E. Biesinger H. Iro (Hrsg.) HNO Praxis heute 26
E. Biesinger H. Iro (Hrsg.)
HNO Praxis heute Begründet von H. Ganz B...
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E. Biesinger H. Iro (Hrsg.) HNO Praxis heute 26
E. Biesinger H. Iro (Hrsg.)
HNO Praxis heute Begründet von H. Ganz Band 26 Der Fokus im HNO-Bereich: Fakt oder Fiktion? Unter Mitarbeit von C. Dechant, M. Gramatzki, J. P. Guggenbichler, M. Hertl, P. Keßler, B. Manger, G. Reiß, M. Reiß, B. Schick, F. Waldfahrer
123
Dr. med. Eberhard Biesinger Maxplatz 5 83278 Traunstein
Prof. Dr. med. Heinrich Iro Universitäts-HNO-Klinik Waldstraße 1 91054 Erlangen
ISSN 0173-9859 ISBN-10 3-540-30680-3 ISBN-13 978-3-540-30680-1 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeit ungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. springer.com © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literarturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Lars Rüttinger, Heidelberg Projektbetreuung: Ina Conrad , Dr. Lars Rüttinger, Heidelberg Lektorat: Frauke Bahle, Karlsruhe Design: deblik Berlin Titelbild: deblik Berlin SPIN: 11533788 Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier
2111 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Eine häufige konsiliarische Fragestellung an den HNO-Arzt lautet sinngemäß: »Fokus im HNO-Bereich?« Auch der Zahnarzt bzw. Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg wird regelmäßig mit dieser Fragestellung konfrontiert. Auftraggeber dieser Konsile sind zumeist Dermatologen, Augenärzte, Hämatoonkologen, Rheumatologen, Nephrologen und Transplantationsmediziner. Dieser Konsilauftrag führt nicht selten beim beauftragten Konsiliar zu Ratlosigkeit und in der Konsequenz zu einer wenig konkreten Aussage. Dies ist durchaus verständlich, da es wenige aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Frage gibt, inwieweit lokale »Entzündungsherde« im HNO-Bereich zu Fernwirkungen an Haut, Herz, Gelenken, Niere usw. führen können. Während bei einigen wenigen Erkrankungen klare Erkenntnisse vorliegen, bleiben bei den meisten Fragestellungen viele Fragen offen. Teilweise haben noch historische Ansichten überlebt, die einer Prüfung unter gegenwärtigem Kenntnisstand nicht Stand halten. Die Herdtheorien (»Fokaltoxikosen«) wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert und erreichten ihren wissenschaftlichen Zenit in den Jahren 1950 bis 1970. Dieser Zeitraum war gekennzeichnet durch einen erheblichen Zuwachs des Wissens im immunologischen-infektiologischen Bereich. Aus heutiger Sicht mögen die damaligen Erkenntnisse überholt sein. Bevor man die damaligen Publikationen belächelt, möge man sich bewusst werden, dass auch heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die Pathogenese vieler Autoimmunerkrankungen nur teilweise verstanden ist und viele Fragen offen bleiben, obwohl viele neue Erkenntnisse gewonnen und viele Einzelfakten zusammengefasst werden konnten. Ungeachtet der unbestrittenen Zunahme der Erkenntnisse verbleibt die Frage, welche diagnostischen Maßnahmen aufgrund der Fragestellung »Fokus« zu veranlassen sind und welche therapeutischen Konsequenzen zu ziehen sind. Eine konkrete Frage wäre beispielsweise, ob eine Indikation besteht, eine klinisch asymptomatische Siebbeinverschattung bei einem Patienten vor geplanter Nieren-, Herz- oder Knochenmarktransplantation chirurgisch zu sanieren. Da derartige Fragen auch heute noch den klinischen Alltag bestimmen, war es angebracht, die Fokusproblematik sowohl aus der Sicht der Auftraggeber als auch der Konsilarii aus heutiger Sicht zu beleuchten. Die Autoren, die auch anlässlich einer Fortbildungsveranstaltung über diese Thematik vorgetragen haben, waren aufgefordert, eine aktuelle Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erstellen. Im ersten Teil dieses Buches erwartet Sie eine organbezogene Darstellung der Fokustheorie. Die Fokustheorie wird hinsichtlich Tonsillen, Nasennebenhöhlen und Zähne beleuchtet. Anschließend wird den Auftraggebern der Fokussuche Raum eingeräumt. Sowohl die Hämatoonkologen, die Rheumatologen als auch die Dermatologen haben Gelegenheit, ihre Sichtweise der Fokustheorie darzustellen. Der pädiatrische Beitrag vereint hingegen beide Betrachtungsweisen miteinander und widmet sich vornehmlich dem Kind mit rezidivierenden Infekten.
VI
Vorwort
Dieser Band aus der Reihe »HNO Praxis heute« soll den aktuellen Stand zur Fokustheorie zusammenfassen, zumal seit Mitte des 20. Jahrhunderts hierzu keine substanziellen Beiträge auf der Basis der aktuellen pathophysiologischen Erkenntnisse mehr veröffentlicht wurden. Die Beiträge wurden dazu erstellt, dem praktisch-klinisch tätigen HNO-Arzt Entscheidungshilfen bei der Beurteilung von Fokus-Fragestellungen zu geben. Die Herausgeber hoffen, dass der vorliegende Band diese Anforderungen erfüllt. Traunstein/Erlangen im Januar 2006 Dr. med. Eberhard Biesinger Prof. Dr. med. Heinrich Iro Dr. med. Frank Waldfahrer
VII
Inhaltsverzeichnis 1
Einführung und Übersicht . . . . . . .
1
3
Frank Waldfahrer 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
2
Definition des Fokusbegriffs . . . . . Historische Entwicklung des Fokusbegriffs . . . . . . . . . . . . Potenzielle Herde bzw. Foci im KopfHals-Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . Potenzielle Herderkrankungen . . . Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bernhard Schick . .
2
. .
2
. . . .
. . . .
4 5 6 6
Die Tonsille als Fokus . . . . . . . . . . .
9
Michael Reiß, Gilfe Reiß 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2
Die Nasennebenhöhlen als Fokus . 25
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tonsille und Fokus – Literaturübersicht Anatomie und Histologie . . . . . . . . . Funktion der Tonsille – Physiologie . . . Mechanismus der Fokusbildung . . . . . Häufigkeitsangaben zum Fokusgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krankheitsbilder des tonsillogenen Fokusgeschehen . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik des tonsillogenen Fokusgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie des Fokus . . . . . . . . . . . . . Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung zum Fokusgeschehen und zur Fokussanierung . . . . . . . . . . Erhebung zur aktuellen Fokusverteilung bzw. Indikation zur Tonsillektomie . . . Schlussfolgerungen und Diskussion . Diskussion der eigenen Ergebnisse . . . Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 10 10 11 12
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11
4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinugener Fokus: Grundgedanken . . . Sinugener Fokus und Röntgenübersichtsaufnahmen . . . . . . . . . . . Sinugener Fokus und Sepsis . . . . . . . Sinugener Fokus und Immunsuppression Sinugener Fokus und Beatmung . . . . Sinugener Fokus und Transplantation . Sinugener Fokus und Dermatologie . Sinugener Fokus und Herzchirurgie . Sinugener Fokus und Ophthalmologie Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 27 29 30 33 34 36 40 41 41 42 43
Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Peter Keßler
13 14 16 17 18 18 18 20 21 21 21 22
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 4.4.1
Definition und Einleitung . . . . . . . . Die Herdtheorien . . . . . . . . . . . . . Bakterielle Theorie . . . . . . . . . . . . Toxintheorie . . . . . . . . . . . . . . . . Allergietheorie . . . . . . . . . . . . . . . Theorie der Giftherde . . . . . . . . . . Bildung von C-reaktivem Protein . . . Störfeldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . Folgeerkrankungen . . . . . . . . . . . . Zerebrale Entzündungen . . . . . . . . Erkrankungen des kardiovaskulären Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauterkrankungen . . . . . . . . . . . . Infektion künstlicher Gelenkendoprothesen . . . . . . . . . . . . . . Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich . . . . . . Pulpentoter Zahn . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
49 50 50 50 50 51 51 51 53 53
. .
53 54
.
54
. .
55 56
VIII
Inhaltsverzeichnis
4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Parodontitis marginalis profunda . . . Intraorale Eingriffe . . . . . . . . . . . . Verlagerte/retinierte Zähne . . . . . . . Fremdkörper . . . . . . . . . . . . . . . . Fokussuche . . . . . . . . . . . . . . . . . Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Diagnostik . . . . . . . . . . . Röntgendiagnostik . . . . . . . . . . . . Alternativmedizinische Diagnoseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen und Therapie . . . . . . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . Schema zur Herddiagnostik . . . . . . Wertung erhobener Befunde im Hinblick auf eine mögliche Herdwirkung Herdsanierung . . . . . . . . . . . . . . . Antibiotikaprophylaxe . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5
5
. . . . . . . .
57 57 57 59 59 59 60 61
. . . .
61 62 62 63
. . .
63 63 64 64
Der Fokus aus rheumatologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
6
Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht . . . . . 85 Martin Gramatzki Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
94
Der Fokus aus dermatologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Michael Hertl
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
8
Einleitung . . . . . . . . Psoriasis vulgaris . . . Atopisches Ekzem (atopische Dermatitis) Chronische Urtikaria . Zusammenfassung . . Literatur . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 96
. . . .
97 98 99 99
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Der Fokus in der Pädiatrie . . . . . . . 101 Josef Peter Guggenbichler
Claudia Dechant, Bernhard Manger 5.1 5.2 5.3
5.4
5.5
5.6
5.7
Historische Aspekte der klassischen Fokustheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine mögliche Fokustheorie aus heutiger rheumatologischer Sicht . . . Mögliche pathogenetische Mechanismen einer Infektion bei der Ausbildung einer rheumatologischen Erkrankung am Beispiel Arthritis . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Erreger-Wirt-Interaktion in der Pathogenese rheumatologischer Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert eines fokalen infektiösen Geschehens im Kopf-Hals-Bereich bezüglich Ätiologie und Pathogenese entzündlich rheumatologischer Krankheitsbilder . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt bzw. Zahnarzt und Rheumatologen bei der »Fokussuche« . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.1 8.1.1 70 71
8.2 8.3 8.4
73 8.4.1 75
8.4.2 8.4.3 8.4.4
78 8.4.5 80 82 83
8.4.6 8.4.7
Einleitung und Definition . . . . . . . . . 102 Was entspricht nicht der Begriffsbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Fallbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Systemische Wirkung proinflammatorischer Zytokine . . . . . . . . . . . . . . 103 Ursachen rezidivierender und chronisch schwelender Infektionen und die Rolle der Abwehrmechanismen des Körpers 106 Störungen der spezifischen körpereigenen Abwehr . . . . . . . . . . . . . . . 106 Störungen der unspezifischen körpereigenen Abwehr . . . . . . . . . . . . . . . 106 Vermehrte Adhärenz bakterieller Mikroorganismen an Schleimhäuten . . 106 Verminderung der angeborenen Immunität (Mucosaimmunität) . . . . . 107 Experimentelle und klinische Untersuchung der Rolle der Mucosaimmunität bei rezidivierenden Infekten . . . . . . . 108 Körpereigene stabile Flora . . . . . . . . 109 Inadäquate Ersttherapie . . . . . . . . . . 110
IX Inhaltsverzeichnis
8.5 8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.7
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . Therapie und Prävention . . . . . . Optimierung der antimikrobiellen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . Behandlungsdauer . . . . . . . . . . Unterstützende Therapie . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 111 . . . 111 . . . . .
. . . . .
. . . . .
111 112 112 114 115
Farbteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
XI
Autorenverzeichnis Dr. med. Claudia Dechant
Prof. Dr. med. Bernhard Manger
Medizinische Klinik III Universitätsklinikum Erlangen Krankenhausstr. 12 91054 Erlangen
Medizinische Klinik III Universitätsklinikum Erlangen Krankenhausstr. 12 91054 Erlangen
Prof. Dr. med. Martin Gramatzki
Dr. med. Gilfe Reiß
2. Medizinische Klinik Sektion für Stammzell- und Immuntherapie Campus Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Schittenhelmstr. 12 24105 Kiel
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden Fetscherstr. 74 01307 Dresden
Prof. Dr. med. Josef Peter Guggenbichler
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Reiß
Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche Universitätsklinikum Erlangen Loschgestr. 15 91054 Erlangen
Hals-Nasen-Ohrenklinik Elblandkliniken Meißen-Radebeul GmbH & Co. KG Standort Radebeul Heinrich-Zille-Str. 13 01445 Radebeul
Prof. Dr. med. Michael Hertl Zentrum für Hautkrankheiten Universitätsklinikum Gießen und Marburg Standort Marburg Deutschhausstr. 9 35037 Marburg
Priv.-Doz. Dr. med. Bernhard Schick
Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Peter Keßler
Dr. med. Frank Waldfahrer
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Erlangen Glückstr. 11 91054 Erlangen
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenkranke Universitätsklinikum Erlangen Waldstr. 1 91054 Erlangen
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenkranke Universitätsklinikum Erlangen Waldstr. 1 91054 Erlangen
XIII
Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände Audiologie und Pädaudiologie Ambulante Rehabilitation (Seidler) Audiometrie, topodiagnostische (Fleischer/Kießling) Auditive Wahrnehmung, Diagnostik (Berger) Auditive Perzeption, therapeutische Ansätze (Hesse) Der Schweregrad des Tinnitus (Goebel/Biesinger/Hiller/Greimel) Die Deutsche Tinnitus-Liga e.V. (Knör) Die Tinnitusambulanz an der HNO-Klinik (D‹Amelio et al.) Die Tinnitussprechstunde in der Praxis, integrierte Versorgung (Biesinger/Kypke) Frühförderung, hörgestörter Kinder (Kruse) Grenzen der ambulanten Tinnitustherapie und Einweisungsprozeduren (Hesse/Schaaf ) Hörgeräte (Niemeyer) Hörgeräte-Versorgung (Plath) Hörgeräte, knochenverankerte (Niehaus) Hörgeräteversorgung, aktuelle (von Wedel/Meister) Hörprüfung, im ersten Lebensjahr (Plath) Impedanzaudiometrie (Kießling) Lärmschwerhörigkeit, Begutachtung (Niemeyer) Medikamente für die Tinnitustherapie (Mazurek/Haupt/Gross) Moderne instrumentelle, akustische Therapie des Tinnitus (Wesendahl/ Borowsky/Winter) Ohrpassstück (Pawlata/Kubicke) Psychiatrische Komorbidität bei Tinnitus (Goebel/Fichter) Psychologisch fundierte Interventionen bei chronischem Tinnitus (Kröner-Herweg) Schwerhörigkeit durch Lärm (Niemeyer) Simulationsprüfung/objektive Audiometrie (Niemeyer) Stationäre Behandlung von Patienten mit dekompensiertem Tinnitus in einer »Tinnitusklinik« (Goebel) Strukturierte Tinnitusgruppentherapie beim chronisch-komplexem Tinnitus im Rahmen des Tinnitus-Care-Programms (Zenner/Zalaman) Tinnitus heute: ein Wahrnehmungsproblem? (Brehmer) Tinnitussensitivierung (-sensibilisierung) als neurophysiologisches Modell des sekundär zentralisierten Tinnitus (Zenner/Zalaman/Birbaumer) Zentrale Prozesse bei Tinnitus und ihre Bildgebung (Greimel/Biesinger)
Band 21 Band 1 Band 20 Band 21 Band 25 Band 25 Band 25 Band 25 Band 4 Band 25 Band 1 Band 16 Band 15 Band 21 Band 4 Band 2 Band 20 Band 25 Band 25 Band 22 Band 25 Band 25 Band 18 Band 4 Band 25 Band 25 Band 25 Band 25 Band 25
XIV
Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände
Otologie Abstehende Ohren (Koch) Akustikusneurinom (Haid) Antibiotika, ototoxische (Federspil) Cochlea-Implantate (Burian) Cochlea-Implantate, Neues (Laszig/Marangos) Emissionen, otoakustische (Koch) Funktionsweise des Innenohres (Ruppersberg) Hereditäre Hörstörungen, Otosklerose (Keßler) Hirnabszess, otorhinogener (Pellant et al.) Hörgeräte, Implantation (Weber) Hörsturz (Wilhelm) Innenohrschwerhörigkeit, Pathophysiologie (Zenner) Innenohrschwerhörigkeit, Pharmakologie (Zenner) Kinetosen (Delb) Labyrinthäre Gleichgewichtsstörungen (Morgenstern) Menière, Diagnostik (Delb) Mikrochirurgie des Ohres in der Praxis (Ganz) Mittelohrcholesteatom (Steinbach) Ohrerkrankungen, bei LKG-Spalten (Steinhart) Ohrmuscheltrauma (Weerda) Ohroperationen, Nachbehandlung (Ganz) Ohrtrompete, Erkrankungen (Tiedemann) Ohrtrompete, offene (Münker) Otitis externa (Ganz) Otitis media, kindliche, Therapie (Federspil) Otitiskomplikationen, heute (Fleischer) Otosklerose, Chirurgie (Schrader/Jahnke) RetroX (Wesendahl) Schwerhörigkeit im Alter (Brusis) Seromukotympanon (Tolsdorff ) Symphonix Soundbridge System (Lenarz) TICA-Hörsystem, Vollimplantation (Zenner) Tinnitus (Lenarz) Trauma, und Hörstörungen (Kellerhals) Tumoren des äußeren Ohres (Koch/Kiefer) Tympanoplastik, Fortschritte (Helms) Tympanosklerose (Steinbach) Vestibularisdiagnostik (Haid) Vertebragener Schwindel (Hülse) Zervikaler Schwindel (Mayer)
Band 12 Band 5 Band 2 Band 3 Band 18 Band 11 Band 16 Band 8 Band 19 Band 21 Band 7 Band 21 Band 21 Band 15 Band 8 Band 14 Band 1 Band 5 Band 17 Band 11 Band 14 Band 4 Band 12 Band 11 Band 4 Band 9 Band 14 Band 21 Band 7 Band 13 Band 21 Band 21 Band 10 Band 2 Band 16 Band 12 Band 7 Band 6 Band 24 Band 6
XV Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände
Rhinologie Aerodynamik der Nase (Mlynski) Allergie und Nase (Albegger) Entzündliche Erkrankungen der Nebenhöhlen, Komplikationen (Zenk/Constantinidis/Bozzato/Iro) Funktionsdiagnostik (Maranta/Gammert) Keilbeinhöhle, Erkrankungen (Knöbber) Nasenbluten (Koch/Bärmann) Die Nasennebenhöhlen als Fokus (Schick) Nasenpolypen (Ganz) Nasentropfen, Entwöhnung (Ganz) Nebenhöhlenchirurgie heute Teil I: Stirnhöhlenchirurgie (Federspil) Nebenhöhlenchirurgie, endonasale (Draf/Weber) Nebenhöhlenchirurgie, Komplikationen (Ganz) Papilloma inversum (Schuss) Riechstörungen -- Ursachen, Diagnostik und Therapie (Hummel et al.) Rhinopathie, vasomotorische (Paulsen) Rhinopathie, vasomotorische -- Aktueller Stand der Therapie (Winter) Rhinoplastik, korrektive (Krisch) Septumoperationen (Ganz) Sinusitis beim Kinde (Knöbber) Sinusitistherapie in der Praxis (Messerklinger) Sinusitistherapie heute (Ganz) Tumoren und tumorähnliche Läsionen der Nase und Nasennebenhöhlen (Berghaus/Bloching) Ultraschalldiagnostik, der Nebenhöhlen (Mann) Verletzungen, seitliches Mittelgesicht (Ganz) Verletzungen, zentrales Mittelgesicht (Ganz) Zysten und Zelen der Nebenhöhlen (Ganz)
Band 20 Band 1 Band 22 Band 15 Band 17 Band 14 Band 26 Band 5 Band 2 Band 8 Band 12 Band 3 Band 19 Band 24 Band 11 Band 24 Band 10 Band 2 Band 12 Band 1 Band 19 Band 16 Band 5 Band 9 Band 4 Band 8
Mundhöhle/Rachen Burning-mouth-Syndrom (Reiß/Reiß) Mundschleimhaut- und Zungenbrennen, Burning-mouth-Syndrom (Waldfahrer) Dysphagie, Diagnostik (Walther) Globusgefühl (V. Jahnke) Pharyngitis, chronische (Ganz) Präkanzerosen Mundhöhle/Lippen (Rupec) Schleimhauterkrankungen Mundhöhle (V. Jahnke) Schluckauf (Federspil/Zenk/Iro) Schnarchen, Schlafapnoe-Syndrom (Schäfer/Pirsig) Schwellungen im Parotisbereich (Schätzle) Sialorrhoe und Xerostomie (Zenk et al.) Sonographie Schilddrüse (Becker) Speicheldrüsentumoren (Haubrich)
Band 22 Band 24 Band 14 Band 6 Band 9 Band 8 Band 3 Band 17 Band 10 Band 2 Band 24 Band 20 Band 4
XVI
Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände
Speichelsteinkrankheit (Knöbber) Speichelsteine, Therapie (Zenk/Iro) Die Tonsille als Fokus (Reiß/Reiß) Tonsillektomie heute (Deitmer) Tonsillektomie und Immunologie (Haubrich/Botzenhardt) Tonsillitis (Wilhelm/Schätzle) Tumoren Mundhöhle und Mundrachen (Schedler/Schätzle) Verletzungen, Mundhöhle und Mundrachen (Ganz) Zysten und Fisteln des Halses (Chilla)
Band 8 Band 17 Band 26 Band 20 Band 6 Band 9 Band 10 Band 5 Band 14
Laryngologie/Phoniatrie Akute Luftnot -- was tun? (Knöbber) Aphasien (Rosanowski/Eysholdt) Dysphonie -- die subjektive Seite der (Rosanowski/Hoppe) Elektromyographie (Šram) Halsweichteilschwellungen (Knöbber) Kehlkopf und Trachea, Verletzungen (Ganz) Kehlkopf und untere Luftwege, Endoskopie (Roessler/Grossenbacher) Kehlkopfkarzinom (Steinhart) Kontaktgranulom (Barth) Laryngitis, chronische (Oeken/Behrendt/Görisch) Laryngotrachealstenosen (Gammert) Luft- und Speisewegsfremdkörper (Skerik) Lähmungen, Kehlkopf- (Barth) Musculus cricothyreoideus, Pathologie (Kruse) Phonochirurgie (Eysholdt) Recurrensparese, beidseitige (Iro) Rehabilitation von Kehlkopflosen (Plath) Schilddrüse und HNO-Arzt (Chilla) Singstimme, Erkrankungen (Barth) Sprachentwicklung, Störungen (Barth) Sprachentwicklung und ihre Störungen (Berger) Stimmlippenknötchen (Martin) Stimmstörungen, funktionell-psychogene (Brodnitz) Stimmstörungen, hyper- und hypofunktionelle (Kruse) Stottern und Poltern (Johannsen/Schulze) Tumoren, gutartige, des Kehlkopfes (Knecht/Meyer-Breiting)
Band 7 Band 15 Band 24 Band 15 Band 11 Band 11 Band 11 Band 19 Band 5 Band 9 Band 4 Band 7 Band 7 Band 5 Band 18 Band 19 Band 8 Band 10 Band 14 Band 12 Band 16 Band 6 Band 5 Band 2 Band 13 Band 17
Regionale plastische Chirurgie Regionale Lappenplastiken (Staindl) Wundheilung, Narbenbildung, Narbenkorrektur (Staindl)
Band 13 Band 9
XVII Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände
Spezielle Tumorkapitel Adenoid-zystisches Karzinom (Wilke) Basaliome (Gammert) Diagnose kein Tumor (Ganz) Lippentumoren, maligne (Schedler/Federspil) Lymphome, maligne (Chilla) Melanom, malignes (Rosemann) Nasenrachentumoren, maligne (Schedler/Schätzle) Tumorschmerzen (Knöbber)
Band 6 Band 5 Band 6 Band 8 Band 15 Band 3 Band 13 Band 15
Allgemeine Themen/Randgebiete Aids-Manifestationen (Weidauer) Akupunktur im HNO-Gebiet (Ganz/Gleditsch/Majer/Pildner) Alles nur Einbildung? Über die Wirkung von »Placebos« (Greimel) Alternative Medizin (Friese) Antibiotikatherapie (Limbert/Klesel) Antibiotikatherapie, lokale (Ganz) Atopisches Kind (Fölster-Holst/Christophers) Autoimmunerkrankungen (Starek/Bystron) B-Bild-Sonographie (Ganz) Botulinumtoxin in der HNO-Heilkunde (Rohrbach/Laskawi) Computerassistierte Chirurgie (Plinkert/Federspil) Computergestützte Navigation (Heermann/Majdani/Lenarz) CT, Leistungsfähigkeit im HNO-Bereich (Elies) Dopplersonographie (Zenk/Iro) Duraläsionen (Oberascher) Endoskopie, an Ohr, Nase und Nebenhöhlen (Hörmann) Epithesen und Hörgeräte, knochenverankerte (Kurt/Federspil) Fibrinkleber im HNO-Bereich (Moritsch) Der Fokus aus dermatologischer Sicht (Hertl) Der Fokus aus rheumatologischer Sicht (Dechant/Manger) Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht (Gramatzki) Der Fokus in der Pädiatrie (Guggenbichler) Fokusproblem (Knöbber) Geruchs- und Geschmacksstörungen (Herberhold) Grenzprobleme zur Stomatologie I: Allgemeines (Muška) II: Parodontopathien (Strott) III: Odontogene Abszesse (Austermann) IV: Kiefergelenkserkrankungen (Strott) V: Okklusionsstörungen (Austermann/Umstadt) Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht (Keßler) HNO-Onkologie, Lebensqualität (Greimel, Greimel) HWS-Distorsionen (Badke)
Band 10 Band 3 Band 25 Band 18 Band 1 Band 7 Band 20 Band 20 Band 10 Band 24 Band 22 Band 22 Band 6 Band 17 Band 20 Band 12 Band 14 Band 11 Band 26 Band 26 Band 26 Band 26 Band 19 Band 13 Band 7 Band 10 Band 12 Band 3 Band 18 Band 26 Band 22 Band 23
XVIII
Themenverzeichnis der bisher erschienenen Bände
HWS-Heilmittelverordnung (van den Berg) HWS-orthopädische Probleme (Wimmer) HWS-Physiotherapie (Belzl) HWS-Röntgenbild und HNO-ärztliche Diagnostik (Biesinger) HWS-Traumen (Ernst) HWS-Weichteildistorsion, Akutdiagnostik (Ernst et al.) Idiopathische periphere Fazialisparese (Bell-Parese) (Streppel/Eckel/Stennert) Implantologie, an Kopf und Hals (Beleites/Rechenbach) Innervation des Kopf-Halsbereichs (Neuhuber) Kernspintomographie im HNO-Bereich (Grevers/Vogl) Knotenschieber, der (Schweckendiek) Kopfschmerz (Knöbber) Kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD) -- Eine interdisziplinäre Herausforderung (Lechner) Labor, des HNO-Arztes (Allner) Laseranwendungen in der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie (Rudert/Werner) Laserchirurgie (Höfler/Burian) Literatursuche heute (Reiß/Reiß) Lokalanästhesie, therapeutische (Gross) Mykosen im HNO-Bereich (Stammberger/Jakse) Nahrungsmittelallergien (Thiel) Nahrungsmittelallergien (Rakoski) O2-Therapie, hyperbare (Muth) Piercing (Waldfahrer/Freitag/Iro) Pseudomonasinfektionen (Ganz) Quantenmedizin, und HNO (Pichler) Rechtliche Aspekte bei der Abrechnung von Sonderleistungen (Wienke) Sportverletzungen im HNO-Bereich (Loch) Störungen der Halswirbelsäule, funktionelle (Biesinger) Strahlentherapie bei gutartigen Erkrankungen (Micke/Büntzel) Syndrome und HNO (Ganz) Tauchsport und Fliegen (Moser/Wolf ) Tränenwegserkrankungen (Schätzle/Wilhelm) Umweltschäden, der oberen Luftwege (Winkler) Viruserkrankungen I: Herpes und Zoster (Rabenau/Doerr) II: Epstein-Barr-Infektionen (Schuster) III: Hirnnervenlähmungen (Ganz) IV: Schutzimpfungen (Quast) V: Virustatika (Estler) Vorgehen und Behandlungsmaßnahmen bei psychiatrischer Komorbidität (Seling) Wert Medizinischer Neuerungen (Ganz)
Band 23 Band 23 Band 23 Band 23 Band 18 Band 23 Band 16 Band 12 Band 23 Band 11 Band 2 Band 13 Band 24 Band 1 Band 16 Band 4 Band 19 Band 1 Band 7 Band 6 Band 22 Band 20 Band 18 Band 3 Band 17 Band 25 Band 3 Band 9 Band 23 Band 18 Band 9 Band 3 Band 12 Band 15 Band 15 Band 15 Band 15 Band 17 Band 25 Band 17
1 Einführung und Übersicht Frank Waldfahrer
1.1
Definition des Fokusbegriffs – 2
1.2
Historische Entwicklung des Fokusbegriffs – 2
1.3
Potenzielle Herde bzw. Foci im Kopf-Hals-Bereich – 4
1.4
Potenzielle Herderkrankungen – 5
1.5
Resümee – 6 Literatur – 6
2
1
Kapitel 1 · Einführung und Übersicht
Der klinisch tätige Hals-Nasen-Ohren-Arzt wie
auch der Zahnarzt und Mund-Kiefer-GesichtsChirurg werden häufig mit der Fragestellung der Fokussuche im jeweiligen Fachgebiet konfrontiert. Die typischen Auftraggeber einer solchen Fokussuche sind Dermatologen, Augenärzte, Hämatoonkologen, Rheumatologen und Nephrologen. Anlass einer solchen Fokussuche sind zumeist akute oder chronische Erkrankungen der genannten Fachgebiete, deren Ätiologie und Pathogenese noch nicht hinreichend aufgeklärt sind oder aber Krankheitsbilder, die eine Immunsuppression und/oder Knochenmarkdepression erforderlich machen und man das Aufflackern eines ruhenden Entzündungsherdes fürchtet. Auch das infektanfällige Kind wird häufig dem HNO-Arzt vorgestellt, um festzustellen, ob die Gaumenmandeln oder Nasennebenhöhlen Sitz eines Fokus sind.
1.1
Definition des Fokusbegriffs
Eine einfache, aber universell gültige Definition wurde von der Deutschen Gesellschaft für Herdforschung und Herdbekämpfung im Jahre 1960 gegeben:
Vom Fokus im Sinne dieser Definition müssen andere Prozesse abgegrenzt werden, die die Kriterien nicht erfüllen. Ein Peritonsillarabszess oder ein Kieferhöhlenempyem sind natürlich ebenfalls »Entzündungsherde«, entfalten aber eine vornehmlich lokale Symptomatik, wenngleich auch diese Erkrankungen Ausgangspunkt einer Allgemeininfektion (Sepsis) sein können. Auch die Streptokokken-Folgeerkrankungen (. Tab. 1.1), wie sie durch bestimmte Serotypen β-hämolysierender Streptokokken der Lancefield-Gruppe A ausgelöst werden, fallen nicht mehr unter den oben definierten Fokusbegriff, da die Pathogenese dieser Erkrankungen weitgehend aufgeklärt ist. Wie Olivier (2000) ausführt, spielt das rheumatische Fieber auch heute noch eine beachtenswerte Rolle, wenngleich die Inzidenz durch eine zumeist adäquate Antibiotikatherapie der bakteriellen Tonsillitis deutlich rückläufig ist. Hyperplastische Tonsillen im Kindesalter, die den Oropharynx verlegen und zu nächtlichen Atemstörungen im Sinne eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms führen, haben zwar unstreitig Krankheitswert, stellen aber ebenfalls keinen »Fokus« nach obiger Definition dar.
Wichtig
Unter einem Fokus sind alle abwegigen lokalen Veränderungen im Organismus zu verstehen, welche über ihre Umgebung hinaus pathologische Fernwirkungen auszulösen vermögen.
Zuvor hatte Chini 1955 folgende Definition gegeben: Eine Herderkrankung müsste dann als augenscheinlich autonom angenommen werden, wenn sie von einem latenten Infektionsherd verschiedener Lage im Organismus ausgelöst und dann als toxisch-infektiöser, chronischer, ständiger oder intermittierender Mechanismus unterhalten wird, der als Fernwirkung seine krank machende Tätigkeit ausübt.
1.2
Historische Entwicklung des Fokusbegriffs
Als Erstbeschreiber der Fokustheorie wird immer wieder der Internist Päßler mit der Jahreszahl 1909 genannt, der einerseits von Mundhöhleninfektionen ausgehende Allgemeininfektionen (Sepsis) beschrieb, andererseits aber auch auf von den Tonsillen abgesonderte Toxine hinwies, die andernorts Krankheitssymptome hervorriefen. Bereits 1923 hatte die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde auf ihrem Jahreskongress in Bad Kissingen der chronischen Tonsillitis einen Schwerpunkt gewidmet. Hier griff Werner Kümmel, Heidelberg, die damaligen,
3 1.2 · Historische Entwicklung des Fokusbegriffs
1
. Tabelle 1.1. Streptokokken-Folgeerkrankungen Name
Erläuterung
Akute Glomerulonephritis
Symptome: Hämaturie, Proteinurie, arterielle Hypertonie, C3-Erniedrigung Latenzzeit: ca. 10 Tage Pathogenese: Immunkomplex-Nephritis
Akutes rheumatisches Fieber (ARF)
Symptome: Karditis (Endokarditis, Myokarditis, Perikarditis), Polyarthritis, Chorea minor Sydenham, subkutane Knoten, Erythema marginatum Latenzzeit: ca. 18 Tage Pathogenese: Kreuzreaktion von Antikörpern gegen Streptokokken-MProtein bestimmter Serotypen mit Herz, Synovia und ZNS
Poststreptokokken-reaktive Arthritis (PSRA)
Symptome: solitäre reaktive Arthritis, die die Jones-Kriterien des rheumatischen Fiebers nicht erfüllt Pathogenese: wie ARF
PANDAS (»pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections«)
Synonym: »obsessive compulsive disorder« Symptome: Tics, Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, Zwangssymptome, fraglich Anorexie Pathogenese: Kreuzreaktion von Streptokokken-Antikörpern mit Hirnstrukturen
vornehmlich kasuistischen Kenntnisse zur Herdwirkung einer chronischen Tonsillitis in einem klinischen Referat zusammen. Ein anatomisches Referat stammte von Schlemmer, ein pathologisches Referat von Dietrich. Die Deutsche HNO-Gesellschaft griff die Fokalinfektion in ihrem Jahreskongress 1949 in Karlsruhe erneut auf. Heinlein erstellte hierzu ein Referat unter dem Thema »Pathogenese und Pathomorphologie der Fokalinfektion«. Im weiteren Verlauf erlebte die Fokustheorie ihre Glanz- und Blütezeit, erkennbar beispielsweise daran, dass eine »Deutsche Gesellschaft zum Studium der Herderkrankung und der Behandlung der Herde« bzw. »Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Herdforschung und Herdbekämpfung« gegründet wurde. In den 50er Jahren wurden von dieser Gesellschaft mehrere Kongresse abgehalten, die sich verschiedenen Aspekten der Fokaltoxikosen annahmen (z. B. Düringer 1957).
1950 widmete Eckert-Möbius, Halle, der chronischen Tonsillitis eine Monographie, in der ebenfalls der damalige Kenntnisstand zu den tonsillogenen Herderkrankungen zusammengefasst war. Im Jahre 1957 publizierte Fioretti, Padua (Italien), eine weitere Monographie über die Gaumenmandel und ihre Erkrankungen, wobei sich ein von Arslan, Padua, verfasstes Kapitel der tonsillogenen Fokalinfektion widmete. 1961 erschien die deutsche Übersetzung dieses Buches. Falk u. Maurer verfassten das entsprechende Kapitel für das Handbuch der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, das 1963 erschien. Auch die Nasennebenhöhlen und das Mittelohr wurden in der damaligen Zeit als Sitz von Foci erkannt bzw. postuliert (Vogel 1950), wobei dem Mittelohr eine untergeordnete Rolle zugesprochen wurde. In der Übersicht sind die in dieser Zeit entwickelten Theorien zur Pathogenese der Herderkrankungen bzw. Fokaltoxikose zusammengefasst.
4
1
Kapitel 1 · Einführung und Übersicht
Historische Fokustheorien 4 Neurodystrophische Theorie (Speransky 1950) 4 Theorie vom Organotropismus gewisser Streptokokkenstämme (Rosenow 1936) 4 Toxintheorie (Rosenow 1936) 4 Bakteriämische Theorie (Rosenow 1936) 4 Irritationssyndrom (Reilly 1954) 4 Adaptationssyndrom (Selye 1955) 4 Allergisch-hyperergische Theorie 4 Menkin-Substanzen (Fassbender 1955)
Eine detaillierte Erläuterung der einzelnen Hypothesen soll an dieser Stelle nicht erfolgen; der historisch interessierte Leser sei auf das Referat von Arslan (1961) verwiesen. Arslan fasst in zwei Tabellen insgesamt 23 teilweise kuriose Tests zusammen, die dem Nachweis einer Herdinfektion dienen sollen. Die weitere Entwicklung der Theorien um die Fokalinfektionen ist eng mit dem umfangreichen Wissenszuwachs in den Gebieten Infektiologie und Immunologie verbunden. Durch die nähere Charakterisierung der Entzündungszellen, die Entdeckung und Spezifizierung proinflammatorischer Zytokine, die Spezifizierung von Autoantikörpern und bakteriellen Antigenen sowie der Zusammenfassung aller Erkenntnisse zu einer »Entzündungskaskade« war eine Aktualisierung der Fokustheorien möglich. Allerdings wurde es dann in der wissenschaftlichen Welt ruhig um das Thema Fokalinfektionen. Die Deutsche Gesellschaft für Herdforschung und Herdbekämpfung stellte ihre Aktivitäten ein und es finden sich nur noch vereinzelte Publikationen zu dieser Thematik. Berendes fasste 1973 die Geschichte der Fokaltheorie zusammen, es folgte 1981 ein Review von Wigand und 1984 eine kritische Stellungnahme der Rechtsmedizinerin Oepen, die sich v. a. paramedizinischen Interpretationen der Fokaltheorie widmete. Neuere Arbeiten stammen von
Knöbber (1999) sowie von Reiß u. Reiß (2000), die auch den Beitrag über die Tonsille als Fokus in diesem Band verfassten. Deitmer (2000) fasste den aktuellen Stand zur Indikationsstellung und Durchführung der Tonsillektomie in Band 20 dieser Reihe zusammen und diskutierte hierbei auch die tonsillogenen Herderkrankungen. Anhaltende wissenschaftliche Aktivität hinsichtlich tonsillogener Fokalinfektionen bestand vornehmlich in Japan. Dort fanden 1987 in Kyoto und 1995 in Sapporo internationale Kongresse über die Erkrankungen der Tonsillen statt. Die jeweiligen Referate sind in zwei Supplementen der Zeitschrift Acta Otolaryngologica zusammengefasst (Hayashi u. Tabata 1988; Yamashita et al. 1988; Masuda et al. 1988; Takeuchi et al. 1996; Kobayashi et al. 1996; Izaki et al. 1996; Hayashi et al. 1996; Sato et al. 1996; Shiraishi et al. 1996; Tomioka et al. 1996; Sanai u. Kudoh 1996; Hotta et al. 1996; Kataura u. Tsubota 1996). Auch in der Reihe Advanced Otorhinolaryngology widmete sich ein Themenband im Jahre 1992 den Tonsillen, Originalien zur Fokalinfektionen stammen von Kuki et al., Tabata und Masuda et al.
1.3
Potenzielle Herde bzw. Foci im Kopf-Hals-Bereich
Herderkrankungen werden mit folgenden Organen in Verbindung gebracht: 4 Gaumentonsillen 4 Nasennebenhöhlen 4 Zähne einschließlich Paradont und Gingiva Diesen drei genannten Organen bzw. Organsystemen sind in diesem Band jeweils einzelne Beiträge gewidmet. Andere lymphatische Organe des Waldeyer-Rachenrings und das Mittelohr werden nur ausnahmsweise mit Herderkrankungen in Verbindung gebracht. Die marginale Parodontitis rückte in jüngerer Vergangenheit als potenzieller Auslöser kar-
5 1.4 · Potenzielle Herderkrankungen
dio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen in den Mittelpunkt des Interesses (Henning 1977; Seymour u. Steele 1998; Müller 2002). Hier handelt es sich also um eine potenzielle Herderkrankung moderner Prägung, die auch die Laienpresse erreicht hat.
1.4
Potenzielle Herderkrankungen
Nachdem potenzielle Herde identifiziert sind, drängt sich die Frage auf, welche Fernwirkung diese Herde haben sollen, d. h. welche Erkrankungen mit einem Fokalgeschehen in Verbindung gebracht werden. Durch zunehmende Erkenntnisse auf immunologisch-infektiologischem Fachgebiet ist die Liste möglicher Herderkrankungen kleiner geworden, da Ätiologie und Pathogenese vieler Erkrankungen näher aufgeklärt werden konnten. Die Übersicht enthält – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine Aufzählung von Erkrankungen, die heute mit einem Fokalgeschehen kausal in Verbindung gebracht werden.
Potenzielle Herderkrankungen (Auswertung der zitierten Literatur, v. a. nach Luckhaupt u. Karbe 1985; Noda 1989; Akiyama et al. 1995; England et al. 1997; Younessi et al. 1998; Kawano et al. 2003; Xie et al. 2003) Dermatosen 4 Pustulosis palmaris et plantaris 4 Chronische Urtikaria 4 Erythema exsudativum multiforme 4 Erythema nodosum 4 Erythema annulatum 4 Psoriasis vulgaris, Parapsoriasis guttata 4 Pityriasis 4 Behçet-Krankheit
6
1
4 Cheilitis granulomatosa, MelkerssonRosenthal-Syndrom 4 Pruritus sine materia 4 Alopecia areata 4 Sweet-Syndrom, neutrophile Dermatosen 4 Dermatitis herpetiformis 4 Atopisches Ekzem 4 Andere Dermatosen mit Autoimmunpathogenese Augenerkrankungen 4 Uveitis 4 Chorioretinitis 4 Neuritis nervi optici Nierenerkrankungen 4 IgA-Nephritis Rheumatologie 4 Praktisch alle rheumatologischen Erkrankungen 4 Sternokostoklavikuläre Hyperostose Weitere Erkrankungen 4 Infektiöse Endokarditis und andere entzündliche Herzerkrankungen 4 Fieber unbekannten Ursprungs (FUO)
Nach kritischer Durchsicht der Literatur verbleiben letztlich zwei Erkrankungen, bei denen durch eine Herdsanierung, in beiden Fällen durch eine Tonsillektomie, ein Benefit erzielt werden konnte. Bei der Pustulosis palmaris et plantaris handelt es sich um eine Dermatose, die häufig in den Formenkreis der Psoriasis eingeordnet wird. Pathogenetisch wurde vom Erstbeschreiber Andrews bereits 1934 eine Fokaltoxikose vermutet. Auch neuere Arbeiten legen einen Benefit einer Tonsillektomie bei dieser Erkrankung nahe (Hayashi u. Tabata 1988; Noda 1989; Kuki et al. 1992; Akiyama et al. 1995; Shiraishi et al. 1996).
