Band 33
Der Kreis der Zeit von Rainer Castor
MOEWIG
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Band 33
Der Kreis der Zeit von Rainer Castor
MOEWIG
Alle Rechte vorbehalten © by Pabel-Moewig-Verlag KG, Rastatt www.perry-rhodan.net Bearbeitung: Rainer Castor Redaktion: Sabine Kropp Titelillustration: Arndt Drechsler Vertrieb: edel entertainment GmbH, Hamburg Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany 2008 ISBN: 978-3-8118-4111-6
Prolog Das Dokument war im Jahr 2844 nach Christus mehr als 450 Jahre alt und beschrieb eine Persönlichkeit, die längst nicht mehr zu diesen Daten passen wollte. Sinclair Marout Kennon: Fachgebiet Kosmokriminalistik. Spezialist I. Klasse, unbeschränkte Vollmachten. Beschreibung der Person: Größe: 1,52 Meter, physisch schwach wie ein zehnjähriges Kind. Verwachsen. Vorgewölbte Trommelbrust, Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen, gelichtetes, strohgelbes Haar. Abstehende Ohren, zu groß selbst für überentwickelten Schädel. Nach vorn gewölbte Stirn, Zucken linkes Augenlid. Spitzes Kinn, abstoßender Gesamteindruck. Fußgröße im Verhältnis zum Körper anomal mit Nummer 46. Ungeschickter Gang. Füße schleifen nach. Atembeschwerden bei geringsten Belastungen. Qualifikation als Spezialist nur deshalb, weil geniales Gehirn mit überragender Kombinationsfähigkeit. Psychogramm: Tief greifende Neurose. Nach Beseitigung durch Wandeldon-Methode aufgehoben, dann wiederkehrend. Ständige Selbstkritik, Verlangen nach Anerkennung und Zuneigung. Klares Erkennen der körperlichen Missstimmigkeiten, daher unüberbrückbare Minderwertigkeitskomplexe. Form der Äußerung besteht in teils unbegründetem Aufbegehren gegenüber verständnisvollen Menschen, teils in scheuer Zurückhaltung und Selbstdemütigung vor uneinsichtigen Elementen. Niemals echte Zuneigung erfahren. Als Säugling ausgesetzt, Erziehung im Dominikanerstift von Newland City, Grönland. Psychobehandlung durch wissenschaftlich gebildete Geistliche. Erfolg gut bis sehr gut; Rückfall in Selbstdemütigung nach Eintritt in USO-Akademie. Studium Anthropologie, Sonderfach galaktische Altvölker. Spezialistenausbildung unter Umgehung der üblichen Trainingsmethoden auf rein geistiger Ebene. Sonderbemerkung: Zu allen vorhandenen Komplexen kommt noch
ein Problem geschlechtlicher Natur. Es wird vermutet, dass eine nicht feststellbare Mutation vorliegt. Unbekannte Hormondrüsen wurden innerhalb des Gehirns entdeckt, jedoch nicht ausreichend identifiziert. Das war das wissenschaftlich niedergelegte Stichwortpsychogramm. Es las sich nicht gut. Dieser hervorragende Spezialist, geboren am 5. Juli 2369 nach Christus, hatte im Jahr 2396 den Kampf gegen das galaktisch organisierte Verbrechen von Lepso aufgenommen. Niemand hätte ihm die dazu erforderliche Energie und körperliche Stärke zugetraut. Aber er war niemals krank gewesen. Er hatte niemals versagt. Seinem außergewöhnlichen Gehirn waren Einsatzpläne von einmaliger Genialität entsprungen. In der Galaxis gab es nur einen Menschen, dem der Mann unumschränkte Freundschaft, Glauben und Sympathie entgegenbrachte. Es war Ronald Tekener. Sie waren Psychopartner, die von den Fachwissenschaftlern der USO nach jahrelangem Suchen zusammengeführt worden waren. Und dann war der 3. August des Jahres 2406 gekommen … … konnte ich nur hoffen, dass Tek Mittel und Wege fand, sich von mir in glaubwürdiger Form zu distanzieren. Ein Medorobot des Raumschiffs verabreichte mir eine kreislaufstabilisierende Injektion. Ich hatte dieses Boot nur einmal inspiziert. Dann hatte ich es jahrelang nicht mehr betreten, um auf keinen Fall eine Entdeckung zu riskieren. Die Impulstriebwerke liefen automatisch an. Der Robotpilot war für den Fluchtfall programmiert. Wenn jemals ein USOSpezialist über die Transmitterverbindung ankam, war ein sofortiger Notstart unerlässlich. Transmitter erzeugten Hyperwellenschocks, die sehr leicht eingepeilt werden konnten. Ich befand mich in einer trügerischen Sicherheit. Wäre ich auf einem anderen Weg zu diesem Raumschiff gekommen, hätte ich mich für lange Zeit darin verbergen und den günstigsten Augenblick für einen Start abwarten können.
Das war nun nicht mehr möglich. Die Einpeilung der Schockwelle musste zurzeit laufen. Ich schleppte mich in die Zentrale. Dort legte mir ein Roboter einen Raumanzug an. Notstarts von Lepso waren und blieben gefährlich, denn im freien Raum standen die schnellen Überwachungskreuzer des SWD. Den Sperrriegel musste ich erst einmal durchbrechen. Das Rumoren der Triebwerke steigerte sich zu einem dumpfen Donner. Die Space-Jet löste sich vom Grund des Ozeans und stieg langsam in die Höhe. Als die ersten Lichtstrahlen das trübe Wasser durchdrangen, lag ich festgeschnallt im Kontursessel hinter der Hauptkontrolle. Es ging mir allmählich besser. Die Jet stieß aus dem Wasser und nahm augenblicklich mit hohen Schubwerten Fahrt auf. Die Atmosphäre Lepsos wurde aufgerissen. Die Jet raste mit der hundertfachen Mündungsgeschwindigkeit einer altertümlichen Schiffsgranate davon. Wilde Luftturbulenzen entstanden. In ihnen vergingen vier anfliegende SWD-Gleiter – sie wurden von den ins Vakuum der Flugbahn einbrechenden Orkanböen erfasst, mitgerissen und anschließend zu Boden geschmettert. Ich bemerkte nichts mehr von den Explosionen, mein kleines Schiff flog mit unverantwortlich hoher Fahrt in den freien Raum hinaus. Lepso wurde zur Halbkugel. Das Eintauchmanöver in den Linearraum würde den Kalupschen Kompensationskonverter bis zur Maximalleistung belasten – es sollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfolgen, um die Jet möglichst schnell in den sicheren Schutz der Librationszone zu bringen. Als die Space-Jet soeben eine Geschwindigkeit von siebentausend Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, eröffneten zwei schnelle Wachkreuzer des SWD das Feuer aus ihren Thermokanonen. Ich fühlte noch den harten Einschlag und die sengende Hitze, die plötzlich nach meinem Raumanzug fasste.
Glut! Sonnenhelle Glut verbrannte meinen Körper. Ich tauchte in eine Sonne, in der es nichts gab als die unerträgliche, vernichtende Hitze. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht, denn meine Lippen, meine Zunge, Luftröhre und Lunge verwandelten sich in Asche… Obwohl der Körper des Mannes bei der Flucht von Lepso weitgehend vernichtet wurde, überlebte er, kämpfte mit den Kräften seines besonderen Gehirns gegen den Wahnsinn an, der ihn infolge der Qualen überwältigen wollte. Er hielt durch. Am 4. August 2406, 16.42 Uhr Terrania-Standardzeit, wurde auf Tahun ein Funkspruch aufgefangen. Der verbrannte Körper wurde noch am gleichen Tag mit allen Ehren bestattet. Das, was von dem Mann erhalten geblieben war, schwamm in einem kugelförmigen, durchsichtigen Kunststoffbehälter vom doppelten Durchmesser eines menschlichen Schädels. Die BioplastFüllung stand unter einem geringen Außendruck. Das Gehirn war in seiner Gesamtheit entnommen und zusätzlich zur noch vorhandenen Hirnhaut mit einer transparenten und druckfesten Zellfolie umhüllt worden. Kleinhirn, Stammhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn mit einem geretteten Teil des verlängerten Marks und sogar die wichtige Zirbel- und Hirnanhangdrüse fanden in den beiden Schutzhäuten ebenfalls ihren Platz. Allein die Blut führenden Schlagadern und zahllosen Nervenenden durchbrachen die unerlässlich wichtigen Häute. Die Perforationsgebiete wurden von synthetischen Gewebebuchsen abgedichtet. Sie hatten gleichzeitig die Aufgabe von organischen Reizweichen, in denen die erste Trennung ausstrahlender Gehirnimpulse vorgenommen wurde. Von den Spezialisten des Medo-Centers der USO wurde dieses Gehirn in einen perfekten Robotkörper verpflanzt – der Mann zum ersten Träger einer Vollprothese. »Ken – das ist kaum zu glauben. Du siehst großartig aus. Bist du in Ordnung?«, hatte Ronald Tekener seinen Partner bei der ersten Begegnung gefragt. »So gut wie niemals zuvor. Junge, ich könnte vor Freude schreien.
Dieser Doktor Tycho Braynzer ist ein Hexenmeister. Ich beherrsche die Vollprothese vollendeter als meinen früheren Körper. Als ich hörte, dass du zurückgekommen bist, konnte mich nichts mehr halten. Tek – ich nehme den stärksten Ertruser auf den Arm. Ich erreiche eine Sprungweite von 28,6 Metern unter einem Gravo und laufe unbegrenzt hundertfünf Kilometer schnell in der Stunde. Mein Körper besteht aus nahezu unzerstörbarem Super-AtronitalCompositum, und ich selbst bin in einer Stahlhülle verankert, die die fünffache Dicke der Körperbleche erreicht. Meine Körperverkleidung besteht aus zellstabilisiertem Biomolplast mit einem künstlichen Nervensystem, das jedoch zur Vermeidung von Schmerzen aller Art über eine Sensibilitätsschaltung verfügt. Für mich selbst brauche ich lediglich eine winzige Kreislaufpumpe mit angeschlossenem Blutplasmareiniger. Alles andere besorgt eine Mikro-Kraftstation. Ich habe dir noch tausend Details zu sagen, aber das hat Zeit …«
Sinclair Marout Kennon wusste, dass er alles eigentlich nur träumte. Er wusste auch, dass sein Gehirn in der Vollprothese auf Meggion war. Dennoch hatte er vorausgesehen und erhofft, dass ihm das Experiment mit der Traummaschine seinen alten Körper wiedergeben würde. Er entsann sich genau der Zeit, da er noch in diesem alten Körper gelebt hatte. Wie oft hatte er das verkrüppelte, monströse Gefängnis seines Intellekts damals verwünscht! Nicht nur, dass er niemals die Liebe einer Mutter kennengelernt hatte, denn er war als Baby ausgesetzt und staatlich erzogen worden, sondern es war ihm auch wegen seines abschreckend wirkenden Körpers niemals die echte Liebe einer Frau vergönnt gewesen. Von ihm selbst existierte nur noch das Gehirn – und seltsamerweise auch jene Regungen, die eigentlich mit den entsprechenden Drüsen seines verbrannten Körpers hätten
verschwinden müssen. Er war ein Neutrum, konnte die Liebe, die er empfand, nicht in die Tat umsetzen, obwohl es Versuche gegeben hatte, den Roboter »entsprechend auszustatten«. Die Folge war eine psychische Instabilität gewesen, die zeitweise in einen regelrechten Roboterhass ausartete. Niemals hatte Kennon den neuen Körper Robotkörper genannt. Er hatte es auch nicht zugelassen, dass andere diesen Körper so bezeichneten. Stattdessen hatte er beschönigend Vollprothese gesagt. Und oft hatte er sich danach gesehnt, seinen alten Körper zurückzuerhalten. So hässlich er auch gewesen war, es war ein Körper aus Fleisch und Blut gewesen, mit allen Schwächen, aber auch mit allen Vorteilen eines solchen Körpers. Die Traummaschine Zharadins, vom Ischtar-Memory programmiert und verändert, hatte ihm diesen alten Körper wieder geschenkt. Seit dem 10. Prago des Ansoor 10.498 da Ark arkonidischer Zeitrechnung lebte er nun hier, nannte sich Lebo Axton. In den Augen der Arkoniden war er ein Zayna. Diese abwertende Bezeichnung für Behinderte und Krüppel war von Zay – »Patient« bei den Arkoniden oder »Klient« bei den Aras – und Essoya abgeleitet, der nach der grünen Blätterfrucht benannten und durchaus auch als Schimpfwort verwendeten Umschreibung nichtadliger Arkoniden des einfachen Volkes. Sein Abenteuer hatte auf Arkon III begonnen, der Kriegswelt des Großen Imperiums. Inzwischen hatte er die Kristallwelt erreicht und Zug um Zug seine Position verbessert. Er erinnerte sich daran, wie wild und unbeherrscht er reagiert hatte, als er von seinem ersten »Zeit-Ausflug« in das arkonidische Reich zurückgekehrt war. Er hatte reagiert wie ein Süchtiger, der meinte, nicht mehr ohne das Gift leben zu können. Er hatte in fast hysterischer Haltung darum gekämpft, in diesen schwachen, verkrüppelten, aber lebendigen Körper zurückkehren zu können, der eben keine pure Ansammlung
von Metall und Plastik war. Allerdings wurde er sich allmählich bewusst, dass er nicht glücklicher war. Das lange Leben als Gehirn in der Vollprothese hatte ihn vergessen lassen, wie ohnmächtig er in einem Körper war, der so schwach war, dass er sich aus eigener Kraft kaum bewegen konnte. Mit aller Energie kämpfte er dagegen an, dass die alten, vernarbten Wunden wieder aufrissen, die Erinnerungen an Kindheit und Jugend und die Zeit bis zum Abschuss über Lepso. Er hatte dieses Leben gewollt – nun musste er sehen, wie er damit fertig wurde …
Arkon I, Kristallpalast: 32. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Lebo Axton blickte in einen breiten Gang, an dessen Seiten überdimensionierte Bilder hingen; dafür hatte er kein Auge, sondern starrte auf den etwa drei Meter großen, extrem wuchtig wirkenden Kampfroboter, dessen sechs Waffenarme mit Kombistrahlwaffen bestückt waren. Alle sechs Projektionsfelder flammten bedrohlich auf. Der Roboter hatte einen ovalen Kopf mit einem breiten Quarzband, das mit mehreren optischen und etlichen anderen Sensoren versehen war. Darunter befand sich das Gitter eines Lautsprechers. »Stehenbleiben!« Axton hatte vermutet, dass ihm der vom Sonderprogramm unabhängige Roboter hier begegnen würde; es war der einzig logische Ort. Hier bildete er die letzte Sicherheitsschranke vor dem Imperator, die nur zu durchbrechen war, wenn bestechend logische Argumente ins Spiel kamen. Kelly gehorchte; Axton sah voller Anspannung über den Kopf des Roboters hinweg. »Soeben haben Aliz da Tagbor und Bure Fernstel den Saal betreten, in dem sich der Imperator befindet«, sagte der Verwachsene. »Ich habe zuverlässige Informationen darüber,
dass Tagbor ein Attentat auf Seine Erhabenheit plant.« »Interessant«, sagte der Kampfroboter mit monotoner Stimme. Die Art seiner Antwort überzeugte Axton davon, dass er über den Plan des Imperators informiert war. Es konnte gar nicht anders sein, denn sonst wäre er undurchführbar gewesen. »Dieses Attentat hat die Billigung des Imperators«, fuhr der Terraner fort, »denn der Höchstedle geht davon aus, dass die eingesetzte Waffe nicht geladen ist.« »Das ist richtig.« »Ich habe zuverlässige Informationen darüber, dass der Tai Moas dem Attentat zum Opfer fallen wird. Ich weiß, dass die Waffe geladen ist. Keon’athor Tagbor wird den Imperator in wenigen Augenblicken erschießen. Ich muss unbedingt passieren.« Axton hob die Arme, sprang von Kellys Rücken. »Ich bin unbewaffnet.« Er blickte zum Kampfroboter auf. Obwohl nur ein Augenblick verstrich, bis die Projektionsfelder erloschen, erschien es Axton, als bliebe die Zeit stehen. »Du musst den Verantwortlichen bestrafen! Du musst Bure Fernstel töten!« »Passieren«, sagte der Kampfroboter. Axton atmete auf, hastete an der Maschine vorbei. Kelly überholte ihn, und wenig später rannte auch der Kampfroboter vorbei. Die Doppeltür zum Esssalon flog auf. Die Gäste standen in kleinen Gruppen herum und plauderten miteinander. Orbanaschol III. stand unter einem violetten Baldachin, flankiert von Fernstel und einem Orbton in weißer Uniform, sprach mit dem ausgemergelt aussehenden Mann, der Haltung angenommen hatte. Als sich die Türflügel öffneten, ruckten die Köpfe der Gäste herum. Auch Orbanaschol und Fernstel sahen herüber, als Axton den Robotern folgte. Lediglich der erschöpft wirkende Orbton
reagierte nicht auf die unerwartete Störung – stattdessen zog er blitzschnell den Thermostrahler aus dem Halfter und richtete ihn auf den Imperator. »Kelly, schnell!«, brüllte Axton. Für einen Augenblick schien es, als würde der Roboter über die verbogenen Beine stolpern; seine Füße verhakten sich in der langen Schleppe einer Arkonidin, dann zerfetzten sie den Stoff. Kelly streckte sich, schnellte sich mit einem mächtigen Satz über zwei Sessel hinweg, prallte mit Aliz da Tagbor zusammen. Im gleichen Moment feuerte dieser – der gleißend helle Thermostrahl zuckte aus dem Projektor. Orbanaschol erfasste die Gefährlichkeit der Situation, wich instinktiv zur Seite aus, konnte der Glut jedoch nicht ganz entgehen. Der Strahl streifte seinen Oberarm, ließ die blaue Uniform auseinanderplatzen; verflüssigtes Synthetikmaterial fraß sich zischend ins verbrannte Fleisch. Der Imperator schrie gellend vor Schmerz, brach zusammen und wälzte sich hin und her, versuchte, sich die schwelende Kleidung vom Leib zu reißen. Lebo Axton konnte dagegen ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Seine Schultern zuckten ein wenig, ohne dass er es wollte – das Signal für seinen Gegner: Es ging nicht anders! Bure Fernstel öffnete den Mund zu einem Schrei, wollte Orbanaschol auf das ungeheure Spiel Axtons aufmerksam machen – doch die Feuerglut, die ihm brüllend entgegenschlug, erstickte seine Worte, ehe sie über seine Lippen gekommen waren. Der Kampfroboter feuerte mit allen sechs Waffen gleichzeitig, Fernstels Körper befand sich exakt im Zielpunkt der tobenden Energie. Der verkohlte Körper wurde zurückgeschleudert, prallte gegen die Wand und stürzte zu Boden. Endlich kümmerten sich die ersten Bediensteten um den jammernden Orbanaschol, irgendjemand schüttete eine kühlende Flüssigkeit über die Brandwunde. Mehrere
Bauchaufschneider eilten aus einem Nebenraum herbei, versorgten den Imperator professionell und schnell. Lebo Axton zog sich unauffällig zurück, bis er sich mit dem Rücken gegen eine Wand lehnen konnte. Erst jetzt bemerkte er Epprik, der sich in seiner Nähe befand. Der Ingenieur wischte sich über die vor Erregung tränenden Augen. Zwei Kampfroboter erschienen und führten den absolut apathisch wirkenden Sonnenträger aus dem Saal, während die Gäste wirr durcheinanderredeten. Sie alle waren von dem Vorfall völlig überrascht. Nur langsam kehrte Ruhe ein. Orbanaschol schickte die Leibärzte weg, hatte sich inzwischen wieder vollkommen in der Gewalt. Er war durchaus kein Weichling, der sich von einer Brandwunde ausschalten ließ – seine Jagdleidenschaft hatte er schon mehrfach mit Verwundungen bezahlt. Es war der Schock, der ihn getroffen hatte: Im Bruchteil eines Augenblicks war er aus dem Triumph gerissen worden, als er hatte erkennen müssen, dass ihn Bure Fernstel getäuscht hatte. Ein Mann, dem er seit Jahren vertraut und der sich nun als Verräter erwiesen hatte. Das jedenfalls musste er annehmen. Axton winkte seinem Roboter und kletterte, als dieser vor ihm kniete, auf seinen Rücken. Er bedauerte zutiefst, dass er Orbanaschol nicht den ganzen Hintergrund und die wahren Zusammenhänge offenbaren konnte. Aber er hoffte, seinem Fernziel nun einen Schritt näher gekommen zu sein. Gun Epprik, der Günstling des Imperators, trat zu Orbanaschol. »Ich denke, ich bin Euch eine Erklärung schuldig, Höchstedler.« »Das glaube ich auch«, grollte dieser. »Bure Fernstel wollte mich vernichten. Deshalb setzte er Lebo Axton auf mich an, einen Mann, der seine hervorragenden kriminalistischen Fähigkeiten bereits mehrfach nachgewiesen hat.«
Alle Blicke richteten sich auf den Verwachsenen, der Verlegenheit heuchelte und so tat, als wolle er Kelly aus dem Saal dirigieren. »Bleiben Sie, Mann!«, befahl der Imperator ungehalten. »Weiter, ich will alles hören.« »Natürlich fand ich nicht das Geringste heraus, was gegen Gun Epprik gesprochen hätte«, sagte Axton. »Ganz im Gegenteil. Ich stieß auf zahlreiche Loyalitätsbeweise, gleichzeitig aber auch auf Informationen, die mir zeigten, dass Fernstel mich in eine Falle gelockt hatte. Er wusste, dass es gefährlich ist, gegen die Freunde und Berater Seiner Erhabenheit zu ermitteln. Er fürchtete meine Konkurrenz und wollte mich auf diese Weise ausschalten. Ich musste mich wehren. Und ich deckte den Attentatsplan auf. Thi-Laktrote Epprik half mir dabei, hat mir auch den Zugang zum Kristallpalast geöffnet.« »Warum?«, fragte der Imperator erregt. »Warum hat man mir nichts gesagt?« Epprik sagte leise: »Hättet Dir Axton geglaubt, mein Imperator, einem Mann, den Ihr nicht kennt? Einem Zayna? Hättet Ihr ihm mehr Vertrauen entgegengebracht als Fernstel?« Orbanaschols Miene glättete sich. Er wusste, dass der Leitende Ingenieur recht hatte, war aber selbstverständlich noch nicht bereit, Axton nun freundschaftlich zu begegnen. Er gab dem Verwachsenen mit einer hochmütigen Geste zu verstehen, dass er den Saal verlassen dufte. »Ich werde Ihre Dienste honorieren. Sie hören von mir.« Axton sah es in den Augen Eppriks triumphierend aufblitzen, während er den Kopf neigte und sich von Kelly hinaustragen ließ. Im Gegensatz zu Epprik empfand er Orbanaschols letzten Satz eher als Drohung, obwohl er sich sicher war, dass es in Zukunft für seine Gegner schwieriger
sein würde, gegen ihn zu intrigieren. Andererseits machte sich Axton keine Illusionen: Nun stand ihm eine Überprüfung bevor, die alles von ihm abverlangen würde. Ein Mann wie Orbanaschol verließ sich nie nur auf das Wort seines Gegenübers. Axtons Hoffnung war, dass die Ereignisse im Großen Imperium ausreichend Ablenkung bedeuten würden, sodass er sich gut aus der Affäre ziehen konnte: In wenigen Pragos nämlich würde es einen Schlag der Methans geben, dessen Ausmaß das Imperium bis in die Grundfesten erschüttern musste – denn am 2. Prago der Prikur stand die Schlacht um Trantagossa bevor. Und Axton wusste, dass sie noch verheerender ausgefallen wäre, hätte er Apprat Cokret nicht gerettet. Es schien, als würde sich der Kreis der Zeit schließen …
Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Die Methankriege – Das Trantagossa-Fiasko; Sonthrax-BonningVerlagsgruppe, Lepso, 1310 Galaktikum-Normzeit (NGZ) Trantagossa stellte gemeinsam mit den Hauptflottenstützpunkten Amozalan und Calukoma eins der Nervenzentren des Tai Ark’Tussan dar. Zwölf Planeten umkreisten die gelbe Sonne, alle mehr oder weniger komplett ausgebaut, von den äußeren Eisklumpen über den Gasriesen, der weiter innen seine Bahn zog, den innersten Planeten, der eher einem ausgeglühten Mond glich, bis zur vierten Welt Enorketron, die von zentraler Bedeutung für das System war – sie waren genau aufeinander abgestimmte Teile einer gewaltigen Kriegsmaschinerie. Rund ein Drittel der riesigen Raumflotte, die das Große Imperium im Bereich der Hauptebene der Öden Insel gegen die Maahks aufbot, wurde von Trantagossa aus dirigiert. Eineinhalb Milliarden Arkoniden lebten ständig in diesem System, hinzu kamen
die Besatzungen der Raumschiffe. 17.000 Großkampfschiffe der Wasserstoffatmer materialisierten am 2. Prago der Prikur 10.498 da Ark, wie aus dem Nichts herbeigezaubert, mitten im Trantagossa-System. Die schwarzen Walzen verloren keine Zeit, schossen sofort aus allen Rohren. Binnen Zentitontas hatten sie einen beträchtlichen Teil der Raumplattformen und übrigen Stationen so weit beschädigt, dass ihnen aus dieser Richtung kaum noch eine Gefahr drohte. Die Art, in der dieser Angriff vorgetragen wurde, verriet überdeutlich, dass sich die Maahks schon lange auf diese Gelegenheit vorbereitet und ihre Aktionen genau geplant hatten. Die Arkoniden erholten sich nur mühsam von dem ersten Schock, den ihnen die Tatsache versetzt hatte, dem Gegner plötzlich in einem der bestgehüteten Systeme des Großen Imperiums gegenüberzustehen. Niemand hatte mit einem solchen direkten Angriff gerechnet. Ausrüstung und Ausstattung der Welten des Trantagossa-Systems allein sollten nach arkonidischer Vorstellung ausreichen, um jeden Angreifer ausreichend abzuschrecken. Darüber hinaus wurde der Weltraum in weitem Umkreis so sorgfältig überwacht, dass es ein Rätsel war, wie die Maahks derart überraschend hatten auftauchen können – ein Rätsel, das bald mit hartnäckigen Gerüchten über Verrat untermalt werden sollte. Im Sektor von Trantagossa waren 30.000 arkonidische Einheiten unterschiedlichster Größe stationiert. Eigentlich hätte diese Anzahl ausreichen müssen, um bei fast doppelter Überlegenheit die Maahks sehr schnell zurückzuschlagen. Auf fatale Weise zeigten sich allerdings die Nachteile der überorganisierten Bürokratisierung und des insbesondere von Mascant Heng geschürten Misstrauens allem und jedem gegenüber: Im Trantagossa-System durfte sich kein Schiff frei bewegen, Befehle und Bestätigungen waren unbedingte Voraussetzung. Reaktionsschnelle Kommandanten, die sich ohne Zögern in den Kampf stürzen wollten, bezahlten ihr Verantwortungsbewusstsein mit dem Leben – und ihre Mannschaften starben mit ihnen. Denn
die Wachstationen und planetaren Abwehrbatterien reagierten auf Maahkraumer und Arkonidenschiffe in einem entscheidenden Punkt gleich: Was sich unplanmäßig bewegte, wurde angegriffen – unabhängig davon, ob es Freund- oder Feindkode aufwies. Wer nicht registriert war, galt als Feind und wurde vernichtet. Im Falle der Methans hatten die schweren Raumgeschütze allerdings nur bedingt Erfolg. Die Walzenschiffe verfügten über verbesserte Schutzschirme. Hinzu kam, dass die Maahks Verluste in Kauf nahmen, die jeden Admiral der arkonidischen Flotte zum sofortigen Rückzug veranlasst hätten. Die Maahks dagegen riskierten jederzeit die Vernichtung eines Raumers, sofern zwei andere dafür die betreffende Station oder einen angreifenden Kugelraumer ausschalten konnten. Noch während die arkonidische Abwehrmaschinerie durch das Fehlen konkreter und flexibel erstellter Befehle gelähmt war, gelang es den Maahks, ihre Angriffsformationen so weit abzusichern und zu festigen, dass die ersten Walzenraumer in Richtung der Planeten in Marsch gesetzt werden konnten. Und während endlich die ersten Kampfraumer mit überall registrierter Legitimation von den Landeflächen aufstiegen oder die Orbitbahnen verließen, um den bedrängten Kampfstationen zwischen den Planeten zu Hilfe zu eilen, raste die erste Angriffswelle der Wasserstoffatmer auf ebendiese Welten zu. Auch Enorketron wurde massiv attackiert. Drei Walzenraumer drangen sogar bis in die Atmosphäre vor und luden ihre »Geschenke« ab – thermonukleare Bomben, SelbstlenkMarschflugkörper, Raketen und Torpedos, die nahezu ungehindert die Oberfläche erreichten und riesige Teile der Anlagen in feurige Krater verwandelten. Die Abwehrforts des Planeten selbst reagierten auf den Nahangriff viel zu langsam, weil noch mit veralteten Zielsteuerungen ausgestattet, die aus Gründen der »wirtschaftlichen Einsparung« – sprich: Korruption und Misswirtschaft der OrbanascholAdministration einschließlich der Beteiligung von Mascant Amarkavor Heng! – nicht auf den neuesten Stand gebracht worden
waren. Dass die Altanlagen überdies durch die von den Maahks emittierte massive Störstrahlung zu einem hohen Prozentsatz ausfielen, kam in dieser Situation noch erschwerend hinzu …
1. »Wir haben ihn gefoltert.« »Dann hat er sich also geweigert, mehr als bisher zu sagen?« »Wir haben ihn verhört, aber auch jetzt konnte nicht geklärt werden, woher er wirklich kommt. Seine Vergangenheit liegt im Dunkeln. Seine Auskünfte waren ausweichend und unbefriedigend.« »Wie lange wurde er befragt?« »Sieben Pragos. Danach haben wir die Folter angesetzt. Für zwei Pragos.« »Ergebnis?« »Unbefriedigend. Die Lücken konnten nicht geschlossen werden. Er hat alle Maßnahmen unbeschadet überstanden und schließlich jede Aussage verweigert.« »Dann steht immer noch nicht fest, ob man sich wirklich auf ihn verlassen kann?« »Wahrscheinlich ist er loyal.« »Wir werden ihn mit einem Problem konfrontieren, in dem er alle Fragen beantworten muss. Leben oder Tod. Im Preyton-System soll es sich entscheiden. Zuvor schickt ihn nach Barthimore. Vielleicht genügt das schon, und unser Risiko ist geringer.« »Verstanden, Höchstedler.«
Anflug auf Barthimore: 8. Prago der Prikur 10.498 da Ark »Hast du eigentlich so etwas wie einen Schönheitssinn?« »Selbstverständlich, Schätzchen. Mein Kopf hat eine Hülle aus bestem Arkonit. Das Innere besteht aus reiner Positronik, die in eine von dem Meisterkonstrukteur Abbahat entwickelte Leichtmetallkonstruktion eingebettet ist. Mein vorheriger Gebieter verfolgte die Grundidee, durch mich die Schönheiten der Öden Insel zu ergründen. Er hat mich…« »Er hat dich in erster Linie mit einem vorlauten Mundwerk
versehen und leider auf alles verzichtet, was man als höhere Werte bezeichnen könnte«, unterbrach Lebo Axton den Roboter an seiner Seite. »Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass du überhaupt keinen Blick für harmonische Formen und ästhetische Linienführungen hast.« Die Maschine war etwa zwei Meter groß und wirkte im Vergleich zu Axton wie ein Koloss. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass sie aus zahlreichen Einzelteilen unterschiedlichen Alters zusammengesetzt war. Einige Teile passten überhaupt nicht zu diesem Robotertyp. Gentleman Kelly stammte vom Schrottplatz, und das war ihm auch anzusehen. Auf dem Ovalkörper aus Arkonstahl von einem Meter Länge und rund vierzig Zentimetern Durchmesser saß ein dreißig Zentimeter langer Spiralhals. Der Kopf war kugelförmig und hatte in der Mitte ein umlaufendes Organband mit Quarzlinsen, Sprechmembran, Antennen und Geruchssensoren. Aus dem Ovalkörper entsprangen zwei Arme und zwei krumme Beine. Bügelförmige Fußstützen in Höhe der Beinansatzgelenke und Griffe auf den Schultern gestatteten es, dass Axton hinter Kellys Rücken bequem stehen, sich festhalten und über den Kopf des Roboters hinwegsehen konnte. Thi-Laktrote Gun Eppriks »Bastelstube« entstammte das Antigrav-Flugaggregat, und auch in anderer Hinsicht hatte Axton den Roboter inzwischen beträchtlich aufgerüstet. »Daraus resultiert meine Vorliebe für dich.« Axton verschlug es die Sprache. Er suchte nach Worten, griff dann aber nach einer Klappe am Ovalkörper Kellys, öffnete sie und schaltete den Roboter per Knopfdruck ab. Danach atmete er tief durch. Er war sich seiner Hässlichkeit durchaus bewusst, aber er liebte diesen verwachsenen Körper, denn es war in gewisser Weise sein eigener, zumindest entsprach er exakt dem, in dem er geboren und aufgewachsen war. Er hatte
nichts gemein mit der vollendeten Vollprothese, in der er als Gehirn mehrere Jahrhunderte lang existiert hatte. Nach wie vor fragte sich Axton, welcher Natur sein Körper tatsächlich war, und ebenso, wie es der Traummaschine möglich war, ihn zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Oder war er doch körperlich hier? Auf eine Weise in die Vergangenheit geschleudert und materialisiert, die über seinen Verstand ging? Atlans Vermutung, er müsse eine naturgetreue Materieprojektion sein, hatte einiges für sich. Hatte er die Folter der TGC-Verhöroffiziere nur deshalb so gut überstanden, weil eine Projektion dieser Art nicht zu zermürben war wie der Körper eines normalen Lebewesens? Lebo Axton dachte ungern an die Zeit zwischen dem 34. Prago des Ansoor und dem 6. Prago der Prikur zurück. Er hatte mit einem solchen Verhör gerechnet und sich innerlich darauf vorbereitet. Schmerzen waren für Axton nichts Ungewöhnliches. Sie waren allgegenwärtig. Sein Körper – egal ob Projektion oder nicht – war Belastungen nicht gewachsen. Musste er nur ein paar Meter weit schnell laufen, ging ihm der Atem aus, die Lungen schienen dann platzen zu wollen. Seine dünnen Beinen versagten ihren Dienst, sobald er eine Treppe mit wenigen Stufen hinaufsteigen musste, und ständig war die Versuchung da, den Gravoneutralisator am Gürtel auf noch geringere Werte zu justieren. Er gab ihr nur deshalb nicht nach, weil er genau wusste, wie verhängnisvoll das gewesen wäre. Zu schnell würde er sich an den geringen Wert gewöhnen, sodass bald der Wunsch nach weiterer Senkung aufkommen würde. Wehe aber, das Gerät fiel aus oder wurde ihm gestohlen. Axton seufzte. Leider hatte der Angriff der Maahks auf das Trantagossa-System keinen Einfluss auf den Verlauf der Verhöre gebracht. Energisch schob Axton diese Überlegungen zur Seite und trat dem Roboter kräftig gegen die krummen
Beine, setzte sich wieder in den Sessel und richtete die Blicke auf den Bildschirm. Der Planet Barthimore, vierter von zehn der gelbweißen Sonne Bar, schien paradiesisch zu sein. Er erinnerte entfernt an die Erde mit ihren weiten blauen Meeren, den üppigen Vegetationszonen und den Wüstengürteln. Nur wenige Landstriche waren wirklich erschlossen. Dennoch galt Barthimore als außerordentlich reich. Hier wurden Bodenschätze von höchstem Wert gewonnen, und Axton hatte die Adligen der Kristallwelt von den Jagdmöglichkeiten auf diesem Planeten schwärmen hören. Langsam senkte sich das kugelförmige Raumschiff auf einen trapezförmigen Kontinent südlich des Äquators hinab. An der Nordküste befand sich die Traumstadt des Adligen Arayshkat da Barthimore, die von einem der berühmtesten Künstler des Imperiums angelegt worden sein sollte. In Gedanken seufzte Axton zum wiederholten Mal über die arkonidische Aristokratie mit all ihren Feinheiten und Fallstricken. Kleine, Mittlere und Große Khasurn; 34 Adelstitel, jeder mit eigenen Gewichtungen, Privilegien und gesellschaftlichen Auswirkungen bis hin zur Form der Anrede. Einflüsse und Verbandelungen samt den damit verbundenen Emotionen, die unter Umständen über Jahrhunderte oder Jahrtausende zurückreichten. Theoretisches Wissen war das eine – nur half es wenig, wenn der Hintergrund nicht verinnerlicht war und wirklich gelebt wurde. Axton rief sich die Daten in Erinnerung: Arayshkat da Barthimore war als Nert-tiga ein »Nert-Baron Dritter Klasse«. Eine direkte Gleichsetzung mit terranischen Titeln war zwar schwer möglich, aber grob konnte er als »Groß-Baron« eingeordnet werden, der zum Kator-Khasurn gehörte, also dem Unteren Adel der »Edlen Dritter Klasse«, auch Kleiner Kelch genannt. In der ebenfalls groben Einteilung der damit verbundenen imperialen Lehnshierarchie umfasste eine
»Baronie« maximal bis zu fünf Sonnensysteme, konnte minimal aber auch auf Ländereien auf einem oder mehreren Planeten beschränkt sein. Im Fall von Nert Arayshkat umfasste der Besitz das gesamte System mit Barthimore als Hauptlehen, verbunden mit der nicht ganz korrekten, wenngleich dennoch treffenden Umschreibung Planetenfürst. Als der Raumhafen von Metrobarthimore in Sicht kam, aktivierte Axton den Roboter wieder und fragte: »Wie fühlst du dich, Kelly?« »Blendend. Meine Speicher haben sich wieder etwas erholt.« Das war absoluter Unsinn, wie er von einem Roboter eigentlich nicht zu erwarten war. Axton fragte sich erneut, von wem das Positronengehirn programmiert worden war und wer der frühere Besitzer gewesen war. Im Stillen hegte Axton den Verdacht, es könne sich um den von Kelly genannten »Meisterkonstrukteur Abbahat« gehandelt haben. Leider waren bislang diesbezüglich sämtliche Recherchen im Sand verlaufen. »Eine schöne Welt, nur zwanzig Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt. Kein Wunder, dass Imperator Orbanaschol scharf darauf ist.« »Sei lieber still, sonst schalte ich dich doch noch für immer ab.« Das Raumschiff setzte auf. Der Bildschirm zeigte einen Gleiter, der sich von einem Raumhafengebäude her näherte. Axton gab dem Roboter einen Wink. Die Maschine kniete nieder, sodass der Verwachsene auf ihren Rücken steigen konnte. Danach nahm der Roboter die wenigen Gepäckstücke und schritt aus der Kabine. Lebo Axton war der einzige Passagier des Schiffes. Diese Tatsache allein hätte seiner Persönlichkeit dem Nert von Barthimore gegenüber ausreichend Gewicht verleihen müssen. Das war aber keineswegs der Fall, wie er merkte, als er sich dem Arkoniden in dem Gleiter näherte. Der Mann darin war offensichtlich nur
ein hoher Vertreter des Planetenfürsten, der eine mit Ehrenzeichen förmlich übersäte Uniform trug. Axton ließ sich durch sie jedoch nicht täuschen. Er musterte das Gesicht und vor allem die Augen des Mannes, und er sah Kälte und Ablehnung. Augenblicklich erkannte er, dass er mit diesem Arkoniden beträchtliche Schwierigkeiten haben würde. Axton ließ sich bis an den Gleiter tragen. Erst als er ihn erreichte, stieg der Mann aus. Ihm war anzusehen, dass er nicht einen Funken Hochachtung empfand. »Mein Name ich Peyko Baey«, sagte er. »Ich habe die Aufgabe, Sie abzuholen und Sie zum Palast zu bringen.« Axton wartete, bis Kelly den Gleiter geöffnet hatte. Dann stieg er betont schwerfällig vom Rücken des Roboters und kletterte ächzend in die Flugkabine. Missbilligend blickte er den Arkoniden an, da dieser keine Anstalten machte, die Tür wieder zu schließen, als auch Kelly im Gleiter saß. Peyko Baeys Augen blitzen auf; unwillig warf er die Tür zu. Er setzte sich hinter die Kontrollen, startete und sprach kein Wort mehr, bis sie neben dem Palast landeten. Der Stammsitz des Nert entsprach allem, was Axton bereits davon gehört und selbst in Erfahrung gebracht hatte. Er blickte an dem Gebäude nach oben, dessen Form keineswegs den arkonidischen Gepflogenheiten des Trichtertyps entsprach: Es hatte vielmehr die Form einer Kugel von fast zweihundert Metern Durchmesser und schwebte wenige Zentimeter über dem Boden frei in der Luft. Auf diese Weise konnten die wichtig erscheinenden Bereiche nach Belieben mit dem Verlauf der Sonne mitwandern. Axton stieg wiederum auf den Rücken des Roboters und ließ sich zum Nert-tiga führen.
Nert Arayshkat betrachtete den Mann, den der Imperator zu
ihm geschickt hatte, mit geweiteten Augen und begann zu lachen. »Mir ist schon manche Kuriosität begegnet, aber das ist der Gipfel. Sind Sie tatsächlich Lebo Axton, der Mann, der den unglücklichen Tod von Eid Beste untersuchen soll?« Axton ließ sich von Kellys Rücken rutschen und setzte sich in einen Sessel. »Allerdings«, sagte er abweisend. »Ich habe die Aufgabe, den Mord an Verbindungsorbton Eid Beste aufzuklären.« »Mord! Wie kann man nur so etwas sagen? Es gibt eindeutige Beweise, dass…« Er blieb vor Axton stehen und musterte ihn kopfschüttelnd. Der Baron war etwa zwei Meter groß. Das silbrig weiße Haar reichte ihm an den Seiten bis zu den Schultern, war jedoch im Nacken noch wesentlich länger, sodass es mit den Spitzen fast den Gürtel berührte. Der Planetenfürst war ein ausgesprochen schöner Mann. Sein Gesicht war gleichmäßig und gut geschnitten, aber es war nicht das einer ausgereiften Persönlichkeit. Die Augen blinzelten Axton übermütig an, und das ständige leichte Lächeln zeigte an, wie wenig Arayshkat bereit war, irgendetwas ernst zu nehmen. »Aber was sprechen wir von Beste. Reden wir doch von Ihnen, Axton… Nein, schweigen Sie. Ich will versuchen, Ihre geheimsten Gedanken zu erraten. Sie sind ein zutiefst unglücklicher Mann, der fürchterlich unter seinem missgestalteten Körper leidet. Wissen Sie was? Ich kenne einen hervorragenden Chirurgen. Er wird Ihren Buckel beseitigen, Ihre Ohren verkleinern, Ihre Füße verkürzen und Ihre Beine strecken, sodass Sie anschließend ein annehmbares Aussehen haben werden.« Er beugte sich vor, seine Augen leuchteten auf. »Die Frauen werden Sie ansehen, Axton. Sie werden Sie bewundern und nicht länger zurückweisen. Nun, was halten Sie davon?« Er trat zurück, richtete sich hoch auf und blickte auf den Verwachsenen hinab.
»Ich hätte gern etwas zu trinken«, sagte Axton kühl. Peyko Baey trat ein, als habe er die Worte gehört. Er schob eine mit Goldplatten verzierte Antigravscheibe vor sich her, die festlich gedeckt war. »Sie sehen, ich denke durchaus an Ihr leibliches Wohl, Axton. Peyko, mein Gast hat Durst. Wir wollen ihm alles geben, was er benötigt.« Die Antigravscheibe senkte sich etwas, Baey stabilisierte sie, sodass sie unverrückbar an dieser Stelle schwebte und als Tisch dienen konnte. Axton bediente sich. »Der Imperator ist ungehalten«, sagte er zwischen zwei Schlucken. »Eid Beste war sein Freund. Sein Tod hat Seine Erhabenheit schwer getroffen. Er verlangt bedingungslose Aufklärung des Falles, Auslieferung des Mörders und eine finanzielle Entschädigung in noch festzusetzender Höhe.« Nert Arayshkat da Barthimore breitete die Arme aus. »Sehen Sie sich um in meinem bescheidenen Reich. Sie werden kein Zeichen einer Schuld feststellen.« Axton sah ihn forschend an. Der Adlige begriff nicht, dass es um seinen Kopf ging. Arayshkat wirkte auf ihn wie ein großer Junge, der die Gefahr nicht sah – oder nicht sehen wollte. Er war Axton keineswegs unsympathisch. Im Gegenteil. Der Verwachsene mochte diesen Arkoniden sogar, der so offensichtlich von geradlinigem Charakter war. »Ich werde mich informieren«, sagte er. »Verlassen Sie sich darauf.« »Ruhen Sie sich ein wenig aus«, riet der Planetenfürst. »Sie sind erschöpft von der Reise. Ich erwarte Sie später zu einem Essen im Kreis meiner Freunde. Sie werden die besten Familien dieses Planeten kennenlernen.« »Hoffentlich kommen Sie nicht auf den Gedanken, mich als Partygag vorzuführen.«
Der Verwachsene kletterte auf den Rücken seines Roboters und ließ sich hinaustragen. Peyko Baey folgte ihm und führte ihn zu den für ihn vorgesehenen Räumen, zeigte ihm all die technischen Einrichtungen. Schließlich verabschiedete er sich und ging zur Tür. Dort blieb er jedoch noch einmal stehen. »Axton, ich habe das Gefühl, dass Sie wirklich glauben, mehr über den Tod von Beste herausfinden zu können, als bisher bekannt ist.« »Allerdings.« »Sie machen einen Fehler. Warum erfüllen Sie nicht die Erwartungen des Imperators?« »Und welche sind das Ihrer Meinung nach?« »Seine Erhabenheit hat Sie nur der Form halber geschickt. Irgendjemand muss sich wohl um Bestes Tod kümmern. Das bedeutet jedoch nicht, dass es auch ein neues Ergebnis der Untersuchungen geben muss. Machen Sie sich nicht lächerlich, Axton. Wenn Sie sich vernünftig verhalten, können wir Sie nach einigen Pragos wieder nach Arkon zurückschicken und uns aus formalen Gründen scharf über Sie beschweren. Wir werden behaupten, dass Sie eine zu gründliche Untersuchung durchgeführt haben. Danach werden alle Seiten zufrieden sein.« »So spricht jemand, der etwas zu verbergen hat.« »Überlegen Sie es sich. Wir sorgen dafür, dass Sie nichts zu bereuen haben.« »Sie langweilen mich, Baey.« »Seien Sie kein Narr. Sie gehen von der Voraussetzung aus, dass der Tote Orbanaschol irgendetwas bedeutet hat, gar sein Freund war und dass der Tai Moas deshalb mehr über sein Ende wissen will. Aber das ist falsch!« Peyko Baey hob seine Stimme nicht ein einziges Mal, sondern sprach ruhig und ohne emotionale Beteiligung. »Eid Beste war in Ungnade gefallen. Seine Erhabenheit hatte ihn bereits kaltgestellt.«
»Sie fangen an, mich zu belästigen. Gehen Sie jetzt!«, befahl Axton in bewusst scharfem Ton. Er beobachtete sein Gegenüber, ohne eine gefühlsmäßige Reaktion feststellen zu können. Baey blieb gelassen wie ein Roboter. Als Axton allein war, entkleidete er sich und ging in die Hygienekabine, wo er sich eine halbe Tonta mit einer Einrichtung abplagte, die für normal gewachsene Arkoniden, nicht aber für einen Mann seiner Größe gedacht war. Dennoch fühlte er sich anschließend erfrischt. Er genoss die kurze Zeit der Ruhe, in der er von niemandem gestört wurde. So konnte er noch einmal über alles nachdenken. Axton wusste noch nicht, welchen Plan er verfolgen sollte. Vorläufig musste er sich an das halten, was man ihm im Hauptquartier der arkonidischen Abwehr auf Arkon I »vorgeschlagen« hatte. Er konnte nichts anderes tun, als genau die Ereignisse herbeizuführen, die letztlich den Tod des Nert einleiten mussten. Terlot da Keithy stand auf Abruf bereit. Sollte die Entwicklung Arayshkat dann tatsächlich zum Verhängnis werden, was Axton nicht hoffte, würde er vor eine äußerst schwere Entscheidung gestellt werden. Dessen war sich Axton bewusst, aber er war sich noch nicht darüber klar, wie er damit fertig werden sollte. Selbstverständlich dachte er nicht daran, den Planetenfürsten kaltblütig umzubringen. Er war kein Mörder, sondern ein hoch qualifizierter Kosmokriminalist. Das wussten selbstverständlich auch der Imperator und die ihm Unterstellten. Dass er dennoch nach Barthimore geschickt wurde, hatte einzig und allein den Grund, weil Seine Erhabenheit der Besitz des Barons lockte, das Lehen jedoch nicht ohne Begründung »eingezogen« werden konnte. Vor uralten Traditionen und dem undurchdringlichen Geflecht der Kristalletikette musste selbst ein Diktator wie Orbanaschol III. mitunter kapitulieren. Darüber war sich Axton klar. Und
deshalb hasste er den Auftrag. Er war entschlossen, sich so aus der Affäre zu ziehen, dass er allen Seiten gerecht wurde. Bedeutete das aber wirklich, dass Arayshkat da Barthimore sterben musste? Axton war sich sicher, dass sich irgendwo in der Nähe Beobachter Orbanaschols befanden, TRC-Celistas oder gar TGC-Geheimpolizisten. Sie verfolgten das Geschehen mit argwöhnischen Augen – wie es sich für Celistas gehörte und es ihrem Namen entsprach – und würden Axton sofort zu Fall bringen, sobald er etwas unternahm, was den Interessen des Imperators zuwiderlief. TRC war das arkonidische Akronym von Tussan Ranton Celis, frei übersetzt die »Augen der Imperiums-Welten«, während TGC das von Tussan Goldan Celis war, bezogen auf die »Goldan-Augen« des aus den Heroen-Sagas überlieferten Ungeheuers – auch Goltan genannt – mit Hunderten, überaus scharfsichtigen Augen. Die Tu-Gol-Cel war die »Politische Geheimpolizei des Imperators« und unterstand Mascant Offantur. Insgeheim arbeitete Axton einzig und allein für Atlan. Sein Ziel war es, dem Kristallprinzen den Weg zur Macht zu erleichtern. Wollte er die dabei von ihm verfolgte Strategie nur schwarz-weiß sehen, konnte das nur heißen, dass alles, was Orbanaschol III. schadete, Atlan nutzen musste. Das Schicksal eines Planetenfürsten aus dem Unteren Adel spielte dabei keine Rolle. Axton überlegte angestrengt. Sein Gedächtnis funktionierte ausgezeichnet, aber es hatte Erinnerungen aus mehreren Jahrhunderten Leben und Erleben zu bewältigen. Das Spezialgebiet des Kosmokriminalisten, das er mit besonderer Leidenschaft studiert hatte, war die Geschichte der galaktischen Altvölker gewesen. Hier hatte er sich außerordentliche Erkenntnisse angeeignet, die ihn nun befähigten, sich im Großen Imperium Arkons zu bewegen, ohne ständig aufzufallen.
Nur weil er so viel über die alten Arkoniden wusste, hatte er es überhaupt gewagt, sich von der Traummaschine in die Vergangenheit projizieren zu lassen. Er war sich der Gefahren durchaus bewusst gewesen. Durch die geringste Unaufmerksamkeit konnte er Atlan den Weg in die Zukunft verbauen – sofern er nicht auf die Trägheit der Zeit hoffte und damit darauf, dass es kein Zeitparadoxon geben konnte. Und das war es, was ihn jetzt quälte. Ihm war, als habe er den Namen Arayshkat schon einmal gehört, aber er konnte ihn nicht unterbringen. Immer wieder fragte er sich, ob ein Mann namens Arayshkat eine bestimmte Rolle im Leben des jungen Atlan gespielt hatte. War das tatsächlich der Fall gewesen, konnte er sich hier nur die Finger verbrennen. Sollte dieser Nert beispielsweise irgendwann einmal Atlans Leben gerettet haben, würde Atlans Leben dadurch vernichtet werden, dass Arayshkat vorzeitig starb. Je länger Axton versuchte, in seinen Erinnerungen zu graben, desto unruhiger wurde er. Schließlich glaubte er, nicht einen einzigen Schritt tun zu dürfen, ohne ihn sorgfältig abgewogen zu haben. Er trat aus der Hygienekabine und zog sich an. »Ist uns der Name Arayshkat da Barthimore schon vorher einmal begegnet?« »Nein«, antwortete Kelly. »Ist das sicher?« Der Roboter antwortete nicht, weil er offensichtlich eine erneute Bestätigung für überflüssig hielt. Dennoch stieg Axtons Unsicherheit noch mehr. Als er den Raum verlassen wollte, kniete Kelly nieder, doch Axton versetzte ihm einen leichten Tritt. »Ich verzichte auf deine Begleitung. Glaubst du, ich will mir auch noch den Appetit durch dich verderben lassen?« »Hoffentlich findest du einen ähnlich geistvollen Gesprächspartner wie mich, Schätzchen.« »Das wird nahezu unmöglich sein.«
Axton ließ die Tür zufallen und ging mit schleifenden Schritten auf den nächsten Antigravschacht zu. Als er den Schacht verließ, trat ihm ein Diener entgegen, der eine prachtvolle Phantasieuniform trug. Axton konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen, verzichtete jedoch auf eine Bemerkung, die den Mann hätte kränken können. Er wusste nicht, ob er nicht noch einmal auf gerade diesen Arkoniden angewiesen sein würde. Ein zweiter, in gleicher Weise ausstaffierter Diener erschien mit einer silbrigen Antigravplatte, die wenige Zentimeter über dem Boden schwebte. Er verneigte sich übertrieben tief. »Würden Sie bitte aufsteigen, Lebo Axton?« Axton stutzte nur einen Augenblick, dann durchschaute er das Spiel. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er spürte, wie ihm heiß wurde. Der Nert hatte die ungeheure Gefahr, in der er schwebte, tatsächlich nicht begriffen. Damit erfuhren die Ereignisse bereits vorzeitig eine dramatische Beschleunigung, die Axton durchaus nicht behagte. Noch immer wusste er nicht, wie er den Namen Arayshkat da Barthimore in die altarkonidische Geschichte einordnen sollte. Leitete er das Ende Atlans ein, wenn er die Herausforderung annahm? Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Er musste sich blitzschnell entscheiden und dabei alle Faktoren gegeneinander abwägen. Eventuelle Beobachter Orbanaschols durften nicht misstrauisch werden. Seine Aufgabe war es, Arayshkat in eine Sackgasse zu locken, aus der es keinen Ausweg mehr gab. Kam ihm der Planetenfürst dabei nun so weit entgegen, musste er darauf eingehen. Entschlossen trat Axton auf die Silberplatte. Sie stieg bis etwa Hüfthöhe auf, als einer der Diener die entsprechenden Funkimpulse mit einem Handgerät gab. Dann glitt sie zwischen den Männern auf eine breite Tür zu. Diese öffnete sich langsam und gab den Blick frei in einen festlich
beleuchteten und dekorierten Saal, in dem etwa vierzig Frauen und Männer an einer gedeckten Tafel saßen. Aus versteckt angebrachten Lautsprechern ertönten Klänge aus dem gegenwärtig so beliebten Arkonlied, dessen Disharmonien auf terranische Ohren zermürbend wirkten. Die Augen der Gäste wandten sich Lebo Axton zu, der sich keineswegs gedemütigt fühlte, weil man ihn auf einem silbernen Tablett präsentierte. Er lächelte und deutete eine Verbeugung an, die einige der Damen zu einem schrillen Gelächter veranlasste. »Ich darf Ihnen vorstellen«, rief der Nert. »Der Kriminalistenfürst Lebo Axton, Gesandter des Imperators.« Die Diener geleiteten den Verwachsenen bis zum letzten noch freien Platz am Ende der Tafel und ließen ihn herab, sodass er sich setzen konnte. Auf den Tellern vor den Gästen lagen gebratene Fleischstücke und verschiedene Obstsorten von exotischen Planeten. In kostbar geschliffenen Gläsern funkelte eine rote Flüssigkeit, die einen verführerischen Duft verbreitete. Vor Axton lag dagegen eine grüne Blätterfrucht, die einem terranischen Kohlkopf recht ähnlich sah – eine Essoya, das Symbol der armen und bedeutungslosen Arkoniden. Und das Glas vor Axton enthielt nur klares Wasser. Eine junge Frau, die neben Arayshkat gesessen hatte, sprang auf. In ihren Augen standen Tränen der Erregung und Empörung. Sie eilte zu Lebo Axton. »Bitte«, sagte sie mit halb erstickter Stimme und griff nach seinem Arm. »Bitte, entschuldigen Sie. Ich habe nicht gewusst, was hier gespielt wird. Mein Mann hat…« »Aysha!«, rief Arayshkat da Barthimore zornig. Axton blickte die junge Frau lächelnd an. Er fand, dass sie außerordentlich schön war. Allerdings störte ihn, dass sie, ähnlich wie die anderen Frauen am Tisch, mehr ent- statt
bekleidet war. Aber das entsprach einem neuen Modetrend. Sogar das markante Crysalgira-Grün war allenthalben zu entdecken. Axton erinnerte sich: Crysalgira aus dem Khasurn der Quertamagins war noch jung, knapp neunzehn Jahre alt. Hätte nicht schon die vollendete Figur der hochgewachsenen, schlanken Frau genügt, ihr die Aufmerksamkeit des Hofes zu sichern, wäre sie zweifellos durch ihr überschäumendes Temperament aufgefallen. Wer den Hauptteil an Crysalgiras Kleidung gefertigt hatte, war bei Hof erbittert diskutiert worden. Den wichtigsten Bestandteil lieferte zweifellos die makellose Figur der jungen Frau. Dauerhafte Klebestreifen, vollkommen mit der Hautfarbe abgestimmt, hielten etliche glitzernde Edelsteine an ihrem Körper unverrückbar fest. Der eigentliche Trick lag im Innenleben der erlesenen Steine. Mikrotechniker hatten Höhlungen hineingeschnitten und winzige Fesselfeldprojektoren eingebaut. Diese sorgten für den einwandfreien Sitz des eigentlichen Gewandes aus zerbotischer Seide, Gramm für Gramm ein Vermögen wert. Hätte jemand den technischen Aufwand, die Materialkosten und den Einfallsreichtum der an dieser Kleidung beteiligten Personen zusammengefasst, hätte von dem Betrag ein halber Kolonialplanet gekauft werden können. Es entsprach dem Lebensstil einer Quertamagin, den immensen Kostenaufwand nur mit einem Achselzucken abzutun. Crysalgiras raffinierter Entwurf hatte Aufsehen erregt und sie zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten am Hofe gemacht. »Schon gut«, sagte Axton. »Ich verstehe Sie, aber ich kann nicht anders.« Er schob ihre Hand zurück und stellte sich auf den Stuhl, da er kaum über die Tischkante hätte sehen können, wäre er von ihm herabgestiegen. Einige der Arkonidinnen kicherten albern; die Männer grinsten Axton unverhohlen an. »Nert, Sie haben mir deutlich gezeigt, was Sie von mir halten. Sie warten auf meine Reaktion. Nun, ich will Sie nicht
enttäuschen und Ihnen allen das Vergnügen nicht schmälern. Deshalb fordere ich Sie zum Duell. Ich verlange Genugtuung.« Die Wirkung seiner Worte überraschte selbst ihn. Die Frauen und Männer am Tisch brachen in schallendes Gelächter aus. Arayshkat ließ das Glas fallen; er krümmte sich vor Lachen. Ebenso wenig wie die anderen konnte er sich vorstellen, dass ein verkrüppelter Mann wie Axton gegen ihn kämpfen wollte. »Ich denke, Sie werden mir die Wahl der Waffen überlassen?«, fragte Axton. »Selbstverständlich.« Aysha und Axton blickten sich an. Die Frau des Planetenfürsten war die Einzige, die nicht lachte. Aus ihren Augen schlug ihm vielmehr das nackte Entsetzen entgegen. »Nun, Nert-tiga«, sagte Axton. »Dann wähle ich das rituelle Mannaxschwert.« Das Gelächter steigerte sich zum Orkan, denn der Verwachsene hatte einen Zweihänder gewählt, mit dem nur äußerst starke Männer kämpfen konnten. Als es wieder ruhiger wurde, fügte er hinzu: »Selbstverständlich nach den Austragungsregeln von Spentsch!« Schlagartig wurde es still in der Runde. Der Nert erhob sich. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Augen weiteten sich, der Mund blieb offen. Aysha floh schluchzend aus dem Raum. Lebo Axton gab den Dienern einen Wink, stieg auf die Silberplatte und befahl mit scharfen Worten, ihn zum Antigravschacht zu bringen. Sie gehorchten wortlos. Barthimore: 9. Prago der Prikur 10.498 da Ark Als Lebo Axton die Hyperfunkstation des Kugelpalastes betrat, blickten ihn die beiden hier tätigen Orbtonen fast furchtsam an. Axton ließ sich von Kelly tragen und reichte ihnen eine beschriftete Folie. »Setzen Sie diesen Funkspruch zur Kristallwelt ab.«
Einer der Offiziere nahm die Folie entgegen, las sie kurz durch und nickte. »Sie rufen einen Stellvertreter?« Axton antwortete nicht. Befremdet wandte sich der Orbton ab, schaltete die Geräte ein, justierte auf die Relaisverbindung zum Arkonsystem und strahlte den Hyperfunkspruch ab. Es dauerte nicht lange, bis die Bestätigung einlief. »Darf ich fragen, wer es ist?«, fragte der zweite Offizier. Axton behandelte ihn weniger unfreundlich als seinen Kollegen. »Sie dürfen«, entgegnete er. »Er heißt Terlot da Keithy.« »Arkons Götter…« Axton raunte Kelly einen Befehl zu. Der Roboter trug ihn hinaus auf den Gang. In einem Antigravschacht schwebten sie nach oben, bis sie die Etage erreichten, in der Eid Beste gewohnt hatte. Nur einige Diener hielten sich hier auf. Sie führten den Verwachsenen augenblicklich in das Zimmer, in dem der Tote gefunden worden war. Axton schickte sie hinaus, weil er allein sein wollte. Auf dem Boden war eine rote Markierung zu sehen, die Bestes Haltung nachzeichnete. Auf einem Tisch stand ein Aufzeichnungsgerät. Axton schaltete es ein. Der Bildschirm zeigte das Untersuchungsprotokoll, das ein Orbton des Barons angefertigt hatte. Danach schien Eid Beste einem Unglücksfall zum Opfer gefallen zu sein. Er hatte versucht, in seinem Zimmer Primitivwaffen zu reparieren, hatte dabei aber übersehen, dass eine Pfeilspitze vergiftet gewesen war. Er hatte sich die Haut geritzt und war an einer Herzmuskellähmung gestorben. Der Bericht war sorgfältig abgefasst. Dennoch stieß Axton auf einige winzige Fehler, die einem Kosmokriminalisten mit seiner Erfahrung nicht entgehen konnten. So wurde beispielsweise überhaupt nicht erwähnt, nach welcher Zeit die Wirkung des Giftes eintrat. Das aber war ein außerordentlich wichtiger Faktor, da Beste bei den örtlichen Gegebenheiten bei
einer allmählich einsetzenden Wirkung genügend Zeit gehabt hätte, Alarm zu schlagen. Das aber hatte er nachweislich nicht getan. Axton ließ den Bericht durchlaufen und konzentrierte sich danach ganz auf die Analyse des Labors. Auch hierin waren nur einige ungenaue Hinweise auf die Wirkungsweise des Giftes enthalten. Das waren nicht die einzigen Fehler, die Axton auffielen. Weitere weniger deutliche Spuren einer ungenauen Bearbeitung oder gar einer bewussten Verfälschung des Berichts waren ebenfalls vorhanden. Sie bestärkten Axton in der Überzeugung, dass Eid Beste tatsächlich ermordet worden war. Damit stand fest, dass Arayshkat da Barthimore einen schweren Fehler gemacht hatte, als er versuchte, den Tod des Verbindungsmanns als Unglücksfall hinzustellen. Bewusst oder nicht bewusst, war nicht entscheidend. Wichtig war allein, dass nicht genau genug recherchiert worden war. Arayshkat unterschätzte die Habgier und Rücksichtslosigkeit Orbanaschols erheblich, während er sich gleichzeitig allzu sicher fühlte. Er glaubte, zwanzig Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt würde er von den Intrigen am Hof nicht tangiert. Er meinte, hier ein Leben von allen Problemen isoliert führen zu können. Das aber war ein Irrtum. Eid Bestes Tod hatte ihn in die Schusslinie gebracht. Wäre Axton nicht gewesen, hätte Orbanaschol einen anderen geschickt. Diesem wäre es vielleicht nicht gelungen, dem Nert einen Mord nachzuweisen, aber auch er hätte den Planetenfürsten in eine tödliche Falle locken können. Arayshkat war schon so gut wie tot, hatte sein Leben selbst verspielt. Vor diesem Hintergrund erschien sein Einfluss auf Atlan eher unwahrscheinlich. Sollte sich Axton an einen Mann namens Arayshkat erinnern, musste das ein anderer sein. Nun, da Axton eine Spur gefunden hatte, nahm er sie energisch auf. Er gab sich nicht mit dem Bericht zufrieden, den
er vorgefunden hatte, sondern ließ sich die Primitivwaffen bringen, durch die der Verbindungsmann gestorben war. In dem Labor des Planetenfürsten führte Axton selbst eine Reihe von Analysen durch und testete anschließend das Gift an mehreren Versuchstieren – zuletzt gar am Herzen eines Tieres, das von seinem biologischen Aufbau her den Arkoniden am ähnlichsten war. Das Ergebnis war eindeutig. Das Gift war zwar tödlich, aber erst nach etwa einer Dezitonta, wobei sich die ersten Anzeichen allerdings bereits nach zwei Zentitontas einstellten. Eid Beste hätte genügend Zeit gehabt, sich das Gegenmittel zu verschaffen, hätte man ihn nicht daran gehindert. Axton rief den Nert zu sich. Dieser ließ sich jedoch verleugnen. An seiner Stelle erschien Peyko Baey im Labor. Er sah so kalt und unnahbar aus wie immer, sodass Axton fast versucht war, in ihm einen Roboter mit biologischer Hülle zu sehen. »Ich habe mich entschlossen, etwas Ungewöhnliches zu tun«, eröffnete der Verwachsene das Gespräch. »Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit und ohne eine konkrete Spur des Täters zu haben, gebe ich Ihnen hiermit bekannt, dass Eid Beste ermordet wurde.« »Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Baeys Augen wurden feucht – das erste Anzeichen einer Gefühlsreaktion. »Es ist mein voller Ernst. Ich habe eindeutige Beweise, die keinen Zweifel mehr lassen. Sie können sich darauf verlassen, dass ich den Täter entlarven werde, es sei denn, man versucht, mich vorher ebenfalls zu ermorden. Ein plötzlicher Tod meinerseits würde allerdings einen umso stärkeren Verdacht erregen, dass hier etwas vertuscht werden soll.« »Axton, was halten Sie von uns? Ein Mord ist ein absolut ungewöhnliches Ereignis auf Barthimore. Seit Jahrhunderten…«
»Unterrichten Sie Nert Arayshkat«, unterbrach Axton. »Und sagen Sie ihm, dass es wenig Sinn hat, sich vor mir zu verstecken.« Mit einer knappen Geste gab er dem Berater des Planetenfürsten zu verstehen, dass die Unterredung beendet war.
Nun hatte er sich endgültig Respekt verschafft. Das wurde besonders dadurch deutlich, dass Arayshkat da Barthimore zu ihm kam. Der Planetenfürst gab sich ausgelassen und überlegen, so als sei überhaupt nichts vorgefallen, doch Axton durchschaute das Gehabe und fragte schroff: »Was wollen Sie?« Der Baron setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel. »Das wollte ich Sie eigentlich fragen.« »Das habe ich Ihnen doch erklärt. Ich will Bestes Mörder.« »Wirklich?« »Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?« Arayshkat stand wieder auf und ging in dem Zimmer auf und ab. Plötzlich sah er ernst und sorgenvoll aus; alles Jungenhafte fiel von ihm ab. »Axton, ich bin ein reicher Mann. Ich möchte Ihnen…« »Das interessiert mich nicht. Glauben Sie nur nicht, mich bestechen zu können.« Der Planetenfürst blieb stehen, rang sichtlich mit sich. »Sehen Sie, Axton, mein Benehmen tut mir aufrichtig leid. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Es war abscheulich, was ich Ihnen angetan habe.« »Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie es aufrichtig meinen. Aber ich sehe keine Möglichkeit mehr, die Entwicklung aufzuhalten. Es ist zu spät.« »Sie bestehen auf dem Duell?«
»Allerdings.« Damit schien der Baron nicht gerechnet zu haben. Er verfiel sichtlich, seine Augen wurden stumpf. »Sie werden mir keine Chance lassen.« Der Verwachsene antwortete nicht, bis sich der Arkonide langsam in den Sessel sinken ließ und die Hände vor das Gesicht legte. »Sie lieben das Leben, Arayshkat. Sie haben überhaupt noch nicht begriffen, dass das Leben auch Schattenseiten hat. Die Öde Insel ist groß – überall gibt es unbesiedelte Planeten, auf denen Sie unbehelligt leben könnten…« »Sie wissen, dass ich das nicht kann.« »Warum nicht?« »Die Ehre verbietet es mir.« »Dann bereiten Sie sich auf Ihren Tod vor«, sagte Axton brutal und gab seinem Gegenüber zu verstehen, dass er allein sein wollte. Der Planetenfürst verstand. Niedergeschlagen ging er hinaus. Axton blieb nicht lange allein mit seinem Roboter, der stumm in einer Ecke des Raums verharrte. Für den Besucher war nicht erkennbar gewesen, ob er aktiviert war oder nicht. Auch Aysha, die junge Frau des Planetenfürsten, konnte es nicht feststellen, als sie wenig später eintrat. Sie warf der Maschine einen irritierten Blick zu, fühlte sich von ihrer Anwesenheit offensichtlich gestört. Axton aber tat, als merke er nichts. Er ging der Arkonidin einige Schritte entgegen und begrüßte sie. »Was führt Sie zu mir?« »Das wissen Sie.« »Sie wollen das Duell verhindern?« Sie griff nach Axtons Händen und blickte ihn beschwörend an. »Sie werden darauf verzichten, nicht wahr?« »Warum sollte ich?« »Weil ich meinen Mann liebe.«
Er lächelte über dieses Argument und schüttelte den Kopf. »Aysha, es tut mir wirklich leid, aber ich habe nicht die Macht, das Duell jetzt noch zu unterbinden. Es ist zu spät. Ich habe meinen Stellvertreter schon bestellt; die Beleidigung gilt also auch für ihn, und er wird niemals darauf verzichten, sich Genugtuung zu verschaffen. Sie kennen doch die Regeln von Spentsch.« Sie verhielt sich ähnlich wie zuvor ihr Mann, sprang auf, eilte einige Schritte hin und her und blieb dann am Fenster stehen, sah auf den Park hinaus. Schließlich drehte sie sich um; ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich könnte Ihnen sagen, wer der Mörder von Eid Beste ist. Würden Sie dann…?« »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich finde ohnehin heraus, wer Beste getötet hat, selbst wenn Sie mir nicht helfen.« Sie tupfte die Tränen mit einem Tuch aus den Augenwinkeln. »Ich glaube, jetzt verstehe ich. Sie sind gar nicht nach Barthimore gekommen, weil Sie den Mörder von Beste finden wollen, denn dann hätten Sie mein Angebot angenommen. Orbanaschol, dieser Gork, hat Sie geschickt, weil Sie meinen Mann vernichten sollen!« Als Axton darauf nichts erwiderte, wurde sie noch um eine Nuance blasser. »Es stimmt also! Sie haben die Beleidigung provoziert. Sie wollten von Anfang an nichts anderes als das Duell. Sie wollten…« »Jetzt ist aber genug, Erlauchte«, sagte Axton scharf. »Sie gehen zu weit. In Ihrer Angst um Ihren Mann denken Sie nicht mehr klar und werden ungerecht. Schon bei unserer ersten Begegnung hat mich Ihr Mann maßlos gedemütigt und beleidigt. Er war es, der so handelte. Es war seine Entscheidung.« »Ich hasse Sie!« »Und Orbanaschol.« »Ihn noch mehr!«, entfuhr es ihr, ehe sie sich erschrocken die
Hand vor den Mund schlug. »Und Ihr Mann auch«, ergänzte der Verwachsene. »Jetzt sehe ich klar. Eid Beste, der Verbindungsmann des Imperators, hat herausgefunden, dass Arayshkat ein Gegner Seiner Erhabenheit ist. Ich vermute sogar, dass sich diese Gegnerschaft nicht nur in gelegentlichen Meinungsäußerungen zeigt…« »Seien Sie still!« »Warum? War es nicht so, dass Ihr Mann von Beste überrascht und entlarvt wurde? Fühlte sich Ihr Mann durch ihn bedroht? Ließ er ihn deshalb umbringen?« »Sie sind ja verrückt.« »Eid Beste hantierte mit Waffen, von denen er das Gift entfernt hatte. Er wusste nicht, dass es nachträglich wieder angebracht worden war. Als er sich verletzt hatte und die beginnende Lähmung spürte, rief er um Hilfe – aber niemand kam. Man hat gewartet, bis er tot war, und danach das Zimmer so präpariert, dass alles nach einem Unglücksfall aussah. War es nicht so, Aysha?« Die Arkonidin zitterte vor Angst, schüttelte den Kopf. »Nein, Axton, so war es nicht.« »Sie meinen, dazu passt nicht, dass Arayshkat so sorglos und übermütig war? Sie meinen, er hätte sich fürchten müssen, als ich als Beauftragter Orbanaschols kam, um den Fall zu untersuchen? Keineswegs. Ich glaube nämlich, dass er sich seiner Sache so sicher war, dass er eine Aufdeckung der Wahrheit für unmöglich hielt. Nun, er hat sich getäuscht.« Die junge Frau tat ihm leid, aber er war noch nicht bereit, sie aus ihrer Angst zu befreien. Er hatte nur Vermutungen ausgesprochen und dabei sorgfältig auf ihre Reaktionen geachtet. Axton wusste nun, dass er der Wahrheit nahe war. Allerdings beunruhigte ihn, dass Arayshkat ein Gegner Orbanaschols war und offensichtlich etwas getan haben
musste, was dem Imperator schaden konnte. »Sie sind hart und grausam, Lebo Axton.« »Ich suche einen Mörder. Weiter nichts. Finden Sie, dass ein Mörder ungestraft davonkommen sollte?« Aysha antwortete nicht, sondern eilte aus dem Raum. Axton folgte ihr kurz darauf auf Kellys Rücken, ließ sich zu den Räumen Eid Bestes tragen und nahm hier die Spur auf, die er entdeckt hatte. Er vertiefte sich in die Aufzeichnungen des Agenten des Imperators. Dabei war er sich klar darüber, dass die Gehilfen des Planetenfürsten alles beseitigt hatten, was Arayshkat da Barthimore belasten konnte, doch das bedeutete für einen Mann wie Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton wenig. Ein Mann mit seinem ungewöhnlichen Können und seiner außerordentlichen Erfahrung als USO-Spezialist und Kosmokriminalist war von den in diesen Dingen praktisch unerfahrenen Männern des Planetenfürsten nicht zu täuschen. Da er wusste, worum es ging, entdeckte er die Lücken in den Aufzeichnungen und konnte aus ihnen die richtigen Schlüsse ziehen. Die Helfer Arayshkats hatten nicht bemerkt, dass sich wichtige Hinweise und versteckte Andeutungen durch den gesamten Bericht zogen. Aus ihnen ließ sich ein mosaikartiges Bild zusammensetzen. Gegen Mittag wusste Axton, wo er mit der Suche fortfahren musste. Die Bewohner des Palastes mieden ihn und gingen ihm aus dem Weg, wo sie nur konnten. Er sah weder Nert Arayshkat noch Aysha, und als er versuchte, sie über einen Diener zu erreichen, ließen sie sich verleugnen. Dann geriet Axton jedoch an einen Punkt, an dem er nicht weiterkam. Arayshkat war ein Gegner Orbanaschols III. – daran zweifelte er nicht mehr. Das bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass er ein Freund und Befürworter Atlans war, obwohl Axton glaubte, einige Hinweise dafür entdeckt zu haben. Eid Beste hatte klare Beweise gegen den Baron gefunden. Sie mussten
noch vorhanden sein. Axton vermutete, dass sie in der Mediathek des Palastes zu finden waren. Er stellte eine Visifonverbindung zu Baey her. Der Berater des Planetenfürsten hatte sich in der Gewalt und sah kalt und finster aus. »Ich möchte die Mediathek besichtigen«, sagte Axton. »Führen Sie mich sofort dorthin.« »Sie gehört zum privaten Bereich des Palastes. Niemand hat dort Zugang.« »Sie ist Bestandteil meiner Untersuchung. Wollen Sie, dass in meinem Bericht vermerkt wird, dass aufgrund Ihrer Ablehnung Arayshkat als der Hauptverdächtige angesehen wird?« »Warten Sie, ich melde mich.« Baey schaltete ab. Axton wartete jedoch nicht, stieg auf den Rücken des Roboters und ließ sich zur Mediathek tragen. Aus Aufzeichnungen, die er unter der Hinterlassenschaft Bestes gefunden hatte, wusste er, wo sie war. Er kam gerade rechtzeitig, sodass er sehen konnte, dass Arayshkat einige Speicherkristalle aus dem Archiv entfernen wollte. Der Planetenfürst fuhr erschrocken herum, als er hörte, wie sich die Tür öffnete. »Ah, Erhabener«, sagte Axton. »Zu Ihnen wollte ich gerade.« Der Mann saß in der Falle. Er wusste es und gab allen Widerstand auf. »Treten Sie ein.« »Wollen Sie mir nicht zeigen, was die Datenspeicher enthalten?« »Nein. Dazu bin ich nicht verpflichtet.« Axton spürte, dass der Arkonide am Ende war. Er schloss die Tür und streckte die Hand aus. In diesem Augenblick blinkte das Rufzeichen am Visifon. Der Arkonide schaltete es ein, war offensichtlich froh über die Störung. Doch die Nachricht, die ihm Baey übermittelte, war niederschmetternd: »Der Stellvertreter des Krüppels ist eingetroffen.«
Lebo Axton stand so, dass ihn die Aufnahmeoptik nicht erfasste. Bevor Baey noch mehr sagen konnte, rief Arayshkat da Barthimore hastig: »Lebo Axton ist hier!« Der Terraner ließ sich von Kelly in den Aufnahmebereich tragen. »Wir möchten Terlot da Keithy sehen. Sorgen Sie dafür, dass die entsprechenden Aufnahmen übertragen werden.« Baey antwortete nicht, zog sich eilig zurück und schaltete um. Axton und Arayshkat konnten den Raumhafen sehen. Das eben gelandete Schiff wurde herangezoomt. Einige Zentitontas verstrichen, bis sich die Bodenschleuse öffnete. Ein riesiger Arkonide erschien. Der Planetenfürst stöhnte auf, als er ihn sah. Terlot da Keithy war auf den ersten Blick als Arenakämpfer zu erkennen, sein kantiges Gesicht von Narben übersät. Er trug das Haar kurz, sodass es ihn beim Kampf nicht behindern konnte. Am Gürtel hingen beiderseits schwere Energiestrahler. »Der Mann kommt mir bekannt vor«, murmelte Nert Arayshkat und zeigte auf Fächer, die Speicher- und Datenkristalle enthielten. »Das ist kein Wunder«, sagte Axton. »Nach den Austragungsgesetzen von Spentsch darf ich mir einen Stellvertreter aussuchen, der das Duell für mich austrägt. Es ist doch wohl selbstverständlich, dass ich einen Mann wähle, der alle Aussichten hat, den Kampf zu gewinnen. Terlot gilt als der beste Mannaxkämpfer des Imperiums. Er hat noch nie einen Kampf verloren.« Das Gesicht des Kämpfers füllte inzwischen die Bildfläche. Arayshkat da Barthimore wich unwillkürlich etwas zurück. Aus den Augen des Arenakämpfers schlug ihm eine furchterregende Kälte entgegen. »Ich habe keine Chance, Axton.« Wenige Tastenberührungen genügten, um eine gespeicherte
Sequenz auszuwählen, die sofort auf dem Bildschirm erschien. Terlot erschien im Bild. Dieses Mal sah Axton ihn bei einem wilden Schwertkampf. Die Szene war nur kurz, denn der Mann tötete seinen Gegner rasch. Unmittelbar darauf aber blendete die Aufzeichnung um zu einem Kommentator, der zunächst einige belanglose Worte sagte, dann aber erklärte: »Wieder einmal stieß Terlot da Keithy auf einen Gegner, der geschwächt erschien. Eine Untersuchung wird zeigen, was hier wirklich geschehen ist. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, die besagen, dass er die Kampfstätten schon vorher präpariert, sodass es sein Gegner nicht nur mit ihm, sondern auch mit allerlei verborgenen Fallen zu tun hat.« Damit endete der Film. Arayshkat blickte Axton erregt an. »Jetzt verstehe ich. Was Sie planen, ist kein echtes Duell, sondern Mord. Und ich soll das Opfer sein.« Axton streckte seine Hand aus. »Zeigen Sie mir die Daten, vielleicht kann ich dann noch etwas für Sie tun.« »Das glaube ich nicht.« »Wenn Sie es nicht tun, gibt es wirklich keine Chance mehr für Sie. Sie haben selbst festgestellt, dass Sie in einer Falle sitzen, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. Da hilft es Ihnen auch nicht mehr, wenn Sie die Speicherkristalle vor mir verbergen oder gar vernichten.« Der Planetenfürst gab endgültig auf, schob Axton die kleinen Kristalle zu. Dieser reichte sie an Kelly weiter, der sie nacheinander in das Positronikterminal schob. Axton verfolgte die Filme mit höchster Konzentration, aber er konnte absolut nichts Verdächtiges feststellen. Da er aber merkte, dass Nert Arayshkat ihn ständig beobachtete, und er wusste, dass die Filme belastendes Material enthielten, ließ er sich seine Enttäuschung nicht anmerken, sondern setzte ein leichtes Lächeln auf. Die Filme zeigten nur, wie der Planetenfürst einige Männer am Raumhafen empfing, wie er sich mit ihnen
unterhielt und wie er ihnen schließlich mehrere Kisten übergab, die mit farbigen Symbolen versehen waren. Axton konnte damit auf Anhieb nichts anfangen. Als die letzten Bilder erloschen, wandte er sich dem Baron zu. Dieser blickte ihn voller Spannung an. »So ist das also«, sagte Axton und beobachtete den Arkoniden nicht weniger scharf als dieser ihn. »So etwas Ähnliches habe ich mir gedacht.« Er hatte sich absolut in der Gewalt, während Arayshkat um sein Leben zitterte. Der Arkonide konnte nicht wissen, wie wenig der Terraner wirklich von dieser Zeit wusste. So intensiv er sich auch mit der Geschichte des arkonidischen Imperiums auseinandergesetzt hatte – er konnte nicht alle Gesichter der vielen Arkoniden kennen, die in dieser Zeit eine Rolle gespielt hatten. Selbst wenn sie alle gespeichert und überliefert worden wären, beschränkte sich das Wissen der besten Hypnoschulungen dennoch auf die wirklich überragenden Persönlichkeiten, während die anderen bestenfalls am Rande auftauchten, wenn überhaupt. Axton ging aber von der Voraussetzung aus, dass sich unter den Männern, die er im Film gesehen hatte, jemand befunden haben musste, der Orbanaschol den Kampf angesagt und sich vielleicht für Atlan ausgesprochen hatte. Arayshkat schwieg eine geraume Weile, während Axton ihn ständig ansah. Dann hielt der Arkonide dem Blick nicht mehr stand und wandte sich ab. »Was wollen Sie noch? Sie wissen jetzt, dass ich mit Weshtrozin, Pouktra und dem Bärtigen Wentho verhandelt habe. Na und?« Er sprang auf. »Ja, ich gebe zu, dass ich Orbanaschol verabscheue und dass ich ihn lieber heute als morgen vernichten würde. Ich gestehe, dass ich versucht habe, Kristallprinz Atlan finanzielle Mittel zukommen zu lassen. Es ist nicht gelungen. Weshtrozin und seine Freunde starben im Feuer der Methans. Das ist das
Einzige, was ich bereue.« Lebo Axton war so erregt, dass ihm für einige Zeit die Stimme versagte, dann aber fragte er heiser: »Sie wissen, wo sich Atlan befindet?« »Ich weiß, wo er für einige Pragos war. Jetzt ist es zu spät. Die Verbindung, die ich zu haben glaubte, ist wieder abgerissen. Aber selbst wenn ich es wüsste, wo Atlan ist, würde ich es Ihnen bestimmt nicht verraten.« Lebo Axton wusste nicht, was er sagen sollte. Da war es ihm endlich gelungen, jemanden zu finden, der ihm Hinweise auf Atlans Aufenthaltsort geben konnte, der Atlan wirklich wirksame Hilfe leisten konnte, und ausgerechnet diesen Mann hatte er in eine Falle gelockt, aus der es kein Entkommen mehr geben konnte.
»Sind Sie sicher, dass uns hier niemand hören kann?«, fragte Axton. »Natürlich. Absolut sicher. Warum fragen Sie?« Der Verwachsene antwortete nicht, sondern überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Er wollte den Planetenfürsten unter diesen Umständen auf keinen Fall opfern. Arayshkat aber verstand ihn falsch, konnte sich nicht vorstellen, dass sich das Blatt für ihn noch einmal wenden könnte. Dennoch versuchte er, etwas für seine Rettung zu tun. »Ich sage Ihnen, wer Eid Beste getötet hat und warum.« »Das will ich gar nicht wissen.« »Ich werde es Ihnen dennoch sagen. Es war Peyko Baey. Er hat es getan, weil Beste entdeckt hat, dass ich ein Freund Atlans bin. Er wollte mich retten.« »Und Sie lassen ihn fallen, weil Sie glauben, dass für Sie alles verloren ist«, sagte Axton verächtlich. »Vermutlich kann sich Atlan ebenso wenig auf Sie verlassen wie Baey.«
Der Baron wurde noch bleicher. Mit tränenfeuchten Augen blickte er Axton an. »Sie reden, als täte es Ihnen leid, dass ich den Namen des Mörders genannt habe.« »Richtig.« Nert Arayshkat war fassungslos. »Wie soll ich das alles verstehen? Was haben Sie vor?« »Nun, ich will Ihnen die Wahrheit sagen: Ich bemühe mich, an den Hof Orbanaschols zu kommen. Ich strebe an, ein einflussreicher Mitarbeiter im Geheimdienst des Imperators zu werden. Noch aber genieße ich nicht das nötige Vertrauen. Ich soll beweisen, dass ich loyal bin. Deshalb habe ich den Auftrag erhalten, Sie zu vernichten. Orbanaschol hat ein Auge auf diese Welt geworfen und will sie unbedingt haben. Zweifellos gab es einige kleinere Vorfälle, sodass Sie ihm ohnehin ein Dorn im Auge sind. Deshalb müssen Sie weg. Das ist alles.« »Dann hätten Sie auf jeden Fall versucht, ein Duell herbeizuführen, selbst wenn ich mich anders verhalten hätte?« »So ist es. Sie waren bereits so gut wie tot, als ich meinen Fuß auf den Boden dieser Welt setzte.« Der Planetenfürst senkte den Kopf und schwieg. Lebo Axton wartete eine Weile. Als Arayshkat auch dann noch nichts gesagt hatte, fragte er: »Wollen Sie denn nicht kämpfen?« »Wie denn? Gegen einen Arenakämpfer wie Terlot da Keithy? Unmöglich.« »Warum?« »Weil die Arena mit Fallen gepflastert sein wird.« »Noch sind Sie hier der Herrscher. Sie können den Mannaxkämpfer daran hindern, Ihnen Fallen zu stellen. Sie könnten selbst welche aufbauen.« »Das sagen Sie mir?« »Das sage ich Ihnen, weil es Ihre einzige Chance ist, diese Angelegenheit zu überleben. Töten Sie Ihren Gegner, haben Sie einen Aufschub erreicht. Vielleicht können Sie später
Orbanaschol beweisen, dass Sie für ihn von großem Wert sind. Aber das wird Ihre Aufgabe sein.« Arayshkat sah Axton an, als sehe er ihn zum ersten Mal. »Warum tun Sie das?«, fragte er verwirrt. »Erst wollen Sie mich töten, und jetzt wollen Sie mich retten? Warum das?« »Als ich kam, wusste ich noch nicht, dass Sie ein Freund Atlans sind. Das ist alles.« Axton gab Kelly einen Wink und ließ sich hinaustragen. In der Tür wandte er sich noch einmal um. »Wo ist die Arena?« Der Planetenfürst sagte es ihm.
2. Aus: Biographie Atlans – Anhang: Fragmente, Anmerkungen, Marginalien (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, ProvconFaust, 3565 n.Chr. Neben dem staatlichen Gewaltmonopol hatte es bei den Arkoniden von jeher die Möglichkeit der individuellen Auseinandersetzung gegeben – in Arenen ebenso wie beim Duell oder Tjost –, deren Einzelheiten im Verlauf der Jahrtausende ritualisiert wurden. Formen der Duell-Forderung, Wahl der Waffen, Teilnahme von Sekundanten und Schiedsrichtern, genau festgelegte Verhaltensweisen, von Ablehnung oder der Bestimmung von Stellvertretern – alles das umfassten die Kodexformeln gemäß Spentsch und Mannax. Kein Ehrenmann arkonidischer Abstammung zog es in Zweifel, sogar Essoya akzeptierten es als Ausdruck einer Auseinandersetzung, in die sich der Staat nicht einzumischen hatte, weder auf imperialer noch auf lokaler Ebene, Gewaltmonopol hin oder her. Manche Kämpfe gewannen vor diesem Hintergrund mitunter die Qualität eines Gottesurteils, und auch das war von allen ohne Wenn und Aber akzeptiert. Es gehörte zu Arkon und dem Großen Imperium wie die KAYMUURTES, die Drei Welten oder Thantur-Lok.
Barthimore: 9. Prago der Prikur 10.498 da Ark Die Kampfstätte lag in einer gepflegten Parklandschaft und wurde zu einem kleinen Teil von einem See begrenzt, in dem sich gefährlich aussehende Echsen bewegten. An der anderen Seite konnten undurchdringliche Energiezäune erreichtet werden, wie Axton an verborgenen Prallfeldprojektoren erkannte. Die Zuschauer fanden auf zahlreichen Tribünen Platz, die zwischen blühenden Baumgruppen aufragten. Von
dort hatten sie einen hervorragenden Blick auf das Geschehen. Als Axton beschloss, sich von Kelly zu einer Tribüne tragen zu lassen, entdeckte er Terlot da Keithy. Der riesige Arkonide stand zwischen zwei Bäumen, trug ein braunes Gewand und hob sich kaum von der Umgebung ab. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Arena, die mit feinem rotem Sand ausgelegt war. Der Mann bückte sich zu einem Koffer, der neben ihm auf dem Boden stand. In diesem Augenblick bauten sich die Energiezäune bis zu einer Höhe von vier Metern auf. Der Arkonide zuckte zusammen; damit schien er nicht gerechnet zu haben. »Hin zu ihm!«, befahl Axton. Der Arkonide fuhr blitzschnell herum, als er die Schritte des Roboters vernahm. Seine rechte Hand glitt zum Energiestrahler am Gürtel und zog ihn so schnell, dass Axton die Bewegung kaum verfolgen konnte. »In jeder Phase der Kämpfer«, sagte Lebo Axton lächelnd. »Ich begrüße Sie, Erhabener.« Der Arkonide schob die Waffe zurück und nickte gelassen, deutete dann auf den Energiezaun und fragte: »Wer hat das veranlasst?« »Ich weiß es nicht. Vermutlich Arayshkat.« »Ich muss die Arena betreten, bevor wir kämpfen.« »Das wird Ihr Gegner nicht zulassen.« Der Arkonide wurde nachdenklich. Dass er keine anderen Fragen stellte, verriet Axton, dass man ihn auf Arkon I sorgfältig instruiert hatte. »Na schön«, sagte der Kämpfer schließlich. »Dann machen wir es anders. Wann soll der Kampf stattfinden?« »Heute Abend.« Terlot da Keithy bückte sich erneut und öffnete den Koffer. Darin lagen eine Pistole mit einem auffallend dicken Lauf und einige Geschosse, die mit unterschiedlichen Farben
gekennzeichnet waren. Der Arkonide nahm einige davon, lud die Pistole, richtete sie auf die Arena und feuerte sie ab. Das erste Projektil glitt lautlos über den Energiezaun hinweg und bohrte sich in den Sand der Arena, ohne eine Spur zu hinterlassen. Auch die anderen Geschosse wurden so über den Zaun befördert. Axton, der den Mann aufmerksam beobachtete, stellte fest, dass Terlot sie nach einem ganz bestimmten System verteilte, sodass er sie später wiederfinden konnte, obwohl keine Zeichen im Sand zu sehen waren. Und Axton war sich sicher, dass er wiederum behalten würde, wo der Kämpfer seine Fallen aufgebaut hatte. Überdies hatte Kelly alles aufgezeichnet und gespeichert.
»Ich habe mehrere Räume für Sie im Palast reservieren lassen«, sagte Axton, als Terlot seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte. »Wenn Sie wollen, können Sie dort etwas essen und trinken.« Der Kämpfer nahm ein mit Federn, langhaarigem Pelz, seltsamen Gebilden und Symbolen verziertes Etwas aus dem Koffer, stülpte es sich über den Kopf und setzte sich auf den Boden, den Blick starr auf die Arena gerichtet. »Ich bleibe hier«, sagte er mit energischer Stimme. »Ich nehme nichts zu mir, und ich lasse den Kampfplatz nicht aus den Augen, bis alles vorbei ist.« Diese kompromisslos vorsichtige Haltung wurde für Axton ein Problem, denn nun konnten er und Arayshkat keine Vorbereitungen mehr treffen. »Wir sehen uns später«, sagte Axton, versetzte dem Roboter einen Fausthieb auf den Schädel und gab diesem damit zu verstehen, dass er zum Palast zurückkehren wollte. Mittlerweile kamen von dorther einige adlige Frauen und Männer, blieben in einiger Entfernung stehen und betrachteten
den Arenakämpfer mit gewisser Furcht. Sie alle wussten, dass dieser Mann von Duell zu Duell zog und vom Töten lebte. »Wir sitzen in der Falle«, sagte Axton, als er sicher war, dass ihn niemand hören konnte. »Für Arayshkat ist es zu spät, die Arena zu präparieren. Außerdem müssen wir etwas tun, um Terlot in Misskredit zu bringen. Sollte tatsächlich ein Wunder geschehen, müssen wir Orbanaschol gegenüber begründen, weshalb Arayshkat überlebt hat und nicht von uns erledigt wurde.« »Unmöglich«, erwiderte der Roboter. »Ich sehe keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für einen Plan, Nert Arayshkat zu retten.« »Du bist zu dumm, überhaupt einen Plan zu fassen. Da du das nicht kannst, kannst du die Erfolgsaussichten eines Plans auch nicht beurteilen. Logisch?« »Logisch.« »Also akzeptierst du, dass du dumm bist?« »Das nicht, aber ich tue alles, um dich psychologisch aufzubauen.« Axton packte den Roboterkopf und versuchte, ihn zu drehen, aber es gelang ihm nicht. Hilflos rutschten seine schwachen Hände an dem glatten Arkonstahl ab. »Ich bringe dich um«, rief er stöhnend. »Ich vernichte dich Schraube für Schraube.« »Ich habe keine einzige Schraube.« »Du verstehst eben keine bildliche Sprache. Du bist strohdumm.« »Ich wundere mich sehr über gewisse Ausdrücke, Schätzchen. Sie haben keine Entsprechung im Satron.« »Kümmere dich nicht um meine Sprache, sondern hilf mir.« Sie hatten den Palast erreicht. Kelly blieb stehen. »Eine Idee, Kelly«, seufzte der Verwachsene. »Ich brauche eine Idee. Wo kann ich ansetzen?«
»Vielleicht bei der Frage, ob die Mediathek wirklich abhörsicher ist?« »Wie meinst du das?« Der Roboter antwortete, aber der Terraner hörte ihn nicht mehr. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Er trieb die Maschine in den Kugelpalast, weil ihm siedend heiß geworden war. War das Gespräch mit Arayshkat abgehört und aufgezeichnet worden, war er ebenfalls verloren. Ungehindert betraten sie die Mediathek. Axton begann sofort mit der Untersuchung. Seine Erfahrung half ihm, jene Stellen aufzufinden, die infrage kamen. Eine halbe Tonta lang schien es so, als sei alles in Ordnung. Dann aber stieß Axton auf eine winzige Linse und ein nicht weniger kleines Mikrofon. Schlagartig war ihm klar, dass sich irgendwo im Palast eine Aufzeichnung befand. Er löste die Kamera aus der Wand und stellte fest, dass sie mit einem haarfeinen Kabel verbunden war. Das erleichterte die Arbeit. Nahezu aussichtslos wäre seine Position gewesen, hätte die Kamera die Aufzeichnungen per Funk weitergegeben. Da das allerdings leichter anzumessen gewesen wäre, hatten die Überwacher darauf verzichtet. So justierte Axton die im Ovalkörper eingebauten Geräte auf das Kabel und überließ Kelly die Suche. Der Roboter peilte sich ein und folgte dem Kabel: Es führte zum Boden, von dort zu einer dreidimensionalen Projektion einer Planetenlandschaft und von da aus durch die Wand neben der Tür. Axton machte sich darauf gefasst, den halben Palast durchqueren zu müssen. Doch schon nach wenigen Metern verschwand das Kabel in einem kleineren Raum, der als Archiv gekennzeichnet war. Axton ließ den Roboter als Wache vor der Tür zurück, als es ihm nicht gelang, sie zu öffnen. Zu Fuß machte er sich auf die Suche nach dem Planetenfürsten; er fand ihn in seinen Privatgemächern, wo er sich einen Lehrfilm über Schwertkämpfe ansah.
»Ich muss Sie stören, Erhabener«, sagte Axton. »Sie müssen mir einen bestimmten Raum öffnen.« Mit knappen Worten erklärte er, was er entdeckt hatte. Arayshkat, der ohnehin schon blass war, wurde noch um eine Nuance bleicher. »Allmählich begreife ich, dass ich mich wirklich wie ein Narr benommen habe. Ich bildete mir ein, hier von Orbanaschol unbehelligt leben zu können, und dabei stand ich schon lange auf seiner Abschussliste.« Er begleitete Axton zu dem Archivraum, öffnete ihn und ließ den Verwachsenen eintreten. Der Roboter entdeckte das Aufzeichnungsgerät nach wenigen Augenblicken. Es war aktiviert. »Vielleicht haben wir Glück«, sagte Axton. »Es sieht so aus, als habe sich der Spitzel des Imperators die Aufzeichnung noch nicht angesehen.« »Ist das nicht egal?« »Ganz und gar nicht. Wer hat Zugang zu diesem Raum?« »Nur zwei Männer. Kahush und Ouzhan. Bedienstete.« »Könnte sich sonst jemand eine Kodekarte besorgt oder sonst wie Zugriff verschafft haben?« »Natürlich. Aber das wäre sinnlos. Die beiden sind außer mir die Einzigen, die diesen Raum betreten, weil ich mir die dort archivierten Datenkristalle bringen lasse. Es gibt keinen Direktzugriff per Terminal der Mediathek. Ein anderer hätte daher das Aufzeichnungsgerät anderswo versteckt, aber nicht hier.« »Gut, gehen wir davon aus, dass diese beiden die Spitzel sind. Schicken Sie sie irgendwohin, möglichst weit weg. Ich brauche zwei Tontas.« »Was haben Sie vor?« »Ich werde die Aufzeichnung manipulieren. Danach wird sich das Gespräch so anhören, als hätten wir genau das Gegenteil gesagt. Ich werde Sie als leidenschaftlichen
Befürworter Orbanaschols erscheinen lassen.« »Das geht?« »Ich kann es. Und jetzt beeilen Sie sich.« Als er allein war, stürzte sich Axton auf die Arbeit, die äußerste Konzentration erforderte. Glücklicherweise konnte ihm die Positronik Kellys eine Menge abnehmen und ihm die Organisation der Manipulation überlassen. Der Terraner hatte solche Verfälschungen von Aufzeichnungen im Rahmen der USO-Tätigkeit bereits vieltausendfach vorgenommen. Dort hatte er allerdings den Vorteil gehabt, dass ihm fast immer eine perfekte Bearbeitungsmaschinerie zur Verfügung stand. Hier aber musste alles mühsam »von Hand« erledigt werden. Das erforderte Zeit. Es galt nicht nur, die Lippenbewegungen so umzuschneiden, dass sinnvolle Worte dabei herauskamen, Axton musste auch insgesamt einen völlig neuen und akzeptablen Dialog entwickeln. Ganz zu schweigen davon, dass die komplette Kodierung zu überarbeiten war. Als Arayshkat da Barthimore nach zwei Tontas zurückkehrte, lehnte sich Axton erschöpft zurück. »Ich denke, wir haben es geschafft.« »Was hilft das schon – gegen Terlot da Keithy habe ich keine Chance.« »Vielleicht doch.« »Wie denn, Axton? Sagen Sie mir, wie ich gegen diesen Kämpfer bestehen soll.« »Bleiben Sie ruhig, Mann. Mithilfe meines Roboters werde ich herausfinden, wie er seine Fallen aktivieren will. Ich vermute, dass es mit Funkbefehlen geschehen soll.« »Das glaube ich nicht. Wie sollte er das machen?« »Beispielsweise dadurch, dass er ein paar versteckte Knöpfe am Griff seines Schwertes betätigt.« »Dann glauben Sie, dass ich…« »Ich muss erst die Frequenz herausfinden. Dazu ist leider
notwendig, dass Terlot einige Fallen aktiviert. Das Risiko müssen Sie eingehen. Sie müssen es schaffen, allein aus ihnen herauszukommen. Später werde ich die Fallen einschalten, sobald sich Terlot über ihnen befindet.« Er blickte den Planetenfürsten an, der nicht an seine Chance glaubte. Er hatte Angst vor dem Kampf. »Wir spielen jetzt den Film ab.« »Sind Sie verrückt? In einer halben Tonta beginnt der Kampf. Und Sie wollen, dass ich mir die manipulierte Aufzeichnung betrachte?« »Ich bestehe darauf.« »Warum?« »Weil ich will, dass Sie sich über die Chance klar sind, die Sie haben, wenn Sie den Kampf überleben.« Axton aktivierte die Aufzeichnung. Nert Arayshkat verfolgte staunend ein Gespräch, an dem er selbst teilgenommen hatte, in dem jedoch kaum noch ein Satz so war, wie er ihn von sich gegeben hatte. »Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht glauben.« Er schien wieder ein wenig Hoffnung geschöpft zu haben. Der Verwachsene richtete alles so wieder her, wie es gewesen war, sodass die Spitzel das Imperators keine Veränderung feststellen konnten. Dann begaben sich die Männer zum Ausgang des Palastes und sahen zur Arena. Dort hatte sich eine große Menge versammelt – Freunde, Verwandte, Bekannte, Bedienstete und Militärs umgaben die Kampfstätte. Die Frau des Planetenfürsten eilte zu ihrem Mann und umschlang ihn; dann erst merkte sie, dass Axton mit seinem Roboter nur wenige Meter entfernt stand, und blickte ihm hasserfüllt entgegen. »Verschwinden Sie!« »Beruhige dich, Aysha«, sagte der Arkonide leise. »Es ist alles anders, als du glaubst. Axton will mir helfen.« »Und das glaubst du?«
»Allerdings!« Mit knappen Worten erklärte er ihr, was vorgefallen war, aber sie war nicht so leicht zu überzeugen. Der Hass in ihren Augen erlosch nicht. »Atlans Freund oder nicht – er war es schließlich, der dich in diese Situation gebracht hat.« Sie drehte dem Verwachsenen den Rücken zu. »Ich muss zu Terlot. Entschuldigen Sie mich.« Axton trieb den Roboter an. Bei der Arena verstummten die Gespräche, als die Zuschauer Axton, Aysha und Arayshkat sahen. Der Verwachsene stieg neben Terlot von dem Roboter. Der Kämpfer saß noch immer an seinem Platz und rührte sich nicht. Mit beiden Händen hielt er das Schwert – und verdeckte dabei den Griff so, dass Axton keine Schaltvorrichtungen entdecken konnte. »Alles klar?« »Selbstverständlich. Der Kampf wird leicht sein.« »Ich will nicht, dass er allzu schnell vorüber ist.« Die Lippen des Arkoniden verzogen sich. »Soll ich mit ihm etwas spielen?« »Es soll zumindest nach einem Kampf aussehen, nicht nach einem brutalen Abschlachten.« »Ich kämpfe immer und gebe den Zuschauern, was sie wollen. Es wird so aussehen, als habe Arayshkat eine Chance.« »Gut.« Axton stieg wieder auf den Roboter und ließ sich bis an den Energiezaun herantragen. Ein Pfiff ertönte. Axton drehte sich um. Arayshkat hatte Terlot erreicht und blieb neben ihm stehen. Der Kämpfer erhob sich würdevoll, beachtete den Planetenfürsten jedoch nicht. Unter den Bäumen trat ein Mann vor, der von Kopf bis Fuß in flammend rote Gewänder gekleidet war. Er trug einen breitkrempigen Hut mit einer großen Feder und hielt in den Händen das für Arayshkat vorgesehene Schwert. Langsam schritt er auf Axton und den
Roboter zu, eine Strukturlücke öffnete sich im Prallfeldzaun. Axton stieg von Kellys Rücken und ging neben dem Mannaxmeister bis zum Mittelpunkt der Arena. Unter den Bäumen war es absolut still geworden. Der Rotgekleidete stieß das Schwert in den Sand. »Du bist beleidigt worden, Lebo Axton«, rief er. »Nach den Gesetzen des Mannax hast du das Recht, Genugtuung zu verlangen. Bestehst du darauf?« »Ich bestehe darauf.« Der Verwachsene musste steil nach oben sehen, um dem Laktrote ins Gesicht blicken zu können. »Du hast das Recht, dich durch einen anderen vertreten zu lassen, wenn du dich zu schwach für einen Kampf fühlst. Willst du dein Recht in Anspruch nehmen?« »Ich will.« »So benenne deinen Vertreter.« »Es ist Terlot da Keithy.« Ein Raunen ging durch die Menge, als der Benannte mit gemessenen Schritten die Arena betrat und neben den beiden Männern stehen blieb. Nun kam auch Arayshkat da Barthimore und erhielt vom Mannaxmeister das Schwert. »Der Kampf soll erst zu Ende sein, wenn einer der beiden Kämpfer tot ist.« Der Rotgekleidete setzte sich auf den Boden, Axton ließ sich neben ihm nieder. Er blickte zu Kelly hinüber, der außerhalb des Energiezauns stand. Nun hing alles von dem Roboter ab. Gelang es ihm, rechtzeitig das Geheimnis der Fallen zu enträtseln, war Arayshkat mit etwas Glück zu retten.
Terlot da Keithy hob das Schwert und drehte es so, dass es das Sonnenlicht reflektierte. Blendende Blitze glitten über das Publikum. Arayshkat blickte Axton an; er hatte Angst, war
bleich, seine Augen tränten. Eine Böe spielte in seinem Haar. Der Mannaxmeister nahm eine grüne Feder aus dem linken Ärmel und blies sie in die Luft. Eine Böe erfasste sie und trieb sie hoch über die Köpfe der beiden Kämpfer. Terlot behielt Arayshkat im Auge, während dieser die Feder beobachtete. Sie verharrte in einer Höhe von drei Metern still in der Luft und fiel dann taumelnd zu Boden. Kurz bevor sie den Sand berührte, wurde sie erneut hochgewirbelt, dann sank sie langsam herab. Kaum war sie zur Ruhe gekommen, stürzte sich Terlot mit einem wilden Schrei auf den Planetenfürsten. Dieser hatte gerade noch Zeit, sein Schwert hochzureißen und zur Seite zu springen. Dennoch war er nicht schnell genug. Die Klinge des Kämpfers strich dicht an seinem Kopf vorbei und trennte ein Haarbüschel ab. Erst in diesem Moment schien dem Baron bewusst zu werden, wie scharf die Waffe seines Gegners war und was es bedeutete, wenn er von ihr getroffen wurde. Er wich zurück, die Augen geweitet. Terlot hob die abgeschnittenen Haare mit der Schwertspitze auf und schleuderte sie in die Luft. »Das war knapp«, sagte er. »Es hätte auch die Halsschlagader sein können.« Langsam richtete er das Schwert auf seinen Gegner, der ihn mit gespreizten Beinen erwartete und seine Waffe schützend vor den Oberkörper hielt. Die Klingen prallten zusammen, und Lebo Axton verfolgte entsetzt, dass Arayshkat unter der Wucht des Hiebes in die Knie ging. Der Planetenfürst wollte sich nach hinten werfen, aber seine Bewegungen waren so schwerfällig und träge, als klebe er mit den Füßen am Boden. Das tat er tatsächlich! Er war in die erste der Fallen seines Gegners gestolpert. Axton konnte nur ahnen, wie hoch die künstlichen Gravitationswerte waren, die nun an dem Mann zerrten. Arayshkat kam nicht frei, stürzte rückwärts zu Boden, und Terlot war mit zwei schnellen Schritten über ihm. Verächtlich lächelnd blickte er auf den Planetenfürsten hinab,
hob sein Schwert. In diesem Moment, als die Zuschauer erschreckt von ihren Plätzen aufsprangen und das Ende erwarteten, klang ein dumpfes Rollen über das Land. Terlot zögerte, blickte zum blassblauen Himmel hinauf, von dem sich ein kugelförmiges Raumschiff senkte. Innerhalb weniger Augenblicke näherte es sich der Kampfstätte so weit, dass die klaffenden Einschussöffnungen in der Kugelhülle deutlich zu erkennen waren. Dieses Schiff hatte einen Kampf mit einem offensichtlich überlegenen Gegner nur knapp überstanden. Es verzögerte mit grell flammenden Abstrahldüsen und senkte sich dann langsam auf den Raumhafen herab. »Wollen Sie, dass der Kampf unterbrochen wird, Lebo Axton?«, fragte der Mannaxmeister. »Ich lehne eine Unterbrechung ab!«, schrie Terlot. Unterdessen wälzte sich Arayshkat überraschend schnell unter dem Kämpfer hervor, rollte sich ab und hielt das Schwert schützend über sich, als Terlot wütend zuschlug. Über seinem Kopf trafen die Klingen aufeinander. Bevor Terlot ein zweites Mal ausholen konnte, rettete sich der Planetenfürst durch eine erneute Flucht. Der Stellvertreter Axtons wartete, bis er auf den Beinen war, dann folgte er ihm langsam. Dabei fintete er mehrmals, griff aber nicht wirklich an, sondern trieb Arayshkat in die nächste Falle. Axton konnte es klar erkennen, biss sich auf die Lippen und unterdrückte nur mit Mühe einen Warnruf. Der Nert war jedoch auf der Hut. Kaum spürte er den Sog der Gravofalle, warf er sich auch schon zur Seite. Zwar stürzte er zu Boden, rettete sich jedoch vor Terlot, indem er weiterrollte. Dicht neben ihm bohrte sich das Schwert in den Sand, als der Kämpfer es plötzlich wie einen Speer schleuderte. Arayshkat sprang geschmeidig auf, seine Klinge wirbelte durch die Luft. Er versuchte, die gegnerische Waffe am Handgriff zu treffen, verfehlte sie
jedoch, als Terlot ihr einen Fußtritt versetzte. Sie kippte zur Seite, Arayshkats Schwert pfiff über sie hinweg. Terlot lachte höhnisch auf, als der Planetenfürst vom Schwung des eigenen Schlages herumgerissen wurde und über die eigenen Füße stolperte. Der Vertreter Axtons nahm sein Schwert in aller Ruhe auf und wartete, bis sein Gegner wieder sicher auf den Füßen stand. »Du hättest mich angreifen sollen«, sagte er herablassend. »Dann hättest du vielleicht eine Chance gehabt.«
Nert Arayshkat wich rückwärtsgehend aus, weil er ahnte, dass ihn Terlot erneut in eine Falle treiben wollte, und versuchte, zur Seite auszuweichen. Doch Terlot attackierte ihn heftig, sodass ihm keine andere Wahl blieb, als sich auf der Linie zurückzuziehen, die zu dem nächsten im Sand verborgenen Geschoss führte. Der Baron richtete unwillkürlich seine Blicke auf die Hände Terlots, und er sah, dass sie sich bewegten, als sie einen Schalter drückten. Im gleichen Augenblick stieg ihm süßlicher Geruch in die Nase. Seine Blicke verschleierten sich, alle Kraft schien aus seinen Beinen zu weichen. Mit dem letzten Rest seines klaren Verstandes flüchtete er weiter, spürte den zarten Windstoß, der ihm saubere Luft verschaffte. Er sah die Waffe Terlots aufblitzen und hob instinktiv das Schwert. Terlot schlug mit beachtlicher Wucht auf ihn ein. Arayshkat erkannte voller Schrecken, dass es seinem Gegner jederzeit möglich gewesen wäre, seine Deckung zu durchbrechen. Darauf aber legte er es noch nicht an. Immer wieder schlug Terlot so zu, dass sich die Schwerter klirrend trafen, und jedes Mal ging ein Ruck durch den Körper Arayshkats. Es kostete ihn seine ganze Kraft, diesen Angriffen zu widerstehen. Allmählich schwand die Betäubung; er konnte klarer sehen und denken, gleichzeitig wurde ihm voll
und ganz bewusst, in welchem Ausmaß Terlot mit ihm spielte. Er hätte ihn längst töten können. Verzweifelt blickte er zu Axton. Wie lange brauchte der Roboter denn noch, die Frequenz herauszufinden, auf der die heimtückischen Fallen aktiviert wurden? Terlot lächelte boshaft. »Nun, hast du es überstanden?«, fragte er leise. »Wie wär’s mit der nächsten Dosis? Es wird deine letzte sein.« Arayshkat erschrak. Für einen Moment passte er nicht auf, übersah den Ansatz der nächsten Attacke. Das Schwert Terlots wirbelte durch die Luft, traf seine Klinge und schmetterte sie ihm aus den Händen. Sie flog mehrere Meter weit zur Seite und fiel flach in den Sand. Der Planetenfürst wollte ihr nachlaufen, doch Terlot sprang ihm in den Weg. »Nicht doch«, sagte er drohend. »Du hast deine Chancen verspielt.« Arayshkat wich zurück. Seine Hoffnung, dass der Mannaxmeister eingreifen würde, erfüllte sich nicht. Terlot hob das Schwert zum letzten, alles entscheidenden Schlag. Der Planetenfürst fühlte, dass er erneut in eine Gravofalle geraten war. Die im Boden verborgene Maschinerie fesselte ihn förmlich. Er ließ sich in die Hocke sinken, griff in den Sand und schleuderte diesen Terlot mit der linken Hand ins Gesicht. Mit der rechten fasste er das Geschoss, wühlte es aus dem Sand und schleuderte es zur Seite. Es erschien ihm schwerer als seine Waffe, die er verloren hatte. Doch als es etwa eine Körperlänge entfernt war, wich die erhöhte Gravitation. Terlot wich vor ihm zurück, ließ das Schwert sinken und versuchte, sich den Sand aus den Augen zu reiben. Dennoch erkannte er, dass Arayshkat zu seinem Schwert lief, wollte sich ihm in den Weg stellen, war jedoch nicht schnell genug. Der Planetenfürst rammte ihm die Schulter in die Seite und stieß ihn zurück. Dann bückte er sich und riss seine Waffe hoch. Terlot war kampferfahren genug, sich seinem Gegner nun
nicht zu stellen. Als der Planetenfürst mit wuchtigen Schlägen auf ihn eindrang, beschränkte er sich lediglich auf die Verteidigung. Dadurch gewann er Zeit, und es reichte ihm, sich die Augen zu säubern. Arayshkat verzweifelte fast, als ihm bewusst wurde, dass er die einzige Chance in diesem Kampf, die sich ihm geboten hatte, nicht hatte nutzen können. Als der Vertreter Axtons zu einem Angriff ansetzen wollte, schien alles vorbei zu sein. Doch gerade in diesem Augenblick wurden Terlots Bewegungen schwerfälliger. Er schien keine Kraft mehr zu haben, seinen Zweihänder zu heben. Verblüfft blickte er nach unten. »Was…«, begann er stöhnend und blickte Arayshkat hasserfüllt an. Der Planetenfürst begriff. Endlich hatte Axtons Roboter eingegriffen, Terlot war in eine seiner eigenen Fallen gelaufen. Die Gewichte waren plötzlich anders verteilt. Instinktiv warf sich der Nert nach vorn, sein Schwert fuhr hoch. Terlot versuchte zu spät, eine Abwehr aufzubauen. Seine Klinge konnte den Kopf nicht mehr schützen – der Planetenfürst traf seinen Gegner am Halsansatz. Terlot schrie gellend auf und stürzte zu Boden. Der Mannaxmeister schnellte sich hoch und rannte zu den beiden Kämpfern, trieb Arayshkat mit energischen Gesten zurück. Dann beugte er sich über Terlot da Keithy und untersuchte ihn. Schon nach wenigen Augenblicken richtete er sich wieder auf, breitete die Arme aus und rief: »Der Kampf ist beendet.« Das bedeutete, dass Terlot da Keithy tot war. Arayshkat vernahm das Lärmen der Zuschauer nur aus weiter Ferne. Er sah Lebo Axton auf sich zukommen und reichte ihm die Hand. Das Schwert fiel zu Boden. »Bei allen Göttern Arkons«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen.«
Axton zog sich von dem Mann zurück, Kelly kam ihm bereits entgegen, kniete nieder und ließ ihn aufsteigen. Die Zuschauer strömten von allen Seiten heran. Axton sah, dass Aysha ihrem Mann um die Hals fiel. »Zum Raumhafen, Kelly!«, befahl er. »Ich muss wissen, was mit dem Raumschiff passiert ist.« Ein Orbton der Raumhafenkontrolle befand sich in einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Kommandanten des gelandeten Raumers, als Axton vor der Hauptschleuse eintraf. »Beenden Sie Ihren Streit!« »Wer ist dieser… Krüppel?« »Ein Agent des Imperators!«, antwortete Axton und zeigte seine Marke. Das genügte. »Entschuldigen Sie.« Der Kommandant erbleichte. »Das konnte ich nicht ahnen. Ich wollte Sie nicht…« »Schon gut«, unterbrach Axton und stützte sich mit den Armen auf Kellys Schultern. »Berichten Sie, was vorgefallen ist. Weshalb die Notlandung?« »Wir kommen aus dem benachbarten Preyton-System. Protem wurde von Methans überfallen!« Axton blickte den Standortoffizier an; er wusste, dass Protem nur 4,8 Lichtjahre entfernt war. »Davon haben wir hier nichts erfahren? Methans in Thantur-Lok?« »Nichts. Das war der Grund unserer Auseinandersetzung.« »Mein Name ist Quaa«, sagte der Kommandant. »Mein Schiff gehörte zu den auf Protem stationierten Wacheinheiten. Der Überfall kam wie aus dem Nichts. Die Maahks stießen blitzschnell zu, zerschlugen unsere Abwehr und landeten beim geheimen Positronikzentrum nahe Kandoran.« »Weiter. Was geschah dann?« »Die Methans haben angeblich Offiziere und Ingenieure entführt. Zudem scheint es ihnen nach den letzten Informationen, die wir auffangen konnten, sogar gelungen
sein, wenigstens einen der Grundbausätze zu stehlen.« »Welcherart Grundbausätze?« »Sie gehören zum Robotsystem, das auf Arkon Drei entsteht.« Axton erschrak. Hatte der Orbton die Wahrheit gesagt, war den Methans eine Beute von außerordentlichem Wert in die Hände gefallen. Sollte es ihnen gelingen, aus diesem Element Daten und Informationen zu entschlüsseln, gelangten sie zwangsläufig in den Besitz unschätzbarer militärischer Geheimnisse. Diese konnten unter Umständen kriegsentscheidend sein. Zumindest aber musste das arkonidische Imperium kurzfristig mit beträchtlichen Rückschlägen und zahlreichen Opfern im Krieg gegen die Maahks rechnen. Nach dem Trantagossa-Desaster wäre das eine Katastrophe gewesen. Wie dreist die Methans inzwischen waren, bewies der Angriff im Herzen des Imperiums. »Wie war das möglich?«, fragte Axton. »Sie sprachen von einem geheimen Positronikzentrum.« »Nur wenige Offiziere und Ingenieure wussten davon, was wirklich dort gebaut wird.« »Also Verrat?« »Ich fürchte, ja.« »Danke«, sagte Axton. »Ich nehme an, Kommandant Quaa, dass Sie und Ihre Leute vorläufig auf Barthimore bleiben können. Ich werde mit dem Nert sprechen; eine ausführliche Befragung folgt natürlich noch.« Der Roboter nahm Axtons Worte als Befehl, drehte sich um und marschierte davon.
Axton hatte Mühe, zu Arayshkat vorzudringen. Er fand ihn schließlich im Kreis seiner Freunde in einem prunkvoll eingerichteten Saal. Bedienstete fuhren auf goldenen und
silbernen Antigravplatten Getränke und Speisen in beängstigender Menge auf. Der Planetenfürst stand sichtlich unter dem Einfluss berauschender Substanzen. »Kommen Sie, Axton!«, brüllte er lachend. »Wir feiern das Fest unseres Lebens. Bald kommen auch die Frauen. Bis dahin trinken Sie mit mir.« »Ich muss Sie dringend sprechen. Allein!« »Unsinn. Ich habe den Kampf gewonnen! Die Beleidigung ist vom Tisch. Jetzt sind wir Freunde. Oder nicht?« »Ich erwarte Sie nebenan«, erwiderte Axton kühl und wandte sich ab. Peyko Baey trat neben Arayshkat und sagte eindringlich: »Gehen Sie, Nert. Gehen Sie, bitte. Machen Sie nicht schon wieder einen Fehler.« Also folgte Arayshkat Axton und dem Roboter. Er blickte den Verwachsenen unwillig an, als sich die Tür geschlossen hatte. »Was soll das, Axton? Wollen Sie mir die Freude an meinem Sieg verderben?« Mit knappen Worten berichtete Axton, was auf Protem vorgefallen war. »Was interessiert das mich?« Axton starrte ihn fassungslos an und stieg von dem Roboter. Seine Miene wurde eisig, als er sich in einen Sessel setzte und dem Baron befahl, sich ebenfalls zu setzen. Nur zögernd gehorchte dieser. »Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden«, sagte Axton. »Noch sind Sie nicht gerettet.« »Was wollen Sie denn?« Arayshkat lachte übermütig auf. »Terlot ist tot. Damit ist alles erledigt.« Er schien bereits vergessen zu haben, was er erlebt hatte. Angesichts seiner Naivität war Axton fast versucht, sich die Haare zu raufen. Begriff dieser Narr denn überhaupt nichts? »Sofern Sie Orbanaschol nicht auf der Stelle beweisen, dass
Sie ein wertvoller Mitstreiter sind, wird er keinen Grund haben, Sie zu schonen. Ganz zu schweigen davon, dass Protem von Methans angegriffen wurde. Methans! Verstanden?« »Was wollen Sie damit sagen?« Der Nert begriff in seinem Rausch immer noch nicht, stand auf und ging zur Tür. Offenbar dachte er nicht daran, sich noch länger von seinen Gästen und dem Vergnügen zurückhalten zu lassen. »Ich verlasse Barthimore«, sagte Axton. »Es steht Ihnen frei, mich zu begleiten. Kommen Sie mit, beweisen Sie Orbanaschol Ihre Treue. Und, nebenbei, auch und vor allem Ihre Loyalität zum Imperium. Mann, es war ein Methanangriff im Herzen von Thantur-Lok! Bleiben Sie hier, dann, dann…« »Was, dann?« »Dann unterschreiben Sie endgültig Ihr eigenes Todesurteil!« Das Lächeln des Planetenfürsten erlosch. Er wischte sich über die plötzlich feuchte Stirn. »Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Axton stieg wieder auf den Rücken des Roboters. »Ihre Gäste wären sicher sehr überrascht, bliebe ich nach dem Ausgang des Duells noch länger hier. Ich verlasse Barthimore, nachdem ich meinen Bericht abgefasst habe. Es steht Ihnen frei, mich zu begleiten.« Kelly erreichte ebenfalls die Tür. Axton war verärgert, weil er spürte, dass Arayshkat da Barthimore wieder zu seiner leichtfertigen Haltung zurückgekehrt war, die ihm beinahe zum Verhängnis geworden war. Und für diesen Mann hatte er Kopf und Kragen riskiert! Wie Orbanaschol III. sich verhalten würde, war noch völlig offen. Es war durchaus möglich, dass er ihn – Axton – nach dieser Wende auf Barthimore fallen lassen würde. Dann waren alle bisherigen Bemühungen umsonst gewesen. Alles, was er sich mühsam und unter beträchtlichen Gefahren aufgebaut hatte. Aus diesem Grund konnte und wollte er keine Rücksicht mehr auf den Nert
nehmen. Auch wenn dieser bereit war, beträchtliche Summen für den Kristallprinzen und dessen Kampf um die Macht aufzuwenden, konnte er ihn nicht länger stützen. »Warten Sie, Axton!«, rief der Planetenfürst, als der Verwachsene den Raum verlassen hatte. Doch dieser ließ den Roboter weitergehen. Arayshkat fluchte, griff sich ein Glas von einer vorüberschwebenden Antigravplatte und trank es in einem Zug leer.
