OTTO BORIS
Fuchs Schade Die Geschichte eines Strauchritters Mit Zeichnungen von Hugo Lange
KELTER TASCHENBUCH Band 20...
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OTTO BORIS
Fuchs Schade Die Geschichte eines Strauchritters Mit Zeichnungen von Hugo Lange
KELTER TASCHENBUCH Band 200 Lizenzausgabe Germany 1974 Copyright by Deutscher Literatur-Verlag Otto Melchert, Hamburg Nachdruck – auch auszugsweise – untersagt Umschlag: A. Reinebeck / Bild: Reinhard/Okapia (D 1974)
Mit köstlichem Humor schildert der Verfasser diese Lebensgeschichte eines herrlichen Rotfuchses. Die Streiche des raublustigen und im Tierreich wohl einmalig listigen Meister Reineke werden spannend und farbig dem Leser dargebracht. Otto Boris weist sich hier, wie in allen seinen Büchern, als großer Kenner der Natur und ihrer Geschöpfe aus. Liebevoll zeichnet er uns jene Welt, die der Mensch sich anschickt, allmählich zu zerstören. Ich habe viele dieser Burschen gekannt. Sie hatten alle besondere Wege und besondere Manieren, jedoch alle die bekannte Galgenphysiognomie. Es gibt keinen Fuchs, der nicht den jeweils gegebenen Fall bedachtsam prüft. Sie alle befinden sich in unserem Kulturlande im Recht des Besitzlosen, d. h. sie müssen notgedrungen stehlen. Natürlich haben sie sich den Zorn, selbst Haß von Bauern sogar Jägern, auf eine wenig umständliche Art in gerader Linie erworben. Und doch: Welcher Naturfreund, welcher Jäger mag den Rotrock missen? Im Kampf mit ihm geht meistens List gegen List, wobei der Mensch mit seinem Verstand oft den kürzeren zieht. So ist unser Rotvoß schließlich nicht allein in Hühnerställen, sondern in Literatur und Sage eingeschlichen. Er hat den Vorzug, im heutigen Wildrevier ein Stück echter unverfälschter Naturromantik zu vertreten. Er sieht auch wirklich schön aus, wenn er besinnlich mäuselt, tiefsinnige Überlegungen anstellt, ehe er einen braunen Grasfrosch seiner Schenkel beraubt oder mit angezogenem Lauf vor einer kitzführenden Ricke dieselben Überlegungen anstellt, wie ein ängstlicher Freier, der nach der »bösen Schwiegermutter« schielt, ehe er mit dem Gegenstand seiner Wünsche um die nächste schützende Ecke verschwindet. Schades Bruder oder Vetter nahm an einem Wintertag sämtliche Kirrbrocken vorurteilslos bis auf den mit Strychnin gesättigten Hauptbrocken auf, über welchen er mit großer Bedachtsamkeit das Bein hob und mir als Zuschauer aus dichtem Bestände den Verdruß überließ. Am nächsten Tag hatte er dann noch seine Losung dicht nebenan hinterlassen. Man versuche nur, diese Taten in die menschliche Sprache zu übersetzen, um festzustellen, was der Rotvoß damit sagen wollte. Die Fuchsseele ist gewiß eines besonderen Studiums wert; denn sie ist ein recht reichhaltiges Gemisch verschiedenster Auffassungen. Es wäre mir eine Genugtuung, meine Leser durch die Biographie Schades in dessen Gedankengänge etwas eingeführt zu haben. Alles über unsere Strauchritter zu sagen, ist in einem Band nicht möglich. Es wird ein ungelöstes Problem der Vielseitigkeit bleiben. Otto Boris
Weiße Frühlingswölkchen verschönten den lichtblauen Morgenhimmel. Unschuldsrein wandelten sie sanft über die verjüngte Erde und schauten lächelnd herab auf all das Duften, Grünen und Leuchten. Sie zogen über den dunklen Föhrenwald, der leise raunend seine Wipfel bewegte, lugten in die Wiese hinein, auf der Hahnenfuß und Butterblumen wahre Goldfelder bildeten, und spiegelten sich lächelnd in dem schmalen Bächlein, das hier eifrig plätscherte, dort sich in einer ruhigen Fläche verbreiterte. Schilfrohr und Binsen trieben bereits ihre Spitzen aus dem Wasser hervor. Die silbergraue Bachstelze hüpfte munter von einem Stein zum andern. In einem Erlenstrauch saß auf der Wipfelspitze eine Goldammer und sang so melancholisch, daß jedwedem weich und schwermütig ums Herz werden mußte. Im nahen Buchenwald schrie der Kuckuck unaufhörlich und so eindringlich, als zweifele die ganze Welt seinen Namen an, so daß er ihr zum Trotz sich durch setzen müsse. Auch Buchfink und Graudrossel trugen das ihrige zu dem Morgenkonzert bei. Die Heidelerche, die über dem nahen Saatfeld stand, fand nicht das Ende ihrer Strophe. Es war einfach unerfindlich, wie sie so lange aushalten konnte, ohne abzureißen. Da, wo aber der Bach einige sandige, waldbekrönte Hügel durchbrach, klang ein Mißton auf. Hier schwirrte Markwart, der Häher, von Ast zu Ast und ließ unaufhörlich sein aufreizendes »Tschärr-Tschärr« hören. Bald gesellten sich seine Frau und der älteste Sohn zu ihm, und das häßliche Krächzen nahm einen bedrohlichen Umfang an. Eigentlich konnten diese Vögel nichts für ihre widerlichen Stimmen; denn der Herrgott hatte ihnen nicht allein diese, sondern auch eine gehörige Portion Gehässigkeit mit auf den Lebensweg gegeben, und das mit gutem Grund. Markwarts konnten kein Wesen leiden, das größer und stärker war als sie selber. Mit besonderer, beinahe wüster Gehässigkeit aber gingen sie jeglichem Raubzeug, ob gefiedert oder behaart, zu Leibe. Und auch der grüne Jägersmann kriegte allerlei Schmährufe zu hören, aber nur, wenn er morgens oder abends auf den Anstand zog, weil er dann durch einen unangebrachten Schuß das Revier nicht in Alarmzustand versetzen wollte. Bummelte er am Tag mit dem Daumen am Gewehrriemen durch das Holz, dann machte Familie Markwart, daß sie davonkam; denn dann konnte er gefährlich werden und sie mit Schwefel und Dunst anblasen. Diesmal hatte der alte Tschärr, wie unser Häher hieß, allen Grund, sich aufzuregen; denn aus einem der Sandhügel, die den Bach rahmten, kroch gemächlich Schade, der Fuchsjüngling. Er war just zwei Jahre alt und so recht in der Lümmelzeit. Darum rekelte und reckte er sich, streckte die Hinterläufe weit nach hinten und hob seine buschige Rute. Zuletzt gähnte er herzhaft und setzte sich auf die Keulen. Einen mißbilligenden Blick warf er auf Tschärr und Frau, blinzelte aus den grüngelben Augen ins Licht, zog die Lefzen herunter, daß die Zähne blitzten, und lachte. Gestern abend hatte er eine Henne von der Moormühle geholt. Außer den Fe-
dern war nichts übriggeblieben. Somit war Schade noch satt, und die Überlegung, ob er ausgehen sollte, war völlig am Platze. Zunächst mußte er jedoch die Alarmfritzen loswerden. Da half nur ausharren, bis sie selber ihres Geschreies überdrüssig geworden waren. Schade war ein Fuchs. »Ein Fuchs ist listig und klug« – sagen die Menschen. Wenn wir aber Schades Klugheit genauer untersuchen, so bezieht sie sich zum größten Teil auf einen ganz gesunden Egoismus. Er wußte, was bekömmlich war, und das suchte er zu erlangen. Da er ein gutes Gedächtnis hatte, merkte er es sich recht bald. Da er aber auch sehr empfindlich war, ging er unangenehmen Dingen möglichst meilenweit aus dem Weg. Die Lebewesen der Umwelt teilte er demgemäß in genießbare, ungenießbare und feindliche ein. Zu den ersteren zählte so ziemlich alles, was er überwältigen konnte. Einen scheelen Blick warf er zu Tschärr hinauf. Im vergangenen Winter hatte er seinen Onkel verspeist, als dieser, an Darmkrebs erkrankt, von einem Baum gefallen war und, mit den Ständern nach oben, schwer jappend im Schnee lag. Also Markwarts Familie war durchaus genießbar, und als Schade zu den Hähern emporblinzelte, war er gar nicht damit einverstanden, daß diese so munter und kregel von Ast zu Ast hüpften. Er vertrieb sich damit die Zeit, in Ge danken Markwart zu rupfen. »Ein unbequemer Kunde« -knurrte er und wälzte sich wieder, um so von seinem Gelüst abzukommen, das ihm unbequem wurde, weil die Galle schwoll. Wie aber bereits erwähnt, liebte er Unbequemlichkeiten nicht. Jetzt glaubte Markwart sich genug erbost zu haben. Noch einmal schrie er von beinah erreichbarer Nähe: »Wart, du Halunke, wir kommen noch einmal nachsehen. Wenn du dann noch hier bist, soll dich dieser und jener! « »Hast verstanden?« – krächzte noch einmal Frau Tschärr. Dann schwirrte die Bande ab. Schade seufzte zunächst aus Herzensgrund, dann aber ein zweites Mal aus dem Magen. Weiß der Kauz, da muß ich doch zu heftig gefressen und ein paar Hüh nerfedern mit verschluckt haben, dachte er, und da sein Inneres, Verdauung wie Abführung, ihm mindestens ebenso wichtig war wie einem zweibeinigen Rentier oder Pensionär, machte er sich auf die Läufe, um etwas für seine Gesundheit zu tun. Gemächlich zog er den Mühlbach entlang. Wo die Ufer flach waren, trat er dicht an das Wasser heran und sammelte Rundschnecken auf. Die waren saftig, bekömmlich und erfrischend. Zudem reinigte die Kalkschale, gut zerkaut, den Magen. Ein paar Wasserspinnen reizten ihn. Diese flinken Dinger forderten direkt zum Fangspiel heraus. Er schnappte einige. »Gar nicht übel!« – Drei dicke Brummkäfer folgten. »Oh, du Vater aller Füchse, wie ist die Welt im Frühling schön, lustig und nahrhaft!« – grinste Schade. Da sah er, wie ein Blaukehlchen eilig und geschäftig in einem Uferweidengebüsch verschwand. »Nachsehen« – sagte sich Schade. Tatsächlich, ein Nest steckte im Gewirr der Äste. Die erschreckten Vögel lärmten nach Kräften, als die lüsterne Schnauze des Fuchses sich durch das Gestrüpp zwängte. Aber da stach ein Weißdornast Schade empfindlich in die Nase. Er zuckte zurück. Auf ein andermal, wenn ich regelrechten Hunger habe – dachte er, hob an dem Busch den linken Hinterlauf und merkte sich ihn solchergestalt vor. Dann schnürte er weiter, blieb sinnend stehen und stellte fest, daß er über diese Blaukehlchen, die ausgerechnet hinter einem Weißdornast bauten, doch etwas verdrossen war. Zudem brummte ihm eine dicke Hummel fortgesetzt um die Nase herum. Schwapp! — schon hatte er sie. Aber die Welt ist im Frühling nicht durchgehend schön und harmlos. Der Stachel drang Schade in die Lefzen. Er schüttelte heftig den Kopf, spie Schaum und machte im ersten Schrecken ein
paar lange Fluchten. Als ihm die Überlegung kam, spürte er einen süßen Honiggeschmack auf der Zunge. Hab es nur verkehrt angefangen, dachte Schade, schnappte noch eine Hummel und zerknautschte sie mit spitzen Zähnen. Dann spie er sie aus. Das schmeckte. Das war mal was anderes. Eine Maus, die ihm zufällig über den Weg lief, war im Nu gehascht und verschlungen. Dann aber horchte Schade auf. Sein feines Gehör hatte Menschenstimmen vernommen. Er machte sich ganz lang und ganz niedrig. Sieh da, auf dem Weg nach Aschhausen trottete eine Anzahl Zweibeiner mit bunten, flatternden Röcken. Sie lachten, schwatzten unaufhörlich und sangen zuletzt. »Wie mißtönend«, knurrte Schade erbost – »beinahe häßlicher als der Häher oder die freche Elster. Aber es ist ganz gut so. Nun weiß ich, daß heute keine Menschen auf den Feldern herumwirken, in der Erde wühlen oder Pferde schikanieren.« In der Tat ersetzten die Ausflügler Schade den Kalender. Während Reh, Hase und anderes Getier vor dem Lärm der Wanderer flüchten und sich verkriechen, fühlt sich unser Fuchs erst recht sicher; denn während eines solchen Mordsradaus auf den Landstraßen war für Jäger wie Hund eine Pirsch aussichtslos, da jegliches Wild sich im Alarmzustand befand. Schade tat sich zwischen zwei Jungfichten nieder und spähte auf die Straße. Da kamen zwei Männer. Sie waren ganz grün gekleidet, hatten grüne Hüte mit großmächtigen Gamsbärten, Ferngläser und dicke Knüppel. Auch die kannte Schade. Sie waren harmlos und taten nur so. Sie glaubten, »so grün, als wie die Heiden, so müßten sie sich kleiden«. Und zum Naturbummel und Belauschen eines Rüttelfalkens, der hoch über den Wiesen und Äckern stand, gehörte auch der nötige Dreß. Und wie sollte man einen aufgescheuchten Hasen beeindrucken, wenn man nicht jägermäßig angezogen war. Eine ganze Stunde wohl lag Schade auf dem Ausguck. Die feuchte, stille Luft brachte das Krähen der Hähne von der Moormühle, die an einem kleinen Weiher stand, herüber. Da zog er Geschmacksfäden. Die Erinnerung an das Hühneressen wurde lebendig. »Ob man versuchte? – Nee, lieber nicht, viel zu hell und viel zu lebhaft.« Damit sah Schade seinen Morgenspaziergang als beendet an. Er schlug einen Bogen, um sich durch den Wald wieder auf seinen Platz zurückzubegeben und in sein geliebtes Dasein bei warmer Sonne zu versinken. Das durfte man aber nur vor dem Bau riskieren, um bei Überraschungen schnurstracks in die Röhre fahren zu können. Besinnlich schnürte Schade durch sein Revier. Er tat das gleiche, was ein guter Weidmann zu tun pflegte, er jagte keineswegs, denn das wäre am Tag nutzlos und auch gefährlich gewesen, sondern er verhörte nur. Der Hase Theobald Lampel, Patriarch seines Geschlechts, ging vor ihm auf. Er kannte Schade und sein Gelichter, daher hatte er gar nicht so große Eile. Schade warf ihm einen gereizten Blick nach, untersuchte noch einmal das Lager, schnüffelte an den frischen Kügelchen, die Theobald hinterlassen hatte, und machte »ffft« – Hasenbraten! Na warte, alter Kunde, du kommst auch noch ran. Der Hoppler hatte die Erinnerung an die Kaninchenbaue geweckt. Jetzt gab es da Junge. »Man kann niemals wissen, ob nicht solch ein unvorsichtiges Geschöpf- na ja, wollen sehen. Wenn es ohne viel Lärm abgeht – einen Braten von einem zarten Jungkaninchen könnte man wohl so im Vorübergehen mitnehmen.« Die Familie Wippel bewohnte einen Sandberg in der Richtung auf Ohlensen, nahe der Ohlenser Dieke. Schade mußte zunächst ein langes Wiesental überqueren. In den Koppeln weideten Kühe und Pferde. Die störten ihn weiter nicht. Sie waren ihm sogar gleichgültig, aber zu diesen großen Geschöpfen gehören
meistens Menschen. Und richtig, da schlenderten drei Mann durch die Pferdekoppel und betrachteten eingehend ein Tier nach dem anderen. Wenn sie auch keine Jäger waren, so traute Schade keinem dieser Wesen. Sie konnten ihn verraten. Es war besser, sich nicht sehen zu lassen. In weitem Umweg schnürte er den Wiesensaum entlang, um zu dem Diekeberg zu kommen. Ein Brombeergeranke benutzte er, um noch einmal Ausschau zu halten. Mit der Nase am Winde tat er sich langsam auf den Bauch nieder. Desto schneller fuhr er hoch: »Bei allen Dackeln«, da hatte ihn etwas ganz bedeutend peinlich in die untere Körperhälfte nebst Zubehör gestochen. Schade machte einen Satz vorwärts. Dann starrte er giftig das Unwesen an. Da lag Eveline Spieker, die alte Igelfrau, zur Kugel gerollt und regte sich nicht. Er kannte sie schon vom vorigen Male, wo er sie versehentlich für etwas Genießbares gehalten und betatzt hatte. Das war empörend, das war aufreizend, das war gemein und sonst noch was. Wenn es nicht Tag gewesen wäre, wenn die Zweibeiner nicht an den Pferden herumgeklatscht und getastet hätten, wäre Schade in lautes »Kiff-Käff!« ausgebrochen. Er schnob Frau Spieker an. Sie krampfte sich nun förmlich zusammen. »Unmöglich, solch eine Kanaille! Am hellen Tag, in einem wenig belaubten Brombeerbusch zu schlafen! Nun, ich will ihr helfen. Setzen wir sie mal vorerst provisorisch auf die Speisekarte.« Ärgerlich hob Schade seinen linken Hinterlauf, merkte sich den Busch und schnürte zu den Kaninchen hinüber. Familie Wippel bewohnte seit Jahrzehnten den Berg, der von Buchen und Eichen gekrönt wurde. Er war von Löchern durchsiebt, wie ein Schweizerkäse. Wippels gehörten zu den Kinderreichen. Ehre, Glück und Fortbestand der Sippe hing von der Fruchtbarkeit ab. Der Stammvater Wippel brachte es jährlich auf etwa dreißig Nachkömmlinge. Und obwohl es Tag war und die meisten Wippelsöhne in Röhren und Kesseln schliefen, gab es deren noch genug, die zwischen den kleinen Tannen, dem vorjährigen Heidekraut und dem Brombeergeranke herumhoppelten oder in wildem Übermut geschäftig eine neue Röhre anlegten, es dabei meistens aber bei einem flachen Loch bewenden ließen. Überall lag die kleinkugelige Losung in Massen, überall roch es streng nach dem scharfen Harn. Den Fuchsjüngling erfaßte ein wahrer Mordrausch. Noch nie hatte er so elegant, so langgestreckt und geduckt die Beute angeschlichen. Da, da hoppelte ein halbes Dutzend faustgroßer Lampretteln in lustigem Spiel durcheinander. Schon straffte sich Schade zum Sprung, da erkannte Wippel, der ein Männchen gemacht hatte, den Feind. »Poff! « – schlug er mit dem Hinterlauf den Erdboden, daß es dröhnte. Nun zickzackte, flitzte, huschte es in allen Winkeln, Büschen und Hecken. Wie graue Blitze schossen die kleinen Tierchen dahin. Zwar machte Schade ein paar wütende Sprünge, um Wippel zu packen, aber diese Haken sollte der Waldteufel abfangen. Kaum drei Herzschläge lang, und der Fuchsjüngling stand allein auf weiter Flur. Die Kaninchen saßen in ihren engen Röhren wohlgeborgen. Er sah ein, daß er noch recht viel würde lernen müssen, ehe er sich von Kaninchen ernähren konnte. Genug von dem Zeugs war ja da. Eines war Schade unverständlich: Wenn der Schöpfer dem Fuchs einen solchen Riesenappetit auf Kaninchenbraten gegeben hatte, warum sorgte er nicht gleichzeitig dafür, daß die Baue dieser schmackhaften Wesen größer oder der Fuchs länger und schlanker ausfiel, damit er ihnen in die Röhren folgen konnte. Umständlich beroch er eine Röhre nach der andern. Es war kaum eine unbefahrene unter ihnen. Das hätte aber Schade unterlassen sollen. Wenigstens am Tage hätte er davon Abstand nehmen müssen. Aber er befand sich ja noch in den Bummeljahren,
hatte wenig trübe Erfahrungen gemacht und hielt das Dasein für eine recht vergnügliche Einrichtung. So war es unausbleiblich, daß er mit Funzel, einem stichelhaarigen Dackel, zusammenstieß. Besagtes Krummbein gehörte dem Förster Völsch. In dessen Freundeskreis aber ging die Rede, nicht er habe den Dackel, sondern der Dackel ihn. In gewissem Sinne stimmte dieses; denn Funzel war zunächst mal furchtbar eigensinnig. Was ihm nicht paßte, tat er nicht. Gegen ausdrückliche Befehle zeigte er eine unüberwindliche Abneigung. Für Zureden war er taub, und das alles, weil er die Unzulänglichkeiten des menschlichen Geschlechts erkannt hatte. Während der Jagdhund Teil auch gegen die eigene Überzeugung dem Herrn gehorchte, dachte Funzel zuweilen respektlos: »Was soll das nun wieder? Warum steckt Herrchen nicht mal selber die Nase in die Fährte, kann er denn nicht rie chen, was los ist? Nun, ich weiß es genau: Hier hat der Dachs Murrjahn nach Untermast gestochen, und dort hat er genäßt. Da will ich es ihm doch mal zeigen.« Und wenn sein Herr sich doch nicht um Funzels Gebahren kümmerte, so dachte der: Welch ein Blödsinn, wie kann man solch einen feisten Burschen herumlaufen lassen, ohne ihn umzubringen und zu genießen! Unerhört so etwas! Da will ich doch sehen, ob ich nicht auf eigene Faust dem alten Troglodyten an die Schwarte kommen kann! Solche selbständigen Gedankengänge waren dem Einvernehmen der beiden Jagdgesellen nicht förderlich. Wenn Völsch durch das Revier ging, hörte man ihn bereits aus beträchtlicher Entfernung, ehe man ihn noch sah. Dann klangen Ausdrücke wie: »Niederträchtiges Vieh, verflixter Köter, dickköppige Kanaille« und andere herzhafte Worte durch den friedlich-grünen Wald, machten jeglich Getier rege und ließen Pilzsucher sowie Beerensucher erschauern, da sie dem Förster nicht gern begegneten, wenn er im Zorn war. Von all den Anwürfen war wohl der Hinweis auf den niederträchtigen Charakter der zutreffendste. Funzel war die geborene Niedertracht in Person. Er betrog seinen eigenen Brotherrn. Und wenn er mal heimlich Eier aus dem Hühnerstall entwendet oder ein Küken gewürgt hatte, tat er noch einmal so freundlich und unschuldig, während Teil nach jeder Verfehlung das personifizierte böse Gewissen war, mit eingezogenem Schwanz und betrübt lauschenden Ohren herumstrich, so daß Völsch ihn dann in rauhem Weidmannston fragte: »Was hast du, krummer Hund?« Auch an seinem großen Freund Teil versündigte sich Funzel des öfteren. Er schätzte ihn eigentlich nur aus zwei Gründen. Einmal hatte Teil nichts dagegen, wenn sein krummbeiniger Jagdgefährte sich bei seinem Napf zum Mitfressen einlud, dann aber besaß Teil auch erheblich längere Beine und war beim Herumstreunen auf eigene Rechnung sehr gut zu gebrauchen. Das war jedoch ein besonderes Kapitel. Obwohl Funzel stets der Anstifter war, verlangte man von Teil mehr Haltung, Verstand und Einsicht über das Verbotene und Erlaubte. Bekam nach solchen Streifen Funzel einige Genickstüber, ein paar rauhe Worte, so wurde Teil verprügelt und kam in den Hundezwinger. Im Grunde genommen hatte Völsch wohl recht; denn bei dem Dackelvieh verschlugen weder Strafen noch Ermahnungen. Er brachte die Maßregelungen keineswegs mit der Untat in Verbindung, sondern hielt Herrchen für einen Wüterich und unberechenbaren Menschen, den man tunlichst meiden müsse, was er nach jeder Zurechtweisung nach Kräften besorgte. Es war also das beste, ihm die Gelegenheit zu neuen Streichen zu versperren. Hier aber lag der Hund begraben. Funzel verstand es seinerseits meisterhaft, solche Gelegenheiten herbeizuführen.
An den Sonntagen ging Völsch nicht gern ins Revier, um sich nicht über die Städter ständig ärgern zu müssen. Sein Försterherz blutete, wenn er immer wieder feststellen mußte, daß es noch Zweibeiner gab, die durch eine Schonung trampelten oder sinnlos Zweige von den Bäumen und Sträuchern rissen. Er konnte dann fuchsteufelswild werden. Aber auch der Besuch im Dorfkrug machte ihm keine rechte Freude. Völsch war eine ehrliche Haut, er konnte kein Blatt vor den Mund nehmen. Obwohl er in der Gegend bekannt war wie ein bunter Hund, nahm man ihm seine barsche, grobe Art bisweilen übel, um so mehr, als bei seiner Heftigkeit nur zu leicht ein »Wortwechsel« in einen »Schlagwechsel« sich umwechseln konnte. Mancher hatte schon die Faust des Försters zu spüren bekommen, wenn er bei einem Forstfrevel ertappt worden war. Deshalb beschloß er, an den Sonntagen nur noch Brinkmann in der Moormühle aufzusuchen. Dieser hatte die Jagd in Aschhausen, das Vorgelände der Forst, gepachtet und hielt gute Nachbarschaft. Manchmal fand sich auch der Lehrer Gründler oder ein anderer Bekannter ein. Dann wurde Grog getrunken und Skat gespielt. Funzel hatte den Kalender im Kopf oder beinahe noch mehr in der Nase. Wenn Frau Paetsch, die Haushälterin, eine neue weiße Schürze vorband und ein Häubchen aufsetzte, sobald sie die Küche betrat, wenn es aus dem Bratofen gar lieblich duftete, zu Mittag recht viel Hühnerknöchlein oder sonstige gute Sachen abfielen, Herrchen nach dem Essen eine dicke Zigarre ansteckte und müßig durchs Fenster sah, dann war Sonntag. Dann dauerte es nie lange, ehe der Weg zur Moormühle angetreten wurde. Jedesmal verkroch Funzel sich rechtzeitig. Eine geraume Weile suchte ihn Herrchen. Dann trat er unter Hinterlassung einiger Kernflüche den Weg allein an. Jetzt kam Funzel zum Vorschein. Aber nicht, um nach braver Hundeart das Haus zu bewachen, sondern um im Revier zu verschwinden, daß die Ohren flogen. Es betrübte ihn nur, seinen Platz an Herrchens Seite dem dummen Teil abtreten zu müssen. Auch an diesem Sonntag war Funzel im Wald verschwunden. Nachdem er ein Weilchen herumgestromert war, fielen ihm die Kaninchenbaue ein. Und hier stand er plötzlich Aug’ in Auge Schade gegenüber. Schade faßte sich zuerst. Er hatte zwar einen Dackel noch nicht gesehen, stellte aber am Geruch fest, daß es ein bissiger, böser Geselle war, der anscheinend auf Kampf ausging. Es entzieht sich zwar der Kontrolle der menschlichen Nase, aber die Witterungsveränderung zwischen Mordlust und Angst muß eine bedeutende sein, da Hunde sie selbst aus der Spur bzw. Fährte erriechen können. Schade hob die Lefzen, zeigte die Zähne und machte eine rauhe Bürste. Funzel hatte nicht den ersten Fuchs vor sich. Er stellte die Rute steil, kriegte steife Beine, stechende Augen und knurrte. Dann sah er sich gewohnheitsmäßig nach Herrchen um. Er war in diesem Augenblick so verwirrt, daß er glaubte, es müsse gleich knallen, Schade umfallen, und er könnte dann ungefährdet sein Mütchen an ihm kühlen. Aber Mahlzeit, nichts ereignete sich. Herrchen knallte wohl in diesem Augenblick, doch nur den Kreuzjungen auf den Tisch. In Schade zitterte die Furcht des ständig Verfolgten. Den Augenblick der Unentschlossenheit benutzte er, mit einer langen Flucht abzuspringen und davonzurasen. »Kiff- Kiff « hetzte Funzel hinterdrein. Bei dem vorher erwähnten Brombeergeranke wurde er von Frau Spieker unangenehm aufgehalten. Er stieß gegen dieses stachelige Wesen mit der Nase, die er tief auf Schades Fährte gesenkt hielt. Das war höchst peinlich. Er konnte es sich nicht versagen, dem stacheligen, unnahbaren Geschöpf gehörig seine Meinung zu bellen. Eveline Spieker blieb eine Kugel und lehnte solchergestalt die gesamte Umwelt ab. Funzel setzte seine Suche fort und kam zu dem Bau. Dieser war kein besonders groß angelegtes Werk, sondern nur ein ausgearbeiteter ehemaliger Kaninchen-
schlupf. Schade stammte nämlich aus den Schwarzen Bergen, wo sein berüchtigter Onkel Kiff noch lebte und raubte. Zwistigkeiten in der Ranzzeit hatten Schade zum Auswandern veranlaßt. Hier am Mühlenbach hatte er noch nicht seinesgleichen gespürt und dünkte sich ein König des weiten Waldes zu sein. Dieser freche Funzel aber wollte etwas von ihm. Gewiß war er stärker, sonst hätte er nicht den Mut gehabt, ihn, Schade, zu verfolgen. Und nun saß er mit Herzklopfen in seinem notdürftigen Bau und hörte, wie sein Feind grimmig scharrte, um die Röhre zu erweitern, und manchmal gar in überschäumender Wut mit den Zähnen die hemmenden Wurzeln wegriß. Das kann gut werden, dachte Schade – wenn er mich kriegt, würgt er mich. Der ist ja völlig maßlos in seinem Grimm! Also verklüftete sich Schade. Er brachte zwischen sich und dem schnaufenden, zuweilen laut bellenden Feind Sand und verstopfte die Röhre. Dann machte er sich daran, eine Kaninchenausfahrt zu erweitern, um ungesehen in die Freiheit zu kommen. Es gelang über Erwarten rasch. Nun stand er oben auf dem Sandhügel und hörte, wie sein Feind im Bau rumorte und tobte. Er ließ die Lunte sinken und schlich davon. Dieser Bau hier kam fortan nicht mehr für ihn in Betracht. Es war zehn gegen eins zu wetten, daß Funzel ihm auch weiterhin hier nachstellen würde. Und wer konnte wissen, welch finstere Mächte den Vernichtungswillen des Krummbeins steiften. Schade war, wenn man es so nennen kann, etwas abergläubisch. Dieser Aberglaube bezog sich keineswegs auf Geister oder überirdische Wesen, sondern auf unsichtbare, unerreichbare und daher unerklärliche Zusammenhänge zwischen den Dingen der Umwelt. Um zunächst seinen Verfolger gründlich irrezuführen, machte er einige Schleifen und Haken, kreuzte ein paarmal die eigene Spur und wechselte schließlich durch einen Sprung Rehe, die sich auf einer Waldwiese gütlich taten. Dabei hätte er beinahe saftige Tritte bezogen; denn ein kriegerischer Bock namens Baff rückte ihm zu Leibe. Aber was Schade bezweckte, erreichte er. Funzel hatte sich todmüde gearbeitet und seinen Feind nicht gefunden. Da setzte er sich schließlich auf seine Fährte, kam auch wirklich bis zu den Rehen und kriegte von Baff einen soliden Fußtritt, daß ihm alle Rippen knackten. Beinahe hätte ihn der Wüterich noch geforkelt, aber Funzel war schon jaulend ausgerissen. Kreuzlendenlahm und hundemüde trat er den Weg nach Hause an. Je mehr er sich erholte, desto strahlender leuchtete die Erinnerung an den Bau und an Schade in ihm auf. Hier muß Herrchen ran. Ich werde ihm die Wohnung dieses Stänkers schon zeigen, dachte Funzel. – Es war inzwischen dämmrig geworden. Ein feiner, aber desto dichterer Nebel siebte herab. Funzel kam an der Moormühle vorbei. Ob Herrchen noch drin ist? – fragte er sich. Und schon tappelte er hin. Kurz vor dem Gehöft stutzte er. War das nicht Schades Witterung? Lagen da nicht Hühnerfedern, die Füße und ein paar abgenagte Knochen? – Mit Sturm raste er laut bellend gegen die Haustür. Im Gästezimmer stand das Dienstmädchen und sagte: »Frau Brinkmann, mir scheint, heute fehlt die graue Italienerin. « »Hast du die Hühner gezählt?« »Jawoll, Frau Brinkmann, es sind nur achtunddreißig.« »Dann fehlen doch zwei.« »Gewiß fehlen zwei, denn die graue Italienerin ist nicht da.« »Hör mal, Mann, es muß hier ein vierbeiniger oder zweibeiniger Fuchs sein Wesen treiben. Um die graue Henne tut es mir leid, sie war die beste Legerin.« »Das ist Schade! « – sagte der Mann und gab somit dem Fuchsjüngling seinen Namen, den wir vorweggenommen haben. Bei jedem Raub des Fuchses sagte fürderhin Völsch: »Das ist Schade! Das hat Schade angerichtet.«
Die Schwester der Frau, Fräulein Annemarie Göhde, brachte frisches Grogwasser und meldete gleichzeitig Funzel an. Er wäre hungrig und durstig und hätte sich sofort in die Küche begeben, auch schone er stark den linken Vorderlauf -erzählte sie Völsch. Der wollte auffahren und auf den »saumords-kapital-himmelschreiend-frechen Kreuz-Schlag-Gewitterköter« ein Strafgericht herabsausen lassen; als er aber in die sanften Augen der blonden Marei sah, blieb er in der Anrede stecken, knurrte etwas Unverständliches und spielte falsch aus, wofür er sich vom Lehrer Gründler eine heftige Ermahnung und längere Belehrung zuzog. Trotzdem war er nicht bei der Sache. Sofort ging er zur Küche, betrachtete Funzel lange und streng und fragte: »Wo warst du?« Funzel versuchte durch Schwanzwedeln und ein paar lahme Freudensprünge über diese peinliche Frage hinwegzugehen, erntete aber einen vernichtenden Blick und verkroch sich. »Er ist mit Baff zusammengeraten!« sagte Völsch und nahm die Karten wieder auf. Zum Nachhausegehen nahm er Funzel an die Leine. Aber siehe da, das Krummbein zerrte und schleppte ihn quer über einen Roggenschlag, durch einen Buchenhain zum Waldrand, wo die traurigen Reste einer Henne lagen. Im Schein seiner Taschenlampe konnte Völsch feststellen, daß die Untat erst vor wenigen Stunden passiert sein müsse. »Das ist wirklich schade«, sagte er, »Mareis Lieblingshuhn. Sie hat die Anzahl der Eier so sorgfältig gebucht. Warte, du Halunke, morgen ist auch noch ein Tag. Dir soll er aber schlecht bekommen.« Schade war es nicht schwergefallen, die Henne zu erwischen. Hühner sind nicht nur leichtsinnig und sorglos, sondern haben auch ein kurzes Gedächtnis, allerdings nur für das Schlechte. Wo und von wem sie gefüttert werden, wissen sie gar zu genau. Wenn Heini, der stolze Hahn, auch fortwährend warnte, so nahmen ihn die Hennen nicht ernst. Das Kakeln und Kurren gehörte nun mal zu seinem Beruf, und er besorgte es auch pünktlich. Das hinderte sie also nicht, sich nach eigenem Geschmack und Gutdünken vom Gehöft zu entfernen. Schade konnte also beim Moorhof auf eine Dauererwerbsquelle rechnen, um so mehr, als er festgestellt hatte, daß der Wächter Karo fest an der Kette lag. Gern hätte Schade die Beute nach seinem Bau getragen, um den Braten in Muße zu genießen, wie er es sonst zu tun pflegte. Allein schon in Erinnerung an den gräßlichen Funzel mit seinem lärmenden, wilden Getue sträubten sich ihm die Rückenhaare. Jetzt saß er draußen in dem unangenehmen Fisselregen und getraute sich nicht nach Hause. Ein Fuchs aber muß schlafen, wenn er satt ist. Das gehört sich so. Er kann nicht wie ein Hase oder Bock im Freien übernachten. So machte sich Schade denn auf die Wohnungssuche. Vor manchem Kaninchenbau blieb er nachdenklich stehen. Wenn er nicht so satt gewesen wäre, hätte er ihn sicher zu einem Notbau erweitert. Aber die Sorge um seine Verdauung ließ ihn davon absehen. Ein Käuzchenpaar verfolgte ihn unablässig mit seinem häßlichen, gellenden Schrei. Die Vögel stießen so tief auf ihn herunter, daß er ihre glühenden Augen sehen konnte. Eine Himmelsziege schwirrte meckernd über ihn hin. Kein Lufthauch rührte sich. Nur das eintönige Rauschen des Regens und das Klatschen der großen Tropfen, die von den Bäumen fielen, unterbrachen die traurige Stille. Am unangenehmsten war es, daß Schade keine alte Fährte aufnehmen konnte. Sie waren allesamt verwaschen. Neue aber gab es nicht, da jegliches Getier irgendwo untergekrochen war. Doch, da war etwas. – Es raschelte und knackte auf dem moorigen Untergrund eines Birkenbestandes. Schade schlich vorsichtig näher. Ein großes Tier war es
nicht, das sich da bewegte. Es konnte aber ebensogut der verrückte Funzel sein. Witterung zu holen war nicht gut möglich. Die feuchte Luft und der Regen hielten sie in engem Kreis um das Geschöpf zusammen. Doch jetzt wuselte es dicht an ihm vorbei. Schade sah einen krumm- und kurzbeinigen Gesellen, breit und beleibt, aber so niedrig, als wandle da ein Fußsack. Die grauen Stichelhaare hatten sich durch den Regen in spitzen Büscheln zusammengetan. So sah das Wesen aus wie ein großer Igel. Jetzt lugte der Mond hervor. Deutlich zeichneten sich auf dem weißen Kopf mit der schwarzen Nase zwei dunkle Streifen über Auge und Ohr nach hinten verlaufend ab. Schade war auf Murrjahn, den alten Dachs, gestoßen. Der war eifrig dabei, sich an Würmern, Schnecken und ähnlichem Getier, das im Regen munter und lustig geworden war, gütlich zu tun. Ein süßlicher Geruch von Feist und der dumpfe einer Erdhöhle gingen von ihm aus. Schade strich um ihn herum, verließ ihn wohl auf einige Zeit, fand sich aber wieder ein. Jetzt war Murrjahn satt. Er schüttelte das Wasser aus dem Pelz und trabte heimwärts. Schade folgte ihm. So kam er zu dem Dachsbau, der jenseits der breiten Straße in einem kegelförmigen, steilen Hügel angelegt war. Dieselbe Röhre, durch die Murrjahn einschliefte, benutzte Schade nicht, sondern rechnete richtig, daß es noch eine andere geben müsse. Also umkreiste er die Umgebung und fand nicht nur eine, sondern mehrere Ausfahrten. In der größten rollte er sich mit dem Gefühl sicheren Geborgenseins zusammen. Der Instinkt sagte ihm, daß irgendwelche Gefahren zunächst den Hausherrn treffen und der Zeit zum Entrinnen haben würde. Der Morgen zog lustig und jubelnd herauf. Die Sonne strahlte. Wald, Wiese, Blumen und Gesträuch waren neu, wie frisch aus der Wäsche gekommen. Finken, Amseln und Meisen sangen und dudelten aus Leibeskräften. Die Rohrspatzen zankten sich noch einmal so eifrig. Der Hahn krähte gewaltsam. Marei war noch im Morgenrock und hatte nur flüchtig ein Tuch um das noch ungeordnete Haar gebunden, da sie zuerst Geflügel, Schweine und Kälber besorgen mußte, ehe sie an sich selber denken konnte. Ihr Schrecken war durchgreifend, wie sie Völsch mit Funzel an der Leine auf den Hof zukommen sah. Sie ließ den Korb mit dem Hühnerfutter fallen, schrie leise auf und flüchtete in höchster Eile die Leiter zum Heuboden hinauf. Dort lugte sie vorsichtig durch die Luke, um das Weitere abzuwarten. Völsch trat bald mit Brinkmann aus dem Haus. Dieser hatte sich mit der Jagdflinte ausgerüstet. Jetzt rief er den beiden Knechten zu, sie möchten die Arbeit einstellen und sich mit Spaten bewaffnen. Es ginge zum Fuchssprengen. Karo wurde von der Kette gelöst, er durfte mit. Marei ärgerte sich. »Es ist dumm«, sagte sie, »daß ich nicht ein bißchen mit kann, ich hätte doch gern zugesehen, wie der Mörder bestraft wird. « Funzel führte abermals mit großer Sicherheit zu den Hühnerfedern. Wie aber an dem Mordplatz Herrchen sagte: »Such Füchschen, such den Stänker, kß, kß – greif den schlechten Kerl«, da kümmerte er sich keineswegs mehr um Spuren oder Witterung, sondern schlug schnurgerade den Weg zu den Sandhügeln am Mühlbach ein. »Ohne Zweifel ist der Bau befahren! « sagte Brinkmann, und Völsch löste Funzel von der Leine. Wie ein Stein im Brunnen verschwand das Dackeltier im Bau. Drinnen erhob sich ein Mordsradau. Völsch legte das Ohr an die Erde. Er horchte sie ab, wie ein Arzt einen Brustkranken. Wütendes Kläffen scholl gedämpft herauf. Er hat ihn gestellt. Hier muß der Kessel sein. Hier wollen wir den Einschlag machen.« »Hm«, sagte Brinkmann, »da muß ich mir wohl die Ausfahrt suchen und mich anstellen. « Karo zitterte vor Aufregung und war kaum noch zu halten, denn auch er hatte den Feind gewittert, der abends oder auch nachts um den Hof
strich. Die Knechte Jochen und Fietje warfen die Jacken ab und griffen energisch zu den Spaten. Wenn sie eifrig waren, sollten sie zum Abendbrot ein gehöriges Stück Speck kriegen, hatte Brinkmann versprochen, und Völsch wollte ein Päckchen Tabak stiften, falls der Fuchs erlegt werden würde. So waren denn Jochen und Fietje nur noch Spannung und Erwartung. Tiefer wurde das Loch, lauter klang Funzels Gekläff aus unterirdischen Gründen herauf, fester faßte Völsch die Flinte. »Vorsichtig, Leute, damit ihr den Hund nicht verletzt! « – Langsamer arbeiteten die Spaten. Jetzt wurde Funzels schwarzer Rücken sichtbar. Er lag sicher vor dem Kessel und kläffte, was die Lunge hergeben wollte. Zuweilen schnappte er wild nach vorn, um sich schnell zurückzuziehen. »Faß, hu, pack den miserablen Kerl! Bring ihn raus, den Stänker! « – Es half nichts. Der Fuchs wich nicht. »Sonderbar, daß er nicht flüchtet?« knurrte Völsch. Auch Brinkmann wunderte sich. Also hieß es, das Loch weiter aufzureißen – und – da hatten sie denn die Bescherung -Funzel verbellte Frau Eveline Spieker nebst Ehegemahl und Tante Greulich. Der abscheuliche Regen hatte ihnen ihren nächtlichen Spaziergang verleidet, und so hatten sie einen Unterschlupf in dem leeren Bau gesucht und gefunden. »Schöner Schaden!« – knurrte Brinkmann und kratzte sich hinter dem Ohr. Völsch wollte Funzel versohlen. Er schnitt bereits die entsprechende Gerte zurecht. Aber Fietje hatte inzwischen das stachelige Trio eines nach dem andern mit dem Spaten und in hellem Zorn in die Landschaft geschleudert. Die Igel kollerten den Hügel hinab und blieben im Gerank am Mühlbach liegen. Mit ihnen flogen aber auch eine Menge Hühnerfedern, Kopf und Pfoten von Junghasen hinaus. Völsch stutzte. Er untersuchte den Kessel und die Reste näher. »Weiß Gott, der Stinker ist noch vor kurzem hier drin gewesen« – sagte er entrüstet. »Er muß uns unter den Händen entwischt sein. Haben Sie auch gut auf die Auffahrtsröhre achtgeben?« »Ich?« entrüstete sich Brinkmann. »Nicht eine Maus wäre mir entgangen. « »Wo ist er nun hin?« fragte Völsch. »Ja, wo ist er hin?« echote der Chor. Jochen aber nahm sich im stillen vor, Schade auf eigene Faust das Handwerk zu legen. Am Montagmorgen wachte Murrjahn davon auf, daß ihm der Luftzug, der durch die Röhre strich, eine unangenehme fremde Witterung in die Nase trieb. Bevor er nachsah, woher das kommen mochte, ging er zunächst ins Freie und begab sich hier an seinen Abort. Der war sehr sauber und völlig geruchlos. Allein kleine Erdhäufchen, die obendrein noch mit Fichtennadeln gedeckt waren, zeigten
an, wie oft Murrjahn zu Stuhl gegangen war. Sorgfältig suchte er eine neue Gelegenheit, hob eine Grube aus, erleichterte sich und deckte die Losung wieder mit Erde und dürren Blättern zu. Dann begab er sich ein beträchtliches Stück weiter, wo er näßte. Auch diese Stelle wurde gehörig verwischt und verblendet. Nun sah Murrjahn nach der Sonne und stellte fest, daß es bereits viel zu spät wäre, noch auszugehen. Das Vogelgezwitscher inkommodierte ihn. Bedächtig schliefte er wieder in den Bau. Aber kaum hatte er es sich im Kessel bequem gemacht, so störte ihn wieder diese häßliche Witterung. Da ging er kurz entschlossen der Sache auf den Grund. Je weiter er in der Stinkröhre vordrang, desto unerträglicher wurde der Dunst. Murrjahn gab seinen Angriff auf und rutschte rückwärts in den Kessel zurück. Hier verstopfte er die Röhre ausgiebig mit Sand und erweiterte den zweiten Notausgang. Als er die Erde hinausschaffte, fiel ihm ein, mal nach der Notröhre Nr. 1 zu sehen. »Da haben wir die Bescherung!« – keckerte er giftig. – »Hier liegt dicht bei der Einfahrt die Losung von dem Lumpen und stinkt gen Himmel, und dort an der morschen Föhre hat er sein Bein gehoben. Lange sehe ich mir diese Lotterwirtschaft nicht an.« Schade erwachte am späten Nachmittag. Eigentlich war er noch nicht so richtig raubtierhungrig, so wie im Winter, wo er einmal ganze acht Tage mit leerem Magen herumlaufen mußte. Aber süßes, warmes Hühnerblut schmeckt zu schön. Und die lieben Tierchen ließen sich gar zu leicht erhaschen. Warum sollte man da nicht einmal probieren? Anfangs wehrte er sich gegen den Gedanken, aber ehe er es sich versah, war er bei dem Hof angelangt. Auf der Westseite lag der Teich. Diesmal hatten ihn die Hühner nicht umgangen. Schade sah einige auf dem Hof scharren und zog Geschmacksfäden. Ein weibliches Wesen kam vorbei. Ich will doch lieber nicht! dachte Schade. Aber im Abschnüren traf ihn die volle Witterung des Hühnerstalles. Da umschlug er das Gehöft. Jetzt war er unter Wind. Sofort hatte Karo ihn wahrgenommen und machte einen Mordsradau. Schade aber war frech genug, noch ein letztes Mal durch die Himbeerhecke zu spähen. Und siehe da, dicht vor ihm schritt ahnungslos kakelnd ein Huhn. Da kam es über ihn wie ein Rausch. Ein Sprung, ein Griff- das Kakeln war jäh verstummt, und Schade raste mit dem geraubten Huhn im Fang wie gehetzt davon. Er wußte, daß die Hühner bewacht wurden. Er wußte, daß sie den Menschen des Gehöfts gehörten. Darum war seine Tat ein ausgesprochener Diebstahl.
