eine Lebensversicherung. Schweigend nahmen sie ihn in ihre Mitte und warteten, bis der schwarze Punkt am Himmel größer wurde und schließlich ein Beiboot in der Steppe landete. Ohne ihn zu fesseln, lieferten sie ihn bei dessen Besatzung ab. Wenig später erhob es sich und glitt in geringer Entfernung nach Süden, wo die beiden großen Schiffe im Strom bald sichtbar wurden. Atlans Gehirn arbeitete fieberhaft. Es mußte einen Ausweg geben …!
* Slosc war außer sich vor Freude, als er von der Gefangennahme des geflohenen Saboteurs erfuhr. Vorher hatte er eine unangenehme Stunde erleben müssen. Der Kommandant der WAHRHAFTIGKEIT wies sich mit besonderen Vollmachten des Tyrannen aus und forderte volle Aufklärung über die Geschehnisse an Bord der BESCHEIDENHEIT. Eine Aufklärung, die Slosc nicht geben konnte. Sperco, so teilte er mit, sei empört über das Verschwinden der tekrothischen Unterhändler, aber noch mehr über die Tatsache, daß sich ein Saboteur unter der Besatzung der BESCHEIDENHEIT aufgehalten hatte, ohne daß man ihn entlarven konnte. Slosc müsse sich direkt vor dem Herrscher verantworten. Mitten in diese peinliche Unterredung platzte die Nachricht, daß man den Saboteur gefaßt habe. Slosc begann neuen Mut zu schöpfen. Er gab den Befehl, den Gefangenen sofort zu ihm zu führen. Draußen hatten inzwischen die Reparaturarbeiten und die Übernahme der Ersatzteile begonnen. Große Schwebeplatten beförderten die schweren Apparaturen von einem Schiff zum anderen, wo sie von den Mon-
teuren in Empfang genommen wurden. Der rege Betrieb war die Ursache dafür, daß die Gleiter und das Beiboot mit dem Gefangenen fast unbemerkt landen konnten. Atlan wurde sofort zu Slosc geführt. Der Kommandant saß hinter seinem Tisch. Bis auf einen zweiten Spercoiden, der sich im Hintergrund hielt und während der ersten Zeit der Unterredung stumm blieb, war Slosc allein mit dem Gefangenen. Als die Wachen gegangen waren, fragte er: »Du bist Botosc?« »So nenne ich mich«, gab Atlan zu. »Du hast die Tekrothen entführt?« »Nein, sie kamen freiwillig mit. Du hast ihnen den Rückflug nach Vallischor verweigert, deshalb wollten sie fliehen.« »Wo sind sie jetzt?« »Keine Ahnung!« »Du wirst es uns sagen!« Er beugte sich vor. »Oder wir werden deinen Anzug öffnen!« Atlan hob die Hand und öffnete das Visier seiner Rüstung. Der Spercoide fuhr erschrocken zurück, als er in das fremde Gesicht starrte, das sich nicht auflöste. Auch der Spercoide im Hintergrund machte eine überraschte Bewegung, blieb aber auch weiterhin stumm. In aller Ruhe entledigte sich Atlan seiner Rüstung und schob sie mit dem Fuß beiseite. Die Erleichterung, die ihn sofort befiel, war wie ein erlösender Schock. »Du bist …« »… kein Spercoide, ganz richtig«, bestätigte Atlan, der nun nichts mehr verlieren, aber alles gewinnen konnte. »Mehr wirst du nicht aus mir herausbekommen, Slosc. Nur Sperco werde ich Rechenschaft geben, keinem anderen. Du mußt wissen, daß ich in geheimer Mission hier bin, über die ich nichts verraten darf.« Zum ersten Mal gab der Spercoide im Hintergrund etwas von sich. »Er lügt!« sagte er nur. »Natürlich lügst du!« hieb Slosc in die Kerbe. »Um welche geheime Mission könn-
