Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Band 113
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Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Band 113
Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Herausgegeben von H. Saß, Aachen · H. Sauer, Jena · F. Müller-Spahn, Basel Band 93: Selbstbild und Objektbeziehungen bei Depressionen Untersuchungen mit der Repertory Grid-Technik und dem Gießen-Test an 139 PatientInnen mit depressiven Erkrankungen Von H. Böker (ISBN 3-7985-1202-7) Band 94: Elektrokrampftherapie Untersuchungen zum Monitoring, zur Effektivität und zum pathischen Aspekt Von H. W. Folkerts (ISBN 3-7985-1204-3) Band 95: Der Nerve Growth Factor bei neuropsychiatrischen Erkrankungen Ein pleiotroper Modulator mit peripherer und zentralnervöser Wirkung Von R. Hellweg (ISBN 3-7985-1205-1) Band 96: Aufklärung und Einwilligung in der Psychiatrie Ein Beitrag zur Ethik in der Medizin Von J. Vollmann (ISBN 3-7985-1206-X) Band 97: Tabakabhängigkeit Biologische und psychosoziale Entstehungsbedingungen und Therapiemöglichkeiten Von A. Batra (ISBN 3-7985-1212-4) Band 98: Die psychosozialen Folgen schwerer Unfälle Von U. Schnyder (ISBN 3-7985-1213-2) Band 99: Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit Psychische und neurobiologische Effekte von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstörung und Agoraphobie Von A. Brooks (ISBN 3-7985-1240-X) Band 100: Das dopaminerge Verstärkungssystem Funktion, Interaktion mit anderen Neurotransmittersystemen und psychopathologische Korrelate Von A. Heinz (ISBN 3-7985-1248-5) Band 101: Versorgungsbedarf und subjektive Sichtweisen schizophrener Patienten in gemeindepsychiatrischer Betreuung Evaluationsstudie im Jahr nach Klinikentlassung in der Region Dresden Von Th. Kallert (ISBN 3-7985-1263-9)
Band 104: Schizophrenien prälingual Gehörloser Eine Untersuchung im lautlosen Kompartiment des „menschengemeinsamen Raums“ Von K. Schonauer (ISBN 3-7985-1348-1) Band 105: Zur Emotions/Kognitions-Kopplung bei Störungen des Affekts Neurophysiologische Untersuchungen unter Verwendung ereigniskorrelierter Potentiale Von D. E. Dietrich (ISBN 3-7985-1347-3) Band 106: Neuronale Korrelate psychopathologischer Symptome Denk- und Sprachprozesse bei Gesunden und Patienten mit Schizophrenie Von T. Kircher (ISBN 3-7985-1377-5) Band 107: Familienbefunde bei zykloiden Psychosen und manisch-depressiver Erkrankung Ein Beitrag zur Nosologie bipolarer phasischer Psychosen Von B. Pfuhlmann (ISBN 3-7985-1420-8) Band 108: Geschlechtsspezifische Unterschiede der schlafendokrinen Regulation und deren Bedeutung für die Pathophysiologie der Major Depression Von I. A. Antonijevic (ISBN 3-7985-1487-9) Band 109: Serotonin und akustisch evozierte Potentiale Auf der Suche nach einem verläßlichen Indikator für das zentrale 5-HT-System Von G. Juckel (ISBN 3-7985-1513-1) Band 110: Psychiatrie der Brandstiftung Eine psychopathologische Studie anhand von Gutachten Von W. Barnett (ISBN 3-7985-1519-0) Band 111: Zerebrale Korrelate klinischer und neuropsychologischer Veränderungen in den Verlaufsstadien der Alzheimer-Demenz Untersuchungen mit der quantitativen Magnetresonanztomographie Von J. Pantel und J. Schröder (ISBN 3-7985-1603-0)
Band 102: Psychopathologie von Leib und Raum Phänomenologisch-empirische Untersuchungen zu depressiven und paranoiden Erkrankungen Von Th. Fuchs (ISBN 3-7985-1281-7)
Band 112: Effektivität der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus Mit einer Synopse zu Geschichte, Stand und aktueller Entwicklung der psychiatrischen Ergotherapie Von T. Reuster (ISBN 3-7985-1641-3)
Band 103: Wahrnehmung der frühen Psychose Untersuchungen zur Eigen- und Fremdanamnese der beginnenden Schizophrenie Von M. Hambrecht (ISBN 3-7985-1292-2)
Band 113: Gefährlichkeitsprognosen Eine empirische Untersuchung über Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs Von D. Seifert (ISBN 978-3-7985-1755-4)
D. Seifert
Gefa¨hrlichkeitsprognosen Eine empirische Untersuchung über Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs
Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Seifert Institut für Forensische Psychiatrie Rheinische Kliniken Essen Kliniken/Institut der Universität Duisburg-Essen Virchowstraße 174 45147 Essen
ISBN 10 ISBN 13
3-7985-1755-X Steinkopff Verlag Darmstadt 978-3-7985-1755-4 Steinkopff Verlag Darmstadt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Steinkopff Verlag Darmstadt ein Unternehmen von Springer Science+Business Media www.steinkopff.springer.de © Steinkopff Verlag Darmstadt 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Verlagsredaktion: Dr. Maria Magdalene Nabbe Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11891024
80/7231 – 5 4 3 2 1 0 – Gedruckt auf säurefreiem Papier
„Das Leben kann in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“ (Søren Kierkegaard)
Danksagung Herrn Prof. Dr. med. Norbert Leygraf möchte ich für die Anregung und Ermöglichung der Untersuchung und für die stets wertvolle und konstante Unterstützung herzlich danken. Des Weiteren gilt mein Dank den Projektmitarbeiterinnen Frau Dr. Karen Jahn, Frau Dipl.-Psych. Stefanie Bolten und vor allem Frau Dr. Simone Möller-Mussavi, ohne deren langjähriges Engagement diese Studie nicht durchführbar gewesen wäre. Zudem bin ich Herrn Prof. Dr. Markus Wirtz für seine sehr verlässliche Hilfe bei der statistischen Auswertung und den Berechnungen zu Dank verpflichtet. Nicht unerwähnt möchte ich jene lassen, die unverzichtbarer Grundstock und Thema dieser Arbeit sind: die Patienten und Patientinnen, die ihr Einverständnis zur Mitarbeit an dieser Untersuchung gegeben haben. Ihnen, den Leitern und Mitarbeitern/-innen der beteiligten psychiatrischen Kliniken sowie den Bewährungshelfern/-innen gilt mein herzlicher Dank. Dank gebührt zudem der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Studie sechs Jahre finanziell unterstützt hat. Vor allem möchte ich meiner Ehefrau Elisabeth herzlich dafür danken, dass sie mit ihrer ganz eigenen Art meine mitunter geistige Abwesenheit erduldet, mich aus der wissenschaftlichen Gedankenwelt auf den Boden der Realität zurückgeholt und gleichzeitig liebe- und verständnisvoll begleitet hat. Die Erkenntnis, dass neben der Arbeit auch andere wichtige Dinge im Leben existieren, verdanke ich dem lebendigen Naturell unserer Kinder Lennart und Linda.
Inhaltsverzeichnis . . . . . . .
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1 3 6 6 8 10 17
.............. .............. .............. .............. .............. Wiedereingliederung .............. ..............
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. . . . . . . .
24 24 25 28 28 29 31 31
1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4
Einführung in das Thema Gefährlichkeitsprognosen Problematik der Prognosestellung . . . . . . . . . . . . . . Bisheriger Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurobiologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuarische Prognoseinstrumente . . . . . . . . . . . . . . Prognosen im Maßregelvollzug . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.4
Die Essener Prognosestudie . . . . . . . . . . . . Studiendesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Erhebungsbogens . . . . . . . . Beteiligte Kliniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfassung der Zielvariable Rückfall/gescheiterte Analyse der Rückfallkriterien . . . . . . . . . . . . Statistische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . .
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.4
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Gesamtstichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheitsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit gescheiterter Wiedereingliederung . . . . . . . . . . . Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grund des Scheiterns bzw. Art der Rückfalldelinquenz . . . . . . . Juristische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheitsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entlassungsziel und Nachsorgesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . Anamnestische Risikomerkmale (Erhebungsbogenteil A) . . . . . . Soziodemografische Daten und Verweildauer . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit schwerwiegenden Rückfalldelikten . . . . . . . . . . Probanden mit einer Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit Sexualstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit Tötungsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit einer Suchtproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der apparativen, testpsychologischen und neurologischen Untersuchungen (Erhebungsbogenteil B) . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse psychometrischer und apparativer Daten . . . . . . . . . . . Neurological Soft Signs (NSS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der NSS Rückfälliger und Nicht-Rückfälliger . . . . . . . NSS in Beziehung zu Diagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung ohne Minderbegabung
3.4.1 3.4.2 3.4.2.1 3.4.2.2 3.4.2.3
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35 35 35 37 37 39 43 45 45 49 50 53 55 56 60 60 61 62 62 62 63 63 63
. . . . . .
. . . . . .
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66 66 67 68 69 71
VIII
3.4.3 3.5 3.5.1 3.5.1.1 3.5.1.2 3.5.1.3 3.5.1.4 3.5.1.5 3.5.2 3.5.2.1 3.5.2.2 3.5.2.3 3.5.3 3.5.3.1 3.5.3.2 3.5.3.3 3.5.3.4 3.5.3.5 3.5.3.6 3.5.3.7 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6 3.6.7 3.6.8 3.6.9 3.6.10 3.6.11 3.6.12 3.6.13
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse klinischer Risikomerkmale (Erhebungsbogenteil C) . . . . . . . Vergleich der Rückfälligen mit gematchter Nicht-Rückfälligen-Gruppe Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erklärende Beschreibung der Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnung des Risikoscores aller relevanten Einzelitems . . . . . . . . Risikoscore der Einzelitems nach logistischer Regression . . . . . . . . . Risikoscore der Faktoren nach logistischer Regression . . . . . . . . . . . Gesamtgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktorenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikoscore der Faktoren nach logistischer Regression . . . . . . . . . . . Risikoscore der Einzelitems nach logistischer Regression . . . . . . . . . Analyse klinisch relevanter Subgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit einer Suchtproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden, die das Delikt unter Rauschmitteleinfluss verübten . . . . . Probanden mit einer Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit Sexualstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probanden mit Tötungsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich „leichter“ versus „schwerer Rückfälligkeit“ . . . . . . . . . . . Vergleich der Ergebnisse mit anderen Prognosestudien . . . . . . . . . . Einzelitems ohne prognostische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Forensische Sonntagsfragen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Berichte der Bewährungshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachliche Nachsorgesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wohnsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familie und Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkohol- und Drogenkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychisches Befinden und Alltagsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenarbeit mit anderen Institutionen („Helferrunden“) . . . . . . . Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Globale Einschätzung der Berichte durch die Untersucher . . . . . . . . Berichte über Sexualstraftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichte über die Probanden mit schwerwiegenden Rückfalldelikten . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 72 73 73 77 80 82 83 85 85 86 87 89 89 90 92 93 94 95 95 97 99 99 102 105 106 107 108 109 109 111 111 112 114 115 117 118
4
Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
5
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
6
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
154
7 7.1 7.2
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebungsbogenteil A (historisch-anamnestische Daten) . . . . . . . . . . Erhebungsbogenteil B (biologische, testpsychologische und neurologische Daten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebungsbogenteil C (klinische Einschätzung) . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen zur Stichprobenbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellen mit Auflistung der statistischen Werte (Erhebungsbogenteil C) Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 165
7.3 7.4 7.5 7.6
166 167 176 178 187
1. Einführung in das Thema Gefährlichkeitsprognosen Psychisch kranke Rechtsbrecher mit einer anhaltenden Gefährlichkeit werden nach deutschem Recht nicht in Justizvollzugsanstalten, sondern in Einrichtungen des Maßregelvollzugs untergebracht. Dieser ist Teil des psychiatrischen Versorgungssystems, obgleich Einweisung und Dauer der Behandlung letztlich von strafrechtlicher Seite entschieden werden. Die juristischen Voraussetzungen sind in den §§ 61-69 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Kommt das erkennende Gericht zu der Überzeugung, dass ein Angeklagter bei Begehung seiner Straftat als schuldunfähig bzw. vermindert schuldfähig (§§ 20,21 StGB) anzusehen ist, so muss die Frage beantwortet werden, inwieweit er auch zukünftig eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Zur Abwendung möglicher weiterer Straftaten hat das Gericht mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen über eine strafrechtliche Unterbringung gemäß § 63 StGB zu entscheiden: § 63 StGB – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Die Aufgaben des psychiatrischen Maßregelvollzuges betreffen zwei wesentliche Gesichtspunkte. Zum einen soll die psychische Erkrankung bzw. Störung des Patienten erfolgreich therapiert und zum anderen die Öffentlichkeit vor dem als gefährlich eingestuften psychisch kranken Rechtsbrecher geschützt werden. Diese beiden Aspekte sind untrennbar miteinander verbunden. Die Unterbringung nach § 63 StGB ist unbefristet. Für den Patienten bedeutet dies einen zeitlich nicht vorhersehbaren Freiheitsentzug, was für die Therapieplanung nicht ohne Belang ist. Derzeit verweilen die Patienten im Mittel etwa 6 Jahre im Maßregelvollzug. Das arithmetische Mittel spiegelt hierbei jedoch nur bedingt die reale Situation wider, da die Spannweite sich zwischen einigen Monaten und über drei Jahrzehnten bewegt (s. Kap. 3.1.5). Einmal jährlich geben die Therapeuten der forensischen Kliniken für das zuständige Gericht (Strafvollstreckungs-
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kammer) eine gutachterliche Stellungnahme zum Therapieverlauf und zur Entlassungsmöglichkeit des Patienten ab (§ 67e StGB). Nach der Entlassung tritt Führungsaufsicht ein (§ 68 StGB). Diese entspricht weitgehend der vom Regelvollzug bekannten Bewährungszeit, obgleich dem Kontrollaspekt eine höhere Bedeutung zukommt. Bis zur Reform des Strafrechts durch das „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ (26.01.1998) betrug die Dauer zwischen zwei und maximal fünf Jahren; mittlerweile kann in Einzelfällen auch eine unbefristete Führungsaufsicht ausgesprochen werden. Während dieser Zeitspanne ist der Patient angehalten, sich an die richterlich auferlegten Weisungen zu halten. Der Führungsaufsichtsstelle kommt hierbei primär eine kontrollierende Funktion zu, während die Aufgabe des Bewährungshelfers vor allem darin besteht, dem Probanden „helfend und betreuend zur Seite zu stehen” (§ 68a II StGB). Der die Dauer der Unterbringung regelnde § 67d Abs.2 StGB sah bis zur Strafrechtsreform 1998 vor, dass das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung eines Patienten zur Bewährung aussetzt, „sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“. Nunmehr heißt es, dass erst zu dem Zeitpunkt eine Entlassung zu befürworten ist, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird.“ Diese Umformulierung hat einerseits zur Schwellenerhöhung der Entlassungsvoraussetzungen und andererseits zum Anstieg der Anforderungen an Gefährlichkeitsprognosen geführt. Infolgedessen lässt sich seit Ende der 90er Jahre ein anhaltender Rückgang der Entlassungszahlen bei gleichzeitiger Zunahme der mittleren Verweildauer beobachten (Seifert u.a., 2001b). Es dürfte allerdings nur schwerlich zu differenzieren sein, ob dies als direkte Folge der Gesetzesänderung oder aber als Ausdruck des aktuellen kriminalpolitischen Gesamtklimas zu verstehen ist. Im Vorfeld dieser Gesetzesänderung war in der öffentlichen Diskussion die Qualität psychiatrischer Gutachten grundlegend in Frage gestellt worden. (Zu den Hintergründen der Gesetzesänderung siehe u.a. Hammerschlag & Schwarz, 1998; Leygraf, 2004). Der Ruf nach erhöhter, mög-
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lichst 100-prozentiger Sicherheit bei der Einschätzung der Rückfallgefahr von Straftätern wurde laut. Auch auf wissenschaftlicher Seite kam die seit mehreren Jahrzehnten anhaltende Debatte über methodische Vorgehensweisen, Möglichkeiten und Grenzen psychiatrischer Gefährlichkeitsprognosen erneut in Gang. Insbesondere wurde der Mangel an empirisch gesicherten Prognosemerkmalen beklagt.
1.1 Problematik der Prognosestellung Die Einschätzung der Gefährlichkeit eines psychisch kranken Menschen gehört zu den Grundaufgaben der forensisch-psychiatrischen Praxis. Neben medizinisch-psychiatrischem und psychologischem Wissen bedarf es zudem kriminologischer Kenntnisse. Vor allem bei der Frage einer anstehenden Entlassung aus dem Maßregelvollzug kommt dieser Aufgabe eine zusätzliche Brisanz zu. Eine gescheiterte Wiedereingliederung, evtl. mit einer erneuten Straftat, wird nicht selten Thema öffentlicher Bewertung. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen in erster Linie die Gutachter und Therapeuten, weil sie einen „gefährlichen Kranken“ in die Allgemeinheit entlassen haben. Erneute Straffälligkeit und nicht etwa „psychische Besserung“ wie in anderen medizinischen Fächern gilt gemeinhin als die relevante Messgröße für die Wirksamkeit des psychiatrischen Maßregelvollzuges. Empirische Untersuchungen belegen, dass die Rückfallzahlen ehemaliger Straftäter der Justizvollzugsanstalten wesentlich höher liegen (Leygraf, 1998; Dünkel & Geng, 1994; Jehle u.a., 2003). Aus gesellschaftlicher Perspektive erscheint es daher bemerkenswert, dass die Öffentlichkeit seit jeher offenbar stillschweigend hinnimmt, dass vom Regelvollzug (ca. 64.000 Inhaftierte) einschließlich sozialtherapeutischer Einrichtungen eine weit höhere Gefahr ausgeht als von psychisch kranken Rechtsbrechern (ca. 6.500 gemäß § 63 StGB Untergebrachte - Statistisches Bundesamt, 2005). Neben dem Axiom, dass prognostische Aussagen niemals eine 100prozentige Treffergenauigkeit erzielen können, lassen sich nach Leygraf (2004) drei methodische Grundprobleme anführen:
4
1)
Prognostische Begutachtungen sind überwiegend persönlichkeitszentriert. Neben persönlichkeitsspezifischen Eigenschaften spielen jedoch auch Umgebungsfaktoren (z.B. subkulturelles Milieu) sowie situative Bedingungen eine entscheidende Rolle. Mit zunehmendem Prognosezeitraum erhöht sich zwangsläufig die Zahl anfangs kaum vorhersehbarer Ereignisse, z.B. bedeutsame Änderungen der Lebensumstände (Arbeitslosigkeit, Trennung vom Lebenspartner etc.). Aus diesem Grunde wurde zuweilen gefordert, dass prognostische Einschätzungen generell nur für überschaubare Zeiträume erfolgen sollen (Monahan, 1978; Nedopil, 1998a).
2)
Katamnestische Untersuchungen lassen stets nur Aussagen über eine der beiden Fehlermöglichkeiten zu, nämlich den „false negatives“, bei denen sich eine günstige Prognosestellung im Nachhinein als falsch erwiesen hat. Die Patienten jedoch, bei denen zu Unrecht eine ungünstige Prognose gestellt wurde, können ihre Ungefährlichkeit nicht beweisen, da sie weiterhin untergebracht bleiben. Die Häufigkeit dieser Fehlerart war laut US-amerikanischen Untersuchungen Anfang der 70er Jahre außerordentlich hoch. Im Jahr 1966 entschied der U.S. Supreme Court im so genannten „Baxtrom-Fall“, dass insgesamt 967 Patienten aus hoch gesicherten psychiatrischen Kliniken der USA in zivile psychiatrische Krankenhäuser verlegt werden mussten, da die Unterbringung nicht auf der Entscheidung eines ordentlichen Gerichts basierte. Die betroffenen Patienten waren im Mittel 14 Jahre in gesicherten Einrichtungen untergebracht und galten weiterhin als „gefährlich“ (Steadman & Cocozza, 1974). Nach einer 2- bis 4-jährigen Katamnese fielen lediglich 14% mit erneuten Gewaltdelikten auf. Der Anteil der „false negatives“ lag demnach bei 86%. Zu fast identischen Ergebnissen kamen Thornberry und Jacoby (1979), die insgesamt 414 ehemalige Patienten einer Hochsicherheitsklinik nachuntersuchten (sog. „Dixon-Patienten“). Eine Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf heutige Verhältnisse in Deutschland dürfte indes kaum möglich sein, da zur damaligen Zeit geradewegs katastrophale Zustände in den forensischen Einrichtungen der USA herrschten. Dennoch weisen sie eindrücklich auf die folgenschwere Möglichkeit dieses Entscheidungsfehlers hin.
5
3)
Der Effekt der Basisrate ist ein statistisches Problem, welches die Treffsicherheit von Kriminalprognosen limitiert (Kühl & Schumann, 1989; Volckart, 2002). Gewaltdelinquenz ist ein relativ seltenes Geschehen. So liegt die jährliche Anzahl der vorsätzlichen Tötungen in Deutschland bei 1,2 auf 100.000 Bewohner; in den USA hingegen wird diese so genannte „homicide rate“ mit 6,8 angegeben (Schneider, 2002), wobei hierbei nicht zwischen Erst- und Wiederholungstat unterschieden wird. Je geringer die Basiswahrscheinlichkeit für ein Ereignis, desto schwieriger ist die Vorhersagbarkeit. Basisraten für Rückfalldelikte sind nur schwer exakt zu bestimmen. Versuche einer wissenschaftlich fundierten Berechnung liefern derzeit eine eher grobe Orientierung (Groß, 2004; Jehle, 2004).
Neben diesen Problemen wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass der Terminus „Gefährlichkeit“ ein Konstrukt darstellt, bei dem es an einer allseits anerkannten Definition mangelt (Harding & Adserballe, 1983; Floud, 1982). Aus juristischer Sicht war bereits Anfang des letzten Jahrhunderts auf dieses grundsätzliche Problem aufmerksam gemacht worden, als Exner die Gefährlichkeit als einen „gefährlichen Begriff“ bezeichnete (Exner, 1914). Es handelt sich keineswegs um eine quasi stabile Eigenschaft einer Person, sondern um ein multikausales Phänomen, welches von der Zeit, den Umständen, dem Alter und vielen weiteren Einflussvariablen eine gewisse, aber nicht gleich bleibende Abhängigkeit aufweist. Langzeituntersuchungen haben ergeben, dass der Ausstieg aus der Kriminalität – unabhängig von den sozialen Startbedingungen – zu jedem Lebenszeitpunkt erfolgen kann (Farrington, 1995; Lay u.a., 2001). Wenig Einigkeit im wissenschaftlichen Diskurs herrscht bei der Grundsatzfrage, ob die Psychiatrie allein mit ihrem Fachwissen zu validen Gefährlichkeitsvorhersagen in der Lage ist. Für die Einschätzung, ob ein schizophrener Patient, der aus einem Wahnerleben heraus einen nahen Angehörigen erheblich verletzt oder gar getötet hat, weitere Delikte begehen wird oder nicht, lässt sich diese Frage wohl ohne größere Zweifel bejahen. Tat und psychische Erkrankung stehen hier in engem kausalen Zusammenhang. Eine umfassende, dem derzeitigen Kenntnisstand entsprechende Therapie würde bei diesem Patienten voraussichtlich nicht nur
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zu einem Abklingen der Krankheitssymptomatik, sondern auch zu einer deutlichen Reduzierung seiner „Gefährlichkeit“ führen. Für die legalprognostische Einschätzung von Tätern mit einer Persönlichkeitsstörung, die mittlerweile deutlich mehr als die Hälfte der gemäß § 63 StGB untergebrachten Patienten einnehmen, ist indes nicht ohne weiteres zu bejahen, dass psychiatrisches Fachwissen zu einer validen Gefährlichkeitsaussage ausreicht. Mehr als 70% der forensischen Patienten sind z.T. vielfach vorbestraft (Seifert & Leygraf, 1997a). Deren biografische Eckdaten weisen mehr Ähnlichkeiten zu nicht psychisch kranken Rechtsbrechern als zu nicht dissozialen psychisch Kranken auf (Leygraf, 1988). Daher wird von Prognosegutachtern neben einem ausgewiesenen psychiatrischen Expertenwissen zumindest ein kriminologisches Basiswissen gefordert (u.a. Nedopil, 2000).
1.2 Bisheriger Forschungsstand 1.2.1 Historischer Überblick Bereits kurz nach Gründung des deutschen Reiches wurden intensive Überlegungen angestrengt, von der Norm abweichende Menschen aus der Gesellschaft auszugrenzen. Dieses zielte vor allem auf „psychisch abnorme“ Straftäter. 1880 forderte der Psychiater Emil Kraepelin eine Abschaffung des Strafmaßes und stellte stattdessen die Behandlungsidee in den Vordergrund. Eine Entlassung sollte demzufolge erst zu dem Zeitpunkt erfolgen, wenn sich eine „Besserung“ der Person herausgestellt hatte. Im Umkehrschluss bedeutete dies ein lebenslanges Wegschließen für „Unverbesserliche“. Diese Überlegungen griff der Jurist von Liszt auf, um sie in der Folgezeit weiter auszudifferenzieren und schuf somit die Basis des deutschen Maßregelsystems. Gesetzlich umgesetzt wurde dies letztlich von den Nationalsozialisten mit dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregel der Sicherung und Besserung“ vom 24.11.1933. Jedoch stand man bereits Anfang des 20. Jahrhunderts der Möglichkeit, den tatsächlich gefährlichen von dem ungefährlichen Menschen unter-
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scheiden zu können, durchaus skeptisch gegenüber (Finger, 1908). Die Forschungsbemühungen nach dem 1. Weltkrieg stimmten zunächst optimistisch. Glueck und Glueck veröffentlichten die erste statistische Prognosetafel (Glueck & Glueck, 1930, 1960). Sie trugen bei 500 „anhaltend Kriminellen“ und 500 Nichtkriminellen somatisch-medizinische, psychologische und soziokulturelle Merkmale zusammen. Anhand der größten Differenzen zwischen den beiden Gruppen ergaben sich fünf prognoserelevante Faktoren. Diese bezogen sich sämtlich auf die familiäre Struktur, in der der Proband aufgewachsen war. Demnach sprach für eine erhöhte Delinquenzgefahr ein „überstreng oder wechselhaft“ gestalteter Erziehungsstil des Vaters sowie ein „gleichgültig oder feindliches“ Verhalten beider Elternteile. Einer „unzureichenden Aufsicht“ der Mutter sowie einem „nicht vorhandenen Zusammenhalt in der Familie“ wurden ebenso negative Effekte beigemessen. Im deutschsprachigen Raum widmeten sich Frey (1951) und Mayer (1953) der Rückfall- und Prognoseforschung. Diese empirischen Arbeiten erhielten auf dem Londoner Kongress der Internationalen Gesellschaft für Kriminologie im Herbst 1955 internationale Anerkennung und zugleich galt das prognostische Problem als weitgehend gelöst (Dreher, 1957). Durch die Ergebnisse US-amerikanischer Untersuchungen der Arbeitsgruppen um Steadman und Monahan in den 70er Jahren wich dieser Optimismus einer grundlegenden Skepsis (Hinz, 1987; Webster & Bailes, 1994). Monahans Metaanalyse über acht Prognosestudien erbrachte eine Quote von 54% bis 99% so genannter „false positives“, also Patienten, die sich im Nachhinein als tatsächlich ungefährlich herausgestellt haben (Monahan, 1981). Diese nun pessimistisch stimmenden Forschungsergebnisse veranlassten die American Psychiatric Association 1974 zu der Äußerung, dass „die Fähigkeit von Psychiatern oder irgendeiner anderen Berufsgruppe, reliabel zukünftige Gewalttätigkeit vorauszusagen, unbewiesen sei“ (zitiert nach Kinzig, 1996, S. 92). Weitere experimentelle Untersuchungen stützten diese These (Quinsey & Ambtman, 1979; Montandan & Harding, 1984). Etwa zeitgleich fokussierte sich das wissenschaftliche Interesse auf methodische Probleme der empirisch fundierten Vorhersagemöglichkeit von Gewalttätigkeit. Kühl und Schumann wiesen auf das statistische Problem der Basisrate hin (Kühl & Schumann, 1989).
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Außerdem konnte herausgearbeitet werden, dass sich mit zunehmendem Prognosezeitraum die Zahl unvorhersehbarer Ereignisse erhöht und somit die prognostische Treffgenauigkeit sinkt (Monahan, 1978). 1.2.2 Neurobiologische Aspekte Die biologische Erforschung delinquenten Verhaltens geht auf den Kriminologen Cesare Lombroso zurück, der 1876 das Postulat aufstellte, Gewalttätern würden höhere Nervenzentren fehlen (historische Übersicht bei: Kröber u.a., 1994a; Möller-Mussavi u.a., 2002; Walter, 2004). Seine „Verbrecherstudien“ basierten auf unkontrollierten Beobachtungen von Straftätern unterschiedlicher Delinquenz, die weder den heutigen noch den damaligen wissenschaftlichen Überprüfungskriterien standhalten können. In seinen Atlanten führte Lombroso Zeichnungen von „idealtypischen“ Verbrecherköpfen an, die nicht allein zur Differenzierung von „Entartung und Genie“ dienen, sondern auch spezifische Deliktgruppen - vorzugsweise „Mördertypen“ – zu unterscheiden in der Lage sein sollten (Lombroso, 1887-1898). Anhand physiognomischer Besonderheiten des Gesichts und des Schädels unvermittelt auf genetisch determinierte Persönlichkeitsmerkmale im Sinne eines moralischen Defizits zu schließen („homo delinquens“), forderte erwartungsgemäß alsbald Kritiker heraus. Dabei stützte man sich vor allem auf die Arbeiten von Lichtenberg, der bereits ein Jahrhundert zuvor in seinem Aufsatz „Über Physiognomik; wider die Physiognomen“ formuliert hatte, dass das Vorhaben „die Zeichen der Stirn“ deuten zu wollen vergleichbar sei mit der Deutung „der Zeichen der Sterne“ (Lichtenberg, 1778). Die Vermutung, dass chromosomale Störungen ein (Teil-)Faktor für kriminelles Verhalten sind – insbesondere die XYY-Anomalie – gilt mittlerweile als widerlegt (Andrews & Bonta, 1994). In den letzten Jahren konzentriert sich diese Forschungsrichtung auf die bildgebende Darstellung funktioneller Veränderungen vor allem im präfrontalen Kortex (speziell in der orbitofrontalen Region) und Temporallappen (z.B. Raine u.a., 1998; Müller u.a., 2003). Zugleich wurden strukturelle Veränderungen im präfrontalen Kortex bei Probanden mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung beschrieben (Raine u.a., 2000). Diese substanziellen Verände-
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rungen sowie der Hypometabolismus sollen zu einer Disinhibition aggressiven Verhaltens führen und somit eine dissoziale Entwicklung begünstigen. Eine finnische Studie konnte diese Ergebnisse nach Korrektur sonstiger Belastungsfaktoren der Stichprobe (Alkoholmissbrauch, Erziehung) hingegen nicht replizieren (Laakso u.a., 2002). Für spezielle Deliktguppen, wie beispielsweise pädophile Sexualstraftäter wurden frontostriatale morphometrische Veränderungen beschrieben und wegen der Lokalisation Ähnlichkeiten mit Zwangspatienten diskutiert (Schiffer, 2005). Insgesamt sind die derzeit vorliegenden Erkenntnisse in diesem Forschungssektor noch recht heterogen, z.T. sogar konträr. Über das Stadium der Grundlagenforschung ist man noch nicht hinaus, so dass sie keine verlässlichen Schlüsse zur Erklärung dissozialen Verhaltens und insbesondere zur Deliktrückfälligkeit bieten. Des Weiteren wurde über genetische Unterschiede in der Neurotransmitterausstattung bei Probanden mit und ohne antisozialem Verhalten berichtet (Caspi u.a., 2002). Virkkunen und Mitarbeiter analysierten in einer prospektiven Studie bei 114 forensisch-psychiatrischen Patienten mit Gewaltdelikten oder Brandstiftungen als Rückfallprädiktoren neben familiären auch biochemische Variablen (Virkkunen u.a., 1996). Als biologische Parameter zur Vorhersage von gewalttätigen Rückfällen fand sich ein reduzierter Umsatz von Serotonin und dessen Abbauprodukten - während das Dopamin eher erhöht war. Die Arbeitsgruppe um Herpertz beschäftigt sich mit der Erforschung emotionaler Defizite bei verschiedenen Persönlichkeitsstörungen (Herpertz & Saß, 2000). Probanden mit dissozialer Persönlichkeitsstruktur zeigten nach experimentellen Untersuchungen insgesamt eine Hyporeagibilität. Auf emotional belastende Fotos reagierten sie im Vergleich zu Patienten mit einer Borderline-Störung und gesunden Probanden mit einem reduzierten Blinkreflex („Startle-Reflex“) sowie einer geringeren elektrodermalen Hautantwort (Herpertz u.a., 2001). Die neurophysiologischen sowie apparativen Auffälligkeiten sind dabei mit dem spezifischen Verhalten dieser Diagnosegruppe in Verbindung gebracht worden. Demzufolge kommt es bei psychopathischen Persönlichkeiten immer wieder deswegen zu Normverstößen, weil sie einen erheblichen Mangel an Gefühlen wie Schuld oder
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Reue aufweisen (Empathielosigkeit), aus Bestrafung nicht lernen können sowie wegen ihres niedrigen Erregungsniveaus (u.a. herabgesetzte Ruheherzfrequenz) ständig motiviert sind, aufregende Situationen aufzusuchen bzw. zu provozieren („sensation seeking“). Raine und Mitarbeiter (2001) konnten indes in einer Therapiestudie nachweisen, dass sich die bei Kleinkindern (3. Lebensjahr) gefundenen o.g. physiologischen Auffälligkeiten durch eine gezielte und konstant durchgeführte pädagogische Intervention bis zur Nachuntersuchung (11. Lebensjahr) den Ausprägungen der Gruppe ungestörter Kinder wieder annähern können, also zumindest teilweise modifizierbar sind. Das Vorhandensein derartiger biologischer Marker ist indes keinesfalls unvermeidlich mit der Entwicklung einer dissozialen Persönlichkeit verknüpft, wie eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse ergab (Lorber, 2004). Kröber u.a. konnten zeigen, dass diskreten neurologischen Zeichen (Neurological Soft Signs) eine hohe indikative Wertigkeit bei der Einschätzung von Delinquenzrückfälligkeit zukommen (Kröber u.a., 1994b). Die Stichprobe setzte sich aus insgesamt 129 Männern einer Justizvollzugsanstalt mit einer polytropen Straffälligkeit (inkl. Gewaltdelinquenz, jedoch keine Sexualstraftaten) zusammen. Die Gruppe der neurosensorisch und neuromotorisch auffälligen Probanden neigte zu einer erhöhten und frühen Rückfälligkeit, wobei in dieser Gruppe zugleich deutlich mehr belastende Erfahrungen in der Kindheit (z.B. Straffälligkeit und Gewaltanwendung in der Herkunftsfamilie) dokumentiert wurden. 1.2.3 Aktuarische Prognoseinstrumente Die internationalen Forschungs- und Literaturarbeiten zur Prognosestellung seit den 80er Jahren zeugen von dem hohen Bedarf an praktikablen Kriterienlisten bzw. Fragebögen. Die Arbeitsgruppe um Webster veröffentlichte 1994 das Buch „Violence Prediction Scheme“ (Webster, Harris, Rice, Cormier & Quinsey, 1994), das explizit für den Einsatz in der psychiatrischen und forensischen Praxis geschrieben wurde. Es enthält den aus 12 Kriterien bestehenden „Violence Risk Appraised Guide“ (VRAG). Davon wiesen die höchste Korrelation mit einem Rückfall die „Psychopathy Checklist“ (Hart, Hare & Forth, 1994; Cooke & Michie, 1998),
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„Fehlanpassung in der Grundschule“ und die DSM-III-Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ auf. Relativiert wurden diese Ergebnisse dadurch, dass die Untersuchungsstichprobe nicht homogen war, sondern sich aus Patienten forensisch-psychiatrischer Einrichtungen und aus Gutachtenprobanden anderer Vollzugsbereiche zusammensetzte. Eine neuere Untersuchung konnte zeigen, dass mittels des VRAG die Gefährlichkeit eines Menschen eher überschätzt wird (Loza u.a., 2002). Eine weitere umfangreiche Übersichtsarbeit (Monahan & Steadman, 1994) widmete sich primär der Frage der ursächlichen Beziehung zwischen psychischen Störungen und Gewalttätigkeit. Demnach bestehe durchaus ein (leichter) Zusammenhang, jedoch geringer ausgeprägt als zwischen Alkohol-/Drogenabhängigkeit und Gewalt (Swanson, 1994). Vergleichbare Ergebnisse stammen aus Finnland (Tiihonen u.a., 1997) und Großbritannien (Reed, 1997). Das momentan wohl bekannteste Prognose-Instrument, der HCR-20, wurde von einer kanadischen Forschergruppe entwickelt (Webster & Eaves, 1995). Eine überarbeitete Version erschien 1997 (HCR-20/2, Webster u.a., 1997 Tabelle 1). Tabelle 1: Aufbau der Prognose-Checkliste HCR-20/2 Historische Items (H)
H 1 H 2 H 3 H 4 H 5 H 6 H 7 H 8 H 9 H10
Frühere Gewaltanwendung Geringes Alter bei der ersten Gewalttat Instabile partnerschaftliche Beziehungen Probleme im Arbeitsbereich Substanzmissbrauch (Gravierende) seelische Störung Psychopathie (PCL-Score) Frühe Fehlanpassung Persönlichkeitsstörung gemäß DSM IV oder ICD 10 Frühere Verstöße gegen Auflagen
Klinische Items (C)
C C C C C
1 2 3 4 5
Mangel an Einsicht Negative Einstellungen Aktive Krankheitssymptome Impulsivität Fehlender Behandlungserfolg
Risiko-Items (R)
R R R R R
1 2 3 4 5
Fehlen realisierbarer Pläne Destabilisierende Einflüsse Mangel an Unterstützung Fehlende Compliance Stressoren
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Der Fragebogen setzt sich aus zehn historischen Items (angelehnt an den VRAG), fünf aktuellen klinischen Items und fünf zukunftsorientierten Risiko-Items zusammen. Die Item-Codierung erfolgt auf einer 3-PunkteSkala. Auch die zusammenfassende Beurteilung soll in Form einer dreistufigen Risikoeinschätzung erfolgen (niedriges, mittleres und hohes Risiko einer [erneuten] Gewaltstraftat), wobei letztlich „allgemeingültige“ Cutoffs der Summenwerte nicht mitgeteilt werden, welche im Übrigen je nach Herkunftsland der untersuchten Probanden z.T. erhebliche Unterschiede aufweisen (Sullivan & Kosson, 2006). Die deutsche Version wurde im Vergleich zum kanadischen Original etwas modifiziert - insgesamt 23 Items (Müller-Isberner u.a., 1998). Hinzugefügt wurde das historische Item 2a („geringes Alter bei Erstdelinquenz“), wobei die Altersuntergrenze gegenüber der Originalversion (Item 2) von 20 auf 14 Jahre herabgesetzt wurde (vgl. Tabelle 1). Des Weiteren wurden hinter das achte historische Item („frühe Fehlanpassung“) zwei weitere Kriterien angehängt („inadäquater Erziehungsstil“ und „Fehlverhalten in Kindheit und Jugend“). Studien zur Reliabilität und Validität liegen bislang für entlassene Patienten des Maßregelvollzugs nicht vor. Abgesehen von dem Verlust individueller Faktoren bei der Benutzung von Checklisten sowie der generellen Problematik einer Übersetzung von Fragebögen und Testverfahren (Jackson u.a., 1983; Fegert, 1989) bleibt zudem offen, inwieweit sich Grundlagen, Vorgehensweisen und Ergebnisse auf gesellschaftliche und rechtliche Verhältnisse in Deutschland übertragen lassen. Ein ebenfalls im nordamerikanischen Bereich entwickeltes Instrument ist die „Psychopathy Checklist“ von Hare (1980). Die ursprünglich 100 Merkmale umfassende Liste wurde ein Jahrzehnt später auf eine 20 Item-Version gekürzt (PCL-R; Hare, 1991; Tabelle 2). Das Instrument basiert auf dem Konstrukt der „psychopathy“. Nach Meinung der Autoren stellt es eine eigenständige psychiatrische Störungsentität dar. Cleckley hatte erstmals im Jahre 1941 sein Konzept „des Verbrechers aus Überzeugung“ vorgestellt, der sich durch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie etwa manipulatives Verhalten, oberflächlichen Scham, Empathiearmut, pathologisches Lügen und parasitären Lebensstil auszeichnet (Cleckley, 1941).
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Primär handelt es sich hierbei nicht um einen Prognosescore, sondern um ein Messinstrument zur Erfassung des Konstrukts „Psychopathie“. Die enthaltenen 20 Items sollen ähnlich wie beim HCR-20 auf einer dreistufigen Skala eingestuft werden, der Summenscore reicht folglich von 0 bis 40. Um als „Psychopath“ zu gelten, muss ein Summenscore von mindestens 30 erreicht sein.
Tabelle 2: Aufbau der Checkliste PCL-R 1. glibness/superficial charm (Blender mit oberflächlichem Charme) 2. grandiose sense of self worth (grandioses Selbstwertgefühl/-erleben) 3. need for stimulation/proneness to boredom (Stimulationsbedürfnis) 4. pathological lying (pathologisches Lügen) 5. conning/manipulative (betrügerisch-manipulatives Verhalten) 6. lack of remorse or guilt (Mangel an Reue / Gewissensbissen) 7. shallow affect (oberflächlicher Affekt) 8. callous/lack of empathy (Gefühlskälte, Mangel an Empathie) 9. parasitic lifestyle (parasitärer Lebensstil) 10. poor behavioural controls (Mangel an Verhaltenskontrolle) 11. promiscuous sexual behaviour (Promiskuität) 12. early behaviour problems (frühe Verhaltensauffälligkeiten) 13. lack of realistic long-term goals (Mangel an realistischen langfristigen Zielen) 14. impulsivity (Impulsivität) 15. irresponsibility (Verantwortungslosigkeit/Unzurechnungsfähigkeit) 16. failure to accept responsibility for actions (fehlende Bereitschaft, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen) 17. many short-term marital relationships (viele kurz andauernde (Ehe-)Beziehungen) 18. juvenile delinquency (Delinquenz im Jugendalter) 19. revocation of conditional release (Widerruf einer bedingten Entlassung) 20. criminal versatility (polytrope Kriminalität)
Mit der 1995 erschienenen und auf 12 Items verkürzten Screening-Version (PCL-SV; Hare, 1996) soll letztlich eine schnelle Identifizierung des „Psychopathen“ möglich sein. Zugleich sei auch eine Vorhersage zur Behandelbarkeit und Gefährlichkeit des Probanden machbar. Therapie sei bei diesen Persönlichkeiten nicht nur fehl investiert, sondern erhöhe sogar deren Gefährlichkeit (Rice u.a., 1992). Es existieren zudem speziell auf bestimmte Deliktgruppen bezogene Checklisten. Insbesondere für die Gruppe der Sexualstraftäter sind in den
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letzten Jahren eine Vielzahl von Kriterienkataloge entwickelt worden, u.a. der SVR-20 (Boer u.a., 1997), der RRS (Rehder, 2001) und der SONAR (Hanson & Harris, 2000; Übersicht bei Hanson, 2001; Elsner, 2006), deren prädiktive Validität bislang noch aussteht (Eher, 2001). Problematisch und zum Teil wenig reflektiert erscheint dabei die bekannte Heterogenität dieser Tätergruppe als auch die unterschiedliche Form der Unterbringung (Justizvollzugsanstalt, Maßregelvollzug, Bewährungsstrafe mit oder ohne ambulante Behandlung). Allein die Gruppe der im Maßregelvollzug untergebrachten Sexualstraftäter weist hinsichtlich der Diagnose, des Deliktspektrums und soziobiografischer Belastungen deutliche Unterschiede auf (Seifert u.a., 2003a). Diese Aspekte relativieren die generelle Anwendbarkeit „immer stärker reduzierter Einschätzungsskalen“, weshalb auch heute noch die wichtigste Erkenntnisquelle zur Beurteilung der Legalprognose „das gründliche Studium der Persönlichkeitsstruktur und ihrer Dynamik“ darstelle (Pfäfflin, 2004). Diese Prognose-Checklisten sind also in der wissenschaftlichen Diskussion um die Möglichkeit der Gefährlichkeitseinschätzung keinesfalls unumstritten. Kritisiert wird u.a. das Überwiegen statischer (historischer) Items, die sich naturgemäß durch eine Therapie nicht verändern lassen. Für die Beantwortung der Frage, ob nach erfolgter Behandlung im Maßregelvollzug nunmehr eine Entlassung zu verantworten ist, sind solche Checklisten daher nur bedingt aussagekräftig. Die schwedische Arbeitsgruppe um Belfrage konnte in einer retrospektiven Untersuchung zeigen, dass den klinischen und den Risiko-Items des HCR-20 eine höhere prognostische Validität als den historischen Items zukommt (Strand u.a., 1999). In die Darstellung des internationalen Forschungsstandes sollte insbesondere die Lage in den Niederlanden einbezogen werden, da ein Vergleich des deutschen Maßregelvollzugs mit dem niederländischen System (TBS: „terbeschikkingstelling“) am ehesten möglich ist. Dort werden seit mehr als 20 Jahren systematische Forschungen an entlassenen Patienten durchgeführt. In einer prospektiven Studie von Verhagen (1993) wurden nach 32 Monaten 21% (12 von 58) der entlassenen TBS-Patienten erneut verurteilt, wobei die Delikte - bis auf eine Ausnahme – deutlich weniger gravierend als die Unterbringungsdelikte waren (vorwiegend Eigentumsdelikte).