Marei hörte Karo rasen, lief in die Stube und rief ihrem Schwager, der bei den Wirtschaftsbüchern saß, zu: »Schade ist beim Gehöft!« Wie elektrisiert sprang Brinkmann auf. Er stürmte nach der Flinte, kramte schnell die Patronen her und – nun fiel ihm erst das Richtige ein: »Du hättest sofort Karo losmachen müssen, teures Mädchen. -Jetzt ist es wohl schon zu spät, der Spitzbube ist bereits über alle Berge.« Karo wurde sofort losgelassen. Er rannte wie irrsinnig suchend hin und her, tobte in den Wald hinein, verlor Schades Spur in einer überschwemmten Wiese und fand sie nicht mehr wieder. Abends saßen nur noch siebenunddreißig Hühner auf ihren Stangen im Stall. Schade hatte eine gesegnete Verdauung. Als Murrjahn am nächsten Morgen anläßlich seines Stuhlgangs die Einfahrt von Schades Röhre untersuchte, fiel er vor Schrecken beinahe auf den Rücken. »So kann das auf keinen Fall weitergehen!« keckerte er. »Dieser Schweinskerl zieht mir ja alle meine Feinde durch seine Unsauberkeit auf den Hals. « Der Knecht Jochen nahm an diesem Tag Urlaub, da er nach Harburg fahren müsse. Welcher Art seine geheimnisvollen Geschäfte waren, sagte er niemandem. Schon zeitig am Mittag war er auf seinem Rad zurück und ging mit un durchdringlicher Miene an seine Beschäftigung. Als Marei abends die Hühner zählte, fehlte abermals eines. Natürlich hieß es wieder »Schade«. Aber diesmal mit Unrecht. Der hatte sich den Lärm zu Gemüte gezogen und beschlossen, nur von Mäusen, Heuschrecken und braunen Grasfröschen zu leben, von letzteren bevorzugte er die schmackhaften Schenkel. Das Huhn hatte Jochen nach Harburg gebracht und es gegen einen Gebrauchsgegenstand eingetauscht, von dem er lieber hätte sprechen sollen. Abends wurde denn auch Karo losgemacht. Brinkmann nahm sich seinen geliebten » Oberländer« vor und las zum soundsovielten Male dessen Jagderlebnisse. Frau Brinkmann stickte eifrig, Marei schrieb an ihrem Tagebuch. Aber alle waren nicht recht bei der Sache. Mit einem Ohr lauschten sie hinaus, ob Karo nicht bald anschlagen und Schade ankündigen werde. Brinkmann schielte ab und zu nach der geladenen Flinte, die in einer Ecke lehnte. Es lag eine traumhafte Stille über den drei Menschen und dem friedlichen Raum. Die Standuhr tickte beinahe zu laut. Von draußen kam das Rauschen der Urvätereichen. Da zerriß ein lautes Jaulen und Wehklagen die Nacht. Entsetzt sprangen alle drei auf und sahen sich an. Schade wird doch wohl nicht Karo würgen? Das Jammern wurde lauter und schmerzlicher. »Zum Deibel nich auch! « – knurrte Brinkmann und griff zur Flinte. Marei lief nach einer Laterne. Fietje bewaffnete sich mit einer Heugabel. Jochen aber stand wie eine Bildsäule und hielt sich die Ohren zu. Brinkmann und Marei gingen entschlossen auf das jammernde Hundetier los, das zwischen einer undurchdringlichen Himbeerhecke und einem Schuppen steckte, wo man einen Gang durchgetreten hatte. Karo saß fest. Er saß in einem Tellereisen und klagte zum Steinerweichen. Mit einem grimmen Fluch befreite Brinkmann den Geplagten und brachte ihn in die Stube, wo er die Wunde wusch und einen festen Ver-
band anlegte. Schon während dieser Tätigkeit erhob sich die Frage: Welch ein Dussel hat das Eisen aufgestellt? Brinkmann ahnte etwas: »Jochen soll kommen!« Jochen kam. »Ja, Herr«, sagte er geknickt – »dat Isen hev ik obstellt. Ik wull dem Ooas, dem Voß, mol ant Ledder.« »Harst wat seggen sullt! « »Ja, Herr, dat har ik woll mußt.« Damit trat Jochen ab und war fortan die reine Zärtlichkeit gegen Karo. Nie ging er an ihm vorbei, ohne ihm einen Knochen, eine Schwarte oder sonst etwas zuzuwerfen. Und das blieb so. Zur Erklärung fügte er jedesmal hinzu: »Nimm nur, mein Hundchen, ik heff di jo tum Kröpel mokt.« Karo wurde zwar gesund, aber er hinkte fortan. Das Hühnerproblem blieb vorläufig ungelöst. Einsperren konnte man die Tiere jetzt im Frühling nicht. Einmal war nicht genügend Futter vorhanden, und zum anderen wäre die Produktion an Eiern um die Hälfte zurückgegangen; denn Wiesen und Äcker ringsum boten so viel Gewürm, saftiges Grün und auch die nötigen kalkigen Kiesel, daß eine Gatterfütterung sie nicht hätte ersetzen können. Auch kostete eine solche Anlage eine ganz gehörige Stange Geld. Also mußte Schade weg. Dieser Wunsch wurde noch dringlicher, als er morgens in aller Herrgottsfrühe, kaum daß die Hühner herausgelassen worden waren, sich eines schnappte und mit ihm verschwand. Heini, der Hahn, zeigte diesen neuerlichen Mord durch lauten Spektakel an, den die Hühner im Chor verstärkten. Marei lief wohl sofort hinzu, fand aber nur frische Blutstropfen und verstreute Federn. Da setzte sie sich auf den Fleck und weinte vor Zorn. Dann quengelte sie so lange mit ihrem Schwager herum, bis er zum Förster Völsch aufbrach. Der beherbergte den Räuber in seinem Wald und war also für ihn verantwortlich. Man sollte meinen, Schade ginge es gut; denn bei so vielen Braten mußte sein leibliches Wohlbefinden doch wachsen. Eine Wohnung hatte er auch. Da konnte es doch eigentlich an nichts fehlen. Jawohl, Schade ging es so gut, daß er sich Tag für Tag den Magen überlud. Und jeden Morgen stellte Murrjahn mit stets steigendem Grimm die stinkenden Ergebnisse dieser üppigen Lebensweise neben seinem Bau fest. Nun fiel auch allmählich die Verklüftung von Schades Röhre ein, und Murrjahn bekam, als er nach einer kalten Nacht recht müde und verdrossen heimkehrte, den vollen Luftzug von seinem Gast in die Nase. Jetzt riß ihm der Geduldsfaden. Er ging dem Zwangsmieter kurz entschlossen zu Leibe. Schade war eben in einen seligen Traum versunken. Hühner, Hühner gab es ringsum, Fasanen und Enten so weit sein Auge reichte. Alle hielten brav still, er brauchte nur zuzufassen und zu würgen. Dann sah er den bösen Funzel hilflos am Boden liegen. »Ha, jetzt will ich dir!« kiffte er im Traum, da packte ihn jemand unsanft beim Kragen. »Au weih! « – schrie Schade; denn Murrjahns Gebiß schlug durch. Er zerrte und riß. Der grimme Griesgram ließ nicht locker. Nun griff auch Schade zu, und die Balgerei war im schönsten Gange. Sie keckerten beide vor Wut um die Wette. Der Gewandtheit des Fuchses gelang es schließlich, loszukommen. Unter Hinterlassung großer Haarbüschel und blutend entrann er ins Freie. Hier kläffte er laut: »So ein Idiot, so ein Grobian! Von tausend Igeln soll er gepiekt werden! Zehntausend Funzel sollen über ihn herfallen. Holzböcke und Flöhe sollen ihn beißen!« – Schade unterbrach sich, denn jetzt steckte Murrjahn den Kopf aus der Röhre. Als er ganz zum Vorschein kam, gab der Jüngling Fersengeld. Fortan konnte er nie so recht einen Dachs leiden. Und jedesmal, wenn er an einem be-
fahrenen Bau vorbeischnürte, hob er am Eingang seinen Hinterlauf und kränkte damit den Einwohner bitter. Nun galt es, sich zunächst eine eigene Wohnung zu schaffen; denn als Untermieter mochte er nicht mehr hausen, und am sonnenhellen Tag irgendwo im Busch herumzuliegen, hieße sein Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Er schnürte zum Mühlbach hinüber. Jenseits der weiten Wiesen war eine dichte, schier undurchdringliche Fuhrendickung. Hier hausten viele Kaninchen. Schade suchte sich einen recht weitverzweigten Bau und begann zu scharren. Die Karnickel rückten entsetzt aus. Sie waren der Meinung, das fremde Untier wolle ihnen an die Löffel. Schade aber war nach allem andern als nach Jagd zumute. Sein Genick schmerzte ihn bei jeder Bewegung, auch die linke Hinterkeule, in die Murrjahn noch zu guter Letzt hineingeschlagen hatte. Ja, der kranke Jüngling war recht wehmütig gestimmt. Ihm war zumute, als wühle er sein eigenes Grab. Kaum war er mit einer Röhre und dem Kessel fertig, so legte er sich in die kühle Höhle, um seine Genesung abzuwarten. Brinkmann war zu Völsch gegangen. Noch war das Forsthaus nicht in Sicht, da dröhnte durch den stillen Wald die Stimme seines Freundes: »Hundsvieh, miserabliges, du, dreifach gedoppeltes Rhinozeros, willst du mal bei Fuß bleiben!« Dazu kläffte Funzel laut und lustig. Er wollte seinen Herrn gewiß zu etwas Verbotenem anstiften. Die Freunde schüttelten sich die Hände. Völsch zeigte auf Funzel: »Ein Intrigant ist das, einer der übelsten Sorte, der ist noch viel gerissener als sein Vater. Jawoll, denk dir nur, Brinkmann, der will mich dazu bringen, ihn an Baff zu rächen. Fällt mir nicht ein! Der soll ihm noch einen Tritt geben, vielleicht läßt Funzel dann das Stromern.« Brinkmann lachte laut: »Schaff doch Funzel ab, verkaufe oder verschenke ihn. « Völsch machte ein dummes Gesicht: »Verkaufen? Verschenken? Nee, das geht gegen Funzels Willen. Und obendrein . . .« »Ich weiß schon. Er ist nicht zu ersetzen. Mit wem solltest du sonst auch zanken. Nun aber sei so gut und befrage ihn mal, wo Schade steckt.« »Was ist schon wieder?« »Da fragst du noch? Drei weitere Hühner sind verschwunden. Karo ist in ein Tellereisen geraten. Ich kann nicht noch Gift legen, um Enten oder Schweine umzubringen. Auch meint Annemarie, Schade wohne im Wald und du hättest für seine Untaten aufzukommen.« »So?« fragte Völsch gedehnt. »Also Fräulein Annemarie meint. Hm, Frauen meinen immer. Aber da wollen wir doch mal gleich. – Ist ein frischer Riß da?« »Doch, von heute morgen.« »Schön, da wollen wir nur noch Teil mitnehmen « Währenddessen verspürte Murrjahn eine erhebliche Erleichterung, Schade war abgezogen. Er stellte jeden Schandfleck vor seiner Wohnung genauestens fest und beförderte ihn mit gewaltigen Kratzern hangabwärts. Da war noch Schades »Stammbaum«. Den zu säubern, mußte er dem Regen und der frischen Luft überlassen. So verdrießlich, wie heuer, war er schon lange nicht gewesen; denn es ging gegen jedes dächsische Herkommen, morgens bei hellem Sonnenlicht zu arbeiten. Ihm fiel es also gar nicht ein, die Röhre von der Witterung Schades zu säubern, sondern er begab sich grimmig schnaufend und schnüffelnd in den Kessel und verklüftete sich gegen den Gestank. Sein Wohngemach lag so tief im Hügel, daß er nicht deutlich hören konnte, was draußen vorging. Funzel und Teil hatten Schades Spur gut gehalten. Zuweilen gaben einige Hühnerfedern davon Kunde, wo der Räuber mit seiner Beute gehalten hatte. So ka-
men die Verfolger zu Murrjahns Behausung. Staunend besahen die Männer die wuchtigen Kratzer, den weggeschleuderten Sand und wußten sich anfangs diesen Vorgang nicht zu deuten. Auf Schade waren sie keineswegs zurückzuführen; denn ein Fuchs wirtschaftet nicht so heftig. Teil, der frei bei Fuß ging, hatte inzwischen Schades Stammbaum errochen und merkte sich ihn auf seine Weise. Dann untersuchte er eingehend die weggeschleuderte Losung. Währenddessen stand Funzel unschlüssig vor dem Bau. Er wußte, daß Schade darin hauste oder gehaust hatte. Aber es war noch eine andere Witterung da, die ihn an ein äußerst schmerzhaftes Erlebnis erinnerte. Mit dem alten Grimmbart wollte er nicht recht etwas zu tun haben. Also zögerte er. Doch da fand Völsch mit Teils Hilfe ein paar Haarbüschel von Schade, erkannte ihn auch an der Losung und kam zu dem Ergebnis: er ist drin. »Hu, faß den schlechten Kerl! Bring ihn raus, den Stänker! « – feuerte er Funzel an. Der kleine Kerl sah seinen Herrn zweifelnd an: »Sollte der recht haben? War Schade wirklich im Bau? Noch zögerte er; denn mit Murrjahn mochte er keine neuerlichen Bekanntschaften anknüpfen. Aber wieder hetzte Herrchen: »Gelbkreuzgranaten, Bombengewitter, feige sein? Hu, faß, kß, kß! « Da warf Funzel einen Blick auf die Flinte und dachte sich: Herrchen kann ja eigentlich alles, warum soll er da nicht auf irgendeine Weise Murrjahn von hinten herum totschießen, wenn er zu frech wird. Und so schliefte er ein. Brinkmann hatte die weiteren Ausgangsröhren verstopft und mit Kieferngeäst so hergerichtet, daß der Belagerte nicht durch sie entrinnen konnte. Dann stellte er sich bei der Ausfahrtsröhre, die er offen gelassen hatte, an. Murrjahn erwachte von einem sonderbaren Schnauben und Kratzen. Heiliger Schreck und giftige Ottern -dachte er – will etwa dieser unerzogene Schmutzfink Schade noch einmal Hader anfangen? Hat er noch nicht genug gekriegt? Das Geräusch kam näher. Die Verklüftung fiel, und zähneknirschend zeigte sich Funzels Rachen. Heißer Atem und heiseres Knurren schlugen Murrjahn entgegen. Der dachte aber nicht ans Ausreißen. Wie ein zorniger Drache fuhr er auf den Eindringling los. Ein kurzes Hin-und Hergezerre, und der zielbewußte Murrjahn hatte Funzel bei der Backe erwischt. Der schrie auf und drängte rückwärts. Es gelang ihm auch, den Ausgang zu erreichen. Trotzdem hatte ihm sein grimmer Gegner das Fell vom Ohr bis zu den Lefzen aufgerissen. Laut kläffte er vor Schmerz und Wut. Murrjahn sah von einer weiteren Verfolgung ab; er war bereits einmal gegraben worden, und er wußte, daß hinter dem Dackel Zweibeiner mit Schaufeln und Gewehren standen. Also versuchte er, sich durch eine Seitenröhre ins Freie zu retten. Als er auf das Geäste stieß, das menschliche Witterung an sich hatte, verzichtete er auf die Flucht. Wohl war die Ausfahrt noch frei, aber durch die in Notzeiten zu flüchten, ging gegen alle Dachsregeln, und da Murrjahn ein ausgesprochener Pedant war, zog er sich in seinen Kessel zurück, legte sich platt auf den Bauch und wartete grimmig schnaufend das Weitere ab. Als Funzel übel zugerichtet zum Vorschein kam, erging sich Völsch in den grausamsten Flüchen. Der kleine Held
bellte laut und forderte Herrchen auf, mit in den Bau einzuschliefen oder graben zu helfen. Davon aber wollte Völsch nichts wissen. »Dachsriß!« knurrte er. »Kann nur der rüpelhafte Murrjahn sein. Laß nur, Funzel, dem bist du doch nicht gewachsen.« Damit band er dem Verwundeten sein Taschentuch um den Kopf, so daß er aussah, als wäre er ein altes Weib mit Zahnweh, und steckte ihn zur Beruhigung in den Rucksack. Den kannte Funzel, in dem mußte er stillhalten. Ein paarmal kläffte er noch. Dann rollte er sich seufzend zusammen. »Was ist denn eigentlich los?« fragte Brinkmann von der anderen Seite des Hügels. – »Murrjahn ist im Bau!« gab Völsch zurück. – »Räuchern wir ihn doch aus!« Völsch lachte rauh: »Da kennst du den Alten schlecht, mein Junge. Der erstickt lieber, ehe er zum Vorschein kommt.« »Was nun?« »Lassen wir den Grobian für später. Es ist heute nicht gut möglich, durch die hohe Erdschicht zum Kessel vorzudringen. Aber wenn er sich für den Winter eingeschlagen hat, will ich ihn schon ausschlagen. Er soll mir meinen Funzel teuer bezahlen. Auch Baßmanns Leda hat er auf dem Gewissen. Sie humpelt noch heute etwas auf dem linken Vorderlauf.« »Verstehe ich nicht ganz. Wir sind doch Schades Fährte vom Hof bis hierher haargenau gefolgt.« »Mir ist inzwischen ein Licht aufgegangen. Der hat bis heute morgen hier gewohnt. Dann ist er von dem Grobian exmittiert worden. « Brinkmann schüttelte den Kopf: »Schöner Schaden, da geht die Hühnerklauerei wieder von vorn an.« »So bald nicht. Schade ist es nicht besser ergangen als Funzel. Der hat sich irgendwo verkrochen und ist krank. Für einige Zeit wird wohl Ruhe sein. Sieh hier, die Fuchslosung kann nur von heute sein. Und dort auf dem Moos liegen ein paar blutige Haarbüschel. He, Teil, wirst du zurück! Kreuz, Schlag-Gewitter! Da will sich dieses dicke Hundevieh in den Bau zwängen. Dann wäre es schon am besten, ich kröche mit der Flinte voran.« Die beiden Jäger machten also kehrt und schlieften im Moorhof zu Bau, um hier den gröbsten Kummer über den Mißerfolg mit ein paar Glas Grog und einem guten Frühstück zu dämpfen. Auch mußte Funzel zum Tierarzt gebracht werden, der die Wunde flicken sollte. Das Frühstück verlief keineswegs vergnüglich. Annemarie war sehr mißgestimmt. Nicht allein, daß die Sorge um die Hühner wieder losging, ärgerte sie sich gewaltig über Völsch. Sie war der Meinung, daß ein jeder tüchtige Weidmann über Leben und Tod seines Wildbestandes frei verfügen könnte. Je mehr sie Völsch im stillen liebte, desto höher hatte sie ihn eingeschätzt. Dieser Vorfall
mit Schade enttäuschte sie bitter. Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher kam ihr die ganze Angelegenheit vor. Es gab nur die eine Erklärung: Völsch wollte eben Schade nicht im Sommer erlegen, um sich den brauchbaren Winterpelz zu sichern. Das fand sie hinterhältig. Mürrisch stellte sie das Essen auf den Tisch. »Was hast du, Mädchen?« fragte Brinkmann. »Ich meine, es hat nur am guten Willen gelegen, den Fuchs zur Strecke zu bringen. Aber, was gehen Nachbar Völsch meine Hühner an!« Der Förster kriegte einen roten Kopf: »Frauen meinen immer«, sagte er kurz – »und ich bin froh, von Frauenmeinung nicht abhängig zu sein.« Annemarie erschrak. So weit hatte sie nicht gehen wollen. Sie hatte eigentlich Völsch aufzuputschen gedacht. Bei seiner harten Antwort, die schon mehr eine Absage war, stockte ihr das Blut im Herzen, und sie wurde bleich. Das Gespräch wollte nun nicht mehr in Gang kommen. Völsch brach bald das Frühstück ab, stieg mit Funzel auf den bereitgestellten Wagen und fuhr zum Tierarzt. Brinkmann rückte seiner Schwägerin zu Leibe. Er, für seinen Teil, nannte sie mit dem nüchternen Namen Anna, um von vornherein seine Uninteressiertheit an den weiblichen Vorzügen seiner Verwandten zu bekunden. »Wie kannst du so mit Völsch umspringen?« fragte er vorwurfsvoll. Siehst du nicht, daß er für dich viel, wieviel weiß ich nicht, empfindet? Ich habe so den Eindruck, er wäre imstande, deinetwegen seine Junggesellenzeit zu beendigen. « »Das hat er nicht nötig«, kam es stolz zurück. »So, meinst du, denkst dir vielleicht, er käme ins Haus, wenn er mit einem der Familienglieder auf gespanntem Fuß lebt? Dazu ist mein Freund Fritz zu stolz.« » Ich habe auch meinen Stolz «, sagte Annemarie hoheitsvoll und ging nach der Küche. Dabei dachte sie: Zwei Jahre verkehrt er nun schon in unserem Haus. Ich habe ihm deutlich genug gezeigt, was ich für ihn empfinde. Er mag mich nicht, er spielt mit mir. Kaum handelt es sich um einen elenden Fuchs, da sind ihm meine Angelegenheiten gleichgültig. Wenn er mich nur ein ganz klein wenig liebhätte, würde er nicht rasten, ehe das Vieh Schade zur Strecke wäre. Aber er denkt nicht daran, mir irgendeinen Gefallen zu tun. In der Küche fragte Frau Lotte: »Was hast du nur mit Völsch gehabt? Er hat ja kaum auf Wiedersehen gesagt.« »Das ist meine Angelegenheit«, sagte Annemarie, aber ihr war das Weinen nahe. So hatte Schade Trübseligkeit und Mißstimmung in die friedliche Familie Brinkmann getragen. Nicht allein die Herrschaften, sondern auch Jochen war über den Räuber empört. Er hatte einen wahrhaft nachhaltigen Grimm, der ihn nicht schlafen ließ. Am nächsten Tag mußte er durchaus seinen Onkel in Ohlensen besuchen. An dem darauffolgenden Morgen war Annemarie wie gewöhnlich früh auf den Beinen. Sie beaufsichtigte das Tränken der Kälber und ließ die Hühner heraus. Es war eine wundervolle Frühstimmung. Sie liebte dieses Erwachen der Natur, das allmählich sich steigernde Vogelgezwitscher, wie es sich zu einem vollen Orchester entwik-kelte, die sinkenden Nebel, denen das sieghafte Sonnenlicht den Garaus machte, den blinkenden Tau und den frischen, kühlen Wind. Oft ästen fern am Waldrand noch die Rehe, auch der Wachtelkönig war noch wach und schnarrte sein Lied unentwegt weiter. Um diese Jahreszeit war aber der Sprosser morgens die Hauptperson. Er sang so wehmütig weich, er schluchzte so herzzerbrechend, er flötete so zärtlich, daß ein liebendes Herz in Wehmut und Wonne zerfließen konnte. Am Mühlenbach hauste er in einem blühenden Faulbaum. Und erst mit der steigenden Sonne brach er nur ungern sein Lied ab.
Heute machte das alles Annemarie keine Freude. Sie war vom Trotz beherrscht. Völsch sollte einsehen, daß es ein leichtes sei, einen diebischen Fuchs auf die Decke zu legen. Also rüstete sie sich mit ihres Schwagers Jagdflinte aus und begab sich, nachdem sie das Geflügel herausgelassen hatte, auf den Anstand. Nachdem die Hühner ihre Körner als Vorspeise genossen hatten, verstreuten sie sich, um nach Würmern, Schnecken und verklammten Fliegen zu suchen. Annemarie baute sich hinter einem Heuschuppen auf, lauschte und spähte angestrengt; denn sie befand sich nicht weit von dem Hauptwechsel Schades, der durch wilde Him- und Brombeeren führte. Eine heilige Stille umfing sie. Annemarie begann vor sich hin zu träumen. Da erdröhnte ein Knall wie ein Kanonenschlag durch die Stille. Annemarie ließ vor Schrecken die Flinte fallen und schrie auf. Und da sprang Schade dicht vor ihr aus dem Brombeergeranke. Er mochte Annemarie so lange beobachtet haben wie sie stand. Wie ein Feuerstrich flitzte er in der leuchtenden Sonne über Wiesen und Felder dem Wald zu. Der Hahn von der entfallenen Flinte schnappte ein, und der Schrotschuß löste sich. Staub, Sand und Blätter wirbelten herum. Nicht lange, so stand Brinkmann halb angekleidet auf dem Hof: »Ja, zum Donnerschlag, seid ihr denn alle ganz verrückt geworden! « brüllte er. »Welch ein Deibelsbraten ist über meinen Gewehrschrank geraten?« Aus dem Garten kam mit schuldbewußter Miene Jochen. Er trug eine Donnerbüchse des vorigen Jahrhunderts in der rechten, ein totes braunes Huhn in der linken Hand. Den Vorderlader hatte er sich am Tag vorher von seinem Onkel ausgeliehen. Die Backe des unseligen Schützen war geschwollen und aus der Nase tropfte es rot. »Ja, Herr«, sagte er, »dat Hehn hebb ik vorn Voß gehollen und hebb’t dotschaten. Ja – nun müssen Sie es mich von’n Lohn aftrecken.« »Nä, Jochen, so geiht dat nich. Lat du man den Voß to-frede. Den krigst du doch nich.« »Er war aber doch da«, fiel Annemarie ihrem Schwager ins Wort. »Dort im Roggen, vor dem Wald, ist er verschwunden. « »Da hast du wohl den zweiten Schuß hinterher geballert?« Annemarie dachte daran, wohin ihr Schuß gegangen war und schwieg. Jetzt brauste Brinkmann wieder auf: »Es ist doch zum Kotzen mit diesem Fuchs. Von morgen ab aber setze ich mich selber an. Es sollte mit dem Deibel zugehen, wenn er mir nicht vor das Rohr liefe. Das eine erkläre ich hier jedoch ausdrücklich: wer von euch noch einmal selbständig auf Fuchsjagd geht, kriegt es mit mir zu tun.« Die Zählung der Hühner ergab, daß außer der toten Braunen noch eines fehlte. Während also Annemarie und Jochen auf Schade lauerten, hatte er gemordet. Da er es auf der Flucht nicht im Fang gehabt hatte, ging man zur Nachsuche. Karo wurde von der Kette losgelassen. Und da fand man es auch mit durchbissener Kehle und angeschnitten in den Brombeeren versteckt, neben denen Annemarie auf Anstand Posten gefaßt hatte. Das war beschämend, und sie dachte jetzt etwas anders über einen Fuchs und dessen Ränke. Schade fand diese Kanonade am frühen Morgen äußerst widerwärtig. Nicht allein der Knall konnte einem versonnenen, frühstückenden Fuchs auf die Nerven fallen, schon die Erinnerung an solch Getöse war nichts weniger als freundlich. Als er noch ein ganz junges Füchslein war, sah er seine Mutter mit einem Fasanen im Fang herankommen. Doch auf einmal bumste es. Sie fiel um, machte eine rauhe Lunte und regte sich nicht mehr. Entsetzt war er samt seinen Geschwistern in den Bau geflüchtet. Aber dieses böse Geräusch hatte zur Folge,
daß die Kinderstube am nächsten Tag aufgerissen wurde. Der Vater hatte die Kleinen rechtzeitig entführt. Nun konnten sie aus einiger Entfernung zusehen, wie wilde Zweibeiner heftig in der Erde wühlten. Auch den Vater hatte Schade nicht lange behalten dürfen. Nach einigen Tagen bumste es wieder, und der Alte flüchtete stöhnend mit dem Tod im Leib. Dann hatte Onkel Kiff sich der Waisen angenommen. Er war ein schlauer Bursche. Man konnte viel von ihm lernen. Leider kam die Ranzzeit, und es gab heftige Zerwürfnisse. Dabei entpuppte sich der wahre Charakter des alten Gauners. Schade war nur mit Mühe seinen gefährlichen Fängen entronnen. Hier hatte er nun friedlich hausen wollen. Und siehe, da fing es auch an zu bumsen. Das war boshaft. Das war gemein von den Zweibeinern; denn sie verursachten das Getöse gerade da, wo es so viele schmackhafte Hühner gab. Da blieb eben nichts anderes übrig, als auf neuen Lebenserwerb zu sinnen. Am Tag ging es nicht. Also mußte er hungrig zu Bau fahren und die Nacht abwarten. Die Wirtin Völschs, Mutter Paetsch, eine rundliche, verwitwete Person mit einem guten gläubigen Herzen, den nötigen Falten in dem welkenden, fetten Gesicht, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Funzel schwer verbunden aus dem Rucksack kroch. Da er von ihren Liebkosungen nichts wissen wollte, ihrem Bedauern ein unwirsches Knurren entgegensetzte, eilte sie zur Tat. Sie stellte im Garten zwischen den Weinranken, die an der Hausmauer emporkletterten, auf seinem sonnigen, windgeschützten Lieblingsplätzchen eine Holzkiste hin, die sie mit Heu auspolsterte und mit Kissen ausstattete. Hier tat sie vorsichtig den Verwundeten hinein, der bei jeder Berührung jammerte und nach Kräften kläglich tat. Da lag er nun, schnaufte schwer, rührte sich nicht, sondern schaute jedem, der vorüberkam, mit rollenden Augen nach. Anfassen quittierte er mit lautem Gekläff. Sein elender Zustand behinderte aber keineswegs den Appetit. Die Fleischsüppchen, weichgekochten Schwarten und den schmackhaften Kartoffelbrei schlang er mit wahrem Heißhunger hinunter. Sein Unheil schob er Schade in die Schuhe, und so oft er einschlief, träumte ihm, er habe den Stänker vor sich. Dann kiffte er laut. Völsch war sehr verdrießlich. Er ärgerte sich über Annemaries scharfe Worte, aber auch über sich selbst. Er verstand es nicht, daß er so schroff hatte erwidern können. Nun war der Verkehr mit seinem Freund Karl erheblich erschwert, wenn nicht ganz unterbunden; denn wie sollte er jetzt dem Mädchen unter die Augen treten? Und wiederum sagte er sich, es wäre ein Glück, daß sie noch rechtzeitig, ehe er ein bindendes Wort gesprochen hatte, ihren wahren Charakter offenbarte. Wenn sie schon jetzt so ins Zeug ging, was würde sie dereinst mit ihrem Mann aufstellen? Entlassen kann man eine Frau leider nicht. Es ist schon genug, daß ich mich von meinem Funzel tyrannisieren lasse. Immerhin ist ein Hund wesentlich bequemer. Man kann ihn auszanken, man darf ihn streicheln, wenn es einem just so zumute ist. Ja, man kann ihn sogar versohlen, wenn er gar zu dickköpfig wird. Und ist er ein gar zu großer Taugenichts, bleibt noch die Dressurschule offen. Ich möchte mal den sehen, der seine Frau zur Dressur abgäbe! Verkaufen kann man eine Frau auch nicht. – Eigentlich dürfte ich Schade dankbar sein, daß er mich vor dem letzten Schrittbewahrt hat.« Wenn er mit seinen Erwägungen so weit angelangt war, begann sich im innersten Herzwinkel etwas zu regen. Ob er wollte oder nicht, er mußte ihm lauschen. Und das da drinnen widersprach heftig. Dann stützte er den kurzen blonden Bart in die Hand und konnte stundenlang neben Funzel in der Sonne hocken, bis ihm zum Bewußtsein kam, daß er nichts anderes tat, als sich die einzelnen Stunden ins Gedächtnis zurückzurufen, die er mit Annemarie erlebt hatte. Das wurde ihm zu dumm. Er rief den Hausverwalter, Wirtschafter und Knecht Kilian, ein altes, verhutzeltes Männlein, das schon Völschs Vor- und Vorvorgän-
ger auf dem Försterhof gedient hatte und für den ruhenden Pol im Wechsel der Herren gelten konnte, besprach mit ihm die nächsten Arbeiten, pfiff Teil, ergriff Flinte nebst Rucksack und ging in den Wald. Hier wurde er von seinen Gedanken abgelenkt, denn durch den Wald zu gehen bedeutete für ihn, den Förster, ganz Auge und Ohr zu sein. Die Bäume plauderten durch ihr Wachstum von dem Boden, auf den sie das Schicksal als Samenkörnlein verschlagen hatte. Hier hoben sich die Kiefern schlank, stark und machtvoll. Sie standen wohl wie die andern auf Sand, hatten aber einen kiesigen oder gar lehmigen Untergrund. Dort neigten sie wie schlecht ernährte Menschen zur Frühreife, setzten graues Moos auf dem kurzen Stamm an und breiteten sich vorzeitig zu einer Wipfelkrone. Auf dem Moor, wo die Wurzeln durch die Torfdecke ins Wasser stießen, bekamen die Fuhren an den Ästen lange Flechten wie Greisenbärte. Auch Birken und Buchen erzählten von ihrem Leben. Wo Eichen standen, war fester Untergrund. Erlen verrieten sauren Boden. Da gab es auch Haselsträucher und Ginsterbüsche. Sie klagten mit weißgeschälten Ästen über die bösen Rehböcke, die an ihnen das Gehörn fegten. Moos, Heidekraut und Gras erhoben gleichfalls ihre Stimmen. Die Finken plauderten ihre Geheimnisse aus. Die Elstern keckerten von dem bösen Wanderfalken, der hier revierte. Die Häher verkündeten seine Nähe, weil sie vorsichtig im dichten Geäst blieben und keinen Flug wagten. Am deutlichsten aber sprach der Boden selber. In ihm waren die Fährten von Wildschweinen, Rehen, Hasen, Kaninchen und Raubzeug wie Schriftzeichen in einer Wachstafel eingedrückt. Man mußte sie nur lesen können. Auch von den Menschen, die über die Heide gegangen waren, plauderte der weiche Sand. Dieses große, aufgeschlagene Buch las Teil mit besonderer Begier. In allen Winkeln hatte er zu schnüffeln und nach Neuigkeiten zu forschen. Plötzlich blieb er an einem Kreuzweg stehen, knurrte, stellte die Borsten auf, machte steife Beine und benahm sich recht feindselig. Völsch entdeckte als Ursache seines Benehmens eine Männerfährte. Das war ungewöhnlich. Er dachte nach, wer von den Leuten der Umgegend Teil so unsympathisch sein könnte. Da fiel ihm ein, daß der einzige Mensch, den er bis dahin gebissen hatte, der Holzdieb gewesen war, den er kürzlich gestellt und überführt hatte und dem er einige Zeit später im Dorfkrug Prügel verabfolgt hatte, als der Kerl auch noch frech werden wollte. Er stutzte: »Nanu, was hat dieser Lümmel schon wieder hier zu suchen?« Er nahm den Hund an die Leine und setzte ihn auf die Fährte. »Arbeiten tut der wohl nicht, sonst würde er nicht am Wochentage im Wald herumstromern.« Anfangs hielt Teil die Fährte gut. Dann aber kamen ihm die warmen Spuren von Sauen in die Nase und verwirrten ihn. Also gab Völsch die Suche auf und wandte sich den Diskuhlen zu. Er wollte einmal sehen, wie weit die Kaninchen den Wald unterminiert hatten. Hier fand er merkwürdigerweise die Spur des Mannes wieder. Sie verlor sich aber in Moor und Heidekraut. Da gab er Teil zur Streife frei. An einer Stelle hielt sich der Hund länger auf. Beim Hinzukommen gewahrte Völsch Pfoten, Blume und recht viel Wolle von einem alten ausgewachsenen Kaninchen. Unzweifelhaft war es ein Fuchsriß. Aber wie kam der zu dem alten Tier? Wenn es ein junges, unvorsichtiges gewesen wäre, konnte man es allenfalls noch verstehen. Hier stimmte etwas nicht. Also pürschte er die Umgebung weiter ab. Ein Stück weiter traf er auf dem vorbeiführenden Weg auf die Spur eines Wagens. Daß dieser an derselben Stelle längere Zeit gehalten hatte, wo doch nichts zu suchen und zu holen war, fiel auf. Völsch untersuchte die sonderbare Angele genheit und stellte fest, daß sich jemand an dem Gefährt zu schaffen gemacht hatte, daß aber der Fuhrmann nicht abgestiegen war. Und wieder stellte Teil bei der Spur die Borsten auf und knurrte. »Kreuzmillionen-Schockschwerenot und