6
1
Kapitel 1 · Einführung und Übersicht
Auch bei der IgA-Nephritis (Berger-Nephritis) gibt es aktuelle Daten, die den Benefit einer Tonsillektomie v. a. bei betroffenen Kindern nahelegen (Masuda et al. 1988; Masuda et al. 1992; Hotta et al. 1996; Sanai u. Kudoh 1996; Tomioka et al. 1996; Sato et al. 1996; Xie et al. 2003). Beispielsweise unterzogen Xie et al. eine Gruppe von 118 Patienten mit IgA-Nephritis einer prospektiven Studie. 48 Patienten wurden tonsillektomiert, 70 Patienten behielten ihre Tonsillen. Während 10,4% der tonsillektomierten Patienten im Beobachtungszeitraum von 193±75 Monaten dialysepflichtig wurden, wurde dieses Schicksal 25,7% der Patienten der Kontrollgruppe zuteil (p<0,05). IgA-Immunkomplexe spielen bei dieser Nierenerkrankung eine entscheidende Rolle. Die vermehrte IgA-Produktion wird hierbei mit den Tonsillen in Verbindung gebracht (Shiraishi et al. 1996). Bei Patienten mit IgA-Nephritis soll das Verhältnis von IgG- zu IgA-produzierenden Plasmazellen zugunsten des IgA verschoben sein. In diesem Zusammenhang wird die pathogenetische Bedeutung des Keims Haemophilus parainfluenzae diskutiert. Bei allen anderen in der Übersicht aufgeführten Erkrankungen ist die Datenlage weniger eindeutig; auf die jeweiligen Referate in diesem Band ist hinsichtlich Details zu verweisen. Neben den aufgeführten Krankheiten müssen im Zusammenhang mit dem Fokusbegriff auch andere Erkrankungen Erwähnung finden, die eine Indikation zur Fokussuche darstellen. In diese Gruppe fallen alle Erkrankungen, deren geplante Therapie zu einer Immunsuppression und/ oder Knochenmarkdepression führt, so dass eine Beeinträchtigung der humoralen und zellulären Abwehr zu erwarten ist. Ein Entzündungsherd, der bei intaktem Immunsystem gut unter Kontrolle war, kann unter veränderten Bedingungen zu einer lebensbedrohenden Infektion werden. Speziell bei folgenden Erkrankungen bzw. unter folgenden Voraussetzungen ist prätherapeutisch eine Fokussuche indiziert:
4 akute Leukämien und Lymphome vor myeloablativer Chemotherapie und/oder Knochenmark- oder Stammzelltransplantation, 4 vor Nieren-, Leber- oder Herztransplantation, 4 vor Herzklappenersatz, 4 vor immunsuppressiver Therapie.
1.5
Resümee
Auch im 21. Jahrhundert verbleiben bei den so genannten Herderkrankungen mehr offene als geklärte Fragen. Auch der erhebliche Erkenntniszuwachs auf den Gebieten der Immunologie und Infektiologie konnte es nicht verhindern, dass nach wie vor die Fragestellung »Fokus im HNOBereich« eine alltägliche Fragestellung ist. Nur bei wenigen Erkrankungen wie der IgA-Nephritis und der Pustulosis palmaris et plantaris ist die therapeutische Konsequenz relativ eindeutig, bei vielen anderen Erkrankungen ist die Datenlage weitaus weniger klar. Die nachfolgenden Beiträge sollen eine Entscheidungshilfe bei Klärung der Frage nach einem Fokalgeschehen darstellen.
Literatur Akiyama T, Seishima M, Watanabe H et al. (1995) The relationship of onset and exacerbation of pustulosis palmaris et plantaris to smoking and focal infections. J Dermatol 22: 930–934 Andrews CG, Machacek GF (1935) Pustular bacterids of hands and feet. Arch Dermatol Syphilol 32: 837–847 Arslan M (1961) Die tonsillogene Fokalinfektion. In: Fioretti A (Hrsg) Die Gaumenmandel. Thieme, Stuttgart, S 143– 177 Berendes J (1973) Blick auf die Geschichte der Fokaltheorie. Dtsch Ärztebl 70: 3327–3329 Chini V (1955) Significance of focal infection in cardiovascular pathology. Sem Hop 31: 774–778 Deitmer T (2000) Tonsillektomie – Indikationen und Ausführung heute. In: Ganz H, Iro H (Hrsg) HNO Praxis heute (20). Berlin, Springer, S 83–107 Dietrich A (1923) Die chronische Tonsillitis und ihre Behandlung – Das pathologisch-anatomische Bild der
7 Literatur
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Knöbber D (1999) Die Fokuslehre aus heutiger Sicht des HNO-Arztes. In: Ganz H, Iro H (Hrsg.) HNO Praxis heute (Bd. 19). Springer, Berlin, S 168–178 Kobayashi S, Tamura N, Akimoto Tet al. (1996) Reactive arthritis Induced by tonsillitis. Acta Otolaryngol Suppl 523: 206–211 Kümmel W (1923) Die chronische Tonsillitis und ihre Behandlung – Klinische Gesichtspunkte. In: Kahler, O (Hrsg.) Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte auf der III. Jahresversammlung in Bad Kissingen. Springer, München, Berlin, S 446–472 Kuki K, Kimura T, Hayashi Y, Tabata T (1992) Focus tonsils and skin diseases with special reference to palmoplantar pustulosis. Adv Otorhinolaryngol 47: 196–202 Luckhaupt H, Karbe S (1985) Stellenwert der Tonsillektomie in der Behandlung dermatologischer Krankheitsbilder. Arch Oto-Rhino-Laryngol Suppl II 213–214 Masuda Y, Terazawa K, Kawakami S et al. (1988) Clinical and immunological study of IgA nephropathy before and after tonsillectomy. Acta Otolaryngol Suppl. 454: 248– 255 Masuda Y, Tamura S, Sugiyama N (1992) The effect of tonsillectomy and its postoperative clinical course in IgA nephropathy with chronic tonsillitis. Adv Otorhinolaryngol 47: 203–207 Müller HP (2002) Spielt die marginale Parodontitis eine Rolle in der Pathogenese kardio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen? Gesundheitswesen 64: 89-98 Noda Y (1989) Pre-operative diagnosis for dermatoses due to tonsillar focal infections: Recent views. Auris Nasus Larynx 16 8Suppl I): 59–64 Olivier C (2000) Rheumatic fever – is it still a problem? J Antimicrobial Chemoth 45: 13–21 Oepen I (1984) Kritische Bemerkungen zum »Herdgeschehen«. HNO 32: 108–111 Pässler H (1909): Über Beziehungen septischer Krankheitszustände zur chronischen Infektion der Mundhöhle. Verh Dtsch Ges Inn Med 26: 321 Reiß M, Reiß G (2000) Einige Gesichtspunkte zum Fokusgeschehen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich. Wien Med Wschr 150: 94–97 Rosenow EC (1936) Cataphoretic velocity and localization of Streptococci isolated from infected teeth of persons having systemic disease. J Am Dent 23: 35–46 Internt Clin 2 Reilly J (1954) L’irritation neuro-végétative et son rôle en pathologie. Médicine et Hygiène 275 : 351–364 Sanai A, Kudoh F (1996) Effects of tonsillectomy in children with IgA nephropathy, purpura nephritis, or other chronic glomerulonephritides. Acta Otolaryngol Suppl 523: 172–174
8
1
Kapitel 1 · Einführung und Übersicht
Sato Y, Hotta O, Taguma Y et al. (1996) Reduced reticulization of palatine tonsils with IgA nephropathy. Acta Otolaryngol Suppl 523: 189–192 Selye H (1955) La sindrome di adattamento. ISM Belfanti, Milano Seymour RA, Steele JG (1998) Is there a link between periodontal disease and coronary heart disease? Br Dent J 184: 33–38 Shiraishi S, Tomoda K, Matsumoto Y et al. (1996) Investigation of the local provocation test to PPP and IgA nephritis. Acta Otolaryngol Suppl 523: 178–181 Schlemmer F (1923) Die chronische Tonsillitis und ihre Behandlung – Anatomisch-physiologische Vorbemerkungen. In: Kahler, O (Hrsg.) Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte auf der III. Jahresversammlung in Bad Kissingen. Springer, München Berlin, S 405–429 Speransky AD (1950) Grundlagen der Theorie der Medizin. Saenger, Berlin Tabata T (1992): The concept of focal infection of tonsil. Adv Otorhinolaryngol 47: 193–195
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2 Die Tonsille als Fokus Michael Reiß, Gilfe Reiß
2.1
Einleitung – 10
2.2
Tonsille und Fokus – Literaturübersicht – 10
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8
Anatomie und Histologie – 10 Funktion der Tonsille – Physiologie – 11 Mechanismus der Fokusbildung – 12 Häufigkeitsangaben zum Fokusgeschehen – 13 Krankheitsbilder des tonsillogenen Fokusgeschehen – 14 Diagnostik des tonsillogenen Fokusgeschehens – 16 Therapie des Fokus – 17 Prognose – 18
2.3
Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen – 18
2.3.1 Untersuchung zum Fokusgeschehen und zur Fokussanierung – 18 2.3.2 Erhebung zur aktuellen Fokusverteilung bzw. Indikation zur Tonsillektomie – 20
2.4
Schlussfolgerungen und Diskussion – 21
2.4.1 Diskussion der eigenen Ergebnisse 2.4.2 Schlussfolgerungen – 21
Literatur – 22
– 21
2
10
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
2.1
Einleitung
Unter einem Fokus versteht man jede lokale Gewebsveränderung, die über ihre nächste Umgebung hinaus eine krankhafte Entwicklung auslöst. Das klinische Interesse richtet sich in der HNO-Heilkunde insbesondere auf bakterielle Herde, nach denen bei Patienten beispielsweise vor größeren herz- und lungenchirurgischen Eingriffen sowie vor Knochenmarktransplantationen gefahndet wird. Im Mittelpunkt des Interesses stehen schon immer die Gaumenmandeln [22–24, 28, 31, 35]. Der Standpunkt der HNO-Heilkunde und anderer Fachgebiete zum so genannten Fokusgeschehen ist umstritten. Sowohl für den Patienten als auch den Arzt bereitet die Thematik der Herdkrankheiten Schwierigkeiten. Einerseits benötigt das Auffinden, die Bewertung und Behandlung eines möglichen Fokus eine Menge Erfahrung und ein diagnostisches Geschick. Wird ein Fokus dagegen nicht entdeckt, können bewährte Behandlungsmethoden oft nicht greifen und der Patient kann im weiteren Verlauf durch den Streuherd unnötig gefährdet werden [1, 2, 13, 21, 23, 26, 28, 29, 35, 39, 46]. Prinzipiell kann man zwischen einem Herd bzw. Fokus (weitere Synonyme sind Streuherd oder -feld) und einer Herderkrankung oder den Folgekrankheiten, die durch die Streuwirkung ausgelöst werden können, unterscheiden [2, 28, 35, 46]. Die Tonsillen werden immer wieder als so genannter Fokus oder Herd im Rahmen von anderen chronischen Erkrankungen diskutiert. Ob diese Entität tatsächlich existiert, ist bis heute umstritten. Auch heute zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den unbefriedigenden experimentellen Ergebnissen und den ärztlichen Erfahrungen bei der Behandlung durch Eliminierung des Herdes.
2.2
Tonsille und Fokus – Literaturübersicht
2.2.1 Anatomie und Histologie Die Tonsilla palatina ist Bestandteil des WaldeyerRachenrings, einer Ansammlung von lymphoepithelialem Gewebe. Dieses Gewebe zeigt bis auf fehlende Lymphgefäße einen ähnlichen Aufbau wie Lymphknoten [9–12]. Die menschlichen Gaumenmandeln sind von geschichtetem Plattenepithel bedeckt. Sie bestehen aus einem kryptenunterbrochenen lymphatischen Grundgewebe mit Solitärfollikeln [1, 4, 6, 7, 9, 11]. Die Oberflächenvergrößerung von bis zu 300 m2 kommt durch zehn bis 25 Primärkrypten zustande. Von diesen gehen sekundäre Krypten zweiter bis fünfter Ordnung ab. Dadurch wird der Oberflächenkontakt zwischen Umwelt und Lymphgewebe vergrößert [9–12]. Man kann eine Kryptenöffnung, einen engen Halsteil, die Lichtung und den Boden der Krypte unterscheiden. Die Form der Krypten kann mit einem Vogelnest oder mit einer Keule verglichen werden. Der Kryptengrund kann bis zur Tonsillenkapsel reichen. Die Entfernung zwischen Kryptenoberfläche und Tonsillenkapsel kann bis zu 25 mm betragen. Die Krypten im Bereich des oberen Pols sind größer und verzweigter als in den übrigen Regionen der Tonsille, so dass Abszesse vor allem an den oberen Polbereichen auftreten [36, 40, 43, 45, 46, 48]. Durch tierexperimentelle Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass verschiedene Substanzen über die Krypten zu den Lymphfollikeln transportiert werden können, wo germinale Zellen künstlich erzeugt wurden, die als Zeichen immunologischer Aktivität dienen [50]. Der Kryptenaufbau scheint auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der chronischen Tonsillitis zu spielen. Solange die Entleerung zur Mundhöhle hin gewährleistet ist, ist auch die Funktion der Tonsillen nicht gefährdet. Wenn jedoch der physiologische Inhalt der Krypten z. B. durch ent-
11 2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht
zündliche Strukturen stagniert, bildet sich ein idealer Nährboden für Mikroorganismen. Die Gaumenmandeln sind zwischen dem achten und dem zehnten Lebensjahr am stärksten entwickelt. Im Verlauf der Alterung kommt es allmählich zu einer zunehmenden Rückbildung und Verkleinerung der Tonsillen, insbesondere beim männlichen Geschlecht [21, 22, 24, 26].
2.2.2 Funktion der Tonsille –
Physiologie Die Tonsille hat die Funktion und damit die physiologische Aufgabe, durch Infektkontakt Antikörper zu bilden und diese nach einem Lernprozess kurzfristig als immunologisches Gedächtnis für die Antikörperbildung bereitzustellen. Sie hat also prinzipiell zwei Hauptaufgaben: 1. Antigenaufnahme und -präsentation 2. Lokale Immunglobulinproduktion Fremdantigene treten mit Zellen des unspezifischen Immunsystems (Makrophagen), Langerhans-Zellen und Zellen des spezifischen Immunsystems (T- und B-Lymphozyten) in Kontakt, worauf die immunologische Kaskade der Sensibilisierung abläuft. Die Tonsillen sind besonders gut für den direkten Transport von Fremdstoffen von den äußeren Zellen über die Krypten zu den Lymphzellen prädisponiert. Der Aufbau ist dafür geeignet, den örtlichen Immunschutz zu vermitteln [6, 7, 9– 12]. Fremdmaterial fließt v. a. durch die netzartigen Teile des Kryptenepithels ein. Dieses ruht auf einer unterbrochenen Basalzellschicht und enthält ein kanalartiges System. In den tieferen Schichten des Epithels sind die Kanäle sehr ausgedehnt und mit Lymphozyten und Makrophagen durchsetzt. Einige Kanäle führen auch zum Kryptenlumen, v. a. um oberflächlich gelagerte Epithelzellen nach einer Entzündung abzustoßen [29, 30].
2
In den Lymphfollikeln, die aus follikulären, dendritischen Zellen bestehen, sind auch Makrophagen vorhanden. Die follikulären, dendritischen Zellen halten auf ihrer Oberfläche Antigene zurück, die über Komplementrezeptoren gebunden werden. Die Germinalzentren rufen also eine anhaltende immunologische Stimulation und die Bildung von Gedächtnis-B-Zellen hervor [9, 11]. Lymphzellen finden sich in verschiedenen Bereichen des Tonsillengewebes. Lymphozyten aus dem Blut dringen in das extrafollikuläre Mandelgewebe ein, wobei sich die meisten T-Zellen entlang der Lymphfollikel sammeln. Vor dem 30. Lebensjahr nehmen die B-Zell-Follikel etwa ein Drittel des gesamten Mandellymphgewebes ein. Bei den Germinalzentren handelt es sich um ein antigenabhängiges B-Zell-Kompartiment. Dieses ist für die proliferative Ausdehnung von Gedächtnisklonen und auch für die Differenzierung von Immunglobulin-produzierenden Immunozyten verantwortlich, die sich besonders in dem extrafollikulären Gebiet zwischen den Follikeln und den Krypten sowie in den tieferen Schichten des retikulären Epithels ansammeln [10, 12, 26, 28, 30]. Makrophagen sind in den extrafollikulären Bereichen und Lymphfollikeln vorhanden, wobei sie auf ihrer Zelloberfläche über lange Zeiträume Antigene in Form von Antigen-AntikörperKomplexen zurückhalten. Germinalzentren stellen besondere Bereiche dar, die eine anhaltende immunologische Stimulation und Gedächtnis-BZellen bilden [10]. Die Tonsillen wirken ständig mittels spezifischer Immunreaktionen auf Mikroorganismen der oberen Luftwege ein. Die ständige Antigenexposition führt zu starken tonsillären Immunreaktionen. Die meisten Immunozyten der Mandeln produzieren IgG und IgA sowie relativ wenig IgM und IgD [8]. Die Mechanismen, die den krankheitsbedingten Veränderungen der Mandeln unterliegen, werden durch immunregulative Vorgänge bewirkt [8–12].
12
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
2.2.3 Mechanismus
der Fokusbildung
2
Im Kopf-Hals-Bereich sind die Gaumenmandeln insbesondere wegen ihrer anatomischen Struktur u. a. zur Entwicklung eines abgekammerten Entzündungsherdes prädisponiert. Die Tonsillenoberfläche entfaltet außerdem eine ausgedehnte Kontaktzone zwischen der Umwelt und dem Immunparenchym [29, 30]. Erst mit besseren Erkenntnissen auf dem Gebiet der Tonsillenimmunologie scheint man dem Fokus-Herd-Mechanismus etwas näher gekommen zu sein. Dementsprechend liegt ein immunologisch begründeter Mechanismus für eine fokal-pathologische Rolle der Gaumenmandel nahe [16, 21, 22, 28, 30–32, 43]. Für die Einleitung eines Immungeschehens ist es weitestgehend unerheblich, ob die Tonsille nur Bakterienantigene oder die aggregierten Immunkomplexe aufnimmt. Der ungehemmte transtonsilläre Weg der Antigene führt zu einer permanenten Immunstimulation der Tonsille. Offenbar hat die fokusverdächtige Tonsille eine deutliche Vermehrung IgE-haltiger Plasmazellen aufzuweisen, was bei der hyperergischen Reaktion eine Bedeutung hat [28, 30, 43]. Die Tonsille hat aufgrund der intensiven Kontaktmöglichkeit mit Fremdantigenen und durch ihre besondere Bedeutung im Immunsystem bei akuten Entzündungen eine Sonderstellung. Die Gaumenmandel weist eine auf Umweltkontakt angelegte Histoarchitektur auf. Die ausgeprägte Retikulierung, d. h. Auflockerung des Oberflächenepithels begünstigt den Kontakt zwischen Antigenen und lymphatischem Gewebe. Lücken in der epithelialen Basalmembran öffnen zusätzlich die Wege zwischen Organoberfläche und -innerem [28, 50]. Angenommen wird auch, dass mit der ständigen Anflutung von bakteriellen Antigenen Immunreaktionen ausgelöst werden, die sich durch autoaggressive Vorgänge gegen körpereigenes Gewebe richten. Stoffwechselaktive Substanzen
wie Histamin oder Serotonin, die vermehrt in der Tonsille nachgewiesen wurden und die bei einer örtlichen Antigen-Antikörper-Reaktion ausgeschüttet werden können, können durch Ausschwemmung in den Organismus in Beziehung zu einer Herderkrankung stehen [22, 24, 26, 29, 34, 48]. Auch wird die Persistenz von pathogenen Keimen begünstigt. Die tiefen Krypten bieten für Bakterien einen idealen Lebensraum. Durch oberflächliche Verklebungen und Verwachsungen dieser Epitheltaschen entstehen infizierte Hohlräume, wobei aufgrund des lockeren Wandaufbaus ein Übertritt von Entzündungen in das lymphatische System möglich ist [22, 24, 26]. Langwierige Störungen können lokale Veränderungen und auch pathologische Fernwirkungen zur Folge haben. Gehäufte Infekte führen zur Veränderung der Tonsille. Schwere und Häufigkeit sowie Umweltaspekte spielen hierbei eine besondere Rolle. Es wird angenommen, dass vor allem Entzündungsmediatoren (CRP, TumorNekrose-Faktor) durch die chronisch veränderte Tonsille inapparent abgegeben werden. Diese Entzündungsparameter weisen eine stattgefundene Entzündung nach und sind damit jedoch nicht herdspezifisch [10, 14, 19–22, 24, 26]. Es kommt zu einem Übergreifen der Entzündungen auf das peritonsilläre Gewebe und zu einer narbigen Umwandlung der Tonsille. Die Struktur wird folgenschwer verändert und es resultiert eine chronische Tonsillitis [36, 40, 43, 45, 46, 48]. Die Tonsille wird derb, schwer luxierbar, weist auch außerhalb akuter Infekte ein eitriges (flüssiges) Exprimat auf (nicht zu verwechseln mit dem bröckligen Detritus). Die Gaumenbögen sind gerötet und die Lymphknoten sind vergrößert [40]. Weiterhin spielt die narbige Abkapselung mit intra- und peritonsillärer Ansammlung insbesondere von Streptokokken eine Rolle. Das Keimspektrum der chronisch-rezidivierenden Tonsillitis stellt eine aerob-anaerobe, polymikrobielle Mischflora dar, die nur schwer von der Normal-
13 2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht
flora abgrenzbar ist [34]. Routinemäßig wird in der Praxis jedoch nur selten ein Abstrich zur Keimbestimmung entnommen. Beachtet werden sollte, dass es bereits durch eine Tonsillektomie (TE) zu einer Bakteriämie kommen kann. Müller [34] legte bei 52 Kindern unmittelbar nach einer TE eine Blutkultur an. Es konnte bei 21,1% der Kinder eine transiente Bakteriämie nachgewiesen werden, wobei eine klinische Symptomatik nicht auftrat. In der Regel verläuft eine solche Bakteriämie harmlos und asymptomatisch. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko ist jedoch eine Komplikation in Form von Endokarditis, rheumatischem Fieber oder Glomerulonephritis zu beachten. In diesen Fällen ist eine Antibiotikaprophylaxe erforderlich. Die Gefahr einer transienten Bakteriämie hängt von der Art der Bakterien ab. Eine durch Staphylococcus aureus bedingte Bakteriämie, wie z. B. infolge einer Abszessinzision wie beim Paratonsillarabszess, kann zur Absiedlung metastatischer Abszesse im Knochen, der Leber oder Niere führen. Klinisch kann sich eine Bakteriämie auch nur durch Schüttelfrost oder Hypertonie bemerkbar machen. Bei Patienten mit Herzklappenerkrankungen oder angeborenen Herzmissbildungen kann dagegen z. B. durch Einschwemmung von Streptococcus viridans, wie es nach einer zahnärztlichen Manipulation möglich ist, als Komplikation eine bakterielle Endarteriitis oder Endokarditis auftreten [15–17, 23–26].
2.2.4 Häufigkeitsangaben zum
Fokusgeschehen Statistiken bzw. Häufigkeitsangaben zum Fokusgeschehen sind äußerst rar. Oftmals handelt es sich nur um Einzelbeobachtungen. Daher haben wir die Verteilung des Fokusgeschehens anhand der Datenbank PubMed untersucht. PubMed, eine Datenbank des National Center for Biotechnology Information (CBI) und der National Library of Medicine (NLM) umfasst die Daten von Medline
2
und OldMedline. Beachtet werden muss, dass bei einer solchen Analyse nicht alle Zeitschriften berücksichtigt werden und dass die Qualität der Aussagen von der Genauigkeit der Indexierung der Zeitschrifteninhalte abhängt [41]. Berücksichtigt werden die Daten der Jahre von 1966 bis 2000. In diesen Jahren sind insgesamt 2229 Artikel erschienen, bei denen der Begriff »focal infection«, der Oberbegriff für Fokus, im MESH bzw. in den Keywords enthalten ist. Bezugnehmend auf diese Aufsätze erfassten wir die Verteilung der Schlüsselwörter »tonsillitis«, »sinusitis«, »otitis«, »head/neck« und »dental« sowie den Begriff »tonsillectomy« in der Volltextsuche. Insgesamt wurde der Begriff »tonsillitis« in 135, »sinusitis« in 134, »otitis« in 35, »head/neck« in 10 und »dental« in 1611 sowie der Begriff »tonsillectomy« in 135 Aufsätzen erfasst. Man kann daraus schlussfolgern, dass die odontogenen Probleme die größte Bedeutung beim Fokusgeschehen im Kopf-Hals-Bereich besitzen. Der tonsillogene und der sinugene Fokus besitzen eine gleich häufige, jedoch viel geringere Wertigkeit als der odontogene Fokus. Die Bedeutung der Otitis und des allgemeinen KopfHals-Bereichs ist dagegen als minimal einzustufen. Interessant ist auch die Entwicklung der Fokusproblematik im Laufe der Zeit. Die Verteilung der einzelnen Keywords in Abhängigkeit der einzelnen Jahresabschnitte ist in . Abb. 2.1 zusammengefasst. Während das Interesse an der Fokusproblematik in den 1960er Jahren noch als hoch einzuschätzen ist, ist es heute nur noch halb so hoch. Das betrifft ganz besonders auch die Tonsille bzw. die operative Sanierung in Form der TE. An beiden Aspekten hat das Interesse sehr stark nachgelassen. Während zwischen 1966 und 1970 48 Aufsätze die Problematik Tonsille und Fokus berücksichtigen, sind es zwischen 1996 und 2000 nur noch vier. Etwas anders sieht es bei der Sinusitis aus. Zwar hat die Zahl der Arbeiten auch mit den Jahrzehnten abgenommen, jedoch nur etwa um die
14
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
450
2
400
2 350
Anzahl
300 250 200
1
150
1 2 3 4 5 6
Artikel focal infection tonsillectomy tonsillitis sinusitis otitis
100
4
50
5 0
3
6
1966 – 1970 1971 – 1975 1976 – 1980 1981 – 1985 1986 – 1990 1991 – 1995 1996 – 2000
. Abb. 2.1. Anzahl der Zeitschriftenartikel mit Fokusgeschehen (focal infection, tonsillectomy und focal infection, tonsillitis usw.) in der Medline-Datenbank PubMed
zwischen 1966 und 2000 im Vergleich zur Anzahl aller erschienenen Artikel (n×104)
Hälfte. Trotz Einführung der Nasenendoskopie und der Computertomographie hat die Anzahl der Artikel nicht zugenommen. Vielleicht ist es aber durch die Einführung dieser neuen Untersuchungsmethoden dagegen nicht zu einer drastischen Abnahme gekommen. Bei der Otitis ist ein leichter Gipfel zwischen 1976 und 1985 zu verzeichnen. Es stehen insbesondere intrakranielle Komplikationen als Folge eines Streuherds im Mittelpunkt der Untersuchungen bzw. Mitteilungen. Bei den odontogenen Problemen zeigt sich dagegen im Laufe der Jahre nur eine geringe Abnahme, die aber eventuell auf die allgemeine Abnahme der Arbeiten über »focal infection« zurückzuführen ist. Sie stehen damit anhaltend im Mittelpunkt des Fokusgeschehens bzw. haben auf Grundlage dieser Daten eine unveränderte Aktualität. Betrachten wir nun die Verteilung einzelner Herderkrankungen bzw. Folgekrankheiten. Be-
rücksichtigt wurden die folgenden MESH: »pustulosis« (10 Aufsätze), »psoriasis« (18 Aufsätze), »glomerulonephritis« (25 Aufsätze), »rheumat*« (116 Aufsätze) und »eye« (59 Aufsätze). Im Verlauf von 1966 bis 2000 zeigt sich bei allen Schlüsselwörtern hinsichtlich des Fokusgeschehens eine Abnahme. Ganz besonders ist diese Tendenz bei den rheumatischen Erkrankungen erkennbar (. Abb. 2.2).
2.2.5 Krankheitsbilder des
tonsillogenen Fokusgeschehen Nach Saito u. Terrahe standen und stehen drei Krankheitsbilder bezüglich der Tonsilla palatina besonders im Mittelpunkt der Herdforschung [43]: 1. Rheumatisches Fieber 2. Glomerulonephritis 3. Pustulosis palmaris et plantaris
15 2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht
2
250
200
Anzahl
150
6 100
1 2 3 4 5 6
pustulosis psoriasis glomerulonephritis rheumat* eye Artikel
4
50
5 0
3 1
2
1966 – 1970 1971 – 1975 1976 – 1980 1981 – 1985 1986 – 1990 1991 – 1995 1996 – 2000
. Abb. 2.2. Anzahl der Zeitschriftenartikel mit Fokalerkrankungen in der Medline-Datenbank PubMed zwischen
1966 und 2000 im Vergleich zur Anzahl aller erschienenen Artikel (n×104)
Alle drei Krankheitsbilder sind Immunkomplexerkrankungen. Es bestehen also immunologisch begründete Argumente für eine fokal-pathologische Rolle der Gaumenmandeln. Dabei ist es für die Einleitung des pathogenen Immungeschehens weitestgehend unerheblich, ob die Gaumenmandel nur Bakterienantigene resorbiert oder die aggregierten Immunkomplexe aufnimmt. Der ungehemmte transtonsilläre Weg der Antigene scheint aber unbestritten. Zwischen Antigenen und Antikörpern besteht hierbei ein annähernder Balancezustand. Diese Situation könnte durch eine fortlaufende Boosterung des Organismus mit geringen Mengen Antigenen entstehen, so wie es bei permanenter Immunstimulation seitens der Kryptenflora angenommen werden kann [1, 2, 13, 21–24]. Das rheumatische Fieber ist heute selten, wobei der kontinuierliche Rückgang auf die Einführung des Penicillins zur Behandlung von Anginen zurückzuführen ist. Zwei bis drei Wochen nach
einer Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A kommt es zur Kreuzreaktion von Streptokokken-Antikörpern mit verschiedenen Geweben, d. h. Herz, Gelenke oder ZNS. Diagnostisch lassen sich die Erreger im Rachenabstrich nachweisen, es kommt zu einem Anstieg des Antistreptolysintiters sowie unspezifischer Entzündungsparameter. Die Therapie erfolgt mit Penicillin und nichtsteroidalen Antiphlogistika. Die Prognose hängt entscheidend von einer kardialen Beteiligung ab. Selten treten destruierende Gelenkveränderungen auf [18, 42, 47]. Bei der Glomerulonephritis handelt es sich um eine abakterielle, beide Nieren symmetrisch befallende Entzündung der Nierenrinde mit Befall der Glomeruli. Ätiologisch wird angenommen, dass es sich um eine Immunpathogenese handelt. Drei Varianten werden pathogenetisch unterschieden: die Immunkomplex-Glomerulonephritis, die Antibasalmembran-AntikörperGlomerulonephritis und die Begleitglomerulone-
16
2
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
phritis bei Vaskulitis. Das klinische Bild umfasst die Volhard-Trias: Makrohämaturie, Ödeme, Hypertonie mit und ohne Erhöhung der Serumkreatininkonzentration. Man unterscheidet eine primäre Glomerulonephritis von einer Glomerulonephritis im Rahmen von Systemkrankheiten. Eine Form der primären Glomerulonephritis ist die präinfektiöse bzw. postinfektiöse Glomerulonephritis, wobei die Streptokokken-Glomerulonephritis u. a. durch eine Angina tonsillaris oder auch eine Scharlachangina ausgelöst werden kann [16, 37]. Die Pustulosis palmaris et plantaris entspricht dem klinischen Bild einer pustulösen Psoriasis der Handteller und Fußsohlen, wobei es sich um eine schubweise verlaufende Hauterkrankung handelt [3]. Sie erinnert an eine Mykose oder eine bakterielle Streureaktion und wurde daher auch pustulöses Bakteriid oder Pseudomykose genannt. Lange Zeit wurde sie auch mit der Psoriasis identifiziert. Die HLA-Antigene und das Fehlen eines gehäuften Vorkommens von Psoriasis in der Verwandschaft sprechen gegen die Annahme, dass die Pustulosis palmaris et plantaris nur eine monosymptomatische Form der Psoriasis ist. Manche Autoren nehmen an, dass diese Erkrankung durch einen Fokus, besonders im Bereich der Tonsille, unterhalten wird [27].
2.2.6 Diagnostik des tonsillogenen
Fokusgeschehens Es ist schwer, einen Fokus nachzuweisen. Das ist auch dann der Fall, wenn eine chronische Entzündung beispielsweise im Bereich der Gaumenmandeln vorliegt [1, 38]. Eine mögliche Streuung von Bakterien oder Toxinen kann in der Regel nur aus klinischen Beobachtungen akuter Entzündungen am betreffenden Organ oder aus Fieberschüben vermutet werden. Labormäßige Anhaltspunkte gibt es dagegen nicht. Es gibt keinen Test, mit dem man eine Herdwirkung zuverlässig nachweisen könnte [1, 46, 48]. Seit Pässler [52] wurden zu die-
sem Problem eine Vielzahl von Testmethoden entwickelt, die jedoch auch dadurch erfolglos waren, weil die theoretische Erklärung des Herdbegriffes nicht mit den praktischen Erfahrungen des Klinikers standhalten konnte. Klinisch ist eine Bakteriämie, z. B. nach einer TE, kaum nachweisbar. Es ist schon schwierig, eine chronische Entzündung überhaupt zu erkennen. Im Bereich der Gaumentonsillen spielt hierbei die Größe, die Farbe, die Oberfläche, die Konsistenz und Luxierbarkeit, Exprimat und der Nachweis von tributären Lymphknoten eine Rolle. Die symptomorientierte Untersuchung steht im Vordergrund. Anamnestische Angaben sind wichtig [21, 24]. So konnten wir Patienten beobachten, die eine makroskopisch sichere chronische Tonsillitis aufwiesen, aber nie über entsprechende Halsbeschwerden klagten, vielleicht höchstens im Kindesalter. Andere Patienten berichten über rezidivierende Halsschmerzen im Sinne einer Angina lacunaris, weisen aber makroskopisch einen nicht so überzeugenden Befund auf. Nicht der Tastbefund oder der histologische Nachweis einer chronischen Gewebsentzündung begründen die Verdachtsdiagnose eines Fokusgeschehens, sondern eventuell die Berücksichtigung der Anamnese neben anderen unzuverlässigen Indizien, wie der Antistreptolysintiter zum Nachweis einer stattgefundenen Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken, eine beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit und eine Leukozytose. Ein erhöhter Antistreptolysintiter und ein pathologischer Inspektionsbefund rechtfertigen bei leerer Anamnese nur schwer die Indikation zur TE [24]. Außerdem können erhöhte Antistreptolysintiter Ausdruck jeder Streptokokkeninfektion im Organismus sein. Hinsichtlich der Diagnostik des tonsillogenen Fokus hat sich für die Klinik in den letzten Jahrzehnten praktisch nichts geändert [1, 21, 26, 28, 29, 46]. Da als Fokus im HNO-Gebiet insbesondere der lymphatische Rachenring (Tonsilla palatina) und die Nasennebenhöhle in Frage kommen, sind
17 2.2 · Tonsille und Fokus – Literaturübersicht
die folgenden Schritte bei der Fokusdiagnostik zu empfehlen: 4 Anamnese 4 HNO-Spiegeluntersuchung 4 Palpation 4 Nasenendoskopie 4 Röntgenübersichtsaufnahme der Nasennebenhöhlen 4 Laborparameter (Antistreptolysintiter, CRP, BSG, Differentialblutbild) 4 Ggf. CT, MRT, Sonographie (Halsweichteile, Speicheldrüsen) Dem zu konsultierenden Arzt sollten selbstverständlich auch umfassende Kenntnisse über die Grundkrankheit bzw. Fokusleiden und den Stand der Diagnostik, der Therapie und der Prognose mitgeteilt werden. Ist ein möglicher Fokus diagnostiziert worden, so muss der Arzt die Frage klären, ob der pathologische Herd und das aktuelle Krankheitsbild zusammenhängen bzw. miteinander in Beziehung stehen. Diese Frage sollte mit dem Arzt, der die Herderkrankung behandelt, gemeinsam diskutiert bzw. geklärt werden [1, 21, 26, 46].
2.2.7 Therapie des Fokus Abzugrenzen ist neben der chronischen Tonsillitis als eigentlichem Fokus auch die akute Tonsillitis. Die Therapie der Wahl einer chronischen Tonsillitis und auch eines Paratonsillarabszesses stellt die TE dar. Eine akute Exazerbation der chronischen Tonsillitis sollte mit einem Schmalspektrumpenicillin behandelt werden. Nach wie vor ist in der Behandlung der Angina lacunaris und bei akuten Schüben Penicillin V für zehn Tage das Mittel der Wahl. Bei Penicillinversagern oder einer Allergie stellt z. B. Clindamycin eine gute Alternative dar [15, 39]. Im Vordergrund der Sanierung der chronischen Tonsillitis steht dagegen die TE. In der Literatur wird immer wieder von der Behandlung von
2
chronisch rezidivierenden Tonsillitiden mit Antibiotika berichtet, wobei aber v. a. Kinder berücksichtigt werden [14, 20, 33]. Dagegen wird bei Erwachsenen mit einer rezidivierenden Tonsillitis meist über einen signifikanten Unterschied zwischen den Resultaten einer medikamentösen und chirurgischen Therapie zugunsten der TE berichtet [34, 45]. Die lokale antibiotische Behandlung im Rachenraum ist dagegen abzulehnen, da bisher jeder Nachweis einer ausreichenden Penetration in die Krypten oder tieferen Gewebsschichten von entzündlich veränderten Tonsillen fehlt [44, 49]. Eine konservative nicht-operative Behandlung kann einen Fokus nicht beseitigen bzw. eine chronische Tonsillitis nicht heilen, sondern höchstens die Progredienz verlangsamen und die klinischen Symptome lindern. Beim Fokus Tonsille kommt nur die Operation bzw. die TE in Frage. Eine medikamentöse Therapie oder eine (Laser-)Tonsillotomie sind nicht sinnvoll. Eine TE ist in folgenden Fällen indiziert: 4 Rezidivierende Tonsillitiden (bei Kindern ab dem 4. Lebensjahr) 4 Chronische Tonsillitis mit lokalen Beschwerden, mit Foetor ex ore, Lymphknotenschwellung 4 Verlegung der Atemwege durch Tonsillenhyperplasie 4 Para- und Retrotonsillarabszess 4 Tonsillogene Sepsis 4 Monozytenangina (Verlegung der Atemwege) 4 Tonsillentumoren Bei Verdacht auf ein tonsillogenes Herdgeschehen ist ebenfalls eine TE indiziert bzw. sollte in Betracht gezogen werden. Es müssen jedoch immer die Folgen und die Risiken abgewogen werden [40]. Entsprechend den Angaben der Literatur ist eine TE in folgenden Fällen indiziert bzw. zu erwägen: 4 Verdacht auf tonsillogenes bzw. postanginöses Herdgeschehen: 4 Streptokokkeninfektionen
18
2
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
4 4 4 4
Glomerulonephritis Rheumatisches Fieber Persistierende Lymphadenitis colli Pustulosis palmaris et plantaris (AndrewsBakterid mit serösen und leukozytenreichen sterilen Pusteln) 4 Endokarditis 4 Rezidivierende absteigende Bronchitiden bei chronischer Tonsillitis Kontraindiziert ist die TE bei extremem Hypertonus, Herz-Kreislauf-Insuffizienz, schwerer Leberzirrhose, schweren Allgemeinerkrankungen, Gerinnungsstörungen, offenen, operierten oder submukösen Gaumenspalten, bei Sängern, Bläsern sowie akut nach Poliomyelitisschutzimpfung [40].
Ähnliche Erfolgsquoten wie beim sekundär chronischen Rheumatismus wurden für die kindliche Nephritis nachgewiesen [21, 48]. Kontrollierte Verlaufsstudien an Patienten mit entsprechenden urologischen, ophthalmologischen oder dermatologischen Krankheiten mit Fokuscharakter und mit durchgeführter Herdsanierung fehlen, so dass darüber keine Angaben gemacht werden können. Zu berücksichtigen ist auch, dass es nach der Operation zu Problemverlagerungen kommen kann. Selten kommt es infolge bakteriologischer oder viraler Infektionen zur Verstärkung einer vorbestehenden Pharyngitis. Auch Sinusitiden oder Otitiden können häufiger auftreten [26, 40, 43].
2.3
Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen
2.2.8 Prognose 2.3.1 Untersuchung zum Über den Zusammenhang zwischen saniertem Fokus und Krankheitsverlauf gibt es in der Literatur unterschiedliche Meinungen [1, 4, 24]. Berichtet wird insbesondere über die Bronchitis und die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises [5, 51]. Bei Kindern hat die Adeno(tonsill)ektomie einen günstigen Effekt auf die rezidivierende Bronchitis. Neben der Abnahme der Infektneigung ist auch eine positive Wirkung auf die Ausheilung von Sinusitiden festzustellen [21]. Bei der Prophylaxe und Therapie rheumatischer Erkrankungen hat die TE laut Literaturangaben einen gewissen Stellenwert. Das gilt aber weniger für Erwachsene, bei denen Frühfälle etwas günstiger ansprechen als fortgeschrittene Fälle mit einem sekundären Gelenkrheumatismus [32, 36]. Für Kinder konnte auch ein deutlich günstiger Einfluss auf die Rezidivneigung festgestellt werden [36], andere Autoren bezweifeln die Indikationsstellung sehr [32]. Bei primär chronischer Arthritis stellt die TE nur gelegentliche Behandlungsvorteile dar [24, 46].
Fokusgeschehen und zur Fokussanierung Patientengut und Methode Im Rahmen unserer Arbeit in der HNO-Klinik an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden haben wir die Problematik des Fokusgeschehens eingehender untersucht. In der Poliklinik der HNO-Klinik werden täglich bis etwa 20 Patienten zur so genanntn Fokussuche von anderen Fachdisziplinen vorgestellt. Wir haben die entsprechenden Behandlungsfälle von einem Jahr (Januar 1995 bis Januar 1996) ausgewertet (n=2740). Es handelte sich um 1274 männliche und 1466 weibliche Patienten im Alter von 18 bis 88 Jahren. Sie kamen aus fast allen Fachgebieten mit insgesamt über hundert verschiedenen Diagnosen, auf deren Aufschlüsselung hier verzichtet werden soll. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten wurde uns von der Klinik für Hautkrankheiten und der Augenklinik überwiesen. Die Patienten kann man in zwei Hauptgruppen unterteilen. Einmal die Patienten,
19 2.3 · Eigene Untersuchungen zum Fokusgeschehen
die zum Ausschluss eines Fokusgeschehens überwiesen wurden (76%), andererseits die Patienten, die vor einer chirurgischen Intervention vorgestellt wurden, wobei es sich v. a. um Patienten vor einer Herzoperation handelte (24%). Bei allen Patienten wurde ein vollständiger HNO-Status mit besonderer Beachtung der Tonsillen und Nasennebenhöhlen erhoben.
Verteilung Wir fanden insgesamt 340 (12,4%) fokusverdächtige Patienten. Bei 2400 Patienten (87,6%) bestand dagegen kein Anhalt für ein Fokusgeschehen. Von den 340 Patienten mit Fokusverdacht wiesen 221 Patienten (8,1%) einen Fokus im Bereich der Tonsille und 91 Patienten (3,3%) pathologische Veränderungen im Bereich der Nase oder Nasennebenhöhlen auf. Bei den restlichen 28 Patienten bestanden v. a. Zungenveränderungen, eine vergrößerte Rachenmandel, chronische Otitis media sowie unklare Lymphknotenschwellungen. Die Diagnose »chronische Tonsillitis« mit Indikation zur TE wurde im Untersuchungszeitraum noch verhältnismäßig häufig gestellt und folgte aus Tonsillenanamnese und -befund. Dabei war der klinische Gesamteindruck maßgebend, der sich aus dem Zusammentreffen einzelner
100% 90% 80% 56 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Psoriasis
Merkmale ergibt. Bei allen Patienten mit Verdacht auf ein tonsillogenes Herdgeschehen bestand klinisch eine chronische Tonsillitis, d. h. sie wiesen pathologische Tonsillenbefunde auf, wobei Größe, Oberfläche, Farbe, Konsistenz, Luxierbarkeit, Exprimat und Lymphknotenschwellung berücksichtigt wurden. 258 Patienten waren Patienten mit einem eigentlichen Fokus und 82 Patienten wurden vor einem chirurgischen Eingriff vorgestellt. Die pathologischen Veränderungen haben wir entsprechend der Tonsillenanamnese aufgeschlüsselt (. Abb. 2.3). Diese werden den verschiedenen Krankheitsbildern zugeordnet. Im Vordergrund standen dermatologische und ophthalmologische Patienten. Bei allen 221 Patienten mit einem tonsillären Fokus empfahlen wir eine operative Sanierung des Fokus.
Nachuntersuchung Wir haben uns aufgrund der Verteilung der Fokuspatienten ausschließlich auf die Tonsillenpatienten beschränkt, weil hier die Anzahl der Patienten hoch war. Eine Nachkontrolle nach etwa ein bis zwei Jahren bzw. eine Kontrolle der Befunde anhand der vorliegenden Unterlagen war aber erwartungsgemäß aus verschiedenen Grün-
1 2 3 4 1
keine Halsbeschwerden Z.n. Paratonsillarabszeß als Kind Angina rezidivierende Anginen
64 76
56
87
2 3 4 sonst.
2
Augenerkr.
sonst.
gesamt
Dermatosen . Abb. 2.3. Beziehung zwischen Tonsillenanamnese und den einzelnen Erkrankungsgruppen (n=221)
20
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
1 behandelter Fokus (n = 106) 2 nicht behandelter Fokus (n = 54) 40
2 30 20
1
2.3.2 Erhebung zur aktuellen
Fokusverteilung bzw. Indikation zur Tonsillektomie
10
verschlec htert
unveränd ert
gebessert
0 geheilt
2
Unterschiede bestanden bei den Ergebnissen nicht. Es wurden pathologische Befunde saniert, aber die Herderkrankung nur selten kausal beeinflusst.
. Abb. 2.4. Ergebnis der Fokussanierung. Beziehung zwischen behandeltem bzw. nicht behandeltem Fokus und Beschwerden nach Sanierung bei 160 Patienten
den nicht bei allen Patienten möglich. Gleichzeitig stellten wir fest, dass fast die Hälfte von ihnen (meist durch eigenes Versäumnis) nicht HNOärztlich behandelt worden war. Die Nachuntersuchung erfolgte entweder direkt (n=58) oder durch Aktenstudium (n=102). Insgesamt liegen damit die Ergebnisse von 160 Patienten vor. Bei 61 Patienten (27,6%) blieb der weitere Verlauf unbekannt. Bei 106 (66,3%) der 160 Patienten erfolgte die TE. Die operative Sanierung erfolgte in Absprache mit dem behandelnden Arzt. Bei 54 Patienten (33,7%) wurde der Fokus nicht behandelt, d. h. es erfolgte keine TE. Bei der Nachuntersuchung haben wir die Patienten in vier Gruppen unterteilt: geheilt, gebessert, unverändert und verschlechtert (. Abb. 2.4). Die zwei Hauptgruppen, also »TE erfolgt« oder »TE nicht erfolgt«, wurden diesen Kriterien zugeordnet. Es zeigt sich insgesamt eine leichte Verbesserung der Beschwerden, die jedoch nicht signifikant ist (χ2=0,727; FG=3). Die Verteilung in Bezug auf die einzelnen Krankheitsbilder wurde nicht berücksichtigt. Der Fokus wurde bei etwa zwei Drittel der Patienten saniert. Wesentliche
Wir haben zu der Fokusproblematik ein paar Jahre später noch einmal eine kleinere Erhebung und an einem anderen Krankenhaus (Elblandkliniken Meißen-Radebeul) aus einer anderen Perspektive durchgeführt. Ziel war es, einige aktuelle Daten zu erhalten. Berücksichtigt wurde dabei die Indikation zur TE. Das Patientengut schlüsselten wir auch hier nicht nach Geschlecht und Alter auf. In den Jahren 2000, 2001 bzw. 2002 wurde an der HNO-Klinik in Radebeul bei 219, 231 bzw. 225 Patienten eine TE durchgeführt. Ein Fokusverdacht bestand bei 32 (14,6%), 29 (12,5%) bzw. 22 Patienten (9,8%). Für das Jahr 2003 haben wir die einzelnen Indikationen näher aufgeschlüsselt (. Tab. 2.1). Es wurden insgesamt 221 Patienten tonsillektomiert. Hauptindikation war eine chronische Tonsillitis. Bei neun Patienten bestand ein Fokusverdacht. Im Jahr 2004 wurden bei insgesamt 205 Patienten die Gau-
. Tabelle 2.1. Indikation zur Tonsillektomie im Jahr 2003 (n = 221, HNO-Klinik Radebeul). Indikation
% (Anzahl [n])
Chronische Tonsillitis
70,0 (155)
Tonsillenhyperplasie
10,9 (24)
Peritonsillarabszess
10,9 (24)
Fokus
4,1 (9)
Sonstiges (z. B. Tumor, Pfropftonsillitis)
4,1 (9)
21 2.4 · Schlussfolgerungen und Diskussion
menmandeln operativ entfernt. Ein Fokusverdacht bestand nur bei drei Patienten (1,5%). Insgesamt zeigt sich also eine deutliche Abnahme der Fokuspatienten.
2.4
Schlussfolgerungen und Diskussion
2.4.1 Diskussion der eigenen
Ergebnisse Wir haben zur Problematik des Fokusgeschehens zwei Untersuchungen durchgeführt, wobei neben der Rolle der TE auch die zeitliche Entwicklung des Fokusgeschehens innerhalb von fast zehn Jahren dokumentiert wird. Bei der ersten Untersuchung handelt es sich um eine Verlaufskontrolle zur Fokussanierung. Es ist eine retrospektive Auswertung, wobei man entsprechende Patienten in zwei Gruppen einteilen kann: in die eigentlichen Fokuspatienten und Patienten, die zu einer Operation anstanden. Zunächst kann allgemein festgestellt werden, dass unsere Ergebnisse nicht allzu optimistisch sind, was die Rolle der Tonsille als Fokus betrifft. Praktisch wurde das Fokusgeschehen durch die TE im Vergleich zu nicht sanierten Patienten nicht wesentlich verbessert. Es erhebt sich daher die Frage, ob eine TE bei Fokusverdacht überhaupt gerechtfertigt ist. Wenn man die Ergebnisse betrachtet, muss die Definition des Fokus beachtet werden. Die Stellung zum Fokus ist sowohl in der HNO, geschweige denn in anderen Fachgebieten unterschiedlich definiert. Beachtet werden muss auch unser Studiendesign. Es handelte sich um eine retrospektive Studie und um ein selektiertes Patientengut hinsichtlich der Nachuntersuchung. Die Aufschlüsselung der Krankheitsbilder war sicher nicht ausreichend genau. Die Therapieergebnisse wurden anhand subjektiver Kriterien festgelegt. Eine Fokussuche ist entsprechend der Literatur dann erforderlich, wenn chronisch entzündli-
2
che Prozesse von Organbereichen bestehen, ohne örtlich erkennbare Ursache [26, 40, 43]. Trotz teilweise klinischer Intuition besteht aufgrund unserer Ergebnisse nur ein geringer Anhalt, dass die Tonsille als Fokus eine Bedeutung hat. Heutzutage ist hinsichtlich der Erkrankungshäufigkeit eine gewisse Schwerpunktverlagerung v. a. zu den obstruktiven Erkrankungen der oberen Atemwege zu verzeichnen, wobei besonders die besseren diagnostischen Möglichkeiten wie Endoskopie und Computertomographie eine Rolle spielen. Dies geschieht aber nicht im Sinne eines eigentlichen Streuherds, sondern eher im Sinne, dass ein Krankheitsgeschehen verschlimmert bzw. negativ beeinflusst wird. Was die Gaumenmandel betrifft, so sollte die Indikation zur TE bei alleinigem Fokusverdacht sehr streng gestellt werden. Eine Fokalerkrankung ohne entsprechende Tonsillensymptome stellt nur eine bedingte Indikation dar.
2.4.2 Schlussfolgerungen Bei der Fokussuche geht man von der Vermutung aus, dass jede örtliche entzündliche Gewebsveränderung Fernwirkungen im Organismus haben könnte. Auch wenn es von einigen Autoren angenommen wird, gibt es bis heute keine verlässliche Untersuchungsmethode zum Nachweis, ob diese Wirkung tatsächlich erfolgt. Heute steht der Verdacht auf einen abgekapselten Herd, welcher kaum diagnostizierbar sein dürfte, nicht im Mittelpunkt, sondern eher die Eigenschaft als Rezeptionsorgan für die krankheitsauslösenden Antigene [28, 29, 31, 35, 46]. Unabhängig davon hat der Fokusbegriff auch heute noch in der Medizin eine gewisse Bedeutung. Neben der hämatogenen Streuung von Bakterien und Toxinen oder Pilzsporen aus Entzündungsherden des Kopf-Hals-Bereiches spielt auch die Ausbreitung von Schleimhautentzündungen bei der Entstehung einer Fokuskrankheit eine Rolle [1, 2, 13, 21, 22].
22
2
Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
Bei chronisch entzündlichen Prozessen aller Organbereiche ohne örtlich erkennbare Ursache ist deshalb eine Herdsuche lohnend. Neben den Krankheiten des rheumatischen Formenkreises sollten besonders die chronische Bronchitis und das Bronchialasthma Indikation für eine HNOärztliche Vorstellung sein. Neben entzündlichen Veränderungen können beispielsweise auch obstruktive Veränderungen im Sinne einer vergrößerten Rachenmandel oder einer Septumdeviation eine Rolle spielen, deren Sanierung einen günstigen Einfluss beispielsweise auf ein Asthma bronchiale haben könnte [17]. Dem HNO-Arzt kommt hierbei die Aufgabe zu, pathologische Prozesse nachzuweisen und ihre operative Sanierung in Absprache mit dem behandelten Arzt zu übernehmen. Allerdings sollte der HNO-Arzt nicht vorschnell oder großzügig einen Fokus diagnostizieren und dem Patient seine Sanierung empfehlen. Das führt zu unbegründeten, blinden Sanierungsversuchen, die den Patienten unnötig belasten. Somit ist die diesbezügliche HNO-ärztliche Tätigkeit weitgehend subjektiv und intuitiv, wobei die Erfahrung eine wesentliche Rolle spielt [22–24, 28, 31, 35]. Alle akuten und chronischen Entzündungen wie Sinusitiden oder Otitiden müssen selbstverständlich ohne Einschränkung behandelt werden [25, 35]. Man darf nur nicht erwarten und im Patienten die Hoffnung erwecken, dadurch eine gleichzeitig bestehende andere Erkrankung kausal beeinflussen zu können. Während vor über 20 Jahren noch überwiegend die Tonsille im Mittelpunkt der Herdforschung stand, hat sich das jetzt geändert [1, 2, 13, 21, 22]. Man muss sicher zwei grundsätzliche Aspekte betrachten: einerseits ein eigentliches Fokusgeschehen und andererseits die Existenz eines pathologischen Befundes überhaupt. Die »Fokussuche« hat unter diesem Gesichtspunkt nachdrücklich ihre weitere Berechtigung, wobei pathologische Befunde im HNO-Gebiet ausgeschlossen werden müssen.
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Kapitel 2 · Die Tonsille als Fokus
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3 Die Nasennebenhöhlen als Fokus Bernhard Schick
3.1
Einleitung
– 26
3.2
Sinugener Fokus: Grundgedanken
3.3
Sinugener Fokus und Röntgenübersichtsaufnahmen – 29
3.4
Sinugener Fokus und Sepsis – 30
3.5
Sinugener Fokus und Immunsuppression
3.6
Sinugener Fokus und Beatmung – 34
3.7
Sinugener Fokus und Transplantation
3.8
Sinugener Fokus und Dermatologie – 40
3.9
Sinugener Fokus und Herzchirurgie – 41
– 27
– 33
– 36
3.10 Sinugener Fokus und Ophthalmologie – 41 3.11 Zusammenfassung Literatur – 43
– 42
3
26
Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
3.1
Einleitung
Die Frage nach der Existenz eines sinugenen Fokus ist von großem Interesse. Von verschiedenen Fachdisziplinen wird der Hals-Nasen-OhrenArzt oft um eine Stellungnahme gebeten, ob ein sinugener Fokus besteht. Bei nur sehr geringen Literaturhinweisen zur Existenz und Bedeutung eines sinugenen Fokus wird der HNO-Arzt bei der Beantwortung der Frage nach einem Fokus der Nasennebenhöhlen auf persönliche Erfahrungen zurückverwiesen, weil weitergehende relevante medizinische Erkenntnisse in diesem Zusammenhang nicht vorhanden sind. Der eigene Erfahrungshorizont ist in aller Regel begrenzt, da dem HNO-Arzt nicht selten der weitere Verlauf und die Auswirkungen einer empfohlenen konservativen oder operativen Therapie ebenso wie die Folge der Verneinung eines ursächlich sinugenen Herdgeschehens verborgen bleiben. Bereits im Rahmen der 14. Erlanger Fortbildungstage wurde in diesem Zusammenhang auf das mögliche Dilemma des HNO-Arztes hingewiesen, »dass er im gegebenen Konsiliarfall die vermutete Herdkrankheit oft nicht durchschaut – wie der anfragende Spezialist evtl. auch nicht – und dass er über die Spätergebnisse seiner operativen Herdsanierung substanziell nicht unterrichtet wird« [1]. Dieses Dilemma zu überwinden, ist eine wichtige interdisziplinäre Aufgabe der Zukunft. Wichtig
Die Frage nach einem sinugenen Fokus stellt sich für den HNO-Arzt bis heute in einem nur begrenzten Erkenntnisraum.
Die Vorstellungen über eine sinugene Herdkrankheit waren im vergangenen Jahrhundert vielgestaltig und beruhten nicht selten auf der gleichzeitigen Beobachtung einer Sinusitis und einer zweiten von den Nasennebenhöhlen im Sinne des Fokusgedankens getrennten Erkrankung. Durch
die oft gemeinsame Beobachtung einer Polyposis nasi und einer Asthma-bronchiale-Erkrankung wurde zum Beispiel die Asthma-bronchialeErkrankung als eine wichtige sinugene Herdkrankheit diskutiert [2]. Wenngleich bis heute die Ätiologie beider Erkrankungen nicht abschließend beantwortet ist, haben neue Arbeiten zum Themenkomplex der diffusen polypösen Sinusitis und dem Asthma bronchiale den Gedanken formuliert, dass die eosinophile chronische Rhinosinusitis und das Asthma bronchiale Ausdrucksformen der gleichen pathologischen Prozesse an unterschiedlichen Stellen der Atemwege sind [3, 4]. Bereits dieses Beispiel verdeutlicht, dass allein die gemeinsame Beobachtung von zwei Erkrankungen insbesondere bei fehlenden Kenntnissen der pathogenetischen Ursachen nicht zu der spekulativen Annahme eines sinugenen Fokus führen sollte. Die Aussage eines nicht bekannten bzw. bisher nicht näher zu erkennenden Zusammenhangs von gemeinsam beobachteten Erkrankungen besitzt eine größere Tragfähigkeit als die Formulierung einer potenziellen, aber nicht zu stützenden Fokusannahme. Sollte zu einem späteren Zeitpunkt durch fortschreitende Erkenntnisse der Nachweis einer sinugenen Fokuswirkung gelingen oder zumindest aber als wahrscheinlich sich herauskristallisieren, so ist die Aufnahme dieses Fokusgedankens in einen aktiven Erkenntnisprozess wertvoller, als mit einer Fülle von fragwürdigen Fokusgedanken zu arbeiten. Damit sei ausdrücklich nicht die potenzielle Vielfältigkeit einer Sinusitisauswirkung auf den Körper in Form einer Bakteriämie, der Bildung von Autoantikörpern oder der Freisetzung von toxischen Wirksubstanzen im Gedankengang der Fokustheorie verworfen, sondern das Bemühen ausgedrückt, durch die stete Synopsis gesicherter Beobachtungen ein Fundament für den Umgang mit der Frage nach dem Vorliegen eines sinugenen Fokusgeschehens zu bereiten.
27 3.2 · Sinugener Fokus: Grundgedanken
Wichtig
Die Formulierung von gesicherten Wirkungszusammenhängen ist für die Fokusfrage tragfähiger als die Bewegung im Raum der Möglichkeiten und Spekulationen.
Die Literaturangaben über die Häufigkeit eines sinugenen Fokus in einer Höhe von 12% im Jahre 1950 [5] und in einer Höhe von 10% im Jahre 1957 [6], sind einerseits in Würdigung des zu dieser Zeit noch sehr populären Fokusgedankens und andererseits der Annahme wichtiger weiterer Fokusherde zu sehen. In dieser Zeit bestand weitgehender Konsens, dass insbesondere die chronische Tonsillitis neben anderen örtlichen Entzündungen Herdcharakter annehmen könne und damit den sinugenen Fokus an Bedeutung weit übersteige [1]. Die Angabe eines sinugenen Fokus von nur 1% aller Kopfherde im Jahre 1955 nach der Auswertung von 1000 operativ behandelten Patienten zeigt an [7], dass die Bedeutung eines sinugenen Fokus insgesamt sehr zurückhaltend gesehen wurde. Diese Ansicht zur Bedeutung eines Fokus der Nasennebenhöhlen hat sich grundlegend geändert. Der sinugene Fokus ist in das Zentrum der Betrachtung gerückt. Knöbber erwartet, dass durch die differenzierten Aussagemöglichkeiten der Computertomographie der sinugene Fokus die Tonsillen als Sitz des Krankheitsherdes übertreffen wird [8]. In Anbetracht der zukünftig zu erwartenden Konzentration auf die Frage nach einem sinugenen Fokus soll in den nachfolgenden Ausführungen eine kritische Darstellung der Nasennebenhöhlen als Ort eines Krankheitsherdes mit Fokuswirkung in das Blickfeld der Überlegungen gerückt werden.
3.2
3
Sinugener Fokus: Grundgedanken
Da die Fokusdefinition auf dem Gedanken der Möglichkeit der Bedeutung einer Nasennebenhöhlenpathologie für eine nicht in unmittelbarer räumlicher Beziehung zu den Nasennebenhöhlen stehenden Erkrankung beruht, ist die Frage im Sinne der Definition für den HNO-Arzt auf den ersten Blick scheinbar eindeutig zu beantworten. Findet sich eine Pathologie der Nasennebenhöhlen, so ist die Möglichkeit einer Fernwirkung primär dann gegeben, wenn die Möglichkeit einer Fernwirkung nicht grundsätzlich verworfen wird. Dies gilt insbesondere durch die Einschränkung, dass kein Test eine Herdwirkung zuverlässig beweisen oder ausschließen kann [1]. Da sich aber aus der Annahme einer sinugenen Fokuswirkung implizit die Frage nach einer Behandlungskonsequenz im konkreten Einzelfall stellt, ist für den HNO-Arzt der Rückzug auf die Aussage einer potenziellen Möglichkeit wenig befriedigend und im Gesamtzusammenhang weder eine Hilfe für den erkrankten Patienten noch für den anfragenden Fachkollegen. Wichtig
Die Antwort auf die sinugene Fokusfrage ist von der theoretischen Ebene der reinen Möglichkeit zu lösen, da implizit die Behandlungsfrage bei dem Nachweis einer Nasennebenhöhlenpathologie gestellt ist.
Die Frage nach einem sinugenen Fokus umfasst die Frage nach der Bedeutung einer akuten und insbesondere einer chronischen Sinusitis hinsichtlich einer möglichen Fernwirkung. Die akute Sinusitis ist im Gegensatz zu einer chronischen Sinusitis wesentlich präziser definiert und ein entsprechender Keimnachweis in der betroffenen Nasennebenhöhle gestattet eine gute Voraussetzung, dem Phänomen einer bakteriellen Fokuswirkung ausgehend von einer akuten Sinusitis mit
28
3
Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
nachfolgender Bakteriämie nachzugehen. Im Kontext der chronischen Sinusitis ergeben sich aber bereits auf einer frühen grundsätzlichen Ebene große Schwierigkeiten. Der Begriff der chronischen Sinusitis ist als Oberbegriff zu verstehen, der eine Fülle von bisher noch nicht vollständig definierten Pathologien auf der Basis einer Symptombeschreibung zusammenfasst [9, 10]. Da das Wissen um die Ätiologie der verschiedenen Formen einer chronischen Sinusitis rudimentär ist, ist der HNO-Arzt in erster Linie mit einem Komplex von Symptomen konfrontiert, den er nur mit großer Vorsicht vorläufig einordnen kann. Die Unschärfe der chronischen Sinusitis per se potenziert die Schwierigkeiten in der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung einer chronischen Sinusitis als sinugenem Fokus auf dem Hintergrund des Möglichkeitsgedankens der Fokusdefinition. Bei den dem HNO-Arzt mit der Frage nach einem sinugenen Fokus vorgestellten Patienten wird immer häufiger eine radiologische Schnittbilddiagnostik (Computertomographie, Magnetresonanztomographie) des Kopfes mit dem Nachweis einer Verschattung einzelner Nasennebenhöhlenabschnitte vorgelegt. Die Bewertung der in modernen radiologischen Schnittbilduntersuchungstechniken nachgewiesenen vielfältigen Schleimhautveränderungen der Nasennebenhöhlen hat mit Vorsicht zu erfolgen. Bei asymptomatischen Kindern und Erwachsenen finden sich als Zufallsbefunde Sinuspathologien bei 30–45% [11]. Der häufige radiologische Nachweis von Verschattungen der Nasennebenhöhlen belegt in keiner Weise eine häufige Präsenz eines sinugenen Fokus, sondern bedeutet für den klinischen Alltag primär die Wirklichkeit einer häufigen Fokusfragestellung durch verschiedene Fachdisziplinen, denen der HNO-Arzt verantwortungsvoll begegnen muss. Hierbei sollte stets beachtet werden, dass der radiologische Nachweis einer Nasennebenhöhlenverschattung in keiner Weise zur Diagnose einer akuten oder chronischen Sinusitis berechtigt. Sehr differenziert ist in
Zusammenschau der Anamnese, des endoskopischen Untersuchungsbefundes und der Analyse der individuellen Nasennebenhöhlenanatomie die adäquate Befundeinordnung vorzunehmen, um dann der Abwägung der Frage nach dem Vorliegen eines sinugenen Fokus nachzugehen. Wichtig
Die Diagnose einer akuten oder chronischen Sinusitis als Voraussetzung der Fokusfrage basiert auf dem Fundament der Anamnese und der endoskopischen Untersuchung und nicht primär auf einer radiologischen Befunderhebung.
In dem Bestreben nach einer begründeten Entscheidung für die Annahme oder die Verwerfung eines pathologisch bedeutenden sinugenen Fokus im konkreten Einzelfall ist eine deutlich präzisere Definition des sinugenen Fokus erforderlich. Der Begriff Fokus, der in der Medizin als Krankheitsherd und in der Optik als Brennpunkt verstanden wird, bedarf in der medizinischen Dimension der Bereicherung durch die optische Perspektive im Sinne einer präziseren Fokussierung des Begriffes. Diese Präzisierung muss sowohl von Seiten der HNO-Ärzte als auch den anfragenden Fachkollegen in einer interdisziplinären Anstrengung unternommen werden. Um den sinugenen Fokus im vorliegenden Beitrag zu schärfen, wird seine Bedeutung nach einer Einordnung des Stellenwertes radiologischer Untersuchungsbefunde im Rahmen einer Sepsis, beim beatmeten Patienten, nach einer Transplantation und im Kontext der Fachgebiete der Dermatologie, der Herzchirurgie und der Ophthalmologie betrachtet. Hierbei wird insbesondere in dem Bemühen um die Darstellung fundierten Wissens auf den hämatogenen Weg einer Fokuswirkung durch die Einschwemmung von Bakterien oder Toxinen eingegangen, wodurch in keiner Weise die Möglichkeit eines immunologischen oder parakrinen Weges negiert
29 3.3 · Sinugener Fokus und Röntgenübersichtsaufnahmen
werden soll. Die Erkenntnisse zur Bedeutung eines immunologischen oder parakrinen Weges müssen in der Zukunft anwachsen, um diese synoptisch darstellen zu können.
3.3
Sinugener Fokus und Röntgenübersichtsaufnahmen
Die Anfertigung einer Nasennebenhöhlenübersichtsaufnahme ist nicht selten fester Bestandteil von Protokollen anfragender Spezialisten zur Fokussuche, in denen es zum Beispiel um Fragestellungen vor Transplantationen geht, so dass der Patient unter Einschluss einer Röntgenübersichtsaufnahme dem HNO-ärztlichen Fachkollegen mit der Frage nach einem vorliegenden Fokus vorgestellt wird. Hinsichtlich dieses Vorgehens sind grundsätzliche Aspekte zu diskutieren. Die Röntgenübersichtsaufnahme wird von der Computertomographie um ein Vielfaches in der Darstellung der anatomischen Besonderheiten und der exakten Zuordnung von Verschattungen der Nasennebenhöhlen überragt. In Abhängigkeit von der Lokalisation wurde für Nasennebenhöhlenübersichtsaufnahmen im Vergleich mit der Computertomographie eine Sensitivität von 36,7–66,4% beschrieben [12]. Die Beurteilung des Siebbeins als wichtiger Schlüsselregion der Nasennebenhöhlen ist durch die Überlagerung des Nasenbeins in Röntgenübersichtsaufnahmen bereits aus technischer Sicht nur unzureichend möglich. Aber auch Pathologien in allen anderen Nasennebenhöhlen können sich der Erkennung in einer Röntgenübersichtsaufnahme entziehen. Im Vergleich mit computertomographischen Untersuchungen wurden durch eine Röntgenübersichtsaufnahme bei Kindern eine von fünf Stirnhöhlenpathologien (20%), keine von zwölf Keilbeinhöhlenaffektionen (0%), 17 von 31 Befunden des Siebbeins (54%) und 37 von 49 Kieferhöhlenverschattungen (75%) erkannt [13]. Eine Übereinstimmung von Röntgenübersichtsauf-
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nahme und Computertomographie fanden Iinuma und Mitarbeiter bei 97 untersuchten Nasennebenhöhlenseiten für die Kieferhöhle in 78,4%, für die Stirnhöhle in 71,1%, für das vordere Siebbein in 52,6% und das hintere Siebbein in 52,6% [14]. In einer prospektiven Vergleichsuntersuchung von Übersichtsröntgenaufnahmen und computertomographischen Untersuchungen bei 70 Kindern korrelierten die Untersuchungsbefunde bei 75% der Kinder nicht. Bei 45% der Kinder fanden sich bei unauffälligen Röntgenübersichtsaufnahmen Nasennebenhöhlenpathologien in der computertomographischen Untersuchung, wohingegen bei 35% der Kinder mit einer pathologischen Wertung der Nasennebenhöhlen in der Röntgenübersichtsaufnahme kein entsprechendes Korrelat in der computertomographischen Untersuchung zu erkennen war [15]. Auf dem dargestellten Hintergrund werden die Befunde einer Röntgenübersichtsaufnahme als nicht ausreichend für die klinische Einordnung und insbesondere die sich hieraus ergebenden Therapiekonsequenzen bei einer Sinusitis angesehen [16]. Sowohl für die Diagnose der akuten als auch der chronischen Sinusitis ist die durch den Patienten angegebene Symptomatik und endoskopische Befunderhebung von wesentlicher Bedeutung, auf deren Boden die radiologischen Untersuchungsbefunde zu werten sind. Die Persistenz der wegweisenden Symptome (hohes Fieber, Gesichtsschwellung und -schmerzen, grünlicher Schnupfen) und die endoskopischen Befunde werden als wesentliche Parameter in der Abgrenzung der akuten Sinusitis von einer unspezifischen Rhinosinusitis angesehen [17]. Es ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass Schleimhautschwellungen mit großer Vorsicht beurteilt werden müssen, da bereits unspezifische Infekte mit ausgeprägten und langdauernden Schleimhautschwellungen einhergehen können [18]. Auf die Bedeutung der symptombezogenen Diagnose der chronischen Sinusitis war bereits im Kapitel der Grundgedanken zum sinugenen Fokus hingewiesen worden.
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
Die Anamnese und die endoskopische Befunderhebung sind aufgrund ihrer Bedeutung für die Diagnose einer Sinusitis daher zwangsläufig führend in der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines sinugenen Fokus. Röntgenuntersuchungen können nur in der Synopsis mit diesen Informationen sinnvoll gewertet werden, wobei die eingeschränkte Aussagekraft der Röntgenübersichtsaufnahme stets beachtet werden muss. Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass die Indikation zur Ausführung einer Röntgenübersichtsuntersuchung der Nasennebenhöhlen kritisch zu stellen ist und erst nach der HNO-ärztlichen Befunderhebung erfolgen sollte. Der HNO-Arzt muss im Einzelfall die Entscheidung treffen, ob eine computer- oder magnetresonanztomographische Untersuchung im Kontext der gestellten Fokusfrage notwendig ist und an Stelle einer Röntgenübersichtsaufnahme der Nasennebenhöhlen erfolgen sollte. Im interdisziplinären Dialog ist darauf hinzuwirken, dass eine Röntgenübersichtsaufnahme nicht mit der konsiliarischen Anfrage nach dem Vorliegen eines sinugenen Fokus dem HNO-ärztlichen Kollegen vorgelegt wird. Wichtig
Die eingeschränkte Aussagekraft einer Röntgenübersichtsaufnahme ist im Rahmen der Fokusfrage zu beachten. Die Ausführung einer Röntgenübersichtsaufnahme vor einer HNO-ärztlichen Untersuchung ist kritisch zu betrachten. Die Veranlassung einer radiologischen Diagnostik und die zu wählende Untersuchungstechnik sollten auf dem Boden der Anamnese und des endoskopischen Untersuchungsbefundes erfolgen.
3.4
Sinugener Fokus und Sepsis
Die Betrachtung des sinugenen Fokus im Rahmen der Sepsis bietet den hervorragenden Ansatzpunkt, dass die Sequenz einer Sinusitis als sinuge-
ner Fokus und Ausgangspunkt einer Bakteriämie mit der Folge einer Sepsisentwicklung eindeutig definiert werden kann. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht hierbei ein akutes Entzündungsgeschehen der Nasennebenhöhlen. Ausgehend von dieser geforderten Sequenz stellt sich die Frage, ob im Rahmen von Sepsiserkrankungen in Blutkulturen Erreger nachzuweisen sind, die eindeutig den Erregern einer Sinusitis zugeordnet werden können. Bevor diese Fragestellung verfolgt wird, besteht aber auf dem Niveau einer Vorebene bereits die grundsätzliche Frage nach Literaturhinweisen, die Angaben zur Häufigkeit einer Bakteriämie im Rahmen einer Sinusitis geben, ohne dass das Erkrankungsbild einer Sepsis zu beobachten ist. Moraxella catarrhalis ist als Erreger von Entzündungen der oberen Atemwege bekannt und kann insbesondere bei Kindern eine akute Sinusitis oder Otitis media acuta bedingen. In einer retrospektiven Auswertung von 123140 Blutkulturen wurde bei einer Gesamtzahl von 2141 Bakteriämien elfmal der Nachweis einer Moraxella catarrhalis-Bakteriämie geführt. Bei diesen elf Kindern fanden sich zehnmal eine akute Otitis media, fünfmal eine akute Sinusitis und dreimal eine Pneumonie. Drei der von einer Sinusitis betroffenen Kinder befanden sich in dem Zustand einer Immunsuppression [19]. In einer retrospektiven Auswertung von 90 Kindern mit dem Befund einer Pneumokokkenbakteriämie fand sich einmal eine Mastoiditis und bei keinem Kind der Hinweis auf eine Sinusitis [20]. Diese Erfahrungen weisen bereits darauf hin, dass eine Bakteriämie im Kindesalter auf dem Boden einer Sinusitis selten zu beobachten ist. In diesem Zusammenhang der Häufigkeit von Bakteriämien im Kindesalter ist ferner grundsätzlich zu beachten, dass durch die Einführung von Impfungen gegen Haemophilus influenzae und Streptococcus pneumoniae die Häufigkeit von Bakteriämien abgenommen hat [21]. Innerhalb einer prospektiven Untersuchung fand sich im Rahmen von Blutkulturuntersu-
31 3.4 · Sinugener Fokus und Sepsis
chungen ambulant vorstelliger, erwachsener Patienten mit unsicherer Diagnose bei 110 Patienten eine Bakteriämie. In dieser Serie wurden klinische Zeichen einer Infektion der oberen Atemwege bei acht der 110 Patienten gesehen. Nur bei einem Patienten der gesamten Serie wurde von den Autoren die Infektion der oberen Luftwege als ursächlich für die Bakteriämie gewertet, ohne dass in diesem Einzelfall der sichere Hinweis auf eine ursächliche Sinusitis gegeben wurde [22]. Neben dieser größeren Serie, die auf die Seltenheit einer sinugenen Bakteriämie im Erwachsenenalter hinweist, finden sich in der Literatur Einzelfallberichte, die den Zusammenhang zwischen einer Sinusitis und Bakteriämie eindeutig durch den Nachweis des Erregers in den Nasennebenhöhlen und im Blut aufzeigen. Bei einer akuten Pansinusitis gelang der Nachweis von Streptococcus milleri im Nasennebenhöhlenabstrich und in Blutkulturen bei einem 41-jährigen Patienten [23]. Nicht selten bleiben aber die Autoren in den Fallberichten einer sinugenen Bakteriämie den definitiven Nachweis durch den mikrobiologischen Beweis des Erregers in den Nasennebenhöhlen schuldig, so dass nur in der Zusammenschau aller Befunde und des klinischen Verlaufs die von einer Sinusitis ausgehende Bakteriämie als wahrscheinlich zu werten ist. Nach einem Tauchgang wurde zum Beispiel eine Bakteriämie in Blutkulturuntersuchungen nachgewiesen, die durch das Bakterium Vibrio alginolyticus bei dem Befund einer Sinusitis sphenoidalis hervorgerufen wurde, ohne den Erreger in der Keilbeinhöhle mikrobiologisch bestätigt zu haben [24]. Wichtig
Bei immunkompetenten Kindern und erwachsenen Patienten darf damit aufgrund der vorliegenden Befundlage der Literatur berechtigt von der Möglichkeit einer Bakteriämie auf dem Boden eines akuten Nasennebenhöhleninfektes ausgegangen werden,
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3
so dass im Grundsatz die Möglichkeit einer Fokuswirkung in der Sequenz einer Bakteriämie gegeben ist. Gleichzeitig weisen die Literaturmitteilungen aber darauf hin, dass eine Bakteriämie beim immunkompetenten Patienten nur selten die Folge einer Sinusitis ist.
Insbesondere in Einzelfallberichten ist die Sequenz einer Sinusitis mit einer als Fokuserkrankung durch Toxinwirkung zu verstehenden Erkrankungswirkung auf den Körper belegt. Von einem Toxic-Shock-Syndrom bei einer vorliegenden akuten Sinusitis maxillaris ohne Beziehung zu einer Nasennebenhöhlenoperation wurde bei einem 27-jährigen Mann berichtet, in dessen eitrigem Punktat der Kieferhöhle der toxinbildende Staphylococcus aureus nachgewiesen werden konnte [25]. Bei drei Kindern wurde ein ToxicShock-Syndrom während einer Sinusitis beobachtet, wobei bei zwei Kindern der Nachweis von Staphylococcus aureus im Bereich der Kieferhöhle mittels Aspiraten und bei einem Kind anhand eines Nasenabstrichs bei dem radiologischen Befund einer Sinusitis geführt wurde [26]. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Diagnose eines Toxic-Shock-Syndroms nicht auf dem Nachweis von toxinbildendem Staphylococcus aureus basiert, sondern durch die klinischen Befunde definiert ist. Bei einer 24-jährigen Patientin wurde beispielsweise ein Toxic-Shock-Syndrom ausgehend von einer Sinusitis maxillaris mit dem Nachweis von Streptococcus pneumoniae beschrieben [27]. Das Auftreten eines Toxic-Shock-Syndroms ist ferner im Kontext von Nasennebenhöhlenoperationen zu beobachten. 18 Stunden nach einer Nasennebenhöhlenoperation wurde ein ToxicShock-Syndrom bei einer 32-jährigen Patientin mit dem Nachweis von Staphylococcus aureus in Nasenabstrichkulturen beobachtet [28]. In enger zeitlicher Beziehung zu einer Nasennebenhöhlenoperation wird die Inzidenz des Auftretens eines
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
Toxic-Shock-Syndroms mit 16,5/100000 angegeben [29]. Ein Toxic-Shock-Syndrom ist aber auch in einer zeitlichen Latenz zu einem Nasennebenhöhleneingriff zu beachten. Abram und Mitarbeiter berichteten von einem Toxic-Shock-Syndrom bei drei Patienten in unmittelbarer Beziehung zu einer operativen Nasennebenhöhlenbehandlung und bei zwei Patienten von einer milderen Verlaufsform eines Toxic-Shock-Syndroms am fünften bzw. 19. postoperativen Tag nach einer Nasennebenhöhlenoperation[30]. Die Entwicklung eines Toxic-Shock-Syndroms 25 Tage nach einer endonasalen Nasennebenhöhlenoperation mit dem Keimnachweis Pseudomonas aeruginosa und Staphylococcus aureus in den Nasennebenhöhlen wurde ebenso beobachtet [31]. Wichtig
Das sinugene Toxic-Shock-Syndrom ist ein Beispiel für eine toxische Fokuswirkung der Nasennebenhöhlen. Die Möglichkeit der Entwicklung eines sinugenen Toxic-Shock-Syndroms ist unabhängig von einer Nasennebenhöhlenoperation auf dem Boden einer Sinusitis, in Beziehung zu einem Nasennebenhöhleneingriff und auch im zeitlichen Intervall zu einer Nasennebenhöhlenoperation nach bereits erfolgter Entfernung von Nasentamponaden zu berücksichtigen.
Sichere Hinweise auf ein septisches Geschehen ausgehend von einer Sinusitis sind beim immunkompetenten Patienten unabhängig von einer intensivmedizinischen Behandlung aus der Literatur nur in geringem Umfang zu entnehmen. Der anaerobe gramnegative Saprophyt Fusobacterium necrophorum verursacht etwa 1% aller beim Menschen verursachten Bakteriämien und kann eine fulminant verlaufende Sepsis (Lemierre-Syndrom, Postangina-Sepsis) verursachen. Wenngleich der Oropharynx in über 90% als Ausgangspunkt angesehen wird, wird auch eine Sinusitis bei Kindern als möglicher Ausgangspunkt beachtet.
Busch und Mitarbeiter beschreiben eine Lemierre-Sepsis mit Meningitis und intravasaler Verbrauchskoagulopathie als Komplikation einer infektiösen Mononukleose mit Pansinusitis[32]. Nach begonnener antibiotischer Behandlung gelang bei einer eitrigen Pansinusitis nach Pansinusoperation im Sekret kein Keimnachweis, so dass der eindeutige Nachweis eines sinugenen Fokus in diesem Einzelfall nicht zu belegen ist. Es wurde von einer zervikalen Pyomyositis, die durch Fusobacterium necrophorum und Streptokokken der Gruppe F auf dem Boden einer sinugenen Sepsis hervorgerufen wurde, berichtet [33]. Eine Sepsisentstehung mit Todesfolge bei einer Sinusitis war bei einem 67-jährigen Patienten mit dem Nachweis von Streptococcus pneumoniae sowohl in Punktaten der Kieferhöhlen als auch in Blutkulturen festzustellen [34], was trotz der Seltenheit des Ereignisses einer Sepsis hervorgerufen durch eine Sinusitis beim immunkompetenten Patienten die Beachtung dieses Zusammenhanges unterstreicht. Wichtig
Eine sinugene Sepsis beim immunkompetenten Patienten unabhängig von einer Beatmungssituation ist ein existentes aber seltenes Ereignis.
Ein veränderter Blickwinkel ergibt sich bei der Betrachtung der chronischen Sinusitis aufgrund des detektierten, veränderten Keimspektrums. Während im Rahmen der akuten Sinusitis die Erreger Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis dominieren, fanden sich in mikrobiologischen Untersuchungen von Abstrichen während endoskopischer Nasennebenhöhlenoperationen zur Behandlung der chronischen Rhinosinusitis in 50% koagulase-negative Staphylokokken, in 20% nicht-pathogene Keime und in 30% war kein Nachweis eines Bakterienwachstums zu führen [35]. Bei dem Vergleich von mikrobiologischen
33 3.5 · Sinugener Fokus und Immunsuppression
Untersuchungsbefunden bei chronischen Rhinosinusitiden mit und ohne Ausbildung von Polypen fanden sich keine wesentlichen Unterschiede der detektierten Bakterien [36]. Unter den Bedingungen des operativen Eingriffs einer endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation gelang durch Blutkulturuntersuchungen der Nachweis einer Bakteriämie bei vier von 58 Patienten (6,9%), wobei die bestimmten Erreger im Blut mit den in den Abstrichergebnissen aus dem Siebbein bzw. mittleren Nasengang übereinstimmten [35]. Im Vergleich zu zahnärztlichen Behandlungen mit einer beobachteten Bakteriämie bei mehr als 90% der behandelten Patienten [37] ist die Bakteriämieinzidenz bei operativen Behandlungen einer chronischen Sinusitis damit als deutlich geringer einzuordnen. Wichtig
Die chronische Sinusitis ist primär keine bakterielle Erkrankung und die nachgewiesenen Bakterien unterscheiden sich grundsätzlich vom Keimspektrum der akuten Sinusitiden. Eine Bakteriämie im Zusammenhang mit einem endoskopischen Nasennebenhöhleneingriff ist deutlich seltener als nach zahnärztlichen Behandlungen zu erwarten, so dass der Fokusgedanke im Rahmen einer chronischen Sinusitis beim immunkompetenten Patienten mit großer Zurückhaltung zu diskutieren ist.
3.5
Sinugener Fokus und Immunsuppression
stimmt, sondern auch durch die Reaktionslage und Abwehrleistung des Gesamtorganismus. In diesem Zusammenhang sind angeborene und erworbene Immundefekte ebenso wie eine therapeutisch induzierte Immunsuppression zu beachten. Bei immunsupprimierten Patienten finden sich Hinweise auf die Möglichkeit einer sinugenen Sepsis. Bei einem 26-jährigen Patienten wurde bei bekannter Morbus-Crohn-Erkrankung unter immunsuppressiver Therapie mit Azathioprin bei akuten Epstein-Barr-Virus- und HerpesInfektionen sowie einer akuten eitrigen Pansinusitis ohne Erregernachweis eine Sepsis mit Embolieherden in Milz, Leber und Lunge berichtet [38]. Der fehlende Erregernachweis in den Nasennebenhöhlenabstrichen und in Blutkulturen lässt den Zusammenhang der akuten Pansinusitis und Sepsis jedoch nur als wahrscheinlich erscheinen. Nach Splenektomie und fehlender Pneumokokkenschutzimpfung wurde bei einem 31-jährigen Patienten von einer schweren Sepsis mit fulminanter Rhabdomyolyse berichtet. Computertomographisch wurde eine Pansinusitis diagnostiziert und in Blutkulturuntersuchungen konnte eine Streptococcus pneumoniae-Bakterämie nachgewiesen werden [39]. Bei 36 Patienten mit einer Hämophilus-Bakteriämie und einer bekannten Malignomerkrankung fand sich ein Patient mit einer Sinusitis, bei dem sowohl in einem Nasennebenhöhlenabstrich als auch Halsabstrich der Erreger der Bakteriämie nachgewiesen werden konnte, so dass der Ursprungsort der Bakteriämie nicht eindeutig den Nasennebenhöhlen zugeordnet werden kann [40]. Wichtig
Ein veränderter Blickwinkel ergibt sich grundsätzlich bei der Wertung des Fokusgedankens im Kontext des immunsupprimierten Patienten, da für die potenzielle Herdwirkung eines sinugenen Fokus der Immunstatus des Patienten von großer Bedeutung ist. Die Ausbildung eines Herdgeschehens wird nicht durch den Herd alleine be-
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Nur wenige Literaturberichte betrachten bei immunsupprimierten Patienten den Zusammenhang einer Sinusitis und einer Sepsis. Wenngleich dies ein weiterer Hinweis auf die Seltenheit einer sinugenen Sepsis auch beim
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
immunsupprimierten Patienten bedeuten kann, ist aufgrund der mit der eingeschränkten Abwehrlage einhergehenden größeren Gefahr für den Patienten der Zusammenhang von Sinusitis, Bakteriämie und Sepsis zu beachten.
In Bezug auf einen sinugenen Fokus sind neben Bakterien auch Pilze zu beachten. Bei Patienten mit hämatologischen Malignomerkrankungen werden mit steigender Inzidenz invasive Aspergillusinfektionen beobachtet. Neben Aspergillusinfektionen werden bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen auch Mucormykosen berichtet [41, 42]. Da neutrophilen Granulozyten eine Hauptfunktion in der Abwehr von Pilzen zuzuordnen ist, sind Pilzinfektionen mit ihren lebensbedrohenden Komplikationen insbesondere bei einer Neutropenie zu beobachten [43]. Ausgehend von einer sinugenen oder pulmonalen Infektion tritt Aspergillus in die Blutgefäße über [44]. Hierbei ist zu beachten, dass sowohl die Nasenhaupthöhle als auch die Nasennebenhöhlen unter dem klinischen Bild einer akuten Rhinosinusitis Ausgangspunkt einer invasiven Aspergillusinfektion sein können. Da die Prognose von einer frühen Diagnose und unmittelbaren spezifischen Therapie abhängt, ist die Erkennung einer invasiven Aspergillusinfektion ebenso wie die einer Mucormykose ausgehend von einer sinugenen Lokalisation beim immunsupprimierten Patienten von großer Bedeutung. Besteht die Immunsuppression in der Folge einer medikamentösen Behandlung, so ist von Interesse, dass unter den immunsuppressiven Medikamenten das Cyclosporin eine besondere Stellung einnimmt. Cyclosporin verursacht keine Suppression des Knochenmarks und soll eine antivirale, antibakterielle und antifungale Wirkung besitzen [45].
Wichtig
Insbesondere bei einer Immunsuppression mit dem Befund einer Neutropenie, wie sie nicht selten bei hämatologischen Erkrankungen zu beobachten ist, sollte die Möglichkeit einer sinugenen Pilzinfektion stets beachtet werden, da die frühzeitige Diagnose prognostisch von eminenter Bedeutung ist.
3.6
Sinugener Fokus und Beatmung
Im Rahmen der intensivmedizinischen Betreuung von Patienten werden bis zu 25% aller Infektionen auf eine sinugene Ursache zurückgeführt [46]. Insbesondere eine Sinusitis maxillaris ist bei intensivmedizinisch behandelten Patienten häufig und als Ursache für ein mit Fieber imponierendes Entzündungsgeschehen zu beachten [47]. Auch eine Sepsis kann den ersten Hinweis auf eine Sinusitis bedeuten, da beim beatmeten Patienten die typischen Sinusitiszeichen eines Gesichtsschmerzes und einer Nasensekretion fehlen [48]. Die nosokomiale Sinusitis des beatmeten Patienten wird als Ausgangspunkt einer Sepsis, als Ursache für die Entwicklung einer Meningitis und als ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Pneumonie angesehen [49]. Im Rahmen einer prospektiven Untersuchung fand sich bei 10 von 52 Patienten mit einer Sinusitis eine Bakteriämie mit dem gleichen Erregernachweis wie im Bereich der Nasennebenhöhlen. Sieben dieser zehn Patienten zeigten neben der Sinusitis den Befund einer Pneumonie [50]. Die Diagnose und adäquate Behandlung der Sinusitis des beatmeten Patienten ist dementsprechend wichtig und nimmt unter anderem bei Verbrennungspatienten Einfluss auf das Überleben [51]. Auch wenn die Letalität einer Sepsis von etwa 70% auf unter 50% gesenkt werden konnte [52], ist die Sepsis unverändert die häufigste zum Tode führende Komplikation der modernen In-
35 3.6 · Sinugener Fokus und Beatmung
tensivmedizin [53]. Im Gesamtkontext ist jedoch zu beachten, dass Welte als Sepsisquellen vor allem Katheter- und Wundinfektionen, Urogenitalinfektionen, tiefe Atemwegsinfektionen, Pneumonien und intraabdominelle Infektionen ohne die Nennung einer Sinusitis aufführt, so dass der Sinusitis in dieser Perspektive eine untergeordnete Rangstellung im Konzert der möglichen Sepsisursachen zugeordnet wird [53]. Wichtig
Die noskomiale Sinusitis ist beim beatmeten Patienten als Ausgangspunkt einer Sepsis zu beachten.
Insbesondere eine nasotracheale Intubation oder eine nasogastrale Ernährungssonde finden durch ihren Einfluss auf den mittleren Nasengang beim beatmeten Patienten für die Entwicklung einer Sinusitis Beachtung [54, 48]. Die Inzidenzangaben einer Sinusitis bei nasotracheal intubierten Patienten schwanken jedoch zwischen 2 und 83% [55], so dass sich in der vorhandenen Datenlage eine gewisse Unsicherheit ausdrückt. Von großer Bedeutung ist in diesem Kontext, dass beim Studium der verschiedenen Untersuchungen detailliert die Definition der jeweiligen Sinusitisdiagnose beachtet wird. So ist die Diagnose basierend allein auf dem Boden einer Röntgenübersichtsaufnahme wie bereits dargelegt mit großer Zurückhaltung zu betrachten. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Zeitdauer der Beatmung, die der Inzidenzangabe einer Sinusitis zu Grunde liegt [48]. In CT-Untersuchungen von 30 nasotracheal intubierten Patienten fanden Guerin und Mitarbeiter bei 28 Patienten Hinweise auf eine Sinusitis und bei 25 Patienten bestätigten Kieferhöhlenpunktionen die Präsenz von eitrigem Sekret [56]. In einer prospektiven Untersuchung fanden Guerin und Mitarbeiter bei der Zeitspanne einer nasotrachealen Intubation von mehr als acht Tagen bei 48 von 52 Patienten computertomographische Hinweise auf eine Sinusitis, die bei 38
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Patienten nach Punktion der Kieferhöhle mit nachfolgender mikrobiologischer Untersuchung bestätigt werden konnten [57]. In einer prospektiven Untersuchung zur Inzidenz einer Sinusitis maxillaris bei 162 Patienten mit einer Beatmung von mehr als sieben Tagen wurden eine nasogastrale Ernährungssonde und eine nasotracheale Intubation als Risikofaktoren für die Entstehung einer Sinusitis maxillaris beobachtet [58]. In einer prospektiven, kontrollierten und randomisierten Studie konnte bei 300 Patienten die Annahme einer gesteigerten Sinusitisinzidenz bei nasotrachealer Intubation im Vergleich zur orotrachealen Intubation jedoch nicht bestätigt werden [59]. Als mögliche ätiologische Faktoren für die Entwicklung einer Sinusitis beim beatmeten Patienten werden die dominante horizontale Rückenlage mit Einengung des Kieferhöhlenostiums, der verminderte venöse Abstrom bei Überdruckbeatmung mit positivem endexpiratorischem Druck, der häufig erhöhte zentralvenöse Druck und die fehlenden physiologischen Reinigungsmechanismen (Niesen, Husten) diskutiert [60]. Ein kraniofaziales Trauma mit Ausbildung eines Hämatosinus wird als ein weiterer Risikofaktor für die Entwicklung einer Sinusitis angesehen [54]. In einer prospektiven Analyse der nosokomialen Sinusitis mit der Diagnose einer Sinusitis basierend auf computertomographischen Untersuchungen und einer Kultivierung von Kieferhöhlensekret wurde auf dem Boden statistischer Auswertungen die Kolonisation der Nase mit gramnegativen Erregern, eine nasogastrale Ernährungssonde, eine Sedierung und ein GlasgowKomagrad von unter sieben als Risikofaktoren für die Entwicklung einer nosokomialen Sinusitis bestimmt [61]. Wichtig
Die nasotracheale Intubation und nasogastrale Ernährungssonde werden als wichtige ätiologische Komponenten der Sinusitisent-
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
wicklung beim beatmeten Patienten betrachtet. Sie sollten aber nicht den Blick hinsichtlich der komplexen Zusammenhänge allein auf diese Risikofaktoren einengen.
3 Als Keime einer Sinusitis beim beatmeten Patienten sind in erster Linie gramnegative Erreger zu finden und nicht selten ist der Nachweis von mehreren Erregern zu beobachten [48, 57]. Therapeutisch wird als wichtigste Maßnahme die Entfernung des nasalen Beatmungstubus und der nasogastralen Sonde angesehen. Hinzu tritt die Empfehlung einer antibiotischen Therapie in Würdigung des betont gramnegativen Keimspektrums bis zum Erhalt des Antibiogramms und die Anwendung abschwellender Maßnahmen. Bei der Auswahl abschwellender Medikamente sollte die toxische Wirkung von Benzalkoniumchlorid, welches in verschiedenen Nasentropfenpräparationen als Konservierungsmittel enthalten ist, auf die Zilienfunktion der Nasenschleimhäute beachtet werden [62]. Benzalkoniumchlorid-freie Präparationen erscheinen auf dem Hintergrund der Zilienfunktion attraktiver. Spülungen der Kieferhöhle nach Punktion über den unteren Nasengang oder die Fossa canina werden als sehr wertvolle Behandlungsmethoden angegeben, sollten aber im Kontext der entwickelten endoskopischen Behandlungsoptionen gesehen werden. Die Resektion des Processus uncinatus und der nachfolgende Zugang zur Kieferhöhle über den mittleren Nasengang sind im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung möglich und erfordern keinen zwingenden Transport des Patienten in einen Operationsraum. Wichtig
Die Erreger der nosokomialen Sinusitis bei beatmeten Patienten sind in erster Linie gramnegative Bakterien und nicht selten sind mehrere pathogene Bakterien nachzuweisen.
Erste molekularpathologische Veränderungen der Schleimhaut des beatmeten Patienten bei akuter Sinusitis und Sepsis konnten detektiert werden. Bei dem Vergleich von Kieferhöhlenschleimhautuntersuchungen von elf beatmeten Patienten mit einer akuten Sinusitis und Sepsis und elf Kontrollpatienten, die sich einer operativen Dysgnathiekorrektur ohne Sinusitishinweis unterzogen, fand sich bei dem Vorliegen einer Sinusitis eine statistisch signifikante Reduktion der Stickstoffmonoxid-Freisetzung [63]. Freigesetztes Stickstoffmonoxid (NO) wirkt als Teil der unspezifischen Abwehr und hemmt das Wachstum von Bakterien und Viren unter Kulturbedingungen [64, 65]. Weiterhin wird angenommen, dass NO die Sekretproduktion der Schleimhäute reduziert [66] und die Zilienfunktion beeinflusst [63].
3.7
Sinugener Fokus und Transplantation
Ein besonderer Kontext für die Fokusfrage ist im Rahmen der Transplantationsmedizin gegeben. Einerseits stellte sich die Frage nach einer Sinusitisentwicklung unter den Bedingungen einer Immunsuppression und andererseits ist die direkte Auswirkung einer Hochdosischemotherapie oder Strahlentherapiebehandlung auf die Nasennebenhöhlenschleimhaut und die zelluläre Abwehrfunktion zu beachten. Eine Konstellation des genannten Kontexts liegt beispielsweise vor, wenn eine Knochenmarktransplantation nach einer Chemotherapie erfolgt, wobei in diesem Falle insbesondere der Befund einer Panzytopenie im Zeitfenster zwischen der ablativen Therapie und der Transplantation zu beachten ist. Im Zusammenhang mit einer Leukopenie sind die entzündlichen Reaktionen sehr begrenzt, so dass die Zeichen eines Ödems, eines Erythems, von Schmerzen und eines eitrigen Sekrets häufig nicht anzutreffen sind. Bei nur geringen oder fehlenden klinischen Hinweisen auf eine Sinusitis
37 3.7 · Sinugener Fokus und Transplantation
kann die Sinusitis für den transplantierten Patienten jedoch insbesondere bei einer Schwächung der zellulären Abwehr einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen [67]. So werden für invasive Candida- und Aspergillusinfektionen Mortalitätsraten von 50–100% angegeben [68, 69]. Wird vor einer Transplantation eine Verschattung der Nasennebenhöhlen oder eine Sinusitis diagnostiziert, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und der Form einer Behandlung. Da Empfehlungen auf dem Boden prospektiver Studien bis heute fehlen, kann sich das Handeln orientiert an der Fachliteratur nur auf einzelne Mitteilungen stützen. Bei der Suche nach Hinweisen auf eine Sinusitis sind bei Knochenmark- und Stammzelltransplantationen zwei Phasen grundsätzlich zu unterscheiden. Zum einen stellt sich die Frage nach der Bedeutung von Sinuspathologien vor einer möglichen Ganzkörperbestrahlung oder Hochdosischemotherapie und zum anderen sind Sinuspathologien im Zeitfenster nach diesen Behandlungen und vor der Transplantation mit nachfolgender immunsuppressiver Therapie zu werten. Wichtig
Behandlungsempfehlungen und prospektive Untersuchungen zum Vorgehen beim Nachweis einer Nasennebenhöhlenpathologie vor einer Transplantation liegen bis heute nicht vor.
Vor einer Hochdosischemotherapie und Stammzellentransplantation bei vorliegendem Brustkrebs wurde bei vier von 59 Patienten mit der Frage nach einem sinugenen Fokus in Röntgenübersichtsaufnahmen ein pathologischer Befund erhoben. Zwei dieser Patienten und ein weiterer Patient mit einer unauffälligen Röntgenübersichtsaufnahme gaben anamnestisch Symptome einer Sinusitis an. Zweimal wurde eine antibiotische Therapie vorgenommen. Bei keinem der vier von 73 Patienten dieser Serie, die im Verlauf der
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Behandlung an einer Sepsis erkrankten, war eine ursächliche Sinusitis zu beobachten [70]. In einer retrospektiven Studie wurden nach chemotherapeutischer Behandlung und vor einer Knochenmarktransplantation computertomographische Untersuchungsbefunde von 51 Patienten vorgestellt. 39,3% der Patienten mit einem pathologischen CT-Befund vor der Transplantation entwickelten nach der Knochenmarktransplantation eine Sinusitis, während in der Gruppe mit einem unauffälligen CT-Befund vor der Transplantation 23,1% der Patienten im weiteren Verlauf eine Sinusitis zeigten. Bei 14 Patienten dieser Studie lagen darüber hinaus computertomographische Untersuchungsbefunde nach der Knochenmarktransplantation vor: Sechs Patienten zeigten wie bereits präoperativ keine Verschattung der Nasennebenhöhlen, zwei Patienten wiesen eine gleichartige Verschattung auf, bei fünf Patienten wurde eine Zunahme der Nasennebenhöhlenverschattungen festgestellt und eine Abnahme der Verschattung der Nasennebenhöhlen war bei drei Patienten zu erkennen. Nur bei einem Patienten dieser Serie war vor der Transplantation und bei keinem der Patienten nach der Transplantation eine endoskopische Nasennebenhöhlenoperation erfolgt [71]. In einer Gesamtgruppe von 278 Patienten (Herz-, Knochenmark-, Leber- und Nierentransplantationen) mit dem festen Behandlungsprotokoll einer Röntgenübersichtsaufnahme als Screeninguntersuchung wurde bei 19 Patienten vor und bei 13 Patienten nach der Transplantation eine Sinusitis diagnostiziert. Vor der Transplantation wurden zehn Patienten antibiotisch behandelt und neun Patienten unterzogen sich einer endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation. In der Gruppe der neu diagnostizierten Sinusitiden nach der Transplantation erfolgte bei drei Patienten eine antibiotische Behandlung und bei 10 Patienten eine chirurgische Therapie. Drei der zehn Patienten wiesen eine Aspergillussinusitis auf [67]. Nach allogenen Knochenmarktransplantationen fanden sich unter einer Kortisonmedikation
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
bei 25 von 69 Patienten 24-mal eine Bakteriämie und bei einem Patienten der Nachweis von Pilzen in Blutkulturuntersuchungen. Die Mortalitätsrate betrug bei diesen 25 Patienten 20%. Als ursächlich wurden die Mukositis, intravenöse Katheter und eine Graft-versus-host-Reaktion unter Kortisonmedikation ohne den Hinweis auf eine Sinusitis diskutiert [72].
der oberen Luftwege sowie des Magen-DarmBereiches waren die häufigsten Ereignisse. Eine Otitis media (n=272) gefolgt von einer Sinusitis (n=71, 4,6%) waren die häufigsten bakteriellen Infektionserkrankungen. Das ist eine Beobachtung, die der Verteilung bei Kindern ohne eine Transplantation entspricht. Wichtig
Wichtig
Die vereinzelten Literaturerfahrungen deuten an, dass eine konservative Behandlung einer diagnostizierten Sinusitis vor einer Transplantation ein sinnvoller Weg sein kann. Der Stellenwert einer operativen Therapie ist in zukünftigen Untersuchungen zu evaluieren und kann derzeit nicht beantwortet werden.
Das Ausmaß der Immunsuppression ist hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Sinusitismanifestation zu beachten, worauf z. B. der Vergleich der Sinusitisinzidenz bei allogenen und autologen Transplantationen hinweist. Thompson und Mitarbeiter fanden in einer retrospektiven Auswertung von 100 Patienten nach einer Knochenmarktransplantation eine statistisch signifikant häufigere Sinusitiserkrankung um den Faktor 4,3 bei einer allogenen im Vergleich zu einer autologen Transplantation [73]. Als eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung wurde die zur Vermeidung einer Graft-versus-host-Reaktion notwendige stärkere Immunsuppression bei allogenen Transplantationen diskutiert [69]. Der Schwerpunkt der Betrachtung von entzündlichen Veränderungen nach einer Transplantation liegt überwiegend auf dem frühen postoperativen Zeitraum. Their und Mitarbeiter haben hingegen retrospektiv bei 56 Kindern nach einer Leber- oder Nierentransplantation die Erfahrungen entzündlicher Erkrankungen im Langzeitintervall erfasst und fanden bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 4,8 Jahren 1540 Entzündungsereignisse [74]. Virale Entzündungen
Die Inzidenz einer Sinusitis im Langzeitverlauf nach einer Transplantation im Kindesalter ist im Vergleich zu anderen Entzündungslokalisationen als gering einzuordnen.
Im Gegensatz zu den akuten Sinusitiden wurde vor und nach Lebertransplantationen für chronische Sinusitiden im Rahmen der zystischen Fibrose keine signifikante Morbidität beschrieben [75]. Bei einer chronischen, nicht-polypösen Sinusitis wurde von DelGaudio und Martinez primär eine medikamentöse Therapie empfohlen [76]. Da die Patienten aber bei therapierefraktärer chronischer Sinusitis von einer Transplantation ausgeschlossen wurden, führten die Autoren trotz der aufgrund der Leberfunktionsstörung bestehenden erhöhten Blutungsproblematik zehn endoskopische Nasennebenhöhlenoperationen bei sieben Patienten aus. Für die Lungentransplantation bei zystischer Fibrose wird jedoch auf die Problematik der Keimbesiedlung der Nasennebenhöhlen mit der Folge einer Keimbesiedlung im Bereich der transplantierten Lunge hingewiesen [77]. Bei einer chronischen Rhinosinusitis im Rahmen einer zystischen Fibrose ist insbesondere der Erreger Pseudomonas aeruginosa zu beachten [78]. Nach einer Lungentransplantation bei zystischer Fibrose berichteten Holzmann und Mitarbeiter von 37 Patienten, bei denen nach einer Nasennebenhöhlenoperation in multiplen Nasennebenhöhlenaspiraten und bronchoalveolären Lavagen als dominierender Erreger Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen wurde. Ein positiver
39 3.7 · Sinugener Fokus und Transplantation
mikrobiologischer Befund der Nasennebenhöhlen korrelierte statistisch signifikant mit einem positiven Befund in der bronchoalveolären Lavage, wohingegen bei negativem mikrobiologischem Befund der Nasennebenhöhlen auch ein negativer mikrobiologischer Befund im Bereich der Lunge beobachtet wurde. Wie andere Autoren kommen Holzmann und Mitarbeiter zu dem Schluss, dass Patienten nach einer Lungentransplantation bei zystischer Fibrose von einer operativen Nasennebenhöhlenbehandlung mit anschließender intensiver Nasenpflege profitieren [77]. Hinsichtlich einer möglichen besonderen Bedeutung einer akuten Sinusitis nach einer Lungentransplantation sei auf die Beobachtung einer gleichzeitigen akuten Sinusitis und akuten Transplantatabstoßungsreaktion bei zwei Patienten hingewiesen [79]. Wichtig
In der Behandlung der chronischen Sinusitis nach Lungentransplantationen bei zystischer Fibrose ist die operative Behandlungsmöglichkeit und intensive Lokalbehandlung zu beachten.
Wenngleich Aspergillus und Mucoraceae (Mucor) bei einer invasiven Pilzsinusitis die häufigsten Pilzerreger sind, finden sich insbesondere nach Transplantationen mit der notwendigen Immunsuppression weitere Pilzerreger als Ursache einer invasiven Pilzsinusitis. Auf dem Boden einer bekannten chronischen Sinusitis entwickelte eine 51-jährige Patientin nach einer Lungentransplantation eine invasive Pilzsinusitis, die durch den Pilz Scytalidium dimidiatum verursacht wurde [80]. Eine invasive Pilzsinusitis, hervorgerufen durch Trichoderma longibrachiatum, wurde bei einer 29-jährigen Patientin nach einer Darm- und Lebertransplantation beobachtet [81]. Invasive Pilzsinusitiden bei immunsupprimierten Patienten sind mit einer hohen Letalität assoziiert, wobei in diesem Zusammenhang sowohl die Grunder-
3
krankung der Patienten als auch die Pilzinfektion zu beachten sind. Bei 43 immunsupprimierten Patienten mit einer invasiven Pilzsinusitis betrug die gesamte Letalitätsrate 40% und die direkte Letalität der Pilzinfektion 18% [82]. Als bedeutende Therapie der invasiven Pilzsinusitis wird insbesondere beim immunsupprimierten Patienten die kombinierte, operative und medikamentöse Therapie angesehen [83]. Das Ausmaß der operativen Behandlung im Sinne einer begrenzten chirurgischen Therapie oder einem radikalen operativen Vorgehen wird in der Literatur kontrovers diskutiert und in Abhängigkeit von der Grunderkrankung, der Immunitätslage, vom Allgemeinempfinden des Patienten, der speziellen Form der invasiven Sinusitis und dem Grad der Gewebsinvasion gesehen [43]. In einer vergleichenden Untersuchung von 26 Patienten, die im Sinne drainierender Maßnahmen begrenzt oder ausgedehnt operativ behandelt worden waren, fand sich kein Hinweis auf eine Überlegenheit der radikalen, chirurgischen Therapie gegenüber begrenzten chirurgischen Vorgehensweisen [84]. Bei vorliegender Neutropenie wird von einer chirurgischen Therapie einer Aspergillose von Denning und Stevens sogar mit dem Hinweis auf eine erhöhte Mortalitätsrate bei einem chirurgischen Vorgehen in Anbetracht der Bedeutung von Neutrophilen für die Pilzabwehr abgeraten [85]. Wichtig
Ein vielfältiges Spektrum an Pilzen ist im Rahmen von Pilzsinusitiden beim immunsupprimierten Patienten zu beachten. Das Ausmaß einer chirurgischen Behandlung in Ergänzung zur medikamentösen Therapie ist abhängig von diversen Gesichtspunkten und wird kontrovers diskutiert.
Auf die Besonderheit der Entwicklung einer lymphoproliferativen Erkrankung nach einer Trans-
40
3
Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
plantation sei hingewiesen, da neben einer Otitis media, Tonsillitis und Lymphadenopathie auch eine Sinusitis als Erstsymptom auf diese Erkrankung hinweisen kann. Da eine Manifestation im Kopf- und Halsbereich selten ist und eine lymphoproliferative Erkrankung klinisch und radiologisch als eine invasive Pilzsinusitis imponieren kann, ist die Erkennung dieser Pathologie im Bereich der Nasennebenhöhlen anspruchsvoll [86]. Posey und Mitarbeiter fanden bei zehn Patienten nach Transplantationen mit einer lymphoproliferativen Erkrankung zweimal den Befund einer Sinusitis[87]. Die Inzidenz einer lymphoproliferativen Erkrankung wurde nach Herz- bzw. Lungentransplantationen zwischen 9 und 35% [88], nach Lebertransplantationen zwischen 9 und 14% [89] und nach Knochenmarktransplantationen in einer Höhe von 5% [90] angegeben. Die lymphoproliferative Erkrankung nach einer Transplantation mit Immunsuppression wird im Zusammenhang mit EBV-Infektionen als EBV-induzierte B-Zellproliferation verstanden und ist mit einer hohen Letalität assoziiert, so dass deren Diagnose zu einem frühen Zeitpunkt von großer Bedeutung ist. Die Diagnose wird auf dem Boden einer histopathologischen Untersuchung gestellt. Therapeutisch kommen chemotherapeutische sowie strahlentherapeutische Behandlungen ergänzend zu einer Reduktion der medikamentösen Immunsuppression zur Anwendung [86].
3.8
Sinugener Fokus und Dermatologie
Vielfach wird die Genese von Dermatitiden auf dem Boden einer Herdkrankheit diskutiert. Zwei Dermatitiden seien hier exemplarisch ausgewählt. Insbesondere die chronische Urtikaria wird im Zusammenhang mit chronischen Entzündungen gesehen. In einer Med-Line-Suche unter den Begriffen Urtikaria und Infektionen
bzw. Infektionserkrankungen wurden keine überzeugenden Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer Sinusitis und einer Urtikaria gefunden [91]. In einer Gruppe von 16 Patienten mit einer chronischen Urtikaria wurde zweimal eine Sinusitis diagnostiziert, deren Behandlung zu einer Abschwächung der Urtikaria-Symptome führte [92]. Wenngleich die chronische Urtikaria eine häufige Erkrankung darstellt, werden vielfältige Ursachen (u. a. Nahrungsmittel, Medikamente) diskutiert und eine idiopathische Form wird beschrieben. Infektionen werden im Gesamtkontext als seltene Ursachen diskutiert und in der Wertung von Therapieerfolgen ist die Möglichkeit der spontanen Remission, einer unterschiedlichen Krankheitsaktivität sowie eines unvorhersehbaren Krankheitsverlaufes der chronischen Urtikaria zu beachten [93]. Die Unsicherheit der Ätiologie eines Krankheitsbildes lässt den Gedanken eines sinugenen Fokus auf den ersten Blick attraktiv erscheinen. Es ist grundsätzlich zu beachten, dass der variable Verlauf einer Erkrankung einen Therapieerfolg in der Behandlung eines möglichen sinugenen Fokus vortäuschen kann. An Hand der Literaturangaben ist festzustellen, dass keine überzeugenden Daten für die Bedeutung eines sinugenen Fokus für eine chronische Urtikaria vorliegen [91]. Bei einer Gesamtzahl von 163 Patienten mit der Diagnose einer Pustulosis palmaris et plantaris wurde in Röntgenuntersuchungen, die bei 53 der 163 Patienten vorgenommen wurden, dreimal der Hinweis auf eine Sinusitis gefunden. Diese Patienten zeigten klinische Symptome einer Sinusitis, ohne dass durch die Therapie der Sinusitis ebenso wie die Therapie von acht entzündlichen Zahnherden eine Veränderung der Hauterkrankung erreicht wurde. Damit fehlt ebenso ein klarer Hinweis auf die Bedeutung eines sinugenen Fokus für das Krankheitsbild der Pustulosis palmaris et plantaris [94].
41 3.10 · Sinugener Fokus und Ophthalmologie
Wichtig
Überzeugende Hinweise auf eine ätiologische sinugene Fokuswirkung bei dermatologischen Erkrankungen wurden in einer Literatursuche nicht gefunden, so dass eine Einordnung einer dermatologischen Erkrankung als Folge eines sinugenen Fokus mit großer Zurückhaltung erfolgen sollte.
3.9
Sinugener Fokus und Herzchirurgie
Im Gegensatz zur häufigen Fragestellung nach einem Fokus der Nasennebenhöhlen vor einer Herzklappenoperation sind nur wenige Arbeiten zu diesem Themenkomplex in der Literatur zu finden. Die Frage nach einem sinugenen Fokus wird in diesem Zusammenhang durch die Sorge vor einer Prothesenendokarditis getragen, die eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung bedeutet. In einer Gruppe von 92 Patienten mit der Frage nach einem sinugenen Fokus vor einer Herzklappenoperation wurde in Röntgenübersichtsaufnahmen bei 19 Patienten eine Verschattung der Nasennebenhöhlen beobachtet, die von HNOärztlicher Seite dreimal als Ausdruck einer Aspergillose, dreimal im Sinne einer Sinusitis und 13-mal als chronisch polypöse Sinusitis eingeordnet wurde. Während die drei Patienten mit einer Aspergillose operativ und die drei Patienten mit einer Sinusitis antibiotisch behandelt wurden, wurden die chronisch polypösen Sinusitiden als nicht behandlungswürdig eingestuft. Die operativ entfernten Herzklappen zeigten 22-mal postendokarditische Veränderungen, 13-mal den Befund einer chronischen Endokarditis und 3mal das Bild einer floriden bakteriellen Endokarditis, ohne dass im Falle einer floriden Endokarditis der Befund einer Nasennebenhöhlenpathologie beobachtet worden war. Postoperativ wurde über einen Zeitraum von einem Jahr keine Prothese-
3
nendokarditis beobachtet [95]. Der fehlende Hinweis auf eine Prothesenendokarditis kann als Hinweis gedeutet werden, dass bei den immunkompetenten Patienten eine chronisch polypöse Sinusitis nicht als Fokusherd zu werten ist. Wichtig
Die für den Patienten von einer Prothesenendokarditis ausgehende Gefahr rechtfertigt die Frage nach einem sinugenen Fokus. Wenngleich ein solches Ereignis als selten zu werten ist, liegt das präoperative Hauptaugenmerk des HNO-Arztes auf der Diagnose einer akuten Sinusitis mit nachfolgender adäquater Behandlung.
Die Beobachtung einer postoperativen Sepsis nach einer koronaren Arterienbypassoperation mit tödlichem Verlauf und dem Autopsiebefund einer eitrigen Sinusitis stimulierte Picone und Mitarbeiter zur retrospektiven Analyse der Häufigkeit einer postoperativen Sinusitis nach koronarer Arterienbypassoperation [96]. 52 von 400 Patienten zeigten postoperativ eine Entzündung. Fünf dieser Patienten (1,3%) wiesen eine akute Sinusitis auf, deren Diagnose basierend auf computertomographischen Untersuchungsbefunden und der Aspiration bzw. operativen Drainage der betroffenen Nasennebenhöhle gestellt worden war. Die Infektionen wurden von den Autoren auf dem Boden der postoperativen intensivmedizinischen Betreuung im Kontext der orotrachealen Beatmung, nasogastralen Ernährungssonden und nosokomialen Keimbesiedlung der Atemwege gewertet.
3.10 Sinugener Fokus
und Ophthalmologie Die orbitalen Komplikationen einer Sinusitis sind eindeutig definierte Erkrankungsformen [97], die aufgrund der unmittelbaren Nähe zu den Nasen-
42
3
Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
nebenhöhlen nicht im Sinne einer Herdkrankheit zu werten sind. An dieser Stelle soll unter der Beachtung einer für die Fokusdefinition geforderten Fernwirkung ausschließlich auf die Erkrankungsbilder einer Iritis bzw. Iridozyklitis und Retinopathia pigmentosa eingegangen werden. Eine rezidivierende, nicht-granulierende, anteriore Uveitis wurde mit dem Nachweis einer akut exazerbierten, eitrigen Sinusitis maxillaris bei dem klinischen Hinweis auf eine chronische Sinusitis beschrieben. Aus einem eitrigen Kieferhöhlenabstrich gelang die Kultivierung von Haemophilus influenzae und von Proteus. Durch eine antibiotische Therapie und die sanierende Kieferhöhlenoperation konnte die rezidivierende Uveitis erfolgreich behandelt werden [98]. Wichtig
Wenngleich nur spärliche Informationen der Literatur zu entnehmen sind, besteht in der Fachliteratur der Hinweis auf eine Uveitisentstehung auf dem Boden einer akuten Sinusitis.
Die Retinopathia pigmentosa ist ein Erkrankungsbild, welches bei Berücksichtigung neuer genetischer und molekularpathologischer Erkenntnisse unterstreicht, dass die Annahme eines sinugenen Fokus stets mit großer Vorsicht zu erfolgen hat. Bei dem Erkrankungsbild der Retinopathia pigmentosa werden nicht selten ausgeprägte chronische Sinusitiden beobachtet. Die Beobachtung von Mutationen des RPGR-Gens mit der Folge von Veränderungen der Zilienfunktion sowohl an der Retina als auch an anderen Geweben erklären, dass bei der Retinopathia pigmentosa häufig Sinusitiden zu beobachten sind [99]. Die gemeinsame Zilienfunktionsstörung erklärt die Assoziation von retinaler und sinugener Erkrankung, so dass die Annahme eines sinugenen Fokus bei der Retinopathia pigmentosa beim derzeitigen Kenntnisstand vor dem Hintergrund eines lange Zeit unzureichenden Wissens um die
Molekularpathologie der Netzhauterkrankung zu verstehen ist.
3.11 Zusammenfassung Das Wissen über einen sinugenen Fokus ist unverändert rudimentär, so dass der HNO-Arzt in gleicher Weise wie die anfragenden Fachdisziplinen vor der Herausforderung stehen, in einer interdisziplinären Anstrengung weitere Erkenntnisse zum sinugenen Fokus zu gewinnen und Empfehlungen für die Wertung und Behandlung eines sinugenen Fokus zu erarbeiten. Eine wichtige Voraussetzung auf diesem Wege ist eine Schärfung des Fokusbegriffes, um auf dem Boden gesicherter Erkenntnisse voranzuschreiten und nicht auf einem spekulativen Weg zu verharren. Besondere Vorsicht ist geboten, bei der gleichzeitigen Beobachtung von zwei Erkrankungen unklarer Ätiologie einen sinugenen Fokus zu formulieren. Nicht vorhandenes Wissen sollte keinesfalls dazu verleiten, unter einer Fülle von Annahmen gesicherte Wege zu verlassen. Dies sollte insbesondere in dem Wissen berücksichtigt werden, dass unauflöslich mit der Annahme eines sinugenen Fokus die Frage nach dessen Behandlung verknüpft ist. Der vorliegende Beitrag belegt in der Form des Nachweises einer Bakteriämie bei Sinusitiden mit möglicher Sepsisentwicklung und dem ToxicShock-Syndrom die Existenz eines sinugenen Fokus. Auf keinen Fall darf bei den wenigen bisher belegten Beobachtungen aber die Häufigkeit eines sinugenen Fokus überschätzt werden. Die vollständig unterschiedliche Bakteriensituation bei einer akuten und chronischen Sinusitis rückt die akute Sinusitis in den Mittelpunkt der sinugenen Fokusfrage. Der Stellenwert einer chronischen Sinusitis im Zusammenhang mit einem sinugenen Fokus ist von deutlich geringerer Bedeutung. Wichtig erscheinen die Beachtung einer Beatmungssituation und die Immunkompetenz des Patienten für die Einordnung eines sinugenen Fokus. Fortschreitende Erfahrungen in der Be-
43 Literatur
deutung einer Sinusitis bei transplantierten Patienten besitzen das Potenzial, die sinugene Fokusfrage zu bereichern. Eine wichtige zukünftige Aufgabe ist in diesem Zusammenhang unter anderem die Erarbeitung von konkreten konservativen und operativen Therapieempfehlungen.
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Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
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46
3
Kapitel 3 · Die Nasennebenhöhlen als Fokus
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4 Herderkrankungen aus mund-, kieferund gesichtschirurgischer Sicht Peter Keßler
4.1
Definition und Einleitung
– 49
4.2
Die Herdtheorien – 50
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6
Bakterielle Theorie – 50 Toxintheorie – 50 Allergietheorie – 50 Theorie der Giftherde – 51 Bildung von C-reaktivem Protein Störfeldtheorie – 51
4.3
Folgeerkrankungen
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
Zerebrale Entzündungen – 53 Erkrankungen des kardiovaskulären Systems – 53 Hauterkrankungen – 54 Infektion künstlicher Gelenkendoprothesen – 54
4.4
Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kieferund Gesichtsbereich – 55
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5
Pulpentoter Zahn – 56 Parodontitis marginalis profunda – 57 Intraorale Eingriffe – 57 Verlagerte/retinierte Zähne – 57 Fremdkörper – 59
4.5
Fokussuche
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Anamnese – 59 Klinische Diagnostik – 60 Röntgendiagnostik – 61 Alternativmedizinische Diagnoseverfahren – 61
– 51
– 53
– 59
4.6
Konsequenzen und Therapie
– 62
4.6.1 Grundsätzliches – 62 4.6.2 Schema zur Herddiagnostik – 63 4.6.3 Wertung erhobener Befunde im Hinblick auf eine mögliche Herdwirkung – 63 4.6.4 Herdsanierung – 63 4.6.5 Antibiotikaprophylaxe – 64
Literatur – 64
49 4.1 · Definition und Einleitung
4.1
Definition und Einleitung
Fokal- oder Herderkrankungen befassen sich mit der Wirkung lokaler Krankheitszustände auf den Gesamtorganismus bzw. auf nicht in unmittelbarer Umgebung zum Krankheitsprozess gelegene Strukturen oder Organe. Die diesem Thema zugrundeliegenden Theorien und Definitionen unterlagen im Laufe der Zeit stetiger Veränderung. Die Deutsche Medizinische Arbeitsgemeinschaft für Herdforschung und Herdbekämpfung (DAH) gibt nach Altmann die im Folgenden aufgeführten Begriffsbestimmungen als Standard an [1]: 4 Herd (Fokus): Als Herd bezeichnet man ein lokal begrenztes Geschehen, das Fernwirkung auf andere Organe oder Strukturen des Körpers besitzt. Als Fernwirkung wird hier das Erzeugen bzw. das Unterhalten eines pathologischen Prozesses gesehen. 4 Potenzieller Herd: Pathologisch-anatomischer Prozess, der aktuell nicht wirksam ist, es aber jederzeit werden kann. 4 Herdgeschehen: Krankhafte Fernwirkung durch einen lokalen pathologischen Prozess im Organismus. 4 Herderkrankung: Antwort des Organismus auf die Fernwirkung eines Fokus. Sie bedeutet die fokusbedingte Zweiterkrankung. 4 Herdtherapie: Sanierung des Herdes. Die Entwicklung der Herdtheorien und der Vorschläge zur Behandlung von sog. Herderkrankungen fußt auf einer nicht überschaubaren Anzahl publizierter Einzelbeobachtungen [2]. Hierbei wurde in der Mehrzahl der Fälle die plötzliche Heilung durch die Elimination eines (meist) odontogenen Krankheitsgeschehens beschrieben. Die erste Beschreibung einer odontogenen Herderkrankung überlieferte Hippokrates, der von einem Patienten berichtete, dessen Arthritis durch die Extraktion eines eitrigen Zahnes geheilt wurde [3]. Um die Jahrhundertwende wurde anhand vergleichbarer Einzelfallbeschreibungen die The-
4
orie der Fokalinfektion von Billings und Rosenow entwickelt [4–7]. Rosenow wies 1921 erstmals anhand tierexperimenteller Studien das Übertreten von Streptokokken aus Mundschleimhauterkrankungen und Zahngranulomen in den Gesamtorganismus nach und schloss hieraus auf die Möglichkeit der Auslösung von Erkrankungen akut oder chronisch entzündlicher Natur. Er prägte den Begriff des »Organotropismus der Erreger«. Dies bedeutet, dass Bakterien von verschiedenen Organsystemen angezogen werden und in diesen unabhängig vom Ort ihres Eintritts in den Organismus Krankheiten auslösen können [7]. Curtis zeigte beispielhaft anhand der Tuberkulose, deren Primärherd sich in der Lunge manifestiert und sich in Niere oder Knochen absiedeln kann, bzw. der Gonorrhoe, die ihren Anfang in der Urethra oder Prostata nimmt und sich in den Gelenken oder der Iris manifestieren kann, dass Keimverschleppungen im Organismus auftreten und diese auch von Infektionen des Mund- und Rachenraums ausgehen können [8]. Als Basis dieser Theorien wurden lokale Entzündungen und Reize genannt, die als Grund für verschiedene ursprungsferne bzw. systemische Erkrankungen angesehen wurden. Eine solche Infektion oder Störung wurde als Fokus oder Herd bezeichnet. Als Beispiele für Organerkrankungen, die aufgrund entsprechender Herde auftreten oder unterhalten werden können, dienten insbesondere Arthritiden, entzündliche Erkrankungen der Nieren und Augen, die Endokarditis, chronische Neuritis und Myositis sowie Formen der kardiovaskulären Degeneration. Als auslösende Reize wurden alle akuten und chronischen Entzündungen des Mund- und Rachenraumes, v. a. devitale oder verlagerte Zähne eingeschätzt. Hunter entwickelte eine eigene Herdtheorie, die an die Vorstellungen von Billings und Rosenow anlehnte: das »goldenen Mausoleum«, eine Ansammlung infektiöser oder toxischer Elemente unter metallenen Zahnrestaurationen,
50
4
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
deren Fernwirkungen auf den Gesamtorganismus er beschrieb [9, 10]. Als Folge wurde rigoroses Entfernen herdverdächtiger Strukturen zu einem Leitbild der Zahnmedizin. Erst in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bemühten sich Arbeitsgruppen, den wissenschaftlichen Nachweis für die Existenz und Fernwirkung des Fokalgeschehens anzutreten. Diese Versuche waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. In der Komplementärmedizin, die sich mit den ganzheitlichen Regelkreisen des Organismus befasst, wurde der Gedanke der Herdinfektion dennoch weiterhin aufrecht erhalten. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts führten Berichte über ein angeblich erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen bei Patienten mit unbehandelter, manifester Parodontitis marginalis profunda erneut zu einem verstärkten wissenschaftlichen Interesse an verifizierbaren Informationen über die Genese von Herderkrankungen [11, 12].
4.2
Die Herdtheorien
4.2.2 Toxintheorie Grundidee der Toxintheorie ist die Verschleppung vorwiegend bakterieller Toxine aus Herden an Zähnen, Tonsillen, Nasennebenhöhlen oder anderen Strukturen entlang peripherer Nervstrukturen über den Liqour cerebrospinalis zu den Erfolgsorganen [24, 25]. Dieser von Slauk, dem Urheber der Toxintheorie, «Fokaltoxikose« genannte Mechanismus soll Auswirkungen auf die quergestreifte Muskulatur, die Herzmuskulatur sowie die Vasomotorik und den Kapillarapparat haben. Slauk wollte bei herderkrankten Patienten ein symptomatisches Muskelzucken beobachtet haben [26, 27]. Analog der Diphtherie, bei der die Toxine der Klebs-Loeffler-Organismen Herzerkrankungen auslösen können, wurde eine Bestätigung für die Theorie der Fernwirkung lokal exprimierter Bakterientoxine gesehen, desgleichen in der Produktion und Dissemination von Exotoxinen beispielsweise aus Clostridium tetani oder Bacillus anthracis [28, 29].
4.2.1 Bakterielle Theorie
4.2.3 Allergietheorie
Die Streuung bakterieller Keime in die Blut- (Bakteriämie) oder Lymphbahnen und damit in den Gesamtorganismus, ausgehend von Infekten im Mund- und Rachenbereich sowie während zahnärztlicher Behandlungen, wurde von zahlreichen Autoren untersucht und dokumentiert [13–15]. Bakteriämien können bei bakteriellen Entzündungen der Mundhöhle [16] sowie während zahnärztlichen Behandlungen oder operativen Eingriffen auftreten [17–19]. Auch im Zusammenhang mit der Zahnreinigung wird eine solche Bakteriämie beschrieben [20, 21]. Keime gelangen in die Blutbahn und können Organe besiedeln und schädigen, wie beispielsweise das Endokard, insbesondere nach Herzklappenersatz oder wenn angeborene oder erworbene Herzklappenfehler vorliegen [22,23].
In der Allergietheorie haben nach dem Erstbeschreiber Berger körperfremde Eiweißstoffe (Endoallergene) schädigenden Einfluss auf labile, entfernt liegende Organe im Sinne einer allergischen/hyperergischen Reaktion [30]. Solche Endoallergene könnten bei gesteigertem Gewebezerfall, beispielsweise einer apikalen Parodontitis, von Bakterien freigesetzt werden und über die Blutbahn zu einem entsprechenden Zielorgan gelangen. Im Zielorgan käme es dann zu einer allergischen Reaktion, der so genannten Fokalallergie. In einer solchen allergischen Reaktion aufgrund einer Hypersensibilisierung auf orale Bakterientoxine wurde eine mögliche Ursache für die rheumatoide Arthritis oder Periarteriitis nodosa gesehen [31].
51 4.2 · Die Herdtheorien
4.2.4 Theorie der Giftherde Der Internist und Umweltmediziner Daunderer geht von einer Schädigung des Gesamtorganismus durch Medikamente, Metalle und Umweltgifte aus [32]. Sämtliche körperfremden Stoffe, die im Laufe des Lebens auf irgendeine Weise inkorporiert werden – eingeatmet, verschluckt, diffundiert oder bei (zahn-)ärztlichen Behandlungsmaßnahmen in den Körper eingebracht – sollen sich in Darm, Haut, Hirn, Leber, Nieren, Knochen, Zähnen usw. einlagern. Hierdurch sollen in den betroffenen Organen Stoffwechselschädigungen resultieren und im Bereich der Zahnwurzeln die Ansiedelung von Bakterien, Pilzen und Viren begünstigt werden. Diese lokalen Schädigungen könnten durch »Nebenverbindungen« Organschäden an anderer Lokalisation im Körper entstehen lassen. Grundsätzlich kann nach dieser Theorie jedem Zahn eine bestimmte Organgruppe zugeordnet werden, so dass bei einer Schädigung in der Organgruppe auf den verursachenden Zahn rückgeschlossen werden kann (. Tab. 4.1).
. Tabelle 4.1. Organschädigungen durch Zahnherde [33] Zähne
Auswirkungen v. a. auf
11 / 21 / 12 / 22
Hirn, Nieren
13 / 23
Augen, Hirn
14 / 24 / 15 / 25
Darm
16 / 26 / 17 / 27
Magen
18 / 28
Gehör, Herz, Psyche
31/ 41 / 32 / 42
Blase
33 / 43
Augen
34 / 44 / 35 / 45
Brust, Magen
36 / 46 / 37 /47
Darm, Lunge
38 / 48
Gehör, Herz
4
Nach Daunderer führt jedes Einbringen von Fremdmaterial in den Körper (hier speziell zahnärztliche Werkstoffe) zu solchen »Zahnherden« und ist somit zu vermeiden. Die Therapie zahnärztlicher Krankheitsbilder besteht laut Daunderer lediglich in der Extraktion der erkrankten Zähne [33].
4.2.5 Bildung von C-reaktivem
Protein Das C-reaktive Protein (CRP) gilt als Marker für im Körper ablaufende Entzündungen, die möglicherweise systemische Auswirkungen haben. Durch lokale Entzündungen erhöhte CRP-Werte im Blut werden als mögliche Mitursache für die Atherosklerose und somit als Risikofaktor für Ischämien bzw. Infarkte angesehen [34, 35]. Bei der rheumatoiden Arthritis hingegen, die vielfach als eine klassische Herderkrankung angesehen wird, konnte kein (signifikanter) Zusammenhang mit erhöhten CRP-Werten nachgewiesen werden [36]. Wendet man das Wissen um diese Zusammenhänge auf Erkrankungen der Mundhöhle an, so lassen marginale und apikale Parodontitiden auf erhöhte CRP-Werte schließen. Bei der Parodontitis marginalis, die eine bakterielle Entzündung des Parodonts darstellt, konnten erhöhte CRP-Werte im Blut nachgewiesen werden [37]. Daraus lässt sich bei Patienten mit Parodontitiden auf ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung atherosklerotischer Gefäßveränderungen ableiten [38].
4.2.6 Störfeldtheorie Die komplementäre ganzheitliche Medizin beschreibt Gesundheit als Zustand intakter komplexer Regulationssysteme, als »inneres und äußeres Gleichgewicht«. Herde können dieses Gleichgewicht aufheben und die Regulationssys-
52
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
. Abb. 4.1. Schema des sog. regulationspathologischen Modells nach Pischinger und Perger [3]
4
teme stören, so dass Herderkrankungen entstehen können [39-44]. So sieht die »Störfeldtheorie« nach Pischinger das so genannte Grundregulationssystem als ein Beziehungsgeflecht zwischen Kapillaren, Nerven, Lymphgefäßen, Bindegewebsund Parenchymzellen (. Abb. 4.1). Die ubiquitär im Körper vorhandenen Fibroblasten sollen als Regelzentrum eines »ZelleMilieu-Komplexes« für die Grundabwehrreaktionen des menschlichen Organismus verantwortlich sein. Die Reaktionen dieses Grundsystems sind unspezifisch und unabhängig von der Reizart [39]. Chronische Reize sollen zu einer Dauerbelastung des Grundsystems ohne Erholungsphasen und damit zur Verringerung der Immunleistung, d. h. zu erhöhter Anfälligkeit für Krankheiten bzw. Beschwerden führen. Chronische Reize können in beschränktem Maße durch das Regulationssystem kompensiert werden. Abhängig vom Ausmaß und der Zeitdauer der Reizeinwirkung soll es zur Systemüberlastung kom-
men, so dass die Immunleistung abnimmt. Als häufigste Ursache entsprechender chronischer Störungen werden bakterielle Belastungen der Gewebe angesehen, deren Ursache meist im Zahn-, Mund- und Kieferbereich lokalisiert sein soll [40]. Unter chronischer unphysiologischer Belastung auftretende Störfelder sollen das Energieniveau im Zucker- und Proteinhaushalt des örtlichen Gewebes verändern und damit prädisponierend für Krankheiten wirken können [41]. Ferner soll durch eine Reizschwellensenkung des Immunsystems das Störfeld als Reizquelle pathologisch wirken und so Fernsymptome auslösen. Deshalb wurde das Störfeldgeschehen auch als eine Kombination verschiedener Faktoren angesehen, wobei das Störfeld selbst konditionierend und die Additivbelastung manifestierend wirksam sein soll [39]. . Tab. 4.2 fasst die Theorien zur Herdentstehung zusammen.
53 4.3 · Folgeerkrankungen
4
. Tabelle 4.2. Zusammenfassende Darstellung der Theorien zur Herdentstehung Mechanismus
Auslösender Prozess
Wissenschaftlich untersucht
Bakteriämie
Bakterielle Entzündung
+
Toxinverschleppung
Bakterielle Entzündung
+/-
Allergisierung
Eiweißprodukte aus Nekrose
-
Giftherde
Umweltgifte/Metalle
+/-
Gefäßnervensystem
Unbestimmt
-
CRP-Anstieg
Manifeste, ausgedehnte Entzündung
+
Grundregulationssystem
»Unphysiologische Reize« (z. B. Entzündungen jeder Art, Fehlfunktionen, Fremdkörper)
+/-
4.3
Folgeerkrankungen
4.3.2 Erkrankungen des
kardiovaskulären Systems 4.3.1 Zerebrale Entzündungen Hirnabszesse sind als schwerwiegende Komplikationen von fortgeleiteten Infektionen aus dem Nasennebenhöhlenberich bekannt. Die Letalität kann bis zu 90% betragen [45]. Wesentlich seltener werden Hirnabszesse als Folge odontogener Foci oder Entzündungen in der Literatur beschrieben [46]. Bei einem Teil dieser Patientenkasuistiken besteht ein zeitlicher Zusammenhang zu zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen wie Zahnextraktionen, Parodontalbehandlungen oder zu pathologischen Befunden wie kariösen Läsionen, Pulpitiden, Parodontopathien oder Infektionen im Bereich retinierter Zähne [47–49]. Auch konnten in Hirnabszessen für orale Entzündungen typische Erreger wie beispielsweise Streptococcus viridans, S. mutans oder S. milleri nachgewiesen werden [50, 51]. Als Infektionsweg wird aufgrund der natürlichen Barrieren des Neurokraniums eine hämatogene Keimverschleppung angesehen; in wenigen Fällen wurde jedoch eine direkte, die Faszienlogen durchschreitende Infektionsausbreitung von derKiefer-Gesichtsregion in das Gehirn beschrieben [52].
Endokarditis Als wesentliche Keime einer infektiösen, hämatogen aus dem oropharyngealen Raum fortgeleiteten Endokarditis gelten Staphylococcus aureus, hämolytische Streptokokken sowie Streptokokken der viridans-Gruppe (v. a. Streptococcus mutans und die Streptococcus milleri-Gruppe) [53]. Typische Erkrankungen, die ein rheumatisches Fieber auslösen können sind Sinusitiden, odontogene Abszesse, Otitiden und Tonsillitiden [54]. Anamnestisch werden von Patienten mit den Symptomen einer infektiösen Endokarditis meist operative Eingriffe, Zahnextraktionen, Zahnsteinentfernung oder schwere Infektionskrankheiten des Respirationstraktes angegeben [54]. Die These einer hämatogenen Bakteriämie oraler Keime durch chirurgische Manipulationen wird durch den Nachweis typischer Bakterienstämme während der Behandlung (7 oben) im Blut der Patienten gestützt [55–60]. Darüber hinaus werden Parodontitiden oder Pulpitiden auch ohne chirurgische Manipulation als Ursache einer Bakteriämie und damit als Risikofaktor für die Ausbildung einer Endokarditis angesehen [61– 64].
54
4
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
Erkrankungen der Gefäße Seit 1989 wurde in diversen Studien ein Zusammenhang zwischen odontogenen Infektionen und dem Auftreten von Infarkten in dem Sinne beschrieben, dass die entsprechenden Patientenkollektive miteinander korrellierten [65–79]. Sowohl orale Infektionen als auch Atherosklerose werden jedoch als sog. lifestyle-abhängige Erkrankungen angesehen und korrellieren im Auftreten stark mit dem sozio-ökonomischen Status der Patienten sowie dem Rauchen. Aufgrund dessen und aufgrund der Tatsache, dass experimentelle Untersuchungen zu der Frage der Wirkung eines odontogenen Fokus auf das Risiko atherosklerotischer Gefäßveränderungen derzeit nicht vorliegen, wird dieser Zusammenhang aber auch in Frage gestellt [80–82]. Eine abschließende Beurteilung odontogener Foci als Risikofaktor für myokardiale und cerebrale Infarkte bei atherosklerotischen Veränderungen der Gefäße erscheint aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht möglich.
4.3.3 Hauterkrankungen Patienten mit Hauterkrankungen, wie z. B. Alopecia areata, Erythema nodosum, Rosacea, Akne vulgaris, chronische Urticaria, Psoriasis vulgaris und Psoriasis arthropathica, stellen das größte Patientengut dar (45%), das zur odontogenen Fokussuche überwiesen wird [83]. In der Literatur werden meist in Einzelfallbeschreibungen Spontanheilungen einer Alopecia areata nach Sanierung eines odontogenen Fokus beschrieben (in zwei Fällen durch die Entfernung retinierter Weisheitszähne, in einem Falle durch die endodontische Behandlung eines pulpitischen Zahnes) [84–86]. In ähnlicher Weise findet der Erfolg einer Sanierung odontogener Foci bei Patienten mit Erythema nodosum oder Rosacea wie auch bei der Akne vulgaris in der Literatur Niederschlag [87–90]. Für die chronische Urtikaria, deren Ätiologie multiple Krankheitszustände und
Theorien umfasst, konnte in einer Doppelblindstudie kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Eradikation odontogener Foci und dem Status der Urtikaria festgestellt werden, obwohl auch hierüber in Einzelfallstudien berichtet wurde [91–93]. Ein kontroverses Bild zeigt sich auch bei der Einschätzung vorhandener oder vermeintlicher Streuherde bei bestehender Psoriasis vulgaris und Psoriasis arthropathica: So wird das Vorhandensein odontogener Herde in einer Studie mit 80%, in einer anderen mit 7% beziffert [83, 94].
4.3.4 Infektion künstlicher
Gelenkendoprothesen Der endoprothetische Hüftgelenksersatz ist mit weltweit ca. 250.000 jährlich durchgeführten Eingriffen eine der häufigsten Operationsmethoden [95]. Die schwerwiegendste Komplikation stellt die Infektion der Endoprothese direkt postoperativ oder im späteren Verlauf durch hämatogene Keimverschleppung aus entfernten Foci dar [96]. So wurde in der Literatur wiederholt über Spätinfektionen nach Endoprothesenimplantation berichtet, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit intraoralen Eingriffen oder odontogenen Infektionen standen [97–101]. Die dabei an den Endoprothesen nachgewiesenen Bakterienstämme (z. B. Staphylococcus aureus und hämolysierende Streptokokken) sind typische Keime odontogener, bakterieller Entzündungen [102]. Weitere in der Literatur beschriebene Herderkrankungen: Rheumatoide Arthritis. Ein odontogener Fokus als Erkrankungsursache wird trotz einzelner Fallberichte als unwahrscheinlich angesehen [103]. Respiratorische Infekte. Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass die Entstehung respiratorischer Infekte durch vernachlässigte Mundhygiene
55 4.4 · Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich
4
begünstigt werden kann, wobei starke Plaquebeläge als Nährboden für die hier wirksamen pathogenen Keime wirken sollen [104].
schrieben [110, 111]. Ein wissenschaftlicher Ansatz zur Erklärung hierfür steht jedoch aus.
Toxisches Schocksyndrom. Auf dem Boden einer
4.4
Septikämie odontogenen Ursprungs wird das Auftreten eines toxischen Schocksyndroms von verschiedenen Autoren in Fallberichten beschrieben, systematische Untersuchungen sowie einhellige Statements fehlen hierzu jedoch [105108]. Frühgeburten. Entzündliche Parodontalerkran-
kungen werden als mögliche begünstigende Risikofaktoren einer Frühgeburt beschrieben [110]. Myofunktionelle und myoarthropathische Beschwerden im Kopf-, Hals- und Nackenbereich.
Retinierte Weisheitszähne werden in der Literatur als mitauslösende Ursache myofunktioneller bzw. myoarthropathischer Beschwerdezustände be-
Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich
Eine Übersicht herdverdächtiger Zustände in der Mund-, Kiefer- und Gesichtsregion ist in . Tab. 4.3 aufgeführt [111]. Statistisch betrachtet werden bei zur Fokussuche überwiesenen Patienten am häufigsten apikale Parodontitiden (57%), retinierte Zähne (15%) und marginale Parodontitiden (8%) als mögliche Herde angegeben [85] (. Abb. 4.2 a-c). Grundsätzlich können herdverdächtige Befunde in infektiöse (Pulpitis, Parodontitis) und nicht infektiöse (retinierte/verlagerte Zähne, inkorporierte zahnärztliche Werkstoffe/Fremdkörper) unterschieden werden. Als evidenzbasiert
. Tabelle 4.3. Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich. (Mod. nach Raab [111]) Herdverdächtige Strukturen
Herdwirksame Faktoren, die hierbei diskutiert werden
5 Marktote Zähne ohne oder mit Wurzelfüllung 5 Vitale aber pulpengeschädigte Zähne
5 Sensibilisierung und Allergisierung des Gesamtkörpers durch Detritus/Eiweißzerfall
5 5 5 5 5
Unvollständige Wurzelfüllungen Wurzelreste Chronische apikale Parodontiden Zysten Odontogene Kieferhöhlenaffektionen
5 Chronische Entzündung
5 5 5 5
Retinierte Zähne ohne/mit follikulären Zysten Restostitis Sklerosen des Knochens Fremdkörper
5 Neurale Störfelder 5 Chronische Entzündung 5 Nicht abbaufähiges Material
5 Gingivitis 5 Marginale Parodontopathien 5 Dentitio difficilis
5 Chronische Entzündung und vegetative Reagibilität
5 Metallische Werkstoffe in der Mundhöhle
5 Sensibilisierung durch Bildung von Eiweiß-MetallKomplexen oder durch Stromspannungen im Sinne von Potenzialdifferenzen
56
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
4 a . Abb. 4.2 a–c. Multiple Entzündungsherde, parodontal insuffiziente Zähne in Kombination mit Fremdmaterial a Panoramaschichtaufnahme. Es zeigt sich ein prothetisch restauriertes Gebiss in Ober- und Unterkiefer. Im linken Oberkiefer fehlt eine prothetische Versorgung. Die Zähne 15, 12, 23 und 46 sind endodontisch behandelt. Bei genereller Parodontalerkrankung sind periapikale Entzündungsherde (periapikale Osteolysen) markiert. Das Zahnbett der betroffenen Zähne ist zerstört, die Zähne nicht mehr fest im Knochen verankert. In Regio 46 ragt ein Wurzelstift über die Zahnwurzel hinaus. b,c Zahnfilmaufnah-
b
c
men: Es kommen zwei einwurzelige Zähne des Unterkiefers zur Darstellung. Beide Zähne sind endodontisch behandelt bei Zustand nach Wurzelspitzenresektion. Im Bereich der Wurzelspitzen sind diese Zähne mit Titanstiften versorgt, die über das apikale Ende der Zähne hinausragen. Aufnahme b zeigt die Situation unmittelbar nach Wurzelspitzenresektion und Einbringen der Titanstifte. Aufnahme c zeigt die identische Situation 6 Monate post operationem. Periapikal erkennt man im Vergleich zur Voraufnahme eine knöcherne Regeneration
und allgemein anerkannt werden infektiöse Befunde angesehen. Ihnen muss daher bei der Sanierung höchste Priorität beigemessen werden (. Abb. 4.3).
4.4.1 Pulpentoter Zahn Pulpentote Zähne werden grundsätzlich als herdverdächtig angesehen [112]. Das apikale Granulom stellt sich als Ansammlung chronisch entzündlichen Gewebes um den Apex eines pulpentoten Zahns dar [113]. Bakterien oder deren Toxine können in die umgebenden Gewebe und den Blutstrom gelangen, so dass von einem apikalen Granulom Fernwirkungen ausgehen können [114]. Unklarheit besteht in der Beurteilung wurzelgefüllter Zähne (. Abb. 4.2a–c). So wird selbst eine lege artis durchgeführte und klinisch und röntgenologisch unauffällige Wurzelfüllung als möglicher Herd angesehen und deshalb als einzig
. Abb. 4.3. Ausgedehnter zystischer Prozess im linken Unterkiefer mit Zahnverlagerung
57 4.4 · Herdverdächtige Zustände im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich
richtige Therapie die Extraktion des betreffenden Zahns für erforderlich gehalten. Begründet wird die Notwendigkeit zur Extraktion damit, dass in einem infizierten Wurzelkanal mit endodontischen Maßnahmen Keimfreiheit nicht zu erzielen ist. Mikroorganismen verbleiben im Wurzelspitzenbereich und in den Ramifikationen des Wurzelkanalsystems [112]. Grundlage hierfür sind Untersuchungen, die in asymptomatischen und regelrecht wurzelgefüllten Zähnen, die aus parodontalen oder kieferorthopädischen Gründen extrahierten wurden, Bakterien (hauptsächlich Viridans-Streptokokken) und Reste nekrotischen Gewebes nachweisen konnten [115]. Darüber hinaus werden endodontisch behandelte Zähne aufgrund der Fremdkörperreaktionen des umgebenden Gewebes gegen die eingesetzten Wurzelfüllmaterialien auch grundsätzlich als herdverdächtig angesehen [33]. Einfacher ist die Beurteilung unvollständiger Wurzelfüllungen, verbliebener Wurzelreste und Zysten. Bei diesen Befunden ist grundsätzlich von einer potenziellen Herdfunktion auszugehen und eine ist Sanierung erforderlich [115].
4.4.2 Parodontitis marginalis
profunda Die Gingivitis sowie die Parodontitis marginalis superficialis und profunda stellen bakterielle Entzündungen der marginalen Gingiva bzw. des Zahnhalteapparats dar. Die Gesamtoberfläche des Parodontiums lässt sich mit der ventralen Oberfläche des Arms vergleichen. Führt man sich die oben beschriebenen möglichen Interaktionen mit dem Gesamtorganismus bei einer generalisierten profunden Parodontitis vor Augen, so lässt dies einen systemischen Einfluss als möglich gelten [116]. Dabei soll sich die lokale Gingivitis von der fortgeschrittenen generalisierten Parodontitis marginalis profunda in ihrer Herdwirksamkeit aufgrund der um ein Vielfaches größeren entzündeten Fläche bei der profunden Parodontitis so-
4
wie aufgrund einer anderen Zusammensetzung des Keimspektrums unterscheiden [112]. Auch wird in der neueren Literatur wiederholt auf mögliche Zusammenhänge zwischen einer Parodontitis und einer Atherosklerose und damit mit myokardialen und cerebralen Ischämien hingewiesen [117]. Eine profunde Parodontitis sollte deshalb insbesondere bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand als Fokus eingestuft werden.
4.4.3 Intraorale Eingriffe Alle zahnärztlich chirurgischen Eingriffe können eine Bakteriämie verursachen. Vor allem bei Zahnextraktionen, aber auch bei subgingivaler Entfernung bakterieller Konkremente können Bakteriämien in nahezu 100% der Behandlungsfälle nachgewiesen werden [118]. Auch bei zahnärztlich konservierenden und prothetischen Behandlungen wurden transiente Bakteriämien nachgewiesen. Hierzu zählen auch eigentlich harmlose Eingriffe, wie z. B. das Polieren der Zähne und die tägliche Zahnpflege [119, 120]. Die so genannte »alltägliche Bakteriämie« aufgrund kleiner Verletzungen bei der Nahrungsaufnahme oder der Zahnreinigung wurde sogar als gravierender beschrieben, als die eher seltenen kurzzeitigen Bakteriämien nach intraoralen operativen Eingriffen [121]. Einen Überblick über die Wahrscheinlichkeit einer Bakteriämie im Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen gibt . Tab. 4.4.
4.4.4 Verlagerte/retinierte Zähne Retinierte und vollständig impaktierte Zähne sind als potenzielle Herde umstritten. Die Abwesenheit von Entzündungszeichen und der fehlende Bakteriennachweis bei klinisch und röntgenologisch reizlosen Zähnen lässt diese in Hinblick auf einen möglichen Herd als unwahrscheinlich gelten [122, 123] (. Abb. 4.4 a,b).
58
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
. Tabelle 4.4. Risiko einer Bakteriämie bei zahnärztlichen Therapien [119–121]
4
Behandlungsmaßnahme
Bakteriämiewahrscheinlichkeit [%]
Extraktion eines entzündlich erkrankten Zahns
75–88
Extraktion ohne vorliegende Entzündung
20–66
Infiltrationsanästhesie
16
Intraligamentäre Anästhesie
97
Anlegen eines Kofferdams
30
Anlegen eines Metallmatrixbands
30
Scaling
40–55
Zähne polieren
25
Zähneputzen
39
Mukoperiostale chirurgische Eingriffe
36–90
Kontrollgruppen (ohne zahnärztliche Behandlung)
7–30
a . Abb. 4.4. a,b. Retiniert verlagerte Weisheitszähne, reizlos in situ. a Panoramaschichtaufnahme. Voll bezahntes Gebiss in Ober- und Unterkiefer. Die Weisheitszähne 18, 28, 38 und 48 liegen retiniert verlagert dorsal der Zahnreihen. Perikoronal ist an allen vier Zähnen ein Osteolysesaum zu erkennen. Nebenbefund: Zustand nach operativer Versorgung einer linksseitigen Jochbeinfraktur, das Osteosynthesematerial ist noch in situ. b Klinische Situation intraoral in regio 38. Der Zahn ist teilretiniert. Perikoronal erkennt man eine chronisch entzündlich veränderte Zahnfleischtasche (Kreismarkierung) (7 Farbteil)
b
59 4.5 · Fokussuche
Als kritisch zu werten sind jedoch entzündliche Weichteilprozesse in der unmittelbaren Umgebung teilretinierter Zähne mit Kommunikation zur Mundhöhle. So gelten wiederkehrende perikoronale Entzündungen und chronische parodontale Entzündungen als herdverdächtig [124]. Deshalb wird bei Auftreten einer Dentitio difficilis die Entfernung des die Entzündung auslösenden Zahns für erforderlich gehalten [114]. Daneben wird die Beteiligung retinierter Weisheitszähne in der Genese der TemporoMandibulararthropathie diskutiert [110]. Evidenzbasierte Untersuchungen fehlen aber ebenso wie bei den Beobachtungen anderer Autoren, die nach Entfernung retinierter Weisheitszähne das Verschwinden unklarer Nacken- und Gesichtsschmerzen bzw. einer Alopecia areata beobachteten [86, 110].
4.4.5 Fremdkörper Fremdkörper (z. B. Wurzelfüllmaterial oder Metalle) werden nach Inkorporation bindegewebig oder knöchern eingekapselt oder von einem kleinzelligen entzündlichen Infiltrat eingeschieden [124]. Basierend hierauf wurde bei jedem im Körper befindlichen Fremdkörper (oder -material) eine entzündliche Reaktion vorausgesetzt. In Konsequenz wurden Kasuistiken unterschiedlicher Erkrankungen beschrieben (z. B. Gesichtsekzeme, vegetative Störungen und rheumatische Erkrankungen aber auch unspezifische Symptome wie Gewichtsverlust, Kopfschmerz und Beschwerden im Bereich der Kieferhöhle), die in einem Fremdkörpereinschluss ihren Ursprung haben sollen (z. B. überstopftes Wurzelfüllmaterial, eingesprengte Amalgamreste, Geschosssplitter bei Kriegsverletzungen) [125, 126]. Auch Implantate in der Endoprothetik und in der Zahnmedizin müssen definitionsgemäß grundsätzlich als inkorporierte Fremdkörper aufgefasst werden. Die Frage nach einer mög-
4
lichen Herdwirkung von zahnärztlichen Implantaten wird aufgrund der Durchtrittsstelle des zahnärztlichen Implantates in die Mundhöhle diskutiert, die eine Keimbesiedelung der Implantatoberfläche im Durchtrittsbereich ermöglicht [126]. Ein klinisch und röntgenologisch reizlos in den Hart- und Weichgeweben integriertes Implantat darf aber so lange nicht als möglicher Herd betrachtet werden, bis das Gegenteil bewiesen ist [127]. In Anbetracht der ähnlichen Mikrobiologie entzündlicher Prozesse an periimplantären Geweben im Vergleich zu Entzündungen der Gingiva und des Zahnhalteapparates gelten für die Periimplantitis die gleichen Gesichtspunkte wie für die Parodontitis [128, 129] (. Abb. 4.2 und 4.5).
4.5
Fokussuche
Die Fokussuche oder Herddiagnostik im Gebiet der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie umfasst die Untersuchung aller relevanten Strukturen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich eines Patienten im Hinblick auf die oben beschriebenen Veränderungen sowie deren Wertung auf eine mögliche Herdwirksamkeit.
4.5.1 Anamnese Die überwiegende Zahl der zum Herdgeschehen publizierten Literatur basiert auf Diagnosen »ex juvantibus«, d. h. die Diagnose eines Fokalgeschehens wurde anhand des Erfolgs einer durchgeführten Therapie gestellt. Der ausführlichen Anamnese gilt der erste Augenmerk. Wichtig ist, eine vermeintlich herdassoziierte Erkrankung in einen sinnvollen Zusammenhang mit Befunden oder Maßnahmen im Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zu stellen, da hierüber ggf. auf eine Herdwirkung rückgeschlossen und damit eine Eingrenzung verdächtiger Befunde ermöglicht werden kann.
60
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
4
b
c
a . Abb. 4.5 a–d. Zahnärztliche Materialien, Fremdkörper. a Patientenansicht. b Intraorale Situation bei Zahnreihenschluss mit prothetisch nicht versorgten Freiendlücken (Oberkiefer rechts, Unterkiefer links). c Intraorale Situation im Unterkiefer bei Mundöffnung: Parodontale und prothetisch insuffiziente Situation. d Entfernte insuffiziente Implantationssysteme und nicht erhaltungswürdige Zähne aus beiden Kiefern (7 Farbteil)
Zu hinterfragen sind: 4 Beginn der Beschwerden bzw. Erkrankung 4 Zeitpunkt und Umfang zahnärztlicher bzw. chirurgischer Behandlungen vor und während der Erkrankung 4 Zahnärztliche Behandlungen und – soweit möglich – die dabei verwendeten Materialien (Unverträglichkeiten?) 4 Durchgeführte Maßnahmen zur Therapie der Herderkrankung
d
4.5.2 Klinische Diagnostik Betrachtet man die als herdverdächtig geltenden Krankheitsbilder, so orientiert sich die klinische Herddiagnostik im Wesentlichen am Vorgehen jeder mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Standarduntersuchung. Bei der Fokussuche, bei der meist eindeutige Symptome bzw. Schmerzen fehlen, sollten jedoch zur Sicherheit, um keinen Befund zu übersehen, klare Prioritäten gesetzt und eine strikte Reihenfolge eingehalten werden: 1. Klinische Untersuchung der Mundhöhle unter besonderer Berücksichtigung der Schleimhäute
61 4.5 · Fokussuche
2. Sensibilitätsprüfung aller vorhandenen Zähne 3. Perkussionsprüfung aller Zähne 4. Taschentiefenmessung an allen Zähnen 5. Inspektion des Gesichts und der Haut 6. Palpation der submandibulären und zervikalen Lymphknoten Im Anschluss hieran sind weitere Befunde, wie z. B. Füllungen, prothetische Versorgung, Implantate, Funktionsstatus der Kaumuskulatur und des Kiefergelenks, zu erheben.
4.5.3 Röntgendiagnostik Panoramaschichtaufnahmen gelten als Röntgenbild der Wahl, denn sie geben einen Überblick über den Zahnstatus und über Befunde im Kieferknochen bei der Diagnostik pathologischer Prozesse wie Zysten oder Wurzelresten sowie anatomischer Abweichungen, wie z. B. retinierter und verlagerter Zähne oder Fremdkörper. Panoramaschichtaufnahmen sind zügig anzufertigen. Im Vergleich zu anderen Aufnahmen ist die Panoramaschichtaufnahme relativ strahlungsarm und kann in nahezu allen Fällen bei ausreichender Beurteilbarkeit als Übersichtsaufnahme empfohlen werden. Systembedingte Unschärfe, Additions- und Subtraktionseffekte sowie die oft mangelhafte Beurteilbarkeit der Frontzähne schränken den Aussagewert der
4
Panoramaschichtaufnahme bei der differenzierten Diagnose pathologischer Zustände des Zahnsystems ein. Verbleiben nach Beurteilung der Panoramaschichtaufnahme Unsicherheiten bezüglich möglicher pathologischer Befunde insbesondere bei fraglicher Vitalität einzelner Zähnen, so können Einzelzahnfilme notwendig werden [135]. Bei einer Beteiligung des Nasennebenhöhlensystems kann die Anfertigung einer Nasennebenhöhlenaufnahme erforderlich sein. Weitergehende röntgenologische Bildgebungsverfahren konventioneller Art oder auch Schichtaufnahmen können bei besonderen Fragestellungen weitere Erkenntnisse bringen. Sie sind allerdings nicht als bildgebende Standardverfahren in der Herddiagnostik einzusetzen [130– 134].
4.5.4 Alternativmedizinische
Diagnoseverfahren In der ganzheitlichen Medizin oder Komplementärmedizin wurden verschiedene Methoden entwickelt oder aus der traditionellen, empirischen Medizin übernommen, um sowohl den Zustand des Regulationssystems (7 oben) als auch einen vermeindlichen Herd diagnostizieren zu können [135, 136]. . Tab. 4.5 zeigt einige Verfahren auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Einige Tests sollen im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden.
. Tabelle 4.5. Einige alternativmedizinische Verfahren der Herddiagnostik [135] Verfahren der Regulationsdiagnostik
Diagnoseverfahren bei chronischen Irritationen
Decoder-Dermographie Kirlian-Photographie Leukozytolyse-Test Thermographie Vega-DFM und Vega-SEG Spenglersan-Test
Elektroakupunktur nach Voll Bioelektrische Funktionsdiagnostik Kinesiologische Muskeltests Physioenergetik nach van Assche Pulsreflex nach Nogier Kinesiologie
62
4
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
Elektroakupunktur nach Voll Die Elektroakupunktur nach Voll stellt ein Verfahren zur ganzheitlichen Diagnose und Therapie dar [136]. Sie wurde in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aus der traditionellen chinesischen Akupunkturlehre entwickelt. Sie basiert auf der Ableitung elektrischer Widerstände bzw. Potenziale an der Haut des Patienten. Die dieser Technik zugrundeliegende Arbeitshypothese ist das Vorhandensein einer erhöhten Hautleitfähigkeit an definierten Akupunkturpunkten, die über einen angelegten Reizstrom gemessen werden kann. Akupunkturpunkte werden Zahngruppen bzw. Kieferabschnitten (Odontonen) zugeordnet, die wiederum mit bestimmten Organen in Wechselwirkung stehen sollen. Mit dem speziell hierfür entwickelten Elektroakupunkturgerät wird der »Widerstand« am entsprechenden Akupunkturpunkt gemessen. Weicht dieser von einem definierten Normwert ab, so soll dies auf eine Störung in dem betreffenden Odonton hinweisen, die zur Erkrankung der zugeordneten Organe oder Organsysteme führen kann oder geführt hat. Mit dieser Methode sollen Störungen im Mund- oder Kieferbereich messbar gemacht werden können, die vom Patienten subjektiv und vom Zahnarzt mit konventionellen diagnostischen Verfahren objektiv nicht nachgewiesen werden können. Diese Störungen können Hinweis auf entzündliche Prozesse geben, aber auch auf unverträgliche Werkstoffe. Als Komplementärmethode konnte die Elektroakupunktur bisher wissenschaftlich nicht bewiesen werden [135, 136].
Einschränkung der Muskelfunktion, so wird dies als Hinweis auf eine sich anbahnende Krankheit in den zugeordneten Organen gedeutet. Auch bei dieser Theorie stehen bestimmte Muskelgruppen mit bestimmten Zahngruppen und Organen oder Organsystemen in Wechselwirkung. Aufgrund der Subjektivität des Testverfahrens und der Möglichkeit der suggestiven Beeinflussung der Testperson wird die Kinesiologie von der wissenschaftlichen Medizin abgelehnt [134].
Spenglersan-Provokationsmethode Als Spenglersane werden Kolloide bezeichnet, die aus dem Serum mit bestimmten Krankheitserregern beimpfter Tiere gewonnen werden. Entsprechend der Spenglersan-Provokationsmethode werden verschiedene Spenglersan-Präparate zur Diagnostik unterschiedlicher Erkrankungen eingesetzt. Im Mundbereich wird meist das so genannte Spenglersan D oder DX eingesetzt. Es soll auf Herdinfekte bzw. Störfelder im Kiefer-, Nasennebenhöhlen- und Zahnbereich hinweisen. Zum Testen werden einige Tropfen des jeweiligen Spenglersan-Präparats in die Ellenbeuge des Patienten eingerieben. Aufgrund von Antigen-Antikörper-Reaktionen in den aktiven Herden sollen sich im Verlauf von ein bis zwei Tagen Provokationsschmerzen einstellen, die Rückschlüsse auf die Herdlokalisation zulassen sollen [134]. Auch bei diesem Verfahren der komplementären Herddiagnostik steht ein wissenschaftlicher Nachweis bisher aus.
4.6 Kinesiologie Die Kinesiologie beruht auf der Annahme, dass Muskeln, Organe und Emotionen in einem Zusammenhang stehen und zu einer Balance im gesamten Körper beitragen. Balance bedeutet hierbei, dass Muskeln die ihnen gestellten Aufgaben ohne Einschränkungen ausführen können. Sind Muskeln oder Muskelgruppen geschädigt und führt dies zu einer Fehlhaltung des Körpers oder
Konsequenzen und Therapie
4.6.1 Grundsätzliches In Konsequenz der vorgestellten Theorien, Krankheitsbilder und Testmethoden wird im Folgenden ein Vorschlag zur Diagnostik und Therapie bei fraglichem Herdgeschehen vorgestellt. Das systematische diagnostische Vorgehen ist immer
63 4.6 · Konsequenzen und Therapie
4
gleich; die daraus folgende Therapie(-empfehlung) muss sich an individuellen Fragen des Allgemeinzustands des Patienten sowie der Abwägung von Risiko und Nutzen für den Patienten orientieren. Ein rigoroses chirurgisches Vorgehen zur Sanierung vermeindlicher Herde ohne vorherigen Nachweis pathologischer Befunde ist nicht gerechtfertigt und somit grundsätzlich abzulehnen.
4.6.3 Wertung erhobener Befunde
4.6.2 Schema zur Herddiagnostik
4.6.4 Herdsanierung
Wie oben erwähnt, ist das diagnostische Vorgehen bei der Herdsuche identisch mit jeder mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Untersuchung unter Berücksichtigung der zahnärztlichen Ursachenkomponente. Da »Fokuspatienten« jedoch selten mit spezifischen odontogenen Beschwerden den Zahnarzt konsultieren, sondern meistens im Rahmen einer mutmaßlichen Herderkrankung zur generellen Fokussuche überwiesen werden, sollte die Herdsuche grundsätzlich nach einem identischen Schema durchgeführt werden, um möglichst keine Befunde zu übersehen. Im Folgenden wird ein solches Standardschema dargestellt (. Abb. 4.6):
Grundsätzlich sind pathologische Befunde bei Patienten mit Herdverdacht wie bei jedem anderen Patienten kausal zu behandeln. Der Patient sollte dabei auf das Vorliegen der Befunde sowie auf die Notwendigkeit der Behandlung unabhängig vom Herdverdacht hingewiesen werden. Eine Sensibilisierung des Patienten in Hinblick auf mögliche Herdzusammenhänge ist, wenn möglich, zu vermeiden. Patienten, die sich für ihre Leiden bestimmte Kausalitätsmuster zurechtlegen, geraten leicht in die Versuchung, sich »übertherapieren« zu lassen. Die Behandlungsweise orientert sich jeweils am Krankheitszustand des Patienten. Hierbei
. Abb. 4.6. Schema zur Fokussuche
im Hinblick auf eine mögliche Herdwirkung . Tab. 4.6 zeigt, wie nach dem derzeitigen wissen-
schaftlichen Kenntnisstand mund-, kiefer- und gesichtschirurgische sowie zahnärztliche Befunde bewertet werden können.
64
Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
. Tabelle 4.6. Wertung erhobener Befunde in Hinblick auf eine mögliche Herdwirkung
4
Befund
Herdverdächtig?
Parodontitis marginalis
Ja
Periimplantitis
Ja
Perikoronitis
Ja
Pulpitis/Pulpanekrose
Ja
Apikale Osteolyse
Ja
Lokale Gingivitis
Fraglich
Zysten
Ja
Fremdkörper
Fraglich
Implantate
Reizlos eingeheilte Implantate werden nicht als herdverdächtig angesehen
Vollständig impaktierte Zähne
Nein
Klinisch und röntgenologisch reizlose Wurzelkanalfüllungen
Nein
sind hochgefährdete Patienten (z. B. Endokarditisrisiko oder Patienten vor Organtransplantation) von Patienten mit nicht direkt lebensbedrohlichen Erkrankungen zu unterscheiden. Bei gefährdeten Patienten ist vor Therapieeinleitung Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zur Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands des Patienten zu halten (z. B. zur Festlegung einer perioperativen Antibiose). Eine Gefährdung des Patienten durch die zahnärztliche Behandlung selbst muss minimiert werden. Als hochgradig gefährdete Patienten sind anzusehen: 4 Patienten mit Z.n. Organtransplantation 4 Patienten mit herabgesetzter Abwehrlage 4 Leukämiepatienten
4 Risikopatienten nach dem EndokarditisRisiko-Schema aus ▶ Kap. 4.3.2.
4.6.5 Antibiotikaprophylaxe Auch wenn die perioperative Antibiotikaprophylaxe bei zahnärztlichen Behandlungen kontrovers diskutiert wird, so ist bei Verdacht auf eine Herderkrankung jede zusätzlich durch die zahnärztliche Behandlung hervorgerufene Bakteriämie zu berücksichtigen. Bei gefährdeten Patienten, wie auch bei Patienten mit inkorporierten Endoprothesen ist eine Antibiotikaprophylaxe vor mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich angezeigt. Die Risiken der Antbiotikaprophylaxe werden im Vergleich zu den Folgen einer Sepsis oder der Infektion einer Endoprothese mit deren konsekutivem Verlust als vernachlässigbar angesehen [103].
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Kapitel 4 · Herderkrankungen aus mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Sicht
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5 Der Fokus aus rheumatologischer Sicht Claudia Dechant, Bernhard Manger
5.1
Historische Aspekte der klassischen Fokustheorie – 70
5.2
Eine mögliche Fokustheorie aus heutiger rheumatologischer Sicht – 71
5.3
Mögliche pathogenetische Mechanismen einer Infektion bei der Ausbildung einer rheumatologischen Erkrankung am Beispiel Arthritis – 73
5.4
Aspekte der Erreger-Wirt-Interaktion in der Pathogenese rheumatologischer Krankheitsbilder – 75
5.5
Stellenwert eines fokalen infektiösen Geschehens im Kopf-Hals-Bereich bezüglich Ätiologie und Pathogenese entzündlich rheumatologischer Krankheitsbilder – 78
5.6
Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt bzw. Zahnarzt und Rheumatologen bei der »Fokussuche« – 80
5.7
Zusammenfassung Literatur – 83
– 82
70
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
Die klassische Fokustheorie hatte zu Beginn des
5
vergangenen Jahrhunderts entscheidenden Einfluss auf das ätiologische und pathogenetische Verständnis rheumatologischer Krankheitsbilder, insbesondere der Arthritis. Obwohl diese Theorie in ihrer ursprünglichen Form als überholt und die damals angewandten Therapiemaßnahmen als obsolet anzusehen sind, besitzen doch einige Aspekte einer Fokustheorie auch heute noch ihre Aktualität bei der Erklärung rheumatologischer Krankheitsbilder. Im Folgenden werden heute gültige Aspekte einer Fokustheorie, aber auch der Gesichtspunkt der Wertigkeit einer »Fokussuche« in der klinischen Praxis beleuchtet.
5.1
Historische Aspekte der klassischen Fokustheorie
Die klinischen Erscheinungsbilder zahlreicher rheumatologischer Krankheitsbilder wurden vom 17. bis 19. Jahrhundert dokumentiert. Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde eine Reihe bakterieller Erreger als Ursache diverser Erkrankungen entdeckt. Daraus folgerte man, dass jede Erkrankung durch einen eigenen spezifischen Erreger ausgelöst werde, was auch Einfluss auf die Theorien zur Entstehung rheumatologischer Erkrankungen nahm. Im frühen 20. Jahrhundert kam es – v. a. propagiert in England durch W. Hunter, in Amerika durch F. Billings und E.C. Rosenow – unter anderem zur Entwicklung der so genannten Fokustheorie, die zwar durch keinerlei kontrollierte, experimentelle Daten belegt war, aber in den folgenden Jahrzehnten als ein führendes Erklärungsmodell insbesondere zur Ätiologie einer nicht-eitrigen chronischen Arthritis herangezogen wurde. Grundaussage dieser Theorie war, dass lokal begrenzte Infektionen bzw. Eiterherde durch »Streuung« von Erregern oder Erregerprodukten Arthritis und verschiedene andere entzündliche Krankheiten verursachen. Der infektiöse Fokus wurde dabei als begrenztes Gewebeareal definiert,
das mit einem pathogenen Mikroorganismus infiziert ist. Man nahm an, dass jeder Körperteil Träger potenziell schädlicher Mikroorganismen sein könne. Dabei müssten die Erreger wiederum nicht zwangsläufig lokale Symptome auslösen und könnten deswegen auch unentdeckt bleiben. Bis 1920 war die Lehrmeinung der »Fokalinfektion« weit verbreitet. Als Folge eines vermuteten Fokusgeschehens im Mund, dem oberen Respirationstrakt, dem Genital- oder dem Gastrointestinaltrakt wurde empfohlen, derartige Infektionsherde zu suchen und therapeutisch zu eliminieren. Deswegen wurden auch rheumatische Erkrankungen, wie z. B. Arthritiden und Myositiden, in großem Ausmaß mittels Zahnextraktion – bis hin zum Ziehen aller Zähne – und Tonsillektomie, aber auch mittels Lavage und anderer operativer Maßnahmen im Bereich des Gastrointestinal- und Genitaltrakts behandelt. In der Annahme der Entfernung eines okkulten Fokus wurden sogar an sich gesunde Organe entfernt. Der Erfolg derartiger Therapieversuche gerade bei rheumatologischen Krankheitsbildern gründete sich in dieser präantibiotischen Zeit hauptsächlich auf Einzelfallberichte und nichtkontrollierte Untersuchungen und kann im Nachhinein nur schwer beurteilt werden, zumal die einzelnen entzündlichen rheumatologischen Krankheitsbilder mit einer uneinheitlichen und zum Teil verwirrenden Terminologie belegt waren. Erst gegen Ende der 1930er Jahre kamen Zweifel an der Fokustheorie auf. Mit zunehmender Verbreitung von Antibiotika kam es zu rationaleren Behandlungsmethoden der so genannten »fokalen Sepsis«, so dass die bisher angewandten Behandlungsmethoden zur Fokuselimination aufgegeben wurden [1, 2]. Bis heute konnte nur bei wenigen entzündlichen Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis überhaupt ein Zusammenhang mit einer Infektion gesichert werden. Bei den meisten
71 5.2 · Eine mögliche Fokustheorie aus heutiger rheumatologischer Sicht
rheumatologischen Krankheitsentitäten erwies sich die klassische Fokustheorie als nicht zutreffend. Allerdings hat diese Theorie bis heute ihre Spuren hinterlassen und wird teilweise – v. a. in paramedizinischen Kreisen – noch favorisiert. Seit den 1940er Jahren kam es mehr und mehr zur Klärung der immunologischen Phänomene bei den einzelnen rheumatischen Erkrankungen. So wurden 1940 der Rheumafaktor, 1948 das Lupus-erythematodes-Zellphänomen und 1950 die antinukleären Antikörper entdeckt. Bis jetzt wurden zahlreiche komplexe immunologische Phänomene und Mechanismen bei den einzelnen Erkrankungsformen aufgedeckt; allerdings konnten die Ätiologie und Pathogenese der meisten Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises bislang noch nicht vollständig geklärt werden. Gerade durch die Einführung der molekularbiologischen Techniken – z. B. durch Nachweis persistierender, mikrobieller Antigene oder Erbsubstanz – entstand in jüngster Zeit wieder ein zunehmendes Forschungsinteresse am Zusammenhang von Infektionserregern und entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats,
5
insbesondere der Arthritis. Somit ergibt sich heute wieder, wenn auch in anderem Kontext, eine Beziehung zu den früheren Pathogenesekonzepten der Fokustheorie.
5.2
Eine mögliche Fokustheorie aus heutiger rheumatologischer Sicht
Heute wird ein Fokus definiert als »Sitz eines lokalen Krankheitsprozesses, der über die direkte Umgebung hinaus pathologische Fernwirkungen auslösen kann« (. Abb. 5.1) [3]. Betrachtet man das Spektrum der Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, so findet man einige Erkrankungen, bei denen die rheumatische Erkrankung in Beziehung zu einem Fokus steht. Dabei kann solch ein Fokus infektiöser, aber auch nichtinfektiöser Genese sein. Das klassische Beispiel für eine infektiöse, fokal streuende Erkrankung ist das rheumatische Fieber, auf das im Folgenden noch näher eingegangen wird. Ein Beispiel für ein nicht-infektiöses »fokales Geschehen« ist ein Kolonkarzinom, das sich »über die direkte Umge-
. Abb. 5.1. Modell einer möglichen Fokustheorie aus heutiger rheumatologischer Sicht
72
5
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
bung hinaus« im Sinne einer Paraneoplasie als Dermatomyositis manifestiert. In diesem Zusammenhang ist die Manifestation eines rheumatologischen Krankheitsbildes als »Streuung« nur im übertragenen Sinn zu sehen. Das letztgenannte Beispiel zeigt, dass es zur Aufgabe des Rheumatologen gehört, bei bestimmten Erscheinungsformen von rheumatischen Erkrankungen auch nach anderen Erkrankungen als Ursache für das rheumatische Krankheitsbild zu fahnden. Die Manifestation einer rheumatologischen Erkrankung wird dabei durch das Immunsystem mit seinen verschiedenen qualitativen, quantitativen und zeitlichen Nuancierungen der Immunreaktion bestimmt. So ist bekannt, dass bei der Pathogenese der meisten Arthritiden eine Vielzahl von Zellen beteiligt ist, u. a. Granulozyten, Monozyten, Makrophagen, T- und B-Zellen, Endothelzellen, Fibroblasten sowie Osteoklasten und Osteoblasten. Diese Zellen interagieren über zahlreiche Mechanismen, wie z. B. direkt über rezeptorvermittelte Zell-Zell-Kontakte oder indirekt über Zytokine und Antikörper. Je nach Art und Ausmaß der beteiligten Zellen und ihrer Interak-
tionen führt dies zu verschiedenen Formen der Arthritis; so entscheidet sich beispielsweise auch, ob eine Arthritis erosiv oder nicht-erosiv verläuft. Der Beitrag der zeitlichen Abfolge der Immunreaktion bei der Krankheitsmanifestation lässt sich sehr gut am Beispiel des rheumatischen Fiebers darstellen, das seit Einführung der antibiotischen Therapie nur noch sehr selten auftritt. Nach einem Infekt des oberen Respirationstrakts mit bestimmten Stämmen von betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A, der sich als Angina tonsillaris oder als Pharyngitis manifestieren, aber auch inapparent verlaufen kann, kommt es nach einigen Wochen bis Monaten zu einer systemischen Erkrankung. Diese manifestiert sich hauptsächlich als Polyarthritis, Chorea minor, mit subkutanen Knoten und besonders gefährlich als Pankarditis. Die Erkrankung selbst kann anhand der Jones-Kriterien, die in . Tab. 5.1 aufgeführt sind, diagnostiziert werden. Das Krankheitsbild des rheumatischen Fiebers ist nicht mehr allein durch den Erreger bedingt, sondern ist Folge einer (Auto-)Immunreaktion. Dabei werden kreuzreaktive Antigene der
. Tabelle 5.1. Diagnostische Kriterien für die Ersterkrankung des rheumatischen Fiebers nach Jones [23]. Die Diagnose kann als wahrscheinlich angesehen werden, wenn zwei Hauptkriterien oder ein Haupt- und zwei Nebenkriterien und zudem der Nachweis einer vorangegangenen Streptokokkeninfektion vorliegen Hauptkriterien: 5 Karditis 5 Polyarthritis 5 Chorea 5 Erythema marginatum 5 Subkutane Knoten
Nebenkriterien: 5 Fieber 5 Arthralgien 5 BKS- oder CRP-Erhöhung 5 Verlängertes PR-Intervall im EKG
Zusätzlich Nachweis einer vorangegangenen Infektion mit Streptokokken der Gruppe A: 5 Positive Rachenkultur oder Streptokokkenantigentest 5 Erhöhte oder ansteigende Streptokokkenantikörper Ausnahmekriterien, die allein die Diagnose eines rheumatischen Fiebers zulassen: 5 Chorea 5 Larvierte Karditis 5 Rezidiv eines rheumatischen Fiebers
73 5.3 · Mögliche pathogenetische Mechanismen einer Infektion
Streptokokken von Antigen-präsentierenden Zellen über MHC-Klasse-II-Moleküle den T-Helferzellen präsentiert. Infolge einer gestörten Präsentation oder Erkennung dieser Antigene kommt es zu einer unkontrollierten Aktivierung und Proliferation von T-Helferzellen, die wiederum zu einer Freisetzung diverser Lymphokine und dadurch zur Aktivierung von zytotoxischen T-Zellen, Monozyten und neutrophilen Granulozyten führen [4]. Hierdurch kommt es zwar zu einer Eradikation der Streptokokken, aber durch Kreuzreaktion mit ähnlichen Epitopen auf humanem Gewebe kommt es – neben Immunkomplexphänomenen – zur hauptsächlich durch T-Zellen vermittelten Schädigung und somit zur Krankheitsmanifestation des rheumatischen Fiebers. Dadurch wird verständlich, dass bei Auftreten der klinischen Manifestationen des rheumatischen Fiebers oftmals der Erreger nicht mehr nachweisbar ist und eine rein antibiotische Therapie nicht eine vollständige Beseitigung des Krankheitsbildes bewirken kann. Dagegen lassen sich oft noch die immunologischen Phänomene finden, wobei in diesem Zusammenhang auch die zur Diagnostik eingesetzte Erhöhung des Antistreptolysintiters und des Anti-DNAse-B-Titers zu nennen sind. Wie dargestellt, gibt es Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, bei denen nach heutigem Stand ein fokales Geschehen gesichert ist oder angenommen werden kann, wobei das Immunsystem eine bedeutende Rolle bei der Krankheitsmanifestation spielt. Bei den meisten rheumatologischen Erkrankungen ist allerdings weiterhin kein Zusammenhang mit einem Fokus gesichert. Hierzu gehören die degenerativen oder metabolischen Gelenkund Knochenerkrankungen und die meisten Formen der entzündlichen Autoimmunopathien wie die rheumatoide Arthritis.
5.3
5
Mögliche pathogenetische Mechanismen einer Infektion bei der Ausbildung einer rheumatologischen Erkrankung am Beispiel Arthritis
Bei den verschiedenen rheumatischen Erkrankungen wurden bislang zahlreiche Untersuchungen unternommen, um den Stellenwert von Infektionen bei der Ätiologie und Pathogenese dieser Erkrankungen näher zu bestimmen. Allerdings konnte eine kausale Beteiligung von Infektionen nur bei wenigen Erkrankungsentitäten bislang zweifelsfrei belegt werden. Im Folgenden soll kurz exemplarisch der Zusammenhang von Infektion und einem häufigen rheumatologischen Symptom, nämlich der Arthritis, beleuchtet werden. Bei einigen Arthritisformen konnte bislang der Zusammenhang mit einer Infektion gesichert werden, so z. B. bei der bakteriellen septischen Arthritis, bei virusinduzierten Arthritiden, bei der Arthritis des rheumatischen Fiebers und bei anderen Formen der reaktiven Arthritis. Bei anderen Erkrankungsformen, wie z. B. der rheumatoiden Arthritis, wird zwar ein infektiöses arthritogenes Agens diskutiert, das zumindest zu Beginn die Erkrankung triggern könnte, allerdings sind die Daten hierzu noch sehr inkonsistent und nicht schlüssig. Der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Erreger und entsprechender Erkrankung kann dabei mittels direkter Erregeranzucht, mittels Nachweis von Erregerantigenen oder -erbsubstanz, aber auch mittels Nachweis der immunologischen Reaktion auf den Erreger wie der Infektionsserologie geführt werden. Gerade durch die Einführung molekularbiologischer Methoden, wie der Polymerasekettenreaktion oder der In-situ-Hybridisierung, aber auch spezieller Anzuchtverfahren, gelang die Klärung einiger ätiologischer Zusammenhänge zwischen Erreger und Arthritis. Als Beispiel hierfür kann die durch Borrelia burgdorferi verursachte LymeArthritis oder die durch Tropheryma whippelii verursachte Arthritis beim Morbus Whipple ge-
74
5
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
nannt werden. Allerdings bedürfen positive Erregernachweise hinsichtlich ihrer Spezifität und kausalen Rolle insgesamt einer vorsichtigen Interpretation – insbesondere wenn sie mit sehr sensitiven Techniken wie der Polymerasekettenreaktion erbracht werden und wenn ein eindeutiger direkter kausaler Zusammenhang, wie im Falle der eitrigen septischen Arthritis mit leicht anzüchtbarem Erreger, nicht gegeben ist. In diesem Fall müssen unter anderem auch Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen, insbesondere mit der Frage der Prävalenz des entsprechenden Erregers in einer geeigneten Kontrollpopulation, herangezogen werden. Es ist mittlerweile bekannt, dass Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten entzündliche Gelenkerkrankungen über verschiedene Mechanismen auslösen können. Bakterien stellen dabei unter den Mikroorganismen die wichtigste Erregergattung dar. Folgende Mechanismen kommen hier in Betracht: 1. Der Erreger ist direkt lebend im Sinne einer aktiven Infektion vorhanden. 2. Der Erreger ist in inaktiver und degradierter Form vorhanden. 3. Der Erreger produziert Toxine, Metabolite und andere extrazelluläre Produkte von einer entfernten Stelle her. 4. Der Erreger induziert entweder humorale oder zelluläre immunologische Reaktionen, die etwa über Mechanismen der Antigenähnlichkeit – des so genannten molekularen Mimikry – zwischen Zielorgan und induzierendem Mikroorganismus zur Gelenkerkrankung führen, zu deren Aufrechterhaltung das Vorhandensein des Erregers nicht mehr erforderlich ist. Das Spektrum der aktiven Gelenkinfektionen ist breit: So gibt es aggressive, septische Arthritiden, z. B. durch Staphylokokken bedingt, bei denen eine rasche Gelenkdestruktion in Folge einer massiven eitrigen Entzündung eintritt und nur durch eine unverzügliche Diagnose und Einlei-
tung einer antibiotischen Therapie die Gelenkfunktion erhalten werden kann. Daneben gibt es auch Infektionen, wie beispielsweise durch Mykobakterien, Gonokokken oder Tropheryma whippelii bedingte Arthritiden, oder auch – zumindest in ihrer frühen Form – die durch Borrelia burgdorferi bedingte Lyme-Arthritis, bei denen der Erreger selbst, allerdings nur in geringer Menge, nachgewiesen werden kann und die in der Regel einen milderen Verlauf nehmen. In den Fällen einer aktiven Gelenkinfektion ist eine kurative antibiotische Behandlung möglich und ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Erkrankung und Infektion ist evident. Daneben gibt es eine Reihe von Erkrankungen, bei denen im Gelenk kein »lebender« Erreger nachgewiesen werden kann und bei denen pathogenetisch die unter den Punkten 2–4 aufgeführten Mechanismen zugrunde liegen. Zu diesen so genannten infektassoziierten Arthritisformen gehören die reaktive Arthritis und das rheumatische Fieber. Ätiologisch und pathogenetisch liegen diesen infektassoziierten Erkrankungen heterogene Mechanismen zugrunde. Die auslösenden Infekte sind hauptsächlich im Gastrointestinal-, im Urogenital- und im Respirationstrakt lokalisiert. Mögliche Erreger, die eine derartige infektassoziierte Arthritis auslösen können, sind in . Tab. 5.2
. Tabelle 5.2. Erreger, die eine reaktive oder infektassoziierte Arthritis auslösen können Infekte des Gastrointestinaltrakts
5 5 5 5 5
Infekte des Urogenitaltrakts
5 Chlamydia trachomatis 5 Mycoplasma genitalium 5 Ureaplasma urealyticum
Infekte des oberer Respirationstrakts
5 beta-hämolysierende Streptokokken 5 Chlamydia pneumoniae
Salmonella Species Shigella Species Yersinia Species Campylobacter Species Clostridium difficile
75 5.4 · Aspekte der Erreger-Wirt-Interaktion
aufgeführt. Der Zusammenhang dieser Erreger konnte in großen Patientenkollektiven belegt werden, dennoch gelingt der Erregernachweis im Einzelfall oftmals nicht. Während eine prophylaktische antibiotische Therapie die Manifestation der infektassoziierten Arthritis verhindern kann, kann durch eine nachträglich begonnene Antibiose der Krankheitsverlauf in der Regel nicht mehr beeinflusst werden. Bezüglich der Nomenklatur bleibt anzumerken, dass es möglicherweise fließende Übergänge zwischen einigen Arthritisformen, die als infektassoziiert, und Arthritisformen, die als septisch mit nur geringer Erregerdichte und -replikation anzusehen sind, geben könnte [5–8]. Beleuchtet man insgesamt den Zusammenhang zwischen den Arthritisformen, bei denen ein kausaler Bezug zu einer Infektion gegeben ist – also den infektiösen oder infektassoziierten Arthritiden –, und dem Aspekt eines infektiösen Fokusgeschehens, so ist die Triggerung und möglicherweise auch die Aufrechterhaltung durch eine vom Gelenk entfernt lokalisierte Infektionsquelle anzunehmen. Kommt es zum Nachweis von infektiösen Erregern oder Erregerbestandteilen im Gelenk, liegt der Ursprung des Erregers in den allermeisten Fällen extraartikulär. Lediglich in sehr seltenen Konstellationen – beispielsweise iatrogen nach Gelenkpunktion – findet die Gelenkinfektion primär statt. Es ist daher wahrscheinlich, dass zumindest am Anfang einer solchen Erkrankung der Erreger an seiner Eintrittspforte vorhanden ist, von der eine Distribution des freien oder sich intrazellulär befindlichen Erregers oder seiner Bestandteile, beispielsweise durch den Blutstrom, stattfindet. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass später der Erreger an einem andersartigen Reservoir lokalisiert oder in disseminierter Verteilung vorhanden ist. Diese Möglichkeiten der Erregerverteilung gelten auch für den Fall, dass die Arthritis durch infektinduzierte immunologische Mechanismen verursacht wird.
5
In der klinischen Praxis ist allerdings die Suche nach der Lokalisation des Erregers bei den infektiösen und infektinduzierten Arthritiden von unterschiedlicher Relevanz, denn oftmals gelingt die Lokalisation des Erregers nur dann, wenn entsprechende klinische Beschwerden wegweisend sind oder aufwändige diagnostische Verfahren eingesetzt werden. Im klinischen Alltag wird vom Rheumatologen heute in Abhängigkeit der Arthritisentität die Suche nach der Lokalisation des Erregers initiiert. So wird im Falle einer eitrigen septischen Arthritis nach einem Erregerfokus gefahndet, da oftmals erst durch eine begleitende chirurgische Sanierung auch dieser Lokalisationen eine Ausheilung der Erkrankung erzielt werden kann. Dagegen ist im Falle einer Lyme-Arthritis oder einer Gonokokken-Arthritis, bei der die Erkrankung durch eine antibiotische Therapie in der Regel gut behandelt werden kann, eine Suche nach extraartikulären Manifestationsorten der Erkrankung nicht notwendig. Auch im Falle der infektassoziierten Arthritiden wird in der Regel – sofern keine lokale Symptomatik daraufhin wegweisend ist – keine Erregersuche veranlasst.
5.4
Aspekte der ErregerWirt-Interaktion in der Pathogenese rheumatologischer Krankheitsbilder
Unabhängig von der eigentlichen Lokalisation des verursachenden Erregers ist von besonderem Interesse, welche Faktoren und Mechanismen bei einem infektiösen Geschehen zur Manifestation einer rheumatologischen Erkrankung beitragen können. Dabei kommt es jeweils auf die Art des Erregers und seiner pathogenen Eigenschaften, aber auch auf den Phänotyp des Immunsystems mit seinen spezifischen und unspezifischen Abwehrmechanismen an. Gerade in den letzten Jahren konnten eine Reihe interessanter Faktoren und Mechanismen
76
5
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
der Erreger-Wirt-Interaktion auf zellulärer Ebene aufgedeckt werden, denen anscheinend auch bei rheumatologischen Krankheitsentitäten eine bedeutende pathogenetische Rolle zukommt und die auch zu einem weiteren Verständnis der möglichen Rolle von Erregern bei der Entstehung von Entzündung, immundysregulativen Prozessen und Autoimmunreaktionen führen. Im Folgenden sollen einige dieser Faktoren und Mechanismen kursorisch dargestellt werden. Ein Mechanismus, der zur Entstehung einer Autoimmunreaktion führen kann und bereits dargestellt wurde, ist das so genannte molekulare Mimikry. Dabei kommt es bei Ähnlichkeit zwischen Erregerbestandteilen und körpereigenen Strukturen über eine Kreuzreaktion zur Schädigung der körpereigenen Strukturen. Neben der Identifikation verschiedener bakterieller Erregerantigene beim rheumatischen Fieber und bei Formen der reaktiven Arthritis wird dieser Mechanismus auch bei der Induktion von Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes durch virale Antigene, insbesondere durch humane endogene Retroviren, diskutiert [4, 7, 9]. Dabei spielt insbesondere auch die Präsentation dieser Antigene über MHCMoleküle eine besondere Rolle. Bei verschiedenen rheumatologischen Erkrankungsentitäten konnten jeweils bestimmte HLA-Konstellationen identifiziert werden, die derartige Autoimmunerkrankungen besonders begünstigen. Der bekannteste prädisponierende Faktor ist dabei HLA B27, der bei den reaktiven Arthritiden und den Spondylarthropathien gehäuft zu finden ist. Ein anderer Faktor, der zu einer Immundysregulation und damit Begünstigung von Autoimmunreaktionen führen kann, ist die Fähigkeit einiger Erreger zur Bildung von Superantigenen. Dabei handelt es sich entweder um von Bakterien stammende Antigene, die durch Diffusion an Bindungsstellen gelangen, oder um virale Superantigene, die durch von Viren befallene Zellen direkt auf der Zelloberfläche exprimiert werden. Diese Superantigene führen durch Vernetzung von
MHC-Klasse-II-Molekül und T-Zell-Rezeptor auf den Außenseiten der Moleküle zu einer Stimulation von T-Zellen, ohne dass eine spezifische Erkennung eines von MHC-Klasse-II-Molekülen präsentierten Antigens benötigt wird. Über diesen Mechanismus ist eine vorherige Antigenprozessierung durch die antigenpräsentierende Zelle nicht nötig, und es kommt nicht nur zur Stimulation eines, sondern gleich mehrerer T-Zell-Klone und somit zur Expansion der Immunreaktion (. Abb. 5.2). Der pathogenetische Einfluss von Superantigenen wird bei einigen Formen der reaktiven Arthritis, aber auch bei der rheumatoiden Arthritis und der Psoriasis-Arthritis diskutiert [10–12]. Ein weiterer Mechanismus, der bei der Induktion von Autoimmunreaktionen diskutiert wird, ist die Stimulation des Immunsystems durch Hitzeschockproteine (HSP). Hitzeschockproteine sind phylogenetisch sehr alte, hochkonservierte molekulare Strukturen, die sowohl von Eukaryonten als auch von Prokaryonten gebildet werden. Sie sind weit verbreitet und weisen über die Speziesgrenzen hinaus – von der Mikrobe bis zum Menschen reichend – eine hohe Homologie auf. Hitzeschockproteine werden unter anderem nach zahlreichen physiologischen, aber auch unphysiologischen Reizen wie Temperaturänderungen gebildet. Ihre physiologische Funktion besteht darin, die korrekte Faltung eines Proteins bei seiner Synthese zu ermöglichen und Zellen vor schädlichen Stresseinwirkungen zu schützen. Sie werden in verschiedene Klassen eingeteilt, wobei einige dieser Hitzeschockproteine sehr potente Stimulatoren des Immunsystems sind. Dadurch, dass ihre Fähigkeit zur Stimulation des Immunsystems über Speziesgrenzen hinausgeht, können Hitzeschockproteine als kreuzreaktive Antigene zur Induktion von Autoimmunität beitragen (. Tab. 5.3). Dieser Mechanismus wird unter anderem bei der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis diskutiert [13, 14]. Inzwischen ist auch bekannt, dass durch das unspezifische angeborene Immunsystem wichtige
77 5.4 · Aspekte der Erreger-Wirt-Interaktion
a
5
b
. Abb. 5.2 a,b. Vergleich der Bindung eines konventionellen Antigens und eines Superantigens. a Ein konventionelles Antigen, das in der Antigenbindungsgrube des MHC-Klasse-II-Moleküls präsentiert wird, kann nur über eine spezifische Bindung an der Antigenerkennungsstelle des T-Zell-Rezeptors zu einer T-Zell-Stimulation führen.
b Superantigene dagegen führen durch Vernetzung von MHC-Klasse-II-Molekül und Vβ-Kette des T-Zell-Rezeptors auf den Außenseiten der Moleküle zu einer Stimulation von T-Zellen, ohne dass eine spezifische Erkennung benötigt wird
. Tabelle 5.3. Beispiele des Effekts einzelner Hitzeschockproteine auf das Immunsystem. (Mod. nach [14]) Hitzeschockproteine
Funktion
HSP60
Aktivierung von Makrophagen und dendritischen Zellen Regulation der T-Zell-Adhäsion, Migration und Zytokinpolarisation
HSP70
Aktivierung von Splenozyten, natürlichen Killerzellen, Promonozyten und dendritischen Zellen
HSP90
Aktivierung von Makrophagen
Gp96
Aktivierung von Makrophagen und dendritischen Zellen
78
5
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
proinflammatorische, aber auch regulatorische Immunreaktionen gebahnt werden. Hierzu tragen u. a. entscheidend die Toll-like-Rezeptoren bei. Diese stellen eine Familie von Transmembranproteinen dar, die aus einer leucinreichen, extrazellulären Domäne und einer intrazytoplasmatischen Domäne, die eine starke Homologie zum Interleukin-1-Rezeptor Typ-1 aufweist, bestehen. Sie sind hoch konservierte Proteine, die seit der Entdeckung bei der Fliege Drosophila inzwischen bei zahlreichen anderen Spezies nachgewiesen werden konnten. Bislang sind beim Menschen zehn Familienmitglieder der Toll-like-Rezeptoren näher charakterisiert. Diese erkennen bestimmte krankheitsassoziierte, molekulare Muster, die so genannten PAMPs (= pathogen associated molecular patterns). Zahlreiche dieser krankheitsassoziierten, molekularen Muster, die ebenfalls hochkonservierte Strukturen sind, stammen von Mikroorganismen, so z. B. Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Bakterien, bakterielle Lipoproteine, Hitzeschockproteine, Flagellin gramnegativer, begeißelter Bakterien, bestimmte pilzspezifische Zuckerstrukturen und doppel- sowie einzelsträngige RNA. Die unterschiedlichen Familienrezeptormitglieder reagieren dabei spezifisch mit den unterschiedlichen krankheitsassoziierten, molekularen Mustern. Nach Bindung des Liganden bildet sich dann ein Rezeptorkomplex, was wiederum zur Interaktion mit weiteren regulatorischen Proteinen und zur Aktivierung spezieller Transkriptionsfaktoren, wie NF-kappa-B, führt. In antigenpräsentierenden Zellen werden dadurch costimulatorische Moleküle, wie beispielsweise B7 und MHC Klasse II, hochreguliert und proinflammatorische Zytokine wie Tumornekrosefaktor, Interleukin-6 und Interleukin-12 gebildet. Über diesen Mechanismus tragen die Toll-likeRezeptoren zu einer Vernetzung der angeborenen und der erworbenen Immunität bei und können stimulierend auf das adaptive Immunsystem sein.
Mittlerweile wird diskutiert, dass eine Dysregulation in der durch Toll-like-Rezeptoren vermittelten Signaltransduktion zu Autoimmunreaktionen führen kann. Möglicherweise tragen auch bestimmte Polymorphismen der Toll-like-Rezeptoren hierzu bei. Hinweise für die mögliche Beteiligung von Mitgliedern der Toll-like-Rezeptor-Familie gibt es derzeit unter anderem bei der Pathogenese des systemischen Lupus erythematodes, der rheumatoiden Arthritis und der Spondylarthropathien. Dabei scheinen einige Liganden der Toll-like-Rezeptoren endogenen Ursprungs zu sein (. Tab. 5.4). Bislang noch nicht nachgewiesen, aber vorstellbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass möglicherweise chronische Infektionen mit Freisetzung bakterieller Bestandteile, wie z. B. LPS, durch Stimulation von Toll-like Rezeptoren chronische Entzündungsprozesse triggern und der Entstehung von Autoimmunreaktionen Vorschub leisten können [15–19].
5.5
Stellenwert eines fokalen infektiösen Geschehens im Kopf-Hals-Bereich bezüglich Ätiologie und Pathogenese entzündlich rheumatologischer Krankheitsbilder
Wie ist nun der Stellenwert einer Infektion im Kopf-Hals-Bereich als Ursache einer rheumatologischen Erkrankung im klinischen Alltag zu bewerten und wann sollte eine Suche nach einer derartigen Infektion erfolgen? Wie bereits dargestellt, können Infektionserkrankungen durch entsprechende Interaktion des Erregers mit dem Immunsystem zu einem rheumatologischen Krankheitsbild führen. Dabei kann der Ursprung des Erregers auch im Kopf-Hals-Bereich liegen. So können Infektionen mit betahämolysierenden Streptokokken der Gruppe A zum Krankheitsbild des rheumatischen Fiebers und zu einer Poststreptokokkenarthritis führen. Seit der breiten Einführung einer frühzeitigen antibiotischen
79 5.5 · Stellenwert eines fokalen infektiösen Geschehens im Kopf-Hals-Bereich
5
. Tabelle 5.4. Toll-Like-Rezeptoren (TLR) und einige ihrer bislang identifizierten Liganden. (Mod. nach [19]) Toll-Like-Rezeptor
Krankheitsassoziierte molekulare Muster
TLR1
5 Lösliche bakterielle Komponenten (Mykobakterien, Neisserien, Borrelien) 5 Triacyl-Peptide
TLR2
5 Lipoprotein/Lipopeptide, Peptidoglycan und Lipoteichonsäure (von zahlreichen Bakterien) 5 Lipoarabinomannan (Mykobakterien) 5 Phospholipide (Trypanosoma, Treponema) 5 Porine (Neisseria) 5 Zymosan (Pilze) 5 LPS (Leptospira, Pseudomonas, Helicobacter) 5 Endogenes HSP60 und HSP70 5 Einige virale Hüllstrukturen
TLR3
5 Virale doppelsträngige RNA 5 Endogene mRNA 5 Synthetische Polyinosin:Polycytidyl-Säure
TLR4
5 5 5 5 5
TLR5
5 Bakterielles Flagellin
TLR6
5 Diacyl-Lipopeptide (Mykoplasmen)
TLR7
5 Virale einzelsträngige RNA 5 Synthetisches Imidazoquinolin
TLR8
5 Virale einzelsträngige RNA 5 Synthetisches Imidazoquinolin
TLR9
5 Bakterielle und virale DNA (insbesondere bakterielle CpG-DNA) 5 Endogenes Chromatin
TLR10
5 Bislang nicht bekannt
LPS (gramnegative Bakterien) HSP60 (Chlamydia pneumoniae) Lipide (Trypanosoma cruzii) F-Protein (Respiratorysyncytial-Virus) HSP70, HSP90, Fibronectin, Heparin, Hyaloronsäure, Fibrinogen und β-Defensin jeweils endogener Genese 5 Synthetisches Taxol
Therapie ist das Auftreten des rheumatischen Fiebers bei Erwachsenen in den Industrieländern selten geworden. Poststreptokokkenarthritiden werden zwar immer wieder beobachtet, weisen insgesamt aber auch eine niedrige Inzidenz auf. Andere Formen einer reaktiven Arthritis, die ihren Ausgangsort im Kopf-Hals-Bereich haben,
z. B. bedingt durch Chlamydia pneumoniae, stellen ebenfalls eher eine Rarität dar. Zur Diagnostik einer erst seit kurzer Zeit bestehenden Oligoarthritis gehört aber auch – wenn entsprechende Beschwerden im Kopf-Hals-Bereich der Arthritis vorausgegangen sind – die bakteriologische Untersuchung eines Rachenabstrichs und die Be-
80
5
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
stimmung des Antistreptolysintiters und gegebenenfalls der Chlamydienserologie, um eine derartige Ursache zu erfassen, auch wenn dies oft nichts am therapeutischen Vorgehen ändert. Im Falle eines gesicherten rheumatischen Fiebers oder einer Poststreptokokkenarthritis kann eine Tonsillektomie bei nach antibiotischer Behandlung weiter auffälligem Tonsillenbefund und anhaltenden, schwer therapierbaren rheumatischen Beschwerden erwogen werden, wenngleich eine sekundäre Prophylaxe mit Antibiotika die Therapie der Wahl ist. Häufiger findet man virale Infektionen, die durch Tröpfcheninfektion übertragen werden, sich im oberen Respirationstrakt manifestieren und zu Arthralgien und Arthritiden führen können. Da diese Beschwerden in der Regel relativ rasch selbstlimitierend verlaufen, führen sie eher selten zur fachrheumatologischen Vorstellung. Eine leukozytoklastische Vaskulitis, deren klassischer Vertreter die Purpura SchoenleinHenoch ist, und die sich als nicht-nekrotisierende Vaskulitis mit Befall kleiner Hautgefäße manifestiert, kann in Folge einer Infektion im oberen Respirationstrakt auftreten. Insbesondere bei Knaben im Kindes- und Adoleszentenalter gehen häufig Infektionen des Respirationstraktes voraus. Da die Erkrankung nur selten schwerwiegende Organmanifestationen aufweist und meist selbstlimitierend verläuft, erübrigt sich in den meisten Fällen eine weitergehende Diagnostik bezüglich der zugrunde liegenden Infektion. Schwierig ist die Beurteilung der Frage nach dem Beitrag von Infektionen im Kopf-HalsBereich zur Genese und Pathogenese von chronischen Autoimmunopathien wie der rheumatoiden Arthritis, der Spondylarthropathien, der Kollagenosen und Vaskulitiden. Zwar gibt es immer wieder Einzelfallberichte, bei denen z. B. nach Tonsillektomie und Zahnsanierung eine Besserung einer derartigen Erkrankung, insbesondere der rheumatoiden Arthritis, eingetreten ist [20, 21]. Aufgrund solcher klinischer Einzelfallberichte und unter Kenntnis der mittlerweile erforschten, oben dargestellten Interaktionsmechanismen
zwischen Erreger und Immunsystem ist eine Beteiligung von Erregern, die aus dem Kopf-HalsBereich stammen können, vorstellbar und zu diskutieren. Im klinischen Alltag wird der Stellenwert solcher Infektionen allerdings oftmals überschätzt, denn kaum einem Rheumatologen wird eine größere Anzahl von Patienten bekannt sein, die durch operative oder antiinfektive Sanierungsversuche eines vermeintlichen infektiösen Fokus aus dem Kopf-Hals-Bereich bezüglich ihrer rheumatischen Grunderkrankung wesentlich profitiert haben. Auch sprechen die epidemiologischen Studien insgesamt zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen eine relevante Beteiligung. Diesbezügliche Therapiemaßnahmen eines vermuteten Fokus können in der Regel nicht empfohlen werden und sollten allenfalls nur dann erfolgen, wenn anamnestisch oder klinisch ein Hinweis auf einen Zusammenhang von Infektionssymptomen und der Ausprägung der Autoimmunopathie besteht. Insgesamt gesehen können Infektionen im Kopf-Hals-Bereich zur Manifestation einiger rheumatologischer Erkrankungen beitragen. Allerdings nehmen derartige Infektionen im klinischen, rheumatologischen Alltag eher eine untergeordnete Rolle ein, da die entsprechenden rheumatologischen Erkrankungen in den Industrieländern nur selten vorkommen, selbstlimitierend verlaufen oder ein Zusammenhang nur in Einzelfällen zu bestehen scheint. Eine entsprechende Diagnostik und Therapie bezüglich eines infektiösen Fokus im Kopf-Hals-Bereich erübrigt sich in der Regel, muss aber vom klinischen Erscheinungsbild abhängig gemacht werden.
5.6
Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt bzw. Zahnarzt und Rheumatologen bei der »Fokussuche«
Oftmals werden rheumatologische Patienten mit Beschwerden im Kopf-Hals-Bereich beim HalsNasen-Ohren-Arzt oder Zahnarzt mit der Frage
81 5.6 · Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt bzw. Zahnarzt und Rheumatologen
eines »infektiösen Fokus« vorgestellt; allerdings dient diese Vorstellung in der Regel nicht zur Klärung des ätiologischen Zusammenhangs eines Infektgeschehens im Kopf-Hals-Bereich mit der rheumatologischen Grunderkrankung. Häufig handelt es sich dabei um Patienten, die aufgrund einer Autoimmunopathie einer intensiven Immunsuppression bedürfen. Die »Fokussuche« erfolgt daher vielmehr zur Klärung der Frage, inwieweit ein behandlungsbedürftiger Infektionsherd im Hals-Nasen-Ohren- oder Zahnbereich vorliegen könnte, da bei derartigen Patienten eine erhöhte Gefahr des Aufflammens und der weiteren Ausbreitung der Infektion gegeben ist und der Infektionsverlauf somit schwerer, möglicherweise auch lebensbedrohlich sein kann. Denn betrachtet man ein Infektgeschehen, spielt der Immunstatus des Patienten – neben den pathogenen Eigenschaften des Erregers – bezüglich der weiteren möglichen »Streuung« eine wichtige Rolle. So wird bei einer guten Immunabwehrlage ein eindringender Erreger rasch erkannt und eliminiert, es kommt höchstens zu einer lokalen Infektion, eine Streuung dagegen bleibt aus. Liegt dagegen eine schlechte Immunabwehrlage vor, kann eine sehr rasche Erregerstreuung, aber relativ wenig Immunreaktivität beobachtet werden. Im klinischen rheumatologischen Alltag kann dies eine Rolle spielen, da Patienten mit aktiven entzündlichen Autoimmunopathien durch die Erkrankung selbst eine schlechtere Abwehrlage aufweisen können und diese durch eine immunsuppressive Medikation weiter verschlechtert werden kann. So werden beispielsweise bei Patienten, die mit einer tumornekrosefaktorblockierenden Therapie behandelt werden, Reaktivierungen einer Tuberkulose beobachtet, die durch eine schnelle Erregerausbreitung gekennzeichnet ist. Dabei können die klinischen Manifestationen der Tuberkulose abortiv verlaufen. Die Erkrankung wird erst apparent, wenn die Erregerstreuung ein gewisses Übermaß angenommen hat. Erschwerend können diese Patienten im Falle eines Infekts eine
5
verschleierte Klinik aufweisen und Infekte können neben einem ernsthafteren Verlauf auch mit höherer Inzidenz auftreten. So sind z. B. auch Infekte des oberen Respirationstraktes unter einer tumornekrosefaktorblockierenden Therapie häufiger zu beobachten [22]. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu erwähnen, dass ein immunsupprimierter Patient beim Vorhandensein eines Infekts einer frühzeitigen, adäquaten, antiinfektiven Therapie zuzuführen ist. Differentialdiagnostisch muss bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen neben einem Infektgeschehen aber auch die mögliche Manifestation der rheumatischen Grunderkrankung bedacht werden. So kann bei einem Patienten mit dem Symptom Heiserkeit neben einem infektiösen Geschehen auch eine Arthritis der Krikoarytenoidgelenke bei rheumatoider Arthritis vorliegen oder es kann sich um eine Krankheitsmanifestation einer Kollagenose, Vaskulitis oder Amyloidose handeln, zudem auch um eine Nebenwirkung eines in der Rheumatologie eingesetzten Medikaments, z. B. von Steroiden. Als klassische Manifestation rheumatischer Erkrankungen im Kopf-Hals-Bereich können eine Fazialisparese bei Morbus Wegener oder bei Borreliose, eine Sinusitis bei Morbus Wegener, orale Aphthen bei Morbus Behçet oder eine Parotisschwellung bei Morbus Sjögren genannt werden. Dabei kann die Differenzierung zwischen infektiösem Geschehen und rheumatischer Grunderkrankung insbesondere dann erschwert sein, wenn in der Anfangsphase der Erkrankung die Diagnose der rheumatologischen Grunderkrankung noch nicht bekannt ist. Exemplarisch soll der Verlauf einer Patientin mit Morbus Wegener benannt werden, die sich zuerst mit Nasennebenhöhlenbeschwerden vorstellte und im Verlauf eine Fazialisparese entwickelte (. Abb. 5.3). Mehrfache antibiotische Therapien, die unter dem Verdacht einer Nasennebenhöhleninfektion durchgeführt wurden, blieben erfolglos. Die Diagnose des Morbus Wegener wurde erst gestellt, als es bereits zu weiteren
82
Kapitel 5 · Der Fokus aus rheumatologischer Sicht
5 . Abb. 5.3. Sinusitis maxillaris bei Morbus Wegener als Beispiel einer Manifestation einer rheumatologischen Erkrankung im Kopf-Hals-Bereich
Organmanifestationen im Sinne pulmonaler Infiltrate und einer nephritischen Beteiligung gekommen war. In solchen Fällen ist die Kenntnis der Erkrankungsbilder aus dem rheumatologischen Formenkreis erforderlich, damit derartige Patienten frühzeitig einer spezialisierten fachrheumatologischen Diagnostik zugeführt werden. In der klinischen Praxis besitzt die Differenzierung zwischen infektiösem Geschehen und einer Manifestation einer rheumatischen Erkrankung im Kopf-HalsBereich dann eine besondere Tragweite, wenn der Patient im Falle einer Infektion einer antiinfektiven Therapie, im Falle einer Manifestation der rheumatischen Erkrankung einer intensiven immunsuppressiven Therapie zuzuführen ist. Wichtig und unerlässlich bei derartigen Entscheidungen ist dabei in der alltäglichen klinischen Zusammenarbeit eine gute Kommunikation zwischen den beteiligten Ärzten. So benötigt der Rheumatologe die Hilfe des Hals-Nasen-Ohren-Kollegen zur Objektivierung der Frage, ob eine Manifestation einer gesicherten oder vermuteten rheumatologischen Erkrankung, z. B. eines Morbus Wegener, im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich vorliegt, da dieser Bereich dem Rheumatologen zur klinischen Untersuchung nicht direkt zugänglich ist.
In einem solchen Fall ist es einerseits Aufgabe des Rheumatologen, die Fragestellung exakt zu formulieren, so beispielsweise, ob im Falle einer auffälligen Läsion eine Biopsie gewünscht wird oder ob lediglich eine makroskopische Verlaufskontrolle erfolgen soll. Zum anderen ist der Rheumatologe für seine weiteren diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen auf eine möglichst genaue Beschreibung des Lokalbefundes angewiesen. So können sich gerade auch beim Morbus Wegener – insbesondere bei Verlaufsbeurteilungen – ausgehend vom deskriptiven Befund des Hals-Nasen-Ohren-Arztes erhebliche therapeutische Konsequenzen bezüglich einer Notwendigkeit einer Intensivierung der immunsuppressiven Therapie und des damit auch verbundenen erhöhten Nebenwirkungsrisikos ergeben.
5.7
Zusammenfassung
Die klassische Fokustheorie beeinflusste in ihrer Blütezeit zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts entscheidend das pathogenetische Verständnis und die Therapie rheumatologischer Krankheitsbilder. Sie führte dazu, dass über mehrere Jahrzehnte bei der Behandlung rheumatischer Krankheitsentitäten zahlreiche Ärzte und Zahnärzte mit der Suche nach einem infektiösen Fokus und dem Versuch seiner Elimination beschäftigt waren. Der zugrunde liegende Infektionsherd wurde dabei v. a. im Kopf-Hals-Bereich vermutet. Entgegen der früheren Auffassung, die einem infektiösen Herd einen hohen Stellenwert zugemessen hat, ist heute bekannt, dass Infektionen im Kopf-Hals-Bereich insgesamt nur selten die alleinige Ursache rheumatischer Krankheitsentitäten darstellen. Mittlerweile weiß man, dass auch beim Gesunden eine ständige Auseinandersetzung mit Mikroorganismen stattfindet. Erst bei Zusammentreffen bestimmter Pathogenitätsfaktoren von Seiten des infektiösen Erregers und eines prä-
83 Literatur
disponierenden Phänotyps des Immunsystems kommt es zu einer Erkrankung. Allerdings gibt es in der Rheumatologie einige Erkrankungen sowohl infektiöser als auch nichtinfektiöser Genese, die entsprechend der Theorie eines Fokusgeschehens durch einen Fokus bedingt sein können. Aus rheumatologischer Sicht ist der Fokus daher nicht etwa nur ein Mythos, sondern ein gesicherter Fakt, dessen Rolle durch verfeinerte molekularbiologische Untersuchungstechniken in den nächsten Jahren noch weiter bestimmt werden muss.
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Kapitel 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
Mehr als 10 Millionen Patienten weltweit, da-
6
runter zunehmend Patienten in höherem Alter, leiden an Krebs. Neben chirurgischen Maßnahmen werden Strahlentherapie, Chemotherapeutika und Hormone eingesetzt. In letzter Zeit kann bei manchen Tumoren zusätzlich eine »Targeted Therapy« mit monoklonalen Antikörpern oder in die intrazelluläre Signalübertragung eingreifenden, so genannten »kleinen« Molekülen in ein multimodales Behandlungskonzept mit einbezogen werden. Der etwas vage Begriff des »Fokus« im HNO-Fachgebiet bei Tumorpatienten soll hier unter verschiedenen Aspekten beleuchtet werden. Zum einen können Tumorkranke Beschwerden oder pathologische Veränderungen im HNOBereich durch eine lokale Raumforderung oder aufgrund eines generalisierten Tumorleidens haben. Ein solcher Prozess muss differentialdiagnostisch abgeklärt werden, um eine geeignete Therapie einzuleiten. Umgekehrt ist die Suche nach einem versteckten entzündlichen Fokus im HNO-Bereich ein wichtiges Thema der Interaktion zwischen HalsNasen-Ohrenarzt und internistischem Onkologen bei bekanntem Tumorleiden. Grundlage ist hier, dass vor einer intensiven Chemo- oder Strahlentherapie bei Tumorleiden oder bei einer lang dauernden Immunsuppression, etwa nach Knochenmark- bzw. Blutstammzelltransplantation, ein entzündlicher Fokus ausgeschlossen werden soll. Möglichst vorausschauend muss schon eine später potenziell zu Problemen führende Läsion behoben werden (Schubert 2004). Wird in einer solchen Situation ein entzündlicher Fokus gefunden, muss zudem abgeschätzt werden, wie intensiv eine Sanierung erfolgen muss. Grundsätzlich sind Herdbefunde durch Raumforderungen von entzündlichen Foci zu unterscheiden. Solide Tumoren und hämatolymphatische Systemerkrankungen können sich im HNOFachgebiet sehr unterschiedlich präsentieren. Eventuell funktionsbehindernde Raumforderungen können durch lokal wachsende Platten- oder auch Adenokarzinome oder durch Fernmetas-
. Abb. 6.1. Großes Lymphom im Rachenbereich (7 Farbteil)
tasen solider Tumoren bedingt sein. Lymphome manifestieren sich häufig im Halsbereich und auch am Waldeyer-Rachenring (. Abb. 6.1), können den Schluckakt behindern oder gar eine obere Einflussstauung hervorrufen. Besondere Beachtung verdient die Beurteilung der Venen am Zungengrund, die bei lymphombedingter Abflussbehinderung gestaut sein können (. Abb. 6.2). Das Vollbild einer oberen Einflussstauung durch Verlegung der Vena cava superior manifestiert sich mit beidseitigen Hand- und Armschwellungen sowie ödematös aufgetriebenem Hals und Kopf (. Abb. 6.3 u. 6.4). In diesem Fall ist die Möglichkeit einer Stent-Implantation zu prüfen und eine notfallmäßige Bestrahlung einzuleiten, falls nicht der Tumor sehr chemotherapiesensitiv
. Abb. 6.2. Aufgrund eines Lymphoms gestaute Venen im Zungengrund (7 Farbteil)
87 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
6
a
. Abb. 6.3. Große mediastinale Raumforderung, die zu einer oberen Einflussstauung geführt hat
b
. Abb. 6.4. Nicht-adipöser Patient mit ödematös geschwollener Kopf-Hals-Region sowie entsprechend veränderter oberer Extremität bei schlanken Beinen (7 Farbteil)
c . Abb. 6.6 a–c. Bild der aplastischen Anämie mit hypozellulärem Knochenmark und residuellen, überwiegend lymphatischen Zellelementen (a). Hyperzelluläres Knochenmark mit monotonem Bild bei akuter myeloischer Leukämie (b). Normales Knochenmark (c) (7 Farbteil)
. Abb. 6.5. Sialographie: Sjögren-Syndrom
88
6
Kapitel 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
ist (Lymphome, Hodentumoren). Dann sollte eine unverzügliche Chemotherapie schneller zu einem Ansprechen führen. Bei Patienten mit Raumforderungen im Bereich der Parotis sollte zudem an ein Sjögren-Syndrom gedacht werden, das Grundlage für ein Non-Hodgkin-Lymphom sein kann. Neben der Sonographie kann eine Sialographie und gegebenenfalls eine Biopsie hier Klarheit bringen (. Abb. 6.5). Lymphome und Leukämie können neben lokalen Problemen auch durch systemische Manifestation Auswirkungen auf den HNO-Bereich haben. Durch ein »Zuwenig« im Knochenmark, etwa bei einer aplastischen Anämie, oder einem »Zuviel«, etwa bei einer akuten myeloischen Leukämie, können letztlich ähnliche Effekte auftreten, d. h. es kann zu Infektionen, Blutungen und Anämie kommen (. Abb. 6.6). In beiden Fällen kann die Hämatopoese so stark beeinträchtigt werden, dass Granulozyten als Abwehrzellen, Thrombozyten zur Blutstillung und Erythrozyten als Sauerstoffträger fehlen. Gerade Patienten mit-
hämatologischen Systemerkrankungen oder nach intensiver Chemotherapie mit subsequenter hämatologischer Insuffizienz können sich akut mit Petechien in den abhängigen Partien und im HNO-Bereich mit Nasenbluten oder hämorrhagischen Schleimhäuten zeigen. Je nach zugrunde liegender Störung können Abwehrmechanismen unterschiedlich ausfallen (. Tab. 6.1). Generell ist festzuhalten, dass eine kurzzeitige Verminderung der Granulozyten eher zu bakteriellen Infekten führt, bei lang dauernden Neutropenien auch Pilze zu berücksichtigen sind (Bodey 1986). Eine lymphatische Insuffizienz, etwa bei Immunsuppression, begünstigt besonders Viren. Bei sekundärem Antikörpermangel, etwa im Rahmen von Plasmazelltumoren aufgrund der gestörten B-Lymphopoiese, werden ebenfalls bakterielle Infektionen begünstigt (Chapel 1994). Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen können im HNO-Bereich zu mannigfachen Beschwerden führen. Bei fortgeschrittenen Tumor-
. Tabelle 6.1. Erkrankungen mit Abwehrschwäche Erkrankung/Therapiemodalität
Immunstörung
Typische Erreger
Akute Leukämie
Neutropenie
Gramnegative Bakterien
Haarzellleukämie
Neutropenie, lymphatische Insuffizienz
Bakterielle Infekte einschließlich Pneumocystis carinii, Pilze, Viren
Morbus Hodgkin, Non-HodgkinLymphome (NHL), spez. T-NHL
Zelluläre lymphatische Insuffizienz
Atypische Infekte, einschließlich Listerien, Legionellen, Mykobakterien, Toxoplasmen, Viren
Multiples Myelom
Antikörpermangel
(Bekapselte) Bakterien, z. B. Pneumokokken
Chemotherapie
Neutropenie
Bakterien, Pilze
Hochdosistherapie
Neutropenie
Bakterien, Pilze
Lymphatische Insuffizienz
Pilze, Pneumocystis carinii
Alemtuzumab (MabCampath®)
T-lymphozytäre Defizienz
Atypische Keime, spez. Viren und Pilze
Immunsuppression nach allogener Transplantation
T-lymphozytäre Defizienz
Atypische Keime, spez. Viren und Pilze
89 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
6
. Abb. 6.7. Infektionshäufigkeit nach Chemotherapie in Abhängigkeit von der durch die Intensität der Behandlung bedingten Neutropenie
leiden kann auch ohne Chemotherapie allein durch die Grunderkrankung eine gewisse Immunsuppression auftreten. Eine Strahlentherapie führt im Strahlenfeld selbst nicht nur häufig zu einer Schwächung der epithelialen Barrierefunktion sondern auch der ortsständigen Immunzellen (O’Brien 2003). So ist die Sanierung von entzündlichen Foci besonders im Zahn- und Kieferbereich vor einer Radiatio besonders gründlich anzustreben. Zudem sollte beachtet werden, dass durch die unvermeidbare Mitbestrahlung zirkulierender Blutzellen bzw. benachbarter Lymphorgane eine viele Monate anhaltende Immunsuppression nach Bestrahlung auftreten kann. Dies ist etwa durch ein vermindertes Verhältnis von Helferzellen bzw. CD4+-T-Lymphozyten zu Suppressorzellen bzw. zytotoxischen CD8+-TLymphozyten kenntlich. Eine Chemotherapie führt hingegen im Regelfall über die induzierte, je nach Intensität des Schemas mehr oder minder anhaltende Verminderung der Granulopoese zu einer Abwehrschwäche. Eine Beziehung zwischen Infektionshäufigkeit und Ausmaß der Granulozytopenie ist überzeugend gezeigt worden (Wilkinson 1992, . Abb. 6.7). Eine Einteilung der Zytostatika in solche, die besonders neutropenieinduzierend sind, wie etwa Busulfan oder Anthrazykline (z.B. Doxorubicin oder Mitoxantron) kann versucht werden (. Abb. 6.8), wenn natürlich in der Praxis
. Abb. 6.8. Neutropenie-induzierendes Potenzial verschiedener Zytostatika, das natürlich im Einzelfall von der Dosis abhängig ist
auch viel von der Dosis und der Kombination mit anderen Zytostatika abhängt. Zytostatikakombinationen werden heute für die meisten Indikationen verwandt, da so die individuellen Nebenwirkungen der jeweiligen Substanz sich trotz ausreichender zellteilungshemmender Potenz nicht aufaddieren. Darüber hinaus sind sicherlich noch einige Chemotherapeutika zu berücksichtigen, bei denen weniger die – leicht im Blutbild mess-
90
Kapitel 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
6 . Abb. 6.9. Mundsoor (7 Farbteil)
. Abb. 6.10. An der Zungenunterseite ebenso wie im Kinnbereich mehrere dunkelbräunliche Läsionen durch Pilzsepsis (mykotische Absiedlungen in der Endstrombahn) (7 Farbteil)
bare – Granulozytopenie im Vordergrund steht sondern die besonders die lymphozytäre Abwehr schwächen. Hier sind Purinanaloga wie Fludarabin (Fludara®), Pentostatin (Nipent®) und 2-CDA (Cladribin®) zu nennen. So behandelte Patienten sind nicht nur durch bakterielle Infektionen sondern aufgrund der Lymphopenie besonders durch Pilz- und Virusinfektionen gefährdet (Bastie 1999) (. Abb. 6.9 u. 6.10). Opportunistische Infektionen durch Keime wie Pneumocystis carinii, Cytomegalie-Virus (CMV), atypische Mykobakterien können bei lang dauernder Immunsuppression auftreten (Sepkowitz 2002). In letzter
Zeit hat sich bei abwehrgeschwächten Patienten ein Wandel von gramnegativen Keimen zum Vorherrschen grampositiven Kokken gezeigt (Klastersky u. Aoun 2004). Zunehmend werden auch Antikörper im Sinne einer adoptiven Immuntherapie eingesetzt. Zu beachten ist, dass die in der Lymphomtherapie eingesetzten Antikörper so etwa Rituximab (MabThera®) und Alemtuzumab (MabCampath®) auch gesunde Zellen des Immunsystems vermindern. Das aus der Lymphomtherapie nicht mehr wegzudenkende, gegen das CD20-Antigen auf BLymphozyten gerichtete Rituximab (. Abb. 6.11) ist trotz der lang dauernden Eliminierung auch normaler B-Lymphozyten aus Blut und Knochenmark ohne schwere Infekte induzierende Wirkung. Beachtenswert ist, dass die CD20-negativen Plasmazellen von Rituximab nicht erreicht werden. So ist erklärbar, dass zumindest für Zeiträume bis zu einem halben Jahr die Immunglobulinspiegel unter Rituximab-Therapie nicht nennenswert absinken. Anders ist die Situation beim Antikörper Alemtuzumab. Hier kommt es durch die Expression des erkannten CD52-Antigens nicht nur auf B- sondern sondern auch auf TLymphozyten zu einer weitgehenden Elimination lymphatischer Abwehrzellen. Virusinfektionen, einschließlich etwa der gefürchteten CMV-Reaktivierung oder Herpesinfektionen trotz AciclovirProphylaxe können auftreten (. Abb. 6.12). Vor lang dauernden, intensiven Chemotherapien, etwa in der Behandlung akuter Leukämien, geplanten Knochenmarktransplantationen mit eigenen hämatologischen Stammzellen (autolog) oder mit Stammzellen verwandter oder unverwandter Spender (allogen) muss nach chronischen Entzündungsherden im HNO-Bereich gesucht werden. Klar ist gezeigt worden, dass eine enge Korrelation zwischen oraler und systemischer Infektion bei diesen Patienten besteht (McGuire 1993). Hier ist neben der gründlichen HNO-ärztlichen Inspektion auch eine Bildgebung insbesondere der Nasennebenhöhlen wünschenswert. Besonderes Augenmerk soll diesem
91 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
a . Abb. 6.11 a,b. Patient mit Rezidiv eines follikulären Non-Hodgkin-Lymphoms, der eine Remission mit alleini-
. Abb. 6.12. Herpes-Reaktivierung bei starker immunsuppressiver Therapie nach allogener Blutstammzelltransplantation wegen Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (GvHD) (7 Farbteil)
6
b ger Rituximab-Therapie erreichte. a CT-Schnittbild vor Therapie. b Ein halbes Jahr nach Therapie
Bereich auch gewidmet werden, wenn eine chronische Bronchitis bekannt ist. Hier sollte eine Sinusitis maxillaris oder chronische Tonsillitis als Ursache nicht übersehen werden. Eine zahnärztliche Untersuchung ist ebenfalls erforderlich (. Tab. 6.2 u. 6.3). Bis zu etwa der Hälfte aller Infektionen in neutropenischen Patienten sind mit entzündlichen Veränderungen der Mundhöhle assoziiert. Vor der Sanierung gefundener kleiner Foci im Zahnbereich sollte allerdings eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. So ist für eine lokale, hochdosierte Strahlentherapie sicherlich gerade im Kieferbereich eine maximale Herdsanierung notwendig. Bei der internistischonkologischen Therapie, selbst wenn sie wie bei akuten Leukämien ausgesprochen intensiv sein muss, ist hinsichtlich der Ausmerzung einzelner Foci im HNO-Bereich deutlich weniger strikt vorzugehen. Hier kann es durchaus sinnvoll sein, bisher nicht Beschwerden hervorrufende kleinere Herde, z. B. Wurzelgranulome oder reizlose, wur-
92
Kapitel 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
. Tabelle 6.2. Orale Probleme bei Chemotherapie und Knochenmarktransplantation. (Nach Barker 1999) 5 Intensive Chemotherapie mit lang dauernder Myelosuppression bzw. Mucositis 5 Radiatio bzw. Chemoradiotherapie 5 Schlechte Mundhygiene 5 Schlechter Ernährungszustand 5 Schwere Raucher 5 Präexistente orale oder dentale Infektionen 5 Z. n. oralem Herpes
6 zelbehandelte Zähne, zu belassen, bevor ein durch die akute Leukämie schwerkranker, thrombopenischer Patient multiple Zahnextraktionen erleiden muss. Eine Verzögerung der Weiterbehandlung oder Komplikationen wie durch Blutdruckspitzen hervorgerufene zerebrale Einblutungen können auftreten. Grundsätzlich gilt, dass vor aplasiogenen Chemotherapien die Zahnsanierung nicht so intensiv wie vor einer lokalen Bestrahlung sein muss. Zu beachten ist auch, dass ausgedehnten Eingriffe bei Patienten unter Aminobisphosphonattherapie Kieferosteonekrosen begünstigen (Steiner 2005). Sollte in der Phase der Neutropenie nach Chemotherapie Fieber auftreten, muss auch ohne
Keimnachweis eine intensive BreitspektrumAntibiose begonnen werden (. Abb. 6.13 u. 6.14). Detailierte Darstellungen gibt hier eine von Sipsas und Mitarbeitern (2004) publizierte Übersicht. Eine Reihe von prophylaktischen Medikamentengaben einschließlich Ofloxacinen, Fluconazol und Aciclovir senkt von dem oberen Aerodigestivtrakt ausgehende Infekte (Schubert 2004; Gafter-Gvili 2005). Bei Immunglobulinmangel sollten 10g Immunglobulin über mindestens vier Stunden langsam intravenös gegeben werden (Chapel 1994). Zusätzlich besteht mit Granulozytenkolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF, Filgastrim; Neupogen®) die Möglichkeit, die Zeit der Granulozytopenie abzukürzen. G-CSF führt zu einer vermehrten Proliferation granulopoietischer Vorläufer sowie zu einer Aktivierung und Ausschüttung bereits im Knochenmark gebildeter reifer Granulozyten. Auch sollte die Epithelbarriere als Schutz vor Infektionen nicht unterschätzt werden. Bei Patienten, die etwa eine Ganzkörperbestrahlung oder eine Hochdosistherapie im Rahmen einer Knochenmarktransplantation bekommen haben, kommt es häufig auch zu ausgedehnten Mucositiden, die sich neben dem Mund-Rachen-Raum auch auf den Ösophagus, den Magen und das Intestinum beziehen können. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass mit Kerati-
. Tabelle 6.3. Zahnärztliche Evaluation vor Chemotherapie bzw. Knochenmarktransplantation. (Nach Barker 1999) Infektionsquellen?
5 5 5 5 5 5 5
Periodontale Taschen Periodontale Erkrankung HSV-Positivität Fortgeschrittener Kariesbefall Pericoronitis Sub- und supragingivale Verkalkungen Andere Hinweise für Infektionen: Schwellungen, (Klopf ) Schmerzen, Erythem
Traumatische Veränderungen?
5 5 5 5
Frakturierte Zähne Schlecht sitzende Prothesen Orthodontische Bänder Exfoliative Zähne
93 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
6
. Abb. 6.13. Relevante Keime bei Neutropenie
. Abb. 6.14. Vorgehen bei neutropenischen Infektionen
nozyten-Wachstumsfaktor (KGF, Palifermin; Kepivance®) eine gewisse Prophylaxe dieser Epithelbarrierenstörung erreicht werden kann (Spielberger 2004). Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass Palifermin drei Tage vor Chemotherapie und drei Tage danach gegeben werden muss, um effektiv zu sein. Es ist also im vornherein eine Risikoabschätzung für eine Mucositis beim jeweiligen Patienten notwendig, um helfend eingreifen zu können. Ist eine Mucositis aufgetreten, kann es gerade in diesem Bereich natürlich auch durch Virusreaktivierung zu zusätzlichen Schäden kommen. Zu nennen sind hier insbesondere Herpes-Viren und CMV.
Bei der Transplantation hämatopoetischer Stammzellen von Geschwistern oder passenden Fremdspendern muss zudem mit Transplantatgegen-Wirt-Reaktionen (Graft-versus-host-disease, GvHD) gerechnet werden, die sich bevorzugt an der Haut, den Schleimhäuten und der Leber abspielen. Solche lokalen, inflammatorischen Veränderungen können durch bestehende Infektherde getriggert werden und umgekehrt selbst Infektionen begünstigen. Im Zusammenspiel multimodaler Behandlungsformen gelingt es unter Einsatz der »Targeted Therapie« zunehmend auch wenige verbliebene Tumorzellen zu attackieren und die Therapie-
94
6
Kapitel 6 · Der Fokus im HNO-Bereich aus internistisch-onkologischer Sicht
möglichkeiten für Tumorpatienten entscheidend zu verbessern. Ausreichende Antiemese, Schmerztherapie und Supportion mit modernen Antibiotika, Wachstumsfaktoren und Immunglobulinen ist gleichfalls wichtig. Eine suffiziente Fokussuche im HNO-Bereich und differentialtherapeutische interdisziplinäre Abwägung kann erheblich zu einer gelungenen Therapie beitragen. Der HNOArzt sollte deshalb vom Hämatologen und internistischen Onkologen über die genaue Diagnose und den Immunstatus des Patienten, das Infektrisiko des geplanten Verfahrens, die zeitlichen Vorgaben für eine definitive Therapie und besondere Risiken für die Behandlung sorgfältig informiert werden.
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7 Der Fokus aus dermatologischer Sicht Michael Hertl
7.1
Einleitung
– 96
7.2
Psoriasis vulgaris – 96
7.3
Atopisches Ekzem (atopische Dermatitis) – 97
7.4
Chronische Urtikaria – 98
7.5
Zusammenfassung Literatur – 99
– 99
7
96
Kapitel 7 · Der Fokus aus dermatologischer Sicht
7.1
Einleitung
In der klinischen Routine hat sich bei drei chronisch entzündlichen Hauterkrankungen die so genannte »Fokussuche« im Bereich der oberen Luftwege als ein Standardvorgehen durchgesetzt, um infektiöse Ursachen oder Triggerfaktoren bei diesen Erkrankungen auszuschließen. Der Begriff »Fokus« impliziert, dass eine Infektion, in erster Linie durch Bakterien (Streptokokken, Staphylokokken), die Immunpathogenese chronisch entzündlicher Hauterkrankungen induzieren bzw. perpetuieren kann. Als Stichwort sei das Konzept der »molekularen Mimicry« genannt, das besagt, dass Immunreaktionen gegen infektiöse Peptide (z. B. Virus- oder bakterielle Proteine) gegebenenfalls auf körpereigene Peptide mit Sequenzoder struktureller Homologie umgeleitet werden können; dieses Konzept wird z. B. für die Entstehung und Exazerbation von Autoimmunerkrankungen verantwortlich gemacht (»Infektion bricht Toleranz«). Im Folgenden soll der Stand der Evidenzen für das postulierte Fokuskonzept im Bereich der oberen Luftwege bei drei chronisch entzündlichen Hauterkrankungen kritisch hinterfragt werden: Psoriasis vulgaris, atopisches Ekzem und chronisch rezidivierende Urtikaria. Allen Erkrankungen liegt vermutlich eine spezifische Immunpathogenese zugrunde; in einzelnen Aspekten gibt es wahrscheinlich auch Überschneidungen.
7.2
Psoriasis vulgaris
Die Erkrankung, bei der seit langem am ehesten ein infektiöser Fokus im HNO-Bereich postuliert wird, ist die Psoriasis vulgaris. Klinisch unterscheidet man zwei Varianten: eine Form (chronisch stationärer Typ) verläuft an Prädilektionsstellen wie Ellenbogen, Knie, Haaransatz und gelegentlich in den intertriginösen Arealen. Typisch sind Plaques, die sich über einen längeren Zeit-
a
b . Abb. 7.1 a,b. Psoriasis vulgaris. a Akut exanthematischer Typ, sog. Guttata-Form. b Chronisch stationärer Typ (7 Farbteil)
raum zentrifugal immer mehr vergrößern. Auf der anderen Seite gibt es die so genannten akut exanthematische Form (Guttata-Typ), die in relativ kurzer Zeit auftreten kann und sich klinisch in Form multipler, meist exanthematisch angeordneter, roter Papeln am gesamten Integument finden kann (. Abb. 7.1). Letztere klinische Variante ist am ehesten mit einem infektiösen Fokus assoziiert. In der Pathogenese der Psoriasis findet sich eine deutliche Verdickung der Epidermis (Akanthose) und eine verstärkte Schuppung (sog. Parakeratose) der Haut. Vor kurzem galt als Ursache
97 7.3 · Atopisches Ekzem (atopische Dermatitis)
dafür, dass epidermale Keratinozyten vermehrt proliferieren, sich nicht mehr geordnet differenzieren und sich dann durch den vermehrten Zellumsatz frühzeitig in Korneozyten (Hornzellen) umwandeln. Heute vermutet man, dass dieses Phänomen sekundär ist und durch einen primären, zellulären Entzündungsmechanismus induziert wird. T-Lymphozyten sind sicherlich primär beteiligt an der Pathogenese der Psoriasis. Ihre pathogene Rolle beruht vermutlich auf der immunologischen Erkennung eines Antigens der Haut, die zur Aktivierung spezifischer T-Lymphozyten in Lymphknoten führt, die dann wiederum über die efferenten Lymphbahnen zurück in die Haut gelangen können. Drei spezifische Faktoren der Pathogenese der Psoriasis sind allgemein anerkannt: 1. Genetische Faktoren: Es gibt verschiedene Gene, deren Vorkommen mit einem erhöhten Risiko für die Psoriasis einhergeht. Es ist ein multifaktorielles Geschehen, das auch dementsprechend polygen vererbt wird. 2. Eine klinisch beobachtete Assoziation, die immer noch unzureichend charakterisiert ist, sind Infektionen. Gerade bei der exanthematischen Form der Psoriasis, die meist akut auftritt, führen bakterielle Infektionen, z. B. durch beta-hämolysierende Streptokokken bei der Streptokokken-Tonsillitis zu einer Aktivierung von den Immunzellen, die sekundär zur Exazerbation der Psoriasis beitragen können [1, 3, 5, 10, 14]. Diese Verbindung erfolgt wahrscheinlich über Superantigene. Superantigene sind Proteine, die von Streptokokken, aber auch von Staphylokokken produziert werden: Sie sind in der Lage, eine polyklonale Aktivierung von T-Lymphozyten zu induzieren und somit auch die T-Zell-vermittelte Pathogenese der Psoriasis zu verstärken. 3. Der Psoriasis scheint auch eine T-Zell-vermittelte Pathogenese zugrunde zu liegen, da schwere Formen mit T-Zell-spezifischen Immunsuppressiva (bzw. Antikörpern gegen TZell-Antigene) sehr gut zu beherrschen sind.
7
Werden bei Patienten mit exanthematischer Psoriasis bakterielle Superantigene in die Haut injiziert, kann man neue Psoriasisläsionen provozieren [7]. Dieser Vorgang wird auch als Köbner-Phänomen (isomorpher Reizeffekt) beschrieben. Was sind jetzt die »harten«, evidenzbasierten Fakten in der Literatur? Es gibt im Prinzip nur eine Arbeit, die versucht, durch retrospektive Recherche der Literatur Evidenzen herzustellen [12]. Ansonsten sind die Evidenzen über eine Beziehung zwischen Tonsillitis und Psoriasis sehr dürftig. Dies sind in der Regel Einzelfallberichte, die aber das widerspiegeln, was man in der Klinik sieht, denn wenn man eine solche Assoziation zu sehen meint, dann berichtet man sie. Mehr aber ist letztendlich aus der Literatur der letzten Jahre nicht zu entnehmen [1, 3, 5, 10, 14, 15]. Eine Studie untersuchte, ob der Einsatz von Antibiotika bei Patienten mit Psoriasis und Tonsillitis im Vergleich zu einer fehlenden antibiotischen Begleitbehandlung von Vorteil war [14]. Hierbei zeigte sich keine klinisch signifikante Besserung der Psoriasis in der Patientengruppe mit Antibiotikatherapie.
Resümee Fokussuche macht gegebenenfalls Sinn bei der akut exanthematischen Psoriasis, bei der eine klinische Assoziation mit einem bakteriellen Fokus, meist im HNO-Bereich, gegeben ist. Ingesamt ist die Datenlage sehr dürftig, da entsprechende evidenzbasierte Studien noch ausstehen.
7.3
Atopisches Ekzem (atopische Dermatitis)
Die atopische Dermatitis (. Abb. 7.2) ist eine chronisch rezidivierende Erkrankung, die mit IgE-vermittelten Immunreaktionen gegen inhalative Umweltallergene wie Pollen, Hausstaub, Tierhaare bzw. Nahrungsmittel assoziiert ist. Das ato-
98
Kapitel 7 · Der Fokus aus dermatologischer Sicht
Evidenzen, die dieses Konzept eindeutig unterstützen. Dagegen gibt es aber sehr gute Evidenzen, dass die Besiedelung der Ekzemhaut durch Staphylokokken und dadurch die Freisetzung der Superantigene in der Haut zu einer Perpetuierung der Immunreaktion führt [7].
. Abb. 7.2. Atopisches Exzem (7 Farbteil)
7
pische Ekzem ist eine multifaktorielle Erkrankung, die durch T-Zellen vermittelt wird. Auch hier steht ein bakterieller Fokus, z. B. durch kutane Superinfektionen mit Staphylokokken im Raum [8]. Auch beim atopischem Ekzem vermutet man, dass mikrobielle Faktoren als Superantigene zu einer Perpetuierung der T-Zell-Antwort in der Haut führen können [4, 6]. Beim Ekzem findet sich eine gestörte epidermale Barrierefunktion, dieses bedingt eine bakterielle Superinfektion, die zur Akkumulation von Superantigenen auf der Haut führen kann [16]. Ein weiterer möglicher Mechanismus besteht darin, dass Superantigene von Staphylokokken von IgE-Antikörpern, die bei der atopischen Dermatitis ja eine große Rolle spielen, erkannt werden. Durch diese IgE-Antikörper-AntigenKomplexe werden dendritische Zellen (sog. Langerhans-Zellen) als antigenpräsentierende Zellen der Haut aktiviert. Dies führt zu einer massiven T-Zell-Antwort mit dem klinischen Bild der verstärkten Ekzemreaktion. Dass Antibiotika einen Stellenwert haben in der Behandlung der atopischen Dermatitis, ist bekannt. So gesehen macht der Ansatz Sinn, die Superantigenmodulation auf der Haut zu reduzieren. Dies kann durch systemisch verabreichte Antibiotika erfolgen bzw. durch eine topische, antibiotische oder antimikrobielle Therapie. Trotz der bewährten klinischen Praxis gibt es in der Literatur keine
Resümee Aufgrund dieser Evidenzen macht beim atopischen Ekzem die Fokussuche im HNO-Bereich keinen Sinn, da eine Besiedelung der Haut und nicht der hautfernen Schleimhäute mit Staphylokokken vorliegt.
7.4
Chronische Urtikaria
Die Urtikaria ist ein Krankheitsbild, das pathogenetisch noch sehr unklar ist. Dieses Krankheitsbild ist, wenn auch nicht bedrohlich, für die Betroffenen sehr lästig. Die chronische Urtikaria ist durch die Persistenz von Urticae über mehr als sechs Wochen definiert. Klinisch finden sich Quaddeln, gelegentlich auch Angioödeme (. Abb. 7.3) [11]. Eine Variante, die provozierbar ist durch Kratzen auf der Haut, ist die so genannte Urticaria facticia. Der klassischen Urtikaria liegt das folgende pathogenetische Konzept zugrunde: Ein Allergen von IgE-Antikörpern wird erkannt; dieser Komplex bindet IgE-Rezeptoren auf Mast-
. Abb. 7.3. Urtikaria (7 Farbteil)
99 Literatur
zellen, die präformiertes Histamin freisetzen. Deswegen erfolgen diese klinischen Reaktionen auch sehr schnell. Histamin hat einen gefäßweitstellenden Effekt; es kommt dadurch zu einem Ödem der Haut, das klinisch als Urtika imponieren kann. Aufgrund des akuten Auftretens und der heterogenen Ätiologie wird ein infektiöser Fokus immer als möglicher Triggerfaktor bewertet [9]. In einer Studie an einem Kollektiv von knapp 100 Patienten mit chronischer Urtikaria wurde die Assoziation mit Infektionen untersucht. Hierbei fand sich eine Reihe von internistischen Erkrankungen wie Diabetes und Autoimmunerkrankungen, jedoch selten infektiöse Erkrankungen wie Tonsillitis, Sinusitis etc. [2]. Infektionen der oberen Luftwege werden als Faktoren bei der chronischen Urtikaria diskutiert, Helicobacterpylori-Infektionen haben in letzter Zeit sehr im Fokus des Interesses gestanden, obwohl auch hier die pathogenetische Relevanz nicht ganz klar ist [13]. Physikalische Faktoren als Ursachen einer Urtikaria sind eingehender beschrieben worden.
Resümee Bezüglich des Fokus im Bereich der oberen Luftwege gibt es bei der chronischen Urtikaria, wenn man die Literatur anschaut, keine evidenzbasierten Daten; die meisten Daten liegen über Helicobacter-pylori-Infektionen vor. Es gibt einzelne Arbeiten, z. T. von vor ca. 25 Jahren, die das gehäufte Auftreten von Streptokokken-Infekten im Bereich der oberen Luftwege (v. a. Tonsillitis) bei chronischer Urtikaria beschrieben haben, aber es gibt weder valide retrospektive noch prospektive Studien.
7.5
Zusammenfassung
Die Datenlage für einen HNO-Fokus bei entzündlichen Hauterkrankungen ist sehr gering. Die Psoriasis ist die einzige Erkrankung, für die eine halbwegs evidenzbasierte Datenlage für einen möglichen HNO-Fokus bei der akut exanthe-
7
matischen Form besteht. Zur atopischen Dermatitis und chronischen Urtikaria fehlen bislang vergleichbare Daten. Die in der klinischen Routine häufig durchgeführte »Fokussuche« ist oft Ausdruck eines polypragmatischen Vorgehens, da gerade bei der chronischen Urtikaria die Pathogenese noch weitgehend unverstanden ist.
Argumente für die Fokushypothese entzündlicher Hauterkrankungen Pro: 5 Klinische Assoziation und Ansprechen auf antimikrobielle Therapie (Psoriasis, atopisches Ekzem, Urtikaria) 5 Immunologischer Hinweis auf Superantigeneffekt durch Nachweis oligoklonaler T-Zell-Aktivierung (Psoriasis, atopisches Ekzem) Contra: 5 Multifaktorielle Pathogenese (atopisches Ekzem, Psoriasis) 5 Unklare Pathogenese (Urtikaria) 5 Fehlen evidenzbasierter klinischepidemiologischer Untersuchungen
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100
7
Kapitel 7 · Der Fokus aus dermatologischer Sicht
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8 Der Fokus in der Pädiatrie Josef Peter Guggenbichler
8.1
Einleitung und Definition – 102
8.1.1 Was entspricht nicht der Begriffsbestimmung?
– 102
8.2
Fallbericht – 102
8.3
Systemische Wirkung proinflammatorischer Zytokine – 103
8.4
Ursachen rezidivierender und chronisch schwelender Infektionen und die Rolle der Abwehrmechanismen des Körpers – 106
8.4.1 Störungen der spezifischen körpereigenen Abwehr – 106 8.4.2 Störungen der unspezifischen körpereigenen Abwehr – 106 8.4.3 Vermehrte Adhärenz bakterieller Mikroorganismen an Schleimhäuten – 106 8.4.4 Verminderung der angeborenen Immunität (Mucosaimmunität) 8.4.5 Experimentelle und klinische Untersuchung der Rolle der Mucosaimmunität bei rezidivierenden Infekten – 108 8.4.6 Körpereigene stabile Flora – 109 8.4.7 Inadäquate Ersttherapie – 110
8.5
Diagnostik – 111
8.6
Therapie und Prävention – 111
8.6.1 Optimierung der antimikrobiellen Behandlung 8.6.2 Behandlungsdauer – 112 8.6.3 Unterstützende Therapie – 112
8.7
Zusammenfassung Literatur – 115
– 114
– 111
– 107
8
102
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
8.1
Einleitung und Definition
Ein Fokus wird als eine lokale Gewebsveränderung definiert, die über die nächste Umgebung hinaus krankhafte Fernwirkungen auslöst. Als Fokaltoxikose bezeichnet man somit eine Vergiftung im Sinne einer Allgemeinerkrankung (Toxikose) durch die Abgabe der in einem Herd im Sinne der Herdkrankheitslehre gebildeten »giftigen« Substanz in herdferne Körpergebiete. Nicht abbaubares anorganisches Material oder nicht abgebaute, tote Körpersubstanz (GewebsZell-, Bakterientrümmer und Bakterien, Detritus) führen auf humoralem und/oder neuralem Weg zu allgemeinen Störungen, die Regulationsprozesse und Abwehrvorgänge bewirken,welche die Basis für andere herdförmige Störungen bilden und Heilungsprozesse herdunabhängig entstandener Beschwerden verhindern [1]. Die klinische Diagnose Fokaltoxikose spielte bis Mitte des letzten Jahrhunderts in der europäischen Medizin eine große Rolle. Unter dem Einfluss der angloamerikanischen Literatur, die diesen Begriff strikt ablehnt, hat die Fokaltoxikose jedoch an Bedeutung verloren. Im Licht eines neueren Verständnisses der Pathophysiologie und Abwehr von Infektionskrankheiten insbesondere der Pathogenese chronisch schwelender Infektionen und der Korrelation mit klinischen Erscheinungsbildern ist es notwendig, dieses Krankheitsbild neu zu überdenken.
8.1.1 Was entspricht nicht der
Begriffsbestimmung? Um diesem Problem näher zu kommen, ist es auch wichtig festzuhalten, welche Krankheitsbilder nicht unter dem Begriff Fokaltoxikose subsummiert werden können. Im Sinne der Definition handelt es sich nicht um eine direkte Ausbreitung des Infektionsherdes in angrenzende Gewebsbezirke z. B.
4 Übergang einer akuten Tonsillitis in einen Retroperitonsillarabszess, 4 Übergang einer akuten Otitis media in eine Mastoiditis oder eine otogene Meningitis, 4 Sinusitis, die in eine Orbitalphlegmone, Sinuscavernosus-Thrombose, Osteomyelitis des Os frontale (Potts puffy tumor) mündet. Eher, aber dennoch nicht der Definition entsprechen die Streptokokken-Nachkrankheiten wie das rheumatische Fieber und die Poststreptokokken-Glomerulonephritis, die ein bis vier Wochen nach einer inadäquat behandelten Pharyngitis durch beta-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A mit Fieber auftreten können. Dabei handelt es sich jedoch eher um eine situativ inadäquate Immunantwort als um ein toxisches Geschehen im Sinne eines chronischen Streuherdes. Die Frage erhebt sich zu allererst, gibt es dieses Krankheitsbild?
8.2
Fallbericht
Anamnese Ein achtjähriges Mädchen wird zur Abklärung rezidivierender Infekte der Luftwege und eines Einbruchs ihrer schulischen Leistungsfähigkeit zugewiesen. Nachdem diese Problematik vor ca. einem Jahr nach einem Infekt der oberen Luftwege mit Tonsillitis begann, bestand der Verdacht auf eine protrahierte Ebstein-Barr-VirusInfektion (EBV-Infektionen). Die Anamese ergab: 4 Subfebrile Temperaturen seit ca. einem Jahr unter Erhalt des zirkadianen Rhythmus, unterbrochen durch akute Exazerbationen mit hohem Fieber meist in der Dauer von zwei bis drei Tagen 4 Migräneartige Kopfschmerzen mehrmals pro Woche 4 Verminderter Appetit, stagnierende Gewichtszunahme, rezidivierende Bauchschmerzen
103 8.3 · Systemische Wirkung proinflammatorischer Zytokine
4 Leistungseinbruch in der Schule mit Konzentrationsschwäche und Flüchtigkeitsfehlern 4 Rezidivierende Infekte des Respirationstraktes im 3–4-Wochen-Takt, die wiederholt mit einer obstruktiven Komponente im Sinne eines sinubronchialen Syndroms einhergingen.
Physikalische Untersuchung Die physikalische Untersuchung ergab ein achtjähriges Mädchen in etwas reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand, mit ihrer Größe an der 50-Perzentile und dem Gewicht an der 25-Perzentile. Es zeigte sich ein Tuben-Paukenhöhlen-Katarrh, ödematöse, geschwollene Nasenschleimhäute, eine deutliche Bronchitis mit obstruktiver Komponente. Die übrige klinische Untersuchung war normal. Die laborchemische Abklärung ergab 8500 Leukozyten mit 58% segmentkernigen Granulozyten, ein CRP von 5.0, eine Blutsenkungsgeschwindigkeit von 12/26. Die Untersuchung der körpereigenen Abwehr ergab normale Immunglobulinkonzentrationen einschließlich der IgGSubklassen, das IgE war unter der Nachweisgrenze, die T-Zell-Aktivität war im Normbereich. Die Untersuchung der Mucosaimmunität an Wangenschleimhautepithelien ergab eine Verminderung der Aktivität auf ca. 15% des Wertes gesunder Kontrollen. Durch eine serologische Untersuchung konnte eine chronische EBV-Infektion ausgeschlossen werden. Das Röntgen der Nasennebenhöhlen zeigte eine Verschattung der rechten Nasennebenhöhle und der Siebbeinzellen beider Seiten. Der Nasenabstrich ergab reichliches Wachstum von Pneumokokken. Behandlung und Krankheitsverlauf Entsprechend dem Antibiogramm wurde das Mädchen mit Clarithromycin 12 mg/kg Körpergewicht, abschwellenden Nasentropfen (Nasic®) und zur Verbesserung der mucoziliären Clearance und Sekretverflüssigung mit 1.8 Cineol für zehn Tage behandelt. Unter dieser Therapie bes-
8
serte sich der klinische Zustand, das Kind war drei Wochen nach Ende der Behandlung gesund, alle Laborbefunde waren normal, so auch das Kontrollröntgenbild der Nasennebenhöhlen. Die unterstützende antientzündliche Behandlung wurde für weitere vier Wochen fortgesetzt. Eine Stimulation der Mucosaimmunität erfolgte durch Verabreichung von Bakterienlysaten (Bronchovaxom®, 1 Kapsel täglich) für 30 Tage. Zwei Wochen nach Beendigung der Behandlung mit Brochovaxom zeigte sich eine Steigerung der Mucosaaktivität auf 75% des Referenzwertes. Das Kind ist seit 9 Monaten beschwerdefrei.
Interpretation der Befunde Beim Krankheitsbild dieses Kindes handelt es sich um eine chronisch schwelende Nasennebenhöhlenaffektion mit akuten Exazerbationen und Mitbeteiligung der unteren Luftwege im Sinne eines sinubronchialen Syndroms. Dieses Krankheitsbild unterscheidet sich wesentlich vom klinischen Erscheinungsbild, das bei akuten Infektionen der Nasennebenhöhlen beobachtet wird und sich mit hohem Fieber, septischen Temperaturen, starken, oft unilateralen, pochenden Kopfschmerzen entsprechend der betroffenen Region manifestiert. Häufig besteht eine eitrige Rhinitis und Geruchbildung in Nase und Rachen. Komplikationen einer akuten Sinusitis wie eine Orbitalphlegmone, eine Sinus-cavernosus-Thrombose oder eine Osteomyelitis des Os frontale sind selten.