3. Aus: Biographie Atlans – Anhang: Fragmente, Anmerkungen, Marginalien (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, ProvconFaust, 3565 n.Chr. Geheim- und Nachrichtendienste im Großen Imperium: Die arkonidische Sicht, das »Celis« von »Augen« als Synonym für Geheimdienst zu verwenden – sei es bei Tussan Goldan Celis, abgekürzt TGC, den »Goldan-Augen des Imperiums« oder beim Tussan Ranton Celis, abgekürzt TRC, den »Augen der ImperiumsWelten« – traf den Kern der Angelegenheit mit bemerkenswerter Genauigkeit. Vergleichbares betraf andere Umschreibungen wie Cel’Zarakh als »Augen in der Dunkelheit« oder »Augen auf das Geheime« im Sinne von »Aufklärung« sowie unter dem Aspekt von Nachrichtendiensten beim Ksol’Zarakh im Sinne von »Nachricht/Information in der Dunkelheit«, wobei das ursprüngliche Zarakh – wörtlich »Dunkelheit, Finsternis, fehlendes Tageslicht«, aber auch »Nachtseite (eines Planeten)« – in der arkonidischen Frühzeit als Umschreibung für »Auflösung, Begräbnis, Sarg« oder als poetische Umschreibung für »Tod« verwendet wurde, im weiteren Sinne allerdings ebenso für »geheim, Geheimnis« oder »rätselhaft« stand. Passend dazu war das TRC-Emblem ein meergrüner Yilld, ein häufig verwendetes arkonidisches Heraldik-Symbol nach einem ausgestorbenen Riesenreptil; halb Schlange, halb Drache, windet es sich in einer goldenen Blitzaureole und reckt den dreieckigen Kopf dem stilisierten Auge entgegen. Schwarze Konturen begrenzen das weiße Feld rings um das ebenfalls schwarze Zentrum von Iris und Pupille. Geheimdienstplaketten als Ausweise bestehen aus ZalosMetall; die Marken mit den eingravierten Arkonwelten sind von einem außen gezackten Kreisring umgeben und verfügen über integrierte Chips mit den Individualschwingungen des jeweiligen
Trägers. Wer überdies tiefer in den Wust der unterschiedlichen Organisationen und Kompetenzen einstieg, erkannte schnell, dass im Großen Imperium von dem Geheimdienst gar nicht gesprochen werden konnte, obwohl natürlich die TRC-Celistas des Innen- und Sicherheitsministeriums eine wichtige Rolle spielten. Es gab darüber hinaus weitere machtvolle »Dienste«, die ebenso bekannt wie gefürchtet waren – wie beispielsweise die TGC von Ka’Mascantis Offantur Ta-Metzat, die Kralasenen des Blinden Sofgart oder jene des Gos’Laktrote des Berlen Than, der schon von Amts wegen in die vielfältigen Sicherheits- und Abwehrmaßnahmen eingebunden war, zum Schutz des Imperators durch die Kristallgarde, im weiteren Umfeld durch die damit verbundene militärische Komponente einschließlich der der Thek-Laktran-Admiräle des Flottenzentralkommandos von Arkon III sowie seiner diversen Geheimdienste und ihrer Aktivitäten. Die Tu-Gol-Cel als »Politische Geheimpolizei des Imperators« wurde 2476 da Ark (17.504 vor Christus) durch Imperator Zakhagrim V. gegründet; erster Geheimdienstchef war Sonnenträger Jakonak. Im Laufe der Jahrtausende gab es viele Änderungen, Umbenennungen, Umgruppierungen und Kompetenzverschiebungen. Stets verfügte die TGC über eine eigene Raumflotte von Kriegs- und getarnten Einsatzschiffen. Hauptsitz der TGC war Arkon III. Die jeweils höchsten TGC-Vertreter eines Planeten wurden auch Erster Goltan (Goltan-moas) genannt. Insgesamt ließen sich grob die Bereiche Außenaufklärung (Cidag-Cel’Zarakh, abgekürzt CCZ), Innenaufklärung (Addag-Cel’Zarakh, abgekürzt ACZ), Militärische Abschirmung oder Abwehr (Gor-Cel’Zarakh, abgekürzt GCZ bzw. Urunlad-Cel’Zarakh, abgekürzt UCZ) und Geheimpolizei (Cel’Zarakh-Addag’gos, abgekürzt CZAG) unterscheiden, und als fünftes Element kamen die besonderen Einsatzgruppen der Gokanii für Sabotage, Zersetzung, Infiltration, Terror und
dergleichen hinzu. Ein vorangestelltes Tussan bezog sich auf die imperiale Ebene, ein vorangestellter Sektor-, System- oder Planetenname jeweils auf das bezeichnete Gebiet – Tussan AddagCel’Zarakh also auf die Innenaufklärung des Großen Imperiums, Ark Cel’Zarakh-Addag’gos auf die Geheimpolizei des Arkonsystems. Auf Arkon I wie im übrigen Arkonsystem und auch im Tai Ark’Tussan insgesamt wetteiferten die diversen Dienste und Organisationen erbittert miteinander, dachten aber im Konkurrenzkampf um die Gunst des Imperators selten oder gar nicht daran, zusammenzuarbeiten. Hinzukam, dass sämtliche mächtigen Khasurn des Adels eigene Dienste unterhielten, sodass unter dem Strich ein wahrhaft byzantinisches Geflecht der Zuständigkeiten, Kompetenzen, Seilschaften, Loyalitäten und wie auch immer zu bezeichnenden Beziehungen entstand – und es ständig dazu kam, dass die eine Seite nicht wusste, was die andere tat…
An Bord eines Leka-Diskus, Flug nach Protein: 9. Prago der Prikur 10.498 da Ark Arayshkat strampelte mit den Beinen, schlug mit den Armen um sich und begann gleichzeitig laut zu schreien. Doch das half ihm alles nichts. Kelly drückte ihm den rechten Fuß kräftig in den Rücken und zwang ihn so, auf dem Boden liegen zu bleiben. Der Planetenfürst konnte sich nicht einmal auf den Rücken drehen. Ächzend und schnaubend blickte er über die Schulter zurück, konnte jedoch kaum etwas erkennen, weil ihm das Wasser mit eiskalten Strahlen ins Gesicht schoss. Immerhin wurde er sich darüber klar, dass es ein Roboter mit verbeultem Äußeren, krummen Beinen und einer unförmigen Gestalt auf dem Rücken war, der ihn quälte. »Lebo Axton!«, brüllte er außer sich vor Zorn. »Dafür lasse ich Sie exekutieren!«
»Wie vornehm«, kommentierte Kelly mit quietschender Stimme. »Der Gebieter bestraft sich selbst. Er lässt ausführen, was er selbst nicht schafft. Ich kann das Wasser noch etwas kälter stellen, Schätzchen. Wäre das in deinem Sinn?« »Ich überlege gerade, ob wir zur Abwechslung nicht einmal kochendes Wasser nehmen sollten«, erwiderte Axton so laut, dass ihn der Baron hören konnte. »Unterstehen Sie sich«, kreischte der Arkonide. »Ich lasse Ihnen die Haut bei lebendigem Leib abziehen.« »Diesem zweifelhaften Vergnügen sind Sie derzeit näher als ich. Lass es gut sein, Kelly.« »Schade. Es ist mir selten vergönnt, eine Intelligenz minderen Ranges auf diese Weise pflegen zu dürfen.« Arayshkat schoss vom Boden hoch, kaum dass sich der Roboter von ihm zurückgezogen hatte. Vollkommen unbekleidet und vor Wasser triefend stand er vor Axton. »Sagte diese Metallbestie Intelligenz minderen Ranges?« »Allerdings. Ihr Verhalten erlaubt einem rein sachlich denkenden Positronengehirn nicht, Sie höher einzustufen. Ich bin geneigt, mich dieser Beurteilung anzuschließen.« Der Arkonide stellte sich in der Hygienekabine unter den Heißluftstrom und ließ sich trocknen. »Wo bin ich?« »An Bord eines Leka-Diskus, den ich akquiriert habe.« Arayshkat bückte sich und nahm seine auf dem Boden verteilten Kleidungsstücke auf und zog sich rasch an. »Und wie komme ich hierher?« »Oh, das war ganz einfach. Sie waren total betrunken, als ich mich erneut um ein Gespräch mit Ihnen bemühte. Ihre Frau bezeichnete Sie als bewusstlos. Ich konnte sie davon überzeugen, dass ein kurzer Raumflug für Sie unbedingt notwendig sei.« »Sie haben sie erpresst!« Der Nert schwankte ein wenig und zeigte Axton, dass er keineswegs nüchtern war. Er blickte sich
um, eilte zu einem Interkom und schaltete das Gerät ein. Das Bild der Zentrale unter der Transparenzkuppel entstand im Projektionsfeld. Niemand hielt sich dort auf. »Wir sind allein an Bord«, sagte Axton bedächtig. »Das Schiff wird derzeit vom Autopiloten gesteuert.« »Wohin?« »Nach Protem im Preyton-System. Ich habe eine entsprechende Nachricht zur Kristallwelt abgesetzt.« »Was für eine Nachricht?« »Ich habe der mir vorgesetzten Dienststelle gemeldet, dass Sie darauf bestanden haben, den Hintergründen des Maahkangriffs nachzugehen. Immerhin scheint Verrat im Spiel zu sein.« »Ich soll…?« Der Arkonide sank in einen Sessel. Stöhnend strich er sich das Haar aus Stirn. »Axton, was, bei allen Göttern, haben Sie mit mir vor?« Der Verwachsene antwortete nicht, sondern verließ die Kabine und schwebte im Antigravschacht zur Zentrale hinauf. Er saß im Sessel des Kommandanten und bereitete den Sprung durch den Hyperraum vor, als ihm Arayshkat nach einer Weile folgte. Der Arkonide entnahm einem Fach einige Medikamente und schluckte sie, ehe er sich auf den Platz des Funkoffiziers setzte, eine Weile mit leeren Augen vor sich hin starrte und endlich stöhnend die Hände vors Gesicht schlug. »Wären Sie mir doch nur niemals begegnet.« »Dann wäre ein anderer nach Barthimore gekommen und hätte den Auftrag durchgeführt«, sagte Kelly. Der Arkonide richtete sich auf. »Was erlaubt sich diese Maschine, mir etwas Derartiges zu sagen?« »Ich pflege nur Feststellungen zu treffen, Schätzchen.« Arayshkat da Barthimore zuckte zusammen. Diese Worte waren für einen Mann seines Ranges eine ungeheuerliche Respektlosigkeit; Roboter hatten Arkoniden mit Gebieter
anzusprechen. Lebo Axton lachte laut auf, während er gleichzeitig die Transition einleitete. Das und der augenblicklich einsetzende Entzerrungsschmerz verhinderten einen Wutausbruch des Arkoniden. Nach der Rematerialisation krümmte er sich ächzend im Sessel. »Das Medikament«, sagte er mühsam. »Ich hätte es nicht nehmen dürfen.« Lebo Axton beachtete ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Sonnensystem, in das sie jetzt einflogen. Der dritte von sechs Planeten der gelben Sonne war Protem, jene Welt, die von den Maahks überfallen worden war. Durch die Panzerplastkuppel war nur wenig zu erkennen. Wesentlich näher war der jupiterähnliche Wrappa am Systemrand, eine Welt von beträchtlicher Größe. Nert Arayshkat richtete sich auf und blickte unsicher auf die Instrumente. Auf einem Bildschirm blinkte in unregelmäßigen Abständen ein Signal. »Da ist etwas.« Axton sah auf. »Was?« »Ich weiß es nicht.« »Wir empfangen Funkimpulse«, sagte Kelly. »Sind Sie kein ausgebildeter Raumfahrer?«, fragte Axton. Der Nert schüttelte den Kopf. »Aufgrund der Privilegien meiner Familie bin ich vom Kriegsdienst befreit. Ich war nie Orbton. Ich habe meine Leute. Warum sollte ich selbst ein Raumschiff steuern, wenn ich Hunderte Uniformierte dafür bezahle, mir gewisse Aufgaben abzunehmen?« Wieder einmal schlug der hochmütige Adelige durch, der glaubte, es sich leisten zu können, weit über den Dingen zu stehen. Er stand auf und trat demonstrativ vom Funkleitstand zurück, um Axton oder Kelly die Arbeit zu überlassen, mit der er sich nicht befassen wollte. Der Terraner ging mit unmerklichem Lächeln darüber hinweg und überprüfte rasch
die Anzeigen. »In der Tat Funkimpulse«, sagte er. »Sie kommen von der Riesenwelt.« »Was bedeuten sie?« »Keine bekannte Kodierung. Ich glaube, da unten ist nur jemand, der auf sich aufmerksam machen will.« »Warum sendet er dann nicht normal mit Bild und Ton, sodass man ihn verstehen kann?« »Weil ihm dazu vermutlich die Ausrüstung fehlt. Ich denke, dass er nur noch ein ganz primitives Gerät hat.« »Also jemand, der in Not geraten ist?« »Das ist zu vermuten.« »Dann müssen wir ihm helfen.« »Das hatte ich vor.« »Vielleicht sind es jene Männer, die von Protem entführt wurden?« »Nicht so voreilig. Es könnte auch ein Maahk sein, der verunglückt ist.« »Dann werden wir ihm nicht helfen.« Axton schwieg. Er hielt es nicht für nötig, auf die Worte es Arkoniden einzugehen, sondern würde seine Entscheidungen ohnehin so treffen, wie er es für richtig hielt. Entschlossen steuerte er den Diskusraumer an den Gasriesen heran, nachdem er die Ortungsinstrumente so geschaltet hatte, dass sie ihm sämtliche Informationen auf den Pilotenplatz überspielten. Ein Wink genügte überdies, Kelly zum Funkleitstand zu dirigieren. Axton wusste, dass die Maschine alles mit absoluter Zuverlässigkeit überwachen würde. Die Funkimpulse kamen weiterhin in unregelmäßigen Abständen. Kelly ließ sie von der Hauptpositronik analysieren; als das Raumschiff die obersten Atmosphäreschichten erreichte, stand jedoch fest, dass die Impulse tatsächlich ohne Inhalt waren. Sie stellten nicht mehr dar als Anwesenheitssignale, die der
Funkpeilung dienten. Axton verzögerte stark, als eine Reihe von Warnsignalen aufleuchtete. Erschreckt merkte er, dass er mit zu hoher Geschwindigkeit anflog. Unwillkürlich war er von den Werten ausgegangen, die er als USO-Spezialist bei ähnlichen Landemanövern zugrunde gelegt hatte. Dies war aber keine hochwertige Space-Jet des 29. Jahrhunderts, sondern ein Raumer arkonidischer Produktion aus der Zeit von Atlans Jugend. Vor allem die Schutzschirme waren von deutlich geringerer Leistung. Das Raumschiff erzitterte, als Axton Gegenschub gab. Besorgt blickte der Arkonide zu ihm herüber. Arayshkat spürte, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte, doch Axton konnte seinen Fehler korrigieren, bevor es wirklich gefährlich wurde. Der Diskus passierte ausgedehnte braune Wolkenbänke, sank dann mit hoher Verzögerung tiefer. »Legen Sie einen Schutzanzug an!«, befahl Axton. Der Arkonide kam dieser Aufforderung auffallend rasch nach, hatte offensichtlich wenig Vertrauen in die Flugkünste des Verwachsenen. Der Terraner flog nach den Daten der Instrumente, eine direkte Sicht bestand nicht mehr. Dichte Gasmassen umflossen den Diskus und seine lohenden Prallschirme. Dann klärte sich plötzlich die Sicht von einem Augenblick zum nächsten. Axton blickte auf eine bizarre Landschaft, die durch schroffe Felsund Eisgebilde, eigentümliche Seen und Flüsse charakterisiert war. »Dort unten«, rief Arayshkat. Bevor Axton mehr als einen verwaschenen Fleck erkennen konnte, trieb die Leka in eine Wolkenfront. Aus den tief hängenden Schwaden stürzten bräunlich gelbe Flüssigkeitsmassen, sodass sich der Verwachsene wieder im reinen Instrumentenflug herantasten musste. Er verringerte
weiter die Geschwindigkeit und lenkte das Raumschiff tiefer, bis die ersten Bergspitzen direkt voraus auftauchten. Er zog den Diskus sanft darüber hinweg. »Massetastung«, meldete Kelly. Axton hatte es bereits gesehen und sich entsprechend eingepeilt. Als der Ammoniakregen lichter wurde, stiegen Methandämpfe vom Boden auf. In ihnen schienen sich ungefüge Gestalten zu bewegen, die sich dem Diskus drohend entgegenreckten. Eisblöcke wirbelten aus dem Dunst hervor, als versuche ein primitiver Gegner, das Schiff damit zu treffen. Selbst für einen so erfahrenen Mann wie Sinclair Marout Kennon war diese Entwicklung neu. Er war häufig auf Welten wie diesen gewesen, aber so etwas hatte er noch nicht erlebt. Er ließ den Diskus schließlich nur noch leicht vorantreiben, bis ein metallischer Körper aus dem Dunst tauchte. Ein Eisblock prallte mit großer Wucht gegen die Unterseite des Prallfelds. »Axton, wollen Sie wirklich hier bleiben?«, fragte Arayshkat. »Das ist doch eine Falle.« Der Verwachsene deutete auf das Gebilde, das halb unter Eis gegraben lag und kaum noch als arkonidisches Raumschiff zu identifizieren war. »Da draußen liegt eine Leka; sie ist offensichtlich abgestürzt. Dort befinden sich Arkoniden. Wollen Sie sie umkommen lassen?« »Wer sagt, dass es Arkoniden sind? Ich behaupte, dass es diese verfluchten Methans sind, die nur darauf warten, dass wir zu ihnen kommen. Sie werden uns umbringen.« »Kelly wird Sie begleiten.« Der Arkonide blickte Axton kopfschüttelnd an. »Ach ja? Und das bestimmen Sie so einfach?« Er dachte zweifellos nicht daran, den Befehl auszuführen. Axton lächelte drohend und nickte. »Allerdings. Ich kann das Schiff nämlich nicht verlassen, weil es an Bord keinen geeigneten Raumanzug für mich gibt. Außerdem sind Sie
nicht in der Lage, dieses Schiff zu fliegen. Sie könnten diesen Planeten nicht wieder verlassen, ginge ich nach draußen und käme nicht wieder zurück. Wenn Sie zudem Orbanaschol beweisen wollen, dass Sie zu den Leuten gehören, auf die er zählen kann, sollten Sie keine Zeit mehr verlieren. Der Sender schweigt. Man wartet dort drüben auf Sie.« Der Nert fluchte. Seine Miene ließ erkennen, dass er keine freundschaftlichen Gefühle mehr für Axton hegte. Auf Barthimore war alles anders gewesen. Dort hatte er den Rückhalt seiner Untertanen und Bediensteten gehabt, die ihm alle Aufgaben abnahmen, mit denen er selbst nichts zu tun haben wollte. Hier konnte er sich dagegen von niemandem vertreten lassen. »Also gut«, sagte er einlenkend. »Ich gehe. Danach werden sich unsere Wege aber trennen.« »Wie Sie meinen.« Mit einem Laut des Unwillens verließ der Planetenfürst die Zentrale. Er blickte nur kurz auf, als er merkte, dass sich ihm der Roboter anschloss. Er brauchte diesen Begleiter, der ihm im Notfall zur Seite stand, und das wusste er. Axton wartete. Durch die Panzerplastkuppel konnte er nichts mehr sehen. Sie war von Ammoniakeis bedeckt. Die Außenobjektive waren zwar noch frei, boten allerdings wegen der Dämpfe und Nebel nur ein verschwommenes Bild. Immerhin konnte der Terraner erkennen, dass der havarierte Raumer äußerlich stark beschädigt war. Es sah tatsächlich so aus, als sei er hier abgestürzt oder zumindest hart notgelandet. Dennoch war nicht ausgeschlossen, dass die Maahks eine Falle gestellt hatten. Vor dem Terraner leuchtete ein grünes Licht auf. Es zeigte an, dass der Arkonide und der Roboter die Bodenschleuse passiert hatten. Wenig später erschien die unförmige Gestalt des Arkoniden, der sich in dem schweren Schutzanzug abmühen musste, auf den Bildschirmen. Der Roboter folgte ihm; hier und da setzte sich auf seinem
Metallkörper Eis ab. Wieder schien es so, als würde der Diskus von ungefügen Gestalten angegriffen. Unwillkürlich legte Axton seine Hand auf die Feuertasten des Bordgeschützes. Dann jedoch sah er, dass sich lediglich ein Eisklotz vor dem Schiff aufbaute. In wenigen Augenblicken erreichte er eine Höhe von fünf Metern, schmolz dann aber unter dem Einfluss des nächsten Windstoßes wieder zusammen. Gleich darauf setzte ein Eisregen ein, der eine undurchdringlich scheinende Wand vor den Kameras aufbaute, sodass der Verwachsene nicht mehr erkennen konnte, was draußen geschah. Ungeduldig wartete er darauf, dass Arayshkat und Kelly zurückkehrten. Doch die Zentitontas verstrichen, ohne dass sich drüben beim Wrack etwas änderte. Der Arkonide nahm offenbar bewusst keinen Funkkontakt auf; Axton verzichtete ebenfalls darauf. Er sagte sich, dass sich der Planetenfürst schon melden würde, falls es kritisch werden sollte. Auf jeden Fall war von Kelly ein Signal zu erwarten, sofern der Roboter etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Nach einer halben Tonta tauchten die beiden schließlich auf. Sie mussten sich durch einen hüfthohen Ammoniaksee kämpfen, der inzwischen entstanden war. Schwerfällig bewegten sie sich voran, obwohl die hohe Gravitation von den technischen Einrichtungen ihrer Ausrüstung neutralisiert wurde. Zwei Personen begleiteten die beiden. Axton setzte unwillkürlich voraus, dass es Arkoniden waren. Umso überraschter war er, als die Geretteten zusammen mit dem Planetenfürsten und Kelly in der Zentrale erschienen. Es waren Eskaphonen. Axton war so überrascht, dass ihm zunächst die Worte der Begrüßung fehlten. Nicht ein einziges Mal hatte er bis zu diesem Augenblick daran gedacht, dass er diesen Intelligenzwesen begegnen könnte. Die Konfrontation mit
ihnen machte ihm schlagartig und mit einer bisher nicht erlebten Intensität klar, wo und vor allem wann er sich befand. Mithilfe der Traummaschine war er durch die Jahrtausende in die Vergangenheit versetzt worden. Er stammte aus einer Zeit, in der es kein machtvolles Tai Ark’Tussan mehr gab. Das Solare Imperium der Terraner war an seine Stelle getreten, und in vielerlei Hinsicht war das Wissen um die Vergangenheit lückenhaft. Über die Eskaphonen wusste man im 29. Jahrhundert kaum noch etwas. Es waren nur wenige Berichte vorhanden, die mehr an Sagen erinnerten als an historisch korrekte Überlieferungen. »Das sind die Flottenoffiziere Quarphon Kap und Ieraphoton Soph«, sagte Arayshkat. »Sonst befand sich niemand an Bord des Wracks.« Die beiden Eskaphonen blickten Axton nicht weniger verwirrt an als dieser sie. »Was ist das für ein Trauerspiel? Seit wann lässt man Kreaturen wie diese leben? Selbst im Reich der von Degeneration bedrohten Arkoniden pflegt man meines Wissens nach konsequent zu sein, sollte sich Mutter Natur einmal irren.« »Seien Sie still, Kap«, sagte Nert Arayshkat mit bebender Stimme. »Sie wissen nicht, mit wem Sie es zu tun haben. Dieser Mann ist ein Beauftragter des Imperators. Ich kann Ihnen nur raten…« »Ich verzichte«, unterbrach Kap schroff. »Derart verunstaltete Kreaturen nötigen mir keinen Respekt ab.« »Das ist auch nicht notwendig«, sagte Axton ruhig. Er lächelte sogar ein wenig und zeigte damit, dass ihn die Worte des Eskaphonen nicht verletzt hatten. Er war es mittlerweile gewohnt, dass man mehr auf unwichtige Äußerlichkeiten als auf die Persönlichkeit achtete. »Tatsache ist allerdings, dass ich der Kommandant dieses Schiffes bin. Sie haben nur die Alternative, sich meinem Befehl zu beugen oder das Schiff
wieder zu verlassen. Entscheiden Sie sich.« »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte Soph mit einem verächtlichen Seitenblick auf den Nert. »Seit wann lässt sich ein adeliger Arkonide das Kommando von so einem…« »Es reicht!«, sagte Axton scharf. Die beiden Eskaphonen setzten sich. Ihnen war anzusehen, dass sie mit sich kämpften. Der anerzogene Widerwille gegen Missgestaltete war außerordentlich. Sie schienen damit nicht fertig zu werden. »Im Wrack ist noch Sauerstoff für eine Tonta«, sagte Kap. Er sprach den Planetenfürsten direkt an und tat, als sei Axton überhaupt nicht da. »Sie wissen, was das bedeutet.« »Das spielt für Lebo Axton keine Rolle. Ich habe lernen müssen, dass es gefährlich ist, sich ihm zu widersetzen.« Der Verwachsene beobachtete die beiden Eskaphonen. Sie waren Umweltangepasste, die aus einem Kolonialvolk der Arkoniden hervorgegangen waren. Auffallend waren ihre tiefgrüne Hautfarbe und die seltsam geformten Schädel. Das Gesicht wirkte unter der mächtig aufsteigenden Stirn zusammengequetscht und kindlich klein und machte nur etwa zehn Prozent der vorderen Schädelhälfte aus. Die schwarzen, knopfartigen Augen lagen tief in den Höhlen und konnten durch mehrere voreinander gefaltete Lider geschützt werden. Die Nase war nur im Ansatz erkennbar, ihre Spitze reichte allerdings bis an die Oberlippe des breiten Mundes heran. Über den Augen wölbten sich Doppelbögen aus nadelfeinen Dornen, die bei Kap eine Länge von etwa drei Zentimetern erreichten. Bei Soph waren sie etwas kürzer. Wesentlich stumpfere Dornen bedeckten einen Teil an der oberen Rundung des Schädels; sie erweckten den Eindruck, als seien die Eskaphonen in ihrer biologischen Entwicklung von pflanzlichem Leben beeinflusst worden. Axton erinnerte sich daran, dass die Eskaphonen einen hohen Anteil eines
chlorophyllähnlichen Stoffes im Blut gehabt haben sollen. Dieser ermöglichte es ihnen, auf einer Welt zu überleben, auf der eine Pflanzenintelligenz existierte. Im gleichen Augenblick, als in dem Terraner der Wunsch erwachte, diese Welt kennenzulernen, erkannte er, dass es ihm nicht möglich sein würde, sie zu besuchen. Er hatte nicht gewusst, wie sehr diese Wesen von ihren Vorurteilen geprägt wurden. »Wir starten«, eröffnete er den Geretteten. »Ich warte auf Ihre Entscheidung.« Kap drehte sich schwerfällig um. Er war etwa zwei Meter groß und außerordentlich muskulös. Axton schätzte, das er etwa 150 Kilogramm unter Standardgravitatuion wog. Das Material des Kampfanzugs spannte sich über den mächtigen Schultern. »Wir gehorchen lediglich der Notlage.« »Das genügt mir.« Lebo Axton drückte einige Tasten. Der Diskus sprengte das Eis ab und stieg steil auf. Schon nach wenigen hundert Metern geriet er in einen plötzlich aufkommenden Sturm. Doch jetzt ließ sich Axton nicht mehr beirren. Er beschleunigte mit den unter diesen Umständen gerade noch vertretbaren Werten und zog das Raumschiff steil hoch. Es gewann rasch an Höhe, durchstieß die geschlossene Wolkendecke und erreichte mühelos den freien Raum. Axton ging jedoch nicht auf einen Kurs, der ihn direkt zum dritten Planeten des Preyton-Systems führen musste, sondern schwenkte in eine Orbitbahn um Wrappa ein. Nachdem der Autopilot die Kontrolle übernommen hatte, wandte sich der Verwachsene den beiden Eskaphonen zu. »Es wird Zeit, dass Sie erklären, wie Sie in diese Notlage geraten sind.« »Ich habe bereits alles erfahren, was wir wissen müssen«, antwortete der Adelige, bevor Kap oder Soph etwas sagen konnten. »Das meinen Sie, Nert«, erwiderte Axton. »Ich will es
dennoch von ihnen selbst hören.« Er blickte die beiden an. Zögernd begann Kap zu sprechen: »Wir sind auf Protem stationiert. Der Planet wurde von Methans überfallen. Wir haben versucht, eine Walze zu verfolgen, da sie in die Atmosphäre von Wrappa eingeflogen war. Aber das war nur ein Täuschungsmanöver, mit dem die Methans uns in die Falle locken wollten. Wir sind darauf hereingefallen und wurden abgeschossen. Das ist alles.« »Die Maahks haben sich nicht mehr um Sie gekümmert?« »Nein. Sie haben Wrappa gleich wieder verlassen. Wir wissen nicht, wo sie geblieben sind.« »Wie groß war das Maahkschiff?« »Ein Schwerer Kreuzer, Seehund-Klasse.« Axton kannte diese Schiffe, die mit rund vierzig Prozent ein Großteil der Maahkschiffe bestimmten – Walzen von 350 Metern Länge und 70 Metern Durchmesser. »Ein bisschen viel Aufwand für einen kleinen Diskusraumer, nicht wahr?« »Was wollen Sie damit sagen?« »Ihre Funkanlage wurde zerstört?« »Vollkommen«, antwortete Soph unwillig. »Wir konnten nur den Notsender zusammenbauen, durch den Sie auf uns aufmerksam wurden. Aber weshalb fragen Sie das alles?« »Ich habe meine Gründe.« »Sie sollten sich lieber darum kümmern, ImperatorenBeauftragter, wer für den Überfall der Maahks und den Massenmord auf Protem verantwortlich ist«, sagte Kap aggressiv. »Sollte ich das?« »Durchaus.« »Warum?« »Weil Protem verraten wurde.« »Verräter gibt es in jedem Krieg.« »Aber nicht solche! Der Mann, der Protem auf dem
Gewissen hat, heißt Atlan! Er soll angeblich der Sohn des früheren Imperators sein.« »Atlan?« Axtons Stimme war heiser. Ihm gelang es nicht, seine maßlose Überraschung und sein Entsetzen vor den beiden Eskaphonen zu verbergen. »Atlan«, bekräftigte Kap. »Er hat uns an die Methans verraten!«
Axton wollte nicht glauben, was er gehört hatte. Ein Mann wie Atlan war kein Verräter. Sicher, er kämpfte um sein Recht, machte seinen Thronanspruch geltend und befand sich in seinem Kampf gegen Orbanaschol III. in ständiger Lebensgefahr. Aber er war Arkonide und stand loyal zum Großen Imperium; niemals würde er mit den Maahks auf diese Weise zusammenarbeiten und sein eigenes Volk verraten. Das passte nicht zu Atlan. »Sie sind überrascht?«, forschte Soph argwöhnisch. Axton zuckte zusammen. Er wurde sich bewusst, wie gefährlich die Situation war. Offiziell war er ein Beauftragter der Imperators. Er hatte loyal zu diesem zu stehen, nicht zu seinem Todfeind Atlan. Wurde dieser des Verrats bezichtigt, hatte er daran nicht zu zweifeln. »Allerdings«, antwortete Axton. »Atlan ist mir verhasst. Er ist ein gefährlicher Feind des Höchstedlen. Aber ich hätte nicht von ihm erwartet, dass er in seinem Machtkampf zu so abscheulichen Mitteln greifen würde. Was soll aus dem Imperium werden, wenn die Arkoniden sich gegenseitig vor die Impulskanonen der Methans zerren?« Er schüttelte den Kopf. »Wie ist das passiert? Was hat Atlan genau getan?« »Er hat Verhandlungsbereitschaft vorgetäuscht. Er erschien mit einem Raumer im System und wandte sich über Bildfunk an die auf Protem stationierten Einheiten. Er behauptete, er
habe eine dringende Nachricht für den Imperator. Diese sei in einem Datenkristall gespeichert, er wolle ihn übergeben. Er erklärte, das Material könne kriegsentscheidend sein. Daraufhin startete ein Schwerer Kreuzer. Er wurde von Atlans Schiff empfangen und vernichtet. Das war der Grund, weshalb acht von den noch anwesenden zehn Kampfeinheiten des Systemschutzes starteten, um Atlans Schlachtkreuzer anzugreifen. Atlan aber zog sich zurück, lockte die Raumer von Protem fort und machte das System angreifbar für die Methans.« »Nur zehn Systemschutzeinheiten?« »Es sind mehr, doch sie verfolgten bereits Piraten. Möglich, dass diese mit Atlan zusammenarbeiten. Ein perfider Plan, um den Angriff der Maahks zu ermöglichen. Diese konnten nun über den Planeten herfallen, ohne auf den geringsten Widerstand zu treffen. Die beiden dort verbliebenen Raumer wurde bereits beim ersten Anflug zerstört.« Soph schwieg verbittert. »Das ist allerdings eindeutig«, sagte Axton. »Atlan wurde identifiziert?« »Zweifelsfrei. Er war es, niemand sonst.« »Was geschah dann?« »Das wissen wir nicht. Wir gehörten zu den auf Protem verbliebenen Einheiten, wurden allerdings vor der Attacke ausgeschleust. Wir haben uns dann auf die Verfolgung konzentriert. Unsere Absicht war, die Schlupfwinkel der Methans aufzuspüren, um einen späteren Gegenschlag zu ermöglichen.« »Haben Sie die Unterredung mit Atlan verfolgt?« »Ich habe die übermittelten Bilder gesehen.« »Beschreiben Sie Atlan.« Die beiden Eskaphonen blickten Axton überrascht an. Axtons Verhalten machte sie unsicher, da sie nicht wussten,
welche Absichten er verfolgte. Soph begann jedoch nach kurzem Zögern mit seiner Schilderung. Und er zeichnete das Bild eines Mannes, den Axton aus nächster Nähe kannte. Soph sprach von Atlan. Dabei erschien es Axton vollkommen ausgeschlossen, dass Atlan einen derartigen Verrat verübt haben konnte. Er konnte sich nur schwer vorstellen, dass überhaupt ein Arkonide eine Siedlungswelt des Großen Imperiums im Herzen des Imperiums den verhassten Methans preisgeben würde – allerdings wusste er, dass es im Verlauf der Methankriege mehr als einen Verräter gegeben hatte. Mehr noch aber wog Axtons Kenntnis darüber, dass Atlan so kurz nach der Schlacht um Trantagossa gar nicht im Bereich des Kugelsternhaufens Thantur-Lok gewesen sein konnte. Jemand anders musste also unter seinem Namen handeln. Wer aber kam dafür infrage? Es konnte eigentlich nur jemand sein, der den echten Atlan und sein Vorhaben diskreditieren wollte. Axton war ratlos, wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und stöhnte leise. Seine Gedanken überschlugen sich. Er wusste, dass irgendwo in dieser Geschichte ein Fehler war. Irgendetwas stimmte nicht. Aber was? »Ich brauche ein wenig Ruhe«, sagte er. »Kap, bringen Sie die Leka auf Kurs Protem. Machen Sie nur Meldung, wenn wir den Planeten erreicht haben.« Axton ging davon aus, dass für den Flug bis Protem nur die Impulstriebwerke eingesetzt wurden; Transitionen innerhalb von Sonnensystemen waren verboten und bestenfalls absoluten Notlagen vorbehalten. »Bemerkenswert«, sagte Kap zynisch. »Ein Kommandant, der mal rasch eine Pause machen muss. Bricht Ihr jämmerlicher Körper unter einer etwas erhöhten Belastung bereits zusammen? Ich könnte Ihnen vielleicht…« Lebo Axton gingen die Nerven durch; für einen Moment verlor er die Kontrolle über sich. »Halten Sie den Mund!«, schrie er mit hochrotem Gesicht. »Sie haben wahrhaftig keinen
Grund, sich überlegen zu fühlen, denn Sie und Ihr Volk sind Fehlentwicklungen der Natur, die unweigerlich zum Untergang verdammt sind!« Kap und Soph sprangen wie von der Feder geschnellt auf. »Was sagen Sie da? Sie wagen es, uns Missgeburten zu nennen?« Mit erhobenen Fäusten kam Kap auf Axton zu. Doch dieser hatte sich bereits wieder in der Gewalt. »Es tut mir leid«, sagte er. »Es war nicht meine Absicht…« Kap packte ihn an der Brust und hob ihn mühelos aus dem Kommandantensessel. »Wenn Sie schon derartige Beleidigungen aussprechen…« »Haben Sie den Verstand verloren?«, fragte Arayshkat entsetzt. »Lassen Sie Axton sofort los!« Plötzlich hielt er einen Strahler in der Hand und zielte auf Kap. Dieser ließ Axton in den Sessel fallen. »Er soll erklären, was er gemeint hat. Ich lasse mich nicht eine Fehlentwicklung der Natur schimpfen!« »Also gut«, sagte Axton kalt. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, werde ich meine Worte begründen. Hoffentlich sind Sie dann für alle Zeiten kuriert.« »Reden Sie.« »Sie haben die außerordentliche Fähigkeit, Ihre eigenen Fluchtinstinkte zu blockieren. Und wenn Sie in Gruppen zusammenarbeiten, auch die anderer Lebewesen.« »Das ist richtig, woher wissen Sie…?« »Des Imperators Augen wissen alles!« »Und was wäre daran so schlimm?«, fragte der Nert. Axton seufzte. »Die beiden natürlichen Regungen eines jeden Lebewesens bei Gefahr sind Kampf oder Flucht. Um das eigene Leben zu erhalten, stellt es sich entweder dem Gegner, oder es sucht sein Heil im Rückzug. Die Entscheidung darüber, was geschehen soll, hängt von der Situation ab und
selbstverständlich auch von der jeweiligen Persönlichkeit. Der eine ist mutig, der andere feige. Die Reaktion auf eine Gefahrensituation bewirkt die Ausschüttung eines Hormons der Nebennierenrinde, die wiederum von einer Hirndrüse gesteuert wird. Eskaphonen ist es möglich, die Wirkung des Nebennierenrindenhormons abzublocken, sodass dieses keine Wirkung erzielen kann.« »Ja und?«, fragte der Planetenfürst, der noch immer nicht verstand, worauf Axton hinauswollte. »Im Kampf können die Eskaphonen bei sich selbst diese Hormonwirkung verhindern. Sie schalten damit ihren Selbsterhaltungstrieb aus, sodass sie sogar dann noch weiterkämpfen, wenn sie längst eingesehen haben, dass sie nicht überleben können.« Axton glitt aus dem Sessel, zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Kap. »Das war auch der Grund dafür, dass diese beiden Männer dem Raumschiff der Methans blind gefolgt sind. Sie wussten, dass sie keine Chance hatten, wirklich etwas herauszufinden. Aber sie flogen dennoch hinter dem hundertfach überlegenen Schiff her, und sie bildeten sich auch noch etwas darauf ein. Dabei gibt es Möglichkeiten, einen etwa vorhandenen Stützpunkt auch aus sicherer Entfernung aufzuspüren. Entweder haben Kap und Soph diese Dummheit begangen, weil sie ihren Fluchtinstinkt blockiert haben – oder die ganze Geschichte ist ein ausgemachter Schwindel.« »Axton, Sie vergessen sich.« Kap und Soph fuhren wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Kap war es, der dieses Mal seinen Strahler zog und auf Axton richtete. »Jetzt reicht es.« »Ich bin noch nicht fertig, mein Lieber«, sagte Axton unbeeindruckt. »Der Fluchtinstinkt könnte das Volk der Eskaphonen vielleicht retten. Sie aber sind fest davon überzeugt, dass die Blockierung dieses Instinkts eine
außerordentlich positive Fähigkeit ist. Das wird der Untergang sein: Eines Tages werden die Methans den Heimatplaneten Ihres Volkes angreifen. Und kein Eskaphone wird entkommen! Sie alle werden kämpfen bis zum bitteren Ende, ohne zu begreifen, dass sie durch eine rechtzeitige Flucht wenigstens die Existenz ihres Volks an sich erhalten könnten.« »Das ist eine ungeheuerliche Anschuldigung«, entgegnete Soph. »Zu keinem Zeitpunkt werden sich alle Eskaphonen auf Eskaphon aufhalten.« »Das ist richtig. Die Männer dienen auf den Schiffen der Flotte. Aber die Frauen verlassen den Planeten nie!« Die beiden Umweltangepassten verfärbten sich. Plötzlich begriffen sie, dass Lebo Axton keine leeren Worte aussprach. Nach einer Weile sagte Kap: »Sie sind nicht der Erste, der so etwas prophezeit hat.« Axton ging zum Antigravschacht, gab Kelly einen Wink. Der Roboter folgte. »Warten Sie«, rief Soph. »Das alles ist kein Grund, uns Fehlentwicklung der Natur zu nennen.« »Was sind Sie denn anderes? Meinen Sie, nur rein äußerliche Missbildungen zählen?« Axton sah, dass der Schock tief saß. Fast bereute er, so weit gegangen zu sein. Auf der anderen Seite wusste er, dass die beiden Eskaphonen wahrscheinlich niemandem mehr mit Verachtung begegnen würden, der so stiefmütterlich von der Natur behandelt worden war wie er. »Der Mann ist ein Genie«, flüsterte Arayshkat. Sicherlich dachte er nicht, dass Axton diese Worte hören würde. Weder er noch die beiden Eskaphonen konnten wissen, dass Axton das Ende dieses Volkes wirklich kannte. In der Zeit, aus der Axton stammte, gab es keine Eskaphonen mehr. Dieses Volk war ihm nur bei seinem Studium der altgalaktischen Völker begegnet. Und aus den überaus lückenhaften Berichten war er auch über das Ende informiert. Der Planet würde tatsächlich
irgendwann in den kommenden Jahrhunderten völlig überraschend von Maahks angegriffen werden, und kein Eskaphone würde überleben. Die Gründe dafür hatte er genannt. Als sie allein in der Kabine waren, wandte sich der Verwachsene an den Roboter: »Am liebsten würde ich dir gegen die Schienbeine treten!« »Warum?« »Weil ich wütend bin und mich verflucht gern an irgendjemandem austoben möchte. Was mich stört, ist, dass es dir Paradebeispiel eines misslungenen Roboters noch nicht einmal etwas ausmacht.« »Das ist richtig«, antwortete Kelly sachlich. »Ich möchte dich auf eine Beobachtung aufmerksam machen, Schätzchen.« »Lass hören.« »Im Wrack war noch Sauerstoff für wenigstens drei Pragos vorhanden.« »Woher weißt du das?« »Ich habe die Instrumentenanzeige gesehen, Arayshkat hat nicht darauf geachtet.« Axton richtete sich verblüfft auf. »Dann haben die beiden also gelogen? Warum sollten sie?« »Darauf habe ich keine Antwort.« Axton sank wieder zurück. Ächzend streckte er die schmerzenden Beine aus und schloss die Augen. Er überlegte fieberhaft, weil er ohnehin spürte, dass irgendetwas an der Bergung der beiden Eskaphonen nicht stimmte. Es gelang ihm nicht, sich ausreichend zu konzentrieren. Die Gedanken purzelten durcheinander. Müdigkeit überfiel ihn – und er gab sich einer wohligen Entspannung hin.
4. »Terlot da Keithy ist tot.« »Verrat?« »Das war nicht festzustellen. Arayshkat da Barthimore lebt. Und es scheint, dass es ihm gut geht.« »Damit wird ein neuer Plan notwendig.« »Es liegen andere Informationen vor.« »Das ändert nichts.« »Sie widersprechen den alten Berichten.« »Demnach ist der Nert doch loyal? Oder hat er unseren Mann getäuscht?« »Man hat mir gesagt, dass er nicht zu täuschen sei.« »Dann müssen wir die neuen Informationen als richtig anerkennen.« »Abwarten. Die wirkliche Probe steht noch bevor. Dann wird sich zeigen, ob tatsächlich jemand dieses Duell überlebt.«
An Bord des Leka-Diskus: 9. Prago der Prikur 10.498 da Ark Axton erwachte, als ihn Kelly an der Schulter berührte. »Wir sind da.« Er fühlte sich gerädert. Noch halbwegs benommen, richtete er sich auf und benötigte eine ganze Weile, bis er begriffen hatte, wo er sich überhaupt befand. Axtons Beine schmerzten; er massierte sie, ohne dabei den geringsten Erfolg zu erzielen. Beunruhigt fragte er sich, ob er krank wurde. Es war durchaus möglich, dass er sich mit unbekannten Keimen infiziert hatte. Führten die Eskaphonen vielleicht Erreger mit sich, die er nicht vertrug, während sie für Arkoniden vollkommen unschädlich waren? Konnte er – als Projektionskörper der Traummaschine – überhaupt krank werden? Nun, Schmerzen
gab es jedenfalls. Und Verwundungen wohl auch. Axton stieg aus dem Bett und stöhnte gepeinigt auf. Er wäre zu Boden gestürzt, hätte nicht der Roboter zugegriffen und ihn gestützt. Doch darüber freute er sich keineswegs. Im Gegenteil. Er wurde sich seiner ganzen Hilflosigkeit bewusst, und sein hysterischer Hass gegen alle Roboter brach durch. Mit wütenden Faustschlägen, die allerdings selbst ein Kind nicht hätten beeindrucken können, drang er auf Kelly ein. »Verschwinde aus meinen Augen, du Wrack!«, schrie Axton. »Los, raus mit dir!« Der Roboter gehorchte augenblicklich. »He, wo willst du hin?« »Raus.« »Warum?« Axtons Zorn war ebenso schnell verraucht, wie er gekommen war. »Weil du es mir befohlen hast, Gebieter.« »Du gehorchst mir? Du verdammte Bestie tust auch noch so, als wärst du in der Lage, Befehle zu begreifen und zu befolgen?« »Ich wurde entsprechend programmiert, Schätzchen. Ich kann Befehle, die mir erteilt werden, gar nicht ignorieren.« »Lügner! Ich hatte dir verboten, mich Schätzchen zu nennen. Weshalb hörst du also nicht auf, mich Schätzchen zu nennen?« »Wenn du es gern möchtest, Schätzchen, werden meine Membranen nie mehr diese Töne produzieren.« Ächzend ließ sich Axton wieder aufs Bett sinken. »Sag das noch einmal. Wie war das mit den Membranen?« »Ich habe den Eindruck, Herzchen, dass du mich ganz gut verstanden hast.« Axton schleuderte einen Stiefel nach Kelly. Der Roboter wich nicht aus – hatte überdies vermutlich sofort berechnet, dass der Absatz nur einen gut geschützten Bereich des Kopfes treffen würde. »Ich geb’s auf«, sagte der Verwachsene stöhnend. »Aber das verspreche ich dir, Freundchen – ich
werde mit aller Energie nach dem Mann suchen, der dich konstruiert und programmiert hat. Und wenn ich ihn gefunden habe, werde ich ihm mit Freuden den Hals umdrehen.« Er wartete einige Augenblicke auf eine Antwort, doch als Kelly nichts sagte, brüllte er: »Meinen Stiefel! « »Ich befinde mich in einem Befehlskonflikt«, sagte der Roboter. »Soll ich nun nach draußen gehen, dich Schätzchen nennen oder deinen Stiefel holen?« »Gib mir den Stiefel. Und beeil dich.« Kelly bückte sich, nahm den Stiefel und brachte ihn ans Bett. Wenig später trug der Roboter den Terraner auf seinem Rücken zur Zentrale. Kap pilotierte die Leka – der Diskus glitt bereits durch die oberen Luftschichten von Protem. »Was ist das?«, fragte Axton und deutete auf die Ortungsschirme, die von hellen Reflexen geradezu übersät waren. »Einheiten der Imperiumsflotte.«
Axton wechselte einen raschen Blick mit Nert Arayshkat, der sichtlich beunruhigt war. Diese Begegnung kam zu früh. Der Planetenfürst von Barthimore brauchte noch einen handfesten Beweis für seine Loyalität gegenüber Orbanaschol III. Noch konnte er ihn nicht erbringen, und damit konnte auch Axton noch nicht genügend rechtfertigen, dass er den Arkoniden ins Preyton-System mitgenommen hatte, statt für seine »Ausschaltung« zu sorgen. »Nehmen Sie Verbindung mit dem Oberbefehlshaber der Flotte auf!«, befahl Axton. »Beeilen Sie sich, Soph!« »Das habe ich bereits getan. Wir haben die Anweisung erhalten, in der Nähe der zerstörten Stadt Drohten zu landen. Dort erwartet uns ein Verbindungsmann. Man wusste, dass Sie an Bord sind, Axton.«
Axton hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas stimmte nicht. Die mühsam geknüpften Fäden schienen seinen Fingern zu entrinnen. War es ein Fehler gewesen, Arayshkat zu schützen? Hätte er ihn kaltblütig umbringen sollen, so, wie man es von ihm verlangt hatte? Die Beweise seiner Parteinahme für Atlan waren eindeutig, Arayshkat ein Gegner Orbanaschols. Hatte es sich wirklich gelohnt, ihn zu retten? Wurde er nun nicht zu einer Gefahr, weil er nicht die ausgereifte Persönlichkeit hatte, die für eine echte Zusammenarbeit unabdingbar war? »Ich muss Sie sprechen«, sagte er zu dem Arkoniden. »Kommen Sie mit nach unten. Sie, Kap, führen den Befehl der Flotte aus. Sobald wir gelandet sind, können Sie das Schiff verlassen und gehen, wohin Sie wollen. Ich brauche Sie nicht mehr.« Die beiden Eskaphonen taten, als hätten sie seine Worte nicht gehört. Axton und Arayshkat schwebten im Antigravschacht nach unten. Kelly folgte ihnen, blieb dann aber vor der Kabine des Verwachsenen stehen, sodass niemand das Gespräch belauschen konnte. »Was ist vorgefallen?«, fragte Axton, als er mit dem Planetenfürsten allein war. »Nichts von Bedeutung. Kap hat versucht, den Kommandeur der Flotte zu sprechen, holte sich aber eine Abfuhr. Er konnte seinen Bericht also lediglich bei einem Orbton mittleren Rangs abgeben. Niemand schien sich besonders dafür zu interessieren. Es ist also davon auszugehen, dass sie bereits wussten, was Atlan getan hat.« »Dann glauben Sie daran, dass es Atlan war?« Der Nert runzelte die Stirn. »Muss ich das nicht?« »Das lässt sich schwer beantworten.« Axton wiegte den Kopf. »Ich kenne Atlan, und ich weiß, dass er niemals einen solchen Verrat begehen würde. Es muss eine Intrige
Orbanaschols sein.« »Das verstehe ich nicht.« »Könnte es nicht sein, dass man lediglich versucht, Atlan diesen Verrat in die Schuhe zu schieben? Rufmord ist ein bewährtes Mittel. Man würde ihn psychologisch vernichten, könnte man glaubhaft machen, dass er ein derartiges Verbrechen begangen hat. Jener Teil der Öffentlichkeit, der möglicherweise mit dem Sohn Gonozals des Siebten sympathisiert, würde sich von ihm abwenden. Und damit hätte Orbanaschol seine Macht noch mehr gefestigt.« »Sie haben recht, Axton. So muss es sein.« »Dennoch steckt noch mehr hinter dieser ganzen Geschichte. Ich habe vorhin einen Blick auf Protem werfen können. Die Zeichen der Zerstörung sind eindeutig. Am massiven Angriff gibt es keinen Zweifel. Die planetare Abwehr muss also geschwächt worden sein – und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die Maahks eintrafen.« »Ich habe genau auf das geachtet, was die beiden Eskaphonen gesagt haben, aber mir ist nichts aufgefallen.« »Wir müssen abwarten. Viel schlimmer ist, dass die Flotte bereits hier ist. Ich werde einen vernünftigen Grund finden müssen, dass Sie noch leben.« »Sie haben doch einen Bericht eingereicht.« »Meine Argumente genügen vermutlich nicht. Sie sind in Gefahr, Arayshkat.« Der Arkonide nahm sich ein Erfrischungsgetränk aus dem Automaten und trank es in einem Zug. Er schüttelte den Kopf, ein jungenhaftes Lächeln glitt über seine Lippen. »Sie sind ein Pessimist. Ich teile Ihre Sorgen nicht. Wir haben dem Imperator Beweise meiner Loyalität geliefert. Was will man mehr?« »Ihren Planeten!« Nert Arayshkat schürzte verächtlich die Lippen. »So einfach
ist das nun auch wieder nicht«, erwiderte er leichthin. »Wir sollten wieder nach oben gehen.« Er sah die Unterredung als beendet an. Offensichtlich war er nicht bereit, die Sorgen Axtons zu teilen. Schweigend ging der Verwachsene an ihm vorbei. Als er die Zentrale erreichte, setzte das Diskusschiff in der Nähe eines vollkommen zerstörten Raumhafengebäudes auf. Die Trümmer von zwei Frachtraumern, die nur wenige hundert Meter entfernt waren, qualmten noch. Kap und Soph standen auf und verabschiedeten sich mit knappen Gesten. Axton hielt sie nicht auf. Als Arayshkat in der Zentrale erschien, landete ein kleiner Kugelraumer, der die Flottensymbole trug. Axton setzte sich und wartete. Ein Gleiter näherte sich der Leka, drei hochgewachsene Orbtonen stiegen aus und erschienen kurz darauf in der Zentrale. »Hallo«, sagte Arayshkat leichthin. »Es ist ein beruhigendes Gefühl, die Flotte in der Nähe zu wissen.« Die Offiziere beachteten ihn nicht. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich allein auf Axton, der in seinem Sessel sitzen blieb. »Nehmen Sie Platz, meine Herren.« »Wir sind überrascht, Sie hier anzutreffen«, sagte einer der Uniformierten. Er war der Älteste der drei Männer. Seine Haut war mit kreisförmigen Narben übersät, sein dünnlippiger Mund und die Augen ließen erkennen, dass er von unbeugsamer Härte sein konnte. »Sie kennen meinen Auftrag?« »Allerdings.« »Nun, ich habe bereits berichtet, dass Arayshkat da Barthimore offenbar einer Intrige zum Opfer gefallen ist. Ich habe herausgefunden, dass er kein Gegner des Imperators, sondern absolut loyal ist. Er war es, der von mir verlangte, dass wir sofort ins Preyton-System fliegen, als er von dem
Überfall der Maahks hörte.« »Wir sprechen später noch darüber, Axton. Zunächst geht es um diesen Atlan, den angeblichen Sohn Gonozals des Siebten.« »Ich halte es für absolut ausgeschlossen, dass er einen Verrat dieser Art verübt haben soll«, sagte Axton scharf. Die Orbtonen lachten. Ihre Heiterkeit verblüffte den Kosmokriminalisten. »Die Beweise sind eindeutig. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass der mutmaßliche Kristallprinz dieses Verbrechen begangen hat.« »Sie haben mehr Informationen als ich.« »Das ist richtig. Wir wissen zum Beispiel, dass sich Atlan hier auf dem Planeten aufhalten muss.« Axton richtete sich elektrisiert auf. Nur mühsam beherrschte er sich. »Das ist doch unmöglich. Es heißt, dass Atlan die Wachschiffe von Protem fortgelockt und damit den Weg für die Methans frei gemacht hat. Wie kann er dann hier sein?« »Er hat selbstverständlich versucht, den Wacheinheiten zu entkommen. Jeder andere hätte sich so weit wie möglich entfernt. Er aber glaubte offenbar, dass wir ihn hier auf Protem am wenigsten vermuten würden. Daher kehrte er zurück und suchte ein Versteck im System. Dabei wurde er geortet und angegriffen. Nach den uns vorliegenden Meldungen ist er über Protem abgestürzt. Das Wrack wurde bereits gefunden. Atlan muss aber vorher ausgestiegen und irgendwo gelandet sein.« Lebo Axton kombinierte und reagierte blitzschnell. Jetzt zeigte sich wieder, dass er ein hervorragender Psychologe und Kriminologe war. »Dann müssen wir ihn finden und erledigen. Ich denke, Sie werden meine Hilfe nicht ablehnen?« »Ganz und gar nicht. Wenn Sie und Arayshkat sich an der Jagd auf Atlan beteiligen wollen, sind Sie uns willkommen.
Wir machen Sie jedoch darauf aufmerksam, dass wir ihn lebend wollen. Er darf nur im äußersten Notfall getötet werden. Seine Erhabenheit will diesen Verräter vor Gericht stellen.« »Ich verspreche Ihnen, dass ich dem Henker nicht vorgreifen werde«, sagte Axton. »Und Sie, Arayshkat, werden Atlan ebenfalls nicht töten.« »Selbstverständlich nicht«, antwortete der Planetenfürst mit unbewegter Miene. »Aber ich werde mich für das Amt des Henkers bewerben.« Das war etwas zu dick aufgetragen. Axton sah es in den Augen der Orbtonen flackern. Ihr Misstrauen erhielt neuen Auftrieb. Diese Männer glaubten nicht daran, dass ausgerechnet Arayshkat da Barthimore so handeln würde. Sie standen auf und verabschiedeten sich mit einem gewissen Respekt von Axton, wohingegen sie Arayshkat kaum beachteten. »Gehen Sie zum Raumhafengebäude«, sagte Axton, als er mit dem Arkoniden allein war. »Ich habe dort einige Männer gesehen. Versuchen Sie, so viele Informationen wie möglich aus ihnen herauszuholen. Ich überlege mir unterdessen, wie wir am besten vorgehen können.« Arayshkat eilte wortlos davon. Axton aber blieb tief in Gedanken versunken zurück. Er hatte das Gefühl, endgültig in einer Sackgasse gelandet zu sein. Leider konnte er nicht völlig ausschließen, dass sich der echte Atlan auf Protem befand, obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür extrem gering war. Vertraute er den Informationen, die er vor seinem Abenteuer mit der Traummaschine erhalten hatte, konnte es eigentlich nicht Atlan sein, der in dieses Geschehen verwickelt war. Dennoch fühlte sich Axton wie gelähmt. Er wusste nicht, was er tun sollte. Mehr denn je kam er zu der Überzeugung, in ein perfides
Intrigenspiel Orbanaschols verwickelt zu sein. Noch wusste der Kosmokriminalist nicht, ob er alle Komponenten als solche erkannt hatte. Sicher war er allerdings, dass der Imperator gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen versuchte. Arayshkat war in diesem Geflecht eher eine untergeordnete Figur. Axton selbst war dagegen schon wichtiger. Er wusste, dass er Orbanaschol seine Loyalität und Zuverlässigkeit beweisen musste. Dem verhassten Atlan einen Verrat anzuhängen, um ihn in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren, passte ebenfalls zu Orbanaschol. Die Frage war, wie weit der Imperator bei der Umsetzung eines solchen Plans gehen würde. Gar so weit, einen »Maahkangriff« auf eine Welt im Herzen des Großen Imperiums zu inszenieren? Denn genau auf diese Annahme lief es letztlich hinaus. Oder steckte noch viel mehr dahinter?
Der Nert kehrte zurück. »Stellen Sie sich vor«, rief er erregt. »Ich habe tatsächlich neue Informationen erhalten.« Der Terraner schrak aus seinen Grübeleien auf. »Erzählen Sie«, murmelte er zerstreut. »Was gibt es?« »Man wollte mir zuerst nichts verraten und verlangte Berechtigungsbescheinigungen und anderen bürokratischen Kram.« Axton unterbrach unwirsch: »Ich will keine Darstellung Ihrer persönlichen Tüchtigkeit und Ihrer Überredungskünste hören, sondern das Ergebnis Ihrer Bemühungen.« »Wie reden Sie mit mir?« »So, wie man mit einem Mann reden muss, der das Ziel aus seinen Augen verloren hat. Begreifen Sie denn immer noch nicht, worum es hier geht? Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu vergeuden.« »Das müssen Sie mir erklären. Sie glauben doch nicht
wirklich daran, dass Atlan hier ist?« »Später. Was gibt es Neues?« Arayshkat räusperte sich. »Es gab in der Tat, wie die Eskaphonen sagten, eine dritte Flotte, als die Maahks angriffen. Die Piraten konnten einwandfrei identifiziert werden. Sie wurden vom Gros der Wachflotte verfolgt. Niemand rechnete damit, dass Maahks kommen würden. In der Gesamtschau passen sie allerdings ins Bild; auf diese Weise wurde der Systemschutz geschwächt. Die Verfolgung Atlans führte zur weiteren Blöße – und machte die Bahn frei für die Maahks.« »Wurden die Piraten gestellt?« »Nein, sie konnten entkommen und sind spurlos verschwunden.« »Würde in der Tat passen…« Axton überlegte kurz und fuhr dann fort: »Die Frage ist allerdings, auf wen diese Ablenkungsaktion zurückgeht. Denn sie greift nur in Verbindung mit der Aktion Atlans und des Angriffs der Methans. Voraussetzung wäre überdies eine beachtliche logistische Koordination – und ausrechnet da soll es dem Kristallprinzen nicht möglich gewesen sein, zu entkommen, sodass er nun auf Protem festsitzt? Das stinkt, mein Lieber.« »Die Alternative…« Arayshkats Augen weiteten sich; er sprach nicht aus, was ihm in diesen Augenblicken durch den Kopf schoss. »Hinzu kommt die Information, die das Fluchtschiff nach Barthimore brachte: die angeblich gezielte Landung der Methans beim geheimen Positronikzentrum. Entführung von Offizieren und Ingenieuren sowie der Diebstahl eines Grundbausatzes für die Taion-KSOL auf Arkon Drei. Da arbeitet jemand in ganz großem Stil, um alles Atlan in die Schuhe zu schieben. Unabhängig davon, ob es der echte Atlan oder nur ein vorgeschobener Doppelgänger im Auftrag
Orbanaschols ist – wir müssen verhindern, dass er in Gefangenschaft gerät oder von Orbanaschols Schergen abgeknallt wird. Nur so lässt sich die Intrige aufdecken. Arayshkat, Sie müssen mir helfen. Oder wollen Sie noch immer so schnell wie möglich nach Barthimore zurück?« »Nein, nicht unter diesen Umständen.« »Dann haben wir uns verstanden.« Lebo Axton entwickelte nun eine geradezu fieberhafte Aktivität. Er musste diesen »Atlan« als Erster finden. Sollte es sich, entgegen allen ihm zur Verfügung stehenden Informationen, doch um den echten Kristallprinzen handeln, musste er ihm helfen. Handelte es sich um einen falschen, musste er zu Auftraggebern und Hintermännern befragt werden. So oder so war es wichtig, ihn vor Orbanaschol zu erwischen. Alles Weitere ergab sich dann. Axton war sich darüber klar, dass er ein hohes Risiko einging. Aber nur so ließen sich seine Ziele erreichen – Atlan zu helfen, indem er sich als loyaler Mitarbeiter möglichst in direkter Umgebung des Imperators etablierte. Axton beobachtete Arayshkat, der sich mit Schiffsbeständen ausrüstete. Der Arkonide legte eine neue Kombination an, die nicht so auffällig und prunkvoll war wie die, die er bislang trug, und mehr auf Kampf und Tarnung ausgelegt war. Dazu wählte er kräftige Stiefel und eine leichte Waffe für kurze Distanzen; einen Narkosestrahler legte er zusätzlich zur Seite, aber damit ging er auf eine kaum merkliche Weise anders um als mit dem tödlich wirkenden Thermostrahler. Axton stutzte. Er hatte den Arkoniden in verschiedenen Situationen kennengelernt und dabei den Eindruck gewonnen, dass er oberflächlich und nicht besonders zuverlässig war. Nun fragte er sich, ob er es wirklich wagen durfte, diesen Mann in einen gefährlichen Einsatz mitzunehmen. Axton erkannte, dass er unter dem Druck der Ereignisse unter
Umständen einen Fehler gemacht hatte. Er hatte Arayshkat zu weit in das Geschehen einbezogen. Es wäre besser gewesen, ihn im Diskus zu lassen und die Jagd auf »Atlan« allein zu unternehmen. »Hören Sie, Arayshkat«, sagte er zögernd. »Ich habe mir etwas überlegt.« Der Arkonide kam zu ihm, wirkte wie umgewandelt. Hochmütig und selbstsicher blickte er auf Axton. »Es bleibt bei meinem Entschluss«, sagte er mit einer Stimme, die erkennen ließ, dass er sich allen Argumenten verschließen würde. »Fürchten Sie nicht, dass ich versagen könnte. Ich bin ein Freund Atlans und werde ihm helfen. So oder so.« »Na schön«, antwortete Axton, nun ebenfalls in einem Ton, der keinen Zweifel aufkommen ließ. »Dann sollten Sie auch wissen, dass mir das Leben Atlans höher steht als das Ihre. Sollte ich mich zwischen ihm und Ihnen entscheiden müssen, stehe ich konsequent auf der Seite des Kristallprinzen.« »Und ich werde ebenso handeln.« »Dann verstehen wir uns ja.« Der Arkonide drehte sich um und legte seine Ausrüstung an. Axton wusste, dass Arayshkat ihn genau verstanden hatte – und sich gerade deswegen ein Abgrund zwischen ihnen aufgetan hatte, der sich so leicht nicht mehr wieder schließen würde. Axton bedauerte das, aber er beschloss, sich nur auf sich selbst zu verlassen.
Die Funk- und Ortungsstation des Raumhafens war zwar weitgehend zerstört worden, die vor dem Angriff aufgezeichneten Beobachtungen und Messdaten waren aber noch erhalten. Der ranghöchste Offizier überspielte die Daten. Aus ihnen ging hervor, auf welcher Flugbahn das Raumschiff »Atlans« abgestürzt war. Axton ließ von der Positronik eine
Karte Protems anfertigen, auf der der Korridor eingetragen war, in dem Atlan und die Männer, die ihn vermutlich begleitet hatten, abgesprungen sein konnten. Als die Berechnungen abgeschlossen waren, richtete sich Arayshkat auf und pfiff leise durch die Zähne. »Das könnte viele Pragos dauern, bis Atlan gefunden wird.« »Durchaus.« Axton reagierte gleichmütig. Er umrandete das Gebiet, das zu durchsuchen war, mit einem roten Stift. Es war etwa fünftausend Kilometer lang und vierhundert Kilometer breit. »Man kann es auch anders formulieren. Seine Chancen, nicht entdeckt zu werden, sind beträchtlich. Und das ist gut.« Die Positronik hatte in Farbabstufungen Zonen unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit markiert. Danach war die Wahrscheinlichkeit, dass sich Atlan am Beginn oder am Ende des Absturzbereichs befand, gleich klein, während sie von den beiden Enden her zur Mitte hin gleichmäßig anstieg. Aus dem Flottenfunk war zu erfahren, dass inzwischen bereits hundertfünfzig Gleiter und Leka-Disken mit Spezialgeräten aufgebrochen waren. »Sie haben einen uneinholbaren Vorsprung«, murmelte Arayshkat. »Das glaube ich nicht«, entgegnete der Kosmokriminalist. »Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die Positronik – und die offiziellen Suchtruppen arbeiten zweifellos mit gleichem Material – einen grundlegenden Fehler gemacht hat. Sie hat rein mathematisch kalkuliert, nicht psychologisch.« »Das müssen Sie mir erklären.« »Das ist doch wirklich einfach«, sagte Kelly mit quietschender Stimme. Er trat unaufgefordert zu den beiden Männern und legte seine Metallhand auf die Karte. »Darf ich die Zonen der Wahrscheinlichkeit neu einzeichnen, die du meinst?« »Du darfst«, sagte Axton und schmunzelte. Er sah das
versteinerte Gesicht des Arkoniden, der den heimlichen Wink bemerkt hatte, den Axton Kelly gegeben hatte. Der Roboter ergriff einen gelben Stift und markierte damit den oberen und unteren Abschnitt des Absturzkorridors. »Atlan wird versuchen, aus dem Kerngebiet herauszukommen; entweder nach Norden oder nach Süden. Ist es so, Schätzchen?« Dabei blickte er Arayshkat an, der prompt feuchte Augen vor Empörung bekam. »Wenn diese Maschine nicht sofort verschwindet, zerstrahle ich sie.« Kelly kniete sich hin und ließ Axton auf den Rücken steigen. »Das wäre sehr unklug«, sagte der Roboter. Seine Stimme wurde mit jeder Silbe dunkler, bis die Standardeinstellung der Lautsprecher erreicht war. »Sollte ich den Weg allen Schrotts antreten, müsstest du meinen Gebieter tragen. Doch ich wage zu bezweifeln, dass du mit einem solchen Kerlchen auf dem Rücken so gut aussehen würdest wie ich.« »Dieser… dieser Blechhaufen ist ein Ungeheuer! Ich verlange, dass Sie ihn ausschalten, Axton. Er wird unser Verhängnis sein.« »Einverstanden. Aber nur, wenn Sie mich dann tragen.« Der Planetenfürst wandte sich daraufhin wortlos ab und verließ die Zentrale.
Als Axton im Laderaum der Leka eintraf, hatte Arayshkat bereits den Gleiter vorbereitet. Er packte noch einige Vorräte ein, da sie nicht wussten, wie lange die Suche tatsächlich dauern würde. »Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.« Eine Verwendung des Diskusraumers selbst hatten die Männer verworfen, um möglichst unauffällig agieren zu können. Axton sagte, ohne auf Arayshkats Bemerkung einzugehen: »Können wir starten?«
»Wir können.« Der Arkonide setzte sich hinter die Steuerung und blickte unwillig auf Kelly, als dieser mit den Füßen gegen die Türinnenseite stieß. Aber er beschwerte sich nicht über diese Ungeschicklichkeit, bei der einige Schrammen entstanden. Er zuckte allerdings deutlich zusammen, als der Roboter die Tür schloss und dabei offensichtlich etwas zu heftig vorging: Sie sprang wieder auf, sodass er sie erneut zuschlagen musste. »Arkatadische Produktion?«, fragte Axton. »Allerdings«, antwortete der Arkonide. »Bis auf einige Kleinigkeiten absolut zuverlässig.« »Sie sollten auf Arkon Zwei kaufen. Ich habe erfahren, dass Seine Erhabenheit geschäftliche Anteile der arkonidischen Gleiterproduktion hat. Es stimmt ihn unfreundlich, wenn hochgestellte Persönlichkeiten des Imperiums die Konkurrenz bevorzugen.« »Mir scheint, ich habe eine ganze Reihe von Fehlern gemacht«, sagte Arayshkat und startete. Der Gleiter schwebte durch die offene Schleuse auf das Landefeld hinaus und gewann schnell an Höhe. Arayshkat beschleunigte voll, zog die Maschine über die zerstörten Raumhafengebäude hinweg und lenkte sie nach Osten. Mit jedem zurückgelegten Kilometer wurde das wahre Ausmaß der Zerstörungen deutlicher. Die »Maahks« hatten erbarmungslos zugeschlagen – und Axton kamen fast Zweifel, ob seine grundsätzlichen Überlegungen richtig waren. Hatte es sich womöglich doch um einen echten Angriff gehandelt – unabhängig davon, dass es für die Opfer keinen Unterschied machte? Gab es gar eine »dritte Partei«, die mit einem Atlan-Doppelgänger arbeitete? Nein, alles deutete Axtons Meinung nach auf eine skrupellose Planung Orbanaschols hin, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging, um seine Ziele zu erreichen. Von der Stadt Drohten, die ehemals zu dem Raumhafen gehört hatte, war so
gut wie nichts mehr vorhanden. Aus der Asche ragten hier und da zerschmolzene Reste von Gebäuden. Sofern die Stadt nicht rechtzeitig evakuiert worden war – womit Axton nicht rechnete –, hatte es allein hier Millionen Tote gegeben! Diese Katastrophe offiziell Atlan anzuhängen musste den Kristallprinzen für alle Zeiten vernichten. Selbst bei einer Anerkennung seines Thronanspruchs hätte er keine Chance gehabt – ein solcher Massenmord diskreditierte ihn in jeder Hinsicht. Und genau das war es, was in Axton schließlich alle Zweifel beseitigte und seinen Hass auf Orbanaschol noch intensivierte. Arayshkat flog über eine flache Hügelkette, folgte dann einem allmählich ansteigenden Bergrücken und überquerte schließlich ein Gebirge, dessen Gipfel bis zu etwa siebentausend Meter aufragten. Axton hörte unterdessen die Flottenfrequenzen ab und schaltete auch auf die offiziellen Informationskanäle Protems. Irgendwann erschien auf dem Bildschirm ein Steckbrief. Der Mann auf dem Bild glich dem Atlan, den Axton kannte; er war lediglich etwa zwanzig Jahre jünger. Unter dem Bild gab es eine Beschreibung. Der Name Atlans war in großen, auffälligen Buchstaben ausgeführt. Zwar war eine außerordentlich hohe Belohnung auf ihn ausgesetzt, doch damit verband sich die strikte Bedingung, ihn lebend abzuliefern. Axton stutzte. Warum wurde diese Bedingung derart betont?
In einer Kleinstadt am Rand der Wahrscheinlichkeitszone fanden die Männer tatsächlich eine Spur. Männer, die einer Person Nahrungsmittel verkauft hatten, die der auf dem Steckbrief entsprach, hatten sich gemeldet. Sie versicherten, dass sie Atlan nicht geholfen hätten, wäre ihnen die Fahndung bereits bekannt gewesen. Doch zu diesem Zeitpunkt war sie
noch nicht verbreitet worden. Längst hatten die offiziellen Suchkommandos die Spur aufgenommen, bislang jedoch nichts erreicht. »Er ist seit Tontas weg«, sagte der Bürgermeister. Er überragte die anderen Männer deutlich. Ein dichter Bart zierte sein Kinn. Das schlohweiße Haar fiel ihm bis zu den Hüften. Ein violettes Insekt, das Axton an eine irdische Gottesanbeterin erinnerte, aber mindestens doppelt so groß war, bewegte sich träge im Haar des Arkoniden und zirpte leise. »In welche Richtung ist er geflogen?«, wollte Axton wissen. Der Bürgermeister zeigte nach Nordwesten. »Er hat sich also einen Gleiter gekauft und ist mit den acht Männern verschwunden, die ihn begleitet haben«, fasste Axton zusammen. »Alle neun waren mit Kombistrahlern bewaffnet. Was befindet sich im Nordwesten? Eine Stadt?« »Eine Großstadt. Kandoran. Eine der wenigen, die unbeschadet den Angriff überstanden haben.« »Verfolger?« »Mindestens dreißig Gleiter. Weitere werden sich bald anschließen. Wir haben die Meldung an die Behörden etwas verzögert; unsere Stadt könnte die Belohnung gut gebrauchen, Sie verstehen?« Axton unterdrückte ein Seufzen. In seinem Hinterkopf fühlte er ein leichtes Pochen, das allmählich kräftiger und schmerzhafter wurde. Für einige Augenblicke flimmerte es vor seinen Augen, sodass er kaum etwas sehen konnte. Er klammerte sich an die Haltegriffe des Roboters, da er fürchtete, herabzufallen. »Vielen Dank«, sagte er mühsam. »Wir fliegen weiter. Zum Gleiter, Kelly. Rasch.« Er hob grüßend die Hand, ließ sich zurücktragen und fühlte sich erst wieder besser, als er in den Polstern saß. Seine Blicke klärten sich. Er legte die Hände auf den Hinterkopf, in dem
das schmerzhafte Pochen nachließ. Beunruhigt fragte er sich, was in ihm vorging. »Ist etwas nicht in Ordnung, Axton?« »Alles klar. Starten Sie, Arayshkat. Wir wollen keine Zeit verlieren, Kurs Nordwest.« Der Arkonide lenkte die Maschine steil in die Höhe und brachte sie dann auf Nordwestkurs. Hin und wieder blickte er zu dem Verwachsenen, der zusammengesunken neben ihm saß. Das Gesicht Axtons war vor Schmerz verzerrt, und die Hände, die er sich an den Hinterkopf presste, zitterten. »Mit Ihnen stimmt etwas nicht. Ich bringe Sie zu einem Bauchaufschneider.« »Das ist nicht nötig.« Axton richtete sich ächzend auf, sein Gesicht entspannte sich. »Jetzt scheint es vorbei zu sein.« Er schluckte einige Tabletten aus der Bordapotheke. Die Wirkung setzte schnell ein. Axton versuchte, sich ausschließlich auf die Umgebung und die Jagd zu konzentrieren, aber es gelang nicht ganz. Sie flogen über eine Landschaft, die von eigenartigem Reiz war. Zwischen niedrigen Hügeln und vereinzelten Felskuppeln lagen zahllose Seen von unterschiedlicher Größe. Ihre Ufer waren von teils grünen, teils flammend roten Bäumen gesäumt. Im flachen Wasser stakten unzählige Vögel, die an Flamingos erinnerten. »Arayshkat, fliegen Sie nach Westen«, sagte Axton. »Ich glaube nicht, dass sich Atlan in der Großstadt verstecken will. Er wird sich zunächst irgendwo auf dem freien Land einen Unterschlupf suchen.« »Das ist eine Vermutung?« »Keine Diskussion. Gehen Sie auf Westkurs!« Der Arkonide befolgte den Befehl. Er sah nicht, dass die Augen des Mannes neben ihm für einige Augenblicke glasig wurden. Axton kämpfte wieder mit den Schmerzen in seinem Kopf, überwand sie diesmal aber schneller. Er wunderte sich
darüber, dass er sich dessen so sicher war, dass seine Anordnung stimmte. Er spürte förmlich, dass er eine Art Kontakt mit der Atlan-Gruppe aufgenommen hatte, so als könne er sie aus der Ferne sehen. Irgendwo weit voraus schien ein Punkt zu sein, den er ansteuern musste, der einzig und allein als Ziel infrage kam. Axton wehrte sich nicht gegen dieses Gefühl, da er nicht ausschließen konnte, dass es auf eine paranormale Impression zurückging. Das Bild der Landschaft änderte sich. Unter dem Gleiter dehnten sich endlos scheinende Wälder. Die Bäume standen dicht an dicht, sodass der Boden nicht zu sehen war. Arayshkat deutete nach unten. »Sollten sie sich dort verstecken und alle Energiequellen desaktivieren, werden wir sie nicht so leicht entdecken.« »Irrtum. Sie müssten sich schon von sämtlicher Technik und allem Ausrüstungsmaterial trennen, um nicht geortet zu werden.« Axton wies auf die Anzeigen der Instrumente. Masse- und Energietaster arbeiteten ebenso wie die rein passiven Orter für normal- und hyperphysikalische Emissionen. »Auf lange Sicht haben sie keine Chance – es sei denn, dass sie ein Raumschiff auftreiben, mit dem sie ihre Flucht fortsetzen können. Wo aber sollte hier so etwas sein?« »Vielleicht dort drüben?« Der Nert zeigte auf einen schwach glänzenden Punkt, der sich südwestlich befand und etwa zwanzig Kilometer entfernt war. Der Arkonide änderte den Kurs, ohne Axtons Anweisung abzuwarten. Gleichzeitig beschleunigte er, flog aber immer noch in einer Höhe von etwa dreihundert Metern. »Gehen Sie tiefer«, sagte Axton. »Man braucht uns nicht früher zu sehen als unbedingt nötig.« Arayshkat ließ die Maschine so weit absinken, dass sie nur noch knapp über den Baumwipfeln flog. Ein Verband von sieben Diskusraumern zog hoch über ihnen hinweg – Kurs
Nordwest. Allmählich konnte Axton erkennen, welches Ziel Arayshkat anflog. Drei Türme erhoben sich aus dem Grün der Wälder; sie schienen aus Metall gefertigt oder damit verkleidet zu sein. Daneben befand sich eine Kuppel. Axton wies den Arkoniden auf eine Bodenrinne hin, in der sie sich weniger auffällig annähern konnten. Der Baron lenkte den Gleiter hinein und drosselte die Geschwindigkeit. Fortan schwebten sie im Sichtschutz der Bäume an die Türme heran, auf denen seltsam verkrümmte Gebilde befestigt waren. »Eine Ruine?« Sie erreichten das Ende der Rinne. Hier standen die Bäume so licht, dass sie unter den Kronen fliegen konnten. Auf diese Weise kamen sie bis an das Ufer eines Sees heran. Die vermeintliche Ruine stand auf einer kleinen Insel und war nur mit einem Boot oder einem Gleiter zu erreichen. Arayshkat stoppte die Maschine hinter einigen Büschen. Axton richtete die Bordoptik auf den in der Tat halb verfallenen Bau und justierte den Zoom. Auf dem Bildschirm wurden Einzelheiten sichtbar, die mit bloßem Augen nicht erkennbar waren. Ein kaum hörbares Summen zeigte Axton an, dass Kelly ebenfalls seine optischen Sensoren auf die Ruine ausrichtete. »Da ist etwas«, sagte der Roboter nach einer Weile. »Ich sehe nichts.« Arayshkat beugte sich über den Bildschirm, während Axton den Blickwinkel allmählich veränderte, sodass die Kamera nach und nach das gesamte Gebäude erfasste. Es schien tatsächlich aus Stahl errichtet worden zu sein. Die drei Türme waren durch Röhren mit der Kuppel verbunden, hatten nur wenige Fenster. Von dort aus konnte ein Beobachter weit über das Land sehen. »Wo?« »Im rechten Turm am obersten Fenster«, sagte Kelly. Axton richtete die Kamera auf die angegebene Stelle und sah gerade noch, wie eine Gestalt nach hinten verschwand. »Du
hast recht. Da war jemand.« »Ich habe immer recht. Das unterscheidet mich ja von dir. Deshalb frage ich mich manchmal, wer von uns beiden das höhere Geschöpf ist. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich…« »Sei still. Deine Schwatzhaftigkeit deutet auf alles andere als ein hohes Niveau hin.« »Du hast den falschen Begriff gewählt. Schwatzhaftigkeit und Beredsamkeit sind zwei völlig verschiedene…« »Still!« »Aber nur unter Protest, Schätzchen.« Axton seufzte. »Da drüben ist jemand. Es könnte der Gesuchte mit seinen Männern sein. Wir müssen hinüber.« »So offen? Das schaffen wir nie. Die schießen uns ab, bevor wir nahe genug heran sind, um mit ihnen zu sprechen.« »Es geht nicht anders. Natürlich könnten wir auch versuchen, Funkkontakt aufzunehmen, aber davon halte ich nicht viel. Damit würden wir nur die Suchtrupps anlocken. Und genau das müssen wir vermeiden. Wir müssen mit aller Ruhe mit diesem… hm, Atlan reden. Also müssen wir zur Insel und sozusagen mit erhobenen Händen auf ihn zugehen.« »Das ist gefährlich. Was sollen wir tun, wenn sie auf uns das Feuer eröffnen?« »Das werden sie nicht tun, denn diese Emissionen werden sofort angemessen. Sollte es aber dennoch dazu kommen, dürfen Sie in keinem Fall zurückschießen. Wir werden uns trennen.« »Der Roboter kann fliegen?« »Er hat ein Antigravtriebwerk.« »Ich bin in jeder Hinsicht überragend«, sagte Kelly. »Auf deine äußerliche Erscheinung trifft das ausnahmsweise zu«, sagte Axton gehässig. »Du bist der hässlichste Roboter, der mir je begegnet ist. Nun raus aus den Polstern.« Der
Roboter stieg aus und blieb neben dem Gleiter stehen. »Sie nähern sich der Insel auf direktem Kurs. Ich fliege mit Kelly weiter nach Westen. In einer Dezitonta stoßen wir gleichzeitig vor. Und denken Sie daran: nicht schießen!« »Ich habe nicht die Absicht. Sie können sich auf mich verlassen.« Axton winkte Kelly und kletterte auf seinen Rücken. Lautlos stieg der Roboter in die Luft und flog davon. Er blieb unter den Bäumen und bewegte sich geschickt voran, sodass er von der Ruine aus nicht zu sehen war. Als die vereinbarte Zeit verstrichen war, hatte er ungefähr den Punkt erreicht, den sich Axton zum Ziel gesetzt hatte. »Los!« Kelly brach unter den Bäumen hervor. Bis zu diesem Augenblick hatte er sich aufrecht bewegt, nun aber ließ er sich nach vorn kippen, sodass Axton auf seinem Rücken lag. Er jagte flach über die Wasserfläche auf die drei Türme und die Kuppel zu. In der Ferne konnte Axton den Gleiter sehen, der sich ebenfalls der Ruine näherte. Der Arkonide flog jedoch nur langsam und zögernd. Doch darauf achtete Axton kaum. Nach einem Warnton Kellys blickte er voller Entsetzen nach Süden: Von dort näherte sich ein Verband von etwa zwanzig Diskusschiffen. Die Insel mit den Ruinen lag genau auf ihrem Kurs. »Schneller!«, schrie Axton. Er wollte die Ruine auf jeden Fall erreichen, bevor der Leka-Verband da war. So hoffte er, sich noch rechtzeitig vor ihnen verstecken zu können, obwohl vermutlich die Streuemissionen des Gleiters und von Kellys Antigrav längst angemessen worden waren. Jeder Schuss aus einer Energiewaffe würde ein weiteres verräterisches Signal sein, ebenso ein Funkspruch. Aus diesem Grund verzichtete Axton auch darauf, Verbindung zu Arayshkat aufzunehmen. Kelly erreichte die ersten Bäume der Insel. Zum gleichen Zeitpunkt kam der Gleiter bei einem der Türme in rund
hundert Metern Entfernung an. Der Roboter jagte an der von Rost bedeckten Metallwand der Kuppel entlang. Erst jetzt sah Axton, dass in ihr ein großes Loch klaffte. Bisher war es von Bäumen und einem Felsen verdeckt gewesen. Auf diese Öffnung steuerte Arayshkat genau zu. Zwischen den Trümmern einiger Maschinen tauchten mehrere Männer auf. Unter ihnen befand sich ein athletisch gebauter, weißhaariger Arkonide, der unzweifelhaft das Aussehen Atlans hatte. Das war der Gesuchte, wenngleich – dessen war sich Axton sicher – keineswegs der echte Atlan. Einer der Männer hielt einen schweren Thermostrahler in der Armbeuge. Er schoss auf den Gleiter. Der Thermoblitz zuckte aus dem Abstrahldorn und strich über die Kabine hinweg. Der Planetenfürst von Barthimore zog die Maschine zur Seite. Wieder fiel ein Schuss. Dieses Mal hatte »Atlan« gefeuert, und er traf. Im Heck des Gleiters explodierte etwas. Die Maschine geriet aus dem Kurs, prallte gegen die Kuppel und durchstieß sie an einer Stelle, an der sie offensichtlich vollkommen durchgerostet war. Der Bug war verkeilt; Arayshkat kletterte durch die geplatzte Frontabdeckung. In der Hand hielt er den Thermostrahler. »Nicht!«, schrie Axton, doch seine Stimme war heiser und krächzend. Die Erregung übermannte ihn, seine Warnung kam zu spät. Arayshkat zielte und schoss, doch der Weißhaarige warf sich mit unglaublicher Reaktionsschnelligkeit zur Seite – und schoss sofort zurück. Er traf. Der Blitz hüllte den Nert ein. Seine Kombination schien aufzuglühen. Für Augenblicke sah es so aus, als werde der Mann von einem hautengen Energieschirm umgeben, doch das täuschte. Er brach zusammen. Axton sah die Brandwunde, die seine Brust verunstaltete, und er wusste, dass der Planetenfürst tot war. Er selbst fühlte sich wie gelähmt. In diesem Augenblick sah
der Weißhaarige zu ihm herüber; ein Blickkontakt ohne jegliche Emotion. Der Mann gestikulierte knapp und zog sich mit seinen Männern in die Kuppel zurück. Axton blickte nach oben. Die Diskusraumer schwebten nun direkt über der Ruine und würden nicht mehr weichen, bis die Besatzungen wussten, was hier genau geschah. Die Formation dehnte sich etwas, bis die Raumer einen großen Kreis bildeten, dessen Mittelpunkt die Kuppel und die drei Türme waren. Gleichzeitig senkten sich einige der Leka-Disken herab. »Landen!«, befahl Axton. Er wartete, bis der Roboter seine Füße auf den Boden gesetzt hatte, dann zog er den Thermostrahler. Die entsicherte und schussbereite Waffe legte er auf die Schulter Kellys. »Langsam voran.« Der Roboter setzte sich in Bewegung, nutzte die Deckung der Bäume und der vereinzelten Felsen aus. Axton bemerkte zufrieden, dass sich die Maschine äußerst geschickt verhielt. Wieder einmal fragte er sich, wem die ursprüngliche Positronik gehört haben mochte. Er wäre nicht verwundert gewesen, hätte sich herausgestellt, dass Kelly ursprünglich für eine ganze Reihe illegaler Dinge eingesetzt worden war, bis er auf dem Schrottplatz landete. Als Axton Arayshkat sah, stoppte Kelly. Der Planetenfürst lag in verkrümmter Haltung am Boden. Sein Gesicht war verzerrt, noch im Tod war es von Angst und Panik gezeichnet. Jetzt bereute Axton, dass er den Nert an der Aktion beteiligt hatte. War es wirklich der einzige Weg gewesen, ihn vor einem neuen Todeskommando Orbanaschols zu bewahren? Geholfen hatte es jedenfalls nichts, im Gegenteil. Axton blickte in die Öffnung der Kuppel, konnte aber kaum etwas erkennen. Schrott und Gerümpel lagen im Dämmer und Dunkel. »Atlan« und seine Männer konnten überall sein und ihn aus sicherer Deckung heraus abschießen. Weshalb sollte er ein Risiko eingehen? Das dort drüben war ganz bestimmt
nicht der echte Atlan. Also…? Unschlüssig blickte Axton zu den Diskusschiffen. Dort tat sich noch nichts. Bald jedoch würden Landungstruppen abgesetzt werden. Axton wischte sich die feucht werdenden Hände an den Oberschenkeln ab. Seine Gedanken rasten. Er zwang sich zu höchster Konzentration und ging blitzschnell noch einmal alle Fakten durch. Die Ereignisse rollten vor seinen Augen ab; er glaubte, die Stimme jedes Einzelnen nochmals zu hören. Mit unglaublicher Kälte kam er zu dem Schluss, dass sich das Problem Arayshkat von selbst erledigt hatte. Er war keine Gefahr mehr, Orbanaschols Befehl war erfüllt. Axton atmete tief durch, seine Hand krallte sich um den Haltebügel. »Weiter, Kelly!«, befahl er. »Wir steigen auf und schleichen uns durch eins der Fenster in den Bau. Los, worauf wartest du?« Während sie in die Höhe schwebten, antwortete die Maschine: »Darauf, dass du dich vielleicht anders entscheidest.« »Ich würde vorsichtig sein. Sieh dich lieber um. Schau dir an, was aus all dem schönen Metall geworden ist. Wenn ich will, sorge ich dafür, dass du dich ebenfalls bei vollem Bewusstsein in wunderschönen Rost verwandelst.« »Ich kann nicht rosten.« »Das glaubst du. Ich weiß es besser. In dieser Hinsicht hast du falsche Informationen gespeichert. Sieh dich also vor.« »Ich muss darüber nachdenken.« »Aber leise, wenn ich bitten darf.« Der Roboter hatte ein Fenster in einem der Türme erreicht. Glassplitter lagen auf dem Boden. Der Roboter schwebte in einen mit Gerümpel gefüllten Raum und scheuchte einen Vogelschwarm auf. Kreischend und flatternd entwichen die Tiere durch das Fenster. Axton hörte, dass sich unter ihnen etwas bewegte. Der Terraner dirigierte Kelly zu einer Tür, die
halb offen stand. Mühelos schob Kelly sie zur Seite. Er schaltete seinen Scheinwerfer an und beleuchtete damit eine Treppe, die nach unten führte. »Fliegen!«, befahl Axton. »Lautlos bewegen! Und das Licht aus! Du kannst dich mit deinen Sensoren orientieren.« Der Roboter gehorchte. Axton schloss die Augen, um sich schneller an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er fühlte, dass Kelly den Flug nach unten begann. Die Maschine orientierte sich mit ihren Nachtsichtgeräten mühelos. Nach kurzer Zeit kamen sie an eine Stelle, an der die Metallwand aufgebrochen war. Axton sah hinaus und entdeckte, dass aus den Diskusraumern Bodenkampftruppen und Roboter regneten. Die Zeit lief ab. Jetzt kam es nur noch darauf an, wer die verbleibenden Zentitontas besser nutzte. Kelly bewegte sich weiter. Unter ihnen fiel quietschend eine Tür zu. Sie schloss nicht völlig, eine Lichtbahn blieb sichtbar. »Vorsicht«, flüsterte Axton, als sie sich näherten. »Noch nicht öffnen.« Er richtete sich auf und beugte sich vor. Behutsam stemmte er seine Hände gegen die Wand und spähte durch den Türspalt. Der Atlan-Doppelgänger stand zusammen mit einem untersetzten Mann zwischen zwei beschädigten Maschinen, deren ursprüngliche Funktion nicht mehr zu erkennen war. Beide Männer hielten ihre Strahlwaffen schussbereit, blickten aber nicht zur Tür, sondern in eine andere Richtung. Sie machten einen ruhigen und konzentrierten Eindruck. Schräg über ihnen musste sich eine Öffnung in der Kuppel befinden; von dort fiel genügend Licht ein, sodass sie gut zu erkennen waren. »Achtung«, flüsterte Axton. »Kannst du die Tür mit einem Schwung öffnen?« »Ja«, antwortete Kelly und übte einen vorsichtigen Druck auf die Tür aus.
»Dann los.« Kelly warf sich kraftvoll nach vorn. Axton klammerte sich an die Haltebügel, um nicht herunterzufallen. Krachend flog die Stahltür auf. Der Roboter stürmte auf die beiden Männer zu, die offensichtlich vollkommen überrascht wurden, obwohl sie damit hatten rechnen müssen, auch aus dem Turm angegriffen zu werden. »Atlan« reagierte am schnellsten, sprang zur Seite und geriet dadurch in die Deckung eines Maschinenwracks. Der andere Arkonide riss seine Waffe hoch und feuerte überhastet. Axton duckte sich unwillkürlich, doch der Strahl zuckte hoch über ihn hinweg und schlug in die Metallkuppel. Axton erwiderte das Feuer, traf. Der Thermostrahl durchbohrte die Brust des Mannes und schleuderte ihn zu Boden. In diesem Augenblick verlor der Verwachsene den Halt, da sich Kelly zur Seite beugte, um einem Schuss »Atlans« auszuweichen. Der Terraner stürzte mit einem Aufschrei zu Boden, versuchte, sich über die Schulter abzurollen, was ihm in seiner perfekten Vollprothese auch sicherlich mühelos gelungen wäre. So aber kam er hart und schmerzhaft auf, die Waffe entfiel seiner Hand. Er warf sich rasch nach vorn, packte sie und rollte sich bemerkenswert geschickt in Deckung, während Kelly mit einem Riesensatz hinter einer Maschine verschwand. Aus der Ferne erklang der stampfende Schritt vorrückender Soldaten und Roboter, die ebenfalls zum Sturm auf die Kuppel ansetzten. Vereinzelt fielen Schüsse. Der Atlan-Doppelgänger sprang auf und rannte geduckt auf eine Tür zu. »Stehen bleiben!«, rief Axton. Als der Weißhaarige weiterlief, hob Axton den Thermostrahler und schoss. Der nadelfeine Strahl raste fauchend an »Atlans« Kopf vorbei und zwang diesen, erneut in Deckung zu gehen. »Wir wollen ihn lebend!«, schrie einer der Orbtonen. »Stellen Sie das Feuer ein!«
Der Weißhaarige stürmte aus seiner Deckung, hob den Thermostrahler und zielte auf Axton. Dieser erkannte die Gefahr rechtzeitig und flüchtete zur Seite. Keinen Augenblick zu früh. Ein Thermostrahl schlug in die Trümmer der Maschine ein und verwandelte sie in ein Chaos aus Funken sprühendem und verflüssigtem Metall. Axton schrie gellend auf, als ihn ein Tropfen am Arm traf. Mit der Waffe streifte er ihn ab, ohne die Verletzung verhindern zu können. Tränen schossen ihm in die Augen. Er sah den Atlan-Doppelgänger verschwommen auftauchen, riss den Strahler hoch und schoss. Dessen Umgebung schien plötzlich nur noch aus einer Hitzeflut zu bestehen. Sie trieb ihn hoch und zwang ihn zur Flucht. Axton hörte die lauten Stimmen der Offiziere, rückwärts schreitend beobachtete er den Weißhaarigen, der mit geweiteten Augen noch immer an der gleichen Stelle stand, beide Hände gegen den Bauch gepresst. Für einige Augenblicke hielt er sich noch auf den Beinen, dann drehte er sich halb und stürzte tot zu Boden. »Sie haben ihn erschossen!«, rief ein Orbton in maßlosem Zorn. »Was sollte ich tun?«, keuchte Axton. »Ich wollte ihn ebenfalls lebend, aber er trieb mich in die Enge. Mir blieb gar nichts anderes übrig.« Kelly kam heran, doch Axton gab ihm kein Zeichen, sich niederzuknien. Der Verwachsene wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und blickte sich um. Wo er eben noch allein gewesen war, wimmelte es nun von Soldaten und Robotern. Ein Bauchaufschneider kniete schon neben der Leiche, zog den linken Arm, der über dem Bauch lag, zur Seite und entblößte die Einschusswunde. Axton ging zu ihm. Mit hängenden Schultern blieb er stehen, dann sank er langsam auf die Knie. »Ich wollte es wirklich nicht«, sagte er stöhnend. Langsam
ließ er eine Hand über das Gesicht des Toten gleiten und drückte ihm die Augen zu. »Sie werden erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Sie haben den gesuchten Kristallprinzen getötet.« »Der Mann war ein Verräter.« »Imperator Orbanaschol wollte ihn lebend.« Axton krümmte seine Finger, griff ins Haar des Toten. Bevor der Bauchaufschneider oder einer der Offiziere überhaupt begriff, was Axton beabsichtigte, riss er mit aller Kraft daran. Mit einem Ruck löste sich die Maske vom Gesicht. Zum Vorschein kam das eines Mannes, der nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Atlan hatte. Ein unmerkliches Lächeln umspielte Axtons Lippen. Er hatte nichts anderes erwartet. Orbanaschols Ziel war es, den Mann zu beseitigen, der ihm als Einziger wirklich gefährlich werden konnte. Er wollte den Kristallprinzen töten, seit Jahren gab es einen entsprechenden Befehl an alle Offiziellen. Der jetzige Versuch, Atlan moralisch zu vernichten, indem er ihn eines ungeheuren Verrats und Massenmords bezichtigte, hatte nur funktioniert, weil Orbanaschol wusste, dass sich der echte Atlan keinesfalls in der Nähe befand. Überdies musste der Doppelgänger lebend gefangen werden, um in einem Schauprozess angeklagt zu werden. Zweifellos hätten sich dann Mittel und Wege gefunden, dass es vor einer Enttarnung zur Ausschaltung kam; »auf der Flucht erschossen« oder so… Ein toter Doppelgänger, überdies als solcher entlarvt, war zum jetzigen Zeitpunkt dagegen wertlos – zumal der echte Atlan ja weiterhin auf freiem Fuß war und aktiv werden konnte, möglicherweise sogar den Spieß umdrehte und nun Orbanaschol beschuldigte. Die Propagandamaschinerie Seiner Erhabenheit würde dann sogar alles daransetzen müssen, möglicherweise auf den Imperator selbst zurückfallende Verdachtsmomente zu entkräften. So einfach vertuschen ließ
sich die Angelegenheit nicht, denn dazu hatte der »MaahkÜberfall« auf Protem eigentlich zu viel Aufsehen erregt. Axton konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. Es sah ganz danach aus, als hätte sich das Blatt zum Guten gewendet. Der Wermutstropfen war dabei allerdings, dass Arayshkat tot war.
Protem: 14. Prago der Prikur 10.498 da Ark Die weitere Untersuchung vor Ort hatte sich als durchaus problematisch erwiesen. Nach dem Tod des Doppelgängers hatten die verbliebenen Begleiter Giftkapseln geschluckt und sich einem Verhör wirkungsvoll entzogen. Dass ihre Identitäten nicht nachzuweisen, die Gendaten in keinem Archiv gespeichert waren und überdies alle Männer an einer tödlichen Krankheit gelitten hatten, die sie spätestens in wenigen Votanii getötet hätte, warf ein bezeichnendes Bild auf die Angelegenheit. Eine Beteiligung des echten Atlan ließ sich aus den Ermittlungen ebenso wenig ableiten wie Axtons Vermutung beweisen, dass Orbanaschol höchstpersönlich hinter den Ereignissen steckte. Die Indizien verdichteten sich zwar zu einem deutlichen Bild, doch es blieben Vermutungen. In anderer Hinsicht brachten die Nachforschungen des Kosmokriminalisten dagegen Klarheit. Die Stadt Kandoran war zwar ein leistungsfähiges Positronikzentrum mit vielen Fabriken und Fertigungsstätten, doch eine geheime Station, die Bausätze für die Taion-KSOL von Arkon III lieferte, gab es auf Protem keineswegs. Die örtlichen Celistas hätten darüber informiert sein müssen – und sie versicherten glaubhaft, nichts dergleichen zu wissen. Auch sie hatten allerdings von den erst vor Kurzem in Umlauf gebrachten Gerüchten gehört, ohne jedoch die Quelle zu finden. Lebo Axton machte sich darauf seinen eigenen Reim und fand, dass die gezielte Falschinformation ganz gut ins Bild passte. Auffallend war
beispielsweise, dass ausgerechnet Kandoran mit seinen Fabriken von den Methans verschont geblieben war. Angeblich hatten die bodengebundenen Abwehrstellungen sie vertrieben. Axton war sich sicher, dass er mehr auf Protem wohl nicht mehr herausfinden konnte. Es wurde Zeit, ins Arkonsystem zurückzukehren.
»Jetzt hab ich es!«, rief der Verwachsene, nachdem er eine ganze Weile gegrübelt hatte. Das Raumschiff würde erst in eineinhalb Tontas starten. »Was hast du, Schätzchen?« »Schon seit unserer Ankunft grübele ich, was sich mit dem Planeten Protem verbindet. Ich wusste, dass ich den Namen schon in einem besonderen Zusammenhang gehört habe.« »Ja und? Was ist daran so aufregend?« »Stimmt es nicht, dass Protem golden schimmernde Druckfolien auf bestimmte Postsachen klebt?« »Das mag sein. Davon verstehe ich nichts. Ist das wichtig?« »Ja!« Mit beachtlicher Hast ließ sich Axton zum nächstgelegenen Zustellungsgebäude tragen. Wenig später blieb er vor einem Schaukasten stehen, in dem die verschiedenen Goldfolien des Planeten ausgestellt waren. Es waren mehr als fünfzig verschiedene, in allen Größen und von unvergleichbarer Reinheit. Auch die gezackte Protem war dabei. »Was ist los?«, fragte Kelly. »Weshalb drehst du durch, nur weil es hier ein paar gewöhnliche Briefmarken gibt?« »Gewöhnliche Briefmarken? Du ahnst nicht, was es bedeutet. Hier siehst du die größten Kostbarkeiten, die…« Er stöhnte leise und schüttelte den Kopf. »Aber das kannst du ja nicht wissen. Davon hast du keine Ahnung. Ich sage dir, dass diese Folien einmal zu den begehrtesten Kostbarkeiten der
Galaxis gehören werden. Ich habe gesehen, wie Männer dafür…« Er brach erneut ab, ging wie in Trance zu einem Automaten, steckte ein paar Münzen hinein und zog mehrere Serien Goldfolien. Geradezu andächtig schob er sie in die Innentasche seiner Jacke. Innerlich schwankte er zwischen Glück und Ärger. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht ein einziges Mal daran gedacht, dass er bei seinem Ausflug in die Vergangenheit des Großen Imperiums solcherart Kostbarkeiten begegnen würde. Und die gezackte Protem gehörte zu den kostbarsten Kostbarkeiten. In der Zeit, aus der er kam, wurden die klassischen Goldfolien von Protem, von denen es nur noch insgesamt fünf erhaltene Exemplare in der Milchstraße gab, zu Preisen gehandelt, für die man auch ein Großraumschiff kaufen konnte. Axton wusste, dass er irreal handelte. Niemals würde er eine der Folien mit in die Gegenwart zurücknehmen können. Hier und jetzt waren sie dagegen alles andere als eine Kostbarkeit, sondern ein Gebrauchsgegenstand. Dennoch hatte er nicht widerstehen können.
5. »Axton hat den Plan zunichte gemacht.« »Die Einsatztruppen hätten schneller sein müssen.« »Was geschieht mit dem Zayna?« »Dem Bericht nach hatte er in der Tat keine andere Möglichkeit. Er hat nicht versucht, mit dem Doppelgänger Kontakt aufzunehmen, sondern entschlossen angegriffen und damit bewiesen, dass er ein Feind Atlans ist. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten ist für uns von höchstem Wert. Ich will, dass er im Geheimdienst aufsteigt und mit wichtigen Aufgaben betraut wird. Befördert ihn zum Cel’Orbton der Innenaufklärung des Arkonsystems.« »Wie Ihr befehlt, Euer Erhabenheit.« »Nach einiger Zeit wird es selbstverständlich angebracht sein, ihn erneut zu prüfen. Stellt ihm entsprechende Fallen, in denen er sich verfangen muss, sollte er nicht wirklich loyal sein.« »Ich werde alles veranlassen.« »Er hat den Doppelgänger getötet. Eines Tages wird er uns zum echten Atlan führen. Dieser wird dann selbstverständlich keine Chance haben. Unser Befehl bleibt bestehen: Atlan ist auf der Stelle zu töten, bringt mir seinen Kopf!« »Ich werde noch einmal eine entsprechende Weisung herausgeben lassen, Euer Erhabenheit.«
Arkon I: 18. Prago der Prikur 10.498 da Ark »Sie sind an der Reihe«, sagte Lebo Axton. »Ich weiß, das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, entgegnete Habelt Mankha nervös. Axton blickte mit der Ruhe eines Mannes, der nichts zu verlieren hatte, auf ihn hinab. Er stand auf den Haltebügeln Kellys und stützte sich mit dem Ellenbogen auf den Kopf der Maschine. Die Männer befanden sich in einem
kuppelförmigen Raum, saßen einander an einem Tisch gegenüber. Vor ihnen befanden sich jeweils drei Reihen beleuchteter Berührungssensoren. Über ihnen schimmerten wabenförmige Felder, die insgesamt sechs große Kreise bildeten. Der äußerste Kreis bestand aus zwanzig Waben, der innerste aus vier. Habelt berührte eine Taste und blickte nach oben. Eine Wabe wechselte von ruhigem Grün zu einem flammenden Rot. Der Archivar des »Amts für Fremdvölkerbelehrung« fluchte unbeherrscht. »Sie haben unverschämtes Glück.« »Das ist manchmal so«, antwortete der Verwachsene. Rasch berührte er eine der Tasten. Eine Wabe über ihm wurde weiß. »Sie haben schon wieder gewonnen.« Habelt Mankha schob einen ansehnlichen Betrag zu Axton. Dieser legte die Lochmünzen zu einem Stapel, den er auf einem Nebentisch errichtet hatte. Dann wartete er darauf, dass der Arkonide das nächste Spiel begann. Der äußere Kreis zeigte nur noch rote und weiße Farben; in der nächsten Phase des Spiels standen noch sechzehn Felder zur Auswahl. Das bedeutete acht Chancen, Geld zu verdienen, und achtmal das Risiko, Geld zu verlieren. Viel Geld. »Wer ist dran?« »Sie.« Der Arkonide wischte sich mit einem Tuch Schweiß aus dem Gesicht. Er war korpulent und schien keinen Augenblick still auf dem Fleck sitzen zu können. Das graue Haar fiel ihm unordentlich bis auf die Schultern. Mankha war ein Mann, der seiner Spielleidenschaft wegen bekannt war. Diese gedachte Lebo Axton für sich zu nutzen. Es war ihm nicht schwergefallen, den Archivar zu einem Spiel zu überreden. In voller Absicht hatte er ihn beim vorangegangenen Stuwo gewinnen lassen, aber nur, um ihn in der resultierenden übermütigen Stimmung zum verbotenen Ennmit verführen zu
können. Das Spiel war einfach. Es gab immer nur zwei Möglichkeiten, aber das Risiko stieg von Runde zu Runde. Ebenso der Einsatz, sodass dabei Vermögen von beträchtlichem Wert verspielt werden konnten. Mankha drückte eine Taste. Und verlor. Axton gewann. So blieb es in der gesamten Runde. Es war reiner Zufall, und dennoch spielten die Nerven eine wichtige Rolle. Der Arkonide wurde von Zug zu Zug nervöser und unsicherer, während Axton kalt und fast unbeteiligt blieb. Der Terraner verfolgte einen Plan, und er trieb ihn mit eiserner Disziplin voran. In der dritten Runde erzielte der Arkonide einige Gewinne, schöpfte neue Hoffnung. Als dann aber die vorletzte Phase kam, musste er seinem Kontrahenten das letzte Bargeld hinüberschieben, über das er noch verfügte. Jetzt blieben nur noch vier Möglichkeiten. Die Männer sahen sich an. Mankha war bleich geworden, zeigte Axton seine Handflächen. »Sie haben mich erledigt«, sagte er mit heiserer Stimme. »Das Spiel ist noch nicht zu Ende.« »Was wollen Sie denn noch?« »Ich möchte, dass die Regeln eingehalten werden.« Der Arkonide fuhr zurück. Seine Lippen zitterten, die Augen füllten sich mit Tränen. »Wir haben ausgemacht, dass wir um Geld spielen, Axton.« »So ist es. Aber es gehört zu den Regeln, dass ein Einsatz gemacht werden muss. Wenn kein Geld mehr da ist, müssen Sie etwas anderes anbieten.« »Mein Vermögen?« »Ich bin nicht interessiert.« »Was wollen Sie von mir, Axton?« »Nichts, überhaupt nichts. Mich interessiert nur der Nervenkitzel, verstehen Sie? Deshalb spiele ich. Tun Sie es nicht aus einem ähnlichen Motiv?« »Sie haben recht. Was verlangen Sie?«
»Was schlagen Sie vor?« »Ich… kann nicht.« »Mich interessiert nur der höchste Einsatz, Mankha. Und ich lasse nicht zu, dass wir dieses Spiel beenden, bevor die letzte Runde abgeschlossen ist.« »Sie wollen… mein Leben?« »Sie wissen, dass es üblich ist. Wer sich auf Ennmit einlässt, sollte seine Einsätze so einteilen, dass er auch die Letzten Vier übersteht. Oder er sollte von vornherein wissen, dass es zum Schluss nur noch einen Einsatz gibt.« Mankha musterte ihn mit verengten Augen. Sein Atem ging schnell und laut. Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn in die Augen. Sie vermischten sich mit den Tränen. Er trocknete sie mit dem Tuch. »Was setzen Sie dagegen?« Axton wartete absichtlich. Er beobachtete den Arkoniden, der es offensichtlich bereute, sich auf dieses gefährliche Spiel eingelassen zu haben. »In der ersten Runde biete ich alles, was ich heute gewonnen habe. In der zweiten Runde… Leben gegen Leben.« »Sie sind wahnsinnig.« »Wenn Sie es so sehen, können wir ja Schluss machen.« Mankha packte Axtons Arm, um zu verhindern, dass er sich vom Tisch entfernte. Kelly schob ihn aber mit sanfter Gewalt zurück. »Gehen Sie nicht, bitte. Ich… bin einverstanden.« Er setzte sich wieder. »Wie lange muss ich hier noch knien?«, fragte Kelly. »Allmählich tun mir die Knie weh.« »Sei still.« »Muss der Blechkasten jetzt reden?«, schrie Mankha. »Und dazu noch diesen Unsinn? Hat man je gehört, dass einem Roboter die Gelenke wehtun, weil er auf dem Boden hockt?«
Der Verwachsene grinste. Mankha beruhigte sich wieder, streckte zögernd seine Hand nach den letzten vier Tasten aus und berührte dann eine. Die Wabe über ihm verfärbte sich, wurde weiß. Der Arkonide atmete hörbar auf. »Und jetzt Sie.« Der Terraner machte seinen Zug, ohne hinzusehen. Mankha stöhnte entsetzt auf, als die Wabe weiß wurde. Das bedeutete, dass keiner gewonnen oder verloren hatte. Das Spiel ging weiter. Die erste Runde war vergessen. In der nächsten aber musste die Entscheidung fallen, in ihr konnte es nur einen Sieger und einen Verlierer geben. Habelt Mankha stützte die Ellenbogen auf die Tischkante und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich habe Verständnis dafür, dass Sie um Ihr Leben zittern«, sagte Axton. »Dennoch sollten Sie mich nicht länger als notwendig warten lassen.« »Sie haben überhaupt keine Angst«, stellte der Arkonide verwundert fest. Die Ruhe seines Gegenübers zermürbte ihn. Der Verwachsene fürchtete sich in der Tat nicht. Er wusste selbst nicht, woran das lag. Das Risiko war für ihn nicht geringer als für den Archivar. Und doch war alles für ihn anders. Sinclair Marout Kennon war als Projektion der Traummaschine hierher versetzt worden. Konnte eine materielle Projektion überhaupt sterben? Sicher, andere waren gestorben – der Tod ihrer Projektion hatte auch das Ende ihres echten Körpers in der Traummaschine bedeutet. Irgendwie fühlte Axton sich aber deutlicher sicherer. In seiner Herkunftszeit stand er unter strenger medizinischer Überwachung – war nur ein Gehirn im mechanischen Körper der Vollprothese. Was sollte ihm da schon geschehen? Und selbst wenn. Er hatte Jahrhunderte gelebt… Andererseits – seit seiner Rückkehr zur Kristallwelt am 15. Prago der Prikur war er Cel’Orbton der Tu-Ra-Cel, Sektion Ark Addag-Cel’Zarakh, angeblich auf direkte Anweisung Seiner
Erhabenheit. Im Trichterbau des »Amts für Fremdvölkerbelehrung« war ihm von Cel’Athor Washul Oraxy ziemlich formlos – kein Wunder, bei ihm als Zayna – die Geheimdienstplakette aus Zalos-Metall ausgehändigt worden, verbunden mit der Einstufung als Geheimnisträger Dritter Klasse. Axton erinnerte sich, dass der Mann ihm erstmals am 23. Prago des Ansoor nach der Ausschaltung von On-tharg Dirgok auf Arkon III begegnet war, damals noch, ohne seinen Namen zu erfahren. Axtons oberster Vorgesetzter war der Ka’Celis-moas, der nach dem »sonderbaren Unfalltod« des Vorgängers seit dem 1. Prago der Prikur 10.498 da Ark Quertan Merantor hieß – zuvor der Polizeipräsident von Arkon I und als Katorthan’athor-moas oder »Komiteepräsident« einer der »Hüter der Ordnung, der Moral und guten Sitten« eingesetzt. Insgesamt gab es zwölf Hohe Inspekteure in der Rangfolge Erster bis Zwölfter – Ka’Celis-moas bis Ka’Celis-berlen –, die alle Mitglieder des Tai Than waren, jedoch nur der Erste Ka’Celis auch Mitglied des Berlen Than im Ministerrang und Chef des Gon’thek Breheb’cooi-Faehgo, das traditionell engstens mit den Celista-Geheimdiensten zusammenarbeitete und zeitweise »inquisitorische Züge« annahm. Da es ohnehin durchaus vorkam, dass der Ka’Celis-moas gleichzeitig auch Chef eines Geheim- oder Nachrichtendienstes war, verwunderte es Axton nicht, dass Merantor nun auch offiziell diese Position innehatte. Schon zuvor war er ein mächtiger Mann gewesen – wenngleich nicht von Adel –, nun hatte seine Karriere einen beträchtlichen Schub erhalten. Als Cel’Mascant hatte der Geheimdienst-Befehlshaber der Sektion Innenaufklärung den Rang eines Admirals und fortan unter Nutzung seiner Vollmachten sogar das Recht, Urteile zu fällen und vollstrecken zu lassen. Axton ging davon aus, dass diese Macht dem Mann mehr bedeutete als jeder noch so pompöse
Adelstitel. Dass sich der Verwachsene nun gerade an Archivar Mankha »heranmachte«, hatte durchaus seinen besonderen Grund – er wollte unbedingt die eigene Akte einsehen. »Habelt Mankha – wollen Sie das Spiel abbrechen?« »Nein.« Der Arkonide richtete sich auf, sein Gesicht verzerrte sich. Er streckte die Hand nach den beiden letzten Tasten aus, bewegte sie einige Male hin und her, bis er sich endlich entschied. Kaum hatte er die gewählte Taste berührt, leuchtete es über ihm auf. Rot! Er sank in sich zusammen, hatte verloren. Er hatte sein Leben verspielt. Nach dem Ehrenkodex der Arkoniden dieser Zeit hatte er nun drei Zeugen zu berufen, die anwesend sein mussten, wenn er sich tötete. Das war notwendig, damit Axton nicht in den Verdacht geriet, einen Mord begangen zu haben. Zur Kontrolle betätigte Axton seine letzte Taste. Die Wabe wurde weiß, er hatte gewonnen. Mehrere Zentitontas blieb Mankha mit gesenktem Kopf in seinem Sessel sitzen. Als er den Kopf schließlich hob, sah er aus wie ein Mann, der mit seinem Leben abgeschlossen hatte. »Werden Sie mir erlauben«, begann er zögernd, »noch einmal mit meiner Frau und den Kindern zu sprechen?« »Es entspricht nicht der Tradition.« »Sie bestehen darauf, dass ich mich sofort töte? Was haben Sie davon, Axton? Warum?« »Ich verstehe Sie nicht, Mankha. Sie waren es doch, der dieses Spiel vorgeschlagen hat. Ich habe Ihnen auseinandergesetzt, dass Sie Ihr Leben riskieren, wenn Sie mit Ihrem Geld nicht richtig umgehen. Sie hatten genügend Möglichkeiten, dieses Ende zu vermeiden. Ihre Spielleidenschaft hat Sie vernichtet. Nicht ich. Wollen Sie mich jetzt um den Gewinn betrügen?« Der Arkonide wurde noch um eine Nuance blasser.
»Natürlich nicht«, erwiderte er flüsternd. »Ich weiß jedoch nicht, ob ich es allein schaffe.« Der Verwachsene ließ wiederum einige Zentitontas verstreichen. Als der feiste Archivar auch dann noch schwieg, sagte er: »Vielleicht können wir uns arrangieren?« »Wie meinen Sie das?« Er blickte Axton voller Hoffnung an. »Ich habe ein kleines Problem. Vielleicht können Sie mir helfen, es zu lösen. Wenn Sie es tun, vergesse ich das Spiel und seinen Ausgang.« Mankha beugte sich vor, seine Lippen bebten. »Ich tue alles, was Sie verlangen.« Der Terraner lächelte begütigend. »Ich habe nicht vor, Sie in Schwierigkeiten zu bringen. Es geht auch nicht um irgendetwas Ungesetzliches.« »Was ist es?« »Ich möchte nur einmal einen Blick in meine Akte werfen.« Habelt Mankha war so überrascht, dass er keine Worte fand. »Das ist zwar verboten«, sagte er schließlich erleichtert. »Aber in meinen Augen nicht einmal ein Vergehen. Ich werde Ihnen mit Vergnügen Zugang zum Archiv verschaffen. Kommen Sie morgen zu mir, zur Mittagszeit werde ich allein sein. Dann können Sie eine Tonta lang ungestört die Daten einsehen. Sie dürfen nur nichts verändern.« »Das ist selbstverständlich.« »Das ist wirklich alles, was Sie verlangen?« »Das ist alles. Niemand sonst darf es erfahren. Sie werden also schweigen.« »Ich muss schweigen. Glauben Sie, ich will mich selbst in Schwierigkeiten bringen? Oder mich doch noch selbst umbringen?« Er stand auf und streckte Axton die Hand entgegen. »Ich vergesse Ihnen nicht, wie großzügig Sie zu mir waren.«
Lebo Axton merkte sofort, dass sich etwas geändert hatte, als er am nächsten Prago das Archiv des »Amts für Fremdvölkerbelehrung« betrat. Etliche Etagen höher hatte der Verwachsene sein Büro. Habelt Mankha blickte ihn mit flackernden Augen an. Seine Haltung und seine Ausdrucksweise ließen erkennen, dass er sich fürchtete. Axton begriff. Der Archivar hatte seine Akte gelesen und dabei etwas entdeckt, was er vorher nicht gewusst hatte. »Die Zeit ist günstig«, sagte er unterwürfig. »Kommen Sie, Axton.« Er eilte seinem Besucher eilfertig voraus. Axton veranlasste den Roboter, nicht gar zu schnell zu gehen. Er war unruhig, weil er sich noch nicht darüber klar war, ob Mankha ein doppeltes Spiel trieb oder nicht. Unwillkürlich atmete er auf, als sich die Tür hinter ihm schloss und sie das eigentliche Archiv betraten. Es war ein lang gestreckter Raum, der auf der einen Seite Datenträgereinschübe und auf der anderen eine Computerbank enthielt. Habelt Mankha aktivierte ein Terminal und überreichte Axton eine Zugangskarte. »Sie berechtigt Sie zum Auslesen der gewünschten Informationen. Und nur dazu.« »Danke«, sagte der Verwachsene. Mankha begriff, dass Axton allein sein wollte, und zog sich zurück, nachdem er sich zweimal devot verbeugt hatte. Nun wusste Axton endgültig, dass er von dem Archivar keine Falschheiten zu erwarten hatte. Er verdankte ihm sein Leben. Nun hatte er herausgefunden, dass er sich auf ein Spiel mit einem wichtigen Mann des Geheimdienstes eingelassen hatte, und diese Tatsache hatte ihm offenbar den letzten Rest seines Selbstbewusstseins geraubt. Die Zugangskarte lieferte den ersten Datensatz. Axton, Lebo. Cel’Orbton. Wegen erfolgreicher kriminalistischer Arbeit der Innenaufklärung des Arkonsystems zugeteilt. TRC-Einstufung:
Zarakh’ianta-tiga. Dann folgten ein Datum und eine Kodenummer. Axton ließ sich von Kelly absetzen, nahm im Sessel Platz und tippte den Kode ein. Er musste wissen, was die vorgesetzten Stellen von ihm hielten und ob es ihm gelungen war, das Misstrauen zu durchbrechen. Er konnte niemandem seine tatsächliche Herkunft erklären – zum einen hätte man ihm nicht geglaubt, zum anderen hätte er damit offenbart, dass er ein Feind Orbanaschols war. Der Computer warf eine beschriftete Folie aus – Erste Auskunft. Damit hatte Axton gerechnet. Sollte nun jemand Informationen über ihn anfordern, würde er erfahren, dass das bereits ein anderer vor ihm getan hatte. Das durfte natürlich nicht geschehen. Für einen USO-Spezialisten wie Sinclair Marout Kennon war das jedoch kein Problem. Er öffnete den Computer und ließ Kelly einige Sonderschaltungen vornehmen. Das positronische Zählwerk sprang zurück auf null, die Spur war gelöscht. Axton ging die Daten seiner Akte durch und erkannte, dass man unter dem Strich von seinem kriminalistischen Arbeiten ziemlich angetan war. Jeder einzelne Fall, den er gelöst hatte, war aufgeführt und bewertet. In einer abschließenden Notiz wurde aber auch ausgesagt, dass die Prüfungsphase noch nicht völlig abgeschlossen war; ein Rest von Misstrauen blieb. Gelegentliche weitere Prüfungen waren vorgesehen. Sie sollten aber erst nach einiger Zeit erfolgen. Diese Anweisung stammte vom Imperator persönlich und datierte auf den 10. Prago der Prikur, also nach Abschluss der Ereignisse auf Protem. Axton lächelte nur. Zu gegebener Zeit würde er nochmals hierherkommen und die Angaben etwas frisieren, um zumindest auf diesem Weg weitere Prüfungen zu verhindern. Er blickte sich suchend um. Noch dachte er nicht daran, das Archiv zu verlassen, hatte insgesamt fast eine Tonta Zeit. »Kelly«, sagte er. »Du wirst deine Augen jetzt besonders
weit aufsperren.« »Ich bin nicht in der Lage, meine Linsen zu vergrößern. Das solltest du eigentlich wissen, Schätzchen.« »Davon war nicht die Rede, du Ausgeburt der Hässlichkeit. Ich verlange Aufmerksamkeit von dir, mehr nicht.« »Das sagtest aber, dass ich…« »Sei nicht unverschämt. Ich benutzte eine Redewendung, die jedes einigermaßen intelligente Geschöpf begreift. Du schaffst so etwas natürlich nicht. Also, du Wrack, ich will, dass du auf alles achtest, was mit Orbanaschol persönlich, Positronik und der auf Arkon Drei entstehenden Taion-KSOL zu tun hat, verstanden?« Mit der Zugangsbefugnis als Cel’Orbton loggte sich Axton ins Gesamtverzeichnis des Archivs ein und startete einen ersten Durchlauf. Von der eigenen Akte abgesehen hatte Axton aufgrund seiner TRC-Einstufung Zugang zu einem Gros der gespeicherten Datensätze. Normalerweise erfolgte der Zugriff direkt vom Terminal im Büro aus, ein persönliches Erscheinen im Archiv selbst war nicht nötig. Axton war sich aber sicher, dass es hier beim Direktzugriff durchaus interessante Dateien gab, die bei der Fernabfrage unzugänglich oder gesperrt waren – aus welchen Gründen im Einzelnen auch immer. Er überließ es Kelly, die dahinscrollenden Daten zu sichten. Das erste Halt erklang beim Namen Ritikka Awyrett. Ein Tastendruck genügte, um die entsprechende Zugangskarte zu erhalten, die den ersten Datensatz lieferte. Awyrett, Ritikka. Positronikingenieur. Zuständig Kontrolle Taion-KSOL Arkon III. Axton tippte die Kodeziffern ein und hielt kurz darauf eine Folie in der Hand, die mit Neunzehnte Auskunft beschriftet war. Bei so zahlreichen Anfragen war nicht zu befürchten, dass eine weitere auffallen würde. Axton verzichtete deshalb auf eine Korrektur des Zählwerks. Er steckte die Folie ein. Schon der
erste Blick auf die Daten zeigte, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Kelly speicherte sämtliche Informationen, die der Bildschirm anzeigte, dann ging die Suche weiter. Zwölfmal stoppte der Roboter den Listenabruf, ohne Axton jedoch in ähnlicher Weise zufrieden zu stellen. Dann aber hielt der Terraner die Zugangskarte eines Mannes namens Oraw da Perthan in Händen. Er war der Lehnsträger des Planeten Waahke, eines Produktionsstandorts von hervorragenden Antigravaggregaten aller Größen. Der Mann war ein »DomGraf Erster Klasse«. Auffallend war der Querverweis: Oraw da Perthan zeigt kein Entgegenkommen für die Kaufinteressen von O. III. Das war die entscheidende Notiz. Als Axton die eigentlichen Daten begutachten wollte, kam Habelt Mankha ins Archiv. »Es wird Zeit«, rief er nervös. »Sie müssen abbrechen.« »In Ordnung.« Axton stieg auf den Rücken des Roboters, nachdem er seine Zugriffe gelöscht und den Zugang ausgeschaltet hatte. »Ich weiß alles, was ich wissen wollte. Mankha, ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.« »Sie beschämen mich.« Auf dem Rücken Kellys verließ er das Archiv, nachdem er sich überzeugt hatte, dass er alle Spuren seiner Tätigkeit beseitigt hatte. Kelly brachte ihn zum Gleiter und flog ihn in seine Wohnung in einem modernen, aber eher kleinen Trichtergebäude am Rand des lang gestreckten Jorain-Sees, knapp zweihundert Kilometer südlich des Hügels der Weisen. Der Trichter schwang nahezu sockellos bis in eine Höhe von etwa fünfzig Metern auf und erreichte oben vergleichbaren Durchmesser. Zur Jorain-Gruppe gehörten insgesamt 24 ähnliche Gebäude. Axtons Wohnung in halber Trichterhöhe bestand aus einem geräumigen Salon, einem Schlafraum, einem Hygieneraum und einer Essnische – alles in allem rund
hundert Quadratmeter. Hinzu kam der Ausgang zur bewachsenen Terrasse mit Blick auf das Trichterinnere. Erst hier machte er sich an eine eingehende Prüfung seiner Beute, indem er den Roboter die gespeicherten Daten auf die Kleinpositronik überspielen ließ. Axton merkte schon bald, dass er zweimal Glück gehabt hatte. Ritikka Awyrett war ein Mann, der als Günstling Orbanaschols bezeichnet wurde. Mit besonderem Wohlwollen war vermerkt, dass er alles hasste, was mit dem Namen Gonozal zu tun hatte. Daraus konnte Axton schließen, dass der Mann auch Atlan in seine Abneigung einbezog. Tatsächlich folgte am Ende der Beurteilungen eine Notiz, die darauf hinwies. Awyrett sollte an der Jagd auf Atlan beteiligt werden. Die ihm dabei zur Verfügung stehenden Mittel waren beträchtlich, denn er kontrollierte alle wesentlichen Bauteile der auf Arkon III entstehenden Riesenpositronik, aus der in der Zukunft einmal der größte Machtfaktor der Milchstraße entstehen sollte. Damit verbunden waren auch die Prüfungen aller für die Taion-KSOL vorgesehenen Programmierungen. Der Trend war klar erkennbar. Orbanaschol wollte seine Macht mithilfe der Positronik festigen und sich so eine nahezu unangreifbare Position verschaffen. Denn noch konnte die Kriegsmaschinerie nicht durch einen Knopfdruck aktiviert werden; noch benötigte der Diktator unzählige Frauen und Männer, die seine Befehle kritiklos ausführten. Orbanaschols Ziel war dagegen eine in wesentlichen Bereichen durchgesetzte Vollautomatisierung und Robotisierung, auf die allein er als Imperator Zugriff hatte. Bis dahin war er aber auf die Arkoniden angewiesen. Diese waren allerdings auch die gefährlichsten Feinde Atlans, denn sie stellten sich ihm bei seinem Weg zur Macht in den Weg. Und ohne sie konnte sich Orbanaschol nicht auf dem Thron Arkons halten. Gelang es also, einige aus den Reihen des
Imperators zu entfernen, musste sich dadurch automatisch Atlans Position verbessern. Als Axton die Akte durchgesehen hatte, wandte er sich an Kelly. »Fällt dir etwas auf?« »Es wird an keiner Stelle gesagt, weshalb Awyrett die Gonozal so sehr hasst.« »Das ist es«, bestätigte Axton. »Das muss ich herausfinden.«
»Sie haben den Verstand verloren! Anders ist wohl nicht zu erklären, was Sie gesagt haben. Warum bringen Sie sich nicht gleich um?« »Warum sollte ich?« »Weil das einfacher wäre.« Axton blickte Avrael Arrkonta nachdenklich an. Er spürte, dass der Mann wirklich meinte, was er gesagt hatte. Er hatte ihn aufgesucht und ihm schonungslos eröffnet, was er plante. »Verstehen Sie doch«, fuhr Arrkonta nach einer Weile fort, in der sie schweigend ihren Gedanken nachgehangen hatten. »Ich muss doch etwas von dieser Sache wissen. Ich produziere positronische Bauteile für die Riesenpositronik. Glauben Sie, ich hätte nicht ebenfalls schon daran gedacht, gewisse Programmierungen einzuschmuggeln, die Orbanaschol schaden und Atlan irgendwann einmal entscheidend helfen können? Oft genug habe ich davon geträumt, aber es gibt keine Möglichkeit. Die Kontrollen sind zu scharf und werden zudem von absolut zuverlässigen Maschinen und Personen durchgeführt, sodass überhaupt nichts durchkommen kann, was gegen den Imperator gerichtet wäre. Schlagen Sie sich diese Idee aus dem Kopf, Mann.« Sinclair Marout Kennon, der sich von der Traummaschine über die Jahrtausende in die Vergangenheit hatte versetzten lassen, richtete seine Blicke in den Innenhof. Er befand sich in
der Luxuswohnung Arrkontas. Sie gehörte zu einem 500-Meter-Trichtergebäude, das mit elf weiteren die aufgelockerte Franc-Kelchsiedlung bildete, rund dreißig Kilometer südöstlich des Hügels der Weisen. Es gab Kunstschätze von erlesenem Wert. Etliche Gegenstände wiesen darauf hin, dass der Mann auf vielen Planeten gewesen war oder dort sogar Ländereien hatte. Avrael Arrkonta war als Nert-moas ein »Nert-Baron Erster Klasse«. Auf der linken Brustseite des schlichten weißen Anzugs sah Axton die gelbe Sonnenscheibe mit zwölfzackigem statt nur glattem Rand, überdeckt vom Symbol eines Vulkanträgers. Arrkonta war nicht nur ein »NertVulkanträger Erster Klasse« – ein Nert-Zhymthek’ianta-moas –, sondern auch als hochdekorierter Orbton im Rang eines Has’athor als Admiral Vierter Klasse zu Recht ein Einsonnenträger. Er galt als Stratege von überragender Bedeutung. Ihm waren Siege in mehreren Schlachten mit den Methans zu verdanken. Ihm gehörte unter anderem ein Unternehmen, das Positroniken und positronische Module herstellte. Auftraggeber war ausschließlich das Imperium, da er wesentliche Teile für das Projekt auf Arkon III lieferte. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte Arrkonta Axton als Feind eingestuft und versucht, ihn ermorden zu lassen. Erst danach waren die Masken gefallen, und beide hatten sich als Feinde Orbanaschols und Freunde Atlans zu erkennen gegeben. Axton hatte den Nert aufgesucht, weil dieser sich mit dem Kontrollsystem auskannte. »Ich glaube nicht, dass es keine Möglichkeit gibt«, sagte der Verwachsene. Er saß in einem Sessel, der auf unsichtbaren Antigravfeldern schwebte. Kelly stand schweigend hinter ihm und zeichnete jedes Wort auf, das gewechselt wurde. Diese Maßnahme hatte Axton eingeleitet, nachdem der Roboter von Thi-Laktrote Epprik in verschiedener Weise »nachgerüstet«
worden war. Sie hatte sich schon mehrfach bewährt. Mehr als einmal förderte eine nachträgliche Begutachtung Dinge zutage, die ihm zuvor entgangen waren. »Axton«, sagte Arrkonta beschwörend. »Gehen Sie dieses Risiko nicht ein. Sie dürfen im Arkonsystem alles angreifen, nur nicht dieses Sicherheitssystem. Glauben Sie denn, Orbanaschol wüsste nicht, dass sich gerade hier ein Hebel ansetzen lässt, mit dem man das Bollwerk der Macht zum Einsturz bringen kann?« »Das ist mir klar«, entgegnete er gelassen. »Orbanaschol wäre ein Narr, würde er in dieser Hinsicht leichtsinnig handeln. Und er ist kein Narr, sondern der gefährlichste Mann im Imperium.« »Er ist schlau, berechnend, eiskalt und unvorstellbar brutal. Er hat sich den Thron erkämpft und verteidigt ihn seither mit allen Mitteln für sich und seine Nachkommen. Er denkt nicht nur an sich und das Heute, sondern plant für die nächsten Jahrhunderte und Jahrtausende. Und das ist das Entscheidende. Er weiß, was auf dem Spiel steht. Gelingt es nämlich nicht, ihn jetzt zu entmachten, wird es unmöglich sein, die ihm nachfolgenden Imperatoren seiner Dynastie zu stürzen. Gerade deshalb reagiert er auf die geringsten Zeichen einer Gefahr mit unerbittlicher Härte. Deshalb habe ich Sie gewarnt.« Ein feines Lächeln umspielte Axtons Lippen. »Lerne ich Sie als Träumer kennen?« »Als Träumer? Ich bitte Sie. Ich bin Realist.« Axton schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein. Wären Sie Realist, mein Lieber, wären Sie nicht für Atlan und gegen Orbanaschol. Haben Sie eben nicht gesagt, dass der Diktator zurzeit noch Schwächen hat, die wir ausnutzen können? Und haben Sie mir nicht gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass es unmöglich ist, ihn da zu packen, wo er am empfindlichsten
ist?« »Ich verstehe nicht. Selbstverständlich muss man jetzt etwas gegen ihn tun, soll es nicht zu spät sein. Deshalb braucht man doch nicht unbedingt bei der Riesenpositronik anzusetzen.« »Doch, gerade da. Und man muss. Man kann gar nicht anders, weil nämlich alle anderen Maßnahmen letztlich fruchtlos bleiben werden, sollte hinter ihm erst einmal ein Machtgebilde wie das der voll entwickelten Positronik stehen.« Arrkonta sprang auf, ging zur Fensterfront und stützte sich mit den Händen gegen die Scheibe. Als er schließlich zum Tisch zurückkehrte, sah er niedergeschlagen aus. »Wenn es so ist, Axton, gibt es nichts, womit das Kontrollsystem zu durchbrechen wäre.« »Es muss etwas geben, denn es sind und bleiben lebende Personen mit allen Stärken und Schwächen, die das System bestimmen. Ritikka Awyrett ist eine davon.« Arrkonta lachte erbittert auf. »Er ist gerade der Mann, der am zuverlässigsten von allen ist. Er würde sich eher umbringen lassen, als eine Unregelmäßigkeit zu ermöglichen. An ihm kommt keiner vorbei.« »Weshalb hasst er alles, was mit den Gonozals zu tun hat?« »Das weiß ich nicht.« »Man müsste es herausfinden.« »Wozu? Was versprechen Sie sich davon?« »Hass hat immer eine Ursache. Nicht selten ist er in einer Schwäche begründet. Hass entsteht nicht aus dem Nichts.« »Wie meinen Sie das?« Der Arkonide füllte das Glas auf, das vor dem Verwachsenen stand. »Wenn jemand einen anderen abgrundtief hasst, dann fast immer deshalb, weil der andere ihn beleidigt hat. Ich habe es oft genug an mir selbst erlebt, als ich noch nicht gelernt hatte, mit meinem verkrüppelten Körper zu leben. Machte sich
jemand über mich lustig, konnte ich mich derart in Hassgefühle hineinsteigern, dass ich kaum noch klar denken konnte. Das aber lag nur daran, weil ich wusste, dass dieser Jemand im Grunde recht hatte.« »Jetzt begreife ich, was Sie sagen wollen. Sie glauben also, dass auch Awyrett eine Schwäche hat, die seinerzeit von Imperator Gonozal aufgedeckt wurde?« »Das vermute ich, und ich muss herausfinden, was vorgefallen ist.« »Das ist so gut wie unmöglich.« »So gut wie – das bedeutet, dass es nicht ganz unmöglich ist.« Arrkonta seufzte resignierend. »Sie geben wohl nie auf, wie? Um alles über Awyrett zu erfahren, werden Sie sich Zugang zu Orbanaschols Geheimarchiv verschaffen müssen. An anderer Stelle wird es wohl schwerlich noch Hinweise geben. Und das Geheimarchiv wird noch besser bewacht als der nahe Kristallpalast selbst. Erklären Sie Seiner Erhabenheit, was Sie in seinem Archiv wollen, dann kommen Sie vielleicht an diesen Teil von Awyretts Akte heran.« Lebo Axton lächelte. Er hatte gewusst, dass es eine Chance geben würde. Lange genug hatte er im Dienst der USO gestanden und Erfahrungen sammeln können. Er hatte kein wirklich perfektes Sicherungssystem kennengelernt. Lücken gab es überall. Man musste nur hartnäckig sein, dann ließen sie sich aufspüren. Und hatte man sie gefunden, ergab sich auch eine Möglichkeit, das System zu durchbrechen. »Wo befindet sich dieses Archiv genau?« »Sie wollen…?« Arrkonta verdrehte die Augen. »Gut, ich sage Ihnen, was ich weiß. Mein Unternehmen hat einige der positronischen Sicherungssysteme geliefert. Daher kenne ich die Anlage bis zu einem gewissen Grad ganz gut. Sobald ich alles geschildert habe, werden Sie aber den Gedanken
aufgeben, dort einbrechen zu wollen.« Die Männer blickten sich an, und jeder erriet den Gedanken des anderen. Avrael Arrkonta begriff, dass er Axton nicht von seinem einmal gefassten Entschluss abbringen konnte, und der Terraner erkannte, dass der Arkonide ihm dennoch bedingungslos helfen würde. »Also gut, Axton, hören Sie zu…«
Arkon I: 20. Prago der Prikur 10.498 da Ark Der Gleiter näherte sich dem Hügel der Weisen, dem Regierungszentrum des Großen Imperiums, das inmitten einer künstlich angelegten Berglandschaft auf einem Hochplateau errichtet war. Unübersehbar breiteten sich hier, einem überdimensionierten Blumenbeet vergleichbar, Hunderte strahlend weißer Kelchbauten aus, die, auf stielförmigen Fundamenten errichtet, ihre Trichteröffnungen dem Himmel entgegenreckten. Der Kristallpalast wurde von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlt – eine Stadt für sich! Mitunter auch Gos’Teaultokan genannt, war der Gos’Khasurn ein Trichterbau von tausend Metern Höhe und einem oberen Durchmesser von fünfzehnhundert Metern, der sich von einem fünfhundert Meter durchmessenden Zylindersockel erhob. Die gesamte Außenstruktur funkelte als einziges Juwel – künstlich kristallisierter Kohlenstoff, sprich Diamant. In der äußeren Form war der Kristallpalast auf Befehl von Imperator Zakhagrim III. ab 2455 da Ark entstanden, was dem Jahr 17.528 vor Christus entsprach. Dunkelheit gab es keine im Herzen des Kugelsternhaufens – auch am Himmel funkelte und gleißte es. Doch der Kristallpalast war nicht das Ziel Axtons, sondern ein deutlich kleinerer Trichterbau, der einige Kilometer entfernt aufragte. Bis vor knapp einem Arkonjahr hatte sich Orbanaschols
Geheimarchiv an anderer Stelle befunden; zwar ebenfalls in der Nähe, aber am Rand des Hügels des Weisen. Aus Gründen, die Arrkonta nicht bekannt waren, hatte der Imperator dann auf einer Verlegung bestanden und neue Sicherheitseinrichtungen in Auftrag gegeben. Axton dagegen kannte Atlans Bericht – von der Traummaschine versetzt, hatten er und Chapat in Orbanaschols Archiv einzudringen versucht. Zweifellos ausreichend Grund für den Imperator, es an einen anderen Ort zu verlegen. Inzwischen hatte Axton auch weitere Nachforschungen angestellt und, von einem tiefgreifenden Frösteln begleitet, herausgefunden, dass damals ein Atlan-Doppelgänger von sich reden gemacht hatte. Selbst in den Archiven der Celistas war zwar nur wenig Konkretes zu finden gewesen, doch das plötzliche Verschwinden zweier gesuchter Personen hatte doch für einiges Aufsehen gesorgt. Es bestand demnach kein Zweifel mehr daran, dass Atlan und Chapat tatsächlich mit ihren Projektionskörpern in der Vergangenheit materialisiert waren – es sei denn, alles hier war Bestandteil einer perfekten Illusion, die nicht nur Axton und seine Umgebung umfasste, sondern dann natürlich auch die Erlebnisse Atlans und Chapats beinhaltete. Mitunter befielen den Kosmokriminalisten Zweifel, doch sie verschwanden stets recht schnell. Letztlich war er davon überzeugt, wirklich hier zu sein. »Stopp!«, befahl der Verwachsene, als sich der Gleiter direkt über dem Gebäude befand. Er öffnete die Seitentür. Es war vollkommen windstill. Eine dichte Wolkendecke zog vor einen Teil der Sterne. »Soll ich warten?«, fragte Kelly. »Du verschwindest. Erst wenn ich das Signal gebe, holst du mich. Ohne Gleiter. Verstanden?« »Natürlich. Du warst ja laut genug, Schätzchen.« »Gut. Und nun hilf mir.«
Der Roboter beugte sich zu dem Terraner und half ihm, ein sorgfältig geschnürtes Bündel umzuschnallen. Darin verbarg sich ein Gleitschirm. Diese primitive Möglichkeit hatte sich als einzige erwiesen, um unbemerkt das Gebäude zu erreichen – und das auch nur, weil Axton samt Gleiter und »Anhang« die Berechtigung hatte, sich im Bereich des Hügels der Weisen aufzuhalten und somit bereits eine wichtige Sicherheitsbarriere überwunden war. Beim Kristallpalast selbst wäre nicht einmal das möglich gewesen. An den Einsatz eines Antigravaggregats war nicht zu denken. Hätte er auf dem Rücken Kellys oder gar per Gleiter versucht, sich dem Gebäude zu nähern, wäre er sofort angemessen und entdeckt worden. Tarnanzug und Infrarotabschirmung waren auch jetzt notwendig, um per Gleitschirm auf das Dach des kleinen Trichters zu gelangen. Axton überprüfte nochmals seine Ausrüstung. Ein letztes Zögern. Plötzlich war er sich nicht mehr ganz sicher, dass der Gleitschirm auch funktionierte. Axton hatte ihn von Kelly berechnen und anfertigen lassen. Aber das war Theorie. Zur Sicherheit und für den äußersten Notfall trug er ein ausgeschaltetes und gesondert abgeschirmtes Antigravgerät am Gürtel. Sollte der Gleitschirm versagen, würde er selbstverständlich sofort entdeckt werden. Und dann war alles, was er sich bislang aufgebaut hatte, zerstört. Denn wie hätte er seine nächtliche Aktion erklären sollen? »Bis bald, du Monstrum«, sagte er über die Schulter hinweg und ließ sich nach vorn fallen. Er stürzte in die Tiefe, zerrte an der Reißleine. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich der Schirm mit einem Ruck öffnete. Die Riemen schnitten Axton ins Fleisch, sodass er unwillkürlich aufstöhnte. Er pendelte hin und her, für Augenblicke wusste er nicht, wo er war. Erst als er den düsteren Kreis unter sich entdeckte, kehrte die Orientierung zurück – es war der Dachgarten des kleinen
Trichters, in dem sich Orbanaschols Geheimarchiv befand. Axton drohte daran vorbeizugleiten. Seine Hände krallten sich an die Schnüre; er fiel schneller und prallte nur zwei Meter vom Rand des Daches auf den Boden. Vergeblich versuchte er, sich mit den Armen abzufangen. Sie waren viel zu schwach – der Einsatz des Mikrogravoneutralisators war wegen der Ortungsgefahr natürlich ebenfalls nicht möglich. So schlug er hart auf und verlor augenblicklich das Bewusstsein.