Donnerlütschen, das ist ja derselbe Spitzbube! Achtung, Völsch, hier geht etwas Ungewöhnliches vor! « Die Nacht vor diesem aufschlußreichen Reviergang hatte Schade wenig eingebracht. Der taunasse Pelz hing in Zotteln am Bauch herab. Auch auf dem Rücken begann die Feuchtigkeit auf die Haut durchzudringen. Der Morgen graute. Zur Kälte gesellte sich noch der Hunger. Also beschloß Schade, zu den Diskuhlen hinüberzuwechseln und dort an einem versteckten Plätzchen die wärmenden und trocknenden Sonnenstrahlen abzuwarten, dabei aber zugleich den vielen wippenden Kaninchen aufzulauern. Unterwegs bereits hatte er Jagdglück. Auf einem Baumstumpf saß possierlich ein Eichhörnchen und entschuppte Kienäpfel. Mit dem kleinen, klebrigen Zünglein holte es die öligen Samenkerne heraus. Schade schlich Zoll um Zoll geräuschlos näher. Dann fegte er mit drei gewaltigen Fluchten auf den roten Matz los. Der versuchte zwar am nächsten Baumstamm hochzuflitzen, aber Schade hatte ihn, hochspringend, erfaßt. Ein letztes Fauchen, und es war aus. Der buschige Schwanz allein zeugte als letztes Überbleibsel von dem kurzen Drama im Wald. Schade schnürte weiter. Er stieß auf recht viel Kaninchenwitterung und auf die kleinen Lampreten selber. Mit ihren feinen Ohren aber vernahmen sie ihn eher, als er sie eräugen konnte. Da zickzackten sie ab. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, die flinken Dinger zu verfolgen – die wenigen Male, wo er es versucht hatte, war er bös angeführt worden, entweder überschlug er sich bei den wilden Haken, oder die Verfolgten entrannen durch irgendeinen stacheligen Busch, in dem er sich schmerzhaft verletzte. Bei diesen Banditen half nur Geduld und Ansitz. In der Nähe der Diskuhlen, wo es von Kaninchen wimmelte, bezog er einen versteckten Posten und schickte sich in Geduld. Allzu hungrig war er nach dem Eichhörnchen nicht. Über ihm wehte dürres Schmielegras im Wind. Hummeln brummten wohlgefällig. Die Sonne warf bereits lange Schatten über das gelbe Moos und goldene Frauenhaar. Schade rekelte sich behaglich. Dabei blinzelte er mit verkniffenen Augen nach den Kaninchen, von denen immer noch keines so nahe herankommen wollte, daß er es mit einem Sprung erhaschen konnte. Es flitzte, wibbelte und knusperte an allen Sträuchern und Winkeln, und -fort war wie ein Spuk die ganze Gesellschaft. Zwei Männer erschienen. Der eine setzte sich an der Waldblöße bei einem Kleestück hin, der andere machte sich bei den Bauen zu schaffen. Und siehe da, ein Kaninchen flitzte mit den Zeichen höchster Angst heraus. »Bum« machte der Mann am Kleestück und blies einen Feuerstrahl aus einem Stock. Das Karnickel zuckte im Knall zusammen und raste gegen seine Gewohnheit geradeaus davon. Schade duckte sich tiefer. Nur jetzt sich nicht sehen lassen, dachte er, während sein Herz ihm vor Angst laut an die Rippen schlug. Die gefährlichen Zweibeiner mußte er im Auge behalten. Da sah er zwischen den Bauen ein langes weißes Tierchen herumhüpfen. Es sah wie ein übergroßes Wiesel aus. Die beiden Wilderer frettierten. Es fielen noch ein paar Schüsse, noch ein Kaninchen kam zur Strecke. Dann arbeiteten die beiden mit Fangnetzen. Das verlohnte sich besser. Vier Kaninchen fielen ihnen in die Hände. Nun sahen sie nach der Sonne und der Uhr und zogen ab. Schade prüfte sorgfältig den Wind, dann setzte er sich einem angeschossenen Karnickelbock auf die Fährte, den die Männer offenbar vergessen hatten. Weit war der kleine Kerl nicht gekommen. Traurig hockte er hinter einem Bodensturz. Hier erlöste ihn Schade von seinen Schmerzen. Schwer gesättigt schnürte er nach seinem Bau zurück und hielt die beiden Wilderer für gute Leute, weil sie auf die Jagd weder mit einem Funzel noch mit einem Teil ausgingen wie der
Förster, sondern die Nachsuche einem hungrigen, ehrbaren Fuchs überließen. Er merkte sich die Fährten und die Witterung der beiden guten Männer genau und beschloß fürderhin, ihnen aus der Entfernung zu folgen, wenn sie sich abermals im Revier sehen lassen sollten. Die Wilderer – der eine war tatsächlich der Holzdieb, dem der Förster auf der Spur war – gingen nach dem Waldweg und warteten auf das Fuhrwerk. Sie verstauten die Gewehre, den Kasten mit dem Frettchen und die erbeuteten Kaninchen. Der Wagen fuhr ohne sie fort. Wenglin und Slomma hatten ihr Tagewerk aber noch nicht beendet. Kreuz und quer schlichen sie durch das Revier und legten Drahtschlingen auf gut begangenen Rehwechseln aus. Dann suchten sie Hasenfährten in einem Kleestück und versahen diese mit liegenden Pferdehaarschlingen. Die Sonne stand schon recht hoch, als sie nach Iversen zu dem lahmen Schuster Wollers kamen, bei dem sie ihre Räder untergestellt hatten. Von hier fuhren sie nach Hamburg. Einige Tage später waren sie wieder im Wald. Slomma, der sich wegen der Prügel an dem Förster rächen wollte, war vom Holzdieb zum Wilderer geworden und hatte in Wenglin einen »edlen« Gefährten gefunden. Sie hielten sich beide so weit voneinander entfernt, daß sie sich nur zuweilen sehen konnten, um nicht ganz die Fühlung zu verlieren. Wurde einer von ihnen vom Förster verhaftet, so sollte er ihn durch Widerspenstigkeit in Atem halten, während der andere unbeachtet folgen sollte, um den Verhaßten von hinten niederzuschlagen oder niederzuschießen. Die Rehschlingen waren unberührt. Also nahmen sie dieselben fort und machten sie auf anderen Stellen fest. Bei den Hasenschlingen aber erlebten sie eine seltsame Überraschung. In der einen steckte nur noch der festgeschnürte Hinterlauf eines Hoppelmanns. Blutspuren wiesen darauf hin, daß er erwürgt und fortgeschafft worden war. Neben einer zweiten Schlinge lagen Wollflocken. Auch hier war die Beute gestohlen worden. Die Banditen schäumten vor Zorn. Zwei Hasen! Welch eine Menge Fleisch! Hund oder Fuchs, war hier die Frage. Sie nahmen sich vor, recht acht auf den Räuber zu haben und ihm das Leben mit Schrot zu versalzen. Dabei stand der also Bedrohte, kaum fünfzig Gänge von ihnen entfernt, in guter Deckung und beobachtete sie aufmerksam. Es war Schade. Er wußte von den Wilddieben mehr, als sie ahnten. Nachdem er das Kaninchen verdaut hatte, war er ihrer Fährte gefolgt und so zu den Schlingen gelangt, die er eifrig inspizierte. Da er gleich zu Anfang einen Hasen fand, festigte sich bei ihm die Meinung, die Fährten der beiden Männer wären mit Wild gesegnet. Gegen Morgen erwischte er den zweiten, der verzweifelt an der Schlinge zerrte. Er biß ihm die Kehle durch, schnitt mit seinem scharfen Gebiß die Schlinge ab und schaffte die Beute in seinen Bau. Im Morgengrauen hatte Schade seine »Freunde« auf der Landstraße von Iversen erwartet und war ihnen dann zu den Schlingen gefolgt. An demselben Tag war auch Völsch frühzeitig in das Revier gegangen, da ihm die Gedanken an Brinkmann und Annemarie keine Ruhe ließen. Als er die Landstraße nach Iversen kreuzte, stand er vor einem Rätsel. Denn auf dem Sand zeichnete sich deutlich die Spur eines Fuchses ab. Sie konnte nur Schade gehören. Er war hin- und zurückgeschnürt, offensichtlich erwartete er hier etwas. »Der ist wohl verrückt geworden!« knurrte Völsch. »Jetzt wird er gar zum Wegelagerer.« Teil aber belehrte ihn bald eines Besseren. Er roch in die Spur eines Männerstiefels hinein, knurrte und stellte die Borsten auf. Die Männer waren von der Landstraße auf einen Feldweg abgebogen. Schade
war ihnen gefolgt. Leider verlor Teil im Wald wieder die Fährte. »Zwischen den Männern, dem Wagen und dem Fuchs besteht sicher ein Zusammenhang«, stellte Völsch fest. »Wenn doch Funzel erst gesund wäre. Der ließe sich nicht von Schades Spur abbringen. Ich will doch mal zu Brinkmann gehen; denn es ist wichtig, zu wissen, ob der rote Halunke noch immer bei ihm Hühner stiehlt. Eigentlich hätte der alte Sohn sich schon mal in der Försterei bei mir sehen lassen können.« Brinkmann arbeitete auf dem Hof. Er war überaus erfreut, seinen Freund Fritz Völsch wiederzusehen. Mit stürmischer Herzlichkeit wollte er ihn ohne weitere Förmlichkeiten in die Dönze ziehen, aber Völsch rückte sofort mit seinen Fragen an. »Schade? Nein, der hat sich bis jetzt nicht auf meinem Hof sehen lassen. Es ist leicht möglich, daß ich ihn durch meinen Ansitz vergrämt habe. Annemarie meint, du hättest ihn schon längst abgeschossen.« Das ärgerte Völsch. Freilich hätte er es wohl getan, wenn ihm der verflixte Schleicher nur vors Rohr gekommen wäre! Das mochte er aber unter keinen Umständen eingestehen, da Annemarie schon einmal seine jagdlichen Fähigkeiten angezweifelt hatte. Also fragte er. »Würdest du dich etwa in deinen Dispositionen von den Damen beeinflussen lassen?« »Nö«, sagte Brinkmann. »In der Feldwirtschaft, bei den Pferden und dem Vieh haben sie nichts zu vermelden. Ich stecke meine Nase auch nicht in die Kochtöpfe.« »Na, siehst du, und ich brauche Schade zur Zeit; denn in meinem Revier treiben sich Wilderer herum. Hinter denen ist er her.« In diesem Augenblick kam Annemarie vorbei, da sie dringend auf dem Hof etwas zu tun hatte. Freudestrahlend streckte sie Völsch die Hand entgegen: »Das ist aber nett von Ihnen, daß Sie Schade das Handwerk gelegt haben.« Unter diesen Umständen konnte Völsch die dargebotene Hand nicht ergreifen. Er sah das Mädchen an, als sei es plötzlich aus den Wolken gefallen. Dann brummte er verdrossen: »Wie kommen Sie nur darauf? Er erfreut sich noch immer einer guten Gesundheit und eines gesegneten Appetits. Vor einigen Tagen hat er einen alten Kaninchenrammler verspeist. Gestern abend oder heute früh ist er auf der Landstraße nach Iversen spazierengegangen. Vorläufig wird er wohl noch leben bleiben.« Annemarie wurde dunkelrot. Sie ließ ihre Hand sinken, machte grußlos kehrt und verschwand im Haus; denn sie hatte plötzlich vergessen, warum sie auf den Hof hinausgegangen war. »Wie kannst du nur so grob sein?« fragte Karl. »Es ist doch die Wahrheit!« beharrte Völsch. »Ich brauche jetzt Schade. Er wird mir, sobald Funzel gesund ist, die Wilddiebe in die Hände liefern.« Und dann berichtete er ausführlicher von seinen Beobachtungen und Schlüssen. Brinkmann kratzte sich hinter dem Ohr: »Ja, Junge, da bin ich aber gespannt, was aus der Sache wird. Schade ist hinter den Kerlen her, du jagst Schade. Jetzt fehlte nur noch, daß die Wilderer hinter dir her wären, dann jagtet ihr euch ja richtig im Kreis herum.« »Die Kerle mir was wollen? Hm, das könnte durchaus möglich sein; denn täusche ich mich nicht in Teils Benehmen, so ist der eine von ihnen der Holzdieb, den ich bei Jensen versohlt habe.« Jetzt wurde Brinkmann tiefernst. Er nahm Völschs Hand: »Junge, alter Freund und Nachbar, versprich mir, vorsichtig zu sein. Du weißt, mit Slomma, dem Strolch, ist nicht zu spaßen.« Völsch zuckte die Schultern. Er war nicht mehr ganz bei der Sache. Seine Gedanken waren mit Annemarie gegangen. Er drückte seinem Freund die Hand und verschwand bald im Wald.
Schade hatte sich die neuen Plätze der Rehschlingen und der Hasenangeln wohl gemerkt. Fleißig machte er an jedem Morgen vor Sonnenaufgang die Runde. Es war ergebnislos. Sein Magen schrumpfte zusammen. Der Hunger ließ ihn tagsüber nicht schlafen, trotzdem konnte er sich nicht dazu entschließen, wie jeder andere ehrbare Fuchs, Mäusen und Kleingetier nachzustellen. Er war durch das mühelose Erbeuten von Hühnern und Hasen verwöhnt, ebenso wie durch das saftige Fleisch und den guten Geschmack. Mehr als einmal war er auf dem besten Weg, nach der Moormühle zu trotten, kehrte aber im letzten Augenblick stets wieder um. Warum sollte er sich dem greulichen Geknalle aussetzen, wenn vielleicht eben jetzt in einer der Schlingen ein Hase steckte. Grimmig schnürte er von einem Fangplatz zum andern und hatte bald einen deutlichen Wechsel hinterlassen. Am vierten Morgen fand er endlich auf einem Kleestück einen Hasen festsitzen. Wütend fuhr er Lampe an die Kehle und drosselte ihn, als wenn er’ sein größter Feind wäre. Dann biß er den Hinterlauf ab, der in der Schlinge festsaß und wollte sich eben empfehlen, als ihm ein ausgewachsener Fuchs den Weg vertrat und die Beute streitig machte. Knurrend und giftig keckernd ging er um Schade herum. Der hatte den Hasen hingelegt und drehte sich im Kreis, dem Angreifer das scharfe Gebiß weisend. Über ihnen lärmten in den Fuhren ein paar Häher. Sie verkündeten dem Waldvolk, daß etwas Furchtbares, Außergewöhnliches im Gange war. Und bald gesellten sich denn auch die Meisen und Rotkehlchen sowie eine Elster dazu, die den Lärm verstärkten. Es war ein ohrenbetäubender Radau, der auf weite Entfernung vernehmbar wurde. Dem alten Fuchs fiel dieser Aufstand auf die Nerven. Er versuchte, eine rasche Entscheidung herbeizuführen und fiel Schade an. Da hatte er aber gerade den Richtigen getroffen. Der Hunger steigerte Schades Zorn in schäumende Wut. Wie toll sprang er dem Gegner an die Kehle. In einem Knäuel, der so rasch am Boden herumwirbelte, daß man weder den einen noch den andern Kämpfenden mit dem Auge erfassen konnte, wälzten sie sich umeinander. Haare, Sand, und Moosstückchen stäubten auf. Leider war Schade noch nicht gerissen genug und zu wenig zielbewußt, wie eben Jünglinge sind. Während es ihm im feurigen Kampfeswillen nur darauf ankam, die Unverschämtheit des Gegners zu dämpfen und ihm zu beweisen, daß er Herr in seinem Revier wäre, der sich von niemandem etwas gefallen ließe, benutzte der alte Gauner die erstbeste Gelegenheit, sich loszureißen, mit raschem Griff den Hasen zu packen, ihn über den Nacken zu werfen und davonzulaufen. Natürlich ging das nicht so schnell, da immerhin annähernd sieben Pfund zu tragen waren. Verblüfft schaute Schade ihm nach: »Also, so wird das gemacht!« keckerte er wütend. »Wart, ich kriege dich noch.« Schon sammelte er seine Energien zu einer rücksichtslosen Verfolgung, da krachte ein Schuß. Der fremde Räuber ließ den Hasen fallen und raste mit hochgeschwungener Lunte in den Wald. Ihm folgte mit lautem »Kiff-Käff« – Funzel, diesem auf dem Fuße der Grünrock Völsch. »Jetzt ist die Reihe an mir!« sagte sich Schade. Mit ein paar Fluchten hatte er den Hasen erwischt, bei der Kehle gepackt, über den Nacken geworfen und war im anliegenden Korn, das bereits kniehoch stand, verschwunden. Jawohl, Funzel stand wieder auf den Läufen. Zwar war er noch nicht ganz gesund, aber Mutter Paetsch hatte ihn so gepflegt, daß er keineswegs abgemagert war, sondern eher einer asthmatischen Walze auf Beinen glich. Seine
Jagdpassion und die Rauflust hatten keineswegs gelitten. Obwohl er noch weiterhin eine ausgesprochene Vorliebe für die weichgepolsterte Kiste und das dolce far niente zeigte, die er, nebenher gesagt, für sein ganzes Leben beibehielt, stromerte er gar zu gern herum und fing kampflustig bei jeder Gelegenheit mit Teil Streit an. Da nahm ihn denn Völsch ins Revier mit, damit er sich einmal auslaufe. Da die Spuren der beiden Männer ein paar Tage ausgeblieben waren, galt es, Schade zu finden. Mit Sonnenaufgang war Völsch aufgebrochen. Er besuchte zuerst seine Rehe. Sie waren vollzählig beisammen, auch der Hauptbock Baff stand bei ihnen. Die Krähen zogen eben auf die Felder zur Futtersuche aus. Der Wachtelkönig scharpte noch immer aus Leibeskräften. Die Amseln erwachten. Im Osten zeigten sich die ersten roten Wölkchen. Völsch verließ die Waldwege und unternahm einen Quergang durch das Revier. Funzel trottete jappend zehn Schritt hinter seinem Herrn her. Die Wanderung bereitete ihm sichtlich Beschwerden. An den Diskuhlen aber wurde er munter; denn hier kam ihm die Witterung seines Feindes Schade in die Nase. Völsch mußte ihn an die Leine nehmen, damit er nicht plötzlich mit »Kiff und Käff« im Wald verschwand. Er ging über eine weite Moorwiese, die durch Torfstich zu Umwegen zwang. Trotz der vielen Kreuz- und Quergänge hielt Funzel die Spur so sicher wie ein Städter den Bürgersteig. Schade hatte hier Schnecken aufgenommen. Dann bog Funzel in einen Rehwechsel ein. »Der Kreuzmalefiz-Bombengewitterhund wird doch nicht wieder mit Baff anbinden wollen?« fragte sich Völsch. Funzels Schwerfälligkeit und Kurzatmigkeit waren wie fortgeblasen. Er wurde mit jedem Augenblick lebhafter. Darum ließ Völsch ihm den Willen. – Und siehe da, zwischen zwei Jungbirken hing die erste Rehschlinge. Dieser Anblick verschlug Völsch sämtliche Flüche. Er murmelte nur »Hornochse« und meinte damit sich selber, weil er nicht gleich darauf verfallen war, die herumstrolchenden Kerle könnten Schlingensteller sein. Das konnte nur daher kommen, daß er sich scheute, einem Rehwechsel zu folgen, um die Tiere nicht zu beunruhigen. Er zog die Schlaufe zusammen. Funzel aber hielt sich nicht lange auf. Er zerrte Herrchen unbeirrbar, Schades Kontrollgängen folgend, zur nächsten Schlinge. Völsch schwoll die Zornesader auf der Stirn. Jetzt begriff er auch, daß Funzel eigentlich Schade folgte. Sie fanden noch zwei weitere Schlingen. Dann ging es auf das vorhin erwähnte Kleestück hinaus. Schon aus der Ferne vernahm Völsch den Lärm der Vögel und machte sich schußfertig. Als er den Fuchs mit dem Hasen im Fang davonschnüren sah, riß er Funken. Der Rotvoß ließ seine Beute fallen und flüchtete. »Er hat gut gezeichnet. Weit kommt er nicht«, brummte Völsch vor sich hin und löste Funzel von der Leine. Der hoppelte hinter dem Fuchs her, so schnell es sein Ernährungszustand gestattete. Der Beschossene war etwa einhundertfünfzig Gänge weit gekommen, da ermattete er und legte sich auf die Seite. Funzel stellte ihn und machte ihm
die letzten Minuten seines Lebens sauer. Völsch nahm mit Sicherheit an, daß er Schade zusammengeschossen habe. Er kehrte um und ging nun, den Hasen zu holen. Aber er fand ihn nicht. »Bin ich denn verrückt geworden, träume ich schon am Tag? Da hatte doch dieser Rote einen Hasen im Fang gehabt. Nicht möglich! Hier liegt ja noch Schweiß und Wolle.« Er folgte der Spur, fand die Stelle, wo sich die beiden Füchse gerauft hatten und war sich nun im klaren, daß der Gegner des Toten den Hasen mit einer unbeschreiblichen Frechheit gestohlen haben mußte, während er diesem folgte. Völsch holte Funzel heran und setzte ihn auf Schades Fährte. Aber der Dickwanst fand immer wieder zum Erlegten zurück; denn der steckte ihm noch zu sehr in der Nase. Völsch suchte nun selber das ganze Kleestück ab und fand noch zwei Schlingen, die er zusammenzog und hängen ließ. »Nun noch ein bißchen Schwein, alter Sohn«, sagte er zu sich selber, »und du kriegst beim Ansitz an den Schlingen die Kerls und den Fuchs zu fassen. Wer aber von den beiden Füchsen ist Schade? Ich will den Toten zu Brinkmann senden. Vielleicht identifiziert er ihn.« Am Nachmittag kam denn auch der alte Kilian auf dem Moorhof an und bestellte: »Der Herr Förster lassen schön grüßen und schicken den Fuchs.« »Na, endlich ist er vernünftig geworden und hat nachgegeben«, atmete Brinkmann erleichtert auf. Annemaries Herz jubelte: Er will Frieden mit mir machen. Es liegt ihm sehr viel an meiner Freundschaft. Er liebt mich gewiß, kann es aber nicht zeigen. Dafür ist er eben ein zu rauher Mann. Zwei Tage kaute sie am Federhalter, um die passenden Worte für einen Dankbrief nebst Einladung zu finden. Am dritten aber schleuderte sie ihn zornig ins Schreibzeug und sagte: »Er hat mich zum Narren gehalten!« Schade war nämlich an diesem Tag wieder auf dem Moorhof aufgetaucht und hatte ein Huhn gestohlen; denn er hatte erlebt, daß beim Schlingenrevidieren gleichfalls ein Knall losgehen konnte. Völsch, der für seinen guten Willen wenigstens einen höflichen Dank erwartet hatte, war sehr enttäuscht. So ging er am folgenden Sonntag spät nachmittags in die Wirtschaft von Jensen und vertiefte sich in Grog, während er die Zeitung las. Bei sich hoffte er, den Holzdieb oder wenigstens dessen Freund zu sehen, um sie zu beobachten. Auch könnte er mal ihre Spuren draußen im Sand mit denen im Wald vergleichen. Außer dem Wirt war nur der Großbauer Niessen in der Stube. Völsch reichte den beiden die Hand. »Was machen die Rehe?« fragte der Bauer nach einer geraumen Weile. »Zwei Böcke und eine Geltricke stehen noch auf der Abschußliste. Aber ich nehme mir Zeit. Wenn in langen Zwischenräumen mal ein Schuß im Rehrudel fällt, nehmen es die Überlebenden nicht allzusehr übel.« Draußen erhob sich Stimmengewirr. Wenglin und Slomma polterten in heftigem Gespräch durch die aufgerissene Tür herein. Ein paar Tagelöhner folgten ihnen. Funzel, der neben Völsch auf dem Ledersofa lag, knurrte böse. Völsch sah sich unwillkürlich nach seinem Eichheister und der Büchse um. Er glaubte, Slomma würde einen Versuch machen, ihn wegen der Prügel vom vorigen Male anzurempeln. Aber der Spitzbube war diesmal so edel, ihn nicht zu beachten. Es fing an zu dämmern. Da kam Frau Jensen und flüsterte mit ihrem Mann. Dem schwollen die Adern auf der Stirn, und er fragte so nebenbei, ob niemand von den Anwesenden einen Verdacht hätte, wer ihm ein Huhn geklaut haben könnte. Natürlich bezogen die beiden die Frage auf sich. »Spitzbuben sind wir nicht!« schrie Slomma wütend. »Das behauptet ja auch niemand«, knurrte Jensen. Niessen lachte dröhnend. Die Atmosphäre wurde gespannt. Da erschien Brinkmann. Allein schon seine wuchtige Gestalt wirkte besänftigend. Die Anwesenden
wußten, daß er einen wütenden Stier an den Hörnern festhalten konnte. Wie ein wandelnder Turm schob er sich auf Völsch zu: »Tag, Fritz!« – »Tag, Niessen!« – »Audje, mir auch einen Grog! Nanu, Fritz, hier steckst du? Bei mir zu Hause sitzt der Gründler und spielt mit Annemarie Schach. Uns fehlt der dritte Mann zum Skat.« Völsch wurde rot: »So, so?« sagte er nur. »Du hast da einen Fuchs geschickt«, fuhr Brinkmann fort. »Schade aber ist es nicht. Das ist ein alter, abgelebter Rüde gewesen. Er hat noch nicht ausgehaart.« »Ich kenne Schade ja nicht persönlich. Da habe ich dir den erlegten Fuchs hingeschickt, du möchtest mal nachsehen, ob das der gesuchte Spitzbube ist.« »Ich kenne ihn auch nicht so genau, aber da Schade erst heute morgen wieder geklaut hat, muß er eigentlich noch am Leben sein. Der Kilian bestellte aber von dir doch ausdrücklich, du sendest den Fuchs, also Schade.« »Na, solch ein Däsel! Ich habe ihm ausdrücklich aufgetragen, du möchtest dir die Bestie mal ansehen, ob es der gesuchte Hühnerfresser wäre.« Also deshalb hat mich Brinkmann hier aufgesucht, dachte Völsch. Um etwas für die weitere Annäherung zu tun, fuhr er fort: »Wie wäre es, Karl, wenn wir mal gemeinsam auf den Bock gingen. In meinem Revier sind noch zwei fällig. Meinen Baff kannst du noch ein paar Jährchen belassen. Der wird erst ein richtiger Hauptbock werden.« Brinkmann streckte ihm die Hand hin: »Danke, angenommen, aber nun mußt du mit mir zum Abendessen kommen. In deiner Junggesellenbude hast du doch nichts verloren, und die alte Paetsch bangt sich sicher nicht nach dir. « »Geht heute nicht«, erwiderte Völsch halblaut mit einem unmißverständlichen Seitenblick auf die fremden Gäste. »Es ist heute Vollmond. Die Nacht ist klar. Da möchte ich mal sehen, wie es bei solchem Wetter in meinem Revier aussieht.« »Hm«, grunzte Brinkmann, »also auf ein andermal.« Aber es war ihm nicht recht behaglich zumute. Völsch stand auf und streckte seinen Tischgenossen die Hand hin: »Muß jetzt nach Hause«, sagte er so laut, daß alle Anwesenden es hören konnten. »Ich habe noch eine Menge Schriftliches aufzuarbeiten, und morgen kommt der Oberförster, die Bücher prüfen.« Kurze Zeit nach dem Förster verließen auch die Wilderer die Gaststube. Niessen, der Wirt und der Bauer Audersch hatten sich zu einem Skat zusammengesetzt. Da ging auch Brinkmann: »Es ist ein Leichtsinn von Fritz«, murmelte er, daß er allein mit mehreren Kerls im Wald anbinden will. Wenn ich wüßte, daß ich ihm nicht in die Quere käme, würde ich nachgehen. Jawoll, ich ginge auch jetzt wohl noch, wenn nur die verdammte Spannung zwischen ihm und Anne nicht wäre. Man kann da eben nie wissen, wie man sie durch Ungeschick in Feindschaft verwandeln kann.« Völsch nahm seinen Weg durch den Wirtsgarten, um ungesehen in den Wald zu gelangen: »So, so – dachte er dabei. »Also den Fuchs hat man mir übelgenommen. Eigentlich kennt außer Funzel keiner so recht den Spitzbuben Schade. Funzel ist also der einzige Belastungszeuge.« An der Hintertür des Gartens wuchs hoher Kälberkropf. Hier blieb Funzel stehen, rollte wild mit den Augen, stellte die Borsten auf und zeigte die Zähne. »Hu, faß, such, nimm den schlechten Kerl! Bring ihn raus, den Stänker! « hetzte Völsch; denn ihm wurde augenblicklich klar, wer das Huhn des Gastwirts geholt hatte. »Oh, dieser Halunke!« schalt Völsch. »In den Schlingen findet er nun nichts mehr, auf dem Moorhof wird aufgepaßt, da hat er sich eben ein anderes Revier ausgesucht. Der läßt das Stehlen nicht mehr.«
Funzel suchte nach und fand bald die Stelle, wo Schade scheinbar in aller Gemächlichkeit sein Abendbrot verspeist hatte; denn selbst die kleineren Federn waren mit friedlicher Muße ausgerupft worden. Die kümmerlichen Überreste der Henne lagen neben einem Weißdornbusch an einem Roggenfeld, dessen Halme bereits Kniehöhe erreicht hatten. Völschs Gedanken eilten von dem Fuchsriß zu Annemarie: Eigentlich hat sie recht, wenn sie darauf besteht, daß Schade in die ewigen Jagdgründe hinüberwechseln soll. Wenn ich erst durch seine Fährte die Wilderer abgefaßt haben werde, will ich mich dem Burschen besonders widmen. « Der Mond flutete mit Geisterhelle über das schlafende Land. Die Kieschaussee nach dem Wald lag wie ein weißes Band zwischen dem unbestimmbaren Grün der Saaten und Äcker. Die Baumschatten täuschten schwarze Risse auf der Helligkeit vor. Fern im Dorf bellten monoton die Hunde. Beim Vollmond waren sie stets seltsam rege. Dann waren ihre Gemüter auf wehmütiges Heulen gestimmt. Funzel wuselte in allen Ecken herum. Hier stöberte er eine Maus auf. Dort be tatzte er einen Grasfrosch. Als er sich über einen Sohn von Frau Eveline Spieker aufregen wollte, der im Bewußtsein seiner Unantastbarkeit über die Straße trippelte, erntete er ein kräftiges »Pfui! « Na, nun wußte er denn, wohin es ging. Wenn Herrchen Schweigen gebot, galt es stets einem Ansitz. Da kamen eigentlich nur die Schlingen in Betracht; denn die Böcke, Ratsch, Baff und die anderen standen seit einiger Zeit nicht mehr auf dem Programm. Kaum hatte Völsch den Wald betreten, so zockelte Funzel einen schmalen Steg rechts ab, schlug sich durch das hohe, raumige Holz nach links und machte auf einem Rehwechsel bei einer der zugezogenen Schlingen halt. Völsch ging auf etwa zwanzig Schritte zurück, suchte sich eine Deckung, tat Funzel in den Rucksack, setzte sich auf den Jagdstock und wartete. Er rechnete damit, daß die Wilddiebe es nicht bei dem Absuchen einer Schlinge bewenden lassen würden. Die Zeit schlich im Schneckentempo dahin. Völschs Gedanken kreisten wieder um Annemarie: Wenn sie nur nicht so rechthaberisch wäre! Hätte sie mich gebeten, läge ich wohl Tag und Nacht Schade auf der Fährte. Jetzt aber widert es mich an, den Finger auf ihn krumm zu machen. Sie tut ja so, als ob ich verpflichtet wäre, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Nee, mein Fräulein, soweit sind wir noch nicht.« Ein Käuzchenpaar hatte den Jäger entdeckt. Laut schreiend flog es um ihn herum. Aus der Ferne rief die Waldohreule. Im Gras zirpten tausend Grillen. Und nun ein Ton, der wie das Läuten versunkener Kirchenglocken klang, dicht zu den Füßen Völschs. Es war das Liebeslied einer alten warzigen Kröte. Links befand sich dichte Fuhrenschonung, durch die der Rehwechsel nach einem Rinnsal führte, aus dem die Rehe zu schöpfen pflegten. Dort sang in den Haselbüschen ein Sprosser, so weich, so süß und wehmutsvoll, daß Völsch sich gar einsam und verlassen auf Gottes weiter Welt vorkam. Fledermäuse schossen über ihn hin. Ihr Flugbild zeichnete sich scharf gegen den blassen Mondhimmel ab. Da wuselte etwas auf dem Rehwechsel daher, hielt sich da und dort auf und verschwand in der Richtung des Waldbaches. Das war Murrjahns Vetter Wommst. Sie konnten sich beide nicht leiden. Das heißt, Murrjahn beachtete den jungen Dachs kaum. Dieser aber haßte ihn aus vollem Herzen, weil er ihn fürchtete. Eifersüchtig waren beide, da keiner den andern gern in seinem Revier sah. Völsch mußte über die Eilfertigkeit Wommsts lächeln. Jetzt machte Funzel »Buff.« Er hatte das Herannahen menschlicher Schritte vernommen. »Pst, ruhig!« raunte sein Herr energisch, und Funzel rollte sich seufzend zusammen.