8.3
Systemische Wirkung proinflammatorischer Zytokine
Die Erklärung für den beschriebenen Symptomenkomplex, den man in der Kinderheilkunde häufig beobachten kann, liegt in der Bildung und Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen aus dem chronisch infizierten Gewebe der Nasennebenhöhlen. Diese endogenen Mediatoren haben einerseits eine wesentliche Bedeutung
104
8
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
bei der Abwehr von Infekten und der Bekämpfung von Entzündungsreaktionen. Anderseits sind sie auch für allergische Erkrankungen und für verschiedene Schockzustände, die z. B. durch Verbrennung oder Endotoxine ausgelösten werden, verantwortlich [2, 3]. Besonders hohe Konzentrationen von Mediatoren werden im Rahmen chronisch schwelender Infektionen am Ort der Entzündung gebildet. Diese Zytokine können auch ins Blut diffundieren und so fern vom Ort ihrer Freisetzung wirksam werden. Dies geschieht dann, wenn die – meist sehr rasche – lokale Inaktivierung nicht ausreicht, um eine überregionale, systemische Wirksamkeit zu verhindern. Dabei besteht eine zwar niedrige aber kontinuierliche Freisetzung von Entzündungsmediatoren, die zu unerwarteten und ungünstigen systemischen Reaktion führen. Damit entspricht dies exakt der Definition einer Fokaltoxikose und entspricht in ihrer Wirkung auch dem Symptomenkomplex, der bei der oben beschriebenen Patientin zu beobachten war [4, 5]. Diese proinflammatorischen Zytokine wie Leukotriene, Prostaglandine PGE2, PGD2, PGF2, Prostazyklin, Thromboxan, PAF und Neurokinin A zeigen intensive systemische Reaktionen wie 4 Fieber, Gelenkschmerzen, grippeähnliches Zustandbild; 4 Vasokonstriktion, Bronchokonstriktion, Steigerung der Gefäßpermeabilität; 4 »Downregulation« bzw.Verminderung der Mucosaimmunität und der Bildung von βDefensin lokal. Proinflammatorische Zytokine werden von geschädigten Funktionszellen wie Makrophagen, Granulozyten, aber auch von Epithelzellen sezerniert. In den Kapillaren des Entzündungsherdes kommt es durch diese Mediatoren zur Gefäßerweiterung und zu einer Steigerung der Gefäßpermeabilität, was die Migration von Granulozyten und Makrophagen und dadurch die Phagozytose von Mikroorganismen begünstigt. Diese Mediatoren beeinflussen jedoch auch systemische Kör-
perfunktionen. Explizit sind diese systemischen Reaktionen mit den einzelnen Substraten verbunden (. Tab. 8.1, [2]). Man kann annehmen, dass mit der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine viele der Symptome, die im Rahmen einer chronisch rezidivierenden Sinusitis beobachtet werden, erklärbar sind: Chronische Kopfschmerzen sind durch Gefäßspasmen oder Gefäßregulationsstörungen der Zerebralgefäße, Bauchschmerzen, mangelnder Appetit mit Gedeihstörung sowie die Gewichtsabnahme sind durch Spasmen der glatten Muskulatur im Intestinalbereich zu erklären. Das sinobronchiale Syndrom, das regelmäßig bei chronisch schwelenden Sinusitiden beobachtet werden kann, ist zwanglos durch die Bronchokonstriktion der glatten Bronchialmuskulatur, Hypersekretion und Dyskrinie, die durch Prostaglandine, Leukotriene, Neurokinin A und Histamin ausgelöst wird, zu erklären. Ein erhebliches Problem bildet dabei die verminderte Leistungsfähigkeit in der Schule durch Konzentrationsschwächen und chronische Kopfschmerzen. Die verminderte körperliche Leistungsfähigkeit und die Konzentrationsschwäche sind ebenso als Kreislaufregulationsproblem zu erklären. Zudem werden bei einer chronischen Sinusitis häufig akute Exazerbationen mit akuten Krankheitssymptomen beobachtet [7]. Die mögliche Begründung liegt darin, dass proinflammatorische Zytokine einerseits durch die gesteigerte Gefäßpermeabilität und verminderte Zilienmotilität eine Störung der mucoziliären Clearance, anderseits eine Deregulierung der Mucosaimmunität bewirken. Häufige Infekte bedingen auch wiederholte Krankenhausaufenthalte mit Fehlzeiten in der Schule und erheblichen psychosozialen Problemen. Trotz dieser eindeutigen Kriterien ist es außerordentlich schwierig, den Grad der Bedeutung eines einzelnen Mediators für ein Krankheitssymptom festzulegen. Es muss jedoch angemerkt werden, dass erhöhte Konzentrationen dieser proinflammatorischen Zytokine bei chronisch rezidivierenden Sinusitiden weder untersucht noch
105 8.3 · Systemische Wirkung proinflammatorischer Zytokine
8
. Tabelle 8.1. Systemische Reaktionen proinflammatorischer Zytokine Substrat
Systemische Reaktionen
Prostaglandin PGE2
5 5 5 5
Prostaglandin PGF2a
5 Kontraktion von Bronchien, Uterus und Darm 5 Vasokonstriktion der Haut 5 Vasodilatation der Muskelgefäße
Prostacyclin PGl2
5 Vasodilatation Bronchodilatation, Knochenschmerzen, Fieber, Thrombozytenaggregation
Thromboxan TxA2
5 Kontraktion der Gefäße im Splanchnikusbereich 5 Kontraktion von Darm und Bronchien
Leukotriene
5 Kontraktion von Bronchien, Darm und Gefäßen, Steigerung der Gefäßpermeabilität, Ausschüttung von Histamin, Bradykinin und Prostaglandinen
Interleukine IL-1, IL-6, IL-8
5 Vasodilatation, Steigerung der Gefäßpermeabilität, Leukozytose, Leukozytenmigration
Neurokinin A
5 Stärkster Konstriktor der glatten Muskulatur von Bronchien, Darm und Blase
Steigerung der Gefäßpermeabilität, Vasodilatation, Bronchodilatation Kontraktion von Pulmonalgefäßen, Darm und Uteru Ausschüttung von Kortikotropin, Glukagon Verminderung der Insulinsekretion
nachgewiesen wurden. Bei der Paradontitis, einem analogen Phänomen zur chronischen Sinusitis mit einer chronischen lokalen Entzündung der Gingivaschleimhaut, wurden jedoch erhöhte Konzentrationen von Leukrotrienen und Prostaglandinen im Serum nachgewiesen, ohne dass eine wesentliche Beeinträchtigung der systemischen Entzündungsparameter (Leukozyten, CRP) zu beobachten waren. Dieser Befund unterstützt die Hypothese eines erhöhten Risikos von Herzinfarkt und Schlaganfall durch Spasmen oder Kontraktionen der Herzkranzgefäße und Zerebralarterien bei Patienten mit chronischer Paradontitis. Klinisch wurde auch eine gesteigerte Kontraktilität der Uterusmuskulatur und die Neigung zu Frühgeburtlichkeitsbestrebungen
bei Patientinnen mit chronisch schwelenden Harnwegsinfektionen beobachtet, die ebenso durch proinflammatorische Zytokine auslösbar sind [4, 5]. Allerdings hat man bisher diesem Phänomen klinisch zu wenig Bedeutung beigemessen, obwohl zahlreiche experimentelle Untersuchungen dies nahe legen. Andererseits sind wahrscheinlich die Konzentrationen der proinflammatorischen Zytokine im Blut so niedrig und ihre Halbwertszeit zu kurz, dass sie bei einer erheblichen Streubreite nicht als pathologisch erhöht gewertet werden können, zumal auch bei lokalen Infektionsherden systemische Entzündungszeichen wie Leukozytose und Erhöhung des CRP nicht markant sind.
106
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
8.4
Ursachen rezidivierender und chronisch schwelender Infektionen und die Rolle der Abwehrmechanismen des Körpers
8.4.1 Störungen der spezifischen
körpereigenen Abwehr
8
Lange hat man sich auf die Erforschung der adaptativen Immunität konzentriert. Defekte der spezifischen körpereigenen Abwehr, wie ein Antikörpermangel einschließlich eines selektiven IgAMangels oder eines IgG-Subklassendefektes, die vordergründig für rezidivierende Infektionen verantwortlich gemacht werden, spielen jedoch mit weniger als 2% in unserem Krankengut eine untergeordnete Rolle und sind meist bereits klinisch durch eine typische Symptomenkonstellation erkennbar. Meist manifestiert sich eine angeborene Störung der spezifischen körpereigenen Abwehr bereits im Alter von sechs bis neun Monaten bei Abnahme der mütterlichen Antikörper durch Infekte in verschiedenen Organsystemen, unüblich lang dauernden Infekten durch Mikroorganismen, die man bei dem betreffenden Krankheitsbild normalerweise nicht als Infektionserreger beobachtet. Hautaffektionen, kalte Abszesse, chronische Durchfallerkrankungen und eine Gedeihstörung sind typische Zeichen für einen Defekt der spezifischen körpereigenen Abwehr [6, 8]. Von noch geringerer Bedeutung sind Defekte des Phagozytose- oder Komplementsystems.
8.4.2 Störungen der unspezifischen
körpereigenen Abwehr Eine erheblich größere Bedeutung in der Pathogenese rezidivierender Infekte, v. a. wenn nur ein Organsystem betroffen ist, kommt der lokalen Abwehr an Epitheloberflächen zu. Die mucoziliäre Clearance stellt die erste Front gegen das
Eindringen von Krankheitserregern in den Körper dar und wird im Vorfeld durch das Sekret-IgA unterstützt [8]. Wichtig ist eine korrekte Viskosität der Schleimschicht auf den Epithelzellen, wobei bereits die Abnahme des Flüssigkeitspools bei verminderter Flüssigkeitszufuhr, eine vermehrte Perspiratio insensibilis bei Fieber und eine Luftfeuchtigkeit der Raumluft unter 20% zu einer erheblichen Änderung der Viskosität der Mucinschicht der Schleimhäute und einer Funktionseinbuße der normalen Klärfunktion der Mucosa führen kann. Hier machen sich Summationseffekte deutlich bemerkbar, so dass eine Vielzahl scheinbar unbedeutender Defizite letztlich den kritischen Wert übersteigt [8].
8.4.3 Vermehrte Adhärenz
bakterieller Mikroorganismen an Schleimhäuten Ein wesentlicher Virulenzfaktor pathogener Mikroorganismen ist die Adhärenz an Epithelzellen. In zahlreichen Untersuchungen wurde beobachtet, dass nur Mikroorganismen, die gleichzeitig Toxine bilden und die Schleimhäute besiedeln, zu einer Erkrankung führen. Mikroorganismen haften an speziellen Kohlehydratstrukturen von Epithelzellen. Die Besiedelbarkeit von Schleimhäuten und damit auch die Infekthäufigkeit hängt damit auch mit der Rezeptordichte für bakterielle Mikroorganismen an Epithelzellen zusammen. So konnten wir beobachten, dass Patienten mit rezidivierenden Streptokokkeninfektionen der Tonsillen (d. h. >3 durch Kultur bewiesene Streptokokkeninfekte pro Jahr) eine um das fünffache höhere Zahl an adhärenten Streptokokken pro Epithelzelle aufweisen als altersentsprechende Kontrollpatienten ohne rezidivierende Streptokokkeninfektionen (. Abb. 8.1, [9, 10, 11]).
107 8.4 · Ursachen rezidivierender und chronisch schwelender Infektionen
. Abb. 8.1. Patienten mit rezidivierenden Streptokokkeninfektionen der Tonsillen (>3 durch Kultur bewiesene Streptokokkeninfekte pro Jahr) weisen eine um das
8.4.4
Verminderung der angeborenen Immunität (Mucosaimmunität)
Von besonderem Interesse sind Störungen der Mucosaimmunität, die einen völlig neuen Einblick in die initiale Abwehr von Infektionen ergibt und deren Bedeutung erst in den letzten Jahren erkannt wurde. Bereits Neugeborene besitzen Abwehrmechanismen gegen bakterielle und virale Mikroorganismen, bevor die spezifische, stimulierbare, humorale und zelluläre Abwehr wirksam wird. Sie ist für den Aufbau der normalen Flora im Darm und auf der Haut verantwortlich. Die mucosaassoziierte Abwehr beruht neben der bekannten physikalischen Barriere auf der Bildung von Lysozym sowie anderen genkodierten, antimikrobiellen Peptiden (AP) durch Epithelzellen. AP, auch Defensine genannt, besitzen ein breites bakterizides Wirkspektrum gegen grampositive und gramnegative Mikroorganismen, Viren und Candida albicans [12, 13, 14, 15]. Zahlreiche verschiedene Strukturen von Defensinen wurden in der Zwischenzeit beschrieben. Einige dieser antimikrobiellen Peptide – die α-
8
5fache höhere Zahl an adhärenten Streptokokken pro Epithelzelle auf als altersentsprechende Kontrollpatienten ohne rezidivierende Streptokokkeninfektionen
Defensine – werden ständig in gleichbleibenden Mengen, andere wiederum – die β-Defensine – in erster Linie nach Kontakt der Epithelzellen mit pathogenen Mikroorganismen gebildet [16]. Kohlehydratstrukturen der Zellwand von pathogenen Mikroorganismen – als »pathogen associated molecular patterns« (PAMPs) bezeichnet – aber auch Lipopolysaccharide, Lipoproteine, Peptidoglykane sowie die CgP-Oligonukleotid-Sequenzen bakterieller und viraler DNA stimulieren über Toll- und Toll-like-Rezeptoren (TLR) auf Makrophagen die Entzündungskaskade und initiieren dadurch die Abwehrreaktion [16, 17, 18]. Diese antimikrobiellen Peptide arrangieren sich in der Zellwand von Mikroorganismen in einem aus sechs Bestandteilen bestehenden Kanal, durch den das Zytoplasma austritt und dadurch zum Tod des Keimes führt.
Möglichkeiten einer Störung Möglichkeiten einer Störung bestehen insofern, als Patienten mit rezidivierenden Infekten im Vergleich zu gesunden Vergleichspersonen 4 kein oder zu wenig β-Defensin bilden; 4 verzögert auf die bakterielle Besiedelung von Epithelzellen mit der Bildung von β-Defensin
108
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
reagieren und dadurch einer kleinen Inokulummenge Zeit geben zu proliferieren, wodurch das System überfordert ist, da β-Defensine nur gegen eine kleine Inokulummenge wirksam sind; 4 nach Kontakt mit bestimmten Mikroorganismen (z. B. Pseudomonas aeruginosa) kein β-Defensin bilden [19].
8.4.5 Experimentelle und klinische
Untersuchung der Rolle der Mucosaimmunität bei rezidivierenden Infekten
8
In einer experimentellen und klinischen Pilotuntersuchung wurde die Rolle der Mucosaimmunität bei rezidivierenden bzw. chronisch schwelenden Infektionen der Luftwege untersucht. Es war nun von Interesse, ob eine gestörte Mucosaimmunität durch eine verminderte Bildung von β-Defensin bei rezidivierenden Infektionen im Kindesalter eine Rolle spielt und ob die Mucosaimmunität beeinflussbar ist. Dies wurde sowohl in experimentellen Untersuchungen als auch in einer klinischen Pilotstudie untersucht.
Experimentelle Untersuchung in vitro Untersuchung der Bildung von β-Defensin durch Epithelzellen nach Stimulation mit lebenden Mikroorganismen und hitzeinaktivierten Bakteriensuspensionen. Vergleich: Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa ATCC Referenzstämme und Bronchovaxom. Epithelzellen Epithelzellen aus der Wangenschleimhaut von gesunden Probanden werden mit einem Plastikspatel gewonnen. Eine Epithelzellsuspension mit 5000 Epithelzellen/ml physiologischer Kochsalzlösung wird angefertigt. Die Wangenschleimhautepithelien werden mit vitalen Mikroorganismen (S. aureus ATCC 25723 (SA), P. aeruginosa ATCC 65284, Standardkeim für Ringversuche (PA),
Candida albicans (CA) in einer Konzentration von 5000 KBE/ml) zur Stimulation der Bildung von β-Defensin für 90 Minuten inkubiert und dann scharf zentrifugiert. Dieselbe Untersuchung wird mit 10 mg/ml Bakterienlysat (Bronchovaxom) durchgeführt. Im Überstand wird die βDefensin-II- und –III-Bildung in einem biologischen Testsystem gemessen. Messung der antimikrobiellen Wirksamkeit von β-Defensin aus einer definierten Epithelzellsuspension in einem biologischen Testsystem 5×105 CFU/ml P. aeruginosa (ATCC) in 100 µl physiologische Kochsalzlösung werden mit 200 µl Überstand der mit den Testorganismen stimulierten Epithelzellsuspension in einer Küvette inkubiert. In 30-Minuten-Intervallen wird eine Keimzahlbestimmung durchgeführt. 10 µl der Bakteriensuspension wird auf eine Blutagarplatte aufgebracht und für 24 Stunden bei 37° C inkubiert. Anschließend wird die Anzahl der koloniebildenden Einheiten (KBE) gezählt. Die mit verschiedenen Antigenen stimulierten Proben werden mit den Proben von unstimulierten Epithelzellsuspensionen verglichen (. Abb. 8.2). Identische Befunde wurden nach Stimulation mit Bronchoraxom® beobachtet.
Klinische Pilotuntersuchung Bei Patienten im Alter zwischen drei und 18 Jahren handelte es sich um Patienten, die zur Abklärung rezidivierender Infektionen zugewiesen wurden. Bei diesen Patienten erfolgte zusätzlich zu einer sorgfältigen Anamnese bezüglich der antimikrobiellen Therapie die Untersuchung der spezifischen körpereigenen Abwehr und der unspezifischen Abwehr auf anatomische und funktionale Defekte. Zusätzlich wurde die Mucosaimmunität untersucht und β-Defensin bestimmt. Als Einschlusskriterium für die Untersuchung galt: mehr als acht Infekte der oberen Luftwege pro Jahr im vergangenen Kalenderjahr. Ausschlusskriterium für die β-Defensin-Bestimmung
109 8.4 · Ursachen rezidivierender und chronisch schwelender Infektionen
8
. Abb. 8.2. Ergebnisse der experimentellen Untersuchung der antimikrobiellen Eigenschaften von Wangenschleimhautepithelzellen von zwei gesunden Probanden nach Stimulation mit drei unterschiedlichen Mikroorga-
nismen (Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Candida albicans) im Vergleich zu einer Negativkontrolle. Als Testkeim für die Dokumentation der antimikrobiellen Wirksamkeit diente P. aeruginosa
war der Nachweis eines spezifischen Immundefekts durch Bestimmung der Antikörperkonzentrationen, der zellulären Immunität. Bei Patienten mit anatomischen Fehlbildungen im oberen Respirationsbereich wie Septumdeviation wurde diese Untersuchung ebenfalls nicht durchgeführt. Bei Patienten mit chronischer Sinusitis und Adenoid- Tonsillenhyperplasie wurde die βDefensin-Bildung bestimmt, wenn keine zusätzlichen anatomischen Fehlbildungen vorlagen. Die Probenentnahmen, d. h. die Entnahme von Wangenschleimhautepithelien und die Bestimmung des β-Defensins erfolgte bei der Erstuntersuchung, nach drei bis sechs Monaten und nach einem Jahr. Insgesamt wurde bei 40 Patienten mit rezidivierenden Infekten eine initiale β-Defensin-Bestimmung durchgeführt. Die Diagnosen bestanden in 4 rezidivierende Sinusitis (21 Patienten), 4 rezidivierende Pneumonie/Bronchitis (6 Patienten),
4 rezidivierende Otitis media (8 Patienten), 4 mucokutane Candidiasis (2 Patienten, Geschwister), 4 rezidivierende Harnwegsinfektionen (1 Patient), 4 rezidivierende Durchfallerkrankungen (1 Patient), 4 rezidivierende Hautgranulome (1 Patient). . Tab. 8.2 zeigt die initialen β-Defensin-Konzentrationen dieser Patienten in % des Kontrollwertes.
8.4.6
Körpereigene stabile Flora
Ein vielfach unterschätzter Mechanismus der körpereigenen Abwehr ist eine stabile körpereigene Flora. Die normale Flora verhindert die Besiedelung mit obligat pathogenen Mikroorganismen. Eine Destabilisierung der normalen Flora durch Antibiotika ermöglicht es bereits einem
110
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
. Tabelle 8.2. Initiale β-Defensin-Konzentrationen der untersuchten Patienten
8
β-Defensin-Konzentrationen [% des Kontrollwertes]
Patienten [n]
< 10
2
20–29
25
30–39
4
40–49
3
50–75
2
> 75
4
kleinen Inokulum von pathogenen Mikroorganismen, die Schleimhäute zu besiedeln.
8.4.7
Inadäquate Ersttherapie
Eine häufige Ursache rezidivierender Infekte ist eine inadäquate Behandlung des Erstinfektes, wobei es nicht nur auf die korrekte Wahl des Antibiotikums ankommt, sondern ebenso auf eine korrekte Tagesdosis, das Dosierungsintervall und die Therapiedauer. Anderseits kommt auch der unterstützenden Behandlung zur Verbesserung
des Sekretflusses und Abschwellung der entzündeten Schleimhäute eine wesentliche Bedeutung zu [21]. Eine wichtige Orientierungsgröße für die Wirksamkeit eines Antibiotikums ist die Pharmakokinetik, d. h. die Bioverfügbarkeit eines Medikamentes, die durch die Messung der Serum- und Gewebskonzentrationen und ihre Beeinflussung durch Resorptions-, Diffusionsund Exkretionsvorgänge bestimmt wird. Dabei unterscheiden sich alle oben genannten Parameter bei Kindern erheblich von denen Erwachsener. Aber selbst im Kindesalter sind wesentliche Unterschiede in den einzelnen Lebensabschnitten – z. B. zwischen Früh- und Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern zwischen zwei und sechs Jahren, Schulkindern und Adoleszenten – zu beobachten, in denen sich die pharmakokinetischen Parameter dem Erwachsenenalter annähern. Zudem sind besondere Grundkrankheiten zu berücksichtigen, die die oben genannten Parameter zusätzlich überlagern (. Abb. 8.3, [22, 23]). Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkung eines Antibiotikums auf den Mikroorganismus, v. a. aber den Zeitraum, während dem ausreichende Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion für eine erfolgreiche Keimelimination notwendig sind. Bei Erwachsenen konnte fest-
. Abb. 8.3. Serumkonzentrationsverlauf von Penicillin VK nach Verabreichung einer äquimolaren Menge pro kg Körpergewicht in verschiedenen Lebensabschnitten. Säuglinge bis zum Alter von 18 Monaten resorbieren das Präparat gemessen am SerumSpitzenspiegel und der Fläche unter der Kurve erheblich schlechter als ältere Kinder, Neugeborene besser
111 8.6 · Therapie und Prävention
gestellt werde, dass eine Überschreitung der Wirkstoffkonzentration über den MHK-Wert (Minimale Hemmkonzentration) am Infektionsort über 40% des Zeitraums bis zur nächsten Dosis für eine effektive Keimeradikation ausreicht. Mikroorganismen zeigen in Gegenwart eines Antibiotikums geänderte Oberflächeneigenschaften, d. h. eine niedrigere Konzentration von Lipooligosacchariden in der Zellwand, was einerseits zu einer geringeren Entzündungsreaktion, andererseits durch eine geringere Elektronegativität zu einer besseren Phagozytose führt. Für das Kindesalter werden jedoch Wirkstoffkonzentrationen über dem MHK-Wert über 75–90% des Zeitraums bis zur nächsten Dosis empfohlen. Daraus resultiert eine rasche Keimelimination und klinischen Heilung sowie eine Verhinderung der Resistenzentwicklung. Im Gegensatz dazu sind subinhibitorische Konzentrationen von Antibiotika mit verzögerter klinischer Besserung, dem Übergang in eine chronisch schwelende Infektion und der Induktion bzw.Selektion von resistenten Mikroorganismen verbunden [22].
8.5
Diagnostik
Strategische Überlegungen zur Abklärung des »häufig kranken Kindes« beruhen keineswegs allein auf einer laborchemischen und immunologischen Abklärung. Sie werden in erster Linie durch Anamnese und klinische Symptome geleitet. Auf Grund der beschriebenen Pathomechanismen ist bei der Abklärung von Patienten mit rezidivierenden Infektionen ein erheblich breiteres Abklärungsprogramm durchzuführen. Die Untersuchung der klassischen Entzündungszeichen wie BKS, Leukozyten mit Differentialblutbild und CRP ergibt meist annähernd normale bis nur gering pathologische Befunde. Die Bestimmung der Antikörperkonzentration in Blut und Speichel (Sekret-Ig A) ist sicher indiziert, obwohl meist normale Werte erhoben werden können.
8
Bei bildgebenden Verfahren ist die Organmanifestation zu berücksichtigen und eventuell bestehende anatomische Fehlbildungen (Deviation des Septums, Nachweis eines verlängerten Processus uncinatus) zu diagnostizieren. Die Feststellung der Organmanifestation, z. B. einer chronischen Nasennebenhöhleninfektion, kann durch ein Schädelröntgen bzw. die Sonographie der Nasennebenhöhlen erfolgen. Bei Persistenz der Befunde trotz adäquater Behandlung ist ein sagittales und koronares CT des Schädels mit Knochenfenster aussagekräftig.
8.6
Therapie und Prävention
8.6.1 Optimierung der
antimikrobiellen Behandlung Bei der Behandlung von Patienten mit rezidivierenden Infektionen v. a. der Atemwege kommt der Optimierung der antimikrobiellen Behandlung eine entscheidende Bedeutung zu. Die adäquate Erstbehandlung eines Infektes ist für eine rasche Keimelimination und den Rückgang der Entzündungszeichen von wesentlicher Bedeutung. Sie beruht auf der Verabreichung eines wirksamen Präparates gemessen an der antimikrobiellen Empfindlichkeit und Bioverfügbarkeit des Medikamentes sowie der Berücksichtigung pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Besonderheiten [20]. . Abb. 8.4 zeigt den Konzentrationsverlauf von Amoxicillin im Mittelohrsekret bei Gabe von Einzeldosen von 17.5 mg/kg Körpergewicht achtstündlich bzw. mit einer Extradosis nach vier Stunden. Die horizontal verlaufende Linie bezeichnet den MHK-Wert von Haemophilus influenzae. Er wird bei der achtstündlichen Verabreichung für ca. 40% der ersten 24 Stunden, bei der Extradosis nach vier Stunden für 100% der Zeit überschritten. Diese eine zusätzliche Dosis ist mit erheblich verbesserten klinischen Ergebnissen verbunden. Bei der Behandlung einer Otitis
112
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
8 . Abb. 8.4. Konzentrationsverlauf von Amoxicillin im Mittelohrsekret bei Gabe von Einzeldosen von 17.5 mg/kg Körpergewicht achtstündlich (untere Kurve) bzw. mit
einer Extradosis nach vier Stunden (obere Kurve). Die horizontal verlaufende Linie bezeichnet den MHK-Wert von Haemophilus influenzae (7 Farbteil)
media wurde bei achtstündlicher Verabreichung 14 Tage nach Therapieende bei 25% der Patienten ein Tuben-Paukenhöhlen-Sekret diagnostiziert im Gegensatz zu 8% bei Verabreichung der Extradosis nach vier Stunden. Dies war auch mit einer niedrigeren Rezidivrate kombiniert.
Eustachischen Tube nach einem Virusinfekt für acht bis zwölf Tage gestört. Bei einer Behandlungsdauer von fünf Tagen besteht für weitere fünf bis sieben Tage nach Therapieende eine Tubenbelüftungsstörung, wobei persistierendes Sekret in der Paukenhöhle zu einer schwelenden Infektion bzw. einer bakteriellen Wiederbesiedlung aus dem Nasenrachenraum und einem Rezidiv Anlass geben kann. In klinischen Untersuchungen konnten die Unterschiede zwischen den einzelnen Behandlungsschemata nicht unmittelbar am Therapieende sondern nach vier bis sechs Wochen an einer wesentlich niedrigeren Rezidivbzw. Reinfektionsrate gemessen werden.
8.6.2 Behandlungsdauer Die optimale Behandlungsdauer ist von entscheidender Bedeutung für die nachhaltige Heilung und die Verhinderung einer chronisch schwelenden Infektion. Sie wird kontrovers diskutiert: Die Meinung, dass sich die Therapiedauer nach der Eradikation des ätiologischen Agens zu richten hat, ist für die Kinderheilkunde nur bedingt korrekt. Wichtiger ist es, die Behandlungsdauer nicht nur nach der Keimeradikation, sondern vielmehr nach der Normalisierung des ursprünglichen Pathomechanismus, der zur Infektion geführt hat, zu richten. Beispielsweise ist die Funktion der
8.6.3 Unterstützende Therapie Verbesserung der mucoziliären Clearance Wichtig ist zudem eine unterstützende Behandlung mit abschwellenden Nasentropfen, Sekretolytika und Medikamenten, die die Viskosität des
113 8.6 · Therapie und Prävention
8
. Abb. 8.5. Unterstützende Therapie: Wirksamkeit des ätherischen Öls 1.8 Cineol (Eukalyptol) auf proinflammatorische Zytokine
Schleimes harmonisieren, die Zilientätigkeit anstoßen bzw. antientzündliche Eigenschaften aufweisen, um z. B. die Funktion der Eustachischen Tube wieder in Gang zu setzen. Bisweilen ist bereits die ausreichende Hydratation des Körpers hilfreich. 1.8 Cineol wurde als potenter Antagonist gefäßwirksamer proinflammatorischer Zytokine (Leukotriene, Prostaglandine) erkannt und hat einen wesentlichen Stellenwert in der symptomatischen unterstützenden Therapie. Der Wirkstoff wird sowohl oral als auch als Balsam über die Haut resorbiert (. Abb. 8.5, [23]). Auch die chirurgische Korrektur anatomischer Fehlbildungen, z. B. die Korrektur einer Deviation der Nasenscheidewand, ist von großer Bedeutung und kann eine medikamentöse Therapie wesentlich ergänzen.
Steigerung der körpereigenen Abwehr Ein wesentlicher Beitrag zur Verhinderung rezidivierender Infekte kommt auch der Stärkung bzw. Stimulation der körpereigenen Abwehr zu. Prospektive, kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudien bei mehreren 1000 Patienten zeigten eine mindestens 50%ige Reduktion der Zahl und Schwere von Infekten durch die Gabe von Bakterienlysaten [25, 26, 27, 28]. In einer Untersuchung konnte nach Gabe von Bronchovaxom® gezeigt werden, dass die Adhärenz von Haemophilus influenzae an Wangenschleimhautepithelzellen bei 14 von 18 Patienten
um mindestens 80%, meist aber mehr als 90% reduziert war [29]. In einer eigenen Pilotuntersuchung wurde bei 40 Patienten mit rezidivierenden Infektionen das β-Defensin bestimmt. 34 dieser Patienten zeigten einen Wert unter 50% des Wertes gesunder Vergleichspersonen, zwei Patienten einen Wert zwischen 50 und 75%, vier Patienten wiesen einen Wert zwischen 75 und 100% der Kontrollpersonen auf (. Tab. 8.2). 34 Patienten erhielten Bronchovaxom® einmal täglich eine Tablette für 30 Tage. Die klinische Beobachtung des weiteren Verlaufes und die Erfassung der Infekthäufigkeit erfolgte durch die Eltern und den Hausarzt. Die Patienten wurden bei jedem Infekt vom Hausarzt klinisch untersucht, die entsprechenden Befunde erhoben und die gegebenenfalls notwendige antibiotische Behandlung eingeleitet. Episoden von Infekten und Arztbesuche wurden von den Eltern dokumentiert. Nach drei bis sechs Monaten und nach zwölf Monaten wurden die Patienten erneut beurteilt. Die Patienten erhielten nach der Erstuntersuchung wenn nötig eine effektive antimikrobielle Therapie nach den oben beschriebenen Gesichtspunkten sowie eine entsprechende unterstützende Behandlung. Der klinische Verlauf, d. h. die Häufigkeit und Schwere von Infektionen, das Auftreten von Komplikationen, insbesondere die Indikation für eine Verabreichung von Antibiotika, die Absenztage vom Kindergarten, versäumte Schultage und
114
8
Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
eventuelle stationäre Aufnahmen ins Krankenhaus, wurde im Vergleich zur Vorperiode beurteilt. 4 Bei 27 Patienten konnte eine Steigerung der β-Defensin-Bildung und eine substanzielle Abnahme rezidivierender Infekte sowie eine Verminderung des Schweregrades von Infekten beobachtet werden. 5 Bei einem Patienten konnte die β-Defensin-Bildung innerhalb von drei Monaten von unter 10% auf 25–40% (Mehrfachbestimmung) gesteigert werden. Der Patient zeigte eine deutliche klinische Besserung mit Gewichtszunahme und einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit. 5 Bei 19 Patienten konnte die β-DefensinBildung von unter 30% auf zwischen 60 und 100% der Kontrollperson gesteigert werden mit einer wesentlichen Abnahme der Häufigkeit und Schwere der Infektionen. 5 Bei sieben Patienten mit einem Wert unter 50% konnte der Wert auf 60–75% angehoben werden, was ebenso mit einer substanziellen klinischen Besserung einherging. 4 Drei Patienten mit einem β-Defensin-Wert unter 50% zeigten keine Verbesserung der β-Defensin-Bildung: 5 Zwei Patienten mit mucokutaner Candidiasis mit deutlich vermindertem β-Defensin initial (unter 25% der Kontrollperson) zeigten keine Stimulation durch Verabreichung von Bronchovaxom. 5 Ein Patient mit rezidivierenden Pseudomonas-aeruginosa-Granulomen der Haut zeigte ebenso keine Steigerung der βDefensin-Bildung nach Gabe von Bronchovaxom und erst nach intravenöser Antibiotikatherapie und chirurgischer Herdsanierung der chronisch infizierten Mastoide eine klinische Besserung. 4 Zwei Patienten zeigten eine Steigerung der βDefensin-Bildung ohne klinische Besserung
5 Ein Patient mit rezidivierenden Sinusitiden und eine Patientin mit rezidivierenden Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen der unteren Luftwege (Pneumonie/eitrige Bronchitis/Peribronchitis) zeigten keine Steigerung der β-Defensin-Bildung und keine klinische Besserung der wiederholten Infekte. 5 Zwei Patienten kamen wegen mangelnder Compliance im ersten Monat nicht mehr zur Nachuntersuchung und konnten nicht weiter beurteilt werden. Die experimentellen und klinischen Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei Patienten mit rezidivierenden und chronisch schwelenden Infektionen eine Einschränkung der Mucosaimmunität, insbesondere eine verminderte Bildung von β-Defensin eine Rolle spielt. Das Ergebnis einer Pilotuntertsuchung bei 40 Patienten mit rezidivierenden Infekten deutet darauf hin, dass durch Bakterienlysate (Bronchovaxom) in einem höheren Prozentsatz als bei bisherigen Untersuchungen mit einem unselektionierten Krankengut eine Besserung zu erzielen ist. Dies geht mit einer wesentlichen Steigerung bis Normalisierung der angeborenen mucosaassoziierten Immunität einher [30, 31, 32, 33, 34, 35, 36].
8.7
Zusammenfassung
Die Begleitsymptome, die bei einer chronisch schwelenden Nasennebenhöhleninfektion beobachtet werden, können zwanglos als systemische Wirkung proinflammatorischer Entzündungsmediatoren beschrieben werden. Damit entspricht dies der Definition einer Fokaltoxikose. Proinflammatorische Zytokine wie Leukotriene, Prostaglandine, Thromboxan und die Interleukin IL-1 und IL-6 werden in chronischen Infektionsherden gebildet. Diese Entzündungsmediatoren unterstützen die Infektabwehr, führen aber selbst zu systemischen Nebenwirkungen wie Spasmen
115 Literatur
der glatten Muskelzellen (Bronchospamen, Gefäßspasmen, Fieber, Gelenkschmerzen). Die Ursachen für chronisch rezidivierende Infektionen sind mannigfaltig und bedürfen einer umfassenden Abklärung, die besonders auf einer sorgfältigen Anamnese und der Beachtung früherer Behandlungen sowie in der Untersuchung der Mucosaimmunität beruht. Die Behandlung umfasst eine optimale antimikrobielle Therapie, die sowohl die Besonderheiten der Pharmakokinetik als auch der Pharmakodynamik im Kindesalter berücksichtigt. Entscheidend ist auch eine entsprechende unterstützende Behandlung mit Antagonisierung proinflammatorischer Zytokine, z. B. mit 1.8 Cineol, sowie eine Stärkung der angeborenen Immunität mit Bakterienlysaten [30, 31, 32, 33, 34, 35, 36].
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Kapitel 8 · Der Fokus in der Pädiatrie
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Farbteil
118
Farbteil
b . Abb. 4.4. b. Klinische Situation intraoral in regio 38. Der Zahn ist teilretiniert. Perikoronal erkennt man eine chronisch entzündlich veränderte Zahnfleischtasche (Kreismarkierung)
119 Farbteil
b
c
a . Abb. 4.5 a–d. Zahnärztliche Materialien, Fremdkörper. a Patientenansicht. b Intraorale Situation bei Zahnreihenschluss mit prothetisch nicht versorgten Freiendlücken (Oberkiefer rechts, Unterkiefer links). c Intraorale Situation im Unterkiefer bei Mundöffnung: Parodontale und prothetisch insuffiziente Situation. d Entfernte insuffiziente Implantationssysteme und nicht erhaltungswürdige Zähne aus beiden Kiefern
. Abb. 6.1. Großes Lymphom im Rachenbereich
d
. Abb. 6.2. Aufgrund eines Lymphoms gestaute Venen im Zungengrund
120
Farbteil
a . Abb. 6.4. Nicht-adipöser Patient mit ödematös geschwollener Kopf-Hals-Region sowie entsprechend veränderter oberer Extremität bei schlanken Beinen
b
c . Abb. 6.6 a–c. Bild der aplastischen Anämie mit hypozellulärem Knochenmark und residuellen, überwiegend lymphatischen Zellelementen (a). Hyperzelluläres Knochenmark mit monotonem Bild bei akuter myeloischer Leukämie (b). Normales Knochenmark (c)
121 Farbteil
. Abb. 6.9. Mundsoor
. Abb. 6.10. An der Zungenunterseite ebenso wie im Kinnbereich mehrere dunkelbräunliche Läsionen durch Pilzsepsis (mykotische Absiedlungen in der Endstrombahn)
. Abb. 6.12. Herpes-Reaktivierung bei starker immunsuppressiver Therapie nach allogener Blutstammzelltransplantation wegen Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (GvHD)
. Abb. 7.1 a,b. Psoriasis vulgaris. a Akut exanthematischer Typ, sog. Guttata-Form. b Chronisch stationärer Typ
122
Farbteil
. Abb. 7.2. Atopisches Exzem
. Abb. 7.3. Urtikaria
. Abb. 8.4. Konzentrationsverlauf von Amoxicillin im Mittelohrsekret bei Gabe von Einzeldosen von 17.5 mg/kg Körpergewicht achtstündlich (untere Kurve) bzw. mit ei-
ner Extradosis nach vier Stunden (obere Kurve). Die horizontal verlaufende Linie bezeichnet den MHK-Wert von Haemophilus influenzae
Sachverzeichnis
124
Sachverzeichnis
A Akanthose 96 Akutes rheumatisches Fieber (ARF) 3 Alemtuzumab 90 Amyloidose 81 Anämie, aplastische 88 Anthrazyklin 89 Antibasalmembran-AntikörperGlomerulonephritis 15 Antibiotikaprophylaxe 13, 64 Anti-DNAse-B-Titer 73 Antigenaufnahme 11 Antigenpräsentation 11 Antikörper, monoklonale 86 Antikörpermangel 106 Antistreptolysintiter 15, 16, 73 Arterienbypassoperation 41 Arthritis – bakterielle septische 73 – Poststreptokokken-reaktive 3 – virusindizierte 73 Arthritisentität 75 Aspergillusinfektion 34
B Bacillus anthracis 50 Bakteriämie 13 Bakterienlysat 113 Benzalkoniumchlorid 36 Boosterung 15 Borrelia burgdorferi 73 Bronchialasthma 22 Bronchitis 18 – chronische 22 Bronchokonstriktion 104 Bronchovaxom 108, 113 Busulfan 89
C 2-CDA 90 Chlamydia pneumoniae 79 Chorea minor 72 Cyclosporin 34 Clearance, mucoziliäre 112 Clindamycin 17 Clostridium tetani 50 C-reaktives Protein (CRP) 12, 51
D Defensine 107 Dentitio difficilis 59 Dermatitis, atopische 97 Diphtherie 50 Doxorubicin 89
E Einflussstauung, obere 86 Ekzem, atopisches 96 Elektroakupunktur 62 Endarteriitis, bakterielle 13 Endoallergen 50 Endokarditis 13 – infektiöse 53 Epstein-Barr-Virus 33 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises 18 Ernährungssonde, nasogastrale 35 Erreger-Wirt-Interaktion 76
F Fibrose, zystische 37 Fieber, rheumatisches 2, 13, 14, 71, 102 – akutes (ARF) 3 Fludarabin 90 focal infection, 7 Fokalinfektion Fokalinfektion 3, 13, 70 Fokaltoxikose 102 Fokus – Begriffsdefinition 2, 10 – sinugener 26 Fremdkörper 59 Fusobacterium necrophorum 32
G Gaumentonsillen 4 Germinalzentrum 1 Gingivitis 57 Glomerulonephritis 13--15 – akute 3 Gonorrhoe 49 Graft-versus-host disease 93 Graft-versus-host-Reaktion 38
H Haemophilus – influenzae 30, 32 – parainfluenzae 6 Hämatopoese 88 Hämatosinus 35 Hauterkrankung, chronisch entzündliche 96 Helicobacter-pylori-Infektion 99 Herd 10 Herderkrankung 5
125 Sachverzeichnis
Herzklappenoperation 41 Hirnabszess 53 Histamin 12, 99 Hitzeschockproteine 76, 77, 78 HLA B27 76 Hüftgelenkersatz 54 Hypertonie 16
I IgA – Immunkomplex 6 – Nephritis 6 Immunglobulinproduktion, lokale 11 Immunität, adaptative 106 Immunkomplex – Erkrankung 15 – Glomerulonephritis 15 Immunsuppression 6 Infektionsherd, latenter 2 Intubation, nasotracheale 35 Iridozyklitis 42 Iritis 42
J Jones-Kriterien 72
K Keratinozyten 97 – Wachstumsfaktor 93 Kieferhöhle 29 Kinesiologie 62 Klebs-Loeffler-Organismen 50 Knochenmarkdepression 6 Knochenmarktransplantation 36
Knoten, subkutane 72 Köbner-Phänomen 97 Kollagenose 81 Kolonkarzinom 71 Komplikation, orbitale 41 Korneozyten 97 Krypte 10
L Lemierre-Syndrom 32 Leukämie 88 – myeloische 88 Leukopenie 36 Leukotriene 104, 105 Lupus-erythematodes-Zellphänomen 71 Lyme-Arthritis 73 Lymphom 86 Lysozym 107
M Makrohämaturie 16 Mediator 104 Meningitis 34 MHK-Wert 111 Mimikry, molekulare 76, 96 Mitoxanthron 89 Moraxella catarrhalis 30, 32 Morbus – Crohn 33 – Sjögren 81 – Wegener 81 – Whipple 73 Mortalitätsrate 37 Mucormykosen 34 Mucosaimmunität 107
A–P
N Nasennebenhöhlen 4 – Übersichtsaufnahme 29 Neurokinin A 104, 105 Neutropenie 34 Non-Hogdkin-Lymphom 88
O Ödem 16 Organotropismus 49
P PAF 104 PAMP, 7 pathogen associated molecular pattern PANDAS 3 Pankarditis 72 Panzytopenie 36 Parakeratose 96 Paratonsillarabszess 17 Parodontitis – apikale 55 – marginalis 4, 55, 57 – profunda 57 – superficialis 57 pathogen associated molecular pattern (PAMP) 78, 107 Penicillin 15 Pentostatin 90 Pharmakokinetik 110 Plasmazelltumor 88 Pneumokokkenbakteriämie 30 Pneumonie 34 Poliomyelitisschutzimpfung 18
126
Sachverzeichnis
Polyarthritis 72 Polyposis nasi 26 Postangina-Sepsis 32 Poststreptokokken – Arthritis 78, 79, 80 – – reaktive 3 – Glomerulonephritis 102 Processus uncinatus 36 Prostaglandine 104 Prostazyklin 104 Pseudomonas aeruginosa 38 Pseudomykose 16 Psoriasis 5 – pustulöse 16 – vulgaris 96 Purinanaloga 90 Purpura Schoenlein-Henoch 80 Pustulosis palmaris et plantaris 5, 14, 16
R Retinopathia pigmentosa 42 Rhabdomyolyse 33 Rhinosinusitis – eosinophile chronische 26 – unspezifische 29 Rituximab 90
S Scharlachangina 16 Schleimhautveränderung 28 Schocksyndrom, toxisches 55 Scytalidium dimidiatum 39 Serotonin 12 Siebbein – hinteres 29 – vorderes 29
Sinusitis – akute 27, 29 – chronische 27 Sjögren-Syndrom 88 Spenglersan-Provokationsmethode 62 Stammzelltransplantation 37 Staphylococcus aureus 53 – toxinbildender 31 Staphylokokken, koagulasenegative 32 Stickstoffmonoxid 36 Störfeldtheorie 52 Streptococcus – milleri 31, 53 – mutans 53 – pneumoniae 30, 32 – viridans 13, 53 Streptokokken – β-hämolysierende 16 – der Viridans-Gruppe 53 – Folgeerkrankungen 2, 3 – hämolytische 53 Streuwirkung 10 Superantigen 76, 97, 98
T Targeted Therapy 86 Temporo-Mandibulararthropathie 59 Therapie, tumornekrosefaktorblockierende 81 Thromboxan 104 Toll-like-Rezeptor 78 Tonsilla palatina 10 Tonsillektomie 13 – Indikation 20 Tonsillitis 2 – chronische 12 Toxic-Shock-Syndrom 31
Trichoderma longibrachiatum 39 Tropheryma whippelii 73 Tuberkulose 49 Tumor-Nekrose-Faktor 12
U Urticaria facticia 98 Urtikaria 98 – chronisch rezidivierende 96 Uveitis 42
V Vaskulitis 81 – Begleitglomerulonephritis 16 – leukozytoklastische 80 Verbrauchskoagulopathie 32 Vibrio alginolyticus 31 Volhard-Trias 16
W Waldeyer-Rachenring 4
Z Zähne – pulpentote 56 – retinierte 55 Zahnextraktion 57 Zellen, dendritische 98 Zytokine, proinflammatorische 104