Flucht in den Kerker te es sich da handeln, die dir das Recht gibt, unser Schiff halb zu zerstören? Sperco weiß nichts von dieser Mission, sonst hätte er nicht den Befehl gegeben, dich zu verhaften und zu ihm zu bringen. Raus mit der Wahrheit, oder …« »Oder …?« erkundigte sich Atlan. Er fühlte, daß Slosc unsicher geworden war, eine logische Folge der vorsichtig und umständlich operierenden Bürokratie eines weitverzweigten Imperiums. Der eine wußte nicht mehr, was der andere tat oder tun sollte, Befehle passierten zu viele Dienststellen. Bis sie ihr Ziel erreichten, konnten sie schon wieder aufgehoben sein. Slosc durfte keine Maßnahmen ergreifen, die nicht von Sperco angeordnet worden waren. »Gut, lassen wir das vorerst«, gab der Kommandant sich zufrieden. »Aber ich muß wissen, was aus den Tekrothen geworden ist.« »Das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht weiß«, sagte Atlan und berichtete wahrheitsgemäß, was sich zugetragen hatte. »Dieser Camauke hat in seiner Dummheit den Wald angezündet und ist dann in das Feuer hineingerannt, wenigstens deutet alles darauf hin. Sein Diener folgte ihm, ehe ich es verhindern konnte. Das ist alles.« »Sie sollten einen Freundschaftsvertrag mit Sperco unterzeichnen …« »Dazu wird es nun leider nicht kommen können«, versicherte Atlan ohne Spott. »Ganz allein deine Schuld!« fuhr der Kommandant ihn wütend an. »Du wirst dafür büßen.« »Das kann nur Sperco bestimmen«, gab Atlan ruhig zurück. »Der Gefangene hat in diesem Punkt recht«, mischte sich der Unbekannte im Hintergrund wieder ein. »Ein Urteil über ihn kann erst dann gefällt werden, wenn die Gründe seines Handelns erforscht worden sind. Bis dahin, so lautet Spercos Befehl, ist er streng zu bewachen, aber nicht zu mißhandeln. Eine Zelle in der WAHRHAFTIGKEIT wurde für ihn vorbereitet.«
45 »Ich bin froh, wenn ich nicht mehr die Verantwortung für ihn tragen muß«, sagte Slosc. »Dann sorge dafür, daß man ihn ins andere Schiff bringt, ohne daß er abermals entflieht«, ordnete der Unbekannte an. Die Wachen kamen herein und führten Atlan hinaus auf den Korridor. Seine Rüstung blieb zurück. Eine Schwebeplatte brachte ihn und seine Wächter hinüber zu der WAHRHAFTIGKEIT, wo er bereits von anderen Spercoiden erwartet wurde, die ihn in Empfang nahmen. Die Schwebeplatte kehrte zur BESCHEIDENHEIT zurück. Die Spercoiden nahmen Atlan in ihre Mitte und brachten ihn zu einer metallenen Tür, die keine Fluchtmöglichkeit mehr versprach. Dahinter lag ein wohnlich eingerichteter Raum ohne Sichtluken oder Bildscheiben. Zwei Betten standen in dem Raum, daneben war der Teil einer sanitären Anlage zu erkennen. Die schwere Tür schlug dumpf hinter Atlan zu. Warum nur zwei Betten? dachte er. Eigentlich hätten sie ja mit drei Gefangenen rechnen müssen. Er begann, daß Gefängnis zu untersuchen, aber sehr schnell wurde ihm klar, daß sein erster Eindruck richtig war: Vor hier gab es keine Fluchtmöglichkeit.