In dem Hochholz wurde ein Mann sichtbar. Er sah sich scheu nach allen Seiten um. Dann schlich er zur Schlinge. »Nanu, nur einer?« fragte sich Völsch. »Wo mögen nur die andern sein? Ob sie sich zum Absuchen der Schlingen verteilt haben? Aber lieber einen als gar keinen. Er wird schon vor Gericht die andern namhaft machen müssen.« Der Mann an der Schlinge knurrte unverständliches Zeug, nahm sie ab und schickte sich an, wieder im Hochwald zu verschwinden. Als er so weit von der Schonung entfernt war, daß er nicht mit einem Satz in ihr untertauchen konnte, sprang Völsch auf und befahl schneidend, daß es laut durch den Wald schallte und das Echo sich überschlug: »Halt, Hände hoch!« Der Schlingensteller blieb wie angewurzelt stehen. Völsch ging mit der Büchse im Anschlag auf ihn zu. Dabei bemerkte er, daß der Fremde sein Gesicht geschwärzt hatte: »Wo sind die andern Spitzbuben?« fragte er. »Welche andern? Ich weiß von keinen andern!« »Warte nur, mein Bürschchen, auf dem Gericht wirst du es schon wissen. Jetzt vorwärts marsch! Immer hübsch drei lange Schritte voraus und auf mein Kommando hören. Bei dem ersten Versuch zur Widersetzlichkeit oder Flucht knallt es. Hast verstanden?« Es war Slomma, der sich zum Köder hergegeben hatte. Er wußte, daß seine Genossen – Wenglin und noch ein Spießgeselle – an der Straße nach Aschhausen auf ihn und den Förster versteckt in einem Hinterhalt lauerten. Wenn sie nun nicht da waren? Wenn der Förster einen andern Weg einschlug, ihn nach der Oberförsterei brachte? Slomma zitterte vor Angst und Wut, daß ihm der Schweiß ausbrach. Und dann dieser verdammte Dackel. Völsch dachte auch an Funzel, aber mit andern Empfindungen. Die feine Nase seines kleinen Freundes bot Sicherheit gegen einen Überfall von dritter Seite. Da aber stieß der »Bombengewitterhund« auf die Fährte Schades, der dem Wilderer gefolgt war. Mit lautem »Kiff-Käff« machte er von seiner Leinenlosigkeit Gebrauch und verschwand im Wald. Alles Rufen blieb erfolglos. Was sollte Völsch nun tun? Er mußte versuchen, auf dem nächsten Weg das freie Feld zu erreichen. Also schlug er die Richtung nach der Aschhausener Landstraße ein. Auf dem unübersichtlichen Weg ging er langsamer und kam bald an der Stelle vorbei, wo Wenglin und Schulz in einem Birkenbusch versteckt lauerten. »Schieß!« raunte Schulz seinem Genossen zu. »Noch zu dicht!« gab dieser ebenso leise zurück. »Da streuen die Schrote nicht genug. Hier aber ist im Dunkeln keine Kimme und kein Korn zu sehen. Wenn aber der zusammengeballte Schuß vorbeigehen und Slomma treffen sollte, reißt er ihn in Fetzen.« Schon waren Slomma und Völsch sechzig Schritte vorangekommen, da sagte Schulz, nun aber ganz laut: »Wenn du jetzt nicht losballerst, brenne ich eine Kugel auf den Kerl ab. Und: »Brumm!« – krachte die Schrotflinte. Slomma schrie wie ein Irrsinniger auf und hüpfte auf dem Fleck, als tanzte er eine Tarantella. Völsch aber ließ einen tiefen Seufzer hören und sackte zusammen. Da standen nun die drei Banditen bei dem Leblosen. »Du Hund hast mich in den Arm geschossen!« brüllte Slomma. Schulz beugte sich über Völsch. Er wollte nachsehen, ob er noch lebte. »Rühr ihn nicht an«, schrie Wenglin. »Du willst doch wohl nicht Fingerabdrücke hinterlassen wollen. Und jetzt rasch weiter. Los, Slomma, mach voran. Du kannst doch höchstens eins oder zwei Körner abgekriegt haben. « Auch Schulz sagte jetzt: »Tu dich nur nicht so, du Äff! Hat denn der Wenglin nicht deinetwegen geschossen? Wolltest du dich nicht wegen der Prügel im Dorfkrug rächen? Unangenehmer ist, daß der Kerl nun um unsere Schlingen weiß. Er wird uns jetzt jeden Fang vermasseln. «
»Der nicht mehr. Der hat die volle Ladung auf den Rücken gekriegt«, sagte Wenglin stolz. »Nun aber dalli, Genossen, hier haben wir nichts weiter zu suchen.« Auf den Schuß kam Funzel gelaufen. Er glaubte, Herrchen habe Schade eines aufgebrannt. Als er aber seinen Freund und Gebieter leblos auf dem Gesicht liegen sah und sein Blut roch, wurde ihm so wehmütig zumute, daß er sich mitten auf die Straße setzte und in erschütternden Heultönen dem Mond sein Leid klagte. Als Brinkmann aus der Gastwirtschaft nach Hause kam, war Gründler nicht mehr da. Die Unterhaltung mit Annemarie hatte ihm keinen Spaß gemacht; denn das Mädchen war zu zerstreut. Seine Ohren und Gedanken waren nach draußen gerichtet. Sie hoffte, der Schwager würde Völsch mitbringen. Als er allein heimkam, fragte sie nicht weiter, bot den Ihren eine »gute Nacht« und ging in die Kammer. »Zwei Jahre verkehrt er nun schon in unserm Haus«, sprach sie tonlos vor sich hin. »Noch nie hat er mir ein liebes Wort gesagt oder eine Aufmerksamkeit erwiesen. Und nun noch diesen Fuchs, das ist weiter nichts als Hohn. Karl irrt sich, wenn er glaubt, Fritz Völsch hätte eine tiefe Neigung zu mir gefaßt. Mein lieber Schwager will mich nur recht schnell unter die Haube bringen. « Lange noch lag sie wach, ehe sie endlich einschlief. Karl Brinkmann war auch nicht mit sich und dem Verlauf der Ereignisse zufrieden. Warum, zum Beispiel, hatte er heute tölpelhafterweise Annemarie in die Unterhaltung über den Fuchs eingemischt? Wie konnte Völsch Schade kennen, wenn er ihn noch nie gesehen hatte? Obendrein ähnelt ein Fuchs recht auffal-
lend einem andern. Das Allerdümmste aber war, daß er Völsch allein in den Wald hatte gehen lassen. Er wurde so erregt, daß ihn die Wände des Zimmers bedrückten. Schlafen mochte er nicht, beim Lesen glitten die Worte an seinen Augen vorüber, ohne daß er sie auffaßte. Da zündete er seine Pfeife an und ging auf den Hof. Das war in solchen Fällen meistens die einzige Hilfe. Beim Rauschen der Eichen, die seine Urahnen gepflanzt hatten, wehten ihn Ewigkeiten an. Da kam er sich klein und winzig, wie ein unbedeutendes Glied einer langen, langen Kette der Menschheit vor. Das wuchtige, massige Wohnhaus mit dem riesigen Strohdach predigte so recht von der Kraft und Erdbeständigkeit des niedersächsischen Bauernblutes. Schmauchend schritt er auf und ab. Es war so still, daß kein Lüftchen sich regte. Aus den Äckern und Wiesen stiegen weiße Nebel. Sie verdeckten fast den dahinterstehenden Wald. Von der Chaussee nach Ohlensen kam das Klappern eines Wagens. Die feuchte Luft trug den Schall weit. Wieder bemächtigte sich seiner die nervöse Spannung: »Einer gegen drei!« murmelte er, »das kann nicht gut endigen. Und die Kerle sahen wirklich nicht nach zartem Gewissen aus. Die richtigen Galgengesichter. Auf Funzel ist kein Verlaß. Fritz vertraut ihm zuviel. Und was soll auch schließlich der kleine Kerl, wenn es ernst wird?« Zuletzt konnte Brinkmann die Ungewißheit nicht mehr ertragen. Er holte seinen Drilling und schlich heimlich in den Wald. »Horch, dröhnte da nicht ein Flintenschuß? Das kann nur in der Richtung der Aschhausener Chaussee sein.« Brinkmann schritt mächtig aus. Lange war er nicht unterwegs, da vernahm er das laute Klagegeheul Funzels. Nun lief er so schnell, als sein schwerer Körper es erlaubte. Bald sah er einen Menschen auf der Straße liegen, der im hellen Mondlicht gut erkennbar war. Daneben saß als schwarzer Punkt Funzel, der seine Schnauze hoch erhoben hatte und dem Mond sein Leid klagte. Atemlos langte Brinkmann an: »Völsch, du, Mensch, lebst noch? Was ist los? Was ist passiert: Wo hat’s dich erwischt? « »Schweinerei«, murmelte Völsch matt. »Schrote von hinten. Gewiß der ganze Rücken voll. Muß was kaputt sein. Ohnmächtig geworden – rühr mich nicht an – könnte vor Schmerzen brüllen. « »Auf der Straße liegen, Junge, das geht nicht. Komm, laß dich an die Böschung lehnen. Ich laufe inzwischen nach Hause und jage den Jungknecht Fietje nach dem Arzt. Der kann mit seinem Auto bald da sein. Zu tief wird es wohl nicht sitzen. Du hattest ja deine Lederjacke, die du auf Anstand immer trägst, unter den Tuchrock gezogen. Mut, Fritz, ich bin gleich zurück.« Den Frauen erzählte Brinkmann nichts. Er wollte kein unnützes Lamento verursachen. Obendrein war zu befürchten, daß sie zu dem Verwundeten hinauslaufen und ihn aufregen würden. Heimlich weckte er Fietje, gab ihm in Eile die notwendigsten Anweisungen und half ihm auf das schnellste Pferd, das sie vorsichtig vom Hof führten. Und wieder eilte er mit beflügelter Hast zu seinem verwundeten Freund. Er fürchtete, ihn nicht mehr am Leben anzutreffen; denn sein Rücken schwamm im Blut. Hochatmend setzte er sich heben ihn hin und wartete: »Nicht sprechen, Fritz. Du darfst nicht eher reden, bis der Arzt dir es erlaubt hat.« Aber Völsch sagte: »Flandern, Somme, Verdun-Serbien — nirgends hat es mich getroffen. Doch – dieser – Schuft in der Heimat – der – traf! « Lange dauerte es nicht, da zeigten sich die Lichter eines Autos. Der Arzt kam. Er untersuchte Völsch beim Schein der Wagenlaterne an Ort und Stelle und erklärte, ohne die Lederjacke wäre der Schuß unbedingt tödlich gewesen. Die augenblickliche Lähmung sei durch ein Schrotkorn verursacht worden, das einen Dornfortsatz der Wirbelsäule angeschlagen hatte. Brinkmann strahlte: »Mensch, Fritz, da hast du Schwein gehabt. Hättest du dich
nur ein bißchen bewegt, die Banditen hätten dich vollends kalt gemacht. « Ins Lazarett wollte Völsch auf keinen Fall. Er meinte, zu Hause könne er den Wald zum mindesten rauschen hören, wenn er auch nicht in ihn hinein dürfe. Die Entfernung der Schrote nahm der Arzt in der Försterei am nächsten Tag vor. Brinkmann war zugegen. Er mußte Völsch versprechen, möglichst wenig Aufhebens von der Sache zu machen; denn er wollte auf keinen Fall Beileidsbesuche, vor allem solche von Frauen nicht. Am wenigsten zufrieden mit dem Gang der Ereignisse war ohne Frage Funzel. Daß Herrchen ihn »treulose Tomate«, »falscher Fuffziger«, »Deserteur« und ähnlich benannte, kränkte ihn weniger; denn er war an solche und ähnliche Äußerungen gewöhnt, aber daß sein Gebieter gar nicht aufstehen wollte, sondern egalweg auf einer Stelle lag, betrübte ihn außerordentlich. Was sollte er jetzt allein gegen Schade ausrichten? Einholen konnte er ihn nicht. Ohne eine Flinte im Nachtrab war jegliches Vorgehen sinnlos. Wohl stromerte er ganz gern mal herum, aber nur, um sich zu beschäftigen. Am liebsten beendigte er solche Ausflüge in der Moormühle. Hier wurde er von Annemarie mit innigster Zärtlichkeit empfangen und herrlich bewirtet. Teil hatte es besser. Er durfte zuweilen mit Brinkmann durch das Revier streifen und lernte auf diese Weise auch die umfangreiche Dorfjagd kennen, die beinahe sechzehntausend Morgen faßte. Schade war nun der unumschränkte Herr des Reviers und der Umgebung. Im Wald selber war er freilich nicht viel zu sehen. Dafür merkten jetzt, wo das Getreide höher stand und gute Deckung bot, die Dörfler bald von seiner Anwesenheit. Das im Wirtshausgarten mühelos erbeutete Huhn forderte sozusagen auf, die eingeschlagene Bahn weiter zu verfolgen. Auch gab es im Dorf wesentlich mehr Hühner als auf der Moormühle. Die Dörfler rüsteten zur Abwehr. Im Morgengrauen und in der Abenddämmerung patrouillierten halbwüchsige Jungen mit Knüppeln in den Händen und grimmen Kötern an der Leine den Außenrand des Dorfes ab. Schade störte das nicht weiter. Er verlegte seine Räubereien in die helle Mittagszeit. Wenn man sich in diesem Fall so ausdrücken darf, befand sich das Dorf in gewissem Sinne im Belagerungszustand. Von allen Seiten rückte man Brinkmann zu Leibe, da er doch die Dorfjagd gepachtet hatte. Der gestand ohne weitere Umschweife sein Unvermögen in diesem Falle ein und bat zu warten, bis Völsch gesund sein würde. Auch wies er darauf hin, daß er selber von Schade ebenso geschädigt worden sei und nunmehr seine Hühner in einem großen Gatter untergebracht habe. Der Vertreter Völschs wäre ein grüner Dachs, der keinesfalls Schades habhaft werden könnte. Ihm, Brinkmann, habe er erklärt, daß er im Begriff stände, den Wald systematisch (!) abzusuchen. Funzel, der entschieden wußte, wo Schade zu finden wäre, schwärme für den jungen Mann nicht, da er dessen Erziehungsversuche verabscheue. Völsch aber ginge schon am Stock. Da würde die völlige Genesung nicht lange auf sich warten lassen. Als Brinkmann ihn eines Tages besuchte, sagte er: »An dem ganzen Malheur ist eigentlich nur der verflixte Schade schuld. Einesteils hat er die Wilderer an mich verraten. Dann hat er Funzel ins Weite verführt, so daß er mich nicht vor dem Hinterhalt warnen konnte. « Daß durch Schade auch die Freundschaft mit Annemarie in die Brüche gegangen war, sagte er nicht, dachte aber um so mehr daran. Brinkmann erstattete Bericht über den Stand der Untersuchungen. »Es kommt nichts raus! « knurrte er. »Die Beschreibung der drei sauberen Burschen aus dem Wirtshaus paßt auf jeden Steckbrief. Damit kann die Kriminalpolizei nichts anfangen.« »Laß mich nur erst wieder gesund werden«, antwortete lebhaft der Förster. »Ich
werde die Halunken, die sicher in Hamburg etwas ausgefressen haben und dort keine ehrliche Arbeit mehr finden, schon zur Strecke bringen.« Schade machte sich aus seinen Untaten und deren Folgen herzlich wenig. Man konnte ihn für etwas reichlich leichtsinnig halten. Und, wie schon erwähnt, war er ein rechter Lümmel. Sich selber sah er nach wie vor für das Maß aller Dinge an. Kaninchen, Hasen, Hühner und anderes Geflügel hielt er für nützliche Tiere und ein gutes Fressen. Ihr Angstgeschrei war Musik in seinen Ohren. Dagegen hielt er Murrjahn für einen ausgesprochenen Schädling und Funzel für das niederträchtigste aller Geschöpfe. Der alte Einsiedler war sehr nachtragend. Er konnte Schade das rüpelhafte Benehmen in seiner Wohnung nicht verzeihen, noch weniger seine Witterung ausstehen. Wenn der Fuchsjüngling seiner Verdauung zuliebe sich mal bei schönem Wetter nachts die Beine vertrat, besinnlich durch den Wald schnürte, hier einen Nachtfalter spielend haschte, dort eine Maus fing, zerknautschte und liegen ließ, sich um Vogelnester bekümmerte oder aus purer Schadenfreude einen Hasen erschreckte, kam es zuweilen vor, daß er unvermutet auf Murrjahn stieß. Der ging nur nachts aus, stach friedlich nach Untermast, pflückte besinnlich Beeren, von denen er die süßen Erdbeeren am liebsten mochte, und versah sich aus dem Tierreich nichts Böses. Anstatt daß Schade ihn zufrieden ließ, vertrat er ihm den Weg und keckerte häßlich. Er wußte nur zu gut, daß Murrjahn mit seinen kurzen, krummen Beinen ihn nicht einholen konnte. Machte der Alte grimmige Vorstöße, so feixte sich Schade eins, tanzte um ihn herum und kiffte laut. Das trieb er mitunter so weit, bis der alte, feiste Junggeselle völlig außer Atem geriet und nach Hause trabte. Außer Murrjahn konnte Schade auch die andern Dachse nicht leiden. Es waren deren mehrere im Revier, so der vorhin erwähnte Vetter Murrjahns namens Wommst, ein glühender Verehrer der Witwe Pummeline, und Trobbel. Sie wohnten ziemlich weit voneinander entfernt. Das aber hinderte Schade nicht, an Tagen, wo er recht verdrießlich war, seinen Ärger an den Dachsen auszulassen, indem er von einem Bau zum andern schnürte und vor dem Einfahrtstor den Hinterlauf hob. Pummeline war für die Werbungen des jungen Wommst völlig unzugänglich. Desto mehr schätzte sie Murrjahn, den sie als das Urbild edler Männlichkeit verehrte. Sie bewunderte seine Verschlossenheit, seine krummen Beine, seinen Fleiß im Wohnungsbau, vor allem aber seine Grobheit, die im Dächsischen als vornehme Zurückhaltung aufgefaßt wird. Wohltuend war für alle Fälle, daß man in seiner Nähe so ziemlich sicher sein konnte, da er als ein vielerfahrener und äußerst vorsichtiger Mann ständig witterte, lauschte und äugte. So ging sie häufig nicht weit von ihm ihrer Nahrung nach. Es genügte ihr, wenn sie ihn herumwuseln und wohlig schnauben hörte. Da vernahm sie in einer lauen Sommernacht sein böses Kichern. Lauschend hob sie den Kopf und spitzte die kleinen, runden Ohren. Es raschelte immer heftiger. Es tobte hin und her. Ein anderes Wesen, es war Schade, keckerte aufreizend. Da ging sie neugierig auf das Geräusch zu. Der Fuchsjüngling hatte sein ganzes Augenmerk auf den stoßweise vorschnellenden Murrjahn gerichtet, also beachtete er weniger, was hinter ihm vorging. Als er wieder einmal mit verhöhnenden Sprüngen ausweichen wollte, stolperte er über Pummeline. Augenblicklich wußte die Dachsdame, daß sie den Schweinigel vor sich hatte, der ihre saubere Wohnung entweihte. Mit raschem Griff kniff sie ihn mächtig in die Keule. »Wuweih!« – sagte Schade und rückte aus; denn der plötzliche Schrecken war mindestens ebenso groß wie der Schmerz. Murrjahn aber beschnupperte wohlwollend Frau Pummel. Dabei stellte er fest, daß sie ihn liebte. Zu Zärtlichkeiten ließ er sich aber nicht hinreißen. Dazu schien der Mond zu hell. Die Rehe konnten plötzlich kommen. Auch mochte sich im
Waldesdunkel allerlei Getier aufhalten, von dem man augenblicklich noch nichts ahnen konnte. Er hatte aber nichts dagegen, daß Pummeline ihm in den Bau folgte. Schade schmerzte die Kehrseite ganz gehörig. Das machte ihn verdrossen. An irgendeinem Geschöpf mußte er seinen Ärger austoben. Zu ihrem Unglück kam die Igelin Greulich dahergetrippelt. Er legte sich auf die Lauer. Die Ahnungslose kam so dicht heran, daß er sie mit einem raschen Griff bei dem kleinen Köpfchen fassen konnte, ehe es ihr gelang, sich zusammenzurollen. Die Knochen knackten unter den Zähnen des Räubers, und bald hing der Körper schlaff und tot herab. Schade fraß ihn aus den Stacheln heraus. Doch gelang ihm das nicht, ohne sich mehrmals empfindlich gestochen zu haben. Erst hinterher überlegte er, daß diese Stiche gar nicht nötig gewesen waren; denn er hatte keinen Hunger gehabt. Sein Gewissen hatten die Stacheln aber nicht im mindesten berührt. Er schnürte auf eine Höhe, über die sich ein Kahlschlag hinzog. Hier tat er sich auf die Keulen nieder und schaute träumerisch weit in das mondbeschienene Land, in die hellen Wölkchen und den dunklen Wald, der sich zu seinen Füßen ausbreitete. Die Welt war wirklich schön, wenn man nicht immer denken müßte, es triebe sich in dem geheimnisvollen Dunkel der widerwärtige Funzel herum. Schade war sogar geneigt, sein Mißgeschick mit Pummeline auch auf dessen Konto zu buchen. Zwar hatte er ihn lange nicht gesehen, aber seine Spur öfter in der eigenen gewittert. Es war klar, daß dieses struppige, verplieterte, unordentlich gebürstete Wesen ihn ständig verfolgte. Schade striegelte seinen Rotrock mit der Zunge. Der war fein glatt und seidenweich, wie es sich für ein anständiges Pelztier schickt. Schade liebte in diesem Augenblick sich selber über alle Maßen. Daß die Pummeline roh genug war, hineinzubeißen? Einfach unerhört! Außer Funzel gab es ja auch noch Menschen. Die waren Oberschädlinge. Alles wollten sie für sich haben. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte Schade nicht ein einziges, unbedeutendes Hühnchen rupfen können. Ein Glück, daß sie rasend dumm waren und ihre Nasen so hoch trugen, daß sie bis zu den Spuren nicht herunterriechen konnten. Komisch, wie sie sich nur ständig auf zwei Beinen in Angriffsstellung bewegen mochten. Deshalb fürchtete sich auch jegliches Getier vor ihnen. Selbst der mutige Baff ergriff die Flucht, wenn er einen von dem Gelichter witterte. »Pfui über diese Egoisten!« knurrte Schade. Der Grünrock mit dem blonden Bart war einer der Schlimmsten. Vor dessen Mordlust und dem bösen Feuerstock konnte sich selbst kein Vogel retten. Zwar fehlte er bereits eine graume Zeit. Doch Funzel war da, und der würde ihn plötzlich zu einer ganz ungelegenen Zeit wieder auf den Plan zaubern. Gräßlich, wenn das Zweibein dann langsam durch den Wald wackelte. Richtig schnüren wie ein Fuchs oder zum mindesten traben wie Murrjahn oder wie Theobald Lampel hoppeln konnte es nicht, denn ihm fehlten zwei Beine. Immerhin war die Nacht heute mild. Die Grillen zirpten unentwegt, die feuchte Erde kühlte den Schmerz in der Keule. Es war also zum Aushalten. Und Schade hatte Zeit, viel Zeit. Bis zum nächsten Mittag, wenn die Menschen sich zum Essen sammelten und es verführerisch aus den Häusern roch, war noch lange hin. Wie aus Erz gegossen, verharrte Schade auf seinem Platz. Es war der Sommernachtstraum eines Fuchses, der ihn gefangen hielt. Trotzdem spielten seine spitzen Lauscher unausgesetzt, und die grüngelben Lichter funkelten lebhaft. So vernahm er alles, was im Wald vorging. Und alles, bis auf den surrenden Ziegenmelker, den großen Schwalk, merkte er sich, da er dessen Nest bei Gelegenheit zu finden hoffte. Der Mond fing an zu verblassen. Ein frischer Morgenwind strich durch die Wipfel der hohen Buchen, deren hellgraue Stämme sich an der Ostseite rötlich zu fär-
ben begannen. Die Kiebitze schrien lauter in dem nahen Moor. Die Waldohreule war verstummt. In den Haselsträuchern des Tales ruckte die erste Amsel. Da war es Zeit zum Aufbruch; denn nun ging der Tod durch den Wald um. Schade stand auf, entleerte sich gründlich und schnürte seiner Dickung zu. Hier stöberte er einen Fasanen auf. Dort surrte eine Birkhenne entsetzt davon. Eichhörnchen fuhren vor ihm fauchend den Stamm hoch. All die Kleinen und Schwachen fürchteten sich vor dem Würger, und er nahm es ihnen übel. Ärgerlich knurrte er: »Gemein so etwas. Wenn sie sich nicht fangen lassen wollen, brauchen sie sich nicht zuvor sehen und riechen lassen. Sie beabsichtigen nur, mich zu reizen.« Da aber ertönte ein krächzender, schriller Schrei. »Tschärr!« klang es laut durch den Wald. Markwart hatte den sacht dahinschleichenden Räuber erspäht. »Tschärr, Tschärr! « – kam die Antwort. Schade dachte an den Tag, wo er mit dem fremden Fuchs gekämpft und das Hähergeschrei den Grünen auf den Plan gerufen hatte. Er erschrak und schnürte eiliger. Jetzt stellten sich bereits Rotkehlchen und Amseln ein. Die Graudrossel selbst brach ihr Morgenlied ab und mischte sich in den Rachechor. Sie verkündeten alle mit lauter Stimme, daß ein schlechter Kerl unterwegs sei. Da verfiel Schade in einen scharfen Trott. Als auch das nicht half, machte er lange Fluchten. Erst in seinem Bau, wo ihn wohlige Stille umfing, atmete er auf. In Aschhausen erklangen auf den Höfen die Mittagsglocken. Da legten Knecht, Magd und Tagelöhner die Arbeit weg, banden die Schürzen ab und begaben sich in die geräumige Küche, wo ihnen am langen Holztisch die Mahlzeit aufgetragen wurde. In der Dönze aßen der Bauer und seine Familie. Der Gemeindevorsteher Niessen liebte es, lange und reichlich zu tafeln. Seine beiden Jungens von dreizehn und vierzehn Jahren waren natürlich weit eher satt als er. Wohl fragten sie: »Darf ich aufstehen?« Aber das war nur eine Formsa che, denn sie wippten bereits hinter ihren Stühlen ungeduldig auf den Zehen herum. Im Obstgarten unter einem riesigen, dichtverzweigten Apfelbaum befand sich Niessens Lieblingsplätzchen, wo er im Gras ein Mittagsschläfchen hielt. Er legte sich auf den Rücken, öffnete Hosengurt und Weste, bedeckte den Bauch mit einem bunten Kissen, faltete die Hände darüber und duselte eben aus der schläfrigen Stille auf Flügeln des Bienengesummses und des Hummelliedes in einen Traum hinüber, als ihn das Mordsgezeter der Hühner und das Kriegsgeschrei seiner Sprößlinge in die Wirklichkeit zurückrief. »So’n verrückter Kram!« murmelte er und lauschte. »De Voß, de Voß!« brüllten die Jungens. Ihre Stimmen verloren sich feldein-waldwärts. An ein Einschlafen war nun nicht mehr zu denken. Brummig erhob er sich und fertigte ein Umlaufschreiben aus, wonach die Hausväter nach Feierabend zum Dorfkrug kommen sollten, denn man wolle beraten, wie dem Fuchsübel zu steuern wäre. Niessen rechnete: Von Mai bis Mitte Juli fast täglich ein Huhn, macht annähernd fünfundvierzig Stück. »Dat Oas ist jo sin Ledder nich wert!« knurrte Niessen. »Dat Beist müßt man jo sößmal aftrecken, ehe de Schaden rutkömmt, den hei moakt hett.« Die Jungens kamen hochrot und schwitzend zurück: »Wir haben ihn gesehen, Vater, ganz dicht bei war er, so rot wie Linas Unterrock, und solch einen dicken Schwanz hatte er.« »Ganz weißes Maul«, fuhr der Jüngere fort. »Und spitze Ohren. Und flink war er wie der Deibel. Ganz dicht vor mir: schwapp, da hatte er das Huhn weg. Wie ich mich nach einem Stein bückte, war er schon eine Strecke davon. « »Und das Huhn schrie noch!« fiel der Ältere abermals ein. »Es lebte noch. Und wir liefen hinterdrein.«
»Aber er ließ es nicht los«, nahm der Jüngere den Faden wieder auf. »Und ich bin hingefallen, Vater, nachher war er im Wald verschwunden. « »Na, so’nOas! Na lat’n man, Jungs, den kriegt wi noch. « Niessen drückte den Knaben den Brief in die Hand. Er enthielt die Mobilmachungsorder gegen den Fuchs Schade. Noch nie war eine Gemeindeversammlung so vollzählig beschickt wie an diesem Abend. Alle Tische der Gaststube waren eng besetzt. Summen und Murmeln. Jeder hatte sein Maß Bier oder Grog vor sich stehen und unterhielt sich mit seinem Nachbarn über Vieh, Roggenernte, Schweine und dergleichen häusliche Angelegenheiten. Nachdem Niessen den Bauern Zeit zur Fühlungnahme gelassen hatte, klopfte er an sein Glas und hub seine Rede im amtlichen Hochdeutsch an: »Freunde, und Nachbarn allesamt, wie ihr hier sitzt! Es ist dieses eine Gemeinheit mit dem Fuchs Schade, wie ihn Brinkmann nennen tut. Es hat schon genug Füchse bei uns in den Waldungen gegeben, aber solch ein Oas, meiner Tage noch nich. Wenn sich früher einer mausig machte, hatte man ihn bald. Dieses Untier aber stiehlt da, wo man es gar nicht vermutet. Fußangeln und Tellereisen zu legen ist gar zu gefährlich; denn da kommen nur die Hunde und Gänse rein. Und zuletzt könnte man ja noch die lütten Göhren einsperren. Hier, unser Freund Brinkmann – prost Karl – hat kurzerhand die Hühner einge gattert. Nun berechnet man, Leute, was das kosten täte, wenn sich das ganze Dorf verschanzen würde, abgesehen von dem erhöhten Futterverbrauch. « Stimme aus dem Volke: »Nee, moak ik nich, eher schlacht’ ik all min Hehn un fret se sülwen. « »Jawoll, jawoll, dummerhaftig Tüg, Schietkroam, dat moak wi nich’«, grollte das Echo. »Gift?« fragte Niessen weiter. Aus einer Ecke kam Lachen. Alle sahen sich nach dem Bauer Audersch um. Der wurde rot. »Red doch, Audersch!« mahnte Niessen. »Nich viel zu sagen«, knurrte der Bauer. »Wo wart dat Roaveoas Gift frete, wenn hei een lebendiget Hehn schnappen kann.« »Oaber din Swin hebb’t freten, nicht wohr, Audersch?« stichelte Groß. »Un du hest din Swin schlachten mußt«, grinste Pohl. »Hollt ji dat Mul! « knurrte Audersch. »Nu sag du auch mal was!« wandte sich Niessen an Brinkmann. »Du büst jo’n Jäger.« »Die Forst zu durchtreiben hat keinen Sinn. Während wir Lärm machen, sitzt de Voß irgendwo in seinem Bau und feixt sich eins. Ich kann nur sagen: abwarten, bis der Förster Völsch gesund is. Wenn einer den Spitzbuben kriegt, ist es sein Dackel Funzel.« »Wat wullt ji noch mehr, Lud«, schrie Audersch aufgeregt. »Nehmt doch den Hund ane Lin und säukt den Voß! « »So geht es nicht, Nachbar Audersch. Der Dackel hat seinen Kopf für sich. Er arbeitet nur mit seinem Herrn. Nicht einmal mit dem Hilfsförster geht er ins Revier.« »Jo, da könnt man doch gliek hüd ne Deputaschon an den Förster richten. « »Wenn oaber der Mann noch nicht ganz zu Bein is?« ließ sich ein Bedenklicher vernehmen. Vierzehn Tage auf Völsch warten mochte niemand. Der Zorn auf den Hühnerdieb war zu groß. Also schritt man doch zur Selbsthilfe. Die Jagd auf der Gemarkung gehörte Brinkmann. Er war da und mußte die Erlaubnis zu einem Kesseltreiben geben. Es sollte übermorgen um die Mittagszeit stattfinden. Bis dahin hatte ein jeder, der schießen konnte, und das verstanden die meisten, da sie es in den Kriegsjahren gründlich gelernt hatten, sich mit ei-
ner Schrotspritze zu versehen. Die Schützen sollten um zwölf Uhr mittags den Waldrand besetzen. Das andere Volk aber: Männlein und Weiblein, unschuldige Jungfrauen und wilde Knaben, hatten bereits um elfeinhalb Uhr am Dorf vor dem Feld Aufstellung zu nehmen. Hühner, Enten und Gänse durften an diesem Tag nicht ins Freie gelassen werden. So war anzunehmen, daß Schade in dem Getreide vor dem Dorf hin und her schleichen würde, um vielleicht doch noch ein Huhn zu erhaschen. Auf ein gegebenes Zeichen sollte der »Dorfschutz« sich in eine Treiberkette verwandeln und mit möglichst viel Lärm, ohne auf Roggen, Gerste oder Hafer Rücksicht zu nehmen, auf den Waldrand zugehen. Zwischen den Schützen sollten Jungens als Hundehalter Posten fassen. Wurde der Voß krank geschossen, so waren die Hunde sofort zu lösen und auf seine Spur zu setzen. Vergebens warnte Brinkmann. Ein solch ausgedehntes Treiben mit ungeübten Leuten, sogar Weibern, obendrein noch unsicheren Schützen, von denen kaum einer auf bewegliche Ziele schießen konnte, wäre nicht nur ein Unfug, sondern, höchst gefährlich. Aber man wollte nicht auf ihn hören. Da sagte er: »Meine Schuld ist es nicht, wenn ein Unheil passiert. Ich habe gewarnt. Aber von mir könnt ihr nicht verlangen, daß ich mich mit blamieren soll.« Dann schüttete er verdrießlich seinen Grog hinter die Binde und begab sich nach Hause, wo er allen Ernstes erklärte, die Aschhausener wären heil und deil verrückt geworden. Annemarie schaute von ihrer Handarbeit auf: »Was haben sie denn vor?« Brinkmann erzählte von den Absichten der Dörfler. »Ich glaube, die Welt ist aus den Fugen gegangen oder der Mond hat sich der Erde genähert und Verwirrungen in den Koppen der Menschen angerichtet. « »Er heißt nicht umsonst Schade«, seufzte Annemarie. »Laß man, Mädchen! Fritz Völsch hat selber erklärt, daß alle Verwicklungen auf ihn zurückzuführen sind.« »So, so! Ist denn der Herr Förster schon wieder auf? Da braucht Kilian nicht mehr Damen, die ihn besuchen kommen, an der Hoftür abzuweisen.« »Verrückte Zucht! « wetterte Brinkmann und schlug mit der Faust auf den Tisch. Hätte er Schade zur Hand gehabt, er hätte ihn geprügelt, vergiftet, gehängt und erschossen. Die Erbitterung im Dorf wuchs, da am nächsten Tag prompt wieder ein Huhn fehlte. Mit Ungeduld erwartete man allerseits das große Treiben. Schade machte sich, wie stets, so auch an dem verhängnisvollen Tag pünktlich um 11 Uhr vormittags auf die Beine. Zunächst schöpfte er aus dem Mühlenbach, um sich den nötigen Appetit zu holen, dann schnürte er vorsichtig zum Waldrand. Gelobt sei der Vater aller Füchse, die gehässigen Häher hatten ihn nicht erspäht. Also konnte er einen Bogen schlagen, zurückgehen und die eigene Spur wieder aufnehmen, um sich zu überzeugen, ob nicht etwa der freche Funzel ihm gefolgt wäre. In der letzten Morgenfrühe war er bereits an Schades Wohnung gewesen und hatte an den Röhren herumgeschnüffelt. Schade hatte also nicht recht schlafen können und war daher mißgestimmt, denn er bedachte, daß er nun wieder schwer arbeiten und recht weitreichende Notröhren anlegen mußte. Der Geländebefund aber befriedigte ihn. Er setzte sich also auf die Keulen, zog die Lefzen tief herunter, öffnete den Fang, ließ die Zunge heraushängen, machte schmale Augen und lachte. Es war wirklich ein schöner, ein sehr friedlicher Tag. Dann machte er eine hohe Flucht und war im Getreidefeld verschwunden. Und hier fühlte er sich sicher. Daher nahm er sich Zeit. Feldlerchen gingen vor ihm auf. Die aber stoben davon, ohne viel Lärm zu machen. Beinahe hätte er eine Wachtel erwischt. Sie aber kannte ihren Weg im Korn, während er sich bald
in den Halmen vertüderte. Auch Hasenwechsel spürte er auf, folgte ihnen aber ebensowenig wie den Mäusen, die angstvoll davonraschelten, denn er hatte »höhere Ziele«. Eine Strecke lang mußte er in einer Kartoffelfurche auf dem Bauch kriechen, ehe er ein weites Haferfeld gewann. Dann ging es über einen Rain, den er nicht früher überquerte, bis er nach beiden Seiten ausreichend gesichert hatte. Ein Weizenfeld und dann dichter Roggen folgten bis an das Dorf.
Sehen konnte Schade es noch nicht, aber der unverkennbare Geruch von menschlichen Wohnungen, altem Rauch, Rindermist, Schafen und die süßliche Witterung von Pferden schlugen ihm schwadenweise in die Nase. Er lauschte. »Nanu, was ist denn das? Sonst hörte man doch von allüberall her das Kakeln der Hühner und Krähen der Hähne! « Schade schlich weiter, ständig den gleichen Abstand vom Dorf haltend. Soviel er auch lauschte, er vernahm nicht einmal das Quaken der Enten. »Sonderbar! « dachte er. »Da muß ich wohl noch näher ran.« Aber nun kam ihm die Witterung von Mensch entgegen. Vorsichtig spähte er durch die Halme. Da stand eine dicke Frau und hatte einen Waschkessel in der Linken, einen Knüppel in der Rechten. Wohl unklug geworden, dachte Schade, der so etwas noch nicht gesehen hatte, und zog sich zurück, umschlug ein Kartoffelfeld und rückte im nebenanstehenden Hafer vor. Auch hier das gleiche: kein Huhn, kein Ton von einem Huhn, nur mit Geräten bewaffnete Zweibeiner, wohin er auch spähen mochte. Schade zog sich zurück und nieste die verhaßte Witterung aus der Nase: Die werden wohl noch zu sich kommen und abziehen, dachte er und tat sich abwartend nieder. Da läutete die Vesperglocke auf Niessens Hof Sturm. Ein unbeschreiblicher Lärm brach los. Weiberstimmen kreischten: »Voß rut! Kß-kß, hetz-hetz!« Jungens grölten: »Ho-hussa, hallo, Voß, Voß! Fuchs aus dem Loch!« Gelächter und ein rasendes Geklapper mit allerlei Blechgerät, Waschbecken, Topfdeckeln, Schlittenglocken und Hasenklappern verursachten ein Getöse, als ob die Welt unterginge. Dazwischen blies der Dorfmusikant, im Privatleben Schneider, gewaltig auf seiner Posaune. Schades Entsetzen war unvorstellbar. Zunächst duckte er sich, wie vom Blitz erschlagen, nieder. Aber wie sich der Lärm auf ihn zu bewegte, warf er die Lunte auf und jagte irr nach dem Wald. Als er einen Gemüseacker überquerte, kriegten ihn ein paar Jungens zu sehen: »Voß, Voß, Voß!