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Insgesamt hatten 43% Kontakt mit dem polizeilichen oder juristischen Bereich. Als Prognose-Instrument wurde der „Dangerous Prediction Questionnaire“ (DPQ) eingesetzt. Von den 26 als hoch rückfallgefährdet eingestuften Patienten begingen zehn, von den 30 als geringer gefährdet eingestuften zwei Patienten eine erneute Straftat. Als besonders aussagekräftige Items des DPQ (insgesamt 49 Items) gelten das Ausmaß an Informationen, in dem der Patient über Zeiten außerhalb der Klinik berichtet, realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten, Steuerung aktueller Bedürfnisse und Impulse, Art der Beschreibung interpersonaler Beziehungen (Überidealisierung oder Abwertung, Borderline-Symptomatik) und der Umgang des klinischen Personals mit dem Patienten (eher angespannt, vorsichtig versus entspannt). Anamnestische Befunde, wie frühere Verurteilungen und Unterbringungsdauer, d.h. statische Daten, führten nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Vorhersage. In einer weiteren niederländischen Studie von Leuw (1995) lag der Anteil erneuter Straftaten in einem Katamnesezeitraum von drei bis acht Jahren bei 50%. Dabei handelte es sich größtenteils um eher leichte Delikte. Lediglich in 20% der Fälle wurde eine mehr als sechsmonatige Haftstrafe bzw. eine erneute Unterbringung ausgesprochen. Die Stichprobe setzte sich vorwiegend aus Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung zusammen. Die Unterbringungsdelikte der TBS-Klientel bestanden zu 83% aus Sexual-, Gewalt- bzw. Tötungsdelikten. Die einschlägige Rückfälligkeit der Sexualdelinquenten (N=83) betrug 14%. Bei den Patienten, die von den Gerichten aus Verhältnismäßigkeitsgründen - gegen die Prognose der Therapeuten - entlassen wurden, lag der Anteil erneuter Verurteilungen mit 38% deutlich höher als in der Gruppe, bei der eine günstige Kriminalprognose gestellt wurde (24%). Dies weist daraufhin, dass solche Gefährlichkeitsprognosen offensichtlich zu einer Senkung der Rückfallzahlen in der Lage sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus der Dr. Henri van de Hoeven Kliniek kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Die Rückfälligkeit mit Gewaltdelikten ehemaliger TBS-Patienten nach einer mittleren Katamnese von sechs Jahren lag bei denjenigen, die nach Beschluss des Gerichts, aber entgegen der Gefährlichkeitseinschätzung der Therapeuten entlassen wurden, mit 44% signifikant über der Rate der im Einklang mit der therapeutischen Prognose Entlassenen (19%; de Vogel u.a., 2004). In
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dieser retrospektiven Untersuchung über stationär behandelte forensische Patienten wurden die Checklisten HCR-20 und PCL-R eingesetzt und mit einer unstrukturierten klinischen Prognoseeinschätzung verglichen. Die prädiktive Treffergenauigkeit mittels der aktuarischen Prognoseinstrumente übertraf die der rein klinisch gestellten Gefährlichkeitseinschätzung (s.a. Tabelle 39). Aufgrund methodischer Probleme bei der nachträglichen Anwendung der Scores wurde für die Durchführung prospektiver Prognosestudien plädiert. In den letzten Jahren wurden zur qualitativen Verbesserung der Kriminalprognosen zunehmend spezialisierte Trainingsverfahren gefordert (Harris, 1997; Reed, 1997). Harris (1997) schlug einen Austausch in multidisziplinären Seminaren vor, an denen auch Vertreter des Pflegepersonals und Sozialarbeiter teilnehmen sollten, um u.U. die Identifikation von Risikofaktoren und den Umgang mit psychisch kranken Straftätern zu verbessern (Bacon, 1997; Reed, 1997). Krauss u.a. (Krauss u.a., 2000) stellten Überlegungen über den Wert von Kriminalitätstheorien für legalprognostische Einschätzungen an. Munro und Rumgay (2000) wiesen anhand ihrer Untersuchung über 40 Tötungsdelikte auf die grundsätzliche Differenzierung hin, ob eine Straftat vorhersehbar und/oder verhinderbar ist. Des Weiteren wurden empirische Untersuchungen zu Kontextbedingungen bei Rückfällen gefordert. Die Entscheidungen sollten zeit- und situationsspezifischer getroffen werden: „defining future circumstances likely to present increased risk“ (Reed, 1997). Ebenso sollte die prognostische Frage differenziert in Hinsicht auf mögliche zukünftige Delikte und ihren Auslösebedingungen betrachtet werden (Mulvey & Lidz, 1995). Als Bilanz des internationalen Forschungsstandes bleibt festzuhalten, dass die europäischen im Vergleich zu den nordamerikanischen Arbeitsgruppen teils widersprüchliche Erkenntnisse über den Stellenwert der klinischen und historischen Daten herausgearbeitet haben. Einigkeit besteht darüber, dass Variablen, die das ambulante Empfangsfeld des Probanden betreffen, in die Prognoseüberlegungen einbezogen werden sollten und dass valide Aussagen lediglich durch ein prospektives Studiendesign zu erreichen sind. Ein kürzlich erschienener Aufsatz der HCR-20-Arbeitsgruppe hat sich vergleichsweise kritisch mit der Nutzung von Prognosescores be-
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schäftigt und explizit darauf hingewiesen, dass die primäre Aufgabe der Prognoseforschung in der ständigen empirischen Überprüfung zu verstehen sei („... all risk-assessment instruments are `works in progress´and are likely to require ongoing revision“; Lewis & Webster, 2004). 1.2.4 Prognosen im Maßregelvollzug Die empirischen Erkenntnisse zur Legalprognose im deutschsprachigen Raum sind vergleichsweise gering. Dabei weisen die bislang vorliegenden Untersuchungen zur Wirksamkeit und Effektivität des deutschen Maßregelvollzugssystems durchaus positive Ergebnisse auf, da die Deliktrückfallrate forensischer Patienten deutlich niedriger als die der im Strafvollzug Untergebrachten ist (Übersicht bei: Leygraf, 1998). Übereinstimmend hat sich bei Katamnesestudien ferner gezeigt, dass schwere Delikte wie Tötungs- und Sexualstraftaten ehemaliger Maßregelpatienten seltene Ereignisse sind. Auch die Gefährdung der Allgemeinheit durch entwichene Patienten des Maßregelvollzugs wird gemeinhin überschätzt. Gemessen an der Zahl der gewährten Lockerungen beträgt die Deliktrate 0,008% (Mahler u.a., 2000). In der bundesweiten epidemiologischen Untersuchung forensischer Einrichtungen gemäß § 63 StGB etikettierte Leygraf (1988) die damalige Prognosepraxis als „äußerst unsicher und inkonsequent“. Die in der Literatur beschriebene Tendenz, vorzugsweise auf die unveränderte Krankheitssymptomatik bzw. abnorme Persönlichkeitsstruktur zu fokussieren und ohne gründliche Überlegungen mit einer weiterhin vorhandenen Gefährlichkeit gleichzusetzen, fand sich dort bestätigt. Situativen und konstellativen Faktoren wurde hingegen keine besondere Wertigkeit zugesprochen. Nicht selten fand sich zudem das Phänomen, dass die Fortsetzung der Unterbringung allein mit den mittlerweile eingetretenen Hospitalisierungsschäden begründet wurde. Die tatsächlich relevante Frage nach der Gefahr künftiger Straftaten wurde jedoch überwiegend anhand äußerer Verhaltenskriterien beantwortet. Dabei kam dem „anstaltskonformen Verhalten“ die größte Relevanz zu. In den aktuellen forensischen Lehrbüchern wird sowohl für die klinische Prognosemethode unter sorgsamer Einbeziehung des Akteninhaltes votiert (Leygraf, 2004; Kröber, 2006) als auch auf die Wichtigkeit des Einsatzes
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standardisierter Prognoseinstrumente hingewiesen (Nedopil, 2000). Einigkeit besteht in der Forderung nach methodischen Mindeststandards mit einer Transparenz des gutachterlichen Entscheidungsprozesses (Leygraf & Nowara, 1992). Jene Autoren sammelten Anfang der 90er Jahre die „hausinternen“ Prognosechecklisten deutscher Maßregeleinrichtungen und fügten diese mit den aus der Literatur bekannten Prognosemerkmalen zusammen. Der hieraus entstandene Fragebogen wurde von Weber auf seine Reliabilität analysiert (1996) und ist in die hiesige prospektive Prognosestudie eingegangen (klinischer Fragenbogen, Teil C; siehe Tabelle 4 sowie Kap. Material und Methodik). Untersucht wurden insgesamt 108 Patienten aus sechs verschiedenen Maßregeleinrichtungen. Die Reliabilitätsberechnungen ergaben einen im Vergleich zu anderen Fremdbeurteilungsbögen der Psychiatrie durchaus akzeptablen Wert (.62 nach CohenKAPPA). Zudem zeigte sich, dass eine intensive berufliche Beziehung zum Patienten die Reliabilität und somit die Sicherheit der Einzeleinschätzung beträchtlich erhöht. Rasch beschrieb vier Dimensionen (frühere Delinquenz und Auslösetat, Persönlichkeitsquerschnitt und aktueller Krankheitszustand, Verlauf während der Unterbringung sowie Perspektiven), die für die Frage der Legalprognose detailliert betrachtet werden sollten. Die in den einzelnen Dimensionen aufgeführten Einzelkriterien seien jeweils auf den Individualfall bezogen kritisch zu prüfen und mit- bzw. gegeneinander abzuwägen (Rasch, 1985). In einer Weiterentwicklung dieses Ansatzes wurde hervorgehoben, die prognostische Entscheidung in den oben genannten vier Teilaufgaben schrittweise anzugehen. Zu Beginn käme es darauf an, die „individuelle Handlungstheorie der Delinquenz der fraglichen Person“ herauszuarbeiten (Dahle, 2000). Erst danach wäre die Entwicklung durch die Therapie mit dem aktuellen Persönlichkeitsquerschnitt und Berücksichtigung der zukünftigen Lebensgestaltung zu analysieren und letztlich eine kriminalprognostische Einschätzung zu formulieren. Dahle hob die Bedeutung der „klinisch-idiografischen Urteilsbildung“ mit Hilfe seines Strukturmodells hervor, und empfahl, die „statistischnomothetische Prognosemethode“ in die Entscheidung zu integrieren. Durch die zusätzliche Nutzung standardisierter Prognoseinstrumente - wie HCR-20 oder PCL-R - sei gewährleistet, dass „mit hinreichendem Maße
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empirisches Erfahrungswissen in die Prognose einfließt“ (Dahle, 2006). Für Entlassprognosen bei Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzugs sind die beiden genannten Checklisten jedoch derzeit nicht validiert. Kröber (1999) wies darauf hin, dass eine ausführliche, ins Detail gehende Aktendurchsicht zum basalen Handwerkszeug einer jeden prognostischen Begutachtung zähle. Entsprechend machte Pierschke (1998) in einer retrospektiven Untersuchung von Rückfalltätern auf die Fehlerquelle aufmerksam, dass im Laufe einer mehrjährigen forensischen Behandlung der eigentliche Unterbringungsgrund nicht mehr beachtet wurde und dadurch legalprognostische Kriterien regelrecht in Vergessenheit gerieten. Anhand von Gutachtenanalysen wurde bereits mehrfach versucht, Prognosekriterien zu extrahieren. So beschrieb z.B. Nedopil (1986) neun maßgebliche Beurteilungsaspekte (u.a. Krankheitseinsicht, Therapiemotivation), ohne dass eine Validierung erfolgte. Hierbei sind jedoch methodisch bedingte Aspekte zu berücksichtigen. Die Qualität von Prognosegutachten unterliegt großen Schwankungen. Nowara (1995) stellte fest, dass etwa bei der Hälfte der insgesamt 137 analysierten Gutachten (renommierter Psychiater) grundlegende Mängel zu beklagen waren. Einschränkend bleibt hierzu anzumerken, dass das Datenmaterial aus den Jahren 1985 bis 1989 stammt und mittlerweile die Qualität der Prognosegutachten sicherlich gestiegen ist. In einer neueren retrospektiven Untersuchung einer Münchener Arbeitsgruppe wurde die Rückfälligkeit – mittels Auswertung von Bundeszentralregisterauszügen - von Gutachtenprobanden nach einer mittleren Katamnese von nahezu fünf Jahren analysiert und drei Checklisten (PCL-R, HCR-20, ILRV) auf ihre prognostische Relevanz geprüft (Nedopil, 2005). Demnach konnten gewalttätige Rückfälle mit dem PCL-R und dem HCR-20 etwa gleich gut vorhergesagt werden, wobei die statistischen Werte entsprechend einer Metaanalyse von 58 Studien zur Treffergenauigkeit als befriedigend einzustufen sind (Mossman, 1994). Etwas niedriger stellte sich die Treffsicherheit der „Integrierten Liste von Risikovariablen“ (ILRV) heraus. Hier zeigten die klinischen gegenüber den statischen Variablen eine leicht höhere prädiktive Validität. Ein möglicher Therapieeinfluss auf die Gefährlichkeit der Probanden konnte jedoch nicht explizit erfasst werden, da ein größerer Teil der Probanden nicht im Maßregelvoll-zug, sondern in Justizvollzugsanstalten untergebracht war. Diese
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methodische Einschränkung wirft zugleich die Frage auf, ob bzw. wie man die klinischen Items des HCR-20 bei „gesunden“ Straftätern anwendet. Weder wird man den „fehlenden Behandlungserfolg“ (Kriterium C5, siehe Tabelle 1), noch einen „Mangel an Einsicht“ in die psychiatrische Störung (C1) beurteilen können, da ja eben kein Krankheitsbild vorliegt. Demzufolge ist die Schlussfolgerung der Autoren, dass vorwiegend den historischen Kriterien die höchste prädiktive Fähigkeit zukommt, aufgrund der Nichtberücksichtigung methodischer Limitierungen kritisch zu hinterfragen. Gretenkord untersuchte in einer retrospektiven Studie 196 Probanden des hessischen Maßregelvollzugs, die sich nach erfolgter Behandlung gemäß § 63 StGB zwischen 4 und 12 Jahren in Freiheit befanden (Gretenkord, 2001). Mittels einer logistischen Regression errechnete er die prozentuale Gefahr eines erneuten Gewaltdeliktes. Die Häufigkeit variiert zwischen 1 und 65%. Das Modell (EFP-63) berücksichtigt vier Faktoren – Persönlichkeitsstörung, Vorbelastung mit Gewaltdelikten, gewalttätiges Verhalten während der Unterbringung und Entlassungsalter. Therapeutischen Merkmalen kommt somit keinerlei prognostische Wertigkeit zu. In der Schweiz wurde Mitte der 90er Jahre anlässlich eines sexuell motivierten Tötungsdeliktes durch einen aus dem Strafvollzug beurlaubten Täter eine Fachkommission zur Beurteilung „gemeingefährlicher“ Straftäter formiert. Die aus verschiedenen Berufsgruppen (Juristen, Psychiater, Psychologen) stammenden Experten veröffentlichten 1998 eine Liste von Prognosekriterien (Dittmann, 1998). Für einzelne Merkmale ist der empirische Beleg seit langem bekannt, für die Liste als valides Prognoseinstrument liegen bislang indes noch keine wissenschaftlichen Ergebnisse vor. Ebenfalls aus der Schweiz stammt ein weiteres Instrument („FOTRES - Forensisches Operationalisiertes Therapie-Risiko-Evaluations-System“, Urbaniok, 2004). Hier sollen vor allem auch Aspekte des Deliktverhaltens sowie therapeutische Elemente bei der komplexen Einschätzung der Gefährlichkeit besondere Berücksichtigung erfahren. Dieser Test ist bereits käuflich zu erwerben; Arbeiten zur Reliabilität und zur Validität existieren bislang nicht. Als Fazit zum derzeitigen Forschungsstand ist zu konstatieren, dass trotz der Vielzahl neuerer Forschungsansätze die gutachterliche Einschätzung
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der Gefährlichkeitsprognose unverändert zu den schwierigsten Aufgaben der forensischen Psychiatrie zählt. Von erfahrenen forensischen Psychiatern wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob es „überhaupt jemals gelingt, zu verlässlichen Aussagen zu kommen“ (Rasch, 1999). Der auch heute noch bestehende Mangel an empirischen Erkenntnissen kontrastiert mit dem Bedarf an prognostischen Entscheidungen in der forensischen Praxis. Derzeit zeichnet sich in Deutschland wie auch international ein Trend ab, sich von der klinischen Prognosemethode zu entfernen, und stattdessen der vermeintlich wissenschaftlicheren Vorgehensweise in Form eines etablierten Prognoseinstrumentes zu folgen, ohne dass man sich deren Grenzen bewusst zu sein scheint. Bei kritischer Betrachtung der derzeit bekannten und gebräuchlichen Checklisten ist außerdem der hohe Stellenwert der historischen Daten im Vergleich zu den klinischen Items bei der Bildung des Gesamtscores zu hinterfragen. Anamnestische Befunde wie z.B. frühe Verhaltensauffälligkeiten und Delinquenz, langes Vorstrafenregister (Monahan, 1981; Menzies u.a., 1994; Dolan & Doyle, 2000) haben sich zwar für die Prognose delinquenten Verhaltens als relevant erwiesen, basieren jedoch auf gruppenstatistischen Erkenntnissen, die nicht uneingeschränkt generalisiert werden können (Grubin, 1997). Es besteht die Gefahr der Vereinfachung und des Verlustes der individuellen Betrachtungsweise (Leygraf, 2004). Therapeutisch erzielten Einstellungs- und Verhaltensänderungen kommt vergleichsweise wenig Bedeutung zu. Bei der empirischen Erforschung von Prognosekriterien ist man überdies mit dem Problem der Operationalisierbarkeit klinischer Merkmale konfrontiert. Beispielsweise lässt sich das Ausmaß der „Frustrationstoleranz“ eines Probanden nachvollziehbar weniger exakt bestimmen als das „Alter der ersten Straftat“. Des Weiteren wird dem Rückfall reduzierenden Effekt einer fachgerechten forensischen Nachsorge nicht genügend Rechnung getragen (Seifert u.a., 2003b). Die Bedeutung externer Faktoren, die bekanntermaßen für das Zustandekommen von Delinquenz zuweilen eine mitentscheidende Rolle spielen, wird vernachlässigt. Die Vielfalt potenzieller Veränderungen nach der bedingten Entlassung besitzt einen prognoserelevanten Einfluss. So werden bei einigen Patienten schon durch den Entlassungsbeschluss selbst erneut Illusionen von „totaler Freiheit“ wach mit der möglichen Konse-
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quenz, dass problematische Verhaltensmuster reaktiviert und Grenzen ausgetestet werden. Demzufolge ist insbesondere in der Zeitspanne der ersten zwei Jahre nach der Entlassung die Frage der Gefährlichkeit immer wieder neu zu stellen (Leygraf & Windgassen, 1988). Es empfiehlt sich, i.S. eines Risikomanagements auf potenzielle Krisen vorbereitet zu sein, um mit adäquaten Strategien (Krisenplan), wie beispielsweise einer frühzeitigen erneuten stationären Aufnahme, reagieren zu können (Seifert u.a., 2005a). Gefordert wird zudem die Suche nach protektiven Faktoren, also Einflussfaktoren, die trotz sonstiger beträchtlicher Risiken eines Probanden ein erneutes Abgleiten in die Delinquenz möglicherweise verhindern können (Lösel & Bender, 1997). Beispielsweise wären hier eine vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten und/oder Bewährungshelfer, ein stabiles familiäres Setting, eine berufliche Integration oder eine stabile Partnerschaft zu nennen. Die Frage stellt sich, ob bzw. inwieweit diese „Schutzfaktoren“ allein oder in Kombination realiter andere negative Prognosemerkmale kompensieren können. Die Suche nach verlässlichen Prognosekriterien beschäftigt aber nicht allein die psychiatrische sowie kriminologische Wissenschaft, sondern gleichermaßen auch die forensische Praxis, speziell die Richter der Strafvollstreckungskammern (Koller, 2005). Standardisierten Prognoseinstrumenten steht man dort indes weitaus kritischer gegenüber. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Mindestanforderungen für Prognosegutachten wurde einleitend auf die Komplexität solcher Gutachten hingewiesen und zugleich explizit formuliert, dass „sich eine abstrakte, allein auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognose“ verbiete (Boetticher u.a., 2006). Diese Formulierung ist als deutliches Signal für eine Individualprognose zu verstehen und darüber hinaus als Hinweis dafür, dass das Ausfüllen einer Prognosecheckliste auch weiterhin eine umfassende explorative Untersuchung unter sorgsamer Einbeziehung des Akteninhalts als Grundlage einer fundierten Gefährlichkeitsbeurteilung nicht ersetzen kann. Zudem sollten die Grenzen der Vorhersehbarkeit kriminellen Verhaltens realistisch thematisiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich erst kürzlich sehr eindeutig hierzu geäußert: „Prognoseentscheidungen bergen stets das Risiko der Fehlprognose, sind im Recht aber gleichwohl unumgänglich.“ Prognostische Einschätzungen über
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die Entlassung forensischer Patienten gemäß § 67d Abs. 2 StGB sind laut Gesetzesformulierung „bedingte“ Entlassungen, können folglich bei negativer Entwicklung zurück genommen bzw. andere richterliche Weisungen ausgesprochen werden.
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2. Die Essener Prognosestudie 2.1. Studiendesign In dieser Multicenterstudie wurde ein umfassendes, speziell entwickeltes Prognose-Inventar (Tabelle 3 u. Anhang 7.1 bis 7.3) für aus dem Maßregelvollzug (§ 63 StGB) zu entlassende Patienten auf seine Gültigkeit überprüft. In einem mindestens 2-jährigen Katamnesezeitraum (im Mittel: 3,9 Jahre, vgl. Kap. 3.1.1) wurden valide klinische, sozialanamnestische (historische) und biologische Prognosekriterien herausgearbeitet mit dem Ziel, sie in die forensische Praxis zu transferieren. Ein (potentieller) Rückfall wurde anhand von Bundeszentralregisterauszügen erfasst. Zusätzlich wurden die (halb-) jährlichen Bewährungshelferberichte analysiert, um konstellative Faktoren (Entwicklungen, Lebenssituation, mögliche Krisen, ambulante Nachsorge etc.) in die Auswertung einzubeziehen. Das Design der Evaluationsstudie ist prospektiv, um die Auswirkungen von Maßnahmen oder Probandeneigenschaften für die Zukunft abschätzen zu können. Retrospektive Studien hingegen suchen nach Eintreten eines Effekts (hier: Rückfälligkeit) bzw. nach Bedingungen, die das Eintreten in der Vergangenheit begünstigt haben. Obwohl beide Studientypen für die vorliegende Fragestellung der Rückfälligkeit auf theoretischer Ebene unter optimalen Bedingungen zu denselben Ergebnissen führen würden, besitzen prospektive Studien in der praktischen Umsetzung erhebliche Vorteile, die die interne und externe Validität (Gültigkeit behaupteter Zusammenhänge und Übertragbarkeit der Befunde) der Aussagen erhöhen oder gar erst ermöglichen (Wottawa, 1996). Der Vorteil prospektiver Studien besteht vor allem darin, dass das Studien- sowie das Erhebungsdesign und die Eigenschaften der Stichprobe durch den Untersucher besser kontrolliert werden können. So können nach empirischem und Expertenwissen Einschlusskriterien für die Probanden festgelegt werden, sowie einheitliche Standards für das Erhebungsdesign (Messinstrumente - z.B. als Indikatoren von Zielgrößen - und Messzeitpunkte) definiert werden. Nach Wottawa (1996) sind diese Verletzungen in retrospektiven Studien häufig so stark, dass keine Interpretationen zulässig sind, die über die rein deskriptive Ebene hinausgehen. Generalisierende Aussagen sind aber das eigentliche Ziel jeder inferenzstatistischen Datenanalyse im Rahmen von Evaluationsstudien (Bortz & Döring, 2002). Nur in prospektiven Studien kann begründet von einer ‚entscheidungsorientierten Vari-
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2.1.1 Entwicklung des Erhebungsbogens Der dreiteilige Erhebungsbogen (Tabelle 3) wurde Anfang der 90er Jahre anhand einer Analyse der in der Literatur beschriebenen Prognosekriterien sowie der „hausinternen“ Fragebögen bzw. Checklisten verschiedener Maßregeleinrichtungen in Deutschland und den Niederlanden zusammengetragen und anschließend von forensischen Experten in wenigen Punkten modifiziert (Leygraf & Nowara, 1992). Tabelle 3: Aufbau des Erhebungsbogens Erhebungsbogen Teil A: - sozialstatistische/historische Daten (60 Items) Teil B: - testpsychologische, apparative und neurologische Daten (10 Items) Teil C: - klinische Parameter (133 Items)
Im Teil A des Erhebungsbogens wurden mittels Durchsicht der Krankenblattunterlagen neben den hinsichtlich dieser Fragestellung gebräuchlichen Items (Diagnose, Krankheitsvorgeschichte, Dauer der Unterbringung etc.), anamnestische Daten wie beispielsweise Art und Häufigkeit früherer Delinquenz, Alter bei der 1. Straftat, Bewährungswiderruf erhoben, deren prognostische Validität hinreichend belegt ist (Webster u.a., 1994; Menzies u.a., 1995). Darüber hinaus erfolgte die Erfassung biographischer Besonderheiten, wie chronisch familiäre Belastungen oder gewalttätiges Milieu - soweit in den Akten dokumentiert (s. Anhang 7.1).
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Im Teil B des Erhebungsbogens wurden während der Unterbringung durchgeführte bzw. aktenkundliche testpsychologische Befunde (HAWIE, Benton, RAVEN etc.) sowie apparative Untersuchungsergebnisse (CCT, NMR, EEG) dokumentiert (Anhang 7.2). Zusätzlich wurden mit Hilfe einer klinischen Untersuchung „Neurological Soft Signs“ erhoben, die sich in einer Studie von Kröber (1994a, b) als relevantes Prognosemerkmal bei in Justizvollzugsanstalten untergebrachten Gewalttätern herausgestellt haben. Der klinische Erhebungsbogenteil (C) wurde Anfang 90-er Jahre nach Durchsicht einschlägiger Literatur und klinik-interner Prognose-Checklisten der forensischen Einrichtungen Deutschlands zusammengestellt. Eine daraus entwickelte Vorform des Erhebungsbogens wurde anerkannten Fachleuten zur Rückmeldung und Ergänzung zugesandt. Die moderierte Fassung erwies sich in einer Voruntersuchung als ausreichend reliabel (Weber, 1996). Zur besseren Übersichtlichkeit wurden die insgesamt 133 Items in die acht folgenden Itemgruppen unterteilt (Tabelle 4): Tabelle 4: Aufbau des klinischen Erhebungsbogens (Teil C) Klinischer Erhebungsbogen: 1. Aktuelle klinische Symptomatik 2. Sozialverhalten in der Unterbringung 3. Belastungsfaktoren der Persönlichkeit 4. Anpassungsverhalten im aktuellen Lebensalltag 5. Emotion / Motivation des Patienten 6. Leistungs- und Kontrollbereich 7. Entwicklung/Verlauf während der Unterbringung 8. Entlassungssituation (sozialer Empfangsraum) ĺ„Forensische Sonntagsfragen“
Dem C-Teil des Erhebungsbogens sind fünf Fragen bezüglich des zur Unterbringung geführten Delikts vorangestellt. Damit wurden Informationen u.a. zur Motivlage, der Täter-Opfer-Beziehung und eines eventuellen Alkohol- u./o. Drogenkonsums zur Tatzeit gesammelt (s. Anhang 7.3). Bei der Mehrzahl der Fragen wurde die Befindlichkeit des Patienten in den letzten Monaten vor der Entlassung erfragt. Bei den 16 Fragen der Item-
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gruppe 7 (Entwicklung/Verlauf) erfolgte eine Einschätzung über den gesamten Verlauf der Unterbringung. Die als Aussagen oder Fragen formulierten Items wurden auf einer vierstufigen Rating-Skala eingeschätzt (Beispiel siehe Abb. 1).
Item 25: Soziale Kompetenz Im Großen und Ganzen übt der Patient einen eher positiven Einfluss auf seine Mitpatienten oder Mitbewohner aus (z.B. fairer Umgang mit Schwächeren, Hilfsbereitschaft).
stimmt
stimmt eher
stimmt eher nicht
stimmt nicht
0
0
0
0
Abb. 1: Beispiel-Item des klinischen Erhebungsbogens (Teil C) Die „forensischen Sonntagsfragen“ am Ende des klinischen Fragebogenteils dienten der globalen Beurteilung der Legalprognose. Die Therapeuten schätzten auf einer 10 Zentimeter langen Analogskala ein, für wie wahrscheinlich sie einen Rückfall ihres Patienten erachten - von „extrem gering“ (0%) bis „extrem hoch“ (100%) - und zwar in Bezug auf die Rückfälligkeit (siehe auch Abb. 2): x mit einem geringfügigen Delikt, x mit einem schwerwiegenden Delikt oder x aufgrund von Verstößen gegen richterliche Weisungen.
Die Gefahr, dass der Patient mit schwerwiegenden Delikten rückfällig wird, schätze ich wie folgt ein:
0 extrem gering
~
100 extrem hoch
Abb. 2: Beispiel der Einschätzung der Rückfallgefahr eines Patienten (hier 21%)
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2.1.2 Beteiligte Kliniken Insgesamt konnten 23 Einrichtungen aus sieben Bundesländern zur Mitarbeit an der Studie gewonnen werden (s. Tabelle 6 u. Anhang 7.1). Von den 17 forensischen Kliniken/Abteilungen behandeln 15 Einrichtungen ausschließlich Patienten, die strafrechtlich gemäß § 63 StGB eingewiesen werden; zwei Einrichtungen sind primär auf die Unterbringung von Suchtpatienten spezialisiert (§ 64 StGB), therapieren jedoch seit etwa Mitte der 90er Jahre zunehmend mehr gemäß § 63 StGB untergebrachte Patienten. Des Weiteren waren sieben allgemeinpsychiatrische Kliniken, die bereits seit Jahren Erfahrung mit forensischen Patienten besitzen, an der Studie beteiligt. Der Anteil der dort untergebrachten Maßregelpatienten ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen (Schalast u.a., 2003). Die beteiligten allgemeinpsychiatrischen Kliniken befinden sich ausnahmslos in Nordrhein-Westfalen, so dass für dieses Bundesland annähernd eine Vollerhebung gelang. In einer allgemeinpsychiatrischen Klinik erfolgten im gesamten Erhebungszeitraum keine Entlassungen bzw. angekündigte Entlassungen wurden kurzfristig zurückgezogen oder Einwilligungen widerrufen. In einer forensischen Klinik (primär Patienten gemäß § 64 StGB) wurde lediglich ein Proband entlassen, bei dem jedoch nicht der festgelegte Katamnesezeitraum von zwei Jahren erreicht wurde. Daher beziehen sich die folgenden Berechnungen auf Probandendaten aus insgesamt 21 bzw. zum Teil aus 22 Einrichtungen. 2.1.3 Datenerhebung Es wurden die Daten derjenigen Probanden erhoben, die zwischen Oktober 1997 und März 2003 aus einer Unterbringung gemäß § 63 StGB entlassen wurden. Die Entlassungsentscheidung war zuvor unabhängig von der Untersuchung beschlossen worden. Die Datenerhebung erfolgte im direkten Entlassungsvorfeld. Sämtliche Probanden erhielten einen ausführlichen Informationsbogen über die Studie. Des Weiteren unterschrieben sie eine Einwilligungserklärung (mit u.a. dem Recht des Widerrufs), die in Absprache mit den Datenschutzbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen und der anderen sechs beteiligten Bundesländer erstellt wurde. Während
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die Erhebung des A- und B-Teils durch Mitarbeiter der Arbeitsgruppe mittels Aktenanalyse erfolgte, wurde der klinische Teil von den für die jeweiligen Probanden zuständigen Therapeuten ausgefüllt. Dieses Vorgehen ist sinnvoll, da laut Voruntersuchung von Weber (1996) die intersubjektive Übereinstimmung der Ratings mit der Dauer und der Intensität der Therapeut-Patient-Beziehung steigt. Zwar wäre eine Verbesserung der Reliabilität durch das Ausfüllen des klinischen Erhebungsbogenteils von denselben Mitarbeitern zu erreichen gewesen, jedoch entspräche dieses Procedere nicht dem üblichen Ablauf der Gefährlichkeitseinschätzung in deutschen Maßregelkliniken. Insofern war nur auf diesem Weg das angestrebte praxisnahe Design zu erreichen.
2.2 Erfassung der Zielvariable „Rückfall“ bzw. „gescheiterte Wiedereingliederung“ Als gescheiterte Wiedereingliederung wurde jegliche Auffälligkeit der Probanden nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug bezeichnet, die zu Maßnahmen der Justiz geführt haben (Widerruf, Sicherungshaftbefehl, Inhaftierungen). Die „strafrechtliche Rückfälligkeit“ wurde anhand von Bundeszentralregisterauszügen (BZR) erfasst, wobei nur diejenigen Probanden einbezogen wurden, bei denen eine Katamnesezeit von mindestens 24 Monaten seit der Entlassung zur Bewährung vorlag (n=255). Dieser Cut-off Wert wurde gewählt, da der Übergang von der kustodialen Unterbringung zur ambulanten Eingliederung bekanntermaßen als kritisch gilt und es in dieser Zeitspanne überproportional häufig zu Rückfällen kommt (Leygraf & Windgassen, 1988). Während dieses Katamnesezeitraumes wurde weitgehend die erste Eintragung im BZR als Rückfallereignis gewertet - bei mehrfachen Einträgen erfolgte eine Bewertung entsprechend der Schwere der Vorfälle. In Übereinstimmung mit anderen Rückfallstudien (Jockusch & Keller, 2001) wurde die Analyse der Rückfallkriterien entsprechend der folgenden Einteilung vorgenommen: R1: generelle Rückfälligkeit (jegliche Eintragung im Strafregister unabhängig vom Delikt oder der Deliktschwere, auch „wegen Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB eingestellt“);
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R2: schwere Rückfälligkeit (Delikte mit Verurteilungen zu Haftstrafen, erneuter Unterbringung oder Widerruf der ausgesetzten Maßregel); R3: spezielle Rückfälligkeit (Delikte gegen Leib und Leben sowie Sexualdelikte, räuberische Erpressung, Nötigung und Bedrohung in Zusammenhang mit der Verurteilung zu einer Haftstrafe oder erneuter Verurteilung bei Widerruf der Bewährungsentlassung. Widerrufsfälle ohne erneute Verurteilung oder Unterbringung wurden unter R2 eingeordnet). Die alleinige Auswertung der Bundeszentralregisterauszüge kann neben der Dunkelfelddelinquenz noch andere Fehlerquellen mit sich bringen. So werden beispielsweise Geldstrafen von maximal 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten nach fünf Jahren gelöscht, sofern keine weiteren Straftaten danach bekannt geworden sind. Gretenkord berichtete von etwa 6% der Bundeszentralregisterauszüge, bei denen kein Eintrag vorhanden war, obwohl tatsächlich eine strafrechtliche Sanktion erfolgt war (Gretenkord, 2001, S. 108). Zudem liefert eine Dichotomisierung in „erneute Straftat“ versus „keine weitere Straftat“ für eine differenzierte Analyse nur bedingt valide Aussagen. Konstellative Faktoren - unter welchen Umständen es zu einem Rückfall gekommen ist - lassen sich nicht ablesen. Im Hinblick auf kriminalpräventive Überlegungen liegt ein qualitativer Unterschied vor, inwieweit es zum Zeitpunkt einer Lebenskrise (Partnertrennung, Arbeitslosigkeit, finanzielle Krise etc.) oder aber trotz „optimaler“ forensischer Nachsorge zu einem Scheitern der Wiedereingliederung in die Gesellschaft kommt. Tangiert wird auch das in den letzten Jahren in der Literatur viel diskutierte Phänomen, dass Deliktrückfälle in einigen Fällen vorhersagbar, aber nur begrenzt verhinderbar sind (Munro & Rumgay, 2000). Als zusätzliches Katamneseinstrument wurden deshalb die halb-/jährlichen Berichte der Bewährungshelfer an die Strafvollstreckungskammern während der Dauer der Führungsaufsicht (maximal 5 Jahre) in die Auswertung einbezogen. Trotz bekanntlich unterschiedlicher Quantität wie Qualität ist dies eine Möglichkeit, Entwicklungen mit möglichen Veränderungen als prognoserelevante Aspekte zu erfassen (Seifert u.a., 2001a). Zudem können Einträge im Bundeszentralregister bis zu einem Jahr dauern, so dass eventuelle Straftaten zeitnäher aus den
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Berichten zu erfahren sind. Einsichtnahme in die jeweiligen Bewährungshelferberichte konnte durch Zustimmung der sieben an dieser Studie beteiligten Landesjustizministerien realisiert werden.
2.3 Analyse der Rückfallkriterien Vorab erfolgt eine Gegenüberstellung der Gruppe „Rückfälliger“ (n=55) mit der vergleichsweise großen Restgruppe „Nicht-Rückfälliger“ (n=200). Da Patienten des Maßregelvollzugs gemäß § 63 StGB aber eine ausgesprochen heterogene Gruppe darstellen, besteht bei einer solchen Gegenüberstellung grundsätzlich die Gefahr von Konfundierungen, die zu verfälschenden Ergebnissen führen können. Sollten sich beispielsweise unter den Rückfälligen überwiegend jüngere Patienten mit schwerwiegenden Gewaltstraftaten befinden, dagegen in der Vergleichsgruppe deutlich ältere Patienten, die unter Umständen infolge einer dementiellen Entwicklung in ein Altersheim entlassen worden wären, so erbrächten statistisch analysierte Differenzen zwischen diesen beiden Gruppen keine validen Aussagen zur individuellen Gefährlichkeitseinschätzung. Um diesem Problem entgegen zu treten, wurden die Vergleichsgruppen zur differenzierten Analyse „gematcht“ (Cook & Shadish, 1994). Jedem rückfälligen Probanden wurde ein nach Delikt, Diagnose, Unterbringungsdauer, Alter und Geschlecht ausgewählter Zwilling zugeordnet, bei dem die Wiedereingliederung in diesem Katamnesezeitraum nicht scheiterte. Die explizite Auswahl der „Matching-Variablen“ erfolgte aufgrund der erheblichen Variabilität dieser Items (z. B. variiert das Alter zum Zeitpunkt der Entlassung von 20 bis 86 Jahren, die Verweildauer reicht von einem halben bis zu 33 Jahren). Ein Großteil der folgenden statistischen Analysen – insbesondere multivariate Verfahren – bezieht sich daher auf eine Stichprobe von 110 Probanden.
2.4 Statistische Auswertung Zur Analyse des Zusammenhangs nominalskalierter Merkmale, die vor allem im A-Teil des Bogens vorliegen, sowie nominalskalierter und dichotomer bzw. nominalskalierter und ordinaler Merkmale wurden Kontingenzanalysen (Backhaus
32 et al., 1998) durchgeführt. Die Signifikanz des Zusammenhangs wurde mittels des Chi-Quadrat-Tests bestimmt. Mittelwertsunterschiede metrischer oder quasimetrischer Variablen zwischen den Gruppen ‚Rückfällige’ vs. ‚Nicht-Rückfällige’ wurden mittels t-Tests für unabhängige Stichproben überprüft (s. Bortz, 2004). Zusätzlich wurde Cohens d (Cohen, 1988) als Maß der Effektstärke von Gruppenunterschieden berechnet: Effektstärkemaße bilden - im Unterschied zur Signifikanztestung – unabhängig von den jeweiligen Stichprobengrößen die Größe des Unterschiedes zwischen Gruppen ab. Als grobe Einordnung kann gelten, dass Werte von |d| | .2 als kleine Effekte, |d| | .5 als mittlere Effekte und |d| | .8 als große Effekte (Wirtz & Nachtigall, 2004) interpretiert werden können. Pearsons Produkt-Moment-Korrelation wurde als Zusammenhangsmaß und zur Überprüfung der Signifikanz metrischer und quasimetrischer Variablen verwendet. Dieses Korrelationsmaß ist gleichzeitig das gebräuchliche Effektstärkemaß (Bortz & Döring, 2002): |r| | .1 entsprechen kleinen Effekten, |r| | .3 entsprechen mittleren Effekten und |r| | .5 entsprechen großen Effekten. Für den C-Teil des Erhebungsbogens wurden neben den bivariaten Analysen der Assoziation der Einzelitems mit der Rückfälligkeit multiple logistische Regressionsanalysen gerechnet. Bei diesem multivariaten Ansatz, wird im Gegensatz zu den bivariaten Einzelanalysen der 133 Einzelitems kontrolliert, ob die untersuchten Prädiktoren ähnliche vorhersagerelevante Informationen enthalten: Varianzanteile, die durch mehrere Prädiktoren redundant erfasst werden, gehen somit nur einfach in die statistische Modellierung ein und die Prädiktionsleistung des gesamten Itempools kann adäquat bestimmt werden. Durch die Wahl des ‚schrittweisen Einschlussverfahren’ wird sichergestellt, dass nur diejenigen Variablen bei der Bestimmung der Vorhersageleistung berücksichtigt werden, die die Vorhersageleistung signifikant verbessern. Ist die durch einen neuen Prädiktor repräsentierte Information bereits durch andere Prädiktoren abgedeckt, so wird dieser nicht in die Vorhersagegleichung aufgenommen. Die logistische Regression erweist sich bei zweigestuften (dichotomen) abhängigen Variablen (hier: Rückfälligkeit) gegenüber diskriminanz- oder varianzanalytischen Ansätzen (Hair et al., 1998) als vorteilhaft, weil die natürliche Beschränktheit des Wertebereich [0,1] berücksichtigt wird und – neben der Vorhersage des Ereignisses ‚Rückfälligkeit’ – eine vorhergesagte Rückfallwahrscheinlichkeit modelliert wird. Für das vorherzusagende Ereignis ‚Rückfälligkeit’ ist es plausibel anzunehmen, dass etwaige Prädiktor- oder Risikovariablen die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses verändern: die Beziehung der Rückfälligkeit und der ihr zu Grunde liegenden Informationen kann somit adäquat im statistischen Modell abgebildet werden. Des Weiteren sind die Voraussetzungen für die logistische Regression schwächer. Nach Hair et al. (1998) entstehen bei diesem Verfahren keine Probleme, wenn die untersuchten Merkmale in den Gruppen unterschiedlich stark variieren oder wenn die Merkmale je nach Gruppen unterschiedlich stark miteinander in Zusammenhang stehen. Bei alternativen Verfahren ist dies als kritisch anzusehen, wenn ordinale Antwortformaten untersucht werden.
33 Wie bei allen multivariaten Verfahren besteht für die vorliegenden Analysen die Gefahr der Überschätzung der Vorhersagekraft einer Prädiktorgruppe, wenn eine verhältnismäßig zu kleine Stichprobe untersucht wird (Overfitting, Hair et al., 1998). Ein solcher overfit gefährdet die Übertragbarkeit oder Generalisierbarkeit der Ergebnisse der statistischen Modellierung auf die entsprechende Population aller Probanden für die die gewonnenen Befunde Gültigkeit besitzen soll. Dieses Problem tritt auf, wenn eine hohe Prädiktoranzahl bei gleichzeitig geringer Stichprobengröße vorliegt. Nach Hair et al. (1998) sollte deshalb das Verhältnis ‚Anzahl der Personen’ zu ‚Anzahl der Prädiktoren’ in der Regression den Wert 5 nicht unterschreiten. Während es inhaltlich wünschenswert ist, ein möglichst umfassendes Spektrum an Merkmalen zu erheben, die für die Vorhersage des Rückfalls potentiell relevant sein können, stellt die Vielzahl der Variablen in der vorliegenden Studie ein Problem dar, da für 255 Probanden in der Gesamtgruppe und lediglich 110 Patienten in den gematchten Vergleichsgruppen im C-Teil 133 Einzelitems auf ihre Vorhersagekraft hin überprüft wurden. Das Verhältnis Probanden- zu Prädiktoranzahl liegt entsprechend unter 2 bzw. 1. Um das Ausmaß dieser Problematik für die vorliegende Analyse abschätzen und – im Rahmen des Möglichen – kontrollieren zu können, wurde deswegen für die 8 Inhaltsbereiche des Erhebungsbogens jeweils unabhängige Faktorenanalysen für die 255 Probanden mit dem Ziel der Datenreduktion (Wirtz & Nachtigall, 2004) gerechnet. Bei den Faktorenanalysen wurden die Items einer Hauptkomponentenanalyse unterzogen. Um das Problem der Informationsverzerrung und -verlustes durch fehlende Werte zu minimieren, wurden die Analysen auf Basis der mittels des ExpectationMaximation-Algorithmus (Schafer & Graham, 2002) imputierten Kovarianzmatrizen durchgeführt. Nach Bestimmung der Anzahl der Faktoren nach dem ScreePlot-Kriterium wurde eine Varimax-Rotation durchgeführt, um eine maximal eindeutige Zuordnung der Items zu den Faktoren zu gewährleisten. Items wurden Faktoren zugeordnet, wenn ihre Ladung > .5 betrug (Backhaus u.a., 2003). Es wurden insgesamt 20 Faktoren für den C-Teil identifiziert, sodass auf Ebene der Faktoren auch für die gematchte Vergleichsgruppen mit N = 110 das geforderte Verhältnis von 5:1 überschritten wurde und die Generalisierbarkeit der Ergebnisse als gewährleistet angesehen werden kann. Auch auf Ebene der Faktoren wurden neben den bivariaten Analysen zur Vorhersage der Rückfälligkeit ebenfalls schrittweise logistische Regressionsanalysen durchgeführt, um sicherzustellen, dass Prädiktoren mit zusätzlichem Vorhersagewert in der Gleichung berücksichtigt werden. Für die Ergebnisinterpretation kann somit festgehalten werden, dass die Analysen der Einzelitemergebnisse die Vorhersageleistung in der Gesamtschau aller Einzelitems nur für die vorliegende Stichprobe deskriptiv gültig sind und nur mit Vorbehalt verallgemeinert werden können. Auch wenn bei dem gewählten schrittweisen Vorgehen letztendlich nur wenige Prädiktoren in den Regressionsgleichungen berücksichtigt werden, so wird die Problematik des stichprobenspezifischen ‚Overfitting’ nur scheinbar entschärft, da ebenfalls 133 Items zur Identifikation
34 der signifikanten Einzelitems zur Verfügung stehen. Der Vergleich der Ergebnisse auf Einzelitemebene mit denjenigen auf Faktorenebene ermöglicht eine Abschätzung dieser Problematik. Insbesondere die durch die Faktoren erreichten Varianzaufklärungen oder Maße der Vorhersagegüte in der ROC-Analyse (receiver operating charakteristics) geben einen Vergleichswert, der gegen die Problematik des ‚Overfittings’ abgesichert ist. Bei allen Subgruppenanalysen muss beachteten werden, dass die Validität generalisierender Schlussfolgerungen mit der analysierten Stichprobengröße abnimmt. Prädiktoren, die sich in den bivariaten Analysen bzw. in den schrittweisen multiplen Analysen als signifikant für den Rückfall erwiesen, wurden – nach Umpolung einzelner Items gemäß der Vorzeichen der beta-Gewichte – zu Risikoscores zusammengefasst. Die Trennleistung dieser Scores wurde mittels ROC-Analyse überprüft: Als Maß für die Trennleistung wurde das AUC-Maß (‚Area under curve’) verwandt. Für die Faktorenanalysen wurden die entsprechenden geschätzten Rückfallwahrscheinlichkeiten einer ROC-Analyse unterzogen. Zur Identifikation typischer Merkmalsprofile wurde die Latent Class Analyse (LCA) verwandt (Rost, 2003). Der in dieser Analyse bestimmte informationstheoretische BIC-Wert ermöglicht eine Bestimmung der Anzahl vorhandener Probandentypen. Zur Charakterisierung der identifizierten Typen, können typische Merkmalsprofile herangezogen werden.
35
3. Ergebnisse 3.1. Beschreibung der Gesamtstichprobe 3.1.1 Allgemeine Angaben In dem Erhebungszeitraum vom 01.10.1997 bis 31.03.2003 wurden insgesamt 333 Probanden aus 23 forensischen Kliniken/Abteilungen bzw. den allgemeinpsychiatrischen Krankenhäusern aus sieben Bundesländern rekrutiert. Ein Vergleich der Entlassungshäufigkeit forensischer Patienten mit der Situation früherer Jahre ist allein deswegen erschwert, da bislang detaillierte Berechnungen weder durch das Statistische Bundesamt noch durch andere offizielle Institutionen durchgeführt bzw. veröffentlicht wurden. Erst eine kürzlich erschienene „Ergebnisübersicht“ der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden gewährt diesbezüglich Einblick (Kröniger, 2004). Bei dieser annähernd bundesweiten Erhebung (14 von 16 Bundesländern) verließen im Jahre 2002 insgesamt 494 Patienten die forensischen Einrichtungen (§ 63 StGB). Bei 259 Patienten handelte es sich um Verlegungen in andere Maßregelkliniken oder eine JVA (durch Änderung der Strafvollstreckungsreihenfolge bzw. Umwandlung in eine andere Maßregel) und um abgeschobene oder im Verlauf der Unterbringung verstorbene Patienten. In Freiheit gelangte weniger als die Hälfte der Patienten (235). Von diesen erfolgte bei 166 eine (übliche) Entlassung gemäß § 67 d Abs. 2 StGB. Bei den restlichen 69 Patienten wurde die Maßregel gemäß § 67 c Abs. 2 StGB für erledigt erklärt. Eine differenzierte Betrachtung der Entlassungspraxis je nach Bundesland zeigt, dass von den insgesamt 67 Entlassungen in Nordrhein-Westfalen lediglich bei etwa der Hälfte (35) eine Aussetzung der Maßregel nach § 67 d Abs. 2 StGB erfolgte. Noch eklatanter stellt sich die Situation in den neuen Bundesländern dar. So wurde aus sämtlichen forensischen Kliniken Thüringens im Jahr 2002 lediglich ein Patient entlassen. Von den im Bundesland Sachsen insgesamt 21 entlassenen Patienten war von Seiten der Kliniken scheinbar lediglich bei einem Patienten ein derartiger Therapieerfolg erkennbar geworden, dass eine reguläre Entlassung gemäß § 67 d Abs. 2 StGB befürwortet werden konnte. Im Bundesland SachsenAnhalt beruhte indes keine der insgesamt 18 Entlassungen auf dieser juristischen Grundlage. Im selben Jahr lag die Einweisungszahl gemäß § 63 StGB mit 864 erheblich über der Anzahl von den Patienten, die die forensischen Kliniken – aus welchen Gründen auch immer - wieder verließen. Die Zahl der tatsächlich in Freiheit gelangten Patienten beträgt somit weniger als 30% der Einweisungsrate.
Diese seit Mitte der 90er Jahre zu beobachtende restriktive Entlassungspraxis war nicht ohne Einfluss auf die Probandenrekrutierung der hiesigen
36
Stichprobe. In den 23 beteiligten Kliniken befinden sich in etwa ein Drittel der Gesamtzahl gemäß § 63 StGB in Deutschland untergebrachter Patienten. Die pro Jahr gemäß § 67 d Abs. 2 StGB entlassene Patientenzahl müsste sich unter Bezugnahme der oben angeführten Zahlen der Kriminologischen Zentralstelle aus dem Jahr 2002 demnach zwischen 60 und 80 Patienten bewegen. In unserer etwa 5½ Jahren andauernden Erhebungsphase wären somit zwischen 330 und 440 entlassene Patienten zu erwarten. Die rekrutierte Probandenzahl von 333 Probanden entspricht demnach dem Erwartungswert. Unsere Stichprobe ist folglich als repräsentativ für die Gesamtgruppe der in den letzten Jahren aus forensischen Einrichtungen Deutschlands (§ 63 StGB) entlassenen Patienten anzusehen. Ebenso scheint die nach der ersten Erhebungsphase dieser Studie getroffene Einschätzung, dass sich „die Entlassungszahl in etwa halbiert“ hat (Seifert u.a., 2001b), unverändert auf die derzeitige Entlassungspraxis übertragbar zu sein. Hieraus erklärt sich, warum die Erhebungsphase dieser Studie wesentlich länger als ursprünglich während der Planungsphase gedacht andauerte. Von den insgesamt 333 erhobenen Probanden befanden sich zum Stichtag (01.07.2003) 255 mindestens 24 bis maximal 69 Monaten in Freiheit; die mittlere „time at risk“ der Patienten betrug 3,9 Jahre (Median 3,8 Jahre, Spannweite 2 bis 5,8 Jahre). Bei drei Vierteln der Probanden (190, 74%) war vor der Entlassung eine Langzeitbeurlaubung erfolgt. Unter Einbezug dieser Zeit ergab sich eine mittlere „time at risk“ von 4,5 Jahren (Spannweite 2 bis 8 Jahre). Die nachstehenden Berechnungen beziehen sich sämtlich auf die Stichprobe von 255 Probanden. Als Vergleichsgruppen wurden bei einigen Analysen eine im Jahre 1994 durchgeführte Querschnittserhebung aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen (Seifert & Leygraf, 1997), eine Aktenanalyse des Kriminologischen Instituts Wiesbaden (Dessecker, 1997) sowie die bundesweite Erhebung über den Maßregelvollzug herangezogen (Leygraf, 1988; Datenerhebung: 1984 bis 1986). Zwar bleibt die zeitliche Differenz zu den damaligen Erhebungszeitpunkten kritisch anzumerken, zumal gerade in jenem Zeitabschnitt vielfältige Entwicklungstendenzen die forensisch-psychiatrische Praxis geprägt haben. Wegen mangelnder sonstiger epidemiologischer Untersuchungen im Maßregelvollzug existiert jedoch keine Alternative.
37
3.1.2 Rechtsgrundlage Im Vergleich zur Querschnittserhebung in Nordrhein-Westfalen Mitte der 90er Jahre (Seifert & Leygraf, 1997a) ist der Anteil der erstmalig nach § 63 StGB Untergebrachten nahezu identisch (83,1% versus 82,8%). Bei etwa jedem sechsten Patienten (16,9%) war bereits vor dieser Unterbringung eine Maßregel nach § 63 StGB angeordnet worden. 3.1.3 Krankheitsformen Unter den entlassenen Probanden sind die schizophrenen Patienten im Vergleich zur Querschnittserhebung in Nordrhein-Westfalen 1994 überproportional häufig (n=110) vertreten (Abb. 3). Nahezu jeder zweite entlassene Proband leidet an einer schizophrenen Psychose.
50%
Prognosestudie 2005 (N=255)
43,1%
45%
NRW-Querschnittsstudie 1994 (N=556)
40%
33,6%
35%
29,1%
30%
22,3%
25% 20% 15%
16,1% 11,4%
10%
16,1% 9,4%
5,0%
5%
1,2% 0,4%
7,7% 2,7%
1,8%
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Abb. 3: Verteilung der Diagnosen Prognosestudie 2005 versus Querschnittserhebung 1994.
38
Persönlichkeitsgestörte Patienten mit und ohne zusätzlicher Minderbegabung (i.S. einer Lernbehinderung) sind hingegen deutlich unterrepräsentiert (2004: 32,2% / 1994: 51,4%). Dass demnach im jetzigen Erhebungszeitraum vorwiegend schizophrene Patienten entlassen wurden, basiert sicherlich darauf, dass diese Patientengruppe nicht nur medikamentös, sondern auch mittels der seit Jahren empirisch belegten mehrdimensionalen Therapieverfahren recht erfolgreich zu behandeln ist. Erneute Delikte sind meist im Zusammenhang mit einer Exazerbation der Psychose zu erwarten. Zudem ist in Deutschland das komplementäre Behandlungsangebot (Tagesklinik, Übergangswohnheim, betreute Wohngemeinschaft etc.) für schizophrene Patienten mittlerweile gut ausgebaut, während entsprechende Angebote für Persönlichkeitsgestörte lediglich vereinzelt zur Verfügung stehen. Überdies mangelt es trotz der in den letzten Jahren erkennbaren Ansätzen (Müller-Isberner u.a., 2004) an spezifischen und nachweislich effektiven Therapieverfahren für die im Übrigen sehr heterogene Patientengruppe mit einer Persönlichkeitsstörung; bei differenzierter Betrachtung überwiegen Probanden mit einer gemäß ICD 10 klassifizierten dissozialen, narzisstischen oder emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (Tabelle 5). Tabelle 5: Gruppe der Persönlichkeitsstörungen (nach ICD 10 - n=82) Art der Persönlichkeitsstörung
n
%
F 60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung
1
1,2 %
F 60.1 schizoide Persönlichkeitsstörung
2
2,4 %
F 60.2 dissoziale Persönlichkeitsstörung
17
20,7 %
F 60.3 emotional instabile Persönlichkeitsstörung davon: F60.30 impulsiver Typus 11 (13,4%) F60.31 Borderline Typus 13 (15,9%)
24
29,3 %
F 60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung
1
1,2 %
F 60.6 ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung
1
1,2 %
29
35,4 %
7
8,6 %
F 60.8 andere spezifische (narzisstische) Persönlichkeitsstörung F 60.9 nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung
39
Diese Patienten gelten im Grunde genommen seit Einführung des Maßregelvollzuges als „Problemgruppe“ (Hürten, 1937), bei der insbesondere die Einschätzung der Kriminalprognose als höchst komplex eingestuft wird (Rasch, 1999). Nicht zuletzt durch das derzeitige rechtspolitische Klima lässt sich die merkliche Zurückhaltung bei der Frage der Entlassung sowohl von Seiten der Kliniken als auch der Strafvollstreckungskammern erklären. Bei 14 Probanden mit einer schizophrenen Psychose wurde zudem als Zweitdiagnose eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert (gemäß ICD 10: sechs dissoziale, vier narzisstische und je zwei emotional instabile, ängstliche und nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen). Seit den 80er Jahren wird bei den Patienten des Maßregelvollzugs vermehrt eine zusätzliche, d.h. neben der eigentlichen psychischen Erkrankung/Störung vorliegende Suchtproblematik beobachtet. Die hohe Korrelation von Alkohol- u./o. Drogenmissbrauch und kriminellem Verhalten ist hinlänglich bekannt (u.a. Swanson, 1994; Leygraf & Schiffer, 2004). Dementsprechend wird dem Umgang mit diesen Substanzen eine prognostische Relevanz zugemessen. Bei drei Fünftel (63,8%) der Probanden besteht nach Einschätzung der Therapeuten eine Suchtproblematik, wobei diese bei 34,5% der Patienten explizit als Erst- (2,7%) bzw. Zweitdiagnose (31,8%) aufgeführt wurde. Nahezu jeder zweite Proband stand zum Zeitpunkt der zur Unterbringung geführten Tat unter Alkoholeinfluss (45,8%); deutlich weniger unter Drogen (9,8%) und/oder Medikamenten (6,9%). 3.1.4 Unterbringungsdelikte Besonders deutlich ist (erwartungsgemäß) der im Vergleich zur Querschnittserhebung wesentlich geringere Anteil an Sexualdelikten mit und ohne Gewalt, die überwiegend von Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung verübt wurden (2004: 13,3% / 1994: 30,2%). Bei den „Sexualdelikten ohne Gewalt“ handelte es sich um pädophile Taten sowie - selten - um exhibitionistische Handlungen. Waren die pädosexuellen Straftaten unter Anwendung von Gewalt erfolgt, wurden sie mit den Delikten Vergewaltigung, sexuelle Nötigung der Kategorie „Sexualdelikte mit Gewalt“ zugerechnet (Abb. 4).