Als Axton wieder zu sich kam, wusste er zunächst nicht, wo er war. Unsicher tastete er umher. Als er die Schnüre in den Fingern fühlte, erinnerte er sich. Er konnte von Glück sagen, dass sich keine Böe im Schirm gefangen und ihn vom Dach gezerrt hatte. Ächzend richtete er sich auf. Sein verkrümmter Rücken schmerzte, sodass er bereits fürchtete, sich etwas gebrochen zu haben. Doch er konnte Arme und Beine bewegen. Offensichtlich hatte er sich nur Prellungen zugezogen. Mühsam zog er die Schnüre ein, faltete den Gleitschirm sorgfältig zusammen und packte das Bündel neu, das er nach dem Abschnallen unter einem Busch versteckte. Dann verwischte er alle Spuren, die er hinterlassen hatte. Axton blickte auf die Uhranzeige seines Armbandgeräts. Beunruhigt stellte er fest, dass er vier Zentitontas mehr als geplant benötigt hatte. Diesen Verlust musste er wieder aufholen, denn jede Zentitonta war kostbar. Als er zum Mittelpunkt des Daches ging, versuchte er schneller als normal zu laufen. Doch schon nach wenigen Schritten blieb ihm die Luft weg, stechende Schmerzen rasten durch die Brust. Sein verwachsener Körper war einfach nicht in der Lage, viel zu leisten. Er konnte die Füße kaum hoch genug heben, um Schleifgeräusche zu vermeiden. Schließlich sah Axton ein, dass er sich nur langsam bewegen durfte. Auf diese Weise gelang
es ihm, unbemerkt bis an den Aufbau heranzukommen, in dem ein Wachposten vor einigen automatischen Sicherheitsgeräten saß. Der Mann zeigte jedoch nur wenig Interesse für die ihm übertragene Aufgabe, die schließlich nur eine Zusatzfunktion war und die positronische Überwachung ergänzte. Er hatte einen tragbaren Trividempfänger mitgebracht und verfolgte irgendeine Show. Unter diesen Umständen war es nicht überraschend, dass er den lautlos heranschwebenden Axton nicht bemerkt hatte – unabhängig davon, dass dieser ortungstechnisch abgeschirmt und auch rein optisch dank Tarnanzug mit Chamäleonbeschichtung nicht zu erkennen gewesen war. Axton schlich an dem Aufbau vorbei und verschwand hinter einigen blühenden Büschen. An einem Springbrunnen kniete er nieder, holte aus der Abschirmtasche ein Messer, das eine Desintegratorklinge projizieren konnte, und führte das Materie auflösende Energiefeld über den Boden. Ein haarfeiner Riss entstand. Eingesetzt werden konnte diese Waffe nur, weil sich in geringer Distanz Versorgungs- und Energieleitungen des Gebäudes befanden, deren Eigenemissionen die des Desintegrators überdeckten. Schon nach kurzer Zeit konnte Axton eine quadratische Platte herausheben und zur Seite legen. Darunter befand sich eine dickere Schicht eines Plastikbetongemischs. Auch dieses ließ sich mit dem Spezialmesser aus dem Fundus des Geheimdienstes leicht zerstören. Axton schnitt jedoch keine Platte heraus, weil diese viel zu schwer für ihn gewesen wäre, sondern verwandelte die Masse mit kräftigen Seitwärtsbewegungen des Desintegratorfelds in Ultrafeinstaub. Nur Augenblicke vergingen, bis sich ein Loch gebildet hatte, durch das er einsteigen konnte. Zwischen den Versorgungsleitungen war gerade so viel Platz, dass Axton seinen Körper hineinschieben konnte.
Mühsam kroch er vorwärts. Als er schließlich schweißüberströmt und völlig atemlos an einen senkrecht nach unten führenden Schacht kam, stellte er befriedigt fest, dass er zwei Zentitontas weniger benötigt hatte. Er gönnte sich keine Pause, sondern schob sich behutsam weiter. Die Rohre und Kabel waren glatt und boten wenig Halt. Trotz Spezialbeschichtung der Handschuhe rutschte er mehrmals ab, konnte sich aber an Zwischenverstrebungen und Halterungen immer wieder abfangen. Dabei dachte er voller Sorge daran, dass er diesen Weg auch in umgekehrter Richtung nehmen musste. Er wusste noch nicht, ob er es wirklich schaffen konnte, diesen Schacht nach oben zu steigen. Dennoch gab er nicht auf. An einem rot markierten Feld verharrte er schließlich. Er befand sich nun dreißig Meter unter dem Dachgarten auf gleicher Höhe mit dem Geheimarchiv. Mit einem Blick auf die Uhr überzeugte er sich davon, dass er sich innerhalb der Zeitplanung befand. Dann setzte er wiederum das Desintegratormesser an, peinlich darauf achtend, die ihm von Arrkonta beschriebenen Linien nicht zu überschreiten, hinter denen sich positronische Taster befanden, die bei der geringsten Berührung Alarm auslösten. Axton benötigte eine Dezitonta, dann erst konnte er ein ovales Stück aus der Wand ziehen. Der Schweiß rann ihm in die Augen, seine Arme zitterten. Er glaubte, das Gewicht nicht mehr halten zu können. Die Zähne zusammengepresst, wuchtete er die Platte schließlich herum und setzte sie auf seitlichen Rohrverstrebungen ab. Danach musste Axton eine Pause von mehreren Zentitontas einlegen, um sich zu erholen; sie war aber entsprechend einkalkuliert. Axton leuchtete durch das Loch in einen kleinen Raum. Auf einem Arbeitstisch lagen Schreibwerkzeuge. Daneben ragte ein Monitor auf. Lautlos kroch Axton durch die Öffnung und
bewegte sich flach über den Boden weiter. Der tote Winkel der Überwachungskamera war minimal, ein ausgewachsener Arkonide hätte keine Chance gehabt. Axton drang bis zu einem Schrank vor; eine der unteren Türen ließ sich öffnen, ohne dass die Bewegung von der Kamera registriert wurde. Axton prägte sich ein, wie die im Schrank abgestellten Schuhe und Kosmetikboxen der Archivbetreuerin abgestellt waren, und nahm sie danach heraus. Wiederum setzte er das Desintegratormesser ein und schnitt ein Stück der Wand heraus, die ihn noch vom eigentlichen Geheimarchiv trennte. Der Terraner kroch durch die Öffnung in den Raum, der von matt leuchtenden Deckenplatten ein wenig erhellt wurde. In Schränken mit Einschüben waren Orbanaschols Geheimakten aufbewahrt. Axton blickte sich um, bis er den Schrank mit der Beschriftung A entdeckt hatte. Er befand sich im Erfassungsbereich einer Kamera, genau wie Arrkonta gesagt hatte. Jetzt kam es darauf an. Alles Weitere war eine Spekulation mit der Zeit. Axton schob sich über den Boden bis zur Kante der Tür, die das Archiv mit dem Vorraum verband. Laut Arrkonta befand sich hier die Energieleitung der Kamera. Er nahm das Desintegratormesser und stieß es punktgenau in die Wand. Dann sprang er auf und eilte zum Schrank. Axton wusste, dass er in diesem Augenblick Alarm ausgelöst hatte – irgendwo in dem Gebäude wurde registriert, dass eine Kamera ausgefallen war. Da ein solcher einzelner Ausfall der Technik immer wieder mal passieren konnte, hoffte Axton darauf, dass es nicht zu einer Blitzaktion kommen würde. Er riss die Schublade auf, die Finger glitten über Mikrospeicherfolien. Er benötigte keine zwei Wimpernschläge, bis er die mit R. Awyrett bezeichneten fand. Das Spezialarmbandgerät stellte Aufzeichnungen her, Axton legte die Originalfolien zurück. Dann hastete er zur Tür, setzte eine Tube an den durch das Desintegratorfeld entstandenen Spalt
und presste einen farblosen Spezialkleber hinein, der den Bruch der Energieleitung zwar nicht überbrückte, aber das Betonplastikmaterial ringsum wiederherstellte. So blieb keine Spur seiner Tätigkeit zurück. Kurz darauf kroch er durch die Öffnung in der Wand in den Vorraum und begann, die herausgeschnittene Platte einzusetzen. Diese Arbeit war unerwartet mühsam und dauerte fast eine Zentitonta länger als berechnet. Axton glaubte bereits, die Schritte der Robotwächter und Reparaturservos hören zu können, als er endlich den Spezialkleber in die Risse pressen konnte. Hastig stellte er Schuhe und Kosmetikboxen wieder in den Schrank, verschloss diesen und kehrte zum Versorgungsschacht zurück. Als er die Platte aufhob, vernahm er Schritte. Es ging um Augenblicke. Die Platte schien ihr Gewicht in der Zwischenzeit verzehnfacht zu haben. Als er sie in das Loch setzen wollte, flammte im Vorraum Licht auf. Axton hielt den Atem an. Unter diesen Umständen wagte er nicht mehr, die Platte in die Öffnung zu schieben, da sich Geräusche nicht vermeiden ließen. Zwei Roboter betraten den Raum und gingen sofort ins Archiv weiter. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Axton stieß die Platte in die Öffnung und presste mit zitternden Händen den Kleber in die Spalten. Dann lehnte er sich zurück und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Ihn schwindelte, sein Atem ging keuchend. Er war vollkommen erschöpft und dachte mit Grauen an den bevorstehenden Aufstieg. Axton presste das Ohr gegen die Wand, aber dadurch erfuhr er auch nicht mehr. Er beschloss, erst einmal abzuwarten. Drei Tontas Zeit hatte er noch bis Sonnenaufgang. Bis dahin musste er das Gebäude verlassen haben; später würde es keine Gelegenheit mehr dazu geben. Schließlich begann Axton zu klettern. Er war jedoch keine
drei Meter aufgestiegen, als ihn die Kräfte verließen. Er konnte gerade noch verhindern, dass er abstürzte, indem er die Füße zwischen den Verstrebungen verkeilte, dann kämpfte er mit einem Schwächeanfall. Er brauchte fast eine Dezitonta, bis er sich wieder erholt hatte. Axton war klar, dass er es auf diese Weise niemals bis hinauf zum Dachgarten schaffte. Einen solchen Zwischenfall hatte er einkalkuliert, ohne allerdings eine befriedigende Lösung zu finden. Einziger Ausweg waren nun das Antigravaggregat am Gürtel und das Vertrauen darauf, dass der nahe Hauptantigravschacht die Emissionen überdeckte. Weil Axton nicht wusste, wie die Wachen den Ausfall der Kamera beurteilten, rechnete er mit erhöhter Aufmerksamkeit. Deshalb wartete er. Erst als eine volle Tonta verstrichen war, schaltete er den Gürtelantigrav ein, hob die Schwerkraft auf und hangelte sich schwerelos nach oben. Auf diese Weise erreichte er den horizontal führenden Tunnel in kurzer Zeit und schaltete den Antigrav wieder aus. Rasch kroch er weiter, blieb dann aber eine Dezitonta unter der Öffnung liegen und horchte. Auf dem Dach regte sich nichts. Alles war unverändert. Axton kletterte schließlich aus dem Schacht und legte die herausgeschnittene Platte in das Loch. Auch hier verklebte er die Schnittstellen und verwischte seine Spuren. Dann schlich er zum Gleitschirmversteck. Alles war wie erwartet verlaufen. Der Ausfall der Kamera hatte keinen allgemeinen Alarm ausgelöst, da es sich um ein isoliertes Einzelereignis gehandelt hatte – innerhalb der Sicherungszone. Der Schaden würde behoben werden, sonst aber nichts geschehen. Axton schnallte sich den Gleitschirm um und spähte über die Dachkante nach unten. Im Dämmer war jedoch kaum etwas zu sehen. Entschlossen ließ er sich fallen, der Gleitschirm öffnete sich und fing ihn sofort ab. Unter dem geblähten Stoff glitt der Verwachsene lautlos in die Tiefe. Die
Chamäleonfunktion der Außenbeschichtung machte ihn nahezu unsichtbar, der Rest entsprach bestenfalls einem der vielen Vögel, die zwar angemessen wurden, aber keinen Alarm auslösten. Sofern Axton bei der Landung nicht ausgerechnet in einen Busch krachte, würde niemand etwas bemerken. Der Blick nach unten zeigte, dass er noch ausreichend Bodenabstand hatte. Die Gebäudehöhe von rund hundert Metern war ausreichend, um eine gewisse Distanz zu erreichen. Der eigentliche Aufprall war dann doch heftiger, als Axton gedacht hatte. Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper, nur mit Mühe unterdrückte er einen Aufschrei. Er blieb auf dem Boden liegen und konnte sich einige Augenblicke gar nicht bewegen. Der Schmerz betäubte ihn geradezu. Vorsichtig tastete er sein rechtes Bein ab – es war gebrochen. Jetzt zeigte sich die ganze Schwäche seines missgestalteten Körpers. Er war Belastungen dieser Art nicht gewachsen. Lebo Axton schaffte es gerade noch, ein Funksignal an Kelly zu senden, dann krümmte er sich auf dem Boden. Er kämpfte gegen die aufkommende Bewusstlosigkeit und nahm nicht mehr wahr, was in der Umgebung geschah. Er wäre den Wachen, wären sie nun zufällig auf ihn gestoßen, hilflos ausgeliefert gewesen. Dass der Roboter neben ihm landete, bemerkte er kaum. Erst als er ergriffen wurde, fuhr er ächzend hoch. Als er das Metall der Roboterarme ertastete, atmete Axton erleichtert auf. »Vorsichtig«, flüsterte er. »Mein Bein ist gebrochen. Ich kann mich nicht bewegen.« Kelly nahm den Verletzten so geschickt auf, dass Axton, in den Gleitschirm eingepackt, keine zusätzlichen Schmerzen verspürte. Der Roboter verzichtete auf den Einsatz seines Antigravs und lief vom Archivgebäude fort. Als sich eine der Gleitschirmschnüre in einem Busch verhakte, wäre Axton fast
aus Kellys Armen gerissen worden. Axton schrie unterdrückt auf und schlug wütend auf den Roboter ein, beruhigte sich aber schnell, als dieser nicht reagierte. »Warte!«, befahl er, zog das Desintegratormesser und fuhr mit dem Auflösungsfeld so oft über das Bündel, bis es in davonwehenden Staub verwandelt war. »Los jetzt, Kelly, worauf wartest du noch?« Der Roboter lief weiter, erreichte den abgestellten Gleiter und brachte Axton zu seiner Wohnung.
»Du musst mir helfen.« Axton lag auf dem Bett und hatte sich mühsam die Hose abgestreift. Der Bruch befand sich eine Handbreit unter dem Knie und war deutlich zu erkennen. Das Bein musste geschient werden, bevor die Medikamente eingesetzt werden konnten, die die Knochen schnell wieder zusammenwachsen lassen würden. »Was soll ich tun?« Kelly stand am Bettende. »Ich erkläre es dir.« Axton zeigte auf das verletzte Bein. »Du musst den Knochen richten. Verstehst du, was ich meine?« »Alles klar, Schätzchen.« Der Roboter beugte sich über den Terraner, nahm das Bein und zerrte daran. Axton kreischte auf, griff nach dem Glas, das auf dem Tisch neben dem Bett stand, und schleuderte es Kelly an den Kopf. »Bis du wahnsinnig geworden?«, schrie er unter unerträglichen Schmerzen. »Lass mein Bein los. Du bringst mich um.« Kelly gehorchte, ließ das Bein fallen. Axton brüllte wütend auf, presste die Hände an das Knie und versuchte, den Schock zu überwinden. Eine Weile war er nicht in der Lage, etwas zu sagen. Dann hatte er sich so weit in der Gewalt, dass er ruhig mit dem Roboter sprechen konnte. »Hör zu. Die Bruchstellen müssen so aneinandergebracht werden, dass der Knochen
gerade zusammenwächst.« »Das ist mir vollkommen klar. Ich habe längst erkannt, dass du zu einer Spezies gehörst, die offenbar beträchtliche Konstruktionsmängel aufweist. So ist zum Beispiel kaum zu erklären, dass die Innenstützen für die biologisch aktive Masse, die den Bewegungsapparat…« »Sei still. Ich bin kein Roboter, verstanden? Ich verbiete dir, von biologisch aktiver Masse zu sprechen, wenn von mir die Rede ist.« Axton hätte den Roboter in diesem Augenblick am liebsten vernichtet. Der ganze Hass gegen Maschinen brach in ihm aus. Er sank in die Polster und schloss die Augen. Wiederum vergingen etliche Zentitontas, dann befahl er: »Gib mir ein starkes Schmerzmittel!« Kelly verabreichte ihm eine Injektion. Axton wartete, bis die Wirkung einsetzte, zeigte auf den Bruch und sagte: »Los jetzt!« Dieses Mal ging der Roboter behutsamer vor, machte aber erneut Fehler. »Stopp! Ich glaube, du willst mir genauso krumme Beine verpassen, wie du sie hast.« Er blickte die Maschine abfällig an. Sie verfügte in der Tat über keine geraden Beine, seit Axton Kelly mit voller Absicht in einem Antigravschacht hatte abstürzen lassen. »Das ist eine Unterstellung. Mein Bestreben ist, das Bein so zu richten, dass es später optisch schöner ist.« »Du bist komplett verrückt. Ich will nicht schöner werden, begreifst du das endlich? Ich bin vollkommen zufrieden mit meinem Körper, solange du noch hässlicher bist. Hast du überhaupt anatomische Kenntnisse?« »Das Wort ist mir unbekannt.« »Ich spreche vom Knochenbau. Weißt du, wie es unter dem Fleisch aussieht?« »Nein.« Axton schloss stöhnend die Augen. Die Antwort verschlug ihm die Sprache. Wieder einmal überlegte er ernsthaft, ob es
nicht vorteilhafter war, wenn er sich einen neuen Roboter besorgte. Finanzielle Mittel hatte er inzwischen in ausreichendem Maß. Doch er hatte sich auch an Kelly gewöhnt, und insgeheim liebte er die oft fast menschliche Ausdrucksweise der Maschine. »Gib mir eine Schreibfolie und einen Stift.« In groben Zügen zeichnete er den Knochenbau seines Beins auf. »Sieh dir das genau an, du Frankenstein-Ungeheuer.« »Jetzt weiß ich Bescheid. Allerdings ist mir unklar, weshalb du mich so nennst.« »Das erkläre ich dir später. Los, an die Arbeit.« Unter der Einwirkung des Schmerzmittels ließ sich das Bein gut richten. Kelly setzte dazu die Mittel der Medobox ein, die in der Wohnung vorhanden war. Er sprach kein Wort und trat schließlich zur Wand zurück. Dort blieb er stehen. »Was ist los?« »Ich bin beleidigt.« »Ein Roboter kann nicht beleidigt sein.« »Ich bin etwas Besonderes – und kein Roboter, wie du annimmst.« »Das stimmt. Etwas Besonderes bist du schon. Du siehst aus wie ein wandelnder Schrottplatz.« »Du hättest nur etwas wählerischer zu sein brauchen bei der Auswahl meiner Extremitäten und sonstigen Komponenten.« »Das war Doktor Frankenstein auch nicht, als er sein Monstrum baute.« »Darf ich schweigen?« »Das wäre mir lieb. Such deine Psyche.« »Ist das ein Befehl?« »Ja.« »Wo soll ich suchen?« »In dir selbst«, sagte Axton grinsend. Als er jedoch sah, dass Kelly seinen Ovalkörper öffnen wollte, fügte er schnell hinzu:
»Dazu darfst du weder Hände noch Füße benutzen. Und nun sei still. Ich bin müde.« Axton schloss die Augen und schlief wenig später ein.
Als er wieder aufwachte, stand Kelly noch immer an der gleichen Stelle. Der Verwachsene erhob sich und humpelte mühsam zur Hygienekabine. Er verspürte kaum Schmerzen, konnte sich aber nur langsam bewegen, weil ihn das geschiente Bein stark behinderte. Er wusch sich das Gesicht und den Oberkörper und fühlte sich danach erfrischt. Aus der Automatküche holte sich Axton eine kleine Mahlzeit. Dann ließ er die in der Nacht erbeuteten Daten von der Positronik einlesen und studierte sie beim Essen. Wie erwartet waren die Informationen über die Ursache des Hasses auf die Gonozal und alles, was damit zusammenhing, darin enthalten. »Komm her«, rief Axton. »Ich will, dass du diese Daten speicherst.« Kelly gehorchte wortlos. Axton blickte ihn forschend an, sagte aber nichts. Erneut wandte er sich dem Monitor zu. In der Akte war vermerkt, dass Arotho Awyrett, Ritikkas Großvater, mehrere Jahre auf dem Planeten Oulouhat im Koxtro-System gelebt hatte. Diese Welt war später gesperrt worden, da sich alle Arkoniden, die zu bestimmten Jahreszeiten auf Oulouhat gewesen waren, mit Pflanzenpollen infiziert hatten. Diese riefen eine gefährliche Geisteskrankheit hervor. Auch Arotho Awyrett war erkrankt. Er selbst hatte davon zunächst nichts bemerkt, bis es zur Katastrophe gekommen war. In einer Raumschlacht gegen die Methans war er in einen Trancezustand gefallen, in dem er handlungsund entscheidungsunfähig gewesen war. Der Kampf ging verloren, da er als Oberkommandierender in der gefährlichsten Phase der Auseinandersetzung keine Befehle
erteilt hatte. Sieben Raumschiffe wurden vernichtet, Tausende Raumfahrer getötet. Die Schuld an diesem Desaster wurde Awyrett angelastet – dennoch hatte ihn Imperator Gonozal VII. nicht dafür haftbar gemacht, sondern in eine Klinik geschickt, wo er eingehend behandelt wurde. Arotho Awyrett hatte danach allerdings den Dienst quittieren müssen. Sein Sohn Phasta hatte die Krankheit geerbt. Er hätte die Behörden unterrichten müssen, als er seinen ersten Anfall hatte. Doch er unterließ es und übernahm einen verantwortungsvollen Posten. Wenig später kam es zu einem ähnlich folgenschweren Zwischenfall wie bei seinem Vater. Ursache war eindeutig die Krankheit. In Phastas Fall hatte der Imperator jedoch keine Milde mehr walten lassen, sondern das gesamte Vermögen Awyretts konfisziert, um damit wenigstens einen Teil des Schadens auszugleichen. Auch Ritikka Awyrett war damit zu einem mittellosen Mann geworden, der ganz von unten beginnen musste. Voller Hass hatte er sich von Gonozal abgewandt und war zum Anhänger Orbanaschols geworden. Und als dieser Imperator wurde, hatte er Awyrett einen ansehnlichen Teil des Vermögens zurückerstattet. »Ich habe es doch gesagt«, murmelte Axton triumphierend. »Eine Schwäche ist oft die Ursache für Hass. Der gute Ritikka weiß ganz genau, dass Gonozals Maßnahme berechtigt war. Phasta Awyretts Handeln war unverzeihlich. Auch darüber ist sich Ritikka klar.« »Warum hasst er alle Gonozals?«, fragte Kelly und beendete damit sein Schweigen. »Das ist ganz einfach. Es ist die eigene Schwäche, vor der er Angst hat.« »Das verstehe ich nicht.« »Das habe ich von dir auch nicht erwartet. Natürlich lebt auch Ritikka in der ständigen Furcht, dass er den
Krankheitskeim in sich trägt. Er leidet unter dem Trauma, dass er plötzlich in einen Trancezustand verfallen könnte und dass damit auch für ihn alles aus wäre.« »Und deshalb hasst er die Gonozals?« »Er fürchtet Gonozals rechtmäßigen Nachfolger, weil dieser ihm seinen Posten nehmen könnte, der ihm offenbar viel bedeutet. Er bildet sich tatsächlich ein, Orbanaschol würde ihn ungeschoren lassen, sollte bei ihm die Krankheit auftreten. Selbstverständlich wird das nicht der Fall sein. Im Gegenteil. Orbanaschol würde noch viel härter reagieren. Spätestens in dem Moment, da Ritikka das erste Mal in Trance fällt, wird ihm klar werden, dass ihn auch Orbanaschol aus dem Amt entfernen wird – oder gar zum Tod verurteilen –, weil sich der Imperator gar nicht leisten kann, weiterhin eine so wichtige Funktion einem so anfälligen Mann zu überlassen.« »Was planst du?« »Ich muss Ritikka zunächst aufbauen. Ich werde ihm helfen, weiter im Ansehen Orbanaschols zu steigen.« »Das festigt seine Position.« »Das wertet ihn in der Tat auf. Ich will, dass Ritikka möglichst viel zu verlieren hat und dass er sich dessen voll bewusst ist.«
6. 1198. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 23. Prago der Coroma, im Jahre 10.498 da Ark. … waren Ischtars Ortungen in höchstem Maß alarmierend gewesen. »Da bewegen sich ganze Flotten«, hatte sie gesagt. »Vor allem Maahks. Sie verlassen ihren Stützpunkt Skrantasquor; wenn mich nicht alles täuscht, stoßen sie Richtung Trantagossa vor. Sieht ganz nach einem Angriff aus.« Trantagossa – dort war einer der Gonozal-Mörder Befehlshaber. Sosehr ich Amarkavor Heng auch den Tod und eine empfindliche Niederlage wünschte, um die betroffenen Arkoniden in diesem System tat es mir leid. Fieberhaft hatte ich überlegt, ob und wie ich am besten unsere dort stationierten Mittelsmänner informieren und warnen konnte. Nur auf Kraumon standen mir alle benötigten Möglichkeiten zur Verfügung. Leider erwischte uns beim Flug nach Kraumon ein Hypersturm, sodass aus der Warnung nichts wurde; wir erreichten den Stützpunkt erst am 4. Prago der Prikur – und da war Trantagossa schon gefallen. Es dauerte noch etliche weitere Pragos, bis es gelang, Kontakt zu unseren überlebenden Mittelsmännern herzustellen; fünf waren beim Überraschungsangriff der Maahks umgekommen, die anderen bemühten sich, Ordnung ins Chaos der Informationslage zu bringen. Wichtigste Erkenntnis war, dass Mascant Heng seit dem Angriff als »verschollen« galt. Inzwischen hat der von Orbanaschol neu eingesetzte Kommandeur, der junge Sonnenträger Chergost dom Ortizal, entsprechende Untersuchungen eingeleitet, die wir »anzapfen« konnten. In diesem Zusammenhang zu beachten sind unter Umständen
auch Informationen, die für eine Weile auf Arkon I für Unruhe sorgten: Prinzessin Crysalgira aus dem Khasurn der Quertamagins ist seit Anfang der Prikur spurlos verschwunden; dass Chergost von Orbanaschol wegen ihr nach Trantagossa versetzt wurde, brüllen die »alles hörenden« Wände des Kristallpalastes mit höchster Lautstärke. Der Dicke scheint allerdings die Eigenwilligkeit der jungen Frau unterschätzt zu haben, die offenbar alles in Bewegung setzte, um zu ihrem Geliebten zu gelangen. Leider hat die CERVAX bis heute nicht das Trantagossa-System erreicht, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Raumer von Methans aufgebracht wurde. Während sich für die Verantwortlichen auf Enorketron die übrige Sachlage nur unvollständig rekonstruieren ließ, stehen uns weitergehende Informationen zur Verfügung, die nach und nach zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden konnten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit konnte deshalb als sicher gelten, dass Allan und ein »wiederbelebter« Vargane – möglicherweise der Henker Magantilliken? – mitten im Kampfgeschehen aufeinandertrafen, offenbar Amarkavor Heng in ihre Gewalt brachten und an Bord des Spezialschiffs SKORGON von Enorketron starteten. Danach verlor sich die Spur, über das weitere Schicksal war nichts bekannt; der Mascant galt nach wie vor als »verschollen«, wurde möglicherweise – so die Gerüchte – ein Opfer des »Zwergenmachers«… Die Gerüchte über die neue Waffe der Methans wurden nun durch Atlans Bericht bestätigt, ebenso unsere Vermutungen hinsichtlich des Schicksals Hengs. Sein Tod wurde hier auf Kraumon voller Zufriedenheit aufgenommen; nach Sofgart ist somit der zweite Mörder Seiner Erhabenheit Gonozal VII. ausgeschaltet. Ich bin sicher, dass es über kurz oder lang auch den übrigen an den Kragen gehen wird. Vor allem dem Dicken! Das Trantagossa-Desaster hat vielen Verantwortlichen vor allem in den Reihen der Flotten mehr als schmerzlich vor Augen geführt, wie unfähig Orbanaschol und seine Clique sind. Unsere durchaus berechtige Hoffnung ist, dass sich in Zukunft auch von dieser Seite her Widerstand formieren
wird…
Arkon I: 18. Prago der Coroma 10.498 da Ark Lebo Axton hatte sich vorsichtig an Ritikka Awyrett herangepirscht und sich dabei Zeit gelassen. Er durfte den Plan nicht durch Unvorsicht oder Ungeduld gefährden. Jeder übereilte Schritt wäre ein Fehler gewesen. Deshalb ließ Axton eine ganze Arkonperiode verstreichen, bis sich ihm endlich eine Chance bot, Awyrett kennenzulernen und gleichzeitig auf seine besondere Art zu behandeln. Der Anlass war eine der nahezu täglich stattfindenden geselligen Zusammenkünfte im Palastpark des Imperators, zu denen Axton bereits zweimal eine Einladung erhalten hatte. Diese hatte er auch wahrgenommen und dabei interessante neue Verbindungen knüpfen können. Er hatte sich sogar mit der aktuellen Favoritin des Imperators unterhalten können, einer Prinzessin des Ragnaari-Khasurn. Shirtala da Ragnaari, hochgewachsen, jung und schön, hatte Seine Erhabenheit über den schmerzhaften Verlust von Crysalgira da Quertamagin hinweggetröstet, deren Schicksal immer noch nicht geklärt war. Gerüchte sprachen davon, sie habe die Kristallwelt verlassen, um ihrem Geliebten, einem ins Trantagossa-System versetzten Sonnenträger, zu folgen, und sei dabei von Methans angegriffen worden. Als Erstgeborene des hochadligen Oberhaupts des ThiKhasurn, dessen beide Söhne bereits im Krieg gegen die Methans gefallen waren, war sie die designierte Nachfolgerin. Regir da Quertamagin war ein »Ta-Fürst Erster Klasse«; seit er Khasurn-Oberhaupt war, trug er den traditionellen Vornamen – eigentlich er Ertonn. Die Quertamagins hatten etliche Imperatoren gestellt – beginnend mit Quertamagin I. im Jahr 2493 da Ark als achtzehnter Höchstedler der offiziellen
Imperatorenliste –, hinzu kamen Admiräle und Mitglieder des Großen Rates. An Rang, Namen und Einfluss standen sie gleichberechtigt neben den Gonozals, Orbanaschols, Zoltrals und anderen Familien, die ihre Familienchroniken bis in die Urzeiten des Imperiums zurückverfolgen konnten. Hätte einer der Quertamagins behauptet, dass ihm die Hälfte von Arkon II gehörte, wäre diese Angabe zweifellos geglaubt worden. Der Reichtum von Crysalgiras Familie hatte längst den Bereich hinter sich gelassen, in dem er noch in Zahlen ausgedrückt werden konnte. Shirtala hatte zunächst nur spöttische Bemerkungen über Axton gemacht. Doch das hatte sich geändert, als sie erkannte, welch klugem und gebildetem Mann sie tatsächlich gegenüberstand. Lebo Axton, der sich nie ganz unbefangen in der Gegenwart von Frauen bewegen konnte, hatte gespürt, dass sie ihn irgendwie mochte. Sie hatte schließlich über sein Äußeres hinweggesehen und nur seine Persönlichkeit angesprochen. So etwas hatte er selten erlebt, und es hatte ihn besonders beeindruckt. Der Tag, der eine Vorentscheidung bringen sollte, begann mit einer weiteren Einladung in den Palastpark. Axton traf seine letzten Vorbereitungen, verstaute das Arbeitsmaterial in einem Hohlraum von Kellys Ovalkörper und legte elegante Kleidung an, die etwas verbarg, wie klein er war, wenn er auf dem Rücken des Roboters auf den Haltebügeln stand. Schon bevor der Terraner im weiten Innenhof des Kristallpalastes eintraf, wusste er, dass etwa tausend Personen erscheinen würden. Das kam ihm gelegen. War der Kreis der Eingeladenen zu klein, musste er meist mit Schwierigkeiten rechnen. So aber konnte er sich weniger auffällig bewegen. Der »Innenhof« mit den umlaufenden Terrassen war ein gewaltiges Trichtertal, das sich über viele Terrassen und abgestufte Galerien nach unten verengte und achthundert
Meter unterhalb der Dachkante beim zentralen Garten endete. Imperator Orbanaschol erschien an diesem Prago im Kreis seiner Leibwächter und Berater, blieb aber nur kurz. Axton hatte keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Auch das war ihm recht, er konzentrierte sich ganz auf Ritikka Awyrett. Der Arkonide war ein hochgewachsener Mann mit weißblondem Haar, das er ungewöhnlich kurz trug. Er hatte sich ein flammendrotes Tuch um den Kopf gewunden, das ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Awyretts Gesicht war scharf geschnitten, verriet höchste Intelligenz, aber auch eine gewisse Gefühlskälte. Der Mann hielt sich auffallend gerade und pflegte mit äußerst sparsamer Mimik zu reden. Beim Sprechen bewegte er kaum die Lippen. Alles in allem haftete ihm ein Ausdruck äußerster Arroganz an, hinter der sich, wie Axton vermutete, Awyretts Unsicherheit verbarg. Bei seinen weiteren Recherchen hatte Axton erfahren, dass Awyrett ein Mann war, der als absolut unbestechlich galt. Er hatte schon mehr als einen Industriellen ruiniert, nur weil er versucht hatte, ihm für die Erteilung eines Auftrags eine Provision anzubieten. Seine Mitarbeiter behandelte Awyrett mit unerbittlicher Strenge. Er ließ absolut nichts durchgehen; gnadenlos entfernte er jeden aus seinem Amt, der es wagte, sich ihm zu widersetzen. Orbanaschol III. hätte keinen besseren Mann für die Qualitätskontrollen der positronischen Bauteile haben können. Awyrett war zuverlässig bis zur Selbstverleugnung. Dass er dennoch seine Schwächen hatte, war für Axton keine Frage. Er beobachtete ihn, während er sich mit Gun Epprik unterhielt, dem Leitenden Ingenieur der entstehenden Riesenpositronik auf Arkon III. Awyrett plauderte mit Shirtala da Ragnaari und entwickelte dabei offensichtlich ausreichend Charme, der die Arkonidin beeindruckte. Sie jedenfalls provozierte ihn, etwas mehr als gewöhnlich zu trinken, hob ihm immer wieder ihr Glas mit
einer perlenden Flüssigkeit entgegen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit terranischem Champagner hatte und diesem in der Wirkung glich. Axton hatte den Mann noch nie so viel trinken sehen wie an diesem Tag. Innerlich triumphierte er. Auf genau eine solche Tonta hatte er lange gewartet. Als Avrael Arrkonta herantrat, verabschiedete sich Epprik. »Ich muss noch zum Höchstedlen, bis später.« »Sie sehen aus, als hätten Sie etwas vor«, sagte Arrkonta, als er mit Axton allein war. »Tatsächlich?«, fragte der Verwachsene erschrocken, gleichzeitig bemüht, gleichmütig auszusehen. Dann aber bemerkte er den neugierigen Blick des Arkoniden und grinste. »Passen Sie auf, Avrael, heute nehme ich Awyrett dran.« Arrkonta blickte zu dem Mann hinüber. Zwei junge, etwas albern wirkende Arkonidinnen hatten sich ebenfalls zu ihm gesellt. »Was haben Sie vor?« »Eine kleine Überraschung zum Vorteil unseres gemeinsamen Freundes.« »Seien Sie vorsichtig. Unterschätzen Sie Awyrett nicht. Für mich ist er einer der gefährlichsten Männer Arkons.« »Übertreiben Sie nicht.« Axton lachte und verbarg seine Hände unter den violetten Gewändern, die seinen Körper verhüllten. Ein Diener erschien und reichte ihm ein volles Glas. Axton prostete Arrkonta zu. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, ob Sie es wirklich geschafft haben, ins… nun ja, zu gelangen. Sie wissen schon.« »Habe ich das versäumt? Das tut mir leid. Sagen wir so: Ich habe Awyretts Akte eingesehen. Glauben Sie etwa, ich würde ihn sonst in meine Planung einbeziehen?« »Wie war das möglich?« »Das verrate ich Ihnen vielleicht später einmal.« Axton beobachtete, dass ein Diener an die Gruppe um Awyrett herantrat und aus einer Karaffe nachschenken wollte. Axton
tippte Kelly auf den Kopf. »Jetzt.« Er sah, dass sich in der Brust Kellys eine winzige Öffnung bildete. In diesem Augenblick neigte Awyrett sein Glas der Karaffe entgegen. Es zischte, das Loch im Ovalkörper schloss sich wieder. Perlend floss das Getränk in Awyretts Glas. Niemand bemerkte, dass ein winziges Geschoss von nicht einmal zwei Millimetern Länge in den sich bildenden Schaum traf und sich sofort auflöste. Axton behielt den Arkoniden im Auge, achtete nicht auf Arrkonta, bis dieser seine Frage wiederholte. »Was ist denn heute mit Ihnen los, Lebo?« »Nichts, Avrael, nichts weiter. Ich bin nur etwas zerstreut.« Awyrett hob das Glas an den Mund und trank. Axton fühlte, wie die Spannung von ihm wich. Er wandte sich wieder an seinen Freund und verwickelte ihn in ein wissenschaftliches Gespräch über positronische Entwicklungsmöglichkeiten, von dem Arrkonta schon nach wenigen Sätzen gefesselt war. Fasziniert lauschte er, der Fachmann, den Überlegungen Axtons, die er für Theorien halten musste. Er konnte nicht wissen, dass ihm der Verwachsene wissenschaftliche Resultate offenbarte, wie sie erst in ferner Zukunft existierten. »… bin immer wieder versucht, Sie zu fragen, wer Sie eigentlich sind«, sagte Arrkonta nach einiger Zeit. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie mir alles über sich verraten.« »Warum sollte ich, mein Lieber? Geheimnisse machen das Leben interessanter.« »Ihr Wissen ist umfangreicher als das aller anderen Männer, die ich kenne. Es ist ein…« Er brach ab und blickte verdutzt zu Awyrett hinüber. »Was ist denn mit dem los?« Awyrett begann laut zu singen. Dabei streckte er theatralisch die Arme aus und machte einige unsichere Tanzschritte. Seine Augen waren glasig. Die Favoritin des Imperators und die Frauen in ihrer Begleitung lachten schallend auf, als Awyrett
mit komisch anmutenden Bewegungen auf der Stelle hüpfte und seinen Gesang steigerte. Von allen Seiten her näherten sich Neugierige. Das aber bemerkte Awyrett nicht. Auch Arrkonta setzte sich in Bewegung. »Das muss ich mir ansehen. So habe ich Awyrett noch nie erlebt.« Plötzlich wurden seine Augen eng, er blickte den Kosmokriminalisten durchdringend an. »Jetzt verstehe ich!« Er pfiff leise durch die Zähne. »Lebo, vor Ihnen muss man sich fürchten.« »Sie haben dazu keinen Grund«, sagte der Verwachsene, während sie sich der Gruppe näherten, die sich gebildet hatte und rasch größer wurde. Ritikka Awyrett hatte vollkommen die Kontrolle über sich verloren. Er taumelte und hatte offensichtlich Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Dabei trank er sein Glas wie ein Verdurstender leer, sobald der Diener nachgeschenkt hatte. Und das tat dieser, sobald das Glas wiederum geleert war. Axton wusste, dass Awyrett tatsächlich das Gefühl hatte, innerlich zu vertrocknen. Das ihm verabreichte Pharmakon sorgte nicht nur dafür, sondern auch dafür, dass sich die Wirkung des Alkohols verstärkte, fast potenzierte. Der Arkonide würde den Rausch seines Lebens haben. Plumpvertraulich umarmte er Shirtala und versuchte, sie zu küssen. Sie stieß ihn halb belustigt, halb verärgert zurück, während die anderen Besucher unverhohlen lachten. Awyrett schien zu glauben, dass sein Gesang den anderen außerordentlich gut gefiel. Er kam jedoch auf die unglückselige Idee, einen Text zu wählen, den er wohl sonst nur in Männergesellschaft zum Besten gegeben hätte. Die Frauen lauschten höchst interessiert. Einer der Männer gab Awyrett schließlich einen Stoß vor die Brust, sodass dieser die Arme nach oben warf, das Glas durch die Gegend schleuderte und rücklings in einen Busch taumelte. Er blieb auf dem Boden liegen und gab kurz darauf Geräusche von sich, die
deutlich machten, dass er schlief. Nun verloren die anderen Gäste ihr Interesse, machten noch einige Bemerkungen und zogen sich allmählich zurück. Niemand kümmerte sich um den Betrunkenen. Axton und Arrkonta wurden von einem hohen Beamten des Kristallpalast-Sicherheitsdienstes abgelenkt, der sie in ein politisches Gespräch verwickelte. Der Kosmokriminalist nahm die Gelegenheit geschickt wahr, um von Awyrett abzulenken. Bewusst ging er nicht auf einige Bemerkungen ein, die der Beamte über den Betrunkenen fallen ließ. Er wollte auf gar keinen Fall mit Awyrett in Verbindung gebracht werden. Jetzt noch nicht. Erst am späten Abend löste sich die Gesellschaft auf. Axton wusste als Einziger, wie lange Awyrett schlafen würde. Niemand hatte sich um den Betrunkenen gekümmert. Ausfälligkeiten wie die seinen waren bei geselligen Zusammenkünften bei Hof keine Seltenheit, und es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass sich niemand in die Belange anderer einzumischen hatte. Als die letzten Gäste – inzwischen meist ebenfalls stark angeheitert – den Innentrichter verließen, teilten Kellys Arme die Zweige des Buschs. Axton blickte über den Kopf des Roboters hinweg in das Gesicht Awyretts. Befriedigt stellte er fest, dass er die Dosis und ihre Wirkung exakt berechnet hatte, denn der Arkonide schlug gerade die Augen auf und griff sich stöhnend an den Kopf. »Hallo«, sagte Axton fröhlich. »Sie haben aber kräftig zugelangt, Erhabener.« Awyrett schloss die Augen wieder. Fröstelnd zog er den Kragen seiner Jacke unter dem Kinn zusammen. Dann sah er Axton wieder an und stöhnte erneut. »Wo bin ich?« »Noch immer im Park des Kristallpalastes«, antwortete der Verwachsene in unverändert fröhlichem Ton.
»Nein.« Awyrett richtete sich ruckartig auf. Seine Augen weiteten sich, die Unterlippe sank schlaff nach unten. Mit zitternden Händen griff er nach den Zweigen und versuchte, sich daran hochzuziehen. Das misslang jämmerlich. Er stürzte zu Boden, ruderte hilflos mit den Armen im Geäst, wälzte sich schließlich auf den Bauch und kroch unter dem Busch hervor. »O Mann«, sagte Axton. »Sie schlagen sämtliche Rekorde. Wissen Sie, dass wir die letzten Gäste sind? Alle anderen sind schon gegangen.« Der Arkonide fand endlich ausreichend Halt an den krummen Beinen Kellys und hangelte sich daran hoch. Als er aufrecht stand, blickte er verständnislos auf die Sensorleiste des Roboters. »Hier war doch eben noch jemand«, murmelte er und drehte den Kopf suchend hin und her. Gleichzeitig tasteten seine Hände über den Ovalkörper des Roboters, bis er eine Hand Axtons berührte. Er stutzte, fasste kräftiger zu und entdeckte den Verwachsenen. »Was ist mit mir los? Ich verstehe nicht, was…« »Unter Freunden nennt man das, was Sie haben, einen Hackenschuss.« Der Arkonide bewegte die Lippen, brachte aber keine verständlichen Laute heraus. Dann plötzlich weiteten sich seine Augen. Seine Arme sanken herab, er entfernte sich taumelnd einige Schritte von Kelly und Axton. Dabei drehte er sich mehrmals um sich selbst, schwankte beängstigend. Er bekam sich jedoch mit jedem verstreichenden Augenblick mehr in die Gewalt, da ihm offenbart dämmerte, wo er war und was er getan hatte. »Bringen Sie mich von hier fort«, forderte er, als er zu Axton zurückgekehrt war. »Bringen Sie mich weg, schnell.« »Wohin?« »Das ist mir egal. Nur weg von hier.«
»Nimm ihn auf die Arme, Kelly. Trag ihn zum Gleiter.« Als sie den Gleiter erreicht hatten, schlief Awyrett bereits wieder. Axton ließ ihn jedoch wach rütteln. Er wollte, dass der Mann alles verfolgte und sich später daran erinnerte. »Zur Wohnung«, sagte Axton. »Das wurde höchste Zeit«, murmelte Awyrett mit schwerer Zunge. Axton bezweifelte, dass der Mann sich wirklich dessen bewusst war, was er gesagt hatte.
Als Axton Awyrett in seiner Wohnung hatte, ließ er ihn von Kelly entkleiden und danach in die Hygienekabine stellen. Obwohl er protestierte, wurde die Sturzbachbehandlung mit abwechselnd heißen und kalten Duschen nicht beendet. Awyrett erhielt eine Robotmassage und ein kühles Erfrischungsgetränk. »Das vertreibt die Kopfschmerzen und klärt den Geist«, sagte Axton. »Ich bin völlig ausgetrocknet«, ächzte Awyrett und leerte das Glas in einem Zug. Wenige Zentitontas später fühlte er sich tatsächlich besser, kleidete sich an und aß eine Kleinigkeit. »Was ist geschehen?« »Ich erinnerte mich daran, dass Sie in den Busch fielen. Bevor ich ging, wollte ich nachsehen. Sie lagen immer noch dort.« Awyrett vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen. »Ich bin ruiniert. So etwas darf mir nicht passieren. Nicht mir.« Von seinem sonst so arroganten Gehabe war nun nichts mehr zu bemerken. »So schlimm war’s nicht«, sagte Axton tröstend. »Jeder schlägt mal über die Stränge. Sie kennen doch die Festivitäten. Sie sollten sich entschuldigen, dann wird man Ihnen verzeihen. Am besten kehren Sie jetzt in Ihre Wohnung
zurück.« »Ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet. Alles wäre noch schlimmer, hätte man mich erst später aus dem Busch gezogen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn… Ich kann mich bei Hof nicht mehr sehen lassen.« »Beruhigen Sie sich. Es werden sich noch genügend Gelegenheiten ergeben, dem Hof zu beweisen, wie wertvoll Sie sind. Es war nur ein Fest.« »Vermutlich haben Sie recht.« Unruhig ging Awyrett zur Tür. »Ich werde mich bei Ihnen revanchieren. Bitte, rufen Sie ein Gleitertaxi.«
Damit verschwand Ritikka Awyrett für einige Pragos aus dem Beobachtungsbereich Axtons. Er verließ in dieser Zeit seine Wohnung nicht und ließ sich, wie Axton erfuhr, verleugnen, sogar dem Imperator gegenüber. In Gesellschaftskreisen sprach man mit einer gewissen Schadenfreude über den – eigentlich harmlosen – Ausrutscher, verlor bald aber das Interesse an ihm. Awyrett entschuldigte sich in aller Form bei der Favoritin des Imperators und versuchte vergeblich, auch Seine Erhabenheit persönlich zu erreichen. Doch er war deutlich in Orbanaschols Gunst gesunken. Nicht wegen des Ausrutschers an sich – in dieser Hinsicht hatte sich der Höchstedle schon ganz andere Dinge geleistet und zeigte deshalb durchaus Nachsicht bei seinen Untertanen –, sondern weil Awyrett übertrieben reagiert hatte. Niemand ließ sich Seiner Erhabenheit gegenüber verleugnen. Damit hatte Axton den Mann da, wo er ihn haben wollte. Awyrett musste nun etwas tun, um den Prestigeverlust wieder auszugleichen. Er musste Orbanaschol in die Hände arbeiten, ihm einen Gefallen tun oder ihm ein wertvolles Geschenk überreichen, um wieder in Gnade aufgenommen zu werden.
Axton schätzte den Imperator so ein, dass dieser Awyrett absichtlich auf Distanz hielt, um ihn zu einem Gunstbeweis zu zwingen. Orbanaschol III. war ein äußerst habgieriger Mann, der mit allen Mitteln versuchte, seine Macht und seine Schätze zu vergrößern. Awyrett erschien erstmals wieder in der Öffentlichkeit, als eine Lieferung positronischer Bauteile auf Arkon III eintraf. Gewöhnlich pflegte der Mann die dabei erfolgenden letzten Überprüfungen vor dem Einbau mit äußerster Sorgfalt durchzuführen. Dieses Mal übertraf er sich selbst. Er nervte seine Mitarbeiter durch mehrfache Wiederholungen der Kontrollen. Und auch bei den darauffolgenden Lieferungen behielt er seine übertrieben korrekte Arbeitsweise bei.
Axton wartete bis zum 1. Prago des Tartor ab. Dann erschien er auf dem Rücken Kellys vor der Wohnung Awyretts. Dieser sah ihn überrascht an, schien nicht mit seinem Besuch gerechnet zu haben. Unsicher bat er den Verwachsenen herein, führte ihn in ein luxuriöses Besprechungszimmer. »Was führt Sie zu mir, Lebo Axton?«, fragte er, nachdem ein Erfrischungsgetränk serviert war. Der Terraner versank tief im Polster des Sessels und kämpfte einige Augenblicke damit, bis ihm endlich gelang, sicheren Halt zu finden. »Ich möchte Ihnen einen Gefallen tun.« Awyrett setzte sich ebenfalls. »Ich verstehe nicht. Warum sollten Sie das tun?« »Weil ich mir eine Gegenleistung erhoffe.« Der Arkonide lächelte erleichtert, lehnte sich zurück und nahm eine bequeme Haltung an. »Worum geht es?« »Sie wissen, wer ich bin?« »Ich habe nur erfahren, dass Sie in Diensten Seiner Erhabenheit stehen und gewisse… Sonderaufgaben zu erfüllen
haben.« »So ist es«, bestätigte Axton. »Aus diesem Grund sind mir auch einige Informationen zugänglich, die sonst nicht bekannt sind. Ich habe erfahren, dass Sie Schwierigkeiten haben. Man wartet darauf, dass Sie Ihre besonderen Fähigkeiten beweisen.« Awyrett biss sich auf die Lippen. Er nickte, seine Augen wurden feucht. »Ich weiß. Aber ich weiß nicht, was ich tun kann.« »Ich hätte da einen Vorschlag.« »Und was erwarten Sie als Gegenleistung?« »Nichts Ungesetzliches«, erwiderte Axton besänftigend. »Ich habe erfahren, dass auf dem berühmten Jagdplaneten Schreet eine Echsenhatz stattfinden soll.« »Sie möchten daran teilnehmen?« »Das geht wohl kaum, ich kann ja nicht mal eine Waffe halten. Nein, mir würde es genügen, diese Jagd zu beobachten. Es ist ja auch nicht die Jagd an sich, sondern die besonderen Kontakte zu gewissen Teilnehmern, die mich wirklich interessieren. Sie verstehen? Eine solche Gelegenheit ergibt sich nicht oft.« »Ich hatte vor, abzusagen. Aber unter diesen Umständen werde ich wohl dabei sein. Dabei sein müssen. Aber nun zu Ihrem Vorschlag. Sollte er mir zusagen, sorge ich dafür, dass Sie mit nach Schreet kommen.« »Er wird Ihnen gefallen. Ich sagte bereits, dass ich Zugang zu geheimen Informationen habe. Daher weiß ich, dass Oraw da Perthan, Dom-moas des Planeten Waahke, Seiner Erhabenheit ein Dorn im Auge ist. Der Höchstedle hat mehrfach versucht, mit Perthan ins Geschäft zu kommen, doch dieser hat abgelehnt. Ich weiß, dass der Imperator darüber verärgert ist; sein Interesse an Waahke ist daher umso größer. Auf dieser Welt werden Antigravaggregate aller Größen
produziert; ein gewinnbringendes Unternehmen.« »Sie meinen also, ich sollte Perthan… hm, zwingen zu verkaufen?« »Ich kenne einen Weg, der Perthan gar keine andere Wahl lässt.« »Das wäre allerdings…« Ritikka Awyrett lächelte, nickte Axton zu. »Ich weiß zu würdigen, was Sie für mich tun. Sagen Sie mir, wie Sie sich die Aktion vorstellen.« »Es ist gar nicht so schwer. Sehen Sie, ich habe die alte Gründungsakte von Waahkaara gefunden, der allerersten Siedlung auf Waahke. In ihr hält Seine Erhabenheit Gonozal der Zweite als damaliger Imperator fest, dass der Khasurn Perthan so lange das uneingeschränkte Verfügungsrecht über den Planeten behalten darf, wie er verhindert, dass der Melyaschimmel auf Waahke auftritt.« »Das sagt mir nichts«, gestand Awyrett. Du bist eben kein Geheimdienstmann und kennst die Schliche unserer Arbeit nicht, war Axton geneigt zu sagen. Laut sagte er: »Auf Waahke – immerhin nur fünfunddreißig Lichtjahre von Arkon entfernt – bestand damals ein wichtiger Stützpunkt der Flotte. Die dort stationierten Truppen wurden von einem Schimmelpilz befallen, der sich auf der Haut, besonders auf der Schleimhaut, bildete und eine tödlich verlaufende Geschwulstkrankheit durch seine Abfallprodukte auslöste. Man war kurz davor, den Stützpunkt aufzugeben, da der Schimmel in einigen Fällen sogar schon auf andere Planeten übertragen worden war. Die Gefahr wurde erst beseitigt, als der Militärarzt Yothe Perthan ein zuverlässiges Gegenmittel entdeckte. Für diese Leistung wurden ihm später die Eigentumsrechte an dem Planeten verliehen, allerdings mit der erwähnten Einschränkung.« »Sie planen doch wohl nicht, diesen gefährlichen Pilz auf Waahke freizusetzen?«
»Natürlich nicht. Ich werde einen Boten schicken, der einen völlig harmlosen Schimmelpilz in einer Stadt auf Waahke verbreiten wird. Dieser kann leicht beseitigt und eingedämmt werden. Er ist von dem Melyaschimmel jedoch kaum zu unterscheiden. Es ist ein Bluff, weiter nichts. Oraw da Perthan wird sogar merken, was gespielt wird. Aber das wird ihm nichts nutzen.« Ritikka Awyrett überlegte nur kurz. Dann stimmte er zu.
Waahke: 6. Prago des Tartor 10.498 da Ark Dom-moas Oraw da Perthan weigerte sich zunächst, Lebo Axton und Ritikka Awyrett zu empfangen, weil er sie für unmaßgebliche Männer hielt. Das ließen die Worte des Dieners, der sie am Eingang des weißen Trichterbaus abfertigen sollte, deutlich erkennen. »Nun«, sagte der Kosmokriminalist und zeigte seine TRCMarke. »Dann bestellen Sie Ihrem Herrn, dass wir direkt aus der Stadt Üstrakan kommen. Wir haben viele Kranke gesehen.« »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« »Das ist bedauerlich. Dann muss ich wohl deutlicher werden. Der Imperator musste zu seinem größten Bedauern feststellen, dass die in der Gründungsurkunde genannten Bedingungen von Oraw da Perthan nicht mehr eingehalten werden. Teilen Sie Perthan also mit, dass der Höchstedle den Planeten konfiszieren wird, sofern er uns nicht augenblicklich empfängt.« Der Diener erbleichte, rannte förmlich zum Antigravschacht und kehrte schon kurz darauf zurück, um die beiden Männer zu Perthan zu führen. Der Herr von Waahke war so korpulent, dass er nur in einem Spezialsessel Platz fand. Er schwitzte unmäßig, sein Atem ging laut und pfeifend. Die Augen
verschwanden fast unter Fettwülsten. Er blieb sitzen, als Axton und Awyrett eintraten. Ein Wandholo zeigte einen Blick weit über ein Meer, an dessen felsiger Küste der Palast erbaut war. Dom Perthan war ein reicher Mann; schon seine Vorfahren hatten den dritten von acht Planeten der Sonne Waa nach allen Regeln der Kunst ausgebeutet und ein großes Vermögen angesammelt. »Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch und bot seinen Besuchern mit einer knappen Geste Platz an. »Wir wollen es kurz machen«, sagte Axton, zog eine beschriftete Folie aus der Tasche und reichte sie Perthan, ohne seine Position auf dem Rücken Kellys zu verlassen. »Was ist das?« »Eine Kopie der Gründungsurkunde«, sagte Axton. »Ich gehe davon aus, dass Sie sie kennen.« »Ich habe davon gehört. Was soll das? Mich interessiert das nicht.« »Lesen Sie sie!«, befahl Awyrett. Unwillig gehorchte Dom Perthan, begriff aber nicht. »Dann muss ich wohl deutlicher werden. Auf Waahke ist der Melyaschimmel aufgetreten. Damit ist der Imperator berechtigt, das Verfügungsrecht zurückzuziehen.« Der Dom richtete sich ruckartig auf und schlug so heftig auf eine Leiste mit Berührungstasten neben seinem Sessel, dass sie zerbrach. Mehrere Männer traten ein. »Stimmt es, dass der Melyaschimmel wieder aufgetreten ist?« »Wieder?«, fragte einer der Männer. »Gab es diese Pilzerkrankung denn schon einmal auf Waahke?« »Hinaus!«, schrie Dom Perthan, der am Rande seiner Fassung angelangt zu sein schien. Die Männer gehorchten. »Jetzt begreife ich, was los ist. Wissen Sie, wie ich so etwas nenne? Das ist Betrug, Diebstahl, Schwindel!« Awyrett stand auf. »Ich dulde es nicht, dass Sie den
Höchstedlen beleidigen.« »Das ist doch alles ein abgekartetes Spiel.« »Hüten Sie Ihre Zunge. Tai Moas Orbanaschol beachtet Recht und Gesetz. Von Ihrem Khasurn wurde die absolute medizinische Kontrolle verlangt. Sie haben diese nicht erfüllt. Also haben Sie die Konsequenzen zu tragen.« Oraw dom Perthan brach zusammen. Er erkannte, dass er in der Falle saß und nichts mehr ändern konnte. Awyrett fuhr fort: »Der Höchstedle erkennt an, dass Ihr Khasurn Aufbauarbeit geleistet hat, und zieht in Erwägung, den Planeten nicht zu konfiszieren. Allerdings denkt er auch nicht daran, den Preis zu zahlen, den er Ihnen vor einiger Zeit geboten hat.« »Wie viel?« »Ein Hundertstel.« Der Herr von Waahke stöhnte entsetzt. »Sie wollen mich ausplündern.« Awyrett antwortete nicht. Axton konnte ihm ansehen, dass er triumphierte. Er schien genau zu wissen, dass er mit diesem »Handel« die Gunst Orbanaschols erneut erobern würde. »Mehr zahlt der Imperator auf gar keinen Fall. Sie haben nur die Möglichkeit, damit einverstanden zu sein oder sich mit einer Konfiszierung abzufinden. Entscheiden Sie sich. Ich erwarte, dass Sie in einer Tonta Ihre Bereitschaftserklärung im Hotel abgeben; die weiteren Details können die Anwälte des Hofes regeln.« Er gab Axton einen Wink und verließ mit ihm den Palast. Zurück blieb ein Oraw da Perthan, der nichts mehr mit jenem Mann gemeinsam hatte, der er noch eine halbe Tonta zuvor gewesen war.
Arkon I: 9. Prago des Tartor 10.498 da Ark Awyrett erschien in Lebo Axtons Wohnung und strahlte vor Freude. »Stellen Sie sich vor, Axton, Orbanaschol hat mir verziehen«, rief er, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte. »Selbstverständlich habe ich klargestellt, dass es nicht allein mein Verdienst war, dass die Antigravproduktion von Waahke nun Seiner Erhabenheit gehört.« Axton lächelte unmerklich. Er war überzeugt davon, dass Awyrett an diesem Punkt log. Er glaubte ihm nicht, dass er seinen Erfolg freiwillig mit ihm, einem Zayna, geteilt hatte. Vielleicht hatte er erwähnt, dass er den Hinweis auf die Gründungsurkunde von ihm bekommen hatte, aber mehr hatte er bestimmt nicht getan. Axton bot seinem Besucher etwas zu trinken an, aber Awyrett lehnte höflich ab. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte er. »Die Vorbereitungen für die Jagd laufen auf Hochtouren. Selbstverständlich kann ich jetzt daran teilnehmen, und Sie werden auch dabei sein. Wenngleich…« Er wurde verlegen. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde mich den anderen nicht unnötig aufdrängen. Und sollte mich jemand verspotten, wird mich das nicht beleidigen.« Der Arkonide war offensichtlich beruhigt und atmete auf. Er reichte Axton spontan die Hand und verabschiedete sich nach einigen höflichen Worten. Der Verwachsene hielt ihn nicht auf. Als er allein war, wandte er sich an Kelly: »Jetzt gilt es, die Vorbereitungen zu treffen. Gib mir das Desintegratormesser.« »Gleich«, erwiderte der Roboter. »Vorher muss ich dich noch auf etwas hinweisen, Schätzchen.« »Du verweigerst mir den Gehorsam?« »Natürlich nicht. Aber ich bin gezwungen, bei mehreren Befehlen die Vorrangigkeit zu berücksichtigen.« »Ich habe dir nur einen Befehl gegeben.« »Der andere stammt von meinem ursprünglichen Herrn und
Meister.« »Ach nein? Bildest du dir ein, seine Anordnungen hätten noch Gültigkeit? Ich habe die Programme geändert.« »Bis auf eins.« »Welches?« »Ich muss auf meinen Geburtstag achten.« »Auf deinen Gebu…« Axton ließ sich in einen Sessel sinken. »Leidest du unter zeitweiligen Kurzschlüssen oder ähnlichen Problemen?« »Keineswegs, Liebster.« »Ich verbiete dir, mich Liebster zu nennen.« »An meinem Geburtstag musste ich meinen Meister immer so ansprechen.« »Das gilt nicht mehr«, schrie Axton. »Ich vernichte dich, wenn du es noch einmal wagst, dieses Wort über deine Lippen… ich meine, auf deiner Membran zu produzieren. Verstanden?« »Vollkommen.« »Also, was ist nun mit deinem Geburtstag?« »Es ist der Tag meiner Erstaktivierung. Sie erfolgte am neunten Prago des Tartor zehn-vier-achtundsechzig. Der Jahrestag hat vor drei Zentitontas begonnen.« »So«, sagte Axton mühsam beherrscht. »Und was wünschst du dir zum Geburtstag?« »Gerade Beine.« Der Kosmokriminalist trank das Glas leer, das er für Awyrett hatte auffüllen wollen und nun selbst benötigte. »Ich stelle fest, du wandelnder Schrotthaufen«, sagte er dann etwas gefasster, »dass du die Vorrangigkeit der Befehle falsch eingestuft hast. Dein Geburtstag ist mir vollkommen gleichgültig. Bilde dir nur nicht ein, dass ich dir Blumen, Süßigkeiten und womöglich neue Beine schenken werde. Allenfalls werde ich dich mithilfe des Desintegratormessers,
das du mir immer noch nicht gegeben hast, ein wenig zurechtstutzen. Und wenn das noch nicht genügt, werde ich dich für alle Zeiten desaktivieren, dann hattest du heute das letzte Mal Gelegenheit, deine Erstaktivierung zu feiern. Wo bleibt das Messer?« Axton kniff die Augen zusammen und wartete, bis der Roboter das Messer brachte. »Welchen Namen hat dir dein Meister eigentlich gegeben?« »Er nannte mich Schippedeidei.« »Dreh dich um!« Als der Roboter dem Befehl gehorchte, öffnete Axton die Klappe an seinem Rücken und schaltete ihn aus.
7. Aus: Biographie Allans – Anhang: Fragmente, Anmerkungen, Marginalien (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, Provcon-Faust, 3565 n.Chr. Atlan: Mein Auftritt vor den Medien, damals am 24. Prago des Messon 10.497 da Ark auf Largamenia nach der erfolgreichen Aktivierung meines Extrasinns, war in der breiten Öffentlichkeit nach mehr als einem Jahr längst in Vergessenheit geraten. Zwar mochten einige Milliarden Personen die plötzlich unterbrochene Sendung gesehen haben, aber die vorgelegten Beweise zählten wenig, weil Mascant Offantur höchstpersönlich, der Chef der ebenso gehassten wie gefürchteten Tu-Gol-Cel, meine Eröffnungen als Lüge abgestritten, mich als Schwindler hingestellt sowie die Beweise für gefälscht erklärt hatte. Die Mörder konnten schließlich nicht offiziell bestätigen, dass es sich bei mir tatsächlich um den Kristallprinzen des Reiches handelte, den rechtmäßigen Thronerben von Arkon. Dennoch hatte Orbanaschol III. dafür gesorgt, dass mein Bild verbreitet wurde. Zum Glück war das Tai Ark’Tussan zu gewaltig, die Bedrohung durch die Methans zu aktuell und die Zahl der von der Orbanaschol-Clique aus eher unwichtigen Gründen Gesuchten viel zu groß, als dass ausgerechnet ich noch besondere Aufmerksamkeit hervorgerufen hätte. Aber die Anweisung an den Blinden Sofgart und seine Kralasenen wie auch die vertrauenswürdigen Geheimdienstmitarbeiter war eindeutig gewesen: Der Kristallprinz lebt. Bring mir seinen Kopf!
Arkon I: 10. Prago des Tartor 10.498 da Ark Ritikka Awyrett empfing Lebo Axton vor dem kleinen Kugelraumer, der den Namen EXATOR trug. Der
Kosmokriminalist traf etwas später als vereinbart ein, und zunächst schien es so, als sei der Arkonide erleichtert darüber, dass Axton überhaupt gekommen war. »Es tut mir leid«, sagte der Verwachsene. »Ich wurde aufgehalten.« »Das macht überhaupt nichts. Der Start musste ohnehin um zwei Tontas verschoben werden.« Axton begriff. Awyrett hatte ihn nicht benachrichtigt, weil er nicht wollte, dass die anderen Jagdteilnehmer jetzt schon bemerkten, dass auch ein Gast dabei war, der nicht standesgemäß war. Der Arkonide glaubte, die Krise, in die er geraten war, bereits überwunden zu haben. Nun fühlte er sich sicherer, seine alte Arroganz kehrte zurück. Axton tat, als sei ihm nichts aufgefallen. »Dann habe ich ja noch genügend Zeit.« »Ich führe Sie in Ihre Kabine. Später werde ich Sie rufen und mit den anderen bekannt machen.« Das war abermals ein deutlicher Wink. Damit gab er Axton zu verstehen, dass dieser in seiner Kabine bleiben sollte. Der Verwachsene lächelte still in sich hinein. Demütigungen dieser Art war er gewohnt. In Situationen wie diesen glitten sie jedoch von ihm ab, da er wusste, dass er noch einen Trumpf im Ärmel hatte. Die Kabine befand sich, wie nicht anders zu erwarten, auf einem der unteren Decks. Axton wusste, dass es das einfachste Quartier von allen war – sogar noch schlechter ausgestattet als jene der vielen Bediensteten, die die Jagdteilnehmer begleiteten –, beschwerte sich jedoch nicht, sondern tat, als sei alles in Ordnung. So war er auch nicht überrascht, dass Awyrett ihn später nicht rief, um ihn den anderen Gästen vorzustellen. Das Schiff startete, ohne dass sich der Arkonide meldete oder sich sehen ließ. Axton legte sich aufs Bett und schlief ein. Einige Tontas später erschien Awyrett. Er war verlegen. »Ich
muss mich bei Ihnen entschuldigen. Dem Dienstpersonal ist ein ungeheuerliches Versehen passiert. Man hat versäumt, Sie zum Essen zu rufen. Ich hatte in der Zentrale zu tun und habe nicht bemerkt, dass Sie nicht an der Tafel anwesend waren. Sie werden gleich hier in Ihrer Kabine versorgt werden.« »Einverstanden.« »Sie zürnen mir nicht?« »Wie könnte ich. Machen Sie sich keine Sorgen.« Axton sah dem Arkoniden an, wie erleichtert er war. Awyrett durchschaute das Spiel des Kosmokriminalisten nicht. Da er glaubte, Axton nicht mehr zu benötigen, ließ seine Aufmerksamkeit nach. Er verabschiedete sich und eilte davon. Kurz darauf kam ein uniformierter Diener und brachte Axton das Essen. Nach den Transitionen und weiteren fünf Tontas Einflug ins System landete das Raumschiff auf Schreet, dem zweiten von neun Planeten der gelben Sonne Schreet-Kar in der Randzone von Thantur-Lok, 55 Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt. Nun konnte Awyrett seinen unerwünschten Gast nicht mehr länger vor den anderen verbergen. Ein Bediensteter meldete sich bei Axton, um ihn abzuholen. Verblüfft blieb er in der offenen Tür stehen, als ihn der Verwachsene hereinbat. Lebo Axton trug einen hautengen grünen Jagdanzug, der alle figürlichen Nachteile des Terraners deutlich betonte. Die dünnen Beine wirkten so schwach, dass es wie ein Wunder erschien, dass sie den tonnenförmigen Körper überhaupt tragen konnten. Der große Schädel wurde von einer Haube überspannt. In der linken Hand hielt Axton einen weit ausladenden Hut, in der rechten einen überdimensionierten Thermostrahler, wie er gewöhnlich nur von überdurchschnittlich starken Arkoniden oder von Umweltangepassten benutzt wurde. Jeder sah auf den ersten Blick, dass zum Tragen ein eingebauter Antigrav notwendig
war. In dem Gesicht des Bediensteten zuckte es verdächtig. »Es ist so weit«, sagte er mit verräterisch schwankender Stimme. »Man erwartet Sie, Erhabener.« Eilig lief er davon. Axton lächelte und kletterte auf Kellys Rücken. »Los! Jetzt wollen wir’s wissen.« Als sie die Hauptschleuse erreichten, standen die anderen Teilnehmer der Jagdgesellschaft um sechs Gleiter, die mit Ausrüstungsgegenständen und Schusswaffen beladen waren. Axton zählte zwölf Arkoniden; alle trugen den hochmütigen Ausdruck zur Schau, wie er für viele Adelige typisch war. »He, was ist das?«, rief einer und blickte Axton an. Die anderen drehten sich um. Einer begann schallend zu lachen. »Ritikka! Das war der Einfall!«, rief er. »Wer hat schon damit gerechnet, dass du die Jagd mit einer solchen Witzfigur bereichern würdest. Absolut gelungen!« Statt die ihm geöffnete Brücke zu nutzen, wurde Awyrett blass. Er sagte etwas, aber seine Worte gingen in dem Gelächter unter. Axton stützte sich gelassen auf den Kopf Kellys und lächelte freundlich. Ihm schien es nichts auszumachen, dass man sich derart über ihn amüsierte. »Ruhe«, rief Awyrett schließlich. »Das ist Lebo Axton, ein Cel’Orbton der Tu-Ra-Cel! Ich habe ihn als äußerst gefährlichen…« Weiter kam er nicht. Das brüllende Lachen der anderen übertönte seine Worte. Natürlich glaubte ihm niemand, dass er es völlig ernst gemeint hatte. Als er erneut versuchte, sich Gehör zu verschaffen, aber wiederum keinen Erfolg hatte, stieg er in einen der Gleiter und flog einfach davon. Die ausgelassene Jagdgesellschaft begriff nicht, wie zornig er war. Einige der Arkoniden machten weitere witzige Bemerkungen, die entsprechenden Anklang fanden. Axton ließ alles über sich ergehen. Und da er nichts sagte, verlor sich das Interesse bald
an ihm. Die Arkoniden wandten sich der Ausrüstung zu. Diener schleusten weitere Gleiter aus, die Jäger stiegen ein und starteten. An Axton dachte niemand. Er ließ die Jäger und ihre Helfer vorausfliegen und gab Kelly erst den Befehl, ihnen zu folgen, als sie schon fast einen Kilometer Vorsprung hatten. Der kleine Raumhafen befand sich in der Äquatorzone des Planeten, über den sich Axton selbstverständlich eingehend informiert hatte. Das Schiff war mitten in einem Dschungelgebiet gelandet. Nach Westen hin dehnte sich ein blauer Ozean, die anderen Himmelsrichtungen wurden von undurchdringlich erscheinendem Urwald bestimmt. Am Nordhorizont erhob sich eine Bergkette, die im Dunst jedoch kaum erkennbar war. Axton fiel auf, wie viele Vögel sich in der Luft bewegten. Es waren ausnahmslos Tiere mit beeindruckenden Spannweiten. Die Gleiter der Jagdgesellschaft flogen nach Nordosten. Axton sorgte dafür, dass Kelly stets den gleichen Abstand beibehielt. Dabei glitt der Roboter dicht über die Wipfel der Bäume hinweg. Glücklicherweise griff keiner der Vögel an, sodass sich Axton ganz auf die Gleiter konzentrieren konnte. Diese landeten schließlich am Eingang einer Schlucht auf einer großen Lichtung. Obwohl die Sonne hoch stand und es warm war, brannte ein Feuer im Lager, das einige farbenprächtig ausgestattete Gestalten vorab eingerichtet hatten. Sie hatten ein humanoides Aussehen, unterschieden sich aber deutlich von den Arkoniden. Rumpf und Extremitäten glichen Spiralen. Der runde Kopf mit den hervorquellenden Augen schien nicht recht dazu zu passen. Die Wesen trugen durchsichtige Schleier, die ihre Körper locker umgaben. Vom Kopf und der Rumpfspirale hingen Federn, Felle und Tiertrophäen in allen Farben und Größen, und auch die Schuhe der spitz auslaufenden Füße waren ähnlich verziert. »He, da kommt ja unser Jagdclown«, rief einer der
Arkoniden, als Kelly auf der Lichtung landete. »Kleiner, wir hatten dich schon vermisst.« »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Axton. »Ich fürchtete bereits, Sie wollten mich auf dem Raumhafen zurücklassen.« Awyrett kam herbei, legte eine Hand auf den Arm des Roboters und wandte sich an die Jagdgesellschaft. »Ich will einen Irrtum klären«, begann er, aber niemand hörte auf ihn. Alle hatten damit zu tun, ihre Ausrüstung auszupacken. Axton beugte sich zu Awyrett. »Lassen Sie nur. Mich stört es nicht, wenn Ihre Freunde so reden.« Die Männer sahen sich an. Awyrett erkannte, wie sehr Axton über den Dingen stand. Verlegen zuckte er mit den Schultern und wollte sich abwenden. In diesem Augenblick näherte sich einer der Eingeborenen dem Lager und schrie in kurzen Abständen schrill auf. Dabei bewegte er sich mit eigenartigen Sätzen vorwärts und überwand mit jedem Sprung mehrere Meter. Jeweils ein Spiralbein zog sich zusammen und schnellte dann auf volle Länge – auf diese Weise wurde der Körper förmlich nach vorn katapultiert und entwickelte eine beträchtliche Geschwindigkeit. Kein Arkonide hätte mithalten können. »Melya-Echsen«, rief Awyrett. Damit war die für ihn so unangenehme Situation vergessen. Er rannte zu seinem Gepäck, riss den Jagdstrahler hervor und sprang auf eine Antigravplattform, die gerade so groß war, dass sie den Füßen Platz bot. Sie ließ sich mit leichten Fußbewegungen und Gewichtsverlagerungen steuern. Auch die anderen Arkoniden verfügten über eine solche Ausrüstung, innerhalb weniger Augenblicke waren alle bereit. Nun stürmten die Eingeborenen, deren Zahl auf zwölf angewachsen war, den Arkoniden voraus. Axton hatte nicht bemerkt, woher diese Spiralmänner gekommen waren. Die
Entwicklung der Dinge missfiel ihm, alles geschah überhastet. Ihm wäre viel lieber gewesen, hätte er vor Beginn der Jagd Gelegenheit gehabt, das Terrain zu studieren, in dem Awyrett zur entscheidenden Figur seines großen Plans werden sollte. So musste er alles dem Zufall überlassen, und nichts hasste Axton mehr als gerade das. Er war ein Mann, der jeden Schritt exakt vorausberechnen wollte. »Dranbleiben, Kelly«, rief er. »Auf Awyrett kommt es an. Ihm darf nichts passieren.« Auf dem Rücken des Roboters flog er wiederum den Arkoniden hinterher. Dieses Mal aber blieb er nur um einige Meter zurück. Awyrett trug zu einer olivfarbenen Kombination einen gelben Gürtel. Daran war er auch von hinten gut zu erkennen, da die anderen von Kopf bis Fuß in grünen oder grauen Jagdanzügen steckten, die sich nur wenig vom Grün der Bäume und Büsche abhoben. Als Awyrett merkte, dass Axton in seiner Nähe blieb, ließ er sich zu ihm zurückfallen. »Passen Sie auf sich auf«, rief er. »Gehen Sie lieber höher, denn die Echsen sind verdammt gefährlich. Sie greifen plötzlich an und springen unglaublich hoch.« »Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich habe nicht die Absicht, mich aktiv an der Jagd zu beteiligen.« Ein Arkonide pfiff laut. Awyrett zuckte zusammen, beschleunigte und raste hinüber. Das weißblonde Haar wurde sichtbar, als ihm die Schutzkappe in den Nacken rutschte. Plötzlich schwärmten Arkoniden und Schreetaner auseinander. Sie verschwanden unter den Bäumen, stiegen an den Steilwänden der Schlucht auf oder sprangen in eine Spalte. Kelly folgte Awyrett, der zusammen mit einem Schreetaner unter die Bäume geeilt war. Der Arkonide jagte in verwegenem Tempo weiter, wobei er mehrere Male nur knapp an Ästen und Baumstämmen vorbeikam. Der Eingeborene
hatte keine Mühe, bei ihm zu bleiben, hüpfte und katapultierte sich kraftvoll hinter ihm her, bis sich die Schlucht plötzlich weitete. Vorsichtig drang Awyrett weiter vor. Axton sah, dass sie eine Felsplatte von etwa dreihundert Metern Länge und fünfzig Metern Breite erreicht hatten. Auf ihr wuchsen in Spalten nur wenige Dornbüsche. Rechts stieg eine Felswand auf, die nahezu vollkommen glatt war. Zur Linken befand sich ein etwa zweihundert Meter tiefer Abgrund. Aus ihm erklang das wütende Gebrüll großer Tiere herauf. Deutlich sah Axton Blitze – mit höchster Konzentration überwachte er die Szene, durfte sich nichts entgehen lassen. Zwischen den Felsen erschien ein weiterer Schreetaner. Er führte einen mit Federn geschmückten Speer mit und rief Awyrett etwas zu, was Axton nicht verstand. Der Arkonide blickte zu dem Eingeborenen hinüber und achtete dadurch nicht genügend auf die Kante zum Abgrund. Extrem schnell schoss eine Melya-Echse aus der Tiefe empor. Sie war etwa zwanzig Meter lang und vier Meter hoch. Ihr Körper verfügte über keinerlei Gelenke, sondern war ebenfalls nach dem Spiralprinzip gewunden. Die Konturen waren jedoch nicht so gut zu erkennen wie bei den Planetarieren, weil die Tiere ein dichtes, fellartiges Geflecht trugen. Lediglich der lang gestreckte Kopf mit den vierfachen Zahnreihen erinnerte an eine Echse anderer Welten. Brüllend und fauchend griff das Tier den Arkoniden an, der in einer Höhe von sechs Metern über dem Boden schwebte. Für ihn kam die Attacke so überraschend, dass er nicht rechtzeitig reagierte. Die beiden Schreetaner warfen sich auf das Raubtier. Der mit dem Speer ausgerüstete Mann schleuderte seine Waffe und traf die Echse am Kopf. Die scharfe Spitze prallte jedoch an äußerst harten Kegelvorsprüngen ab. Awyrett versuchte, seinen Jagdstrahler in Anschlag zu bringen, schaffte es aber nicht mehr. Das Raubtier riss seinen Kopf hoch, traf von unten
die Antigravplatte mit beachtlicher Wucht und schleuderte den Arkoniden etliche Meter in die Höhe. Awyrett verlor den Kontakt zu seinem Fluggerät. Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte es ihm nicht geholfen: Das Aggregat war beschädigt, raste in die Tiefe und krachte auf die Felsen. Der Arkonide dagegen landete auf dem Rücken der Echse und krallte sich am Geflecht fest. Zu diesem Zeitpunkt zielte Axton bereits auf den Kopf des Tiers, schoss aber noch nicht. Die Entwicklung war ganz anders verlaufen, als er geplant hatte. Selbstverständlich hatte er einen »Jagdunfall« für Awyrett vorgesehen. Dabei mussten aber genau jene Verletzungen auftreten, die Axton für sein weiteres Vorgehen brauchte. Deshalb zögerte er einige Augenblicke zu lange. Das Raubtier wirbelte herum. Für einen Moment schien es, als würde Awyrett abgeworfen, aber der Mann machte den Fehler, sich krampfhaft festzuhalten. Dadurch blieb er auf dem Rücken der Echse, als diese mit einem gewaltigen Satz in den Abgrund sprang. Axton schoss nun bewusst am Kopf des Tieres vorbei. Etwaige Beobachter sollten ihm nicht nachsagen, dass er zu wenig für die Rettung des Arkoniden getan hatte. Kelly flog sofort hinter der Echse her. Der Terraner sah, dass das Tier etwa dreißig Meter tiefer auf einem Felsvorsprung gelandet war und nun auf einem Sims dahinstürmte. »Schneller!«, befahl er. Tief unter ihnen hatten andere Arkoniden drei Melya-Echsen eingekreist. Axton verfolgte, dass sie die Tiere nacheinander mit den Jagdstrahlern erlegten. Das war keine Jagd nach seinem Geschmack, da weder Spürsinn noch Geschicklichkeit dazugehörten, die Tiere zu töten. Die Raubechse, an deren Rücken sich Awyrett weiterhin klammerte, verschwand unter den Laubkronen einiger Bäume. Sie drang in das Unterholz ein und brach dabei zahlreiche Äste, wie an dem Lärm unschwer zu erkennen war. Kelly stürzte sich förmlich in die
Tiefe. Axton klammerte sich fest, presste den schweren Thermostrahler an sich und trieb den Roboter an, weil er fürchtete, mit Awyrett die wichtigste Figur in seinem Planspiel zu verlieren. Mit hoher Geschwindigkeit drang Kelly in den Wald ein und raste direkt auf die Echse zu, die gewendet hatte und den Weg ins Freie suchte. Der Roboter wich dem Tier aus und legte sich dabei geschickt auf die Seite, so dass Axton durch den plötzlichen Richtungswechsel nicht abgeworfen werden konnte. Der Terraner sah die Raubechse vor sich aufragen. Aus dem weit geöffneten Rachen schlug ihm der stechende Atem entgegen. In dieser Situation blieb ihm keine andere Wahl. Er schoss mitten in den Schlund der Echse. Der Thermostrahl verbreitete eine blendende Helligkeit, bohrte sich durch den Kopf und schleuderte das Tier zurück. Es bäumte sich kreischend vor Schmerz auf. Axton sah, dass Awyrett in hohem Bogen vom Rücken geschleudert wurde und im Geäst der Bäume verschwand. Da er wusste, dass er nun den Arkoniden nicht mehr treffen konnte, schoss Axton abermals. Aber der erste Schuss war bereits tödlich gewesen. Während die Echse zusammenbrach, stürzte Awyrett durch das Blätterdach. Axton hörte ihn entsetzt schreien. Kelly beschleunigte – zu überraschend für den Terraner, der sich nicht auf dem Rücken halten konnte und zu Boden fiel. Zu langsam aber für den Arkoniden. Kelly konnte ihn zwar noch am Bein packen, nicht aber verhindern, dass Kopf und Schultern hart aufprallten. Fluchend kam Axton auf die Beine. Mühsam kämpfte er sich am Kadaver vorbei. »Kelly, wo bist du?« Der Roboter schwebte heran. »Es tut mir leid.« »Gib nicht so an. Du hast keinerlei Gefühle, also kann dir auch nichts Leid tun.« Ächzend kletterte er auf den Rücken des Roboters und
verankerte seine Füße fest in den Bügeln. Ungeduldig wartete er darauf, dass Kelly ihn zu dem Arkoniden brachte. Awyrett lag in verkrümmter Haltung auf dem Waldboden, Blut sickerte aus mehreren Wunden an Schultern, Kopf, Armen und Beinen. »Das sieht böse aus«, murmelte Axton betroffen. »So schlimm hätte ich es nicht gemacht, wenn du mir Gelegenheit gegeben hättest, alles nach Plan abzuwickeln.« Als Kelly gelandet war, sprang Axton auf den Boden. Neben dem Verletzten kniete er nieder, tastete nach dem Puls und atmete auf, als er spürte, wie kräftig er war. In aller Eile untersuchte er Awyrett und stellte fest, dass dieser sich ein Bein, beide Arme, das rechte Schlüsselbein und offenbar auch die Schädelbasis gebrochen hatte. Der Hinterkopf war blutig und stark geschwollen. Axton empfand kein Mitleid mit dem Arkoniden. Wer sich auf eine solche Jagd einließ, konnte es nicht schaden, dass er zu spüren bekam, wie ungleich normalerweise die Chancen verteilt waren. »Verständige die anderen. Beeil dich. Bring mir aber vorher meine Waffe. Ich habe keine Lust, mich von irgendwelchen Bestien verspeisen zu lassen, nur weil ich mich nicht wehren kann.« Der Roboter suchte und fand den Thermostrahler, während sich der Terraner neben dem Bewusstlosen ins Gras setzte. Als er allein war, blickte sich Axton suchend um und lauschte mit allen Sinnen auf die Geräusche des Waldes. Von der erlegten Echse ging ein Geruch aus, dem er sich freiwillig nicht ausgesetzt hätte. Unter den gegebenen Umständen konnte er sich aber nicht von Awyrett entfernen. Hin und wieder schrak Axton auf, wenn Äste knackten oder ein Tier brüllte. Er hatte nicht vergessen, wie blitzartig die Melya-Echse über der Felskante erschienen war. Und so hielt er es für durchaus möglich, dass eine zweite ebenso überraschend angriff. Doch
seine Befürchtungen erwiesen sich als unberechtigt. Die anderen Arkoniden kamen in höchster Eile. Einer – Reifta mit Namen – landete direkt neben dem Verwachsenen und blickte Axton argwöhnisch an. »Haben Sie das verschuldet?«, fragte er scharf. Der Kosmokriminalist stand auf und lachte dem Mann ins Gesicht. »Sie sollten sich lieber um Ihren Freund kümmern, als blödsinnige Vermutungen anzustellen. Wäre ich nicht gewesen, wäre Awyrett jetzt tot.« Seine Stimme wurde lauter. »Und jetzt beeilen Sie sich gefälligst! Awyrett braucht dringend ärztliche Hilfe.« Reifta stutzte. Diesen Ton hatte er von Axton nicht erwartet. Er blickte ihn an und erkannte, wie gründlich er sich geirrt hatte. Er sah die Augen des Verwachsenen und entdeckte die starke Persönlichkeit dahinter, unter deren Eindruck er erbleichte. Unsicher drehte er sich zu den anderen um. »Schnell, wir müssen ihn auf eine Antigravplatte legen und zum Raumschiff bringen. Dort oder in Schreetonga kann er operiert werden.« Einer der Männer, der jetzt erst ankam, hatte weiter als die anderen gedacht. Er hatte zuerst Bergungsgerät geholt und die Bediensteten bei den Gleitern verständigt. So konnte Awyrett ohne weiteren Zeitverlust abtransportiert werden. Axton zog sich von den Arkoniden zurück, legte Wert auf Abstand. Mehrere Male blickte Reifta mit offensichtlichem Unbehagen herüber.
Schreetonga lag auf einem Hochplateau im Norden. Hier herrschte ein angenehmes, mildes Klima. Die Stadt war nicht groß, hatte nur etwa tausend Einwohner, die alle vom Geschäft mit der Großwildjagd lebten. Es waren fast ausschließlich Arkoniden. Axton sah nur vereinzelt
Eingeborene, als er vor der halbrobotischen Klinik wartete. Eine Gruppe von drei Bauchaufschneidern operierte Awyrett mit der Hilfe eines Medoroboters. Inzwischen hatte Axton erfahren, dass der Arkonide erhebliche innere Verletzungen davongetragen hatte, die tödlich gewesen wären, wäre er nicht so schnell in die Klinik gekommen. Die anderen Teilnehmer der Jagd waren in einen Weinkeller im Zentrum der Siedlung gegangen, wo es einen schreetanischen Wein gab, der außerordentlich gut sein sollte. Reifta hatte das jedenfalls lautstark verkündet, nachdem Awyrett den Ärzten übergeben und die ersten Ergebnisse der Untersuchung mitgeteilt worden waren. Er hatte auch den Kosmokriminalisten zum Mitkommen aufgefordert, aber Axton hatte abgelehnt. So saß er nun auf einer Bank und blickte die Straße hinunter, die zum Platz im Zentrum führte. Dort gab es eine Reihe von Geschäften und mehrere Gaststätten. Nach rund zwei Tontas Wartezeit kam einer der Bauchaufschneider und nickte Axton zu. »Awyrett wird es schaffen, wir sind zufrieden.« »Wann kann er zur Kristallwelt zurück?« »Wir müssen drei Pragos warten, bis er sich genügend erholt hat, sodass er transportfähig ist.« »Danke.« Axton kletterte auf Kellys Rücken und achtete nicht auf den Blick des Arztes. Er bot allerdings auch ein seltsames Bild in seinem grünen Jagdanzug, wie er wie ein überdimensioniertes Insekt auf dem Roboterrücken kauerte und sich von ihm davontragen ließ. Der Verwachsene war hungrig und wollte irgendwo in der Siedlung etwas essen. Dabei verspürte er nicht die geringste Lust, mit den anderen Teilnehmern der Jagdgesellschaft zusammenzutreffen. Leider konnte er nicht verhindern, dass
er Aufsehen erregte, denn wo immer er auftauchte, blieben die Stadtbewohner stehen und begafften ihn. Keiner aber machte sich über ihn lustig. Hier respektierte man den Gast, denn er war es, der Geld nach Schreet brachte. Und etliche Adelige hatten Marotten, gegen die Axtons pures Aussehen harmlos war. Dennoch war er froh, als er in einer mit Jagdtrophäen verzierten Nische saß und ungestört essen konnte. Alle Spannung fiel von ihm ab, die Ruhe tat Axton gut. »Das Einzige, was mich noch stört, ist deine Anwesenheit«, sagte er zwischen zwei Bissen zu Kelly, der gegenüber am Tisch stand. »Leider kann ich dich nicht irgendwo an der Garderobe abgeben wie einen alten Hut. Und draußen kann ich dich auch nicht stehen lassen, weil du die Bande sofort aufmerksam machen würdest.« »Du könntest mich mit einem Deflektor ausstatten.« »Was weißt du denn davon?« Axton winkte ab. »Das würde bei dir auch nichts nutzen. Im Gegenteil. Wüsste ich, dass du mir unsichtbar gegenübersitzt, würde mir schlecht werden. Ich hätte das Gefühl, eine bösen Geist im Nacken zu haben. Schweig jetzt. Ich will in Ruhe essen.« Doch an diesem Tag war es ihm nicht vergönnt, die Köstlichkeiten der Küche ungestört zu genießen. Axton hatte den Wildbraten kaum zur Hälfte verzehrt, als überraschend Reifta erschien. Unmittelbar darauf betraten die anderen Mitglieder der Jagdgesellschaft den Raum, wandten sich aber anderen Tischen zu. »Sieh da, unsere grüner Kobold macht es sich gemütlich. Was dagegen, wenn ich mich setze?« »Durchaus nicht«, erwiderte Axton. »Für einen Mann wie Sie habe ich immer noch einen Bissen übrig.« Er schob dem Arkoniden seinen Teller hin. Reifta blickte ihn verblüfft an, dann lachte er schallend und reichte den Teller zurück. »So war das nicht gemeint.«
Ein Schreetaner brachte ihm eine Karaffe Wein und zwei Gläser. Er schenkte ein, Axton nahm das Angebot an. Während er jedoch nur einen kleinen Schluck von der süßlichen Flüssigkeit trank, leerte der Arkonide das Glas in einem Zug. »Ich habe mich über Sie erkundigt, Axton.« Der Verwachsene war sich noch nicht ganz klar darüber, ob er wirklich stark betrunken war oder das nur vorspielte. »Haben Sie?« »Ja. Ich habe einflussreiche Freunde auf der Kristallwelt. An sie habe ich mich per Hyperfunk gewandt.« »Mit Erfolg, wie ich hoffe?« »Wie man’s nimmt, Axton. Ich habe herausgefunden, dass man über Sie so gut wie nichts weiß.« Axton lächelte. »Das ist gut. Das ist die beste Auskunft, die Sie erhalten konnten.« Reifta dachte einige Augenblicke über die Antwort nach und fragte dann: »Woher kommen Sie?« Der Terraner beugte sich vor und winkte den Arkoniden heran. »Ich verrate es Ihnen. Aber nur, wenn Sie mir versprechen, mein Geheimnis zu bewahren.« »Ich schwöre.« »Ich komme aus der Zukunft«, flüsterte Axton geheimnisvoll. Dabei blickte er sich gewollt ängstlich nach allen Seiten um, als fürchte er, belauscht zu werden. Reifta ließ sich gegen die Lehne seines Stuhls fallen und lachte laut auf, sodass die anderen Arkoniden auf ihn aufmerksam wurden. Als Axton ihm energisch auf die Hand schlug, bemühte er sich jedoch, wieder ruhiger zu sein. »Aus der Zukunft? Aus welcher? Eine Periode? Ein Jahr?« »Nicht doch, Reifta. Es sind mehr als neuntausend Arkonjahre.« Der Arkonide sah ihn an. Für einen Augenblick schien er zu zweifeln, dann aber platzte es aus ihm heraus. Er bog sich vor
Lachen. Als er sich wieder gefangen hatte, trank er hastig ein weiteres Glas Wein. Er griff nach Axtons Arm. »Sagen Sie mir noch eins: Wer wird in neuntausend Jahren der mächtigste Arkonide sein?« »Diese Frage ist wirklich leicht zu beantworten«, sagte Axton mit einem feinen Lächeln. »In neuntausend Jahren wird Atlan da Gonozal der mächtigste Arkonide sein.« Nun war es endgültig mit Reiftas Beherrschung vorbei. Selbstverständlich glaubte er Axton kein Wort. Er lachte so laut, dass die anderen Arkoniden an den Tisch kamen und wissen wollten, was ihn derart amüsierte. Reifta war jedoch nicht in der Lage zu antworten, weil ihm immer wieder die Stimme versagte. Sinclair Marout Kennon aß gelassen weiter. Er wusste, dass er keinen Fehler gemacht hatte. Niemand konnte sich vorstellen, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Atlan befand sich in einer Position, die aus Sicht der herrschenden Arkoniden so gut wie aussichtslos war. Abgesehen davon, wie sollte er die Jahrtausende überleben? Der Terraner wusste, dass er für die nächste Zukunft Ruhe vor unangenehmen Fragen haben würde.
Axton wartete zwei Pragos ab. In dieser Zeit sah er von Reifta und den anderen wenig. Die Arkoniden zogen es vor, in den Wäldern zu jagen, und kümmerten sich nicht viel um Awyrett, der das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt hatte. Sie hatten erfahren, dass er außer Lebensgefahr war und schon bald zur Kristallwelt zurückgebracht werden konnte. Das genügte ihnen. Axton hielt sich während dieser Tage ständig in der Nähe der Klinik auf. Er belauerte sein Wild auf seine Art. Für ihn galt es, den günstigsten Zeitpunkt herauszufinden, zu dem er den nächsten Schritt wagen konnte.
Axton erschien mehrmals täglich in der Klinik und sprach mit den Ärzten; ihnen gegenüber hatte er sich als Cel’Orbton ausgewiesen. Einige Male betrat er das Krankenzimmer des Arkoniden, der von mehreren Spezialverbänden zur Bewegungslosigkeit verurteilt war. Awyrett lag unter einem Beatmungszelt und war an zahlreiche Beobachtungs- und Überwachungssysteme angeschlossen, die im Fall einer Gefahr sofort Gegenmaßnahmen einleiten konnten. Am Abend des zweiten Tages verließen alle Bauchaufschneider die Klinik. Axton wartete im Schatten einiger Bäume ab, bis er sicher war, dass er nicht gestört werden würde. Dann gab er Kelly das Zeichen. Der Roboter ließ sich nach vorn fallen, sodass er flach über dem Boden schwebte. Axton lag nun auf dem Rücken. Der Roboter glitt lautlos zur Klinik hinüber, hielt sich im Sichtschatten von Büschen und Zierstauden. Erst am Eingang richtete er sich wieder auf. Kelly blieb stehen und blickte durch die transparenten Scheiben hinaus. Draußen blieb alles ruhig, niemand schien sie beobachtet zu haben. »Weiter!«, befahl Axton leise. Der Roboter kannte den Weg. Awyrett war in einem fensterlosen Raum untergebracht, der nüchtern und steril eingerichtet war. Das Blinken der Überwachungssensoren beherrschte die Szene. Es waren die Lebenssignale eines Mannes, der unter anderen Umständen nicht überlebt hätte. Ein blaues Licht zeigte an, dass Awyrett weiterhin im künstlich aufrechterhaltenen Tiefschlaf lag; er hatte die Bewusstlosigkeit überwunden, doch das künstliche Koma unterstützte den Heilprozess. »Präg dir alles ein!«, befahl Axton dem Roboter. »Verband und Sensoren müssen später genauso sitzen wie jetzt.« »Verstanden, alles ist vorbereitet.« Axton trat ans Bett und legte eine Instrumententasche, die er mitgebracht hatte, auf einem kleinen Tisch ab. Denn begann
er, vorsichtig den Kopfverband zu lösen. Dieser bestand aus einer Mischung von Gaze und einem aufgesprühten Kunststoff, sodass er nicht einfach nur abgewickelt werden konnte, sondern zertrennt werden musste. Daher konnte der gleiche Verband später nicht wiederverwendet, sondern musste durch einen neuen ersetzt werden. Der Verletzte stöhnte hin und wieder leise. Das blaue Licht zeigte jedoch deutlich an, dass er nicht aufwachen würde. Axton unterbrach seine Arbeit hin und wieder und lauschte, obwohl er wusste, dass Kelly viel früher beim Zeichen einer Gefahr reagieren würde. Axton benötigte fast eine halbe Tonta, bis er den Kopfverband gelöst hatte. Die Wunden waren bereits halbwegs verheilt; die Spezialmedikamente wirkten rasch. So blieb Axton nichts anderes übrig, als den Schädel abermals zu öffnen. Dabei ging er so geschickt vor, dass nur ein winziger Schnitt entstand. Die Arbeit strengte ihn an. Ihm kam es heiß und stickig vor, obwohl die Klimaanlage für frische Luft und gleichbleibende Temperatur sorgte. Axtons Hand musste absolut ruhig sein; ein leichtes Zittern konnte das Desintegratorfeld bereits so verschieben, dass Gehirnmasse beschädigt wurde. Axton war daher gezwungen, hin und wieder Pausen einzulegen. Kelly tupfte seinen Schweiß ab und massierte dann vorsichtig Nacken und Arme, um die Muskeln zu entkrampfen. Schließlich konnte Axton eine winzige Sonde einige Zentimeter weit in das Gehirn das Arkoniden einführen. Mithilfe eines Peilgerätes, das auf die Sonde reagierte, stellte er fest, dass sie ihr Ziel millimetergenau erreicht hatte. Axton atmete auf. Die Aktivierung der positronischen Komponenten, die insgesamt nicht einmal zwei Gramm wogen, war kein Problem. Axton verschloss das winzige Loch in der Schädeldecke mit einem Pfropf, dessen Dichte sich nicht von dem des Knochens unterschied und bei einer Durchleuchtung
keine Aufmerksamkeit erregen würde. Auch die Versiegelung des kleinen Schnittes bereitete keine Probleme. Ein Wundspray würde den Heilungsprozess beschleunigen. Damit war die Hauptarbeit getan. Nun galt es nur noch, den Verband anzulegen. In diesem Augenblick vernahm Axton ein Geräusch auf dem Gang vor dem Zimmer und zuckte zusammen. Kelly machte ein Zeichen und sagte: »Da ist jemand.« Die Tür glitt zur Seite. Reifta betrat den Raum. Genauer gesagt, er torkelte herein. Seine Augen waren glasig. »Ha… hallo«, sagte er mühsam. »Trifft man sich auch mal wieder?« Er näherte sich dem Krankenlager und blickte auf Awyrett. In seinem Gesicht arbeitete es. Er war vollkommen betrunken und mühte sich ohne Zweifel, Awyrett klarer zu sehen. Als er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte, verlor er das Gleichgewicht und wäre gestürzt, hätte ihn Kelly nicht aufgefangen. »Gib ihm eins über den Kopf!«, befahl Axton hastig. Der Roboter gehorchte, Reifta sank in seinen Armen zusammen. »Der schläft vorerst. Pass dennoch auf ihn auf.« Er eilte zur Tür und schloss sie. Dann wandte er sich Awyrett zu, konzentrierte sich und vergaß Reifta völlig. Unter den wachsamen Blicken des Roboters, der jeden Handgriff registrierte und bei Bedarf korrigierte, legte Axton dem Verletzten den Kopfverband an. Die Bauchaufschneider würden keinen Unterschied bemerken. Nun begann Axton mit einer Arbeit, die für ihn ebenso wichtig war wie alles andere, was er in dieser Nacht geleistet hatte. Er beseitigte mit Kellys Hilfe alle Spuren, bis selbst einem Spezialisten wie ihm nichts mehr hätte auffallen können. Dann erst wandte er sich wieder dem immer noch bewusstlosen Reifta zu. Zu Axtons Ausrüstung gehörte ein Medikament, das in Geheimdienstkreisen zum Einsatz kam und dank seines
raschen Zerfalls nicht nachweisbar war. Die spezifische Wirkung war, dass der Zeitraum von einigen Tontas vor der Injektion aus dem Gedächtnis gelöscht wurde. »Er wird alles vergessen haben, wenn er aufwacht. Und der dicke Schädel vom Alkohol wird das Übrige dazu tun. Nimm ihn auf.« Der Roboter warf sich Reifta über die Schulter und trug den Arkoniden aus der Klinik. Axton, der ihm folgte, verschloss die Türen. Der neue Tag zog bereits herauf. Es wurde Zeit, dass Axton ins Hotel zurückkehrte. Reifta wurde in der Nähe eines Gasthauses hinter Büschen abgelegt.
Gegen Abend, erfuhr Axton beim Anruf eines der Bauchaufschneider, hatte sich Awyrett so weit erholt, dass er ins Arkonsystem gebracht werden konnte. Dort sollte die Behandlung fortgesetzt werden. Reifta stand vor dem Portal der Klinik, als Axton eintraf. Er musterte den Kosmokriminalisten mit seltsamen Blicken und sagte ohne Umschweife: »Wir fliegen zurück.« »Ich weiß.« In den Augen des Arkoniden blitzte es auf. Sein Gesicht trug noch die Spuren seiner Sauftour, er war jedoch hellwach. »Ich habe noch eine Frage, Axton.« Der Verwachsene stützte sich mit den Ellenbogen auf Kellys Schultern. Reifta biss sich auf die Lippen, räusperte sich und suchte spürbar nach Worten. Dann schüttelte er den Kopf. »Schon gut. Es war nichts weiter.« »Dabei hätte ich Ihnen so gern eine Antwort gegeben«, sagte Axton spöttisch. Er tippte den Roboter an und veranlasste ihn, weiterzugehen. Wusste Reifta etwas? Hatte das Medikament nicht korrekt gewirkt? Möglich, dass er sich an seinen Entschluss erinnerte, die Klinik aufzusuchen, aber sicher nicht mehr an das, was wirklich passiert war. Aber er suchte nach
der Wahrheit. Und das konnte gefährlich werden. Axton nahm sich vor, Reifta sorgfältig zu beobachten. Als er das Krankenzimmer Awyretts erreichte, wurde dieser bereits auf einer Antigravliege herausgebracht. Er war bei vollem Bewusstsein, erkannte Axton und lächelte. »Ich bin froh, dass Sie zur Stelle waren«, sagte er mit matter Stimme, als er an Axton vorbeischwebte. »Vielen Dank.« Reifta, der unbemerkt herangetreten war, sagte plötzlich: »Jetzt weiß ich es wieder. Ich habe Sie gesehen.« Axton wartete, bis die Bauchaufschneider und anderen Arkoniden den Klinikausgang erreicht hatten. »Wann?« »Ich wachte auf. Aber ich weiß, dass ich nicht allein dorthin kam. Vorher war ich hier. In der Klinik.« Seine Augen weiteten sich. »Und Sie waren auch hier.« »Sind Sie immer noch betrunken?« Der Arkonide packte Axtons Arm so fest, dass der Kosmokriminalist fast von Kellys Rücken gestürzt wäre. »Sie waren hier. Mitten in der Nacht.« Axton blieb kühl wie stets, wenn Gefahr im Verzug war. Das Medikament hatte nicht gewirkt. Vielleicht weil es eine Wechselwirkung mit dem Alkohol gegeben und es zumindest teilweise neutralisiert hatte. »Sie haben einflussreiche Freunde?« »Was hat das damit zu tun?« »Sie haben sich über mich erkundigt?« »In der Tat.« »Dann wissen Sie, dass ich im Dienst des Imperators stehe.« »Sie sind beim Geheimdienst. Das ist mir bekannt.« »Dann sollten Sie ein wenig mehr überlegen, Mann. Awyrett ist für das Imperium ein äußerst wichtiger Mann. Für die Gegner des Imperiums könnte es allzu verlockend sein, ihn für eigene Pläne einzuspannen. Wenn also ein Mann wie Awyrett verunglückt, dürfte es kaum überraschend sein, dass sich der
Geheimdienst besonders um ihn kümmert. Ich war in den letzten Tagen nahezu ständig bei Awyrett. Das sollte selbst ein von Alkohol umnebeltes Gehirn wie das Ihre begreifen. Abgesehen davon wäre es interessant zu erfahren, was Sie mitten in der Nacht in der Klinik gewollt haben – sofern Ihr angebliches Wissen keiner Halluzination entstammt.« Der Arkonide wurde blass. Plötzlich erkannte er, in welche Lage er sich selbst gebracht hatte. Axton lächelte nur kühl, wandte sich ab und ließ sich von Kelly davontragen. Rasch hatte er den Spieß umgedreht, jetzt befand sich Reifta in der Position, sich verteidigen zu müssen. Doch das befriedigte Axton keineswegs; die Situation konnte sich schnell wieder ändern. Es galt, eine Dauerlösung zu finden, bevor Reifta zu einem echten Problem wurde.
8. Lebo Axton: Erlebnisse, Gedanken und Notizen, Geheimspeicher im Ovalkörper von Gentleman Kelly Orbanaschol III. beabsichtigt zweifellos, seine Macht mithilfe des Ingenieurs derart zu festigen, dass sein Khasurn niemals durch die Gonozals oder den anderer Hochedler gefährdet wird. Die geschichtliche Entwicklung zeigt, dass der spätere Robotregent in der Tat zu einem beispiellosen Machtfaktor im Großen Imperium wurde, wenn auch erst durch die letzte Ausbaustufe unter der Regie von Ka’Marentis Epetran. Unwillkürlich frage ich mich, ob das auch ohne die jetzige Grundlage so geschehen wird. Und wieder einmal stellt sich die entscheidende Frage: Ist die mir bekannte historische Entwicklung ohne mein Auftreten im Großen Imperium verlaufen – oder wird der Weg der terranischen Menschheit zu den Sternen erst möglich, weil ich Atlan in dieser Zeit Hilfe leiste? Unabhängige Entwicklung oder Zeitschleife? Nach wie vorfühle ich, dass ich vor einem Abgrund unlösbarer Fragen stehe. Ist meine jetzige Existenz real? Ist mein Körper nur Bestandteil eines Traumszenarios? Oder lebt mein »projizierter Körper« tatsächlich in der Vergangenheit zur Zeit Orbanaschols? Fest steht, dass ich bereits Einfluss auf gewisse Ereignisse genommen habe – und Gun Epprik eröffnet mir weitere Möglichkeiten von vorläufig noch unüberschaubarer Weite. »Niemand kann sich heute vorstellen, was dieses Bauvorhaben bedeutet, Axton«, sagte er. »Auf Arkon Drei entsteht ein Riesenhirn von Dimensionen, wie es das Universum bis jetzt noch nicht gekannt hat. Die positronische Robottechnik befindet sich auf einem Höhepunkt, den vor Jahren noch niemand für möglich gehalten hat. Auf Gor’Ranton entsteht ein positronischer Gigant, der das Imperium für alle Zeiten zu einem unschlagbaren Machtfaktor machen wird. Ein auf Jahrtausende ausgerichtetes Projekt!« »Niemand kennt die Zukunft.«
»Doch, Axton. Ich kenne sie.« Epprik widersprach voller Begeisterung. Ich war mir plötzlich sicher, einem besonderen Mann gegenüberzusitzen. Er war ein Visionär und hatte die Fähigkeiten, seine Visionen umzusetzen genau wie später auch Epetran. Epprik ließ sich von seiner Begeisterung mitreißen, kündigte manches an, was sich – wie ich wusste – bewahrheiten sollte. »Ich will nicht verschweigen, dass sich gewisse Anzeichen einer beginnenden Degeneration unseres Volks zeigen. Die Taion-KSOL wird auch benötigt, um die Situation zu meistern, die sich daraus ergeben könnte. Es muss und wird das Tai Ark’Tussan durch eine mögliche Zeit der Schwäche zu neuen Höhen führen.« Ich ließ mich von Eppriks Begeisterung anstecken, schließlich kenne ich die arkonidische Geschichte und weiß, dass es ein Terraner namens Perry Rhodan sein wird, der das Erbe der Arkoniden antritt. Ist es möglich, dass ich nicht nur der Wegbereiter für Atlan, sondern auch für Rhodan sein werde? Kaum habe ich diesen Gedanken gefasst, verwerfe ich ihn wieder energisch. Ein Mann in meiner Situation kann kaum einen gefährlicheren Fehler begehen, als in Träumereien zu geraten und dabei die Realitäten zu übersehen. Er wäre Wahnwitz, unter diesen Umständen zu intensiv an Ereignisse zu denken, die sich erst in zehntausend und mehr Jahren abspielen werden. Unwillkürlich fühle ich mich daran erinnert, dass zu diesem Zeitpunkt, an dem ich zusammen mit Gun Epprik nach Arkon III fliege, auf der fernen Erde die ersten echten postlemurischen Kulturen entstanden. Noch war Atlantis – nach Atlan benannt! – nicht untergegangen. Epprik sprach begeistert weiter, zeichnete die Möglichkeiten eines positronischen Riesengehirns dieser Art auf. Je länger der Flug dauerte, desto mehr erfuhr ich über das Projekt. Allmählich erkannte ich, warum der Ingenieur bei Orbanaschol so hohes Ansehen genoss. Auf den genialen Mann stützte der Imperator seine Hoffnungen; er war einer der Grundpfeiler, auf denen er seine weitere Macht errichten wollte. Schon nach kurzem Flug kam die riesige Baustelle im Zentrum des
von den Landefeldern des AYA-Zentralraumhafens umgebenen Areals in Sicht. Über viele Quadratkilometer gab es tiefe Ausschachtungen, in denen Sockel und Kugeleinheiten aus Arkonstahl entstanden. »In vielen Bereichen sind bereits Positroniken montiert und vernetzt worden«, erklärte Epprik. »Genau genommen ist die Erste Phase, die den Unterbau betrifft, bereits weitgehend abgeschlossen. Im weiten Umkreis sind die Tiefbunkeranlagen bis in zweitausend Metern Tiefe erstellt worden. Die schon montierten Positroniken verleihen der KSOL allerdings erst zehn Prozent ihrer Zielkapazität. Die meisten subplanetarischen Hallen werden noch für Jahrhunderte oder Jahrtausende leer stehen.« Das entsprach meinen Kenntnissen der Entwicklung. Ich erinnerte mich daran, dass es hier ursprünglich einmal ein Hochplateau gegeben hatte, bis dieses von der Explosion des akonischen Zeitumformers vernichtet wurde und 6373 da Ark einen Krater von zweitausend Metern Tiefe und annähernd dreißig Kilometern Durchmesser hinterlassen hatte. Innerhalb des aufgeworfenen Ringwalls war das Loch jedoch nicht einfach verfüllt worden, sondern hatte als Grundlage für den Bau der neuen ausgedehnten Tiefbunkeranlagen des Flottenzentralkommandos gedient, verbunden mit dem Bau der ersten Stufe eines umfangreichen positronischen Netzwerks. In der Nachfolge von Imperator Metzat III. wurden die Anlagen immer wieder erweitert und ausgebaut, bis sie schließlich zum Mittelpunkt von AYA-Dolta-Taivarn wurden – und dann begonnen wurde, die Riesenpositronik zu errichten. Die sechs Hauptlandefelder sind von einem 250 Kilometer durchmessenden Ring aus 36 martialisch wirkenden, burgartigen Abwehrforts mit überschwerster Bewaffnung umgeben; ein zweiter, innerer Ring aus zwölf Abwehrforts erreicht 100 Kilometer Durchmesser.
Arkon I: 18. Prago des Tartor 10.498 da Ark Auf der Kristallwelt hatte sich
Awyretts
Gesundheitszustand schnell verbessert. Lebo Axton ließ sich einige Tage bei ihm nicht sehen. Er hatte das Glück, einen nicht allzu schwierigen Fall übertragen zu bekommen, den er rasch erledigte, bei dem es jedoch einige Überraschungen gab, die ihn beträchtlich aufwerteten. Sein Name erschien wieder einmal mit besonderer Auszeichnung in den Akten, und er hatte wieder eine Stufe auf der Leiter des Erfolgs erklommen, ohne sich sonderlich dabei angestrengt zu haben. Dann konzentrierte er sich wieder auf Awyrett. Avrael Arrkonta meldete sich an dem Abend, an dem er den Fall der letzten Pragos zu den Akten gelegt hatte. »Er ist wieder im Amt«, teilte er Axton lakonisch mit. »Awyrett scheint sich wieder vollkommen gesund zu fühlen.« »Das war zu erwarten.« Der Arkonide blickte ihn forschend an. »Hatten Sie etwa etwas mit dem Unfall zu tun?« »Wie kann man nur so fragen? Natürlich nicht. Ich danke Ihnen für die Nachricht, Avrael. Bis bald.« Einige Tontas später erschien Axton auf dem Sonderraumhafen, auf dem das Material für Arkon III verschifft wurde. Das Landefeld von Shuluk westlich des Sha’shuluk-Sichelbinnenmeers war eher klein und rund 2600 Kilometer vom Kristallpalast entfernt. Es war ausschließlich für die Frachtflüge ausgebaut worden, weil man glaubte, nur so eine ausreichend genaue Kontrolle durchführen zu können. Vier ausgedehnte Hallen standen hinter Schutzschirmen am Rand des Landefelds. Sie wurden von einem Sicherheitssperrgürtel mit stationären Überwachungsautomaten, frei beweglichen Kampfrobotern und zahlreichen bewaffneten Arkoniden umgeben. Lebo Axton hatte jedoch keine Mühe, zu Awyrett vorzudringen, nachdem er sich bei ihm angemeldet hatte. Zwei Orbtonen begleiteten ihn.
Awyrett erwartete Axton in seinem Büro, das sich mitten im Verwaltungstrakt befand und Verbindung zu allen anderen Büros hatte. Awyrett isolierte sich nicht von seinen Mitarbeitern, sondern arbeitete auch räumlich eng mit ihnen zusammen. Sein Büro war allerdings so eingerichtet, wie es sich für einen einflussreichen und wohlhabenden Arkoniden gehörte. Es war mit Auszeichnungen, Jagdtrophäen und Ehrendokumenten diverser Wirtschaftsverbände reichlich geschmückt. Axton glitt von Kellys Rücken und ließ den Roboter auf dem Flur zurück, ehe er das Büro betrat. Awyrett kam im entgegen, freute sich sichtlich über den Besuch. »Sie sehen noch etwas blass und schmal aus«, sagte Axton nach der Begrüßung. »Aber sonst scheinen Sie wieder ganz in Ordnung zu sein.« »Das bin ich auch«, antwortete der Arkonide selbstsicher. »Ich habe alles ohne nachteilige Folgen überstanden.« Er bot seinem Besucher einen Sessel an und kam noch einmal auf den Unfall zu sprechen. Dabei dankte er Axton für sein entschlossenes Eingreifen. Sie wurden einige Male durch Anrufe und Mitarbeiter Awyretts gestört, bis dieser befahl, ihn für einige Zeit in Ruhe zu lassen. Als er sich vom Visifon abwandte, kreuzte Axton die Arme vor der Brust. Seine Finger tasteten nach dem winzigen Sender, den er an der Innenseite des rechten Oberarms unter der Kleidung verborgen hatte. Sie drückten einen Knopf, eine Impulskette wurde mit minimaler Leistung abgestrahlt. Ritikka Awyrett erstarrte mitten in der Bewegung, seine Augen wurden glasig. Axton beobachtete ihn genau. Die Augenblicke verstrichen, ohne dass etwas geschah. Der Arkonide schien einige Male nahe daran zu sein, das Gleichgewicht zu verlieren, fing sich aber immer wieder. Seine Körperfunktionen waren also nicht gestört, trotz des tranceähnlichen Zustands, in dem er sich befand.
Axton rutschte aus dem Sessel, eilte zu Awyrett und packte ihn am Arm. »Awyrett, was ist mit ihnen los?«, fragte er laut. »Awyrett, bei allen Göttern, sagen Sie doch etwas.« Das Visifon sprach an. Awyrett reagierte nicht. Axton trat zurück, ließ nahezu eine Dezitonta verstreichen, dann betätigte er den kleinen Impulsgeber erneut. Awyrett atmete tief durch, taumelte leicht und musste sich abstützen. »Den Göttern sei Dank«, sagte Axton mit einem erleichtert klingenden Seufzer. »Awyrett, was war mir Ihnen los?« Der Arkonide blickte ihn verwirrt an, fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und stöhnte leise. »Nichts, absolut nichts, Axton«, sagte er mit heiserer Stimme. »Wie kommen Sie darauf, das etwas nicht in Ordnung sein könnte?« Der Kosmokriminalist antwortete nicht, hob nur abwehrend die Hand und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Oh, nur so. Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Vielleicht strengt Sie mein Besuch doch etwas zu sehr an.« Als er zur Tür ging, eilte Awyrett hinterher. »Nicht doch, Axton. Bleiben Sie.« Der Verwachsene schüttelte den Kopf. »Ich kann wirklich nicht länger bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen.« Awyrett befand sich am Rande der Panik. Er blickte nervös auf die Uhr und erschrak. In diesem Augenblick erkannte er, was geschehen war. Ihm fehlte mehr als eine Dezitonta – die Zeit, in der er sich in dem trancehaften Zustand befunden hatte. Axton trat einen weiteren Schritt zurück, die Tür schloss sich. Er kletterte auf Kellys Rücken und sagte leise: »Schnell, aber nicht zu schnell.« Der Roboter setzte sich in Bewegung. Als sich die Tür zu Awyretts Büro erneut öffnete, war er bereits zwanzig Meter entfernt. Aus dem Antigravschacht kamen zwei Wachorbtonen. Awyrett zog sich zurück, wie Axton beim Blick über die Schulter merkte, ohne Axton gerufen zu haben.
Er unternahm auch nichts, als der Verwachsene das Gelände verließ. Er meldete sich erst kurz vor Mitternacht in der Privatwohnung des Kosmokriminalisten, war dem Zusammenbruch nahe. Sein Gesicht war bleich. »Ich muss Sie sprechen, Axton, sofort.« »Ich bitte Sie, Awyrett«, sagte Axton mit mildem Vorwurf. »Hat das nicht bis morgen Zeit? Ich bin müde und wollte mich eben hinlegen.« »Es muss wirklich sein. Es ist ungeheuer wichtig für mich. Kann ich zu Ihnen kommen?« »Hm.« Axton tat, als müsse er überlegen. Dabei hatte er selbstverständlich auf diesen Anruf gewartet. »Sie sagen, es sei wichtig?« »Mehr als das.« »Dann habe ich selbstverständlich Zeit für Sie. Kommen Sie her.« Er schaltete das Visifon ab.
Eine halbe Tonta später betrat Awyrett die Wohnung Axtons. Dieser ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen, sondern sagte: »Ich würde es vorziehen, ein bisschen frische Luft zu schnappen. Begleiten Sie mich?« Awyrett begriff. Unwillkürlich blickte er sich um, als könne er eventuell vorhandene Abhörgeräte mit bloßen Augen erkennen. Zusammen mit Axton verließ er das Gebäude und ging in den Park. Die beiden Männer sprachen erst wieder, als sie eine Bank erreicht und sich gesetzt hatten. Awyrett war sichtlich froh, dass der Roboter diesmal nicht dabei war. »Was gibt es?«, fragte Axton, obwohl er genau wusste, was den Arkoniden belastete. »Ich muss Ihnen ein Geständnis machen. Eine andere Chance habe ich wohl nicht.«
»Das hört sich ja entsetzlich an.« »Das ist es auch. Wissen Sie über mich Bescheid, Axton?« »Ich kenne Ihre Akte.« Der Arkonide senkte den Kopf. »Dann ist Ihnen bekannt, dass mein Großvater und mein Vater unter der OulouhatSeuche gelitten haben.« »Allerdings.« »Und heute sind Sie sich darüber klar geworden, dass auch ich den Krankheitskeim in mir trage, nicht wahr?« Axton antwortete nicht, blickte den Arkoniden nur an. Er wusste, dass sich die Furcht vor der Oulouhat-Seuche bei Awyrett bis zu einem Trauma entwickelt hatte. Die Angst, durch sie alles wieder zu verlieren, was er sich mühsam aufgebaut hatte, hatte ihn stets verfolgt. So war der Zusammenbruch – kurz nach der schweren Verwundung – unvermeidlich gewesen, nachdem ihn der Trancezustand heimgesucht hatte. Genau auf den Unfall kam Awyrett auch zu sprechen. »Axton, dieser Zwischenfall heute ist nur auf meine Verletzung zurückzuführen. Bestimmt hat es nichts mit der Oulouhat-Seuche zu tun.« »Sie wissen, dass das nicht stimmt.« »Sagen Sie das nicht. Sie haben überhaupt keine Beweise. Sie vermuten doch nur, dass ich diese Krankheit auch geerbt habe.« »Für mich waren die Symptome eindeutig.« »Axton, was soll ich denn tun?« Der Terraner antwortete nicht, trieb sein psychologisches Spiel unbarmherzig weiter. Ritikka Awyrett tat ihm fast leid, aber davon durfte er sich nicht beeinflussen lassen. Es ging um Atlan und die Zukunft des Großen Imperiums. Awyrett würde seine psychische Krise später zweifellos wieder überwinden. »Axton, bitte, geben Sie mir einige Pragos Zeit.« »Warum melden Sie nicht, was passiert ist?«
»Weil ich dann verloren wäre. Es gibt keine Heilung, und davon geht man bei allen Behörden aus. Dabei bin ich ehrlich davon überzeugt, dass ich mich erholen werde, wenn nur ein paar Tage verstrichen sind. Es ist nicht Oulouhat! Die Verletzung und die Anstrengungen waren einfach zu viel für mich. Ich hätte noch etwas warten müssen.« »Also gut«, sagte Axton und stand auf. »Ich warte ab. Sie sind ein wertvoller und ungemein tüchtiger Mann, auf den niemand verzichten möchte. Sollte sich Ihr Zustand allerdings verschlimmern, muss ich handeln.« »Ich danke Ihnen.« Die Männer kehrten zum Gebäude zurück. Awyrett schwebte im Antigravschacht zur Etage der Besuchergleiter hinauf. Axton folgte ihm mit einiger Distanz; aus sicherer Deckung heraus beobachtete er, wie der Arkonide den Gleiter bestieg. Als die Maschine etwa dreihundert Meter entfernt war, betätigte er das Funkgerät. Axton wusste, dass Awyrett im gleichen Augenblick in Trance fiel. Dabei konnte ihm jedoch nichts geschehen, weil zu diesem Zeitpunkt der Autopilot steuerte und die positronischen Sicherheitseinrichtungen dafür sorgten, dass es weder zu einem Zusammenstoß noch zu einem Absturz oder einer vorzeitigen Landung kommen konnte. Nach einer Weile beendete ein weiterer Funkimpuls die Trance – und Awyrett würde nicht entgehen, was mit ihm passiert war. Er würde merken, dass er wiederum einen Anfall gehabt hatte.
Arkon I: 19. Prago des Tartor 10.498 da Ark Lebo Axton stand auf den Halterungen auf dem Rücken des Roboters und sah zum Trichterbau hinüber, in dem Ritikka Awyrett wohnte. Er gehörte genau wie Eppriks Wohnung zu einem der luxuriösesten Gebäude im Sonderbereich von
Arethoquon-Don, einer Landschaft von ungewöhnlicher Schönheit rund 200 Kilometer westlich des Hügels der Weisen. Hier wohnten ausschließlich Mitglieder der vornehmsten und reichsten Familien Arkons. Dreißig Gebäude verteilten sich in dem weiten Tal der Shuluk-Ahaut-Ausläufer, das in einen blühenden Park verwandelt war. Axton befand sich zwischen Bäumen und Büschen, die ihn hervorragend deckten. »Achtung«, sagte Kelly. »Er kommt.« Axton kniff die Augen zusammen. Nur mit Mühe konnte er den Arkoniden erkennen, der eine der Nischen unterhalb der Dachkante betrat, wo die Gleiter parkten. Axton wusste, dass er sich auf Kelly verlassen konnte, da dieser über beste optische Sensoren verfügte. »Jetzt öffnet er die Tür und steigt ein.« Axton aktivierte den Impulsgeber. Im gleichen Augenblick verfiel Awyrett in den Trancezustand, in dem er nur noch wenig bewusst wahrnahm und zu keinen bewussten Handlungen mehr fähig war. Der Gleiter blieb in der Nische. Axton wartete ab. Erst nach einer Tonta erlöste er den Arkoniden mit einem erneuten Funkimpuls. »Er steigt aus, setzt sich aber sofort wieder in den Gleiter. Er schlägt sich die Hände vors Gesicht«, sagte der Roboter. »Er hat begriffen, was geschehen ist. Er weiß nicht, was er tun soll.« Einige Zentitontas verstrichen, dann startete der Gleiter. Awyrett entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit vom Trichterbau. Axton zweifelte nicht daran, dass er zu seinem Arbeitsplatz flog und eine Ausrede für die Verspätung finden würde. »Das war’s«, sagte er. »Bring mich zum Gleiter.« Der Roboter gehorchte wortlos, marschierte mit weit ausgreifenden Schritten durch den Park bis zum unter Bäumen geparkten Gleiter. Wie üblich überließ Axton Kelly die Steuerung. »Wohin?«
»Zu Avraels Wohnung.« Er wartete, bis der Gleiter gestartet war, dann tippte er die Kodenummer Arrkontas ins Visifon. Eine ungewöhnlich schöne Arkonidin erschien und blickte Axton freundlich an. Er nannte seinen Namen und teilte mit, Arrkonta persönlich treffen zu müssen. »Sie sind mir bekannt, Erhabener«, antwortete sie. »Der Nert befindet sich in einer Besprechung, wird jedoch für Sie Zeit haben.« Wie immer, wenn schöne Frauen freundlich zu ihm waren, wurde Axton unsicher. Sein linkes Lid zuckte heftig. Er bedankte sich mit heiserer Stimme und schaltete ab, da er befürchtete, sich länger mit der Sekretärin unterhalten zu müssen, als er ertragen konnte. Er wies Kelly an, langsamer zu fliegen. Als er die Luxuswohnung betrat, war die Konferenz zu seiner Erleichterung schon beendet. Arrkonta führte ihn in einen kleinen, behaglich eingerichteten Raum. »Was kann ich für Sie tun, Lebo?«, fragte er, kaum dass sie sich gesetzt hatten. Eine Servoautomatik stellte erfrischende Getränke auf den Tisch. Der Kosmokriminalist bediente sich, bevor er antwortete. Als er einen Schluck getrunken hatte, setzte er ein entwaffnendes Lächeln auf. »Ich bin gekommen, um Sie zu erpressen.« Der Arkonide lachte, glaubte an einen Scherz. »Von dieser Seite kenne ich Sie noch gar nicht. Direkt und offen zum Ziel?« »Ich meine es ernst.« Arrkonta beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie, blickte sein Gegenüber forschend an. »Werden Sie deutlicher.« »Sie liefern positronische Bausätze für die auf Arkon Drei entstehende Taion-KSOL.« »Das ist kein Geheimnis.« »Sie sind ein Freund Atlans.«
»Auch richtig, aber das sollte ein Geheimnis bleiben.« »Ich garantiere Ihnen, dass Sie nichts zu befürchten haben.« »Was, bei allen Göttern Arkons, haben Sie vor?« Der Kosmokriminalist wartete eine Weile, bis er weitersprach. Arrkonta wurde unruhig. »Ich plane ein Attentat.« Axton hob die Hände. »Nein, ich will nichts zerstören. Es werden überhaupt keine sichtbaren Spuren bleiben.« »Dann verstehe ich nicht…« »Avrael, ich will ein vorprogrammiertes Bauteil einschleusen. Ich will Atlans Weg zur Macht vorbereiten und unterstützen. Dabei muss ich berücksichtigen, dass beträchtliche Teile der Riesenpositronik schon fertiggestellt sind, ehe Atlan Orbanaschol ausreichend nahe auf den Pelz rücken kann, um ihn zu stürzen. Die Anlage auf Gor’Ranton könnte für den Kristallprinzen zur tödlichen Falle werden. Das darf nicht geschehen. Deshalb muss vorgesorgt werden. Wenn Atlan in einem Jahr oder wann immer vor seinem entscheidenden Kampf steht, muss ihm die Spezialprogrammierung helfen. Und diese will ich mit der nächsten oder übernächsten Lieferung verankern.« Arrkonta sank im Sessel zurück und schüttelte den Kopf. »Bisher habe ich immer geglaubt, dass Sie eine nüchtern denkende Person sind, Lebo. Aber mir scheint, dass ich mich geirrt habe. Ein solcher Plan ist nicht durchzuführen. Die Kontrollen sind extrem scharf. Wird das Spezialprogramm entdeckt, ist es aus mit uns beiden. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich mich selbst ans Messer liefere.« »Sehen Sie, das meinte ich, als ich sagte, dass ich gekommen bin, um Sie zu erpressen«, sagte Axton in fast heiterem Ton. »Sie wollen Ihren Plan also in jedem Fall realisieren?«, fragte Arrkonta entsetzt. Axton nickte, griff nach dem Glas und trank. Arrkonta stand
auf, ging nervös zu einem Schrank und öffnete ihn. Er nahm eine Flasche mit einem alkoholischen Getränk heraus, schenkte sich ein Glas ein und trank in einem Zug, ehe er erbittert sagte: »Das hat man davon, wenn man sich mit Männern wie Ihnen einlässt.« »Sie hätten Ihren Anschlag eben besser planen sollen, mein Lieber, dann wären Sie mich und alle Ihre Sorgen losgeworden.« »Verhöhnen Sie mich nicht auch noch.« Der Arkonide setzte sich, grübelte einige Zentitontas und blickte Axton dann fragend an. »Sie sagten, mir könne nichts passieren?« »Überhaupt nichts.« »Was soll ich tun?« »Sie sollen mir helfen. Ich muss wissen, welchen Weg die Bauteile genau nehmen, wo und von wem sie kontrolliert werden und dergleichen.« »Das ist kein Problem, das kann ich Ihnen sagen.« »Und dann muss ich einige Tontas mit wenigstens einem Bauteil allein sein, damit ich es in Ruhe präparieren kann.« »Das ist schon schwieriger. Der Werkschutz ist wachsam.« »Sie werden mit mir zusammen im Labor arbeiten. Das dürfte kaum auffallen, denn soweit ich informiert bin, amüsieren Sie sich ja nicht nur mit schönen Frauen und scharfen Getränken.« Arrkonta fluchte leise. »Was geschieht, sollte ich mich weigern?« Lebo Axton lächelte. »Aber Avrael«, sagte er freundlich, »das würden Sie doch nie tun, nicht wahr?«
Die Fertigungsstätten und Entwicklungslaboratorien Arrkontas waren subplanetarisch in den westlichen Ausläufern des Shuluk-Ahaut-Gebirges nahe dem Binnenmeer
angelegt und auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Zwischen mächtigen Bäumen führte eine Schneise zu einem Tunnel, der am Fuß eines Hügels begann und steil in die Tiefe führte. Axton, der ohne Kellys Begleitung mit Arrkonta flog, entdeckte den Eingang erst im letzten Augenblick. »Der Imperator wollte diesen Teil der Produktion zum einen auf der Kristallwelt haben«, sagte Arrkonta, »auf der anderen Seite aber nicht zulassen, dass das äußere Bild des Planeten beeinträchtig wird.« Axton antwortete nicht, sondern konzentrierte sich völlig auf die vor ihm liegende Aufgabe. Selbstverständlich war er kein Positroniker. Aber er hatte im Laufe seines langen Lebens viel mit Positroniken zu tun gehabt und kannte Systeme, die denen der Arkoniden weit überlegen waren. Bei seiner Ausbildung als USO-Spezialist hatte er darüber hinaus Techniken kennengelernt, die alles in den Schatten stellten, was die Arkoniden zu bieten hatten. Er konnte daher auch aus einfachsten Mitteln Zusatzteile bauen, die aus Sicht der Arkoniden geradezu unvorstellbare Effekte erzielten. Von der Software ganz zu schweigen. »Soll ich Sie dem Laborleiter vorstellen?«, fragte Arrkonta. »Machen Sie so wenig Aufhebens wie möglich. Je unauffälliger alles verläuft, desto besser.« Der Gleiter passierte einige Kontrollstationen, ohne aufgehalten zu werden. Das Fluggerät war mit automatischen Impulsgebern ausgestattet, die ihm den Weg frei machten – allerdings unter der Voraussetzung, dass Arrkontas Individualschwingungen permanent anzumessen waren. Er steuerte den Gleiter durch ein durch zahlreiche Schleusen gesichertes Gangsystem bis zu einer Parknische. Von hier aus führte er seinen Besucher in ein lichtes Laboratorium, in dem einige Frauen arbeiteten. Axton fiel sofort auf, dass jede von ihnen überdurchschnittlich gut aussah, und wurde verlegen,
als sie ihn anblickten. Er war froh, als sie an ihnen vorbeigegangen waren. Dabei bemühte er sich vergeblich, die Füße so anzuheben, dass sie nicht über den Boden schleiften. Als sie ein durch transparente Wände abgetrenntes Sonderlabor betraten, blieb er keuchend stehen. »Sie machen einen schweren Fehler«, sagte er. »Ich verstehe nicht. Was meinen Sie?« »Sie haben eine Schwäche für schöne Frauen. Und das kann Ihnen einmal zum Verhängnis werden.« Arrkonta lachte auf. »Glauben Sie mir, Lebo, von Frauen verstehe ich deutlich mehr als Sie. Damit will ich Sie keineswegs beleidigen. Ich meine nur, dass…« »Wollte ich Ihnen an den Kragen, würde ich Ihnen eine bildschöne Agentin schicken. Nach zwei Pragos könnte ich Sie dann nach allen Regeln der Kunst fertigmachen.« Der Arkonide schwieg betroffen. Er wusste, dass Axton recht hatte. Der Kosmokriminalist kümmerte sich nicht mehr um ihn, sondern ging zu einem Arbeitstisch, auf dem rund ein Dutzend verschiedene positronische Bausätze lagen. Sie waren mit Symbolen und Ziffern gekennzeichnet. Da der Terraner bereits entsprechend vorbereitet war, wusste er, was diese zu bedeuten hatten. Vor ihm ruhten die Geräte, die demnächst in die Riesenpositronik eingebaut werden sollten. Er winkte Arrkonta und ließ sich die Teile nochmals genau erklären, um exakt zu wissen und sicher zu sein, welche Funktionen sie später zu erfüllen hatten. Schon bei der ersten Einweisung hatte er seine Ideen entwickelt, inzwischen hatte sein Plan endgültige Konturen angenommen. Axton begann mit der Arbeit. Der Arkonide sah ihm staunend zu. Einige Male äußerte er Zweifel, als er sah, dass Axton Teile aus dem Block löste und durch andere ersetzte. »Wollen Sie mir nicht erklären, was Sie einlagern wollen?«, fragte er. »Und sind Sie sicher, dass diese Teile später auch
wirklich die für sie vorgesehene Arbeit bewältigen können?« »Absolut. Und ich will Ihnen auch die ganze Wahrheit sagen – Sie sollen der Einzige außer mir sein, der Bescheid weiß. Vielleicht bin ich ja später nicht mehr in der Lage, Atlan zu informieren. Dann müssen Sie das für mich tun. Wollen Sie?« »Selbstverständlich.« »Dann hören Sie gut zu. Die rein baulichen Veränderungen beschränken sich auf wenige Komponenten, die allerdings im Rahmen der Vorgaben bleiben. Die eigentliche Manipulation betrifft Programme und Daten, die im Wust der anderen versteckt und getarnt werden. Ich verberge auf diese Weise einen kodierten Befehl von absolutem Höchstrang an die entstehende Riesenpositronik. Mit diesem Befehl wird Atlan, wenn alles klappt, das gesamte Gehirn für drei Pragos lahmlegen können. Da von der Positronik alles abhängen soll, also beispielsweise auch der Einsatz der Imperiumsflotten, wird Atlan vielleicht eine wesentliche Chance haben, das in diesen drei Pragos entstehende Chaos zur Machtübernahme zu nutzen.« »Wie lautet der Kode?« »Zukunftsgeister auf der Seite des Kristallprinzen.« Das sagte Arrkonta überhaupt nichts. Er krauste die Stirn, stellte aber keine Fragen. »Ich würde gern mehr einschmuggeln«, fuhr Axton nach einer Weile fort. »Mehr aber ist zurzeit kaum möglich. Gern hätte ich ein positronisches Absetzungsverfahren eingeleitet, mit dem Orbanaschol gestürzt werden kann – oder etwas in dieser Art –, aber das wäre viel zu kompliziert und aufwendig. Das schaffe ich nicht.« »Sie müssen einen Weg finden, Atlan zu informieren.« »Da wird sich schon eine Möglichkeit ergeben.« Axton wehrte weitere Einwände des Mannes mit einer energischen Geste ab, arbeitete weiter und schaffte es, dem fertigen
Bausatz genau jenes Aussehen zu verleihen, das sich von den vorherigen nicht unterschied. Er hatte die Zusatzprogrammierung noch nicht ganz abgeschlossen, als das Ruflicht des Visifons leuchtete. Arrkonta machte einen entscheidenden Fehler – er schaltete das Gerät zu schnell ein, Axtons Warnruf kam zu spät. Das Bild eines Axton unbekannten Arkoniden erschien. Hinter ihm erkannte der Terraner das Gesicht Reiftas, der zur Jagdgesellschaft auf Schreet gehört hatte. Ebenso wie er ihn sehen konnte, traf das auch auf Reifta zu. »Hier ist der Adlige Reifta, der darauf besteht, mit Ihnen zu sprechen«, sagte das Mitglied der Wachmannschaft. Reifta verschwand aus dem Bild. »Ich finde den Weg allein«, rief er, ohne sich um die Proteste zu kümmern. »Halten Sie den Mann auf!«, befahl Arrkonta. »Nein, lassen Sie ihn gehen«, korrigierte Axton scharf und schaltete das Visifon ab. »Warum tun Sie das? Und wer ist dieser Reifta überhaupt?« »Sie kennen ihn nicht? Er muss schon öfter hier gewesen sein, denn er hat augenblicklich diesen Raum identifiziert.« »Vielleicht hatte er mit den Ingenieuren und Technikern zu tun«, sagte Arrkonta unsicher. »Was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß es noch nicht genau, aber ich fürchte, der Mann hat Verdacht geschöpft.« Lebo Axton wusste genau, dass es so war. Er musste irgendeinen Fehler gemacht haben, durch den ihm Reifta auf die Spur gekommen war. Jetzt bereute er, dass er sich nicht intensiver über diesen Mann erkundigt hatte. Nun war es zu spät. Der gesamte Plan war in Gefahr, Reifta konnte alles zerstören. Durch die Scheiben sah er, dass Reifta kam und dann ungestüm eintrat. Er trug einen flammend roten Umhang; die Uniformbrust war von glitzernden Auszeichnungen und Ehrenzeichen übersät. Das gelbe Material der Kombination verriet, dass er zu einer
Spezialeinheit gehörte, die dem Sonderkommando Orbanaschols direkt unterstellt war. An der Hüfte hing ein verzierter Kombistrahler. Reifta kreuzte die Arme vor der Brust, hinter ihm fiel die Tür zu. Der Mann blickte sich forschend im Labor um und nickte dann, als habe er alles so vorgefunden, wie er es erwartet hatte. »Es ist also tatsächlich so, wie ich gedacht habe.« »Würden Sie mir sagen, wovon Sie reden?«, fragte Arrkonta nicht weniger scharf. Reifta zeigte verächtlich auf Axton. »Ich meine dieses verkrüppelte Monstrum da.« Der Verwachsene rutschte vom Hocker, auf dem er gesessen hatte. Seine Augen verengten sich. Mit sanfter Stimme forderte er: »Reden Sie weiter.« »Anfangs habe ich nicht begriffen, aber jetzt ist mir alles klar. Der Unfall auf Schreet. Sie waren der Einzige, der bei Awyrett blieb. Niemand weiß, was genau mit ihm geschehen ist. Dann habe ich Sie in der Klinik überrascht. Sie haben an Awyretts Kopf herumhantiert! Ich weiß es genau. Es ist mir alles wieder eingefallen. Und nun sind Sie hier.« »Und was heißt das Ihrer Meinung nach?« Axton ließ sich nicht anmerken, was er empfand. Seine Stimme klang gleichmütig und unbeteiligt. »Ritikka Awyrett kontrolliert Bauteile der Riesenpositronik. Bauteile, wie sie hier hergestellt werden. Sie manipulieren erst ihn, dann einige Bauteile. Danach setzen Sie etwas in die Taion-KSOL, was so gut wie eine Bombe ist und sich gegen den Höchstedlen richtet. Axton, Ihr Spiel ist aus.« Der Kosmokriminalist schüttelte den Kopf, blickte Arrkonta an. »Verstehen Sie etwas von dem Unsinn, den dieser Mann von sich gibt?« »Kein Wort. Sind Sie sicher, dass er halbwegs normal ist?« Arrkonta hatte sich bemerkenswert gut in der Gewalt.