Dor rennt hei hen! « grölten sie, und der Lärm stieg sofort ins Ungemessene. Mit fliegenden Flanken näherte sich Schade dem Waldrand. Schon wollte er geradenwegs in seinen Bau flüchten, da stutzte er, vor ihm miefte ein ungeduldiger Köter. Schade verhielt. Durch mußte er wohl; denn der Lärm hinter ihm war gar zu gräßlich. Dagegen kam ein ganzer Wald voll Häher kaum an. Also schlich er im Roggenfeld bis dicht an den Waldrand. Aber auch hier schlug ihm die Witterung von Hunden und Zweibeinern gewaltig in den Schnuffel. Schon wollte er umkehren, da stieß der Schneider aufs neue so gewaltig in die Posaune, daß es Schade im Rückenmark fror. Mit einer gewaltigen Flucht gelangte er zwischen die Kiefernstämme. »Bumm!« donnerte ein Schuß, »Bumm! Wumm!« der zweite und dritte. Zugleich schrie ein Zweibein auf, wie von Bremsen gestochen. Auch ein Hund jaulte ganz erbärmlich. Schade verspürte in der Lunte und oben am Rücken empfindliche Schmerzen, daß er sich einen Augenblick im Kreis drehte und jäh um sich biß. Dann aber näherte sich das Jappen von Hunden. Nun stellte er auf höchste Fahrt. Fort, weg zum Bau, hinein und erst mal etwas verschnaufen. Auf dem Schlachtfeld klagte laut Pohls Hund Wasser. Groß hatte ihm einige Schrote auf den Balg gestreut. Pohl fluchte wie ein Türke. Audersch aber hatte in seiner Wut auf Schade übersehen, daß der Gemeindediener und Schneider Flidd in der Schußrichtung standen, und drauflos geschossen. Flidd hielt sich das linke Bein und das Gesäß, während er zeternd auf der Stelle hüpfte. »Hunde los!« schrie Audersch, der gesehen hatte, wie Schade sich nach dem Schuß schnell im Kreis drehte. Nun aber ging ein wahres Schützenfeuer los, da man außer Schade auch Hunde, Hasen, zahme Kaninchen und Katzen hochgemacht hatte, die halbbetäubt von dem Lärm in den Wald flüchteten. In dem allgemeinen Durcheinander hielt man alles, was braun oder rötlich aussah, für Schade. Das Herausflitzen aus dem Getreide ging so schnell, daß allein Niessen eine Jagdbeute zu verzeichnen hatte. Es war der dicke rotbraune Kater der Rentnerin Schulte, ein harmloses Tier, das seiner treibenden Herrin nachgeschlichen und vor die lärmende Linie geraten war. Hoch über den Feldern schwirrten Rebhühner, Wachteln, Lerchen und Feldsperlinge. Auf Audersch’ Befehl hatten die Hundehalter die Meute gelöst in der Meinung, wo es knallt, muß es auch treffen. Niessens Fido nahm regelrecht Schades Spur auf. Laut kläffend hetzte er hinter ihm her. Etwa fünfzehn weitere Köter aller Schattierungen schlössen sich ihm an. Die meisten hatten freilich keine Ahnung, worum es ging. Sie rasten nur mit, weil sie irgendeine Beute vermuteten, die sie den andern nicht gönnten. Es war keine planmäßig jagende Meute, sondern ein wildes Rudel. Gemächlich pendelte der dicke Dackelgreis des Gastwirts hinterher. Schade rannte. Er rannte um sein Leben. Durch den Hochwald ging es, durch Schonungen, durch den Mühlbach, daß Wasser und Modd aufspritzten. Auf den
anschließenden Wiesen bekamen die Hunde den Flüchtling zu Gesicht. Ein wildes Gekläff brandete im Nu auf. Schade hätte die Fixköter bald abgehängt; denn im Wald ist ein Fuchs den verfolgenden Hunden stets haushoch überlegen. Bei Schade aber rächte sich seine üppige Lebensweise. Er war zu fett geworden. So gelang es den Hunden, ihn zu rahmen und vom Bau abzuschneiden. Immer näher rückten sie ihm aufs Fell. Verlor ihn der eine aus den Augen, so sahen ihn dafür zwei andere. Er schlug Haken. Es half nicht viel. Die Hunde hatten längere Beine als er. Furchtbar klang ihm das Jappen ihrer Rachen in den Ohren. Wenn auch da und dort sich einer überschlug und zurückblieb, so wankte und wich das Gros nicht. Alles Getier flüchtete vor dieser wilden Jagd. Markwart blieb der Schnabel offen. Dieser grauenhafte Anblick hatte ihm die Stimme verschlagen. Schade wußte zuletzt vor Angst nicht mehr, wo er sich befand. Da sah er ein Loch. Vor demselben kam ihm die eigene Witterung entgegen. »Aha, Dachs Trobbels Bau!« Wie ein Blitz verschwand Schade vor Fidos Augen in der Erde. Drinnen fuhr er vor Angst und Wut fast irrsinnig mit dem gleichen Schwung auf Trobbel los, daß dieser entsetzt zur Hintertür entrann. Sofort war die Hundemeute wie das Ungewitter hinter ihm her. Natürlich hatte sie ihn bald gepackt. Sie hielt ihn für den Verfolgten. Und da sie nicht zusammen eingejagt waren, vielmehr verschiedene von ihnen einen alten Span miteinander hatten, außerdem nicht wußten, wie schwer ein Dachs zu überwältigen war, gerieten sie in Streit um die Beute, bevor sie erlegt war. Trobbels harte, zähe Schwarte war für gewöhnliche Hundezähne undurchdringlich. Er selber erholte sich schnell von dem Schock und biß mit den spitzen Zähnen gewaltig um sich. Mancher Köter erhielt einen Schmiß, an den er seine Lebtage zurückdachte. Jaulen, Kläffen, Klagen, Geheul, dazwischen das wütende Kichern des grimmen Trobbel. Alles zusammen bildete ein unentwirrbares Knäuel. Der Hilfsförster kam just, auf der systematischen Suche nach Schades Bau, des Weges daher. Als er den teuflischen Lärm hörte, fing er an zu laufen. Der Grimm beim Anblick so vieler Dorfköter, die es wagten, am hellen Tag im Forst massenhaft zu wildern, benahm ihm die Luft. Obwohl er nur eine Vogelflinte mithatte, da er gelegentlich Elstern und Häher abschießen wollte, pfefferte er zwischen die Köter, daß es nur so stäubte. Jaulend flitzten sie auseinander. Trobbel machte im Nu kehrt und verschwand im Bau. Ihm war zum Sterben elend. Jappend rollte er sich im Kessel neben Schade zusammen, ohne ihn zu beachten. Auch Schade hatte keinen Funken Angriffslust im Leib. Sein Herz schlug noch immer heftig an die Rippen. Er stöhnte, schnaufte und fuhr bei jedem »Bums« da draußen zusammen, daß die Zähne klapperten. Außerdem schmerzte scheußlich die Lunte. Ein grobes Schrotkorn hatte sie geknickt. Schade leckte sie, aber er leckte auch den Rücken, wo Blut aus einem winzigen Löchlein heraussickerte. Wer hätte den Zweibeinern solch einen Tobsuchtsanfall zugetraut, mußte er fortwährend denken. Und das wegen eines dummen, kleinen Hühnchens. Bei dem Volk war man ja vor Überraschungen nie sicher. Wohl hatten die beiden Verfolgten, gerade weil sie so elend waren, Angst voreinander, da jeder von ihnen glaubte, der andere könnte seine Fänge zum letzten Liebesdienst gebrauchen, aber die Furcht vor dem, was draußen vorging, war bedeutend größer. Jetzt drängten sie sich gar zusammen; denn Teil, der mit dem Hilfsförster mitgegangen war, schnob in die Röhre hinein, und die Hundewitterung kam ihnen in die Nase. Zwei Tage und zwei Nächte lagen sie still und stumm auf ihrem Schmerzenslager, dann erhob sich Schade und schlich davon. Das Ergebnis dieser gewaltsamen Fuchsjagd war grauenerregend. Fast alle Hunde im Dorf, den Dackelgreis ausgenommen, waren mehr oder weniger ange-
schossen oder angebissen. Durch das Getreide zogen sich lange Fährten bis zum Wald hin; denn die Treiber hatten sich nicht abhalten lassen, vorwärtszustürmen, schon weil bei dem Teufelslärm nichts zu hören gewesen war. Einige hatten sogar noch am Waldrand hartnäckig gebrüllt: »Voß rut, Voß rut!« Der Schneider Flidd lag im Bett und behauptete Besuchern gegenüber, Wundfieber zu haben. Seiner Frau jedoch verriet er, daß es Gallenfieber wäre. Der Audersch hätte es schon immer auf ihn abgesehen gehabt, weil er ihm den Anzug verschnitten, und somit habe er die Gelegenheit wahrgenommen, ihn, Flidd, mit Schrot anzublasen. Es herrschte in Aschhausen eine böse Stimmung. Vergnügt allein war die Jugend, speziell die Jungens. Sie wünschten sich jeden Tag eine solche amüsante Fuchsjagd. Noch lange hörte man den Schlachtruf »Voß rut«. Brinkmann ging zu Völsch. Der saß mit dem Hilfsförster im Garten. Eben beendete der junge Mann seinen Bericht und schwor, fortan jedem streunenden Köter ohne Rücksicht auf dessen Besitzer eins auf den Pelz zu brennen. Völsch hörte kopfschüttelnd zu. So etwas war ihm mit den Aschhausener stieseligen Dorfkötern noch nicht vorgekommen. »Was sagst du dazu, Karl? Ist die Welt bereits blödsinnig geworden oder wird sie es erst?« Brinkmann erzählte von der verfehlten Fuchshetze. »So ein Luder!« polterte Völsch los. »Der ist sicher im Dachsbau gewesen, und der unselige Trobbel ist zum Märtyrer an dem Gauner geworden. Nun aber, Freund Schade, ist es genug. Das Ende deiner Schandtaten ist gekommen. Was sagst du dazu, Funzel?« Der Dackel war ganz Herrchens Meinung. Er bewegte eifrig die Rute, lief zum Gartentor und blaffte »wau wau -wau« in den Wald hinein. Das Wirtshaus Jensens wurde jetzt wenig besucht. Keiner der Bauern ließ sich blicken. Nur vereinzelt tauchte mal ein Knecht oder irgendein anderer Jungkerl auf, kaufte Zigaretten, trank ein Glas Bier und verschwand. Die Fuchsjäger schämten sich voreinander, und Niessen mit dem erlegten Kater tat es allen zuvor. Die Rentnerin Schulte ging von Haus zu Haus und arbeitete eifrig an dem Sturz des Dorfoberhauptes, weil es ihren Liebling erschossen hatte. Die Beweise für seine totale Unfähigkeit lägen auf der Hand. Welch ein vernünftiger Mensch hätte sonst wohl eine solche blödsinnige Jagd veranstaltet. Ihr kam nicht in den Sinn, daß sie mit ihrer kreischenden, verrosteten Stimme den Kater selber gescheucht haben könnte. Als sie ihre Litanei auch bei Jensen vortrug, wies dieser nur schweigend nach der Tür. Sie verstummte augenblicklich und wagte erst im Abgehen, einen verstörten Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Draußen sagte sie: »Bei dem haben sie eingebrochen.« Dabei tippte sie sich vor die Stirn. So kam der Sonntag. Jensen hatte heute nicht nur Kummer, sondern auch Mittelohrschmerzen. Auf dem rechten Ohr hörte er seit einiger Zeit nichts mehr. Und da die Gaststube leer war, machten sich die Schmerzen besonders unangenehm bemerkbar. Daher trank er einen Grog nach dem andern. Auch bei Brinkmanns sah es trübe aus. Ihm selber merkte man freilich nichts an. In seiner ruhigen und festen Art ging er still seiner Arbeit nach. Annemarie war verdrießlicher als sonst. Täglich wartete sie auf irgendeinen Schritt Völschs, und wenn es auch der leiseste Versuch gewesen wäre, den entstandenen Riß zu flicken. Es geschah aber nichts dergleichen. Ihre Stimmung beeinflußte naturgemäß nicht allein die Hausfrau, sondern auch die Mägde. Als Annemarie das erkannte, erwog sie ernsthaft, nach Hamburg zu ihrer Tante überzusiedeln, die in Eimsbüttel wohnte. Sie hatte in dem Villenviertel ein schö-
nes, geräumiges Haus und auch einen gepflegten Garten mit Rasen und alten Bäumen. Dort würden im Frühling die Amseln singen und die Buchfinken schmettern. Völsch ärgerte sich gewaltig über Schade, fast mehr noch über den Hilfsförster und dessen »methodisches Absuchen« des Reviers. Er war überzeugt, daß die Bauern sämtliche geraubten Hühner und die durch das Treiben entstandenen Schäden auf sein Konto buchen würden. Und ihn selber hatte das »verdammte Kreuzmalifiz-Stinkbombengewittervieh« um den Verkehr in der Moormühle gebracht. Am zweiten Tag nach dem großen Treiben litt es ihn nicht mehr im Haus. Er nahm die Flinte in den Arm, stützte sich auf seinen Jagdstock, pfiff Funzel und schritt langsam in den Wald. Zunächst wollte er feststellen, ob Trobbel noch lebte oder im Wald verludert war. Wie er so unter dem Rauschen der grünen Bäume dahin-wandelte, das Moos unter seinen Füßen knisterte und hoch im blauen Himmelsraum der Schrei eines Bussards klagte, weitete sich seine Brust: »Ha, wie das guttut! Beinahe wäre ich auf dem Gehöft erstickt. « Dann kehrten seine Gedanken wieder hartnäckig zu Annemarie zurück. Er lenkte sie gewaltsam zu seiner ersten Braut, zu der größten Enttäuschung seines Lebens, um sein Herz zu verhärten. Es war damals auch solch ein Tag in Mazedonien. Hochgetürmte Wolken hingen am Himmel; matt blickten seine Augen ihnen nach. Lange hatte er keine Nachricht von der Liebsten bekommen. Das machte die Seele ebenso müde wie die unendlichen Strapazen den Körper. Und da brachte ihm die Feldpost ihren Absagebrief. Sie könne die ewige Angst um ihn, das Hangen und Bangen nicht mehr ertragen. Es mache sie vorzeitig alt und grau, schrieb sie. Faule Ausrede war das. Sie hatte sich mit einem Witwentröster eingelassen. Der hatte sie später sitzenlassen. Wo sie jetzt steckte, wußte Völsch nicht, es war ihm auch gleichgültig. Aber die Nachwirkung ihrer Untreue bestand noch. Nicht allein, daß die verletzte Stelle seines Herzens wund geblieben war, traute er sich selber nicht und hielt seine Liebe für nichts als Selbsttäuschung. Funzel spürte natürlich sofort Herrchens Mißmut. »Es wird heute nichts Vernünftiges«, sagte er sich, »obendrein ist es eine unbekömmliche Hundehitze.« Also trottete er gut zwanzig Schritte hinterdrein. Völsch sah ihn mißbilligend an: Fett und faul ist er wie ein Hotelier im Ruhestand: »Willst du mal schneller machen? Etappenbummler, Marodeur, Nachläufer, Glummskopf ! « mahnte Völsch. Funzel sah wohl ein, daß er sich beeilen müßte, bald aber siegte seine angeborene Trägheit. Vor Trobbels Bau legte sich Völsch auf den Anstand, da ihm das Sitzen noch immer recht sauer fiel. Die Bienen summten über dem Weißklee und den zierlichen Blütenglöckchen der Heide. Die ersten Pilze zeigten sich. Es duftete nach Harz, Heide und Waldboden. »Schön ist das hier!« murmelte der Förster. »Es ist mir unverständlich, wie in den großen Städten zwischen den Steinkästen Menschen wohnen können.« Funzel rollte sich zusammen und schlief den Schlaf des Gerechten. Er fing gar an, gelinde zu schnarchen. Da regte es sich an Trobbels Wohnung zwischen den kleinen Fuhren. »Da ist er! « sagte sich Völsch, aber er irrte. Statt des Dachses kam etwas Rotes, scheu schleichend, vorsichtig witternd und äugend daher. »Potztausend, Schade!« Zoll um Zoll tastete Völschs Hand nach der Büchse, während seine Augen unablässig an dem Fuchs hingen, der so viel Unfug angestiftet hatte. Und da sah er Schade zum ersten Male ganz genau. Die Lunte hing vom ersten Drittel schief. Das sah putzlustig aus. Sonst war der Rüde ein großer, stattlicher Geselle, wie wenige seiner Art. Die Hühnerdiebstähle hatten sein Wachstum
wohltuend gefördert. Das Fell war glatt, er selber gut in Fett. Die Lauscher spielten unausgesetzt. Aber das sonst so pfiffige Fuchsgesicht zeigte einen verängstigten, nervösen Ausdruck. Jetzt hatte Völschs Hand das Eisen gefaßt. »Kiff- kiff — kiff! « machte Funzel im Traum. Ein mächtiger Satz, und Schade war in den kleinen Birken verschwunden. Völsch sprang auf, so schnell es ihm möglich war. Er konnte noch das bewegte Gras und die schlenkernden Zweige sehen. Schade war fort. »Hundevieh miserablichtes, Wackeltopf, dreimal Kruzitürken in deine Fettleber, du gallenmordendes Rabengitterkreuzbombenelementsgestell! « Funzel erwachte bei dieser Anrede. Er gähnte, reckte sich und sah Herrchen schwanzwedelnd an, was heißen sollte: Geschlafen habe ich! Oh, war das mal schön, so unter deinem Schutz im Wald zu schlafen. Völsch aber nahm ihn rauh ins Nackenfell: » Da, such, du Ungeheuer, du abgebrochenes Krokodil! « Damit setzte er ihn auf die Spur. Ei, wie wurde Funzel jetzt lebendig. »Kiff- kiff — kiff ! « Und schon zerrte er an der Leine wie ein durchgehender Gaul. Wohl -hatte Schade Haken geschlagen, aber die Dackelnase hielt die Fährte. Kreuz und quer ging es bis zu der bewußten Schonung, und hier war Schades Bau bald aufgespürt. Funzel wollte sofort hinein. Auf einen Schmiß mehr oder weniger kam es ihm nicht an. Er war sehr für Kampf, wenn er wußte, daß der Gegner Angst hatte. Doch Herrchen war anderer Meinung. Er nahm Funzel ab; denn er hatte beim Umgang bemerkt, daß die beiden neuesten Notröhren so weit voneinander angelegt waren, daß man sie in dem dichten Holz niemals zugleich im Auge behalten konnte. Selbstverständlich würde Schade, bevor er ausfuhr, erst sichern und die unbesetzte Röhre zur Flucht wählen, so daß sein Entkommen zu neunundneunzig Prozent sicher war. »Deibelnich noch eins! « brummte der Förster. »Da müssen mehrere Flinten und auch Grabscheite ran. Das Verblenden hilft hier nichts. Zuletzt würde der große, starke Rüde sich im Bau zur Wehr setzen. Würgen aber kann Funzel den nicht. Das ist ja ein Mordsbursche. Also morgen in aller Herrgottsfrühe: Dachsnetze, drei Flinten und eine Spatengarde. Komm, Funzel. Hast brav gemacht für deine jungen Jahre.« Schade lag angstvoll lauschend in seinem Bau. Er hatte freilich zwei Tage keinen Tropfen getrunken und litt an brennendem Durst, der ihn um so mehr plagte, als ihm von den Schrecken der Hetze die Kehle trocken geworden war. Erst nach langen Stunden wagte er, zu einem Wässerlein zu schnüren. Gelobt sei der Vater aller Füchse. Es war Nacht. Die Mondsichel schwamm in einem trüben Dunst über dem Waldrand. Aber da waren die Spuren des Grünrocks und des Verräters Funzel. Da war Schade sich keinen Augenblick im unklaren, was nun folgen würde. Eine große Wehmut bemächtigte sich seiner: »Oh, ich armer Fuchs! « dachte er. »Meine schöne Lunte haben sie mir mit Knall und Dampf ruiniert, meine schöne, buschige Lunte, das Erbe meiner Ahnen und mein Stolz. Wie ist doch die Welt schlecht! Gewiß verzehren die Zweibeiner auch Hühner, wie die Knöchelchen an den Gehöften es beweisen, aber mir ist es niemals eingefallen, es ihnen zu mißgönnen. Doch sie – sie gönnen mir nicht ein einziges kleines Hühnchen. Hungern soll ich. Sterben soll ich. Ja, ja, so verfolgt man stets die Besten. Bin ich nicht das schönste Wesen aus dem Revier? Kann sich ein anderes an Gewandtheit oder im Pelz mit mir messen? Und dann diese Hunde. Bei allen Igeln, ich hasse sie! Habe ich ihnen jemals etwas getan? Stets bin ich ihnen aus dem Weg gegangen. Und doch – die unvernünftigen Bestien hätten mich zerrissen, wenn ich nicht flink und klug gewesen wäre. Zwei Tage habe ich mit diesem brummigen Trobbel hausen müssen. Pfui
über diesen unleidlichen Burschen! Gastfreundschaft nennt er das?! – Ja, ja, jeder will mir was am Zeug flicken. Ein Loch hat man mir in die Decke gebumst. Da werden gewiß die Haare ausgehen. -Oh, meine Lunte, meine arme, schöne, buschige Lunte! Wenn ich nur wüßte, was ich diesem Pöbel getan habe, daß sie alle hinter mir her sind? Jetzt ist es aber genug. Sie sollen sehen, wie sie ohne mich auskommen. Ich bin viel zu schade für solch ein Lumpenpack.« Schade mied seine Wohnung. Mäuselnd wanderte er ziellos weiter. Hier und da schnappte er eine Schnecke oder einen Grashüpfer, die an einem Halm hingen. Er hatte zwar einen teuflischen Hunger, aber Gehöfte aufzusuchen, um nach den Hühnern zu sehen, getraute er sich nicht. Er fürchtete, eine zweite Treibjagd nicht mehr zu überleben. Die Straßen lagen still wie ausgestorben. Links von ihm lag die Försterei. In den Fenstern brannte noch Licht. Schade schüttelte sich. Dort wohnen der Grünrock und sein abscheulicher Funzel. Dann hörte der Wald auf. Ginster und Weißdorn säumten die Wege. Bebuschte Raine zogen sich über die Felder hin. Der Roggen stand da und dort schon in Hocken. Gerste und Hafer raschelten leise im Wind, der über die freien Flächen strich. Schade schnürte vorsichtig weiter. Sein feines Ohr vernahm bald ein scharfes Knuspern. Da fing er an zu schleichen. Kleine, kugelige Gesellen, feist und prall, mit kurzem Schwänzchen und hellem Bauch taten sehr geschäftig. Auf den Hinterbeinen sitzend, hielten sie mit den Vorderpfötchen zierlich Ähren fest und stopften die Backentaschen voll. Es waren Hamster. Schade hatte sie noch nicht probiert, aber Hunger und Mordlust waren ausschlaggebend. Also legte er sich auf Anstand, ganz lang, die Lunte gestreckt, den Fang an der Erde, nur die Lauscher standen steil aufrecht. Nach einer Stunde Wartezeit hatte er Erfolg. Eines der Tierchen kam auf Sprungweite. Schwapp – Schade hatte es gepackt. Die anderen flüchteten flink, laut wie Mäuse quiekend. Gar nicht so ohne, dachte Schade, während er schmatzte. Fett, sehr fett, wenig Knochen, weich und schmackhaft. Und dann ist es mal eine Abwechslung. Eigentlich war ich der ewigen Hühner bereits überdrüssig geworden. In dieser Nacht gelang es ihm, noch zwei Hamster zu erwischen. Nützliche, gute Tierchen! dachte Schade, während er sie verspeiste. Doch dann war die Jagdzeit zu Ende, denn die Wolken färbten sich im Osten rosenrot. Tau fiel. Da dachte er mit Sehnsucht an den stillen dunklen Bau im Wald und den dumpfen, weichen Erdgeruch. Schon trabte er an, als ihm noch rechtzeitig der schreckliche Funzel einfiel. Nein, ehe er mit dem zu tun bekam, wollte er doch lieber im Freien schlafen. In einem Haferfeld rollte er sich zusammen. Doch als er wie gewöhnlich die Lunte wärmend um sich zu schlagen versuchte, schmerzte sie gewaltig. Er mußte sie gestreckt lassen, was ganz und gar nicht in sein Behagen paßte. Und so stellte er seufzend fest, daß er die Zweibeiner aus vollem Herzen so sehr haßte, daß er sich vornahm, so groß zu werden, bis er sie, samt ihren verflixten Kötern allesamt erledigen könnte. Er wollte sie nacheinander würgen und ihnen noch das Genick durchbeißen. Von diesem Gedanken beseligt, schlief er ein. Das Knarren eines Wagens und Menschenstimmen schreckten ihn auf. Es wurde Korn eingeholt. Schade rührte sich nicht. Jetzt aber schlug ihm Hundewitterung in die Nase. Ein Köter bewachte die abgelegten Sachen. Das war ein böses Erwachen. Fort waren alle Machtträume. Mit eingekniffener Lunte schlich Schade davon. Von einem Rain hielt er aus deckendem Busch Umschau: »Weiß der Kauz! Überall auf den Feldern toben Zweibeiner herum. Es gibt wirklich deren zuviel auf der Welt. « Ein zweites, weit größeres Haferfeld nahm unsern Voß auf, und hier verbrachte er den Tag. Aber an einen festen Schlaf war dabei nicht zu denken. Die folgende Nacht trug nicht viel ein, denn die meisten Jungtiere, ob Huhn oder
Hase, waren flügge und läufig geworden und also schwer zu erhaschen. Auch hatte durch die dichte Besiedelung des Landes das meiste Wild sich zum Nachttier umgestellt. Und wie unser Voß als eigentliches Tagtier erst dann jagte, wenn ihn die Dunkelheit vor dem menschlichen Auge verbarg, gingen zu gleicher Zeit auch die andern Geschöpfe auf Nahrungssuche aus. Sie waren also weder verklammt noch verschlafen, sondern munter, kregel und bei wachen Sinnen. Schade erwischte einen Maulwurf. Der schmeckte zwar bitter, aber sättigte mehr als zwanzig Mäuse, da er schwer im Magen lag. Dann hätte er beinahe einen Iltis erbeutet. Leider prallte er im ersten Augenblick zurück, als dieser sich in einen ungeheuren Gestank hüllte. Dann aber war der flinke Räuber bereits aufgebäumt und sah von einer Eberesche herab dem Feind grimmig fauchend fest in die Augen. »Eine schier unglaubliche Kreatur!« knurrte Schade. »Es geht eigentlich doch nichts über die sanften Hühner, die sich ihres Berufs als Fleischspenderinnen völlig bewußt sind.« Außer Kerfen und Mäusen nahm er eine kranke Wachtel und zwei Feldlerchen zu sich. Aber er war an andere Portionen gewöhnt und nun auf den Geschmack gekommen. Die Nacht verging. Der Morgen zog herauf. Da machte Schade ein Volk Feldhühner hoch. Der alte, wachsame Hahn aber hatte den Schleicher auf zwanzig Meter spitz bekommen. Laut und eindringlich warnte er und strich mit seinem Volk ab. Und da geschah etwas Ungewöhnliches. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug ein grauer Vogel herunter, hakte sich in einem der Hühnchen fest und landete es auf einem Feldrain. »Bei allen Funzeln und Igeln!« kiffte Schade giftig. »Wie kommt der zu solch einem Frevel? Das sind doch meine Hühner! « Und er sauste auf den Räuber los, daß es hinter ihm nur so stäubte. Das alte Habichtsweibchen unterbrach das Rupfen. Es sah den Fuchs aus den gelben Augen tödlich starr an und spreizte sich. Schade stutzte. Dann aber dachte er: Ich werde doch wohl noch mit solch einem Vogel fertig werden? Aber oho! Der Flugdrache fuhr ihm ins Gesicht. Klitsch – klatsch, sausten Schade die harten Schwingen um die Augen. Er hörte nichts mehr, sah und roch aber auch nichts, denn einer der spitzen Fänge war ihm durch die Oberlippe dicht bei der Nase gedrungen. Ehe der zweite Ständer zufassen konnte, schrie Schade dünn auf und jagte davon. Dann war er wütend, furchtbar wütend, zunächst über den Habicht, dann über sich selbst. Er war ja doch zweifelhaft der Stärkere gewesen. Warum war er also so schmählich ausgerissen? Blut, Blut, Rache mußte er haben. Mit offenem, geiferndem Fang jagte er über die Felder. So gelangte er in die Nähe des Dorfes Ohlensen. Kein Mensch war zu sehen. Alles lag noch in tiefem Schlaf. Und wie er lauschte, zerriß ein schauerlich klagender Ton die Stille. »Uhoa – uuh!« klang es grauenerregend. Ein tückisch wildes Fauchen schloß sich an. »Oa – oa – oooh! « heulte ein zweites Geschöpf dagegen an. Soviel war sicher: die beiden da hatten sich. Das ist allemal für den Dritten ein Vorteil. Schade schlich hin, sah und staunte. Die beiden Kater Hinz und Maunz gingen mit gesträubtem Rückenhaar umeinander herum, krummbuckelig, mit Wut in den funkelnden Augen. Für solche Auftritte schwärmte Schade sehr. Höchst belustigt setzte er sich auf die Hinterbeine und sah zu. Und wieder begann Hinz die klagenden, nervenzerreißenden Töne hervorzubringen. Etwas tiefer fiel Maunz ein. Sie kamen sich unausgesetzt näher. Und jetzt ein Fauchen, Zischen und Heulen wie von bösen Hexen und Geistern. Hinz lag auf dem Rücken und wies dem Gegner die Krallen, während der, nach einem Angriffspunkt spähend, dumpf heulend ihn umkreiste. Schade kratzte sich mit dem Hinterlauf am Ohr: Merkwürdig, sehr lustig so etwas. Ob man einen der Raufbolde erhaschen konnte? Ob sie schmeckten? Noch
einmal prüfte Schade den Wind. Gut bei Fleisch waren sie beide. Also schlich er näher. Dem stärkeren Maunz war inzwischen die Geduld ausgegangen. Er fiel über Hinz her. Und nun tobten und fauchten, spuckten, kratzten und bissen sich die beiden, daß Schades sportliches Interesse für derartige Veranstaltungen in helles Entzücken geriet. Grinsend zog er die Lefzen herauf und zeigte seine spitzen Zähne. Da krähte der erste Hahn. Nun würden bald die Zweibeiner wach werden. Da war keine Zeit zu verlieren. Mit raschem Griff packte er Maunz in den Nacken. Noch ein paar gurgelnde, gräßliche Heultöne, dann knackten die Genickwirbel. Hinz machte einen krummen Schwanz und rückte aus. Sinnig schnürte Voß Schade mit Maunz im Fang einem Hain zu, der mitten in einem Getreidefeld stand und also von Menschen nicht betreten werden konnte. In der Mitte der Bäume trauerte ein trüber Kolk. Eine grasfreie Uferstelle bot bequeme Gelegenheit, den fetten Fang in Muße zu verzehren. Schade leckte sich die Schnauze, trank eine tüchtige Portion Wasser hinterher und legte sich unter einem dichten Holderbusch zum Schlafen nieder. Krähengeschrei störte ihn auf. Vorsichtig lugte er durch die dichten Blätter. Ein gutes Dutzend der schwarzen Gesellen balgte sich um Maunzens Überreste. Schade war satt, wirklich satt, aber der Haß gegen die Schwarzröcke, die ihn so oft verschrien hatten, schoß ihm in die Lichter. Sie funkelten grün vor Mordlust. Leise, leise, für gewöhnliche Ohren unvernehmbar, kroch er auf dem Bauch durch Pferdeampfer, Schierling und Nessel näher: »Ich will euch zeigen, was das bedeutet, einen ehrlichen Fuchs anzuprangern!« grinste er hämisch. Nur noch drei Sprünge. Jetzt sah ihn eine Krähe. »Kräh – kräh! « warnte sie dumpf und ging hoch. Schade aber flitzte wie ein Feuerstrahl auf die Vögel los. Ehe die letzte Krähe hoch genug über dem Boden stand, schnellte er empor und riß sie herunter. Ein ohrenbetäubender Lärm setzte ein. Den Banditen kümmerte es nicht. Er zerbiß seinem Opfer den Kopf und vergrub es unweit der Schlafstelle. »Ein glücklicher Tag«, stellte er fest. Dann schlief er, weil er sehr satt war. Die nächste Nacht brachte nichts ein, als eine wilde Jagd. Lord und Lump, die versehentlich nicht angekettet waren, hatten ihn aufgestöbert und eine regelrechte Parforcejagd veranstaltet. Zwei Stunden lang waren sie ihm auf der Fährte geblieben. Zu Tode ermattet langte Schade bei Sonnenaufgang im Hain an. Er suchte die Krähe, um wenigstens etwas zu genießen, aber fand statt ihrer Spuren die von – Funzel! »Bei Habicht, Kauz und Schlangengewürm, wie kommt dieser Spitzel hierher?« Entsetzter konnte kein Raubmörder sein, der einen Detektiv auf seiner Fährte spürt. Soviel Fassung brachte Schade allerdings noch auf, die näheren Umstände zu erreichen. Funzel war mit einer Hündin, gewiß seiner Freundin, hier gewesen. Ihre Spuren wiesen nach dem Dorf Ohlensen. Sie war sehr dumm, denn sie hatte von Schades Witterung keine Notiz genommen. Selbst an dem Lager hatte allein die Funzelbestie gehaust, verheerend gekratzt und, oh, welche Gemeinheit, am Stamm des Holderbusches sein Bein gehoben. Die Krähe hatte er gewiß fortgeschafft; denn sie war weder gefressen noch anderweitig vergraben worden. »Also fort!« sagte sich Schade, »denn nun dauert es sicher nicht lange, bis der Grüne mit dem Feuerrüssel da ist. « Hungrig und zornig schnürte er querfeldein. Am Morgen dieses Tages stand Völsch zeitig auf, um zur Frühpirsch zu gehen. Als er fix und fertig gerüstet, den Drilling neben sich, am Kaffeetisch saß, fehlte ihm Funzel, der sonst Dauermännchen machte, da er viel zu träge war, sich in Abständen immer wieder aufzurichten. »Wo steckt das KreuzbombengewitterSchockschwerenotsvieh?« fragte er freundlich die Paetsch.
»Er wird wohl Ausgang haben«, näselte die mit hoher Stimme ohne Betonung. Das tat sie immer, wenn sie glaubte, Funzels Schwarte retten zu müssen. Und Völsch war diesmal rechtschaffen zornig, da das Nachgraben ohne Erfolg geblieben war, und er sich geschworen hatte, nicht eher zu rasten, als bis Schade all seine Frevel im Menschen- und Tierreich gebüßt hatte. Es kratzte an der Tür. Frau Paetsch öffnete. Funzel lugte vorsichtig herein. »Wo warst du Buschapache? Wo hast du dich herumgetrieben, du Gangster?« Funzel wedelte besänftigend mit der Rute. »Hierher, du Rabenvieh, blutiger Alligator?« Funzel wußte besser, was in diesem Fall am Platz war. Er schwänzelte hinaus und kam bald mit der Krähe wieder. So, nun kann Herrchen mal bitten, dachte er und tat mächtig stolz. »Na, komm, sei brav, gib den Schwarzrock her«, flötete Völsch sanft. Funzel aber ließ sich nötigen. Zunächst erpreßte er einen Wurstzipfel, und dann konnte Völsch die Krähe begutachten. »Kopf zerbissen. Nackengriff – Fuchsriß. Da wird er wohl hinter Schade hergewesen sein. Dieser rote Bursche scheint jetzt auf den Feldern zu hausen wie seine Stadtgenossen, die eifrige Sammler von Roggen, Gerste und Gemüse geworden sind.« Völsch gab die Frühpirsch auf, ging ins Arbeitszimmer und verfaßte Briefe an seine Kollegen aus der Umgegend, in denen er eine genaue Personalbeschreibung Schades gab und bat, darauf zu achten, ob nicht Hühnerdiebstähle oder sonstige Räubereien an Gehöften den stromernden Fuchs verrieten, da ihm, Völsch, sehr viel daran gelegen sei, selber diesen Schadfuchs zu erlegen. Zu Gegendiensten wäre er in jeder Weise, zu jeder Zeit bereit. Hatte die Nähe des Heimatreviers und des eigenen Baues Schade immer noch so etwas wie die Zugehörigkeit zur Scholle gegeben, so kam er sich jetzt auf seiner Flucht ins Blaue völlig vogelfrei vor. Jäger und Naturfreunde können sich nicht genug wundern, mit welcher Treue ein Tier an seinem Standort festhält, die fast unvernünftig nachhaltig wird, wenn das Tier dort geboren ist. Auch unser Schade und seine Schwester Nissel waren einstmals bei einem Treiben in ihrer Todesangst nach dem Bau geflüchtet, wo sie die erste Kindheit verlebt hatten, obwohl sie wußten, daß seine Röhren Einschläge (Durchstiche) aufwiesen. So kann man sich denken, wie unbehaglich es jetzt Schade zumute war. Jedes Neue erschreckte ihn. Hier in der Fremde vermutete er überall Gefahr. Zu Hause kannte er jede Fährte, jede Spur und auch die Wesen, die sie hinterließen. Er wußte, was diese oder jene Schonung barg, kannte sogar die Wechsel der Zweibeiner und auch diese selbst. Bei jedem dieser Wackelgeschöpfe wußte er, ob es beabsichtigte, Pilze, Holz oder Beeren aus dem Wald zu holen. Er hatte die Zeiten im Kopf, wann der Grünrock im Revier herumstrich und mußte nur bei dem gräßlichen Funzel auf allerlei Überraschungen gefaßt sein. In der Fremde aber war es schauderhaft. Da konnte kein Fuchs, selbst kein Kauz, der doch schließlich alles wußte, ahnen, was plötzlich über ihn hereinbrechen würde. Jeder Busch bedeutete Gefahr, jeden Rain mußte man gegen den Wind angehen. Überall konnte man unvermutet auf einen häßlichen, streunenden Köter stoßen. Oft lag Schade lang geduckt und zitternd in seinem Versteck, ehe er es wagte, weiterzuschnüren. Da und dort erwischte er mal ein krankes Rebhuhn, überraschte wohl zufällig einen Hasen im Lager oder erbeutete ein Kaninchen auf Anstand. Gesunde, kräftige Tiere, die im vollen Gebrauch ihrer Sinne waren, gehörten nur sehr selten zu seinen Errungenschaften. Es war ein Hungerleben, angefüllt mit Feldmäusen, auch ein Angstleben, denn mehr als einmal war er auf blinder Flucht an einem Wagen oder Fußgänger dicht vorbeigerannt. Als er einst in besinnungslosem Schrecken vor einem Grünrock flüchtete, war er beinahe unter ein
Auto geraten. Auch den Stimmen eines klagenden Rehkitzes, eines quäkenden Hasen oder einer laut piepsenden Maus war nicht zu trauen. Wenn man näher schlich, tauchte ein Grünrock auf, der im Busch hockte. Es war nämlich niemals recht festzustellen, ob nicht irgend jemand aus der eigenen Verwandtschaft etwas auf dem Kerbholz hatte, was die Zweibeiner empörte und zu Maßnahmen veranlaßte, denen ein unseliger Heimatloser zum Opfer fallen konnte. Obendrein verschwand das schützende Getreide allgemach vom Feld. Wer nun aber glaubt, Schade wäre in sich gegangen, hätte sich gebessert und nach Brehms und andrer Leute Rezept sich vorzugsweise von Mäusen, Hamstern und andern Schädlingen ernährt, der irrt sich. Denn erstens kannte Schade die Leute nicht, die alle Wesen in nützliche und unnützliche einzuteilen bemüht sind, und dann schmeckte ihm die naturwissenschaftlich vorgeschriebene Kost nicht besonders. Also legte er sich ein für sein ruheloses Leben einzig mögliches Programm zurecht. Er benutzte jede Gelegenheit, um zu stehlen und brachte dann, entgegen aller Fuchsgewohnheiten, noch mit vollem Magen eine gehörige Strecke zwischen sich und den Ort der Untat. Wie erwähnt, war er ein großer, starker Rüde, der gelegentlich auch einem schwächeren Hund die Zähne zeigen durfte. Gar mancher Fürwitzige rückte mit eingekniffener Rute aus, wenn Schade grimmig keckernd auf ihn losfuhr. Katzen, die nun häufiger auf den abgeernteten Feldern in der Nähe der Gehöfte mausten, wurden nachgerade zu Schades Hauptkost. Die feinsten Leckerbissen aber bedeuteten ihm noch immer Hühner und Enten. So kam der Herbst. Die Blätter tanzten, losgelöst von den Zweigen, bunt und wirr in der Luft, fielen in die Pfützen der Straßen, füllten Gräben und Ackerfurchen und legten sich auf die dunklen, stillen Waldweiher, wo sie, wie ein farbfroher Teppich, das Moderwasser zudeckten. Nur die Eichen, Sinnbilder des zähen Niedersachsenvolkes, hielten das gilbende, teilweise schon dürre Laub fest. Im Wald roch es feucht nach sterbendem Moos und faulendem Holz. Pilze und Baumschwämme schössen aller Orten zum trüben, nebelschwangeren Licht hervor. Der Vogelgesang war zum heimlichen Zirpen geworden. Nur die Häher schrien lauter. Die Krammetsvögel fanden sich in Schwärmen zusammen. Die Krähen marschierten hinter dem pflügenden Bauer. Allenthalben knallte es auf den Feldern. Die Hühner -und Hasenjagd war im besten Schwung. Das war eine Zeit voll Angst und schlafloser Tage für unsern herumstromernden Voß, denn überall schnüffelten die Nasen der braunen und gefleckten Jagdhunde herum. Dazu kam noch, daß viele Fixköter auf Brautschau gingen und es sich nicht versagen konnten, den Schnuffel in jede Spur zu stecken, die ihren Weg kreuzte. Obendrein gab es mehr Regen- als Sonnentage. Von den Blumen klatschten die schweren Tropfen, die durch ihren Aufschlag schier unerträglich waren, denn sie hörten sich an, wie das Tappen vieler Füße und verschlangen jedes andere, mitunter gefährliche Geräusch. Anstatt zu schlafen, lag Schade hellwach unter dem Busch, wohin er sich verkrochen hatte. Von dem Machangel, den er bevorzugte, tropfte es. Schade war naß und zitterte vor Kälte. Die Haare hatten sich am Leib zu wahren Klunkersträhnen verfilzt. Die Beine waren pitschenaß. So sah er spiddrig aus, und seine Eitelkeit litt sehr. An solchen Tagen war ihm recht trübe zumute. Ein jeder rechtschaffene Fuchs hat nämlich einen Bau, in dem er die Zeit der Helle verdösen kann. Zudem war er auf einer Treibjagd versprengt worden und befand sich im Krelinger Moor, einem wahren Dschungel von Weiden, Bruchbirken, Erlen und Moorfichten zwischen offenen Blanken, zum Rande gefüllten Gräben und unsicheren, schwappenden Wiesen. Wo er auch ein Plätzchen suchen mochte, überall war es naß unter ihm, und bei jedem Versuch, einen Bau zu scharren, stieß er bald auf
Wasser. Er wandte sich südwärts. Doch hier traf er auf die unendlich weiten Wiesen des Meißetals, dessen gegenüberliegende Wälder im Nebeldunst verschwanden. Da vermutete er stark, daß die Welt von nun an ständig nasser und zuletzt sich völlig in Wasser auflösen würde. Also machte er kehrt, da ihm die Erinnerung an seine selige, trockene Jugendzeit in sandigen, kiefernumrauschten Bergen nicht aus dem Sinn kommen wollte. Auch das Revier von Aschhausen fiel ihm ein. Die Erinnerung hatte die häßlichen Erlebnisse gedämpft oder doch so stark verwischt, daß selbst der dicke Herumschnüffler Funzel ihm nicht mehr so schrecklich vorkam. Dafür aber holte sie die vielen Hühneressen hervor, die sich in dem dichten Korn so leicht ins Werk setzen ließen. Ja, dort mochten wohl auch noch die Hähne krähen, die Blumen blühen, das Korn trocken riechen und Karo, der alte, lahme Köter ungefährlich an seiner Kette kläffen. Und so begann er das Land seiner Träume zu suchen. Langsam begann er die Rückwanderung. Oft fand er Plätze wieder, auf denen er einige Tage gerastet hatte. Dann freute er sich, denn er war abergläubisch. Wo er auf seiner Ausreise gehetzt worden war, ging er nicht hin. Wo eine Kugel an ihm vorbeigefegt war, glaubte er mit Bestimmtheit, daß es wieder knallen müsse. Aber wo er friedlich mehrere Tage verträumt hatte, glaubte er, es müsse diesmal wieder so sein. Vieles hatte er auf seiner Wanderung gelernt, sehr viel, was ihn zu einem gefährlichen Burschen machte. Er konnte nunmehr die Feuerrüsselträger an der Witterung von den gewöhnlichen Landleuten sehr gut unterscheiden, wußte auch, daß die flatternden Überhäute der weiblichen Zweibeiner völlig harmlos waren, und lediglich ihr schrecklich buntes Farbenspiel in die Glieder schlug. Er wußte auch, wann das Büchsenlicht aufhörte; denn bei einem gewissen Grad der Dunkelheit knallte weder; auf dem Feld noch an den Waldrändern ein Schuß. Einmal hatte er in blinder Hetze eine Katze spät abends in die Dorfstraße hinein verfolgt und sie doch nicht gefangen, da sie sich durch die Staketen eines Zaunes hatte retten können. Als er, vor Angst zitternd, davonschlich, gingen einige laut schwatzende Zweibeiner an ihm vorüber, ohne ihn zu wittern, zu sehen oder sonst irgendwo wahrzunehmen. Er hatte sich neben einem Bretterstapel niedergeduckt, und sein Herz schlug so laut, daß er meinte, sie müßte es hören. Aber nichts dergleichen geschah. Als er aber am nächsten Tag auf dem Feld in beträchtlicher Entfernung an ihnen vorbeischnürte, erhüben sie sofort ein wüstes Geschrei: »De Voß, de Voß! Kiek, do rennt hei hen.« Die nächste Nacht machte er eine erneute Probe. Er gedachte die Hühnerställe zu untersuchen. In der Tat, die Zweibeiner hatten solche stumpfen Sinne, daß sie ihn nicht merkten. Leider war fast auf jedem Hof ein Hund, der einen Mordsradau vollführte. Anhaben konnten sie Schade freilich ebensowenig, wie einst der angekettete Karo. Also untersuchte er mit Muße die Ställe und zog Geschmacksfäden. Erst wenn Licht im Haus angezündet wurde und die Türen klappten, schnürte der Unverschämte zu dem nächsten Hof. Die Frau Oberpostinspektor zu Jesteburg hatte eines Nachts ihren Rehpintscher, eine runde, fette Walze, zum Auslüften hinausgesetzt. Das verwöhnte Tierchen entfernte sich niemals weit von der Haustür. So konnte sie die Verlobungsszene in ihrem Roman mit all ihrer Süße auf sich wirken lassen. Ein schriller Aufschrei ihres Lieblings ließ sie erzittern. Der Herr des Hauses lief sofort zur Tür. Sie folgte mit wankenden Knien. Fiffi war fort. Alles Rufen, Suchen und Jammern blieb ergebnislos. Im Licht des nächsten Tages zeigten sich Blutspuren und schwarze Haarbüschel. Der Jäger wurde geholt. Er stellte eindeutig fest, daß Fiffi von einem starken Fuchs zerrissen worden war. Der Jagdhund wurde auf die Spur gesetzt. Er fand dann auch wirklich auf dem Feld an einem Rain die Über-
reste der kleinen Fettwalze. Das war von Schade wenig nett. Es empörte die Gemüter sämtlicher Zweibeiner des Ortes. Er jedoch nahm darauf keine Rücksicht, er war der Ansicht, es müsse so sein, da man auch ihn auf Schritt und Tritt verfolge, er also keine Ursache habe, die Hausgenossen seiner Feinde zu schonen. Eines Morgens erzählte Kilian auf der Tenne beim Futterschütten so nebenher, er habe gestern seinen Freund Jochen auf der Moormühle besucht. Dort sei es stiller geworden, nachdem Fräulein Annemarie nach der Stadt zu ihrer Tante gezogen sei. Jochen meine, es sei ganz gut so; denn in der letzten Zeit hätte sie sich mit den Herrschaften nicht so recht verstehen können. Sie wären sich stets aus dem Weg gegangen. Die Legehühner wären auf sechzig Stück angewachsen. Sie liefen frei außerhalb des Gatters umher. Herr Brinkmann ließe schön grüßen. Da stieg vor Völschs Auge die Erinnerung an Annemarie wieder auf. Karl Brinkmanns wuchtige Gestalt wandelte bedächtig daher, und die gütige Hausfrau sah nach jeder Gelegenheit, dem Gast eine kleine Freude zu machen. Ein paarmal ging er schweigend und sinnend um das Gehöft, dann machte er sich zum Ausgehen fertig. »Funzel soll diesmal nicht mitkommen!« rief er Frau Paetsch zu. Es regnete, das Wetter war so recht geeignet, sich zu verkriechen. Geradewegs durch den Wald wanderte Völsch. Auf einer Anhöhe machte er halt. Von hier aus konnte er die beackerten Ländereien Brinkmanns übersehen, die das Tal um den Mühlbach einnahmen. Saftiggrün leuchteten die Saatfelder durch das matte Regengrau, und der Hof überragte wie ein einziger Eichenhain, groß und wuchtig die Umgebung. Völsch ließ sich auf einem Stubben nieder. »Warum hat sie sich nicht mehr mit ihren Verwandten in der Moormühle verstanden?« fragte er sich. »Warum ist sie nach der Großstadt gezogen? Sie hat doch stets betont, daß sie ohne das grüne Rauschen nicht leben könne. Sie hat gesagt, daß die Moormühle ihre eigentliche Heimat wäre. Sie hat gesagt, die Großstadt wäre ein steinernes Grab für die atmende Seele. Warum also? Fragen kann ich nicht, will ich auch nicht. Warum habe ich solch einen Zorn auf diesen Stänker, diesen Schade? Es raschelte neben ihm. Funzel nahte mit dreister Vertraulichkeit und einer wahrhaft übertriebenen Unschuldsmiene. Er war der Paetsch entwischt, was ihm stets gelang, da die Gute sich immer aufs neue betrügen ließ. »Kreuzmalefiz . . .«, wollte Völsch loswettern, besann sich eines Besseren, da er sich in einer weichen Stimmung befand. Er holte den kleinen Fettwanst auf den Schoß: » Du, sag mal, warum fehlt mir die Annemarie? Und warum habe ich Angst, ich könnte – na, dir kann ich es ja sagen -ich könnte sie mal heiraten?« »Brrr! « Funzel schüttelte sich, daß die Tropfen aus dem Fell umherspritzten. »Du bist der Richtige!« lachte Völsch. »Eine treulose Tomate, ein falscher Fufziger biste. Wolf, Adler oder Uhu hätte ich fragen müssen. Die verstehen was von der Einehe, du nicht, du Polygamist. Wo wirst du im nächsten Jahr Unterhaltsrenten schuldig bleiben? He? Sind Frauen eigentlich nun treu oder nicht?« Funzel schüttelte den Kopf, daß die Ohren flappten. Völsch brummte: »Bist wohl auch für die freie Ehe? Jawoll, dir könnte es so passen, wenn die Menschen eine richtige Hundezucht mit Beriechen, Beinheben und all den Weiterungen einführen würden. Nee, Funzel, ein Hund will ich nicht sein. In meinem Herzen hat nur eine Platz. Aber einem andern Wesen das Recht geben, an meiner Seele nach Lust und Laune herumzurütteln, dazu bin ich zu alt. Es käme letzten Endes doch nur auf Angriff und Abwehr heraus. Hast du verstanden?« Funzel klopfte eifrig mit dem Schwänzchen auf Völschs Schenkel. »Na also, du verstehst mich, wenn es bei dir auch mehr um das Reale geht.