40
30%
28,6%
Prognosestudie 2005 (N=255)
26,7%
NRW-Querschnittsstudie 1994 (N=556)
25%
18,8%
20%
15,1%
15%
15,1%
14,1%
12,9% 11,8% 10,6%
10%
9,0%
8,6% 6,3%
6,8%
7,8%
4,7%
5%
3,1%
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Abb. 4: Verteilung der Hauptunterbringungsdeliktgruppen Prognosestudie 2005 versus Querschnittserhebung 1994.
Laut der Ergebnisübersicht der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden hatten von den im Jahre 1998 in den psychiatrischen Maßregelvollzug (§ 63 StGB) eingewiesenen 770 Patienten 21,9% Sexualstraftaten begangen. Da bereits seit einigen Jahren relativ wenige Patienten dieser Deliktgruppe entlassen werden, steigt ihr Anteil bei den Untergebrachten stetig an. Eine umgekehrte Entwicklung lässt sich bei den Probanden mit Tötungsdelikten beobachten. 1998 waren 16,6% der insgesamt 770 Patienten wegen eines Tötungsdeliktes strafrechtlich nach § 63 StGB untergebracht worden. In unserer Stichprobe (Entlassung zwischen 1997 und 2003) liegt dieser Anteil mit 26,7% ebenso wie bei der Untersuchung der Kriminolo-
41
gischen Zentralstelle (2002: 20,7%) deutlich höher. Diese Entwicklung ist dadurch zu erklären, dass zwei Drittel der Tötungsdelikte (66,2%) von Patienten mit einer schizophrenen Psychose begangen wurden. Insbesondere Patienten dieser Diagnosegruppe wurden in den vergangenen Jahren vergleichsweise häufiger entlassen. Schizophrene Patienten waren überwiegend aufgrund von Gewaltdelikten untergebracht (85,5%; davon Tötungsdelikte: 40,9%, Körperverletzungen: 25,5%). Straftaten der Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung bestanden in 62,5% aus Gewaltdelinquenz. Bei etwa jedem fünften Patienten dieser Diagnosegruppe wurde die Maßregel gemäß § 63 StGB wegen eines Sexualdeliktes ohne Gewalt angeordnet. Bei 41,6% der 255 Probanden war im Erkenntnisverfahren noch eine zweite Straftat Anlass für die strafrechtliche Unterbringung nach § 63 StGB. Dabei überwogen sonstige, also weniger schwer wiegende Straftaten (30,8%), Eigentumsdelikte (25%) und Körperverletzungen (20,2%). Fünf der 255 entlassenen Probanden (2% der Stichprobe) waren wegen Tötungen im Zusammenhang mit einer sexuellen Motivation untergebracht worden. In der Querschnittserhebung aus NRW 1994 lag der Anteil dieser Patientengruppe deutlich höher (7,9%). Bei Patienten mit dieser Form von Delinquenz ist zumeist die Therapie langwierig und die Hürde zur Entlassung relativ hoch. Dadurch erklärt sich, dass bei vier dieser fünf Patienten die Verweildauer deutlich über dem arithmetischen Mittel lag (zwischen 12 und 27 Jahre). Diagnostisch handelte es sich bei jeweils einem Patienten um eine chronifizierte schizophrene Psychose sowie eine episodisch auftretende Schizophrenie mit stabilem Residuum. Bei drei Patienten wurde eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert - zwei mit einer zusätzlichen Lernbehinderung. Zwei Probanden waren bereits vor dieser Unterbringung mit Tötungsdelikten straffällig geworden. Von diesen fünf Probanden, deren „time at risk“ zwischen 30 und 65 Monate betrug, scheiterte bei einem die Wiedereingliederung: Kasuistik 1: Herr A. wurde im Alter von 20 Jahren wegen einer Tötung im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung einer ihm flüchtig bekannten gleichaltrigen Frau zu 10 Jahren Jugendfreiheitsstrafe und gleichzeitiger Unterbringung im Maßregelvollzug
42 verurteilt. Laut damaligen Einweisungsgutachten sowie Urteilstext bestand Unklarheit, ob die Tat auf dem Hintergrund einer sadistischen Entwicklung zu verstehen war. Diagnostisch wurde seinerzeit wie bei früheren stationär-psychiatrischer Behandlungen (ab dem 16. Lebensjahr) eine „primäre Minderbegabung“ angenommen. Durchgehend über die gesamte 11 Jahre andauernde Unterbringung blieb eine gewisse diagnostische Unsicherheit. Letztlich legte man sich auf eine „Persönlichkeitsstörung mit soziopathischen und asozialen Verhalten“ fest und beschrieb zusätzlich eine „andere sexuelle Verhaltensabweichung“. Die biografische Entwicklung war durch eine Vielzahl von Verlusten wichtiger Bezugspersonen gekennzeichnet (früher Tod der Mutter, überforderter, alkoholkranker und gewalttätiger Vater, Wechsel zwischen Heimaufenthalten und Pflegeeltern etc.). In der Schule zeigte er erhebliche Lerndefizite, wurde wegen körperlicher Auffälligkeiten gehänselt und entwickelte sich zum Einzelgänger, der ab dem 14. Lebensjahr mit kleineren Diebstählen auffiel. Mit knapp 16 Jahren beging er eine versuchte Vergewaltigung. Zum Ende der Unterbringung wurde ihm von seinen Therapeuten eine umfangreiche Nachreifung der Persönlichkeit attestiert. Sämtliche Fragen zu dem Verlauf und seiner Entwicklung während der Unterbringung aus dem klinischen Fragebogenteil wurden „mit gutem Fortschritt“ eingeschätzt (Fragen 79.1 bis 79.16 des klinischen Fragebogens – Teil C). Die Entlassung erfolgte in eine eigene Wohnung, die ambulante Nachbetreuung wurde durch die forensische Ambulanz durchgeführt. Die Führungsaufsichtszeit wurde auf 36 Monate festgelegt. In der Wiedereingliederungsphase demonstrierte er gute soziale Fertigkeiten, gründete eine Familie und arbeitete hart, ließ sich auch von mehrmaligen Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht aus dem Tritt bringen. Zwar setzte sich der Bewährungshelfer sehr für ihn ein, missdeutete allerdings Warnsignale. Die Schuldenbelastung des Probanden stieg stetig an, obwohl er zeitweise bis zu 14 Stunden täglich arbeitete. Diese über Monate andauernde Überforderungssituation wurde nicht erkannt, wie ebenso die zunehmend unregelmäßige Terminwahrnehmung in der Ambulanz offensichtlich nicht ernst genommen wurde. Aus dem abschließenden Bewährungshelferbericht ließ sich nicht entnehmen, dass eine über das Ende der Führungsaufsicht hinausgehende Schuldenberatung und/oder Therapie diskutiert worden wäre. Einen Monat später beging der Proband ein Betrugsdelikt und wurde zu einer 12-monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wird.
Fazit: Auch wenn es hier zu keinem einschlägigen Delikt gekommen ist, so sind doch gewisse Aspekte der poststationären Phase als kritisch zu bewerten. Der während der langjährigen stationären Behandlung unzweifelhaft erreichten Persönlichkeitsnachreifung wurde unter den Bedingungen der Freiheit mit einem Mehr an Verantwortung und Belastungen ihre Grenzen aufgezeigt. Der Bewährungshelfer überschritt seine Kompetenzen, als er bereits im ersten Jahr nach der Entlassung nicht mehr auf eine engmaschige Fortführung der psychotherapeutischen Begleitung drängte, die im Übrigen in der forensischen Klinik erfolgte. Eine gute Arbeitsbelastungsfähigkeit stellt nicht automatisch und für jeden Patien-
43 ten ein positives Prognosemerkmal dar. Übersehen wurde ferner die stete berufliche Selbstüberforderung bzw. -überschätzung, ohne dass der Patient in finanzieller Hinsicht profitierten konnte. Bei verhältnismäßig hohem Verdienst stieg seine Schuldenbelastung ohne aus den Bewährungshelferberichten ersichtliche Gründe an. Eine Helferrunde, an der alle an der Nachbetreuung Beteiligten hätten zusammenkommen, den bisherigen Verlauf reflektieren und das weitere Procedere abstimmen können, hat offensichtlich niemals statt gefunden. Um den stationär-therapeutischen Erfolg auch auf lange Sicht zu stabilisieren, wäre bei einer derartig komplexen Persönlichkeitsproblematik mit entsprechend chaotischer Biografie eine Festlegung der Führungsaufsicht auf 5 Jahre durchaus zu rechtfertigen gewesen. Eventuell hätte in dieser Zeit eine enge, vertrauensvolle therapeutische Bindung erreicht werden können, die auch nach Ablauf der Führungsaufsicht Bestand behalten hätte. Dies könnte in Einzelfällen durchaus als ein Ziel der fachgerechten Nachsorge betrachtet werden.
3.1.5 Unterbringungsdauer Die mittlere Verweildauer der 255 Probanden betrug 5,9 Jahre (Median: 4,8 Jahre) und lag somit deutlich höher als bei der Querschnittserhebung in NRW 1994 (4,8 Jahre; Median: 4,5 Jahre). Diese Werte allein gewähren allerdings nur bedingt Einblick in die tatsächliche Dauer des Freiheitsentzugs dieser forensischen Patienten, da eine erhebliche Spannweite zu berücksichtigen bleibt. Ohne Einberechnung der vorläufigen Unterbringung gemäß § 126 a StPO bzw. der Untersuchungshaft variierte der Freiheitsentzug von minimal fünf Monaten bis maximal 392 Monaten. Kasuistik 2: Herr B. hatte im Alter von 24 Jahren unter Alkoholeinfluss einen Taxifahrer überfallen und beraubt. Wegen eines „Schwachsinns“ wurde auf Schuldunfähigkeit erkannt und eine Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet. Aus den Krankenblattunterlagen, dem damaligen Urteilstext und psychiatrischen Gutachten lässt sich eine nachvollziehbare biografische Entwicklung des Patienten kaum ablesen. Basale Angaben zu seiner Familie und seines schulisch-beruflichen Weges sucht man vergebens. Insgesamt verblieb er über 33 Jahre in der forensischen Klinik. Welche konkreten therapeutischen Schritte in dieser langen Zeit durchgeführt wurden, ist anhand der Unterlagen nicht zu erkennen. Ernsthafte Überlegungen hinsichtlich seiner realen Gefährlichkeitsprognose fehlen. Als nach annähernd drei Jahrzehnten erste Entlassungsvorbereitungen initiiert wurden, reagierte der Patient mit Angst und boykottierte die Maßnahmen. Schließlich gelang es, ihn auf die Langzeitstation der Allgemeinpsychiatrie auf demselben Gelände
44 zu verlegen. Laut der betont knapp gehaltenen Berichte des Bewährungshelfers verlief die fünfjährige Bewährungszeit „ohne Besonderheiten“.
Fazit: Kurz gefasst, handelt es sich um die Lebensgeschichte eines „vergessenen“ Patienten, dessen nunmehr einzig realistische Lebensperspektive die psychiatrische Klinik geworden ist; er hat dort quasi ein Heimatrecht erworben. Unter den so genannten „Long-stay-Patienten“ befinden sich demnach auch heute noch solche Patienten, deren Dauer in Unfreiheit nicht in erster Linie durch die Schwere der zur Unterbringung geführten Straftat oder durch deren „Gefährlichkeit“ bestimmt ist. 13% der Stichprobe waren weniger als 24 Monate und 14% mehr als 10 Jahre untergebracht. Im Vergleich der Rückfälligengruppe mit dem Rest der Stichprobe ergeben sich im Hinblick auf die Standardabweichung und die Langzeituntergebrachten einige Unterschiede. Die von der Kriminologischen Zentralstelle errechnete mittlere Verweildauer der im Jahre 2002 insgesamt 235 entlassenen Patienten liegt mit 5,3 Jahren (Median: 4,5 Jahre) etwas niedriger. Je nach Diagnose- und Deliktgruppen finden sich differente Verweildauern. Probanden mit Tötungsdelikten waren überdurchschnittlich lange untergebracht (Tabelle A-1 u. A-2). Wie bereits bei der bundesweiten Erhebung durch Leygraf Mitte der 80er Jahre verweilten nun die Patienten mit einem „gewaltlosen“ Sexualdelikt länger in der Maßregel als diejenigen mit einer „gewalttätigen“ Sexualstraftat (Leygraf, 1988). Dessecker (1997) fand hingegen „keinen Anhaltspunkt für deliktspezifische Einflüsse“. Unter den persönlichkeitsgestörten Patienten führte eine zusätzliche Minderbegabung nicht zu einer längeren Verweildauer. Hingegen blieben diejenigen Patienten, bei denen das Störungsbild vor allem durch eine Intelligenzminderung gekennzeichnet war, mit im Mittel 7,1 Jahren am längsten von sämtlichen Diagnosegruppen untergebracht. Im Vergleich zu früheren Erhebungen lässt sich allerdings eine Angleichung an die mittlere Verweildauer der Gesamtgruppe aufzeigen. In Leygrafs Erhebung (1988) befanden sich die Patienten dieser Diagnosegruppe mit 11,5 Jahren fast doppelt so lange in der Unterbringung wie die Gesamtgruppe (6,3 Jahre). In der 10 Jahre später im Bundesland NRW durchgeführten Untersuchung verweilte diese Patientengruppe im Vergleich zur jetzigen Stichprobe zwar im Mittel ein Jahr kürzer im Maßregelvollzug. Der mittlere Freiheitsentzug der Gesamtgruppe betrug damals jedoch lediglich 4,8 Jahre (Seifert & Leygraf, 1997b).
45
3.2 Probanden mit gescheiterter Wiedereingliederung 3.2.1 Häufigkeit Insgesamt scheiterte bei 55 Probanden der Stichprobe (N=255) die Wiedereingliederung (21,6%) – zwei weibliche und 53 männliche Probanden. Bezogen auf die Bundesländer bzw. die jeweiligen forensischen Einrichtungen in den sieben beteiligten Bundesländer ergaben sich differente Rückfallquoten (Tabelle 6). Darüber hinaus ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Entlassungshäufigkeit je nach Bundesland recht unterschiedlich zu sein scheint (vgl. auch Kapitel 3.1.1). Bezogen auf Nordrhein-Westfalen lag die Quote der gescheiterten Probanden mit 17% etwas niedriger als in der Gesamtstichprobe. Allerdings war allein für dieses Bundesland eine Vollerhebung erreicht, so dass diese Unterschiede auch aufgrund der geringen Fallzahlen in einigen anderen Bundesländern lediglich mit Vorbehalt interpretieren sind. Eine Einzelbetrachtung der fünf beteiligten allgemeinpsychiatrischen Kliniken zeigt, dass von den dort insgesamt 18 erfassten forensischen Patienten keiner erneut straffällig wurde und lediglich bei einem die Wiedereingliederung fehlschlug: Kasuistik 3: Der zum Entlassungszeitpunkt 50-jährige Herr B. wuchs in desolaten Verhältnissen auf. Die alkoholkranke Mutter und der mehrfach vorbestrafte Vater schafften ein gewalttätiges Familienmilieu, in dem der Junge zunehmend verwahrloste. Im Alter von 4 Jahr erlitt er einen schweren Unfall mit einem Schädelhirntrauma (u.a. Erblindung eines Auges). Nach Abbruch der Sonderschule begann ab seinem 15. Lebensjahr eine „Psychiatriekarriere“ mit den unterschiedlichsten diagnostischen Einschätzungen. Die Eltern trennten sich; zum Stiefvater bestand eine höchst konflikthafte Beziehung. Während eines der vielen gemeinsamen Saufgelagen entwickelte sich ein handfester Streit, in dessen Verlauf er den Stiefvater erdrosselte. Damals war er gerade 20 Jahre alt. Unter der Diagnose „außergewöhnlicher Rauschzustand“ erkannte das Gericht auf eine verminderte Schuldfähigkeit und ordnete die Unterbringung nach § 63 StGB an. Der psychiatrische Gutachter kam zu der legalprognostischen Einschätzung, dass „eine ähnliche Straftat kaum zu erwarten sei“. Die externen Prognosegutachten erbrachten höchst differente Einschätzungen. Einige Gutachter wiesen auf die situativen Besonderheiten des Einweisungsdelikts mit nicht zu erkennender weiter
46 bestehender Gefährlichkeit und damit den fehlenden Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB hin, andere sprachen von einem „eindeutigen Verwahrfall“. Nach 13jähriger Unterbringung erfolgte die erste bedingte Entlassung. Kurz vor dem Ende der fünfjährigen Führungsaufsicht wurde die Aussetzung wegen wiederholten Alkoholkonsums widerrufen und eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet. Dort wurde nach wenigen Monaten angeregt, die Maßregel aufgrund der „deutlichen Hospitalisierung“ wieder gemäß § 63 StGB fortzuführen; die Strafvollstreckungskammer (StVK) folgte dieser Anregung. Nach weiteren 6 Jahren erfolgte nach Vorschlag eines externen Gutachters eine Verlegung in eine allgemeinpsychiatrische Klinik mit dem Ziel einer alsbaldigen Rehabilitation in den komplementären Wohnbereich. Diagnostisch ging man mittlerweile von einer „anderen spezifischen Persönlichkeitsstörung“ aus, wobei eine hirnorganische Komponente und zudem eine Alkoholproblematik dokumentiert wurden. Die früher bescheinigte „Oligophrenie“ wurde nach wiederholten testpsychologischen Untersuchungen nicht mehr aufgeführt. ½ Jahr nach der Verlegung wurde die Unterbringung erneut ausgesetzt; der Proband verblieb allerdings auf der Langzeitstation der Allgemeinpsychiatrie. Innerhalb der folgenden 4 Wochen traten mehrmalige Alkoholrückfälle auf, ohne dass auch nur annähernd gewalttätiges Verhalten zu beobachten gewesen wäre. Vielmehr hatte sich der Proband stets selbstständig und unverzüglich an das Personal gewandt, um seine Ängste vor der Freiheit thematisieren. Auf Anraten des Bewährungshelfers widerrief das Gericht die Aussetzung. Weitere 4 Jahre verblieb er im Maßregelvollzug. Mittlerweile lebt er mit seiner Freundin in einer betreuten Wohnung; weder sind seitdem Alkoholrückfälle noch irgendwelche Straftaten bekannt geworden.
Fazit: Unabhängig von der Frage, ob zum damaligen Tatzeitpunkt tatsächlich die im § 63 StGB geforderten Voraussetzungen vorgelegen haben oder nicht, fällt es hierbei schwer, den Probanden der Gruppe der „Rückfälligen“ zuzuordnen. Die Jahrzehnte andauernde Unterbringung basierte in erster Linie auf der Tendenz zur „Overprediction“ bei gleichzeitig mangelnder Berücksichtigung individuell relevanter Prognosekriterien. Der situative Bezug bei lang anhaltender höchst gestörter Täter-Opfer-Beziehung fand sowohl im Erkenntnisverfahren als auch bei den jährlichen Stellungnahmen gemäß § 67e StGB und einigen externen Prognosegutachten offenkundig keine Berücksichtigung. Der von der Bewährungshilfe angeregte Widerruf ist bei Durchsicht der Berichte an die Strafvollstreckungskamme kaum nachvollziehbar. Die Entscheidung wurde allein mit der bekannten Korrelation Alkohol und Straftat begründet, wobei diese Verbindung als das bestimmende legalprognostische Kriterium gedeutet wurde. Realiter ist in den letzten 25 Jahren kein gewalttätiges Verhalten bei dem Patienten - auch unter Alkoholkonsum – mehr aufgetreten.
47
Tabelle 6: Aufstellung der beteiligten Kliniken der sieben Bundesländer mit dem Anteil der rekrutierten sowie der gescheiterten Patienten
Einrichtungen
Entlassungen
gescheiterte Wiedereingliederung
n
n
%
99 81
17 16
17% 20%
Bedburg-Hau Düren Langenfeld Lippstadt-Eickelborn Marsberg Schloss Haldem Viersen
12 16 6 22 1 0 24
4 1 3 3 1 5
33% 6% 50% 14% 100% 21%
Allgemeinpsychiatrie:
18
1
6%
3 1 1 1 6 6
1
16%
35
13
37%
11 13 11
3 5 5
27% 38% 45%
24
5
21%
5 19
2 3
40% 16%
19
7
37%
8
1
13%
56
8
14%
14
3
21%
255
55
21,6%
NORDRHEIN-WESTFALEN: Forensische Einrichtungen:
Bonn Dortmund Düsseldorf Gütersloh Köln Münster
SACHSEN: Arnsdorf Rodewisch Schkeuditz
RHEINLAND-PFALZ: Andernach Landau
NIEDERSACHSEN: Moringen
SCHLESWIG-HOLSTEIN: Neustadt
BADEN-WÜRTTEMBERG: Wiesloch
BERLIN: Berlin
GESAMT
48
Die aktuellen Rückfallzahlen dieser Studie sind mit 21,6% (generelle Rückfälligkeit) im Vergleich zu denen der in Tabelle 7 aufgeführten Untersuchungen relativ niedrig. Legt man für sämtliche Probanden eine Katamnesezeit von genau 2 Jahren zu Grunde, resultiert eine generelle Rückfallrate von 16,5%. Auch in Bezug auf schwere sowie spezielle Rückfalldelikte sind die vorliegenden Zahlen eher im unteren Bereich. Bei der Gegenüberstellung mit den über diese Patientengruppe bislang veröffentlichten (retrospektiven) Studien bleibt anzuführen, dass diese methodisch höchst unterschiedlich konzipiert und somit nur bedingt vergleichbar sind (vgl. Leygraf, 1998). Ferner muss auch der differente Katamnesezeitraum berücksichtigt werden. Der Anteil an gewalttätiger Rückfalldelinquenz bewegt sich bei nahezu sämtlichen Studien in einer Größenordnung von maximal 10%. Tabelle 7: Untersuchungen zur Rückfälligkeit von Maßregelpatienten untergebracht gemäß § 63 StGB Untersuchung
N
Katamnese
R1*
R2*
R3*
(in Jahren) Ritzel 1978
443
9,5**
47%
30%
/
Jacobsen 1985
135
3-5
7%
/
/
Heinz u.a. 1996
201
2-5,5
10%
/
4%
Dessecker 1996
94
2
18%
/
4%
Dimmek/Duncker 1996
120
4-11
21%
20%
9%
Jockusch 1996
182
7,4
45%
29%
19%
Dessecker 1997
69
5
41%
28%
4%
Jockusch/Keller 2001
169
5**
40%
26%
10%
Gretenkord 2001
196
8,5**
43%
29%
11%
Seifert 2005
255
21,6%
13,3%
7,5%
*
R1: generelle Rückfälligkeit; R2: schwere Rückfälligkeit; R3: spezielle Rückfälligkeit
2-5,8 **
/
arithmetisches Mittel der Katamnesezeit Zahlen nicht aus den Studien eruierbar
49
3.2.2 Grund des Scheiterns bzw. Art der Rückfalldelinquenz Bei einigen Probanden finden sich Differenzen zwischen den Eintragungen in den Bundeszentralregister-Auszügen und den Informationen aus den Bewährungshelferberichten bzw. den Schreiben der Führungsaufsichtsstellen (s. a. Kap. 2.2). Letztere enthalten zum Teil die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammern, aus denen Details zur unmittelbaren Vorgeschichte des Rückfalldelikts und teilweise auch zur Motivlage zu entnehmen sind. Im Zweifel wird stets das schwerwiegendere Delikt gewählt. Von den 55 gescheiterten Probanden begingen 42 erneute Straftaten (16,5% der Stichprobe). Die Bandbreite der Delikte reichte von Körperverletzung bis zu Bagatellstraftaten (z.B. Beförderungserschleichung). 11 Probanden (4,3% der Gesamtgruppe) hatten eine im Hinblick auf das ursprüngliche Einweisungsdelikt einschlägige Straftat verübt. Bei 7 Probanden basierte das Scheitern auf Verstöße gegen richterliche Weisungen (Tabelle 8); 6 Probanden wurden zum Ende des Katamnesezeitraums wegen Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung gesucht. Tabelle 8: Gründe der gescheiterten Wiedereingliederung (n=55) Grund des Scheiterns
n
einschlägig
42 5 5 4 12 3 2 11
11 1 5 0 1 1 2 1
Gesucht wegen Strafverfolgung** Gesucht wegen Strafvollstreckung
5 1
-
Verstoß gegen richterliche Weisungen
7
-
Erneute Straftat Körperverletzung Sexualdelikt ohne Gewalt Sexualdelikt mit Gewalt Eigentumsdelikt ohne Gewalt Eigentumsdelikt mit Gewalt Brandstiftung Sonstige Delikte*
Summe *
**
55
z.B.: Beförderungserschleichung, Vergehen gegen das Straßenverkehrsgesetz, Betäubungsmittelgesetz, Wirtschaftsgesetz etc. Deliktart ungeklärt, ggf. Bagatelldelikte
50
3.2.3 Juristische Konsequenzen Die juristischen Konsequenzen variierten von Geldstrafen über Widerrufe der Aussetzung der Maßregel bis zu Haftstrafen ohne Bewährung (Tabelle 9). In vier Fällen war derzeit - auf Grund noch laufender Strafverfahren nicht bekannt, welche Konsequenz aus dem Rückfall resultieren würde. Die Zahlen verdeutlichen, dass lediglich bei knapp der Hälfte der gescheiterten Probanden freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet wurden; dies entspricht 9,8% der Gesamtgruppe. Die Mehrzahl der „Rückfälle“ wurde somit von den Gerichten als weniger gravierend beurteilt. Etwa bei jedem fünften „Rückfallprobanden“ scheiterte die Wiedereingliederung innerhalb des ersten Halbjahres nach der (bedingten) Entlassung (AM: 16,4 Monate; Median: 14 Monate, s. a. Tabelle 10). Drei Probanden wurden bereits im Laufe des ersten Monats rückfällig; dabei handelte es sich ausnahmslos um gewaltlose Straftaten (Diebstahl bzw. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz). Tabelle 9: Juristische Konsequenzen (n=55) Konsequenzen
n
%
Freiheitsentziehende Maßnahmen:
25
46%
11 4 8 2
20% 7% 15% 4%
9
16%
12
22%
Einstellung wegen Schuldunfähigkeit § 20 StGB
5
9%
laufendes Strafverfahren
4
7%
55
100%
davon: Widerruf der Bewährung Haftstrafe ohne Bewährung Maßregel § 63 StGB ohne Bewährung Maßregel § 64 StGB (Entziehungsanstalt)
Haftstrafe mit Bewährung Geldstrafe
Summe
Bei drei Viertel aller gescheiterten Wiedereingliederungen erfolgte die erneute Straftat bzw. der Weisungsverstoß innerhalb der ersten zwei Jahre.
51
Bei zwei Probanden hingegen kam es indes erst zum Ende der Führungsaufsicht zur Rückfalldelinquenz (Diebstahl und Körperverletzung). Die beiden weiblichen rückfälligen Probanden begingen jeweils innerhalb von 1½ Jahren nach der bedingten Entlassung einschlägige Straftaten (jeweils eine Körperverletzung). Tabelle 10: Zeitpunkt des Auftretens des Rückfalls bzw. des Scheiterns Zeitspanne nach der Entlassung
n
%
bis 6 Monate 7 bis 12 Monate 13 bis 18 Monate 19 bis 24 Monate 25 bis 36 Monate 37 bis 48 Monate 49 bis 60 Monate
10 16 12 5 8 2 2
18% 29% 22% 9% 14% 4% 4%
Summe
55
100%
Während bei der einen Probandin (Diagnose: dissoziale Persönlichkeitsstörung bei hirnorganischer Beeinträchtigung) sich die ambulante Therapie und die Betreuung durch den Bewährungshelfer im Nachhinein als nur wenig professionell herausgestellt hat, veranschaulicht die folgende Kasuistik die Grenzen forensischer Nachsorge: Kasuistik 4: Die zum Zeitpunkt der Unterbringung 24-jährige Frau C. entwickelte im Alter von 17 Jahren eine primär chronisch verlaufende schizophrene Psychose. Unterbringungsdelikt war eine schwere Körperverletzung. Sie hatte während einer ihrer vielen stationär-psychiatrischen Behandlungen mehrfach Mitpatientinnen raptusartig und ohne von außen erkennbaren Grund gewürgt. Aus ihrer Biografie waren keinerlei schwerwiegende Problembereiche bis zum Ausbruch der Erkrankung zu eruieren, insbesondere keine dissoziale Entwicklung oder eine Suchtproblematik. Der Verlauf der Unterbringung verdeutlichte, dass die psychopathologischen Auffälligkeiten, die sich in erster Linie durch eigenund fremdaggressive Impulsdurchbrüche (eventuell wahnhaft bedingt) äußerten, mittels einer neuroleptischen Medikation nur unwesentlich beeinflusst werden
52 konnten. Die extrem schwankenden Verstimmungszustände ließen sich zudem kaum irgendwelchen Auslösern zuordnen, sodass es auch in der forensischen Klinik immer wieder zu bedrohlichen Situationen kam, in denen Mitpatienten oder Pflegepersonal ernsthaft gefährdet waren. Dementsprechend wurde von den Therapeuten im klinischen Fragebogen (Teil C: Fragen 79.1 bis 79.16) die Entwicklung der Patientin während der Unterbringung meist nur mit einem schwachen bzw. gar keinem Fortschritt beschrieben. Eine Verlegung zurück ins Elternhaus oder in eine eigene Wohnung wurde als unverantwortbar eingeschätzt. Nach 4-jähriger Unterbringung entschloss man sich zu einer (bedingten) Entlassung in die Rehabilitationsabteilung der auf demselben Gelände befindlichen Allgemeinpsychiatrie. Aus den Berichten der Bewährungshelferin ist durchgängig eine gewisse Skepsis bezüglich der Kriminalprognose der Probandin abzulesen. Auch auf der Rehabilitationsstation zeigte die Probandin wiederholt Aggressionsdurchbrüche, bei denen sie Mitpatienten oder Pflegepersonal ernsthaft bedrohte oder teils auch körperlich angriff. Mehrfach musste sie fixiert werden. Nach 1½ Jahren, in denen deutlich geworden war, dass eine weitere Verlegung in das komplementäre Versorgungssystem zumindest für die nähere Zukunft kaum realisierbar erschien, kam es zu einem einschlägigen Rückfalldelikt. Sie hatte sich von hinten an eine Krankenschwester herangeschlichen und diese gewürgt. Von den Ärzten wurde sie daraufhin auf dieser Station als „nicht mehr tragbar“ eingestuft und das Gericht widerrief die Aussetzung der Unterbringung.
Fazit: Aus der Retrospektive betrachtet handelt es sich bei diesem Krankheitsbild um eine chronifizierte, durch medikamentöse Therapie nur schwer einzustellende schizophrene Psychose. Eine Unterbringung scheint wegen der wiederholt beobachteten raptusartigen aggressiven Verhaltensstörungen nur auf einer sehr eng strukturierten, gesicherten Station möglich zu sein. Trotzdem ist der Behandlungsversuch außerhalb der forensischen Psychiatrie auch im Nachhinein sicherlich als gerechtfertigt einzustufen. Bei dieser Art der schweren psychotischen Erkrankung ist stets an die Möglichkeit eines einschlägigen Rückfalls zu denken. Dies war offensichtlich den Therapeuten durchaus bewusst, da sie die „forensischen Sonntagsfragen“ in der Weise beantworteten, dass sie die Gefahr eines Rückfalls der Patientin mit geringfügigen Delikten als extrem hoch (100%) und die mit einem schwerwiegenden Delikt ebenfalls als recht wahrscheinlich (53 %) einstuften.
19 der 42 erneut straffällig gewordenen Probanden begingen mehr als ein Rückfalldelikt. Hierbei handelt es sich überwiegend um weniger schwer wiegende Straftaten (Betrug oder Sachbeschädigung und Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bzw. gegen das BtMG). Bei einem dieser
53
Probanden ereignete sich der erste strafrechtliche Rückfall acht Monate nach Ende der Führungsaufsicht, wobei die Dauer der Führungsaufsicht auf lediglich 2 Jahre festgesetzt worden war: Kasuistik 5: Bei dem zum Entlassungszeitpunkt 35-jährigen Herrn E. wurden diagnostisch eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Impulsdurchbrüchen sowie eine leichte Intelligenzminderung festgestellt. Wegen Beleidigung, versuchter Nötigung und Sachbeschädigung erhielt er eine Geldstrafe (120 Tagessätze à 2 DM) und wurde gemäß § 63 StGB untergebracht. Knapp 2 Jahren später erfolgte nach Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung die Entlassung in ein Heim für Intelligenzgeminderte. Die Entscheidung basierte in erster Linie auf dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit. Sichtbare, therapeutisch induzierte Veränderungen hingegen wurden von den Therapeuten nur bedingt im klinischen Prognosebogen dokumentiert. Er galt als höchst schwieriger Patient, der sich an keine Regel halten wollte. Wenn überhaupt, zeigte er eine „Formalanpassung“. Laut den Bewährungshelferberichten wurde bei ihm unter den eng strukturierten Bedingungen während des ersten Jahres der Führungsaufsicht eine erstaunlich positive Entwicklung beschrieben. Dennoch wurde angemerkt, dass es ihm stets schwer fiel, sich an die Heimordnung zu halten. Mehrfach kam es zu „aggressiven Haltungen“ gegenüber Mitbewohnern und Personal. Zum Ende der Führungsaufsicht erfolgte deshalb ein Wechsel des Wohnheims. Dadurch scheiterte die anvisierte Angliederung an eine Werkstatt für Behinderte. Acht Monate später beging er neben einschlägigen Straftaten (Beleidigung, Sachbeschädigung) eine Körperverletzung, worauf das Landgericht erneut eine Unterbringung nach § 63 StGB anordnete. Der Proband befindet sich seitdem wieder im Maßregelvollzug; Details über die Umstände der Rückfalldelikte fehlen indes.
3.2.4 Krankheitsformen Bei der Gegenüberstellung der Rückfälligen und der Gesamtgruppe NichtRückfälliger je nach Diagnose- bzw. Deliktgruppen sind deutliche Unterschiede erkennbar (Abb. 5 u. 6). Bei schizophrenen Patienten war vergleichsweise erheblich seltener die Wiedereingliederung gescheitert. Von diesen insgesamt 14 Probanden hatten sechs erneute Straftaten (Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Verstoß gegen das BtMG und das StVG) verübt und acht gegen die richterlichen Weisungen verstoßen.
54
Die Straftatschwere der Rückfalldelinquenz war deutlich niedriger als die der Einweisungsdelikte – sechs Probanden waren wegen eines Tötungsdeliktes in die Maßregel eingewiesen worden, 11 waren vorbestraft. Die Unterbringungsdauer gestaltete sich sehr unterschiedlich, bei sechs Probanden betrug sie weniger als 2 Jahre und bei vieren länger als 8 Jahre. Bei der Hälfte der Probanden kam es innerhalb des ersten Jahres zum Scheitern; zwei Probanden begingen erneute Straftaten kurz vor Ende der 5-jährigen Führungsaufsicht (Körperverletzung, Diebstahl). Bei sieben Probanden wurde die Bewährung widerrufen, einer erhielt eine Haftstrafe ohne Bewährung, die restlichen blieben in Freiheit (Geldstrafen bzw. Einstellung wegen aufgehobener Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB).
3% 2%
Suchterkrankung (n=7)
Nicht-Rückfällige (n=200) 9%
intellektuelle Behinderung (n=24)
11%
Pers.störung mit Minderbegabung (n=41)
33% 14%
Pers.störung ohne Minderbegabung (n=41) affektive Psychose (n=3)
Rückfällige (n=55)
13%
24% 2% 0% 50%
schizophrene Psychose (n=110) hirnorganische Störung (n=29)
0%
25% 14% 3%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Abb. 5: Gegenüberstellung der Diagnosen Rückfälliger und Nicht-Rückfälliger. Die Prozentangaben beziehen sich jeweils auf die beiden Gruppen (Beispiel: 50% aller Nichtrückfälligen sind schizophrene Patienten. Unter der Gruppe der Rückfälligen finden sich 25% Schizophrene.)
55
Bei den Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung hingegen zeigte sich eine vergleichsweise höhere Rate an gescheiterten Entlassungen. Bei 31 der insgesamt 82 Probanden mit und ohne zusätzliche Minderbegabung schlug der Wiedereingliederungsprozess fehl, wobei überwiegend eine erneute Straftat der Grund war (bei 27 der 31 Probanden). Bei denjenigen Probanden mit einer nach ICD 10 diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung scheiterte bei nahezu jedem zweiten die Wiedereingliederung (8 von 17). 12 Probanden der Gruppe der Persönlichkeitsstörungen waren mehrmals wegen erneuter Delinquenz auffällig geworden. Acht der neun Sexualstraftaten – davon fünf einschlägig – wurden von Probanden dieser diagnostischen Gruppe verübt. Die juristische Konsequenz bestand bei dreien in einer erneuten Unterbringung in den Maßregelvollzug, fünf erhielten eine Haftstrafe, davon wurden drei zur Bewährung ausgesetzt. Der Großteil der gescheiterten Persönlichkeitsgestörten (28) war bereits vor der Unterbringung zum Teil mehrmalig mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Unterbringungsdauer variierte zwischen 5 Monaten und annähernd 25 Jahren; fünf verbrachten weniger als 2 Jahre in der Maßregelklinik. Bei nahezu der Hälfte (15) ereignete sich der Rückfall im ersten Jahr nach der Entlassung (im Mittel nach 15,7 Monaten). Die Patientengruppe mit einer Intelligenzminderung zeigte eine nahezu identische Rückfallquote wie die Gesamtgruppe (7 von 31 – 22,6%), wobei ebenso die Straftatschwere der insgesamt sechs Rückfalldelikte (ein Weisungsverstoß) deutlich niedriger als die der Unterbringungsdelikte lag. 3.2.5 Unterbringungsdelikte Bei Betrachtung der zur Unterbringung geführten Deliktgruppen wird deutlich, dass vor allem bei den Patienten die Wiedereingliederung gescheitert ist, die wegen Brandstiftung und Eigentumsstraftaten die Maßregel erhalten hatten. Ebenso findet sich die Gruppe der Sexualstraftäter etwas häufiger unter den Rückfälligen, während diejenigen mit einem Tötungsdelikt deutlich unterrepräsentiert sind (Abb. 6).
56
Nicht-Rückfällige (n=200) 9% 8%
sonstige Delikte (n=23)
13%
Brandstiftung (n=36)
20% 11%
Eigentumsdelikt mit Gewalt (n=30) Eigentumsdelikt ohne Gewalt (n=16) Sexualdelikt mit Gewalt (n=12) Sexualdelikt ohne Gewalt (n=22)
Rückfällige (n=55)
15% 5%
11%
5% 6% 8% 11% 19%
Körperverletzung (n=48)
16% 30%
Tötungsdelikt (n=68)
0%
13% 10%
20%
30%
40%
Abb. 6: Gegenüberstellung der Unterbringungsdelikte Rückfälliger und NichtRückfälliger. Die Prozentangaben beziehen sich jeweils auf die beiden Gruppen (z.B.: 30% aller Nicht-Rückfälligen waren wegen eines Tötungsdeliktes untergebracht worden. Unter der Gruppe der Rückfälligen befinden sich 13% dieser Deliktgruppe.)
3.2.6 Entlassungsziel und Nachsorgesituation Bei dem Großteil der Probanden wurde Führungsaufsicht angeordnet in Verbindung mit gerichtlichen Weisungen, die die Wiedereingliederung in die „Freiheit“ erleichtern sollen, zudem aber auch gemäß § 68a II StGB eine kontrollierende Funktion besitzen. Die sonstige von der forensischen Klinik vor der Entlassung in die Wege geleitete Nachsorgesituation unterscheidet sich zwischen den beiden Gruppen in mehreren Bereichen (Tabelle 11).
57
Tabelle 11: Entlassungssituation und Nachsorgeaspekte Rückfällige (n=55)
Vergleichsgruppe Gesamtgruppe NichtNichtRückfälliger Rückfälliger (n=55)* (n=255)
n
%
n
%
n
Gerichtliche Auflagen
46
84%
49
89%
239
93,7%
Führungsaufsicht
50
91%
51
93%
240
94,1%
11 1 11
21% 3% 21%
6 3 5
11% 6% 9%
38 15 29
15,0% 5,9% 11,5%
15 5 5 5 2
28% 9% 9% 9% 6%
6 8 19 6 2 -
11% 15% 34% 11% 3% -
42 30 61 9 16 15
16,6% 11,9% 24,1% 3,6% 6,3% 5,9%
ganztags, halbtags, stundenweise Ausbildung/Studium in beschützender Werkstatt Rentner sonstige keine
9 12 1 13 3 6 11
16% 22% 2% 24% 5% 11% 20%
6 7 27 2 3 10
11% 13% 49% 4% 5% 18%
27 38 8 93 35 14 40
10,6% 14,9% 3,2% 36,5% 13,7% 5,5% 15,7%
Partnerschaft Ambulante Behandlung
25
45%
22
40%
80
31,4%
forensische Ambulanz andere psychiatrische Klinik Psychiater/Psychologe Hausarzt andere Behandlungsform keine
17 3 11 3 10 11
31% 6% 20% 6% 18% 19%
18 6 12 4 9 6
33% 11% 22% 7% 16% 11%
65 17 76 13 47 37
25,5% 6,7% 29,8% 5,1% 18,4% 14,5%
Medikation
25
46%
31
56%
172
67,5%
Wohnsituation: allein in eigener Wohnung Primärfamilie eigene Familie betreute Wohngemeinschaft Übergangswohnheim Heim (z.B. für Minderbegabte) Allgemeinpsychiatrie Altenheim Sonstiges (z.B. teilstationär)
%
Arbeitssituation
*
vgl. Methodik Kap. 2.3
Insbesondere zeigen sich signifikante Unterschiede in der Wohnsituation: Die Rückfälligen sind vergleichsweise in „offenere“ Wohnformen entlassen worden. Während knapp die Hälfte von ihnen anschließend allein oder
58
in der eigenen Familie lebten, wurden etwa zwei Drittel der Vergleichsgruppe in komplementäre Einrichtungen entlassen (Chi2=20,689; df=8; p= .007). Zum Teil handelt es sich um eng strukturierte (halb geschlossene) Heime sowie Langzeitstationen in der Allgemeinpsychiatrie, nicht selten auch in direkter Nachbarschaft zur forensischen Klinik/Abteilung gelegen. Eine Vollzeitstelle auf dem offenen Arbeitsmarkt hatten zum Entlassungszeitpunkt nur wenige Probanden, wobei zu berücksichtigen bleibt, dass etwa 30 Prozent der Probanden zum Zeitpunkt der Entlassung über 45 Jahre alt waren (10% über 60 Jahre). In Anbetracht der momentanen Arbeitsmarktsituation erscheint bei diesen Patienten eine eigentliche berufliche Integration – insbesondere bei deren schulisch-beruflichen Vorbildung – wenig realistisch. Etwa zwei Drittel der Probanden waren zum Zeitpunkt der Entlassung auf ein oder mehrere Psychopharmaka eingestellt. Zumeist handelt es sich dabei um Neuroleptika (57% der Gesamtgruppe), seltener um Antidepressiva oder Antiepileptika (jeweils 9%). Von sechs der insgesamt 34 entlassenen Sexualstraftätern, die antihormonell wirksame Medikamente erhielten (Cyproteronazetat bzw. LHRH-Analoga), ist im Katamnesezeitraum ein Proband rückfällig geworden, wobei es sich nicht um ein einschlägiges Delikt handelte. Kasuistik 6: Der zum Entlassungszeitpunkt 53-jährige Herr F. war wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger 51/2 Jahre im Maßregelvollzug untergebracht. Eine frühere strafrechtliche Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen ähnlicher Straftaten hatte über 7 Jahre angedauert. Diagnostisch wurden eine narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie ein Alkoholmissbrauch beschrieben. Seine biografische Entwicklung war durch vielschichtige Probleme gekennzeichnet. Er wurde schließlich in eine eigene Wohnung entlassen, arbeitete als Kellner. Die Führungsaufsicht betrug 36 Monate. Die Kontakte zum Bewährungshelfer hielt er pflichtbewusst ein. Zudem besuchte er regelmäßig eine Alkoholselbsthilfegruppe Die ambulante Betreuung übernahm der Hausarzt, der auch die antihormonelle Therapie (Cyproteronazetat) begleitete. Der Bewährungshelfer betonte in seinen ersten Berichten das stete Bemühen seines Klienten, „das Leben in den Griff zu bekommen“, wies zugleich aber auch auf dessen grundsätzliche Probleme der Lebensgestaltung hin. Bereits wenige Wochen später wurde der Proband arbeitslos. 5 Monate nach der Entlassung stahl
59 er Zigaretten, weswegen er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In der Helferrunde überlegte man anschließend, ihn wegen mangelnder Arbeitsmöglichkeiten in eine WfB zu integrieren. Dort lehnte man ihn ab. In der Folgezeit fiel er wiederholt durch Alkoholkonsum auf und begann deshalb eine ambulante Psychotherapie. Schließlich musste er ein Jahr nach der Entlassung wegen der nicht bezahlten Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Insgesamt folgten in den nächsten zwei Jahren neun Verfahren wegen Vollrausches, Diebstahl, Beleidigung und Hausfriedensbruch, die jeweils mit einer Geldstrafe geahndet werden. Dessen ungeachtet kam es bislang nicht zu einem weiteren Sexualdelikt.
60
3.3. Anamnestische Risikomerkmale (Erhebungsbogenteil A) 3.3.1 Soziodemografische Daten und Verweildauer Die Verweildauer im Maßregelvollzug betrug für die Gesamtgruppe (n=255) im Mittel 5,9 Jahre (Median 4,8 Jahre). Die Nicht-Rückfälligen (n=200) waren im Mittel 6 Jahre, die Rückfälligen (n=55) 5,5 Jahre untergebracht, der Median war jedoch mit jeweils 4,8 Jahren identisch. Die Unterbringungsdauer variierte von 5 bis 392 Monaten. Die Zeit in Freiheit differierte je nach Gruppe insofern, als dass die Rückfälligen bei einer durchschnittlichen „time at risk“ von 4 Jahren (Median: 4 Jahre) – ohne Berücksichtigung der Probewohnzeit – insgesamt marginal länger in Freiheit lebten als die Nichtrückfälligen (MW: 3,6 Jahre, Median: 3,7 Jahre). In beiden Gruppen erstreckte sich die „time at risk“ von 2 bis 6 Jahren (Tabelle 12). Um dem Problem möglicher Konfundierungen - aufgrund des Überwiegens bestimmter Diagnose- oder Deliktgruppen - entgegen zu wirken und somit soziodemografische Unterschiede zwischen den Gruppen möglichst unbeeinflusst untersuchen zu können, wurde eine nach Delikt, Diagnose, Unterbringungsdauer, Alter und Geschlecht gematchte Vergleichsgruppe (n=55) gebildet. Diese beiden Gruppen wurden anschließend inferenzstatistisch analysiert – abhängig vom Skalenniveau (s. a. Kap. 2.3). Generell schlechte soziale Startbedingungen sind bei Maßregelpatienten bereits hinlänglich bekannt (u.a. Schumann, 1983; Leygraf, 1988; Seifert & Leygraf, 1997b) und ließen sich in dieser Studie erneut bestätigen. Ein Vergleich der rückfälligen und der gematchten nicht-rückfälligen Probanden zeigte, dass Rückfällige deutlich häufiger Erziehungsschwierigkeiten aufwiesen (Chi2=5,6; p=.03; RIOC/Odds ratio=2,6). Strafrechtlich war diese Gruppe durch tendenziell mehr Vorinhaftierungen (Chi2=3; p=.08; RIOC/Odds ratio=2) bei tendenziell niedrigerem Alter zum Zeitpunkt der ersten Inhaftierung (F=3,3; p=.1) gekennzeichnet. Andere historische Merkmale stellten kein signifikantes Unterscheidungskriterium dar. Allerdings fiel auf, dass in der Rückfälligen-Gruppe knapp die Hälfte der Probanden eine neben ihrer psychischen Störung bestehende Suchtproblematik aufwies; zwei Drittel hatten zudem das Unterbringungsdelikt unter dem
61
Einfluss von Alkohol oder anderen Rauschmitteln begangen. Bei den beiden Vergleichsgruppen fanden sich etwas niedrigere Häufigkeiten, ohne dass dies eine statistische Signifikanz erreichte. Tabelle 12: Signifikante bzw. tendenziell signifikante anamnestische Prognosekriterien. (Eine Übersicht sonstiger, relevanter soziodemografischer Daten Rückfälliger und Nicht-Rückfälliger findet sich im Anhang Tabelle A-4) Rückfällige (n=55)
Vergleichgruppe Gesamtgruppe NichtNichtRückfälliger Rückfälliger (n=55) (n=200)
Erziehungsschwierigkeiten
27
49%
15
27%
49
25%
vorhergehende Inhaftierungen
29
53%
20
36%
65
33%
MW**
Md
MW
Md
MW
Md
21,8 n=28
19,5
25,3 n=20
22
25,5 n=64
22
*
Alter (in Jahren): z.Z. der 1. Inhaftierung * **
Gruppengrößen variieren hier je nach vorhandener Auffälligkeit MW = arithmetischer Mittelwert Md = Median
3.3.2 Probanden mit schwerwiegenden Rückfalldelikten (R3; n=19) Gesondert betrachtet wurden Probanden, die schwere Rückfalldelikte begingen und somit dem Kriterium R3 entsprechen (s. Material und Methodik, Kap. 2.2). Ein Vergleich der historischen Daten dieser mit 19 Probanden relativ kleinen Gruppe und derjenigen mit leichtgradigen Rückfalldelikten bzw. Weisungsverstößen (n=36) sowie der Gesamtgruppe der Nicht-Rückfälligen (n=200) zeigte keine maßgeblichen Unterschiede zwischen den Gruppen. Es fiel lediglich auf, dass diejenigen mit schwerwiegenden Rückfällen in der Kindheit und folgenden Entwicklungszeit (Schule, Beruf) seltener Probleme hatten als Probanden mit geringgradigen Rückfalldelikten, ohne dass sich hier Signifikanzen ergaben.
62
3.3.3 Probanden mit einer Schizophrenie (n=14) Des Weiteren erfolgte eine Gegenüberstellung der rückfälligen Schizophrenieerkrankten (n=14) und einer gematchten Vergleichsgruppe nichtrückfälliger Probanden. Auch hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Einzig ließ sich eine Tendenz zu häufigeren Inhaftierungen der Rückfälligen vor der aktuellen Unterbringung feststellen (Chi2=4,8; p=.08). Tabelle 13 zeigt eine Übersicht der signifikanten bzw. tendenziell signifikanten anamnestischen Prognosemerkmale in den jeweiligen Subgruppen. 3.3.4 Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung (n=31) Ein Vergleich der rückfälligen Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung und einer gematchten Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger führte zu einer Reihe von Unterschieden. Neben deutlich häufigeren Erziehungsschwierigkeiten in der Kindheit (Chi2=11,4; df 1; p=.00) sowie tendenziell mehr Problemen während der Schulzeit (Chi2=2,8; df 1; p=.09), fielen seltener psychiatrische Erkrankungen in der Primärfamilie auf (Chi2=5,9; df 1; p=.05). Zudem wiesen die Rückfälligen signifikant häufiger Suchtprobleme auf (Chi2=5,5; df 1; p=.04). Interessant war ferner, dass die rückfälligen Probanden dieser Gruppe nicht nur (annähernd) tendenziell häufiger Vorinhaftierungen aufwiesen (Chi2=3,2; df 1; p=.12), sondern auch länger in Haft (T=-1.4, df 60; p=.16) sowie jünger bei der erstmaligen Inhaftierung waren (T=1.5; df 30; p=.12). 3.3.5 Probanden mit Sexualstraftaten (n=9) Eine Gegenüberstellung der Probanden die ein Sexualdelikt begingen und rückfällig wurden mit einer gematchten Vergleichsgruppe ergab, dass diese Rückfälligen häufiger Suchtprobleme aufwiesen (Chi2=6,3; p=.03) sowie bei dem ursprünglichen Unterbringungsdelikt häufiger unter dem Einfluss von Alkohol standen (Chi2=4,7; p=.05). Erwähnenswert ist außerdem, dass die Rückfälligen tendenziell häufiger aus unvollständigen Primärfamilien stammten (Chi2=3,4; p=.12). Ferner fielen tendenziell mehr
63
Vordelikte (T=-1,8, df 14; p=.09) der rückfälligen Probanden auf sowie ein geringeres Alter bei der ersten strafrechtlichen Sanktion (T=2,0, df 14, p=.07) und der ersten Inhaftierung (T=2,2, df 5; p=.09) bei tendenziell signifikant längerer Gesamtdauer der Inhaftierung (T=-2,05, df 9; p=.07). 3.3.6 Probanden mit Tötungsstraftaten (n=10) Es wurden außerdem die rückfälligen Probanden, die als Unterbringungsdelikt eine Tötung begangen hatten, betrachtet und einer gematchten Vergleichsgruppe nicht-rückfälliger Probanden gegenüber gestellt. Hier ergaben sich keinerlei maßgebliche Unterschiede. 3.3.7 Probanden mit einer Suchtproblematik (n=47) Eine nähere Analyse derjenigen Probanden mit einer neben ihrer psychischen Erkrankung zusätzlichen Suchtproblematik im Vergleich zu einer gematchten Gruppe nicht-rückfälliger mit gleicher Problematik zeigte, dass die Rückfälligen seltener psychische Erkrankungen in der Primärfamilie aufwiesen (Chi2=5,2; p=.03) und häufiger problematische und konfliktreiche Partnerschaften in der Vergangenheit hatten (Chi2=5,1; p=.03). Weiterhin fiel auf, dass diese rückfälligen Probanden signifikant jünger zum Zeitpunkt der ersten strafrechtlichen Sanktion (T=2,0, df 79; p=.05) sowie deutlich kürzer beurlaubt waren (T=-2,8, df 61; p=.01). 3.3.8 Fazit Insgesamt kam in der Stichprobe nur einer geringen Anzahl historischanamnestischer Risikofaktoren eine entscheidende Bedeutung hinsichtlich der Prognose weiterer Straftaten zu. Eine Vielzahl der in aktuellen Prognosetafeln enthaltenen Merkmale, wie beispielsweise Familienstand, gewalttätiges Familienmilieu, niedrige Sozialschicht und frühes Alter bei Delinquenzbeginn zeigten keinen bedeutsamen Zusammenhang mit einem Scheitern der Wiedereingliederung. In der Tabelle 13 sind die relevanten historisch-anamnestischen Prognosekriterien für die einzelnen Untergruppen zusammengefasst aufgeführt.