»Keineswegs.« »Das werden Sie schon erleben«, brüllte Reifta, stieß Arrkonta zurück, als sich dieser in den Weg stellen wollte, riss die Tür auf und stürmte davon. »Ihm nach!«, befahl Axton. »Los, helfen Sie mir!« Er reichte dem Arkoniden die Hand. Arrkonta nahm sie und zerrte Axton hinter sich her, weil dieser allein kaum schnell genug hätte laufen können. Reifta sprang durch die Türöffnung zum Parkbereich. Als Arrkonta und Axton folgten, war er bereits in einen Gleiter gesprungen und gestartet. Sie sahen der Maschine hinterher. Arrkonta stieß Axton in seinen Gleiter, setzte sich hinter die Steuerung und raste hinter Reifta her. »Was haben Sie vor?« »Es gibt leider nur noch eine einzige Möglichkeit«, sagte Axton keuchend und zog den kleinen Thermostrahler unter der Jacke hervor. »Sie können ihn doch nicht erschießen«, protestierte Arrkonta heftig. »Damit würden Sie alles zerstören.« »Es muss sein«, antwortete Verwachsene kühl. »Es geht nicht anders.« »Wie, bei Arkons Göttern, wollen Sie das erklären? Das ist unmöglich.« »Wir werden sehen.« Arrkonta schüttelte den Kopf und verringerte das Tempo. »Nein, Lebo, jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr mitmache. Stirbt dieser Reifta, erscheint automatisch eine Kommission höchstrangiger Offiziere sämtlicher Geheimdienste, um den Fall zu untersuchen. Sie wird entdecken, was wir getan haben, und dann ist es aus.« »Verlieren Sie nicht die Nerven, Avrael. Folgen Sie Reifta, er darf Ihre Fabrik ruhig verlassen. Ich will ihn draußen angreifen. Nicht hier!« Die Maschine jagte mit noch immer beträchtlichem Tempo
durch die Gänge und Tunnel der Produktionsanlage. Weit voraus verschwand Reifta in einer Schleuse. Als Arrkonta diese erreichte, öffnete sie sich sofort, da Reifta sie bereits verlassen hatte. Als Arrkonta dem Flüchtenden erneut hätte folgen können, beschleunigte er den Gleiter nicht. »Was ist los?« »Es tut mir leid«, sagte Arrkonta. »Aber hier ist unser gemeinsamer Weg zu Ende. Ich kann nur noch aussteigen. Weiter nichts.« »Das können Sie nicht.« Der Verwachsene richtete seine Waffe auf den Kopf Arrkontas. »Sie haben keine Wahl. Sie können nur das tun, was ich von Ihnen verlange.« »Sie werden nicht auf mich schießen.« Schweißperlen erschienen auf der Stirn des Arkoniden. Der Projektordorn flammte auf. Arrkonta erschrak, seine Augen weiteten sich. »Schon gut. Ich tue, was Sie verlangen.« Er beschleunigte. Zwei weitere Schleusen folgten, die sie passieren mussten. Nur langsam holte Arrkontas Maschine auf, Reifta wurden nicht von den Sicherheitseinrichtungen und Wachmannschaften behindert. Als der Gleiter aus der Tunnelöffnung schoss, hatte Reifta einen Vorsprung von vielleicht hundert Metern; er versuchte nach Südwesten Richtung Meer zu entkommen. Die Distanz schmolz rapide zusammen. Als sich Arrkontas Maschine neben die andere schob, richtete Reifta seine Waffe auf Axton. Sein Gesicht war von Wut und Hass verzerrt. Lebo Axton handelte kühl und entschlossen, wie er es immer in seinem langen Leben als USO-Spezialist getan hatte. Er feuerte durch die Seitenscheibe des Luxusgleiters hindurch auf den Sonderoffizier. Der nadelfeine Thermostrahl schlug wie ein gleißender Lichtbogen zu Reifta hinüber und durchbohrte ihn. Er warf die Arme hoch und sank zur Seite. Axton schoss abermals, traf das Hauptaggregat im Heck. Eine Serie von Blitzen brach aus dem
Gleiter; die Maschine hielt sich noch für einige Augenblicke, dann stürzte sie schräg ab und prallte zweihundert Meter tiefer in eine künstlich angelegte Felsengruppe. »Hinunter!«, befahl Axton. Arrkonta gehorchte, ohne lange nachzudenken. In rasender Eile brachte er den Gleiter neben das brennende Wrack. »Versuchen Sie zu löschen. Aber machen Sie Ihre Arbeit schlecht. Ich will, dass der Körper verbrennt.« Der Arkonide nahm einen Feuerlöscher, sprang aus dem Gleiter und hastete zu dem Wrack. Axton folgte langsamer und warf einige positronische Kleinteile in die knisternden Flammen.
»Beginnen Sie mit dem Transport«, sagte Axton. »Verlieren Sie keine Zeit, mein Freund.« Mit müder Bewegung gab Arrkonta das Zeichen. Zwei Ingenieure verluden die von dem Terraner präparierten Bausätze mit Hunderten anderen auf einen Lastengleiter. Dabei gingen sie äußerst behutsam vor. Die Verpackungen trugen die Symbole und Ziffern, die Ritikka Awyrett veranlassen würden, diese Lieferung zu kontrollieren. Beamte kontrollierten den gesamten Vorgang und versiegelten die Frachtcontainer. Der Gleiter startete mit Begleitschutz. Axton verabschiedete sich. »Wohin wollen Sie?«, fragte Arrkonta. »Zu Awyrett selbstverständlich. Glauben Sie, ich würde alles Weitere dem Zufall überlassen?« Axton stieg in den Gleiter, den ihm Arrkonta zur Verfügung gestellt hatte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben nichts zu bereuen.« Arrkonta ließ sich aber nicht aufmuntern, schien zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass alles verloren sei. Axton startete. Als er sich etwa fünfhundert Meter von der
Produktionsstätte entfernt hatte, stieg unten aus einem Park Kelly auf und näherte sich schnell. Der Terraner verringerte die Geschwindigkeit nicht, sondern öffnete lediglich die Seitentür, sodass Kelly schnell einsteigen konnte. Der Roboter übernahm das Steuer und lenkte die Maschine über das Binnenmeer zum Spezialraumhafen Shuluk, der unter Awyretts Kontrolle stand. Jetzt erst stellte Axton die Verbindung zu seinem Geheimdienstkontaktmann her und teilte ihm mit knappen Worten mit, dass Reifta abgestürzt und dabei gestorben sei. »Ein ausführlicher Bericht folgt später. Ich muss jetzt noch eine wichtige Aktion abschließen.« Damit schaltete er das Visifon aus.
Kelly landete und stieg aus, Axton kletterte auf den Rücken. Mühelos passierte er die Kontrollen, die TRC-Marke öffnete sämtliche Türen. Als er den inneren Ring der Hauptanlage erreichte, kam der Gleiter mit den positronischen Bausätzen an, wurde zu einem rot gekennzeichneten Schott dirigiert und in der anschließenden Schleuse entladen. Mehrere Uniformierte und Roboter prüften jeden einzelnen Container auf seine Unversehrtheit, ehe sie weitergereicht wurden. Axton lenkte den Roboter zu einem Eingang, der nur rund dreißig Meter von dem roten Schott entfernt war. Von hier aus führte der Weg direkt zu den Prüfungsbereichen von Awyrett und seiner Mannschaft. Hinter einer abgedunkelten, aber transparenten Scheibe hielt der Kosmokriminalist den Roboter an. Zu erkennen war, dass die Container von einem langsam laufenden Fließband transportiert wurden. Unter der Aufsicht von zwei Sicherheitsbeamten und weiteren Robotern wurde die Verpackung der Kästen geöffnet, eine an der Decke der Halle
befestigte Robotik hob die Bausätze behutsam auf und legte sie auf ein weiteres Band ab, jetzt nur noch in eine Plastikhülle eingeschweißt. Langsam rückten die Bausätze bis zu einem runden Verteiler vor, an dem wiederum zwei Sicherheitsleute standen. Metallene Roboterarme ergriffen die Bausätze und hoben sie je nach Symbolkennung auf vier verschiedene Fließbänder. Auf ihnen glitten die Teile weiter bis zu vier farblich markierten Kabinen, in denen die Kontrollbeamten saßen. Die von Axton präparierten Bausätze erreichten eine Schleuse, hinter der Awyrett auf sie wartete. Axton konnte den Mann deutlich durch die Scheiben erkennen. Er sah angespannt und erschöpft aus; der Schock der vermeintlichen Oulouhat-Anfälle hatte ihn voll getroffen. Ein Kontrollbeamter trat zu dem Kosmokriminalisten und tippte ihn an. »Was treiben Sie hier? Zeigen Sie mir Ihren Ausweis.« Axton blickte unauffällig zu Awyrett, während er seine Marke vorwies. Das erste von Axton manipulierte Bauteil hatte den Chef der Kontrollbehörde erreicht. Awyrett löste persönlich die Plastikfolien mit einem Spezialgerät. In diesem Augenblick betätigte der Terraner den Impulsgeber. Unterdessen prüfte der Kontrollbeamte sorgfältig die TRC-Marke, musterte Axton dabei aber überaus argwöhnisch. Der Verwachsene gab sich gelangweilt, wurde innerlich aber nervös. Er fragte sich, ob er einen Fehler gemacht oder etwas übersehen hatte. Konnte ihn vielleicht etwas verraten? »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich bei Ihrer Behörde nach Ihnen erkundige?«, fragte der Beamte wesentlich höflicher als zuvor und gab die Marke zurück. »Durchaus nicht. Ich bitte sogar darum.« »Sie verstehen – Sie sehen nicht gerade aus wie…« Axton sah sein Gegenüber nur durchdringend an. Der Mann
zog sich eilig zurück, schien nun schon davon überzeugt zu sein, dass mit Axton alles in Ordnung sei. Der Terraner atmete auf, als er wieder allein war. Er befahl Kelly, sich wieder Awyrett zuzuwenden. Sämtliche bearbeiteten Bausätze hatten die Schleuse passiert. Hatte Awyrett sie durchgelassen? »Los«, sagte Axton. Der Roboter marschierte auf die Kabine Awyretts zu. Niemand hielt ihn auf. Die Mitarbeiter des Kontrollingenieurs sahen zwar verwundert auf, protestierten aber nicht, als Axton die TRC-Marke vorwies und Kelly bei Awyrett eintreten ließ. Der Terraner sah sofort, dass die Sonde im Gehirn des Arkoniden wieder einmal mit absoluter Zuverlässigkeit gearbeitet hatte. Ritikka Awyrett befand sich noch immer in dem Trancezustand, saß mit leerem Blick am Fließband und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Sein Gesicht war bleich wie das eines Toten. Die herabhängende Unterlippe zuckte leicht. Das Fließband endete an einer Kleinschleuse, über der Prüfung abgeschlossen stand. Axton weckte den Arkoniden. Awyrett richtete sich ächzend auf, hob die Hände ans Gesicht und tastete es mit zuckenden Fingern ab. Dann erst entdeckte er den Kosmokriminalisten. Seine Augen weiteten sich. »Axton, Sie?« Dann endlich begriff er in vollem Umfang, was geschehen war. Er stand auf und presste die rechte Hand an die Brust. Für einen Moment befürchtete Axton, er sei der Stresssituation nicht gewachsen und würde einen Herzinfarkt erleiden. »Sie sind gekommen, um mich…« »Nein. Aber hier können Sie nicht bleiben.« »Gehen wir in mein Büro.« Awyrett wandte sich ab und flüchtete fast aus dem Kontrollraum. Mit weiten Schritten durchquerte er die Halle, ohne sich um seine Mitarbeiter zu kümmern. Axton wies Kelly an, dem Arkoniden zu folgen.
»Sie haben alles mitbekommen?« »In der Tat, Awyrett. Und jetzt müssen Sie etwas unternehmen. Sie werden einsehen, dass es so nicht weitergehen kann.« Der Arkonide brach fast zusammen. Seine Reaktion zeigte, dass er Orbanaschol III. genau genug kannte und wusste, womit er zu rechnen hatte. Er hatte panische Angst davor, in ähnlicher oder noch schlimmerer Weise wie sein Vater dafür bestraft zu werden, dass er seine Anfälle verschwiegen hatte. Zwangsläufig musste er glauben, jetzt vor dem Nichts. zu stehen. »Axton, ich flehe Sie an. Helfen Sie mir.« »Wie oft ist es passiert? Wie oft hatten Sie die Anfälle?« »Nur einmal. Ich meine, das eine Mal, als Sie dabei waren. Und heute. Ich schwöre es Ihnen. Es kam nicht öfter vor.« Die Tatsache, dass er versuchte, die anderen Anfälle vor Axton zu verbergen, bewies dem Kosmokriminalisten, dass er nicht den geringsten Verdacht hegte. Awyrett war fest davon überzeugt, unter der Oulouhat-Seuche zu leiden. »Ich weiß genau, dass sich mein Zustand bessert. Alles hängt nur mit dem Unfall zusammen. Wenn ich mich weiter erholt habe, wird alles gut werden.« »Wirklich?« »Sie brauchen nicht zu zweifeln. Ich bitte Sie nur, jetzt zu schweigen. Ich würde… mich auch… erkenntlich zeigen.« Er blickte den Verwachsenen ängstlich an, weil er nicht wusste, wie dieser auf den Bestechungsversuch reagieren würde. Als Axton nichts sagte, fuhr er fahrig fort: »Verstehen Sie doch! Ich wäre vernichtet, und dann hätte ich überhaupt nichts von meinem Reichtum. Ich bin sehr reich. Sofern Sie darauf verzichten, mein Leben zu zerstören, wäre mir eine Million nicht zu viel.« Lebo Axton pfiff durch die Zähne. Das Angebot überraschte
ihn etwas und stellte ihn vor neue Probleme. Auf der einen Seite musste er den Eindruck vermeiden, bestechlich zu sein, auf der anderen Seite benötigte er für seine Aktionen dringend finanzielle Mittel. Außerdem sehnte er sich nach einer neuen Wohnung, bei der er wirklich sicher sein konnte, dass sie nicht mit Abhörgeräten gespickt war und die er in seinem Sinne mit technischen Finessen ausstatten konnte, die für den Untergrundeinsatz für Atlan notwendig waren. Er presste den Atem zischend durch die Zähne. »Was soll ich dazu sagen? Mir geht es nicht darum, Sie zu vernichten. Ganz im Gegenteil. Sie sind ein äußerst wertvoller Mann für Seine Erhabenheit. Aber er würde Ihnen Ihren Vertrauensbruch niemals verzeihen. Das weiß ich, das wissen Sie. Er würde lieber einen zweitklassigen Mann auf Ihrem Posten akzeptieren als Ihnen noch einmal eine Chance geben. Lassen Sie mich über das Problem nachdenken…« »Was soll ich tun?« Awyrett griff nach Axtons Arm. »Wissen Sie, was passiert ist?« »Einige Bauteile sind unkontrolliert an mir vorbeigegangen. Ich muss sofort in die Halle und die Schleusen öffnen lassen, damit ich die Prüfung wiederholen kann.« »Sie sind ein Narr! Damit würden Sie Ihre Mitarbeiter darauf aufmerksam machen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Man würde zu Recht Verdacht schöpfen.« »Sie haben recht. Aber ich kann doch nicht…« »Doch, Sie können. Es ist alles in Ordnung. Ich habe Ihren Freund Reifta entlarvt. Er war an Ihrem Unfall nicht ganz unschuldig, hat ihn zumindest provoziert. Danach hat er versucht, etwas an den Bausätzen zu manipulieren. Zu diesem Zweck drang er in die Produktionsstätten von Avrael Arrkonta ein. Ich habe ihn jedoch schon seit langer Zeit beobachtet, und es ist mir gelungen, den von ihm geplanten Anschlag zu vereiteln. Bedauerlicherweise ist Reiftas Gleiter
bei der Flucht abgestürzt. Er ist tot.« Awyrett schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich kann es nicht glauben. Ausgerechnet Reifta. Mitglied in einer Sondereinheit! Deshalb also wollten Sie unbedingt mit mir zur Jagd nach Schreet! Sie hatten Angst, dass er ein Attentat auf mich verüben würde. Mir brummt der Schädel, Axton. Ich werde tun, was Sie mir geraten haben. Vielleicht hat niemand etwas gemerkt. Wenn Sie mir versichern, dass die Bausätze in Ordnung sind, glaube ich Ihnen. Ihr Wort ist mir Garantie genug.« Er streckte dem Kosmokriminalisten die Hand entgegen. Axton ergriff sie und verzog das Gesicht vor Schmerz, weil der Arkonide zu kräftig drückte. »Ich melde mich bei Ihnen, Awyrett. Vermutlich werden Sie dann in meine Wohnung kommen müssen.« »Sie brauchen mich nur zu rufen.«
Axton meldete sich nicht so schnell, wie Awyrett gedacht hatte, sondern ließ den Mann zappeln. Er beruhigte Avrael Arrkonta und beauftragte ihn, den weiteren Weg der Bausätze zu verfolgen – er war der beste Mann dafür, da er sich im Bereich der Großbaustelle fast frei bewegen konnte. Nur Gun Epprik hatte noch größere Freiheiten, doch diesen hatte Axton nicht auch noch in den Plan einweihen wollen. Am 22. Prago des Tartor teilte Arrkonta Axton mit, dass die Bausätze angekommen und verbaut worden waren. Fortan konnte auf Axtons Programm zugegriffen werden – Zukunftsgeister auf der Seite des Kristallprinzen stand bereit. »Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Sie das schaffen«, sagte Arrkonta voller Bewunderung, als er ihm die Nachricht bei einem scheinbar zufälligen Treffen in einem Park überbrachte. »Wollen Sie mir nicht sagen, wie Sie das gemacht
haben?« »Auf keinen Fall«, sagte Axton, ehe er sich verabschiedete. »Was Sie nicht wissen, können Sie nicht verraten.« Er ließ sich von Kelly zu einem öffentlichen Visifon tragen und rief Awyrett an. »Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen. Treffen wir uns in meiner Wohnung?« Awyrett sah aus wie ein Mann, von dem eine tonnenschwere Last genommen wurde. »Ich komme.« Axton nickte ihm gelassen zu und unterbrach die Verbindung. Nachdenklich verharrte er eine Weile. War wirklich alles so gelaufen, wie er es geplant hatte? Stimmte wirklich alles, oder gab es irgendwo noch eine Falle? War letztlich nicht alles zu glatt verlaufen? »Wohin jetzt?«, fragte Kelly. Axton schrak aus den Gedanken. Energisch schob er seine Zweifel zur Seite. Es hatte keinen Sinn, über diese Fragen nachzugrübeln. Er musste das volle Risiko eingehen, es gab keine andere Möglichkeit. Dazu gehörte, dass er Awyrett in seiner Wohnung behandeln musste, obwohl er nicht hundertprozentig sicher war, sämtliche Beobachtungs- und Überwachungsgeräte entdeckt und »entschärft« zu haben. »Zur Wohnung.«
Er hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als Awyrett kam. Axton sagte: »Ich kann Ihnen helfen.« »Wirklich? Wie denn?« »Es gibt ein wirksames Medikament gegen Ihre Krankheit. Absolut illegal, extrem teuer, aber es wirkt. Für Gesunde hat es allerdings einige unangenehme Nebenwirkungen.« Der Arkonide sank in einen Sessel, starrte den Kosmokriminalisten fassungslos an. »Dann könnte ich mich ja in einer Spezialklinik behandeln lassen.«
»Nein. Oder wollen Sie, dass bekannt wird, was Sie getan haben?« »Verzeihen Sie, Sie haben recht. Was soll ich also tun?« »Wie gesagt, das Medikament ist ziemlich teuer…« »Ich gebe Ihnen so viel Geld, wie Sie wollen.« »Ich will Ihr Geld nicht. Sie müssten nur das Medikament bezahlen… Wenn Sie mir allerdings einen Gefallen tun wollen, dann könnten Sie mir eine neue Wohnung besorgen. Ich bin hier etwas…« »Schon erledigt«, rief Awyrett großzügig. »Sagen Sie mir, wie es weitergehen soll.« Axton zögerte. Er wusste nun, dass er Awyrett vollkommen in der Hand hatte. Offenbar war nicht zu befürchten, dass im letzten Augenblick etwas danebenging. »Ich müsste Ihnen das Medikament direkt ins Gehirn injizieren«, sagte er schließlich. »Am besten heute noch, damit Sie morgen frisch und gesund an Ihren Posten zurückkehren können.« »Können Sie das denn?« »Mithilfe meines Roboters ist das kein Problem.« »Ich bin mit allem einverstanden.« Er nahm einen Kreditchip aus der Tasche und reichte ihn Axton. »Das ist zu viel«, sagte der Verwachsene, als er die Anzeige las. »Nehmen Sie’s. Mich schmerzt es nicht. Ich verdanke Ihnen mein Leben – es ist also keine Bestechung, sondern ein Geschenk. Und solange ich meinen gesellschaftlichen Rang behalte, verdiene ich die Summe schnell wieder.« Axton steckte die Karte an; mit diesem Geld war er fortan viel unabhängiger. »Ich muss Ihnen eine Injektion geben, damit Sie völlig zur Ruhe gekommen sind, wenn ich Ihnen das eigentliche Medikament injiziere.«
Awyrett war auch damit einverstanden. Vertrauensvoll ließ er sich das betäubende Medikament verabreichen. Kelly trug den Betäubten in die Hygienekabine und bereitete den weiteren Eingriff vor. Axton begann die Gehirnoperation. Gerade als er die Sonde entfernt hatte, sprach das Visifon an; das mit seiner Dienststelle vereinbarte Signal erklang. Das bedeutete, dass Axton den Ruf annehmen musste. In aller Eile streifte er die Handschuhe ab, zog den Kittel aus und überprüfte seine Kleidung. Alles war in Ordnung. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines Mannes, der zum Mitarbeiterkreis von Quertan Merantor gehörte und ihm direkt unterstellt war. Washul Oraxy hatte ein scharf geschnittenes, undurchsichtiges Gesicht, das eine asketische und äußerst disziplinierte Einstellung erkennen ließ. Seine Figur war athletisch und schien durchtrainiert zu sein. Als Sinclair Marout Kennon kannte er diese Typen von seiner jahrhundertelangen Mitarbeit bei der USO. Sie waren unberechenbar und oft fanatisch bis zur Selbstverleugnung. »Störe ich?« »Keineswegs, Cel’Athor.« »Ich habe Ihren Bericht über Reifta studiert und alles überprüft.« »Reiftas Tod ließ sich leider nicht vermeiden.« Der Arkonide nickte. »Leider. Ich hätte ihn gern in die Mangel genommen. Aber Sie haben ja alles erledigt. Wieder einmal zu unserer vollsten Zufriedenheit. Es ist also davon auszugehen, dass Sie demnächst mit weiteren Sonderaufträgen betraut werden.« »Ich danke.« Nachdem die Verbindung unterbrochen war, setzte Axton mit Kellys Hilfe die Operation fort. Es blieb bei dieser einen Störung, sodass die letzten Spuren beseitigt werden konnten. Danach ließ er den Arkoniden zur Couch tragen, entschlossen,
ihn nicht vor dem Morgengrauen aus der Narkose zu wecken. Axton war sich sicher, in Ritikka Awyrett einen einflussreichen Gönner gefunden zu haben, der fortan für ihn durchs Feuer gehen würde – solange er Axton für einen Anhänger Orbanaschols hielt. Der Verwachsene war entschlossen, Awyretts Hilfe auch in Zukunft zu beanspruchen.
9. Schon als sich Leiquon Arkatenbel der Jagdhütte näherte, spürte er, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Etwa zehn Meter vom Seeufer entfernt blieb er stehen und blickte sich um. Alles sah ruhig aus. Nebelschleier umwehten die Mauern der Hertanan-Villa Bonkals. Sie dämpften das Licht der aufgehenden Sonne. Ein paar dunkle Seilvögel umkreisten den turmartigen Aufbau mit den Antennen, die bis ins All hinauszugreifen schienen. Am Horizont stieg die Rauchwolke des Herta-Vulkans zum Himmel, glühendes Gestein floss die Hänge herab. Was hatte ihn beunruhigt? Er wusste es nicht zu sagen. Vorsichtshalber lud er den Jagdstifter durch. Die Waffe verschoss nadelfeine Bolzen, die mit Widerhaken versehen waren. Drang ein solcher Bolzen in einen Körper ein, spreizten sich fünf Nadeln ab und bremsten das Geschoss schlagartig. Das war die einzige Methode, mit der die Sonnenhirsche erlegt werden konnten, ohne dass es bei ihnen zu einer schockartigen Reaktion kam, durch die das Fleisch ungenießbar wurde. Sollte sich ein solcher Hirsch in der Nähe versteckt halten, um ihn zu überfallen? Auf Kafa war man sich einig, dass diese Tiere über eine gewisse Intelligenz verfügten und dass sie gerade deshalb so gefährlich waren. Arkatenbel trat einige Schritte zur Seite und glitt lautlos bis an das Seeufer heran. Von hier aus konnte er die Hütte besser sehen. Doch da war nichts, was ihm hätte gefährlich werden können. Er ließ die Waffe sinken. Allmählich wurde der Mann nervös. Die Sabotageakte der letzten Zeit hatten alles durcheinandergebracht und die Ruhe gestört. Arkatenbel öffnete die Tür der Jagdhütte, die sich knarrend in den Angeln drehte. Damit überdeckte sie das Geräusch, welches das Wesen verursachte, das hinter Nert Bonkals Berater aus dem Wasser stieg. Es war hochgewachsen und von arkonoidem Aussehen. Der unbekleidete Oberkörper war dicht behaart, auf den breiten Schultern
erhob sich der Kopf eines Raubtiers mit weit vorspringender Schnauze. Das Wesen warf den Halm weg, durch den es geatmet hatte, solange es unter Wasser gewesen war. Dabei verursachte es ein leises Geräusch. Arkatenbel fuhr herum. »Sak, was treibst du hier?« Das Wesen antwortete mit einer dumpf grollenden Stimme, die kaum zu verstehen war. Es entblößte die Zähne – fingerlange Giftstacheln schoben sich durch Zahnlücken nach vorn. Arkatenbel wich zurück. »Du, Sak?« Er schüttelte den Kopf. »Das darf doch nicht wahr sein…« Das seltsame Geschöpf duckte sich leicht und schnellte sich knurrend auf den Arkoniden. Dieser riss den Jagdstifter hoch und drückte ab. Der Nadelbolzen fuhr Sak im gleichen Augenblick ins Herz, als dieser Arkatenbel mit den Giftstacheln die Haut ritzte. Beide taumelten zurück. Sie blickten sich aus geweiteten Augen an, darüber im Klaren, dass sie sich gegenseitig den Todesstoß versetzt hatten. Der Arkonide versuchte, etwas zu sagen, doch über seine zuckenden Lippen kamen nur unverständliche Laute. Sak stürzte auf die Knie, presste die Hände vor die Brust, öffnete den Rachen und biss einige Male wild in die Luft. Dann kippte er vornüber und blieb leblos liegen. Arkatenbel schleppte sich noch bis zur Hütte. Hier mühte er sich mit letzter Kraft, einen Kurzbericht ins Aufzeichnungsgerät zu sprechen, aber vergeblich. Die durch das Gift hervorgerufene Lähmung breitete sich so schnell über den ganzen Körper aus, dass er nichts mehr erklären konnte. Der Arkonide starb, ohne Bonkal benachrichtigen zu können.
Arkon I: 31. Prago des Tartor 10.498 da Ark »Haben Sie von Sereylon Markharet gehört?«, fragte Avrael Arrkonta. Er stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an der Fensterfront seiner Luxuswohnung und blickte auf die Parklandschaft des Innentrichters.
»Sereylon Markharet?« Lebo Axton saß im Sessel hinter dem Nert. Seine kurzen Beine baumelten in der Luft. Kelly stand neben dem Sessel und rührte sich nicht. »Markharet? War das nicht der Mann, der die Verwüstung des Planeten SosholTrakheer verschuldete?« Arrkonta drehte sich überrascht um. »Der Wissenschaftler experimentierte mit einer Waffe, die er das Kristallschwert nannte. Leider gelang es ihm nie, sie unter Kontrolle zu bringen. Das sollte späteren Generationen…« Axton brach betroffen ab. Arrkonta lachte laut auf. »Hören Sie auf«, rief er amüsiert. »Mich brauchen Sie doch nicht auf diese Weise zu bluffen, Lebo. Tun Sie mir gegenüber doch nicht so, als wüssten Sie nicht genau, dass Ka’Marentis Markharet noch gar nicht mit seinen Experimenten begonnen hat. Warum sprechen Sie in der Vergangenheit von ihm?« Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton suchte nach Worten. Für einen Augenblick war er nicht konzentriert genug gewesen und hatte sich verplappert. Er kannte die arkonidische Geschichte, wie sie jemand kennen konnte, der sich mehr als zehntausend Jahre später mit den historischen Begebenheiten beschäftigt hatte. Er wusste, welche herausragenden Ereignisse die Entwicklung beeinflusst hatten. Daher war ihm auch bekannt, dass der Chefwissenschaftler des Imperiums gefährliche Experimente unternommen hatte, die gescheitert waren. Die Bevölkerung eines ganzen Planeten hatte dabei ein grausiges Ende gefunden. Als Lebo Axton aber durfte er das noch nicht wissen, und er durfte sich vor allem nicht darüber äußern. »Ich wollte einen Scherz machen«, sagte er und rutschte vom Sessel. »Ich gebe zu, dass es ein makabrer Scherz war. Selbstverständlich kann niemand sagen, wie die Experimente von Markharet verlaufen werden.« »Das will ich meinen.« »Warum fragten Sie?«
Arrkonta überlegte. Dabei schenkte er Axton Wein nach, von dem sie bereits einige Gläser genossen hatten. »Nun«, begann er endlich, »einige einflussreiche Freunde sind zusammen mit dem Chefwissenschaftler an mich herangetreten.« »Warum? Ich verstehe nicht.« »Sie wissen doch, dass der Planet Soshol-Trakheer mein Lehen ist. Oder weshalb haben Sie ihn eben erwähnt? Das hat mich etwas überrascht, weil ich bisher nur wenige Freunde informiert habe. Nun ja, vielleicht sollte ich mich damit abfinden, dass sich die Geheimdienste und ihre neugierigen Mitglieder um alles kümmern. Sie haben es vermutlich aus meiner Akte erfahren.« Axton war in der Klemme. Einerseits durfte er nicht diese billige Ausrede verwenden, weil Arrkonta sein Freund war. Andererseits konnte er nicht zugeben, dass er von den Ereignissen um Soshol-Trakheer wusste, weil er die Zukunft kannte. Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass Arrkonta von seinem Lehen gesprochen hatte – jenem Planeten, der hohen Profit abwarf. Arrkonta gehörte unter anderem ein Unternehmen, das Positroniken und positronische Module herstellte. Auf Soshol-Trakheer… »Man will, dass ich Markharet erlaube, seine Experimente auf Soshol-Trakheer durchzuführen. Und jetzt sagen Sie mir, dass die Experimente gefährlich sind. Wie soll ich mich entscheiden? Helfen Sie mir.« Axton hatte das Gefühl, von einem Faustschlag im Magen getroffen zu werden. Bis zu diesem Augenblick hatte er noch nicht einmal ansatzweise damit gerechnet, jemals mit einer solch weitreichenden Entscheidung konfrontiert zu werden. Seine Gedanken überschlugen sich, und er hatte nur den Wunsch, möglichst viel Zeit für eine Antwort zu gewinnen. Das Wissen aus der Zukunft besagte eindeutig, dass Ka’Marentis Markharet mit seinem Kristallschwert scheitern
und der Planet untergehen würde. Das war aus Sicht des Sinclair Marout Kennon aus dem 29. Jahrhundert, der für die USO Atlans und das Solare Imperium Perry Rhodans tätig gewesen war, eine geschichtliche Tatsache. Abermillionen Arkoniden hatten bei dieser Katastrophe den Tod gefunden. Aus Sicht des Lebo Axton waren diese Ereignisse aber noch Zukunft. Und Arrkontas Worte zeigten, dass er gar nicht sicher war, ob er den Planeten zur Verfügung stellen sollte. Nur einer konnte ihn vermutlich beeinflussen. Er selbst, Lebo Axton. Aber konnte das sein? Wieder einmal fragte er sich verzweifelt, ob er in der realen oder einer Traumwelt lebte. Befand er sich wirklich in der Vergangenheit? Handelte es sich bei seinem Körper nur um eine Projektion, mochte dies auch noch so materiell und echt erscheinen? War die Vergangenheit festgeschrieben und alles determiniert? Wie stand es dann um die Willensfreiheit? Das Wissen des 29. Jahrhunderts sprach von festgefügter Vergangenheit; für ihn als Lebo Axton war alles noch offene Zukunft. Oder nicht? Musste geschehen, was er als Vergangenheit kannte? Und wenn nicht – wie wirkte sich das auf die Zukunft aus? Riet er Arrkonta ab, würde der Arkonide die Erlaubnis verweigern. Entschied er sich aber gegen die Experimente, würden Abermillionen Arkoniden überleben – und die Geschichte des Großen Imperiums zweifellos einen ganz anderen Verlauf nehmen. Möglicherweise sogar einen derart krassen Verlauf, dass es gar kein Solares Imperium geben würde. Und damit auch keinen Sinclair Marout Kennon, der sich von einer Traummaschine in die Vergangenheit versetzen lassen konnte. Geschah das aber wiederum nicht, wurde Arrkonta nicht gewarnt, entschied sich für die Experimente und… Das klassische Paradoxon der Zeitreisen und ihrer Folgen. Es verknotete einem das Gehirn. Aufgelöst werden konnte es nur,
wenn man Gesetzmäßigkeiten voraussetzte, die entweder keine wirklich gravierenden Änderungen gestatteten, also eine gewisse »Trägheit der Zeit« postulierten, die solcherart Manipulationen verhinderten. Oder aber das umfassende Feld paralleler Universen voraussetzten, in deren Spektrum letztlich alles realisiert war. Axton wusste nicht, welche Alternative ihm lieber war. Im Hier und Jetzt half ihm vermutlich keine. Ausgehend von seinem Wissen, musste Soshol-Trakheer untergehen. Aber die Entscheidung darüber sollte keinesfalls bei ihm liegen, sie durfte nicht bei ihm liegen, weil er vom Untergang gewusst hatte, bevor er mithilfe der Traummaschine die Vergangenheit erreicht hatte. »Nun, Lebo? Sie schweigen? Warum sagen Sie nichts?« Der Verwachsene hob abwehrend die Hände. »Es tut mir leid, dass ich diesen makabren Scherz gemacht habe.« Arrkonta lachte. »So billig lasse ich Sie nicht davonkommen. Hier und jetzt sollen Sie, mein Freund, mir bei einer schweren Entscheidung helfen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Ich möchte Sie nicht beleidigen. Ihre Worte haben mir gezeigt, dass Sie über den Inhalt der beabsichtigten Experimente informiert sind. Sie scheinen gefährlich zu sein. Ich mache es daher von Ihnen abhängig, ob der Chefwissenschaftler anfangen kann oder nicht.« »Lassen Sie einen anderen entscheiden, Avrael. Befragen Sie andere Experten oder meinetwegen die Orakelsteine. Aber nicht mich. Ich bitte Sie.« Der Arkonide lachte erneut. »Nein, so nicht. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, Sie Schicksal spielen zu lassen.« »Wenn ich sage, dass Sie die Genehmigung erteilen sollen, kann Sie dann noch jemand umstimmen?« »Nie und nimmer.« »Dann sagen Sie ja, Avrael.« Axton atmete schwer und keuchend. Er fühlte, dass ihm der Schweiß ausbrach. War nun
der Verlauf der Zukunft festgeschrieben? Der Arkonide ging zum Visifon, drückte einige Tasten und wartete, bis das Bild eines Mannes erschien. Mit gedämpfter Stimme gab er einige Befehle und kehrte dann zur Sitzgruppe zurück. »Markharet wird Ihnen auf Knien danken.« Axton hörte die Worte kaum. Ihm war eine ungeheuerliche Idee gekommen, die alles auf den Kopf stellte, was seine bisherige Existenz betraf. Sie war in ihren Konsequenzen so außerordentlich, dass Axton sie kaum zu durchdenken wagte. Er gab Kelly einen Wink. »Komm her, du Missgeburt. Ich muss in meine Wohnung.« »Schon jetzt?«, fragte Arrkonta überrascht. »Ich habe Sie doch nicht beleidigt, Lebo?« »Überhaupt nicht, lieber Freund. Dennoch bitte ich Sie, mich jetzt zu entschuldigen. Ich fühle mich nicht besonders gut.« »Das sieht man Ihnen allerdings an. Kann ich etwas für Sie tun? Soll ich einen Bauchaufschneider rufen?« »Machen Sie bitte keine Umstände. Alles in Ordnung.« Der Verwachsene kletterte auf den Rücken des Roboters, stemmte die übergroßen Füße in die Haltebügel und klammerte sich fest. Avrael Arrkonta brachte Axton zur Tür.
Axton legte sich aufs Bett, Kelly blieb daneben stehen. »Was willst du?« »Nichts. Ich bin zufrieden.« Axton fuhr auf, Schweiß bedeckte seine Stirn. »Was bist du?« »Zufrieden.« Kelly neigte sich nach vorn. »Ich wollte damit präzise ausdrücken, dass ich keine Wünsche habe.« Der Verwachsene ließ sich auf die Kissen zurücksinken. »Mein lieber Kelly«, sagte er nach einer Weile mit unnatürlich ruhiger Stimme. »Du bist dazu da, mir zu dienen, mich zu beschützen und mir auf gar keinen Fall zu schaden. Begreifst
du das?« »Selbstverständlich. Das sind Dinge, die bereits in meiner Grundprogrammierung festgelegt sind.« Axton fuhr abermals hoch. »Und warum hältst du dich nicht an deine Programmierung?«, schrie er wütend. »Warum quälst du mich systematisch?« Es klickte bedrohlich im Leib des Roboters. Der Terraner ließ sich erneut in die Kissen sinken. Besorgt musterte er Kelly. »Was ist los?« »Ich habe einige Kurzschlüsse registriert, Meister«, antwortete die Maschine. »Der Schaden wurde bereits behoben.« »Du hattest einen Dachschaden?« »Wenn du meine Schädeldecke als Dach bezeichnest, Schätzchen, ist diese Formulierung nicht richtig, denn der Schaden lag darunter.« »Ich geb’s auf«, stöhnte Axton. »Warum habe ich bloß dich vom Schrottplatz mitgenommen? Hätte ich dich doch dort gelassen; vermutlich wärst du dann eingeschmolzen und wenigstens zu einem Gegenstand von einem gewissen Wert verarbeitet worden. So aber…« »Du warst hilflos. Du brauchtest dringend einen Roboter, der dich be…« »Ruhe!«, brüllte Axton. Sein Hass gegen alle Roboter brach aus. Kelly hätte nicht erwähnen dürfen, wie hilflos Axton damals in der Tat gewesen war. Er sprang vom Bett, eilte hastig zu einem Sessel und griff nach dem Thermostrahler, der dort lag. Er richtete die Waffe dann aber doch nicht auf den Roboter, wie er es impulsiv hatte tun wollen, sondern legte sie wieder ab und beruhigte sich rasch. »Du hast mein Gespräch mit Arrkonta gehört«, sagte er. »Er hat mich zu einer Entscheidung gezwungen, nicht wahr?« »Diese Formulierung ist richtig.«
»Tu nicht so förmlich. Ich will etwas klären, und dabei möchte ich nicht durch dich abgelenkt werden. Verzichte also auf deine dämlichen Mätzchen. Also: Ich weiß, dass der Planet Soshol-Trakheer untergehen wird. Ich erinnere mich quasi an die Zukunft. Verstehst du das?« »Nein.« »Das ist auch nicht…« Axton brach ab, weil das Visifon ansprach. Ein Wink reichte, und Kelly schaltete es ein. Axton selbst setzte sich in einen Sessel. Auf der Bildfläche erschien das Gesicht von Ka’Celis-moas Quertan Merantor. Axton richtete sich unwillkürlich auf. »Ich muss Sie sofort sprechen«, sagte der Arkonide. »Kommen Sie in mein Büro.«
Kelly eilte aus der Wohnung, von der ein kurzer Gang zu einer Gleiterparknische führte. Hier stand eine neue Maschine, die Axton erst vor zwei Pragos erworben hatte. Die Erfolge der letzten Zeit hatten dem Verwachsenen beträchtliche finanzielle Mittel samt einer neuen Wohnung beschert, in der er sich seit dem 28. Prago des Tartor einlebte. Es war Awyrett zu verdanken, dass er sie im Gwalon-Kelch des feinen SquedonKont-Viertels erhalten hatte – eines der größten und elegantesten Wohnparks von Arkon I. Am Südrand des ThekLaktran gelegen, rund vierzig Kilometer vom Kristallpalast entfernt, zählten insgesamt vierundzwanzig Groß-Kelche von fünfhundert Metern Höhe zur aufgelockerten Bebauung auf einem flachen Hügel, der auch Thek-Squedon-Kont genannt wurde. Es handelte sich um ein Areal von knapp zehn Kilometern Durchmesser, in dem fast ausschließlich hochgestellte Persönlichkeiten, Edelleute, Orbtonen, Wissenschaftler ersten Ranges und dergleichen Würdenträger lebten. Axtons Wohnung von rund 250 Quadratmetern war
die Nummer 12 in der fünfzigsten Etage. Obwohl Axton äußerst schnell im Büro Merantors erschien, blickte dieser ihn missbilligend an. »Ich weiß nicht warum ich mich mit Ihnen eingelassen habe. Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie Sie hereinschleichen.« Der Verwachsene kannte den Arkoniden zur Genüge. Es wusste, dass es keinen Sinn hatte, auf diese Bemerkungen einzugehen. Der Mann war cholerisch und von einer schonungslosen Offenheit. Merantor saß hinter einem kleinen Tisch, auf dem nur eine Akte lag. Sein eigentlicher Arbeitstisch stand einige Meter entfernt, übersät mit Ausdrucken, Kommunikationsgeräten, Schreibstiften und Positronikterminals. Merantor war über zwei Meter groß und mochte etwa 130 Kilogramm unter Standardgravitation wiegen, sah dabei jedoch nicht übergewichtig, sondern unglaublich kräftig aus. »Können Sie mit Weibern umgehen?« »Natürlich«, antwortete Axton betont gelassen; sein linkes Lid zuckte. Der Arkonide richtete sich auf, verschränkte die Arme vor der Brust, verengte die Augen und reckte das kantige Kinn vor. »Geben Sie nicht so an. Nach dem, was ich bisher von Ihnen weiß, fangen Sie immer an zu stottern, wenn Sie weibliche Rundungen sehen.« Axton, der immer noch auf den Haltebügeln stand, tippte Kelly auf den Kopf. »Unter den gegebenen Umständen ist es wohl besser, ich komme später wieder. Vielleicht kann man dann vernünftiger mit Ihnen reden.« Merantor stützte die Hände auf den Tisch, mustere Axton abschätzend und kalt. »Wissen Sie, wer Has’athor Mara nert Bonkal ist?« »Leider nein.« »Manchmal wundere ich mich über Sie, Axton. In manchen
Dingen sind Sie ein Genie, dann wiederum wissen Sie nichts über so wichtige Persönlichkeiten wie etwa Nert-moas Bonkal.« »So ist es«, bestätigte der Verwachsene gleichmütig. Merantor warf die Akte in Axtons Richtung. Kelly fing sie mit einer blitzschnellen Bewegung auf und reichte sie weiter. »Es geht um Sabotageanschläge. Nert Bonkal hat die verrückte Neigung, sich mit allen möglichen exotischen Geschöpfen der Öden Insel zu umgeben. Fast alle sind Tiere, aber es sind auch Halbintelligenzen dabei, von denen niemand sagen kann, wie sie im nächsten Moment reagieren werden. Wir vermuten, dass ein Teil der Sabotageakte, die auf Kafa im System Kaf-Kalga verübt wurden, auf diese Geschöpfe zurückzuführen sind. Es muss unter ihnen welche geben, die von den Methans gedungen wurden.« Axton schürzte die Lippen und fragte ohne großes Interesse: »Ist das ein Fall?« Merantor stand auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Und ob. Oder sollten Ihnen die Erfolge der letzten Zeit zu Kopf gestiegen sein?« Axton lächelte. Von dem Arkoniden ging Feindschaft aus. War er sich bewusst geworden, dass letztlich sogar seine Position gefährdet sein könnte, setzte er – Axton – die Reihe seiner Erfolge fort? Fürchtete er bereits die Konkurrenz? Für Axton war es ganz klar, dass er langfristig versuchen musste, selbst Chef der mächtigsten Geheimdienstorganisation des Großen Imperiums zu werden – er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass sich bereits jetzt eine Gegenströmung bemerkbar machen würde. »Keineswegs«, versicherte er vorsichtig. »Ich denke nur, das Problem ist leicht lösbar, wenn man der Erlauchten Bonkal verbietet, sich einem solchen Risiko auszusetzen.« Merantor schnaubte wütend. »Sie haben wirklich keine
Ahnung, wer die Erlauchte ist. Sie gehört zu den militärischen Führungsspitzen des Reiches. Der Imperator bringt ihr höchstes Wohlwollen entgegen. Er schätzt ihren militärischen und politischen Rat, da sie beachtliche Erfolge auf beiden Gebieten aufweisen kann. Zeitweise war sie schon im Gespräch für den einen oder anderen Posten im Zwölferrat! Einer solchen Frau kann niemand so einfach etwas verbieten.« »Ich habe schon begriffen«, sagte Axton, der nun wusste, warum er auf diesen eigentlich einfach erscheinenden Fall angesetzt worden war. Zu allen Zeiten pflegten die Mächtigen ihre fähigsten Mitarbeiter zu missbrauchen, kleine Arbeiten für Freunde zu erledigen, nur um diesen dadurch zu schmeicheln. Nicht anders schien es in diesem Fall zu sein. Orbanaschol III. hatte selbstverständlich seinen Kreis von Freunden, Vertrauten und Helfern, die die Basis seiner Macht bildeten. Für ihn wäre es nicht ausreichend gewesen, Gonozal VII. zu ermorden. Dadurch allein hätte er noch nicht Imperator werden oder sich auf Dauer halten können. Er hatte von Anfang an die Unterstützung und Hilfe seiner Freunde und Mitstreiter benötigt. Nur durch sie hatte er seine Macht festigen können. Das wusste auch Orbanaschol. Deshalb behandelte er seine Freunde mit besonderer Rücksicht. Schmeichelte ihnen hier, beschenkte sie dort, verlieh ihnen hohe Ämter und gab ihnen die Möglichkeit, Reichtümer anzuhäufen. Nert Mara da Bonkai gehörte offenbar zu diesem Kreis. Bei ihr duldete der Imperator gewisse Verrücktheiten, um sie nicht zu verärgern. »Haben Sie noch Fragen, Axton?« Lebo Axton klemmte sich die Akte unter den Arm. »Nein, vorläufig nicht.« Der Terraner tippte Kelly an und verabschiedete sich. Als die Tür hinter ihnen zuglitt, überfiel ihn die Erkenntnis, wer Mara nert Bonkal war, mit elementarer Wucht.
Der Arkonide trat in Axtons Büro im Trichter des Gon’thek Breheb’cooi-Faehgo ein, musterte den Verwachsenen von oben bis unten und ging grußlos zu einem Sessel. »Mein Name ist Sorgith Artho. Sie werden mir behilflich sein, die Sabotagefälle auf Kafa zu lösen.« Axton lehnte sich zurück. »Ach, werde ich?« »Cel’Mascant Merantor hat mit mir über Sonnenträgerin Bonkal gesprochen. Wir sind uns einig, dass dieser Fall zu delikat ist für einen… Mann wie Sie.« Artho blickte Axton in eindeutiger Weise an. »Sagen Sie ruhig Zayna. Das wollten Sie doch?« »Allerdings«, sagte der Arkonide verächtlich. »Wir können es Admiral Bonkal nicht zumuten, in dieser Weise… Was machen Sie denn da?« »Ich habe soeben Merantors Nummer eingegeben.« »Merantor ist nicht zu sprechen.« Der Arkonide sprang auf. »So?« Axton lächelte unmerklich und wandte sich an Merantor, dessen Gesicht auf dem Bildschirm erschien. »Ein gewisser Sorgith Artho ist bei mir. Er hat mir eben eröffnet, dass Sie und er übereingekommen seien, eine Arbeitsgruppe nach Kafa zu schicken, der Artho vorsteht.« Artho stand vor Axton und blickte hasserfüllt auf ihn herab. Sein Gesicht hatte eine wächserne Tönung angenommen. Der Verwachsene stellte mit gewisser Genugtuung fest, dass die Hände des Mannes zitterten. »Artho wird Sie in der Tat begleiten«, sagte Merantor. »Aber er untersteht Ihrem Befehl.« Damit unterbrach er die Verbindung. »Das werden Sie mir büßen«, sagte Artho mit bebender Stimme. »Setzen Sie sich und halten Sie den Mund! Ich habe zu
arbeiten. Sobald ich fertig bin, stehe ich Ihnen zur Verfügung. Bis dahin belästigen Sie mich nicht.« Der Arkonide gehorchte. Er war ein ungewöhnlich schmal gewachsener Mann, dessen äußere Erscheinung Axton an einen Ara erinnerte. Auffallend waren die großen blauen Augen, die in einem lebhaften Kontrast zu dem schulterlangen weißen Haar und dem blassen Teint standen. Arthos Hände waren feingliedrig; sie wirkten allerdings zu groß, da die Finger überproportional lang waren. Der Kosmokriminalist durchschaute ihn – Artho brannte vor Ehrgeiz. Er war innerlich unsicher und versuchte dies durch eine gewisse Unverfrorenheit zu überspielen. Nicht zuletzt auch, um den Makel seiner nicht der Norm entsprechenden Augenfarbe zu kaschieren. Zweifellos war die Initiative von ihm ausgegangen – er hatte auf eine noch ungeklärte Weise von dem bevorstehenden Einsatz erfahren und wollte dabei sein, um sich im Erfolg zu sonnen. Axton vermutete aber, dass Artho noch ehrgeizigere Pläne hatte. Er glaubte, dass der Arkonide ihn ausschalten wollte, um seinen Posten zu erhalten. Axton blickte auf. »Was wissen Sie über die Katanen des Capits?« »Die letzten fünf Pragos des Arkonjahres. Feiertage, die auf uralte Riten zurückgehen sollen. Früher wurden damit die Fruchtbarkeitsgötter geehrt. In dieser Hinsicht haben die Katanen heute ihre Bedeutung verloren, als Feiertage sind sie natürlich immer noch geschätzt. Warum fragen Sie? Das müssten Sie doch wissen.« »Eine andere oder weitere Bedeutung haben die Katanen des Capits nicht?« »Nein.« »Wir fliegen morgen nach Kafa. Ich melde mich bei Ihnen«, sagte Axton, ohne Artho eine Begründung für seine Frage zu geben. Er wartete, bis der Mann die Tür erreicht hatte.
»Bringen Sie mir Informationsmaterial über Mara da Bonkal.« Artho wollte aufbegehren, überlegte es sich aber anders und sagte: »In einer Tonta haben Sie alles, was ich auftreiben kann.« Axton fluchte leise, als er mit Kelly allein war. Dieser Auftrag gefiel ihm nicht. Nur mit dem größten Unbehagen dachte er daran, dass er Sabotagefälle aufklären sollte. Dafür gab es andere Spezialisten, die wesentlicher geeigneter waren. Gleichzeitig aber faszinierte ihn die Möglichkeit, in die Nähe von Mara da Bonkal zu kommen. Er hoffte, abseits des Auftrags im Sinne Atlans arbeiten zu können. Aus der überlieferten Geschichte des Großen Imperiums wusste er, dass an den Katanen des Capits 10.498 da Ark eine Raumschlacht stattfinden würde. Die Methans würden einen arkonidischen Flottenverband im Chemi-Spieth-System überfallen. Das war es, an das sich Axton nach dem Gespräch mit Merantor plötzlich erinnert hatte. Elektrisierend war gewesen, dass Mara da Bonkal daran beteiligt war; von ihrer herausragenden Rolle würde noch Jahrtausende später die Rede sein. Axton glaubte jedoch, sich daran erinnern zu können, dass in keiner historischen Quelle exakt gesagt wurde, was die Frau bei der Schlacht genau getan hatte, bei der der gesamte Verband samt ihrem Flaggschiff YREMBEL vernichtet werden würde. Stets war nur von einer »heldenhaften Haltung« und von einer »strategisch genialen Leistung«, die mit ein wenig mehr Glück den Untergang der Arkoniden hätte abwenden können, die Rede gewesen. Wie Avrael Arrkonta war Mara da Bonkal eine Nert-moas, eine »Nert-Baronin Erster Klasse« und überdies als hochdekorierte Einsonnenträgerin im Rang eines Has’athor eine Admiralin Vierter Klasse. Axton stand auf. »Komm her, Kelly. Wir fliegen nach Hause.«
Er kletterte auf den Rücken des Roboters und ließ sich zum Gleiter bringen. Erst als er in seiner Wohnung war, sprach er wieder. Hier gab es kein einziges Abhörgerät. Sogar die Scheiben der Fenster waren durch vorgelagerte Zerrfelder vollkommen schwingungsfrei, sodass kein Spionstrahl akustische Informationen abtasten konnte. Von außen war dank der Goldbedampfung auch kein optischer Einblick möglich, Warmluftgebläse an allen Außenseiten verhinderten überdies eine Infrarotausspähung. Nicht einmal auf hyperenergetischem Wege ließen sich Informationen aus dem Wohnungsinneren anzapfen – entsprechende Antiortungsfelder wirkten dem entgegen. Weitere Absicherungen betrafen das elektrische und positronische System, Verund Entsorgung und die Kommunikationseinrichtung. Die leistungsfähige Positronik war autark; ein Zweitgerät war für die Vernetzung zuständig. Mit den technischen Möglichkeiten der Arkoniden konnte Axton hier nicht abgehört oder überwacht werden. Das war mit ein Grund gewesen, dass er sich für diese Wohnung entschieden hatte – nach Awyretts Angebot hatte dieser es ihm überlassen, die Auswahl zu treffen, und ansonsten nur seine Beziehungen spielen lassen. Hinzu kam, dass Axton sie mit dem Wissen eines USO-Spezialisten »technisch verbessert« hatte. »Hör gut zu«, sagte er zu Kelly. »Wir haben bereits über das Soshol-Trakheer gesprochen, das Thema aber nicht abgeschlossen. Du weißt also, dass ich über gewisse Dinge, die in der Zukunft geschehen werden, gut informiert bin. Ich werde dir nun erklären, was an den diesjährigen Katanen des Capits passiert.« Er schilderte das, was er über die Schlacht und die Rolle Mara nert Bonkals wusste. »Verstanden?« »Ja.« »Da ich weiß, was passieren wird, habe ich den Plan
entworfen, Has’athor Bonkals Rolle bei der Schlacht umzukehren. Ich will, dass sie nicht als Heldin daraus hervorgeht, sondern als Versagerin. Was würde das bedeuten?« »Das würde den Bonkal-Khasurn entmachten. Orbanaschol würde diese einflussreiche Familie fallen lassen. Er könnte gar nicht anders, obwohl er sich damit selbst schwächen würde.« »Das würde die Zukunft verändern.« »Wie sollte die Zukunft verändert werden, wenn sie aus Sicht der Gegenwart keine feste Größe ist? Alle Entwicklungen sind möglich.« »Für mich steht diese Zukunft aber fest. Ich kenne sie als faktische Vergangenheit.« »Dann sehe ich mich gezwungen festzustellen, dass du entweder einen Dachschaden hast, Herzchen, oder dass du aus der Zukunft kommst.« »Ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf.« »Ich erlaube es dir.« Axton ließ sich von der Bemerkung des Roboters ausnahmsweise nicht provozieren. »Wenn du annimmst, dass ich aus der Zukunft komme, kannst du mir sicher auch die Soshol-Trakheer-Entscheidung erklären.« »Selbstverständlich, Liebling. Das ist einfach. Sofern du die Wahrheit gesagt hast, und davon darf ich bei deinem edlen Charakter wohl ausgehen, dann…« »Red kein dummes Zeug.« »… gibt es nur eine Antwort: Alles kann sich nur so entwickeln, wie du es aus deiner historischen Sicht kennst, eben weil du bereits in den Ablauf der Geschichte eingegriffen hast, wenn du einmal in der fernen Zukunft dein dortiges Leben beginnen wirst. Es handelt sich um eine geschlossene Zeitschleife.« »Das ist genau der Schluss, den ich auch bereits gezogen
habe.« »Es ist erfreulich, dass du mit deiner doch wesentlich geringeren Intelligenz zu dem gleichen Ergebnis gekommen bist wie ich.« »Du bist geschwätzig.« »Es ist nur der Überschwang der Freude.« Axton stöhnte gequält, trat hinter den Roboter und schaltete ihn mit einer raschen Bewegung aus, während Kelly mit langsam ersterbender Stimme sagte: »Das finde ich aber gar nicht nett…« Der Verwachsene aber hatte kein Erbarmen. Er musste sich konzentrieren, um herauszufinden, wie er sich verhalten sollte, wenn er mit Mara da Bonkal zusammentraf. Spielte es eine Rolle für die historische Entwicklung, ob sie als Heldin oder Versagerin aus der Schlacht hervorging? Axton legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass er bei Weitem nicht so vorsichtig wie bisher zu sein brauchte. Er konnte die Zukunft gar nicht manipulieren und auch kein Zeitparadoxon hervorrufen, so seltsam das auf den ersten Blick auch erscheinen mochte. Er befand sich in einem Kreis der Zeit, aus dem er wahrscheinlich gar nicht ausbrechen konnte. Unwillkürlich dachte er an einige Zeitreisen, von denen er als USO-Spezialist erfahren hatte: die Begegnung mit dem arkonidischen Kommandanten Kerlon im Wega-System beim Galaktischen Rätsel, das den Weg zur Kunstwelt Wanderer des Fiktivwesens ES geebnet hatte; der Versuch, den Robotregenten mithilfe des akonischen Epotrons ausschalten; die Versetzung der CREST III in die lemurische Vergangenheit… Welche Zukunft würde ihm in der Vergangenheit beschieden sein? Würde er Atlans Weg begleiten können? Das war eher unwahrscheinlich, denn Atlan hatte ihn bei ihrer ersten Begegnung auf der Erde nicht wiedererkannt, was aber
der Fall gewesen sein müsste, wären sie einander in Atlans Jugendzeit begegnet. Aber stimmte das? Immerhin war es Atlan gewesen, der ihm, dem Krüppel, die USO-Ausbildung ermöglicht hatte. Andererseits war Axton bekannt, dass gerade Atlans Jugendzeit – trotz fotografischem Gedächtnis – einer gewissen Blockade oder Verzerrung unterlag. Das hing angeblich mit einem OMIRGOS-Kristall zusammen, mit dem Atlans Lehrmeister den Kristallprinzen berührt haben sollte. Hatte es also vielleicht doch eine Begegnung gegeben? Oder würde es sie, aus seiner jetzigen Sicht, noch geben? Wie lange würde es ihm unter dem Einfluss der Traummaschine überhaupt möglich sein, hier zu leben? Gab es für den materialisierten Körper eine Alterung? Schmerzen und Verletzungen waren jedenfalls möglich. Vermutlich würde er sogar als Sinclair Marout Kennon sterben, sollte der AxtonKörper umkommen. Axton konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Obwohl er im Kreis der Zeit gebunden und gefangen war, die Zukunft somit determiniert, agierte er hier und jetzt dennoch mit völliger Willensfreiheit – eben weil er die Details der Entwicklung nicht kannte. Durchaus möglich, dass er morgen von Kellys Rücken stürzte und sich dabei den Hals brach… Plötzlich hielt Axton es nicht länger in der Wohnung aus. Er aktivierte den Roboter, stieg auf seinen Rücken und befahl ihm, ihn ins Archiv zu bringen. Hier verbrachte er den Großteil der Nacht mit dem intensiven Studium verschiedener Akten, in denen die wichtigsten Mitglieder und Ereignisse rings um den Bonkal-Khasurn zusammengefasst waren. Für Axton stand nach der Lektüre fest, dass Mara da Bonkal unumstritten die führende Persönlichkeit des Khasurn war.
Arkon I: 32. Prago des Tartor 10.498 da Ark Als Lebo Axton am frühen Morgen am Raumhafen des Hügels der Weisen eintraf, empfing ihn Sorgith Artho mit eisiger Miene. »Ich wollte Ihnen die Akte in Ihr Büro bringen, aber Sie waren nicht da und auch in Ihrer Wohnung nicht zu erreichen.« Er hob den dünnen Ausdruck samt angeheftetem Datenträger. »Bemerkenswert«, sagte Axton spöttisch und ließ Kelly einen Ausdruck von mindestens dreifacher Stapeldicke aus der Tasche ziehen. Artho kniff die Lippen aufeinander. Axton ließ sich von dem Roboter ins Schiff tragen, ein Schwerer Kreuzer der TRC. Axton zog sich nach der Begrüßung durch den Kommandanten zurück, ohne sich weiter um Artho zu kümmern, und legte sich aufs Bett. Noch vor dem Start war er eingeschlafen. Erst vierzehn Tontas später wachte er wieder auf und ging mürrisch in die Hygienezelle. Die Beine taten ihm weh, im Kopf fühlte er einen dumpfen Druck, der sich schnell zum Schmerz steigerte – fast so wie auf Protem. Der Schmerz wich auch nicht, als der Terraner geduscht hatte. Im Gegenteil. Er wurde intensiver. Axton versuchte, die Schmerzen mit Medikamenten zu lindern, aber sie blieben nahezu ohne Wirkung. Der Verwachsene ließ sich von Kelly ein leichtes Essen servieren und schaltete den Interkom ein, als ein Signal anzeigte, dass sich das Raumschiff dem Zielplaneten näherte. Kafa war eine Sauerstoffwelt, Nummer vier von fünfzehn Planeten, deren nördliche Halbkugel von zahllosen Inseln bedeckt war, während die südliche Hemisphäre aus einem einzigen, riesigen Kontinent bestand, der öd und leer zu sein schien. Axton entdeckte nur wenige Seen, die aber offensichtlich zu wenig Feuchtigkeit brachten, sodass sich keine ausgedehnte Vegetation ausbilden konnte. Die Inseln im
Norden dagegen waren grün und von landschaftlich außerordentlichem Reiz. Kaf-Kalga war eine weiße Sonne, 51 Lichtjahre von Arkon entfernt. »Was macht Artho?«, fragte er. »Er hat sich viermal gemeldet«, antwortete Kelly. »Ich habe ihn abgewiesen. Er ist wütend.« Der Terraner gähnte, lehnte sich in den Polstern zurück und rief sich die wichtigsten Daten ins Gedächtnis. Er musste vorsichtig sein, die Erlauchte wollte richtig behandelt werden. Als der Kreuzer gelandet war, erschien Artho erneut vor der Kabine und redete energisch auf Kelly ein, als dieser die Tür öffnete. »Ich muss Axton unbedingt sprechen.« Seufzend stand der Kosmokriminalist auf. »Was gibt es denn?« »Ich muss die Taktik mit Ihnen durchsprechen, nach der wir vorgehen werden.« Gelassen kletterte der Verwachsene auf den Rücken des Roboters, Kelly marschierte an dem Arkoniden vorbei. Ärgerlich lief Artho hinterher. »Je schneller Sie begreifen, Artho, dass auf Kafa alles nach meinen Vorstellungen abgewickelt wird«, sagte Axton betont sanft, »desto besser wird unsere Zusammenarbeit sein. Spielen Sie nicht länger Theater, sondern benehmen Sie sich vernünftig, Mann. Dann ist alles in Ordnung. Kommen Sie mir vor allem nicht in die Quere, sonst treten Sie mit dem nächstbesten Schiff die Rückreise an.« Axton tippte Kelly auf den Kopf. Der Roboter blieb in der Hauptschleuse stehen. »Haben wir uns verstanden?« Artho schäumte vor Wut. Der Verwachsene sah ihm an, dass er ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. Aber er fügte sich, schritt in einem Abstand von drei Metern hinter Axton her, als dieser auf Kellys Rücken das Raumschiff verließ. Am Ende der Bodenrampe wartete ein luxuriöser
Gleiter auf sie. Das bescheidene Gepäck Axtons nahm kaum Platz ein, während Artho seins per Antigravplattform zur Ladefläche dirigieren musste. Am Steuer der Maschine saß eine weißblonde junge Frau, die Axton neugierig musterte. Sie trug eine zartrosafarbene Uniform, die mit silbernen Knöpfen und Streifen verziert war. »Ich soll Sie abholen«, sagte sie. »Beeilen Sie sich.« Wenig später glitt die Maschine über einige flache Gebäude am Raumhafenrand hinweg, an den sich waldreiches Gebiet anschloss. Nach kurzer Zeit war eine ausgedehnte Stadt erreicht, die an der Küste der Insel errichtet worden war. Ungefähr fünfzig Kilometer davon entfernt befand sich der Bonkal-Wohnsitz. Der Gleiter raste in einer Höhe von etwa fünfhundert Metern darauf zu, als sich Axtons Kopfschmerzen nochmals verstärkten. Das kam so überraschend, dass er spontan die Hände an den Schädel legte und aufstöhnte. »Fehlt Ihnen was?«, fragte Artho. »Nichts weiter«, antwortete der Verwachsene mühsam. Die Schmerzwelle verebbte. Als Axton die Hand ausstreckte, um sich von Kelly eine Tablette geben zu lassen, erschütterte eine Explosion die Maschine, deren Bug nun steil nach oben wies. Die Arkonidin schrie auf. Eine zweite Explosion zerriss den Gleiter. Axton und Artho, die auf den hinteren Sitzen saßen, wurden durch die vorderen vor Splittern und die Druckwelle geschützt, die junge Frau dagegen wurde auf der Stelle getötet. Die Kabine zerbrach in drei Teile, Axton, Artho und Kelly stürzten hinaus. Der Arkonide schrie gellend, als er in die bodenlose Tiefe fiel. Der Terraner warf sich in der Luft herum und suchte nach dem Roboter. »Komm her, Kelly. Beeil dich gefälligst!« Der Roboter beschleunigte, schob sich geschickt unter den Terraner, sodass dieser seine Füße in die unteren Haltebügel schieben konnte. Artho befand sich bereits fünfzehn Meter
unter ihnen. Er schlug um sich und strampelte wie von Sinnen, als könne er dadurch Halt finden. Sein Gesicht war gerötet, sein Mund weit geöffnet. Trümmer des Gleiters wirbelten durch die Luft. Rund hundert Meter über dem Boden gelang es Kelly auf Axtons Befehl, Artho abzufangen. Der Roboter umfing den Arkoniden mit den Armen, dieser klammerte sich verzweifelt fest. Nun erst flog Kelly seitlich aus dem Trümmerregen heraus, verzögerte behutsam und landete am Ufer eines kleinen Sees neben einer hölzernen Hütte. Artho brach zusammen, zitterte am ganzen Leib. Axton achtete nicht auf ihn, sondern blickte nach oben. Letzte brennende Trümmer klatschten zischend in den See und versanken. Auf dem Dach der Hütte hockte ein seltsames Wesen, dessen Hauptkörper etwa so groß wie ein Fußball und von einem tiefblauen, dichten Pelz eingehüllt war. Es hatte zwei fingerdünne Beine, die etwa anderthalb Meter lang waren. Von der oberen Rundung des Kugelrumpfes ragten drei flammend rote Federn auf. »Landest du immer so?«, fragte das Geschöpf zwitschernd. Axton konnte nicht erkennen, wo sich Mund, Augen oder andere Sinnesorgane befanden. »Landest du immer so?« »Nein, natürlich nicht«, sagte er, während sich Artho aufrichtete. »Wir haben uns nur einen Spaß erlaubt.« »Landest du immer so?« »Ich sagte doch, dass…« »Er hat keinen Sinn, mit dem Gröckl zu sprechen«, sagte jemand mit abgrundtiefer Stimme. »Sein Wortschatz ist extrem begrenzt.« Kelly drehte sich um. Aus den Büschen trat ein Wesen, das den Terraner an Gestalten aus fantastischen Geschichten der Erde erinnerte: Es glich einem leibhaftigen Werwolf. Vom Kopf bis zu den Hüften war es einem Wolf ähnlich, der von einer Hose bedeckte Unterkörper und die Beine entsprachen
dagegen einem Menschen oder Arkoniden. Axton konnte ein gewisses Frösteln nicht unterdrücken. Die Augen des Fremden erschienen ihm tückisch, und von den entblößten Reißzähnen ging eine nicht zu übersehende Drohung aus. »Es ist ein Tier, nichts weiter«, fuhr der Wolfsmann fort. »Dass unser Gleiter einem Attentat zum Opfer fiel und die Pilotin dabei getötet wurde, scheint Sie nicht zu interessieren«, sagte Artho mit schriller Stimme. Er stand unter Schock. »Has’athor Bonkal wird sich darum kümmern. Wir bedauern den Vorfall. Wer sind Sie?« Axton stellte sich und die anderen vor. »Mein Name ist Lano. Ich stehe im Dienst der Vulkanträgerin. Folgen Sie mir, bitte.« Der Wolfsmann wandte sich um und ging voraus, ohne sich darum zu kümmern, ob Axton und der Arkonide folgten. Der Verwachsene gab Kelly ein Zeichen; schnell schloss der Roboter auf, Artho eilte hinterher. »Axton«, sagte er keuchend. »Axton, das vergesse ich Ihnen nicht so leicht.« »Was wollen Sie nicht vergessen? Wovon sprechen Sie?« »Das wissen Sie ganz genau. Sie haben mich absichtlich so tief abstürzen lassen, dass ich annehmen musste, alles sei vorbei.« »Sie wurden gerettet. Ohne meinen Roboter wären Sie jetzt tot.« »Ich weiß«, rief Artho wütend; er musste schnell ausschreiten, um mit dem Roboter Schritt halten zu können. »Mussten Sie mich aber erst im letzten Augenblick auffangen? Hätten Sie das nicht früher tun können?« Axton grinste, schüttelte den Kopf. »Sie sind wohl verrückt geworden? Statt mir auf Knien zu danken, beschimpfen Sie mich noch?« Der Arkonide blieb schwer atmend stehen. »Sie haben überlegt, ob Sie mich auffangen sollen oder nicht. Sie waren
versucht, mich auf diese bequeme Weise loszuwerden. Sie haben mich nicht gerettet, weil Sie sich dazu verpflichtet fühlten, wie es bei einer Person von Anstand der Fall gewesen wäre. O nein, Sie haben es nur getan, weil Sie sonst Unannehmlichkeiten gehabt hätten.« Axton beachtete den Mann gar nicht mehr. Kelly marschierte weiter, Artho blieb zurück. Aus den Büschen flatterte ein grüner Vogel und umkreiste fröhlich zwitschernd den Kopf des Terraners. Unwillkürlich streckte Axton die Hand aus. »Das würde ich nicht tun«, sagte Lano. »Sie meinen, ich könnte ihn verscheuchen?« »Durchaus nicht. Er könnte Ihre Haut mit dem Schnabel ritzen, und das wäre tödlich.« Axton zog schnell die Hand zurück. Vor dem Gebäude mit dem turmartigen, von Antennen gekrönten Aufbau erstreckte sich eine weite Terrasse, die von üppig blühenden Büschen gesäumt war. Exotisch aussehende Tiere tummelten sich dort. Keins davon hatte Axton je gesehen. Aber er hatte kaum Augen für sie: Er sah die Frau an, die am Terrassenrand stand und freundlich lächelnd wartete. Es war Mara nert Bonkal.
Auf ihrer Schulter saß ein kleiner grüner Vogel – von der gleichen Art wie jener, vor dem Lano Axton gewarnt hatte. Die Frau fürchtete sich jedoch nicht vor dem Tier, das spielerisch am seidigen Stoff ihres Kleids herumpickte. »Sie also sind Lebo Axton, der ungemein erfolgreiche Kosmokriminalist. Quertan Merantor hat Sie mir empfohlen.« Die Arkonidin war eine ungewöhnlich schöne Frau. Die ausdrucksvollen Augen schlugen Axton förmlich in ihren Bann. Durch seine Recherchen hatte Axton gewusst, dass die Frau schön war. Dennoch überraschte ihn ihr Aussehen. Die
Bilder und Holos waren weit von der Wirklichkeit entfernt, fingen nicht die Ausstrahlung ein. Nur zu gut wusste Axton, was Merantor mit seiner Frage gemeint hatte. Die alten Komplexe, die Axton von jeher Frauen gegenüber geplagt hatten, brachen wieder durch. Er fühlte, wie ihm heiß wurde. Das Herz schlug wild in der Brust, und er wurde sich seiner Hässlichkeit bewusst. Für einen Augenblick wünschte er sich die Vollprothese herbei, in der er so lange gelebt hatte. Dieser Frau gegenüber fühlte sich Axton befangen. Er wurde sich dessen bewusst, dass er im Grunde genommen gar nicht gekommen war, um die Sabotagefälle aufzuklären, sondern um selbst Sabotage zu begehen, indem er versuchte, den Rufmord an dieser Frau vorzubereiten. Jetzt aber schwankte er in seinem Entschluss, und Axton fragte sich, ob genau das der Kreis der Zeit war. Keine Sabotage, sondern die Überlieferung als Heldin? Unterdessen schritt Sorgith Artho äußerlich gelassen vorbei, trat auf Nert Bonkal zu und begrüßte sie formvollendet. Mit selbstsicherem Lächeln machte er ihr einige Komplimente. Axton beobachtete sie dabei – sie wandte sich dem Arkoniden zu, der sie durch seine Worte einzunehmen schien. Axton fühlte eine widersinnige Eifersucht in sich aufsteigen. Für einen Augenblick wollte ihn die Erregung übermannen, fast hätte er sich zu einigen unbedachten Äußerungen hinreißen lassen – doch dann zwang er sich zu einem Lächeln. »Ich sehe, Sie verstehen sich ausgezeichnet. Artho ist ein nicht weniger erfolgreicher Mitarbeiter Merantors.« Der grüne Vogel flatterte davon, während eine faustgroße Spinne auf Bonkal zukroch. Das Tier hatte ein Stielauge, das etwa einen Meter über dem Spinnenkörper auf dem tentakelartigen Auswuchs schwankte. Die Arkonidin stampfte mit dem Fuß auf, und die Spinne zog sich eilig zurück. Die Sonnenträgerin blickte Axton an; das Rot ihrer Augen
verdunkelte sich. »Ihr Gleiter ist abgestürzt…«, begann sie. »Zwei Explosionen«, sagte Axton. »Es muss Sabotage gewesen sein. Ein Attentat!« »Ich bin froh, dass Sie überlebt haben.« Axton sah ihr an, dass sie es ehrlich meinte. »Bitte, gehen wir doch ins Haus. Ich möchte Ihnen berichten, was hier alles schon vorgefallen ist.« Nert Bonkal führte die beiden Männer in einen luxuriös eingerichteten Raum. Der Reichtum war unübersehbar. Ebenso deutlich aber war auch die extreme Vorliebe für exotische Lebensformen. In dem Salon, der rund hundertfünfzig Quadratmeter maß, entdeckte Axton auf Anhieb zwölf Geschöpfe, wie er sie niemals zuvor gesehen hatte. Einige waren nur faustgroß und lagen unter Sesseln oder Schränken, andere beanspruchten erheblich mehr Platz. Lano hatte in einem Sessel Platz genommen und schaltete eine Trividprojektion ein. »Ist das hier der rechte Platz?«, fragte Axton und stieg von dem Roboter. »Vielleicht sollten wir nicht so viele Zeugen haben.« »Nur Lano ist intelligent«, antwortete die Frau leichthin. »Er genießt mein volles Vertrauen.« Sie griff unter den Sessel, in den sie sich gesetzt hatte, und holte ein bunt gefiedertes Wesen hervor. Es rollte sich zu Axtons Überraschung auseinander und glich nun einer Schlange. Ein Diener näherte sich in unterwürfiger Haltung und stellte Gebäck und Getränke auf dem Tisch ab. Das Wesen war untersetzt, grob arkonoid, hatte aber einen vogelartigen Kopf mit weit vorspringendem Schnabel. Die dunklen Augen schimmerten bläulich. Auch so einem Wesen war Axton noch nie begegnet. Er wurde sich bewusst, dass die Zahl der Lebensformen in der Milchstraße beträchtlich sein musste, die im Verlauf der kommenden Jahrtausende spurlos
verschwinden würden. »Was ist passiert?«, fragte er. »Die größten Schwierigkeiten gab es mit der Positronik und der Raumschiffstechnik«, begann die Arkonidin. »Ich habe den Eindruck, dass hier irgendwo Agenten – vielleicht der Methans? – tätig sind, denen es darauf ankommt, Kafa als militärischen Stützpunkt weitgehend auszuschalten. Sie wissen, dass hier ein Verband von insgesamt sieben Schlachtschiffen stationiert ist, darunter mein neues Flaggschiff, die YREMBEL? An Bord dieser Einheiten traten zunächst erhebliche Störungen auf. Sie konnten aber durch extrem scharfe Bewachung bereinigt werden. Dennoch ließen die Sabotageakte nicht nach. Sie konzentrierten sich in der zweiten Phase auf die militärischen Anlagen außerhalb der Raumer, auf das Kommunikationssystem und meinen Mitarbeiterstab. Vor einigen Pragos wurde einer meiner besten Waffenspezialisten, Vulkanträger Leiquon Arkatenbel, überfallen und getötet. Dabei gelang es ihm zwar, den Angreifer zu erledigen, aber für ihn war es schon zu spät. Eine Untersuchung ergab, dass der Attentäter mit Drogen beeinflusst worden war und nicht aus eigener Entscheidung handelte.« »Leider muss ich Ihnen sagen, dass sich solche Attentäter unter den vielen exotischen Wesen, die hier frei herumlaufen, sehr leicht verbergen können«, sagte Artho streng. »Die beste Lösung wäre, dass Sie sich von allen trennen und nur noch arkonidisches Personal in Ihrer Nähe dulden.« Mara da Bonkal legte den Kopf schief und blickte den Arkoniden fast trotzig an. »Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich meine Lieblinge davonjage, nur weil unter ihnen eventuell einer sein könnte, der beeinflusst wird? Alle Wesen wurden überprüft, ich kenne sie bestens. Wer sie manipulieren kann, schafft das auch mit arkonidischem Personal!«
Artho merkte, dass er ungeschickt gewesen war, lenkte jedoch nicht ein, sondern fuhr hitzig auf. »Sie vergessen wohl, dass wir uns im Krieg befinden? Unter solchen Umständen können wir uns keine Nachlässigkeiten erlauben. Die Tiere bilden einen besonderen Risikofaktor. Sie müssen weg! Es sei denn, dass Sie eindeutig beweisen können, dass es wirklich nur Tiere und keine Intelligenzwesen sind.« Die Frau veränderte sich schlagartig. Aus der plaudernden Schlossherrin wurde die Admiralin. Ihr Gesicht wurde hart, unter der scheinbar weichen Schale kam die kampfgewohnte Persönlichkeit hervor. Sie wandte sich an Axton und tat, als sei Artho nicht mehr vorhanden. »Haben Sie ähnlich intelligente Vorschläge zu machen?« »Keineswegs«, antwortete Axton gelassen. Dieser Persönlichkeit, die sich jetzt zeigte, fühlte er sich gewachsen. Damit konnte er umgehen. Er sah in ihr nicht mehr die verführerische Frau, sondern den klar denkenden und handelnden Orbton bester arkonidischer Schulung. »Soweit ich weiß, ist bislang keineswegs bewiesen, dass die Attentäter im Kreis der exotischen Wesen zu suchen sind. Erst nach einer nochmaligen Begutachtung aller Fälle können wir weitersehen.« »Es liegt doch auf der Hand, dass sich die Saboteure dort verstecken, wo sie am schwersten aufzuspüren sind«, wandte Artho hartnäckig ein. »Natürlich«, sagte Axton. »Doch dabei ist zu berücksichtigen, dass es den Methans nahezu unmöglich ist, Agenten gezielt auf diesem Weg einzusetzen. Has’athor Bonkals Tiere und Halbintelligenzen stammen von Welten und aus Bereichen der Öden Insel, die nicht zum Einflussbereich der Methans gehören.« Die Frau nickte anerkennend. »Dieser Ansicht bin ich ebenfalls. Wie hätten die Methans herausfinden sollen, wohin
meine Reisen gingen? Wie hätten sie schon vorher dort einen Agenten absetzen können? In nahezu allen Fällen habe ich mich spontan entschieden.« »Wahrscheinlicher ist, dass die Methans – oder jemand anders? – hier auf Kafa einige der Wesen eingefangen und sie mit speziellen Mitteln beeinflusst haben. Genau so ist es schließlich beim Angriff auf den Vulkanträger geschehen.« Axton griff sich an den Kopf, spürte ein unangenehmes Pochen. Vom Nacken her schien sich alles zu verkrampfen, bis sich schließlich tausend Nadeln in seinen Kopf bohrten. Er rutschte aus dem Sessel und blickte sich um. »Was haben Sie?«, fragte die Admiralin. »Ist Ihnen nicht gut?«, forschte auch Artho. »Sie hätten nicht so viel trinken sollen…« »Kelly!«, rief Axton. »Aufpassen!« In diesem Augenblick klirrten die Scheiben. Ein ovaler Gegenstand flog in den Salon und rollte der schönen Arkonidin vor die Füße. Gleichzeitig aber setzte sich der Roboter in Bewegung. Er schnellte sich über den Tisch, packte das Wurfgeschoss und schleuderte es wieder zum Fenster hinaus. Dabei bewegte sich sein Arm so schnell, dass die Bewegung kaum zu erkennen war. Axton ließ sich fallen, auch Bonkal reagierte augenblicklich. Nur Artho zögerte etwas, bevor er sich duckte. Der Gegenstand explodierte auf der Terrasse. Axton sah eine grellweiße Stichflamme aufsteigen, von der Druckwelle wurden Scheibensplitter aus dem Rahmen gesprengt. Einer bohrte sich Artho in die Wange; der Arkonide schrie schmerzvoll auf. Kelly hatte sich nur leicht nach vorn gebeugt – in dieser Haltung fing er die Druckwelle auf, sodass er unmittelbar nach der Explosion loslaufen konnte. Er sprang durch das zerstörte Fenster zur Terrasse hinaus und stieg danach steil in die Luft, erreichte mithilfe seines Antigravaggregats rasch eine
Höhe von fast zweihundert Metern. Von hier aus spähte er in die Runde und hätte eigentlich jeden fliehenden Attentäter sehen müssen. Das Donnern einer zweiten Detonation rollte heran. Axton eilte mit schleifenden Füßen auf die Terrasse. Dort, wo die Bombe explodiert war, klaffte nun ein etwa ein Meter tiefer Krater. Etliche exotische Tiere ringsum lagen tot auf den Steinen und hingen zwischen zerfetzten Büschen. Axton fuhr sich mehrmals mit der flachen Hand über die Augen, da er nicht klar sehen konnte. Ihm war, als blicke er durch ein grobes, flirrendes Sieb. Kelly landete neben ihm. Axton streckte die Hand aus und ließ sich auf den Roboterrücken helfen. Hier klammerte er sich fest und atmete einige Male tief durch, fühlte sich zunehmend sicherer. »Was hast du beobachtet?« »Ein Spiegel auf dem Hügel dort hinten, wurde von der zweiten Explosion zerstört. Sonst nichts.« »Was soll das?«, forschte Axton ärgerlich. »Damit kann ich nichts anfangen. Los – ich will’s selbst sehen.« Er kümmerte sich nicht darum, dass Bonkal und Artho auf die Terrasse traten. Auf dem Rücken des Roboters schwebte er in die Höhe. Kelly flog bis zu dem Hügel, auf dem der Spiegel gestanden hatte und von der zweiten Explosion zerfetzt worden war. »Landen.« Von dem Spiegel gab es nur noch kleine Splitter. »Wozu ein Spiegel?« Nach kurzer Untersuchung drehte sich Axton um und sah zur Hertanan-Villa hinüber. »Man kann damit um die Ecke sehen.« »Kluger Junge«, lobte der Verwachsene. »Der Attentäter dürfte in der Villa an einem Fenster gestanden haben. Der Spiegel diente ihm dazu, festzustellen, wo wir uns im Salon aufhielten. Die Bombe – zweifellos mit einem Antigrav oder Feldtriebwerk ausgestattet – wurde dann ferngesteuert auf uns
gelenkt. Um seine Spur zu verwischen, wurde auch der Spiegel vom Attentäter per Fernzünder zerstört. Fast wäre der Plan aufgegangen.« Er kletterte wieder auf den Rücken des Roboters und ließ sich zur Terrasse zurücktragen. Das Personal hatte mit dem Aufräumen begonnen und die meisten Tierleichen entfernt. Zwei Roboter schütteten bereits den Krater zu. Axton wollte Artho nicht mehr als unnötig verärgern, deshalb berichtete er ihm und der Arkonidin, was er herausgefunden hatte. »Stellen Sie fest, wer sich im Haus aufgehalten hat«, schloss er. »Wichtig sind vor allem die oberen Räume. Von dort aus muss der Angriff gesteuert worden sein.« Weder Nert Bonkal noch Artho ließen noch erkennen, wie sehr sie der Angriff erschreckt hatte. Beide beherrschten sich mustergültig. Zumindest bei der Frau war sich Axton allerdings sicher, dass sie wirklich unbeeindruckt war. »Mein Roboter hat darüber hinaus Impulse geortet, die aus Richtung Raumhafen gekommen sind. Es gibt wohl keinen Zweifel, dass sie mit dem Vorfall in Verbindung zu bringen sind.« Axton spielte hoch. Er sah, dass sich die Augen der Frau weiteten und feucht wurden. Dieses Zeichen der Erregung war nicht zu übersehen. »Ich vertraue meinen Besatzungen«, sagte sie. »Was Sie da sagen, kann einfach nicht sein.« Artho sah Axton unbewegt an, während dieser sagte: »Sie dürften niemandem vertrauen.« »Das ist doch widersinnig, dass jemand von Bord der Schiffe aus an dem Anschlag beteiligt gewesen sein soll«, sagte Artho heftig. »Bedenken Sie: Wäre dort ein Saboteur, würde er sich doch selbst schaden, sofern es zu einem Zwischenfall im All kommt.« Axton tat, als hätte er den Einwand nicht gehört. »Ich würde es begrüßen, wenn man uns nun unsere Zimmer zeigen
würde.« Er spürte den inneren Widerstand der Arkonidin. Sie wollte nicht glauben, dass unter den Frauen und Männern, die ihrem Befehl unterstanden, Verräter waren. Ihr erging es wie den meisten Arkoniden, die sich nicht vorstellen konnten, dass jemand aus dem eigenen Volk für Wesen wie die Maahks arbeiten konnte. Mara da Bonkal drehte sich um und ging ins Haus. Axton folgte ihr, während Artho auf der Terrasse blieb und sich umsah. Der Terraner war sich sicher, dass der Arkonide die Umgebung der Villa sorgfältig absuchen würde. Doch dabei würde er auch nicht mehr feststellen als Axton. Es war ungefährlich, den Mann gewähren zu lassen. Als großzügige Gastgeberin hatte Nert Bonkal Axton vier große Räume im ersten Stock zur Verfügung gestellt. Von allen bot sich ein prächtiger Ausblick auf den See. Axton legte sich auf ein zwischen Antigravfeldern aufgespanntes Netz und überließ es Kelly, die Räume nach Abhörgeräten zu durchsuchen, während er die nächsten Schritte überdachte, die unternommen werden mussten. Für ihn stand fest, dass er am ursprünglichen Plan festhalten wollte. Wenn es ihm gelang, Mara da Bonkal in der bevorstehenden Schlacht an den Katanen des Capits in die Rolle einer Versagerin zu manövrieren, wurde sie politisch und militärisch entmachtet. Das bedeutete gleichzeitig, dass sie für die Saboteure uninteressant wurde. Axton blickte auf sein Armbandgerät. Noch waren es acht Pragos bis zum Beginn der Katanen des Capits. Während auf den Welten des Imperiums gefeiert wurde, würde es zur Raumschlacht kommen. Würde deshalb auch die Aufmerksamkeit der Arkonidin nachlassen? Kelly trat heran. »Die Räume sind sauber.« Axton stand auf und kletterte auf den Rücken der Maschine. »Bring mich zu der schönen Frau.« »Verliebt, Herzchen?«
Dem Verwachsenen verschlug es den Atem. »Was hast du gesagt?« »Ich habe mich zartfühlend danach erkundigt, ob dein Herz höher als sonst schlägt.« Axton stöhnte und versetzte dem Roboter einen Tritt in den Rücken. »Ich lasse dich augenblicklich verschrotten, solltest du noch einmal derart dämliche Fragen stellen.« »Mein Logiksektor hat diese Frage als absolut vernünftig beurteilt. Mara da Bonkal ist nach arkonidischen Vorstellungen schön, überdies charmant und anziehend. Sie hat ein freundliches Wesen und ist eine ausgereifte Persönlichkeit. Sie ist geistig auf der Höhe, bestens geschult und weiß, was sie will. Alles in allem sind das Faktoren, die nur für sie sprechen. Die in mir festgehaltenen Daten lassen keinen Zweifel daran, dass ein Mann, der sich in eine solche Frau nicht verliebt…« »Still, du Satan!«, schrie Axton und schlug Kelly mit beiden Fäusten auf den Kopf, obwohl er wusste, dass der Roboter nichts spüren konnte. »Ich verbiete dir, noch ein einziges Wort zu sagen.« »Du leidest, Liebster«, sagte Kelly mit gedämpfter Stimme, in der fast so etwas wie Mitleid mitschwang. »Das wollte ich nicht.« Axton drückte den Lauf seines Thermostrahlers an den Kopf der Maschine. »Noch einen einzigen Laut, dann vernichte ich dich!«, schrie er wie von Sinnen. Axtons Verstand wusste, dass der frühere Besitzer des Roboters für Kellys Reaktionen verantwortlich war. Die Maschine sprach und handelte so, wie es ihre Programmierung vorschrieb. Ihr einen Vorwurf zu machen wäre absolut widersinnig gewesen – schließlich hätte Axton die Programme verändern oder ganz löschen können. Dennoch ertrug er die jetzigen Worte nicht. Er war sich der
Unzulänglichkeiten seines Körpers bewusst, und er litt darunter. Zwischen ihm und Frauen würde immer eine unsichtbare Schranke bestehen bleiben, die er nie durchbrechen konnte. Nur allmählich beruhigte sich der Verwachsene. Der Sturm der in ihm tobenden Gefühle flaute ab. »Geh jetzt!« Kelly verließ den Raum und trug Axton auf den breiten Gang hinaus, dessen Wände mit kostbaren Fellen verkleidet waren. Auf schmalen Metallstreifen standen jeweils eine Erläuterung und die Kurzbeschreibung des Planeten, von dem die Felle stammten. Es gab keinen Zweifel, dass Mara da Bonkal beträchtliche Bereiche der bekannten Öden Insel kennengelernt hatte. Statt den Antigravschacht zu benutzen, lenkte Axton den Roboter zur breiten Freitreppe. An ihrem Fuß standen Bonkal und Artho. Axton fühlte einen Stich in der Brust, als er sah, wie die beiden miteinander sprachen. Sie blickte ihn mit leuchtenden Augen an, während er auf sie einredete. Als seien sie bei einem verbotenen Spiel ertappt worden, fuhren sie herum, als sie die Schritte der Roboters hörten. »Ich wäre Ihnen dankbar«, sagte Axton und bemühte sich um einen möglichst gleichmütigen Ton, »wenn Sie mir jetzt Ihre Raumschiffe zeigen könnten. Haben Sie bereits festgestellt, welche Personen sich beim Attentat in den oberen Räumen befanden?« Artho lächelte abfällig. »Das ist nicht mehr notwendig.« »So, tatsächlich?« »Allerdings! Wir haben den Attentäter nämlich schon gefasst.« Er betonte die Worte so eigenartig, dass Axton nicht wusste, wie sie gemeint waren. Dann aber schaltete er und lächelte. »Sie meinen, es handelte sich um einen Unglücksfall? Ein Kind
hat mit einem Ding herumgespielt, das sich plötzlich als unvermutet gefährlich erwiesen hat?« Has’athor Bonkal blickte Artho überrascht an, dieser krauste die Stirn. »Woher wissen Sie das?« Argwöhnisch verschränkte er die Arme vor der Brust, als wolle er sich gegen Axton abschirmen. »Ist es so?« Der Verwachsene ließ Kelly am Fuß der Treppe anhalten. »Nun antworten Sie schon.« Mara da Bonkal tat es für ihn. »Es ist so. Der Sohn meiner Schwester hat sich selbst einen Antigrav gebaut. Leider hat er dabei einige Fehler gemacht und ein Teil eingebaut, das zu spontanen Explosionen neigt. Das Gerät geriet außer Kontrolle. Dadurch kam es zu dem Zwischenfall. Es ist also alles in Ordnung.« »Meinen Sie?« »Aber selbstverständlich«, sagte Artho. Er trat einen Schritt vor, sodass er die Frau halb mit seinem Körper verdeckte, als wolle er sie schützen. »Ich habe selbst mit dem Jungen gesprochen und alles kontrolliert. Er hat mit den Saboteuren nichts zu tun.« »Vielleicht haben Sie recht«, sagte Axton. »Ich bestehe aber darauf, ebenfalls mit dem Jungen zu sprechen. Sofort.« Bonkal umrundete mit einer geschmeidigen Bewegung Artho und lächelte, als habe sie es mit einem störrischen Kind zu tun, dem man mit sanfter Gewalt beibringen musste, dass es seinen Willen nicht durchsetzen würde. »Es geht nicht. Der Junge schläft.« »Jetzt? Nach diesen Ereignissen? Zu dieser Tageszeit?« »Er hat einen Schock und ist so erschöpft, dass er Ruhe braucht.« Axton stützte sich mit den Ellenbogen auf Kellys Kopf und beugte sich vor. »So ist das also. Nun gut, wenn Sie nicht wollen, werde ich Sie nicht zwingen. Führen Sie mich nun durch Ihr Raumschiff? Die YREMBEL, nicht wahr?«
Sie blickte ihn überrascht an, schien mehr Widerstand erwartet zu haben. Axton lächelte nur, als amüsiere ihn, die Arkonidin verblüfft zu haben. Ihr Blick wurde nachdenklich; sie begriff, dass er andere Wege beschritt. Und sie akzeptierte seine Haltung. In ihren Augen blitzte es auf. Ihr gefiel seine Art, wie er sie behandelte. Offensichtlich war sie so etwas nicht gewohnt. Sie drehte sich um und ging den Männern voraus.
10. Die YREMBEL gehört zu den modernsten Schiffen, die derzeit im Tai Ark’Tussan im Einsatz sind. Unübersehbar ist vor allem die starke Bewaffnung des Schlachtschiffs. Der achthundert Meter durchmessende Kugelriese zählt als Flaggschiff zur Kategorie der Schweren Schlachtschiffe. Neben dem überschweren ZwillingsImpulsgeschütz der oberen Polkuppel gibt es je zwölf schwere Impulsgeschütze im oberen und unteren Bereich des Schiffes. Hinzu kommen insgesamt zwanzig Thermokanonen, deren auffallend große Projektoren aus der Kugelhülle ragen, sowie zehn Desintegratorgeschütze. Standardmäßig sind darüber hinaus auch Raketenwaffen, Torpedos und Marschflugkörper vorhanden, die die Kampfkraft des Raumers erhöhen. Mindestens 3000 Mann Besatzung sind erforderlich, um ein solches Schlachtschiff zur schlagkräftigen Einheit zu machen; mehr als tausend davon sind für die Bemannung der Beiboote notwendig, zu denen je nach Ausführung vier bis zwölf 60-Meter-Kugelraumer, Leka-Disken, Einmannjäger, Dreimannzerstörer und Flugpanzer gehören.
Kafa: 34. Prago des Tartor 10.498 da Ark Zweieinhalb Meter hohe Kampfroboter mit jeweils vier Waffenarmen bewachten die YREMBEL. Sie standen in einem Abstand von jeweils rund zehn Metern voneinander und bildeten einen Ring um das Schiff. Damit nicht genug. Zwischen ihnen und dem Raumer patrouillierten Hunderte Raumsoldaten, die die Neuerwerbung Admiralin Bonkais zusätzlich absicherten. Die Augen der Frau blitzten stolz auf, als sie sich zu Axton umdrehte. »Nun, was sagen Sie?« »Beeindruckend.« »Damit lässt sich alles vernichten, was die Methans aufbieten können«, bemerkte Artho.
Der Gleiter war am Fuß der Bodenrampe gelandet. Die gewaltige Wölbung der unteren Kugelhälfte bedeckte einen Großteil des Himmels. Von ihrem Standort aus war ein Teil des vorkragenden Ringwulstes mit den Riesenöffnungen der Impulstriebwerke zu erkennen. Turmstark waren die abgespreizten Säulen der zwölf Teleskop-Landestützen, deren Auflageteller mehrfach mannshoch waren. Artho ging an Axton und Kelly vorbei und setzte zu weiteren, schmeichelhaften Worten an, doch Bonkal wandte sich ab. »Kommen Sie«, sagte sie und ließ sich vom fluoreszierenden Kraftfeld erfassen, das sie zur unteren Polschleuse hinauftrug. »Was, zum Gork, suchen Sie?«, fragte Artho, als er neben Axton und Kelly stand. »Den Attentäter und sein Motiv«, antwortete der Verwachsene, als sei der Neffe der Admiralin nie erwähnt worden. Der Arkonide wandte sich ab und kehrte zur Hertanan-Villa zurück, während Axton die Rampe hinaufglitt. Der Terraner ließ sich durch das Schiff führen, dessen Ausmaße einer Großstadt entsprachen. Wenn Bonkal Fragen über seine kriminalistischen Arbeiten stellte, wich er aus, bis sie es aufgab. Der Grundaufbau des Schlachtschiffs würde sich über die Jahrtausende bewähren und nur in Details ändern. Erst im 20. Jahrhundert würden noch größere Einheiten die 800-Meter-Riesen als Hauptkriegsschiff ablösen. Axton war sich sicher, sich mühelos an Bord zurechtfinden zu können. Er zweifelte jedoch daran, dass es ihm gelingen würde, uneingeladen an Bord zu kommen. Der Verwachsene gestand sich ein, bis zu diesem Zeitpunkt nicht in Erwägung gezogen zu haben, dass es schwierig sein könnte, in die YREMBEL zu kommen. Nun musste er erkennen, dass es nahezu unmöglich war. Auch im Schiff standen überall Wachen. Sie machten deutlich, dass Bonkal die Sabotageakte nicht auf die leichte Schulter nahm, sondern sich der Verantwortung als
arkonidischer Offizier bewusst war. Und doch war sie nicht vorsichtig genug. Als Axton sich genügend lange in der Hauptzentrale umgesehen hatte, die sich im Zentrum der Kugelzelle befand, sagte sie: »Ich würde Ihnen gern noch die kosmografische Abteilung zeigen. Sie ist mein ganzer Stolz und wurde nach meinen Vorschlägen eingerichtet.« Sie blickte Axton in die Augen und lächelte. Das sollte sich aber schon Augenblicke später ändern. »Ich muss allerdings darauf bestehen, dass Sie mir ohne Ihren grässlichen Roboter folgen. Warum versehen Sie ihn nicht wenigstens mit ein bisschen Farbe?« »Lass mich runter«, sagte Axton. Kelly kniete sich hin, sodass der Verwachsene absteigen konnte. »Erstens, Erlauchte, sträubt sich Kelly mit Händen und Füßen gegen eine Verschönerung. Zweitens: Warum wollen Sie nicht, dass mein Roboter mitkommt?« Ihre Augen verdunkelten sich, ihr Mund zuckte. Sie blickte auf Axton hinab, den sie nun weit überragte, während er in linkischer Haltung vor ihr stand. »Ich will nicht«, sagte sie schroff, »dass der Roboter irgendwelche Aufzeichnungen macht.« Axtons linkes Lid zuckte nervös. Er hatte gemerkt, was geschehen war. Für einige Zeit hatte er sich an der Sympathie der Arkonidin erwärmen können, jetzt schlug ihm wieder eiskalte Verachtung entgegen, die sich einzig und allein auf sein Äußeres begründete. Er folgte ihr, seine Füße schleiften über den Boden. Da sie die Zentrale bereits verlassen hatte und vor einem Antigravschacht wartete, versuchte er, ihren Vorsprung einzuholen. Gleichzeitig erlag er dem Verlangen, ihr zu beweisen, dass er nicht so schwach war, wie er aussah. Als er den Antigravschacht erreichte, erkannte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sein Atem ging schnell und keuchend, Schweiß bedeckte die Stirn. Mara da Bonkal stieg in
den Schacht und verschwand nach oben. Axton wartete etwas, bis er ihr folgte, doch die Zeit reichte nicht aus, sich zu erholen. So war er gezwungen, auf dem nächsten Deck sehr langsam zu gehen. Die Arkonidin wartete in der kartografischen Zentrale auf ihn. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte Sie nicht verletzen.« »Schon gut.« Axton tat, als habe er den Zwischenfall bereits vergessen. Sie atmete auf, breitete begeistert die Arme aus und rief: »Sehen Sie sich das an!« In diesem Augenblick erlosch die Beleuchtung. »Entschuldigen Sie, das hat vermutlich nichts zu bedeuten.« Axton hörte, dass das Schott zur Seite glitt. Plötzlich schien sich eine stählerne Hand mit unerträglich festem Druck um seinen Schädel zu spannen. »Vorsicht!« Seine Stimme klang schrill. Er fühlte einen Stoß, wurde zur Seite geschleudert und prallte gegen einen gepolsterten Sessel. Axtons Kopf schlug gegen die Lehne, er brach zusammen. Für Augenblicke lag er hilflos am Boden, riss die Augen weit auf. Obwohl es im Saal völlig dunkel war, konnte er die Umrisse Bonkals und eines hochgewachsenen, massigen Mannes erkennen. Sie waren zwar nur schwach und verschwommen, aber er konnte sie einwandfrei identifizieren. So sah er, dass Bonkal geschmeidig zurückwich, während sich der Mann ihr mit suchend ausgestreckten Händen näherte. Als Axton um sich tastete, spürte er einen kleinen Gegenstand, der auf der Sessellehne lag, ohne dass er ihn identifizieren konnte. Er nahm ihn und schleuderte ihn quer durch den Raum. Einige Meter entfernt prallte er auf und rutschte scheppernd über den Boden. Der Mann fuhr herum und sprang auf die Stelle zu, von der das Geräusch kam. »Er ist vor dem Kaf-Kalga-Bild.« Bonkal verstand. Sie schnellte sich blind auf den
Unbekannten und schlug ihm den gestreckten Arm gegen den Hals. Blitzschnell wirbelte sie herum und wich einige Schritte zurück. Axtons Hände glitten tastend über den Tisch, bis sie einige Schreibstifte fanden. Er nahm sie und warf sie auf den Eindringling. Dieser fluchte, als er getroffen wurde. Er drehte sich in Axtons Richtung; eine Flamme blitzte in seiner Hand auf, schuf eine Insel der Helligkeit. Sofort griff die Arkonidin an, überraschte den Mann völlig und traf ihn mehrmals mit ihren Handkanten und gestreckten Fingern, ohne ihn allerdings zu Fall zu bringen. In den Augenblicken, in denen das Feuerzeug brannte, hatte Axton gesehen, dass der Fremde in der Rechten ein blutiges Messer hielt. »Helfen Sie mir doch«, rief Bonkal. Axton trafen diese Worte bis ins Mark. In seiner Vollprothese hätte er keine Mühe gehabt, den Kampf zu entscheiden. Es wäre eine Sache von wenigen Augenblicken gewesen, der Attentäter hätte keine Chance gehabt. In seinem jetzigen Körper dagegen – Projektion oder nicht – war er hilflos wie ein Kind. Wie erstarrt beobachtete er die Kämpfenden. Während er sich noch darüber wunderte, weshalb er im Dunkeln so viel erkennen konnte, traf Bonkal ihren Gegner am Kopf. Der Mann taumelte in Axtons Richtung. Als die Arkonidin erneut angriff und der Fremde ausweichen wollte, umklammerte der Verwachsene dessen rechtes Bein und brachte ihn zu Fall. In diesem Moment flammte wieder das Licht auf. Axton erkannte, dass die Arkonidin aus Wunden an der Schulter und den Hüften stark blutete. Dennoch schien sie keineswegs geschwächt – und reagierte im plötzlichen Licht deutlich schneller als der Attentäter. Geschmeidig wie eine Raubkatze sprang sie heran und schmetterte ihm die Fußspitze unter das Kinn. Es knackte hässlich, der Kopf flog zur Seite, der Mann blieb reglos liegen. Axton raffte sich auf und fragte besorgt: »Wie geht es
Ihnen?« Nert Bonkal antwortete nicht, sondern eilte hinaus. Der Terraner blickte ihr nach, wandte sich dann aber dem Unbekannten zu und drehte ihn auf den Rücken. Er war tot. Axton untersuchte ihn sorgfältig, entdeckte jedoch nichts, was zu einer Identifizierung dienen konnte. Noch während dieser Arbeit trafen mehrere Orbtonen der YREMBEL ein. »Kennen Sie den Mann?« »Ein Ingenieur, gehört zur Besatzung«, antwortete einer der Offiziere, ein kleinwüchsiger Mann mit scharfen Augen. »Ich begreife nicht, wie…« »Rufen Sie den Bauchaufschneider. Er soll den Toten untersuchen. Sofort! Ich muss wissen, ob er manipuliert wurde.« Axton sprach den ranghöchsten Orbton an. »Bitte, sorgen Sie dafür, dass mein Roboter zu mir kommen kann.« Der Mann erteilte die entsprechenden Befehle und versuchte danach, mit dem Verwachsenen ins Gespräch zu kommen. Lebo Axton wich ihm jedoch aus und tat, als habe er den Tatort zu untersuchen. Tatsächlich ging es ihm darum, irgendetwas zu finden, was ihm später helfen konnte, erneut ins Schiff zu gelangen. Und er glaubte auch bald, fündig geworden zu sein, als er auf einem Wandschirm Baupläne der YREMBEL entdeckte. Der Orbton ließ ihn gewähren. Nach kurzer Zeit traf Kelly ein. »Begleiten Sie mich in die medizinische Station«, bat Axton den Offizier, als die Leiche abtransportiert wurde. »Ich muss dabei sein, wenn der YonerMadrul seine Analysen durchführt.« Auch diesmal gab es keine Schwierigkeiten; der Offizier blieb an Axtons Seite. Auf dem Weg zum zwei Decks höheren Ziel achtete Axton auf alles, was ihm weiterhelfen konnte. Erfolg hatte er nicht. Als er die medizinische Station betrat, hatte sich der Eindruck verstärkt, dass es nahezu unmöglich war, unbemerkt ins Schiff einzudringen und hier zu agieren.
Zu Axtons Überraschung erwartete ihn Sorgith Artho, der auf einem Hocker saß. Der Arkonide sprang auf, als Axton auf Kellys Rücken hereinkam. »Ich habe es gewusst, Axton.« »Gewusst? Was?« Das grimmige Gesicht und die zornige Stimme irritierten ihn. »Ihnen ist Mara völlig egal. Sie spielen mit ihrem Leben, nur um Ihr Ziel zu erreichen. Wie konnten Sie zulassen, dass sie…« »Halten Sie den Mund«, fuhr Axton auf. »Sie wissen ja nicht, wovon Sie reden.« Er lenkte Kelly an dem Mann vorbei und wollte das Behandlungszimmer betreten. Artho stellte sich in den Weg und hielt ihn auf. »Sie können nicht hinein; der Arzt behandelt sie.« Axton sah zu den Männern, die die Leiche des Attentäters auf der Antigravtrage voranschoben. »Kennen Sie den Bauchaufschneider?«, fragte er scharf. »Sind Sie absolut sicher, dass er Has’athor Bonkal nicht gerade jetzt ein Medikament verabreicht, das ihre Persönlichkeit zerstört?« »Sie spielen sich auf, als hätten Sie hier das Kommando«, zischte Artho so leise, dass die anderen Arkoniden ihn nicht verstanden. »Sie irren sich jedoch.« »Ich habe das Kommando! Aber mir ist egal, ob Sie sich als ranghöher einstufen oder nicht. Ich tue, was kriminalistisch notwendig ist. Sollten Sie mir dabei in die Quere kommen, haben Sie die Konsequenzen zu tragen.« »Sie scheinen zu vergessen, dass ich Arkonide bin, Sie aber nicht. Das macht den kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen uns beiden aus.« Axton beachtete ihn nicht, lenkte Kelly ins Behandlungszimmer. Mara da Bonkal lag ausgestreckt auf einer Liege, ihr Körper war von einem Tuch nur teilweise bedeckt. Das aber störte sie nicht im Geringsten. Sie lächelte,
als sie Axton sah. »Ich danke Ihnen, dass Sie sich um mich kümmern«, sagte sie mühsam. »Es geht schon wieder, Orman hat die Wunden verklebt.« Axton wandte sich an den Bauchaufschneider, einen außerordentlich hageren Mann von etwas mehr als zwei Metern Größe. Er hatte einen kahlen Schädel, tief eingefallene Wangen und lange, dürre Hände – und zweifellos Arablut in den Adern. Am Brustteil der grünen Kleidung war das Gosner’alor-Symbol zu erkennen. Das Kreuz aus schwarzen Balken mit offenem Zentrum, umgeben von einem vierfach, jeweils an den Kreuzbalken unterbrochenen Kreisring, war unverkennbar; mit hellblauem Hintergrund stand es für Medizin allgemein, bei goldenem Hintergrund für einen Arzt. »Ich möchte, dass Sie den Toten genauestens untersuchen. Blut- und Gewebeanalysen des ganzen Spektrums! Ich muss wissen, ob der Mann medikamentös manipuliert wurde.« »Dann müsste ich auch Organproben nehmen.« »Natürlich«, stimmte Axton zu. »Keine halbe Arbeit, bitte.« Der Arzt blickte Bonkal Hilfe suchend an. Während sie sich aufrichtete, geschmeidig von der Liege glitt und sich ungeniert anzog, sagte sie: »Das geht nicht, Lebo.« »Warum nicht?« »Das wissen Sie nicht?« »Nein«, erwiderte er ungeduldig. »Warum?« »In den letzten Pragos vor Beginn der Katanen des Capits ist es verboten, einen Leichnam zu öffnen. Ich bestehe auf der Wahrung von Gesetz und Tradition!« Axton schaltete blitzschnell, legte keinen Protest ein und versuchte auch nicht, Bonkal umzustimmen. Ungewollt hatte sie ihm in die Hände gespielt. Später einmal konnte ihr die Weigerung, diese wichtige Untersuchung durchführen zu lassen, zum Verhängnis werden. »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte Axton bedächtig.
»Eine derartige Behinderung…« »Finden Sie sich damit ab«, sagte der Bauchaufschneider.
Axton öffnete das Fenster seines Zimmers und blickte hinaus. Draußen war es fast vollkommen dunkel; dichte Wolken schirmten die Sterne des Kugelsternhaufens ab. Nur vom fernen Herta-Vulkan drang ein düsteres Leuchten heran. Der Verwachsene schloss für eine Weile die Augen und konzentrierte sich. Danach versuchte er, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Tatsächlich machte er einige rot glimmende Schatten aus, die tief unter ihm zwischen den Büschen und Bäumen ruhten. Nach einiger Zeit gelang es ihm auch, sie zu identifizieren. Einer musste Lano sein, das Wesen mit dem Wolfskopf – er lag auf dem Rücken und schlief offenbar. »Los jetzt«, befahl der Terraner leise, kletterte auf Kellys Rücken und ließ sich von dem Roboter durch das Fenster tragen. Die Maschine schwebte bis zum Dach der Villa empor und glitt lautlos darüber hinweg. Als einige Aufbauten erreicht waren, befahl Axton die Landung. Er stieg vom Rücken des Roboters und kehrte bis zur Dachkante zurück. Hier legte er sich auf den Bauch und spähte nach unten. Einige Augenblicke sah er überhaupt nichts, dann aber schälten sich allmählich, wo sich lebende Wesen aufhielten, rötliche Punkte aus der Dunkelheit. Da Axton sich genau eingeprägt hatte, wo er diese Wesen zuvor gesehen hatte, war er nun sicher, dass sich keins bewegt hatte. Er schloss daraus, dass unter ihnen auch keins war, das nachtsichtig oder infrarotempfindlich war. Niemand hatte ihn bemerkt. »Kelly«, rief er mit gedämpfter Stimme. Der Roboter erschien, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Axton stellte sich auf die Haltebügel. »Auf geht’s.«
Die Maschine löste sich vom Dach und flog auf die YREMBEL zu, die in geringer Distanz zur Villa gelandet war. Dabei neigte er sich weit nach vorn, sodass Axton fast auf seinem Rücken lag. Wiederum spähte der Terraner umher, ohne jemanden zu bemerken. Axton ließ sich bis auf dreihundert Meter an das Raumschiff heranbringen und dann absetzen. »Du wartest hier. Pass auf, dass dich niemand bemerkt; die Antiortungsfelder bleiben aktiviert, verstanden?« »Verstanden.« Axton griff nach dem Ausrüstungsbeutel und eilte durch die Nacht. Er hatte den Rest des Tages und einen Teil der Nacht mit wichtigen Vorbereitungsarbeiten verbracht. Dabei hatte er Kelly einige positronische Teile ausbauen müssen und aus ihnen mehrere neue Geräte zusammengestellt. Mit ihrer Hilfe wollte er die Beobachtungs- und Ortungssysteme der Wachroboter überwinden, sodass die Maschinen ihn weder optisch noch ortungstechnisch erfassen konnten. Bei entsprechend längerer Vorbereitungszeit hätte er auch Kelly so präparieren können, dass dieser ihn wie gewohnt hätte tragen können. Unter den gegebenen Umständen aber war das nicht möglich. Es fehlte an Zeit und Material. Langsam arbeitete sich Axton voran. Er musste durch Gras gehen, das ihm bis zu den Hüften reichte. Herumliegende Äste und Steine erschwerten den Weg, sodass er bald eine Pause einlegen musste, um sich zu erholen. Vereinzelt brach das Licht von Kafas Mond durch die Wolken. Die Konturen der Roboter hoben sich kaum vom Hintergrund ab. Während Axton dahinschlurfte, musterte er wiederholt die Anzeigen seiner Geräte und stellte zufrieden fest, dass sie nach Plan arbeiteten. Geduckt eilte er weiter. Es war warm, jeder Schritt wurde zur Qual. Dennoch kämpfte sich Axton Schritt für Schritt voran, beobachtete ständig die Roboter. Selbstverständlich konnte er nur von den Erkenntnissen
ausgehen, die er bisher über die Maschinen des Großen Imperiums dieser Zeit gewonnen hatte. Dabei wusste er jedoch nicht, ob seine Informationen wirklich vollständig waren. Wirkten seine Abwehrgeräte tatsächlich, oder verfügten die Roboter über entsprechende Gegeneinrichtungen? Dies würde in späterer Zeit selbstverständlich sein. Axton verschnaufte. Unwillkürlich fragte er sich, was er wohl sagen sollte, wenn er entdeckt wurde. Mit der Behauptung, alles diene nur der Suche nach den Saboteuren, würde er wohl kaum weit kommen. Als sich Axton bis auf dreißig Meter an die Roboter herangearbeitet hatte, kroch er auf allen vieren weiter. Sehen konnte er nur noch etwas, wenn er den Kopf hob. Das Gras bot ihm Deckung. Die Roboter reagierten nicht auf ihn, die Geräte funktionierten einwandfrei. Gemäß der Freund-FeindKennung wurde er als berechtigt eingestuft, ein zusätzlicher Hochrangbefehlsimpuls sorgte überdies dafür, dass der Vorgang an sich nicht gespeichert wurde. Axton atmete aber erst auf, als er die Bodenschleuse fast erreicht hatte. Etwas flatterte vorüber. Er sah den rötlichen Schatten, der allmählich hinter einem Landebein verschwand. Die Schleuse war unbewacht; Axton entdeckte weder Roboter noch Arkoniden. Unwillkürlich fuhr er aber zurück, als ihn plötzlich zwei faustgroße, grünlich leuchtende Augen anstarrten. In ihnen schien sich sämtliches Restlicht konzentriert zu haben, das unter dem unbeleuchteten Schiffskörper vorhanden war. Axtons infrarotempfindlich gewordene Augen konnten nun auch das Wärmebild des Tieres erkennen, dessen Größe mindestens der eines terranischen Löwen entsprach. Axton hoffte, dass ihn das Wesen nicht bemerkt hatte. Aber das stimmte nicht. Das Tier richtete sich laut gähnend auf und trottete Axton entgegen. Innerlich verfluchte er Bonkals Vorliebe für exotische Tiere, die auf dieser Welt
gewissermaßen Narrenfreiheit genossen. Andererseits beruhte genau auf diesem Punkt Axtons Plan – denn wegen der Tiere musste die allgegenwärtige Sondierung der Umgebung Schwachstellen aufweisen, sonst hätte es Daueralarm gegeben. So aber konnte der Verwachsene darauf hoffen, ebenfalls durch die Maschen zu schlüpfen, sollten seine übrigen Geräte nicht ausreichend gut arbeiten. Ehe das Tier zum Angriff übergehen konnte, zog Axton den kleinen Paralysator und schoss. Das Tier bäumte sich auf, kreischte und schlug mit der Tatze. Axton schoss erneut, bis das Tier zusammenbrach. Der Lärm blieb nicht unentdeckt. Jetzt reagierten die Roboter, und auch bei der Villa wurden Stimmen laut. Axton schob die Waffe unter die Jacke und rannte geduckt davon. Um die Roboter kümmerte er sich nicht, da er sicher war, dass sie ihn weiterhin nicht wahrnahmen. Anders war es dagegen mit den Arkoniden. Als Axton eine Hügelkuppe erreicht hatte, sah er, dass sich von der Villa her vielleicht zwanzig Personen näherten und mit starken Handscheinwerfern die Umgebung absuchten. Axton rannte weiter, stolperte und rollte den Hügel hinab. Zwischen einigen Büschen blieb er liegen und fluchte über die Schwäche seines Körpers. Von der Seite näherte sich ein Wesen, das Axton als das Wolfsgeschöpf Lano erkannte. Er duckte sich in die Deckung der Büsche, presste sich an den Boden und kroch, während Lano weiterlief, weiter bis zu einer weiteren Buschgruppe. Er erreichte sie unentdeckt, richtete sich auf und lief keuchend bis zu einem Baum. Hier fuhr er entsetzt zurück, als plötzlich der Umriss eines Roboters erschien. »Aber Herzchen, ich bin’s nur.« »Kelly? Zum ersten Mal freue ich mich wirklich darüber, dich zu sehen.« Der Roboter kniete sich hin, sodass Axton auf seinen Rücken steigen konnte. Von hier aus beobachtete er, was sich unter
dem Raumschiff tat. Mittlerweile hatte sich eine beträchtliche Personenmenge eingefunden. Axton konnte Arkoniden, arkonoide wie auch nichtarkonoide Wesen aller Art erkennen. In dem Durcheinander, das am Fuß der Rampe und vor der Bodenschleuse herrschte, schien alles möglich zu sein. Für einen Augenblick bereute es der Verwachsene, nicht weitergeschlichen zu sein – bis er feststellte, dass die Schleuse äußerst scharf bewacht wurde. Die Mannschaft hatte die Gefahr offenbar erkannt und schirmte die YREMBEL noch besser als zuvor ab. »Bring mich hinüber«, sagte Axton. »Aber langsam.« Nur zögernd erholte er sich von der Anstrengung; es dauerte, bis er wieder ruhig atmen konnte. Er ordnete seine Kombination, entfernte einen Grashalm, der sich am Armbandgerät verfangen hatte, dann stützte er sich lässig auf den Kopf des Roboters und tat, als habe er nicht die geringste Ahnung, was beim Schiff passiert war. Einige Männer mit seltsam geformten Vogelköpfen machten ihm respektvoll Platz. Längst waren Scheinwerfer aufgeflammt und übergossen den Bereich unterhalb der riesigen Kugelzelle mit gleißender Helligkeit. Sorgith Artho und Mara da Bonkal, die einen nachdenklichen Gesichtsausdruck hatte, schoben sich durch die Menge. Der Arkonide kam auf Axton zu, während dieser fragte: »Was ist passiert?« »Während Sie sich Ruhe gönnten, hat jemand versucht, in die YREMBEL einzudringen. Er hat es immerhin geschafft, den Sicherheitsring der Roboter unbemerkt zu überwinden, und ist fast bis zur Bodenschleuse vorgedrungen.« »Jemand? Sie wissen nicht, wer es war?« »Nein. Wie auch? Er ist geflohen.« »Dann muss ich Sie loben, Artho. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet«, sagte Axton ironisch. »Zumindest haben Sie
sofort für die Spurensicherung gesorgt? Oder haben Sie zugelassen, dass die Neugierigen alle Spuren zertrampeln?« Artho biss sich auf die Lippe. »Täuschen Sie sich nicht«, erwiderte er heftig. »Sie haben keinen Grund, sich über einen Fehler zu freuen. Ich habe keinen begangen.« »So? Wirklich nicht?« »Nein, Lebo«, sagte Nert Bonkal, die hinzutrat. »Der Unbekannte hat Ebrox paralysiert, eine Raubkatze vom Planten Exbrox-Exbrol. Zweifellos hat Ebrox ihn gesehen.« »Und? Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.« »Ebrox ist eine Halbintelligenz. Er wird uns verraten können, wer auf ihn geschossen hat, sobald er wieder zu sich gekommen ist.« Axton fuhr der Schrecken in die Glieder. Damit hatte er nicht gerechnet. »Überrascht?«, fragte Artho lauernd. »Ein wenig verwirrt«, gab Axton zu. »Wer ist Ebrox, und wo ist er?« Bonkal gab den Arkoniden einen befehlenden Wink. Eine Gasse tat sich auf. Nun konnte Axton das löwenähnliche Geschöpf sehen, das bewegungslos im Gras lag. Es hatte ein grünliches Fell, eine zottige Mähne und Dornen, die sich die Rückenlinie entlangzogen. Axton pfiff durch die Zähne. »Ein beachtlicher Bursche. Schade, dass er es nicht geschafft hat, den Täter zu stellen.« Die Admiralin lächelte. »Mit ihm ist nicht zu spaßen. Geschöpfe seiner Art haben die unangenehme Angewohnheit, ihre Beutetiere mit den Dornen aufzuspießen und eine ganze Weile mit sich herumzutragen. Während dieser Zeit bleibt die Beute bei vollem Bewusstsein, ist durch Gift allerdings gelähmt. Von den Dornen wird überdies eine bestimmtes Enzym ausgeschieden, das das Fleisch der Beute überhaupt erst genießbar macht.«
»Hübsche Schoßtierchen haben Sie sich angeschafft.« Axton liefen kalte Schauer den Rücken hinunter, als er erkannte, welch großer Gefahr er nur knapp entgangen war. »Ich für meinen Teil würde diese Folter nicht mal meinem ärgsten Feind wünschen. Also nicht mal Ihnen, Artho.« »Für Scherze dieser Art habe ich nichts übrig. Das sollten Sie inzwischen wissen.« Der Kosmokriminalist tat, als habe er nichts gehört. Er überlegte stattdessen fieberhaft, wie er aus der Falle kommen konnte, in die er unversehens geraten war. Ebrox durfte nicht wieder zu sich kommen; er musste sterben oder so lange paralysiert bleiben, bis die YREMBEL gestartet war.
»Sofern Ebrox wirklich eine Halbintelligenz ist, müssen Sie ihn mit allen Mitteln schützen«, sagte Axton. Die Menge begann sich aufzulösen. Bewaffnete Arkoniden bildeten einen Ring um das paralysierte Raubtier. »Genügt Ihnen nicht, was wir unternehmen?«, erwiderte die Sonnenträgerin erstaunt. Er schüttelte den Kopf. Artho seufzte. »Was wollen Sie denn noch?« Axton wandte sich an Bonkal und sah ihr in die Augen. Für einen Augenblick glaubte er, in ihren Blicken eine gewisse Wärme zu entdecken. »Sofern Ebrox wirklich den Täter identifizieren kann, schwebt er in höchster Lebensgefahr. Ich rate Ihnen dringend, einen Schutzfeldprojektor heranzuschaffen, um auf Nummer sicher zu gehen.« »Sie scheinen meinen Leuten nicht gerade viel zuzutrauen. Ich sehe aber ein, dass Sie recht haben. Wir müssen jedes Risiko vermeiden.« Sie entfernte sich, um den Orbtonen Anweisungen zu geben. Artho schwieg beharrlich. Es war klar, dass er Axton den
Pluspunkt missgönnte. War er eifersüchtig? Der Terraner beschloss, ihn noch mehr als bisher im Auge zu behalten. Er dirigierte Kelly bis auf einige Schritte an Ebrox heran. »Anpeilen und Giftpfeil Typ vier abfeuern, bevor der Schutzschirm aufgebaut wird«, flüsterte er. »Verstanden?« Kelly bewegte den Kopf ruckartig um einige Millimeter hin und her – das Zeichen, dass er das Kommando verstanden hatte. Artho trat heran und räusperte sich. »Wir sind bisher keinen Schritt vorangekommen.« »Bedauerlicherweise«, gab Axton zu. »So ist das nun mal.« Er sprach in einem zurückhaltenden Ton, sodass Artho sofort aufmerksam wurde. »Verbergen Sie etwas?« »Natürlich nicht. Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?« Wiederum sprach er in einem Ton, der den Arkoniden vermuten ließ, dass der Verwachsene genau das Gegenteil von dem meinte, was er gesagt hatte. Ehe Artho aber etwas sagen konnte, gesellte sich Nert Bonkal wieder hinzu. »Ich habe alles veranlasst. Zufrieden?« »Sehr«, lobte der Verwachsene. »Es ist auch gut, dass Sie die vielen Neugierigen zurückgewiesen haben.« Tatsächlich löste sich die Menge auf. Ein Teil der Scheinwerfer wurde ausgeschaltet. Allerlei fremdartige Wesen eilten durch das Gras davon. Unterdessen näherte sich auf einer Antigravplatte der georderte Schutzschirmprojektor. Die Aufmerksamkeit der meisten noch Anwesenden richtete sich auf die Maschine, die den Paralysierten endgültig absichern sollte. Auch ohne Axtons ausdrücklichen Befehl handelte Kelly. Im Ovalkörper öffnete sich eine winzige Klappe, die Abschussvorrichtung glich der Spitze einer Injektionsnadel. Nicht einmal ein Zischen war zu hören, als der winzige Giftpfeil mit hoher Geschwindigkeit losraste und sich ins Fell Ebrox’ bohrte. Abermals ruckte Kellys Kopf kurz hin und her.