Oberförsters Tessi hast du vom Napf weggebissen, und auf der Jagd hast du erst recht keine Rücksicht auf das weibliche Dackeltier genommen. Nun aber sage mir noch das eine: warum hasse ich diesen Schade so sehr. Seine Diebereien in Aschhausen und die zornwütige Treibjagd haben mich eher belustigt, statt geärgert. Sollte das doch mit Annemarie zusammenhängen?« Funzel spitzte die Ohren. Das Wort »Schade« hatte er zu oft in Verbindung mit »Nimm den schlechten Kerl, such den Stänker« gehört. Er bekam stechende Augen, sprang vom Schoß, stöberte herum und kläffte laut. »Laß man, Funzel, fangen werden wir ihn schon. Die kleine Fiffi in Jesteburg kommt sicher auf seine Rechnung sowie alle Überreste von den Hinzen, Petern und Murrnern, die im Kreisblättchen als vermißt angezeigt worden sind. Schade kommt schon wieder! « Völsch erhob sich und schlenderte der Moormühle zu. An der Toreinfahrt standen unter den beiden uralten Eichen, die sie einrahmten, Brinkmann und der Förster Baßmann. »Hallo, Fritz Völsch!« rief der Moormüller erfreut. »Da sehen Sie, Förster, wenn man vom Wolf spricht, ist er nicht weit.« Völsch schüttelte den beiden Männern die Hand: »Ja, Jott, was macht ihr denn hier im Regen? « »Ich erkläre Baßmann die Treibjagd auf Schade, damit er was zu lachen hat. Das nimmt dem Sauwetter die trübe Wirkung und schützt vor Schnupfen und Grippe.« Der Förster liebelte Funzel ab: »Na, sieht man auch mal den Bombengewitterhund?« Funzel aber interessierte sich heute gar nicht für den alten Baßmann; denn der hatte sein Sonntagszeug an und roch nach Stadt und nicht nach Wald und Wild. »Eigentlich wollte ich Sie aufsuchen«, wandte sich der alte Weidmann an Völsch, als sie zu dritt vor dem dampfenden Grog im Trockenen saßen. »Brinkmann hat mich mit seiner Klapperkiste zunächst bis hierher gebracht. Hm, ja, bei uns in den Schwarzen Bergen und auch im Kleckerwald geht es nicht mit rechten Dingen zu. Da sind ein paar Wilderer am Werk.« Völsch nickte: »Von dem Schuß auf meine Rückansicht werden Sie wohl schon gehört haben. Stellen die Kerls auch Schlingen?« »Schlingen und Schießprügel, beides. Das merkwürdigste an der Sache aber ist der Fuchs, der entweder die Banditen auf die Wildwechsel aufmerksam macht oder mit ihnen sonstwie alliiert ist.« Völsch sprang auf: »Hundezucht und Bratwurst! Das ist Schade. Schade ist wieder da.« Baßmann drückte den Eifrigen auf den Sitz zurück: »Dem Oberförster habe ich nicht von dem vollen Umfang der Schweinereien berichtet. Ich befürchtete, der alte Herr würde den Schlag bekommen. Ich selber aber mußte heute nach Harburg zum Arzt. Mit meinen Hinterläufen will das nicht mehr so recht gehen. Leda hat auch den Reißmantüchtig. Wenn sie von ihrem Ofenplatz aufstehen soll, schreit sie ›auwaih!‹ Manchmal jaulen wir beide. Nun habe ich gedacht, ob Sie, Kollege, mir nicht ein bißchen zur Seite stehen könnten. Als ich noch ... « »Schon gut«, unterbrach ihn Völsch und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich werde, und ich will.« »Halt!« fiel Brinkmann ein. »Überlege es dir noch einmal, Fritz. Hast du von dem Postenschuß noch nicht genug? Jetzt arbeiten gewiß dieselben Halunken drüben in dem großen Forst.« »Gerade deswegen!« rief Völsch. »Mir brennt noch immer der Schuß. Himmel-Herrgott-Sakra-Kreuz-Bomben-gewitter-Malefizspitzbuben, Schafott, Dunst und Rauch! « Funzel, der einen Knochen in der Küche gemaust hatte, glaubte, Herrchen meine ihn, verbarg seine Beute schnell unter dem Sofa und näherte sich in liebens-
würdigster Weise schwanzwedelnd dem Gebieter. Der stieß ihn rauh zur Seite: »Hier meine Hand, Freund Baßmann. Öle Halunken müssen zur Strecke, so wahr ich Fritz Völsch heiße. In der Großstadt konnte ich ihrer Fährte nicht folgen. Da kennt sich die Kriminalpolizei besser aus, aber hier im Wald – Kreuzbombengewitter! – Und Schade ist genau solch ein Spitzbube. Auch er soll daran glauben. « »Lottchen, bring uns noch mal ’n Schuß heiß Wasser!« rief Brinkmann in die Küche hinein. Völsch seufzte tief auf: Nun war es sicher, daß Annemarie die Moormühle verlassen hatte. Brinkmann dachte, Völsch würde nach der Schwägerin fragen und wollte ihm helfen: »Hast du sonst noch was auf dem Herzen?« »Doch«, meinte Völsch. »Eigentlich kam ich, um dich für morgen zum Dachsgraben einzuladen. Mit dem ollen Murrjahn wird es Zeit. Jetzt, Ende November, hat er schon den Winterpelz angezogen und schläft sanft. Wie ist es, Baßmann, möchten Sie nicht mitmachen? Solch einen kapitalen Burschen gibt es in weiter Runde nicht.« »Gern, sehr gern, aber da darf ich heute zu Hause nicht über meine Hinterläufe klagen und auch keine Gesichter schneiden, sonst verlegt mir meine Alte den Wechsel.« Frau Lottchen Brinkmann brachte das Grogwasser. Sie sah mit ihrem rosigen Gesicht, dem vollen blonden Haar, selbst in den Bewegungen und der Art zu sprechen, ihrer Schwester gar zu ähnlich. Völschs Herz schlug laut gegen die Rippen, und er mußte seine Augen abwenden. Nachdem die Witwe Pummel Murrjahn in seinem trockenen, weitangelegten und sorgfältig durchgeführten Bau einmal besucht hatte, wollte sie nicht wieder fort, denn das war ja eine ideale Gelegenheit zur Aufzucht einer großen Nachkommenschaft. Murrjahn seufzte schwer, wenn sie tagelang seinen Kessel teilte, aber er ließ es hingehen. Im stillen hoffte er, ihre Leidenschaft würde gleich der seinen erkalten und sie sich auf die eigene Wohnung besinnen. Je weiter aber die Zeit vorrückte, desto öfter verbrachte sie die Tage in dem Kessel des Alten. Er hielt es für ein Glück, daß die länger werdenden Nächte es gestatteten, den größten Teil der Zeit außer dem Haus zu verbringen. Sehnlichst erwartete er die Winterruhe, denn dann mußte Pummeline doch ein Einsehen haben und den eigenen Bau aufsuchen. Aber er täuschte sich, sie beanspruchte täglich mehr Platz und rückte ständig enger an ihn heran. Da riß ihm der Geduldsfaden. Er schliefte in eine Seitenröhre und rumorte hier in knirschendem Zorn einen neuen Kessel zurecht. Den Sand warf er kurzerhand in den alten auf Pummeline. Während sich die Ärmste dran machte, ihn nach draußen zu schaffen, verklüftete er sich gegen den Hauptkessel so gründlich, daß von einer Nebenröhre nichts zu bemerken war. Dann rollte er sich mit einem Seufzer der Befriedigung zusammen und dachste. So standen die Dinge, als sich die Jäger vor dem Bau versammelten. Außer Brinkmann und den beiden Förstern waren auch Niessen, Audersch und Jensen, der letztere mit einem Korb voll Flaschen, erschienen. Nachdem alle Ausgänge erkundet und besetzt worden waren, wurde Funzel aus dem Rucksack herausgelassen, von wo aus er, vor Aufregung zitternd, der umständlichen Einkreisung zugesehen hatte. Teil rannte unausgesetzt um den Hügel herum. Er hoffte, Murrjahn würde einen Fluchtversuch unternehmen, und es würde zu einem fröhlichen Wettrennen kommen. Zur Ehre des Ritters Krummbein sei gesagt, daß er mit keinem Jota an seine vorherige Abfuhr durch Murrjahn dachte, weil ihm aus dem Bau eine wesentlich
andere Witterung entgegenkam. Schwänzelnd verschwand er ohne weitere Umständlichkeiten in der Einfahrtsröhre. Bald stieß er auf Pummeline. Sie kriegte einen gewaltigen Schrecken, als das giftig kläffende Dackeltier sie aus ihren Träumen scheuchte, in denen es von lauter jungen Dachsen wibbelte und wimmelte. Zwar fuhr sie mit allem Grimm, der ihr zu Gebote stand, dem Feind ins Gesicht, aber der wich nur wenig, tobte und kiffte um so lauter. Sie drängte ihn nun durch einen weiteren Angriff auf mindestens sechs Dachslängen zurück. Aber kaum kroch sie rückwärts, so folgte er. Pummeline war ratlos. Den Purzel konnte sie dem Wüterich nicht zudrehen. So tat sie sich im Kessel nieder und starrte wutschnaubend auf den frechen Eindringling. Über sich hörte sie ein verdächtiges Geräusch, das ständig näher rückte. Nun machte sie eine Wendung zur Flucht. Doch siehe da, Funzel packte zu und kniff ganz gehörig. Sie mußte Front machen und den Feind aus dem Kessel drängen. So verging wohl eine Stunde. Das Rumoren von oben kam beängstigend schnell auf den Kessel zu. Und nun fiel helles Tageslicht in die finstere Höhle. Pummeline war völlig geblendet und blinzelte ratlos ins Licht. Jetzt legte sich etwas Hartes um ihren Hals und hob sie heraus. Sie zappelte und strampelte nach Kräften, aber es half nichts. Wie ein Sack hing sie in der Dachszange. Um sie herum drängten sich die roten, grinsenden Gesichter der Zweibeiner. Von unten schnappte der gräßliche Dackel nach ihren Hinterbranten. Sie gab sich verloren.. Völsch, der sie hoch emporhielt, schüttelte den Kopf: »Das ist ja die Dächsin, die einzige in meinem Revier. Nee, laß man, Karl, leg den Knüppel weg. Die ist gewiß von dem alten Murrjahn beschlagen worden. Wollen sie laufen lassen. Kilian, nimm Teil fest. « Funzel kam in den Rucksack, wo er vor Kampfeszorn auf Gott und die Welt schimpfte. Pummeline gelangte wieder auf die Beine. So war sie noch nie in ihrem Leben davongerannt. Jetzt entsann sie sich rasch auf Wommst und seine Zuneigung. Stürmisch drang sie bei ihm ein. Er rückte galant zur Seite und war später allen Ernstes davon überzeugt, der rechtmäßige Vater von Pummelinens Kinder zu sein. Die Jäger gingen ans Frühstücken. Belegte Brötchen wurden herumgereicht, und Jensen entkorkte eine Flasche Kognak. Derweil begann das Rätselraten: »Wo steckt der alte Murrjahn?« Funzel wurde noch einmal angesetzt. Er verfolgte vom Kessel aus alle Röhren. Der alte Sünder aber war und blieb verschwunden. Wohl hörte er hinter seiner Verklüftung den ungewöhnlichen Lärm, drehte sich aber nur auf die andere Seite und schnaufte: »Was geht mich das an.« Dann schlief er weiter. »Er ist ausgezogen«, meinte Baßmann. »Pummeline hat ihn hinausgeärgert. Der alte Griesgram mochte eben keine Gesellschaft.« Diese Auffassung drang allmählich durch. Einen Mißerfolg bedeutete dieser Tag trotzdem nicht. Man nahm Trobbels Bau in Angriff. Dieser Dachsjüngling hielt Funzels Gekläff nicht lange aus. Er fuhr aus dem Rohr. Brinkmann streute ihm Schrot auf die Schwarte. Teil packte ihn sachgemäß bei der Kehle, Funzel fuhr Teil in die Hinterläufe, und Baßmann beendete den Streit durch Abnicken. Auch Wommst noch zu sprengen, war zu spät und schon zu dunkel. Vergnügt machte sich die Gesellschaft auf den Heimweg. Völsch hatte richtig vermutet. Schade trieb sich in den Schwarzen Bergen herum. Sein Instinkt hatte ihn nicht nach Aschhausen, sondern zu den Stätten seiner Kindheit gerührt. Dem Gastrevier stattete er wohl hin und wieder auf einer
Streife einen Besuch ab. Wenn er aber an seine beiden gegrabenen Baue kam, schüttelte ihn das Grausen. Vor Murrjahns Wohnung packten ihn gleichfalls unangenehme Erinnerungen, zudem war sie verwüstet. Bei Trobbels Bau mußte er an die Hundehetze denken. Hier spürte er ständig einen Stich in der geknickten, wenn jetzt auch verheilten Lunte. Sobald der Morgen heraufdämmerte, hob er an seinem alten Bau sein Bein und schnürte nach dem großen Forst zurück. Hier war es gut sein. Eines Tages entdeckte er, daß hier wieder die braven Männer umgingen, die gleich ihm Hasen, Kaninchen und Rehen nachstellten und manches Stück seinem gesegneten Appetit überließen. Da kam ein grauer Tag, der ihn auch an diesen Zweibeinern irre werden ließ. Dichter Nebel stieg aus den Mooren und Wiesen. Zwischen den Bäumen lag er so dick, daß die vierten und weiteren Stämme nur noch matt zu sehen waren. Die Hügel und Berge überhöhten sich gewaltig. Alle Dinge wurden größer. Schade machte das nichts aus. Seine Nase beriet ihn trotzdem richtig. Der Verdauung zuliebe hatte er bis zum beginnenden Tag gejagt und dann sich daran gemacht, die Schlingen abzusuchen. Bei der dritten witterte er bereits aus beträchtlicher Entfernung »Hase«, im Näherkommen aber auch eines der gefälligen Zweibeiner. Es roch leicht nach Pulver. Schade blieb unschlüssig stehen. Sollte das auch solch ein Knallbruder sein wie die Grünröcke? Aber da ging’s auch schon »Bums« und abermals »bums«. Schade hörte die Schrote über sich hinwegpfeifen. Slomma hatte wirklich genau hingehalten, aber – nur auf die Luftspiegelung des Fuchses. Jetzt besah er mißmutig die Flinte. Schütz kam: »Liegt der Satan?« »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, brummte Slomma unwirsch. »Den Hasen hat das Biest noch schnell geklaut, ehe es abging.« Sie nahmen die Schlinge auf und hasteten zur Chaussee, wo Wenglin auf sie wartete, denn bei der feuchten Luft wanderte der Schall weit, und es war zehn gegen eins zu wetten, daß ein Förster die Stelle absuchen würde. Wenglin lachte: »Habe ich es euch nicht gesagt, daß ein Fuchs nicht so leicht zu schießen ist? Nun mal los, ab zur Frühpirsch nach dem Kleckerwald.« Die Wilderer hatten recht vermutet. Bald tauchte an dem Platz, wo die Schüsse gefallen waren, Funzels langes, überlegenes Dackelgesicht auf. Er fand bald Slommas Ansitz. »Hu-u-u!« machte er grimmig, sträubte die Rückenborsten, sperrte den Rachen auf und kratzte gewaltig. »Such, Funzel!« Da wies er Völsch die Stelle, wo der Hase gelegen hatte. Völsch biß die Zähne in wortlosem Grimm zusammen. Diesen unbewachten Augenblick benutzte das Dackelvieh. »Kiff – kiff kiff ! « Er hatte Schades Spur in die Nase gekriegt und ging nun ab wie das Hagelwetter. Rufen half da nicht. »Da geht er ab wie der ausgetriebene Gottseibeiuns, der Luntenriecher, der! « wetterte Völsch und schlug, fortgesetzt pfeifend, die gleiche Richtung ein. Funzel aber erlebte bei der Verfolgung Schades etwas Unerhörtes. Der Fuchs hatte ihn kommen sehen und über den Haferresten Front gemacht. Funzel stutzte, als er den kräftigen Rüden, der ihm bedeutend überragte und durch den dichten Winterpelz noch ganz erheblich größer wirkte, angriffslustig vor sich sah. Nun duckte sich der Feind gar zum Sprung nieder. Seine Lichter funkelten stechend. »Bei solcher Frechheit kann einem ja elend werden!« kiffte Funzel weinerlich. »Komm, komm, komm, Herrchen! « Der Jäger kennt diese Hundesprache und nennt sie Standlaut. Er weiß, daß ein wehrhaftes Wild gestellt ist. Völsch vernahm sie. »So ein Bombengewitterkerl!« knurrte er und fing an zu laufen. Funzel bellte über die Schulter nach hinten: »Nanu, wo steckst du, Herrchen, kannst du denn nicht einmal auch so flink sein wie ich und ein bißchen laufen? Hier, hier steht der Stänker. Ich hab’ den schlechten Kerl.« Diesen Augenblick
benutzte Schade. Mit einem Satz war er bei seinem verhaßten Feind. Doch Funzel war auf der Hut, noch im letzten Augenblick bekam er den Angreifer beim Ohr zu fassen. Heißknurrend und keckernd wälzten sie sich auf dem Boden, daß Moos, Dürrgeäst und Haare stäubten. Funzel war infolge seiner kurzen Haare gegenüber dem dichten Winterpelz Schades erheblich im Nachteil. Und es ist nicht ganz sicher, ob er nicht zuletzt doch noch Fiffis Los geteilt haben würde, aber nachzugeben, gar zu flüchten, fiel ihm nicht ein. Würgen, umbringen wollte er den Stänker. Völsch hielt im Laufen inne und lauschte. Nichts war zu vernehmen. Nanu, das Biest beißt mir womöglich noch den Dackel kaputt. »Rummwumm!« löste er die beiden Schrotläufe. Das grollende Echo rollte über die Kämpfenden hin. Unwillkürlich klemmte Schade die Lunte ein und lauschte. »Schwapp« – hatte Funzel ihn bei der Kehle. Noch einmal überkugelten sich die beiden. Dann machte Schade sich los und jagte in den Wald hinein. Funzel hoppelte hinterher: »Kiff-kiff! Bleib stehen, du Lump. Kiff-kiff. Feigling, ausgemachter, du! « Da, die Trillerpfeife Herrchens. Noch einmal bellte Funzel laut und wild, dann kehrte er um. Er wollte sich zunächst Beistand holen. Daß er den Strauchdieb nicht einholen konnte, wußte er. Und da kam auch schon die bekannte Witterung, und Völsch schnob kurzatmig: »Pech, Sauleder und Knallbontjes! Wie siehst du nur aus, du kreuzmalefizelendiger, blutrünstiger Hintertreppenraufbold?« Jawohl, Funzel blutete im Genick, aus dem Vorderlauf, aber hinkte in der Erregung trotzdem nicht. Er war eitel Wut und Rachedurst. »Da, Herrchen, da liegt der Hase. Wau – Wau! Hier habe ich den schlechten Kerl gefaßt! « Mit gesträubter Rückenborste lief Funzel auf dem Kampfplatz herum. »Kiff -kiff!« Seine Stimme schlug vor Zorn über. »Erwürgt, ermordet, zerrissen hätte ich den Stinker, wenn du nicht vorbeigebumst hättest. Los, Herrchen, los, ich habe die Witterung in der Nase!« »Mäßige dich, du zorniger Drache! Den Halunken kriegen wir heute nicht mehr. Der geht auf ein paar Kilometer weiter ab. Da, nimm erst mal das Hühnerbein, damit du auf andere Gedanken kommst. Hast brav gemacht. Bist ’n Mordskerl, mein Goldfunzel. Aber nun sei still und mach nicht solchen Radau. Der ganze Wald wird ja rebellisch.« Schade brachte in der Tat 2 000 Meter in einem Zug zwischen sich und seine Verfolger. Dann erst atmete er auf. Tiefjappend lag er unter einem Machangelstrauch und starrte verdrießlich in die Gegend. Ist nichts mit diesem verflixten, schiefbeinigen Gesellen, dachte er. Wollte ihn auf Anhieb herunterziehen wie Fiffi. Und nun hat mir die Bestie das ganze Fell runiert. Schade leckte sich: » Auweih, mein Ohr! « jammerte er. Beinahe ausgerissen. Ein ganz gefährlicher Halunke. Wie es nur kommen mag, daß es immer gleich bumst, wenn man mit ihm zusammengerät. Es war doch niemand in der Gegend zu wittern. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Gräßlich, wie das rollte und grollte. Gleich hatte es angefangen in der Lunte und in dem verheilten Schrotkorn zu jucken. Widerlich, dieses Krummbein. Zu Bau fahren darf ich jetzt nicht. Da spürt es mich auf, und dann geht das Graben los. Schade um den schönen Hasenbraten. Es war noch so viel dran. Ha, wie ich losfegte. So etwas kann dieses Krummbein nicht. Auch die Dorfköter in der Fremde haben sich die Lungen aus dem Hals gerannt, ohne mich zu kriegen. Gewiß sind sie an den Folgen gestorben. Fürwahr, ein Fuchs ist und bleibt das schönste, schneidigste und edelste Geschöpf des Waldes. Auweih, mein Ohr! Hunde und Menschen sind völlig überflüssig. Möchte nur wissen, was die herumzuschnüren haben?
Feige? Ich feige? Es hätte gewiß nicht viel gefehlt, und ich hätte abgewartet, ob da einer mit dem Feuerrüssel kommt. Den hätte ich mir dann gehörig vorgenommen. Zerrissen hätte ich ihn, in Fetzen hätte ich ihn gerissen. Eigentlich habe ich nur sehen wollen, wer schneller laufen kann. Ja, so stimmt es, so war es, denn ich bin, nachdem sie nicht mitkonnten, nur meinen gewöhnlichen Paß geschnürt. Aber Rache muß sein. Und dann diese Schlingensteller! Wer hätte es denen zugetraut, daß auch sie so bösartig um sich herumschießen würden? Gemeinheit! Man darf keinem dieser zweibeinigen Schaukelgänger trauen. Nun, das nächste Mal werde ich mich vorsehen. Aber rächen will ich mich, je eher, desto lieber.« Am nächsten Tag erschien Oberförsters Katze Muschi nicht zur Morgenmilch, kam auch nie mehr wieder. Schade beizukommen, war sehr schwierig, denn er hatte in seinem ausgebreiteten Revier nicht weniger als drei Notwohnungen und einen Hauptbau. Es gab außer ihm noch andere Füchse in den Waldungen und auch den Dachs Muffig. Schade besaß die Unverschämtheit, bei den Standesgenossen dann Quartier zu beziehen, wenn es ihm gerade beliebte. Das giftige Gekecker der Hauseigentümer ging ihn dabei gar nichts an. Mit dem mürrischen Muffig war er ein paarmal aneinander geraten. Zuletzt verklüftete sich der empfindliche Einsiedler gegen die Fuchsröhre, und so hatte Schade ein Zimmer mit separatem Eingang. Sein Hauptbau befand sich auf einer Anhöhe mit Kahlschlag, angesamten Kiefern und wucherndem Unterholz. Hier stand fast auf der Mitte ein Machangelkomplex. In diesem freistehenden kleinen Gehölz hätte niemand die Einfahrt zu einem ausgedehnten Fuchsbau gesucht. Er bestand aus einem weitverzweigten Gängesystem, denn bei Schade war nun schon zweimal gegraben worden, und er hatte die Notwendigkeit von zahlreichen Fluchtröhren erkannt. Baßmann, der Oberförster, und auch Völsch waren mehrere Male ganz dicht an dem Bau vorbeigekommen, ohne daß ihnen etwas aufgefallen wäre. Das Wetter schlug um. Ein rauher Wind strich über die Fluren. Die Wälder rauschten dumpf wie in schweren Träumen. Das Wild hatte die dichtesten Schonungen aufgesucht und ließ lauschend die Köpfe hängen. Dicke Schneeflocken wirbelten herab. Die Straßen waren aufgeweicht. Breite Pfützen hemmten die Schritte des Wanderers, und in den Gleisspuren rieselten trübe Rinnsale. Da war es denn recht behaglich, in der warmen Stube neben dem Ofen zu sitzen. Baßmann hatte es sich in einem Lehnstuhl bequem gemacht. Die klobige Jägerpfeife, von der Völsch behauptete, es ginge gut ein Päckchen Tabak auf einmal hinein, dampfte. Sein linker Fuß lag umwickelt auf einem Hocker. Von den Wänden grüßte ein Wald Rehkronen, dessen Flanken wurden von ein paar Hirschgeweihen gerahmt. In der Mitte hing der Kopf eines Keilers. Er warf tückisch funkelnde Blicke aus seinen Glasaugen. Spielhahn, Habicht und einige andere Raubvögel nahmen die übrigen Wände ein, an denen gute Drucke von Kröner und Friese hingen. Decken und Kissen zeugten von dem Fleiß der Hausfrau und vervollständigten das Behagen dieser rechten Försterstube. Frau Baßmanns nimmerrastende Finger strickten an einem Wollstrumpf. Die Uhr tickte laut in die Stille, und der Schnee stiebte prasselnd böenweise gegen die Fensterscheiben. »Buff! « sagte da Leda, die alte Jagdhündin, die unter der Ofenbank lag, erhob sich steif und schritt zur Tür. »Geh mal nachsehen, Mutter, wer da noch so spät kommen mag«, sagte Baßmann. »Ach Gott, Alterchen«, seufzte sie und half ihm aufstehen. Aber ehe er soweit war, wedelte Leda eifrig mit der Rute und winselte freudig. Und schon erklangen Stimmen im Flur. Der Knecht hatte den Gast eingelassen.
Es klopfte und Völsch stand im Zimmer. »Sauwetter, Kollege Baßmann«, sagte er und streckte ihm die Hand hin. »Es tropft von Geäst und Gestänge. Schlechtes Spüren. Wie geht es dem Hinterlauf?« Die Frau Förster brachte den Samowar in Gang und eilte nach Gläsern, Rum und Zucker. »Wird sich wohl gleichzeitig mit dem Wetter geben«, knurrte mißmutig der Alte. »Da sieh doch einer den Funzel an! Schon sitzt er bei mir auf dem Schoß.« Wenn’s um den Dackel ging, wurde Völsch jedesmal sehr lebhaft: »Wirst du Bombengewitterhund, du verweichlichter Tenor, mal runter oder – nicht?« »Er entscheidet sich sicher für das ›Nicht‹, und heiser wie unsere Heldentenöre ist er sicher noch nicht gewesen«, lachte Baßmann. »Was macht dein Schade?« »Das ist ein Kreuzmillionenbombengewitter elendiges Mistvieh miserablichtes. Geschnappt habe ich ihn noch nicht, aber während ich ihm nachspüre, ist mir schon zweimal eine blaue Bohne an der Nase vorbeigepfiffen. Entweder folgt das Pestilenz-Unglücksvieh den Spitzbuben, oder es sucht bei ihnen Deckung.« Jetzt fluchten beide. Wenn Völsch mit kreuzschlag-blauen Gewittern einsetzte, nahm Baßmann die Melodie mit »Blitz, Blei und Granaten« auf. Bald verabschiedete sich Völsch. Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Der Sturm trieb dunkle Wolkenmassen über den blassen Mondhimmel. Fast taghell leuchtete der Schnee. Die alten Tannen am Forsthof rauschten gewaltig. Funzel stöberte eifrig in allen Winkeln umher. Zuweilen nahm er Wind. Da huschte ein langgestrecktes, dunkles Tier etwa zweihundert Gänge vor ihnen über die Straße. »Möchte wetten, daß es Schade ist«, brummte Völsch. »Achtung, die Wilderer sind jetzt auch nicht weit.« Völsch schwenkte bald ab und wandte sich dem Revier zu. Schade hatte sein Handwerk gründlich ausgelernt. Er kannte die Grundgesetze des Raubes und Diebstahls besser als manche menschlichen Spitzbuben. Wo er einmal geräubert hatte,’ ging er sobald nicht wieder hin. Er wußte zu gut, daß jetzt dort ein Zweibeiner mit einem Donner- und Blitzstock im Versteck saß, fror und darauf wartete, ihm das geliebte Fell zu ramponieren. Er wußte auch, daß die Zweibeiner das Frieren nach einer gewissen Zeit satt hatten. Da war es denn am besten, den Feuerrüsselsmann genügend ausfrieren zu lassen, ehe man wieder hinging. Inzwischen konnte man ja an einer andern, möglichst weit entfernten Stelle nachsehen, ob es da nichts zu holen gab. Mangel an Katzen gab es in den Dörfern nicht, obwohl sie allgemach spärlicher wurden, da man sie zu ihrem eigenen Schutz nachts einsperrte. Hühner und Enten konnten leider nur am Tag beschlichen werden. Für diese Jagd kamen nur Gehöfte in Frage, die nahe beim oder gar im Wald lagen, in dem man mit ein paar Fluchten samt dem Raub verschwinden konnte. Das Absuchen mehrerer Dörfer lehnte Schade als zu gefährlich ab. Man konnte dabei auf unerwartete Zufälligkeiten stoßen, wie es ihm schon des öfteren passiert war. Die einzig bekömmliche Jagd schien ihm der Anstand zu sein. Hinter einer Heudieme, einem Holzstapel oder Reisighaufen konnte Schade oft stundenlang aushalten. Das Feld revierte er nur nachts ab. Mäusegreifen dünkte ihm ein lustiger Geschicklichkeitssport zu sein. Ein besonderes Kapitel war sein Verhalten gegen das Wild. Früher war er so albern gewesen, sich an Fasanen oder Rebhühner anpirschen zu wollen. Das war zwecklos, denn die wachsamen Hähne kündeten jede Bewegung im Gras mit lautem Warnungsruf an, und fort ging das Volk in lautem Surren. Er hatte dann nur das Nachsehen, verlorene Zeit und hatte Ärger. Jetzt legte er sich auf die Lauer, oder er überprüfte die Stellen, wo die Hühner sich geäst hatten, um etwa ein krankes festzustellen. Diesem folgte er dann an jedem Abend, bis es reif
war, eingefangen und verzehrt zu werden. Das gleiche übte er mit Hasen und Kaninchen. Beim Schlackwetter aber, wenn Schnee und Regen die Geräusche verwischten und der Hase sich hilflos eingeschlagen hatte, weil er der mannigfachen Tonverwirrung nicht gewachsen war, revierte Schade die ihm bekannten Gassen ab. Dann gelang es ihm zuweilen, einen Krummen zu erhaschen und zu würgen. Nur bei Kaninchen war immer noch der Ansitz bei hellem Mondlicht am praktischsten. Einmal hatte Schade sich gar an einer Ricke vergriffen. Er sprang ihr, während sie schlief, an die Drossel und zog sie herunter. Es ging freilich hart her. Sie hatte rasend getobt und ihm mehrere ganz saftige Tritte versetzt. Mit den Kitzchen war es eine dumme Sache, denn die hielten sich samt der Mutter meistens beim Rudel auf. Und da außer Schade noch verschiedene andere rote Räuber im Revier lebten, befanden sich die Rehe fast ständig im Alarmzustand. Obendrein hielt sich bei den vier Rudeln je ein starker Bock auf. Das größte in der Nähe der Försterei Heimgarten zählte achtzehn Stück. Diese lebten unter der umsichtigen und energischen Führung eines gewissen Jakob Böhlig. Es war der Sohn des Hans Böhlig, der sich schon in seinen jungen Jahren als Wegelagerer und Raufbold einen schrecklichen Ruf erworben hatte. Jakob konnte grundsätzlich kein Raubzeug ausstehen. Allein der Geruch war ihm sehr zuwider. Sein Wahlspruch lautete: »Wir Böhligs fürchten die Menschen, sonst nichts auf der Welt. « Und in der Tat hatte dieser grimme Ritter von Bockhorn während der Blattzeit einen streunenden Köter derart geforkelt, daß er sich mit Mühe zu einem alten Streuhaufen schleppte und hier sein Stromerleben verhauchte. Was die Menschenfurcht anbetrifft, so war sie sehr begründet, denn er hatte manch ein Stück im Knall zusammenstürzen sehen, zudem mußte er auf der Hut vor Slomma, Wenglin und Konsorten sein, die meistens zur Unzeit auftauchten. Somit mied er jegliches Wesen, das irgendwie nach einem Menschen aussah oder witterte, wie die Pest, ja er vermied es gar, in der Fährte eines Zweibeins zu wandeln. Solange bewußter Böhlig noch sein Gehörn trug, ging ihm Schade wohlweislich aus dem Weg. Jetzt im Winter aber, da er kahl war, wie eine blöde Ricke, gedachte unser Voß, sich mit raschem Griff eines Kitzchens zu bemächtigen. Bei seinem plötzlichen Hervorschnellen flüchteten Ricken und Schmaltiere laut schmälend. Aber Jakob ritt augenblicklich Gegenattacke. Schade hatte schon zugepackt. Aber Böhlig schlug mit den Vorderläufen derart grimmig auf den Räuber los, daß dem die Rippen knackten. Er hatte kaum noch die Kraft, sich in seinen Bau zu schleppen, wo er ganze zehn Tage in Schmerz, Zorn, Hunger und Selbstbetrachtung verbrachte. Diese Lehre nahm er sich zu Herzen und ging fortan jedem Rehrudel in weitem Bogen aus dem Weg, um nicht der Versuchung zu erliegen und wieder halbtot geschlagen zu werden. Als er gesund geworden war und seinen ersten Reviergang antrat, fand er glücklicherweise das Kitz verendet im Heidekraut, denn er war zu schwach, um zu jagen, und wäre gewiß verhungert. »Welch eine Unvernunft«, knurrte er, als er es anschnitt. »Nun fresse ich es ja doch.« Er war noch nicht ganz satt, als in der Nähe Böhlig schreckte. Sofort stellte er die Lunte auf Flucht und ging ab. Bei dieser Lebensweise Schades war es gewiß kein Wunder, daß sich nicht nur die Zivilbevölkerung beschwerte, sondern auch die Grünen scharf hinter ihm her waren. Leider machte der verhärtete Sünder sich nichts daraus. Der niedersächsische Winter lastete auf dem Lande. Die Felder lagen leer, die Straßen waren verödet. Alles Leben hatte sich auf die Gehöfte und in die geräumigen Häuser zurückgezogen. Selten hörte man einen Laut. Der Niedersachse ist still, wie seine weite schweigsame Landschaft. Um diese Zeit hing Schade dem seligsten aller Träume nach. Die schöne Wald-
fähe Silva deutete an, daß sie ihn lieben könne, wenn . . . Dieses »wenn« brachte Schade in Harnisch. Er wußte, daß es sich auf Kecker, Lunterich und Onkel Kiff, den alten Filou, bezog. Er hoffte, mit ihnen in Kürze fertig zu werden. Sie liebte es, ihre Freier zu necken und mit ihnen »wettzurennen«. Noch mehr: sie liebte die Auswahl. Kampf mußte sein. Schade sträubten sich die Haare, als seine Träume bei diesem Punkt angelangt waren. Es litt ihn nicht mehr auf dem Lager.
Tatendurstig fuhr er heraus. Es war noch gutes Büchsenlicht, ihm aber gleichgültig. Wild jagte er kreuz und quer durch den Wald. Endlich eine Spur. »Oha, Lunterich! Wart nur, du sollst deine Lunte bald einklemmen«, bellte Schade laut. »Da, da hat er sein Parfüm an einer Fährte hinterlassen. Tatsächlich, der Lümmel ist aufs Hochzeiten eingestellt. « Nun ließ Schade die verhaßte Witterung nicht mehr aus der Nase. Mit tiefem Fang und grimmig erhobener, pendelnder Lunte fegte er dahin. Er stutzte. Vor ihm in den hohen Grashalmen eines Kahlschlages ließen sich wütendes Keckem und gurgelnde Rachentöne vernehmen. »Es geht um Silva. Da muß ich auch dabei sein!« In langen- Fluchten hetzte er auf den Lärm zu. Aber da kam ihm bereits mit angegriffenen Ohren und fliegender Standarte Lunterich entgegen. Hinter ihm sauste in heiler Wut Kiff, der alte, häßliche Raufbold. »Gut so«, grinste Schade tückisch, »balgt euch nur, indessen will ich mich um Silva bekümmern.«
»Auweh.« Bei Silva hatte sich Kecker eingefunden und benahm sich so unzweideutig, daß Schade vor Zorn zu platzen glaubte. Er ließ ein halbersticktes »Ririrrri! « hören und befand sich im nächsten Augenblick bei dem Pärchen. »Herr, das ist meine Frau!« fuhr er Kecker an »Rrriririri – rii!« feixte der zurück. Ins Deutsche übersetzt: »Scher dich, oder . . .« Daraufhin nahm ihn Schade ohne weitere Einleitungen beim Wickel. Kecker ließ sich das natürlich nicht bieten. Haare flogen, Gras und Fichtennadeln stäubten herum. Währenddessen saß Silva in gemessener Entfernung auf den Hinterkeulen und sah höchst interessiert dieser männlich kühnen Werbung zu. Bald entrann Kecker übel zugerichtet den scharfen Fängen seines Gegners. Laut bellend stürzte nun Schade auf die begehrte Schöne zu. Da erschütterte der Knall eines Flintenschusses die Luft. Die Fähe lauschte. Auch Schade verhoffte. Wieder ging es bums und abermals bums. Kiff kam mit allen Zeichen des Entsetzens atemlos zurückgeflüchtet. Nun riß Silva mächtig aus, und ihre beiden Verehrer sausten hinterdrein. Die Hochzeit Schades fand an einem Sonntag statt. Auf einem Sandweg waren die Wilddiebe auf die Spuren der vier ranzenden Füchse gestoßen. »Da ist sicher unser Schlingenrevisor mit drunter«, sagte Schütz grimmig. »Na, denn kriegen wir ihn«, grinste Slomma. »Fäll noch gutt. Wird sich letztes Dreck gemocht chabben. « Da sich die Rüden wie die Wilden benahmen, war es eine Kleinigkeit, ihnen zu folgen. Völsch war aber zu Baßmann gegangen und tat hier heimlich wie ein Feisthirsch. Er nistete sich auf der Oberstube ein und ließ sich tagsüber nicht einmal vom Gesinde sehen, das sich über die Maßen wunderte, daß ihr alter Herr plötzlich solche Riesenportionen verschlingen konnte, die für zwei Mann gut ausreichten. Am Nachmittag wanderte er in den Wald. Funzel stieß zunächst auf Schades Fährte, und da der strenge Geruch der Rollzeit ihn führte, arbeitete er sie fehlerlos weiter. Dabei stieß er auf die Spuren der Strauchdiebe, die den Füchsen folgten. »Dunst, Schwefel und Schlag! « knurrte Völsch grimmig. »Jetzt habe ich die Spitzbuben allesamt auf einem Haufen. Such, Funzel, such die Kerls, nimm sie, pack sie. So recht, mein Goldfunzel, mein stichelhaariger Engel. Feste, feste, bring sie raus! Mach sie hoch, die roten Spitzbuben!« Kaum hatte Völsch das Haus Baßmanns verlassen, da tauchte ein völlig unerwarteter Besuch auf. Der Förster wäre vor Schrecken beinahe auf den Rücken gefallen; denn vor ihm stand der Oberförster. Eilig stellte die Frau den Kampferspiritus weg, mit dem sie das Bein ihres Mannes bearbeitete, faltete die Hände im Schoß und sank wortlos in einen Stuhl. Ihr erster Gedanke war: Aus, jetzt wird mein Mann pensioniert! Der aber stotterte unbedacht hervor: »Ich denke, Sie sind in Nauheim, Herr Oberförster.« »Pst, bin ich auch. – Aber bleiben Sie nur sitzen, alter Basse. Rheumatismus ist für unsereinen die beste Dienstauszeichnung. Darum keine Bange. Meinem Hausarzt ziehe ich die Decke über die Ohren. Ich und Leberleiden, haha!« »Nanu, Sie schreiben aber doch aus Nauheim?« »Muß ich auch, mein Lieber. Selbstverständlich werden meine Briefe dort in den Kasten gesteckt und abgestempelt. Ich selber wohne freilich in Hanstedt. Dort umzingelt mich keine Familie, sagen wir: heulendes, wehleidiges Weibervolk. Und so bin ich den Spitzbuben hart auf der Fährte. Heute sind sie im Wald.