* Erytder hastete durch die beginnende Dämmerung auf seiner Suche nach Camauke. Die Asche war noch heiß, und wenn er stehenblieb, verbrannte er sich die Füße. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, bei Atlan zu bleiben. Natürlich fand er keine Spuren seines Herren, denn ständig wehte der Wind die Asche wieder auf und deckte alles erneut zu, was sie vielleicht offenbart hätte. Trotzdem gab Erytder nicht auf. Sicher, sein Herr war ein Dummkopf und
46 Freßsack, aber er war auch ein Viertfell. Und nur ein Vierfell konnte dafür sorgen, daß ein Erstfell zu einem Zweitfell wurde. Das Feuer selbst war nordwärts und auch nach Osten, weitergewandert, wo es genügend Nahrung fand. Einzelne Stellen, wo der Boden felsig und nur wenig bewachsen war, hatten die Flammen verschont. Sie zogen sich wie Schneisen durch das Aschenfeld. Wenn Camauke entkommen war, dann nur durch eine dieser Schneisen. Und dann fand Erytder die erste Spur. Camauke hatte bei der überhasteten Flucht vor dem Feuer ein Stück seiner Bekleidung verloren und es anscheinend nicht bemerkt. Nun wurde es für Erytder leichter, da er wußte, auf dem richtigen Weg zu sein. In dem manchmal weichen Boden entdeckte er hin und wieder einen Fußabdruck, der zweifellos von seinem Herren stammte. Unbeirrt folgte er diesen untrüglichen Zeichen. Einmal mußte er sich in stehengebliebenen Büschen verstecken, als ein Gleiter der Spercoiden über ihm dahinstrich. Auch im Süden waren dunkle Punkte dicht über dem Horizont zu sehen. Das war die Richtung, in die Atlan fliehen wollte. Ob sie ihn gefunden hatten? Erytder wartete, bis der Gleiter davongezogen war, dann erst setzte er seine Suche fort. Die Spuren wurden frischer, Camauke kam nur langsam voran. Sicher knurrte sein Magen bereits vor Hunger. Das Gelände fiel ein wenig ab, Erytder ging schneller. Bald würde er Camauke eingeholt haben, hoffte er. Er sah ihn gegen Mittag in einiger Entfernung auf einem Felsbrocken sitzen, erschöpft und in sich zusammengesunken, aber mit Sicherheit lebendig und gesund. »Camauke!« rief er erfreut und begann zu laufen. Der Würdenträger schrak bei dem Ruf zusammen und richtete sich auf. Es sah so aus, als wolle er aufspringen und davonrennen, aber dann erkannte er seinen Diener. Er
Clark Darlton blieb also sitzen und wartete, bis ihn dieser erreichte. Statt sich jedoch über die unverhoffte Gesellschaft erfreut zu zeigen, grunzte er unwillig: »Jetzt erst kommst du? Wo hast du so lange gesteckt?« Erytder mußte sich setzen. Er war ganz außer Atem. »Ich habe dich gesucht«, brachte er schließlich hervor. »War höchste Zeit, daß du mich fandest. Bist du allein?« »Atlan ist allein weiter, aber ich wollte dich nicht im Stich lassen.« »Das wäre dir auch schlecht bekommen, Erstfell.« Erytder verkniff sich eine entsprechende Bemerkung und blieb höflich, wie es sich für ihn geziemte. »Sollen wir zu den Spercoiden zurückkehren, Camauke?« Camauke machte eine verneinende Bewegung. »Nein, nur das nicht! Atlan wird uns schon helfen.« »Als Gefangener? Ich bin sicher, die Spercoiden schnappen ihn wieder, dann kann er uns nicht helfen.« Camauke ging nicht darauf ein. Er sah sich um. »Wo kriegen wir etwas zum Essen her, ich habe Hunger …?« »Du hast den halben Wald abgebrannt, also auch die Bäume mit den Früchten. Wir werden ein Stück weiterwandern müssen, ehe wir etwas Brauchbares finden. Bist du müde?« »Nicht, wenn ich ans Essen denke.« »Gut, dann komm!« Mühsam erhob sich Camauke und stapfte brummend hinter Erytder her, der voranging. Im Osten brannte der Wald nicht mehr und versprach Sicherheit. Im Süden waren die Gleiter verschwunden und tauchten auch nicht wieder auf. Hatten sie ihre Mission erfüllt, oder war Atlan ihnen entkommen? Aber auch wenn es so war, so mußte das
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noch lange kein Grund sein, die Hoffnung aufzugeben. Auch als Gefangener würde der kluge Fremdling eine Möglichkeit finden, eine Information nach Vallischor zu schicken. Am späten Nachmittag erreichten die beiden Tekrothen einen kleinen Wald mit Fruchtbäumen, durch dessen Mitte ein klarer Bach floß. Camauke stürzte sich wie ein Verhungernder darauf und hatte binnen einer halben Stunde einen der Bäume regelrecht kahlgefressen, während Erytder sich damit begnügte, den unverhofften Reichtum in aller Ruhe zu genießen. Vor Hunger jedenfalls würden sie hier nicht sterben, und verdursten schon gar nicht. Und schließlich hatte diese fremde Urwelt noch einen weiteren nicht zu unterschätzenden Vorteil: Hier war es wirklich völlig egal, ob man ein Erst- oder Viertfell war. Er beschloß, sich für einen längeren Aufenthalt einzurichten, und dazu gehörte auch, daß die Kluft zwischen ihm und Camauke erneut abgebaut wurde. »Hör endlich auf mit dem Geschmatze, du Freßsack«, fiel er in den rüden Ton zurück, den er schon einmal mit Erfolg angewendet hatte. »Es geht mir auf die Nerven.« Camaukes Sackkörper schlaffte zusammen. Er sagte nichts, aber er stopfte von nun an die Früchte langsamer in seinen großen Mund. Erytder aber gab ein paar fröhliche Pfeiftöne von sich und begann damit, sich nach einem geeigneten Nachtquartier umzusehen. Camauke sah ihm mit undefinierbarem Gesichtsausdruck nach. Er begann zu ahnen, daß sie nun beide zu Nullfellen geworden waren … Aber es begann ihm auch gleichzeitig zu gefallen.