64
Tabelle 13: Signifikante und tendenziell signifikante anamnestische Risikomerkmale der jeweiligen Diagnose- bzw. Deliktuntergruppen (Vergleich der Rückfälligen mit einer gematchten Gruppe Nicht-Rückfälliger)
Probandengruppen
Rückfällige
NichtRückfällige
SI
PII dfIII
n
%
n
%
6
43%
1
7%
Chi2= 4,8 .08
1
psych. Erkrankungen in der Primärfamilie 3 10% Erziehungsschwierigkeiten in der Kindheit 22 71% Probleme während der Schulzeit 21 68% Suchtproblematik 10 32%
11 9 15 6
36% 29% 48% 19%
Chi2= 5,9 .05 Chi2=11,4 .00
2 1 1 3
Schizophrene Patienten (n=28) vorhergehende Inhaftierung Persönlichkeitsstörungen (n=62)
Chi2= 2,8 .09 Chi2= 5,5 .04
Probanden mit Sexualdelikten (n=18) unvollständige Primärfamilie Suchtproblematik Alkoholisierung beim Delikt Anzahl der VordelikteIV Alter z.Z. der 1. InhaftierungIV Gesamtdauer der InhaftierungenIV
Chi2= 3,4
6 67% 4 44% 6 67% 6
2 22% 2 22% 2 22% 4
18 Jahre
26 Jahre
T= 2,0
120 Monate
48 Monate
T=-2,1
psych. Erkrankung in der Primärfamilie 5 11% 13 28% konfliktreiche Partnerschaften 15 32% 26 55% Alter bei der 1. strafrechtlichen SanktionIV 20,2 Jahre 22,7 Jahre 13,1 Monate 8,5 Monate Dauer des ProbewohnensIV
Chi2= 5,2
.12 .03 .05 .09 .07 .07
1 3 3 14 14 9
.03 .03 T= 2,0 .05 T=-2,8 .01
2 2 79 61
Chi2= 6,3 Chi2= 4,7 T=-1,8
zusätzliche Suchtproblematik (n=94)
I II III IV
Chi2= 5,1
Signifikanztestung je nach Skalenniveau Chi2 oder T-Test. p-Wert Freiheitsgrade (df) arithmetischer Mittelwert
Des Weiteren ergaben sich folgende (statistisch nicht signifikante) Zusammenhänge, die aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz Erwähnung finden sollen und nachfolgend in der Diskussion im Gesamtkontext wieder aufgegriffen werden: Neun von 14 Probanden, die bereits vor der jetzigen Un-
65
terbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB untergebracht gewesen waren, wurden rückfällig. Bei allen drei Probanden, bei denen die bedingte Entlassung aus der früheren Maßregel (§ 63 StGB) wegen wiederholten Alkohol- u./o. Drogenkonsums widerrufen wurde, scheiterte die jetzige Wiedereingliederung. Bei den übrigen Probanden mit einem Widerruf der bedingten Entlassung einer früheren Maßregelunterbringung aus anderen Gründen (erneute Delinquenz, Krankheitsrezidiv oder Verstoß gegen richterlich erlassene Weisungen) fand sich hingegen lediglich bei knapp der Hälfte eine gescheiterte Wiedereingliederung (neun von 20). Vier von fünf Probanden, bei denen die Strafvollstreckungskammer eine Entlassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) bei negativer legalprognostischer Einschätzung der Therapeuten beschlossen hatte, wurden rückfällig.
66
3.4 Analyse der apparativen, testpsychologischen und neurologischen Untersuchungen (Erhebungsbogenteil B) Im B-Teil des Erhebungsbogens wurden sowohl Daten apparativer als auch testpsychologischer Untersuchungen aus den Krankenunterlagen der Probanden erfasst. Des Weiteren erfolgte die Erhebung der Neurological Soft Signs durch Ärzte in den Kliniken vor der Entlassung entsprechend eines standardisierten Manuals (siehe Schröder u.a., 1992 und Kap. 3.4.2). 3.4.1 Analyse psychometrischer und apparativer Daten Die erfassten psychometrischen Verfahren bezogen sich auf Untersuchungen, die bei der Gutachtenerstellung oder während der Unterbringung von den Einrichtungen selbst veranlasst wurden, z.B. zur Klärung der Diagnose. Insgesamt betrachtet scheint diesem Diagnostikbereich zu wenig Bedeutung zugemessen zu werden. Lediglich in 68% der Fälle wurden Leistungs- und Intelligenztests durchgeführt (Tabelle A-3). Ein Vergleich der rückfälligen und der gematchten nicht-rückfälligen Probanden zeigte, dass Rückfällige signifikant häufiger zusätzlich durch andere Intelligenztests als den HAWIE untersucht wurden (Chi2=6,1; p=.02), sich die Gruppen aber ansonsten weder im Hinblick auf die Häufigkeit der Anwendung apparativer Methoden noch die Häufigkeit dabei angefallener auffälliger Befunde statistisch bedeutsam voneinander unterschieden. Die Berechnung eines durchschnittlichen Intelligenzwertes der Gruppen war durch die begrenzte Menge an Daten eingeschränkt. Es konnten für 43 rückfällige (MW 84,7) und 36 nicht-rückfällige (MW 79,6) Probanden entsprechende Daten ausgewertet werden, die sich im statistischen Vergleich nicht signifikant unterschieden. Für die Gesamtgruppe lag der IQ leicht unterhalb des Normalbereichs (MW 82,4). Ergänzend verdeutlichte eine Aufteilung in Diagnosegruppen, dass überwiegend bei Persönlichkeitsgestörten sowohl mit als auch ohne Minderbegabung testpsychologische Angaben in den Gutachten und/oder Krankenakten vorlagen (83%). Bei Patienten mit einer schizophrenen Psychose hingegen wurde seltener eine testpsychologische Untersuchung veranlasst (36%).
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3.4.2 Neurological Soft Signs (NSS) Die Erfassung der neurologischen Auffälligkeiten erfolgte mit der Heidelberger NSS-Skala (Schröder u.a., 1992). Diese wurde aus 16 in der Literatur zitierten NSS entwickelt (Tabelle 14). Hierzu ist anzumerken, dass die Menge der als NSS bezeichneten Symptome im Allgemeinen relativ unterschiedlich ist. Ein Kernbereich von Symptomen findet sich indes regelmäßig, den alle Autoren für relevant halten. Dieser Bereich wird von der Heidelberger NSS-Skala abgedeckt. Die Erhebung der Daten erfolgte durch Ärzte vor Ort, die ihre Untersuchungstechnik an vorgegebenen Literaturangaben ausrichten sollten. Durch die detaillierte Festlegung des Verfahrens konnte in einer Untersuchung von Schröder u.a. (1992a) eine Interrater-Reliabilität von r = .88 sowie eine interne Reliabilität der Skala (Cronbachs Alpha) von r = .85 bei schizophrenen Probanden erreicht werden. Tabelle 14: Übersicht der untersuchten Neurological Soft Signs (NSS) o
Gangbild
o Finger-Daumen-Opposition
o
Seiltänzergang
o Spiegelbewegungen
o
Rechts-Links-Orientierung
o Zweipunktediskrimination
o
Armhalte-Versuch
o Graphaesthesie
o
Finger-Nase-Versuch
o Hand-Gesichts-Test
o
Osoretski´s Test
o Stereognosis
o
Diadochokinese
o First-edge-palm-Test
o
Pronation-Supination
o Artikulation
Von den insgesamt 255 Probanden, die eine Katamnesezeit von mindestens 24 Monaten aufwiesen, lagen für 155 Probanden vollständig ausgefüllte Erhebungsbögen über die Untersuchung von Neurological Soft Signs vor. Aus dieser Gruppe scheiterten insgesamt 35 Wiedereingliederungen.
68
Dementsprechend beziehen sich die folgenden Ergebnisse auf Untersuchungen dieser 35 rückfälligen und einer entsprechend gematchten Gruppe nicht-rückfälliger Probanden (n=35), für die ebenfalls NSS vorlagen. 3.4.2.1 Vergleich der NSS Rückfälliger und Nicht-Rückfälliger Die Bandbreite der Bewertungen reichte von 0 (unauffällig in allen 16 Tests) bis 48 Punkten (hoch auffällig in allen Tests). Die Auswertung erfolgte wie von Schröder u.a. (1992) praktiziert. Lediglich drei Probanden wiesen in keinem der 16 Subtests irgendwelche neurologischen Symptome auf. Die Mehrzahl der Probanden (66%) zeigte in mehr als einem Viertel der Tests Auffälligkeiten. Die rückfälligen Probanden unterschieden sich indes nicht gravierend von den nicht-rückfälligen; dies betraf sowohl die Häufigkeit einzelner Subtests als auch die Ausprägung innerhalb der Subtests. Schwerpunkte vorhandener Störungen waren sowohl in der Gesamtgruppe als auch in der Einzelbetrachtung beider Gruppen in den Bereichen Artikulation (Nachsprechen von Zungenbrechern wie „der Kaplan klebt Papp-Plakate”), Seiltänzergang (Gehen auf einer geraden Linie), Osoretski´s Test (Koordinationsübung der Hände und Arme), Finger-Daumen-Opposition (Koordinationsübung der Finger), im First-edge-palm-Test (Koordinationsübung der Hände) und der Rechts-Links-Orientierung zu sehen. Bei den Rückfälligen fielen im Gegensatz zu den Nicht-Rückfälligen häufiger Schwierigkeiten im Armhalte-Versuch (Halten des Armes bei geschlossenen Augen) auf. Die statistische Überprüfung möglicher Unterschiede der Auftretenshäufigkeit unauffälliger bis stark ausgeprägt auffälliger Werte zwischen den Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen im Hinblick auf alle 16 Subtests ergaben keine Signifikanzen. Eine Übersicht der Gesamtpunktzahlen beider Gruppen ist Tabelle 15 zu entnehmen. Für die Gesamtgruppe (n=70) ergab sich ein Mittelwert von 9 Punkten (Std. 6,8; Md 7). Die Spannbreite variierte von 0 bis 28 Punkten - d.h. der höchste erreichte Punktwert lag etwas über der Hälfte der höchstmöglichen Gesamtpunktzahl von 48 Punkten. Lediglich 3 Probanden hatten 0 Punkte,
69
mehr als die Hälfte der übrigen Probanden (56%) 1-8 Punkte und lagen somit im eher unauffälligen Bereich. Leicht auffällige Werte (9-14 Punkte) erhielten 20% und ausgeprägt auffällige (>14 Punkte) ebenfalls 20% der Probanden. Die Rückfälligen wiesen mit im Mittel 8,5 Punkten (Std. 5,8; Median 7; Spannbreite 0-23) einen geringfügig niedrigeren Gesamtscore in den NSS auf als die Nicht-Rückfälligen (MW 9,6; Std. 7,6; Median 7; Spannbreite 0-28), diese Differenz war jedoch statistisch nicht bedeutsam. Insgesamt fanden sich bei 43% der rückfälligen und 37% der nichtrückfälligen Probanden Auffälligkeiten in den NSS, wobei die Rückfälligen mit 26% häufiger im Bereich leichter Auffälligkeiten, die Nicht-Rückfälligen mit 23% häufiger im auffälligen Bereich zu finden waren.
Tabelle 15: NSS – Gesamtpunktzahlen für Rückfällige und Nicht-Rückfällige NSS Gesamtscore
Rückfällige (n=35)
Nicht-Rückfällige (n=35)
n
%
n
%
0
1
2
2
6
1-8
19
55
20
57
9-14
9
26
5
14
> 14
6
17
8
23
Summe
35
100
35
100
3.4.2.2 NSS in Beziehung zu Diagnosen Die höchsten Punktzahlen fanden sich für die Gesamtgruppe vor allem bei den „intellektuellen Behinderungen” (MW 18,2) und „Persönlichkeitsstörungen mit Minderbegabung” (MW 12,1). Eine Punktzahl von 0 erreichten drei Probanden, die alle diagnostisch der Gruppe Persönlichkeitsstörung ohne Minderbegabung angehörten. Abb. 7 verdeutlicht, dass in der Gruppe der Rückfälligen diejenigen mit einer intellektuellen Behinderung die mit Abstand höchsten NSS Werte
70
aufwiesen. Ein Vergleich aller Diagnosegruppen und entsprechenden Mittelwerte der NSS zwischen den Rückfälligen und der gematchten Gruppe Nicht-Rückfälliger zeigte, dass die rückfälligen Probanden überwiegend niedrigere - statistisch nicht signifikante - NSS-Gesamtscores aufwiesen als die nicht-rückfälligen. Lediglich in der Gruppe der Persönlichkeitsgestörten ohne Minderbegabung fiel ein signifikant höherer Mittelwert bei den rückfälligen Probanden auf (T=-2,2; p<.04). Im Übrigen differierten die NSS-Gesamtscores zwischen den einzelnen Diagnosegruppen deutlich (T=6,1; p<.001). Unabhängig von der Rückfälligkeit eines Probanden wurde ein signifikanter Zusammenhang der Gesamtscores mit der diagnostischen Zuordnung deutlich (Pearson Korrelation: r=.34; p<.01).
19
intellektuelle Behinderung (n=5)
21,3 11,2
Persönlichkeitsstörung mit Minderbegabung (n=22)
13,6 6,1
Persönlichkeitsstörung ohne Minderbegabung (n=17)
2,9
Rückfällige (n=35)
8,1
schizophrene Psychose (n=22)
7,3
Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger (n=35)
6
hirnorganische Störung (n=4)
10
0
5
10
15
20 25 NSS-Mittelwerte
Abb. 7: Mittelwerte der NSS der Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen für die jeweiligen Diagnosegruppen (n=70)
71
3.4.2.3 Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung ohne Minderbegabung Aufgrund des signifikant höheren NSS-Gesamtscores in dieser Subgruppe (n=17) erfolgte hierbei – in Anlehnung an die Untersuchung der Heidelberger Arbeitsgruppe (Kröber u.a., 1994a,b) – ergänzend eine Einzelanalyse möglicher soziodemographisch relevanter Unterschiede. Es zeigte sich, dass die Rückfälligen häufiger Erziehungsschwierigkeiten in der Kindheit aufwiesen als die Nicht-Rückfälligen (Chi2=3,6; p<.05). Weitere Tendenzen ließen sich insofern feststellen, als dass die Rückfälligen zum Zeitpunkt der ersten dissozialen Auffälligkeit sowie der ersten Inhaftierung tendenziell jünger waren als die nicht-rückfälligen persönlichkeitsgestörten Probanden ohne Minderbegabung. Eine differenzierte Analyse der Rückfalldelikte dieser Subgruppe ergab, dass es sich in 44% der Fälle um gewalttätige Rückfalldelikte handelte, wobei zwei dieser vier Probanden bereits früher mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten waren. 3.4.3 Fazit Beim Vergleich dieser Ergebnisse mit denen der Heidelberger Untersuchung ergaben sich folgende Ähnlichkeiten: Art der neurologischen Auffälligkeiten, Soziodemografika, Zusammenhang zwischen neurologischen Auffälligkeiten und kognitiven Defiziten und persönlichkeitsgestörte Probanden als Risikogruppe. Es zeigten sich indes auch deutliche Unterschiede: Die vorliegende Stichprobe wies insgesamt mehr neurologische Symptome auf. Dieser Befund entspricht aufgrund der erheblichen differenten Stichprobenauswahl den Erwartungen. In unserer Stichprobe befanden sich ein großer Anteil an Probanden mit einer Intelligenzminderung sowie hirnorganischen Störungen, bei denen häufig neurologische Auffälligkeiten zum Krankheitsbild gehören. Diese Gruppen waren bei der Heidelberger Untersuchung definitiv ausgeschlossen. Deutliche Unterschiede sowohl in Bezug auf die Höhe der NSS-Gesamtscores als auch der Häufigkeit aufgetretener Auffälligkeiten ließen sich zwischen den Gruppen Rückfälliger versus Nicht-Rückfälliger nicht eruieren. Eine allgemeine prognostische Relevanz der NSS für Maßregelpatienten gemäß § 63 StGB ließ sich anhand der vorliegenden Stichprobe daher nicht aufzeigen.
72
3.5 Analyse klinischer Risikomerkmale (Erhebungsbogenteil C) Eines der Hauptziele dieser Studie besteht in der Suche klinischer Prognosekriterien, da hierzu nur wenig empirische Befunde existieren und in der Prognoseliteratur derzeit die Wertigkeit klinischer Risikomerkmale kontrovers betrachtet wird. Daher sind die folgenden Berechnungen mit teils komplexen statistischen Analysen recht ausführlich dargestellt (zur Methodik ausführlich dazu siehe Kap. 2.4; weitere statistische Daten sind im Anhang 7.5 nachzulesen). Es bleibt anzumerken, dass die Ergebnisse aufgrund des Verhältnisses der Variablenanzahl (133) zur Probandenzahl (N=255) für die Stichprobe vorerst überwiegend auf deskriptiver Ebene tatsächlich valide Ergebnisse liefern. Zunächst beziehen sich die Analysen auf die Rückfälligengruppe (n=55) und der nach Delikt, Diagnose, Alter, Unterbringungsdauer und Geschlecht gematchten Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger (n=55). Neben einer Faktorenanalyse werden die Einzelitems dargestellt, die signifikant zwischen den beiden Gruppen differenzieren. Anschließend erfolgt nach Durchführung einer logistischen Regression die Berechnung der Risikoscores und die grafische Darstellung der ROC-Kurve sowie von Sensitivität und Spezifität. Danach werden diese Analysen für die Gesamtgruppe (n=249) und für solche Untergruppen dargestellt, die nach inhaltlichen Gesichtspunkten ausgewählt wurden. Hierfür wurde jeweils eine gematchte Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger gebildet. Für folgende Untergruppen wurden die Analysen durchgeführt: o o o o o o o
Patienten mit einer Suchtproblematik (n=94) Patienten, die ihr Delikt unter Rauschmitteleinfluss verübten (n=64). Patienten mit einer Schizophrenie (n=28) Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung (n=62) Patienten mit einem Sexualdelikt (n=18) Patienten mit einem Tötungsdelikt (n=20) Patienten mit Gewaltdelinquenz (n=19) im Vergleich mit denen, die weniger gravierende Straftaten begangen bzw. gegen richterliche Weisungen verstoßen hatten (n=36)
73
Des Weiteren wurde die Vorhersageleistung der drei „Forensischen Sonntagsfragen“ für die beiden Hauptgruppen sowie für sämtliche Untergruppen berechnet. Diese Ergebnisse sind zusammengefasst im Kapitel 3.5.6 sowie in einer Übersichtstabelle (Tabelle A-13 im Anhang 7.5) dargestellt. 3.5.1 Vergleich der Rückfälligen mit gematchter Nicht-RückfälligenGruppe (n=110) 3.5.1.1 Faktorenanalyse Aus den 133 Einzelitems der acht Itemgruppen des C-Erhebungsbogenteils ließen sich insgesamt 19 Faktoren extrahieren. Davon differenzierten acht Faktoren signifikant und zwei tendenziell signifikant zwischen den rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden (Tabelle 16). Insgesamt ergaben sich 37 relevante Einzelitems - wobei 16 Einzelitems nicht Bestandteil einer der signifikanten Faktoren sind - die zwischen den Gruppen signifikant unterschieden. Die Faktoren und Einzelitems wurden so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Zum besseren Verständnis einige Beispiele: Beispiel 1: Faktor 1 der Itemgruppe 2 „Sozialverhalten“ (Streitsucht – soziale Verträglichkeit) ist demzufolge folgendermaßen zu verstehen: Je ausgeprägter im Stationsalltag beim Patienten eine Streitsucht mit dem Pflegepersonal, den Mitpatienten und/oder Besuchern erkennbar geworden ist, zudem eine Neigung zu manipulativen Inszenierungen zu beobachten war und daher der Umgang des Teams mit ihm als eher vorsichtig und angespannt beschrieben wurde, desto höher ist auch das Risiko eines Scheiterns der Wiedereingliederung einzuschätzen. Beispiel 2: Faktor 1 der Itemgruppe 3 „Belastungsfaktoren der Persönlichkeit“ (hohe Aggressivität) bedeutet, dass die Legalprognose eines Patienten als eher negativ einzuschätzen ist, wenn seine Grundhaltung durch erhöhte Aggressivität, Machtstreben, Unberechenbarkeit, Feindseligkeit, sadistische Verhaltensweisen und eine Externalisierungstendenz charakterisiert ist.
74
Beispiel 3: Faktor 2 der Itemgruppe 4 „Anpassungsverhalten“ (hohe Position in der Patientenhierarchie) sagt aus: Wenn ein Patient innerhalb der Stationsgruppe eine führende Rolle inne hat, also in der „Hackordnung“ eher oben anzusiedeln ist und damit zugleich einen geringeren subkulturellen Druck durch seine Mitpatienten ertragen muss, spricht dies eher für ein Scheitern der Wiedereingliederung. Während diese Beispiele durchaus der klinisch-forensischer Erfahrung entsprechen, schien dies bei einigen signifikanten Faktoren bzw. Einzelitems auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein: Beispiel 4: Faktor 1 der Itemgruppe 1 „Aktuelle Symptomatik“ (geringe psychotische Symptomatik) ist folgendermaßen zu lesen: Je geringer die Ausprägung der psychotischen Symptomatik bei einem Patienten beschrieben wurde, desto höher ist das Risiko eines Scheiterns der Wiedereingliederung einzuschätzen. Üblicherweise wird in der Literatur bei Schizophrenen eine anhaltende psychotische, insbesondere Wahnsymptomatik als negatives Gefährlichkeitsmerkmal eingestuft. Dass dieses Merkmal sowohl für die Gesamtgruppe als auch für die Untergruppe der Schizophrenen einen konträren Zusammenhang aufwies, ließe sich anhand folgender Punkte erklären: Derzeit werden in Deutschland offensichtlich vor allem solche psychotischen forensischen Patienten entlassen, die weitgehend frei von akuten bzw. produktiv psychotischen Symptomen sind. Liegen Komorbiditäten, wie etwa eine neben der Psychose bestehende Suchtproblematik und/oder eine (dissoziale) Persönlichkeitsfehlentwicklung vor, scheinen primär solche Merkmale die Legalprognose zu bestimmen, während psychopathologische Symptome im engeren Sinne eine vergleichsweise geringere Bedeutung zukommen (siehe auch die Berechnungen anhand der Latent Class Analyse – Kap. 3.5.1.2 sowie ausführlich unter dem Kapitel 4 ‚Diskussion’).
75
Tabelle 16: Auflistung der insgesamt 10 relevanten Faktoren mit den dazugehörigen Einzelitems sowie der 37 relevanten Einzelitems (fett gedruckt), die für eine negative Legalprognose sprechen. Geordnet nach den Itemgruppen des klinischen Erhebungsbogens (s. Tabelle 4). Stichprobe (n=110): Vergleich Rückfälliger mit gematchter Gruppe Nicht-Rückfalliger.
Faktoren und EinzelitemsI
T-Wert II (df)
pIII
dIV ĮV
.63 .48 .61 .71 .39 .48 .41 .19 .13
1 Aktuelle Symptomatik 3.18 (91) VI
2.92 (75) 3.66 (105) 1.99 (108)
o hohes Suchtpotential „Drogen“ (14.2) o hohes Suchtpotential „Medikamente“ (14.3) o hohes Suchtpotential „Alkohol“ (14.1) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o Suchtgefährdung bei Stress (15) o geringe Dekompensationsgefahr (9) o geringe schwere der Störung (12)
0.94 (82) 0.60 (106) 2.15 (102)
<.001 .004 <.001 .049 .352 .552 .034
2.77 (81) 1.91 (106) 2.07 (103)
.007 .059 .041
Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik) o geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7) o geringe Hospitalisierung (8)
Faktor 1.3 (hohes Suchtpotential)
.39 .30 .32
2 Sozialverhalten Faktor 2.1 (Streitsucht/soziale Verträglichkeit) o o o o o o o
Streitsucht mit dem Team (20.1) Streitsucht mit Mitpatienten (20.2) manipulative Inszenierungen (19) Streitsucht mit Besuch (20.3) Team im Umgang vorsichtig, angespannt (28.2) Negative Teameinschätzung (28.1) geringe soziale Kompetenz (25)
Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang)
o unbefangener Umgang mit Männern (24) o unbefangener Umgang mit Frauen (23) o geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) o geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o inkonstantes Sozialverhalten (18)
1.68 (108) 0.89 (106) 1.85 (100) 1.72 (104) 0.06 (107) 0.20 (106) 2.24 (106) 1.64 (107) 3.59 (108) 2.64 (107) 1.91 (107) 3.02 (103) 2.17 (103)
.097 .32 .89 .372 .18 .068 .36 .088 .33 .955 .02 .770 .06 .027 .43 .094 .31 <.001 .69 .71 <.001 .52 .059 .38 <.001 .58 .032 .42
1.69 (101)
.096
Faktor 3.1 (hohe Aggressivität)
3.06 (101)
o Aggressivität (29.10) o Machtstreben (29.8) o sadistische Tendenzen (29.12) o Unberechenbarkeit (29.4) o Externalisierungstendenzen (29.11) o Feindseligkeit (29.2) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o geringe Gehemmtheit (29.3)
1.93 (107) 2.03 (107) 1.46 (94) 1.85 (107) 3.24 (107) 0.75 (107)
<.001 .056 .045 .149 .067 <.001 .457
2.05 (107)
.043
.19
3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit .59 .78 .37 .39 .28 .36 .63 .14 .39
76
pIII
dIV ĮV
2.99 (81) 2.55 (88)
.008 .004 .013
.52 .36 .66 .54
3.46 (88) 1.98 (100) 1.87 (89)
<.001 .051 .064
.72 .46 .39
Faktor 5.3 (geringe depressiv-apath. Symptomatik) 1.98 (108)
.050 .046 .921 .350 .024 .291 <.001 .070
.38 .64 .39 .02 .18 .44 .58 .21 .70 .34
Faktoren und EinzelitemsI
T-Wert II (df)
4 Anpassungsverhalten Faktor 4.2 (hohe Position i.d. Patientenhierarchie) 2.70 (108) o hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben 34)VI o geringer subkultureller Druck (33) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o keine regelm. Teilnahme an der Ergotherapie (37.1) o hohe Formalanpassung (32) o keine regelm. Teilnahme an Einzelgesprächen (37.5)
5 Emotion / Motivation o geringe Apathie (43) o geringe Unbeständigkeit (44) o Grundstimmung eher gedrückt (40)
Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
o fehlende Angstreaktion in riskanten Situationen (46) o geringe Ängstlichkeit (47) o Selbstbild kriminell/subkulturell geprägt (51) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o geringe Auseinandersetzung mit Suchtproblem (58) o starke emotionale Reaktion auf Kritik (48) o geringe extramurale Compliance (61.2)
2.02 (107) 0.99 (107) 0.94 (107) 2.29 (108) 1.06 (107) 3.70 (107) 1.83 (107) 2.67 (103) 2.12 (89) 2.25 (41)
.009 .037 .030
.53 .64 .43
Faktor6.1(gute Belastungsfähigkeit/Tagesstruktur) 1.82 (108)
1.53 (107) 0.31 (106) 1.38 (107) 0.01 (107) 1.38 (98) 1.97 (107)
.072 .182 .258 .022 .527 .007 .130 .757 .170 .995 .172 .051
.35 .81 .25 .22 .44 .11 .53 .82 .29 .06 .26 .01 .28 .38
3.01 (106) 2.54 (107) 2.03 (70) 2.01 (81)
<.001 .003 .046 .049
6 Leistungs- und Kontrollverhalten o o o o
sinnvolle Freizeitgestaltung (77) sinnvolle Tagesstrukturierung (78) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) wenig realistische Zukunftsplanung (73)
Faktor6.2(wenig reflexives Handeln)
o geringe Reflexionstendenz (75) o Bedürfnisaufschub sex. Wünsche problematisch (76.2) o fehlendes Erfahrungslernen (72) o Bedürfnisaufschub von Konsum problematisch (76.3) o Bedürfnisaufschub Aggression problematisch (76.4) o keine wesentliche Stützung durch Medikamente (62) signifikante Einzelitems (nicht Teil eines signif. Faktors) o stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) o geringe aggressive Gehemmtheit (64) o geringe Kontrolle aggressiver Impulse (63) o geringe Arbeitskontinuität (67) I II III IV V VI
1.34 (107) 1.14 (105) 2.32 (107) 0.64 (107) 2.75 (108)
.56 .49 .50 .41
Die signifikanten bzw. tendenziell signifikanten Einzelitems sind fett gedruckt. Freiheitsgrade (df) Korrelationskoeffizient (p-Wert) Cohens d (Effektstärken werden nur bei den signifikanten Einzelitems angeführt) Cronbachs Į (interne Reliabilität des Faktors) Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
77
Für die Itemgruppe 7 - Entwicklung und Verlauf während der Unterbringung – (Fragen 79.1 bis 16) ergaben sich keine Faktoren, die zwischen den Gruppen der rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden signifikant diskriminieren. Die Betrachtung der in diesen 16 Fragen untersuchten psychischen Merkmale unter dem Aspekt, ob diese bislang nie ein großes Problem für den Probanden dargestellt hatten oder bereits vor der Unterbringung vorlagen, ergab 3 signifikante Ergebnisse. Für eine eher positive Legalprognose spricht demnach: 1) wenn vor der Unterbringung kaum Probleme im Umgang mit Rauschmitteln bestanden hatten (Item 79.1 - Chi2df=1= 5,49; p <.05), 2) eine geringere Identifikation mit dem subkulturellen Milieu vorgelegen hatte (Item 79.10 - Chi2df=1= 6,94; p <.01) und 3) die Durchsetzungsfähigkeit tendenziell seltener ein großes Problem dargestellt hatte (Item: 79.13 - (Chi2df=1= 3,04; p <.08). Aus methodischen Gründen wurde für den Itemgruppe 8 - Entlassungssituation - auf eine Faktorenanalyse verzichtet, da eine Aggregation der erfassten Einzelinformationen nicht interpretierbar wäre. Zudem weisen hierbei die meisten Items nur nominales Skalenniveau auf. Es ließen sich jedoch hinsichtlich der Häufigkeitsverteilungen zwischen den Gruppen maßgebliche Unterschiede in der Wohn- und Arbeitssituation der Probanden sowie der Medikation mit Neuroleptika aufzeigen, die detailliert in der Tabelle 11, Kap. 3.2.5 aufgeführt sind. 3.5.1.2
Erklärende Beschreibung der Faktoren
Bei detaillierter Betrachtung der in Tabelle 16 aufgeführten für den Rehabilitationsverlauf relevanten Faktoren fiel insbesondere der Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen Menschen) ins Gewicht. Demnach spricht für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Scheiterns der Wiedereingliederung ein im alltäglichen Leben eher unbefangener Umgang des Patienten sowohl mit Männern als auch mit Frauen. Gemeint ist ein weder übermäßig schüchternes noch besonders feindseliges Verhalten anderen gegenüber, sondern das Vorhandensein ausreichender sozialer Kontakte
78
bei gleichzeitig fehlender Ausgrenzung. Auf den ersten Blick irritiert, dass diese Konstellation ein negatives Gefährlichkeitsmerkmal darstellen soll, weil es der klinisch-forensischen Erfahrung zu widersprechen scheint. Zur Verständlichkeit trägt jedoch die simultane Betrachtung der Merkmalsausprägungen auf allen Faktoren bei. Aus diesem Grund wurde eine Latent Class-Analysis (Rost & Langeheine, 1997) durchgeführt, die eine Identifikation charakteristischer Profile oder Typen von Patienten ermöglicht. Bei den unter Kap. 3.5.3 aufgeführten Analysen weiterer Kleingruppen wurde indes aufgrund der geringen Stichprobengröße von dieser Analyse abgesehen. Nach den informationstheoretischen Maßen BIC (Bayes’sches Informationskriterium; Rost, 2003) und CAIC (Konsistentes Aikaike Informationskriterium; Rost, 2003) resultierte eine eindeutige Drei-Klassen-Lösung, die weitgehend von der diagnostischen Einschätzung unabhängig ist: o Typ 1 (Abb. 9: Cluster 1) ist gekennzeichnet durch niedrige Ausprägung des Faktors 1.3 (hohes Suchtpotential), niedrige Ausprägung des Faktors 2.2 (soziales Kontaktverhalten), hohe Ausprägung des Faktors 4.3 (Kooperationsverhalten), niedrige Ausprägung des Faktors 5.2 (emotionale Grundhaltung) sowie niedrige Ausprägung der Faktoren 6.2 (wenig reflexives Handeln) und 6.3 (Autoaggression). Diesem Typus wurden 65 Probanden zugeordnet, von denen 34 (52%) rückfällig wurden. Es handelt sich zusammengefasst um einen eher indifferenten, wenig prägnant zu charakterisierenden Probanden, der durchaus reflektierend und kooperativ erscheint und ansonsten weder durch eine Suchtkomponente noch durch ein erhöhtes Aggressionspotential während der Unterbringung negativ auffällt. o Typ 2 (Abb. 9: Cluster 2 ) zeichnet sich durch niedrige Ausprägung des Faktors 1.1 (geringe psychotische Symptomatik), niedrige Ausprägung der Faktoren 2.1 (Streitsucht, soziale Verträglichkeit) und 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen), niedrige Ausprägung des Faktors 3.1 (hohe Aggressivität), hohe Ausprägung des Faktors 4.3 (Kooperationsverhalten) und niedrige Ausprägung des Faktors 4.2 (hohe Position in der Patientenhierarchie) sowie niedrige Ausprägung des Faktors 5.2 (emotionale Grundhaltung) und eine niedrige Ausprägung des Faktors 6.1 (gute Belastungsfähigkeit und Ta-
79
gesgestaltung). Von den insgesamt 29 Probanden, die diesem Typus zugeordnet wurden, scheiterten lediglich 8 (28%). Es handelt sich demzufolge um einen aggressionsgehemmten, hospitalisierten und wenig belastbaren zugleich schizoid strukturierten Probanden, der in der „Hackordnung“ der Patienten eher am unteren Ende steht. Diese Konstellation deutet somit auf eher protektive Eigenschaften hinsichtlich einer Rückfallgefährdung hin. o TYP 3 (Abb. 9: Cluster 3), der eine Rückfallrate von 81,3% (13 von 16 Probanden) aufwies, zeigt weitgehend konträre Merkmalsausprägungen im Vergleich zum vorherigen Typus 2. Probanden des Typus 3 fallen durch eine jeweils hohe Ausprägung auf den Faktoren 1.1 (geringe psychotische Symptomatik), 2.1 (Streitsucht, soziale Verträglichkeit), 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen) und 3.1 (hohe Aggressivität) auf. Des Weiteren besteht eine niedrige Ausprägung auf dem Faktor 4.3 (Kooperationsverhalten) und eine hohe Ausprägung auf den Faktoren 5.2 (emotionale Grundhaltung) und hohe Ausprägung des Faktors 6.2 (wenig Reflexivität) auf. Zusammengefasst wird durch diese Merkmalsbeschreibung eine dissoziale Struktur charakterisiert.
Die hohe prädiktive Validität des durch die LCA identifizierten Patiententypen 3 ist insofern bemerkenswert, als im Rahmen der LCA die Patiententypen unabhängig vom vorherzusagenden Merkmal (hier: Rückfälligkeit) bestimmt werden. Die hohe Assoziation ist somit nicht dadurch zu erklären, dass – im Gegensatz zur multiplen Regression - bei vergleichsweise kleinen Stichproben eine Überanpassung des Modells erfolgt. Die unabhängige Bestimmung der Patiententypen und deren Assoziation mit dem vorherzusagenden Kriterium lässt einen solchen Effekt bei der Modellidentifikation nicht wirksam werden. Einen Überblick der Ergebnisse der LCA gibt Abb. 9. Hierbei sind die Merkmalsbereiche auf den Faktoren jeweils so reskaliert, dass der Wert 1 eine maximale Ausprägung auf dem Faktor indiziert und 0 eine minimale Ausprägung.
80
3.5.1.3 Berechnung des Risikoscores aller relevanten Einzelitems Zur Vergleichbarkeit mit anderen Studien zur Gefährlichkeitseinschätzung im Hinblick auf die Treffsicherheit wurde eine so genannte ROC-Analyse durchgeführt (receiver operating charakteristics; s.a. Kap. 2.4 Material und Methodik). Hierzu bedarf es vorab einer Berechnung des Risikoscores. Um eine optimale Vorhersagegröße zu erhalten, wurden alle signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems (n=37, s.a. Tabelle 16) zu einem 1 Summenscore oder Risikoscore zusammengefasst. Dieser Risikoscore weist mit D=0,857 eine hohe interne Konsistenz auf. Die Ausprägungen der Items des C-Erhebungsbogenteils wurden hier - im Gegensatz zu den vorherigen Analysen – umskaliert: Während vorher stimmt eine 1, stimmt eher eine 2, stimmt eher nicht eine 3, stimmt nicht eine 4, erhielt, wurde nun die 4-stufige Skalierung auf einen Wertebereich von 0 bis 100 genormt und anschließend Mittelwertsberechnungen durchgeführt (0 indiziert eine minimale, 100 eine maximale Ausprägung auf dem Risikoscore). Die statistischen Ergebnisse (t-Werte, AUC, odds ratio etc.) bleiben von dieser Reskalierung völlig unbeeinflusst. Es resultierte ein signifikanter Mittelwertsunterschied der rückfälligen (MW 56,86) und nicht-rückfälligen Probanden (MW 42,08; Tdf=107 = 6.85, p <.01) auf diesem Risikoscore. Die Durchführung einer ROC-Analyse ergab (Abb. 8), dass die Fläche unterhalb der Kurve .819 umfasst (AUC: .819, 95%-CI: .738-.900; Effektstärke Cohens d: 1.30). Nach Douglas und Mitarbeitern (2001) wird ein AUC-Wert von > .75 als gut betrachtet. Zur Einschätzung des Vorhersagewertes des klinischen Erhebungsbogens sind im Kap. 3.5.4 die statistischen Daten anderer, vergleichbarer Prognosestudien aufgeführt (s.a. Tabellen 27, 29 u. A-13). 1
Hierbei erfolgte eine Umpolung einzelner Items, so dass alle Items mit der Rückfälligkeit und mit den Sonntagsfragen positiv korrelieren.
81
R O C -K u rve 1,0
Sensitivität
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0 0 ,0
0 ,2
0 ,4
0,6
0 ,8
1,0
1 - S p e z ifitä t
Abb. 8: ROC-Kurve des Summenscores der 37 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems (dicke Linie). Die Diagonale (dünne Linie) zeigt eine AUC von .50 an (Zufallswahrscheinlichkeit)
Aus Abb. 9 ist zu entnehmen, dass der Schnittpunkt der Sensitivitäts(Anzahl der richtig vorhergesagten Rückfälligen) und Spezifitätskurve (Anzahl der richtig vorhergesagten Nicht-Rückfälligen) bei 48,61 liegt. Dieser Wert könnte als Cut-off des Gesamt-Scores festgelegt werden, so dass nur solche Patienten entlassen werden, die maximal den anhand der 37 Einzelitems errechneten Wert von 48,61 erreichen. Hierbei betragen Spezifität und Sensitivität jeweils 78%, was bedeutet, dass an dieser Schnittstelle die Fehlerquote der als rückfällig und nicht-rückfällig erkannten Probanden gleich hoch ist. Je nach Gewichtung von Sensitivität und Spezifität könnte der Cut-off-Wert jedoch auch verschoben werden. Eine Verschiebung nach links (niedrigerer Cut-off) ergäbe eine niedrigere Ent-
82
lassungszahl und folglich einen Anstieg der Sensitivität (konservative Methode). Eine Verschiebung nach rechts würde eine höhere Entlassungszahl ergeben und die Spezifität erhöhen, bei gleichzeitiger Inkaufnahme eines Anstiegs der Rückfallquote.
Sensitivität
1,00
Spezifität
0,80
0,60
0,40
0,20
0,00 0,00
20,00
40,00
60,00
80,00
100,00
Abb. 9: Sensitivitäts- und Spezifitätskurve bei der ROC-Analyse des Summenscores der 37 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems 3.5.1.4
Risikoscore der Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression (ökonomischer Score)
Eine schrittweise logistische Regression (Hair u.a., 1998) über alle 37 signifikanten bzw. tendenziell signifikanten Einzelitems zur möglichst ökonomischen Vorhersage des Rückfalls führte zu folgenden sechs relevanten Prädiktoren (Tabelle 17), die als negative Prognosekriterien zu deuten sind jeweils die Vorhersage des Rückfalls signifikant verbessern:
83
Tabelle 17:
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischen Regression, die für eine negative Legalprognose sprechen
Item (Item-Nummer)
R*
geringe Ängstlichkeit (47) hohes Suchtpotential „Alkohol“ (14.1) geringe Arbeitskontinuität (67) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) geringe Auseinandersetzung mit dem Suchtproblem (58) geringe Hospitalisierung (8)
1,01 0,80 1,16 0,79 0,62 0,58
Wald-chi2(df) p 10,2 (1) 10,1 (1) 8,8 (1) 9,3 (1) 5,9 (1) 3,9 (1)
<.001 <.001 <.001 <.001 .020 .049
* Regressionskoeffizient
Die Berechnung mittels der ROC-Analyse dieser 6 Einzelitems ergab einen ähnlich guten Wert wie bei der Berechnung mit den 37 Einzelitems. Die Fläche unter der Kurve (AUC) betrug .834 (95% CI: .759-.910). Der Mittelwertsunterschied zwischen der Gruppe der Rückfälligen (MW: 58,56) und der Nicht-Rückfälligen (MW: 39,96) war signifikant (Tdf=107 = 6.99, p < .01; Effektstärke Cohens d: 1.34). Bei Verwendung einer in der logistischen Regression vorhergesagte Wahrscheinlichkeit von p > .5 als Indikator für „vorhergesagte Rückfälligkeit“, ergab, dass 83% aller Rückfälligen korrekt vorhergesagt wurden (Sensitivität) und 81,3% der NichtRückfälligen korrekt identifiziert (Spezifität) wurden. Von den NichtRückfälligen wurden Umgerechnet entspricht dies einem odds ratio von 21,13. Demzufolge erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls um das 21-fache, wenn dies durch die logistische Regression auf Basis der sechs Einzelitems vorhergesagt wurde. 3.5.1.5
Risikoscore der Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression
Eine schrittweise logistische Regression über alle signifikanten Faktoren zur möglichst ökonomischen Vorhersage des Rückfalls führte zu folgenden zwei relevanten Prädiktoren, die zu einer signifikanten Verbesserung der Vorhersage des Rückfalls führen:
84 o „geringe psychotische Symptomatik“ (Faktor 1.1; Cohens d: 0.63) o „Unbefangenheit im Umgang mit anderen“ (Faktor 2.3; Cohens d: 0.69)
Beide Faktoren sprechen in dieser Polung für eine negative Legalprognose. Sie unterschieden hochsignifikant zwischen rückfälligen und nichtrückfälligen Probanden (Tdf=92 = 3,18, p < .001; Tdf=108 = 3,6; p < .001). Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine deutlich geringere prädiktive Vorhersagekraft (odds ratio: 4,62, Sensitivität: 71%, Spezifität: 63%, ROC: AUC .731; 95% CI: .635-.826) als die der Einzelitems. Aus methodischer Sicht ist diesbezüglich anzuführen, dass die Gefahr der Überanpassung (overfitting) an die Stichprobenverhältnisse hier geringer ist, da die Anzahl der Variablen, die in die Ursprungsanalyse eingehen, kleiner ist. Andererseits wird dafür in Kauf genommen, dass der spezifische Bedeutungsgehalt der Einzelitems nicht mehr auf Faktorebene erhalten bleibt (vgl. Methodenteil).
Fazit: Die allein mit den klinischen Items des Fragebogen (Teil C) errechnete Treffsicherheit für die gematchte Stichprobe (n=110 – 55 Rückfällige und 55 Nicht-Rückfällige) ergab mittels der ROC-Analysen folgende AUCWerte: o Einzelitems (37)
.819
o Einzelitems (6 nach logistischer Regression)
.834
o Faktoren (nach logistischer Regression)
.731
85
3.5.2 Gesamtgruppe (N=249) Von den ursprünglich 255 Probanden, deren Zeit in Freiheit mindestens 24 Monate beträgt, wurden sechs Probanden bei der folgenden Auswertung nicht berücksichtigt, da die klinischen Erhebungsbögen unzureichend ausgefüllt wurden. Die 55 Rückfälligen wurden somit eine Gruppe von 194 Nicht-Rückfälligen gegenüber gestellt. 3.5.2.1 Faktorenanalyse Für die Gesamtgruppe fanden sich insgesamt 10 Faktoren sowie 46 Einzelitems, die zwischen den Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen (tendenziell) signifikant unterschieden (Tabelle 18). Tabelle 18: Auflistung der insgesamt 10 relevanten Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Geordnet nach den Itemgruppen des klinischen Erhebungsbogens (s. Tabelle 4). Stichprobe (n=249): Vergleich Rückfälliger mit Gesamtgruppe der Nicht-Rückfalligen.
Faktoren
T-Wert (df)I
pII
dIII
4,83 (123)
<.001
.68
3,32 (241) 3,89 (241)
<.001 <.001
.48 .62
3,91 (241)
<.001
.55
3,78 (241)
<.001
.58
2,57 (241) 2,11 (241) 2,14 (241) 4,37 (241)
.011 .036 .033 <.001
.39 .33 .34 .67
5,51 (241)
<.001
.84
1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik)
2 Sozialverhalten Faktor 2.1 („Streitsucht“ soziale Verträglichkeit) Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen)
3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Faktor 3.1 (hohe Aggressivität)
4 Anpassungsverhalten Faktor 4.2 (hohe Position in der Patientenhierarchie)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.2 (emotionale Grundhaltung) Faktor 5.3 (geringe depressiv/apath. Symptomatik) Faktor 5.4 (geringe Medikamenten-Compliance) Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln) I II III
Freiheitsgrade (df) p-Wert Cohens d (Effektstärke)
86
Bei der Einschätzung bezüglich der Itemgruppe 7 - Entwicklung und Verlauf über den gesamten stationären Unterbringungszeitraum im Maßregelvollzug betrachtet - ergaben sich zwei signifikante Kriterien. Demnach spricht für eine eher positive Legalprognose: 1) Wenn vor der Unterbringung nur eine geringe bzw. keine Identifikation mit dem subkulturellen Milieu vorgelegen hatte (Item 79.10 Chi2df=1= 11,91; p <.001) und 2) sich im Laufe der Unterbringung gute Fortschritte bezüglich der Aggressionskontrolle gezeigt haben (Item 79.5 - Tdf=193 = 2,50; p <.02). Hinsichtlich der Itemgruppe 8 (Entlassungssituation) zeigte sich, dass die rückfälligen Probanden seltener in einer Partnerschaft lebten (Chi2df=1= 7,23; p <.01) sowie seltener mit Neuroleptika eingestellt waren (Chi2df=1= 18,11; p <.001). 3.5.2.2 Risikoscore der Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression Eine schrittweise logistische Regression über die zehn signifikanten Faktoren zur möglichst ökonomischen Vorhersage des Rückfalls führt zu folgenden drei relevanten Prädiktoren, die jeweils die Vorhersage des Rückfalls verbessern: o „Unbefangenheit im Umgang mit anderen“ (Faktor 2.3; Cohens d: 0.58) o „hohe Position in der Patientenhierarchie“ (Faktor 4.2, Cohen d: 0.60) o „wenig reflexives Handeln“ (Faktor 6.2; Cohens d: 0.85)
Diese drei Faktoren unterscheiden jeweils hochsignifikant zwischen rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden (Tdf=241 = 3,78, p <.001; Tdf=241 = 3,9, p <.001; Tdf=241 = 5,5, p <.001). Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine recht hohe prädiktive Vorhersagekraft (odds ratio: 7,46, Sensitivität: 27%, Spezifität: 95%, AUC: .782; 95% CI: .717.847).
87
3.5.2.3 Risikoscore der Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression Für die Gesamtgruppe ergaben sich insgesamt 46 relevante Einzelitems, die signifikant bzw. tendenziell signifikant zwischen der Gruppe der Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen unterschieden (Tabelle A-5). Die schrittweise logistische Regression über alle 46 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems zur möglichst ökonomischen Vorhersage des Rückfalls führt zu folgenden acht maßgeblichen Prädiktoren (Tabelle 19): Tabelle 19:
Relevante Einzelitems nach der schrittweisen logistischen Regression
Item (Item-Nummer) wenig positive Teameinschätzung (28.1) BT/AT-Teilnahme (37.1) geringe Hospitalisierung (8) hohes Suchtpotential Alkohol (14.1) unbefangener Umgang mit Männern (24) Gespräche mit Bezugspfleger (38.3) geringe Ängstlichkeit (47) Erkennbarkeit von Motiven (3)
R* Wald-chi2 (df) p 1,06 22,38 (1) <.001 0,60 15,09 (1) <.001 0,58 3,88 (1) .046 0,52 5,75 (1) .017 0,73 4,84 (1) .028 0,40 4,15 (1) .037 0,80 6,06 (1) .011 0,42 4,24 (1) .042
* Regressionskoeffizient
Die Berechnung eines Summen- oder Risikoscores nur für diese acht Einzelitems zeigte, dass die Effekte (AUC: .820, 95%-CI: .755-.886, Sensitivität 54%, Spezifität 96%, odds ratio 7,46; Effektstärke Cohens d: 1.29) im Vergleich zur Verwendung aller relevanten Einzelitems (AUC: .825, 95%-CI: .762-.889; Effektstärke Cohens d: 1.36) sehr ähnlich waren. Die Mittelwertunterschiede zwischen rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden waren in beiden Fällen hochsignifikant (Gesamtscore: 55,3 vs. 40,1; Tdf=246 = 9,0, p <.001; ökonomischer Score: 53,3 vs. 38,1; Tdf=246 = 8,5, p <.001). Die Verwendung einer in der logistischen Regression vorhergesagten Wahrscheinlichkeit von p>.5 als Indikator für „vorhergesagte Rückfälligkeit“, ergab, dass
88 o 82% aller Rückfälligen korrekt vorhergesagt wurden (Sensitivität) und o 96% der Nicht-Rückfälligen korrekt identifiziert (Spezifität) wurden.
Umgerechnet entsprach dies einem odds ratio von 7,46.