Axton atmete auf. Das Gift hatte keine tödliche Wirkung, sondern war lediglich ein Medikament, das vorübergehend zu einem extrem starken Abfall der geistigen Leistungen führen würde. Ebrox würde als stammelnde, hirnlos wirkende Kreatur aufwachen und sich nicht vor Ablauf von mindestens zehn Pragos von dem Schock erholen. Wenige Augenblicke nach dem Treffer schloss sich knisternd die Feldkuppel und schützte den Löwenähnlichen vor jedem äußeren Zugriff oder Einfluss. »Was machen Sie übermorgen, Lebo?«, fragte Bonkal. »Übermorgen?« »Übermorgen beginnen die Pragos der Katanen des Capits. Selbstverständlich verlasse ich vorher Kafa, um zur Kristallwelt zu fliegen. Vorher werde ich allerdings auf Ylihoffa Station machen, um dort an den religiösen Vorbereitungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Wollen Sie mich begleiten oder hier bleiben?« Es war keine Frage, sondern eine Bitte. Deutlicher denn je glaubte Axton die Zuneigung dieser schönen Frau zu spüren, die für ihn unerreichbar bleiben musste und die er, trotz aller Sympathie, nicht schonen durfte. Er musste den einmal gefassten Plan konsequent durchführen. »Ich bin etwas überrascht«, gestand er. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass Sie Kafa verlassen würden. In einem solchen Fall werde ich jedoch an Bord sein, denn die Sabotageakte gelten inzwischen Ihnen. Es steht also zu befürchten, dass sich Ihre Feinde auf die YREMBEL konzentrieren werden.« Abermals hatten sich die Schwierigkeiten verschärft. Wie sollte er nun vor dem Start ins Schiff kommen, um die Hauptpositronik zu manipulieren? Es schien völlig ausgeschlossen, dass er seinen Plan noch verwirklichen konnte. War das Schiff erst einmal gestartet, würde nicht viel Zeit bleiben, bis Alarm gegeben wurde und damit der Befehl,
in die Schlacht gegen die Methans einzugreifen. Dann aber war es endgültig zu spät. Konnte er es überhaupt wagen, an Bord zu gehen? Das lag nämlich gar nicht im Bereich von Axtons ursprünglicher Planung, denn es war eine unumstößliche Tatsache, dass die YREMBEL bei der Schlacht vernichtet werden würde. Has’athor Bonkal würde zwar überleben, aber ihr Flaggschiff untergehen. Axton verspürte unter diesen Umständen wenig Lust, an Bord zu sein – und bereute seine Zusage, kaum dass er sie ausgesprochen hatte. Andererseits bot sich ihm an Bord vermutlich die allerletzte Chance, seine Pläne doch noch umzusetzen. Und diese Chance musste er nutzen. »Ich bin müde«, sagte er. »Die Nacht ist bald vorbei, und ich will noch einige Tontas schlafen.« »Begleiten Sie mich zur Villa«, sagte die Arkonidin und schritt leichtfüßig neben Kelly her. Axton suchte nach Worten, fand aber keine. Je länger er darüber nachdachte, wie er eine allgemeine Unterhaltung beginnen sollte, desto mehr verkrampfte er sich innerlich. Die Komplexe, die er schönen Frauen gegenüber schon immer gehegt hatte, lähmten seinen sonst so wachen Geist. Mara da Bonkal störte es jedoch nicht, dass er schwieg. »Ich wünschte, Sie wären früher nach Kafa gekommen. Von welchem Planeten stammen Sie, Lebo?« »Ich wurde auf der Erde geboren, Mara«, sagte er wahrheitsgetreu, genau wissend, dass dieser Name den Arkoniden dieser Zeit völlig unbekannt war. »Ich habe nie davon gehört.« »Eine ferne Randwelt«, murmelte er knapp, um anzuzeigen, dass er zu diesem Thema nicht mehr sagen wollte. »Gute Nacht, Mara.« Er nickte ihr freundlich zu und ließ sich von Kelly die Treppe hinauftragen. Mara da Bonkal blieb an ihrem Fuß stehen und sah ihm nach. Er fluchte leise vor sich hin; es wäre
ihm viel lieber gewesen, hätte sie sich ablehnend und verächtlich verhalten. Als er die Hand auf den Öffnungskontakt der Tür legte, fühlte Axton plötzlich einen stechenden Schmerz im Hinterkopf. Er reagierte instinktiv und blitzschnell, ließ sich nach hinten fallen und stieß sich kräftig von Kelly ab. Im Fallen warf er sich herum, sodass er auf allen vieren landen konnte. Im gleichen Augenblick schoss eine grünliche Schleimmasse aus der Türöffnung und überschüttete den Roboter, dessen Arme hochruckten, um den Schleim anzustreifen. Axton sah, dass ein Stachelball, der einen Durchmesser von einem Meter hatte, auf den Roboter zurollte und sich bemühte, an im vorbeizukommen. »Lass ihn nicht durch!«, rief Axton. Er hörte hastige Schritte und drehte sich um. Erst jetzt merkte er, dass er sich verletzt hatte; sein Bein schmerzte. Mara da Bonkal rannte herbei. »Was ist…? Hast du… Haben Sie…?« Sie blieb stehen und wich dann entsetzt zurück. »Sagen Sie dem Roboter, dass er den Stacheltöter zerschlagen soll. Nicht mit einem Energiestrahler schießen! Verstanden?« Axton zog sich rasch von Kelly und dem Stachelwesen zurück, das sich mit wilden Bewegungen seiner zahllosen grauen Stacheln abmühte, an dem Roboter vorbeizukommen. »Nimm die Fäuste, Kelly!«, rief Axton. Der Roboter beugte sich vor und schlug mit den stählernen Fäusten zu. Knirschend zerbrachen Stacheln, Bruchstücke wirbelten durch den Gang und bohrten sich in Boden und Seitenwände. Der Kosmokriminalist und die Arkonidin flüchteten noch einige Meter und blieben erst stehen, als sie sahen, dass sie von den Geschossen nicht mehr erreicht werden konnten. Unterdessen zertrümmerte Kelly das Wesen, bis nur noch ein faustgroßer Kern übrig blieb. Der Roboter nahm diesen in die Hände und zerquetschte ihn, wobei er offensichtlich beachtliche Kraft
aufwenden musste. Axton wunderte sich, wie lange der Kern dem Druck standhielt. Schließlich aber platzte er, gelbe Flüssigkeit tropfte auf den Boden – sie ätzte augenblicklich tiefe Löcher hinein. »Glück gehabt, Lebo«, sagte die Arkonidin erschüttert. »Der Schleim löst jede biologische Substanz sofort auf. Sie wären innerhalb weniger Augenblicke tot gewesen, hätten Sie auch nur einen Tropfen abbekommen.« »Ich sagte schon, dass Sie seltsame Freunde haben.« »Machen Sie mir keinen Vorwurf. Einen Stacheltöter habe ich niemals nach Kafa gebracht.« »Wie ist er dann hierhergekommen?« Kelly marschierte in die Räume und inspizierte sie. »Ich weiß es nicht«, sagte die Arkonidin. »Von welcher Welt stammen die Stacheltöter?« »Auch das kann ich nicht auf Anhieb sagen. Ich habe zu viele Welten besucht. Ich müsste in meinen Unterlagen nachsehen. Meinen Sie, dass die Beantwortung dieser Frage wichtig ist?« »Sehr sogar. Ich möchte alles über die Stacheltöter wissen, was bekannt ist. Und dann bitte ich Sie, mir genaue Unterlagen über alle Fremdwesen zu geben, die zu Ihrem Haushalt gehören und auf Kafa leben. Ich nehme an, dass Sie solche Unterlagen haben? Sie führen doch genau Buch über jedes Wesen, das Sie mitbringen? Oder sollte ich mich irren?« »Selbstverständlich nicht. Wollen Sie sie gleich sehen?« »Jetzt ist an Schlaf ohnehin nicht mehr zu denken. Gehen wir also gleich an die Arbeit.« Sie führte ihn durch mehrere Gänge und leer stehende Räume in den gegenüberliegenden Flügel der Hertanan-Villa und stoppte schließlich vor der Tür zu einem Eckraum. »Die Kartei ist vollständig. Sie ist jedoch nicht so geordnet, wie sie eigentlich sein sollte. Ich wollte morgen daran arbeiten.
Verstehen Sie, ich…« Sie brach ab und presste die Lippen zusammen. »Verdammt. Ich war zu vertrauensselig, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemand gemeinsame Sache mit den Methans macht.« Sie öffnete die Tür, als Axton nichts erwiderte. Er blickte in den Raum, in dem zahlreiche Stahlboxen herumstanden, die mit Folien, Datenträgern und Fotos bis zum Überquellen gefüllt waren. Von einer geordneten und übersichtlichen »Kartei« konnte keine Rede sein, ganz zu schweigen von einer positronischen Erfassung. »Ein wüstes Durcheinander, Schätzchen«, kommentierte Kelly. Nert Bonkal fuhr herum. »Kann dieser dämliche Roboter nicht schweigen?« »Allerdings, das kann er«, sagte Axton gelassen. »Ich muss ihm in diesem Fall aber zustimmen – und kann Ihnen einen Vorwurf nicht ersparen. Sie haben Ihren exotischen Wesen zu sehr vertraut, Mara. Spätestens mit Beginn der Sabotageakte und der Verwicklung der Exoten – selbst wenn es sich nur um eine Manipulation handelte – hätten Sie Ihre Daten sichten müssen. Immerhin setzt eine solche Manipulation Kenntnisse voraus, die nicht unbedingt Allgemeingut sind und möglicherweise Hinweise auf den Täter geliefert hätten. Es tut mir leid, aber Ihre Haltung passt nicht zu der verantwortungsvollen Position, die Sie innehaben, Has’athor. Er wird Zeit, dass hier eine gewisse Ordnung geschaffen wird.« Sie wusste, dass er recht hatte. Das machte sie jedoch nicht einsichtig, sondern aggressiv. »Wollen Sie mich anklagen?« »Keineswegs, Mara. Sie sind Opfer, nicht Täter. Ich werde deshalb Ordnung in diese… hm, Kartei bringen und dabei hoffentlich auch bald denjenigen finden, der für die Sabotage verantwortlich ist. Sorgen Sie inzwischen dafür, dass die
YREMBEL noch besser abgesichert wird. Eine genaue Prüfung von Schiff und Besatzung wäre meiner Ansicht nach angebracht.« »Ich lasse Ihnen ein Frühstück bringen.« Sie eilte davon. Axton lächelte undurchsichtig, als er einige Schritte ging. Er hatte gewusst, dass Mara da Bonkal eine schwache Stelle hatte. Jetzt war sie gefunden. Er begann mit der Arbeit, unterstützt von der positronischen Ausstattung Kellys.
Vier Tontas später erschien Sorgith Artho; er machte einen unruhigen Eindruck, seine Lider zuckten nervös. Er grüßte wortlos und setzte sich auf eine Stahlbox. »Während Sie hier Arbeiten ausführen, die von dem Dienstpersonal erledigt werden könnten«, sagte er, »habe ich mich ein wenig umgehört.« »Sie würden ausgerechnet diese Arbeit einem anderen überlassen?«, fragte Axton und sah auf. »Tatsächlich?« Der Arkonide fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, blickte auf einen Stapel Ausdrucke, überlegte kurz und antwortete dann verlegen: »Natürlich nicht. Wichtige Unterlagen und Beweise könnten verschwinden.« »Sie haben es erfasst, mein Lieber. Also, was haben Sie herausgefunden?« »Ich weiß jetzt, wer den Stacheltöter in Ihre Räume gebracht hat. Der Anschlag hat allgemeine Empörung beim arkonidischen Personal hervorgerufen; vermutlich, weil man erkannte, in welcher Gefahr man selbst war. Ein Dienstmädchen hat Lano gesehen, wie er das Stachelwesen in einem Behälter durch die Villa getragen hat.« »Lano? Das überrascht mich.« »Ich habe sofort versucht, ihn zu verhaften. Er ist
verschwunden, angeblich mit einem Gleiter abgeflogen.« »Das ist immerhin schon etwas. Ich möchte Sie bitten, die Sicherungsarbeiten auf der YREMBEL zu leiten.« »Das erledigen meine Orbtonen«, sagte Mara da Bonkal, die in diesem Augenblick eintrat und gehört hatte, was Axton sagte. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht einverstanden sind, wenn Artho in der YREMBEL dabei ist. Er ist ein Spezialist in diesen Dingen.« »Ich kann für Ordnung sorgen und empfände es als Beleidigung, wenn Sie darauf bestehen, dass Artho die Überprüfung leitet.« »Mara, Ihr Flaggschiff muss stets und immer einsatzbereit sein. Sie wissen das. Sollte die YREMBEL im Alarmfall versagen, verlieren Sie viel. Sie setzen aufs Spiel, was Sie und Ihr Khasurn sich in vielen Jahren aufgebaut haben. Deshalb müssen Sie mit allen Mitteln verhindern, dass die Einsatzbereitschaft der YREMBEL durch weitere Sabotage gemindert werden. Und alle Mittel heißt auch Rückgriff auf die Kenntnisse und Möglichkeiten des Geheimdienstes!« Sie zögerte. Axton blickte sie unbewegten Gesichts an, ließ sich nicht anmerken, was er dachte und fühlte. Ihm kam es tatsächlich darauf an, die Saboteure von Kafa vor dem Start des Schiffs zur Schlacht gegen die Methans zu entlarven und unschädlich zu machen, selbst wenn er dadurch seinen eigenen Plan gefährdete. Für Has’athor Bonkals Versagen durfte es keine Ausflüchte geben; sie durfte später nicht behaupten, dass Sabotage die Ursache ihres Versagens war. Sie allein musste am Ende als Schuldige dastehen. Gelang es nicht, sie in diese Position zu lancieren, war Axtons Plan gescheitert. »Artho, gehen Sie an Bord der YREMBEL!«, befahl Axton mit scharfer Stimme.
»Ich protestiere«, sagte die Arkonidin heftig. »Sie verletzen meine Offiziersehre.« Der Kosmokriminalist befand sich in einer unerwarteten Situation, die ihn auf der einen Seite schmerzte, auf der anderen Seite aber erleichterte. Er fühlte, dass alle Sympathie, die in der Admiralin erwachsen sein mochte, mit einem Wort zerstört werden konnte. Jetzt war sie nicht mehr Frau, sondern Orbton des Großen Imperiums. Persönliche Gefühle spielten keine Rolle mehr, wenn sie sich in diesem Status gefährdet sah. Ein Gegner, der Axton mit kalter Ablehnung oder mit Gleichgültigkeit entgegentrat, war ihm jedoch lieber als eine Frau, deren Gefühle er enttäuschen musste. Er konnte und wollte keine Rücksicht auf sie und auf sich nehmen. Axton sah sich als Kämpfer für Atlan, der nur das eine Ziel kannte – dem Kristallprinzen den Weg zur Macht ebnen. »Has’athor, Sie werden Artho an Bord lassen und ihn die Untersuchung leiten und durchführen lassen. Ich dulde in dieser Hinsicht keine Einschränkung. Die Schlagkraft der YREMPEL muss hundertprozentig erhalten bleiben, das ist keine lokale Angelegenheit mehr, sondern eine imperiale. Das sollte Ihnen als Offizier des Tai Ark’Tussan klar sein.« Ihr schossen Tränen der Erregung in die Augen. Artho glaubte, die Gelegenheit zu einem Tiefschlag nutzen zu können, als er zynisch sagte: »Das lassen Sie sich von einem nichtarkonidischen Zayna sagen?« Bonkal fuhr herum und stürmte aus dem Raum. »Gehen Sie«, sagte Axton scharf. Abermals versuchte der Arkonide gegen ihn aufzubegehren, doch er hielt Axtons durchdringendem Blick nicht stand. Deutlich langsamer folgte er der Admiralin. »So erwirbt man sich Freunde«, kommentierte Kelly. »Sei still, du Ungeheuer.« Axton entspannte sich; die Entscheidung war gefallen. Er hatte Front gegen die Arkonidin
bezogen und war damit in die einsame Position zurückgekehrt, aus der heraus er bisher stets Erfolge erzielt hatte. Gleichzeitig hatte er in Artho einen Zeugen, auf den er sich später umso sicherer verlassen konnte, weil der Mann ihm ganz gewiss keine Sympathien entgegenbrachte. Sorgith Artho war der Typ, der sich auf die Seite des Erfolgreichen zu schlagen versuchte, um in seinem Schatten und in seinem Sog ebenfalls Karriere machen zu können. Axton zweifelte daher nicht daran, dass der Mann sofort zu ihm umschwenken würde, sobald Sonnenträgerin Bonkal als die große Verliererin der Schlacht um das Chemi-Spieth-System feststand.
Der Arkonide neigte grüßend den Kopf. »Die YREMBEL wird in vier Tontas starten«, teilte er förmlich mit. »Has’athor Bonkal lässt Sie bitten, sich unverzüglich an Bord zu begeben.« »Warum diese Eile?«, fragte Axton. »Darüber bin ich nicht informiert.« Der Bote drehte sich um und verließ den Raum. Axton raffte einige Fotos, Karten und Datenträger zusammen, stieg auf Kellys Rücken und lenkte den Roboter auf den Gang hinaus. »Schnell, Kelly, ich will sehen, wie sie an Bord geht.« Kelly gehorchte kommentarlos, eilte durch die Gänge und Flure bis zur abwärts führenden Freitreppe, wo ein unverkennbar kleiner geschlossener Behälter stand. »Sieh da, man hat uns bereits ausquartiert.« Er stieg vom Roboter und öffnete vorsichtig den Kasten. Dieses Mal hielten die Saboteure jedoch keine unangenehme Überraschung für ihn bereit. Axton durchsuchte seine Sachen und fand das Geheimfach unberührt. Kelly heftete sich den Behälter an den Ovalkörper, obwohl er nicht unersetzlich war; was wirklich für Axton wichtig war, befand sich in dem
Roboter. Kurz darauf trat der Roboter mit seiner menschlichen Last auf die Terrasse. Von hier aus konnte Axton genau die Menge sehen, die auf dem Weg zur YREMBEL war. Nur etwa dreißig Meter entfernt schritt Bonkal, gekleidet in eine schlichtweiße Uniform. Bei ihr befand sich ein bunter Haufen exotischer Lebewesen. Ein kugelförmiges Pelzgeschöpf kauerte auf ihrer rechten Schulter, ein farbenprächtiger Vogel umflatterte ihren Kopf. Zwei Raubkatzen flankierten sie auf dem Weg zum Raumschiff. Auf dem linken Arm, den Mara nert Bonkal leicht angewinkelt hatte, saß ein grüner Vögel, der fröhlich zwitscherte. Sie neigte ihm den Kopf zu und stieß ähnliche Laute aus. Axton erkannte in dem Vogel jenes Tier, das er nach dem Absturz des Gleiters gesehen hatte. Er erinnerte sich deutlich an den Zwischenfall, als er die Hand ausgestreckt hatte. Das Wolfswesen Lano hatte ihn vor dem Tier gewarnt, behauptet, es sei tödlich, sollte es Axtons Haut mit dem Schnabel ritzen. »Mara!«, rief er. Die Arkonidin hob den Kopf und ging weiter, als habe sie nichts gehört. »Has’athor! Bleiben Sie stehen!« »So können Sie mit ihr nicht umspringen«, sagte Artho empört, als er hinter Axton aus der Villa trat. »Wollen Sie sie vor ihrem Personal und ihren Offizieren beleidigen?« Die Frau blieb stehen und wandte sich zu dem Verwachsenen um. Auf der linken Brustseite sah Axton die gelbe Sonnenscheibe mit zwölfzackigem Rand, überdeckt vom Symbol eines Vulkanträgers – dem schwarzen Dreieck mit roter Spitze. Sie war bleich, ihr Gesicht zu einer Maske erstarrt. Nur die Augen lebten. Axton lenkte Kelly auf sie zu und bemerkte, dass einige Orbtonen die Szene beobachteten. »Was gibt es, Axton?«, fragte sie kühl. »Diese Geschöpfe bleiben hier! Sie gehen nicht mit an Bord.« »Nicht?«
»Nein!« »Sie irren sich. Meine Freunde sind stets bei mir gewesen, und sie werden es auch dieses Mal sein.« »Dann ist die Katastrophe unvermeidlich. Ich weiß jetzt, wer hinter der Sabotage steckt. Ich weiß, wer dafür verantwortlich ist. Es ist einer ihrer sogenannten Freunde.« »Das ist eine Verleumdung«, antwortete sie heftig. »Das können Sie niemals beweisen, weil es nicht wahr ist.« Axton stützte sich auf Kellys Kopf. »Es tut mir leid, Mara. Aber Sie werden von einem dieser Geschöpfe maßlos enttäuscht werden.« Artho ging an Axton und dem Roboter vorbei und stellte sich neben die Frau, wobei er allerdings in respektvoller Entfernung von den Raubkatzen blieb. »Sie gehen zu weit, Axton«, sagte er abweisend. »Sie benehmen sich, als hätten Sie nicht anderes im Sinn, als die Erlauchte zu zerstören. Dabei ist es Ihr Auftrag, ihr zu helfen und ihre Position als Befehlshaber des Kafa-Verbands zu festigen.« Axton hielt plötzlich Karteikarten in der Hand und wedelte damit. »Hätten Sie sich ein wenig Mühe gemacht, Mara, hätten Sie es auch selbst herausgefunden. Aber Sie waren zu gutgläubig. Sie wollten nicht akzeptieren, dass einer Ihrer vermeintlichen Freunde ein Verräter sein könnte.« »Sprechen Sie weiter«, sagte sie mit heiserer Stimme, als er eine Pause machte. »Nun gut. Ich habe hier die Daten eines Wesens, das auf seiner Heimatwelt, einem Sauerstoffplaneten, vornehmlich in Bereichen mit hohem Methangasvorkommen lebt. Es hat einen komplizierten Stoffwechsel, der es erfordert, dass es sich vor allem nachts diesem Methangasgemisch aussetzt. Es nimmt daraus den für seinen Organismus wichtigen Kohlenstoff auf.« Der grüne Vogel, der bisher auf Bonkals Arm gesessen hatte, flatterte unvermittelt auf und flog mit beachtlicher
Geschwindigkeit auf Axton zu, den Schnabel zum Hieb bereit. Die Hand Kellys fuhr jedoch noch schneller hoch. Bevor jemand etwas sagen oder reagieren konnte, fing sie den Vogel und schloss sich um ihn. Erst jetzt schrie die Arkonidin entsetzt auf: Kelly öffnete die Hand und ließ den Vogel fallen; er war tot. »Was haben Sie getan?«, fragte Bonkal wild. »Was haben Sie Scheusal angerichtet?« »Ich habe jenes Wesen beseitigt, das von den Methans gedungen war.« Axton sprach nicht weiter, denn die beiden Raubkatzen stoben in panikartiger Flucht davon. Mara da Bonkal blickte ihnen betroffen nach. »Die Tiere sind nun vom suggestiven Einfluss des Sumpfvogels befreit. Jetzt brechen ihre normalen Instinkte durch, und die zwingen sie dazu, sich vor allem in Sicherheit zu bringen, was sie nicht kennen oder was nicht der Natur ihres Heimatplaneten entspricht.« »Woher wissen Sie das?«, fragte die Arkonidin bestürzt. »Das steht alles in den von Ihnen zusammengetragenen Daten. Nilk Tirikoyn hat Sie mehrmals gewarnt, sich mit dem Sumpfvogel einzulassen. Sie haben es dennoch getan.« Axton fühlte durchaus keinen Triumph. »Und jetzt befehle ich Ihnen, Has’athor Bonkal, außer der Stammbesatzung nur Artho und mich an Bord zu lassen. Alle Tiere, Halbintelligenzen und sonstigen Geschöpfe, die zu Ihrem Privatzoo gehören, bleiben hier!« Ihr Gesicht fiel sichtlich ein, ihre Augen verdunkelten sich. Bonkal war in ihrem Stolz getroffen, aber sie wusste, dass sie im Augenblick nichts anderes tun konnte, als Axtons Anweisungen zu folgen.
Knapp vier Tontas später hob die YREMBEL ab. Unmittelbar darauf betrat Nert Bonkal die kleine Kabine, die Axton in der
Nähe der Hauptzentrale zugewiesen worden war. Der Kosmokriminalist saß über Zahlenreihen und stellte Berechnungen an. Er schob die Unterlagen zusammen und stand auf. »Was kann ich für Sie tun, Has’athor?« Sie versuchte ein Lächeln; es misslang. »Ich habe inzwischen mit meinen Orbtonen, den Biologen und Artho die Unterlagen durchgesehen, die Sie mir übergeben haben. Ich bin nun überzeugt, dass Sie in jeder Hinsicht recht hatten. Der Sumpfvogel Yirrit war der Kern des Sabotagetrupps, zu dem wohl auch Lano gehört. Ungeklärt ist aber noch, von wem genau der Vogel seine Befehle erhalten hat. Wir sind zu der Ansicht gekommen, dass Ihre Version am wahrscheinlichsten ist. Allerdings muss sich auf Kafa eine Geheimstation der Methans befinden, weil nur so der Vogel gelenkt werden konnte. Es wird die Aufgabe meiner Leute sein, diese Station zu finden und auszuheben.« »Ich glaube nicht, dass das noch nötig ist. Da die Methans inzwischen wissen, dass ihr Plan fehlgeschlagen ist, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Meldung der Selbstzerstörung eingeht. Es werden sich keine Spuren finden lassen.« »Sind Sie der Meinung, dass damit die Sabotage beendet ist?« »Vollkommen.« »Dann möchte ich Sie bitten, auf Ylihoffa die YREMBEL zu verlassen.« Bonkal wich seinen Blicken aus. »Diese Bitte werde ich Ihnen nicht erfüllen«, erwiderte er hart. »Da das eigentliche Ziel der YREMBEL ohnehin das Arkonsystem ist, werde ich bleiben.« Sie wollte aufbegehren, sagte dann aber nichts, sondern wandte sich zur Tür. Sie wusste, dass sie im Grunde falsch handelte, schließlich waren die Sabotageakte erst durch ihre Nachlässigkeit und Gutgläubigkeit möglich geworden.
»Ich möchte überdies die kartografische Zentrale noch einmal sehen«, sagte Axton, bevor sie den Raum verlassen konnte. »Mir ist etwas aufgefallen.« Sie drehte sich um und fragte unsicher: »Noch etwas?« Er lächelte beruhigend. »Sie haben nichts zu befürchten. Ich denke, dass lediglich einer Ihrer Orbtonen in einer etwas unangenehmen Lage ist.« »Wer?« »Das erfahren Sie später.« »Ich will es jetzt wissen.« Axton schüttelte den Kopf. »Ich möchte zunächst meine Untersuchung zu Ende bringen und einen klaren Beweis haben. Danach informiere ich Sie.« »Also gut, Lebo. Ich werde Ihre Arbeit nicht behindern.« Axton sah ihr nach, als sie die Kabine verließ und die Tür langsam schloss. Er mochte Mara nach wie vor, und er konnte nicht verstehen, dass eine Frau von ihrem Format so eindeutig auf der Seite Orbanaschols stand. Die Vulkanträgerin hatte eine offensichtlich hochstehende Moral, sodass sich Axton nicht vorstellen konnte, dass sie mit den politischen Machenschaften des Imperators wirklich einverstanden war. Alles nur aus Staatsräson oder Khasurntreue? Ein offenes Wort wäre jedoch nicht nur gefährlich, sondern verhängnisvoll gewesen. Axton wartete eine Weile, bis er sicher war, nicht mit der Arkonidin zusammenzutreffen. Dann stieg er auf Kellys Rücken und machte sich, auf den Weg zur kartografischen Zentrale. Bei der ersten Besichtigung war ihm aufgefallen, dass dort auch Baupläne der YREMBEL vorhanden waren. Diese sollten zur Ausgangsbasis für alle weiteren Schritte werden. Die Zeit drängte. Die Schlacht im Chemi-SpiethSystem stand unmittelbar bevor. Axton wusste lediglich, dass sie in den Pragos der Katanen des Capits stattfinden würde,
doch das waren insgesamt fünf. Wann begann die Auseinandersetzung? Am ersten oder am letzten Prago? Wann ging der Alarm ein oder der Befehl an Bonkal, augenblicklich ins Chemi-Spieth-System aufzubrechen? Auf dem Weg zu seinem Ziel begegnete Axton einigen Orbtonen und Mannschaften. Man verhielt sich ihm gegenüber reserviert, obwohl man ihm im Grunde genommen dankbar hätte sein müssen. Das störte Axton jedoch nicht. Die kartografische Zentrale war von zwei weiblichen Orbtonen und einem Wissenschaftler besetzt; sie arbeiteten an den Positroniken und waren in die letzten Vorbereitungen für die bevorstehende Transition eingebunden. Unter diesen Umständen musste Axton warten. Unauffällig sah er sich um, während die Arkoniden ihre Arbeit fortsetzten, als sei er nicht vorhanden. Axton stand bei der Transition vor einem Bildschirm, der den Planeten Ylihoffa zeigte. Es war eine kleine atmosphärelose Welt von nur dreitausend Kilometern Durchmesser. Unter der Oberfläche gab es zahlreiche Höhlen und ausgebaute Kavernen mit tempelartigen Gebäuden, in denen die religiösen Feierlichkeiten stattfinden sollten. Unter anderen Umständen hätte es den Terraner gereizt, Zeuge dieser Veranstaltungen zu sein; jetzt boten sie ihm die Chance einer ungestörten Arbeit. Kurz nach der Rematerialisation verließen die Arkonidinnen die Abteilung, nur der Wissenschaftler blieb. Er achtete nicht darauf, dass sich Axton den Schiffsplänen am Wandschirm zuwandte. Er überließ es Kelly, die Details aufzunehmen. Der Form halber blieb Axton eine halbe Tonta, verließ dann den Saal und kehrte in seine Kabine zurück. Längst war die YREMBEL in das Zielsystem eingeflogen, das nur aus einer kleinen gelben Sonne und dem Planeten bestand, elf Lichtjahre von Kafa und 49 Lichtjahre von Arkon entfernt. Zahlreiche
andere Schiffe hatten sich bereits eingefunden; Axton konnte sie auf dem Bildschirm in seiner Kabine, der Ortungsergebnisse und optische Daten kombinierte, klar erkennen. Fast alle waren kleine Einheiten ohne militärische Ausstattung; sie würden bei der bevorstehenden Auseinandersetzung keine Rolle spielen. Axton wandte sich an Kelly. Aus dem Ovalkörper quollen beschriftete Folien, die die Baupläne der YREMBEL wiedergaben. Die Hauptzentrale befand sich unterhalb des kosmografischen Abteilung, eine direkte Verbindung gab es allerdings nicht. »Du weißt, worum es geht, Kelly. Ich muss an die Hauptpositronik heran; interessant ist nur der Sektor, der die Kursprogrammierung und das Transitionstriebwerk betrifft.« Der Roboter druckte weitere Detailpläne aus, in der die maßgeblichen Punkte hervorgehoben waren. Da der Terraner bei der Schiffsbesichtigung bereits in der Zentrale gewesen war und er die grundlegende Konstruktion kannte, überraschte es ihn nicht, dass sie sich nahe der Peripherie der halbkugelförmig gestalteten Zentrale befanden. »Die einzige Möglichkeit, unbemerkt dorthin zu kommen, besteht darin, durch bestimmte Belüftungsschächte zu kriechen«, sagte Kelly. »Diese sind eng bemessen, dürften aber für dich ausreichend Platz bieten, Schätzchen.« »Davon bin ich ausgegangen. Das ist der wunde Punkt bei Raumschiffen.« Mit Kelly ging er die Daten durch und berechnete die zurückzulegende Strecke. Ausgangspunkt würde die kosmografische Zentrale sein. »Hier ist ein Sonderalarmsystem eingebaut«, sagte der Roboter. »Eine weitere Schwierigkeit: Sobald etwas ins Belüftungssystem eindringt, was nicht ausgefiltert werden kann, wird in der Zentrale Alarm ausgelöst. Aber ich kann das erledigen, Herzchen. Die Überwachung befindet sich zwar in
der Zentrale, aber wenn ich in ihre Nähe komme, kann ich sie mit einem energetischen Impuls lahmlegen.« »Dann beginnen wir«, sagte Axton entschlossen. Er kletterte erneut auf den Rücken des Roboters und befahl ihm, ihn in die Zentrale zu bringen. Auf dem Weg dorthin fragte er sich, was er mit Bonkal sprechen sollte, aber ihm wollte nichts Rechtes einfallen. Erst als er die Arkonidin sah, wusste er, was er sagen musste. »Ich benötige eine Liste der Orbtonen und Mannschaften. Dabei kommt es vor allem darauf an, die Geburtsplaneten der Besatzungsmitglieder zu erfahren.« »Sie können sie haben.« Sie musterte ihn nachdenklich. »Ich werde erst nach den Feierlichkeiten auf Ylihoffa in achtundzwanzig Tontas wieder zu sprechen sein.« »Das genügt.« Sie schöpfte keinen Argwohn. Er verabschiedete sich und kehrte in seine Kabine zurück. Hier traf Axton die letzten Vorbereitungen, er wollte keine Zeit verlieren.
11. Lebo Axton: Gespräche mit einer positronischen Nervensäge, Geheimspeicher im Ovalkörper von Gentleman Kelly »Sie gehen von der Überlegung aus, dass Bewusstseinsprozesse eine Energieform sind. Energie aber ist, einem Grundgesetz der Physik zufolge, unvergänglich. Daraus ist zu schließen, dass auch der Geist, vielleicht auch die Seele, unvergänglich ist.« »Was für Gedanken für einen Roboter. Weiter. Was glaubst du noch, in die Welt setzen zu müssen?« »Sie schmeicheln mir, Gebieter.« »Wir bleiben beim Du, Trottel.« »Sehr wohl, Gebieter. Denkenergie basiert wie auch jene des Bewusstseins nicht allein auf konventionellen Gesetzen, sondern ist ebenso im Bereich quantenmechanischer Prozesse wirksam wie auf hyperphysikalischer Ebene. Individualschwingungstaster, Hypnoschulung, Psychostrahler, die Anlagen zur ExtrasinnAktivierung oder Fiktivprojektoren zeigen ebenso wie paranormale Kräfte, dass hierbei vor allem extrem hochfrequente Hyperstrahlung beteiligt ist. Wirkung und Gesetzmäßigkeiten lassen sich mit den gängigen hyperphysikalischen Theorien nicht eindeutig erklären, aber es gibt Algorithmen der altarkonidischen Hyperthorik, die als vielversprechend gelten. Auch sei an das Konzept von Zhy erinnert, dem zentralen Begriff der Dagor-Philosophie, übersetzt als transzendentales Licht oder übersinnliches Feuer.« Ich lauschte mit wachsendem Staunen. »Es heißt, dass in einigen Epochen als Gegenpol zum männlichen Imperator eine Große Feuermutter eingesetzt wurde: Als Auswahlmechanismus für diese Tai Zhy Farn diente eine modifizierte Form des Dagor-Mystizismus; Feuerfrauen genannte Auserwählte seien dann zu Geheimorten gebracht und in die StasisKonservierung suspendierter Animation versetzt worden, um ihr Wahres Sein auf eine stabilisierte Körperprojektion zu übertragen.
Der Multibewusstseinsblock dieser Zhy-Famii war mehr als die reine Summe seiner Teile und dank der katalytischen Funktion des Imperators mit paranormalen Kräften ausgestattet. Diese heute nicht mehr zum Allgemeinwissen gehörende Erkenntnis soll der reale Hintergrund der traditionellen Anrede des Imperators sein: Seine millionenäugige, allessehende, alleswissende Erhabenheit.« Ich seufzte, wusste, dass Atlan in seiner Zeit als Imperator Gonozal VIII. tatsächlich auf die Hilfe einer Tai Zhy Farn angewiesen gewesen war. »Der Paraphysiker Belzikaan bezeichnete schon vor einigen Jahrtausenden die Paraforschung offiziell als zwiespältige Wissenschaft, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren. Diese Erkenntnisse gehörten allerdings stets zur höchsten militärischen Sicherheits- und Geheimhaltungsstufe oder waren und sind auf bestimmte Kreise beschränkt…« »Woher hast du das?« »Es sind Daten und Theorien meines früheren Gebieters. Er wurde erschossen.« »Wohl zu Recht… Aber seine Gedanken leben weiter? Das meist du doch? Willst du etwa behaupten, sie hätten sich an deine Positronik geheftet und dich sozusagen beseelt? Das gelingt nicht mal den Erzfeinden des Imperiums, den bewusstseinstauschenden Vecorat!« »Ich bedaure, dass ich nicht lächeln kann, Gebieter. Ich bin nur eine seelenlose Maschine. Darf ich in diesem Zusammenhang die Befürchtung aussprechen, dass beim Absturz meine Positronik beschädigt wurde?« »Du meinst, bei dir seien ein paar Schrauben locker?« »Schrauben wurden bei meiner Konstruktion nicht verwendet, aber sinngemäß ist das richtig, was du gesagt hast.« »Ich kann dich beruhigen, du Nervensäge. Deine Schrauben waren schon vorher locker. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will schlafen. Weck mich, wenn es dunkel ist. Bis dahin bin ich für niemanden zu
sprechen, nicht einmal für den Höchstedlen.«
An Bord der YREMBEL: 36. Prago des Tartor 10.498 da Ark Als Admiralin Bonkal mit einem Gros des Offiziersstabs die YREMBEL verließ, war Axton einsatzbereit. Er wartete, bis die ausgeschleusten Beiboote Ylihoffa erreicht hatten, dann ließ er sich zur kartografischen Zentrale tragen. Die Abteilung war derzeit nicht besetzt – als sich Axton aber an dem Belüftungsgitter zu schaffen machte, meldete Kelly einen Astronomen. Der Kosmokriminalist saß vor einem Terminal, als der Wissenschaftler eintrat. »Sollten Sie etwas zu erledigen haben«, sagte Axton barsch, »müssen Sie es auf später verschieben. Ich möchte in der nächsten Tonta nicht gestört werden.« Der Arkonide machte keine Schwierigkeiten, wortlos zog er sich zurück. Axton schickte Kelly hinaus und ließ ihn Posten vor dem Schott beziehen, verbunden mit der Anweisung, niemanden in den Saal zu lassen. Da er wusste, dass sich der Roboter strikt an diesen Befehl halten würde, kroch Axton nun in den Belüftungsschacht. Eine Tasche mit allerlei Ausrüstungsgegenständen, die nur wenig Raum einnahmen, hing vor seiner Brust. Eine winzige Lampe leuchtete an einem Stirnband, sodass er die Hände frei hatte. Der Schacht war in der Tat eng, sodass Axton nur langsam voran kam. Immer wieder musste er Filter entfernen, ohne sie dabei zu beschädigen – eine zeitraubende Tätigkeit. Auf dem Rückweg würde er sie wieder anbringen müssen. Solange Axton waagrecht kriechen musste, kam er dennoch gut voran. Wirklich schwierig wurde es erst, als er die Schachtabzweigung erreichte, die senkrecht nach unten wies. Aber er hatte keine andere Wahl – es gab keinen anderen Weg zu den Sektoren der Hauptpositronik, die ihn interessierten.
Mit Spezialkleber befestigte Axton ein dünnes Seil an der Seitenwand, an dem er sich beim Rückweg wieder hochziehen konnte. Dann ließ er sich mit den Beinen voran etwa zehn Meter weit ab, ohne auf ein Hindernis zu stoßen. Mühsam nach Atem ringend und vor Schwäche stöhnend, quälte er sich um eine enge Biegung zu der Röhre, durch die er zur Positronik gelangen wollte. Die Luft wurde heiß und stickig. Axton flimmerte es vor den Augen, er musste eine Pause von einer Dezitonta einlegen, bis er sich so weit erholt hatte, dass er den mühseligen Weg fortsetzen konnte. Nach einigen Metern stieß er auf einen weiteren Filter. Darauf war er vorbereitet, denn dieser war in den Plänen eingezeichnet. Fast dankbar nahm er die erneute Pause hin und machte sich daran, das Gitter zu lösen. Dieses Mal benötigte er weitaus länger als zuvor. Als es ihm endlich entgegenkippte, glaubte Axton, eine kleine Ewigkeit sei vergangen. Beim Blick auf die Uhr stellte er entsetzt fest, dass er den Zeitplan schon um fast zwei Dezitontas überschritten hatte. Damit befand er sich bereits im Bereich der Notreserve, ohne mit der eigentlichen Arbeit begonnen zu haben. Als er aufblickte, kauerte ein kleiner grüner Vogel vor ihm und musterte ihn mit zur Seite geneigtem Kopf. Eisiger Schrecken fuhr Axton durch die Glieder. Ein Sumpfvogel! Ein Schnabelhieb in die Haut war bereits tödlich! Axton war völlig rätselhaft, wie dieses Wesen in den Schacht gekommen war. Es musste jemand unter der Besatzung sein, der dem suggestiven Einfluss dieses Geschöpfes erlegen war. Axton fühlte deutlich die Impulse, die nun auf ihn eindrangen, stemmte sich ihnen entgegen und kämpfte sie überraschend leicht nieder. Drohend streckte Axton dem Vogel das Werkzeug entgegen, mit dem er den Filter gelöst hatte. Es glich einem Schraubenzieher, wies allerdings eine messerscharfe Klinge auf. Der Sumpfvogel zog sich hüpfend
einige Zentimeter zurück, musterte Axton erneut und neigte wiederum den Kopf zur Seite. Auf ahnungslose Gemüter mochte diese Haltung vielleicht harmlos oder gar anziehend wirken. Axton aber lief ein Schauer des Entsetzens über den Rücken. Blitzschnell stieß er mit dem Werkzeug zu, doch der Sumpfvogel hüpfte kreischend zurück, öffnete den Schnabel und flatterte mit den Flügeln. Dann griff er an. Wie ein grüner Pfeil schoss er auf Axton zu und warf sich geschickt herum, als sich die Werkzeugklinge abermals näherte. Wild hieb er mit dem Schnabel nach der Hand Axtons, traf jedoch nur den Handschuh, ohne ihn durchbohren zu können. Der Terraner fluchte, Schweiß drohte ihm in die Augen zu laufen. Er achtete nicht darauf, sondern stieß abermals mit aller Kraft zu. Dieses Mal hatte er mehr Glück – er durchbohrte den Vogel. Hastig zog der den Arm zurück, als er sah, dass der Vogelkopf nach vorn ruckte. Der Todeskampf des tückischen Wesens dauerte mehrere Zentitontas. Axton sah schaudernd zu, während er nach Atem rang und es nicht wagte, sein Werkzeug zu bergen, solange sich der Sumpfvogel noch regte. Endlich war es vorbei. Mit äußerster Vorsicht nahm Axton das Instrument an sich und schob den toten Vogel vor sich her. Kurz darauf sah er, dass das Wesen einen der Filter durchschlagen hatte, erstaunt über die Kraft, die es dabei entfaltet haben musste. War der Vögel allein gewesen? Gab es noch weitere im Gewirr der Belüftungsschächte? Die Gedanken an diese Gefahr minderten Axtons Konzentration, sodass er plötzlich nicht mehr genau wusste, wo er sich befand. Er versuchte in aller Eile, seinen Weg zu rekonstruieren, aber es gelang ihm nicht. Ärgerlich über sich selbst, schaltete er die Stirnlampe aus. In völliger Dunkelheit überdachte Axton jeden Meter, den er gekrochen war, bis er absolut keinen Zweifel mehr an seiner exakten Position hatte. Er überprüfte seine Berechnungen noch
zweimal, dann war er ganz sicher, dass er sich nicht geirrt hatte, und schaltete das Licht wieder an. Lautlos kroch er weiter, bis er den nächsten Filter erreichte. Auch dieser war vom Sumpfvogel durchstoßen worden; einige grüne Federn lagen noch herum. Axton legte den Vogel dazu und hielt einen Maßstab neben das Gitter. Der markierte Punkt an der Seitenwand musste der gesuchte Zugang zu den Datenleitungen sein. Axton setzte ein Desintegratormesser an und zog es langsam nach unten. Das Material verwandelte sich sofort in Feinstaub. Augenblicke später fiel dem Mann die Platte entgegen, die etwa fünfzig Zentimeter hoch und vierzig Zentimeter breit war. Axton blickte durch die entstandene Öffnung. Er hatte sein Ziel haargenau gefunden. Axton schaltete die Lampe aus und gewöhnte sich an die Dunkelheit. Abermals spähte er durch die Öffnung. Nirgends gab es eine Stelle, durch die Licht einfiel. Das bedeutete, dass auch die Lichtquelle seines Stirnbands nicht auffallen würde. Sollte sich jemand draußen nähern, konnte er nichts bemerken. Axton schaltete das Licht wieder ein, holte die vorbereiteten Instrumente aus der Brusttasche, wälzte sich keuchend hin und her, bis es ihm endlich gelang, den Arm so zu verdrehen, dass er die Leitungen erreichen konnte. Als Axton es endlich geschafft hatte, musste er eine Pause einlegen. Die Muskeln seiner Arme zuckten, und er befürchtete einen Krampf, der ihm in der Enge verhängnisvoll werden konnte. Er versetzte sich in einen trancehaften Zustand völliger Ruhe und Entspannung. Danach gelang es ihm deutlich besser, sich auf die bevorstehende Arbeit zu konzentrieren. Axton schob beide Arme in die Wandlücke, stemmte sich mit gespreizten Armen ab und glitt Zentimeter für Zentimeter nach vorn. Sorgfältig achtete er darauf, dass er keine Geräusche
verursachte. Er wusste, dass die Zeit drängte. Weiter oben bewachte Kelly den Zugang zur kartografischen Zentrale; niemand konnte sagen, wie lange er Besatzungsmitglieder vom Zutritt abhalten konnte. Axton rechnete damit, dass sie sich irgendwann über den Roboter hinwegsetzen würden. Axton platzierte das erste Bauteil an die Datenleitungen. Auf die eigentlichen Elemente der Hauptpositronik hatte Axton keinen Zugriff, er konnte sich aber in die internen Kommunikationswege einhacken und bei Bedarf Überrangbefehle einspeisen. Im Gefechtsfall übernahm beispielsweise die Transitionsautomatik des Flaggschiffs die Koordination, sodass die Kursbefehle auch für die übrigen Raumschiffe des Kafa-Verbands galten und sie so beieinanderblieben, um synchrone Sammeltransitionen durchführen zu können. Schlug nun die YREMBEL einen falschen Kurs ein, folgten auch die anderen Schiffe. Plötzliche Geräusche ließen Axton zögern. Er war fast versucht, sich fluchtartig in das Belüftungssystem zurückzuziehen, doch er widerstand dem Verlangen. Es musste an Ort und Stelle bleiben. Zentitontas verstrichen, noch wagte es Axton nicht, seine Arbeit fortzusetzen. Erst nach einer weiteren Pause platzierte er weitere Bauteile, verklebte sie und verband sie mit einem Kabel an seinem Armbandgerät. Auf den Anzeigen verfolgte er die Bereitschafts- und Klarmeldungen. Hochrang-Zugriff auf Transitionsautomatik möglich; Einspeisung Sammelschaltung korrekt; Standardkommunikationswege überbrückt; Redundanzfilter aktiv. Axton löste das Kabel und führte eine letzte Prüfung durch. Er hatte keinen Fehler gemacht. Sorgfältig beseitigte er alle Spuren, wischte sogar den Feinstaub weg. Er steckte den toten Sumpfvogel in seine Tasche, sammelte die Federn auf und sah sich ein letztes Mal um. Niemand sollte auf den Gedanken
kommen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Sumpfvogel und Mara da Bonkals Handlungsweise bestand. Axton hoffte nur, dass es keine weiteren Vögel an Bord der YREMBEL gab; sie hätten seine gesamte Planung zerstören können. Abschließend presste Axton Spezialkleber auf die Kanten der herausgeschnittenen Platte und drückte diese in die Öffnung. Das Material verschmolz augenblicklich und fügte sich so in die Fläche ein, dass keinerlei Spuren zu erkennen waren. Die YREMBEL würde zwar vernichtet werden, aber Axton wusste nicht, ob es eine Untersuchung der Wrackteile gegeben hatte – geben würde –, deshalb ging er auf Nummer sicher. Da der Verwachsene sich nicht umdrehen konnte, musste er nun mit den Füßen voran zurückkriechen. Das erwies sich als weitaus mühevoller, als er angenommen hatte. Schwierigkeiten ergaben sich vor allem dort, wo er die Filter herausgelöst hatte. Hier verhakte sich Axtons Kleidung mehrmals. Kostbare Zeit verging überdies, um die Filter wieder zu befestigen. Fast glaubte er zu hören, dass über ihm Arkoniden auf Kelly einredeten. Endlich erreichte der Mann den aufwärts führenden Schacht. Er klinkte das Seil ein, ließ den kleinen Motor anlaufen und ließ sich von ihm hochziehen. Speziallösungsmittel half, das festgeklebte Seilende zu lösen. Schließlich kroch Axton mit dem Kopf voran in den Seitengang und erreichte dann die Öffnung zur kartografischen Zentrale. Tatsächlich vernahm er nun gedämpft die Stimmen von Arkoniden, die sich darüber beschwerten, die Station nicht betreten zu können. Axton befestigte das Lüftungsgitter, überprüfte seine Kleidung, nahm sich eine Zentitonta, um zur Ruhe zu kommen, und öffnete dann die Zugangstür. Drei Wissenschaftler standen vor Kelly. »Wir benötigen Zugang zu den Daten, aber dieser Blechkopf lässt uns nicht vorbei.«
»Der Blechkopf handelt strikt nach meinen Anweisungen«, sagte Axton kalt. »Sie werden sich noch etwas gedulden müssen, meine Herren.« Er schloss die Tür wieder, ohne sich um die Proteste zu kümmern. Nochmals überprüfte er, ob er sämtliche Spuren beseitigt hatte, und ging dabei mit der Präzision und Sorgfalt des Kosmokriminologen vor, der seine Erfahrungen aus einer Arbeit von mehreren Jahrhunderten schöpfen konnte. Erst als Axton absolut sicher war, dass ihm kein Fehler unterlaufen war, verließ er die kartografische Zentrale. Kurz nach dem Datumswechsel zum 1. Prago der Katanen des Capits gellte der Generalalarm durch das Schiff.
Lebo Axton betrat die Zentrale wenige Zentitontas nach Mara da Bonkai, die in fieberhafter Eile von Ylihoffa zurückgekehrt war. Die Frau war wie verwandelt, wirkte eiskalt und beherrscht. Ihre Befehle kamen präzise, knapp und scharf. »Sie stören«, sagte sie knapp, als die Axton bemerkte. Doch er setzte sich in einen freien Sessel, als habe er nichts gehört. Zornig kam sie zu ihm. »Muss ich Ihnen den dienstlichen Befehl erteilen, die Zentrale zu verlassen?« »Sie wissen, dass ich aufgrund meiner Funktion berechtigt bin, mich an jedem Punkt des Schiffs aufzuhalten, den ich beobachten will. Und hier in der Zentrale laufen bekanntlich alle Fäden zusammen. Von wo kam der Alarm?« Ihr Gesicht hatte eine wächserne Tönung angenommen. »Aus dem Chemi-Spieth-System, zwölf Lichtjahre entfernt. Angriff der Methans. Weitere Attacken, vermutlich zur Ablenkung, werden aus anderen Systemen des Sektors gemeldet. Wir stehen überlegenen Verbänden gegenüber, deshalb werden die YREMBEL und der Kafa-Verband dringend benötigt. Wir hoffen, die Niederlage abwenden zu
können. Meine Einheiten sind auf dem Weg hierher, wir werden im Sammelsprung eingreifen.« »Dann kümmern Sie sich nicht um mich, sondern um Ihre Aufgabe, Has’athor. Ich störe niemanden.« Sie akzeptierte widerwillig, dass er die Zentrale nicht verlassen wollte, und verzichtete auf eine weitere zeitraubende Auseinandersetzung. Sie eilte zum Kommandantenpodest. Die YREMBEL beschleunigte bereits mit Höchstwerten. Auf der Panoramagalerie war eine auffallende Sternenformation zu erkennen – sieben Sonnen, die ein T formten. Strukturerschütterungen kündeten von der Ankunft der übrigen Kafa-Einheiten, die sich sofort der Synchronschaltung unterwarfen, auf den Kurs der YREMBEL einschwenkten und gemeinsam weiter beschleunigten. Axton ließ sich nicht anmerken, unter welcher Anspannung er stand. Er beobachtete die Orbtonen, sie arbeiteten konzentriert und schnell. Sie beherrschten ihr Handwerk und bildeten mit ihrer Kommandeurin ein eingespieltes Team. Wiederum bedauerte Axton, dass sich die Frau auf Orbanaschols Seite befand. »Sammeltransition!« Fast gleichzeitig setzte der ziehende Schmerz ein. Axton spürte die Entmaterialisation deutlich. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, von einer unwiderstehlichen Gewalt nach vorn gerissen zu werden. Als er sich instinktiv dagegenstemmen wollte, schleuderte ihn etwas zurück – und die Welt ringsum wurde wieder materiell stabil. Auf dem Panaromaschirm leuchteten nun völlig andere Sterne. Die YREMBEL raste mit fast Lichtgeschwindigkeit auf eine rote Sonne zu. »Ortung?« »Negativ.« »Negativ?« Die Arkonidin fuhr herum; ihre Frage klang eine
Spur zu schrill. »Keine Ortung, Has’athor«, wiederholte der Orbton. Die Arkonidin sah über Instrumente und Einblendungen in die Panoramagalerie. »Fehlberechnung«, meldete der Erste Offizier. »Wir befinden uns nicht am Ziel.« »Der Sprung war zu kurz«, sagte ein anderer Orbton, während die rote Sonne rasch näher kam. »Transition! Sammelschaltung!« Als der Erste Orbton die Anweisung ausführen wollte, rief Axton: »Mara, nein! Das dürfen Sie…« Das Raumschiff entmaterialisierte und sprang durch den Hyperraum. Ebenso die übrigen Schiffe. »Stören Sie nicht«, rief Nert Bonkal nach der Rematerialisation. »Was fällt Ihnen ein, Axton?« Sie wandte sich aber sofort ab, weil der Erste Offizier einen Fluch ausstieß. Abermals zeigte die Panoramagalerie völlig unbekannte Sternenkonstellationen. »Fehlsprung bei Nottransition.« Auf den Ortungsschirmen war außer den ebenfalls materialisierten Einheiten des Kafa-Verbands kein einziger Reflex zu entdecken, im Umkreis von einigen Lichtjahren gab es kein anderes Raumschiff. »Ich sagte doch, dass Sie…« Die Admiralin achtete nicht auf Axton, sondern eilte zum Chefnavigator. »Welcher Wahnsinnige hat den ersten Fehlsprung verschuldet? Sie sind ein Versager.« Ihre Reaktion zeigte, dass sie sich der prekären Lage bewusst war. »Man wartet auf uns. Jede Zentitonta kann Tausende Arkoniden das Leben kosten. Und Sie sind nicht in der Lage, die Sprungdaten richtig zu programmieren!« »Ich habe keinen Fehler gemacht«, behauptete der Orbton. Er berührte eine Reihe Tasten. Auf Bildschirmen erschienen
Zahlenkolonnen. Augenblicke später ging die Bestätigung der Hauptpositronik ein, dass alles korrekt sei. Die Zieldaten waren richtig ermittelt worden. Dennoch war die Transition misslungen. »Das ist Sabotage! Das ist Verrat!« »Sabotage?«, fragte Axton ruhig. »Dazu dürften die Saboteure doch keine Gelegenheit mehr gehabt haben.« »Sie halten den Mund!«, rief die Arkonidin. Artho betrat die Zentrale, bestürzt musterte er die Aufregung. »Warum befinden wir uns nicht im Schlachtgebiet?« »Sagen Sie noch ein Wort, dann erschieße ich Sie eigenhändig!« Artho fuhr erschrocken zurück und setzte sich neben Axton. Fassungslos beobachtete er das Geschehen in der Zentrale. Mara nert Bonkal fing sich unterdessen schnell und wurde wieder zur fähigen Kommandeurin. »Position ermitteln. Soppthad, versuchen Sie Hyperkomverbindung zur Flotte herzustellen! Beeilen Sie sich!« Ihre Anordnungen kamen Schlag auf Schlag, die Besatzung reagierte präzise. Abermals konnte Axton nicht umhin, die Frau zu bewundern. Nach einer Tonta stand fest, dass man sich in einem Sektor weitab von Arkon, Ylihoffa, Kaf-Kalga und Chemi-Spieth befand. Verbindung zur Flotte hatte nicht hergestellt werden können. Man war auf sich allein gestellt. Jetzt kam es darauf an, die exakte Position zu bestimmen. Ausgehend von den neuen Werten, konnte dann die Transition berechnet werden. Unterdessen hatten Positronikingenieure begonnen, die Haupt-KSOL zu untersuchen. »Ich will genau wissen, warum es zu diesem Fehlsprung kam«, sagte Has’athor Bonkal. Axton stand auf und schickte sich an, die Zentrale zu
verlassen. Die Arkonidin befahl: »Sie bleiben hier!« Er lächelte milde. »Warum?« »Weil ich zum Beispiel wissen will, was Sie in der kartografischen Zentrale getrieben haben.« »Bestimmt keine Daten manipuliert, denn die waren, wie die Überprüfung ergeben hat, korrekt.« »Was dann?« »Ich habe festgestellt, dass der Verdacht, den ich zunächst hatte, unbegründet war.« »Sie lügen«, sagte sie wütend. »Sie sind ein elender Lügner.« »Und gleich werden Sie noch behaupten, ich sei auch für die Magenverstimmungen verantwortlich, unter denen Sie hin und wieder leiden?« Er zuckte mit den Schultern, lächelte matt und verließ die Zentrale, ohne aufgehalten zu werden. Mit seiner Bemerkung hatte er ihr allen Wind aus den Segeln genommen.
»Schätzchen, du bist ja ganz schön aus der Puste«, sagte Kelly. »Du solltest dich nicht so übernehmen, das könnte deiner Gesundheit schaden.« Axton legte sich aufs Bett, schloss die Augen. »Jetzt kommt es darauf an. Bald werden die YREMBEL und ihre Begleitschiffe erneut aufbrechen. Und dieses Mal werden sie das Ziel erreichen. Dann aber werden sie mitten ins Feuer der maahkschen Kanonen geraten und vernichtet werden. Was wird dann aus uns?« »Asche«, antwortete Kelly trocken. »So weit lassen wir es nicht kommen. Verdammt, so haben wir nicht gewettet.« »Du musst aufstehen.« »Ich bleibe liegen, solange ich will.« »Du bist trotzig wie ein Kind.«
Axton fuhr auf. »Da hört doch alles auf. Muss ich mir so etwas von dir gefallen lassen, du Schrotthaufen? Du weiß ja nicht einmal, wovon du sprichst.« »O doch. Leistet ein Mann Widerstand, sagt man voller Hochachtung, er habe einen starken Willen. Benimmt sich eine Frau in gleicher Situation ebenso, wird sie als dickköpfig bezeichnet. Und von einem Kind sagt man schlicht, es sei trotzig. Ist das nicht so, Herzchen?« Axton griff nach dem erstbesten Gegenstand und schleuderte ihn Kelly an den Kopf. Der Roboter wich nicht aus. »Ist dir jetzt besser?« »Ich… ich verschrotte dich! Oder besser: Du wirst bei der Schlacht im Chemi-Spieth-System vernichtet.« »Und auf wem willst du dann herumreiten?« »Ich reite nicht auf dir herum, sondern lasse mich von dir tragen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.« Axton stand auf, wusch sich das Gesicht, trank etwas und trat Kelly abschließend gegen ein Bein. »Also, du Ungeheuer. Irgendetwas müssen wir tun. Da wir nicht wissen, wo die YREMBEL getroffen wird, ist es sinnlos, schon jetzt ein Beiboot startbereit zu machen, weil genau das dann getroffen werden könnte.« »Du solltest dir einen Raumanzug besorgen«, empfahl der Roboter. »Mir macht das Vakuum nichts aus. Bei dir aber habe ich in dieser Hinsicht einige Befürchtungen.« »Sie sind voll und ganz berechtigt«, gab Axton zu. Er trat auf den Gang hinaus. Genau wie an Bord der terranischen Schiffe waren auch an Bord arkonidischer Einheiten in der Nähe von Unterkünften Schränke mit Schutz- und Kampfanzügen zu finden. So musste es auch hier sein, dachte Axton. Aber er irrte sich. Völler Unbehagen sah er sich um, suchte weiter und fand nichts. Nach kurzem Überlegen entschloss Axton sich, zur Zentrale zurückzukehren. Er stieg auf Kellys Rücken und ließ
sich tragen. »Wir trennen uns nicht mehr«, sagte er leise. »In den nächsten Tontas fällt die Entscheidung. Am besten bleiben wir in Bonkals Nähe; sie wird das Ende des Schiffs überleben.« »Steht das fest?« Axton stutzte. Ihm fiel auf, dass er einen Denkfehler begangen hatte. Aus der geschichtlichen Überlieferung wusste er, dass sich Mara da Bonkal in der Schlacht heldenhaft verhalten hatte. Hieß das aber auch wirklich, dass sie die Schlacht überlebt hatte? Im nächsten Augenblick fluchte er, weil er sich hatte irritieren lassen. Selbstverständlich bedeutete es das, denn der Bonkal-Khasurn hatte seine gesellschaftliche Stellung nach der Schlacht festigen können. Das war nur unter den Führung von Nert Mara da Bonkal möglich gewesen. Die Situation begann an seinen Nerven zu zerren. Alles stand auf des Messers Schneide. Axton zwang sich zur Ruhe. Ging er jetzt nicht mit äußerster Konzentration vor, musste er im letzten Augenblick scheitern. In der Zentrale war es ruhig. Bonkal ging Daten durch und blickte auf, als Axton mit Kelly hereinkam. Einige Pulte waren geöffnet, Artho stand bei den Technikern und überwachte ihre Arbeit. »Wie lange noch?« »Bald. Die Position wurde bestimmt, die Transitionsberechnung läuft.« Er wies Richtung Artho. »Irgendwelche Ergebnisse?« »Nichts. Uns ist absolut schleierhaft, wie es zum Fehlsprung kommen konnte.« »Ihre Position ist prekär, Mara«, sagte er leise. »Nur mit einer überragenden Rolle in der Schlacht können Sie den Patzer ausgleichen, sonst sehe ich schwere Zeiten auf Sie zukommen.« Sie presste die Lippen zusammen. »Es muss ein technischer Fehler gewesen sein.«
»Das war es nicht«, sagte Artho, der sich zu ihnen gesellte. »Was wollen Sie damit sagen?« Er wich ihren Blicken aus. »Nichts, Mara, nichts.« »Wollen Sie etwa mir und meinen Orbtonen Feigheit vorwerfen?« »Beherrschen Sie sich doch, Has’athor«, sagte Artho beschwichtigend, Mitgefühl heuchelnd. Die führenden Offiziere drehten sich um, wollten sich kein Wort entgehen lassen. »Ich sage nur, dass wir keine technischen Fehler gefunden haben. Sämtliche Daten und Berechnungen waren korrekt.« »Schluss jetzt«, sagte Axton. »Konzentrieren Sie sich alle auf Ihre Arbeit. Der Verband muss so schnell wie möglich aufbrechen.« »Die Sprungdaten liegen vor«, rief der Chefnavigator. »Dann los«, rief Bonkal. »Verlieren wir keine Zeit.« Abermals begann die Geschäftigkeit, Befehle und Klarmeldungen kamen in rascher Folge. Axton war sich sicher, dass der rätselhafte Fehlsprung Mara da Bonkal nervös und ungeduldig gemacht hatte. Dazu befürchtete sie, dass ihr Versagen und Feigheit vorgeworfen werden würden. Würde es nun ein riskantes und waghalsiges Manöver geben? Genau das, welches dann in den Untergang führte? Axton war sich fast sicher. »Ist es nicht üblich, vor dem Kampf Raumanzüge anzulegen?«, fragte er betont harmlos. Die Admiralin schürzte die Lippen. »Und Sie wollen mir Feigheit vorwerfen?« »Ich habe Ihnen gar nichts vorgeworfen«, korrigierte er sie sanft, aber nachdrücklich. »Jetzt aber könnte der Eindruck von Leichtfertigkeit entstehen. Die Methans sind nicht zu unterschätzen.« Ihre Wangen verfärbten sich. Sie fühlte sich in die Enge
getrieben. Für Augenblicke wurde sie unsicher, die Belastung wurde riesig. Doch dann bäumte sie sich energisch auf, gewann die Gewalt über sich. Ihr Interkombefehl an alle Abteilungen lautete, sofort Raumanzüge anzulegen, ehe der Verschlusszustand eintrat und die Kugelzelle in Abertausende Einzelräume abriegelte. Sie drehte sich zu Axton und Artho. »Auch Sie, meine Herren. Raumanzüge anlegen, sofort!« Sie gab einem der Orbtonen einen Wink; er eilte zu einem Wandschrank und holte zwei Schutzkombinationen hervor. Unterdessen liefen die letzten Vorbereitungen für die Gemeinschaftstransition. Dann erreichten die Schiffe Sprunggeschwindigkeit.
Als die YREMBEL mit ihrem Verband materialisierte, befand sie sich noch etwa eine Lichttonta vom Kampfgebiet entfernt. Auf den Ortungsschirmen zeichneten sich Dutzende Walzenraumer der Maahks deutlich ab. Drei Schlachtschiffe der Arkonflotte waren abgeschnitten, eins bereits weitgehend zerstört. Explosionen rissen den Kugelrumpf auf. Von dem Geschwader mit ursprünglich neunundzwanzig arkonidischen Einheiten war kaum noch etwas vorhanden, während die Methans noch Dutzende im Einsatz hatten. Mara da Bonkal zögerte keinen Augenblick. Schnell und entschlossen kamen ihre Befehle. Genau wie von Axton erwartet, wollte sie möglichst nahe an das Kampfgebiet heranspringen und die Methans überraschen. Ein wirklich erfahrener Flottenkommandeur hätte sich darauf wohl nicht eingelassen. Die notwendigen Berechnungen für die Kurztransition wurden abgeschlossen. Es war so weit. Axton wusste, dass die YREMBEL nicht mehr lange existieren würde. Orbtonen und Mannschaften hatten die Raumanzüge angelegt, Artho und er ebenfalls, obwohl das Ding für ihn zu
groß war und er es ohne Kellys Hilfe nie geschafft hätte. Als Axton wieder auf den Haltebügeln stand, bot er ein Bild des Jammers. Die Beine zu lang, die Ärmel schlotterten und behinderten ihn. Er war sich dessen bewusst, wie lächerlich er aussah, aber es half alles nichts. Bald würde er den Raumanzug brauchen. Er wusste es. Artho konnte sich einige hämische Bemerkungen nicht verkneifen. Axton sah, das mancher Orbton grinste, und bemühte sich, das zu übersehen. Dann sprang die YREMBEL – und materialisierte mitten im Kampfgeschehen. Viel zu nahe und mit ihrem Verband als zu dichtem Pulk. Die Schiffe waren zu schnell, konnten keine taktischen Positionen einnehmen. Noch bevor die Schutzschirme zu voller Leistung hochgefahren waren, schossen sich die reaktionsschnellen Maahks ein und landeten die ersten Treffer. Mara da Bonkal schrie Befehle, die Geschütze der YREMBEL donnerten los. Feuerfluten jagten ins All hinaus, bohrten sich in die Flanken eines Walzenraumers. Dann erschütterten die ersten schweren Treffer das Flaggschiff. Alarmsirenen heulten los. Axton hatte Mühe, sich auf Kellys Rücken zu halten. Schutzlos den Kanonen der Methans preisgegeben, wurde die YREMBEL wieder und wieder getroffen. Aussetzer der künstlichen Schwerkraft mischten sich mit Detonationen. Längst hatte sich Axtons Helm geschlossen; er atmete saubere und rauchfreie Luft, während Artho über ihn hinwegsegelte. Feuer schlug aus Aggregaten, das Schiff wankte und dröhnte wie eine Riesenglocke. Kontrollen und Bildschirme fielen aus. Noch immer stand Sonnenträgerin Bonkal aufrecht und schrie Befehle, die niemand mehr befolgen konnte. Axton klammerte sich an Kelly. »Es ist vorbei, Mara!«, rief er. »Die Mannschaft muss sich mit den Beibooten retten!«
Sie fuhr herum und blickte ihn an. Ihr Gesicht war wachsbleich, die Lippen zitterten. Sie wollte etwas sagen, doch in diesem Augenblick schlugen weitere Treffer ein, die das Schiff schwer erschütterten. Unmittelbar darauf erfolgte eine dumpfe Explosion. Endlich begriff die Arkonidin. Die Beleuchtung erlosch, wurde von der automatisch anspringenden Notbeleuchtung ersetzt. Doch auch diese flackerte bereits. Axton sah ringsum ein unbeschreibliches Chaos. Der Zustand der im Schiffskern befindlichen Zentrale ließ mehr als deutlich erahnen, dass die YREMBEL nur noch ein Wrack sein konnte. Keiner der Bildschirme funktionierte noch, die Verbindung zur Außenwelt war abgerissen. Axtons Berechnungen überschlugen sich. Das Schiff war mit dem Verband mit einer Geschwindigkeit, die nur wenig unterhalb der des Lichts war, in das Schlachtgebiet gerast, war durch Trümmer gebrochen und hatte schwerste Treffer einstecken müssen. Längst musste das Hauptkampfgebiet passiert sein. Doch die Methans würden ihnen zweifellos Torpedos und Raketen hinterhergeschickt haben. Hinzu kam die Gefahr, dass es fortan zu Sekundärexplosionen kommen musste, weil eigene Waffenbestände detonierten und Reaktoren durchgingen. Die Stimme der Arkonidin erklang im Helm über Vorrangfrequenz: »Wir verlassen die YREMBEL. Im Sektor Blau-Drei befinden sich noch intakte Beiboote.« Sie schwebte aufrecht in der Zentrale und schickte die Orbtonen hinaus. Erst als auch Artho, Kelly und Axton die Zentrale verlassen hatten, folgte sie ihnen. Axton sah, dass sie sich noch einmal umdrehte und zurückblickte.
Als Axton einen Hauptantigravschacht erreichte, fielen die letzten Maschinen aus. Für ihn machte es kaum einen
Unterschied, Kellys Antigravtriebwerk funktionierte einwandfrei. Die Raumanzüge der anderen verfügten jedoch nicht über Flugaggregate, sodass sich die Frauen und Männer durch die Schwerelosigkeit hangeln mussten. Die Admiralin wurde zusehends nervöser. Sie trieb die Orbtonen mit heftigen Worten an. Axton, der mit Kelly den Abschluss machte, beobachtete Bonkal im Schein seines Helmscheinwerfers. Die Frau verlor an Haltung; nun war sie nicht mehr die reiche Adelige, hinter der ein ansehnliches Machtpotenzial stand – sie war aber auch nicht mehr die besonnene Kommandeurin. Sie war nur noch eine Getriebene, die um ihr Leben kämpfte. Als Kelly den Schacht verließ, entdeckte Axton zwei tote Arkoniden, die in den Trümmern einer aufgerissenen Wand hingen. Mara da Bonkal hatte keinen Blick für sie, drängte die Orbtonen vorwärts, bis eine aus den Verankerungen gerissene Maschine den Gang versperrte. »Hier geht’s nicht weiter«, meldete ein Arkonide. »Wir versuchen es weiter unten«, entschied Bonkal mit schriller Stimme. »Wir sollten uns trennen«, schlug der Erste Offizier vor. »Auf diese Weise finden wir schneller ein noch intaktes Beiboot.« »Wir bleiben zusammen!« Endlich kam sie auf die Idee, nach anderen Überlebenden Ausschau halten zu lassen. Über Helmfunk bat sie um Meldung, alles blieb still. Axton stutzte. Es war ausgeschlossen, dass niemand außer ihnen den Angriff überlebt hatte. Die Schäden am Schiff waren beträchtlich, dennoch musste es auch jetzt noch ausreichend Sektoren geben, die unzerstört waren. Es wäre ein zu großer Zufall gewesen, hätten nur jene überlebt, die sich in der Zentrale aufgehalten hatten. Die Stimme der Arkonidin verriet, dass sie ähnliche Überlegungen anstellte. »Ich weiß, dass Sie mich hören können«, rief sie auf Vorrangfrequenz.
»Ihr Schweigen betrachte ich als Verrat! Ich werde jeden vors Kriegsgericht bringen, der sich nicht augenblicklich meldet, obwohl er dazu die Möglichkeit hätte.« Jetzt klangen vereinzelte Stimmen auf, Axton zählte insgesamt zwölf Meldungen. Auch das war angesichts einer dreitausendköpfigen Besatzung nicht genug. Es mussten deutlich mehr Arkoniden überlebt haben. Die Gruppe erreichte einen Gang, der keinerlei Beschädigungen aufwies. Drei Männer in Raumanzügen schwebten ihnen entgegen. Sie salutierten und nannten ihre Namen. »In Bodenhangar Vier ist ein intakter Raumgleiter. Bietet Platz für vierzehn Personen.« »Wir sind mehr«, stellte der Erste Offizier nüchtern fest. »Wie sieht es in anderen Hangars aus?« »Wir konnten sonst keine funktionstüchtigen Einheiten finden…« Die Stimme des Ingenieurs schwankte. »Was ist passiert?«, fragte Admiralin Bonkal. Der Mann zögerte. »Reden Sie!« »Ofghal Xarxoh ist mit sechs Männer in einer Maschine geflüchtet.« »Xarxoh hat sich nicht gemeldet. Schott zum Hangar öffnen!« Als Erste drängte sie durch die Öffnung, stieß sich ab und schwebte mit ausgestreckten Armen zum Raumgleiter. Als Axton die Maschine sah, zweifelte er daran, dass dort wirklich vierzehn Personen Platz fanden. Sie wirkte viel zu klein und würde wohl bereits mit acht Leuten voll sein. Bonkal erreichte die Schleuse und schwang sich hinein. Im Raumgleiter flammte die Beleuchtung auf, Bonkals Helm erschien unter der transparenten Cockpitwölbung. Die Frau kümmerte sich nicht um die anderen, sondern leitete den Start des Fahrzeugs ein. Kam es ihr nur darauf an, nun sicher an Bord zu sein? Alles andere schien ihr egal zu sein.
Axton begriff, dass er sich wohl grundlegend in ihr getäuscht hatte. Sie war keineswegs die Persönlichkeit, die er bisher in ihr gesehen hatte. Ein terranischer Kommandant, aber auch Atlan hätte in dieser Situation ganz anders gehandelt. Er wäre mit Sicherheit nicht der Erste an Bord des Raumgleiters gewesen. Er hätte auch keine Anstalten gemacht, die YREMBEL zu verlassen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass niemand mehr an Bord des Wracks war, der Hilfe benötigte. Warum kümmerte sich die Arkonidin nicht um jene, die sich bei ihr gemeldet hatten? »Es sieht so aus, Kelly, als müssten wir uns trennen«, sagte Axton über Helmfunk. »Unser gemeinsamer Weg scheint zu Ende zu sein.« »Ich befestige mich außen am Raumgleiter«, verkündete der Roboter. »So schnell wirst du mich nicht los, Herzchen.« »Hoffentlich kommst du nicht auf Idee, dich genau vor ein Impulstriebwerk zu setzen. So, wie du jetzt bist, kann man dich kaum gebrauchen. Als glühender Metallklumpen taugst du aber überhaupt nichts mehr.« »Ich werde meinen einmaligen Wert erhalten.« Er trug Axton zum Beiboot, in dem mittlerweile fünf Orbtonen verschwunden waren. Dabei hatten sie sich streng an die Rangordnung gehalten, sodass sich die Ranghöchsten nunmehr in Sicherheit wähnen konnten. Ganz klar war abzusehen, wer schließlich draußen bleiben würde. Sorgith Artho verschaffte sich energisch Zutritt vor einem Ortungsoffizier, den er mit einer wütenden Armbewegung zurückdrängte. Dabei entstand eine Lücke. Der Roboter handelte entschlossen – er griff über seine Schultern nach Axton, hob ihn aus den Halterungen und warf ihn mit geschicktem Schwung in die Schleuse. Der Terraner prallte hart auf und rutschte ins Beiboot hinein. Er fluchte verärgert, obwohl er anerkannte, dass ihm der Roboter dadurch eine
direkte Auseinandersetzung mit anderen erspart hatte. Im Raumgleiter herrschte bereits qualvolle Enge; Axton konnte sich nicht vorstellen, dass mehr als zehn Personen aufgenommen werden konnten. »Es geht nicht«, sagte er, während er sich in eine Ecke presste. »Wir schaffen es nicht.« »Unmöglich«, stimmte Artho zu. »Mehr als zehn Personen passen nicht in die Kabine. Einige können sich noch in der Schleuse zusammendrängen. Aber dann ist Schluss. Die übrigen müssen nach einem anderen Beiboot suchen.« Mara da Bonkal drehte sich im Pilotensessel, in ihrem Gesicht arbeitete es. »Die Raumanzüge sind zu sperrig und nehmen zu viel Platz weg.« »Ablegen und ausschleusen!«, rief der Erste Offizier. »Keine Zeit mehr!«, rief sie, fuhr herum und senkte ihre Hand auf einen Knopf. Das Innenschott der Schleuse schloss sich zischend. Etliche Männer waren noch draußen, einige versuchten noch in die Schleuse zu gelangen. Axton hörte einen gellenden Schrei – einem Mann war vom zufahrenden Außenschott ein Arm abgetrennt worden. Wütendes Brüllen folgte. Mit einer solchen Entscheidung ihrer Kommandeurin schien niemand gerechnet zu haben. Längst fuhren die Hangarschotten auf, die Impulstriebwerke des Raumgleiters jaulten auf. Nicht lange nachdem das Beiboot die YREMBEL verlassen hatte, folgte die gewaltige Detonation, die den 800Meter-Riesen vernichtete.
An Bord herrschte angespanntes Schweigen, keiner der Orbtonen sagte ein Wort. Auch Axton schwieg. Innerhalb weniger Zentitontas hatte er das Bild, das er sich von Mara da Bonkal gemacht hatte, vollkommen revidieren müssen. Ein anderes Problem beherrschte seine Gedanken: Würde er die
Aktion erfolgreich abschließen können? Die Aussichten standen nicht sonderlich gut. Inzwischen trieb der Raumgleiter mit halber Lichtgeschwindigkeit durchs All, das Chemi-Spieth-System blieb zurück. Dort gab es zweifellos keine arkonidischen Schiffe mehr, die Maahks waren die eindeutigen Sieger der Schlacht. Würden sie die Fluchtbeiboote und Notkapseln verfolgen? Die wenigsten verfügten über Transitionsaggregate und würden keine Chance haben. Der Raumgleiter war nicht einmal mit einem Hypersender ausgestattet, der weiter als einen Lichtprago reichte – abgesehen davon, dass Bonkal ohnehin darauf verzichtete, schon jetzt ein Notsignal abzusetzen, weil sie offenbar fürchtete, die Methans auf sich aufmerksam zu machen. Diese Taktik erwies sich als richtig. Nach einigen Tontas zogen die Walzenraumer ab – und wenig später schlugen die Strukturtaster an. »Da sind sie«, murmelte Bonkal erleichtert. Arkonidische Einheiten materialisierten im Chemi-SpiethSystem. Erst jetzt löste sich die Starre der Frau. Sie setzte eine Reihe von Funksprüchen ab, hob die Fahrt des Raumgleiters auf, wendete und beschleunigte wieder. Die Bildschirme vor ihr leuchteten auf. Das kantige Gesicht eines Orbton erschien, die Admiralin identifizierte sich. »Wir erwarten Sie«, antwortete der Funker knapp und unterbrach die Verbindung. Geschickt lenkte Bonkal den Raumgleiter zurück. Überall trieben Schiffstrümmer im All. Bereits aus einiger Distanz war auf den Ortungsschirmen zu erkennen, dass die Bergungsarbeiten angelaufen waren. Die Arkoniden sammelten Schiffbrüchige ein, die in ihren Raumanzügen im Vakuum trieben. Bonkal kümmerte sich nicht um diese Kommandos, sondern steuerte das Flaggschiff des
Hilfsverbands an. Vom Leitstrahl erfasst, näherte sich der Raumgleiter dem offenen Hangar, der längst einer Mischung aus Auffanglager und Lazarett glich. Hunderte Arkoniden in Raumanzügen warteten geduldig, in angrenzende Sektoren des Schiffes eingelassen zu werden. Etliche wiesen Verwundungen auf. Hinter halb durchlässigen Prallfeldbarrieren kümmerten sich Medoroboter und Bauchaufschneider um Verletzte, schnitten sie aus den Schutzanzügen; die meisten wiesen Verbrennungen auf. Drei Orbtonen in schwarzen Uniformen schoben sich durch die Menge und traten an den Raumgleiter heran, nachdem er in den inneren Hangar geglitten war und sich die Schotten geschlossen hatten. Bonkal öffnete die Schleuse. Mit energischen Gesten gab sie den Orbtonen, Artho und Axton zu verstehen, dass sie das Beiboot als Letzte verlassen würde. Axton sah einige Männer grinsen, als sie auf ihn aufmerksam wurden. Er blickte flüchtig zum Heck des Raumgleiters. Kelly hatte es tatsächlich geschafft, sich so zu verankern, dass er mitgeschleppt worden war. Axton legte hastig den viel zu großen Raumanzug ab, hatte ihn aber noch nicht ganz abgestreift, als Mara da Bonkal in stolzer Haltung aus der Maschine trat. Sie salutierte vor den Schwarzgekleideten, nannte Rang und Namen. »Sie sind verhaftet«, sagte einer der Männer kühl. Sie zuckte zusammen. »Was wirft man mir vor?« »Feigheit vor dem Feind.« Sie wurde bleich. Mit bebenden Lippen versuchte sie zu antworten, brachte aber keine Silbe hervor. Die Orbtonen traten zur Seite, zögernd setzte sie sich in Bewegung. Im Hangar war es still geworden, viele Männer hatten bemerkt, was geschehen war. Die Verhaftung eines Has’athor war schon eine Sensation, die Tatsache, dass es sich um eine Frau handelte, steigerte das Interesse noch. Nachdem Bonkal
abgeführt worden war, wandten sich einige Zuschauer neugierig an die Orbtonen und Artho. Zu ihrer Enttäuschung wurden sie vom Ersten Offizier abgewiesen. Lebo Axton wandte sich seinem Roboter zu; Kelly hing noch immer am Heck des Raumgleiters. »Willst du nicht herunterkommen?« »Ich kann nicht.« »Warum?« »Ich sitze fest.« Jetzt blickte der Verwachsene genauer hin und zuckte zusammen. »Du hast den Spezialkleber verwendet.« »Ich hatte keine andere Wahl, Herzchen.« Axton lief es eiskalt über den Rücken. Der Roboter hatte jenen Kleber verwendet, den Axton auch in der YREMBEL einsetzt hatte. Wurden die Arkoniden darauf aufmerksam, schöpften sie vielleicht Verdacht. Es war sinnlos, Kelly einen Vorwurf zu machen; der Roboter hatte mit der ihm eigenen Logik gehandelt. Nach ihr war es das beste und sicherste Mittel gewesen, sich an der Außenhaut des Raumgleiters festzukleben. Nun waren seine Hände untrennbar mit dem Arkonstahl der Außenhaut verbunden. Er würde nur einen Weg geben, den Roboter zu lösen: Axton musste hinaufklettern und Kelly abschneiden. In aller Eile suchte er nach Vorsprüngen und Zugangsklappen, dann stieg er mühsam hinauf. Jetzt zeigte sich, dass die Verhaftung und die damit verbundene Aufregung ein Glücksfall waren, denn niemand achtete auf den Verwachsenen. Erst als er die Roboterhände zuerst mit dem Desintegratormesser abgetrennt und die Hände selbst in Staub verwandelt hatte, wurde man auf ihn aufmerksam. Einige Männer machten ihre spöttischen Sprüche, doch das konnte Axton nicht beeindrucken. Er versetzte Kelly einen Tritt, bis dieser sein Antigravtriebwerk aktivierte, sanft in die Höhe
schwebte und dann zurückkehrte. »Ich würde dir gern helfen, Liebling«, sagte er so laut, dass ihn die Arkoniden hören konnten und in brüllendes Gelächter ausbrachen. »Aber meine Hände…« Nun konnte Axton seinen Ärger doch nicht ganz unterdrücken. Er kletterte auf den Rücken des Roboters, setzte ihm das Desintegratormesser an die Membran und zischte: »Ein Wort noch, und ich beseitige alles, womit du dich akustisch äußern kannst.« Kelly landete schweigend auf dem Hangarboden.
12. 1212. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 5. Prago der Katanen des Capits, im Jahre 10.498 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Seit dem Großangriff auf den Flottenstützpunkt Trantagossa verfolgen die Methans eine Taktik der gezielten Nadelstiche, vor allem im Bereich der Öden Insel. Dutzende Kolonialwelten fielen kleinen, extrem kampfkräftigen Verbänden zum Opfer, und in jedem Fall waren die Maahks bereits wieder verschwunden, wenn Einheiten der Imperiumsflotte zur Verstärkung eintrafen. Mit den Angriffen auf Protem und den Chemi-Spieth-Sektor gewannen diese Attacken allerdings eine neue Qualität – immerhin wurden damit erstmals Ziele im Kugelsternhaufen Thantur-Lok selbst angegriffen und damit das Herz des Tai Ark’Tussan. Unsere Analysen der Ereignisse lassen jedoch im Fall von Protem erhebliche Zweifel aufkommen, inwieweit dort tatsächlich Methans beteiligt waren. Fest steht, dass ein Angriff stattgefunden hat. Von offizieller Seite wurde die Angelegenheit jedoch bemerkenswert auffällig heruntergespielt, zeitweise sogar eine strikte Nachrichtensperre verhängt. Vordergründig lässt sich dies natürlich so erklären, dass Orbanaschols Propagandamaschinerie alles daranzusetzen versuchte, den Fetten in einem guten Licht erscheinen zu lassen. War bereits Trantagossa ein tief greifender Schock – immerhin betraf es einen der drei Hauptstutzpunkte im Bereich der Hauptebene der Öden Insel! –, so gilt dies für einen Angriff auf ein System in Thantur-Lok noch mehr. Kein Wunder also, dass eine erfolgreiche Attacke möglichst vertuscht werden soll, im Fall von
Protem überdies verbunden mit einer extrem großzügigen Wiederaufbauhilfe. Auffällig ist hierbei wiederum, dass Orbanaschol genau Letzteres nicht an den großen Kristallobelisken hängt und mit weithin hallendem Schlegelschlag verkündet, sondern unter »Sonstiges« abhandeln lässt. Leider erwiesen sich die uns zugänglichen Informationen als unzureichend, um endgültige Klarheit zu erlangen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass hier ein ziemlich perfider Plan umgesetzt wurde, der sogar Orbanaschols bisherige Schändlichkeiten deutlich in den Schatten stellt, sollte es sich tatsächlich so abgespielt haben: Es gibt Hinweise darauf, dass die angeblichen Angreifer zwar Maahkwalzen verwendeten, tatsächlich aber von einer Spezialeinheit der TGC bemannt waren! Mit anderen Worten: Orbanaschol hat einen Massenmord mit Abermillionen Toten des eigenen Volks befohlen! Als Motiv einer solch ungeheuerlichen Aktion kommt – die Persönlichkeit des Fetten als Maßstab genommen – nur eins infrage: Orbanaschols verzweifelter Versuch, nach dem Schock von Trantagossa die »günstige Tonta« zu nutzen, um seinem ärgsten Feind, sprich Kristallprinz Atlan, Hochverrat in die Schuhe zu schieben, sodass er für immer diskreditiert und als künftiger Imperator von vornherein erledigt ist. Dass Letzteres nicht gelungen ist, muss als gewaltiges Glück bezeichnet werden; den She’Huhan sei Dank! Endgültige Beweise haben wir trotz intensiver Bemühungen nicht; sämtliche beteiligten Flotteneinheiten wurden inzwischen versetzt, die meisten an Frontabschnitte, in denen die Überlebenschancen unter einer Periode nach Arkon-Zeitmaß liegen. Auch sonst wurde einiges in Bewegung gesetzt, um die wahren Geschehnisse zu verschleiern und zu vernebeln, sodass es uns nicht möglich war, weitere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Völlig unbekannt ist auch, was die Methans von den Ereignissen halten – es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass für sie der »Angriff auf Protem« Anregung und Anlass war, Vergleichbares beim Chemi-Spieth, Kerratonkh- und drei weiteren Sonnensystemen dieses Sektors zu versuchen. Und das
leider mit Erfolg! Wie nun hierbei das angebliche oder tatsächliche Versagen von Has’athor Mara da Bonkal zu bewerten ist, wird der bald beginnende Prozess zeigen müssen. Fest steht, dass Orbanaschols Ansehen weiter gesunken ist, wenngleich natürlich versucht wird, insofern aus den Ereignissen Kapital zu schlagen, als noch mehr Widerstand, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft beschworen werden. Den Methans werden wohl einige unbehagliche Arkonperioden bevorstehen, doch das ist dann weniger das Verdienst des Fetten als vielmehr dem Bewusstsein geschuldet, dass dem Großen Imperium eine neue Phase des Methankriegs bevorsteht.
An Bord der AYTILAA DEL GNOTOR: 3. Prago der Katanen des Capits 10.498 da Ark Baylamor Arham del Gnotor hatte das Raumschiff nach seiner Mutter benannt. Diese – hässlich, alt und mit dem Gesicht einer Mumie – begleitete ihn auf allen Reisen. Sie bestimmte die Zielsterne und kümmerte sich um den Verkauf der Beute. Er war professioneller Grabräuber und Plünderer, niemand hätte ihn auf der Kristallwelt für einen Adeligen gehalten. Del Gnotor war dick und unförmig und bewegte sich schleppend vorwärts. Er liebte Schmuck in allen Varianten, ständig spielten seine Finger mit irgendeinem Glitzerzeug. Auf den Arkonwelten durfte er sich nicht mehr blicken lassen, alle Vergnügungsstätten waren ihm verschlossen, in denen der Hochadel seinem zweifelhaften Vergnügen nachging. Aber der Mann bedauerte das keineswegs. Seine Streifzüge durch den Kugelsternhaufen Thantur-Lok ließen ihn ausreichend Abenteuer erleben. Dem Namen nach gehörte er zu einem uralten Khasurn, doch im Handbuch der führenden Persönlichkeiten, in dem alle Adelsgeschlechter Arkons säuberlich verzeichnet waren, waren die del Gnotors längst
nicht mehr zu finden. Kein Mitglied der Familie bekleidete noch ein öffentliches Amt, die Familie galt als gescheitert. »Was habe ich dir gesagt?«, keifte Aytilaa del Gnotor. Schwere Kristallohrgehänge bewegten sich, als sie sich langsam umdrehte. »Wir befinden uns dicht vor dem Kerratonkh-System. Die verdammten Methans haben hier wie die Wilden gehaust, um die Wachflotte des Chemi-SpiethSystems abzulenken.« Sie ließ Ausschnittsvergrößerungen in die Panoramagalerie einblenden. Das Wrack, das antriebslos durchs All trieb, war nun deutlich zu erkennen. Auf der total zerschossenen Hülle des fünfhundert Meter durchmessenden Schlachtkreuzers waren trotz der immensen Schäden noch die Kennzeichnungen des Inhabers zu entziffern. In großen Satron-Buchstaben stand dort KERRATONKH. »Und wenn sie diesen Kerratonkh daran hindern wollten, in die Schlacht um Chemi-Spieth einzugreifen?«, fragte Baylamor. »Kerratonkh hätte freiwillig nie dort eingegriffen. Dazu ist er viel zu feige. Während seine Söhne in Orbanaschols Palastgarde dienen, hat er sich noch nie im Kampf hervorgetan. Kerratonkhs Söhne haben einen besseren Namen als ihr Vater, und das will schon was heißen.« Sie deutete auf die erleuchtete Registeranzeige des Kartentanks. »Das dort vorn ist Kerratonkhs Stern. Du kennst doch Kerratonkh?« Er machte ein unglückliches Gesicht, während er an der ZalakNuss lutschte. Ihr ätherischer Grundstoff übte eine berauschende Wirkung aus. Baylamors Unwissen erregte Aytilaas Zorn. »Würde dein Vater noch leben, würdest du dich ganz anders benehmen! Sagte ich dir nicht immer wieder, dass man die bekannten Khasurn kennen muss? Im Ernstfall wüsstest du nicht, wohin du fliehen müsstest. Du hast die Namen all jener vergessen, die uns helfen könnten – ich fasse
es nicht. Es ist eine Schande!« Er versank im Kontursessel, wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Mundwinkel. Erwähnte Aytilaa Baylamors Vater, hatte ihre Stimmung meist einen Tiefpunkt erreicht. Die Erinnerung an ihn bestand aus nebelhaften Fragmenten. Baylamor war fünf Arkonjahre alt gewesen, als sein Vater starb. Markh Hoctor del Gnotor hatte mit seinem Kommando einen ganzen Maahkverband aufgerieben. Aber vom Ruhm eines Toten konnte sich Baylamor nichts kaufen. »Du weißt, dass wir praktisch vogelfrei sind«, begann Baylamor und verschob einige glitzernde Ringe an den Fingern. »Jeder Arkonide kann uns töten. Die ruhmreiche Geschichte unserer Ahnen hilft uns nichts.« Aytilaa berührte einen Knopf auf der Oberseite der Lehne, der Kontursessel schwang halb herum. Als sich ihr zerfurchtes Gesicht auf Baylamor richtete, versprühten die rötlichen Augen ein merkwürdiges Feuer. Trotz ihres Alters war die Frau unglaublich zäh. »Verschon mich mit dem Unsinn. Würde der gute Gonozal nach leben, wäre alles anders. Aber unter Orbanaschol geht es bergab. Keine Tradition, alles Ehrwürdige wird von diesem Emporkömmling in den Schmutz getreten. Alte Namen gelten nichts mehr. Es ist eine Schande.« Aytilaas Greisenaugen wurden wässrig. Die Erinnerung an die gute alte Zeit stimmte sie melancholisch. »Was schlägst du vor, Mutter?« Baylamor wollte sie ablenken. Wurde sie traurig, erfasste auch ihn eine wehmütige Stimmung. Sein Verhältnis zu ihr ließ sich am ehesten mit dem Verhalten einiger pflanzlicher Schmarotzer vergleichen – wenngleich sich in diesem Fall darüber streiten ließ, wer nun von beiden der Schmarotzer war, er oder Aytilaa. Fest stand, dass keiner ohne den anderen auskommen konnte. Baylamor, weil er nichts ohne sie unternahm; Aytilaa, weil sie alt und
schwach war. »Die Methans haben ganze Arbeit geleistet«, krächzte Aytilaa. »Wir haben Glück, mein Sohn. Diesmal machen wir reiche Beute.« »Die Wachflotte kann jeden Augenblick materialisieren.« Baylamor zerrieb eine süßlich riechende Substanz zwischen den Fingern, seine wulstigen Lippen spannten sich, die kleinen Augen unter den schweren Lidern funkelten, während sie die Anzeigeneinblendungen der Panoramagalerie musterten. »Gegen sie hat unsere Sechzigmetermurmel keine Chance.« »Unsinn! Ich sagte doch, dass die Maahks hier wie im Chemi-Spieth-System ganze Arbeit geleistet haben. Arkons Flotte hat jetzt anderes zu tun. Soll ich dir noch mal die Funknachrichten vorspielen?« Baylamor schnippte den Rest der aromatischen Substanz vom Zeigefinger, schob die Zalak-Nuss von der einen Backe in die andere. »Du solltest mich nicht dauernd belehren, Mutter. Ich bin kein kleines Kind mehr, habe die Funksprüche selbst dechiffriert. Oder hast du das bereits vergessen?« Aytilaa überhörte bewusst den Vorwurf ihres Sohns. Sie kannte die Rolle, die sie für ihn spielte. Sie brauchte ihn, er brauchte sie. So einfach war das, wenn man seit fünfzig Arkonjahren gemeinsam durchs All flog. Ein paar treffende Worte genügten in der Regel, um Baylamor wieder gefügig zu machen. Der Mann war ein verschlossener Einzelgänger, der im Grunde nie selbstständig geworden war und nichts ohne seine Mutter tat. Nie hatte er etwas mit anderen Frauen gehabt. Doch das hatte ihn um seine besten Jahre gebracht. Nie hatte er in der Flotte gedient, nie jenes aufregende Gefühl kennengelernt, als Jüngling um die Liebste zu freien. Er hatte auch niemals einen richtigen Freund gehabt. Während Aytilaa ins Grübeln geriet, rieb sich ihr Sohn die
Hände. »Dieser Kerratonkh schwelgt also im Wohlstand. Na, wenn das kein Grund ist, das Schiff zu plündern.« Seine Mutter antwortete nicht sofort, überprüfte sämtliche Hyperfrequenzen. Doch außer dem statischen Rauschen und dem schwachen Pfeifen einiger sich überlagernder Fernsignale war nichts zu hören. »Wir sind allein in diesem Raumsektor.« »Dann plündern wir also das Wrack?« »Was hast du nur mit diesem lächerlichen Raumer?«, brauste Aytilaa auf. »Wenn dieses ein einziger Schrotthaufen ist, sieht es auf dem Planeten nicht viel anders aus.« »Was hast du vor?« »Ganz einfach, Baylamor. Wir plündern Kerratonkhs Welt!« Ihm blieb vor Überraschung die Sprache weg. Die Entscheidung seiner Mutter überraschte ihn zutiefst. War die Alte nun größenwahnsinnig geworden? Ein ganzer Planet, der erst vor Kurzem von den überlebenden Bewohnern fluchtartig verlassen worden war, konnte unmöglich von einem Mann allein geplündert werden. »Wie stellst du dir das vor, Mutter?« »Wir sehen uns erst einmal an, wie groß die Zerstörungen durch den Maahkangriff tatsächlich sind. Wenn der Palast unversehrt ist, nehmen wir uns Kerratonkhs Schatzkammer vor. Außerdem benötigen wir dringend Ersatzteile. In den planetaren Hangars dürfte alles vorhanden sein, was das Herz begehrt. Mit etwas Glück finden wir sogar eine neue Positronik. Du weißt, dass unser Bordgehirn der Belastung nicht mehr lange standhält. Was das bedeutet, kannst du dir ja ausmalen.« Baylamor nickte bedächtig. So abwegig war der Plan seiner Mutter gar nicht. Sollten sich die Verwüstungen der Methans in Grenzen halten, würden sie alles finden, was sie benötigten. Jeder wusste, dass diese Wesen an arkonidischen Kostbarkeiten kein Interesse hatten, ihnen war eine
Anhäufung von Schätzen fremd. Desgleichen gab es keine vergnügungssüchtigen Maahks – sämtliche Versuche der arkonidischen Abwehr, Maahks mit Rauschgiften und dergleichen zu versorgen, waren kläglich gescheitert. Der einzige Lebensinhalt der Wasserstoff-Ammoniak-MethanAtmer schien in der Verteidigung ihres Volks zu bestehen. Es gab also Aussicht auf reiche Beute. Baylamors feiste Gestalt straffte sich. Er sah, dass Aytilaa bereits die Kurskoordinaten eingab. Vielfarbige Lichter flammten über dem Steuerpult auf. Die Positronik hatte nun sämtliche Funktionen übernommen. Sofern nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam, würden sie den zweiten von insgesamt fünf Planeten der kleinen gelben Sonne in wenigen Tontas erreichen. Baylamor begann sich vorzustellen, wie er in den Schätzen Kerratonkhs wühlte, sah ganze Berge kostbarer Kristalle. Er stellte sich die auserlesenen Köstlichkeiten der Palastküchen vor, spürte das Wasser im Mund zusammenlaufen. Tosender Donner der Impulstriebwerke riss ihn aus den Träumen.
Die blaue Scheibe von Kerratonkhs Planet füllte den Frontbereich der Panoramagalerie. Dichte Wolkenfelder standen über den Meeren, an vielen Stellen verfärbte sich das milchige Hellblau ins Graue. Baylamor wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. »Diese verdammten Methans haben sogar unbewohnte Landstriche mit ihren Impulsgeschützen bestrichen.« Die AYTILAA DEL GNOTOR senkte sich leicht wie eine Feder in die oberen Atmosphäreschichten. Die wechselnden Ausschnittsvergrößerungen verhießen nichts Gutes. Noch immer standen weite Gebiete in Flammen, Wälder waren zu Asche verbrannt. An vielen Stellen glühte blanker Fels. Die
Radioaktivität hielt sich jedoch in Grenzen. »Wo befindet sich Kerratonkhs Palast?« Aytilaa steuerte das Raumschiff über eine ausgedehnte Ebene. In der Ferne zeichneten sich die gezackten Linien eines Gebirges vor dem verhangenen Himmel ab. Qualmwolken trieben vorbei, der Boden war rissig und glühte an mehreren Stellen. »Hat er am Fuß des Gebirges gelebt? Dort dürften die klimatischen Bedingungen am günstigsten gewesen sein.« Ein heller Punkt kam ins Bild. Aytilaa hielt genau darauf zu. Wenig später konnte Baylamor Einzelheiten erkennen. Es handelte sich um ein Raumschiff, das, am Boden stehend, von einem feindlichen Impulsstrahl zusammengeschmolzen worden war. Teile der Hülle lagen verstreut am Boden. Das Zentrum des Wracks glühte im atomaren Feuer; dort mussten nach wie vor unvorstellbare Hitzegrade herrschen. Fetter Qualm trieb umher. Die Außenmikrofone übertrugen ein lautes Donnergrollen. »Wird dort noch gekämpft?« »Unsinn, Junge. Wir sind die einzigen Arkoniden hier. Das, was du hörst, sind die Nachwirkungen des Angriffs. Das Wetter verändert sich. Das Abschmelzen der Polkappen hat begonnen. Bald wird hier nichts mehr an den Aufenthalt von Arkoniden erinnern.« Baylamor konnte sich nicht vorstellen, dass die Auswirkungen des Angriffs so enorm sein sollten. Plötzlich sah er die Pläne in Gefahr. Sollten hier tatsächlich bald Unwetter toben, konnte er den Palast nicht mehr plündern. »Sieh mal«, rief Aytilaa. »Auch die Methans hatten Verluste.« Die neue Ausschnittsvergrößerung zeigte das Wrack eines Walzenschiffs, dessen mächtiger Rumpf mehrfach geborsten war. Die stumpfe Heckseite war zwischen riesigen Felsen
verkeilt. Trümmer waren von den Explosionen in alle Richtungen gewirbelt worden. Baylamor wagte sich nicht vorzustellen, wie es im Inneren aussah. Zahlreiche rötlich schimmernde Schneisen zogen sich über die düstere Ebene, deuteten genau zum Fuß des Gebirges und trafen sich dort in einem Punkt. Kein Zweifel, dass das Schmelzspuren von Impulsgeschützen waren. »Dort… Kerratonkhs Palast«, rief Aytilaa, ihre Hand wies zitternd nach vorn. »Die ganze Basis wurde vernichtet. Die Methans haben wohl mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, auf den Palast gefeuert.« Die Alte landete das Schiff am Rand eines großen Kraters. Als die ausgefahrenen Landestützen den Boden berührten, wippten sie noch einmal in der Hydraulik, dann standen sie still. Aytilaa überprüfte sämtliche Instrumente mit der ihr eigenen Routine. »Du kannst nicht ohne Schutzanzug raus, Baylamor. Die Luft ist vollkommen verseucht, die Hitze beträchtlich.« Er knirschte mit den Zähnen. Die Enttäuschung über die Zerstörung stand ihm offen ins Gesicht geschrieben. »Diese Monster! Sie haben wie die Wahnsinnigen gewütet.« Die Hoffnung auf reiche Beute war wie eine Seifenblase geplatzt. »Nicht den Mut verlieren«, krächzte Aytilaa. »Erinnerst du dich an den Handelsstützpunkt Altamar? Die Bruderkämpfe zwischen Händlern und Siedlern hatten den Stützpunkt vernichtet. Rein äußerlich sah es dort genauso aus wie hier. Aber unter den Ruinen haben wir ganz auserlesene Kostbarkeiten gefunden.« Vom Trichterbau des Palastes existierten nur noch Fragmente. Es sah aus, als habe eine überdimensionierte Faust auf das ehemals fünfhundert Meter hohe Gebäude eingeschlagen. An etlichen Trümmerbrocken hingen
verschmorte Einrichtungsgegenstände. Verbundstreben ragten wie Skelettfinger in den dunstigen Himmel. Die Seen, einst architektonische Glanzstücke des den Palast umgebenden Parks, waren in der Hitze verdampft, Ziersträucher und Bäume spurlos verschwunden. »Nein«, sagte Baylamor leise. »Hier werden wir nichts finden. Kerratonkhs Planet ist eine tote Welt. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Wo die Methans einmal richtig zugeschlagen haben, wächst und gedeiht so schnell nichts mehr.« Inzwischen wurde das düstere Halbdunkel auf den Bildschirmen der optischen Außenbeobachtung von heftigen Lichterscheinungen durchbrochen. Das Gewitter zog von den Bergen heran, ununterbrochen zuckten Blitze. Heftige Windstöße trieben Rußwolken und Asche auseinander. Plötzlich zuckte Baylamor zusammen, starrte entgeistert auf eine Vergrößerung. Auch Aytilaa reckte ihren mageren Körper, um besser sehen zu können. »Dort draußen ist noch jemand!« Aytilaa gab einen ächzenden Laut von sich, glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Aber dort draußen näherte sich tatsächlich ein Mann. »Er hat unsere Landung beobachtet. Er kommt genau auf uns zu.« Baylamor sah, dass der Fremde eine Hand hob und winkte. Nachdem Aytilaa die Teleoptik auf den Näherkommenden gerichtet hatte, erschien die Gestalt formatfüllend auf einem Bildschirm. Qualm umgab den Mann wie ein Schleier, hitzeflirrende Luft verzerrte das Bild ein wenig, doch der Anblick war deutlich genug, um Baylamor aufstöhnen zu lassen. Er war gewiss nicht feinfühlig oder empfindsam, hatte bei seinen Plünderungen schon entsetzliche Dinge gesehen. Er kannte keine Skrupel, wenn es darum ging, Gräber zu öffnen und die kostbaren Beigaben von verwesten Leichen zu rauben.
Dass er nun so geschockt war, ließ sich nur erklären, weil der Fremde aussah wie ein wandelnder Leichnam. »Er… er kann doch gar nicht mehr leben«, stammelte Baylamor. »So, wie der aussieht…« Doch der Fremde kam weiterhin auf das Raumschiff zu. Seine Stiefel waren verschmort, die Haut hing in Fetzen vom mageren Leib und war mit Resten der Kleidung verkrustet. Haare gab es keine mehr, der kahle blutige Schädel schimmerte im Licht der zuckenden Blitze. Jetzt öffnete sich der Mund in der geschwärzten Kruste des Gesichts, in dem sich tiefe Wundkrater aneinanderreihten, während statt Zähnen einige Metallstifte blinkten. Die keuchende Stimme des Mannes wurde von den Außenmikrofonen aufgenommen; in die Worte des Unheimlichen mischten sich Donnergrollen und das Peitschen des Windes. Es war eine apokalyptische Szene, die Baylamor zutiefst schaudern ließ. »Der ehrwürdige Kerratonkh grüßt das Große Imperium von Arkon. Ein langes Leben unserem gnädigen Imperator Orbanaschol dem Dritten, Ruhm und Glorie allen Adeligen des Reiches. Möge der Sieg über die Horden der Methans unser Tai Ark’Tussan befrieden. Der ehrwürdige Kerratonkh ist tot. Er hat sein Leben im Kampf gegen die barbarischen Methans geopfert. Es war ihm nicht vergönnt, an den Feiern der Pragos der Katanen des Capits teilzunehmen. Der ehrwürdige Kerratonkh grüßt seine Söhne, die in der Garde Seiner Erhabenheit ihre Pflicht tun. Raumfahrer, kommst du auf die Ruinenwelt des ehrwürdigen Kerratonkh, so sieh mit eigenen Augen, was die Barbaren angerichtet haben. Berichte es allen Arkoniden. Gedenke des Heldentods des ehrwürdigen Kerratonkh, der seine letzte Ruhe in der KARSEHRA finden wird…« Baylamor schaltete den Lautsprecher aus, draußen stand die halb verkohlte Gestalt des vormals arkonoid gestalteten
Roboters und wiederholte ihre Hymne auf Kerratonkh. »Ein lächerlicher Robot«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Kerratonkh war ganz schön erpicht auf seinen Ruf«, sagte Aytilaa. »So, wie ich den Burschen in Erinnerung habe, hat er sich höchstwahrscheinlich vor dem Kampf gedrückt. Würde mich nicht mal wundern, wenn er noch immer in einem gut gesicherten Bunker hockt.« Der geschwärzte Körper des Roboters stand jetzt vor der AYTILAA DEL GNOTOR – und würde vermutlich auch noch dort stehen, wenn das Schiff den Planeten längst wieder verlassen hatte. »Glaubst du wirklich, Orbanaschol würde Kerratonkh die Beisetzung in der KARSEHRA gestatten?«, fragte Baylamor. Aytilaa zog die dünnen Augenbrauen hoch, um ihre Lippen bildete sich ein geringschätziger Zug. »Dein Vater liegt dort. Auch Gonozal der Siebte soll dort einbalsamiert worden sein. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass Kerratonkh dort eine Bleibe finden wird. Er ist kein Held, nicht einmal ein hochstehender Adeliger. Mag der Blechmann dort draußen auch behaupten, Kerratonkh sei im Kampf gestorben – ich glaube es nicht. Sieh dir die Ruinen an, dann findest du einen Hinweis auf Kerratonkhs Schicksal. Sollte er aber tatsächlich auf dem Weg zur KARSEHRA sein, hätten wir endlich eine Spur gefunden, die uns zur legendären Totenwelt bringen wird.« Baylamor nickte bedächtig. Erst jetzt wurde ihm die Tragweite dessen bewusst, was seine Mutter gesagt und angedeutet hatte. Sie wollte zur KARSEHRA fliegen, zur Heldengedenkstätte der Großen des Tai Ark’Tussan. »Ich dachte, du kennst die Position der Totenwelt nicht, Mutter.« Die Alte verzog das Gesicht. Baylamor hatte ihren wunden Punkt angesprochen. »Nein, ich kenne die
Koordinaten des Planeten Hocatarr nicht. Dieses Wissen ist nur wenigen einflussreichen Persönlichkeiten des Großen Imperiums vorbehalten.« »Aber Vater ist doch dort, wie du sagst, begraben.« »Das stimmt auch. Normalerweise müsste ich also die Koordinaten kennen. Aber ich war damals nicht die einzige Frau deines Vaters.« »Was?«, schrie Baylamor. »Das hast du noch nie erwähnt.« »Dann erfährst du es eben jetzt. Es ist Gesetz, dass immer nur die erste Frau den Begräbnisort ihres Gatten erfährt. Ich war die Zweitfrau.« Baylamor verzichtete auf weitere Fragen, als er sah, dass seine Mutter vor Erregung zitterte und eine grünlich schimmernde Kapsel in den Mund schob. Hastig trank sie einen Schluck, ihre Bewegungen wirkten fahrig und unkonzentriert. Plötzlich wurde Baylamor bewusst, dass seine Mutter praktisch täglich sterben konnte. Was würde er dann tun? Allein würde er die grenzenlose Einsamkeit an Bord nicht ertragen. Aber noch war es nicht so weit.
Wortlos zog Baylamor seinen Schutzanzug an, überprüfte das Energiemagazin des Blasters. Er steckte die schwere Waffe ins Holster und hakte die Sicherungsleine aus stahlverstärktem Kunststoff in die Gürtelöse. Abschließend ergriff er den kleinen Koffer, in dem er winzige Antigravplatten aufbewahrte. Mit diesen Aggregaten pflegte er die Ausbeute seiner Plünderungen ins Raumschiff zu bringen. Baylamor verschloss den Anzug, hörte das leise Zischen der Innenklimatisierung. Ein Blick auf die Anzeige genügte, um das einwandfreie Funktionieren der Geräte zu erkennen. Er nickte seiner Mutter zu, die im Kontursessel kauerte und ihn nachdenklich anstarrte. Das gekräuselte Haar stand
grotesk vom Kopf ab und ließ die Rundung des Schädels durchscheinen. Wie eine Tote, durchzuckte es Baylamor, während er zur Bodenschleuse ging. Summend schloss sich das innere Schott, die Deckenbeleuchtung änderte die Farbe. Während sich das äußere Tor öffnete, sagte Baylamor über Helmsender: »Kannst du mich hören, Mutter?« »Laut und deutlich«, krächzte es aus den Helmlautsprechern. »Ich bleibe an den Instrumenten. Du kannst ganz beruhigt sein. Ich gebe dir sofort Bescheid, sollte die Ortung ansprechen. Dort draußen hast du nichts zu befürchten; wir sind allein auf dieser Welt.« Qualmwolken trieben vor der Schleuse und quirlten ins Innere. Rechts neben der ausgefahrenen Bodenrampe stand der Roboter und berichtete monoton vom Ende Kerratonkhs. Hinter den Trümmern des Trichtergebäudes zuckten Blitze; über den Ruinen tobte ein beachtliches Unwetter. »Ich suche einen Einstieg zu den Palastfundamenten«, sagte Baylamor, als er am Roboter vorbeiging. »Viel Glück, mein Sohn«, antwortete Aytilaa.
Baylamor wurde überrascht. Seine pessimistischen Ahnungen bestätigten sich glücklicherweise nicht. Fast fünfzig Meter unter der Oberfläche existierten noch völlig unbeschädigte Räume und Gänge; sogar die Notbeleuchtung funktionierte noch fast überall. Sofern die Klimaanlage nicht die Gluthitze der Oberfläche angesaugt hatte, herrschte hier unten normales Klima. Und in der Tat – nach dem Durchschreiten eines armdicken Schotts zeigten die Helminstrumente angenehme Temperatur. Die analysierten Luftbeimengungen wiesen allerdings einen hohen Anteil an Giftgasen aus, sodass Baylamor den Anzug geschlossen ließ. Er gab seine Entdeckung an Aytilaa durch, doch deren Antwort bestand
aus einem verzerrten Krächzen. Vermutlich schränkten die schützenden Stahldecken den Funkverkehr stark ein. »Dann nicht«, murmelte Baylamor und ging geradewegs in einen großen Saal, der sich am Ende eines Korridors öffnete. In Wandnischen sprudelten noch immer Springbrunnen. Kostbare Polster grenzten Sitzgruppen ab. Dazwischen standen Eingabeterminals, sodass von jedem Sitzplatz aus ganz individuelle Menüs geordert werden konnten. Die kleinen goldenen Teller und das kristalline Besteck reizten Baylamor ungemein; er griff gierig danach. Dann erblickte er Musikwürfel, berührte die kaum faustgroßen Gebilde. Sofort leuchteten sie auf und pulsierten in einem hektischen Rhythmus. Die Akustiksensoren des Schutzanzugs übertrugen die Musik. Baylamor hätte zu gern den Helm geöffnet, um Menüs zu bestellen, fürchtete aber die verseuchte Luft. Die großen Bildschirme an den Wänden waren erloschen, nur an einigen Steuerpulten glühten Lämpchen. Sie würden es auch noch in hundert Jahren, denn die subplanetaren Speicherzellen enthielten zweifellos ausreichend Energie. Baylamor wandte sich von den Musikwürfeln ab, schlagartig verstummte die Musik, es wurde totenstill. Baylamor hörte nur noch den eigenen Atem. Wenige Augenblicke vergingen, bis ihm die Stille an den Nerven zerrte. Langsam ging er weiter. Er wusste, dass er hier unten keinem lebenden Wesen mehr begegnen würde, trotzdem ertappte er sich dabei, dass er wiederholt nach dem Blaster tastete. Plötzlich erstarrte Baylamor mitten in der Bewegung. Unmittelbar vor ihm, zwischen hellgelb gefärbten Polstern, lag eine Frau. Sie war tot. Er umrundete eine opulente Tafel, stand dann genau vor der leblosen Gestalt. Die Frau hatte sich einen Schleier übers Gesicht gezogen; ihre Finger, die sich in den feinen Stoff verkrallt hatten, waren mitten in der Bewegung erstarrt. Nur undeutlich zeichneten sich die edlen
Gesichtszüge unter dem Schleier ab. Sie war noch sehr jung. Mit einer entschlossenen Bewegung riss Baylamor den Stoff zur Seite; angewidert verzog er den Mund, als er den geronnenen Blutfaden am Kinn der Toten entdeckte. Winzige Splitter glänzten wie Tautropfen auf den bläulich angelaufenen Lippen; die Augen starrten gebrochen ins Leere. Die Frau hatte sich vergiftet. Obwohl der Angriff der Methans schon zwei Pragos zurücklag, sah sie aus, als sei sie erst von wenigen Tontas gestorben. Baylamor fragte sich, warum sie sich getötet haben mochte. Sie war jung und zweifellos sehr reizvoll gewesen. Sie hätte nicht zu sterben brauchen, denn die Methans waren nicht in den Palast eingedrungen. Hatte sie den Angriff auf den Palast überlebt? Sofern sie sich hier unten eingeschlossen und auf komplette Eigenversorgung umgestellt hatte, hätten die Atemluftreserven und eingelagerten Lebensmittel für eine lange Zeit gereicht. Hatte sie abgewartet, bis die Maahks abgezogen waren und die Hilfseinheiten der Flotte eintrafen – war aber nicht entdeckt worden? War es Panik gewesen, die die Frau übereilt handeln ließ? Hatte sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen? Baylamor geriet ins Grübeln. Der Tod war stets etwas Endgültiges; noch niemand war aus den jenseitigen Reichen zurückgekehrt, von denen viele Religionen und Weltanschauungen ausgingen. Keiner konnte sagen, ob etwas an den uralten Legenden dran war, in denen von der Unsterblichkeit der Seele die Rede war. Erst recht ließ sich nichts über jene sagen, die von einer sagenhaften Welt des ewigen Lebens berichteten und sogar körperliche Unsterblichkeit in Aussicht stellten. Baylamor hatte nie viel von diesen Geschichten gehalten, dafür hatte er den Tod viel zu oft gesehen. Lange und nachdenklich blickte er die Tote an. Erst dann fiel ihm der kleine silbrige Schlüssel auf, den sie in den
verkrampften Fingern hielt. Es kostete ihn einige Mühe. Schließlich hielt er den Schlüssel in der Hand, hob ihn vor die Helmscheibe. Als er die punktförmigen Markierungen und ein kleines Symbol erkannte, pfiff er durch die Zähne. Es war ein Generalschlüssel für Kodeschlösser; vermutlich öffnete er sämtliche Türen im Palast. Normalerweise hatte nur der Eigentümer einen solchen. Handelte es sich um Kerratonkhs Frau, brauchte der Schlüssel nicht zu verwundern. Aber Baylamor erinnerte sich vage an die »Schulungen« seiner Mutter, laut denen Kerratonkh nach dem Tod seiner ersten Frau nicht wieder geheiratet hatte. Hatte der Adelige einer Geliebten den Generalschlüssel anvertraut? Baylamor ließ den Blick schweifen, folgte den Passagen zwischen den Polsterinseln. Vor einer Nischentür lag ein zersplittertes Glas. War die Frau von dort gekommen? Der Plünderer wurde vom Jagdfieber gepackt. Er hatte schon oft solche Spuren rekonstruiert, letztlich immer das Ziel erreicht und die Schätze gefunden. Rasch durchschritt er den Saal, blieb vor der Tür stehen und steckte den silbrigen Schlüssel in die Öffnung. Es knackte leise, die Tür schwang auf. Im dahinter liegenden Raum schaltete sich automatisch das Licht ein, während Baylamor erschrocken die Luft anhielt: In der Raummitte lagen elf Arkoniden am Boden – Thermostrahlschüsse hatten sie getötet.
Baylamor war sich sicher, dass die Männer zur Palastgarde gehört hatten; die dunkelblauen Uniformen waren mit Kerratonkhs Zeichen geschmückt – der Sonne mit dem Kometenschweif. Auch ohne intensive Untersuchung erkannte der Mann, dass die Gardisten keineswegs von Methans getötet worden waren. Deren überschwere Waffen verursachten nämlich deutlich schwerere Wunden. Nein, es waren
arkonidische Thermostrahler gewesen. Aber würde jemand die eigenen Leute ermorden, während die Maahks den Planeten angriffen? Nach dem Fund der Frau war das Rätsel nun noch größer geworden. Baylamor dachte an den halb verschmorten Roboter – er behauptete in seiner Lobeshymne auf Kerratonkh, dass sich dieser auf dem Weg nach Hocatarr befand, um in der Heldengedenkstätte KARSEHRA beigesetzt zu werden. Kerratonkh war also tot. Wer aber hatte den Toten fortgebracht und begleitete ihn auf seiner letzten Reise? War es der Mörder der Gardisten? Und hatte sich die Frau deshalb vergiftet? Baylamor runzelte die Stirn, als er die eingeschaltete Positronik sah. Derjenige, der diesen Raum als Letzter verlassen hatte, musste auch an der Positronik gearbeitet haben. Als Baylamor näher trat, erfasste er die Lage mit einem Blick. Auf dem Bildschirm war noch das Ergebnis der letzten Hochrechnung zu sehen. Sie befasste sich mit der Lage, in der sich Kerratonkhs Planet befunden hatte, und besagte eindeutig, dass die Maahks gewinnen würden. Sämtliche Abwehranlagen auf der Welt waren vernichtet, das Wachgeschwader existierte nicht mehr, sogar das Flaggschiff war kampfunfähig geschossen. Die Berechnung der Positronik besagte mit achtundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit, dass alles Leben auf dieser Welt vernichtet werden würde. »Durchaus Grund zur Panik«, murmelte Baylamor. Im Logverzeichnis entdeckte er als letzte Eintragung, dass die Koordinaten einer Welt ausgedruckt worden waren. Derjenige, der als Letzter den Raum verlassen hatte, musste den Ausdruck mitgenommen haben. In Baylamor reifte ein merkwürdiger Verdacht, weil er daran denken musste, wie oft seine Mutter Kerratonkh als Feigling bezeichnet hatte. Sollte der Unbekannte Kerratonkh selbst gewesen sein, fügten sich die Mosaiksteine der bisherigen Kombination zu einem
schlüssigen Ganzen zusammen. Als Feigling hatte Kerratonkh jeden offenen Kampf vermieden. Stets hatte er andere vorausgeschickt, sogar bei seinen Söhnen war das nicht anders gewesen. Sie hatten den Ruf ihres Vaters am Hof Orbanaschols verteidigen müssen, während er sich im eigenen Palast vergnügte. Als er die Hochrechnung der Positronik sah, war das Ergebnis niederschmetternd gewesen. Jetzt hatte ihm nur noch ein Heldentod helfen können, den eigenen Ruf zu erhalten. Also hatte er die Geheimkoordinaten der Totenwelt ausgedruckt und den Roboter programmiert, der die Hymne auf Kerratonkh verkündete – letzter Zeuge, dass er tatsächlich tapfer den Heldentod gestorben sei. Die Gardisten waren von diesem geplanten Betrug wohl nicht begeistert gewesen, sie wurden hinterrücks ermordet. Vermutlich hatte sich auch die Frau nicht aus freien Stücken vergiftet. Kurz vor den entscheidenden Angriffen der Methans musste Kerratonkh dann die Flucht ins All gelungen sein, vermutlich mit einem kleinen und wendigen Schiff, das von einem Roboter gesteuert wurde. Einziges Ziel war für Kerratonkh gewesen, den Namen seines Khasurn rein zu halten, und das konnte er nur, wenn er als Held in die KARSEHRA einging. Vermutlich hatte er nicht einmal selbst an sich Hand angelegt, sondern auch das dem ihn begeleitenden Roboter überlassen… Baylamor lachte spöttisch auf. Kerratonkh hatte nicht damit gerechnet, dass der Angriff der Maahks keineswegs sämtliche Spuren beseitigen würde. Vor allem aber war es für den Plünderer keine Problem, sich ebenfalls die Koordinaten ausdrucken zu lassen. Die Position des Planeten Hocatarr war nun kein Geheimnis mehr. Nach nur wenigen Augenblicken hielt Baylamor die Folie in der Hand – er hatte einen unbezahlbaren Schatz erbeutet, der mehr wert war als alle Reichtümer Kerratonkhs. Die Totenwelt Hocatarr! Dort waren
seit der Frühzeit des Tai Ark’Tussan die Imperatoren des Großen Imperiums bestattet worden. War meist schon die Gruft eines einfachen Adeligen prächtig ausgestattet, so mussten die imperialen Grabbeigaben jede Vorstellung sprengen. Baylamor war fest entschlossen, die Totenwelt anzusteuern. Schnell verließ er den Raum und kehrte an die Oberfläche zurück, um seiner Mutter von dem sensationellen Fund zu berichten.
