Das neue Abenteuer 308
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Das neue Abenteuer 308
Ulrich Waldner: Gift vom schwarzen Markt Aus der Reihe „Die drei von der K.“ Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 Scan by Dumme Pute & Klesen by Sokrates
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1971 Lizenz Nr. 303 (305/76/71) ES 9 A Umschlag und Illustrationen: Erhard Schreier Typografie: Walter Leipold Schrift: 8 p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
Der Teufel mochte wissen, wie der verwahrloste Kerl an Penizillin gekommen war. Penizillin war selten und sehr teuer. Karl Kaluweit hatte gehofft, es von einem der Professionellen zu bekommen, einem von denen, die mit blasiertem Hochmut auf die kleinen Gelegenheitshändler herabblickten und sich stolz „Tiger des Schwarzmarkts“ nannten. Er hatte vergebens gehofft. Die Schwarzmarkttiger in Trenchcoats oder dicken Joppen und blankgewichsten Stiefeln schüttelten die Köpfe, wenn er sie ansprach. „Penizillin gibt‛s nicht!“ Einige hatten ihn mißtrauisch angesehen, andere hatten gegrinst, und einer hatte teilnehmend gefragt: „Na, Kumpel, Tripper geholt?“ Er bot sich an, garantiert wirksame Tabletten zu beschaffen, und war überrascht, daß Kalle ihn einfach stehenließ und weiterging. „Also was ist“, fragte der Abgerissene, bei dem er überraschenderweise gelandet war, und verlangte Antwort. Sie standen im schützenden Portalbogen einer Warenhausruine. Der Wind fegte Wolken dunklen, nassen Schnees über den Altmarkt. Kalle sah den knochigen und schweren Mann prüfend an. Der wasserabstoßende grüne Stoff seiner Tarnjacke hing in Fetzen herunter. Das platte Gesicht mit der schief sitzenden, zerboxten Nase unter der hochgestellten Kapuze war von schmutziggrauen Bartstoppeln bedeckt. „Na, was ist“, drängte er weiter und steckte die Hand, die das Ampullenpäckchen gezeigt hatte, in die Jackentasche zurück. „Ist das auch echt?“ fragte Kaluweit zurück. „Wenn du dir nicht ganz sicher bist, dann behalt‛s lieber! Es ist eine Menge gepantschtes Zeug im Umlauf!“ Das Gesicht unter der Kapuze blieb stumpf und ausdruckslos. Nur der Blick der tiefliegenden dunklen Augen schien starr und drohend zu werden. Doch nur eine Sekunde lang, dann blickte er teilnahmslos in das Gewimmel. „Dann nicht“, sagte er und drehte sich schwerfällig von Kaluweit weg. „Mensch, warte doch!“ Kalle hielt ihn am Ärmel fest. Er-
schreckende Angst überfiel ihn, daß er womöglich die einzige, die letzte Chance verpaßte. Er trat dicht an den schmutzstarrenden Bärtigen heran, nahm überrascht wahr, daß der nach feiner Seife oder Kölnischwasser roch, und beschwor ihn zu bleiben: „Ich brauch‛s nicht für mich, verstehst du! Meine Mutter ist krank, schwere Lungenentzündung. Der Arzt sagt, Penizillin könnte sie retten. Du mußt mir sagen, ob das Zeug sauber ist, ob es hilft!“ Der Mann wich einen halben Schritt zurück, blieb aber ruhig, ja zeigte sogar ein gewisses Verständnis. „Aus erster Hand“, sagte er, „direkt aus ‛ner Amikaserne. Was willst du noch?“ Das hörte sich gut an. Überdies wurde Kaluweit klar, daß sein beschwörendes Fragen nur der eigenen Beruhigung diente. Eine Garantie konnte ihm keiner hier geben. Der Preis stand fest. Er bezahlte mit den Trauringen seiner Mutter und seines verstorbenen Vaters, mit dem Wohnzimmerteppich, der in der Mitte abgetreten war und nur wenig Geld gebracht hatte, sowie einem Anzug, den er etwas vorteilhafter in Granatschmuck umsetzen konnte. Sein letztes Bargeld ging auch noch drauf, es reichte nicht ganz. „Rest geschenkt“, sagte der Bärtige großzügig, und es roch wieder nach feiner Seife, als er die zerrissene Tarnjacke öffnete, um Geld und Schmuck in die Innentaschen zu stecken. Kommissar Reinhardt hatte in der Aufnahme der Zweiten Inneren Station des städtischen Krankenhauses einige Namen und Anschriften notiert, bedankte sich bei der Sekretärin, ging zur Tür und konnte gerade noch rechtzeitig beiseile springen – die Tür wurde schwungvoll aufgestoßen, ein unscheinbarer kleiner Mann mit grauer Haarbürste und altmodischer Nickelbrille stand vor ihm, stieß temperamentvoll die Hände in die Taschen seines weißen Kittels und sah ihn herausfordernd an. „Haben Sie, was Sie brauchen, Herr Kommissar? – Dann kommen Sie!“
An den wartenden Patienten vorbei gingen sie den Flur entlang in Richtung des Chefzimmers. „In zwei Tagen sieben neue Fälle“, begann der Professor seinem Unmut Luft zu machen. „Soll ich vielleicht selbst auf den schwarzen Markt gehen? Wir arbeiten hier Tag und Nacht. Packen Sie dieses Schiebergesindel endlich da, wo es am empfindlichsten ist: am Arsch, Herr Kommissar!“ Jetzt erst schien er zu bemerken, daß er vor Publikum, vor den wartenden Patienten gesprochen hatte. „Entschuldigen Sie“, brubbelte er, „aber das mußte einmal gesagt werden!“ An der Tür zu seinem Sekretariat ließ er Reinhardt den Vortritt. Ein schlanker junger Mann mit blondem Haar sprang vom Besucherstuhl neben dem Maschinentisch auf und sah dem Chefarzt mit den Anzeichen großer Unruhe entgegen. „Das ist Herr Kaluweit“, stellte ihn der Professor vor. „Seine Mutter wurde mit schwerer Toxichämie eingeliefert!“ Seine kurzsichtigen Augen hinter der nickelgefaßten Brille blickten von einem zum anderen. „Er hat das Penizillin auf dem Altmarkt gekauft. Unterhalten Sie sich mit ihm, Herr Kommissar.“ Reinhardt fand den jungen Mann in der kurzen, ausgeblichenen Windjacke sympathisch. Sportlich durchtrainiert, macht einen aufgeschlossenen Eindruck, schätzte er ihn ein – wenngleich er im Augenblick nicht gerade begeistert scheint über das plötzliche Auftauchen eines Kommissars der Volkspolizei. Karl Kaluweit bedachte den Kommissar mit skeptischem Blick. Was konnten diese Neulinge schon von ihrem Handwerk verstehen? Kaum ein Jahr waren sie im Dienst … Er wandte sich an den Professor: „Sie sind mir noch eine Antwort schuldig“, sagte er ohne jeden Respekt. „Sie haben mir versprochen, Herr Professor …“ „ …ich stelle Ihre Mutter wieder auf die Beine“, unterbrach ihn der Subordination gewohnte Chefarzt gereizt. Gleich darauf lächelte er, Widerspruch gefiel ihm. „Ihre Mutter ist eine Frau von altem Schrot und Korn! Seien Sie froh, junger Mann, und
vertrauen Sie außer sich selbst gelegentlich auch noch anderen!“ Von der Klinik zur Polizeiinspektion in der Innenstadt, war es ein weiter Weg, und sie mußten laufen. Der einzige Pkw der Abteilung K stand in der Werkstatt, die Straßenbahnen fuhren nicht, weil ein Triebwagen entgleist war und die Strecke blokkierte. Widerstrebend hatte sich Kaluweit bereit gefunden, den Kommissar auf die Dienststelle zu begleiten. Sie hatten kaum Gelegenheit, miteinander zu sprechen, denn der Nordost trieb ihnen den Schnee direkt ins Gesicht. In großen weichen Flocken wirbelte er heran, verklebte ihnen die Augen, pappte an der Kleidung fest. Kaluweit zog den Schal bis unters Kinn. Nicht mal ein Auto besaß die neue Kripo, aber er sollte mitkommen! Vorschriften, immer wieder Vorschriften! Wann hörte das endlich mal auf? Was dieser Kommissar von ihm wissen wollte, das hätte er doch ohne weitere Umstände im Krankenhaus erfahren können. Die Windjacke war alt und hielt Wasser nicht mehr ab. Die Nässe drang langsam bis auf die Haut durch. Er warf dem Kommissar einen ärgerlichen Blick zu. Reinhardt fing den Blick auf. Es war nicht schwer zu erraten, was den Jungen bewegte. Verübeln konnte er‛s ihm nicht. Aber was wußte dieser widerborstige Bursche von den Schwierigkeiten, vor denen sie standen? Seit sechs Tagen hielt dieses scheußliche naßkalte Novemberwetter an. Die Zahl der Lungenentzündungen war sprunghaft in die Höhe geschnellt. Konjunktur für die Penizillinverkäufer auf dem Schwarzmarkt. Sie hatten die Preise erhöht. Ganz gewiß sorgten sie für Nachschub. Ebenso sicher war es, daß der Prozentsatz verfälschter Antibiotika anstieg. Es war eine Sisyphusarbeit, das Netz der verzweigten Wege und Kanäle aufzudecken, auf denen es aus den Westzonen herübergebracht wurde.
Im Dienstzimmer war es angenehm warm. Sie hängten Mantel und Windjacke an den Garderobenständer. Kaluweit schüttelte die tauenden Schneeflocken aus seinem Haar. „Sie sollten sich einen Hut kaufen“, sagte Reinhardt und gab ihm ein Handtuch. „Danke!“ Kaluweit trocknete sich ab, gab das Handtuch zurück. „Ich bin allergisch gegen Hüte“, sagte er mürrisch. „Ich habe fünf Jahre ‛n eisernen getragen. Mir reicht es vorerst!“ „Sie waren fünf Jahre Soldat?“ „Frankreich, Norwegen, Griechenland, Sowjetunion. Kraft durch Freude bis zum bitteren Ende.“ Er hatte militärische Haltung angenommen und das heruntergeschnarrt, sagte dann: „Verzeihung“ und stellte sich mit leichter Verbeugung vor: „Karl Kaluweit, Jahrgang einundzwanzig, gelernter Bootsbauer; ab neununddreißig zwangsweise Pionier bei eben genanntem KdF-Unternehmen, zur Zeit kaufmännischer Angestellter, was hiermit belegt wird und unschwer nachzuprüfen ist!“ Er überreichte seine Kennkarte. „Danke“, sagte Reinhardt und forderte ihn freundlich auf, Platz zu nehmen. Sie setzten sich. Der Kommissar mit dem Rücken zum Fenster, Karl Kaluweit vor den Schreibtisch ihm gegenüber. Es war zehn Uhr vormittags und durch das Schneetreiben so dunkel, daß Reinhardt noch einmal aufstand und das Licht anknipste. Er warf einen Blick auf die Kennkarte und gab sie zurück. Kaluweit war verblüfft. Er hatte sich an dem Kriminalkommissar reiben, ihn auf seine schnoddrige Art provozieren wollen, und das gelang nicht. „Keine Fragen zur Person?“ Er stellte Fragen, obwohl er wußte, daß er nicht zu fragen, sondern nur zu antworten hatte. Aber er versuchte, die Sache auf die Spitze zu treiben. „Finden Sie es nicht merkwürdig, daß ich als gelernter Bootsbauer den kaufmännischen Angestellten mime?“ „Ich war vor dem Krieg Werkzeugmacher“, entgegnete Reinhardt trocken. Er fragte sich, warum er so geduldig blieb. Jeden
anderen hätte er längst zur Ordnung gerufen. Irgend etwas gefiel ihm an dem Jungen. Kommissar Reinhardt schob diese Gedanken beiseite.
Gefühle waren nicht am Platz! „Wo arbeiten Sie?“ fragte er. „Drogerie am Pulverturm, dürfte bekannt sein. Inhaber Axel Krause, genannt Pille …“ Reinhardt nickte nur. Das reizte Kaluweit. „Interessiert Sie auch nicht, wer Pille ist!? – Sollte Sie aber interessieren! Weil er ein Kerl ist! So ‛ne Zwecke“ – er deutete an, wie klein sein Freund ist – , „aber Kraft wie ‛n Stier! Vor Lauban hat er mir das Leben gerettet. Was erzähl ich Ihnen das“, sagte er plötzlich und schaute, als ob er über sich selbst verwundert wäre, zu Boden. Wieder aufblickend, sagte er ruhiger: „Ich habe für mein Alter zuviel erlebt, mir ist ‛ne
Menge abhanden gekommen dabei. Ich habe kaum noch Respekt vor Dienstgraden oder irgendeiner Obrigkeit. Es sind nicht viele, die ich achte. Den Professor in der Klinik zum Beispiel – oder Pille! – , aber sonst?“ Schau mal an, dachte Reinhardt, er ist gar nicht so schnoddrig. Kaluweit angelte ein Päckchen „Camel“ aus der Tasche. Die Zigarette kostete fünf Mark auf dem schwarzen Markt. „Kann ich nicht mehr rauchen“, sagte er, „kein Geld mehr! Das sind die letzten!“ Er hielt Reinhardt das Päckchen hin, und der nahm die vorletzte. Sie rauchten. „Und wenn ich in den nächsten Tagen die Arbeit hinschmeiße und die halbe Stadt abklappere“, begann Kaluweit nach einigen Zügen, „das sage ich Ihnen: Ich suche solange, bis ich den Dreckskerl finde!“ „Und dann machen Sie ihn fertig! Das haben Sie ja gelernt im Krieg, nicht wahr? Dann machen Sie ihn so fertig, daß er kein Wort mehr sagen kann: Woher er die Ampullen hat, wer seine Hintermänner sind, wie die Organisation beschaffen ist …“ Karl Kaluweit war um Antwort. verlegen. „Wenn man es so sieht, dann wäre das nicht besonders klug von mir“, sagte er schließlich, fuhr aber gleich fort: „Aber nun sagen Sie selbst, Herr Kommissar: Was bleibt einem denn? Daß Sie sich ehrlich bemühen, das glaube ich Ihnen. Die Frage ist nur, was Sie erreichen? Die paar Razzien! Kleine Fische! Ab und zu mal einen großen! Reiner Zufall!“ Reinhardt schwieg. „Nicht mal ein Auto haben Sie – und wenn ich nicht irre, nicht mal ‛ne Pistole!“ Reinhardt nickte. Schußwaffen besaßen sie noch nicht. „Na, sehen Sie! Hat es Sinn, wenn ich Ihnen sage, daß der Kerl so groß wie ich war, eine Tarnjacke trug und ‛ne schiefe Nase hatte, völlig verdreckt war und nach feiner Seife roch?“ Der Drogist Axel Krause regulierte die Flamme des Bunsen-
brenners unter dem Destillierkolben einer Apparatur. Er hielt seine Nase über den Ausflußstutzen des Liebigschen Gegenstromkühlers. Was er roch, stellte ihn zufrieden: ein sauber gebrannter Sechsundneunzigprozentiger aus Zuckerrübenschnitzeln! Axel hatte nach seiner Heimkehr eine Verkäuferin angestellt und ihr und seinem Kriegskameraden Kalle das Ladengeschäft übertragen. Er saß im Labor zwischen Flaschen, Mörsern, Destillierapparaten und Tablettenpressen, produzierte in seiner Alchimistenküche Badesalze und allerlei Seifenersatz. Er versuchte auch hartnäckig, einen dem Kölnischwasser ähnlichen Duftstoff sowie schwere französische Parfüms zu komponieren. Den dazu benötigten Alkohol stellte er selbst her, und was übrigblieb – das war die weitaus größere Menge! – , verarbeitete er zu allerlei Essenzen- und Fruchtsaftspirituosen: Curacao, Halb und Halb, Kirsch, Kümmel und Kognak. Diese geheime Produktion brachte ihm viel Geld und dem Nachtlokal „Zur Blauen Grotte“, dessen Chef sein Hauptabnehmer war, einen festen, sehr gut zahlenden Stamm von Kunden. Karl Kaluweit behauptete zwar häufig: „Mensch, Pille, du bist der eigentliche Chef der ,Grotte‛!“ doch darüber konnte Pille nur lachen. „Chef sein heißt Verantwortung übernehmen, und das ist Mist“, sagte er. An seinen Freund Kalle mußte Axel Krause denken, als er die Riech- und Kostproben vom Destillat nahm. Wo blieb der Junge solange? Stand es so schlecht um seine Mutter? Die kleine Verkäuferin kam vom Laden ins Labor. „Herr Krause, Frau Lempfuhl sagt, Sie hätten ihr ein Stück Seife versprochen.“ „Verkauf ihr unser Badesalz!“ Der Chef war ungehalten über die Störung. „Sag ihr, das löst den Schmutz und stärkt auch noch die Nerven!“ Das zierliche, dunkelhaarige Mädchen Evelin liebte diese Scherze des Chefs nicht. „Haben Sie ihr die Seife versprochen
oder nicht?“ fragte sie herausfordernd. Der Drogist zog die buschigen Brauen zusammen. „Wenn ich‛s ihr versprochen habe, dann verkauf ihr ein Stück! Was fragst du noch?“ schnauzte er, ohne den Blick von seiner Apparatur zu wenden. „Du bist wieder mal sehr freundlich!“ Kalle kam durch die Tür, die zum Laden führte, und zog sich die nasse Windjacke aus. „Mensch, Kalle! Du!“ Der Drogist überhörte den Vorwurf, mit wenigen schnellen Schritten stand er vor dem jüngeren Freund, packte ihn bei den Schultern und sah ihn besorgt forschend an. „Na, nun sag! Wie geht‛s deiner Mutter? Was sagen die Ärzte? Wo warst du solange?“ „Es wird alles gut“, sagte Kalle und nickte Evelin zu, deren Augen an ihm hingen. „Sie wird wieder gesund. Professor Engler verbürgt sich dafür.“ „Na, Gott sei Dank!“ Pille stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. „Hab ich dir nicht gleich gesagt, bring deine Mutter ins Krankenhaus? Aber du mußtest ja unbedingt Penizillin auf dem Schwarzmarkt kaufen! Aber ich will dir keinen Vorwurf machen! Ich bin so froh, Junge!“ Er schlug Kalle auf die Schulter, und dann sah er, daß Evelin noch immer neben ihnen stand. „Nun, worauf wartest du? Verkauf der Frau Lempfuhl endlich das Stück Seife!“ Er scheuchte sie in den Laden zurück. „He, was soll denn das?“ Kalle hielt ihn am Kittel zurück. „Die Seife habe ich ihr verkauft! Hast du nicht gesehen, daß ich durch den Laden kam? Ich habe nichts gegen deine Spaße, aber …“ Die Ladentür klappte, es mußte wieder jemand im Verkaufsraum sein. „Zieh dir einen trockenen Pullover an“, rief Evelin Kalle zu und ging hinaus. Pille schloß die Tür hinter ihr und drehte sich aufatmend zu
Kalle um. „Entschuldige bitte“, sagte er, „aber sie geht mir auf die Nerven mit ihrer Korrektheit!“ „Sie geht dir erst auf die Nerven, seitdem du weißt, daß du bei ihr nicht landen kannst. Mensch, Pille, das muß ein Mann in deinem Alter doch verwinden können!“ Pille lächelte väterlich mild. „Wovon sprichst du eigentlich?“ fragte er. „Ich behalte sie nur, weil du dich in sie verknallt hast und sie tagtäglich um dich haben möchtest. So bin ich zu dir!“ Aus dem braunlackierten Wandschränkchen, auf dessen Tür ein weißer Streifen mit dem knallroten Wort „Gift!“ ins Auge sprang, holte er eine Flasche heraus und goß zwei Wassergläser halbvoll. „Prost“, sagte er, „und jetzt erzähl, wie es im Krankenhaus war!“ Der Schnaps wärmte von innen, der Ofen von außen. Kalle lehnte sich mit dem Rücken an die heißen Kacheln, um den grauen Pullover gleich am Körper zu trocknen. Sein Bericht über das Gespräch mit dem Professor und dem Kriminalkommissar Reinhardt war kurz. „Ich muß sagen, daß der Kommissar mir zum Schluß ganz gut gefiel. So ein Großer mit breitem Kreuz, ganz anders, als man sich die von der Kripo früher vorstellte. Auf den ersten Blick wirkt er etwas schwerfällig, aber das täuscht, schwerfällig ist der nicht!“ „Und was wird er unternehmen?“ fragte Pille. Kalle hob die Schultern. „Ich habe ihm eine Personenbeschreibung gegeben, und dann habe ich ihm gesagt, daß ich mir mehr zutraue als seinen Leuten!“ „Junge, laß die Finger davon!“ Pille beschwor ihn, er meinte es gut. Ganz nahe rückte er an ihn heran. „Warum hörst du nicht auf mich? Penizillinschieber sind keine Zigarettenschieber, das sind Gangster, die legen dich um! Damals vor Lauban habe ich dich auch gewarnt – aber da waren wir zusammen, da konnte ich‛s noch mal verhindern!“ „Der Krieg ist vorbei, Pille. Das hier, das ist kein beschisse-
ner Krieg mehr, kein sinnloses Morden und Schießen.“ „Eben drum“, schrie Pille aufgebracht. „Warum mußt du Polizei spielen, Kalle? Überlaß das dem Kommissar, der ist dafür zuständig. Arbeite meinetwegen mit ihm zusammen.“ „Nein“, sagte Kalle, „ich bin zuständig! Mir hat der Kerl das Penizillin verkauft. Und ich habe ihm gesagt, daß ich es nicht für mich, sondern für meine Mutter brauche! Ich werde ihn finden, Pille!“ In der VP-Inspektion herrschte Hochbetrieb. An zwei Dutzend Tischen wurden die Schwarzmarktgänger abgefertigt, die von einer Razzia auf dem Altmarkt überrascht worden waren. Kommissar Beck hoffte genau wie Walter Reinhardt, der die Aktion leitete, daß sie wenigstens einen Penizillinschieber fassen würden, der nicht – wie die bisher gefaßten – zum unwissenden Fußvolk der Endverkäufer zählte. Der Schwarzhandel mit Penizillin wurde von einer Zentrale gesteuert, und er wickelte sich nach einem System ab, das unfehlbar schien. Verluste von Endverkäufern waren eingeplant wie natürlicher Verschleiß. Sie schienen jederzeit ersetzbar. Die Endverkäufer wußten nichts von ihrem Auftraggeber. Jedesmal, wenn Kommissar Reinhardt und Kommissar Beck nach endlos langen Vernehmungen gezwungen waren, eine Akte zu schließen und dem Gericht zu übergeben – Aburteilung wegen Schwarzhandels mit Medikamenten – , fühlten sie sich unterlegen. Das war auf die Dauer unerträglich. Eine Hydra, der man Köpfe abschlägt, die aber ständig nachwachsen! Seppel Beck träumte nachts von einem neunköpfigen Ungeheuer, und das Ungeheuer hatte menschliche Züge. Es lachte ihn aus, wenn sie einen Schieber zur Strecke brachten. Ihre Arbeit war nicht mehr ein Kräftemessen mit einem Rechtsverletzer, sie hatte den Charakter eines Duells mit einem menschenverachtenden Ungeheuer angenommen, das die
kleinen Rechtsverletzer steuerte und lenkte. Sie hatten sich oft duelliert und waren bisher besiegt worden, immer wieder besiegt worden. Trotzdem: Irgendwann mußten sie die schwache Stelle des Gegners finden. Es hieß: weitermachen, noch eine Razzia, den nächsten Endverkäufer fassen! Kommissar Beck gab dem Posten an der Tür ein Zeichen, und aus dem Warteraum, in dem die noch nicht abgefertigten Schieber vom Altmarkt unter Kontrolle saßen, trat ein junger, kräftiger Mann in den Saal, in dem es vor Stimmengewirr und Schreibmaschinengeklapper summte. „Augenblick bitte!“ Kommissar Reinhardt trat zu Beck an den Tisch und nahm ihn beiseite. „Ich habe einen“, flüsterte er ihm zu, „interessant! Komm mal mit!“ Seppel Beck folgte Reinhardt. Er sah sich einem durchtriebenen Burschen mit eingefallenem, blassem Gesicht und schütterem Haar gegenüber, der seinen steifen Hut zwischen den Fingern drehte. Einer von der vornehmen Sorte, dachte er. Schlips und Kragen, Maßanzug, grauer Ulster! Nur etwas zu nervös für soviel Eleganz! Der Mann kam ihm bekannt vor, woher kannte er ihn? „Unser alter Freund Harri Kneesebeck“, stellte ihn Reinhardt mit leicht übertriebener Höflichkeit vor. „Kaum wiederzuerkennen, nicht wahr? Er hat sich in Schale geworfen! Harri ist fromm geworden – schauen Sie sich das an: auf allen Wegen die Heilige Schrift unterm Arm! Und wie fest er sie hielt! Wollte mir keinen Blick ins Buch der Bücher gönnen!“ Reinhardt nahm eine dicke, ledergebundene Bilderbibel vom Tisch und reichte sie Beck. Der schlug sie auf. Die Seiten waren ausgeschnitten, und in dem Hohlraum lagen drei Klinikpackungen Penizillin. „Herr Kommissar, ich schwöre Ihnen, es war mein erster, mein allererster Versuch! Und nur aus reiner Menschlichkeit hab ich das getan! Sie wissen, ich habe drei Monate gesessen – und ich habe täglich an die Worte gedacht, die Sie mir damals
ins Herz gesenkt haben: Bessere dich! haben Sie gesagt …“ Der kleine Gauner Kneesebeck, dem seinerzeit nicht viel nachzuweisen war, hatte sich offensichtlich zu einem kleinen Schwarzmarkttiger gemausert. Reinhardt forderte mit einer Geste zum Sitzen auf, und ohne seinen Redefluß zu unterbrechen, nahm Harri Kneesebeck Platz. „Ich gehöre dem karitativen Ausschuß der Neuapostolischen Gemeinde an, Herr Kommissar, Sie können sich erkundigen! – und was ich hier trage“, er fuhr mit beiden Händen an den Revers seines Mantels entlang, „Geschenke! Alles Geschenke aus Übersee! Daraus kann man mir keinen Vorwurf konstruieren!“ „Haben Sie das Penizillin auch vom karitativen Ausschuß?“ fragte Reinhardt. „Aber nein“, beteuerte Kneesebeck mit verschämtem Augenaufschlag. „Man machte mir ein Angebot. Eines Tages steckte ein Brief im Kasten: Wenn ich auf dem Südfriedhof in der Familiengruft derer von Boetzing Geld hinterlegen würde, könnte ich mir zwei Tage darauf Penizillin abholen.“ Reinhardt und Beck wechselten einen Blick. „Haben Sie den Brief noch?“ fragte Reinhardt. „Nein, ich sollte ihn vernichten.“ „Und Sie haben Geld hinterlegt?“ „Ja, ich habe mir gedacht: Harri, hier kannst du deinen Mitmenschen helfen!“ Er beugte sich vor, seine Stimme wurde salbungsvoll: „Wieviel arme Kranke gibt es in der Stadt! Denken Sie einmal daran, Herr Kommissar: Lungenentzündungen, Geschlechtskrankheiten – eine böse Zeit, diese Nachkriegszeit! – , Krankheiten, die man nur mit Penizillin heilen kann, und Penizillin gibt es, wie Sie wissen, vorerst nur auf dem schwarzen Markt. Die Amis und Engländer denken nicht daran …“ Reinhardt schlug mit der Hand auf den Tisch, daß es krachte. „Kommen Sie endlich zur Sache! Wieviel Geld haben Sie auf dem Südfriedhof hinterlegt?“
„Zweitausend Mark“, gab Harri kleinlaut zur Antwort. „Und was dann?“ „Zwei Tage darauf bin ich wieder hingegangen – dritte Ziegellage, der fünfte Stein von rechts an der Rückwand! – , das Penizillin war da!“ „Sie haben zweitausend Mark so aufs Geratewohl riskiert? Es hätte doch ein Schwindel sein können.“ Harri spürte, daß ihm all sein Gerede nichts half. „Ich wußte, daß es kein Schwindel war“, gestand er, „das wissen alle.“ „Wer ist das: alle?“ Harri nahm seinen steifen Hut, den er auf den Tisch gelegt hatte, in die Hände und drehte ihn. „Ich treffe dann und wann – rein zufällig – ehemalige Bekannte, und in deren Kreisen, von denen ich mich losgesagt habe, weiß jeder, daß es solche Aufforderungen gibt. Ich habe mich erkundigt, Namen kann ich leider nicht nennen – ich habe nur so rumgehört: Der, dem so ein Angebot gemacht wird, wäre ein Glückspilz, der könnte sich eine goldene Nase verdienen!“ Harri lächelte gütig und entsagungsvoll: „Darauf kam es mir natürlich nicht an! Nicht einen Pfennig hätte ich an diesem Medikament verdient!“ „Sie sind ein echter Menschheitsbeglücker, Herr Kneesebeck“, sagte Reinhardt ironisch. Er stand auf, nahm die Ampullenpackung aus der Bilderbibel und wog sie in der Hand. „Das sind Geschäfte mit dem Tode“, sagte er. Der blasse Harri wirkte plötzlich sehr klein und schmal in seinem wattierten Ulster. „Falls Sie es nicht wissen, Harri: Es gibt Leute, die den gelben Flemingschen Schimmelpilz mit entsprechendem Farbstoff mischen. Sie strecken das Penizillin, verstehen Sie, Harri? Sie haben die erforderlichen Abfüllvorrichtungen und selbstverständlich auch die Originalampullen. Äußerlich läßt sich kein Unterschied feststellen. Aus eins mach zwei! – So verdoppeln sie mühelos den Gewinn. Der Anteil des verfälschten Penizillins beträgt schätzungsweise zwanzig Prozent der Gesamtmenge. – Und nicht nur, daß eine solche Ampulle nicht hilft, weil
die Wirkung zu schwach ist – der verwendete gelbe Farbstoff wirkt toxisch, Harri, das heißt: giftig! Und da Penizillin so teuer ist, daß es im allgemeinen nur von Angehörigen lebensgefährlich Erkrankter gekauft wird, können Sie sich vorstellen, welche Folgen es hat, wenn man diesen Kranken Gift injiziert.“ „Nein, das kann nicht sein! Das habe ich nicht gewußt“, beteuerte Kneesebeck und wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn. „Herr Kommissar, wenn ich das gewußt hätte … Ich schwöre Ihnen … Was soll ich tun, Herr Kommissar? Sagen Sie es mir! Ich will Ihnen behilflich sein, ich mache alles, ich werde beweisen, daß ich nicht so bin, wie Sie glauben …“ Reinhardt sah ihn prüfend an, dann wechselte er einen Blick mit Kommissar Beck, der am Schreibmaschinentisch die Vernehmung protokollierte. Beck nickte bestätigend. „Na gut, wenn Sie uns helfen wollen … Wer schreibt und verschickt die Briefe, wer holt das Geld ab und hinterlegt das Penizillin?“ Harri Kneesebeck machte ein unglückliches, zerquältes Gesicht.
„Überlegen Sie mal, Harri: Ein Mann, der so schlau ist, muß sich doch sagen, daß einer von euch kleinen Endverkäufern mal auf die Idee kommen könnte, sich auf die Lauer zu legen und aufzupassen, wer das Penizillin hinterlegt und dafür das Geld einstreicht? Damit muß er doch rechnen.“ „Ja, natürlich, Herr Kommissar!“ Harri tat so, als sei ihm dieser Gedanke noch nie gekommen. „Ja, natürlich! Er muß damit rechnen, daß er überfallen wird oder daß man ihn erpreßt!“ Reinhardt gab ihm die nächste Gedankenstütze: „Also muß er ein paar Leute haben, die ihm die grobe Arbeit abnehmen, nicht wahr?“
Harri nickte eifrig. Plötzlich sprang er auf und sah sie triumphierend an. „Der Gärtner! Der Friedhofsgärtner!“ Sein Zeigefinger schoß gleich einer Speerspitze nach vorn. „Das war kein Gärtner, der tat nur so! Was soll er auch jetzt im November zusammenharken – bei dem Wetter! Das fällt mir jetzt ein und rundet sich, Herr Kommissar, rundet sich zu einem Bild! Dieser ominöse Gärtner war dann auch schnell verschwunden, aber als ich später wieder auf dem Hauptweg war, da habe ich ihn hinter einem Abfallhaufen gesehen. Ich bin ganz sicher: Er hat mich beobachtet.“ „Wie weit waren Sie voneinander entfernt?“ „Oh, keine Angst, Herr Kommissar! Wen ich einmal gesehen habe – und wenn es auf fünfzig Meter war! – , den beschreibe ich Ihnen! – Also: meine Größe, doch viel plumper, fast vierschrötig von Gestalt, eine alte zerrissene Tarnjacke trug er – überhaupt der Gesamteindruck: äußerst verkommen und verdreckt! – und das Gesicht finden Sie unter tausenden heraus: Stellen Sie sich einen dieser abgewirtschafteten Boxer vor, die sich früher auf dem Rummel ihre Altersversorgung gegen Schlägertypen und Vorstadtrabauken erkämpften. Ein stumpfes, stupides, eines Menschen unwürdiges Leben …“ Harris Missionsgefühl ging mit ihm durch. Er besann sich, daß hier nicht der rechte Ort für seinen Bekehrungsdrang war. „ …ein flaches Gesicht mit einer breiten, schief sitzenden Nase darin“, schloß er ruhiger, doch nicht frei von eitlem, auf Anerkennung bedachtem Selbstgefühl. Nachmittags hatte das Schneetreiben aufgehört. Am fahlen Novemberhimmel, über den noch einzelne Wolkenfetzen zogen, zeigte sich weiß und kraftlos die Sonne. Karl Kaluweit trieb sich seit zwei Stunden in der Nähe des Altmarktes herum. Er war durch den Schneematsch gelaufen, hatte mehr oder weniger vertrauenerweckende Gestalten nach
einem Mann mit schiefer Nase gefragt und war in viele verräucherte Kneipen gestolpert. Aber bislang hatte ihm das nur nasse Füße und einen knurrenden Magen eingebracht. Nun stand er unter dem Portalbogen der Warenhausruine. Hier hatte er vor zwei Tagen das Penizillin gekauft. Etwas Unbestimmtes sagte ihm, daß der, den er suchte, jeden Augenblick um die Ecke biegen könnte. Auf die Schritte, die sich ihm von links näherten, achtete er nicht. Erst als das Mädchen dicht vor ihm haltmachte, sah er, daß es Evelin war. „Kalle!“ Sie faßte nach seiner Hand, erschrak, weil sie eiskalt war, und schimpfte dann mit ihm: „So was Unvernünftiges! Du holst dir den Tod, alter Dickkopf! Lohnt sich das wegen dieses Kerls? Rennst einfach los, läßt mich allein im Laden! Pille hatte eine Laune, ich sage dir, er war ungenießbar! Er hat mich weggeschickt. Ich soll mir einen freien Nachmittag machen.“ Bevor Kalle etwas fragen konnte, hatte Evelin ihn untergehakt und zog ihn trotz seines Widerstrebens mit. „Jetzt gehen wir zu mir nach Hause! Meine Mutter hat Schrotsuppe gekocht – mit Trockenmilch!“
Ein verlockendes Angebot, so ein Teller heißer Suppe …! Er gab sein Sträuben auf. Es war auch angenehm, mit Evelin zu gehen, sie drückte seine Hand und drängte sich beim Gehen an ihn, wie um ihm Schutz und Wärme zu geben. In der Hofergasse sah er plötzlich auf der anderen Straßenseite einen Mann in Zimmermannskluft. Dunkelblauer Cord, die Hosen mit weitem Schlag, ein breiter Zimmermannshut – und ein Gesicht darunter … Für einen Augenblick begegneten sich ihre Blicke. Der andere wandte sich ab und beschleunigte den Schritt. Kalle aber hatte genug gesehen. „Das ist er!“ Er riß sich von Evelin los und rannte über die Straße dem Zimmermann nach. Der schaute sich noch einmal kurz um und verschwand in einer der nächsten Toreinfahrten. Evelin war ein praktisch denkendes Mädchen. Wenn das
wirklich der Mann war, der ihm das Penizillin verkauft hatte, dann mußte Kalle ihm nachsetzen! Sie überlegte nicht lange, zog sich den Gürtel ihres Wintermantels fester um die schmale Taille und folgte Kalle in die Toreinfahrt. Als sie vor der schwarz gähnenden Toreinfahrt des ehemaligen Fabrikgebäudes stand, überfiel sie Furcht. Brandiger Modergeruch schlug ihr entgegen. Das Vorderhaus war bis zum ersten Stock heruntergebrannt und wurde nicht mehr genutzt. Sie faßte sich ein Herz, lief durch die lange tunnelartige Tordurchfahrt und gelangte auf einen Hof, stand wieder im Dämmerlicht des sinkenden Tages, sah ringsum aufragende Ruinenfassaden, einige Fenster im Parterre – hinter einem brannte Licht – , sie sah flache Schuppen in dem Hof und eine neue Durchfahrt, die wohl zu weiteren Hinterhöfen führte. Diese zweite Durchfahrt war noch länger, noch unheimlicher. Nur zögernd wagte sie sich hinein. Wie in einem Grab fühlte sie sich. Und plötzlich schoß ein schrill pfeifendes und quiekendes, raufendes und beißendes Knäuel auf sie zu: sich balgende Ratten! Sie hätte mutig in einen Kampf eingegriffen, hätte sie Kalle in Gefahr gefunden. Sie hätte es gegen jeden aufgenommen, nur nicht gegen die Ratten! Evelin unterdrückte einen Schrei, machte kehrt und lief aus dem Durchgang über den Hof, prallte mit einem großen Mann zusammen, der ihr entgegenkam, rannte weiter durch die erste Toreinfahrt auf die Straße. Wo war ein Volkspolizist? Sie sah keinen. Sie sah nur auf der engen Hofergasse die Schieber stehen und die flanierenden Damen. Kalle hatte die Schuppen auf dem ersten Hof durchsucht. Als er dort nichts fand, war er zum zweiten Hof weitergegangen. Eine Tischlerwerkstatt im Quergebäude, frische Hobelspäne vor den Fenstern, aber kein Mensch zu sehen, kein Laut zu hören. Kalle sicherte nach links und rechts. Glatte Häuserwände,
keine Gelegenheit für einen Mann, sich zu verstecken. Er war nicht vorsichtig genug. Er dachte nicht im entferntesten daran, daß ihm jemand folgen könnte. Als er sich von der Seite an die Tür der Tischlerwerkstatt heranschob, stand sein Verfolger, ein ungewöhnlich großer und schwerer Mann, am Ende des zweiten Torwegs. Der Mann trug eine Schifferjoppe und eine steife hamburgische Schiffermütze. Er hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben, bewegte einen kalten Zigarrenstummel zwischen wulstigen Lippen und beobachtete gespannt, was Kalle auf dem Hof tat. Unter Kalles Fußtritt flog die Werkstattür nach innen auf, er wurde durch den Schwung bis in die Mitte des Raums getragen. Im Stoppen nahm er einen Schatten wahr, sprang zur Seite, sah einen langen Knüppel, einen Spatenstiel wohl, an seinem Kopf vorbeisausen, sah den schiefnasigen Zimmermann, der den Schlag führte, wußte, daß sein Schädel zerschmettert worden wäre, hätte er nicht den Sprung zur Seite gemacht, wirbelte herum und schlug dem ins Leere schlagenden, stolpernden Verbrecher die Faust ins Genick. Sofort war er über dem zu Boden Gestürzten und drehte ihn auf den Rücken. Ja, er war es! Glattrasiert diesmal und sehr sauber und wieder nach Kölnischwasser duftend. Die Stirn war aufgeplatzt, aus der Nase floß Blut. Kalle schüttelte ihn. Eine wilde Wut packte ihn. Er hob den schweren Oberkörper an, hielt ihn mit der Linken fest und gab dem Kerl solange Ohrfeigen, bis er die Augen aufschlug. „Woher hast du das Penizillin? Von wem?!“ Sein Aufbäumen und der Griff nach der Kehle kamen unerwartet.
Eine eisenharte Hand preßte Kalle die Luft aus den Lungen. Die Hand hielt fest, verkrallte sich an seinem Hals. Kalle schlug dem Verbrecher mit letzter Kraft die Faust ins Gesicht, bekam wieder Luft und nahm den unter ihm Liegenden in einen Hebelgriff. Das Gesicht des Kerls lief rot an, seine Augen verdrehten sich in Todesangst. „Von wem“, schrie Kalle ihn an. „Nenn mir die Namen! Überlege nicht lange!“ Der Schiefnasige, der bereit war, kaltblütig zu morden, gab auf. Er sah das harte, entschlossene Gesicht des Jungen über sich, er wußte, daß er sich aus dessen Würgegriff nicht mehr befreien konnte. „Ich sag dir‛s!“ Keuchend kamen die Worte aus seinem Mund. „Die ,Blaue Grotte‛, da mußt du dich …“ Kalle hörte ein Geräusch hinter sich, drehte sich blitzschnell
um, sah aber nur noch schemenhaft ein breites Gesicht, eine Schiffermütze und einen Zigarrenstummel zwischen entblößten Zähnen. Etwas Hartes, Schweres sauste auf seinen Kopf herab. Ein dumpfer Schmerz, und es war Nacht um ihn. Der Penizillinschieber warf den über ihm zusammengesunkenen Körper Karl Kaluweits beiseite und rappelte sich auf. Leicht schwankend stand er vor dem Mann in der Schifferjoppe. Das war Rettung in höchster Not! Sein blutverschmiertes Gesicht hellte sich vor Freude auf. Er machte einen Schritt auf seinen riesenhaften Befreier zu. Der sah ihn zurückhaltend und abschätzend an. „Paul“, sagte er und streckte die Arme aus, um ihm zu danken. Paul spuckte den Zigarrenstummel aus, ihm vor die Füße. Dann flog seine rechte Hand hoch, und in dieser Hand befand sich ein kurzer, dicker Knüppel. Der Penizillinschieber wußte, was ihn erwartete: Der Knüppel war aus Blei, mit Leder überzogen! Es gelang ihm nur noch, sich zu ducken und die Hände schützend über den Kopf zu halten. Der erste Schlag warf ihn zu Boden, der zweite zertrümmerte ihm die Schädeldecke. „Hier ist er reingegangen!“ Evelin hatte gleich zwei Volkspolizisten gefunden, und nun führte sie die beiden durch die dunklen Torwege. „Es war ein Pulk von Ratten!“ Sie blieb stehen und zeigte ihnen, woher das Knäuel auf sie zugeschossen kam. Die Volkspolizisten lächelten. Sie nahmen die Aussagen des Mädchens nicht so ernst. Als sie in der Tischlerwerkstatt vor den zwei hingestreckten leblosen Körpern standen, lächelten sie nicht mehr. Evelin schrie auf, stürzte vor und beugte sich über Kalle. Sie schob den Arm unter seinen Kopf, strich ihm das wirr herabhängende Haar aus dem Gesicht. „Kalle“, rief sie ihn an, „Kalle!“ Doch seine Augen blieben geschlossen, sie spürte keinen Atem mehr.
„Ja, das ist er“, flüsterte Harri Kneesebeck, als das Tuch vom Gesicht des Toten gezogen wurde. Er zwang sich, noch einmal genauer hinzusehen, dann wandte er sich bleich ab. Kommissar Reinhardt führte ihn schnell hinaus. An der frischen Luft erholte sich Harri schnell. „Ich kann nicht dafür“, entschuldigte er sich, „dieser Lysoformgeruch …“ „Die Pathologie ist nicht jedermanns Sache!“ Reinhardt bot ihm eine Zigarette an. „Sind Sie auch sicher, Harri? War es der Mann, der Sie auf dem Südfriedhof beobachtet hat?“ „Ganz sicher“, sagte Kneesebeck und führte mit zitternder Hand die Zigarette zum Mund. Als Kommissar Reinhardt eine Stunde später sein Dienstzimmer betrat, warf er die Tür hinter sich ins Schloß, daß der Putz aus den Fugen rieselte. Himmelherrgott, nach einem solchen Tag konnte man zur Schnapsflasche greifen oder an ein böses Schicksal glauben und demissionieren! Er beförderte Mantel und Hut mit soviel Schwung an den Kleiderständer, daß der ins Schwanken geriet, schaltete die Schreibtischlampe an, lief im Halbdunkel durch das Zimmer und durchdachte die Situation. Der Schiefnasige ist tot. Kaluweit liegt im Krankenhaus, und er wird die Nacht kaum überstehen. Heute morgen noch saß er auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Aber ich habe nicht geglaubt, daß er noch am selben Tag auf den Schiefnasigen trifft. Das war nicht anzunehmen …, keine Ausreden, Reinhardt, du hast was versäumt! Du hast ihm nicht klargemacht, in welcher Gefahr er sich befindet. Du hast ihn nicht überwachen lassen. Wenn du das getan hättest, lebte dieser ausrangierte Boxer noch, mit dem er unbedingt persönlich abrechnen wollte, und er selbst brauchte jetzt nicht zu sterben. Schritte auf dem Flur. Der OvD öffnete die Tür und schaute herein. „Überstunden, Genosse Reinhardt?“
Was soll die Frage, dachte Reinhardt und nickte, blieb aber stumm. Der OvD schloß die Tür. Reinhardt griff zum Telefon und rief das Krankenhaus an. „Wie geht es diesem Kaluweit?“ „Den Umständen entsprechend.“ „Welchen Umständen entsprechend? Bitte drücken Sie sich etwas präziser aus, Herr Doktor! Ich rufe nicht zum Spaß an!“ „Der Chef war der Ansicht, daß Sie sich morgen vormittag mit ihm unterhalten können“, sagte der Assistenzarzt leicht pikiert. „Verwechseln Sie nichts, Herr Doktor! Ich habe mich nach Karl Kaluweit erkundigt! Er wurde heute abend bei Ihnen eingeliefert!“ „Der Patient verzehrt im Augenblick sein zweites Abendbrot, und zwar mit großem Appetit! Morgen früh können Sie ihn sprechen, guten Abend, Herr Kommissar!“ Eingehängt! Reinhardt saß da und hielt den Hörer in der Hand. Das war unglaublich: Vernehmungsfähig! Zum zweitenmal Abendbrot! Entweder besaß 4er Junge einen Schädel aus Eisen, oder er war von dem Schlag nicht voll getroffen worden. Morgen früh konnte er ihn sprechen! Reinhardt legte den Hörer auf. Er fühlte sich leicht, der Kopf war wieder frei, und er brauchte ihn nicht nur zum Grübeln! Er setzte sich am Schreibtisch zurecht und begann die Protokolle und Gutachten auszuwerten. Tatortbefundsbericht der Mordkommission (da das Verbrechen im Zusammenhang mit dem Penizillinschwarzhandel stand, ermittelte die MUK sozusagen unter seiner Regie), Aussage der kleinen Evelin, die dem Mörder begegnet war, ihn aber nur als „groß und bullig“ kennzeichnen konnte, vorläufiges Gutachten des Gerichtsmediziners, Aussage des Werkstattbesitzers … Während er die Schriftstücke ordnete, durchlas und Blatt für Blatt numerierte, stellte er Vergleiche an, zog erste Schlüsse, sah bereits die Möglichkeit einer Versionsbildung.
Am nächsten Morgen war Kommissar Beck ein kritischer Zuhörer. Eine Version muß erarbeitet werden, sie kann zu Erkenntnissen führen und die Aufdeckung eines Verbrechens beschleunigen – man muß sie nur sorgfältig überprüfen, sie darf nicht von falschen Voraussetzungen ausgehen. Noch gab es nichts einzuwenden. Walter Reinhardt hielt sich an Fakten, an die Aussagen Kaluweits und Kneesebecks. Der eine hatte von dem Schiefnasigen Penizillin gekauft, der andere hatte ihn als Beobachter auf dem Südfriedhof gesehen. Der ehemalige Boxer trat also in doppelter Funktion in Erscheinung: einmal als Endverkäufer auf dem Schwarzmarkt und einmal als engster Vertrauter des Chefs. „Wer tote Briefkästen überwacht, zählt meiner Ansicht nach zum engsten Kreis“, sagte Reinhardt. Er wartete, ob Seppel einen Einwand brachte, aber der war der gleichen Meinung und nickte bestätigend. „Wir können also annehmen, daß er direkt vom Chef beauftragt wurde“, fuhr Reinhardt fort. „Ein Aufpasser des Chefs aber darf nicht gleichzeitig Penizillinverkäufer sein. Das widerspräche dem obersten Prinzip: Endverkäufer sind Verschleißmaterial, sie können gefaßt und abgeurteilt werden, ohne den Chef oder die Organisation zu gefährden. Das heißt also, der Schiefnasige hat, indem er Penizillin auf dem Schwarzmarkt verkaufte, gegen das oberste Prinzip verstoßen. Wahrscheinlich wollte er sich etwas nebenbei verdienen – das hat ihn das Leben gekostet.“ Reinhardt machte eine Pause, schob mit den Fingerspitzen ein paar Notizzettel auf dem Schreibtisch zurecht und fragte dann – für Seppel Beck, der mit einem weiteren geradlinigen Aufbau der Version gerechnet hatte – völlig überraschend: „Woher wußte der Chef, daß der Schiefnasige an Kaluweit Penizillin verkauft hat?“ Seppel Beck rieb sich das Kinn. „Diese Frage möchte ich dir am liebsten mit meiner eigenen Version beantworten“, antwortete er. „Version ist zuviel gesagt, ich habe mir heute nacht, als ich nicht schlafen konnte, ein paar
Gedanken gemacht.“ „Und was für Gedanken?“ „Es war eigentlich nur so ein Einfall, schlecht gestützt – ich sagte mir, Kaluweit ist mit dem Drogisten Axel Krause befreundet, er arbeitet bei ihm, sie sind Kriegskameraden, wie war‛s denn, fragte ich mich, wenn dieser Kriegskamerad der Chef wäre. Der Chef der Penizillinverteilerorganisation …“ Er redete immer schneller, weil er meinte, daß Reinhardt alles, was er sagte, für müßige Spekulation hielt. Aber Reinhardt hörte ihm mit wachsendem Interesse zu. „Das ist alles unausgegoren, Walter, aber wenn es so wäre – nehmen wir es einmal an! – , ließe sich vieles ganz einfach erklären …“ „Dann rück endlich raus damit“, rief Reinhardt erregt. „Bist du der Meinung, daß der Chef nicht von einem xbeliebigen erfahren haben kann, wer an Kaluweit Penizillin verkauft hat, sondern daß er es nur von Kaluweit selbst erfahren haben kann?“ „Ist das nicht zu abwegig?“ fragte Seppel bescheiden. Reinhardt sprang auf. Er lachte, er konnte sich gar nicht beruhigen. „Menschenskind, Seppel! Um auf diese Lösung zu kommen, habe ich die halbe Nacht am Schreibtisch gesessen. Du legst dich ins Bett und hast einen Einfall!“ Er wischte sich mit dem Handrücken die Augen aus, und mit einem letzten Seufzer sagte er: „Ich müßte dich öfter mal ins Bett schicken!“ „So, aber nun wollen wir mal ernsthaft rangehen!“ Er gab sich einen Ruck, und wie zur Bekräftigung seines Vorsatzes begann er im Zimmer hin und her zu laufen. „Es ist eine überzeugende, eine zwingende Version“, erklärte er. „Kaluweit hat den Drogisten über alles informiert. Der Drogist weiß, daß wir eine Personenbeschreibung des Schiefnasigen haben. Kaluweit verläßt die Drogerie, um den Kerl zu suchen und mit ihm abzurechnen. Dem alten Kriegskameraden Axel Krause bleibt keine Wahl. Er will sicher nicht, daß sein Freund getötet wird,
der Schiefnasige muß beseitigt werden! Er beauftragt einen „großen, bulligen“ Mann. Der verfolgt sein Opfer, sieht, daß dieses Opfer wiederum von Kaluweit verfolgt und gestellt wird. Er kommt gerade noch zurecht. Ob er aus Rücksicht darauf, daß der Junge ein Freund seines Chefs ist, bei ihm weniger hart zuschlägt …?“ Reinhardt zuckte mit den Schultern. Er blieb stehen und sah Beck fragend an. „Das ist alles zu logisch und überzeugend“, sagte Seppel zurückhaltend, fast ein wenig zweifelnd. „Wir können die Kette sogar noch weiterführen: Dem Ermordeten werden sämtliche Identitätspapiere genommen, wir sollen es mit einem unbekannten Toten zu tun haben. Namen und Anschrift im Schweißband des Zimmermannshutes übersieht der Mörder – trotzdem ist er schneller als wir: Die Wohnlaube des Schiefnasigen ist ausgeräumt, als wir eintreffen. Nichts Belastendes ist zu finden, nicht mal die zerrissene Tarnjacke …“ „Na, nun weiter“, drängte Reinhardt ungeduldig. „Du hast doch Einwände …!“ „Ja“, sagte Beck, „das alles könnte der Drogist angeordnet haben – aber genausogut auch irgendein anderer.“ „Und was spricht für den anderen?“ „Daß der Drogist gewußt hat, für wen Kaluweit Penizillin besorgen wollte. So gemütskalt ist kein Verbrecher. Er hätte nicht zugelassen, daß sein Freund und Kriegskamerad Gefahr läuft, die eigene Mutter zu vergiften – entweder hätte er ihn vom Kauf auf dem Schwarzmarkt zurückgehalten, oder aber er hätte ihm selber Penizillin besorgt: unverfälschtes, wirksames Penizillin!“
„Da ist was dran.“ Reinhardt überlegte und rieb sich, wie Seppel Beck zuvor, nur intensiver, das Kinn. „Ich habe alle möglichen anderen Argumente überprüft und zugunsten der Axel-Krause-Version ausklammern können, an das hier habe ich nicht gedacht.“ „Gegenargumente lassen sich immer finden“, sagte Beck, „aber das ist kein Grund zum Resignieren, Walter! Die Theorie muß an der Praxis überprüft werden – und deine Version ist gut, nun laß sie uns überprüfen.“ „Weißt du, was gut ist? Gut ist, daß wir zu zweit sind!“ Reinhardt hatte wieder Mut gefaßt. „Ich bin bestimmt kein Zweifler, aber wenn man stundenlang überlegt und erwogen hat, und plötzlich fährst du mit deiner Psychologie dazwischen …“ Er
winkte ab, reckte sich in den Schultern und lächelte unternehmungslustig. „Los“, sagte er, „wir fahren zu Kaluweit ins Krankenhaus.“ Es bedurfte nicht vieler Worte, Kalle fühlte sich schuldig. Er saß mit hängenden Schultern auf dem Feldbett, das man ihm aus Platzmangel in der Besenkammer aufgeschlagen hatte, und machte ein deprimiertes Gesicht. „Ich bin ein Idiot“, sagte er, „ich habe wirklich alles falsch gemacht.“ „Mancher muß erst Schläge auf den Hinterkopf bekommen …“ Reinhardt nahm eine der an der Wand lehnenden Leitern als provisorischen Sitz, klemmte sich auf eine der Stufen und betrachtete das vor ihm hockende Häufchen Unglück „Was ist denn nun herausgekommen“, fragte er grimmig. „Ein zufällig noch lebender Karl Kaluweit, der das Wort ,Blaue Grotte‛ aufgeschnappt und das feiste Gesicht eines Totschlägers gesehen hat!“ Ruhig noch einmal wiederholen! Es schadete nichts, wenn man dem Jungen einbläute, daß ein Alleingang zu nichts führt. Kaluweit zerdrückte nervös einen Zipfel des Kopfkissens in der Faust. Er hielt den Blick zu Boden gesenkt. Nach einer Weile hob er den Kopf. Sein Körper straffte sich. „Vielleicht kann ich etwas gutmachen“, sagte er und sprang auf. Er war nun voller Eifer. „Überlegen Sie mal: Ich sollte ermordet werden, weil ich einen, der zur Organisation gehörte, aufgespürt und zum Sprechen gebracht habe. Daß ich noch lebe, paßt den Brüdern nicht in den Streifen. Ist doch klar! Ich könnte jeden Tag den Mörder wiedererkennen oder ihnen auf andere Weise gefährlich werden. Sie haben keine Ahnung, was und wieviel ich weiß …“ Er wartete gespannt auf eine Reaktion, aber Reinhardt nickte nur leicht, und Seppel Beck tat so, als sei er noch am Überlegen. „Wenn wir zusammenarbeiten“, Kalle begeisterte sich immer
mehr, „wenn Sie mich als Lockvogel einsetzen – in der ,Blauen Grotte‛ zum Beispiel – , ich garantiere Ihnen, die stürzen sich wie die Aasgeier auf mich!“ Reinhardt wiegte nachsichtig lächelnd den Kopf. „Kein schöner Vergleich! Lockvögel beschäftigen wir nicht, Herr Kaluweit! Aber an einer ehrlichen, disziplinierten Zusammenarbeit – ich glaube, daran wäre uns schon gelegen.“ Er sah wieder zu Beck, und Seppel nickte. Das Geschäft befand sich in einem alten einstöckigen Barockhaus, dessen breite, schöngegliederte Fassade fast ein wenig protzig wirkte zwischen den schmalbrüstigen Fachwerkhäusern der Pulverturmgasse. Der Ladenraum war nicht sehr groß. Die dunklen Holzregale, die Schubkästen mit den Emailleschildern erinnerten an eine Apotheke. So roch es auch. Die kleine Verkäuferin Evelin hinter dem Ladentisch sah übernächtig aus und hatte verweinte Augen. Als sie die Kriminalisten sah, schrak sie zusammen. „Wie geht es ihm“, fragte sie ängstlich. „Wissen Sie etwas? Mir gibt man ja keine Auskunft, wenn ich im Krankenhaus anrufe. Ich war sogar hingefahren …“ Zwei ältere Kundinnen störten das Gespräch. Dann kam Axel Krause, der Drogist, ins Geschäft. „Anstehen muß man auf der Post“, schimpfte er, sah Walter Reinhardt und Seppel Beck und erfaßte mit geübtem Blick, daß er es nicht mit Herren zu tun hatte, die etwa nach Rheumasalbe verlangten. ,,Hab ich mir gleich gedacht“, sagte er, als Reinhardt Namen und Dienstgrad genannt hatte. „Bitte, kommen Sie, meine Herren Kommissare!“ Er führte sie nach hinten ins Labor. Dort standen unter dem Giftschrank ein Biedermeiersofa, ein ovaler Tisch und drei mit rosa Atlas bezogene Sessel. „Bitte, nehmen Sie Platz! Ich habe Ihren Besuch erwartet! Und nicht nur ich – unsere kleine Evelin“, er zeigte auf das Mädchen, das ihnen gefolgt war, „unsere Evelin sorgt sich am
meisten. Weiß man denn gar nichts, kein Lebenszeichen, nichts?“ Reinhardt hob die Schultern. Er durfte das Mädchen, das so tapfer war, nicht erschrecken, er durfte andererseits auch nicht zuviel verraten. „Er wird durchkommen“, sagte er, „aber ein Weilchen wird‛s wohl noch dauern, bis sie uns die Sprecherlaubnis geben.“ Evelin war beruhigt, und Axel Krause schien von einer schweren Last befreit. „Na?“ fragte Seppel Beck, als sie nach längerer Unterhaltung und drei Gläsern vorzüglichen Ceylon-Tees wieder im Auto saßen. „Ich glaube, wir brauchen eine neue Version!“ Reinhardt verzog den Mund zu einem entsagungsvollen Lächeln und startete den „Meisterklasse“-Wagen. „Das war keine Vorstellung, die er uns gab. Der Mann hat einen leichten Vaterkomplex! Und im übrigen decken sich seine Aussagen mit denen Kaluweits. Er hat alles versucht: ,Kauf kein Penizillin, bring deine Mutter ins Krankenhaus‛.“ „Hast du dir das Laboratorium angesehen?“ „Sehr genau. Nicht mehr und nicht weniger geeignet als die der kleinen Arzneimittelhersteller und Apotheker, die wir überprüft haben.“ Sie fuhren um den Pulverturm herum und bogen in die belebte Hauptstraße ein. „Und was tun?“ fragte Seppel Beck provokatorisch. „Wir machen weiter“, entschied Reinhardt. „Am Plan ändert sich nichts. Vielleicht sind wir morgen abend schon klüger.“ Evelin war allein in der Drogerie, als Kalle am nächsten Abend durch die unverschlossene Hoftür das Labor betrat. Sie ließ den Mantel, den sie anziehen wollte, um nach Hause zu gehen, fallen und stand regungslos. Sie schaute Kalle an und konnte es nicht fassen, daß er so plötzlich gesund und wohlbehalten bei ihr war.
„Wenn es nach den Ärzten gegangen wäre“ – er gab ihr einen Kuß und lachte – , „die hätten mich noch vierzehn Tage dabehalten.“ „Ja, bist du wirklich gesund?“ Er hob sie hoch, drehte sie einmal im Kreis und fragte, ohne sie abzusetzen: „Soll ich dir einen Kopfstand vormachen?“ Bevor Evelin antworten konnte, wurde sie etwas unsanft auf den Boden gestellt. Kalle lachte nicht mehr, sondern schnupperte an ihrem Hals herum. „Was ist das für ein Parfüm“, fragte er und faßte sie bei den Schultern, „wo hast du das her?“ „Ist es so faszinierend? Das ist der sechste Versuch unseres Prinzipals Pille! Es heißt: ,Eau de Cologne for Ladys‛!“ Sein Gesicht wurde um einen Schein blasser. „Weißt du, wer danach roch? Der Schiefnasige, der mir das Penizillin verkauft hat und erschlagen wurde!“ Im Augenblick, da er es aussprach, war er sich klar, daß er mit dieser Behauptung seinen Freund Pille verdächtigt hatte. Zu seiner großen Verwunderung schien Evelin davon weniger betroffen als er. Sie stutzte, war überrascht, doch dann schüttelte sie energisch den Kopf. „Das kann nicht sein“, sagte sie, „davon verkauft er nichts! Das sind seine Versuche, seine Proben!“ Noch einmal überzeugte sich Kalle. Er fühlte sich herausgefordert, schob jede Überlegung beiseite. „Irrtum ausgeschlossen“, sagte er. „Ich habe eine feine Nase! Eine Spur zuviel Moschus als Duftträger! Gehört eigentlich gar nicht ins Kölnischwasser, aber Pille macht das so. Und mehr Zitronenals Orangenöl!“ „Du mußt dich irren!“ Evelin griff nach ihrer Handtasche, kramte ein Fläschchen hervor und zeigte es ihm. „Das ist die Hälfte vom Versuch Nummer 6! Ich sollte mich damit probeduften. Er hat mich noch gefragt, ob er‛s ,Super-Lady‛ nennen soll …“ „Sieht ihm ähnlich“, sagte Kalle, „aber was hat er mit dem Rest gemacht?“
„Komm, überzeug dich“, sagte sie und zog ihn zu dem Arbeitstisch. In dem Schubfach, das sie öffnete, standen in einem Holzkästchen wohlgeordnet die Glasröhrchen mit eingeschliffenen Stopfen. Jedes einzelne war beschriftet. Der Versuch Nr. 6, ,Eau de Cologne for Ladys‛, fehlte! Evelin kannte die Arbeitsgewohnheiten des Drogisten besser als Kalle: Daß etwas fehlte, das gab es nicht, das durfte einfach nicht sein! „Hier hat er es reingestellt, und was hier drin steht, das gibt er nicht weg, das weiß ich genau.“ Sie schaute Kalle an, sah noch einmal in die Tischlade und schob sie zu. „Irgend jemand muß das Fläschchen herausgenommen haben“, sagte sie. Keine Spur von Verwirrung war an ihr zu bemerken. „Der Kasten ist unverschlossen. Dir ist bei dem Schiefnasigen der gleiche Geruch aufgefallen. Es ist ja auch ein typischer, ein unverwechselbarer Duft!“ „Das heißt also, daß dieser Mann abends, als wir schon weg waren, hier im Labor gewesen sein muß!“ „Der Schiefnasige hier bei Pille?“ Kalle zwang sich zu einem Lachen und schüttelte den Kopf. „Evelin, Mädchen, hör mir mal zu: Wir wollen dieses Parfüm ganz schnell vergessen! Ich habe mich geirrt! Das ist doch möglich.“ „Jetzt redest du dir selber was ein, weil du an deinen Freund Pille glaubst. Weil du nicht wahrhaben willst, daß er kalt und berechnend ist. Er war dein Kriegskamerad, aber war er dein Freund? Nein! Echte Gefühle kennt er nicht. Er spielt uns den Clown vor, er spielt dir den Freund vor. Im Grunde genommen nutzt er uns beide aus. Wenn du nicht wärst – ich hätte schon längst gekündigt!“ Sie drehte sich um und nahm ihren Mantel auf. „Wo willst du hin?“ Er verstellte ihr den Weg. „Ich habe dem Kommissar Reinhardt versprochen, zu ihm zu kommen, wenn mir etwas auffallen sollte …“ Er faßte nach ihrem Mantel, sie hielt ihn fest, und während
sie wütend an ihm herumzerrten, betrat Pille das Labor. „Kalle, Menschenskind! Ja, das ist eine Überraschung!“ Er lief auf ihn zu, schlug ihm auf die Schulter und betrachtete ihn. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck kindlichen Staunens. „Du kommst aus dem Krankenhaus hier reingeschneit wie der Weihnachtsmann!“ Er beklopfte ihn, fragte, wie es ihm gehe und wie es gewesen sei, holte Schnaps aus dem Giftschrank und schenkte ihnen ein. Evelin hatte sich den Mantel angezogen und wartete. „Na, geh, mein Täubchen, laß uns allein! Du wirst ihn schon noch haben, deinen Kalle“, forderte Pille sie auf und wedelte mit beiden Händen in Richtung Tür. „Bis später“, sagte Evelin und ging mit erhobenem Kopf hinaus. Pille sah ihr nach, sah dann – mit einem Auge blinzelnd – Kalle an und sagte: „Sie haben alle ihre Mucken, aber jeder muß selbst seine Erfahrungen sammeln! – So, und nun bist du dran, Junge!“ Er hob sein Glas: „Prost erst mal!“ „Prost“, sagte Kalle, und dann saß er da und schwieg. Zu keinem ein Wort über das, was wir heute vorhaben, hatte Kommissar Reinhardt gesagt, auch nicht zu Ihrem besten Freund! Und auch kein Wort darüber, daß Sie den Schiefnasigen zum Reden gebracht haben, daß er die „Blaue Grotte“ genannt hat! Ich hab‛s versprochen, dachte Kalle. „Was hast du, Junge? Ist dir nicht gut?“ fragte Pille besorgt. „Ach, nichts! Laß mir einen Moment, gib mir noch einen Schnaps!“ „Eau de Cologne for Ladys“ – Kalle glaubte den Duft noch in der Nase zu spüren. Es war ein eigenartiger, seltsamer Geruch nach Seife und Kölnischwasser. Ich kann mich nicht geirrt haben, dachte er. Evelin hat recht: Ich habe mir was vorgemacht, weil ich nicht glauben will, daß Pille Verbindung zu dem Schiefnasigen hatte! Aber er muß hier gewesen sein, hier in diesem Labor! Vielleicht war er scharf auf Parfüm, vielleicht
wußte er, wo die Fläschchen stehen …
„Ist ja auch ein Wahnsinn, dich so früh zu entlassen! Komm, leg dich ein bißchen lang“, sagte Pille und rückte fürsorglich die Kissen auf dem Sofa zurecht. Kalt und berechnend soll Pille sein, nein, das ist er nicht! „Nun komm“, Pille trat vor ihn hin und wollte ihm auf das atlasbespannte Sofa helfen. Sein Gesicht war ganz nah vor dem seinen. So hat er sich über mich gebeugt, als ich verwundet war, dachte Kalle. Er wußte aus seiner Verwirrung keinen Ausweg mehr. Wenn der Schiefnasige hier im Labor war, dann hatte ihn Pille bestellt, und dann war er der Chef. Dann war auch der Schiefnasige auf seinen Befehl gestorben, dann starben Menschen in den Krankenhäusern … Aber Pille hatte ihn an der Front bei Lauban aus dem Feuer
geschleppt. Er hatte ihm das Leben gerettet. „Du hast Fieber! Du bist krank, Junge! Los, leg dich hin, ich hole eine Decke …“ Kalle sprang auf, das blonde Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er riß sich los. „Ich habe kein Fieber! Ich will wissen, ob du ein Mörder bist!“ Sie starrten sich an. Pilles Augen waren ganz rund. Auch sein Mund war offen und rund. Wie ein Kind, das etwas nicht versteht, sah er Kalle an – staunend und ungläubig. Aber nicht ängstlich oder entsetzt. Pille hörte schweigend zu. Er lächelte, als Kalle mit seiner Beichte fertig war. Sein Lächeln war verständnisvoll und gütig. „Da ist allerlei auf dich eingestürmt“, sagte er, „die Volkspolizei und unsere kleine Evelin! Verdammt will ich sein, wenn das nicht eine Blutsbruderschaft ins Wanken bringt! Das klappt wie im Pantinenkeller; ein Beweis jagt den anderen!“ Und wie ein väterlicher Freund sagte er, während er zu seinem großen Chemikalienschrank trat: „Ich nehme dir nichts übel, Kalle, im Gegenteil, ich bin froh, daß du mir das gesagt hast. Das ist so logisch, weißt du, ich würde mich selbst für den Chef dieser Penizillinschieber halten – aber ja“, kam er einem Einwand zuvor, „und am überzeugendsten ist die Sache mit dem Parfüm!“ Er öffnete den Schrank, nahm ein Glasröhrchen heraus und brachte es Kalle. „Nichts gegen deine Evelin! Ein kluges Kind …“ Kalle betrachtete das Röhrchen, zog den Glasstöpsel heraus und roch daran. Es war der Rest des Versuchs Nr. 6: „Eau de Cologne for Ladys“. Sie sahen sich an, dann kniffen sie wie auf Kommando ein Auge zu, grinsten sich an und hoben jeder einen Daumen nach oben. So hatten sie es früher getan, wenn sie gemeinsam etwas überstanden hatten. „Kommst du mit in die ,Blaue Grotte‛?“ fragte Kalle. „Aber klar, Junge …!“ Pille goß Schnaps in die Gläser, „
…oder meinst du, ich laß dich allein auf Stoßtrupp für die Kripo gehen?“ Kaluweit zog als erster los. Der Drogist sollte verabredungsgemäß etwas später folgen. Kommissar Reinhardt brauchte nicht zu wissen, daß sie sich ausgesprochen und verbündet hatten. Die Straße war schmal und abschüssig. Im trüben Lichtkreis der Gaslaterne standen einzelne Damen und sprachen Kaluweit an. Aber der hörte nicht. Er sah das Licht der blauen Ampel über dem Kellereingang schimmern. Ein großer kräftiger Mann im Lodenmantel kam ihm entgegen“. Das war der Kommissar! Er nickte ihm zu und lief weiter! Also war alles in Ordnung. Was mochte der Kommissar denken, nachdem Evelin bei ihm gewesen war? Die Laterne hing über der Treppe. Kalle ignorierte den goldbetreßten Einlaßhüter, einen groben, plumpen Rübezahl, und stieg die ausgetretenen steilen Steinstufen hinab. Im Vorraum zog er den Mantel aus und warf ihn auf den Tisch der Garderobenvettel. Schlecht, dachte er, sie könnten was Lieblicheres hinstellen zur Begrüßung! Vor dem Spiegel kämmte er sich. Er war zufrieden mit seinem Aussehen. Den Mädchen im Barraum hinter der gläsernen Schwingtür würde er gefallen. Die Musik war laut. Das Licht hinter der Tür wechselte von Blau nach Rot. Er zahlte die Garderobengebühr, wollte ins Lokal gehen und wurde plötzlich daran gehindert. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter und hielt ihn fest. Der Pförtner, der Zerberus! „Halt“, sagte er, „du kommst nicht rein! Überfüllt!“ Kalle sah in ein feistes Fleischhauergesicht. Kleine Augen unter der pompösen, kordelgeschmückten Mütze. Drohend sah ihn der Türhüter an. Aber da war noch etwas in seinem Blick: Hatte er Angst? Etwa vor ihm? Kaluweit betrachtete den Rie-
sen interessiert, und plötzlich sah er dieses Gesicht unter einer steifen Hamburger Schiffermütze. Ja, natürlich, das war er! Das war der Mann, den er für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte, als er sich, über dem Schiefnasigen knieend, umwandte! Die Theateruniform ließ ihn fremd erscheinen. Stellte man sich ihn in Schifferjoppe vor, einen Zigarrenstummel zwischen den Lippen, dann gab es keinen Zweifel. Nichts anmerken lassen, dachte Kaluweit. Ich muß ihn in Sicherheit wiegen! „Du kommst nicht rein“, schnaufte der Uniformierte, „du nicht!“ „Moment mal!“ Kaluweit blieb ganz freundlich. „Erst läßt du mich rein, dann sagst du, es ist überfüllt …“ „Gib ihm den Mantel zurück!“ Die Garderobiere warf Kaluweit den Mantel in die Arme, der Türhüter faßte Kalle beim Kragen und beim Hosenbund und wollte mit ihm zur Tür. Ein Kopfstoß ließ ihn gegen den Spiegel taumeln. Er duckte sich, hob die Arme an und schob sich wie ein sprungbereiter Ringer auf Kaluweit zu. „Warte, du …“ „Ein gewandter Redner bist du nicht“, sagte Kaluweit, um ihn noch mehr zu reizen und blindwütig zu machen. Als der Koloß zuspringen wollte, klappte die Eingangstür, und Axel Krause stand im Vorraum. Verwundert sah er von einem zum anderen. „Kalle, was ist los?“ fragte er und trat zu dem uniformierten Rausschmeißer, der mit hängenden Armen dastand und verständnislos glotzte. „Aber Paulchen“, ermahnte ihn der Drogist, sah freundlich lächelnd zu ihm auf und tippte ihm sanft auf den Arm. „Was ist los? Das ist mein Freund!“ „Der kommt nicht hier rein, der nicht!“ „Für meinen Freund ist immer ein Platz frei! Merk dir das“, sagte Pille mit Nachdruck. Er zog seinen Mantel aus, rückte dem Türhüter die verrutschte Krawatte zurecht, sagte vorwurfsvoll: „Wie du wieder aussiehst …“, hakte dann Kalle unter, und sie gingen durch die Schwingtür ins Lokal.
„Er ist ein bißchen blöd, aber sonst ein lieber Mensch“, entschuldigte er den Portier. „So, nun mal rein in die Nahkampfdiele!“ Pille lachte und grüßte nach allen Seiten, sie nahmen an einem reservierten Tisch Platz, eine Flasche Rheinwein wurde bestellt. Karl Kaluweit blieb ruhig. Er wunderte sich selbst, wie kaltblütig er war. „Laß dir nichts anmerken“, sagte er zu Pille und lächelte einer wasserstoffblonden, hohlwangigen Schönheit zu, die an der Bar saß und ihm aus dunkelumränderten Augen aufmunternde Blicke zuwarf, „laß dir nichts anmerken, Pille, und bleib ganz ruhig: Der Türhüter da draußen, das ist der Mann, der den Schiefnasigen erschlagen hat.“ Der Drogist zuckte zusammen, sein Kopf schnellte hoch. Entsetzt sah er Kaluweit an. Dann war die Schrecksekunde vorüber, und sein Gesicht entspannte sich. „Ach, Junge, du spinnst! Das ist doch lächerlich!“ Er schüttelte den Kopf wie über einen dummen Witz. „Paulchen! Warum sagst du nicht gleich, die Garderobenfrau war es?“ „Ich bin ganz sicher“, sagte Kalle mit einer Bestimmtheit, die jeden Zweifel ausschloß. „Und er hat mich wiedererkannt! Jetzt wird es spannend, Pille! Du kennst ihn gut, du gehst raus und sprichst mit ihm. Wenn er abhaut, gib der Kripo einen Wink – Beck steht im Hausflur gegenüber.“ Pille nickte, stand vom Tisch auf und ging hinaus. Die Toiletten befanden sich eine halbe Treppe höher auf einem spärlich erleuchteten Gang, der mit übereinandergestellten Tischen und Stühlen verbaut war. Hinter diese Deckung hatte Pille den Türhüter gezerrt. Er hatte den Riesen bei der Brust gepackt, schüttelte ihn, stieß ihn gegen die Wand. „Ich rufe an, ich will dir Bescheid geben! Wozu hast du ein Telefon …!“ Der Riese wehrte sich nicht. Schlaff und hilflos, mit hängendem Unterkiefer stand er an der Wand und glotzte angstvoll den viel kleineren, ihm nur bis zur Brust reichenden Drogisten
an. „Das Telefon – das – , das ist kaputt“, stammelte er. „Ich hatte keine Ahnung! Als der hier auftauchte – du hast gesagt, der liegt im Krankenhaus – , der kann nicht reden! Kann alles beim alten bleiben, hast du gesagt …“ „ … hab ich gesagt“, äffte Pille ihn nach. „In der letzten Stunde hat sich alles geändert! Und jetzt verschwinde! Du holst das restliche Zeug aus dem Keller und dann ab durch die Mauerdurchbrüche, verstanden?“ Der Drogist sah, daß Kalle die Treppe heraufkam. Er schob den vor Angst halb gelähmten Muskelberg zur eisernen Notausgangstür und war mit ein paar schnellen Schritten an der Treppe. „Nichts“, rief er Kalle entgegen und hob enttäuscht die Arme. „Ich habe alles abgesucht – er ist weg!“ Der Rausschmeißer kniete im Weinkeller vor einer quadratmetergroßen Abwassergrube. Den Eisendeckel hatte er abgenommen und bückte sich nun, hob zwei Weißblechkanister, die auf einem Fangsieb standen, heraus, öffnete sie und begann sich die ungeheuren Taschen seines Uniformmantels mit Penizillinpackungen vollzustopfen. Er blieb auf den Knien dabei, atmete schwer, als hätte er eine anstrengende Arbeit zu verrichten. Schweiß lief über sein breites Gesicht. Eine Stimme ließ ihn herumfahren. Kalle stand zwischen den leeren Flaschenregalen. „Na also“, sagte er, „da nimmst du uns ja die Arbeit ab!“ Er dachte nicht daran, sich mit dem Riesen auf einen Kampf einzulassen. Pille hatte er geschickt, die Kripo zu holen. Jeden Augenblick mußten sie hier sein. Kalle zog eine Signalpfeife aus der Tasche, aber bevor er das vereinbarte Zeichen geben konnte, schoß der schwerfällige Mann aus seiner kauernden Haltung hoch und war mit einem einzigen Satz bei ihm. Kalle wehrte sich verbissen. Er beherrschte Jiu-Jitsu-Griffe, aber
gegen den keuchenden, schnaufenden Fleischberg konnte er damit nichts ausrichten. Er wurde hochgerissen und wie eine Puppe gegen eines der Regale geworfen. Holz splitterte. Er spürte einen stechenden Schmerz im Kreuz, fiel zu Boden. Der Kerl entblößte grinsend seine Zähne. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, griff bedächtig in die Brusttasche des Mantels und holte das lederüberzogene Bleikabel hervor. Kalle lag auf dem Rücken. Er war unfähig, auch nur einen Arm zu heben. Aber sehen konnte er, und er sah, wie sich der Riese langsam bückte, wie er zum Schlag ausholte … Das Weitere geschah sehr schnell. Es war das Werk einer Sekunde: Pille stand plötzlich hinter dem Rausschmeißer. Er hielt eine volle Rotweinflasche in der Hand. Es gab einen dumpfen, knirschenden Laut, Glas splitterte … „Junge“, sagte Pille und ließ den Flaschenhals, den er in der Hand hielt, fallen. „Junge, das war mal wieder in letzter Sekunde!“ „Ich lasse mir von Ihnen nichts einreden, Herr Kommissar! Er hat mir zum zweitenmal das Leben gerettet! Wenn er zu den Penizillinschiebern gehörte, hätte er es nicht getan!“ Es war spät in der Nacht. Reinhardt war müde. Was sollte er mit diesem Jungen anfangen? Mit Worten war er nicht zu überzeugen. Der Drogist war sein Freund und hatte ihm das Leben gerettet, der Drogist ist nicht der Chef dieser Schieberbande, er kann es nicht sein, denn wenn er es wäre, hätte er niemals zugelassen, daß er, Karl Kaluweit, für seine Mutter Penizillin auf dem Schwarzmarkt kauft. Seppel Beck hatte das auch geglaubt, aber inzwischen waren sie klüger, nur der Junge wollte nicht klüger werden. Seine Freundin Evelin hatte ihn in Zweifel gestürzt, aber das Kölnischwasser, das für kurze Zeit zum Corpus delicti wurde, fand sich im Chemikalienschrank: Beweis für die Unschuld des Drogisten, Anlaß für Karl Kaluweit, sein Gewissen zu erleichtern und alle Zweifel zu gestehen.
