KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARLHEINZ DOBSKY
HERZ DER ZEIT VO...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARLHEINZ DOBSKY
HERZ DER ZEIT VOM SCHATTENSTAB ZUR ATOMUHR
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
Von Zeit zu Z e i t . . . Schnell und sicher gleitet der „Gläserne Zug" dahin, in Rot und Silber schimmern die schmucken Aussichtswagen. Am mächtigen Chiemsee vorbei geht die Fahrt, deren Ziel hinter weißblauen Bergen lockt: Salzburg, Mozarts liebenswürdige Heimatstadt. Derfreundliche Zugführer hat uns erlaubt, neben ihm in der verglasten Kanzel zu sitzen, die den Blick freigibt auf die hier schnurgerade verlaufende Strecke. Im strahlenden Sonnenlicht spiegeln die blanken Schienen. Mein Begleiter hat das stählerne Doppelband der Gleise, an denen ich gar nichts Bemerkenswertes entdecken kann, nachdenklich ins Avige gefaßt. Auf meinen fragenden Blick wendet er sich mir zu: „Ich dachte an Schiller!" „Schiller? Also wenn du an Mozart gedacht hättest, könnte ich das verstehen — aber Schiller? Weil dieses Streckenstück da so vertrauenerweckend vor uns liegt: ,festgemauert in der E r d e n ' . ..? Ist es vielleicht deshalb?" „Nein, das ist es nicht. Aber sieh mal, ganz fern am Horizont, soweit wir die Gleise verfolgen können, da werden sie zu einem ruhenden Punkt, daß man bezweifeln möchte, ob wir uns wirklich darauf zu bewegen. Auch die einzelnen Schwellen lassen sich nicht untersdieiden. Sieht es nicht so aus, als ob sich da in der Ferne eine Schwelle nach der andern aus ihrer starren Ruhe löste? Zögernd erst kommen nun die Schwellen auf uns zu, eine nadi der andern, und je näher sie kommen, um so eiliger scheinen sie es zu haben, bis sie schließlich auf den Zug zustürzen, als könnten sie gar nicht schnell genug unter dem Wagen verschwinden. Und wenn wir jetzt zurückgehen ans Heck des Triebwagens, dann sehen wir die Schwellen in ebenso großer Eile wieder unter dem Wagen hervorkommen. Je mehr sie sich von uns entfernen, um so mehr verlangsamt sich ihre Bewegung, als ob sie sich nun wieder sicher fühlten. Und dort in der Ferne, am sichtbaren Ende der Strecke, da scheinen sie wieder ganz zur Ruhe zu kommen, wie jene, die noch vor uns liegen. Ich weiß natürlich, daß diese Schwellen sich überhaupt nicht bewegen, daß es uns nur so erscheint, weil wir selbst in rasender Fahrt über sie hinwegbrausen, auf die Alpen zu. Aber die Sdiwellen lassen midi an Sdiiller denken, an sein Gedicht über die Zeit, zu dem sie eine treffende Illustration bilden: Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen, 2
Ewig still steht die V e r g a n g e n h e i t . . . Keine Ungeduld beflügelt Ihren Schritt, wenn sie verweilt; Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt Ihren Lauf, wenn sie enteilt. Keine Reu', kein Zaubersegen Kann die Stehende bewegen. Möchtest Du beglückt und weise Endigen des Lebens Reise, Nimm die Zögernde zum Rat, Nicht zum Werkzeug Deiner Tat! Wähle nicht die Fliehende zum Freund, Nicht die Bleibende zum Feind! „Jetzt begreife ich dich", sage ich. „Du meinst also, daß die Bewegung der Schwellen nur scheinbar ist, daß vielmehr wir es sind, die auf sie zu und von ihnen hinwegeilen. Und du meinst auch, daß es sich mit der Zeit ähnlieh verhält. Ich weiß zwar nicht, was Zeit überhaupt ist, und tröste mich in meinem Unwissen mit dem Kirchenvater Augustinus, der gesagt hat: ,Wenn mich niemand danach fragt, was die Zeit ist, dann weiß ich es; wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären soll, dann weiß ich es nicht.' Dein hübscher Vergleich erinnert mich übrigens an die so anschaulichen Begriffe ,Lebenslauf, ,Laufbahn'; sie bedeuten doch, daß wir uns bewegen, aus einer scheinbar ewig stillen Vergangenheit über ein allzu flüchtiges Jetzt hinweg in eine noch ungewisse Zukunft." Mein Begleiter verfolgt wieder das gleichmäßige Spiel. Rechts von den Schienen taucht vor uns ein rotes Signal auf: Keine Einfahrt! Immer langsamer wird die Fahrt, immer langsamer scheinen auch die Schwellen auf uns zuzukommen. Eine schiebt sich noch unter den Wagen, dann hört alle Bewegung auf. Der Zug steht. Der Nachbar greift das Gespräch wieder auf: „Wenn ich Schiller rezitierte, so darf ich auch an ein Wort des Aristoteles erinnern: ,Zeit ist das Gezählte an der Bewegung gemäß dem Vorher und dem Nachher.' Messen und Erkennen der Zeit setzt also das Zählenkönnen voraus. Ein Kind, das noch nicht zählen kann, weiß auch nichts von einem Vorher und Nachher. Auch die Menschen der Vorzeit müssen wir in ihrem Zeitbewußtsein als Kinder betrachten, da sie keine Zahl kannten, die höher war als die Zahl ihrer Finger." Mir fällt in diesem Zusammenhang eine interessante Lebenserfahrung ein, und so erwidere ich: „Du sagtest, daß ein Kind, das noch nicht zählen kann, auch kein
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Vorher oder Nachher kennt. Kinder haben wahrscheinlich überhaupt ein anderes Zeitgefühl als Erwachsene. In meiner Kindheit lag zu Beginn der Sommerferien deren Ende in so unvorstellbar weiter Ferne, daß mir die Möglichkeit, die Schule könne jemals wieder beginnen, keiner ernsthaften Erwägung wert war. Höre nur, wie die junge Frau hinter uns ihrem Töchterchen schon zum hundertstenmal die sanfte, aber energische Mahnung zuflüstert, doch endlich stillzusitzen! Sie denkt nicht daran, daß diese kurze Bahnfahrt für ihr Kind eine überaus lange Reise bedeutet. Etwas Ähnliches meinte wohl auch der Naturwissenschaftler Lecomte de Noüy mit dem Lehrsatz, daß der Zuwachs an Erfahrung vom fünften bis zum zehnten Lebensjahr derselbe sei wie der vom zehnten zum zwanzigsten, oder der vom zwanzigsten zum vierzigsten oder der vom vierzigsten zum achtzigsten. Mit zunehmendem Alter lernen wir immer weniger hinzu, dafür jagen aber die Jahre immer schneller dahin, so wie deine Schwellen, die nun wieder in ,Bewegung' kommen, weil der Zug wieder fährt! Keine Stunde mehr, und wir sind am Ziel." „Du sprichst von ,Stunde' ", bemerkt mein Fahrtbegleiter, „mit diesem Wort hätte zum Beispiel der Geschichtsschreiber Herodot noch gar nichts anzufangen gewußt. Der Begriff ,Stunde' war im Altertum weit entfernt von der Genauigkeit, die ihm heute anhaftet. Das Wort ,hora', Stunde, ursprünglich gleich Jahreszeit, ist erst allmählich eingeengt worden; eine Stunde war damals rund gemessen ein Zwölftel des Tages, nicht ein Vierundzwanzigstel, und auch in altdeutscher Zeit bezeichnete ,Stunde' nur einen unbestimmten Zeitraum. Minuten und Sekunden kannten die Alten überhaupt nicht — deshalb waren ihnen auch Pünktlichkeit und Zeitausnutzung in unserem modernen Sinne völlig fremd. Aber man sollte dennoch nicht vergessen, was die alten Völker auch ohne Minutenpünktlichkeit an Unvergänglichem geschaffen haben." Während wir uns zum Aussteigen bereitmachen — Salzburg ist nahe — beschäftigen sich meine Gedanken noch immer mit dem Inhalt unseres Gespräches. Wie anders ist doch das Verhältnis des heutigen Menschen zu dem, was man Zeit nennt! Wir hasten und rasen und eilen und haben doch niemals Zeit. Anders als zum Beispiel Goethe, der im Grunde unendlich viel mehr gearbeitet hat als wir und immer noch die Zeit fand für ein ruhiges Verweilen, für ein gemächliches und besinnliches Gespräch. Audi Goethe hatte „acht auf die Gassen", und es blieb ihm dennoch Zeit, aufzublicken zu den Sternen. Wir aber nehmen uns keine Zeit mehr; wir haben uns weithin dem natürlichen Wechsel von Frühling und Herbst, von
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Altindische Sonnenuhr und Sternwarte Sommer und Winter, von Tag und Nacht entfremdet. Wir machen die Nacht zum Tage mit dem bleichen Neongeleucht großer Geschäftigkeit und den Tag zur Nacht im künstlichen Licht unserer Arbeitsstätten. Und doch ist es immer noch an uns, teilzunehmen an der Ruhe der Wälder und der Bergeshöhen oder auch an der Stille großer Gedanken. Wenn wir niemals Zeit haben, dann hat die Zeit uns — dann hält sie uns gefangen und wird zur Herrscherin, sie, die zum Dienen bereit ist jedem, der sie zu nutzen weiß. Schweigend sehen wir hinüber zu der gewaltigen Landschaft, die sich nun auftut. Die Festung Hohensalzburg ragt ins Sonnenlicht, und der Schatten des Felsens liegt wie ein riesenhafter Zeiger über dem gesegneten Land, eine Sonnenuhr des großen Baumeisters, vor dem tausend Jahre sind wie ein Tag.