* Atlan hatte sich auf eines der Betten gelegt und versuchte zu schlafen. Er begann
Hunger zu verspüren, aber seine Vorräte hatte er auf der Urwelt zurücklassen müssen. Doch die Spercoiden würden ihn schon nicht verhungern lassen, dazu war er zu wertvoll. Ob sie die Tekrothen wieder eingefangen hatten? Dann würden sie bald seine Zelle teilen. Er war halb eingeschlafen, als ihn ein Geräusch weckte. Die Metalltür wurde aufgestoßen, ein Spercoide kam herein. Hinter ihm schloß sich die Tür wieder. Der Spercoide brachte nicht die erhoffte Mahlzeit, er kam mit leeren Händen. Auch die übliche Waffe im Gürtel der Rüstung fehlte. Er blieb an der Tür stehen und musterte Atlan. Atlan gab den Blick zurück und wartete auf eine Erklärung. Als sie kam, richtete Atlan sich überrascht hoch. »Das alles habe ich nur dir zu verdanken!« »Slosc …!« Der Spercoide setzte sich auf das freie Bett. »Ja, der Kommandant der BESCHEIDENHEIT! Ich soll mit dir zusammen zu Sperco gebracht werden, nachdem es nicht gelungen ist, die beiden Tekrothen einzufangen. Die WAHRHAFTIGKEIT wird in wenigen Stunden starten.« Atlan fühlte eine Spur von Mitleid mit dem Kommandanten, der arg in der Klemme saß. Mit seiner Karriere würde es nun wohl zu Ende sein, falls er überhaupt mit dem Leben davonkam. »Es ist nicht deine Schuld, Slosc. Mir aber blieb auch keine andere Wahl, wenn ich mein Ziel erreichen wollte. Es tut mir leid.« »Dein Mitleid nützt mir nichts, ganz abgesehen davon, daß diese Gefühlswandlung überflüssiger Ballast ist. Ich sollte dich töten.« Atlan rutschte mit dem Rücken zur Wand. »Töten? Die Strafe Spercos würde dich um so härter treffen.«
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»Sie trifft mich so oder so! Ob ich dich töte oder nicht!« »Rede keinen Unsinn! Vielleicht will er dich nur verhören, um mehr zu erfahren.« »Ich kenne Sperco besser als du, Fremder. Ich kenne seine Urteile, mit denen er die Disziplin aufrechterhält. Mein Todesurteil ist bereits gefällt.« »Deine Bemerkung grenzt an Meuterei«, machte Atlan ihn aufmerksam, um ihn zu beruhigen, aber er erreichte damit nur das Gegenteil. »So, Meuterei nennst du es, wenn ich einen Saboteur und Mörder unschädlich mache? Du bist kein Spercoide, sonst wärest du schon tot. Du bist ein Fremder, ein Feind!« »Nicht jeder Fremde muß auch ein Feind sein, Slosc!« »Aber du bist es! Ich will mich rächen an dir …!« Er stand auf und kam auf Atlan zu. »Bleib stehen!« Atlan rutschte vom Bett und stellte sich abwehrbereit davor. »Ich kann mich wehren, und ein Spercoide ist sehr leicht zu töten. Leichter jedenfalls als ich.« »Du hast keine Waffe bei dir.« »Du auch nicht!« Slosc ließ sich auf kein Argument mehr ein. Mit einem haßerfüllten Aufschrei stürzte er sich auf Atlan, der auf den Angriff vorbereitet war und beide Fäuste gegen das dunkle Visier der Rüstung vorschnellen ließ.