Kriegskameraden sind offen zueinander, vertrauen einander. Sie wurden an der Front „zusammengeschweißt“, und diese Schweißnaht überdauert die Zeiten. Solche Vorstellungen hatte er wohl noch. Nein, mit Vernunftgründen war diesem Jungen nicht beizukommen. Kommissar Reinhardt stand auf und schaltete die Deckenbeleuchtung aus. Die Schreibtischlampe genügt! „Sie sagen, er hat Ihnen das Leben gerettet“, versuchte er es noch ein letztes Mal, „ich würde sagen, er hat den wichtigsten Zeugen erschlagen. Es ist niemand mehr da, der gegen ihn aussagen kann. Ich habe Ihnen das alles erklärt, Herr Kaluweit, ich habe Ihnen klargemacht, daß die ganze Organisation höchstwahrscheinlich nur aus Ihrem Freund Pille, dem toten Rausschmeißer und dem anderen, dem mit der schiefen Nase,
bestand. Es reicht doch vollkommen. Ein kluger Kopf, zwei primitive Gehilfen …“ „Eine Frage“, Kalle wandte sich an Beck. „Hat Pille Sie auf der Straße benachrichtigt oder nicht?“ „Nachdem der Rausschmeißer tot war“, sagte Beck. Kalle nahm seinen Mantel vom Haken. „Entschuldigen Sie, daß ich noch lebe“, sagte er kühl und ein wenig ironisch. „Wäre Pille gleich über die Straße zu Ihnen gelaufen, Herr Kommissar, dann wäre ich jetzt tot – und sicher ist es unverzeihlich, daß er nicht gleich über die Straße lief. Das war unkorrekt, ich kann Sie verstehen. Er wollte erst einmal nachschauen, was aus mir wird, wohin ich gehe. Das dumme ist bloß, daß ich ihm sehr dankbar bin für diese Unkorrektheit.“ Er nahm den Mantel, zeigte zur Tür und fragte höflich: „Lassen Sie mich jetzt gehen?“ Es war still im Zimmer. Reinhardt nickte. „Nur noch eine Frage, Herr Kaluweit – wir haben über so vieles geredet, nur über eines noch nicht: Wie war denn das mit der ersten Lebensrettung damals, vor Lauban? Ich wollte schon immer danach fragen, Sie haben es so oft erwähnt – aber dann sagte ich mir: Darüber spricht er nicht gern, das ist etwas, was nur sie beide angeht, etwas, das eine Kameradschaft zu einer Freundschaft fürs Leben macht.“ Reinhardt sah, daß er ihn mit dieser Frage gepackt hatte. „Ich will nicht indiskret sein, aber da wir uns so eingehend und dabei so unterschiedlich über ihren Freund geäußert haben, interessiert es mich natürlich.“ Kalle zögerte. „Na schön“, sagte er dann. „Es war vor einem russischen Panzerangriff. März fünfundvierzig. Der Krieg war schon zu Ende, aber ein Durchhalteleutnant wollte noch den Endsieg sichern. Er hatte mir die 08 auf die Brust gesetzt – ich war dafür, daß wir die Knarre wegschmeißen! – , und da wollte er mich vor der Mannschaft erschießen. Abschreckendes Beispiel. ,Führerbefehl‛. So was muß man erlebt haben, Herr
Kommissar Reinhardt! Und da war keiner in dem ganzen Haufen, der ihm ein Ding verpaßt hätte! Standen da wie die Ölgötzen. Und der Leutnant drückte ab, verstehen Sie, er drückte ab! Aber der Schuß klatschte gegen die Mauer. Pille war vorgesprungen und hatte einen rechten Aufwärtshaken gelandet.“ Kalle sah die Kriminalisten an. „Das vergißt man nicht so leicht“, sagte er leise. „Und was geschah danach?“ fragte Reinhard. „Tja, was geschieht schon danach? Einer muß die Initiative ergreifen – und das war Pille. Er hat den Schnösel angebrüllt: Ob er wolle, daß der Haufen kurz vor dem Angriff durchdrehe?“ Reinhardt hob überrascht den Kopf. „Wie denn? Er hat den Leutnant angebrüllt!“ „Ja, er hat ihn bei seinem noch ritterkreuzlosen Kragen genommen, hätten Sie mal sehen sollen! Der dachte nicht mehr daran, einen Obergefreiten Kaluweit zu erschießen!“ „So also war das“, sagte Reinhardt nachdenklich, fast ein wenig traurig. „Er hat den Leutnant angebrüllt und ihn beim Kragen gepackt. ,Ob er wolle, daß der Haufen durchdrehe kurz vor dem Angriff!‛ Das heißt doch wohl, daß Ihr Freund Pille die Manneszucht, wie man so schön sagte, wiederhergestellt hatte, daß Sie dann doch noch gekämpft haben?“ Kalle schwieg. Offensichtlich war es ihm unangenehm, die Frage zu beantworten. „Und wieviel sind übriggeblieben von diesem Haufen?“ fragte Reinhardt behutsam. „Fünf – von dreiundachtzig.“ Es war still im Zimmer. „Ja“, sagte Reinhardt nach einer Weile, „dann hat Ihr Freund Pille den Durchhalteleutnant wohl noch übertroffen.“ Kalle “drehte sich um und ging hinaus. – Gegen zwei Uhr nachts kam der Drogist nach Hause. Er schlief oft in seinem Labor, betrachtete es als sein zweites Zuhause. Er schloß die Hoftür auf, knipste das Licht an. Auf
dem Biedermeiersofa saß Kalle. „Junge, jagst du mir einen Schreck ein!“ Pille hatte sich schnell wieder gefaßt, brannte sich eine Zigarette an, warf Kalle die Schachtel auf den Tisch. „Das war ein Tag“, seufzte er, lachte dann im nächsten Moment und schlug Kalle auf die Schulter. „Aber daß du nach all dem noch lebendig vor mir sitzt …“ Er unterbrach sich, sah Kalle forschend an: „Was ist los? Was guckst du so?“ „Du hast mit der Flasche absichtlich etwas kräftiger zugehauen, nicht wahr, Pille?“ „Blöde Frage!“ „Du hast verhindert, daß er gegen dich aussagen kann …“ „Sag mal, was willst du von mir“, forderte Pille und sog an seiner Zigarette. „Ich möchte von dir die Wahrheit hören“, sagte Kalle. „Quatsch! Die Wahrheit!“ Der Drogist begann mit kurzen Schritten herumzuwandern. Ab und zu sah er zu Kalle hinüber. „Du kennst doch die Wahrheit! Hast du noch nicht begriffen!“ „Und warum hast du‛s getan?“ „Warum? Warum?“ Pille wurde wütend. „Das fängt einmal an, und dann geht das immer weiter. Ich habe Geld gemacht in dieser beschissenen Zeit! Ja, darum!“ Er blieb vor dem Tisch stehen. „Jetzt komm mir nicht mit Moral!“ „Ob Frauen und Kinder kaputtgehen, das rührt dich nicht. Es sind ja soviel gestorben!“ Kalle stand auf und trat dicht vor ihn hin. „Die Zweifel, die ich hatte, habe ich zurückgedrängt. Ich hab dich immer verteidigt! Ich habe nicht glauben können, daß du ein solches Schwein bist, Pille, daß du es fertigbringst zuzusehen, wie meine Mutter vergiftet wird!“ Pille warf die Zigarette auf den Teppich und trat sie aus. Der Teppich war handgeknüpft, ein wertvolles Stück, aber das spielte keine Rolle mehr. „Hab ich dich gewarnt? Hab ich nicht gesagt, laß die Finger davon?“ Pille riß sich zusammen, er schrie nicht mehr, sein Gesicht nahm einen gefährlich wachen, lauernden Ausdruck an. „Das hast du alles der Kripo erzählt,
oder sie haben es dir erzählt – ist auch egal, wer wem was erzählt hat! Ich wollte nicht, daß du Penizillin kaufst für deine Mutter. Hätte ich dir sauberes beschafft, dann hätte ich mich verraten. Die Chance, daß du auf dem Schwarzmarkt sauberes kaufst, stand zwanzig zu achtzig! Eine gute Chance! Wer hat sie schon? Und daß du auf den Schiefnasigen triffst, war nicht vorauszusehen. Von da an lief alles schief, mein Junge. Aber was willst du“, er lächelte versöhnlich, „deine Mutter lebt, und was sehr wichtig ist, mein Kleiner“, er langte nach oben und klopfte Kalle, der es nur widerwillig geschehen ließ, auf die Schulter, „die Kripo kann mir nichts, sie kann mir gar nichts beweisen! Also laß uns vernünftig miteinander reden: Deine Mutter wird wieder gesund, und wir stoßen uns auch gesund!“ „Nein“, sagte Kalle. „Hast du alles vergessen?“ fragte Pille. „Du hast mir das Leben gerettet“, sagte Kalle, „hast den Leutnant zusammengestaucht. Und dann haben wir auf die Panzer geschossen. Dreiundachtzig waren wir, fünf blieben übrig. Was der Leutnant nicht geschafft hat, du hast es geschafft.“ Pille reckte den Kopf hoch und betrachtete Kalle, als ob er ihn zum erstenmal sähe. „Das hat dir auch der Kommissar Reinhardt beigebracht, nicht wahr?“ „Ja“, sagte Kalle. Der Drogist nickte, machte ein paar Schritte, fragte beiläufig: „Und was gedenkst du nun zu tun?“ „Ich will, daß du dich stellst.“ „Aha, freiwillig!“ Ein kurzer Blick flog zu Kalle. „Ja, dann – wenn das dein fester Wille ist! Wenn du mich unbedingt vor dem Richter sehen willst …“ Pille war vor dem Giftschränkchen stehengeblieben und öffnete es. Kalle nahm an, daß er einen Schnaps trinken wollte. „Es tut mir leid“, sagte Pille, schloß ein Fach auf und griff hinein. „Ich habe dich immer gut leiden können, aber du bist
ein so großer Idiot – du willst es nicht anders haben!“ Er drehte sich um und hielt einen Revolver in der Hand. Die Mündung war auf Kalle gerichtet. „Ich weiß, daß man mit dir nicht reden kann. Du würdest mich festhalten, wenn ich jetzt gehen wollte – aber ich werde gehen, Kalle! – , und da bleibt mir leider keine andere Wahl!“ Er drückte ab. Ein metallisches Klicken war zu hören. Der Schuß ging nicht los. Pille war verwirrt. Er starrte auf die Waffe, drückte ein zweites Mal, ein drittes Mal. Die Trommel drehte sich, der Hahn schlug auf die Patronenböden. Mit wutverzerrtem Gesicht zog er weiter ab, noch dreimal. Er klappte die Trommel zur Seite, drehte sie mit der Hand, drehte sie mit rasender Hast, obwohl er längst wußte, daß sechs leere Hülsen in den Kammern steckten. Er vergaß, daß Kalle noch immer vor ihm stand. Plötzlich standen Reinhardt und Beck im Zimmer. Der Drogist sah sie fassungslos an, Reinhardt ging auf ihn zu und nahm ihm den Revolver aus der Hand. „Wir haben das Ding ein wenig präpariert“, sagte er. Der Drogist ließ sich widerstandslos fesseln und abführen. „Und Sie“, sagte Reinhart zu Kalle, der sich langsam von dem Schock erholte, „Sie brauchen sich nicht bei uns zu bedanken, tun Sie das bei Ihrer Evelin!“ Er legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Es ist doch eine Klingel an der Tür – Sie sollten jetzt noch hingehen. Evelin schläft bestimmt noch nicht.“
Heft 309 Gottfried Kolditz Havarie Egill, der Kommandant der Kosmonautenschule „Dornbusch 2“, ist erschüttert. Zwei Raumschiffbesatzungen, die an der Schule getestet wurden, sind im Weltraum verunglückt. Waren diese Havarien wirklich unvermeidbar? Der Computer gibt bei der Analyse darüber keine erschöpfende Auskunft. Da entschließt sich Egill, als eine weitere Testmannschaft eintrifft, zu einer ungewöhnlichen Aktion, die ein großes Risiko in sich birgt.