Zeit aus Sonne, Sand und Wasser War es ein Fels, ein Baum, ein ins Erdreich gerammter Speer oder der eigene Körper, der den Menschen zuerst nachdenklich stimmte über den dahinwandelnden Schatten im Tageslauf der Sonne — wir wissen es nicht. Als die Jäger und Sammler der Urzeit sich zusam5
mentaten zu Sippen, Horden und Stammesgemeinschaften und erstmals Eigentum bildeten, erwies es sich als notwendig, die Jagdbeute und Fischgründe, die Äcker, Weiden und Wohnstätten gegeneinander abzugrenzen. Man lernte den Tausch, man verglich den Wert des eigenen Besitzes mit dem des Nachbarn. Alles Maß kommt aus der Gemeinschaft. Messen ist teilen — und man begann zu teilen, das Land, das Brot und die Zeit. Lange Zeit galten Mesopotamien und Ägypten als Geburtsländer der Zeiteinteilung mit Hilfe der Sonne, der Sonnenuhr, bis man feststellte, daß diese Art der Zeitmessung vermutlich von verschiedenen Völkern unabhängig voneinander entdeckt worden ist. Aus der Zeit um 1100 v. Chr. ist uns eine chinesische Aufzeichnung über die Herstellung von Sonnenuhren erhalten. Auch den altindischen Völkern und den Azteken in Mittelamerika waren sie schon früh bekannt. Bei den Chinesen aber erfuhren sie eine fast kultische Verehrung, und noch im vorigen Jahrhundert war die moderne Räderuhr in China ein unheilbringendes Ding, weil die Menschen glaubten, die Uhrenhersteller wollten der Sonne ihren Lauf vorschreiben, entgegen den göttlichen Gesetzen. In der Heiligen Schrift sind die großen Wächter, welche die Zeit beherrschen, mit Namen genannt. Und Gott sprach: „Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre. Und Gott machte zwei große Lichter — ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleineres Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, daß sie schienen auf die Erde und regierten den Tag und die Nacht und schieden Licht und Finsternis." Bis in die Gegenwart nahm alle Zeitmessung ihren Ausgangspunkt vom Lauf der Gestirne. Sonne, Mond und Sterne regieren die Zeit und geben ihr das Maß. Sie wurden zum ersten Wegweiser des Menschen und zu seiner ersten Uhr. Sonnenaufgang, Sonnenhöchststand am Mittag und Sonnenuntergang waren die ältesten vereinbarten Zeitpunkte für \ e r a b r e d u n g e n und Begegnungen. Fuß vor Fuß setzend, schritt der Mensch die Länge seines eigenen Schattens ab, dessen Größenunterschiede zu den verschiedenen Tages- und Jahreszeiten ihm bald vertraut waren. Wer so die Zeit an der Ausdehnung seines eigenen Schattens maß, benutzte seinen Körper als Zeiger, als „Gnomon" — wie die Griechen sagten. Aber auch jeder andere senkrecht aufragende Gegenstand konnte als Gnomon verwendet werden — Tempelsäulen, Pyramiden, Obelisken oder auch nur ein einfacher Pfahl. 6
Alle Schatten wandern auf unserer Erde täglich von Westen nach Osten, in genau umgekehrter Richtung des Sonnenlaufs von ihrem Aufgang bis zum Untergang. In den Ländern des Vorderen Orients ist die Sonne über Tag der fast stets vorhandene Licht- und Schattenspender; dort gibt es viel weniger sonnenlose Tage als bei uns, die Schatten sind auch schärfer und klarer umrissen, so daß jeder Stab zum Zeiger werden kann, der mit seinem Schatten die Zeit auf das große Zifferblatt des Erdbodens schreibt. Heilig war den Alten die Sonne, Sinnbild des Lichtes und allen Lebens. Nach Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht richteten die priesterlichen Baumeister die vier Flächen der Pyramiden aus. Den herrlichen Tempel von Karnak erbauten sie mit einer Säulenreihe, die in der Riditung stand, in der am Morgen der Sommersonnenwende das Himmelslicht am Horizont auftauchte. Nur einmal im Jahr schien die Sonne genau an dieser Säulenreihe entlang, zu Ehren Ras, des Sonnengottes, der in seinen Händen die Zepter des Ostens und des Westens trug. Der Krönungseid der Pharaonen enthielt eine Formel, durch die sie sich verpflichteten, von willkürlichen Eingriffen in den von der Sonne bestimmten Kalender abzusehen. „Söhne der Sonne" nannten sich die Könige Ägyptens, und sie beteiligten sich selbst an astronomischen Messungen: „Ich fasse den Fluchtstab, packe den Stiel des Schlegels und ergreife die Schnur gemeinsam mit der Göttin der Weisheit. Ich wende mein Antlitz nach dem Gang der Sterne, ich richte meine Augen auf den Großen Wagen und lege die Ecken des Tempels fest." Im zweiten Buch seiner „Historien" erzählt der Vater der Geschichtsschreibung, der Grieche Herodot von Halikarnassos, von dem ägyptischen Pharao Sesostris: „Dieser König soll das Land unter sämtliche Bewohner verteilt und jedem ein gleich großes viereckiges Stück gegeben haben. Der Pachtzins, den er jährlich verlangte, bildete seine Einkünfte. Riß der Nilstrom von einem Acker etwas fort, so ging der Besitzer zum König und zeigte es an. Der sandte Leute, um nachzusehen und die Verminderung des Besitzes auszumessen, damit der Eigentümer nur von dem verbliebenen Rest den festgesetzten Zins zu bezahlen habe. Mir scheint, daß hierbei die Geometrie erfunden worden ist, die dann auch in Griechenland bekannt wurde. Aber was die Sonnenuhr und den Sonnenzeiger betrifft sowie die Einteilung des Tages in zwölf Teile, so haben die Griechen diese Dinge nicht von den Ägyptern, sondern von den Babyloniern übernommen." Der Name des Mannes, der die Kenntnis der Sonnenuhr nach Griechenland gebracht haben soll, ist uns überliefert. Es ist der aus
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Babylon stammende Astronom Berosus, der um 575 v. Chr. gelebt hat. In seiner Heimat war die Sonnenuhr schon lange vorher in Gebraucli. Auch in Alt-Israel kannte man diese Uhr mit dem Schatten. zeiger. In der Bibel lesen wir im zweiten Buch der Könige von dem Herrscher Hiskia, der um das Jahr 700 v. Chr. König von Juda war: „Hiskia aber sprach zum Propheten Jesaia: ,Welches ist das Zeichen, daß mich der Herr gesund machen wird und ich in des Herrn Haus hinaufgehen werde am dritten Tage?' Jesaia sprach: ,Das Zeichen, daß der Herr tun wird, was er versprochen hat, wird der Herr selber dir geben. Soll der Schatten der Sonnenuhr zehn Stufen vorgehen oder zehn Stufen zurückgehen?' Hiskia antwortete: ,Es ist leicht, daß der Schatten zehn Stufen vorrückt. Das will ich nicht, sondern ich will, daß der Schatten zehn Stufen zurückweicht.' Da rief der Prophet Jesaia den Herrn an und redete mit ihm, und siehe: der Schatten ging hinter sich zurück die zehn Stufen am Zeiger, die er bereits vorwärtsgegangen war. Das war das Zeichen, um das der König gebeten hatte." Dem Herrn des Himmels — das will diese Geschichte besagen —• ist Macht gegeben auch über den Lauf der Sonne, in seiner Hand liegt es, dem Tagesgestirn Einhalt zu gebieten und seine Bewegung rückwärts zu kehren, so daß sein Schatten in entgegengesetzter Richtung verläuft. Die Sonnenuhr des Königs Hiskia wird eine Horizontaluhr gewesen sein — das ist nur eine der sechs möglichen Konstruktionen, die aber alle etwas gemeinsam haben: immer muß der Schattenstab, der „Zeiger", genau parallel zur Erdachse stehen. Wenn man am Nordpol oder am Südpol eine Sonnenuhr aufstellen wollte, dann müßte der Stab senkrecht zum Himmel ragen und mit dem Horizont einen rechten Winkel bilden, während eine am Äquator aufgestellte Sonnenuhr ihren Stab genau waagrecht tragen müßte. Die Horizontaluhr ist die beliebteste und verbreitetste Sonnenuhr, weil sie alle Stunden vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang anzeigt. Ihr Zifferblatt liegt waagrecht, parallel mit dem Erdboden, und der Fußpunkt des Scbattenstabes ist immer nach Süden gerichtet. In Schloßgärten und Parkanlagen sieht man häufig solche Horizontaluhren aus alter und neuerer Zeit, man wird diese Merkmale immer wieder bestätigt finden. Auch die Taschen-Sonnenuhren — die älteste uns bekannte ist etwa dreitausend Jahre alt, aus grünlichem Sdiiefer und stammt aus Ägypten — sind Horizontaluhren und müssen, wenn man die Zeit richtig ablesen will, waagrecht gehalten und nach Süden ausgerichtet werden. Einer späteren Zeit gehören die KlappSonnenuhren an, die man aufschlagen konnte wie ein Buch. Sie ent8
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Aufklappbare Vertikal- uud Horizontal-Sonnenukr aus dem Jahre 1597. Als Sdiattenstab oder „Gnomon" dient ein feiner Goldfaden, dersitii beim Aufklappen automatisch anspannt. Im unteren Teil ist ein Kompaß eingebaut. Gehäuse aus vergoldetem Silber.