Kam, um mich mit Dienstmütze, Mantel und Flinte zu versehen. In Zivil kann ich die Banditen weder verhaften noch beschießen.« »Gott im hohen Himmel! – Weib, her mit den Stiefeln. Ich muß auf die Läufe kommen.« »Nee, nee, alter Freund. Bleiben Sie nur sitzen. Sie können ja vorläufig nicht mitrennen. Völsch ist draußen und das genügt. Habe ihn eben noch im Wald verschwinden sehen. Wollte rufen, war aber zu weit.« »Nehmen Sie wenigstens die Leda mit.« »Unsinn, brauche keinen Hund, verrät im Feuergefecht meine Lage. Nun aber rasch! « – Ehe sich die Eheleute recht von ihrem Schrecken erholt hatten, war der Oberförster verschwunden. »Ich könnte den verdammten Hinterlauf ausreißen und auf den Komposthaufen werfen!« polterte Baßmann. Der Oberförster nahm mit geübtem Auge die Fährte Völschs auf. Bald stieß er auf die Spuren der ranzenden Füchse. Dann ging es im rechten Winkel links ab. Jetzt zeigten sich die Fährten der beiden Wilderer. Ein Fehlgehen war für einen echten Weidmann nun nicht mehr möglich. »Das ist ja die reine Rennbahn!« schmunzelte der Oberförster. In einem räumen Stangengehölz vernahm er den ersten Schuß. Lunterich flüchtete mit wehender Standarte an ihm vorbei, knickte bald ein und erhob sich nicht mehr. Der Oberförster überlegte: von Völsch ist der Schuß nicht, eher von den Spitzbuben, die keine Ahnung haben, daß sie verfolgt werden. Zur Bestätigung bellte gleich darauf der offene Knall von Völschs Stutzen. Dann funkten die Wilddiebe zurück. »Ein regelrechtes Feuergefecht«, murmelte der Oberförster. »Ich muß den Kerls in die Flanke kommen.« Nun hastete er so schnell vorwärts, wie es seine alten Beine erlaubten. Die Wilderer lagen hinter dem Kahlschlag, auf dem die Fuchsbalgerei stattgefunden hatte, gut gedeckt am Waldrand in regelrechter Feuerstellung. Völsch hatte sie zwar durch seinen Schuß an den Platz geheftet, kam aber nicht voran. Sobald er sich rührte, funkte einer der Kerle auf ihn. Er schäumte vor Wut. An ein Zurückgehen dachte er nicht. »Schwefel, Dunst und Schlag, heute kommt ihr mir nicht aus!« knirschte er. Er kroch nach links, um die Banditen zu umgehen. Wenglin aber hatte ihn bemerkt. Das Geschoß sang dicht über Völschs Kopf hin. Da meldete sich noch eine dritte Büchse. Weit links knallte es. Diesen Mann konnte Völsch ganz gut erkennen. Er stand an einem Baumstamm und hatte das Gewehr angestrichen. »Warte, mein Freundchen!« knurrte Völsch. Im Nu war er drauf und riß Funken. Der Schuß saß. Der Getroffene schrie laut, taumelte und fiel. Völsch überlief es eiskalt. Ihm schien es, als hörte er seinen eigenen Namen. Erlauschte. Jetzt kam’s wieder: »Sind Sie des Teufels, Völsch? Ich bin’s, der Oberförster! « Bei Gott, es war wirklich dessen Stimme. Das Entsetzen packte Völsch und lähmte für einen Augenblick seine Glieder. Dann vergaß er Wilddiebe und Gefahr. Er sprang auf und rannte in voller Größe auf den Oberförster zu. Schon auf dreißig Schritt sah er ihn an der Erde liegen. Atemlos langte er an, kniete vor ihm: »Getroffen, verletzt?« stammelte er. »Idiot, du«, polterte der Oberförster. »Schießen kannst du – nur zu gut. Hast dem Baßmann den Stutzen kaputt gemacht. Pfui Deibel! « er spie Blut. »Eine Ohrfeige habe ich weg, die nicht von Pappe ist. Hoffentlich sind noch die Zähne drin geblieben.« »Ja – aber . . .?« »Jawoll, du Rindvieh, du gehörntes Kamel! Ich habe die Kerls flankiert. Der eine hat eins auf die Schwarte gekriegt. Hat gut gezeichnet. Nun man dalli zum Anschuß.«
Die Wilddiebe waren fort. Aber Blutspritzer lagen da und eine Mütze. Ein Stück weiter lag ein völlig durchblutetes Taschentuch. »Folgen!« keuchte der Oberförster, aber er taumelte und mußte sich an Völsch halten. » Liegen lassen, weiter!« hauchte er matt. Doch Völsch gab unter solchen Umständen die Verfolgung auf. Jetzt war der Oberförster wichtiger als die Spitzbuben. Mit vieler Mühe und Anstrengung brachte er ihn zu Baßmann, da der alte Herr auf keinen Fall »seine Weiber« erschrecken, noch weniger auf seine Schliche kommen lassen wollte. Die Frau Förster hatte nun noch einen zweiten Patienten. Der spülte innen mit heißem Grog und legte außen kühlende Umschläge von essigsaurer Tonerde auf. Als er nach reichlichen Donnerwettern auf Spitzbuben, Füchse und Konsorten gegen Mitternacht sein Zimmer aufsuchte, knurrte er: »Also, ich bin jetzt in Nauheim, Frau Förster! « Völsch trat ans Fenster, schob den Holzladen zurück und schaute hinaus. Das Wetter hatte sich geändert. Keine Wolke trübte den Himmel. Der Vollmond schaute groß, rund und friedfertig auf die Erde herab. »Gutes Büchsenlicht!« murmelte Völsch und schaute nachdenklich zum Wald hinüber, der schwarz die Höhen krönte. Dann wandte er sich an Baßmann: »Muß den Kerls auf der Fährte bleiben.« Einwände von Seiten des Alten und seiner besorgten Frau nützten nichts. Funzel gähnte verdrossen. Er stand nicht gern von einem warmen Ofenplatz auf. Draußen fror es. Die Pfützen auf der Straße setzten Eis an. Auf den Gräsern glitzerte Rauhreif. Es regte sich kein Lüftchen. Milchiger Nebel fiel in feinen Tröpfchen auf das Gezweige, auf Stamm und Nadeln der Fuhren, die Völschs Weg rahmten. Sie bildeten glitzernde Eiskristalle. »Was dieser Schade für ein Glück hat«, brummte Völsch vor sich hin. Das richtige Hochzeitswetter für einen Fuchs, wie Sonne, Rosenduft und Mandelblüte an der Riviera für das menschliche Gemüt. Er lebt in Saus und Braus und feixt sich eins über uns. Fast habe ich auf dieses Vieh einen größeren Grimm als auf die tölpelhaften, frechen Kerle von Wilderern. Überall, wo der Deibel seine Hand im Spiel hat, ist Schade mit Sicherheit dabei. Jetzt weiß ich, was das heißt: man kann sich fuchsen. Ich bin schon mehr fuchsteufelswild. Beinahe hätte ich meinen lieben Oberförster umgebracht! ! Es geht wieder das gleiche Kreisspiel los: Schade voran, die Wilderer hinter ihm, ich hinter den Wilderern. Und dann hat er meine Freundschaft mit Annemarie auf dem Gewissen. Ich kann es nicht ertragen, daß sie wegen des unseligen Streites in die Stadt gegangen ist. Karl hätte das Mädel zufrieden lassen sollen. Es hätte sich schon wieder alles eingerenkt. Verdammter Rotvoß! Das sollst du mir büßen. Ich will weiß Gott nicht glücklich werden, ehe du alter Spitzbube auf der Decke liegst.« Auf der Roggensaat zur Rechten hoppelten dunkle Gestalten. Die Kaninchen nahmen ihr Nachtmahl ein. Kurz vor dem Wald bestätigte Völsch ein Rudel Rehe. Es hielt, trotz der Wildschützen, unter Böhligs Führung noch immer fest zusammen. »Die wird der Alte unter seiner Hut gehabt haben«, murmelte Völsch. »Er ist ja ein noch viel schlimmerer Schleicher als die professionierten Wilddiebe. Mir gruselt noch, wenn ich daran denke, daß ich ihn hätte niederstrecken können, wenn er das Gewehr nicht im Anschlag gehabt hätte. Den Schrecken werde ich sobald nicht los werden. – Na, was gibt’s denn nun schon wie der, du Bombengewitterhund?« Funzel suchte eifrig, leise knurrend, den Waldrand ab. Völsch pfiff ihm gedämpft und nahm hinter einem Rain Deckung. Das Dackeltier aber ließ sich nicht beirren. Es machte komische Sprünge und ließ zuweilen ein halbunterdrücktes »Buff« hören. »Also Mensch! « entschied Völsch. Er zog sich vorsichtig zurück, schlug einen
Bogen und ging die fragliche Stelle vom Wald aus an. Es war nichts wahrzunehmen, obwohl sich der Waldrand wie ein Scherenschnitt bis zum letzten Grashalm gegen den Himmel abzeichnete. Aber wieder ließ Funzel ein aufgeregtes »Buff« hören. Mit der Büchse im Anschlag ging Völsch auf die Stelle zu. Nun zeigte Funzel Mut. Er führte Herrchen zu einem Platz, wo sich im Schnee deutlich Sitzspuren abzeichneten. Die Taschenlampe beleuchtete Blutlachen. Nicht weit von der Stelle lag ein Gewehr. Der angeschossene Wilderer hatte hier entschieden gerastet. Die Verwundung mußte nach dem Befund recht schwer sein. Die Fährte wies in weiterem Verlauf in die Richtung Iversen. Unverzüglich folgte ihr Völsch. »Auf dem Feld werden die Kerle unter diesen Umständen kein Quartier nehmen«, sagte sich Völsch. »Allons, Funzel, such die Bande, nimm sie, beiß sie, friß sie, mein Goldfunzel! « Doch der kleine Egoist zeigte wenig Lust, wieder in ein Geschieße zu geraten. Er zog es vor, seinen Herrn vorangehen zu lassen und dreißig Schritt hinterdrein zu trotten. Links von der Marschrichtung verlief eine Landstraße nach Harburg. Auf ihr rollte ein einspänniges Fuhrwerk dahin. Völsch sah sich daraufhin die Häuser an. Beim Flickschuster Wollers, der dicht am Wald wohnte, war noch Licht. Die andern Gehöfte lagen tot und dunkel da. »Also von dort kommt der Wagen! « schloß Völsch und hielt nun schnurgerade auf das Gehöft des Schusters zu. Ihm kam wohl der Gedanke, er könnte plötzlich einer ganzen Bande gegenüberstehen. Das aber bekümmerte ihn wenig. Ihm fiel es nicht einmal ein, das Hoftor zu suchen. Straks setzte er über den halbverfallenen Bretterzaun, schritt auf das Haus los und riß die Tür auf. Der lahme Schuster saß in der Nähe des Herdes inmitten eines Haufens bestaubter Schuhe, die schon ewig lange auf die Ausbesserung warten mochten. Die Frau scheuerte den Tisch und einen Holzschemel. »Zeigen Sie den Lappen her!« befahl Völsch ohne jede Einleitung. »Was wollen Sie?« fuhr der Schuster auf. »Sie kennen mich wohl: Förster Völsch, Jagdpolizei, auf der Spur nach Wilddieben.« »Die suchen Sie hier?« knirschte der Schuster. »Raus aus meinem Haus!« Den Augenblick benutzte die Frau, den Lappen ins Feuer zu werfen. Völsch ergriff ihn rechtzeitig: »Blutspuren? Woher?« »Wir haben ein Huhn geschlachtet, Herr Förster«, sagte die Frau sanft, aber die Wangen schlotterten ihr, und sie konnte nicht umhin, ihrem Mann einen bösen, vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Das sagte Völsch genug. Er sah sich um und entdeckte einen alten Soldatenmantel und eine grüne Förstermütze am Kleiderhaken. »Wer wohnt bei Ihnen?« »Das geht Sie einen Dreck an! « brauste der Schuster auf. »Gut, dann muß ich Haussuchung vornehmen.« Völsch fand Wickelgamaschen, richtige Pirschschuhe mit Kreppsohlen, die unmöglich dem Schuster gehörten konnten, und – Hasenfelle. »Irgendwo muß die zweite Flinte sein«, sagte er sich. Da fiel sein Blick auf eine lange Truhe. Er hob den Deckel und fing an in ihr herumzukramen. Nun richtete sich der lahme Schuster auf. In seinen Augen flackerte hemmungslose Wut. Er ergriff das Küchenbeil, um Völsch hinterrücks den Schädel einzuschlagen. Die Wand entlang schob er sich vor. Schon hob er das Beil, da packten ihn scharfe Zähne in die kranke Stelle des Beines. Die trafen den freiliegenden Nervenstrang. Ächzend sank der Schuster zusammen. Funzel hatte begriffen, daß es Herrchen ans Leben gehen sollte und auf eigene Verantwortung gehandelt. Völsch fuhr herum: »Recht so, mein Goldfunzel, kneif den Meuchelmörder, mein
stichelhaariger Engel! « – Zugleich hob er vom Boden der Truhe ein Jagdge wehr: »Wer hat daraus geschossen? Sie wissen nicht? Es muß vor kurzem gewesen sein. Die Flinte riecht ja noch nach Pulverschleim.« Die Eheleute blieben stumm. »Gut«, sagte Völsch. »Ich lasse euch beide noch in dieser Nacht abholen. Die Kerls haben den Oberförster totgeschossen, und was hier vorgeht, ist Beihilfe zum Mord.« Der Trick wirkte. Die Frau schlug jammernd die Hände vor das Gesicht. Der Zorn des Schusters war verschwunden. Er sah verstört drein. Völsch wandte sich zum Gehen: »Bleiben Sie, Herr Förster, ich will ja alles gestehen!« schrie die Frau. »Gut! « sagte er, setzte sich auf einen Schemel und legte die Büchse schußfertig über die Knie. »Zunächst aber schließen Sie die Fensterläden und schieben einen Riegel vor die Tür! « Völsch zündete seine Jagdpfeife an. Nach diesem Zusammenbruch der Schuldigen fühlte er sich im Haus sicher. Nicht so Funzel. Er blieb mißtrauisch und hielt sich in Greifnähe von der Wade des Schusters. Die Frau brach stöhnend aus: »Der Wenglin, Herr Förster, der Wenglin ist schuld. Er hat uns diesen fremden Menschen ins Haus gebracht. Bei uns wohnte einer, der nannte sich Fischer, aber ich glaube, er heißt anders. Der Verwundete ist ein Ausländer. Er wohnte bei dem Schulz. Der kauft den beiden das Wild ab. Er hetzte sie auf die Jagd.« »Schweig, Weib!« brüllte der Schuster. »Es ist genug«, sagte Völsch. »Sagen Sie mir nur noch, wie der Verwundete getroffen worden ist, und wo die Kerls jetzt mit Ihrem Fuhrwerk hin sind?« »Sein rechter Arm ist kaputt. Ich glaube, der Knochen ist zerschossen. Und dann hat es ihn ins Gesicht getroffen.« Sie schüttelte sich vor Grauen. »Der Unterkiefer ist in Fetzen gegangen. Die Zähne hängen lose am Fleisch. Wo die beiden hin sind, weiß ich nicht. Ich wollte das Fuhrwerk erst gar nicht hergeben. Ich dachte es mir gleich, daß daraus nichts Gutes werden würde. Und der Herr Oberförster tot? Oh, solch ein feiner Mann, solch ein lieber, guter Herr! « »Er liegt bei Baßmann!« murmelte Völsch undeutlich, nahm das Gewehr an sich und ging. In der Tür noch warf Funzel dem Schuster einen bitterbösen Blick zu und knurrte dräuend. Das war aber kein Ausdruck von Mut, sondern eine Maßnahme, den Rückzug zu decken. Zufrieden mit dem Ergebnis der Nachtpirsch, schritt Völsch schnurstracks zu Baßmann und trommelte ihn heraus. Jetzt half dem kranken Hinterlauf nichts mehr. Er mußte in den Stiefel. Kaum graute der Morgen, so klopften die beiden Männer den Gemeindevorsteher Niessen heraus. Eine Stunde später war Schulz verhaftet. Die Kriminalpolizei wurde aufgeboten. Eine Unmenge verschiedener Dinge: Stoffe, Felle und aufgestapelte Lebensmittel, mit denen Schulz verbotenen Handel trieb, wurden beschlagnahmt. Wenglin und Slomma wurden in einem Harburger Krankenhaus ermittelt. Slomma verstarb noch in der Nacht, während Wenglin hinter Schloß und Riegel kam. Völsch hätte nun eigentlich zufrieden sein müssen. Aber ihm kam der Kampf mit dem Gesindel nur wie ein Zwischenspiel vor. Sein Hauptgegner, Schade, lebte noch. Und ohne Schade keine Annemarie. Unser Rotvoß lag verdrossen in seinem Hauptbau. Er nahm mit Sicherheit an, daß diese verworrene Knallerei nur ihm gegolten haben könnte, da er sich stets als die Hauptperson betrachtete. In seiner Eitelkeit hielt er sich für den Mittelpunkt der Weltordnung. Möglich, daß er dem Gebumse weniger Bedeutung beigemessen hätte, wenn er nicht in der Nähe Funzels Spuren aufgestöbert hätte. Da galt es ihm als ausgemacht, daß zwischen seinem vierfüßigen Verfolger und
dem wilden Getobe der Zweibeiner irgendein Zusammenhang bestanden haben müsse. Warum mußte es stets krachen, blitzen und donnern, wenn das Schievelbein sich irgendwie zeigte? Da wollte er doch lieber abwarten, bis seine eigene Fährte kalt geworden war und der Verräter Funzel ihm nicht nachspüren konnte. Hunger hatte er wohl, aber der plagte ihn jetzt nicht so sehr, als eine gräßliche Unruhe. Zuweilen war ihm, als wehe der Duft Silvas durch die Röhren. Am zweiten Tag war es ganz schlimm. Es zog kalt und klar daher. Schade wußte, daß trockener Frost über dem Land lag, und die teure Silva eifrig den Wald durchstreifte. Ein schier unerträglicher Zorn auf den frechen Kiff schüttelte ihn. Und kaum spürte Schade, daß die Dämmerung sank, so machte er sich auf die Läufe. Am Ausfahrtsloch blieb er überrascht stehen. Der Wald hatte sich völlig verändert. Es war ein leichter Schnee gefallen, dem Frost und Rauhreif gefolgt waren. Baum, Busch und Strauch hüllten weiße Eiskristalle ein. Sie funkelten und gleißten im Mondlicht. Schwer hingen die Äste herab. Es gab keinen Grashalm, der nicht blitzende Perlen an seiner Spitze trug. Und eine Stille lag über dem Wald, daß man es hören konnte, wenn ein Schneeklümpchen auf den Boden fiel. Schade reckte sich und streckte sich. Dann setzte er sich auf die Keulen und schaute lange Zeit träumerisch in die funkelnde Pracht, die er von seinem Machangelbusch auf der Höhe gut übersehen konnte. In gewissem Sinn war er eben ein Naturschwärmer. Er nahm Wind. Die Luft stand. Nur leise, kaum merklich, zog der Ost. Trotzdem war ihm wieder so, als wehten Gerüche von Silva herüber. Da schnürte er, weil keine Fährte zu finden war, geradewegs los. Eine Maus raschelte. »Patsch!« Schade hatte sie betatzt und auch sogleich verschlungen. Aber so recht wollte sie ihm nicht munden. Der Magen war ihm wie zugeschnürt. Hastig schnürte er weiter. Spuren von Elstern, Hähern und Krähen zeichneten sich im Schnee ab. Sonst nichts von Bedeutung. Weder Fuchs, Hund noch Hase spürten sich. Doch da, an einer Stelle hatten Eichhörnchen einen Brauttanz aufgeführt. Ihre kleinen Spuren beschrieben Zickzack und Kreise, bis sie auf einem Baumstamm verloren gingen. Dieses Vorkommnis erinnerte Schades Geruchssinn stärker an Silva. Jetzt sauste er hechelnd kreuz und quer. Zuletzt fiel ihm ein, mal Kiffs Behausung aufzusuchen. Der alte Sünder wußte gewiß, wo Silva steckte. »Bei allen Funzeln, der Halunke ist unterwegs!« kiffte Schade wild, daß sich das Echo weit im Wald verlor. Dann jagte er auf der Spur seines Nebenbuhlers davon, daß der Schnee stob. Oha! Hier vor einer Schonung hatte er sich mit Kecker gebalgt. Der Schnee war aufgewühlt, auch Haare lagen herum. Hin und her flitzend suchte Schade mit tiefer Nase den Kampfplatz ab. Hier war Kecker geflüchtet: Kiff hatte ihn eingeholt und verrollt. Der alte Routinier war nun zielbewußt geradeaus geschnürt. »Jetzt sucht er Silva auf!« kiffte Schade völlig unbeherrscht. »Oh, meine erste, meine große, meine einzige Liebe, und dieser Rüpel wird sie mir verschandeln, wie einst meine Jugendschwärmerei. Kiff, käff, kaff!« jetzt komme ich dir, du Vagabund, Ehebrecher, ruchloser Jungfrauenjäger! « Vor ihm raschelte es in den kniehohen Jungbuchen. Schade stutzte und sog die Luft ein. Sein Zorn war plötzlich verschwunden. Er wedelte freundlich mit der Lunte: »Silva, oh, wie lieb von dir. Hab’ es mir doch gedacht, daß sie mit dem alten Halunken in dem schäbigen Fell nichts zu tun haben will. Da bin ich doch ein anderer Kerl.« Es schien wirklich so zu sein. Silva machte keinen Versuch zu flüchten. Sie fing
in lustigen Sprüngen zu tanzen an. Vergnügt machte Schade mit. Aber da packte ihn jemand in den Nacken just hinter dem Ohr. »Auweih!« schrie Schade im ersten Schrecken. Aber kaum roch er Kiffs Witterung, so ging er wutschnaubend zum Gegenangriff über. Der alte Gauner keckerte wild. Schade konnte es noch besser. An ein ernsthaftes Würgen dachte vorerst keiner von ihnen. Wenn es ohne nennenswerte eigene Einbuße zu bewerkstelligen gewesen wäre, hätten sie es wohl mehr als gern getan. So aber wurde das liebe eigene Fell doch zu sehr in Mitleidenschaft gezogen. Und so tobten sie wütend umeinander herum, daß der Schnee nur so stäubte. War Kiff im Vorteil, dann wich Schade aus, gewann dieser eine günstige Griffstellung, so beschrieb Kiff Kreise. Sie waren derart in Hitze geraten, daß sie ohne Rücksicht auf Gefahr laut lärmten und ihnen der Geifer aus dem Rachen troff. Silva wurde die Geschichte langweilig. Sie empfahl sich. Sofort ließ Schade von Kiff ab und sauste hinterdrein. Wütend folgte sein Nebenbuhler. Silva fürchtete nun für die eigene Sicherheit und riß vor diesen allzu unvorsichtigen Freiern aus. Eine wilde Jagd begann. Wohl eine halbe Stunde hetzten die beiden Rüden laut durch den Wald. Zuletzt wurde Silva müde. Schade holte sie zuerst ein. Aber noch hatte er nicht verschnauft, so war Kiff da. Jetzt wurde Schades Zorn, aufgepeitscht durch Silvas Flucht, hemmungslos. Mit einem langen Sprung griff er den Gegner an. Kiff schlug herum und erwischte Schade beim Ohr. Aber dieser achtete darauf nicht. Er suchte und
fand die Kehle seines Feindes. Und nun rollte er ihn, wie Kiff vorher den armen Kecker. Zwar schützte den die dichte Winterbehaarung, aber Schade hätte ihn trotzdem restlos erwürgt, wenn Silva nicht geflüchtet wäre. Sofort ließ er sein Opfer fahren und hastete in langen Fluchten hinterdrein. Auf keinen Fall wollte er seine Angebetete aus der Nase verlieren; denn es gab gewiß außer dem alten Kiff noch mehr Rüden auf der Welt. Keuchend und hustend erhob sich Kiff aus dem Schnee. Er spie heftig, denn er hatte noch immer den häßlichen Geschmack und Geruch des Nebenbuhlers in Fang und Nase. Ein paar halberstickte Kläfftöne stieß er noch aus, dann schnürte er taumelig nach seiner Behausung, um sich zu erholen. Er konnte es nicht begreifen, daß ihm als einstigem Hauptfuchs die Herrschaft über das Revier entrissen worden war. Das prachtvolle Ranzwetter hielt auch am nächsten Tag an. Schon vor der Uhlenflucht war Silva auf den Beinen. Diesmal aber wußte Schade, wo er sie zu suchen hatte. Kiff kam als Nebenbuhler nicht mehr in Betracht. Er lag krank in seinem Bau. Als Kecker versuchte, die Liebenden zu belästigen, erging es ihm beinahe ebenso schlimm wie Kiff. Gegen Morgen zog Silva in Schades Behausung ein. Das war ihm trotz aller Liebe wenig angenehm, denn sie benahm sich als junge Fähe ohne jegliche Erfahrung recht unvorsichtig. Also überließ er den Bau sich selbst und seinem Besuch und bezog abwechselnd seine Notbaue. Nur hin und wieder pflegte er Silva zu besuchen, um mit ihr zu jagen oder zu mausen.
Eines Morgens, nach etwa zehn Tagen, hatten sie gemeinsam ein krankes Rehkitz, das saumselig dem Rudel folgte, heruntergezogen. Schwer satt schnürte Schade seinem Notbau zu. Silva wollte ihm folgen, aber er biß sie ab. Er war so träge und schläfrig geworden, daß er Schritt um Schritt setzte. Von den Bäumen tropfte es. Der Morgenwind rauschte leise im Geäst. Schon ruckte der erste Tauber. Schade blieb lauschend stehen. Sollte es schon so spät Sein ?
Da wollte er doch lieber erst noch einen Widergang machen, ehe er sich zusammenrollte. Dem Widergang ließ er sicherheitshalber noch einen Haken folgen. Er zwängte sich dann zwischen Ginsterbüschen durch, umschlug ein paar Machangel und blieb wie angewurzelt stehen. Seine Rückenhaare sträubten sich. In der Lunte zuckte es. Kein Zweifel, hier stand fest und sicher in dem feuchten Erdreich Funzels Witterung. Und sie war frisch, sogar sehr frisch. Sie konnte höchstens eine halbe Stunde alt sein. Schade schnürte nun eiliger dem Bau zu. Als er aber durch das hohe gelbe Schmielegras die Nase herausstreckte, brachte ihm der Wind Funzels Witterung voll in den Fang geweht. In weitem Abstand kreiste er um den belagerten Bau. Da sah er, wie der verhaßte Verräter am Einfahrtsloch lebhaft herumschnupper-
te, und nicht weit davon den Grünrock, der ihn anfeuerte: »Such den Stänker, mein Goldfunzel, bring ihn raus, den schlechten Kerl!« Da wartete Schade das weitere nicht ab. Er ging mit Geräusch und wehender Lunte davon. Völsch wurde aufmerksam. Mit einem Ruck wandte er sich um: »Da geht er hin!« sagte er matt. – »Wieder mal nichts. Wo wird er sich nun herumtreiben? Dieses Unwesen bringt mich noch ins Grab.« Von der See kamen feuchte Winde. Sie brachten Regen mit und wuschen den Schnee aus den heimlichsten Winkeln. Wenn auch manchmal Frostnächte eintraten, so vermochten sie nicht mehr, die Herrschaft des Winters wiederherzustellen. Unter den Buchenhainen, deren rotes Laub in der linden, weichen Sonne aufleuchtete, blühte in weißen Feldern das Buschröschen. Am Sumpf streckte das Leberblümchen seine herzförmigen Blätter empor und schaute mit treublauen Augen in das liebe Himmelslicht. Der Goldstern wiegte seine Blüte auf schlankem Stengel. Die Wiesen aber leuchteten vor lauter Löwenzahn und Hahnenfuß in lauterem Gold. Hatte die Amsel schon seit Anfang Februar jeden freundlichen Tag benutzt, ein Trutzliedchen gegen den bösen Winter anzustimmen, so sang sie jetzt mit Drosseln und den schmetternden Buchfinken um die Wette. Über den Äckern standen unausgesetzt die Heidelerchen und trillerten, was die Lunge hielt. Allein die schwarzen Seelen: Elstern und Krähen, zogen still und scheu durchs Buschwerk, denn sie hatten ein böses Gewissen. Sie waren auf Eierdiebstahl aus. Das Gras duftete frisch, und überall stieg würziger Erdgeruch auf. Annemarie aber war in der Großstadt. Sie litt an Heimweh nach dem schönen Mühlbachtal und den stillen Wäldern. Sie litt beim Rauschen der alten Ulmen, die an den Alleen vereinsamt standen, beim Sang der Amsel in den spärlichen Gärten und beim Rauschen einiger Ziertannen. Wenn ihr aus dem Rasen ein kleines Gänseblümchen entgegenleuchtete, traten Tränen in ihre Augen. Sie glaubte wohl das, was sie sich vorsagte. Sie meinte, es ginge ihrem Herzen allein um den schönen Wald, die alten Eichen und die weite Gotteswelt. Und doch war all dieses mit einem Mann verknüpft, der ebensowenig aus dem Wald wegzudenken war wie das Rauschen in den wunderlich krausen Fuhrenwipfeln. »Nein« – sagte sie sich, »an Fritz Völsch denke ich nicht mehr. Er ist rauh und lieblos gegen mich gewesen, doch niemand kann mich daran hindern, meine Geschwister auf ein paar Tage zu besuchen.« Frau Lotte empfing sie mit offenen Armen. Sie hatte ein weiches Herz und zerdrückte eine stille Träne. Auch Schwager Brinkmann freute sich mordsmäßig, wie er sich ausdrückte. Das bewies er dadurch, daß seine machtvolle Stimme lauter als sonst über den Hof dröhnte. Annemarie begrüßte alle Bekannten, nicht allein die Mägde und Knechte, sondern auch die Kühe, Schweine und Pferde, den Hahn samt seinem Hühnervolk, selbst Karo. Dieser hatte es sich angewöhnt, mit einem wehleidigen Schmerzensblick die verletzte Pfote zu reichen. Damit verband er gleichzeitig eine Bettelei und ähnelte somit den menschlichen Bettlern, die recht deutlich auf ihre Gebrechen aufmerksam machen. Der Abend war lind. Die Knospen der Eichen dufteten. Auf den Wiesen schrien die Kibitze. Schnepfen strichen über Birken und Erlen. Fern im Dorf bellten die Hunde. Annemarie zeigte wenig Lust in die Stube zu gehen, und so saßen sie denn zu dritt auf der Bank vor dem Haus. Karl Brinkmann erzählte von den Wilderern, vom Oberförster und von Völschs klugem, mannhaftem Einschreiten, und daß es seit der letzten Schießerei nun in dem Forst ruhig sei.
Annemarie hörte ruhig zu und sagte unvermittelt: »Und trotz allem, der Förster ist ein herzloser Grobian.« Karl Brinkmann lachte auf: »So schlimm ist das nun nicht. Wenn Fritz all die Drohungen wahr gemacht hätte, die er gegen Funzel ausgestoßen hat, dann wäre der bereits hundertmal um die Ecke gegangen. Nun, und wenn der Fritz wirklich ein solcher Grobian wäre, warum sitzt denn die Paetsch in der Försterei? Den Schnabel kann sie nicht halten. Überall erzählt sie, wie schwer sie es bei dem Förster habe, und was sie, die arme Paetsch, für ein Elend mit ihm hätte. Die ganze Litanei kennt man im Dorf bereits auswendig. « Annemarie nickte vor sich hin: »Ja, ja, so ist er. Er ist hart. Er ist ein herzloser Einsiedler wie sein Dachs Murrjahn.« »Quatsch, das weiß ich besser. Es gibt auf Gottes weiter Welt kein kindlicheres und selbstloseres Gemüt als das seine. Wenn er dichten könnte, würden wir in eine wunderschöne empfindliche Seele schauen können. Wenn man ihn über Wald, Wild und Natur reden hört, geht einem das Herz auf.« Annemarie erhob sich. Sie spürte, daß im Herzen etwas zu schmerzen begann. Ihr wurde so müde und elend, so eigen weh: »Es wird kühl«, sagte sie. »Ich will lieber in meine Kammer gehen. Gute Nacht.« Als Frau Lotte mit ihrem Mann allein saß, sagte sie: »Du hast dich wie ein Elefant im Porzellanladen benommen.« »Wieso? Könnt ihr Weibsleute denn keine Wahrheit vertragen? « »Wie du willst«, erwiderte sie spitz. »Da liegt nun das arme Wesen allein in seinem Kämmerlein und weint.« »Da soll doch gleich! Morgen gehe ich zu Fritz Völsch.« Am Spätnachmittag des nächsten Tages langte Brinkmann auf der Försterei an. Teil empfing ihn mit lustigen Sprüngen und freudigem Geblaff. Aus dem Stall kam lautes Singen. Mutter Paetsch melkte die Kühe. Dazu blarrte sie in langgezogenen Schleifen: »Was Gott tut, das ist wohlgetan. « Kilian kam aus dem Geräteschuppen: »Ruhig, Teil! Der Herr Förster ist im Garten.« Und dann fügte er betrübt hinzu: »Dort sitzt er jetzt meistens.« Brinkmann fand seinen Freund beim Reinigen des Drillings. Wenn er seine Holzabrechnungen fertig gemacht, mit den Waldarbeitern abgerechnet hatte, saß er entweder auf der weißen Bank zwischen dem Weingeranke, oder er strich durch den Wald. Selten hörte man ihn jetzt mal wettern. Funzel war der erste, welcher die rauhen Himmelbombengewitter-Striemel vermißte. Aber unverwüstlich, wie er war, paßte er sich bald der neuen Sachlage an. Er trug nun mehr eine stille Schwermut zur Schau. Als Brinkmann den Garten betrat, sagte er nur einmal halblaut »buff«, warf dem Besuch einen trüben Blick zu und rollte sich seufzend unter der Bank zusammen. Die Begrüßung der beiden Freunde war herzlich, wie immer. Zunächst sprachen sie natürlich über Jagd, Frühjahrsbestellung, Wintersaat und Bienen. Zuletzt lud Völsch Brinkmann auf den Schnepfenstrich ein. Der sagte freudig zu, da er hoffte, bei dieser Gelegenheit sein Anliegen vorbringen zu können. Als sie sich fertig machten, fragte er unvermittelt: »Was macht Schade?« Über Völschs Gesicht legte sich eine düstere Wolke: »Das weiß der Himmel! Ich habe ihn im Verdacht, daß er in Iversen, Ohlenhausen und anderen Orten stiehlt, aber recht weit ab von dem Schauplatz seiner Räubertaten wohnt.« Brinkmann war alles andere, nur kein Diplomat. Er fiel also mit der Tür ins Haus: »Ist richtiger so, Fritz. Fuchs bleibt Fuchs, und Schade wird der Kugel nicht entgehen. Annemarie meint auch, es wäre dummerhaft, sich so über einen Fuchs aufzuregen.« »So, so, Annemarie meint – hm.« Brinkmann legte dem Freund beide Hände auf die Schultern und sah ihm gerade
ins Gesicht: »Sie ist bei uns zu Besuch, und sie ist unglücklich.« Völsch zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Dann machte er eine müde Handbewegung und sagte: »Laß das nur, Karl, das verstehst du nicht.« »Gut, mein Junge. Dann erlaube ich mir die bescheidene Bemerkung, daß ihr beide nicht ganz bei Trost seid: du und das Mädel. Auch bin ich der unmaßgeblichen Meinung, daß von euch dreien der Vernünftigste Schade ist, der sich gewiß eins feixt. Da bin ich nun doch neugierig, wie die Sache ausgehen wird.« Völsch hing schweigend den Drilling um, reichte Brinkmann eine Doppelflinte und sagte: »Komm, die Schnepfen warten nicht. Die Strichzeit ist ein bißchen kurz.« Das Ergebnis der Schnepfenjagd war gleich Null. Brinkmann war über den verfahrenen Kram derart zornig, daß er ohne Überlegung schoß, nur um seinem Herzen Luft zu machen. Völsch sah die Schnepfen erst dann, wenn es zu spät war. Seine Gedanken kreisten um Annemarie, und stets landeten sie bei dem gleichen Punkt. Die Liebe einer Frau mag imstande sein, die Schuld eines Mannes, wohl auch ein Verbrechen zu entsühnen, auch zu heiligen, nicht aber ein Unvermögen. Wehe aber dem Mann, der von Liebe leben will! Er wird ebenso stranden wie eine Frau, die ohne Liebe auszukommen versucht. Der Mann braucht ein Lebensziel. Doch dieses kann nicht darin liegen, eine Frau glücklich zu machen. Solchen Mann wird eine Frau bald langweilig finden. Und Annemarie hatte ihm nicht allein seine Unfähigkeit als Jäger vorgehalten, sondern durch verschiedene Anfragen bewiesen, daß sie im Grunde ihres Herzens ebenso fühlte wie er. Sie wartete, sie hoffte unbewußt von Tag zu Tag, daß er die Scharte auswetzen sollte. Sie wollte ihn achten, zu ihm aufsehen; denn sie war kein kleines, schwärmendes Mädchen mehr, sondern ein bewußtest, erwachtes Weib. Ja, wenn er gleich zu Anfang lächelnd über den Fall Schade hinweggegangen wäre, wenn er die Unmöglichkeit dargelegt hätte, einen Fuchs auf Bestellung zu schießen, dann wäre diese Spannung ausgeblieben. Aber er hatte den Fehdehandschuh angenommen. Nun ging sein Glück nur über Schade. Oh, wie haßte er dieses gerissene, hinterlistige Vieh! Schade würde in seiner Ehe stets der Punkt bleiben, vor dem er errötend die Augen niederschlagen müßte. Anfangs hatte er die Angelegenheit nicht so recht ernst genommen. Wie aber konnte er es sich auch denken, daß Annemarie ihren geliebten Moorhof und ihn, Völsch, verlassen würde. Ein oberflächliches Zusammenkitten dieses Bruches gab es nicht. Er mußte von Grund auf geheilt werden. Einst hatte er an die Allgewalt der Liebe geglaubt. Einmal hatte er sie für das Allheilmittel des Lebens angesehen und war bereit gewesen, sich für sie zu opfern. Aber siehe da – sie trog! Ein Wunder ist sie wohl, vor dem man knien darf, aber man darf nicht in mystischer Anbetung verharren; denn ein Mann braucht die Tat. Die Liebe ist der Sonnenschein und Erdgeruch um den pflügenden Bauer. Als die beiden Freunde sich verdrossen trennten, fragte Völsch: »Sag mal, Karl, mußt du nicht auch stets lächeln, wenn sich im Roman die Liebenden kriegen und damit der Sinn des Lebens endgültig erreicht sein soll?« »Nee, das is’n Unsinn«, sagte Brinkmann ohne weiteres Nachdenken. »In der Ehe geht es erst richtig los. Da haben sich die vereinten Liebenden erst zu bewähren.« »Na also, gute Nacht, Karl! Grüß’ zu Hause!« Da stand nun Brinkmann und schimpfte nicht schlecht; denn was sollte er mit dem Gruß anfangen. Am besten, er sagte gar nichts. Annemarie wußte, wo ihr Schwager gewesen war. Einen ganzen Tag wartete sie, daß er ein Wörtchen, ein ganz kleines Wörtchen von Fritz bestellen würde.