* Vielleicht, so überlegte der bevollmächtigte Kommandant der WAHRHAFTIGKEIT, läßt sich der Gefangene Fremde zu offenherzigeren Bemerkungen hinreißen, wenn er mit Slosc allein ist. Da auch dieser ein Gefangener ist, muß zwischen den beiden eine Art Gemeinsamkeit entstehen. Eine Gemeinsamkeit, die zur Kumpanei führen könnte … Die Zelle war entsprechend präpariert worden. Es gab verborgene Kameras und Mikrophone. Man hatte sie so geschickt ver-
steckt, daß selbst Atlan sie nicht entdeckte. Der Kommandant hatte für Slosc einen Vertreter bestimmt und war dann an Bord seines eigenen Schiffes zurückgekehrt. In aller Eile suchte er seine private Kabine auf, in der alle Verbindungen zusammenliefen, auch jene zur Gefängniszelle. Jetzt erst wurde auf seinen Befehl hin Slosc eingeliefert. Gespannt verfolgte er dann die Begegnung zwischen Slosc und dem gefangenen Fremden, der so selbstsicher auftrat und positive Gefühle verriet – schon allein das galt als Verbrechen. Der Anfang des Gesprächs zwischen den beiden war enttäuschend, der Fremde verriet nichts. Erst als sich die Diskussion zu einem Streit erweiterte, schöpfte der Lauscher und Zuschauer neue Hoffnungen. Dann jedoch erfolgte der Angriff Sloscs. Atlan traf das Visier des ehemaligen Kommandanten mit voller Wucht, aber seine Fäuste konnten das starke Gesichtsteil der Rüstung nicht entscheidend beschädigen, was ihrem Träger das sofortige Ende bereitet hätte. Slosc wich zurück und sah sich nach einer geeigneten Waffe um, fand aber keine. Dem Fremden erging es ähnlich. Somit waren die beiden Gegner auf ihre eigene Kraft und Geschicklichkeit angewiesen. Slosc hielt sich in gebührender Entfernung, nahm jedoch eine lauernde Stellung ein, die auf neue Angriffe schließen ließ. Der Fremde hingegen wirkte ruhig und gelassen. Er wechselte lediglich seine Stellung und stand nun mit dem Rücken zur Wand und wartete. Der Kommandant der WAHRHAFTIGKEIT wußte, daß er seine Kompetenzen überschritt, wenn er nicht sofort eingriff. Keiner der Gefangenen durfte verletzt oder gar getötet werden. Aber er hoffte noch immer, etwas in Erfahrung bringen zu können. Dann jedoch ging alles blitzschnell, so schnell, daß sich seine sonst so emotionslose Stimme fast überschlug, als er seine Befehle in die Bordsprechanlage brüllte.
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Slosc griff urplötzlich an und hätte den Fremden fast überrumpelt, doch dann reagierte dieser mit einer Schnelligkeit, die selbst den Bevollmächtigten überraschte. Er atmete erleichtert auf, als er auf dem Bildschirm sah, wie sich die Metalltür öffnete und drei Spercoiden in das Gefängnis eindrangen, um das Schlimmste zu verhüten. Oder war es schon zu spät …?
* Zwar erwartete Atlan den Angriff seines Todfeinds, aber dann erfolgte er doch so überraschend, daß er beinahe unterlegen wäre. Slosc sprang vor wie ein Raubtier, das sich seiner Beute sicher ist. Seine beiden von der Rüstung bedeckten Hände griffen blitzartig zu und umklammerten Atlans Hals. Der Arkonide packte wiederum die beiden Handgelenke des Spercoiden und versuchte, sich so aus dem Würgegriff zu befreien. Als das nicht auf Anhieb gelang, nahm er den rechten Fuß zu Hilfe. Mit aller Wucht stieß er ihn gegen den Leib seines Gegners, der sofort losließ und zurücktaumelte. Diesmal nahm Atlan jedoch keine Rücksicht mehr. Er stürzte sich auf den Gegner und riß an der Schließvorrichtung seines Anzuges, um ihn zu öffnen. Das war der Augenblick, in dem der heimliche Zuschauer der Vorstellung eingriff. Die Tür wurde aufgestoßen, drei Spercoiden stürmten herein und trennten die Gegner. »Ich werde dich schon noch kriegen!« drohte Slosc, als er aus der Zelle geschleppt wurde. »Warte nur, bis wir vor Sperco stehen! Ich werde ihm sagen, daß du auch mich töten wolltest!« Atlan ignorierte den Wutausbruch und kehrte zu seinem Bett zurück. Er setzte sich. Slosc begann sich gegen die drei Spercoiden zu wehren, hatte aber nur wenig Erfolg.
Da kam aus irgendeiner Ecke des Raumes die Stimme des Bevollmächtigten: »Slosc! Das bedeutet Widerstand gegen die Staatsgewalt, wenn du dich wehrst. Der Fremde hat sich lediglich verteidigt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn du Sperco mit einer Lüge entgegentrittst, sind deine Tage gezählt, sei also vorsichtig. Ich war Zeuge eurer Auseinandersetzung, und Sperco will auch mich hören.« Das gab Slosc den Rest. »Du hältst zu diesem Verräter – das werde ich Sperco sagen!« »Führt ihn in die Einzelzelle!« war alles, was der andere dazu sagte, dann verriet ein Knacken, daß er die Verbindung unterbrochen hatte. Slosc begann zu toben, aber die drei Spercoiden packten ihn mit aller Macht und schleppten ihn hinaus auf den Korridor. Selbst als sich die schwere Tür geschlossen hatte, konnte er das Schreien des Enttäuschten noch eine Weile vernehmen. Im Augenblick war er außer Gefahr, aber das Schlimmste stand ihm noch bevor. Es bestand nun nicht mehr der geringste Zweifel daran, daß die WAHRHAFTIGKEIT auf dem schnellsten Weg zu jenem Planeten fliegen würde, auf dem der Tyrann Sperco sein Hauptquartier hatte. Das bedeutete Lebensgefahr oder ewige Gefangenschaft. Auf der anderen Seite war Sperco der einzige Schlüssel, der das Tor in die Freiheit öffnen konnte – auf welche Art und Weise auch immer. Freiheit hieß in diesem Fall: Rückkehr nach Pthor und damit später zur Erde. Atlan wußte, daß der Weg, der vor ihm lag, schwer sein würde, aber ihm blieb keine andere Wahl. Freiwillig hatte er sich diesen Weg nicht ausgesucht, aber er hatte keinen anderen gesehen. Noch einmal kehrten seine Gedanken zu Camauke und Erytder zurück. Wenn die Flammen des Waldbrands sie verschont hatten, lag ein beschwerliches und entbehrungsreiches Leben vor ihnen, aber sie würden
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Clark Darlton
frei sein. Früher oder später würde Sperco sein »Freundschaftsangebot« an die Tekrothen zwar wiederholen, aber bis dahin verging Zeit. Die eigenen Probleme überlagerten seine Sorge um die ehemaligen Verbündeten, für die er sein Leben gewagt hatte. Tyrannen und Diktatoren galten zwar allgemein als mächtig und auch grausam, aber sie besaßen auch ihre Schwächen, die es auszunutzen galt. Ihre größte Schwäche war der stets vorhandene Wunsch, den eigenen Machtbereich immer weiter auszudehnen, und Atlan wußte, daß dies der Punkt war, an dem er anset-
zen mußte. Er mußte Spercos Neugier wecken. Vielleicht kam alles ganz anders, als er sich das dachte, aber er war sicher, im richtigen Augenblick den richtigen Weg zu wählen. Die WAHRHAFTIGKEIT startete … Er streckte sich auf dem Bett aus, schloß die Augen und versuchte zu schlafen.
ENDE
ENDE