Aus dem Histor. Museum London
hielten oft neben der Horizontaluhr auf der Innenseite des Deckels noch eine Vertikal-Sonnenuhr nach dem gleichen System, wie es meist an Türmen und Häuserwänden angebracht wurde und bei dem das Zifferblatt senkrecht nach oben steht. Nun gibt es aber noch eine Gruppe von Sonnenuhren, die ganz auf die ebene Fläche verzichtet und deren Zifferblatt die Form eines Zylinders oder eines Halbzylinders aufweist. Das sind die Äquatorialuhren, und sie waren schon bei den Griechen und Römern bekannt. Ein besonders schönes Modell wurde vor einigen Jahren nach Entwürfen des weltbekannten Uhrenkonstrukteurs Lothar M. Loske in Frankfurt am Main aufgestellt. In fast zweijähriger Bauzeit wurde aus reinem Kupfer die tausend Kilogramm schwere Ringkugel mit einem Durehmesser von dreieinhalb Metern konstruiert. Dieser gewaltige Umfang und die oft nur Millimeter großen Markierungen ermöglichen es dem Beschauer, die Frankfurter Ortszeit, die Mitteleuropäische Zeit, die Zonenzeiten und die Ortszeiteil der Großstädte von Buenos Aires bis Oslo fast auf die Sekunde genau abzulesen. Hier liegen Verbesserungen und Verfeinerungen vor, von denen die Babylonier sich noch nichts haben träumen lassen. Aber auch sie wußten schon, daß an sich jeder Bewegungsvorgang zur Zeitmessung verwendet werden kann, unter einer Voraussetzung: er muß regelmäßig sein.
* In den alten Kulturländern des Vorderen Orients war das Wasser ein kostbares Gut. Jeder Tropfen war wertvoll und wurde gezählt — wie die Stunden. Man muß schon sehr früh auf den Gedanken gekommen sein, das Wasser zum Messen der Zeit zu verwenden, denn im alten Babylon riefen bereits Herolde den Stand der Wasseruhren aus. Die vornehmen Römer hielten sich Stundensklaven, die von Zeit zu Zeit auf den Markt gingen und sich vom Stand der Wasseruhr, der Klepsydra, unterrichten mußten. Das griechische Wort ,Klepsydra' bedeutet „Wasserstehler". Wer einem das Wasser stahl, der stahl ihm auch die Zeit. Der große griechische Philosoph Piaton soll die Wasseruhr etwa um das Jahr 400 v. Chr. in Griechenland eingeführt und nach alten Berichten selbst einen sehr kunstvollen Wasserwecker gebastelt haben. Er hängte das untere Wassergefäß drehbar auf, so daß es nach einer bestimmten Zeit umkippte und den gesamten Inhalt ausschüttete. Das fallende Wasser erzeugte einen heftigen Luftwirbel und brachte ein Pfeifchen zum Tönen. Pünktlich um die gleiche Stunde pfiff so der Wecker zu den Unterrichtsstunden Piatons. 10
Die Konstruktion der Wasseruhren war anfänglich sehr primitiv und bestand zuerst aus einem meist tönernen Gefäß, das die Form eines mit der Spitze nach unten gerichteten Kegels hatte. In der Spitze befand sich eine Öffnung, die das Wasser in ein zweites, mit Markierungen versehenes Gefäß fließen ließ. Später wurden die Wasseruhren immer mehr vervollkommnet, bis zu Spiehverken, die an Kompliziertheit unseren Räder-Kunstuhren kaum nachstehen. Auf dem Marktplatz von Gaza war eine Wasseruhr in Gestalt eines Menschenantlitzes aufgestellt, das nach jeder vollen Stunde mit den Augen zu rollen begann. Das Zifferblatt hatte je zwölf Öffnungen für die Tages- und Nachtstunden, und an diesem Zifferblatt bewegte sich langsam der Sonnengott Helios vorbei. In den Öffnungen erschien zu jeder vollen Stunde am Tage eine der zwölf Ruhmestaten des Herakles, Flötenspiele und Harfentöne klangen auf, und vergoldete Adler krönten das Haupt des Herakles mit Lorbeer. Cicero berichtet, daß die Griechen und später auch die Römer sich der Wasseruhren auch bei Gerichtstagungen bedienten, als „Stoppuhren" gewissermaßen, wobei ein Drittel der Gesamtzeit dem Kläger, ein Drittel dem Beklagten und das letzte Drittel dem Richter zugestanden war. Wurden Urkunden und Gesetze verlesen oder Zeugen verhört, dann konnte man den Wasserablauf unterbrechen — das kündigte der Vorsitzende mit den Worten „aquam sustinere", ,das Wasser anhalten!' — an. Zur Wartung dieser Gerichts-Wasseruhren waren eigens Beamte angestellt, die sich oft nur mit Mühe der Bestechungsversuclie von Prozeßbeteiligten erwehren konnten, denn manchem wäre es lieb gewesen, mehr Redezeit für seine eigenen Interessen und weniger für die Überzeugungskünste des Gegners zu erreichen. Der große römische Baumeister Vitruv hat am Hofe des Kaisers Augustus neben Großbauten und Kriegsmaschinen auch Sonnen- und Wasseruhren geschaffen, und seinen Aufzeichnungen verdanken wir die Beschreibungen der kunstvollen Uhren des Ktesibios aus Alexandria, dessen „Jahresuhr" wir in unserem „Uhrenmuseum" auf Seite 24 finden. Die Großen der Welt verwendeten diese Kunstwerke gern als willkommene Gast- und „Werbegeschenke", wie der Kalif Harun al Raschid, welcher Kaiser Karl dem Großen durch seine Abgesandten ein besonders prächtiges Exemplar mit Schlagwerk und Zeigern aus purem Gold zu Füßen legen ließ. Diese Uhr warf Edelsteine auf ein „Zimbel-Glöckchen" aus, das die verflossenen Stunden mit zierlichem Geklingel anzeigte, wobei aus goldenen Toren zwölf Reiter hervortrabten und mit ihren Lanzen salutierten.
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Merkwürdigerweise haben weder Babylonier noch Ägypter den Sand als Mittel der Zeitmessung verwendet, obwohl sie in ihren Wüsten doch genug davon hatten. Die Sanduhr ist unzweifelhaft ein Kind des Nordens — und ein Kind des Christentums. Meister Albrecht Dürer hat in drei seiner bedeutendsten Kupferstiche die Sanduhr hineingebaut: in das schöne Blatt von „Ritter, Tod und Teufel", in die „Melancholie" und ins Gehäuse (Studierzimmer) des „Hieronymus". Sanduhrstimmung — das ist Besinnlichkeit und Nachdenken, mönchische Einsamkeit und geistige Sammlung. Der heilige Hieronymus, der von 347 bis 420 lebte, hat die Sanduhr noch nicht gekannt — in unserer Vorstellung aber lebt er so, wie ihn Dürer gesehen hat: ein stiller, in seine Studien vertiefter alter Mann, über dem Haupte das Sanduhr-Sinnbild der Vergänglichkeit, auf das die Grenzlinien des Raumes unabweislich hinstreben. Die erste sichere Kunde von einer Sanduhr stammt aus dem Jahre 1393: eine Anweisung zum Zubereiten des Uhrensandes, der neunmal gründlich in gutem Wein gekocht, neunmal abgeschäumt und neunmal an der Sonne getrocknet werden sollte. Mit dem Sanduhrenbau waren anfangs wohl verschiedene Handwerker beschäftigt, und erst später wurde aus dieser „freien Kunst" ein „gesperrtes Handwerk", das den Zunftregeln unterworfen und mit dem Meisterbrief ausgestattet war. Um ihn zu erlangen, mußte der Geselle folgende Stücke eigenhändig und ohne fremde Hilfe fertigen: einen Sanduhrensatz von vier Gläsern mit weißem Sand, die von einer viertel bis zu einer vollen Stunde anzeigten, eine große Sanduhr von drei Stunden Laufzeit, eine kleine Bleisanduhr und eine zweiglasige Uhr, die volle und halbe Stunden anzeigte. Jost Aman läßt in seinem berühmten „Ständebuch", das in hübschen Holzschnitten alle damals bekannten Handwerke aufführt, den Uhrmacher sagen: Ich mache die reisende Uhr Gerecht und glatt nach Mensur, Von hellem Glas und kleinem Uhrsand Gut, daß sie habe langen Bestand. Klosterzelle, Kanzel und Meer waren Jahrhunderte hindurch die Heimstatt der Sanduhr. Der große Gelehrte Erasmus von Rotterdam hatte eine kleine Reisesanduhr, die ihn auf seinem weiten und unsteten Weg treulich begleitet hat; sie wird heute im Baseler Stadtmuseum gezeigt. Professoren nahmen ihr Stundenglas mit in die Hochschule, und auf der Kanzel stand es neben der Heiligen Schrift, Bichtbar dem Prediger und der Gemeinde. In der Kirche von Babenhausen in Hessen kann man noch eine sehr schöne Kanzeluhr sehen, 12
Das eiserne Räderwerk der Domuhr zu Münster von 1360. Unten die an Seilen hängenden zentnerschweren Gewichte mit reich geschnitztem Gehäuse und vier Gläsern, deren jedes eine andere Zeitspanne angibt. Wenn wir heute solch eine zierliche Sanduhr betrachten, wie sie noch in den Küchen zum Eierkochen verwendet wird, denken wir kaum daran, wie weit dieses gläserne Zeitmeßgerät bis in unsere Gegenwart hineinreicht — um die letzte Jahrhundertwende waren im Berliner Haupttelefonamt noch neunzig Sanduhren im Gebrauch, und die Sanduhr auf dem Präsidentenplatz des englischen Parlaments ist erst 1951 durch eine elektrische Uhr ersetzt worden. 13
Und das Meer! Auf allen großen Entdeckungsfahrten ist die Sanduhr mitgereist. Auf eine halbe Stunde geeicht, wurde ihr Glas zur Zeitbezeiehnung der Schiffer. Wenn eine halbe Stunde vorüber war, wurde die Schiffsglocke geläutet, und eine Schiffswache dauerte „acht Glasen", also vier Stunden. Auch auf den Karavellen des Kolumbus wechselten die Schiffswachen alle vier Stunden, und wenn das siebente Halbstunden-Glas sich mit Sand gefüllt hatte, dann rief der Wächter die Ablösung, auf daß sie bereit sei, bevor das achte und letzte Glas sich leerte: „Sieben vorbei, und acht verweht! In Gottes Namen! Amen."