Als nichts dergleichen geschah, reiste sie ab. Völsch lief durchs Revier. Er gönnte sich kaum eine Rast. Er suchte Schade. Wohl kreuzte er mannigfaltige Fuchsspuren, doch Funzels Benehmen sagte ihm, daß keine von ihnen Schade angehörte. Das Krummbein beroch sie wohl mit Interesse, nahm sie auch mit Eifer auf, aber nicht mit der grimmen, wilden Wut, die er bei Schades Witterung zeigte. Zuletzt wurden die beiden Jäger elend und matt. Funzel hatte seine schlanke Taille wieder bekommen. Baßmann staunte weidlich über das veränderte Aussehen des Bombengewitterhundes. Funzel war sehr mißgestimmt. Niemals sagte Herrchen mehr »Goldfunzel!« oder auch nur »abgebrochenes Krokodil« oder ähnliche Worte. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Da mußte irgend etwas nicht stimmen. Und unser Rotvoß? – Brinkmann hatte ganz recht. Er feixte sich eins. Nach wie vor trieb er im Krelinger Moor, im Kleckerwald und den umliegenden Ortschaften sein Unwesen. Annemarie schrieb aus Hamburg selten. Von sich selber schrieb Annemarie nichts. Aber der feinfühlige Karl Brinkmann ahnte, um was es ging. Er packte mancherlei gute Sachen aus der Rauchkammer, dem Boden und Keller zusammen und schickte damit Jochen nach der Stadt. In dieser Zeit suchte Völsch öfter Brinkmanns auf. Ihm bangte um Annemarie, aber er fragte nicht. Und Brinkmann ging gleichfalls behutsam um die wunde Stelle herum. Er wußte, daß Völsch Verbindung mit den Kollegen der Umgegend aufgenommen hatte und die ganze Gegend nach Schade absuchte. Manchmal war er tagelang ausgeblieben, und oft hatte er mit Funzel im Arm im Wald genächtigt. Schon ein paarmal hatten sie Schades Fährte gekreuzt. Im Juli waren sie ihm sogar drei Tage und drei Nächte hartnäckig auf der Spur geblieben, bis sie im unwegsamen Krelinger Moor verschwunden war. Völsch erzählte das alles so nebenher. Aber der verbissene Grimm ließ sich nicht verbergen. Er jagte Schade um Annemaries willen. »Man sollte eigentlich dem Mädel schreiben, wie Fritz sich ihretwegen abhetzt!« sagte Frau Lotte. Da aber grollte Brinkmann: »Daß du dich nicht unterstehst. Die beiden müssen mit sich allein fertig werden. Und du wirst sehen, er fängt doch noch den verflixten Schade.« »Lachhaft, der lebt gewiß schon lange nicht mehr.« Je näher es zum Herbst ging, desto öfter ließ sich Völsch im Moorhof sehen. »Wie mag es in Hamburg aussehen?« fragte Völsch unvermittelt eines Tages. Jetzt ließ Frau Lotte ihre Stickerei sinken. Völsch fragte, da war es Zeit, dem mürbe gewordenen Dickkopf einen letzten Stoß zu versetzen. Das aber, was sie nun sagte, befürchtete sie zum Teil selber. »Ich mache mir Sorgen«, begann sie. »Warum?« fragten beide Männer wie aus einem Mund. »Annemie ist sicherlich krank.« Völsch wurde abwechselnd blaß und dunkelrot. Brinkmann aber brummte: »Weib, mach mir ja keine Geschichten! Hat sie denn nicht geschrieben?« »Das ist es ja eben. Sie meldet sich nicht. Und Tante Grete schreibt sowieso nicht. Das weißt du doch.« Völsch sah seinen Freund lange und eindringlich an. Dieser erwiderte den Blick: »Wann hast du Zeit, Fritz?« »Morgen früh!« stieß Völsch heiser hervor. »Na, denn wollen wir. Für alle Fälle fahren wir mit dem Fuhrwerk. Wir können in einem Vorortsgasthaus übernachten und ausspannen, und will’s Gott, gleich mit dem Mädel samt seinen Siebensachen zurückkommen.«
Im Morgengrauen des 22. Oktober trabten die wackeren Braunen Brinkmanns wohlgemut den weiten Weg nach Hamburg. Zu reden gab es nicht viel. Wenn Karl ein Gespräch anfangen wollte, bekam er nur eine halbe oder gar keine Antwort. So schwieg schließlich auch er. In Harburg wurde Rast eingelegt. Dann ging es weiter über die Veddel auf Hamburg zu, wo Brinkmann in Wandsbek bei einem bekannten Gastwirt sein Fuhrwerk unterzustellen gedachte. Jochen sollte bei den Pferden bleiben. Selbst die Eibbrücken, der breite Strom und die Hafenanlagen, die bis dahin jeden Reisenden aufs neue entzückt hatten, machten keinen Eindruck auf Völsch. Er befand sich in einer eigentümlichen Gemütsverfassung. Holen wollte er Annemarie. Er mußte sie holen. Das war er sich selbst und seiner Liebe schuldig. Die logische Fortsetzung aber wäre die Bitte gewesen: »Werde mein Weib.« Das aber konnte er nicht sagen. In Wandsbek erwartete sie eine unangenehme Überraschung. Sie wollten mit der Straßenbahn zur Tante nach Harvestehude hinausfahren, aber die Bahn verkehrte nicht. Also mußten sie sich auf die Beine machen. Die schmucke Villa der Tante war verschlossen. Da klopften die Freunde bei den Nachbarn an. Hier erhielten sie keine Auskunft. Nur soviel erfuhren sie, daß die alte gnädige Frau Senator Ritter noch gestern im Garten spazieren gegangen wäre. Nun schlug Brinkmann vor: »Dann gehen wir einstweilen nach der Stadt und sehen uns die mal an. Abends können wir ja dann noch einen Vorstoß versuchen.« Völsch schwieg. Er nagte am Schnurrbart und sagte gar nichts. Müde von dem weiten Marsch, ließen sie sich im Ratskeller nieder. Weder der Wein noch das Essen wollten ihnen da munden. »Wir hätten auf dem Wagen hinausfahren sollen«, brummte Brinkmann ärgerlich. »Nun können wir den weiten Weg wieder zurücklaufen.« Völsch war es gleichgültig. Obwohl er von dem ungewohnten harten Pflaster kniesteif geworden war, wäre er bis ans Ende der Welt gelaufen, um über Annemarie etwas Näheres zu erfahren. »Laß gut sein, Karl, wir sind im Feld andere Strecken gelaufen«, tröstete er. Karl lachte: »Da war ich aber nicht so beleibt.« Um neuneinhalb Uhr abends langten sie wieder vor der Villa an. Sie atmeten erleichtert auf; denn in einem der vorderen Fenster war noch Licht. Auf ihr wiederholtes Klingeln und Klopfen steckte im oberen Stockwerk ein Mädchen den Kopf aus dem Fenster. Es sah die Uniform und neigte sich nun weit hinaus. »Wo sind die Damen hin? « fragte Völsch. Das Mädchen ließ sie ins Haus und berichtete, nachdem Völsch und Brinkmann den Grund ihres Kommens erklärt hatten, schluchzend, daß heute morgen die alte Frau Ritter nach längerem Krankenlager in ein Krankenhaus übergeführt worden sei. »Ach, meine Herren, es waren schwere Tage für uns, und Fräulein Annemarie war Tag und Nacht auf den Beinen, um unserer gnädigen Frau zu helfen. Was aber jetzt werden soll, weiß ich nicht. Die arme Frau Ritter wird wohl nicht mehr zurückkommen, da sie ohne ständige Pflege nicht sein kann. « »Da kommen wir ja gerade zu rechten Zeit«, brummte Brinkmann. »Nun wissen wir, warum Annemarie so lange nichts von sich hören ließ.« Während die Männer noch mit dem Mädchen sprachen, wurde die Tür geöffnet, und Annemarie stand unerwartet im Zimmer. Als sie Völsch erkannte, schrie sie leise auf. Es war schwer zu sagen, wer von den Anwesenden am meisten überrascht gewesen wäre. Die Freunde wußten nur unbeholfen und ungeschickt den Grund ihres Hierseins zu erklären. Annemarie, bleich und übermüdet von den Anstrengungen der letzten Wochen und den Ereignissen des Tages, fand auch nur schwer Worte. Ihre Augen wanderten ruhelos zwischen Brinkmann und Völsch hin und
her, als wollten sie sagen: »Erspart mir Erklärungen, helft mir.« Das Mädchen begann aufs neue zu schluchzen, denn das Gesicht Annemaries sagte ihr genug. Das Gespräch schleppte sich müde dahin. Annemarie erklärte, bei der Tante aushalten zu wollen, bis keine Lebensgefahr mehr bestünde. Völsch sah ein, daß es gänzlich unangebracht wäre, unter diesen Umständen von Liebe zu sprechen. Er nahm die dargebotene Hand des Mädchens und deren warmen Dank entgegen und fuhr mit seinem Freund nach Wandsbek zurück. Vom Wirtshaus aus benachrichtigte Brinkmann Frau Lotte telegrafisch: »Sind bald zu Hause.« Am Vormittag rief Annemarie an und berichtete, der Zustand der Tante wäre noch nicht geklärt. Sobald es der Tante besser gehe, und es möglich wäre, zu kommen, wollte sie ein Telegramm nach der Moormühle senden. Dann sollte Schwager Karl sie abholen. Die Tante würde wohl recht lange im Krankenhaus zubringen müssen. Der Chefarzt meinte, der Lebensrest der alten Dame hieße Sanatorium. An Völsch bestellte sie einen herzlichen Gruß. Völsch erstarrte äußerlich zu Stein. Innerlich aber ließ er einen kräftigen Fluch vom Stapel. An dieses Ergebnis der Hamburger Reise vermochte er nicht zu glauben. Sein Inneres empörte sich gegen Annemarie. Was wollte sie bei der kranken Tante? Wenn sie gewollt, hätte sie sich sicher für eine Stunde freimachen können. Also, so sah die große Liebe aus, von der Karl andeutungsweise oft gesprochen hatte. Nun ja – höhnte er sich – eine Tante ist immer eine gewichtige Persönlichkeit. Gegen die kann ein simpler Geliebter nicht aufkommen. Im Grunde ihres Herzens sind die Weibsleute viel nüchterner, als es je ein Mann wird begreifen können. Was ihnen zusagt, erfassen sie mit dem Gefühl und nennen es Liebe. Das Wort geht ihnen zu leicht aus dem Mund und ist darum nicht allzu wichtig zu nehmen. Da gibt es liebe Kinder, soo liebe Blumen und gar sooo liebe Hühner, weil sie Eier legen. Brinkmann störte ihn in seinen Gedanken: »Was meinst du, wollen wir warten?« »Deibel nich noch eins! Ich für meinen Teil muß nach Hause. Ich habe mich ohne Urlaub vom Dienstort entfernt. Mein Amt steht auf dem Spiel.« Brinkmann knallte den »Futterkorb« auf den Tisch: »Deibel nich noch eins! Erst wollen wir den Magen vollpacken. Solange ich hier bin, hungere ich schon. Und dann einen guten Tropfen. Danach wollen wir uns die Sachlage mal genauer ansehen.« Das alles sagte er mit viel Radau; denn ihm war Annemaries Verhalten auch nicht recht. Er spürte sehr wohl, wie es den Freund kränken mußte. Also wollte er ihn auf andere Gedanken bringen. Völsch lachte kurz auf: »Ich habe nie geglaubt, daß du so in Fahrt kommen könntest.« Jetzt schwieg Brinkmann, trank, sah lange ins Glas, ließ es wieder füllen und erklärte: »Ich fahre mit dir zusammen nach Hause. Es hat keinen Sinn, Weibern nachzulaufen. Da sieht man es ja. Was haben wir nun davon? Lotte soll mir nochmal mit Liebe und ähnlichem Schmus kommen. Der werde ich was erzählen.« »Schadet nicht«, grunzte Völsch. »Jochen!« schrie Brinkmann. »Anspannen, et geiht na Hus!« Spät abends langte Völsch zu Hause an. Kilian fuhr aus seiner Klappe. Er hatte eine große Neuigkeit für seinen Herrn: »Schade is da! Er haust wedder in unserm Revier.« Völsch winkte matt ab: »Laß man, Kilian, alles nach der Reihe! « Damit schritt er an dem treuen Haushüter vorbei, der ihm verständnislos nachstarrte und den Kopf schüttelte. Lange noch saß Völsch in seinem ungeheizten Arbeitszimmer im Reisepelz, starrte in die düsteren Tannen, die laut und dunkel rauschten, und als er endlich aufstand, sagte er hablaut: »Ist ganz richtig so. Mir bleibt ja noch der Wald.«
Schade war in der Tat heimgekehrt. Aber an ein ehrliches Jagen auf freier Wildbahn dachte er kaum noch. Wenn ihm zufällig ein krankes Stück über den Weg lief, das er mühelos erwischen konnte, nahm er wohl seine Fährte auf. Er betatzte auch mal eine unvorsichtige Maus oder überraschte einen Maulwurf beim Abendspaziergang. Sein Sinn ging auf Raub und Mord. Er war durch das erste Huhn auf dem Moorhof und durch sein Nomadenleben auf die abschüssige Verbrecherlaufbahn geraten und konnte nicht mehr zu dem Leben eines ehrlichen Fuchses zurückfinden. Es machte ihm einen Heidenspaß, nachts die Dörfer abzurevieren, weil sich da die Köter an den Ketten so mächtig erbosten. Und diesen Ärger gönnte er ihnen von Herzen. Während er früher diese Wüteriche nach Möglichkeit mied, da er stets in der Furcht lebte, es könnte doch einmal die Kette reißen, ging er jetzt in seiner Ruchlosigkeit so weit, in ihrer Reichweite das Bein zu heben und seine Visitenkarte zu hinterlassen. Dann grinste er sich eins mit offenem Fang, kleinen Lichtern und hängendem Lecker. Nach dieser Untat begab er sich an die Hühner- und Gänseställe und sah sehr gewissenhaft und genau nach, ob da nichts zu machen wäre. Wehe der vergeßlichen Hausfrau oder zerstreuten Magd, die aus Unachtsamkeit den Stall nicht fest verschlossen hatte. Mit Sicherheit drang Schade ein und holte sich sein Opfer. Aus den Waldgehöften oder denen, die an einem Busch lagen, stahl er gar am Tag. In Iversen geschah es, daß sich einmal in einer Nacht ein paar frei herumlaufende Hunde auf ihn stürzten. Windspiele waren diese Dorfköter gewiß nicht. Schon vor dem Wald hatte Schade sie außer Atem gehetzt. Im Unterholz und Buschwerk zeigte er aber erst recht sein Können. Im Handumdrehen hatte er sie völlig abgehängt. Und während sie ihn laut kläffend suchten und auf seinen Widergängen verworren hin und her flitzten, saß er draußen auf den Keulen und lauschte mit stillem Vergnügen ihrem aussichtslosen Toben. Dann schnürte er nach dem Dorf zurück und holte sich noch in der gleichen Nacht einen schönen fetten Kater. Auch die Moormühle besuchte er. Hier blieben seine Bemühungen ohne Erfolg, denn Annemarie war wieder da und hatte die Herrschaft über Geflügel und Kälber mit der ihr eigenen Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt wieder angetreten. Aber den armen Karo brachte er durch sein Benehmen völlig aus dem Häuschen. Er umkreiste lange die Bude, um sich mit peinlicher Sorgfalt die Stelle auszusuchen, wo er vor der Nase seines Widersachers das Bein heben konnte. Von dem wütenden Gekläff wurde das ganze Haus munter. Brinkmann ahnte, wer der Störenfried sein mochte. In Nachthemd und Pantoffeln sauste er mit der Flinte in der Hand auf den Hof hinaus. Schade aber hielt seine Ohren offen. Wohl hundertmal hatte er erfahren, was das Klappen einer Haustür bedeutet. Unverzüglich gab er Fersengeld. Brinkmann rannte um das Haus herum. Und obwohl klarer Mondschein war und der Schnee leuchtete, fand er nichts als die Spuren des Bösewichts. Da löste er Karo von der Kette. Dieser kam erst am Morgen so müde heim, daß er nichts fressen mochte, sondern sich in die Hundehütte warf und sofort drauflos schlief. Annemarie hörte in ihrem Kämmerlein den Lärm. »Schade geht wieder um«, sagte sie mit zuckenden Lippen, und ihre Gedanken wanderten den alten Weg zu Fritz Völsch. Die Mägde schauten neugierig durch das Fenster. Als sie die weiße, flatternde Gestalt Brinkmanns sahen, waren sie allen Ernstes der Meinung, der Geist des alten Maak, der vor Jahren im Moor ertrunken war, habe den Hof mit seinem Besuch beehrt. In Aschhausen ging Schade wesentlich dreister vor. Hier hatte er anfangs ganz nette Erfolge zu verzeichnen. Als die Hühnerbesitzer so empfindlich an ihre Ver-
geßlichkeit erinnert worden waren und nun wesentlich vorsichtiger wurden, entdeckte der Dieb das Gehöft eines Häuslers, der keinen Hund hatte. Hier konnte er ungestört arbeiten. Er unterwühlte die Stallmauer, drang ein, riß eine Henne von der Stange, verzehrte sie an Ort und Stelle in aller Gemächlichkeit und suchte mit einer zweiten das Weite. Dieses aufsehenerregende Ereignis wirkte wie ein Fanal. Jeder Hühnerbesitzer, und das waren alle bis auf den kleinsten Mann, geriet in Aufregung. Vor jedem Hühnerstall sah man Leute nachdenklich stehen. Die meisten kratzten ratlos den Kopf. Wie tief sollte das Fundament in den Boden hineingebaut werden, um eine Unterminierung zu verhindern? Wie konnte man das Hühnerhaus abheben, um eine Untermauerung vornehmen zu können? Genügte ein Zementausguß des Stalles, oder sollte man ihn, wie einst die Altväter es getan hatten, auf einen Unterbau als zweites Stockwerk setzen? Mußte man somit völlig neu bauen? Inzwischen saß Niessen und rechnete. Er kam zu einem Ergebnis, das sich ins Uferlose verlor. Die gesamte Neuordnung der Hühnerwirtschaft kostete den Ort Zehntausende von Mark. Als er die Vierzigtausend überschritten hatte, warf er die Feder hin und ging zu Jensen in der redlichen Absicht, sich zu betrinken. Hier fand er Audersch und Drews vor, die zu dem gleichen Ergebnis gekommen waren. Alsobald war man sich einig, wechselte Gewand nebst Stiefel, griff zum Sonntagsausgehrock und wanderte zu dritt nach der Oberförsterei. Der Oberförster hörte die Beschwerde mit Fassung an. Dann ging er zu seinem Aktenschrank und holte die Klagen über Fuchsriß heraus. Es war ein ansehnliches Bündel. »Hier hilft nur ein gründliches Durchtreiben der Forst«, sagte er schließlich. Die Bauern sahen sich an und grinsten; denn ihnen fiel das eigene, verfehlte Treiben auf Schade ein. Da fuhr Herr von Haller ärgerlich auf: »Nicht so wie Sie es angestellt haben, meine Herren, sondern plan- und sachgemäß mit einer großen Anzahl guter Schützen. Sämtliche Dickungen und Partien des Waldes müssen gekesselt werden. Wenn der Schadfuchs überhaupt im Revier ist, kommt er auch zur Strecke.« »Das wäre ein Segen, Herr Oberförster«, sagte Nissen. »Und da ist es nur billig, wenn wir Bauern der Jägerei unsern Dank abstatten, indem daß wir die Herren zu einem Essen einladen. Ich für meinen Teil stifte eine Gans.« »Ich ’ne Ente!« fiel Audersch ein. Und Drews meinte: »Ein Huhn stiftet gewiß jeder. Das wäre das mindeste.« Zufrieden und getröstet wanderten die drei Bauern nach Hause. Der Oberförster aber hing sich ans Telefon und bestellte seine sämtlichen Förster auf den nächsten Abend zu einer Rücksprache zu sich. Als er seinen Plan vortrug, waren alle mit ihm einverstanden. Baßmann, der genau wußte, was Völsch bereits in der Verfolgung Schades geleistet hatte, dachte bei sich: Ob wir den roten Strauchdieb fangen oder nicht, bleibt sich gleich. Für alle Fälle gibt es ein herrliches Jägeressen. Und so sagte er: »Wenn die Bauern mit einer solchen Menge Geflügel antreten, ist es nur billig, daß sich die grüne Farbe auch nicht lumpen läßt und den nötigen Rum zum Grog spendiert. Die geladenen Jagdpächter der Umgebung könnten alsdann für die Zigarren sorgen. Ich bin bereit, diesen Teil der Jagd zu regeln.« Völsch schwieg. Ihm war es gleich, ob Schade zur Strecke kam oder nicht. Da faßte der Oberförster nochmals den Feldzugsplan zusammen: »Wir werden so um die vierundzwanzig Schützen sein. Aschhausen und Iversen wollen etwa hundert Treiber stellen. Es können also einzelne Waldparzellen beinahe luftdicht abgedrosselt werden. Damit wir aber nicht unvorsichtig vorgehen, muß der Schadfuchs zuvor bestätigt werden. In der Nacht vor dem Treiben müssen alle bekannten, vorhandenen Röhren verblendet werden. «
Völsch widersprach: »Bestätigen, verblenden geht auf keinen Fall. Da kenne ich Schade zu gut.« » Sonst können wir nicht treiben «, beschied der Oberförster. »Wir machen uns vor den Gästen und der ganzen Gegend lächerlich, wenn das Treiben ergebnislos verlaufen sollte.« Dieser Ansicht pflichteten sämtliche Grünröcke bei. Der Oberförster fuhr fort: »Das Essen findet in der Moormühle bei Brinkmann statt. Er hat uns freundlicherweise seine große, geräumige Diele zur Verfügung gestellt.« Völsch erschrak. Solange Annemarie wieder auf dem Moorhof war, hatte er ihn gemieden. Nun sollte, mußte er gar hingehen, da das Treiben in seinem eigenen Revier stattfand. Wenn Schade nur so gut wäre, noch vor der großen Jagd umzuziehen, dachte er. Der große Tag brach an. Das Wetter war klar. Günstiger konnte man es nicht haben. Die Aschhauser Geflügelzüchter hatten sich wahrlich nicht lumpen lassen. Und so gab es bereits in den frühen Morgenstunden auf dem Moorhof ein großes Morden. Gegen die Dämmerung rochen Haus, Hof, Stall, Keller und Scheunen nach Gänse- und Hühnerbraten. Die Mägde schwitzten den ganzen Tag. Frau Lotte war wie ein Spürhund ihnen ständig auf den Fersen. Wahrlich: Schades Leichenbegängnis stand einer großen Bauernhochzeit nicht nach. Die Diele war aufgeräumt. Die Wände schmückten Tannenreiser und Sträuße Immergrün. Die Gedecke auf der langen Tafel hatte Annemarie geordnet. Schon lange vor dem angesetzten Zeitpunkt stand alles bereit. Aber noch immer hatte sie hier etwas zurechtzurücken, dort einen Teller nachzuputzen oder die Gläser umzugruppieren. Denn heute mußte »er« kommen. Baßmann hatte kurz und bündig erklärt, niemand dürfe sich ausschließen. Die Jagd hatte mit dem ersten Büchsenlicht begonnen. Man gedachte, einige bummelnde Füchse abzufassen, noch ehe sie zu Bau geschlieft waren. Am frühen Morgen waren auch einige Schüsse zu vernehmen gewesen. »Ob Schade unter den Gestreckten ist?« fragte sich Annemarie voll Aufregung. Im Grunde ihres Herzens mochte sie ihn nicht leiden, da sie ihm und nicht ihren voreiligen Bemerkungen Schuld an dem Zerwürfnis mit Fritz Völsch gab. Heute aber, da er durch einen gänzlich Unbeteiligten fallen konnte, ging sie in sich und verstand nun, daß Schade von seinem Standpunkt aus kein allzugroßes Unrecht auf sich geladen hatte. Sie sah plötzlich die Quelle des Zwistes in hellstem Lichte. Darum wartete sie sehnsüchtig auf Fritz, um sich mit ihm aussprechen zu können. Als sie hinausging und in die Dämmerung lauschte, vernahm sie keinen Schuß, keinen Treiberruf mehr. Die Jagd war gewiß bereits abgebrochen worden. Doch, da links auf der Straße nach Aschhausen zogen dunkle Scharen. Die Treiber kehrten bereits heim. Aufgeregt lief Annemarie zu ihrer Schwester in die Küche, und nun warteten sie beide. Bald erschienen denn auch Träger mit der Strecke. Hasen waren es, fast lauter Hasen. Sechsundzwanzig Stück wurden unter dem Vordach des Hauses an einer Stange aufgehängt. Die Männer erzählten, daß der Oberförster erlaubt habe, im letzten Kessel auch auf Hasen zu schießen, damit die Jagd nicht ganz resultatlos bliebe. Dann kamen vier Füchse an. Fieberhaft untersuchte Annemarie die Lunten. Keine war geknickt. Schade war also nicht unter den Toten. Einesteils war sie enttäuscht. Wiederum freute sie sich. Wenn der Schlaumeier bei solch einem Riesenaufgebot sachkundiger Jäger nicht zur Strecke kam, war es wahrlich kein Wunder, daß Fritz ihn nicht zur Strecke bringen konnte. Nun durfte sie ihn in allen Ehren um Verzeihung bitten. Bald kamen auch die Jäger. Sie waren anfangs recht verklammt, hatten kalte Füße und rote Nasen, aber der heiße Grog half, und so wurde die Runde bald recht vergnügt. Die meisten Schützen wiegten sich in dem Gedanken, Schade
müsse unter den erlegten Füchsen sein. Nur die Eingeweihten wußten es besser. Es dauerte also auch nicht lange, so erhob sich Niessen, um einen Trinkspruch auf den Landschadenfuchs und dessen unrühmliches Ende unter dem Motto: »Der Herr erlöse uns von dem Übel« auszubringen. Baßmann, der Oberförster und sein Assessor sahen dabei angestrengt ins Glas. Völsch warf einen raschen Blick zu Annemarie hinüber. Sie stand an einen Türpfosten gelehnt und wechselte die Farbe, während sie unausgesetzt zu ihrem Liebsten hinübersah. Der erschrak: Alles, nur heute keine Aussprache, nur kein Lamento, dachte er. Wie könnte ich nur unauffällig fortkommen. Funzel war der einzige Störenfried. Er hielt sich für die Hauptperson und die anderen Jagdhunde für unbefugte Eindringlinge, das heißt, soweit sie nicht weiblich waren, denn für das andere Geschlecht zeigte er, trotz seines angeborenen Phlegmas, ein ungemeines Interesse. Da war denn alle Augenblicke der rüpelhafteste Krach im Gange. Das wurde Völsch zu bunt, und er setzte »den Bombengewitterhund, das stichelhaarige Ungeziefer« kurzerhand an die Luft. Anfangs ärgerte sich Funzel. Er kläffte wild. Nach seiner Auffassung hätte man die andern Köter nicht nur raussetzen, sondern zuvor noch gründlich verhauen müssen. Schließlich wurde ihm die Sache langweilig, und er erkannte, daß hier die beste Gelegenheit wäre, auf eigene Faust ein bißchen Jagd zu machen. Zunächst roch er nach den aufgehängten Füchsen. Dann nieste er: »Der Stänker, der schlechte Kerl, ist nicht darunter. Wollen mal sehen, was er eigentlich treibt.« So trabte denn Funzel in den Wald. Viel los war um diese Zeit ja nicht. Den Ka ninchen konnte man nur nachriechen. Die hörten das Knispeln von Funzels harten, dicken Krallen schon aus weiter Entfernung und verschwanden im Zickzack. Ihre Baue aber waren für den dicken Dackel viel zu eng. Mit Hasen war erst recht nichts los. Aber die Spuren und Losung roch Funzel ebenso gern, wie ein Kunstkenner ein gutes Gemälde betrachtet. Sie selber konnte ein rechtschaffener Dackel auch nicht einholen. Aber es war notwendig, sich vom Dasein dieser lieben, schmackhaften Tierchen zu überzeugen. Hier hatte ein Marder den Weg gekreuzt. Dort lagen ein paar Blutströpfchen. Da hatte er wohl eine Maus verspeist. So gab es denn für Funzels Nase trotz des Winterschnees noch recht viel Abwechslung. Aber er blieb zielbewußt. Und schon im ersten Treiben hatte er Glück. Er fand die Spuren des »schlechten Kerls«. Da nahm er sie auf und arbeitete sich mit pedantischer Gründlichkeit weiter, als wäre er an der Leine. Nun zurück zu Schade. Er hatte gestern in Iversen eine bewegte Nacht hinter sich. Dort war mit lautem Klirren ein Köter unvermutet von der Kette freigekommen. Um ein Haar hätte es diesmal dem alten Strauchdieb das Leben gekostet. Es gab die übliche wilde Hetze. Daraufhin war im Dorf nichts mehr zu erben. Der verflixte Köter rannte, froh ob seiner Freiheit, fortgesetzt von einem Hof zum andern, sah sich alles an, was ihm sonst nur geruchsweise mit dem Wind angeweht gekommen war, und fing mit den Kollegen Stunk an. Also mußte Schade sehen, wie er im Wald auf seine Rechnung kam. Ein paar Hasen, die er anpirschte, machten sich vorzeitig lang. Mit Mäusen war in dieser Frostnacht nicht viel los. Ein toter Häher war das einzige, was Schade über den Hunger hinweggeholfen hätte, aber er mochte ihn nicht. Sollten die Kollegen, die Dreckfresser und Hungerleider, ihn haben. Schade stand der Sinn nach Höherem. Gemächlich schnürte er über das Feld nach den Schwarzen Bergen. Unterwegs stieß er unvermutet auf Silva. Sie liebte ihn noch immer trotz seiner Treulosigkeit. Ja, sie mußte ihn lieben; denn er hatte in diesem Winter seine Nebenbuhler
so arg zugerichtet, daß ihnen der Schrecken in die Glieder fuhr, sobald sie nur die Witterung der Fähe verspürten, in deren Nähe sie mit Sicherheit den fürchterlichen Schade vermuteten. Sofort stellten sie ihre Lunten auf Flucht. Den alten Kiff hatte Schade derart mißhandelt, daß dieser alte Gauner ein anderes Revier vorzog. Silva hatte im Gefolge ihres großen Freundes stets mit an seinem Jagdglück teilnehmen dürfen. So schloß sie sich ihm auch diesmal ohne weiteres an. Schade aber war über den losgelassenen Köter in sehr gereizter Stimmung. Und dann mußte er an irgendeinem Wesen seine Gehässigkeit auslassen. Im ganzen Revier kränkte ihn niemand so sehr wie der grobe Jakob Böhlig. Nun, da sie zu zweit waren, lag es durchaus im Bereich der Möglichkeit, dem Rudel dieses Grobians Abbruch tun zu können. Schade versuchte es. Gegen Morgen fand er es beim Verschneiden einer Brombeerhecke, die einen Weg am Waldrand säumte. Vorsichtig pirschte er unter Wind das ganze Rudel entlang. Es war weit auseinandergezogen. Doch standen überall die Kitzchen dicht bei ihren Müttern. Und wenn der alte Bock mal grob schreckte, zuckte es Schade schmerzhaft in den Rippen. Das brachte ihn aber keineswegs von seinem Vorhaben ab, sondern steigerte noch seinen Zorn. Endlich wechselte das Rudel weiter. Ein Kitzlein war sorglos zurückgeblieben und knabberte noch ein wenig herum. Schade drängte sich zwischen das kleine Ding und das abziehende Volk. Jetzt merkte das Böcklein, daß etwas Furchtbares vorging. Es wollte durchbrechen, geriet aber voll auf die Fuchswitterung. Da machte es einen Bogen weit ins Feld hinaus. Die beiden Füchse setzten ihm unmittelbar nach, und somit war es abgesprengt. Die beiden Räuber legten sich ins Zeug. Laut kiffend fingen sie die Hatz an. Damit verwirrten sie ihr Opfer noch mehr. Es beging die Unvorsichtigkeit, ins Holz zu flüchten. Hier waren ihm seine Verfolger, die sich wie Aale durch das Gebüsch wanden, weit überlegen. Es dauerte also auch nicht allzulange, da war es zu Stande gehetzt. Auf den holprigen Furchen einer neu angelegten Schonung stürzte es. Wildgierig fiel ihm Schade an die Drossel. Silva schnitt das noch schlegelnde Geschöpf vom Bauch an. Die Frühnebel zogen dichter und deckten die Tat des Grauens. Schwergesättigt verließen die Räuber die kümmerlichen Reste. Silva suchte ihren nahen Bau auf. Schade aber blieb niemals in der Nähe seiner Untaten wohnen. Er machte sich also nach dem Aschhausener Forst auf. In einem vorgelagerten Birkenbruch stieß er auf einen Jungfuchs, der recht verstört tat. Da schon kamen Schade leise Ahnungen, es könnte zu Hause etwas nicht in Ordnung sein. Aber er war zu träge, um viel darüber nachzudenken. Am Waldrand kam ihm Theobald Lampel entgegen. Nun stutzte Schade doch. Sollte dieser ausgesprochene Waldhase bei dem empfindlichen Winde eine Sasse auf dem Feld suchen wollen? Im Osten rötete sich bereits der Himmel. Der Tag des großen Treibens zog herauf. Feuergold säumte die blaugrauen Morgenwolken. Es war bitter kalt. Der Schnee knisterte unter den Tritten. Welke Blätter raschelten in den kahlen Ästen des Unterholzes. Schade lauschte. Noch schlief der Wald. Keine Stimme war zu vernehmen. Nun überfiel’ ihn das Schlafbedürfnis mit Macht. Er ließ den Fang hängen und trottete mit blinzelnden Lichtern gerade auf Murrjahns Bau los, wo er sich in einer Nebenröhre häuslich eingerichtet hatte. Da schrie rechts von ihm der Häher Tschärr. Seine Familie half ihm schimpfen. Um diese Zeit war das etwas Ungewöhnliches. Schade fragte nun nicht lange. Mit wehender Lunte fegte er los. Aber »autsch!« Das Einfahrtsloch war mit Weißdorn verstopft worden. Jetzt wußte Schade Bescheid. Er eilte zu Pummelinens Bau. Auch hier hatten die
Zweibeiner stachliches Zeug in die Zufahrtsröhren gesteckt. Jeder andere Fuchs hätte sich nun in eine Dickung eingeschlagen, um angstvoll lauschend das Weitere abzuwarten und wäre so, wie die vier Erlegten ins Treiben geraten. Schade aber kannte ähnliche Tücken der Zweibeiner von seinen Fahrten. Also machte er es wie der vorsichtige Theobald Lampel. Er floh aus dem Wald, erstieg die Kuppe des Remenberges und tat sich hier im dichten Ginster nieder. Recht schlafen aber konnte er trotz des windgeschützten Plätzchens und vollen Magens nicht. Denn bald erhub sich in der unter ihm nächstgelegenen Waldparzelle ein hundertstimmiger Lärm. Auch das kannte Schade. Dort unter ihm war eine Treibjagd im Gange, und da die Schreihälse sich von ihm entfernten, schloß er richtig, sich hinter ihrer Linie zu befinden. Er setzte sich auf die Keulen, spitzte die Lauscher und verfolgte aufmerksam und besinnlich dem Radau. Als nach der ersten Einkesselung eine zweite vorgenommen wurde, und nun einzelne Schüsse fielen, verzog sich Schades Galgenphysiognomie zu einem Grinsen. Er hob die Lefzen und zeigte sein spitzes weißes Gebiß, denn er dachte, es könnte womöglich ein Hase krank geschossen werden, der eine gute Kost abgeben würde. Mit diesem tröstlichen Gedanken rollte er sich zusammen, schlug die Lunte um die Nase und schlief, wie es kein Gerechter trotz seines guten Gewissens vermocht hätte. Der erste Eulenruf der nächsten Dämmerung brachte ihn auf die Beine. Es war im Wald still geworden. Die Sterne flimmerten am klaren Himmel in unerhörter Pracht. Die Mondsichel stand scharf und schneidend in der kalten Bläue. Der Frost hatte angezogen. Eisiger zog der Ost. Schade schlug einen weiten Bogen in das Feld hinaus, doch nicht, ohne ein jegliches Grasbüschel und jeden Busch mißtrauisch zu beäugen. Am Waldrand traf er auf einem Roggenfeld äsende Hasen, die sehr vertraut waren. Er selber störte sie nicht, denn sie taten zu lebhaft, um ihn auf dem knisternden Schnee ankommen zu lassen. Aber sie boten ihm die Gewähr, daß die knallenden und brüllenden Zweibeiner abgezogen waren. Auch den Rehbock Baff mit den seinen traf er auf einem Kleefeld. Also schnürte Schade gegen den Wind zu Holze. Zunächst untersuchte er besinnlich die Stellungen der Treiber. Ihren Fährten folgend kam er zu den Schützenständen. An einem Platz hatten sich die Zweibeiner gerudelt und hier gefrühstückt. Sonderbare Überreste außer einigen Knochen fand er da, auch etwas ihm gänzlich Unbekanntes, das sehr scharf roch. Es war eine Käserinde. Schade kostete. Er spie: »Pfui, wie scharf! Ob das vielleicht eine Attacke gegen meine Verdauung sein soll?« Jetzt zog Schade geradewegs auf die Schützenstände los. Fuchsspur. Ihr nach! Da, Schweißspritzer auf dem Schnee. Ha, und hier hat er gelegen! Wie konnte er sich bloß so ängstigen lassen, schnurgerade auf die Knallrüsselträger loszulaufen? Wo ist er nun hin? Gewiß haben ihn die Zweibeiner gefressen. « Schade sträubten sich vor Zorn die Rückenhaare. Er ging um die Schweißlache ein paar Kreise. Dann fand er einen Platz, wo eine Fähe sich gestreckt hatte. »Gemein, sich an einem weiblichen Wesen zu vergreifen!« knurrte er. Doch da, war das nicht Hasenschweiß. Schade wurde sofort lebhaft. Er untersuchte die Stelle genauer. Der Krumme war durch die Schützenlinie entkommen. Somit mußte er, falls ihn kein Hund erwischt hatte, irgendwo liegen oder bereits am Verenden sein. Das Malheur, auf einen Hasen Dampf zu machen, war Niessen passiert, der ihn für einen Fuchs gehalten hatte. Das war dem braven Bürgermeister zu viel. Erst den Kater der Rentnerin Schulte, dann hier trotz des ausdrücklichen Verbotes in der unmittelbaren Nähe des Oberförsters einen Hasen! – Nein, Niessen wollte nun nie wieder eine Flinte in die Hand nehmen.
Schade folgte der Wundfährte mit tiefer Nase. Hier hatte der kranke Lampe gesessen. Dann war er weiter gehoppelt. Ein zweites Lager kam. Von da an standen die Spuren so dicht beieinander, daß Schade ganz aufgeregt wurde. Nun wurden sie warm. Jetzt fing Schade an zu kriechen. Da hockte der Krumme auf der Wiese des Mühlbaches in einem Rohrbüschel mit angelegten Ohren. Schades Lichter funkelten mordgierig. Lautlos pirschte er sich gegen den Wind an. Der Wunde rührte sich nicht. Ein letztes Vorschnellen des Strauchritters, ein qualvolles Quäken. Es war aus. Mit seiner Leistung außerordentlich zufrieden, Umschritt Schade steifbeinig den toten Hoppelmann, beroch ihn, wedelte mit der Lunte, tat ein paar Sprünge, leckte den rinnenden Schweiß und wollte eben anschneiden, als ihm der Wind eine verhaßte Witterung in die Nase wehte. »Bei allen Igeln, Hähern und Käuzen! Dort kommt Funzel! Und er hält sich mit boshafter Hartnäckigkeit an meiner Spur.« Jetzt ließ das Krummbein gar ein halbunterdrücktes »Kiff« hören. Schade sträubte die Rückenborste. Ob dieses bösartige Geschöpf ihm den Hasen streitig machen wollte? Für alle Fälle mußte man es ablenken. Man konnte ja sehen, wie man später zu dem Braten zurückkehren konnte. Allein war der Verräter bestimmt nicht. Das zeigte sein ganzes Benehmen. Also tat Schade ein paar Sprünge in die Wiese. Funzel stutzte, erkannte jedoch sofort den verhaßten Stänker und stürzte mit lautem Gekläff auf ihn los. Schade machte wieder ein paar lange Fluchten, Funzel jappte hinterdrein. Seine Stimme überschlug sich vor Zorn. Einholen konnte er den Feind nicht. Vielleicht wurde Schade plötzlich ohnmächtig oder fiel in ein Loch, vielleicht brach er gar ein Bein? Jedenfalls hieß es jetzt: auf keinen Preis locker lassen! Diese seltsame Jagd ging in den Wald, von dort wieder über den gefrorenen Mühlbach, dann ein paarmal im Kreis herum. Schade flitzte mit ein paar Fluchten ein Stück voraus und wartete. Funzel keuchte hinterdrein. Zuweilen kam Schade der Gedanke, den Hasen zu packen und mit ihm zu verschwinden. Dazu aber war die Beute zu schwer. Sicherlich hätte Funzel ihn eingeholt. Jetzt fing der Strauchdieb vor Zorn an zu keckern: »Wann endlich wirst du verdammtes Krummbein müde werden und nachlassen?« Wohl eine Stunde mochte die Hetze gedauert haben. Schade hatte wieder einmal auf der Wiese haltgemacht und erwartete grimmig seinen Feind, entschlossen, ihm diesmal an den Kragen zu gehen. Da zerriß ein lauter Knall den Frieden des Waldes. Schade zuckte zusammen, ob vor Schmerz oder Schreck wußte er nicht. Dann aber raste er wie irrsinnig in den Wald. Er spürte auf der Zunge einen süßlichen Geschmack. Rote Schaumflocken zeichneten seinen Weg. Bald wurde ihm so elend und schläfrig zumute, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Aus der Flucht fiel er ins Schnüren. Zuletzt ging er langsam und taumelig. Den Knall, selbst Funzel und den Hasen hatte er vergessen. Nur schlafen wollte er. Er schob sich in einen Machangelbusch und legte sich schwer auf die Seite. Funzel fand ihn und würgte ihn gewaltig am Hals. Schade aber spürte es nicht mehr. Er war tot. Als sein Feind gar keine Lebenszeichen von sich gab, hob Funzel den Kopf nach der Mondsichel und verbellte tot. »Komm, Herrchen, komm! Wau – wau – wau! – Hier liegt der Stänker. Hier hab’ ich den schlechten Kerl! Wau – wau – jawohl, der Funzel hat ihn erwischt und ihn erwürgt! Schnell – schnell! « Völsch kam, hob Schade an der Lunte auf, besah ihn und sagte: »Tatsächlich, das ist er. Komm her, du Gelbkreuz-granaten-Bombengewitterhund. Das hast
du gut gemacht. Dafür gibt es eine Extrawurst.« Völsch hatte sich draußen vor dem Festhaus nach Funzel umsehen wollen. Als er ihn nicht fand, ergab sich der beste Vorwand zu verschwinden. Er nahm den Drilling, ließ seinem Freund durch Jochen Bescheid sagen und ging. Unterwegs hörte er das Geläute Funzels. Aus dem Ton wußte er, was die Glocke geschlagen hatte. Vorsichtig pirschte er sich näher, und endlich bekam er seinen Todfeind vor den Lauf. Noch war die Gesellschaft vollzählig beim fröhlichen Umtrunk beisammen, als Völsch mit den irdischen Resten Schades in die Stube trat und schlicht sagte: »Da ist er.« Aller Augen wandten sich ihm zu, um von dem glücklichen Schützen und dem großen Rüden erstaunt hin und her zu wandern. »Ja, das ist er! « sagten nun auch Baßmann, der Oberförster und der Assessor aus einem Mund. Dann Stille. In die klang von der Tür her, wo Annemarie stand, ein leiser Aufschrei. Die Jäger aber hatten, trotz des wütendsten Protestes Funzels, Schade umringt. Die Hunde wollten auch den Fuchsrüden begutachten. Es gab einen allgemeinen Aufstand. »Raus mit den Kötern! Der Bombengewitterhund bleibt drin!« befahl der Oberförster. Jetzt erhob sich ein heilloses Durcheinander. Die Hunde jaulten bei den Zwangsmaßnahmen ihrer Herren. Einige gar kläfften. Funzel war selig. Er gab fortgesetzt Standlaut. Völsch wollte die Verwirrung benutzen, um sich erneut fortzumachen. Aber er hatte nicht mit dem »Kreuzmillion, stichelhaarigen Ungeziefer« gerechnet, das von dem verhaßten Stänker nicht fortzubringen war, sondern seinen Triumph zur Neige auskosten wollte. Nachdem endlich diese Schwierigkeit überwunden worden war, trat ihm in der Gestalt Annemaries eine neue in den Weg. Sie stand vor ihm wie angewurzelt, streckte ihm beide Hände hin und sagte: »Er hätte meinetwegen leben bleiben können. « Völsch sah seiner Liebsten ins Gesicht, sah, wie die großen blauen Augen sich mit Tränen füllten und stammelte verwirrt: »Nicht ich habe ihn auf dem Gewissen, sondern dieser Wildwest – kreuzmillion . . .« Da aber versagte ihm die Stimme. Wie das Weitere gekommen war, wußten die Liebenden später nicht zu sagen. Sie standen plötzlich unter jubelnden und glückwünschenden Weidmännern. Das Mädchen hatte den Kopf an die Schulter des Geliebten gelehnt. Schade lag unbeachtet in einem Winkel. Allein Funzel beschäftigte sich mit seinem Erbfeind. Er roch nachdenklich, gründlich und lange unter der Lunte. Dann fiel er erneut über ihn her und würgte ihn mächtig am Hals. Im Frühjahr feierte Völsch mit Annemarie eine stille Hochzeit. Jetzt hatte er den Erbhof der Göhdes im Lüneburgischen übernehmen müssen. Er gilt allgemein als ein tüchtiger Landwirt, sorgsamer Heger seines Wildes, guter Weidgesell und treuer Kamerad. Bei den Jagden der Umgegend pflegen er und seine Frau selten zu fehlen. -ENDE-