13. Aus: Die große Heldin, nachbearbeitete 17. Auflage aus dem Jahr 11.225 da Ark, Khasurn-Archiv der Ta-Bonkal … fand an den Katanen des Capits 10.498 da Ark jene Raumschlacht statt, bei der sich Has’athor Mara nert Bonkal durch ihre heldenhafte Haltung auszeichnete. Ganz unerwartet griffen die barbarischen Horden der Methans den Flottenverband im ChemiSpieth-System an, doch es war nur der strategisch genialen Leistung der Admiralin zu verdanken, dass mit ein wenig mehr Glück der Untergang der Arkoniden hätte abwendet werden können, trotz der überlegenen Verbände des Gegners – so aber wurde der gesamte Verband samt ihrem Flaggschiff YREMBEL vernichtet. Einsonnenträgerin Nert-moas Mara da Bonkal…
Arkon I: 3. Prago des Eyilon 10.499 da Ark Die Untersuchung fand vor fünf hohen Offizieren auf der Kristallwelt statt. Lebo Axton war lediglich Zeuge in der letzten Phase. Als er den Saal betrat, stand Mara nert Bonkai bleich vor den Orbtonen. Sie blickte Hilfe suchend zu Axton, der sich von Kelly absetzen ließ und zum Podium ging. Die bereits vernommenen Zeugen saßen in bequemen Sesseln hinter einer Barriere aus farbigen Steinen. Es waren hauptsächlich überlebende Orbtonen der YREMBEL. Artho war bereits gehört worden. In einer Nische des Saals saß ein rot gekleideter Arkonide; er trug keine Rangabzeichen, war aber doch der ranghöchste und wichtigste Offizier im Raum. Es war Dreisonnenträger Cormon Thol, der das Oberkommando der Elitetruppen des Imperators innehatte. »Lebo Axton«, sagte er mit dröhnender Bassstimme. »Schildern Sie, was an Bord der YREMBEL geschah, nachdem
der Alarmruf eingegangen war.« »Die YREMBEL brach zum Chemi-Spieth-System auf, nachdem die übrigen Einheiten des Kafa-Verbands eingetroffen waren. Die Schiffe materialisierten allerdings nicht im Zielgebiet, sondern nahe einer roten Sonne. Die Nottransition beförderte sie in einen zunächst unbekannten Sektor. Erst nach der Positionsbestimmung gelang die Transition zum Schauplatz der Schlacht.« »Wurde die Hauptpositronik mit falschen Daten programmiert?« »Das kann ich nicht beantworten. Laut den Orbtonen waren die Daten richtig.« »Vermuten Sie, dass es Sabotage war?« »Es gab auf Kafa Sabotageakte«, sagte Axton vorsichtig. »Ich konnte klären, wer dafür verantwortlich war. Gleichzeitig waren wir davon überzeugt, weitere Saboteure von der YREMBEL fernzuhalten, obwohl mir die Arbeit nicht gerade erleichtert wurde.« »Wurden Sie von Mara da Bonkal behindert?« »Man hat sich auf Kafa nicht so verhalten, wie es vielleicht möglich gewesen wäre«, entgegnete Axton ausweichend. Bewusst verzichtete er auf eine klare Aussage. Als ihn Cormon Thol aufforderte, berichtete er, was auf Kafa geschehen war, und er zog dabei eine klare Linie zwischen den Ereignissen auf dem Planeten und jenen an Bord der YREMBEL. Mara nert Bonkal wurde immer blasser, allmählich begriff sie. »Ich stelle fest, dass die Hauptpositronik vollkommen in Ordnung war«, sagte der rot gekleidete Admiral schließlich. »Überprüfungen haben keine Schäden oder Manipulationen ergeben; die Daten waren korrekt. Wie, Mara nert Bonkal, erklären Sie sich das Versagen? Wie kam es zum Fehlsprung?« »Ich habe keine Erklärung.« »Wurden wirklich keine falschen Daten eingegeben? Mit
Hochrangbefehlsgebung wäre das problemlos möglich gewesen.« »Auf gar keinen Fall.« »War es vielleicht so, dass Sie die YREMBEL und die anderen Einheiten absichtlich zunächst in einen falschen Sektor brachten, um Zeit verstreichen zu lassen? War es so, dass Sie dadurch hofften, zu einem Zeitpunkt im ChemiSpieth-System zu erscheinen, an dem die Schlacht bereits beendet war?« »Nein«, rief die Arkonidin empört. »Das ist eine Verleumdung.« Der Mann in der roten Uniform wandte sich wieder an Axton. »Glauben Sie, dass Nert Bonkal absichtlich zu spät kam?« Axton tat, als müsse er überlegen. Dann erwiderte er langsam: »Dazu möchte ich mich nicht äußern.« »Der Zeuge Sorgith Artho hat bestätigt, dass Sie in Ihrer Aufklärungsarbeit auf Kafa behindert wurden. Welcher Eindruck wäre entstanden, hätten Sie es nicht rechtzeitig geschafft, die Sabotagefälle auf Kafa noch vor dem Start der YREMBEL aufzuklären? Hätten wir alle dann nicht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Ursache für den Fehlsprung bei einer weiteren Sabotage lag?« »Dazu möchte ich mich nicht äußern«, wiederholte Axton. Bewusst verzichtete er darauf, Bonkal in aller Härte zu beschuldigen. Der bloße Verdacht genügte, wie die nachfolgenden Worte des Admirals bestätigten. »Wir wissen auch so Bescheid!« Bonkal presste die Lippen zusammen. Stolz reckte sie den Kopf, tat so, als gleite alles von ihr ab. Doch Axton glaubte, sie gut genug zu kennen. Er war überzeugt davon, dass sie genau wusste, wie es um sie stand. »Mara da Bonkal – ich stelle fest, dass Sie den Verdacht, der
ausgesprochen wurde, nicht entkräften konnten. Andererseits kann dieses Gericht Ihnen nicht eindeutig beweisen, dass Sie aus Feigheit vor dem Feind gehandelt haben. Da die YREMBEL wie auch die übrigen Schlachtschiffe des Verbands vollkommen vernichtet wurden, lässt sich auch nicht mehr feststellen, ob und wenn ja wie die Hauptpositronik manipuliert wurde. Das Gericht sieht daher davon ab, Sie mit der Strafe zu belegen, die unter anderen Umständen hätte verhängt werden müssen. Eindeutig bewiesen sind indessen die Vernachlässigungen der Sicherheitsbestimmungen auf Kampfraumschiffen. Das Gericht verurteilt Sie zu einer Geldstrafe in Höhe von zehn Prozent Ihres Vermögens. Die Verhandlung ist geschlossen.« Der Rotgekleidete erhob sich und verließ die Nische. Die Orbtonen, die vor Bonkal gesessen hatten, folgten ihm. Erst jetzt standen auch die Zeugen und Zuschauer auf. Artho trat zu Axton; niemand beachtete die Arkonidin, die mit hängenden Schultern noch immer an der gleichen Stelle stand. »Sie hätten sie ebenso gut zum Tod verurteilen können«, sagte Artho und deutete geringschätzig auf die Frau. »Sie ist erledigt, darf sich nirgendwo mehr sehen lassen. Seine Erhabenheit wird sich nicht mehr an sie erinnern.« Er lachte hämisch. »Hätte sie das gewusst, hätte sie uns kaum nach Kafa gerufen, um die Sabotagefälle aufzuklären.« Axton nickte. »Ich möchte Sie zu einem Essen einladen, Axton. Kommen Sie mit?« »Gern.« Er log, denn er wäre froh gewesen, jetzt allein zu sein. Er verabscheute Sorgith Artho, wäre ihm am liebsten aus dem Weg gegangen. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel, als sie den Gerichtssaal verließen. Lebo Axton hatte das große Spiel gewonnen. Mara da Bonkal befand sich im Abseits, war gesellschaftlich vernichtet. Orbanaschol würde sie und ihren Khasurn fallen lassen und
dadurch seine eigene Macht einschränken, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er sich eines loyalen Anhangs beraubte. Der Verwachsene hatte einen schalen Geschmack im Mund. »Sie kann froh sein, dass nicht zur Sprache kam, was sich am Schluss auf der YREMBEL abgespielt hat«, sagte Artho mit einem letzten Blick auf die Arkonidin. »Ihre Reaktion war mir unbegreiflich.« Er lachte kurz auf, als sie weitergingen. »Stellen Sie sich vor: Man hat mir gesagt, dass der größte Ehrgeiz dieser Frau gewesen sei, sich einen Platz in der Geschichte Arkons zu sichern. Vielleicht hat sie es sogar geschafft. Aber man wird nicht von ihr als Heldin sprechen, sondern als Versagerin.« Axton räusperte sich, Artho lachte abermals. »Leider hat sie zu viel Geld, Axton. Vielleicht schafft sie es vor ihrem Tod noch, einen Chronisten zu bestechen, dass er die Geschichte verfälscht und sie doch als Heldin der Schlacht im Chemi-Spieth-Sektor in die Annalen eingeht. Vielleicht veranlasst das auch erst einer ihrer Nachkommen. So, wie ich diesen Khasurn kenne, wird es aber geschehen, irgendwann.« Lebo Axton war wie vom Donner gerührt. An diese Möglichkeit hatte er überhaupt noch nicht gedacht. Dennoch war ihm nun völlig klar, wie sich der noch bestehende Widerspruch im Kreis der Zeit lösen musste…
In den folgenden Pragos wurde Axton von Cel’Athor Washul Oraxy mit Dutzenden Fällen förmlich zugeschüttet. In allen ging es weniger um aktive Ermittlung, sondern vielmehr um das Verhören von Zeugen und Verhafteten. Spektakuläres war zunächst nicht dabei, dennoch stellte der Verwachsene seine Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis. Genaues Studium der Aktenlage, Begutachtung der forensischen Beweise, zusätzliche eigene Recherchen, galaktopsychologische
Ausarbeitungen der Täterprofile und dann die eigentlichen Verhöre unter Bedingungen, die wenig mit den sonst durchaus üblichen Foltermethoden gemeinsam hatten, führten gleich reihenweise zu Geständnissen, die vor jedem Gericht standhalten würden. Allerdings konnte Axton in drei Fällen nachweisen, dass die Falschen verhaftet worden waren; die Unschuldigen wurden freigelassen, an ihrer Stelle falsche Zeugen als eigentliche Täter überführt. Unter dem Strich ergab sich für den Kosmokriminalisten im Verlauf von zwanzig Pragos eine eindrucksvolle Erfolgsstatistik, und es sah ganz so aus, als ließe sich diese Bilanz in den kommenden Pragos noch verbessern. Mit Arbeit eingedeckt, bekam Axton nur am Rande mit, dass Imperator Orbanaschol am 23. Prago des Eyilon nach Arkon II geflogen war, wo bis zum Ende des Votan das alljährliche Zalitertreffen stattfand. Hintergrund war natürlich Diplomatie. Seit dem Desaster von Trantagossa wurden einige Kolonialvölker aufsässig. Der Imperator wollte deutlich machen, wie freundlich er gegenüber den treuen Vasallen war, zu denen an erster Stelle natürlich die Zaliter gehörten. Für ihr traditionelles Händlertreffen hatten sie am Rand von Olp’Duor eine ganze Stadt aus prachtvoll geschmückten Zelten und Traglufthallen aus dem Boden gestampft, die sogar einen eigenen Namen erhalten hatte: Segor. In der Mitte des gewaltigen Areals war das große Stadion erbaut worden. Fast eine halbe Million Zuschauer fasste das riesige Oval, selbstverständlich gab es für jeden Besucher einen voll klimatisierten Sitzplatz, für die Ehrengäste überdies besonders ausgestattete Logen. Da Orbanaschol III. die Eröffnungsfeier vollständig erleben wollte, musste der Veranstalter warten, bis der Höchstedle eingetroffen war. Im Publikum wagte niemand zu murren, zu offensichtlich war die Zahl der TGC-Leute und anderer
Celistas unter den Zuschauern. Für ein wenig Ausgleich sorgte die pünktliche Ankunft des Zarlt-da-Zalit, in den Augen der Zaliter vermutlich ohnehin ein wichtigerer Ehrengast. Der Herrscher von Zalit fungierte traditionsgemäß als Vizeimperator, wenngleich er – ebenfalls traditionsgemäß – auf imperialer Ebene keine Macht hatte. Vom Zarlt und Zalit aus wurde allerdings der zehn Lichtjahre durchmessende Zentral- oder Kernsektor im Herzen von Thantur-Lok verwaltet. Der Zarlt musste nicht zwangsläufig ein Zaliter sein – es hatte, wenn auch wenige, Arkoniden gegeben, die diesen Titel innehatten. Ab den Jahren um 10.470 da Ark erlangte das Zarlt-da-Zalit-Regiment einen besonderen Ruf; es diente als Leibwache des jeweiligen Zarlt und war wegen seiner prächtigen und aufwendigen Paradeuniformen allgemein bekannt. In diesem Regiment dienten jedoch nur solche Männer, die in der Zalit- und Arkon-Gesellschaft hohe und höchste Ämter bekleideten und über das nötige Geld verfügten. Der Beitritt zu dem Regiment musste nämlich erkauft werden, denn diese Truppe hatte einen einzigartigen Vorzug – sie brauchte nicht zu befürchten, im Methankrieg eingesetzt zu werden. Während Axton weiterarbeitete, zeigte die Wandprojektion die Trivid-Berichterstattung, ohne dass der Ton zugeschaltet war. Orbanaschol verspätete sich zwar um mehr als eine Tonta, aber offenbar wollte er durch diese für seine Verhältnisse kurze Wartezeit seine besondere Huld öffentlich zeigen. Als sich der Imperator zur Loge begab, fiel der Beifall dennoch eher mäßig aus. Für den ersten Arenakampf war ein Maskierter ausgewählt worden, der vom Publikum ziemlich kühl aufgenommen wurde und deshalb kurz Axtons Interesse erregte – die Zuschauer hielten nicht viel von der auffälligen Maskerade, die das Gesicht des Mannes vollständig bedeckte. Die Maske
bestand aus einem leichten, feinen Gewebe und war von reichhaltigen Stickereien überzogen, die ein verwirrendes System von Linien und Schlingen, abstrakten Figuren und Bildern bildeten – durchaus vergleichbar einem Gor-Mehinda, wie es als Make-up nur in der Zeit der KAYMUURTES von Angehörigen der Mittleren und Großen Khasura aufgetragen wurde. Der Gegner des Maskierten war ein besonders groß gewachsener Naat. Axton interessierte sich weder für den Eröffnungskampf noch für die anderen Kämpfe, wurde dann allerdings nach Tontas von Kelly aufmerksam gemacht, als ein Zeichen eingeblendet wurde, das eine besonders wichtige Eilmeldung ankündigte. Im Hintergrund war nun der Kristallpalast zu sehen. Augenblicke später erschien das Gesicht des Ersten Regierungssprechers. »Ich habe eine besonders wichtige Mitteilung bekannt zu geben. Anlässlich des Festes der Zalitischen Händlervereinigung auf Arkon Zwei wurde heute ein Attentatsversuch auf Seine Erhabenheit Imperator Orbanaschol den Dritten, unternommen. Der Versuch schlug fehl!« Das Bild wechselte und zeigte die Originalaufnahmen aus der Arena. Zehn TGC-Männer hatten den Maskierten – Sieger des letzten Kampfes – umkreist und untersuchten ihn peinlich genau nach Waffen. Orbanaschol liebte Sicherheit über alles, besonders, wenn es um die Sicherheit seiner Person ging. Einer der Geheimpolizisten gab durch, dass bei dem Mann keinerlei Waffen gefunden worden seien. Orbanaschol erhob sich und schritt langsam und feierlich zum Rand der Arena. Eine Schwebeplattform sollte dort den Sieger annähernd in die Höhe des Imperators bringen, um dem Höchstedlen die Mühe zu ersparen, in die Arena zu steigen. Der Maskierte stand auf der kleinen Plattform, die unter dem Beifall des Publikums von Antigrav- und Prallfeldprojektoren sanft in die Höhe
gehoben wurde. Orbanaschol trug in der Hand eine große Scheibe aus blauer Keramik. Einblendungsfenster verdeutlichten, dass die Scheibe auf der Vorderseite das Gesicht des Imperators und auf der Rückseite Szenen aus der Kolonialzeit von Zalit zeigte. Das Ding war ziemlich geschmacklos, aber es erhielt seinen Wert durch den Umstand, dass es von Seiner Erhabenheit persönlich überreicht wurde. Der Maskierte nahm die Scheibe in Empfang, hielt sie in die Höhe, drehte sich um, damit jeder Zuschauer den Ehrenpreis in seinen Händen sehen konnte. Zum ersten Mal zeigte er eine emotionale Reaktion, sprang von einem Bein aufs andere, warf die Scheibe in die Luft und fing sie wieder auf. Neben ihm stand Orbanaschol, selbstgefällig lächelnd. Zweifellos bezog er das begeisterte Schreien und Rufen des Publikums auf sich. Dann senkte sich die Schwebeplattform langsam wieder dem Boden der Arena entgegen. Immer noch tanzte der Sieger begeistert auf der Plattform herum und spielte mit der schweren, dicken Keramikscheibe. Was dann geschah, ereignete sich im Verlauf weniger Augenblicke. Die Scheibe war schwer, der Mann fing sie nicht richtig auf. Begleitet von einem erschreckten Aufschrei des Publikums, fiel sie auf den stählernen Boden der Plattform und zerbrach. Der Maskierte bückte sich blitzschnell und griff nach etwas. Zeitlupe und Großaufnahme ließen eine Strahlwaffe sichtbar werden. Außerhalb des Bildes schleuderte jemand ein Wurfmesser. Die Bilder zeigten, wie das Messer traf und der Attentäter zusammenbrach. Eingeblendet wurde, dass auf den Projektionsflächen der Arena in Großaufnahme zu sehen war, wie das Messer im Rücken des Maskierten einschlug. So groß war die Aufprallwucht, dass sich der Mann ein Stück drehte. Wirkungslos zischte der Feuerstrahl der Waffe in seiner Hand
in den nachtdunklen Himmel. Der Maskierte knickte in den Knien ein, ehe er langsam zur Seite sank. Der Mann, der die Schwebeplattform steuerte, verlor die Nerven und reagierte falsch. Aus einigen Metern Höhe stürzte die Plattform ab. Im Fallen kippte sie leicht zur Seite und prallte hart auf den Boden der Arena. Ein kleiner, dunkler Körper flog weit durch die Luft. Die Geheimpolizisten der Tu-Gol-Cel stürzten von allen Seiten zur Absturzstelle der Schwebeplattform. Auch die überlebenden Kämpfer eilten herbei und füllten die Arena. »Der Attentäter fand noch am Tatort seine gerechte Strafe«, rief der Regierungssprecher. »Beim Absturz der Schwebeplattform wurde der Schädel des Meuchelmörders derart verletzt, dass eine Identifizierung zunächst unmöglich erschien. Es gelang aber, an dem Sterbenden noch eine Individualschwingungsmessung vorzunehmen. Das Ergebnis ist eindeutig.« Der Sprecher machte eine Pause, um die Wirkung der nächsten Sätze zu verstärken. »Bei dem feigen Attentäter handelt es sich zweifelsfrei um jenen berüchtigten Hochverräter, Raumpiraten und Hochstapler, der sich Atlan nennt und behauptet, Kristallprinz von Arkon zu sein. Sein verdienter Tod steht nunmehr fest! Gleichzeitig ergeht ein Aufruf an einen der Arenakämpfer. Jener Barbar, dessen Messerwurf das Attentat vereitelte, konnte bisher nicht aufgefunden werden. Er wird aufgefordert, sich zu melden, um eine hohe Belohnung in Empfang zu nehmen.« Weitere Bilder zeigten, dass es bei der Räumung des Stadions zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Kämpfern und der Polizei kam. Dabei konnten einige hundert Personen unkontrolliert das Gelände verlassen. Im ersten Augenblick drohte Lebo Axton der Atem zu stocken, als Atlans Name genannt wurde. Doch dann siegten Verstand und die Kenntnis der Zukunft sowie die Erinnerung an die Ereignisse auf Protem. Auch im jetzigen Fall, dessen
war sich der Verwachsene absolut sicher, handelte es sich keineswegs um Atlan, sondern nur um einen Doppelgänger. Dass dennoch das höchste Interesse des Kosmokriminalisten geweckt war, verstand sich unter diesen Umständen von selbst. Bei der Eilmeldung war Orbanaschols Reaktion herausgeschnitten worden, doch Kelly hatte die Direktbelichterstattung aufgezeichnet und spielte sie nach Axtons Aufforderung ein – und hier war eindeutig zu erkennen, dass der Imperator stocksteif stehen geblieben und sein Gesicht zu einer Fratze des Entsetzens verzerrt war, ehe die Regie umgeblendet hatte. Demnach musste, so Axtons erste Einschätzung, von einem echten Attentat ausgegangen werden. »Zeig mir den Barbaren«, sagte Axton. Neue Bilder erschienen. Beim letzten Arenakampf hatte der Mann lederne Kleidung in Rot getragen, dazu einen kreisförmigen Schild aus massivem Holz, auf das dicke Lagen zähen Leders geklebt waren. Er war mittelgroß, bullig und sehr muskulös. Das schwarze, krause Haar wurde von einem schmalen ledernen Band um die flache Stirn gehalten; auf das Band war in Satron der Name Ra eingestickt; das Material dazu war aus einem seltenen Schwingquarz gewonnen worden, der selbst bei Tageslicht deutlich erkennbar pulsierte. »Ra!« Axton war sich nun ganz sicher, dass dieser Atlan ein Doppelgänger gewesen sein musste – denn der Barbar Ra hatte zu den Freunden des echten Kristallprinzen gehört und wurde von diesem später immer wieder erwähnt. Zwar gab es eine gewisse Blockade hinsichtlich Atlans Jugenderinnerungen, aber die Rivalität mit Ra um die Gunst der Varganin Ischtar war wiederholt Thema von Andeutungen gewesen. »Bemerkenswert, dann hat es der Bursche sogar bis ins Arkonsystem geschafft. Fragt sich nur, ob er allein kam oder ob sich der echte Kristallprinz ebenfalls hier aufhält. Aber
nein, Atlan hat zum jetzigen Zeitpunkt noch mit den Varganen zu tun.« Axton hatte weitere Bildflächen aktiviert. Auf einer war die aktuelle Berichterstattung zu sehen; nochmals wurden Ausschnitte des letzten Kampfes gesendet. Der Barbar rückte dem Maskierten immer näher. Stück für Stück zerschmetterte er mit wuchtigen Schwerthieben den Schild. Ra ließ ihn keinen Augenblick lang in Ruhe, kämpfte mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Ein Fußtritt, im Ansatz kaum zu erkennen, ließ den Schild aus der Hand des Mannes fallen. Das zerhauene Stück Holz rollte davon und blieb weit entfernt liegen. Der Maskierte versuchte einen Ausfall, um wieder an den Schild heranzukommen, aber Ra führte einen Hieb durch die Luft, der den Mann zurückprallen ließ. Ra grinste. Der Kampf schien entschieden. Ra stand mitten in der Arena, noch hatte er sein Schwert und einen leidlich intakten Schild. Der Maskierte wehrte sich verzweifelt mit der Keule. Das Publikum tobte vor Begeisterung, genau diesen Ausgang des Kampfes hatte es sich gewünscht. Ra sprang vorwärts und rammte den Schild gegen den Oberkörper des Maskierten, der strauchelte, dann auf den Rücken fiel und liegen blieb. Ras Schwert zielte auf seinen Hals. Es bedurfte nur noch einer kleinen Bewegung, um den Kampf endgültig zu beenden. Ra brauchte nur noch einen tödlichen Hieb anzudeuten, dann war sein Sieg unanfechtbar; er sagte etwas keuchend, doch das Toben der Menge übertönte die Worte. Axton gelang es dennoch, durch Lippenlesen den Inhalt zu erkennen: »Du wirst noch ein wenig warten müssen, mein Freund. Erst werde ich herausfinden, wer du bist.« Das Publikum war begeistert. Sitzkissen flogen durch die Luft und landeten im blutgetränkten Sand der Arena. Wildfremde Arkoniden fielen sich in die Arme, glücklich darüber, dass ihre Wetten gewonnen waren. Ra hatte es
tatsächlich geschafft. Der Barbar stand über seinem Gegner, die Schwertspitze gegen den Hals des Mannes gedrückt. Zwei Bänder hielten die Maske des Mannes hinter den Ohren. Ra ließ die Schwertspitze zur Seite zucken und zerschnitt das erste Band. Dann hob er den Rand der Maske an und schlug sie zur Seite. Ra erstarrte in der Bewegung, sein Unterkiefer klappte herunter. Aus weit geöffneten Augen starrte er ins Gesicht des Mannes. Die Lippen des Barbaren bewegten sich, formten lautlos ein Wort: »Atlan?« Die linke Hand des Maskierten schnellte nach oben, die Keule traf Ra an der Schläfe. Der Barbar knickte ein, kippte bewusstlos zur Seite. Noch während der Barbar fiel, befestigte der Mann erneut seine Maske. Nur für einen winzigen Augenblick war sein Gesicht zu sehen gewesen, aber dieser Augenblick war nicht lang genug gewesen, um die Kameras eine genaue Aufnahme machen zu lassen. Ruhig befestigte der Mann seine Maske, dann ging er langsam zu den Tribünen hinüber. Dort wollte er seinen Preis in Empfang nehmen. Axton stieß einen schrillen Pfiff aus. »Muss ein verdammt guter Doppelgänger gewesen sein, sogar der Barbar wurde im ersten Augenblick überrascht. Dass es sich nicht um Atlan handelte, bewies er dann mit dem Wurfmesser.« Irritiert war der Kosmokriminalist allerdings davon, dass die Individualschwingungsmessung des Sterbenden angeblich ein eindeutiges Ergebnis geliefert haben sollte. Axtons Informationen zufolge gab es gar keine gespeicherten Individualschwingungsmuster Atlans. Woher stammten also die Daten? Vom Positronikterminal seines Büros aus klinkte sich der Kosmokriminalist in die Datennetze von TRC und TGC ein und ermittelte in kurzer Zeit die Hintergründe. Auf Arkon II war ein Mann namens Sarn Lartog tot aufgefunden worden. Er hatte zur Besatzung der KARRETON unter Kommandant Grahn Tionte gehört, das Schiff war seit
geraumer Zeit überfällig. Ungeklärt war, wie Lartog durch die Kontrollen hatte schlüpfen können und wo sich der Rest der Besatzung befand. Die genaue Untersuchung des Leichnams hatte allerdings ergeben – obwohl sein Kopf völlig zerquetscht war und er nur anhand seiner Kennmarke identifiziert wurde –, dass seine Gendaten mit den Speicherwerten übereinstimmten. Gefunden wurde darüber hinaus auch ein Datenkristall, der unter einem Nagel des rechten Fußes steckte und eine hochinteressante Geschichte gespeichert hatte. Demnach wurden die Männer, die die KARRETON gekapert hatten, von einem Mann angeführt, der sich Atlan genannt hatte und von dem ein präzises Individualschwingungsdiagramm angefertigt worden war, das ebenfalls auf dem Datenkristall gespeichert war. Auf direkten Befehl des Imperators wurde das Diagramm weitergeleitet, an alle TGC-Stellen, die Celistas und jede Wacheinheit der Flotte. Hinweise auf den oder die Täter, die Lartog ermordet hatten, gab es noch keine, wurden allerdings im Bekanntenkreis oder unter den Helfershelfern des Kristallprinzen vermutet. Eine erste TGC-Analyse ging sogar davon aus, dass sich Atlan persönlich im Arkonsystem aufhalten könne – scheinbar bestätigt durch den Attentats versuch. »Schlau eingefädelt«, murmelte Axton. »Zuerst liefert man mit Lartog einen toten Zeugen, der Atlans Identität nachweisen kann, dann folgt der Doppelgänger, der natürlich genau diese Individualdaten aufweist und dessen Aussehen kurzfristig sogar Ra täuschen konnte. Würde mich nicht wundern, wenn sich die großartige Erfolgsmeldung bald als dicker Flop herausstellt. Ein solches Attentat ist ein Selbstmordkommando; selbst wenn es gelungen wäre, hätte der Doppelgänger nicht überlebt. Der Kerl war vermutlich ohnehin todkrank oder so.«
»Und genau das wird die Obduktion ergeben«, sagte Kelly. »Ein Gendatenabgleich dürfte überdies ergeben, dass der Attentäter ganz sicher kein Gonozal war.« »Genau, Blecheimer.« Axton lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. »Fragt sich nur, wer eine solche Inszenierung auf die Beine gestellt hat.« Die Idee, mit einem Atlan-Doppelgänger zu arbeiten, konnte durchaus der Protem-Zwischenfall geliefert haben. Allerdings waren die Ausführenden bestimmt nicht im direkten Umfeld des echten Kristallprinzen zu suchen. Axton war sich sicher, dass Atlan niemals versuchen würde, Orbanaschol durch ein Attentat zu beseitigen. Das entspräche nicht seiner Art. »Wer also dann?« Er lächelte, als er eine weitere Notiz las. Demnach waren in der zalitischen Zeltstadt einige Gebäude in Flammen aufgegangen, darunter auch das Büro des Trainingslagers. Niemand würde mehr herausfinden können, wer Ra wirklich war und woher er kam. Axton ging davon aus, dass der Barbar untergetaucht war und sich gekonnt in Sicherheit gebracht hatte. Die inoffiziellen Versuche des Kosmokriminalisten, mehr über die Hintermänner des Attentats herauszufinden, liefen in den nächsten Pragos allerdings komplett ins Leere. In dieser Hinsicht hatten sie perfekt gearbeitet. Dass sich der Attentäter dann nach der genauen forensischen Untersuchung wie vermutet nur als Doppelgänger herausstellte, ließ den Erfolg jedoch in deutlich zweifelhafterem Licht erscheinen. Zur Freude Anlass gab jedoch die kleinlaute Nachrichtenmeldung, die den zunächst groß verkündeten Erfolg, Atlan ausgeschaltet zu haben, als Ente entlarvte. Zwar versuchte Orbanaschols Propagandamaschinerie noch, das Attentat dennoch Atlan – als vermeintlichem, überdies feigem Hintermann, der nicht einmal persönlich dem Imperator gegenübertrat – in die Schuhe zu schieben, aber die Wirkung verpuffte, weil die
öffentliche Meinung über Seine Erhabenheit ohnehin nicht sonderlich war. Weil Axtons Nachforschungen keinen Erfolg brachten, wandte er sich wieder seiner normalen Arbeit zu und festigte in der Zeit bis zum letzten Prago des Eyilon seinen Ruf als hervorragender Verhörspezialist.
Die Wende kam am frühen Morgen des 1. Prago der Hara 10.499 da Ark. Axton hatte soeben die neuesten Nachrichten gehört. Nach diesen war auf Arkon II in den letzten Tontas eins der größten Verbrechersyndikate ausgehoben worden, die die Handelswelt je gesehen hatte. Bedauerlicherweise waren dabei die beiden Rädelsführer ums Leben gekommen. Helden des Tages waren ein verkrüppelter Mann namens Perytlth und ein unbekannter Fremder, der in der Uniform eines Polizisten aufgefunden worden war. Aus der Beschreibung ging eindeutig hervor, dass es sich bei diesem Mann um Ra handeln musste. Lebo Axtons sofortige Nachforschungen liefen allerdings abermals ins Leere. Bevor Ra einem intensiven Verhör hatte unterzogen werden können, war er von einem gewissen Mogbar Klote, nachweislich Mitglied der Tu-Gol-Cel, abgeholt worden. Interessant war hierbei, dass er keinen offiziellen Auftrag, sondern eigenmächtig gehandelt hatte. Also rief Axton Klotes Dossier ab und erfuhr, dass der Mann enge Beziehungen zu Regir da Quertamagin unterhielt, dem nicht unbedingt nachgesagt werden konnte, ein enger Anhänger Orbanaschols zu sein. Noch interessanter war, dass ein anderer TGC-Agent auf Arkon II – Pathor Marsib – eine ähnliche Spur verfolgte, ebenfalls in der Polizeistation nachgefragt und kurz darauf sogar zwei Einsatzkommandos alarmiert und in Marsch gesetzt hatte. Ziel war der Wohnsitz
Quertamagins auf Arkon II. »Jetzt wird es spannend«, sagte Axton. Er wartete ab und arbeitete sich in das Dossier des Quertamagin-Khasurn ein. Regirs Tochter Crysalgira – Crysalgira! – war spurlos verschwunden, beide Söhne im Kampf gegen Methans gefallen, der Onkel Semalon, als Gos’Mascant oder Kristallmarschall beziehungsweise Ka’Mascantis ein enger Vertrauter von Imperator Gonozal VII. genau wie Atlans Vater am gleichen Prago auf Erskomier bei einem Jagdunfall umgekommen. Heute hatte Orbanaschols ehemaliger Erster Diener Offantur Ta-Metzat – enger Vertrauter und am Mordkomplott beteiligt – Semalon da Quertamagins Posten inne und befehligte als Mascant und dreifacher Sonnenträger mit besonderer Auszeichnung die Politische Geheimpolizei des Imperators. Regir da Quertamagin, der eigentlich Ertonn hieß, aber seit er KhasurnOberhaupt des Thi-Khasurn mit dem Titel eines »Ta-Fürsten Erster Klasse« war, den traditionsreichen Vornahmen Regir trug, gehörte zu den heimlichen Mächtigen des Großen Imperiums, deren Einfluss der Imperator durchaus Respekt einflößte. Noch war sich Axton nicht sicher, wie er den Hochadeligen einzuschätzen hatte. Unzweifelhaft war jedenfalls, dass die TGC-Stelle auf Arkon II ein beachtliches Risiko einging, eine derart hochgestellte Persönlichkeit direkt anzugehen. Auf Arkon II machte Pathor Margib ein ebenso wütendes Gesicht wie Mehn Sulk. Es gab keinen Zweifel – der Ausweis war echt, der Verdächtigte gehörte tatsächlich der TGC an und war zu allem Überfluss auch noch entschieden ranghöher als die beiden. Dennoch: Sulk wurde seinen Verdacht nicht los. Quertamagin machte einen ausgesprochen nervösen Eindruck. Hatte er Grund dazu? Fühlte er
sich unsicher, obwohl ein hoher TGC-Offizier zu seinen Mitarbeitern zählte? Mehn Sulk gab sich einen Ruck, entschloss sich zum Frontalangriff. »Mogbar Klote und Regir da Quertamagin, ich erkläre euch für verhaftet!« Pathor Margib schluckte nervös. Er wusste, dass Sulk die Vollmacht dazu hatte, wenn begründeter Verdacht vorlag, aber diese Vollmacht konnte sehr leicht zum Bumerang werden, sollte bei den Ermittlungen nichts herauskommen. TGC-Agenten fesselten die Männer und trieben sie zu den wartenden Gleitern. Dann ließ Sulk das Trichtergebäude gründlich untersuchen in der Hoffnung, dort das Beweismaterial zu finden, das ihm jetzt noch fehlte. Zusätzlich gedachte er, Hilfe von Arkon I anzufordern. Dort sollte es einen Kriminalisten und Verhörspezialisten von außerordentlicher Begabung geben. Er hatte vor, diesen Lebo Axton auf Quertamagin anzusetzen.
Arkon II: 1. Prago der Hara 10.499 da Ark Die vor der Öffentlichkeit und allen anderen Behörden geheim gehaltene Station der Tu-Gol-Cel in Olp’Duor war als Diagnosezentrum getarnt. Bei dem großen Besucherverkehr fielen einige Agenten und Außendienstmitarbeiter nicht auf. Vor allem war es möglich, jederzeit Dutzende Männer in Alarm zu versetzen. Anderswo wären Männer, die blindlings durch die Gänge rannten, aufgefallen, hier war derlei üblich. Jemand wie Lebo Axton, der sich von einem verschandelten Roboter wie Kelly tragen ließ, erregte dennoch Aufsehen. Mehn Sulk hatte Quertamagin so lange festgehalten, bis Axton von Arkon I angekommen war. Dann begannen die Verhöre. Axton gab sich betont freundlich, versuchte Quertamagin das Gefühl zu vermitteln, ihm vertrauen zu können. Zeitweise schien der Arkonide durchaus geneigt, den Kosmokriminalisten trotz seiner verwachsenen Gestalt
sympathisch zu finden. Bald jedoch gewann Angst die Oberhand. Sanft und freundlich trieb Axton Quertamagin in die Enge. Geduldig erklärte er während der Verhöre, wo der Arkonide sich – ohne es selbst zu merken – versprochen hatte. Manchmal hatte Regir Schwierigkeiten, der Beweisführung Axtons zu folgen, aber immer musste er zum Schluss einsehen, dass sein Gegenüber richtig überlegt hatte. Aus winzigen Andeutungen, aus Händezittern und anderen Kleinigkeiten las der Verwachsene in kurzer Zeit mehr ab, als Quertamagin lieb sein konnte. Schließlich war Regir da Quertamagin dem Zusammenbruch nahe. Die Verzweiflung war ihm anzusehen. »Auf Wiedersehen«, sagte Axton freundlich, bevor er den Raum verließ. »Ich freue mich auf unsere nächste Unterhaltung.« Die Überwachungskamera zeigte deutlich Quertamagins Zittern. »Er weiß, dass er verloren ist«, sagte Sulk. »Noch zwei oder drei Tontas Verhör, dann wird das Lügengebäude in seine Bestandteile zerlegt und die Wahrheit hervorgezerrt sein.« »Noch habe ich nicht viel aus ihm herausholen können«, entgegnete Axton, »aber das wird sich sehr bald ändern. Quertamagin fühlt sich am Ende. Der Verdacht gegen ihn besteht, unter diesen Umständen nutzt es nichts, dass er Oberhaupt eines berühmten und wichtigen Khasurn ist. Bei Hochverrat kennt Seine Erhabenheit keine Gnade. Leider ist Mogbar Klote ein ausgebildeter TGC-Mann; er kennt sämtliche Verhörmethoden und schweigt verbissen.« Axton sah den TGC-Agenten an, dass auch sie innerlich aufatmeten. Orbanaschol würde nachträglich alles für rechtens erklären, mochte der ursprüngliche Verhaftungsgrund noch so wacklig gewesen sein. Leider fand Regir da Quertamagin nach Tontas einen anderen Ausweg – eine endgültige Lösung…
»Er hat einen Fehler gemacht«, sagte Mehn Sulk. »Er hätte das Gift schnell schlucken sollen. So hat er einen Teil wieder ausgespuckt, es wirkt deshalb nur langsam. Noch können wir etwas aus ihm herausholen.« Pathor Margib kannte keine Hemmungen, riss Quertamagin in die Höhe. Hageldicht prasselten seine Fragen auf den Sterbenden herab. »Wer ist dieser Ra?« »Freund… von… Atlan«, ächzte der Gefangene, in dessen Hirn das Gift wühlte und sein Bewusstsein verwirrte. »Atlan ist tot!«, brüllte Sulk. »Nicht tot«, ächzte Quertamagin. »Täuschung…« »Beeil dich. Wir haben nicht mehr viel Zeit! Frag ihn, wo sich die Bande versteckt hält.« Margib schrie den Gefangenen an, hielt das Ohr an den Mund des Sterbenden, dann ließ er den leblosen Körper fallen. Hart prallte der Leichnam auf den Boden. »Was hat er gesagt?« Margib schüttelte nachdenklich den Kopf. »Er konnte nur noch hauchen«, murmelte er ratlos. »Aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist der Komet Blahur das Versteck der Gruppe.« Derzeit gab es im Arkonsystem schwerlich einen romantischeren oder geheimnisvolleren Platz als den Raumbezirk um den Kometen Blahur. Zu Tausenden umschwirrten kleinere Raumschiffe die auf mehr als eine Million Kilometer angewachsene leuchtende Korona, Millionen Arkoniden hatten die Farbenpracht des aus Plasma bestehenden, mehr als zwanzig Millionen Kilometer langen Ionenschweifs bereits bestaunt. Angeblich war in keinem Handbuch ein Komet aufgeführt, der einen derart farbenprächtigen Schweif aufzuweisen hatte wie Blahur. Bunte Streifen zwischen goldenen Filamenten zogen hinter dem
Himmelskörper her, bildeten Schlingen und Turbulenzen, Schlieren und seltsam geformte, bizarre Muster. Der eigentliche Kometenkern war ein annähernd kugelförmiges Objekt von nur rund fünfzig Kilometern Durchmesser. Seit einigen Jahren näherte sich Blahur wieder dem sonnennächsten Punkt seiner extrem weiten Bahnellipse, die fast senkrecht zur Ekliptik stand. Knapp 444 Arkonjahre benötigte Blahur für einen Umlauf – der sonnenfernste Punkt lag hierbei mit rund 23 Milliarden Kilometern außerhalb des »äußeren Festungsrings«, während sich der Punkt der größten Annäherung an die Sonne mit etwa 236 Millionen Kilometern noch innerhalb der Bahn des ersten Planeten befand. Die astronomischen Datenbanken besagten, dass Blahur um 6330 da Ark von der Sonne Arkon eingefangen wurde, diverse Legenden verbanden den Kometen dagegen mit der Formung von Tiga Ranton durch die She’Huhan. Ursprünglich soll sich seine extrem komplizierte, gewundene und verschraubte Bahn durch mehr als zwanzig Sonnensysteme erstreckt haben. »Wir schicken ein Einsatzgeschwader zum Kometen. Dann sehen wir, ob es stimmt.«
Wenige Tontas später existierte Blahur nicht mehr! Flottenschiffe hatten die Touristen vertrieben und den Himmelskörper nach intensiver Durchleuchtung gnadenlos zusammengeschossen. Nur noch kleine Trümmer zeugten von dem Kometen mit dem märchenhaft schönen Farbenspiel. Die Geheimstation hatte sich nicht nur als verlassen erwiesen, sondern war von vorbereiteten Desintegratorbomben bereits derart beschädigt gewesen, dass keine brauchbaren Hinweise mehr gefunden wurden. Genaue Strukturtasteranalysen besagten, dass sich die Besatzung per Notfall-Transmitter gerade noch rechtzeitig abgesetzt hatte.
Auch in anderer Hinsicht entwickelte sich der vermeintliche Erfolg zu einer Niederlage: Mogbar Klote war dem Beispiel seines Herrn gefolgt und hatte sich ebenfalls selbst umgebracht, ehe er auch nur ein Wort sprach. Und auch die weiteren Untersuchungen im Quertamagin-Kelch auf Arkon II brachten keine neuen Erkenntnisse. Regir da Quertamagins Selbstmord wurde zwar auch von Imperator Orbanaschol als ausreichender Beweis betrachtet, sodass die Verhaftung legitimiert war, doch sein etwas voreiliger Versuch, ganz seiner Natur entsprechend, seine fetten Pranken nach dem Erbe auszustrecken, scheiterte an der unbestreitbaren Macht des Thi-Khasurn. Regirs jüngerer Bruder Thorral, zwar deutlich hitzköpfiger, aber mindestens ebenso mutig und gewitzt, drohte recht offen mit einem Riesenskandal, den sich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Seine Erhabenheit leisten konnte, wollte er nicht auch die übrigen Edlen und Hochedlen gegen sich aufbringen. Regir da Quertamagins Schuld wurde zwar »in Betracht gezogen«, doch für darüber hinausgehende Maßnahmen fehlten schlicht die handfesten Beweise. Man einigte sich deshalb darauf, seinen Tod offiziell als »Unfall« zu deklarieren. Thorral da Quertamagin würde fortan zwar mit intensivierter Überwachung rechnen müssen, doch als erbberechtigter Nachfolger war ihm der Titel eines »TaFürsten Erster Klasse« nicht zu nehmen; am 1. Prago des Tarman 10.499 da Ark nahm er den traditionsreichen Vornamen Regir an und war fortan das neue KhasurnOberhaupt. Lebo Axton schließlich hatte abermals seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt, machte sich allerdings im Stillen größte Vorwürfe. Zu spät hatte er erkannt, dass er es mit Regir da Quertamagin mit einem Unterstützer Atlans zu tun gehabt hatte, dessen Tod als tragischer Verlust anzusehen war.
Inwieweit sein Bruder ebenfalls in diese Rolle schlüpfen konnte oder würde, musste die Zukunft zeigen. Axton nahm sich vor, ein waches Auge auf ihn zu haben, um ihn gegebenenfalls zu unterstützen. Der Verwachsene war sich klar darüber, dass seine Position noch längst nicht ausreichend gefestigt war; in den kommenden Arkonperioden würde er Orbanaschol weitere Beweise seiner Loyalität liefern müssen, wenngleich er sich fest vornahm, gleichzeitig alles nur Denkbare zu tun, um Atlans Weg zur Macht zu ebnen. Zunächst aber stand am 11. Prago des Tarman Seiner Erhabenheit sechzigster Geburtstag an – verbunden mit diversen pompösen Feierlichkeiten, die voraussichtlich den Rest des Votan andauern würden, verbunden mit großzügigen Geschenken für alle jene, die den Höchstedlen umschmeichelten, und jene, deren Gunst er sich sichern wollte. Einer der Höhepunkte würde zweifellos das KarakettaRennen sein, das, von Imperator Bargk I. 3750 da Ark initiiert, seither alle zwei Arkonjahre auf der Kristallwelt rings um den Hügel der Weisen durchgeführt wurde – ein Spektakel mit vergleichsweise primitiven »Raketengleitern«. In Gedanken lächelte Axton versonnen. In dieser Zeit war er der Einzige, der genau wusste, dass Orbanaschols III. Tage gezählt waren – in etwas mehr als einem Arkonjahr würde er am 17. Prago des Dryhan 10.500 da Ark sterben…
14. 1225. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 20. Prago des Messon, im Jahre 10.499 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Eine neue Phase hat begonnen! Seit fast einem Arkonjahr haben wir uns maßgeblich auf den Ausbau des Kraumon-Stützpunktes konzentriert. Wie schon an anderer Stelle ausgeführt, sind Logistik, Informanten, Ausweichstützpunkte, Erweiterung von Ausstattung und Ausrüstung wichtige und absolut notwendige Dinge, die jedoch in den seltensten Fällen mit spektakulären Aktionen verbunden sind. Nach wie vor gilt: Je breiter die Basis unserer Möglichkeiten und Unterstützer ist, desto erfolgreicher werden die eigentlichen »Schläge« sein, die wir Orbanaschol und seiner Clique zufügen können. Vor diesem Hintergrund kann es nur als Glücksfall gewertet werden, dass nun auch Atlans Mutter Yagthara hier lebt. Seit wir am 25. Prago des Dryhan 10.499 da Ark auf Kraumon eintrafen, ging förmlich ein Ruck durch unsere Mitstreiter. Mit Ende des Votan Messon wird ihre Zahl voraussichtlich auf zwölftausend (!) angewachsen sein – alle im Treueschwur auf den Kristallprinzen vereint und bereit, ihr Leben für das große Ziel einzusetzen. Kraumons relative Nähe zum galaktischen Zentrum verspricht uns weiterhin ein Höchstmaß an Sicherheit. Der informierte Kreis jener, die die Koordinaten kennen, bleibt – angesichts der massiv aufgestockten Mitstreiterzahl ein absolutes Muss! – auf ein Minimum beschränkt; die Daten in den Raumern sind selbstverständlich verschlüsselt und gegen unbefugten Zugriff gesichert. Kraumon ist der einzige Planet einer kleinen roten Sonne; beim Blick aus dem All wirkt die Welt wegen des überwiegend
wüstenähnlichen Charakters wenig einladend. Es gibt nur einen schmalen Grüngürtel entlang des Äquators. »Gonozals Kessel« ist ein lang gestrecktes Tal von rund fünfzig Kilometern Durchmesser mit dschungelähnlichen Wäldern, Flüssen und Seen. Gemeinsam mit einer ganzen Reihe von über das Große Imperium verstreuten Geheimstützpunkten wurde hier in den Jahren um 10.475 da Ark auf Befehl Seiner Erhabenheit Imperator Gonozal VII. jene Basis errichtet, die inzwischen den Namen »Gonozal-Mitte« erhalten hat. Alle diese Stationen sollten dem Zhdopanthi, seiner Familie und seinem Regierungsstab im Notfall Unterschlupf und Sicherheit gewährleisten. So war die Basis auf Kraumon ausgelegt, bei Bedarf in den ursprünglich 47 Gebäuden zehntausend oder mehr Dauerbewohner aufzunehmen. Kuppelbauten – neben der hundert Meter durchmessenden Hauptkuppel gibt es als Eckpunkte eines Sechsecks angeordnete Nebenkuppeln von fünfzig Metern Durchmesser-, achtzehn flache Rundgebäude, verbunden durch halbtransparente Röhren, drei hundertfünfzig Meter hohe Türme mit diversen Ortungs- und Funkantennen und die neunzehn rechteckigen Lagerhäuser mit fünfzig zu fünfundzwanzig Metern Grundfläche bilden den Kern der Siedlung, unterhalb der die bombensicheren Bunker ausgebaut wurden, in die sich die Bewohner im Falle eines Angriffs flüchten können. Tunnel, in denen Elektrowagen verkehren, führen zu den geräumigen Hangars für Raumfahrzeuge, zu den Kraftwerken und den Abwehrforts, die von einer zentralen Verteidigungsanlage aus positronisch gesteuert werden konnten. Hinzugekommen sind inzwischen rund fünfhundert Meter östlich insgesamt sechs im traditionellen Trichterstil errichtete Wohngebäude, von deren zylindrischem Sockel mit fünfzig Metern Durchmesser und zwanzig Metern Höhe die Kelche in einer Höhe von hundertfünfzig Metern bis auf einen Durchmesser von ebenfalls hundertfünfzig Metern auskragen. Leider hatte ich immer noch keine Gelegenheit, einen großen OMIRGOS aufzustellen. Seit zwanzig Kilometer nordöstlich das neue Raumlandefeld von
rund fünf Kilometern Durchmesser entstanden ist, hat das fünfhundert Meter durchmessende alte Landefeld südlich des Stützpunkts an Bedeutung verloren. Der den Raumhafen umgebende Fortring unter der Oberfläche des Planeten kann im Ernstfall innerhalb weniger Augenblicke in Gefechtsbereitschaft versetzt werden und bildet dann eine Abwehrstellung von beträchtlicher Feuerkraft. Nach wie vor ist Hanwigurt Sheeron ein wertvoller Mitstreiter, die Unterstützung der Piraten der Sterne ist gesichert; mit ihrer Hilfe werden weitere der in die Sogmanton-Barriere gelenkten Robotraumer geborgen und umgerüstet, inzwischen gibt es fast regelmäßige Flüge zu Richmonds Schloss in der SogmantonBarriere. Der hohe Automatisierungsgrad sowie leistungsfähige Katastrophenschaltungen ermöglichen es, dass alle unsere Raumer bei Bedarf sogar von einem einzigen ausgebildeten Raumfahrer geflogen werden können. Unsere kleine »Flotte« ist deutlich angewachsen: Zur Diskusjacht GONOZAL, der POLVPRONII und der fünfhundert Meter durchmessenden KARRETON kam mit Yagtharas Ankunft der Leichte Kreuzer TIGA RANTON hinzu. Mehr als zwei Dutzend Ultraleichtkreuzer sind inzwischen im Einsatz – darunter die DIRRET, die gestern wieder nach Kraumon zurückgekehrt ist. Ihr Ziel war Ark’alor gewesen; der Raumer hatte nicht einmal zu landen brauchen – während Bel Etir Baj mit einem Beiboot seine Heimatwelt anflog, reichte Ischtar ein kurzes, kodiertes Hypersignal, um die komplette Kontrolle über das Oktaederbeiboot zu gewinnen und den ferngesteuerten Start einzuleiten, den die ConTreh nicht aufhalten konnten. Im All erfolgte dann das Rendezvousmanöver; die Varganin wechselte mit Chapat über, verabschiedete sich und war kurz darauf verschwunden. Hierzu passt, dass von unseren inzwischen zehn zweihundert Meter durchmessenden Schweren Kreuzern bereits zwei auf Atlans Wunsch Namen seiner getöteten Freundinnen erhalten haben. Sofern mich mein Instinkt nicht gewaltig täuscht, wird es bald auch ein ISCHTAR genanntes Schiff geben. Vermutlich wird es einer der
bald eintreffenden, »abgespeckten« Schlachtkreuzer von dreihundert Metern Durchmesser sein. Zur FARNATHIA ist jedenfalls die nach der am 11. Prago der Hara 10.499 da Ark auf Varlakor im Abgasschacht für Triebwerkstests gestorbene QuertamaginPrinzessin benannte CRYSALGIRA hinzugekommen. Ich gehe davon aus, dass die CRYSALGIRA bald ihren ersten Einsatz fliegen wird. Intensive Gespräche mit Yagthara liegen hinter mir; wir sind übereingekommen, Atlan und den anderen einen Vorschlag von… hm, besonderer Brisanz zu unterbreiten…
Kraumon: 21. Prago des Messon 10.499 da Ark Als Ischtar und Chapat Kraumon am 31. Prago des Dryhan verlassen hatten, begann für mich eine depressive Phase – auch, weil Crysalgiras Tod immer noch an mir nagte –, aus der mich nicht einmal die von meiner Mutter organisierten Feierlichkeiten meines zwanzigsten Geburtstags reißen konnten. Von eher vagen Kindheitserinnerungen abgesehen, hatte es lange gedauert, bis ich meiner Mutter wieder leibhaftig gegenüberstand – für uns beide ein Augenblick voller Verlegenheit und Unsicherheit, aber auch großer Freude. In langen Gesprächen versuchten wir nach wie vor, einander kennenzulernen; es wird sicher noch viel Zeit vergehen, bis wir einander wirklich kennen. Mit Gespür und Sinn für feine Unterströmungen erfasste sie, dass meine lange Abwesenheit von Kraumon und die Unsicherheit über mein Schicksal die Frauen und Männer verunsichert hatten; was gab es also Besseres als ein Fest wie dieses, um den inneren Zusammenhalt wieder zu stärken? Verstand, Logik und militärisch-logistische Organisation waren nun mal nicht alles, Psychologie, Symbolik, Rituale, Protokoll und dergleichen Faktoren spielten keine geringere Rolle – und ich fürchtete, dass ich, als auf Gortavor
aufgewachsener »Randweltler«, genau in dieser Hinsicht gewisse Defizite aufwies. Die Zeremonienmeister des künftigen Imperators Gonozal VIII. würden an mir zweifellos keine Freude haben. Noch in der Nacht des Festes hatte ich mich abgesetzt und für etliche Pragos die Wildnis Kraumons durchstreift, um allein zu sein und zu einem klaren Gedanken zu kommen. Ich wollte mir über mich und meine Ziele Klarheit verschaffen, Pläne schmieden und dabei für eine Weile niemanden sehen. Fartuloon hatte die von mir zurückgelassene Nachricht gefunden und meine Entscheidung akzeptiert. Zeitweise bewegte ich mich nur mit einem Lendenschurz bekleidet durch die äquatorialen Wälder Kraumons. Bald war ich braun gebrannt, fühlte mich prächtig und genoss die Einsamkeit. Mit jedem Tag, der verstrich, verblassten dann auch die Erinnerung an die Varganin und der Schmerz über die abrupte Trennung. Es wird Zeit, mahnte der Extrasinn. Ich nickte und stand auf, um zur Hauptkuppel hinüberzugehen. Abermals stand die Einweisung der Neuankömmlinge auf dem Plan, bei der die Vermittlung der Hintergründe der Ermordung meines Vaters zum Kern gehörte. Nach wie vor hielt sich ja die offizielle Version des Jagdunfalls. Kurz darauf stand ich mit Mutter und dem Bauchaufschneider vor den Versammelten, Bildflächen leuchteten hinter uns und unterstrichen die persönlichen Berichte und Aussagen.
Rekonstruktion der Ereignisse auf Erskomier am 17. Prago des Tarman 10.483 da Ark: Die Teufelsfelsen im Vorfeld einer ausgedehnten Vulkankette, deren Ausbrüche ständig dunkle Wolken in den
Himmel von Erskomier warfen, waren etwa 200 Kilometer vom Hotel entfernt, in dem Imperator Gonozal VII. und seine Begleitung untergebracht waren. Die Felsen waren ebenfalls vulkanischen Ursprungs; die wie von Zyklopenhand unregelmäßig verstreuten Blöcke waren schwarz und speicherten die Sonnenhitze besonders gut, was sie zu einem Anziehungspunkt für die Wärme liebenden Landechsen machte, die meist in ganzen Scharen zwischen ihnen anzutreffen waren. Sie ähnelten im Aussehen den Tischtans, waren aber bedeutend kleiner und nicht so stark gepanzert, allerdings ebenso gefräßig. Der Gleiter mit Seiner Erhabenheit, Orbanaschol und Fartuloon ging am Rand der Felsenzone auf einem kleinen Plateau nieder. Kurz darauf ging auf Notfunkfrequenz ein Funkspruch ein: »… bitte dringend um Hilfe! Mein Jagdführer ist von einem Tischtan getötet worden… Die Naats sind geflohen… Jetzt greift das Biest den Gleiter an! Hilfe, um der Götter willen…« Gonozal VII. reagierte sofort: »Hier spricht der Imperator, wer ruft? Geben Sie uns Namen und Standort an, damit wir Ihnen zu Hilfe kommen können.« Aus dem Lautsprecher klangen polternde Geräusche, dann das Zischen eines abgefeuerten Impulsstrahlers und ein erstickter Aufschrei. Danach herrschte eine Weile Stille, ehe die Stimme eines total erschöpften Mannes durchkam: »Hier spricht Sofgart, Euer Erhabenheit. Es ist mir gelungen, das Untier mit dem Strahler meines toten Führers zu erlegen, ich bin nur unwesentlich verletzt. Sie brauchen sich also nicht um mich zu bemühen, ich werde aushalten, bis andere Hilfe bei mir eintrifft. Weg kann ich nicht, mein Gleiter ist defekt.« »Unsinn! Bis dahin kann einige Zeit vergehen, und der Kadaver der Echse wird bestimmt andere Raubtiere anlocken. Geben Sie mir Ihren Standort durch, ich lasse Sie abholen,
klar?« Einige gepresste Atemzüge und ein neuerliches Stöhnen waren zu hören, dann meldete sich Sofgart wieder. Er versicherte nochmals, er sei außer Gefahr. Trotzdem gab er dann doch die Koordinaten durch. Die Position war kaum fünfundzwanzig Kilometer entfernt, Fartuloon erhielt den Auftrag, Sofgart zu holen, während Gonozal und Orbanaschol ausstiegen, um mit der Jagd zu beginnen. Je weiter sie gingen, desto spärlicher wurde die niedrige, schachtelhalmähnliche Vegetation, nackter Fels trat zutage. Panzerspinnen und andere seltsam geformte Kriechtiere, die sich auf den warmen Steinen sonnten, huschten rasch beiseite. Zu diesem Zeitpunkt stolperten Sofgart und Offantur, kaum fünfhundert Meter entfernt gelandet, bereits auf jene Stelle zu, die vereinbart worden war – ein Engpass, der beiderseits von hohen Lavafelsen flankiert wurde. Zuvor hatten sie ihren Jagdspezialisten und die Naats dazu gebracht, an einer völlig unwegsamen Stelle auf halbem Weg auszusteigen. Diese hatten sich zu dieser Zeit unter der Einwirkung eines Narkotikums befunden und waren schon so gut wie tot, denn aus dieser Gegend würden sie ohne Hilfsmittel nicht mehr lebend in die bewohnte Zone von Erskomier zurückfinden. An Bord der PERKANOR befand sich Vere’athor Amarkavor Heng in der Beobachtungszentrale; eine kurze Anweisung hatte genügt, um den Techniker aus dem Raum zu weisen, sodass Heng nun die Aufnahmegeräte der Beobachtungssonden justieren konnte. Sofgart und Offantur hatten die Felsen seitlich der Enge erklommen und waren damit beschäftigt, große Steine zu lockern, um sie auf den Imperator zu stürzen, wenn er diese Stelle passierte. Gonozal VII. bewegte sich mit leichten, lockeren Schritten. Der Weg führte leicht abwärts und war mit kleinem Geröll und Kieseln bedeckt. Hier hatte sich das Wasser ein Bett
gegraben, das während der Regenzeit von dem Plateau abfloss und seinen Weg durch die Felsenge nahm. Jetzt war alles trocken und mit feiner Flugasche überpudert, die sich von den Rauchkegeln der Vulkane aus auf die gesamte Umgebung senkte. Der Imperator spähte durch die etwa zehn Meter breite Lücke zwischen den Felsen, als der Angriff begann. Er schrak zusammen, als plötzlich von dem etwa zwanzig Meter hohen Buckelfelsen zu seiner Linken ein polterndes Geräusch zu hören war. Instinktiv sprang Gonozal einige Schritte zurück, legte gleichzeitig einen Pfeil auf die Sehne und hob den Bogen. Drei große Felsbrocken trudelten durch die Luft und senkten sich genau auf die Stelle nieder, an der er sich befand. Hastig wich er zurück, aber es war bereits zu spät. Einer der Brocken streifte ihn an der linken Schulter, zertrümmerte das Gelenk und warf ihn zu Boden. Der Imperator blieb bei Besinnung und rollte sich schwerfällig zur Seite ab. Ein erneutes Poltern verkündete den Fall weiterer Gesteinsbrocken. Diese verfehlten ihn, denn er hatte inzwischen die andere Seite des Engpasses erreicht. Keuchend stemmte er sich mit der gesunden Rechten an den Felsen hoch und kam taumelnd auf die Beine. Als er einen Blick nach oben warf, sah er deutlich den Kopf und Oberkörper eines Mannes, der einen weiteren, besonders großen und schweren Brocken über die Oberkante der Felsen wälzte. Sein Gesicht lag voll im rötlichen Sonnenlicht – Sofgart. Der Imperator riss seinen Impulsstrahler hoch und schoss auf den Attentäter. Ein gellender Schrei erklang. Gonozal bewegte sich mühsam weiter zur Seite, der Brocken fiel, sprang noch einmal auf und krachte dann nur einen halben Meter neben ihm gegen den Felsen. Der Schmerz zwang den Imperator auf die Knie. Doch er stemmte sich gegen die drohende Bewusstlosigkeit. »Fartuloon!«, stöhnte der Verwundete und krümmte sich. »Wo bleibt er nur…«
Erneut sauste ein Stein heran, geworfen von Offantur. Der Brocken war nicht besonders groß, aber er traf voll und zerschmetterte die Schädeldecke Gonozals. An Bord der PERKANOR hallte Hengs Stimme durch das ganze Schiff: »Ein schreckliches Unglück – der Imperator wurde durch einen Felssturz in den Teufelsfelsen von Erskomier getötet! Achtung, Beiboothangar: Leka Eins klar zum Alarmstart, ich komme an Bord und werde mit an die Stelle des Unglücks fliegen.« Während wenig später der Diskus startete und dem Planeten entgegenschoss, kehrte Techniker Romikur in den Beobachtungsraum zurück und sank verstört in seinen Sitz. Er war zutiefst erschüttert wie alle Raumfahrer in der PERKANOR, die ihren Herrscher geliebt und bewundert hatten. Der Monitor in der Mitte zeigte deutlich die halb von Gestein bedeckte Gestalt des Imperators, über die sein Bruder gebeugt stand und sich bemühte, ihn davon zu befreien. Sonst war weit und breit niemand zu sehen – wo war der Jagdgleiter des Herrschers, wo der Bauchaufschneider? Neugier stieg in Romikur auf und gewann die Oberhand über sein Entsetzen. Kurz vor dem Eintreten Hengs hatte er das Speichergerät eingeschaltet, um sich später nochmals den Kampf des Imperators gegen die wilden Tiere von Erskomier ansehen zu können. Es lief immer noch, und nun wollte Romikur es genau wissen. Er stoppte das Gerät, stellte es dann auf Wiedergabe. Ungläubig starrte er auf die Szene, die auf dem Schirm vor ihm erschien – Gonozal VII. war nicht verunglückt! Er war ermordet worden, Vere’athor Heng hatte es genau gesehen! Dass er trotzdem von einem »schrecklichen Unglück« gesprochen hatte, konnte da nur bedeuten, dass er mit den Mördern unter einer Decke steckte. Ebenso Orbanaschol, der trauernde Bruder, der nun zweifellos mit gieriger Hand nach der Krone von Arkon greifen würde! Im gleichen Moment
wusste Romikur, was er zu tun hatte. Wenn man herausfand, dass er eine Aufzeichnung von den Vorkommnissen besaß, war er so gut wie tot! Für ihn gab es nur eine Möglichkeit – der verräterische Beweis musste verschwinden! Mit fliegenden Fingern entfernte der Techniker den Speicherkristall, schob ihn in seine Tasche und setzte an seiner Stelle einen leeren ein. Er wollte ihn später vernichten, verschob es dann aber immer wieder, denn schließlich war er ein unersetzliches Dokument. Romikur besaß ihn noch Perioden später, als er nach einem Unfall aus dem Flottendienst entlassen wurde, und so gelangte der Kristall schließlich auf Umwegen in die Hände jener Männer um Fartuloon, die über die Geschicke des jungen Kristallprinzen wachten. Er enthüllte ihnen die ganze schreckliche Wahrheit… Kurz darauf liefen die Sender an und übermittelten Erskomier und der Wachflotte die Trauerbotschaft. Auf allen Bildschirmen erschien das versteinert wirkende Gesicht Hengs, und Worte der Trauer kamen aus seinem Mund. Abschließend verkündete er, dass nun der Bruder des Verstorbenen die Regentschaft über das Reich von Arkon übernehmen würde, der sich zwar kurz zeigte, aber »aus tiefster Erschütterung« nicht imstande war, ein einziges Wort zu sagen.
Bericht Fartuloon: Ich bebte vor Wut und Sorge. Ich hatte nicht lange gebraucht, um festzustellen, dass an der von Sofgart angegebenen Position nur Dschungel war, in dem ein Gleiter nie hätte landen können. Ich fluchte grimmig, als ich den Jagdgleiter wieder auf Gegenkurs brachte, aber ich ahnte bereits, dass ich zu spät kommen würde. Ich war nur noch zwei Kilometer von den Teufelsfelsen entfernt, als das Funkgerät des Gleiters ansprach und die Ansprache Hengs
übermittelte. Eisiger Schrecken überfiel mich bei dessen Worten, und ich schämte mich, dass ich es nicht riskieren konnte, mich jetzt am Ort dieser schändlichen Tat zu zeigen. Mir drohte zumindest die Verhaftung unter einem fadenscheinigen Vorwand – dann aber war ich ausgeschaltet. Es gab aber noch viel zu tun, um das Vermächtnis meines toten Herrn zu erfüllen! Ich wendete den Gleiter und schoss mit höchster Geschwindigkeit auf den Raumhafen zu. Orbanaschol und seine Helfershelfer waren jetzt noch bei den Teufelsfelsen, und diese Zeit galt es zu nutzen. Die Verwirrung bot mir die vermutlich einzige Gelegenheit, den kleinen Kristallprinzen in Sicherheit zu bringen, ehe er in die Hände Orbanaschols fiel! Ich flog den Jagdgleiter des Imperators, und man öffnete mir bereitwillig eine Strukturlücke im Energieschirm. Ich ließ das Jagdhotel links liegen und raste zum Hafen, landete vor der TONDON und stürmte an Bord. Der Posten in der Luftschleuse wollte mich aufhalten, trat aber zurück, als er mich erkannte, und fragte mit zuckenden Lippen: »Ist… ist es wahr, Erhabener?« Ich nickte müde. »Der Kommandant ist in der Zentrale?« »Jawohl.« Ich warf mich in den Hauptantigravschacht und schwebte nach oben. Noch immer trug ich Helm, Harnisch und Schwert, doch das war jetzt nebensächlich. Äußerste Eile war geboten. Kommandant Teschkon stand mit seinem Stellvertreter und dem Piloten vor einem großen Monitor. Amarkavor Heng hatte Minisonden aktiviert, die übertrugen, wie der tote Herrscher auf einer Antigravbahre langsam in das Beiboot gebracht wurde. Für einen Moment war seine Gestalt in Großaufnahme zu sehen, und die Männer schraken zusammen. Als dann Orbanaschol ins Bild kam, der der Bahre mit trauervoller Miene folgte, wandte sich Teschkon brüsk ab.
»Schalten Sie ab«, befahl er dem Piloten mit brüchiger Stimme, »dieser Fette ist der Letzte, den ich jetzt sehen möchte. Wenn ich daran denke, dass wir in Zukunft mit ihm fliegen sollen…« Erst jetzt entdeckte er mich und kam mit großen Schritten auf mich zu. »Wie konnte das geschehen, Fartuloon?«, fragte er vorwurfsvoll. »Waren Sie denn nicht bei ihm?« Ich legte die Finger auf die Lippen, der Kommandant verstand. »Wir gehen in meine Kabine«, unterrichtete er seinen Stellvertreter, wir verließen die Zentrale. Draußen zog ich ihn in eine Nische. »Keine Fragen mehr, Teschkon. Manchmal ist es besser, wenn man nicht alles weiß! Ich kann Ihnen nur sagen, dass der Imperator keinem Unfall zum Opfer gefallen ist…« »Dachte ich es mir doch!«, stieß der grauhaarige Offizier heiser hervor. »Wie können Sie dazu schweigen, Fartuloon, ausgerechnet Sie? Wir müssen etwas tun, alle Welt muss erfahren…« »Gar nichts werden wir tun, Teschkon«, fiel ich ihm brüsk ins Wort. »Diese Sache ist zu groß für uns beide, hier wurde bis ins kleinste Detail vorausgeplant, und wir wären schneller verhaftet, als wir reden könnten. Teschkon, sind die Beiboote der TONDON einsatzbereit? Vermutlich werde ich eines davon stehlen müssen – verstehen Sie?« Der Kommandant begriff sofort. »TON Zwei wird am besten sein; voll verproviantiert und startbereit. Was haben Sie vor, Fartuloon?« »Kümmern Sie sich nicht darum, Kommandant. Für etwas, von dem Sie nichts wissen, kann man Sie später auch nicht zur Rechenschaft ziehen. Sie haben keine Ahnung, wohin ich von hier aus gegangen bin, klar?« Teschkon nickte halb widerstrebend, ich eilte davon. Jetzt kam es auf jede Millitonta an, denn zweifellos würde das Beiboot bald von den Teufelsfelsen abfliegen, um die Leiche
des Imperators an Bord der TONDON zu bringen. Bis dahin aber wollte ich längst unterwegs sein – aber nicht allein! Im Wohntrakt des Herrscherpaars herrschte eine fast beängstigende Stille. Ich traf auf den Gängen niemanden, und das war mir sehr recht. So kam ich ungesehen bis in die Suite der Witwe Gonozals VII.: Yagthara saß vor einem Tischchen und starrte blicklos vor sich hin, ihre Schwester Merikana leistete ihr Gesellschaft. Sie reagierten kaum, als ich ihr mit wenigen behutsamen Worten meine Anteilnahme aussprach, aber sie fuhr heftig zusammen, als ich anschließend meine Forderung aussprach. »Nein!«, gellte ihre Stimme auf. »Mascudar ist tot, und jetzt wollen Sie mir auch noch mein Kind nehmen – niemals!« Ich war sehr überrascht, dass Merikana für meinen Plan eintrat; hastig sprach sie auf ihre Schwester ein: »Glaube mir, Yagthara, es ist am besten so. Orbanaschol ist jetzt Regent, und ihm wird Mascaren immer im Wege sein. Bei Fartuloon wäre dein Sohn in Sicherheit und könnte nicht gleichfalls einem Unfall zum Opfer fallen!« Erst jetzt begriff Yagthara. Aus schreckgeweiteten Augen sah sie mich an; ich nickte nur stumm und schlug die Augen nieder. Merikana aber eilte bereits hinaus und kam gleich darauf mit dem kleinen Kristallprinzen an der Hand zurück. »Fein, dass du wieder da bist, Onkel Fartuloon«, strahlte der Junge. »Ich muss immer nur in dem dummen Schiff herumsitzen und komme nie hinaus. Bist du gekommen, um mich zu meinem Vater zu bringen?« In meiner Kehle würgte es, ich konnte nur stumm nicken, Merikana sprach für mich: »Ja, Onkel Fartuloon bringt dich zu ihm. Gib deiner Mutter schnell noch einen Kuss, ihr müsst euch sehr beeilen, verstehst du?« Ich wandte mich ab, um nicht den Schmerz in Yagtharas Gesicht sehen zu müssen, als sie ihren Sohn zum letzten Mal
umarmte. Doch sie hatte inzwischen begriffen, wie ernst die Lage war – und sie kannte Orbanaschol; sie kannte ihn viel zu gut… Gleich darauf schwebten Merikana, Mascaren-Atlan und ich in einem Neben-Antigravschacht zum Hangardeck hinunter. Ich bewunderte die junge Frau, die so zielstrebig zu handeln wusste. Anscheinend hatte Teschkon Befehl gegeben, die Mannschaft aus diesem Teil des Schiffes zurückzuziehen, denn nirgends war jemand zu sehen. Unangefochten erreichten wir das 60-Meter-Kugelbeiboot, dessen Polschleuse offen stand, und ich war sehr verwundert, als Merikana mit mir und dem Prinzen einstieg. »Sie wollen mitfliegen, Erlauchte?«, sagte ich verblüfft. Die junge Frau nickte und zwang sich ein leichtes Lächeln ab. »Natürlich will ich das!«, bekräftigte sie. »Sie mögen ein guter Arzt sein, aber in Bezug auf Kindererziehung traue ich Ihnen nicht allzu viel zu. Außerdem wird es meine Schwester beruhigen, wenn ich bei dem Gos’athor bin – und vermutlich wird man sich hüten, auf dieses Boot zu schießen, wenn man erfährt, dass ich mit an Bord bin!« Ich konnte nur noch staunen, aber dann entwickelte ich eine hektische Betriebsamkeit. Mit geübten Griffen aktivierte ich die Aggregate des Schiffes und justierte sie auf Einmannsteuerung, ein Funkimpuls öffnete die Hangarschleuse. Die Teleskopstützen fuhren ein, die Kugel schwebte auf ihrem Antigravpolster in die Schleuse. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis die Außenpforten aufglitten – dann schwebte die Kugel von der TONDON fort, stieg in den Himmel Erskomiers. Der eigentlich kritische Moment kam: Würde man vom Kontrollturm aus dem Beiboot eine Strukturlücke für den Ausflug aus der Energieglocke öffnen – oder hatten Orbanaschol und seine Handlanger schon gehandelt und jeden Start untersagt? Ich konnte es nicht
riskieren, mich per Bildfunk zu erkennen zu geben. Ich sendete nur die kurze Kodegruppe des Imperators, die die Hafenmannschaft anwies, eine Lücke für den kleinen Kugelraumer zu schaffen, und dann vergingen bange Augenblicke. Wenn sich der Schirm nicht öffnet, hat meine Flucht mit dem Kristallprinzen ihr Ende gefunden, ehe sie noch richtig begann! »Worauf wartest du noch, Onkel Fartuloon?«, rief der Junge in die atemlose Stille. »Flieg doch schon los, sonst schimpft mein Vater noch, weil wir so spät kommen.« Am Steuerpult glomm ein violettes Licht auf – die Strukturschleuse im Energieschirm war offen! Mit einem befreiten Aufatmen schaltete ich die Triebwerke hoch, das Boot machte förmlich einen Satz und schoss mit wachsender Beschleunigung in den Weltraum über Erskomier. Es trug weithin sichtbar die Insignien des Imperators und strahlte dessen Hochrang-Kodeimpulse aus, und das wirkte auch jetzt noch, obwohl Gonozal VII. tot war. Offenbar hatten die Wachschiffe über dem Planeten noch keine neuen Anweisungen erhalten, denn sie ließen das Beiboot unbehelligt passieren. Ich holte alles aus den Triebwerken heraus und ging sofort in Transition, als der erforderliche Abstand von Erskomier und die Sprunggeschwindigkeit erreicht waren. Vieles war verloren, die Verschwörer hatten ihr Ziel erreicht, aber das Leben des Kristallprinzen von Arkon war gerettet! Kurz nach dem Abflug des Bootes traf das Beiboot mit den sterblichen Überresten des Imperators auf dem Raumhafen ein. Die feierliche Überführung in die TONDON dauerte eine halbe Tonta, ein Trivid-Aufnahmeteam sorgte dafür, dass diese Zeremonie in alle Teile des Großen Imperiums übertragen wurde. Anschließend hielt der neue Regent Orbanaschol, in die Uniform eines Flottenkommandeurs gezwängt, eine erste kurze Rede als Nachruf.
»Der Zeitpunkt für dieses Verbrechen war günstig«, sagte ich. »Ich, der Kristallprinz des Reiches, einziger Sohn des Herrschers, war minderjährig. Mein Oheim erfasste die günstige Gelegenheit beim Schopf und überzeugte die vom Volke frei gewählten Mitglieder des Hohen Rates von Arkon davon, dass er, Orbanaschol, bis zum Zeitpunkt meiner Reifeprüfung die Regentschaft im Sinne meines verunglückten Vaters, zu meinen Gunsten und im Interesse des Großen Imperiums, ausüben müsse. Nur wenige Votanii nach Antritt seiner Regentschaft ergriff Orbanaschol die absolute Macht. Der Hohe Rat wurde wegen angeblich verwerflicher Machenschaften und Unfähigkeit aufgelöst. Die Kreaturen Orbanaschols nahmen die frei gewordenen Plätze im Parlament des Reiches ein. Er wurde zum Imperator bestimmt, der erste Prago des Eyilon zehn-vier-acht-vier da Ark war der offizielle Inthronisationstag. Damit war mein Leben nichts mehr wert gewesen. Orbanaschol III. wie sich mein Oheim Veloz nunmehr nannte, hatte jedoch Fartuloons Geschicklichkeit und die Vorsorge meines Vaters unterschätzt. Im Versteck auf Gortavor überlebte ich, wuchs heran, und es gelang uns dann sogar, mich auf Largamenia einzuschleusen, wo am siebzehnten Prago des Messon zehn-vier-neun-sieben da Ark als dritter Grad der ARK SUMMIA mein Extrasinn aktiviert wurde.« Ich machte eine Pause. »Orbanaschol, Sofgart, Offantur, Heng und Psollien. Die Namen der Mörder sind unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt. Selbstverständlich haben die Attentäter allesamt Karriere gemacht, zwei sind inzwischen allerdings tot – Sofgart und Heng –, Psollien war zunächst Tato von Erskomier gewesen, ist inzwischen aber untergetaucht. Offantur befehligt weiterhin die Tu-Gol-Cel, und Orbanaschol
ist Imperator des Tai Ark’Tussan und wird in wenigen Arkonperioden am ersten Prago des Eyilon zehn-fünfhundert da Ark seinen siebzehnten Inthronisationstag feiern. Es wird unsere Aufgabe sein, seinem Treiben schnellstmöglich, aber bestens geplant Einhalt zu gebieten! Einsatzbesprechungen zur Festlegung unserer nächsten Vorhaben finden in den kommenden Pragos statt. Nutzt bis dahin die Zeit, euch hier auf Kraumon einzuleben.« »Für Atlan und Arkon, auf Leben und Tod!«, rief Fartuloon. Und die anderen antworteten im Chor, der mir Gänsehaut bereitete: »Für Atlan und Arkon, auf Leben und Tod!«
Kraumon: 23. Prago des Messon 10.499 da Ark »Die Idee mit dem Atlan-Doppelgänger mag zwar unzureichend durchdacht und auch nicht sonderlich gut ausgeführt gewesen sein…« Fartuloon lächelte entschuldigend in Richtung meiner Mutter, die wohlwollend den Kopf neigte. »Dennoch hat sie gezeigt, dass Orbanaschols Regime auf schwachen Beinen steht. Ein offizielles Auftreten Atlans allein reicht zwar nicht, um es zum Schwanken zu bringen – das wissen wir seit Largamenia. Aber was würde geschehen, träte eine wirklich hochgestellte Persönlichkeit auf? Jemand, den alle noch gut kennen, jemand, den Orbanaschol wie nichts auf der Welt hasste und fürchtete?« »Du denkst… an meinen Vater?!« Etwas wie ein elektrisierender Stoß durchfuhr mich. »Ja.« »Das dürfte in der Tat Aufruhr geben. Wenn man sich mal vorstellt, dass Gonozal der Siebte mitten im Thronsaal erscheint. Orbanaschol könnte es sich vermutlich nicht einmal leisten, meinen Vater zum zweiten Mal umbringen zu lassen. Allerdings gäbe es auch eine Reihe von Haken. Die Mär vom
Jagdunfall würde ebenso hinfällig wie die Mordanklage – denn ein Auftreten Gonozals hieße ja, dass er lebt.« »Genauer müsste es überlebt heißen. Der Mordanschlag wäre somit zwar nicht erfolgreich gewesen, doch es waren viele Jahre notwendig, um ihn wieder auf die Beine zu bringen…« Ein scharfer Impuls meines Extrasinns ließ mich aufhorchen. Fartuloons Tonfall zeigte, dass der Alte mal wieder zwei oder drei Schritte weiter war und längst einen konkreten Plan hatte. Ich zog zischend die Luft ein. »Du denkst ja gar nicht an einen Doppelgänger, sondern du willst… Das Lebenskügelchen… Du willst meinen Vater zum Leben erwecken, um ihn auf den Thron zurückkehren zu lassen!« Er platzierte eine kleine Schachtel auf dem Tisch und stieß sie zu mir herüber, dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Während ringsum zunächst atemlose Stille herrschte, öffnete ich in Trance die Schachtel. Von der kleinen roten Perle ging intensiv süßlicher Geruch aus; sie war von sehr elastischer Konsistenz, sodass es sich warm und weich anfühlte, fast wie durchblutetes Fleisch. Diese Lebenssamen hatten auf Somor unter anderem die Sandraupen trotz des Eissturms vorzeitig belebt und Crysalgiras Leben gerettet. Unwillkürlich erinnerte ich mich an das Gespräch mit Fartuloon auf Ortanoor.
»… ist etwas anderes, was den Kristallprinzen bedrückt…«, hatte er gesagt und war todernst geworden. »Du weißt…?«, kam es mir über die Lippen. Er machte langsam und bedächtig die Geste der Zustimmung. Dann griff er in die Falten seines Gewandes und brachte ein Kästchen zum Vorschein. Ich traute meinen Augen nicht. »Du… du hast…«
»Ich habe es dir abgenommen, als du mit uns kämpftest und in den Abgasschacht zurückeilen wolltest, um Crysalgira zu helfen. Es ist ungeheuer wertvoll. Ich fürchtete, du würdest das letzte, das dir noch bleibt, an Crysalgira… verschwenden!« Das Wort traf mich wie ein Peitschenhieb. Ich zuckte zusammen. Fartuloon reichte mir das Kästchen. Es schien mir in den Fingern zu brennen. Ich öffnete das kleine Behältnis und sah das letzte rote Kügelchen jener geheimnisvollen Substanz, die die Fähigkeit hatte, Tote zum Leben zu erwecken! » Verschwenden!« Das Wort hallte im Innern meiner Seele nach. Und doch war es dasselbe, das auch mir durch den Kopf geschossen war, als ich neben Crysalgira kauerte und ihr Leben vor meinen Augen entschwand. Nicht, dass ich mich im Abgasschacht zu wenig um sie gekümmert hatte, sondern dass ich nicht willens war, das letzte, kostbare Lebenskügelchen »zu verschwenden«. Das ist die Last, die ich seither mit mir herumtrage! Ich hatte die Berührung des Kästchens vermieden, hatte mir einzureden versucht, es existiere überhaupt nicht. Deswegen hatte ich bewusst gar nicht bemerkt, dass ich es längst nicht mehr bei mir trug. Für Augenblicke überwältigte mich ein kurzer Erinnerungsschub; abermals durchlebte ich die Situation. Ich greife in eine Gürteltasche meiner Kombination und atme auf. Die beiden Lebenskügelchen sind noch da! Jetzt weiß ich, dass Crysalgira noch einmal gerettet wird. Egal, welche Schäden sie durch die Hinrichtung erlitten hat, ich werde sie »zurückrufen« und ihr dabei helfen, alle Schmerzen der Wiedererweckung zu überwinden. Ich nehme eins der roten Kügelchen und lege es zwischen ihre Lippen, lasse es vorsichtig in ihre Mundhöhle gleiten. Dort verbindet es sich augenblicklich mit dem Speichel, wallt auf und verwandelt sich in einen rötlich leuchtenden Gallertklumpen.
Jetzt muss ich abwarten. Die Ereignisse auf Somor mit den riesigen Schmetterlingen stehen mir vor Augen. Später kam es bei der defekten Gefühlsbasis zur Wiedererweckung einer geopferten Frau. Leider war die Unglückliche schon zu lange tot. Die Kügelchen vermochten zwar ihren Organismus wiederzubeleben, doch ihr Bewusstsein, ihr Ich, ihre Seele – oder wie immer es umschrieben wurde – war verloren gewesen. Ein Stöhnen reißt mich aus meinen Gedanken. »Sie lebt!«, stößt Zaphiro ungläubig hervor. Crysalgira lebt, abermals von einem Lebenskügelchen reanimiert, dessen Herkunft vermutlich mit dem schwarzen Protoplasma der Gefühlsbasen in Zusammenhang steht und letztlich auf die Varganen zurückzuführen ist. So lautet zumindest meine Vermutung, sicher bin ich mir nach wie vor nicht. Ihre Wangen nehmen wieder eine rosige Färbung an. Ihre Augen leuchten. Die entsetzliche Todesstarre ist aus ihnen gewichen… Das allerletzte mir verbliebene Lebenskügelchen hatte ich nicht benutzen wollen; es war zu wertvoll, einzigartig und deshalb nur für einen außergewöhnlichen Einsatz bestimmt, der wohlbedacht sein wollte. Für Crysalgira jedenfalls war es nicht bestimmt. Ich fühlte Fartuloons schwere Hand auf meiner Schulter. »Es wird der Tag kommen, an dem du erkennst, dass du richtig gehandelt hast, Kristallprinz«, sagte er mit ernster Stimme. »Bis dahin, mein Junge… lerne, dass das Leben schwer ist!« Was er nicht aussprach, war das seit unserer Rückkehr aus dem Mikrokosmos tabuisierte Thema. Denn das Leben war nicht nur schwer, sondern unter Umständen auch verdammt lang – zumindest für einen »Unsterblichen«, der keine normale Alterung mehr kannte und nur durch Gewalt sein Leben verlieren konnte…
Es gab nur noch dieses eine Lebenskügelchen. Und Fartuloon wollte… Nach der Stille brandete abrupt die heftige Diskussion auf, an der ich mich zunächst nicht beteiligte. Alle sprachen durcheinander, jeder gab das Für und Wider zum Plan des Bauchaufschneiders zum Besten. Dennoch kamen bestenfalls spontane Teilaspekte zur Sprache. Schließlich hob ich die Arme, langsam wurde es wieder still. »Er wäre nur ein lebender Leichnam!«, sagte ich scharf. »Angenommen, das Lebenskügelchen könnte es trotz der langen Zeit schaffen, den Körper zu beleben – was nicht einmal sicher ist! –, dann wäre dennoch der Geist meines Vaters, die Seele, die Wahre Kraft des Bewussten Seins oder wie immer man es nennen will, unwiderruflich verloren. Ich habe es im Mikrokosmos selbst erlebt, schon nach maximal einem oder zwei Tagen…« Mein Blick schweifte über die Anwesenden. Im Besprechungsraum herrschte eine fast wahnwitzige Stimmung. Unbändige Hoffnung paarte sich mit tiefer Enttäuschung, gemischt mit einer Kombination aus Widerwillen, Ekel, morbider Faszination und einer aufblitzenden Spur von Trotz, es dennoch zu versuchen, entgegen allen Bedenken, Widerständen und innerer Ablehnung. Es war ausgerechnet meine Mutter, die aufstand, mich mit brennendem Blick ansah, dann die anderen und mit leiser Stimme sagte: »Frage eins: Ist es möglich? Antwort: ja. Frage zwei: Dient es unserem Ziel und damit dem Großen Imperium? Antwort: ja. Frage drei: Würde Mascudar einem solchen Vorhaben unter den gegebenen Voraussetzungen zustimmen? Antwort: ja! Frage vier: Stimme ich zu? Antwort: ja! Ich will, dass wir es versuchen – ich will, dass dieses fette Scheusal von Brudermörder endlich vom Thron gefegt wird!
Das Tai Ark’Tussan befindet sich in einem Krieg, dessen wahre Ausmaße wir noch gar nicht abschätzen können. In einer solchen Zeit hat der Beste das Reich zu führen. Mein Mann wird es, nach allem, was wir wissen, nicht mehr können; sehr wohl aber du, mein Sohn. Du bist der designierte Nachfolger, dir steht es zu, den Kristallthron zu besteigen. Und wenn dir dabei dein toter Vater helfen kann, wird er es tun!« Tränen verschleierten meinen Blick; ich wusste, dass ich verloren hatte. Bereits im Vorfeld hatten sich meine Mutter und Fartuloon verständigt. Der Bauchaufschneider hätte einen derart weitreichenden Vorschlag niemals ohne ihre Zustimmung gemacht, dessen war ich mir sicher. Mutters Argumentation hatte selbstverständlich sehr viel für sich – dennoch sträubte sich alles in mir, an eine konkrete Umsetzung zu denken. Ich wusste, dass es letztlich falsch war. Eine… Blasphemie… Abermals wurde heftig diskutiert. Ra, Eiskralle, Vorry, Corpkor, Morvoner – alle fanden Einwände, doch gleichzeitig argumentierten sie bemerkenswert schwach, bestenfalls aus dem Bauch heraus. Mutters Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, schon nach wenigen Zentitontas kippte die Stimmung endgültig, als erste Details für eine Planung ins Gespräch gebracht wurden. »… wurde der Imperator bekanntlich in der KARSEHRA beigesetzt. Nicht einmal der Fette konnte oder wollte es seinerzeit verhindern«, sagte Mutter. »Wie ihr sicher wisst, werden in der KARSEHRA alle Helden des Großen Imperiums geehrt, die im Kampf fielen. Darüber hinaus ist es die Beisetzungsstätte der Imperatoren und ausgewählter Hochedler des Reiches. Die Totenwelt Hocatarr mit der imperialen Heldengedenkstätte wird von einer ausschließlich aus Frauen bestehenden Priesterschaft beherrscht. Die
Meisterinnen der Einbalsamierung kümmern sich um die hochedlen Toten und stehen in einer Tradition, die bis in die Anfänge des Imperiums zurückreicht – die des archaischen Kults rings um die Große Muttergöttin! Ihre Dagor-Macht ist so groß, dass nicht einmal Orbanaschol wagt, gegen sie vorzugehen.« »Das Hoca-System liegt am Rand von Thantur-Lok, vierundfünfzig Lichtjahre von Arkon entfernt«, fügte der Bauchaufschneider hinzu, Holos flammten über der Tischmitte auf. »Die Totenwelt ist ein ungemütlicher Planet, eine düstere, wolkenverhangene Welt. Kahle Felsenberge, modrige Schluchten und ausgedehnte Sumpfflächen bestimmen das Bild der vier Großkontinente. Freiwillig würde dort vermutlich niemand landen, das Klima ist alles andere als angenehm. Der Tagesdurchschnittstemperatur liegt bei zehn Grad, verbunden mit hoher Luftfeuchtigkeit.« Weitere Informationen vervollständigten rasch das Bild. Die Totenwelt war ein einziger Friedhof! Nur höchste Würdenträger und Imperatoren wurden direkt in der KARSEHRA bestattet. Die Arena der Großen Mutter war das Kernstück der berühmten Heldengedenkstätte: Hohe Ränge umgaben das imposante Rund. Vom Boden der Arena führte eine breite Freitreppe zu einer Empore, deren Rückwand ein Metalltor bildete. Den oberen Abschluss bildeten ringsum marmorne Frauenstatuen. »Das sogenannte Sargschiff in Hocatarrs geostationärem Orbit über der KARSEHRA ist ein Diskus von rund zwölfhundert Metern Durchmesser und etwa halb so großer Höhe. Entlang des Äquators gibt es Hunderte Andocktunnel und Zugangsrampen unterschiedlicher Länge. Der Hintergrund seiner Funktion ist, dass normale Sterbliche die Totenwelt nicht betreten dürfen. Außer ausgewählten Trauernden und engsten Verwandten eines Toten gelangt
niemand auf die Oberfläche der Totenwelt oder zur Begräbnisstätte. Pilgerund Sargschiffe, mit dem arkonidischen Sonnensymbol geschmückt, müssen im Orbit bleiben. Die Angehörigen übergeben die Toten dem Sargschiff und erleben die eigentliche Bestattung per Trivid mit. Selbst der Kreis der engsten Angehörigen von Hochadeligen wird klein gehalten, nicht einmal beim Tod eines Imperators betreten mehr als wenige Dutzend Personen Hocatarr. Und unabhängig davon sind es stets nur Schiffe der Priesterinnen, die überhaupt dort landen dürfen beziehungsweise zwischen Oberfläche und Sargschiff pendeln. Der Transport der Toten und ihrer Angehörigen erfolgt überdies per Transmitter.« Die Toten dürfen nicht in ihrer Ruhe gestört werden. Es gibt keine schlimmere Verfehlung nach dem Gesetz der Großen Muttergöttin! Bilder zeigten Priesterinnen in dunkelgrauen, bodenlangen, in den Taillen von handbreiten Gürteln gerafften Kutten. Implantierte hyperaktive Kristalle markierten auf der Stirnmitte ein »Drittes Auge«. Schwarze Lidstriche, über die äußeren Augenwinkel hinaus bis zu den Schläfen verlängert, verliehen ihnen eine besondere Ausdruckskraft. »Nach jeder Schlacht ist es dasselbe«, sagte Fartuloon. »Die Kämpfe gegen die Methans fordern ihren Tribut, zahlreiche Adelige bezahlen sie mit ihrem Leben. Ihre Angehörigen erwarten, dass sie in die KARSEHRA aufgenommen werden, aber nicht jeder wird dort seine letzte Ruhestätte finden. Viele bringen ihre Toten vergeblich ins Hoca-System, denn die Arkanta und die Priesterinnen entscheiden.« »Nach welchen Kriterien? Etwa nach Orbanaschols Maßstäben?« Fartuloon schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, Atlan, ganz im Gegenteil. Die Priesterinnen der Toten weit achten zwar den jeweiligen Herrscher des Großen Imperiums, aber sie leben nach dem ehernen Gesetz unserer Ahnen. Und davon
weichen sie keinen Deut ab. Viele Adeligen werden ihre Toten anderswo bestatten müssen. Oder wie alle anderen Arkoniden dem Konverter übergeben.« »Wie wollen die Priesterinnen wissen, wer die Aufnahme in die KARSEHRA verdient und wer nicht? Die offiziellen Kriegsberichte sind oft verfälscht oder manipuliert, viele Kommandeure vertuschen die eigene Unfähigkeit oder münzen Feigheit in Mut und Selbstaufgabe um. Ich möchte nicht wissen, wie viele für einen Platz in der KARSEHRA lügen und betrügen.« »Du hast natürlich recht. Aber genau deinem Einwand entsprechen die Priesterinnen, sie sind eben nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Sie verfügen über die Kraft der absoluten Weisheit, ihre Entscheidungen sind immer gerecht!« »Gerecht?« Meine Skepsis stieg. »Es gibt keine absolute Weisheit.« »Für die Priesterinnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten und besonderen Fähigkeiten sehr wohl, mein Sohn. Es sind wirklich besondere Fähigkeiten. Möglicherweise sogar Parakräfte. Fest steht jedenfalls, dass sie sich sogar erfolgreich gegen jegliche Bevormundung Orbanaschols zur Wehr setzen. Und er tat gut daran, nicht tiefer in die Geheimnisse eindringen zu wollen. Insbesondere Ihrer Heiligkeit Organa Metella, der Arkanta, werden starke Kräfte nachgesagt, und das durchaus zu Recht. Wer sich auf Hocatarr ungebührlich benimmt, muss mit dem Tod rechnen - er erstarrt beim puren Anblick der Arkanta und stirbt!« »Ich habe es selbst erlebt«, sagte Mutter. »Bei der Grablegung deines Vaters zeigte sich Arkanta Organa Metella nur vermummt unter lang wallenden schwarzen Seidenschleiern. Die Ausstrahlung der kegelförmigen Kristallkrone hüllte den Körper in eine silbern schimmernde
Aura - diese schien allerdings weniger konventioneller Natur als vielmehr paranormaler Art zu sein; eher vom Bewusstsein wahrgenommen als von den Augen…« Der Logiksektor flüsterte: Im Dagor wird vom »Leuchten der Individualauren« gesprochen! Zhy, das transzendentale Licht oder übersinnliche Feuer; Paranormales, Transpersonales und Transzendentales – austauschbare Begriffe und Umschreibungen für das gleiche Phänomen! Die Wahre Kraft des Bewussten Seins, die jenseits materieller Grenzen und körperlicher Einschränkung besteht und über die Schranken von Raum und Zeit hinausreicht! »Als später ein Mann vom vorgeschriebenen Pfad abwich… Ich weiß nicht, was genau passierte, aber seinen Todesschrei habe ich noch immer in den Ohren. Die Gesetze der Priesterinnen sind sehr streng! Ihnen aber haben wir es auf der anderen Seite zu verdanken, dass die Heldengedenkstätte die Stürme der Zeiten überdauert hat. Es gab in den vergangenen Jahrtausenden keinen einzigen Fall von Grabräuberei. Der Tempel der Ahnen steht noch genauso da wie in den Anfängen des Großen Imperiums!«
Arkanta Organa Metella war die Hohepriesterin der Totenwelt Hocatarr, weitere Anreden lauteten Ihre Heiligkeit, Ehrwürdige Große Mutter und auch Initiierte der Dagor-Mysterien, ZhyErweckte und Erste Seherin des Imperiums. Das fotografische Gedächtnis reproduzierte weitere Informationen: Die arkonidische Gesellschaft war – trotz Gleichberechtigung von Frau und Mann – nach außen dennoch eher patriarchalisch strukturiert: Es gab nur männliche Imperatoren, die Mehandor wurden von Patriarchen geführt, die meisten Flottenkommandeure waren Männer, Gleiches galt für die Mitglieder von Großem und Hohem Rat. Demgegenüber stand die Tradition der »Großen Mutter«, einer mehr im
Verborgenen agierenden, weiblichen Seite der Gesellschaft, deren Ursprünge aus den »Archaischen Perioden« stammen, als versucht wurde, der vom ersten Imperator Gwalon I. eingeführten feudalen Struktur mit dem ausschließlich männlichen Herrscher ein entsprechendes weibliches Gewicht gegenüberzustellen – dem Gebot der Ausgewogenheit folgend. Die Nomadenkultur Iprasas, von den legendären Gijahthrakos beeinflusst, war der Grundstock gewesen, weil es aufgrund der dortigen Bedingungen die Frauen gewesen waren, die die eigentliche »Macht« ausübten: Als Feuertöchter und Feuermütter oder allgemein Zhy-Famii, Feuerfrauen, verfügten nur sie über mehr oder weniger starke Parakräfte, doch es bedurfte des männlichen, quasi katalytisch wirkenden Elements, um diese Gaben zu aktivieren und zu beherrschen. Sie hatten sich auf Iprasa in der techniklosen Zeit wild tobender Hyperstürme, die die Raumfahrt nahezu vollständig zum Erliegen brachten, als ungemein wichtig und überlebensnotwendig erwiesen. Nach dem wiederhergestellten Kontakt zu den übrigen Arkoniden blieben die Iprasa-Arkoniden dennoch Nomaden und durchzogen nun – Motto: Das All kennt keinen Horizont – zunächst den Kugelsternhaufen mit ihren Großraumschiffen und den aus Asteroiden erbauten Handels- und WohnHabitaten. Später stießen sie weit Richtung »Nebelsektor« vor – so genannt, weil von der Position Thantur-Loks aus die Hauptebene der Öden Insel als nebelhaftes Sternenmeer wirkte. Aus jener Zeit stammte das der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Konzept der Tai Zhy Farn, der Großen Feuermutter: Eine modifizierte Form des Dagor-Mystizismus diente als Auswahlmechanismus jener Feuerfrauen, die, zu Geheimorten gebracht und in die Stasis-Konservierung
suspendierter Animation versetzt, ihr Wahres Sein auf eine stabilisierte Körperprojektion übertrugen. Der Multibewusstseinsblock dieser Zhy-Famii war deutlich mehr als die reine Summe seiner Teile. Der Großen Feuermutter sollte es zukommen – so die ursprüngliche Intention –, den männlichen Imperator um jene Seite zu ergänzen, die dem Urweiblichen entstammte. Er, als oberstes Exekutivorgan des Großen Imperiums, sollte mit Ihr unabhängig von Entfernung und Ort in paranormaler Direktverbindung stehen, um mit Ihrer Hilfe und über Sie zu den Bewohnern des Großen Imperiums eine unmittelbare transpersonale Beziehung aufzubauen und so tatsächlich zum Millionenäugigen, Allessehenden zu werden. Allerdings haben bislang nur ganze fünf Imperatoren eine Große Feuermutter an ihrer Seite gehabt, grummelte der Extrasinn. Barkam der Erste war um viertausend da Ark der Erste. Ihm folgte mehr als tausend Arkonjahre später Hozarius der Neunzehnte… Der dritte Imperator, der mit dem Beinamen »der Philosoph« versehene Arion I., bestieg erst 7308 da Ark den Kristallthron. In der Zeit von 8141 bis 8270 da Ark war Kermian XIII. inthronisiert, und Feranrol I. lebte um 9650 da Ark. Das zum hochtrabenden Konzept einer Tai Zhy Farn – eine eher schwache Bilanz…
»Es bleibt nicht viel Zeit«, sagte Fartuloon. »Im Falle des Todes eines Höchstedlen findet die Bestattung auf Hocatarr zwar zeitnah statt, doch normalerweise erfolgt der Pilgerflug zur Totenwelt nur einmal jährlich in den letzten Pragos des Messon. Nur dann haben wir überhaupt eine Chance, die Oberfläche des Planeten zu erreichen – und das ist Voraussetzung, um Atlans Vaters mit dem Lebenskügelchen
zu behandeln. Sollten wir dieses Vorhaben also angehen, bleibt nicht viel Spielraum. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, sich der Mithilfe der Quertamagins zu versichern; das neue Khasurn-Oberhaupt wird seinen Bruder zur Totenwelt geleiten, ihn könnten wir kontaktieren.« Ich dachte nach, weiterhin eher von Ablehnung heimgesucht. Letztlich war mir allerdings klar, dass die Entscheidung eigentlich schon gefallen war. Die zu erwartenden Schwierigkeiten ließen sich zweifellos überwinden. Und alles Weitere musste abgewartet werden. Frösteln überfiel mich, abermals dachte ich daran, dass die Unzugänglichkeit der Totenwelt von den Priesterinnen nicht umsonst derart scharf geachtet wurde. Die Toten dürfen nicht in ihrer Ruhe gestört werden. Es gibt keine schlimmere Verfehlung nach dem Gesetz der Großen Muttergöttin!
15. 1227. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 29. Prago des Messon, im Jahre 10.499 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Trotz Atlans – voll und ganz berechtigter! – Bedenken sind wir am 25. Prago des Messon 10.499 da Ark mit der CRYSALGIRA aufgebrochen und haben inzwischen mit vorsichtigen Transitionen den Rand von Thantur-Lok erreicht. Nur eine letzte Transition über nicht einmal zehn Lichtjahre trennt uns nun noch von der Totenwelt des Reiches. Ein erster Funkkontakt mit dem Schiff der Quertamagins wurde hergestellt, die vereinbarten Formalien wurden nochmals bestätigt. Offiziell gehören wir mit Eintreffen im Hoca-System zum »erweiterten Anhang« – der Name unseres Schweren Kreuzers ist vor diesem Hintergrund fast schon Programm. Kommandant ist der knapp fünfzigjährige Kejt Argalth, ein äußerst geschickter Navigator. Er trägt die Haare kurz geschnitten. Die winzigen Faltchen in den Augenwinkeln lassen einen Betrachter meist denken, es mit einem humorvollen Mann zu tun zu haben, aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Argalth tut nichts Unnötiges, aber das, was er in Angriff nimmt, führt er perfekt aus. Seine beiden Stellvertreter sind Jedim Kalore und Eigurd Terbakh. Kalore ist sechsundzwanzig Arkonjahre alt, etwas untersetzt, ein guter Ringkämpfer und als draufgängerisch bekannt. Terbakh, gerade einunddreißig Arkonjahre alt geworden, hat sich ebenfalls bei den regelmäßig stattfindenden Trainingswettkämpfen ausgezeichnet. Auf den ersten Blick wirkt er wie einfarbloser Typ, ist aber unter anderem ein Meister im Dagor-Bogenschießen. Ich bin sicher, das diese drei ebenso wie die insgesamt sechzigköpfige Stammbesatzung
ihren ersten Einsatz bestens bestehen werden. Wie unser Vorhaben an sich ausgehen wird, ist dagegen völlig offen. Zu viele Unwägbarkeiten spielen in die Planung hinein, nicht zuletzt die besondere Macht der Totenpriesterinnen, vor denen selbst ich gewaltigen Respekt habe! Vorgesehen ist, dass wir versuchen sollen, uns der Quertamagin-Delegation anzuschließen, um Hocatarr zu erreichen. Dort wollen wir dann zur Gruft Gonozals vordringen und uns des Sarges Seiner Erhabenheit bemächtigen. Dass es gelingt, per Transmitter zum Sargschiff und dann zur CRYSALGIRA zurückzukehren, wurde bei diversen Hochrechnungen und Einsatzsimulationen als eher unwahrscheinlich bewertet. Wir haben deshalb beschlossen, im Zweifelsfall eine Gewaltlandung des Schweren Kreuzers zu riskieren – hierbei vor allem von der berechtigten Hoffnung getragen, dass die Priesterinnen niemals Schäden der Gedenkstätten zulassen und deshalb von militärisch relevanter Gegenwehr absehen werden. Ein Abschuss unseres Schiffes ist nicht zu befürchten, doch die große Unbekannte sind die Fähigkeiten der Priesterinnen und vor allem die Ihrer Heiligkeit selbst. Ich hoffe mit einem inbrünstigen Stoßgebet an sämtliche Sternengötter, dass wir in dieser Hinsicht keine böse Überraschung erleben.
An Bord der CRYSALGIRA: 29. Prago des Messon 10.499 da Ark Ich knetete mit der Rechten den Nacken, der Transitionsschmerz legte sich rasch. Wie erwartet ging es im Hoca-System recht turbulent zu. Mit uns waren weitere Schiffe rematerialisiert, auf den Einblendungen der Panoramagalerie blinkten Hunderte Ortungsanzeigen. Mehrere Kugelraumer steuerten wie wir mit geringer Geschwindigkeit Hocatarr an. Sämtliche Schiffe trugen das arkonidische Sonnensymbol, das sie als Pilger zur Totenwelt qualifizierte.
Etliche Tontas später reihte sich die CRYSALGIRA in den Pulk der Raumer ein, die das Sargschiff ansteuerten. Dutzende Funksprüche erfüllten den Hyperäther. »Atlan«, rief Kalore. »Ich glaube, dieser Funkspruch dürfte Sie interessieren. Ein kleines Schiff verlangt Landekoordinaten, will unbedingt auf Hocatarr landen. Der Kommandant erkennt das Regiment der Priesterinnen nicht an.« Im nächsten Augenblick erklang die Nachricht für alle hörbar: »… Kerratonkh im heldenmütigen Kampf gegen die Maahks gefallen. Seine Söhne verlangen die Aufbahrung ihres toten Vaters in der KARSEHRA. Die Genehmigung Seiner Erhabenheit Orbanaschol des Dritten liegt vor und kann der Hohepriesterin ausgehändigt werden.« Die Antwort kam prompt: »Ihre Heiligkeit würdigt den Wunsch des Höchstedlen. Dennoch kann unter keinen Umständen eine Ausnahme gemacht werden. Wir werden die näheren Umstände prüfen, die zum Tode von Sonnenträger Kerratonkh führten. Wir weisen Sie an, die angegebene Warteposition einzunehmen, und werden Sie später unterrichten. Eine eigenständige Landung ist ausgeschlossen, Ausnahmegenehmigungen werden keine erteilt! Sollte die Prüfung positiv ausfallen, dürfen Sie den Körper des Verstorbenen ins Sargschiff begleiten. Steuern Sie also ohne Verzug die Warteposition an…« Auf der Panoramagalerie war zu erkennen, dass der Ultraleichtkreuzer an einen Andocktunnel heranschwebte und sich verankerte. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Kerratonkh eines Tages im Kampf fällt«, sagte Fartuloon und schüttelte den Kopf. »Die Einzigen, die in seiner Familie Tapferkeit bewiesen haben, sind seine Söhne«, ergänzte meine Mutter. »Inzwischen
dienen sie in Orbanaschols Palastgarde; ganz anständige Burschen. Jedenfalls nicht mit ihrem Vater zu vergleichen. Der alte Kerratonkh hätte bis ins hohe Greisenalter in Saus und Braus gelebt, wäre sein Planet von den Maahks verschont worden.« Die meisten Schiffe hatten inzwischen angedockt, nur einige Begleiteinheiten – wir gehörten dazu – trieben weiter entfernt im geostationären Orbit. »Wir scheinen nicht die Einzigen zu sein, die nicht ins normale Spektrum passen«, meldete sich Terbakh und blendete neue Ortungsdaten in die umlaufende Projektion. »Dieser Ultraleichtkreuzer dort verhält sich sehr merkwürdig. Jetzt geht er längsseits zum Totenschiff Kerratonkhs.« Vergrößerungen erschienen, die beiden Schiffe schienen nun zum Greifen nahe. Das fremde Schiff – dem Aussehen nach zweifellos recht alt und nicht mehr in bestem Zustand – schwebte in gleicher Höhe wie Kerratonkhs Raumer. Was sich genau abspielte, konnte ich nicht erkennen. Aber die Annäherung bis auf wenige Meter erschien mir ebenfalls merkwürdig. »Was haltet ihr davon?« Fartuloon sah mich kurz an. »Grundlos führt der dieses riskante Manöver bestimmt nicht durch.« Wie zur Bestätigung sprach die Funkortung an. Die Überwachung der Priesterinnen richtete eine dringende Anfrage an das fremde Schiff. Dieses aber antwortete nicht. Unsere Ortung zeigte allerdings an, dass eine Mannschleuse des Raumers geöffnet war. »Jemand ist aufs Totenschiff gewechselt«, sagte Fartuloon, der ähnlich kombinierte, in diesem Augenblick. Wir starrten auf die Vergrößerungen der Panoramagalerie. Die Funkortung bewies, dass der fremde Raumer weiterhin angefunkt wurde. Nach wie vor meldete er sich nicht. Erst nach einer Weile entfernte sich der Ultraleichtkreuzer, trieb
langsam an den wartenden Raumschiffen vorbei und nahm Kurs ins freie All. Nicht sonderlich weit von Kerratonkhs Totenschiff entfernt hatte der Leichte Kreuzer des Quertamagin-Khasurn angedockt. »Nutzen wir die Möglichkeit, um uns mal umzusehen?«, fragte Ra unternehmungslustig und zeigte auf die Vergrößerung. Da wir ohnehin hatten überwechseln wollen, trugen Fartuloon und ich bereits Raumanzüge. »Gute Idee«, stimmte ich zu. »Schnapp dir ebenfalls einen Anzug, Ra. Ich bin dafür, dass wir es wagen sollten.«
Die Andockausleger kamen in Sicht. Fartuloon winkte mit der Rechten; wir sollten zusammenbleiben. Um nicht aufzufallen, verzichteten wir auf die Helmfunkkommunikation. Ich erreichte die Mannschleuse von Kerratonkhs Schiff als Erster. Der kantige Griff brauchte nur angehoben und gedreht zu werden, sofern der Mechanismus nicht von innen verriegelt war. Im Helm hörte ich nur den eigenen Atem und das leise Rauschen und Zischen der Innenklimatisierung. Es ruckte ein wenig, dann glitt das Schleusenschott auf. Ra schwebte an mir vorbei, durch den Transparenthelm sah ich sein Grinsen. Es schien, als verliefe unser Unternehmen ohne Komplikationen. Auch Fartuloon schwebte in die Schleuse, deren Außenschott sich auf Knopfdruck schloss. Rotes Licht flammte auf, die Automatik flutete den Raum mit Atemluft. Wenig später zeigten die Armbandgeräte an, dass uns ein atembares Gasgemisch umgab. Das Innenschott öffnete sich, wir konnten Kerratonkhs Schiff betreten. »Sofern die Besatzung nicht mit der Übergabe des Toten beschäftigt ist, müsste unser Eindringen bemerkt worden sein«, flüsterte ich, nachdem der Folienhelm geöffnet und im
Schulter-Hals-Ring eingerollt war. »Vergiss den Fremden nicht, der vor uns an Bord ging.« Fartuloon sah sich sichernd um. »Wir müssen besonders vorsichtig sein.« Im Schiff war es völlig still. »Trauer hin, Trauer her – üblicherweise erklingt zumindest der Trauermarsch.« »Vielleicht wollen die Hinterbliebenen unter sich und ungestört sein – oder streiten ums Erbe?«, spottete Ra. Weder mein Lehrmeister noch ich reagierten darauf. Wir wechselten vom Ringgang zu einem radialen Korridor und erreichten wenig später die Zentrale. Unsere Schritte klangen merkwürdig hohl. Fartuloon legte die Hand auf den Öffnungssensor des Zentraleschotts; leise zischend glitt es zur Seite. Ich hatte unwillkürlich zum Kombistrahler gegriffen, schob ihn aber wieder zurück, als ich die reglose Gestalt entdeckte. »Wurde Kerratonkhs Leiche von einem Roboter hergebracht? Ich dachte, seine Söhne…?«, murmelte ich. Wir blickten uns suchend um. Bis auf uns und den arkonoid verkleideten Robot war offenbar niemand an Bord. Von dem Unbekannten, der vor uns hier eingedrungen war, sahen wir keine Spur. Ein Roboter versieht seinen Dienst, bis er entweder vernichtet oder abgeschaltet wird, meldete sich der Logiksektor. Dieser dort wurde erst kürzlich abgeschaltet. Ich spürte ein frostiges Gefühl im Nacken. Das Ganze wurde immer rätselhafter. Das Schiff war verlassen, die Stützelemente des Katafalks standen noch mitten in der Zentrale; der Roboter stand daneben, seine Rechte war angewinkelt. »Warum hat der Fremde die Maschine abgeschaltet?«, fragte nun auch Fartuloon. »Vermutlich wollte er unbemerkt ins Sargschiff eindringen und hat sich dazu Kerratonkhs bedient. Etwas anderes fällt
mir nicht ein.« In diesem Augenblick erklang der Funkempfänger: »Hier Bodenstation Hocatarr. Die Einschleusung der sterblichen Hülle des Sonnenträgers Kerratonkh wird widerrufen. Die fernanalytische Untersuchung ergab, dass Kerratonkh keineswegs im Kampf gegen Maahks gefallen ist, sondern ohne jeden Zweifel Selbstmord beging…« Ich sah Fartuloon erstaunt an, doch der Bauchaufschneider war ebenso überrascht. »… daher wird Ihre Heiligkeit die Beisetzung Kerratonkhs in der KARSEHRA nicht gestatten. Für feige Selbstmörder ist kein Platz in der ruhmreichen Heldengedenkstätte. Die Angehörigen werden aufgefordert, den Leichnam wieder mitzunehmen. Andernfalls erfolgt eine formlose Desintegration. Wir erwarten Ihre Entscheidung in drei Zentitontas.« »Ein Selbstmörder?«, zweifelte Ra. »Das passt zum Bild, das ich von Kerratonkh hatte«, antwortete Fartuloon nachdenklich. »Ebenso der Versuch, sich von einem Roboter nach Hocatarr bringen zu lassen, um dennoch als Held zu gelten.« »Leute wie er treffen die seltsamsten Entscheidungen«, ergänzte ich. »Möglicherweise war die Aussicht, nach dem Tod in die Heldengedenkstätte aufgenommen zu werden, der einzige Weg, die Khasurnehre aufrechtzuerhalten. Dass nun die Wahrheit ans Licht kommt, wird die gesellschaftliche Stellung der Söhne treffen.« »Genau aus diesem Grund wird er versucht haben…« Die Nachricht der Bodenstation unterbrach den Bauchaufschneider: »Die Zeit ist um – wie haben Sie sich entschieden? Melden Sie sich sofort. Andernfalls wird die Andockung gelöst; der Platz wird von anderen Schiffen benötigt.«
Wir sahen einander an. »Raumanzüge schließen!«, befahl Fartuloon. »Wir verlassen den Kahn und wechseln zum Sargschiff.« Wir rannten los, die Helme spannten zur Kugelform auf. Ein Ruck durchlief das Schiff – die Verankerung war gelöst worden. Ich spürte, dass mir der Schweiß ausbrach. Endlich spie uns die Schleuse aus, wir schwebten auf den Andocktunnel zu, während hinter uns der Ultraleichtkreuzer antriebslos davontrieb. Sofern sich niemand um den Raumer kümmerte, würde er noch Jahre im geostationären Orbit von Hocatarr verbleiben. Ich schaltete das Flugaggregat auf Höchstleistung, erreichte das Schott des Tunnels und öffnete es, davon ausgehend, dass der Tunnel als Schleuse ausgelegt war. Fartuloon glitt ebenso heran wie Ra. Ohne die Helme zu öffnen, drangen wir weiter vor, betraten die angrenzende Halle. Der aufgebahrte Sarg löste sich, als wir eintraten, unter den zuckenden Desintegratorstrahlen zu Ultrafeinstaub auf, der, von grünlichem Leuchten umgeben, einfach abgesaugt wurde. Ein Spitzbogendurchgang führte zur angrenzenden Halle, die in düsteres Halbdunkel gehüllt war und offensichtlich in Ringform angelegt war. Rechts und links mündeten die übrigen Hallen der Andocktunnel, an etlichen Stellen gab es doppelt polarisierte Prallfelder, hinter denen sich kaum erkennbare Silhouetten bewegten. Zum Zentrum des Sargschiffs hin erstreckten sich entlang der Wand Käfigtransmitter, die wiederholt automatisch aktiviert wurden und die Särge samt Angehörigen entmaterialisierten. Die Akustiksensoren meines Anzugs übertrugen energetisches Knistern. »Transmitter zur Oberfläche der Totenwelt!«, sagte Fartuloon, der das Helmfunkgerät auf minimale Leistung justiert hatte. »Fragt sich, wie Regir da Quertamagin behandelt wird. Führt seine Vergiftung ebenfalls zur Ablehnung? Oder
wird die offizielle Unfallversion auch von den Priesterinnen anerkannt?« Ich wies auf die Transmitter, in etlichen schwebten von keinem Angehörigen begleitete Särge ein. »Wagen wir es?« Fartuloon und Ra nickten. Obwohl mich der Extrasinn warnte, überschritt ich die gelb-rote Warnschraffur, folgte damit zwei auf Antigravpolstern ruhenden Särgen, sah nervös, dass die beiden Freunde rechtzeitig folgten, ehe sich die Käfigtür schloss – dann hüllte mich das energetische Flimmern schon ein. Praktisch in Nullzeit wurden wir abgestrahlt und überwanden die Distanz vom Sargschiff zur Oberfläche der Totenwelt.
Düstere Nebelschwaden quollen durch das nach oben spitz zulaufende Tor in die Transmitterhalle. Traktorfelder dirigierten die vorangleitenden Särge in eine lange Reihe und setzten sie auf einem energetischen Transportband ab. Während die höherstehenden Toten und ihre Angehörigen an anderer Stelle rematerialisiert wurden, waren die hiesigen für das Gräberfeld des Unbekannten Soldaten vorgesehen. Er symbolisierte die Tapferkeit und die Selbstaufgabe all jener Kämpfer, die namenlos im Kampf starben, sowie all jene, die nie ein Grab erhalten konnten, weil ihre Schiffe komplett vernichtet worden waren. Die Särge waren folglich nur Staffage, reine Symbole für Körper, die nie hierherkommen konnten. Wir öffneten die Helme, während wir der Prozession folgten. Die Luft war kalt, es roch nach Moder und Fäulnis. Nebel umwaberte unsere Körper, in der Ferne waren die Schemen bizarrer Bauwerke zu erkennen. Zur Linken wie zur Rechten erschienen zwischen Schwaden die zernarbten Stämme großer Bäume; die Äste trugen rostrote Blätter und
überwölbten den Weg der Schwebesärge wie ein Laubengang. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Gongschlag, fremdartige Stimmen erreichten unsere Ohren. »Die Priesterinnen weihen im Tempel der KARSEHRA die neu hinzugekommenen Toten«, flüsterte Fartuloon. »Die feierliche Zeremonie geht auf die Überlieferung unserer Ahnen zurück; alles ist noch genauso wie damals in der Anfangszeit des Imperiums.« Ich sah ihn irritiert an. Der Tonfall wirkte auf mich fast so, als sei der Bauchaufschneider damals dabei gewesen… Die Särge schwebten langsamer, ich sah nach vorn, konnte aber außer einem weiteren, noch geschlossenen Tor nichts erkennen, weil der Nebel eine dichte Suppe bildete. »Wo sind wir?« »Der Tempel der toten Seelen kann nicht weit entfernt sein.« Auch Fartuloon wirkte etwas ratlos. Plötzlich hob Ra den Kopf, kniff die Augen zusammen und blähte die Nasenflügel. »Es riecht verbrannt. Ein großes Feuer. Ganz in der Nähe.« Ras Augen glänzten. Trotz seiner intensiven Hypnoschulungen hatte der Barbar seine Instinkte nicht verloren. Häufig erkannte er Dinge, die uns verborgen blieben. Das Tor voraus war nur noch etwa zehn Meter entfernt. Unbehagen machte sich in mir breit. Plötzlich sprang eine düstere Gestalt vom energetischen Transportband; der Fremde trug einen Raumanzug wie wir, der ihn noch dicker und unförmiger aussehen ließ, als er vermutlich ohnehin schon war. Im gleichen Augenblick dröhnte ohrenbetäubende Musik auf, während ein merkwürdiges Brausen gewaltig anschwoll. Hämmernde Bässe ließen die Särge erzittern, Blasinstrumente schrillten. Der Fremde war nicht umsonst geflüchtet – langsam öffnete sich das Tor und ließ mich geblendet die Augen schließen. Grelle Lichtflut strahlte uns entgegen. In diesem
Augenblick wusste ich, was mit den Särgen geschah, die für das Gräberfeld des Unbekannten Soldaten vorgesehen waren: Sie vergingen in den atomaren Gluten eines Konverters.
Plötzlich war der Fremde wieder da, huschte zwischen Büschen durch, die das Transportband flankierten. Kurz trafen sich unsere Blicke. Er war ein Arkonide, dessen dickes Gesicht schwammig und aufgedunsen wirkte. Er winkte hektisch. Ohne groß nachzudenken, folgten wir dem Mann, kämpften uns durch das Gestrüpp und ließen die bizarre Prozession hinter uns. Ein kalter Hauch wehte uns entgegen, die Musik blieb zurück. Ich atmete tief durch. Es roch nach faulendem Laub und brackigem Wasser. Irgendwo schrillte der einsame Ruf eines Vogels durch den Nebel, der sich weiter voraus etwas zu lichten schien. Fartuloon musterte den Mann von oben bis unten und krauste die Stirn. Unwillkürlich fragte ich mich, ob der Bauchaufschneider ihn kannte. Ehe ich ihn fragen konnte, winkte er knapp ab und deutete nach vorn auf einen hellen Fleck im Dunst. Als wir darauf zugingen, schoben sich die Nebelschwaden wie Vorhänge vor dem grünlichen Leuchten zur Seite. Blattloses Gestrüpp umgab eine Lichtung, kahles Geäst reckte sich in das Wabern. »Eine uralte Heldengedenkstätte«, sagte der Fremde. »Fragt sich nur, wem zu Ehren sie errichtet wurde.« Er dachte nicht daran, sich vorzustellen, und auch wir schwiegen in dieser Hinsicht. Fartuloons Reaktion ging mir nicht aus dem Kopf. Wusste er etwas über den Fremden? Inzwischen war ich mir sicher, dass er ihn erkannt hatte. Erst als ich den Rand der Lichtung erreicht hatte, erkannte ich die mächtigen Steinquader, die in Abständen von rund fünf Metern aufragten. Sie bildeten einen Halbkreis um eine
mannsgroße Kupferschale, in der würzige Kräuter schmorten. Jeder Quader war annähernd fünfzehn Meter hoch und fast drei Meter dick. Die Oberfläche war rissig und von Fäulnispilzen überzogen. Mächtige Querblöcke verbanden die senkrechten Quader zu einer Art Brücke. »Könnte zum Tempel der toten Seelen gehören«, murmelte Fartuloon. »Wir sollten uns vorsehen; die Fähigkeiten der Priesterinnen sind nicht zu unterschätzen. Noch dürften sie alle Hände voll zu tun haben, aber…« Der Fremde deutete auf einen Durchgang, der von der Kupferschale in schnurgerader Linie auf ein düsteres Bauwerk zuführte. Die Vorderfront des Gemäuers wirkte brüchig und zerfallen, zahlreiche moosüberwucherte Standbilder und Reliefs zierten die Mauer. In düsteren Nischen glühten kleine Lichter. Die nach wie vor wogenden Nebelschwaden verliehen der Szenerie etwas Gespenstisches. »Die KARSEHRA!« Fartuloon hielt den Zeitpunkt für gekommen, sich mit dem Fremden zu unterhalten. »Dein Profil ist mir bekannt…« »Ich bin sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind.« »… allerdings hast du wenig von deinem Vater, del Gnotor«, fuhr der Bauchaufschneider ungerührt fort. Der Mann zuckte zusammen, das schwammige Gesicht zitterte plötzlich. Also doch! »Ich bin Baylamor Arham del Gnotor. Ihr seid mit der CRYSALGIRA gekommen, nicht wahr? Meine Mutter warnte mich noch, aber ich hielt euch für harmlos. Hätte ich bloß auf sie gehört…« »Du brauchst keine Angst zu haben. Störst du uns nicht, hast du ebenfalls nichts zu befürchten.« Das schien den Dicken zu beruhigen. Trotzdem hatte er die Überraschung über seine Identifizierung noch nicht überwunden. »Was wollt ihr auf Hocatarr?«
»Das könnten wir auch dich fragen, mein Lieber.« Fartuloon grinste kühl. »Du hast dich eingeschlichen. Hm, ich wusste gar nicht, dass del Gnotors zweite Frau einen Sohn hatte.« Seine Bemerkung kam wie nebensächlich, doch sie genügte, um Baylamor zusammenzucken zu lassen. Eitel!, raunte der Extrasinn. Sieh seine Hände. Er trägt sogar über den Handschuhen Ringe. Ein zunächst unbestimmter Verdacht gewann in mir Gewissheit. Dieser Schmuckliebhaber war unzweifelhaft zur Totenwelt gekommen, um die Begräbnisstätten zu plündern! Ein Blickwechsel mit Fartuloon ließ mich meinen Verdacht vorerst für mich behalten. Der Logiksektor spottete: Bist du etwa kein Grabräuber? Ich presste die Lippen zusammen, doch der Einwand meiner inneren Stimme saß. Wir wollten die Totenruhe meines Vaters stören, waren sogar nach Hocatarr gekommen, um ihn durch ein zweifelhaftes Experiment wieder ins Leben zu rufen. Ein mehr als nur flaues Gefühl wühlte verstärkt in meinem Magen. Baylamor stand nun vor einer der Pforten des düsteren Gebäudes. Fartuloon und Ra waren ihm gefolgt, während ich an der verschnörkelten Fassade entlangsah. Die riesigen Dachaufbauten verschwanden weitgehend im Nebel. Aromatische Duftwolken umhüllten uns, als wir durch die Pforte eintraten und eine komplizierte Architektur vorfanden. Säulengänge wechselten mit labyrinthisch verschlungenen Korridoren zwischen großen Innenhöfen und angrenzenden Sälen und zahlreichen Sakralräumen. Überall brannten kleine Lichter, in Kupferpfannen schmorten Kräuter. Wir passierten den säulenumrahmten Vorhof und gingen weiter. Das Gebäude war nur auf den ersten Blick die uralte Gruft – tatsächlich waren die Nischenlichter elektrischer Natur, und automatische Auswurfschächte versorgten in regelmäßigen Abständen die Pfannen mit neuen Kräutern.
Wir erreichten einen großen Saal, dessen Durchmesser neunzig bis hundert Meter betrug und der kaum weniger hoch war. Steinerne Stützsäulen waren von Fresken übersät, während an den Wänden Bildschirme und Holoprojektionen leuchteten. »Es ist der Tempel der toten Seelen«, murmelte Fartuloon. »Überall finden sich die persönlichen Erinnerungen der Toten.« Als ich die plastischen Konterfeis längst gestorbener Arkoniden erblickte, erfasste mich Scheu. Diese Männer hatten das Große Imperium aufgebaut. Sie waren mit ihren Raumschiffen in unerforschte Regionen des Alls vorgestoßen, um neue Planeten und neue Völker zu entdecken. Sie hatten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das Sternenreich zu gründen und gedeihen zu lassen. Vor einer Projektion blieb ich stehen, sah das scharf geschnittene Gesicht des alten Mannes lange an. In den hellroten Augen spiegelte sich die unglaubliche Energie all jener wider, die Arkon groß und mächtig gemacht hatten. Das Gesicht des Alten war zernarbt, und doch zeigte es eine Spannkraft, die heutzutage manch Zwanzigjähriger nicht mehr aufwies. Ein rubinroter Umhang bedeckte die Schultern, gehalten von einer matt schimmernden Arkonstahlspange. »Das ist Nert Amharin, der Entdecker der Sycliden-Sterne.« Fartuloon seufzte. »Heute ist er längst vergessen. Niemand weiß mehr, dass dieser Mann mit einem kleinen Raumschiff ein ganzes Sonnensystem erobert hat.« »Und dieser dort?«, fragte ich und deutete auf das benachbarte Bild eines durchgeistigt wirkenden Mannes. Das schmale Gesicht wurde von schulterlangem Silberhaar umrahmt, eine geschwungene Hakennase beherrschte das Antlitz. »Tjeolos, der Bauchaufschneider von Imperator Inkar dem Ersten. Er war ein meisterhafter Beherrscher des tikoischen
Fiebers. Er entdeckte auch ein Mittel gegen die Kälte-SternPest. Wenn einer den Ehrentitel Yoner-Madrul verdient hat, denn dieser Tjeolos. Ich will unbedingt hören, wie er seine Erinnerungen formulierte.« Fartuloon berührte einen roten Knopf des kleinen Schaltpults und starrte gebannt auf den aufleuchtenden Bildschirm. Die hochgewachsene Gestalt des Arkoniden erschien, aus verborgenen Lautsprechern erklang die sanfte Stimme eines Mannes, der schon über tausend Arkonjahre tot war. Das tikoische Fieber, schoss es mir durch den Kopf, habe ich während meiner Ausbildung für die ARK SUMMIA zum ersten Mal kennengelernt – und im Mikrokosmos erstmals selbst angewandt. Die Anwendung des Fiebers ist lebensgefährlich. Ab einem bestimmten Zeitpunkt lässt es sich nicht mehr kontrollieren, dann helfen auch die besten Medikamente nicht mehr. Wird eine bestimmte Schwelle überschritten, stirbt man sogar. Plötzlich gellte ein Schrei durch den Saal, dessen Echo vielfach widerhallte. »Das war dieser Baylamor«, rief Ra und rannte los.
Der Grabräuber umfasste die Kanten des Schaltpults mit beiden Händen, zitterte am ganzen Körper. »Was ist los?« Ich berührte seine Schulter und hatte das Gefühl, in ein schwabbeliges Polster zu greifen. »Du hast uns einen gehörigen Schrecken eingejagt.« Mühsam hob er den Kopf, sah mich lange aus umwölkten Augen an. Das Gesicht war von roten Recken überzogen, kraftlos deutete er auf das Bild des Raumfahrers. Auch dessen Neigung zum Übergewicht war unübersehbar. Mund und Augenstellung ließen auf eine Verwandtschaft schließen. Fartuloon wies auf das kleine Schild und sagte: »Markh
Hoctor del Gnotor, Baylamors Vater.« Baylamor richtete sich schwer atmend auf. »Ich kann mich kaum an meinen Vater erinnern; ich war erst fünf, als er starb. Dann floh ich mit Mutter. Wenn ich an ihn denke, habe ich immer den Eindruck, er sei der mutigste und tapferste Mann in der Flotte des Imperiums gewesen.« Fartuloon nickte. »Das ist nicht einmal übertrieben. Ich kenne sein Schicksal. Dein Vater starb als Held. Er hielt einen Maahkverband so lange hin, bis Verstärkung vom Flottenzentralkommando geschickt wurde. Ihm haben wir es zu verdanken, dass die Kanza-Kasatrop-Planeten vom Zugriff der Methans verschont blieben. Wenige Augenblicke bevor die Verstärkungseinheiten aus dem Hyperraum kamen, verging das Schiff deines Vaters in den Impulsgluten des Gegners. Das Letzte, was man von ihm vernahm, war ein Hyperkomspruch an das Zentralkommando, dann brachen die Schutzschirme zusammen.« Baylamor berührte den Aktivierungsknopf. Auf dem Bildschirm erschien das Brustbild seines Vaters. Er trug sämtliche Auszeichnungen – die Kometenspange war dabei, das arkonidische Sonnensiegel und auch der posthum verliehene Kristallstern für besondere Tapferkeit. »Wie kommt es, dass Vater diesen Orden trägt? Er war bei der Aufzeichnung doch längst tot; sein Körper vernichtet.« »Es genügen wenige Bilder und Filmaufnahmen, um eine solche Darstellung zu rekonstruieren und zu simulieren. Auch die Stimme ist eine positronische Berechnung. Selbst wenn er die Aufnahme nicht persönlich erstellt hat, ist sie nicht von der echten Stimme zu unterscheiden.« »Dieses Verfahren dürfte immer dann angewendet werden«, ergänzte ich, »wenn die Verstorbenen zu Lebzeiten nicht mehr ihre persönlichen Gedanken und Vorstellungen formulieren konnten, aber genügend sonstiges Material vorliegt. Auf diese
Weise bleiben die Erkenntnisse unserer Helden der Nachwelt erhalten. Auf Anfrage liefern die Priesterinnen sie den Angehörigen und Nachkommen.« Bisher hatten wir den Ausführungen des Raumhelden nur mit halbem Ohr gelauscht, während Baylamor jedes Wort gierig aufnahm. Kurz bevor die Aufzeichnung zu Ende war, gab es die für den Mann folgenschweren Zusammenhänge, die sein ganzes bisheriges Leben aus einem anderen Licht erscheinen lassen mussten. »… war ich nur während meiner kurzen Landungen in der Nähe meiner Frau Nadira. Sie gebar mir einen Sohn, wir nannten ihn Baylamor Arham. Ich setzte alle Hoffnungen auf ihn, er sollte eines Tages mein Erbe antreten, um genau wie ich für Arkon und Seine Erhabenheit, den Imperator, zu kämpfen. Vielleicht würde er sogar den Sieg über die barbarischen Horden der Methans miterleben. Das hoffte ich – bis mich ein grausamer Schlag ereilte. Während eines längeren Aufenthalts im Nebelsektor wurde meine Frau ermordet. Es gab keine Zeugen, ich war auf Vermutungen angewiesen. Den ersten konkreten Hinweis erhielt ich durch Ihre Heiligkeit, die Arkanta – sie gewährte mir die Gunst der Bestattung meiner geliebten Gattin auf der Totenwelt. Die Arkanta warnte mich eindringlich vor der Kinderzofe Aytilaa, ohne jedoch Details zu verraten. Ich beschloss, auf das Drängen Aytilaas einzugehen, machte sie zu meiner zweiten Frau. Auf diese Weise konnte ich sie einem Psychostrahlerverhör unterziehen; das Ergebnis war niederschmetternd und traurig zugleich, denn sie hatte meine geliebte Nadira ermordet! Aus reiner Habgier, weil sie an meine Reichtümer heranwollte. Bevor ich sie der gerechten Strafe überantworten konnte, floh sie mit meiner Jacht von der Kristallwelt und entführte meinen kleinen Sohn Baylamor Arham…« »Diese elende Hexe!«, schrie Baylamor, auch diesmal gellte
der Schrei wie beim ersten Mal. »Sie hat mich das ganze Leben an der Nase herumgeführt. Sie hat die treusorgende Mutter stets nur gespielt, hat mich im Raumschiff gefangen gehalten. Für sie musste ich die Gräber ausplündern, führte ein schreckliches, einsames Leben.« Baylamor sank erschüttert in sich zusammen, konnte einfach nicht begreifen, was ihm angetan worden war. Zum Einzelgänger und Plünderer geworden, weil seine Zofe eine brutale Mörderin war. »Wo ist sie jetzt?«, fragte ich leise. »Sie wartet auf meinen Minikomspruch. Ich soll hier einige Gräber plündern und dann wieder zum Raumschiff zurückkehren. Wir haben ausgemacht, dass ich mich nach genau zehn Tontas melde. Sollte ich bis dahin nichts Wertvolles gefunden haben…« »Ihr werdet Hocatarr niemals verlassen!« Die Stimme klang schrill und markerschütternd. Plötzlich war ringsum das Rascheln von Gewändern zu hören. Unterdrücktes Stimmengemurmel mischte sich mit raschen Schritten. Bevor wir die Sprecherin entdecken konnten, spurteten wir los, verfolgt vom Kreischen der Stimme: »Ihr seid Grabräuber, habt euch heimtückisch in die KARSEHRA geschlichen… Und noch mehr: Ihr wollt die Ruhe eines ganz bestimmten Toten auf eine Weise stören, die verdammenswert ist. Deshalb werdet ihr in der Arena der Großen Mutter sterben! Vorwärts, meine Dienerinnen, greift sie und fesselt sie. Ich will, dass sie lebend und unversehrt die Arena erreichen.« Irgendetwas lähmte mich und bannte mich an meinen Platz. Das Rascheln der schweren Gewänder wurde lauter. Mehrere Gestalten, deren Gesichter von schwarzen Schleiern verdeckt waren, traten heran. Ohne mich wehren zu können, ganz diesem machtvollen Bann erlegen, wurde ich gefesselt und abgeführt.
Im Rund der Arena hatten viele hundert Personen Platz. Die Priesterinnen hatten uns zur Arenamitte geführt, sich dann wortlos abgewandt und die Ränge bestiegen, von wo aus sie uns schweigend beobachteten. Von keiner hatte ich das Gesicht gesehen, alle verhüllten sich mit schwarzen Schleiern. »Es war ein Fehler, auf Hocatarr zu landen«, stieß Fartuloon hervor. »Jetzt sitzen wir in der Patsche. Die Priesterinnen besitzen hier die absolute Befehlsgewalt. Sie können mit uns machen, was sie wollen. Man erzählt sich nicht gerade angenehme Dinge über die Urteile der Hohepriesterin.« »Kann es überhaupt noch schlimmer werden?«, fragte ich gepresst, weil ich wegen der Fesselung nur flach atmen konnte. Den Freunden und auch Baylamor erging es nicht anders. Von den Rängen erklang ritueller Singsang. Einige der Frauen ließen Rasseln erklingen, die sie an den Handgelenken trugen. Plötzlich wurde es still. »Die Hohepriesterin kommt.« Wir starrten gebannt zur Empore. Die schwarze Gestalt schien zwischen den Statuen hindurchzuschweben, kam leichtfüßig die Stufen herunter. Sie war etwas kleiner als die anderen Frauen. Über dem Gesichtsschleier glänzte die Kristallkrone, genau wie Mutter sie beschrieben hatte. Eine schimmernde Aura umgab die Frau. Von einem Windstoß gebauscht, blähte sich der Umhang, die Konturen eines sehr hageren Körpers waren zu erkennen. »Ihr wisst, dass euch der Tod erwartet! Ihr seid das Risiko in vollem Bewusstsein eingegangen. Ich kenne eure Gründe. Die Gesetze der Großen Mutter lassen keine Ausnahme zu – ihr seid zum Tod verdammt!« »Normalerweise darf sich ein Gefangener verteidigen!«,
schrie ich, obwohl mir die Lungen schmerzten. »Große Worte, Kristallprinz!« Arkons Götter, schoss es mir durch den Kopf. Sie weiß, wer ich bin. »Warum lieferst du mich nicht Orbanaschol aus?« Die Gestalt straffte sich. »Warum sollte ich? Er ist ein Mörder und Betrüger. Auch ihn wird die gerechte Strafe treffen. Begreif es, Kristallprinz: Auf Hocatarr gilt mein Gesetz! Und mein Gesetz beruht auf den unumstößlichen Grundsätzen einer jahrtausendealten Tradition, die auf den Kult der Großen Mutter zurückgeht.« Die Arkanta hob die Arme, die Priesterinnen auf den Rängen verneigten sich, eine Litanei erklang. »Baylamor Arham del Gnotor«, rief Ihre Heiligkeit Organa Metella und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den zitternden Grabräuber. »Du hast an der Seite der Mörderin Aytilaa ein unwürdiges Leben geführt. Du hast auf vielen Welten die Totenruhe geschändet und Gräber ausgeplündert. Du bist aus Habgier hergekommen, um die Grabstätten der großen Helden des Imperiums zu entweihen. Du hast den Tod verdient. Aber ich will, dass du lebst…« Die Stimme gewann eher noch an suggestiver Eindringlichkeit, je länger Metella sprach. Dabei wusste ich nicht einmal genau, ob es wirklich eine akustische Stimme war oder ob sie direkt in meinem Kopf auf telepathischer Basis erklang. Baylamors Gesicht entspannte sich, plötzlich schöpfte er Hoffnung. »… sollst dir bewusst werden, wie abscheulich dein bisheriges Leben war. Du sollst so lange einsam durch das Weltall irren, bis du deinem erbärmlichen Dasein selbst ein Ende setzt. In diesem Augenblick geht ein Funkspruch an die Mörderin Aytilaa; wir teilen ihr mit, dass du hinter ihr Geheimnis gekommen bist. Sie soll wissen, dass du die letzte Nachricht deines Vaters gehört hast. Das wird sie töten. Wenn du in dein Schiff zurückkehrst, wirst du in der Zentrale
eine Tote finden.« »Nein! Ich allein habe das Recht, die Mörderin meiner wahren Mutter zu richten.« »Recht?« Die Arkanta lachte auf, ehe sie zwei Priesterinnen winkte. »Schafft ihn zum Transmitter. Im Sargschiff erwartet ihn ein Roboter, der ihn zu seinem Schiff bringt.« Baylamor schrie gellend, während er von den Priesterinnen aus der Arena gezerrt wurde. Er drehte sich, rollte wild mit den Augen. Ich verstand nicht, was er stammelte, wusste aber, dass der Mann am Ende war. Das Leben würde für ihn eine schlimmere Strafe sein als der Tod. Ihre Heiligkeit wandte sich uns wieder zu. »Fartuloon, Bauchaufschneider des verstorbenen Imperators! Es war dein Plan, Gonozal den Siebten wieder zum Leben zu erwecken, um Orbanaschol vom Thron zu fegen. Ein kühner Plan. Aber er wird niemals verwirklicht werden. Die Toten auf Hocatarr dürfen nicht in ihrer ewigen Ruhe gestört werden. Es gibt keine schlimmere Verfehlung nach dem Gesetz der Großen Mutter…« »Sag doch gleich, dass du uns hinrichten lassen willst.« Wir waren dieser Frau mit Haut und Haaren ausgeliefert. Der paranormale Druck ihrer Fähigkeiten wirkte noch stärker als die materiellen Fesseln. Die Abwehr meines Monoschirms war schlicht und einfach hinweggefegt worden. Auch der Bauchaufschneider konnte sich gegen diese Macht nicht wehren. Abermals lachte Metella. »Ja, ihr werdet sterben… Doch zunächst erfährt Ra sein Urteil. Du bist kein Arkonide, deine Gedanken sind rein und unverfälscht. Du kannst nicht nach den Maßstäben beurteilt werden, die für deine Freunde gelten. Deshalb wirst du leben. Ich lasse dich im Tempel der Großen Mutter fasten. Sobald die notwendige Zeitspanne um ist, lösche ich dir höchstpersönlich jede Erinnerung an dein bisheriges Leben. Du wirst dann im Sargschiff für den Rest deines Lebens dienen. Erst dann ist dem Gesetz der Großen Mutter Genüge
getan. Schafft ihn zur Empore, er soll das Ende seiner Freunde miterleben.« Zwei Priesterinnen eilten herbei und zerrten den Barbaren mit. Er brüllte den Kampfschrei der steinzeitlichen Jäger seiner Heimat, legte alle Wut und Verzweiflung in den Schrei, der über die Arena gellte. Doch mehr war ihm nicht möglich; er sank kraftlos auf den Rängen zusammen. »Nun zu euch: Ihr werdet eure eigenen Henker sein – tötet euch gegenseitig!« Das Entsetzen packte mich. So also lautete der Plan. Die Hohepriesterin sollte sich verrechnet haben, niemals würde ich die Hand gegen meinen väterlichen Freund erheben. Und Fartuloon würde im Gegenzug nicht gegen mich antreten. Dessen war ich mir sicher. »Du musst wahnsinnig oder dumm sein«, bestätigte der Bauchaufschneider meine Gedanken. »Wie kannst du erwarten, dass ich den Kristallprinzen töte, nachdem ich ihn bis jetzt beschützt habe?« Die Arkanta antwortete nur mit einem abfälligen Zischen. Eine Priesterin schleuderte Fartuloon das Skarg vor die Füße. Eine andere Vermummte ließ einen blitzenden Schild vor seine Füße fallen. »Du wirst den Kristallprinzen töten!« »Irrtum, meine Teuerste«, stieß er hervor. »Sobald ich die Fesseln los bin, vergesse ich meine angeborene Höflichkeit einem Weib wie dir gegenüber.« »Viel heiße Luft, Bauchaufschneider.« Sie ging gar nicht weiter auf seine Worte ein. »Bringt die Waffen für den Kristallprinzen.« Als das scharfe Dagorschwert und ein zweiter Schild vor mir lagen, zogen sich die Priesterinnen zurück. »So ganz scheinen sie uns doch nicht zu trauen«, raunte Fartuloon. Ich teilte seinen durchklingenden Optimismus nicht, zu sehr
wühlte der Druck in meinem Schädel. Ohne das Zutun einer Person lockerten sich die Fesseln und fielen dann ab. Sofort begann das unangenehme Kribbeln; Blut schoss in die abgeschnürten Bereiche. »Hebt die Waffen auf!«, schrie die Arkanta mit suggestiver Kraft. Es geschah genau das, was ich befürchtet hatte. Die lautlose Macht zwang mich, nach Schwert und Schild zu greifen. Fartuloon erging es nicht anders. Noch gab es einen Rest von Widerstand, wir wichen voreinander zurück. Aber plötzlich blieb der Bauchaufschneider stehen, sein Körper krümmte sich zusammen. Mühsam rammte er das Skarg in den Boden; schwer stützte er sich auf den Schwertgriff, der Schild hing locker in der Linken. Bis zu einem gewissen Grad kannst du der Suggestion widerstehen, raunte der Extrasinn. Für Augenblicke verschwamm alles vor meinen Augen. Die Sitzreihen der Priesterinnen versanken in einem dunklen, pulsierenden Nebel. Etwas schob sich in mein Bewusstsein, der fremde Zwang wurde stärker und stärker und ließ sich nicht abschütteln. Töte Fartuloon! Töte Fartuloon! Ich schüttelte den Kopf. Die Befehlsimpulse tobten in meinem Inneren. Nur der Extrasinn half mir noch, sie abzuwehren. Noch hatte ich meinen Körper in der Gewalt. Aber das würde nicht mehr lange so sein. In diesem Augenblick hob der Bauchaufschneider den Kopf, seine Gestalt straffte sich. Die Faust umschloss den Griff des Skarg fester, der Schild wurde an die Brust gerissen. Über seinen Rand fixierte mich ein Blick, der mich schaudern ließ. Die Augen meines Lehrmeisters waren blutunterlaufen und starrten mich voller Mordlust an.
Im nächsten Augenblick beschrieb das Skarg einen Bogen über meinem Kopf. Nur durch schnelles Ducken gelang es mir, dem Hieb zu entgehen, der mir den Kopf vom Rumpf getrennt hätte. Fartuloon sprang nach rechts und machte einen Ausfall, sein Dagorschwert sollte meine ungeschützte Seite treffen. Ich riss den Schild herum, Funken sprühend schrammte die Klinge darüber. Die Wucht ließ mich taumeln. »Mann… komm zur Besinnung! Wehr dich! Du willst mich nicht töten!« Der Bauchaufschneider antwortete nicht, sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. In diesem Augenblick wusste ich, dass er mich nicht schonen würde; nun befand er sich vollkommen in der Gewalt der Hassimpulse, die auch in meinem Kopf loderten. Bei der geringsten Blöße, die ich mir gab, würde er mich töten. Und mein Lehrmeister war ein hervorragender Schwertkämpfer. Er hatte mir als Knabe die besten Tricks beigebracht, jetzt wollte er mich töten. Er trieb mich mit einer Flut von Hieben vor sich her. Noch parierte ich jeden Schlag. Metall klirrte auf Metall, Funken sprühten. Ich fühlte, dass mein Blut förmlich zu sieden begann. Unaufhörlich wurde auch mein Bewusstsein von den Hassimpulsen überschwemmt, während ich mich gleichzeitig bemühte, Fartuloons heftige Attacken abzuwehren. Ich konnte nichts dagegen tun, spürte, wie auch mein Zorn stieg. Fartuloon sprang einen Schritt zurück, wich zur Seite aus und rammte dann die Unterseite des Schilds in meine Richtung. Im gleichen Augenblick folgte der Hieb mit dem Skarg. Die Klinge zischte über die Oberkante meines Schildes und zog einen blutigen Schnitt auf meiner Wange. Ich fühlte nur Warmes tropfen, der Schmerz würde erst später kommen. Nicht tödlich, zischte der Logiksektor. Keine Schwäche anmerken lassen.
Fartuloon kämpfte wie eine Maschine, sprang vor, schlug zu, tänzelte geschickt vor und zurück. Er trieb mich mit dem Schild vor sich her, um dann mit dem Skarg zuschlagen zu können. Für Atemzüge waren wir einander ganz nah, jeder versuchte, den anderen zu Boden zu ringen, ich sah das Zucken von Fartuloons Halsschlagader. Dann wichen wir zurück, umkreisten einander, waren schweißüberströmt. Im nächsten Augenblick der erneute Zusammenprall, für Wimpernschläge das Gefühl, gleich stark zu sein. Dann ließ sich der Bauchaufschneider unverhofft nach hinten fallen, hob gleichzeitig einen Fuß und riss mich mit sich. Mein Schwert klirrte auf den Boden. Ich fiel so unglücklich auf meinen Schild, dass mir der Atem wegblieb. Während mir grellrote Schemen vor den Augen tanzten, setzte Fartuloon nach. »Lass den… Wahnsinn… Ich…« Halb konnte ich mich aufrichten, ein glühender Schmerz raste durch meine Brustplatte. Gebrochen hatte ich sie mir nicht, aber die Prellung schmerzte nicht weniger. Der Bauchaufschneider stand nun dicht über mir, das Skarg hob sich zum tödlichen Schlag. Schon sauste die Klinge herab, im letzten Augenblick wälzte ich mich zur Seite. Nicht einmal einen Zentimeter neben meinem Kopf krachte die Klinge auf den Boden. »Arkanta, beende den Wahnsinn!« »Ihr selbst bestimmt, wie lange es dauert«, donnerte es in meinem Kopf. Mit Mühe kam ich wieder auf die Beine. Ich war mir bewusst, dass auch ich bald sämtliche freundschaftlichen Gefühle für meinen Lehrmeister abschütteln würde. Selbst wenn die Beeinflussung nicht übermächtig wurde, überwog dennoch der Selbsterhaltungstrieb. Ich wehrte mich, griff selbst an, wich aus, parierte Hiebe. Bald würde ich dringend eine Verschnaufpause benötigen, doch weder Ihre Heiligkeit
noch der Bauchaufschneider würden sie mir gewähren. Fartuloon war nicht länger Herr über sich selbst, die Hassimpulse beherrschten ihn völlig. Und die Priesterinnen steigerten noch die Raserei, ihre wilden Schreie gellten durch die Arena. Ich fühlte, dass ich schwächer wurde, das Schwert wurde immer schwerer, ebenso der Schild. Die Handgelenkrasseln der Vermummten bestimmten den Takt unserer Bewegungen, lautstarker Gesang von archaischem Klang hallte die Ränge hinauf, kehrte als schauerliches Echo zurück. Fartuloon schien im Gegensatz zu mir keine Schwäche zu kennen; ich musste ihn verletzen, wollte ich die kommenden Zentitontas überleben. Jetzt!, signalisierte der Logiksektor. Er bereitet einen Ausfall vor. Kurz hintereinander stieß ich mehrmals mit meinem Schwert zu. Das Material des Schutzanzugs wurde durchdrungen – ich verletzte den Bauchaufschneider an Arm und Brust. Er gab nicht einmal einen Wehlaut von sich, drang nur noch verbissener auf mich ein. Entscheide dich, beschwor mich der Extrasinn. Entweder er oder du.
Es war purer Zufall, dass ich die Ränge hinaufblickte. Die Sitzreihen mit den Priesterinnen wirkten auf mich wie ein Dampfkessel kurz vor der Explosion. Ganz oben aber entdeckte ich die Silhouetten zweier Männer. Ra und Baylamor, bestätigte meine innere Stimme. Sie müssen sich befreit haben. Bevor ich die Erkenntnis richtig verdaut hatte, verschwamm mir alles vor Augen. Die suggestiven Impulse trafen mich mit voller Wucht. Eine unbeschreibliche Wut erfüllte mich von einem Augenblick zum anderen. Ich wollte nur noch den Kampf zu meinen Gunsten entscheiden, alles andere war
völlig gleichgültig. Neue Kraft schien durch meine Adern zu pulsieren. Mit einem Hagel kraftvoll geführter Schläge trieb ich Fartuloon vor mir her. Noch konnte der Bauchaufschneider die Hiebe parieren. Aber auch seine Kraftreserven würden bald erschöpft sein. Die Anzeichen waren zunächst winzig, mehrten sich dann jedoch. Längst kamen die Abwehrhiebe nicht mehr so präzise. »Jetzt hab ich dich«, hörte ich mich keuchen. Du irrst dich, rief irgendwo eine Stimme. »Du hast mich lange genug gedemütigt. Ich bin der Kristallprinz.« Du bist in der Gewalt der Suggestionen. »Willst du mich verspotten, Bauchaufschneider?« Tief in meinem Inneren wusste ich, dass nicht Fartuloon, sondern der Extrasinn zu mir gesprochen hatte. Aber ich wehrte diese Impulse ab, ignorierte sie im Bann der viel stärkeren Einflüsterungen, die unbedingt wollten, dass ich meinen Lehrmeister tötete. Meine Schläge kamen noch gezielter. Ich verfolgte eine bestimmte Taktik – ich wollte meinen Gegner entwaffnen und dann mit einem gezielten Schlag töten. »Das gefällt dir nicht, was?« Fartuloon grollte. Schweiß rann über sein verzerrtes Gesicht. In diesem Augenblick zuckte seine Klinge ganz unvermutet hoch, der nachfolgende Stoß schwang über den Schild hinweg und durchtrennte die Griffgurte. Die Annverletzung war nicht so tragisch, schlimmer aber die Tatsache, dass ich den Schild nicht mehr richtig nutzen konnte. Wütend schleuderte ich Fartuloon die Scheibe entgegen, doch er wich aus. Scheppernd rutschte das Ding über den Arenaboden. Breitbeinig erwartete ich den letzten Angriff meines Gegners. Als Fartuloon das Skarg hob, blitzte etwas grell auf. Unwillkürlich schloss ich die Augen, erkannte nur, dass das
Licht vom höchsten Punkt der Empore kam. Donnerndes Fauchen erklang, gefolgt von wuchtigen Detonationen und schrillen Schreien verwundeter Priesterinnen. Flüche erklangen von der Arkanta. Von alldem hatte Fartuloon nichts mitbekommen. Er drang wieder mit unverminderter Wucht auf mich ein. Ohne Schild musste ich zurückweichen. Mein verzerrtes Spiegelbild huschte über die gewölbte Oberfläche von Fartuloons Schild. Ich parierte einen Schwerthieb, trat dann mit aller Kraft gegen das Schienbein das Bauchaufschneiders und stemmte mich gegen den Schild. Die Parierstangen der Schwerter verhakten sich. Mein Arm zitterte, doch ich hielt dem Druck stand, ließ gezielt ein wenig lockerer, holte tief Luft und rammte Fartuloon mein Knie in den Magen. Er krümmte sich zusammen, sackte Luft schnappend ein. Noch hielt er das Skarg in der Rechten, während der Schild wegrutschte. Machtvoll ließ ich den Schwertknauf in seinen Nacken krachen – er verlor das Bewusstsein. Weitere Schüsse fauchten zwischen die Priesterinnen. Die Hassimpulse wurden etwas schwächer, ich gewann für Augenblicke meine klaren Gedanken zurück. Vom Logiksektor drang es beschwörend in mein Wachbewusstsein: Schnapp dir die Arkanta; zwing sie, euch freien Abzug zu gewähren. Ich griff nach Fartuloons Schild, ohne mein Schwert auch nur einen Augenblick loszulassen. Mit weiten Sätzen sprang ich durch die Arena, zum ersten Treppenabsatz, die Umgrenzungsmauer hinauf. Einige Priesterinnen erkannten sofort meine Absicht; sie scharten sich im Halbkreis um Ihre Heiligkeit, bildeten eine Mauer aus Leibern. »Bleib stehen, Kristallprinz! Du kannst mich nicht töten oder erpressen. Meine Kräfte übersteigen das Maß deiner Vorstellungskraft. Du wirst zu Stein erstarren, bevor du mich erreichst. Meine Blicke haben die Kraft der Großen Mutter. Du bist
ein erbärmliches Nichts.« Sie blufft nur, dachte ich. Die Priesterinnen waren noch näher an Organa Metella gerückt. Keine lüftete ihren Schleier, alle verbargen sich unter den wallenden Stoffbahnen. Jetzt streckten sie ihre Hände nach der Arkanta aus; wer die Hohepriesterin nicht direkt berühren konnte, fasste nach der Schulter einer anderen Priesterin. Alle suchten den direkten Körperkontakt. Ich ahnte, was sie damit bezweckten: Sie verstärkten einander, summierten oder potenzierten gar ihre geheimnisvollen Kräfte. Plötzlich musste ich an Mutters Bericht vom Begräbnis meines Vaters denken. Damals war ein Mann erstarrt und gestorben. Es wurde also gefährlich. Nicht einmal die vereinzelten Schüsse von Ra und Baylamor sorgten jetzt noch für Ablenkung. Zehn Meter noch. Die Gesänge wurden lauter. »Du stirbst, Kristallprinz! Sobald ich den Schleier lüfte, erstarrst du zu Stein!« Es wurde totenstill, die Priesterinnen verharrten absolut schweigend. Hassimpulse trommelten auf mein Bewusstsein ein, mühsam konnte ich sie mit verstärktem Monoschirm abwehren. Die Hände der Arkanta hoben sich – gelblich und pergamentartig die Haut. Dürre Finger griffen nach dem Rand des Schleiers. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, handelte dann instinktiv, indem ich mich hinter die spiegelnde Fläche des Schilds duckte. Was genau geschah, bekam ich nicht mit, für wenige Augenblicke huschte nur etwas wie ein bläuliches Elmsfeuer über den Schildrand, ohne mich jedoch zu erreichen. Und dann verwandelte sich das beginnende Gelächter in einen grauenhaften Schrei. Nicht hinsehen!, beschwor mich mein Extrasinn. Bleib in der Deckung des Schilds. Sieh die Hohepriesterin nicht an!
Ras gellender Siegesschrei brachte mich halbwegs wieder zur Besinnung. »Du hast die Hexe besiegt, Atlan! Sie kann uns nichts mehr anhaben.« Das Leuchten und Gleißen war verschwunden, ebenso das Rasseln der Priesterinnen. Vage schoss die Erinnerung durch meinen Kopf, dass die alten Dagormeister bei ihren Waffen mitunter besondere Materialien verwendeten. Auch Hyperkristalle kamen zum Einsatz. Misstrauisch betrachtete ich die blank polierte Fläche des Schilds, ehe ich ihn langsam sinken ließ. Erst jetzt fiel die Arkanta schwer zu Boden. Der Logiksektor sagte: Sie ist tot! Der Aufprall hatte sich angehört, als krache ein schweres Standbild von seinem Sockel. Demnach musste sich der Körper gravierend verändert haben. War sie wirklich »zu Stein erstarrt«? Wie war das möglich? Einige der weiter außen stehenden Priesterinnen lösten sich aus der Gruppe; sie wichen vor mir zurück, als sei ich ein Gork oder Schlimmeres. Jene Frauen, die direkten Kontakt mit der Hohepriesterin gehabt hatten, standen ebenfalls erstarrt. Zwei Frauen kreischten und wimmerten und kratzten mit ihren Fingernägeln über den Boden. Erst jetzt wagte ich es, Organa Metella anzusehen. Ich zuckte entsetzt zusammen. Das Gesicht der Toten war von einer dünnen kalkartigen Schicht überzogen, die an einigen Stellen Risse aufwies und beim Aufprall an anderer Stelle förmlich geborsten war. Darunter schimmerte das rohe Fleisch. Am schlimmsten aber waren die Augen! Fast handtellergroße Scheiben beherrschten die Stirn, ihre Oberfläche schimmerte wie geschmolzenes Erz. Doch je länger ich hinsah, desto mehr erloch dieses fürchterliche Feuer. Es konnte keinen Schaden mehr anrichten. Schließlich überzogen sich die Augen, die weder Iris noch Pupille aufwiesen, mit einer matten, weißlichen Schicht, bis sie ganz
stumpf waren. Für mich stand fest, dass Ihre Heiligkeit tatsächlich beträchtliche Parakräfte beherrscht hatte. Nur so war die eigentlich verrückte Tatsache zu erklären, dass sie ihre Opfer »in Stein verwandeln« konnte. Aber warum lebte ich dann noch? Warum hatte es die Arkanta getroffen? Hatte der polierte Schild die Kräfte reflektiert? Zweifellos hatten diese Kräfte die »Materie wandelnde« Fähigkeit, in anderen Organismen komplizierte biochemische und physikalische Reaktionen hervorzurufen, möglicherweise darin gipfelnd, dass es zu einer starken Kalkausscheidung kam. Kein Wunder also, dass das Ergebnis wirkte, als erstarre das Opfer zu Stein. Fartuloons Warnruf riss mich aus den Überlegungen. Er kam zum richtigen Zeitpunkt wieder zu sich, schien meine Angriffe besser verdaut zu haben, als ich angenommen hatte. Ich sah zur Empore und entdeckte fünfzehn Kampfroboter, deren Waffenarme sich hoben. »Die Priesterinnen haben ihre Verblüffung überwunden, nun wollen sie den Tod der Arkanta rächen.« Ra stand links von mir auf dem Treppenabsatz und deutete auf geöffnete Klappen. »Dort können wir hinein; nach oben gibt’s kein Durchkommen.« »Dann nichts wie weg!« Ich achtete nicht auf das Brennen meiner Wunden, sondern fasste das Schwert fester. Als ich die Öffnung erreichte, ließ ich den Schild fallen. Ein Thermostrahl fauchte und erwischte Baylamor am Arm. Weitere Entladungen irrlichterten durch die Arena. Der dicke Mann schrie auf. Ich rief: »Schnell, durchkriechen!« Mühsam drückte ich ihn durch die Schachtöffnung und folgte ihm sofort. Ra und Fartuloon waren bereits verschwunden. Das Letzte, was ich von der Arena sah, waren die herbeistampfenden Roboter. Schon nach kurzer Strecke erreichten wir einen breiten Gang. Irgendwo musste es
Ausgänge geben. »Wie sollen wir jetzt noch deinen Vater aus seiner Gruft holen?«, flüsterte Fartuloon. »Du denkst wohl an nichts anderes?« »Wir sind auf Hocatarr, also…« »Wo genau wurde Gonozal aufgebahrt?« »Laut deiner Mutter beim Brunnen der Schwarzen Fische.« »Brunnen der Schwarzen Fische?«, fragte Baylamor und ignorierte die Schmerzen des Streifschusses. »Als ich mich vorhin aus der Gewalt der Priesterinnen befreite und zu Ra zurücklief, kam ich an einem großen Brunnen vorbei. Das Wasser war schwarz.« »Das müsste es sein. Dort beginnt die Gräberreihe der Imperatoren. Zeig uns den Weg.« Der dicke Grabräuber wiegte den Kopf. »Ich vergesse nie den Weg zu einem Grab. Aber ich fürchte, wir kommen nicht dorthin. Die Kampfroboter werden alles abriegeln; von den Priesterinnen wissen sie doch, dass ihr an Gonozal heranwollt.« »Uns wird schon etwas einfallen«, sagte ich barsch. »Zuerst aber aus der Arena raus.«
Die Kampfroboter standen nur zehn Meter entfernt und bildeten einen dichten Riegel. Jede der Maschinen würde sofort schießen, sollten wir den Kopf zu weit aus der Deckung strecken. Dichtes Buschwerk und Ziergemäuer boten wenig Schutz. Die Umfassungsmauer der KARSEHRA war wenige hundert Meter entfernt, weiter rechts war der Brunnen zu sehen. Vereinzelt erhoben sich wuchtige Monolithen und Standbilder. »Jemand müsste die Roboter ablenken. Vielleicht reicht dann die Zeit…«
»Das erledige ich«, sagte Ra selbstbewusst. »Ich lege dort hinten Feuer. Sobald die Roboter losmarschieren, müsst ihr durchbrechen. Kümmert euch nicht um mich, sondern bergt Gonozals Körper.« »Du darfst dein Leben nicht für einen Toten aufs Spiel setzen.« Nachdenklich sah ich den Barbaren an, doch sein Gesicht war entschlossen; er würde sich von dem einmal gefassten Entschluss nicht mehr abbringen lassen. Fartuloon schnaufte kurz. »Einer muss es wagen. Die Roboter werden uns so oder so jagen. Nur in der KARSEHRA haben wir vielleicht eine Chance – die Priesterinnen werden es nicht wagen, dort das Feuer eröffnen zu lassen. Sie lassen uns eher entkommen, als dass dort drüben nur eine einzige Gruft beschädigt wird. Und wenn wir die CRYSALGIRA herbeirufen…« »Es bleibt uns wohl keine andere Wahl«, murmelte ich. Knackende Zweige verrieten, dass sich Ra bereits entfernte. »Wenn einer es schafft, dann der Barbar.« Der Bauchaufschneider gab sich zuversichtlich. »Niemand kann sich so gut in unbekanntem Gelände bewegen wie er.« Schweigend warteten wir auf das Ablenkungsmanöver. Nach einer Weile flackerte es hinter düsteren Bäumen hell auf. Knisternd fraßen sich Flammen durch Buschwerk, dichter Qualm vermischte sich mit Nebelschwaden. Zehn Kampfmaschinen verließen ihren Posten und näherten sich mit wuchtigen Schritten dem Brandherd. Bald würden die Positroniken erfassen, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelte. Diese Zeit musste ausreichen. Ich sah meine Begleiter an und zischte: »Los!«
Schwer atmend blieb ich am feuchten Mauerwerk stehen, Fartuloon und Baylamor kamen wenig später an. Rechts
gähnte ein finsterer Schacht, der von einem rostigen Gitter verschlossen war, links führte ein schmaler Durchgang zum angrenzenden Innenhof. Hinter uns wurde geschossen, immer wieder zuckten Thermo- oder Impulsstrahlen durch den Nebel. Die Jagd auf den Barbaren vollzog sich ansonsten lautlos, die Kampfroboter verständigten sich über Funk. »Er hat keine Chance«, presste ich hervor. Fartuloon entgegnete nichts, passierte den schmalen Durchgang. Ich musste Baylamor stützen, die Armverletzung machte ihm zu schaffen. Der riesige Innenhof war bis auf wenige Standbilder am Rand leer; hier hatte sogar die CRYSALGIRA genügend Platz. »Ich informiere Argalth«, rief ich dem Bauchaufschneider nach, der bereits mit der Suche des Grabs begonnen hatte. »Er soll sich beeilen. Noch dürften die Priesterinnen verwirrt sein. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird’s.« Ich ließ die Aktivierungstaste des Armbandsenders einrasten und stellte die gespeicherte Verbindung zur CRYSALGIRA her. »Hier Atlan, folgt dem Dauerpeilsignal und landet. Vorsicht! Schutzschirme permanent aktiviert lassen. Ich wiederhole…« Das Dauerpeilsignal ging raus, ich verzichtete darauf, eine Bestätigung abzuwarten, und sah, während Baylamor in eine andere Richtung wankte, zu Fartuloon. »Hast du das Grab gefunden?« Der Bauchaufschneider eilte die langen Tafelreihen entlang. Hinter jeder ruhte eine hochgestellte Persönlichkeit des Großen Imperiums; ein kurzer Lebenslauf war die Zusammenfassung der Speicherdaten des Tempels der Toten Seelen. Plötzlich rief Baylamor: »Ich hab’s! Hinter dieser Platte.« Fartuloon und ich erreichten den Mann fast gleichzeitig. Die Platte aus poliertem Arkonstahl trug die Daten meines Vaters.
Als Todesursache war der Jagdunfall auf Erskomier genannt. Ich lachte höhnisch auf. »Hier müsste stehen: Ermordet von seinem Halbbruder und seinen Helfershelfern.« Unterdessen hatte der Bauchaufschneider begonnen, die Verankerungen der Platte zu lösen. Von Hydrauliken bewegt, glitt sie selbstständig nach oben. Dahinter wurde ein dunkler Hohlraum sichtbar. Beklemmung befiel mich, ein Kloß saß in meinem Hals, Übelkeit wühlte in meinem Magen. »Hoffentlich kommt die CRYSALGIRA bald, uns bleibt nicht viel Zeit.« Fartuloon trat vor und winkte Baylamor; gemeinsam machten sie sich am Sarg zu schaffen. Ich stand unterdessen Wache und sah, wiederholt vom Blick zum dunstigen Himmel unterbrochen, die Begrenzungen des Innenhofes entlang. Schattenhafte Gestalten huschten herum – Priesterinnen. Noch waren wir nicht entdeckt. Die Zeit verging quälend langsam. Innerlich bereitete ich mich auf einen halben Weltuntergang vor – die Gewaltlandung der CRYSALGIRA würde die Atmosphäre der Totenwelt in Aufruhr versetzen. Zu sehen und zu hören war zunächst nichts. Längst hatten wir die Anzughelme geschlossen, auf Innenklimatisierung umgeschaltet und die Mikrogravitatoren auf höhere Leistung justiert. Dann begann das fürchterliche, ohrenbetäubende Orgeln. Hinter Nebelbänken leuchtete es blutrot auf, das Licht wurde immer greller. Von einem Augenblick zum anderen wurden dann die Schwaden zerrissen, verdrängte Luftmassen pfiffen und jaulten. »Sie schaffen es!«, rief ich. Glühend heiße Luftmassen wurden zum Orkan. Staub und Dreck wirbelten auf. Ein greller Ball am Himmel wurde größer und größer, im Inneren war der Kugelraumer nur als Silhouette zu erkennen. Dass diverse Prallfelder über den Anlagen der KARSEHRA entstanden, verhinderte vermutlich
größere Schäden. Einzelheiten konnte ich jedoch nicht erkennen. Ins Pfeifen und Jaulen mischten sich donnernde Schüsse, Paralysatoren sangen. Kaum erkennbare Körper sanken zusammen, hinter der Umgrenzungsmauer stiegen Feuersäulen auf; das Donnern von Detonationen mischte sich in die übrige Geräuschkulisse. Als gewaltiger Schatten, nach wie vor vom Schutzfeld umgeben, schwebte die CRYSALGIRA heran. Die hell erleuchtete Bodenschleuse wurde größer, Traktorstrahlen griffen zu. Innerhalb weniger Millitontas wurden wir erfasst, mitsamt dem Sarg mitgerissen und in die Schleuse gezerrt. Noch während das Außenschott zufuhr, rief ich hastig ins Helmmikrofon: »Hier Atlan! Fusionsbombe mit Funkzünder abwerfen; Zündung nur auf mein ausdrückliches Kommando. Nachricht an die Priesterinnen von Hocatarr: Sollten sie unseren Start verhindern wollen, wird die Bombe explodieren! Sucht Ra und zerrt ihn ebenfalls an Bord. Ausführung!« Besatzungsmitglieder eilten heran, einige musterten Baylamor, der zu Boden gesunken war und sich die Armwunde hielt. »Wer ist das?« Fartuloon schnalzte mit der Zunge. »Ein professioneller Grabräuber – bis auf Weiteres unser Gast.« »Wo bleibt Ra?«, fragte ich laut dazwischen. »Aufgefischt und unterwegs. Bombe abgeworfen und platziert.« »Antwort von den Priesterinnen?« »Keine.« »Start!« Das Brummen der Drosselphase steigerte sich augenblicklich, als die Impulstriebwerke hochfuhren und die CRYSALGIRA beschleunigten. Erst in etlichen Kilometern Höhe verwandelte sich die Geräuschkulisse in ein Dröhnen, heftige Schwingungen verwandelten die Kugelzelle in eine
Glocke, als die Triebwerke Alarmschubwerte erreichten. Längst hatten wir die Atmosphäre der Totenwelt verlassen und rasten ins All. Nur wenige Augenblicke vergingen, bis wir die geostationäre Bahn des Sargschiffes passierten. Während der Sarg meines Vaters auf Antigravplatten gehoben und aus dem Bereich der Bodenschleuse geschoben wurde, sah ich mich suchend nach Baylamor um, entdeckte ihn aber nicht. Kurz darauf wurde gemeldet: »Jemand hat die Schleuse geöffnet; Flugpanzer startet. Keine Antwort auf Anfrage.« »Baylamor!« Ich seufzte. »Lasst ihn fliegen – Vollschub; Nottransition mit Erreichen der Mindestsprunggeschwindigkeit.« »Er beschleunigt Richtung Ultraleichtkreuzer.« »Dort hat er noch was zu erledigen«, sagte Fartuloon. »Die Mörderin seiner Mutter…« »Eine tote Mörderin«, ergänzte Ra, der uns von einer Nebenschleuse entgegenkam. »Sofern die Arkanta ihren Funkspruch abgesetzt hat, lebt die Alte nicht mehr.« »Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren.«
16. 1228. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 30. Prago des Messon, im Jahre 10.499 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Es ist vollbracht! Wir haben Gonozals Leichnam in unsere Gewalt gebracht, die Flucht aus dem Hoca-System ist gelungen. Nach zwei weiteren Transitionen wurde der Flug weit außerhalb des Kugelsternhaufens unterbrochen, eine einsam stehende Sonne dient seither als Ortungsschutz. Verfolger wurden keine geortet. Im Hoca-System herrscht bemerkenswerte Stille. Zu unserem Glück! Es sieht ganz so aus, als wollten die Priesterinnen die Ereignisse keineswegs aufbauschen. Ganz im Gegenteil. Zweifellos spielt der Tod der Arkanta eine wichtige Rolle; die Priesterinnen sind geschockt, vielleicht kommt es sogar zu internen Machtkämpfen um die Nachfolgerin. All das sind jedoch Dinge, die die Frauen der Totenwelt von jeher unter sich geregelt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns unwahrscheinlich, dass sie sich an Orbanaschol wenden. Zu Freunden haben wir uns die Priesterinnen natürlich nicht gemacht, aber einen Verrat haben wir aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu befürchten. Somit ist auch unsere Verbindung zum Quertamagin-Khasurn bis auf Weiteres sicher – anders ausgedrückt: Das Khasurn-Oberhaupt wurde durch uns nicht in die Verlegenheit gebracht, sich Orbanaschol gegenüber erklären zu müssen, wenngleich auch er sich nun wohl die Priesterinnen zum Feind gemacht haben dürfte. Yagthara bewertet die Aktion inzwischen ziemlich zwiespältig. Vom Ziel der Operation scheint sie zwar weiterhin überzeugt zu sein, doch noch ist ihr Gatte ja nicht mit dem Lebenskügelchen
behandelt worden. Zweifeln lässt Atlans Mutter aber das, was auf Hocatarr passiert ist, obwohl gerade die Priesterinnen und Ihre Heiligkeit Organa Metella die große Unbekannte in der Gleichung gewesen waren. Etliche Tontas hat Yagthara damit verbracht, eine diplomatische Note aufzusetzen, die bei nächster Gelegenheit den Priesterinnen übermittelt werden soll. Inwieweit es etwas bringen wird, bleibt dahingestellt; als Versuch, die aufgepeitschten Wogen zu glätten, muss ich ihr Vorhaben begrüßen. Ob es der einzige bleibt, muss die Zeit erweisen. Zwischen den Zeilen hat Yagthara allerdings angedeutet, dass sie zu höchster Buße bereit sei, sollte es auf Hocatarr als erforderlich und angemessen betrachtet werden. Zur Not sei sie sogar bereit, den Rest ihres Lebens auf der Totenwelt in strenger Klausur zu verbringen. Es wird sich zeigen, ob und wie die Priesterinnen auf dieses Angebot reagieren. Zunächst steht aber die Behandlung und Vorbereitung Gonozals an. Als Bauchaufschneider gehe ich natürlich mit anderem Blick heran, kann aber nicht verhehlen, dass mich beträchtliche Spannung heimsucht und nervös macht. Wie muss es da erst Yagthara und Atlan ergehen? Ich hoffe, dass die beiden vom Bevorstehenden nicht überwältigt werden!
An Bord der CRYSALGIRA: 30. Prago des Messon 10.499 da Ark Nach einigen Tontas hatte Fartuloon die Vorbereitungen abgeschlossen und rief mich via Interkom in den Behandlungsraum der Medostation. Ich hatte bislang vermieden, meinen toten Vater zu betrachten, schritt nachdenklich durch die aufgleitenden Türen, passierte die Gänge und traf mit meiner Mutter zusammen, die fast gleichzeitig die Medostation erreichte. Wir umarmten uns kurz, traten wortlos ein. Nun musste nur noch das Lebenskügelchen verabreicht werden…
War unsere Entscheidung richtig? Durften wir – ich! – die Totenruhe meines Vaters stören? Die Zweifel wurden beklemmend. Ich zögerte, ehe ich den Wärmesensor der Tür zum Behandlungsraum berührte. Bei einer anderen, vor kurzem verstorbenen Person hätte ich vermutlich keinen Augenblick gezögert. Crysalgira war mehrmals von den Lebenskügelchen gerettet worden. Aber mein Vater? Ermordet vor sechzehn Arkonjahren! Mein Vater! Er war für mich zum idealisierten Vorbild geworden; eines Tags wollte ich sein Nachfolger werden. Unwillkürlich fragte ich mich, ob ich den Anblick seines erweckten Leichnams ertragen konnte. Unbewusst hast du es bereits ins Auge gefasst, als du erstmals die Wirkung der Lebenskügelchen erkannt hast, behauptete der Logiksektor. Du wusstest tief in dir, dass es irgendwann darauf hinauslaufen würde. Wirklich? Die Tür glitt zur Seite. Fartuloon stand allein neben dem Tisch, auf dem mein Vater lag. An meiner Seite versteifte sich Mutters Körper. Auch ich stockte. Der Geruch von Chemikalien stieg in meine Nase. Zahlreiche Kanülen perforierten die gelbhäutigen Arme des Leichnams. In durchsichtigen Behältern perlten Flüssigkeiten, Überwachungssensoren waren am Körper befestigt. »Das ist also mein Vater«, flüsterte ich. »Fast sieht er genauso aus wie auf den Bildern und Holos.« »Die Wiederherstellung hat ihn nur die Haare gekostet. Im Grab trug er eine Perücke. Die Priesterinnen sind hervorragend im Konservieren und Einbalsamieren«, bestätigte der Bauchaufschneider. »Meine Untersuchung hat ergeben, dass es keine Anzeichen von Verwesung oder körperlichem Zerfall gibt. Dein Vater hat die Jahre in der Gruft unversehrt überstanden. Den Priesterinnen ist es sogar gelungen, die Wunden verschwinden zu lassen; der
zerschmetterte Schädel wurde rekonstruiert. Nicht einmal eine Narbe ist zu sehen.« Das musste man den Bewohnerinnen der Totenwelt lassen – sie hatten eine großartige Leistung vollbracht. Ihre geheimen Techniken kamen bis zu einem gewissen Grad einer körperlichen Regeneration gleich. Dennoch hatte die Haut etwas Pergamentartiges an sich, war gelblich gefärbt. Die Knochen waren vermutlich brüchig, die Muskeln mürbe. Der kahle Schädel glänzte im Licht der Deckenbeleuchtung. Mutter hielt die Hand vor den Mund gepresst, sagte kein Wort. »Ein erster Medikamentencocktail versorgt den Körper mit Aufbaustoffen«, erläuterte Fartuloon mit der Sachlichkeit des Bauchaufschneiders. »Jetzt fehlt nur noch das Lebenskügelchen.« Er reichte mir die kleine Schachtel. Ich öffnete sie, musterte die rote Perle. Die ihr innewohnende Kraft ließ mich schaudern. Nach kurzem Zögern ließ ich die kleine Kugel in einen transparenten Zylinder fallen, der über einen dünnen Schlauch mit der linken Armvene meines Vaters verbunden war. Ein zweiter Schlauch verband den Zylinder mit dem Vorratsbehälter für eine blutähnliche Emulsion. Das Kügelchen wurde angesaugt, gemeinsam mit der Flüssigkeit erreichte es den Körper. Augenblicke später war es verschwunden. »Wer weiß, ob es hier überhaupt wirkt«, murmelte ich hilflos. »Warten wir’s ab.« Ich sah lange auf den reglosen Körper. In den Behältern und Schläuchen pulsierten die Medikamente und Präparate. Auf den Bildschirmen ruhten noch sämtliche Anzeigen beim Nullwert. Es bedeutete, dass mein Vater tot war. Noch wussten wir nicht, ob das Lebenskügelchen einem Leichnam nach so langer Zeit wieder Leben einhauchen konnte. Fest
stand allerdings schon jetzt, dass es nicht in der Lage sein würde, ihm Seele und Ego zurückzugeben. Plötzlich erstarrte ich: Die kleinen Lichtpunkte auf den Anzeigen hatten sich bewegt! »Da!« »Ja, ich habe es auch gesehen.« Es folgte ein schrecklich klingendes Geräusch, das sich anhörte, als würden uralte Blasebälge mit Luft gefüllt. Kanülen wurden aus Adern gerissen, weil der linke Arm meines Vater mit einer einzigen, ruckartigen Bewegung hochgerissen wurde. Die Finger verkrampften und öffneten sich wieder. »Das… halte ich… nicht aus!«, wisperte meine Mutter. »Ihr She’Huhan, was haben wir getan?« »Mach Schluss!«, brüllte ich Fartuloon an, der sich nicht rührte. »Ganz ruhig, Atlan. Die Instrumente und ich haben alles unter Kontrolle.« »Nichts ist unter Kontrolle!« Inzwischen hob und senkte sich die faltige Brust meines Vaters, die Anzeigen bewiesen, dass das Herz regelmäßig, wenngleich etwas beschleunigt schlug. Das scheußliche Keuchen wurde noch lauter, klang wie bei einem Asthmakranken, der kaum Luft bekam. Ich schrie entsetzt auf – starrte in die geöffneten Augen, die bis auf die Pupille weiß in weiß gefärbt waren. Und ohne jegliches Leben! Der faltige Mund bebte, brachte kein einziges Wort zustande. Mutter schrie, als sich Vaters Oberkörper langsam aufrichtete, begleitet von weiteren dieser fürchterlichen Atemgeräusche. Eine erschreckende Wandlung trat ein, überzog den gesamten Körper, als der Wiederbelebte vom Tisch ratschte, sich instinktiv abfing und aufrichtete… »Schluss! Wir müssen… es vernichten. Das ist…«
Fartuloon verlor keinen Augenblick die Ruhe und den Überblick. Nur diesem Umstand war es zu verdanken, dass die sterbliche Hülle meines Vaters am Leben blieb. Mit arkonstählernem Griff umfasste er mein rechtes Handgelenk, verhinderte schon im Ansatz, dass ich den Kombistrahler packte. Gonozal VII. stand nun nackt und aufgerichtet vor uns. Seine pergamentartige Haut war über und über von Runzeln bedeckt. Kahle und gelbliche Haut spannte über dem Schädel. Weiterhin waren die Augen weiß und leer. Die Arme zitterten unablässig. Und jeder Atemzug war ein asthmatisches Keuchen. Aus dem linken Mundwinkel rann Speichel. »Das ist nicht mehr mein Vater«, ächzte ich und wich einen Schritt zurück. Mutter drehte sich um und lief aus dem Behandlungsraum. »Dieser… Körper ist ohne Geist und Verstand. Leer wie ein gelöschtes Robothirn.« »Das stimmt.« Fartuloon nickte. »Aber wir werden dennoch diesen Körper für unsere Pläne nutzen. Wir haben die Mittel, um ihm sein früheres Aussehen zu verleihen. Seine Reflexe funktionieren, möglicherweise kann er sogar einfachen Anweisungen folgen. Er wird tun, was wir verlangen. Und das Wichtigste: Er ist der wahre Imperator. Seine Identität ist über jeden Zweifel erhaben, hält jeder Prüfung stand. Vor allem musst du dir bewusst machen, dass dein Vater das nicht umsonst durchmacht! So, wie ich ihn kannte, wäre er stolz darauf, dir helfen zu können! Darauf kommt es an. Deshalb nutze den seelenlosen Körper für deine Zwecke; mit ihm kannst du den Thron von Arkon zurückerobern und die Mörder bestrafen!« Ich sah ihn nur an. Eine Weile hielt der Bauchaufschneider meinem Blick stand, dann senkte er ihn. Ohne weiteres Wort verließ ich den Raum, konnte den Anblick dieses seelenlosen Leibs nicht länger ertragen. Sogar der Logiksektor schwieg. In
meiner Kabine schluckte ich ein starkes Schlafmittel. Für eine Weile versank ich in wohltuender Dunkelheit. Nur im Untergrund meines Bewusstseins tobte eine ferne Stimme: Die Toten dürfen nicht in ihrer Ruhe gestört werden. Es gibt keine schlimmere Verfehlung nach dem Gesetz der Großen Muttergöttin!
An Bord der CRYSALGIRA: 33. Prago des Messon 10.499 da Ark Verzweiflung war noch die schwächste Umschreibung für den Zustand, in dem ich mich befand. Ich war in einer Zwickmühle gefangen, die bösartiger selbst der tote Sofgart nicht hätte erdenken können. Es waren dein Wille und dein Entschluss, erinnerte mich der Extrasinn. Zwar war es Fartuloons Idee gewesen, aber ich hatte sie aufgegriffen und durchgeführt. Damit trug ich die Verantwortung. »Vorwürfe helfen jetzt nicht weiter«, sagte mein Lehrmeister. »Wir müssen etwas unternehmen.« Ich antwortete mit einer Handbewegung, die meine Ratlosigkeit zeigte, während ich meinen Vater musterte und die Zähne zusammenbiss. Diese Person war mein Vater. Fartuloon und die übrigen Bauchaufschneider und Spezialisten der CRYSALGIRA hatten ganze Arbeit geleistet. Von der Veränderung als Folge der Wiederbelebung war fast nichts mehr zu sehen. In dem Sessel saß nun ein hochgewachsener Arkonide, dessen Aussehen dem eines rund sechzig Arkonjahre alten Mannes unseres Volks entsprach. Die gelbliche Farbe und der pergamentartige Eindruck der Haut waren verschwunden, hatten einer deutlich glatteren und bleichen Konsistenz Platz gemacht. Kontaktlinsen ergaben das
Rot der Augen, eine Perücke mit halblangem Haar bedeckte den kahlen Schädel – mit speziellem Biokleber unverrückbar platziert. Das markante Gesicht, das meinem nun so ähnlich sah, war den meisten Arkoniden noch bestens bekannt. So hatte Gonozal VII. Imperator des Großen Imperiums, zu seinen Lebzeiten ausgesehen, bis der Öffentlichkeit bekannt war, dass Seine Erhabenheit am 17. Prago des Tarman 10.483 da Ark auf dem Planeten Erskomier bei einem Jagdunfall umgekommen war. Seither regierte sein Halbbruder Veloz unter dem Thronnamen Orbanaschol III. das Tai Ark’Tussan. Genau genommen war Gonozal VII. immer noch tot, obwohl sein Körper »aufgeweckt« worden war. Verstand, Persönlichkeit, Geist, Seele, das Wahre Sein – egal, wie man es nennen wollte – hatten wir nicht zurückrufen können. Mit anderen Worten: Vor uns saß ein lebender Leichnam. Und ich konnte den Blick nicht von der Gestalt wenden. Dieser wiederbelebte Körper war der meines Vaters. Hatte ich das Recht, so mit seinem Leib zu verfahren? Was wussten wir schon von der »anderen Seite« der Grenze, die das Leben vom Nichtleben trennte? Fartuloon wie auch meine Mutter waren sich sicher: Wäre dieser Körper beseelt, würde er mir auch in dieser Form helfen wollen. Das mochte sogar stimmen. Aber was, wenn sich mein Lehrmeister irrte? »Atlan!«, riss mich seine Stimme aus den Gedanken. »Ich habe einen Plan.« »Lass hören.« »Es hilft nichts, wenn wir Gonozal anstarren und ihn und uns bedauern. Sein tragisches Schicksal darf uns nicht handlungsunfähig machen. Wir müssen dafür sorgen, dass seine Wiederbelebung einen Sinn bekommt. Ich habe den Befehl gegeben, das System Llaga del Armgh anzufliegen – 76 Lichtjahre von Hocatarr beziehungsweise 48 Lichtjahre von Arkon entfernt. Dort wird der alte Imperator zum ersten Mal
eingesetzt. Bist du einverstanden, Kristallprinz?« Ich nickte stumm. Er sprach von meinem Vater wie von einer neuartigen Waffe. In diesem Augenblick widerte er mich an.
Interludium Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ) Seit Atlans erstem Bericht über Atlantis an Bord der DRUSUS wurde insbesondere vom Historischen Korps eine große Zahl weiterer solcher spontanen Erzählungen aufgezeichnet. Angepasst an den jeweiligen Zuhörerkreis und die Situation, die den Erinnerungsschub hervorrief, unterschieden sich jedoch selbst Berichte zum gleichen Thema mitunter deutlich voneinander – sei es, weil Atlan auf die Erwähnung durchaus vorhandener Querverweise verzichtete, sei es, weil die schon an anderer Stelle angesprochenen »Blockierungen« wirksam wurden. Zwangsläufig mussten diese Dokumentationen deshalb unvollständig und zeitlich schwer einzuordnen bleiben, sodass sie bestenfalls nur Mosaiksteinchen eines sehr viel größeren, komplexeren Bildes waren. Neben diesen Einzelberichten existieren mehrere Sammlungen, die zum Teil als zusammenhängende Berichtfolge entstanden. Bei einer handelt es sich beispielsweise um die Speicherkopie des 2048 von Atlans Lehrmeister Fartuloon erstellten OMIRGOS-Kristalls. Er befreite Atlan vom Druck der Erinnerungen, genau wie er es kurz vor seinem rätselhaften Verschwinden in Atlans Jugend tat, um ihn »Dinge vergessen oder in einem anderen Licht sehen zu lassen«. Eine zweite Sammlung, die in erster Linie auf die Jugendzeit des Arkoniden einging, entstand ab März 2844 und floss 2845 in Auszügen in die »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« von Sean Neil Feyk ein…
Seit einigen Stunden war die eindringliche Stimme des Lordadmirals der USO verstummt; trotz Zellaktivator
brauchte der Körper Ruhe. Seit über einem Monat berichtete Atlan aus seiner Jugendzeit, inzwischen zeigten die Datumsfelder von Quinto-Center den 7. April 2844 an. Ronald Tekener saß alleine in dem Raum, eine ganze Reihe Monitoren zeigten Texte und Bilder. Ergänzt wurden die akustischen Informationen um jene Daten, die die modifizierte SERTHaube lieferte. Speziell trainierte Piloten, die sogenannten Emotionauten, nutzten das Simultane Emotio- und Reflex-Transmission umschriebene Verfahren zur Steuerung von Raumschiffen, bei dem sie ihre rein gedanklichen Steuerbefehle direkt in die Schiffssysteme eingaben. Die über dem Kopf der Emotionauten schwebenden SERT-Hauben dienten als paramechanisches Interface, die sämtliche gedanklichen Befehlsimpulse in positronische Steuerbefehle umwandelten. Im Gegensatz dazu ließen sich modifizierte SERT-Hauben als einfache Verbindung zur Aufzeichnung von Bewusstseinsimpulsen nutzen. Allerdings hatte es Gedankenzeichner oder die direkte Informationsübertragung von Gehirn oder Bewusstsein auf Geräte bereits früher gegeben. Schon eine rein elektronische Abtastung von Hirnaktivitäten war keine Besonderheit. Lange vor der Einführung der SERT-Technik galt die paramechanische Technik der arkonidischen Simultan- und Fiktivprojektoren als ausgereift. Vor diesem Hintergrund wunderte es niemanden, dass bei Zharadins Traum- oder Illusionsmaschinen ebenfalls auf bewährte Technologie zurückgegriffen wurde. Von Sinclair Marout Kennon gab es noch keine Berichte, aber seine Bewusstseinsimpulse wurden aufgezeichnet und analysiert. Mit ersten Ergebnissen wurde, so die letzte Mitteilung von Meggion, in einigen Tagen gerechnet. Parallel zu Atlans Erzählungen, die meist an die zehn und mehr Stunden pro Tag dauerten, unterbrochen nur von Ruhe- und Schlafphasen und der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, fanden permanent die Auswertungen des Historischen Korps statt. Querverweise wurden erstellt, Sekundär- und Tertiärquellen herangezogen, Auswertungen kamen hinzu, auch erste Kommentare
und Fußnoten. Neben dem normalen Betrieb im Hauptquartier der USO nutzten die Spezialisten jede Minute ihrer Freizeit, um am Leben des »Alten« teilzunehmen, alle verfolgten gespannt und fasziniert die Berichte. Dem Smiler erging es nicht anders. Nachdenklich musterte er die Bildschirme; einige zeigten jene zuletzt gelieferten Passagen aus Atlans Jugendzeit, gipfelnd in der Erweckung von Atlans Vater mit dem geheimnisvollen Lebenskügelchen, andere dagegen gaben Speicherdaten wieder, die Tekener abgerufen hatte. Vor allem eine faszinierte den Mann mit den Lashatpockennarben, sie datierte vom 5. September 2047, als Atlan – quasi in Fortsetzung der Erlebnisse seiner Jugend – abermals die Totenwelt Hocatarr betreten hatte, um den Kuss der Großen Feuermutter zu empfangen. Tekener vertiefte sich in den Text, konnte ein tief greifendes Frösteln nicht unterdrücken. Eisige Wellen krochen die Wirbelsäule hinauf. Bewusstsein erwachte im Körper. Erste Eindrücke. Wahllose Reizaufnahme und der hilflose Versuch einer Verarbeitung: Verwirrung. Beobachten, Sortieren, Herstellen von Verbindungen und logischen Schlussfolgerungen: Fakten im Gesamtbild. Ich… Betäubung, Schmerzen, Unverständnis, Angst, Fragen. Ich bin nicht alles. Es gibt Wahrnehmungen; sehen, fühlen, riechen, schmecken, hören. Matte Helligkeit. Ausgetrockneter Mund. Schmerzen. Für Augenblicke die Steindrachen; blutige Tränen quellen aus den Augen. Eine gellende Stimme: »Die Zeit ist um!« Versagt! Aber… Ich kann mich bewegen. Eine erste Muskelanspannung. Vorsichtig. Langsam: Schmerz! Beißend, zwickend, peinigend! Noch langsamer, vorsichtiger. Ein Kaleidoskop von Bildern: Flug nach Zhygor. ES. Der Raumwurm in den Katakomben. Lichtwesen. Cho-Übertragung. Tanja. Tanz der Monde… Und noch vielmehr: vage, umso schneller zerrinnend, je fester der Zugriffsversuch. Eindrücke von Leuten, die
sich in Gefahr befinden. Sonderbare Lichter, verwaschene Fasern. Merkwürdig falsch wirkende künstliche Monde. Stachelkugeln. Rasche Bewegungen inmitten kalkig weißen, sehr grellen Lichtes, begleitet von Zwitschern und Kichern… Dann war es weg – und ich kehrte machtvoll in die Gegenwart zurück, weil ich die aufpeitschenden Impulse des Extrasinns fühlte, die mich endgültig »weckten«. Ziehende Schmerzen erfüllten, vom Kopf ausgehend, den ganzen Körper. Vor meiner Brust schien ein Magmaklumpen zu hängen und versengte die Haut. Grelles Licht blendete, schwächte sich nur langsam ab. Rasende Gedanken: Transition? Teleportation? Wohin? Was ist geschehen? Cho – ist der Käfer tatsächlich zerfallen? Meine Hände brannten wie von Säure Übergossen. Ich hob sie vor tränende Augen und starrte ungläubig auf die dunkelblauen, als gleichseitiges Dreieck angeordneten Kreise – Symbol von Tiga Ranton –, die die Handteller bedeckten, sich aber langsam aufhellten. »Sie werden verblassen, Imperator, und nur bei äußerster Anstrengung wieder sichtbar werden«, sagte jemand, den ich nicht erkannte. »Willkommen auf Hocatarr, der Totenwelt!« Mühsam fixierte ich die vor meinen Augen flimmernden, verwaschenen Bilder. Eisiger Schreck durchfuhr mich. Ich kannte den Ort, an dem ich stand, nackt und gebeugt, von weiteren Schmerzwellen erschüttert. Flüstern des Extrasinns erreichte endlich mein Wachbewusstsein: Mit Abschluss der »Letzten Prüfung« wurdest du durch eine Teleportation der Gijahthrakos hierher versetzt, Imperator. Ganz deutlich spürte ich das von den Gestalten auf den Rängen ausgehende paranormale Schwingen. Ritueller Gesang, vermischt mit Metallrasseln erklang. Anblick und Geräusche überlappten mit dem Schub plötzlich aufgeschwemmter Erinnerungen:
»… war ein Fehler, auf Hocatarr zu landen«, stieß Fartuloon hervor. »Jetzt sitzen wir in der Patsche. Die Priesterinnen besitzen hier die absolute Befehlsgewalt. Sie können mit uns machen, was sie wollen. Man erzählt sich nicht gerade angenehme Dinge über die Urteile der Hohepriesterin. « Ich hörte meine eigene Antwort aus weiter Ferne: »Kann es überhaupt noch schlimmer werden?« Ja, schon einmal bin ich hier gewesen! Damals, als wir den einbalsamierten Körper meines Vaters rauben wollten. Ich erinnerte mich an Steinkreisanlagen, Menhire mit rissiger Oberfläche und von Fäulnispilzen überzogene Querblöcke. Begriffe huschten durch meinen Kopf: Tempel der Toten Seelen, Brunnen der Schwarzen Fische, Mausoleum des Unbekannten Soldaten… Arkanta Crysara da Kentigmilan kam die Freitreppe herab. Über dem Schleier glänzte die Kristallkrone und hüllte ihren Körper in eine schimmernde Aura. Eine erneute Schmerzwelle verkrampfte meinen Körper. Ich sank auf die Knie, schaffte es kaum, mich mit den Fäusten abzustützen. Der glühende, in rasendem Takt pulsierende Zellaktivator pendelte hin und her. Wenigstens verbrennt er mir so nicht länger die Haut. »Alles ist vorbereitet, mein Imperator!« Die schneidende Stimme erreichte mich gedämpft. »Du erweist dich als zäher und leistungsfähiger, als wir alle gedacht haben! Das wiegt die Tatsache zum Teil auf, dass du dich eigentlich für den Kuss der Großen Feuermutter als ungeeignet erwiesen hast: Zu groß ist deine unbewusste Skepsis, zu lange hast du allein gelebt. Deine sorgsam gepflegte Einsamkeit macht dich manchmal unerträglich, Atlan! Du bleibst verschlossen, sperrst dich – um aber Tai Zhy Farn zu stabilisieren, sind Offenheit und Vertrauen notwendig, denn ihr müsst als Team arbeiten, euch gegenseitig ergänzen, in einem Kontakt, wie er schwerlich intimer sein kann.« Millionen Nadeln schienen auf mich einzustechen. Ich
ächzte, versuchte die Schmerzen zu ignorieren. Übelkeit wühlte in meinem Magen, Zittern befiel alle Muskeln. Ich war in kalten Schweiß gebadet, fühlte am Rande, dass Flüssigkeit von der Nase tropfte. Zähne knirschten, als ein Krampf Muskeln zusammenzog. Halbdunkel lag über der Arena. Tief ziehende Wolken schichteten sich rasend um, nur vereinzelt von fahlen Lichtfächern durchbrochen. »Du siehst mich nur als Holoprojektion, mein Imperator!«, rief die Arkanta. »Ich werde mit 191 anderen Feuerfrauen Teil des Kollektivs werden. Unsere Körper sind schon konserviert, wir sind bereit für den letzten Schritt… Der Parasymbiont ist zu Staub zerfallen, hat sich aufgelöst! Wir mussten umdisponieren, denn eines haben wir Zhy-Famii ebenso wenig bedacht wie die Gijahthrakos, wohl aber offensichtlich ES: Wir haben es erst erkannt, als die gespeicherten Parakräfte Chos auf deinen Zellaktivator übergingen…« Das Gespräch mit ES fiel mir ein, sein Hinweis auf das lebensverlängernde Metallei, die besondere Betonung der mit der Überreichung verbundenen Aspekte: Es war Anerkennung dessen, was ohnehin in dir ist. Nicht mehr, nicht weniger. Du bist ausgezeichnet und derzeit der einzige potenziell Unsterbliche mit einem Gerät dieser Art! »… ist etwas in dir und mit dir verbunden, was mehr wiegt als die von uns festgestellten Nachteile. Wir sind uns sicher, dass der Versuch gelingen wird! Mehr noch: Er muss gelingen! Denn zurzeit ist dein Aktivator überlastet! Er muss die aufgenommene Hyperenergie schnellstens wieder abgeben, sonst stirbst du! Andererseits könnte es keinen besseren Stabilisator als deinen Zellaktivator geben. Weil sein Vitalkraft-Potenzial aber dem Kollektiv der Großen Feuermutter unter Umständen zu viel Eigenständigkeit verleiht, könnte es erforderlich werden, dass in deiner Nähe stets einige Feuerfrauen sein müssen, um
Verbindungsaufnahme und Kontakt zu erleichtern.« Ein fast hysterisches Lachen kitzelte in meiner Kehle. Atlan und seine Frauen! Da können sie sich wieder die Mäuler zerreißen: eine ganze Amazonengarde im direkten Dunstkreis des Alten. Ich ächzte, nur zögernd klangen die Schmerzwellen ab. Der Hitzeausstoß des Zellaktivators blieb. Verständlich, war er doch mit Chos Parakraft gewaltig aufgeladen. Der Gesang der Frauen wurde lauter. Ein Trommelfeuer mentaler Impulse prasselte auf meinen Monoschirm ein und wischte ihn hinweg. Ich merkte, dass mich telekinetische Kräfte anhoben und aus der Arena trugen. Wohin? Keine Ahnung: Mir wurde schwarz vor Augen, doch ein heftiges Pumpen und Pochen erfüllte die Finsternis, in der nach unbestimmter Zeit Sternchen und Funkengarben erschienen und dann abrupt einer ganz anderen Umgebung Platz machten.
Zwischen schwarzknorrigen Stämmen hingen Nebelschwaden und verwischten die Konturen. Schattenhaft wechselten Büsche, deren Blätter wie von grauer Asche bestreut wirkten, mit blau bemoosten Findlingen. Modriges Laub und morsche Stämme waren von fahlen Pilzen bedeckt; lamellenartig geschichtet überwucherten sie einen halb zerfallenen Baumstumpf am Seeufer. Schroffe Felsen im Hintergrund, zu Terrassen aufgeschichtet und von verwinkelt stehenden Platten flankiert, verschwanden fast in dunstigen Schleiern, die vom dunklen Wasser aufstiegen. Aus halber Höhe der Gesteinsbarriere rieselte es silbrig in breiter Front und formte einen sprudelnden Vorhang. Ins Plätschern mischte sich Fliegengesumm, eine blitzende Libelle torkelte vorüber. Halb zum Quellsee geneigt, berührten peitschenartige Ruten einer Weide fast die aufgeraute Oberfläche, auf der verwesendes Laub trieb.
Mückenschwärme tanzten wild über Rohrkolben und Schilfhalmen. Der Rand der Felsen erglühte kontrastreich über Nebel und Schatten; abgestorbene Ranken hingen herab, in bleiches Licht getaucht, das als Fächer durchs Blätterdach fiel. Ein Ort der Kraft! Träge liefen auf dem Wasser Kreise auseinander, wurden zahlreicher und von Sprudeln überdeckt, wobei immer größere Blasen in der Seemitte rings um einen rechteckigen Steinsockel blubberten und platzten. Vogelkot bedeckte mit hellen Streifen den rissigen Stein, Wellen gurgelten in Spalten. Plötzlich stieg eine Fontäne auf, wurde zur schenkeldicken Wasserbahn, die sich teilte und zunächst drei Kugeln über dem Quader formte, aus denen lebensgroße Gestalten wurden. Sie bestanden aus Wasser, waren durchscheinend, übersät von hellen Reflexen und aufblitzenden Glanzlichtern. Links ein nackter Mann, rechts eine nackte Frau – beide gesichtslos, die Schädel nur glatte Ovale – und in der Mitte, um eine Handbreit größer, ein Hermaphrodit mit aufgerichtet-dickem Yang-Gipfel und schweren Yin-Hügeln. Auch er ohne Gesicht, doch im Kopf glitzerte eine eigroße, goldglühende Lichtkugel. Die Gestalt des Wasser-Mannes zog mich unwiderstehlich an: Ich schwebte über den See, wurde eins mit ihm, fühlte das Wasser über meine Haut abrinnen und stand, von eisigem Hauch umgeben, gelähmt und erstarrt. Mein Blick fiel genau auf die Wasser-Frau, in der sich dunkle Konturen abzeichneten, die Flüssigkeit verdrängten und klare Form gewannen. Die Frau bewegte sich, lächelte, und mir stockte fast der Atem. Fast so groß wie ich, weckte der schlanke Körper lange vergessene Erinnerungen: Das weiße Haar war fast hüftlang und glatt; schmal das Gesicht, die Stirn hoch und die Augen berückend wie damals – rosefarbene Augäpfel mit tiefroter Iris. Sinyagi da Ettorkhal, meine erste große Liebe nach der Iprasa-
Ausbildung! Ich beherrschte mich mühsam und unterdrückte meinen machtvoll aufsteigenden Fluchtinstinkt. Am liebsten wäre ich schnellstmöglich davongelaufen, zurück nach Terra am besten. Dort verlief das Leben unter verständlicheren Gesichtspunkten als hier im Imperium. Stattdessen stand ich in Trance da, erkannte plötzlich die pulsierende, vielfach überlappte Individualaura des materieprojektiven Körpers, die zur Feuerlohe auswuchs, und ich wusste, dass ich Tai Zhy Fam gegenüberstand, der Großen Feuermutter.
Irgendwo begann ein Chor zu summen; ein tiefer, immer stärker anschwellender Ton schwang über den Ort der Kraft. Wie ein Tsunami brachen Emotionen über mich herein, deren Kraft und Stärke mich innerlich schluchzen ließen: Da war unglaubliche Wärme und Geborgenheit, bedingungslose Zuneigung, Liebe! So süß und intensiv, dass es schmerzte. Es gab keine körperliche Berührung: Der »Kuss« war eine immaterielle Begegnung auf übergeordneter Paraebene. Ich bemerkte die plötzliche Anwesenheit eines überlegenen Intellekts, eines Bewusstseins, das die Grenzen des Normalen sprengte. Sanft wurde ich von Paraausläufern eingehüllt und verlor den Kontakt zur konventionellen Realität. Ich glaubte zu schweben, geborgen und behütet. Die Erinnerung an den Tanz der Monde stieg in mir auf; ein müder Abklatsch gegenüber dem »Kuss«. Ich dachte an Tanja, deren Bild sich mit Sinyagi überlappte… Parallel dazu die Handlung, mehr visionär erkannt als real erlebt: Die Frau berührte die flüssige Körpermasse des Hermaphroditen, wurde von diesem aufgesogen und verwandelte sich zur Silhouette innerhalb des doppelgeschlechtlichen Leibes, der seinerseits vortrat und
mich ebenfalls aufnahm. Hierbei löste sich die goldene Kugel aus dem Wasser, schwebte höher und blieb als blitzender, juwelengleicher Ball über meinem Kopf hängen. Licht stach tief in mein Gehirn, schien die Gedanken zu durchwühlen, hinterließ für einen Augenblick Chaos und Furcht. Gleichzeitig fühlte ich die emotionell-drängende Nähe von Tai Zhy Fam, die zu einem Teil von mir geworden war und dennoch unendlich weit entfernt blieb. Sehnsucht beherrschte mein Inneres; ein unerfüllbarer, versessener Wunsch, diese Ergänzung zur Einheit für immer zu erreichen. Fern und zugleich nah vernahm ich ein Raunen und Wispern, ein leise brodelndes Gewirr unglaublich vieler »Stimmen«, vermischt mit Emotionen und fremdartigeren Eindrücken. Das mussten die beteiligten Einzelbewusstseine sein, die in der Großen Mutter zum ganzheitlichen Block verschmolzen. Ein Prozess, den ich als Katalysator anregte und der von der Hyperenergie des zerfallenen Parasymbionten stabilisiert wurde. Ein Kraftstrom floss aus dem Zellaktivator ab, dessen Leuchten und Glühen verschwand: Dutzende Sterne tanzten einen wilden Reigen, zwischen ihnen breitete sich Goldglanz aus. Je heller und dichter dieses »Gold« wurde, desto enger rückten die Sterne zusammen, bis eine kompakt wirkende, transparente Kugel entstanden war. Eine Goldsphäre mit eingelagertem Glitzern. Langsam ordneten sich »Einzelstimmen«, gewannen Gleichklang und Harmonie. Schließlich sprach der Chor, eindeutig in Melodie und Aussage: »Du hast einen langen Weg hinter dir, mein Imperator – und vieles noch vor dir: Auf uns lastet die Bürde, einer gewaltigen Gefahr entgegenzutreten; noch ist nicht ersichtlich, welche Aufgaben uns im Einzelnen zugedacht sind und wie die Gefahr der Erwachenden Legenden bekämpft werden kann. Selbst Uns, die Wir bis zu einem gewissen Grad
über die Grenzen von Raum und Zeit hinausblicken, verwirrt das Zeitlose; zu viele Alternativmöglichkeiten machen des Seinsspektrum zum komplexen Muster. Aber alle Aspekte faszinieren Uns! Die Grundlage ist geschaffen, andere werden später das Ihre dazu tun. Auch du wirst weiter an dir arbeiten müssen. Der Kuss, der dir erweiterte Möglichkeiten zugänglich macht, bleibt nur ein Schritt von vielen: Du bist nun der millionenäugige, allessehende Imperator…« Zwar setzte ich zu einer Entgegnung an, doch der direkte Kontakt wurde schneller beendet, als ich Fragen hätte formulieren können. Der Eindruck von Weichheit, Wärme und Nähe verpuffte – und hinterließ das Gefühl totaler Leere, Verlassenheit und Einsamkeit.
… und Hände fingen mich auf, als ich wankte. Ein Mann. »Vater!« Ich sah ihm ins Gesicht; er lächelte, aber Feuchtigkeit verschleierte den Blick. »Ich hab’s geschafft!« »Ich hätte es dir nie erlaubt, wenn ich informiert gewesen wäre!«, knurrte er und drückte mich an sich; das Vibrieren seiner Individualaura sprang auf mich über. »Dein Lehrmeister soll zur Kristallsäule werden, und ich schwinge den Schlegel!« »Es war meine Entscheidung, Kon hat damit nichts zu tun.« Verwirrt starrte ich ihn an. Er ist doch seit Jahrtausenden tot, ermordet vom eigenen Bruder… Die Flügel seiner schmalen Nase bebten. Deutlich fühlte ich Vaters Sorge, die nachbebende Angst. Seine telepathischen Signale hüllten mich liebevoll ein, Subimpulse durchzogen mein Bewusstsein, ohne die Schwelle konkreter Gedanken zu passieren. Geborgenheit, Zuneigung, aber auch Zufriedenheit und Stolz! »Trotzdem…!« Jemand schrie in mir: Nur eine Vision! Dein Vater ist tot und
zerfallen! »Als Imperator…« »Ich weiß, ich weiß.« Eine Hand packte mich fester, und die Signale wurden zu Bildern, die vage durch meinen Kopf blitzten. »Ich bin stolz auf dich, Atlan!« Nur am Rande wurde mir bewusst, dass es das erste und einzige Mal war, dass er diesen Namen benutzte. In meinen verschwommenen Kindheitserinnerungen kam nur »Mascaren« vor. Fern klang eine Stimme auf: »… Teil einer kurzfristig stabilisierten Enklave vertrauter Raumzeit. Unsere gemeinsamen Kräfte schaffen die Energieblase im Hyperraum, sodass sie eine Art Miniuniversum wird…« Ich verstand nicht, wurde mir aber bewusst, dass ich plötzlich in einer ganz anderen Umgebung stand. »Sohn, du hast den Kuss empfangen…«, sagte Gonozal VII.; vor seiner Inthronisation hieß er Mascudar da Gonozal. Er brach ab und wich meinem Blick aus, sah zur Seite. Die Wand wurde von einer Holoprojektion bestimmt, die als Fenster den Blick hinaus ins All gestattete. Die Sonnen des Kugelsternhaufens Thantur-Lok strahlten prächtig vor abgrundtiefem Samtschwarz. »Dir ist bewusst, Vater«, sagte ich betont ruhig, »dass dieser Prago mehr Einfluss auf mein Leben haben wird als alles andere zuvor?« »Wir müssen uns Verpflichtungen und der Verantwortung stellen.« Ich nickte. »Ich unterwerfe mich den Riten, Euer Erhabenheit.« Es wird zeitlich limitiert sein, dachte ich. Ich hab meine eigenen Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung im Großen Imperium! Vater schien meine Gedanken zu erahnen. Zumindest
wusste er die Signale zu deuten, die von mir ausströmten. Er lächelte aufmunternd. »Allein Tai Zhy Farn kennt – vielleicht – die Zukunft. Sei nicht bitter.« Ich dachte: Hat er diesen Eindruck von mir? »Das bin ich nicht, Vater. Verwirrt, ja. Ich kann nicht behaupten, mich im Kristallpalast sonderlich wohlzufühlen; Gleiches gilt für das Große Imperium.« Vater begann eine unruhige Wanderung, vier Schritte hin, die gleiche Distanz zurück und das Ganze von Neuem. Zhygor, dachte ich unzusammenhängend. Herrliche Freihandelswelt. Wild und ungebunden wie ihre Bewohner… Ach nein?! Der Extrasinn spottete mit einem Unterton, der mir missfiel. Und was ist mit der Natur? Die katastrophalen Vulkanausbrüche, mühsam von den Gijahthrakos gebändigt? Oder die Arena Voktir, in die alle Auseinandersetzungen verbannt werden, um die Welt als Ganzes zur Oase des Friedens zu machen? Und Zhygor ist nur eine Welt unter Tausenden im Imperium! Ich versuchte, den Einwand zu ignorieren. »Verwirrung und Unbehagen sind die Vorstufen von Erbitterung«, behauptete Vater. »Sie trübt die Wahrnehmungen.« »Es ändert nichts an meiner Grundeinstellung, Vater. Ich war Jahrtausende auf eine Barbarenwelt verbannt. Vergiss das nicht.« Er blieb stehen und musterte mich mit einem Blick, der durch mich hindurchging. »Wie könnte ich«, sagte er halblaut. Weitere wirre Gedanken: Er hat gewaltige Probleme. Erhofft, dass ich ihm bei ihrer Bewältigung zur Seite stehe. Wo ist der richtige Platz, ihn zu entlasten? Welche Aufgabe kann ich übernehmen? Hier, im Herzen des Imperiums, dessen war ich mir sicher, verstrickte ich mich irgendwann in den Regeln, Traditionen und Riten, die ich gelernt, nicht von Geburt an verinnerlicht hatte. Dann ein wacher Augenblick, begleitet von
Unverständnis und Angst: Verdammt noch mal, was passiert überhaupt? Wie kann Vater…? Sein Blick blieb abwesend. »Bedenke, Junge, dass es ohne Imperium keine Freihandelswelten gibt. Es wird dauern, bis sie völlig autonom und autark sind, wirklich Welten des freien Handels, Orte der friedlichen Begegnung zwischen den Völkern.« Feine Härchen in meinem Nacken richteten sich auf. »Mir ist klar, dass noch viel Arbeit notwendig ist.« Eigentlich ist das Vorhaben Wahnsinn, dachte ich. Seit Jahrhunderten breitet sich Zerfall aus: Rivalisierende Fürstentümer, rebellische Kolonialarkoniden, unfreiwillig eingebundene Fremdvölker – im Grunde ist das Große Imperium ein gewaltiger, unüberschaubarer Flickenteppich! Zehntausende bewohnte Welten mit allen Extremen: Vom Primitivniveau bis zu Hightech ist alles vertreten. Und an der Spitze steht die arkonidische Gesellschaft selbst, abgehoben, überheblich und in ihrer Dekadenz zum Untergang verurteilt! Man hält sich für auserwählt, weil überlegen, gottgleich – doch ringsum wird gegrinst und mitleidig abgewinkt. Arkons Macht? Das war einmal… Produktiver Wahnsinn, Imperator. Der Logiksektor reagierte energisch. Dem Nomadenadel wurden beispielsweise neue Ziele eröffnet. Ihr Lebenssinn ist die Wanderung, das Umherstreifen. Mit ihnen kommt Bewegung ins Erstarrte. »Ausgangspunkt sind und bleiben das Imperium, Mascaren, und Arkon!« »Meine Aufgabe soll also sein«, sagte ich, »hier dafür zu sorgen, dass ich vielleicht dorthin zurückkehren kann, wo ich eigentlich sein will?« »Kompliziert formuliert, aber es trifft den Kern.« »Ich stehe zur Verfügung, Euer Erhabenheit!« Jetzt erst sah er mir in die Augen. »Das weiß ich, Sohn.« Mit einer umfassenden Handbewegung, die das ganze Imperium
zu umfassen schien, fügte Vater hinzu: »Arkon ist das Zentrum, Herz und Gehirn zugleich. Zhygor mag die Hand sein, auch ein Standbein, aber ohne Herz und Gehirn wird deren Aktivität beendet.« »Ohne Hände und Beine gibt es keine Nahrung, und ohne diese sterben Herz und Gehirn.« Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich. »Du hast es erkannt, Kristallprinz.« Gegenseitige Abhängigkeit. Ohne das eine existiert das andere nicht. Verbundenheit kennzeichnet das Leben. Ich zitierte leise aus den Heiligen Überlieferungen der Gijahthrako-Weisen: »Siehe das Leben in seinen mannigfaltigen Verknüpfungen und erkenne die Muster seiner Existenz.« Schweigen senkte sich für lange Sekunden über den Raum, machte vorhandene Paraströme deutlich, die pulsierende Anwesenheit Wahren Seins; Augenblicke nur, in ihrer Erhabenheit aber zur Demut zwingend. »Sohn«, sagte er. »Auch ich hatte Wünsche und Pläne, wollte oft aus dem starren Schema ausbrechen, aus vielen Gründen. Flucht vor der Verantwortung, Ungebundenheit, das Abenteuer, deine Mutter… – viel zu häufig hatten wir Streit. Nicht nur wegen deines Namens…« Er brach ab. Ich stand wenige Schritte von ihm entfernt, und doch wirkte es auf mich wie eine Distanz, die in Millionen Lichtjahren hätte gemessen werden können. Er war – ein plötzlicher, atemberaubender Gedanke! – seit langer Zeit tot! Damals war mein Vater Imperator gewesen, die Kämpfe gegen die Methans begannen. Imperator: mehr Institution als normale Person – das wurde mir in dieser Sekunde eindringlich bewusst. Sein Bruder intrigierte gegen ihn, wollte selbst die Macht, schreckte schließlich sogar vor Mord nicht zurück. Die Tyrannei Orbanaschols III. begann…
Feine Verwandtschaft, dachte ich betroffen. Meine Mutter hatte ich eigentlich nie richtig kennengelernt. Obwohl sie damals nach Kraumon kam, nach Jahren des Lebens im Verborgenen. Sie konnte verbissen schweigen, wenn sie auf ihre Vergangenheit angesprochen wurde. Eine Eigenart, die mir früher nie so deutlich geworden war. Und Vater… Einsamkeit sein ständiger Begleiter, raunte mein Extrasinn. Das Zusammenleben mit deiner Mutter machte ihn nicht glücklich. Es gab Probleme; er bedurfte sogar einmal der Hilfe der GolteinHeiler… Ermordet… Ich kannte ihn nur als Kleinkind, nie hatten wir eine Chance, miteinander zu reden, einander kennenzulernen, dachte ich bestürzt. Und das trifft ihn tiefer als alles andere. Der Extrasinn bestätigte lautlos: Es zerreißt ihm das Herz! Rasende Gedanken: Deshalb diese »Vision«? Eine Art Aufarbeitung? Eine – so nie stattgefundene! – Alternative im Geflecht der parallelen Welten und Existenzebenen? Hat irgendetwas von Vater seinen Tod überdauert? Seele, Geist, Bewusstsein – irgendwo noch Bestandteil des Kosmischen Ganzen? Eine Anzapfung des umfassenden Wissenspools? »Vater…« Die erhobene Hand ließ mich verstummen. Seine Gesichtszüge hatten sich verhärtet. Jetzt war er ganz Imperator des Großen Imperiums, sachlich, bestimmt, alle persönlichen Regungen der Verantwortung unterwerfend. »Du hast mich verstanden, Kristallprinz!« Es war eine Feststellung, deren kalter Ton mich erschütterte. »Du bist jetzt der Herrscher, der achte Gonozal, aber das ist die Funktion des ersten Dieners. Du weißt es, denn du hast dich den alten Ritualen unterworfen – nun bist du ausgezeichnet durch den Kuss der Großen Feuermutter!« »Jawohl, Euer Erhabenheit.« Er drehte sich um und blickte in die Holoprojektion, als könne er dort die Zukunft und alle ihre Gefahren entdecken.
»Du bist entlassen«, sagte er heiser. Ich nahm Haltung an und wandte mich der Tür zu, verharrte aber, als er rief: »Mascaren!« »Ja, Euer Erhabenheit?« »Viel Glück und alles Gute, Junge! Bewahre dir deine Träume. Ohne sie ist das Leben leer.« »Danke, Vater.« Sein letzter Impuls war aufmunternd. Für Sekundenbruchteile verschmolzen unsere Ausstrahlungen miteinander, intensiv wie eine Umarmung, herzlich, voller Liebe. Dann ging ich, wissend, dass ich meinem Vater das einzige Mal so nah gekommen war, ohne ihn jedoch wirklich erreicht zu haben. Du bist ihm näher, als du glaubst! Im Transzendentalen gibt es keinen Tod, kein Auslöschen – und vor allem kein ewiges Vergessen! Der weiterhin vorhandene Lha’hon-Quarz in meinem Stirnknochen vibrierte anhaltend zum Kommentar des Extrasinns und riss mich aus der Vision in bodenlose Finsternis…
Plötzlich war SIE wieder da und durchdrang die Dunkelheit. Paravisuell erweiterte sich mein Blickfeld: Individuelle Grenzen wurden überwunden, und lichtjahreweite Distanzen verloren ihre Bedeutung. Ich erlebte, was außerhalb meines Ichs geschah, und wurde tatsächlich »millionenäugig«. Normalerweise hätte mich diese Informationsfülle total überfordert, vielleicht gar in den Wahnsinn getrieben, doch die Kombination von Extrasinn, Lha’hon-Quarz und Tai Zhy Farn ermöglichte mir die Verarbeitung. Ich spürte IHRE Anwesenheit, das Gemurmel von »Stimmen«, diesen in perfekter Harmonie schwingenden Chor. Für Augenblicke sah ich das »Gesicht« ihres
Projektionskörpers. Sinyagi da Ettorkhal. Ich wusste plötzlich, mit welchem Namen ich den Bewusstseinsverbund der ZhyFamii fortan ansprechen würde, obwohl das Aussehen beliebig wandelbar war – und folglich sogar das meine annehmen konnte! Informationen strömten von ihr auf mich über: 192 Feuerfrauen! Iprasa-Arkonidinnen, aber auch solche anderer Völker wie Orbeki-Frauen und Longhoninnen. Sie befanden sich auf Hocatarr in Stasis; um das vereinte Bewusstsein zu formen, waren sie zur eigentlichen und dauerhaften Stabilisierung auf mich angewiesen. Ich erkannte das dominante Einzelbewusstsein im Chor: Arkanta Crysara da Kentigmilan. »Dank unserer Paragaben ist dein Blick nun nicht mehr eingeschränkt. Dir stehen unsere Kräfte zur Verfügung.« Ich lächelte bitter. »Kon hat nur die halbe Wahrheit gesagt! Zwar werde ich in der Tat nicht zum Supermutanten. Aber ihr…« »Wir schaffen es nur mit deiner katalytischen Unterstützung, Atlan.« Gedankliches Nicken. Es gab viele Lebewesen im Großen Imperium, die über Paragaben verfügten, zur paraverbalen Kommunikation imstande waren und tiefer gehende Ströme neben der materiellen Körperlichkeit erfassen konnten – vor allem die Dagoristas konnten die potenziellen Kräfte eines jeden Bewusstseins nutzen. Aber das war, im Vergleich zur jetzigen Wahrnehmungsintensität, kaum mehr als ein Kratzen an der Oberfläche, glich dem Anblick eines erstarrten, vereisten Flusses. Für mich brach dieses Eis auf. Aus Rissen sprudelte es hell und leuchtend und warm hervor. Schollen und Splitter trieben umher, prallten aufeinander, verschoben sich über- und untereinander. Versetzungen, Brüche und Klüfte erschienen. Die Oberfläche verbal vorformulierter Gedanken vermischte sich mit visuellen Eindrücken, aus
tieferen Schichten brodelten Emotionen empor. Blasengleich aufsteigende Szenen der Erinnerung und unbewusster Bereiche zerrissen die Starrheit. Ich verstand: Eingeschränkt und gerade geeignet, den Wahrnehmungsfokus im konventionellen Universum zu stabilisieren, zeigte sich die Ich-Identität im Gegensatz zum bedeutend umfangreicheren, tiefer gehenden und offeneren Feld dessen, was gemeinhin als Unbewusstes abgetan wurde und Teil des Kollektiven Unbewussten war. Die Ebene des Hyperraums, in die diese höhere Wahrnehmung hineinreichte, vermittelte Eindrücke sich überschneidender Welten. Alternativen, ständig vorhanden und dem Bewusstseinspotenzial zugänglich, offenbarten sich; Vergangenheit wie auch Zukunft verschmolzen zum ALLES BEINHALTENDEN JETZT, einer umfassenden Omnipräsenz, die letztlich für Offenheit in alle Richtungen stand. Die mit der Ich-Identität verbundene körperliche Manifestation und Zentrierung schränkte das Potenzial ein, ohne die alternativen Möglichkeiten auszulöschen. Wir – »Sinyagi« und ich – gingen über diese Einschränkungen hinaus: Das Blickfeld weitete sich ungemein. Für kurze Zeit sah ich den eigenen Körper – im Heilschlaf schlossen sich zum verstärkten Pulsieren des Zellaktivators Wunden und wurden die Strapazen der Letzten Prüfung überwunden. Meditierende Gijahthrakos und Zhy-Famii luden das Hyperenergiereservoir auf, festigten die Verbindung von Großer Feuermutter und Millionenäugigem Imperator…
17. Von den Planeten der orangefarbenen Sonne Llaga del Armgh, 47,55 Lichtjahre von Arkon entfernt, genoss Xoaixo den Ruf eines wahren Paradieses. Es war die zweite von insgesamt sieben Welten. Von den vier Kontinenten galt Sighan als der schönste, speziell an der Westküste. Von den Städten dort wurde vor allem Ahjod seiner Schönheit wegen gerühmt, dort befanden sich die exklusivsten – und teuersten – Seniorenheime. Von diesen wiederum galt jenes als das erlesenste, das den Namen Die stählernen Schwingen von Orxh führte. Diesen Namen verdankte das Heim Thaher Gyat. Dort wohnte die Crème de la crème Xoaixos. Der Mann genoss den Ruf, die widerwärtigste, unausstehlichste, übellaunigste Person zu sein, die in den Weiten des Großen Imperiums, um nicht zu sagen, der gesamten Öden Insel, lebte. Er kokettierte wie eine Jungfer mit seinem Alter; seinen gelegentlichen Andeutungen zufolge hätte er bereits die Erschaffung des Universums als technischer Direktor miterleben müssen. Körperlich überragte er die meisten seiner Bekannten um zwei Köpfe, dafür war er nur halb so umfangreich wie sie. Seine Bewegungen waren gezeichnet von der Grazie eines schrottreifen Ballettroboters, seine Rede laut, anmaßend und voll Bosheit. Seine Flüche ließen selbst Kralasenen schamrot anlaufen, seine Komplimente riefen gelegentlich Ohnmachten hervor. Er verschlang Nahrungsmittel, als wolle er seinen Leibesumfang binnen weniger Pragos verzehnfachen – ohne jemals Erfolg zu haben –, und er trank unmäßig – mit Erfolg. Thaher Gyat war ein Scheusal – aber er war der Mann, der Orbanaschol ins Gesicht gesagt hatte, er sei ein aufgedunsener Schwachkopf. Genau darauf beruhte der Plan, den Fartuloon entworfen hatte.
Xoaixo: 36. Prago des Messon 10.499 da Ark Thaher Gyat drehte sich ächzend im Bett um und starrte blinzelnd zur Decke. »Bei allen Göttern Xoaixos«, seufzte er wehleidig. »Schon wieder Morgen.« In dem Raum glomm nur die schwache Notbeleuchtung. In diesem Licht konnte Thaher auf der Uhr neben dem harten Bett ablesen, dass die Sonne in einer halben Tonta aufgehen würde. Die Eigenrotation von Xoaixo betrug knapp fünfzehn Tontas. Er holte tief Luft, dann sprang er aus dem Bett. Augenblicke später lief eiskaltes Wasser über die mageren Schultern, weil der alte Mann auf die Annehmlichkeiten eines warmen Duschbades verzichtete. Später zog er Sportkleidung an und verließ das Zimmer. Die Korridore der Stählernen Schwingen von Orxh waren leer. Der Mann schritt leise voran. Die Wärme seiner Hand, die er gegen eine gekennzeichnete Platte presste, ließ die Tür zum Übungsraum geräuschlos aufschwingen. »Guten Morgen«, wünschte Zihat Baluch freundlich. Sein braun gebrannter, muskulöser Körper glänzte leicht im Licht der Deckenlampen. Nur auf der Stirn war der Schweiß deutlicher zu sehen. »Du hast dich verspätet.« »Man wird langsam alt«, murmelte Thaher grinsend und streckte sich auf der Hantelbank aus. Scheinbar mühelos begann er, das schwere Gewicht zu stemmen, wieder abzusetzen, erneut zu heben. Zihat legte das Sprungseil zur Seite und kam näher. Kopfschüttelnd meinte er: »Ich möchte wissen, wo du in deinem Körper die Muskeln untergebracht hast, die du für diese Übung benötigst. Vermutlich verstecken sie sich im Inneren deiner Knochen.« Thaher nahm den Spott kommentarlos hin. Er kannte Zihat seit Jahren – nicht erst, seit sie mit dem gleichen Schiff nach Xoaixo gekommen waren. Zihat Baluch war einige Jahre
jünger als Thaher, aber jenseits von einhundert Arkonjahren zählte der Unterschied nicht mehr viel. Beide waren Arkoniden, aber im Gegensatz zu Thaher hatte Zihat noch alle Haare. Sein Körper lag etwas unterhalb der Durchschnittsgröße, er war eher stämmig und muskulös und trotz seines Alters noch sehr beweglich und ausdauernd. Zihats Gesicht strahlte Freundlichkeit und Friedfertigkeit aus, während Thahers Raubvogelphysiognomie seinem Spitznamen »der große Giftige« vollauf entsprach. Somit ließ sich kaum ein Paar denken, das so gegensätzlich gewesen wäre, aber jedermann auf Xoaixo wusste, dass die beiden Männer fast unzertrennlich waren. Zihats Aufgabe bestand im Allgemeinen darin, das Porzellan, das Thaher genussvoll zerschlug, leidlich zu kitten. Und er erledigte diese Aufgabe mit so viel Geschick, dass Thaher trotz seines mehr als rüpelhaften Benehmens nicht aus dem Heim gewiesen wurde. Genau genommen wäre das allerdings auch schwer möglich gewesen, denn Die Stählernen Schwingen von Orxh gehörten schließlich Thaher Gyat. Eineinhalb Tontas trainierten die Männer an den Geräten, hart und intensiv. Sportlich gesehen waren sie in Höchstform. Obwohl die Reize von Xoaixo zum Müßiggang verführten, achteten beide sorgfältig darauf, ihre körperliche Leistungsfähigkeit weitgehend zu erhalten. Nach dem Training nahm Thaher ein zweites Duschbad und zog sich vollständig an. Als er den großen Gemeinschaftsspeisesaal betrat, trug er weite, schmutzig braune Hosen, die reichlich mit irisierenden Schmuckbändern bestickt waren. Allerdings war deutlich zu erkennen, dass diese Arbeit weder von einem Fachmann noch von einem Robot erledigt worden war. Ebenso schlampig gefertigt wirkten die weite Jacke und ihr schiefer Kragen; die unübersehbaren Flicken waren allerdings zu einem großen Teil von Orden und Ehrenzeichen verdeckt,
mit denen sich Thaher zu schmücken beliebte. Bei jedem Schritt klingelten die glänzenden Metallstücke. »Morgen!«, knurrte Thaher und schob sanft, aber nachdrücklich eine Frau zur Seite, die sich an der Essensausgabe angestellt hatte. Die Frau drehte sich empört um, wollte protestieren, aber dann erkannte sie, mit wem sie es zu tun hatte. Verzerrt lächelnd wich sie zurück und machte Thaher endgültig Platz. Der Mann entschied sich für gebratenes Geflügel und eine riesige Portion knusprigen Gebäcks. Dass er das gebratene Wildgeflügel mit einer süßlichsauren Sauce förmlich ertränkte, wunderte nur einen betagten Arkoniden, der im Hintergrund des Speisesaals saß und angewidert das Gesicht verzog. Thaher sah aus den Augenwinkeln die Grimasse und beschloss, sich zu revanchieren. Erfahrene Mitbewohner schmunzelten, als Thaher genau auf den freien Platz gegenüber dem Neuen zusteuerte. Er grinste den Mann freundlich an, setzte dann sein Tablett ab. Dabei stand ihm das Geschirr des alten Mannes im Weg. Schnell schob Thaher das Frühstückgeschirr seines Gegenübers so zusammen, dass diesem kaum noch Platz blieb. Thaher ignorierte die Fassungslosigkeit des Mannes, setzte sich, streckte die Beine aus und legte die Füße nach alter Gewohnheit auf einen freien Stuhl. Mit beiden Händen griff er nach dem Geflügel, packte eins der gebratenen Tiere und halbierte es mit einem kräftigen Ruck. Sauce spritzte, traf auch den alten Mann gegenüber, dessen Fassungslosigkeit wuchs, während Thaher bereits die Zähne gierig in das saftige Fleisch schlug. Dass dabei schwere rote Sauce in dicken Tropfen von den Mundwinkeln in den Kragenausschnitt tropfte, störte ihn nicht. Mit saucenfeuchten Fingern griff Thaher nach den Keksen und stopfte sich einen in den Mund. Der Anblick des unbekümmert Essenden, der zudem
deutlich hörbar schmatzte, ging über die Kraft des alten Mannes. Er raffte sich auf und sprach Thaher an: »Hören Sie, ich habe keine Lust, mir das noch länger stillschweigend anzusehen.« »Appetit bekommen?«, erkundigte sich Thaher mit vollem Mund, griff nach einem Geflügelbein und drückte es seinem Gegenüber in die Hand; Augenblicke später war auch dessen seidene Hose von Saucenflecken bedeckt. Angewidert legte der Mann das Geflügelbein auf die Servierplatte zurück, während sein Gesicht langsam den Ausdruck wütender Entschlossenheit annahm. Betont energisch schob er Thahers Geschirr zurück und verschaffte sich selbst mehr Platz. Thaher schien dies nicht zu stören, er nahm ungerührt einen weiteren Keks und stippte ihn in die Tasse seines Gegenübers. Sie enthielt heißen Argyrt-Tee, ein Getränk, das leicht anregend wirkte, wenn es heiß und ohne Zucker genossen wurde. Jeder Krümel Zucker und jedes Grad Abkühlung verstärkten hingegen die sedative Wirkung des Getränks, das sich seines feinen Aromas wegen vor allem bei jenen großer Beliebtheit erfreute, die es sich leisten konnten, mit einer einzigen Tasse das Einkommen eines einfachen Raumsoldaten von einer Arkonperiode zu verzehren. Es war das Luxusgetränk für Stutzer und Neureiche, und das wusste Thaher Gyat selbstverständlich. Die Augen seines Gegenübers wurden groß und rund. Der Mann merkte, dass er im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand und dabei war, zum Gesprächsgegenstand des Tages aufzurücken. Sofern er sich nicht schnell und vor allem eindrucksvoll der Übergriffe dieses Flegels erwehrte, würde man ihn die nächste Arkonperiode mit dieser Geschichte veralbern. »Mein Herr«, begann der Mann energisch. »Ich gestatte mir die Feststellung, dass Sie ein ausgemachter Flegel sind, dessen Tischmanieren jeder
Beschreibung spotten.« Thaher zog die linke Braue in die Höhe. »Sie sehen auch nicht manierlich aus.« Ungerührt deutete er auf die befleckte Hose des Mannes. Die Tatsache, dass er als Zeigestock einen triefenden Geflügelbeinknochen verwendete und so das Fleckenmuster auf der Hose noch vergrößerte, führte zu einem unterdrückten Gelächter im Hintergrund. Der Mann stand auf; stehend überragte er den sitzenden Thaher beträchtlich, und dieser Umstand schien sein Selbstvertrauen zu stärken. »Ich heiße Huzur Mistis. Ich war Oberster Richter am Handelsgericht von Olp’Duor.« Wer diese Position beim größten Raumhafen von Arkon II erreichte, hatte zweifellos eine beachtliche Karriere hinter sich. »Oberrichter?«, fragte Thaher kauend. »Mit solchen Hosen?« Mistis sah an sich hinunter, betrachtete die Flecken und schloss in einem Anfall ohnmächtiger Wut die Augen. »Natürlich nicht«, fauchte er. »Ich bin ohne Hosen Richter geworden.« Das verstärkte Gelächter machte ihm schnell klar, dass er verloren war. Es würde vermutlich nicht einmal einen Prago dauern, bis er auf dem ganzen Planeten als der Richter ohne Hosen bekannt sein würde. »Ein überaus interessantes Muster, das Sie da haben. Es erinnert mich an ein ganz bestimmtes Gebiet sogar…« »Die Stählernen Schwingen von Orxh«, ergänzte der Chor der Mitbewohner; es klang auf merkwürdige Weise erleichtert. Thaher grinste, während sich der pensionierte Richter erstaunt umsah. Man hatte Mistis gesagt, dass Die Stählernen Schwingen von Orxh etwas ganz Besonderes seien; mit dieser Auslegung der Worte hatte er nicht gerechnet. Er winkte einen Servorobot heran, die Maschine kam dem Befehl sofort nach. »Ich
wünsche, dass dieser Mann zum Verlassen des Speiseraums veranlasst wird«, verlangte Mistis. »Außerdem möchte ich den Inhaber sprechen.« Thaher legte die Beine auf den Tisch und verkündete grinsend: »Das tun Sie bereits seit geraumer Zeit.« Im Hintergrund wurde es sehr ruhig; jedermann wartete ab, wie sich Mistis aus dieser Klemme befreien würde. Dem Richter war anzusehen, dass er weder ein noch aus wusste. Ratlos wanderte sein Blick von dem leicht zerbeulten Roboter zu Thaher, dann zu den übrigen Heimbewohnern, die ihn erwartungsvoll anstarrten. Bevor Thaher etwas gegen die Attacke unternehmen konnte, hatte Mistis die Schale mit Gelee ergriffen und den Inhalt auf Thahers kahlen Schädel gekippt. »Sie haben mir gezeigt«, begann Mistis freundlich, »wie man den Farbton meiner Hosen besser zur Geltung bringt. Ich erlaube mir im Gegenzug, mich mit einem alten Hausmittel gegen Kahlköpfigkeit zu revanchieren.« Aus den Augenwinkeln sah Thaher seinen Freund Zihat; er wusste, dass die Szene jetzt auf Messers Schneide stand. Der plötzliche Mut des Richters hatte Thaher förmlich überrumpelt; gab er sich jetzt geschlagen, war der Ruhm der Stählernen Schwingen von Orxh für alle Zeiten vernichtet. Die Orden und Ehrenzeichen an Thahers Brust klingelten, als er sich aufrichtete. Unwillkürlich trat Mistis einen Schritt zurück, während sich Thaher in voller Größe vor ihm aufbaute. Thaher streckte ihm die Hand entgegen und lächelte den Mann an. »Gratuliere. Sie sind mir ebenbürtig. Darauf müssen wir einen trinken.« Mistis strahlte über das ganze Gesicht, während sich bei den Zuschauern Fassungslosigkeit breit machte. Gab sich Thaher Gyat wirklich geschlagen? Er griff nach der halb vollen Tasse und drückte sie Mistis in die Hand; er selbst bediente sich am Fruchtsaft eines anderen Mitbewohners, der die Szene mit
angespannter Aufmerksamkeit verfolgte. »Auf Ihr Wohl.« Thaher setzte den Fruchtsaft an und leerte das Glas in einem Zug. Sofort folgte Mistis seinem Beispiel. Erst als er die Tasse absetzte, begriff der Richter, dass ihn Thaher erneut hereingelegt hatte. Der inzwischen längst erkaltete Argyrt-Tee entfaltete seine Wirkung; Mistis’ Augen schlossen sich halb, der Mann begann zu wanken und fiel schließlich in die vorsorglich ausgebreiteten Arme Thahers. Zufrieden lächelnd übergab er den Schlafenden dem Servorobot. »Bring ihn ins Bett und sorg dafür, dass er ausschläft.« Anschließend wandte er sich nach einem Blick auf die Uhr an den Chef der vollrobotischen Küche. »Die Frühstückszeit ist beendet. Abräumen!« »Verstanden, Gebieter.« Es bereitete Thaher großen Spaß, zu verfolgen, wie die Heimbewohner, die von dieser Anordnung überrascht wurden, in aller Eile so viel in sich hineinstopften, wie sich in der kurzen Zeit bewerkstelligen ließ, die die Serviceroboter für diese Arbeit benötigten. »Der Befehl für das Mittagessen fehlt noch«, erinnerte der positronische Küchenchef. Thaher sah nachdenklich an sich hinunter. »Ein wenig Mäßigung wird nicht schaden. Es wird also Wasser und Konzentratriegel nach Belieben geben.« Während sich der Küchenroboter entfernte, ging ein wehleidiges Stöhnen durch die Reihen der Heimbewohner. Sie wussten, was ihnen bevorstand. Vor jedem Gast würden die ewig grinsenden Servicemaschinen ein großes Glas mit Wasser abstellen, dazu gab es für jeden Tisch eine große Schüssel, die bis zum Rand mit unappetitlichen braunen Würfeln gefüllt war. Eingeprägte Buchstaben verrieten, welches normale Gericht von den Würfeln vorgetäuscht wurde. Jeder hatte freie Auswahl, was ihm aber wenig half, da die Würfel seit langer
Zeit in einer riesigen Kiste gestapelt waren und sich die Aromastoffe deshalb zu einem nichtssagenden Gebräu vereinigt hatten. Eingeweihte wollten herausgefunden haben, dass besagte Konzentratwürfel Anlass der großen Flottenmeuterei von 10.434 da Ark gewesen sein sollten. In den vielen Jahren, die seither verstrichen waren, konnte sich der Geschmack schwerlich verbessert haben… »Muss das sein?«, erkundigte sich eine zaghafte Frauenstimme. Thaher drehte sich um und erkannte Galacca Kidal, eine ältere Frau von zierlicher Gestalt, aber großem Durchsetzungsvermögen. »Pah! Jeder Prago zeigt es mir aufs Neue: Seit dieser Orbanaschol an der Macht ist, ist jeder Mumm verschwunden. Damals, als wir noch einen richtigen Imperator hatten, hat man sich um die Ehre geprügelt, in der ruhmreichen Flotte Seiner Erhabenheit Konzentratwürfel essen zu dürfen. Nur Schwächlinge vertragen diese wissenschaftlich einwandfreie, rationelle Nahrung nicht.« »Wenn Sie es so sehen.« Galacca Kidal lächelte schwach. »Glauben Sie, dass Orbanaschol dadurch zu stürzen ist, wenn wir uns vorwiegend von Nahrungskonzentraten ernähren?« Bevor Thaher eine Antwort geben konnte, war die Frau bereits verschwunden. Der Speisesaal war jetzt fast leer, denn die Trainer sahen es nicht gern, wenn die Heimbewohner lange auf sich warten ließen. Der Letzte, der auf dem Übungsplatz eintraf, hatte üblicherweise einen Kilometer mehr zu laufen. Die Stählernen Schwingen von Orxh waren ein Heim, in dem sehr viel Sport getrieben wurde. Wer den Mindestanforderungen seiner Altersklasse nicht genügte, suchte vergeblich um einen Platz nach. In solchen Fällen kannte Thaher Gyat keine Gnade, weder Geld noch Rang und Namen machten auf ihn einen Eindruck. Waren alle Plätze belegt – ein Ziel, das Thaher nur selten verfehlte –, lebten über
vierhundert Frauen und Männer hier. Zu den »Spezialitäten« seines Hauses gehörte, dass er selbst sich nicht an den sportlichen Übungen beteiligte, sondern sein Vergnügen darin fand, neben den Trainingsplätzen zu stehen, die Hände in die mageren Hüften gestemmt, und die schwitzenden und schnaufenden Heimbewohner mit Spott und Hohn zu überschütten. An diesem Tag musste Thaher von diesem Vergnügen Abstand nehmen, weil er in Ahjod gebraucht wurde, um Verwaltungsärger zu beseitigen. Kleinere und unbedeutende Heime versuchten immer wieder, Thahers Stil zu kopieren, aber dank der Beziehungen des Mannes zu hohen und höchsten Stellen der planetaren Verwaltung konnten diese Imitationen meist recht schnell beseitigt werden. Thahers Gleiter stand, deutlich von den Fahrzeugen der Gäste getrennt, auf einem Platz vor dem Eingang. Die Stählernen Schwingen von Orxh bestanden aus insgesamt achtundfünfzig Gebäuden, die von einem auf den ersten Blick verwirrenden, aber sorgsam ausgetüftelten System von Gängen und überdachten Wegen verbunden waren. In je einem der stets sonnenbeschienenen Flachbauten lebten jeweils acht Personen, sorgfältig so ausgesucht, dass diejenigen zusammenlebten, die sich am wenigsten vertrugen. Zank und Streit und Zerwürfnisse waren an der Tagesordnung, und auch das war geplant. Thaher vertrat die Auffassung, dass nichts einen Alternden mehr in Schwung hielt als entweder Liebe oder Hass, und er handelte nach dieser Devise. Da Hass im Allgemeinen länger währte als Liebe, sorgte er für immer neue Zwistigkeiten unter den Gästen. Natürlich blieb diese Form von Personalpolitik nicht lange ein Geheimnis, aber merkwürdigerweise verringerte sich die Zahl der Heimbewohner, die obendrein für das zweifelhafte
Vergnügen beträchtlich zu zahlen hatten, trotz des Rufs der Stählernen Schwingen von Orxh nicht. Im Gegenteil – hatten die Geschundenen ihren meist zeitlich befristeten Aufenthalt hinter sich, pflegten sie mit Erfahrungsberichten nicht zu geizen. Wer ihnen zuhörte, musste zu dem Eindruck bekommen, als sei das Paradies Xoaixo von tödlicher Langeweile, mit Ausnahme eben der Stählernen Schwingen von Orxh. Dort war es immer turbulent. Allein das immer noch ungelüftete Geheimnis des merkwürdigen Namens bildete für die Gäste ein schier unerschöpfliches Gesprächsthema. Thaher Gyat hatte sich bislang standhaft geweigert, zu erklären, was es mit den Stählernen Schwingen von Orxh genau auf sich hatte. Zwar gab es immer wieder Hinweise, aber diese Andeutungen waren offenkundig dazu bestimmt, den Schleier des Geheimnisses immer dichter zu weben.
Thaher Gyat fuhr, wie man es bei seinem Ruf als größtes Ekel der bekannten Galaxis erwarten konnte, schnell und rücksichtslos. Mit Höchstgeschwindigkeit näherte er sich bis auf Handbreite dem voranschwebenden Gleiter, schnitt, wo sich die Gelegenheit bot, und verwendete eine schauerlich klingende Sirene, mit der er sich den Weg förmlich frei brüllte. Die Beleidigungen, mit denen er aus der offenen Gleiterschale lautstark andere Piloten zu überschütten pflegte, waren von fast sprichwörtlicher Unverschämtheit. Es fiel Thaher nicht im Traum ein, die Reservierungen zu beachten, mit denen die Parkplätze unmittelbar vor dem Regierungsgebäude für höhere Dienstränge frei gehalten werden sollten. Besonderes Vergnügen empfand er dann, wenn er den Platz des amtierenden Gouverneurs belegen konnte. Auch an diesem Morgen kam der Tato wieder einige Zentitontas zu spät und fand seinen Platz von Thahers
hässlichem Gleiter besetzt. Nander Guntakal lief dunkelrot an, als er es sah. Leise befahl er seinem Chauffeur: »Verständigen Sie ein Abschleppunternehmen und schaffen Sie dieses Ding hier weg. Ich kann mir diese Anmaßung nicht länger gefallen lassen.« Er war sich bewusst, dass zweihundert Meter höher Thaher Gyat das Geschehen auf einem Monitor verfolgte und vermutlich vergnügt grinste, dennoch entschloss sich der Tato, persönlich dem Abtransport des Gleiters beizuwohnen. Er wollte diesen kleinen Triumph auskosten. Es dauerte nicht lange, bis der Abschleppgleiter kam. Man tat auf Xoaixo gut daran, Seine Exzellenz nicht lange warten zu lassen. Der Tato galt als ungeduldig, reizbar und einflussreich. Für einen kleinen Unternehmer war dies eine gefährliche Mischung. »Entferne dieses Fahrzeug!«, befahl Guntakal herrisch. »Aber schnell!« »Sofort, Erhabener«, murmelte der Abschleppunternehmer unterwürfig. »Ich werde mein Bestes tun.« Er war ein stämmiger Zaliter, der seinem Schicksal dankbar war, dass er die unmittelbare Nähe Arkons hatte verlassen können. Auf Xoaixo war er halbwegs sicher, sollte es Orbanaschol einfallen, die Zaliter wieder einmal die Macht des Imperiums spüren zu lassen. Er befestigte ein Seil aus Stahlfasern bester arkonidischer Fertigung an Thaher Gyats Gleiter. Tato Guntakal sah, wie der Mann plötzlich zusammenzuckte; interessiert trat er näher und musterte die handtellergroße Plakette am Heck des Gleiters. Wer dieses Fahrzeug gegen den Willen des Eigners benutzt, abtransportiert oder anderweitig behandelt, tut dies auf eigene Gefahr!, war in roter Leuchtschrift auf gelbem Grund zu lesen. Der Zaliter sah ratlos den Gouverneur an, dieser musterte ebenso verwirrt die Plakette. Neben dem Text war ein Foto des
Besitzers angebracht, auf dem Thaher Gyat dem Betrachter eine bemerkenswert lange Zunge herausstreckte. »Worauf wartest du?«, herrschte Guntakal den Zaliter an. »Vorwärts!« »Aber…«, begann dieser, doch eine Handbewegung des Tato ließ ihn verstummen. Wortlos kletterte der Zaliter in den Fahrerstand seines Gleiters und startete die Maschine. Der Abschleppgleiter setzte sich langsam in Bewegung, das Stahlseil straffte sich, aber Thahers Gleiter rührte sich nicht von der Stelle, obwohl das tragende Prallfeld aktiviert war und der Gleiter zwei Handbreit über dem betonierten Boden schwebte. »Mehr Energie!«, bestimmte Guntakal. »Los, Mann!« Der Zaliter blinzelte ratlos. Er wusste, dass die Aggregate seines Gleiters stark genug waren, um das abzuschleppende Fahrzeug in zwei Teile zu reißen. Fraglich war nur, wer dann für den Schaden haftete. Der Tato sicherlich nicht. Guntakals Geiz galt als berüchtigt, und sich mit Gyat anzulegen war nicht die Sache des ängstlichen Zaliters. Auf der anderen Seite würde er größte Schwierigkeiten bekommen, sollte er Guntakals Anweisungen nicht befolgen. Schweiß trat auf die Stirn des Mannes, als er langsam mehr Energie auf das Prallfeld gab. Das Stahlseil begann zu singen, ein anschwellender Brummton lag in der Luft. Gyats Gleiter verharrte nach wie vor auf seinem Platz und rührte sich nicht. Guntakal verlor die Geduld, stieß den Zaliter zur Seite, nahm selbst hinter den Kontrollen Platz und schob mit einer energischen Handbewegung den Hebel nach vorn. Die Aggregate des Gleiters brüllten auf. Mit steigender Befriedigung registrierte der Tato, dass sich der Abschleppgleiter bewegte. Hinter ihm erklang ein dumpfes Knirschen, aber er kümmerte sich nicht darum, lächelte verzerrt und verstärkte nochmals die Energiezufuhr.
Ruckartig bewegte sich der Abschleppgleiter nach vorn, während der Zaliter einen entsetzten Schrei ausstieß. Guntakal bremste ab und drehte sich um. Seine Augen weiteten sich, der Unterkiefer klappte nach unten. Gyats Gleiter hatte sich zwar ein beträchtliches Stück bewegt, aber das war es nicht, was den Tato entsetzte. Schockiert war er über das etliche Meter durchmessende Loch im Regierungsgebäude: Ein riesiges Stück der Außenwand war herausgerissen worden, auf dem Boden lag ein abgestürzter Roboter und wedelte mit einem Bündel Folien hilflos in der Luft. Der Zaliter stand schreckensbleich neben dem Trümmerstück, gedankenlos griff er nach dem Aktenbündel, das ihm der halb zerstörte Robot in die Finger drückte. Guntakal brauchte einige Zeit, bis er sich von dem Schreck erholt hatte. Er verließ den Gleiter, schritt an dem Zaliter vorbei und betrat den Trichtersockel, fest entschlossen, heute mit dem unverschämten Besitzer des falsch geparkten Gleiters abzurechnen.
Weiter oben hatte Thaher Gyat große Mühe, seinen Lachanfall in erträglichen Grenzen zu halten. Er allein wusste, dass er beim Verlassen des Gleiters einen überaus starken Traktorstrahlprojektor aktiviert hatte, der auf die Außenwand des Regierungsgebäudes zielte und dafür sorgte, dass sich das Fahrzeug keinen Millimeter von der Wand entfernte – es sei denn, die Wand machte die Bewegung mit. Thaher hatte die Füße auf den kostbaren Tisch des Tato gelegt und kam mit dieser Maßnahme dem ersten Wutausbruch Guntakals zuvor. Der Gouverneur war ein Mann, der gewohnt war, dass man vor ihm zitterte und seine Tobsuchtsanfälle wie Heimsuchungen des Schicksals über sich ergehen ließ. Eine Person wie Thaher Gyat passte nicht in sein
Weltbild – der überdies das Gespräch mit den barschen Worten eröffnete: »Sie haben mich herbestellt. Was wollen Sie?« Dass er geflissentlich vermied, den Gouverneur mit Erhabener anzusprechen, trug mit dazu bei, den Tato um seine Fassung zu bringen. Guntakal bedachte Thaher mit seinem standardisierten Drohblick, der aber ohne Wirkung blieb. Der Tato murmelte etwas Unverständliches, dann zerrte er eine Mappe von beträchtlicher Dicke aus einem Stapel. »Das hier sind Beschwerden, die Sie und Ihr Heim betreffen. Wie Sie sehen können, liegt ziemlich viel gegen Sie vor.« »Ich höre«, sagte Thaher ungerührt und machte es sich im Sessel bequemer, sodass die Füße über den Schreibtisch rutschten und eine deutlich sichtbare Spur hinterließen. »Hier ist beispielsweise die Beschwerde Ihres östlichen Nachbarn«, begann Guntakal, der langsam in Fahrt kam und die Ausdrucke durchblätterte. Es war dem Mann anzusehen, dass er nun fest entschlossen war, dem knochigen Scheusal nacheinander alle Vorwürfe vorzutragen, bis Gyat um Gnade winseln würde. »Der Mann führt bewegte Klage über das Benehmen Ihrer Gäste. Es heißt, dass auf Ihre Veranlassung hin mehr als ein Dutzend Frauen und Männer die Bewohner des Nachbarheims belästigt haben.« Thaher erinnerte sich natürlich an den Vorfall, schließlich hatte er ihn selbst inszeniert. Besagter Nachbar hatte die Frechheit besessen, ein freies Stück Küstenland einzuzäunen, und dort begonnen, aufwendige Sonnenplätze zu bauen. Für solche Leute empfand Thaher tiefen Abscheu. Er wusste, dass dies nur der erste Schritt war, dem weitere folgen würden, bis die Küste nahe Ahjod wie viele andere Küsten auch aussehen würde – zugepflastert mit großen, hässlichen Gebäuden. Um das zu verhindern, hatte Thaher zusammen mit seinen begeisterten Stammgästen ein wüstes Schauspiel in Szene
gesetzt. Zu Dutzenden waren sie über den Zaun geklettert – vor allem den vielen ehemaligen Flottenangehörigen hatte es ein ungeheures Vergnügen bereitet, an längst vergangene Zeiten anzuknüpfen. Natürlich waren sie nicht annähernd so betrunken gewesen, wie sie gespielt hatten, und auch die wüste Massenschlägerei war nur gestellt gewesen, aber die erschreckten Gäste hatten fluchtartig das Weite gesucht, als Thahers Horde über sie hereingebrochen war. Er wusste genau, dass man ihn persönlich dafür nicht belangen konnte, und als die Polizei angerückt war, hatten sich seine Gäste mit verblüffender Geschwindigkeit absetzen können. »Noch etwas?«, fragte Thaher. Tato Guntakal merkte, dass er mit diesen Methoden bei Gyat nicht weiterkam. »Ich habe mir Ihre Personalakte besorgt. Und ich habe überrascht festgestellt, dass über Sie sehr wenig bekannt ist. Genau genommen wesentlich weniger, als gesetzlich vorgeschrieben ist. Es fehlen Angaben über Ihre früheren Tätigkeiten, über die Einkünfte, von denen Sie leben. Woher beispielsweise kamen die Mittel, die Sie zum Bau Ihres Heims brauchten?« »Mein persönliches Geheimnis«, behauptete Thaher grinsend. »Sie können meinethalben versuchen, mehr herauszufinden. Es wird Ihnen nicht gelingen.« Guntakal machte zunächst ein verblüfftes Gesicht, dann begriff er, was Thaher meinte. Der gesamte Planet Xoaixo diente gleichsam als planetares Altersheim. Wohlhabende Bürger des Großen Imperiums verlebten hier die letzten Jahre ihres Lebens in einem angenehmen, milden Klima und allem nur erdenklichen Luxus, sofern sie ihn bezahlen konnten. Meist handelte es sich um solche Leute, die der Kristallwelt selbst überdrüssig waren. Es galt als sicher, dass Xoaixo mehr Fürsten und Edle beherbergte als jeder andere Planet der bekannten Galaxis,
angeblich sogar Arkon I selbst eingeschlossen. Aber es gab hier nur freiwillige Pensionäre. Orbanaschol hatte es sich einfallen lassen, einen Teil seiner politischen Gegner auf diese vergleichsweise sanfte Art kaltzustellen. Somit wimmelte es auf Xoaixo von Oppositionellen, vor allem Anhängern und Gefolgsleuten des toten Imperators Gonozal VII. Andererseits waren viele Bewohner des Planeten schon aus Altersgründen überaus konservativ und loyal dem Imperium gegenüber. Orbanaschol war der Imperator, das reichte. In den meisten Fällen ging somit die Planung des Höchstedlen auf. Die noch energischen alten Arkoniden, die Gonozal und seiner Politik nach wie vor die Stange hielten, erschöpften sich in dem stillen, aber hartnäckigen Widerstand ihrer greisen und mit jedem Prago mehr an Demenz leidenden Mitbewohner. Selbstverständlich gab es auch Spitzel auf dem Planeten, Personen, die jeden eventuell doch noch vorhandenen echten Widerstand feststellten und – wo nötig – unauffällig abstellten. Da solche Personen schwerlich unter der Berufsbezeichnung Spitzel in den amtlichen Listen geführt werden konnten, erhielten sie Scheinidentitäten, die sie vor neugierigen Fragern schützen sollten. Tato Nander Guntakal hatte begriffen – Thaher Gyat war einer dieser Geheimpolizeispitzel. Im Stillen bewunderte der Gouverneur die Gerissenheit seines Gegenübers. Ein Heim zu bauen, das nahezu ausschließlich hartgesottene OrbanascholGegner beherbergte, war ein raffinierter Trick. Jetzt verstand er auch, welchem Zweck die merkwürdigen Aktionen und Einfälle Gyats dienten – sie sollten die zähen alten Damen und Herren beschäftigen, damit ihnen keine Zeit und Lust auf echte politische Aktionen blieb. Der Tato lächelte freundlich. Was blieb ihm anderes übrig? Vor dem Zugriff der Tu-Gol-Cel unter dem Kommando von Mascant Offantur und ihrer Spitzel war niemand sicher, nicht einmal der Gouverneur von Xoaixo.
TGC-Leute hatten stets weitreichende Vollmachten. War nicht vor kurzer Zeit erst eine der schillerndsten Gestalten der feinen Gesellschaft, das Oberhaupt eines berühmten Khasurn, kurzerhand verhaftet worden? Guntakal hatte durchaus seine speziellen Quellen, die ihn über alles auf dem Laufenden hielten, was auf der Kristallwelt und im Arkonsystem geschah, und so wusste er, dass Regir da Quertamagin seine Gegnerschaft zu Orbanaschol mit dem Tod bezahlt hatte. Auch Thaher Gyat lächelte. Er wusste, dass er für absehbare Zeit seine Ruhe haben würde. Nander Guntakal war zwar ziemlich skrupellos, aber beileibe kein Held. Die wenigen Andeutungen, die Thaher sorgfältig eingestreut hatte, genügten, um den Tato zu überzeugen. Genau das war es, was Thaher hatte erreichen wollen. Guntakal klopfte mit der flachen Hand auf die Mappe. »Ich werde das erledigen lassen«, sagte er freundlich. »Ich nehme an, dass das in Ihrem Interesse ist.« »Und im Interesse der Sache«, ergänzte Thaher vieldeutig und stand auf. Der Gouverneur ließ sich sogar dazu herab, Thaher die Hand zu geben, als dieser das protzige Büro verließ. Sobald er gegangen war, machte sich der Tato daran, die Mappe durchzuarbeiten und die Personen vorzumerken, die sich Thaher Gyat in den Weg stellten. Er war fest entschlossen, allen deutlich beizubringen, dass sie Gyat in Ruhe zu lassen hatten.
Guma Tarthing war für arkonidische Verhältnisse ungewöhnlich klein, dazu sehr schlank, fast zierlich. Er trug gut geschnittene, aber unauffällige Anzüge, verwendete dezente Parfüms und las gern. Er lächelte oft und zeigte seine kleinen weißen Zähne. Das Haar war weiß und schon ein
wenig schütter. Um dies auszugleichen, hatte er sich einen Vollbart wachsen lassen. Sorgfältig achtete er darauf, dass die Barthaare stets in einem Ehrfurcht gebietenden Weiß strahlten. Der Mann hatte kleine Hände mit kurzen, sehr zierlichen Fingern. Er war jemand, dem man zutraute, dass er tontalang am Meer saß, meditierte oder die Vögel fütterte. Man hätte ihm bedenkenlos seine Kinder anvertraut, hätte es auf Xoaixo Kinder gegeben. Er machte ganz den Eindruck eines freundlichen alten Herrn, der vielleicht insgeheim an einem philosophischen Werk schrieb. Was Guma Tarthing aber wirklich schrieb, waren Geheimberichte für die Tu-Gol-Cel, die Politische Geheimpolizei des Imperators. Vögel zu füttern wäre ihm nie eingefallen, und Kinder hasste er inbrünstig wegen ihrer Unbefangenheit und Ehrlichkeit. Sie machten überdies Lärm und brachten Unruhe ins Leben. Womöglich waren sie auch noch neugierig. Und Neugierde konnte der Mann überhaupt nicht brauchen; er wollte seine Ruhe. Er hatte sich vor vielen Jahren, kurz vor der Volljährigkeit, überlegt, welchen Beruf er einschlagen sollte – und er hatte sich für den eines ausgemachten Schurken entschieden. Böse und Gute gab es auch ohne seinen Entschluss, hatte er sich gesagt. Die Bösen gingen zwar ein größeres Risiko ein, verdienten aber auch entschieden mehr. Tarthing war mit sich und seiner Arbeit zufrieden; immerhin hatte er genug verdient, um seinen Lebensabend auf Xoaixo verbringen zu können. Die politischen Verhältnisse waren einigermaßen stabil, es sah ganz danach aus, als würde Imperator Orbanaschol III. länger regieren als Tarthing leben, daher machte sich der Mann keine Sorgen um die Zukunft. Anlass für Unruhe gaben zwar die Angriffe der Methans, aber er war davon überzeugt, dass sie für das Imperium als Ganzes keine Gefahr waren. Zu seiner Freude fand er auch nach seiner Pensionierung etwas
zum Spionieren und Verraten und konnte die rechtmäßig verdiente Rente der TGC etwas aufbessern. Das Einzige, was Guma Tarthing noch fehlte, war ein großer, triumphaler Erfolg. Nie hatte er herausfinden können, wer die Chefs drei oder vier Rangstufen über ihm waren, wie sie aussahen. Gern hätte er sich einmal mit einem dieser Männer unterhalten, aber dazu würde er nur Gelegenheit haben, wenn er einen außergewöhnlich dicken Fisch an Land zog. Eigentlich hatte er diese Hoffnung begraben, doch irgendwo in seinem Schädel blieb dieser geheime Wunsch lebendig. Tarthing sah Thaher Gyat aus der Stadt zurückkommen und lächelte. Natürlich war Gyat nicht der dicke Fisch, aber ein durchaus ansehnlicher Fall. Seit Jahren lieferte Tarthing seine Berichte über den Besitzer der Stählernen Schwingen von Orxh ins Arkonsystem, ohne je eine Antwort bekommen zu haben. Wahrscheinlich war man dort der Ansicht, dass Gyat harmlos sei, solange er sich aufs Reden beschränkte. Immerhin wurden die Berichte bezahlt, also arbeitete Tarthing weiter. »Hatten Sie Erfolg?«, fragte er, als Gyat den Raum betrat. Er war nahezu allein im Speisesaal, denn die anderen Gäste hatten es vorgezogen, nach den strapazenreichen Sportübungen etwas zu schlafen, bevor sie sich auf die Konzentratwürfel stürzten. »Selbstverständlich«, antwortete Gyat grinsend. »Kennen Sie irgendjemanden, der mir erfolgreich Widerstand leisten könnte?« Es war hauptsächlich diese Überheblichkeit, die Tarthings Hass geweckt hatte und ihm immer neue Nahrung lieferte, zumal er spürte, dass dieses Auftreten Gyats nicht die Kompensationsversuche eines von Minderwertigkeitskomplexen heimgesuchten Mannes waren, sondern auf einem durchaus gesunden Selbstbewusstsein beruhte – etwas, das Tarthing immer gefehlt hatte.
»Wo sind die anderen?« »Beim Vormittagsschlaf«, antwortete Zihat Baluch. »Der Trainer hat die alten Damen und Herren fürchterlich geschunden. Immerhin, die Durchschnittsleistungen sind seit einem halben Jahr zusehends angestiegen. Sportlich gesehen sind unsere Freunde erstklassig für ihr Alter.« Die Bemerkung über das Alter hatte auf Thaher Gyat eine erheiternde Wirkung. Immerhin waren auch er und Baluch ziemlich betagt. Wie alt genau, verschwiegen sie, wie auch die Mehrzahl der anderen Heimbewohner, vor allem die Frauen. Aber aus den gesammelten Andeutungen ließ sich einiges ableiten. »Sie hätten auch teilnehmen sollen«, sagte Baluch mit einem Seitenblick auf Tarthing. »Schaden würde es nicht.« Tarthing lächelte zurückhaltend. »Ich bin nicht sehr sportlich eingestellt. Meine Begabungen lagen und liegen auf anderen Gebieten.« »Sie sollten uns endlich einmal etwas aus dem geheimnisvollen Roman vorlesen, an dem Sie in der Stille Ihrer Unterkunft offenbar arbeiten«, sagte Gyat. »Vielleicht gibt es dann wieder etwas zu lachen.« Mit dieser Bemerkung unterstrich er wieder einmal seinen Ruf als Ekel. Er fiel nie aus seiner Rolle, selbst in Augenblicken wie diesen nicht, wo ein etwas freundlicherer Ton zu erwarten gewesen wäre. Tarthing zuckte mit keiner Wimper und steckte den Seitenhieb widerspruchslos ein. »Sobald die Zeit reif ist«, versprach er, »werde ich daraus vorlesen. Es wird dann sicher lustig werden.« Im Stillen freute er sich über den boshaften Doppelsinn, den diese Worte aus seinem Blickwinkel hatten. Tarthing war sich sicher, dass keiner in den Stählernen Schwingen von Orxh über seine Doppelrolle auch nur das Geringste wusste. »Sie gestatten, dass ich mich zurückziehe?« Er verließ den Saal und ließ die beiden allein.
Thaher setzte sich und lehnte sich zurück. »Manchmal«, sagte er so leise, dass nur Zihat es verstehen konnte, »frage ich mich, ob all das, was wir hier tun, wirklich einen Sinn hat. Orbanaschol sitzt fester auf dem Thron denn je, und solange er gegen die Maahks kämpft, wird ihn auch keiner von dort verjagen. Ein Bürgerkrieg in einer solchen Situation wäre für das Imperium das sichere Ende.« »Wir müssen warten. Warten, bis der Zeitpunkt gekommen ist, den Fetten zu stürzen und ihn und seine Clique mit einem Schlag durch vertrauenswürdige Frauen und Männer zu ersetzen.« »Das kann lange dauern. Ich habe Angst, dass wir beide diesen Zeitpunkt nicht mehr erleben werden. Unsere Freunde hier noch viel weniger. Wir sind viel zu alt, um noch etwas ausrichten zu können.« Solche Niedergeschlagenheit war neu; Zihat kannte Thaher nur als energischen, harten und boshaften Mann. »Seit Jahren haben wir eine Organisation aufgebaut«, sagte Thaher mehr zu sich selbst. »Wir haben Kontakte geknüpft, Freunde geworben, und dies alles unter großer Gefahr. Bislang ist alles glattgelaufen, aber jede Glückssträhne endet irgendwann. Wann wird also irgendeiner von uns so senil, dass er zu plaudern anfängt und der TGC oder anderen Celistas eine Möglichkeit an die Hand gibt, die ganze Organisation aufzurollen?« »Dieses Risiko war uns klar, als wir unsere Arbeit begannen.« »Aber es wird von Jahr zu Jahr größer. Eine Untergrundorganisation braucht Erfolge, sonst fällt sie früher oder später auseinander. Oder soll unsere Organisation eines Tages auf das Niveau eines Traditionsvereins absinken, der
wehmütig über längst vergangene Zeiten sinniert?« »Noch ist es nicht so weit«, versuchte Zihat seinen Freund zu beruhigen. »Bis die Organisation die nötige Größe und Schlagkraft hat, werden noch einige Jahre vergehen. Erst dann können wir uns um andere Probleme kümmern.« Thaher sah ihn an und grinste. »Recht hast du. Ich werde mich etwas um unsere Gäste kümmern. Sorg du bitte dafür, dass keiner etwas anderes zu sich nimmt als Wasser und Konzentratwürfel. Im Ernstfall kann man auch keine frischen Lebensmittel schmuggeln.« Zihat Baluch nickte und zog sich zurück. Thaher überlegte kurz, dann entschloss er sich, die Daten der Funkstation des Heims abzurufen. Vielleicht gab es Neuigkeiten aus den Weiten des Tai Ark’Tussan.
18. Der alte Bauchaufschneider wusste genau, was ihm bevorstand, sollte er leichtsinnig sein. Aber die Trickkiste Fartuloons war groß und gut gefüllt. Um der planetaren Ortung zu entgehen, hatte er sich für die altbewährte »Meteor-Landung« entschieden. Das dauerte zwar unter Umständen länger als ein direkter Landeanflug, war aber entschieden sicherer. Nachdem sämtliche Kursparameter berechnet waren, folgte der tontalange Flug Richtung Xoaixo – antriebslos und mit nahezu komplett desaktivierten Aggregaten. Im zweiten Sitz bewegte sich Gonozal leicht, seine rechte Hand zitterte. Fartuloon hatte sich für einen nur unterlichtschnellen Fernaufklärer der YPTAR-Klasse entschieden – raketenförmige Raumflugkörper von dreißig Metern Länge und drei Metern Durchmesser, deren Deltaflügel es erlaubten, sie innerhalb einer gasförmigen Atmosphäre aerodynamisch zu steuern. Aus dem sich zur Spitze hin verjüngenden Bug ragte der Spirallauf einer starr eingebauten Impulskanone. Der Bauchaufschneider trug eine arkonidische Einsatzkombination – einen Transportanzug der leichten, flugfähigen Ausfertigung, die mit zu Nackenwülsten zusammenrollbaren Folienhelmen und Aggregatgürteln mit integrierten Antigrav- und Individualfeldprojektoren ausgestattet war. Wie üblich hatte er aber nicht auf seinen langen Lederrock und den verbeulten Brustpanzer verzichtet, im breiten Gürtel steckten der Kombistrahler und das Skarg. Zur weiteren Ausrüstung gehörten selbstverständlich die obligatorischen Kleinigkeiten wie Ersatzmagazine, Lampen, Medotaschen, Notrationen und dergleichen mehr. Fartuloon machte es sich im Pilotensessel bequem. Jetzt hieß es warten. Für die automatische Raumbeobachtung von Xoaixo bot sich das Bild eines winzigen Himmelskörpers, der geradlinig auf den Planeten zuflog und mit großer Wahrscheinlichkeit in den oberen Schichten der Atmosphäre verglühen würde. Darauf stützte sich der
Plan. Wurden die Positroniken misstrauisch, würden sie den vermeintlichen Meteoriten vorsichtshalber abschießen – doch nichts dergleichen geschah. Schließlich konnte Fartuloon hören, wie das YPTAR-Boot in die Stratosphäre eintauchte. Schon die Reibung der wenigen Luftmoleküle heizte die Rumpfzelle auf, gleichzeitig verstärkten sich die Vibrationen zu einem ersten Rütteln. »Eine halbe Zentitonta«, murmelte Fartuloon. Die Zeit verstrich, ohne dass die planetare Abwehr reagierte. Fortan konnte er sich einigermaßen sicher fühlen. Unter dem dem Planeten zugewandten Teil des Fernaufklärers staute sich die Luft, erhitzte sich und wurde ionisiert. Planetenbewohner würden einen kleinen, feurigen Punkt bemerken – im Glühen der ionisierten Luft und dem nachgezogenen Schweif war der Körper des Beiboots selbst nicht zu erkennen. Fartuloon hatte seinen und Gonozals Anzug geschlossen und auf Innenklimatisierung umgeschaltet. Der Arkonstahl der Rumpfzelle vertrug zwar noch deutlich höhere Temperaturen, es gab überdies diverse Isolationsschichten, dennoch heizte sich das Beibootinnere auf. Noch war an ein Hochfahren der Aggregate nicht zu denken, an das Hochspannen eines Prallschirms erst recht nicht, denn dessen Streuemissionen wären sofort angemessen worden. Auch die optische Außenbeobachtung war behindert. Fartuloon musste sich auf die Berechnungen verlassen. Die Flugbahn war so gewählt, dass ein Gros der Fahrt durch die Atmosphärebremsung aufgezehrt wurde. Das YPTAR-Boot war noch rund zehn Kilometer vom Boden entfernt, als der Autopilot erstmals Bremsimpulse feuern ließ, die die Geschwindigkeit weiter verringerten. Nach der Schätzung des Bauchaufschneiders würde die Raumüberwachung fortan nicht mehr eingreifen, weil längst die Flughöhe des normalen Luftverkehrs erreicht war. Dennoch blieben noch einige Zentitontas der Ungewissheit, bis der Bauchaufschneider sicher sein konnte, dass sein gewagtes Manöver gelungen war. Im Atmosphärenflug arbeiteten die Aggregate nur mit stark gedrosselter Leistung. Der Autopilot brachte den Fernaufklärer rund fünfhundert Meter über dem Boden zum Stillstand. Fartuloon übernahm die Steuerung;
durch die Cockpitverglasung erkannte er das Graugrün des Meeres. »Sehr gut«, murmelte der kahlköpfige Mann, richtete die Nase des Beiboots auf den fernen Strand und schob den Beschleunigungshebel leicht vor. Im Tiefflug raste der Fernaufklärer dicht über den Wellen dahin und näherte sich der Küste nördlich von Ahjod. Im Osten stieg die Sonne Llaga del Armgh über den Horizont und übergoss das Land des Kontinents Sighan mit gleißenden Strahlen. Am sich aufhellenden Himmel kreisten Vogelschwärme. Gonozal schlief; sein Atem war ruhig und gleichmäßig. Fartuloon zog den kleinen OMIRGOS aus der Tasche, musterte das Goldleuchten und seufzte. Es wurde Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen.
Xoaixo: 36. Prago des Messon 10.499 da Ark Rasch überflog Thaher die wenigen Notizen, die gespeichert wurden. Die private Hyperkomstation des Heims war gut ausgerüstet. Via Satelliten war sie nicht nur mit allen anderen Stationen des Planeten verbunden, sondern über die Relaisstationen auch mit dem Arkonsystem und anderen wichtigen Welten des Großen Imperiums. In diesem Augenblick ging eine Meldung ein und erschien auf einem der Monitoren. Im Norden von Ahjod wurde ein Mann gesichtet, der an der Küste entlanggeht. Er ist festzunehmen. Auf Anwendung von Gewalt ist zu verzichten. Thaher schüttelte verwirrt den Kopf. Die Meldung hatte offensichtlich keinen Absender und auch keinen bestimmten Empfänger. Vor allem war ihm nicht klar, was diese Meldung überhaupt zu besagen hatte. Er überlegte kurz, ließ sich dann den Text ausdrucken und suchte auf dem kürzesten Weg Zihat auf. Dieser war nicht minder verwundert. »Ich weiß nicht«, sagte er, »was diese Nachricht bedeutet, aber ich meine, wir sollten in jedem Fall nachsehen. Vielleicht
erleben wir eine Überraschung.« Thaher überlegte laut. »Die Nachricht wurde vom Hyperkom empfangen. Es gibt keine Signatur. Sie dürfte somit aus dem All kommen. Da das nächste Versorgungsschiff erst in einigen Pragos fällig ist und es keine Wachraumer gibt – wer hat also die Nachricht abgesetzt?« »Wir werden es bald herausbekommen«, versprach Zihat, ging zum Schrank, holte den Waffengurt heraus und schnallte ihn sich um. Thaher bewaffnete sich ebenfalls. Die beiden Männer benutzten Thahers Gleiter, der über einige Zusatzeinrichtungen verfügte, welche für Uneingeweihte eine böse Überraschung darstellten. »Norden ist ein ziemlich dehnbarer Begriff«, murmelte Zihat, während der Gleiter dem Küstenverlauf folgte. »Das können einige hundert Kilometer sein. Wie wollen wir den besagten Mann finden?« »Vielleicht erwartet er uns und gibt Rauchzeichen. Ich möchte wissen, was er dort will. Die Gegend ist ziemlich verrufen.« Nördlich von Ahjod war die Küste noch unverbaut – aus gutem Grund. Landeinwärts erstreckte sich ein extrem seichtes Gebiet, das in kurzen Abständen immer wieder vom Meer überspült wurde. Es gab allerdings auch Gerüchte, die wissen wollten, dass diese sumpfige Landschaft bei Weitem nicht so unbewohnt war, wie es gemeinhin geglaubt wurde. Auch Thaher hatte davon gehört, konnte sich aber nicht vorstellen, dass es dort größere Anlagen gab. Er hielt den Gleiter in geringer Höhe, um die Küste besser absuchen zu können. Die Sonne Llaga del Armgh hatte die Mittagshöhe schon überschritten, brannte aber heiß auf die Männer in der offenen Schale des Gleiters herab. Vom Ozean wehte ein frischer Wind, der angenehme Kühlung brachte. »Nichts zu sehen«, sagte Zihat. »Ob der Mann schon gefunden wurde?«
Thaher zuckte mit den Schultern. Im niedrigen, klaren Wasser der Bucht erkannte er einige Dutzend Akolas. Sie hatten jetzt Paarungszeit und waren entsprechend bösartig. Wehe dem Segler, der zwischen ihnen von Bord ging; er würde binnen Augenblicken zerfleischt werden. Neben den vielen unbestreitbaren Reizen hatte Xoaixo auch einige handfeste Nachteile, die aber dort, wo die Arkoniden lebten, mit dem ihnen eigenen technischen Aufwand beseitigt worden waren. Vor Ahjod beispielsweise patrouillierten viertausend Roboter und vertrieben wirkungsvoll sämtliche Akolas, sofern sie eine bestimmte Distanz unterschritten. So war die Sicherheit der Badenden garantiert. Nur vor den Stählernen Schwingen von Orxh schwammen einige, wenngleich imitierte Exemplare, die Thaher »zur Erziehung« seiner Gäste erforderlich schienen. Immer noch rätselte er über den Funkspruch, begriff nicht, wozu die geheimnisvolle Meldung taugte. Er gab nur eine halbwegs plausible Erklärung: Irgendwo in den Sümpfen gab es ein besonderes »Heim«, und von dort war der Mann wahrscheinlich entwichen und wurde nun gesucht. »Ich hab ihn«, rief Zihat plötzlich. »Dort unten, mehr nach links.« Thaher befolgte die Anweisung, und im nächsten Augenblick sah er den Mann ebenfalls, der über den weißen Sand des Strands ging! Er schien den Gleiter nicht bemerkt zu haben. Thaher landete in einiger Distanz, sprang wie Zihat aus dem Gleiter und ging dem Fremden entgegen. Er kannte das Gesicht des Fremden, lächelte kühl. »Das ist eine große Überraschung. Jetzt möchte ich Orbanaschols Gesicht sehen!«
Guma Tarthing saß neben Galacca Kidal an der großen Tafel und kaute missmutig auf dem Konzentratwürfel. Angeblich aß
er gerade bestes Fleisch, aber von dem Aroma war nicht viel herauszuschmecken. Immerhin war das Wasser klar und kalt. Kidal erörterte mit ihrer Tischnachbarin ein kompliziertes Problem der Rentenberechnung. Nach ihrer Darstellung war sie von der Versicherung ziemlich schamlos um beträchtliche Summen geprellt worden, und die zierliche Frau machte aus ihrer Entrüstung keinen Hehl. Gespräche dieser Art zerrten an Tarthings Nerven, aber er zeigte, wie man es von ihm gewohnt war, ein freundliches, interessiertes Gesicht. Der Speisesaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Zwischen den Tischen gingen die Servoroboter, die nach Schmieröl rochen und dennoch widerlich knirschten und quietschten. Noch ältere Modelle ließen sich vermutlich nur in Museen auftreiben. Als Thaher Gyat erschien, verstummten die Gespräche schlagartig. Neben ihm stand Zihat Baluch, gleichfalls mit ernstem Gesicht. Zur Verwunderung der Gäste trugen beide Männer Waffen. »Freunde«, begann Thaher. »Ich habe etwas Wichtiges mitzuteilen. Ihr alle wisst, dass ich aus meiner Einstellung nie einen Hehl gemacht habe. Ich bin ein Gegner des amtierenden Imperators, und ich werde es bleiben. Ich habe dieses Heim gegründet, um hier Freunde einer gerechten und gesetzmäßigen Regierung zu sammeln und zu beschäftigen, bis der Prago gekommen ist, an dem – auch durch unsere Mitarbeit! – das tyrannische Regime Orbanaschols gestürzt werden kann.« Er machte eine Pause. Im Saal wurde es laut. Natürlich wusste jeder, wie Thaher eingestellt war, aber er hatte es noch nie so öffentlich und direkt ausgesprochen. Ratlos sahen sich die Frauen und Männer an. Was hatten die bedeutungsvollen Worte zu sagen? War Thaher wahnsinnig geworden, dass er es wagte, in dieser Art öffentlich zu reden? Thaher bewegte nervös den Mund, dann ging er einige
Schritte zurück und ließ die Tür, durch die er den Speisesaal betreten hatte, aufschwingen. Für Augenblicke war es totenstill, dann schrien alle durcheinander: In der Türöffnung stand Imperator Gonozal VII.! Thaher brachte mit einer energischen Handbewegung die Anwesenden zum Schweigen. »Ihr wisst, wer dieser Mann ist«, sagte er langsam. »Wir alle sind alt genug, um uns bestens an ihn zu erinnern. Wir haben Seine Erhabenheit nördlich von Ahjod gefunden. Er ging einsam am Strand entlang…« »Ist der Höchstedle krank?«, fragte jemand besorgt. Thaher nickte. »Ich weiß nicht, was wirklich vorgefallen ist. Aber ich habe einen ganz bestimmten Verdacht. Wir alle wissen – zumindest wurde es so verkündet –, dass der Imperator bei einem Jagdunfall auf Erskomier getötet wurde. Nun, dieser Mann hier lebt! Ich vermute daher, dass Orbanaschol seinen Bruder ausgeschaltet hat, um selbst an die Macht zu kommen – wahrscheinlich wurde der Verwundete nach Xoaixo verschleppt und hier versteckt. Es sieht ganz danach aus, dass Gonozal zum Schweigen gebracht wurde; seine Psyche ist zerstört! Zihat Baluch und ich haben festgestellt, dass praktisch nur noch der Körper Seiner Erhabenheit lebt; sein Geist ist weitestgehend vernichtet. Der Imperator spricht nicht, scheint uns auch kaum zu hören, von Verstehen ganz zu schweigen. Wer letztlich für diese Tat verantwortlich ist, die schlimmer ist als Mord, brauche ich wohl nicht zu sagen!« Ein merkwürdiges Geräusch durchdrang die anschließende Stille; es war das Knirschen vieler Kiefer. Thaher sah, dass allen Frauen und Männern die Augen tränten. »Vermutlich«, fuhr er fort, »ist der Höchstedle trotz seines Zustands irgendwie seinen Bewachern entwischt. Jetzt ist er bei uns. Es wird unsere Aufgabe sein, den zerstörten Geist des Imperators wieder zu heilen. Dazu aber brauchen wir Hilfe –
Hilfe, die wir nur auf den Arkonwelten bekommen können. Und die Arkonwelten werden uns nur dann helfen, wenn der Verbrecher Orbanaschol gestürzt ist. Das ist unsere erste, vordringliche Aufgabe. Ich frage euch…« Er brauchte nicht weiterzusprechen. Die Bewohner der Stählernen Schwingen von Orxh waren sich einig. »Tod dem Verbrecher!«, gellte es durch den Saal. »Nieder mit Orbanaschol… Es lebe Gonozal!« Thaher hatte größte Mühe, die Heimbewohner wieder zu beruhigen. Alle kannten Orbanaschols Unterdrückung von Beginn seiner Herrschaft an, und diesem Ausmaß entsprach die Begeisterung, mit der die Heimbewohner nun das Wiedererscheinen des tot geglaubten Gonozal VII. feierten. Während Zihat den Imperator behutsam aus dem Saal führte und in sein Quartier brachte, vermittelte Thaher den Freunden seinen Schlachtplan. Die Rentner und Pensionäre wollten nicht mehr und nicht weniger als die Eroberung des gesamten Planeten Xoaixo.
Nander Guntakal war damit beschäftigt, Akten zu lesen und mit Anmerkungen zu versehen. Auf diese Weise schaffte er einen Nachweis seiner Existenz, ohne gleichzeitig für irgendeine Entscheidung geradestehen zu müssen. Das Leben auf dieser Welt war wohlgeordnet und verlief seit vielen Jahren in stets denselben überschaubaren Bahnen. Der Tato dachte nicht daran, dieses Gleichmaß durch irgendwelche administrativen Erlasse zu stören. Es war ein bequemer Posten für einen bequemen Mann. Noch fünf Jahre Dienst als Gouverneur, und Guntakal konnte sich seinen Herzenswunsch erfüllen – ein eigenes Trichterhaus auf Arkon I. Es würde sich zwar nicht in Sichtweite des Kristallpalastes befinden, aber immerhin. Dennoch träumte
der Mann von einem Leben in der Nähe der absoluten Spitze des Imperiums, einem Leben in Wohlstand und ohne Verantwortung. Die letzte Akte, die er an diesem Tag zu bearbeiten hatte, war ein Kostenvoranschlag für die Reparatur der beschädigten Außenwand des Regierungssitzes. Die Zahlen erreichten über etliche Posten hinweg beträchtliche Höhe, die Summe unter dem Strich kam Guntakal entsetzlich hoch vor, schließlich hätte er den Schaden selbst begleichen müssen. Nervös überlegte er, woher er den Betrag nehmen sollte. Dass die Summe nicht aus seiner Privatschatulle fließen würde, stand für den Tato fest. Unglücklicherweise hatte er den Messon-Etat schon so stark zugunsten seines eigenen Kontos belastet und verfälscht, dass nicht daran zu denken war, den Staatssäckel mit dieser Ausgabe zu belasten. Und auch der morgen beginnende Tedar war bereits gut eingeplant. Andererseits traute sich Guntakal nicht an Thaher Gyat heran. Somit blieb nur noch der… »… natürlich, der Zaliter«, murmelte er zufrieden und rieb sich die Hände. Der Abschleppunternehmer verfügte über eigenes Geld und eine Versicherung, es würde einfach sein, ihn um den erforderlichen Betrag zu erleichtern. Nötigenfalls musste man mit ein wenig Druck seiner Zahlungsfreudigkeit nachhelfen. Eine angedrohte Zwangsausweisung war dafür genau das richtige Mittel. Für einen gewissen Ausgleich konnte anschließend ja die Aussicht auf weitere Staatsaufträge zwischen den Zeilen angedeutet werden. Guntakal wusste, dass sich vieles machen ließ, von dem sich brave Bürger nichts träumen konnten. In diesem Fach war der Gouverneur Meister. Das Visifon summte leise. Guntakal schaltete das Gerät ein. Kaum hatte sich das Bild stabilisiert, polterte Gyats Stimme los: »Endlich! Ich dachte schon, Sie hätten sich rechtzeitig vor
dem Skandal abgesetzt.« Der Tato wurde hellhörig. Skandale konnte er in keinem Fall brauchen; sie schadeten nur der Karriere. »Was für ein Skandal? Ich weiß nichts, verehrter…« »Sparen Sie sich die plumpen Schmeicheleien«, fauchte Gyat grob. »Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.« Guntakal hob abwehrend die Hände, während er fieberhaft überlegte, auf welche schwache Stelle seiner Amtsführung Gyat wohl zielen mochte. Es gab da einiges, was besser nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Gyat hatte ein überaus wütendes Gesicht, und der Gouverneur bekam es langsam mit der Angst zu tun. Er traute dem Ekel alles zu. »Bitte, glauben Sie mir.« »Es geht um unseren Schnaps. Die Ware wurde verpanscht, ist schlechthin ungenießbar.« Der Tato wurde bleich. Hatten diese Narren tatsächlich auch dem reizbaren Gyat den selbst gebrannten Fusel ausgeliefert? Er entschloss sich, die Sache selbst zu überprüfen und hart durchzugreifen. Solche Pannen durften nicht vorkommen. »Sie schweigen? Das genügt mir als Eingeständnis der Schuld.« Guntakal schluckte und antwortete hastig: »Von Schuld kann keine Rede sein. Ich lasse selbstverständlich nachprüfen, welcher subalterne Beamte für dieses peinliche Versehen verantwortlich zu machen ist. Sie dürfen mir glauben, dass es sich nur um einen unglücklichen Zufall handeln kann.« »Zufall? Ha-ha!«, spottete Gyat. »Ich werde Ihnen zeigen, wie alte Arkoniden vom besten Schrot und Korn auf solche Herausforderungen reagieren.« Er verstellte die Einstellung der Kamera, sodass der Raumhintergrund auch für den Tato sichtbar wurde. So schlecht konnte der Selbstgebrannte nicht sein. Dennoch sah es aus, als hätte jeder Heimbewohner, soweit sichtbar,
mindestens einen Liter konsumiert. »Sie werden sich wundern, Guntakal!«, brüllte Gyat. »Wir veranstalten einen Protestzug vor Ihrem Palast, und dann werden wir über Hyperkom eine gesalzene Beschwerde an Seine Erhabenheit persönlich richten. Der Imperator soll erfahren, wie man auf Xoaixo mit verdienstvollen Frauen und Männern umspringt.« Vor Guntakals Augen begann das Bild zu flimmern; er wusste, dass es nicht an der Technik lag, sondern dass ihm die Nerven einen Streich spielten. Er traute Gyat ohne Weiteres zu, dass er des Schnapses wegen die halbe Galaxis rebellisch machte. Diese Aktionen mussten rasch und geräuschlos unterbunden werden, und der Tato fand auch schnell eine Möglichkeit. Zuerst wollte er versuchen, den streitsüchtigen Inhaber der Stählernen Schwingen von Orxh zur Ruhe zu bringen. »Hören Sie, Gyat. Ich sorge dafür, dass diese Panne augenblicklich behoben wird. Ich lasse die schlechte Ware durch bessere ersetzen. Noch diese Tonta kommt die Lieferung bei Ihnen an, wenn Sie wollen.« Thaher Gyat grinste boshaft. »Bemühen Sie sich nicht. Wir machen uns auf den Weg und holen uns, was uns zusteht.« Bevor Guntakal noch ein Wort sagen konnte, war die Verbindung unterbrochen. Trotz der Klimaanlage begann der Tato zu schwitzen. Er suchte nach einem Ausweg, fand endlich eine Lösung, griff zum Visifon und tippte eine Nummer.
Es war ein Bild des ungetrübten Friedens. Llaga del Armgh schien auf den Strand und umschmeichelte einige hundert schläfrige Frauen und Männer, die es sich in Sesseln bequem gemacht hatten. Im Hintergrund spielte ein Gerät Folklore von Afzgot, während Kellner eifrig kalte Getränke, Kuchen und
eine durch heftiges Rühren fest gewordene Fett-WasserEmulsion servierten. In kleinen Gruppen diskutierten die Gäste das Wetter, Tagesaktualitäten und den krassen Unterschied zwischen der guten alten und der schlechten neuen Zeit. Über dem Strand lag die Atmosphäre gepflegter Langeweile. Dass sich unterdessen weit im Westen über dem Meer ein tropischer Sturm zum Orkan zusammenbraute, interessierte niemanden sonderlich. »Ich muss schon sagen«, murmelte ein Veteran des Phansigenaufstandes von 37, »die alten Leute von heute sind auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Ja, zu meiner Zeit…« Er konnte nicht weitersprechen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Obwohl seine Nachbarn in kurzen Abständen immer wieder nickten, hörten sie ihm nicht zu, sondern flüsterten oder murmelten selbst – wiederum ohne Zuhörer. Ab und zu wurden die Stimmen etwas lauter, dann aber sofort wieder durch verweisende Blicke gedämpft. »Orgien, meine Teure, Orgien, sage ich Ihnen«, erklang eine offenbar neiderfüllte Frauenstimme. Der Veteran hätte gern mehr gehört, aber die Sprecherin dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ja, ja, zu meiner Zeit«, murmelte er und schloss die Augen, um den Nachmittagsschlaf fortzusetzen. Er öffnete sie erst wieder, als sich das allgemeine Murmeln verstärkte und allmählich zu einem Tumult steigerte. In einiger Entfernung erklangen wilde Gesänge. Der Veteran setzte sich auf und blickte finster entschlossen um sich. »Zu den Waffen! Die Phansigen kommen!« Ein unwilliges Kopfschütteln zeigte ihm, dass er der Wirklichkeit um etliche Jahrzehnte hinterherhinkte. Immer lauter wurde der Lärm, und dann wurden die ersten Gestalten sichtbar.
»Heilige Galaxis«, stöhnte einer der Kellner. »Thaher Gyats Renten-Rocker sind im Anmarsch.« Unwillkürlich zogen sich die Gäste zurück, sammelten sich und rückten verängstigt zusammen. Einige Gesichter wurden bleich, andere zeigten den Ausdruck trotzigen Märtyrertums. »Sie werden uns umbringen, alle miteinander«, schluchzte eine Frau. Der Blick ihres Nachbarn zeigte, dass er mit dieser Lösung durchaus einverstanden war. Instinktiv wichen die Arkoniden zurück, als Thaher Gyat, der beträchtliche Mühe hatte, aufrecht zu gehen, die Gruppe erreichte. Der Wind wehte so, dass den Gästen eine intensive Alkoholwolke entgegenschlug. In der rechten Hand trug Thaher eine dickbauchige Flasche, halb geleert, in der linken einen Blaster, zweifellos mit vollem Magazin. Thaher entdeckte den Veteranen und stieß einen triumphierenden Schrei aus, der furchtsameren Gäste eine Gänsehaut verschaffte. »Alter Freund!«, brüllte Gyat und drängte durch die Menge. »Es leben die alten Zeiten. Hier, trink, auf die Phansigen und alles, was sich der guten Sache in den Weg stellt.« Der Veteran straffte sich und sah sich um, stolzerfüllt über den Umstand, dass Gyat ihn sofort als die wichtigste Person erkannt hatte. Die altertümliche Prothese an seiner rechten Hand öffnete sich, dann krallte er die stählernen Finger um den Raschenhals. Der Veteran wusste, dass alle Augen auf ihm ruhten, darum setzte er die Flasche erst ab, als er beim besten Willen keinen Schluck mehr hinunterbringen konnte. »Das nenne ich den Durst eines echten Mannes!«, brüllte Thaher. »Brüder und Schwestern…« Während er laut und überschwänglich sprach, stürmte ein Teil seiner Mannschaft, angeführt von Huzur Mistis, das zentrale Wohnheim. Sie beschlagnahmten sämtliche Alkoholvorräte und machten sich dann daran, diese unter alle
Heimbewohner zu verteilen. Währenddessen redete Thaher ununterbrochen. Er führte alles auf, was man gegen den Gouverneur und seine Beamten vorbringen konnte – und nach einer halben Tonta lagen sich die Heimbewohner und Thahers Trupp brüderlich und schwesterlich betrunken in den Armen und schworen, gemeinsam gegen die Tyrannei des Tato vorzugehen. Sobald er sein Ziel erreicht hatte, sorgte Thaher dafür, dass dieser Schwur auch in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Wenige Zentitontas später machte sich der mehr als verdoppelte Trupp auf den Marsch in die Stadt. Bis zum Gouverneurspalast war eine beträchtliche Strecke zurückzulegen. Zudem gab es noch ein halbes Dutzend weiterer Heime, deren Bewohner sich ziemlich bald dem Protestzug anschlossen. Alles sah danach aus, als würde es in Ahjod einen denkwürdigen Tag geben – und wahrscheinlich auch eine Nacht, die in die Annalen Xoaixos eingehen würde…
»Sie haben mich also verstanden?«, vergewisserte sich Tato Guntakal. »Ich habe verstanden, Erhabener«, bestätigte der Leiter der Funkstation. »Wenn die Alten kommen und nicht abzuwimmeln sind, lege ich den Hypersender lahm und lasse sie herumfunken, solange es ihnen Spaß macht.« »Wenn etwas schiefgeht…« Der Tato lächelte bedeutungsvoll. »Es wird keine Pannen geben. Wir werden doch noch mit ein paar alten Leuten fertig werden.« »Hoffentlich.« Des Gouverneurs Antwort, bevor er abschaltete, fiel reserviert aus. Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt und seine Vorbereitungen getroffen. Jetzt konnten die Pensionäre kommen.
»Was wird Guntakal unternehmen?«, fragte Zihat leise. Thaher zuckte mit den Schultern. Er hatte dafür gesorgt, dass die Bewohner seines Heims zwar einen stark angetrunkenen Eindruck machten, sich aber sonst zurückhielten, um nicht den gesamten Plan in Gefahr zu bringen. Die Bewohner der Stählernen Schwingen von Orxh sorgten still und unauffällig dafür, dass der Protestzug genau jene Richtung nahm, die Thaher vorbestimmt hatte. Beim Erreichen des großen Platzes vor dem Gouverneurspalast hatte der Zug eine Kopfstärke von fast zehntausend Personen erreicht; mit jedem Augenblick wurden es mehr. Von allen Seiten strömten Arkoniden, junge und alte, auf den Platz und mischten sich unter die Protestierer. Der überreichlich mitgeführte Alkohol sorgte dafür, dass die Stimmung erhalten blieb. Was die meisten Protestler bewegte, war eine Art Volksfeststimmung. Sie wollten den Tato ein wenig ärgern und für einen möglichst turbulenten Tag sorgen. Das gelang mit Bravour. Als Nander Guntakal auf der Dachterrasse des Trichtergebäudes erschien, wurde er von Buhrufen empfangen und zog sich schnell wieder zurück, obwohl er dort oben völlig ungefährdet war. Die Demonstranten bauten schnell ein Rednerpodium auf, das Thaher Gyat bestieg. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Zihat mit einer Gruppe Frauen und Männern entfernte. Thaher grinste zufrieden, dann griff er zum Megafon und begann zu sprechen.
Das Publikum raste und tobte vor Vergnügen, aber Guma Tarthing wusste sehr wohl, dass es damit nicht sein Bewenden haben würde. Er war immerhin einer derjenigen, die Thahers
Plan kannten, und er war fest entschlossen, diesen zu vereiteln. Der Mann befand sich in einer Hochstimmung, die er in seinem Leben noch nie gekannt hatte. Er zweifelte nicht daran, dass der »lebende Leichnam«, den Thaher präsentiert hatte, tatsächlich der tot geglaubte Imperator Gonozal VII. war. Thaher hätte es niemals gewagt, eine Imitation vorzuschieben, denn irgendwann würde sich der Schwerkranke einem Test unterziehen müssen, der einwandfrei beweisen konnte, ob er tatsächlich der alte Imperator war oder nicht. Einer solchen Prüfung war unter keinen Umständen zu entgehen. Tarthing kannte Thaher Gyat viel zu gut – dieser war kein Mann, der das selbstmörderische Risiko einging, einen falschen Gonozal zu präsentieren. Ganz abgesehen davon wäre es absurd gewesen, Gonozal ausgerechnet auf Xoaixo erscheinen zu lassen. Es gab für einen solchen Auftritt andere Orte, an denen die Wirkung wesentlich stärker sein musste. Ein großer Flottenstützpunkt beispielsweise, auf dem der Imperator die Unterstützung starker Militäreinheiten hätte erhalten können. Tarthing war sich deshalb sicher: Der Tai Moas war echt, und er, der unscheinbare Guma Tarthing, der Spitzel und Denunziant aus Berufung, war vom Schicksal dazu bestimmt, die Karriere des wiederaufgetauchten Gonozal VII. auch wieder zu beenden. Er überließ die Arkoniden den aufrührerischen Reden Gyats. Der Leiter der Stählernen Schwingen von Orxh hetzte die Pensionäre und Rentner auf, den Palast zu stürmen. Allerdings flocht er in seine Rede so viele boshafte Witze ein, dass die allgemeine Stimmung eher vergnügt als aggressiv wurde. Gyat hatte den Protestzug unter Kontrolle, das war auch Tarthing sehr wichtig. Er zog sich vorsichtig zurück. Sobald er außer Sichtweite war, begann er zu rennen. Nach kurzer Zeit hatte er den Nebeneingang des Regierungsgebäudes erreicht und lächelte.
Nander Guntakal blickte sorgenvoll auf die Menge. Immer größer wurde die Zahl der Demonstranten. Der Tato sah, wie weitere nachschoben und von den Seitenstraßen auf den großen Platz strömten, und murmelte erbittert: »Dieser Gyat macht noch den ganzen Planeten rebellisch.« Immerhin zeichnete sich allmählich ab, dass sich der Protestmarsch eher zu einem Volksfest entwickelte, wenngleich auf Kosten des Tato. Er winkte einem jungen Mann. »Sorgen Sie dafür, dass möglichst unauffällig mehr Schnaps unter die Leute gebracht wird. Wir müssen die Menge von ihren eigentlichen Zielen ablenken. Und geben Sie dem Orchester meinen Befehl weiter. Die Leute sollen, sobald ihnen die Gelegenheit günstig erscheint, für Stimmung sorgen und die Veranstaltung umfunktionieren.« Der Angesprochene salutierte und verschwand schnell. Aus dem Hintergrund löste sich eine Gestalt und trat auf den Gouverneur zu. Verwundert sah Guntakal ihm entgegen. Was wollte der Alte von ihm? »Erhabener.« Guma Tarthing verbeugte sich knapp. »Fragen Sie nicht, warten Sie, was ich zu sagen habe. Mein Name ist Guma Tarthing. Ich bin Mitarbeiter der Tu-Gol-Cel.« Diese Eröffnung verschlug dem Tato die Sprache, er wurde nervös. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Was wollte der Mann von ihm? Wusste er etwas, das besser niemand erfahren hatte? Wurde die Menge vor dem Palast Guntakal zum Verhängnis? Hatte er versagt? »Hören Sie auf zu zittern, Mann!«, herrschte Tarthing den Tato an und genoss es sichtlich, dem mächtigen Gouverneur solches sagen zu können. »Ich habe wichtige Informationen. Was draußen geschieht, ist völlig unwichtig. Gyat hat den Aufmarsch nur als Ablenkungsmanöver inszeniert. Was
wirklich zählt, ist der Mann, den Gyat vor wenigen Tontas gefunden hat. Gonozal der Siebte ist wieder aufgetaucht, es gibt keinen Zweifel!« Guntakal wurde käsig im Gesicht, auf der Stirn erschienen feine Schweißtropfen. Mit offenem Mund starrte er Tarthing an und stammelte: »Wa…was sagen Sie da?« »Der alte Imperator ist wieder da! Gyat will für ihn den Planeten erobern. Dazu braucht er vor allem die große Funkstation. Kann er diese in seine Gewalt bringen, hat er vor dem Rest des Imperiums einstweilen Ruhe und kann die ganze Welt zum Aufruhr bewegen. Verstehen Sie mich? Hier wird eine Revolution vorbereitet. Aber noch haben wir Zeit, diesen Versuch im Keim zu ersticken. Aber jetzt muss schnell gehandelt werden. Sobald Gyat die Funkstation erobert hat, wird die Relaiskette unterbrochen; dann kann Arkon nicht mehr informiert werden.« Guntakal schluckte und griff hinter sich an eine Säule, hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Tarthing bedachte ihn mit einem geringschätzigen Blick. »Sie wissen so gut wie ich, dass es auf Xoaixo nur so von Gonozal-Anhängern wimmelt! Erkennen Sie, was das heißt? Bekommt Gyat genügend Zeit, wird die Wirkung fatal sein. Xoaixo beherbergt Mitglieder der größten und einflussreichsten Khasurn, zahllose ehemalige und sogar noch amtierende Familienoberhäupter, Tausende ehemalige Flottenoffiziere von höchstem Rang, die auch jetzt noch Einfluss auf ihre früheren Untergebenen haben. Hier wohnen genügend alte Gonozal-Admiräle, um die halbe Flotte zur Desertion bewegen zu können. Gyat ist dabei, einen Brand zu legen, den kein Ozean voll Blut mehr löschen kann!« Den letzten Satz hatte er in einem alten Schmöker gelesen und behalten, weil er sich so dramatisch anhörte. Auch jetzt verfehlte er seine Wirkung nicht. Langsam kam der Tato wieder zu sich.
»Folgen Sie mir«, bestimmte er und rannte in sein Büro. Mit fliegenden Fingern wählte er den Anschluss der Funkstation.
Zihat Baluch schwankte wie eine Nussschale im Sturm, seine Gefolgsleute machten einen ähnlichen Eindruck. Die dreiköpfige Besatzung der Funkstation verbiss sich mit Mühe ein Grinsen, als die Frauen und Männer hereingetorkelt kamen. »Hier darfst du nicht rein, Opa«, sagte der Wachorbton und breitete die Arme aus. »Du könntest etwas kaputt machen.« Zihat blieb heftig schwankend stehen. »Aus dem Weg, ihr beiden!«, lallte er. »Wir haben eine wichtige Nachricht für die ganze Öde Insel. Wir werden Thaher Gyat zum unabhängigen Großkaiser von Xoaixo ernennen und ausrufen. Wir werden Orbanaschol auffordern, unserem neuen Großkaiser zu huldigen, andernfalls hetzen wird die dili…deri…delirösen Bestien auf ihn. Jawoll-ja!« Der Orbton behielt die Nerven und unterdrückte den Lachreiz; dabei half ihm der Geruch, der ihm aus Zihats Mund entgegenschlug. »Das könnt ihr auch morgen erledigen.« »Sie sind widerlich.« »Und Sie betrunken.« »Ab…aber morgen… bin ich wieder nüchtern. Wohingegen Sie…« Die anderen Männer in der Funkstation verstanden den bösen Scherz auch ohne die letzten Worte, die Zihat nicht über die Lippen zu kommen schienen. Sie begannen laut zu lachen, der Orbton fuhr entrüstet zu ihnen herum. Diesen Augenblick nutzte eine Frau und warf sich dem Mann an den Hals. Der Orbton hatte gewisslich nichts dagegen, von einer Frau geküsst zu werden, aber nicht von einer, die seine Urgroßmutter hätte sein können und obendrein ekelhaft nach
billigem Fusel stank. Der junge Mann versuchte sie abzuschütteln und wich dabei unwillkürlich einige Schritte zurück. Unterdessen hatte Zihat den Raum betreten, zückte mit schneller Bewegung seine Waffe und richtete sie auf den Kopf des jungen Offiziers. »Das ist kein Spaß, Freunde«, sagte er freundlich und bewegte den Blaster auffordernd. »Nehmt die Hände hoch und stellt euch an die Wand. Macht keine falsche Bewegung!« Auch die anderen Frauen und Männer hatten ihre Waffen gezogen und richteten sie auf die Funker. »Heh – was soll das?«, fragte einer verblüfft. Er wollte aufstehen, aber eine Mündung wurde ihm gegen die Brust gedrückt. Entgeistert starrte der Mann in das Gesicht der alten Frau, die nicht den Eindruck machte, als wisse sie nicht, wie man mit der Waffe umging. »Seid ihr wahnsinnig geworden?« Die Funker wurden an die Wand gedrängt. Kurz darauf summte das Visifon. Zihat schaltete ein und grinste den Gouverneur fröhlich an, wohl wissend, dass die Gefangenen von der Kamera nicht erfasst wurden. Er wollte seine Rolle als Säufer weiterspielen, wurde aber daran gehindert. Hinter Guntakal erschien ein Gesicht, das Zihat merkwürdig bekannt erschien, dann wurde der Bildschirm schwarz, noch bevor einer der Männer ein Wort gesagt hatte. Zihat sah sich ratlos um und zuckte mit den Schultern. »Weiter, Leute«, kommandierte er. »Wir müssen alle Wachen überwältigen.« Der Kampf dauerte nicht lange, dann befand sich der Regierungssitz fest in der Hand der Rebellen. Die Soldaten vor dem Waffenmagazin, das standardmäßig auch schwere und schwerste Waffen enthielt, wurden ähnlich schnell und wirkungsvoll von den Frauen und Männern überwältigt wie alle anderen auch im Gebäude. Nach dieser Aktion war der Gouverneur faktisch entmachtet; Nander Guntakal hatte keine Möglichkeit mehr, mit dem Arkonsystem Kontakt
aufzunehmen, um zu berichten, dass der tot geglaubte Imperator Gonozal VII. wiederaufgetaucht war und sich anschickte, sein Imperium zurückzuerobern. Guma Tarthing hatte nur den Bruchteil eines Wimpernschlags gebraucht, um festzustellen, dass die Funkstation des Palastes verloren war. Er kannte Zihat Baluch und wusste, dass dieser Mann schnell und umsichtig zu handeln pflegte. Vermutlich waren auch schon die Wachen, Soldaten und das Waffenlager des Trichtergebäudes in der Hand der Rebellen. Guntakal saß bleich und niedergeschlagen im Sessel und wischte sich in kurzen Abständen den Schweiß von der Stirn. Da es im Raum angenehm kühl war, konnte es sich nur um Angstschweiß handeln. Tarthing widerte der Gouverneur an, dessen Körper deutlich die Spuren seines Lebenswandels zeigten. Zwar leidlich schlank, aber von zahlreichen Gelagen aufgeschwemmt, wies das Gesicht erschlaffte Züge auf. Die kleinen Augen blinzelten nervös. Tarthing wusste, dass ihnen nur noch wenig Zeit blieb, wollten sie eine kleine Chance haben, den Gang der Dinge aufzuhalten oder wenigstens zu ändern. Er fragte scharf: »Gibt es noch eine Großfunkstation auf dem Planeten?« Guntakal nickte. »Es gibt eine geheime Station in den Sümpfen. Dort steht auch ein Raumschiff, mit dem man Arkon erreichen kann. Die Männer, die dort arbeiten, sind unmittelbar meinem Befehl unterstellt. Sie dürfen sich nicht rühren, sofern ich es ihnen nicht ausdrücklich befehle oder offiziell für tot erklärt worden bin. Dann unterstehen sie dem neuen Tato.« »Und wenn die Männer klar erkennen, dass eine Revolution den Tod des alten Gouverneurs herbeigeführt hat?« »In diesem Fall sind sie ermächtigt, nach eigenem Ermessen zu handeln.« Tarthing grinste bösartig. »Das heißt«, überlegte er laut,
»wenn ich Sie erschieße, sind die Männer berechtigt, Arkon um Hilfe zu bitten.« Der Tato wurde noch bleicher, als er schon war. »Hören… Sie…«, stammelte er und starrte ängstlich auf die Waffe in Tarthings Hand. »Sie werden… werden doch nicht…?« Der TGC-Mann überlegte kurz. Er dachte nicht über Moral oder dergleichen nach, sondern rechnete sich die Zukunft aus. Erschoss er jetzt den Tato, würde die Geheimstation funken. Dennoch würde es bestimmt einen halben Tag dauern, bis das erste Flottenaufgebot über Xoaixo erschien, um dem GonozalSpuk ein Ende zu bereiten. Den Mord an Guntakal würde man Tarthing unschwer anlasten können. Auf der anderen Seite hatte der Tato vielleicht einige Informationen in der Hinterhand, die dem TGC-Mann unbekannt waren. Er entschloss sich, Guntakal einstweilen ungeschoren zu lassen. Vielleicht war er ihm noch nützlich. »Stehen Sie auf!«, herrschte er den Tato an. »Wir müssen verschwinden, bevor Gyats Leute uns einfangen können.« »Es gibt einen versteckten Ausgang.« Guntakal war sichtlich erleichtert, als Tarthing die Waffe zurücksteckte. »Nur ich kenne den Kode, der die Türen öffnet.« Er musterte den Mann mit scheelem Blick und ergänzte rasch: »Und auf dem Weg zur Station gibt es noch etliche Fallen, die ebenfalls nur ich kenne und desaktivieren kann.« »Können Sie Verbindung mit der Station herstellen?« »Nur via Hauptfunkstation – und die ist…« »Dann beeilen Sie sich.« Tarthing verzog keine Miene, aber er war mit sich zufrieden. Deutlicher hätte Guntakal seine Angst kaum ausdrücken können. »Gyats Leute können jeden Augenblick hier auftauchen.« »Helfen Sie mir.« Gemeinsam stemmten sie sich gegen den schweren Schreibtisch, der langsam zur Seite glitt. Eine Öffnung wurde sichtbar, Licht flammte auf. »Ein
Antigravschacht. Sobald wir nach unten schweben, nimmt der Tisch seine alte Position wieder ein.« Von den Gängen drang Lärm heran; zweifellos rückten die Rebellen an. »Schnell«, flüsterte Tarthing und stieß den Tato an. »Sie kommen.« Guntakal wurde abermals blass, dann sprang er beherzt in das runde Loch, das gerade groß genug war, um ihn durchzulassen. Tarthing folgte augenblicklich und blickte nach oben, während er langsam im Antigravfeld absank. Zufrieden sah der Mann, dass der Schreibtisch wie angekündigt das Loch wieder verschloss. Ein Krachen wurde zu einem dumpfen Geräusch – offenbar waren die Rebellen soeben ins Büro des Gouverneurs eingedrungen.
Zihat stieß einen Fluch aus. Guntakal musste im letzten Augenblick geflohen sein. Die Frauen und Männer hatten den Palast systematisch durchkämmt, aber keine Spur von dem Tato gefunden. Mehr noch als dessen Verschwinden ärgerte sich Zihat über den Verrat des Mannes, den er endlich hatte identifizieren können. Viel zu spät war ihm eingefallen, wer die Verbindung zwischen dem Büro des Tato und der Funkstation so schnell unterbrochen hatte. Zihat Baluch wusste nicht genau, was er von Guma Tarthing halten sollte, aber er war sich sicher, dass er von dem Mann nichts Gutes zu erwarten hatte. Offenbar war er ein eingefleischter Anhänger Orbanaschols, der alles daransetzte, seinen Herrn und Meister rechtzeitig von der Entwicklung auf Xoaixo zu informieren. »Habt ihr Erfolg gehabt?«, fragte Thaher. Er hatte die tobende Menge sich selbst und ihren Vergnügungen überlassen. Fürs Erste stand nichts zu befürchten. Später war noch Zeit genug, den alten – und hoffentlich neuen –
Imperator der Menge vorzustellen. Zihat schüttelte den Kopf. »Guntakal ist uns entwischt. Und das vermutlich, wie ich vermute, weil sich ein Bewohner deines Heims auf die andere Seite geschlagen hat.« Er berichtete kurz, was er gesehen hatte. Thaher ballte die Hände zu Fäusten. »Auf normalem Weg konnte der Tato das Gebäude nicht verlassen. Also gibt es einen Schleichweg. Und wer für einen versteckten Ausgang sorgt, hat mit Sicherheit auch noch andere Heimlichkeiten. Wir müssen aufpassen, dass der Tato nicht unsere Pläne durchkreuzt.« »Die Geheimstation in den Sümpfen!«, mutmaßte Zihat. »Vielleicht versucht er, sich dorthin durchzuschlagen?« »Wir werden ihn abfangen. Aber zuvor werden wird noch etwas anderes tun«, versprach Thaher. »Auf in die Funkstation!«
Am Ende des Antigravschachts, der durch eine der tragenden Säulen des Trichterpalastes führte und bis tief in den Untergrund reichte, befand sich ein großer Raum. Tarthing nickte anerkennend, als er das Arsenal an Ausrüstungsgegenständen sah, während Guntakal erklärte: »Das alles hat noch mein Vorgänger gebaut und eingerichtet.« Auch ohne diesen Hinweis war Tarthing zur gleichen Einschätzung gekommen. Die Anlage des Raums und die Ausrüstung bewiesen wesentlich mehr Umsicht und Vorsorge, als sie Guntakal zuzutrauen waren. Es waren mehrere flugfähige Kampfanzüge vorhanden, aber die Männer verzichteten darauf, sie anzulegen. Es war abzusehen, dass man nach ihnen suchen würde, und die Streuemissionen waren leicht anzupeilen. Sie versorgten sich mit Waffen. Tarthing beobachtete, dass das Selbstvertrauen des Tato sichtlich stieg, als er einen Kombistrahler ergriff. Ergänzt
wurde die Ausrüstung durch Lebensmittelkonzentrate, Wasser und Verbandsmaterial. Guntakal verzog das Gesicht, als Tarthing die Medobox im Rucksack verstaute. An die Möglichkeit, dass er verletzt werden könnte, hatte der Gouverneur nicht gedacht. »Wo geht es hinaus?«, wollte der TGC-Mann wissen. »Ich weiß es nicht«, gestand der Tato verlegen. »Ich habe diesen Teil des Palastes noch nie betreten. Ich wusste nur, dass es diesen Ausgang gibt, mehr nicht.« Tarthing schloss die Augen und holte tief Luft. Tauchten schon zu Beginn der Flucht solche Schwierigkeiten auf, stand den Männern noch einiges bevor. »Ich gehe voran!« Er war sich darüber klar, dass er die Führung übernehmen musste, denn der Gouverneur war dazu zweifellos nicht in der Lage. Tarthing fragte sich inzwischen, wie dieser Mann überhaupt diesen Posten bekommen hatte. Der vom Raum fortführende Gang stieg sanft an. Tarthing schätzte, dass er zwei bis drei Kilometer lang war. Bei dieser Distanz bot er Gewähr dafür, dass beim Verlassen nicht sofort Gyats Leute zugreifen konnten, denn ohne Zweifel wurde bereits in ganz Ahjod nach ihnen gefahndet. »Öffnen Sie das Schott«, sagte Tarthing, als sie das Ende des Ganges erreicht hatten. Guntakal beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten. Er schien sich damit abgefunden zu haben, dass nun ein anderer die Anweisungen gab. Gehorsam trat er vor und legte die Hand auf eine vorgezeichnete Stelle des Schotts; mit der Linken tippte er einen Kode ins aufblinkende Tastenfeld. Erst die Kombination beider Daten – Handlinienmuster plus Kode – veranlasste die Kleinpositronik, das Schott zu entriegeln. Lautlos schwang der schwere Stahlkörper zur Seite. Draußen herrschte Dämmerung. Einen Augenblick standen die Männer still, warteten darauf, dass jemand sie ansprach. Doch nichts
geschah. »Sie haben den geheimen Schacht noch nicht gefunden«, murmelte Tarthing. »Wo genau liegt nun die Geheimstation?« »Neben dem Ausgang gibt es eine Garage«, sagte Guntakal eifrig. »Dort steht ein leistungsfähiger Gleiter bereit. Damit erreichen wir in kurzer Zeit das Ziel.« Tarthing schüttelte den Kopf. »Und würden lange vorher angepeilt und aufgespürt. Nein, wir gehen zu Fuß.« Der Tato stöhnte unterdrückt auf. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er letztmals größere Strecken auf eigenen Füßen zurückgelegt hatte. Es mussten Jahrzehnte verstrichen sein. »Muss das sein?« »Es muss! Wollen Sie lieber zurückbleiben und sich von Gyats Leuten gefangen nehmen lassen?« Guntakal wog die Vor- und Nachteile dieser Aussicht ab und seufzte dann kläglich, um widerwillig zu sagen: »Ich folge Ihnen.« Folgsam trottete er hinter dem Mann her, dessen Gesicht noch immer ein freundliches, unverbindliches Lächeln zeigte.
»Kein Hyperfunk«, murmelte Fartuloon. »Aber die Burschen haben den großen Normalsender aufgedreht.« Ein Bildschirm zeigte die Bilder, die von der planetaren Station ausgestrahlt wurden und auf ganz Xoaixo zu empfangen waren. In dem Studio stand der hagere Thaher Gyat neben dem teilnahmslos blickenden Gonozal. Es tat weh, den Mann so zu sehen, der einmal das Große Imperium klug und umsichtig regiert hatte. Die Erklärung für den Gesundheitszustand hatte sich Gyat natürlich aus den Fingern gesogen, aber seine Darlegungen klangen eindrucksvoll und wirklichkeitsnah. »Der Kerl hat Phantasie. Diese Legende ist so gut, dass wir
vielleicht bei Gelegenheit auf sie zurückgreifen sollten.« Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Zuschauer und Zuhörer auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude, die immer wieder eingeblendet wurden. Die Reaktion, die das Auftreten von Atlans Vaters hervorrief, war unbeschreiblich. Vielleicht lag es daran, dass ihn viele der alten Leute noch persönlich gekannt hatten. In jedem Fall war sein Auftritt nur triumphal zu nennen. »Mit einem solchen Erfolg hätte ich nicht zu rechnen gewagt«, gestand Fartuloon im Selbstgespräch. »Es ist nicht zu glauben, wie begeistert Gonozal aufgenommen wird. Ich frage mich, wie man auf den Hauptwelten auf ihn reagieren wird.« Sprach da der nüchterne Wissenschaftler, der zufrieden den Erfolg eines riskanten Experiments betrachtete? Der Bauchaufschneider zeigte keine Zeichen von Bewegung, war ruhig und konzentriert, schien völlig unbeeindruckt.
Thaher Gyat war ziemlich müde. Es war spät am Abend, die Sonne längst untergegangen. Er hatte es sich mit seinem kleinen Führungsstab in Guntakals Wohnräumen bequem gemacht. Nebenan lag der Imperator im Bett und schlief, von zwei zuverlässigen Männern bewacht. Vor einer Tonta hatte Thaher die Geliebte des Tato, eine hübsche, aber nicht sehr intelligente Zaliterin, nach Hause geschickt. Die junge Frau hatte sich in einem Schrank versteckt und allen Ernstes befürchtet, von den Rebellen getötet zu werden. »Guntakal ist verschwunden und dieser Tarthing ebenfalls. Wurden alle Fahrzeuge, die Ahjod verlassen haben, genauestens kontrolliert?« »Wir haben alles kontrolliert, was zu kontrollieren war«, antwortete Zihat. »Sie können die Stadt nicht verlassen haben.«
»Es sei denn, sie sind zu Fuß unterwegs.« »Guntakal? Ausgeschlossen! Der geht keinen Schritt mehr als unbedingt nötig.« »Mit einer Waffe im Rücken wird auch der marschierfreudig. Ich weiß nicht, was ich von Tarthing halten soll. Er hat uns getäuscht, das ist erwiesen. Aber wie weit hat er uns über seine wahren Absichten im Unklaren gelassen?« »Der Mann lebte seit Jahren im Heim. Er hat aber keinen Augenblick gezögert und sich sofort auf Orbanaschols Seite geschlagen. Das heißt, dass er ein guter Schauspieler ist. Ich halte ihn für außerordentlich gefährlich, zehnmal gefährlicher als Guntakal.« »Da stimme ich zu. Wohin wird er sich wenden?«, überlegte Thaher laut. »Wir nehmen an, dass er versuchen wird, sich zur Geheimstation durchzuschlagen, um von dort aus Arkon zu alarmieren. Und zwar möglichst, bevor die Verhältnisse auf Xoaixo so stabil sind, dass wir es wagen können, den Imperator auf einer der wichtigen Welten zu präsentieren. Das Problem ist eine reine Zeitfrage – wer wird schneller sein?« »Wir!«, behauptete Zihat. »Ich schlage vor, dass wir Patrouillen aussenden, die vor allem das Sumpfgebiet permanent überwachen. Sobald Tarthing und Guntakal dort ankommen, werden sie festgesetzt.« »Warum erst dann?«, fragte Galacca Kidal. »Ich stelle fest, dass Zihat mir immer ähnlicher wird.« Thaher grinste den Freund an. »Wir warten deshalb, weil die beiden dann am Ende ihrer Kräfte sind. So kurz vor dem Ziel noch geschnappt zu werden wird überdies ihre Moral brechen. Vermutlich werden sie Tage brauchen, bis sie auch nur den Rand der Sümpfe erreichen. Sie werden Hunger haben, verdreckt sein, müde und ausgelaugt. Umso williger werden sie dann unsere Fragen beantworten. Die Station selbst werden wir bis dahin unbehelligt lassen. Vielleicht gibt es dort
gar keine Besatzung, und wir würden nur einen Großalarm auslösen, versuchten wir, dort unbefugt einzudringen. Wer übernimmt die Organisation des Patrouillendienstes?« Mistis und Kidal hoben gleichzeitig die Hände. »Einverstanden. Ich wünsche euch eine gute Jagd.«
19. 1230. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende HochenergieExplosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 2. Prago des Tedar, im Jahre 10.499 da Ark. Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Bislang verläuft der Plan durchaus zu meiner Zufriedenheit. Der unter Wasser versteckte YPTAR-Fernaufklärer wurde nicht entdeckt; wie vorgesehen wurde Gonozal von Thaher Gyat »aufgegriffen« und genau so »eingesetzt«, wie wir es uns gedacht haben. Ich habe mich in dem alten Freund also nicht getäuscht; unwillkürlich denke ich an die echten, von ihm bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit angesprochenen Stählernen Schwingen von Orxh. Die damaligen Ereignisse… Nein, auch ich werde das Geheimnis nicht enthüllen. Der Planet Xoaixo mit den hier ansässigen Alten ist jedenfalls exakt der Ort, um die Wirkung Gonozals genau zu studieren. Ich bin mir dabei durchaus bewusst, dass mein Blickwinkel sehr von dem eines Wissenschaftlers und Bauchaufschneiders geprägt ist; in Atlans Augen zweifellos ein zu kalter, gefühlloser Blickwinkel, der ihn innerlich in Aufruhr versetzt, obwohl er sich bemüht hat, sich möglichst wenig anmerken zu lassen. Mag der Junge es sich noch nicht bewusst gemacht haben, aber ich für meinen Teil bin mir sicher, dass es einen ersten Riss zwischen uns gibt, der mit der Zeit größer und breiter werden wird. Es ist ein Riss, der sich nicht mehr kitten lassen wird und langfristig gesehen darauf hinausläuft, dass ich aus dem Leben des Kristallprinzen verschwinden werde. Und das ist gut so! Atlan wird meine Unterstützung haben, bis er sein Ziel erreicht hat oder im Großen Imperium eine Lage geschaffen ist, die nach dem Ende der Ära Orbanaschol einen Neuanfang ermöglicht. Doch sobald diese
Situation eingetreten ist, heißt es für mich, Abschied zu nehmen. Denn ab dann ist der Junge endgültig flügge, und es würde ihn eher behindern und einschränken, wäre ich als sein Lehrmeister weiterhin an seiner Seite. Nein, er muss dann auf eigenen Beinen stehen, für mich alten Calurier ist dann kein Platz mehr. Fast bedauere ich, dass dieser Schritt unausweichlich sein wird, aber er muss kommen. Ich bin mir allerdings auch sicher, dass es kein Abschied für immer sein wird. Irgendwann werden sich unsere Wege abermals kreuzen. Fartuloon, Fartuloon – manchmal bist du ein sentimentaler alter Narr! Muss wohl an der Einsamkeit im YPTAR liegen, dass ich diese melancholischen Gedanken wälze. Also, Bauchaufschneider, zurück zur Sachlichkeit! Noch ist die Arbeit keineswegs beendet, es sind noch viele Abenteuer zu überstehen und Unbilden zu umschiffen, ehe der Kristallprinz sein Ziel erreicht hat. Nachdenklich hebe ich den kleinen OMIRGOS-Kristall, Goldleuchten erfüllt den Dämmer der Kabine, die 1024 Facetten blitzen auf. Die Behandlung Gonozals mit dem aus dem Zhy Bewussten Seins materialisierten Kristall hatte nur bedingt Erfolg; er kann einfache Anweisungen befolgen, bleibt aber der seelenlose Körper. Bis zu einem gewissen Grad ist es mir über den Kristall möglich, Kontakt zu ihm herzustellen. Wichtiger ist aber eine weitere Eigenschaft des Edelsteins: Er ermöglicht es mir, einen Teil meines Ich aus der Körpermaske zu lösen. Auf diese Weise kann ich Wahrnehmungen über jene der materiellen Sinne hinaus empfangen. Der Blickwinkel ist mitunter zwar verzerrt, doch ich habe mich wiederholt an Gyat wie auch andere Personen »anklinken« können. Mit Ende der Mission wird die Kraft des OMIRGOS zwar erloschen sein, der Kristall zu Staub zerfallen, doch mir ist es später möglich, für Atlan und die anderen einen Bericht zu erstellen, der wenig Raum für Zweifel und Unklarheit lässt. Ein bitteres Lächeln – Atlan weiß zwar, dass die Trickkiste seines alten Lehrmeisters recht umfangreich ist, doch noch ist die Zeit nicht reif, dass er von den wahren Geheimnissen des letzten Caluriers erfährt.
Xoaixo: 2. Prago des Tedar 10.499 da Ark »Ich kann nicht mehr!« Diesen Satz hatte der Tato schon fast hundertmal ausgesprochen, doch die Antwort war stets gleich ausgefallen. Tarthing hob den Blaster, richtete die Mündung auf den Kopf des Gouverneurs und sah ihn fragend an. Diesmal half diese stumme Drohung nicht. Guntakal knickte in den Knien ein und ließ sich auf den weichen Boden fallen. Er rang nach Luft, die Kleidung war von Schweiß durchtränkt. Hände und Unterarme waren von Dornen und Insekten zerstochen und leicht geschwollen. An seine Füße wagte der Gouverneur erst gar nicht zu denken; nach seinem Gefühl ging er bereits auf blanken Knochen. Tarthing fühlte sich Gyat innerlich fast zu Dank verpflichtet. Ohne das harte Training im Heim hätte er den anstrengenden Marsch kaum so gut überstanden und wohl ein ähnliches Bild des Jammers wie der Tato geboten, der sich soeben mühsam vom schweren Rucksack befreite und zur Wasserflasche griff. In Erinnerung an die Ausstattung der Bar im Büro Guntakals fand Tarthing es erstaunlich, wie schnell sich die Geschmäcker wandeln konnten. »Einverstanden, eine Dezitonta Rast.« Seit fast zwei Pragos marschierten die Männer durch die unberührte Landschaft. Sie hatten einen weiten Bogen geschlagen, um keinen Patrouillen in die Hände zu fallen, die Gyat mit Sicherheit auf die Flüchtlinge angesetzt hatte. Sorgfältig mieden die Männer jeden Kontakt zu anderen. Tarthing hatte mit dem Minikom seines Armbandgeräts die Nachrichten sorgfältig verfolgt. Er wusste, dass es jetzt nur noch wenige Bewohner Xoaixos gab, die bereit gewesen wären, ihnen zu helfen. Die Mehrheit der Bevölkerung stand eindeutig hinter dem alten Höchstedlen, Orbanaschol hatte ausgespielt – fürs Erste jedenfalls. Guma Tarthing war fest
entschlossen, diesen Zustand zu ändern. Guntakal ächzte und stöhnte. Es wurde Zeit, diesen Kerl durch einen besseren Gouverneur zu ersetzen. Warum sollte dieser nicht Tarthing heißen? Noch waren die Männer weit von ihren Ziel entfernt. Nach Tarthings Schätzung würden sie noch mindestens einen planetaren Tag benötigen, bevor sie das Randgebiet des Sumpfes erreichten, in dem sich die Geheimstation befand. Allerdings war dem TGC-Mann klar, dass diese Station kaum mehr als geheim einzustufen war – schließlich hatte Gyat noch im Heim deutlich seine Vermutung ausgesprochen, dass der Imperator aus genau dieser Station entkommen sein musste. Gyat wusste also, dass es eine solche Anlage gab, und er würde Vorsichtsmaßnahmen treffen. Es würde sicherlich schwierig werden, seinen Leuten zu entwischen, doch Tarthing war zuversichtlich, dass es ihm gelingen würde. Er hatte schon ganz andere Männer als Gyat überlistet und getäuscht. »Seien Sie still! Wollen Sie unsere Verfolger herbeirufen?« Guntakal schluckte die Zurechtweisung widerspruchslos und stellte sein Wehklagen ein. Lustlos kaute er auf den Konzentratwürfeln, die es anstelle eines normalen Mittagsessens gab. Im Gegensatz zum Tato war Tarthing an diese Verpflegung gewöhnt, auch das letztlich ein Erfolg Gyats. Guntakal war zweifellos noch in die Verlegenheit gekommen, solche Nahrung essen zu müssen. Tarthing sah auf die Uhr. »Weiter!« Der Weg war schwierig. Langsam wurde das Gelände weicher, dann morastig. Es wurde strapaziös, den Fuß bei jedem Schritt erst aus Schlamm ziehen zu müssen, ihn nach vorn zu bewegen, wo er dann wiederum bis zum Knöchel einsank. Guntakal schnaufte und ächzte, als gehe es um sein Leben, und auch Tarthings Atem ging schwerer. Während des Marsches überlegte er, wo man ihnen wohl auflauern würde.
Gyat hatte mit Sicherheit Posten platziert, vielleicht sogar einen Sturmangriff auf die Station versucht. In beiden Fällen quälten sich die Männer vergeblich durch die Wildnis. Tarthing kannte Gyats Charakter, deshalb rechnete er damit, dass man versuchen würde, sie kurz vor dem Ziel abzufangen. Je näher sie also der Station kamen, desto mehr mussten sie aufpassen. Tontas vergingen, in denen die Männer mit den Unbilden der Natur zu kämpfen hatten. Tarthing sah ein, dass er den Tato nicht mehr lange würde antreiben können. Langsam war der Mann tatsächlich am Ende seiner Kräfte. Auch er selbst fühlte sich nicht wesentlich besser. Der Altersunterschied zwischen dem jüngeren Gouverneur und ihm begann sich bemerkbar zu machen. Als endlich der eigentliche Sumpf erreicht war, senkte sich über diesen Teil des Planeten die Dämmerung. Jetzt mussten sie ihre Wachsamkeit noch verdoppeln. »Ganz leise!«, flüsterte der TGC-Mann, der Gouverneur nickte. Zum zweiten oder gar dritten Mal hatte der Tato bereits den toten Punkt hinter sich gebracht, vorangetrieben von Tarthings Blaster. Der Mann bewegte sich wie in Trance, setzte mechanisch ein Bein vors andere. Die Landschaft war ziemlich eben, und der spärliche Bewuchs lieferte kaum Deckung. Langsam schlichen die Männer weiter.
»Glauben Sie allen Ernstes, dass die beiden ausgerechnet in unserem Sektor versuchen werden, sich durchzuschlagen?« Huzur Mistis zuckte mit den Schultern. »Irgendwo müssen sie es versuchen. Warum nicht hier? Letztlich ist jeder Punkt gleich wahrscheinlich.« Der Gleiter schwebte mit geringer Geschwindigkeit über den Sümpfen. Wind strich über die Landschaft, kräuselte die
Wasseroberfläche, wo sie zutage trat, und beugte hohe Gräser. Hier zu Fuß durchzukommen erschien nahezu unmöglich. Mistis fühlte sich prachtvoll. Er hatte sich bei der Eroberung Ahjods ausgezeichnet, und er wusste auch, wie bedeutsam der Auftrag war, der ihm nun übertragen worden war. Gelang es Guntakal und dem Verräter Tarthing, die Station zu erreichen, die im Sumpfgebiet vermutet wurde, bestand höchste Gefahr für das »Unternehmen Imperator«. Mistis war fest entschlossen, es nicht dazu kommen zu lassen. Neben ihm im Gleiter saß die zierliche Galacca Kidal, die sich trotz ihres unleugbar hohen Alters schnell und sicher bewegte. Dass die Frau zudem meisterlich mit ihrer kunstvoll ziselierten Waffe umzugehen wusste, hatte Mistis erst bemerkt, als sie einen Schwarm Pathandoks hatten abwehren müssen. »Was halten Sie davon – sollen wir versuchen, die Lage der Station auszukundschaften?« Mistis wiegte den Kopf. »Thaher hat uns verboten, die Anlage zu betreten. Niemand kann wissen, wie man dort darauf reagiert.« »Von Betreten war ja auch nicht die Rede, mein Lieber. Ich will nur herausfinden, wo genau sich diese rätselhafte Station befindet. Mehr habe ich nicht vor.« »Und der Sektor, den wir bewachen sollen?« »Wir verkürzen nur die innere Linie. Wenn wir von unserem Erkundungsflug zurückkehren, sehen wir entweder nichts oder aber stoßen sofort auf die beiden Flüchtlinge. Einverstanden?« Huzur lächelte und gab sich geschlagen. Galacca aktivierte die Kontrollen und lenkte den Gleiter zum Mittelpunkt des Halbkreises, der von den Patrouillen abgeflogen wurde. Um eine Ortung zu erschweren, hatte sie die Antigravleistung reduziert und ließ das Fahrzeug fast nur auf dem Prallfeldpolster dicht über den Sumpf gleiten. Es
rauschte leise, während sich der Gleiter durch das Schilf schob. Hinter ihm richteten sich die schlanken Halme sofort wieder auf. Keine Spur zeigte, dass sich noch vor wenigen Augenblicken ein Produkt einer höchstentwickelten Technik durch die unberührte Natur bewegt hatte. Galacca flog sehr langsam, hatte die Hand aber ständig am Beschleunigungshebel, um jederzeit die Flucht antreten zu können, sollte es nötig sein. Berücksichtigte man das Alter der Frau, waren ihre Reflexe hervorragend. Absolut betrachtet reagierte sie um jenen Bruchteil zu langsam, der ihrem Alter geschuldet war. Sie sah noch das metallische Blitzen, dann schlug der Treffer der ferngesteuerten Paralysekanone ein. Galacca stieß mit der letzten kontrollierten Bewegung den Beschleunigungshebel vor, dann sank sie zur Seite. Das Steuer bewegte sich, der Gleiter wurde schneller und raste mit neuem Kurs davon. Huzur spürte nur den Schock, dann kippte auch er zur Seite, landete auf dem Rücken und blickte nach oben zu den Sternen. Während die Lähmung den Körper im Griff hielt, hörte der Mann das tiefe Brummen des mit voller Kraft arbeitenden Aggregats, das Brausen der Fahrtwinds, das Geräusch vorbeizischenden Schilfs und ab und zu das leise Plätschern von Wasser. In Gedanken versuchte er sich zu konzentrieren, berechnete den ungefähren Kurs, die voraussichtliche Dauer der Paralyse, die Leistungsreserve des Gleiters und versuchte sich an den Wetterbericht für die nächsten zwanzig Tontas zu erinnern. Das Ergebnis war niederschmetternd. Der Gleiter würde tontalang weiterrasen, die Küste hinter sich lassen und weit auf den offenen Ozean hinausfliegen. Die Energieversorgung reichte deutlich über die Paralysedauer hinaus, dennoch würde es angesichts der Orkanwarnung für sie zu spät sein. Huzur Mistis hätte gern noch einen Blick auf die zierliche, tapfere Frau an seiner Seite
geworfen, aber er wusste, dass er sie nicht wiedersehen würde…
Guma Tarthing sah den Gleiter davonrasen und wusste sofort, dass das die Chance war, auf die er und Guntakal gehofft hatten. Eine zweite, ähnlich gute Gelegenheit würde es nicht geben. »Los, laufen Sie, Mann! Laufen Sie, so schnell Sie können, bevor ein zweiter Gleiter auftaucht.« Er wartete nicht auf die Reaktion, sondern setzte sich in Bewegung. Es war anstrengend, im Sumpf voranzukommen, aber der Wille war stark genug, die Muskeln anzutreiben. Hinter sich hörte Tarthing das Keuchen des Gouverneurs, der sich anstrengte, nicht zurückzufallen. »Langsam«, rief er. »Dort vorn gibt es eine Falle für Uneingeweihte, die erst desaktiviert werden muss. Ich habe den Kodeschlüssel.« Zum ersten Mal seit Marschbeginn wartete der TGC-Mann, und das nicht nur, weil er den Kodeschlüssel brauchte. Er war inzwischen ebenfalls in einem Maß gefordert worden, dass es selbst die Kräfte seines trainierten Körpers überforderte. Jetzt machte sich der Altersunterschied voll bemerkbar. Guntakal war zwar ebenfalls ausgelaugt, aber er hatte noch Reserven, die er in Anspruch nehmen konnte. Zudem stiegen seine Zuversicht und das Selbstvertrauen mit jedem Meter, den die Männer der Station im Sumpf näher kamen. Der Tato grinste Tarthing spöttisch an, dann klappte er den kleinen Deckel hoch, den Tarthing für einen Schmuckstein gehalten hatte. Doch unter ihm war ein kleiner Sender im Ring versteckt. Der Gouverneur brauchte einige Zeit, bis es die zitternden Finger erlaubten, den winzigen Schalter zu betätigen. »Geschafft«, murmelte er. »Jetzt weiß man in der Station, dass ich komme.«
Fortan ging er voran, denn er allein wusste, wo sich die versteckten Fallen befanden. Tarthing hätte zwar ebenfalls die zahlreichen Hindernisse finden können, aber dazu hätte er Tage gebraucht. So konnte er nur staunen, mit welchem Aufwand die Station gesichert worden war. Es gab einfache Fußangeln, primitiv vielleicht, aber ungemein wirkungsvoll. Hinzu kamen Psychostrahler, Paralysatoren und sogar tödliche Impulsstrahler. Ein beträchtlicher Teil der wilden Tiere, die den Sumpf unsicher machten, war, wie Tarthing verblüfft feststellte, zweifellos in arkonidischen Roboterfabriken entstanden und wurde von einer Positronik gesteuert. Obwohl Guntakal die zahlreichen Fallen kannte, brauchten die Männer dennoch geraume Zeit, bis sie die Station endlich erreichten. Vor allem die rein mechanischen Fallen hielten die Männer auf, denn diese Hindernisse ließen sich nicht durch einen Knopfdruck ausschalten, sondern mussten aufgespürt und – sofern möglich – umgangen werden. Dass sich der Sumpf überdies im Laufe der Jahre änderte, kam erschwerend hinzu. Nur um Haaresbreite entging Guntakal dem Schicksal, in einem der stählernen Kiefer ein Bein zu verlieren. Dann endlich war das Ziel erreicht. Der Tato tastete mit beiden Händen über den moosbewachsenen Hügel, bis er den Öffnungsmechanismus fand. Der Boden senkte sich um eine Handbreit und glitt zur Seite. Zum Vorschein kam eine Stahlplatte, die nach unten schwang. Guntakal sah zufrieden in den Antigravschacht hinab. Er bedeutete Tarthing, als Erster einzusteigen, und sagte: »Vorwärts!« Der TGC-Mann biss sich auf die Lippen. Plötzlich überfiel ihn die Angst, aber nun gab es kein Zurück mehr. Der Schacht nahm ihn auf.
»Bei allen Göttern Arkons, Erhabener, wir wissen nichts darüber. Hier wurde niemals ein Mann festgehalten. Wir wissen nicht, woher der falsche Imperator kommt, Erhabener, aber ganz gewiss nicht aus dieser Station!« Nander Guntakal starrte den Wachhabenden verwirrt an. »Sind Sie sicher?« »Völlig, Erhabener. Wir wurden vor einem halben XoaixoJahr hier abgesetzt; seither hat niemand die Station betreten oder verlassen.« »Hm.« Es gab noch eine andere Möglichkeit – die nämlich, dass nicht einmal er, der Tato, die Befugnis hatte, etwas über den gefangen gehaltenen Imperator zu wissen. War dem so, würde es ratsam sein, nicht durch allzu große Neugier aufzufallen. »Können wir einen Funkspruch nach Arkon absetzen?« »Selbstverständlich, Erhabener. Aber…« »Reden Sie, Mann, wir haben nicht viel Zeit.« »Sollten die Aufständischen den großen Sender von Ahjod als Störsender einsetzen, wird unser Spruch unter Umständen nur verstümmelt aufgefangen werden. Unter diesen Umständen würde viel Zeit vergehen, bis die Nachricht rekonstruiert ist und hier Hilfe eintrifft – wenn überhaupt.« Der Tato biss sich auf die Lippen. Zeit war das, was er am wenigsten hatte, denn die Zeit arbeitete für die Rebellen. »Es gibt hier doch ein überlichtschnelles Raumschiff, nicht wahr?« »Ein Beiboot, Ultraleichtkreuzer. Es ist sofort startklar, Erhabener.« Die Station wurde von zwölf Männern bewohnt, hinzu kamen der Tato und Tarthing. »Nehmen Sie Tarthing mit, dazu drei Ihrer Männer. Versuchen Sie möglichst unauffällig zu starten und funken Sie dann vom All aus Arkon an. Die Botschaft brauche ich Ihnen wohl nicht zu erklären.«
»Nein, Erhabener.« »Beeilen Sie sich. Und jetzt möchte ich mit Ihrem Funker sprechen.« Guntakal erwiderte flüchtig den Gruß des Orbton, der sich schnell zurückzog, um die Mannschaft des Raumers zusammenzurufen. Tarthing sah den Tato erleichtert an; erst seit dessen Befehl fühlte er sich in Sicherheit. Seit dem Augenblick, als er im Antigravschacht in die Tiefe sank, hatte er mit dem sicheren Gefühl gelebt, dass ihn Guntakal kurzerhand erschießen lassen würde. Immerhin war er der Einzige, der den Gouverneur total erschöpft, niedergeschlagen und unfähig zur Selbstkontrolle gesehen – und überdies mit der Waffe bedroht hatte. »Vielen Dank, Erhabener.« Der Tato nahm den alten Mann überhaupt nicht mehr wahr, sondern beschäftigte sich mit anderen Gedanken. Es war durchaus nicht sicher – und das wussten Guntakal und die Soldaten der Station, nicht aber der TGC-Mann –, ob das Sechzig-Meter-Kugelschiff überhaupt sein Ziel erreichen würde. Auch Xoaixo war wie alle von Arkoniden besiedelten Welten gegen Angriffe aus dem All mehr oder weniger stark befestigt. Für die Positroniken war es rein sachlich gesehen völlig gleichgültig, ob sie ein angreifendes Maahkschiff abschossen oder einen flüchtenden Arkonraumer. Und Guntakal wusste, wie genau die automatische Abwehr funktionierte – die inzwischen zweifellos ebenfalls unter der Kontrolle der Rebellen war. Damit nicht genug: Weil der angebliche Gonozal VII. nicht in dieser Station festgehalten worden war, musste damit gerechnet werden, dass er von außerhalb nach Xoaixo gebracht wurde. Und das wiederum bedeutete, dass sich unter Umständen das Feindschiff ebenfalls noch im System der Sonne Llaga del Armgh befand und ebenfalls für den startenden Ultraleichtkreuzer eine Gefahr war.
Tato Guntakal entschloss sich deshalb zu einem gleichzeitigen Vorgehen. Sobald der Kugelraumer startete, würde auch der Hypersender der Station in Betrieb gehen. Ein stark geraffter Funkspruch benötigte nur wenige Augenblicke. Mit etwas Glück unterlief er die Störstrahlung der Rebellen, zumal sich die Hauptaufmerksamkeit dann zweifellos auf das Raumschiff richten würde. Was dann geschah, lag in den Händen der She’Huhan. Dennoch lächelte der Gouverneur zufrieden. Es sah so aus, als sei der Gonozal-Spuk nach wenigen Pragos bereits wieder beendet, und dann würde er, Tato Nander Guntakal, der strahlende Sieger sein. »Das Schiff ist startklar, Erhabener.« »Viel Glück.« Das war nicht einmal gelogen.
»Verdammt, wo kommt dieses Schiff her?« Thaher Gyat war äußerst erregt. Alle verfügbaren Boote, Jachten und Raumschiffe waren von seinen Leuten übernommen worden. Eigentlich durfte es den startenden Ultraleichtkreuzer gar nicht geben. »Die Station!«, murmelte Zihat niedergeschlagen. »Guntakal hat es geschafft, wer weiß, wie. Hoffentlich reagieren die Geschützstellungen schnell genug.« Sorgenvoll betrachtete er die Bildschirme, die den nahen Weltraum zeigten. Entfernte sich das Schiff mehr als einige hunderttausend Kilometer vom Planeten, war es in Sicherheit – weiter reichten die planetaren Abwehranlagen nicht. Es galt also, noch während der ersten Startphase einen Wirkungstreffer zu landen, und Thaher Gyat wusste, wie schwierig das angesichts der hohen Beschleunigungswerte war.
Die Männer an Bord des Kugelraumers waren ruhig und konzentriert, nur Guma Tarthing zitterte um sein Leben. Erst beim Start hatte er begriffen, in welcher Gefahr er sich befand. Der Planet schien tödliches Feuer nach dem winzigen Schiff zu spucken. Der TGC-Mann musste die Kiefer zusammenpressen, um nicht laut zu schreien. Der Ultraleichtkreuzer hatte eine winzige Chance zu entkommen. Ein möglichst unregelmäßiger Kurs war einzuschlagen, um dem Abwehrfeuer auszuweichen. Bei diesen Manövern war zwar keine Maximalbeschleunigung möglich, aber ein gerader Flug war selbst mit voller Fahrt problemlos zu berechnen und musste den planetaren Geschützen Gelegenheit bieten, sich einzuschießen. Langsam rückte die Marke näher, die die wirksame Kernschussweite anzeigte. Die Zelle des Raumers vibrierte unter dem Einschlag eines Impulsstrahlschusses, der den hochgespannten Schutzschirm zum Glück nur gestreift hatte. Ein Volltreffer hätte die Kugel vernichtet. Die Männer an Bord waren angeschnallt, und nur diesem Umstand verdankten sie ihre Gesundheit, als das Schiff herumgewirbelt wurde wie ein welkes Blatt im Herbststurm und Aussetzer die Andruckneutralisatoren heimsuchten. Die Aufprallenergie hatte den Raumer aus der Bahn geworfen, sodass auch die nächsten Schüsse ins Leere stachen. Dann wurde das Schiff abermals gestreift, gefolgt von einem wuchtigen Einschlag. Der technische Orbton grinste. »Volltreffer, Kameraden, aber einwandfrei absorbiert. Wir haben es geschafft.« »Beschleunigung auf Transitionsgeschwindigkeit!«, befahl der Kommandant. »Und Sie, Tarthing, bleiben, wo Sie sind.« »Zu Befehl«, murmelte der TGC-Mann. Er schielte zur Panoramagalerie, als in der Heckanzeige Ortungsdaten eingeblendet wurden. Guma Tarthing begann gellend zu
schreien. Den dreifachen Einschlag hörte er zwar noch, aber dann gab es nur noch brodelnde Hitze…
Die Passivortung des YPTAR-Fernaufklärers meldete ein metallisches Objekt, die Streuemissionen waren einwandfrei zu identifizieren. »Ein Gleiter«, murmelte Fartuloon und konsultierte den schon deutlich schwächer leuchtenden OMIRGOS. »Fliegt steuerlos. Gehört zu den Patrouillenfahrzeugen, die den Sumpf abgesucht haben.« Der Bauchaufschneider hatte aus den Fernwahrnehmungen, den aufgefangenen Nachrichten und Funksprüchen das Gesamtbild zusammengesetzt. Nun ließ er das auf dem Boden des Meeres abgesetzte YPTAR-Boot aufsteigen, programmierte den Autopiloten und überließ ihm die Verfolgung des Gleiters. Der Kurs verlief genau parallel, schon nach wenigen Zentitontas flog der Fernaufklärer genau über der offenen Schale. In einiger Entfernung konnte Fartuloon gewaltige Wolkenbänke erkennen, die konventionelle Ortung lieferte bedenkliche Werte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Orkan das Beiboot und den Gleiter erreichte. In den ersten Nachttontas würde er über die Küste hereinbrechen und vermutlich bis zum Morgengrauen wüten. Als Fartuloon die beiden reglosen Körper im Gleiter entdeckte, sagte er: »Auch das noch.« Er ließ das Cockpit aufklappen, aktivierte das Fluggerät des Anzugs und sank zum Gleiter hinab. Mit einem Handgriff reduzierte Fartuloon die Gleitergeschwindigkeit; der Autopilot des Beiboots synchronisierte sofort seinen Flug. Die Augen der beiden alten Arkoniden standen offen, die Anzeichen der Paralyse waren unverkennbar. Die Frau und der Mann konnten den Bauchaufschneider sehen und hören, sich aber keinen Millimeter bewegen.
»Herzlich willkommen«, sagte Fartuloon. Er konnte sich annähernd vorstellen, was die beiden bewegte, die hilflos auf den Tod warteten. Umso größer musste ihre Überraschung sein, dass nun ein dicker Mann mit verbeultem Brustpanzer und bedrohlich aussehendem schwarzen Vollbart als Retter erschienen war. »Ich bringe Sie an Bord meines Beiboots, das ich anschließend unter der Wasseroberfläche verstecke. Also keine Angst! Sobald ich meine Arbeit erledigt habe, komme ich zurück und bringe Sie nach Ahjod. Sollte die Paralyse vorzeitig abklingen: Im Beiboot befinden sich Nahrungsmittel und Wasser. Bedienen Sie sich. Aber lassen Sie die Finger von den Kontrollen – sie sind zwar kodegesichert, aber unsachgemäßes Herumhantieren aktiviert die Selbstvernichtung.« Die Augen der Gelähmten blieben ausdruckslos. Fartuloon machte sich nicht die Mühe, ihnen sein Vorhaben zu erklären, schloss ihnen die Augen, dass diese nicht austrockneten, legte sich dann zuerst die alte Frau über die Schulter und stieg zum Beiboot auf. Scheinbar spielerisch brachte er anschließend auch den alten Mann nach oben. Ein schwaches Funksignal des Armbandgeräts aktivierte kurz darauf das Programm: Der Fernaufklärer versank in den Fluten, Fartuloon sah vom Gleiter aus befriedigt zu, wie das Wasser den Rumpf umspülte. Erst als von dem YPTAR-Boot nichts mehr zu sehen war, nahm der Bauchaufschneider hinter den Kontrollen des Gleiters Platz, wendete das Fahrzeug und raste auf die Küste zu. Hinter ihm bewegten sich inzwischen die Wellen heftiger, die Kämme zeigten weißen Schaum. Machtvoll zog der Orkan auf.
Zum ersten Mal in seinem langen, von Abenteuern erfüllten Leben fand Thaher Gyat keinen Fluch, der der Lage
angemessen gewesen wäre. »Keine Zweifel?« »Tut mir leid, Thaher, aber ein Teil des Funkspruchs ist trotz Störstrahlung vermutlich durchgekommen. Du weißt, dass Raffersprüche…« Auch Zihat Baluch machte ein finsteres Gesicht. Alle wussten nur zu gut, was das zu bedeuten hatte. In Kürze würde ein Verband der Flotte erscheinen und den Himmel verdunkeln. So, wie Thaher und Zihat den Charakter Orbanaschols einschätzten, würden sich dann die Geschützkuppeln öffnen und Tod und Verderben auf Xoaixo schleudern. Es wäre nicht die erste Welt, die nach einem Besuch der Arkontruppen nicht mehr war als eine ausgeglühte Ruine von Planetengröße. Unter Umständen hatte der Verbandskommandeur sogar den Befehl, nicht lange zu fackeln, sondern den Planeten völlig zu zerstören, einen unlöschbaren Atombrand zu legen oder dergleichen. »Wir werden den Truppen Gonozal zeigen. In der Flotte gibt es noch viele seiner Anhänger, von den Unzufriedenen ganz zu schweigen. Sie werden es nicht wagen, auf den alten Imperator zu schießen.« Hoffnungsvoll ausgesprochen, wusste Zihat selbst, dass dieses Argument nicht zog. Selbstverständlich würde Orbanaschol zum Angriff auf Xoaixo nicht ausgerechnet gonozalfreundliche Truppen einsetzen, schließlich gab es genügend Orbtonen, deren Karriere mit dem Tyrannen stand und fiel. Sie würden keine Rücksicht nehmen. Thaher sagte bedächtig: »Wir haben noch zwei Chancen. Die eine besteht darin, dass der Spruch das Arkonsystem gar nicht erreicht hat oder derart verstümmelt angekommen ist, dass keine Entschlüsselung gelingt. In diesem Fall können wir unsere Arbeit wie geplant fortsetzen.« »Und Nummer zwei?« »Auf Xoaixo leben viele Leute, deren Verwandte zum engeren Führungskreis des Imperiums gehören. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass es der Usurpator wagt, unter den Angehörigen seiner Freunde und Helfer ein Blutbad anzurichten. Er würde sämtliche Khasurn gegen sich aufbringen…« »Sollten besagte Angehörige dadurch endlich an die Familienvermögen kommen, wird Orbanaschol nur Beifall erhalten.« Thaher sprang auf und lief unruhig im Zimmer auf und ab. Tief in seinem Inneren nistete die Überzeugung, dass das gewagte Spiel, auf das er sich eingelassen hatte, bereits verloren war. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Gegner den entscheidenden Garrabozug tat. »Sollen wir verschwinden und Gonozal mitnehmen?« »Unsinn, Zihat. Das wäre kopflose Flucht. Wie willst du das den Frauen und Männern, die hier ihr Leben aufs Spiel setzen, begreiflich machen?« »Ein lebender Gonozal auf der Flucht ist tausendmal besser als ein toter Held!« »Auch richtig, aber…« Thahers Faust krachte auf den Schreibtisch, an dem früher der Tato gesessen und sein Vermögen gemehrt hatte. Der Alte fühlte sich eingekreist, obwohl die Gefahren, die ihn bedrückten, einstweilen nur Hochrechnungen waren. Er wusste, dass es keine Möglichkeit gab, den Planeten zu evakuieren, dazu fehlten die Schiffe. Es gab zwar etliche Privatjachten, aber deren Schiffsraum war sehr begrenzt. Und ausreichend Transportschiffe, die kostbare Luxusgüter anlieferten, waren derzeit keine da. Natürlich hätten sich trotzdem Tausende der kleinen Schiffe retten können, aber Thaher kannte die Leute zu gut, die Xoaixo bevölkerten. Ob Gonozal-Anhänger oder nicht – die Frauen und Männer waren sich ihres gesellschaftlichen Ranges bewusst. Sie würden genauso argumentieren, wie Zihat es eben erst widerlegt hatte. Niemals würden sie glauben, dass
Orbanaschol ihnen ans Leben ging; begreifen würden sie es erst, wenn es zu spät war. »So oder so. Uns bleibt nur eins: Wir arbeiten weiter. Mehr können wir nicht tun.«
Nander Guntakal rieb sich die Hände. Der Abschuss des Ultraleichtkreuzers war zwar bedauerlich, aber auf diese Weise hatte sich das Problem Guma Tarthing erledigt. Den Ruhm, Thaher Gyats Komplott so schnell aufgedeckt zu haben, würde nun dem Tato zufallen. Eine Belohnung war ihm sicher, denn es schien ganz so, als habe die Störstrahlung des Ahjod-Hauptsenders nicht gewirkt. Mochte der Rest des Funkspruchs auch verstümmelt sein, Guntakal vertraute darauf, dass die Funkspezialisten im Arkonsystem die Botschaft in kurzer Zeit entschlüsselten. Eigentlich hätte der Mann nun nur zu warten brauchen, aber er war nicht völlig zufrieden. Sein Ruhm würde sich noch vergrößern, wäre er derjenige, der aus eigener Kraft den Aufstand niederschlug. Sich persönlich ins Getümmel zu stürzen, entsprach nicht der Mentalität des Gouverneurs. Aber er hatte noch die erfahrenen Männer der Geheimstation, die er für seine Zwecke verwenden konnte. Acht erprobte Raumsoldaten standen dem Tato zur Verfügung. »Gibt es hier Roboter?« Der angesprochene Orbton nickte und deutete auf den Servorobot, der Guntakal ein Getränk überreicht hatte. »Ich meine Kampfroboter.« »Einhundert Maschinen sind eingelagert. Sie können sofort aktiviert werden.« »Machen Sie sich an die Arbeit. Und bringen Sie mir einen genauen Plan von Ahjod.« Der Offizier gab die Befehle weiter und breitete wenig später den Kartenausdruck aus.
»Wir teilen die Roboter in vier Kampfgruppen«, sagte der Tato. Von dem, was er als Flottenoffizier einmal gelernt hatte, war nicht mehr viel übrig, aber für diese Aufgabe würde es reichen. Seit er die Station erreicht hatte, war Guntakals Selbstvertrauen in geradezu beängstigender Weise gewachsen. Nicht einmal der scheußliche Muskelkater und die wunden Füße konnten ihn beeindrucken. Für einige Augenblicke war der Mann sogar versucht, einen fünften Trupp persönlich zu führen, um Thaher Gyat eigenhändig zur Strecke zu bringen, doch dann überwog die Feigheit. »Sie greifen die Stadt an und schlagen sich zum Regierungspalast durch. Natürlich werden die Rebellen versuchen, die Maschinen daran zu hindern. Während sie damit beschäftigt sind, die Roboter zu bekämpfen, werden Sie und Ihre Männer den Palast im Handstreich nehmen. Ich will diesen falschen Imperator haben!« Der Offizier betrachtete nachdenklich die Karte, dann nickte er. »Das Vorhaben könnte gelingen, Erhabener. Wir werden jedenfalls versuchen, den falschen Imperator in unsere Hand zu bekommen. Sollen wir anschließend zur Station zurückkehren?« Guntakal grinste bösartig. »Die Rebellen haben noch nicht herausgefunden, dass der gesamte Palast von einem Schutzschirm umhüllt werden kann, der nur von Schlachtschiffen zu durchschlagen ist. Ich sage Ihnen, wie Sie ihn aktivieren können.« Der Orbton verkniff sich die naheliegende Frage, warum der Tato nicht schon früher auf die Idee gekommen war, das Trichtergebäude auf diese Weise abzuriegeln und gegen den Aufstand zu sichern. »Machen Sie sich an die Arbeit.« Der Offizier salutierte und zog sich zurück. »Noch ein paar Tontas«, murmelte Guntakal, »dann ist der
Spuk beendet. Und dieser Gyat wird seine Frechheit teuer bezahlen.«
Fartuloon hatte die Küste einige Kilometer nördlich von Ahjod erreicht und flog langsam nach Süden. Der Strand wurde inzwischen von immer heftigerer Brandung überspült, längst war es Nacht, im Licht der Gleiterscheinwerfer war strömender Regen zu erkennen. Als Vorbote des Orkans braute sich ein heftiges Gewitter zusammen, was dem Bauchaufschneider nur recht sein konnte. Als unvermittelt die metallischen Kolosse angestrahlt wurden, riss der Mann sofort das Steuer herum. Im nächsten Augenblick erloschen die Scheinwerfer. Fartuloon sprang hastig aus dem weiterschwebenden Gleiter und rollte sich geschickt ab. »Kampfroboter? Wo kommen die denn her?« Er musste zusehen, dass er von den Maschinen nicht erwischt wurde, über deren Auftrag wenig später keine Zweifel mehr bestanden, als der führerlose Gleiter ungebremst auf sie zuschwebte. Mit maschinenhafter Schnelligkeit brachten sie ihre schweren Strahler in Stellung und schossen den Gleiter mit einer kurzen Salve zu einem rot glühenden, unförmigen Klumpen zusammen. »Verfluchte Bande«, schimpfte Fartuloon und zog das Skarg. Ein Blitz, der wenige Augenblicke später aufzuckte, hätte eigentlich in einen nahen Baum fahren sollen, doch die geheimnisvollen Kräfte des Skarg zogen ihn förmlich an. Der Lichtbogen, der sich anschließend aus dem Blitz entwickelte, zuckte aus der Spitze des Dagorschwerts zur Gruppe der Roboter und wirkte dort wie der Treffer eines schweren Schiffgeschützes. Explosionen zerfetzten die Maschinen, abgerissene Arme und Beine flogen durch die Dunkelheit und schlitterten Funken sprühend über die nasse Straße.
Sekundärdetonationen mischten sich mit dem Pfeifen des Windes, dem Klatschen des Regens und weiteren Donnerschlägen, die aufzuckenden Blitzen folgten. Acht oder zehn Roboter – Fartuloon konnte es nur schätzen – wurden sofort vernichtet. Zwei fielen wegen kleinerer Defekte aus, bei einer Maschine detonierte ein Waffenmagazin und zerriss sie. Metallsplitter pfiffen durch die Luft. Abermals zuckte ein Blitz auf die Gruppe herab, und wieder zeigte das Skarg seine Wirkung. In ihrer positronischen Verwirrung begannen die Roboter, planlos herumzuschießen, sodass sich einige gegenseitig außer Gefecht setzten. Dennoch war der verbliebene Rest zu stark für den Bauchaufschneider. Er wich zur Seite aus und begann zu laufen, sobald er sicher war, dass ihn die Maschinen nicht mehr hören, sehen oder sonst wie anmessen konnten. Fartuloon war nicht groß und wirkte fett; dass sich unter diesem Äußeren kräftige und trainierte Muskeln verbargen, zeigte sich, als der Mann einen flotten Trab anschlug und diese Gangart beibehielt, bis er einen Platz zwischen Trichtergebäuden erreichte. Unter dem erleuchteten Prallfeldzelt, das den Regen abhielt, tanzten und sangen Arkoniden, zum größten Teil mehr oder weniger berauscht. Als sich Fartuloon näherte, verstummte der Lärm fast schlagartig, etliche Frauen und Männer begannen lauthals zu lachen. Fartuloon wusste um sein Aussehen, triefend nass und eher merkwürdig bekleidet. »Lacht nur«, rief er grimmig. »Die Kampfroboter werden euch das Lachen vergehen lassen.« »Kampfroboter?« Die Ersten umringten den Bauchaufschneider. »Was für Roboter? Erzählen Sie.« Fartuloon deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Mindestens fünfundzwanzig Kampfroboter marschieren in die Stadt ein.« Dass er diese Gruppe zur Hälfte dezimiert hatte, behielt er
für sich – niemand würde ihm glauben. »Das ist Guntakals Werk!«, rief überdies einer der Männer. »Los, Freunde, wir müssen uns verbarrikadieren und bewaffnen.« »Wo ist der Imperator?« Offenes Misstrauen schlug Fartuloon nach dieser Frage entgegen. Ein Mann legte demonstrativ die Hand auf den Thermostrahler und knurrte: »Was wollen Sie von Seiner Erhabenheit?« Der Bauchaufschneider ließ sich von dem Gehabe nicht beeindrucken. »Ich will nur wissen, ob er in Sicherheit ist oder nicht.« »Der Höchstedle befindet sich im Regierungspalast. Sollten Sie etwas von ihm wollen, müssen Sie sich dorthin bemühen.« Fartuloon dankte und ging weiter, während die Bürger Ahjods hastig begannen, Hindernisse aufzustapeln. Der Bauchaufschneider verzichtete darauf, ihnen zu sagen, dass solche Maßnahmen wenig taugten. Die Roboter würden die Barrieren samt Verteidigern einfach zusammenschießen. Eine gut programmierte Kampfmaschine wog an Schlagkraft spielend eine halbe Hundertschaft normaler Soldaten auf; sie war reaktionsschneller, schussstärker, zielsicherer und vor allem rücksichtsloser. Dem Mann war allerdings klar, dass Hinweise dieser Art nicht viel genützt hätten. Die Frauen und Männer wollten ihren Imperator verteidigen, gleichgültig, wer oder was angriff. Das hell erleuchtete Regierungsgebäude war der höchste Trichter in Ahjod und deshalb nicht zu verfehlen. Fartuloon steuerte es zielstrebig an, nachdem er das Flugaggregat seines Anzugs aktiviert hatte. Mitten in der Stadt gab es genügend Streustrahlung von Gleitern und anderen Aggregaten, die jene seiner Ausrüstung spielend überdeckten.
»Leise, Männer!« Kaum ausgesprochen, stellten die Männer ihr Flüstergespräch ein. Nathel Sunwar hatte nur eine bescheidene Karriere hinter sich und betrachtete die Versetzung nach Xoaixo fast als Demütigung. Umso froher war der junge Orbton über die Ereignisse. Sie boten ihm endlich die Möglichkeit, sich auszuzeichnen und ein neues Kommando zu übernehmen. Er musterte die Uhr. Nach dem Zeitplan, der in der Station erarbeitet worden war, mussten die ersten Kampfroboter nun die Stadtgrenze erreicht haben und angreifen. Dass die Maschinen nahezu durchweg auf alte Frauen und Männer trafen, interessierte den Offizier nicht. Jene, die sich den Kampfrobotern in den Weg stellten, waren Rebellen und hatten nichts anderes verdient. Die Straßenkämpfe würden überdies das Vordringen der eigenen Gruppe zum Regierungsgebäude decken. Auf dem Rücken trugen die acht Männer neben den Flugaggregaten der Kampfanzüge kleine, aber leistungsfähige Feststoffraketen, die sie im geeigneten Augenblick in die Höhe steigen lassen sollten. Vom Dach des Regierungsgebäudes aus, so sah es der Plan vor, sollte der Palast gestürmt werden. Die normalen Ein- und Ausgänge wurden überwacht, der Luftraum ebenso. Mit einem Gleiter hätte der Trupp nicht auf dem Dach landen können, daher hatte sich Sunwar für die Feststoffraketen entschieden, da diese ortungstechnisch kaum anzumessen waren. Sorgten überdies die Roboter für genügend Aufregung, würde im tobenden Unwetter des Orkans der Feuerstrahl, auf dem die Soldaten in die Höhe reiten sollten, kaum auffallen. Orbton Sunwar konnte den Lärm hören, der sich in den sonst eher stillen Straßen der Stadt ausbreitete. Schreie, Schüsse und Detonationen mischten sich ins Donnergrollen
des Gewitters. In einiger Entfernung hatte ein Haus Feuer gefangen, die Flammen stiegen trotz strömenden Regens rasch in den nachtschwarzen Himmel. Rauch wälzte sich, von Sturmböen wiederholt zerrissen, durch die Straße und behinderte die Sicht. »Vorwärts, aber leise. Nicht sehen lassen.« Geräuschlos huschten die Männer los, bewegten sich hauptsächlich auf Nebenstraßen. Sunwar spürte, wie sein Mund austrocknete. Er war schon einmal in Lebensgefahr gewesen, als der Leichte Kreuzer, auf dem er Dienst tat, von zwei kleineren Einheiten der Methans abgefangen und beschossen worden war. Damals hatte er keine Zeit gehabt, sich um seine Angst zu kümmern; erst nach dem Gefecht, das die halbe Besatzung das Leben gekostet hatte, war er bleich geworden. Jetzt aber war die Angst da, stark und fast körperlich greifbar. Ein tobender Bürger Ahjods konnte ihn entdecken, ein wild gewordener Roboter ihn treffen, die Feststoffraketen bei halber Höhe versagen, die Macht des Orkans mit voller Wucht zuschlagen. Sunwar ärgerte sich über seine Angst, vor allem, weil die ihm folgenden Männer dieses Gefühl offenbar nicht kannten. Jeder Einzelne von ihnen hatte eine lange Dienstzeit hinter sich; sie waren auf Riesenwelten gelandet und hatten Maahks im Nahkampf bezwungen. Es ärgerte Sunwar, dass diese Männer im Fall des Falles genau so sterben würden, wie es die Trivid-Kanäle zeigten, während er – das wusste er genau – ein jämmerliches Bild bieten würde, obwohl er den einfachen Kämpfern in fast allen anderen Bereichen haushoch überlegen war. Das Regierungsgebäude kam in Sicht, Sunwar hielt kurz inne, dann winkte er. Vorsichtig näherte sich der Trupp dem Riesentrichter. Obwohl Wind und Regen nochmals an Stärke gewonnen hatten, war der Platz vor dem Palast nach wie vor
von zahllosen Rebellen bevölkert. Arkoniden rannten wild durcheinander und gestikulierten. Der Vormarsch der Kampfroboter hatte die Bevölkerung in eine Mischung von Panik und wilder Entschlossenheit versetzt. »Bald werden sie nicht nur kopflos rennen, sondern kopflos sein«, murmelte Sunwar kalt. Der Blick nach oben zeigte den weit auskragenden Trichterrand des Dachringes. Die Aufmerksamkeit der Bevölkerung konzentrierte sich auf den Platz vor dem Gebäude. Der Orbton gab das vereinbarte Zeichen und schlug selbst mit der flachen Hand den kleinen roten Knopf am Gürtel in die Fassung. Ein heftiger Schlag in den Schulterblättern, dann verloren die Füße den Boden. Mit steigender Geschwindigkeit stieg Sunwar schräg in die Höhe. Der Mann lächelte zufrieden, auch den anderen Männern war der Start geglückt. Von unten würden sie im Gewirr der aufzuckenden Blitze nicht auffallen. Im nächsten Augenblick näherte sich einer der Soldaten, der offenbar Schwierigkeiten mit seinen Raketensätzen hatte, einem anderen an. Die beiden prallten zusammen, einer wurde abgetrieben, eine Explosion dröhnte – und der Mann stürzte wie ein Stein in die Tiefe, weil wohl auch sein normales Anzug-Flugaggregat in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sunwar presste die Zähne zusammen, für Trauer war keine Zeit. Es dauerte nur noch wenige Augenblicke, bis das Dach erreicht war, und es gehörte Geschick dazu, den Raketensatz im richtigen Moment auszuschalten. Sunwar landete sanft und fing seinen Schwung mit einigen schnellen Schritten ab. Fünf der Männer landeten ebenfalls glatt, der Letzte schaffte es gerade noch, die Dachkante zu umklammern – es war jener, der zuvor mit dem anderen zusammengeprallt war. Neidisch registrierte Sunwar, dass der Soldat keinen Laut von sich gab, sondern stumm waltete, bis ihm die anderen halfen. »Raketen abschnallen. Wir brauchen sie nicht mehr…
Oder… Halt!« Sunwar grinste breit, als er eine Thermitbombe vom Gürtel löste und am Gurtzeug des Raketensatzes befestigte. Die anderen Männer folgten sofort dem Beispiel. Alle Raketensätze fauchten kurz darauf führerlos davon, beschrieben zwischen zuckenden Blitzen eine wirre Bahn am Himmel und gingen irgendwo nieder. Sunwar war es gleichgültig, was die kurz darauf zündenden Thermitbomben zerstörten. Wichtig war, dass dadurch das allgemeine Durcheinander vergrößert wurde. Nur einer der Soldaten machte ein finsteres Gesicht. »Passt dir was nicht?« »Das da unten sind Arkoniden. Und selbst wenn es keine wären…« Sunwar winkte barsch ab. Soldaten mit moralischen Bedenken waren das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. Er entschloss sich, den Mann – Maruol Chembar – fortan im Auge zu behalten, während der Trupp schnell zu einem der Aufbauten rannte, um ins Gebäude einzudringen. Der weite Innenhof des Trichters war hell erleuchtet und lieferte ausreichend Licht, um sich auf dem Dachring zu orientieren. Eher ärgerlich bemerkte Sunwar, dass die Männer geschlossen ihre Kombistrahler auf Paralysemodus umschalteten. So leise, dass ihn niemand hören konnte, murmelte er: »Alle verweichlicht.« Ein Mann ging voraus, ohne dass der Orbton dazu den Befehl erteilt hatte. Sunwar hatte nichts dagegen einzuwenden, obwohl ihm bewusst wurde, dass ihm die altgedienten Soldaten stillschweigend das Kommando abgenommen hatten. Er war sich allerdings sicher, dass sie, gab er einen direkten Befehl, diesen befolgen würden. »Wo wird Gyat stecken?«, flüsterte einer der Männer. »Vermutlich in Guntakals Büro oder den angrenzenden Privaträumen. Dort dürfte sich auch der falsche Imperator befinden.«
Orbton Sunwar widersprach nicht. Vom Tato wusste er, dass sich der Hauptschalter für den Gebäudeschutzschirm ebenfalls im Büro befand. War das Feld einmal aufgebaut – eine Dreiviertelkugel, die zwar das gesamte Gebäude einhüllte, aber nur einen Teil des Vorplatzes –, musste Widerstand nur noch von jenen Personen befürchtet werden, die sich im Gebäude befanden. Es würden nicht mehr sonderlich viele sein, weil die meisten Frauen und Männer, die Waffen tragen und benutzen konnten, mit der Abwehr der Kampfroboter beschäftigt waren. Die Männer stießen auf keinen Widerstand, als sie sich durch die Gänge bewegten. Zweifellos befanden sich die meisten Wachen in den unteren Stockwerken. Bald schon näherte sich der Trupp den Privatgemächern des Gouverneurs.
Thaher Gyat schaltete das Visifon aus und krauste die Stirn. »Es sieht schlecht aus.« Zihat Baluch machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Die Robots dringen immer weiter vor, trotz ihrer Verluste. Unsere Freunde mühen sich redlich, aber gegen eine solche Zahl braucht man eine Raumlandedivision mit bester Ausrüstung. Ich fürchte, wir müssen uns bald ergeben, wollen wir ein Blutbad verhindern.« Er deutete auf die aktivierten Bildschirme, die den Vorplatz zeigten. »Diese Frauen und Männer sind fest entschlossen, sich nicht zu ergeben. Sie wählen sich schnell ihre Kommandanten, bewaffnen sich – sofern noch nicht geschehen – und stellen sich den Kampfmaschinen entgegen. Niemand gibt ihnen den Befehl dazu, sie tun es aus eigenem Antrieb.« Thaher nickte resignierend, setzte zum Sprechen an, als plötzlich die Tür aufsprang. Ein Mann im Kampfanzug stürzte in den Raum, ein zweiter folgte. Zihat wollte zur Waffe
greifen, wurde aber vom dritten hereinstürmenden Mann mit einem Thermostrahler erschossen. Thaher stand wie versteinert. Er kannte Zihat seit vielen Jahren, und er hatte sich den Abschied, die endgültige Trennung anders vorgestellt. Damals, bei den Stählernen Schwingen von Orxh, hatten sie darüber gesprochen. Beide Männer hatten gehofft, nicht im Bett sterben zu müssen. Für Zihat war der Wunsch auf grausame Weise in Erfüllung gegangen. Langsam hob Thaher die Hände. Es war sinnlos, Widerstand zu leisten. Vielleicht gab es später eine Möglichkeit, dem Unvermeidbaren noch einen Sinn zu geben. Für alle Fälle hatte der alte Mann am rechten Arm unter einem hautgleichen Pflaster ein Messer versteckt… Der Orbton, der Zihat erschossen hatte, nahm persönlich die Waffe aus Thahers Gürtelhalfter und warf sie einem der anderen Männer zu. Erstaunt registrierte Thaher, dass nur der Orbton seinen Kombistrahler auf tödlichen Thermostrahlmodus geschaltet hatte. »Wo ist der Hochstapler?« »Nebenan«, sagte Thaher müde. »Er schläft und wird zurzeit nicht bewacht. Der Mann ist krank; ein Körper ohne Geist und Verstand. Sie brauchen sich nicht um ihn zu kümmern. Der Imperator wird keinen Widerstand leisten, weil er das gar nicht mehr kann.« Der Orbton grinste spöttisch, ehe er sich abwandte und die Täfelung der Rückwand abzutasten begann. Auf leichten Druck hin sprang eine Holzplatte zur Seite. Sichtbar wurde ein rot lackierter Schalter, der leise klickend einrastete, als der Orbton ihn drückte. Auf den Überwachungsbildschirmen war zu erkennen, wie sich das Schirmfeld aufbaute und den Palast einhüllte. Regen konnte es nicht durchdringen und rann in dicken Schlieren ab; einige Blitze schlugen ein und ließen die Form der Dreiviertelkugelkontur aufflimmern. Nun war der
Regierungspalast praktisch von der Außenwelt abgeschlossen; nicht einmal die Kampfroboter würden diesen Schutzschirm aufbrechen können. »Damit haben Sie nicht gerecht, Gyat? Sie werden noch einige Überraschungen erleben und… Was gibt es?« Die beiden Soldaten, die in die angrenzenden Räume vorgedrungen waren, kamen zurück. Einer im einfachen Mannschaftsdienstgrad eines Arbtan war schon ziemlich alt – alt genug, um Imperator Gonozal VII. noch erlebt zu haben. Er lächelte schief. »Er ist es! Er schläft tief und fest. Ich habe darauf verzichtet, ihn zu wecken. Waffen haben wir keine entdeckt; einen zweiten Ausgang gibt es nicht.« Nathel Sun war nickte zufrieden und bedeutete seinen Leuten mit einer Handbewegung, Thaher zu fesseln. Anschließend wurde der Alte in den Nebenraum zum falschen Imperator gebracht. Vom Gang her erklang Lärm; ein Soldat stürmte herein. »Die Leute im Palast sammeln sich und wollen…« »Teilen Sie ihnen mit, dass wir den Hochstapler erschießen, sollten sie ihren Widerstand nicht aufgeben. Dann entwaffnen Sie die Leute und sperren sie ein.« Der Soldat verließ das Büro des Gouverneurs, während Sunwar den Armbandminikom aktivierte. »Orbton Sunwar spricht, Erhabener. Der Regierungspalast ist in unserer Hand. Die Kampfroboter können vor dem Schutzschirm Sicherungsstellung beziehen.« »Ich gratuliere, Orbton«, antwortete der Tato. »In ein paar Tontas wird hoffentlich die Flotte eintreffen. Halten Sie bis dahin die Stellung. Ende.« Sunwar schaltete das Gerät aus und sah sich triumphierend um. »Bis die Flotte kommt, können wir es uns gemütlich machen.«
Fartuloon betrachtete nachdenklich den Schutzschirm. Sein Verstand sagte ihm, dass man im Inneren unmöglich wissen konnte, dass er im Anmarsch war. Der Schirm war also nicht dazu gedacht, den Bauchaufschneider fernzuhalten. Die Reaktion der Menge bewies zudem, dass auch sie überrascht worden war. Langsam verebbte der Kampflärm, allerdings kam das Dröhnen der heranmarschierenden Kampfmaschinen näher. »Der Imperator ist noch drinnen«, hörte Fartuloon eine Frau sagen. Er schüttelte unwillig den Kopf. Gonozal VII. in der Gewalt der Gegner – es wurde Zeit, sehr rasch und entschlossen einzugreifen. Der Bauchaufschneider machte sich daran, das Gebäude zu umkreisen. In einiger Entfernung fand er eine Arkonidentraube um einen leblosen Körper, der am Boden lag. Fartuloon drängte sich vor und musterte den Mann. Man musste nicht Leibarzt eines arkonidischen Imperators gewesen sein, um zu erkennen, dass dieser Mann tot war. Wesentlich interessanter war das zerfetzte Rückenteil des Kampfanzugs. Die Angreifer waren also auf dem Luftweg in den Palast eingedrungen. Fartuloon drängte durch die Menge Richtung Schutzschirm und zog noch im Laufen das Dagorschwert. Frauen und Männer wichen vor ihm zurück. »Vorsicht, der ist verrückt geworden«, rief jemand. Obwohl man ihn für übergeschnappt hielt, versuchten einige Männer dennoch, Fartuloon aufzuhalten, als er sich geradlinig dem schimmernden Schutzfeld näherte. Normalerweise verfügten solche Gebäude sichernden Schirme über PrallfeldGradientkomponenten, die einen Kontakt mit der tödlichen Energie verhinderten. Im Fall des Regierungspalastes war dieser Personenschutz nicht vorhanden oder ausgeschaltet. Fartuloon vertrieb die Männer, die ihn vor dieser tödlichen Sperre zurückhalten wollten, mit wuchtigen Hieben des Skarg. Er war den Leuten nicht böse, denn sie wussten nicht, dass das
Dagorschwert die Fähigkeit hatte, Schirmfelder so zu verändern, dass für Fartuloon passende Strukturlücken entstanden. Er hob das Skarg, für Augenblicke war die seltsame Figur am Griff zu sehen, die plötzlich ein gespenstisches Eigenleben zu entwickeln schien. Langsam näherte Fartuloon die Schwertspitze dem Hochenergiefeld, das ihn normalerweise zu Asche verbrannt hätte. Doch als die Klinge in das Flimmern eindrang, begann der Schutzschirm kaum merklich zu flackern. Die ebenfalls von einem plötzlichen Flirren umgebene Klinge des Dagorschwertes glühte auf, wechselte von Hellrot zu grellem Weiß. Der Knauf blieb dagegen dunkel, war nun allerdings Ausgangspunkt einer unbestimmbar schimmernden Aura, die den Bauchaufschneider wie ein Individualschirm umgab. Ohne diesen Schutz wäre Fartuloon wohl tatsächlich verbrannt. Er aber grinste nur und führte die Schwertspitze so am Schutzschirm entlang, dass sie ein großes Rechteck beschrieb. Als sie wieder zum Ausgangspunkt zurückgekehrt war, erlosch der Schirm innerhalb dieses Rechtecks, Fartuloons Grinsen wurde noch breiter. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als er die Strukturlücke durchschritt und die andere Seite unbeschadet erreichte. Das Glühen der Klinge ließ rapide nach, gleichzeitig verschwand auch das Feld, das den Bauchaufschneider geschützt hatte. Ehe jemand Fartuloon folgen konnte, schloss sich die Lücke wieder unter lautem Knallen mehrerer Lichtbögen und davonsprühender Entladungen. Während er Richtung Palast rannte, wichen die Arkoniden auf dem Platz hinter ihm zurück, als die Kampfaschinen aufmarschierten und entlang des Schutzschirms Position bezogen – die Waffenarme drohend erhoben. Unterdessen erreichte Fartuloon den Eingang, neben dem ein beträchtliches Loch klaffte. Von Wachen war nichts zu sehen. Entweder hatten die
Palasteroberer eine geradezu atemberaubende Zuversicht, oder es waren so wenige, dass nicht alle Ein- und Ausgänge persönlich kontrolliert werden konnten. Fartuloon tippte auf Letzteres. Im Inneren des Gebäudes war es beängstigend ruhig. Offenbar hatten die Eindringlinge den Widerstand der Rebellen vollständig gebrochen. Weder von Gefangenen noch von Wachen war etwas zu sehen, doch der Bauchaufschneider ging davon aus, dass die gebäudeinterne Überwachung aktiviert war und genauestens beobachtet wurde. Aus diesem Grund kamen die Antigravschächte auch nicht infrage. Also musste der Bauchaufschneider den langen und beschwerlichen Weg über die Nottreppen nehmen, um die obersten Etagen zu erreichen – denn dort befanden sich zweifellos die Gegner. Kein Tato hätte darauf verzichtet, seine Büro- und Privaträume woanders als direkt unterhalb der ringförmigen Dachterrasse zu platzieren. »Gut, dass mich Atlan so nicht sehen kann«, murmelte Fartuloon einige Zeit später. Obwohl sein Körper trainiert war, erwies sich der Aufstieg als echte Qual – immerhin waren rund zweihundert Meter Höheunterschied zu Fuß zu überwinden. Auf den Einsatz seines Flugaggregats verzichtete der Bauchaufschneider, um nicht vorzeitig geortet zu werden. Dem Drang, die Zahl der Stufen zu zählen, konnte er widerstehen, zumal er bald schwitzte und mit beschleunigtem Atem weiterstieg.
Die Soldaten unter Nathel Sunwars Kommando hatten alle Gefahr vergessen. Der falsche Imperator – nur einer der Männer war sicher, dass es sich wirklich um Gonozal VII. handelte – schlief, die Rebellen waren in einen ausbruchssicheren Raum eingesperrt. Von außen konnte
niemand eindringen – Schutzschirm und Kampfroboter verhinderten es wirkungsvoll. Auf Anweisung von Tato Guntakal war nochmals Kontakt zum Arkonsystem hergestellt worden, diesmal mit der Hyperfunkstation des Regierungsgebäudes. Mehr als die Bestätigung, dass der Flottenverband in einigen Tontas eintreffen würde, war nicht eingegangen. Die Verzerrung dieser Nachricht sprach dafür, dass zwischen Llaga del Armgh und dem Arkonsystem ein Hypersturm wüten musste, dessen hyperphysikalische Stärke durchaus dem konventionellen Orkan glich, der inzwischen über ganz Ahjod tobte. Bis auf Maruol Chembar dösten oder schliefen die Soldaten, Sunwar eingeschlossen. Der alte Arbtan hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und starrte auf die Tür, hinter der ein Mann lag, von dem er sicher zu wissen glaubte, dass er der Bruder jenes Mannes war, der jetzt das Imperium regierte. Nervös ließ Chembar die Finger knacken. Er wusste, dass er keine Chance hatte, mit dem schlafenden Imperator das Gebäude zu verlassen. Beklommen dachte er an den Augenblick, an dem Gonozal den Truppen Orbanaschols übergeben wurde. Gab es keine Möglichkeit, diesen Ausgang der Ereignisse abzuwenden? Den merkwürdigen Mann sah Chembar erst, als der dicke Fremde unmittelbar vor ihm stand und ihm die Mündung des Kombistrahlers unter die Nase hielt. Er wollte aufspringen, aber der Fremde, dessen Oberkörper von einem unförmigen Blechding umhüllt wurde, hielt ihn zurück. »Kein Wort, mein Sohn, oder ich drücke ab. Wo ist der Imperator?« Chembar deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. »Was wollen Sie hier?« »Ich bin so frei, den wahren Imperator mitzunehmen. Ich habe ihn hier ausgesetzt, und nun hole ich ihn wieder ab.« »Nehmen Sie mich mit?«
Fartuloon war über diese Frage einigermaßen verblüfft. Doch dann nickte er. Vielleicht konnte er den Mann brauchen. Im Übrigen sagte ihm sein Instinkt, dass es der Arbtan ehrlich meinte. »Kommen Sie.« Der Soldat ging voran, bemühte sich, die Tür möglichst leise zu öffnen. Auf dem breiten Bett lag Gonozal VII. schlief tief und fest. Neben dem Bett lag ein gefesselter Mann am Boden. Der Bauchaufschneider trat heran und betrachtete den Gefangenen. Lautes Lachen verbot sich wegen der dösenden oder schlafenden Soldaten, aber ein lautloses Lachen konnte sich Fartuloon nicht verkneifen. »Thaher Gyat«, flüsterte er schließlich mit unterdrücktem Kichern. »Der Held der Stählernen Schwingen von Orxh. Ich komme wohl zum passenden Zeitpunkt, nicht wahr, alter Freund?« Dem Gefangenen quollen fast die Augen aus dem Kopf. Vergeblich ruckte er an den Fesseln, bis sie von Fartuloons Skarg durchtrennt wurden. »Psst!«, machte der Bauchaufschneider, als sich Thaher vom Knebel befreite. »Keinen Laut, Mann! Nebenan liegen die Burschen und schnarchen um die Wette. Dieser da will mir helfen.« »Fartuloon!«, sagte Thaher schließlich so leise, wie es die Umstände erforderten. »Was, bei allen Göttern Arkons, machst du hier? Gehörst du auch schon zum alten Eisen von Xoaixo?« Fartuloon deutete wortlos auf den schlafenden Imperator. »Richtig, du warst ja seinerzeit Leibarzt Seiner Erhabenheit. Hast du ihn…?« Fartuloons Nicken bestätigte Thahers spontane Vermutung, dass er es gewesen war, der den Imperator nach Xoaixo gebracht hatte. Unwillkürlich fragte sich Thaher, ob dieses Zusammentreffen Zufall war. Durchaus möglich, dass
Fartuloon gewusst hatte, dass der alte Freund auf Xoaixo lebte, und ihn ganz in seine Planung einbezogen hatte. »Sollten wir die Kerle draußen nicht paralysieren?« »Besser auf kein Gefecht einlassen; es könnte schiefgehen«, murmelte Fartuloon und weckte den Imperator. Es schmerzte ihn jedes Mal aufs Neue, den alten Freund in dieser hilflosen Lage zu sehen. Gonozal konnte einige einfache Befehle ausführen, zu mehr war der lebende Leichnam nicht mehr fähig. Die Männer führten den Imperator aus den Privaträumen des Gouverneurs und verzichteten darauf, ins Büro des Tato vorzudringen, um den Schutzschirm auszuschalten. Sollten die Männer Sunwars aufwachen, sollten sie nicht beim ersten Blick bemerken, dass etwas nicht stimmte. Für den Rückweg benutzten sie die Antigravschächte; niemand begegnete ihnen. Inzwischen hatte sich auch die Menge zerstreut, kein Arkonide befand sich mehr auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude. »Und nun?«, wollte Thaher wissen. »Hast du einen Plan?« Fartuloon wies auf einen der vor dem Trichter abgestellten Gleiter und sagte: »Wir fliegen zur Küste, dort habe ich meinen YPTAR-Fernaufklärer versteckt. An Bord befinden sich zwei Alte, die inzwischen ihre Paralyse überwunden haben dürften.« »Galacca und Huzur«, murmelte Thaher. »Wir haben sie schon vermisst.«
Es war nicht leicht, den Gleiter über dem aufgepeitschten Meer in Position zu halten. Inzwischen tobte der Orkan mit voller Kraft. Fartuloon ließ das YPTAR-Beiboot aufsteigen, während Thaher den Gleiter so dicht heransteuerte, wie es gefahrlos möglich war. Der Umstieg erwies sich als keine
leichte Aufgabe, dennoch gelang es Fartuloon und Chembar unter Einsatz ihrer Flugaggregate, den Imperator ins Schiff zu verfrachten und anschließend die beiden Alten in den Gleiter zu bringen. Weil für mehr als drei Personen kein Platz war, würden die Alten auf Xoaixo zurückbleiben, wohl wissend, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis hier die Hölle losbrach. Der Knall, den Fartuloons Schiff verursachte, als es beim rasend schnellen Aufstieg die Schallmauer durchbrach, war im Toben des Orkans kaum zu hören. »Viel Glück, alter Freund«, murmelte Thaher, dann steuerte er den Gleiter nach Ahjod zurück. Er war sich bewusst, dass die Zeit der großen Abenteuer für ihn zu Ende war. Er dachte an den toten Freund – vermutlich würde er Zihat bald wieder begegnen, in einem anderen Leben, einer anderen Dimension. Doch dann überlegte er es sich anders.
20. Arkon I, Kristallpalast: »Du spielst falsch, Grothmyn!« Der Versorgungsmeister Seiner millionenäugigen, allessehenden Erhabenheit Orbanaschol III. machte ein verwundertes Gesicht. Natürlich spielte er falsch, schließlich mogelte der Höchstedle ebenfalls fortwährend. Grothmyn hatte einen besonderen Ehrgeiz, nicht zu verlieren. Im Verlauf des letzten Jahres hatte er einige böse Schläge des Schicksals verdauen müssen. Zuerst war seine Organisation auf dem Asteroiden Krassig zerstört worden, dann war der große Ring auf Arkon II ausgehoben worden. Nur der Tatsache, dass die beiden Anführer bei einem Fluchtversuch gestorben waren und daher keine Aussage hatten machen können, verdankte der Versorgungsmeister seine Freiheit und sein Leben. Orbanaschol wäre sicherlich mehr als ungehalten gewesen, hätte er herausgefunden, dass Grothmyn große Mengen an kriegswichtigem Nachschub von eigens dafür angeheuerten Diebesbanden stehlen ließ, um sie anschließend mit horrendem Gewinn an die Flotte zurückzuverkaufen. Wegen dieser Rückschläge war Grothmyns Kasse derzeit ziemlich angeschlagen, und angesichts der Wahnsinnsbeträge, um die Orbanaschol zu spielen pflegte, blieb dem Versorgungsmeister gar nichts anderes übrig, als ebenfalls zu mogeln. Sonst hätte er in kurzer Zeit Bankrott anmelden müssen, und das wiederum hätte zu einer genauen Prüfung seiner Bücher geführt, und das wiederum… Grothmyn wagte nicht, an diese Möglichkeit zu denken. Er leckte sich die Lippen und nahm die Karte zurück, die im Spiel eigentlich nur einmal hätte auftauchen dürfen. Eine hatte Grothmyn eingeschmuggelt – zwei weitere steckten im Ärmel Seiner Erhabenheit. »Ich bitte um Vergebung«, winselte der Versorgungsmeister und spielte eine andere Karte aus. Orbanaschols Hand blieb in der Luft hängen. Grothmyns Karte
gehörte zweifelsfrei zum Spiel, das Gegenstück in Seiner Erhabenheit Hand mit Sicherheit nicht. Der peinlichen Notwendigkeit, entweder die eigene Mogelei einzugestehen oder Grothmyn als Falschspieler einsperren oder hinrichten zu lassen, wurde der Imperator durch das Eintreten eines Kuriers entbunden. Großzügig ging der Höchstedle sogar über die Tatsache hinweg, dass der Kurier in seiner Aufregung in den Gemächern des Imperators eine Waffe trug. Orbanaschol nahm sich allerdings vor, bei nächster Gelegenheit mit dem zuständigen Orbton der Kristallgarde ein sehr ernstes Wort zu reden. »Was gibt es? Warum wird meine Ruhe gestört?« Der Kurier senkte den Blick und berichtete. Seine Erhabenheit wahrte nur mit Mühe die Fassung. Orbanaschol wusste, dass Gonozal VII. tot war, schließlich gehörte er zu den Mördern. Der Mann, der Xoaixo in Aufruhr versetzt hatte, musste demnach eine billige Imitation sein. Dennoch war es beängstigend, welche Wirkung sein Auftreten gehabt hatte. Machte schon ein nachgemachter Gonozal VII. solche Furore, was würde erst geschehen, sollte sich dieser verfluchte Kristallprinz Atlan wieder rühren und es schaffen, eine einflussreiche Position zu erobern? In diesen Augenblicken glaubte Orbanaschol, seine Herrschaft zerbröckeln zu sehen. Der Kurier beendete seinen Bericht, Orbanaschol machte ein betont gleichmütiges Gesicht. »Ich erwarte von der Flotte«, sagte er mit fistelnder Stimme, »dass sie hart und unnachsichtig durchgreift. Die Rädelsführer sind strengstens zu bestrafen, nötigenfalls hinzurichten, sofern es sich nicht gerade um Angehörige besonders berühmter und wichtiger Khasurn handelt.« Orbanaschol musterte nachdenklich den Kurier, der immer noch stocksteif dastand, während Grothmyn geschickt die Kartenkonstellation ein wenig zu seinen Gunsten veränderte. »Dahinter steckt bestimmt wieder dieser Atlan«, murmelte Orbanaschol und entließ den Kurier mit einer gnädigen Handbewegung. »Der Bursche wird langsam zu frech! Ich glaube, ich werde stärkere Mittel gegen ihn anwenden müssen.« Er wandte
sich an Grothmyn. »Ich denke daran, Klinsanthor einzusetzen…« Der Versorgungsmeister wurde so weiß wie das Kissen, auf dem er saß, und stammelte: »Klinsanthor? Den Magnortöter?« Orbanaschol registrierte befriedigt die Reaktion, die seine Worte hervorriefen. Sogar der Kurier war stehen geblieben und wagte zu sagen: »Euer Erhabenheit, ich gebe zu bedenken…« Genau genommen war es ein fast todeswürdiger Frevel, dass der Kurier es wagte, die Entschlüsse des Höchstedlen zu kritisieren. Aber Klinsanthor…? Mit einer Geduld, die ihm selten zu eigen war, hörte sich Orbanaschol die förmliche Beschwörung des Kuriers an. Als dem Mann die Worte ausgingen, fiel Grothmyn ein, der zum ersten Mal heftig zu widersprechen wagte. Und Orbanaschol hörte auch ihn an. Aber je mehr und länger die beiden Männer auf ihn einredeten, desto fester wurde Orbanaschols Entschluss. Für einige Zentitontas ließ er sie noch reden, dann gebot er ihnen zu schweigen. Als Grothmyn in die Augen seines Herrn blickte, fiel ihm das Funkeln auf. Der Versorgungsmeister wusste genau, was dieses Funkeln zu bedeuten hatte, und er hatte Angst davor. Es gab kein Zurück mehr – Orbanaschol würde Klinsanthor rufen…
Xoaixo: 3. Prago des Tedar 10.499 da Ark Nander Guntakal verfolgte den Angriff der Flotteneinheiten auf den Bildschirmen der Geheimstation. Irgendetwas schien aber an Bord der Schiffe falsch verstanden worden zu sein. Offenbar glaubten die Orbtonen, dass der Schutzschirm über dem Regierungsgebäude Widerstand bedeutete – und sie handelten dementsprechend, griffen den Palast an. Der Beschuss hörte erst auf, als der Schutzschirm zusammengebrochen, der Palast eine rauchende Ruine und sämtliche Gebäude rings um den Platz ebenfalls in Schutt und
Asche verwandelt waren. »Wir sollen Ahjod nicht entvölkern, sondern nur züchtigen«, sagte der Flaggschiffskommandeur. »Dennoch wird es das Beste sein, noch einige Warnschüsse abzugeben, um das Volk zu beeindrucken. Zielen Sie auf das nutzlose Sumpfgebiet nördlich der Stadt; wir werden es ein wenig austrocknen…«
An Bord der CRYSALGIRA: 3. Prago des Tedar 10.499 da Ark Der Kugelraumer raste mit höchsten Beschleunigungswerten dahin, während weitere Flotteneinheiten in Wellen rematerialisierten. Fartuloon hatte es gerade noch geschafft – kaum war das YPTAR-Beiboot eingeschleust, sprachen die Strukturtaster mit lautem Knattern und Krachen an. In wenigen Augenblicken würden wir transitieren, unsere Flucht hoffentlich gelingen. Die weiterhin tobenden Strukturerschütterungen würden unseren Sprung tarnen und eine wirkungsvolle Verfolgung unterbinden. Und: Transition… Nach der Rematerialisation dachte ich, die ziehenden Schmerzen im Nacken ignorierend, an die Verwüstungen, die die Flotteneinheiten auf Xoaixo anrichten würden. Hatten wir richtig gehandelt, als wir diese friedliche Welt für unser… Experiment aussuchten? »Die Revolution, die unser Ziel ist, Junge«, sagte Fartuloon bedächtig, »unser berechtigtes Ziel, wie ich hervorheben möchte, wird in jedem Fall Opfer kosten. Arkoniden werden sterben, die mehr als der Fette verdient hätten, glücklich und in Frieden zu leben. Wir haben nicht das Recht, über diese Leben zu bestimmen, aber ich glaube auch nicht, dass wir das Recht haben, Orbanaschol und seine Clique weiterhin gewähren zu lassen. Denn auch dann werden ungezählte
Unschuldige ihr Leben verlieren. Und du darfst nicht vergessen, Sohn, dass unser Versuch gezeigt hat, dass wir nun im Kampf gegen den Tyrannen eine recht wirkungsvolle Waffe haben.« Ich wusste, dass er letztlich Recht hatte, aber es blieb ein verdammt schaler Geschmack. Als die kleine Jacht im Standarduniversum materialisierte, atmete Thaher Gyat erleichtert auf – die Flucht war im letzten Augenblick mit Nander Guntakals kurzerhand gestohlener Privatjacht gelungen. Er wandte sich an die anderen und sagte lächelnd: »Wir haben es geschafft. Jetzt haben wir genügend Ruhe, um einen neuen Kurs zu berechnen und zu programmieren. Ich habe da auch schon ein Ziel für uns…« »Doch nicht etwa…?« Huzur Mistis schüttelte sich. »Doch – die Stählernen Schwingen von Orxh!«, ergänzte Thaher mit leuchtenden Augen. »… was immer das auch sein mag«, murmelte der fahnenflüchtige Arbtan. »Es hört sich gar nicht gut an.« ENDE
Nachwort Im Rahmen der insgesamt 850 Romane umfassenden ATLANHeftserie erschienen zwischen 1973 und 1977 unter dem Titel ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon zunächst im vierwöchentlichen (Bände 88 bis 126), dann im zwei wöchentlichen Wechsel mit den Abenteuern Im Auftrag der Menschheit (Bände 128 bis 176), danach im normalen wöchentlichen Rhythmus (Bände 177 bis 299) insgesamt 160 Romane, die nun in bearbeiteter Form als »Blaubücher« veröffentlicht werden. In Band 33 flossen, ungeachtet der notwendigen und möglichst sanften Eingriffe, Korrekturen, Kürzungen, Umstellungen und Ergänzungen, um aus fünf Einzelheften einen geschlossenen Roman zu machen, der dennoch dem ursprünglichen Flair möglichst nahe kommen soll, folgende Hefte ein: Band 204 Der Verräter von Protem, Band 211 Kodezeichen Zukunftsgeister und Band 220 Der Kreis der Zeit von H.G. Francis sowie Band 221 Duell auf der Totenwelt von Dirk Hess und Band 222 Die Stählernen Schwingen von Orxh von Peter Terrid. Die in Kapitel 14 verwendete Rekonstruktion von Gonozals VII. Tod auf der Jagdwelt Erskomier basiert auf Band 179 Die Verschwörer von Arkon von Harvey Patton – veröffentlicht in Blauband 17 –, und im Interludium findet sich eine Passage aus Blauband 14, Imperator von Arkon. Atlan war nach seinen Abenteuern unter den Barbaren von Larsaf III und dem Zwischenspiel als Imperator von Arkon inzwischen Lordadmiral der USO, als er 2843/2844 nach Christus seinem und Ischtars Sohn Chapat unter dramatischen Umständen wieder begegnete. Chapats Auftauchen, das Traummaschinen-Abenteuer im Arkonsystem sowie Chapats Verschwinden im Anschluss bildeten den in Buch 32
geschilderten Rahmen für die Verwicklung des USOSpezialisten Sinclair Marout Kennon, dem fortan eine besondere Rolle zugedacht sein sollte: Durch den Einfluss der Traummaschine in Atlans Jugendzeit materialisiert, lebte er fortan als Lebo Axton im Arkonsystem und dem Großen Imperium der Arkoniden. Wie in Buch 32 finden sich auch im vorliegenden Band drei der seinerzeit von H.G. Francis geschriebenen Abenteuer des Kosmokriminalisten, die damals derart guten Anklang fanden, dass Kennon auf vielfachen Leserwunsch sogar in dem ab Band 300 der ATLAN-Heftserie erschienenen Zyklus König von Atlantis – inzwischen als EBook vorliegend – übernommen wurde. Für den jungen Kristallprinzen wiederum, nach den Abenteuern im Mikrokosmos und mit den Varganen nach Kraumon zurückgekehrt, begann damals mit Heft 221 der ATLAN-Serie ein neuer Abschnitt. Ischtar und Chapat hatten ihn verlassen und waren mit unbekanntem Ziel verschwunden, geblieben war ihm nur das letzte Lebenskügelchen. Genau auf diesem basierte dann Fartuloons Plan, dessen Umsetzung im vorliegenden Buch zu lesen ist. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang sein, einmal etwas aus dem berüchtigten Nähkästchen zu plaudern und einen kleinen Blick hinter die Kulissen zu gestatten. Datierend vom 8.4.1975, gab es nämlich von Dirk Hess erstellte Vorschläge zur ATLAN-Serie, aus denen ich nachfolgend einige Auszüge zitiere: »Verschiedene Ideen, die ich in der letzten Zeit notiert habe, füge ich in diesem Handlungsabriß zu einer Gesamtkonzeption zusammen. Ich hoffe, dass sich aus dem einen oder anderen Handlungsstrang ein Zyklus aufbauen lässt. Atlan besitzt noch ein Lebenskügelchen. Ein geheimnisvolles Samenkorn, mit dem man organisch tote Materie wieder
beleben kann. Atlan ist wieder in das Große Imperium der Arkoniden zurückgekehrt. (…) Auf dem Planeten Hocatarr gibt es zahlreiche Kultstätten aus der Frühzeit des Arkonidischen Imperiums. Querverbindungen zu Lemuria sind nicht zu übersehen, bleiben aber im Dunkeln. Im Tempel der Raumfahrer gibt es zahlreiche Videokassetten, auf denen Bild und Testament unzähliger arkonidischer Raumfahrer magnetisiert wurden. Ein Knopfdruck genügt, und man sieht und hört einen längst Gestorbenen. Atlan ›begegnet‹ auf diese Weise einem Freund aus seiner Kindheit. Hier tritt ihm aber auch die Priesterin Arkanta gegenüber. Der Leser erfährt, dass die Arkoniden eine matriarchalische Vergangenheit haben. Auch jetzt noch hat die Mutter eines Sohnes großen Einfluss in der arkonidischen Gesellschaft. Das gilt in verstärktem Maß für die Mutter Atlans. Die Priesterin will den Kristallprinzen von Hocatarr vertreiben. Sie weiß, wen sie vor sich hat. Alle Priesterinnen auf Hocatarr sind Halbmutanten. Atlan darf das Grab seines Vaters erst dann aufsuchen, wenn er den Heiligen Kampf bestanden hat. Dieser Kampf findet zu Ehren der Hohepriesterin Organa Metella statt. Die Frau erscheint vermummt. Keiner darf ihr Antlitz jemals sehen. Atlan soll gegen Fartuloon kämpfen. Weigert er sich, darf er Hocatarr nie wieder verlassen. Eine dramatische Lage spielt sich in der Tempelarena ab: Atlan und Fartuloon kämpfen miteinander. Zuerst spielen sie nur mit den Schwertern, dann werden beide plötzlich von Haßimpulsen gepeinigt. Die Priesterin will sie zum tödlichen Duell zwingen. Fartuloon gerät völlig in den Bann der Priesterin. Atlan kann den Überblick nur mithilfe seines Extrasinns bewahren. Plötzlich wird Atlan auf die Steinfiguren am Rand der Arena aufmerksam. Sie stellen Arkoniden in einem
unglaublich verblüffenden Realismus dar. Alle Figuren machen entsetzte Gesichter. In einer Kampfpause erfährt Atlan von einer jungen Priesterin, dass Organa Metella sie töten will. Die Hohepriesterin will unbedingt eine Entscheidung des Kampfes herbeiführen. Atlan hat einen bestimmten Verdacht. Er ahnt, dass die Priesterin zu den schrecklichen Gorgo-Mutanten gehört. Das sind Wesen, die von Fremden aus einer anderen – höchstwahrscheinlich der Druuf-Ebene – Raum-ZeitDimension gezeugt wurden. Sie können durch ihre PsiImpulse und ihren schrecklichen Anblick jeden Arkoniden zu Stein verwandeln. Also eine Anlehnung an den MedusaMythos der terranischen Mythologie. Atlan lässt sich einen neuen Schutzschild geben. Er poliert die Oberfläche spiegelblank. Der Kampf geht weiter. Als die Hohepriesterin die Kutte vom Körper reißt, schmettert Atlan seinen ›Gegner‹ Fartuloon zu Boden. Er wirft sich über ihn und bedeckt sein Gesicht. Atlan selbst reckt der Gorgo-Meduse den blitzenden Schild entgegen. Das Ungeheuer erstarrt zu Stein. Es konnte seinen eigenen Anblick nicht ertragen. Jetzt kann Atlan das Grab seines Vaters aufsuchen. Die Wiedererweckung gelingt. Aber Gonozal VII. ist nichts weiter als ein regenerierter Zombie. Er besitzt keine Erinnerung mehr. Atlan nimmt den stummen, aber lebendigen Vater mit sich. Atlan hat ein Experiment vor. Er will Orbanaschol mit dem ermordeten Vater konfrontieren. Eine Hypnoschulung stattet Gonozal VII. mit den nötigen Kenntnissen aus. Dennoch lässt der Wiedererweckte eins vermissen: eigene Aktivität! Gonozal tut nur das, was ihm Atlan aufträgt. Dennoch besitzt der Körper eine Art von Resterinnerung. Das soll für Atlan später wichtig werden. Auf Arkon bricht fast ein Chaos aus, als Gonozal VII. wieder in Erscheinung tritt. Über Fernsehen gibt
der ehemalige Imperator eine Erklärung ab. Während in der Öffentlichkeit Verwirrung herrscht, ergreift Orbanaschol die ersten Gegenmaßnahmen. Orbanaschol vermutet nämlich, dass Atlan hinter der ganzen Aktion steht. Die Geheimwaffe des Orbanaschol heißt KLINSAN ORKNEFF und ist ein Killermutant. Nur einflussreiche Persönlichkeiten haben sich bisher dieses außergewöhnlichen Mannes bedient, um andere Personen auszuschalten. Niemand – auch Orbanaschol nicht – kennt den Killer von Angesicht. Durch ein Kodewort ist der Geheimnisvolle erreichbar. Über eine Hyperfunkleitung nimmt der Mutant die Aufträge entgegen. Orbanaschols Auftrag lautet: TÖTE ATLAN! (…)« So weit das Zitat. Wie in Heft 221 und auch hier im Buch nachzulesen ist, wurde nicht der komplette Vorschlag umgesetzt beziehungsweise es gab einige Änderungen in der endgültigen Expose- und dann auch der Romanfassung. Auf die Hintergründe der Priesterinnen von Hocatarr wurde beispielsweise nicht näher eingegangen – sie klingen bestenfalls zwischen den Zeilen durch –, und aus Klinsan Orkneff machte Willi Voltz dann den Magnortöter Klinsanthor, der hier erstmals erwähnt wird und in den kommenden Bänden noch eine wichtige Rolle spielen soll. Bemerkenswert finde ich allerdings, wie sehr das in Band 221 Mitschwingende zur Inspiration Anlass gab: Als ich an die Konzeption und Ausarbeitung der Arkon-Trilogie der Blaubände 14 bis 16 ging, kannte ich Dirks seinerzeitige Vorschläge noch gar nicht, dennoch setzte das von mir entworfene Konzept der »Großen Feuermutter« – Tai Zhy Fam – genau dort an und führte es – wie ich hoffe, durchaus in Dirks Sinn – entsprechend weiter. Bei der jetzigen Bearbeitung habe ich diese Ergänzungen berücksichtigt – unter anderem im Interludium –, und auch den nur im Vorschlag erscheinenden Namen der Arkanta, Organa Metella, habe ich
eingebaut, wie stets verbunden mit der Hoffnung, dass die Bearbeitung insgesamt Anklang findet und allen Leserinnen und Lesern ebenso viel Spaß bereitet wie mir. Wie stets gilt der Dank allen Helfern im Hintergrund – sowie Sabine Kropp und Klaus N. Frick. Rainer Castor