* Da jede regelmäßige Bewegung zur Zeitmessung verwendet werden kann, verlockte auch die gleichmäßig brennende Flamme zu einem Versuch. Vor allem die Chinesen haben sich mit dem Feuer als „Uhr" viel beschäftigt und merkwürdige Konstruktionen geschaffen. Da gab es prunkvolle Metallgefäße in Drachenform mit langgestrecktem Leib, in den ein öldurchtränkter Docht gelegt wurde. Unter dem Gefäß stand ein metallenes Becken, während über dem Drachenleib in regelmäßigen Abständen seidene Schnüre hingen, an denen kleine Bronzekugeln befestigt waren. Wenn der Docht angezündet wurde, wanderte die Flamme langsam vom Drachenkopf bis zum Drachenschwanz und brannte unterwegs eine Seidenschnur nach der andern durch. Eine Kugel nach der andern fiel klingend in das Becken und kündete an, daß wieder eine bemessene Spanne Zeit vergangen war. Weniger umständlich waren die Kerzenuhren, die Frankreichs König Ludwig der Heilige im dreizehnten Jahrhundert auf seine Kreuzzüge mitgenommen hat. Die Kerzen standen in silbernen Leuchterbecken und in das Wachs waren — wieder in regelmäßigen und berechneten Abständen — goldene Kugeln eingepreßt. Wenn die Flamme langsam das Wachs verzehrte, löste sich eine Kugel nach der andern. Kling! — fiel sie in das silberne Becken, und der fromme König wußte, was es geschlagen hatte.,
Als die Uhren zu ticken begannen . . . Räderwerke enthielten schon die kunstvollen Wasseruhren, von denen wir im vorangegangenen Kapitel erzählt haben. Viel schwieriger als die Aufgabe, solche Räderwerke mit den verschiedensten Übersetzungsgetrieben in Bewegung zu setzen, war die Frage, wie
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man diese Bewegung auch wieder hemmen könnte, um das schnelle Ablaufen, Abschnurren oder Abrollen zu verhindern. Der Überlieferung nach soll der französische Mönch Gerbertus, der im Jahre 999 als Papst Silvester der Zweite den Stuhl Petri einnahm, die erste, von Gewichten angetriebene Räderuhr mit einer Hemmung gebaut haben. Um Gerbertus, einen hochgebildeten Mann, flocht sich bald ein dichter Kranz von Sagen und Legenden, da er sich auch mit Sternenkunde, Alchimie und Heilkunde beschäftigt hat. In der Zeit seines Lebens und Wirkens müssen jedenfalls — nach den spärlichen uns überkommenen Berichten — die ersten brauchbaren Räderuhren aufgetaucht sein, aber erst drei Jahrhunderte später gibt uns der Dichter Dante Alighieri (über dessen Leben und Werk Lux-Lesebogen 249 berichtet) in seiner „Göttlichen Komödie" ein gültiges Zeugnis: „Wie wohlgefügt der Uhren Räder tun — In voller Eil' zu fliegen scheint das letzte, Das erste scheint, wenn man's beschaut, zu ruhn." Seit Dantes Zeit wird es auch wieder heller in der Uhrengeschichte, jetzt häufen sich die Urkunden über die Räderuhren, vor allem die Turmuhren. Nachweisen kann man sie in London 1288, in Florenz 1300, in Straßburg 1354 und in Nürnberg 1361. Das waren alles klobige und unförmige Riesenwerke mit schweren Gewichten, aus Eisen geschmiedet und ohne Schrauben, nur mit Stiften verkeilt. Ihre Zifferblätter zeigten die Zahlen von eins bis vierundzwanzig und wurden von nur einem Zeiger umkreist. Erst Jahrhunderte später, um 1680, kam der Minutenzeiger auf. Seit es die „Hemmung" gibt, gibt es auch das altvertraute laute oder leisere „Ticken" unserer Uhren. Mit jedem „Tick" oder „Tack" gibt der Gangregler — bei feststehenden Uhren das Pendel, bei Taschen- und Armbanduhren die Unruh — einen Zahn des letzten Rades im Uhrwerk frei, und das Rad überträgt dabei seine von der Antriebskraft, dem Gewicht oder der Feder übernommene Energie über die Hemmung dem Gangregler, damit er nicht stehen bleibt. Weit war der Weg von der Spindelhemmung mit dem Waagbalken in den mächtigen Turmuhren des Mittelalters über Henleins Schweinsborsten bis zur Zylinder- und späteren Ankerhemmung, die jetzt ausschließlich in den modernen Uhren verwendet wird. In besonders wertvolle Zeitmesser mit hoher Ganggenauigkeit ist die sogenannte „Chronometerhemmung" eingebaut. Solche Uhren werden auch mit einem besonderen ,Führungszeugnis' ausgestattet, dem „Gangschein", der in Deutschland von der Hamburger Sternwarte 15
und in der Schweiz von der Sternwarte in Neuenburg nach sechzehntägiger Prüfung der Uhr ausgestellt wird. Im Dom zu Pisa erzählen noch heute freundliche Männer, welche die Fremden durch das Gotteshaus führen, die Geschichte von dem neunzehnjährigen Medizinstudenten Galileo Galilei, der im Jahre 1583 an den leisen Schwingungen des riesigen Kronleuchters im Dom das Pendelgesetz entdeckt haben soll. Dieses Gesetz besagt, daß die weitausgreifenden wie die kleinen Schwingungen eines Pendels für ihr Hin und Her stets die gleiche Zeit brauchen. Nun, diese für Pendeluhren so entscheidende Tatsache war schon lange vor Galilei bekannt — auch von Leonardo da Vinci sind Aufzeichnungen darüber erhalten geblieben; zudem ist besagter Kronleuchter erst ein volles Jahrhundert später von dem Bildhauer und Goldschmied Possenti angefertigt und im Dom zu Pisa aufgehängt worden. Die Bedeutung solcher unsterblichen Geschichten liegt aber weniger in dem oft zweifelhaften Wahrheitsgehalt, sondern sie zeigen sinnfällig und einleuchtend, „wie es gewesen sein könnte". Sicher ist, daß schon der junge Medizinstudent Galilei, der sich später dem Studium der Mathematik und Physik zuwandte, eifrig Pendelexperimente betrieben hat, die er aber nicht zum Uhrenbau praktisch verwendete. Dagegen ist uns von seinem Sohn Vincenz eine Zeichnung überliefert, die ein von Gewichten angetriebenes Räderuhrwerk mit Pendel zeigt. Die älteste, urkundlich nachweisbare Pendeluhr ist jedoch erst im Jahre 1657 von dem holländischen Naturwissenschaftler Christian Huygens konstruiert worden, von dem wir nicht wissen, ob er Galileis Arbeiten gekannt hat. Die Huygenssche Uhr übertraf aber die älteren Waagbalkenuhren so sehr an Ganggenauigkeit, daß man viele alte Uhren nun nachträglich noch mit einem Pendel ausstattete, das seltsamerweise v o r dem Zifferblatt hin und her schwang, bis man erkannte, daß die Zuverlässigkeit mit der größeren Länge und Schwere immer mehr zunimmt. Deshalb gab man dem Pendel unter dem Werk eine immer weiträumigere Wohnstatt, in der es noch heute als „Perpendikel" in den großen Wandoder Standuhren geruhsam seinen Weg geht, hin und her, hin und her, ein getreuer Wachtposten vor dem Palast der Herrscherin Zeit. Dem machtvoll aufstrebenden Bürgertum der Renaissance kam auch die Uhr entgegen. Sie stieg herab von den Türmen der Dome und Paläste und wurde heimisch in den Patrizierhäusern der freien Städte, und nur auf eines verzichtete sie nicht: auf einen festen Standort! Man konnte die Uhren mit ihren schweren Kettengewichten nicht gut mit sich herumtragen, und gerade das wollte man haben — eine tragbare Uhr. 16