Fazit: Die allein mit den klinischen Items des Fragebogen (Teil C) errechnete Treffsicherheit für die Gesamtstichprobe (n=249 – 55 Rückfällige und 194 Nicht-Rückfällige) ergab ähnlich hohe statistische Werte wie bei gematchten Stichprobe (n=110; s.a. Kap. 3.5.4): o Einzelitems (37)
.825
o Einzelitems (6 nach logistischer Regression)
.820
o Faktoren (nach logistischer Regression)
.782
89
3.5.3 Analyse klinisch relevanter Subgruppen Im Folgenden werden die Berechnungen nach klinisch relevanten Subgruppen differenziert. Diese Untergruppen setzen sich ebenso wie die unter 3.5.1 dargestellte Gruppe (N=110) aus den entsprechenden Rückfälligen sowie einer nach den oben aufgeführten Kriterien gematchten, gleich großen Vergleichsgruppe nicht-rückfälliger Probanden zusammen. Es werden allein die relevanten Faktoren und die nach der logistischen Regression analysierten Einzelitems angeführt. Die jeweiligen statistischen Werte finden sich tabellarische aufgeführt im Anhang 7.5, Tabelle A-6 bis A-12). Vorab ist einschränkend anzumerken, dass aufgrund der teils geringen Stichprobengröße der jeweiligen Untergruppen die statistischen Werte nur mit Zurückhaltung interpretiert werden dürfen (ausführlich dazu in Kap. 2.4). 3.5.3.1 Probanden mit einer Suchtproblematik (n=94) Diese Subgruppe setzt sich aus den Probanden zusammen, bei denen von den Therapeuten im Maßregelvollzug eine erhebliche Suchtproblematik – unabhängig von der Primärdiagnose – diagnostiziert worden war. Demnach hat sich bei der überwiegenden Zahl der Rückfälligen (47 von 55 [85,5%]) im Laufe der stationären Unterbringung eine Abhängigkeit oder Missbrauchssymptomatik offenbart, während dies in den Einweisungsgutachten bzw. Urteilstexten deutlich seltener angenommen wurde (47%). Für diese Subgruppe fanden sich insgesamt 12 Faktoren, die für die legalprognostische Fragestellung von Relevanz sind (Tabelle 20). Die schrittweise logistische Regression erbrachte drei relevante Prädiktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen: o „geringe psychotische Symptomatik“ (Faktor 1.1) o „soziales Kontaktverhalten“ (Faktor 2.2) o „Unbefangenheit im Umgang mit anderen“ (Faktor 2.3)
90
Tabelle 20 Auflistung der insgesamt 12 relevanten Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Patienten mit einer Suchterkrankung/-problematik (n=94) Faktoren 1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik)
2 Sozialverhalten Faktor 2.1 („Streitsucht“ soziale Verträglichkeit) Faktor 2.2 (soziales Kontaktverhalten) Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen)
3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Faktor 3.1 (hohe Aggressivität) Faktor 3.2 (schizoide Struktur)
4 Anpassungsverhalten Faktor 4.2 (hohe Position in der Patientenhierarchie)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.3 (geringe depressiv/apath. Symptomatik) Faktor 5.4 (geringe Medikamenten-Compliance) Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.1 (gute Belastungsfähigkeit und Tagesgestaltung) Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln)
Die schrittweise logistische Regression über alle 33 Einzelitems ergab die folgenden drei maßgeblichen Prädiktoren, die auf eine negative Legalprognose hinweisen (statistische Werte siehe Tabelle A-6): o „gute Arbeitsbelastungsfähigkeit“ (Item-Nr. 68) o „geringe Ängstlichkeit“ (Item-Nr. 47) o „unbefangener Umgang mit Frauen“ (Item-Nr. 23)
3.5.3.2 Probandengruppe, die das Delikt unter Rauschmitteleinfluss verübten (n=64) Drei von fünf rückfälligen Probanden (32 von 55) standen bei Begehung des Unterbringungsdeliktes unter Suchtmitteleinfluss. Überwiegend handelte es sich um Alkohol (45,8%), seltener um Drogen (9,8%) oder Medikamente (6,9%). Bei 6 Probanden (5,5%) waren mehrere Suchtmittel zum
91
Tatzeitpunkt konsumiert worden. Nach Einschätzung der Therapeuten zum Ende der Unterbringung war bei sämtlichen 32 Probanden auch eine deutliche Suchtproblematik zu diagnostizieren. Bei der Hälfte (16) konnte durch die Behandlung ein guter Fortschritt im Umgang mit Rauschmittel (Item-Nr. 79.1) erreicht werden. Lediglich bei vier Probanden war ein schwacher Fortschritt, bei 14 Probanden ein mäßiger Fortschritt erzielt worden. Tabelle 21: Auflistung der insgesamt 9 relevanten Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Probanden, die das Delikt unter Suchtmitteln begangen hatten und gematchte Gruppe NichtRückfälliger (n=64).
Faktoren 1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik)
2 Sozialverhalten Faktor 2.1 („Streitsucht“ soziale Verträglichkeit) Faktor 2.2 (soziales Kontaktverhalten)
3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Faktor 3.1 (hohe Aggressivität)
4 Anpassungsverhalten Faktor 4.2 (hohe Position in der Patientenhierarchie)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.3 (geringe depressiv/apath. Symptomatik) Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.1 (gute Belastungsfähigkeit und Tagesgestaltung) Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln)
Die schrittweise logistische Regression führte zu folgenden vier relevanten Prädiktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen: o „geringe psychotische Symptomatik“ (Faktor 1.1) o „soziales Kontaktverhalten“ (Faktor 2.2) o „Unbefangenheit im Umgang mit anderen“ (Faktor 2.3) o „wenig reflexives Handeln“ (Faktor 6.2)
92
Die schrittweise logistische Regression über alle 30 Einzelitems führte zu folgenden fünf relevanten Prädiktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. (s.a. Tabelle A-7): o „geringe produktiv-psychotische Symptomatik“ (Item-Nr. 7) o „geringe Hospitalisierung“ (Item-Nr. 8) o „geringer sozialer Kontakt zu Mitpatienten“ (Item-Nr. 22.1) o „negative Teameinschätzung“ (Item-Nr. 28.1) o „Kränkbarkeit“ (Item-Nr. 29.5)
3.5.3.3 Probanden mit einer Schizophrenie (n=28) Für die vergleichsweise kleine Stichprobe (14 Rückfällige und 14 gematchte Nicht-Rückfällige) ließen sich insgesamt 8 Faktoren und 19 Einzelitems extrahieren (s.a. Tabelle A-8). Tabelle 22: Auflistung der insgesamt 8 relevanten Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Patienten mit einer schizophrenen Psychose (n=28)
Faktoren 1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik) Faktor 1.3 (hohes Suchtpotential)
2 Sozialverhalten Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen)
4 Anpassungsverhalten Faktor 4.2 (hohe Position in der Patientenhierarchie) Faktor 4.3 (Kooperationsverhalten)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln) Faktor 6.3 (Autoaggression)
Die schrittweise logistische Regression über die 8 relevanten Faktoren erbrachte zwei Prädiktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen:
93 o „hohe Position in der Patientenhierarchie“ (Faktor 4.2) o „Autoaggression“ (Faktor 6.3)
Die schrittweise logistische Regression über alle 19 Einzelitems führte zu lediglich einem maßgeblichen Prädiktor, der die Vorhersage des Rückfalls signifikant verbessert (s.a. Tabelle A-8): o „geringe Ängstlichkeit“ (Item-Nr. 47)
3.5.3.4 Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung (n=62) Für die Gruppe der persönlichkeitsgestörten Patienten (31 Rückfällige und 31 gematchte Nicht-Rückfällige) ergaben sich 7 relevante Faktoren und 22 Einzelitems (s.a. Tabelle A-9). Tabelle 23: Auflistung der insgesamt 7 relevante Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Patienten mit einer schizophrenen Persönlichkeitsstörung (n=62).
Faktoren 1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik)
2 Sozialverhalten Faktor 2.3 (Unbefangenheit im Umgang mit anderen)
3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Faktor 3.1 (hohe Aggressivität) Faktor 3.2 (schizoide Struktur)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.3 (geringe depressiv-apathische Symptomatik) Faktor 5.5 (gering ausgeprägte Ängstlichkeit)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln)
Die schrittweise logistische Regression über die acht signifikanten Faktoren zur ökonomischen Vorhersage des Rückfalls führte zu lediglich einem relevanten Prädiktor, der die Vorhersage des Rückfalls verbessert: o „unbefangener Umgang mit anderen Menschen“ (Faktor 2.3)
94
Konform zu den Ergebnissen der Gesamtgruppe (N=249) sowie der Gruppe der Rückfälligen mit einer gematchten Vergleichsgruppe (n=110) kam also auch hier demselben Faktor die größte prädiktive Bedeutung zu. Die schrittweise logistische Regression über alle 22 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems führte zu folgenden fünf maßgeblichen Prädiktoren, die jeweils die Vorhersage des Rückfalls signifikant verbessern (s.a. Tabelle A-9): o „subkulturelle Identifikation vor der Unterbringung (Item-Nr. 79.10) o „geringe Hospitalisierung“ (Item-Nr. 8) o „Suchtproblematik vorhanden“ (Item-Nr. 15) o „stabile Ich-Funktionen unter Stress“ (Item-Nr. 69) o „Neigung zu selbstschädigendem Verhalten“ (Item-Nr. 66)
3.5.3.5 Probanden mit Sexualstraftaten (n=18) Für diese kleine Subgruppe (9 rückfällige und 9 gematchte nicht rückfällige Sexualstraftäter) ergaben sich zwei Faktoren und 15 Einzelitems, die zwischen den Gruppen differenzieren (s.a. Tabelle A-10). Tabelle 24: Relevante Faktoren (2), die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Sexualstraftäter (n=18)
Faktoren 4 Anpassungsverhalten Faktor 4.3 (Kooperationsverhalten)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.3 (gering depressiv-apathische Symptomatik)
Eine schrittweise logistische Regression über die zwei signifikanten Faktoren führte zu lediglich einem relevanten Prädiktor, der die Vorhersage des Rückfalls verbessert: o
„Kooperationsverhalten“ (Faktor 4.3)
Die schrittweise logistische Regression über alle 15 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems führte zu keinem relevanten Prädiktor.
95
3.5.3.6 Probanden mit Tötungsstraftaten (n=20) In dieser Stichprobe (10 Rückfällige und 10 gematchte Nicht-Rückfällige) ergaben sich insgesamt vier Faktoren und 15 Einzelitems, die signifikant oder tendenziell signifikant zwischen den beiden Gruppen unterschieden (s.a. Tabelle A-11). Tabelle 25: Auflistung der 4 relevanten Faktoren, die für eine negative Legalprognose sprechen. Stichprobe: Patienten, die wegen eines Tötungsdeliktes untergebracht waren (n=20)
Faktoren 1 Aktuelle Symptomatik Faktor 1.1 (geringe psychotische Symptomatik)
5 Emotion/ Motivation Faktor 5.4(geringe Compliance)
6 Leistungs- und Kontrollverhalten Faktor 6.2 (wenig reflexives Handeln) Faktor 6.3 (Autoaggression)
Die schrittweise logistische Regression über die vier relevanten Faktoren führte zu lediglich einem bedeutsamen Prädiktor: o „geringe psychotische Symptomatik“ (Faktor 1.1)
Für die 15 Einzelitems ergab sich mittels der logistischen Regression kein Prädiktor.
3.5.3.7 Vergleich „leichter“ versus „schwerer Rückfälligkeit“ (n=55) Hierzu wurde die Gesamtgruppe der rückfälligen Probanden unterteilt nach dem Schweregrad ihres „Rückfalls“. Es resultieren zwei Gruppen (leichte versus schwere Rückfälligkeit). Von den 55 gescheiterten Probanden begingen 19 ein Gewaltdelikt (R3=spezielle Rückfälligkeit; vgl. Kap. 2.2 u. 3.2). Die restlichen 36 hatten weniger gravierende Straftaten nach der Entlassung begangen bzw. lediglich gegen richterliche Weisungen verstoßen. Für diese Stichprobe ergab sich kein relevanter Faktor, es ließen
96
sich sieben signifikante oder tendenziell signifikante Einzelitems finden, die zwischen den Gruppen unterschieden (s.a. Tabelle A-12). Tabelle 26: Signifikante Einzelitems (7), die auf eine Rückfälligkeit mit Gewaltstraftaten hinweisen Einzelitems sexuell deviante Entwicklung (6.1)I geringe Hospitalisierung (8) geringe Konversionssymptomatik (13) geringes Gesprächsbedürfnis mit dem Arzt (38.1) guter Reizschutz (70) Bedürfnisaufschub „oraler“ Wünsche problematisch (76.1) Bedürfnisaufschub sexueller Wünsche problematisch (76.2) I
Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
97
3.5.4
Vergleich der Ergebnisse mit anderen Prognosestudien
Zur Einschätzung der Treffergenauigkeit erfolgt eine Gegenüberstellung der Ergebnisse mit denen von drei aktuellen Prognosestudien mit vergleichbarer statistischer Methodik. Bei den zwei deutschen Studien handelt es sich um die Untersuchung der Münchener Arbeitsgruppe. Diese hatten retrospektiv bei einer Stichprobe von 103 Gutachtenfällen ihren eigenen Prognosefragebogen (ILRV – Integrierte Liste von Risiko-Variablen) mit gebräuchlichen Checklisten (HCR-20, PCL-R) verglichen (Nedopil, 2005). Zudem sind die Ergebnisse von Gretenkords retrospektiver Studie angeführt. Dieser untersuchte Patienten der forensischen Klinik Haina, die seit Klinikgründung 1977 bis zum 30.06.1985 entlassen wurden. Nach einer logistischen Regression stellten sich vier relevante Prognosemerkmale heraus: Persönlichkeitsstörung, Vorbelastung mit Gewaltdelikten, gewalttätiges Verhalten während der Unterbringung und Entlassungsalter (EFP63; Gretenkord, 2001). Der Vergleich mit der Studie aus der Henri van der Hoeven Kliniek (de Vogel u.a., 2004) wurde deswegen vorgenommen, da die gesetzlichen Grundlagen und die Unterbringungsform psychisch kranker Rechtsbrecher in den Niederlanden (TBS) viele Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Maßregelvollsystem aufweisen. Zudem zeigen sich im Aufbau der Studie einige Übereinstimmungen mit unserer Untersuchung. Als interessanter Vergleich wurde hierbei ferner die Treffergenauigkeit einer „unstrukturierten klinischen Einschätzung“ berechnet und den Werten der Gefährlichkeitseinschätzung mittels des HCR-20 und PCL-R gegenüber gestellt. Dieses Vorgehen ist weitgehend mit unserer Einschätzung mittels der „forensischen Sonntagsfragen“ kompatibel; die dort angegebenen ROC-Analysen zeigen vergleichbare Flächen – dargestellt als AUCWerte (Tabelle 27; vgl. auch Tabellen 29, A-20). Von den Autoren wurde in der Diskussion explizit auf einige Limitierungen ihrer Studie eingegangen. Insbesondere wurde das retrospektive Design genannt und auf die Notwendigkeit prospektiver Studien zur Legalprognose hingewiesen. Es sei mitunter schwierig gewesen, einige der Items der beiden Checklisten erst im Nachhinein einzustufen. Dies habe vor allem für die klinischen Items des HCR-20 gegolten. Diese hier genannten Limitierungen werden im Übrigen auf die beiden obigen deutschen Studien ebenso zutreffen.
98
Tabelle 27: Vergleich der AUC-Werte anderer zur Gefährlichkeitseinschätzung verwendeter Fragebögen mit dem klinischen Teil des Essener Prognosebogens.
Prognosefragebogen
AUC
1
Münchener Studie
PCL-R (Psychopathy Checklist) Summe (alle Rückfälle - N=103) Summe (gewalttätige Rückfälle - n=32) HCR 20 (Historical, Clinical, Risk Management) Summe (alle Rückfälle - N=103) H (10 historische Kriterien) C (5 klinische Kriterien) R (5 Risikokriterien)
Summe (gewalttätige Rückfälle – n=32) H (10 historische Kriterien) C (5 klinische Kriterien) R (5 Risikokriterien)
ILRV (Integrierte Liste von Risiko-Variablen) Summe (alle Rückfälle - N=103) Summe (gewalttätige Rückfälle – n=32)
.64 .72 .64 .64 .61 .61
.71 .69 .67 .70
.61 .69
EFP-632 Gesamtgruppe (N=196) 4 Variablen nach logistischer Regression
.81
Studie der Henri van der Hooven Kliniek3 PCL-R (Psychopathy Checklist) Summe (nicht gewalttätige Rückfälle - N=119) Summe (generelle Rückfälligkeit - N=119) HCR 20 (Historical, Clinical, Risk Management) Summe (generelle Rückfälligkeit - N=119) H (10 historische Kriterien) C (5 klinische Kriterien) R (5 Risikokriterien)
Summe (gewalttätige Rückfälle – N=119) H (10 historische Kriterien) C (5 klinische Kriterien) R (5 Risikokriterien)
Unstrukturierte klinische Prognose generelle Rückfälligkeit (N=119) gewalttätige Rückfälle (N=119)
.68 .75 .70 .70 .67 .67
.82 .80 .77 .79
.68 .63
Essener klinischer Prognosebogen Gesamtgruppe (N=249) 10 Faktoren 51 Einzelitems 8 Einzelitems (nach logist. Regression „ökonom. Score“)
Rückfällige und gematchte Vergleichsgruppe (n=110) 10 Faktoren 37 Einzelitems 6 Einzelitems (nach logist. Regression „ökonom. Score“) 1 2 3
.78 .83 .83 .73 .82 .83
Die Daten entstammen dem Buch von Nedopil (2005) Die Angabe entstammt der Monographie von Gretenkord (2001) Die Daten stammen aus der Studie über den niederländischen Maßregelvollzug (de Vogel u.a.; 2004)
99
3.5.5 Einzelitems ohne prognostische Relevanz Insgesamt fanden sich 13 Einzelitems, die weder in der Gesamtgruppe (n=249) noch im Vergleich der Rückfälligen mit einer gematchten NichtRückfälligen-Gruppe (n=110) oder eine in einer der anderen Untergruppen signifikant oder zumindest tendenziell signifikant zwischen Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen unterschieden (Tabelle 28). Tabelle 28: Aufzählung der nicht (tendenziell) signifikanten Einzelitems Einzelitems 1 Aktuelle Symptomatik Item Nr. 10 Ausprägung der hirnorganischen Beeinträchtigung 2 Sozialverhalten Item Nr. 27 Beziehungsstörung 3 Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Item Nr. 29.6 Bindungsunfähigkeit Item Nr. 29.7 Depressivität Item Nr. 29.9 Gefühlsarmut 4 Anpassungsverhalten Item Nr. 35 Ordnung 5 Emotion/ Motivation Item Nr. 45 Frustrationstoleranz Item Nr. 53 Deliktsverarbeitung Item Nr. 56 Reue Item Nr. 57 Krankheitseinsicht Item Nr. 59 krankheitsbedingte Rückfallgefährdung Item Nr. 60 Therapiemotivation 6 Leistungs- und Kontrollbereich Item Nr. 71 Spaltung
3.5.6 „Forensische Sonntagsfragen“ Die drei „forensischen Sonntagsfragen“ am Ende des klinischen Fragebogenteils dienten der globalen Beurteilung der Legalprognose (s.a. Abb. 2, Kap. 2.1.1). Sie wurden von den zuständigen Therapeuten zu einem Zeitpunkt beantwortet, an dem die richterliche Entscheidung für eine Entlassung des Patienten bereits gefallen war bzw. unmittelbar bevorstand. Man kann demnach davon ausgehen, dass die Therapeuten sich zuvor intensiv mit der Frage der Gefährlichkeit ihres Patienten auseinander gesetzt hatten.
100
Zudem erfolgte das Ankreuzen direkt nach dem Ausfüllen des klinischen Erhebungsbogens, so dass ihnen sämtliche prognoserelevanten Aspekte noch einmal vor Augen geführt wurden. Da diese globale Gefährlichkeitseinschätzung keinerlei Einfluss auf die reale richterliche Entlassungsentscheidung ausgeübt hatte, ist es durchaus denkbar, dass die Therapeuten hierbei ihre „ehrlichere“ Einschätzung bezüglich der Rückfallgefahr ihres Patienten offenbart haben. Die große Spannweite der Einschätzungen auf den drei visuellen Analogskalen deutet daraufhin. So wurde ein Rückfall mit weniger gravierenden Straftaten (1. forensische Sonntagsfrage) zwischen 0 und 100%, mit einem schwerwiegenden Delikt (2. forensische Sonntagsfrage) zwischen 0 und 98% prognostiziert. Bei der Einschätzung, ob der entlassene Patient gegen die richterlich auferlegten Weisungen (3. forensische Sonntagsfrage) verstoßen würde, variierte die Prognose ebenso maximal (0 bis 100%). Demzufolge wurden im Erhebungszeitraum auch solche Patienten aus dem Maßregelvollzug entlassen, bei denen die Therapeuten mit quasi absoluter Überzeugung annahmen, dass sie nicht nur erneut Bagatelldelikte, sondern gleichfalls Gewaltstraftaten begehen würden. Eventuell haben diese Einschätzungen auf den „Sonntagsfragen“ die „heimlichen Ängste“ der Therapeuten widergespiegelt. Eine nähere Analyse der „intuitiven“ Einschätzung der Therapeuten hinsichtlich der Rückfalleinschätzung zeigte, dass die Therapeuten überwiegend zu der „richtigen“ Prognose gelangt sind. Tabelle 29:
Mit der ROC-Analyse berechnete Treffergenauigkeit (AUCWerte) der forensischen Sonntagsfragen je nach Stichprobe.
Stichprobe
AUC
Gesamtgruppe (N=249) 1. forensische Sonntagsfrage 2. forensische Sonntagsfrage 3. forensische Sonntagsfrage
.73 .58 .67
Rückfällige und gematchte Vergleichsgruppe (n=110) 1. forensische Sonntagsfrage 2. forensische Sonntagsfrage 3. forensische Sonntagsfrage
.68 .56 .64
101
Am treffsichersten hat sich die erste Sonntagsfrage herausgestellt. Dies gilt sowohl für die Rückfallgruppe mit der gematchten Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger als auch für beide Hauptdiagnosegruppen (Abb. 10). Bei sämtlichen Untergruppen hatte sich die Frage nach schwerwiegenden Rückfalldelikten (Gewaltstraftaten) als diejenige forensische Sonntagsfrage mit der geringsten prädiktiven Genauigkeit herausgestellt (Tabelle A13). Betrachtet man die forensischen Sonntagsfragen - bei allen methodischen Vorbehalten – als „intuitive“ Gefährlichkeitseinschätzung und errechnet man mittels der ROC-Analysen die Treffergenauigkeit, ergaben sich insbesondere für die 1. forensische Sonntagsfrage vergleichsweise hohe Werte (Tabelle 29, vgl. auch Tabelle 27).
Die Gefahr, dass der Patient mit geringfügigen Delikten rückfällig wird, schätze ich wie folgt ein I. Gruppe der rückfälligen Patienten mit der gematchten Vergleichsgruppe (n=110)
0
Ø
Ð
27,3
46,5
100
II. Gruppe der Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung (n=62)
0
Ø
Ð
28,7
51,6
100
III. Gruppe der Patienten mit einer Schizophrenie (n=28)
0 Legende:
Ø
Ð
18,0
29,9
100
Ø = kein Rückfall Ð = Rückfall
Abb. 10: Visuelle Analogskala mit den Mittelwerten der „1. forensischen Sonntagsfrage“ für die gematchte Vergleichsgruppe (I.), die Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung (II.) und mit einer Schizophrenie (III.)
102
3.6 Die Berichte der Bewährungshelfer Aus dem Maßregelvollzug gemäß § 67 d Abs.2 StGB entlassene psychisch kranke Rechtsbrecher werden der Führungsaufsicht unterstellt. Für den Patienten bedeutet dies lediglich einen Wechsel der Maßregel: auf die freiheitsentziehende Maßnahme nach § 63 StGB folgt der § 68 StGB. Die nach jahrelanger Unterbringung ersehnte „Freiheit“ wird mit Einschränkungen belegt und ist daher allenfalls bedingt als tatsächliche Freiheit zu bezeichnen. Etwa zwei Drittel der derzeit in Deutschland aus dem Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB Entlassenen leben anschließend in mehr oder minder eng strukturierten, bisweilen halbgeschlossenen Wohnheimen bzw. als Langzeitpatient in der Allgemeinpsychiatrie (s.a. Tabelle 15). Die Aufgaben der Führungsaufsicht lassen sich unter zwei Hauptaspekten zusammenfassen. Einerseits sollen Bewährungshelfer und Aufsichtsstelle gemäß Abs.2 des § 68a StGB dem entlassenen Patienten Hilfe zur Wiedereingliederung i.S. einer Resozialisierung liefern. Andererseits verspricht sich der Gesetzgeber durch diese Maßregel zusätzlich eine Kontrollfunktion, insbesondere zur Klärung, ob der Entlassene die vom Gericht auferlegten Weisungen tatsächlich einhält (§ 68a Abs. 3 sowie § 68b StGB). Die von den Bewährungshelfern in etwa halbjährigem Abstand gefertigten Berichte an die Strafvollstreckungskammern sollen hierüber Auskunft geben und somit den Richtern als wichtige Informationsquelle für den Wiedereingliederungsprozess dienen. Inwieweit die dort enthaltenen Informationen tatsächlich valide Aussagen über den Verlauf der Führungsaufsicht liefern, ist bislang empirisch nicht untersucht. Dass sie grundsätzlich als brauchbares Katamneseinstrument im Hinblick auf die Einschätzung der Rückfallgefahr nutzbar sind, konnte vor wenigen Jahren gezeigt werden (Seifert u.a., 2001a). Allerdings stellte sich als ein weiteres Ergebnis jener Untersuchung heraus, dass grundlegende Aspekte wie der Umgang mit Alkohol oder anderen Rauschmitteln in den Berichten kaum Erwähnung fanden. Im Folgenden wird anhand der Bewährungshelferberichte an die Strafvollstreckungskammern der weitere Lebensweg der Probanden nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug beschrieben. In einem ersten Schritt
103
wurden allgemeine Angaben zum poststationären Verlauf wie Nachsorge, Wohn- und Arbeitssituation, Partnerschaft etc. dargelegt. Umfang und Häufigkeit dieser Informationen interessieren, weil die Adressaten der Berichte (Richter der Strafvollstreckungskammern, Führungsaufsichtsstelle) ihre Entscheidungen hinsichtlich juristischer Interventionen auf der Basis dieser Einschätzungen treffen. Dabei wurde der Gruppe rückfälliger Probanden eine gematchte Vergleichsgruppe (s. Kapitel 2.3) gegenüber gestellt. Im Vordergrund stand die Beantwortung der Frage, ob Unterschiede der Qualität und des Informationsgehaltes im Allgemeinen sowie die Nachsorgesituation im Besonderen zwischen den Gruppen vorlagen. Zudem wurden die Berichte dahingehend analysiert, ob das Scheitern der Wiedereingliederung aufgrund von „Warnungen“ seitens der Bewährungshelfer und resultierender schneller bzw. qualifizierter Interventionen hätte verhindert werden können. Abschließend wurden die Berichte der Sexualstraftäter und derjenigen Probanden, die eine Gewaltstraftat als Rückfalldelikt begingen (R3=spezielle Rückfälligkeit; vgl. Kap. 2.2 u. 3.2), im Vergleich mit den jeweiligen gematchten Gruppen gesondert betrachtet. Aus methodischer Sicht ist anzumerken, dass ein Fehlen bestimmter Informationen in einem Bericht (z.B. zur Partnerschaft oder Arbeitssituation) nicht gleichbedeutend damit sein muss, dass dieser Aspekt für die Einschätzung des Bewährungshelfers keine Bedeutung hatte. Eventuell waren bestimmte Gesichtspunkte zur Lebenssituation des Klienten seiner Einschätzung nach selbstverständlich, so dass sie keiner Erwähnung bedurften. Außerdem ist bei einer qualitativen Textanalyse stets der subjektiven Perspektive des Untersuchers Rechnung zu tragen. In Relation zu der unterschiedlichen Häufigkeit von Informationen einzelner Nachsorgeaspekte in den Gruppen stellten sich statistische Berechnungen als wenig sinnvoll dar. Bei den stellenweise nur kleinen Zellbesetzungen waren die Voraussetzungen für Standardanalysen von Häufigkeitsverteilungen nicht gegeben (Bortz & Lienert, 2003). Es bestünde somit die Gefahr, durch Signifikanzberechnungen eine „pseudowissenschaftliche“ Genauigkeit zu produzieren. Die Analyse der Berichte erfolgte daher allein in deskriptiver Form. Zur praktischen Anschauung wurden einige (typische) Problemkonstellationen kasuistisch dargestellt.
104
Bei insgesamt drei der 55 rückfälligen Probanden wurde die Maßregel bereits bei der Entlassung für erledigt erklärt (gemäß § 67d Abs.3 StGB), so dass sich folglich weder eine Führungsaufsicht noch eine Nachsorge anschloss. Der erste verübte nach 26 Monaten einen sexuellen Missbrauch und wurde zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der Zweite verstieß 17 Monate nach der Entlassung gegen die Straßenverkehrsordnung und erhielt eine Geldstrafe. Der Dritte wurde wegen Strafverfolgung gesucht (17 Monate nach der Entlassung), ohne dass weitere Details bekannt geworden waren. Bei der Vergleichsgruppe der Nicht-Rückfälligen lagen ebenso nur für 52 Probanden Bewährungshelferberichte vor, so dass sich im Folgenden die Berechnungen auf 104 Probanden beziehen. Die gesetzlich vorgeschriebene Dauer der Führungsaufsicht variiert zwischen minimal zwei und maximal fünf Jahren. Unter besonderen Umständen kann sie lebenslang gelten, wenn beispielsweise der Proband Weisungen nicht zustimmt oder diesen regelmäßig und dauerhaft nicht nachkommt (§ 68c Abs.2 StGB). Derzeit ist eine Novellierung dieses Maßregelgesetzes in Arbeit. Bei unserer Stichprobe wurde bei drei von fünf Probanden der Gruppe der Rückfälligen (31) die maximale Führungsaufsicht angeordnet, bei der Vergleichsgruppe lag dieser Anteil etwas höher (36). Auch die mittlere Führungsaufsichtszeit lag bei den Nicht-Gescheiterten mit 54,5 Monaten etwas höher als bei den rückfälligen Probanden. Die mittlere „time at risk“ war für beide Gruppen nahezu identisch (47,5 Monate bei den Rückfälligen / 47,6 Monate bei den Nicht-Rückfälligen). Für die Gruppe der Rückfälligen lagen im Mittel sechs Bewährungshelferberichte vor (Spannweite: 1 bis 26 Berichte). Der Umfang schwankte zwischen 2 und 114 Zeilen (Mittel: 25 Zeilen). Analog waren die formalen Daten der Vergleichsgruppe. Hier konnten im Mittel 7 Berichte ausgewertet werden, der Umfang betrug gleichfalls im Mittel 25 Zeilen (1 bis 133 Zeilen). Die überwiegende Zahl der Probanden wurde konstant von einem Bewährungshelfer betreut, bei 18 Probanden kam es zu einem, bei vier Probanden zu einem zweimaligen Wechsel des Bewährungshelfers. Über die verschiedenen Aspekte der Lebenssituation der Probanden wurde unterschiedlich häufig berichtet (Tabelle 30).
105
Tabelle 30:
Häufigkeit der Informationen über einzelne Aspekte der Lebenssituation je Gruppe
Informationen über wichtige Aspekte der Lebenssituation fachliche Nachsorge Wohnsituation Arbeits-/Erwerbssituation finanzielle Situation Partnerschaft Alkoholkonsum Drogenkonsum Medikation psychisches Befinden Alltagsbewältigung Bewährungshelferkontakte „Helferrunden“/ Kontakt zu Betreuern richterliche Weisungen deutlich formulierte Warnungen
Rückfällige (n=52)
Nicht-Rückfällige (n=52)
51 52 52 33 31 26 4 18 20 6 47 11 30 27
51 51 50 27 24 20 3 25 25 19 45 25 25 12
Augenfällige Differenzen zwischen beiden Gruppen fanden sich vor allem bei zwei Aspekten. Zum einen wurden bei den gescheiterten Probanden deutlich häufiger Warnungen von den Bewährungshelfern formuliert. Zum anderen lagen für diese Gruppe relativ wenige Angaben über deren Alltagsbewältigung sowie Informationen darüber vor, ob regelmäßig so genannte Helferrunden durchgeführt wurden, in denen alle an der Nachsorge Beteiligten zusammenkamen, um über den bisherigen Verlauf der Führungsaufsicht zu reflektieren und das weitere Procedere abzustimmen. Waren Helferrunden erwähnt, fanden sich zumeist kaum konkrete Angaben über die dort getroffenen Absprachen. 3.6.1 Fachliche Nachsorgesituation Einleitend wird bei Betrachtung der jetzigen Nachsorgesituation deutlich, dass die Nachbehandlung forensischer Patienten im Vergleich zum Stand der 70-er und 80-er Jahren beachtlich an Professionalität gewonnen hat. Zur damaligen Zeit wurde lediglich jeder dritte Patient ambulant betreut, und dies zum überwiegenden Teil nicht durch einen Facharzt (Ritzel,
106
1978). Anhand der Tabelle 31 wird deutlich, dass die Nachbehandlung der im Katamnesezeitraum rückfällig gewordenen Probanden weniger eng strukturiert war. Deutlich wurde dies vor allem an der erheblich geringeren Anzahl von Entlassungen in komplementäre Einrichtungen sowie den vergleichsweise selten eingerichteten gesetzlichen Betreuungen. Probleme in diesem Bereich (z.B. unregelmäßige Teilnahme bei den Gesprächsterminen) waren für 22 Rückfällige, hingegen nur für fünf nicht rückfällige Probanden dokumentiert. Tabelle 31: Nachsorgeformen (Mehrfachnennungen möglich) Nachsorgeformen ambulante Psychotherapie stationäre Langzeitbehandlung zeitweise stationäre Behandlung Betreuung im Wohnheim gesetzliche Betreuung Sonstiges (z.B. Selbsthilfegruppe)
Rückfällige (n=52)
Nicht-Rückfällige (n=52)
34 4 11 11 15 16
27 6 14 28 22 6
3.6.2 Wohnsituation Analog zur therapeutischen Nachsorgesituation zeigten sich hinsichtlich der Wohnachse vergleichbare Differenzen zwischen den beiden Gruppen. Die nicht rückfälligen wurden deutlich enger strukturiert untergebracht als die gescheiterten Probanden (Tabelle 32). Diese Unterschiede hatten sich mit zunehmender Zeit in Freiheit noch verstärkt (vgl. Tabelle 11). Am Ende der Katamnesezeit bzw. bis zur erneuten Unterbringung lebten nun die doppelte Anzahl an Rückfälligen allein bzw. waren ohne festen Wohnsitz, während dieser Anteil bei den Nicht-Rückfälligen stabil geblieben war. Relativ zeitnah nach der Entlassung war es bei einigen Rückfälligen zu einem Wechsel der Wohnform von vormals komplementärer Unterbringung zu Privatwohnungen gekommen. Laut den Aufzeichnungen in den Berichten waren problematische Situationen in der jeweiligen Unterbrin-
107
gungsform dementsprechend bei den Rückfälligen etwas häufiger als bei den Nicht-Rückfälligen aufgetreten (15 vs. 12). Tabelle 32: Wohnsituation zum Ende des Erhebungszeitraumes Wohnsituation allein Primärfamilie eigene Familie/Partnerin stationäre Langzeitbehandlung Übergangswohnheim betreute Wohngemeinschaft nichtsesshaft keine Information
Rückfällige (n=52)
Nicht-Rückfällige (n=52)
19 0 11 4 11 2 3 0
6 1 8 6 28 2 0 1
3.6.3 Arbeitssituation Hinsichtlich der Arbeitssituation zeigte sich ebenfalls eine ungleiche Verteilung (Tabelle 33). Nicht-Rückfällige waren vermehrt in beschützenden Werkstätten (WfB) bzw. stationären Arbeitstherapien integriert, während unter den Rückfälligen der Anteil der Arbeitslosen erheblich höher lag. Tabelle 33: Arbeits- und Erwerbssituation (Mehrfachnennungen möglich) Arbeits-/Erwerbstätigkeit
Rückfällige (n=52)
Nicht-Rückfällige (n=52)
Arbeitslosigkeit arbeitslos mit kurzen Unterbrechungen ganz-/halbtägige Beschäftigung wechselnde Festanstellungen stationäre Arbeitstherapie beschützende Werkstatt (WfB) wechselnde Gelegenheitsarbeiten Rentner sonstige Beschäftigungen keine Information
13 3 11 5 4 6 6 3 1 0
1 6 6 4 17 12 1 2 1 2
108
Insgesamt gestaltete sich die poststationäre Entwicklung bezüglich der Arbeitssituation dieser Gruppe negativ. Waren zum Entlassungszeitpunkt 10 Probanden ohne Arbeit, traf dies zum Ende des Katamnesezeitraums auf 16 Probanden zu (vgl. Tabelle 11). Im selben Zeitraum war die Hälfte der Rückfälligen aus den beschützenden Werkstätten ausgeschieden. Folglich wurden auch bei 20 Probanden dieser Gruppe über zum Teil erhebliche Probleme am Arbeitsplatz berichtet, in der Vergleichsgruppe hingegen nur bei acht Probanden. In jener Gruppe zeigte sich kaum ein Wechsel der ursprünglich vereinbarten Arbeitssituation. 3.6.4 Familie und Partnerschaft Über Kontakte zur Familie wurden in beiden Gruppen nur recht selten und zumeist in knappem Umfang berichtet. Demnach haben 25 der Rückfälligen- und 15 Probanden der Nicht-Rückfälligen-Gruppe zumindest noch sporadischen Kontakt zur Primärfamilie. 22 der Rückfälligen leben nach der Entlassung in einer Partnerschaft bzw. sind/waren verheiratet; bei der Hälfte wurden zum Teil erhebliche Konflikte in der Partnerschaft beschrieben. In der Vergleichsgruppe waren unwesentlich weniger Probanden fest liiert, wobei deutlich seltener Beziehungsprobleme dokumentiert wurden (bei sechs Probanden). 3.6.5 Medikation Zum Entlassungszeitpunkt waren insgesamt 25 Probanden der Rückfälligen-Gruppe und 29 der Nicht-Rückfälligen-Gruppe medikamentös eingestellt. Man wird davon ausgehen können, dass bei sämtlichen Patienten die Auflage zur regelmäßigen Medikation im Entlassungsbeschluss als richterliche Weisungen fixiert wurden. Informationen über die medikamentöse Therapie lagen für 18 der später gescheiterten Probanden vor, wobei die Angaben ausnahmslos recht knapp gehalten waren. Vielfach fehlten entsprechende Vermerke in den Berichten. Im Laufe des Katamnesezeitraums wurden bei fünf der rückfälligen und sieben der nicht rückfälligen Probanden Probleme bezüglich der Medikation dokumentiert (Verweigerung, Unregelmäßigkeiten, Abbruch der medikamentösen The-
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rapie), bei den restlichen wurde ein unproblematischer Umgang mit Medikamenten beschrieben. 3.6.6 Alkohol- und Drogenkonsum Etwa bei der Hälfte der Probanden waren in den Berichten Mitteilungen über deren Alkohol- u./o. Drogenkonsum zu lesen. Unter den Nichtrückfälligen befand sich ein Proband, bei dem als Erstdiagnose eine Alkoholabhängigkeit beschrieben wurde. Über dessen Umgang mit Suchtmitteln war in keinem Bericht etwas vermerkt. Von den 19 Probanden mit einer Suchtproblematik als Zweitdiagnose fanden sich bei 10 Probanden keine diesbezüglichen Angaben. Von den restlichen wurde bei acht Probanden der Alkoholkonsum als problematisch eingestuft. Unter den Rückfälligen wurde ebenso bei einem Probanden eine Alkoholabhängigkeit als Erstdiagnose beschrieben, ohne dass dieses Problem in einem der Bewährungshelferberichte Erwähnung fand. Der Proband beging 19 Monate nach der Entlassung ein Bagatelldelikt (Beförderungserschleichung). Bei den insgesamt 25 rückfälligen Probanden mit einer Suchtproblematik als Zweitdiagnose lagen bei 19 Probanden ausnahmslos nur knapp gehaltene Informationen diesbezüglich vor. Bei 16 von ihnen wurde das Konsumverhalten als problematisch eingestuft, während bei dreien explizit von einem unproblematischen Umgang gesprochen wurde. Kasuistik 7: Der zum Unterbringungszeitpunkt 21-jährige Herr G. wurde wegen räuberischer Erpressung, Brandstiftung, Körperverletzung und Bedrohung in die Forensische Klinik eingewiesen. Diagnostisch lagen laut Erkenntnisverfahren eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit Minderbegabung sowie eine erhebliche Alkoholproblematik vor. Erste dissoziale Auffälligkeiten zeigten sich bereits ab seinem 9. Lebensjahr. Im Bundeszentralregister fanden sich vor der jetzigen Unterbringung fünf Eintragungen mit einer Gesamthaftzeit von nahezu 5 Jahren. Zudem war er dreimal stationär psychiatrisch behandelt worden, wobei unterschiedliche diagnostische Gewichtungen bestanden. Einmalig wurde die Minderbegabung als Folge eines frühkindlichen Hirnschadens im Vordergrund gesehen, dann eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorrangig angenommen bzw. seine Alkoholproblematik als Hauptdiagnose eingestuft. Nach knapp fünfjähriger Verweildauer im Maßregelvollzug erfolgte die Entlassung in ein Übergangswohnheim; die ambulantpsychiatrische Nachsorge wurde von der Institutsambulanz der forensischen Einrichtung übernommen. Fünfzehn Monate später wurde die Aussetzung der
110 Maßregel widerrufen, nachdem er laut Bundeszentralregister wegen „Vortäuschen einer Straftat“ auffällig geworden war. Aus den Bewährungshelferberichten geht hervor, dass insbesondere seine Arbeitssituation von wenig Konstanz geprägt war. Mehrfach wechselte er die Anstellungen, fiel dadurch auf, dass er zu häufigen Fehlzeiten wegen (angeblicher) Erkrankungen neigte. Zudem ist vermerkt, dass er den Bewährungshelfer darum bat, die Aufhebung der richterlichen Weisung bezüglich der Alkoholabstinenz anzuregen, da er nun völlig auf Alkohol verzichten könne. Dies wurde vom Bewährungshelfer befürwortet: „Bei Herrn B. ist eine Entwicklung dahin gehend festzustellen, dass er meines Erachtens heute seine Grenzen realistisch einzuschätzen weiß. Da Herr B. nicht alkoholkrank ist, entbehrt zusammenfassend die gerichtliche Weisung an den Probanden, Totalabstinenz zu üben, einer realistischen Grundlage.“ Dabei stützte der Bewährungshelfer seine Argumentation auf ein halbseitiges Attest eines Psychologen, der ausführte, dass mittlerweile die Problematik mit Herrn B. ausführlich und gründlich bearbeitet worden sei und er nunmehr in der Lage sei, „im Bereich geringer Dosierungen zuverlässig den Alkoholkonsum zu kontrollieren“. Einen Monat später kam es innerhalb weniger Wochen zu mehreren Straftaten, u. a. Brandlegung, Missbrauch von Notrufen mit Vortäuschen einer Straftat, Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung. In der richterlichen Vernehmung „wies er darauf hin, dass er bei sämtlichen Handlungen unter Alkoholeinfluss gestanden habe“. In der späteren Hauptverhandlung wurden die Rückfalldelikte auf seine erhebliche Alkoholproblematik zurückgeführt und eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (§ 64 StGB).
Fazit: Der Bewährungshelfer hat eindeutig seine Kompetenzen überschritten, als er dafür plädierte, die richterliche Weisung zur strikten Alkoholabstinenz aufheben zu lassen. Das Attest des Psychologen der Beratungsstelle erweckt eher den Eindruck eines „Scheingutachtens“, da weder Vorgutachten noch frühere Arztberichte, in denen die seit Jahren bestehende und erhebliche Alkoholproblematik dokumentiert waren, erwähnt wurden und offensichtlich dem Psychologen auch nicht bekannt waren. Zudem verwundert, dass das Gericht dem Attest und der „diagnostischen Einschätzung“ des Bewährungshelfers scheinbar ohne Umschweife Glauben schenkte. Eine Helferkonferenz, in der diese juristische Intervention mit allen Beteiligten hätte diskutiert werden können, hat nach den vorliegenden Berichten nicht statt gefunden bzw. ist nicht dokumentiert worden.
Insgesamt fand sich bei vier der 52 gescheiterten Probanden die Anregung von Seiten der Bewährungshelfer an das Gericht, eine Weisung zu lockern. Die Strafvollstreckungskammer ist diesem Vorschlag stets gefolgt. Zu erneuten Straftaten kam es in allen vier Fällen innerhalb von ein bis sechs Monaten. Allerdings ist ebenso bei der Gruppe der Nicht-Rückfälligen in
111
gleicher Häufigkeit die Anregung zur Lockerung bzw. zum Wegfall der richterlichen Weisung anzutreffen, ohne dass es im Katamnesezeitraum zu einem Rückfall gekommen wäre. Eine nähere Betrachtung derjenigen Probanden, die ihr Unterbringungsdelikt unter Alkohol begangen hatten, verdeutlicht, dass bei 30% keinerlei Angaben über deren Umgang mit Suchtmitteln zu finden waren. Für die übrigen Probanden lagen ausnahmslos knappe Informationen vor, wobei in den meisten Fällen der problematische Umgang mit Alkohol durchaus erkennbar war. Es zeigten sich erhebliche Differenzen bei der Anzahl der explizit formulierten Warnungen zwischen den beiden Gruppen. Während in den Berichten der Rückfälligengruppe bei 17 von 28 Probanden, die ihr Unterbringungsdelikt unter Alkohol begangen hatten, Warnungen dokumentiert wurden, traf dies in der Vergleichsgruppe nur bei fünf von 23 Probanden zu. 3.6.7 Psychisches Befinden und Alltagsbewältigung Diese Thematik fand bei etwa der Hälfte der Probanden in den Berichten Erwähnung, wobei die Berichte im Übrigen zumeist recht kurz gehalten waren. Lediglich bei einem rückfälligen Probanden war eine ausführlichere Beschreibung zu lesen. Wenn Angaben zum psychischen Befinden getätigt wurden, dann vorwiegend über eine Verschlechterung des Befindens. Zwischen den Gruppen fanden sich hierbei deutliche Differenzen. Bei 16 der Rückfälligen war eine Verschlechterung ihres psychopathologischen Bildes dokumentiert, während dies in der Vergleichsgruppe nur bei sechs Probanden der Fall war. 3.6.8 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen („Helferrunden“) Informationen über Kontakte des Bewährungshelfers mit anderen an der Nachsorge Beteiligten waren zumindest selten dokumentiert. Ob sie tatsächlich beispielsweise in Form einer „Helferrunde“ stattgefunden haben oder nicht, lässt sich anhand der Berichte nicht mit Sicherheit klären. Üblicherweise werden solche Termine in den Berichten erwähnt. Insbesondere bei der Gruppe der Rückfälligen scheint demnach lediglich bei jedem fünften Probanden ein solcher informativer Austausch durchgeführt wor-
112
den zu sein. Bei der Vergleichsgruppe hingegen war dies bei jedem zweiten Probanden vermerkt. Waren Helferrunden ausdrücklich erwähnt, fanden sich zumeist nur wenige inhaltliche Angaben. 3.6.9 Warnungen Bei etwa der Hälfte der tatsächlich rückfällig gewordenen Probanden hatten die Bewährungshelfer vorab Warnungen in ihren Berichten formuliert. In 14 Fällen wurde explizit über Weisungsverstöße berichtet. Inhaltlich bezogen sich die Warnungen überwiegend auf einen problematischen Alkoholkonsum sowie Veränderungen im psychischen Befund (Tabelle 34). Für 10 dieser Probanden wurden darüber hinaus der Strafvollstreckungskammer konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Jeweils einmal wurden ein Sicherungshaftbefehl sowie eine richterliche Verwarnung angeregt. Je dreimal erfolgte der Vorschlag, ein erneutes psychiatrisches Gutachten in Auftrag zu geben sowie eine psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung einzurichten bzw. zu intensivieren. Bei der Vergleichsgruppe hingegen wurden indes nur bei 12 Probanden ähnliche Warnungen niedergeschrieben, für die zugleich sämtlich auch Maßnahmenvorschläge angeregt wurden. Tabelle 34:
Inhalte der dokumentierten Warnungen
Warnungen*
Rückfällige (n=52)
Nicht-Rückfällige (n=52)
keinerlei Warnungen Alkoholprobleme Drogenproblem labile psychische Verfassung Therapieprobleme (Unregelmäßigkeiten etc.) Medikamentenprobleme Probleme bezüglich Wohnsituation Weisungen nicht eingehalten Probleme am Arbeitsplatz Probleme bei sozialen Beziehungen finanzielle Probleme Probleme bei der Freizeitgestaltung
25 15 1 7 4 3 5 14 1 2 1 1
40 5 1 0 2 1 1 2 1 2 3 1
* Mehrfachnennungen möglich
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Kasuistik 8 Herrn H. wurde im Alter von 32 Jahren wegen mehrerer Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen erstmals gemäß § 63 StGB untergebracht. Diagnostisch wurde eine schizoaffektive Psychose und eine Polytoxikomanie beschrieben, weswegen man im Erkenntnisverfahren auf eine aufgehobene Schuldfähigkeit erkannte. Ab seinem 16. Lebensjahr war er wiederholt mit verschiedenen Straftaten auffällig geworden (Körperverletzungen, Eigentumsdelikte, Trunkenheit im Straßenverkehr sowie Verstoß gegen das BtMG), die nur zum Teil ursächlich mit seiner psychischen Störung zusammenhingen. Im Alter von 24 Jahren kam es zur Erstmanifestation der Psychose. Zahlreiche Krankheitsschübe hatten nahezu regelmäßig zu gerichtlich angeordneten Einweisungen (Psych-KG) geführt, da seine Behandlungscompliance mangelhaft war. Nach bereits 8-monatiger stationärforensischer Unterbringung erfolgte eine Langzeitbeurlaubung mit dem Ziel der baldigen (bedingten) Entlassung. Diese stellte sich trotz intensiver fachgerechter Nachsorge bereits nach wenigen Wochen als unrealistisch heraus. Die höchst konfliktreiche und mit körperlichen Auseinandersetzungen einhergehende Beziehung zu seinen Eltern, die ihn im Übrigen in seiner ambivalenten Haltung zur Fortführung der ambulanten Therapie unterstützten, komplizierten den Wiedereingliederungsprozess. Erst mehrmalige kurzfristige stationäre Rückführungen führten zu einer gewissen Stabilisierung. Letztlich behielt er insgesamt über 2 Jahre den Status des Langzeitpatienten, bevor eine Entlassung gemäß § 67d (2) StGB ausgesprochen wurde. Die 5-jährige Führungsaufsicht gestaltete sich bereits nach wenigen Monaten ebenso problematisch, was u.a. auch an der mangelnden Möglichkeit zur Einbindung der Eltern in die Behandlung lag. Versuche, den Patienten aus diesem pathologischen Klima (hoher Expressed-Emotion-Status) heraus in eine komplementäre Wohnmöglichkeit zu bringen, scheiterten an dem Veto von Patient und Eltern. Zudem führten psychoedukative Maßnahmen lediglich zu einem oberflächlichen Überzeugtsein hinsichtlich einer konstanten Medikationeinnahme. Im letzten Jahr der Führungsaufsicht setzte er schließlich die Medikamente ab. Der Bewährungshelfer unterstützte seinen Klienten in der Weise, dass er bei den Helferrunden seine private, gegen Psychopharmaka eingestellte Grundhaltung signalisierte. Ein Schreiben des ambulanten Therapeuten an den Richter der Strafvollstreckungskammer mit dem Hinweis, dass der Patient mit der Medikamentenverweigerung gegen die gerichtliche Weisung verstoße, was nach dem bisherigen Krankheitsverlauf als legalprognostisch kritisch einzuschätzen sei, wurde nicht beantwortet. In einem Telefonat berief sich der Richter auf die Berichte des Bewährungshelfers, der keine Gefährdung des Wiedereingliederungsprozesses annahm. 3 Monate später kam es zu erneutem Krankheitsschub. Der Patient unternahm eine Odyssee durch Mitteleuropa, in deren Verlauf es zu mehreren Körperverletzungsdelikten kam, weswegen schließlich ein Widerruf der Bewährung ausgesprochen wurde.
114
Fazit: Diese Kasuistik veranschaulicht eindrücklich, dass eine einmalig zum Ende der stationären Unterbringung eingeschätzte Legalprognose nur bedingt und vor allem nicht auf unbefristete Dauer Gültigkeit besitzt. In erster Linie geht es hierbei um eine fachgerechte forensische Nachsorge, bei der ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen allen am Nachsorgeprozess Beteiligten unbedingt vonnöten ist, um bei geänderten Bedingungen die Frage der Gefährlichkeit erneut zu beantworten. Eine wie in diesem Fall eingetretene „Kommunikationsstörung“ kann daher entsprechende Folgen – nämlich Krankheitsrückfall und erneute Straffälligkeit – haben. Dass eine solche „juristische Minderleistung“ hätte vermieden werden können, ist offensichtlich, scheint jedoch auch heute noch kein Einzelfall darzustellen (Seifert u.a, 2003d). Warnungen sollten daher ernst genommen werden und folglich auch zu einer früh- und somit rechtzeitigen Reaktion der Verantwortlichen führen.
3.6.10 Globale Einschätzung der Berichte durch die Untersucher Analysiert man die Bewährungshelferberichte der gescheiterten Probanden im Längsschnitt unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit – quasi mit den Augen eines Richters der Strafvollstreckungskammer –, so scheint aus der Retrospektive betrachtet in 20 Fällen das Scheitern anhand der Entwicklung während der Führungsaufsicht vorhersehbar gewesen zu sein. In etwa gleichhäufig (18) fanden sich plötzliche Verschlechterungen, die sich zumindest nach den halbjährlich abgefassten Berichten nicht haben prognostizieren lassen. Hierbei ist natürlich keine Aussage zur Einschätzung in den Monaten zwischen dem letzten Bericht und dem Scheitern machbar. Eine zum potentiellen Scheitern der Wiedereingliederung der Probanden führende Entwicklung war von den Bewährungshelfern in 22 Fällen durchaus registriert worden, da zwischen den Zeilen eine grundlegende Skepsis herauszulesen ist. In der Vergleichsgruppe ist dies lediglich in sieben Fällen möglich. Jedoch fiel ferner auf, dass der überwiegende Teil der Berichte über die Nicht-Rückfälligen (37) eine umfassende und differenzierte Beschreibung der Lebenssituation und Entwicklung der poststationären Phase geliefert hat. Eine annähernd gleiche Qualität fand sich bei lediglich neun Probanden der Rückfälligengruppe. Stattdessen waren in etwa ein Drittel der Fälle (16) die Berichte wenig aussagekräftig und auf die individuelle Entwicklung des Klienten abgefasst (s. Kasuistik Nr. 9). Interessant erschien zudem, dass den Bewährungshelfern die erneuten
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Straftaten sechs ihrer Klienten offenbar nicht bekannt geworden waren bzw. diese in ihren Berichten nicht Erwähnung fanden. Kasuistik 9: Der heute 30-jährige Herr I. kam im Alter von 21 Jahren nach einer Vergewaltigung in den Maßregelvollzug. Diagnostisch wurde eine schwere BorderlinePersönlichkeitsstörung angenommen. Er blieb bis zu seinem 26. Lebensjahr in der forensischen Klinik; die Führungsaufsicht wurde auf fünf Jahre festgelegt. Knapp ein Jahr nach der Entlassung fiel er wegen Fahrens ohne Führerschein auf und erhielt eine Geldstrafe. Informationen hierzu waren aus den Bewährungshelferberichten nicht zu entnehmen. Insgesamt fielen eine wenig umfassende und vor allem kaum auf die individuelle Entwicklung des Patienten abgestimmte Darstellung auf. Stattdessen war in jedem der insgesamt 11 Berichten an die Strafvollstreckungskammer ein nahezu identischer Absatz anzutreffen: „Sinn und Zweck der Führungsaufsicht akzeptiert er. Auf seine Straftaten angesprochen, zeigt sich Herr H. schuldeinsichtig. Die gerichtlich angeordnete Unterbringung bewertet er als angemessene Sanktion.“
Fazit: Derart floskelhafte Beschreibungen, die zudem allem Anschein nach als Textbaustein eingebaut wurden, gewähren nur wenig Einblick in die persönliche Problematik dieses Patienten und werden dem Richter der Strafvollstreckungskammer für seine Entscheidung kaum einen sinnvollen Erkenntnisgewinn geliefert haben.
3.6.11 Berichte über Sexualstraftäter Für diese Deliktgruppe wurden die Bewährungshelferberichte wegen der relativ hohen Anzahl einschlägiger Rückfallstraftaten (siehe Tabelle 8) separat betrachtet und mit einer gematchten Gruppe verglichen (nicht rückfällig gewordene Probanden, die wegen eines Sexualdeliktes untergebracht waren, Tabelle 35). Für 17 der insgesamt 18 Probanden dieser Gruppe lagen Bewährungshelferberichte vor. Hinsichtlich der formalen Aspekte wie Anzahl und Umfang der Berichte, Bewährungshelferwechsel etc. fanden sich keine relevanten Differenzen. Ebenso unterschied sich die fachliche Nachsorge zwischen den Gruppen nur unwesentlich. Bei der Wohnsituation hingegen verhielt es sich ähnlich wie bei der Gesamtgruppe (Kap. 3.6.2 u. Tabelle 32). Sieben der rückfälligen Probanden lebten allein oder mit ihrer Partnerin zusammen, während dies in der Vergleichsgruppe nur für vier Probanden zutraf, drei lebten in komplementären Wohnhei-
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men. Ferner waren bei vier Rückfälligen finanzielle Probleme dokumentiert, die mehrmals auch explizit als ernst zu nehmendes Risikomerkmal von den Bewährungshelfern beurteilt wurden. Bei den Nicht-Rückfälligen wurde hingegen nur bei einem über finanzielle Probleme berichtet. Tabelle 35: Anteil der dokumentierten Problembereiche verschiedener Nachsorgeaspekte von rückfälligen und nicht-rückfälligen Sexualstraftätern
(Problem-)Bereiche der Nachsorge Wohnsituation - allein oder eigene Familie - in komplementärer Einrichtung Warnungen* - finanzielle Probleme - Alkoholproblematik - labile psychische Verfassung - Weisungen nicht eingehalten - Vernachlässigung der Therapiegespräche Information bezüglich „Helferrunden“ Subjektive Einschätzung der Bewährungshelfer - umfangreiche, detaillierte Einschätzung - grundlegende Skepsis
Rückfällige Nicht-Rückfällige (n=8) (n=9) 7 1 5 4 2 1 1 1 0
4 3 3 1 0 0 0 2 3
1 5
6 1
* Mehrfachnennungen möglich
Auch eindeutig formulierte Warnungen wurden bei den Rückfälligen häufiger genannt. Von den vier betroffenen Probanden wiesen die Bewährungshelfer bei zweien auf deren wiederholten Alkoholkonsum und bei je einem auf dessen labile psychische Verfassung und das Nicht-Einhalten gerichtlicher Weisungen hin. In der Vergleichsgruppe war nur bei einem Probanden eine Warnung wegen erhöhten Alkoholkonsums dokumentiert. Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die globale Einschätzung. Aus den Berichten über fünf der acht Rückfälligen war eine grundlegende Skepsis heraus zu lesen. In der Vergleichsgruppe fand sich dies nur bei einem Probanden. Dafür waren bei sechs Probanden dieser Gruppe sehr umfassende und individuell geprägte Berichte zu finden, während diese Einschätzung nur bei einem der Rückfallgruppe zutraf.
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3.6.12 Berichte über die Probanden mit schwerwiegenden Rückfalldelikten Die insgesamt 19 Probanden, die nach der Entlassung Gewaltdelikte begingen, wurden ebenso einer entsprechenden (gematchten) Vergleichsgruppe gegenüber gestellt (Tabelle 36). Insgesamt liegen Bewährungshelferberichte für 35 dieser 36 Probanden vor. Bedeutsame Unterschiede hinsichtlich formaler Aspekte wie Anzahl und Umfang der Berichte, Bewährungshelferwechsel etc. fanden sich auch hier nicht. Allerdings wurde bei der fachlichen Nachsorge- sowie Wohnsituation erneut offenkundig, dass die Rückfälligen in ein weniger eng strukturiertes Nachsorgekonzept entlassen worden waren. Kein Proband, der mit gewalttätigen Delikten rückfällig wurde, lebte in einem Wohnheim, dagegen 12 allein bzw. mit dem Lebenspartner oder der Familie. In der Vergleichsgruppe lebten fünf der 17 Probanden in einer komplementären Einrichtung und sieben allein bzw. mit der Familie. Tabelle 36: Anteil der dokumentierten Problembereiche verschiedener Nachsorgeaspekte von gewalttätigen Rückfällern und einer gematchten Vergleichsgruppe
Problembereiche in der Nachsorge
Gewalttätige Rückfalldelinquenz (n=18)
Vergleichsgruppe (n=17)
Probleme bezüglich Nachsorge Probleme am Arbeitsplatz Alkoholprobleme Drogenproblem Therapieprobleme (Unregelmäßigkeiten etc.) Probleme bei der Medikation (z.B. Abbruch) labile psychische Verfassung Weisungen nicht eingehalten Information bezüglich Warnungen
10 7 6 2 4 5 7 4 9
1 3 3 0 2 0 3 0 3
Tabelle 36 legt dar, dass bei den Rückfälligen in mehreren Bereichen deutlich häufiger Probleme wahrgenommen und dokumentiert werden. Dies ließ sich auch bei globaler Betrachtung der Berichte erkennen. Bei acht der mit einem Gewaltdelikt Rückfälligen war aus den Bewährungs-
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helferberichten für die Katamnesezeit eine grundlegende skeptische Sicht ablesbar, bei der Vergleichsgruppe wurde dies hingegen nur bei zwei Probanden deutlich. Umfangreiche und individuell geprägte Berichte lagen bei neun nicht rückfälligen, hingegen nur bei drei rückfälligen Probanden vor. Aus der Retrospektive betrachtet erscheint bei 10 rückfälligen Probanden die erneute Gewaltstraftat wegen der langsamen und progredienten Entwicklung als durchaus vorhersehbar und ggf. auch als verhinderbar. Letzteres wird dadurch unterstützt, dass lediglich bei vier rückfälligen Probanden Helferrunden stattfanden; bei der Vergleichsgruppe traf dies auf sieben Probanden zu. 3.6.13 Fazit 1. Die Berichte der Bewährungshelfer weisen deutliche Schwankungen hinsichtlich Qualität und Quantität auf. 2. Art, Umfang und Intensität der Nachsorge beider Gruppen unterscheiden sich zum Teil beträchtlich. So werden die im Laufe der Katamnesezeit gescheiterten Probanden in vergleichsweise geringer strukturierte Nachsorgekonzepte entlassen als die Vergleichsgruppe. Diese Differenz vergrößert sich mit zunehmender Zeit in Freiheit. 2. Relevante Nachsorgeaspekte finden zumeist Erwähnung, sind jedoch vom Informationsgehalt häufig recht knapp gehalten. Dabei scheinen die Bewährungshelferberichte über die später rückfällig gewordenen bzw. gescheiterten Probanden weniger umfassend und ausführlich deren Lebenssituation und –entwicklung wiederzugeben. Insbesondere mangelt es an Informationen über Helferrunden und die dort vereinbarten Absprachen. 3. In der Gruppe der rückfälligen Probanden fällt bei einem Großteil der Berichte eine zum Teil direkt formulierte, mitunter aber eher „zwischen den Zeilen“ erkennbare grundlegende Skepsis auf. Diese intuitive Einschätzung der Bewährungshelfer bewahrheitet sich letztlich bei verhältnismäßig vielen Probanden.
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4. Vereinzelt werden Fehler bei der Einschätzung von Risiken deutlich. Diese beziehen sich insbesondere auf den Alkoholkonsum, den Umgang mit Medikamenten und die Einhaltung von Weisungen. 5. Eklatante Fehleinschätzungen, wie beispielsweise Anregung zur Aufhebung von gerichtlichen Weisungen, kommen - wenn auch selten - vor (vgl. Kasuistik 7). 6. Warnsignale finden insgesamt eher zu wenig Beachtung und werden offensichtlich nur in Ausnahmefällen mit den sonstigen am Nachsorgeprozess Beteiligten im Hinblick auf die legalprognostische Bedeutung erörtert. Der Informationsaustausch erscheint verbesserungsbedürftig. 7. Es gibt aber trotz gut vorbereiteter Nachsorge und ausreichender Kontrollmechanismen während der poststationären Phase auch zweifelsohne unvorhersehbare Rückfälle. Diese Ergebnisse sprechen für eine Standardisierung der Bewährungshelferberichte unter Berücksichtigung der in Tabelle 30 aufgeführten Aspekte der poststationären Phase, ohne dass auf die individuellen Besonderheiten des Probanden verzichtet werden sollte.
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4. Diskussion Das Hauptziel kriminalprognostischer Forschungen besteht in der Evaluierung valider Kriterien, um den „gefährlichen“ vom „ungefährlichen“ Menschen unterscheiden zu können. Die empirische Forschung zu diesem Thema begann vor etwa einem dreiviertel Jahrhundert (Burgess, 1928; Glueck & Glueck, 1930; Schiedt, 1936). Seitdem sind eine Vielzahl nationaler wie internationaler wissenschaftlicher Untersuchungen zur Gefährlichkeitseinschätzung von Rechtsbrechern durchgeführt worden. Das prognostische Wissen über die spezielle Gruppe von Maßregelpatienten (gemäß § 63 StGB) gilt indes noch heute als vergleichsweise gering (Leygraf, 2004; Rasch, 1999). Ein Rückgriff auf internationale Erfahrungen ist auf Grund unterschiedlicher juristischer Bedingungen und zum Teil äußerst differenter Unterbringungsformen psychisch kranker Rechtsbrecher nur bedingt möglich. Neben der generellen Problematik einer Übersetzung von Fragebögen und Testverfahren bleibt zudem offen, inwieweit sich die in anderen Ländern bewährten Vorgehensweisen und Ergebnisse auf gesellschaftliche und rechtliche Verhältnisse in Deutschland übertragen lassen. Zudem existieren eine Reihe basaler methodischer Probleme. Beispielhaft ist der Begriff „Gefährlichkeit“ anzuführen. Dieser Terminus ist ein Konstrukt, bei dem eine allseits umfassende und somit verbindliche Defintion nicht existiert (Harding u.a., 1983; Floud, 1982). Dessen ungeachtet spielt natürlich sowohl in der kriminologischen Forschung als auch in der Strafrechtspraxis „die Gefährlichkeit“ bei der Frage einer anstehenden Unterbringung oder Entlassung eine bedeutsame Rolle. Die (berechtigte) Annahme, dass vor allem die Schwere der Straftat die Unterbringungsdauer im Maßregelvollzug determiniert, gilt allerdings spätestens seit der Untersuchung von Leygraf (1988) als fraglich. Bei dieser bundesweiten Erhebung zeigte sich, dass die Verweildauer weder von der Deliktart noch der diagnostischen Zuordnung, aber sehr deutlich von dem jeweiligen Bundesland, in dem die Unterbringung erfolgte, abhängig war (von im Mittel 2,9 Jahren in Hamburg bis zu 8,6 Jahren in Schleswig-Holstein). Innerhalb der Deliktgruppen fanden sich z.T. nur schwierig zu interpretierende Differen-
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zen. Beispielsweise waren in Schleswig-Holstein Patienten mit gewaltlosen Sexualstraftaten (Exhibitionismus, Pädophilie ohne Körperkontakt) im Mittel 16,5 Jahre untergebracht, während diejenigen mit gewaltsamen Sexualdelikten (z.B. Vergewaltigung) mit 5,8 Jahren bzw. diejenigen mit Tötungsdelikten (7 Jahre) signifikant kürzer im Maßregelvollzug verweilen mussten. Neuere Untersuchungen konnten diese Ergebnisse zwar nicht in diesem Ausmaß replizieren, eine Abhängigkeit der Unterbringungsdauer von der Schwere des Deliktes war dennoch weiterhin nicht feststellbar (Dessecker, 1997; Seifert & Leygraf, 1997). Bei der hiesigen Stichprobe indes verblieben die Patienten mit Gewaltdelikten im Mittel etwas länger in der Maßregel. Demzufolge scheint dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) mittlerweile mehr Aufmerksamkeit gewidmet zu werden. Interpretationsschwierigkeiten traten zudem bei der Gesetzesänderung des die Entlassung aus dem Maßregelvollzug regelnden § 67d Abs.2 StGB auf. Das „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26.01.1998 wurde nach einer Phase wissenschaftlicher und vor allem medial geführter intensiver öffentlicher Diskussionen über Sinn und Effektivität des Maßregelvollzuges verabschiedet. Vom Gesetzgeber war dies als Signal zur Verbesserung des Opferschutzes gedacht, nachdem es in den Jahren zuvor zu einigen schwerwiegenden Gewaltstraftaten forensischer Patienten gekommen war. Allerdings waren zeitgleich vergleichbare (spektakuläre) Gewaltstraftaten von Tätern des Regelvollzuges verübt worden, die überwiegend unreflektiert in die Diskussion über den Maßregelvollzug mit einflossen. Bis zur Gesetzesnovellierung lautete die entscheidende Passage im § 67d Abs. 2 StGB, „ob verantwortet werden kann zu erproben, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“. Auf diese so genannte Erprobungsformel folgte die „Erwartungsklausel“. Der Gutachter hat nunmehr die Frage zu beantworten, ob „zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“. Diese sprachliche Modifikation wurde recht unterschiedlich kommentiert. Während von einigen Juristen darin letztlich kein Anheben der Entlassungshürde angenommen wurde (u.a. Hammerschlag & Schwarz, 1998, Volkart, 1998), wiesen andere namhafte Strafrechtler gemeinsam mit forensischen Psychiatern in einem offenen
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Brief an den Rechtsausschuss des deutschen Bundestages auf ihre Bedenken hin, dass hierdurch für die forensischen Kliniken der Weg zurück in die als überwunden geglaubte „Verwahranstalt“ vorgezeichnet wäre (Nedopil (1998). Für die Sachverständigen sei zu befürchten, dass sie nunmehr in ihren Gutachten die Gewähr für ein straffreies Leben nach der Unterbringung bieten müssten, so dass immer weniger Patienten entlassen werden könnten. Zudem bestehe die Gefahr, dass eine Unterbringung im Maßregelvollzug demnächst „als Ersatz für Sicherungsverwahrung ausgesprochen“ würde. Unter den forensischen Psychiatern existierte aber ebenso die Meinung, dass es sich bei dieser Novellierung lediglich um eine Klarstellung der Entlassungsvoraussetzungen handele, die mit der bisherigen Prognosetradition keineswegs breche (Kröber, 1998). Noch drastischer formulierte es Rasch (1999), der diese Umformulierung ausdrücklich begrüßte, weil damit die Therapeuten „veranlasst werden, über psychische Verfassung und soziale Situation des Probanden schärfer nachzudenken, als dies bisher vielfach geschieht“. Seit Mitte der 90er Jahre lässt sich eine zunehmend restriktive Entlassungspraxis im psychiatrischen Maßregelvollzug nach § 63 StGB beobachten. Da zugleich die jährliche Einweisungsrate stetig stieg (1995: 559 Pat.; 2004: 968 Pat.), hat diese Entwicklung innerhalb von einem Jahrzehnt zu etwa einer Verdoppelung der Unterbringungszahlen geführt (1995: 2902 Pat. und 2005: 5640 Pat. – gerechnet allein für die „alten“ Bundesländer einschl. Berlin; Statistisches Bundesamt, 2005). Fehlende Behandlungsplätze, räumliche Enge mit dem Resultat insgesamt schlechterer therapeutischer Möglichkeiten sind die Folge. Dieses Missverhältnis zwischen Einweisungs- und Entlasszahlen ist von Kröniger (2004) anschauungsvoll dargelegt worden. Im Jahr 2002 wurde bundesweit ein „Entlassungsverhältnis“ von lediglich 1:18 errechnet (191 entlassene zu 3485 in der Studie insgesamt erfasste Maßregelpatienten). Somit wurden in jenem Jahr vergleichsweise weniger Patienten aus dem Maßregelvollzug nach § 63 StGB als aus der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB – Verhältnis 1:16) entlassen. Ob dies allein auf das Gesetz vom 26.01.1998 zurückzuführen ist, bliebe indes zu diskutieren. Die veränderte „politische Großwetterlage“ mit einer Entwicklung hin zum „Sicherheitsstaat“ (Haffke, 2005), in dem die Kriminalitätsfurcht unverhältnismäßig steigt (Pfeiffer, 2006), wird
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einen gewichtigen Anteil daran besitzen. Dabei gilt als empirisch belegt, dass der Maßregelvollzug eine seiner gesetzlich vorgegebenen Aufgaben, die Öffentlichkeit vor gefährlichen psychisch kranken Rechtsbrechern zu schützen, durchaus erfüllt (Leygraf, 1998; Seifert & Möller-Mussavi, 2005). Die Deliktrückfallquote forensischer Patienten liegt deutlich niedriger als im Regelvollzug (Unterbringung in Justizvollzugsanstalten); dies hat sich gleichfalls für diese Stichprobe replizieren lassen. Wie Therapie wirkt bzw. welche Formen von Behandlungsmaßnahmen dazu führen, dass die Wiedereingliederung eines Patienten in die Gesellschaft erfolgreich verläuft, ist hingegen nur unzureichend erforscht. Die Evaluation psychiatrischer Kriminaltherapien befindet sich derzeit noch in einem Anfangsstadium (Müller-Isberner, 2004; Pfäfflin & Kächele, 2001). Im Übrigen ist erklärend anzuführen, dass unter „Behandlungserfolg“ nicht primär die medizinische bzw. sozial-psychiatrische Perspektive zu verstehen ist. Aus gesellschaftlicher sowie kriminologischer Sicht wird damit in erster Linie die Straffreiheit assoziiert. Bisherige Studien zur Rückfälligkeit und Gefährlichkeitsprognose basieren auf einem retrospektiven Design mit den dafür typischen methodischen Problemen, insbesondere hinsichtlich der Generalisierbarkeit der in der jeweiligen Stichprobe analysierten Ergebnisse (Wottawa, 1996; Bortz & Döring, 2002). Zudem beschränken sie sich durchweg auf evaluative Erfahrungen einzelner Kliniken (Jockusch & Keller, 2001, Gretenkord, 2001; Dimmek & Duncker, 1996). Eine Übertragbarkeit ist aufgrund der bekannten und zum Teil erheblichen regionalen Unterschiede in der Praxis und auch Gesetzgebung des deutschen Maßregelvollzugs daher nur bedingt gegeben. In der vorliegenden Studie wurde ein prospektives Design gewählt und 23 forensische Einrichtungen aus insgesamt sieben Bundesländern in die Untersuchung einbezogen. Die Rekrutierungsphase erstreckte sich über einen vergleichsweise langen Zeitraum (5½ Jahre). Dies erklärt sich durch die oben aufgeführte, seit Mitte der 90er Jahre zu beobachtende restriktive Entlassungspraxis forensischer Kliniken (Seifert u.a., 2001b). Eine Verkürzung der Erhebungsphase war aus methodischen Gründen schon deshalb nicht möglich, da die Itemzahl des Fragebogens eine genügend große
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Stichprobe voraussetzt (Hair u.a., 1998). Konzipiert wurde der klinische Erhebungsbogen (Teil C) Anfang der 90er Jahre nach einer Analyse der in der Literatur beschriebenen Prognosekriterien sowie der „hausinternen“ Checklisten verschiedener Maßregeleinrichtungen Deutschlands. Ausgefüllt wurde der Bogen von den Therapeuten in den jeweiligen Kliniken, die den Patienten am besten kannten und daher auch bei der realen Entlassungsentscheidung eine wichtige Funktion innehatten. Dadurch konnte ein praxisnahes Untersuchungsdesign erreicht werden. Die in der Rekrutierungsphase erhobene Probandenzahl entspricht im Vergleich mit den Ergebnissen der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden (2003) weitgehend der derzeitigen Entlassungspopulation forensischer Patienten in Deutschland (gemäß § 63 StGB), so dass die hiesige Stichprobe als repräsentativ anzusehen ist. Im Gegensatz zu bisherigen Studien wurden bei den Berechnungen als zusätzliche Katamneseinstrumente die während der Führungsaufsicht an die Strafvollstreckungskammer gerichteten Bewährungshelferberichte einbezogen. Während üblicherweise die Rückfälligkeit allein mittels Auszug der Bundeszentralregistereintragungen ermittelt wird, konnten auf diesem Wege die Erkenntnisse des Postentlassungszeitraums zusätzlich genutzt werden. Dies ermöglichte, die Begleitumstände eines Scheiterns der Wiedereingliederung zu beleuchten. Das Wissen darüber stellt eine wichtige Grundlage dar, um das Zustandekommen eines Rückfalls zu verstehen und letztlich Erfolg versprechende Interventionsstrategien entwickeln zu können i.S. einer tertiären Prävention. Die Einbeziehung zukünftiger Lebenssituation in die Gefährlichkeitseinschätzung forderte Monahan bereits 1975. Die Wirksamkeit ambulanter Kriminaltherapie wurde in Deutschland erst in den letzten Jahren anhand empirischer Untersuchungen bestätigt (Seifert, 2003; Übersicht: Lau, 2003 u. Leygraf, 2006b) und zählt mittlerweile zum Standard forensischer Therapie (HaxSchoppenhorst & Schmidt-Quernheim, 2003; Seifert u.a., 2005a). Die Bedeutsamkeit der Bewährungshelfer für den Wiedereingliederungsprozess sowie deren Berichte an die Strafvollsteckungskammer für die Einschätzung der Legalprognose ist in der forensischen Praxis zwar seit langem bekannt, wissenschaftlich jedoch nicht evaluiert. In einer Pilotstudio konnte gezeigt werden, dass Prognose relevante Aspekte, wie bei-
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spielsweise erneuter und wiederholter Alkoholkonsum nur unzureichend erfasst bzw. dokumentiert werden (Seifert u.a., 2001a). Eine intensive Beschäftigung mit der Gefährlichkeitseinschätzung des Patienten erfolgt in der forensischen Praxis unmittelbar vor der Entlassung. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Patient meist in einer kustodialen Einrichtung, wenngleich zuvor bereits umfangreiche Lockerungen durchgeführt wurden. Durch einen derart gleitenden Übergang mit einer langen Erprobungszeit entwickeln die am Prognoseprozess Beteiligten naturgemäß eine größere Sicherheit bezüglich der Gefährlichkeitseinschätzung. Durch das Mehr an Freiheit mit Veränderungen bestimmter Lebensumstände – nicht selten schon allein durch den Entlassungsbeschluss selbst – werden mitunter beim Patienten wieder Illusionen von „totaler Freiheit“ geweckt, möglicherweise problematische frühere Verhaltensmuster reaktiviert und Grenzen neu ausgetestet. Unter Umständen kommen dann solchen Prognosekriterien Relevanz zu, denen zuvor nicht die entsprechende Bedeutung beigemessen bzw. die überhaupt noch gar nicht bedacht wurden. Eine einmalig zum Entlassungszeitpunkt erstellte Gefährlichkeitseinschätzung kann demzufolge durchaus Lücken aufweisen, weil die Bandbreite unvorhersehbarer Lebensereignisse groß ist. Dies erklärt die zeitliche Limitierung gefährlichkeitsprognostischer Aussagen (Monahan 1978). Derzeit zur Legalprognose häufig verwendete Checklisten (vor allem HCR 20, PCL-R, VRAG) betonen die hohe prädiktive Wertigkeit anamnestischer Daten. Die Anzahl früherer Inhaftierungen oder das Alter der erstmalig aufgetretenen dissozialen Auffälligkeit als typische so genannte historische Kriterien lassen sich jedoch - durch welche Therapieform auch immer - nicht mehr verändern. Käme den anamnestischen Kriterien realiter die entscheidende Bedeutung zu, ließe sich konsequenterweise bei einer Vielzahl von forensischen Patienten eine positive Gefährlichkeitseinschätzung kaum mehr bescheinigen. Denn die Entwicklung mehr als der Hälfte der gemäß § 63 StGB in Deutschland untergebrachten Patienten ist nicht allein durch eine psychiatrische Vorgeschichte, sondern zusätzlich durch eine zum Teil erhebliche Kriminalitätsvorbelastung geprägt (Leygraf, 1988; Seifert & Leygraf, 1997a). In unserer Stichprobe betrug der Anteil der
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Vorbestraften 70%, bei den gescheiterten Patienten wiesen gar 87% eine Vordelinquenz auf. 37% der Gesamtgruppe und 53% der rückfälligen Patienten besaßen bereits eine Hafterfahrung. Die Unterbringung im Maßregelvollzug dient laut Gesetz nicht allein der Sicherung, sondern auch der Besserung. Das therapeutische Ziel hat sich demzufolge auf eine positive Veränderung der zum Unterbringungszeitpunkt als hoch eingeschätzten Gefährlichkeit zu konzentrieren. Benötigt werden daher klinische, also durch eine Behandlung prinzipiell veränderbare Kriterien. Für die Therapeuten der Einrichtungen ist von grundsätzlicher Bedeutung, nicht nur zu wissen, anhand welcher Kriterien die Gefährlichkeit ihrer Patienten einzuschätzen ist, sondern auch durch welche Behandlungsmaßnahmen man dieser wirksam entgegenwirken kann. Etwa bei jedem fünften Patienten der Stichprobe (21,6%) scheiterte im Laufe des hier gewählten Katamnesezeitraums (im Mittel 3,9 Jahre) die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Einschränkend sollten jedoch methodische Schwächen einer prospektiven Untersuchung im Maßregelvollzug erwähnt werden. Hinzuweisen ist auf die Patienten, die ihre Einwilligung zur Mitarbeit verweigerten (ca. 5%) sowie auf das Dunkelfeld der Rückfälligkeit, insbesondere bei Straftaten geringer Schwere (Schmidt u.a., 2001). Auch bei der Gruppe der Sexualstraftäter soll die Zahl unentdeckt gebliebener einschlägiger Straftaten relativ hoch liegen (Schneider, 2002), ohne dass dies explizit in Zahlen ausgedrückt werden könnte. Ungeachtet unverändert bestehender methodischer Probleme der Dunkelfeldforschung finden sich jedoch auch Anhaltspunkte dafür, dass zumindest die Gewaltkriminalität Jugendlicher seit Ende der 90er Jahre tendenziell rückläufig zu sein scheint (Boers u.a., 2006). Als ein weiteres methodisches Problem ist zu erwähnen, dass ein Eintrag im Bundeszentralregister bis zu einem Jahr dauern kann. Die Definition eines „Rückfalls“ wurde hier konservativ gewählt, also nicht in dubio pro reo. Bagatelldelikte, wie beispielsweise Fahren ohne gültigen StraßenbahnFahrschein (Beförderungserschleichung) - geahndet mit einer Geldstrafe bzw. wegen aufgehobener Schuldfähigkeit ohne juristische Konsequenz eingestellt - wurden ebenso wie ein Verstoß gegen richterlich auferlegte Weisungen, die zu einem Widerruf der bedingten Entlassung führte (z.B. wiederholter Alkoholkonsum ohne Straftat) unter „Rückfall“ subsumiert
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(vgl. Kasuistik 3). Die im Vergleich zu den Einweisungsdelikten geringere Straftatschwere ließ sich auch an den juristischen Konsequenzen ablesen. Lediglich bei knapp der Hälfte der Rückfälligen wurden freiheitsentziehende Maßnahmen ausgesprochen. Bei 19 der insgesamt 55 „rückfälligen“ Probanden ist von einer schweren, gewalttätigen Straftat auszugehen (7,5% der Gesamtgruppe, entsprechend der Einteilung R3, vgl. Kap. 2.2 u. 3.2). Eine allseits anerkannte Definition von Rückfall existiert derzeit nicht. Nach streng juristischen Gesichtspunkten ist die legalprognostische Einschätzung entsprechend der Formulierung des § 63 StGB auf „erhebliche rechtswidrige Taten“ zu fokussieren. Erfahrungsgemäß interessieren Politik und Allgemeinheit vor allem schwer wiegende, also gewalttätige Rückfalldelinquenz. In kriminologischen Studien ist daher zumeist eine enger gefasste Rückfalldefinition Grundlage der Berechnungen. So wird laut Dünkel & Geng (1994) nur dann ein Rückfall als solcher gewertet, wenn eine strafrechtliche Verurteilung ohne Bewährung erfolgte. Das hier gewählte Vorgehen entspricht dem früherer vergleichbarer Studien über den Maßregelvollzug (Jockusch & Keller, 2001). Zu bedenken bleibt, dass ein Verstoß gegen Weisungen durchaus als ein erster Schritt hin zur erneuten Delinquenz verstanden werden kann. Ein rechtzeitiger Widerruf der (bedingten) Entlassung bzw. eine Änderung der richterlichen Weisungen oder eine frühzeitige stationäre Aufnahme haben nicht nur nach empirischen Untersuchungen (Wiederanders, 1997), sondern auch nach praktischen Erfahrungen den einen oder anderen Deliktrückfall verhindern können. Grundsätzlich bleibt zudem bei der Gegenüberstellung von Daten aus dem Strafvollzug anzuführen, dass für den Maßregelvollzug eine Vergleichsgruppe im wissenschaftlichen Sinne nicht existiert. Die beiden strafrechtlichen Unterbringungsformen weisen einige grundlegende Unterschiede auf, die sich nicht allein auf differente Prävalenzzahlen reduzieren lassen. Derzeit sind etwa 6.500 Patienten in deutschen Maßregelkliniken (alle 16 Bundesländer) untergebracht, in den Justizvollzugsanstalten beträgt die Zahl dagegen annähernd 64.000 (Statistisches Bundesamt, 2005). Das deutsche Rechtssystem verlangt die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen für eine Einweisung in den Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB unter anderem die weiter bestehende Gefährlichkeit des Straftäters. Dieser
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legalprognostische Aspekt stellt für die Frage einer Haftstrafe hingegen keine notwendige Bedingung dar. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes scheint sich der Maßregelvollzug als wesentlich „effektiver“ als der Regelvollzug darzustellen (Leygraf, 1998, 2006a). Der gewählte Katamnesezeitraum von mindestens 2 Jahren (Mittelwert: 3,9 Jahre) ist deswegen sinnvoll, da bekanntermaßen der Übergang zwischen kustodialer Einrichtung und ambulanter Betreuung als eine besonders sensible Phase anzusehen ist, in der es überrepräsentativ häufig zu einem Scheitern der Wiedereingliederung kommt (Leygraf & Windgassen, 1988). Auch in der vorliegenden Stichprobe ereigneten sich 78% der Rückfalldelikte innerhalb der ersten zwei Jahre nach der bedingten Entlassung. Über die Häufigkeit von zeitlich späteren Rückfällen liegen nur wenige empirische Daten für forensische Patienten vor. In einer retrospektiven Untersuchung der forensischen Abteilung Weißenau über 271 Probanden mit einer Katamnesezeit von bis zu 13,5 Jahren wird von einer Quote von 25% „Spätrückfällen“ – entsprechend einer „time at risk“ von über 5 Jahren – berichtet (Jockusch & Keller, 2004). Adler u.a. (1997) gaben für ihre vergleichsweise kleine Stichprobe von 41 entlassenen Patienten aus dem Maßregelvollzug mit einer langen Katamnesezeit von 14-25 Jahren einen Anteil von 39% erneuter Verurteilungen an. In Gretenkords Studie ereigneten sich 11 der 78 registrierten Deliktrückfälle (14%) nach einer „time at risk“ von über 5 Jahren. Hinsichtlich der nun extrahierten Prognosekriterien fällt auf, dass sich im Vergleich zu den oben aufgeführten Checklisten nur wenige anamnestische Merkmale ergeben haben, die signifikant zwischen Rückfälligen und Nichtrückfälligen unterscheiden. Dies gilt sowohl für eine Gegenüberstellung der Rückfälligen und der Gesamtgruppe Nicht-Rückfälliger als auch im Vergleich mit gematchten Gruppen Nicht-Rückfälliger. Die höchste Signifikanz erreicht das Item „Erziehungsschwierigkeiten“, ein weitgehend analoges Ergebnis zu einer der ältesten und umfangreichsten kriminologischen Studien aus den USA. Das Forscherehepaar Glueck fand mit Hilfe ihrer Prognosetafel basierend auf dem Vergleich von 500 „anhaltend Kriminellen“ und 500 Nichtkriminellen insgesamt fünf prognoserelevante Faktoren (Glueck & Glueck, 1960). Diese bezogen sich sämtlich
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auf die familiäre Struktur, in der der Proband aufgewachsen war. Für eine erhöhte Delinquenzgefahr sprach ein „überstreng oder wechselhaft“ gestalteter Erziehungsstil des Vaters, ein dem Sohn „gleichgültiges oder feindliches“ Gegenübertreten sowohl des Vaters als auch der Mutter, eine „unzureichende Aufsicht“ der Mutter sowie ein „nicht vorhandener Zusammenhalt in der Familie“. Unter dem Aspekt kriminalpolitischer Prävention bedeutet dies, möglichst früh den Blick der verantwortlichen Pädagogen diesbezüglich zu schulen und Interventionen durch das Jugendamt bzw. Kinderschutzambulanzen und ähnlicher Institutionen zu fördern. Dass durch entsprechend frühzeitig implementierte Erziehungsstrategien auch neurobiologische Risikomerkmale dissozialen Verhaltens positiv beeinflusst werden können, legte die Arbeitsgruppe um Raine (2001) dar. Auch wenn Kinder mit entsprechenden biologischen Risikofaktoren keineswegs zwangsläufig eine dissoziale Entwicklung beschreiten (Lorber, 2004), so wird der frühzeitigen Identifikation gefährdeter Kinder mit anschließender gezielter, spezieller pädagogischer Förderung durchaus eine präventive Funktion zukommen (Vloet u.a., 2006). Ungünstige soziale Startbedingungen sind bei forensischen Patienten hinlänglich bekannt (u.a. Ritzel, 1978; Schumann, 1983; Rasch, 1986; Leygraf, 1988) und gelten als typischer Risikofaktor für eine delinquente Entwicklung (u.a. Moffitt, 1993). Aber auch deutsche Langzeituntersuchungen Jugendlicher haben belegen können, dass ein Ausstieg aus der Kriminalität zu jedem Zeitpunkt möglich ist – unabhängig vom Grad der sozialen Startbedingungen (Lay u.a., 2001). Das Fortbestehen delinquenten Verhaltens ist nach den Ergebnissen dieser prospektiven Langzeitstudie stärker mit Risikofaktoren im Jugendalter (u.a. psychiatrische Diagnose in dem Zeitabschnitt) als mit denen im Kindesalter erfassten assoziiert. Weder bezüglich der Häufigkeit noch des Alters beim erstmaligen Kontakt mit der Psychiatrie fanden sich in der vorliegenden Stichprobe signifikante Unterschiede. Stelly u.a. (1998) und Matt (1995) verweisen auf die eingeschränkte Reichweite von Delinquenzerklärungen, die lediglich auf der Frühgeschichte von Probanden basieren. Stattdessen betonen sie die Bedeutung aktueller Lebensumstände und –stile. Es darf jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass der Lebensstil dieser Probanden häufig als Folge der damals erlittenen negativen sozialen Bedingungen zu verstehen
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ist. Seit der Kindheit bestehende Verhaltensauffälligkeiten gelten auch in anderen Checklisten, z.B. der Schweizerischen Kriterienliste (Dittmann, 1998), als negatives Prognosemerkmal. Gegen eine Überbetonung der kriminellen Vorbelastung für die Legalprognose sprechen zudem die Ergebnisse einer Studie von Lee (2003). Dieser untersuchte 154 forensische Patienten mit eine mittleren „time at risk“ von 11 Jahren und plädierte für eine ausreichend lange Therapiezeit. Insbesondere Patienten mit langer krimineller Vorgeschichte benötigten eine Behandlungsdauer von etwa 4 bis 5 Jahren. Wenn auch die Merkmale „Suchtproblematik allgemein“ sowie „Rauschmitteleinfluss bei der zur Unterbringung geführten Tat“ keine signifikante Differenz aufweisen, so ist deren Häufigkeit bei der Rückfälligen-Gruppe augenfällig gegenüber den Vergleichsgruppen erhöht. Ursache der fehlenden Signifikanz ist möglicherweise die geringe Gruppengröße. Für die Untergruppen „Persönlichkeitsgestörte“ sowie „Sexualstraftäter“ hingegen erreichen diese Merkmale eine Signifikanz. Des Weiteren waren sämtliche sieben gescheiterten Patienten mit einer Intelligenzminderung bei Begehung ihres Rückfalldelikts alkoholisiert (Kutscher u.a., 2005). Ebenso fällt auf, dass von den insgesamt drei Probanden, bei denen die bedingte Entlassung aus einer früheren Unterbringung im Maßregelvollzug wegen erneuten Alkohol- bzw. Drogenkonsums widerrufen worden war, auch die aktuelle Wiedereingliederung scheiterte. Bei Widerrufen aus anderen Gründen kam es nun lediglich bei weniger als der Hälfte zu einem erneuten Scheitern. Die kriminogene Wirkung von Alkohol ist seit langem bekannt (Leygraf & Schiffer, 2004). Dies scheint insbesondere für Gewaltstraftaten zu gelten. Nach einer Metaanalyse von insgesamt 26 Studien, in denen 9.304 Straftaten aus 11 Ländern berücksichtigt wurden, waren 62% der Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss begangen worden (Murdoch, 1990). Folglich ist das Kriterium Alkohol- bzw. Suchtmittelmissbrauch auch Bestandteil von Prognosechecklisten (u.a. HCR-20; Schweizerische Fachkommission, Dittmann, 1998). In der US-amerikanischen Studie von Koppin (1990, N=109 psychisch kranke und schuldunfähige Probanden) kam dem Merkmal „Alkohol oder Drogeneinfluss bei der Tat“ ebenso eine signifikante prognostische Bedeutung zu. Bestätigt wurde dies durch Gretenkords Untersuchung (2001); hier sprach eine „Alkoholproblematik
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in der Vorgeschichte“ für eine erhöhte Rückfallgefahr. Aus dem klinischen Fragebogenteil lassen sich darüber hinaus mehrere Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer Suchtmittelproblematik und erneuter Delinquenz finden. So hatten nun die Nicht-Rückfälligen vor der jetzigen Unterbringung im Maßregelvollzug signifikant weniger Probleme im Umgang mit Rauschmitteln. Ein im Verlauf der Unterbringung erkennbares „hohes Suchtpotential“ sowie eine offenkundige „Suchtgefährdung bei Stress“ sprechen für eine (signifikant) erhöhte Rückfallgefahr. Demzufolge kommt dem Alkoholkonsum eine bedeutsame prognostische Relevanz zu. Rechtzeitiges Erkennen einer diesbezüglich kritischen Entwicklung mit entsprechend frühzeitiger Intervention durch die an einer fachgerechten Nachsorge Beteiligten könnte somit ein Scheitern der Wiedereingliederung verhindern. Nach der Analyse der Bewährungshelferberichte entsprach dies allerdings nicht in jedem Fall der derzeitigen Praxis in Deutschland. Angaben zum Umgang mit Rauschmitteln fanden sich dort nur bei etwa der Hälfte der Probanden, die zudem meist recht knapp gefasst waren. Dies wog besonders schwer in den Fällen, bei denen das Unterbringungsdelikt unter dem Einfluss von Alkohol und/oder Drogen begangen wurde. Hier waren bei etwa 40% der Berichte keinerlei Informationen über den Suchtmittelkonsum der später rückfälligen Probanden dokumentiert. In den übrigen Fällen hingegen sprachen die Bewährungshelfer explizit Warnungen bezüglich des Suchtverhaltens oder Vernachlässigung der Therapiegespräche bzw. der Medikamenteneinnahme ihrer Klienten aus, ohne dass dies automatisch zu juristischen Konsequenzen führte. Geradezu fahrlässig ist das Verhalten eines Bewährungshelfers zu beurteilen, der bei seinem Klienten mit einer nachgewiesenen jahrelangen Suchtproblematik bei der Strafvollstreckungskammer anregte, die Weisung Alkoholabstinenz aufzuheben (siehe Kasuistik 7). Die nur einen Monat später sämtlich unter Alkohol begangenen Rückfallstraftaten unterstreichen die kriminogene Bedeutsamkeit des Alkohols. Allerdings schließt sich auch die Frage an, wieso die Strafvollstreckungskammer dieser Anregung unvermittelt gefolgt war. Scheinbar ist derzeit die Kommunikation der an der Nachsorge forensischer Patienten Beteiligten noch nicht in der Weise implementiert, wie sie als Mindeststandard für eine professionelle Nachbetreuung erst kürzlich formuliert wurde (Seifert u.a., 2003b). Re-
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gelmäßige Helferrunden werden nach Auswertung der Bewährungshelferberichte derzeit zu selten durchgeführt. Dies gilt insbesondere für die Rückfallgruppe, bei der lediglich bei jedem fünften Patienten hierüber Informationen aus den Berichten zu entnehmen waren. Biografische Aspekte, wie Grad der Schul- und Berufsbildung stellen keine sicheren Unterscheidungskriterien dar. Die Merkmale der kriminologischen Vorgeschichte haben sich bis auf „vorhergehende Inhaftierungen“ sowie das „Alter bei der ersten Inhaftierung“ nicht als die entscheidenden Prognosekriterien replizieren lassen. Des Weiteren wurden folgende – wenn auch statistisch nicht signifikante – Zusammenhänge erkennbar. Bei neun der 14 Probanden, die bereits vor der jetzigen Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB untergebracht gewesen waren, scheiterte auch der nächste (jetzige) Wiedereingliederungsversuch. Auffallend war darüber hinaus, dass vier der insgesamt fünf Probanden, bei denen die Strafvollstreckungskammer eine Entlassung gegen den Willen der Therapeuten beschlossen hatte, rückfällig wurden. Hierbei ging es thematisch ausnahmslos um die juristische Einschätzung der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung (§ 62 StGB). Dies könnte durchaus als ein Beleg für die grundsätzliche Machbarkeit psychiatrischer Gefährlichkeitsprognosen gedeutet werden, zumal über dieses Phänomen bereits in einer früheren Studie (Leuw, 1995) berichtet wurde. Für diejenigen Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung scheinen die anamnestischen Merkmale jedoch etwas mehr an Bedeutung zu gewinnen, wobei schon allein die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit einer erhöhten Rückfallgefahr einhergeht. Bei differenzierter Betrachtung der verschiedenen Untergruppen geht hervor, dass nahezu jeder zweite Proband mit der Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (48%) rückfällig wurde. Die derzeit gebräuchlichen Prognosechecklisten (u.a. HCR-20, PCL-R, VRAG) berücksichtigen dieses Kriterium. Anhand der biografischen Merkmale lassen sich Gewaltdelikte von weniger gravierenden Rückfällen nicht differenzieren. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu Erkenntnissen der Münchener Arbeitsgruppe, die in einer retrospektiven Studie die Rückfälligkeit von Gutachtenprobanden untersuchte (Nedopil, 2005). Die Autoren fanden bei einer „vergleichenden Anwen-
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dung heutiger Prognoseinstrumente“, dass vor allem der PCL-R Gewaltdelikte valide vorhersagen konnte, nicht-gewalttätige Rückfälle hingegen weniger. Die dort aufgeführte Treffergenauigkeit – gemessen mit der ROC-Analyse – liegt im Vergleich zu anderen Studien allerdings niedriger. Dass in hiesiger Stichprobe den in der Literatur gepriesenen biografisch-anamnestischen Prognosemerkmalen nicht die prädiktive Wertigkeit zukommt, basiert eventuell auf unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen. Durch den Vergleich der nach Unterbringungsdelikt, Diagnose, Verweildauer, Alter und Geschlecht gematchten Gruppen werden durch die erhebliche Heterogenität der Maßregelpatienten bedingte Konfundierungen weitgehend vermieden. Ein 25-jähriger Patient mit einer primär dissozialen Persönlichkeitsstörung und zusätzlichen Polytoxikomanie auf der einen Seite und ein 80-jähriger Patient mit einer chronifizierten schizophrenen Psychose auf der anderen lassen sich naturgemäß nur sehr bedingt vergleichen. Im Übrigen konnte gezeigt werden, dass die Therapeuten der beteiligten forensischen Einrichtungen historisch-anamnestische Prognosekriterien lediglich marginal zu ihrer Entlassungsentscheidung heranziehen (Seifert u.a., 2003c). Ein signifikanter Zusammenhang wurde lediglich für „ein frühes Alter erster dissozialer Auffälligkeiten“ sowie die diagnostische Zuordnung „Persönlichkeitsstörung“ festgestellt. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam eine schwedische Arbeitsgruppe, die belegen konnte, dass beim Prognosescore HCR-20 primär klinische und weniger historische Items ausschlaggebend sind (Strand u.a., 1999). Diese Befunde entsprechen insofern den Erwartungen, da das Ziel der Maßregelunterbringung darin liegt, durch langjährige Therapie Veränderungen im Verhalten und in der Einstellung eines Patienten zu bewirken. Aufgrund dessen achten Therapeuten eher auf vollzogene oder nicht vollzogene Entwicklungen eines Patienten während der Unterbringung. Die in retrospektiven Studien beschriebene höhere Vorhersagekraft anamnestischer Kriterien (Nedopil, 2005; de Vogel u.a., 2004) hat in der Regel methodische Gründe. Die nachträgliche Erhebung der Items eines Prognoseinstrumentes anhand früherer (Begutachtungs-) Unterlagen ist noch am ehesten für Daten der kriminellen Vorgeschichte reliabel. Bei den klini-
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schen Items hingegen limitiert die bei einem solchen Vorgehen geringe Reliabilität auch die Validität der Beurteilungsmerkmale. Bei den fünf klinischen Variablen des HCR-20 ist beispielsweise das Item C5 „Fehlender Behandlungserfolg“ bei einer retrospektiven Untersuchung anhand von Schuldfähigkeitsgutachten, die eventuell noch mehrere Jahre zurückliegen, bereits aus definitorischen Gründen nicht zu beantworten. Inwieweit ein Patient von Behandlungsmaßnahmen profitiert hat, lässt sich nur anhand mehrerer Untersuchungszeitpunkte erfassen. Im Übrigen haben neuere Langzeitstudien zeigen können, dass die anamnestischen Prognosekriterien mit zunehmender Zeitdauer an Bedeutsamkeit verlieren (Laub & Sampson, 2003). In dieser Nachuntersuchung der Probanden aus den Studien des Ehepaares Glueck stellte sich heraus, dass selbst das Item „Früher Beginn der dissozialen Entwicklung“ (Early Onset) die weitere Delinquenzentwicklung nicht treffsicher vorhersagen konnte. Dieser Erkenntnis kommt deswegen herausragende Bedeutung zu, weil es sich um die erste Langzeitstudie handelt, bei der nahezu die gesamte registrierungsrelevante Lebensphase erfasst wurde (bei 95% der damals 500 rekrutierten Probanden des Ehepaares Glueck gelang eine katamnestische Beobachtungsphase zwischen dem 7. und 70. Lebensjahr). Noch 1990 formulierte Farrington, dass jenes Kriterium „one of the best predictors of the future course of the criminal career“ sei. Das Konstrukt eines „life-course persistant antisocial behaviour“ ist im Einzelfall also durchaus kritisch zu betrachten. Benötigt wird ein genügend langer Katamnesezeitraum. Diese neuen Ergebnisse der kriminologischen Längsschnittforschung (Übersicht bei: Boers, 2006) sind als ein Plädoyer für prospektive Studien zu werten. Biologische, neurologische und neuropsychologische Variablen, die für prognostische Einschätzungen bedeutsam sein könnten, haben bislang sowohl in der forensischen Praxis als auch in wissenschaftlichen Untersuchungen vergleichsweise wenig Beachtung gefunden. Nach kritischer Sichtung der Literatur kommen biologischen Faktoren in der Weise eine Bedeutung zu, als dass diese einen Teil des Puzzles darstellen, das es zusammenzusetzen gilt, um die multifaktorielle Genese delinquenten Verhaltens psychisch kranker Straftäter zu entschlüsseln (Möller-Mussavi u.a., 2003). Speziell für diese Studie wurde zusätzlich lediglich die Erhebung der Neurological Soft Signs (NSS) initiiert; bei den anderen apparativen
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und testpsychologischen Untersuchungsmethoden wurden die zuvor während der Unterbringung bzw. bei der Begutachtung durchgeführten Verfahren ausgewertet. Bildgebende Untersuchungen des Schädels, wie Computer- oder Kernspintomogramm (CCT, NMR), neurophysiologische (EEG etc.) sowie auch testpsychologische Untersuchungen (HAWIE; Benton etc.) werden insgesamt noch zu selten veranlasst und somit vorhandene diagnostische Mittel nicht hinreichend ausgeschöpft. Die detaillierte Betrachtung der Befunde zeigt, dass sich innerhalb der Gesamtstichprobe keine Zusammenhänge zwischen Auffälligkeiten in apparativen Untersuchungen einerseits und Rückfälligkeit andererseits ergeben. Warum rückfällige Probanden häufiger testpsychologisch untersucht werden, lässt sich anhand unserer Daten nicht klären. Diagnostische oder deliktspezifische Gründe sowie ein erhöhtes Auftreten auffälliger Befunde aus apparativen Untersuchungen (s.o.) können aufgrund der gematchten Gruppen ausgeschlossen werden. Die rückfälligen Probanden weisen im Mittel leicht unterdurchschnittliche (87), im Vergleich zu den nicht-rückfälligen Probanden (78) jedoch höhere Intelligenzquotienten auf. Generell wird ein Zusammenhang zwischen mangelnder Intelligenz und Kriminalität angenommen (Vermeiren u.a., 2002), wenngleich dies teilweise auch darin begründet liegen mag, dass intelligenzgeminderte Rechtsbrecher sich „weniger geschickt“ bei der Verübung ihrer Straftaten verhalten und folglich schneller als Täter identifiziert werden können. Mangelnde Intelligenz stellt nachvollziehbar einen Risikofaktor für kinderpsychiatrische Störungen dar, besonders für dissoziale Entwicklungen, wird aber auch als bedeutsam für eine gestörte Anpassung bis hin zur Gewaltdelinquenz im Erwachsenenalter betrachtet (Richter u.a., 1996). Auf die protektive Wirkung höher entwickelter kognitiver Fähigkeiten für dissoziales Verhalten wurde in der Literatur mehrmalig hingewiesen (u.a. Moffitt & Silva, 1988; Lynman u.a., 1993). Ein Grund für das bei dieser Stichprobe etwas ungewöhnliche Ergebnis mag in der stark differierenden Gruppengröße liegen. Für die nicht-rückfälligen Probanden liegen die entsprechenden Daten in lediglich 50% der Fälle vor, bei den rückfälligen hingegen in 77%.
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Die nach der Heidelberger Studie vermutete prognostische Relevanz der Neurological Soft Signs (NSS, Kröber u.a., 1994a, b) kann für forensische Patienten als Gesamtgruppe nicht bestätigt werden. Dies scheint vor allem an der differenten Zusammensetzung der Stichproben zu liegen. Während Kröber psychisch gesunde Insassen einer Justizvollzugsanstalt (keine Sexualstraftäter) untersuchte, spiegelt die vorliegende Stichprobe die typischheterogene Population des psychiatrischen Maßregelvollzugs wider. Die Hälfte der entlassenen forensischen Patienten wies neurologische Auffälligkeiten auf, wobei sich Schwerpunkte vorhandener Störungen in den Bereichen Artikulation, Koordination und Gangbild offenbarten. Es waren jedoch keine gravierenden Unterschiede zwischen den nach o.g. Merkmalen gematchten Gruppen (35 rückfällige versus 35 nicht-rückfällige Probanden) zu erkennen. Vielmehr wiesen die Rückfälligen im Gegensatz zu der eigentlichen Hypothese überwiegend niedrigere Gesamtscores auf als die Nicht-Rückfälligen - konträr zu den Ergebnissen des Heidelberger Delinquenzprojektes (Kröber u.a., 1994b). Dort wurden lediglich bei einem Drittel der Probanden auffällige Werte registriert. Im Fazit kommt jene Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass sie es „... als gerechtfertigt empfinden, die Gruppe der neurosensorisch und neuromotorisch auffälligen Probanden herauszuheben wegen ihrer besonders raschen Rückfälligkeit und wegen der besonders großen Probleme, diese Täter zu beeinflussen.” Dies kann für die Gesamtgruppe der hier untersuchten heterogenen Klientel der Maßregelpatienten derzeit nicht belegt werden. Im Hinblick auf diagnostische Unterschiede sind die Befunde insofern erwähnenswert, als dass ein signifikanter Zusammenhang der psychiatrischen Diagnose und der NSS-Gesamtscores besteht; die NSS-Werte variieren in Abhängigkeit von der Diagnose erheblich. Doch konnten bislang keine spezifischen Muster der NSS bei bestimmten Diagnosen belegt werden. Widerlegt werden konnte lediglich die Annahme, es gäbe ein klar identifizierbares Muster der NSS bei Schizophrenen (Boks u.a., 2000). Eine Vielzahl weiterer Studien hat sich bereits mit Zusammenhängen einzelner psychiatrischer Krankheitsbilder und NSS befasst, unter anderem affektive Störungen (Stein u.a., 1994), Suchterkrankungen (McGrath u.a., 1995), posttraumatische Belastungsstörungen (Gurvits u.a., 2000) und emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Quitkin u.a., 1976). Denkbar
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ist, dass NSS das Resultat lokalisierbarer neuropathologischer Dysfunktionen sind und daher bei einer Vielzahl psychiatrischer Erkrankungen auftreten und differieren können (Griffiths u.a., 1998), ohne dass eine explizite Untersuchung dazu vorliegt. Bei Probanden mit einer Minderbegabung werden auch hier die höchsten NSS-Werte verzeichnet. In Relation dazu ist der signifikant negative Zusammenhang des Intelligenzquotienten und des NSS-Wertes zu sehen. Je niedriger der IQ desto höher fielen die NSSGesamtscores aus. In Übereinstimmung dazu sehen Kröber u.a. (1994b) und Flashman u.a. (1996) eine Beziehung zwischen kognitiven Defiziten und neurologischen Auffälligkeiten als gegeben. Bereits 1976 konnten Quitkin u.a. die Hypothese unterstützen, dass es Zusammenhänge zwischen der Anwesenheit von Neurological Soft Signs und eingeschränkter intellektueller Kapazitäten gibt. Bemerkenswert ist, dass in den Gruppen der Persönlichkeitsgestörten ohne Minderbegabung und der Schizophrenieerkrankten der NSS-Gesamtscore bei den rückfälligen Probanden höher lag als bei den nicht-rückfälligen. Der Unterschied in der Gruppe der schizophrenen Probanden war allerdings gering. Von besonderem Interesse erscheint, dass die rückfälligen Persönlichkeitsgestörten ohne Minderbegabung einen signifikant höheren NSS-Wert als die nicht-rückfälligen aufwiesen. Neben den neurologischen Auffälligkeiten handelte es sich bei nahezu der Hälfte um wiederholt mit Gewaltdelikten in Erscheinung getretene Probanden. Soziodemografisch fällt auf, dass diese signifikant häufiger Erziehungsschwierigkeiten in der Kindheit aufwiesen und insgesamt aus „desolaten” familiären Verhältnissen stammten. Des Weiteren waren sie tendenziell hinsichtlich des Zeitpunktes der ersten dissozialen Auffälligkeit sowie der ersten Inhaftierung etwas jünger als die nicht-rückfälligen Persönlichkeitsgestörten. Vergleichbare biografische Belastungen fand auch die Arbeitsgruppe um Kröber. Die Probanden mit hohen NSS-Werten zeigten neben einer erhöhten und frühen Rückfälligkeit bereits im jungen Kindesalter auftretende soziale Anpassungsstörungen mit dissozialer Entwicklung, kognitiven Beeinträchtigungen, verminderter emotionaler Ansprechbarkeit sowie einem externalisierenden Attributionsstil. Diese übereinstimmenden Ergebnisse beider Studien sind deshalb nachvollziehbar, als dass die Untergruppe Persönlichkeitsgestörte ohne Minderbegabung in etwa der Proban-
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denauswahl im Heidelberger Delinquenzprojekt entsprach. Schlussfolgernd besteht Grund für die Annahme, dass für diese Teilgruppe forensischer Patienten die Erfassung neurologischer Auffälligkeiten mit Hilfe der NSS für die Frage der Legalprognose durchaus zusätzlichen Erkenntnisgewinn gewähren könnte. Valide Aussagen sind indes aufgrund der kleinen Gruppengrößen nicht möglich. Studien mit größerer Stichprobe dieser diagnostischen Untergruppe bleiben abzuwarten, um die tatsächliche prognostische Bedeutung der Neurological Soft Signs für spezifische Gruppen von Maßregelpatienten nachzuweisen. Im Übrigen bleibt anzumerken, dass klinisch-neurologische Untersuchungen wenig zeitaufwendig und relativ kostenneutral zu erheben sind. Sie haben durchaus das Potenzial, die Kluft zwischen neurobiologischer Forschung und klinischer Praxis zu überbrücken. Im Vergleich zu den anamnestischen Kriterien lässt sich eine Vielzahl klinischer und therapeutischer Einzelitems sowie Faktoren extrahieren, die signifikant zwischen den Gruppen der Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen differenzieren. Dieses Ergebnis steht im Kontrast zu den derzeit national wie international gebräuchlichen Prognose-Checklisten, wie dem HCR-20 oder dem PCL-R. In der Literatur wird die prädiktive Wirksamkeit von Prognosescores üblicherweise mittels ROC-Analysen (receiver operating charakteristics) – speziell der „area under curve“ (AUC) – berechnet (vgl. Kap. 3.5.1.3). Bei einem Wert von .50 besteht keine Trennschärfe, je näher er an 1 liegt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der exakten Vorhersage des Ereignisses. Nach Douglas und Mitarbeitern (2001) wird ein Wert von über .75 als gut betrachtet. Eine Metaanalyse von 58 Studien zur Treffergenauigkeit ergab eine durchschnittliche AUC von .73 (Mossman, 1994). Im Vergleich zu den beiden nationalen und der niederländischen Prognosestudie mit derzeit gebräuchlichen Checklisten (HCR-20, PCL-R, ILRV – Nedopil, 2005; de Vogel u.a, 2004) bzw. des EFP-63 (Gretenkord, 2001) erreichen die hier allein mit den klinisch-therapeutischen Prognosemerkmalen erzielten Analysen recht gute Ergebnisse (Tabelle 27). Dies gilt sowohl für die Gesamtgruppe als auch die gematchten Gruppen. Letzteres ist vor allem deswegen von Bedeutung, da unter den Rückfälligen überpro-
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portional viele Persönlichkeitsgestörte sind (vgl. Abb. 6) und ohne das gematchte Vorgehen somit das methodische Problem der Konfundierungen die Ergebnisse relativieren könnte. Die hierdurch extrahierten Prognosemerkmale sind folglich unabhängig von der diagnostischen Zuordnung, der jeweiligen Deliktgruppen, der Verweildauer, des Alters und des Geschlechts. Grundsätzlich bleiben bei solchen Studien methodische Probleme zu bedenken. Die Autoren der niederländischen Prognosestudie sind in ihrem Aufsatz explizit auf einige Limitierungen ihrer Studie eingegangen. Insbesondere wurde das retrospektive Design genannt und auf die Notwendigkeit prospektiver Studien zur Legalprognose hingewiesen. Es sei mitunter schwierig gewesen, einige der Items der beiden Checklisten erst im Nachhinein einzustufen. Dies habe vor allem für die klinischen Items des HCR-20 gegolten. Die dort genannten Limitierungen werden im Übrigen ebenso auf die beiden obigen deutschen retrospektiven Studien zutreffen. Bei der Hainaer Studie (EFP-63) handelt es sich bei sämtlichen vier extrahierten Prognosemerkmalen um nicht-klinische Kriterien. Eine Entlassungsentscheidung aus dem Maßregelvollzug allein basierend auf diesen Merkmalen müsste – konsequent gedacht – jegliche therapeutische Entwicklung eines Patienten während der mehrjährigen Unterbringung unberücksichtigt lassen. Dies widerspricht nicht nur der klinischforensischen Praxis, sondern würde zugleich den im § 63 StGB formulierten Behandlungsauftrag infrage stellen. Diese Aspekte sind erst kürzlich von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Formulierung von „Mindeststandards für Prognosegutachten“ explizit herausgestellt worden (Boetticher u.a., 2006). Die dort genannten Empfehlungen richten sich nicht nur an forensische Sachverständige, sondern auch an Richter, Staatsanwälte, Strafverteidiger und andere Verfahrensbeteiligte. Betont wird die Komplexität von Prognosegutachten. Die abschließende forensische Beurteilung könnte nicht allein in der Aussage münden, ob der Patient noch einmal rückfällig wird oder nicht. Vielmehr soll das Gutachten mittels einer „mehrdimensionalen Untersuchung“ elementarer Bereiche des Probanden („Person – Krankheit – Delinquenz“) „eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige Legalverhalten des Verurteilten treffen“. Die sehr detaillierte Darstellung der einzelnen Aspekte über „Mindestanforderung der Informationsgewinnung“, „Diagnose und Diffe-
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rentialdiagnose“ sowie „Mindestanforderungen bei Abfassung eines Gutachtens“ ist zugleich als ein Appell gegen die unreflektierte Anwendung von standardisierten Prognose-Checklisten zu verstehen, sie seien „zunächst hilfreiche Checklisten“. Solche interdisziplinären Treffen mit gemeinsam erarbeiteten Standards sind schon deswegen zu begrüßen, da hierdurch die mitunter auch heute noch anzutreffenden sprachlichen Missverständnisse aufgrund der jeweils recht eigenständigen juristischen und psychiatrisch-psychologischen Diktion ausgeräumt werden können. Im Übrigen ist von juristischer Seite noch einmal klargestellt worden, dass „die vom Gesetz geforderte Gefahrenprognose“ ein „normativer Prozess“ ist, wobei die Entscheidung letztlich allein dem Gericht obliegt, „der Gutachter hilft mit seinen erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten“. Hinsichtlich der Frage der Benutzung von Checklisten hilft eine dichotome Betrachtungsweise wenig, da die Antwort nach derzeitigem Wissenstand letztlich auf eine rein ideologische Ebene reduziert würde. Stattdessen erscheint eine integrative Lösung, wie beispielsweise von Dahle (2006) vorgeschlagen, durchaus sinnvoll. Bemerkenswert erscheint zudem, dass allein durch die Beantwortung der „1. Forensischen Sonntagsfrage“ der Gesamtgruppe – gefragt war nach der Wahrscheinlichkeit eines weniger gravierenden Rückfalls – eine recht hohe Treffergenauigkeit erzielt wurde (Tabelle 27 und Abb. 10 bis 12). Der errechnete AUC-Wert liegt über denen der drei Prognosebögen PCLR, HCR-20 und ILRV sowohl für gewalttätige als auch nicht gewalttätige Rückfälle (Nedopil, 2005). Dies ließe sich durchaus in der Weise interpretieren, dass durch eine „ad-hoc“ Gefährlichkeitseinschätzung der behandelnden Therapeuten eine leicht bessere Treffergenauigkeit als mit Hilfe der „etablierten“ Prognosecheckliste zu erzielen ist. Als rein intuitive Prognosemethode mit einer Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ darf eine solche Beurteilung allerdings nicht fehl gedeutet werden. Die Therapeuten in den forensischen Kliniken haben nämlich in dem Wissen der richterlich beschlossenen Entlassung und direkt nach Ausfüllen des klinischen Erhebungsbogens und somit nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema der Kriminalprognose ihres Patienten die „Sonntagsfragen“ beantwortet. Das „intuitive“ Gefühl basiert folglich auf den Erkenntnissen monate- oder jahrelanger Beobachtungen und Erfahrungen im täglichen
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Umgang mit diesen Patienten und stellt daher das Ergebnis eines kognitiven Prozesses dar. Interessanterweise wies die „unstrukturierte klinische Prognose“ der niederländischen, retrospektiven Prognosestudie ähnliche AUC-Werte wie die der ersten forensischen Sonntagsfrage unserer Untersuchung auf. Allerdings lag dort die Treffergenauigkeit sowohl für gewalttätige als auch für eine generelle Deliktrückfälligkeit niedriger als mittels Anwendung der standardisierten Checklisten HCR-20 und PCL-R (de Vogel u.a., 2004). Die Berechnung eines Summenscores mit allen signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems der Gesamtgruppe oder der gematchten Gruppen – vergleichbar dem Gebrauch anderer Checklisten wie z.B. HCR20 oder PCL-R – ermöglicht die Entscheidung für oder gegen eine Entlassung eines Probanden zu treffen. Die extrahierten statistischen Werte (ROC-Kurve, Sensitivität, Spezifität, odds ratio, Effektstärke) bieten hierfür eine unter methodischen Aspekten durchaus verlässliche Basis. Die Festlegung eines Cut-offs richtet sich letztlich nach der Gewichtung von Sensitivität und Spezifität. Reduziert man den Cut-off-Wert, sagt man einen hohen Anteil der tatsächlich Rückfälligen exakt vorher (hohe Sensitivität), allerdings auf Kosten einer vergleichsweise niedrigen Spezifität. Letzteres bedeutet, dass eine beträchtliche Anzahl von ungefährlichen Patienten weiterhin einen Freiheitsentzug erleiden muss (hohe „false positives-Rate“). Bei Anhebung des Cut-off-Wertes liegt die Trefferquote tatsächlich ungefährlicher Patienten höher (hohe Spezifität), zugleich werden mehr Patienten entlassen, bei denen die Wiedereingliederung scheitern wird (niedrige Sensitivität). Bei gleichwertiger Betrachtung beider Fehlerarten (Gesamtgruppe: jeweils 76%, Abb. 13 / gematchte Gruppe: jeweils 78%, Abb. 11), dürften nur solche Patienten zur Entlassung vorgeschlagen werden, die bis zu maximal 51 bzw. 48 Punkte erreichen. Dabei ist jedes der insgesamt 51 bzw. 37 Einzelitems mit der Punktzahl 1 bis 4 einzuschätzen (je höher der Wert, desto ausgeprägter das Gefährlichkeitsmerkmal). Bei einer 90-prozentigen Trefferquote tatsächlich Rückfälliger sinkt der Cut-off-Wert für die Gesamtgruppe auf 40 (bzw. 38 gematchte Gruppe), bei einer 95-prozentigen auf 34 (bzw. 32) Punkte ab. Diese Verschiebungen des Cut-off-Wertes mit Aussagen über gruppenstatistische Wahrscheinlichkeiten lassen sich auf dem grünen Brett
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quasi beliebig fortsetzen. Die Festlegung des Cut-off-Wertes müsste konsequenterweise die Justiz oder die Politik vorgeben, je nachdem welches Gut als höherwertig angesehen wird, das Recht auf Freiheit des psychisch Kranken/Gestörten oder die Sicherheit der Allgemeinheit. Nach der Faktorenanalyse der gematchten Gruppen (n=110) spricht folgendes klinisch-psychopathologische Bild für eine erhöhte Rückfallgefährdung: Patienten, die sich im Umgang sowohl mit Männern als auch Frauen unbefangen, also wenig angespannt, ängstlich oder misstrauisch verhalten, im Stationsalltag ein hohes aggressives Potenzial (als von der Primärdiagnose unabhängiges, überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal) aufweisen, in der Patientenhierarchie eher oben angesiedelt sind und wenig Reflexionsfähigkeit unter Beweis gestellt haben. Des Weiteren findet sich bei der Risikogruppe eine geringe produktiv-psychotische Symptomatik sowie nur unbeträchtliche Hospitalisierungszeichen. Ebenso begründet eine seit Jahren bestehende Suchtmittelproblematik sowie eine bereits vor Beginn der jetzigen strafrechtlichen Unterbringung erkennbare Identifikation mit der kriminellen Szene bzw. dem subkulturellen Milieu eine negative Legalprognose. Entsprechend haben die Rückfälligen weder während der jetzigen Unterbringung noch in ihrem vorherigen Lebensabschnitt ernsthafte Probleme offenbart, ihre Interessen anderen gegenüber durchzusetzen. Im emotionalen Bereich fällt zudem auf, dass sie auf riskante, tatsächlich gefährliche Situationen auffällig angstfrei reagieren und insgesamt wenig Angst besetzt erscheinen. Dieses teils als „pathologische Angstfreiheit“ titulierte Phänomen findet sich bisweilen bei bestimmten Formen dissozialer Persönlichkeiten, bei denen zugleich eine neurophysiologische Hyporeagibilität experimentell beobachtet wurde (z.B. geringe elektrodermale Hautreaktion, reduzierter Blinkreflex; Herpertz u.a. 2001, Vloet u.a., 2006). Ob die bei dieser Gruppe erhöhten Neurological Soft Signs (NSS) ebenso als ein potenziell biologischer Marker für eine erhöhte Deliktrückfälligkeit anzusehen sind, lässt sich für diese kleine Stichprobe nicht belegen. Zumindest gelten erhöhte NSS für die Gruppe nicht psychisch kranker Straftäter als ein valides Risikomerkmal (Kröber et al, 1994b). Derzeit ist das Ergebnis allenfalls als ein Hinweis zu werten, den es wie oben angeführt weiter zu erforschen gilt.
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Zusammengefasst lässt sich anhand der klinisch-therapeutischen Merkmale festhalten, dass sich die Rückfälligen unabhängig von der Primärdiagnose im Laufe der langjährigen Unterbringung durch solche Verhaltensweisen und Charaktermerkmale auszeichnen, die gemeinhin dissozialen Persönlichkeiten zugeschrieben werden. Eine exakte Kongruenz zum Begriff der „psychopathy“ ist indes nicht zwangsläufig daraus abzuleiten, allenfalls finden sich einige deskriptive Gemeinsamkeiten. Zudem ist auf die Problematik der kulturellen Übertragbarkeit derzeit gebräuchlicher Checklisten hinzuweisen. So konnte erst kürzlich gezeigt werden, dass der Gesamt-Score des PCL-R bei Stichproben unterschiedlicher Staaten und ethnischer Herkunft z.T. erhebliche Differenzen aufweist (Sullivan & Kosson, 2006). Während bei schottischen Gefangenen (N=307) mit im Mittel 13,8 Punkten die niedrigsten Werte errechnet wurden (Cooke u.a., 2005), lagen die Werte für britische Gefangene (N=104; Hobson & Shine, 1998) mit im Mittel 24,2 Punkten erheblich höher und wurden lediglich von britischen Psychiatrie-Patienten überboten (26,1 – N=167; Blackburn & Coid, 2003). Neben diesem Aspekt bleibt prinzipiell die einseitig abwertende Konnotation mit dem Ziel, eine medizinisch-psychiatrische Krankheitsentität zu postulieren, zu bedenken. Derartige Charaktermerkmale lassen sich nämlich durchaus auch bei Mitgliedern der „prosozialen“ Bevölkerung finden, wenngleich darüber keine genauen Prävalenzzahlen vorliegen (Hall & Benning, 2006). Blackburn (1988) hat dazu kritisch angeführt: „Psychopathy ist wenig mehr als ein moralisches Urteil, dem man die Maske einer klinischen Diagnose gibt.“ Für die einzelnen Untergruppen (Kap. 3.5.2) lassen sich weitgehend kongruente klinische Risikomerkmale zu denen der Gesamtgruppe bzw. gematchten Gruppen analysieren. Für die Patienten, die neben ihrer Grundstörung eine Suchtproblematik als Zweitdiagnose aufweisen, spricht zudem eine bereits vor der Unterbringung erkennbare erhöhte Affinität zum subkulturellen Milieu für ein erhöhtes Risiko, nach der Entlassung zu scheitern. Diejenigen, die das Unterbringungsdelikt unter (erheblichem) Alkoholeinfluss begingen und nun erneut straffällig wurden, zeigten ebenfalls vor der Unterbringung im Maßregelvollzug eine hohe Affinität zum subkulturellen Milieu und zudem eine erhöhte Aggressionsneigung. Im
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Verlauf der jetzigen Unterbringung wurde ferner nur eine eingeschränkte Reflexivität ihres Handelns erkennbar. Für Patienten mit einer schizophrenen Psychose scheinen nicht in erster Linie typische psychopathologische Symptome, wie beispielsweise unverändert bestehendes Wahnerleben, die entscheidenden Kriterien zu sein. Eventuell liegt dies auch daran, dass Patienten mit derart ausgeprägten psychopathologischen Symptomen erst gar nicht zur Entlassung vorgeschlagen werden. Negative Prognosemerkmale für diese Gruppe stellen ein hohes Maß an Autoaggression, wenig reflexives Handeln und eine zusätzliche Suchtproblematik dar. Die Risikomerkmale für die Gruppe der Persönlichkeitsgestörten sind annähernd deckungsgleich mit den Ergebnissen der Gesamtgruppe. Hierbei diskriminiert vor allem der Faktor „unbefangener Umgang mit Anderen“ zwischen Rückfälligen und Nicht-Rückfälligen. Außerdem sprechen eine gering ausgeprägte Ängstlichkeit in objektiv riskanten, emotionsgeladenen Situationen sowie ein hohes Aggressionspotenzial als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal für ein Scheitern nach der Entlassung. Fünf der neun rückfälligen Sexualstraftäter begingen einschlägige Delikte. Trotz der kleinen Stichprobe sind auf der deskriptiven Ebene einige relevante Prognosemerkmale aufzuzeigen, die im Übrigen nur eine geringe Konkordanz mit den von den Therapeuten vermuteten Prognosekriterien für diese Probandengruppe aufweisen (Seifert u.a., 2005b). In jener Untersuchung schätzten die Therapeuten wenige anamnestische Kriterien für prognoserelevant ein; ein gewalttätiges Familienmilieu, dissoziales Verhalten und eine Suchtproblematik in der Primärfamilie sprächen für eine eher negative Legalprognose. Darüber hinaus fanden sich mehrere klinische Kriterien: U.a. würden eine positive Teameinschätzung durch das Pflegepersonal, ein insgesamt gering ausgeprägtes Misstrauen, eine gute Arbeitsbelastungsfähigkeit, ein erkennbares Reueempfinden über die Tat, eine stabile Bindungsfähigkeit und erkennbare Empathie sowie insgesamt eine realistische, alltägliche Lebensgestaltung gute Voraussetzungen für eine deliktfreies Leben nach der Unterbringung darstellen. Dagegen unterscheiden sich die in der hiesigen Stichprobe extrahierten (realen) Prognosemerkmale nicht wesentlich von den Kriterien der Gesamtgruppe. Die
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antisoziale Struktur als ein Risikomerkmal wird anhand mehrerer klinischer Items beschrieben (Tabelle 24, Tabelle A-10) und entspricht somit den Erkenntnissen der Meta-Analyse von 61 Follow-Up-Studien mit insgesamt 28.972 Sexualstraftätern (Hanson & Bussière, 1998; Hanson, 2001). Übereinstimmend mit den dort aufgeführten Ergebnissen sind als weitere negative Prognosemerkmale eine „Alkoholisierung bei der Tat“ (Item 5) und eine auch nach der Unterbringung unveränderte mangelnde Sorgfalt hinsichtlich körperlicher Hygiene und Sauberkeit (Item 36) anzuführen. Ebenso spricht eine lediglich oberflächliche Kooperationsbereitschaft (so genannte „Formalanpassung“, Item 32) für eine erhöhte Rückfallgefahr. Hinsichtlich der Nachsorge dieser Probandengruppe finden sich ebenso Unterschiede. Nach den Informationen aus den Bewährungshelferberichten ist die poststationäre Phase der Rückfälligen gekennzeichnet von finanziellen Problemen, psychischen Krisen und Nicht-Einhalten der richterlichen Weisungen. Ferner lässt sich im Vergleich zu den nicht rückfällig geworden Sexualstraftätern aus den Berichten eine eher grundlegend skeptische Einschätzung herauslesen. Diese Ergebnisse sollten Anlass dazu geben, diese Aspekte ernst zu nehmen, in den Helferrunden möglichst frühzeitig zu thematisieren und gemeinsam die Legalprognose kritisch zu überprüfen. Mitarbeit in der Psychotherapie scheint hingegen keine signifikante Vorhersage bezüglich der Deliktrückfälligkeit zu erlauben. Bei diesem klinischen Item illustriert sich speziell das Problem der Operationalisierbarkeit. Gefragt war nach der (regelmäßigen) Teilnahme an Einzel- bzw. Gruppentherapien. Die jeweils angewandten, z. T. sehr unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren selbst wurden nicht erfasst. Grundsätzlich mangelt es in der forensischen im Gegensatz zur psychotherapeutischen Medizin noch immer an evaluativen Erkenntnissen über Wirkfaktoren der Psychotherapie (Pfäfflin & Kächele, 2001). Eine explorative Einzelfallstudie über die psychotherapeutische Behandlung eines Sexualstraftäters im Maßregelvollzug konnte Zusammenhänge zwischen den Phasen des therapeutischen Zyklus, der positiven Bewertung der Qualität einzelner Therapiesitzungen und der therapeutischen Beziehung aufzeigen, hat zugleich aber auch die Schwierigkeiten verdeutlicht, komplexe Vorgänge wie Veränderungsprozesse im Verlauf einer Psychotherapie valide zu erfassen (Böhmer u.a., 2003).
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Antihormoneller Medikation kommt in Übereinstimmung mit der MetaAnalyse von Hall (1995) eine protektive Wirkung zu. Von den sechs mit einer antihormonellen Einstellung entlassenen Sexualstraftätern ist lediglich einer im Katamnesezeitraum mit erneuten Straftaten aufgefallen, wobei es sich nicht um eine einschlägige Delinquenz handelt (vgl. Kasuistik 6). Eine verlässliche Aussage, ob das seit über 30 Jahren verwendete Cyproteronazetat oder die erst seit wenigen Jahren eingesetzten, jedoch mit dieser Indikation noch nicht zugelassenen LHRH-Analoga eine im Hinblick auf einschlägige Rückfälligkeit bessere Wirkung besitzen, lässt sich in Anbetracht der kleinen Fallzahl derzeit nicht treffen (Seifert, 2000). Unter den insgesamt 13 klinischen Items, die weder für die Gesamtgruppe noch für eine der Untergruppen einen prädiktiven Effekt besitzen, sind einige Merkmale, denen sowohl in der Literatur (z.B. im Prognosescore HCR-20 - s. Tabelle 1, Schweizer Fachkommission; Dittmann, 1998) als auch in der forensischen Praxis partiell eine recht hohe Wertigkeit zugesprochen wird (Tabelle 28). In den Prognosegutachten sowie den jährlichen Stellungnahmen an die Strafvollstreckungskammern zum Therapiestand wird die Fortführung der Unterbringung nicht selten damit begründet, dass der Patient noch keine Krankheitseinsicht gezeigt habe, ihm die Therapiemotivation fehle, sein Delikt noch nicht ernsthaft bearbeitet werden könne und er diesbezüglich noch jegliche Reue vermissen lasse. Zudem habe er im Stationsalltag wenig Frustrationstoleranz offenbart, er stattdessen dazu neige, Personen seiner Umgebung als nur gut oder nur schlecht wahrzunehmen (Spaltungstendenzen). Auch bestimmte überdauernde, von der Diagnose unabhängige Persönlichkeitsmerkmale wie Gefühlsarmut und Bindungsunfähigkeit werden oft mit einer negativen Gefährlichkeitseinschätzung assoziiert. Jedoch ließen sich all diese Merkmale für die untersuchte Stichprobe nicht als entscheidende Kriterien für oder gegen ein Scheitern der Wiedereingliederung replizieren. Bereits früher wurden in der Literatur einige dieser Merkmale durchaus kritisch hinterfragt, wie beispielsweise der Aspekt der Auseinandersetzung mit der Tat (Kröber, 1993). Es bleibt zu konstatieren, dass der Vorteil klinischer Prognosekriterien in ihrer potentiellen Veränderbarkeit durch therapeutische Interventionen
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bzw. Nachreifung liegt. Ihrer exakten Bestimmung stehen indes methodische Probleme entgegen. Klinische Kriterien sind im Vergleich zu aktuarischen Merkmalen deutlich schlechter operationalisierbar. So wird beispielsweise bei dem H2-Kriterium des HCR 20 („geringes Alter bei der ersten Gewalttat“) die Punktzahl danach vergeben, ob vor dem 20. Lebensjahr (2 Punkte), zwischen dem 20. und 39. Lebensjahr (1 Punkt) oder erst ab dem 40. Lebensjahr (0 Punkte) das erste Gewaltdelikt begangen wurde. Derart eindeutig abgrenzbare Intervalle sind z.B. bei der klinischen Beurteilung der „Deliktverarbeitung“ nicht möglich. Wie intensiv sich jemand mit seiner Straftat auseinandergesetzt hat, ist kaum auf einer Analogskala trennscharf einzuschätzen, zumal dieses Merkmal nicht nur eine quantitative sondern auch eine qualitative Dimension aufweist. Korrespondierend zur geringen Operationalisierbarkeit ist auch die mitunter mangelnde Reliabilität klinischer Kriterien kritisch zu beachten. Was der eine Therapeut bereits als erfolgreiche „Deliktverarbeitung“ wertet, muss nicht zwangsläufig der Einschätzung eines anderen Therapeuten oder des Gutachters entsprechen. Diese der forensischen Alltagspraxis entstammende Erkenntnis lässt sich auch wissenschaftlich untermauern. In der Voruntersuchung zur Reliabilität des Essener Prognosefragebogens konnte gezeigt werden, dass bei dem Item „Deliktverarbeitung“ die InterraterReliabilität – also die Einschätzung eines Patienten durch zwei Therapeuten – mit einem KAPPA von .47 relativ niedrig war (Weber, 1996). Die Rerater-Reliabilität – also die Einschätzung eines Patienten durch einen Therapeuten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten – ergab indes eine weitaus höhere Übereinstimmung (KAPPA: .73). Derart ausgeprägte Diskrepanzen zwischen schwachen Interrating- und hohen Reratingwerten sind als Indiz für „stabile intrasubjektive Konstrukte“ zu werten; Therapeuten nutzen sozusagen ihre ganz persönliche Definition klinischer Kriterien. Der Begriff verliert somit an Präzision. Eine fachgerechte forensische Nachsorge gilt heute als unverzichtbarer Bestandteil eines umfassenden Behandlungskonzeptes forensischer Patienten (Seifert u.a., 2005a). Zu einer „lege artis“ Nachsorge gehören nicht allein die ambulante Behandlung durch einen mit dieser Klientel erfahrenen Psychiater oder Psychologen, sondern gemäß § 68a StGB auch der
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Bewährungshelfer und die Führungsaufsichtsstelle. Deren Aufgaben lassen sich unter zwei Hauptaspekten zusammenfassen: Einerseits soll gemäß Abs. 2 des § 68a StGB dem entlassenen Patienten Hilfe zur Wiedereingliederung i.S. einer Resozialisierung gewährt werden. Andererseits verspricht sich der Gesetzgeber durch diese Maßregel zusätzlich eine Kontrollfunktion, insbesondere zur Klärung, ob der Entlassene die vom Gericht auferlegten Weisungen tatsächlich einhält (§ 68a Abs. 3 sowie § 68b StGB). Bislang wurde dieser Bereich wissenschaftlich nur unzureichend untersucht. Dies betrifft insbesondere die komplexe Zusammenarbeit zwischen Bewährungshelfer, Strafvollstreckungskammer, forensischer Psychiatrie und komplementärer Einrichtung. Insofern hat die jetzige Analyse der Bewährungshelferberichte wissenschaftliches Neuland betreten. In den internationalen Checklisten wird diesem Behandlungsabschnitt nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Die so genannten „Risk-Items“ des HCR-20 beziehen die sozialen Empfangsbedingungen lediglich zum Entlassungszeitpunkt mit ein. Änderungen im poststationären Verlauf, die - wie die jetzigen Analysen gezeigt haben - von legalprognostischer Relevanz sind, werden nicht erfasst. Im PCL-R sucht man vergebens nach Kriterien, die die ambulante Nachsorge mit einbeziehen. Dies stellt ein weiteres wichtiges Gegenargument dar, als Gutachter seine prognostische Beurteilung allein auf das Ausfüllen solcher Checklisten zu reduzieren (Boetticher u.a., 2006). Erwartet wird eine dezidierte Darlegung, unter welchen kontrollierenden Rahmenbedingungen seine Legalprognose gilt. Die Berichte der Bewährungshelfer an die Strafvollstreckungskammern lassen sich durchaus als ein verlässliches Katamneseinstrument nutzen, zumal sie größtenteils recht detaillierte Einblicke in die poststationäre Phase der Patienten liefern. Bei einigen Patienten wäre indes eine umfassendere Darstellung der Lebenssituation für den Richter der Strafvollstreckungskammer nicht nur wünschenswert, sondern auch hilfreich für seine Überlegungen hinsichtlich möglicher juristischer Konsequenzen. Dies gilt vor allem für die später gescheiterten Patienten. Bei globaler (subjektiver) Einschätzung waren lediglich bei neun der 52 Probanden aussagekräftige Berichte vorzufinden. Bei der Gruppe der Nicht-Rückfälligen fanden sich hingegen bei 37 Probanden Berichte von zumeist guter Qualität. Hierbei darf allerdings nicht in Vergessenheit geraten, dass wohl nur ein geringer
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Anteil der Bewährungshelfer im Umgang mit forensischen Patienten geschult ist. Zudem ist deren zunehmende Arbeitsbelastung zu bedenken (Schöch, 2003). Bei Betrachtung der Nachsorge- bzw. Entlassungssituation im Katamnesezeitraum lässt sich eine „freiere“ Wohnform der gescheiterten Patienten als ein weiterer Risikofaktor aufzeigen. Hieran schließt sich unvermittelt die Frage an, ob durch ein Mehr an Kontrolle einige Rückfälle hätten vermieden werden können, zumal nach Längsschnittbetrachtung der Bewährungshelferberichte rückfälliger Probanden deutlich wird, dass bei zumindest 20 Probanden die Entwicklung progredient verlief und entsprechende Warnsignale von einigen Bewährungshelfern auch geäußert wurden und somit den Richtern der zuständigen Strafvollstreckungskammern vorgelegen haben. Ob eine sofortige Konsequenz mit entsprechenden juristischen Interventionen auch das Scheitern und die erneute Straftat hätten verhindern können, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit belegen. Trotzdem scheinen aus der Retrospektive einige der Rückfalldelikte durchaus vorhersehbar gewesen zu sein. Einschränkend ist anzumerken, dass es unklar geblieben ist, ob aufgrund mangelnder (geeigneter) komplementärer Wohnplätze die je nach Gruppe unterschiedliche Entlassungssituation zustande gekommen ist oder aber, ob die rückfälligen Probanden selbst mit ihrem vergleichsweise hohen Durchsetzungsvermögen ihren Anteil daran besitzen. Nach den Ergebnissen des klinischen Fragebogens werden sie im Mittel als „weniger krank“ eingestuft, so dass eventuell dieses Merkmal statt der „Gefährlichkeit“ ausschlaggebend für eine weniger kontrollierende Wohnform nach der stationären Unterbringung gewesen sein könnte. Die Analyse der Bewährungshelferberichte verdeutlicht, dass die Gültigkeit der hier analysierten Prognosekriterien letztlich von der Qualität der ambulanten Nachbehandlung begrenzt wird. Eine Verbesserung der nachstationären Behandlung dürfte durch eine regelmäßige fachliche Weiterbildung zu erreichen sein. Bei der derzeit noch zu seltenen Nutzung so genannter „Helferrunden“ als elementarer Baustein einer fachgerechten Nachsorge böte sich eine interdisziplinäre Organisation an. Zudem konnte gezeigt werden, dass Richter der Strafvollstreckungskammern Warnungen der Bewährungshelfer und ebenso der ambulanten Therapeuten ernst nehmen und möglichst frühzeitig reagieren sollten. So kann die Strafvoll-
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streckungskammer nach eingehender Information durch die Fachambulanz verschiedene Entscheidungen treffen: o Bei schwierigen bzw. krisenhaften Verläufen könnte zeitnah eine Anhörung anberaumt werden. Die Anhörung selbst entfaltet dabei oft bereits eine „pädagogische“ und somit hilfreich stabilisierende Wirkung: Der Richter unterstreicht die fortbestehende Geltung des Entlass-Settings bzw. der Weisungen und droht Konsequenzen an. o Ggf. sind dann auch flexible Veränderungen der Weisungen zur Anpassung an geänderte (krankheitsbedingte oder situative) Verhältnisse des Patienten möglich. o Die Anordnung eines Sicherungshaftbefehls nach § 453c StPO kann erforderlichenfalls rechtzeitig erfolgen. Ohne stetige Überprüfungen der Legalprognose mit Anpassung des individuellen Risikomanagements wird es nicht gehen. Eine zum Entlassungszeitpunkt einmalige legalprognostische Einschätzung reicht insofern nicht aus, als dass sich in der poststationären Phase neue Entwicklungen und Risiken abzeichnen können, die eine Revidierung der vorherigen Einschätzung notwendig machen. Der soziale Empfangsraum stellt laut SchülerSpringorum (1998) eine „Modelliermasse“ dar, „um aus einer schlechten Sozialprognose eine gute zu machen, aus einer nicht verantwortbaren Entlassung eine verantwortbare“.
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5. Zusammenfassung Klinisch-therapeutische Prognosemerkmale besitzen für die Gefährlichkeitseinschätzung psychisch kranker Rechtsbrecher durchaus Relevanz. Die Vielzahl der hier analysierten Merkmale sollte bei der Frage einer anstehenden Entlassung aus dem Maßregelvollzug nach § 63 StGB neben den seit langem bekannten anamnestisch-historischen Kriterien Berücksichtigung finden. Die alleinige Nutzung von Prognose-Checklisten zur Einschätzung der Rückfallgefahr birgt jedoch die Gefahr der Simplifizierung dieser verantwortungsvollen wie gleichfalls komplexen Aufgabe. Für eine unreflektierte Anwendung sind sie nicht geeignet. Allenfalls kann man sie zu einer ersten „Grobeinschätzung“ der Gefährlichkeit eines Menschen nutzen. Für eine Entlassungsprognose aus dem Maßregelvollzug wird ein fundiertes forensisches Wissen benötigt sowie die Reflexion darüber, Grenzen solcher Fragebögen und der Vorhersagemöglichkeit menschlichen Verhaltens insgesamt zu akzeptieren. Als ein weiteres Hauptergebnis dieser prospektiven Studie ist die Bedeutung des poststationären Verlaufes für die Gefährlichkeitseinschätzung mit der Möglichkeit frühzeitiger Interventionen hervorzuheben. Die zum Zeitpunkt der Entlassung eingeschätzte Rückfallgefahr behält nicht für alle Zeit Gültigkeit. Veränderungen der Lebenssituation besitzen einen erheblichen Einfluss, so dass die frühere Gefährlichkeitsbeurteilung unter neuen Bedingungen zu hinterfragen ist. Wenn der ambulante Therapeut oder der Bewährungshelfer wichtige Warnsignale nicht erkennen bzw. nicht entsprechend reagieren, sind das Risikofaktoren, die durch entsprechende Weiterbildungsangebote reduziert werden könnten. Wenig hilfreich ist indes, den „schwarzen Peter“ einer Berufsgruppe zuschieben zu wollen. Bewährungshelfer sind derzeit überwiegend fachlich unzureichend auf den Umgang mit forensischen Patienten vorbereitet und zudem durch einen in den letzten Jahren zunehmend verschlechterten Betreuungsschlüssel (durchschnittlich 70 Klienten, Schöch, 2003) überlastet. Entscheidend kommt es neben der Weiterbildung auf die Kommunikation zwischen allen am Nachsorgeprozess Beteiligten an (ambulanter Therapeut, Bewährungshelfer, Richter der Strafvollstreckungskammer, Betreuer im Wohnheim
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etc.), um effektive Kriminalprävention zu betreiben. Für eine umfassende Gefährlichkeitseinschätzung psychisch kranker Rechtsbrecher sind demnach folgende Aspekte zu beachten: 1. Therapeuten und Gutachter sollten bei der Gefährlichkeitseinschätzung ihrer Patienten auf die hier extrahierten Prognosekriterien achten. Die Durcharbeitung des Erhebungsbogens dient nicht allein der Erinnerung und Berücksichtigung aller prognoserelevanten Aspekte, sondern hilft, den Rückfallgefährdeten treffsicherer zu identifizieren. Dies bedeutet keineswegs auf eine „lege artis“ Gefährlichkeitseinschätzung zu verzichten (Leygraf, 2004; Boetticher u.a., 2006), sondern der Fragebogen ist als zusätzlicher Baustein einer Individualprognoseentscheidung zu verstehen. Die alleinige Berücksichtigung eines Prognoseinstrumentes für diese Fragestellung führt lediglich zu einer gruppenstatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage, die als vermeintlich wissenschaftlich fundierte Präzisionsentscheidung fehl interpretiert werden könnte. 2. Überdies eröffnet die Vielzahl der hier analysierten klinischen Merkmale dem Therapeuten die Möglichkeit, den Behandlungsverlauf während der langjährigen Unterbringung zu beobachten und gleichfalls die eigene therapeutische Arbeit zu reflektieren und ggf. korrigierend einzugreifen. Primäres Ziel bleibt, die Gefährdung der Allgemeinheit durch den psychisch kranken Rechtsbrecher mittels therapeutischer Interventionen zu reduzieren. Dazu sollte der Therapeut wie der Gutachter verstehen, wieso es bei diesem Menschen in der damaligen Lebenssituation zu jener Straftat hat kommen können. 3. Auch nach der Entlassung ist die Frage der Gefährlichkeitseinschätzung des Patienten stets zu überprüfen. Hierzu sind regelmäßige Treffen in Helferrunden unbedingte Voraussetzung, um die Lebenssituation und -entwicklung des Probanden zu erfassen und die individuellen Risikomerkmale aufzudecken. Zudem wirkt ein geregelter Informationsaustausch gegen das nicht selten zu beobachtende Spaltungsbestreben dieser Klientel. Eine engmaschige therapeutische Begleitung verbessert die frühzeitige Wahrnehmung psychischer Krisen und besitzt somit protektive Funktion.
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4. Die Berichte der Bewährungshelfer an die Strafvollstreckungskammern lassen sich durchaus als Katamneseinstrument nutzen, wobei Quantität und Qualität z.T. beträchtlich schwanken. Für eine Reihe von Patienten wäre eine umfassendere Darstellung der Lebenssituation für den Richter der Strafvollstreckungskammer wünschenswert und hilfreich für seine Überlegungen hinsichtlich juristischer Konsequenzen. Insbesondere sollten die Bewährungshelfer bei ihren Klienten auf den Umgang mit Alkohol achten. Eine Verbesserung der derzeitigen Situation ließe sich durch regelmäßige fachliche Weiterbildung erreichen. Darüber hinaus wäre eine Standardisierung der Bewährungshelferberichte unter Berücksichtigung der in der Tabelle 30 aufgeführten Aspekte der poststationären Phase anzustreben. 5. Die Richter der Strafvollstreckungskammern sollten Warnungen der Bewährungshelfer und ambulanten Therapeuten ernst nehmen und möglichst frühzeitig reagieren. Kurzfristige stationäre Wiederaufnahmen helfen, Lebenskrisen zu bewältigen und evtl. auch einen Deliktrückfall zu verhindern. In Übereinstimmung mit der kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit der Arbeitsgruppe um Webster wird es nun darauf ankommen, den klinischen Fragebogen nicht nur in der Praxis zu etablieren, sondern auch zu verfeinern („Risk-assesment instruments … are `works in progress´ and are likely to require ongoing revision.“ Lewis u. Webster, 2004). Eine weitere multivariate Auswertung wird nach einer „time at risk“ von mindestens 5 Jahren erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt wird die überwiegende Zahl der entlassenen Patienten die Führungsaufsicht beendet haben, so dass überprüft werden kann, inwieweit die hier gefundenen relevanten Merkmale auch für längere Prognosezeiträume Gültigkeit besitzen.
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164
7. Anhang
165
7.1 Erhebungsbogenteil A A. Historisch-anamnestische Daten BASISDATEN: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Code-Nr. Geburtstag Staatsangehörigkeit Geschlecht Familienstand Einrichtung (lt. Schlüssel Nr. 9) Rechtsgrundlage der Unterbringung Rechtsgrundlage der Entlassung Dauer der festgelegten Führungsaufsicht Beginn der aktuellen Unterbringung Momentane Station Wenn längerfristige Beurlaubung: Wie lange? Datum der jetzigen Erhebung Datum der (bedingten) Entlassung
_________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________
ANAMNESEDATEN: 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.
Geburtsstatus Sozialschicht der Herkunftsfamilie Unvollständige Primärfamilie Gewalttätiges Familienmilieu Erziehungsschwierigkeiten der Eltern Psychiatrische Erkrankung in der Primärfamilie Dissoziales Verhalten in der Primärfamilie Alkohol-/Drogenabhängigkeit in der Primärfamilie Sonstige familiäre Belastungen Frühkindliche Auffälligkeiten Schulbildung Probleme während der Schulzeit Berufsqualifikation Probleme während der Berufsausbildung Konflikthafte Partnerschaften 1. Heimaufnahme/-einweisung im Jahre Häufiger Heimwechsel 1. stationär-psychiatr. Behandlung im Jahre 1. dissoziale Verhaltensauffälligkeit im Jahre 1. strafrechtliche Reaktion/ Sanktion im Jahre 1. Inhaftierung im Jahre Art der Vordelikte (lt. Schlüssel Nr. 1) Anzahl bisheriger Ver-/Aburteilungen Gesamtdauer bisheriger Inhaftierungen (in Monaten) Bewährungswiderruf (Anzahl) Anzahl bisheriger stationär-psychiatr. Behandlungen Gesamtdauer bis. stat.-psych. Behandl. (in Monaten) Zahl der bisherigen Behandlungen gemäß § 63 StGB Zahl der bisherigen Behandlungen gemäß § 64 StGB Datum der 1. Unterbringung gemäß §§ 63/64 StGB Zeitraum letzte Entlassung und Unterbringung Gesamtdauer bisheriger Behandlungen nach §§ 63/64 StGB Widerrufsgrund (bei bisheriger Unterbringung, 2 Nennungen mögl.) Widerrufsdelikte 1 und 2 (lt. Schlüssel Nr. 1) Erwerbstätigkeit vor dem Unterbringungsdelikt
_________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________
166 50. 51. 52.
Art der Berufstätigkeit vor dem Unterbringungsdelikt Wohnsituation vor dem Unterbringungsdelikt Sozialschicht vor der Unterbringungsdelikt
_________ _________ _________
AKTUELLE UNTERBRINGUNG: 53. Art des Unterbringungsdeliktes 1 u. 2 (lt. Schlüssel Nr. 1) 53a. Einzel- oder Gruppendelikt 54. Falls Tötungsdelikt Zusammenhang mit einem Sexualdelikt? 55. Falls Sexualdelikt bzw. Tötungsdelikt aus sexueller Motivation Geschlecht des/der Opfer(s) 55a. Falls Sexualdelikt bzw. Tötungsdelikt aus sexueller Motivation Alter des/der Opfer(s) 55b. Falls Sexualdelikt bzw. Tötungsdelikt aus sexueller Motivation Art der Beziehung zum Opfer 56. Delikte während der aktuellen Behandlung nach § 63 StGB 57. Zum § 63 StGB gleichzeitig ausgesprochene Freiheitsstrafe 58. Vollzugsreihenfolge 59. Aktuelle Diagnose 1 u. 2 59a. Falls eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde 59b. Häufiger Diagnosewechsel bzw. lang anhaltende Diagnoseunsicherheit 60. Entlassung eher gegen den Willen der Therapeuten?
_________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________ _________
7.2 Erhebungsbogenteil B B. Biologische, testpsychologische und neurologische Daten 1.
Testpsychologische Parameter
1.1) 1.2) 1.2a) 1.2b) 1.3) 1.4)
keine Tests HAWIE-IQ (Gesamt) HAWIE-IQ (Handlungsteil) HAWIE-IQ (Verbalteil) andere, auch sprachfreie Intelligenztests (bitte mit Ergebnissen nennen) testpsychologische Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung
________ ________ ________ ________ ________ ________
2.
Sonstige Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung
2.1) 2.2) 2.3) 2.4)
im cranialen Computertomogramm (CCT) im cranialen Kernspintomogramm (NMR) im Elektroenzephalogramm (EEG) in sonstigen Untersuchungsverfahren (SPECT, etc.)
________ ________ ________ ________
3.
Neurological Soft Signs (Heidelberger NSS - Skala [Schröder et. al.]) Gesamtpunktzahl:
________
Ergebnisse der 16 Untertests: 01=______ 07=______ 13=______
02=______ 08=______ 14=______
03=______ 09=______ 15=______
04=______ 10=______ 16=______
05=______ 11=______
06=______ 12=______
167
7.3 Erhebungsbogenteil C C. Klinische Einschätzung CodeNr.:________ Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Feststellungen, die Sie bezüglich ihrer Richtigkeit einschätzen sollen. Jeder Fragebogen bezieht sich auf eine(n) von Ihnen (mit-) betreute(n) Patientin(en)*. Schreiben Sie keine Namen auf den Fragebogen, weder Ihren noch den des Patienten, damit vollständige Anonymität gewahrt bleibt. Der Fragebogen dient ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken; es geht vor allem darum festzustellen, welche klinischen Kriterien zur Beurteilung forensisch-psychiatrischer Patienten zuverlässig und valide sind. Bearbeiten Sie den Fragebogen bitte zügig und vollständig. Kreuzen Sie auf den Skalen rechts neben der jeweiligen Feststellung an, je nachdem, ob diese Ihrer Meinung nach
stimmt
eher stimmt
eher nicht stimmt
nicht stimmt.
Wenn nach der Straftat gefragt wird, so beziehen Sie sich bei Mehrfachtätern bitte auf das Hauptdelikt, was zur Unterbringung geführt hat. stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
AKTUELLES UNTERBRINGUNGSDELIKT: 1. Persönlichkeits- bzw. Krankheitsbedingtheit der Tat Zentrale Ursache des Delikts war, dass der Patient zur Tatzeit an einer psychischen Krankheit oder an einer Persönlichkeitsstörung oder an einer intellektuellen Behinderung litt. 2. Situationsbedingtheit der Tat Neben der Störung (Erkrankung, Behinderung) des Patienten war eine spezifische Situation oder Konfliktlage (z.B. Reifungskrise, Ehekrise, berufliche Situation...) für das Delikt mitursächlich. 3. Erkennbarkeit von Motiven Die Tat lässt ein (evtl. auch psychotisch fundiertes) Motiv erkennen. 4. Spezifische Täter-Opfer-Beziehung Das Unterbringungsdelikt ist auf dem Hintergrund einer spezifischen Beziehung zwischen Täter und Opfer zu sehen. 5. Rauschmitteleinfluss Bei Tatbegehung stand der Patient unter dem (nicht notwendig deliktursächlichen) Einfluss von 5.1.) Alkohol 5.2.) Drogen 5.3.) Medikamenten
stimmt
*
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
Im Folgenden ist mit der Bezeichnung Patient sowohl die weibliche als auch der männliche Proband(in) gemeint.
168 stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
AKTUELLE SYMPTOMATIK: 6. Persönlichkeitsstörung Derzeit bestehen konkrete diagnostische Anzeichen einer abnormen oder sexuell-devianten Persönlichkeitsstruktur.
7. Produktiv-psychotische Symptomatik Beim Patienten bestanden in den letzten 3 Monaten An zeichen wahnhaften oder halluzinatorischen Erlebens.
8. Hospitalisierung / Residualsymptomatik Unterbringung oder psychische Störung haben den Patienten nachhaltig verändert (z.B. Antriebsarmut, Verschrobenheit).
12. Schwere der Krankheit / Störung / Behinderung Unabhängig von der derzeitigen Deliktsneigung ist der Patient als erheblich psychisch krank / gestört / behindert anzusehen.
13. Funktionelle bzw. Konversionssymptomatik Der Patient klagt auffallend oft über körperliche Beschwerden, für die keine somatische Ursache ersichtlich ist.
6. 1. Falls eine sexuell-deviante Entwicklung vorliegt: Erlebt der Patient seine devianten Wünsche eher als zu seinem Selbst zugehörig (ich-synton)? oder: Patient zeigt keine sexuell-deviante Entwicklung
9. Dekompensationsgefahr Auch unter den derzeitigen Verhältnissen (z.B. Medikation, stationäres Setting) ist der Patient stark gefährdet, in psychotische Erlebnis- oder Verhaltensmuster zurückzufallen. oder: Patient war nie psychotisch oder: ist aktuell dekompensiert 10. Hirnorganische Beeinträchtigung Der Patient ist aufgrund einer organ. Hirnschädigung nachhaltig in seinen psychischen oder intellektuellen Funktionen verändert. 11. Vergleich mit der Tatzeitdiagnose Unabhängig von der derzeitigen Deliktsneigung entspricht die aktuelle Diagnose weitgehend der Tatzeitdiagnose. oder: z.Z. keine Krankheit / Störung
14. Suchtpotential allgemein Bei entsprechender Gelegenheit (z.B. Ausgang) würde der Patient derzeit Suchtmittelmissbrauch betreiben, und zwar mit 14.1) Alkohol 14.2) Drogen 14.3) Medikamenten 15. Suchtgefährdung bei Stress Suchtmittelmissbrauch ist bei dem Pat. derzeit nur in besonderen Belastungssituationen zu erwarten (z.B. schwerer Partnerkonflikt, dauernde Überforderung am Arbeitsplatz). oder: Patient hat kein Suchtmittelproblem
stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
169 stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
SOZIALVERHALTEN: 16. Einzelgängertum Der Patient beschränkt seine sozialen Kontakte (z.B. Mitpatienten, Besuch,) auf das im Stationsleben (oder im sonstigen Leben) unvermeidliche Maß.
17. Ausgrenzung Der Patient bemüht sich vergeblich um mehr Kontakt zu seinen Mitpatienten (oder zu anderen Personen).
18. Inkonstantes Sozialverhalten Die sozialen Kontakte des Patienten sind oberflächlich oder: keine soz. Kontakte außer den „unvermeidlichen“
19. Manipulative Inszenierungen Der Patient versteht es, Personen seiner Umgebung zu manipulieren bzw. (unbemerkt) für seine Zwecke einzuspannen. 20. „Streitsucht“ Man hat öfters den Eindruck, dass der Patient Streit sucht 20.1) gegenüber Team-Mitgliedern 20.2) gegenüber Mitpatienten 20.3) gegenüber Besuch / Familienmitgliedern 21. „Zivilcourage“ Der Patient vertritt seine Belange zumeist nachdrücklich und konstruktiv. 22. Sozialer Kontakt Zu wenigstens einem Menschen der nachfolgenden Personengruppen hat der Patient eine einigermaßen vertrauensvolle Beziehung: 22.1) zu einem seiner Mitpatienten 22.2) zu einem Mitglied des Teams 22.3) zu jemandem außerhalb der Klinik
23. Umgang mit Frauen Im alltäglichen Umgang mit Frauen wirkt der Patient auffällig befangen (z.B. schüchtern, feindselig, Aus-dem-Weg-Gehen). oder: nicht beantwortbar, da reine Männerwelt 24. Umgang mit Männern Im alltäglichen Umgang mit Männern wirkt der Patient auffällig befangen (z.B. ängstlich, unterwürfig, Rückzugsverhalten). 25. Soziale Kompetenz Im Großen und Ganzen übt der Patient einen eher positiven Einfluss auf seine Mitpatienten (oder Mitbewohner) aus (z.B. fairer Umgang mit Schwächeren, Hilfsbereitschaft). 26. „Vergessener“ Patient Im Stationsalltag gerät der Patient leicht in Vergessenheit (z.B. wird wenig gesehen, selten besprochen). 27. Beziehungsstörung Auch bei optimalem „Beziehungsangebot“ ( z.B. hochfrequente Einzelbetreuung, Außenkontakte) hätte der Patient erhebliche Schwierigkeiten, sich auf eine engere Beziehung einzulassen.
stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
170 stimmt
28. Teameinschätzung 28.1) Die globale Einschätzung des Pflegepersonal-Teams für die Zukunft des Patienten ist positiv. 28.2) Im Umgang mit diesem Patient ist das Personal besonders vorsichtig, aufmerksam o. angespannt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
BELASTUNGSFAKTOREN DER PERSÖNLICHKEIT: 29. Grundhaltung Unabhängig von der derzeitigen Befindlichkeit ist die Grundhaltung des Patienten meinem Eindruck nach geprägt von 29.1) 29.2) 29.3)
Mißtrauen Feindseligkeit Gehemmtheit
29.4) 29.5) 29.6)
Unberechenbarkeit Kränkbarkeit Bindungsunfähigkeit
29.7) 29.8) 29.9)
Depressivität Machtstreben Gefühlsarmut
29.10) Aggressivität 29.11) Externalisierungstendenzen 29.12) sadistischen Tendenzen
ANPASSUNGSVERHALTEN: 30. Einordnung Im Stationsalltag (oder Lebensalltag) verhält sich der Patient weitgehend unauffällig (z.B. kein Rückzug oder „Aufsässigkeit“). 31. Mitarbeit Im Stationsalltag/Lebensalltag ist der Patient weitgehend kooperativ. 32. Formalanpassung Die Anpassungsbemühungen des Patienten sind ganz überwiegend durch den Wunsch motiviert, die Zwangsunterbringung so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. oder: will sich nicht anpassen 33. Subkultureller Druck Der Patient steht in der „Hackordnung“ der Mitpatienten eher am unteren Ende. oder: Patient hält sich raus 34. Subkulturelle Rolle Der Patient steht in der „Hackordnung“ der Mitpatienten eher am oberen Ende. oder: Patient hält sich raus 35. Ordnung Der Patient hält seine unmittelbare Umgebung (Bett, Schrank, persönliche Habe) in Ordnung.
stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
171 stimmt
36. Sauberkeit Der Patient legt Wert auf Körperpflege.
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
39. Affektive Resonanz Man kann sich gefühlsmäßig relativ gut auf den Patienten einstellen.
40. Gestimmtheit 1 Die Grundstimmung des Patienten ist überwiegend gedrückt.
41. Gestimmtheit 2 Die Grundstimmung des Patienten ist überwiegend gereizt.
42. Episodische Stimmungslabilität Die Grundstimmung des Patienten war in den letzten 3 Monaten deut- lichen Schwankungen unterworfen.
47. Ängstlichkeit Auf scheinbar alltägliche Situationen (z.B. verbale Angriffe, Gruppen- situationen) reagiert der Patient oft sehr angstvoll.
48. Kritiktoleranz 1 Auf sachliche Kritik (z.B. bzgl. Alkohol, unerlaubten Geschäften) reagiert der Patient oft stark emotional (z.B. Kränkung, Aufbrausen).
37. Wahrnehmen (sozial-)therapeutischer Angebote Der Patient nimmt regelmäßig teil an: 37.1) Beschäftigungs- oder Arbeitstherapie oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat. 37.2) Kunst- oder Werktherapie oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat. 37.3) Sport oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat. 37.4) Schule oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat. 37.5) Einzelgesprächen oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat. 37.6) Gruppengesprächen oder: gehört z.Z. nicht zum Programm des Pat.
38. Gesprächsbedürfnis Der Patient drängt auf (zusätzliche) Gesprächstermine 38.1) bei der Ärztin / dem Arzt 38.2) bei der Psychologin / dem Psychologen 38.3) bei der (dem) Stations-/WG-Leiter(in)
EMOTION/MOTIVATION:
43. Apathie Der Patient hat zu (fast) nichts richtig Lust. 44. Unbeständigkeit Der Patient hat große Schwierigkeiten, seine Vorhaben (z.B. Frühaufstehen, Briefkontakte) auch durchzuhalten. 45. Frustrationstoleranz Der Patient kann es ertragen, wenn etwas nicht so läuft, wie er will. 46. Fehlende Angstreaktion Bei äußerer Bedrohung oder Gefahr (z.B. Tätlichkeiten, riskante Situationen) zeigt der Patient auffällig wenig Angst.
stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
172 stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
49. Kritiktoleranz 2 In der Regel bewirkt sachliche Kritik beim Patienten zumindest den Versuch, das bemängelte Verhalten zu ändern.
50. Selbstvertrauen Im Vergleich zu seinen Mitpatienten ist das Selbstvertrauen des Pat. eher stabil (nicht in Richtung Über- oder Minderwertigkeit verzerrt).
53. Deliktsverarbeitung Der Patient hat sich mit seinem Unterbringungsdelikt ernsthaft ausein- andergesetzt.
51. Kriminelles/subkulturelles Selbstbild Das Selbstbild des Patienten ist stark kriminell/subkulturell gefärbt. 52. Opfermentalität Auch bei Konflikten, die er (mit)verursacht hat, sieht sich der Patient oft als Opfer der Umstände oder „der Anderen“.
54. Bagatellisierung Der Patient neigt dazu, Delikt oder Tatschwere herunterzuspielen.
55. Externalisierung Für alle Misslichkeiten seiner Biografie macht der Patient seine Umwelt verantwortlich.
56. Reue Auf seine Art und Weise bereut der Patient den Schaden, den er mit seinem Delikt angerichtet hat.
57. Krankheitseinsicht Seine psychische Krankheit / Störung / Behinderung (oder seine abge- klungene Krankheit) schätzt der Patient einigermaßen realistisch ein.
58. Suchtmittelproblematik Mit seiner Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenproblematik hat sich der Patient selbstkritisch auseinandergesetzt. oder: Patient hat kein Suchtmittelproblem 59. Krankheitsbedingte Rückfallgefährdung Der Patient sieht einen Zusammenhang zwischen seiner (ehemaligen) psychischen Krankheit bzw. Störung und der Gefahr künftiger Delikte. 60. Therapiemotivation Der Patient ist (primär oder sekundär) therapiemotiviert. 61. Compliance Der Patient akzeptiert erforderlichenfalls („zähneknirschend“) 61.1) psychotrope Medikamentierung auf Station (intramural) 61.2) psychotrope Langzeitmedikation (extramural) oder: Patient benötigt keine Medikamente
LEISTUNGS- UND KONTROLLBEREICH: 62. Stützung durch Medikamente Für die derzeitigen Fähigkeiten des Patienten (z.B. Belastbarkeit, Kontrolle) spielen Medikamente eine wesentliche Rolle. stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
173 stimmt
63. Kontrolle aggressiver Impulse Aggressive Impulse kann der Patient derzeit so kontrollieren, dass er für andere nicht gefährlich wird. oder: Patient hat keine übermäßig aggressiven Impulse 64. Aggressive Gehemmtheit Der Patient neigt dazu, Ärger eher hinunterzuschlucken oder Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
69. Zusammenbruch der Ich-Funktionen unter Stress In Drucksituationen (z.B. verbale Angriffe) reagiert der Patient auffallend schnell labilisiert oder desintegriert (wirkt „durcheinander“).
70. Fehlender Reizschutz Der Patient wird oft von unangenehmen Empfindungen oder Außenreizen überschwemmt.
71. Spaltung Der Patient neigt dazu, Personen seiner Umgebung als nur gut oder nur schlecht wahrzunehmen.
72. Fehlendes Erfahrungslernen Es gibt viele Lebensbereiche (z.B. Streitsituationen, Alkoholgenuss), in denen der Patient aus schlechten Erfahrungen kaum zu lernen scheint.
73. Realistische Zukunftsplanung Der Patient macht sich Gedanken über die Zeit nach seiner Entlassung und ist dabei im Großen und Ganzen realistisch.
74. Fehlende Zukunftsplanung Überlegungen an die Zeit nach der Entlassung schiebt der Patient am liebsten beiseite.
Der Patient hat derzeit große Schwierigkeiten, Bedürfnisse aufzuschieben. Das gilt besonders für 76.1) Essen oder Trinken oder Rauchen 76.2) Sexuelle Bedürfnisse 76.3) Anschaffungen 76.4) Aggression (incl. Sachbeschädigung)
65. Offene Autoaggression Der Patient neigt zu Selbstverletzungen. 66. Verdeckte Autoaggression Der Patient neigt zu selbstschädigendem Verhalten (z.B. hohe, Risikoneigung, „unabsichtliche“ Selbstverletzungen). 67. Arbeitskontinuität Der Patient erbringt im Wesentlichen konstante Arbeitsleistungen (wenn auch evtl. auf niedrigem Niveau). oder: Patient arbeitet derzeit nicht 68. Arbeitsbelastungsfähigkeit Derzeit sieht es (z.B. bzgl. Durchhaltevermögen) so aus, als könne der Patient einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft ausfüllen.
75. Geringe Reflexionstendenz Der Patient handelt oft, ohne vorher nachzudenken. 76. Bedürfnisaufschub
stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
174 stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
77. Freizeitverhalten Der Patient kann seine Freizeit überwiegend sinnvoll ausfüllen (im Sinne der Therapieziele oder wenigstens nicht im Widerspruch dazu).
78. Tagesstrukturierung Mit seinem Alltag kann der Patient höchstens dann etwas anfangen, wenn man ihm ein festes Programm vorgibt.
ENTWICKLUNG / VERLAUF: 79. Im Folgenden werden Sie gefragt, ob der Patient auf verschiedenen Gebieten im Laufe seines Klinikaufenthaltes Fortschritte erzielt hat. Wenn ein Bereich für den Patienten von Anfang an kein (großes) Problem war, kreuzen Sie bitte nur ganz rechts an. guter Fortschritt
mäßiger, aber schwacher Ver- war nie ein deutlicher oder gar kein schlech(großes) Fortschritt Fortschritt terung Problem
79.1) Kann der Patient den Konsum von Rauschmitteln besser kontrollieren?
79.2) Hat sich die psychische Grundstörung des Patienten verbessert?
79.3) Hat sich die Grundstimmung des Patienten (Gedrückt- heit oder Gereiztheit) verbessert?
79.4) Hat die Besonnenheit (Reflexivität) des Patienten zugenommen?
79.5) Hat sich die Aggressionskontrolle des Patienten verbessert?
79.6) Hat sich die Fähigkeit, soziale Beziehungen einzugehen, verbessert?
79.7) Hat der Patient gelernt, sich zumindest auf der Verhaltensebene anzupassen?
79.8) Ist die Belastbarkeit des Patienten (gegenüber Kritik, Stress, Frustrationen) größer geworden?
79.9) Ist er gegenüber seinem Delikt zu einer selbstkritischeren Einstellung gekommen?
79.10) Hat sich der Patient von seiner subkulturellen/ delinquenten Identifikation distanziert?
79.11) Haben Misstrauen oder Feindseligkeit des Patienten abgenommen?
79.12) Hat der Patient ein besseres Durchhalte vermögen entwickelt?
79.13) Hat sich die Durchsetzungsfähigkeit des Patienten verbessert?
79.14) Hat der Patient gelernt, seine (ehemalige) Störung wahrzunehmen und ggf. zu akzeptieren?
79.15) Ist die Zukunftsplanung des Patienten mittlerweile im Großen und Ganzen realistisch?
79.16) Kann der Patient auch ohne festes Programmangebot jetzt mit sich und seiner Zeit mehr anfangen?
175 stimmt
stimmt stimmt stimmt eher eher nicht nicht
ENTLASSUNGSSITUATION: 80. Externe Bedingungen Die Umgebungssituation hat sich gegenüber der Situation und den Be- dingungen zum Deliktzeitraum deutlich zum Positiven hin geändert. 81. Wohnsituation 82. Arbeitssituation 83. Berufstätigkeit 84. Familiensituation In dem bestehenden Freundes-/Familienkreis ist er gut integriert und akzeptiert (wird unterstützt). oder: Patient hat keinerlei Kontakt zur Familie 85. Partnerschaft oder: trifft nicht zu 86. Art der ambulante Behandlung 87. Medikation oder: keine Medikation
88. Gerichtliche Auflagen (Empfehlungen, z.B. Fortführung der ambulanten Therapie) 89. Führungsaufsicht/Bewährungshilfe
Zum Schluss die „forensischen Sonntagsfragen“: Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die kriminelle Rückfallgefährdung des Patienten? (Kreuzen Sie bitte auf der durchgezogenen Linie an: eine mittlere geschätzte Gefährdung wäre also in der Mitte anzukreuzen; je höher die eingeschätzte Gefährdung, desto mehr wäre nach rechts hin anzukreuzen und je geringer, desto weiter nach links hin.)
Die Einschätzung soll für die jetzige (vorbereitete) Entlassungssituation erfolgen. 90.1) Die Gefahr, dass der Patient mit geringfügigen Delikten rückfällig wird, schätze ich wie folgt ein:
________________________________________________________ extrem gering 90.2)
extrem hoch
Die Gefahr, dass der Patient mit schwerwiegenden Delikten rückfällig wird, schätze ich wie folgt ein:
______________________________________________ extrem gering 90.3)
extrem hoch
Die Gefahr, dass der Patient sich nicht an die gerichtlichen Weisungen halten kann, schätze ich wie folgt ein:
______________________________________________ extrem gering
extrem hoch
176
7.4 Tabellen zur Stichprobenbeschreibung Tabelle A-1: Verweildauer im Maßregelvollzug je nach Deliktgruppe Art des Unterbringungsdeliktes (N=255)
Mittlere Verweildauer / Median (in Jahren)
Tötungsdelikte (n=68) Körperverletzungsdelikte (n=48) Sexualdelikte ohne Gewalt (n=22) Sexualdelikte mit Gewalt (n=12) Eigentumsdelikte ohne Gewalt (n=16) Eigentumsdelikte mit Gewalt (n=30) Brandstiftungen (n=36) Sonstige Delikte (n=23)
7,0 / 5,8 5,6 / 4,3 6,4 / 5,5 5,1 / 4,9 5,1 / 4,8 6,1 / 4,9 5,0 / 4,2 4,5 / 3,5
Tabelle A-2: Verweildauer im Maßregelvollzug je nach Diagnosegruppe Diagnosegruppen (N=255)
mittlere Verweildauer / Median (in Jahren)
Hirnorganische Störungen (n=29) Schizophrenie (n=110) Affektive Erkrankungen (n=3) Persönlichkeitsstörungen ohne Minderbegabung (n=41) Persönlichkeitsstörungen mit Minderbegabung (n=41) Minderbegabungen (n=24) Suchterkrankungen (n=7)
5,4 / 4,5 5,4 / 4,2 5,2 / 3,2 7,0 / 5,8 5,8 / 5,0 7,1 / 5,5 5,0 / 4,4
Tabelle A-3: Gegenüberstellung psychometrischer Daten sowie Häufigkeit der Durchführung und der pathologischen Befunde apparativer Untersuchungen rückfälliger und nicht-rückfälliger Probanden Rückfällige (n=55)
Testpsychologische Verfahren* x x x x
davon HAWIE** davon andere IQ Tests davon Test auf Hirnorganik davon auffällig
Vergleichsgruppe Nicht-Rückfälliger (n=55) n %
n
%
40 23 39 23 16
73% 42% 71% 42% 29%
35 28 27 22 14
64% 51% 49% 40% 26%
28 10 1 1 1 42 13 11 2
51% 18% 2% 2% 2% 76% 24% 20% 4%
30 13 1 44 10 10 2
55% 24% 2% 80% 18% 18% 4%
Apparative Verfahren x x x x x
*
CCT davon auffällig MRT davon auffällig SPECT davon auffällig EEG davon auffällig Sonstige davon auffällig
Mehrfachnennungen möglich ** Hamburg Wechsler Intelligenztest für Erwachsene
177
Tabelle A-4: Soziodemografische Daten Rückfälliger und Nichtrückfälliger GesamtRückfällige Vergleichsgruppe gruppe (n=55) NichtNichtRückfälliger Rückfälliger (n=55) (n=200) Geburtsstatus nicht ehelich Unvollständige Primärfamilie Herkunftsfamilie: gewalttätiges Familienmilieu psychische Erkrankungen dissoziales Verhalten Alkohol/Drogenabhängigkeit untere Sozialschicht Erziehungsschwierigkeiten Schulbildung: kein Schulabschluss Schulabschluss Probleme während der Schulzeit Berufsqualifikation keine Qualifikation Qualifikation Probleme während der Berufsausbildung Suchtproblematik allgemein Rauschmitteleinfluss bei Tatbegehung Frühere stationär-psychiatr. Behandlung Frühere Behandlung gemäß § 63 StGB Vordelikte vorhanden Vorhergehende Inhaftierungen Vorangegangenes Probewohnen
7 13% 22 40%
6 21
11% 38%
18 68
9% 34%
21 6 14 22 44 27
38% 11% 26% 40% 80% 49%
23 18 13 23 41 15
42% 33% 24% 42% 75% 27%
66 44 38 60 139 49
33% 22% 19% 30% 70% 25%
21 38% 34 62% 31 56%
26 29 26
47% 53% 47%
75 125 87
38% 62% 44%
23 32 15 26 36 37 9 48 29 35
42% 58% 29% 47% 66% 71% 16% 87% 53% 64%
28 27 16 20 31 35 5 40 20 39
51% 49% 30% 36% 56% 67% 9% 73% 36% 71%
81 144 44 62 118 146 21 130 65 155
41% 58% 22% 31% 59% 73% 11% 65% 33% 78%
MW 5,5 4
Md 4,8 4
MW 5,1 3,9
Md 5,3 4
MW 6,0 3,6
Md 4,8 3,7
29 31,4 n=55 18 18,7 z.Z. der 1. dissozialen Auffälligkeit n=54 19 21 z.Z. der 1. strafrechtlichen Auffälligkeit n=49 21,8 19,5 z.Z. der 1. Inhaftierung n=28
31,2 n=55 18,7 n=53 22,5 n=42 25,3 n=20
34
36,6 n=200 24,1 n=187 25,6 n=131 25,5 n=64
39
Unterbringungsdauer (in Jahren) Zeit in Freiheit / time at risk (in Jahren) Alter* (in Jahren): bei der Unterbringung
* Gruppengrößen variieren hier je nach vorhandener Auffälligkeit
18 21 22
20 22 22
178
7.5 Tabellen mit Auflistung der statistischen Werte (Erhebungsbogenteil C) Tabelle A-5: Signifikante Einzelitems (46) für die Gesamtgruppe (N=249) EinzelitemsI Tat wenig krankheitsbedingt (1)V geringe Erkennbarkeit von Motiven (3) geringe Täter-Opfer-Beziehung (4) Rauschmitteleinfluss bei der Tat Alkohol (5.1) Symptome einer Persönlichkeitsstörung (6) geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7) geringe Hospitalisierung (8) hohes Suchtpotential „Alkohol“ (14.1) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) inkonstantes Sozialverhalten (18) manipulative Inszenierungen (19) unbefangener Umgang mit Frauen (23) unbefangener Umgang mit Männern (24) geringe soziale Kompetenz (25) wenig „vergessener“ Patient (26) negative Teameinschätzung (28.1) geringe Gehemmtheit (29.3) geringe Unberechenbarkeit (29.4) Kränkbarkeit (29.5) Machtstreben (29.8) Aggressivität (29.10) Externalisierungstendenzen (29.11) geringe Einordnung (30) hohe Formalanpassung (32.1) hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben) (34) keine regelmäßige Teilnahme an der BT (37.1) geringer Gesprächsbedarf mit Bezugspfleger (38.3) Grundstimmung weniger gedrückt (40) geringe Apathie (43) geringe Ängstlichkeit (47) starke emotionale Reaktion auf Kritik (48) Selbstbild kriminell/subkulturell gefärbt (51) geringe Auseinandersetzung mit Suchtproblem (58) geringe extramurale Medik.-Compliance (61.2) keine wesentliche Stützung durch Medik. (62) geringe Kontrolle aggressiver Impulse (63) geringe aggressive Gehemmtheit (64) geringe Arbeitskontinuität (67) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) fehlendes Erfahrungslernen (72) geringe Reflexionstendenz (75) Bedürfnisaufschub sex. Wünsche problemat. (76.2) Bedürfnisaufschub von Konsum problematisch (76.3) Bedürfnisaufschub Aggressionen problemat. (76.4) mäßiger Fortschritt der Aggressionskontrolle (79.5) I. II.
T-Wert (df)II 2,24 2,49 2,62 2,89 2,44 3,90 4,14 2,74 4,39 2,42 2,01 3,33 2,31 3,34 2,13 2,09 4,50 2,77 3,16 2,06 2,68 2,89 3,29 2,10 2,04 3,33 2,17 1,99 2,12 2,89 3,11 3,40 3,59 2,95 2,59 4,89 2,90 2,56 1,73 3,60 2,69 3,38 1,93 1,99 2,14 2,51
(63) (72) (99) (245) (246) (186) (95) (71) (103) (100) (227) (71) (238) (94) (75) (246) (74) (246) (246) (245) (73) (246) (77) (70) (59) (180) (72) (72) (246) (107) (246) (72) (68) (100) (27) (246) (159) (246) (63) (246) (77) (79) (73) (74) (70) (193)
pIII
dIV
.029 .015 .010 .004 .024 <.001 <.001 .008 <.001 .017 .046 <.001 .022 <.001 .036 .038 <.001 .006 <.001 .040 .009 <.001 <.001 .039 .046 <.001 .034 .050 .035 .005 <.001 .019 <.001 <.001 .015 <.001 <.001 .011 .088 <.001 .009 <.001 .057 .050 .036 .013
.41 .42 .39 .44 .37 .51 .62 .46 .64 .34 .32 .56 .36 .51 .35 .32 .73 .42 .46 .31 .44 .43 .53 .36 .39 .57 .37 .33 .34 .41 .48 .40 .61 .28 .65 .75 .52 .39 .31 .54 .43 .53 .31 .32 .37 .42
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Prognosefragebogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
179
Subgruppe 1: Probanden mit einer Suchtproblematik (n=94) Tabelle A-6: Signifikante Einzelitems (33) für Prob. mit einer Suchtproblematik EinzelitemsI geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7)V geringe Hospitalisierung (8) geringe Dekompensationsgefahr (9) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) manipulative Inszenierungen (19) Streitsucht mit Mitpatienten (20.2) geringer sozialer Kontakt zu Teammitgliedern (22.2) unbefangener Umgang mit Frauen (23) unbefangener Umgang mit Männern (24) negative Teameinschätzung (28.1) geringe Gehemmtheit als Persönlichkeitsmerkmal (29.3) Machtstreben (29.8) Aggressivität (29.10) Externalisierungstendenzen (29.11) geringe Einordnung (30) hohe Formalanpassung (32.1) geringer subkultureller Druck (33) hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben) (34) keine regelmäßige Teilnahme an der BT (37.1) keine regelmäßige Teilnahme an Einzelgesprächen (37.5) gute affektive Resonanz (39) geringe Apathie (43) geringe Ängstlichkeit (47) starke emotionale Reaktion auf Kritik (48) Selbstbild kriminell/subkulturell gefärbt (51) geringe Auseinandersetzung mit dem Suchtproblem (58) keine wesentliche Stützung durch Medikamente (62) geringe aggressive Gehemmtheit (64) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) geringe Reflexionstendenz (75) Durchsetzungsfähigkeit deutlich verbessert (79.12) I. II.
T-Wert (df)II 2,80 4,98 2,21 3,47 2,99 1,92 2,08 1,83 3,54 3,47 2,42 3,47 2,50 1,79 2,91 1,87 1,91 2,60 3,38 3,06 1,76 1,89 1,89 3,72 1,77 2,42 1,82 2,06 2,25 2,64 2,02 1,67 1,85
(49) (92) (35) (88) (88) (92) (83) (91) (80) (91) (88) (92) (92) (92) (89) (73) (85) (73) (72) (70) (73) (92) (92) (92) (82) (92) (81) (92) (92) (92) (90) (92) (71)
pIII
dIV
.007 <.001 .034 <.001 .004 .058 .040 .070 <.001 .001 .017 <.001 .014 .076 .005 .066 .060 .011 <.001 .003 .082 .062 .062 <.001 .081 .017 .073 .042 .027 .010 .046 .090 .068
.71 1.02 .78 .71 .63 .40 .43 .38 .76 .71 .50 .71 .52 .38 .61 .40 .27 .60 .79 .68 .39 .39 .39 .77 .37 .50 .40 .43 .46 .54 .42 .35 .30
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Prognosefragebogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o o o
geringe psychotische Symptomatik (Faktor 1.1) - Effektstärke Cohens d: 1.08 soziales Kontaktverhalten (Faktor 2.2) - Effektstärke Cohens d: 0.57 Unbefangenheit im mit anderen (Faktor 2.3) - Effektstärke Cohens d: 1.07 -
Alle drei Faktoren unterschieden im Mittelwertvergleich signifikant oder hochsignifikant zwische n den rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden (Tdf=73 = 4,9, p <.001; Tdf=92 = 2,2, p < .03; Tdf=92 = 5,3, p <.001). Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine sehr hohe prädiktive Vorhersagekraft (AUC: .873, 95%-CI: .801-.944; odds ratio: 12,11; Sensitivität 77%, Spezifität 79%).
180
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression: o o o
Item (Item-Nummer) Regressionskoeffizient Wald-chi2(1) gute Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) 2,18 6,24 (1) Geringe Ängstlichkeit (47) 3,09 6,06 (1) Unbefangener Umgang mit Frauen (23) 2,89 3,95 (1)
p .013 .014 .047
Die Berechnung eines Summen- oder Risikoscores nur für diese drei Einzelitems zeigte, dass die Effekte (AUC: .813, 95%-CI: .721-.904, Sensitivität 100%, Spezifität 94%; Effektstärke Cohens d: 1.13) im Vergleich zur Verwendung aller relevanten Einzelitems (AUC: .875, 95%-CI: .802-.947; Effektstärke Cohens d: 1.68) ähnlich waren. Die Mittelwerte beider Scores waren für rückfällige und nicht-rückfällige hochsignifikant unterschiedlich (ökonomischer Score: 74,8 vs. 52,6; Tdf=92 = 5,5, p <.01; Risikoscore: 56,7 vs. 40,4; Tdf=92 = 8,14, p <.001). Die Verwendung einer in der logistischen Regression vorhergesagten Wahrscheinlichkeit von p > .5 als Indikator für „vorhergesagte Rückfälligkeit“, ergab, dass 81% aller Rückfälligen auch tatsächlich als Rückfällige vorhergesagt wurden (Sensitivität). Von den Nicht-Rückfälligen wurden 94% korrekt identifiziert (Spezifität). Umgerechnet entsprach dies einem odds ratio von 7,46.
Subgruppe 2: Delikt unter Rauschmitteleinfluss (n=64) Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o o o o
geringe psychotische Symptomatik (Faktor 1.1) - Effektstärke Cohens d: 0.99 soziales Kontaktverhalten (Faktor 2.2) - Effektstärke Cohens d: 0.55 Unbefangenheit im Umgang mit anderen (Faktor 2.3) - Effektstärke Cohens d: .90 wenig reflexives Handeln (Faktor 6.2) - Effektstärke Cohens d: 0.89 -
Die beiden Faktoren (geringe psychotische Symptomatik und wenig reflexives Handeln) zeigten eine recht hohe Effektstärke. Alle drei Faktoren unterschieden signifikant zwischen den rückfälligen und nicht rückfälligen Probanden im Mittelwertvergleich (Tdf=98 = 3,96, p <.001; Tdf=98 = 2,24, p <.03; Tdf=97 = 4,45, p <.001). Die vorhergesagte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte ebenfalls eine hohe prädiktive Vorhersagekraft (AUC .879; 95%-CI: .771-.952; odds ratio 12,24; Sensitivität 77%; Spezifität 78%).
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression Item (Item-Nummer) o o o o o
Regressionskoeffizient Wald-chi2(1) p
geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7) 16,44 geringe Hospitalisierung (8) 1,51 geringer sozialer Kontakt zu Mitpatienten (22.1) 0,99 negative Teameinschätzung (28.1) 1,05 Kränkbarkeit (29.5) 1,35
12,53 (1) <.001 7,94 (1) .005 4,53 (1) .033 3,14 (1) .077 5,26 (1) .022
181 Die Berechnung des Risikoscores nur für diese fünf Einzelitems (AUC: .894; 95%-CI:.817-.971; Effektstärke 1.75) zeigte, dass die (hohen) Effekte im Vergleich zur Verwendung aller Einzelitems (AUC: .888; 95%-CI:.809-.969; Effektstärke Cohens d: 1.74) wiederum recht ähnlich waren. Die Mittelwerte der rückfälligen und nicht-rückfälligen Probanden unterschieden sich signifikant (ökonomischer Score: 63,0 vs. 41,8; Tdf=63 = 7,57, p <.001; Risikoscore: 53,9 vs. 37,9; Tdf=101 = 8,21, p <.001). Die Verwendung einer in der logistischen Regression vorhergesagten Wahrscheinlichkeit von p > .5 als Indikator für „vorhergesagte Rückfälligkeit“, ergab, dass 89% aller Rückfälligen auch tatsächlich als Rückfällige vorhergesagt wurden (Sensitivität). Von den Nicht-Rückfälligen wurden 88% korrekt identifiziert. Umgerechnet entspricht dies einem odds ratio von 25,08. Demzufolge erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls um das 25-fache, wenn dies durch die logistische Regression auf Basis dieser fünf Einzelitems vorhergesagt wird.
Tabelle A-7: Signifikante Einzelitems (30) EinzelitemsI geringe Täter-Opfer Beziehung (4)V geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7) geringe Hospitalisierung (8) geringe Dekompensationsgefahr (9) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) manipulative Inszenierungen (19) geringer sozialer Kontakt zu Mitpatienten (22.1) geringer sozialer Kontakt zu Teammitgliedern (22.2) unbefangener Umgang mit Frauen (23) unbefangener Umgang mit Männern (24) negative Teameinschätzung (28.1) Unberechenbarkeit (29.4) Kränkbarkeit (20.5) geringe Depressivität (29.7) Machtstreben (29.8) Externalisierungstendenzen (29.11) geringe Einordnung (30) geringe Mitarbeit (31) hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben) (34) keine regelmäßige Teilnahme an der BT (37.1) Grundstimmung weniger gedrückt (40) geringe Apathie (43) geringe Ängstlichkeit (47) starke emotionale Reaktion auf Kritik (48) Selbstbild kriminell/subkulturell gefärbt (51) hohe Externalisierungstendenz (55) keine wesentliche Stützung durch Medikamente (62) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) geringe Reflexionstendenz (75) I. II.
T-Wert (df)II 2,08 3,19 3,94 3,37 2,91 3,03 2,44 2,11 1,78 3,31 2,25 2,54 1,74 2,11 1,72 1,68 3,07 1,70 1,99 2,67 2,10 1,97 2,52 3,16 2,76 1,95 1,69 2,35 2,88 1,73
(62) (62) (62) (23) (62) (62) (62) (60) (61) (61) (62) (61) (62) (61) (62) (62) (62) (62) (62) (46) (47) (62) (62) (62) (54) (62) (62) (62) (62) (62)
pIII
dIV
.042 .002 <.001 .003 .005 .004 .018 .039 .080 .002 .028 .014 .087 .039 .091 .098 .003 .094 .051 .011 .040 .053 .014 .002 .008 .056 .096 .022 .006 .089
.52 .99 .99 1.59 .73 .77 .62 .54 .46 .84 .57 .65 .43 .53 .42 .42 .76 .43 .51 .78 .08 .50 .65 .80 .71 .48 .42 .59 .72 .43
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Prognosefragebogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
182
Subgruppe 3: Probanden mit einer Schizophrenie (n=28) Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o Hohe Position in der Patientenhierarchie (Faktor 4.2) - Effektstärke Cohens d: 0.77 o Autoaggression (Faktor 6.3) - Effektstärke Cohens d: 1.48
Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine sehr hohe prädiktive Vorhersagekraft (AUC: .903; 95%-CI: .793-1.01; odds ratio 22; Sensitivität 86%; Spezifität 79%), kann jedoch aufgrund der kleinen Stichprobe nur mit Vorsicht interpretiert werden.
Tabelle A-8: Signifikante Einzelitems (19) für Prob. mit einer Schizophrenie EinzelitemsI geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7)V geringe Hospitalisierung (8) geringe Schwere der Störung (12) hohes Suchtpotential „Alkohol“ (14.1) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) Streitsucht mit dem Team (20.1) sozialer Kontakt zu Mitpatienten (22.1) unbefangener Umgang mit Männern (24) geringe Gehemmtheit (29.3) geringe Einordnung (30) geringe Mitarbeit (31) Geringer subkultureller Druck (33) geringe Ängstlichkeit (47) keine wesentliche Stützung durch Medikamente (62) geringe aggressive Gehemmtheit (64) geringe Arbeitskontinuität (67) stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) wenig Fortschritt in der Kontrolle von Rauschmittel (79.1) I. II. III. IV. V.
T-Wert (df)II 2,48 2,24 2,51 2,60 2,02 2,22 1,80 2,11 2,51 1,79 1,95 1,78 2,95 2,10 2,00 2,29 2,41 2,17 1,94
(22) (26) (21) (16) (26) (26) (13) (25) (26) (23) (26) (26) (19) (26) (16) (26) (12) (26) (17)
pIII
dIV
.021 .034 .020 .019 .054 .035 .090 .045 .019 .086 .062 .087 .008 .046 .063 .031 .016 .039 .069
.96 .84 .98 1.10 .76 .86 .97 .81 .96 .69 .75 .70 1.34 .79 .85 .86 1.12 .82 .94
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) p-Wert Cohens d Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression o
geringe Ängstlichkeit (47) (R=2,55; Wald-chi 6,5 (1); p<.01)
Die Berechnung des Risikoscores nur für dieses Einzelitems (AUC: .712; 95%CI:.514-.909) zeigt, dass die Effekte im Vergleich zur Verwendung aller Einzelitems schwächer sind (AUC: .946; 95%-CI: .872-1.02).
183
Subgruppe 4: Probanden mit einer Persönlichkeitsstörung (n=62) Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o
Unbefangenheit im Umgang (Faktor 2.3) - Effektstärke Cohens d: 0.78 -
Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte folgende prädiktive Vorhersagekraft (AUC: .694; 95%-CI: .563-.826; odds ratio 6,56; Sensitivität 50%; Spezifität 87%)
Tabelle A-9: Signif. Einzelitems (22) für Prob. mit e. Persönlichkeitsstörung EinzelitemsI geringe Erkennbarkeit von Motiven (3)V geringe Hospitalisierung (8) vorhandenen Suchtproblematik (15) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) unbefangener Umgang mit Männern (24) negative Teameinschätzung (28.1) geringe Gehemmtheit als Persönlichkeitsmerkmal (29.3) Aggressivität (29.10) Externalisierungstendenzen (29.11) geringer subkultureller Druck (33) hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben) (34) keine regelmäßige Teilnahme an der BT (37.1) keine regelmäßige Teilnahme an Gruppengesprächen (37.6) fehlende Angstreaktion in riskanten Situationen (46) geringe Ängstlichkeit (47) geringe Auseinandersetzung mit dem Suchtproblem (58) geringe extramurale Medikamenten-Compliance (61.2) geringe aggressive Gehemmtheit (64) Neigung zu selbstschädigendem Verhalten (66) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) weniger realistische Zukunftsplanung (73) I. II.
T-Wert (df)II 1,98 2,98 2,08 1,88 2,30 2,04 2,47 1,83 1,89 1,71 2,05 2,02 2,00 1,67 3,19 2,08 2,29 2,59 1,96 1,73 2,17 1,90
(52) (55) (58) (53) (53) (59) (59) (59) (59) (51) (48) (49) (18) (59) (59) (58) (19) (56) (42) (59) (59) (56)
pIII .053 .004 .020 .066 .025 .046 .016 .072 .064 .093 .046 .049 .063 .100 .002 .042 .033 .012 .057 .088 .034 .062
dIV .52 .77 .64 .49 .61 .52 .64 .47 .48 .47 .59 .52 .84 .44 .82 .34 1.00 .67 .53 .44 .55 .41
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression o o o o o
Item (Item-Nummer) Regressionskoeffizient Wald-chi2(1) p subkulturelle Identifikation (79.10) 0,63 10,54 (1) .001 geringe Hospitalisierung (8) 0,73 6,08 (1) .014 Suchtproblematik vorhanden (15) 0,60 5,20 (1) .023 stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) 0,87 4,18 (1) .041 Selbstschädigendem Verhalten (66) 1,75 4,92 (1) .027
Die Berechnung des Risikoscores für diese Einzelitems (AUC: .957; 95%CI:.903-1.01) zeigte, dass die Effekte im Vergleich zur Verwendung aller Einzelitems deutlich größer sind (AUC: .756; 95%-CI:.636-.876; Sensitivität 68%, Spezifität 58%; odds ratio 6,76).
184
Subgruppe 5: Probanden mit einem Sexualdelikt (n=18) Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o
Kooperationsverhalten (Faktor 4.3) - Effektstärke Cohens d: 1.48 -
Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine recht hohe prädiktive Vorhersagekraft (AUC:.852; 95%-CI: .662-1.04), wobei bei dieser kleinen Stichprobengröße diese statistischen Werte lediglich mit Zurückhaltung zu interpretieren sind.
Tabelle A-10: Signifikante Einzelitems (15) für Prob. mit einem Sexualdelikt EinzelitemsI geringe Erkennbarkeit von Motiven (3)V Rauschmitteleinfluss (Alkohol) bei der Tat (5.1) geringe Hospitalisierung (8) geringe Zivilcourage (21) Unberechenbarkeit (29.4) sadistische Tendenzen (29,12) geringe Mitarbeit (31) hohe subkulturelle Rolle (Hackordnung oben) (34) geringe Sauberkeit (36) wenig gereizte Grundstimmung (41) wenig schwankende Grundstimmung (42) geringe Unbeständigkeit (44) Selbstbild kriminell/subkulturell gefärbt (51) hohe Arbeitsbelastungsfähigkeit (68) mäßiger Fortschritt soziale Beziehungen einzugehen (79.6) I. II.
T-Wert (df)II 4,03 2,09 2,62 1,95 1,78 1,78 2,47 3,14 2,05 2,15 2,49 2,00 2,97 2,64 1,79
(10) (15) (10) (15) (15) (15) (15) (8) (15) (15) (15) (8) (7) (9) (12)
pIII .003 .054 .027 .070 .094 .090 .026 .014 .058 .045 .025 .081 .021 .026 .099
dIV 2.14 1.01 1.41 .95 .87 1.17 1.22 1.85 1.03 1.06 1.25 1.32 2.08 1.43 1.07
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression Die schrittweise logistische Regression über alle 15 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems führte zu keinem relevanten Prädiktor.
Subgruppe 6: Probanden mit einem Tötungsdelikt (n=20) Relevante Faktoren nach schrittweiser logistischer Regression o
Geringe psychotische Symptomatik (Faktor 1.1) - Effektstärke Cohens d: 1.15 -
Die prognostizierte Rückfallwahrscheinlichkeit erreichte eine relativ hohe prädiktive Vorhersagekraft (odds ratio 21; AUC: .82; 95%-CI:.622-.102; Sensitivität 70%; Spezifität 90%).
185
Tabelle A-11: Signifikante Einzelitems (15) für Prob. mit einem Tötungsdelikt EinzelitemsI geringe Täter-Opfer-Beziehung (4)V geringe produktiv-psychotische Symptomatik (7) keine Übereinstimmung Tatzeitdiagnose/akt. Diagnose (11) geringe Schwere der Störung (12) geringe Neigung zu Einzelgängertum (16) geringe Ausgrenzung durch Mitpatienten (17) Team wenig angespannt im Umgang (28.2) geringe Einordnung (30) Grundstimmung gering schwankend (42) geringe extramurale Medikamenten-Compliance (61.2) keine wesentliche Stützung durch Medikamente (62) stabile Ich-Funktionen unter Stress (69) vorhandene Zukunftsplanung (74) sinnvolle Tagesstrukturierung (78) mäßiger Fortschritt der Grundstimmung (79.3) I. II.
T-Wert (df)II 1,75 2,81 1,83 2,87 2,32 3,15 2,28 1,97 1,86 2,50 2,18 3,55 1,99 2,52 1,86
(18) (10) (11) (12) (18) (12) (17) (18) (18) (6) (18) (18) (18) (18) (17)
pIII
dIV
.096 .019 .096 .015 .033 .008 .036 .064 .080 .047 .043 .002 .062 .022 .081
.79 1.49 .93 1.42 1.04 1.52 1.07 .90 .86 1.88 .98 1.61 .91 1.13 .85
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
Relevante Einzelitems nach schrittweiser logistischer Regression Die schrittweise logistische Regression über alle 15 signifikanten und tendenziell signifikanten Einzelitems führte zu keinem relevanten Prädiktor.
Subgruppe 7: Probanden mit „schwerer Rückfälligkeit“ (n=19) Tabelle A-12: Signif. Einzelitems (7) für ein schwer wiegendes Rückfalldelikt EinzelitemsI sexuell deviante Entwicklung (6.1)V geringe Hospitalisierung (8) geringe Konversionssymptomatik (13) geringes Gesprächsbedürfnis mit dem Arzt (38.1) guter Reizschutz (70) Bedürfnisaufschub „oraler“ Wünsche problematisch (76.1) Bedürfnisaufschub sexueller Wünsche problematisch (76.2) I. II.
T-Wert (df)II 2,25 2,20 3,15 2,37 2,36 1,98 1,82
(29) (52) (52) (45) (52) (52) (51)
pIII
dIV
.032 .032 .003 .022 .022 .054 .075
.70 .64 .80 .65 .67 .57 .51
Die Einzelitems sind so gepolt, dass eine hohe Ausprägung für eine erhöhte Rückfalltendenz spricht. Freiheitsgrade (df) III. p-Wert IV. Cohens d V. Die Zahlen in Klammern geben die Position des jeweiligen Items im Erhebungsbogen (Teil C) an und sind im Anhang 7.3 nachzulesen.
186
Tabelle A-13: Auflistung der Mittelwerte der drei „forensischen Sonntagsfragen“ mit Signifikanzberechnung – aufgeführt für die jeweils rückfälligen und nicht rückfälligen Probanden der einzelnen Stichproben
Stichprobe
Rückfällige
NichtRückfällige
Signifikanz T-Wert (df) p
Rückfällige und gematchte Vergleichsgruppe (n=110) 1. forensische Sonntagsfrage 2. forensische Sonntagsfrage 3. forensische Sonntagsfrage
46,4 18,4 38,3
27,3 15,0 25,7
7,75 (101) .001 0,61 (107) .323 3,02 (107) .015
27,2 15,9 29,4
5,98 (87) .001 1,67 (92) .458 1,08 (92) .047
Patienten mit Delikt unter Rauschmitteleinfluss (n=64) 1. forensische Sonntagsfrage 49,8 26,7 2. forensische Sonntagsfrage 19,3 13,8 3. forensische Sonntagsfrage 43,5 28,2
3,41 (58) .001 1,52 (62) .134 2,20 (61) .031
Schizophrene Patienten (n=28) 1. forensische Sonntagsfrage 2. forensische Sonntagsfrage 3. forensische Sonntagsfrage
Patienten mit einer Suchtproblematik (n=94) 1. forensische Sonntagsfrage 47,3 2. forensische Sonntagsfrage 18,6 3. forensische Sonntagsfrage 40,5
29,9 16,9 33,9
18,0 10,6 18,6
1,23 (26) .240 1,63 (26) .302 7,25 (20) .077
Persönlichkeitsgestörte Patienten (n=62) 1. forensische Sonntagsfrage 51,6 2. forensische Sonntagsfrage 19,0 3. forensische Sonntagsfrage 37,8
28,7 16,8 25,9
4,39 (56) .004 0,13 (59) .665 0,40 (59) .077
Patienten mit Sexualdelikten (n=18) 1. forensische Sonntagsfrage 38,7 2. forensische Sonntagsfrage 33,9 3. forensische Sonntagsfrage 24,1
17,2 17,7 17,0
5,41 (10) .054 0,01 (15) .164 0,00 (15) .491
Patienten mit Tötungsdelikten (n=20) 1. forensische Sonntagsfrage 22,0 2. forensische Sonntagsfrage 9,8 3. forensische Sonntagsfrage 29,2
17,6 17,4 16,8
0,13 (18) .611 0,05 (18) .128 2,50 (18) .201
187
7.6 Glossar AUC BtMG BZR CCT EEG HAWIE ICD10 LCA
Area under curve (s.a.: ROC-Analyse)
MRT
Magnetetische Resonanztomographie: bildgebende Darstellung von Organen aufgrund der magnetischen Ausrichtung der Wasserstoffatomkerne
MRV NSS
psychiatrischer Maßregelvollzug
RIOC/odds ratio
Relative improvement over chance. So genannte „relative Chance“ – gibt an, um welchen Faktor sich das Risiko eines Rückfalls bei Vorliegen von bestimmten Merkmalen verändert. Werte >1 indizieren eine erhöhte, Werte <1 ein erniedrigtes Rückfallrisiko (z.B. odds ratio = 2: Das Rückfallrisiko verdoppelt sich).
ROC-Analysen
Receiver operating characteristics. Rechnerisches Verfahren zur Ermittlung der Treffsicherheit von Prognosen. Entscheidend ist die in einer Grafik dargestellt Fläche unter der Kurve (area under curve - AUC) – vergleichbar mit einer Integralrechnung. Werte von über .75 werden als eine gute Treffsicherheit bezeichnet.
Sensitivität Spezifität SPECT
Anzahl der korrekt vorhergesagten Rückfälligen
StGB StPO StVK
Strafgesetzbuch
Betäubungsmittelgesetz Bundeszentralregister Computertomogramm des Schädels Elektroenzephalogramm („Hirnstrommessung“) Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene Internationale Klassifikation psychischer Störungen Latent class analyse: Statistische Methode zur Identifizierung typischer Merkmalsprofile
Neurological soft signs: „weiche“ (geringe) neurologische Auffälligkeiten im Bereich der Koordination, Feinmotorik und Artikulation, die sich durch eine klinisch-neurologische Untersuchung herausfinden lassen.
Anzahl der korrekt vorhergesagten Nicht-Rückfälligen Single Photon Emissions-Computertomographie: bildgebende Darstellung von Organen nach Gabe von radioaktiven Substanzen Strafprozessordnung Strafvollstreckungskammer