Peter Henleins „lebendes Nürnbergisch Eyerlein" aus dem Jahr 1511 im Gehäuse aus vergoldetem Silber
So kam die Unruh in die Welt Die schweren Truhen, in denen die Leute damals ihr kostbares Gut vor diebischem Zugriff bargen, waren mit wunderbaren, mechanischen Schlössern gesichert. Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts kam ein findiger Kopf auf die Idee, die flachen, aufrollbaren Stahlbänder dieser Schlösser einmal zum Antrieb des Uhrwerks zu verwenden, anstelle der Gewichte, und die Sache bewährte sich großartig! Jetzt war es möglich, die Uhren nicht nur bedeutend kleiner zu fertigen, man konnte sie auch von einem Haus ins andere tragen, ohne sie in ihrem Lauf zn stören. Diese Stahlbänder aus den alten Truhen- und Türenschlössern wurden zum Urbild der als Ener-
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giequelle dienenden „Zugfeder", die wir noch heute in unseren Wand-, Tisch- und Taschenuhren finden. Taschenuhren — das war das nächste Ziel! Es mußte erreichbar sein wenn es gelang, das Werk so zu konstruieren, daß es in jeder Lage, stehend, hängend oder liegend, seine Aufgabe erfüllte. Einer der ersten, dem das gelang, muß jener sagenhafte Peter Henlein in Nürnberg gewesen sein. Seine „Nürnberger Eierlein" trugen an beiden Enden der „Waag" eine elastische Schweinsborste, die den Waagbalkenlöffel beim Aufprallen wieder zurückstößt und so in ewiger Unruh hin und her pendeln läßt. Natürlich waren diese Schweinsborsten weder sehr zuverlässig noch sehr dauerhaft — man ersetzte sie deshalb bald durch eine weitere Stahlfeder, die als „Spiralfeder" auf der Achse der Unruh das eigentliche Herz aller Uhren bildet. Diese Spiralfeder dient aber — im Gegensatz zur Zugfeder — nicht als Antriebskraft der Uhr, sie hat nur die Aufgabe, die Unruh in dauernder Bewegung zu halten. Peter Henleins „Nürnberger Eierlein" wurden zunächst nicht in der Tasche getragen, man wollte sie in stolzer Besitzerfreude vorweisen und hängte sie deshalb meist an schwerer Goldkette um den Hals oder später vereinzelt an ein Armband. Das Patent auf eine richtige „Armbanduhr" wurde jedoch erst 1889 einem Pforzheimer Goldschmied erteilt. Die Armbanduhr setzte sich in den Jahren des ersten Weltkrieges durch, als die Soldaten anfingen, ihre Taschenuhr in einem etuiartigen Lederband am Handgelenk zu tragen, weil die Uhrkette im harten Frontleben nur hinderlich war. Heute hat die Armbanduhr die Taschenuhr, die jahrhundertelang an goldener Kette ein Zeichen behäbigen Wohlstands und bürgerlichen Ansehens bildete, fast völlig verdrängt — der Anteil der Taschenuhr an der gesamten Uhrenerzeugung beträgt nur noch drei Prozent. Auch Mode und Sport haben zu dieser Entwicklung beigetragen, denn zur Taschenuhr gehört nun einmal die Westentasche. Wer seine Armbanduhr liebt, der sollte nicht versuchen, mit Taschenmesser oder Schere in ihre Geheimnisse einzudringen. Das verträgt sie nämlich nicht, mit ihren 125 Einzelteilen, die in etwa zweitausend Arbeitsgängen angefertigt und zusammengesetzt werden. Man denkt ja nur selten daran, daß so ein kleines Werkchen die 86 400 Sekunden eines Tages in 432 000 Arbeitstakten mißt und zählt. Fünf Takte in jeder Sekunde! Fast eine halbe Million Halbschwingungen führt die „Unruh" in vierundzwanzig Stunden aus, und wenn wir unsere Uhr regelmäßig aufziehen, dann legt jeder Umfangspunkt der Unruh im Laufe eines Jahres eine Strecke zurück, die ungefähr der Entfernung von Berlin bis nach New York 18
entspricht. Die Uhr hat es auch sehr gern, wenn sie dauernd gehen darf, weil beim Stillstand das so wichtige „Schmieröl" leicht zäh wird, und sie ist auch dankbar dafür, wenn man sie regelmäßig am Morgen aufzieht. Uhren sind empfindliche Wesen. Bestimmte Geruchsausscheidungen können die Öle zersetzen und damit das Werk zerstören; den Einfluß von Temperaturschwankungen hat man schon vor zweihundert Jahren erkannt. Durch den Zusatz von geringen Mengen Beryllium zu der vor allem Chrom und Nickel enthaltenden Legierung für die Spiralfeder der Unruh hat man einen Werkstoff gefunden, der magnetisch unempfindlich ist, nicht oxydiert und die Unruh auch gegen Klimaunterschiede weitgehend sichert. Im Zeitalter der Elektrifizierung ist das von großer Bedeutung. Genügte doch bisher ein kleines, plötzlich auftretendes Magnetfeld, das beim Einschalten eines Elektromotors, zum Beispiel in der Straßenbahn entstehen kann, um die in älteren Uhren allgemein verwendete Stahlspirale und damit die ganze Uhr dauernd zu schädigen. Auch bei der Herstellung der Zugfeder für den Antrieb verzichtet man jetzt ganz auf den Stahl und verwendet dafür ebenfalls durch Beryllium härtbar gemachte Chrom-Nickel-Legierungen. Wem das Aufziehen der Uhr noch zuviel Mühe macht, der kann sich auch eine „automatische" Uhr kaufen, die sich selber aufzieht. Den Selbstaufzug besorgt ein kleines Pendel, das infolge der natürlichen Armbewegungen hin- und hergehende Bewegungen ausführt; dabei wird mit Hilfe einer immer in der gleichen Richtung freiwerdenden Sperrklinke ein feingezahntes Antriebsrad weiterschaltet. Sobald man die Uhr anlegt, wird die Feder durch die Armbewegungen voll gespannt; die Spannung bleibt durch den andauernden Selbstaufzug bestehen, bis man die Uhr wieder ablegt. Erst dann zehrt sie von der aufgespeicherten Energie, und erst dann nimmt auch die Zugkraft der Feder wieder ab. Auf dem Zifferblatt — neuerdings läuft übrigens auch der Sekundenzeiger in der gleichen Mittelachse wie die übrigen Zeiger — finden wir oft neben dem Markenzeichen noch eine kleine Beschriftung, zum Beispiel „15 Rubis" oder „17 jewels". Das ist nicht unbedingt ein Wertmaßstab, denn leider gibt es auch Uhren, für die der zünftige Uhrmacher das Sprüchlein hat: „Oben Steine — unten keine!" Es nützt nämlich gar nichts, wenn die Rädchen oben an der sichtbaren Werkseite in Lagersteinen laufen, während die dem Laien unsichtbaren Gegenzapfen nur im Messing ruhen. Die „Rubis" von heute sind durchweg künstliche, also synthetische Rubine und sogar besser als naturgewachsene Steine. Sie könnten noch härter 19
und widerstandsfähiger hergestellt werden, wenn man auf den künstlichen roten Farbzusatz verzichten dürfte. Das aber wünschen die Käufer nicht, für die Rubine eben schön rot auszusehen haben. Von der automatischen Uhr führt die Entwicklung fast zwangsläufig zur elektrischen Armbanduhr. Sie enthält einen winzigen Motor und eine nur tablettengroße Batterie, die etwa alle zwei Jahre ausgewechselt werden muß. Der kleine Motor soll eine Wicklung von zehntausend Windungen besitzen, aus einhundertstel Millimeter starkem Draht. Diese Uhren enthalten also überhaupt keine Zugfeder mehr, und auch die „Krone", die feingerillte Schraube zum Aufziehen, wird verschwunden sein. Geblieben aber ist — wenn auch mit unendlichen Verfeinerungen — das Herz der Uhr, die Unruh.
Kuckuck, Kuckuck — ruft's aus der Uhr Wenn man auf einer großen Landkarte die Hauptzentren der Uhren-Herstellung einzeichnet, kann man deutlich erkennen, daß die Uhrmacher und Uhrenfabrikanten sich von altersher gern etwas abseits halten, abseits vom Lärm, abseits von den großen Städten mit ihrem Getriebe und vor allem auch abseits vom Staub, dem größten Feind aller Feinmechanik. Die stillen Gebirgstäler der Schweiz boten den Uhrmachern ebenso ideale Arbeitsmöglichkeiten wie die einsamen und verträumten Schwarzwalddörfer, in denen das ehrbare Handwerk seit über drei Jahrhunderten heimisch ist. Nach der Überlieferung ist die erste Schwarzwalduhr im Jahre 1640 auf der Rödek bei Altglashütten gebaut worden. Das schöne Uhrenmuseum der kleinen Schwarzwaldstadt Furtwangen bietet reizvolle und kulturgeschichtlich interessante Beispiele aus der Entwicklung des Uhrenbaus, von der groben, mit allen Rädern und Achsen ganz aus Holz gefertigten Bauernuhr bis zur kunstvollsten Spieluhr. Der Wäldler versuchte nicht nur die fremden — vor allem böhmischen — Vorbilder nachzuahmen, er ging auch neue und eigene erfolgreiche Wege. Geschickte Bastler und sinnierende Tüftler hat es in dieser schönen Gegend ja schon immer gegeben, wie die älteste noch erhalten gebliebene Kuckucksuhr aus dem Jahre 1730 beweist. Hier setzte sich das MessingRäderwerk erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch, und die erhöhte Präzision ermöglichte auch die Einführung des Minutenzeigers, denn bis dahin hatten die Schwarzwalduhren nur einen, den Stundenzeiger. Der bewegte sich übrigens anfänglich überhaupt nicht, sondern stand senkrecht nach oben, während sich das 20
Kunstuhr in der Lübecker Marienkirche vor der Zerstörung des Domes
buntbemalte Zifferblatt unter ihm herumdrehte. Die heute noch gern gekaufte Kuckucksuhr ist auch nur das etwas vereinfachte, letzte Überbleibsel der in langen und einsamen Schwarzwaldwintern gebastelten, technisch oft erstaunlich komplizierten Kunstuhren. Da gab es feierlich im Kreise spazierende Männlein und Weiblein, da gab es Ziegenböcke, die mit gesenkten Hörnern wütend aufeinander losgingen, oder Metzgermeister, die so lange mit einem Hammer auf den Schädel eines armen Ochsen einschlugen, bis der dann pünktlich mit dem letzten Glockenschlag zusammenbrach. Der erfinderische Friedrich Dilger, ein Drechsler-Sohn aus der Uracher Gegend, begnügte sich nicht mit der Anfertigung immer neuer Kukkucksuhren — er bastelte auch Trompeten- und Harfenuhren, Uhren mit Glockenspielen und Flötenbläsern, mit krähenden Hähnen und zwitschernden Vögeln. Alles, was singen, läuten, trillern und pfeifen konnte, wurde zum Vorbild genommen und mit erstaunlicher Geschicklichkeit nachgeahmt. Für solche Kunststückchen öffneten sich dann auch die Tore der Schlösser und Paläste, und die Schwarzwälder Uhrmacher und Uhrenhausierer sind damals bis zum Zarenhof nach Petersburg vorgedrungen und bis zum Sultan nach Konstantinopel. Durch die ganze Welt zogen sie in ihrer schmucken Schwarzwälder Tracht, auf dem Rücken die „Krätze", ein Traggestell, das mit Uhren vollbepackt war und an dessen Seite — für alle Fälle — noch ein solider Regenschirm steckte. (Eine vollständig eingerichtete Schwarzwälder Uhrmacherwerkstätte ist übrigens im Deutschen Museum in München zu sehen.) Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zählte man schon über fünfhundert uhrenfabrizierende Wäldler und in den folgenden Jahrzehnten vervielfachte sich noch ihre Zahl. Nun pflegte man besonders auch die kunstvolle Bemalung der Zifferblätter. Auch der große Maler Hans Thoma, der ja selber ein Kind des Schwarzwaldes war, hat viele solcher Zifferblätter entworfen und sich damit sein Studium an der Kunstakademie verdient. Die „Arbeitsteilung", die heute zu den selbstverständlichen Grundlagen moderner Fabrikationsverfahren gehört, war hier seit langem schon bis zur Vollkommenheit entwickelt: die ganze Familie arbeitete mit. Der eine schnitzte das „Gesicht", andere stanzten die Zeiger, die Kinder bogen die Kettenglieder und bemalten die einfacheren Teile, bis schließlich der Vater das Ganze zusammensetzte. Bald fand man heraus, daß findige und sprachgewandte Hausierer größere Umsätze erreichten als der oft schüchterne und ungewandte Handwerker selbst. Diese Hausierer verfeinerten sehr schnell ihre Verkaufsmethoden, schlössen sich zu Trägerkompanien zusammen, 22
errichteten ein weitverzweigtes Netz von Stapelplätzen und organisierten den Nachschub bis nach London, Stockholm und Moskau, ja bis nach Asien hinein. Durch das bereitwillige Zahlen von immer erwünschten „Vorschüssen" bekamen sie mit der Zeit die Uhrmacher fester und fester in die Hand und konnten schließlich die anzufertigenden Typen, die Ausführung und die Preise ganz nach ihrem Gutdünken diktieren. Unter diesem Druck haben viele Uhrmacherfamilien täglich sechzehn Stunden und mehr schuften müssen, um nicht unter der Schuldenlast zusammenzubrechen. Der Zwang, immer mehr Uhren zu bauen, förderte natürlich die Teilefertigung, und bald gab es kaum noch eine Werkstatt, wo wirklich eine „ganze" Uhr angefertigt wurde. Die Gründung der ersten Fabriken brachte das häusliche Handwerk schließlieh an den Rand des Ruins, und wenn es sich auch — vor allem im badischen Teil des Sehwarzwaldes — noch bis heute erhalten hat, so ist doch der Zauber des Eigenschöpferischen mehr und mehr geschwunden. Gehwerk, Gewichte, Pendel, Glocken und Ketten werden jetzt fertig aus der Spezialfabrik bezogen. Trotzdem ist die Kuckucksuhr immer noch ein beliebter und devisenbringender Exportartikel, begehrt vor allem von der „Neuen Welt", die mit Begeisterung alles an Schnitzerei und Malerei aufnimmt, was jemals im Deutschen Märchenwald kreuchte und fleuchte . . .
Unser «Uhrenmuseum" Da gibt es ein altes Bild von Karl dem Fünften, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dem „Herrscher der Welt", in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Der sechsundfünfzigjährige Kaiser hatte im Jahre 1556, müde des Glaubensstreites und der ewigen Kämpfe, Krone und Reich seinem Bruder Ferdinand überlassen und sich still in die Einsamkeit des Klosters St. Just im spanischen Estremadura zurückgezogen. Dort widmete er sich in den letzten zwei Jahren seines Lebens religiösen Übungen, dem Gartenbau und vor allem seiner Lieblingsbeschäftigung (wir würden es heute „Hobby" nennen): dem Bau und der Reparatur von Uhren. Auf dem Bild sitzt er in einem hohen, vom Doppeladler des Reiches gekrönten Lehnstuhl, umgeben von großen und kleinen Uhren aller Art, die er mit den Klosterbrüdern sinnend betrachtet. Der stille, von der Gicht gepeinigte Mann bemühte sich sehr, seine vielen Uhren zu Gleichklang und Gleidigang zu bringen, aber es gelang ihm so wenig, wie es ihm beschieden gewesen war, die Fürsten 23
seines Landes eines Glaubens und eines Sinnes zu machen. So ließ er eines der kostbaren Räderwerke nach dem andern stille stehen, rückte mit schmalen, behutsamen Händen die Zeigerpaare auf die zwölfte Stunde, und als das letzte feine Ticken, der letzte Glockenschlag verhallte, da sagte er zu den Mönchen mit zufriedenem Lächeln: „Jetzt gehen sie zum erstenmal alle gleich . . . " Lange Zeit waren die Uhren und Spielwerke so kostspielig, daß ihr Besitz den Großherren geistlicher oder weltlicher Macht vorbehalten blieb. Der Grundstock aller Uhrenmuseen — deren es viele gibt — stammen fast durchweg aus fürstlichem Krongut. Die Gräfin Dubsky, die als Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach in die Literaturgeschichte eingegangen ist, vermachte ihre schöne Uhrensammlung, die sie in vielen fleißigen Sammlerjahren liebevoll zusammengetragen hatte, im Jahre 1916 der Stadt Wien. Aus dieser Sammlung ging das Wiener Uhrenmuseum hervor, das in kurzer Zeit Weltberühmtheit erlangte und durch Schenkungen und Ankäufe ständig bereichert wurde, bis es in den unseligen Jahren 1945 und 1946 mehr als die Hälfte seiner Bestände verlor. Viele der unersetzlichen Stücke sind heute im weiten russischen Reich verstreut. Mehr Glück hatte das Deutsche Museum in München. Seine schöne Uhrensammlung ist wieder aufgebaut und der Besichtigung zugänglich, und wer nach München kommt, sollte nicht versäumen, sie zu bewundern. Vor allem wird den Besucher die Nachbildung der Kalenderuhr des griechischen Mechanikers Ktesibios fesseln, einer kunstvollen Wasseruhr, welche die Tränen der rechten Figur in einem Gefäß im Innern sammelt. Der höher werdende Wasserspiegel läßt vor dem Zifferblatt eine zweite Figur aufsteigen, die mit einem Zeigestab die Stunden weist. Nach Ablauf eines Tages fließt das angesammelte Wasser ab, und die Trommel wird durch den Wasserdruck um einen Grad gedreht. Eine kleine Schlange zeigt nun das Datum an. — Eine der schönsten privaten Uhrensammlungen — ebenfalls in München — gehört dem Inhaber der über hundertjährigen Uhrenfirma Huber in der Residenzstraße. Da finden wir eine kostbare goldene Monstranzuhr, von der es auf der ganzen Welt nur noch drei Exemplare gibt, da finden wir die ältesten Sonnenuhren neben den neuesten Quarzuhren, die kleinsten, die seltensten, die teuersten und die schönsten Uhren aller Zeiten und Völker, und wenn man Glück hat, erklärt der freundliche Inhaber des alten Patrizierhauses dem Besucher mit bescheidenem Stolz seine köstliche Sammlung. Unser schmaler Geldbeutel erlaubt es uns nicht, selber Uhren zu sammeln, aber wir haben dafür Bilder, Berichte und merkwürdige 24
Sanduhr mit Viertelstundengläsern aus dem Jahre 1751 Geschichten von Uhren seit vielen Jahren fleißig zusammengetragen und so ein kleines eigenes „Uhrenmuseum" aufgebaut, zu dessen Besichtigung wir unsere Lesebogenfreunde hiermit — bei freiem Eintritt -— freundlichst einladen wollen. Wir beginnen mit der Führung: Also da ist zunächst einmal etwas ganz Aktuelles: die Abbildung einer Marszeituhr, die natürlich in Amerika hergestellt wurde, um einem „dringenden Bedürfnis" zu entsprechen. Sie steht künftigen Weltraumfahrern zu einem angemessenen Preis zur Verfügung und zeigt zum Vergleich auch die genaue Zeit auf unserer alten Erde an. Die Zeiger der Marsuhr gehen wegen der größeren Entfernung des. 25
rätselhaften Planeten von der Sonne nur etwa halb so schnell wie die der Erdzeituhr. Wer auf Erden bereits das sedizigste Lebensjahr erreicht hat, darf sich auf dem Mars mit gutem Recht als jugendlichen Dreißiger betrachten. Unsere zweite Sehenswürdigkeit ist ebenfalls „Das Neueste vom Neuen": eine Uhr, die vom Licht lebt! Sie kommt aus der Schweiz und hat sogenannte Photozellen, die das Licht, das sie aufnehmen, in elektrischen Strom verwandeln. Dieser Strom zieht ein normales kleines Uhrwerk auf. Eine kleine „Sonnenuhr" auf Umwegen also — ihre praktische Bedeutung steht wohl etwas hinter dem originellen Einfall zurück. In unserer ,Sammlung' fehlt auch nicht die „Sprudeluhr", die in einem kleinen Ort im Nordwesten Amerikas in Betrieb ist, da, wo auch heute noch die Wälder dicht und dunkel rauschen. Dieses Uhrwerk, das eigentlidi nur aus Zifferblatt, Zeigern und einem einfachen Hebel besteht, wird von einem Heißwassersprudel, einem Geiser betrieben, der pünktlich alle 38 Sekunden einen breiten Strahl heißen Wassers machtvoll aus der Erde schickt. Hier ist die Natur genauer als manches Mensdienwerk, die Zeit des Ausstoßens hat sidi noch nie auch nur um eine Zehntelsekunde verschoben. Jeder Wasserstoß berührt automatisch den Hebel, der die Zeiger dann ruckweise um 38 Sekunden weiterdreht. Einen ganzen Ausstellungsraum könnten wir mit den Bildern und Beschreibungen der „Wetteruhren" ausfüllen, Uhren also, die durch Luftdruck- oder Temperaturschwankungen aufgezogen werden. Das älteste uns bekannte Exemplar dieser Gattung stammt nodi aus dem achtzehnten Jahrhundert und wurde von dem Londoner Uhrmachermeister James Cox ertüftelt. Die zum Betrieb erforderliche Energie wird mit Hilfe eines Barometers erzeugt. Der bei jeder Änderung des Luftdrucks sidi auf- und abbewegende Quecksilberfaden des Barometers ist mit einem Zahnrad verbunden, das sidi aber nur in einer Richtung drehen kann, wodurch die Uhr aufgezogen wird. Die vielbewunderte Barometeruhr, deren Gehäuse mit kostbaren Juwelen gesdimüdst ist, gelangte in den Besitz des holländischen Gesandten in London und dann in das Gesandtschaftsgebäude Hollands in Peking. Ein chinesischer Minister, der sich in das merkwürdige Ding vergafft hatte, ließ das Meisterstück heimlidi und ohne Wissen des Besitzers durdi eine viel weniger kunstvolle Uhr austauschen, und seitdem ist sie verschollen. In örebro in Sdiweden geht eine andere Wetteruhr seit nunmehr achtunddreißig Jahren auf die Minute richtig, ohne daß sie auch nur ein einzigesmal von Menschenhand aufgezogen werden mußte. Ihr Werk wird von Schwingungen angetrieben, die der ständig wedi26
selnde Luftdruck erzeugt. Sie ist sehr anspruchslos, was die Pflege anbelangt: alle sieben J a h r e muß sie einmal gründlich geölt werden. Die dritte Wetteruhr ist ein Kind unserer Zeit — sie wurde erst vor einigen Jahren in der Schweiz „erfunden" und soll, wie viele Uhren vor ihr, „ewig" gehen. Ihr Energieverbrauch ist um das tausendfache geringer als bei einer Taschenuhr. Durch Chloräthyl, das außerordentlich temperaturempfindlich ist und sich in einer hermetisch abgedichteten Patrone auf der Rückseite des Werkes befindet, werden Laufwerk und Feder in Gang gehalten. Die durch Temperaturschwankungen entstehenden Dämpfe pressen die Feder bei 27 Grad Celsius ganz zusammen und geben sie bei 12,2 Grad Celsius wieder völlig frei. Eine Übertragungsdruckfeder macht die Bewegungen des Metall-Patronenbalges mit und überträgt jede Veränderung auf die Haupttriebfeder. Eine winzige Temperaturschwankung von etwa zwei Grad Celsius reicht schon aus, um das Laufwerk für volle zwei Tage aufzuziehen. Jeder kennt Big Ben, die 15,5 Tonnen schwere Glocke im 96 Meter hohen Uhrenturm des Parlamentsgebäudes in Westminster in London. Jeder hat auch schon einmal ihre neun dröhnenden Glockenschläge gehört, die seit dem Jahre 1924 allabendlich die Hauptsendung der britischen Runfunknachrichten einläuten. Die große Uhr, nach der sich Millionen Menschen in aller Welt richten, muß deshalb sehr genau gehn. Zu diesem Zweck besucht ein Mechaniker der Uhrenwerkstätte, die sie baute, dreimal in jeder Woche seine Pflegebefohlene. Er ölt und putzt das riesige Werk, dessen Pendel allein über sechs Zentner wiegt und eine Länge von vier Metern aufweist. Die Gewichte reisen bei ihrem Aufzug, der jetzt elektrisch erfolgt, über fünfzig Meter aufwärts. Zur genauen Einstellung werden aber keineswegs komplizierte Apparate verwendet. Der Mechaniker im Uhrturm nimmt den Telephonhörer und plaudert mit seinem Kollegen, der im Büro der Firma ein Spezialchronometer beobachtet. Beide warten darauf, daß Big Ben eine volle Stunde verkündet. Wird einmal eine Differenz festgestellt und Big Ben geht etwa eine Sekunde nach, dann begibt sich der Mann im Turm an die Stelle, wo das große Pendel an einer Spezialfeder hängt. Und hier schafft er die unerwünschte Sekundendifferenz dadurch aus der Welt, daß er eine kleine Münze, sagen wir einen halben Penny, aus der Hosentasche zieht und auf das flache Querstück am Kopf des Pendels legt. Das genügt, um die normale Schwingungsdauer des Pendels von zwei Sekunden soweit zu verändern, daß die Uhr wieder richtig geht. Dort oben liegen, wie uns ein Besucher erzählte, jetzt neun Pennies und ein halber. Die meisten dieser Münzen wurden 27
schon geprägt, als Englands große Königin Viktoria noch ein junges Mädchen war. So wirkt der Penny als ein stiller Ordnungsfaktor der — nach Shakespeare — „wirbelfüßigen" Zeit. Es ist doch sehr beruhigend und erheiternd, daß selbst eine so weltbewegende Unregelmäßigkeit wie eine falsche Zeitangabe von Big Ben in unseren Tagen der technischen Wunder noch immer durch einen Griff in die Tasche wieder in Ordnung gebracht werden kann. Weil wir schon einmal in London sind: Die Königin Elisabeth ist Besitzerin des kunstvollen Zeitmessers, mit dessen Hilfe Sir Francis Drake unter der Regierung ihrer großen Namensvorgängerin, der ersten Elisabeth, die Weltmeere befuhr. Er hatte ihn bei sich, als er im Jahre 1577 den Kurs auf Marokko und dann auf die KapVerde-Inseln nahm. An dieser historischen Uhr mit Winkelmesser und Planetendiagramm konnte man außer den Stunden und Halbstunden auch die Gezeiten und die Mondphasen ablesen. Noch eine andere merkwürdige Uhr ist im Buckinghampalast von London zu sehen — eine Totenkopfuhr! Sie gehörte der „Blutigen Mary", der Tochter Heinrichs des Achten, ist aus purem Gold gefertigt und mit Szenen aus der biblischen Geschichte reich ziseliert. Wenn man das unbehagliche Stück aufklappt, findet man das kunstvoll mit Edelsteinen verzierte Zifferblatt. Die große Uhr am Justizpalast in London wurde vor 75 Jahren von einem Mann erbaut, der weder lesen noch schreiben konnte, aber die eigenartigsten und kunstvollsten Uhr- und Spielwerke erdachte und herstellte. Jene Gerichtsuhr ist so merkwürdig konstruiert, daß jeder Versuch, Bie zu kopieren, bisher mißlungen ist. Zweimal in der Woche muß sie aufgezogen werden — das besorgte über dreißig Jahre hindurch ein Bediensteter des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, der auch die anderen öffentlichen Uhren aufzuziehen und zu betreuen hatte. Eines Tages vergaß er die Gerichtsuhr — er kam erst einen Tag später als gewohnt zu ihr. Während er in Eile das Versäumte nachholen wollte, verfing sich sein Mantel in der Winde, welche die beiden gewaltigen Gewichte des Werkes in die Höhe zu ziehen hatte, und riß ihn mit hinauf. Als man den Mann nach einiger Zeit vermißte und nach ihm suchte, fand man ihn abgestürzt und zerschmettert am Boden. Die Uhr aber ging, befriedigt von ihrer Rache, pünktlich und regelmäßig wie zuvor . . . Eine wahrhaft „kosmische" Uhr kann man im Rathaus von Kopenhagen bewundern. Aus über fünfzehntausend Einzelteilen zusammengefügt, gilt sie als eines der größten Wunderwerke der Uhrmacherkunst und ist doch die Leistung eines einfachen Schlossers. Dieser Jens Olsen hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine Uhr zu 28
Die Unruh einer modernen Armbanduhr mit hoher Ganggenauigkeit. Zeiger zur Regulierung auf „Langsam" und „Schnell" und Schraubengewichte bauen, die besser und vielseitiger werden sollte als alle Kunstuhren des Mittelalters und der neueren Zeit. Durch eifriges Selbststudium der Astronomie und Mechanik verschaffte er sich die notwendigen theoretischen Kenntnisse, und seine Berechnungen fanden den Beifall führender Wissenschaftler. Als im Jahre 1945 endlich mit der Anfertigung der einzelnen Teile begonnen werden konnte, hatte Olsen schon beinahe fünfzig Jahre vorbereitender Arbeiten hinter sich. Den Beginn der Montage überlebte er nur kurze Zeit; er starb noch im gleichen Jahre. Nach seinem Tode setzte sein Gehilfe Mortensen die Arbeit fort. Zehn Jahre später, im Dezember des Jahres 1955, brachte der König von Dänemark durch den Fingerdruck auf einen elektrischen Kontakt die Pendel der Wunderuhr in Gang, von der man hofft, daß sie in dreihundert Jahren nur um 0,4 Sekunden 29
abweicht. Auf siebzehn Zifferblättern und Scheiben zeigt sie Ortszeit, wahre Sonnenzeit, Sternenzeit, ferner die Zeiten für Sonnenauf- und -Untergang, den Auf- und Untergang der Sterne, die Sonnen- und Mondfinsternisse, die Bewegungen der Planeten, den Gregorianischen Kalender mit Wochentagen, Monaten, Jahreszahlen und vieles andere mehr. Das sogenannte „Festkalender"-Werk der Uhr arbeitet in jedem Jahre nur sechs Minuten, nämlich während des Jahreswechsels, führt in dieser kurzen Frist 570 000 Bewegungen aus und zeigt dann für das folgende Jahr die Daten aller beweglicben Festtage an. Ein Rädchen vermerkt auch die Wanderung des Himmelspols, es ist das langsamste Rädchen, das je eine Uhr aufzuweisen hatte, denn es macht in ganzen fünfundzwanzigtausend und siebenhundert Jahren nur eine Umdrehung! Soviel Genauigkeit kann man natürlich nicht von der Uhr verlangen, die ein vom Basteltrieb besessener Schuhmachermeister um die Jahrhundertwende ganz aus — Stroh zusammengesetzt hat. Dieses merkwürdige Gebilde ist fast zwei Meter hoch, hat sechs Gewichte und eine Laufzeit von sechs Stunden. Als Werkstoff dienten lediglich leere Hülsen von Roggenstroh, für das Zifferblatt Haferstroh. Das Aufzugsgewicht beträgt etwa 200 Gramm. Der wackere Schuster hat über fünfzehn Jahre in seiner Freizeit daran gearbeitet, und weil es ihm offensichtlich Freude gemacht hat, wollen auch wir uns über diese Strohuhr freuen. Uhren scheinen überhaupt das ideale Bastelmodell zu sein; hat doch ein anderer Tüftler sich die Mühe gemacht, eine Taschenuhr vollständig auseinanderzunehmen und in einer Flasche wieder zusammenzusetzen, jedes Teilchen, Rädchen und Federchen mit der Pinzette durch den engen Flaschenhals zu bugsieren und an der richtigen Stelle wieder anzubringen. Nur die Aufzugskrone ragt aus dem Korken hervor, der die Flasche verschließt, und man erzählt, daß die Uhr sogar richtig gehe. Wie aber vielleicht notwendig werdende Reparaturen vorgenommen werden sollen, das wagen wir uns nicht auszudenken . . . Daß astronomische Kunstuhren oft merkwürdige Schicksale haben, zeigt auch die Aposteluhr des Städtchens Olmütz, einer deutschen Sprachinsel in der tschechoslowakischen Provinz Mähren. Das Kunstwerk stammt aus dem Jahre 1420 und zeigt wie viele ihrer Art Sonnen- und Mondzeiten, Jahreszahl und den Stand der Gestirne. Seit über einem halben Jahrtausend öffneten sich jeden Tag, zur Feier der Mittagsstunde, beim zwölften Glockenschlag, kleine Türchen, und die zwölf Apostel zogen in feierlichem Reigen an den staunenden Betrachtern vorbei. Seit kurzer Zeit aber sind die Apostel verschwunden, und die verblüfften Olmützer sehen nun jeden Mittag
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mit dem zwölften Glockenschlag „Die zwölf Werktätigen", „Arbeiter der Stirn und der Faust", aus den Aposteltürchen schreiten! Wir betreten nun den letzten und merkwürdigsten Raum unseres „Uhren-Museums". Was uns hier als Uhr vorgestellt wird, sieht mehr nach einem Rundfunkgerät aus. Kein poliertes Gehäuse aus kaukasisch Nußbaum, keine Rede mehr von friedlich einherziehenden Aposteln oder Werktätigen, kein glockenheller Stundenschlag. Es hat tatsächlich etwas mit dem Rundfunk zu tun, denn wenn der Ansager nach den Abendnachrichten uns versichert: „ . . . wir geben nun noch die genaue Zeit — mit dem Gongschlag ist es .. .", dann schaut er nicht etwa auf seine Armbanduhr und haut dann mit der Faust auf einen Gong — nein, er tut gar nichts. Er drückt lediglich eine kleine Taste und wartet nun wie wir auf den Gongschlag, der über lange Kabelleitungen durch einen elektrischen Impuls ausgelöst wird. Und die Kabel führen zu diesem rätselhaften Kasten hier. Es ist eine Quarzuhr. Sie verwendet zur Teilung und Messung der Zeit die mechanischen Schwingungen eines Quarzkristalls. Durch dessen piezo-elektrische Eigenschaften — durch Druck erzeugte elektrische Vorgänge im Atomgefüge —• werden bei gleichbleibender Temperatur z. B. hunderttausend Schwingungen in der Sekunde erreicht, die wiederum durch Elektronensteuerung — und das ist das teuerste an der ganzen Geschichte — auf e i n e Schwingung in der Sekunde herabgesetzt werden können. Diese Sekundendauer wird an die Uhr abgegeben, deren Ganggenauigkeit eintausendstel Sekunde je Tag erreicht. Durch diese Uhr wird uns auch bestätigt, was man schon lange durch das Studium der Sonne und der Sterne geahnt hat: daß die Dauer der Sekunde astronomischer Zeit nicht gleichbleibend ist, weil die Rotation unserer Erde unter dem Einfluß von Ebbe und Flut und durch Verformungen der Erdrinde eine Verminderung von etwa zehn Sekunden im Laufe eines Jahrhunderts erfährt — was normalerweise nicht ins Gewicht fällt. Erst die Quarzuhren vermögen die Fehler der Zeitmessung nach der Erdumdrehung zu korrigieren und geben uns so beinahe die „absoluta" Zeit, die ständig von allen großen Sternwarten der Welt kontrolliert und verglichen wird, von London bis Tokio, von Washington bis Moskau. Aber es gibt Leute, denen sogar eine Abweichung von nur eintausendstel Sekunde im Tag noch als grobe Unpünktlichkeit erscheint und die nicht geruht und gerastet haben, bis sie endlich und als — vorläufige — Krönung und als Schlußpunkt in der Geschichte der Zeitmesser eine „Atomuhr" erfunden hatten, die auch unbescheidenen Ansprüchen an Genauigkeit einigermaßen gerecht 31
wird. Sie geht nämlich an einem Tage höchstens um einhunderttausendstel Sekunde nach! Die „Atomuhr" beruht auf der Erkenntnis, daß in der Welt der kleinsten Teilchen, der Atome und Moleküle, ganze Planetensysteme bestehen, deren „Körper" mit bisher kaum vorstellbarer Genauigkeit ihre Bahnen ziehen, in einem Raum, der für sie ebenso unermeßlich groß und leer ist wie für unsere Sinne der Weltenraum. Diese Uhr besteht eigentlich aus einem großen Schrank voll kompliziertester elektrischer Einrichtungen und Schaltelemente. Wie groß die Schwierigkeiten und wie staunenswürdig die Leistungen der Wissenschaftler sind, die dieses Wunderwerk geschaffen haben, ergibt sich schon aus der Notwendigkeit, für das Herz dieser Uhr Schwingungen von vielen Milliarden in der Sekunde zu erreichen. Als „Steuerorgan" wird ein schwingendes Ammoniakmolekül benutzt. Die „Atomuhr" dient eigentlich nicht mehr der praktischen Zeitmessung; um so größer jedoch ist ihre Bedeutung für die gesamte physikalische Grundlagenforschung. Man hofft, mit ihr die experimentelle Überprüfung gewisser Grundlehrsätze der Einsteinschen Relativitätstheorie und eine genauere Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit durchführen zu können.
* Lichtgeschwindigkeit! Wieder sind wir beim Licht angelangt — beim Licht, das immer auch Schatten wirft: den Schatten unserer Erde, der bei Mondfinsternissen über die silberne Scheibe des Erdtrabanten hinweggeht, oder den eigenen Schatten, dem keiner entrinnen kann. Von Westen nach Osten wandert er als ein genauer und mahnender Zeiger über das Erdreich zu unseren Füßen, solange die Sonne uns scheint. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf Umschlagseite 2: Uhr am Deutschen Museum in München mit Stundenund Viertelstunden-Glocke und Anzeige der Mondphasen (oben), der Angabe des Monats und Tierkreiszeichens, der Stunden, Minuten und Sekunden, (Mitte) und des Wochentages (unten). Foto: Deutsches Museum, München L u x - L e s e b o g e n 2 5 0 (Technik) — H e f t p r e i s 25 Pf g. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (viertelj5h.il. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberbayern), Seidl-Park — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth