PHAENOMENOLOGICA COLLECTIOS P I ~ B L I $ E
ISO KERN
S O U S LE P A T X O N A G E D E S C E N T R E S
D'ARCHIVES-HUSSEXL
Husserl und Kant ISO KERN
E I N E UNTERSUCHUNG ÜBER
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU KANT
Husserl und Kant i
Chmite de rkdaction de la collection: Pr6sident: H. L. Van Breda (Louvain); Membres : M. Farber (Philadelphia),E. Fink (Fribourg eu Brisgau), J . Hyppolite (Paris), L. Landgrebe (Cologne), M. Merleau-Ponty (Paris)7, P. R i c ~ u r(Par,~).K. H. Volkmann-Schluck (Cologne), J. Wahl (Paris); Secdtaire : J. Taminiaux (Louvain).
U N D ZUM NEUKANTIANISMUS
MARTINUS N I J H O F F / D E N H A A G / 1964
VORWORT ,,Ich merke nur a n , dass es gar nichts Ungewöhnliches sei, s m o h l i m genteinen Gespräche, als i n den Schriften, durch Verglcichung der Gedanken, welche ein Verfasser aber seinen Gegenstand äussert, i h n sogar besser zu verstehen, als er sich selbst uerstand, indem er seinen ßegriff nicht genugsam bestimmte u#d dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht entgegen redete oder auch dachte." Diesen Satz aus Kants „Kritik der reinen V e r n u n f f ' hat Husserl auf die Titelseite seines Exemplars von Kants Hauptwerk geschrieben.
Uber die Beziehungen zwischen Husserls Phänomenologie und der Kantischen und neukantianischen Philosophie ist schon Vieles geschrieben worden. Dabei wurden die verschiedensten Auffassungen geäussert ; man kann sagen, dass hier die ganze Skala möglicher Deutungen durchgang& wurde. Am einen Endc dieser Skala steht Husseri als Antipode Kants und jeglichen Neukantianismus, arn andern Ende der Neukantianer ~ u s s e r l ;und dazwischen liegen nuanciertere Bilder. Offenbar sind die Beziehungen zwischen Husserl einerseits und Kant und den Neukantianern andererseits komplexer Natur; offenbar bestehen hier aber auch innere Beziehungen, scicn sie nun positiver oder ncgativcr Art. Es drängte Husserl selbst danach, sich über sein Verhältnis zur Philosophie Kants klar auszusprechen. Für sein letztes Werk, für die K Y ~ Shatte ~ S , er eine Auseinandersetzung mit Kant geplant.1 Bevor er aber diesen Plan ausführen konnte, erreichte ihn der Tod. Auch mit den beiden bedeutendsten Strömungen desNeukantianisrnus, mit: der Marburger und südwestdeiitschen Schule, wünschte Husserl eine ~onfro&tion. Dazu beauftragte er seinen Schüler Fritz Kaufmann. Diesem Auftrag wurde aber nur teilweise ent1 S.U.
C. 46 ff.
Fritz Kaufmann schreibt in seinem Beitrag zu Edmund Husserlr85g-1959, C. 4 4 : „So war denn eine Kritik der Rickertschen wie der Marburger Philosophie die Aufgabe, die ich mir von Husserl zuerst für meine Dissertation stellen l i e s ~ .Ihre partielle Einlösung wurde viel später gegeben: für Rickert in meiner Geschichtsphilosophie der Gegenwart (1931). für die Marburger Schule in meinem Beitrag zum Cassirer-Band der Liorary of LFving Philosophers ( r ~ q g ) . " 2
ViII
VORWORT
VORWORT
Die vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus geschichtlich und systematiscl~zu untersuchen. Ihr Zweck besteht darin, ein möglichst vollständiges Bild von Husserls Auseinandersetzung mit der Kantischen und neukantianischen Philosophie, von seiner Interpretation und Kritik dieser F'hilosophie und von seiner bewussten und unbewussten Aufnahme Kaiitischer uiid neukantianischer Motive in sein Denien zu geben. Indem sie so das innere Verhältnis von Husserls Philosophie zu Kant und zum Neukantianismus untersucht, hofft sie, einen Beitrag zur Klärung des Sinnes dieser Philosophie 1eis:en zu können. Sie ist also eine Studie über Husserl und nicht ein systematischer Vergleich zwischen Phänomenologie und Kritizismus. Vergleiche werden nur insofern angestellt, als sie für das genannte Ziel notwendig oder nützlich sind. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass in der s y s t em a t is C h en Darstellung von Husserls Verhältnis zum Neukantianismus nur Paul Natorp und Heinrich Rickert berücksichtigt wurden. Diese ,,Beschränkung" hat ihren Grund darin, dass diese beiden Philosophen die einzige Neukantianer sind, die für Husserl grössere Bedeutsamkeit bes ssen. Im historischen Teil der Studie soll diese Behauptung ihrc echtfertigung finden, wobei gleichzeitig auch Nusserls Beziehungcn zu anderen Neukantianern kurz zur Sprache kommen werden. Natorp und Rickert sind andererseits auch nicht „irgtadwclcheJ' Neukantianer, sondem' die prominentesten Vertreter dcr beiden wichtigstcn neukantianischen Schulen, derjenigen Marburgs und Südwestdeutschlands. Sie können daher als Repräsentanten für den ganzen Neukantianismus betrachtet werden. Ein Wort ist noch über das bexützte Material zu sagen. Den folgenden Untersuchungen liegen nicht nur die publizierten Wake, sondern auch der gesamte bisher noch unveröffentlichte Nachlass Husserls zugrunde;l weiter konnte aber auch Einsicht in die erhaltene und in Löwen aufbewahrte Privatbibliothek Husserls genommen werden, die über Husserls Studium der Kant-
n"
Dieser Nachlass befindet sich im Husserl-Archiv (Lewen, Belgien) und ist in Gabelsberger-Stenographiegeschrieben; er umfasst über 40 ooo Seiten. Ungefähr die Hälfte davon wurde bis heute transkribiert. Kopien dieser Transkriptionen liegen in den Husserl-Archiven Köln, Freiburg i. Br., Paris und Philadelphia auf. Vgl. H. L. Van Breda U. R. Boehm, Aus dem Husserl-kvchiv i n Löwm (1953). 1
IX
ischen und neukantianischen Philosophie manche Hinweise zu geben vermag. Die vorliegende Studie stützt sich also auf eine sehr breite Grundlage, was ihr auch die Möglichkeit gab, ein definitiveres Bild von Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus zu zeichnen, als dies die bisherige, grösstenteils nur auf den publizierten Werken Husserls beruhende Literatur zu tun vermochte. Die folgenden Untersuchungen bestehen aus zwei Teilen: aus einem historischen und aus einem systematischen. Das Schwergewicht liegt völlig auf dem systematischen, da dieser Gesichtspunkt einen tiefer dringenden und klareren Einblick in das aufgeworfene Problem ermöglicht. Andererseits konnte aber auf eine historische DarsteUung nicht verzichtet werden, da diese manche Zusammenhänge sichtbar macht, die in einer systematischen verborgen bleiben. Um der Gefahr einer Doppelspurigkeit zu wehren, die dieser zweifache Gesichtspunkt mit sich bringt, begnügt sich der historische Teil hinsichtlich der inhaltlichen Beziehungcn der Phiiosphie Husserls zu derjenigen Kants lind des Neukantianismus mit bIossen Hinweisen. Der dadurch entstandene etwas abstrakte Charakter wird durch die Konkretheit des systematischen Teils aufgewogen. Dieser zweite Teil sieht seinerseits übrigens nicht von der Tatsache ab, dass 1-iusserlsVerhältnis zu Kant und zum Neukantianismus eine sehr bedeutende Entwicklung durchgemacht hat. Er gibt in dieser Hinsicht überall dic notwendigen Präzisionen. Während der historische Teil die Stellung Husserls zu Kant und zum Neukantianismus in einem Zuge behandelt, gibt der systematische eine gesonderte Darstellung. Diese Sonderiing bringt Nachteile mit sich, da die beiden in Frage stehenden Verhältnisse an manchen Punkten eng verknüpft sind. Andererseits war aber doch eine gesonderte Betrachtung von Vorteil, da auf diese Weise Husserls Beziehungen zu den einzelnen Philosophen übersichtlicher dargestellt werden konnten. Es blieb immer noch die Möglichkeit, jeweils auf jene Verknüpfungen hinzuweisen. An dieser Stelle möchte ich auch einige Worte dcs zutiefst empfundenen Dankes aussprechen. Zuerst danke ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. H. L. Van Breda (Löwen), der mit nie nachlassendem Interesse meine Arbeit leitete und reichlich förderte. Besonders sei
X
VORWORT
ihm auch dafür gedankt, dass er mir den von ihm verwalteten
Husserl-Nachlass, sowie alle archivarischen Hilfsmittel, ohne die die vorliegende Arbeit unmöglich gewesen wärc, zu jeder Zeit offen hielt. Zu Dank bin ich auch Herrn Prof. Dr. E. Fink (Freiburg i. Br.) verpflichtet, mit dem ich den Plan meiner Arbeit genau besprechen durfte und dem ich manchen Hinweis verdanke. Den wärmsten Dank möchte ich Herrn R. Boehm (Löwen) ausdrücken. Es ist nicht zuviel, wenn ich sage, dass er sich meiner Dissertatron wie einer eigenen angenommen hat.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Problemstellung V11 - benütztes Material V111 - Aufbau unserer Studie IX
Löwen, Juli 1962.
V1 I
r . Teil: HISTORISCHER UEBERBLICK ÜBER HUSSERLS ZU KANTUND ZUM NEUKANTIANISMUS VERHÄLTNIS I.
I
Kapitel: Von den Studienjahren bis zu den Logischen
;S I . Die Studienjahre
Die Jahre in Berlin 3 - bei Brentano in Wien; Brentanw Verhältnis zu Kant 4
$2.
Die vo~~hänomenoZogische Periode
3 8
Negatives Kantverhältnis in der ersten Hallisclien Zeit 8 - die Philosophie dw Arithmetik 8 - das geplante Werk: Philosophie der etcklidischn G e o r n o t ~ e10 - die Vorlesungen 11 - die philosophischen Autoren, die Husserl hauptsachlich studierte 11
J 3. Die Zeit der ,,Logischen Untersuchungen"
12
Die entscheidenden Jahre von ~89419512 - der Einfluss Natorp auf Husscrls Idee der objektiven Logik 13 - erste 13erülirung mit Rickert 13 - das neukantianische Milieu in Halle: Vaihinger, Erdmann. Riehl 14- die Berufung auf Kant und die Kritik Kants in den Logischen Untersuchungen 14 - positiveres Verhältnis zu Kant auch in den Vorlesungen; zahlreiche Vorlesungen und Ucbungen iiber Kant 16 - Huccerls Kant-Iahtiire 18 2.
Kapitel: Der Durchbruch zur transzendentalen I'hänomenologie (Von den Logischen Untersuchu~genzu den Idee%)
24
J q. Die Periode unmittelbar vor der Entdeckung der phänomenologischen Reduktion Die ph'anomenologixhe Reduktion von 1907 24 - die Vorlesungen der ersten Göttinger Zeit 25 - Descartes, Kant und Natorp in den Fiisf Vmlesungen (1907) 26 - die Rolle Kants und Natorps in Husseris Durchbruch zur transzendentalen Phänomenologie 27
24
XI1
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICBNIS (G)
J 5. Eie Jahre intensiver Auseinandersetzung mit Kant nach der Wendung zur reinen Phämmenologie
$10.
3. Kapitel: Die Periode der genetischen Phänomenologie
34
6. E i e Zeit des ersten Weltkrieges als Zeit von Husserls dtanschaulichem Bündnis mit dem deutschen Idealis34
mus Husserl als Nachfolger Rickerts in Freiburg i. Br. 34 - Fühlnngnrhme mit dem deutschen Idealismus 34 - Die Fichte-Vorträge von isi:(i8 35 - Husserls Kenntnis des Werkes von Fichte und der ardern grossen deutschen Idealisten 36 - die Beschäftigung mit Kant in den Vorlesungen und Kant-Lektüre 38
j 7. Das letzte Jahrzehnt von Husserls akade~nischerLehrtMigkeit Der Einfluss Natorps auf EIusserls Idee der genetischen Phänomenologie 39 - vertieftes Einversthdnis mit Kant vom Standpcnkt d a genetischen Phänomenologie 39 - die Vorlesungen; die wichtige Vorlesung Natur und Geist (~927).die sich ausführlich m:t Kant und Rickert auseinandersetzt 40 -der Aiifsatz Kant und diz Idee der Trans~endsntalphilosophie40 H-isseds Arbeit a n grossen Publikationen nach seiner Emeritierung von 1928 43 - Formate und tvanszendmtale Logik 44 - Cariesianische Meditationen 45 - Krisis 45
Kritik a n Kants Grundproblematik
.
(a) Kant stösst nicht zum radikalen Erkenntnisproblem vor; 1 seine Vernunftkritik enthält „dogmatischeH Voraussetzungen, die der ,,natürlichenv' Weltauffassung entstammen 68: Die Wandlung von I-Iusserls Interpretation des Kantisclien Grundproblcms 68 - erste Interpretation: Wie kann der Mensch a priari Gegenstände, die ausserhalb von ihm an sich sind, erkennen 68 - Kritik dieser Problematik: Kritik der Voraussetzung des .,natürlichen" (psychologischen) Begriffs des Subjekts 69 - Kritik der Voraussetzung eines „natürlichen" und ,,dogmatischenu Begriffs des Objekts 78 - zweite Interpretation des Kantischen Gmndproblems: Welches sind die apriorischen, objektiven und subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution von naturwissenschaftLicher Objektivität in der Subjektivität 80 das Kantische ErkenntnisprobIern als ein ..immanentesns 82 Kants ,.Einklammerung" der Naturwissenschaft 84 ( b ) Die Erkcuntnisprobleinatik Kants ist zu hochstufig; tiefer-
39
j' 5. Hzcsserls Spätwerke
Kant vermengt Noesis und Noema und vernachlässigt ein differenziertes Studium der noetischen Seite des Bewusstseins 65
28
Bzwusste Annäherung Husserls an Kant seit Ende 1907 28 - Vertiefte Auseinandersetzung mit Kant in privatem Studium und in den Vorlesungen 29 - Intensivierung der Beziehungen zu den Neukantianern 31 - Kant in den Ideen I 33
XI11
43.
liegende Probleme müssen vor ihr entwickelt werden 85: Kants Problem der Konstitution der wissenschaftlichen Natur setzt voraus die Konstitutionsproblernatik der Lebenswelt 85 weiter setzt jenes Kantisclie Problem voraus die transzendentale Erarterung der formalen Logik 86 - die Konstitution des iriiieren Zeitbewusstseins als die tiefste Problematik 88
(C) Kants Problematik ist zu eng 88: Kant fehlt eine Kritik der Erkenntnis der geistigen Welt 89 Kants Verengung des Begriffs der Welterfahrung 89 - dritte Interpretätion drs Karitischen Grundprobleins: das Problem dcr universalen ontologischen Urkenntnis der Welt 89
68
I
(d) Karit unterlasst es. seine Transzendentalphilosophie eincr transzendentalen Selbstkritik zu iinterziclien g r
XI. Husserls 2.
Teil: SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG VON HUSSERT~S KANTUND ZUM NEUKANTIANISMUS 51 ABTEILUNG:Husserls Verhältnis zu Kant 53 VERHÄLTNIS ZU
I.
Einleitende Bemerkungen über den Aufbau dieser Abteilung 53
r. Kapitel: Hucserls Kantkritik
55 55
[§ 9. K&ik a n einigen falschen Vorurteilen Kants
I
(n) Kant fehlt der echte Begriff des Apriori (das antiplatonische und formalrationalistische Vorurteil Kants) 55: Eirlos und Apriori 55 - Husserl und das Kantische Apriori als TJnawingigkeit von der Erfahrung 56 - das materiale Apriori Husserls 57 - Kritik an Kants Bestimmung und Relativierung des synthetischen Apriori 58 - Kritik der Kantischen Scheidung von Analytik und Synthetik 61
i
(b) l i a n t trennt zu schroff Sinnlichkeit und Vcrstand 62: Kritik Kants 62 - Sinnlichkeit und Verstand bei Husserl 62 Husserls und Kants Begriff der „reinen Vernunft" 64
\
!
-
Kantkritik wnter dem Gesichtsprtnkt der tra~zszende~lpltiloso~hischen Methode
(U)Kant fehlt der Begriff der phänomenologischen Reduktion 9 2 : die ,,Faktizitat" des transzendentalen Niveaus dcr Ilantischen Vernunftkritik 92 - der Mangel der phänoinenologisclien Keduktion h a t bei Kant eine Verwechslung von IJsychologie und Transzendentalphilosophie zur Folge 94 ( r ) ) Kritik an ICants regressiv-konstruktiver Methode: Kant fehlt eine intuitiv-aufweisende Methode 94: Andeutung eines positiven Gebrauchs der Termini „Regression“ und ..Konstruktion" bei Husscrl 94 - Kritik dcr regressiven Koristruktion als eines unanschaulichen Ihinnens von „erklärcndcnV ,.PrinzipienM 95 - das ..Prinzip aller Prinzipien" 9; - der Sinn von Husserls .,Positivismus" 95 - Husserls „Prinzip aller Prinzipien" und Kants Forderung einer ,,DeduktionH der evidenten synthetischen Sätze a priori 96- Hnsserls Berufung auf die Kantischc Fnrrricl: IZc.&ffc olin(~A t i ~ c l i n i ~nincl i ~ n ~lrrr (18 - tiintlirniatisclii: Konzcptic~iierials IJrs}irunl:von Ilus(irrls Intuitionininus <)g - Huscerls Verbindung von tntuitionisinus und intellektueller Ehrlichkeit I O I - Kritik an Iiants ,,konstruierender Methode"
92
INHALTSVERZEICHNIS
XIV
-
102 - Kants Mangel einer intentionalen Analyse 106 - der Ursprung von Kants konstruierender Nethode im Rationalismus und in der durch das Dogma gebundenen Theologie 106 - die Schuld der empiristischen Psychologie an den ,,Konstruktionen" Kants I W - der Mangel der phänomenologischen Reduktion als letzter Grund für Kants Uebersehen der Möglichkeit einer transzendentalen Erfahrung 108 - das Verhältnis von Intuitionismus uad ,.trauszcndentaler Wcndung" als dcn bcidcn lctztcn I'rinzipien von Husserls transzendentaler Methode 108
reinen formalen Logik I39 - Husserl und Kants Synthetik 140 der zweite, kantianische Aprioribegriff Husserls und seine fundamentaie Bedeutung für Husserls Vernunftkritik und Phänomenologie der Konstitution 142
14. HusserZs Uebemaiame von Kants Idee der "natura for~ ~ z d i t espectata" r ICants naltira /ovmaliler sjieclalu als Ont01ogic dcr Natur und Logik der empirischen Naturwissenschaften 145 - Kants Grundsätze und die konstitutiven Formen: Raum 146 - Zeit 148 - Substantidität 149 - Kausalität 150
Eskurs: Bemerkung über Kants und Husserls Idee der Vernunft I10 (C)
xv
INHALTSVERZEICHNIS
15. Hussed und K m t s Gedanke der transzendentalen De-
Kants Transzendentalphilosophie fehlt die eidetische Methode I I Z
dzlkiion des Apriori
,f 12. Kritik a n Kants „Lösungw seiner Vernunftproblemu-
tik
114
(a) Kritik des Kantischen Psychologismus 114:
Diese Kritik ist gebunden an Husserls frühe Kantinterpretation 114 - Kritik an Kants Rückführung von a priori notwendigen Gesetzen auf einen empirisch-psychologischen Mechanismus 1x4 Kants Verwechslung von objektiver Notwendigkeit und subjektiver Nötigung 115 - die objektive apriorische Notwendigkeit ist nicht auf einen psychologischen Mechanismus zurückführbar 116 - Hiisserl benutzt gegen Kant eine Argumentation, die dieser selbst gegen eire empirisch-psychologische Begründung des Apriori anwendet 11: (b) Kritik des Kantischen Anthropologismus 119: Zusammexhang von Psychologismus und Anthropologismus 119 Husserl ü5ersieht die Einheit von ICants ,,Ding an sich" und ,,inklleclus a~chetypus'' 120 - Hu~serls realistische Interpretation von K a n k „Ding an sich" 120 - Kritik arn „Ding an sich" auf &und dez These von der notweniigen Korrelation von Sein und I3cwussts~in121 - Kritik des ,.Ding an s i c h als des indizierten aber verhfilltsn Substrates der Wahrnehmungsersclieinungen 122 - Kritik des ,„Dingan sich" als d e vinbekairntcn ~ Ursaclhc dcr Erscheinungen 123 - Logische Möglichkeit und sachlicher Widersinn eines „Dinges an sich" ausserhalb unscrcr Erfahrungsgegenstjndlichkeit 123 - Husserls Kritik a n Kantischen „Ding an sich" beruht auf einer Fehlinterpretation 124 - Kritik an Kants „iatelEectw archelypus" 125 - auch Husserls Kritik am „inteRectus nrchetypw" beruht auf einer Fehlinterpretation 127 - Husserls Verneiuung der Möglichkeit einer wesensmässig verschiedenartigen Erkenntnis und Wahrheit 128 - Husserl stellt sich nicht das Problem der Analogie 132 - der Begriff und die Bedingungen des Xöglichen bei Kant und Husserl 132 - der Rationalismus Husserls 134
-
2. Kapitel:
Husserls Verhältnis zu Kants Idee der Logik .f 1.7. Husserls Uebernahme der Karttischen Scheidung zwischen aaalytischem und synthetischem Apriori Kants Scheidung zwischen Analytik und Synthetik als Scheidung zwischen formaler und materialer Ontologie und Logik 135 Husserl u ~ Kants d Begriff des Analytischen 136 - Kants Idee der
I45
Die Vorlesungen Natur und Geist von 1927 151 - der Weg der transzendentalen Deduktion ,.von oben" 152 - Husserls Beschäftigung mit Kants transzendental-logischer Methode im Jahre 1908 154 - der teleologische Charakter von Kants transzendentaler Deduktion (Vorlesungen von ~ g o g l r ound I ~ I O / I I )155 der Weg „von oben" setzt eine phänomenologische Fundamentierung voraus 159 - Husserl spielt Kant als .,Phänomenologen" gegen den Keukantianer Rickert aus 160 - der Weg ,,von unten" der transzendentalen Deduktion als der direktere und bessere Weg IGI - die Methode der Wesensvariation und die Kantische regressive Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen 163 - EIusserls Uebernahme der regressiven Fragestellung Kants 164 - die Möglichkeit der Identifizierung und der objektiven Zeitbestimmung als der leitende Fesichtspnnkt in Husserls regressiver Fragestellung 172 Identität und objektive Zeitbestimmtheit als Transzendenz 172 Gesetz, Objektivität und Wahrheit 172 der Vorzug der transzendental-logischen Methode gegeniiber der Variationsmethode 173 - Husserl und die karitianische Bestimmung der Objektivität als Gesetzlichkeit 174 - Husserls Auffassung der transzendentalen Deduktion als ciricr Methode zur r;ysterriatischcn Fcststelluiig der I'rinzipien der Eraflirong r 75 - Kants Aoffassiing der transzendentalen Deduktion als einer Ausweisung und Begrenzung des Rechts apriorischen Begriffe 177
-
-
3. Kapitel 16. Husserl und Kants Forderung einer Kritik der reinen Vernunjl als der Bedingung der Möglichkeit einer wissenschaftlichen iMetaphysik
135 I35
I5O
Kant und das Ideal der Philosopliic als einer strengen Wissenschaft 179 - Vernunftkritik als Ilc(1ingung der Mögliclikcit eincr solchen Philosophie I 79 - Husscrls Forderung einer phanomenologixhen Vernunftkritik von den Jahren unmittelbar nach den LogHschm Uxtersuchuvqen bis zur Krisis 179 - im Gegensatz zu Kant spricht Husserl nie von einer Kritik der reinen Vernunft 184 - der Sinn der Rechtsfrage, die Husserl an die objektiven logischen und ontologischen Prinzipien stellt 185 - das letzte Zicl von Husserls \rcrnunftkritilc: die Ncubcgründung cincr wisscnsclinftlichen Metaphysik r87 Exkuvs: Bemerkung über Husserls Verhältnis zur Seinsfrage 188
I79
XVI
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
4 Kapitel: Husserl und Kants Rückgang zur transzendentalen Subjektivität 192 g' 17. Husserls Sicht von Kants Weg zur transzendentalen Subjektivität 192
Kants Vernunftkntik als eine transzendentale Bcwusstseinsforschung ansprechen kann 237 - der Zusammenhang zwischen Husserls transzendental-phänomenologischer Reduktion in der Gestalt des Weges über die Ontologie und Kants bzw. Natorps Rückgang zur Subjektivität 278
1
Das transzendentale Niveau von Kants Vkrnunftkritik 192 Kants Rückgang zur Subjektivität als Schiitt vom objektiven zum subjektiven Apriori 193 - die Wichtigkeit von Natorps Kantinterpretation für Husserl 194
J 19. Kaats Begriff des Transzendentalen E. Finks Gegenüberstellung des kntizistischen und phänomenologischen Transzendentalbegriffs 239 - Husserls Unterscheidung von zwei Kantischen Transzendentalbegriffen 240 - Husserls Uebernahme des ersten Kantischen Transzendentalbegriffs 241 Auseinandersetzung mit G. Berger 243 - Husserls Kritik des zweiten Kantischen Transzendentalbegriffs 244
r8. Die Bdeutung von Kants Riickgang zur Subjektivität
/
fiir Husserls Idee der transze@ental-fihänomenologischn Reduktion I94 Die drei Wegtypen von Husserls transzendental-phänomenologischer Reduktion 195: (a) Der Cartesianische Weg 196: Die Grundstruktur des Cartesianischen Weges 196 - der Cartesianische Weg in Husserls philosophischem Werk: Ansätze in den LogiscLn Untersuchungen 197 - in einem Text von 1904 197 der Cartesianische Weg in den Bünf Vorlesungen (1907) 197 - in den ldren 1 199 - in Erste Philosophie (1g23/24) 201 in den Cav.tesiani&en Meditationen 202 - die Mängel des Cartcsianischen Weges : auf dem Cartesianischen Weg erscheint die phänoinenologlsche Reduktion als Verlust (der Welt) und als Rückgang auf ein 'Cebrigbleibendes (das Bewusstsein) 202 - zweiter fundamentaler Mangel des Cartesianischen Weges: auf ihm wird wcdor die Zntersubjeitivität noch die volle Binze1siik)jektivität gewonnen 205 dritter fundamentaler Mangel des Cartesianischen Weges: cr kuinmt nie zu seinem Ziel, nämlich zu einem absoluten Anfang der Philosophie 210 - die Husserlschen Termini ..ltnmanenz" und „Tran~cndcnz"212
213 - cer psychologisclic Weg in Husserls Wcrk: i ~ Xrsle i PliilosupkHe (1.>23/24)214 - i n Krisis 215 -der Mangel dieses Weges: auf ihtn erscheint das reine Bewusstsein als eine .,Abstraktionu, n1.a.W.. der Weg über die Psychologie führt als solcher gar nicht über die Psychologie hinaus 216
Dct Weg über die Ontologie 218: Die C-rundstruktur und die m6glichen Abwandlungen dieses Wegcs 2x8 - die Geschichte dieses Weges in der philosophischen Entwicklung Husserls: die Logischen Untersuchungen 221 - Sexte von 1904 und 1906107 221 die Fünf Vovlesungen (1907) 221 -andere Texte aus der Zeit um 1907 23 - die wichtigen Vorlesungen im Winter 191ol1I 224 - die Ideen I 226 - die Einleitungsvorlesun~n von ~ q r n / a o227 - der Aufsatz Kanl und die Idee der Transzendcnfalphihsophie 227 - Formale und transzendentale Logik 227 - die Krisis zzg - die Vorzüge des Weges über die Ontologie gegenüber den anderen Wegen 233 - der Sinn der transzendental-phänomenologischen Reduktion, wie er sich auf dem Weg über die Ontologie ergibt, ist der von Husserl mit dieser Methode letztlich inter-dierte 235 - der Weg über die Ontologie und das Ideal der Philosophie als einer strengen Wissenschaft 237 - nur vom Weg über die Ontologie her kann verstanden werden, warum Husserl (C)
-
239
5 - Kapitel: Husserl und Kants Lehre von der „die Natur formenden Subjektivität" 246 JF 20. Kants Erfassung der Wesensstrukturen der Subjektivität 246 Kants Auffassung des Bewusstseins als eines Flusses 246 - Kants Bestimmung der F~~ndamentalstrukturdes Bewusstseins als Zeitlichkeit 246 - Kants Lehre von der Synthesis erfasst die Eigenart intentionaler Zusammenhänge 247 - Synthesis und Konstitution 248
-
(b) Dsr Weg über die ititentionsle Psychologie 2x3: Die Grundstrulrtur dcs Wcgcs iilier die intr?ritianalo I-'nyclrologiii
XVII
21.
Kanls U.~terscheidungvon transzendentaler Aesthetik und t~anszendentalerAnalytik Kants IJnterscheidring zwischen transzendentaler Aesthctik und transmndentder Analytik als Unterscheidung der Phantottiund R 4 t T t s s t u f e in der Dingkonstitution 250 - Kants transzcndcntaler Aesthetik fehlt die Syntliesis 251 - die Fragwiirdigkcit von Husscrls Interpretation 253 clic drei Rcdcutungen des Kantischen Terminus ..transzendcntalc Aesthetik" bei Husserl: I . trarisecndentale Acsthetik als Kon~titritiniis~irt~111~-~natik des l'lrantonis 253 - 2. tr~~nszcnclentnle A c ' R ~ ~ als I c ~Konstitiitions~~c problematik der sinnlich-anschaulichen Welt (Lebenswelt) 254 3. transzendentale Aesthetik als Problematik der primordialcn Konstitution 256
250
-
Q' 22. Kants „Sy?athesk" als genetische Konstitution der Natu?
257
Tnterprctation der Kantisclicn Synthesis als procliiktive Konstitution des Erfalirungsdinges 257 -. Ablelinung dicscr I'roduktivitiit vom Standpunkt der s t a t i s c h e n Phänomenologie 257 -l3cjaliung dieser Produktivität vom Standpunkt der g e n e t i s c h e n Phänomenologie 259
J 23. ,,Syn.t1~csis''und Vcrstantl: Interpretation der Kantischen .,Synthesis" als Leistung des Verstandes 261 - Kants Lehre vom doppelt fungierenden Verstand: vom begrifflich-wissenschaftlichen Verstand und vom Verstand, der verborgen fungierend das sinnlich anschauliche Ding konstituiert 261 - Husserl übersieht die Unanschaulichkeit des Kantischen Verstandes 262 - Husserl unterstreicht die Rolle der Anschauung in Kants Konzeption der Erkenntnis 263 - Kants Lehre vom doppelt fungierenden Verstand als eine blosse Vorentdeckung,
261
XVIII
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS die es zu einer wirklichen Entdeckung umzugestalten gilt 264 - die &dcrtung dicser Kantischen Lehre für die Genealogie der begnfflic'xen Erkenntnis 265
Q 24. ,,Sy7zihesi~'' und Empfindung
269
7. Kapitel: $28. Die SteUwtg Kants i n der teleologischen Entwicklung der Philosophiegeschichte
Husserls Auffassung der Philosophiegeschichte 304 - Husserls Interpretationsweise der geschichtlichen Philosophien 305 - Geschichte der Philosophie und Philosophie 305 - Skizze von Husserls Sicht der Philosophiegeschichte 307: der Urspmng der euro~äischenIdee der Philosophie bei Platon 307 - der Urspmng der europäischen Idee der Kultur bei Sokrates 308 - das Ungenügen Platons und der Abfall dcs Aristoteles 308 - die mittelalterliclie Philosophie 309 - Descartes als der Vater der Hauptctrömungen der modernen Philosophiegeschichte: des Transzendentalismus, des Psychologismus und des rationalistischen und physikalistischen Objektivismus 309 - die psychologistischen und skeptischen Fehlentwicklungen des transzendentalen Motivs im englischen Empirismus: Locke 311 - Berkeley 312 - Hume 312 das objektivistische und transzendentale Motiv im Rationalismus: Spinoza 314 - Leibniz 315 - Kants Vernunftkritik als erste systematische Transzendentalphilosophie 315 - der deutsche Idealismus als Vorstufe des phänomenologischen Idealismus 317 der Sieg des objektivistischen Positivismus und die Krisis des europaischen Menschen 317 die methodisch neu begründete Transzendentalphilosophie als die Hoffnung für die Erhaltung des europäischen Menschen 318
Hnsseds Uebernahme des Kantischen Dualismus von „Materien und eub;ek:iver „Formungu in seine Problematik der Konstitutinn vr.o Tnnszendenz 269 - Relativer und absoluter Unterschied zffischx bewusstseinsmässiger Formung und Materie 271 - die Kontingjnz der Materie 273 - Bezugnahme auf eine Erklärung E. F i n k 2 74
%. Kapitel : Husserl und Kants transzendentaler Idealismus 276 25. K a m Kopernikanische Wendung
276
K.uik idealistische Erklärung und' Deutung des Seinssinnes der V:elt 27" - die Gründe von Husserls Idealismus und ihr Verhältn k w den Motiven des Kantischen Idealismus 278 - der zweite G r u d von Husserls Idealismus: die Intentionalität ist eine genetische z:8 - das Ungenügen dieses Grundes 279 - der erste Grund von Husserls Idealismus: das Sein der Welt ist nur Sein für die SabjeLtivität 279 - das Sein der Welt ist Sein durch Erscheinun. gfn 281 - das Sein der Welt hat notwendigerweise einen präsumpt i e a Charakter z8r - die Räumlichkeit als die Wurzel der Idealität d ; Wett: ~ 282 - der transzendentale Idealismus als die Erlösung von 32r Verabsolutierung der Welt 283 - die Verabsolutierung der Vi& als .,Realisierung" einer regulativen Idee 283 diese \'w&;ulutierung ist der vorpliiIosophischen Weltbetrachtung fremt 253 - Beziehungen zu Kant 283 - die 'relative Absolutheit der lxanszendeutalen Subjektivitit 284
1
26. K m M u i i o n
der Natur und ,,transx$ndcntale Apper-
zeptkr-"
Bussorls Lehre vom Ich 286 - Negation des Kantisch-Natorpschen Ich in dcn Logischen Untarsuchungen 286 - Revision dieser i Auffassung in den Ideen 286 der Ichpol 286 - das Ich der Habi! tualitatsn 288 das Kantische Ich der transzendentalen Apperz e p t i als Ich. das eine Welt hat 288 -die Korrelation der Ieh-einheit und die Konstitution eincr einheitlich durchhaltbaren Welt 289 -ans dem Ich der transzendentalen Apperzeption kann keine k t h r n t e Weltontologie deduziert werden 291 - der Einfluss K a n z r n d ev. Fichtes 292
-
286
-
11.
ABTEILUNGHusserls Verhältnis zum Neukantianismus 321
I.
A b s c h n i t t : Husserls Verhältnis zu Paul Natorp
I. Kapitel: ,f 29. Husserl und Natorps Argumentation gegen den Psychologism34s Husserls Widerlegung der Vorurteile des Psychologisnias im 8, Kapitel seiner Pvolegomena zur reinen Logik 321 die Parallelität zwischen Husserls Widerlegung des grundlegenden psychologistischen Vorurteiles und der Argumentation Natorps im Artikel Uebev objektive und subjehliue Begründung der Erkenntnis von I 887 323 - der Einfluss Natorps auf Husserls Abwendung vom „Psychologismus" in den Jahren 1894195 324 - die subjektive ncgriindung der Logik bei Natorp und 1-lusserl (Ueberleitung zum nachsten Kapitel) 324
321
-
J 87. Die F ~ k t i z i t ä der t Weltkonstitution bei Hzrsserl und die .iiögiichbeit der Metaphysik 293 Eie h a ~ s eFaktizität des Ich der transzendentalen Apperzeption 233 - Eie .,MöglichkeitMder Auflösung der Welt in ein Gewühl 233 - Kontingenz des Daseins und Soseins der Welt 296 - der Sinn ,des ,.Aprioriv der Weltexistenz 296 - der entgegengesetzte Standp-mkt des deutschen Idealismus 297 - die transzendentale Sub!ektivität ist nicht der ausreichende Gmnd für das Sein der Wels 297 - die Faktizität der Weltkonstitution als Ansatzpunkt 5 r -ir Metaphysik 298 - Gott als der letzte Grund der Weltkonstiidion in der transzendentalen Subjektivität 299 - Husserls znetaphysische Methode 300 - Kants Postulatenlehre gor
304
-
-
$'
XIX
6%
2.
Kapitel: Husserls Steliung zu Matorps Psychologie Einleitende Bemerkung über Husserls Sicht des Verhältnisses zwischen seiner Phänomenologie und Natorps Psychologie 326
326
$30. Natiirliche und Phänomenologische Einstellung und Naiorps Kontrastierung von objektiver und subjektiver Edenndnisrichtung
327
INHALTSVERZEICWNIS
Natorps Bestimmurig des Fornialobjekts der Psychologie durch die subjektive Erkenntnisrich t u n g oder Erkenntnisd i m e n s i o n 327 -Husserls Auffassung dieser Richtungoder Dimension als transzendentaler 328 der Mangel dcr pliäno~nenologisclienReduktion bei Katorp 329 - Natorps Bestimmung der Psycholcgie als Letzte Philosophie und Husserls Bestimmung der Phänomenologie als Erste Philosophie 330 - eine Analyse dieser gegensatzliclien Bestimmungen Natorps und Husserls enthüllt fundam2ntale Uebereinstimmungen 331 - das Verhältnis von Ontologie und Phanomenologle bei Husserl 332 - die verbleibenden Gegensätze zwischen Natorp und Hnsserl: I . nach Natorp hat die Psychologie lici (Ion liilclisten Objol
konstruktiv-schliessende Methode der Psychologie Natorps 366 - Husserls Kritik der Methode Natorps 367 - das intuitive Vorgehen Husserls 369 - die konstruktiven Elemente in Hiisserls statischer Pliänorrienologie 370 - der konstruktive Cliaraktcr von Husserls genetischer Phänomenologie 370 - Husserls Verwendung des Natorpschen Begriffs der Rekonstruktion fiir die Erforschung der Urkonstitution des Ego 371
-
$ 31. Die genetische Problematik der Psychologie Nator+s Natorps Scheidung von statischer PhLnomenologie und dynamischer Paychologie der Stufenfolge dcr Erlebniseinheiten 339 Husse~ls„genetische" Problematik vor 1918 345 - die „genetische" Pxoblematik der Konstitution des irrimanenten Zeitbewusstseins 348 -. die Ueberzeitlichkeit des zeitkonstituierenden Bewusstseins und Natorps Bcstimmung dcs Verhältnisses von Bewusstsein und Zeit 349 - Husserls Sclieidung von statischer und gecetischer Phänomenologie, b a ~ von , s t a t i d i c r und genetischer Konstitution seit der Zeit kurz vor rgro 350 - weitgeliende Parallelen zwischen I-Tussorls lind Natorps Cnterschciduiig und Bestimmung von statischer und dynamischer (oder genetischer) Phiinomenologie, bzw, f'sychologie 353 -- der Einfluss Natorps auf Husserls Konzeption einer genetischen Phänomenologje 3.55
32. Kritik a n Natorps 13egriff der Subjehtivitat Natorps Ahlchnuiig der Untersclieid~in~ von Uewusstseinsiiilialt und Dewusstseinsakt 356 - Natorps Auffassung von der Verb i n d i i 2 g der Wewusstseinsinhalte als des einzig fassbaren Ausdruckes der Bewusstheit 357 - Husscrl vermisst bei Natorp eine Unterscheidung von Noema, Noesis und Empfindung 357 Natorps Verkennung ciricr bcsondereii Noetik (im engen Sinn) 357 - Husserls tatsächlich geübte Ibwusstseinsiorschung entspricht weitgehend dcr Position Netorps; dcr konstruktive Charakter von Husserls Noetik 359 - der Einfluss Natorps auf Husserls Einbeziehung des Noemas in die Phänonienologie 361 - Katorps Einfluss auf Husserls Lehre vom Ichpol 361 - Kritik an Natorps These von der intuitiven Unerfassbarkeit des Ich und der Ichbeziehung 363 - intuitive Tinerfassharkeit des ursprüngiichsten Ich bei Husserl 3G4 1
,f 33. Kritik a n Natorps psychologischer Mlthode Divergmzen zwischen Natorps und Husserls Bestimmung der Methode der Psychologie, bzw. Phänomenologie 366 - die re-
XXI
2.
A b s c h n i t t : Husserls Verhältnis zu Heinrich Rickert Einleitende Bemerkungen 374
I.
374
Kapitel: Husserls Kritik an Kickerts iirkenntnistlieorie 376 Einleitende Bemerkungen 376
,f 34. Kritik a n Rickerts Voraussetzungen in der Stellung des
Problems des Gegenstandes der Erkenntnis Rickerts Bestimmung der Aufgabe der Erkenntnistheorie 377 - Husserk Kritik an den von Rickert geforderten Voraussctznngen der Erkenntnistheorie: die I~:rken~itnistIieoriehat nicht eine wirkliche Erkenntnis. sondern nur die Idee der Erkenntnis vorausznsetzen 378 - die Erkenntnistheorie hat die Idee (die Möglichkeit) der Erkenntnis nur implizite vorauszusetzen: sie darf keine vorgegebene Idee der Erkenntnis oder Wahrheit unbesehen übernehmen 378 - Husserls Fehlinterpretation der Voraussetzungen der Rickertschen Erkenntnistheorie 380 - Rickerts Ahlelinung des-reinen Inimanenzstandpunktes und Husserls Forderung einer rein immanenten Erkenntnistheorie 381 - Husssrls Ablehnung des ,,reellen" Irnmanenzstandpunktcc 383 - gewisse, aber von Husserl nicht erkannte Uebereinstimmung niit Rickert 383
377
J 35. ICritik a n Rickerts A.uffassrcng des ErRetztztnisproble?ns als eines FormprobEerns Die formale Erkenntnisproblematik Kickerts 384 -- Huscerl missversteht Rickerts Erkenntnisproblem als ein formal-analytisclkes 384 -- ein erweiterter Formbegriff erinfiglicht Husserl die Anerkennung der Rickertschen Problemstellung 385
384
J 36. Kritik mz RlcKcrts Ucsth~~nrwzg dcs trrr~zszcitdr/~lc~ Cc-
gewstandes
386
Rickerts Bestimmung des Erkennens als eincs Bejahens oder STerneinens. das sich auf Grund des Evidenzgefühls nach eineni transxendcnlcri Sollen richtet 386 - Iiickcrts tr:inszciitlrni.zlIogisclic licstinitiiiing des transzcn
.U11
INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
sich die Erkenntnis nach einem transzendenten Solien richtet: das Sollen gehört nicht in die theoretische, sondern in die praktische Sphäre 391 - das ,,Sich-tichten" der Erkenntnis und die Evidenz als Rechtsquelle der Erkenntnis 391 - Kritik an Rickerts Evidenzbegriff 392 - Rickerts Emotionalismus 394
SCHLUSS Versuch der Gewinnung eines Gesamtbildes des Verhältnisses Wusserls zu Kant und zum Neukantianismus 421 - Husserls Philosophieren als Dialog mit Kant und mit dem Neukantianismus 421 - positive h z ü g e 422 - Husserls Originalität 422
z. Kapitel:
J 37. Kritik an Rickerts Methodenkhre Die grossen Linien von Rickerts Wissenschaftstheorie, die auf dem Boden des empirischen Realismus rein formal die Methodenideen der Natur- und Geschichtswissenschaften deduziert 395 - Husserls Wertschätzung der Rickertschen Methodologie als wie des naturalistischen bIethodenmonismus 399 f i r Rickert, so spielt auch für Husserl der Wertbegriff eine wesentliche Rolle in der Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften 400 - bei Husserl ist aber nicht die formale Metiode der Geisteswissenschaft durch die Wertbeziehung bestimmt, sondern ihr Inhalt 401 - die Verschiedenheit in der Auffassung des Verhältnisses von Natur und Geist als Husserls fundamentalstes Kriterium flir die Unterscheidung von Natur- und Geistesaissenschaften 402 - Uebereinstimmung zwischen Husserl und Eückert hinsichtlich der Bestimmung der Verschiedenheit von h-atur- und Geisteswissenschaft durch einen Unterschied der Auffassung 402 - Husserls Kritik an Rickerts formaler Deduktion der natur- und geschichtswis~nschaftlichenMethodenideen 402 - Kritik an Rickerts Resultat dieser Deduktion 403 - Kritik Hickerts Ansatzpunkt dieser Deduktion: Vorwurf des Pragmatismus und des Realismus 404 - Ilucserls Kritik am realistischen Ansatzpunkt der methodologischen Deduktion Rickerts geschieht unter Berufung auf Kant 407 - Hiisserls implizite Ablehnung der Rickertschen Unterscheidung zwischen der ForKungsebene des erkenntnistheoretischen Ich und der Ebrniungsebene des malen Ich 410 - die Para1lclc zwischen Rickerts Unterscheidung von konstitutiven Wirklichkeitsformen und methodoIcgischen Brkenntnisformen und Eusserls Unterscheidung von lebcnsweltiichen Formen und wissenschaftlich idealisierten Formen 410 - diese Parallclc ist aber bei wcitem nicht vollständig: IXskontinuität zwischen den beiden Formarten Rickerts, RonHustinnität zwischen den beiden Formarten Husserls 411 s a l s Mittelstellung zwischen Kant und Rickort 412 - Eventceiier Einfluss Rickerts auf Husserl 412 - Kritik an Rickerts formaler Deduktion der wissenschaftlichen Methodenideen 413 - die wissenschaftlichen Methodenideen können nur durch den Rückgang auf die volle konkrete Erfahrung philosopliisch gewmnen werden 413 Phänomenologie als „Lebensphilosophie" 4x4 - die Strukturen der Lebenswelt als die Grundlage fiir die Erkenntnisziele der positiven Wiss.inschaften 414 - Kritik an Rickerts „Scheindeduktionen" 416 - Rickerts,Naturalismus 417 - erneute Bemfung auf Kants transzendentale Deduktion 417 - Rickerts Verfahren als eine „formalistische Veräusserlichung der Kantischen Gedanken einer transzendentalen Deduktion" 419
-
-
-
395
XXIII 421
Anhang I: Liste von H~sserlsVorlesungen und Uebungen über Kant 425 Anha~zg11: Husserls Studizcm der Kantischen und neuka~ztialtischen Literatur 428
Namenregister
447
I. T E I L
HISTORISCHER ÜBERBLICK O B E R
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU K A N T U N D Z U M NEUKANTIANISMUS
I.
KAPITEL
VON D E N S T U D I E N J A H R E N B I S ZU D E N LOGISCHEN UNTERSUCHUNGEN
( I ~ O O ~ O I )
Die Studienjahre Bereitswährendseiner mathematischen Studien inBerlin (18781884) wurde Husserls Interesse für pliilosophische Probleme geweckt. Dies geschah hauptsächlich im Ausgang von den mathematischen Grundlagenfragen, die von dcn Lehrern Husserls, Weierstrass und Kronecker, in aller Schärfe gestellt, und von letzterem in ihrer philosophischen Bedeutung erörtert wurden, aber auch durch den in Bcrlin wirkenden Professor für PNosophie und Pädagogik Friedrich Paulsen, dessen Vorlesungen Husserl besuchte.1 Paulsen vertrat einen von Spinoza und Schopenhauer beeinflussten idealistischen Monismus. ErC kenntnistheoretisch stützte er sich auf Kant, den er aber in einem physiologisch-psychologischen Sinn umgestaltete und durch Lchten von Fechner und Wundt ergänzte.2 In der Ethik hingegen wandte er sich gegen Kants „forrnalistischcn Apriorismus". 3 Die physioiogisch-psychologischeAuffassung der Kantischcn Vemmftkritik war während Husserls Studienzeit sehr verbreitet. Sie wurde durch einen der ersten Neukantianer, Helmholtz, inauguriert und hauptsächlich durch das 1866 zum ersten Mal erschieneneundzu den einflussreichstenzeitgenössischen Büchern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörende Werk Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bededung in der Gegefiwart weit verbreitet. In den SiebI.
' s. A. D. Osborn, Edtnund Hussetl und Icw Logical Investigations, S . 13.
Co hielt er etwa Raum und Zeit nicht als zum ursprünglichen Bestand der menschlichen Intelligenz gehörig, sondern f ü r erworbene Strukturen der menschlichen Gattung. Ebenso betrachtete er die Denkfunktionen (Kategorien) als der Entwicklung der Menschheit unterworfen. 8 Kusserl, der wohl vor allem durch Paulsens Ethikvorlesungen beeinflusst wurde (s.Osborn, Edmund Husserl . . ., S. 13), hat später selbst diesen Vorwurf des Formalismus an Kant gerichtet.
ziger- und Achtzigerjahren, also während Husserls Studienaufenthalt, lehrte Helmholtz in Berlin. Auch noch ein anderer jener Ersten, die das ,,Zurück zu Kant" ausgerufen hatten, hielt damals in Berlin eine Pr.3fessur inne : Eduard Zeller. Wenn auch EIusserl die Vorlesungen dieser beiden berühmten Neukantianer nicht besuchte , so lebte er doch damals schor- in einem geistigen Milieu, das in zunehmer-dem Masse von Kant - allerdings vorläufig von einem naturwissenschaftlich-positivistisch umgedeuteten - geprägt war. Während in jener Zeit das Interesse und die 3ochschätzung Kants in beschleunigtem Anwachsen begriffen war, darbten die Werke der andern grossen Idealisten noch in völliger Verkennung und Verachtung. Dies war etwas weniger bei Fichte der Fall, E r den z.B. Helmholtz noch grosse Anerkennung aufbrachte. Völlig ablehnend verhielt sich aber der gänzlich experlrnentell-natunvjssenschaftlich ausgerichtete Zeitgeist zu den Werken Scfiellings und Hegels, deren ,,unwissenschaftliche" Naturphilosophie für ikn ein unüberwindlicher Stein des Anstosses war. Nach Huverls eigexn Berichten war sein frihestcd Verhältnis Kant und zum deutschen Idealismus haupisächlicb. von Franz Brentano beeinflusst.1 Brentanos Stellung zu Kant mag auf den ersten Blick sehr verschieden von jener des Berliner Milieus erscheinen. Irn wedntlichen sind aber nur die Vo~zeichen verschieden, Brentanos Kantinterpretation war in weitem Masse durch Lange und Helmhaltz bestimmt. Werfen wir einen Blick auf das Kantverhält~isBrentanos, das für Husserls frühe Zeit von grosser Bedeutung war. Brentano, dessen Vorlesungen Husserl 1884 bis 1886 in Wien hörte, und der diesem nicht nur wesentliche philosophische Impulse vermittelte, sondern ihn auch bewog, die Philosophie zur Lebensaufgabe zu machen, war um die Jahrhundertwende wohl der bedeutendste und zugleich der erbittertste Kantgegner.2 Sein Gesamturteil über Kani wird ersichtlich, wen2 wir die Stelle betrachten, die er ihm in der Phi1osophiegeschic';ite zuweist: 3 I n
ZU
L
S. HusserIs Beitrag zu Ci. Kraus, Franz Brentano,
S. 158'59.
z Das Kantverhältnis Brentanos kommt in folgenden Werken dieses Philosophen
zum Ausdruck: Eie vidr PLcsen. der Philosophie und ihr augenblicklicher Stand, Versuch Cber tiie E r k e f i n t k , V o m D z s e k Gottes. 3 s. Die vier Phasen . . .
t
.
den drei Perioden dieser Geschichte, Antike, Mittelalter und Neuzeit, unterscheidet Brentano je vier Phasen: eine Phase des Aufstieges und der Blüte, eine Phase der Verflachung, die sich in mangelndem wissenschaftlichem Interesse, in sterilen SchulStreitigkeiten und oberflächlichen Populärphilosophien äussert, eine Phase der Skepsis und schliesslich eine Phase des radikalen Verfalls, nämlich das Stadium der masslosen antiskeptischen Reaktion, die zu deren fjberwindung willkürliche Theorien aufstellt und an überschwängliche Erkenntnisvermögen appelliert. Zu diesem Stadium des ,,mystischen ~ b e r s ~ h w a n ~ eoder s " der ,,entfesselten Konstruktionslust" gehören im Altertum die Neupythagoräer und die Neuplatoniker, im Mittelalter die deutsche Mystik, Raymundus Lullus und Cusanus und in der Neuzeit der von Kant eingeleitete deutsche Idealismus. Kant wird also nicht als Überwinder des Dogmatismus und als Begründer einer neuen wissenschaftlichen Philosophie gesehen, sondern als der Ausgangspunkt letzter Dekadenz. Das „Mystische9'in der Philosophie Kants sieht Brentano im Rekurs auf die „synthetischen Urteile a priori". Brentano richtet denn auch seinc Kritik hauptsächlich gegen 'diese UrteiIe und die Funktion, die ihnen Kant in der Wissenschaft zuweist. Er interpretiert sie als Urteile, denen jegliche Evidenz fehlt, d s o als blinde Vorurteile und wirft Kant vor, indem er die \Vissenschaft auf blinde Vonirteile gründen wolle, brcchc cr mit der Forderung der Wissenschaft, keincn Satz, der nicht unmittelbar evident ist, ohne Beweis zuzulassen. Den Gebrauch jener Vorurteile mit dem Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass die Gegenstände der Erfahrungswissenschaften Phänomene (also von unserer Subjektivität bedingt) seien, gehe nicht an. Denn, wenn auch die Phänomene Subjektives an sich haben, so sei doch die Behauptung, dass sie mit unseren Vorurteilen harmonieren, willkürlich. Ja, selbst wenn sie es täten, könnten wir dies nicht einmal wissen, da diesen Urteilen jegliche Evidenz fehlt. In Die vier Phasen der Plziloso$hie fasst Brentano diese Kritik folgendermassen zusammen : ,,Gegenstände, die Phänomene von uns sind, mögen allerdings in ihrer Eigentümlichkeit von unserer Subjektivität irgendwie mitbestimmt sein; dass aber deshalb irgendwelches blinde VorurteiI, das wir hegen, sich in bezug auf ihren Verlauf bewähren werde, ist damit noch keineswegs dargetan.
6
HISTORISCHER Ü B E R B L I C K
Nehmen wir ohne weiteres an, dies sei der Fall, so ist das eine logische Unzulänglichkeit, und es trifft, wenn wir auf dieser Annahme eine Wissenschaft aufbauen wollen, unser Verfahren der V o m r f der alten Skeptiker vop der Willkür der Prinzipien in vollem Mass. Kant indessen wird sich dieser Schwäche seiner Lehre nicht bewusst." l Es scheint, dass sich Brentano überhaupt nicht um Kants transzenderitaleDeduktion undBeweisegekümmert hat, in denen dieser zu zeigen ve~sucht,dass es sich bei den synthetischen Urteilen a priori nicht um „irgendwelcheblinde Vorurteile", sondern um Bedingungen der Möglichkeit von Objektivität und Subjektivität handelt, und sie dadurch rechtfertigt. Syntl~etischeErkenntnisse a priori gibt es nach Brentano keine : Diejenigen Urteile, die für Kant die synthetischen Urtcile a priori ausmachen, sind entweder biinde Vorurteile, also überhaupt keine Erkenntnisse - eine ,,blinde Erkenntnis'' ist eine contradictio in adjectu - oder aber es handelt sich um empirische oder analytische Erkenntnisse. Als analytisch betrachtet Brentano diejenigen Urteile, die ))aus den Begriffen einleuchten (ex twmilzis evident sind~".2 Dabei handelt es sich nicht nur um Urteile, die den Satz vom Widerspruch zum Prinzip haben, sondern auch um solche, die eine „positive Opposition" aussprechen, wie 2.B. : Ein Blaues ist nicht gelb. Reine Geometrie und Arithmetik sind für Brentano im Gegensatz zu Kant analytische Wissenschaften. Ebenso gibt es nach Brentano keine apriorischen Anschauungen und Begriffe. Kicht nur erwiesen die von Kant angeführten Argumente nicht die Apriorität der Raum- und Zeitanschauung, sondern die Raum- und Zeitanschauungen, wie sie von Kant beschrieben würden, kämen beim Menschen nicht einmal vor; vor allem gebe es keine unendlichen Anschauungen. Von den sogenannten reinen ,,Stammesbegriffcn" Kants seien eine Reihe gar nicht Bebgriffe, nämlich die sogenannten ,,Kategorien9'der Qualität und Modalität. Denn sie nennten gar keine dinge. sondern seien „mitbezeichnende Ausdrücke", die nur im Zusammenhang der Rede eine Bedeutungsfunktion haben. Ihren Ursprung hät-en sie in der inneren Erfahrung der Urteilsweisen. Die wirklichen Begriffe unter den Kantischen „Kategorien9' können nach Brentano auf die Erfahrung zurückgeführt werden. 1 2
Die vier Phasen . . ., E. 2012 I . f ow Dasein Go#es. C. 91.
Weiter richtet sich Brentano auch gegen Kants Einschränkung des menschlichen Forschens auf die Phänomene. Wie sehr Brentano Kants Pliänomenbegriff in einem psychologischen Sinn, nämlich als psychische Bilder, interpretiert, zeigen etwa seine Einwände, dass nicht einzusehen sei, wie ein Phänomen seine Ursache in einem andern Phänomen haben könne, da ja die Ursachen des Phänomens das ,,Ding an sich" und die Subjektivität seien,l oder, dass der Naturwissenschaftler sich unmöglich an die Phänornenc halten könne, sondern die Kausalität zwischen die Dinge an sich setzen müsse, denn „die Phänomene fallen nicht und gehen keine Verbindungen ein". 2 nie Bcschrankiing der Erkcnntnissc auf Pliänomenc ist nach Brcntano auch daher unmöglicli, weil „I-'liänomcri" ein korrclativer Begriff sei, der nur Sinn in bezug auf etwas, das das Phänomen hat und selbst nicht wiederum Phänomen ist, habe. ,,M.a.W., phänomenale Wahrheit der äussern besagt die Wahrheit an sich der innern Wahrnehmung. Die Evidenz der innern Wahrnehmung ist unbestreitbar, und sie zeigt, dass die Erkenntnis eines Dinges, wie es an sich ist, möglich und wirklich ist." 3 Auch sei nicht gesagt, dass dadurch, dass die Phänomene von der Subjektivität mitbedingt sind, diese die Dinge an sich nicht getreu wiedergeben. n r i g e n s halte sich Kant selbst nicht an seine von ihm gesetzten Schranken: er schliesse nach dem Gesetz der Kausalität auf die „Dinge an sich", behaupte die Existenz der Subjektivität, die doch kein Phänomen sei, und nehme eine Mehrheit von Wesen mit Bewusstsein an. Genau betrachtet, sei Kant nicht nur Agnostiker in Bezug auf die Dinge an sich, sondern auch totaler Skeptiker für den Bereich der Phänomene. Denn in der Transzendentalen Dialektik erkläre er, dass sowohl die Annahme, die Welt habe eine räumliche und zeitliche Grenze, als auch die gegenteilige Annahme zu Widersprüchen führe, womit nichts anderes gesagt sei, als dass der Satz vom Widerspruch, ohne den keine Wissenschaft möglich ist, für den Bereich der Phänomene keine absolute Geltung habe.4 Schliesslich sei noch eine Einzelkritik erwähnt, die für Husserl Versuch iiber die Erkenntnis, C. 47. V o m Dasein <;olL?s,C. 116. 3 a.a.0. C. I 1 3 l r q ; cf. Versuch diher die Erkenntnis, C. 47 ff. 4 S. A. Kastil, Die Philosoflhie Frana Brentanos, C. 221/22. 1 2
HISTORISCHER ÜBERBLICK
einige Bedeutung haben wird. Nach Brentano verkennt Kant das Urteil, indem er das Wesen des Urteilens in einer besonderen Art von Vorstellen, in einem Vorstellen von Vorstellungen zur Herstellung deren Einheit, erblicke!, Nach Brentano liegen zwar dem Urteil Vorstellungen zugrunde, aber das Urteilen selbst ist ein vom Vorstellen grundverschiedener Akt des Annehmens oder Verwerfens.1 . Dieses sehr negative Verhältnis zu Kant, das auf tiefen Missverständnissen bernht, hat Hnsserl zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn stark bestimmt und in ihm vor allem eincn emotionalen antikantianischen Affekt hervorgerufen. Husserl hat zwar bri Brentano keine Vorlesungen über Kant gehört. Aber im Zusammenhang anderer Vorlesungen und in Nachschriften, die sich Husserl von solchen verschaffte, lernte er d& Brentanosche Kantbild genau kennen.2
3 2.
Die vor~hä~met-to10gische Periode Diese s s t e Zeit von Husserls Philosophieren, die er später selbst i s psychologistisch brandmarken wird, und die durch das Interesse an den psychologischen Ursprüngen der mathematischen und logischen Grundbegriffe gekennzeichnet ist, spiegelt hinsichtlich seines Verhältnisses zu Kant klar die Einflüsse seiner Studienzeit wider. Er beurteilt Kant, getreu seinem Lehrer Brentano, völlig ncgativ und studiert ihn nur sehr wenig. Eingehender setzt er sich mit Lange und Helmholtz auseinander. Seine Kantinterpretation ist wie diejenige dieser Neukantianer und Brentanos physiologisch-psychologisch. Zu diesem Bild kommen wir, wenn wir die Schriften und die erhaltenen Manuskripte Huserls aus jener Zeit durchgehen. Die Philosapibie dcr Arithmetik, das Hauptwerk Husserls in dieser Periode, nimmt mehrmals Bezug auf Kant, und zwar durchwegs in ablehnendem Sinn. So wendet es sich gegen die Kantische These von der „Anschauungsform der Zeit" als der Grundlage des Zahlb-riffs, ohne aber näher auf den Sinn einzugehen, in welchem Kant den grundlegenden Charakter der Zeit hinsichtlich der Arithmetik verstanden haben will. Er glaubt, F. m n t a n o , D+e Lrltre aom richtigen Urteil, C. 32 ff. Im Husserl-Archi-i ( W e n ) befindet sich eine Abschrift eines Teiles der Vorlesung über Metaphysik (frühere Fassung der posthum unter dem Titel V O MDasein Gottes publizierten Vorlesung), Cie ausfiihrlick über Kant spricht. 1 s.
9 Kant mit dem Hinweis zu widerlegen, dass die Zeit nicht in den Inhalt des Zahlbegriffs eingehe, also nicht Gegenstand der Arithmetik sei. Negativ verhält sich Husserl hier auch gegen Kants Doktrin vom Schematismus.l I n einem andern Zusammenhang kommt Husserl auf die für ihn später so wichtige Kantischc Lehre von clcr Synthesis zu sprechen. Er interpretiert diese als einen die objektiven Ganzheiten und Relationen als sein Resultat schöpfenden Prozess und lehnt sie mit der Begründung ab, dass die innere psychologische Erfahrung, auf die es Iiicr allein ankoriiirie, iiiclits von solchcn schöpferischen Prozessen wisse.2 An einer dritten Stelle schliesslich kritisiert Husserl die Kantische Interpretation des Additionszeichens und verwirft damit implizit Kants Auffassung vom synthetischen Charakter der Arithmetik.3 Zeit seines Lebens hat Husserl Kant gegenüber den analytisc&en Charakter der Arithmetik vertreten.4 Recht ausführlich setzt sich Husserl im genannten Werk mit Lange und Helmholtz auseinander. Er unterwirft die Langesche Theorie vom Raume als der Anschauungsgrundlage des ZahlDie Zeit, so fiihrt Husserl in diesem kritischen Ziisarnnienhanrg aus, könnc fiir die iii Frage stehenden Begriffe nur die Iiolle der Vorbedingurig spielen, indeni nämlich die in der Vorstellutig der Vielheit, bzw. Anzahl ge~iiiigteiiTcilvorstcllitngen g l e i c h z e i t i g in unserem Bewusstseiri vorhanden sci~imüssten und sieh s u k z e s s i v e zu dieser Gesamtvotstellung zusammenfügten. Aber weder die Gleichzeitigkeit noch die Sukzession träten irgendwie in den objektiven Inhalt der Zahlvorstellungen ein. ICant begehe auch eiwn Fehler, wenn cr die Zahl als das reine Schema des Begriffs der Qnantität betrachte, wobei cr das Schema eines Begriffes als die Vnrstclluii~von einem allgeineincn Verfahren dcr Einbildungskraft, diesem Begriff sein sinnliches Bild zu verschaffen, definiere. Denn für den Begriff der Quantität könne mit diesem Verfahren nur das Zählen gemeint sein; Zahl und Vorstellung des Zählens seicn aber nicht dasselbe. Weiter seies ,,nicht leicht einzusehen, wie wir a priori von der Kategorie der Zeit aus, vermittelst der Zeitvorstellung zu den einzelnen Zahlbegriffen gelangen sollten; und noch weniger leuchtet die Notwendigkeit ein, die uns bestimmt, rincr konkrctc~iVirllicit ciiic grwinsc tiud stcts dirsrllw Zn111ziiznsclirrii~rn,tlic calw~i, von welcher wir sagen, sie koinnic ihr zu. Die Lehre vom Schrinatisriiiis der reinen Verstandesbegriffe scheint hier, wie auch sonst, den Zweck zu verfehlen, fiir den sie besonders geschaffen wurde" (Philosophie der Arithmetik, C. 31). 2 C. a.a.0. C. 36-43. 3 Das komplexe Zeichen ,,7 5", führt Husserl aus, sei keine blosse Zusammen5 immer nur stellung von 7 und 5, wie es Kant haben wolle, „denn sonst bliebe 7 7 4-5 , und Sätzt! ivic: 7 -I- 5 - 8 -1- 4 9 1- 3 usw. iirld chriiso nudi tfcr Satz 7 5 = 12 wären evidcrit falsch" (a.a.0. S. 205)~soiidcrn dicses Zeichen bedeute die additive Vereinigung von 7 und 5 , d.h. ,,eine Zahl, welche zugleich die Einheiten von 7 und diejenigen von 5 . . . umfasst" (ebenda). Nur so gelte der Satz 7 5 = 12 „und zwar als ein aus den Begriffen 7, 5 und 12 und dem Additionsbegriff als notwendig zu erweisender" (ebenda). 4 s.u. S. 61 f.
+
+
-
+
+
HISTORISCHER ÜBERBLICK
tegriffs und überhaupt der ganzen Arithmetik und Helmholtzens r-ominalistische Auffassung der Zahlen einer eingehenden Kritik.1 Eine analoge Auseinandersetzung mit Kant wie im zweiten r findet sich in GedankenKapitel der PRiloso$hie d ~ Arithmetik gängen aus dem Jahre 1393 in einem kleinen Tagebuch Husserls.2 Es handelt sich um Vorstudien für die im Vonvort des genannten Werkes angekündigte P;lzlosofhie der euklidischen Geometrie. Wohl wegen der tiefgreifenden Änderung seiner Auffassung und der damit verbundenen reuen Problemstellungen hatte Husserl diesen Plan fallen gelassen. In dieser Vorstudie setzt sich Husserl - und zwar wiederum durchaus negativ - mit der Kantischen Lehre über den Ursprung. der geometrischen Vorstellungen auseinander.3 Sowohl die Erörterungen über Kant im zweiten Kapitel der PIziZosoplZie dcv Arithm&dc als auch diejenigen dicscr Vorstudie zur geplanten Plzilosol!hk der euklidischen Geometrie verweisen auf bestimmte Stellen in der Kritik der reinen Verfiunft 4 und setzen eine gewisse direkte Kantlektüre voraus. Allerdings handelt es sich nur um einzelne Stellen, die die Methode der Mathematik (aus der Methodsnleh~e)odcr den Begriff des Schemas betreffen. Von den kleineren Au2sätzen und Besprechungen Husserls, dic 5is 1894 erschienen sinC und hauptsächlich formallogische Probleme erörtern, enthaltun nur die Psychologischen Studien zur dementaren Logik einc ffussemng über Kant, und zwar zum rrstenmal ein? positive. Hrisserl glaubt seine Einteilung der Vor~tellungenin Repräserta~ionenund Anschauungen durch die Philosophie dm Ardkmetik, 5 . 32-44 U. 190-196. Dieses Tagebuch befindet sieh i m Husserl-Archiv unter der Signatur X X 3. 3 E r stellt fest, dass nach der Redeweiss Kants die These von der Konstruktion der gzometrischenBegriffe als dem Fundament der Geometrie mehrere Interpretationen erfahren könne. E s sei die Frage, oh nach Kant das V e r f a h r e n d e r I
I1
Kantische Gegenüberstellung von unmittelbaren Vorstellungen (Anschauungen)und mittelbaren Vorstellungen (begrifflichenund bildlichen Vorstellungen) bestätigt.1 Es handelt sich hier um eine allgemeine Paralielisierung, die keinen Schluss auf eine wesentliche anderung des Kantverhältnisses Husserls erlaubt. Dasselbe negative Verhältnis wie die Schriften Husserls bezeugen auch die Vorlesungen jener Zeit. Im Gegensatz zur Periode unmittelbar vor und nach den Logischen Untersuchungen hat HusserI damals weder Seminarien noch spezielle Vorlesungen über Kant gehaIten.2 Nur innerhalb anderer Vorlesungen hat Husserl über Kant gesprochen ;so in einem Vorlesungszusammenhang über philosophische Probleme der Mathematik aus dem ersten Jahre seiner Lehrtätigkeit (1887).3 Diese Ausführungen zeigen aufs deutlichste die äusserst negative und auf sehr mangellinftcn Kcniitnisseii bcriil~cricieI-Inltiing gcgcnübcr I<mt und lassen auch den Geist Brentanos klar spüren. Kants lnterprct at 'ion der Mathematik als s y n t h e t i s c l i e r Urteile a priori wird als die eigentliche Grundlage seiner Philosophie bezeichnet ; „und so sehr ist dies bei Kant der Fall, dass der ganze Bau der kritischen Philosophie zusammenstürzte, wenn clicsc (hmlpfeiler ihm entzogen werdcn." 4 Die Kantische Subjektivität interpretiert Husserl in einem rein physiologisch-psychologischen Sinn und stellt die Philosophie Kants als vollständigen Skeptizismus hin.Wiesdbe psychologistische Kantinterpretation findet sich auch noch in einer Vorlesung von 1895.6 Die Autoren, mit denen sich Husserl in der ersten Periode seines philosophischen Schaffens hauptsächlich auseinandersetzte, waren einerseits Psychologen - zu nennen sind hier Brentano als Autor des Werkes Psychologie vom em$irischen Standpunkt (1874) und Carl Stumpf, bei dem sich Husserl 1887 mit der Schrift Ober den Begriff der Zahl habilitierte, weiter aber auch der berühmte IVuiiclt i i i i t l J m i c i -- ;iiidrrscits tliv c~iiglisclic~ii lCinpiristcii I-ocIi(~, Berkeley, Hunic, Jamcs hlill und vor allcrn Jolin Stuart Mill. Aul diese war Husserl durch Franz Brentano, der in persönlicher Be-
*
Psychologische Slztdicn . . . , C. 176. Anhanfi I. Als. orig. (Originalmanuskript) I< I 28, C. 16b-zra (1887). 4 a.a.0. S. 16b. S.U. C. 72/73. 6 Ms. orig. K 1 2 5 , C. lob ff. (1895) S.U.
ziehung zu John Stuart Mill stand und sich eingehend mit den englischen Empiristen beschäftigte, hingewiesen worden. Weiter sind hier anzuführen der Psychologist Sigwart, abvr auch die Vertreter der objektiven Logik und der p1atonisch;n Wesenslehre Leibniz, Lotze und Herbart, die aber erst in den folgenden Jahren für Husserl wirklich bedeutsam wurden. Die grossen deutschen Idealisten, und darunter eigentlich auch Kant, scheinen damals für Husserls philosophisches Bewusstsein bloss als chlechter Ruf zu existieren. Und doch verrät Husserl in einem B ief an Rickert aus dem Jahre 1915, dass seine Seele schon in sernen naturalistischen Anfangen mit einer geheimen Sehnsucht nach dem alten romantisclien Land des deutschen Idealismus erfüllt wurde und zwar durch die Lektüre der historischen Werke \vindelbands.l In jener ersten, wie sich Husserl ausdrückt, naturalistischen Periode seines Lebens waren seine philosophischen Positionen noch nicht in jene geistigen Sphären vorgedrungen, die seinem „idealistischen" Genius entsprachen; doch fühlte er sich bereits im Geheimen von ihnen angezogen.
1
$ 3 . Die Zeit der „Logische.n Untersuchungen" Die Jahre 18g4 und 1895 bedeutcn für I-IusserLs philosophische Entwicklung eine entscheidende Wende. In ihnen hat sich Husserl von seinen früheren Positionen, die er daraufhin als „psychologistisch" verurteilte, abgewandt und diejenigen Gctlanken ausgebildet, die er in den Logischen Untersuchuqen, deren erster Band bereits 1896 im wesentlichen vollendet war, der OffentIichkeit vorlegte. Allerdings gilt auch von diesem I3ruch im Denken Husserls, was bei allen denkerischen Wendungen im Leben von Philosophen festgestellt wird, nLmlicli dies, dass soichc Wendungen weder ein absolutes Endc noch einen absoluten Anfang bedeuten, sondern dass in ihnen alte Gedanken in neue Dimensionen geführt werden, in denen sie dann allerdings in einemneuen Licht erscheinen. So bestehen denn enge Verbindungen zwischen dem zweiten Band der Logischen Untersuchungen und der Philosophie der Arithmetik; manche Untersuchungen jenes Werkes gehen im wesentlichen auf die „naturalistische" Epoche zurück, in der sie aber einen andem Sinn besassen. 1 s. den Brief Husserls an Rickert vom 20. Dezember 19x5 (Kopie des Briefes im Husserl-Archiv).
In derselben entscheidenden Zeit der Jahre 1894 und 1895 beginnt sich nun aber auch Husserls Verhältnis zu Kant und teilweise auch dasjenige zum Neukantianismus zu ändern. Seit spätestens 1894 steht Husserl in ~ & r e s ~ o n d e nmit z Paul Natorp.1 Dessen grundlegender Artikel Uber objektive und subjektive Begründung der Erkenntnis (1887) war für Husserls Abkehr vom früheren, psychologistischen Standpunkt, aber ebenso für die Richtung seines neuen Denkens von allergrösster Bedeutung und wohl viel wichtiger als Freges Kritik der Philosophie der Arithmetik, die in der bisherigen Literatur über Husserl für das entscheidende Motiv für dessen Wendung in jenen Jahren gehalten wurde. Natops Hauptargument gegen den logischen Psychologismus, das diese11 als p.~.r&ßaot
r
HISTOKISCHER ÜBERBLICK
/
In Halle hiel- von 1884-1906 Hans Vaihinger, der Autor des grossen Kantkommentars und der Begründer des kritizistisclien Fiktionalismus, einen Lehrstuhl inne. Ebenso lehrte gleichzeitig mit Husserl an derselben Universität von 1890-1899 der bekannte Kantforscher Benno E r h a n n , dessen eigene philosophische Positionen stark von Helmholtz bestimmt waren; der Kritik seines Anthropologismus widmet Husserl in seinen Prolegomena einen ganzen Paragraphen ($40).Wie Helmholtz, Lange und Vailinger sah auch Erdmann Kant hauptsächlich als Antirnetaphysiker. Diese Interpretation lies Husserl, dessen innerste Absichtcn immcr auf ilic 'Metaphysik ausgingen, die Kantisclic Philosophie nicht a~zieher-derscheinen. Noch ein dritter berühmter Kantinterpret und Neukantianer war während drei Jahren (1898-1301) Hurserls Kollege in Halle: Alois Riehl. Mit ihm ist Husserl in engem persSnlichem und philosophischem Kontakt gestandun und erfuhr von ihm auch kräftigste moralische Unterdützung für die Veröffentlichung der Logischen U4tterszlchungen, die er nur nach starkem Zögern dem Druck übergab.' &eh1 vertrat einen kritizistischen Reiismus und hielt gegenüber1den grossen neukantianischsrt S c h u h Marburgs und Südwestdeutschlands an einer realistischen Deutuag der Kantischcn Lehre vom ,,Ding an cich" fest. Diese Deulung ist auch immer diejenige Husserls geblieben. Andererseits war dessen Polemik gegen die sogenannten ,,Bilder-" und ,ZeichentheorienW,die die sinnlichen Wahrnebmungm als Indizes fiir bewusstseins-transzendente Dinge an sich betrachten, hanptsachlich gegen diesen Realismus Richls abgezielt Wir sehen, dass Husseri in Halle in einem geistigen Milieu lebte, das sehr stark vom Neukantianismus geprägt war. Der Neukantianismus war am Ende des 19.Jahrhunderts schon weit über seine frühester- pliysiologisch-psychologischen Formen hinausgeschritten und stellte in Deutschland die beherrschende philosophische Strömung dar.
.
Was Husserls Verhältnis zu Kant selbst anbelangt, so können wir einmal deutlich in den Logischen Unterswhungen feststellen, Uber seine Bezie3uogen zu Riehl spricht sich Husserlin seinen Briefen aus jener Seit an seinen Freund G. Albrecht aus; s. vor allem i e n ~ A e fvom ~ ~ - 1 r - 1 8 g g :Kopie diesg Briebechseh im Husserl-Archiv). Es sind sechs Briefe Riehls an Husserl {aus der Zeit zwischen 1891 und 1906) erhalten. 1
15
dass in jenen Jahren auch dieses Verhältnis viel positiver wurde. In der Einleitung zu den Prolegomena nennt llusserl dic von ihm vertretene Idee der reinen Logik unter Berufung auf „Kant und die übrigen Vertreter eincr ,formalen' oder ,reinen' Logik". 1 Dementsprechend knüpft Husserl innerhalb des Werkes, um seine Idee der reinen Logik zu exponieren, „an grosse Denker der Vergangcnlicii u n d zuniiclist :in 1
S. X I X
und bestimme.1 Weiter wird von Kants Idealismus gesagt, dass auch er unter ein Genus des Psychologismus gehöre, wobei aber gleichzeitigberichtigt wird, „dass Kants Erkenntnistheorie Seiten hat, die über diesen Psycliologismus der Seelenvermögen hinausstreben und in der Tat auch hinausreichen". 2 Im gleichen Sinne richtet sich Husserl im § 58 der Prolegomena gegen Kants ,,mythische" Begriffe von Verstand und Vernunft.3 Auch wird Kant vorgeworfen, dass er die Gesamtsphäre der Akte, in denen sich dzs logische Denken vollzieht, nicht einer aufklärenden Analyse unterziehe, scndern gleich auf die „RettungH der Mathematik, Naturwissenschaften und Metaphysik ausgehe und dadurch in e h e mit metaphysischen Voraussetzungen belastete Erkenntnistheorie gerate.4 Wegen dieses Mangels an Analysen verkenne Kant auch die wichtigsten Gegensätze, die in der GegenüberstAlung von Anschauen und Denken eine Rolle spielen, so den Gsgensatz von Signifikation und Intuition, was ihn verhindere, die kategoriale Anschauung zu erfassen; weiter verkenne er dcn Unterschied von Begriff als allgemeiner Wortbedeutung und Begriff als Gegenstand der 1dcation.s Auch an dieser Kritik, die so viel tiefer und treffender ist als diejenige der 2rühen Jahre, ist ersichtlich, wie sehr sich das Kantverhältnis liusserls geändert bat. Dasselbe können wir bemerken, wenn wir einen Blick auf das Verzeichnis der Vorlesungen Hus.serls aus jener Zeit werfen.6 Während er bis 1896 keine speziellen Vorlesungen oder Seminürien über Kant durchführte, hielt er zwischen dem Wintersemester 1897198 und demjenigen von xgno nicht weniger als je zwei Ubungen über Kants Prolegomena und die Kritik der reinen Verwmft und zwei Vorlesungen über K m t und die nachkantische PkiZcsq5hie und eine Vorlesung ausschliesslich über Kants Philosophie ab. Was die Übungen anbelangt, ist es zwar höchst unwahrscheinlich, dass Husserl in ihnen tiefer in dic Kantischen Texte eingedrungen ist. Darauf weist schon die Ankündigung der C-bringen hin : Philoso$hische Ubzlngen i m Anschluss an
C
Kants. . . Nach den Berichten von Schülern hat Husserl überhaupt nie in den Seminanen irgendwelche Texte vom rein historischen Gesichtspunkt aus studiert. So schreibt H. Plessner in seinem Aufsatz Bei Husscrt in CO'ltinpz iibcr IJiisscrls Scrninarbetrieb: „Interpretiert wurde nicht, man bewegte sich quer zum Text und nahm irgendetwas zum puren Anlass selbständiger Besinnung." 1 Mag diese Art des Vergehens in Husserls früherer Zeit auch noch nicht so ausgeprägt gewesen sein, so hat er doch diesen Stil im wesentlichen immer geübt. Von Hussc~lsVorlesungen über K m t aus jener letzten Hallischen Periode ist uns nur ein Fragment erhalten. Es handelt sich wohl um ein Schlussstück, das nicht die Theorien Kants exponiert, sondern nur kritische Bemerkungen enthält. Die Manuskripte für die übrigen Vorlesungen hat Husserl entweder vernichtet oder - was wahrscheinlicher ist - sie haben überliaupt nie bestanden. Plessner bemerkt im erwähnten Aufsatz, dass Husserl in seiner grossen Vorlesung über Geschichte der Philosophie dem Ueberweg-Heime folgte.2 Dies dürfte auch für unsere Vorlesungen zutreffen, so dass Husserl nur für ihm eigene kritische ErBrterungen ein besonderes Manuskript verfasste. In diesem erwahnten Fragment, das Husserlmit der Bemerkung ,,Vorlage für die älteren {ersten) Kantvorlesungen" überschrieben hat3, kommt dasselbe Kantverhältnis zum Ausdriick wie in den Logischen Untersuchungen.Seine Kritik schljesst Husserl mit den Sätzen: „Damit ist aber Kants Erkenntniskritik nicht etwa ein abgetanes Werk. Im gewaltigen Ringen um die Lösung des Erkenntnisproblems hat Kant so tiefe Blicke getan wie keiner vor ihm. Die Grösse seiner philosophischen Persönlichkeit zeigt sich in jeder Zeile, die er geschrieben, und die Versenkung in seine grossartigcn - unklaren, und doch tiefen und gedankenschweren Untersuchungen wird noch nach Jahrhunderten ihren Reiz üben und bedeutsamste Anregungen vermitteln. Selbst hinter seinen verfehlten Theorien stehen wichtige und meist noch niclit ausi n Edm~na!Husserlr859-1959, S. 34. a.a.0. 5. 33/34. 8 Das Fragment ist veröffentlicht i n Ha V11 als Beilage XV. Der Herausgeber, R. Boehm, datiert es i n die früheste Göttinger Zeit (ungefähr 1903). Unseres Erachtens besteht aber kein Anlass, HusserIs eigenen Angaben zu misstrauen; der fragliche Text kann, abgmhenvon einigen Ergänzungen, ohne weiteres zur Zeit der Log. Unters. entstanden sein. 1
Log. U n h s . ;, I. Aufl., S. 8. 2 a.a.0. S. 93 c. ebenda Anm. 3. J a.a.0. S. 214. 4 Log. Unters. 11, I. Aufl., $ 66. 6 ebenda. 6 s. Anhang I. 1
2
gemünzte und fruchtbar gemachte Gedanken, Gedanken, die freilich nicht zutageliegen, die keinen eindeutigen und Maren Ausdruck finden oder durch Vermengung mit irrigen, aus der Seitphilosophiestam~~lenden Gedanker-vielfältig getrübt und verzerrt erscheinen, so dass man sie mehr hinter den Worten fühlt m d ahnt als wirklich sieht. Das systematische Gefüge der Kantlschen Gedankenwelt muss erst völlig gebrochen und durch das Scheidewasser scharfer Kritik völlig zersetzt werden, ehe man Kant in rechter Weise nützen und für Fortschritte der Wissenschaft fruchtbar machen kann." 1 Die Kantkritik dzeses Fragmentes ist dieselbe wie diejenige der Logischen Untersuchungen.Wiederum wirft Husserl Kant vor, die hliglichkeit einer Anschauung des Allgemeinen nicht gesehen zu haben, also den Anxhauungsbegriff zu eng zu fassen. Diesen Vorwurf verbindet er mit einer Kritik von Kants Interpretation der Kumeschen „IdeenrelationenJ' als a n a l y t i s c h e n Relationen. Die genannte Fehliaterpretation habe ihn den cinsichtig-rationalen Charakter der synthetischen Urteile a priori, die von Humes \ ,,Ideenrelationen" umfasst würden, verkennen lassen und ihn \ dazu geführt, jene psychologisch-anthropologischzu begründen. I Dic Folge davon sei ein extremer Skeptizismus. Auch der Vorwurf des Mangels einer systematischen Erkenntnisanalyse wird erhoben. Husserl interpretiert hier Kant noch stark in einem psychologischen Sinn; aber wie in der, Logischen Untersuchungen gibt cr auch hicr scinrr Mcitiung Aiisclriick, (lass dic Kantischc h l i r e nicht einfach in einem Psycliol~gisniusaufgchc.2 Die Tatsache dieser Übungen und Vorlesungen, sowie die Tatsache des neuen Urtcds über Kant weist darauf hin, dass Husserl in der Zeit unmittelbar vor den Logischen Untersuchungen sich cingehender mit ICant beschäftigt und sich auch mit der Lektüre seiner Werke abgsgcbcn hat. I h i gcnüurrcn Uinli~iig rlicscr Kantlek.türe festzustellen, ist aber sehr schwierig. Die Manuskripte dieser Zeit geben darüber nur wenig Aufschluss. AUS diesen kann etwa ermittelt werden, dass Husserl damals Kants Logik (herausgegeben von G. B. Jäsche), sowie Kants Ausführungen über allgemeine und transzendentale und reine und angewandte Logik zu Beginn der Transzendentalen Logik der 1
2
Ha VII, Beil. XV, S. 356 (wohl 1897198). a.a.0. F. 354155 (wohl 18971'98).
Kritik der reinen Vernunft studiert hat, und zwar die Logik vor der betreffenden Stelle der Kritik der reinen Vernunft.1 Die sich in der Privatbibliothek Husserls befindlichen Werke Kants 2 vermögen auch nichts Sicheres anzugeben. Von Kant besass Husserl zwei Gesamtausgaben: diejenige von G. Hartenstein (von 1867/68) und diejenige von E. Cassirer (1912-1922). Die letztere hat er wohl überhaupt nie benutzt. Husserls Exemplar der Hartenstein-Ausgabe enthält manche Anstreichungen und Bemerkungen und beweist, dass Husserl die meisten Schriften Kants aus persönlicher Lektüre gekannt hat.3 Allerdings ein wiederholtes und vertieftes Studium hat er nur der Kritik der reinen Vernunft - und dieser vor allem - den Prolegomena und in geringerem Masse der Kritik der #waktischen Vernunft und der GrzcndEegmg der Metaphysik der ~ i t t e ngewidmet. ~ ü diese r Werke besass Husserl auch noch Einzelausgaben.4 Für Husserls Studium der Kritik der reinen Vernunft, der er, wie gesagt, weitaus niclir Intercssc entg~genbrachtcals dcn beiden andern Kritiken und überhaupt den sonstigen Werken Kants, kann aus seinen Exemplaren dieses Werkes entnommen u r d e n , dass er das ganze Werk gelesen, aber auch, welche Teile er besonders intensiv studiert hat.6 Husserl hat nicht nur seine eigenen phänomenologischen Probleme immer schreibend durchdacht, sondern auch während der Lektüre den Bleistift immer zur Hand gehabt und ihn für Anstreickiingen und Annotationen hätifig hcniitzt, so dass sich voii tlrn Wr~kclitlrr gliickliclicrwrisc crtialtcnc~iPrivalbibliotlick I-lusscrls zicmlicli gciinu sagen lässt, welche von ihm gelesen wurden und welche nicht. Da er kauin fremde Bücher zur Lektüre zu entleihen pflegte, gibt diese Privat-
' Ma. orig. A
i
12,
L;, ia/b (IICYPII 1000).
* lhi%I I ~ ~ w ~ r ~ - Aistr ~ ~ h i llesitz v
1111 dt+r v ~ d l ~ t t i t i d l g ~ ~~~ ~l ~ i l ~ ~lsrivats ~ ~ ~ ~ ~ ~ i ~ c l ~ ~ ~ ~ bibliothek Husserls. $.U. Anhang 11. nämlich die kleinen handlichen von Reclam's Universal Bibliothek, die er weitaus am meisten benützte. Die Kritik dcr reinen Vernu>ifthat Husserl weiter noch in einer dritten Ausgabe studiert, in derjenigen von Voriänder. Weiter liegt darin, dass Husserl vor allem die kleine Ausgabe von I<ehrbncli (Reclain) benützte, bereits ein Hinweis darauf - ein Hinweis, der sich in1 weitercn bestätigen wird dass er, wie so mancher andere I'hilosoph, aber nicht wie die Neukantianer der Marburger Schule, der ersten Auflage der Vernunftkritik vor der zweiten den Vorzuggab. Die Kehbach-Ausgabe folgt nämlich der ersten Auflage (enthalt ailerdings die Änderungen der zweiten Auflage im Anhang oder in Fussnoten), während die Ausgaben von Hartenstein und Vorländer auf der zweiten Auflage aufgebaut sind.
-
HISTORISCHER Ü B E R B L I C K
bibliothek ein sehr gutes Bild über die historischen Quellen seines Denkens. Die beiden Vorreden und die Einleitung der Kritik der reinen Vernunft hat Husserl mehrmals ganz gelesen.1 Die Transzendentale Ästhetik trägt 2 Spuren eines mehrfachen eingehenden Studiums. In der TranszendentalenLogik galt Husserls Interesse vor d e m der Transzendentalen Analytik und im besonderen der transzendentalen Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage (den drei Synthesen!), aber auch den Beweisen der Grundsätze, vor aIlem den ,,Analogien der Erfahrung". Von der Transzendentalen Dialektik hat Husserl die Einleitung, das erste Buch (über die Ideen) und vom zweiten Buch das erste Hauptstück, Von den Paralogismen der reinen Vernunft, eingehend studiert. Allerdings enthalt auch das zweite Hauptstück dieses zweiten Buches, Die Antinomie der reinen Vernunft, Stellen, mit denen sich Husserl eingehender beschäftigt haben muss, so mit dem sechsten Abschnitt (Der transzendentale Idealismus, als der Schliissel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik) und dem neunten Abschnitt (Von dem emfiirischen Gebrauche des regulativem Pri.rtzi#s der Vernunft in Ansehung aller kosmologischen Ideen). Dem dritten Hauptstück dieses Buches der Transzendedalen Dialektik, dem Ideal der r e i ~ nVernunft, hat Husscrl weniger Interesse gcschenkt. Dagegen wurde die Transzende.nta18 Methodenlehre von Husserl teilweise mehrmals studiert: so der erste Abschnitt des ersten Hauptstückes (Die Diszi$lin der reinen Vernzcnfl im dogmatischen Gebrauch), der die mathematische Vernunft erörtert, und der erste Abschnitt des zweiten Hauptstückes (Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauches unserer J7ernunft). Aus diesen Angaben, die wir Husserls Exemplaren der Wcrke Kants entnehmen können, lässt sich nun aber kaum etwas darüber sagen, inwiefern Husserl bereits in der liallisclien Zcit rlic! Philosophie Kants aus ejgener Lektüre kannte.3 Es ist aus zahlreichen Manuskripten zu erweisen, dass Husserl ein besonders 1 nämlich in albn drei genannten Ausgaben und in derjeniqen von Kelirbach rnehrmals. 3 in der Kehrbach-Ausgabe. a Für die Kritik der reinen Vernunft hat Husserl damals erwiesenermassen bereits die Kehrbach- und Hartenstein-Ausgabe benützt. Für jene Zeit kann nur die VorIänder-Ausgabe (1899),von der fast nur Vorreden und Ehleitung Lesespuren aufweisen, ausgeschieden werden.
21
intensives Kantstudium an Hand Kantischer Texte während der Jahre 1907 bis 1909 betrieb. Diese Studien drehten sich alle um die von uns eben hervorgehobenen Stellen der Kritik der reinen Vernwft.Soviel ist also sicher, dass für Husserls Kantstudium nicht nur und auch nicht hauptsächlich diese Zeit vor den Logischen Untersuchungen in Frage kommt. Nichts weist auf ein sehr tiefgehendes Kantstudium in der damaligen Zeit hin. Trotzdem ist aber anzunehmen, dass Husserl, als er begann, Ubungen und Vorlesungen über Kant zu geben, sich einigennassen in dessen Werken umsah. Wir erachten es daher als wahrscheinlich, dass Husserl bereits d a m a l s die meisten Werke Kants wenigstens ,,im ÜberflugH gelesen hat - d a s s er sie gelesen hat, erweist Husserls Exemplar der Hartenstein-Ausgabe. Auf alle Fälle besitzen wir kein Indiz, dass diese einmalige weite, aber nicht unbedingt tiefgehende Lektüre Kants später stattgefunden hat. Wie die Manuskripte zeigen, hat sich Husserl später wohl ausschliesslich in einzelne Steiien der Rantischen Werke vertieft, hauptsächlich in die Kritik der reinen Vernunft, um daraus Nutzen für seine eigene phänomenologische Problematik zu ziehen. Ein mehr von historischem Interesse getragener Oberblick übcr die Werke Kants würde am besten in jene frühe Zeit passen, als sich Husserl daran schickte, zu Kant ein ncues Verhältnis zu gewinnen. Auf Grund von Husserls Privatbibliothek und von Rcrncrkungen in Manuskripten ist es möglich, einige wichtige Sekundärliteratur über Kant, die Husserl in der in Frage stehenden Periode benützt haben dürfte, anzugeben.1 An allgemeineren Werken ist hier einmal zu nennen der dritte Teil von Uebenvegs Grundriss der Philosophiegeschichte in der Ausgabe von 1875, weiter Mellins I i ~ z x y l z l ~ ~ ü d i s ~Wfirlrnlruch Bcs der krilischrn. Plzilosofd~ir i i l i t l Vaihingers Kommentar zzc Kants Kritik der reinen Vernunft, an Hand dessen Husserl zwar nicht mehr als die beiden Vorreden zum betreffenden Werk Kants gelesen hat. Auch nur sporadisch hat Husserl das wichtige Werk von Hermann Cohen Kants Theorie der Erfahrung (in der zweiten Auilagc von 1885) konsultiert. Gründlich hat er den 3 12 dieses Buches gelesen, der Kants transzendentale Methode erörtert. In ihr sah Cohen die Originalität 3
S.U. Anhang 11.
iind Mission Kalits; er stcllt sic dar als cntstnndcn iin Nnclidenken über die Philosophiae natzlralis $vincipia mathematica Newtons und kennzeichnet sie als Feststellung und Prüfung der bedingenden Grundbegriffe der als Tatsache vorliegqnden Naturwissenschaft. Genau studiert hat Husserl das Werk des CohenSchülers August Stadler, Die Grundsätze der reined Erkenntnisiheorie ira der Kantischen Philosophie. Kritische Darstellung. Stadler übernimmt von Cohen in Bezug auf die Kantinterpretation die Unterscheidung zwischen dem metaphysischen und dem transzendentalen Apriori, welches als der definitive Begriff nichts mit psychologischer oder physiologischer Organisation oder Eingeborenheit zu tun hat, sondern eine rein logisch notwendige Bedingung der Erfahrung darstellt. E r scheidet denn auch streng die Kantische Erkenntnistheorie von der Psychologie. Auch fasst er wie sein Lehrer die Kantischen Kategorien als besondere Arten der einen fundamentden Kategorie oder Einheitsfunktion, der transzendentalen Apperzeption. In scinem angeführten Werk versucht er unter beständiger kritischer Bezugnahme auf die Kantischcn Texte die „Grundsätze des reinen Verstandes" als notwendige Bedingungen der Einheit der auf die apriorischen InEialte Zeit, Raum und Empfindung überhaupt bezogenen „transzendentalen Apperzeption" vollständig zu deduzieren. Weiter hat Husserl auch die Schrift von Moritz Steckelrnacher, Die formale Logik Kants in ihren Beziehungen zur transzendentalen, fast vollständig gelesen.Steckelmacherhebt deutlich die Kantische Scheidung zwischen reiner und angewandter Logik hervor und bestimmt jene als wesentlich normativ. Er will zeigen, dass dic formale Logik nach Kant nicht völlig aus sich verständlich sei, sondern Voraussetzungen enthalte, die in den Bereich der transzendentalen Logik gehören. Ausführlich geht er dabei cin auf Kants Bestimmung des Verhältnisses von Begriff und Urteil einerseits, die beidc einer analytischen Tätigkeit entspringen, und der von der Analysis vorausgesetzten Synthesis andererseits, die auf dem Grund der synthetischen Einheit der „transzendentalen Apperzeption" unbewusst produktiv die sinnlichen Daten in Zeit und Raum zu Komplexen vereint und damit schon ein allerdings unbewusstes Allgemeines konstituiert, das der Analysis die Handhabe zur Bildung von logischen, bewusst allgemeinen Begriffen bietet.
l3icsc Srliiinrl5rlitcrntiir iihrr Knnt. ist. fiir Hiisscrl wohl ziciiilicli bedeutend gewesen. Ihrcn Auswirku~igeriwerden wir z.'i'. crst in der späteren Zeit begegnen. Für die schon in die Zeit vor der Veröffentlichung der Logischen Untersuchungen fallende AbWendung Husserls von seiner früheren bloss psychologischen Kantinterpretation und für seine Anknüpfung an Kants Idee der reinen Logik in den Prolegomena waren die genannten Schriften Cohens, Stadlers und Steckelmachers wohl nicht ohne Einfluss.
HISTORISCHER ÜBERBLICK 2.
KAPITEL
D E R DURCHBRUCH ZUR TRAKSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE (VON D E N L C G T S C H E N U N T E R S U C H U N G E N ZU D E N I D E E N )
4. Cii? Periode unmittelbar vor der Enthckung der ,,~5änomenoEogischenReduktion" In der Periode, die wir in diesem Kapitel behandeln, geschieht HusscrIs Durclilir~iclizur t raiiszcii tlcii L :ilcii I'li!iiioiiiciiologic auf dem Wege der transzendental-phänomenologischen Reduktion. Damit rücken ins Zentrum von Husserls Denken der Begriff des reinen Bewusstseins und das universale Problem der IConsti t U t ion der diesem Bewusstsein sich darstellenden Gegenstände. Durch die Veröffentlichung der fünf Vorlesungen Die Idee (+PPhänomenologie aus dem Sommerseme~ter1go74st es allgemein bekannt geworden, dass dieser ~urcdbruchHusserls bereits mehrere Jahre vor den Ideen stattgef$nden hat. Auf Grund dieser Vorlesungen sowic anderer noch nicht veröffentlichter Manuskripte konnte er ziemlich genau datiert werden, nämlich in die Jahre zwischen 1905 und 19071, womit natürlich nicht gesagt werden soll, dass mit dicsm letzten Datum die ,,traxsendentale Reduktion" für Husserl schon eine abgcschlossene und gewonnene Sache war. Diaer Durchbruch wurde von manchen Interpreten entweder als Aufstieg odcr aber als Abfall in cincn kantianischcn Idealismus begrücst bzw. beklagt. Tatsächlich erinnern manche Wendungen Husseris aus der Zcit nach dicsenz Diircl~brucl~ an dic kritizistische Philosophie, und es ist daher von grösstem Interesse nachzuprüfen welcher Art Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus in jenen entscheidenden Jahren war.
Als Husserl für das Wintersemester 1901loz zu einer ordentlichen Professur von Halle nach Göttingen berufen wurde, besass er scfic.n, wie wir im vorhergehenden Kapitel feststellen konnten, I s. Ha 11, Eiul. des Herausgebers (W. Biemel), S. VII-X.
t
25
ein weit positiveres Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus, als dies zu Beginn der Haliischen Zeit der Fall war. E r kennt den grossten Teil der Kantischen Schriften - wenn auch nicht sehr tiefdringend - aus persönlicher Lektüre und aus seinem Seminarbetrieb; er steht mit einem prominenten Neukantianer, Natorp, in einem regen Gedankenaustausch und ist an der Hallischen Universität auch mit einer Reihe anderer Kantianer in Kontakt ge1':ikiiltiit war zur 2% t koinnicn. An tlrr (;ötlingcr Pliiloso~~liisclirii Husserls der Einfluss des Neukantianismus geringer ds in Halle. Als ordentliche Professoren für Philosophie wirkten dort der Lotzeschüler Julius Baumann und der Gedächtnispsychologe Georg Elias Müller, bei dem sich Philosophie auf Psyclio~>hysik wiliizichr.tc*. Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus bleibt zu Beginn der Göttingerzeit im wesentlichen dasselbe wie am Ende der Hallischen Jahre. Die Beziehungen zu Natorp scheinen sich eher zu verstärken. uber Kant fährt Husserl fort, Vorlesungen und Seminarien zu hdten.1 Zum erstenmal behandclt er auch die praktische Philosophie Kants; so in den Ethikvorlesungen von rgoz und in philosophischen Ubungen über Kants Kritik der praktischen Vernunft und Grundlegung der MetaPhysik der Sitten im Wintersernester 1gojlo4 und im Sommersemester 1906. Im Wintersemester 1g03/04 hält er eine vierstündige Vorlesung über Die Geschichte der neueren Philosophie von Kant einschliessLicb bis zur Gegenwart und im Wintersernester 1905106 liest er vier Stunden die Wochc über ICaltt und die nachkantische Plziloso#hie. U h r Kants Kritik der ueinen Vernunft führt er im Sommersemester 1902 ein Seminar durch; der Titcl seines Seminars im Winterscmestcr 1go5/oG lautet : Philosophische Uhungen iiber R a n k Theorie der Erfahrung nach der Kritik der reinen Vernunft und den Prolepmcna. Wohl aus dicscr frülirrcn G6ttirigcrzcit st;immrii drei VorIesungsfragmente über Kantz. Ihr Kantbild ist von demjenigen der Logischert Untersuchngen kaum verschieden. Kants 1 s.u. Anhang 1. "s handelt sich um folgende drei Texte: a) um den Text, der in Ha V11 als Beilage X I X publiziert wurde (der Herausgeber datiert ihn auf 1908; unseres Erachtens ist er etwas früher anzusetzen, etwa ~ g o g ) , b) um Ms. orig. F 142, S. 48a-5aa (wohl vor 1907; Husserl bemerkt zu diesem Text: ,,alt, noch ganz unzureichend"), C) um Ms. orig. F I 26, S. 147a-14ga (WS 1902/03).
Grundproblem x r d dargestellt als dasjenke der Synthesis der syntletrschen Urleile a priori, und seine Lösung in einer stark psycholcgisch-anthropologischen Interpretation einer scharfen Kritik unterworfen. Dass sich Husserl in jener früheren Göttingerzeit ausserhalb der d h n t e r , Vorlesungen und Übungen noch intensiver mit Iibnts S~Iirifteubeschäftigt liätte, ist aus Hiisscrls iinc1igcl:issenen Mariuskripten oder auf Grund anderer Quellen nicht zu er-
weisen. Die Einführung der phänomenologischen Reduktion in den Vorlesungen vom Sommersemester 1907 sckeint schon auf Grund des Vorangehendrn nicht u n m i t t e l b a r auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit Kant oder mit Natorp zurückzugehen. Dies wird bestätigt durch die Gestalt der phänomenologischen Reduktion, wie sie in jenen Vorlesungen vorliegt.1 Sie ist dort in e r s t e r L i n i C nicht durch einen kantianischen, sondern durch einen Cartesischeri Gedanken geprägt, nämlich durch die Idee des Anfgzngs der Philosophie in einem absolut Gegebenen (in einer a b s o h t n Evi3er.z) und der Epoche hinsichtlich all dessen, was dieser Forderung nicht entspricht. Von Kant wird ausdrücklich gesagt, dass ikm der Begriff der phänomenologischen Reduktion fehle.2 -Und doch ist die Philosophie Kants und Natorps in jencn fünf fundamentalen Vorlesungen unübersehbar anwesend. Die Frag3 nach dem Recht der Erkenntnisprätentionen und nach der Moglickkeit der Erkenntnis ist die Ausgangsfragcs, und die Forderung h e r Kritik der Vcmunft zur Ermöglichiing der Metaphysik die Grondforderung.4 Schon seit mel-ircrenJahren, soweit wir in HusserlslGianmkripten feststellen kornten, schon seit 1904, betxchtete Hirsccrl mit einer immer wach~endenBetonung eine Kritik der Vrrnanft als seine philosophische Hauptaufgabe.5 Auch irn spezielkn Natorps Gedankcn sird in den Fünf vorEcslcnge.ei,von 1907,ohne dass dieser aber je genannt würde, wirksam. Dre erste dieser Vorlesungen stellt o b j e k t i v e Wissenschaft und Philosophie (im besonderen Erkenntnistheorie) einander geL 11.1fulgcnden küiuicib wir nur arideutcii. Iliiic ~~iincllicliere Analyse dcr phäiiomenobgis-hen Reduktion in den Fünf Vorl. geben wir im § 18. 2 FGnf Vorl., S. 48. 3 s. a.a.3.S. 3, 6 , 19, zj, 38/39, 43 u.a. 4 s. a.a.0. S. 3, 22' 46, 52, 58. 5
s:~.
$ 16,
genüber als Wissenschaften grundsätzlich verschiedener Denkhaltungen oder grundsätzlich verschiedener D i m e n s i o n e n ; und am Ende der zweiten Vorlesung, nachdem die phänomenologische Reduktion auf dem Cartesianischen Weg durchgeführt wurde, wird deren eigentlicher Sinn nun plötzlich ganz uncartesianiscli bestimmt als Aufforderung, keiner p d ß a a ~ cC i s &hho ytvoc von tlcr I)iiiiiwsirm t l ~ rpliilosol~liisclir.ii15rkt~iiiiliiisiii tlic~joiiigc~ t b i natürlich- o b j e k t i V e n Erkenntnis zu verfallen.1 Diese radikale GegenüberstelIung aweier Wissenschaftsdimcnsionen und die ständige Warnung vor einer Metabasis von der einen Dimension in die andere gehören zu den grundlegenden Gedanken von Natorps Auffmung dcs Vcrliältnisscs von o b j C k t i v c r Wissenschaft und Psychologie.:! Das Verhältnis zu Kant und zu Natorp, das in Husserls Wendung von 1907 zum phänorncnologisch reinen Bewusstsein und der von diesem aus sich stellenden universalen Konstitutionsproblcinatik liegt, sclieint uns das folgende zu scin: Husscrl hat durch eine nun schon seit zehn Jahren durchhaltende mässige Beschäftigung mit Kant und durch eine intensivere mit Natorp eine gewisse Vertrautheit mit deren Gedanken geworincn; ihre Problematik ist in sein eigenes philosophisches Ringen eingedrungen und wirkt sich in ihm - z.T. für Husserl sclbst incognito aus. Gegeniiber der Philosophie Kants und Natorps hat Husscrl abcr andererseits grosse Vorbehalte, haiiptsächlich (aber nicht nur) n~etliodischerArt. Diese Philosopliic sclicint ihm vor nllerri nicht seinem Intuitionismus und seinem Idcal einer absoluten Wissenschaft, deren Anfang eine absolute Evidenz zu scin hat, zu entsprechen. Diesem Ideal sieht Husserl bei Descartes entsprochen, und es ist nun unter dessen Ägide, und nicht unter jencr Kants, unter der Husserl 1907 das „ r e i n e Bewusstsein", das „ego cogito" erfasst. In diesem Aufstieg sind aber die kantianischen Gedanken im Untergrund wirksam, und sie sind es, die weit tiefer, d.h. zugleich wesentlicher, aber auch verborgener als Descartes den letzten Sinn der phänomenologischen Reduktion HusserIs bestimmen. - Diese Behauptiingcn werden wir erst wirklich rechlfertigen köii~icn,wenn wir in1 zwcitcii Tcil uiisrrcr Stutlic die innere Entwicklung von Husserls Gedanken der phänomenoFünf Vorl., 5. 38!39; vgl. a.a.0. 5. 6 . S.U. $ 3 0 .
logischen Reduktion bis in die Krisis hinein genau verfolgen werden. In der jetzigen historischen Ubersicht gilt es uns ja nur - wir betonen es zum wiederholten Male - einige grosse Linien der EnxickIung von Husserls Kantverhältnis festzuhalten. Unsere Feststellungen stehen mit Husserls eigenen Bemerkungen über seine philosophische Entwicklung im Einklang. Für die Entdedrung der phänomenologischen Reduktiop wies Husserl immer auf den Einfluss Descartes' hin,l nie abeq auf denjenigen K a t s oder Natorps ;in Bezug auf Kant leugnet er vielmehr einen solchen. So schreibt er 1919 in einem Brief an Arnold Metzger, d a s er früher gegen Kant tiefste Antipathie hegte, und dass dieser ihn eigrntlich (wenn er recht urteile) überhaupt nicht bestimmt habe.3 Es ist hier zu bemerken, dass Husserl sein wirkliches Verhältnis zu andern Philosophen oft unzulänglich beurteilte; soviel darf aber aus Husserls Urteilen entnommen werden, dass Natorp oder Kmt 1907 nicht den u n m i t t e l b a r e n Anstoss zur Konzeption der phänomenologischen Reduktion gegeben haben, was aber xch: einen tiefer liegenden Einfluss ihrerseits ausschliesst.
5. Die Jahre intensiver Azcseinandersetzzcng mit Kant nach der Weltdu'~g zur reinen Phänontenologie Husserl hat sein Verhältnis zu Kant so beurteilt, dass er erst, nachdmn Zr sich 1907 die phänomenologische Reduktion erarbeitet hatte, dessen inne wurde, dass sich seine eigenen philosophischen 1ntm:ionen mit denjenigen Kants in einem tiefen Einvernehmen befinden. In diesem Sinne hat sich Husserl rnchrmals, besonders in Briefen an Neukantiancr gcäussert. So schreibt er 1915 an Rickert: „Erst als ich auf meinen, mir selbst so mühseligen Wegcn, im Anstieg von unten, mich unvermerkt im idealistischen Gelände fand, da war ich in der Lage, unter Abstreifung a l l s Begrifkromatik das Grosse und ewig Bedeutsame im deutschen Ideal~smuszu erfassen." 3 Dasselbe schreibt er 1918 an N ~ t o r p :,,Wie wenig auf mich, den Werdenden, Kant und der weitere deutsche Idealismus eingewirkt hat, für dessen inneren Sinn ic.h zunächst völlig blind war, so hat mich ihm meine weitere Lcgik, C. 249: Ha I, Pariser Vorträge S . 3 ; Cart. Med., S . 43. s. 3usserh Brief an A. Metzger vom 4. Sept. 1919, veröffentlicht im Jahrbuch der Goivcs-Gesel~schaft,( 6 2 ) 1953, 195-zoo; vgl. auch Ha VI, Beil. 455 (1936). 1s . 2
t
C.
Brief an H Rickert vom
20.
XV, C.
Dez. 1915 (Kopie im Husserl-Archiv).
Entwicklung (dcn weltanschaulichen Intentionen, wenn auch durchaus nicht der Methode nach) angenähert. Die idealistische Philosophie bot mir keinen Lehrer, ihre Grundwerke waren für meine Forschungen keine Ausgangs- und Grundwerke... Wie immer ich als ganz vereinsamter Solus-ipse mir durch unwegsames Gestrüpp Wcgc bahnte, er fülutc inicli durch das Mctliuni ciiics (vielleichtmodifizierten) Platonismus auf Höhen- und Fernblicke, in denen mir mit einem Male Kant zugänglich und in weiterer Folge der tiefere Sinn des deutschen Idealismus und die absolute Bedeutung der ihn leitenden Intentionen verständlich wurde. Zugleich wurde ich dessen gewiss, dass die immanenten Richtlinien meiner streng wissenschaftlichen,von den primitiven Bewusstseinsstrukturen ausgehenden phänomenologischen Arbeit den zielgebenden Intentionen dieses Idealismus zustrebten. Auf ihn ist seitdem, wie wenig es in meinen Schriften auch sichtlich werden mag, all meine systematische Arbeit vollbewusst bezogen. . .," 1 An Ernst Cassirer schreibt Husserl 1925 : „Meine eigene Entwicklung, die ursprüngiich kantfeindlich war, aber freilich für den eigentlichen Sinn der Kantischen Philosophie unempfanglich, knüpfte an Descartes und die vorkantische Philosophie des 18.Jahrhunderts an, natürlich mitbestimmt durch wichtige Impulse von Brentano, Lotze und Uolzano. Als ich aber von den mir als Mathematiker nächstliegenden wissenschaftstheoretischen Grundproblemen zu irnmer neuen in notwendiger Konsequenz fortgetrieben und, inlmer Meder über die Möglichkeit voraussetzungsloser Peststellungen und absoluter Rechenschaftsabgabe nachsinnend, zur Methode einer eidetischen Bewusstseinsanrtlyce durchdrang, und als ich mir mit der phänomenologischen Reduktion das Reich der Urquelle allcr Erkenntnis eröffnete, da musste ich crkcnnen, dass dic mir zuwachsende Wissenschaft bei wesentlich andersartiger Methode die gesamte Kantische Problematik umspannte (die nun erst einen tiefen und klaren Sinn empfing) und dass sie Kants Hauptergebnisse in streng wissenschaftlicher Begründung und Begrenzung bestätigte.'' 2 Tatsächlich liegen mannigfaltige Zeugnisse dafür vor, dass Husserl unmittelbar nach seinen entscheidenden Vorlesungen vom Sommersemester 1907 sich weit intensiver als vorher mit 1
Brief an P. Natorp vom 29. Juni 1918 (Kopie im Husserl-Archiv). an E. Cassirer vom 3. April 1925 (Kopie im Hussed-Archiv).
"rief
HXSTORISCIIER ÜBERBLICK
Kant auseinandersetzte. In einer Tagebuchcintragung vom 3. März 1908 notiert Husserl: „Im Winter 1907/08 ging meine Arbeitskraft zurück. Ich sah, dass es unter diesen Umständen a m besten sei, mich meinen Vorlesungen zuzuwenden, mit der meine Schüler, wie es scheint, nicht unzufrieden waren. Ich habe immerhin gelernt durch vertiefte Beschäftigung mit Kants Kritik der reinen Vernunft." 1 Besonders reichen Aufschluss über Husserls intensive ~usiinandersetzun~ mit Kant unmittelbar nach seiner ersten Einführung der phänomenologischen Reduktion geben eine grosse Anzahl von Forschungsmanusknpten, die 2.T. von Husserl selbst auf die Jahre 1907 (September), 1908 und 1909 dadiert sind.2 Sie beschäftigen sich mit Kants Fragestellung nach der Möglichkeit der Wissenschaft, mit dem Verhältnis seiner transzendental-logischen Methode zur phänomenologischen, mit dem Sinn des Apriori und dem Verhältnis des Analytischen und Synthetischen, mit der Scheidung von transzendenther Ästhetik und transzendentaler Analytik, mit Kants Begriff der Synthesis, ~ den , Beweisen den Argumenten für die Apriorität des ~ a u mmit der Grundsätze, besonders der „Analogien der Erfahrung" und stellen sich allgemein die Aufgabe, nach dem Phänomenologischen in Kants Vernunftkritik zu suchen. Des öftern verweist Husserl. mit Seitenangaben auf Stellen der Kritik $er reimen Vernunft, besonders auf die Einleitung, die Transzendentale Astlzetik und innerhalb der ~ranszendentalt&Logik auf diS Trmszendentale Analytik, oder zitiert daraus wörtlich ganze Abschnitte.a Auch einige Sekundärliteratur über Kant h a t Hucserl wo111 in jenen Jahren gelesen: Als wichtigste ist zu nennen die Schrift Alexander Wernickes Die Theorie des Gegensknks wnd die Lehre vom Ding an sich bei I. Kant, deren reaListische Deutung des Dinges an sich für Husserls eigene Kantauffassung sehr bestimmend war. Weiter wirkte sich auch das Werk 0. Ewalds Kants Methodologie in ihren Grundzügen auf Husserls Kantdeutung aus.4 Offenbar hatte Husserl nach seiner Wendung von 1907 das 1% Das betr. Tagebuch ist veröffentlicht in Philosophyand Phenomemlopical Research, h%'2 1956 (XVI, 3); S. dort C. 302.
Es handelt sich hauptsächlich u m Texte, die in den Mss. tranccr. (Transkriptionen der Manuskripte) B IV I und D 13 X X I zusammengestellt sind. Neben diesen Texten siehe auch die Mss. orig. B I1 I und A V1 811, S. 42a. 3 Fast durchwegs benützt Husserl dabei die auf der ersten Auflage des Werkes basierende Kehrbach-Ausgabe. 4 S.U. S. 158,Anm. 2.
31
dürfnis, sicli über das Verliiiltnk seincr Pliä~io~ricnologic in ihmneuen Gestalt zur Philosophic Kants klar zu werden. Es ging ihm darum, sowohl die Divergenzen festzustellen, als auch die gemeinsamen Linien zu sehen und vom Kantischen Gedankengut zu lernen. Aus dieser AuseinanGersetzung mit Kant hemm und im Bewusstsein einer inneren Verwandtschaft übernimmt Husserl 1908 den Kantischen Terminus, f ranszendental" zur Bezeiclsnung seiner Phänomenologie.1 In seiner akademischen Lehrtätigkeit fährt Husserl frirt, sich mit Kant zu beschäftigen. Wie schon vor der Wendung vor, 1907 hält Husserl auch nachher jedes zweite Jahr (Wintnrsemester t 1907/08, ~ g o g / ~Io~, I I ~ I Z 1913fI4) , eine Vorlesung übe: K i l ~usd die nachkantische Phzlosophie. In1 Wintersemester 19og!1o und in demjenigen von I ~ I O ~ I Iführt er erneut ubungen über Kants Kritik der rezhen Vernunft durch ; auch der praktischen Pliiilosophie Kants widmet er wiederum zwei Übungen (Sommersemester rgog und Sommersemester 1914). Die erhaltenen Vorlesungsmanuskripte der späteren Göttingerzeit werten Kants Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erkenntnis und die Idee der naiura jwmaEiter spectat~in positivem Sinne und nennen vor allem als grosse Entdeckung Kants die Erkenntnis, dass alles ontologische Apriori auf dic Subjektivität zurückweist.2 Auch Husscrls Beziehungen zum Neukantianismus h & ~sich in diesen Jahren nach 1907 noch vcrstärkt. Als 1909 J r 1 l . u ~Baumann in Göttingen emeritiert wurdc, schlug HusserI als Nachiolgcr PaulNatorp und als zweiten Kandidaten dcnNatorp-Schüler Ernst 1 Der Text, den W. Bietnel in seiricr Einleitung zu I.fa [I zitiert, und in dem bereits der Begriff der transzendentalen PPaiiomenologie vorkommt ( s . a.a CI. S . IX), stammt sicher nicht aus 1907,wie Bieme: angibt, sondern mit grösster wahricheinlichkeit aus 1908. Husserl bemerkt nur a 7 i Rande dieses Textes, dass e r ,,znm Teil unter Verwendung einiger Blätter von 1907" geschrieben wurde (s. Ms. orig. B I1 I , S. 27a). Bieniels These, dass sicli Huscerl vährcnd dc!r eritsrheidenden Zeit VCIT 1907 eingehend mit Kant beschäftigte, und d a s ihm aus dieser Bescbäftiguog heraus i i e Idee der Phänomenologie als Transzendentaiphilosophie und transzenEentaler Idealismus sowie der Gedanke der phänomenologischen Reduktion erwaclsen seien (s. a.a.0. S. VIII), scheint uns auf Grund uiserer Feststellungen einiger Korrekturen zu bedürfen: Erstens, die eingehende Bes-häftigung mit Kant ist nicht unnittelbar v o r den Fünf Vorlesungen, sondern unmitAbar d a n a c h anzusetzen; zaeitens. ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in den Fünf Vorksungen Desca-tes mehr im Vordergrund steht als Kant. S. Ms. orig. F 1 12, S. 53b-56b (WS 1gzo111)und Ms. orig. F 142, S 43a. (wohl gegen 1913).
33
HISTORISCHER Ü B E R B L I C K
Cassirer vor. In einem Brief an Natorp vom 23. Dezember 1908 begründet er seinen Vorschlag: „Denn neben Ihnen wirken zu dürfen, das war seit einer Reihe von Jahren mein lebhafter Wunsch." 1 Gewählt wurde dann aber weder Natorp noch Cassirer, sondern der Sigwartschüler Heinrich Maier. Gleichzeitig habilitierte sich in Göttingen Leonhard ~ e l s o n ,der Kant irn Sinne von Fries rein psychologisch zu verstehen suchte und weiterbildete. Wie in bezug auf Kant so hat Husserl in diesen Jahren auch das Bedürfnis, sich über sein Verhältnis zu Natorp klar zu werden. Im März des Jahres 1909 gibt er in einem Brief an Natorp seinem Bedauern Ausdmck, dass er diesen zur vorgesehenen Zeit nicht besuchen konnte, und fügt hinzu: „Gar zu gerne hätte ich mit Ihnen allerlei durchgesprochen: die in unserer Korrespondenz berührten Fragen der transzendentalen Methode (im Sinne Kants und Ihrer Schule) und der phänomenologischen Methode, des Verhältnisses Ihrer philosophischen Psychologie und meiner Phänomenologie, der verschiedenen möglichen Umgrenzungen der reinen Logik (in all diesen Punkten bin ich gegenüber den Logischelt Untersuchungen wesentlich fortgeschritten)." 2 Tm Oktober desselben Jahres setzt sich Husserl auf Grund von Natorps Eideitufig in die Psychologie eingehend mit dessen psychologischer Methode auseinander 3 und in seinem Seminar behandelt er im darauffolgenden Winter einige kleinere Schriften desselben Aators.4 1910 versucht Husserl wiederum eine Berufung Natorps oder Cacsirers nach Göttingen zu erwirken; aber auch diesmal ohne Erfolg.5 In jenen Jahren nach I907 beginnen sich auch Husserls Beziehungen zu Rickert etwas enger zu gestalten. Seit 1910 steht er mit diesem in regelmässiger Korrespondenz, deren Gehalt allerdings weniger philosophischer Natur ist als diejenige mit Natorp. 1910 setzt sich Husserl auch scliriftlich mit Rickerts grossem Artikel Zwei Wege der Erkenntnistheorie auseinander 6 und zur selben Zeit will er den Artikel Über den Begriff der Philosophie in seinem Brief vom 23. Dez. 1908 (Kopie irn Husserl-Archiv). Brief vom 18. März 1909 (Kopie im Husserl-Archiv). 3 S. Ms. orig. K. I1 4, S. 103a-11ob (15.116. Okt. 1909). 4 s . den Brief an Natorp vom 22. Februar 1910 (Kopie im Husserl-Archiv). 5 s. den Brief an Natorp vom 28. Okt. 1910 (Kopie ini Husserl-Archiv). B C. Ms. transcr. A I 42 (1910); vgl. U. $5 34-36.
privaten Seminar behandeIn.1 Auch die fundamentabn W e r k Rickerts hat IIusserl sehr wahrscheinlich in jenen Jahren studiert. Ausserdem hat er sich wohl bereits 1908 mit dem Werk T'orausse~zungen und Ziele des Erkenlzens beschiäftigt,2 von dem Husserl in einem Brief an Natorp erklärt, dass es ausgezeichnete Kapitel enthalte,3 und dessen Autor, Jonas Cohn, Rickert nahestand. Husserls Auseinandersetzung mit ICant und dem Neukantianismus während jener Jahre nach 1907 kommt schon, allerdings nicht sehr explicit, im Logosartikel von 1911 zum Ausdruck; deutlicher aber dann in den Idee% I. Im 5 62 dieses Werkes, der den Abschluss der „phänomenologischen Fundameutalbetrachtung" über die transzendental-phänomenologischeReduktion bildet, gedenkt Husserl des Gegensatzes zwischen Dogmatismus und Kritizismus und stellt seine Phänomenologie als diejenige U'issenschaft hin, in der „alle eidetischen (also unbedingt allgemein güttigen) Erkenntnisse beschlossen liegen, mit denen sich die auf beliebig vorzugebende Erkenntnisse und Wissenschaften bezogenen Radikalprobleme der ,Möglichkeit' beantworten". 4 Die Phänomenologie wird dann gepriesen als die ,,geheime Selinwclit deiganzen neuzeitlichen Philosophie", wobei Kant in cer Reihe der Vorläufer die ausgezeichnete Rolle zuerteilt erhält : ,,. ..erst reckt erschaut sie (die Domäne der Phänomenologie) Kant, dessen grösste Intuitionen uns erst ganz verständlich werd.rn, wenn W: uns das Eigentümliche des phänomenologischen Grbietes zur vollbewussten Klarheit erarbcitet haben. Es wird uns dann evident, dass Kants Geistesblick auf diesem Felde ruhte. . Husserl vergisst aber nicht so$cich auf die methodisc:len Mängel Kants hinzuweisen - „. . . obschon er es sich noch nicht zuzueignen und es ais Arbeitsfcld einer eigenen strengen Wesenswissenschaft nicht zu erkennen vermochtc." 5
."
4 6
s. den Brief an Rickert vom 25. April 1910 (Kopie irn Husserl-Archiv]. Husserl verweist auf dieses Werk in Ms. transcr. B IV I, S. 233 (wo31 1908). s. den Brief vom 8. Juni 1917. Ideen I, S. 148. ebenda.
3. K A P I T E L
D I E PERIODE D E R G E N E T I S C H E N PHÄNOMENOLOGIE
$ 6 . Die Zeit des ersten Weltkrieges als Zeit von Hzcsserls weltanschaulichem Bündnis mit dem deutsclten Idealismzcs In die Jahre des ersten Weltkrieges fällt Husserls Berufung nach Freiburg i. Br. Seit dem Sommersemester 1916 lehrte Husserl in dieser Stadt auf dem Lehrstuhl, den vor ihm Rickert innedes 1915vcrAxbc~ic.ii gclialtrii liattc. ltickcrt, dcr als Nacl~iolg~r Windelband nach Heidelberg berufen wurde, hatte sich selbst für dic Wahl Husserls eingesetzt. In Freiburg fand Husserl ein stark von Rickert beeinflusstes philosophisches Milieq vor. Neben dem schon erwähnten Jonas Cohn 1 lehrten dort jauch die beiden Rickertschüler Richard Kroner und Georg Mehlis. Der spätere "SchUler" Husserls, Martin Heidegger, hatte sich 1916 bei Rickert unmittelbar vor dessen Wegzug habilitiert. Die Situation des Krieges stellte Husserl vor eine neue philosophische Aufgabe. Husserl empfand das I3edürfnis nach einer philosophischen Wcltaiischauui~g, dic dcni deutschen Volk als geistige Quelle der Widerstandskraft und als Mittel zur geistigen Uberwindung der grossen Not hätte dienen können. Für diesen praktischen Zweck war seine eigene Pliilosophie wenig geeignet. Sie war erst in ihren Grundlagen entwickelt und in ihrer streng wiss~riscliaftlichenForm unfähig, ein weiteres Publikum unmittelbar zur Tat zu entflammen. Der Krieg liess Husserl auch die Notwendigkeit einer geistigen Einheit mit seinen phiiosophischen Mitbürgern und der philosophischen Tradition Deutschlands verspüren. In dieser Situation wandte er sich in vermehrtem Masse den Trägern der grossen idealistischen Tradition Deutschlands zu, nachdem ihn seine eigene philosophische Entwicklung schon nahe an diese herangeführt und in ihm mindestens hinsichtlich des Vaters dieser grossen Tradition, Kant, und hinsichtlich 1 S.O.
C. 33.
gewisser neukantianischer Strömungen ein lebhaftes Gefühl der inneren Verwandtschaft geweckt hatte.' Dieses Bestreben Husserls rach weltanschaulicher Verbundenheit mit dem deutschen Iclealiwms kommt stark in seinem Briefwechsel mit den Neukantianern zum Ausdruck. 1915 schreibt er an Rickert : „ . . . so fühle ich mich im Ietzten Jahrzehnt mit den Führern der deutschen idealistischen Schulen eng vvrbunden, wir kämpfen als Bundesgenossen gegen den Naturalismus unserer Zeit als unseren gemeinsamen Feind. Wir dienen, jeder in seiner Art, denselben Göttern. . .." 2 Er betont, dass auch seine eigene Philosophie ,,Erziehung zum idealistischen Geiste" sei.3 Noch deutlicher wird dieser weltanschauliche Anschluss H-lsserls in einem Dankesbrief aus dem letzten Kriegsjahr an Nstorp für die Übersendung seiner Schrift D z u f s c h ~ rI.Vcltheruj (1018).Ihr maqs ilusscrl nls cincin Ausdruck cirtcr ,,Wcllaiiscli;~uitiig,die u n s allein. . ein ,seeliges Leben' ermöglicht, . .. cnschätzbaren Wert'' zu. Er schreibt in diesem Brief weiter: „Meines eigcne Entwicklung hat schon seit ungefähr einem Jahrrehrt Richtlinien cingesclilagen, die in metaphysischer, religions- ur-d geschichtsphilosophischer Beziehung der- von Ihnen gezeichneten schr nahe verwandt sind. So kann ic3, was Sie aus der Fülle Ihrer wundervoll reichen und harmonisch geeinigten Bildung sich innerlich zugeeignet haben und was Sie uns als Sinn der Welxnt~xvicklung, als Gottesentfaltiing und Welt~chöpfungin der Subjektivität klar gelegt Iiaben, ganz und gar in mich aulnehnien ohne jede innere Uefremdurig, vielmehr als ein mir nach dem Aligemeinen, nach den Hauptlinien, nach dem Typus laiigst Vertrautes und Heimeliges. Wenn sich methodisch und sachlich Diifcrerzen herausstellen sollten, so bleiben sie jetzt doch im Rahmen konkret anschaulicher Deutungen gescliichtlicher Entwicklungen ausser Wirksamkeit. " 4 Den reinsten Ausdruck dieser weltanschaulid~en stellungnahrne Husserls für den deutsc3en Idealismus geben die drei Vorträge über Fichtes Mensckkeifsideal, die HusserI zwischen dem 8, und 17. November 1917 und in Wiederholung zwischen dem 14.
.
.
. ..
1 R. Boehm hat in seinem Artikel HusserZ ef Z'id4nZiswts clasiiq~eauf diese ideologische Anknüpfung Husserls an den deutschen Idealismus hingeivrejen. 8 Brief vom 20. Dez. 19x5 (Kopie irn Husserl-Archiv). Brief vom 26. Dez. 1915 (Kopie im Xusserl-Archiv). 4 Brief vom 29. Juni 1918 (Kopie im Husserl-Archiv).
und 18. Januar 1918 an der Universität Freiburg für Kriegsbeurlaubte hielt. Fichte wird hier dargestellt als der „Philosoph der Befreiungskriege" 1, der in Deutschland nach der Niederlage bei Jena durch Napoleon mit seincr Philosophie des Willens und der Tat gegen die Schlaffheit, mit der weite Volkskreise diese Demütigung hinnahmen, ankämpfte und den Geist des Widerstands entfachte. Husserl betont, dass Fichte „eine durchaus praktisch gerichtete Natur" war: „Nach Anlage und herrschendem Lebenswillen war er ethisch religiöser Reformator, Menschheitserzieher, Prophet, Seher...." 2 Aus diesem praktisch ausgerichteten Lebenswillen Fichtes heraus will nun Huscerl auch dessen Philosophie verstanden haben. Sie ist nach ihm eine Weltanschazcung, die in grossartigen Vorahnungen, aber nicht in wiscenschaftlicher Begründung, Wahrheiten vorausnimmt, „die nicht nur die theoretische Neugier befriedigen, sondern, wie sie in die tiefsten Tiefen der Persönlichkeit dringen, diese afsbald auch umgreifen und zu einer höheren geistigen Kraft erheben". 3 Die Grundideen Fichtes, die Hervorhebung des Primats des tätigen Ich gegenüber der Welt der Gegenstände, besonders aber die theologischen und ethischen Gedanken werden mit einem hohen Pathos verkündet, die konkreten theoretischen Begründungen dieser Ideen in der Wissertsckuftslehre aber als ,,Konstruktionen von kaum erträglicher Gewaltsamkeit" abgelehnt.4 In diesen drei Vorträgen kommt zum Ausdruck, dass Husserl eine ziemlich umfangreiche Kenntnis von Fichtcs Werk besass; allerdings bezog sich diese hauptsächlich auf die theologischen und ethischen Schriften. Von Fichtes Wissenschaftslehre dagegen kannte Husserl nicht viel mehr als die beidcn Einleitungen, ev. nicht einmal diese.5 Husserls Fichtestudium dürfte vor allem Ms. transcr. F I 22, S. 7 (19x7); vgl. a.a.0. S.33/34 (1017). a.a.0. S. 7 (1917). a.a.0. S. 1 2 (1917). 4 Ms. orig. F I 22, S. q a / b (1917; diese Seite wurde nicht transskribiert, d a sie von Husserl aus den Vorträgen ausgeschieden wurde). Zitiert werden in den drei Vorträgen folgende Schriften Fichtes: Die Bestimmung des Menschen (1800) ; Erlanger Vorlesungen über das Wesefl des Gelehr&n (1805) ; Die Grundziige des gegenwärtigen Zeitalters (1806); Anweisungen zum seligen Lcben (1806; auf dieses Werk stützt sich der dritte Vortrag Husserls üb die fünf Stufen der Menschheitsentwicklung); Reden an die deutsche Nation (1808 Fu*f Berliner Vorlesungen iiber die Bestimmung des Gelehrten (1811). Das Exem lar der fünfbändigen Fichte-Ausgabe von Medicus (Eckardt, Leipzig), das sich in Husserls Privatbibliothek befindet, bestätigt, dass er jene Schriften studiert hat. Weiter zeigt dieses Exemplar noch, dass Husserl auch Fichtes Schriften aus dem Atheismusstreit kannte (Appellabion 1 s. 2
J
%;
während der Kriegsjahre stattgefunden haben, und zwar schon einige Zeit vor den Fichtevorträgen.1 Bereits 1915 schr2iLt er a n Rickert, dass er sich in zunehmendem Masse für Fichte interessiere.2 Im selben Jahr, wie dann auch noch 1918 hat Hrrsm-1ein Seminar über Fichtes Bestim~nmgdes Menschen durchgeführt. Allerdings hatte Husserl schon lange Zeit vor dem Krieg ein gewisses Interesse für Fichte: Schon 1903 hielt er ein Seminar über jenes in den beiden oben genannten Seminarien behandelte Werk.3 Dieses Interesse dürfte aber vor dem Kricg, allen Anzeichen nach, eher gering gewesen sein. Die Beziehungen Husserls zu den andern grossen postkantiariischen Idealisten, zu Hege1 und Schelling, sind viel weniger bedeutend. Zwar spricht sich Hiisserl in jencn Kriegsjahren ganz allgcmein über den dcutsclien Idealismus hochschätzend auc. Dabei hatte er aber vor allem Fichte und natürlich Kant im Auge. nenn von Hegels Werk kannte Husserl nur sehr wenig, närnlrch kaum mehr als die Vorreden zur Emyklopädie 4 und zur Pltünmsnologie des Geistes,s sowie einige Kapitel aus den Vorlesmgen iiEcr die Geschichte der Phi1osophie.ß Dazu hat er noch einige wenige Sekundärliteratur über Hege1 gelesen. Spezielle Vorlesungen d e r Semlnarien hat Husserl über ihn nie gehalten. Schelling wurde durch Husscrl völlig ignoriert. Kar1 Jaspers berichtet von einem personlichcn Gespräch mit Husserl im Jalire 1913, in dem dieser sicli beklagte, „wie ärgerlich und für ihn herabsetzend es sei, d ~ man ~ s ihn mit Schelling vergleiche; Schelling sei docli gar kein ernst z i i an das Publikum, Ober den G w n d unseres Chubem an eine g6tUicke Wdllngierung, Rückeriltnerungen, Antworten, Fragen}. Die Wissenschalk;khre dagegen is-. ungelesen. Von dcn beiden Einleitungen %U diesem Werk besass Husserl noch die kkine MeinerAusgabe (ebenfalls herausgegeben von Medicus). Die Lesmpuren, die dieses Exemplar aufweist, stammen aber nicht von I-Iusserl, sondern von seinem rechtmäscigcri Fksitzer, Herrn Bender, von dem es Husserl entgeliehen. aber nicht mehr zurückersrattet hat. 1 Die fünfbändige Medicus-Ausgabe, die Flusserl von Fichte besass , ,,um I ~ I O herum erschienen. S. den Brief vom 20. Dez. 1915 (Kopie im Husserl--4rchiv). Von Die Bestimmung des Memchetl besass Husserl nicht nnr di- Medicos-, sondern auch die kleine Kehrbach-Ausgabe (Redam, J-eipzig 1879). 4 Husserl besass dieses Werk in der .4usgabe von Lasson (Philosophisckz BibliotLek, Bd. 33, Leipzig 1905). ,F Husserl besass dieses Werk in der Ausgabe von Lasson (Pkilosophisch~Bibliutkek, Bd. 114, Leipzig 1907) und inder Berliner-Ausgabe von 1841 (Duncker und Humblot!. Diese Vorlesungen besass Husserl in der Berliner-Ausgabe von 1833 (gelesen s:nd die Kapitel über Heraklit, Leukipp, Demokrit, Anaxagoras, Platon, Ari.stoteles). -
-
+
nehmender Philosoph." 1 Auch während des Kricges scheint sich Husserl nicht für Schelling interessiert zu haben. Die intensive Beschäftigung mit Kant, die nach 1907 einsetzte und dic I-Iusscrl dic Grvsse Kniits iiis vol1c I3cwusstsciii treten liess, dürfte spätestens um 1912, als Husserl die Ideen zu schreiben begann, nachgelassen haben. Aber bereits 1917 studiert er wieder eingehend Kant.2 In jener Zeit hielt er auch eine Vor(itii Soiniiicr..;r!iiicslesung über I i a d s Transzc~tdcnl~~l~Ici1osopItic ter 1917) - es war Husserls letzte spezielle Vorlesung über Kant - und zwei Kantseminarien (im Sommersernester 1917 und im Wintersemester 1918/19). Ziemlich ausführLich war damals in andern Vorlesungen Husserls von I h n t die Rede; so in der Vork< : Sorii~iiersciiwslcrrg10 siiiig Eidcitmtg ilt die l ~ l d o s o f d ~ ivoiii (wiederholt Sommersemester 1918), aus der der längste erhaltene Husserlsche Text über Kant stammt,3 ebenso in der Vorlesung Phänomenologie und Erkenntnistheorie vom Sommersemester 1917,~ die Husserl in den Rantstudien zu veröffentlichen beabsichtigtes und zu diesem Zweck von Edith Stein ausarbeiten liess. Für Husserls Verhältnis zur Philosophiegeschichte im allgemeinen waren die Kriegsjahre insofern bedeutend, als sie in ihm in vermehrtem Masse das Bewusstsein weckten, in einer philosophischen Tradition zu stehen. Es ist äusserst aufschl&sreich, etwa Husscrls Logosartikcl von 19x1,dcr durch einen ahistorischen Geist gekennzeichnet ist, mit den Bemerkungen Husserls über die Wichtigkeit ciner Versenkung in die Werke der philosophischen Vorfahren in den Fichtevorträgen 6 zu vergleichen. Dieses Traditionsbewusstsein Husserls während des Krieges war primär durch praktische Zwecke verursacht. Nach dem Krieg aber sah s. I i . .Jaslir.rr, Rri~hcnschafttrnd Afishlich, S. 327128. Am 6 . Juli 1917 schreibt dlo Asslstoritlii Hriwxln, 1;dltli Stciib nii I<. Itignrdrir:
„Die ,gute Arbeitszeit' liat r:goniienuud wurde zu einer intensiven Beschäftigung mit Kant benützt." (Brief veröffentlicht in Philosophy und Phenomenological Research, XXIII (1g6z), S. 171). 3 Diesen Text, der vierzig stenographierte Seiten umfasst, hat Husserl i n zwei verschiedenen Manuskripten aufbewahrt: einen Teil im urspriinglichen Zusammenhang der Vorlesung irn Ms. orig. F 130, S. 70-77 (1916) und den andern in Mr. transcr. B IV 10 (C. 2-13 des Originals). Dieser zweite wichtigere Teil wurde von R. Boehrn in Ha V11 als Beilage X X I veröffentlicht. bzw. Ms. orig. B I 3, S. 57a f f . (SS 1917). 4 s . Ms. transcr. M I I , S. 27 ff. (1917)~ 5 s. den Brief an Rickert vom 26. August 1920. 6 S. Ms. transcr. F 122, S. 61/62 (1917).
Husserl die rein theoretische Notwendigkeit, seine Philosophie in den Zusammenhang der pkjlosophischen Traclition zu stellen und licss daher seinen systema5schen Einführungen in die phänonic:iiologisclir N(>iibogriititliinrtlcr I'liilosopliic
7. Das letzte Jahrzehnt von X ~ s s e r l salzademisckcr LehWligrkcit Während Husserl im Kriege durch das Zeitgeschehen bedrückt in seinem philosophischen Sckffen stark gelähmt war, set-&enunmittelbar nach dem Kriege Jahre intensivster ProduktiviGt ein. ( l i v 1 ~ tlvr 1 p~/wLiscl~.m ~ 1)m11ids(~iitwwtI l ~ t s s ( dsy4c111;~iisdi S->liänomenologie.Sn clieser Zei; hat aber auch Husserls Verliältnis zu Kant und zum Neukantianismus noch einmal eine Änderung erfahren, und zwar wiederum in positivem Sinne. I n einem Brief a r ~Ernst Cassirer aus dem Jahre 1925 schreibt Hucserl, dass er nun „- so recht crst in dcn ailcrlctztcn Jalircn - von Kant und den Kantianern reiche Belehr-mgen empfangen könneJ1.1 Tatsächlich ist für die Entwicklung der Philosophie Husserls von der statischen zur geneficchen Phänomenologie der Einflucs von kantianischer Seite von nicht zu überschätzender Bedeutung. Tm August und September 1518 hatte Husserl Natorps Aufsatz Philoso$hie urtd Psychologie 2nd dessen Werk Allgelrteivte Psychologie griindlich und systematisch studiert. In diesem Werk fand er u.a. die Unterscheidung von statischer Phanonienologie und genetischer Psychologie (Psychologie im Sinnc Natorps !) vor, die für ihn ausserordcntlich wichtig wurde. i m Wintcrscmcstcr xgzz/z3 legte IIusserl dieses Werk Serninarübungen zu Grunde. Husserl blieb mit Natorp bis zu dessen Tod (1924) in enger p r sönlichcr Vcrbintliing. Auch dic Kritik der reinen Vcrwunjt Iiat Husscd wohl in jcncii Jahren nach dem Kriege noch iwiterhin studiert. Er kommt dabei zur Auffassung, dass Kants Lehre von der Synthesis im genetisch-konstitutiven Sinne zu leuten ist. U.a. gewinnt nun auch Kants Begriff der „transzendsntaien Apperzeption" für Husserl eine tiefere Bedeutsamkeit.
Besondere Vorlesungen über Kant hält Husserl nun keine mehr. Doch ist in andern Vorlesungen von Kant des üftern dic l2ede. Seit 1921 bis zu seiner Emeritierung (1928)liest Husserl ungefähr alle zwei Jahre über Geschichte der nezceren Philosophie.l Längerc Ausführungen über Kant enthalten auch die Vorlesungen Ei%Zeitung in die Philosophie vom Wintersemester 1g19/20,2 Einleitung in die Ethik von 1920 (wiederholt 1g24),3Erste Philosophze (I. Teil) vom Wintersemester 1923/24 und vor allem Natur und Geist vom Sommersemester 1927.4 I n dieser zuletzt genannten wissenschaftstheoretischen Vorlesung unterwirft Husserl die Methodologie Rickerts, wie sie in dessen grossem Werk Die Grenzen der naturwissenschaftlichen BegriffsbiLdamg dargestellt ist, einer ausführliclicn Kritik und beruft sich dabei inmier wieder auf Kant. In keinem anderen Zusammenhang kommt ein so positives Kantverhältnis Husserls zum Ausdruck wie in dieser wichtigen Vorlesung, in der zum ersten Mal die Problematik der Lebenswelt systematisch entworfen wird. Kants transzendentale Erörterungen über die Möglichkeit der Erfahrung werden hier als, wenn auch noch unvollkommene, so doch echte transzendenialphänomenologische Forschungen gewertet, die sogar die „Einkhmmerung" hinsichtlich der natürlich-objektiven Erfahrnng entlialten.5 11n selben Sommer (1927) fiilirt Husserl nuch noch einmal nach langem Unterbruch ein Seminar im Anschluss an Kant durch, in dem er das logische Problem des Verhältnisses von Analytik und Synthetik erörtert.6 Besonders diese Vorlesiirib.cn iiiitl ~ h > i i i i p : t vom i Soiiitiicrsciiicst.cr 1927 zcigcn, t1;tss rlcr Aufsatz Kant und die Idee der Transzenden~alphzloso~ZEie von 1924, der aus einer Rede zu Kants 2 0 0 . Geburtstag im Mai desselben Jahres hervorgcgangen ist, Husserls damaliges Verhältnis zu Knnt trcii aiisdriickt und in seint%rpositiven Strilliin~niihme riiclit ciiifacli durch jciicn iiusscrii Anlass, liiuii zu iuicrii, cxkllirl wcrden kann.7 Husserl hat diesen Aufsatz ursprünglich für die
Veröffentlichung in den Kaatsludiefi bestimmt, ist dann aber von cliescr Absicht abgckornmcri, mügliclicrwcise - cs wäre die crstc grössere Publikation nach den Ideen I gewesen - u n nicht durch diese Schrift, die von einer Wcsensvcrwandtschaft zwischen der Phänomenologie und der Transzendentalphilofo~hk3 a n t s spricht und sich in eine gewisse Gefolgschaft Kants stellt, noch mehr die Gefahr der Klassifikation seiner Philosophie ak einer „neukantianischen" auf sich zu ziehen. Trotz des Bewwj-tseins einer inneren Verwandtschaft woiIte Husserl nicht von Kmt oder dem Neukantianismus her verstanden werden; vielmehr ist deren kritische Philosophie nach seiner Meinung nur vcn seiner transzendentalen Phänom~nologieher in ihrem wahren Gehelt klar zu crf;lsscn. Für diesen Aufsatz hat Husserl Texte über Kani ausamniengetragen, die er während d3in Perioden seiner Lehrtätigkeit und seines Kantstudiums verfasste.1 Der Aufsatz versucht, d a Behcutsamste der Philosophie Kants, dic Kopernikanische Wendung zum :transzendentalen Idealismus phänon~enologisch inchzuvollziehen (und damit, nach Husserl, erst richtig zu wllziehen). Die Art, wie Husserl hier die phänomenologische R e d d t i o n durchftihrt, ist für die Res?immung ihres Wesens \-rrn grosxr Hcclcutuiig iind wird uns noch cingclicnd bcschiiftigcn. In jcnrni Zusammenhang wird hervqehoben, dass Kant ,,in s e i x r tiefsinnigen Lehre von der Sgnthesis die Eigenart intentionaler Zusammenhänge bereits entdeckt" habe; dass die ph5nmenologiscli(:li Qwllt~nfast dl(!r 1Z iiuLisc11w'l'horici~~ L I fgcwici~:~i I scir113; dass das Erbgut Kants nicht pisgcgcben werden dirfe, sondern durch Klärung und Auswertung seiner absoluten Gelidte zu verewigen sei.4 So sci die transzcndci~talcYhänonienologic cin Versiicli, dcn ticfstcn Sinn ilcs Knntisclirii 'Pliilosol~:iirre~i.~ wahr XLI I I ~ : L C ~ fi ~ si(* C Isvlw I ; s i d ~i ~ i1ci1 . W I : S C I I L ~ ~ ( : I ~ ~ :lI< I r p : ~ ~ ~ iii si1ir::r sc von den absolut letzten Quellen der Erkenntnis e~nprsteigeriden
Vielleicht bildet der Text der Beilage XVIII aus Ha V11 ein Stiick dieser Vorlesung. s. Ms. orig. P I 40, C. 202b (WS 1919/20). s. Ms. trnnscr. Ii I 2 8 , S. 260 f f . (1920). S. Ms. orig. F I 32, S. 9za-128b (SC 1927). 5 S.U. S. 84. 8 s. Ms. orig. A I 40, S. za-13 U. z7a-3zb (SS 1927). Wir müssen uns also von den Ausführungen D. HenRchs in seinem Artikel Ober die Grundlagen von Husserls Kritik der philosophischen Tradition, die diese positive Stellungnahme auf jenen äussern Anlass zurückführen, distanzieren.
Das Hauptmanuskript, in dem diese Texte zusainrnengrstellt sind, t . i g t d i e Signatur 11 IV I . Wohl glniclizriti~hat Hrissrrl auch
..
HISTORISCHER ÜBERBLICK
1
( 'I
! Arbeit nach grossen Linien mit Kant einig.1 Es fehlt in diesem Aufsatz aber auch nicht an negativen Äiisserungen, die Kants mangelnden Radikalismus, die ,,metaphysischen" Bestandstücke I der Vernunftkritik (die Lehre vom „Ding an sich", vom „inteUectus archetypus"), seinen „mythischenH Begriff des Apriori und den Mangel einer ausgebildeten Methode analytischer Bewusstseinsforschung betreffen. Wie in der Vorlesuiig Natur und Geist vom Sommersemester 1927 wird Kants Philosophie aber bereits als unmittelbare Vorstufe zur transzendentalen Phänomenologie gesehen. Im letzten Jahrzehnt von Husserls akademischer Lehrtätigkeit hat die Entwicklung seines Verhältnisses zu Kant und zum Neukantianismus ihre nun bleibende Gestalt erreicht. ?Yie positiv clicse war, wurdc zwar angedeutet, wird abcr crst im zwcitcn Tcil unserer Studie wirklich sichtbar werden. Zugleich sei aber auch I)i!toiit, dass tlic I I P ~ : LI~ritisclw11 (~V MOIINJII~C, 1~t!so1~~1t~rs~Li~~j~!1iig~~1i. die die Methode betreffen, aus diesem Verhältnis nie verschwin-
rlcn. Was Husserls Lektüre von Kantischen und kaiitianischen Schriften anbelangt, so war diese allerdings während der Zwanzigerjahre und auch nachher nicht mehr so intensiv wie in den Jahren 1907-1910 und 1917118. Auch Sekundärliteratur iibcr Kant hat H i i s s e r l in diest:r Periode nur noch sehr wetiigc gclcsen.2 Dies hat scinen Grund nicht ctwa in einem mangelnden Iritcressc, sonclcrn i i i i Vcrlüngeii clcs altcriiclcii Husscri, s c i i i c während Jahren herangereiften Gedanken in abgeschlossener Form zu publizicrcn. Diese Aufgabe licss Husserl keine Zeit mehr finden, sich eingehend mit andern Autoren zu beschäftigen. 1928 schrieb er an Rickcrt: „In unserem Alter . . . muss der Selbstdcnkende den notwendigen Egoismus walten lassen, nämlich dic ihm anvertrauten Gedanken zu Ende denken, wobei keine Allotria, wie die Lektüre fremder Schriften, stören dürfen." 3
-
J 8. Husserls S$äberke Nach seiner Emeritierung i ~ nJahre 1928 arbeirete Wiisserl hauptsächlich an gossen Publikationen. Es gelang i h n allerdings nie, diese für ihn brfriedigend zu vollenden. 1928 beabsichtigte er, einen systematischzn Entwurf einer transzendental-phänomenologisch begründeten Logik zu verfassen und beauftragte zu diesem Zweck seinen Assistenten, Ludwig Landgrebc, Manuskripte aus seinen früheren Vorlesungen und persönlichen Untersuchungen zusammenzustellen und systematisch auszuarbeiten. Die Einleitung, die Husserl in den Wintermonaten 1gz8/zg für dieses geplante Wcrk schri>b, cntwickcltc sich zu cincni umfasscndcn, iiinerlich. geschlossecen Zusammenhang und erschien I929 selbständig unter dem Titel Formale und transzendentale Logik. Zu Beginn desselben Jahres verschwand dann jenes geplante Buch aus Hiisscrls Tiitcrrssrnkr~is;crst lriirz nach dem T d c Htisscrls wurdc cs als Ii'r/aAm~zgwad Uvlcil voii Laiirlgrcbc vcrliliciitliclit, ohne dass ihm Huiserl noch die letzte eigene fiberarbeitiing und Durclisidit nngcdcilicii ljcss. Urs:~cl~cfür jencn Intcrcsscnschwund für dieses geplante Werk waren die Parker Vorträge, die I-Iiisscrlin1 Fcliriiar 1929 :Ln der Sorbonnc hielt. Dicsc VortrZge arbeitete Husserl noch im selben Friihjalir zu den Mediiations cartbiennes aus, di? 1931 in Paris erscliienen. Für den detrrschcn Leserkreis wollte Husscrl dicscs Wcrk zu ciriexn graiscn Entwurf Philosqd~kwcitcr i ~ , t i s l i t ~13is h . I():IX der ~~1i~i101nc1ioIogis~~l~c11 ist Husserl in enger ZiisamnwnarLieit mit Bugen l z i i i k mit den Cartesianischen Meditationea beschäftigt.1 Weniger wegen der ausseren Schwierigkeiten, die das antiscmitischc Regime Husserl bereitete, als wegen innerer Unbefrierlipng an diesem durch den Cartesianischen Ansatz bestimmten Wcrk hat Husserl nach eincr Zeit niederdrückender Depressionen die Arbeit an ihm aufgegeben.2 Seit 1935 ist er, wiederum veranlasst durch Vor-
'
1
a.a.0. S. 235 (1924).
Ganz oder teilweise hat Husserl in dieser Zeit gelesen die beiden Schriften von H. Rickert, Kant als Philosoph der modernen Kultur und Die Heidelberger Tradttion rcnd Kants Kritizismus; weiter auch die Werke von J. von Kries, Immanuel Kant und seine Bedeutung für die Naturforschung der Gegenwart und von R. Kroner, Von Kawt his Hepel; vgl. U. Anhang 11. Viricf an 1 1 . l
43
Die Cart. Med., die in der Ha vorlicgcn, sind der deutsche Originaltext zu den MUitations Carthiennes und nicht etwn riiie rrweitt-rtp I'assuiig. ('«ttesianisckr~rdlcdtlulionrn IHc Zcit, i i i (Irr I linsorl w i i i w 1'I:iii tlcr ~liw1srli~ri aufgab, kann sehr gut an Hand voii Ikicfen I-Iusserls an Kornaii Ingrrden festgestellt werden. Diese Briefe geben auch Aufschluss über die Gründe, die Husserl zum Fallenlassen dieses Werkes bewogen: Im Brief vom 7. April 1932 schreibt er von schweren Depressionen, die ihm das Arbeiten verunmöglichen; am 11. Juni desselben Jahres berichtet er: „Ich bin zur Überzeugung gekommen, dass nur eine virklich konkret explizierende Emporlrilurig von dc.r nntiirlirlirri W d t - und Seirishate iiherliniipt zur ,Lrn~i~z~~iitlcritnI'.~~I~ii~~i~~~~t~~~~~Ii~~:isil~~t I:iriiikr<~l<:
träge (in Wien und Prag) mit einem neuen grossen Entwurf der pliiinomcnologisclicn Philosophie beschäftigt, mit der Iirisis.1 Vor Husserls Tod irn April 1938 erschien aber von diesem auch unvollendet gebliebenen Werk nur ein vcrhältnismässig kleiner Einleitungsteil. Während dieser letzten Jahre war Husserl ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. E r hat kaum mehr fremde Autoren gelesen und lebte ein immer einsameres Leben. Husserls Wille, seine eigenen Gedanken zu einer Vollendung zu führen, die Bclicrrscliung des philosopliischcn Feldes in Freiburg durch seinen Nachfolger, Martin Heidegger, das antijüdische Regime seit 1933, alle diese Faktoren trugen zu dieser Vereinsamung bei. Auch Husserls persönlicher Kontakt mit den Kantianern hörte auf. Diese hatten 2.T. selbst unter der jüdischen Diskriminierung zu leiden und emigrierten. Der bisher lebhaft gepflogene Briefwechsel mit Rickert bricht I932 ab. Mag Husserl während dieser letzten Zeit auch die Schriften Kants nicht mehr studiert haben, so war ihm nun doch die Kenntnis seiner Philosophie zu einem dauernden Besitz geworden. In Husserls späten Werken wird die Gegenwart Kants immer wieder fühlbar. Die Formale und transzendentale Logik enthält verschiedcrie Bezugnahmen auf Kant. Husserl bringt in diesem Werk ausdrücklich seinen eigenen Begriff des Analytischen in engen Zusammenhang mit demjenigen Kants; 2 er appelliert weiter an 13egriindung dcr Methodik und universalen Problematik der TrariszendcntalpIiilosophie nützen kann; dass es irn wirklichen Durchführen allein gezeigt wcr
-
1
i
Kants Begriff der transzendentalen Ästhetik 1 und anerkennt bei dicscm Philosophen konstitut ivc Analysen der wissenjchaftlichcn Natur, hebt aber auch kritisch das Fehlen einer kons~itutiven Problematik für die vorwissenschaftliche Natur cnd die formale Logik hervor.2 Dieses Werk Husserls, das zum grössten Seil noch 1928 geschrieben wurde, s e h t in enger inhaltlicher Brziehung zur wissenschaftstheoretischen Vorlesung Natur uxd Ceiit und zu den Kantübungen vom Sommersemester 1927. 3 s ist iliöglich, dass Husserl damals der Plan, eine sytematische Wissexchaftslehre zu schrcibcn - zu der Formala und transzcndsntsle Logik eine Einleitung sein wiU - gereift ist.3 Auch die unmittelbare Gegenwart Kants in jenen Vorlesungen und Übungen hat sich in abgeschwächtem Masse auf diese ,,Einleitung" ausguwirkt. Die Cartesianischen Meditationen stehen, was ihr Einstieg ir. den transzendentalen Bereich anbelangt, unter dem Stcrn Descartes'. Husserls Cartesianischer Weg in die Transzmd-ntalphilosophie hat keine Beziehung zum Kantischen 'Denken, sonderc stellt sich vielmehr zu diesem in einen radikalen Gegensatz. Deshalb ist denn auch in diesem Werk von Kant nur wenig die Rede.4 Ganz anders steht es nun mit dem letzten Werk Huscerls, mit der Krisis, das er aus dem Bewusstsein eines gewiwn 'Misslingen~der Cartesialzischen Meditationer, heraus geschrieben hat und in dem er sich ausdrücklich vom Cartesianischen Keg in die Transzendentalphilosophie distanziert. Diese Abiwn&mg vor. Descartes - allerdings keine totale - ist verbundrn mit ciucr ausdrückliclien Ariknüyfung an Kant. Dics ist kcinZufal1, sondcrc Descartes und Kant sind die bcidcn beständigcn, di;~irielralenigegengesetztcn Pole, in deren Spannungsfeld FIusserl dauernc darum ringt, den Sinn seiner phänomenologischen ReAulrtion unc damit seiner Philosophie überhaupt klar zu erfassen. so dass die Entfernung von cinein Pol die natwrncligc Anntlm-ung nn der, anderen bcdeutet.6 Gehen wir in der Absicht, das Kmtverhältnis a.a.0. C. 256. a.a.0. 5 100. 3 Den Zusammenhang zwischen der Vorlesung Ndur und Ge& m d Formale find transzendentale Logik hebt Husserl in einem Brief an Rickert vom 16. Bez. 1928 bervor. E r berichtet Rickert über seine Kritik an dessen Methodologie in jeaen Yorlesungen und bemerkt, dass aus dem gegenu-ärtig unter seiner Feder ligenden VIIrk (Logik), das eine philosophische Einleitung in die Wissenschaftslehre dasteile, einiges über den Stil dieser Kritik zu entnehmen sei; s.u. 5. 395, Anm. 2. 4 I n den Cart. Med., S. 118 hebt Husserl seinen Idealismus v o n KantisrAen ab n r d S. 173 nimmt er Bezug auf Kants Idee der transzendentalen Aszhetili. 5 S.U. 8 18. 1
des letzten Husserlschen Werkes zu umreissen, etwas näher auf dessen äussern und innern Aufbau ein. Wie wir bereits erwähnten, hatte Husserl für dieses Werk eine Kritik Kants geplant. Im neunten undirn IetztenlParagraphen des bereits in der Zeitschrift Philoso$hia (1936) 1 veröffentlichten historischen Teiles wird diese Kritik angekündigt als ausführliche Auseinandersetzung mit der Kantischen Problematik der synthetischen Urteile a priori sowie als Untersuchung des Stiles der Kantischen Wissenschaftlichkeit in Konfrontation mit der radikalen Fragestclliirig Descartes'. Dirse kritischen Analysm sollen nach Husscrl den Zweck haben, dic Stcllurig liants und dcs von ihm ausgegangenen deutschen Idealismus in der teleologischen Sinneinhcit der ncuzcitlichcn Philosophie zu erfassen, ja die ganze frühere Philosophiegeschichte in Hinsicht auf die teleologisch erstrebte Wissenschaftlichkeit zu erhellen und damit den radikalen Gegensatz von Objektivismus und Transzendentalismus hervortreten zu lasscn. Andererseits sollen sie aber auch gleichzeitig die philosophische Selbstbesinnung zur fetzten Wende führen, die die Dimension des Transzendentalen wirklich zu Gesicht, zu direkter Erfahrung kommen lässt. Somit hätte die Kantkritik den Ubergang von den historischen zu den systematischen Gedankengängen gebildet. Die Husserliana-Ausgabe der Krisis enthält in ihrem Anhang1 cin Vorwort Husserls zur Fortsetzung dieses Werkes. Es hätte denjenigen Teilen der Krisis vorausgehen sollen, dic als Fartsetzung des in der Philoso~hiaerschienenen Stücks gedacht waren. In diesem Vorwort schreibt Husserl, dass cr nun „sogleich an die neuen, dic eigentlich ausführenden Gedankengänge eintreten" 2 und die am Schlusse des vorigen Abschnittes in Aussicht gestellte Kantkritik verschieben wolle. Er begründet dies damit, dass die sehr umständliche und neuartige Analysen erfordernde Kantkritik besser in einen einheitlich systematischen Zuge als iriricrhalb tlrs R:ihmens riner teleologischen Gescliichtsb~trachtung, dic ilirc bcsondercn Gcsiclitspuriktc Iiüt, rlurcl~gciülirtwcrden könne. Es wird aber betont, dass diese systematische Rantkritik später noch geleistet werden müsse, um zu verhindern, dass „die ungrhcure Geistesmacht, welche die Kantische Denkweise 1 2
Ha VI, Beilage XIII.
a.a.0. S. 4 3 6 ( 1 9 3 6 ) .
bisher zu üben berufen war, nicht zu einer unüberstei,;lichen Mauer der Vorurteile" 1 werde und die Fortentwicklung der Philosophie unterbinde. Dieses Vorwort gehört nun aber nicht zum dritten Teil der Krisis, wic er in der Husserliana-Auqabe v~~rliegt. sondern zu einer geplanten Umarbeitung desselben.2 Der heute vorliegende dritte Teil knüpft ja an Kant an und enthält kritische Bemerkungen über dessen Philosophie, entspricht 3ber %?dererseits auch nicht den Ankündigungen in den ersten beiden Teilen. Bereits für den dritten Teil in der heutigen Gestalt hat Husserl den Gedanken einer ausführlichen Kantkritik filen gelassen. Aiisiitzc
zu
tlii:scr
Kritik, tlir ~ ' 1 ' . s c l i o r i
iii
Iclzlvr I
tung vorlagen, wurden nicht mehr in diesen Text aufgenommen.^ Die genannten Ansätze, die aus Juli oder August 1936 4 stammen, behandeln Kants synthetische Urteile a priori sowie dessen mangelnden Radikalismus, um auf Grund dieser Kritik der Voraussetzungen des Kantischen Philosophicrens die Notvrcndigkeit der transzendentalen Reduktion darzulegen. Husserl ist also langsam vom Gedanken, seine systematischer: Ausführungen in der Krisis an eine ausführliche Kantkritik anzuschliessen, abgekommen. Arn Plan, eine Kantkritik für dieses Werk zu schreiben, hat er aber festgehalten. Husserls Plar einer Kantkritik für die Krisis widerspricht nicht der von ur-s oben aufgestellten Behauptung, dass dieses Werk in einer ~ O Q deren Nähe zu Kant stehe. Vielmehr ist diese Kant kritik gerade durch diese Nähc bedingt: Weil X-lusserl a n ICant anknüpf:, wird es für ihn auch notwendig, die wesentlichen Mängel der Kantischen Philosophie hervorzuhcbcn. Dies sei durch das Folgcnde kurz erläutert. Textkritisch gesehcn besteht die Krisis aus zwei bzw. drei heterogenen Teilen: Ei~ierscitsaus Tcxten, die auf den 'Niener Vortrag vom Mai 1935 und die Prager Vorträge vom November desselben Jahres zurückgehen und die die ersten beiden Teile soo
' l1.11.i~.s.
\ H (li1.7h).
Ilusscrl Iiat deii Iiciitc vorlicgeiirlcr~drillcii 'Scil lit.rcits :INA . Liclierl zur Vr--öffentlichnng in der PhilosoPhia gesandt, ihn aber später wieder zlrückverlangt ( s . IIa VI, I'?iiilcitiiiig tlrs I-lrraus~cl~crs, S . XIV). a s. die Beilagen X und X V von Ha VI. 4 Beilage X ist von Husserl datiert: Juli 1g3h". l k r Text dpr Beilage X V trägt d-e ~ ~ I I w ,,All5 ~ ~ I ' ~~ i ~t ~ l ~ b w 1 !i:lplvI!~r) ~ l v ~ ~ ~ ~ i ~ l w l lAnktbh]d1111~ r ~ ~ l ~ r :111 i
-
wie die Sektion B des dritten Teiles bilden, und andererseits aus einer ausführlichen Abhandlung über das Problem der Lebenswelt (Sektion A des dritten Teils). Im Wiener Vortrag sprach Husserl unter dem Titel Die Philosophie in der Krisis der euro#aisch.m .Menschheit 1 über die Stiftung dcr Idee des Rationalismus als der Idee eines Lebens aus reiner Vernunft in der griechischen Philosophie und über das Versagen dieser Idee in der Gestalt des neuzeitlichen Objektivismus. Als die Rettung aus der daraus erwachsenen Krisis des europäischen Menschen stellt Husserl die Wendung zum transzcndentalcn Subjektivismus dar. Im Verlauf des Vortrages erwähnt Husserl den deutschen Idealismus als einen Versuch, den Objektivismus zu überwinden, ohne aber darauf einzugehen, warum diese Kopernikanische Drehung noch nicht dem echten Rationalismus zum Sieg verholfen hat.2 Diese Fragen versuchen die Prager Vorträge Die Psychologie in der Krisis der euro#äischen Wissenschaft 3 zu beantworten. Die Unzulänglichkeit des bisherigen transzendentalen Idealismus besteht nach ihnen im Mangel einer methodisch durchgeführten intuitiven Bewusstseinsanalyse.4 Die Hauptschuld für diese methodische Verfehlung trägt nach den betreffenden Ausführungen Husserls die damalige naturalistische Psychologie, die dem Wesen der Subjektivität in keiner Weise gcrecht wurde und damit auch der Transzendentalphilosophie keine vemitt$nde Arbeit für eine Bewusstscinsanalyse leisten konnte.5 So sinp denn die Prager Vortrage ausführlich der Kritik der bisherigen Psychologie und der Erarbeitung der Methode einer cchten intentionalen Psychologie gewidmet - eine Aufgabe, deren Lösung „von selbst und mit Notwendigkeit zu eincr Wissenschaft von der transzendentalen Subjektivität und so zu ihrer <SC. der Psychologie) Verwandlung in eine universale Transzendentalphilosophie führen muss". 6 Der deutsche Idealismus - und im besonderen Kant - nimmt also im Gedankengang der Prager Vorträge eine zentrale Funktion veröffentlicht in Ha VI, S. 314-348 (1935). a.a.O. S. 339. Die Manuskripte dieser Vorträge befinden sich im Husserl-Archiv unter der Signatur K 111 1/11 (1935). 4 a.a.0. C. 24. 5 a.a.0. S. 10. 6 Krisis, S. zof 1
P
I
1
HISTORISCHER ÜBERBLICK
49
ein: Ihr HauptprobIem ist es, zu zeigen, warum die Kopernikanische Wendung Kants noch nicht die endgültige sein und darum auch nicht den Objektivismus als die Ursache der gegen-rtigen Krisis der europäischen Menschheit endgültig überwinden konnte. Dieser Gedankengang wird in der Krisis durrh die Ehschiebiing der Idcl~cnsweltproblematik(Scktion A des dritter. Teils) unterbroclien. 1111 Hinblick auf dicscs cirigclügte Stück crlialten auch die beiden ersten Teile des Werkes, die im wesentlichen auf die Vorträge zurückgehen, diesen gegenüber einige Neuerungen, so vor allem den 9 9 über GaliIeis Mathematisierung der Natur, abcr aiicli die beiden letztcn Paragraphen übm K m t . 1 Crcgcniiber den Prager Vorträgcn treten in diesen beiden lir-r-t-l'aragk~plicn wesentlich andere Motive auf. EinmaI wird K m t s mangelnder Radikalismus hervorgehoben, andererseits aber noch mehr Gewicht auf Kants Reaktion gegen den Humeschen Datenpaitivismus gelegt. Kant habe gegenüber Hume erkmnt, dass die in der sinnlichen Wahrnehmung erscheinenden Gegenstände nichr blosse sensuelle Daten seien, sondern im Verborgener vom Verstand konstituierte Einheiten apriorischer Formen.2 Irn Hinblrck auf diese beiden Motive geschieht nun in der ersten Scktinn des dritten Teils die Anknüpfung an Kant. Diese -4nknüpfung umfasst die Paragraphen 2.8 bis und mit 32 und stellt einen ersten skizzenhaften Vorstoss in dic transzendentale Dimension (Par, die gegenüber dcr „flächenhaften" Erkenntnisspliäre des natürlich objektiven Lebens die verborgene „Tief-rndirnension': oder „dritte Dimension" bildet. Kant wird hier dargestellt als Entdecker dieser neuen Dimension, d.11. der die sinnliche Welt transzendental konstituierenden Subjektivität. GIeishzeitig geht es aber Husserl darum, zu zeigen, dass diese grosse Entdeckung Kants nur eine Vorentdeckung und nicht ein wirkliches Besitzergreifen war: Husserl weist einerseits auf Kants Voraus.iAzung der Lebenswelt und andererseits auf denselben Mangel, Cen die Prager Vorträge und die entsprechenden Teile der Krisis als die tiefste Ursache des Misserfolges der bisherigen Transzendentalphilosophie angeben: „Der Mangel an einer anschaulich-~ufweisenden Methode als Grund für die mythischen Konstruktionen Kants" (Titel des $30).
G e beidcn heterogenen Teile der Krisis weisen also eine ähnliche Struktur auf: Die Transzci~deiitalpliilosofllieICants (manclimaJ spricht Husserl auch ganz allgemein von der Philosophie des deutschen Idealismus) taucht in beiden Gedankengängen auf als Überwindung des Objektivismus. Einmal wird diese Oberwimlung itn geschichtlichen Zusammenhang gesehen (in den T c i l c ~der ~ Krisis, dic : ~ u filic I'rik~cr VorLr!igo Z I I ~ ~ \ I : ~ < K ( * ~ I ( ! I I ) , das andere Mal als uberwindung der „lilächenhaftigkeit" des natürlich-objektiven Lebens (Sektion A des dritten Teils). An diese Kantische uberwindung knüpft Husserl beidesmal seine sy3teiiiatisclicn Einfül~rungenin dic 1)iincnsion der transzcndriitakn Phänomenologie an: Sie gibt diesen einen Verweis in die Dimension, in die sie selbst vorzustossen haben. Indem Husserl an Kant anknüpft, zeigt er aber zugleich die Notwendigkeit, über ihn hinauszugehen, um den Objektivismus endgültig zu überwinden, bzw., um die transzendcntalc Dimension wirklich wisenschaftlich zu erfassen, Dazu bedarf er einer Kritik Kants, die er irn heute vorliegenden Text der Krisis nur andeutet, in systematischer Form aber noch auszuführen plant. Durch unsere Hinweise ist die enge Rcziehung der Krisis zu KaTit für den jetzigen Zusammenhang genügend deutlich geworden. Sie würde es als nicht willkürlich erscheinen lassen, das letzte grosse Werk Huscerls in Konfrontation zu dcn Cartesianischea Mcditatwnelz „Kantianische Meditationen" zu nennen.
2. TEIL
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
V O N H U S S E R L S VERHÄLTNIS ZU K A N T U N D ZUM NEUKANTIANISMUS
+I.
ABTEILUNG))
HUSSERLS V E R H Ä L T N I S ZU K A N T
Zum voraus sei einiges über die Einteilung der hier folgenden Kapitel bemerkt. Irn ersten Kapitel stellen wir die grosscn Linien von Husserls Kritik an der Philosophie Kants dar, um dann in den fünf folgenden auf die positiven Aspekte von Husserls Kantverhältnis einzugehen. Diese Trennung von Kritik und positivem Verhältnis hat natürlich einerseits einen künstlichen Charakter, da in Husccrls Bczicliung zu I<mt clicsc bcidcn Moincntc ciig vcrbunden sind. Wenn Husserl sich gegenüber Kant kritisch äussert, dann unterlässt er es selten, auch auf einen positiven Aspekt von Kants Philosophie hinzuweisen, der In sich schon auf die Überwindung jenes kritisch abgelehnten Momentes hindrängt; und wenn Husserl positiv an Kant anknüpft, dann lasst cr fast immer auch ein ,,aberH folgen. Unsere Trennung ist aber andererseits nicht nur dadurch gerechtfertigt, dass sie eine klarere Darstellung ermöglicht, sondern sie bezieht ihre Motive doch auch aus drr Struktur voii Ilusswls l~i~iitvc*rliiilliiis sclbsl. 1)vnii i Iiisscrl faiid bei Kant Fragestellungen und Wahrheiten ausgesprochen oder auch nur intendiert, die er für grundlegende Erkenntnisse hielt, andererseits aber durch falsche Vorurteile, ungenügend geklärte Voraussetzungen und methodische Mä~igclvcrhüllt odcr sogar verfälscht sah. Die Kantische Vemunftkritik enthielt für ihn „Tiefen. . . und Vorgestalten von Strukturzusammenhängen, an die die Kantischen Theorien aber nicht heranlangten". 1 Sie stellte sich ihm also in1 grosscn und ganzen dar ;ils ein Gclialt von nllw höchstem Wert, aber verdorben durch einen schlechten systematischen Rahmen. So verlangt Husserl schon in einer Vorlesung aus der Zeit der Logischen Unterszlchzlngen, dass „das systematische Gefüge der Kantischen Gedankenwelt vorerst völlig gebrochen und durch das Scheidewasser scharfer Kritik völlig zer1
Ha Vi, Beil. XV, C. 455 (1936).
54
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
setzt werden" müsse, um den Gehalt dieser Philosophie für den Fortschritt der Wissenschaft fruchtbar machen zu können.1 Diesen positiven Gehalt betrachtete er als einen vollen Zusammenhang, der von den'verkehrten, „dem tiefsten Sinn und Iiccht dcs Kantischcii w;tlcrstrcitcndcn" rnctaphysischen Theorien abgesondert werden kann und muss.2 Unsere systematische Darstellung des positiven Aspektes von Husserls Kantverhältnis folgt dem inneren Gedankengang von Husserls Philosophie. Sie zeigt als Erstes, welche Bedeutung IGints Ausfiilirungcn übcr das andytisclie iind syntlietisclie Apriori und über das „System der reinen Wissci~scliafteii"für Husserls Konzeption der positiven Logik und Ontologie 3 beSassen (2. Kapitel). Darauf geht sie auf Husserls Idee der radikalen Begründung und Kritik des positiven (oder objektiven) Apriori (alstlss Prinzips drr pnsitivrn Erkenntnis) ein und fragt nach dem Verhältnis dieser Idee zum Gruiidinotiv von Kants Vemunftkritik (3. Kapitel). Das vierte Kapitel betrachtet Husscrls Steilung zu Kant vom Gesichtspunkt der transzendental-phänornenologiscl~enReduktion, d.h, vom Gesichtspunkt der Methode des Zuganges zuin Bereich dcr letzten pliilosopliischcti ,,Grüiiclc". Das fünfte Kapitel behandelt unser Problem hinsichtlich der in dieser philosophischen Dimension sich stellenden universalen Problematik der „Konszitution", während das sechste Kapitel es iii die iiictnliliysisdicii Ronscqitc~iizriihiticiri verlolgt. lciii Ictzics Kapitel legt dar, welche Stellung IIusscrl der Kantisclieti Philosophie in seiner teleologischen Sicht der Philosophiegescbichtc zuteilte.4
1 s. Ha
VII, Beil. XV, S. 356 (wohl etwa 1897198). Ha VII, ICant. ., C . 235136 (1924). 3 Ontologie im Sinne Husserls als ,,positive Gegenstandstheorie". 4 Auf eine Darstellung von Husserls Verhältnis zur Kantischen Ethik verzichten wir, da hier die wesentlichen Punkte bereits von A. Roth, Edmund Husserls ethische Ultterswhungen erörtert wurden (s. a.a.0. bes. $8 15-17).
.
I
I.
KAPITEL
HUSSEKLS K A N T K R I T I K
1 i
,f 9. Ir'ritik a n einigen falschen Vorurteilen Kants
Iin crslcii 1':~r:~gr;lplic:iiiinscsrc:r I):irstvIIiiiig von I liissc?rls Kantkritik sollen kritische Erörterungen Husserls zur Sprache kommen, die einige falsche Vorurteile des Kantischen Philosophieren~betreffen, d.h. falsche Auffassungen, die Kant als ,,Kind seiner Zeit" zum vornherein mit in seine Fragestellung, sein tiictliotlisclic~sVorgc.liciit iiiiil sc.iiic: I'rolilc~iiilijsiiiig1iiiic:iiibrachte, ohne sie vorher selbst radikal geprüft zu haben. (a) K a n t fehlt d e r e c h t e Begriff des Apriori ( d a s antipliatonisclie u n d d a s f o r r n a l - r a t i o n a l i s t i s c h e Vorurteil K a i i t s } Dem Begriff des Apriori Husscrls liegt desscn Lehre vom Eidos zu Grunde. In Formale und transzendentale Logik schreibt er: Der %griff Eidos ,,definiert den einzigen dcr l-kgriffe des vieldeutigen Ausdrucks ,n piiori', (lcii wir pliilosol)liisc:Ii :ti~c~rkc:iiiiciii. 15r ;~tisschliesslich ist also gemeint, wo je in meinen Schriften von ,a priori' die Rede ist''. 1 Unter „Eidos" versteht Husserl das durch die Ideation (allgemeine Anschauung) zu erfassende (wenn auch nicht immer adäquat zu erfassende) allgemeine Wesen. Jedes Individuum stclit tiach FIusscrl cincrscits hinsiclitlicli scinrs ganzen Wasgehaltes unter einer Hierarchie von Wcsen verscbietlericr Allgemeinheitsstufe (verschiedener Stufe des Generalisierung); anderseits untersteht es leer formal (als ein Etwas überhaupt genommen) den analytisch-formalen Wesen, die zu den sachhaltigen Wesen nicht irn Verhältnis der Generalisierung (bzw. Spezialisierung), sondern der Formalisierung stehen.2 Als Apriori bezeichnet nun Husserl die zwischen den allgemeinen Wesen beJ
Logik, S. 2x9, Anrn.
* zu Husserls Lehre vom Eidos s. Ideen1 ,§B 2-17; Phänomenologische
Psychologie, $9.
56
SYSTEMATISCHE DARSTELLU
stehenden notwendigen Beziehungen, d.h. die Wesensgesetze, und als apriorische Erkenntnis eine Erkenntnis solcher Gesetze. Diese Erkenntnis kann nach ihm zwei Formen annehmen: als Urteil üjer das allgemeineWesen und als Urteil über die möglichen Individuen als Einzelfälle des allgemeinen Wesens (Urteil in Forni des „überhaupt1'). „Der echte Sinn des ,a priori' ist bezeichnet durch das Reich der in reinem und vollkommenem Schauen 'der generellen Evidenz erfassten Wesenswahrheiten, d.h. der Wahrheiten, die in ihrem allgemeinen Sinn keine Setzung von singulärem individuellem Dasein einschliessen und bloss aussagen, was zu reiner Allgemeinheit, reiner Idee oder Wesen als solchen untrennbar gehört, was also für jedes mögliche Individuell:, das Einzelheit solcher Allgemeinheit ist, unbedingt gelten muss." 1 Dass Kant diesen ,,platonischen" 2 Begriff des Apriori als des in allgemeiner Anschauung zu erfassenden Wesensgesetzes verfehle, hat Husserl fast in jeder Kantkritik hervorgehoben.3 Er sah ihn hier unter dem Einfluss des zu Kants Zeiten verbreiteten Antiplatonismus.4 Wie beurteilte Husserl Kants Begriff des Apriori? Insofern der Kantische Begriff bloss negativ das logische Vorausgehen oder die Unabhängigkeit von der Empirie (alsErfahrung individuellen Daseins) bedeutet, wird er von Husserl in seinen eigenen Begriff des Apriori aufgenommen - daher ja die Identität der Termini -, wenn jene Unabhängigkeit bei Kant und I-Iusserl zwar auch nicht völlig den sclben Sinn hat. Für Husserl ist die Wescnserkenntnis insofern unabhängig von der Empirie, als es zur Erfassung von 1
M%. transcr. P I 28, S . 298199 (CS rgzo).
H .rserls Begriff rlm Wesetis kann als platoiiisierciid bezeichnet werden; er iiiitcarscheiCet ihn streng vom Begriff des Begriffs, den er im Gcgcniatz zum Wesen als lasst. Tti rrir!tapliysisr.hrr Ilinaiclit ahrr folgt cr Platnir k ~ i n e n w e ~ s : e wirft t I7rrlrtiti~ii~ dIosn18 O I I I O I ~ ~ ~ I I ~ ~ I ~tim? I ' IIIIIWI I I I ~ (WOIWII) vor. N~iclttletii ~ ~ i t \ l t ~Iliin~i~rl ~ ~ n i i IIIIIIOII die Realitäten vor den Idealitäten einen Seiusvorzug, d a diese auf jciio ziirückbezogeii sind (I. Logik, 5 64). Auch was die Wesensschau anbelangt, sind Divergenzen zwischen Husserl und Platon nicht zu übersehcn: Husserl betont die prinzipielle Unmöglichkeit einer adäquaten Anschauung gewisser Wesen, nämlich derjenigen aller Kealitätcn (s. Edien I, C, 14); dies bedeutet, dass nach Husserl nicht alle Wesen völlig bestimmt sind. 8 s. L&. Unters. 11, I . hnfl., S. 674; Ha V11, Iicil. ?(V, C. 351 f f . (ctwn 1897/98); a.a.O.Bei1, XVI, C. 359 (etwa 1908); a.a.0. Beil. XX,S. 3go (1go8); a.a.0. Beil. X X I , C. 402 ff. (CS 1916); Ms. transcr. F I 28, C. 294 (SC ~ g z o ) Erste ; Ph. I, S. 198199; Ha V I I , Kants kopernikanische Umdrehung.. ., C . 228 (1924); a.a.0. K a n t . . ., s. 235 (1924). 4 s. Logik, C. 229. 2
I
Wesen %nd Wesensgesetzen ebenso gut möglich ist, von erfahrenden als auch von „nichterfahrenden, nicht-daseinserfassenden", vielmehr „bloss einbildenden Anschauungen" auszugehen, so dass die ,,anschauende Erfassung von Wesen nicht die mindeste Setzung irgend eines individuellen Daseins impliziert". 1 So bedeutet denn auch für Husserl „a priori" nichts anderes als egenüber der Erfahrung „Früheresw. 2 Wie der eben zitierte Text aus den Ideen I zeigt, liegt in dieser Unabhängigkeit von der Erfahrung also nur die Unabhängigkeit von der Existenz der unter dem betreffenden Eidos stehenden individuellen Gegenstände (die also auch nur mögliche sein können). Im Apriori Kants ist diese Existenzunabhängigkeit auch enthalten; sie zeigt sich am deutlichsten in der sogenannten ,,Vernichtungs-" oder „Weglassungsargurnentation" für das Vorkommen apriorischer Begriffe.3 Diese Argumentation hat Husserl in zwei Texten aus den Jahren zwischen 1907 und 1909 interpretiert als Argumentation fiir die Existenzunabhangigkeit der idealen Möglichkeiten und ihrer apriorischen Gesetze.4 Mit dieser ~ x i s t e n z i n a b h ä n ~ i ~ k e i t ist nun aber der Sinn der Apriorität des Kantischen Apriori gegenüber der Erfahrung nicht ausgeschöpft. Die Apriorität der &&rischen Erkenntnis bedeutet für Kant auch, und vor allem, deren logische Unabhängigkeit von allem besonderen „Materialv oder Inhalt, den die Erfahrung liefert, also die Unabhängigkeit von allem Inhalt überhaupt, da es nach Kant nur die Erfahrung ist, die urspriinglich einen solchcn geben kann. Daher ist für Rant ein materiales Apriori eine contradictio in adjecto. 5 Dies ist bei Husserl keineswegs der Fall. - ~ üihn r gibt es ein materiaies Apriori, nämlich die Gesetze, die die Beziehungen zwischen den saclihnl t igen Wcscn bestimmen und in tlicscm
C,
Zfccn I , S. 16jr7.
M*, OrIn. 1' 1 .l4b, s. 5111 [ c w t ~ v ~ ~ 1,,16 b r t~4h.r W s 18)10/2<~), g s . dns zweite I~auiii~irguiiia~it I
liiiiit!iiiiiig iii rlie h'ritfh der reidera Vernunft der 2. Auflage. s. hls. transcr. B IV 1, S. 24-33 (wohl Igo7 oder 1908) und a.a.0. C 53/54 (19. Dez. 1gogl. 5 Nach Kant kann die Hierarchie der Spczies und Genera als Inhalte der Erfahrung nicht aus den apriorischen Grundsätzen (aus dein reinen Verstand) abgeleitet werden uiid ist insofrrri iiiclit a primi iii~tweiidi&I>;<:r r f l r x i vr IIrtrilskr:ilt, (liv n i i r i 1 % ~ sonderen der Erfahrung ein Allgemeiiies sucht, beruht aber nach Kant trotzdem auf einem apriorischen Prinzip, dem Prinzip der formellen Zweckmässigkeit, das die Gliederung in Spezies und Genera im Formellen a priori, aber doch bloss subjektiv rechtfertigt. Diese Apriorität betrifft aber nur die Gliederung überhaupt und nicht deren konkretes Aussehen; sie ermöglicht also keine bestimmten apriorischen Urteile.
60
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
...
wer-diger- Urteile auf den Menschen hin relativiert: „Bei Kant setzt uns der Begriff des Apriori in beständige Verlrgenhrit. n c r Charakter der Allgeneinheit und Notwendigkeit, durch den er ihn kenmrichnet, weist auf absolute Evidenz hin, also wie wir erwarten müssen, wäre es Ausdruck für eine absolute Selbstgebung, deren Leugnung ein Widersinn wäre. Aber dann sehen wir alsbald, das; das so nrcht gemeint ist und dass die apriorische Gesetzmässigkeit, durch die transzendentale Subjektivität Objektivität in sich (ihrer rationalen Form nach, die eben Objektivität möglich macht) gestaltet, dcxh nur die Bedeutung eines allgemeinen anthropologischen Faktums hat." 1 Weil die synthetischen Urteile a ~ n o r iriotwendige und a l l g e m e i n g ü l t i g e Wesensgesetze bedeuten, sinL sie nach Husserl nicht auf ein faktisches Subjekt relativierbar, sondern unbedingt gültig, auch für Gott. Er wirft Kant vor, die Allgemeinheit und Notwendigkeit dieser Urteile gewissermaccen als Symptome für den Ursprung im reinen menschlichen Subjekt zu betrachten, und nicht zu sehen, dass die Allg~meinieitund Notwendigkeit als im objektiven Gehalt dieser Urteile selbst gründend jedc Relativiemng auf ein besond e r 3 Subjekt widersinnig macht : „Kant sagt : Notwendigkeit und ausnahmslose Allgemeinheit seien die ,Kennzeichen' des Apriori. ,Kennzeicheny: sie sind Kennzeichen des Ursprungs in der reiner1 Subjektivität, in der Subjektivität, sofern sic nicht in der Em~findungvon aussen affiziert ist. Das ist transzcndentalpsycholqische Konstruktion; es ist das schlechte Erbteil der r;ttionalijtischen Traditionen. Nein, das echte Apriori hat mit der Frage, ob das Subjekt affiziert ist oder nicht, ob esvermögen hat oder nickt, gar nichts zu tunn.a Kants Beziehung der apriorischen Synthesis auf den Menschen interpretlert Husserl, mindestens in seiner früheren Zei:, als den Ausdruck der bffassung, dass synthetische Urteile a priori Synthesen scicn,jdie auch anders vollzogen sein könnren 3 und daher nur eine sfiezifisch menschlicke Notwendigkeit der Geltung ausdrückten.4 Genau in dieser Auffassung liegt nach Husserl Kants formal-rationalistisches Vo-urted: Kant habe nur gesehen, dass die Leugnung eines forErste Pi.. I, C. 199. 2 Ha VIT, Beilage XXI, S. 402 (SS 1916). S a.a.0. Eeil. XVI, S. 363164 (wohl 1908). 4 a.a.0. Beil. XXI, S. 433 (CS 1916). 1
mal-analytischen Urteils einen Widerspruch bedeutet, nicht aber, dass dir. 1.ciigniiiig cincs synthctischcn Urtciles a priori liirisiclitlich des Wasgehalts der entsprechenden Wesen einen evident zu machenden Vi7idersinn darstellt, dass diese Urteile also absolut gültig sind; fälschlicherweise habe er daher diese Urteile für solche gehalten, bei denen wir uns zwar gebunden fühlten, aber nicht eigentlich wüssten, warum." AIS verhängnisvoll für Kants Auffassung dcr synthctischcn Urteile a priori und des Apriori überhaupt betrachtete Husserl dessen Interpretation von Humes „Ideenrelationen" : Kant habe diese fälschlicherweise mit seinem Begriff der a n a l y t i s c h c n Erkenntnis identifiziert und das Bedeutsame übersehen, das bei Hume zwischen den Zeilen zu lesen sci : das echte Apriori, d.h. die im allgemeinen Wesen der formalen u n d materialen Begriffe gründenden und in Evidenz zu erschauenden generellen formalen (analytischen) u n d materialen (synthetischen) Beziehungen. 2 Husserls Kritik am Kantischen Begriff des Apriori bezieht sich weiter auch auf Kants konkrete Durchführung der Scheidung zwischen der analytischen und synthetischen Sphäre. Husserl betrachtete die Mathematik (Arithmetik, Mengenlehre, formale Mannigfaltigkeitslehre iisw.) als zum Bereich des Analytischen gehörig, während er andererseits Geometrie, Chronologie, Phoronomie usw. zu den synthetischen Disziplinen rechnete.3 So bemerkt er Kant gegeniibcr, der die Arithmetik als synthetische Disziplin bestimtntc: ,,Nicht gcschcri liat er, dass dic gcsamte mathematisclie Analysis mit all ihren Disziplinen zur Domäne der bloss widerspruchsloseii Denkmöglichkeiten gehört, also eine naturgemässe Erweiterung der alten Form der analytischen Logik ist, und unbekannt war ihm, dass schon Lcibniz dic Idee einer universeIlen Mathesis universalis ins Auge gefasst hatte, auf die der Tlcu ,Logik der Widers~~ruc~islosiglrclt' vollkommcn passt und die ihn einschliesst. Damit, dass bei Kant nicht bloss die Geometrie und ähnliche sachhaltige apriorische Disziplinen, sondern auch die Mathematik (mit allen Disziplinen der sogenannten Analysis) der synthetischen apriorischen Sphäre zu1 a.a.0. Beil. XVI, C. 359 (wohl 1908). G. a.a.0. BeiIage XV, S. 354 (wohl 1897198); a.a.0. Beilage XVI, S. 359 (wohl 1908); Ms. transa. F I 28, S. 294 (1g20). 19x0 verfasste A. Reinach, von Husserl angeregt, die Untersuchung Kants Auilassung des Humeschen Problems. 3 S. z B. BIS. orig. F I 12, C. 31b (WS I ~ I O / I I ) .
SYSTEMATISCHE D A R S T Z L L U N G
gerechnet werden, kommt eine grosse Verwirrung in die an sich erschaute und gewaltige Aufgabe einer transzendentalen Logik." 1 Die hier dargestellte Kritik Husserls am Kantischen Apriori wird im weiteren noch ergänzt werden: nämlich n unserer Erörterung von Husserls Kritik am ,,KantischenJ'Psychologismus ;2 vor allem wird sich aber unser bisher gezeichnetes Bild noch gründlich ändern, wenn wir untersuchen werden, wie Husserl das Kantische Apriori vom Gesichtspunkt serner Idee der Ontologie und des Verhältnisses von Ontologie und Phänomenologie beurtei1xe.s (b) K a n t t r e n n t z u schroff S i n n l i c h k e i t u n d V e r s t a n d Mehrmals hat Huscerl Kant den Vorwurf gemacht, dass er Sinnlichkeit und Verstand „in schroffer 'Ueise" einander gegenüberstelle.4 Nach Husserl sind Sinnlichkeit einerseits und Verstand, bzw. Vernunft andererseits nicht streng getretnt, sondern fliescen ineinander über, oder besser, es handelt sich hier gar nicht um zwei verschiedene Bereiche, sondern um zwei Aspekte einer tieferen Einheit. Das soeben Gesagte gilt zwar noch nicht für die Logischen Untevszcchulzgen. Dic Sphäre der ,,Sinnlichkeitn ist hier durch die schlichte (oder monothetische) Anschauung definiert, die dir: ganze schlichte Dingerfahrung umgrcift, lind sklit strcng für sich abgrenzbar der Sphäre des „VerstandesH als der Sphäre der fundierten oder synthetischen (in einem spezifischen Sinn) oder auch kategorialen Akte gegenübcr.6 Seit etwa rgog aber gebraucht Husserl den Terminus ,,Vernunftu oder „Verstand" auch für die schlichte Dingerfahrung, die von ihm immer schon als S i n n erfassung, also nicht etwa empiristisch als blosser Ablauf von Empfindungen gedacht wurde. Er spricht jetzt von der u.Jwenden Vernunft, in der sich die Gegenstänachkeiten aller Regionen konstituieren.6 „Verstand'' und „VernunftH in einem weiteren 1 8
Ms orig. F I 32, C. 12ga (SC 1927). S.U.6 12a. S.U. $ 1 3 .
W%.transcr. F I 28, S. 293 (1920); Ha VI, Beil. X, S. ~ Z O ! = I (1936). s. Log. U d e r s . 11, I. Aufl., 6. Unters., 2. Abschnikt. 8 s. z.3. Ms. transcr. F I 24, S. 32 (1909); Ideen I, S 333 ff.; Ha VII, Kants Kopernikani~cheUmdrehung.. ., S. 224 (1924); Logik, S. 205. 4 S.
4
Sinne bedcutet hier das Moment der A k t i v i t ä t , die als solche Normen unterliegt und in ihrer Normhaftigkeit „vernünftig" in einem prägnanteren Sinn i5t.l „AktivitätHist für Husserl „Urteilw im weitesten Sinn (also nicht beschränkt auf das prädikative Urteil, sondern auch die ,,ThesisH der Wahrnehmung unifassencl), in dem sich alles Sein (bzw. Nichtsein), alle geltende (bzw. nicht geltende) Gegenständlichkeit konstituiert. Dem Verstand oder der Vernunft als Aktivität oder Spontaneität stellt Husserl die Sinnlichkeit als Passivität oder Rezeptivität gegenüber.2 Die Scheidung zwischen Aktivitat oder Spontaneität einerseits und Passivität oder Rezeptivität andererseits ist nun aber für Husserl nur eine relative. Einmal ist Spontaneität immer mit Rezeptivität, Vernunft aiso immer mit Sinnlichkeit als ihrem Untergrund verflochten.3 Weiter ist für ihn Rezeptivität zugleich die unterste Stufe der Spontaneität oder Aktivität.4 Die realen Dinge der schlichten Erfahrung konstituieren sich in der Rezeptivität, in der Sinnlichkeit; aber-in dieser Rezeptivität fungiert die Spontaneität der sinnlichen Auffassung , also bereits mehr als reine Sinnlichkeit.6 Andererseits konstituieren höhere Vernunftakte (die eigentlichen Ich-Akte), 2.U. Akte des logischen Präriizierens, eine Habe, der gegenüber sich das ~ u b j e k t - p s s i v verhalt ; HusserI pflegt hier von „in Sinnlichkeit hinabgesunkener Vernunft" oder von ,,sekundärer Sinnlichkeit" zu sprechen.6 „Absoliite" Sinnliclikcit ist f ü r ihn nur dic LJrsiiinliclikcit, dir Urliabe oder die Urliyle, letztlich ciii blosser Grcnzbcgrilf.7 S o gilt denn, „dass die Scheidung von Aktivität und ~ a s s i v s äkeine t starre ist, dass es sich dabei nicht um ein für allemal definitorisch iestlegbarc Termini handeln kann, sondern nur um Mittel der Beschreibung und Kontrastierung, deren Sinn in jedem Einzelfall im Hinblick auf die konkrete Situation der Analyse ursprünglich neu geschöpft werden muss - eine Bemerkung, die für alle Be1 Zur Gegenüberstellung von Vernunft im prägnanten und erweiterten Sinne siehe Ha VI, Beil. X, S. 421 (1936); zu Husserls Vernunftbegriff siehe unseren Exkurs zu 8 I ib. 2 s. 2.B. Ms. transcr. F I 2 4 , s . 32 (1909);Ms.tianscr. B 111 10, C. 14 ff. (wohl 1921); Ms. transcr. K 111 26, C. 59 (1937). 9 s. Ms. orig. A V1 811, S. 36b ( I ~ I I / I Z ; )Ha IV, Beil. XI1 (xg16/17). 4 Ha IV, Beil. X I 1 (1g16/17); Ms. orig. D 19, S. 7a (1925). 6 Ha IV, Beil. XI1 (1916117). 6 S. ebenda. 7 S. Ms. transcr. B 111 10, S. 11/12 (1921).
6d
SI-STEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
schreibungen intentionaler Phänomene gilt". 1 Diese Bemerkung gilt demnach auch für die Gegenübcrstrllung von „Sinnlichkeitv ur.d ,,Verstad" (oder ,,Vernunftu). Husserl war sich woN bewusst, dass in Kants Begriff der Einbildungskraft, die sowohl sinnlich als auch verstandesmässig (qontan) ist, und deren Synthesis die phänomenale Welt anschauIich bildet, die schroffe Scheidung von Sinnlichkeit und B?rstand überwunden ist. Deshalb verliert aber Husserls Einwand nicht seinen Gegenstand. Denn rlie radikale Scheidung von Sinnlichke~tur-d Verstand bleibt bei Kant letztlich doch bestehen, nämlich als Korrelat der metaphysischen Gegenüberstellung des mndzds sm-lbilis und des mzcndus idelligibilis, der Kant vom S:andpunkt Cer theoretischen V e m n f t ein problematisches (wenn auch notwendiges), vom Standpunkt der praktischen Vernunft aber ein absolutes Recht einräumt, und die den metaphysischen Himergrund von Kants Scheidung von transzendentaler Asthetik 1733.transzendentaler Logik bildet. Einen solchcn Bezug ~s auf einen ~ . o mmund.us sensibilis getrennten r n ~ n d inEelligib.iEis hat Husseris Begnfi dcr Vernunft oder des Verstandes nicht. Husserl kennt zwar auch einen mundus ilztelli,oibilis,aber in einem völlig andein Sinne als Kant, nämlich die Wclt des Idealen, die zwar von der realen Welt der Wahrnehmung klar zu schciden, aber immer auf sie zurückbezogen und in ih: fundiert ist. Entsprechend kennt Huss-xl auch nicht K;lrits Bcgrifl der rcincii , d h . von der Sinnlichkci: völlig losgetrennten Vernunft. Wenn Husserl von ,,reinerV~rnunft"spricht, dann meint er dicWesenserkenntnis,die nach ---- ihm ruch das Gebiet dcr sinnlichen Inhalte mitumfasst, dä diese,z.B. $-ie3arbenundTöne, ja auch von Wesensgesetzen durcliherrscht s i ~ dSo . kann er gegenüber Kant den für Kantische Ohren paradoxen Satz formulieren: ,,Es gibt für jede Sinnlichkeit apriorische Gesetze ;jederlei Sinnlichkeitist eine Sphäre echter Rationalität, einer im guten Sinn reinen Vernnnft."2 Der Zusammenhang, ausdem lieses Zitat stammt, bildct eiric KritikeinesTextes aus der ICrifik der przktischen Vernunft, in clcm Kant ausführt, dass cin ~bjektivsipktisches Gesetz als zpriorisches kein sinnliches Material enthalten dürfe; Husserl bezeichnet diese Gegenüberstellung von reiner Vernunft als des Bereichs der apriorischen Ge1 2
C ? / . U. ü r t . . S. 119. EiIs. transcr. F 1 28, S. 294 (CS 1920); vgl. aa.0. S. 299 (SC 1920).
HUSSERLS VERHÄLTNIC ZU KANT
65 setzlichkeit und von SinnIichkeit im Sinne der sinnlichen Materie als ,,grundfalsch". Die Verschiedenheit von Husserls und Kants Auffassung des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand verweisen uns auf metaphysische Divergenzen, die uns noch in einem anderen Zusammenhange beschiftigen werden.1 (C) K a n t vermengt Noesis u n d Noema u n d vernachlässigt ein differenziertes S t u d i u m d e r noetischen S e i t e des Bewusstseins Im 5. Kapitel der Prolegomena bezeichnet Husserl als den Grundfehler des Psychologismus die Vermengung des Gegenständlichen und der auf sie bezogenen Erlebnisse. Diesen Vomurf erhebt Husserl auch gegen Kant, und zwar dort, wo er dessen Psychologismus bekämpft, aber auch allgemeiner, wo er die Kantischen transzendentalen Beweisführungenerörtert. In der Unterscheidung von intentionalem Erlebnis und gegenständlichemSinn liegt für Husserl die Grundstruktur der phänornenolo~schen Forschung, In einer Studie über Kants Raumarprncntc und die transzendentale Erörterung des Raumbegriffs bemerkt Husserl zu Kants Beweis der reincn Raumanschauung: „Unter dcm Titel rcinc Anschauung tritt bei Kant nicht auseinander das reinc Anscli;uicri, tl.11. (1;~sgcl>cntlcRcwiicstwiii (Irr Itlc:~tion,in tlcjii wir uns die Idee Raum auf Grund der kontinuierlichen Walirnchmungs- und Phantaciemannigfaltigkeit (Grenzenlosigkeit irn Fortgang des Anschaucris) zur Gegebenheit bringen, und dicse Idee selbst." 2 „Dem ,Gemüt1 wohnt bei nicht die Idee des Raumes, sondern das Raumvorstellen, das Raumanschauen, das Wahrnehmen oder Quasiwahrnehmen (genannt Phantasieren) . . .." 3 Nachdem Husserl gegen Kants „ ~ c h i ü s s edes ~ ersten Abschnittes der Transzendentalen Ästhetik erklärt hat, dass der Raum Wesensform des Dingcs selbst sei, abgcschcn von dcn subjektiven Bctli~igungcndes Aiischai~cns,rioticrt er: „ . . . inan muss vor allem die Vermengung klarlegen, die einem hier bestän-
66
SYSTEMATISCHE DAXSTELL
dig zugemutet wird: die zwischen d e n ~ r l e b n i sdes Erscheinens und dem Erscheinenden als solchcm, wobei auf lctzterer Seite wieder yerschiedene Objektitäten in Frage kommen.'' 1 Auch in der Behandlung der Kantischen Transzendentalen Analytik erhebt Husserl dieselbe Kritik. Nach einer Erörterung dsa Beweisstiles der „Analogien der Erfahrung" bemerkt er: ,,Auch hier der Mangel einer klaren Untcrschcidung zwisclicn Anschauungen ur-d Angeschautem, Formen der Erscheinungen als Modis des Bcvrusstseins und Formel der erscheinenden Gegens%ndlichkeit. Ynd daran liegt es, bzw. daran, dass das eigentlich I-känomcnologische nicht gesehen wird, dass die transzendentale Deduktion so verworren wird und dass dic transzcrirlciitalc Ap~erzeptionso viele Geheimnisse hat und eine so unheilvolle Rolle spielt." 2 Was Husserl hier als das .,eigentlich Phänomenologische" bezeichnet, ist das Erlebnis oder die noetische Seite des Bewusstseins.~ E s ist auch möglich, dass Husserls Polemik gegen die Auffassung der Modalbegriffe (Wirklichkeit, Möglichkeit, Fraglichkeit stc.) als Reflevionsbestimmtheiten nicht nur gegen Locke, sondem auch gegen Kant gerichtet war ; nach diesem sind die Grundsätiie der Modalität nicht objektiv-synthetisch, sondcrn subjektiv, da sie zum Begriff eines Dinges, von dem sie sonst nichts sagen, die Erkenntniskraft hinzufügen, worin er entspringt. Nach Husserl sind die Modalbegriffe gegcnst ä ndlich oder objektiv und cntspringcn nrcht einer 13cflexionauf die subjektiven Funktionen :die Erlebniss? oder Nocsen) ; allerdings sagen sie nach ihm nichts 5ber den „Inhaltv oder den ,,SinnJ' des Objekts aus, sondern betreffen dessen „thetische Charakterr". 4 Im allgemeinen sind nach Hussml die zweideutigcn (noetisch und noematir.cli auffassbaren) Begriffe Kants im g c g e n s t ä n d lichen Sinn ;r,uinterpretieren. So fchreibt er etwa in bezug auf den Kantischen Begriff der „Anschauung": „Anschauung ist bei a.a.0. C. 77 (uvohl Dez. 1909). Ha VII, Beil. XX, S. 387 (1908). 3 Ais das „Phhnomenologische" bezeichnete Hnsserl bis etwa 1905 oder 1906 nur die reellen Komponenten des Erlebnisses. 4 s. Log. UlIters. 11, 6 . Unters., 5 44; Ideen I , 108. Dass die Modalbegriffe nichts zum I n b a l t des Objekts, bzw. des objektiver. Begriffs beifügen, ist auch das WeseutIiche der These Kants, der mit ihr natürlich d=n ontologischen Gottesbeweis im Auge hat. Faktisch wimde Husserls Kritik hier nur t i e Kantische Ausdrucksweise betreffen. 1
H U S S E R L S V E R H Ä L T N I C ZU K A N T
67 Kant in der Regel gegenständlich zu fassen." 1 In dieser Interpretation geht Husserl aber nicht so weit wic P. Natorp, der alle Ausführungen der Kritik der reinen Vernunft, mit Ausnahme der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage, und somit alle entsprechenden Begriffe (auch denjenigen der transzendentalen Apperzeption) im gegenständlichen Sinne deutete.2 Wie bcrcits in dcn Zitaten zum hstlruck gckomincin ist, 1i:ittc nach Husserl der Mangel einer klaren Scheidung von Noetischem und Noematischem und die damit zusammenhängende einseitige Ausgerichtetheit auf das Noematische, bzw. die Vernachlässigung einer differenzierten Untersiichiing des Noetischen fiir Kants Vcrnunftkrilik scliwcrwicgciitlc Iiolgcn. Aucli in tlicscin f'iiilkt s;ili er Kant wiederum unter dem Einfluss des Rationalisten Wolff: ,,Vielleicht wird die Zukunft sich darin einigen, dass die tiefsinnigen Dunkelheiten der Theorien Kants, die doch als Anzeichen einer nicht Ietztwissenschaftlichen Begründung gelten können, ihren bestimmten Grund dann haben, dass Kant, von der Wolffschen Ontologie her gekommen, auch in der transzendentalen Einstellung ontologisch interessiert blieb. Nämlich fast ausschliesslich gilt, wie seine cigentümiiche Problematik, so sein Studium den Sinn- bzw. Wahrheitsgestalten und den ihnen in der objektiven Geltung notwendig zukommenden Sinnesmomenten. Andererseits hält er aber die systematische Durchführung eines korrelativen konkret anschaulichen Studiums der leistenden Subjektivität und ihrer Bcwiisstseinsfiinktinnen,ihrer pnssi'vcn lind aktiven Rewusstseinssyntkesen, in denen jederlci objektive Sinn und objektives Recht sich gestalten, für die Erledigung seiner Problematik für entbehrlich. Sosehr er erstc Tiefblicke in das Apriori des sinngebenden Bewusstseinslebens und der Zusammenhänge von Siringebiing und Sinn selbst - insbcsoridcre unter dein Titel ,subjektive Deduktion' (in der I. Auflage der Kritik der reinelz Verfiunft)- getan hat, so erkennt er doch nicht, dass eine Transzendentalptiilosophie sich nicht so verengen lässt, wie er es glaubte tun zu können, und dass eine radikal klare, also radikale wissenschaftliche Durchführung einer solchen Philosophie nur möglich ist, wenn das konkret volle Bewusstseinsleben und -leisten nach allen seinen korrelativen Seiten und ganz differen1 2
Ha VII, BeiI. XX, S. 387 Anm. (wohl 1908). s . EinIeilutag i n die Psychologie, 3 14; Allgemeine Psychologie, 8. Kapitel,
$5 10, 1 3 .
68
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
ziert dem Studium unterworfen wird - und das im Rahmen der einheitlichen, konkret anschaulichen transzendentalen Subjektivität. Eine transzendentale Logik ist nur in einer transzendentalen Noetik möglich. . ..", 1 Husserl wirft also Kant vor, die ,,subjektive Deduktion" als fiir die Transzendentalphilosophie ,,fakultativ" zu betrachten und sie nicht wirklich ausgeführt zu haben. Wir sind damit bereits zu Divergenzen zwischen Kant und Husserl vorgestossen, die den Sinn deren Transzendentalphilosophie überhaupt betreffen.
j 10. Kritik an Kants Grundproblematik ( a ) K a n t s t ö s s t n i c h t zum r a d i k a l e n E r k e n n t n i s problem v o r ; seine V e r n u n f t k r i t i k e n t h ä l t „dogmatische" V o r a u s s e t z u n g e n , die d e r „ n a t ü r lichen" W e l t a u f f a s s u n g e n t s t a m m e1 n Husserls Interpretation von Kants ~rund~rdblerr-atik hat sich im Laufe der Jahre sehr stark verändert. Diese Andening bestand darin, dass Russerl immer klarer sah, dass das Kantische Grundproblem nicht ein feststehendes Problem, das schon v o r der Vernunftkritik gegeben ist, und auf das diese cinfach die Antwort bildet, sondern dass es im Fluss ist, nämlich durch die Vernunftkritik einen radikalen Sinnwandel durchmacht. hI.a.W., Husscrl hat gegenüber der Philosophie Kants immer mehr diejenige Haltung eingenommen, die es bei jeder Interpretation des Grundproblems einer bestimmten historischen Philosophie einzunehmen gilt: Ais G~ndproblemdarf nicht dasjenige Problem betrachtet werden, das „auf der erstcn Seite" der betreffenden philosophischen Werke zu lesen ist, sondern jenes, das sich im Laufe der Untersuchungen herausstellt, da die Gnuidaufgabe des Philosophierens gerade darin besteht, seine Fragen überhaupt richtig zu stellen. Noch zu Beginn der Göttinger Zeit versuchte Husscrl Kants Grundproblem der Kritik der reinen Vernu%ftdurch die Frage zu umreisen : Wie kann der Mensch a p r i o r i synthetische Urteile fällen, die für die Gegenstände, die ausserhalb seiner Vorstellunlungen an sich sind, gelten? - eine Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Gegenstand ist ohne weiteres verständlich hin1 Ha VII, Ku&. . ., C. 281 (1924).
sichtlich der aposteriorischen Urteile, in denen sich der Mensch nach den in der Erfahrung ihn affizierenden Dingen richtet, nicht aber hinsichtlich jener apriorischen Erkenntnis, in der er sich nicht auf die Erfahrung stützen kann.1 Diese Interpretation betrachtete Husserl bald als ,,ganz unzureichend"; 2 nicht dass er sie direkt als falsch erklärt hätte, aber er sah, dass Kant in Problemdimensionen vordrang, die über eine so interpretierte Fragestellung hinausreichen. Aber noch 1917 schreibt er im Hinblick auf diese Fragestellung: „Was Kant selbst anbelangt, so klingt es freilich hart, wenn man selbst ihn zu den Psychologisten rechnet. Man braucht aber nur die ursprüngliche Problemfassung seiner Vernunftkritik, wie sie im Brief an Markus Herz vom 21.2.3 in kIarster Darstellung dokumentarisch vorliegt, zu lesen und mit der Problementwicklung in der zweiten Auflage des ausgeführten Werkes und mit allen Ausführungen desselben zu vergleichen, um sich davon zu überzeugen, dass er dem radikalen Erkenntnisproblem dauernd ferngeblieben ist. Immerfort operiert er mit transzendenten Voraussetzungen, die der natürlichen Weltauffassung entstammen, sich zwar mit Ausbildung der Kantischen Theorien mancherlei Einschränkungen und Modifikationen gef d e n Iassen müssen, während doch ein Kern von Transzendenz, eben weil er schon in der Problemstellung vorausgesetzt war, notwendig erhalten bleibt. Es sind Transzendenzcn, die unter dem Titel ,affizierendeDinge an sich' aus natürlicher Thesis der aussersubjektiven Welt abgeleitet sind, teils aus der natiiriich gegebenen materiellen Aussenwelt, teils unter dem Titel ,transzendentale Vermögen und Funktionsgesetze' aus der natürlichen Realität des Subjekts, als eines sich im aktuellen Bewusstseinsverlialten bekundenden Vermögenssubjekts, einer menschlichen Person. . . Dass Kant selbst den Schritt vom voraussetziingsvollen zum radikalen Froblen nie gemacht hat und alle Umdcutungsversuche in dieser Hinsicht haltlos sind, dürfen wir als sicher hinstellen." 4 Dieselbe Kritik findet sich auch in einem Text, der frühestens 1921 verfasst wurde: ,,Überall liegt der Kantischen Vernunftso etwain Ms. orig. F 142, s. 48-52 (vor 1907) und Ha VII, Beil. X I X (wohl noch vor rgo7). Siehe Ms. orig. F 142, S. 48a, wo Husserl zu dieser Interpretation bemerkt: ,,alt, noch ganz unzureichend". 1772 (Anm. d. Verf.). 4 Ms. orig. I3 1 3, C. 57a/b (1917); vgl. Ms. transcr. M I r, S. 27 ff. (1917).
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
70
kritik zugrunde ein dogmatischer Objektivismus, der mit transzendenten mctaphysischm Suppositionen wirtschaftet."l Wie wir aus diesen Zitaten ersehen können, richtet Husserl gegen die Fragestellung Kants, in der Interpretation, in der sie oben festgehalten wurde, eine scharfe Kritik. Jede Frage kann nur dann eine wirklich befriedigende Antwort erfahren, wenn sie selbst r a d i k a l gestellt wird, d.h. wenn nicht in die Frage Annahmen aufgenommen werden, die dem Sinn der Dimension, in der das Fragliche seinem Wesen nach liegt, widerstreiten. Dem Wesen der Erkenntnisfragen fremde Suppositionen sind nach Husscrl die von jencr Kantisclicn l~ragcstcllungvornusgcsctztcn ,,Dinge an sich", die ,,ausserhalb" des menschlichen Bewusstseins liegen, einerseits und die subjektiven (psychologischen) Vorstellungsvermögen des realen Menschen andererseits. Diese Voraussetzungen gehören als transzendente Objektitäten der natiirlichen Weltauffassung darum nicht in die radikalen Erkenntnisfragen hinein, weil sie d u x h den eigenen Sinn dieser Fragen i n F r a g e g e s t e l l t sind, also nicht als fraglose Voraussetzungcn in der Erkenntnisfrage und deren Beantwortung selbst fungieren dürfen, in der die Möglichkeit dcr transzendent-objektiven Geltung zum Problcm geworden ist: „. . angenommen, dic synthetischen Urteilc a priori seien das Kätsel. Wir urteilen unabhängig von der Erfahrung, wir fdgen dem Zug der Notwendigkeit und Allgemeinheit, die doch wohl etwas zum Habitus dieser Urteile Gehöriges ist, wo immer wir sie einsichtig fällen. Die Urteile wollen ihrein Sinn nach objektiv gcltcn. Wie können sic das? Uic hier eigentlich vorliegende Frage ist nun doch die: Wie ist es zu verstehen, dass ein eigentümlicher Charakter der Notwendigkeit Urteilen von einem gesetzlichen Inhalt wirkliche Geltung verleihen soll, und zwar natürlich Geltung in dem Sinn, den diese Urteilc haben, also objektive Celtung -? Ist das nun eine Antwort: es seien diese Gesetze zugehörig zu den forrpenden Funktionen - ? Die Frage ist doch damit in eine metaphysische oder psychologische Sphäre abgeschoben. Bin ich übeihaupt in Verlegenheit, wie es zu verstehen ist, dass Urteile mit dem Charakter der Notwendigkeit und Allgemeinheit wirklich ihrem Sinn gemäss notwendig und allgemein gelten, so verstehe ich auch nicht, wie Urteile, die diesen Charakter haben und sich speziell auf meine psy-
.
1
Ha VII, Beil. XVIII, S. 3 6 (1921 ~ oder etwas später).
1
I
chischen Funktionen beziehen, im Sinn dicscs Anspruchs gelten."l Nach Husserl kann das radikale Erkenntnisproblem nicht in dcr natürlichen Einstellung gestellt werden. Diese Einstellung ist nach ihm dadurch gekennzeichnet, dass sie die Welt (als ihren beständigen universalen Horizont) als schlechthin seiend, d.h. als unbefragten Boden all ihrer Fragen voraussetzt und den Erkenntnisprozess als psychologisches Vorkommnis in der Welt, nämlich als Tätigkeit des eincn Teil dcr realcn Wclt bildcndcil Mcnsclie~i auffasst. Für den natürlich eingestellten Menschen stellt sich das Erkenntnisproblem nicht; es gilt ihm als selbstverständlich, dass der Mcnsch die aiisscr ihm snicndc Wclt crkcnncn knnn, wcnn auch in scincri Erkciii~tnisprt~zcsscii nianclicrlci Täuscliiingcn iintl Irrtümer vorkommen mögen. Die Möglichkeit der Erkenntnis ist ihm also selbstverständlich, und er fragt deshalb nicht und weiss daher auch nicht, was Erkenntnis eigentlich ist. Stcllt das erkennende Subjekt p r i n z i p i e l l dic Frage nach tlcr Möglichkeit tlcr Erkenntnis, dann ist sein natürliches, naives Lebcn schon zerstört, was aber noch nicht heisst, dass es die Naivität dieses Lebens schon überwunden hat. Denn anfangs stellt das erkennende Subjekt diese Fragen noch naiv, d.h. cs ist noch mit ,,selbstverständlichen" Voraussetzungen belastet, die der naiven Wcltaiiffassung entstairiinen. Es cntstcht ein Gegensatz zwisclicn dcr Erkenntnisfrage einerseits, die ihrem Sinne nach jenseits des naiven 1Veltleben.s liegt, und den naiven, aus der natiirliclien Weltauffassung stammenden Voraussetzungen, dic in din Erkcnntnis~x-oblrliintikliineirigrtrii~cnwcrdcn. Die aus clic!st:r iiiiiv l)cl:utcten Erkenntnisprobleinatik eri tstehenden Erkcnntriistl~coricnsind nach Husserl daher notwendigerweise widersinnig oder paradoxal, was sich u.a. darin zcigt, dass sic imincr vo111 Skcl>tizisrnusbcgleitet sind, der als solcher selbst widersinnig ist, aber auf dem Boden dieser Erkenntnistheorien nicht überwunden werden kann.2 Die Erkenntnistheorie ist nach Husserl nur möglich durch eine radikale Selbstbesinnung des erkennenden Subjekts auf sein erkennendes Leben, dessen Wesen durch die naive Welt- und Selbstauffassung verdeckt ist, und die daher durch den Erkenntnistheoretiker radikal durchbrochen werden muss. Diesen Schritt hin zum Boden, auf dem die Erkenntnisproble1
Beil. XIX,S . 380181 (wohl noch vor rgo7). dazu die erste der Fünf Vorlesungen.
a.a.0.:
2 S.
,
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
72
matik rein gestellt werden kann, sah Husserl- wenn auch nur im Ansatz - in den ersten der Meditationen Descartes' vollzogen: „Philosophie kann nur ins Leben treten mit einer Besinnung und einem Anfang, dessen Typus Cartesius klassisch vorgezeichnet hat." Darum hat Husserl, wenn er gegen Kants mangelnden Radikalismus in der transzendentalphilosophischen Fragestellung vorging, dies oft in Konfrontation mit Descartcs getan; so etwa in einem Vorlesungstext aus dem Anfang der Zwanziger Jahre, in dem ausgeführt wird, dass Kant nie vom gewaltigen Ernst der Cartesianischen Meditationen ergriffen gewesen sei und daher auch nie radikal erwogen habe, auf welchen Boden sich der erkenntnistheoretisch Reflektierende stcllc.2 Auch die für die Krisis geplante Kantkritik sollte ja in dieser Konfrontation oder Messung mit Descartes geschehen und ist so auch in den für diese Kritik geschriebenen Texten ausgeführt worden.3 Den an Kant gerichteten Vorwurf, in seine Erkenntnisprobleinatik transzcnttcnte Voraussctzungcn der natürlichen Wcltauffassung (das menschliche Subjekt psycliologischer Vermögen einerseits und das „Ding an s i c h andererseits) einzubeziehen, hat Husserl im Laufe der Jahre immer mehr abgeschwächt, da sich seine Kantinterpretation in dieser Hinsicht ständig änderte. Was die hterp~etationdes Kantischen Subjekts anbelangt, so wissen wir bereits aus unserem historischen Überblick, dass Husserl in seiner frühesten Zeit die Kantische Philosophie als platten Psychologismus interpretierte, der alle Erkenntnis und Wissenschaft ausschliesslich auf eine zufälligc, rein faktische Einrichtung des menschlichen Geistes, auf einen psychologischen Mechanismus, zurückführt.4 Dieser Meclianismus wurde von Husserl damals auf die selbe Stufe gestellt wie der Hurnesclie psychologische Meclianismus der Gewohnlieit und wurde in seinen Konsequenzen noch als skeptischer betrachtet als dieser, da er auch die Mathematik mit in Leidenschaft ziehe. In welchem Ausmass Husserl Kant psychologisch interpretiertc, zeigt sein Einwand gegen Kants Theorie der synthetischen Urteile a priori: ,,Dass ein Urteil aus solch einer tatsächlichen Einriclitung hervorgehe, das verbürgt doch nicht die Wahrheit. Wären alle 1 Ha VII, Beil. XVIII, S. 375 (1921 oder etwas spater). 2
a.a.0. C. 37314 (1921 oder etwas spater).
8
s. Ha VI, Beilagen X
4
s.o. S. 11.
U.
XV (1936).
Menschen wahnsinnig, wären sie alle ganz falsch organisiert, dann waren ihreurteileüber Tatsachen noch langenicht Erkenntnisse."i Wir haben auch schon darauf hingewiesen, dass IIusserl diese Kantinterpretation aber bald fallen liess und schon zur Zeit der Abfassung der Logischen Untersuchmgen erkannte, dass Kants Erkenntnistheorie Seiten hat, die über den Psychologismus der SeeIenvcrmögcn als Erkenntnisqiicllci-i hinniisrrichcn.2 Wic sclion die oben angeführten Zitate aus den Jahren 1917und 1921zcigen, hat Husserl aber noch sehr lange in der Kantischen Vernunftkritik psychologische (aus der „natürlichen" Subjektauffassung stammende) Aspekte gesehen. Er betont diesen Interpretationsstandpunkt I ~ I Gaufs bcstimintestc gcgciiiil>crtlcn ncukiinti;inischen Versuchen, das psychologische Moment aus der Kantischen Transzendentalphilosophie hinauszuinterpretieren : „Der Psychologismus . . . lebt auch in Kant fort. Wenn die Kantianer unserer Zeit gegen diesen Vorwurf heftig reagieren, so liegt es teils an Umdeutungcn, die sie mit Kant vorndimen, tcils aber dnrnn, dass sic selbst die gefortlcrtc radikale 1,oslösiing von ;~llciiiI'sychoIogismus nicht ZU vollziehen vermochten. Man kann nicht die Erkenntnisvermögen, aus denen Kant geometrische und kategoriale Begriffe und Grundsätze entqulllen lässt, als blosse fupns de parler I~iristeiIm,da sonst Rants Uarstellungcri ganz unvcrständlich werden." 8 11n selben Text anerkennt Husserl aber doch wiederum, dass die Kantischen, aus der Psychologie stammenden Begriffe über ihren vorclergründigcn psycliologisclieri Sinn hinausweisen, ohne allerdings in ihrem tiefer liegcndcn transzendcritalen Sinn eine wirkliche Klarheit zu erreichen: ,, . . . das menschliche Subjekt ist immerfort vorausgenommen als Subjekt psychischer Vermögen. Im Fortschritt der Untersuchungen und ihrer Ergebnisse erfahren diese Voraussetzungen notwendige, abcr gnriz und gar ungeklärte Verschiebungen; sic nehmen daher cirien mythischen Sinn an . . .." 4 Wenn Husserl schon zur Zeit der Logischen Untersztchungen M-.ririg. K i 28, C. 21n (1887). Log. Unters. I , I . Aufl. S. 93 .4nni. Ha VII, Beil. X X I , S. 402 (CS 19x6); folgende Texte betonen noch stark das psychologische Moment in Kants Vernunftkritik: a.a.0. Beil. X I X (wohl vor 1907) ; a.a.0. Beil. XVI (wohl 1908); Ms. transcr. B 1V I , S. 74/75 (wohl Dez. 1909); Ms. orig. F 1 3 0 . S . 70-77 (SS 1916); Ms. transcr. F I 28, S. 294195 (SC 1920); Ha VII, Beilage XVIII (1921 oder etwas sp5ter). 4 tla VII, ßcil. S X l , C. 401 (SS 1916). 1
2
74
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
wusste, dass Kant die Begründung rler Vernunftkritik durch Psychologie ablehnte.1 und daher anerkannte, dass die subjektiven Begriffe Kants nicht einfach psychologisch zu verstehen sind, so vermisste er aber bei Kant eine Klärung und methodisch reine Erfassung ihres tiefer liegenden Sinnes und richtete daher an ihn - schon in den Lagischen lintersuchufigen - den Vorwurf mythischer Unverständlickkeit. Diesen Vorwurf, dem wir uns eingehend anlässlick unserer DarsteIlung von Husserls Kritik an Kants methodisc'iiem Vorgehen widmen werden, erhebt Husserl im Laufe der Jahre rmmer bestimmter. Diese Kritik und diejenige der Voraussetzung des psychologischen Subjekts der natürlichen („dogmatischen") Nieltauffassung verhalten sich, in der zeitlichen Kontinuitgt gesehen, also „umgekehrt proportional" zueinander - und zwar notwendiserweise. Zur Zeit der Krisis steht der Vorwurf des Mythischeri ganz im Vordergrund, während der Gegenvonvurf nicht mehr erhoben wird. In den Prager Vorträgen, die eine Vorstufe zur Krisis darstellen, erklärt Husserl sogar ausdrücklich die psychologische Kantinterpretation iür verfehlt: ,,Wenn man Kantc Philosophie als die subjektivistische oder als immanente bezeichnet und an die menschliche Seele denkt, so wie sie in der traditionellen Psycl~ologic,also als Komponente der psycho~hysischenRealität Thema ist, so hat man kein ---- Wart von Kant verstanden. Gerade diesen objektivistischen ,Psychologismus' iür immer zu entwurzeln ist Kants Untern~hrnen." "- 2
Schon in den I d e e ~betont Husserl, dass Kant zum Boden der reinen transzendentalen Subjektivität vorgestossen sei.3 Die Fichte-Vorträge von 1917118interpretieren K m t s Subjekt nicht mehr psychologisch, sondern rein transzendental.4 In den Vorlesungen Erste Philosophie vom Wintersemester 1923124 erklärt Husserl, Kant könnc der Vorwurf nicht gcmacht werden, dass er objektiv-wissens:haftliche Erkenntnisse (etwa ein Wissen über Psychophysisches), die der natürlichen Erkcnnti~iscinstellung entspringen, in die erkenntnistheoretischen Untersuchungen einflechte.5 In den Zwanziger Jahren wie dann auch im letzten Jahr1 s . a.a.0. Beil. X\'. S. 554 (woh. 1897/98);a.a.0. Beil. XVIII, S. 369 (1921oder etwas spater). 2 31s. tranqcr. I< I11 1, 5.20. 3 Ideen I, S. 148. 4 s. Ms. transcr. F 122, S .15, 21 (1917).
3
Erste Pk.I, C.
IH.
H U S S E R L S VERIIÄLTNIS Z U K G N T
75 zehnt von Husserls Leben finden wir immer wieder der Auffassung Ausdruck gegeben, dass sich Kants Forschungen d e f a c t o auf transzendentai-phänomenologischer Ebene abspielen.1 Husserl versuchte in jener Zeit das Kantische Subjekt von der Monade Leibnizens her zu verstehen, dessen Einfluss auf Kant er in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen stark hervorhob.2 Die Kantische Vermögenstheorie zeigte sich ihm so als eine „flüchtige monadologische Interpretation psychologischer Lehren". 3 Die Monade Leibnizens deutete Husserl als Cartesianisches reines ,,EgoU.4 Wir finden also den an Kant gerichteten Vorwurf des Psychologismus einerseits und die transzendental-phänomenologische Interpretation des Kantischen Subjekts bei Husserl gleichzeitig, obschon jener Vorwurf immer mehr zurückgeht, und diese Interpretation sich immer sicherer äussert. Selbst in den allerletzten Jahren war Husserl noch immer der Auffassung, dass Kants Vernunftkritik nicht gänzlich rein von dogmatisch-psychologischen Momenten sei, wenn er auch in den Prager Vorträgen eine psychologische Kantinterpretation als grundverkehrt ablehnt.5 Denn noch in der Krisis finden wir die charakteristischen Satze: ,,Wenn dagegen Kant in seiner Fragestellung und regressivcn Methode zwar natürlich auch von der vorgegebenen Welt Gebrauch macht, aber dabei eine trmszenclentalc Subjektivität konstruiert, durch deren verborgene transzendentale Funktionen nach unverbrüchlicher Notwendigkeit die Welt der Erfahrung dass eine besondere geformt wird, so gerät er in die ~chwicri~keit, Eigenheit der menschlichen Seele (der selbst zur Welt gehörigen und daher mit vorausgesetzten) die Leistung einer diese ganze Welt gestaltenden Formung vollziehen und vollzogen haben soll. Sowie wir diese transzendentale Subjektivität aber von der Seele unterscheiden, geraten wir in ein unverständlich Mythisches." 6 Die psychologische und die transzendental-phänomenologicche Interyrctation des Kantischcn Subjekts widcrsl>rcclicri sich n u r S.U.
§ 17.
47a (gegen 1913);Ms. orig. F 1 30, C . 71b (SC 1916);Ha V I ~ , Beil. XVIII, S. 374 (1921oder etwas später); Ms. orig. A I11 4,C . 89b (wohl anfangs 2
s. Ms. orig. F 142,C .
der Zwanziger Jahre). 3 H a V I I , ßeii. X V I I I , S. 374 (1921 <~
76
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
scheinbar. Denn es ist darauf zu achten, dass Husserl immer nur Xants Forschungen für d e f a c t o transzendental-phänomenologische ausgibt. Damit will Husserl sagen: Kant hat zwar die transzendental-phänomenologischeDimension im Auge, und seine Erörterungen bewegen sich ihrem eigentlichsten Sinne nach rein in ihr, aber diese transzendental-phänomenologische Dimension wird von Kant nicht m e t h o d i SC h (de iure) herausgearbeitet, d.h. der Weg in diese Dimension wird von Kant nicht systematisch beschritten und gesichert, und damit das Wesen der transzendental-phänomenologischen Dimension nicht geklärt. Dadurch wird diese Dmension nie radikal von allen psychologischen Auffassungen, die der natürlichen Erkenntniseinstellung entstammen, gesäubert; die psychologischen Auffassungen spielen immer noch mit, obschon sie durch den eigenen Sinn der Forschungen ihr Daseinsrecht i n diesen Forschungen verloren haben. - Auch auf diese ,,faktischeH Transzendentalität der Kantischen Forschungen werden wir in andern Zusammenhängen noch mehrmals zurückkommen. Schon zum voraus sei angedeutet, dass diese Interpretation Husserls für den Sinn seiner Lehre von der „transzendentalen Reduktion" ausserordentlich bedeutungsvoll ist. Besonders möchten wir hier noch hervorheben, dass nach Husserl das Erkcnntnisproblcm nicht radikal gedacht wird, wenn es in bezug auf den Menschen gestellt wird. Da in der Kantischen Vernunftkritik immer wieder von der mcnsclilichen Erkenntnis die Rede ist, so liess es Husserl in dieser khsicht an kritisch-en Bemerkungen - wie dies schor in den oben angeführten Zitaten ersichtlich ist - nicht fehlen. In einer Ranrlbemcrkung ZU Reideggers Werk Kant .und das Problem der Metaphysik schreibt Husserl zum Satz Heideggers, „Auseinandergelegt lautet die (Kanrische> Frage (nach der Möglichkeit der ontologischen Synthesis} : wie kann endliches menschliches Dasein im vornhinein das Seiende überschreiten (transzendieren), welches Seiende es nicht nur nicht selbst geschaffen hat, auf das es sogar, um selbst als Dasein existieren zu können, angewiesen ist.", 1 £01gendes: „Ist das aber die philosophisch richtige Fragestellung ? Ist da nicht schon Seiendes vorausgesetzt, wobei das vorausgesetzte Sein schon die Subjektivität voraussetzt; ist der Mensch selbst nicht schon vorgegeben etc." 2 Nach Husserl ist der Begriff M. Heidegger Ku& und das Problem der Metaphysik, I . Aufl. S. 38; 2 . Aufl. S. 46. z Randbemerkung Husserls in seinem Exemplar von Heideggers K a n t . . ., S. 3 8 .
1
des Menschen ein „WeltbegriffM,d.h. der „dogmatische" Begriff eines im objektiven Zusammenhang der transzendenten Welt vorgegebcnen Seienden und nicht ein Begriff der die objektive Welt konstituierenden Subjektivität : „Es ist für den wahren und echten Sinn der Transzendentalphilosophie von entscheidender Bedeutung, sich dessen zu versichern, dass Mensch , und nicht nur menschlicher Leib, sondern auch menschliche Seele, wie rein sie immer durch innere Erfahrung gefasst sein mag, Welt begriffe sind und als soIche Gegenständlichkeiten einer t r an s z e n d e n t e n Apperzeption, also mit hinein gehörig als konstitutive Probleme in das transzendentale Universalproblem, das der transzendentalen Konstitution aller Transzendenzen, ja aller Gegenständlichkeiten überhaupt." 1 Bemerkenswert an dieser Auffassung ist nicht etwa die Selbstverständlichkeit, dass der Begriff des Menschen a u c h ein Weltbegriff ist; auch wollen wir hier nicht nochmals betonen, dass nach Husserl der Begriff des Menschen a l s ein schon immer vorgegebener und bekannter Begriff der natürlichen Welt- und Selbstauffassung nicht in der radikalen Erkenntnisproblcmatik vorausgesetzt werden darf; sondern speziell hervorheben möchten wir, dass dieser Begriff nach Husserl n u r ein Weltbegriff ist. Die Begriffe „Ich", „WirH, ,,Subjektu, ,,Erlebnis7'usw. sind nach Husserl alles ursprünglich inncnveltliche Begriffe, d.h. sie bezeichnen Objektitäten innerhalb des universalen Welthoriöontcs; diirch die transzcndetital-1)li;inomenologisc1ic l~uiidanic1italbetrncl1t111~g crlialteii sie aber ciiim neuen, nämlich den transzendental-phä~iomenologischenSinn. Diese Sinnwandlung lässt Husserl den Begriff des Menschen n i C h t vollziehen. ,,MenschM bleibt für Husserl ein Weltbcgriff, d.h. ein Begriff für ein Objekt der m u n d a n e n Erfahrung,z genauer, für die „objektive Sdbstverhüllung" des transzendentalen Ego,$ für dessen weltliches, „empirisch-objektives Gewand". 4 Das Absolute, das nach Husserl das transzendentale Ego, bescer, die transzendentalen Egos in ihrer Gemeinschaft darstellcn, tragrn daher bei Husserl nicht den Titel „MenschH.Nur in ganz wenigen Fällen - und nicht in -wirklich eindeutigen Formulierungen -
' Logik, C. 2 2 3 . Ph. 11, C. 7 1 . a.a.0. C. 77. a.a.0. C. 77, 78. E?& 4
78
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
scheint Husserl dieser Terminus dennoch zur Bczcichnung der transzendentalen Subjektivität zu entgleiten, etwa in der Krisis, wc er von der Philosophie als von der „menschheitlichen Sclbstbesinnung" spricht.1 Dass es sich bei dieser einseitig mundanen Verwendung des Begriffs des Menschen nicht um eine blosse terminologische Belanglosigkeit, sondern um den Ausdruck einer grundlegenden metaphysischen Auffassung handelt, werden wir in § 12 zu zeigen haben. Weniger ausführlich als dem von Husserl an Kant gerichteten Vorwurf der Voraussetzung eines dogmatischen Begriffs des Subjekts werden wir uns im folgendem dem Vorwurf der Voraussetzung cincs dogrnatischcn Begriffs dcs Objekts zu widmen haben. Es ist hier vor allem hervorzuheben - wir werden darauf nlxh ausführlich zu sprechen kommen-dass Husserl das Kantische ,,Ding an sich" immer im Sinne der „natiirlichenfl oder „dogmatischen" Dingauffassung interpretierte, die das Ding als irnerlich völlig bezieliungslos zur Erkenntnis und zur Wahrhcit betrachtet, d.h. als an sich seiend, was es ist, unabhängig davon, ob es erkannt wird oder nicht, c1.h. ob es nun zufällig cin erkcnnend33 Subjekt affiziert oder nicht. Noch in der Krisis kommt diese Interpretation verbunden mit jenem Vonvurf zum Ausdruck. Dieser Vorwurf ist hier mit dem Voru7urf einer anderen Voraussetzung verschlungen, die in der Voraussetzung des „Ding an sich" notwendig impliziert ist. Husserl beziclztigt hier Kant, das Sein der Welt und damit auch das Sein der sinnlichen Lebe.n sw e l t vorauszusetzen,2 und zwar analog zur Weise, in der diese Voraussetzung von den objektiven Naturwissenschaften benützt wird: Die vom Naturwissenscliaftler als das zu erforschende, von aller Subjektivität freie wahre Sein vorausgesetzte Welt ist nicht die sinnlich anschauliche Welt des Alltags (die Lebenswelt); aber in seinem methodischen Vorgehen benützt e: selbstverständlich die jeweiligen sich ihm sinnlich-anschaulich darbietenden Wirklichkeiten, nämlich die Apparate, die
-
s. Krisis, f 73. Der Terminus „Mensch" in dieser Formulierung bezeichnet iroofern das transzendentale Subjekt, als das eigentliche Subjekt der philosophischen S?!bstbcsinnung das transzendentale Subjekt ist. Von der „natürlichenw Einstellung iiiiiucr wicdcr einnclinic~~ uiuss, ist alwr a x , dic aucli dcr '~ra~~s~x~~dc~italpliilosopli das philocophicreiide Subjckt dcr „natürliche" Mensch. 2 s. Krisis, C. 100, 106,120.
Teilstriche der Skalen, die Taktschläge, den Geruch der chcmischen Substanzen etc., die für ihn Seinsgeltungen, wirklich Daseiendes sind und die von ihm gesuchte „objektiveu Welt bekunden. Irn Anschluss an diese Erläuterungen schreibt Husserl, dass Kant, obschon er die rationale Objektivität der Wissenschaften als blosse Erscheinung charakterisiere, mit diesen Wissenschaften doch eine gemeinsame Selbstverständlichkeit in Anspruch nehme: ,, . . . er hält daran fest, dass sich im subjektiven BewusstseinsIeben (letztlich im verarbeiteten sinnlichen Material} ,selbstverständlich' ein die Subjektivität ganz und gar transzendierendes An-sich bekundet. . . ." 1 Die Gleichartigkeit der Struktur der Lebensweltvoraussetzung in der Philosophie Kants und in der inoderncn Nntiirwissriisc1i:Lft lirgt O ; ~ r i r ~dass , fiir beide die Erscheinungswelt, die von Kant nur auf eine tiefere Schicht erweitert wird, ein von allem Subjektiven freies Sein bekundet und als solches in Geltung genommen wird. Damit steht Kant nach Wusserls Urteil auf d c n ~Boden des Rationalismus 2 und dringt nicht zum radikalen Erkenntnisproblem, nämlich zum „Welträtsel" - wie die naive Selbstverständlichkeit der Gewissheit des Seins der Welt verständlich zu machen sei - durch.3 Auch hinsichtlich Husserls Vorwurf der Voraussetzung des natürlich-rationalistischen Objektbegriffs ist hervorzuheben, dass Husserl imincr mehr diese Voraussetzung bei Kant de facto, d.h. durch den eigentlichen, aber nicht deutlich erfassten Sinn von dessen eigenen Gedanken, überwunden sieht. Tm Aufsatz Kant und die Idee der Transzendenlal~lzilosophiebezeichnet er die Lehre vom „Ding an sich" als dem tiefsten Sinn des Kantisclien zuwidcr und als von dessen Philosophie abstrahierbar, ohne dass dadurch deren innerer Zusammenhang verloren gehe.*
Ha VI, Beil. XV, S: 454 (1936). Die Voraussetzung der absoluten „Dinge an sich" ist nach Husserl eine rationalistische und nicht eine Voraussetzung des puren „natürlichenv Lebens. Sie ist zwar in einem gewissen Sinn auch eine „natürliche", aber in ihr ist die ursprüngliche Kaivität des natürlichen Lebens schon durch philosophierende Reflexion durchbrachen (denn die radikale Trennung zwischen Objekt und subjektiv-sinnlicher Ers~heinungvollzieht das naive Jxben nicht), aber doch nirht philosophisch radikal 11. S. 82 ff. niid S. 2 8 3 . iibr?rwuridrii. VRI. iiuscrc Aiisfiiliriii~gni~ 3 Krisis, S. roo. H a V I I , l i a n l . . ., S. 136 (rgzql.
&I
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Aus d e n Vorar-gehenden ist deutlich geworden, dass für Husw l s Verständnis der Philosophie Kants dessen ,,dogmatische Vwaussetzungen" immer mehr in den Hintergrund treten, so dass sie schIiess1iCh kaum mehr gesehen werden. Als das der Kantixhen Philosophie letztlich zu Grunde liegende Problem wird von HusseA schon sehr bald nicht mehr dasjenige der synthetischen Urtele a priori - in der Formulierung, die wir eingangs &es Paragriphen gaben - betrachtet. Bereits in einem Text wohl noch aus der Zeit vor 1907 schreibt Husserl, dass für Kant die synthetischen Urteile a posteriori zwar in der Einleitung der Xritik der reinen Vernunft kein Problem seien, aber in der Transaz?zdentdm Analytik zu einem solchen würden.1 Sie werden es nach Husferl daher, weil nach ihm Cie Problematik der Trancrzndentalm Anafytik, die er als das Kernstück des Werkes ansieht, ganz allgemein diejenige der Konstitution der natunvissensdiafiliclxn Objektivität oder der naturwissenschaftlichen Transzendenz in der Subjektivität ist und somit auch das Erfahrungsurteil, das diese Objektivität beansprucht, miteinbezieht. Seit der Xt:e der S3t-inger Zeit sieht also Husserl die Kantische Grund~ o b l c m a t i kdurch die Frage der M6glichkeit der Natunvissenschaft bestimmt :„Also das stand ihm (SC. Kant) fest und daran hält er immer fest, dass Mathematik und mathematische Naturwissenschaften echte und strenge Wisscnschaftcn sind, ja der Prototyp ir- der Wissenschaft überhaxpt : und nun sah er durch Hume die Rationalität mindest dcr Naturwissenschaft in Frage gestellt uqd erkannte, dass in dieser Rationalität wirklich ein grosses Problem liege, dass sie nicht ohne weiteres verständlich %i, ja gar Lurch Rekurs auf den Satz vom Widerspruch, an dem L e leitenden Prinzipien naturwissenschaftlicher Methode zu rechtfertigen wären. Das gab also das Crundthema des Kantischen Philosophicrens, dieses Problem zu lösen, dessen metaphysiscl~e Tragweite er sofnrt erkannte." Mit dieser ,,naturwissc~~schaftlieh-en“ Kantinterpretation stand Husserl nicht allciii, viclmclir war dies% seit sie durch Cohen systematisch entwickelt wurde, weit verbreitet, a s.z.s. die allgemein übliche. Husserl hat an ihr sehr lange festgehalten. Erst Mitte der Zwanziger Jahre scheint s-ch bei i i m tin; andere Kantinterpretation durchzudrängen. 1
2
a.a.0. Tbi:. XI?(,S. 380 {wohl noch vor 1907). his, o r k . F I 30, C. 73a (SC 1916).
HUSSERLS VEHIIÄLTNIS ZU KANT
81
Doch betrachten wir vorerst das Verhältnis, das Husserl zil diesem ,,naturwissenschaftlich" interpretierten Kant cinriaIim. Etwas ausführlicher ausgedrückt lautet diese Kantinterpretation Husserls wie folgt: „Die Menschen haben Erfahrungswissenschaften, Naturwissenschaften. Das erkennende Menschensubjekt als Subjekt dieser Wissenschaft. Im Erfahren und Erfahrungsdenkcn soll objcktivc Gültigkeit walten, in der Metliodc der Nnturwissenschaft. Welches sind die Bedingungen dafür, dass aus Erfahrung eine Wissenschaft entspringt über Gegenstände der Erfahrung? Denken denkt Gegenstände X in die Erfahrung hinein. Wie ist wissenschaftliche Erfahrung, objcktive Gültigkeit der Erfahrung möglich ? Wie muss das Denken das X denken ? Welches sind die Prinzipien, die Erfahrung möglich machen, und welche Quellen haben diese Prinzipien in der Subjektivität? Wamm müssen sie wirklich gelten, da sie nun doch bloss subjektiv sind. Gegenstände sind an sich; nun werden sie erfahren, werde11 Objekte der Erfahrung, des Arischauens und des Denkens. Tmmanenz der Subjektivität, das Objekt in der Erfahrung. Was ist notwendig, dass in der subjektiven Bewusstseinsbetätigung cin Objekt (auch ein An- und Für-sich) erkannt wird! Und wie muss das Subjekt in seinen psychologischen Funktionen konstituiert sein, damit es Objekte der Erfahrung crkenntnisn~ässig haben kann (transzendentale Deduktion der erstcn Auflage) ? Setzen wir ein Subjekt voraus, das durch Anschauen und Denke11 Gegenstände erkennt, also auch Urtcilc fällt, dic objektive Giiltigkeit haben, was muss dann gelten? Wofür? Fiir das Subjekt und seine Funktionsweisen des Erfahrens (Anschauens) und Denkens und für die Objekte hinsichtlich der Gesetzc, die nntologisch für sie gelten müssen? Welche Eigenheiten der Anschauung müssen bestehen, welchcs Funktionieren des Subjekts in der Ai~schatiungsbildu~~g, wcnn :iuf Griind der blnsscn Aiischauung schon allgemeine Gesetze herrschen sollcn, tlic ziiglcicli f ü r Gcgciistäntlc $teri, wenn Aiisciiaii~ingc.iizii Objcktcrfdiriiiigen werden sollen ? Und wenn blosse Anschauung noch nicht eine existierende Natur ergeben kann als objektives Dasein (an sich), sondern neue Funktionen des ,Denkens' dazutreten - eine Natur, wie die Naturwissenschaft sie entdeckt - welche Funktionen müssen angenommen werden, damit überhaupt Natur in1 Sinn eines objektivcri An-sich erwachsen Ic;i~in.iiritl wclclie (;c:scti,c für tlici
82
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Natur müssen - die Idee der Natur als eines Daseins an sich (das sich durch Denken auf Grund der Anschauung konstituieren soll) - geiten? Wenn in Anschauen und Denken eine Erkenntnis erwachsen soll, die objektiv6 Gültigkeit hat undlsich auf Objekte 1 welche Gesetze bezieht und das soll in gültiger Weise tun könneh, müssen da geltrn für die Objekte? Der Inhalt dieser Gesetze ist zwar an sich einsehbar, aber sie müssen deduziert werden als Bedingungen der Mtjglichkeit der ,ErfahrungJ." 1 Obschon Hussrrl in dieser Interpretation das psychologische Subjekt und & ,,Dinge an sich" noch einbezieht, so stellt er sie doch gleichsam als blosse „AtavismenH an den Rand und lässt Kant nicht die n i t transzendenten Voraussetzungen beladene, widersinnige Frage stellen, wie die beiden an sich g e t r e n n t e n Entitäten „Ding an sich" einerseits und menschliche Vorstellung andererseits zur Relation kommen, die Wahrheit oder Erkenntnis heisst, sondern er lässt Kant ,,immanen t " die objektiv-wahre Erkenntnis nach ihren objektiven und subjektiven Wesens- oder Moglichkeitsbcdingungen untersuchen. Für Husserl bedeutet dies nichts anderes, zls dass Kants Fragestellung sich wenigstens im P,ir-isip zuf das Niveau der cchten und einzig sinnvollen Erkenntnisthmrie erhaben hat. Bei d:esem Punkt gilt es einen Augenblick zu verharren, da er von ausserordentlicher Wichtigkeit ist. Die naive Erkenntnistheorie zeichnet sich nach Husserl dadurch aus, dass sie die wahre Erkenntnis, il;,e als intentionale Subjektivität und Objektivität umspannt, aus dem Zusammenspiel von mancherlei Objektitätcn erkliren will: Dcr Ausgang bildet die Gegenüberstellung der beiden ,,fertigen" und von einander getrennten Objektitäten ,,Ding" und , Mensch", zwischen denen dann Objektitäten wie Sin-iosagane, Kervensysten~,psychkche Vermögen, psychische ,,Biidchen" usw. vermitteln, um die wahre Erkenntnis zu „erklä-en". Diese Erkenntnistheorie stellt den widersinnigen Versuch dar, durch ein oft sehr ausgeklügeltes Kombinieren von einzelnen Objekten den die Objektivität in sich tragenden Grund des in1 Ms. wig. F 1 42, S. 46a/b (gegen 1913);zu Hnsserls Interpretation der Kantischen Grundprcblematik s. neben den bereits zitierten Texten: a.a.0. S. 43a-51b (verschiedene Texte, entstanden zwischen 1900 und 1913); Ha V, Beil. I, C. 128 (1912); Ms. orig. F I 30, S. 70-77 (SS 1916); Ha VII, Kant.. ., C. 282 (1924); Ms.orig. F I 32, S . q5b (SS 1927); Ha I X , Beil. I, S.351 (1928); Ms. transcr. K I11 26, C. 58-60 (wohl
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU KANT
83 tentionalen VC7ahrheitsbewusstseinskonstruieren zu wollen. Dieser Typus der Erkenntnistheorie kommt der naiven Erkenntnishaltung, die auffassungsmässig nie über den Bereich dcr natürIichen Objektitäten vorgestossen ist, sehr entgegen und ihre ,,objektive" Erklärungsart scheint den naiven Geistern die einzig mögliche. Auch ,,Neukantianer" hielten noch an diesem Typus fest, besonders die Richtung von F. A. Lange, die eine immanente Erklärung der Erkenntnis, d.h. die Erklärung rein aus deren konstitutiven Möglichkeitsbedingungen für eine ,,tautologische" hält: ,,Soll die transzendentale Deduktion statt dieser Tautologie ein synthetisches Resultat ergeben, so müssen die Kategorien notwendig n o C h e t w a s sein, ausserdem, dass sie Bedingungen der Erfahrung sind", nämlich letztlich Ausdruck physiologischer Strukturen.1 Anderseits haben aber auch andere sich auf Kant berufende Schulen diese Erkenntnistheorie scharf kritisiert und die Erklärung der Erkenntnis aus ihren immanenten Möglichkeitsbedingungen, auf Grund deren überhaupt erst Objektivität werden kann, als die einzig sinnvolle Erkenntnistheorie hingestellt; hier ist vor allem die Marburger Schule zu nennen, mit der HusserI durch Natorp in enger Beziehung stand. Auf Grund der Kantinterpretation dieser Schule und des eigenen Kantstudiuins ist Husserl zur Überzeugung gekommen, dass Kants Vernunftkritik jene naive Erkenntnistheorie iiberwindet und ihrem eigentlichen Sinne nach ,,auf dem Boden der reinen Subjektivität" steht, also diejenige Forderung erfüllt, die Husserl der Erkenntnictheorie stellt: ,,.. . diese Trariszendenz (des objektiven Gegenstandes> liegt in der Weise ursprünglicher Stiftung im EigenWesen d e r E r f a h r u n g selbst. Was sie bedeutet, kann man nur ihr allein abfragen, so wie man (was übrigens selbst in unseren Bcreich gehört), was ein juristisches Ucsitzrecht jeweils bedeutet und ausweist, nur erfragen kann durch Rückgang auf die Urstiftung dieses Rechtes." 2 Was Husserls Kantinterpretation von derjenigen jener Schule unterscheidet, ist dies, dass er, wenn er auch ausführliche noetische (subjektive) Untersuchungen in Kants Veniunftkritik vermisst? ihr Vorhandensein in diesem Werk doch mehr betont als jene neukantianische Schule. F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, 2. Band, Logik, S. 146147. 8 S.O. $ 9.2,
1 8
S. 131.
84
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Muss aber Husserl, wenn er als den Ansatzpunkt der Kantischen Problematik die Naturwissenschaft betrachtet, nicht Kant doch wieder 5-orwcrfcn, dass cr ~objcktivcs,dcr natürlichen Erkenntnislialtung entstam~nendcsWis~eiials Voraussetzung in die Erkenntriispr~biematikeinbeziehe ? Tatsächiich stellt Husserl bei Kant ein w starkes Verhaftetsein an der Wissenschaft seiner Zeit fest.1 Aber zu einer p r i n z i p i e l l e n Kritik wird dieser Vorwurf bci Husscrl iiic. Virlinclir cirklSrt cir in ~:lcrVoilcsliiig N d w und Gzis2 von1 Sommersemester 1927: „I
bewusst von den dogmatischen Voraussetzungen Kants als Eleinenten, die dem eigentlichen Sinn des Kantischen zuwider sind, nbsicht, c l e n Vorwiirf dicscr Vornii.;sctziingcn niclit rnclir crhcl)t, so zcigt sich ilun nun von aiidcrn Gcsiclitspunkten aus das Ungenügen der Kantischen Problematik. ( b ) Die E r k e n n t n i s p r o b l e m a t i k K a n t s i s t z u h o c h s t u f i g ; ticfcrlirgrntlr: I'rol>l(~iiiriiiiissc~ii v o r ilrr c i i l w i c k c l l wcrdtrii
Einem Philosophen vorzuwerfen, dass er ein gewisses philosophisches Problem nicht gestellt habe, ist ein unsachliches Unternehmen, sofern dieser Vorwurf sich nicht auf ein Problem bezieht, das seinem W e s e n n a c h in den Problemkreis der betreffenden kritisierten Philosophie hineingehört und dort notwendigemeise gestellt werden muss, wenn die Probleme dieses Problemkreises überhaupt eine klare Erörterung erfahren sollen. Es ist nicht gleichgiiItig, welche Einzelprobleme innerhalb einer iinivers;~lcn,inncrlich zusamrnerigchörigeii Problematik gcstellt werclcn, da die klare Formuliernng und Behandlung gewisser Probleme die Erörterung anderer Probleme voraussetzt. In dicscm berechtigten Sinn wirft Husserl Kant vor, die Problematik der wissenschaftlichen Natur zu hochstufig anzusetzen. Bcrcits 1912 schreibt er in einem ursprünglich für die Ideen I1 gedachten Text, der das Problem der Konstitution der wissenschaftlichen Natur entwirft: ,,Solche Problcme bewegen, obschon nicht voUkommen ausgereift, Kants Verniinftkritik, sie setzen aber offenbar eine Phänomenologie und eine Einsicht in die Konstitution der niedereren Erfahrungsstufen voraus, eine Aufgabe, die Kant nicht erfasst und, wo cr sie gcstrciit, clocli in ilircr Grösse nicht geahnt hat. Daher fehlt ihm schon die richtige Formulierung dcs Problciiis. I h s l'roblcrii clcr I
Ha V, BeiI. I, S. 128 (1912); wir unterstreichen.
8G
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
,,lebenswcltlichcn Erfahrung", der dcii Titcl für u~iifangrciclic Probleme und Analysen des späten Husserls bildet. Dass Kant die vorwiccenschaft:iche Natur oder, weiter gefasst, die universale anschauliche Lebenswelt, nie wirklich zum Thema seiner konstitutiven Forschungen gemacht habe, ist in jener Zeit eine immer wiederkehrende Kritik Husserls.1 Es ist hervorzuheben, dass diese Kritik des späteren Husserl hinsichtlich des zu hochstufigen Ansatzes der Kantischen Problematik nicht mehr genau denselben Sinn hat wie etwa jene aus dem Jahre 1912, die wir oben zitierten. Während es damals nur um die teleologiscli aufeinander gebauten Stufen von statisch aufgefassten Intentionalitäten ging, fordert Husserl jetzt in seinen genetischen Untersuchungen und entsprechenden Kantkritiken die Klärung der wissenschaftlichen Objektitäten durch den Aufweis ihrer Sinncsu r s p r üng e in der sinnlichen Lebenswelt.2 Das universale Problem der Konstitution der Lebenswelt umfasst manche Themen, die unerforscht gelassen zu haben Husserl Kant auch im einzelnen vorwirft. Vor allem ist zu nennen das Problem der Konstitution der eigenen Leiblichkeit und das konstitutive Problem deren Fungierens in der Wahrnehmung. Den Mangel der trans7findentalen Erwägung dieses Problems betrachtete Husserl als den eigentlichen Grund des anthropologictischen Moments in Kants Vernunftkritik.3 Weiter bezichtigt Husserl Kant auch, das Problem der Intersubjektivität als die Problematik zugleich der Erfahrung fremder Subjekte als auch der apriorischen intersubjektiven und damit auch geschichtlichgenerativen Struktur alles erfahrenen weltlichen Seins in Fraglosigkeit belassen zu habcn.4 Die transzendentale Problematik der wissenschaftlichen Natur setzti nach Husserl nicht nur den universalen Problemkreis der Konstitution der sinnlichen Lebenswelt voraus, sondern weiter noch, in nächst höherer Stufe, aber immer noch tiefer liegend als die naturwissenschaftliche Konstitution, die transzendentale Betrachtung der f o r m a l e n Logik als der Wissenschaft von den 1 Erste Ph. I , S. 198; Ha VII, Xants Kopernikanische Umdrehung. . ., S. 228; Logik, S. 234135; Krisis, C. 105, 1x4; Ms. transcr. K 111 28, S. 83 (Dreissiger Jahre).
s. Ms. transcr. K 111 28, S. 83 (Dreissiger Jahre). Ha V I I , K a d s Kopemikanixhe Umdrehulzg.. ., C. 228 (1924). 4 s . Ha VII, Beil. XVIII, C. 369 (1921 oder etwas später).
2
3
rcin ioriii:drii I3c~iliiigiiiip:iivoii wissc!iis(:lii~ftlicl~~~r 'I'luwic: iilwrhaupt. Gegen den Mangel dieser Iktrachtung der formalen Logik richtet sich die Kantkritik von Formale und transzendentale Logik : „Man kann vielleicht sagen, dass die grössten Hemmungen, Unklarheiten, Schwierigkeiten, mit denen Kant in seiner Problcmsphäre rang, und die es so schwer machen in seinen Theorien die Befriedigung voller Klarheit zu finden, gerade damit zusammenhängen, dass er das transzendentale P r o b l e m d e r Logik n i c h t a l s e i n i h r v o r a n g e h e n d e s e r k a n n t h a t . Dennist dic transzenclcritalc Möglichkeit dcr Nntiir iin Sinn tlcr Naturwi s Sen s c h a f t und somit diese selbst sein Problem, so geht darin schon als Wesensvoraussetzung ein das formal-logische Problem der Wissenschaft als Theorie und zwar als transzendentales Problem." 1, 2 In diesem problemlosen Verhalten gegenüber der formalen Logik sah Hussed eine reaktive Abhängigkeit Rants von Hume: Wie dieser seine Kritik nicht an die „Ideenrelationen" richte, so stelle auch Kant das analytische Apriori, als welches er jene interpretiere, nicht inFrage.3Ein weiterer Grund für diese Fraglosigkcit, in der Kant die formale Logik bcliess, lag für Husserl darin, dass jener den idealen Gegenständichkeitschafakter der Bedeutungen, mit denen es die formale Logik zu tun hat, nicht erkannte.4 Es sei hier noch bemerkt, dass nach Husserls Analysen die fraglose Voraussetzung der traditionellen formalen Logik zugleich die Voraussetzung der Welt, die deren universalen Horizont bildet, intentional impliziert .6 Kanis problemloses Verhalten zur traditionellen Logik bedeutet fiir Hirsserl also nicht nur eine blosse Lücke in einer systematischen Problematik, sondern zugleich auch das Hineintragen naiver Seinsauffassungen in die transzendentale Problematik. Wir berühren hier also nochmals die Kantkritik, die wir unter dem Abschnitt a) dieses Paragraphen erörtert haben.
' Logik, s. 234. Husserl sah in den analytischen Urteilen, die Kant durch den Satz vom Widerspruch als erklärt betrachtete, ein grösseres Problem als in den synthetischen a priori. Im Manuskript zu den Kantübungen von 1927 schreibt er: ,,Aber es zeigt sich, . .. dass leichter verständlich zu machen ist, wie es synthetische apriorische Gesetze gibt; nämlich als Wesensgesetze aller Regionen. Dagegen ist es ein gar nicht leichtes Problem, wie ,analytische' Urteile a priori ,möglichvsind, welches ihre Eridenzquellen sind" (Ms. orig. A I 40, S. rrb (1927)). Logik, 5 roo. 4 ebenda. 5 C.Logik, 2. Abschnitt, 4. Kapitel.
88
SYSTENATISCHE DARSTELLUNG
Als dritte universale transzendentale Problemsphäre (neben denjengen der Lebenswelt und der formalen Logik) geht nach Husser: die Konstitution des i m m a n e n t e n Zeitbewusstseins dem transzendentalen Problem der naturwissenschaftlichen Objektivität voraus. Diese Problemssphäre ist die am tiefsten liegende (die ursprünglichste). Auf das Fehlen dieser Problematik bei Kaxt, wohl aber auch auf dasjenige der beiden andern oben genannten Problemsphären, bezieht sich die Kritik Husserls: ,.Die gewissermassen innersten Seiten des konstituierenden Bewusstseins werden bei Kant überhaupt kaum berührt; die sinnlichen Phänomene, mit denen er sich beschäftigt, sind schon konstiruierte Einheiten, von einer überreichen intentionalen Struktur, die nie ?iner systematischen Analyse unterzogen wird." 1,2 Es ist allerdingsdarauf zu achten, dass das Problem der Konstitution des immanenten Zeitbewusstseins durch dasjenige der Konstitution der rvissenschaftlichen Natur nicht im selben Sinne vorausgesetzt wird wie die transzendentalen Probleme dcr Lebenswelt und der formalen Logik, Husserl lässt ja selbst In den Ideelz jenes zutiefst liegende Problem unerörtert. Tatsächlich liegt dieses Problem, das eine reelle I m m a n e n z betrifft, nicht in derselben Linie wie die drei aufeinander gestuften Sparen der Lebenswclt, der formalen Logik und der wissenschaftlichen Natur, bei dencn es sich immer um Transzendenzen handelt3 Die Konstitutionsproblematik dieser Transzendenzen kann daher vorläufig ohne Beziehung auf jene tiefer hegciidc Problematik ckr Ininianeiiz riitwivi¢beltwerden, wenn diese von j ~ n c auch, r sofern 1etztcUrspriiiigsklarhcit erreicht werden soll, schliesslich doch gefordert wird, ( c j K a n t s Problematik ist z u cng
Rohlerne könncn andere Probleme nicht nur dadurch notwendig iordesii, dass sic dicsc, uiii sclbst Iihr gcstcllt wcrrlci~5211 küii1 Erste Phi I , S. 198. a Hussrls Bild von Kant dcckt sich hier nicht mit demjenigen Heideggers, der in seinem Kantbuch gerade diesen innersten Bereich der Zeitlichkeit als die von der Kan:isc?.en „Grundlegung der Metaphysik" erfasste letztlich fundierende Sphare darstellt. Allerdings scheint auch Husserl von emer „Beruhrung" dieser Sphäre durch Kan: zu wissen. In welchem ~ a &übrigens die Kantinterpretation Heideggers auf djejmige Husstirk zurückgeht, wird durch unsere Ausführungen noch deutlich werden. 3 Zum Begriffspaar Immanenz-Transzendex. S.U. S. 2121213. Obschon diese Termini bei Husserl vieldeutig sind, so sind sie im jeweiligen Zusaminenhang doch bestimmt ger~ug,um das Gemeinte auszudrücken.
nen, voraussetzen, sondern auch in dem Sinne, dass sie nur mit jenen Problemen zusammen eine innerlich geschlossene und vollständige Problematik bilden können. Auch im Sinne dieser zweiten formalen Problembeziehung wirft Husserl Kant vor, Probleme nicht gestellt zu haben. E r vermisst bei Kant eine Kritik der Erkenntnis der gcistigcn Welt : „Nur die Objektivität der durch sie (SC. die mathematisch exakte Naturwissenscliaft) rational bestimmten Natur betrifft seine Problematik, eine parallele echte Wissenschaft vom Geiste hat er nicht vor Augen und erkennt er , auch nicht an."l HusserI betont, sich darin ausdrücklich Dilthey \, nnsclilicssend, dass auch die mannigfaltigcri nicnscliliclicn Soziali- ' täten und die in ihrem Gemeinschaftsleben gesclfichtlich erwachsenden Kulturgebilde und die auf sie bezogenen Geisteswissenschaften in die kritische Problemstellung einbezogen und Kants ,,naturwissenschaftliches Vorurteil" überwunden werden müssen.2 In diesem ,,naturwisscnscliaftlichcnVorurteil" Kants liegt fiir Husserl letztlich einc Verengung dcs Ucgriffs der Erfaliriing. E r betont jenem gegenüber, (lass dic Naturcrfalirung nicht der einzige Typus von transzendierender Erfahrung sei und dass infolgedessen der naturwissenschaftliche Verstand nicht für dic objektive theoretische Vernunft übcrhaiipt genomilicri wcrdcn dürfe.3 Andererseits anerkannte Husscrl aber, dass Kant scine %ragestclIung auch auf das Gebiet der axiologischen und praktischen Vernunft übertragen und auch die teleologische Weltbctrachtiing in dcii Icreis scincr traiiszc!i-idciital(.ii 1i:rtktcriiiigi~n gezogen Iia~be.4 Wir haben bereits angedeutet, dass Russerl. gegen das Ende seiner Lehrtätigkeit in seiner Kantinterpretatiori, die tlic Krilik der r e k m Vemzmfl auf die Moglichkcit dcr Natiirwisscrisc.liaft aiisgcriclitci: sidi, scliwiiiil
3
4
H a VII, Beil. X X I , C. 401 (SC 1g16). a.a.0. Beil. XVIII, C. 376 (1921oder etwasspäter); a.a.0. Kant. Ms. transcr. F I 28, S. 290 ff. (SS 1920). Ha VII, Kanls Koperaikaniscke Umdrehung.. ., S. 228 (1924).
. ., C .
282 (1924).
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
90
führte er aus, dass Kant einer, ersten, obschon sehr einseitigen und in seiner Problematik becuhränktcn Versuch unternommen habe, durch Aufklärung der Wesensbedingungen einer in der reinen Subjektivität sich abspielenden Welt erkenntnis die Welt selbst in ihrem wahren Sinn verständlich zu machen.1 In seiner Vorlesung Einleitung in die pFtü~nonaenologischePsychologie von 1925 hebt er eine Verwandtschaft zwischen seiner Problematik einer universalen Weltontologie und „den Problemen der transzendentalen Ästhetik und selbst Dialektik Kants" 2 hervor. I927 schreibt er in einem Vorlesungsmanuskript (Natur und Geist) über Kant : „. . . sein grosses Problem ist dabei doch schliesslich das der Klärung der Bedingungen, unter denen das analytischLogische als bloss widerspruchslos hfbgliches zu einem real Möglichen werj den soll, oder, wie er es selbst nennt, das Problem der transzen' dentalen Logik gegenüber der analytisch-formalen. Welche logischen Formen, Formen zunächst blosser Widerspruchslosigkeit Sind dadurch ausgezeichnet und wie müssen sie besonders fungieren, damit sie urteilsmässig seiende, seiende im Sinn einer Welt, einer Welt als Universum möglicher Erfahrung und Erfahningserkenntnis sollen sein können?" 3 Die Seite, auf der dieser Text steht, hat Husserl allerdings später durchgestrichen, und in Formale und trav.szedentale Logik interpretiert er Kant wieder ausschliesslich ,natirrwissenschaftlich'. 4, 5 Wohl hat Husserl jcncs universale Problcm der Weltontologic bei Kant nicht ausdrücklich gcstcllt, sondern vielmehr bloss nahegelegt oder implizite intendiert gcschen. Den ubergang von den regional-ontologischen Erwägungen der Natur zu den universalontologisclienErwiägungen der Welt hat Husserl in seiner ontologischen Problematik selbst vollzogen. Fiir beide Problemkreise, für den beschränkten wie für den universalen, gebrauchte er den Kantischen Titel ,,transzendentale Logik". 6
,
a.a.0. S. 227 (1924). Phänomenologische Psyckolo&, C. 94!95. 3 hls. orig. F I 32, C . rgob (1927). * Logik, C. 234. 6. Was es Husserl verwehrte, die Problematik der Kritik der reinen Vernunft eindeutig als iveltoritolo~iscticzii ititcrprcticrcri, war cv. die I
Es ist klar, dass, wenn Kants Problematik im Hinblick auf jene universale W e 1t ontologie interpretiert wird, die im Abschnitt b) und C) besprochenen Vorwürfe Husserls an Kant gegenstandslos werden.1 Denn bei der weltontologischenErkenntnis geht es ja nicht um cinc partielle Wisscnscliaft, sondern um die univcrsalcn Strukturen des Welthorizontes. Dieser transzendentalen Problematik können weder das transzendentale Problem der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis nebengeordnet, noch diejenigen der formalen Logik und der Ixbenswclt vorgeordnet werclcn, da es ihr ja um diejenigen Strukturcn der Transzendenz (die „WeltH heisst) geht, die in allen weltlichen Intentionalitäten (auch in denjenigen des Formaliogikers) als fundamentalste beschlossen liegen. (d) K a n t u n t e r l ä s s t es, seine Transzendentalphilosophie einer t r a n s z e n d e n t a l e n S e l b s t k r i t i k zu unterziehen Der Vonvurf, sich selbst nicht zum Problem gemacht zu haben, kann und kann n u r an das philosophische Erkennen gerichtet werden, da sich dieses vor aller positiven Erkenntnis gerade dadurch auszeichnet, dass es radikal sich selbst besinnendes ist, d,h. als Idee - die allerdings im Unendlichen liegt - ein Wissen, das sich selbst weiss, anstrebt. Jenen Vorwurf hat Husscrl an die Transzendentalphilosophie Kants gerichtet.2 Er gesteht, dass er selbst erst spät die Notwendigkeit einer solchen transzendentalen Selbstkritik der transzendentalen Erkenntnis erfasste und ihres Charakters als a n sich erster Erkenntniskritik inne wurde.3 Diescr Vorwurf fUhrt uns an ein anderes Gebict von Husserls Kantkritik heran, zur Kritik nämlich, dass Kant seiner Transzendentalphilosophie nicht die methodisch richtige Form gegeben habe.
1 abgesehen allerdings von der Problematik der Konstitution des imnianeriten Zeitbewusstseins. 2 Ha VII, Beilage XVIII, S. 376 (1921 oder etwas später). 3 Logik, S . 2 5 5 . Husserl scheint gegenüberzustellen das „an sich'' und das „für uns" (das i>i se und das quoad nos oder das xaO'uii16 und dasrrpbc fipäq). D a s s d i ~ wtransrrndrritalc S~lbstkritik
gz ,f
'
SYSTEMATISCHE DP.RSTEL:LUNG
Hpssserls Kantbitik unter dem Cesichtspzcnkt der transxendentd$hiZosopltischen Methode Gleich zu Beginn sei hier hervorgehoben, dass die Methodenfrage der Punkt ist, in dkm Husserl die stärksten Divergenzen zwischen der Kantischen und seiner eigenen Philosophie feststellte. Diese Divergenzen betrachtete Husserl als solche prinzipieller Art und wo er begründet, warum seine phänomenologische Philosophie keine neukantianische (keine blosse Verbesserung der Philosophie Kants) sein könne, weist er auf methodische Divergenzen hin.1 Ir.
( a ) K a n t f e h l t d e r Begriff d e r p h ä n o m e n o l o g i s c h e n Reduktion
:
Diese Kritik erhebt Husserl bereits im ersten Text, in dem er systematisch seine Idee der phänomenologischen Reduktion entwickelt :in den Fiirzf Vorlesungen von rgo7.2 Nie hat Husserl diese Kritik fallen gelassen, auch dort nicht, wo er anerkennt, dass sich Kants Untersuchungen auf transzmdental-phänomenologischer Ebene abspielen, und damit in ihnen die dogmatischen Voraussetzungen eigentlich überwunden zind. Denn nach I-Iusscrl ist diese; transzendentale Niveau der Xantischen Untersuchungen nur ein „ f a k t i s c h e s", d . 1 ~ es wurde von Kant nie methodisch erarbeitet und dadurch in seinem Wesen lieräusgestellt und vor ii1Icri \i~csciislrciiiilcn,iuis tlcr iiatiii-1ir:li-objrlitiv(?iiWclt;tiifI;issung stammenden Einmerigungen gesichert. l m Aulsatz Kant und die Idee dcr 'i'~u~szendental~hiLoso~F,z'e legt Husserl diese seine Aiiffassung von Kants Philosophieren aufs deutlichste dar: „Eingehende Studien haben mich in cicr Tat belehrt, dass, wenn von solcher Iiarit'sclici~,Metnpliysilr' <wic dic 1-clireri vom „l>ing nn sich", v o ~ n,,iritdlcctus arclietypus":~abstrahiert wird - und das gibt wirklich einen vollen ZusammeAang -, Kants Denken und Forscheri sich de facto im Rahmen phänomenologischer Einstellung bewegt und dass die Kraft dieser echt transzendentalen Thccrien in clcr Tat auf rcincn Intuitionen bcriillt, dic in ilircn wesentlichen Linien aus ursprünglichen Quelleil geschöpft sind. Freilich ist es zweierlei und macht hinsichtlich der Stufe der Wis-
I
EIUSSERLS
VERHKLTNIS
i
ZU R A N T
93
senschaftiichkeit einen wesentlichen Unterschied: ob man in phänomenologischer Einstellung n a i v theoretisiert oder ob man in radikaler Selbstbesinnung sich über das Wesen dieser Einstellung und das Wesen der in ihr direkt vor Augen stehenden Unendlichkeit möglichen Bewusstseins überhaupt prinzipielle Klarheit verschafft und ob man somit eine in ursprünglich geschöpften Wesensbegriffen verlaufende Beschreibung schafft, die über Sinn und Notwendigkeit einer über alle Erkenntnisweise natürlicher Einstellung hinausführenden, also völlig neuartigen Einstellung und Erkenntnisweise, der 'transzendentalen', aufklärt. Eine solche Beschreibung für die neuartige Einstellung zu geben, in der sich das Kant'sche Denken und Forschen in der Tat bewegt, heisst eo ipso, über ihn hinausgehen. Es heisst, in letztem phiiosophischen Selbstbewusstsein die Methode der phänomenologischen Reduktion ausbilden, durch die der konkrete thematische Horizont der Transzendentalphilosophie - die transzendentale Subjektivität in ihrem echten Sinn - umgrenzt und damit zugleich die ihm einzig angemessene Arbeitsweise, die Ordnung der von den intuitiven Ursprüngen emporsteigenden Problematik entdeckt wird." 1 Dieser Vorwurf des Fehlens der Methode der transzendcntalpliänomerioIogiscl-ien Reduktion hat während Husserls Leben nicht irnnier denselben Sinn, da dicse Methode bei I-Iusserlselbst einc Entwicklung- durchmacht. In dicseni Zusarrimcril~angsci mir 1007 Iic~l(:iili,i auf c:iiroii As1w1<1clii5scrIhlwickliiii~Iiiiigi~wic~sc~ii. „die Methode der phänonienologisclien Reduktion" clic bcwiisst vollzogene „Einklammerung" alles „objektiv-transzcndentcn" Wissens und korrelativ den Rückgang auf das „reine Phänomen" des immanenten Bewusstseins.2 I924 umfasst Husserls Methode ~1oloii iiiclit niir der t r x i i s z c t i r l n i i t : ~ l - ~ ~ 1 ~ f i t i 0 1 1 ~ cRcdiikt.ioii diese angedeutete Operation, sondcrn zugleicli aucli ciric Ucsinnung auf die Möglichkeit und das Wesen dieser Operation, m.a.W., eine ,,Phänomenologie der phänomenologischen Reduktion". Diese Reflexion hat Husserl systematisch erst im zweiten Teil sciiicr VorIcsiiiig Erste I'itilosofihie vom Wiiitcrscmc:stc:r r g q / z 4 durchgeführt. Vom Standpunkt dieser reflektierten Gestalt der Methode der phänomenologischen Reduktion bezichtigt 1 2
H a VII. Kartt. . . , C. 236,'37 (1924)
s.11. Ji 18.
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
94
also jener Vonvurf Kant einer zweifxken Naivität: Nicht nur vollzieht diesrr nicht bewusst die ,,Einklammerung" des objektiven Wissens, sondern er gibt sich auch keine Rechenschaft über das Wesen der transzendentalen Wendung und Einstellung. In diesem Kangel an methodischer Sicherung und Reflexivität der transzendentalen Erkenntnis lag nach Husserl der Grund, warum Kant den Unterschied von Transzendentalphilosophie und reiner Psychologie nie wirklich zu fassen vermochte 1 und warum er nur sehr mangelhafte intuitive Analysen des reinen Bewusstseins durchführte, um sie dann noch als psychologische zu missdeuten und - wie die transzendentale Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernmjt - preiszugeben.2 Solange die transzendentale Einstellung nicht in voller Reflexion gewonnen ist, kann sie nach Husserl nicht als transzendental-w:ssenschaftliche oder transzendental-philosophi sch e gelten.3 In diesem Sinne sprach er denn auch der Kantischen Transaundentalphilosophie die l#isscnschaftlichkeit ab; 4 und in dieserr- Sinne konnte er auch sagen, dass Kant den absolut apodiktischen Boden der Philosophie nie wirklich betreten habe.5 (b) K r i t i k an K a n t s regressiv-kmstr&tiver Methode; K a n t f s h l t einc intuitiv-zufweikende Methode
In sehr zahlreichen Texten richtet Hasser1 seine Kritik gegen Kants „regressiv-konstruktive" Methode. Zum vornherein sei festgestellt, d ~ s Husserl s an sich nichts gcgen ein regressivcs Denken im Sinne eines Zurückgehens auf die fundierenden „Bedingungen der Möglichkeit" hat. Hucserl gebraucht den Begriff der Regressiun sogar positiv für sein eigenes philosopklsches Vorgehen.6 Dass3be kann für den Begriff der „Konstruktionw gesagt werden, In Erste Philoso$hie (~gzglzq)schreibt Husserl etwa: „Alle ~iorkommnissemeines erkennenden Lebens, diejenigen meines färtisch verlaufenen und vrrlaufenden, aber auch die in einer Möglichkeit zu ersinnenden - nach ihren allgemeinen wesensnotwendigen und wesensmöglichen Gestaltungen a priori 1
9
Logik, C. 228. s. Ideen I, S. 148;Ms. transcr. F i 28, S. 2631% (1920).
a Ha VII, Kar.:.
. ., S. 255 (1924).
Ha VII, Beihge XVIII, C. 374175 (1921 oder etwas spate1). Krisis, Si 20% G. Krisis, S. rr8; Ha VI, Beilage XV, C. 455 (1936); vgl. U. 5 33.
4 6
Ii
HUSSERLS
VERHALTNIS
ZU K A N T
95
zu k o n s t r u i e r e n d e n - habe ich jetzt
g6
SYSTEMATISCHE
DARSTELLUNG
hafte" Se1bs:gebung des intendierten Gegenstandes aus. Es hat also auch nichts mit einem besonderen Erkenntnisvermögen, dem etwa das Vermögen des Dcnkens gegenüberstünde, zu tun. So gibt es für Husserl ,ein originär schauendes Denken von SachvmhaIten, z.B. des Sachverhaltes, dass dieses Tintenfass rund ist - ein2 kategoriale Anschauung, die nicht mit der schlichten sinnlicken Wahrnehmung dieses runden Tintenfasses identisch ist - o3er auch ein anschauendes Erkennen von a l lg e m e i n e n Gegenstinden : die Ideation von Wesen und Wesensgesetzea (ontologischen Bedingungen der I\~IÖglichkeit).lWeil der historische Pc~sitivismuswillkürlich den von ihm anerkannten Bcreich des origmär anschaulich Gegebenen auf die individuellen Fakten einschränkte, sprach Husserl diesem das Recht ab, sich als Po&ivisnus zu bezeichnen und stellte die Phänomenologie allein als echten Positivismus hin: ,,Sagt , P o s i t i v i s m u s ' soviel wie absolut vorurteilsfreie Gründung aller Wissenschaften auf das ,Positive', d.i. originär zu Erfassende, dann sind wir die echten Poslt~visten.Wir lassen uns in der Tat durch k e i n e Autarität cas Recht verkümmern, alle An~cliauungsarten als gleicriwertige Kechtsquellen der Erkenntnis anzuerkennen - auch nicht Lurch d:e Autorität der ,modernen Natunvisscnschaft'." 2 Husserls „Prinzip d e r Prinzipien", besonders der Satz, dass alles, was sich uns in originärer „Intuitionv - für ,,originäre Intu-tim" kznn im Sinne Husserls auch ganz einfach „origin%re Evidenz" ,gesetzt werden - darbietet, einfach hinzuncbmen sei, scheint. n u r in ausserordentlich starkem Gegensatz zur Kantischen Philamplue zu stehen: Erinnern wir uns an die Kantischen Sätze: „. . wt:nn wir das bei synthetischen Sätzen, so evident sie auch sein m6ge11, einräumen sollten, dass man sie ohne Deduktion, auf das Ansehen ihres eigenen Anspruchs, dem unbedingtcn Beifalle ankeften dürfe, so ist alle Kritik des Verstandes verloren, und, da es ar- dreisten Anmassungen nicht fehlt, deren sich auch der gemeine Glaube (der aber kein Kreditiv ist) nicht weigert; SO wird unser Verstand jedem Wahne offen stehen, ohne dass er seinen Beifall denen Ansprüchen versagen kann, die, obgleich unrechtm%s:g, doch in eben demselben Tone der Zuversicht, als
.
1
Diese univirs.de Ausweitung des Begriffs der ~nschauijng führt Husserl schon in i den Log. Untern. durch (6. Unters. des z. Bandes:. 2 12em I, S. 46 vgl. Logos, S. 340. 1
I
,
I
I
I
, I
wirkliche Axiome eingelassen zu werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe eines Dinges eine Bestimmung a priori synthetisch hinzukommt, so muss von einem solchen Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens einc Deduktion der Rechtrnässiglccit seiner Behauptung unnachlasslich hinzugefügt werden." 1 I n diesen beiden gegenübergestellten Zitaten Husserls und Kants kommen sehr verschiedene Auffassungen der Erkenntnisbegründung, genauer, d e r E v i d e n z zum Ausdruck. Doch gilt es hier, die Gegensätze nicht schärfer zu sehen, als sie tatsächlich sind.2 Nach Hussed hat zwar jede originäre Evidenz ihr Recht in sich selbst. Doch erklärt er andererseits auch: „. . . jede übliche Berufung auf Evidenz, sofern damit eine weitere Rückfrage abgeschnitten sein sollte, theoretisch nicht besser als eine Berufung auf ein Orakel, in dem ein Gott sich offenbart. Alle nntürliclirn Evidenzen, die aller objektivcn Wissenscliaftcn (die der formalen Logik und Mathematik nicht ausgenommen), gehören in das Reich der ,Selbstverständlichkeiten', die in Wahrheit ihren Hintergrund der Unverständlichkeit haben. Jede Evidenz ist ein Problemtitel, nur nicht die pliänomenologische Evidenz, nachdem sie sich selbst reflektiv geklärt und als letzte erwiesen hat." 3 Das „Prinzip aller Prinzipien" Husserls ist folglich nicht in dem Sinne zu verstehen, dass es das dogmatisclie S t e h e n b l e i b e n bei irgendwelchen Evidenzen proklamieren und rechtfertigen wiirde. Vielmehr bedürfen nach Hiisserl die Evidenzen der „Kritik", d.h. ihr Recht, das sie sclbst in sich tragen, muss geklärt, bestimmt, begrenzt werden. Dies ist nicht nur der Fall bei inadäquaten Evidenzen; auch die adäquaten Evidenzen der formalen Logik und Mathematik bedürfen nach Husserl der „transzendentalen Kritik". 4 Nur die transzendental-phänomenologischc Evidenz, v o r a u s g e s e t z t d a s s sie s i c h s e l b s t z u m P r o bleni g c m a c h t h a t , „ruht in sich selbst". 5 Der Rückgang, den Husserl bei jeder Evidenz fordert, ist nun natürlich nicht Kritik der reinen V e r n u ~ f A f , 23316 285186. Dies haben besonders die Neukantianer getan. 8 Krisis, S. rg2(g3. 4 Vgl. U. 5 16, wo wir den „vernunftkritischen" Charakter von Husserls Philosophie eingehend erörtern werden. 5 Ob eine solche sich selbst absolut evidente Evidenz aktuell möglich ist, oder ob hier nicht ein vegressus in infinitum vorliegt, kann in diesem Zusammenhang nur gefragt werden Husserl selbst hielt diesen regressus durch die Erfassung des Wesens der iterativen Struktur der Reflexion für überwindbar. 1
g8
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
dasselbe wie CLie Kantische „Deduktion". Es ist aber im Auge zu behalten, dass dieser Begriff bei Kant in dem für uns in Frage kommenden Zusammenhang ja nicht eine f ormal-logis che Deduktion (einen Syllogismus) bedeutet, sondern eine R e c h t f er , t i g u n g durch ein Zurückführen auf empiriscte (in der empirischen Deduktion) und transzendentale (in der transzendentalen Deduktion) Rechtsquellen völlig eigener Art, das bei Kant methodisch selbst nicht genügend reflektiert und geklärt ist. Von Kants Gedanke der „Deduktionwwerden wir n x h zu sprechen haben, wenn wir Husserls Verhältnis zu diesem Gedanken erörtern werden.1 Für den jetzigen Zusammenhang ist es genügend, bloss hervorzuheben, dass er nicht geleitet ist durch die Idee der Klärung der „dogmatischen" Evidenzen durch Selbstgegebenheiten erfassende originäre Evidenzen höherer Reflexivität. Dies ist nun aber, vage ausgedrückt, das Vorgehen, dcs nach Husserl für eine ,,Vernunftkritik" oder, allgemeiner g~s~xochen, für die Begründung einer wissenschaftlichen Philosophk allein möglich ist. Mag die philosophische Forschung auch die „natürlichen" Evidenzen in Frage stellen, so kann sie nach kLusser1 ihrerseits nur dann wirklich wissenschaftlich sein, wenn sie selbst wiederum in originären Evidcnzcn gründet. Dic Phhomenologie Husserls sucht in der o e n ä r e n Anschauung ihre absolute Rechtsquelle. Dics bedeutet ab3 nicht, dass sie nicht selbst über Evidenzen dieser Art hinausgeht. Bereits die statische, erst recht aber die genetisclie Phänomenologie überschreitet weit den „Bereich" des origiriar Sehtgebbaren, des ,,leibhaftigp Gegenwärtigen. M.a.W., die Phinrmenologie ist wesentlich auch Vergegenwärtigung. Aber auch die Vergegenwärtigung kann nach Husserl ihren Gegenstand zu unmittelbarer, wenn auch nicht originärer Selbstgegebenheit, also zur Anschauung bringen.2 Seine Forderung des Intuitionismus begrünclet Husserl des öftern mit der Kantischen Formel. „Begriffe ohne Anschauung S.U. $5 1 5 U. 16. Intuition ist also nicht gleichzusetzen mit da' originären Intuition der Wahrnehmung (als Selbstgebung in der Gegenwart); auch die klare Wiedererinnerung, die Husserl, wenigstens in der späteren Zeit, auch alsSelbstgeb<;~tgbcaeichiict(s, Logik, S. rqi), ist Anschauung. ,,Intuition" deckt die Gesamtheit der Evidenzarteti, dic Husserl in den Ideen unmittelbare qennt (s. I h e n I, $ 141). Inwiefern Husserls Phänomenologie den Bereich des Selbstgebbaren überhaupt überschreitet, wird später erörtert (s.u. $32). 1 8
sind leer", 1 Der Kantischen Thesc, dass der Begriff, bzw. das Denken der den Gegenstand gebenden Anschauung bedürfe, um Inhalt und Sinn (objektive Bedeutung) zu erhalten, also um überhaupt Erkenntnis zu sein,2 hat er völlig beigepflichtet, wobei er sich aber bewusst war, dass sich sein Begriff der Anschauung mit dem Kantischen nicht deckt. Allerdings dürfte Husserls Intuitionismus nicht auf Kant zurückgehen, wenn dieser ihn auch sicher hinsichtlich des ,,Prinzips aller Prinzipien" bestärkt haben mag. Vielmehr müssen die ersten MTurzeln dieser Grundauffassung Husserls schon in der Zeit seiner mathematischen Studien gesucht werden. Damals stand die Mathematik vor der erschütternden Entdeckung, dass mathematische Mengen, deren Eigenschaften formal-logisch widerspruchslos definiert waren, zu Paradoxien führten. Unter den verschiedenen Versuchen, diese Paradoxien auszuschalten, nahm die sogenannte intuitionistische Richtung eine bedeutende Stellung ein, die den Bereich des Mathematischen durch die in t u i t i v e Konstruktibilität definierte, um ihn auf diese Weise von den Paradoxien freizuhalten. Dieser intuitionistischen Richtung, die ihren Höhepunkt in den Arbeiten Brouwers erreichte, standen die Lehrer Husserls, Weierstrass und vor allem Kronecker nahe, und auch Husserl selbst war immer der Auffassung, dass Satze, die mathematische Mannigfaltigkeiten definieren, auf intuitive Erzeugung bezogen sein müssen.3 Von diesem Intiiitionisrnus war nun Husserl ,,mutatis mutandis" auch in der Philosophie geleitet : Auch die philosophische Wissenschaft hat sich an das intuitiv Redisierbarc zu binden, um nicht Widersinnigkeiten zu verfallen. Husserls Ubertragung des Intuitionismus von der Mathematik in die Philosophie kommt etwa in folgendem Text zum Ausdruck, der sich kritisch auf den intuitiv nicht realisierbaren Begriff des intcElectus archetypcs Kants bczicht: „Wir können solche Unterschiede <wie zwischen intellectus urchetypus und intellectzls ectypus) in Worten definieren, aber die Frage ist, ob sie sinnvolie Möglichkeiten sind. Und natürlich trifft das den durch keine Erfahrungsanschauung explizierten intellectzcs ar1 s. Ms. orig. I< I I R , C . 1 1 (ilm 1900); Mn. trnnscr. I3 IV I , S. 160/61 (wohl igoR); Ms. orig. Ii 1 3, S. 88a (wohl 1908). Husserl bespricht hier überall Stellen aus den Prolegomem und der Kritik der reinen Vernunft, die die erwähnte These darlegen. 2 s. Kritik der r e i ~ t Vernunft, t A 2391 B 298. 3 S. Ms. orig. F I 32, S. 108a (1927).
I00
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
chety$zls. Jeder Mathematiker weiss, wie viel und wie exakt man begrifflich definieren kann, wie viel aber von dem exakt Definierten als evident widersinnig herauszustellen ist. Daher die Forderung, an die der Mathematiker sich streng bindet, jeder Definition einen „ExistenzH-Beweis beizufügen. Das gilt aber nicht nur für die Mathematik." 1 Erst im nächsten Paragraphen werden wir sehen, welche metaphysischen Konsequenzen diese Ubertragung eines mathematischen Prinzips in die Pliilosoplue bei Husserl mit sich brachte.2 Aber noch in einer anderen Weise ist die Mathematik Ursache von Husserls Intuitionismus. Bis in die späteste Zeit hinein bestimmte Htisserl eine Idee der Philosophie, nach der diese bei einem a b s o l u t e n P u n k t a n z u f a n g e n und von hier aus sich systematisch aufzubauen hätte. Wir denken an Husserls „Catesianischen Anfang" scincr Philosopliic, der später noch Gcgenstand eingehender Erörterungen sein soii. Wenn wir uns nun an die Lehre Platons erinnern, der den Unterschied zwischen dem Mathematiker und dem Philosophen darin sah, dass jener voll bestimmten, für ihn absolut festen Punkten ausgehe, um von hier aus pmgrcssiv wcitcrzufolgern, wilirend dicvcr immer wicdcr regressiv hinter die gemachten Voraussetzungen zurückfrage,s dann dürfen wir im Sinne Platons jene Husscrlschc Idee der Philosophie als mathematische bezeichnen. Damit möchten wir natürlichnicht behaupten - nichts würde uns ferner liegen -, dass sich Husserl die Philosophie more gcomstrico d.h. als logisch deduzierendes System denke. Eine solche Konzeption der Philosophie lehnt Husserl ja immcr wicder ausdrücklich ab. IvFathematiker ist Husserl nur darin auch in der Philosophie geblieben, dass er von ihr einen absoluten Anfang verlangte, analog den 1
Mn. orix. 1: I 40. S. to2b (W S t<)rg/3o).
ISS ist hier von liiteresse festei~stellcii,dass Kaut als ciocr der Vorläufer des mathematischen Intuitiouismus zu gelteri hat: Rlatlieiriatik ist nach iliiri Vernunftcrkenntnis aus ,,Konstruktion der Begriffe", d.h. durch apriorische Dantellung der den Begriffen korrespondierenden Anschauungen (s. Krilik dcr reines Vernunfl,A 837 B 865). Dieser intuitiv konstruierenden Vernunfterkenntnis der Mathematik stellt Kant aber gegenüber die philosophische Vernunfterkenntnis, die nach ihm Erkenntnis aus Begriffen ist. Nach diesen Aiisfiihriin~eri- aber aiirh nach Kaiits tatsächlich geiibtetn l'hilosophiercii wäre also die l'hilosopliie riiclit dureli dic Mil~lidilcelt rlor Anschauung begrenzt. Inwiefern dies zusaiiinieiireimt mit Kants These ,,Begriffe ohne Anschauung sind leer, haben keinensinn, haben keine objektive Bedeutung" können wir hier nicht untersuchen. B C. Politeia, 5x1 a-e. S
-
Axiomen des Mathematikers. In dieser „mather-atischen" Auffassung der Philosophie -mr Husserl von Descartes bestimmt; besser wäre allerdings zu sagen, dass Husserl sich von Descartes bestimmen liess, weil er selbst schon vorher diese Idce verfolgte. Wir möchten es aber nicht unterlassen hinzuzufügen, dass Husserls t a t s ä c h l i c h geübtes Phdosophieren diese mathematische Idee der Philosophie acta exercifo schon immer durchbrach, so dass sie von Husserl :uil Bndc bcwussl aufgcliobcn wurde.l i h s s &%C mathematische Idee der Philosophie mit Husserls Intuitionisms etwas zu tun hat, ist erskhtrich. Hat die Pliilocophicniimlich einen absoluten Anfang, dann muss dieser Anfang, der, urn ?iilosophisch fruclitbar zu sein, notwendig Urspnirig ist, s c l h s t g r g r li r n, absolut evident sein, denn auf eine andere Weise könnte er s c h ja nicht völlig selbst tragen, d.h. absolut sein.2 Fügen wir hier noch hinzu, dass Hiisseris inathcmatischc Idee dcr Pliilosc~hic nur ein Korrelat seiner Idre der Vernunft ist. Diese Idee werden wir ausholender am Ende dieses Absclinittes (b) in einem Exlars nälicr untcrsucl~cn. Schr wichtig für unscxn Zusammrnliiing ist CS, hcrvorzulxbrri, dass das rne t lzodisclie Prmzip des Intuitionismus von Husserl besonders gcfühlsmässig eng zusammen mit einem andern, v o r allen speziellen Methodenidcen liegenden Prinzip gesehen, ja mit diesem weitgehend identifiziert wird. Dieses Prinzip, das :m Grunde ethischer Natur ist, verlangt vom Philosophen, sich nicht mit vagen, ,,abstraktenu Gedanken, mit ,,grossen W ~ r t e n 'rufriedcn zu geben, sondern immer genau sich darüber Rechenscbit zu geben, wovon man spricht, d.h. a n a l y t i s c h sich u e ,,SacJie sclbst" in all ihren Aspckt~nund Seiten anzusehen Es meint aSo diejenige inteliektuelle Ehrlichkeit, die den Charakter von Hwscrls Danken SO iinlmiicrriid macht : rlicscs fast skrrip?iliaftr s cli Fernhalten von aller grcsswortigen Hoclistapelci, diesen Willen, wie sich Husserl auszudrücken pflegte, nicht mit VvTirchseln auf Werte, die gar nicht vorliegen, sondern ehrlich mit „Kleingeld" zu bezahlen.3 Die Verbindung dieses ,,ethischenH P5nzips mit
'
3.11. 5 IR. IXe Mathrniatik Iiat ?.war iri jiinxxtcr Zcit rlic vor1 ihr an die Axioi-ic geric.it?tc Forderung völliger Evidenz aufgegeben. Dieses von Husserl oft gebrzuchte Gleichnis wird am sprechendstrn. wenn es m i t der grossen Inflation in Deutscllard nach dem ersten Weltkrieg m Zusammenhang gebracht wird.
I02
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
jenem Prinzip des Intuitionismus zeigt sich etwa in folgendem Zitat: „Ein spekulatives Philosophiercn von oben her, ein Ausspinnen von Gedanken in ,reinem Denken', von Gedanken, die in vagen und unklaren Wortgedanken hangen.bleiben, ein Denken, das nicht rein intuitive Wege geht, auf denen jeder Schritt aufgewiesene Tatsache oder ,selbstgegebene' Allgemeinheit und Notwendigkeit ist, ist der Idee echter Wissenschaft zuwider. Nur als Vorahnung, als ein ifberscNag über vielleicht gangbare Wege kann ein vages Denken nützlich sein, aber zum wissenschaftlichen wird es in Form eines Denkens, das durch und'durch ,gegründetes1, d.i. durch und durch ,einsichtiges1,intuitives ist. Schlechter Rationalismus als vage Spekulation, der trotz der Vagheit Ansprüche auf Notwendigkeit und Wahrheit stellt, hat einen rechtmässigen Fond im Intuitionismus, aber dann muss der Intuitionismus ein voller und strenger sein und nicht selbst mit Vagheiten, mit Vorurteilen oder gar spekulativen Elementen niederer Provenienz behaftet sein."l Es ist in diesem Zitat darauf zu achten, dass Husserl das vage, nicht-intuitive oder - was für Hiisserl gleichbedeutend ist „konstruktiveMund „regressive" Denken nicht einfach ablehnt, sondern ihm nur den wissenschaftlichen Charakter abspricht; ja Husserl hält es sogar für notwendig: ,,In gewissem Sinn verfährt ja jeder wissenschaftliche Forscher konstruktiv und regressiv; er tut es in seinen erfindenden Gedankengängen. Alle Erfindung setzt voraus Antizipation, man kann nichts suchen und zu erzeugen suchen, ohne irn voraus eine Leitvorstellung für das zu Suchende, zu Erzeugende zu haben .. . Die wirklich erledigend leistende Arbeit folgt dann nach; progressiv geht sie von fest Begründeten zu darauf Gegründetem über." 2 Jene Verbindung von ,,Intuitionismus" und wissenschaftlicher Ehrlichkeit und diese positive Wertung eines vagen Denkens aL5 notwendige Antizipation im wissenschaftlichen Verfahren muss im Auge behalten werden, wenn wir nun eingehender auf Husserls Vorwurf an Kant hinsichtlich seines Mangels einer intuitiven Methode eingehen. Die ausführlichste und zugleich schärfste Kritik von Kants „konstruierender" Methode enthalten wohl die Ethikvorlesungen vom Jahre 1920 (wiederholt 1924).Husserl er1
Ms. orig. B I V z, S. 13a/b (1gzz/23). Erste Ph. I, C. 191.
IIUSSERLS VEKHÄLTNIS ZU KANT
103
örtert hier die dcn ethischen Formalismus Kants begründenden vier Lehrsätze aus dem Anfang der Kritik der Praktischelz Vernunft, deren Beweise ihm als besonders „konstruktivH, d.h. im Ausgang von regressiven Fragestellungen in Iccren Begriffen konstruierend, erschienen. Seine Ausführungen über Kant leitet er, nachdem er die englische Gefühlsmoral behandelt hat, folgendermassen ein: „Die Rationalisten aber, bestrebt, dem Skeptizismus, den alle empiristische Philosophie mit sich führt, zu entfliehen, nennen eine phänomenologische Begründung der Philosophie einen Rückfall in den Psychologismus. Um ihm zu entgehen, wenden sie ihr Auge von der unendlichen Fülle der Gestaltungen des Bewusstseins ab, die doch nur in immanenter Intuition zu studieren und wissenschaftlich zu verwerten sind; statt dessen leben sie in anschauungsfremden Begriffen: nie geklärten, weil eben nur phänomennIogisch zu klärenden Begriffen, und konstruieren von oben her in sogenannten transzendentalen Methoden Bedingungen der Möglichkeit der objektiven Geltung; sie konstruieren dabei die Notwendigkeiten für das Bewusstsein selbst und seine Gestaltungen, für das Uewusstsein, das sie nie ernstlich zu Gesicht gzbracht und in seiner eigenen Wesentlichkeit nie erforscht haben. Diese Methodik transzendentaler Konstruktion hängt eigentlich von Anfang an dem Rationalismus an, schon in der primitiven Gestalt der Carnbridger Schule. Die blosse Begriffsanalyse erhebt den Anspruch auf eine unbedingte Objektivität als sinngemäss zugehörig zu ethischen Grundidoen und ethischen Gesetzen, und in der Verteidigungssteliung gegen den Skeptizismus, in der sich der Rationalismus von Anfang an sieht, konstruiert er nun von oben her und rein begrifflich die Hedingungen der MDglichkeit der ethischen Objektivität in Form von ersonnenen psychischen Vermögen, eingeborenen Ideen iisw. Eine gewaltig wirksame und schicksalsvolle Entwicklungsgestalt nimmt diese Methodik transzendentaler Konstruktion durch Kant. Sie ist die Gestalt, m der sein philosophischrr Genius gegen Hume und den englischen Empirismus wie in der theoretkchen Philosophie so in der Ethik reagiert. Wie Hume und wie jeder wahrhaft grosse Denker war Kant ein schauender Denker; es gibt keine grossen Einsichten, die nicht aus den Tiefen der Intuition geschöpft sind, und Kant ist wahrhaftig nicht arm an grossen Einsichten. . . . Kant . . ., der intuitive Analyse nur als psycho-
1°4
logische Analyse interpretieren kann, will in seiner energischen Abwendung von allem Psychologismus keine systematische intuitive Bewusstseinsforschung zulassen, und so versteckt er gewissermassen, was er rein schauend erfasst hat, vor sich selbst und seinen Lesern hinter begrifflichen transzendentalen Konsiruktionen." 1 Dieselbe Kritik wiederholt Husserl nochmals nach der l k ~ r s t r l l i i n(Irr ~ virr IAirsRtzc: „Wir, dir wir als T'Iiiiiioti~ciir)lr,gen gelcrnt liabcn, keinen pliilosopliisclien kiegriff passieren zu lassen nach dessen Kredit, d.i., nach dessen Ursprungaus Quellen des ursprünglich sinngebenden Bewusstseins wir nicht vorher gefragt haben, und keinen apriorischen Satz gelten lassen, den wir nicht als Wcseiisiiotwe~icligkeitin reiner Intuition crsc11;uitliabcn, können die Kantischen Deduktionen nicht anders als mit Icopfschütteln aufnehmen. Kants Deduktion ist ein Meisterstück einer transzendentalen Beweisführung von oben her. Von allen phänomenologischen Analysen hält sie sich fern. Während die Gefühlsmoral und vor allem Hume auf die innere Anschauung beständig zurückgeht und nur darin irrt, dass sie in ihrem Naturalismus blind ist für die Tiefen einer intentionalen Analyse . . . hält Kant, ohne Humes Fehler der Methode im geringsten zu verbessern, sich an die blosscn Begriffe, und das sind im Grunde nichts als tote, dem ursprünglich sinngebenden Aktleben entfremdete Wortbedeutungcn." 2 Husserl wandte sich bei Kant vor allem gcgen dieses konstruierende Verfahren, sofern es sich auf die Subjlktivitzt bezieht, dh. sofern ein Subjekt transzendentaler VernliSgen konstruiert wird. In einem Tcxt aus Erste PhilosoPlaie rgz3/24 (erster Teil) geht Huscerl konkret auf dieses Verfahren in der Kritik der reinen Vernunft ein: „Das regressiv methodische Verfahren spielt bei ihm <SC.Kant) die grösste Rolle: Wic ist reine Mathematik möglich, wie reine Naturwissenschaft usw. ; wie müssen wir uns die Sinnlichkeit denken, damit rein geometrische Urteile möglich werden; wie muss die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Anschauung zu synthetischer Einheit kommen, damit strenge Naturwissenschaft, also Bestimmung von Erfahrungsobjekten in an sich gültigen Wahrheiten möglich wird? Kant selbst fordert und vollzieht ,Deduktionen', die von ihm metaphysisch und transzenden1
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Ms. transcr. F I
a a.a.0.
28,
S. 263164 (SC 1920).
S. 281182 (SC 1920).
ZU KANT
1°5
tal genannten Deduktionen der Anschauungsfonnen, der Kategorien ; deduziert wird ebrnso der Schematismus, die notwendige Geltung der Grundsätze des reinen Verstandes usw. Es wird freilich nicht bloss, und naturlich nicht im gewöhnlichen Sinne deduziert. Und doch, es ist ein k o n s t r u k t i v e s Denkverfahren, dem keine 1 nachkommende Intuition folgt, und nicht ein von iintrti :iiif~irigcwtlrs,von .Iiifwrisiing zii Aiifwtisiirig i i i i i i i i iv Co1 i sclireilendes Vcrstäridlicliiriücl~e~ider lconstituliveii Lcrslungcn des Bewusstseins. und gar nach allen der Reflexion offenstehenden Blickrichtungen. . . . Daher ist zwar an Gestaltungen in der reinen Subjektivität sehr viel gesehen, und brdrutsainc Schiclitungcii :in iliiicw sirdcrildeclct. abct :~llc\scliwcl>tin ciiiciii riitsc~lhaften Milieu, ist Leistung mythisch bleibender transzendentaler Vermögen. " 2 Der Einwand, dass Kant es unterlasse, das Bewusstsein systematisch intuitiv zur erforsclirn, findet sirli bei Husscrl von drn Logischen Untersvckultgen bis zur IIrzszs.3 Der ganze $ 3 0 dieses letzten Werkes Busserls, der den Titel trägt: „Der Mangel einer anschaulich-aufweisenden Methode als Grund für die mythischen Konstruktionen Kants", ist jenem Einwand gewidmet. Er führt aus, dass Knnt scinen Lcscrn vcrwclirc, „die Ergrbnissc scincs regressiven Verfahrens in anschauliche Begriffe umzusetzen", da er nur eine Art von innerer Erfahrung kenne, nämlich die ysycliologische, die er als unEäX~igbetrachte, das transzendentale Bewusstsein zu erfassen. Da alw seine transzcndentalen Begriffe durch keine Ansd-auung z l erfiillen seien, blieben sie „mytliisch", d.h. prinzipiell unverständich. In den Prager Vorträgen und dccn diesen entsprecliendcn Tcilcn der Itriszs stellt I-Iusscrltlcn Mangcl an intuitiver He~~usstsein;forscl~ung als den Grund hin, warum in1 Kampf von Objektivismus und Tra~~szcnclentalpE~ilosoyI~ie, der die Geistesgeschichte der Neuzeit bestimmt, der Objelrtivismus in Form des Positivismus die Transzendentalphilosophie der deutschen Idealisten überwinden konnte.4 Das ,,keineu i.it vrr uns sinngemäss hinzugefügt. Erste Ph. I , C. 1g;/pY. Log. Unters. 11, I . h f l . 6. Unttrsuchung, cj 66; Ha VII, Beilage XVI I1 (1921oder etwas später); a.a.0. Kants Kopeynikanische Unzdrehuwg.. ., S. 228 (1924);a.a.0. K a n t . . ., S. 237 (1924:;Logik, S. 13; Ms. transcr. K I11 28, C. 5 5 (wohl Dreissiger Jahre). 4 S.U.
5 28.
106
,
Husserls Vonvurf, das Bewusstsein nicht intuitiv zu erforschen, ist natürlich gleichbedeutend mit dem Vomurf, keine systematische i n t e n t i o n a l e Analyse zu betreiben; denn intuitive Bewusstseinsforschungkann nach Husserl nur intentionale Analyse sein, da Bewusstsein und Intentionalität dasselbe ist. So ist denn Husserl der Uberzeugung, dass „die grossen von der Marburgcr Scliiilc iind A. Richl ncii ~rschlosscncnGedanken dcr Kant'schen Vernunftkritik nichts weniger als iin echten Sinn grundlegende, d.i. aus den ursprünglichsten und klarsten Quellen (denen der reinen Anschauung) unmittelbar schöpfende sind; dass also die Kant'sche Transzendentalphilosophie weder in ihren originären, noch in den erneuten Gestalten die irn wahren ! Sinne Erste Philosophie sein könne". 1 Wie aus den obigen Zitaten ersichtlich ist, sieht Husserl Kants regressives und konstruktives Verfahren in engstem Zusarnmenhang mit der rationalistischen Tradition, die aus Reaktion gegen den Empirismus sich von der Empirie (vom Anschaubaren) fernhielt, um sich mit einer blossen Wortanalyse zu begnügen. Auch der spezifischregressive Charakter des nicht intuitiven Verfahrens Kants wird von Husserl mit dieser rationalistischen Tradition in Zusammenhang gebracht, nahcrhin mit ihrer ,,Versöhnungsmetaphysik". Diese Metaphysik, die nach I-fusserl schon auf die Cartesianisclic Schule zurückgeht, stellt nach ihm eine im Unanschaulichen verbleibende, regressive Konstruktion der Bedingungen der Möglichkcjt der Versöhnung von modernem mechanizistischem Wcltbild und rcliqös-teleologischer Weltan.ichauung dar im Sinne der Frage: Wie miiss die Wirklichkeit letztlich gedacht wcrdcii, dass (lirsc gcgcnsiitzlichcn Standpunktc mitcinander in Einklang gebracht werden können ? 2 Der eigentümliche 1wstt.ht Cluiri~klcrt l ~ sVorgcliciis tlcr V1~rsijliiiiiii~111rti~~~1~ysiIi also darin, dass sie sich dogmatisch an gewisse Auffassungen klammert und ohne dirckt-anschaulichen Aufweis deren Bedingungsgründe konstruiert. Dieses Vorgehen ist nach IIusserl das eigentliche Vorgehen der Theologie, die es dazu benützt, ihr Dogma rational verständlich zu machen. ,,Aber was der Theologie zugebilligt werden kann, steht noch nicht der Philosophie zu. 1
2
H U S S E R L S V E R H ~ L T N I S ZU P A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Entwurf einer Vorrede zu den Log. Unters. (xg13), S. xro/rr. Erste PA. I, S. 188, 190.
%T
*
I"7
Sie darf kein vorausgehendes Dogma, keine wie immer geartetc Vorüberzeiigiiiig habcn. Ihr Wcscn isi CS ja, absolut gcgründcte Wissenschaft, oder einfacher, reine Wissenschaft und nichts als Wissenschaft sein zu wollen." 1 Im konstruierenden Verfahren des Rationalismus und des deutschen Idualismus sah Husserl also eine Heteronomie gegenüber der Theologie. 2 Kiitits Vcifalilci~ciiwr lcrmkrcl :i~i~r:liiliili(:licii IM)rsc:li.~itig(10s transzendentalen lilewusstseiils sah Hucserl aber nicht nur im geschichtlichen Zusammenhang mit dem Rationalismus, sondern er bezichtigte auch die naturalistische Psychologie des englischen Empirismus, Kant von einer solchen Forschung ferngehalten zu haben. In den Pragcr Vorträgen führt Sr aiis: „Ich glaube nun und hoffe, Sie davon überzeugen zu können - so paradox diese These hier erscheinen muss - dass gerade dieser sinnverfälschende Bann, der auf der Psychologie lag und der sie bis heute verhinderte, ihre eigentümliche Aufgabe zu erfassen, die Hauptschuld daran, trägt dass die Transzenikntal~hilosopliieaus ihrer pcinlichen Situation keinen Ausweg fand und darum in ihren schillernden Konstruktionen stecken blieb. Hätte die Psychologie nicht versagt, so hätte sie eine notwendig vermittelnde Arbeit geleistet für eine konkrete, handanlcgende, analytisch-synthetische, von allen Paradoxen befreite Tra~szendentalphilosophie."3 Husserl ist natürlich weit entfernt, die Transzendentalphilosophie psycliologisch begründen zu wollen. Eine echte Psycliologie vermag aber nach ihm die konkrete inteotionaie Struktur des Bewusstseins, die - wenn auch in einem andern Sinnzusammenhang - auch dem transzendentalen Bewusstsein eigen ist, sichtbar zu machen und so für die Transzendentalphilosophie Vorarbeit zu lcistcri. Ja nocli inchr, nach dcrri spälcri I-Tusserlfülirt cinc rüdikal diirchdachte Psychologie. ihren eigener. Motiven folgend, notwciidig mir ' ~ ~ ~ ~ i 1 ~ s ~ ~ ~ 1 i d ~ ~ 1 ~ t i ~ 1 ~ ~ 1 ~ i 1 o s t ~ ~ ~ l 1 . i ~ ~ . Natürlich konnte Husserl das Fehlen von systematischen intuitiven Analysen des transzendentalen Bewusstseins bei Kant nicht einfach durch dessen historisclic Abliängigkcit vom Rationalismus und Empirismus erklären. Er war sich bewusst, dass a.a.0. S. 190. Die unanschauliche Konstruktion der Prinzipizn kennzeichnet auch die positive Wissenschaft, wie etwa die moderne Physik. Diirct die reine Intuition versuchte Husserl der Philosophie eine spezifische Wissenschdtlichkeit zu sichern. Ms. transcr. K 111 I, S. 2 6 (1935).
108
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
dieses Fehlen bei Kant nicht ein bloss zufälliges ist, sondern durch den innern Gehalt seiner Philosophie selbst bedingt wird: E s gibt nach Kant nur eine anschauende Erfahrung von „ P h ä n o m e n e n " (in s e i n e m Sinne) oder - da ,,Weltw bei ihm den Inbegriff der Phänomene darstellt - nur eine W e l t l i c h e Erfahrung; somit ist die Selbsterfahrung des Subjekts immer nur psychologisch und nie transzcndcntal.l,2 Drmgcgcniiber lchrt Ilusscrirl, dass nicht alle Erfahrung Selbstgebung von Weltlichem sei, sondem dass es auch eine unmittelbare und anschauliche Erfahrung des absoluten, weltkonstituierenden Bewusstseins gebe.3 Gerade in Zusammenhängen, die besonders terminologisch stark an die Kantische und neukantianische Philosophie anklingen, betont Husserl immer wieder, dass das absolute oder transzendentale Bewusstsein keine Konstruktion, sondern in direkter Anschauung gegeben sei4 Was ist nun nach Husscrl der Grund, warum Kant die Möglichkeit einer transzendentalen Erfahrung nicht erfasst hat ; welches ist also der tiefste Grund für das Fehlen der systematischen intentionalen Analyse? Husserl antwortet: Weil Kant die transzendental-phänomenologische Reduktion nicht methodisch durchführte." ,,Transzendental-phänomenologische Reduktion'' bedcutct aber nicht nur Umwendung von der natürlich-objektiven Einstellung auf die Welt zu dem dieser Welt vorangehenden, d.h. sie konstituicrcndcn Uewusstscins, dns r~lssolciies crfnhrcii wcrclcn kann, und Abhebung dieses Bewusstseins von allen weltlichen Objektitäten, auch von den in der räumlichen Welt lokallslertcn Seelen (als dem Gegenstand der Psychologie), sondern zugleich der Schritt von der nicht adäquat anschaulichen und damit nicht apodiktischen ~ e l t e r f a h r u n gzur adäquat anschaulichen und damit apodiktischen Erfahrung des Cartesianischen ego cogilo. E s handelt sich hier um die beiden h e t e r o g & n e n Momente von i ! 1 s. K~isis, 5 30. W i r möchten nicht leugnen, dass bei Kant Ansätze zur Begründung einer transzendentalen Erfahrung (in1 Sinne Husserls) vorhanden sind; wie sehen diese Ansätze in der von Kant deutlich gemachten Universalität der Zeit gegenüber der ,,Begrenztheit" des Raumes. Die inneren Phänomene gehören nach Kant nicht in den Raum; nach Husserl bedeutet dies eigentlich schon, d a s sie nicht rnundane sind, d a Mundaneität Lokalisierung einbeschliesst. S. 2 . 8 . Logik, C. 197,223124. 4 S. z.B. Ideen I, S. 133, 134; Ha V, Nachdort, C. 141. 5 Krisis,S. 202 ff.; Ms. transcr. K I11 I, S. 22 (1935).
1 I
i I
109
Husserls transzendental-phänomenologischer Reduktion, die von diesem aber immer eng gekoppelt gesehen wurden, selbst dann noch, als er sich in der Xrzsis vom Cartcsianischcn Modus der phänomenologischen Reduktion, in dem das zweite Moment im Vordergrund stellt, distanzierte. Vom ersten Moment aus gesehen, wird Kants Verkennen einer transzendentalen Anschauung, wenn I-Tusscrl rlaiiir als Grund das Iicliicn clcr bcwusst Citrclig~fülirtcti transzendental-phänomenologischen Reduktion angibt, auf ein Prinzip zurückgeführt, das an sich mit dem Intuitionismus nichts zu tun hat, eben auf die methodisch nicht radikal durchgeführte Wendung von der natürlich-objektiven in die transzc3dentale Einstellung, was die Vermengung von psychologischer und transzendentaler Erfahrung und damit das Verkennen der letzteren zur Folge hat.1 Vom zweiten Moment aus aber wird jenes Verkennen und der damit verbundene Mangel an intentionaler Bewusstseinsanalyse durch das Fehlen des Intuitionismus im allgemeinen erklärt, der, radikal durchgeführt, zu einer absoluten oder apodiktischen Intuition und dadurch zum Cartesianischen ego cogito hinstrebt. Da das erste Moment weit grundlegender Husserls transzendental-phänomenologische Reduktion bestimmt als das zweite, von dcm sogar irn Gegensatz zum erden völlig abgesehen werden kann,2 cchcint also nicht der Vorwurf des mangelnden Intuitionismus den logisch ursprünglichs:en Punkt von Husserls Kantkritik zu bjlderi, s o n d ~ r nder Vormirf der nicht n~ctliotliscliklar ~lurchgclülirtci~ trnt~szciiclriit:~1e11 Wciidi-ng. Viir EIusserls ;13ewustseiri aber ist der erstgenannte Vorwurl sicher wichtiger. Auf aile Fälle liängen f ü r ihn die in dieserc Paragraphen unter a) und b) angeführten Kritiken eng zusammen. Da die unter a) besprochene Kritik nichts anderes als die unter Cem Methodengesichtspunkt durchgeführte Kritik des fj 10ist, sti sind wir hier an der Stelle angelangt, an der sich die g r u n d s ä t ~ ~ c h s t eKantn kritiken Husserls eng verschlingen.3 s. Ideen I, S. 148. Diese Behauptungen werden wir irn g 18 begründen. 8 In seinem Artikel Husserl rt I'idddisme classique bezeichnet R. Boehm den Begriff der „Rekonstruktionw als den Schlüsselbegriff von Husserls Kritik am deutschen Idealismus von Kant bis Natc,rp. Diesen Begriff habe Husserl a l k Wahrscheinlichkeit nach von Natorp übernommen, bei dem e r den Begriff für die Grunrlmethode aller Transzendentalphilocophie darstelle. Bei Husserl soll dieser Begriff diejenige Methode kennzeichnen, die vc.n ,,erfundenenu Prinzipien aus die als bekannt vorausgesetzte phänomenale Welt rekonstruiere, wobei das Gelingen d k e r Rekonstruk
I10
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Die hier folgenden Bemerkungen bilden ein Corollarium zu den Ausführungen über Husserls Idee der Philosophie im obigen Abschnitt b) .l Wir haben schon in einem andern Zusammenhang einiges über Husserls Begriff der Vemunft gesagt.2 Damals stand Husserls weiterer Vemunftbegriff zur Rede, der die Spontaneität oder Aktivität des Subjekts bedeutet und der Sinnlichkeit als der Passivität oder IZczcptivität gcgcriübcrstclit. Schon dnninls vcrwiesen wir aber auf den prägnanten Vemunftbegriff Husserls, der die n o r m g e m ä s s e oder r e c h t m ä s s i g e Aktivität (die „vernünftige Vernunft") bezeichnet. So kann Husserl sagen : ,, . . . der Vemunftcharakter ist . . . selbst der Charakter der Rechtheit. . .." 3 Dic Vernunft in dieseln pr@nariten Sinn liegt für
-
-
1x1
Husserl noch vor aller Scheidung in thcoretische Vernunft und Vernunft der Gemütssphäre, bzw. in theoretische, axic.lq$x:?e und praktische Vernunft.1 Die Quelle des Rechts der Akte (der „SetzungenW)ist nach Hnsserl die E v i d e n z : Eine Set z-mg ist vernünftig (rechtmässig) wenn sie in der Einsicht g r ü n ~ e t . z ~ i e Urqucllc aller Vernünftigkeit ist die ,,originäre EviCcnz". 3 Daher kann Husscrl die originäre Evidenz als ,,UrvernuriftcLaraktcr" bezeichnen.4 Vernunft im prägnanten Sinne ist also f?r Husserl eine Setzung (Thesis), die in der Evidenz gründet („ich glauke, weil ich sehe"). In einem gewissen Sinne ist für Hu;serl sogar die Istdir V<.riiiiiift; d;mi iiiiiiilicli, wiwii - wic: iliv., I Iiise ces Akserl bisweilen tut - mit ,,Evidenz" nicht nur d ~ Materie tes, genauer, der ,,erfiillte Sinn", sondern auch die Setzung (nwmatisch ausgedrückt: die thetischen Charaktere) b-zeichxt werden.5 Wälirrnd für Hiisscrl „Vcrniinfl" ciii st;~tisclicsSclicii ist, ist sie für Kant im prägnanten Sinne ein d y n a m i s c h Schliessen, logisch ausgedrückt, die Regression (vermittekt eines Pros~,Clogismus) zu irnmcr ursprür-glicheren Obersätzen, ontolagiscli ausgedrückt, die Regression zu immer unbedingtcren Bedingungen unter der Leitung des im Unendlichen liegenden Idezls des absdnt Unbedingten. Nach Rant ist der ,,ei~entürrilicheGrundsatz der ~ e r n u n füberhaupt t (im logischen &brauche) . : Ln dem >edingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte :XI findm, womit die Einhcit dessclbin vnlleiiclet wird". 6 Dass die ldee der Vcrnuiifl erigstens mit der Irlec dcr Philosophie zusammenhängt, braucht kaum besonders hervor~dwlxn zu werden. Wird, wie Husserl dies tut, Vemunft gedacht als in Evidenz gründende Setzung, dann kann Philoso~h'iic nickt anders, als bei einer festen (statischen) und absoluter- Evidenz nnkingcn iiiirl voii Iiicr aiw i n avidciitcii Sdirittcii wciti:rb;~ricn,
E x k u r s : Bemerkung über K a n t s u n d Husserls Idee der Vernunft
tion den Beweis für die Richtigkeit der Prinzipien darstelle. Diese Ausfiihrungen Boehms scheinen uns folgender Korrekturen zu bedürfen: a. Sie enthalten eine falsche Interpretation Natorps. Bei diesem ist die Methode der Rekonstruktion nicht die Methode der Transzendentalphilosophie, sondern diejenige der philosophischen Psychologie. Diese der Psychologie wesenseigene Methode hat mit derjenigen, die Boehm irn Auge hat. nur sehr wenig zu tun: sie besteht im Rückgang zu den subjektiven Ursprüngen, d.h. in der „Verflüssigung" der objektiven starren Gegenstandswelt in den kontinuierlichen Fluss des Bewusstseins (%U. f 5 3r U. 32). b. In seiner Kritik des deutschen Idealismus gebraucht Fiiisscrl den Terminus „Konstruktionw und nicht den Terminiis „Rcko~istruktio~i".Unseres Wissens findet sich bei Ilusscrl nnr nn einer Stclle cino Kritik cincr ,,rclt
ZU K A N T
..
I
i
!
Ii
J c nachdem IIusserl die axiologische und praktische Vernunft .unter dem 0bc:begriff des Gemüts zusammengenxnnien oder einzeln neben die theortxisdie b-e:. nunft stellt, ergibt sich ihm eine Zir-eitdung oder Dreiteilung. Seit den Iaee111 scheint Husserl der Dreiteilung den Vorzug zu geben (für die Zweiteilung 5 Ms. tianscr. F I 24, S. 1 1 ( ~ g o g )S. , zq5 (19x1);fiir die Dreiteilung s. Idrcn I, S. 343, 359 R 11. Mi. transrr. 17 1 ZR,S. 283, 306 (1920). 2 Ideen I , S. 335 ff. a.a.0. S. 346147. 4 a.a.O. S. 342. ZU diesem Doppelsinn von „Evidenzp' siehe H a 111, Beil. XXV ( r g q t . Kritik der reine^ Vernunft,A 307 B 364.
I12
SYSTEMATISCHE
wenn anders sie ihrem Wesen als radikal sich auswirkender Vernunft entsprechen will. Kants Idee der Vernunft dagegen impliziert ei.n Philosophieren, das beständig hinter das Gegebene nach den unbedingten Bedingungen zurückfragt. I n der Krisis distanziert sich Husserl vom Cartesianischenweg der transzendental-phänomenologischen Reduktion und damit von dem oben angedeuteten absoluten Anfang der Philosophie. Notwendigerweise hat sich in diesem Werke auch Husserls Idee der Vernunft geändert: Absolute Vernunft ist jetzt nicht mehr bloss das statische Innesein in absoluter Evidenz, sondern auch das unbedingte „Vernünftig-sein-Wollen " selbst, das dynamische Hinstreben zur absoluten Evidenz,l von der Husserl nun klar erkennt, dass sie eine im Unendlichen liegende Idee ist.2 Damit hat sich Husserls Idee der Vernunft stark der dynamischen Kants angenähert ; sie bleibt aber immer noch im Gegensatz zu dieser völlig an die Intuition gebunden. Die daraus sich ergebenden Divergenzen Husserls mit Kant werden wir im 3 12 untersuchen. (C)
K a n t s Transzeadentalphilosophie f e h l t d i e eidetische Methode
Das Verfehlen des echten Sinnes des Apriori als Eidos 3 musste sich nach Husserl am schlimmsten auf das methodische Vorgehen der Kantischen Transzendentdphilosophie selbst aucwirk m , Kant hielt eine wissenschaftliche Erfassung der Rewusstscinscrlebnisse für uninöglich, weil sich das Bewussisein in cincin ständigen Fluss befindet. Husserl sah diese aus dem fluktuierenden Charakter des Bewusstseins erwachsende Schwierigkeit auch; in der Eidetik und nur in ihr sah er aber die Möghhkcit, diese Schwierigkeit zu überwinden und zu festen, allgemein gültigen Aussagen zu kommen.4 Deshalb ist für ihn die Möglichkeit der Wesenserfassung die Voraussetzung für die Möglichkeit der Transzendentalphilosophie. Sie ist für ihn aber auch Voraussetzung dafür, dass die Erkenntnis- oder Vernunftproblematik nicht in der blossen Faktizität stecken bleibt und zu einem Relativisnlus führt. Husserl hat denn Kant immer wieder vorgeworfen, diese s. Krisis, $ 73. S.U. C. 237. 3 S.O.$ ga 4 s. Ideett I , 5 75. 1
HUSSERLS
DARSTELLUNG
VERIIALTNIS Z U K A N T
1x3
Möglichkeit und Notwendigkeit einer Wesensforschung in der Sphäre der reinen Subjektivität nie erkannt und in den transzendentalen Erwägungen Faktisches und Apriorisches nicht geschieden zu haben.1 ,,Es ist sehr notwendig sich dieses echten Sinnes und dieser Universalität des Apriori zu bemächtigen und dabei insbesondere der beschriebenen Rückbezogecheit jedes geradehin geschöpften Apriori auf das seiner Konstitution. also auch der apriorischen Fassbarkeit der Korrelation von Gegenstand und konstituierendem Bewusstsein. Das sind Erkenntnisse von beispielloser philos~phischerBedeutung. Sie schaffen einen wesentlich neuen und streng wissenschaftlichen Stil der PhiIosophie, und das selbst gegenüber der Kantischen Transzendentalphilosophie, so viel in dieser sonst an grossen Anschauungen beschlossen ist." 2 ,,So verfehlt Kants Vernunftkritik die Idee einer absoluten Grundwissenschaft, die unmöglich ,a priori' in seinem, sondern nur im echt Platonischen Sinne sein kann." 3 ,,Letztlich hängen alle prinzipiellen Unklarheiten der Kantischen Vernunftkritik damit zusammen, dass. . . ihm also der ~hänomenologisch echte Begriff des Apriori gefehlt hat. Daher konnte er sich das einzig mögliche Ziel einer streng wissenschaftlichen Vernunftkritik nie zueignen, namlich das Ziel, die reinen Wesengesetze zu erforschen, welche die Akte als intentionale Erlebnisse nach allen ihren Moclis der objektivierenden Cinngebung und der e~füllend~n IConstitiition wahren Sems regeln. Nur clurcl die einsirlitigc Erkenntnis tlicscr Wesensgcsetzo köniicn idle l h g c i i des Vcrsteliens, die an die ,Möglichkeit cier Erkenntnis' sinnvoll gestellt werden können, ihre absolut zureichende Antwort findrn." 4 $ 5 1 S.
IIa VII, Rvil. XX, S. 390 (1908);;i.a.O. lkil. X S I , S . 411r( C S 1916).
I-opik, S. Z S I I / B I .
Erste Ph, X, C. 199. Die Referenz dieses Zitates ist uns leider verloren gegangen; es dürfte aus den Logischew Untersuchungen ( 2 . Aiifl.) stammen. 5 In seinem Artikel Das Problem der Phho»tenologie fidmwnd Huss~rlssrhreibt E. I:iril<: „Ja, CS ist rille - von Hlrs~rrln i i f ; i i ~ ~ l isi~llist ~ ~ l t vrrtrctrrir. spiitrr rrvi
4
114
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS VEHHÄLTNIS ZU KANT
j 12. Kritik an Kants „Lösung" seiner Verkunftproblematik
( a ) K r i t i k des Kantischen Psychologismus Diese Kritik ist bedingt durch Husserls psychologisclie Kantinterpretation. Wie diese von Husserl immer mehr revidiert oder zumindest als unwesentlich in den Hintergrund gedrängt wurde,l so ist auch jene an Husserls frühe Zeit gebunden. Sämtliche Texte, die diese Kritik enthalten, stammen aus der Zeit vor 1910. Eine Kritik am Kantischen Psychologismus haben wir bereits in den $ $ 10 und XI erwähnt: Sie entsprang aus der Forderung, für die Lösung des Erkenntnisproblems alle weltlichen Transzendenzen auszuschalten, so auch psychologische Vermögen und deren „eingeboreneno Gesetze. Die Kritik, die wir in diesem Paragraphen darlegen, geschieht nicht mehr aus allgemeinen erkenntnistheoretischen Überlegungen, sondern zeigt direkt den Widersinn der Rückführung von apriorischen Gesetzen auf einen empirisch-psychologischen Mechanismus auf. Gegenüber den Prolegomena (erster Band der Logischen Untersuchungen), die gegen die Psychofogisiemng der formallogischen (oder analytischen) Gesetze gerichtet sind, wendet sich diese Kritik gegen die Psychologisierung des materialen (oder synthetischen) Apriori. Im wesentlichen ist es aber dieselbe Kritik: Beidemal geht es darum, die Heterogeneität von logischen, bzw. ontologischen Gesetzen einerseits und empirischen psychologischen Gesetzmässigkeiten andererseits zu zeigen, und die Unmöglichkeit der Zurückführung jener auf diese darzutun. Husserls Kritik an Kants Psychologisierung des Apriori geschieht ausschlicsslich auf Grund der Transzendentalen Asthetik, in der gegenüber der Transzendentalen Logik das Apriori auch als psychologische „EingeborenheitH erscheinen mag. In einer Erörterung des ersten Abschnittes (Von dem Raume) jenes Teiles der Kritik der reinelt Vernunft bemerkt Husserl in bezug auf Kants „Schlüsse", in denen dieser die RaurnvorsteUung als subjektive Beschaffenheit der menschlichen Sinnesart hinstellt, dass diese Schlüsse „Satz für Satz zu widcrlegen" seien; „und das muss ausdrücklich ausgeführt werden, um der wahren Ontologie den Weg zu bahnen, bzw. Kants falsche Interpretation derselben zu beseitigen". 2 2
s.o. g Ioa. Ms. transcr. B IV
I,
S. 76 (wohl Dez. rgog).
I
i
I
I
115
Zum ersten „Schluss", der negiert, dass dei Raum eine Elgenschaft der Dinge an sich (der Gegenstände seIbstj sei, wenn man von den subjektiven Bedingungen der Anschauung akt-ahiere, schreibt Husserl: „Nein, das ist ganz irreführexd. Der R m m stellt nicht eine empirische Eigenschaft, aber eine Forrnbeschaffenheit aller Dinge, und zwar aller der Dinge, von denen wir in der Erfahrung sprechen, vor, und zwar von ihnen selbst. Er gehört zu ihnen, und sie gehören zu ihm (als in ihm als der Form seiend), abgesehen von allen subjektiven Bedingungen der ~4nsehauung. Nämlich das ist doch keine subjektive Bedingung der Anschauung, dass Dinge nur gegeben sein können durch Anschauung, und wenn wir von Gegenständen sprechen, die zu k e i ~ e Amchauung r überhaupt Beziehung haben, so ist das Widersinn." 1 Auch für Kant ist der Raum Form der Dinge selbst, von denen wir in der Erfahrung sprechen; wogegen sich Husserl aber im ober- zitierten Satz wendet, ist die Rückführung dieser objektiven Wesensform auf empirisch-psychologische Bedingungen. Dies wird deutlich in Husserls Stellungnahme zu Kants transzendentaler Erörterung des Begriffs vom Raume, in der dieser die Ra.umvorstellnng als formale Beschaffenheit des Gemüts, von Objekten affiziert zu werden, hinstellt: „Die ,formale BeschafferSieit des Gemüts' ist. . keine faktische Ausstattung des Gemüts, als ob aussere Wahrnehmung anders sein könnte, sondern es ist nur gcsagt :Der Mensch ist anschauendes und denkendes Lebewesen, und zum Wesensgehalt dcr Bewusstseinsarten, die er empirisch, faktisch hat, gehüren die und die Eigentümlichkeiten; und komlativ: zum Wesen der in diesen ~ewusstseinsartenzur gültigen Gegebenheit kommenden Gegenständlichkeiten gehören die und die allgemeinen ontologischen Gesetzmässigkeiten. Sie durch Beziehung zum Menschen zu relativieren, hat also g-.=r keinen Sinn. So wie man von formenden Tiitigkeiten oder Funktions~eisen unseres Intellektes spricht, verfälscht man, solange ein Xest von empirischer Auffassung mitspielt, den eigentlich festzustellenden und aufzuklärenden Bestand. Und leider hat da; Kart getan, sonst hätte er nicht den intellectus arcketypus, dies? grurdhlsche Idee, einführen können." 2 Die Verfälschung des Apriori durch Kant besteht nach Husserl
.
1
a.a.0. S. 75/76 (wohl Dez. 1909). a.a.0. S. 74/75 (wohl Dez. 1909).
I
116
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
in der Verwechslung von zwei völlig verschiedenen Notwendigkeiten: einerseits der Notwendigkeit ciner gewissen ontologischen Form der Dinge, die a priori (in der Ideation) erkannt wird, und andererseits einer subjektiven Nötigung, die einer faktischen Einrichtung der menschlichen Subjektivität entspringt, und die nur auf Grund der Erfahrung erkannt werden kann. Die Notwendigkeit, die Gegenstand der apriorischen Erkenntnis ist, bedeutet die Undenkbarkeit oder wesensmässige Unmöglichkeit des Gegenteils, also die unbedingte Allgemeinheit. Diese Undenkbarkeit hat nichts zu tun mit der zufälligen psychologischen Unfähigkeit, sich anschaulich eine entgegengesetzte ontologische Struktur vorzustellen, denn jene Undenkbarkeit gründet im objektiven Inhalt der Wesen serkenntnis, während die psychologische Unfähigkeit zum menschlichen F a k t u m , als dem Gegenstand einer empirischen Erkenntnis, gehört. Husserl schreibt über Kant : „Er verwechselt die allgemeine Nötigung, die aus der menschlichen Eigenart entspringt (einem Faktum), und die nur wissen kann, wer diese Eigenart als vorhanden erwiesen hat (was nur durch Erfahrung möglich wäre), mit der Notwendigkeit, die eingesehen wird als das Nicht-anders-sein-können eines allgemein Eingesehenen in Anwendung auf einen beliebig vorgelegten Einzelfall als beliebigen." 1 Die Weterogeneität von Wesensnotwendigkeit und faktischer psychologisch& Nötigung schliesst nach Husserl die Rückführung jener auf diese aus: Durch eine solche Ii-e76ßaaqCi5 &Ao yEvot; ginge die Notwendigkeit und Allgemeinheit, die zum objektiven Inhalt der synthetischen Urteile a priori gehört, verloren. Denn hätte cinc gewisse ontologische Form ihren Gnmd in einem universellen Faktum der psychologischen Konstitution des Menschen, dann wäre es zwar f a k t i s c h nicht möglich, dass ich die Erfaliruiigscliiigliclikeit iiicllt mit dicsci Form crlahrcn würdc. Aber wie viele einzelne Fälle ich, sei es in der Erfahrung, sei es auch in der Phantasie, nähme, so wäre die immer vorgefundene Form für mich doch immer nur ein F a k t u m . Es bestände dann die Möglichkeit einer Induktion, aber nie die Einsicht in die Notwendigkeit als Einsicht in die Undenkbarkeit des Gegenteils." 1 s. Ha VII, Beil. XVI, S. 359, 360,364 (wohl 1908); a.a.0. Beil. XIX, C. 381 (wohl vor 1907). 2 a.a.0. Beil. XVI, S. 357158 (wohl 1908); a.a.0. Beil. XIX, C. 381 (wohl vor 1907).
1
I
Also „kann ich die Notwendigkeit, die im evidenten Gsetzcsbewusstsein immanent liegt, in keiner Weise drdurch erklären, dass ich die Hypothese aufstelle: es drücke da: Gesetz ein Gesetz der psychologischen Konstitution, eine zu ihr gehörige allgemein~Nötigung aus." 1 Es ist zu bemerken, dass Husserl hier gegen Iiant ein? Argumentation benutzt, die dieser selbst gegen eine ~mprrisch-psychologische Begründung dzr Kategorien und GrurdGtze anwandte. Die Übereinstimmung ist so frappant, dass man uns erlauben möge, eine der diesbezüglichen Stellen Kanxs zu zitieren: „Wollte jemand zwischen den zwei genanten einzigen Wegen noch einen Mittelweg vorschlagen, nämlich, dass sie ::SC. die Kategorien>weder s e l b s t g e d a c h t e erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis, noch auch aus der Erfahrung geschqxf:, sondern subjektive, uns mit unserer Existenz zugleich eingepfianzte -4nlagen zum Denken wären, die von unserem Urheber SC. eingerichtet worden, dass ihr Gebrauch mit den Gesetzen der Natur . . . genau stimmte . .., so würde . . . das wider gedachtzn Mittelweg entscheidend sein : dass in solchem'Falle den Kalegorien die N o t wendigkei t mangeln würde, die ihrem Begriffe u-esentlich angehört. Denn 2.13. der Begriff der Ursache, wekhlr die Notwendigkeit eines Erfolgs unter einer vorausgesetzten Bedingung aussagt, würde falsch sein, wenn er nur auf einer beliebigen uns, ringepflanzten subjektiven Notwendigkeit, gewisse empirische Vorstellungen nach einer solchen Regel des Verhältnis~szu verbinden, beruhte. Ich würde nicht sagen können: die ist mit dcr Ursache im Objekte (d.i. notwendig) verbundm. sondern ich bin nur so eingerichtet, dass ich diese Vorstellung nicht anders als so verkniipft denken kann; wclches gerade das ist, was der Skeptiker am meisten wiinscht . . .." 2 Biiim wcitcrcii ' I c x l , in
1x9
SYSTEMATISCHE .DARSTELLUNG
HUSSERLS VBRHALTNIS Z U KANT
das Prinzip der Selbstliebe) kein allgemein gültiges objektives Gesetz abgeben könne, da die Glückseligkeit davon abhänge, welche Vorstellung irgendeines Objektes gerade für das einzelne Subjekt mit dem Gefühl der Lust oder Unlust oder der Indifferenz verbunden sei, was von den von Subjekt zu Subjekt verschiedenen Bedürfnissen abhänge und nur empirisch erkannt werden könne. Weiter erklärt nun Kant - und hier deckt sich seine Argumentation mit derjenigen Husserls gegen die psychologische Begründung der synthetischen Urteile a priori -, dass selbst, wenn alle Vernunftwesen dieselben Bedürfnisse hätten und damit durch dieselben Objekte zu Lust bzw. Unlust bewegt würden, dass selbst dann das Prinzip der Selbstliebe kein allgemeines, o b jekt iv-gültiges (d.h. notwendiges) praktisches Gesetz zu begründen vermöge, da diese Übereinstimmung zwischen den Subjekten eine bloss zufällige sei. Diese zufällige, nur empirisch feststeiibare ubereinstimmung hinsichtlich der (empirischen) Lustund Unlustgefühle könne bloss zu s u b j e k t i V-notwendigen, wenn auch empirisch allgemeinen oder physisch notwendigen, Naximen führen, nicht aber zu o b j e k t iv-notwendigen praktischen Gesetzen, deren Notwendigkeit aus Gründen a priori, d.h. aus reiner Vernunft erkannt wird. Kant unterscheidet hier also sehr genau zwischen der zum Gesetz gehörigen objektiven Notwendigkeit und der subjektiven Nötigung, die faktisch für aUe Subjekte derselben Art sein, aber niemals eit objektiv-notwenciiges Gcsctz hegriinclcn kann. In den erwähnten Vorlesungen von lgoz cx'rPicrt Huscerl die Kantischen Ausführungen folgendermassen: „Nehmen <wir>aber selbst den Fall an, alle endlichen Vernunftwesen hätten dieselben Bedürf~isse,würden also durch dieselben Objekte in Lust und Leid brwcgt, d5cliten auch in Anscliung dcr Mittel, dicsc Objckte zu realisieren, gänzlich einerlei, selbst dann wäre das Prinzip der Selbstliebe kein praktisches Gesetz, denn diese Einhelligkeit wäre doch nur eine zufällige, diejenige einer zufälligen, wennschon ausnahmslosen Erfahrung. Die Bestimmungsgründe des Willens hätten bloss subjektive und empirische Geltung, sie hätten nicht diejenige Notwendigkeit, welche die echte Objektivität ausmacht und die aus Gründen a priori entspringt; es wäre eine bloss physische Notwendigkeit, die uns die Handlung unausbleiblich ab-
nötigte, wie etwa das Gähnen, wenn wir andere gahnen sehen.'' 1 Es scheint uns nicht unwahrscldnlich, dass Huscerl für seine Polemik gegen „KantsUP;ychologisrnus wesentliche AL-egungen von den anti-psychologistischen Argumentationen Kants srlbst empfangen hat - ohne sich dessen vorerst bewusst ZU seix Später dürfte Husserl allerdings diese r~ichlichpmadoxe Sitilation eri in kannt liabcn, was ihn d x i n auch &tzu bewogen li ~ l m mag, seiner Kantkritik die anti-psychologistischen Argumentationen wegzulassen. E s sei jedoch bemerkt, dass wenn diese drgumentationen Husserls Kant selbst auch nicht treffen, sie doch den „Neukmtianismus" Larigc-Hrl~nlioltz?ck~e~ Prägung nidit verfehlen. Tm Hinblick darauf verliert diese Kantkritlk etwas ihren paradoxen Charakter: Husserl hatte mit ihr vor allrm auch diesen Neukantianismus ini Auge.
118
1
( b ) K r i t i k d e s K a n ~ i s c h e nA n t h r o p o l o g i s m u s Im voraus müssen wir bemerken, dass die Auffassungen, die Husserl unter dem Titel „Kritik des Kaniischen Anthmpologismus" angriff, von i h :n engstem Zusammenhang niit dein ,,Kantischen" Ysychologisrnusgeselienwurden. Wir wissen bereits, dass Husserl, wenigstens explizit, dem Begriff des „Menschenw nur einen natürlich-objektiven Sinn gegeben hat.2 Wenn er daher Kant von der menschlichen Erkenntnis sprechen hörtc, die iin Gegensatz zur göttlichen Erkenntnis nicht die ,,Noumena" oder dic , , T X I I :ui ~ ~ sich", soti:I(~nl h s s dic (111rchi l m sul>jcktivct~ Anschauungs- und Dcnkwcisen geformten „l'liZnoincne" erkennt, so konnte er diese Kant:sc:he Rede nur in einem natürlich-objektivcn oder empirisch-psycholngischen Sinn verstelicn. I h r Rcgriff des „McnschenH braucht nun aber in der Bewegung Ces pliilosopliisclien T)cnlrens Icritirswrgs i n seiiinrii 11ntiirlii:li-ol>jcktivt?n Sinn zu verharren, sondern vermag auch cinei transzcridmtale Ucdeutung anzunehmen, wenn der sich radikal sellsstbecinn~nde Mensch zu seinem in der natürlich-objektiven Selbstauffassung verhüllten transzendentalen Sclbst vordringt. Wenn Knrit (laller in seiner Vernunftkritik immer wieder von rinem beschränkenden „wir Menschen" spricht, so ist an sich damit noch keineswegs ein 1
(SC
Ms. transcr. F I 20, S. zog (SC
1920). 2 S.O. 76
S.
ff.
1902);derselbe Text
in Ws. tranxr. F I
25, S. 274
I20
SYSTEMATISCIIB D A R S T E L L U N G
Psychologismus heraufbeschworen. Um Husserls Kantkritik kritisch würdigen zu können, ist also ein strenges Auseinanderhalten der „Kritik des Psychologismus" und der ,,Kritik des Anthropologisn~us"notwendig. Wie wir bereits andeuteten, betrifft Husserls ,,Kritik des Kantischen Anthropologismus" Kants Lehren vom ,,Ding an sich" und vom intellectzls archetypzls, die unsere Erkenntnis und Wahrheit als bedingt oder endlich erscheinen lassen, eben als die b l o s ~ menschliche und nicht als die absolute Erkenntnis und Wahrheit oder die Erkenntnis und Wahrheit überhaupt. Wenn wir soeben im Plural von Kants Lehren vom ,,Ding an sich" und vom intellectus archety~zlssprachen, so sind wir damit schon einer besonderen und, wie wir meinen, verkehrten Interpretation Husserls gefolgt. Denn bei diesen Lelircn handelt es sicli letzlicli nur um eine Lehre, die aufgespalten Kants wirklichen Absichten und Formulierungen nicht mehr entspricht und absurd wird. Untersuchen wir nun genauer Husserls Interpretation und Kritik dieser Lehre, die er in den Cartesianischen Meditationen als das den Kantischen und phänomenologischen Idealismus Unterscheidendc anführt.1 Während manche der grossen neukantianischen Zeitgenossen Husserls Kants „Ding an sich" in idealistischen Sinne dcuteten sei es als noumenales Subjekt (Kiino Fischer), als Idee, die die Aufgabe der Erkenntnis ausdrückt (Hermann Calxen),als Formel für die allgemeine Funktion der Gcgenstandsbildung (Ernst Cassirer) oder als das vom reinen Verstand geforderte Gesetz der Einheit von Form und Inhalt der Erscheinung (Bruno Bauch) hielt Husserl, wie bereits in einem andern Zusammenhang festgestellt wurde, an einer realistischen Interpretation fest, und zwar an derjenigen, die bei den früheren Neukantianern die übliche war, nach der Jahrhundcrtwendc aber als prominenten Vertreter fast nur noch Riehl fand. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass I-lusserl diesen Neukantianer persönlich kannte und dass er zu Beginn der Göttinger Zeit die Schrift Die Theorie des Gegenstandes zlrtd die Lehre vom Ding a n sich bei Imnaanzlel Kafit von Alexander Wernicke, die auch den Interpretationsstandpunkt KicliIs vertritt, studiert hatte.3 1
'
Carl. Med., S . 118. S.O. s. 14. S.O. s . 30.
Nach dieser Interpretation ist das ,,Ding an sich", in1 Sinne des gemeinen Realismus oder Objektivismus, aufzufassenals das wirkliche Objekt, das an sich mit der Erkenntnis nichts zu tun hat, dcni also das Erkanntwerden ausserwesentlicli ist. Ober den gemeinen dogmatischen Objektivismus hinaus, der dieses bewusstseinstranszendE.ntv Ding als erkennbar postuliert, ist nach jener Interpretation das Kantische ,,Ding an sich'' nur anzusetzen als nnerkennbare UrsacIic dcr Empfindiingen dcs Subjekts, die dieses zu seinen allein erfahrbaren Dingen, zu den sinnlicli-kategorialen Gegenständen formt. Dieser so gefassteo Idee eines unerkennbaren ,,Ding an sich" stellt Husserl seine These von der Korrelation von Sein und Bewusstsein gegtriiibcr 1in1-lwirft Knnt vor, nicht ziini w;ilircii Sinn dieser Korrelation clurdigedmngen zu sein.' ,,Zum Wesen des Seins gehört Gegeben-sein-können." 2 Denn „ist etwas, so muss, dass es ist, prinzipiell iir Wahrheit aussagbar, die Wahrheit begründbar sein.. . Die Begründung der Wahrheit vollzieht sich in cogitationes, in Uewu;stseiii. . . Also Sein iirid mögliches Uewusstsein, das als erkennendes Rechtsgründe hat, solches Sein anzusetzen, sind sicher Correlativa," 3 ,,Gegenstände selbst und an sich sind nur denkbar in bezug auf ~e&sstscin." 4 „Prinzipiell ist ein Gegenstand undenkbar, der dcr idealen Möglichkeit der Erfahrung und somir:übrigens auch der Möglichkeit eines ihn erfahrenden Subjekts entbehrte." 5,,Wenn wir von Gogenständcn sprechen, die zu keiner Anschauung überhaupt Beziehung haben, so ist das Widersinn." 6 „Die Idee von der1 Dingen an sich, die . . . prinzipiell übersinalicli sind, ist ein nonsens. Er ist ein gänzlich leerer, ja nicht nur das, ein unsinniger Begriff." 7 „Was Kant ,Erscheinung' nennt, das Ding der Erfahrung, das ist ein subjektivistisch (oder anthrcplogistisch) gedeutetes Ding, während es das eine und einzige Ding ist, von dem zu reden Übcrhaupt Sinn hat." 8 „Dem Sein an sich des (Erfahrungs-) Dinges substruieren ein prinzipiell unerfatubares Sein, ist Unsinn." 9 Ha VII, Bcil. X X , S. 386 (IODS). Ms. transcr. B IV 6, S. 229 (1908). 8 a.a.0. S. r86/87 (1908 d.et;vas spätrr). 6 Ms. < A g . I< I 1 4 , S. i o q l ~irHit. ~ r y i q ) . 6 Ms. traiiscr. 11 I V 6, S.83 (1921). 6 Ms. transcr. B IV I, S. 76 ( m h 1 Dez. 1909). 7 Ms. orig. F I 26, S. 1q7b [1qc.2/03). Ms. transcr. B IV I , S. 76j77 (wohl Dez. rgog). 9 Ms. transcr. B IV 6 , S. 229 (zgo8). 2
I22
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Solche Sätze, wie wir sie hier zucammenget;agen haben, finden sich in Husserls Kantkritiken und natürlich auch in andern Texten als Ausdruck einer Husserlschen Grundüberzeugung immer wieder. Besonders in den Ideen I, näherhin in ihrem zweitem Abschnitt (Die phänomenologische Fwndamelttalbetracht~ng) fasst Husserl die Idee eines „Dinges an sich" von verschiedenen Gesichtspunkten ins Auge, und hier stehcn Husserls kritische Stellungnahmen auch in relativ ausführlichen begründenden Zusammenhängen, auf die wir im folgenden einen Blick zu werfen haben. Im § 43 wendet sich Husserl gegen die Idee des ,,Dinges an sich", insofern dieses gedacht wird als ein durch die Wahrnehmungserscheinungen bloss indiziertes und zugleich durch sie verhülltes Substrat. Husserl zeigt, dass die wesensnotwendige, auch von einem göttlichen Geist nicht aufhebbare 1 Inadäquatheit der Dingwahrnehmung (d.h. die Wesensnotwendigkeit, dass das räumliche Ding nur in Erscheinungen oder Abschattungen gegeben werden kann) keine i n d i r e k t e Gegepnheit des Dinges in der Weise der Indikation durch Bilder o d q Zeichen bedeutet, sondern dass das Ding in dieser ihm wesenseidenen Gegebenheitsweise ,,leibhaftig" s e l b s t d a , s e l b s t gegeben ist. Diese Polemik gegen die sogenannte „Bilder"- oder ,,ZeichentheorieM scheint allcrdings weniger gegen Kant selbst als etwa gegen die Neukantianer Helmholtz und Kiehl, die jene Theoxien vertraten, gerichtet zu sein. Denn in einem Manuskript, das ungefähr 1908 entstanden scin durfte, bekämpft Husserl dieselbe Theorie und bemerkt: „Es ist eine grosse Einsicht, die unter allerlei Verhüllungen schon bei Kant zutage getreten ist, dass nicht all das, was wir Wahrnehmung, Erfahrung und erfahrungsmässige Naturerkcnntnis nennen, ein bloss indirektes Bewusstsein ist." 2 Tatsächlich wendet sich ja Kant in seiner Widerlegung des Idealismus aufs schärfste gegen die Cartesianische „Repräsentationstheorie" dcr äusseren Erfahrung und weist klar die Unmittelbarkeit dieser Erfahrung auf.3 Doch glaubte Husserl, Kant diese Einsicht eben nur „unter allerlei Verhüllungen" zugestehen zu 1 Auf Husserls Polemik gegen die Idee eines ,,göttlichen Geistes", für den Wesensgesetze der Dingwahrnehmung nicht gelten, werden wir noch unten zu sprechen kommen. 2 Ms. transcr. B IV 6, S. 209 (1908).
3
Kritik der reinen Vernunft, B 275176.
können, denn er blieb immer der Ansicht, dass nach Kant das sinnliche Material des Bewusstseins ein die Subjektivität ganz und gar Transzendierendes bekiinde.1 Damit hat Husscrl aber wohl vor allem einen andern Aspekt des ,,Dinges an s i c h irn Auge, der nicht notwendig die Auffassung der Wahrnehmung als eines i n d i r e k t e n Bewusstseins mit sich führt, nämlich den Aspekt des „Dinges an sich" als ,,unbekannter Ursache dcr Erschcinungcn". Gegen diesen Aspekt geht Husserl im j 52 der Ideelz I vor. Er erklärt hier in einem ergänzenden Text aus den Zwanziger Jahren, der in der Husserliana-Ausgabe in den Zusammenhang des Paragraphen eingegliedert wurde, dass diese Ursache der Erscheinungen, wenn sie überhaupt s e i , prinzipiell wahrnehmbar sein müsse, also nicht prinzipiell „unbekannt" scin könne. Er begründet diese These mit dem Hinweis, dass die Richtigkeit des Existenzialurteils die Möglichkeit der Anpassung der Urteilsmeinung an die Ursache selbst in deren „originalen Selbstgebung" besage. „Ein mögliches Ich gehört also zur Möglichkeit der Wahrheit, bzw. eines wahrhaft Seienden, hier wie bei irgendwelchem wahrhaft Seienden sonst.'' 2 Husserl hebt hervor, dass dieses Ich nicht das eigene Ich zu sein brauche. sondern eventuell ein anderes „besser und weiter schauendes Ich'' sein könne, in bezug aiif das abcr prinzipiell die Möglichkeit der Einfühlung bestehen müsse. Setzung eines Seienden (Exictcntialurteil) schliesst nach ,Husserlalso notwendig in sich die Setzung der Möglichkeit der originalen Sclbstgebung dieses Seienden (in der es sich seincm Seinsmodus entsprechend selbst gibt) gegenüber einem erkennenden Ich, d.h. die Setzung seiner prinzipiellen Erkennbarkeit. Es ist demnach nach Huscerl widersinnig, eine unerkcnnbare Ursache der Erscheinungen zu postulieren, ganz abgesehen davon, dass eine ursächliche Erklärung der Erscheinungswelt durch eine „Affektion von bewusstselnstranszendentn Dingen" eine Naturalis~erungdes Bewusstseins, d.h. die Einordung des Bewusstseins in einen naturkausalen Zusammenhang bedeutet. Wie steht es nun aber nach Husserl, wenn ich ein unerfahrbares „Ding an sich" nicht als Wirklichkeit, sondern als blosse Möglichkeit ansetze? Darauf gibt Husserl im $48 („Logische Möglichkeit und sachlicher Widersinn einer Welt ausserhalb unserer Welt") Ha VI, Beil. XV, C. 454 (1936); vgl. 31s. orig. F I 30, S. 77b (SC 1916). Ideen I , S. 123.
1 s. 2
I24
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
und in einer Randbemerkung zu diesem Paragraphen, die als Beilage XIV in die Husserliana-Ausgabe aufgenommen wurde, eine Antwort: Vom formal-analytischen Gesichtspunkt ist ein solch unerfahrbares „Ding an sich" (bzw. eine unerfahrbare Welt) möglich, da ihr Begriff keinen formallogischen Widerspruch enthält. Betrachte ich aber diese formallogische Mögliclikeit saclilicli, d . 1 ~nelime ich Einsiclit in dcii cjacl@ialt dieser Möglichkeit, was in einer phantasierenden Anschauung geschehen kann, so werde ich des Widersinns dieser formallogischen Möglichkeit gewahr. Denn stelle ich mir in der Phantasie ein Ding oder eine Welt vor, dann ist in dieser Anschau1111fi n o t w r ~ i < l i riii g lMdmi\stroiii r h w rriiici~Ir11 iiiil:iiigtschaut, da jenes Ding oder jene Welt nur vorgestellt werde11 kann als Einheit von synthetisch zusammenhängenden Abschattungen (Erscheinungen von), also in Orientierung auf ein Subjekt hin. Die Fragr stcllt sich, ob dicsc Kritik Hiisscrls drs ,,Ding ;in sicli" dic I'hilosopliie Kaiits wirkIicli trifft. Oltiic Zweifcl crweist sie dasjenige „Ding an sich" als unmöglich, das sich manche Neukantianer und Kantinterpreten (darunter auch Husserl) vorstellten. Auch in der Kritik derreinen Vernunlt (TramszendemtaleÄsthetik!) (~rwliriiitdas „Ding :in sicli" xitiiiiclist als dir Olijrkliviliit des Rationaljsmus, d.h. als das ,,DingH,wie es im Ausgang von Descartes von jenem in seiner Wesensbestimmung ohne inneren Bezug zum erkennenden Bewusstsein gedacht und auch zum grundlegenden Objektbegriff der modernen Naturwisscnschaft wurde. Manchc Wendungen Kants können talsäclilich den Eindruck erwecken, dass dieser jenes objektivistisch konzipierte Objekt stehen lässt und nur die vom Rationalismus pcistrilierte faktische Erkennbarkeit dieses Objekts ablehnt. Im dritten Hauptstück der Analytik der Grzmdsätze (Von dem Grunde der Unterscheidumg aller Gegenstände giberhaupt i n Phmomena und Noumena), wo Kant systematisch Phaenomenon und Noumenon einander gegenüberstellt, erhält aber das „Ding an sich" einen völlig andern Gehalt: E s ist dort kein absolut bewusstseinstranszendenter Gegenstand, der an sich mit einem erkennenden Subjekt (mit der Wahrheit) nichts zu tun hat, den wir aber erkennend als unsern Gegenstand intendieren, um schljesslich zu erkennen, dass wir ihn gar nicht erkennen können. Kant erklärt: ,,Damit aber ein Noumenon (Ding an sich> eine: wahren, von d e n
HUSSERLS YERHÄLTNIS
ZU K A N T
125
Phänomenen zu unterscheidenden Gegenstand bedeute, so ist es nicht genug : dass ich meinen Gedanken von allen Bedingungen sinnlicher Anschauung b e f r e i e , ich muss noch überdem Grund dazu haben, eine andere Art der ~ n s c h a u u nals ~ , diese sinnliche ist, a n z u n e h m e n , unter der ein solcher Gegenstand gegeben werden könne; denn sonst ist mein Gcdanke c1oS:h leer, dwwar oliric Witlcrspriicli." 1 Das „ l h g an sicli" odcr ,,Noiiincn~m''hat also für Kant nur eine positive Bedeutung, wenn es in Bezug auf eine andere Erkenntnis als die unsere, nämlich auf die göttliche gesetzt wird. Es zeigt sich damit - was wir eingangs Ces Abschnittes hervorhoben -, dass das ,,Ding an sich" oder „Neumeiioii" 1i:iiits iiiir ~,iis:~iiiiiic~ii i i i i l ~li~ssoii l ~ l i - r ! 111,si t r k l l r ~ , l u s archetyfms geselien werden darf. Es ist ICarits grosse Leistung, den objektivistischen Objektbegriff als den Begriff eines absclut bewusstseinstranszendenten Gegenstandes als V-rkehrt erwiesen zu Iinixm, iiitlciii cir xciglc, (hss nllc iiristw I
252.
126
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
ben werden kann. Von dieser Einsicht aus verwirft Husserl den intellectus arohetypus als eine widersinnge Idee: „Dass aber dieselben Gegenstände in anderen Anschauungsweisen gegeben sein könncn, als welche wir haben, d.h. als welche die beständige Funktion des Gebens üben, ist . . . ein Unsinn. Hat Gott eine Anschauung von Dingen, so muss er auch unsere haben, denn zum Wesen des Dinges gehört die Beziehung zu dieser und keiner anderen Anschauung." 1 Nach Husserl gilt unter absolutem Gesichtspunkt, dass individuelle Dinge nur durch Erfahrung als eine Rezeptivität begründbar sind. So kann auch Gott nur auf Grund der Affektion individuelle Dinge erkennen.2 „Die göttliche Anschauung ist also ebensogut sinnlich wie die unsere." 3 Weiter muss auch der Kantische Satz, Anschauung ohne Begriff ist blind, auf die göttliche Anschauung Anwendung finden. Wäre die göttliche Erkenntnis nicht begrifflich, sondern wäre sie nur unendliche Anschauung, so wäre sie nicht der Inbegriff unendlicher Weisheit, sondern der Inbegriff unendlicher Dummheit, da sie alles schen, aber nichts begreifen würde.* Demnach ist die göttliche Erkenntnis der wirklichen WeIt auch keine apriorische. Auch für sie gilt der Unterschied zwischen der apriorischcn Erkenntnis, die die Wesensgesetze umfasst, und der aposteriorischen Erkenntnis von Tatsachen. Dadurch, d a s Gott eine Tatsache, die er schaffen wilI, zum voraus weiss, wird dieses Erkennen nicht zu einem irn echten Sinn apriorischen; denn es beruht auf der Erfahrung der eigenen wirklichen Allmacht und des eigenen wirklichen Beschlusses.5 Auch hinsichtlich der Transzendenz der Weltdingc ist das göttliche Erkennen in derselben Lage wie das unsere. Dadurch, dass Gott die Dinge schauend erschafft, sind sie ihm nicht absoIut gegeben, da es ein Widerspruch ist, dass ihrem Wesen nach transzendente Dinge zu einer absoluten, d.h. adäquaten Gegebenheit kommen. Denn als adäquate Gegebenheiten würden sie ihr Wesen 1
Ms. transcr. B I V I, S. 76 (wohl Dez. 19091.
a Ha VII, Beilage XVI, S. 363164 (wohl 1908).
8 Ms. orig. F I 26, S. 148b (WS 1902103); vgl. Ms. orig. X X 4 (zwischen 1903 U. 1905). 4 Ms. orig. F I 26, S. 14ga (WS ~ g o z / o g )s. ; auch in Husserls zweitem Bwicht über deutsche Schriften zur Logik aus den Jahren 1895-99 die Besprechung des Werkes von H. Gomperz, Zur Psychologie der logischen Grundlatsachen (Leipzig u. Wien, 1897). 6 Ha VII, Beil. XVI, S. 361-364 (wohl 1908).
als transzendente Dinge verlieren undzu immanenten Erlebnissen werden : „Diese Ansicht Lst widersinnig. In ihrIiegt ja, dasszwischen Transzendentem und Immanentem kein Wesensun t c rs C h i e d bestehe, dass in der postuliertengöttIichen Anschauung ein Raumding reelles Konstituens, also selbst ein Erlebnis wäre, mitgehörig zum göttlichen Be~~usstseinsund Erlebnisstrom." 1 „Demgegenüber wird hier die allein wahre Lehre vertreten, dass es gegenüber ,unserer' Gegebenheit des Dinges keine andersartige geben kann und gibt." 2 „Auch ein Gott kann es nicht machen, dass mundanes Sein ihm in absohter Weise gegeben sei, und nicht als transzendent Erscheinendes (was ein Widerspruch wäre). Auch für ihn ist Weltwahrnehmung und Dingwahrnehmung präsumptiv in infinitum." 3 ,,Es ist also keiner nlcnschlichen Erfahrung und menschlichen Wissenschaft gegenüberzustellen irgend ein absolutes Bewusstsein vom Ding, in dem das Ding und schliesslich die Natur zu ,wirklicher Anschauung' käme, dem also das Ding immanent wäre, so wie uns ,der Ton' in immanenter Wahrnehmung absolut gegeben ist. Das ist das Erundvorurteil, dessen Widerlegung erst aUc Mystik beseitigt und radikal das ,Ding an sich' irn Sinne einer falschen Metaphysik aufhebt." 4,s Zu dieser Kritik Husserl am inteEEeclus archetypzcs ist zu bemerken, dass auch sie am eigentlichen Gedanken Rants vorbeigeht. Husserl denkt den intellectus arclzety~us,wie aus den obigen Zitaten ersichtlich ist, auf die Erfahrungsgegenständlichkeit in ihrer sinnlich-kategorialen Struktur bezogen, und betont, dass von diesen Gegenständen absolut keine andere Erkenntnisweisen mögIich sind, als die wir haben. Husserl müsste in seinen Bestimmungen der göttlichen Erkenntnis darum noch viel weiter gehen. Er müsste 2.B. erklären, dass auch Gott einen dinglichen Leib haben müsse, da ja Erkenntnis eines raurnlichen Dinges nur im Raume von einem bestimmten Oricntierungsort, d.11.vorn
.. .
Ideen I, C. 98. Ms. transcr. B 1V 6, S. 2 1 0 (w:lhl 1908). VIII, Beil. XXVIII, S. 469 (2. Nov. ~ g z g ) . "a 4 Ms. transcr. B IV 6, S, 211 (w3hi 1908). 6 Auch im Bereich der praktischen Vernunft bekämpfte Husserl die Idee des intellectus archetyprs: Dass das gi?tliche WoIlen nicht in einem Fühlen gründet, ist für ihn widersinnig, da das Wollen wesensnotwendig im Fühlen fundiert ist. Weiter entgegnete er Kant, dass die praktischen Gesetze auch für Gott I m p e r a t i v e seien, da es zum Wesrn dps praktisrhm Gcsctrw gehüre, ein Sollcn auszudrücken (Ms. transcr. F 1 20, S. 227128 (SS 1902)). 1
I 28
SYSTEYATXSCHEDARSTELLUNG
Leibe aus möglich ist.1 Kant aber denkt dcn intellectzcs arcltetypus gar nicht als erkennendes Subjekt der sinnlich-kategorialen Dinge (der Phänomene), sondern als Subjekt der Noumena (der „Dinge an sich"). Zwar besteht nach Kant zwischen dem „Ding an sich" und der ,,Erscheinung" eine gewisse Identität, aber diese Identität ist keineswegs in gewöhnlichem Sinne zu verstehen, da ein zeitlich-räumliches Ding nur mit einem zeitlich-räumlichen Ding identisch sein kann, und, um diese Identität in der Zeit zu besitzen, den transzendentalen Zeitbestimmungen, d.h. den transzendentalen Schemen und damit den Kategorien unterliegen muss. Der göttliche Intellekt, den Husserl dem intellectm archety+m entgegenstellt, ist nichts anderes als eine idealisierte, von allen f a k t i s C h e n Unzulänglichkeiten befreite menschliche Erkenntnis. Es handelt sich um „Gott" als „erkenntnistheoretischen Grenzbegriff", 2 der in Wirklichkeit nichts anderes ist als der „Grenzbegriff" des Menschen. Eine Wesensverschiedenheit zwischen dieser „göttlichenH Erkenntnis und der faktisch mensclilichen liegt also nicht vor. Dicscr ,,GottHist nach Husscrl nicht Gott im cigcntlichen Sinne: ,,Offenbar ist . . . die methodisch konstruierte ,Idee' einer Steigerung der menschlichen zur absolut unbeschränktcn Intelligenz nicht gemeint als eine Antizipation des echten phänomenologischen Sinnes von ,Gott', snndcrn allcin als rnetliodisclic Idcc." 3 Von der Erkenntnis und dem Erkannten dieses eigentlichen Gottes, der allein im Kantischen Sinne als fntellechs archstypus bezeichnet werden könnte, zu sprechen, hat nach HucserI aber keinen Sinn. Er hat nie die Idee einer völlig andern Erkenntnis und Wahrheit ins Auge gefasst, die die Nichtabsolutheit oder Endlichkeit derjenigen Erkenntnis besagen würde, die dic transzendental-phänomenologische Analyse erforscht. Die Idee einer wesensmässig andern Erkenntnis, als es die unsere ist, ist ihm nicht nur fremd, sondcrn er lehnt sie aufs schärfste ab. Für Husserl bezeichnet „BewusstseinH, „Erlebnis", „ErkenntnisM, „Erfahrungu, „Anschauungw usw. eine ganz bestimmte Wesens1 vgl. Ideen I I , S. 8 5 , wo Hussed erklärt, dass der absolute Geist zu Zweckender Wechselv~rständigungauch einen Leib haben miisse. vgl. Ideen I, S. 191 Anin. "us dem Brief Husserls an Erich Przywara vom 15.7.1932 (Kopie im HusserlArchiv).
HUSSERLS VEHWÄLTNIS ZU K A K T
129
stmktur mit einer festen apriorischen GesetzIicMrt, die Gott nicht schaffen und nicht ändern kann: „So streng grsetzlich ist die Erlebnissphärc nach ihrem transzendentalen Wesznsbau, so fest ist jede mögliche Wesensgestaltung nach Koesis und Noema in ihr bestimmt, wie irgend durch das Wesen des Raumes bestimmt ist jede mögliche i r ihn einzuzeichnende Figur - nach unbedingt gültigen Gesetzlichkeiten." 1 Husserl tr5g: der Tatsache Rechnung, dass das Wesen Bewusstsein faktisrh in verschiedenen Stufen verwirklicht: sein kann: nämlich in den verschiedenen Stufen des Tier3ewusstseins bis zum menschlichen Bewusstsein. Auch die Möglichkeit eines hzheren, ,,göttlichen1' Bewusstseins leugnet Husserl keineswegs2 Aber alle diese verschiedenen Stufen von Bewusstsein sind nach ihm vor- einer einhei t lichen WesensgesetzIichkeit umspannt, die Bewusstsein als Bewusstsein definiert ; ein völlig a n d e r s a r t i g e s ist ein Widersinn. Im folgenden sei ein Text angeführt, der zwar ~ i c h speziell t von einem göttlichen Bewusstsein spricht, aber allgemein die Möglichkeit cincs aridcrn Bcwusstscins, als CS das nicnschliclie ist, erwägt und so das von uns Gesagte illustriert: ,,Man kann den Gedanken erwägen, dass wie der Mensch inte1:ektueU höher steht als die Mineralien oder Qualle, so es in Wirklichkeit Wesen geben mag, die dem Menschen gegenüber intellektiiell höhcr entwickelt sind, und zwar so, dx5i sic i h r ganz ncur, pririzipicll iicuc Erkenntnisartcn verfügen. Diese Wesen, sagen wir Geslirngcister, haben nun völlig rieue, für uns ,unerhörte1und underiSliche Einsichten von den Gegenständen: zunächst von denselben Gqenständen, dic auch wir vorstellen und erkennen. Ofknbar setzt diese Erwägung voraus, dass zu den reelIen Bewusstseinszusammenhängen (aktuellen und potentiellen), in denen sich die w~rklichkeit in unserem Sinn konstituiert, höhere Schichten von Erkenntniszusammenhängen <sich> hinzugeseilen körcen, die in Wesenczusarnmenhängen mit dcn alten stellen und wicdcrum Ideen I , S . 330/31. In einer Vorlesung aus dem Winkrsemestcr 19oz:oj stellt HujserI das göttlicte Bewusstsein hin als ein Bewusstsein, das die Sachen selbst sieht, also ke-ne blosc indirekten oder symbolischen Vorstellun,gen enthält: „Ein Gc-tt bedarf nicht der 3ymbolischen Mittel, er erschaut alles und er braucht nicht sinnliche Seichen als Mxbzoichen und Stiitzeri des 1)crikcns. Iliri ur~ctidlirlicrIritcllckt iiiiiss si<.li auch nicht wie der unsere mit indirekten Vorste:lungen als ISrsatz f i t direkte P.rr;chauurgen begnügen" (Ms. orig. F I 26, C. 14qa WS rgozjo3)).
Ig"
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Einheit der Gcgrnständliclikeit zu erhalten bcfiigt und befähigt sind. Und zwar würden von unscrcr Erkenntnis aus gesprochen und vom Kreis ihrer reell motivierten Erkenntnismöglichkeiten diese Wesen höherer intellektiver Natur ihre Stelle finden unter den unbestimmten dinglichen Möglichkeiten, aber im übrigen, ebenso wie die Supposition unerhörter intelle~tueller,Vermögen', gänzlich leere Möglichkeiten sein. Von ihrqm Standpunkt aus müsste die Möglichkeit der Einfühlung in unsere Erkenntnis und die Möglichkeit der Erhebung von unserer zu ihrer Erkenntnisstufe bestehen, die mögliche Einsicht in die Identität der von uns unvollkommen erkannten Dinge mit den von ihnen vollkommener erkannten. Die allgemeine R e d e v o n möglichen Erkenntnisweisen, die d u r c h a u s n i c h t u n s e r e s i n d u n d m i t unseren gar n i c h t s z u t u n h a b e n , i s t sinnlos, i s t in d e r T a t widersinnig: d a n i c h t s v o r h a n d e n ist, was die E i n h e i t des Begriffs d e r E r k e n n t n i s aufr e c h t e r h ä l t . Soll von solchen Möglichkeiten sinnvoll die Rede sein, so muss es sich um Erlebnisarten handeln, die einsehbar wesensidentisch ihrem Gattungscharaktcr nach sind mit den unseren; und wenn auch aus faktischen Gründen, aus empirisch psychologischen, in unserer Seele nie solche Erkenntnisarten auftreten und wirklich vorstellbar sein können, so müsste a priori die Möglichkeit einer Erweiterung unserer Erkenntnis bestehen als ideale Möglichkeit, durch die unsere Erkenntnis selbst zu der Erkenntnis jener in indirekt-leerer Vorstellung gedachten höheren Intellekte würde." 1 Bezeichnet „Bewusstsein" oder „ErkenntnisH ein durch feste Wcsensgesetzlichkeit durchherrschtes IVesen, so ist die Idee cincr Erkenntnis, die dicscr Gmctzlichkcit nicht entspricht (die also dem Sinn des Wesens „ErkenntnisH zuwider ist) cin Widersinn. In seinen Randbemerkungen zu Heideggers Werk Kant und das Problem der Metaphysik schreibt Husserl zu der dort exponierten Kantischen Idee einer hinnehmenden (rezeptiven), endlichen Erkenntnis als Gegenbegriffs zu einer schöpferischen unendichen Erkenntnis: „Alle Erkenntnis ist hinnehmend, also nicht ,leider' hinnehmend. Die ,Geworfenheitf des Ich ist nicht seine Endlichkeit, seine Nichtabsolutheit. Das AbsoIute ist das Weltkonstituierende und sich selbst immanent Konstituie1
Ms. orig. K I1 4, C. xoga/b (Okt. 1909);wir unterstreichen.
rcndc ctc." 1 „Was ist dia Uncndlichkcit gcgmiibcr dcr Endlichkeit. U'amrn überhaupt die Rede von Endlichkeit statt Rezeptivität, Selbsterfassung unter Antizipation, relative Selbstgebung angewiesen auf immer neue. Andererseits: absolut adäquate Anschammg etc., was aber ein Widersinn ist." 2 Für Husserl ist es wertlos, von ine er endlichen Erkenntnis zu sprechen, da die Gegenüberstellung von hinnehmender -md schöpferischerErkenntnis für ihn gar keinen Sinn hat :Eine nichtrezeptive Erkenntnis ist für ihn ein Widersinn, da Rezeptivität zum Wesen der Erkenntnis gehört. Der sehr treffenden Charakterisierung des Gegensatzes „Erscheinung" - ,,Ding an sich" durch das Begriffspaar .,Gegenstandu (als das Ding der hinnehmenden endlichen Erkenntnis) und ,,Entstand" (als das Ding der schöpferischen unendlichen Erkenntnis) kann Husserl nur folgenden Sinn abgewinnen: „Das einzige, was hier aufweisbar ist und wohl eine Rolle spielt, ist der Unterschied der geraden Einstellung auf den Gegenstand und der phänomenologischen auf das konstitutive ,Entstehen'. "3 Die phänornenoIogischc Einstellung bedeutet die transzendental reim Reflexion auf u n s e r Erkenntnisleben, in dem sich der Gegenstand konstituiert, hat also keinen Rezng auf ein göttliches Erkrnnen. Die von Husscrl im oben angeführten Zitat vorgetragene Gegenüberstellung spielt in der Kantischcn von ,,Erscheinung" und ,,Ding an sich" sicher keine Rolle. Nach dem oben Ausgeführten verstellen wir nun auch, warum Husserl auf eine transzendentale Sinnwandlurig dcs Begriffs des Menschen verzichten kann.4 Das reine Bewusstsein, das die transzendentale Phänomenologie erforscht, ist dem W e ce n n a c h gar kein bcsondcrcs ßcwusstsein, ein Uewusstsein, das als wesenhaft menschliches einem wesenhaft göttlichen gegenüberzustellen wäre, sondern es ist nur eine faktisch besondere Realisation des Wesens ,,Bewusstsein ü b e r h a u p t " oder „Erkenntnis ü b e r h a u p t ' ' oder ,,Vernunft ü b e r h a u p t " . Nur irn Hinblick auf die faktischen Besonderheiten des faktischen transzendentalen Bewusstseins, die das Wesen ,,Bewusstsein überhaupt" neEen s. Husserls Exemplar von HeiEeggers Kantbucb, I . Aufl.
ebenda.
C. 27.
132
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
andern möglichen Besonderheiten offen lässt, ist es nach Husserl erla.ubt, von einem menschlichen Bewusstsein w reden. Hier sah er den bcrcclitigtcn Kern des Kantischcn Antliropnlogismtis.~Fiir die Phänomenologie als Eidctik sind diese faktischen Besonderheiten nicht von Interesse. Von Interesse ist diese Faktizität von einem andern, nicht mehr rein phänomenologischen Standpunkt aus, auf den wir in cincrn andcrii Ziisamn~cniinrigci~ieiigchrn haben." Was Husserl verbietet, die Idee einer völlig andersartigen Erkenntnis als es die unsere ist, zu fassen, ist der Gedanke, dass dann „nichts vorhanden ist, was die Einheit des Begriffs der Erkenntnis aufrechterhält". 8 Husserl hat sicli das Problem der Analogie der Begriffe nie wirkIich gestellt und sich nie gefragt, ob nicht ein Begriff die strengen Grenzen eines festen Wesens überschreiten könne, ohne dabei äquivok zu sein. Den tieferen Grund hat dieser Sachverhalt darin, dass Husserl sich m e t h o disch an das Reich der festen Wesen band. Wir niüsscn liicr nochmals auf Husserls Intuitionismus zurückkommen. Im vorhergehenden Paragraphen haben wir darauf hingewiesen, dass Husserl, vom mathematischen Intuitionismus herkommend, die Philosophie an das intuitive Realisierbare binden wollte, um dadurch Widersinnigkeiten zu entgehen, die durch die forrnallogisch widerspruchsfreie Definition noch keineswegs ausgeschaltet sind. Dadurch beschränkt Husserl aber auch das Gebiet dessen, was der Philosoph als ideale Möglichkeiten in Betracht ziehen darf: „,Reines' Denken ist wertlos, nicht nur weltlich gcgenstandclos, wie Kant meintc, als ob es Denlgmöglichkeiten offen liesse, die für dic seiende Welt (Kants ~rs&einun~swelt) keine Anwendung gestatteten. Prinzipiell stammen alle Begriffe aus Anschauung und haben einen Sinn, der auf Anschauung sich bezieht. . .." 4 Als Möglichkeit kommt für Husserl philosophisch nur in Frage, was sich ,,anschauen" lässt. Diese Anschauung ist nicht identisch mit der Wahrnehmung des Wirklichen, sondern deckt sich mit dem Bereich der Phantasie oder der ,,Fiktionu als dem „Lebenselement der Phänomenologie wie aller eidetischen Ms. transcr. B IV I, S. 1x2113 (um 1908), 146147 (um 1908). f 27. S.O. s. 130. 4 Ms. transcr. A V11 20, S. 29/30 (1931).
1
Wissenschaft". 1 In der frei variierenden Anschauung bestimmt sich nach Hucserl nach festen Wesensnotwendigkeiten, was möglich ist und was nicht. Der intellectus archety$ms und das ,,Ding an sich" sind nun keine intuitiv erfassbaren Mögichkeiten; Kant erklärt selbst, dass wir ihre Möglichkeit nicht im geringsten einsehen können,2 dass wir von ihnen nicht cinnini rinsn 13sgrilf Iinl>rii."n, nnch Knnt liandclt CS sicli bcirn inkllcctus urchclyfizls und dcm ,,L)irig an sicli" um reale Unmöglichkeiten. Denn die reale Möglichkeit ist bei Kant definiert durch die liberein~timrnun~ mit den formalen Bedingungen des Anschauens und des Denkens, Bedingungen, die jeneBegriffenicht erfüllen. UndKmit erklärt :,,. . . clasUlcndwcrk, die logische Möglichkeit des Begriffs (da er sich selbst nicht widerspricht) der transzendentalen Möglichkeit der Dinge (da dem Begriff ein Gegenstand correspondiert) zu unterschieben, kann nur Unversuchte hintergehen und zufriedenstellen. Mit eincrn Worte, allcdicsc Begriffe I x w n sicIz durch nichts bclcgcn, und dadurch ihre reale Möglichkeit dartun, wenn alle sinnliche Anschauung (die einzige, die wir haben) weggenommen wird, und 4 es bleibt dann nur noch die logische Möglichkeit übrig. Husserl und Kant sind sich darin einig, dass die formal-logische Möglichkeit noch keine reale Möglichkeit bedeutet, dass also für diese Möglichkcit noch andere Bedingungen als die formai-logischen notwendig sind. Gemeinsam ist ihnen also die Ablehnung des formal-rationalistischen Standpunktes eines Wolff. Bcide stellen für dic reale Moglichkeit zusätzliche Bedingungen: die tfberein~timmun~ mit den formalen Bedingungen des Anschaumit den ens und des Jlenkens (Kant) bzw. die Ubereinstirnrn~n~ Bedingungen der phantasierenden Anschauung (Husserl). Kant und Husserl trennen sich aber radikal dadurch, dass für jenen eine reale Unmöglichkeit (wie der indellcctzls archety$zls, aber auch etwa die Freiheit) noch keine absoIut e Unmöglichkcit darstellt, sondern (vom theoretischen Standpunkt) eine problematische Möglichkeit bedeuten kann, von der wir nicht die geringste Einsicht haben ; Husserl dqegen lehnt methodisch eine solche un-
. .."
s. Ideen I , S. 163.
1 s.
S.U.
a Kritik der reinen Vernunttl,A 255/B 310; A q 6 / B 312. 8
4
a.a.0. A q 5 / B 3x0. a.a.0. A 244IB 302.
I34
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
anschauliche (unerkennbare)Möglichkeit als eine Sinnlosigkeit ab. Denn die Möglichkeit ist bei ihm bestimmt und b e s c h r ä n k t durch die phantasierende Anschaubarkeit. Husserl kennt keine Grenzen der möglichen Erkenntnis. In einem Text, der gegen Kant gerichtet ist, schreibt er: „Prinzipiell lehnt sie (sc. die Phänomenologie> alle Verendlichungen einer vcrniciritlicli fcrtigcri Systcriil>liilosol>I~ic als niich Vcrmdlicliiirig durch fingierte Schranken der incnschliclien Erkenntnis und dic Flucht in eine trübe Mystik ab. Aiies, was sinnvoll ist, ist erkennbar, und ist es für uns heute unerreichbar, so ist es an sich doch erreichbar." 1 Husserl beschränkt das Sein, indem er die menschliche Erkenntnis entscliränkt. Dass er abcr i n acfu $hiZoso$hand i trotzdem gezwungen ist, über die Grenzen der menschlichen Anschauung und Erkenntnis hinauszugehen - dass sich das Sein als das Objekt der Philosophie, nicht wie das Objekt der Mathematik durch methodische Bedingungen, mögen sie noch so sinnvoll sein, einschränken lässt - werden wir noch sehen.
2.
H U S S E R L S V E K H Ä L T N I S Z U K ~ T ISD E E D E R L O G I K
13. Husserls u b e r n a h m dm Karwiisckefi Scheidung zwischen analytischem zllzd s y n t h d i s c h i Apriori Obschon Husscrl die Kaiitisclic SAici
1
Ms. transcr. A V11 14, S. 155 (wohl 1925).
KAPITEL
S.O. S. 61. ebenda. Ms.orig. F I 32, S. 12ga (CS 1927); vgl. M'. transcr. F I
I,
S. 296 (1go8/og).
I37
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS VERHALTNIS ZU K A K I
diese Unterscheidung auch die betreffenden Kantischen Termini : für die formalen Disziplinen den Terminus Analytik,l für die apriorischen materialen 2 Disziplinen die Termini ,,Synthetik" 3 oder „transzendentale Logik". 4
(Bedeutungssinne) und das, was in ihnen als Rclnsequenz beschlossen liegt, zur Gegebenheit; nicht aber zur Gegebenheit kommt dadurch das w a h ~ eSein, auf das diese Sinne in ihrer Erkenntnisfunktion bezogen sind.1 ,,So versteht es sich, dass im syllogistischen Schliessen alles auf die Identitiit der Termini ankommt und doch nichts auf die Anschauung des:€% was ihnen in Wahrheit (oder Möglichkeit) entspricht, ankommt. Und wiederum verstclit sich, dass ebcn darum der Schluss gültig bleibt, in freier Variation der Termini aber unter Voraussetzmg der Identität bei jeder Variante." 2 Dasselbe gilt - wir fo@n immer den Kant-Ubungen - vom Gesichtspunkt der Mathematik, die von Husscrl gcgcnstandstlicoretisch odcr formalontcl~giscli gefasst wird und die zusammen mit der formalen Apophantik die analytische mathesis universdis ausmacht.3 Auch der reine Mathematiker ist nur auf die blossen Sinne (gegenständlichenSinne) des „Etwas überhaupt" und dessen kategoriafcn Fcrmen gerichtet, ohne sich t1:rriini zu küii~mcrn,ob CS sich bei dicscn Maiiiiigfaltigkeiten um wahre Seins~öglichkeitenhandelt oder nicht. Diese Bestimmung durch die ,,blassen Sinne" (seien es die apophantischen Bedeutungen oder die puren gegenständlichen Sinne clcr Mathematik) und durch clic ihnen entsprccticridcEvidenz der Deutlichkeit (gegenüber der auf das wahre Slin gerichteten Evidenz der K l a r h e i t ) ist auch in Formale und transzendentale Logik für den Begriff des Andytischen die entscheidende.4 Durch sie wird die purp Analytik der Konscqiicnz oder rlt.rWi(lrrspriiclislosigkeit definiert. Allerdings hebt Husserl in diestrrn Werk hervor, dass die Gesetze der puren Analytik eine w a h r h e i t s-logische Wendung erfahren können, und zwar dadurch, ,dass die Widerspruchslosigkeit als eine Bedingung der Möglichkeit der Wahrheit gefasst wird.6 In diesem Sinne wird die pure Analytik zii einer foniinlcii W;~lirlicitslogik:ils ri~icriiGrundstiick der W:ilirlic.itslogik überhaupt erweitert. Diese Erweiterung 1st aber keine Umfangserweiterung (abgesehen von einigen auf den Begriff der Wahrheit bezüglichen Sätzen), sondern eine Sinn- oder Beziehungsbereicherung.6 Der Umfang wird weiterhin bestimmt durch
136
Wahrend seines ganzen philosophischen Lebens hat sich Husserl bemüht, den Begriff der Analytik zu bestimmen und zu begrenzcn.6 Diese Bemühungen gipfelten in FmnnaEe wnd Iranszendentale Logik. Wir haben schon darauf hingewiesen,s dass die betreffenden Ausführungen dieses Werkes in wesentlichen Gedanken durch die Kant-ubungen, die Husserl im Sommersemester 1927 (also ein Jahr vor der Abfassung von Formale zrnd traraszendentale Logik) gehalten hat und die der Untersuchung des Begriffs des Analytischen gewidmet waren, vorausgenommen wurden. Bereits in diesen Tfbungen ist der Begriff des Analytischen, wie ihn das genannte Werk exponiert, in seiner Grundbestimmung erreicht: Er wird dcfinicrt durch die Gesctzliclikcit des Bereichs der „blassen Sinne", die in der Evidenz der Dezctlichkeit erfasst wird.7 Vom Gesichtspunkt der Apophantik (Bedeutungslogik) bringt diese Evidenz die Urteile als Urteilsmeinungen 1 s. . .B. Ms. transcr. F I 24, S. 32 (1909); I t t n I, § 10; Ms. orig. A IV 5, S. gza (1924); Logik, S. 48, 56/57, 88 ff., 106, 155, 179 u.a. 1 Auch „material" im Sinne von ,,materiales WahrheiLskriterium" ist iibrignns ein Kantischer Terminus. 3 Iheen I, 5 ro; M?. orig. A 1 36, S. IIoa ff, (1917); Ms. orig. A I V 5, S. gza (rg24). 4 s. Ms. traiwrr. 1 3 X X I , S. 93 (wo1111go7); Mn. tratiwr. Ti IV 12,S. 14 (iini i y m ) ; Ms. orig. A 1V 5 , C. ga/b (zwischen 1922 U. 1925); Ms. orlg. A V11 14, S. 5pn (wotii 1925); Ms. orig. E' I 32, C. r7 ff. (CS 1g27), S. 12ga (CS 1927);Ms. trariscr. K 111 28, S. 37/38 (Dreissigcr Jahre). I n L o ~ i khat der Terminus ,,transzendentale Logik" einen andern Sinn; er bedeutet hier die subjektiv gerichtete Problematik der formalen Logik. 6 Husserl kennt mehrere Begriffe von „analytisch". Ftlr uns ist hier aber nur deryenige von Bedeutung, der die Scheidung der Sphären des analytischen und synthetischen Apriori (der formalen und der iiiatrrinlcii I.oaik) bc~tirnnit.Aiidcrr Iiler iiiclit 1ii 1"rngs koiiiiiioii~lnIlcgriffo voii ,,niirilytl?ieli'' d n d : a. m a t e r i a l - a n a l y t i s c h : Explikation eines Cegenstandsbereiclies in der Evidenz der Klarheit, ohne diesen Bereich durch synthetische Konstitution neuer Gegenständlichkeiten zu erweitern; b. a n a l y t i s c h im Sinne der E n t f a l t u n g d e s p r ä d i k a t i v e n S i n n e s (als eines Niederschlages begrifflicher Bestimmung), mit dem ein Gegenstand aufgefasst wird; C. a n a l y t i s c h im Sinne von U r t e i l e n ü b e r e n d l i c h e I d e e n , gegenübergestellt den im Unendlichen liegenden Limesideen. ZU diesen Begriffen des Analytischen siehe Ms. orig. A I 40, S. 1-11, 27-32 (SC 1927). 6 S.O. S. 45. 7 s. Ms. orig. A I 40, S. 6a/b, ob-~rb, 27-32 (1927).
1 3 ~
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
die Gcsetzlichkeit der in der Evidenz der Deutlichkeit erfassbaren „puren Sinne" unter Abstraktion von deren Beziehung zu möglichem wahrem Sein. In der dritten Beilage des angeführten Werkes setzt Husserl seinen Begriff des Analytischen mit dem Kantischen gleich : „Dabei ist das ,analytische' Urteilen, und in formaler Allgemeinheit das der Analytik selbst, natürlich auch in dem Sinn als analytisch zu bezeichnen, den Kant mit den Worten der blossen Erkenntniserläuterung gegenüber einer Erkenntniserweitemng zu fassen suchte. Denn das kann ja nur bedeuten, dass das analytische Interesse rein auf die Möglichkeit der Deutlichkeitsevidenz geht . . . und dass für diese die Evidenz der jeweiligen Vorgegebenheiten irrelevant ist. Das dient der Logik: Die in sich geschlossene Gesetzlichkeit der ,Widerspruchslosigkeit' fundiert diejenige möglicher Wahrheit. Die Erkenntnis wird nicht ,bereichert1-bei allem analytischen Tun bleibt man bei dem, was man urteils- bzw. erkenntnismässig schon ,hatte1; alles analytisch Erwachsende ist darin ,beschlossen'. " 1 Bereits im Jahre 1909 definiert Husserl in einer Erörterung eines Kantischen Textes analytische Urteile als solche, die auf Grund blosser Bedeutungen gelten, und bemerkt dazu: „Was ich da blosse Bedeutung nenne, das ist für Kant wohl bloss ,Begriff'." 2 Husserl sah also im analytischen Urteil Kants, das dadurch bestimmt ist, dass cs über die Begriffe nicht hinausgeht, sondern blass ,,erläutert", was in ihnen selbst liegt, seinen cigcnen Hcgriff des Analytischen vorgezeichnet. Daran konnte die von ihm selbst hervorgehobene Tatsache nichts ändern, dass Kant den vollen Umfang der reinen Analytik verfehlte, indem er nicht erkannte, dass sie als mathesk univevsaEZs gefasst werden kann und so auch die Mathematik als formale Ontologie in sich einbeschliesst. Die Kantisclic Erklärung. dass cs dic Vcrnutift in der forinalen Logik nicht mit Gegenständen, sondern nur mit sich selbst zu tun hat, ist für Husserl, wenn er die betreffenden Ausdrücke in seinem eigenen Sinn versteht, falsch. Die ,,Bedeutungen1'der Apophantik wie das ,,EtwasJ'der Mathematik sindnachihmim vollen Wortsinn Gegcnständr. Wenn cr aber jene Kantische Erklärung irn Kanta.a.0. S. 295196. Ms. transcr. B IV I, S. 62 (wohl 1909); für Husserl ist „Begriff" auch gleichbedeutend mit ,,Eidosw. Darum gebraucht er den Terminus ,,Bedeutung3'.
ischen Sinn versteht, wonach ,,GegenstandH nur die wirklich s e i e n d e n oder w a h r e n Gegenstände meint, dann kann er ueser Erklärung beipflichten: In der Analytik hat es dir, Venunft nicht mit dcm möglichen oder wirklichen wahren Sein ZU tun (Casinder Evidenz der Klarheit erfasst wird), sondern nur mit den in der Evidenz der Deutlichkeit zur Gegebenheit kommender- Hosen Bedeutungen und mathematischen Mannigfaltigkeiten, also nur „mit sich selbst". Es ist festzustellen, dass Husserl seine Definition des Andytischen im Laufe seiner Forschungen derjenigen Kants acnäherte. In den Logischen Untersudwngen (L Auflage) sind die analytischen Sätze noch als solche definiert, „die eine von der inhaltlichen Eigenart ihrer Gegenstände (und somit auch der gegenständlichen Verknüpfungsformen) völlig unabhängige Geltung haben; also Sätze, die sich vollständig formalisieren und als Spezialfälle oder blcsse Anwendungen der hierdurch erwachsen, den formalen oder analytischen Gesetze fassen lassen. Die Formalisierung besteht darin, dass in dem vorgegebenen analytischen Satze alle sachhaltigen Bestimmungen durch Unbesti~mntrersetzt und diese dann als unbeschränkte Variahle gefasst werder-"' Zu der gegenüber der ersten Auflage leicht niodlEzie:ten Deknition der zweiten Auflage des Werkes bemerkt Hiisserl, dass man sie mit der Kantischrn vergleichen solle, die nach ihm keiueswvgs klassisch genannt zu werden verdiene.2 Als rr aber in den fiiantUbungen von 1927und in Formale w d transrcndmtalz h ~ i vcrk suchte, die E v i d e n z des Analytischen zu erfassen, Irat er, ohne seine Auffassung des Analy tiscchen sachlich zu ändern, dir: Rantische Bestimmung, wonach die analytischrn Crteile ErEu-terungsurteile auf Gruxd blosjer Bcgriffe sind, also der hschauung der (wahrcn) Gegenstände nicht bedürfen, aufg~nommen. Nicht nur Iiinsichtlich dcr I3cstii~in1urigcks Ariilyliscl~n,S.311dern auch in der Auffassung dcr formalen Logik als einer reinen, von der Psychologi~unabhgngigen Wissenschaft srhloss sich Husserl Kant 'an, wenn er auch hier wiederum diesem manche Mängel vorwarf. Bereits in der Logikvorlesung von 1895 bcmcrktc er, dass Kant mit scinrr formalen Logik die minc clr3j?ktive Logik meine, wenn er auch ihre Unabhängigkeit dcr
1 2
Log. Unters. I I , I. Auf;. S. 247, a.a.0. S. 256, Anm. I.
I4O
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Psychologie mehr gefühlt als wirklich durci)gefuhrt und nicht gesehen habe. dass die reine Logik nur von /objektiven Gegenstandlichkeiten und nicht vom Denken spreche.1 An den Rand des betreffenden Manuskripts notiert Husserl aber zu diesen Ausführungen, dass sie lückenhaft seien, da sie nicht auf die Kritik der reinen Vernunft Rücksicht nähmen. In einem Text, der kurz nach dieser Vorlesung entstanden sein dürfte, exzerpiert er ausführlich Kants Erörterung über den Unterschied von reiner und angewandter (auf die Psychologie sich stützende) Logik aus dem Anfang der Transzendentden Logik des genannten Kantischen Werkes. Ober dieses Exzerpt schreibt er: ,,In den Vorlesungen habe ich leider mehr auf die Kantischen Vorlesungen (über Logik) als auf die betreffende Hauptstelle in der Kritik der reinen Vernunft geschaut." 2 Im ersten Band der Logischen Untersuchungen, die im wesentlichen auf jene Logikvorlesung von 1896 zurückgehen, bezieht Husserl sich bereits auf die betreffenden Ausführungen der Kritik der reines Vernes~ft,a was ihm erlaubt, in seiner Ausarbeitung der Idee der reinen Logik an Kant anzuknüpfen.4 Auch in Formale und transze~dentaleLogik schreibt er, dass die Kantische reine formale Logik - zwar nicht den Worten und Definitionen, aber dem Sinne nach - auf die idealen Denkgebilde gehe.5 Als Synthetik stellt Husserl der Analytik gegenüber die materialen oder sachhaltigen Ontologien. Seine Auffassung von diesen hat sich irn Laufe seiner philosophischen Entwicklung verändert. In den Ideen wird die materiale Ontologie den regionalen Ontologien gleichgesetzt : B Die Welt teilt sich auf in Regionen, denen synthetische apriorische Wissenschaften entsprechen. Die Welt aber als Ganzes, deren Strukturen die Regionen sind, zieht Husserl hier nicht in den Bereich seiner ontologischen Erwägungen.' Erst anfangs der Zwanziger Jahre scheint Husserl die Idee Ms. orig. K I 20, S. 33 ff. (1896). Ms. orig. A I 12, S. 2a (wohl zwischen 1896 und ~goo). Log. Unters. I, I. Aufl., S. 214 Anm. 4 a.a.0. 5 58. Logik, S. 230. %. das erste Kapitel des ersten Abschnittes von Ideen I. 7 1927 bemerkt Husserl zum ersten Kapitel des ersten Abschnittes: „ K a m ich wissen, dass alles Seiende überhaupt sich i n eine solche regionale Austeilung einfügt, dass Wissenschaften darauf zu gründen sind? Sind nicht die Regionen die universalen 1
9
einer Weltontologie aufgenommen zu haben. Diesc Ontologie bezeichnet er als die universale : sie ist die „Wissenschaft von der Form einer an sich wahren Welt als der Idee, die im Wesen einer Welt als Welt mögli&er Erfahrung vorgezeichnet ist'';1 sie ist die ,,allgemeine Reailogik, welche allererst zur Austeilung der Seinsregionen innerhalb des universalen Alls der Realitäten überhaupt führt" ;2 weiter hat sie auch die Beziehung der Irrealitäten zur Realität, auf der jene konstitutiv gründen, zu bestimmen.3 Beim späten Husserl wird diese Weltontologie zu einem sehr zentralen Thema. In Formale und transzendentale Logik wird sie entworfen als Wissenschaft vom sachhaltigen und universalen Apriori, „das alle sachhattig-apriorischen Sondergebiete in eine Totalität zusammenbindet,. . das für ein mögliches Universum des Seienden <einer „Welt"> die apriorische sachhaltige Form vorzeichnet". 4 In der l f i s i s gehört sie als Ontologie der Lebenswelt zur Grundproblematik. Diese universale Weltontologie umschreibt für den späten Husserl die Sphäre der positiven 5 synthetischen Ontologie. Solange Husserl die synthetische Ontologie mit der Gesamtheit der regionalen Ontologien identifizierte, sah er in Kants synthetischen Urteilen a prinri der Tmmzendentalen Bsthetik und der Transzendentalen Andytik die Konzeption einer einzelnen materialen Ontologie, derjenigen der Region der materiellen Natnr.6 Die Katcgorien Kants fasste er also als regicinalc Kategorferi und fordertc Kant gegenüber eine Kategorienlehre nicht nur für die matcrielle Natur, sondern für alle Weltregionen.7 Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Husserl seit etwa dcr Mitte der
.
Weltstrukturen, während doch der Begriff der Weltstruktur, d a nicht die Welt als einheitliches Universum voraflgesteiit ist, überhaupt nicht zur Erörterung kommt" (Ha 111, Beil. VI, S. 390 (rgz7)). 1 Ms. orig. A IV 5 , S. 8b (zwischen 1922 U. 1925). a.a.0. S. 92.1 (Winter- oder Ostcrfcrien ~ 9 2 4 ) . Logik, 5 64. 4 Logik, C. 134. Diese universale sachhaltige Ontologie ist nicht zu verwechseln mit der formalen Wahrheitslogik, die noch nichts Sachhaltiges enthält und eine blosse wahrheitslogische Wendung der puren Analytik darstellt. 6 E s muss hinzugefügt werden, dass Husserl die Idee einer noch uriiversaleren synthetischen Ontologie ins Auge fasste, die Ontologie des Seins der transzendentalen Subjektivität (s. Ha VIII, Idee der vnllm Onfologi8. ., S. 212-228 (1923 uxd 1 ~ 4 ) ; Ms. transcr. A V11 14, C. xgn f f . (1920, 1925); Ms. orig. A 1V 5, S. g6b/g? (1924)); H a IX, Encyclopedia-B7itawnua~Artike1, C. 297. S. Ms. orig. F I 30, S. 76b (CS 1916); Ms. &ig. A IV 5, S. 56a (1g24/25); Ms. orig. F IV 3, S. 57b (wohl 192s). 7 Ms. orig. F I 12, ~ ; j j ff. a (WS I ~ I O / I I ) .
.
142
IIUSSERLC V E R H Ä L T N I S ZU K A M T
SYSTEMATISCHE' D A R S T E L L U N G
Zwanziger Jahrc in dieser rcgional-ontologischen Kantinterpretation schwankend wurde, wenn er sie auch nipht völlig aufgab.1 Er hat damals wohl versucht, Kants Begriff $er Natur nicht in einem regionalen Sinne aufzufassen, sondern! als ,,Weltw zu interpretieren. Ob diese neue Kantinterpretation Husserls Entwurf einer universalen Weltontologie vorangegangen ist, oder ob vielmehr umgekehrt dieser Entwurf zu jener Interpretation geführt hat, können wir nicht entscheiden. Wir haben im § g angedeutet, dass wir mit den dortigen Ausführungen noch nicht Husserls letztes Wort zu Kants Idee des Apriori wiedergegeben haben. Tatsächiich gewinnt Husserl von der Problematik der synthetischen Ontologie her einen wesentlich neuen Begriff des synthetischen Apriori, der dem Kantischen viel . näher kommt als der von ihm im allgemeinen definierte. In jenem Paragraphen haben wir dargelegt, dass Husserl den Begriff des Apriori allgemein durch das Eidos definiert, und dass nach ihm jedes individuelle Was „in die Idee gesetzt", d.h. als Exempel eines Eidos gefasst werden kann. Von dieser Definition her würde also Husserl die Frage des Parnzenides Platons, ob es auch eine Idee ,,Haaru oder „Schmutz" gebe, bejahen. Die synthetische ontologische Erkenntnis bezieht sich nach ihm aber nun keineswegs auf die eidetischen Singularitäteri, sondern auf die ,,Kategorieno, d.h. auf die apriorischen Grundstrukturen odcr, wie Husserl völlig kantianische Termini aufgreifend auch sagt, die konstitutiven Formen 2 einer gewissen ~ c l t r e ~ i o(oder n i e r ganzen Welt). Ist das Apriori durch diese ontologische Erkenntnis bestimmt, so ist eine Unterscheidung von apriorischen und nicht apriorischen Begriffen möglich, was bei der blossen Definition des Apriori durch das Eidos nicht der Fall ist; denn ein solches entspricht ja jedem individuellen Wac. Für Husserl ist allerdings die Kategorie auch ein Wesen oder Eidos, nämlich ein „oberstes Wesen" oder ,,oberstes Eidos",und es könnte scheinen, dass zwischen dem durch das Eidos im allgemeinen definiertcn und dem durch die synthetische Ontologie definierten Begriff des Apriori nur ein gradueller Unterschied besteht, dass der zweite Begriff also nur ein Spezialfall des ersten ist. Es ist aber ersichtlich, dass zwischen den eine
= S.O. 5 roc. s. 2.B. Ideen I ,
S. 367.
I
I43
Region als Region konstituierenden obersten Wcscn (ontologischen Formen) und den ihnen untergeordneten Wesea (Species) nicht bloss ein gradueller, sondern ein wesensmässigerKnterschied besteht. HusserI hat diesen Unterschied in gewissen Zusammenhängen, besonders in dem vielgelesenen ersten Abschnitt von Ideen I ohne Zweifel zu wenig deutlich hervorgehoben. Er spricht auch nie wie Kant von den Kategorien als v m apriorischen Begriffen (im Gegensatz zu den aposteriorischen Begriffen der Spezies). Dass er sich aber des radikalen, wesensmässigen Unterschiedes zwischen Kategorie und gewöhnlichem Speziesbegriff bewusst war, ist sicher. In den Ideen I11 schreibt er: „Das Apriori im Sinne der Region ist der Quellpunkt d e r Ontologien, deren Notwendigkeit und ausgezeichnete Stellung im S-ptem aller Wissenschaften und deren ekigartige methodische Funktion für die Ausführung von Tatsachenwissenschafteri für d:e er-tsprechenden regionalen Sphärer- nun wirklich aus den tiefsten, eben den Urgründen der Phänomenologie verständlich wird. Es ist ja völlig klar, d a s eine zum regionalen Apriori, z.B. Ding überhaupt, Seele überhaupt gehörige Wesenswissenschaft eine regional andere Stellung und Uedcutung haben muss als alle anderen Wesenserkerintnisse, die sich etwa an ,zufällige3Uesonderungen der Idee der Dinglichkeit, Seele USW.,also an sachhaltige, sei es auch noch so allgemeine Begiffe anschliessen. Der Kcilic der Erführungswissenschaften von der realen Wirklichkeit (als Tatsacienwissenschaflcn) tritt somit in bcsondcrcr Wcise dci&nübcr dic Ontologie der physischen Natur, als Wesenslelire tlcr natura formaliter spectata, ebenso die Ontologie der animalischen, bzw. seelischen Natur." 1 Co ist sich denn Husserl der gr~indsätzlichenUnalität seines Terminus „AprioriMbewusst gewesen, wenn er sich auch selten darüber äusscrt.2 Neben dem bloss durch das „platon~sche" Eidos bestirnmten Begriff des Apriori benützte Husserl noch einen zweiten, dessen Ursprung bei Kant liegt. Husserl bemerkt in eincr Vorlesung aus dem Wintersemester 1goz:o3 selbst, dass er Ideen I I I , S . 36. Neben dem soeben zitierten Text ist uns nur noch ein Text bekannt, in dem Husserl auf diese Doppeldeutigkeit seines Terminus ,,Aprio-i" hinweist: In den Filnf Vorlesungen bestimmt er wie üblich das Apriori durch das Eidos und bemerkt dazu: ,,Jedenfalls ist das der eine berechtigte Begriff des Apriori ein anderer ergibt sich, wenn wir darunter alle Begriffe verstehen, die als Kategorien eine in bestimmtem Sinn prinzipielle Bedeutnng haben, und dann weiter die Wesensgesetze, die in diesen Begriffen gründen" (a.aO. S. 51). 1
I45
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS YERHÄLTNIS Z U KANT
seinen Begriff der Kategorie von Kant habe. Er fügt hier aber hinzu, dass er ihn allgemeiner oder formaler als Kant fasse, nämlich im Sinne der formal-analyt ischen Begriffe wie „Gegenstand", „RelationH usw.1 Nur wenige Jahre nach Abfassung dieses Textes gebraucht Husserl jedoch auch den Begriff der synthetischen oder materialen Kategorie. Von grundlcgendcr Bedeutung ist cs nun, dass Hiisscrl dem ,,KantischenJ' Begriff des Apriori für die Vernunftkritik, bzw. für das universale Problem der Konstitution die weit grössere Wichtigkeit beimass als dem bloss ,,platonischen", Nachdem er in den Fiinf Vorleszcngen von I907 diese beiden Begriffe einander gegenübergestellt hat, bemerkt er im Hinblick auf den ,,KantischenJ' Begriff: „In den Richtungen auf die Kritik der Vernunft, der theoretischen nicht nur, sondern auch der praktischen und jedweder Vernunft ist das Hauptziel freilich das Apriori im zweiten Sinn, die Feststellung der selbst zu gebenden prinzipiellen Formen und Sachverhalte und mittels dieser Selbstgegebenheiten die Realisierung, die Auswertung und Bewertung der mit dem Anspruch auf prinzipielle Bedeutung auftretenden Begriffe und Gesetze der Logik, der Ethik, der Wertlehre." 2 Dieser Begriff des Apriori ist in der „Vernunftkritik" darum von grösster Wichtigkeit, weil deren Aufgabe gerade dann besteht, die ,,Prinzipien, die als ideale Bedingungen der Möglichkeit wissenschaftlicher Objektivität alles empirischewisscnschaftlidie ~ e r f a h r e n Normen b regeln", 3 aufzuklären. Diese Normen sind nichts mcleres als jenes ontologische Apriori.4 Das Problem der Konstitution, d.h. das Problem des alle Gegenständlichkeit konstituierenden transzendentalen Bewusstseins ist eine Vertiefung und ein anderer Aspekt jenes Problems der „Vernunftkritik". Die universale Analyse des transzendentalen Bewusstseins, d.h. die Phänomenologie, geschieht nach Husserl notwendigerweise am Leitfaden (oder arn
Index) des on t 01ogi c; C hen Apriori:l Tatsächlich kann diese Analyse (sei sie statisch oder genetisch) nicht in einer Rhapsodie von tausendundein Problemen fragen, wie sich im transzendentalen Bewusstsein das Haar, der Schmutz und alle andern Spezies konstituieren, oder gar, wie sich die und die individcellen Fakten konstituiert haben, sondern es geht in dieser Analyse um die ICotistitutioii der „TCatcguricii" oder oiitologischci Strukturcri. Dabei hat die Phänomenologieals genetische sich nicht an irgendwelche festen traditionellen Ontologien zu binden,Z sondern sie entdeckt, dass diese eine Geschichte haben und verfolgt sie in dieser ihrer Geschichtlichkeit, ohne dass diese ihre Funktion als Leitfäden aber verlieren würden. Nur an Hand dieser notwendigen transzendentalen LeitfMen oder Indizes, die gegenständlich einen festen Strukturti:pus ausdrücken, wird transzendentalphänomenologische Wahrheit als Wissenschaft iiberhaupt möglich.3
I44
Ms. orig. F I 26, S. 148a (WS ~ g o z / o f ) . Fiinj Vorlesungen, C. 52. 8 a.a.0. C. 58. 4 Husserl hat auch Kants Kritik der reinen V m r ~ n f taufgefasst als Kritik der o n t o l o g i s c h e n Erkenntnis. Zum Satze Heideggers in Kund und das Probkm. . : ,,Wenn man überhaupt (hinsichtlich der Vernunftkritik) die Auslegung der Erkenntnistheorie gelten lassen könnte, dann wäre zu sagen: die Kritik der reinen Vernunft ist nicht eine Theorie der ontischen Erkenntnis (Erfahrung) sondern der ontologischen Erkenntnis", bemerkt Husserl: „natürlich". (s. Husserk Exemplar dieses Heideggerschen Werkes, C. 16). 1 2
.
J 14. Hqsserls Ubernahme vom Ku& Idee der natura formaliter spectata Husserl exponierte seine Idee einer Ontologie oder Logik der materiellen N a t u r meistens unter Berufung auf Kant (genauer auf dcssen synthetisches Apriori der Trar.szepzdentalen Asthetik und Transzende&~zleaAnalytik) ; so vor allem in seinen Logikvorlesungen vom Wintersemester rg10/11, wo er wohl zum erstenmal diese Pdce systematisch urnriss.4 Die ontologische Gesetzlichkeit der Natur bezeichnet Husserl auch als die F o r m der Natur oder mit dem Kantischen Ausdruck als natzlra formaliter q5ectata.5 Diese Gesetzlichk~itbzw. die sie erfassende Ontologie hat nach ihm für die emprrischen Naturwissenschaften als Logik irn Sinne einer Wissensdiaftslehre oder reinen Methodenlehre zu f-~ngieren.6,,Alle objektive Gültigkeit vgl. U. S. 332 ff. S. Carl. Med., C. rrolrr. 3 s . Krisis,C. 177; vgl.a.a.O.S.175. vgl. Ms. orig. F I 12 ( I ~ I O I I Is. ) ; auch die parallelen Ausführungen in der Vorlesung Grundprobleme der PhümmcnnEogie (Ms.orig. F I 43. S. SI-+, WS rgro/rr). 5 S. hk. orig. A 1 8 , C. 33b (1gog;ro); Ms. orig. F I 12, C. 31 ff. (rg~c./rr); Ideen I I I , S. 36; Ms. orig. A I V 5, S. 45bi46 ('Iovember 1925 oder etwas später). 6 Vom Standpunkt des späten Husserl setzt diese Ontologie, die eine Ontologie der wissenschaftlichen Natur ist. ei:e Ontologie der LebensweIt -daraus. 1 2
14~
H U S S E R L S VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
im Apostcriori hat ihre Prinzipien im Apriori." 1 Jede empirische Naturwissenschaft „ist in all ihrcn Erfahrungsweisen, in all ihren Aussagen über Dinge gebunden an das, was die Idee von Ding und Natur a priori vorschreibt, oder Kantisch gesprochen, an die Form der Natur". 2 Husserl teilt die Naturontologie in zwei Gruppen von verschiedenen Disziplinen auf: I. in Geometrie, Chronologie und Phoronomie und 2. in „diejenigen Disziplinen, wclclie der Kantischen ,rcincn' Nnturwisscnscliaft entsprechen, also das Apriori der raumzeitlichen Realität (Materie), abgesehen von der reinen ~ a u m und Zeitform, erforschen". 3 Dieser Zweischichtigkeit der Naturontologie sah er in Kants Scheidung von transzendentaler Ästhetik und transzendentaler Analytik entsprochen.4 Ausser den „Postulaten des empirischen Denkens überhaupt" mit den Modalkategorien des Daseins, der Möglichkeit und der Notwendigkeit spielen alle Kantischen Grundsätze in Husserls Konzeption der Naturontologie eine bestimmende Rolle. Besonders die „Axiome der Anschauung" und die „Analogien der Erfahrung'' treten in Husserls Erörterungen über die räumliche Ausdehnung, die Zeitlichkeit, die Kausalität und die Substanzialität der Natur hervor. Aber auch Kants ,,Antizipationen der Wahrnehmung" haben in Husserls naturontologischen Gesetzen der notwendigen qualitativen ErfüUung der räumlichen Extension und der Gradualität dieser Erfüllung ihre Entsprechung. Husserl hat sich eingehend mit diesen Kantischen Grundsätzen beschäftigt. In einer Studie, wohl aus dem Jahre 1908,erörtert er einzeln die „Axiome der Anschauung", die „Antizipationen der Wahrnehmung" und die „Analogien der Erfahrung''. 6 Zu den ,,Axiomen" bemerkt er, nachdem er die diesbezüglichen Erörterungen Kants zusammengefasst hat :„Zum Wesen des Dinges, wie es in der Erscheinung gegeben ist, gehört räumliche Ausdehnung, zum Wesen dieser Ausdehnung Teilbarkeit. Das ist
4
I dem Brief Husserls an Dilthey vom5./6 Juli I ~ I Iderzitierte ; Text ist veröffentlicht in Ha IX, Einl. des Hrsg., S. XIX. 2 Ms. orig. F I 12, S. 32b ( I ~ I O ~ I S. I )auch ; Ms. orig. A IV 5, C. 6/7 (zwischen 1922 und 1925), S. 90a (1gz4). 8 ebenda. 4 S.U. g 21. I 5 s. Ms. transcr. B IV I, C. 158-188 (wohl 1908).
ZU X A N T
I47
aber nicht gcnug gesagt. Zum Wcsen des Dinges gehärt CS, ausgedehnt zu sein und gelnass scincrAusde1mu;lgteilbar zu sei3 und wieder zusammensetzbar zu sein. Das sind ontologische Aussagen, für die ich Evidenz h a b . " 1 In den Idee# I I betont er im Sinne Kants die Gleichartigkeit der Teile der ränrnlichen Extension.2 Nicht nur den Raumzrörterungen der Tvanszend.entaEea Anulytik sondern auch denjrnigen der Trnnszer,detzlaEenAsthetz'k hat Husserl grossc 13caclitur;ggcdiciikt : AIlr vier, h w . fiinf K;~umargumente Kants sind Gegenstand ausführlicher schriftlicher Auseinandersetzungen.3 Aus dem ersten Argument, in dem Kant zeigt, dass der Dingvorstellung der Raum augnindeliegen muss, um sie überhaupt zu ermöglichen, und daher kein empirischer Begriff scin kann, cntnirnmt Husserl, dass ein Ding odcr ein Dingkomplex notwendig ein Herausgemeintes oder Herausgesetztes aus einem umfassenden räumlichen Hintergrund ist, und dass daher der Raumbegriff nicht in der Weise abstrahiert sein kann wie der Begriff von einem Ding. Weiter entnimmt er diesem Raumargument, wie allen andern, dass der Raum eine notwendige F o r m der Dinge ist, wobei er wie Kant unter ,,Form" den allem andern in der Möglichkeit einer anschaulichen Einheit vorausgehenden Charakter versteht.4 Als er in seinen späteren Jahren daran ging, eine Weltontolngie zu entwerfen, betonte er den u n i v e r s a l e n Charakter der Kiumlichkeit. In einer Vorlesung im Wintersernester 1926/~7führt er aus: ,,Betrachten wir die Welt universal, als2 nach dem, was von ihr wirklich und für jedermann wahrnehmbw i3t, SO finden wir sie als nicht bloss zeitliche, sondern d s räumliche. Während ilircs Zeitlichseins und in jeder Zeitphase ist sie immerfort räumlich. Räumlichkeit gehört unbedingt zur Welt, wie immer wrr sie umdenken mögen, sie ist räumlich, und zwar als Welt möglicher Wahrnehmung für jedermann, odcr auch so ausgedrückt : solange wir in der Wahrnehmung bleiben und wahrgenommene Welt habcn, kann unmöglich irn Wahrnehmungsgehalt das Räumliche und das, was wesentlich mit dazu gehört, fehlen. Kant sagte, der
1 Aus
a.a.0. C. 173174; wir unterstreichen. Ideen I I , S. 30. Ms. transcr. B IV I, C. 42-75 ( ~ g Dez. . rgog). Schon i r den Seefeldzr Mss. (A V11 25, S. lob (1go5) nimmt Husserl auf die Kantisc3en Raum- u n i Zeizargumente der T~anszendentalenA s t ~ d i kBezug. * Er/. U. Ur:., S. 191. 1
2
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S E R L S V E R H Ä E T N I S ZU K A N T
Raum sci notwcndig Anschauungsform; wir ziehen vor zu sagen: Wahmehmungsform, aber das Wort ist nicht anders d s durch das vorher Ausgeführte zu verstehen. Die Wahrnehmung, von der hier die Rcdc ist, ist Objektwahrnchmung, universale Weltwahrnehrnung, auch äussere Wahrnehmung zu nennen." 1 Während Husserl noch bis zu den Ideen den sinnlich wahrgenommenen Raum der Dinge gewissermassen als realen „Fall'' der geometrischen I d e e des Euklidischen Raumes betrachtete, schied er seit den Zwanziger Jahren streng zwischen dem Raum der sinnlichen Wahrnehmung und dem geometrisch-exak t en Raum der physischen Gegenstände, der sich erst in der wissenschaftlichen Idealisierung durch den Prozess der geometrischen Messung konstituiert.
Auch im Problem dcr Einzigkcit von Zeit und Raurn vcrwcist Husserl auf Kant. Die Frage beantwortend, ob ein individuelles Sein ausserhalb der Natur denkbar sei, schreibt er in einem Manuskript aus dem Jahre 1921 : ,,Esist d e Grundgedanke ~ der Kantischen Lehre (die, so wie sie bei Kant begründet und schon ausgesprochen ist, verkehrt ist), nämlich, dass Ernpfindungsdaten transzendent objektiviert nur solclic Objektitäten crgebm, die in der einen einzigcn universalen Raumzeitform liegen, zweifellos enveisbar." 1
148
Als eine weitere, noch fundamentalere Form der Dinge betrachtet Husserl die objektive Zeit. Nachdem er in Erf&krung und Urteil diese ontologische Struktur erörtert hat, schreibt er: „Wir verstehen nun die innere Wahrheit des Kantischen Satzes: die Zeit i s t die F o r m der S i n n l i c h k e i t , und darumist sie die Form jeder möglichen Welt objektiver Erfahrung. . . Sie ist die erste und Grundform, die Form aller Formen, die Voraussetzung aller sonst Einheit stiftenden Vcrbundenheiten. . . . Die Zeitlichkeit als Dauer, als Koexistenz, als Folge ist die notwendige Form aller einheitlich anschaulichen Gegenstände und sofern ihre Anschauungsform (Form der konkret individuellen Angescbautheiten) 2 Im selben Werk unterscheidet Husserl zwischen dieser objektiven Weltzeit und der Gegebenheit szeit der immcr in zeitlicher Orientierung zur Anschauung kommenden Dinge ; auch 1 hier knüpft er wiederum an Kant an.3 Wie für diesen ist für Husserl die objektive Zeit die Form der „ v e r h a r r e n d e n S u b s t a n z e n " : sie ist an die Substanzen, die Husserl immer im kausalen Zusammenhang denkt, gebunden.4 Dadurch unterscheidet sie sich von der subjektiven oder immanenten Zeit, die die Form der f liessenden Erlebnisse ist.
.
."
1 8
Als weitere apriorische Formen der materiellen Natur bestimmt Husserl Substantialität und Kausalität. Der Substanzbcgriff ist dabei ziemlich genau der Kantische, genauer. Kants realisierte oder schematisierte Kategorie der Substanz als transzendentale Zeitbestimmung (das Beharrende). I n einem Text aus dem Jahre 1907 bcschäftigt sich Husserl eingehend mit diesem Begriff und bestimmt ihn in völlig Kantischen Wendungen.2 Wir müssen annehmen, dass er die entsprechenden Kantischen Texte (die „Analogien der Erfahrung") vor Augen oder von einem unmittelbar vorhergehenden Studium gegenwärtig hatte. In diesem Text Husserls wird die Substanz als das im Fluss der kausalen Dingverändcrungen letztlich Beharrliche und Tdentische bezeichnet : „Substanzen können nicht entstehen und vergehen"; 3 „das in der Vielheit kausaler Verflechtungen und beständiger Relativität seine Identität Erhaltende ist die Substanz". 4 Sie wird weiter bestimmt als das raumfüllende Rede, das prinzipiell nicht „PMnomenal" ist, als die Materie, a l s Kraft, als das die Einhei: der kausalen Beziehungen Ermöglichcnde.5 Tm oben eiu.ähnt;.n Text aus dem Jahre 1908, in dem Husserl die ,,Analogien"crörtert, schreibt er, dass sich das Substanzaxiom aus dem Wesen der Dinge einsehen lasse.6 Auch in nicht iinmittelbar sich an Kmt anschliessendcn Ausführnngen über die ontologische Struktur der Substantialität ist seine Gegenwart deutlich fühlbar. So etwa in den Ideen I 1 7 oder in einem Text aus dem Jahre 1917, in dem
Ms. transcr. F I 33, C. 80 (1926/27). E r f . U. Urt., S. 191.
a.a.0. S. 307. 4 Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseifls, S. 466; Ms. orig. A IV 5, S. 36b (Nou. 1g25), S. 62a (1924/25); Ms. orig. A V11 14, S. zoa/b (1924 oder anfangs 1925); Ms.. orig. A V11 18, S. 22a (Sommer 1930).
149
8
4
7
Ms. transcr. B I V 6, C. 56 (1921). s. D 13 XXI, (1907 bis rgog:. a.a.0. C. 62 (1907). a.a.0. S. 126127 (1907). a.a.0. S . 125/26 (1907). Ms. transcr. B IV I, C. 174 ff. (wohl 1908). Ideen 11, C. 44.
I.51
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S K R 1 . S V E R H Ä L T N I S ZTT K A N T
die Substanz nach Kant definiert wird als „das Identische, das in der Dauer verharrt und somit durch jede Zeitphase hindurch das Identische ist". 1
objektiven Gültigkeit Ces Apriori scheint vorerst für das eidetische und intentional-analytische Denken Husserls nicht zu bestehen. Dennoch hat Husserl in Forschungsmanuskripten und Vorlesungen des öftcrn auf ICants transzendentale Dediiktir~riBezug genommen und hat auch versucht, dcrcn Gehalte für sein eigenes Philosophieren fruchtbar zu machen. Weichen besocderen Sinn Husserl dabei dem Kantischen Gedanken verlieh und in welchen Grenzen er ihr- sich zu eigen machen vermochte, soll uns in diesem Paragrapher- beschäftigen. Allerdings werder w:r hier noch nicht die letzte Antwort auf diese Frag? geben können. Besonders ausfübrIich hat Husserl über die Möglichkeit der Deduktion des Apriori in seiner Vorlesung Aiatur und Geist v.lm Sommersemester 1927 gesprochen.1 Da wir in m s e r m Ausfiihrungen uns stark auf diese. Vorlesung stützen, ist es zweckmäisig, ihre Hauptproblematik kurz zu umreissen : Es geht in ihr hauptsächlich um die Metho& der Gewinnung und Begründung der verschiedenen apriorischen Wissenschaften, einmal der fornden Ontologie und Logik, dann aber auch der materialen Ontologien, die den betreffenden empirischen Wissenschaften die Prinzipien zu liefern und somit dir Funktion von SVissenschaftstheonen zu übernehmen haben. Vcm den nrsprüngIich b@indeten Wissmschaftstheorien her soll das Problem des Vcrtiältntsses von Naturund Geisteswissenschaften, von dciii die Vorlesung ihren Acsgarig nahm, gelöst werden. In clicscrn %usamtrierihang untcrwirfi H,usserl die auf Windclbanrl zurückgelieiide Scht:id~irig3cker:s von Natur- und. Geschichts~x~iscenschaften und die Rickertxhe transzendentale Deduktion ihrer Methoden einer Kritik. Dii: Dednktion Rickerts bezeichnet Husserl als formalistische Scheindediiktion, weil in ihr Formen m d Normen für Weltwissenschaften dcduziert würden, ohne dass sie sich dabei auf eine konkrete intuitive Analyse der Welterfahmng und der sich in dieser konstituierenden Welt gründe. Der trans~endentalenDeduktior-Rickertsstellt Husserl seine eigene Metiode der „transzendentalen Deduktion" gegenüber und setzt dkse in Beziehung zu derjenigen Kants.
150
Die Kausalität setzt Husserl gleich mit dem g e r e g e l t e n Verhalten der Dinge in bezug auf ihre Umstände; er ist also in dieser deterministischen Auffassung der Kausalität mit Kant einig.2 Allerdings unterscheidet er auch hier streng zwischen vorwissenschaftlicher und wissenschaftlich exakter Dingauffassung : ,,Erst die neue Naturwissenschaft hat diese aus der Erfahrungsauffassung herauszuhebende Idee einer strengen Identität in absolut bestimmten und eindeutigen Abhängigkeiten der Kausalität erfasst und die in ihr liegenden Forderungen entwickelt." 3 Gegenüber diesem Satz aus den Ideen I I wird Husserl in seiner späteren Zeit betonen, dass die exakte Gesetzlichkeit der Kausalität nicht einfach (analytisch) aus der vorwissenschaftlichen Dingerfahrung „herau?zuheben'' sei, sondern auf einer z.T. überspannten fdealisierung be1uhe.4 Das vorwissenschaftliche anschauliche Ding befindet sich nach ihm nicht in exakten und durchgängig geregelten Beziehungen auf reale Umstände.5 Die bewusste Erfassung der durcli die modernen Naturwissenschaften konstituierten Idee einer gesetzlich exakt bestimmten Natur betrachtcte Husserl als das Werk Kants: dessen natztra fornzaliter spectata ist nach ihm dic erste Ontologie der wissenschaftlichen Natur.6
J 15. Nusserl und Kants Gedanke der transzmdentalen Deduktion des APriori Von Husserls phänomenologischer Philosophie her, wie sie in seinen veröffentlichten Wcrken vorliegt, würde Inan kaum envartcn, dass er sich intensiver fiir Kants tra~iszcndentaleDeduktion der Kategorien und der Grundcätze interessierte. Denn das Kantische Problem der transzendentalen Deduktion der Ms. orig. A I 36, S. 114a (1917); vgl. Phänomenologae des.~nne?enZeatbewusstsezns, 479.
Logos, S. ~ I O / I Iund Ms. orig. A I V 5, S. 66a (1924!251. Ideen I I , S . 49. MS. orig. A VII 18, S. 23a (Sommer 1930). Idee78 I r , C. 34. Ms. orig. A I V 5, S.46ajb (Nov. 1925 oder spater). S.
3 4
6
In dieser Vorlesung erklärt Husserl, d a s eine transzendentale Deduktion der apriorischen Weltstrukturer, bzw. dei apriorischen Prinzipien der M-eltwissenschaften zwei mögliche Wege ein1 s.
Ms. orig. F I 32 (SC 1 9 s ) .
1.52
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
schlagen könne: den direkten Weg „von unten", der ausgeht von der Analyse der konkrcten vor~>rädikativenWeelterfahrung, oder den Weg „von oben", der bei der formalen Logik ansetzt. Den ersten Weg begeht nach ihm die Phänomenologie, während der zweite dem Wesen nach der kantianische ist. Von dicsern zweiten Weg stammt nach Husserl die spezifisch transzendentale Frage nach den ,,Bedingungen der Möglichkeit".l Dcnn dic Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit wird bereits im Ansatzpunkt dieses Weges, in der formalen Logik, gestellt. Diese hat die Aufgabe, den Bedingungen der anaIytischen Widerspruchsfreiheit und der formalen Einstimmigkeit nachzugehen, d.h. Gesetze der Konsequenz, der Inkonsequenz und der VerträgIichkeit aufzustellen.2 Von dieser Sphäre der analytischen Widerspruchsfreiheit - in der auf ontologischer Seite nur von irgendwelchem Urteilssubstrat überhaupt die Rede ict,3 ohne zu fragen, ob es sich um wahrhaft seiende oder auch nur um möglicherweise seiende Gegenstände handelt - kann in die in einem erweiterten Sinne fonnale Sphäre der synthetischen oder sachlichen Widerspruchslosigkeit übergegangen werden;4 es ergibt sich hier folgende transzendentale Fragestellung: „Geselzt es sei irgendeine unendliche Mannigfaltigkeit gegeben und in unserem rein formalen Denken zunächst ganz unbestimmt gedacht als vorausgt!sctztermassm seiende, mit einem ,gewissen' konkreten Gehalt also, der aber in völlig unbestimmter AIlgrmeinheit als ein gewisser' konkreter nur gedadit ist. Als das aber müsste sie, wie ri. priori einzusehen, für irgeiideine Subjektivitkt erkennbar, in ihrcm wahren Sein bcstirnmbar sein zur Möglichkeit. der Erkeriritnis. Lu allein Seienden als solchem gehört,weiter ühcrlegt,vor atlemErkilirung. Wie kann eine Uneridlichkeit erfahren sein? Nur so, dass ein endlicher Bestand jeweils direkt in die Eriahrring fällt und zughk11 p,l r:~g(wist i11 cincr f-1urizo11t p r i i s ~ t ~ t km, ~ p i ~iiwt-Vcrwia.a.0. S. 130.2. a.a.0. S. 106b, 125b. 3 d.h. die syntaktischen Stoffe oder die „Kernev werden als blosscs Etwas überhaupt, eventuell als letzte Substrate, aber nicht als eigentliche (zeitliche) Individuen gedacht. Vgl. zum folgenden unsere Ausführungen in g 13 über das Verhältnis von Analytik und Synthetik. 4 a.a.0. S. 108a und 127a ff.; das Verhältnis der Spären der analytischen Widerspruchsfreiheit und der synthetischen Widerspruchsfreiheit ist in Lo& unter dem Titel p u r e Konsequenzlogik (oder pure Analytik) und Wahrheitslogik ausführlich behandelt (s. a.a.O., I. Abschnitt, bes. die $5 15, 19 U. 51). 1
sung auf einen subjektiv möglichen Fortgang zu neuer Erfahrung U.S.W. Ferner, erkenribar sein kann aber nicht heissen, bloss erfahrbar sein, sondern den Gegebenheiien der wirklichen Erfahrung aus bestrmmende und bcgründbare Urteile vollziehen können, durch die sich wahrhaftes Sein und Socein bestimmt. So fortgehend kann man formalc Ucdirigungcn der Rlögliclikei: einer erkennbaren unen~2ichmMannigfaltigkeitcehrwohlherausstellen, bzw. nachweisen, dxs t3nc solclic Mannigfaltigkeit a priori einc gesetzmässige und n i r t t eine beliebige Seinsform haben muss als notwendiges Korrela-: der MögIichkeit ihrer Erkenntnis." 1 In der „Sphäre der Synthesis" stellt sich also das Problem sachlicher Möglichkeit, der Noglirhkeit sachlicher Evidenz, 3.h. das Problem der apriorischen Bedingungen, die über die Bedrngungen der mathematischen Analysis iinaus erfüllt sein müssen, damit die unendliche Mannigfaltigkeit als Mannigfaltigkeit von erfahrbaren Realitäten soll möglich sein können.2 „Realitätv meint hier zunächst nicht rauniwelfiche Realität, sondern stellt einen allgemeinsten Begriff von Realität oder von Seisndem dar, der gegcnüber den blossen Urt&substraten und ihrer Einstimmigkeit nichts weiter einfihrt als sachliche Bewälirbarkeit überhaupt.3 Entsprechend sind aui:fi die in dieser synthetischen oder cachlichen Sphäre auftretenrtcn BegrifIc dcr erkenrimden Subjektivität, der Erfahrung, desDcnkens öunächr;t in einem möglichst: formalen Sinn zu nehaen.4 Doch kann nun von diesem Formalen aus immer mehr iris .Kcrikrete fortgescliritten wfrtka: .,Somit crgibt sich ein abst:&-rader Weg vorn arialytisch Forrnalcr. zum saclihaltig Formalen, v:m den Gesclzcsbediiigu~igcnder M@$iclikeit blosser Widerspruchslosigkeit ZII den neuen gcsetztichezi 13edingungen möglicher s;ichlicIier Wahrlwit: vorn analytisch-mathematischen Apriori srirn synthetisch-sachZick.(:n Apriori. ncr Weg Iülirt niif sy titlii!risdicr Srilr. voii tlimi :~llgi:iiic:instciiriiicl daher noch undiffwenzxrten Apriori möglicher Kealitat zu einem sich. immer differenzierenderen. E s ergibt sich . . . das gesamte materiale Apriori einer möglichen Welt als solcher und als für eine Subjektivität erkennbam," 5 Ms. orig. F 1 32, C. ~ 2 6 8 p vgl. ; S. Io7a Cf. a.a.0. S. 128a a.a.0. S. 128b. a.a.0. S. 107a ff. U. ~ 2 6 b . a.a.0. C. 128b.
I54
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
E s ist bei Husserls Sicht dieses Weges der transzendentalen Deduktion „von oben" wohl zu bemerken, dass dessen Ausgang von der formalen Logik nicht etwa im Sinne der „metaphysischen De3uktionn Kants, die die Kategcrien von der Urteilstafel als ihr2m ,:LeitfadenH ableitet, zu verstehen ist. Dieses Vorgehen Kants, das auch bei den meisten iieukantianern nicht in hohem Ansehen stand, hat Husserl abgelehnt,l und zwar aus methodischen Gninden, aber auch deshalb, weil Husserl es ferne lag, das ontologixhe Aprioriin das Prokrustesbett der formal-logischen Urteiistafel zu spannen.2 I n seiner Darstellung des Weges der transzendentalen Deduktion „von oben", die keineswegs bloss eine fremde Auffassung referieren, sondern den gültigen Gehalt der Kantiscrien Idee der transzendentalen Deduktion wiedergeben wiil, 1äs:st Husserl die ,,metaphysische Deduktion" beiseite und sieht dex Ansatz der transzendentalen Deduktion bei der formalen Logk nur so, dass jene von dieser die Fragestellung übern i m t und sie auf den syntheti~chenBereich anwendet. Bereits 1908 hat sich Husserl eingehend mit diesem Weg „von vben", den er auch den transzendental-logischen nennt, auseinandergesetzt.3 In Konfrontation mit der phänornenologischcn Xcthode charakterisiert er ihn folg3ndermascen: „Im phänomeno;ogischen Studium finden wir eine Korrelation zwischen dem Wesen Cer in ,unserer Natur' faktisch gegebenen Dinglichkeit und ihrer Kcristitiition. 'lm transzendental-logischen Studium nun erw&n wir die funktionellen Zusammenhänge innerhalb dieser Kc.rrela3on ; wir gellen nicht vorn grgebenen Ding unserer Natur aus, s o ~ d e r nvon einer allgemeinerer oder allgemeinsten Idee eines .Objektes: an sich' überhaupt iind vi:rfolgcri die funktionellen Zusainmenhange zwischen dem, was zu solchem Objekt gehört, und seiner xöglichcn Erkenntnis. Dic Erkenntriismoglichkeit (als Erfahrungsrnoglichkeit) scheint I i ~ r ~ e r u n g ean n nähere Bestimmungen für die Objektität an sich zu stellen und zugleich als Erkenntnismöglichkeit von Objekten an sich Forderungen an nähere ~ e s t a l t u n gder ausweisenden Akte."4 „Die Kantische transzendental-hgische Methode: sie geht den Bedingungen der Möglich.
15 5
keit der Erfahrung nach als Bedingungen der Möglichkeit von (an sich seienden) Gegenständen der Erfahrung . . . Was muss für Objekte gelten, damit sie . . . sollen durch Erfahrungswissenschaft bestimmbar, erkennbar sein. Phänomenologisch gehe ich von den Dingen aus im Sinne der ontologischen Gesetze und stelle fest, dass nur Akte der und der Artung und Bildung, Wahrnehmungen der und der Bildung, intellektive Akte überhaupt von den und den Gattungen und Arten ihrem Wesen nach solche Objekte vorstellig machen und das Sein solcher Objekte, auf sie bezügliche Sachverhalte usw., sei es unmittelbar, sei es mittelbar, begründen können. Ich sehe dann, dass die Möglichkeit solcher und solcher Erkenntnis (Begründungen, Ausweisungen) zum Wesen solcher Objekte gehört und umgekehrt. Ich verstehe dann das Wesen der Korrelation. Ich gehe den logischen und ontologischen Gesetzen nach, erforsche auch ihre Ausweisungen, verstehe, wie sie gelten und gelten können und den phänon~enologischenSinn, der ,hinter' ihnen liegt. ich verstehe die Regelung der Bewusstseinseinheit, die das Korrelat dieser Axiome ist. Transzendentallogisch: IIier gehe ich nicht von den Dingen als solchen, für welche die ontologischen Gesetze gelten, sondern ich gehe von cineni allgemeinen Rcgriff von Dingen aus, die an sich sein sollen, etwa von Dingen, die sinnlich gegeben sciri sollen (was ich auch nur der Phänomendogie verdanken kann) und suche für diesen allgcineinen Dcnkbegriff zu zeigcn, dass, wenn Erfalirbarkeit gewährleistet sein soll in einem gewissen Sinn, dass dann die ori@logischen Gt:setze für sie gelten müssen (oder gcwisse unter ihricn). Gewisse Forderungen für die Objekte (ein gewisses An-sich-sein) ist Voraussctzung; ebenso gewisse Voraussetzungen schon bekanritcr Akte, gewisser Arten von Erkenntnisakten (Wahrnehmen, Denken, ,Anschauung ohne Begriffe blind'), also auch gcwissc W~SCIIScrkenntnisse dafür. Die Bedingungen dcr Mögliclikcit, diesc an sich seienden Objekte durch Erfahrung zu bestimmen, wissenschaftlich zu erkennen, schreiben dann d e Gegenständen ~ ~ selbst geu-kse Formen und Gesetze vor." 1 In seinen Logikvorlesungen vom Winterseinester rgog/ro und vom Wintersemester I ~ I O / I I 3 stellt Husserl das transzendental-
-
,.U. S. 292. 3 S. bis. transcr. B I V I. C . 146-148 (wohl S ~ p t e m b e r1go8), S. 221-246 (wohl 190K odcr spätm). 4 a.a.0. S. 236 (wohl 1908 oder später).
ZU KANT
2
1
a.a.0. C. z45:46 (wohl 1908 oder spater).
3
S. Ms.orig, A I 8, S. 4 2 ff. (1909/10). s. M s . orig. F I 1 2 , S. 49 ff (1910111).
1.56
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
logische Vorgehen Rants als ein von einem axiologisch-teleologischen Gesichtspunkt geleitetes hin. N c h t dass er darin etwa die Auffassung Rickerts, dass das theoretische Erkennen im Grunde ein Verhalten gegenüber Werten sei, impliziert sähe,l sondern der axiologische Charakter dieses Vorgehens liegt nach ihm darin, dass dieses die Erkenntnis oder Wissenichaft als ein zu erzielendes Ideal voraussetzt, um dessen Bedingungen der Realisierung zu ermitteln : „In der letzteren <SC. in d c transzendental-logischen Betrachtung im Kantischen Sinn> f r q e n wir: Wie muss Natur überhaupt beschaffen sein, wenn sie 3ie und die theoretischen Tugenden haben soll. Auf das legen wir eben Wert, wir fordern axiologisch eine gewisse ,Angemessenheit der Natur an unser Erkenntnisvermögen'. Nun ist diese A%rigemessenheiteinerseits eine empirische, sofern wir 2.B. lang genug leben, um eine empirische Klassifikation vollziehen, Naturgesetze erkennen zu können etc.; andererseits eine apriorische, sofern Natur überhaupt uns die Freude macht (eine absolut wei-tvoIle, richtige), in schönen Theorien erkennbar zu sein. Aber in der transzendentalen Naturbetrar:litung ist die Ausführung eine theoretische, insofern nämlich zwar eine Wertung (thcoritische Tugendhaftigkeit) uns leitet, aber nach Redingungcn der Möglichkeit einer Natur gefragt wird, die gciwisse l3eschaffcnheit.n haben soll, 13eschaffenheiten, die in sich nichts von Wertan enthalten." 2 „Ich fiige hier noch eine Ergänzung von grosscm Interesse bei. Ich will nämlich zeigen, dass sich in den Rahmen unserer Betrachtungen auch Kants transzendental-logisc~x Betrachtungsweise der Erkenntnis, durch die er eine Erkenntnistheorie glaubte geben zu können, anreiht. In Wahrheit hät Kants Trailszendentalphilosophie einen durchaus teleologischen Charakter und ist, wenn dies auch nicht scharf genug herixgehoben wird und von Kant selbst hervorgehoben ist, von einem axiologischen Gesichtspunkt geleitet. Überlegen wir folgendes: Für das menschliche Bewusstsein stellt sich durch das Mediuni der sinnlichen Erscheinungen eine Welt dar, zunächst die VJ2lt schliciter Erfahrung, räumlich-zeitlich, grenzenlos von ungefähren Regelmässigkeiten geregelt, die sich dem Menschen in seiner zunächst nur praktischen Einstellung aufdrängen und sein Handeln bestimmen. Nun
'
S.U.
2
Ms. orig. A I 8, C. 43a ( r g o g l ~ o ) .
5
36.
H U S S E R L S VERI-IÄLTNIS
ZIJ K A N T
157
tritt die Wisserischaft auf den Plan, und den empirischen Zusammenhängen der schlichten Erfahrung nachgehend und sie denkmässig erforschend erarbeitet der Mensch eine Natur, eine Welt exakter Gesetzlichkeit als Korrelat dcr Naturwissei~schafteri heraus. Und dann sagt man sich: Die wirkliche Welt ist durchaus gesetzlich, die Gesetze sind nur nicht vom unwisse~~schaftIichen Menschen erkannt worden. Und weiter: So ist der hfenscli der Natur angepasst, d a s die wahrhaft seiende Natur, in der er lebt, nicht nur eine streng gesetzliche Welt ist, sondern als solche auch in menschlicher Naturwissenschaft erkennbar ist und denigcriiäss in menschlicher wissenschaftlicher Technik praktisch beherrschbar. K e h r e n w i r d i e S a c h e u m und zwar in Absicht auf eine teleologische Betrachtung. Angenommen, ein Bewusstsein sei wic da-h unsere mit sinnlichen Erscheinungen begabt; wir sagen nicht, dass es in jeder Hinsicht sinnliche Erscheinungen sind, wie w i r sie faktisch haben. Sinnliche Erscheinurigen seien es aber und als solche Erscheinungen sind es Erscheinungen von einem Dasein, von einer ,Natur1.Wir sagen abcr nicht, dass es Natur sei in dem Sinn, den die Ontologie der Natur umgrenzt, sondern in einem verallgemeinerten Sinn. Natur sei ein Titel für ein sich in d<:n Erscheinungen des Bewusstseins darstellendes Sein, düs als soichcs sozusagen prätendiert, an sich zu sein. Nun stellen wir die Frage: Was muss a priori für ein Ichbewusstsein und für seine Erscheinungen und seine Ersdieinungsziisa1~1rne11~~a11ge gelten, dass die sich darin darsteIlcnde sogenannte Natur als an sich seiend in Wahrheit objektiv gültig bestimmen, eindeutig crkhren soll? Oder, was dasselbe ist, was muss für Bewiisstscin lind Rewusstseinserscheinungen gelten, damit es prinzipiell denkbar ist, dass das Bewusstsein sein Erscheincndcs durch eine exakte S a l m wissenschaft erkennt? D a s i s t d a s a l l g e m e i n e S c h e m a d e r K a n t i s c h e n t r a n s z e n d e n t a l e n F r a g c . Inwieweit sie in dieser Allgemeinheit überhaupt beantwortbar ist, ob man nicht, um ihr wissenschaftliche Fassbarkeit und Beantwortbarkeit zu geben, bestimmte Voraussetzungen machen muss, bleibe hier dahingestellt. Die F r a g e i s t o f f e n b a r e i n e t e l e o l o g i s c h e , wird von einem axioIogischen Gesichtspunkt geleitet. Wir legen nämlich auf die Möglichkeit der Erkenntnis wert; Erkenntnis ist ja einer der Grundwerte. Wir finden aber, Erkenntniswerte vergleichend, dass die Möglichkeit wissenschaftlicher und exakter
158
SYCTEMA'TISC,HE D A R S T E L L U N G
.
wissenschaftlicher Erkenntnis ein besonders hoher Wert ist. . . Also das ist cizs Wunderbare und das bestimmt unsere teleologische Frage: Lassen wir das Faktum als Faktum beiseite; überlegen wir vielmehr, wie mnss eine sich bewusstseinsm5ssig darstellende Natn: sein und wie muss sie sich im Bewusstsein darstellen, damit, allgemein gesprochen, diese Tugendhaftigkeit (der Gemässheit ge~ewiberhachsten Erkenntnisinteressen> besteht ? Sind vielleicht vielerlei Arter von Natur, neben der faktischen noch viele andere denkbar, welche eine gleiche Tugendhaftigkeit besitzen? bzw- sind für das Bewusstsein, das Natur erkennt, vielerlei Weisen der Darstellung, sonstige Bewusstseinseinrichtmgen denkbar, und zwar a priori denkbar, wenn die Idee solchzr genau zu bestimmeniier Tugendhaftigkeit festgehalten wird? Freilich die Idee dieser Tugendhaftigkeit kann noch verschieden gefasst werden. Wir können da herausnehmen die eindeutize B e ~ t i ~ m l m r k edleir, it die Möglichkeit objektiv gültiger ,Erfahrungsurt eile' und von Ca aus zu d e d u z i e r e n versuchen, dass dann alle erscheinende Gegenständlichkeit Raumform und Zeitfonn habfr- muss, dass das Kausalgesetz gelten muss usw. Man könnte dann weiteqehen, und nachdem die teleologische Notwendigkeir einer mathsmatischen Naturwissenschaft, wenn auch nicht einer solchen mit nncern bestimmten Naturgesetzen, deduziert wäre, auf weitere Tekologien hinweisen, die uns mit der Anpa~sungmenschlicher 3rkmntnis an die Natur merklich werden: z.B., das; sich die erscheinenden Dinge nach empirischen Gattungen und Arten klassifizieren lassen u.dg1. - L)ieses Verfahre? charakteri3iert also die Kantische Transzendentalphilosophi? und sie zeigt uns, abgezhen von mancherlei Unklarheiten und InexakthfAen, dass sich in der Tat, ausgehend vom Gegebenen und seine3 Wertelgenschaften intellektueller Art, wissenschafdiche teleologische Erwägungen anstellen lassen, welche umgekehrt zu bestimmen suchen, welche Beschaffenheiten eine Gegenständlichkeit der E.rXenntnis haben muss, damit sie gewissen Erkennaisidealen soll gemäss sein können, bzw. welche Besckaffenheitm ein Bewusstsein
Auch in diesem Text ist Kants tranczendcntal-logische Methode wiederum nickt bloss philosophiegeschichtlich-referierend,sondern als eine echte philosophische Möglichkeit dargestellt, die Husserl in diesen Vorlesungen selbst aufgreift.] Dieser Weg „von oben" setzt aber nach Husserl eine systematische noetisch-noematische Phänomenologie des Bewusstseins voraus, wenn er nicht in vagen und unklaren I
gehen Kants folgendermassen zusanirnen: „Die dritt<: rnrthodischr htögliclikeit, die weit eher derSiwahren Geiste dcs Transzendentalismus gerccht wird, ist die iiiiale, die teleologische Methode. Sie geht weder von einer ttransamdentalen Rewusstxinseinhcit aus, von der sich nichts ab1eitf:xi lässt, noch von der groben Gepcnständlichkcit der Wahrnehmung, sondern von ciriern Ideal, zu dein die Irigi.-.cliriiI3~~rltii~urigrii Xesucht werden sollen. Dieses Ideal ist der abstrakte Bcgriff cincr Natur uherhaupt, oder, fasst man es enger, der abstrakte Grundbau der mathematischen Physik. ßeide nämlich sind nicht gegeben, wir dic U7ahriiehninng gegeben ist, als unmittelbare Wirklichkeit, sie sind nicht gegeben wie die reine Apperzeption gegeben ist, als mittelbare Voraussetzung, sondern sie sind gegebcn, bloss sofern nach ihnen gefahndet wird, sind gegeben als ein logisches Postulat, als ideale Forderung. Aus dieseiii idealen Begriff werden die immanenten Bedingungen desselben deduziert. Damit Natur überhaupt möglich sei, muss es 7.3. ein striktes Gesetz der Kausalität, muss es ein striktes Gesetz der Substantialität geben, an dem die Phänornena sich zu rationalen Einheiten verknüpfen. Hier erscheint das Erkenntnisproblem auf den eigenen Boden gestellt" (a.a.0. S. rrg/xrq). S.U. C. 175. 2 hls. transcr. B IV I , C. 170 (wohl 1908). 8 a.a.0. S. 147 (wohl. Sept. 1908). 4 Ms. orig. A I 36, S. 163b (1919 od. 1920).
160
SYSTEMATISCHE 3ARSTELLUNG
los", wenn nicht der Boden des konkreten Bewusstseinslebens mit allem und jedem, was seine Fülle ausmacht, sein Ausgang ist und wenn es nicht beständig auf diesen Boden zurückblickt und dessen inne ist, wie alle Abstraktionen aus dieser Lebensquelle geschöpft sind. Alle erdenkliche Theorie und Wissenschaft entspringt aus diesem Leben und hat nur einen Sinn in bezug auf es und seine Welt (die Lebenswelt).l ,,Formale Konstruktionen . . . sind bei aller Evidenz, mit der sie uns im ersten Moment einleuchten, sehr gefährlich. Gar leicht sind dabei die Evidenzen Scheinevidenzen. Davor kann man sich nur behüten, wenn man in streng geordneten Frozessen von der konkretesten Anschauung zu den Abstraktionen sich erhoben hat, in denen die Konstruktion verläuft. E s bedarf einer echt konkreten Erkenntnistheorie, oder besser einer ph;inomenologischen Fundamentierung, die die luftigen formalen Allgemeinheiten aus ihren intuitiven Ursprüngen schöpft." 2
Es ist sehr bemerkenswert, dass Husserl in seiner Vorlesung Natur ~ n dGeist vom Sommersemester 1927, in der er Kickert ,,leerew Deduktionen oder den Mangel an Bewusstseinsbeschreibnngen vorwirft, sich auf Kant beruft. Er spielt Kant als „Phanomenologen'' gegen den Neukantizner Rickert aus. In bezug auf seine Forderung von noetisch-noematischcn Bewusstseinsdeskriytioneii als dem Fundament de: Transzendentalpl-iilosophie erklärt er: ,, lni W'cscntliclicri sind es &CWcgc, die ziicrst I
3 4
Ms. orig. F I 32, S.10% ff. (1927). a.a.0. C. Ioaa. 2.a.O. S.116b. a.a.0. C . 113a.
hebt, aber dann, um die letztere zu gewinnen, sofort an das ProbIem der Erfahrung und Erfahningswelt appelliert und ihrem Apriori nachforscht." 1 Dem Weg „von oben" der transzendentalen Deduktion der ontologischen Gesetze stellt Husserl den Weg „von unten", den er als den direkten, nächstliegenden und besten bezeichnet, gegenüber. E s ist nach ihm der Weg der Phänomenologie. Diesen räumlichen Begriff des „von unten" gebraucht Husserl übrigens imnier wieder, um sein philosophisches Vorgehen mit demjenigen der Xeukantianer zu konfrontieren.:! Der Weg „von unten" geht - nach der Vorlesung Natzcr und Geist von 1927 - von der Intentioiialanalyse cler Erfnhrungswelt aus. Sie setzt bei einer Beschreibung der Struktur des jeweiligen m o m e n t a n e n konkret anschaulichen Erfahrungsfeldes ein, das den Kernbestand der Erfahrungswelt bildet, und schreitet von hier weiter zu einer k o n k r e t e n Gegenwart, die nicht nur das inomentane Erfahmngsfeld, sondern auch die Gehalte der lebendigen Retention und der passiven Erwartung (Protention) umspannt. Ein weiterer Schritt führt zur aktuellen, praktischen Erfahrungswelt, die auch jene Horizonte miteinbeschliesst, die durch frei.tätiges aktives Erinnern, Experimentieren, Induzieren zu enthüllen sind. Diese Welt ist selbst wiederum nur ein Kern der vollen und ganzen Welt, die uns, vernlijge der noch weiter reichenden präsirinptivcn Struktur rrnscr.c,r Erfnllr-uri/: i115 di: scientlc bcständig gilt. Mag diese in ihrer Unendlichkeit noch Co unbekannt und leer an konkreten Restimmtheiten sein, so gilt doch cler Satz, dass die Nähen den Femen den S t i l vorscl-ireiben.Es zeigt sich nämlich, dass sich eine Stilgemeinschaft oder eine Struktureinheit durch die verschiedenen konkreten Gegenwarten durchhält und sich von diesen aus ins Unendliche der zur Erfahrung a.a.0. S. 138a. In einem Brief an Natorp vom 18. M3rz 1909 schreibt Iiusscrl: „Sie (SC. die Marburger Schule) hat sich feste Forniulierungeri obrrstcr erkcnritriistlicorctischer Probleme erarbeitet, die für sie das Erste sind und nach denen sich alle weitere Arbeit orientiert, so dass jede an diese Formulierungen anknüpfen will und soll. \Vir Göttinger arbeiten in einer ganz anderen Einstellung und, obschon ehrliche Idealisten, gervissermassen von unten. E s gibt, meinen wir, nicht bloas ein falsches empiristisches und psychologistisches Unten, sondern auch ein echtes idealistisches Unten, von dem aus man sieh Schritt iür Schritt zu den Höhen emporarbeiten kann" (Kopie des Briefes irn Husserl-Archiv).
*
162
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S E R L S V E R H A L T N I S ZU K A N T
bcstkdig zugehörigen Ausscnhorizcnte präsiimptiv projisiert.1 Die Erfassung dieses Weltstiles udm -was nur ein anderes Wort dafüi ist - dieser ontologischen Weltstruktur geschieht durch die Methode der Wesensvariation. Dur:h diese Methode kann irn Ausgang von der Analyse der konkreten Erfahrungswelt und deren Erfakrung dasselbe Apriori gewonnen werden wie auf dem kantianischen absteigenden Weg. Husserl führt aus: „Von da systematisch aufsteigend ergibt sich einerseits: dass ein universaler Bestand dieses Apriori sich als analytisch ablösen lässt, das jeder möglichen Welt, nicht weil sie mögliche Welt gerade ist, zukommt, sondern weil sie als unendliche Mannigfaltigkeit widerspruchslos sein muss, wenn sie überhaupt beurteilbar, also soll möglich und wahr sein können. Nack Ausscheicung dieses analycischen Apriori ergibt sich das eigentliche materiale oder syntheyische Apriori und es ergibt sich. . . dasselbe, das auf dem absteigenden Weg gewonnen wird.. .." 2 „Kant sucht die ,apriorischen 3eilirigurigexi. möglicher Erfahrung' - Raum, Zeit, die sogenanr-ten Kategorien Substanz, Akzidenz, I<cusdität usw. Die mgehörigeri Grundsätze des reinen Verstandes {sind} nach ihm s o l c h apriorische Bedingungen, Ezfahrung sagt für ihn Erfahrung \:ol Objekten. Aber ihm ka-te sich schon ergeben, dass 3bjtkieriahrung und Erfahrung einer Welt untrennbar cins sind. 3bjektc: sind. was sie sind, nur in der offcrien Unendlichkeit einer xiög2chen -Gelt und Welterfalirung. Wir können dariach sagen: Werm Rani. die apriorischen Bedingurigen rnöglicher Erfahrung festzustellel such.t, so sucht er ontische apriorische Wesensstrukturen, uhre die eine Welt als möglicher Erfahrung undcriklnr wäre, wobei korrelativ in subjektiver reflektiert werten muss, beschreibend, auf das subjektive Wie der univer.jaJen Erfahrung. Nun nichts anderes als das gewinnen wir in ontischer Hinsicht und in noetischer auf dein beschriebenen Weg, in der Methode der Wesensvariation dcr universalen Erfahrung arid Erfahmgswelt." 3 Yach Husserl gewinnt also der Weg der transzendentalen DeAuktion „von unten" durch die M5thode der Wesensvariation 1 i;%rr diesen w e g „von unten" s. Ms. orig. F i 32, S. 13ra-135a; V& S. rzralb 11. I q a . E 2IAC). s. I =Nb. 3 a a . 0 . S. 13Ga.
a.a.0.
j !
I
j!
163
dieselben ontologischen Weltstrukturen wic der Weg ,,von oben". Leider spricht Husserl in der Vorlesung Natur und Geist (1927) nur allgemein über jene Variationsmethode und zeigt nicht konkret, wie durch sie die ontologischen Weltstrukturen gewonnen werden. Was uns hier interessiert, ist das Folgende: Wie verhält sich diese Methode im konkreten Fall der Deduktion jener apriorischen Strukturen zur Kantischen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung? M.a.W., wie verhält sich der Weg :,von unten" zur Fragestellung des Weges „von oben"? Kann jener die spezifische Fragestellung des letzteren in sich aufnehmen oder m u s s er diese sogar in sich aufnehmen? Darauf geben die Vorlesungen Natur und Geist leider keine Antwort. Aber andere Texte helfen uns bei unserer Frage weiter. I n einem Text vom November 1925 1 erwägt Husserl. die hliiglichkeit einer blossen Phantornwelt ; er fragt sich, ob eine solche Welt Gegenstand objektiver Erkenntnis sein könne, und kommt dann allgemein auf den Sinn und. den Wert der transzendentallogischen Fragestellung zu sprechen: „Was ist nötig, damit die Dinge wenigstens im grossen und ganzen sich verlässlich wiederfinden lassen, sich wiedererkenricri, {nicht nur> wcnn sie zufällig wahrgenommen sind, sondern auch wiederfinden in1 Sinne, dass wenn ich sie ,brauche', ich zu ihnen hirigclicri kann oder einen andern hingehen lassen iistv. ? Das sind regressiv(: Ikitrachtungen und E'ragcstelliingen, äiiiilich dcncn dcr Matlicninti~- ich abstrahiere von dem ganz konkreten Bestand dcr Erfahrung und tue so, als ob es nur Erfahrung in Form des Wahrnehniens 2 durch IVahrnehmungstätigkciteil der ,Sinne' gäbe, ich isoliere die Funktionen. D a s i s t e i n e g u t e u n d n o t w e n d i g e M c t h o d e t r a n s z e n d e n t a l - ä s t h e t i s c h e r F o r s c h u n g , ich suche dadnrch. die besonderen konstitutiven Linien heraus mit ihren besonderen Leistungen und die zugehörigen besondern Linien der möglichen Identifizierung jbzw. Einheitsdeckung), ähnlich wie die Mathematik in der isolieriing von Axiomgruppeii das deduktive Geflechte der Geometrie oder Arithmetik auflöst in orig. A IV 5 , S. 39 ff. (Nov. 1925). ,,Wahrnehniung" ist hier in1 engrren Sinn grhr:iiirht; r s i.;t (lartlit riirlit die ISTfassurig des renlcii »iiigc:ca, sondern nur dirjcnige dcs I'hn~itoiiis gciiiciiit. V g l 11. C. 253 (Anm. d. Verf.). 1 IIIs. 2
164
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
die deduktiven Sonderlinien mit ihren besondern theoretischen 2usa.m~-enhängen,durch deren Verflechtung mit den andern sich der Gesamtbau der Theorie verstekt." 1 Der Wert dieser transzendental-regressiven Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit liegt nach diesem Text Husserls alw darin, dass durch sie einzelne k o n s t i t U t i v e Linien (oder ortologische Strukturen) der Gegenstände als Bedingungen der Möglichkeit (oder a l s Korrelate) besonderer Identifikationsleistungen des erkennenden Bewusstsein erfasst werden können. Bevor wir genauer die Frage zu beantwxten suchen, welche Rolle dieses Vorgehen in Husserls phänomenologischer Philosophie spielt und warum es von Husserl als ein notwendiges bezeichnet werden kann, wollen wir in concreto verfolgen, wie es von Husserl in seinem Philosophieren geübt wird. Tatsächlich hat Husserl dieses traxzendcntal-logische (oder transzendental-regressive) Vorgehen in seiner phänomenologischen Forschung des öftcrn angewandt. Als Prinzip dieses Vorgehen~formuliert er mehr oder weniger genau Kants „obersten Grund~atzaller synthetischen Urtcile a priori", nach dcm Uedirigungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gzgenstinde dcr Erfahrung sind. Dieser Gmridsatz drückt fiir H-merl die Xorrclation zwisclrem den1 A3riori der Erfahrung u3d demjenigen des Gegenstandes aus. Da er nur den Sinn hat, diese Korrelation auszudrücken, kann er auch sinnvoll umgekehrt werden: Die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind zugleich Bedingungen der Maglichkeit der Erfahrung überhmpt. I.ascen wir Husserl selbst zu Wort kommen: „Das Prinzip aller ,transz-endentalen Deduktionen'< :> Alles was ist, steht a priori unter den Bedingungen seiner möglichen Erfairung; Sein und erfahrbares Sein sind Korrelate, alles Seiende muss den Bedingungen seiner Erfahrbarkeit gemäss sein."2 „Da Gegenständlichkeit und Natur sich in der Erkenntnis konstituieren, und von einer Gegenständlichkeit nur sofern giltig etwas ausgesagt werden kann, als sie sich in der Erkenntnis konstituiert, so muss jeder zum Wesen von Gegenständlichkeit überhaupt gehörige und ein1
8
Ms. orig. A IV 5, S. 3gb/4oa (Nov. 1925); wir unterstreichen. Ms. transcr. B 111 ro, C .I (Sept. 1921, St. %lagen).
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU K A N T
165 sehbare Satz Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung ausdrücken, d.h. sich so wenden lassen, dass man daran ablesen kann Bedingungen, ohne welche sich Gegenständlichkeit als giltige im Bewusstseinszusammenhang nicht konstituieren könnte; also ohne welche von @tig und ungiltig, von möglicher Begründung nicht gesprochen werden könnte. Umgekehrt: Gehen wir davon aus, dass Wahrnehmung, dass Erkenntnisakte überhaupt ihrem Wesen nach Intentionalität haben, sich auf eine Gegenständlichkeit beziehen, und dass weiter zu ihrem Wesen gehört, dies in giitiger und ungiltiger Weise zu tun, so kann man nach den wesenhaften Bedingungen der Giltigkeit von Erkenntnissen fragen, und diesen müssen korrelativ entsprechen Bedingungen der Möglichkeit dafür, dass ein Gegenständliches überhaupt wirklich sei." 1 „Wie kommen formal-analytische ontologische Gesetze in verständliche Beziehung zu den gegenstandskonstituierenden Akten in der Erkenntnis? . . . Einerseits Gesetze für Gegenstände .. . Analytische Gesetze schreiben Gegenständen überhaupt Bedingungen vor. Andererseits, wenn Gegenstände in Wahrheit sind, so muss es möglich sein, sie zur Gegebenheit zu bringen, und wenn die Akte der Gegebenheit bestehen, soll der Gegenstand in Wahrheit sein. Bedingungen der Möglichkeit der gegenständiichen Existenz sind also auch Bedingungen der Möglichkeit des Bestehens von Akten oder Aktzusarnmenhäilgcn gegenstäncüicher Gegebenheit. Also ein gewisser Parallelismus zwischen logischen Gesetzen (begrifflichen Zusainmei~5ngeriin diesen Gesetzen) und phänomenologischen Zusarnmcnhängen, phänomeno:ogischen Gesetzmässigkeiten zu den gebenden begründenden Akten gehörig. Ordo et cownexio idearum - ordo et C O ~ Z ~ Z E Xrerum." ~O 2 ,,Nicht nur für uns jetzt und hier zufällig Erfahrende, sondern für Subjekte möglicher objektiver Erfahrung überhaupt und somit einer Welt überhaupt gehört es nun, dass die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit wahrhaften Seins einer solchen immer nur präsumptiv als seiend zu erfahrenden WeIt äquivalent ist mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit ihrer theoretischen Erkennbarkeit oder nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Wissenschaft. Es ergibt sich dann, dass die präsumierte Welt, wenn sie überhaupt in Wahrheit 1
Ms. transcr. B I V I , 5. 166167 (wohl 1908).
Ms. transcr. F I 24, S. 33/34 (1909).
166
IIUSSERLS V E R H A L T N I S ZIJ K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
ist, in mbedingter Notwendigkeit eine Formstruktur haben muss, eincn bestimmten homogenen Aufbau, so eine universale Struktur physischer N a t u mit Raum, Zeit und Kausalität, unter dem Titel Kausalität eine universale physische Gesetzesstruktur ucw. Das Srin einer Welt ist nicht in dem Sinn an sich, als ob es gleichgültig wäre gegen die Möglichkeit einer Wahrheitserkenntnis, sondern beides steht in notwendiger Korrelation und diese schreibt dem Sein d z M7elt selbst eine notwendige Struktur, eine Seinsstruktur vor." ,,EIant hat den berühmten Satz ausgesprochen: Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. In unserer Problems-äre hat der Satz den klaren Sinn: Jede Wesensstruktur des gegenständlichen Sinnes, die durch das Wesen der Erfahrung ü b e r h x ~ p ta priori gefordert ist, und regional besondert, jede MJescristruktur, die im besonderen 2.8. für äussere Erfahrung als physicch-dinglicher Erfahrixng gefordert ist, ist ohne weiteres und in No-wcndigkeit eine Wesensstruktur für mögliche individuelle Wirklichkeit üjerhaupt, iür eine inCgliche wahre Natur überhaupt etc. . . . Kein Reales, kein individueller Gegenstand als in möglicher Wahrheit seiender ist denkbar, der nicht möglicherweise. und kztlich, der nicht ~ ~ h r n e k n ~ bwäre. a r Jedem Gcgefis%and entsprechen also im Reich miiglicher Erfahrung lYahrnehn~ii~igssinne, er tritt in die Erfahrurig dadurch, dass sie i h c n Sinn hat, und dass er es ist, auf dcn sie sich mit Uieseu Sjnn ,tczieht'. Ist er wirklich, so ist cr wirklichmit dem und d r x Sinn, den das wahre Urtcil aus der Erfahrung schöpft und dann iirteilsniässig dcnkeiid weiter bearbeitet. Schreibt nun die Erfahrung ihrem Sinn durch ihre Wesensart Gesetze vor, so wiirde die Verletzung dieser Gesetze durch den prätendicrten Gegenstand be.sagcn, d a s er kein möglicher Erfahrungsgegenstand sein, also prinzipiell auch nicht existieren könnte." Waupt~ächlichhat Husserl das transzendental-regreccive Verfahren angewandt, um die Korrelation der Kausalität bzw. Subs t a n t d i t ä t einerseits und der Synthesen der Identifizierung und der ojjektiven Zeitbestimmung andererseits sichtbar zu machen. Hier befrnd er sich in der direkten Gefolgschaft Kants und in enge: Beziehung zu den Neukantiar-ern. Solchen Erörterungen
hat er sich vor allem während der Jahre 1907 bis 1909 hingegeben, als er unmittelbar unter dem Einfluss einer intensiven KantIektüre stand. Anstatt phantasiemässig in den Akten der Wahrnehmung und Erfahrung lebend durch die Methode der Wesensvariation geradehin die apriorischen Strukturen der gegebenen Gegenstände zu erfassen, reflektiert er in diesen Erörterungen auf die Bewusstseinssynthesen und fragt nach den ontologischen Bedingungen, unter denen diese Akte überhaupt möglich sind: „Worauf ich nun hinausmöchte ist: Nur wenn die Dinge eine ,Natur' haben, und ihre J7eränderungen unter Gesetzen stehen, ist ein Bewusstsein von einer Welt möglich, ist es möglich, Dinge trotz der Veränderungen wiederzuerkennen und ihre Identität durchzuhalten." 1 ,,Welches sind, das ist ja die Frage, die Bcdingungcn der Möglichkeit einer vernünftigen Wahrnehmung, die, wie jede reale Wahrnehmung es ohne weiteres tut, ein rechtgebender Akt ist? Und natürlich handelt es sich um Wesensbedingungen, apriorische. Und weiter: Welches sind die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit einer Durchhaltung voii diriglidirr Identität über die Wahrnehmung hinaus; also eines vernünftigen Wiedererkenneris, einer vernünftigen Ansetzung des Dinges als (eines) noch daucrnden, als <eines) solchen, das erinnerurigsrnässig vorhin gewescn ist und in der neuen Wahrnehmung nun noch einmal in einer späteren Phase seiner Dauer zur Wahrnehmung kommt." 2 Die transzendentalen Fragen beantwortend Iiihtt Husserl aus, dass eine Welt von h l n s s e n P h a n t o m e n , d.11. vo?; ,,.Dingen" ohne kau~aleStruktur nur als v e r ä n d e r u n g s l o s e möglich sci. Denn nur cine vr:ränderringslose Phantoniwelt lasse sich als identische durchhalten und wiedererinnern. ,,Lassen wir liingegeri Veränderungen der Dinge zu und beliebige Veränderungen, und sind solche Veränderungen in gesetzloser Weise erlaubt worden, dann kommen wir auf Unzuträglichkeiten: Bewusstsein von einer gesetzlos veränderlichen Welt . . . ist mit Widerspruch b ~ h a f t e t . " ~ M.a.W., gelten für die Veränderungen der Dinge keine Gesetze, dann ist kein Bewusstsein einer an sich seienden Welt möglich. Als solche geforderte Gesetze nennt Husserl diejenigen der Sub1
1
M:. ori& F I 3 2 , C. 12qb (1927).
2
51:. tra:.sc:.
A V11 14, C. 151 ff. (1920 oder etwas später).
167
2 3
Ms. transcr. D 13 XXI, C. 82/83 (1907) a.a.0. S. 78/79(1907). a.a.0. C. 82 (1907).
165
H U S S E R L S VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
sta.ntiali:ät und Kausalität: „Wenn Wahrnehmung und Erfahruxg soll ein Recht haben können, so muss es eine Natur gzben, d.h. es muss sich eine Natur mit Substantialität und Kausalität kmstituieren lassen." l Der leitend? Gesichtspunkt dieser ,,DeduktionenwHusserls ist derjenige der 1d e n t i t ä t : Apriorische ontologische Gesctzc wcrden erfast als Bedingungen der Möglichkeit der Identifizierung durch die gegenständlichen Veränderungen und den Lauf der kontisluierlicten und diskreten Wahrnehmung hindurch: „Natürlich 5-tellt sich überall ein Zusammenhang zwischen dinglicher Identrtät und Kausalität heraus . . .." 2 Aber auch an Kants Gedanke der Bedingungen der Möglichkeit der o b j e k t i V e n Z e i t b e s t im mu ng der „AnalogienM wird appelliert: ,,Kants Analcgier:. Soll es objektive Zeit geben können, so muss das Erfahrene Sabstm
I
ZU K A N T
1%
haben und ihre Veränderungen unter strenger Kausalität stehen, ist vernünftige Erkenntnis von der Welt möglich, kann Walirnehmung und Erfahrung als vernünftige statthaben: Aber jetzt ist die Rede von den erfahrenen Dingen als solchen. Ich setze nicht an, es sei wirklich eine Natur, und frage, was muss für cie gelten, wenn Naturcrkenntnis als Erfaliruiigscrkcnritnis vcr~iüiiftig ist und so11 widerspruchslos verbleiben können, sondern ich sage, es erscheint Satur, ich betrachte die Idee der Wahrnehmur-ig und Erfahrung einer Natur und frage nun, wie steht es mit dieser Wesenskorrelation: insbesondere, wenn Walirnehinung und Erfahrung nicht nur Recht beanspruchen, sondern sollen Recht haben können, wenn sie sich nicht durch Widersprucli solleri aufheben müssen, was lässt sich von erfahrener Natur als solclier aussagen, als wie beschaffen muss sie sich konstituieren." 1 Aber nicht nur in den Jahren 1907 bis 1909, als Husserl unmittelbar unter dem Eindruck seiner Kantlektüre stand, übte er die Kantische FragesteIlung der „AnalogienH, sondern auch später wandte er sie immer wieder an. Folgende Texte seien brispielsweise angeführt, die dies deutlich erweisen: Ein Text aus dem Jahre 19x9 steht unter clem Titel: „Sehr wichtige Forschungen zur Konstitution einer ,logischen Individualit5t7,einer im logischen Sinn seienden Ilingliclikeit, Realität, Welt. Sein der Phantome . . . zugehörige ,Wahrnehmungsurteile'. Bedingungen der Möglichkeit von Kanticchcn Erfal-irungsurtcilen. Apriorität des Kausalgesetzes, von Trägliritsgeset~entranszendental deduziert . . ." 2 Der leitende ~ e s i d i t s ~ u n in k t den entsprechenden ,,Deduktionent' ist wie bei Kants „AnalogicnH, auf die irn Text auch vrnviesen wird, die objektive Zeitbestinlmung, d.h. die Bestimmung des objektivcn zeitlichen Gcgeiistandes: , , D a Problem ist, was für Regeln müssen fiir Zeitphantome geIten, bzw. was für Apperzcptioncn höherer Stuft=als Ursprungsstätte logischer Bestimmung müssen über der Phantomapperzeption bestehen . . ., damit auf Grund des Phantoms sich das individuelle Ding (zeitlich-ieal) konstituieren kann?" 3 Es wird hier ausgeführt, dass nur dann die zeitlichen Phantome ein reales, objektives Zeitding „bekundenv können, wenn eine Not1
a.a.0. S. 84/85. Ms. orig. A I 36, C. 125-131(SC 191g),der zitierte Titel a.a 0. S. xoßa (1919).
a.a.0. S. 128a (1919).
I7O
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
wendigkeitsapyerzeption besteht, nach der die künftigen Phantome nach einer Regel vorgezeichnet sind. „Dunn wenn diese Vorzeichnung eine einmalige wäre, so müsste ES unendlich viele Regeln geben und eine objektive Zeitbestimmung wäre undenkbar." 1 Als das ontologische Korrelat diese: Notwendigkeitsapperzeption wird das Kausalgesetz bezeichnetwie wahrgenommenen Phantomabläufe müssen kausal bestimmt sein, damit in ihnen ein an sich seiendes, d.h. ein in seiner Dauer an sich bestimmtes Objekt erkennbar wird. Dasselbe Problem behandelt unter einem etwas anderen Gesichtspunkt ein Text aus dem Jahre 1920, der überschrieben ist : „Wie können Phantome zu an sich seienden Objekten werden? Apriorität des Kausalgesetzes transzendentrl deduziert." 3 Das Kausalgesetz wird hier aufgewiesen als Bedixgung der Möglichkeit, dass eine Welt transzendenter Dinge von einer beliebigen endlichen Wahrnehmung aus in ihrer Gesamtheit und Einzelheit bestimmbar ist, oder als Konstruktionsregel, die es er~riöglicht, von gegebenen Dingen aus nicht gegebene zu „konstruierenM. Die Inhaltsangabe eines Textes aus dem Jahre 1925 lautet: ,,Wie steht es mit der Notwendigkeit der Xmsalität (gegenüber Raum und Zeit) ? Soll eine einstiinmig e h h ~ b a r ein, getrennten WahrneIimungen immer wieder identifizie~breund bewährbare Welt konstitiriert sein, so müsscn diie Ding? als kausal auffassbar und bewährbar sein, als ,Substanrp-r' veränderliclier Akzidenzien. Die Welt rrluss aber eine universali; Einheit eines kausalen Zusammenhanges kausaler Dinge sein, wenn sie übm das Feld aktueller Erfahi-ung hinaus (durch Wiedere5nncrung synthetisch verbunden) an sich seiend und korrelativ entsprectreld voraussagbar sein soll, 1)ie pliäno~nenologischc~~ Par:dlelen zu Xants Arialogieri." 4 Husserl führt in dieSemTexte aus, dass ohne K:ausalität keine Identifizierung cincr räumlichen an sich seienden Gegenständlichkeit durch getrennte Wahrnehmungen hindurch möglich sei. In einer blossen Phantomwelt könne in diskontinuierlichen Wahrnehmungen nur Gleiches, nicht aber identisch;^ sesetzt werden; eine solche Welt berge kein An-sich, k e n Sein ,,ausserhalb" der Wahr1 2
a.a.0. C. 1z8b (1919); vgl. C. rgob (191a91. a 2 . 0 . C. IZRII (19x9); vgl. C. 12gb (1919'. n . a . 0 . S. 133-139 (1920).
4
Ms. orig. A V11 14, C. 17a (1925).
H U S S E R L S VERHÄLTNIS
Z U KANT
I7I
nehmung, sie gehe auf im $erci$i. Kausalität ist weiter nach diesem Text Bedingung der Möglichkeit der Bestimmung von Nichtwahrgenonimenem. Koch in den Dreissiger Jahren oblag Husserl solchen Überlegungen. In der Krisis schreibt er: ,,Nimmt man . . die Kausalität weg, zo verliert der Körper seinen Seinssinn als Körper, seine Indentifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit als physische Individualität." 1 In andern Texten dieser Zeit bringt er jene transzendentallogischen Überlegungen in Beziehung zu Kant, richtet sich aber gleichzeitig kritisch gegen ihn: „Um immer wieder als dasselbe erkennbar sein zu können, muss es (SC. das raumzeitlich Reale> kausal apperzipiert sein (oder umgekehrt : Zum Erfahrungssinn gehört von vornherein die Identifizierbarkeit durch I
1 Krisis, S. 222; vgl. BIS. transcr. A I V 7, S. 12/13 ( 1 9 3 1 ) ~ W O Husserl dieselben Cbzrlegungen anstellt. 2 Ms. orig. A VII 18, C. m a / b (1930). 3 a.a.0. S . zgb (1930).
172
SYSTEMATISCIIE DARSTELLUXG
Gesetzlichkeit damals nicht bewusst war, sondern vielmehr in der exakten Natur der Wissenschaft die eigentlich wahre physische Welt erblickte. I n all diesen ~berlegungenHusserls geht es um die Bedingungen der Möglichkeit der Identifizierung oder der objektiven Zeitbestimmung eines raum-zeitlich Seienden; es geht nach Husserl m.a.W. um die Bedingungen d a Möglichkeit der T r a n s z e n d e n z oder des „An-sich-seins" eines solchen Seienden. Denn die Identität des Gegenstandes gegenüber der Xannigfaltigkeit der Ihn bewusstseinsmässig konstituierenden Erlebnisse oder sein objektives Sein in der Zeit (seine Identität in der Zeit) gegenüber dem zeitlichen Wechsel der auf ihn grrichteten subjektiven Erlebnisse macht gegenüber diesen Erlebnissen seine Transzendenz, sein ,,Sein-an-sich" aus. Umgekehrt ausgedrückt: die Erlebnisse können sich nur dadurch selbst transzendieren, dass sie als mannigfaltige ein Identisches konstituierrn.1 In den ontologischen Gesetzen, die diese transzendental-logischenÜbeLegung ermittelt, gründet dernnach die Transzendenz d e r Objektivität des real (raum-zeitlich) Seienden. Wir können in einem gewisscn Sini~eauch sagcn: I n diesen Gesetzen gründet die W a h r h e i t des r e a l Seimden. Explizite kennt Husserl allerdings diesen Wahrheitsbegriff nicht. E r spricht von der logischen Wahrheit derjenigen Urteilsneinung, die die Möglichkeit besitzt, durch die originare Gegebenheit ihrcs veriricintcn Gcgcristan
vgl. Logik, S. 146. 31s. transcr. D I3 X X I ,
s. 147 ff.
unterstreichm
„wahre" ist und nicht eine „falsche" (eine Halluzination), ist nach diesem Text aiso nicht das evidente Gegebensein der Wirklichkeit, sondern ihre K o n s e q u e n z , d.h. der gesetzmässige oder regehässige Zusammenhang der Gegcbcnliciteri als solcher. Bei Husserl finden sich denn auch Lkfinitioricn, die das objektive (wahre) Sein durch das Gesetz bestimmen: ,,Das Sein ist ein in ilafilzitwn näher Bestimmbarsein, und die Objektivität liegt in der Gesetzmässigkeit der Bestimmung, die ihrerseit etwas Erkennbares ist." Nach einem andern Text Husserls ist die Objektivität Eidos einer Erfahrungszugänglichkeit in der Weise, dass das Erfahrene zu einem Gesetz wird, über das praktisch verfügt werden kann.2 Die Ideen sehen darin das Wahrhaftsein des transzendent Seienden, dass dessen unendliche Möglichkeiten des Gegebenseins dem Typus nach einem festen Regelsystenl unterstehen,a und bezeichnen das wahrhaft seiende Ding als eine ,,Regel möglicher Erscheinungen". 4 Durch die transzendental-logischen Überlegungen gelangt also Husserl zu einem ontologischen Apriori, das cr als konstitutiv erkennt für die Transzendenz als soldie iind zugleich in Korrelation sieht mit dem konstituierenclen Bewusstsein, d.h. mit dessen identifizierenden Synthesen. Dieses Apriori ist nicht irgend ein b e l i e b i g es Gesetz das durch die eidetische Variationsmethode ermittelt wird, sondern es handelt sich bei ihm um das grundlegende (Transzendenz bildende) objrktivc Apriori dciWelt iibcrlixipt, 1,zw. c1.c~ wc~lll.roiistitiii~~rt~1~~It~1i Ihy~is~twii~s überhaupt. Ob die blosse Mctliotlc dcr Weserisvariation die g r u n d l e g e n d e Stellung dieses Apriori (gegenüber allen andern apriorischen Gesetzen, z.B. über Töne, Farben usw.) sichtbar macht, scheint uns zumindest fraglicli. Jedenfalls vermag diese Methode, da sie als ontologisc:hc rein o b j e k t i v gcrichtct ist, dic KorreIation mit den Syntliescn des ewusstsriiis nicht zii cxrfassen. Geradc deshalb wird für flusserl eine andere Methode notwendig, die diese Korrelation sichtbar macht : diejenige, die er als die transzendental-logische Kants bezeichnet. Doch muss die Frage gestellt werden: Inwiefern unterscheidet a.a.0. 5 . 117 (zwischen 1907 U. 1909) ;vgl. S. 2, 94, 125 (alle zwischen 1907 U . 1909). 52s. orig. A IV 5, C. 3ga (Nov. 1925). a s. Ideen I, 1 144. 4 Ideela 11,C. 86; vgl. den Text in Ms. transcr. E 111 2, S. 39 ff. ( ~ g z r )wo , Husserl die wahre 'latur als eine antizipativ konstruierte Regel der Erfahrung hinstellt. 1
2
I74
sich, wenn es i m die Ermittlung der inncrsten ontologischen Prinzipicn der Realität geht, die Variationsmethode noch von der tran=cndental-lcsgischen? Muss jene Methode in diesem Falle nicht auch die realitätkonstituierenden Synthesen der Idcntifikatianmit in ihr Variieren einbeziehen und sichtbar machen, dass jene ontologisch-n Prinzipien und diese Synthesen sich bedingen, d.h. zusammen eine Wesenseinheit bilden? Wird nicht die Variationsmethode hier notwendig zur transzendental-logischen Methode? Doch wir greifen mit diesen Fragen über Husserls Ausführungen hiaaus. Begnügen wir uns mit der blossen Feststellung, dass Husserl t a t s ä c h l i c h , wenn er die innersten Strukturen der Realität zn erfassen versucht, zu jenen transzendentallogischen cberlegungen greift, die er bei Kant durchgeführt sieht.1 Von grocser 'dichtigkeit ist dabei, dass Husserl dasjenige Apriori, das er d b s t auf dem Weg „von unten" entdeckt, mit dem Apriori Kants identifiziert ; 2 weiter aber auch, dass er wohl gerade in der eicmen Durchführung der transzendental-logischen Fragestellung zur Auffassung kommt, dass das Kantische Apriori nicli: ein regioral beschränktes und an eine besondere Wissenschaft gebimden-s ist, sondern einen w e l t universalen Charakter kommt deutlich in der Vorlesung Natur besitzt. Diese A~ffassung und Geist von 1;27 znm Ausciriick.~ Sclilitr(jc;lidi virdient auch besondere Airfrnerlrsamkeit, dass Husscrl in der Durchführung jencr transzendental-logischen Fragestellung dazu gelangt, die transzendente Objektivität als Gcsdzrnässigkeit oder als Regelmässigkeit zu bestimmen. Darin belinrlet er sich in der unmittelbaren Nähe Kants und des Neukantianismus, besonders desjenigell der Marburger Schule, die den Segenstand als ,,Regel der Vorstellungsverbindung" auffasst. Alleydings k a m nach 1.Iusserl das die Objektivität konstiluierende Gesetz als drx Inbegriff der Bedingungen der Möglichkeit der Ideatifizierbarkeit oder der objektiven Zeitbestimmung, bzw. als Inbegriff d e ~cntologischen Gesetze, die die Bedingungen der Möglichkeit des realen Seins ausdrücken, zur a n s C h a u l i C h en Diese Methode ist übrigens auch in den $ 8 15 U. 16 von Ideen I I wirksam. S. 162 5 0. S. 153: schon irn Ms. orig. A I 36, S. 146b (um 1920) fasst Husserl das Kantische sYnthetixheApriori als evidente Explikation der Idee des An-sich. 2 S 0,
I-IUSSERLS V E R H Ä L T N I S Z U K A N T
SYSTEMBTISCIIE DARSTELLUNG
I75
Gegebenheit gebracht werden, was für Iiant und die Neukantianer nicht der Fall ist. Dicse halten nur eine blosse Konstruierbarkeit dieses Apriori für möglich, wälircnd Ilusserl zwar auch von einer Konstruktion des Apriori spriclit, clabci ; ~ b ciiii r Gegcrisatz zu den Kantianern eine i n t u i t i v e Konstruktiori nieint.1 Diese Anschauung ist aber nach Husserl keine Anschauun,a der R e a l i t ä t , sondern die Anschauung einer I d e a l i t ä t - ein Anschauungsbegriff, den Kant und die Neukantianer nicht kennen. Husserl hat selbst das transzendental-logicche Verfahren nicht nur angewandt zur Ermittlung der ontologischcii Prinzi@en cinw Welt rnögIicher Erfahrung, sondern auch irn Sinne der erwähnten Logikvorlesungen von 19og/1o und I ~ I O / I I 2 als Methode zur Ermittlung der Prinzipien einer vollkommenen rationalen Erfahrungswissenschaft und auch zur Ermittlung der ethischen und ästhetischen Ideale+ Ethik und Ästhetik sind nach Husserl wesentlich konstruktive Wisserischaften.s, 6 Wenn wir abschliessend zu überblicken versuchen, welchen Sinn Husserl der transzendentalen Deduktion Kants und auch seiner eigenen Methode der „transzendentalc~iDeduktion" in den oben angeführten Texten gibt, so können wir vor allen1 sagen, dass Husserl die „traxiszendentalc Deduktion" als ein Verfahre11 zur systexnatisclicn F e s t s t e l l i i n g tlcr Priiizil>ieri (oder 1Scdingungen) dcr ;Möglichkeit der Erfalirurig bc:tr:~clitct.Iii dcn :ingcführten Erörterungen Husserls iiher Kants trariqwndentale Deduktion gibt Husscrl in erster Linic den Stil derjenigen uberlegurigen wieder, die Kant in den Reweisen dcr Grunctsätzc, nähcrhin in den Beweisen der „Analogien der Erfahriiilg" anstelit. ~ g l 0. . C. 94/95. =s.o. C. 155-158 S s . Ms. transcr. D 1 3 X X I , S. 45, 60, R o ff., 97 ff. (zwiichcii 1907 U. 1909); 31s. orig. A f 8, 5. Sr fi. ( r g o g l ~ o )Ha ; V, Beil. I , C. 127 f f . ( ~ g r z )hIs. ; orix. A 1 36, C. 147-160 (ewischen rgrg U. 1920}, S. 161 162 (zwischen 1915 U. 1920), 5. 163a:b ( r ~ i g od. 1920); Ms. transcr. B I V 12.5. 7 ff., 13 ff. (uni 1920); H a \'Ir. I ; n d s Koperrtika?~ische Umdrehunz,... ., S. 208 ff. (1924); Jls. orig. 17 I 32, S. 115 ff. (1927). * Xs.orig. F I 12, C. 49 ff. (1910/11). a.a.0. S.53a (19roi11) : ,,Alle Ethik und Praktik verfährt in der Tat konstrukti~-." "uf transzendental-logische Weise deduziert Husscrl übrigens auch, dass die Welt animalische, d.h. Leiber besitzende Wesen enthalten muss, da ohne diese eine intersubjektive noch eine Welterkenntnis überhaupt möglich ist. Uberhaupt steilt H ~ S s e dregressive Fragen i n bezug auf die intrrsubjektive Erkcnntiiis als solche: s. hZs. orig. .4 I 36, S . 141-143 (1914 od. 19x5); Rls. traiiscr. U IV 6, S . 2 ff. [rgrq od. 1915). 1
17~
SYSTEMATISCHE DARSTBLLLNG
Eigenartigrrweise stehen diese Beweise in der Kritik der reinen V e r n w f t gar nicht unter dem Titel d x transzendentalen Deduktion. Doch besteht kein Zweifel, dass sie imerlich zur transzendentalen Deduktion Kants gehören, denn in Cer transzendentalen Deduktion der reixen Verstandesbegriffe deduzrert Kant transzendental nur d i e K a t ~ g o r i ei m a l l g e m e i n e n , während erst die Beweise der GninCsätze eine transzendentale Deduktion der e i n z e l n e n X a t e g o r :e n bringen, indem sie konkret zeigen, wie diese die Erfahrung möglich machen.1 Es ist zu bemerken, dass die Neukantianer unter dem Titel der transzendentalen Deduktion hauptsächlich dieses Verfahren der Beweise der Grundsätze übten, was der Hauptgrund dafür ist, warum Xusserl unter jenem Titel vor allem ,dieses Verfahren verstand. Weiter tritt in Husserls Darstellung der Kantischen Idee der transzendentalen Deduktion und auch im Husserl Aneignung dieser Idee fix- seine eigenen philosophischen Aufgaben der Gesichtspunkt von Kants Prolegomena, die ihren Ausgang von der Existenz der ,,rt:inen Wissenschaften" nehmen, auf. Besonders ist dies der Fall in jenen Logikvorlesungen von 1go9/10 und 1g1o/r1,2 in denen Husserl die Kantische transzenderitale Deduktion darstellt als ausgerichtet auf das I d e d einer streng rationalen Erfahrungswicsenschaft und nicht in dcr fundamentaleren Funktion der Ermittlung der Bedingungen der Möglichkeit des „Ansicli-seins" oder der „TranszendenzH dcs Erfahrenen Übcrhaupt. Diese Sidlt entspricht Husserls „natiirwisscnscl~aftlichen" Auffassung v m Rarits Gruiidproblematik, clie ihm ja schr lange cigen war. Noch ex drittes Monicnt ist zu nennen, auf das Husser' in seiner Darstellurig der transzendentalcn Deduktion Rants grosses Gewicht legt : auf die ,,subjektive DeLuktion" der ersten Auflage der Kritik der reiaen Vernunft (näherhin auf Kants Ausfiihningen über die .,drei Synthesen" in der Transzendeßtalen Deduktionder reinen Vsrstandesbegriffe). Diese „subjektive Deduktion", in der Husserl einen fundamentalen Ansatz einer intentionalen Rewusstseincanalyse erblickte,3 meint er vor allem, wenn er in der 1 I n der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft macht Kant selbst auf diesen Sactverhalt aufmerksam (a.a.0. ß 167). S.1 jj-158, 175. S.U. 4 23. s
.
4
~
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU KANT
I77 Vorlesung Natur und Geist (1927) von Kants konkreten Analysen der Erfahrung spricht.1 Husserl hielt diese „subjektive .Deduktion" wesentlich zum wahren Sinn der transzendentalen Deduktion Kants gehörig, betrachtete sie also nicht wie die Neukantianer Marburgs als ein rein o b j e k t i ves Verfahren. Allerdings kritisierte Husserl scharf, dass Kant selbst diese wesensmässige Zugehörigkeit nicht erkannte und die „subjektive Deduktion" auch nur sehr mangelhaft durchführte.2 Was den Angelpunkt von Kants Transzenderttaler Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, nämlich die Idee der „transzendentalen Apperzeption" anbelangt, so haben wir sie in den besprochenen Texten Husserls nicht angetroffen. Doch müssen wir hervorheben, dass Husserl nicht nur um die Bedeutung dieser Idee in Kants transzendentaler Deduktion wusste, sondern ihr - als der Herausstelliing des grrindsätzlichen Zusa~nrnenhangeszwischen Selbstbewusstsein und dem Bewusstsein cincr Wclt als eines n priori gesetzmässigen Knsmos - in seiner späteren Zeit auch liolien Wert abzugewinnen vemochtc.3 E s besteht kein Zweifcl, dass, wenn Husserl die transzendtmtnle Deduktion Kants als Verfahren zur systematischen Gewinnung der apriorischen Möglichlreitsbedingu~~gcilder Erfahrung hetrachtet, er cincn wesentlichen Aspekt von Kants transzentlcntaier Deduktion erfasst. Kant selbst bezeiclinct ja dcn Erweis der Kategorien als apriorische Bcdingungc~ider- Mijglichlccit der Erfahrung als Prinzip seiner transzc~idcntalcii 1)~duk.$i011.4 Ihch darf nicht überselicn werden, dass Kants Erforschung diescr apriorischen Bedingungen .innerhalb einer I< r i t i k der reinen Vernunft steht, deren leitender Gesichtspunkt die kritische Frage nach der objektiven Gültigkeit der reinen Begriffe und nach dcr Grenze dieser Gültigkeit ist. Diese Frage nach dem R e c h t des Objektivitätsanspruchs der reinen Begriffe lässt Kant die Frage nach den apriorischen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung stellen, und indem er die reinen Verstandesbegriffe als diese Bedingungen erweist, erweist er zugleich ihre objektive Gültigkeit, aber auch die begrenzende Bedingung dieser Gül-
2 S.O. 3 4
5 9,.
Auf Husseds Verhältnis zu dieser Kantischeii Idee ivcrdeii wir s. Kritik der reinen Vernunjt, A g q l ß 126 ff.
iiii
4
26
eingehen.
1 7 ~
SYSTEMATISCIIE DARSTELLUNG
tiglxi:, ihre Gebundenheit an den anschaulichen Inhalt der Erfahrung. Die transzendentale Deduktion Kants ist daher nicht blos: cin Verfahren zur Ermittlung der apriorischen Prinzipien der Erfahrung, sondern sie hat den Charakter einer K r i t i k , sie bildet das Verfahren eines Re C h t sprozesses. Wie stellt sich nun Husserl zu diesem Charakter von Kants transzendentaler Deduktion? Diese Frage führt sofort die weitere Frage mit sich: Wie stellt sich Husserl zu Kants Idee der Kritik der reinen Vernunft ?
3. K A P I T E L
16. HusserE und Kants Forderung einer Kritik der reinen Vernunft als der Bedingzlng der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik Husserlbetrachtete Kant alsdenletztendergrossenPhilosophen, in denen das Ideal der PhiIosophie als einer strengen Wissenschaft leitend war. Die Philosophie der deutschen Romantik ist nach ihm durch den Abfall von diesem Ideal gekennzeichnet.1 In dessen Wiederaufnahme sah er daher ein Zurückgreifen auf Kant : „Kant aber wolIte Philosophie als strenge Wissenschaft, er glaubte, Repräsentant jener ganz anderen Philosophie zu sein, welche die theoretischen und in weiterer Folge ihre axiologischen und praktischen Stellungnahmen in absoluter Wahrheit begründet. Er war wie wir, die den Geist der Platonischen Tradition lebendig halten und ehren wollen, nicht auf aussenvissenschaftliche Weisheit, sondern auf Wissenschaft eingestellt." 2 „Mit Kant vijllig einig sehen wir uns jedenfalle darin, dass wir die Trmszendentalphilosophie nicht irn Geiste einer sich zeitlichen Bedürfnissen anpassenden Weltanschauung, sondern in dem einer strengen, der Idee der Endgültigkeit zustrebenden Wissenschaft zu verwirklichen bemüht sind." Diesem IdeaI sah Husserl bei Kant dadurch entsprochen, dass dieser an den Anfang der Philosophie die Kritik der Vernunft setzte. Hegek Philosophie weicht nach Husserl gerade darum vom Ideal echter Wissenschaftlichkeit ab, weil sie sich nicht auf eine Vemunftkntik gründet. 4 Husserl hat während seiner ganzen transzendental-phänomes. Logos, C. 292. Ha VII, Beil. XVIII, C. 375 (1921oder etwas später). a.a.0. Kant.. .,S. 287 (rgz4) 4 s. Logos, S. 292. 1
180
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
nologischen Periode, also von den Jahren kurz nach dem Erscheinen der LogGchen Untersuchungen bis zur Krisis, zur Bezeichnung seiner philosophischen Hauptaufgabe den Kantischen Titel der Vernunftkritik benutzt. Besonders ist d i e der Fall in den entscheidender- Jahren von 1903 bis 1910, während deren Husserl die Idee der Phänomenologie als Transzendentalphilosophie konzipierte. In seinem zweiten Bericht iiber deutsche Schriften zur Logik (erschienen 1 9 3 ) fasst Husserl in vor-er Klarheit die Idee einer K r i t i k aller vorkritischen (dogmatischen) Erkenntnis und äussert diese Idee auch in einer Formulierung, deren kantianische Herkunft sofort ins Auge springt: „Wie die Physik, die Naturwissenschaf- im gewöhnlichen Sinn?, empirische wissenschaft von den kf~rperlichenTatsachen ist so ist die Psychologie die empirische Wissenscliaft (Naturwissenschaft) von den gcistigcn Tatsachen. Beide Wissenschaften gvlien von der Welt im gewöhnlicheri vor aller Kritik liegenden Sinne aus mit seiner Scheidung der T~tsachenin körperliclic und geistige. Beide verbleiben iinkritisck, wie immer sie den Inhalt der ursprünglichen Weltvorstellung niodifiziercn mögen. Als erklärende Wissenschaften setzen sie vorgegebene Objcktivierungen voraus, deren Sinnklärung (deren Aufklärung ,ihrer Mäglichkeit nach') sie entbchren könntai, w i e ja das Faktum dcr hohen Blüte dieser Wissenschaften ohne Beihilfe der Erkcnntniskritik zeigt. Indessen ans cben diesen vorkritischen Objektivieruilg-ri - mit ihrcn Sclieidirngen zwischen Ichs und Nichticl~s,zwiscl;cn ,eigenemJ und ,fremdenJ Ich, mit h r e c deutenden Einlegungen der iin~nittelbareriBewusstseinsgegebm3eiten als psychische Tätigkeiten lind Zustände in das eigene Ich und ihren dcutenden Hinausverlegungen von physischen Dingen und Zuständen, von ,fremden' Personen, Erlebnissen usw. ausserhalb des Ichs - ans solchen vorkritischen Objektivierursen entspringcn die Schwierigkeiten des metaphysischen Prcblems der Möglichkeit dcr Erkenntnis, welches seinerseits eine Aufklärung der Erkenntnis überhaupt, abgesehen von allen metaphysischen Intentionen, voraussetzt." Ein Tex: aus dein Jahre 1904 trägt den Titel: Die Phänomenologie und Kritik der Vernunft, $hänomenologische Kritik der I7evaunft.2 In ihm vollzieht Husserl den entscheidenden Schritt 1
2
EerirRt iiTisr deuische Schrift?n zur Logik M d e n Jahren 1895-1809, C. s. M:. orig. B I 1 I, C. 47a (16. Juni 1904).
398.
über die Phänomenologie der Logischen Untersuchungen hinaus, indem er nicht nur wie diese den reellen, sondern auch den i n t e n t i o n a l e n (nicht reellen) Inhalt der Erlebnisse zum Gegeiistand der phänomenologischen Forschuilg erhebt. Husserl bemerkt zu diesem Schritt : „Also die Analyse des reellen Inhalts der cogilationes tritt zurück." 1 E r vollzieht ihn unter Beriifring auf die Cartesianische Zweifelsbetrachtung, die niclit nur die cogz'tatio, sondern auch das cogitatum qu,a cogitatum stellen lässt. Weiter erörtert Husserl in diesem Text das Problem der Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis und erklärt, dass die phänomenologische Forschung keine „theoretische", näxnlich keine natunvissenschaftliche, keine empirische, keine die Denkerlebnisse als R e a l i t ä t e n auffassende sei.2 Am 25. September 1906 schreibt Husserl in sein Tagebuch: „Was habe ich für litcrarischc Aufgnbcii zii bcw5ltigen? Und welche Probleme? I. An erster Stelle nenne ich die allgemeine Aufgabe, die ich für mich lösen muss, wenn ich mich soll einen Philosophen nennen können. Ich meine eine Kritik der Vernunft. Eine Kritik der logischen und der praktischen Vernunft, der wcrtenden überhaupt. Ohne in allgemeinen Zügen mir über Sinn, Wesen, Methoden, Hauptgesichtspunlrte einer Kritik der Vernunft ins Klare zu kommen, ohne einen allgemeinen Entwurf für sie ausgedacht, entworfen, fcstgestellt und begründet zu Iiaben, kann ich wahr und wahrhaftig niclit leben . . . 2. Andererseits: wir brauchen nicht nur Erkcnritnis der Ziclc, dcr Kic&tlinieri, cler Richtmasse, der Methoden, dcr Stellungnahme zu anderen Erkenntnissen und U'issenschaften. Wir brauchen auch die wirkEcht: Durchführung. Wir müsscn die Wege sclbst beschreiten. Wir müssen Schritt für Schritt die einzelnen Probleme lösen. Da ist vor allem also nötig eine Behandlung der Phänomenologie der Vernunft, Schritt für Schritt, und auf ihren1 Grunde wirkliche Aufklärung der logischen und ethischen Vernunft in Form der beiderseitigen Prinzipien und Grundbegriffe." 3 Von besonderer Wichtigkeit ist für uns ein Text, der aus der Vorlesung Einleitung in die Logik und Erkenntnistheorie stammt, ebenda. Quf diesen wichtigen Text werden wir noch zuriicklioinrneii (s.u. S. 197). s. Philosophy und Phenomeno2ogical Research, X V I , 3 (blärz, 1956), S. 297198; s. auch Ha 11, Einleitung des Herausgebers, C. VII/VIII.
182
S Y S T E M A T I S 2 H E DARSTELLUNG
die Husserl im Wintersemester 1goG/o7 in Göttingen gehalten hat. Husserl fuhrt hier aus: „Alle Vernunft im a posteriori hat ihre Prinzipien a pnori, und iliese Prinzipien sind die Rechtsgründe der objektiven und unbedingten Gültigkeit, die jede Betätigung der sogaannten Vernunft in theoretischer und axiologischer Sph'äre beansprucht. Die Prinzipien überall ans Tageshcht zu ziehen und sie auf ihre Echtheit zu prüfen - in einer Hinzufügung aus späterer Zeit bemerkt Husserl: in bezug auf sie die transzendentalen Aufgaben zu lösen - sie auf ihren phänomenologischen Ursprung und Sinn zurückzuführen, sie im Reich der intuitiven Wesen als der echten Mutter der Erkenntms als Gegebenheiten der schauenden Vernunft auszuweisen oder als Verkehrtheiten zurückzuweisen, das ist die ivak-haft philosophische Aufgabe." 1 I n Randbemerkungen aus späterer Zeit hebt Husserl hervor, dass es bei der Prüfung der Echyheit dieser apriorischen (logischen oder ontologischen) Prinzipkn nick-t nur darum gehe, sie auf die o b j e k t i v e Evidenz zurückz~führen, sondern damrn, sic t r a n s z e n d e n t a l zu erforschen, d.h. auf die „letzten ,Ursprüngew', 2 auf „die ,Moglichkelt' aller prinzipiellen Gcltiing", h u f „die letztcn Korrelatimen" 4 in dcr R e f l e x i o n zurückzugehen. Diese Prüfung der Echtheit der apriorischen Prinzipien (als die „wahrhaft philosophische Aufgabe") nennt nun Husserl in unserem 'Text ,,Kritik de- Vcrnurift' 5 und er fragt in einer Randbemerkung aus spaterer Zeit :„Ist Kritik der Verriunft und das Xdeal absoluter Erkenntnis gleichzustellen ?" G Die Fiinf Vorlcsurzen von 1907 (Die Idee der Phänomenologis) fassen die Erkenntnistheorie, die in ihnen umrissen wird, als die jeder Metaphysik notwendig vorausgehende Vernunftkritik auf.7 1908 whrclbt Hiiisrrl an seinen Freund G. Albrecht: „Tch inacht. bcstiiidig l'ortscliritte und grosse Fortscliriltc. Abcr dcr Umfang der zu vollexlenden Untersuchungen und die Verwicklung der Probleme, die keines für sich <sich>abschliessen und ab1
Ms. orig. F I
10, 5.
ggb (WS 1g&/o7).
a.a.0. S. 97h. a ebenda. 4 a.a.0. S. 98a. 5 a.a.0. S. 962.. 2
6
ebenda.
7
Fün! Vorlesuilgeu, C. 3.
22,
46.
52,
5E..
grenzen lässt, ist beispiellos. Es geht mir also wieder wie im vorigen Jahrzehnt und mit dem Alter bin ich nicht bequemer geworden . .. Natürlich handelt es sich also wieder um grosse Publikationen mit dem letzten Ziel einer völlig neuen Kritik dcr Vernunft, zu der schon meine Logischen Untersuchungen Fundamente enthalten." 1 Ein Jahr darauf bemerkt er in eincm Brief an Natorp, dass seine Schüler dadurch in ihren Publikationen in Schwierigkeiten kämen, dass seine grundlegenden „Untersuchungen zur phänomenologischen Kritik der Vernunft" noch nicht veröffentlicht seien.2 Im Logos-Artikel von 1911 steht der Satz: „Ich hoffe die inzwischen allseitig gefestigten und zu umfassenden systematischen Einheiten gediehenen Forschungen zur Phänomenologie und phänomenologischen Kritik der Vernunft in nicht zu ferner Zeit der weiteren Öffentlichkeit vorlegen zu können." 3 Mit Recht weist W. Biemel darauf hin, dass Husserl in den Ideen in gewisser Weise seinen alten Plan einer Kritik der Vernunft verwirklicht habe.* Denn das erste Uuch dieses Werkes gipfelt im vierten und ietzten Abschnitt, der den Titel trägt: Verlzu~ftund Wirklichkeit. In diesem Abschnitt wird eine systematische Überschau über das Vcrnunftprobleni, das von dcr Frage nach der GüItigkeit des intentional auf die Wirklichkeit gerichteten Bewusstseinsgeleitet ist, entworfen, wälireridim zweiten Ruch des Wcrkcs konkret auf dic pliSiioi-iiciiolog-isclic IConstitutioii di:r P verschiedenen Regionen der Wirklichkeit eingegangen wird. 1x11 nie geschriebenen dritten Uuch hatte ausgcführt werden sollen, „dass die systematisch strenge Begründung und Ausführung dieser ersten aller Philosophien (SC. der Phänonienologic oder phänomenoIogischen Kritik der Vernunft) die iinablässliche Vorbccliiigiing ist fiir jctle Mct;i~)liysikiiiicl soiisli~ciI'liilosopliit~ -,die als W i s s e n s c h a f t wird auftreten könii(:n'". 5 Auch noch nach den Ideen gebraucht Husserl den Titel „Vernunftkritik". So in der Vorlesung Phänomenologie trnd Erke~zntnis1 Dieses Stück des Briefes wird von W. Biemel in seinem Aufsatz Die entscheidendetr Phasen Husserk Philosophie zitiert (C. 205i06). 2 Brief an Natorp vom 18. März 1909 (Kopie im Husserl-Archiv). Logos, s. 319. 4 s. Die entscheidenden Phasen in Husserls Philosopltie, C. zog. "Ideen I, S. 8; die heute vorliegenden Ideen I I I bilden den 2. Teil des 2. Buches des ursprünglichen Plans.
SYSTEMATISCHE D X R S T E I . L C N G
"4
tlzeorie als allgemeinen Titcl für die Erkemtnistheorie.1 - I n einem Vorlesungstext, der frühestens aus dem J.ahre 1921stammt, spricht Husserl zwar nicht explizit von ,.Kritik der Vernunft", aber bewusst Kantische Wendungen aufg-eiiend fordert er für die Ermöglichung einer Metaphysik eine transzendentale Erkenntnistheorie, die er dem Zusammenhang nach als Kritik der Vernunft denkt: ,,Die transzendentale Erkenntnistheor-e ist die jeder Metaphysik vorangehende Bedingung i h e r Möglicikeit, und sie begleitet, nachdem sie ausgebildet ist, notwendig die gesamte metaphysische Arbeit in der beständigen Furiktior der Normierung hinsichtlich aller objektiven SinngeEung imd Mzthode. An diesem durch den S i n n einer Erkenntnistkieorie und Xetaphysik apriorisch vorgezeichneten Verhältnis ist schlechthir nichts zu ändern, solange eben diese und jene ,als Wissenschaft sollen gelten können'." 2 Das Werk Formale und transzendzntale L e i h , das den Untertitel Versuch einer Kritik der logisch~nV e ~ n t m fträgt, : bezeichnet die t r a n szenderi t a l e Kritik der Erkermtrils ( i ~ nGegensatz zu der von jeder positiven Wissenschaft selbd giibten a n a l y t i s C h e n Kritik) als „Kritik der Verr.unft" ;3 ganz allgemein wird hier auch dir: ganzc Transzeridcnialpliiloso~~iie „Kritik der Vcrnunft" gcnannt .d In der K ~ i s i ssteht der Satz: „Die ?atrnic Vrrnunft zum Selbstverständnis ihrer Möglichkeiten zu bringen und drirnit einsichtig zu niachen die Möglichkeit einer Rietaphyjik als einer wahrm Möglichkeit - das ist der einzige Weg, um eire Metaphysik bzw. universal? Pliilosophie in den arbeitsvoller- k n g der Verwirklichung zu bringen." Iin Gegensatz zu Kant spricht IIucserl abm nie von einer Kritik der r e i n e n Veri~unft,In seiner Kritik d3r reinen V e r n u ~ f geht t es Kant darum, die spekulative Vernunft, die unabhängig von der Erfahrung, bloss auf Grund ihrer renen Begriffe ein „absolutes" 1 s. hIs orig. B I 3 11. Ms. transcr. M I I. Irn Brief v x a '-7. September 1917 an seinen Freund Gustav Albrecht nennt Husserl diese V o d e u n g Phanomenologze und Ilrztzh der Vernunft. Ha VII, Beil XVIII, S. 369 (1921 oder etvras Spates L ~ g l kS , 152.
.
4
b
a a 0. C 145 l i n r t ~ ,S 1 3
I
Sein-an-sich erkennen will, auf das Reich möglicher Erfahrung, d.h. auf das Keich des „relativenw Seins-für-uns der Phänomene zurückzuweisen. Für Huscerl ist nun eine solche rein spekulative Vernunft gar nicht mehr eine ernstzunehmende und philosophisch zu erörternde Idee; sie ist für ihn zum vornherein widersinnig. 1% haben schon in andern Zusammenhängen ausgeführt, dass Husserl die Vernunft nur als erfahrende und schauende (aber nicht nur als W eI t erfahrende und -schauende) Vernunft denkt und dass, wenn er im Hinblick auf die Wesenserkenntnis von „reiner Vernunft" spricht, er diese nicht im Gegensatz zur erfahrenden Vernunft, sondernkonstitutivundi~entionalauf diese zurückbezogen auffasst.' Vernunft (als Subjekt und Begrifflichkeit) und Gegenständlichkeit stehen für Husserl von vornherein im intentionalen Bezug der Sinngebung und Erfahrung, und es ist nach ihm die Aufgabeder transzendental-phänomenologischenReduktion, diese Bezogenheit klar vor Augen zu stellen. Die Ausgangsfrage Kants, wie reine Begriffe der Subjektivität apriorische Gültigkeit für an sich seiende Objekte haben können, die ,,ausserhalb" der Subjektivität undderenBegriffIichkeitliegen, ist für Husscrldaiier\vidersirinig: „Das Problem der cynthetisdien Urteile a priori kann nicht den Widersinn bedeuten, wie kann der Mensch oder ich in meiner Immanenz apriorische Urteilc (mit dem Ucwiisstsein dcr Notwendigkeit) fällen, die für Gegenstände, die aussr:rhalb nieines I3ewwsstseins an sich sind, gelten, sondern wie ist die Sinngebung der erfahrenen und gedachten Natur zu vcrsteheri, yie der Sinn ihres An-sich zu crklären und wie das Entspringen jener Idee des An-sich, die ihre evidente Explikation in den synthetischen Urteilen a priori findet." 2 In seiner Kritik der reinen Vernunft b e s c h r ä n k t Kant das Recht der apriorischen Begriffe auf die Funktion apriorischer Prinzipien der E r f a h r u n g und wcist sie zugleich in diesem beschränkten Recht aus. Für Husserl steht das objektiv-ontologische Apriori von vornherein nie anders in Frage als in dieser Funktion. Obschon das ontologische Apriori schon von vornherein als Prinzip der erfahrenden Vernunft aufgefasst wird, wird es bei HusserI doch zum Gegenstand einer notwendigen Kritik: Die erfahrende Vernunft ist bei Husserl in bezug auf ihre apriorischen S.O.
S. 64.
* Ms. orig. A I 36, S. 14Cih
(iiiii
191s).
186
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Prinzipicri Gegenstand einer R e C h t s frage. Da diese Prinzipien in sich und in ihrem Bezug auf die möglichen Gegenstande der Erfahrung nach Husserl e v i d e n t sinC, haben sie nach ihm allerdings unmittelbar ihr Recht. Ihre ,,transzendentale Deduktion" kann daher für Husserl nicht wie für Kant eine Recht g c b u n g bedeuten, durch die sie allererst zu einem ausgewiesenen Recht kommen, sondern in dem ihnen auferlegten Rechtsprozess kann es sich nur d z r u x handeln, ihr Recht zu k l ä r e n , zu b e s t i m m e n , zu b e g r e n z e n . In der transzendentalen Rechtsfrage ist also nicht nach dem „ob es gilt" gefragt, sondern danach, „welchen Sinn eine solche Geltung und dann welche Tragweite sie haben kann". 1 Die naive unmittelbare Evidenz ist nach Husserl nicht rechtlos, aber ihr Recht ist noch ein „ungeklärtes" und „unbegrenztes", 2 d.h. sie versteht den Sinn des ihr Evidenten nicht in vo~lernMasse. So weiss sie nicht letztlkh um den Sinn des Rechts der evideriten Kategorien und ontologischen Grundsätze (synthetische Urteile a priori), die dieses An-sich-sein als solches „explizieren". Ciiese Unklarheit der naiven Evidenz kann nach Hilsserldatufiihren (und hat tatsächlich dazu geführt), dass diesem An-sich-sein, 'czw. den es explizierenden ontologischen Prinzipien ein falscher Sirn unterschoben wird.3 Tlm dies zu verunmöglichen, gilt es, den Sinn jenes An-sich-seins, bzw. das Recht jener Prin~ ,, . . . nur (plianom<:riologisch)geklärter Sinn ist zipicn z . Härai: cs, der d2n Unifang rcchtrriässiger Anwendung vorzeichnct." 4 Diese phännmenologische Klärung geschieht nach Husserl durch d k interitioriale Analyse, die die der Evidenz der Positivität vcrborgenrn urrcchtbestimmcnderi und -begrenzende11 Motivationshurizonte der Erfahrung und Erkenntnis enthüllt.5 Husscrl bringt diese intentionale Atralyse dcr Erfahrung in eine Parallele zur ,,subjektiven Deduktion" Kants.6 Für Husserl ist demnach die* Deduktion (die intentionale Analyse) w e s e n t l i c h zu seiner Idee der Kritik der Vernunft gehörig, ja sie bildet geradezu deren innersten Gehalt, während Kant sie in Ansehung des Hauptzweck.~ der Kritik der reinen Vernunft „von grosser Wich-
-
s. H a IX, C. 259 (1927) S , Log&, S. 203. a.a.O. S. 156, 236. * a.a.O. C . 2 3 E ; vgl. H3 V, Nnchzwort, C. 153 (1930). 5 Erste Ph. 11, S. 30. 5 s U. 8 20.
tigkeit", aber doch ,,nicht wesentlich dazugeliörig" hielt, da die Hauptfrage inimer bleibe, was und wieviel r e i n e r Verstand und r e i n e Vernunft f r e i v o n a l l e r E r f a h r u n g erkennen könne.1 Die phänomenologische Kritik, der nach Husserl die logischen und ontologischen Prinzipien der Erfahrung unterzogen werden müssen, hat, wie aus dem Vorangehenden schon entnommen werden kann, den Sinn, die objektive Erfahrung und Erfahrungswissenschaften „hinsichltich des
3
s. Kritik der reiwen Vernunft, A X V I I X V I I . Fünf Vorlescbngen.S. 22; wir unters:reichen. s. den Exkurs zu diesem Kapitel.
4 Die Frage nach dem Sinn des Seins der Welt wird besonders in Logik (S.203104) und in der Krisis ( C . 113, 115. 125, 134, 136, 179, 184) gestellt. Dass es der transzendentalen Phänomenologie auch um das Sein der Subjektivität geht, hebt Husseri im Encyclopedia-Brifannica-rlrtikel hervor ( s . Ha I X , S. 297). Wir können hier nur andeuten; gründlichere Untersuchungen finden sich unten im 5. Kapitel dieser Abteilung. 5 s. Fiiaf Vorhsungen, C . 3,23,2 3 ; Ha V, ,Vachwort, S. 141 (1930); vgl. o. C. 183184.
1.38
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
brachte. Um einer echten Metaphysik die freie Bahn zu öffnen, zerstörte Kant jene Verabsolutierung, indem er die objektive Gültigkeit der reinen Begriffe auf cie nicht-absolute Erfahrung efnschränkte. - Auch Husserl stand vor einer falschen Verabsolutierung, nicht aber vor derverabsolltierungdesrein begrifflichen Denkens, sondern vor derjenigen der unipirisch-wissenschaftlichen Erkenntnis (bzw. deren objektiven Seins) durch den Positivismus, bzw. durch die völlig vom positivistischen Geiste beseelten Naturvi=issenschaftler.E s ist nicht zu vergessen, dass Husserl 1859 geh r e n wurde, und dass die entscheidenden Jahre seines geistigen Werdens in eine Zeit fielen, die gäxzlich vom Positivismus beherrscht war. Uin in dieser gcidgen Situation einer echten, absoluten Seinswissenschaft (der Metaphysik) zum Durchbruch zu verhelfen, musste Husserl die o b j e k t i v e E r f a h r u n g , auf die a l s Absolu'ics sich der Positivisinu~berief, einer u n i v e r s a l e n (subjektiv und objektiv gcriclitctcit) Wcscnsbestiiiiinung und Kritik unterziehen, um zu zeigen, „dass die natürlichen Seinsvissenschaften nicht endgiltige Seinswissenschaften sind", und dass es einer „Wissensckaft vom Seienden in absolutem Sinne" bedarf, die prinzipiell anderer Natur ist als das natürlich-objektive Wissen.1 E x k u r s : B e m e r k u n g iiber H u s s e r l s V e r h ä l t n i s zur Seinsfrage
Wir kabcn oben bemerkt, dass Susserl der metaphysische~i Frage nach dem Sinn von Sein als solchem [T& d v m ) keinen ernsthaften Sinn abzugewlnncn vermachte. Wie sich Husserl zu dieser Frage verhielt, zeigen besoiiders deutlich seine Anmerkungen zu den 9 5 40 (Die urs~runglicheAusarbeitung der Seinsf~ageals Weg zum Problem der E d i c h k e i t i m Menschen) und 41 (Das Seiwsverständnis und das Daseh i m Menschen) von I-Ieideggers Kantbuch. Husserl lehnt hier die metaphysische Frage nach Lern Sinn von Sein als explizite Anfangsfrage der Philosophie ab. Nach ihm kann es sich nur darum handeln, die seiende Welt (die curch die weitontologischen Prinzipien bestimmt ist) und jedes Seiende überhaupt (das ganz allgenein durch die formalontologischen Prinzipien bestimmt ist) nach dem K o n s t i t u i e r t - s e i n in der Subjektivität zu befragen. 1
Fiitif Vorlesurigcn, C. 23.
So bemerkt Husserl zu den Sätzen Ileidcggers, ,,Gibt es diesen allzu selbstverständIich aufgerafften Unterschied - essentia und exislentia - so, wie es Hunde und Katzen gibt, oder liegt hier ein Problem, das endlich gestellt werden muss, und das offenbar nur gestellt werden kann, wenn gefragt wird, was Sein als solches sei. Fehlt ohne die Ausarbeitung dieser Frage nicht jeder Horizont für den Versuch, die M1escnlieit des Wesciis zii ,tlcfinicrcn' u ~ i ddie Wirklichkeit des WirkIichen zu ,erklären1? ", 1 das Folgende : „Sehe ich nicht im mindesten ein." „Jedes Seiende kann ich nach seinen ,Eigenschaften', seinen ,Relationen' befragen, jedes kann ich nach seinem ,alIgemeinen Wesen' bcfragrn und ich kann ihm dieses allgemeine Wcscn (das Eidos . . .) gcgciiiibcrstcllw und dieses als ihm in der Weise der Metexis Zukommendes aussprechen, als ihm in eins mit allen m ö g l i c h e n Seienden, die seine Abwandlungen sind, ziilrornmend. Jcdes ~ ; L I I T ich I ;ils ,Einzcllieitl einer VielIicit, ei~icrwirkliclicri iiiitl iiiiigliclicn ctc. ; das sind die formalen Kategorien. Gibt es Eigenschaften ctc. Kategorien so wie es Hunde und Katzen gibt? - ,oder liegt hier ein Problem, das endlich gcstellt werden miiss'. \Vas für ein Problem? Gcradehin und evident über Seicndcs irr1 Üh:rliaupt urteilend (und nicht beschränkt auf Weltliches, das vielleicht nicht das Einzige und einzig MögIiche ist) gewinne ich das formal Ontologische und über Wcltljches das Wcltiichforrriale (Materiale). Aber trotzdem bin ich nicht befriedigt. Die Sul~jcl~tbeziehutig, die des Bcwnsstseinc, der Erkciiritiiis, bringt d i e riepzcitlichcii Schwierigkeiten; sie betreffen nicht cin rriytliischcs ,Sein', sondern das Wesensverliältnis von Seiendem überhaupt u n d Subjektivität überhaupt, für die es ist. Das führt also auf die einzig vernünftigen Problernc der Konstitntion." 2 Ähnliches schreibt Husserl zum Heideggerschen Satz, „Die Seinsfrage als Frage nach der Möglichkeit des Begriffs vom Sein entspringt ihrcrscits aus dem vorbegrifflichen Seinsverständnis"3: ,,Nicht nach der Möglichkeit des Begriffs von Sein, sondern nach der Möglichkeit, die Verlegenheiten aufzulicbcn, in die die ll'elt als ,Welt für uns' uns verwickelt und jedwedes Seiendes überhaupt aIs Seiendes für uns. Oder die Möglichkeit, den Sinn 1-on 1 9
3
Heidegger, Rad.. ., S. 2x4, 2. Aufl. S. zoz. Anm. in Husserls Exemplar von Heideggerc Kantbucli, S. Heideggcr, Kant.. ., C. 216, 2 . Aufl. C. 204.
z 14/15.
190
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Seiendem überhaupt, das uns in naiver Evidenz gewiss ist und gewiss ist als ,an sich' gegenüber der Zufälligkeit menschlicher Erkenntnis (Bewussthabens überhaupt), zusamenzureimen damit, dass Seiendes den Sinn (den formalen und materialen) für uns hat und keinen andern hat als den es für uns hat etc." „Alle Begriffe von Seiendem gewinnen wir in ursprünglicher und selbstgebender Weise aus der begreifenden T ä t i g E t auf Grund der vorbegrifflichen Erfahrung. Auch die Begriffe natürlich von dem ,Seint, sofern das einen guten Sinn hätte. Worum es sich hier handelt, ist aber nicht um die Möglichkeit, da: Wesen, den Begriff Sein, sondern um die psychologische und, vermöge der Verlegenheiten, die transzendentale Möglichkeit von Seiendem überhaupt als Seiendem für uns, also die ncch nicht begrifflich gefasste, nicht systematisch erforschte koaitituierende Subjektivität und die Wesenseinheit von dem aus naiver Konstitution, aus gelebter aber nicht thematischer, entsprungenen, schlechthin und ausschliesslich für uns Daseienden (Seienden und seiner Begriffe) mit der transzendental leistencen Subjektivität und von da aus (um> eine konkret volle M'esenserfassung des Seienden, die kcine Wesensfragen für das Seiende überhaupt und für das Weltseiende offen lässt; dies im notwendigen Obergang zur Totalität und ihrer Notwendigkeit." 1 Husserl geht es also um das Ver h 2 1t ri i s des seienden (primär des w e l t l i c h Seienden) zur Subjektivität, f u r die es ist. Auch die transzendentale Subjektivität (dic transzendentalen Ego) ist für HusserI ein Seiendes, so dass gesagt werden kann, dass Husserl letztlich nach den konstitutiven Bezügen der R e l a t i v i t ä t , des A b s o l u t s e i n s und R e l a t i v s e i n s des Seienden fragt. Diese Frage betrifft aber nicht nur den Rczw zwischen einem Seienden, das f ü r die transzendentale Stlbjektivität aber selbst nicht transzendentale Subjektivitar ist, und der transzendentalen Subjektivität selbst, sondeni auch den Bezug der transzendentalen Subjektivität zu sich s e h t . Wir können auch sagen: Husserls Grundrätsel ist das „An-sich", das „Füruns'' und das „Für-sich" und nicht das „SeinJ'. Dabei will Husserl auch die ontologischen Prinzipien von Seiendem und vom Seienden überhaupt bestimmen. Nie stellt Husserl aber ausdrücklich die Frage nach dem Sinn 1
Anm. in Husserls Exemplar von Heideggers Kantbuch, 5. 216117.
von Sein in absohten Sinne, die nur gestellt werden kann im Gedanken an das N i c h t s im absoluten Sinnc. In der Konstitutiorisproblematik geht es ihm daher explizit auch nicht um das ,,Seinsverständnis" des Subjekts, sondern um die Konstitution von S e i e n d e m durch das Subjekt. Zum Satz Hcideggers, „DocIi gilt es, . . . die volle Eigentümlichkeit des Seinsverständnisses sich näher zu bringen", 1 schreibt Husserl: „Nicht ,Seins'-verständnisses, sondern des Verstehens, des Erfahrens, des Bewussthabens sonst von Seiendem. Die Dunkelheit der Bedeutung von Seiendem ist die Unklarheit darüber, wie das Wesen von Seiendem von jenen Unstimmigkeiten aus der Subjektreflexion freizuhalten ist." 2 Wie schon aus den obigen Zitaten ersichtlich ist, scheint sich Husserl des absoluten Seinsbegriffs gar nicht bewusst gewesen zu sein und die Rede von ihm als „mythisch" empfunden zu haben. So bemerkt er zum Heideggerschen Satz, „Wir verstehen also Sein und entbehren doch des Begriffes" 3: ..Enthehren wir ihn? Wann bedürfen wir desselben" ? 4
Heidegger, Katat.. .,C. 217, 2. Aufl. S. 204. Anm. in Husserls Exemplar von Heideggers Kantbuch, S. 217. 9 Heidegger, K a n t . . ., S. 217, 2 . Aufl. S. 205. Qnm. in Husserls Exemplar von Heideggers Kantbuch, S. 217.
q.
KAPITEL
H U S S E R L UND KANTS RUCKGANG
ZUR TRANSZENDENTALEN
S U B JEKTIVITÄT
J 17. Husser!s Sicht von Kants Weg zur transzendentalen Szd~jeKtivität W k wir bereits hervorhoben, erklärt Husserl in den Ideen I,dass sich Cie transzendentale Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft eigentlich schon auf phänomenologischem Boden bewvege.1 Den ~~~~~~~~~~~~~~~~phänomenologischen Charakter dieses. Kantischen Textes hat er irnmer wieder betorit.2 Abcr nicht r u r ihm sprach er diesen Charakter zu; in der Vorlesung Ersf;: Pltilosoj5hie vom Wintersemester 1g23/24 führt er aus: „Gewiss, man kann sagen, dass sich faktisch dic gesamten Forschur,gen Kants auf dem absduteri Grund cler transzendentalcn Subjektivität abspielen." :3 Dasselbe Urteil über Kant findet sidi u a auch irn Aufsatz Kant und die Idee der Tralzszenden!alphikosopkie,4 in den Pragcr Vortriigeii 5 und in dcr Krisis. 6.7 Nur eine:] ardern Aspekt decselbcn Sachvcrlialtes drückt Husserl aus, werin er erklärt, dass Kant kcine objektiv-wis~enschaftlichen AUSSZ~ITI, die der natürlichen Erkenntnisei~~stellung entspringen, in seirie erkznntnistheoretischcn Erörterungen einflechte,bder I&m I, S. 148. Ha V I I lCaitls K o ~ e r ~ z i k a t i i s c lUt ~m d r ~ h u n g .., . S. zz8 (1924); a.a.0. K a n t . . ., C. 2-81 (1924); Krisis, C. 106; Ha VI, Beil. XV, S. 455 (1936). 3 Erste Fh. I, S. 197. 4 H %VII, I i m t . . ., C. 236 11924). 3 hls. tracscr. I< 111 I, S. zo (1935). 6 I
2
dass seine Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit der objektiven Erfahrung und Erfahrungswissenschaft zu deren impliziten „Einklammerung" fülire.1 Husserl hat sich nun auch darüber ausgesprochen, in welchem konkreten Gedankenschritt er bei Kant diese Wendung zur transzendentalen Subjektivität vollzogen sah. In einem Text aus dem Jahre 1908 schreibt er: ,,Kant sucht in der Subjektivität, bzw. in der KorreIation zwischen Subjektivität und Objektivem die letzte Bestimmung des Sinnes des Objektivität, die durch Erkenntnis erkannt wird." Einige Jahre später expliziert er diese Aussage folgendermassen: „Kant hat gefühlt, dass ein fundamentaler Unterschied in den apriorischen Begriffen und Gesetze11besteht : I. ontologisches, objektives Apriori, 2. Apriori der Subjektivität selbst. Alles ontologische Apriori weist auf die Subjektivität und zwar auf ein Apriori der Subjektivität als solcher zurück. Das Apriori der Subjektivität ist das Ietzt verständliche und alles andere erst verständlich machende. Ein mathematisches Apriori, ein naturwissenschaftliches ist durch Einsicht gegeben in seiner unbedingten Notwendigkeit, Aber es hat damit doch die Relativität zur Subjektivität, die unverständlich ist, solangc sie nicht gesehcn, aufgeklärt, auf Wesensgesetze der Subjektivität ziiriickgeführt ist. Dann wird allrij verständlich, wcil Motivat-iorisziisarnmenhänge absolut verständlich sind. Und Wcscnsgesetze der Subjektivität sind durch sich selbst verständlicli (KückQezogcnheit cler PhZnomenologie auf sich selbst). Das grosse Prbblem, das ' hinter den Kantischen Bemiihungen der Theorie dcs synthetischen Apriori steht, ist dies : die \Veseiiszusammeriliänge klar zu stellen, die zwischen allen sonstigen Wahrheiten und den Wahrheiten über das Vernunftbewusstsein, somit in prinzipieller Allgemeinheit, zwischen allen ontologisclieii apriorischcn Wahrheiten und den apriorisclien Wahrheiten über das Vernunftbewusstsein bestehen, zu erforsclien. Alles ontologische Apriori muss ,verständlich' gemacht werden durch das phänomenologische Apriori der ,Konstitution1." 3 Zum Teil wörtlich dieselben Ausführungen finden sich in einer Vorlesung Hiisserls aus dem Jahre 1920.4 ' S.O. s. 84. 3 4
Na VII, Beil. XX, S. 386 (1908). Ms. orig, F 1 42, S. 43ajb (wohl iirn 1913). Ms. transcr. 1 : 1 28, C. 299 (1920).
1'24
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Nadi 3usscrl besteht also Kants Weg zur transzendentalen Cubjektisität im kritischen Riickgang vom o b j e k t i v e n (oder ontolcgischen) zum s u b j elrt i v e n (ocer phänomenologischen) Apriori. Indem das ontologische Apriori bei Kan: als Möglichkeit der Subjektivität in Frage gestellt wird, wird es implizit „eingeklammert" und von der Subjektivitat her verständlich gemacht. Diesen Riickgang auf die Subjektivitat hat Husserl weniger in den jm verletzten Kapitel zur Rede gekommenen „Beweisen der h n d s ä t z e " - nach ihm kommt es hier nicht zu einer eigentlichen E ~ t h ü l l u n gder konstituierenden Subjektivität, obschon dxse prinzipiell als Korrelat des ontologischen Apriori erfasst wird -, smdern vor allem in der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen V e r m n f t ges--,hen. Diese Subjektivität Kants als das phänomencilog%cheKozrelat des objektiven oder ontologischen Apriori is: n x h Husserl keine andere als die :,reine" oder „transzendenta:e". Wir mlissel hier kurz auf die zweite Abteilung dieses Teils vorgreifex Dic Auffassung Husserls von Kants Schritt zur reinen Subjektivität muss im Liisa~nmenhiingmit Natorps Kantintcrpretation und Auffassung der phil~sophischenPsychologie gewhen wzderi. Natorp fasste die philosophische Psycliologie auf als Wisswsckaft, die durch einc Abwe:iduig von der o b j e k t i v e n E r k ( w i ~ t ~ i c11 s r jt ulig, bzw. durch dic: Zuwend-lng zu ciner geg?nübcr der V b j ek t i V en Erkcrintnisrjchtung x%llig nmeii 17i.m e n s i o n , riiiinlicli. zur S u b j e k t i v i t ä t rciri a l s s o l c h e r , korxtitiiiert wird. Diese iundamentile R i C h t u ngsänderiing geschieht nach Natorp im Ausgang von c k ~,.Transzendentalphilosopiiie" als der universalsten 1Vis:cnschaft vom Apriori der C~bjeErt.>irätals sol.chcr, 111dieseln Sime Interpretierte: er auch Kacts transzendentale Deduktion der ersten Ruflage.3 Husserl lxit den Schritt Kants zur reiiicn Subj-ktivität durch diese Natorpsc-hen Auffassiingen hindurch gesehen.
J 18. D k Bedmtung von Kants Rzickgaug zzw Subjektivität fir.r HrzserEs Idee der transzendwta:-$hir:nomnologisch.el Reduktion Im letzten Paragraphen haben wir festgehdten, in welcher 3:eise Husserl bei Kant den Rückgzng zur transzendentalen
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU IiANT
I95
Subjektivitat vollzogen sah. Im folgenden soll nun erörtert werden, welche Bedeutung diese Weise des Rückgangs für Husscrls Idee der transzendental-phänomenologicchen Reduktion hatte. Wir stellen die Frage, ob diese Idee Husserls eine innere Verwandtschaft zu jener Weise des Rückgangs besitzt, oder ob int Gegenteil Husserls Rückgang zur transzendental-phänon~enologischen Subjektivität mit jener Kantischen Weise nichts zu tun hat. Dabei verstehen wir diese immer so, wie sie von Husserl s e l b s t gesehen wurde, also in engstem Zusammenhang mit K a t o r p s Kantinterpretation und Auffassung der philosophischen Psychologie. Husserls Idee der transzendental-phänomenologischen Reduktion, wenn wir darunter seine gesamte Methode des Rückgangs zur reinen Subjektivität verstehen, ist ausgesprochen komplexer Natur. In ihr sind sehr verschiedene Motive verwoben, und sie hat in Husserls Entwicklung sehr verschiedene Gestalten angenommen. Eine gewisse Klarheit können wir gewinnen, wenn wir, wie dies Husserl selbst getan hat, den Gesamtkoniplex dieser Idee auflösen in die einzelnen Wege der trailszeridci~tal-pl~änomenologischen Reduktion. Nur auf dicsc Weise können wir uns über die Uberlegimgen klar werden, die jener Methodenidee Husserk zugrunde liegen, iincl ihr Verhältnis zum ,,KantiscIicn Rückgang" präfen. Prominente Interpreten habcn bei Husserl vier vt:rschicdene Wege der transzendental-pl~än»mcnologiscl~~~n Reduktion iinterschieden: I. den Cartesianischcn Weg, 2. den Weg über die intentionale Psychologie, 3. den Weg über die Kritik der positiven Wissenschaften und 4. den Wcg über die Ontologie.1 IVie wir noch zeigen werden, handelt es sich aber beim dritten und vierten dieser Wege I e t z t l i c h um d e n s e l b e n Wegtypus, so dass wir grundsätzlich nur von drei verschieclencn M7egen sprechen können. Untersuchen wir nun einzeln diese Wegtypen! Bemerken wir aber zum vornherein, dass sic bei Husserl nicht immer fein säuberlich getrennt sind, sondern des öftern miteinander verschlungen auftreten.
1 s. die Einleitung von R. Boehm zu Ha VIII, S. X X S I I I ff. und den Beitrag von E. Fink, Dk Späipkilosaphie Hnrsserls zum Husserlgederikbuch von 1959.
1ch
(a) Der Cartesianische Wcg Tlcr C.artcsirnische Weg, wie auch die hcidcn andern Wegtypcn, erscheint bei Husserl in verschiedener- Modifikationen. Doch liegt eine mehr oder weniger feste Struktur zugrunde, die wir im voraus urnreisren wollen. Diese Struktur des Cartesianischen Weges ist rlurch folgende Gedankenschritte bestimmt: I. Den Beginn bildet die Idee der Philosophie als einer absolut begründeten Vissenschaft, genauer einer Wissenschaft, die sich vor einem a b s o l u t e n A n f a n g aus (von einem „ a r c h i m e d i s c b e ri P u n k t " aus, wie Husserl auch sagt) in einem absolut begrlmd-ten Fortgang aufbaut. Dieser Anfang muss, so steht auch schon fest, ki einer a b s o l u t e n E v i d e n z bestehen, in einer Evfdenz alsc, die a b s o l u t z w e i f e l l o s , k l a r und r ä t s e l l o s ist. 2. Nun muss Umschau nach eincr absoluten Erkenntnis oder Exdenz gehelten werden. Durch eine universale Kritik der t r a n s z e n d e n t e n W c l t e r k e n n t n i s ergibt sich, dass p r i n z i p i e l l keine jolChe Erkenntnis jener Forderung entspricht: Der r 11e r transzendenten Welterkenntnis zugrundeliegende Glaube 2.n das Sein Cer Welt bcsitzt jene absolute Evidenz nidit+ Der ~ n b n g e n d ePhilosoph muss also gegeniiber dem Weltglaubeil und damit auch gegenüber allcr Wclterkenntnis, sei sie wissenschaftNatur, eine E p ochii üben, d . 1 ~ licher d e r i~~~issenscIiaftlich(;r er muss sie a u s s e r G e l t u n g s e t z e n . Die F r a ; stellt ~ sich, ob überhzupt noch eine geltende Erkenntnis ü5 r i g b l e i b t , wenn alle transzendente Wclterkenntnis aujser Gciturig gesetzt ist. Die Antwort fällt bejahend aus: E s bleibt übrig das cogito des Philosophierenden, das Gegenstand der immanenten Erkenntnis und a b s o l u t eviden: ist. Der absolute Anfarg ist pvonnen. 4. Das co&o t r ä g t i n t e r i t i o ~ i a lund in diesem Sinne i m m z n e n t d i e g a n z e W e l t a l s cogitatum i n s i c h . Obschon die Welt und ihr ganzer Gehalt vom anfangenden Philosophen ausser G e l h q gesetzt wurde, bleibt sie also n u i doch für ihn beccehen, aber nicht mehr in ihrer ursprünglichen Geltung, sondern 3 h s s a l s i-agitatum qua cogitatum, d.h. als blosses „ P h ä ~ o m e n " Damit . ist die reine Subjektivität in ihrem vollen Um.#:
H U S S E R L S V E R H Ä L T N T S Z1J R A N T
S Y S T E M A T I S C H E DAXSTELT.UI.IG
I97
fang erfasst. Sie darf nicht mit dem Menschen verwechselt werden, der ein blosses transzendentes cogitatum dieser Subjektivität ist. Verfolgen wir nun in einem Überflug diesen Cartesianischen Weg durch Husserls philosophisches Werk hindurch. Ansätze zu diesem Weg finden sich schon iin zweiten Band der Logischen Unders2~chungen, nämlich im 5 7 der Einleitung, der den Titel trägt: Das Prinzip der Voraussetzungslosigkeitder erkenntnistlzeoretischen Untersuckungen. In ihm verlangt Husserl, dass die Erkenntnistheorie „alle Annahmen, die nicht pliänomenologisch voll und ganz realisiert werden können" ausschliessen,l auf die ,,adäquat erfüllende Anschauung" zurückgehen,2 d.h. sich „rein auf dem Grunde gegebener Denk- und Erkenntniserlebnisse vollziehen'' Wir treffen hier also schon die den Cartesianischen Weg kennzeichnenden Forderuiigen dcs A n f a n g s bei einer absoluten Evidenz und des Ausschlusses all dcssen, was nicht aEisolut evident ist. Als „phänomenologisch voll und ganz realisierbare Sphäre" wird aber in dcn Logischen Unlerswchungennur das ErIcbnis mit seinem r e e l l e n Gelialt, nicht aber auch sein i n t e n t i o n a l C r Gehalt, nämlich das cogitatum, in Anspruch genommen. Die Subjektivität ist also noch nicht in vollem Sinne erreicht. Auch wird sie noch als psychologische. angesprochen, denn die Phänomenologie wird aufgefasst als ,,deskriptive Psychologie". F Der Gedanke des Einschlusses des cogitatwn in den absoluten Bereich der Phänomenologie oder Erkenntriistheorie taucht schon In jenem sich auf Descartes berufenden Text vom Jahre 1904 auf.4 Damit ist im Prinzip der Cartesianischc Weg der phänomenologischen Reduktion schon abgesteckt. Systematisch wird cr aber erst in den Fünf Vorlesungen (Die Idee der Phänomenologie) vom Sorri~riersemester1907 begangen. E r setzt ein mit der zweiten Vorlesung, in der zu Beginn die Forderung erhoben wird, dass die Erkenntnistheorie einen absoluten Anfang besitzen müsse, der ,,schlechthin nichts von der Unklar-
2
Log. Unters. 11, a.a.0. S. 21.
3
a.a.0. S.
4 S.O.
S.
20.
181.
I.
Aufl., S. 19.
I+
H U S S E R L S VEKHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
heit und Zweifelhaftigkeit enthalten darf, die Erkenntnissen sonst d e r Charakter des Rätselhaften, Probblematischen verleihm.. .." 1 Nach Cer Aufstellung dieser Forderung knüpft Ilusserl an die C,artesianische Zweifelsbetrachtung an 8 und stellt die cogitationes als m t e absolute Gegebenheiten fest. Diecogitatio als „rätsellose",3 ,:absolut klare und zweifellose Erkenntnis1',4 als ,,Absolutes", 5 als ,:lefztes MES, was Sein und Gegeliensein besagen kann", 6 vermag a k o d e l absoluten Anfangspunkt der Erkenntnistheorie zu bilcen. Die co,@tatio oder das Erlebnis als das dem Bewusstsein r e e l l Immanente scheint vorerst - wie Husserl bemerkt - die einzige absolute Gegebenheit oder, was dasselbe ist, die einzige r e i n e Immanenz darzustellen, so dass die phänomenologische Re~3uk:ion (als der Ausschluss all dessen, was nicht absolut gegeben k t ) als i\usschluss alles r e e l l Transzendenten erscheint. Damit wäre der Standpunkt der Logischen Untersuchngen eingenomen.7 Die weiteren Vorlesungen zeigen dann aber, nachdem sie auch betont haben, dass die absolute cogitatio nicht als psychologische cogitatio (die als Bstandteil des transzendenten Menschen nicht absolut gegeben kt) ~ e r s t a n d c nwerden darf,* wie auch reell Transzendentes in den &reich der absolutcn Gegebenheit oder r e i n e n Immanenz gehört; nämlich die in der Ideation zu erschauenden allgemeirien W e Sen der cogitationes 9 u n 3 der intentionale Gegenstand als s:)lcher (das cogitatum qua .I0 ,,Folglich gewinnt der Tkgriff der p h ä n Omen ocogitat~m) l o g i s c h e n R e d u k t i o n eine näliere, tiefere Bestiminilng und einen klareren Sinn: nicht Ausscl~ussdes reell Transzendenten ( e h a gar Irri psychologisch-empkischen Sinn), sondern Ausschluss des Transzendenten überhaupt als einer hinzunehmenden Existenz, d.h. alles dessen, was nicht evidente Gegebenheit ist im echten Sinn, absolute Gegebenheit des reinen Schauens." l1 Heben wir z.bcchliessend hervor, dass die Fiinf Vor1esunge.n nicht Fiofif Votlesonzen, S. 29. Q.a.0. C. 30. * a.a.13. C. 34. 4 a.a.'3. S. 33. 5 a.i.0. S. 31. 6 ebenda. i a.a.0. C. 35 ff.; vgl. Gedankengang.. ., C. 5 . a.a.0. C. 4: ff. F a.a.0. C. 49. '1 a.a.0. C. 67, 72; vgl. Gedmtkengang. . ., S. XI. 11 a.a.0. (Gedankengang.. .), C. 9. 1
199
über die e i g e n e Subjektivität hinausführen, also in eincni gewissen „So1ipsismus" verharren. Damit hätten wir in grossen Linien den Cartesiailischen Weg der Fülzf Vorleszmgen gezeichnet. Bemerken wir zum voraui, dass nicht ausschliesslicli dieser Weg dcn Sinn der pliäriomciiologischen Reduktion in jenen Vorlesungen bestimmt, sondern dass hier auch noch andere Gedankengänge sinnbestimmend wirken doch davon später. Eine wichtige Etappe in der Entwicklung von Husscrls Idee des phänomenologischen Reduktion bilden die Vorlesungen G r u d pobleme der Phänomenologie, die Husserl im Wintersemester I ~ I O / I I gehalten hat.1 In ihnen dehnt Husserl zum ersten Mal dir pliänomcnologjsche Rcdiiktion :iuf die, In t c ssu b j c k t i v i t ä t aus. Der Cartesianische Weg spielt aber in diesen Vorlesungen keine Rolle! Demgegenüber ist Die phänomelzologische Fzr,nda?tzentalbetraclztung der Ideen I , die die transzendental-phäno~~ier~ologische Reduktion entwickelt, wiederum stark durch Motive des Cartesianischen Weges geprägt. Zwar setzt diese Fundamenlalbetrachtung nicht mit der Forderung eirics absolutcn Anfangs ein; ihre Struktur ist aber dennoch dadurcli typisch ,,cartesiariisch", das.; sie damit b e g i n n t , den Weltglatibcn „ausscr Aktion zu setzcn", ,,auszus~liaIteri"oder „ci~izuklanirnerri",2 so dass si& die Frag(, erhebt, was als geltendes Scin noch iib r i g b l e i b t .Wiese Fragc nach dem ,,phänomenologischen Residuu~ri"blcibt der leitende Gesichtspunkt d r folgenden Untersuchungen, dic selbst aber den Weltglauben nicht einklammern, sondcrn in bloss psychologischer Reflexion auf das Bewusstsein zu zeigen versuchen: erstens, dass dieses als „eine offen-endlose und doch für sich abgeschlossene Seinssphäre zu erfassen ist", 4 und zweitens, „dass eben d i e s Seinssphäre durch die oben beschriebene phänoi~ieno1ogii;c~~e Ausschaltung nicht betroffen ist". 5 Das erste dieser beiden Ziele, nämlich der ilufweis der Geh.~ C. 225 . ff. Ideen I , C. 65. a.a.0. C. 70. 4 a.a.0. C. 72. 5 ebenda.
s c h l o s s e n h e i t desBewusstseinsbzw. dessen U n t e r s c h i e d e n hei t von der transzendenten Dinglirhkeit (transzendenien Welt) wird im zweiten Kapitel des Abschnittes (Die phänomenologische Fundam&lbetrachklzg) errciclit : E s wird hier einmal festgcstellt, dass ,,eir.e r-in durch die eigenen singulären Wesen der Erlebnisse selbst bestimmte Einheit auss~c,hliesslichdie Einheit des Erl c b n i s s t r o ~ a " ,1 der den Gegenstand dcr immanenten Erkenntnis bildet, ist, während das t r a n s z e n d e n t e Ding „ausser aller eigenwesentlichen Einheit" 2 mit dem (transzendenten) Erkenntniaakt steht. Damit ist das Bewusstsein (der Erlebnisstrom) als geschlossene Einheit ermittelt. Die Verschiedenheit wird dann durch folgende eng zusammenhängende Gegenüberstellungen bestimmt: I. inmanente Wahrnehmbarkeit des Erlebnisses - Unmöglichkeit der immanenten Wahrnehmbarkeit des realen Dinges jwokei .,Tmmaneriz" hier reelles Beschlossensein meint) ;3 2 . bloss pkänomcnalcs Gegebensein (d.h. Gegcbcnscin durch einseitige ,,Erscheinungsweisen" oder ,,Abschattungen") des realen Dinges (des Transzeridenten) - absolutes Gegebensein des Erlebnisses (des Iinmanenten) ; und - Husserl setzt gleich - bloss phänomenales Sein des Transzendenten - absolutes Sein des Immancnteri :"daraus ergibt sich: 3. Zweifellosigkeit des immanenten Erlehnises - Zweife1haftigkc:it dr:s transzendenten Dinges.5 Nachdem das zweite Kapitel dic Unterschiedenlieit des Bewisstseins und der Realität herausgearbeitet hat, legt das drit.te I
R e s i d u u m ' übrig bleibt."l Dabei betont er, dacs dieses „Residuum" die weltliche Transzendenz als intentionales Icorrelat in sich birgt .z 8
t
In reinster Form wird der Cartesianiscl-teWeg in der Vorlesung Erste PlUiloso$Izie vom U'intersemester 1gz3/z4 begangen: Husserl sucht unter dem Leitprinzip der apodiktisclicn odcr adäquaten Evidenz nach dem absoluten Anfang („archimedischeri Punkt" 4, der Philosophie.5 Die Kritik der Welterfahrung bringt deren prinzipiellinadäquaten Charakter ans Licht,G so dass sich die Forderung ergibt, die Welt in den ,,univcrsaleii Unisturz" der pliänomenologischen Reduktion einzubezielzen.7 Es stellt sich nun die typisch ,,cartesianische" Frage, was unbetroffen und vielleicht als apodiktisch seiend übrig bIiebe, wenn das Weltall nicht wäre,g worauf HusserI zeigt, dass in dcn Übcrl(gungrn übcr d:is mögliche Niclitsein der Wclt das Ich als Llicltcrfahrcndcs mit scinciii erfahrenden Leben v o r a u s g e s e t z t wurde.Wa~niterweist sich für HusserI das Ich mit seinem Lebcn als „für sich selbst setzbare Seinssphäre . . . , auch wenn das Weltall nicht ist oder jede Stellungnahme zu seiner Existenz inhibiert bleibt." 10 Dann betont Husserl die Verschiedenheit diescs transzendeiitaleil Ich vom weltlich-leiblichen Menscheriic1i.i-1 Bedeutsam ist, dass Husserl hier ini Gegensatz zu den Fimf Vwlesmgert und zu den Ideen I für dieses transzendentale Ich noch keine al>soliite, d.11. adäqiiate urid apo(liktis&! Evidcrir, beansprucht, sondcrn die Forderung aufstcllt. dicscs Tcli dcr apudiktischen Kritik zu unterzieheri.12 Mit dem transzendentalen Ich ist also der archimedisclic Anfangspunkt dcr Philosophie noch nicht eo +so erreicht. Husserl will irrt folgenden einen Anfang ebenda. a.a.0. S. I 19. Apodiktische und adäquate Evidenz werde11 vor1 Hiwerl in Iirste Ph. als a q u i valent betrachtet (s. Erste Pk. 11, C. 35j. 4 Ersle I'h. 11, C. hg. s. a.a.0. 32. Vorlcsuria. d a . a.a.0. 33. und 34. Vorlesung. 7 a.a.0. S. 68. 8 a.a.0. C. 69. 9 a.a.0. C. 70-73. a.a.0. S. 76. 1' a.a.0. S. 7r ff. a.a.0. C. 80. L
2
'
IIUSSERLS VERHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
202
einer solchen apodiktischeri Kritik, ü e zu einer apodiktischen Reduktion führen soll, leistcn.1 Tatsächlich aber wird nun diese Kritik nie durchgeführt,sondern ad :almdas Graecas verschoben.2 Die folgenden Ausführungen sind nämlich einer Analyse (Phänomenologie:~der phänomenologisch er^ Reduktion gewidmet, wobei zugleich e i l neuer Weg der phänonenologischen Reduktion angebahnt wird, der vom Cartesianixhen völlig unabhängig ist :3 der Weg über die Psychologie.
Reduktion ausschIiesslich den Charakter eines V e r l u s t e s hat und das Bewusstsein als ein Ü b r i g b l c i b e n d e s (als ein ,,Residuum") erscheinen lässt. Mag Husserl auch jeweils am Ende des Cartesianischen Weges betonen, dass die Welt gar nicht verloreit ging, da sie als intentionales Korrelat des cogito im Forschungsfeld des Phänomenologen liege,l so ist diese Behauptung vorn C a r t e s i a n i s c h e n Weg h e r g e s e h e n doch nicht gerechtfertigt. Denn bleibt die Welt auch als .,Phänomeri" erhalten, so eben doch bloss als „Phänomenw, d.h. - einen andern Sinn kann diesem Ausdruck auf dem Cartesianischen Weg gar nicht gegeben werden - nur als „subjektive Darstellung" oder als ,,subjektiver Repräsentant". Nachdem auf dem Cartesianischen Weg der Glaube an das Sein der Welt inhibiert wurde, wartet der Husserl Folgende nun ständig darauf, dass er zu diesem GIauben nach einer gebührenden Begriindung w i e d e r z u r ü c k k e h r e n dürfe. Wenn Husserl in1 Laufe seiner philosophischen Untersuchungen nun gar keine Vcrsuchc rnaclit, eriiciit zu diesem Weltglauben zu gelangen, und solclic Vcrsuclic als Missverständnisse abtut,z d e r wenn er, wie iri den Cartesianischen Meditationen, gleich nach der Gewinnung des Ich als ,,Kesiduuni" erklärt, rklss die Wclt cbrii gar nidits :iiitl~wsiils ,,l'l~iiitoiiic~ii" dieses I ~ l i s e i , ~ fühlt s o sich der Leser, uiicl zwar iilit vollcrn Recht, 1Veges betrogen. Denn auf Grund der Motivc c1c.i; Cartcsianiscli~:~~ konnte es sich ja bei der Ausschaltung des Wcltglaubcns nur tim ein nietIiudisckcs Zrxrüclii.rctcii oilcbr Aiifp>l)ciili;~iiilsIn,tlxs notwendigerweise dcn Charakter cities Provi.soriurns liabcn muss, also notwendig vom Gedanken geleitet ist, dass nur darum vom Sein der Welt abgesehen werden müsse, um später auf Grund der apodiktischen Überlegungen zu versiichen, es neu z U r u c k zugewinnen. Husserl spricht ja bei der „cartesianischen" Au+ schaltung der Welterfahrung und Weltwrssenschaft selbst vom einer „Wieder-in-Geltung-Setmng"; 4 in den weiteren Ausführungen denkt P r aber nicht mehr daran. Mit Recht ist daher gegen ihn der Einwand erhoben worden, dass er ja gar nicht mehr aus der Epoche heraus- und zum Sein dcr Welt zurückkomme
Eine ähriliche Situation wie in den Vorlesungen Erste Philoso+hie finden wir in den Cartesianischen Meditationen.: Auch hier steht a a Anfang die Forderung des Beginns der Philosophie bei einer apo&ktischen Evidenz,4 worauf die Weltevidenz als nicht apodiktisch erwiesen und in den ,,C-irtesianischen Umsturz" einbezogen wird! Für das verbleibende transzendentale Ich, das die Welt als „Phänomen" in sich birgt, wird eine apodiktische Kritik geforder:,G diese aber dann als „Probkm höherer Stufe" wiedertrix versclioben und nicht mehr aujgcführt.7 Auch in den CarEesi'anischer, Meditationen erreicht als? der Cartesianische Weg sein Ziel, r ämlich den absoluten k-ikngspunkt der Philosophie l~lcllt.
In seinem Ictzten Werk, in der IrYisis, distanziert sich Elusserl ~ ~ s d r ü c k l i cvom li C;uAcsiaiiischen Wcg und weist auf dessen Mängel hin.8 Ta.tsächlich ist dieser Weg I-Iusserlspätestens schon i i i den Z M ~ I Z ~ Jalirci~ ~ C I -als fragwiirdig crschicncn. Gchcii wir iin folgenden auf die Aspekte dieses Weges ein, die in den Augen Husserls seine Fragwürdigkeit ausmache~imussten. Ein erster a,usserordentlich scliwerwiegender Mangel des Cartesianischeri Weges liegt darin, dass auf ihm die transzendentale 1 s.
ebenda.
s. a.a.Cq. C. 126, 171 ff. 3 a.a.C. S. 1 2 7 ; vgl. die kritischen Bemerkungen Husserls zu dieser Stelle H a VISI, Beil. SI, C. 312 ( a d 81 ff.). 4 S. Cavt. M%!., 5 6 ; apodiktische und adäqtate Evidenz werden hier nicht mehr iquivalent g e t z t (s. a.a.0. S. 55). 5 a.a.C. 5 7. fi a.a.<:. 5 8. 7 a.a.C.. 5 9. 8 Kirisls, C. 157158; wohl zum letztenmal ha: Hnsserl den Cartesianischen Weg in seinem Vortrag Phänomenologie und Anthropohgi~(Berlin, 10. Juni 1931) begangen ( 5 . Ms. trarxr. M I1 111). Vgl. o. S. 43/44.
203
4 f
s. z B. Ideen I , C. 119. %. 2.B. Erste Ph. 11, S. 174; Ha V I I I , Bed. X S S ,S. 479 f f . (etwa 1924). Carl. Med., C. 60. E T S Ph. ~ 11, C . 68.
z04
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Dieser Einwand beruht letztlich aber doch auf einem Missverständnis: Er betrachtet nämlich den Sinn der phänomenologischen Reduktion Husserls grundsätzli-h bestimmt durch die Xotive drs Cartesianischen Weges. Dies ist aber, wie wir weiter unten noch sehen werden,l keineswegs der Fall: Der e i g e n t l i C h e Sinn von Husserls transzendental-phänomenologischer Reduktian enthält nichts von einem Verlust oder von einem Z u r üC k treten h i n t e r den Weltglauben, so dass dessen Wieder-inGeltung-Setzung als ein vorgesetztes, toch zu erstrebendes Ziel des Philosophierens erscheinen muss; dieser zigentliche Sinn der phänomenologischen Reduktion wird aber durch den Cartesianischen Weg nicht erreicht. Auch das Korrelat dieses Verlustes des wirklichen Seins d e ~ Wett auf dem Cartesianischen Weg, nämlich der Charakter des Bewusstseins als eines ,,Übriggeblieber.en" oder „ResiduumsJ' ist ausserordentlich irreführend : Denn was kann anderes ü b r i g bleiben als ein Teil oder eine Komponente oder eine Schicht, und was kann das Bewusstsein als Teil oder Komponente odcr Schicht Cer GesamtwirklichkeiC aridcrx sein als das psychische Bewusstsein, als C V ~ S psycl~ische „Endchen der Welt"? Wir brauchen nicht auszuführen, wie oft Husserls transzc:ndentales Bewusstccin iin psychologischen Sinric interpetiert und in dieser Tnterpretatiori auch schärfstem kritisiert wxde. Htisxri ist sich selbst der Fragwiirdigkeit der Rede von der , , A u s r c l i a l t u n g der Welt'' urid von1 „'Ucwusstsein als R e s i dirum", wie sie sich auf dcm Cartesianischeri Weg ergibt, bewusst gewesen. In einein Text, der vxlil a-1s dem Jahre I924 stammt, weist er darauf hin, dass diese Rzde leicht zur Auffassuilg führt, dass die Wclt sclbst in i h r e m w a h r r n C e i n nicht zum Bereich der transzendentalen Phänonr~enologiegehöre und dass das ego cogilo nur die aus der Welt herausabshahierte Schicht des Psychischen sei.2 Dasselbe sagt der 43 der Krisis, der sich ausdriickIich vom Cartesianischen Weg distanziert: Dieser Weg führe zwar wie im Sprung zum transzendentalen Ego, lasse aber denjenigen, der diesen Weg begehe, zunächst in Ratlosigkeit, was mit 3iesem transzendentalen Ego gewonnen sei. „Daher erIicgt mau auch, wie die Aufnahme meiner Ideen gezeigt hat, 1 S.U.
2 S.
C. 235 fi.
Ha VIII, Beil. XX, C. 432133 (wohl1924).
allzuleicht, und @eich bei den ersten Anfangen, den ohnehin sehr versucherischen Rückfällen in die naiv-natürliche Einstellung." 1 Ein zweiter fundamentaler Mangel des Cartesianischen Weges liegt darin, dass auf ihm die v o l l e Subjektivität -sei es die psychologische oder die transzendentale - nicht erreicht werden kann. Einmal gelangt der Cartesianische Weg nicht zur I n t e r s u b j e k t i v i t ä t (die nach Husserl allein die volle Subjektivität ausmacht) : Andere Subjekte oder Mitsubjekte sind nach Husscrl nur gegeben durch „Indikationw oder „Appräsentationn durch die r e a l e n D i n g e , die ich als Leiber erfalii-c.2 Wircl nun auf dein Cartesianischen Weg die Welt - urid damit ~iatürlicliauch dic Dinge, die ich als Leiber erfahre - ausser Geltung gesetzt, oder würde gar, wie Husserl auf dem Cartesianischen Weg auch argumentiert, die Welt „vernichtetu, so bleibt ini „Residiium" natürlich nichts von einer fremdcn Subjektivität. Dcnn der fremde Leib kann mir nur dann eine g e l t e n d e Subjektivität indizieren oder appräsentieren, wenn er selbst ein mir ge 1t e n d e r Leib ist. Denke ich die Leiber gar vernichtet, dar111 ist es die fremde Subjektivität auch. Auf dcm Cartesianisclic~~ \Veg wird die fremde Subjektivität nur als „blasses Phinome~i" erreicht. Mit Reclit wurde Hiisserl in manchen Kritiken vorgeworfen, dass er dem E i g e n s e i n der fremden Subjriktivit5t i ~ seimii phäilomenologiscIieii Philosophie: nicht ICccliii~11gzu tragwtsi vcriiiogc. Diese Kritik hat aber - so müsseil wir wiederiiiri voraus~ichrrierid sagen - n u r vom Gesichtsputlkt des Cartcsianisclie~iWeges ihr Recht, der den eigentlichen Sinn von Husserls transzendentalphäriornenologischer Reduktion nicht erreiclit. In seiner Vorlesimg Erste P?ziloso$hie (rgq/zq) weist Husscrl selbst auf diesen Mange1 hin: Als Vorteil &:s nciicn, nicht-Cartcsianischen Weges zur transzendentalcn Subjcktivität, den Husserl in dieser Vorlesung exponiert, wird ausdrücklicli hervorgelioben, dass er die transzendentale intersubjektivität gewinne, was beim vorher durchgeführten Cartesianischen Weg nicht der Fall gewesen sei.3 In denselben Vorlesungen bemerkt Husserl, dass er 1
Krisis, C. 158.
2 5. E
n t ~Ph. 11, 53. U. 54. Vorlesung; C d . M e d . , 1.. PA. 11. S. 129; vgl. H a VIII, Beil. 11, C. 312113, ad
5. Erste
81
ff (1924 od. 1925).
HUSSERLS VERNALTNIC ZIj K A N T
SYSTEMATISCHE: D A R S T E L L U N G
jahrelang keine Möglichkeit sah, die phänomenologische Keduktion zu einer intersubjektiven zu gestalten1 Welche Geschehnisse in seiner Entwicklung Husserl hier andeutet, zeigt ein Text aus dern Umkreis der genannten Vorlesungen: Husserl spricht hier von einem ,,nicht ganz leicht durchsichtig zu machenden Irrtum" seiner Einführung der phänomenolcgischen Reduktion im Jahre 1907 und bemerkt: ,,Aufgehoben wird er :dirser Irrtum> durch die ,Erweiterung' der phänomenologischen Reduktion auf die monadische Intersubjektivität in den Vorlesungen Herbst 1910.~2 Der Irrtum, den Husserl hier im A q e hat, betrifft (neben einem andern Noment, auf das wir noch z-J sprechen kommen werden) die Einschränkung der Subjektivitat auf das Reine meiner (vorerst psychologisch aufgefassten) S~bjektivität,wie sie auf dem Cartesianischen Weg der Fiinf Vorlesungen von 1907 durchgeführt wurde. Die Vorlesungen vom Herbst 1910 (die oben erwähnten Vorlesungen Grundprobleme der PR2wmenologie 3), die diese Einschränkung aufheben, sehen bezeichnenderweise vom Cartesianischen Weg ab.4 Wenn der Cartesianische Weg nicht zur Tntersubjektivitat fiilirt, fiihrt er dann wenigstens zur v o l l e n e i g e n e n Subjcktivität, die nicht nur eine Subjektivitiit dcr G e g c n w a r t ist, sondcrn auch eine V e r g a n g e n h e i t und Z u k u n f t besitzt? Diese Frage muss verneint werden. Wir möchten in diesem Zusarrirrie~iharigan Rants scharfsinnige ,,Widerlegung dcs ldcalisniiis" criiilii.rii.W~nirtsctzt sich hier mit dem problernatischeri Idealismus Tkscartes' eusei~lander,der nur den Gegenstand der i n n e r n Erfahrung für tnmittelbar gegeben und völlig gcwiss, dcn Gegeilstaild dcr ä u ss e r 11 Erf alirung als nur mittelbar erschlossen und für problematisch k d t . Kant zeigt, dass die iimcrc Erfahrung als Bestimmung meines Daseins in der Zeit nur ~nöglicliist auf Grund einer Bczicliurig auf etwas Ueharrliches (in der Zeit), das mit meiner Existenz verbunden nur a u s s e r mir, also nur Gegenstand der äussfren Erfahriing sein kann, die sich damit als mindestens ebenso unmittelbar erweist wie die innere Erfahrung. M.a.W., Kant zeigt, dass die s u b 1
2
Erste Ph.11, C. 174 Anrn. s, H a VIII, Beil. X X , S. 433 (wohl1924).
5
h'reiik der veinen V e r n u ~ f tB , X X X I X ff. Anrii.
j ek t i v e Zeitbestimmung nur möglich ist auf Grund der o b j e k t i v e n . Nur das Bewusstsein meiner eigenen Bxisteriz (des „ich bin"), das alles Denkcn begleitet, setzt nach Kant keine äussere Erfahrung voraus. Dieses Bewusstsein ist aber nach ihm keine Anschauung, folglich keine Erkenntnis, also völlig leer. Auf Grund dieser Überlegungen Kants können wir sagen: Wenn der Cartesianische Weg darauf beruht, dass er die Welt und damit auch die objektive Zeit ,,ausser Geltung setzt" oder gar als „vernichtet" denkt, dann kann dieser Weg nicht zur Subjektivität als Bewusstseinsstrom, der eine zeitlich bestimmbare Vergangenheit und Zukunft besitzt, gelangen. Gelangt nun aber Husserl auf den Cartesianischen Wegen der Fünf Vorleszmgenund der Ideen I nicht doch zum Bewusstseinsstrom in seiner vollen Zeitlichkeit? Ohne Zweifel prätendiert Husserl in diesen Texten dahin zu kommen. Aber in kritischen Bemerkungen aus den Zwanziger Jahren führt Husserl aus, dass er jain jenen Schriften gar nicht zeige, wie er zum Erlebnisstrori~ kornme,l sondern ihn naiv voraussetze.^ Gehen wir nun im folgenden auf einen Text ein, in dem IIusserl genau z e i g t , wie es möglich ist, dcn trniiszcndentalen T,ebensstroin in seinem vollen Zeitmrifang zii erreiclicn, um dadurch unsere These zu erhärten, dass clcr Carlesianischc: dazu untauglich ist. Über die Weise, wie jenes Ziel erreicht wcrdeii kann, spricht Husserl ausfiihrlicli in wincr Voi-lcsriiigEvsfc Philoso$dzie (1923!24), d i ;~11sscro~i~nt ~ 1ich1, tid"! !i~l;l\ysc,ll ( 1 phiiiio~ menologisclien Reduktion eiltliält. E r zeigt hier, &tss das vergangene und zukünftige L e h n der Cubjcktivität nur durch cine Doppelreduktion zu erfassen ist: Durch eine erste radikale Rcflexion und transzendent& Reduktion gewinne ich - m d gcwinne ich n u r - mein a l i t u c l I c s Acwt~sstsririslcI>riitl<.rGclgenwart. Dieses aktuelle L3cwusstsrinslcbcii besitzt als scinc.ii I-Iorizont die Welt in ihrer V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t . Das transzendentale Ich besitzt also in seiner Gegenyart horizontmässig das Universum aller Gegenständlichkeiten, die für es galten, und in gewisser Weise sogar diejenigen, die noch s. Ha 111, Textkritischer Anhang, C. 468, Anrn. zu S.7 9 , ~ . Beil. XIII, C. 399 ff. (1929) und a.a.0. Textkritischer Anhang, S. 467, Anm. zu S. 75, 33; V& auch Ha VIII, Beil. XX, S. 4 3 1 (wolii 1924) u n d iinscrc Vntersuchuiigen U. S. 2 1 0 ff. a.a.0.
s. 199. S . U . s. 2 2 5 ff.
3 S.O.
11.
274-279.
207
zukünftig für CS gelten wcrden, und hat die Möglichkeit, in Erinnerung und Vorenvartung sieh diese Welt näher zu bringen. 'Dieser welthorizont ist nun nach Husserl die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass ich ein transzendental Reines der Vergangenheit und Zukunft erreichen kann. Ich darf also diesen Horizont, so erklärt Husserl ausdrücklich, „ n i C h t s c h l e c h t h i n a u s s e r G e l t u n g s e t z e n H . l Denn das transzendental Reine, z.B. dasjenige der Vergangenheit, gewinne ich nur so, dass ich mich vorerst i n meinen Vergmgenheitshorizont als Menschenick., das i n seiner nun vergangenen Umwelt und intentional auf sie gelebt hat, erfasse. Ich erinnere mich z.B. an den gestrigen Spaziergang, wie ich eine gewisse Gegend durchstreifte und diese und jene Dinge sah. Mein aktuelles Erinnern habe ich schon durch die erste Reduktion als t r a n s z e n d e n t a l e s gefasst. Den Gehalt dieses Erinnerns aber, nämlich mein gestriges Wahrnehmm jener durchstreiften Gegend, habe ich vorerst noch nicht als tranczendentales, sondern nur als das Wahrnehmen des M enschrnich, das in der Welt von gestern herumstreifte. Will ich dieses Wahrnehmen als transzendentales erfassen, muss ich eine z w e i t e lieduktion üben, die i n den reproduktiven G e h a l t meiner Erinnerung hineingreift. „Gehe ich, so tuend, die Kette meiner !Viedererirmerungen entlang, lasse ich mich von einer auftauchenden Erinnerung gleichsam kontinixierlich leiten zur aktuellen Gegenwart hin und iibe ich an der kontinuierlich zur Weckung kommenden Erinnerungsreihc transzendentale Reduktion, so erschaue ich damit meine kontinuierliche transzendentale gilt auch für dic Verg;tngr:nlicit bis zum Jctzt . . . " "naloges Gewinnung der Zukunft des tran~zendentalcnT#ebensctromes. Das E~itscheidendefür uns ist dies, dass in dieser Gewinnung meines transzendentalen Leberis der Vergangenheit und Zukunft die veygangene und zukünftige W d t in ihrer o b j e k t i v e n Lei t l i c h k e i t den n o t w e n d i g e n ,,Leitfadenf'3 darstellt: Gäbe es für mich jetzt keine vergangene md zukünftige Welt, in der ich als Mensch lebte bzw. leben werde, dann gäbe es für mich auch kein vergmgrnes und zukünftiges trarszendentales Leben. Um mein vergangenes und zukünftiges transzendentales Leben als gelten1
lrtsfe I h. 11, C. 159; wir a.c.0. S . 85/66.
3
a.c.0. S . 158.
des zu gewinnen, muss auch die vergangcne und zukünfige Welt noch fiir mich Geltung haben. Die objektive Zeitbestiminung ist also Bedingung der Möglichkeit der subjektiven Zeitbestimmung, oder die „äussere" Erfahrung ist Bedingung der Möglichkeit dei„iiinerenWErfahrung, die bloss Reflexion der äusseren Erfahrung .ist.l Von diesen Überlegungen her wird das Ungenügen des Cartesianischen Weges, der der Welt die Seinsgeltung nimmt, klar ersichtlich. Besonders fragwürdig wird die auf ihm vorgebrachte Argumentation der „Weltvernichtung". Husserl schreibt in den Idee.12I: Durch eine Vernichtung der Dingwelt würde das Sein des Bewusstseins, jedes Erlebnisstromes überhaupt, „ zW a r n o t wendig modifiziert, aber in seiner eigenen Existenz n i c h t b e r ü h r t . . . Also modifiziert allerdings. Denn Vernichtung der WeIt besagt korrelativ nichts anderes, als dass in jedem Erlebnisstrom (dem voll, also beiderseitig endlos genonimenen Gesamtstrom der Erlebnisse eines Ich) gewisse geordnete Erfahrungsmsammenhänge . . aiisgeschloscen wären. Darin liegt aber nicht, dass andere Erlebnisse und Erlcbiliszusammenliänge ausgeschlossen wären." 2 Auf Grund jener 'Ifbe~legun~en von 1923/24ist dieser Gedünke der I d e e n 1 n u r sehr bedingt richtig: Die Existenz des Uewusstseins wird durch die ~Vcltvcriiic:litutig r der zwarniclit ausgelüscht ; diese bleibende Existcnz hat a b ~nach Weltvernichtung keine Dauer, d.h. keine Vcrgangenlieit und Zukunft mehr, sonder~isie schmilzt aiif die C.~c:gc~iw;irt,ziisarrinicil; ja noch mehr, da diese Gegenwart. als snlclic durch Rctcntion und 'Protention sdion iinnier Vcrgangcn1it:i t iii-itlZiiliunft in sich trägt, würde selbst diese Gegenwart auf ein Pu~ilituc:llcsund dairiit U11zcithches reduziert. Ob sich Husserl dieses Ungeniigens des Cartesianischen Il'cges jernalsvoIl bewusst geworden ist, ist-nicht klar ersichtlich ; manchc Anzeichen sprechen dafür. Vor allem muss hier berücksichtigt werden, dass Himerlgarnie die pl~änon~ei~ologiscl~e Reduktion rein durch den Cartesianischen Weg bestimmt dachte, sondern schon immer andere nicht-Cartesianiscl-ie Elen~entein ihren Sinn miteinbezog, so dass ihm die Fragwürdigkeit jenes \%legesvielleicht nie in voller Deutlichkeit aufgehen konnte.
unterstreichen. 1
Zum oben Ausgefuhrten vgl. a.a.0. S. 84 ff., 132 ff., 157 ff. Ideen I , C. 115.
212
SYSTEMATISCIIE i)"iRSTELLIJNG
senschiftliche Erkenntnis, warc absolut befriedigt, wenn und so weit siz absolute Endgiiltigkeit in der Apodiktizität unter gleichzeitiger A d ä q u a t i o n a n e i n e n a p o d i k t i s c h e n G e h a l t e r zi c 1t e. Abcr kc~irie'T;~tsaclic~iic~rltc~1111t11i~ - Itciric in uncla n r ,und keine p h ä n o m e n o l o g i s c h - s u b j e k t i v e - i s t v o n d i e s e r Ä r t . Kein zeitliches Sein ist in Apodiktizität erkennbar: nicht nur für uns, sondern weil es selbst apodiktisch erkennbar ist, dass dgl. unmöglich ist." 1 E s ist also letztlich die Z e i t l i c h k e i t , die die apodiktische Erkenntnis meiner Subjektivität ihrem Gehalte nach verunmöglicht.2 Die drei angeführten Mängel des Cartesianischen Weges können in den Satz zusammengefasst werden, dass auf diesem Weg die Entwicklung oder Erzeugung der Phänomen- oder Immanenzbegriffe nicht bis zu dem von der phänomenologischen Philosophie erstiegenen Niveau emporreicht. Es sind bei Husserl mindesten; sechs Immancnzbegriffe (und parallel dazu ebensoviele Pkänurneribegriffe) zii unterscheiden : I. R e a l e I m m a n e n z als natüriich-objektiver Begriff, der dic Iminanciiz iin Bcwusstsein des Menschen und irn realen psyC h i s c h e n Phänomen bedeutet.3 2 . Immaneriz im Sinne der a.bsoIuten Gegebenheit." 3. Immanenz als reelles Enthaltensein im Erlebnis. Fiir diesc Irnmancnz kommcn nur die Noesen und die hyletischen Daten in Frage.: 4. Iniinarictiz als rcelles R(:sc:lilossciicciri i r r 1 w e i t e r e n S i n n . Dies ist der Fall bei der Wahrnehmung einer Wahrnehmurig.Wieses recllc Besclilosse~lseinist deshalb nicht identisch mit jenem ersten, weil in der Wahrnehmung einer Wahrrrelimung die wahrgenommene Wahrnehmung den Charakter eines inHa V I I 1 , Heil. XIII, S. 398 (1925). inwiefern dic Unmöglichkeit eitler apodiktischeii Tatsacheiierkcnntnis meiner reinen Subjektivität die Möglichkeit einer apodiktischen Wcsenscrkc~int~iis dieser Subjektiviiac o f i m lässt, brauchen wir hier iiiclit zu erörtern. Denn der Sinn der phänomenoIogischen Reduktion Husserls kann auf alle Falle nicht darin bestehen, nur auf 5ine apodiktische abstrakte Wesenserkenntnis zurückzugehen. Apodiktische SVesenserkenntnisse sind ja nach Husserl 2.B. auch mathematische (s. Erste Ph. 11, C. 35, ~ c g Diese j verfallen aber der Reduktion, was übrigens durch den Cartesianischen Weg gar nicht motiviert werden kann. Husserl setzt bei seinem Cartesianischen Anfang xie mit einer Wesenserkenntnis ein. 3 s. Fmnf Vorlesungen, S. 7. 4 s. a.s.0. S. 11, 35, 67, 72. 5 s. a.a.0. C. 35. 6 3. I&en I . C . 86. 1
2
tentionalen G e g e n s t a n d e s besitzt. Jeder intentionale Gegenstand hat nun aber gegenüber dem ihn konstituierenden Erlebnis den Charakter der Transzendrnz.1 Dcr ziilctzt eingefiihrte 1111mancnzbcgriff birgt also ciii Moniciii. voii 'fr;uiszcild(~~ii, in sicii. 5. Immanenz in1 Sinn des I3csclilosscnseins in dernsel b c n Erlebnisstrorn, zu dem auch das aktuelle Erlebnis gehört: I n diesem Sinne immancnt ist 2.B. m ei n c, gcstrigc Wahrnehiniing, an die i c h mich jetzt erinnere." 6. Immanenz im Sinn des i n t en t i oii aleii Hcsclilossenseins.3 Dieser Immanenz steht keine weltliche Transzendenz mehr gegenüber, da aIles weltliche Sein nur ist als intentionaler Sinn. In dieser Bedeutung genommen ist alle weltliche Transzendenz inimarient ." Als Transzendenz bleibt hier das Sein dcr fremden Subjekte lind das Sein Gottes übrig.sj6 Der Cartesianische Weg erreicht weder den fünften und sechsten Immanenzbegriff, noch vermag er den zweiten als für die Phänomenologie awreichend zu erweisen. Auch stösst er nicht zur Transzendenz der fremden Subjekte - von der Transzendenz Gottes sei hier abgesehen - vor. ( b ) D e r Weg über die intentionale Psychologic Versuchen wir auch in der Erörterung dieses zwcitcn IVeges zuin vornherein dessen Gmndstmktur zu zcich~ien: I. Dieser Weg setzt ein mit clern Hinweis aiif dip Körperwisseiiscliaftcn, dic sich r c i n fiir das i
Logik, S. 1 4 8 . Ideen I , S. 8 5 . 3s.z.B.a.a.0.S.245;Logik,S.146. 5. 2.B. Ms. transcr. B 1V 6, S. 127128 (1924). s. Ideen I, S. rgglqo; Logik, S . 243. B Insofern die Phänomenologie intersubjektive und theologische wird, ist sie nicht mehr immanente Phänomenologie und in geivissern Sinn überhaupt nicht mehr Phänomenologie. C.
C.
zrq
kein r e i n Seelisches, da die na.türlidie Erfahrung die intentionale
Beziehmg dur Erlebnisse auf die Gegenstände als r e a l e Ueziehungen. d.h. em Leitbild der Beziehungen zwischen Körpern, aufiassr .Ein reines Erlebnis kann ich nur dadurch gewinnen, dass ich meir. Interesse an der Wirklichkeit des intentionalen Gegenstandes &eses Erlebnisses i n h i b i e r e , 3.h. mich ihm gegenüber als u n i n t e r e s s i e r t e r Z u s c h a u e r etabliere und mich des Vchugr seir-e~Geltung enthalte. 3. Indem ich nun aber e i n z el W e i s e an den einzelnen Gegenständen der einzelnen Erlebnisse und Erlebniszusammenhänge (sei es der eigenen oder der fremden) die Geltungsepoche oder die Interesseninhibition übe, gelange ich noch immer nicht zum rein Seelischen. Denn eine Analyse des HGr i z o n t bewusstseins der Erlebnise zeigt, dass jedes Erlebnis die W e l t in der Weise einer intenticnalen h p l i k a t i o n als g e l t e n d ? setzt. Um das rein Seclische zu gewinnen, muss ich also mein Interesse an der W e l t in einer u n i v e: E a l e n Epoche, gewissernassen „in einem Schlage", inhibieren. Durch diese universale Epcchi: komme ich zum allheitlicha Zlismunerihang aller reinen Seelen, die vergemcinschaftet das ilgemeinschaftliche „Phänomen" Welt intentional in sich s$-Liess?n. Diese Intersiibjektivitat erweist sich als transzendentale. Die reine Auswirk~ingder Tdee einer reinen Psychologie f3n-t d s a zur Transzenderital~liilosophie. Den weg über die intentionale Ysyciologie hat Husserl wohl zum erqtenrr:al systematisch in der Vorlesiing Erste Philosophie (x(iz3i2.l:' begangen. E r schliesst ihn in dieser Vorlesung an die Exposition dcs Cartesianischen Wcges an, erklärt ihn aber als tiefer und relcier als diesen 1 und auch als von diesem völlig unabhängg.2 Als Leitgedanke dieses neuen Weges wird das r e i n e I n t e r ez s e an: Subjektiven hingestullt.3 Um das rein Subjektive im Sinre der PSy chologie zu gewinrim, betrachtet Hiisserl in dieser Viirlesung die Einzelreduktionen, d.h. die schrittweise geübte lnteresseninhibition am Sein der intentionalen Gegenstände der e i n u k e n Erlebnisse oder Erlebniszusammenhänge als hinreichend.4 Im weiteren weist er aber auf cas Ungenügen der Einzel1
IIUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
s. Ers& Pk. ;I, S . 165.
2 F.
5. 4 5.
a.a.0. C. 127. a.a,il. S. 138, 127. a.a.Cl. S. 12% 141/42.
ZU KANT
215
reduktionei hin, bei denen immerzu als intentionale Implikationen verborgene Geltungen übrig bleiben,l und fordert zur Überwindung dieses Ungenügens eine universale Interesseninhibition ,,hinsichtlich der gesamten in Horizontferne bewussten Welt, hinsichtlich des Universums aller Realitäten urici IdealitätenW.zDiese universale Interesseninhibitiori - die ,,in einem Schlage" zu vollziehen ist - nennt Husserl „transzendentale Reduktion". 3 In kritischen Bemerkungen und Erörterungen zu dieser Vorlesung, die kaum später als ein Jahr danach geschrieben sein dürften, lehnt Husserl, sich selbst korrigierend, dic Einzelreduktionen als auch für die P s y c h o l o g i e unzureichend ab, und zwar mit dem Hinweis auf die in den Einzelerlebnissen verborgenen Geltungsimplikationen. Auch die Pcychologic bedarf nach dicscn Ausführungen Husserls zum vornherein dcr u n i v e r s a l c n Keduktion.4 Weiter hat Husserl den Weg über die intentionale Psychologie in systematischer Weise auch in der Krisis bcschritten. Die Darstellung dieses Weges hebt hier mit der Idee einer A b s t r a k t i o n an, die die universale Abstraktion, auf der die Natiirwisseilschaften (Körperwissenschaften) beruhen, „ e r g ä n zr n " würde, indem sie das rein Seelische zu f a s e n vercucht.5 Dünn wird auf die Epoch6 eingegangen, die jene ergänzende Abstraktion ermöglicht, wobei zwar die Einzelreduktionen (an den einzelnen intcntionalen Gegenständen der einzelnen Erlebnisse) als notwendiger Anfang hingestellt werden,6 aber andererseits doch sofort auf 9 s Ungenügen dieser Einzelreduktionen hingcwiesen wird: Urn das gescklossene Gniversurn des rein Seelischen zu gewinnen, bedarf der Psychologe einer weltunivcrsalen Epoche, durch die er sich in die „abstraktiver' Einstellung des uninteressierten Zuschauers begiht.7 ?,Die Psychologie, die universale Wissenschaft von den reinen Seelen überhaupt - darin bestellt ilirc Abstraktion - bedarf der Epoch6, und sie muss für aiie Seelen zum voraus deren Weltbewusstsein reduzieren . . .." 8 Nachdem Husserl noch auf das a . a . 0 . S. 144, 153. a.a.0. S. 162. ebenda. s. Ha VIII, Beil. 11, S. 317, ad 127, 9-17; ad 127, 26-29; ad 128, 6-13; ad U. ad 143;vgl. a.a.O. Beil. XXIII (wohl 1925). KP;SIs, 8 66. 6 a.a.0. S. 252. a.a.O. S. zqz/qj. 1 C.
B
a.a.0. S. 2j6.
120
16
Ineinandergreifen der Intentionalitäten der reinen Seelen im Bewusstsein e i n e r Welt für a l l e , die in der Epoche zum allgemeinschaftlichen ,,Phänomen" geworden ist, hingewiesen hat, schreibt er : „Co sehen wir mit Überraschung, wie ich denke, dass sich in der reinen Auswirkung der Idee einer deskriptiven Psychol ~ g i e ,die das Eigenwesentliche der Seclen zu Wort kommen lassen will, notwendig der Umschlag der phänomenologischpsychologischen Epoche und Reduktion in die t r a n s z e n d e n t a l e vnllzieht." 1 Nachdeli wir einen Überblick über diesen Wcg zur transzencentalen Subjektivität gewonnen haben, wollen wir nun auch im Hinblick zuf ihn die Frage stellen, ob er wirklich zum Ziel führt cder ob er nicht auch wie der Cartesianische Weg durch ein fundaraentdes Ungenügen geltennzcichnct ist. Dcr Weg iiber die Psychcloggie ist frei vom zwcitcn und drittcn Mangel des Cartesianischen Weges - was allertlirigs nälierhin noch zu zeigen wäre. Er schliesst aber, so müssen wir feststellen, einen Mangel ein, der Las genaue Analogon zum ersten Mangel des Cartesianischen \lieges bildet: Der Sinn der traiiszendcntalcn Reduktion wird curch jenen zweiten Weg bestiinrrrt als I a t e r e s s e n i n l i i b i t i o n rind als Abs t.rakt i o u . Die grosse Schwierigkeit ist nun die folgende: Wie kann ein a b s t r a h i e r e n d e s Verfah.ren zur k o n k r c t e s t e l i aller Wissenschafteri - clcrin als eine solch(: stcllt Iluss,xd di".tranmeridcntalc Phiäiioriienologic hin - liil;rcti ? Gelieri wir durch Abstraktion und einseitiges Interesse nicht eines Teils Ler totalen Wirklichkeit, d.h. der vollen Konkretion verlustig? M.a.W., vermag der Weg über die Psychologie überhaupt weiter zu füliren als zur P s y c h o l o g i e , d.11. zur Partialwiisenschaft Fom rein 3eelisclieri, und mutet Huiserls These, dass die Welt nichts anderes sei als das „Phänomenv dieser durch Abstraktion gewonnenen Subjektivität, nicht als eine unbegründete spiritualistische Beiauptung an - ähnlich der unbegrüildeteri Behauptung eines Katurwissenschaftlers, der plötzlich seine Abstraktion zur tr>talen Wirklichkeit erklärt und dadurch zum Materialisten wird 7 Wir sind iiberzeugt, dass, w e n n der Sinn der phänomenologisch-n Rerluktion letztlich durch den Weg über die Psychologie bestimmt wird, diese Fragen bejaht werden müssen. Doch 1
B U S S E R L S VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
a.aO. 5.
059.
ZU KANT
217
halten wir danach Ausschau, ob sich Husserl nicht selbst des Mangels dieses Weges bewusst wurde. Nachdem Husserl im Text der Vorlesung Erste p h i l o s o p h i ~die universale Reduktion eingeführt und diese als transzendeiltale bezeichnet hat, notiert er in einer kritischen Randbemerkung, die kaum später als ein Jahr nach der Abhaltiing jener Vorlesung geschrieben sein dürfte: „Nun fehlt die wahre Charakteristik der transzendental-philosophischen Reduktion gegenüber der universaien psychologischen Reduktion." 1 Husserl scheint hier also klar zu selicn, dass die psycliologisclic 1Sl)oclii. ;uirli ; ~ l siiiiivc,i.sale nicht in den transzendentalen 13ercicli zu führcn vcriiiag, dass sich also gerade n i c h t „in reiner Auswirkung der Idee einer deskriptiven Psychologie . . . notwendig der Umschlag von der phänomenologisch-psychologischenEpoche und Reduktion i i i c1ic transzendentale vollaicht". 2 Wic t1ico;c.s Zitat &T I
H a VIII, Beil. 11, C. 319, ad 163 C. 216. Krisis, C. 261,263, 268.
2 S.O.
( 1 9 2 4 od. 1925).
2 I&
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Hintergrund doch noch sinnbestimmend bestehen bleibe und in dieser Geltunz dem Gebiet des Psychologischen den Horizontir-dex „rein Seelisches" verleihe.1 Der t~ a n s z e n d e n t a l e Charakter der Subjektivität kann nach diesen Texten nur gefasst werden dxrch die Erkenntnis ihrer Absolutheit, ihrer Priorität und ihres Ur~pmngscharaktersgegenüber Cer Welt.2 Diese Eigenschaften der Subjektivität werden aber nicht u ~ e eine r vom Sein der Welt abstrahierenden Psychologie erfasst. jc) D e r W e g ü b e r d i e O n t o l o g i e Auch von diesem Weg geben wir im voraus die Grundstniktur wieder : I. Er beginnt bei der positiven Ontologie oder Logik. Damit k a m Verschiedenes gemeint sein: a) die formale Logik und Ontologie (matkesis universalis), die die fornlalen Prinzipien der Wi~senxhaitenenthält (also als allgemeine Wissenschaftslehre fungiert) ; b) die materialen oder regionalen Ontologien, die zusammen eine geschlossene Einheit darstelleri und die besondern RJizipien d e r apriorischen Narmel der einzelnen positiven Wissenschaften bilden (also dic R o h von bcsondcrn Wissenschaftslt:hreri ausiiben) ; C)die Ontologie cler Lebenswelt, die das Fundament aller wissenschaftlichen Ontologie und Logik bildet. Je nachdem, bei welcher dieser drei ~erschiedeneriGrundarten v m Ontologien der Weg über die Ontologie einsetzt, erscheint d i a e r Weg als Weg iiber die formale Logik, als Weg über die Kritik der positiven Wissenschaften oder als Weg über die Ontobgie der Lebenswelt. Die Ontologie der Lebenswelt ist nach Hiisserl dic fundamentale, auf die letztlich alle andcrn Ontologien in irgend einer Weise zurückbezcgen sind. Sie bildet dahcr den p n d s ä t z l i c h ~ t e nAusgangspunkt für den Weg über die Ontologie. Sieist aber erst eine Idee des späten Husserl. - An allem positiven 0'3-r objektiven ontologischen Apriori ist einc letzte Unklarhcit führbar, die zum Anlass von verkehrten Sinnunterschiebungen, Feilinterpretationen und (in den positiven Wissenschaften) „C-rundlagenkrisen" wird. Diese Unklarheit hat ihre Quelle im „abstrakten1' Charakter der positiven ontologischen Erkenntnis, 1 s. Ha VIII, Beil. X X I I I , C. 44G/47 (wohl 1925); Ha. IX, Encyclopedia BritamzicaArtikel 4. [endgültige) Fassung, $ 5 I3 ff. 2 s. Ha VIII, Beil. XXIII, C. 448149 (wohl 1925).
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU KANT
219
der die Bezogenheit alles objektiven Apriori zur Subjektivität verborgen bleibt. Die Subjektbezogenheit meldet sich - ohne alIerdings in KIar-heit erfasst zu sein - immer wieder im Bewiisstsein der Denker; sei es auch in der tiorin ciiics subjcktivistisclicri Skeptizismus, der die ontologischen Prinzipien in ein „blass Subjektives" auflöst und sie ihrer objektiven Geltung beraubt. 2. Aus der sich stellenden Aufgabe, das ontologische Apriori zu klären (und dadurch auch die Auffassungen dieses Apriori einer Kritik zu unterziehen), ergibt sich die Forderung einer r a d i k a l e n R e f l e x i o n , die die Einseitigkeit (Abstraktheit) der positiv-ontologischen Erkenntnis überwindet und das ontologische Apriori in seiner Korrelation zur Subjcktivität betrachtet. Diese radikale Reflexion hat den Charakter einer wahrhaft revolutionären E i n s t e l l u n g s ä n d e r u n g : Der Blick ist jetzt nicht mehr naiv-einseitig oder „geradehin" auf das positiv Ontologische (als Prinzip der Positivität oder Objektivität) oder auf die Welt (als Inbegriff der Positivität oder Objektivität) gerichtet, sondern auf die Subjektivität, in deren inaimigialtigem Leben sich das Positive „darstelltw („konstituiert"). Uicsc: Einstelliii~gsäriclcrung ist k e i n V e r l u s t irgend einer Positivität, sondern im Gegenteil, sieist ein G e w i n n , eine ,,Ausweitung", da jetzt die Positivität in ihrer Korrelation zur Subjcktivität, d.h. als ein irn subjektivcii Leben sich objektiv Darstellendes oder Konstituierendes gesehen wird. K.a.W., das „Themav der objektiven Einstellung ist i i i i „Themau der neuen universalen Einstclluiig ciithaltp. Tliescs neue ,,ThemaMist aber nicht zusaniirie~igcsctztaus zwei ,,'l'hemen" (ans eiriem objektiven und aus cineiri subjektiven), vielmehr ist das objektivc „Theman intentional irn subjektiven ,,Themau (im intentionalen Leben der Subjektivität) impliziert. Die Einstellungsänderung ist zu vergleichen mit dein Übergang von der Zweidimensionalitäl in die Urcidiriic~isioiinlität dcs Raumes, die die Zweidimensionalität in sich schliesst. Diese Subjektivität, in der sich alle Objektivität konstituiert, ist die t r a n s z e n d e n t a l e . Sie erweist sich als einc durch die gemeinsame Objektivität vergemeinschaftete Intersubjektivität; sie erweist sich als eine zeitliclie (geschichtliche), da die in ihr sich konstituierende Objektivität eine Geschichte hat. 3. Die Erforschung des universalen transzendentalen Lebens, in dem sich die weltliche Objektivität mit ihrem ontologischen
220
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
Apriori kon;tituiert, ist nun keineswegs cine leichte Sache: Es ist ausserordentlich schwierig, die rcvolutionär-neiie Einstellung, die den Charakter einer „KonversionH der Denkrichtung hat, in voller Reinneit einzunehmen und einzuhalten. Denn der transzendentale Forscher ist immer versucht, das subjektive Leben positiv-ontc.lc~gischzu fassen, es gewis';ermassen zu „realisierenm. Aus seinem na~ürlichenLeben an die Eächendimension gewöhnt, hat er beständ.g die Seigung, die Tiefendimension zu verflachen. Er hat immer die Tendenz, das transzendentale Leben durch objektiv-wissenschaftliche Gesetze zu „erklären7', was natürlich ein Widersim ist, da er ja vor der Aufgabe steht, diese objektiven Gesetze durch der Rückgang auf das subjektive Leben aufzuklären. M.a.W , dem Transzendentalphilosophen droht beständig e i ~ ep ~ ~ 5 i P u n~ ;i qX ? k i y & ~ d.h. ~ , eine Metabasis von der Transzendentalitä? in die Positivität, von der transzendentalen Einstellung in ciiz objektiv-mundane, von der dritten Dimension in die zwcitc. Um dieser Gefahr zu entgehen, gibt es für den transzendentale:: Forscher nur ein Mittel: die transzendentale E p och6 hinsichtlich aller positiven Gelturigen. Diese Epoche. bedeutet je.:& genau folgendes: Der transzendentale Forscher ' muss sich beständig des Sinnes seiner eigenen Forschungen bewusst sein. E r darf also nicht dein Widersinn verfallen, das tranrzendcntale Leben durch irgendwelche positiven .,SätzeJ' (Geltungen) crliläreii zu wollen. F i i r i h n darf a l s o i n diescim S i n n e kein positiver. S a t z G c l t u n g h a b e n ; kein positiver Satz, keine positive Geltung daf in der transzendentalen Forschung die Rolle einer P r g m i s se spielen; nur als intentionales Korrelat drs subjektiven Lebens liegt jede objektive Gelturig iin transzendentalen Rcrcich. Die Epoche hin~.ichtlichder positiven Geltung erfolgt d s nicht ~ deshalb, weil dieser Geltung die Apodiktizität rnangclt (vgl den Cartesianischeit Weg), auch nicht desl-ialb, weil ich mich n u r für das Subjektive interessiere und mich am Sein der Welt desiriteressiere (vgl. den Weg über die Psydiologie); sondern w e i l ich sehe, dass es ein Widsrsinn ist, das transzendentale Leben durzh positive Setzungen zu ,,erklärenH.Durch diesen Grund allein ist hier der Sinn der transzendentalen Epoche bestimmt.
Verfolgen wir nun auch die Geschichte dieses Weges über die Ontologie in der philosophischen Entwicklung Husserls. Gewisse Ansätze dieses Weges finden sich schon in den LogiSche9z Unlersuchngea. In der Einleitung zum zweiten Band schreibt HusserI von der Erkenntnistheorie: „Nach den Darlegungen der Prolegoniem <=erster Band der Logischen Ulztersuci'zatngen) ist sie nichts anderes als die philosopl-iische E r g ä n z u n g zur r e i n e n N a t h e s i s im denkbar weitesten Verstande, der alle apriorische kategoriale Erkenntnis in Form systematischer Theorien zusammenschliesst." 1 Die Erkenntnistheorie, die das unmittelbare Ziel von Husserls früherer Phänomenologie darsteilt, wird hier also in engem Zusaminenliang mit der mathesis ztniversalis (formale Logik und Ontologie) gesehen. Dwch die in den Logischen U~ztersuchungenschon lebendige Idee einer strengen Korrelation von objektiven1 und subjcktiveni Apriori erfährt der Sinn jenes Zusammenhanges schor1 eine gcwisse Bestimmung.
Auch die irn $16 zitierten bedeutsamen Texte aus den Jahren 1904 und 1906/o7 enthalten mit ihrer Betonung, dass das Feld der Phänomcnolagic nicht als Realität aufgefasst werden dürfe, und mit ihrer Idee einer Kritik dcs onlologischeri Apriori (wobei gefragt wird, ob eine solche Kritik dem Idcal absoluter Erkenntnis gleichzustellen sei) Wescnsrleriicritr~( 1 ~ W s vgc~ i i l x ~ rtliv . Ontologir.:! -?
Wie steht es nun mit den für Husserls philosophisclie Entwicklung ent.scheidenden Pzinf Vorlcszingetz (Llir Idcc der Phünome?aoiogie)von I907? Wir haben schon in unserer Eriirtcrring des Cartesianischen Weges dargelegt, dass dieser Weg i n jenen Vor. lesungen eine dominierende Stellung cinniini~it.1)ocli sctzt dieserWeg erst in der z w e i t cn Vorlesung ein. Uic crstc Vorlesung aber beginnt mit dem Satz: „Ich habe in früheren Vorlesungen unterschieden zwischen n a t ü r l i c h e r und philosophischer IVissenschaf t ;die erstere entspringt aus der natürlichen, die letztere aus der philosophischen Geisteshaltung."3 Die ganze erste Vorlesung kreist um den Gedanken, dass die Erkenntnistheorie (bzw.
' Log. Unters. 11, I
Aufl., C.
vgl. o. S. 180i81;r81i82. F w t f Vo~Zes~~~ge+a, S. 17.
ZO/ZI.
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
222
die Philosophie) gegenüber der natürlichen \Vissenschaft (objektivcn Wissenschaft) in einer „völlig neuen Dimension" liegen und ,,eine irn Prinzip neue Einheit" bilden muss:l „Die Philosophie liegt, ich wiederhole es, in einer gegenüber aller natürlichen Erkenntnis n e u e n D i m e n s i o n . . . ." 2 I n jenem Gedanken liege, so führt Husserl in dieser ersten Vorlesung aus, „dass die r e i n e Philosophie innerhalb der gesamten Erkenntniskritik und der ,luitischenJ Disziplinen überhaupt von der ganzen in den natürlichen Wissenschaften und in der wissenschaftlich nicht organisierten natürlichen Weisheit und K-mde geleisteten Denkarbeit absehen muss und von ihr keinerlei Gebrauch machen darf".3 Diese „Ausschaltung" des objektiven Wissens hat hier also den Sinn eines Schutzes vor einer M e t a b a S i s von der neuen (philosophischen) Erkenntnisdimension in'die natürlich-objektive. Durch diesen Sinn bestimmt Hizsserl erstaunlichenveise die pl15riornenologische Reduktion auch unmittelbar n a c h dem Aufbau des Cartesianischen Wcges in der zweiten Vorlesung, obschon dieser Sinn gar nicht derjenige ist, der sich aus diesem Weg heraus ergibt, sondern sogar zu ihm in einem gewissen Gegensatz steht. IIiisserl erkliirt hier, dass sich die „zureichende und volle Deduktion" dcr rrkcnntnistheoretischen (oder pxanornenologischen) Reduktion, dic alle objektiven Transzenderizcn mögen diese auch völlig gewiss sein - mit dem „Index der AUSschaltiing", der ,,Gleichgiiltigkeit", der „erkenntnistheoretischen Nullität" behaltet, aus folgenden zwei Momentcn ergcbc : erstens, a w dem S i n n der erkenntnistheoretischen Forschungen, die die Miiglichkeii cler objektiven Erkenntnis erörtern, und zweitens, aus der ,,ausserordentlich starken Feigung, in allen Fällen, wo ein transzendierender Denkakt v o l l z o p und ein Urteil auf Grund desclben zu etablieren ist, in transzmdierendem Sinn zu urteilen z i ~bihh3 y b o ~zu verfallen . . .". und somit i n eine p7&ß(~o1& Hncserl fegt hinzu: „Mit der genannten p ~ ~ c i ß ahängen o ~ ~ alle Grundirrtümer der Erkenntnistheorie zusammen, auf der einen Seite der Grundirrtum des Psycholo~ismus,auf der anderen der des Anthropologismus und Biologismus." 1
a.a.0. C.
Z
a.a.0. S. 2j.
2 4
a.a.0. C. 24. * a.a.0. S. 39. 6
ebenda.
H U S S E R L S VERHÄLTNIS ZU K A N T
7.23
Noch deutlicher kommt der eigentliche Sinn der phänomenologischen Reduktion als Schutz vor einer Metabasis von der philosophischen Dimension (oder Einstellung) in die natürlichobjektive in Husserls Zusammenfassung dieser Fünf Vorlesungen zum Ausdruck. An der Stelle, die sich auf das Ende der zweiten Vorlesung bezieht, schreibt er: „Indessen der eigentliche S i n n d e s P r i n z i p s (der phänomenologischen Reduktion) ist die beständige Aufforderung, bei den Sachen, die h i e r in der Erkenntniskritik in Frage sind, zu bleiben und die h i e r licgcnclcn Probleme nicht mit ganz anderen zu vermengen. Aufklärung von Erkenntnismöglichkeiten liegt nicht auf den Wegen objektiver Wissenschaft." Wir können also feststellen, dass Husserl in den Fzinf Vorlesmgm letzlich einen Sinn der phänomenologischen Reduktion intendiert, der nicht dem hier allein zur Ausführung gekomrnenen Cartesianischen Weg, sondern dem Weg über die Ontologie, den man auch den „Weg über die Objektivität" nennen könnte," entspricht. Dass dcr eigentliche Sinn der phä~iomenologischei~ Reduktion irn Schutz vor einer Metabasis besteht, hat Husserl auch in andern Texten aus dem wichtigen Jahr xgo7 festgehaltcn: „Die Hauptsache ist es, sich darüber klar zu scin, dass dic jetzigen (crkerintnistheoretischen> Forschungen ausserhalb der Domäne allcr objektiven Wissenschaft liegen und in gcwissem Sinn aller Wisscnschaft überhaupt. Die phäriornenologisclic. Rcdiiktion besagt: sich dieser Sachlage beständig bewusst zu sciri und miclit mit naturalistischen Gedankenreihen zuzulaliren, wo Erltenritnjstbeorje in Forschung ist. Nicht weil ich iiber die Existenz der Natur nicht gcwiss bin, oder mir nicht klar bin, in welchem Sinn sie ist, darf ich von ihr keinen thetischen Gebrauch ~riaclicn,sondern weil die schönste und beste Klarheit mir hier nichts niitzt." 3 ,,Die ,phänomenologische Reduktion' besagt daiiach nichts anderes aIs die Forderung, sich beständig des Sinnes der eigenen Untersuchung inne zu bleiben und nicht Erkenntnistheorie niit naturwissenschaftlicher (objektivistischer) Untersuchung zu verwechseln." 495 a.a.0. S . 6. Die ontologischen F'rinzipien sind ja nichts anderes als die Prinzipien der Objektivität. B Ms. orig. B II I, S. 5b (1907). a.a.0. S. rqb (Sept. 1907). Notieren wir hier am Rande, dass im Text, aus dem die beiden obigen Zitate
224
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Eine sehr bedcutcnde Rolle spielt der Weg über die Ontologie in Husserls Vorlesungen vom Winterseniester I ~ I O / I I , in denen er z u m e r s t e n Mal systematisch und völlig gelöst von Cartesianischrn Gedanken begangen wird. In einem Text aus dem J i x e 1,323 hält Husserl die Grundstruktur dieses Weges fest und erklärt dann ausdrücklich, dass er diesen Weg in jenem Wintersemester begangen habe : „Gegebene Welt, anschaulich gegeben ; die unii~erselleOntologie der Welt mit allen Sonderontologien leitet aiif eine universelle Weltanschauung als eidetische Weltb e t r a d t u l g , die Axiome der universellen Ontologie müssen die Weser-sbesclreibungen möglicher Welt überhaupt sein. Dabei führt d e Natur auf Leiblichkeit, auf das Psychische, auf die geistig leistende Subjektivität, auf die Einsicht, dass Subjektirzität weltkonstituierend ist, transzendental absolut, dass alles Sein Korrelat dcr transzendentalen Subjektivität ist, dic alles OEajekti-~e als Korrelat von subjektiven Konstitutionen umspannt ; dass alles Sein, trcinszendcntal betrachtet, in einer universalen subjektiven Genesis steht. usw." 1 „Das ist genaix der Weg meiner EinIeitui~gsvorlesiingenim Wintersemester ~ g ~ g j zer o ;ist schon de: Weg meiner Gjttinger wissenscl~aftstheorctischenVorlesungen, 1,ogik von X ~ I O / I I . " ~ 111 den genannten Vorlesiingcn von rj)~o/xx(Logik als Theorie der Erkenntnis) entwirft Husserl tlic.seil Wrg mit folgenden Wortcn : „Von den riatiirlichen Wissenschaften fülirt also tlcr Weg zu den Ontologiell bis hinauf zur uiiiversalsten (ziir Analytik) und dann weiter zu der all diesen Or.tolo@cl folgenQen, ihre Prinzipien und Methoden aufklärend ~ No&k, 1 und durch die Noetjlc klärt sich dann alle besoridcrc ivisscriscli~xftlicheErkcrintnis auf. Und alle Erkenntnis ist dann in absoliit- Erkenntnis verwandelt, ist mctqihysische Erkenntnis. So ist die Noctik die Wisscrisdiaftslelire in1 höchsten Sinn und zcgleirli diejenige TT)isxipli~~, die eine letzte und liöcliste Erfüllung unserer Erkenntnisbedürfnisse ermöglicht." 3 Diese Noetik in Korrelation mit de: Ontologie ist für Husserl nichts anderes als die transzendentale Phänomeilologie.
Bemerken wir noch, dass in dieser Logikvorlesung von I ~ I O / I I immer wieder auf Kant verwiesen wird: Nicht nur wird in den ontologischen Erwägungen an Kants Idee der naturu forwzaliter s$cctata erinnert,l sondern unmittelbar vor der Wendung von den objektiv-apriorischen Erörterungen zur Noetik appelliert Husserl an Kants Transzendentalphilosophie und deren transzendentallogische Fragestellung2 Weiter ist foIgendes von grosser Bedeutsamkeit : Gleichzeitig mit der Vorlesung Logik als Theorie der Erkenntnis hat Iiusserl jenes zweistündige Kolleg Grundprobleme der Phänomenologie gehalten, in dem es ihm zum ersten Mal gelingt, die transzendental-phänomenologische Reduktion auf die Intersubjektivität auszudehnen.3 Dieser sehr bedeutsame Schritt geschieht nun dem Wesen nach auf dem Weg über die Ontologie: Die fortgesetzt daseiende Welt mit ihrer apriorischen Struktur wird als I n d e x genommen und zwar nicht tiur für einen aktuellen BewusstseiasStrom, sondern für ein ganzes System sich zeitlich folgender wirklicher und möglicher Erlebnisse,4 die als Vergegenwärtigungen irn aktuellen ErIebnis verwurzelt sind. Durch die Welt sind aber weiter nicht nur eigene Erlebnissysteine indiziert, sondern auch f r e m d e Edebnisse.5 Die Wclt in ihrer Grundstruktur (oder ontologischen Struktur) ist in diesen Ausführungen Htisscrls also notwendiger Leitfaden für die Ermittlung der intersubjektiven ~rlebniss~steme, in denen sich die Welt konstitiiiert.G Au~,diesen Überlegungen heraus komrnt Husserl auch zu einer 13cstimmiing dcs Siilns der phänotnenologischcn Reduktion, die nur auf dem Weg über die Ontologie möglich ist: „Ph;inoi~~enologiscl~e Reduktion ist eben gar nichts anderes als Einstellungsändcrul~g,in der konsequent und universal die Erfahriingcwlt als Wclt der möglichen Erfahrung betrachtet wird, nnd d.i. das erfahrende Leben'betrachtet wird, in dem das Erfahrene jeweils - und a.a 0.S. 54a-56b ( I ~ I O / I I ) . Ms. orig. F 1 43; vgl. hfs. transcr. hl 111 g IV6 (Ausarbeitung des uii? interessierenden Vorlesungsstuckes durch Husserls Assistenten Ludwig Landgrebe) uiid Ha VIII, Beil. X X (Zusammenfa~sungdicws Vorlesung~stuche5durch Hussrrl wlbst) 4 Ha VIII, Beil X X , C. 434 (wohl rgz4). 5 vgl. a.a.0. C. 435 (wohl 1924). 6 Vgl. o. unsere Ausführungen über Husserls Nethode der Gewiiinurig der Inter. subjektiuität, S. z o j ff. 3
3 S.
stammen .md der gru~doätzlichdie Methode der Erkenntnistheorie erörtert, der Satz s t e i t : ,,Es ist auch kein Fehler, wenn man wie Kant anfängt, d.i., Naturerkenntnis, Naturwis.eiischaft ist gegeben, wie ist sie tnöglich?" (a.a.0. C. gb (Sept. 1907)). 1 Ha VlII, Weg i n diz transzendentale Phänomenologie als absolute ttnd universale 'S~o:ologieC u z h die fios!ti:~mOntologien ulzd die positinc erste Philosophie, C. 2 2 5 (1923). 9 ebenc2. 3 Ms. o-ig. F 1 12, S. 6ga (rgro/rr).
2 26
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
m i v e r s l - Erfahrungssinn ist niit bestimmtem intentionalen Horizont. " 1 Geten wir zu den Ideen I über. Hier finden wir grundsätzlich dieselbe Situation wie in den Fü;tzf Vorlesungen: Die Cartesianisfxen Gedankengänge stehen im zweiten Abschnitt dieses Werkes jElie$tci'rzamenc~ZogischeFundamentc113etrachtung),der der Idee der pkänc.menologijchen Reduktion gewidmet ist, im Vordergrund. Bevor Husserl zber diese Gedankengänge entwickelt, hat er schon irr- lrtzten Paragraphen des erstvn Abschnittes (3 26) „W'issen%haften der dogmatischen und Wissenschaften der philosophisrien Einstellung" 2 einander gegenübergestellt und erklärt, dass ,,Erkenntnistheorie als Wissenschaft einer e i g e n e n D i m e n s i o n notwen&& wird". 3 Und andererseits wird im § 61 des Werkes, der den Titel trägt Die methodologische Bedeutung der Systematik $ler 3k&omenoiogischen R e d u k t i w n und der abschliessend den E r t n g der über dreissig Paragraphrn umfassenden Phänomenologz2cbeiz Fz4.ndamelztaEbetrachtungfeststellt, die phänomenologische Rediiktisn eindeutig und ausschliesslich als Schutz vor einer Metab s i s :d.h.vor einer Kontaminierungder transzendcntal-phänomer_c~l@~schen Dimension der Subjektivität durch objektiv-natürlid-esWsscn) bestimmt. Es stehenhieretwadiesätze: Die ausdrückIfclicn ,,Einklammerungen" der pl~änonienologischenReduktior.en ,haben die methodische Fu~iktioii,uns beständig daran zu erinnern, dass die betreffenden S2Uis- und Erkenntnissphären p r i n z i p i e l l ausserhalb derjenigen liegen, die als transzendental~~häriorne~r~ologi~che erforscht werden sollen, und dass jedes Sicheindrängen von Prämissen, jenen eingeklammerten Gebictai angehören, cirie Anzeige ist für eine widersinnige Verr:mng-ng, für erne echte p~~cißcror~." 4Auch in der Phänomenologisc6en Fxndamcntalbetrachtung der Ideen 1 ist also ein Sinn der pkänomcnologischen Reduktion massgeberid, der sich nicht aus dem begangenen Cartesianischen Weg ergeben kann, sondern der zum Weg iiber die Ontologie g r h ~ r t .Bemerken wir noch, dass der dem 61 folgende Paragraph (Erkenntnistheoretische Vordwhvzen. Dogmatische und @hä%menologische Einstellung) auf Y l I I , Beil. X X , S. 436 (wohl 1924) I d e n I, Titel dns 8 26. 5 %=.C(. S. 5 6 ; wir unterstreichen. 4 a.a C. S. 144/45 ;Ha 3
den Gegensatz zwischen „Dogniatis~rius"und „Kritizismiis" eingeht und überhaupt Erörterungen enthält, die sofort an die Philosophie Kants erinnern - der auch in ausscrorclciltlich positivem Sinne genannt wird. Weiter hat Husserl, wie wir bereits wissen, den Weg über die Ontologie auch im Winterseinester 1919/20 begangen,' nämlich in seiner Vorlesung Einleitung i n die Philosophie.2 Dieser Weg konmt erneut zur Anwendung im Aufsatz K a n t und die Idee der Transzendentalphilosophie, den Husserl unmittel-
bar nach der Vorlesung Erste Philosophie vom Wintersemester 1923/24(in der der Cartesianische und der Weg über die Psychologie vorgetragen werden) geschrieben hat. E r geht hier aus von einer Beschreibung der im natürlichen Weltleben liegenden Voraussetzung der an sich seienden, das Richtmass unserer Erkenntnis bildenden Welt und stellt die Frage, wie sich im Bewusstseinsleben diese Oberzeugung einer an sich seienden Welt konstituiere. Er erklärt nun, dass, wenn das Bewusstsein unter Leitung dieser Frage rein in sich studiert werde, rnxn sich schon in der transzendentalen Einstellung bewege.3 Weiter verlangt hier Husserl aber noch - und damit richtet er sich gegen Kant -, dass diese naive transzendentale Einstelliing durch eine methodische Uesinnung (durch die transzendentale Reduktion) gcsicliert werde. Dadurch wird nach ihm die Reinheit der transzendptalen Subjektivität bewusst erfasst, und alle psychologischen und nnturalistischen Auffassungen von ihr ferngehalten.
Ausschiiesslich durch den Weg über die Ontologie bestimmt ist Formale und transzendentale Logik. Versuchen wir, die grosse Linie des zweiten Abschnittes dieses Werkes, der die Urnwendiing von der objektiven Logik und Ontologie zur transzenderitalen Logik, d.h. zur transzendentalen Phänomenologie vollzieht, festzuhalten: Nachdem Husserl iin ersten Abschnitt die Idee einer formalen Logik im umfassenden Sinne einer nzathesis universalis entworfen hat, beginnt er im zweiten Abschnitt darauf hinzuweisen, dass eine rein o b j e k t i v e Logik in „einer Naivität 1 S.O. 3
S.
224.
Ms.orig. F I 40. Ha VII, K a s t . . ., S. 294155 (1924).
2 5.
SYSTEMATISCFIE J I A K S T E L L U N G
225
stecken bleibt, die ihr den philosophischen Vorzug radikalen Sichselbstverstehens und prinzipieller Selbstrechtfertigung verschliesst . . .", 1 iind Vcrhiilliingrn und Verschiebiingcn iinterliegt, dic dicjciiigc Klarheit vcruiiniögliclicn, die allein ihre 'I'ragw e ~ t eund den Umfang rechtniässiger Anwendung letztlich zu bestimmen vermag.2 Daraus ergibt sich Husserl die Forderung einer Begründung der Logik durch subjektiv gerichtete Forschungen, die er übrigens auch als „Kritik der Vernunft" bezeichnet.3 Im weiteren geht er konkret daran, verhüllte (implizierte) Voraussetzungen der Logik aufzuweisen - immer mit der Absicht, die Notwendigkeit der subjektiven Forschungen darzutun und die subjektive Problematik freizulegen. Dieser Aufweis führt Husserl schliesslich zur Urel t als der von der traditionellen formalen Logik immerzu stillschweigend vorausgesetzten Einheit rn6glicher Erfahrung,4 so dass sich nun die Aufklärung des Sinnes von Welt als zugehörig zur Aufklärung der logischen Fundamentaljegriffe crweist.5 Betonen wir, dass sich Husserl bis jetzt im Aufweis der impliziten Voraussctzuiigeil der Logik völlig bewusst über den uigcntlichen Charakter der subjektiven Forschungen verschwiegen hat, sogar dann, als er eingehend von der gcnetisclien Koiistiiutiun sprach.6 7,1 Re,sinn dieses Aufweises hatte er erklärt, dass d i e Enthüllung jenes Charakters durch die Besinnung auf dit: l o g i s c h e n E r f o r d e r n i s s e der subjektivcn Untersiidiiingc~~ geschehen werde.7 Diese Besinnung geschieht nun in clcn SS 93 rind 04: Wenn i n dar siihjckl:iveti Iiorschung dcr Sinn dcs 1ogiichi:n Fiindanientalbegriffs „Weltwgeklärt werden muss, darf die Welt in ihrem natürlich-objektiven Seinssinn nicht einfach stillschweigend als eigener Horizont vorausgesetzt, und die leistende Subjektivität, in der sich dieser Seinssinn konstituiert, nicht naiY mit diesem Seinssinn behaftet werden, sondern die Welt ist „in Frage zu stellen". Die Subjektivität, die erforscht wird, kann also nicht den Sinn von „Weltn haben, d.h. sie kann nicht psychologisch sein, sondern sie kann nur aufgefasst werden ais weltkonstituierend, d.h. als transzendental. 1
Logik, S. 1 3 7
2
a.a.0. C. a.a.0. S. a.a.0. S. a.a.0. C.
3 4 5
r45, 152. 194.
203. a.a.0. 5 85. a.a.0. S. 155156.
6 s. 7
236.
Betonen wir abschliessend nochmals, dass in diesem Gang zur transzendentalen Subjektivität in Formale u.nd transzendentale Ik~~dlz keim Motivc ~iiiic*ii~s~>icl<~ii, tlic voiii C;irtc~si;iiiiscIiri~ citI
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
gierende Subjektivität, die in einem unaufhörlichen Wandel in sich ständig eine Welt zur Seinsgeltung bringt, als einen Seinsbereich einer „neuer1 Dimension" 1 hin, die er i 1 Gegenüberstcllung zur ,,Zweidimensionalität" des natürlich-ohjektiven Weltlebens auch aIs ,,Tiefendimension" 2 oder als „d&e Dimension" 3 bezeichnet. Kants Theorie von der „Formunge der Welt durch die transzendentalen Funktionen stöjst nach Eusserl in diese Tiefendimension vor, ohne sie allerdmgs wirklich (d.h. methodisch) zu erschliessen.4 Diese Erschliessung stellt sich nun Husserl zur Aufgabe - eine Aufgabe, die in einem Antagonismus zu den Interessen des natürlich-objektiven Wcltkbens steht und deshalb „der Menschheit und selbst den Wisxnschaftlern der Jahrtausende verborgen bleiben muss~e".5 Der zweite, nun schon konkretere Vorstoss zur transzendentalen Subjektivität, der die $ 3 33 bis 42 umfasst, brtrachtet vorerst das ,,Problem der Seinsweise der Lebenswelt" als Teilproblem im allgemeineren Problem einer vollen Begründung der objektiven Wissenschaften, löst dann aber :enes Prcblem aus diesem Problemkreis heraus, um es als eigenständiges zu behandeln,7 wobei schliesslich erkannt wird, dass cs sich bei iim gar nicht um ein Teilproblem, sondern um ein philosophisches Universalproblem handelt, das auch die objektive \Vjsscnscfksft als Phänomen in der Lebenswelt miteinbeschliesst.8 Dann bcginnt Husserl nach der A r t dcr Wissenschaftlichkeit zu suchen, in der das Problem der Leberiswclt erörtert werden kann, und zeigt in dieser Absicht vorerst, dass dic o b j e k t i v c Wisscnscliaft, wozu auch die Psychologie gehört, es prinzipiell nicht zu erfassen vcrm,g.gUm das Problem des Seins der Lebenswelt von fremden Einmengungen freizuhalten,'O d.h. um sich „nicht das Seiende im Sir-ne der objektiven Wissenschaft unterschieben lascen, wo Las lebensweltlich Seiende i i i I;r;igc ist", 11 verlangt Hnssc:rl cinc E;:o~lii:hinsichtlicli
ZC R A N T
231
des Nitvo~lzugsder Erkenntnis der objektiven Wissenschaften.1Diese Epoche hat hier also ausschliesslich den Sinn einer Sicherung vor einer M e t a b a s i s . Um das Formalobjekt der neuen IVissenschaftlichkeit anzudeuten, weist Husserl auf die apriorischen, ontologischen und phänomenologischen Strukturen der Lebenswelt und lebensweltlichen Erfahrung hin und spricht dann von zwei möglichen Grundweisen, die Lcbcns~clttlicmatisch zu machen, nämlich von der naiv-natürlichen Geradehineinstellung auf das objektiv Ontologische (aber nicht auf das ~vissenschaftlich Objektive) und von der konsequent rcflcsivcn Einstellung auf das Wie der subjektiven (;cgeb~~~ilicitswcis~~i~ tlcr Lcbc~isw~lt." Das Thema der zweiten Einstellung, die auf einer „totalen Interessenwendung" beruht,3 umfasst die Lebenswelt in ihrer ontologischen Struktur auch, aber diese steht hier in Korrelation mit dem universalen leistenden Leben, in wclche~ridie \Velt zustande kommt, d.h. aus welchem die Welt als Korrelat einer erforschbaren Universalität synthetisch verbundener Leistungen ihren Seinssinn und ihre Seinsgeltung geminnt. Nachdem HusserI diese ncue konsequent-reflexive Einstellung, die keine andere als die transzendental-phäaomenologischeist, angedeutet lzat, ni~nnit. er wiederum auf K a n t Bezug: ,,Unser historisch motivierter Weg von der Interpretation der zwischcn Kant und Hume spie[enden Probleniatik 4 hat ims nun zum Postulat der Aufkläriing des universalen ,Boden-Seins' der voi-gcgebencn Welt . . . für allt, objektive Praxis überhaupt gefiihrt : also zutii l'ostiilnt &mer neuartigen universalen Wissenschaft von der Welt vcirgebciidcn Subjektivität." Wachdem ILusserl die transzendentale Einstellung bzw. das in ihr zu Erforschende schon umrissen hat, geht er auf deren innere Forderungen ein und stellt fest, dass sich diese Forschung nicht auf dem Boden der nntiirlichrii Einstrllung durchführen lässt: Das Sinn iind Ckltriiig tlvr \\'i~II koiist itiiic.tn.iitlc I k wusstscin kannnicht inder natiirlichcm Einstellung, die Siun und 1
a.a.0. 8 35.
2
a.a.0.
5 38.
a.a.0. S. 147. 4 Mit dieser ,,zwischen Kant und Hume spielenden Problematik" meint Husserl Kants „Reaktion gegen den Hume~chenDateiipositivisiii~~~~', d.h. Iiants Lehre, dass in der sinnlichen Erfahrung nicht blosse Siiiiir~ilatriivirlicgrri (wir Iliiinr riiriiit~i, sondern durch den verborgen fuiigicrriitleii \.rrstnii
232
SYSSXMATISCBE DARSTELLUNG
Geltung der Wclt immmzu unbefragt voraussetzt, studiert werden; es bedarI also eirxr universalen Epoche hinsichtlich des naiven Gelturigsvollzuges des Wcltglaubens.1 Die neue Einstellung steht iib e r der Geltnngjvorgegebenheit der Welt und ü b e r dem universalen l3ewu~sts~incleben (dem einzelsubjektiven und intersubjektiven), worin die Welt für die naiv Dahinlebenden „da" ist.:! Der zweite Entwurf Ces Weges zur transzendentalen Subjektivität schliesst mit der Forderung einer k o n k r e t e n Vorzeichnung der Wege zur Durchfiihrung der transzendentalen Reduktion. Der dritte Entwurf schlie~slic~, der durch die $ $ 4 3bis 55 gebildet wird, beginnt mit einer Kritik des Cartesianischen Weges,3 um dann im folgenden denjenigen Weg konkreter zu beschreiben, der durch die vorangehenden Entwürfe skizziert wurde: Zur Erforschung der Gegebenneitsweisen der Welt wird eine „sich zunächst ganz selbstverständhch als unmittelbare Notwendigkeit darbietende Epoche" 4 hinsichtlich der Wirklichkeit der lebensweltlichen D i n g e gefordert.5 Es folgen Analysen von verschiedenen (;rundphänomenen des Rewusstseins, wobei der Gedanke der Korrelation von ontologisch~mund phänomenologischem Apriori, bzw. der Gedanke der Index- oder Leitfadenfunktion des ontologischen Apriori (der Ontologie der Lebenswelt), die Leitidee bildet.Wie letzten vier Paragrapticn erfassen die erforschte Subj ektivität b e w U s s t als transzendentale. Sic beginnen mit der Erklärung, dass die Umschau in der Korrelationsproblematik Erkenntnisse ergab, welche bci 1;ollkoinil-wicr rne t h o d i s c h e r Si c h e r u n g eine radikde Neugestaltung unserer ganzen Weltbetrachtung bedeuten.7 In Absicht auf diese Sicherung unternimmt Iiusserl eine Uesinriung auf den Boden letzter Voraussetzungen, in der die gm7e Kcirrelationsprobleii~atik wurzelt. In
Cubjektbcstand der Welt die ganze Welt und damit sich selbst verschlingt.* Die Auflösung dieses Paradoxes erfolgt dann durch die Unterscheidung zwischen der o b j e k t iveri Subjektivität als Teilbestand der konstituierten Welt und der t r a n s z e nd e nt ale n, weltkonstituierenden Subjektivität.:! Die objektiv-psychologische Auffassung der konstituierenden Subjektivität als einer menschlichen wird ausdrücklich als sinnwidrige Einrnengung der natürlich-obj ektiven Einstellung, also als M e t a b a s i s , verworfen.3 Noch besonders sei hervorgehoben, dass Husserl in diesem Zusammenhang zu einer Sinnbestiminung der transzendentalen Einstellung und Epoche gelangt, die diese vom Eindruck eines Verlustes oder einer Einschränkung völlig freihält : Iin Hinblick auf die Frage, ob in der transzendentalen Epoche die Welt nicht verloren gehe, führt Husserl aus, dass auch dcr Philosoph in der Epoche in gewisser Welse das natürliche meltsctzende Leben „natürlich durchleben" müsse, dass er abcr in1 Unterschied zum natürlich eingestellten Menschen seine Erkenntniszwecke n i c h t in der Welt t e r m i n i e r e n lasse, sondern auf die wcltkonstituierende Subjektivität zurückgehe, die er nicht inehr als weltliche fassen könne und folglich zu deren Erforschung auch nichts Weltliches a l s P r ä m i s s e beniitzen dürfe.4 Am Ende unserer Darstellung von Husserls Weg iiber die Ontologie können wir folgendes feststellen: Dieser Weg tragt die Mängel, die die beiden aridcrn Wege als fragwürdig prscheirien lassen, nicht an sich: Nicht nur wird auf ihm die volle Subjektivität gewonnen, sondern die trariszendentale Reduktion erscheint hier vor allcm nicht mehr als Verlust oder Einschränkung auf einen besonderen Seinsbereich. Iin G e g e n t e i l : Die traiiszendentale Reduktion erscheint hier geradc als D u r c h h r e c hc 11 von S c h r a n kc 11, nämlich der Sc1ir;~iilic:iitkr iiiitiirlicli-objcktiven Erkenntnis, die sich als ,,einscitigM,„abstraktH, „äusscrlich", „flächenhaftn zeigt. Sie kommt hier also zur Geltung als Schritt ins „Umfassendev, ins „KonkreteM,ins ,,Innerliche", in die „Tiefendimension" (die die „Flächendimension" in sich schliesst). Sie ist der Durchbruch der Beschränktheit des natür-
234
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
lich-objektiven Bewusstseins, das die Gegenstände katastematisch nur als fertiges, gegenüberstehendes Fremdes sieht, und der ubsrgang zur philosopl~schenKinesis, die sie (vorerst statisch, dan~ genetisch) in der Bewegung des Bewusstseins verfolgt. Ihr Gmridcharakter besteht auf diesem Weg in der U m s t e l l u n g einer das natürlich-objektive Weltlcben radikal durchbrechenden Reflexion. Die Epoche tritt dann als u n s e l b s t ä n d i g e s Moment auf: Sie ergibt sich als logische Forderung der Umstellung, die sich selbst treu bleiben und nicht dir neu eröffnete Dimension mit Auffassungen (Kategorien) des natürlich-objektiven Weltlebens beeinträchtigen will. Nur dieses Verhältnis von transzendentaler Un$ellung und Epoche lässt die transzendentale Reduktion nicht als Verlust oder als Rückgang auf eine besondere Sphäre der objzktiven Wirklichkeit erscheinen; das Gegenteil ist notwendigerxrise der Fall, wenn die Epoche wie auf dem Cartesianischen unC ~sychologischenWeg der transzendentalen Umstellung selbständig v o r a n g e h t . Nur jener Weg erfasst also auch die Subjektiirität wirklich als transzendextale. In Formale und traw sz.ea@e~taleLogik schreibt Husserl: „Erst die Entdeckung der transzendentalen Problematik macht die Unterscheidung mögIich . . . zwischen der Welt . . . ur-d der transzendentalen Subjektivität, die dem Sein der Welt als ihren Scinssinn in sich konstitriicrende vorhergeht, und dir demnach ihre Realität ganz u n c gar in sich trägt als in ihr akiucll und potenziell. konstituierte Idee. Nlerdings hat erst die Ercchliessiing der transzenderital-p5änomenologischen Reduktion mit ihrer universalen Epoche hinsichtlich aller weltlichen Vorgegebenheiten . . . die konkrete tranzzendentale Seinssphiire freigelegt und damit den Weg zu den kons:itiitiven Problemen, insbesondere zu denjenigen, für die die ,eigeklammertenJ T r a n s z e n d s n z e n a l s , t r a n s z e n d e n t a l v Lei t f ä d e n ' zu fungieren haben." 1 Nach diesem Text ist alsc. die Entdeckung der Ilimension der transzendentalen Problematik Voraussetzung für die Erfassung des t r a n s z e n d e n t a l e n Subjekts. Diese Erfassung kann nicht auf Grund einer blossen Epoche geschehen ; deren Funktion besteht vielmehr nur in einer Freilegung, d.h. in einer Reinigung und Sicherung der schicm im voraus betretenen Tiefendiinension.
Der Sinn der phänomenologischen Reduktion, wie cr sich vom Weg über die Ontologie her ergibt, ist derjenige, den Husserl letztlich immer intendiert, wenn er von der phänomenologiscl-ien Reduktion spricht, selbst dann, wenn er andere Wege beschreitet (s. etwa die FGnf Vorlesungen und Ideen I ) . Wenn er versucht, den letzten Sinn der phänomenologiscl~enReduktion zu fassen, dann gebraucht er immer den Begriff der Einstellungsänderung oder der UmsteIlung,l ja er erklärt sogar, dass die phänomenologische Reduktion gar nichts anderes sei als eine Einstellungsänderung2 Die Epoche bedeutet dann folgendes: „. . .die Welt ausschdten, das sagt, nicht geradehin über sie urteilen wollen" ; 3 und sie bedeutet dadurch weiter den Schutz vor einer Metabasis, d.h. vor der verderblichen Realisierung des transzendentalen Bewusstseins: „Bewusstsein, das ist der Grundfehler, der den letzten Grundfehler des Psychologismus aiismacht (dem alle Empif sten nicht bloss, sondern auch Rationalisten unterliegen), ist kein psychisches Erlebnis, kein Geflecht psychischer Erlebnisse, keine Sache, kein Anhang (Zustand, Betätigung) in einerii Naturobjekt. Wer rettet uns vor einer Realisierung des Bewusstseins? Der wäre der Retter der Philosophie, ja clcr Schöpfer der Philosophie." 4 IJnseres Erach'iens hat nichts dein Vcrständriis der ph" anolllClloIogischen Reduktion IiusscrIs so schr geschadet wic ihre (voii Nusserl selbst durchgeführte) Verbindung mit der Cyte.sianschen Zweifelsbetrachtung. Auf Grund der Tatsache des Traumc:, und der hyperbolischen Supposition des nzaliu g h i e zwei f e 1 t Deccartes an der Existenz der Welt; drts cogito ist für ihn das ei-stc gesicherte Glied oder das Grundüxiorii, von welchcirn aiis er das Verlorene wiederzugewinnen versucht. Husserl aber zweiielt gar nie am Sein der Welt und an den Weltwissenschaftcn. Er erklärt sogar ausdrücklich, dacs hinsichtlich der Existenz der Welt gar kein Zweifel möglich sei.5 Auch auf dem Cartesianischen Weg verneint Husserl, dass die Epoche ein Zweifel bedeute, und dass wir durch sie unsere Überzeugungen preisgeben.6 Wenn er \70n der z.B. Krisis, S. 202, 247. Ha VIII, Beil. X X , S. 4 3 6 (wohl 1924). 8 a.a.0. Bcil. X X I I I , S. 448 (wohl 1925). MB.onp. A I 36, C . r93a ( S S 1920). I a g i k , S. 2 2 2 . Vdteen I , S. 65. 1 s. 8 5.
J
336
Sweifelhaftigkeit des transzendenten Seins spricht, meint er damit nicht, dass dieses Sein zweifeltAt s e i , sondern nur die ~ i n z i p i e l l eMöglichkeit, dass dieses Sein zweifelhaft w e r d e n :cönne.l Bei der Epoche handelt es sich auch nicht um das ,,Dahingestellt-will-lassen" des Neutralitätsbjwustseins. In den Ideen I s%ht Husserl hier zwar einen Zusarnmmhang;2 später hat er aber diese -4uffassung abgelehnt.3 Der Fehler dieser Bestimmungen der Epcche Liegt darin, dass sie aus der ri a t ü r l i c h e n Einstellung %raus erfolgen : Zweifel und Neutralit2tsbewusstsein hinsichtlich des Seir-.: der Welt gehören zur natürlichen Einstellung. Aber auf den: Lanesianischen Weg, auf dem die Epoche der transzendenz l e n LTmstdlung selbständig v o r a n g e h t , kann die Epoche -33erhaupt nur in einem „natürlichen" Sinn, d.h. als Zweifel oder >feutralitatsbewusstsein, aufgefasst werden, da ja auf jenem Weg 3ei der Durchführung der Epoche eine andere als die natürlichobjektive Einstellung noch gar nicht axreicht ist. Wenn Husserl Jann negiert, dass es sich um einen Zv~eifeloder ein Neutralitäts3ewucst.win handle, kann er dies nur tun, weil er die Epoche gar riicht durch den Cartesianischen Weg bestimmt denkt. Husserls Philoso?kic ist in ihrem Wesen kaum Lartesianisch. Höchstens l r e Grmdternlenz nach einer apodiktischen und absoluten Evic l w z bild.ct eitc allgemeine und vage Parallele zu Descartes. Da%ei geh: es ihr aber nicht darurrr, das Seimde vor einem skeptischen Geist zu sichern, sondern daruir, das Seiende zu verstehen. Die phäriomcnologische Reduktion hat &her nicht dcn Sinn, die tVelt ir. Frage zu stellen, um „ihre Wirklichkeit zu erweisen, :,~nderi-~ (um) ihren möglichen und echten Sinn herauszustellen". Wenn Husserl in den Pariser Vorträgen tlnd in den Cartesianischett ~~editaiiorteli. erklärt, dass seine P h i l o q h x fast als Neucartesian x n u s bezeichnet werden könne, darin lässt er sich zu stark von ?mer eirzelxn Idee, aber wohl auch durch das rein äusscre Nilieu, in dem die Vorträge gesprochen wurden, leiten. I n der Krisis Geht cr klarer: ,,Es ist natürlich ein lächerliches, obschon leider geivöhnliches Missverständnis, die transzendentale PhänorienoIope als ,Cartesianismus' bekärqfen zu wollen, als ob ihr 1
a.a.0. 46.
S. 2 5 5 . 3 s, die tcxtkritischeii Aiirn. zu Ha 111, C. 479, ad 265, 2
E I J S S E R L S V E R I I A L T N I S % U ICANT
SYSTEMATISCHE DAESTELLLKG
Logik: S .
203.
,ego cogito' eine Prämisse oder Prämissensphäre wäre, iim aus ihr die übrigen Erkenntnisse (wobei man naiverweise nur von objektiven spricht) in absoluter ,Sicherung' zu deduzieren. Es gilt nicht, Objektivität zu sichern, sondcrn sic zu vrrstchrn." 1 Es ist noch zu bemerken, dass Husserls Distanzierung vom Cartesianischen Weg oder sein Begehen des Weges über die Ontologie keineswegs dac Fallenlassen des Ideals der Philosophie als einer strengen Wissenschaft bedeutet. Allerdings wird dieses Ideal damit grundsätzlich modifiziert: Die Philosophie hat nun keine absolute Evidenz als Anfangspunkt mehr, sondern ihr Gang besteht darin, eine absohte Evidenz durch immer radikalere Besinnung und Selbstkritik zu suchen. Die absolute Evidenz ist nicht mehr etwas Gegebenes, sondern etwas A u f g e g e b e n e s , d.h. eine I d e e , wie Husserl in Formale .und transzendentale Logik klar erkennt.2 In der radikalen Verfolgung dieser Idee enveist sich die Philosophie als eine s t r e n g ~ v i s s e n s c h a f t l i c h e . Sie weis, dass die absolute Evidenz a n s i c h (KU$' U;&) das Erste oder der Grund (&X<) des von der Philosophie angcstrebten ISTissens ist, sei weiss andererseits aber auch, däss diese absolute Evidenz f ii r u n s (xphc i p E ; ) nur das Letzte sein kann, In Fo.rnzale und Iranszelzdentale Logik erklärt Husserl die transzentlent~nlcSelbstkritik der transzendentalen Phäriomenologic, durch d i c eine absoluttt (weil total reflektierte Evidenz) gewonnen wird, zur a n s i c h ersten Erkenntniskritik.3 Zuglcicli giliit cr xtwr sciiirr Ili:iiisiclit Ausdruck, dass diese an sich erste Erkerintniskritik iiirht dic erste für uns sein kann, sondern dass die TranszeridcntalphiIosophie notwendigerweise in einer gewissen NaivitRt und VorIäufigkeit beginnen muss.4 Folgende uns besonders interessierende Bemerkung sei hier noch angefügt: Kur wenn IIusserls transzendentale Reduktion vom Weg über die Ontologie her begriffen wird, kann verstanden werden, warum Husserl zugleich erklären kann, dass Kants Forschungen sich in der transzendentalen Einstellung bewegen, und dass Kant die Methode der phänomenologischen Reduktion nicht 2
a.a.0.
11.
2-37
4
Krisis, SC.193. Logik, S. 253. a.a.0. C. z 3). a.a.0. S. 239; vgl. Krisis, C. 18s.
238
SYSTEMATISCHE DARSTEI.I,UNG
kenne. Dcnii wrnn dic Epoch6 dcr transzendciltalcii Einstelluilg v o r a n g e h t , dann konnte Kant jene transzendentale Einstellung gar nicht einnehmen, da er die Epoche nicht bewusst übte. S u r wenn die Epoche den Sinn einer Reinigung und einer Sicherung v ' x einer Metabasis besitzt, kann die transzendentale Einstellung eir-genommen werden, ohne die Epoche oder die Reduktion <,,ReduktionHund „Epoche" ist hier als gleichbedeutend aufmfassen) 1 ausdrücklich diirchzuführcn. Wir s i x l zm Ende unserer Analyse von Husserls Idee der transzendental-phänomenologischen Reduktion angelangt und können zu mserer Ausgangsfrage zurückkehren. Wir hatten uns gefragt, welche Bedeutung die Kantische Weise des Rückgangs zur Subjektivität, wie sie auf Grund von Natorps Kantintcrpretation und Auffassung der philosophischen Psychologie von Husserl gesehen wurd-, für seine Idee der transzendental-phänomenologischer. Reduktion besitzt. Dass der Weg über die Ontologie der Krisis an Kant anknüpft, Sass F o w a l s und transzelzdentale Logik in engst.em Zusammcnhang steht m r Vorlesung Natur und Geist vom Somniersemester 1927,in der sich Husserl Rickert gzgenüber immer wieder auf Rant beruft, dass der Aufsatz Kant ~ n die d Idee der TrafiszendefiCalphilosophtk den Typus des Weges über die Ontologie verwirk-. .rcht, dass in dcri Vorlesungen vom Wiritcrseniestcr I ~ I ~ / I I ICants (kgeiiwart überall spiirbar ist usw., d l das ist natürlich kein Zufall. Husserls Weg iibcr die Ontologie, der am tiefsten und allcin wirklich befriedigend den von Husserl intendierten Sinn der xanszendenf al-~hänomenoloIogiscI~c?n Reduktion zu erreichen vermag, stcht in cngster Verwandtschaft zu jcricr Ihntiscli-Natorpschen Weise des Rückgangs zur Subjektivität : Gemeinsam ist vor allem die Auffassung, dass es sich bei der subjektiven Wissenscliatt um e h e radikale Abwendurig von der R i c h t u n g der o b j e k t i v e r Erkenntnis handelt, bzw. um eine U m w e n d u n g in eine neue Erkenntnisrichtung od3r - d i m e n s i o n , wobei die objektive Erkenntnis in der Form der Ontologie (des objektiven Apriori) nicht einfach weggewischt wird, sondern eine ,,Leit1 Mcisterij meint Jusserl mit ,,phänomenologische Reduktion" mehr als nur die 3poch6, narnlirt die. g a n z e Methode des Rückganges zur transzendentalen Subjrktivität. Marichmul, bes. in friiheren Schriften,ist ,,phänomenologische Reduktion" glcichbedeiiteiid niit „Bpoch6"; iri einigen Fällen ist „IZeduktion" sogar noch enger als ,,Epocb~"(s. 2.H. Ideen I , C. 73).
fadcnfunktion" einzunchincii hat. Was dcni l
19. Kants Begriff des Transzendentaleit Dieser Paragraph stellt nur eine Ergänzung zuni vorarigciienden dar. Der Unterschied zwischen der philosophischen Intention des Kritizismus und derjenigen von Husserls phänomenologischer PhiIosophie wurde oft an der Verschiedenhei 1 deren Transzendentalbegriffe zu fassen versucht. E. Fink brachte diesen Unterschied auf die Formel, dass der Gegenbegriff zu „transzendental" für den Kritizismus ,,empirisch", für EIusserl aber ,,niundari7' sei : Der Transzendentalbegriff des Kritizismus sei durch die (fiir Husserl noch weltliche) apriorische Weltform bestimmt, währcnd für Husserl ,,transzendental" auf dcri Tr;uiszc:iisiis von tlcr I V d t Liir Welt konstituierenden, selbst nicht iiiunciancri Siibjcktivitit verweise und letztlich diese Subjelktivität s<,lbst b ~ t l q ~ t c . "
Im folgenden soll untersucht werdcn, wie Husserl selbst den Kantischen fianszcridelitülbegriff interpreticrtc iind i r i xv(:lcIieii~ Verhältnis er ihn zu seinem eigenen sah. Dic Abhandlung, in der E. Fink jene Konfrontation durcliführt, hat Eusserlausdrücklich bisnuf deneinzelnen Satzgebilligt . 3 L S.U.
8 30.
D k ~hänomenologischcPhilosophie Edlntrnd Husscrls 1 9 , der gcgerlwäriigere Kritik, S. 376. 3 Husserl schreibt in seinem Vorwort des Aufsatzes von Fink: „Auf LVunsch der verehrtenlRedaktion der ICant-Studien habe ich diese Abhandlung genau durchgangen, und ich freue mich, nun sagen zu können, dass in derselben kein Satz ist, den ich mir s. E. Fink,
nicht vollkommen zueigne, den ich nicht ausdriicklicli als meine eigene ~berzeuguiig anerkennen könnte" (a.a.0. C. 320). Auch in einem Brief an Hans Stoltenberg vnrn 11. Juni 1934 drückt Husserl dieselbe Aiierkeririuri~d r s Aufsatzes F i n k aus (s. d i i Wiedergabe des Briefes i n Zeilsckriit iuv phiIosopI~ische Forschicrzg, XI11 (xgj?),
s. 180).
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Z+J
Trctzdem gibt sie aber nicht Husserls Auffassung von K a n t s Begriif des Transzendentalen getreu wieder. E. Fink geht es in dieser Abharidlung auch gar nicht um den Transzendentalbegriff K a n t s , sondern um denjenigen des z e i t g e n ö s s i s c h e n Kritizismus, und zwar um denjenigen der Südwestdeutschen Schule. Dieser zeitgenössische I
„
f
1
H a VII, Beil. SX. S. 386 (1908).
ZTJ K A N T
211
Um die Dimension zu kennzeichnen, in der diesc transzendentde Fragestellung t ~ e iKant steht, fügt Husserl. in1 zitierten Text gleich liirizu: „Kant sucht in tlcr Siibjcktivität bzw. iii der Korrelation zwischen Subjektivität und Objektivem die letzte Bestimmung des Sinnes der Objektivität, die diirch Erkenntnis erkannt wird. Insofern sind wir iiiit I<;int c~iriig. . . ." 1 Den ersten Transzendentalbegriff sieht Husserl bei Kant also gekennzeichnet durch die Frage nach der Möglichkeit der objektiven oder transzendenten Erkenntnis in der Subjektivitäc und durch die Beantwortung dieser Frage aus der Dimensioil der Subjektivität, bzw. aus derjenigen der Korrelation zwischen Subjektivität und Objektivität. Die von Kant erforschte Subjektivit ä t hat Husserl immer mehr niit der in seincrn Sinne rciric~iSubjektivität identifiziert.2 Diesen Transzendentalbegriff glaubt Husserl nach dem zitierten Text zur Bezeichnung seiner reinen Phänomenologie übernehmen zu können. E r war sich wohl bewusst, dass seine Interpretation des Kantischcn Transzcritlentalbegriffs mit dessen wörtlicher Oefinition bei I h i t selbst nicht übereinstimmt: Kant bezeichnet nicht diejenige Fragcstelliing als transzendentale, die die Möglichkeit der objcktivcn oder transzendenten (im Hiisscrlschen Cinii) Erkcniitnis iibcrlii~iiptiintcrsucht, sonder11diejenige, die sich mit der MCiglichkeit dcr a p r i o rischen Erkenntnis beschäftigt. Nun ist. abcr nach Husscrl - urid damit stimn-it er iin wesentlichtin mit dcru Rcstr1t:it (Irr Karitisclien Vcrtiiinlt krilik iilit.i.c.iri ( 1 1 1 , : L I ) I . ~ ~ I - ~ I I I \ I L ~ I I I I ! i~is;LIS die ontologiscbc nur dcr rcinc Aiisdruck clvr Objektivität als solclier der Erkenntnis,3 so dass für ihn jene beicien Fragcstellurigcn grundsätzlich identisch sind.4 Wir können feststellen, dass sich nun tatsächlich F1usserl.i; eigener Transzendentalbegriff mit ctirn von ilinr so intcrprcticrtrii 1
cbenda.
P S.O.
17.
3 S.O.
8 15.
4 Husserl war sich auch bewusst, dass dic allgeriieine traiiszt.ridentale 1:ragc Iiant.; nach den Bedingungen der Möglichkeit wer 0bjektivit:it den Charakter rincr l i c c h t ~ . frage hat. In einem Text aus dem Jahre 1925 sclireibt r r : ,,liaiits Lkgriff des T r a n szendentalen h a t eine erkenntniskritische Bedeutung, d.h. er betrifft die Quelle der Rechtfertigung", und f ä h r t dann fort: ,,In der Vertiefuug, die die Phanonienologir ermöglicht, können wir sagen und zugleich in der Erweiterung dcr transzerideiitaleii Asthetik Kants . . ."; anschliessecd fragt er nach den noeinatischeii (und andeutungsweise auch noetischen) Wahrnehmungsstrukturen, die zu eineni in der Subjektivität anschaulich sich ausweisenden Gegenstand notwendig gehören (s. 31s. t r a n x r . A V11 26, S. I ff.; aus Yov. 1925).
242
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Kantiscien deckt. Diese Deckung ist am besten ersichtlich in Husserls Pr3blemstellungen in der 2.eit um 1908, als er den Transzendentalbegriff in seine Philosophie einführte. Damals formulierte er sein Grundproblem in denselben Termini, in denen er die Kantische transzendentale Fragestellung interpretierte: Wie (nach welchen Wesensgesetzen) konstituieren sich die verschiedenen objektiven oder transzende~tenGegenständlichkeiten in der reinen Subjektivität? 1 Und die Antwort auf diese Frage galt es nach i h u rein aus der Subjektivität, bzw. aus der Korrelation von Subjektivität und Objektivität zu schöpfen, d.h. phanomenologische oder trariszendentale Reduktion zu üben. Husserl war sich auch später noch bewusst, dass er den Transzendentalkegriff im Hinblick auf Kant in seine Philosophie aufgenommen hatte. In den Ideen I führt er diesen Terminus zum erstenmal ein im Hinblick auf ,,wichtige in der erkenntnistheoretixhem Problematik der Neuzeit gründende MotiveM.2 Husserl begründet also die Übernahme des Transzendentalbegriffs duxch h i s t o r i s C h e Rücksichten. I924 schreibt er: „In der Tat, meine Ubernahme des Ihnt'schen Wortes ,transzendental', bei aller Ferne von den Grnndvorauscetzungen, Leitproblernen und Mtkhoden Kants, beruhte von vornherein auf der wohl. begrüncetex Überzeugung, dass anf diese neue Grundwissenschaft (SC. die reine Yhänomenologie) alle sinrivollen Problerne zurückziileiten seien (mindestens bei deren letztgeklärter Formulierung), dic Karit und scine Nachfolger unter dein Titel von transzendcntalen theorötisch bearbeitet hatten." U n der Krisis erklärt er umgekehrt, dass sein Begriff des 'Transzendent~lenauf die Kantische Philcsophie zutreffe: In eincrn weitesten Sinne, so führt er liier aus, g2brauche er das Wort ,,transzendental" für ,,das Motiv clcs Rückfragens nach der lrtzten Qilelle aller Erkenntnisbildiingaii, ecs Sichbesiii~icnsdcs Er:<enncndenauf sich selbst und sein erkenxmdes Leben, in welchem alle ihm geltenden wissenschaftlichen Gebilde zwecktätig geschehen, als Erwerbe aufbewahrt und frei verfügbar gewordzn sind und werden. Radikal sich au5wirl.:end, ist es das Motiv einer rein aus dieser Quelle begründeten, also letztbegründeten Universalphilosophie. Diese 2.B. Fit+-! Vorlesungen. S . 38/39,73 f f I, C . 73. 3 I A a VIL, ä a ? i t . . S. 230 (1924). 1
s.
3 dcen
..
Quelle hat den Titel I c h - sel b s t mit meinem gesamten wirklichen und vermöglichen Erkenntnisleben, schliesslich meinem konkreten Leben überhaupt. Die ganze transzendentale Problematik kreist um das Verhältnis d i e s es meines Ich - des ' e go ' - zu dem, was zunächst selbstverständlich dafür gesetzt wird: meine Seele, und dann wieder um das Verhältnis dieses Ich und meines Bewusstseinslebens zur W e l t , deren ich bewusst bin, und deren wahres Sein ich in meinen eigenen Erkenntnisgebilden erkenne." Kants System, schreibt Husserl weiter, sei nun „sehr wohl auch in dem definierten allgemeinen Sinn als ,Transzendentalphilosophie' zu bezeichnen", da man anerkennen müsse, d s s Kant, obschon mit ungekliirten Voraussetzungen operierend, allem Objektivismus gegenüber auf die erkennende Subjektivität als die Urstätte aller Objektivität zurückgehe und die seiende Weit als ein Sinn- und Geltungsgebildc cliescr Subjektivität verständlich mache.2 Wenn G. Berger glanbt, eine völlige Verschiedenheit zwischen Kants und Husserls Transzendentalbegriff feststellen zu müssen, weil ,,tra.nszendentai" bei I-lusserl einc Wirklichkeit bezeichne, niidich das transzendentale Subjekt, und nur auf [Liese Wirklichkeit (das ,,Ich") angewendet werden könric, während dieser Ausdruck bei Kant nur eine Betrachtungsweise (,,une certaine manihre de voir les choses") charakterisierc,3 so stimmt er damit nicht nurrnit Husserls Auffassung vorn Vvrhiiltriis dcs Iimtisc1ic.n und phänomenologischen Transze~idei-italbegriffesnielit überein, sondern er trifft auch den Transzendentalbegriff Husserls nicht völlig richtig. Wie bei Rant so bezeichnet auch bei Husserl „transzendental“ p r i m ä r eine P r o b l e m s t e l l u n g , nämlich die Frage nach dern apriorischen Fundament (Bedingung der Möglichkeit) der T r a n s z e n d c n i: oder ilvr Objrktivitiit. I>ic Subjektivität wird dünn insofern dic „tra~iszcs~cle~italc" genannt, als sie alle Transzendenz (Objektivität) in sich k o n s t i t u i e r t . Das Wort „transzendental" kommt bei Hiisserl auch historisch gesehen zuerst in Verbindungen wic „trniiszc.ndrntalc I'roblcnlc" oder „transzendentale Phänomenologie" vor und erst später in solchen wie ,,transzendentales Bewusstsein" oder „transzenden1
Krisis, C. rcm,hor.
3
G . Berger, Le cogito daiis la philosophie de Husserl, C .
* a.a.0. S. 102.
123.
244
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
tales Ego": Die zuerst genannten Ausdrücke finden sich schon in Texten von 1g08,l wahrend erst die Tdeen i den Begriff des ,,transzendentalen Bewusstseins" eitführen. und zwar gerade in Verbindung mit jener transzendentalen F r a g e s t e l l u n g nach der Möglichkeit transzendenter oder objektiver Erkenntnis: „Die Bezeichnung der phänomenologischen Reduktion und im gleichen der reinen Erkenntnissphäre als ,transzendentaler' beruht gerade darauf, dass wir in dieser Reduktion eine absolute Sphäre von Stoffen und noetischen Formen finden, zu deren bestimmt gearteten Verflechtungen nach i m m a n e n t e r W e s e n s n o t w e n d i g k e i t dieses wunderbare Bewussthaben eines so und so gegebenen Bestimmten oder Bestimmbaren gehört, das dem Bewusstsein selbst ein Gegenüber, ein ~rinzipiellAnderes, Irreelles, Transzendentes ist, und dass hier dir Urquell- ist für die einzig denkbare Lösung der tiefsten Erkenntnisprobleme, welche Wesen und Möglichkeit objektiv gültiger Erkenntnis von Transzendentem betreffen." 2 Dass wesentliche Unterschiede hinsichtlich ver5chiedt;ner Bestimmungen von ,,transzendental" zwischen ihm und Kant vorliegen, steht für Ilusserl natürlich sicher - man denke nur etwa an den für Kant paradoxen Begriff der transzendentalen Erfahrung -, an einer ubereinstimmung in der Grundbedeutung hält er aber fest.
talbegriff ist nach Husserl also durch eine Methode definiert, die darauf ausgeht, apriorische ,,Naturu-formen, bzw. ontologische Sätze (die ,,Grundsatze") zu deduzieren. E r stimmt im wesentlichen mit dem kritizistischen Transzendentalbegriff überein, wie ihn E. Fink im angeführten Artikel durch den Transzensus von den empirischen Gegenständen der Welt zu den apriorischen Weltformen charakterisiert und mit demjenigen Husserls konfrontiert. Diesen zweiten, einseitig von den ontologischen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis gekennzeichneten Transzendentalbegriff hat Husserl tatsächlich nie zu seinem eigenen gemacht, obschon er manchmal auch die Fragestellung nach diesen ontologischen Bedingungen als „transzendentaleM bezeichnet.1 Vielmehr erklart er, dass dieser Begriff notwendig noetisch zu erweitern sei - so etwa in einem Zusammenhang, in dem er Kants einseitiges ontologisches Interesse einer Kritik untcnvirft.2
Neben dem ersten Transzcndentalbegriff, den Husserl in Kants PhiIosophic vorfand, und der ihn bewog, seine Phänonlenologie als transzendentale zu bezeichnen, ~ a er h durrh Kant noch einen zweiten, begrenzteren Transzendentalbegriff motiviert : „Nun tritt in der transzendentalen AnaZyh'4 (SC. der Kritik der reinen Verwun/t) noch eine spezifisch transzendentale Methode hervor, insbesondere in der ,Deduktionpund in den Beweisen der ,Grundsatze' (näher der ,Analogien'). Die ,Analogien' sind ,a priori' gültige Satze, vor aller Erfahrung gültig, weil, wenn sie nicht g ~ l t e nwürdcn, cine objektiv gültige Zcitbcstinimung unmöglich wäre. Soll Erfahrung in Form der Erfahrungswissenschaft möglich sein, soll also Natur im Sinne dieser Wissrnschaft erkennbar sein, so müssen die und die Sätze gelten." 3 Dieser Transzendens. hls. orig. B I1 I, S. 27 f f . (wohl 1908). C. 35a (Sept. 1903). 2 Ideen I . C. 245, 3 Ha VII, Beil. XX, C . 386 (1908). 1
1 s. Ms. transcr. D 13 XXI, C. I O I (1907); vgl. a.a.0. S . 84, 1 5 3 (1907); 11s. orig. A 1 8 , S. 43a ( ~ g o g l r o ,55a (1909/1o); Ms.orig. A 1 36, S. 143 ff. ( 1 9 1 4 / 1 j ) ,IjO f f . (etwa 1915); Ha V, Beil. I, C. 128 (1912). B Ha VII, Kant.. ., S.281182 (1924).
5. K A P I T E L
I-IIJSSERL U N D K A N T S L E H R E V O N D E R „ D I E b-ATUR F O R M E N D E N S U B J E K T I V I T Ä T "
j
Klzlzlis Erfassung der Wesensstrukturen der Subjektivität Ini letzten Kapitel haben wir allgrmein ausgeführt, dass nach Husserls Interpretation Kant de facto zur absoluten Subjektivität vxgestcissen war. Dieses Kapitel s d l nun erläutern, inwiefern Husserl in der Kantischen Vernunftkritik auch eine konkrete, ir- die einzelnen fundamentalen Gestdten vordringende Erfassung d-s Wesens dieser Subjektivität zu erkennen glaubte. Erst hinjichtlich der konkreten Auffassung des W-ens der Subjektivität - worin narürlich auch eine Auffassung des Wesens der Objektivität imp!iziert ist - konnte sich füiHusserl sein Verhältnis zur Kantischen Philosophie grundsätzli~hbestimmen. DLSSKant, Vernunftkritik einen tiefen Einblick in das Wesen der Subjektivität darstellc, iinterliess Husserl nicht hervorzuhi'bca. Co erlrlart er am Ende des liistorischen Teilcs von Erste Pht7osoflhie von 1923/24, dass Kant „mit eincr beispiellosen intuiti~renKraft" Wt:sensstrukturen in der transzendentalen Subjektivität gesclicn habe, „die von anverglcichlicher Bedeutung sinc urid die niemand vorde~ngeahnt hat''. 1 E r mag dabei die Erkenntnis Iiants irn Auge gehabt haben, dass „in dem, was wir Seele nennen, alles irn kontinuierlichen F l u s e und nichts Rleibendes i;t, ausser etwa (wenn man cs durchaus will) das darum so einfache Ich, weil diese Vorstellung keinen Inhalt, mithin kein Yannigfaltiges hat . . .", 2 eine Erkr-nntnis, die seine Lehre vom ,Heraklitisclien Fluss" des Bewusstseins und von dem darin kbmden absolut einfachen Ichpol vorausnahm; oder aber auch R a n k Bestimmung der Zeit als der universalen Struktur der ,innern" und damit auch der ,,äussern" Phänomene;3 die bedeu20.
2
E r s t e P h . I . C. 197. K r i t i k der n k e n V ~ ~ n w tAf t381/82. ,
3 s Hs, 1ransr-i. B I V I, S. 149 ff. (wohl 1908)~WO H i ~ s e r den l Satz Kants aus der :ran~zendent;len Deduktion der ersten 'Auflage, lass alle Vorstellungen zueiner reinen inierex .4nsctauung, nämlich zur Zeit gehören, zitiert und erläuternd beifiigt, dass i r r E r i ~ l i r i i s z u ~ n n i i i i e n h a rdie ~ g Form der pliärioiiienologischeri Zeit habe.
tendste Entdeckung Kants lag nach Husscrl aber in der Lehre von der S y n t h e s i s :E r war der Auffassung, dass jener „in seiner tiefsinnigen Lehre von der Synthesis die Eigenart intentionaler Zusammenhänge im Grunde schon entdeckt und echt intentionale Analysen, in einiger Naivität, schon geübt hat." 1 Unter der Kantischen „Synthesis" verstand Husserl folgenden Begriff: „ ,Synthesis' . . . nennt er <SC. Kant) die im Subjekt sich vollziehende Leistung jener apperzeptiven Vereinheitlichung, wonach Mannigfaltigkeiten von Vorstellungen im Bewusstsein selbst die Bedeutung erhalten als die zur Einheit eines identischen äusseren Objekts zusammengehörigen Erfahrungen v o n eben diesem Objekt." 2 Die Synthesis, auf die es Husserl bei Kant abgesehen hat, ist die figürliche Synthesis (synthesis speciosa) der produktiven Einbildungskraft in der Erfahrung; es ist die im Kantischen Sinne „empirischew Synthesis, die das „Mannigfaltige der Anscliauung" durchgeht, aufnimmt und verbindet und dadurch den einheitlichen Erfalirur-igsgegerictand und die ganze Erfahrungswelt (die ,,Natur7')konstituiert.$ Nicht ist es die prädikative Synthesis des logischen Urteils, ebensowenig denkt Hiisserl dabei an die synthcsis intcllectwalis, wclclie nach Kant in Ansehung der Mannigfaltigkeit einer Anschauung abstrakt in der blossen Kategorie gedacht wird. Es geht ilirn aber auch wie dies bei Kant dcr Fall ist, um die „transzendentale“ oder ,,reine1' (die Wörter iin Kantischen Siriri gcnoianien) figürliche Synthesis der Einbildungskraft, die sich nur auf die a p r i o r i s c h e E i n h e i t s f o r m (odcr ontologische Struktur) der Erfahrungsgegenstände bezieht und der „empirischenw Syiithesis, d.h. der Erfahrung, als Bedingung der Xlöglichkeit oder (in der Sprache Husserls) als Wesensforin zugrundeliegt. Die grösste Bedeutung sprach Husserl der Erkenntnis Kants zu, dass Erfahrung - die immer Erfahrung v o n Gegenständen ist - in einer Synthesis einer Mannigfaltigkeit von Vorstellungen besteht, die ihren Einheitspol im e i n e n Gegenstand besitzt. Eine genauere und zwar transzendentale, d.h. auf dem Boden der reinen Subjektivität sich abspielende Analyse dieses synthetischen Charak1
8 J
Ha VII, Iiaat.. ., S. 237 (1924). Ha VII, Beil. X X I , S. 397 (SC 19161 Vgl. a.a.0. C. 404 (CS 1916).
~ 4 8
SYSTEMATJSCHE DARSTEL1,UNG
ters der Erfahrung sah er bei Kant in dessen transzendentaler Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft,die die drei Synthesen der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition in der Empirie - nach Kant - psycliologisch erörtert, um die von ihnen vorausgesetzten reinen Synthesen zu erschliessen.1
Die Thematik der Synthesis (im wdtesten Sinne) bedeutet für Husserl die noetische Seite der intentionalen Analyse.2 Alle Gegenstände sind nach Husserl synthetische Einheiten: Sie haben ihrer Sinn aus irgend einer Synthesic.; sie sind synthetische Einheitcn, weil sie als objektiv seiende immer I d e n t i t ä t e n mannigfaltiger ~ntentionaliiätensind. Korrelativ liegt in allen ~ e w u s s t seincerlebnissen Synthesis;3 ,,es gibt keine andere Verbindung von Bewusstsein mit Bewusstsein als Synthesis, wieviele Gestalten sie auch haben mag." 4 So ist Synthesis der erste und allgemeinste Begriff von „Konstitutio;l". 5 E r umfasst auch das immanente Zeitbewusstsein (intentionale Synthesis des immanenten Zcitbewusstseins) .6 In einem spezifischen Sinne sprickt Husserl von „SynthesisW hinskhtlicli der gegliederten oder polythetischen Akte des begrifflichen Verstandes.' Einc fundamentalere Synthesis stellt nach ihm aber die schlichte Erfahrung des realen Dinges oder schon dic Wnlirnehmiing des raurn-zcitlichcii Phantoms dar eben diejenige, die er bei Kant vorausgenomincn sah8 Beconderc 13edeulung erhielt für den späten Husrjerl dabci Kants „Synthesis der Rekognition". Während die I d e e ~dcr Auffassung sind, dass die Wahrnehmung, zu der natürlich immer Retention (dic Kants „Synthesis der Reproduktion" entspricht) gehört, für sich genommen genüge, um dcn Gegenstand als seienden darzustellen,R crklärt Formale und transzendentale Logik das Gegenteil : Wahr1 Welchen geriauen Sinn Husserl jeder dieser drei Synthesen Kants gab, ist nicht im einsehen zu ermitteln; jedenfalls interpretierte er sic nicht wie Heidegger als die Konstitution der drei Zeitdimensionen. In Ms. transcr. B I V I , C. 159/60 (1908) versucht 'r sie als Apperzrptionsschichte~iin der I
s. 245.
Med., S. 80.
3
C&.
3
Ma orig. .4 V1 26, S. 147b (Zwanziger Jahre).
5
a.a.0. C.
7 0
9
I&
(Zwanziger Jahre).
LogiR, S. 251. s. Log. Unters. 11, VI. Unters., z. Abschnitt; Ideen I, § 118. I. I d e e n I I , S . 20 Anm.; Ha VII, Beil. XXI,S. 404 (CS 1916) s. d e m I, C. 333 ff.
6 s,
IIUSSERLS V E R H A L I ' N I S %U K A N 1
240
nehniung als Urmodus der Selbstgebung allein ist keine volle objektivierende Leistung, wenn dariintcr dic Sclbstcrfassui~g eines Gegenstandes verstanden werden soll. Nur dadurch gilt die Wahrnehmung als Selbsterfassung eines Gegciistandes, dass mögliche und beliebig wiederholbare Iliiedererinneruilg („Synthesis der Rekognition") stillschweigend in Rechnung gezogen ist; „in jedem evidenten Gegenstandsbewusstseiri ist eine intentionale Verweisung mitbeschlossen auf eine Synthesis der Rekognition". I Dadurch, dass Kant die Erfahrung als Synthesis bestimmte, hatte er demnach nach Husserl bereits die Grundstruktur der Subjektivität überhaupt („die Eigenart intentionaler Zusammenhänge") erfasst. Dass Husserls Begriff der Synthesis, der schon in den Logischen Untersuchungen eine entscheidende Rolle spielt, direkt oder indirekt auf Kant zurückgeht, darf als sicher betrachtet werden. Allerdings ist zu beachten, dass Husserl in der Synthesis das Moment der „Thesis“ oder des „SetzensW (die ,,DoxaH) hervorhebt, während bei Kant der Akzent allein auf dem ,,synH, auf dem Verbinden liegt. Korrelativ wäre eine entsprechende Verschiedenheit irn Seinsbegriff festzuhalten. Durch diese Übereinkunft Husserls mit Kant hinsichtlich des Synthesisbcgnffs, wie er in unscrcr Darstellung bishcr zur Geltung gekommen ist, ist Iür das Verhältnis Husserls zur Kantischen Auffassung der Siibjcktivität noch wenig gesagti. Das Entscheidende liegt erst in den Fragen, inwiefern Husserl in Kants Vernunftkritik bereits eine differcnziertc Erfassurig einzelner Gestalten und Stufen der vielschichtigen Erfahrungcsynthcsis crkennen konnte; wic Husserl die I3eziehung der Kantisclirn Synthesis zu seinem Gedanken der genetischen Konstitution iliterpretierte, und wie er Kants Bestinimung des Verhältnisses zwischen erfahrungsbildender Syritliesis der produktiven Einbildungskraft und dem Verstand auffasste. Darüber soll in den folgenden Paragraphen die Rede sein.
250
SYSTEMATISCHE D A R S T E L J - U N G
JC 21.
Kants Unferscheidw.ng voa tralzsxendentaler Ästhetik zcnd transzedentaler Analytik In deti Einlciti~~igsvorlcsung~~i~ vom Somnerscmestcr 1916 führt Husserl aus: ,,Kant stösst auf die im Bewusstsein sich stufenweise aufbauende Intentimalität, in der eine äussere Gegenständlichkeit Gegenständlkhkeit für das erfahrende und denkende Bewusstsein ist"; 1 „was er unter dem Titel der ,Synthesis' nicht nur mit eine3 Wort bezeichnet, sondern schon nach Stufen gliedert, ist ein theoreticcher Anfang, der dazu berufen war, ein Keimpunkt für eine ganze Wissenschaft zu werden". 2 Als eine solche Gliederung in Stufen bezeichnet er die Kantische Scheidung von transzendentaler Ästhetik und transzendentaler AnaIytik;3 nach ihm handelt es sich hier um ,,grundwesentliche Demarkationen von Forschungssphären, die für jede künftige Philosophie bedeutsam werden müssen". 4 In Vorlesungen aus dein Winter ~924/25fasst Husserl den „berechtigten Sinn" dieser Kantischen Scheidung folgendermassen zrisammen : „I. Haltm wir uns an das uni~ersalgefasste Reich der eigentlichen Wahrnehmung, zunächst für die Natur, so kommen wir auf das Apriori der extensionalenSph&rc, auf das Kantische transzendcntaLästhetische Apriori. Darin das geschlossene Systcm der reinen C1.ir
stantialität-Kausalität = Redität und Ontologie der Realität, zu deren Formen Raum und Zeit erst werdcn (iirsprünglicli niir Phantomformen) ." 1 Diese Interpretation Husserls der Kantischen Scheidung von transzendentder Ästhetik und transzendentaler Analytik als zwei Stufen (Phantom- und Realitätsstufc) in dcr Dingkonstitiit i m geht auf die Jahre 1907 bis 1909 zurück, als sich Husserl intensiv mit Kant auseinandersetzte. In einem Text aus jener Zeit schreibt er: „Kant unterschied Anschauungsformen und Denkformen, und zwar für die Konstitution der erscheinenden Dinglichkeit; mochte er auch die klare Idee phä~iomenologisciier Konstitution nicht gehabt haben. Ist die Unterscheidung nicht in der Tat grundwesentlich? Nämlich auf folgendes ist hinzuweisen : W r schied sich im Wesen der Dinglichkeit erstens, das Phantom, zweitens, das physische Ding als Träger der physischen Eigenschaften, die sind, was sie sind, nur in1 realkausalen Zusammenhang, in dem das Ding eingeflochten ist." 2 Die Wichtigkeit der genannten Kantischen Scheidung betonen auch die Ideen 111.3 Bei Husserls eigener Gegenüberstellung von „Phantom" und „realem Ding" geht es um die Unterscheidung von zwei verschiedenen Apperzeptionsschichten in der \Vahrnehrnung: um eint erste Schicht, die blosse Raumgtstaltcn („Brschciimngcn") konstituiert, ohne sie in einer gegenseitigen Abhängigkeits- oder Einwirkungsbeziehung aufzufassen, und um eine zweite Schicht, die ihren Gegenstand als rcales Ding vorstellt, d.h. ihn als Wstimrrit durch seine Umstände sieht und seine wechseln&ri „Erscheinungen" als Zustände d e s s e l b e n realcn Dinges mit d e n s c l b e ri realen Eigenschaften auffasst.4 Von dieser Interpretation her ergab sich abcr für Hiisserl zugleich eine Kritik an der konkreten Durchführung der in Fragc stehenden Scheidung in der Krilik der reinen Vernunff: Er vermisste in der Transzendentalen Ästlzefili Kants die Erörterung &I in der Raiim- und Zeitapperzeption liegenden Synthesen: Kant glaube in seiner Transzendentalen Asthetik die Möglichkeit dc-r Geometrie gewährleistet zu haben, ,,während innerhalb der bio+ t
2
a.a.0. S. 56a (WS 1 9 2 4 I ~ j ) . Ms. transcr. R IV I, S. 34 (wohl uni 1908); \.BI. a.a.0. S.
I I Z ~ I(wollk um
a ldcun I I I , C. 3 0 ; vgl. Ideen I I , C. 35 ff. 4 s. 2.B. 31s. transcr. D 13 X X I , C. 47 ff., 120 ff. (wohl 1907); Ideen 11, g 15.
140s).
232
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
sen ,Sinnlichkeit', näinlicli vor den Erscheinungen in unserem Sinn, vor den ,Synthesen', die erst die Transzendentale Analytik - unklar genug - behandelt, nichts von eirzr Konstitution der Räumlichkeit gegeben sein kann". 1 In dieser Kritik berief sich i1iissc:rl :tuf Kaiit sc1l)st: 1)icscr selbst c:rklärc -- allerdings aber e r s t in der Transzendentalen Analytik, also a m f a l s c h e n O r t - dass Zeit- und Raumgestalten nur durch ,.Synthesis9' möglich sind: „Kant übersieht nicht, dass schon zur Einheit der Phantomanschauungen Synthesis gehört, und zur Einheit jedes immaneiiten Gegenstandes - aber sehr nachträglich bringt er es zur Geltung und im Widerspruch zur fianszen8e*talen Ästhetik." 2 Husserl bezieht sich hier auf jene Stelle der Transzendentalen Analytik, wo Kant erklärt, dass der Raum, alc Gegenstand vorgestellt (eine Vorstellung, deren die Geometrie bedarf), mehr enthalte als bloss d i e F o r m der Anschanii:ig, nämlich Zus a m m en f a s s u n g (Synthesis) des mannigfaltigen nach der Form der Sinnlichkeit Gegebenen in eine anschauliche Vorstellung.3 Den Synthesen der Phantomayperzeption sah Husserl weiter i i i der Kritik der reinen Vernunft an folgendcii Stcllcn ciitsprochen: in der allgemeinen Bestimmung des Synthesisbegriffes am Ende des ersten Hduptstückes der Analytik der Begriffe,4 in den drei Synthesen (näherhin in denjenigen der Spprehcnsion in der Anschauung und der Reproduktion in der Enbildung) der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage (zweites Hauptstück der Analytik der Begriffe) 5 iind in den Axiomefi der Anschauung (Analylik der Grundsätze).Aus Kants Erörterung dieser „Axiome" hat er sich unter dem Titel „Ein wichtiges Thema fiir Materialsammlung; Phänomenologisches in Kants Vernunftkritik" den berühmten Satz notiert, dass keine Linie vorstellbar sei, ohne sie zu ziehen, und dazu bemerkt, dass dies für jede Raumgestalt und damit für jedes Phantom gelte.B H a V l I , Beilage XX, S. 386 (rgo8). a.a.0. Beil. X X I , C. 404 (SS 1916). 3 Krilik der reinen Vernunft, B 161, Anm.; Kant bemerk: hier noch zum oben 1
2
Ausgeführten: „Diese Einheit (der Raumvorsteliung) :.atte ich in der Ästlietik bloss zur Sinnlichkeit gezählt, um nur zu bemerken, dass sie vor allem IIeqiffe vorhergehe, ob sie zwar einc Synthesis, die nicht dzn Sinnen angehört, durch welche aber alle Begriffe von Raum und Zeit zuerst mögiich werden, voraussetzt. Denn d a durch sie (indem der Verstand die Sinnlichkeit 'xstimmt) der Raum oder die Zeit als Anschauungen zuerst g e g e b e n werden, so gehört die Einheit dieser Aiischauung a priori zum Raume und der Zeit und nicht zu^ Begriffe des Verstandes.' 4 h1s. transcr. B I V I,S. 40141 (Dez. 1909). 5 a.a.0. C. 159!6o (wohl 1908). 6 a.a.0. S. 2/3 (wohl um 1908).
Die angeführte Interpretation der I
4
s.o. 5 gb. Ms.orig. d VII 14, C. r8a-37 (wohl xgzs), S. 39 C. 56ff. (U'S: 1924/25). 2 C.
ff. ( 1 9 2 4 ) ~ Ats. orla. A I V j,
W
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
bestimmende Vollphantom, die Substrateinheit, die erfüllte raumzeitliche Extension, die reine res extensa ist", also nicht etwa das kausal aufgefasste reale Ding. Der zweite Husserlsche Begriff von „transzendentale Ästhetik" ist der in Formale und transzendentale Logik definierte: Er bezeichnet die phänomenologische Problematik der vorwissenschaftLichen Wahrnehmung, bzw. der Welt der ,,reinen Erfahrung";% ia der Sprache der Krisis ausgedrückt, geht es dabei um die Konstitution der ,,Lebenswelt". Der diesbezügliche Wahrnehmungsbegriff bedeutet das sinnlich-anschauliche Erfassen der Welt in ihrer real-kausalen Struktur, die aber nicht mit der idealisierten rxakten Gesetzlichkeit der naturwissenschaftlichen Welt identisch ist: ,,Wahrnehmen im erweiterten Sinn als in ursprünglicher selbsthabe Erfassen einer Kausalität eines Daseins in Folge eines mderen Daseins." 3 Dieser zweite Begriff von ,,transzendentale Asthetik" kann nach Husserl enger oder weiter gefasst werden, je nachdem er sich auf die wahrnehmungsmässige Konstitution der Natur als einer Region oder auf diejenige der Welt als Jnbegriff a1Jer Regionen bezieht.4 Der Gegenbegriff dazu ist nicht mehr die ,,traisxendentale Analytik", sondern die „transzendenra1.i. Logjk". Diese ist „die Wissenscliaft von den mögliclicn Welicn als Ideen, bzw. die Logik in Beziehung auf dic Welt, die als Idee der deskriptiven, der aktuellen, relativen Erscheinungswelt zu Grunde Liegt. Hinsichtlich der Natur die Logik möglicher cxr-kter Naturwisscnscliaft mit Uczicliiirig auf einc ,exakte' Natur-"5 Husserls Bestimmung des Verhältnisses von transzendentaler Msfhetik [im zuletzt definierten Sinnj und transzendentaler Logik ist sich nicht immer gleich geblieben. Bis etwa 1925 bezeichnet er nur &e transzcndentale Logik als Ontologie, d.h. als eine Wissenschaft, die es mit dem wahren Sein zu tun hat. Später sieht er aber das Verhältnis von vorwissenschaftlicher und wis5enschaftlicher Welt völlig neu und gesteht auch der vonvissensckaftlichen Welt wahres Sein zu. Damit ist von dieser eine On-
' Sfs. orig. A IP 5, S. 63b (WS 1gz4/25).
Logik, S. 256,'j7. Sfs. orig. A IQ 5 , S. 63a (WS 1gz4/25). 4 31s. transcr. D z , S. I ff. (August 1933). 5 Ms. orig. A I V 3, S. 50b (Nov. 1925 oder später); vgl. Ms. transcr. A V11 14, S. 156 (1ijz3)U. Logik. C. 257. Z
3
tologie möglich: In der Krisis wird er sie Ontologie der Lebenswelt nennen. Diese Wendung bei Husserl scheint sich in einem Text zu vollziehen, der wohl aus dem November 1925 oder aus der Zeit kurz danach stammt und den er als ,,grundlegend" bezeichnet.1 Dieser Text behandelt hauptsächlich das Problem der Idealisierung, bzw. der Schöpfung e x a k t e r Begriffe in der Wissenschaft im Ausgang von der vorwissenschaftlichen Erfahrung mit ihren vagen, nur auf das T y p i s C h e bezogenen Begriffen. Zunächst ist Husserl der Auffassung, dass die Idee der exakten wissenschaftlichen Natur zwar ein Denkgebilde sei, aber dass dieses Denken nur a n a l y t i s C h herausstelle, was in der Weltkonstitution der vonvissei~scliaftlichen Erfahrung sclion konstitutiv liege; „und das betrifft schliesslich auch die Mathematisierung der Welt . . . ". 2 Im Laufe der Untersuchungen löst I r gebnis: er sich aber von dieser Auffassiing und kommt zum l: ,, . . der Stil der universalen Erfahrung wird iin Üben des tlieoretischen Erfahrens und Erfahrungsdenkens nicht bloss anaiytisch enthiillt, sondern auch fortgestaltet und neugestaltet. Es ist zu unterscheiden: I. Die analytische Leistung der Enthüllung des formalen Stils lebendiger Welterfaluung - dies ergibt das formal Allgemeine, d ~ in s weitcrcr 1;olgr: zii rsplizicm:ii ist ; ~ l s die unbedingt notwendige Form cincr uriivcrcalcii Ei-fdiriiiig, dic als Erfahrung einer Welt iiberlisupt soll fortcchrcitcri kijnneri. Andererseits,z. das in gewissern Sinn aii(:li formal A11gcnieiiic, weil den universalen Stil bctrcffcxid, da.; sicili t liii.cli tlw ( L L I I( ~l v theoretischen Erfalirung und rnitt(:ls cirics rt!iiieti I)ciikc~is,lici-ausstellt'. Das sagt, dass der Gang dieser Erfahrung, aufgestuft auf der vortheoretischen Erfahrung mit ihrem vortheoretischr:n Forrnstil, diesem Stil neue Forrnrnomente zuführt, wobei natiii-Iich die Welt selbst eine erweiterte forrnalc Striiktiir erhalt und (wie die Welt des ,natürlichen' Lebens) als Präsumption, dic i ~ i i strömenden Fortleben beständig betätigte Präsumption bleibt." 1st nun die wissenschaftlicheWeltform nicht bloss einc analytische Enthüllung der WeIt der natürlichcn Brfaliruiig, soiidern cine dieser unterlegte Idee, so kann das Sein, bzw. die Wahrheit der
.
Xs. orig. A IV 5, S. 25a-52a, wobei S. 43a-5za eine Beilage bildet. Der Haupttext stammt aus Xovember 1925; die Beilage dürfte zu derselben Zeit oder kurz danach geschrieben worden sein. a.a.0. S. 43b (Nov. 1925 oder später); vgl. a.a.0. S. 67a (WS 1gz4/zj). 2 a.a.0. S. +salb (Nov. 1925 oder später).
zt6
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
ronvissenschaftlichen Welt nicht einfach in der wissenschaftlichen Welt, sondern muss in ihr selbst liegen. Am Ende des 'Textes bemerkt Husserl: „Ich habc immer gemcint, dass zum einer an sich wahren Welt gehört, dass zwar alles ästhetisch erscheinen muss, dass sie aber als bloss ästhetische nicht wahrhaft sein kann. Aber muss es eine Welt in diesem Sinne geben? Kann nicht eine Welt konsequent erscheinen, ohne Ideen i l sich zu tragen in diesen Erscheinungen etc. ? Eine Welt aIso, f3r (die> es keine exakten Wissenschaften gibt?" 1 Die Begriffe von „transzendentale Ästhetik" im ersten ( „ K m tiichen") und zweiten (soeben definierten) Sinn überschneiden sich. Während der erste nur die Phantomstufe umfasst, bezieht sIch dvr zweite auf reale, substantiell-kausale (allerdings nicht exakte) Dinge. Andererseits liegt die Möglichkeit der Idealisier n g schon in der Phantomsphare -- erst durch diese Idealisierung entstehen Geometrie, Chronologie und Phoronomie -, so dass der äithetische Bereich „im Sinne Kants" in die transzendentale Logik übergreift. Au& den zweiten Begriff von „transzendentale Ästhetik" bringt Husserl in Beziehung zu demjenigen Kants. Allerdings limdelt es sich nach ihm um einc Erweiterung des Kantischen. Tn Formale zcnd transzendenta!a Logik erklärt er, dass er die fundxnentale Problematik des Apriori dcr Welt, der „reinen Erf:*hrunq" als „transzendentale Ästhetik" bezeichnen wolle, und zwar ,.vermögci ciner lcicht fassbaren Bezieliuilg zur engiinlgrenzten Kanlischen". 2 Drittens ist „tr<~nszenderitalc Ästhetik" bei J-Iusserl auch Titel fix die Problematik der p r i m o r d i aleri Konstitution (gegenüber der intersubjektiveri) : „Wir dürfen den ausserorclentlich grosser. Komplex der auf die ~rimordinaleWelt beziiglichen Forschungen (tlcr eine ganzc Disziplin ausmacht) auch bezeichnen als ,transzendentale Ästhetik' in einem sehr erweiterten Sinn, wir den Kantischen Titel darum übernehmen, weil die Raum- und Zeitargumente der Vernunftkritik offenbar, wenn auch in ausserordentlich beschränkter und nicht abgeklärter weise, auf ein noematisches Apriori sinnlicher Anschauung hinzi&n, zum konkreten Apriori der rein sinnlich anschaulichen 1 2
C. 5ob (Nov. 1925 oder später). L s g i k , S.256.
Natur (und zwar der primordinalen) erweitert, seine phänomenologisch-transzendentale Ergänzung fordert durch Einbeziehung in eine konstitutive Problematik." 1 Weil Husserl in Kants transzendentaler Ästhetik einer Grundschichte der Weltkonstitution entsprochen sah, gebrauchte er diesen Terminus nun überall dort, wo es ihm galt, eine erste Stufe der Weltkonstitution gegenüber einer zweiten zu bezeichnen. Je nach der besonderen Stufenproblematik mit der er sich gerade beschäftigte, ist diese erste Stufe sehr verschieden bestimmt. Die Beziehung zur transzendentalen Ästhetik Kants ist eine äusserst vage.
Kants ,,Synthesis" als genetische Konstilution der N a t w Bisher haben wir nur darüber gesprochen, dass Husserl in der Kantischen Lehre von der ,,SynthesisWder Naturerfahrung die Erfassung der Form, wie sich das Bewusstscin intentional durch Mannigfaltigkeitcn von Noesen und Noemen hindurch den e i n e n Gegenstand darstellt, vorausgenommen sah, und dass er bei lCant auch schon hinsichtlich dm Konstitution der Natur eine differenzierte Gliederung von verschiedenen Stufen von „Synthesen" erblickte. Nicht zur Rede gekomnieri ist aber, wie Husserl div Kantisclit: ,,SynthesisV in ihrem Sirine als F o r ni U 11g oder H i 1 d u n g der Natur deutete und beurteilte. Die ,,Syntki:sis" ICaiits hat Husserl il-iimrr ; ~ l sscliiipfr riscli o d e ~p r o d u k t i v intcryrctiert. Schon in d& Philosopkiti der Arithmetik führt er aus, dass nach Kant jedes Ganze ein durch die Selbsttätigkeit des Geistes scliöpieriscfi Gewordenes sei, und zwar in der „Synthesis". Dicse Aiiffnssung Kants erklärt Huswrl aber für unhaltbar: „Die innere Erfahrung, und diesc allein ist hier entscheidend, lehrt nichts von solclicn scliiipfcrischeti I'rtrzessen. Unsere Geistcstätigkcit maclit nicht die Relationen; sie sind einfach da und werden bei gehöriger Richtung des Interesses bemerkt so gut als irgend welche andere Inhalte. Iin eigentlichen Sinn schöpferische Akte, welche als ein von ihnen verschiedenes Resultat irgend einen neuen Inhalt schaffen, sind psychologische Undinge." 2 Ein schöpferisches Bewusstsein - Husserl hat hier nur das t h e o r e t i s c h e im Auge - lehnt er hier also völlig ab. 22.
Gart. Ned., S.
a.a.0.
2
173.
Ph. d. Arithmetik, S.
42;
vgl. a.n.0. S. ;b
13.
2 ~ 8
SYSTBMATISCIIE DARSTELLCNE
Dieselbe Interpretation Kants finden wir in einem Text, der aus den Jahren 1911 oder 1912 stammen dürfte.1 Äusserst aufschlussreicli ist er für Husserls Stellungnahme hinsichtlich des schöpferischen Charakters der Kantirchen „Synthesis". Husserl behandelt hier die für die Analyse des Bewusstseins fundamentalen gegensätzlichen Begriffspaare wie Affektion und Rezeptivität, Rezeptivität und Spontaneität, antepräcikative Spontaneität und prädikative oder logische Spontaneität. Hauptsächlich sind die Erörterungen dem Verhältnis zwischen dem anteprädikativen Erfahren der Dinge, das sich den passiv vorgegebenen Gegenständen zuwendet und sie durchläuft, ucd der logischen Verstandesfunktion, welche Sachverhalte, S ~ b j e k t eund Prädikate konstituiert, gewidmet. Husserl bemerkt abschliessend: „Aus den vorstehenden Ausführungen ist zu lernen, dzsc wir die ,Funktionen', die Erscheinung konstituieren, grundwesentlich unterscheiden müssen von den eigentlichen aktiven (spontanen) Verstandesfunktionen. Die einen sind die Furiktionen der niederen ,Synthesis', die andern die Funktionen der höheren, der logischen Synthesis. K a n t , wo er von Synthesis sp~icht,hat wohl gerade die niederen Funktionen (Synthcsis der EirLbildungskraft) im Auge, in der höheren Stufe spricht er von awslytischer Einheit. Diese setzt jenc voraus. Jene erscheint ihm als die eigentlich schöpferische: eben weil diese nur aiiscinariderle$, was jene ,unbewusst' geschaffen. Indessen, wenn w i r von schöpferiscli sprechen, so meinen wir das schöpferische Konstituieren, das in der Spontaneität als solcher liegt, während die niedcre Synthesis nicht schöpferisch ist, insofern als die Erscheinung einfach etwas Gehabtes ist, und wir keine Fragen haben, wit; Einbildungskraft aus Empfindung Erscheinung ,macht'. Sie macht gar nichts, sofern sie Rezeptivität ist. Psychologisch mag man von Produzieren sprechen, phänomenologisch kann man nur die Komponenten der Erscheinung und sie selbst ihrem '8esen nach analysieren. Phänomenologisch finden wir aber den Wesensunterschied vor z ~ l s c h e nAuffassung und logisch verknüpfender Funktion, von logisch mannigfach formender." 2 I n diesem Text lehnt es Husserl also wiederum ab, als Phänomenologe hinsichtlich der Ms. orig. .4 V1 611,C. 36b ff. (wohl 1911 od. 19x2). a.a.0. C. qza (wohl 1911od. 1912);als produktiv inrerpratiert Husserl die Kautische Synthesis auch in Ms. transcr. F I 22, S. 15,19,2'3(Fic:?tevorträge, rgr?/1g18). 1 2
Konstitution iler Erfahrungsdinge (Naturdinge) sCh öp f eri s c h e n oder p r o d u k t i v e n Akten zu sprechen; erst in deil Verstandesfunktionen, die die logischen Gebilde konstituieren, sieht er als Phänomenologe einen eigentlich schöpferisch-sponta~len Charakter. Kants ,,Synthesis" i n i h r e m C h a r a k t e r d e s P r o d u z i e r e n ~weist erzurück. Das will nicht heissen, dass Husserl nicht schon hier der Auffassung wäre, dass alles Gegenständliche, auch das schlichte Ding der Erfahrung oder Wahrnehmung, sich notwendigerweise im Bewusstsein konstituiert. Dies bedeutet aber nur die K o r r e l a t i o n von Sein und Bewusstseiil, die Notwendigkeit, dass das Sein im Bewusstsein ausweisbar sein muss, um überhaupt sein zu können, keineswegs aber ein Geschaffensein des Seins im Bewusstsein. Einige Jahre später - wohl etwa um 1920 -- korrigiert Hiisserl aber die letzten beiden Satze des soeben zitierten Textes folgendermassen (wir unterstreichen das Hinzugefügte) : „Psychologisch u n d phänomenologisch-genetisch mag man von Prudiizieren sprechen, phänomenologisch- s t a t i s C 11 kann man nur die Komponenten der Erscheinung und sie selbst ihrem Wesen nach analysieren. Phänomenologisch-s t a t i s c h finden wir aber den Wcsensuntcrschied vor zwisclicn Auffassung und logisch verknüpfender Funktion, von l o ~ i s c hmannigfach fornrencler." Was Husserl vorher als Phänomenologe abgelehnt hat - den produktiven Charakter der schlichten Erfalirurigssyrithesis - erscheint ihm nun von einem neuen phänornenologisclicn Gcisiehtspuilkt, nämlich vom g e n e t i s c l i c n aus, als richtig. Damit nirnrnt er die Kantische „Synthcsis" in ihreiri produktiven Sinn a n ; er idcntifiziert sie mit seiner „ g e n e t i s c h e n K o n s t i t u t i o n " d e r transzendenten Erfalirurigsdinge. Ein Husserlscher Text, der aus dem TJrnkreis der Logikvorlesungen vom Wntersemester ~ q z o / z zstammt,l trägt den Titel: „Synthcsis als Konstitution und Analysis des logischen Uenkens. Kants Synthesis = genetische Konstitutio~i."2 Husserl spricht hier von der anteprädikativen Sinngebung, die sich in fortschreitender Genesis transzendenter Gegenstände als genetische Konstitution voIlzieht. Auf Kant Bezug nehmend fügt er hinzu : „Was 1 Auf diese Vorlesung geht Erf u. Urt. zurück. Zum Problem des Ursprunges dieses Werkm s. die EinIeitung zu Ha V I I I von R. Boehm, C. X S S V Auni. 5 . 1 Ms.transcr. B I V 12, S. 2 (um 1920).
da ,Konstitution' heisst, das hattc offenbar Kant unter dem Titel ,Verbindung als Verstandeshand:ung', Synthesis im Auge. Es ist die Genesis, in der sich das Ich ur.d korrelativ die Umwelt des Ich konsiituiert. 1% ist eine passive Gcnc.is - kcine katcgorialc Aktion, die kategoriale Gebilde erzeugt: kategorial im eigentlichen Sinn, keine prädikative Urteilsaktion . . . ." 1 Husserl fasste die Idee der phänomenologisch-genetischen Konstitution, die es ihm erlaubte, Kants ,,Synthesis" der Naturerfahrung i n ihrem p r o d u k t i v e n S i n n zu bejahen, in der Zeit von 1g18/1g, und zwar, wie wir noch genau zeigen werden, unter dem Einfluss Natorps. Die Ideen bewegen sich noch auf dem Boden der s t a t i s c h e n Phänomenologie, d.h. sie analysieren noematisch und noetisch die mannigfaltigen Gegenstandsapperzeptionen nach ihren verschiedenen Modi, teleologisch geschichteten Stufen und implizi2rten Horizonten. Von diesem statischen Gesichtspunkt aus kann die schlichte Erfahrung, die die Oinge a b vorgegebene darsteltt, nicht als produktiv betrachtet werden. Erst indem Husserl der „Geschichte" oder Genesis der Apperzeptionen als e r W o r b e n e n Habitualitäten nachgeht, zeigt sich ~ h m dieses Erwerben, das als „Resultatm (Erwerb) seine nun immer vorgegebene ,,fertigeHHabe: die „TJmwelt" konstituiert, als ein Produzieren. Produktiv ist also nicht das Leben in den habituellen Apperzeptionen als solchen, das allein von der statischer) Phänomenologie untersucht wird, sondern die Genesis dieser Habitualitäten als Gegenstand der genetischcn Phänomenologie. Die Passivität, die Husserl dieser Genesis zuspricht, hebt deren produktiven Charakter nicht auf; sie bedeutet nur, dass das Ich als Ichyol in dieser genetixhen Konstltutiori nicht frei aktiv lebt, wie es dies etwa tut, w e m es ein logisches Urteil fällt. Es stellt sich hier natürlich das Problem von Husserls Idealismus. E s erhebt sich die Frage, was die Produktivität der Konstitutior. der Natur bei Husserl rn-taphysisch bedeutet, wobei auch auf den metaphysischen Sinn von Husserls genetischer Konstitution i m A l l g e m e i n e n eingegangen werden müsste. \TorEufig lassen wir diese Fragen noch beiseite -wir werden uns ihnel im 6. Kapitel widmen - ur-d mtersuchen nun genauer, wie Hujserl Kants Auffassung des Bezuges der ,,Synthesis" zum Verstand einerseits und zur Sinnlichkeit andererseits beurteilte. 1 a.i.0.
5.
213;
wir zitieren das Original {C, ZI), da die Transkription fehlerhaft ist.
5 23.
,,Syntlaesis" und Verstand Nach Kant ist die Synthesis die Wirkung der Einbildungskraft, „einer blinden obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele". Das Verhältnis der Binbildiingskrafl ziiiii Verstand I>cstiiiiiiit Kant in den beiden Auflagen der Kritik der reitzen Vernunft zienllich verschieden: Während die Einbildungskraft in der ersten Auflage als ein gegenüber dem Verstande selbständiges Vermögen erscheint - obschon sie ihre Synthesen auf dem Grunde der Verstandeseinheit, der Kategorien ausübt - wird sie in der zweiten Auflage zu einer Funktion des Verstandes - insofern dieser auf die Sinnlichkeit wirkt -, so dass nun der Verstand als eigentlicher Urheber der Synthesis auftritt: die Synthesis der Einbildungskraft ist eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit. Mindestens in seinen späteren Jahren hat sich Husserl in seiner Interpretation der Kantischen Synthesis hinsichtlich deren Verhältnisses zum Verstand hauptsächlich an die zweite Auflage der Kritik dw reinsn 'V8wzzcnft gehalten, ja, er geht sogar nudi über sie hinaus, worin er den Neukantianern seiner Zeit folgt, die mindestens diejenigen der Marburger iirid siidwestdeutschen Schule - für Kants Auffassung der Einbildungskraft als eines besondern Vermügens nichts übrig hatten. \Vährend er in Texten aus der Zeit vor den Ideen die Kantischc Synthesis noch als Handlung der Einbildungskraft bezeichnet, spricht er nach den Idden zumeist nur noch von der Kantischen Synthesis als einer Wirkung des Verstandes oder der Veriiunft, ohnc clib Eir1bildiing.skraft überhaupt zu enviihnen; 1 so schon in den Einleitungsvorlesungen vom Sommersamester 1916.2 Besonders deutlich geschieht dics aber in der Krisis,wo Hiisserl i t ~zwei Paragraphen ($5 25 und 28) auf die „grosse Kantische Entdeckung" vorn „doppelt fungierenden Verstand" zu sprechen koinirit: E s ist einerseits der Verstand, der sich in den IVissenschaftcn (mathematischen Naturwissenschaften) begrifflich offenbart und betätigt, und andererseits der Verstand, der verborgen fungierend imme~fortsinnliche Daten rationalisiert und immer schon rationalisiert hat und in dieser Synthesis die sinnlich-anschauliche 1 Allerdings spricht Husserl noch iii eiiierii Text von 1928 dnvoii, dass riach Kant die anschauliche Welt „ein sich in der tr;iiis~.eiidcntnlcn Syntliesis (Irr 1:iiibildunpskraft konstituierendes Gebilde" sei (s. Ha I X , Beil. I , 5. 352). 2 5. H a VII, Beil. S X I , C. 398/99 (CS 1916).
262
SYSTEM!xTISCIIE
DARSTELLUNG
UinWelt k,snjtituiert. rm 5 ~s kbnfronti& Husserl diese Lehre Kants lnit dem Hume'schen Datenpositivismus, der nur die Empfindiingsdatcn in dez sknlichen Wahrnehmung gegeben sein lässt und die Dinge in i b ~ e Struktur r der Identität und Kausalität zu Fiktionen erklärt. ,,Zr-mterschiebt", sagt Husserl von Hume, ,,der Waiirnehrnung, die un: dcch D i n g e (die Alltagsdinge) vor Augen steilt, blossc iiinnedaxn. M.ri.W. : Er übersieht, dass blosse Sinnlichkeit, auf blosse Empfindungsdaten bezogen, für keine Gegenstände der Erfahrxg aufkommen kann. Also übersieht er, dass d k e ErfahningsgrgenstHnde auf eine verborgene geistige Leistung verweisen, uiid das Problem, was das für eine Leistung sein kann. Vorweg muss ~ i doch r eine solche sein, die die vorwissenschaftliche Erfak-ung dazu befähig macht, durch Logik, Mathematik, mathernatische Naturwissenschaft in objektiver Gültigkeit, d.i. in einrr für jedermann annehmbaren und bindenden Notwendigkeit erkennbar zu sein." 1 Demgegenüber lehrte Kant, so führt Husserl weiter aus, dass in der Erfahrung zweifellos Dinge erscheinen une nicht blosse Empfindungsdaten, dass diese Erfahru~igsdingcaber Leistungen des verborgen fungierenden Verstandes seien, der die Sinnesdatcn durch apriorische Formen z 2 synthetischen Einheiten bringt: „I
den Verstandeskategorien die korrespondicrciidc At-ischuiing gibt (und insofern - und nur insofern - zur Sinnlichkeit gehört, da alle Anschauung sinnlich ist). Husserl übcrsnli diese Unanschaulichkeit des Kantisclien Versta~ldcs, wci! scin c igc n e r Begriff des Verstandes die Anschauung keineswegs ausschliesst auch nicht die sinnliche, denn Sinnlichkeit und Verstand sind bei Husserl überhaupt nicht streng zu utitcrsclici~lcn.~ 1)arirm wnrcn ihm die Kantischen Ausführungen über die Einbildungskraft und den Schematismus, die die Kluft zwischen der sinnlichen Anschauung und dem unanschaulichen Verstand überbrücken wollen, unzugänglich. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal bemerkt, dass Husserl in der Kantischen Vernunftkritik die Rolle der Anschauung stark hervorgehoben sah und dies auch besonders würdigte. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass Husserl sein intuitionistisches Grundprinzip öfters mit der Kantisclxn Formel „Begriffe ohne Anschauung sind leer" formulierte und dass er der KantIschen These von der hngewiesenheit des Regriffs (bzw. des Denkens) auf Anschauung, um überhaupt objektive Be de u t u n g zu erhalten, völlig beipflichtete.2 In mehreren Rlanuskripten nimmt Husserl auf diese Kantische These ßezug.3 Allerdings ist - auch darauf haben wir schon hingewiesen -- EI-~iisscrls Anschauungsbegriff weiter als dcrjenige Kants. Aber die gruncllegendi. Anschauung ist auch nach Husserl die ernyirisch-siniiliche: Dit: t r a n s z e n d e n t a l e Anschauung der Pliäno~nencilogic,,2etzt dadurch, dass sie r e f l e x i v i s t , die naiv-objektive iincchatiung voraus, und auch die a l l g e m e i n e 12nschauurig (Ideation) ist wie jede kategoriale Anschauurig in der sjrinlicheri funtlicrt und konstitutiv in ihr verwurzelt. Alle Wal~rhcitcrisii~dnach Hussc:rl auf eine Welt von I n d i v i d u e n zurückbezogen:4 L k sachhaltigf~ Wesenserkenntnis fordert zur kritischeri Ilt~aiisstcllung dcr echten Evidenz den Kückgang auf exemplarisclie Anschauuiig oder „möglicheJ' Erfahrung von Individuellem,5 und die analytische Wesenserkenntnis beruht ietztlich auf der sachlichen Einheit der Erfahrung von Individuellern.6 Wie für Kant, so wäre S.O.
3 gb.
so. S. 98;99. a S.O. S . qg Anm. I. 4 s. Logik, S. 181 ft. 6
8
a.a.0. S. 189. a.a.0. S. rgo ff.
264
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
auch fiir Husserl die apriorische Erkenntnis, wenn sie nicht auf das Individuelle der Erfahrung Bezug hätte, „ein Spiel mit Leergedanken '. 1 Auch für Husserl g 3 , dass die Kategorien reälisieren sie versinnlichen heisst.2 Indem Husserl die Rolle der Xnscha-~ungin Kants Vernunftkritik hervorhob, vollzog er gewisseraasen die Gegenbewegung zum Neukantianismus, besondsrs zil demjenigen der Marburger Schule, der ausgehend vom nichtanschauenden konstituierenden Verstand die Unanschaulichkeit der Erkenntnis bzw. des Erlienntnisgegenstandes betonte und auch Kant ei~tsprechendinterpretierte. Div ,.Kantische Lehre vom doppelt fungierenden Verstand" wertete Huscerl durchaus positiv, als eine „grosse Entdeckung". 3 IIocIr bemerkte er, dasseigentlich n l r von einer „Vorentdeckung" gesprochen werden könne, d a Kant diese Lehre als das Ergebnis einer bhss regressiven Methode n k h t wirklich zu begründen, ja nicht &mal voll verständlich zu machen vermöge; die „trans;iciitlt:nt;~icT_)cdukCiori"clcr crstcii Auflage dcr Kritik der reinen Iiernuq? stelle zwar einen Anlauf zu einer direkten Intuitiven Aufweisung dar, werde aber abgebrochen, bevor es zu einer wirklichen GruncUegung gekommen s e i * Husserl stellt sich in der Krisis die Aufgabe, diese „Vore.ntueclrung" Kants zu einer Entdeckung zu erheben: ,,Sollte dcr Kantischen Theorie nun doch eine W~lirheit,eine wirklich einsichtig zu machende Wahrheit einwohnen, wie es in der Tat der Fall ist, so wäre dies nur dadurch möglich, dass die transzendentalen Funktionen, durch welche die fraglichen Unverständlichkeiten einer objektiv gültigen Erkenntnis ihre Erklärungen finden sollten, einer Dimeiisjon der lebendigen Geistigkeit angehören, die vermöge sehr natürlicher Eieniinungen der Menschheit und selbst den Wissenschatlern der Jahrtausende verborgen bleiben musste, während sie doch dilrch eine ihr angemessene Methode der Erschliessung als ein Reich erfahrender und theoretischer Evidenz wissenschaftIich zugänglich gemacht werden kann." 5 3, ~ 8 2 vgl. ; Kritik der reim% Vernulift, A 157/B 196; A 238 ff./B 297 ff. s. hIs. orig. F 1 26, S. x47b (1902/03). 3 Iiljsis, S. 1 c 6 4 ebenda J a.aO. S. I Z O ~ Z I . 1 a.a.0. 2
Der Gedanke, dass die anschauliche Erfahrungswclt sich in der „Synthesism der ,,kategorialen Funktionen" des „verborgenen" Verstandes konstituiert, war für den späten Husserl in der Tat von grösster Bedeutung. Ihm selbst stellte sich das Problem, das er bei Kant vorausgenommen sah: ,, . . . Welche ,Sinnendinge' und sinnlich anschaulichen Welten müssen wahrnehmungsmäscig und in mannigfaltigen einstinunigeil 'IVahrnehmungen sich ausweisend erfahren sein und müssen erfahrbar sein können - in Subjekten einer Intersubjektivität, damit eine wahre Welt, eine Welt objektiver Erfahrung sicli soll in Endgültigkeit koiistituieren können. Und darauf stuft sich, wie schon gesagt, ohne weiteres die Frage auf: Wenn der \Vahrnehniende . . . ,\'irahrnehmungsurteile' fällt, Urteile, die sich nach dcr wirklichcn Erfahrung richten, sie expIizieren nach l~ingcigciiscliaftcii,nach realen Verhältnissen, zeitlichen, räurnliclieii, kausalen etc., wann kann aus diesen Urteilen, die bloss subjektiv relative Geltung haben, ein Objekt, ein intersubjcktivaii sich sc,ic.ndr>,Irc~r;~iisbestimmt werden nnd nach welclicr Mctliodc. Nntürliclr: t l i e Kantische Frage seiner transzendentalen Analytik." 1 M.s.'\V., Husserl fragte sicli, wie es möglich ist, dass sich auf der sinnlichen Erfahrung ein begriffliches und schlicsslich objektiv-wissenschaft1ichesIlenkcn aufbaiien, bzw., d a s dic sinnliche Erfahrungswelt durch den Logos der Wissenschaft hestiriiiiil. werden kann. Dcr Gedanke, dass die anteprätlikative Koiistitut i m auf dieselben „kategorialen Puriktioneti" zurückgqfit, tlir sich im eigentlich kategorialen odcr begriffliclien Denken auswirken, war fiir Husserls phänomenologische Lösung dieses Problems äusserst fruchtbar. In einem Text aus der Zeit um Iqro schreibt Husserl: „Das einheitliche Ding der Erfahrung in1 Zrisammenhang der erfahrungsmässig gegebericn oder gemeinten Dingwelt und Mencchenwelt. Die logischen Aktc, dic Urteilt:, weiche das Erfahrene beschreiben und es objektiv bestinimen. Was das Ding in Wahrheit ist, erkenne ich nur durch Begriffe und das begriffliche Urteil. Aber vor diesem begreifenden Denken liegt verborgen in der empirischen Anschauung schon ein ,aus der 1 Ms. orig. A I V 5, C. gqa/b [Winter- oder Osterferien 1924). Diese zitierte Stelle hat Husserlspätermit ihrem Kontext mit Bleistift durchgestrichen. Die Durchstreichung ~eschahaber kaum im Hinblick auf die uns hier interessierende Ideiitifizieruiig c l m
hoblematikder wissenschaftlichen Objektivität gegenüber der sinnlichen Erfahrungswett mit „Kants Frage seiner transzendentalen Analytik".
266
Seele selbst' stammender Vernunftgehalt oder Eogischcr Gehalt, ohne den das Urteil der Realität sich nicht ins Werk setzen liesse; begreifen kann ich nur, was begrifflich ist. . . . Die Funktionen der Synthesis, welclie irnrnancnte Gebilde ,schaffen', und diese fasst der Logos in logischer Weise, driickt sie aus, schafft Aussagebedeutungen mit ihrer ,Allgemeinheit', ihrer logischen Identität als logischc Gegenstände." 1 Huserl konnte sich aber mit der „Konstruktion", dass die Erfahrungsdinge bereits „begrifflich" oder „kategorialH sein müssen, um im logischen Denken erfassbar zu sein, nicht begnügen. Es galt ihm, den „kategorialen Funktionen" in der anteprädikativen Erfahrung, die nach ihm bei Kant nur „in prinzipieller Allgemeinheit herausgedacht" 2 waren, durch intentionale Analyse nachzugehen. Nichts anderes unternimmt er in Erfahrulzg und Urteil, wo die Genesis der Kategorien in der Erfahrung untersucht wird. Auch in der Krisis legt er dar, dass „die Welt als Lebenswelt schcn vorwissenschaftlich die ,gleichen' Strukturen hat, als welche die objektiven Wissenschaften, in eins mit ihrer (durch die Tradition der Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit gewordencn) Substruktion einer ,ati sich' seienden, in ,Wahrheiten an sich' bestimmten Welt, als aprioriscile Strukturen voraussetzei~11nd systematisch in apriorischen Wissenschaften entfalten, in Wissenschaften vom Logos, von den universalen methodischen Normen, an welche jcde Erkenntnis der ,an sich objektiv' seienden Welt sich binden muss'', 3 und entwirft die Aufgabe, die „kategc.riah Funktioneri", die die sinnliche Lebenswelt (und zwar schon die vorprädikative) konstituiercri, zu enthüllen. Irn Hinblick auf diese Entliiillung geschieht ja auch die Anknüpfung an Kants Lehre w m doppelt ftingicrendcn Verstand zu Beginn des dritten Tcils dieses Werkes. Allerdings sind für Husserl, wie wir bereits ausgeführt habek4 die wissenschaftlichen Kategorien gegeniiber den Typenbegriffen des vorwi~senschaftlichen Prädiziervns nicht einfach a n a l y t i SC h e Enthüllungen der in der sinnlichen Erfahrungswelt liegenden kategorialen Struktur, sondern sie setzen nach ihm einen Idealisierungsprozess voraus, der ihre exakte Objektivität konstituiert. Die Kategorien bleiben dabei aber doch die „gleiMs. orig. A I 36, C . 1535 (gegen 1920). 3k. transcr. K III 28, S. 43 (Dreissiger Jahre). 3 K ~ i s i sC, . 142 S.O. C. 254 ff.
1
2
HUSSERLS VERHÄLTNIS
S Y S T E N A T I S C H E DAKSTELLU'G
ZU KANT
267
chen". Husserl war sich natürlich bewusst, in seiner Theorie über die ,,Idealisierung" wesentlich über Kant hinausziigelien, auch wenn er in den entsprechenden Untcrsiichiingcii innnchiiial a n Kants Gegenüberstellung von objcklivcn Ii)rfalirungsurtcilcn und subjektiven Wahrnehmungsurteilen, die er - übrigens zu Unrecht 1 -mit seinen schlichten vnru~isse1isclinftlic1~~1~ Erfahrungsurteilen identifiziert, eriiinert.2 Schon einige Zeit vor den Ideen hat Husscrl dem Iiantischcn Gedanken, dass die Erfahrungswelt von ,,Verstandesfunktionen" konstituiert wird, Aufmerksamkeit geschenkt und vielleicht gerade in Folge einer Auseinandersetziing mit dicsciii Iiaiitisclirti Gedanken von der scXilichten \Vclterfalirung als ciiicin Fuiigicrcn der Vernunft gesprochen, was er erst in den Ideen, noch nicht aber in den Logischen Unters~chungentut.3 In einem Text aus der Zeit seiner intensiven Kantbeschäftigung (zwischen 1907 und xgog), der die Stelle aus der Einleitung der zweiten Auflage der Kritik der r e k e n Vernunft behandelt, wo Kant ausführt, dass zeitlich all unsere Erkenntnis mit der Erfahrung beginne, dass aber trotzdem die Möglichkeit apriorischer Urteile bestehe, bcmerkt Husserl: „Das kann so sein, dass z.B. zu den Formen der höheren inteUektueIlen Verarbcitutig Wescnsgesetzr: gehören, dir eben zu ihnen wesentlich gehören, und d.ie allgcnseii-i zilr Ienswrltlicl>r!i Urteile) Hucserls liegen bereits irn Bereich der (~~orwisseiiscIinitlicIie~~) Kausalitat zii wahrend bei Kant gerade die Kausalität als solche die \Val~rrirliri~urigs~~rteile Erfahrungsurteilen erhebt. 8 vgl. Ms. transcr. D 13 XXI, C. 2 (wob1 1go7). In diesem zuletzt genannten Werk braucht Husserl auch deii Hcgriff c k i Kategorialen oder des Syntaktischeii ausschliesslich für die Io~isclieUrtrilssphäre und noch nicht f ü r die vorprädikative Erfahrun,~(vgl. L o g i k , S. 188 Aniii., wo Hucserl auidrücklicli auf diesen Xangel der L o g . Unters. hinweist).
*
268
SYSTFMATXSCIIB T ~ A R S T E L L U N G
H U S S E R L S V E K H Ä L T N I S ZU K A N T
von den sinnlichen Inhalten aber grundverschieden sind) wiederum apriorische Gesetze gehören." 1 Fundamentale Bedeutung gewann der Kantische Gedanke vom „doppelt fungierenden Verstand" für Husserl aber erst, als dieser eine g e n e t i s c h e Phänomenologie forderte und nicht nur die verschiedenen konstitutiven E;ewusstseinsschichten statisch analysierte, sondern die Genesis der einzelnen Schichten aus dem Grunde der tiefer liegenden verfolgte. Daher hat sich Husserl gerade um 1920,als er die Idee einer „Genealogie" der Logik fasste und die Grundlagen zu den Ausführungen von Erfahrung und Urteil legte,2 mit jenem Gedanken Kants auseinandergesetzt. Diese Auseinandersetzung- zeigt uns ein Manuskript Husserls aus jener Zeit, das den Titel trägt: „Sinn der transzendentalen Logik - aus der Zeit 1g17ff. - einige Notizen. Kants Lehre von der Synthcsis (Konstitution der Urgegenständlichkeit) gegenüber dem ,analytischen' Denken. Zu transzendettale Logik 1920"; dazu die Bemerkung: „Das sind nur tastende Versuche, aber die Anfänge müssen systeinatisch streng zu Ende geführt werden." 3 In diesem Manuskript stellt Husserl die Frage nach dem konstit utiven Verliältriis zwischen dem wissensclzaftlichen Logos und der anteprädikativen sinnlichen Konstitution. Dabei verweist er mehrmals auf Kants Lehre vom Verhältnis zwischen der Konstitution der sinnlich anschaulichen Erfabxngswelt durch die „SynthesisWdes Verstandes und der „Analysisw des begrifflichen I)enkens: „Aber tritt uns hier nicht. das Kantische Problem der ,unbewussten', vor allem aktiven Denken (der logiscllen Synthesis, die Kant als analytisches Dcnken bezeichnet) liegenden ,Synthesis' und der in ihr unbewusst fungierenden ,kategorialenf Funktionen entgegen? Das Problem dcr hyle~ischenMaterie, die - in dcr Passivität (vor dem aktiv beziehenden urid verknüpfenden Denken) ,geformtJ wird? Wie wäre dieses Kantische Problem der Synthesis anzugreifen ? Es ist zunächst das Problem der ursprüng-
lichen, auch intersubjektiven Konstitution (der genetischen) des anschaulichen Erfahrurigsgegenstandes und dann &ts Probleri1 der logischen Fassung und Bestimmung dieses Gegcnstandc~."L Wenn Husserl in seinem Brief an E. Cassirer von 3. April 1925 schreibt, dass er nun und so recht erst in den allerletzten Jahren von Kant (und den Seukantianern) reiche Belehrung empfangen könne,=so meint er wohl in erster Linie I
-
1 Ms. transcr. B I V I , S. 84 (wohl zwischcn 1907 U. ~gog.); in anderen Texten aus ungefähr derselben Zeit identifiziert Husserl die Kantische Einbildungskraft, die das sinnlich anschauliche Ding konstituiert, mit dem , , V e r s t a d im Sinne der gegen1908)) und versucht die Verstandesständlichen Konstitution" (a.a.O. S. 149 ff. ( ~ m tätigkeit (das „Denken") bereits in der sinnlichen E r f a h r m g zu erfassen (s. a.a.O. C. 34-39 (wohl um 1908)) Deutlich formuliert Husserl ,,F;ants Lehre vom doppelt fungierenden Verstand" auch in der Einlei~ungsvorlesung von 1916 (s. Ha V I I , 13ril. S X I , S. 398199). L S.O. S. 259 Ann~.I . 3 Ms. transcr. B I V 12, S. I (um 1920.
J 24. Jynthesis "und Empjindztng Im letzten Paragraphen haben wir Husserls Verl~ältnisziim Kantischen Gedanken der „Synthesis" in ihrcrii Bcziig ziirn Vrrstand dargestellt. Jetzt soll die entgegengesetzte Beziehurig dcr „Synthesis", nämlich ihr Verhältnis zur Empfindung zur Sprache kommen, m.a.W., es soll die Rede davon sein, wie Husscrl den Kantischen Dualismus von Affektion (bzw. ntis der Affektion stammender „Materien) und formender 1;iitiktioil sali urid bcurtedte. In einem Manuskript, das wohl aus den Zwanziger Jahren stammt, aber eine Abschrift eines Vorlesungstextes aus tier crsten Freiburger Zeit (also vor 1920) darstellt, belinndclt HiisscrI eingehend jcncn Kantiscficn C;egcnsatz. Er I)cniCrlii q i tlicsciii Manuskript: ,,Sehr zu beachtcn NU." 4 Die betreffenden Ausführungen knüpfen an den Sokratisch-Platonische11 Gedanken der Mäeutik bzw. der eingeborenen Ideen an, konmen dann aber a.a.0. S. 819 (wohl kurz vor rgro). C. 39. M. Merleau-Ponty sieht den Uiiterschied in dcr Anifa<sun$ der Intentionalitat zwischen Husserl und Kant darin, dass jener die lopiscl~eAl
'S.O.
270
H U S S E K L S VERHÄILTNIS
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
sofort auf Kant zu sprechen. Korfrontiert wird der Gegensatz der „vcin aussen" stammenden Sinnesdaten einerseits und der aus der Seele stammenden „Funkticncnl', „Auffassungen" oder formenden Gestaltungen zu Gegenständen andererseits, wobei unter ,,geformtem Gegenstand" schon das blosse raumzeitliche Phantom zu verstehen ist, dessen Konstitution nach Husserl ja auch d u ~ h„Synthesis" geschieht. Die subjektiven Funktionen bezeichnet Husserl als die „ursprü~glichen,FunktionenJ der Spontansitat, der spontanen Gestaltung oder Genesis von Gegenständen überhaupt", 1 als „verborgene Spontaneität" und „Produktion" 2 oder als ,,ursprüngli:he der Seele eingeborene Vermögen der ,VernunftJ, des ,Verstandes"';3 es handelt sich nach ihrL also um die Kantische „SynthesisV aufgefasst als genetische Konstitution. Als objektives Korrelat dieser Funktionen wird das ontofogische llpriori hingestellt : „Stammt ,von innen': alles, was den Segenstand überhaupt, die ves formaliter spectata konstituifrk, das formale Gerüst der Gegenständlichkeit als solcher und aller höheren Gebilde von neueri Gegenständlichkeiten aus Cegenständlicl~keiten."* Diesem cntologischen Apriori bzw. den subjektiven Punktionen stellt Husserl die „Enipfindiingsmaterie" oder die „AffektionJ' folgendermassen gcgenüber: „Das Apriori als ,Überschuss über die sinnlichen Daten'. Die alte Rede von AIfektion im Gegensatz zu Funktion (Kant). Nicht Affektion in meinem Sinne des Reize übenden Gegenständlichen, z.B. sinnlich gzgebencn Dinges, (sondern> was als Bmpfindungsdaturn in1 Bvwusstscin liegt, was Cache dcr ,Auffassung' ist." 5 Fli:sserl bewertet diese Kantische Gegenüberstellung von „Affc-ktion" und „Funktion" durcha-~s positiv, wenn er auch zu ihrer strenq wissenschaftlichen Begründung eine eingehende genetische ictcntionale Analyse verlangt: „.%bcr man darf hier nicht so roh (vorgehen} und muss die Korrelationen beachtcn. Jedenfalls eine Vocimung von grosser Bedeutung liegt hier vor. Was nicht mehr in Funktion auflösbar ist, was letztlich jede Funktion, Sinngebung nortistch-nocmatisch voraussetzt, also Materie (Material) und Fiinktion. Das Bild einer Schöpfung von Gegenständen, von
'i.a.0.
5 . i o i a (Zwaiiziger Jahre). a.a.0. S. roib [Zwanziger Jahre).
z7 J
Natur aus vorgegebenen Materialien, Formung, Gestaltung." 1 E r entwirft dann in unserem Text selbst die Aufgabe, diese Genesis der Gegenständlichkeit für die Subjektivität und iii der Subjektivität hinterher nachzuverstehen und aufzuklären. Dabei kann es sich nach ihm nicht um empirische Psychologie, sondern nur um reine Phänomenologie - und zwar genetische - handeln : ,,Das Wissen von den Vermögen ,stammt nicht aus der Erfahrung' - keine empirische Psychologie der Vermögen - sondern aus ,genetischer9 Wesensanalyse (phänomenologischer); Entfaltung der Genesis durch methodische Entfaltung der Intentionalität und durch Aufklärung der notwendigen eisen, wie solche Intentionalität entstanden sein muss." 2 In einer Skizzierung der Grundlinien einer solchen genetischen Analyse der Konstitution der (transzendenten) Erfahrungsgegenstände führt Husserl „als notwendig vorausgesetztes und inimerzii voraiisziisetzriidw ,Material'" 3 die das Ich durch Reize affizierenden Sinnesclatcn an, die als abgehobene und dauernde schon konstituierte Einheiten des immanenten Zeitbewiisstseins sind; und als die „notwendigen Vermögen" "ezeichnet cr cincrsi,it.: clic p n w v c i i Auffassungsfunktionen, durch die sich clic cclilicht crfahrcnc Nat 111konstituiert, und andercrscits die ergeritlichen Vrrniogcn drs „ich kann", d.h. die freie Aktivitkt und Cpontanritat, die in den logischen Akten waltet.5 E r hält also für seine cigcmcri pliänomenologischen Forschungen an dcr Kantisc11c.n Gegeniiberstellung von „Affektion" und syiitl~ctisicrciiiicr„l;iiiiBtio~''fest. Noch deutlicher wird dic Weise, wie I-lusscrl diese Iiantisclie Gegenüberstellung übernimmt, in einen1 anderen, für die geiietische Problematik fundamentalen Text, drr aiii dcn fiir Huiirrl, pliilosophische Entwicklung sehr fruchtbaren Ferien In St. Mär gen vom September 1921 stamnlt. 1)icirr T r i t br1i;intlrlt syitrmatisch dcn Gegensatz von ,,AffcktionH lind „I;tiriktioti", olinc sich aber direkt auf Kant zu beziehen. E r trägt den Titel: „Tätig gestaltendes Ich, formendes, und Material der Formung. Relativer und absoluter Unterschied zwischcii tXtigcr, ;LII\
e.a.0. 5. 102b (Zwanziger Jahre). r.a.0. S. 101, (Zwanziger Jahre). i.a.0. 5. 1o:a (Zwanziger Jahre).
ZU R A N T
ebenda.
C. 103a (Zwanziger Jahre).
1
a.a.0.
4
6
ebenda. ebenda. ebenda.
3
Ms. transcr. B 111
10,
S.
11 (Sept.
1921, St. Märgen).
272
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
damit, den relativen Unterschied von „Materie" und ichlicher „Formung1'als Unterschied zwischen der affizierenden Habe, die deni Ich passiv vorgegeben ist, und der frei aktiven Gestaltung dieses Vorjzgebcnen durch das Ich darzustellen. E r zeigt die Relativität dreses Unterschiedes, indem er darauf hinweist, dass das passiv Vorgegebene ein zur Habe gewordenes Gebilde ichlichaktiver Erzeugung sein kann. Diesen relativen Unterschied führt er aber auf einen absoluten zurück: „Das passiv Vorgegebene (als subjektive Habe) kann Gebilde, Erzeugnis des aktiven Ich sein oder auch nicht. Letztlich reduziert sich alle Habe auf Uner.zeugtes, auf eine ,blass' sinnliche; das bloss Sinnliche ist das letzte Material für alle Formung und ist allem schon durch Formung Gewordenen ungeformt vorgegeben. Wir haben also innerhalb der Monade aufweisbar diesen Unterschied zwischen nicht ichlichem Material und vom Ich hcr konstituierter aus ihm als tätigem Ich (2.B. als beziehendes, verknüpfendes, begreifendes, im spezifisclien Sinn denkendes Ich) stammender Form." 1 Husserl bleibt rmn bei d i e s e r Gegenüberstellung von „MaterieH und ,,subjektivur Formung" nicht stehen, sondern bringt sie zu einer vertieften Anwendung, indem er das letztlich passiv Vorgegebene oder ,,blossWSinnliche, das keine Sedimentierung a k t i v e r IchIeistungen enthält, selbst wiederum als Leistung einer subjektiven Fornlung betrachtet, aber nicht mehr einer aktiven, eigentlich ichlichen, sondern einer passiven, in der das Ich „arionyrn" bleibt. Es handelt sich um die Forrnung des ursprünglichen impressionalen Materials cler Ernpfindunk%daten durch die Dingauffassungen mit ihreri Auffassungshorizonteri, um „die Bildung sinnlicher Einheit und die Konstitution von transzendenten Einheiten, die in der Passivität entsprungene intentionale und raumzeitlich kausal geformte Einheiten sind". 2 Das letzte Material dieser Formung ist nicht mehr wie bei den aktiven Ichleistungen da. passiv irorgegebene sinnliche Ding, sondern ,,jetzt ist das Material das Ietzte der passiven Genesis, die ihre Form und ihr Gesetz hat, das in gleicher Weise fungiert bei jedem Material. Das jeweilige Material, auch nach seinen Artungen, ist kontingent. Die Gesctzmässigkeit der Formung und die möglichen Formungen und die Formen möglicher konkreter Gebilde selbst ist notwendig 1
a.a.0. C.
II:IZ
a.a.0. C. 12
(Sept. 1921).
(Sept.
1921).
,a priori'. Dieses Apriori ist das der Sinnlichkeit, das der passiven hlonade . . . Die Monade kann aber auch aktiv sein, und ist sie das, so steht ihre Aktivität unter einen1 neuen Apriori; und das ist ein zweiseitig-korrelatives (wie auch in der Passivität) . . .." 1 Gegenüber der Auffassung der ,,natürlichen Einstellung", die die Empfindungen als bedingt durch Reize einer bewusstseinstranszendenten ,,Physisn betrachtet, bemerkt Husserl: ,,In der transzendentalen Einstellung verschwindet also der Unterschied des ,von aussen her entsprungen' und ,vom Geiste her dazu gegeben'. Es bleibt der Unterschied des letzten und genetischursprünglich Ichfremden, das kontingent ist, und der gesetzmäccigen Bildung von Reproduktion, Assoziation, Apperzeption und den entsprechenden konstitutiven Leistungen, wobei die Gesetzmässigkeit dieser Bildungen eine nicht zufällige, sondern eine Wesensgesetzmässigkeit ist.'' 2 Husserl unterscheidet nicht nur in der Konstitution des Erfahrungsgegenstandes wie Kant zwischen den Empfindungsdaten als dem letzten Material und den subjektiven Forinungeri oder der ,,Synthesis des verborgen fungierenden Verstandes", sondern er glaubt auch insofern Kant zu folgen, als er die Empfindungsdaten als das letztlich Kontingente betrachtet und die subjektiven Funktionen (bzw. deren apriorische Gesetzlichkeit) zum fundierenden Korrelat der notwcncligen apriorischen Struktur der Dingwelt, d.h. des real-ontologischen Apriori cik1är.t ." Schon in den Ideen, also scho~ivom Stnndpiiiikt dcr stn$xheri Phänomenologie, war für ihn die Kantische Unterscli~idiingvon „affizierendem Material" und „synthetischer Funktion" bedeutsam.Denn die Probleme der Konstitution d t r Erfahrungsgegenstände erweisen sich bereits hier als funktionelle: „Sie txtrcffen die Art, wie 2.B. hinsichtlich der Natur, r\iocsen, tias Stoffliche bcseelend und sich zu rnarinigfaltig-cinheitliclicri Kontiniicn und Synthesen verflechtend, Bewusstsein von etwas so zustande bringen, dass objektive Einheit der Gegerlstä~idliclikeitsich darin einstinimig ,bekunden', ,ausweisen1 iind ,vernünftig' besti~nmen lassen kann." W i e Noesen als die synthetisierenden Funktionen a.a.0. S. 13)rq (Sept. 1921). a.a.0. S . r 4 (Sept. 1921). 3 Vgl. dazu die analogen Ausführungen i i i Ms. trnriscr. 1 I 1 T Q n St. Märgener Ferien von rgzr starnrneii. 4 Ideen I. S. 212. 8
2,
die ebenfalls aus
-74
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
werden hier aber noch nicht als produktive Formungen - als welche Husserl die Kantische ,,SynthesisMinterpretiert - aufgefasst, sondern als die statischen Bewusslseinsweisen, in denen sich der Gegenstand darstellt. In seinem Aufsatz Die ~hänomenologischePhiloso$hie Edmzlnd 22usserls in der gegenwärtigen Kritik bemerkt E. Fink gegen eine ?arallelisierung zwischen Phänomenologie und Kritizismus hinsichtlich der heterologischen Grundprinzipien, die beide in der Konstitution ansetzen („sensuelle Hyle" - „intentionale Morphe" bzw. ,,gegebener Inhalt" und „subjektive Form"), dass bei Xusserl dieser Dualismus nur vorläufiger Art sei, da er die Hyle die Empfindungsdaten), die er zunächst als ein nicht-intentionales Moment des Aktes aufweise, letztlich doch konstituiert sein lasse ,,in den Tiefen der intentionalen, aber nicht in Akten verlaufenden Selbstkonstitution der phänomenologischen Zeit". 1 3 e s e an sich völlig richtige Bemerkung Finks scheint uns einen wichtigen Punkt zu vernachlässigen: In Husserls Problematik der genetischen Konstitution der t r a n s z e n d e n t e n oder realen Xelt sind für ihn die Empfindungsdaten trotz allem das „letzte Material", das den formenden Funktionen zugrunde liegt. E r s t indem er über diese Problemsphäre h i n a u s g e h t , fragt er, wie im immanenten Zeitbewusstsein das reell i m m a n e n t e Empfindungdatum konstituiert wird, und weist es als gegeben auf in der Seitigung cler Urpräsentation, Urretention und Urprotention. Es handelt sich hier um eine völlig neue Problemsphäre, in der auch die Begriffe der Konstitution und Intcntionalitiit, weil sie sich nicht mehr auf Transzendenz beziehen, cinc ncuc Bedeutung haben: es kann nicht mehr von „formenden Funktionen" oder von ,,SinngebungVgesprochen werden; 2 auch der Unterschied von statischer und gcnctisclicr Koiistitutioi~fällt weg. I n seinem ?rohlern der Konstitution der Transzendenz ist Husserl also mit Xant hinsichtlich des in Frage stehenden „Dualismus" einig. 3urch den Gedanken der immanenten Konstitution des Empfindungsdatums wird weiter auch dessen Kontingenz nicht aufgehoben. Zwar untersteht das Empfindungsdatum als EmpfindungsE . Fink, Die phänomenologische PhilosoQhie Edntund Husserls i n der gegenwärtigen Yrilik, S. 376. 2 vgl. Ideen I , S . 134.
daturn auch einer apriorischen Gesetzlichkeit, die allerdings keine o n t 01ogi sch e (weltliche) mehr ist. Dieses Apriori löst aber die radikale Kontingenz, die es in seinem Dasein und Sosei11besitzt, nicht auf.
H U S S E R L S V E R H Ä L T N J S Z U ICANT
HUSSEHL U N D KhNTS T R A N S Z E N D E N T A L E R IDEALISMUS
§ 2j.Kants Kopernikanische Wendctng Tm S, 22 haben wir ausgeführt, dass Husserl Kants,, Synthesis", durch die sich für das Subjekt die Natur konstituiert, im Sinne einer P r o d u k t i v i t ä t interpretierte u r d in dieser Interpretation voni Gesichtspunkt seiner g e n e t i s C t e n Phänomenologie bejahen kmnte. In dieser Lehre Kants sah Husserl eine prinzipiell neue Erklärung und Deutung des Seinssinnes der Natur oder der Welt; in d:ese.r Erklärung und Deutung liegen nach ihm Kants Kopernikanische Wendung und Kants transzendentaler Idealismus. Husserl hat sich diese Erklärung und .Deutung zu cigen gemacht und gebraucht daher seit den Zwanziger Jahren (also seit der Konze?tion der genetischen Phänon~enol.ogie)zur 13ezeichnung sejrrer ~l~äriomenologischenPhilosopiiie den Kantischen Ausdruck ,,traiiszeridentaler Idealismus' : ,, . . dic ganze Phänommohgic: ist nichts anderes als rlic erste streng wisse~ischaftliche Gestalt dieses Idealismiis". 1
.
1 EIS& Ph. 11, S. 181. Iii der Krisis lotiiniz dcr Ausdruck „transzendentaler Idealismus" allerdings nicht mehr vor, was aber: soviel wir ersehen könrien, nicht ein Verlassen der idealistischen Weltinterpretation hcdeutet (vgt. den Brici Husserls vorn zG. Mai 1934 an Al>uk ßau
277
Es muss im Auge behalten werden, dass Husserl Kants transzendentalen Idealismus nur insofern positiv werten konnte, als er von den „metaphysischen Bestandteilen" der Vernunftkritik, d.h. von den Lehren vom ,,Ding an sich" und vom inteZ1ectal.s archetypm, die nach ihm „dem tiefsten Sinn und Recht des Kantischen widerstreiten", 1 abstrahierte, also ausschliesslich auf Kants Theorie von der Formung der phänomenalen Welt durch die transzendentalen Funktionen der Subjektivität hinsah. Auf die revolutionär neue Welterklärung und Weltdeutung Kants hat Husserl seit den Zwanziger Jahren immer wieder hingewiesen und sie dabei positiv gewertet. In seiner Vorstudie zum Kantaufsatz schreibt er: „Kant aber entwarf eine transzendentale wissenschaftliche Theorie der prinzipiellen Möglichkeit des Aufbaus einer wahren Objektivität in der transzendentalen Subjektivität, oder vielmehr einen ersten, obschon sehr einseitigen und in der Problematik beschränkten Versuch, die hier höchst notwendige Wissenschaft zu schaffen, die uns durch die Aufklärung der Wesensbedingungen einer in der reinen Subjektivität sich abspielenden Welterkenntnis die Welt selbst in iFireni eigeritlichen und wahren Sinn verständlich macht." 2 Dcr I
.
276
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
forderte, und in der er den gewaltigen und vielleicht auch gewaltsamen Entwurf einer neuen Wissznschaft entspringen liess, ist noch die Forderung der Gegenwart, und diese neue Wissenschaft ist unsere und die für alle Zukunft nimmermehr preiszugebende Aufgabe". 1 Dieselbe Kantauffassung drückt Husserl in der Vorlesung Na:wr und Geist vom Sommersemester 1927 aus: Kant „schafft die Erkenntnis, dass die Welt, die für i-ns ist, erst in unserer Erkenntnis für uns überhaupt ist und dass sie für uns nichts anderes ist als in unserer Erfahrung und in unserem Denken sich unter dem Titel objektive Erkenntnis gestaltende. Die wahre Welt ist dann das Ideal der in einsichtiger intersubjektiv notwendiger Gültigkeft sich fiir uns und in uns als rechtmässig wahre herausstellenden". 2 Und die Krisis bemerkt schliesslich: Das Kantische Denken bildet „eine Philosophie, die gegenüber dem vonvissenxf-aftlichen und auch wissenschaftlichen Objektivismus auf die erkciinencie Subjektivität als Urstättc aller objektiven Sinnbildringen lind Seinsgeltungen zurückgeht und es unternimmt, die seiende Welt als Sinn- und Geltungsgebilde zu verstehen und a u l diese Weise eine wesentlich neue Art der Wissenschaftlichkeit und der Philosophie auf die Bahn zu bringen". 3 Kants Theorien ,,führten zu einer revolutionären Umdcutung des eigentlichen Seinssinncs der Natur als Welt möglicher Erfahrung und möglicher Erkenntnis, also korrelativ zur Umdeutung des eigentlichen 3Vahrhcitssinnes der bctreffcndcn Wissencchaiten". 4 Nach Husserl wie nach Kant ist also die erfahrene Natur oder die erfahrene reale Welt ein „Produkt" odcr ein „Gebilde2' der leistenden Subjektivität. Welches sind nun die G r ü n d e , die Husserl zu einer solchen Deutung des Seins der Welt führen, und wie verhaften sich diese Gründe zc den letzten Motiven des Idcalisrnus Kants? Als ,,Produktivität" bezeichnet Husscrl nur die g e n e t i s c h e Konstitution. Liegt nun der Grund der Idealität der Welt letztlich b l o s s in der Tatsache, dass sich die Subjektivität die Welt in einer intentionalen Genesis konstituiert? Bedeutet für Husserl 1 2
3 4
a.a.0. S. 240 (1924). h k . orig. F I 32, S. 114a (SC 1927). Krisis, S. 102. a.a.0. C. 106.
„genetische Konstitution" eo ipso Produktion des betreffenden intendierten Seienden? Wenn dies der Fall wäre, d a n ~ müssten i auch die f r e m d e n Subjekte, die sich in meinem Bewusstsein genetisch konstituieren, bIoss meine Gebilde sein; ja auch Gott wäre mein Produkt, denn „auch Gott ist für mich, waser ist, aus meiner eigenen Bewusstseinsleistung". 1 Eine solche unhaltbare solipsistische Position liegt Husserl natürlich fern. Die Idealität der Welt kann also in seiner Philosophie nicht bloss in der genetischen Konstitution als solcher begründet sein. Seine Auffassung ist vielmehr die folgende: Die geiletische Konstitution eines fremden An-sich-seins bedeutet zwar eine Produktion, aber n u r i n s o f e r n als dieses An-sich-sein Sein-f ü r - m i c h ist; sie bedeutet also Produktion des F ü r m i c h-seins . Insofern aber ein fremdes An-sich-sein auch ein F ü r - s i c h - s e l b s t - s e i n ist, kann es nicht mein ,,Gebildeu oder „ProduktH sein, sondern ist meinem P,ewusstsein gegenüber absolut. Da nun die rcdle Welt gar kein Scin-für-sich, sondern nur ein Sein-für-mich, oder besser, ein Sein-für-uns ist, da ihr Sein also mit ihrem Sein-für-uns zusammenfällt, ist sie vom Gesichtspunkt der g e n e t i s c h e n Konstitution betrachtet n i c h t s a n d e r e s als ein ,,Produkt" odcr „Gebild(:'' der Subjektivität. Husserls Auffassung von der Idealität der Welt herulit iilso auf zwei Gründen: X. auf dcr Erkenntnis, dass das Sein der \Vdt n u r ein Sein für die erfahrende Subjektivität und clariiber hi~iauknichts ist. Diese Erkenntnis äiissert Husserl schon in den Ideen. 2 Sic 1
Logik, C. 222.
3
Kurze Zeit vor der Abfassunr: der Idcei*, liBnilich in der Vorlesung Grw~dproblem
&r Phänomenologie vom Wintersemester I ~ I O / I Iwar , Huserl noch der .irisicht, daqi
die Phanomenologie auf Grund der Reduktion nichts über das Sein der Welt oder der Katur a w u s a g e n vermöge. Br fuhrt hier im Zusaninienliari~ilcr ErGrtrriing (irr i i i t ~ r subjektiven Reduktion aus: „Das alles (ergibt sich), wenn wir das voilzieliru. wa5 wir phänomenologische Reduktion naiiiiten, wenn wir also nicht iibcr das Sein der Natur urteilen, sondern über das Scin der rein phänomenologischen Zusarninenhangr. Wohl gemerkt, wir haben über das Sein von Natur nicht geurteilt, in keiner Weise. Wir habennicht gesagt, Natur ,ist in Wahrheit nicht-: anderes' als diese X-onRemusstsein zu I?ewusstsein laufende Regelung. Wir haben nicht gesagt, Bewusstsein ist da< einzige wahre Sein, und Natur ist nur gleichsam ein imaginäres Bild, das Bewusstsein in sich selbst entwirft und dgl. Das alles konnte sinnvoll unsere Meinung nicht sein. eben weil unsere ganze Untersuchung in der phäiioinrnolopisrlie~iReduktion erfolgtr-. und diese Reduktion besagt ex dcfinilio~ieniclits ander.: als Unterlasseii jeder Feststellung über Natur. Theorien aber, wie die eben ausgesyrochrnen, machen andererseits rxpressis verbis behauptende Feststellungen über Natur, folglich gehen sie unhier gar nichts an" (Ms. orig. F I 43, S. 85a; WS I ~ I O : I I ) . Die Landgrebesche Transkription dieses Textes (Ms. transcr. M 111 9 W b , S. 75; etwa 1924) hat Husserl
280
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
a l l e i n aber crlaubt noch nicht, die Welt als „ProduktH oder ,,GebildeH der Subjektivität aufzufassen, was Husserl in den Idee?%ja auch noch nicht tut. Denn wird die Intentionalität oder ckiiiii kann die tlic Iiciiislil~iiionbloss als s 1:L t i sclic: ;~iifgcil;~sst, Welterfahrung keineswegs als ,,produktivH bezeichnet werden, da das Erfahren in ,,fertigen Habitualitäten", die die statische Phänomenologie allein betrachtet, kein „Produzieren" ist. Was von der statischen Phänomenologiv gesagt werden kann, ist bloss dies: Die reale Welt ist r e l a t i v zur Subjektivität; ohne Subjektivität gibt es keine Welt. Um Ci2 Welt als „Gebilde7'der Subjektivität sehen zu können, muss 2. die Konstitution oder Intentionalität als g e n e t i s c h e erfasst werden. Wie wir schon dargelegt haben, ist aber andererseits auch dieser Grund für sich a l l e i n nicht ausreichend für die idealistische Deutiing der Welt. Belde Gründe z u s a m m e n sind dazu notwendig. Gehen wir nun noch, nachdem wir schon in den vorangehenden Paragraphen den Zusammenhang zwischen Kants Synthesis und Husserls genetischer Konstitution aufgewiesen haben, auf jenen ersten Grund von Husserls Idealismus etwas näher ein: Was erlaubt Husserl zu sagen, dass die reale Welt kein Seinfür-sich, sondern nur ein Sein-für-uns besitzc, also in ihrem ganzen Sein relativ zur Subjektivitat sei? Offenbar kann Husserl hier nicht bims auf seine These dcr Korrelation von Sein und Uewusstsein verweisen, da die prinzipielle Erkennbarkeit cines Seins nicht i~otwendigerwcisebedeutet, dass dieses Sein kein Sein-für-sich, sondern nur ein Sein für den Erkennenden bcsitzt. Auch die transzeridentalc Reduktion, dii diese Korrelation von Sciri und Bewusstsein sichtbar macht, führt Husserl noch nicht zur Erkenntnis jener Relativität der 7Vclt.l Diese Relativität zeigt sich vielmehr nur in einer Analyse der Gegebenheitsweise der erfahrenen Welt. Was zeigt nun diese Analyss? Wir können nicht die äusserst fast voilig gestrichen und mit der B e ~ e r k u n gversehen: „Das ist bedenklich und jedenfalls n i c h t klar." Den Satz, dass ix der phänomenologischen Reduktion nicht über d a Sein der Natur geurteilt werde, verbessert er zum Satz, dass in der phänomenolo,~ischenReduktion nicht s c h l e c h t i r n über das Sein der Natur geurteilt wcrde. 1 Vgl. die Cart. Med., S. 60, wo Husserl allerdings antizipierend erklärt, dass die \Velt ibren Seinssinii und ihre Seinsgeltcng l u r aus cogitatiolies habe.
HUSSHRLS
VEHHAI,TNIS
Z1J K A N T
2 8 ~
subtilen Untersuchungcn Husserls iiber dieses The~nawiedergeben, sondern nur einige entscheidende Punkte festl-ialten: Das erfahrene reale Ding ist prinzipiell nur gvgrbcii als Tclcntisciics igc, von man~iiginItigcii E r s c I i < ~i i ii i 111;swrisrii ( I i i i - ( ~ l i t~insc~it Abschattungen.1 E s ist nur ein identischer Pol oder ein X, das sich in mannigfaltigen Erscheinungen bald von dieser und bald von jener Seite, bald von nahe bald von ferne, bald in dieser Beleuchtung baId in jener usw. gibt. Diese Ersclicinuiigeii sind natiirlich ,,subjektivw;sie kommen durch das Bewusstceiii des Subjekts zustande. Die beschriebene Gegebenheitsweise des realen Dinges hängt nicht etwa bloss an unserer „menschlichenJ' und zufälligen Weise, die Dinge zu erkennen, sondern sie gehört zum IVesen des realen Dinges selbst: Würde es nicht durch Erscheinunge~ioder Abschattungen gegeben sein, wäre es gar kein reales Ding.2 Könnte nun aber, wenn die Erscheinungen schon „subjektiv" sind, d.h. nur ein Sein-für-uns haben, nicht doch in1 identisclieri Pol (im X) ein absolutpc Sein oder ein l%r-sich-sein licgcii ? Diese Frage beantwortet sich für Husserl in folgender Einsicht: Die Erscheinungen, durch die sich das identische Ding gibt, sind prinzipiell n i e v o l l s t ä n d i g durchlaufen; das Ding kann sich immer wieder von n e u e n Seiten zeigen, r:s ist nie vollständig gegeben, und - das ist das Entscheidende - cs bestellt iminer die Xöglichkeit, dass sich das Ding irn Fortlauf der Erfahrung als blosser S c h e i n erweist: „Alles in der Modalität des Seins durch Erscheinungen Erscheineride ist i n Sc li W e b e z W i sQ11e 11 S e i 11 u n d N i c h t s e i n , nämlich als immer bereiter Möglichkeit was keineswegs sagt, es sei ,sehr wohl möglich', keincswegs besagt, es spreche dafür ein leisestes Moment der Voraussicht - dcs Nichtseins. Und das, könnte ich zeigen, gilt auch für das \Veitail als ,Gegenstand' der universalen Erfahrung." 3 Die erfahrene Realität ist trotz der Bewährung Sein „auf Kündigung"; sie ist also eine „Präsumption". 4 „durch und durch blossc Antizipation". 5 M.a.W., die wahrhaft seiende Welt ist eine im Unendlichen liegende Idee.6 Nur dann wäre ein erfahrenes Ding (oder die 1
s. I&en I , C. roo ff.
J
Ha
's. a.a.0.
$43.
VIII, Beil. X I I I , S. 406 (19251.
Logik, C. 249; vgl. Ideen 1 , 9 46. J
8
Erste Ph. 11, S. 47. Ha VII, K a n t . . ., S. 274 (1924).
282
SYSTEMATISCHE C ARSTELLUNG
ganze erfahrene Welt) aktuell oder lbsolut wahrhaft seiend, d.h. frei vom immer möglichen Nichtsein. wenn es adäquat, d.h. vollständig erfasst wäre, sich also nicht mehr plötzlich von einer bisher unerfahrenen Seite zeigen kbnnte, von der her es sich als Schein erwiese. Adäquate Gegebenheit des realen Dinges ist aber nie aktuell möglich, sondern nur ein notwendig zum seienden Ding gehöriges Ideal, auf das die i m m e r v o l l k o m m e n e r e Erkenntnis des Dinges hinstrebt.1 Die Ansetzung eines absolut seienden Naturobjektes kann also nur die Bedeutung einer reg u l a t i v e ~I d e e besitzen.2 Ist die an sich seiende Welt, die x i r erfahren - von einer anderen als der erfahrenen Welt zu sprechen, hat nach Husserl kcinen Sinn -, als blosse Idee des erfahrenden Subjekts erwiesen, d,mn ist damit natürlich auch ihre ReIativität, ihr blosses Seinfür-uns herausgestellt. Die an sich seiende Welt ist eine Idee, die da? erfahrende Subjekt auf Grund s5iner harmonisch nach einem festen Stil sich zu ciner Einheit zusammenschliessende~~Erfahrungen n o t w e n d i g besitzt: „ I n d e m E r f a h r u n g in diesem S t i l immerzu f o r t l ä u f t , g i b t sie konsequent u n d b e s t ä t i g t s i e d a s Sein d c r W e l t , die eben selbst nur ist als EinLeik der sich fortbestätigenden Allheit von Erscheinungen mit dem offen unendliche: Einheitshorizont möglicher Erscheinungen . . cincm Horizont, der als konsequenter Glaube von Erfalirurigsrnöglic11k(!iten gewisser allgemeiner Einheitsstruktur selbst sich als giiltig bestätigt in dcr fortgehenden, nie abzuschliesseriden Erfüllung." <: „ I d i kann dabei sehen, dass das Dasein des Dinges selbst, des Erfahungsgegenstandes, untrennbar impliziert ist in diesem Systern transzendentaier Zusammenhänge (wirklicher und möglicher Erfahrung> und dass er also ohne einen sdchen Zusammenhang undenkbar und schlechthin ein Nichts -xäre." Die V7esensbestimmiing des reahn Dinges, die es ausmacht, dass dieses prinzipiell nur eine ideale Einheit einer Unendlichkeit von Ersclieimngen (Abschattunger-) sein kann, ist die R ä u m -
.
1
X, $ 143. Logik, S 221. Ha V I I I , Beil. XIII, S. 404 (1925). Erste Ph. 11, 5. 179;vgl. S. 187 und Ideea I, C. 117.
vgl. Ideen S.
3 4
Der transzendentale Idealismus bedeutet für Husserl die Erlösung von der Verabsolutierung der Welt. Im Kant-Aufsatz schreibt er, wobei er sowohl seine eigene, wie auch die Philosopliie ICants im Auge hat: ,,Transzendentalphilosophie, eine sehr unnütze Kunst, hilft nicht den Herren und Meistern dieser IVelt, den Politikern, Ingenieuren, Industriellen. Aber vielleicht ist es kein Tadel, dass sie uns theoretisch von der Verabsolutierung dieser Welt erlöst und uns die einzig mögliche svissenschaftliche Eingangspforte eröffnet, in die in1 höhcrcii Sinn rillciii w:dirc Weit, die Welt des absolutcn Geistes." V i c Vcrabsolutic-I-1111g der Welt besteht nach Husserl, wie aus den obigcn Ausführui~geii ersichtlich ist, in der falschen ,,Realisierung" einer Idee (der Idce der absolut bestimmtcn und absolut seienden IYelt), die rechtmässig nur eine r e g u l a t i v e Uccictiiiing fiir die PMdiriiiig iinbcn kann. Diese widersinnige VerabsoIutierung ist nach I-Iiisserl „der natürlichen Weltbetrachtung durchaus fremd". 4 „Der Widersinn erwächst erst, wenn rnxn pkilnsophirrt iintl, iibcr t l ( Sinti ~ der Welt letzte Auskunft suche~id,gar nicht ~iicrkt,dass die Weit selbst ihr ganzes Sein ais einen gewissen ,Sinti1hat, der absolutes Bewusstsein ds Feld der Sinngebung voraussetzt . . . ." 5 Das die Welt verabsolutierende Philosciphicrctri, cliw FIiisscrl Iiirr walirscheinlich vor allem rileiiit, ist dasjenige dcs von 1 ) c ~ c ~ i ;ius.t~~ gehendcn rationalistischen und scliliesslich positivistischen 0,jcktivismus;6 auch in der antik-mittelalterlichen Philosophie stellt Husserl allerdings einen objektivistischen Zug fest.7 Der Kampf Husserls gegen die Verabsolutieriing dcr regulativen Idee „Welt" durch den objektivistischen Rationalismus 4
E. I&en I , S . 95, 97; Erste Ph. 11, C. qn.
Wir müchten hier daran erinnerri, wie eiitscheidecid auch bei liaiit die Iksinniiiig aber das Wesen des Raumes für seine Entwicklung zum trsii~z(wdintaleriIdealiiiiii~. mr.- hiit den obigen Ausführungen haben v i r 1-lusserls ~ h ~ r l r ~ i i i r j zuiii i r i i Idralii~iiii~ nicht ausgeschöpft. Husserls Idealismus griiiidet sich auch auf eiiie Iksiiiiiuiig u k r die Zeit: Alle objektive Zeit, Vergangeiiheit, Gegeiiivart und Zukunft, wurzelt in d r r kbmdig-strömenden Gegenwart, die durch die Subjeliti~itätbestiiiiint ist i ~ g l31' .. ranwr. E 111 2, S. 8 ; St. Märgen 1921). Ha V I I , Kaiet. ., C. 283 (1924).
.
* 4
Idrcn I , S. 135.
49.
7 9.
$ 5 16, 21; vgl. Logik, S. 249. E.B. Krisis, C. 179. Krisis,
284
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
und Positivisinus erinnert an Kants Transzendentale Dialektik; Kant geht hier vor gegen die rationali&chc Realisierung der mit dem „transzendentalen Schein'' behafteten drei regulativen Ideen des Unbedingten. Auch darin liegt ferner eine Parallele zwischen den beiden Philosophen, dass dieser Kampf bei beiden in der Einsicht in die Widersprüche oder „Antinomien1', die aus der Verabxlutierung oder ,,Realisierungv der erfahrenen Welt (als der Totalität der Erfahrungsgegenstände) resultieren, und im Willen, die Vernunft vor der diesen Widersprüchen folgenden skeptischen Zerstörung zu retten, seinen Ausgang nimmt.1 Im Gegensatz zur realen Welt ist für Husserl die Subjektivität ein Absolutes: „Nur Subjektivität kann in echtem und absolutem Sinn fiir sich rein. Für-sich-sein ist Sich-selbst-erscheinen, ist Sein als ein transzendentaler Lebensprozess der Objektivierung, also Sein unter dem klassischen Titel ,ego cogito'." 2 „Absolut Seiendes ist Sein in Form eines intentionalen Lebens, das, was immer es sonst in sich bewusst haben msg, zugleich Bewusstsein seiner selbst ist." Q Die: Subjektivität ist nicht (wie die Welt) auf die Sinngebung angewiesen, die eine von ihr verschiedene Subjektivit8; vollzieht.4 Die fremde Subjektivität ist in meinem Uewusstsein nicht original wahrgenommen, sondern nur „appräsentiert" ; d.h. ihr originales %:in und ihr originaler Sinn fallen nicht mit ihrem relative11Sein-für-mich und Sinn-fiir-mich zusammen; sie besitzt ein Sein-für-sich und cineri Sinn-fiir-sich, die niclit Sein-für-mich und Sinn-für-mich sind : „Gerade weil fremde Subjektivität nicht in den Kreis meiner originalen Wahrnehrnungsmöglkhkeiten gehört, löst sie sich nicht in intentionale Korrelate meines eigenen Lebens und seiner Regelstrukturen auf." Indem Husserl die Subjektivität als ein Absdutes bezeichnet, scheint er sich in cinem Gegensatz zu Kant zu befinden. Denu für 1P;~ritsind ja die zeitliclieii Erlebnisse der Subjektivität auch ,,Phänomene", also noch nicht ein Absolutes. Dieser Gegensatz fst aber letztlich nur ein scheinbarer. Denn Husserls Kede von der Absolutheit des zeitliche11 Bewusstseins meint bloss eine relative Absolutheit : Das Bewusstsein besitzt eine gewisse U n 1
2
s. z.B. Falt! IJorlesuttgen, I. Vorlesung. Erste Ph. 11, S. 189; vgl. a.a.0. S. 190.
Lo:s'R. S. 141. 4 5. Ms. < d g . 1: 1 4 3 , S. 881) ( i c p i ) , bzw. h1.i. 6 I : I ~ LI%. I I , C. 189.
3
tr:iiisi:i..
M 111 9 V I b , C. 86.
a b h ä n g i g k e i t vom Sein der Welt: „nulla ,re' („resJ' als reales D i n g aufgefasst) indiget a d e x i s t e n d u ~ n " ,während dic Welt in ihrem Sein auf das aktuelle Bewusstsein angewiesen ist; 1 und weiter ist das Bewusstsein nicht wie die räuinlichc Welt bloss ein Identisches von unendlichen Abschattungen (Erscheinungen), sondern in seiner Immanenz sich selbst „absolutH gegeben. Dies schliesst aber eine tiefere Relativität nicht aus. In den Ideen I schreibt Husserl: „Das transzendentale ,AbsoluteJ, das wir uns durch die Reduktionen herauspräpariert haben, ist in Wahrheit nicht das Letzte, es ist etwas, das sich selbst in einem gewissen tiefliegenden und völlig eigenartigen Sinn konstituiert und seine Urquelle in einem letzten und wahrhaft Absoluten hat." 2 Das zeitliche Be~vusstseiiiist konstituiert durch das zeitkonstituiereiide „Bewusstsein", das in einem bestimmten Sinn überzeitlich ist.3 Auch dieses zeitkonstituierende „Bewusstsein" scheint übrigens noch nicht das „letzte und wahrhaft AbsoIute" zu sein, von dem Husserl im obigen Zitat spricht. Doch verlieren sich Husserls Untersuchungen hier in einem Dunkel, das eine Interpretation äusserst schwierig macht. In diese Fragen von Husserls Phänomcrrologie des Zeitbewiisstseins brauchen wir uns hier nicht einzulassen. Uns geht cs in diesem Paragraphen um Husserls Idealisxnus und uni dessc:ii Vcrhältnis zum Kantischen. Wir haben gesehc~i,dass Husscrl wie Kant die Welt als ,,GebildeMder syrithctisdiclr~Fiinktioricri dcr. Subjektivität betrachtet. Iloch habcn wir drn S i n i i gicccr Husscrlschen These noch. nicht geiitigerid crläutert. Dcnii die Fragcii stellen sich: Kann nach Husscrl die Subjektivit5t für ihr ,,(;Cbilde" (die Welt) aus ihrem Wesen heraiis aiifkomi-i~eri?Ist sie der a u s r e i c h e n d e und l e t z t e Grund. für das Sein clcr ~ I ' c l t ? 1st sie wenigstens, wie dies bei Kant der T;:~11 zu scin scheint, dcr ausreicbcndc Gririitl fiir rIiv i<:itcgoi-ialr\Vcdtstriilttiir, t l i t b : ~ l l t . i n die Welt zu einer Urelt, d.11. zu einem lios~i-iosniacht ? uni dicsc: Fragen, die uns zum letzten Sinn von Hiisserls Idealisriiris fiilir.cn, beantworten zu können, miiss~.nwir vorerst ;iuf I~iisscrlsLciirc: vom Ich und auf sein Verhältnis zu Kants Idee des ,,Ich der transzendentalen Apperzeption" eingehen. 1 S.
Iäeen I , S .
n
a.a.0. C. 198.
5.
S.U.
s. 329
115/16
286
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
J 26. Konstitu%h
der Natzlr und ,,transzendentale A$$erzeptionH Werfen wir vc,rerst einen Blick auf Hiisserls Lehre vom Ich. Das Ich wird für Husserl in seiner Entwicklung immer bedeutsamer. In den Logischer, Untevsuchungen kennt er nur ein empirisches, körperlich-seelisches Ich (Ich als Mensch) und andererseits das Ich als die K ornplexion der phänomenologisch erfassten E r l e b n i s s e . Ein reines Ich als Beziehungszentrum der Bewusstseinsirhdte (das Ich Natorps) lehnt er ab.1 Husserl negiert hier also eine reines Ich, das Erlebnisse h a t ; das phanomenologische Ich i s t vielmehr die Komplexion der Erlebnisse. In der zweiten Acflage des Werkes korrigiert er sich aber, indem er erklärt: dass er unterdessen dieses Ich Natorps sehen gelernt habe.2 Die Ideilr: beziehen auf dieses Ich die Kantische Formel: „das ,Ich denke' muss alle meine Vorstellungen begleiten können". 3 Er fügt aber als Randbemerkung in einem seiner persönlichen Exemplare des Werkes bei, dass er es dahingestellt sein lasse, ob er diese Formel im Kantischen S i n n gebrauche.4 Das reine Ich, das in den Ideerc I exponiert wird, ist der individuelle I d i p o l der Akte, auf Grund dessen diese die Form cogito haben, und der in jedem 4 k t eines Bewusstseins als identischer intuitiv erfassbar ist. Dieses Ich lebt in seinen Akten, es betätigt sich ur-d leidet in ihnen, ohne aber einen reellen Bestandteil der Akte zu bilden; es stellt gegenüber den Erlebnissen eint: ~,Transzendenz''dar.5 In sich wlbst ist cs unwandelbar, absolut einfach, leer vo:~sllern.Inlialt. Es kann nicht als etwas voi-i seinem ,,Leben9' (Erlebnissen) Getrenntes gedacht werden; an und für sich betrachtet. hat es nur das spezifisch Eigene und Allgemeine, Funktionszentmm überhaupt zu sein und hier, in d i e s e m Strom
-
1 5. Log- L'>c~cPs. 11, L. Aufl. 5. Unters. 5 8 In sehr strengen Formulierungen wendet
.
.
.
sein Funktionszentrum überhaupt zu sein; es ist also immer als Ich denke. Umgekehrt kann der Erlcbnisstrom nur scin mit einer Ichpolarisierung. Der Kantische Satz, „das ,Ich denke' muss alle meine Vorstellungen begleiten können", hat für Husserl den Sinn, dass alle Erlebnisse eines Erlebriisstromes, auch diejenigen, in denen das Ich nicht aktuell auftritt, zu diesem wesensmässig eine Polbeziehung haben; das dunkle, vom Ich nicht vollzogene Hintergmndbewusstsein steht dadurch in dieser Beziehung, dass es sich in aktuelle cogitationes verwandeln oder in solche einbeziehen lassen muss. Da das reine Ich (als Ichpol) wicdererinnert werden kann, ist es ein zeitlich „dauerndes",l obschon von einer Dauer ganz anderer Art als die reale Dauer der Erlebnisse. Dieses Ich ist nach den Idee% nicht der Grund der Einheit des Bewusstscinsflusses 2. Diese Einheit ist vielmehr gestiftet durch die immanente Zeit, die ihre Wurzel in der originalen Gegenwart hat.3 Mag Husserl zwischen diesem reinen Ich und demjenigen Kants auch eine Verwandtschaft erblickt haben - etwa eine Verwandtschaft kinsichtiich des Forrncharakters bzw. der inhaltlichen Leere, worüber Kant in den von Husscrl stark studicrtcriTnrn+bgis?ne?t ausführlicl~spricht - - so vermochte er von dieser IchLehre der Ideen I aus doch dem eigentlichen ICaritischcn Gcdanken der ,,trans~endentalenApperzeption" als dcr Grundlage dcr Erkenntnis- bzw. Gegenstandselnlieit noch keinen positiven Wert abzugewinnen. Dcnn 1Iiisscrl s;ih ntii dicbsct- l
a.a.0. S.
101.
Dcr s p ä t e Husserl denkt das urzeitigende Bewusstsein als ichliches. Fur den a p n t e n Husserl ist also das Ich Einheitsgrund des ßewusstwiris (vgl. U. S. 3 5 5 . 3 7 1 ) . Cehr wertvolle Ausführungen über das Problern des Iclipols critti5lt das M . 1 nuskript Ms. transcr. E 111 2, S. 24-50 (St. Märgen 1921).
*
288
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Bereits in den Idee% I I führt Xusserl seine Lehre vom Ich auf eine Weise fort, die es ihm spä:er erlauben wird, das „Ich der transzendentalen Apperzeption" zu würdigen. Im § zg dieses Buches. der aus den Jahren 1915 oder 1916 stammt, sieht er die Einheit Ces reinen Ich bedingt oder konstituiert durch dessen „HabitualitätenV. Diese beruhen auf Setzungen oder Stellungnahmen (,,ThesenH),die das Ich einmal vollzogen hat, und die i h a nun von dieser ursprünglichen Stiftung an immer konsequent geltende sind, zu seiner ,,Meincng" gehören und eine geltende ,,Habe" konstituieren: „Die Idaitität des reinen Ich liegt nicht nur darin, dass ich (wieder das reine Ich) im Hinblick auf jedes cogzto mich als das identische Ich des cogito erfassen kann, vielmehr: ich bin auch darin und a priori das selbe Ich, sofern ich in meinen Stellungnahmen notwendig Konsequenz übe in einem bestiinmtcn Sinn; jede ,neuel Stellungnahme stiftet eine bleibende ,Meinrngl, bzw. ein Thema (ein Erfahrungsthema, ein Urteilst h e n a , eiri Freudenthema, cin Willensthema), so dass ich von nun ab, so oft ich mich als denselben erfasse, der ich früher war, oder als denselben, der jetzt ist und Irüher war, auch meine Themata festhalte, sie als aktuelle Themata übernehme, so wie ich sie früher gesetzt habe." 1 Hue.er1 spricht in diesem Paragraphen der Idee% I I nur von Setziingen einzelner Inhalte, dir das reine Ich in der schlichten Wahrn~hmung,irn Prädizieren, im Wcrtcn usw. vollzieht und in deren konsequentcn Festhaltilng es sich in der Erinnerung als identisches erfasst. Nicht aber ist die Rede von der fundamentalsten Thesis des Ich: der Setzung der Welt als universaler Horizont und der Beziehung dieser Ursetzung zur Konsequenz und Identität des reinen Ich. In d x Einleitungsvorlesung vom Sommersemestcr 1916 sieht Hiisscrl min gcnau diese übcriebwng bei Kant durchgeführt. Den I
I i , S. III/IZ.
es die gedachte Objektivität immerfort als mit sich identische in d e n seinen Denkverlaufen durchhalten kann. Ich erhalte meine, des Subjekts, IchEinheit nur, sofern ich in meinem Denkeil einstimmig bleibe; d.h.: habe ich irgendetwas, ein Objekt, einmal gesetzt, so muss ich bei jeder weiteren Denksetzung dabei bleiben ; diese muss so sein, dass mein Objekt für das Denken immerfort als identisches fortgelten kann und muss. IVciter glaubt ICant nachweisen zu können: Die Kategorien sind die Begriffe, durch welche das reine Ich seine korrelative, von ihm geforderte Objektwelt denken muss: will es sie einstimiiiig dciikcii bzw. sich als identisches Verstandessubjekt bcwäliren, so muss cs die Objektc gemäss den kategorialen Grundgesetzen denken. Diese synthetischen apriorischen Sätze sprechen also die Bedingungen der Xöglichkeit dafiir aus, dass diegedachte Objektwelt eine idcritisch durchhaltbare sei. " 1 Diesem Gedanken der Korrelation der Ich-Einheit u ~ i dder Konstitution einer einh~itlichdurchhaltbaren Welt ist Hiisscrl wahrend der Zwanziger Jahrc ~trehrmalsnacligegangen. Die betreffenden Erörterungen stellt er unter den Kantischen Titel der ,,transzendentden Appcrzeption". Dabci will cr keine Interpretation Kants geben, sondern er folgt - natürlich nnter einer gewissen Leitung Rants - eigenen bzw. zu cigeii gemachten Gedanken.? Beispielsweiseseien die Überlegungen eines Husscrlschen Textes angeführt. des etwa aus der Mitte der Zwanziger Jahrc stammt. Husserl verwirft hier seine frühere Aulfassiirig)rvorn Ich als blossem Ichpol: „Ichpol ist nicht Ich. Ich bin in meinen Ober~eugun~en. Ich erhalte mein eines und selbcs Ich - n~ein ideales Verstandesicli - wenn ich irnmerzu und gesichert fortstreben kann zur Einheit einer GesamtÜberzeugung, wenn eint Objekturelt für mich beständig erhaltcn bleibt und mit der offcnen Möglichkcit, sie immer näher i i i Einstiininigkeit zu bestiinmen." 3 Das Ich konstituiert seine konkrete Identität durch seine einstimmigen und bleibenden Stellungnahmen.* Nun ändert es zwar, so fiihrt Husserl weiter aus, im Gange der Erfahrung seine 1
Ha VII, Beil. XXI, C. 398 (SS 1916).
* vgl. Ms. orig. A V
21, S. 104 f f . (Zwaiiziger Jahre); 31s. trariscr. 1: 1 36, S. z 6 j (Zwanziger Jahre); Ms.orig. A I 36, S. 16oalb (uni 1920); 11s. transir. I3 I 2 1 Ii-, S. 72 ff. (ungefähr 1925);Ms. orig. A V1 30, S. 35a f f . (wolil 1926).
' Ms. ong. A V1 3 0 , C. 54b (wohl 1926). 4
a.a.0. C. 34b. 36a, qqa u.a. (wohl 1926).
290
CYS'l'EMAiISCHE DARSTELLUNG
Überzeugungen ; aber in dieser Ändlrung ist es bestimmt von der Idee der Zusammenstimmung aller seiner Überzeugungen als einer Idee, die in der bleibenden Überzeugung von der an sich seienden einheitlichen Welt gründet.1 Eire einheitliche Welt ist demnach das Korrelat der durch alle Setzungsmodalisierungen hindurchgehenden noetischen Identität des Ichs der Selbsterhaltung.2 „Das Ich kann hier nur konsequent sein in der Form, dass es im Fortgang der Erfahrung die Cmwertungen des schon gesetzten Seienden und des in der bisherigen Erfahrung konsequent durchzuhaltenden so vollzieht, dass nach der Umwertung immerfort eine einstimmige Welt sich konstituiert. Das aber setzt voraus, dass sich ein solclier Stil der Umwertung eben prinzipiell durchführen lässt, in dem es prinzipiell auch liegen würde, dass im ,unendlichen' Fortgang der Erfahrung . . . nicht alles früher Gcsctztc preiszugeben, sondern nur in manchen Einzelheiten clem neu Erfahrenen anzupassen ist. Jede neue Erfahrung ist sinngemäss bestimmt dadurch, dass sie Neues nach dem Stil des Alten apperzipiert und so Altcm anpasst . . .." ".a.W., damit das Ich konsequent sein oder sich selbst in seiner konkreten Identität erhalten kann, niuss es einen bleibenden ErPthrungsstil und korrelativ eine Welt mit einem bleibenden ontologischen Stil haben: ,,. . . ich kann suchendes und bleibendes Ich, identisches, nicht vielfarbiges nur sein, wenn diese Intentionalität, wenn mein ganzes intentional auf ,Welt' bezogenes I~biibenund zwar allererst ErfJirungslebcn, eine feste liege1 in sich trägt, durch die ich unter dem Titel Welt der Erfahrung gerichtet bin auf eine ideale Einheit der Überzeugung, in der alle einzelnen uberzcugungen zur Einheit der Zusa~rimenstirnmungkommeri." 4 Die ILonstitution einer Welt als eines eilstimmigen ,,Kosmos" ist liacli Husscrl also hinsichtlich dcs rc!incri Ich in einer doppelten, ~iotwenrligzusarnn~ci~gcl~örigc~~ 13ezilAiung cirilieitsstiftend: Sicht i!ur die konsequente Uberzeugung der Welt in sich macht das Ich zu einem konsequenten, sondern diese Überzeugung ist zugleich die Grundlage (der Horizont) aller auf Transzcndenz gerichteten Einzelüberzeugungen, indem sie das teleologische Streben nach deren Einstimmigkeit, die die Voraussetzung für 1 2
3
4
a . a . 0 . S. 46b (wohl 1926). a.n.0. C. 36aIb. 49b (wohl 1926). a.a.0. S. 49a (wolil 1926). a . a . 0 . S. 38b (wohl 1926).
HUSSBRLS VBRHÄLTNIS
Z U K.4NT
291
das Du~chhaltender Überzeugungen bilclct, ermöglicht. Entsprechend bestimmt Husserl das „Ich der transzendentaien ~ p perzeption" als das Ich, das durch alle Überzeugiirig~änderuri~ei7 hindurch an seiner Grundüberzeugulig von einer einstiinmigen Welt festhalten kann, und zugleich als das ideale Ich, das alle seine Einzelüberzeugungen zur Einheit gebracht hat. So erklärt er einerseits: ,,Kants Ich der transzendentalen Apperzeption bes@ nichts anderes, als dass es so etwas wie ein identisches noetisches Ich gibt durch alle Modalisierungen (noetischen Änderungen) hindurch", 1 undnennt andererseits diescs Icli-in eine111 Text aus ungefähr de~selbenZeit wic (lcr soc>lx:ii bc~s~roclicrir ,,eine Zweckidee der Ver~lunftei~twicklurig des Ich, sci~icreclitcii und wahren ,Selbsterhalt~ng'":~ ,,Das Ideal der wahren Selbsterhaltung: Das Ich kann nur zufrieden urid glücklich sein, wenn esein insichselbst einstimmiges blcibt . . . Uas Ich strebt (als Icli) notwendig nach Selbsterhaltung und darin liegt ein Streben implizit - gegen das I d c d der absoluten Subjektivität und das Ideal der absoluten und allseitig vollkominetici~Erkenntnis. D n m gehört als Voraussetzung, dass eine ,\Veltl sei, zuunterst eine physische Natur sei, die sich einstimmig durchhalten lässt . . . Damit ist eine vorausliegende Regel dcr Passivität und ihrer ziiApperzeption als zur Einheit einstimmiger Appcrze~~tiori sammengehcnde vorgi:zeichnet. Und eben damit vorgt.zeiclinet (ist) die Möglichkeit einer rationalen Wisserisclirtft von der Natur dcr Natur selbst, also das der'0ritologie und d a Formensystc~~i der Natur als Bedingung dcr Möglichkeit des Seins, der Erkennbarkeit, der einstimmigen Konstituierbarkeit eincr Natur aus Materialien der ,Empfindung1."" In diesen Erörterungen, die mehr Denlcvcrsuclic darstellen als feste Uberzeugimgeii Husscrls :iiistlriick(~ii,Iwwc~gt dicwr .;ich sehr zögernd. E r betrachtet es aber, wie übrigens niicli l
S. 36a (wohl 1926).
Ms. orig. A V 21, S. 105h (Zwanziger Jnlirc). 4
a.a.0. S. 106a [Zwanziger Jahre). s. Kritik der reinen Vernunft, B 145146.
292
SYSTEMATISCHE DAKSTELLIING
Strukturen haben und in einander übergehen künnen (z.B. in der Euro~.äisierungeines Primitiven), ohne dass das betreffende reine Ich deshalb seine Identität verlieren würde: „ . . . ist das nicht als Möglichkeit zu entnehmen, dass wir dieselben bleibend, unsere Identität erhaltend verschiedene Welten, nur verbunden durch einen Sinneskern ausbilden und haben könnten?" 1 „Könnte es &CI nicht sein, dass zwar etwas von einer apriorischen Ontologie noch übrig wäre, aber keine konkrete Ontologie konstruierbar als Schema aller erdenklichen Bestimmungen. . .." 2 Husserl lehnt es. abes auch ab,wieKant n a c h d e m L e i t f a d e n d e r U r t e i l s t af el eine feste Zahl von Kategorien bzw. von Grundsätzen als Ausfaltung des „Ich der transzendentalen Apperzeption" zu dedilzieren. Die Vernunft bzw. die Welt, ist nach ihm, obschon sie eine gewisse notwendige einheitliche Struktur besitzt,s kein geschIossrnes festes System des Apriori, sondern offen für unendIiche apriorische Möglichkeiten. Trotzdem sieht Husserl aber einen Bedingungszusammenhang zwischen der Konstitution einer einheitlichen Welt und dem d~ese'vT7elt in Geltung habenden einheitlichen (konsequenten) Ich, rri.a.VT.:er sieht die Ichrealisation bedingt durch die Weltrealisation, wobei dieses reine Ich aber nicht alsb1,osserIchpol, sondern als ein von Transzendenz iibcrzeiigtes Ich gedacht ist. Es ist anzu~ehmen,dass Husserl durch den Kantischen Gedanken des „Ich dir trmszendentalen Apperzeption" - vielleicht aber auch durch entsprechende Uberlegungen von J. G. Fichte, mit dessen Werk : er ~ sich wiihrcnd der Jahre 191s bis 1918 eingehender beschäftigte 4 - auf diesen Bedingungsziisammenhang aufmerksam gemacht wurde. Andererseits ist aber deutlich, dass er dem Kantischen Gedanken, sei es in der Intcrprctation oder in der eigenen p l i i l o ~ o p i i s i ~Auswertung, ri durch seine Lehre von den .,Oberzctrg,1figc~<'oclcr ,,Mcitliriigciti" ;& spc:zi[iscli icliliclicii Habitualitätrn ~ . n ddurch seine Auffassung dieses Ich als eines individuelIen und intuitiv zu gebenden einen wesentlich neuen Gehalt gab. i
Ms. transcr. B I 13/11, S. 7 (8. Januar 1933).
Ns. rxig. ii I 32, C. 139n/b (SC 1927). S.O.S. 3jlf. Ini Ms. trauscr. U I V 9 , S . 14-19 (um 19x6) beschäftigt sich Husser1u.a. nit der I&- und Weltsetzung des Ich bei Fichte. In Ms. orig. A V1 10, S. 33a (ivohl um 19161 findet sich folgender Verweis: „Zur Lehre vom reinen Ich, dem vertrauten und d e n der Karitischeri Apperzeptiori vgl. Fichte, Bestimntung des Menschen (11 244), 3 5.
'
4
Noch bedeutender als diese Unterschiede ist die Verschiedeilheit in der Auffassung der metapliysischen Beziehung zwischen dem Ich und der Möglichkeit seiner „Selbstverwirklichung" durch die Konstitution einer diesem Ich geltenden Welt. Von dieser Verschiedenheit, in der sich Husserls Philosophie und der deutsche Idealismus radikal scheiden, soll iin nächsten Paragraphen die Rede sein.
$ 27. Die Faktizität der Weltko~zstitution bei Husserl und die iWö,nZichkeit der Metaphysik In seinem Werk Allgemeine Psychologie führt P. Natorp im 5 10des 8. Kapitels aus, dass bei Kant die transzendentale Apperzeption, „das ursprüiigiiche und notwendige Bewusstsein der Identität ,seiner selbst', zugleich ein Bewusstsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinu~igennach Begriffen, mithin der Grund der Einheit des Gcgenstandes'' sei. Tri einer Bemerkung a m Rande seines Excilip1;ti-s dicscs MTc.rkes,die wohl aus dem September 1918stammt, interpretiert Husserl das von Natorp bestimmte Kantischc „Ich der transzeridentalen Apperzeption" in der uns bekannten Weise: ,,X mit mir selbst als Denkender, als Stellung Nchn~cnder,als Intelidierendcr einstiriimig bleiben können, mich nicht desavouiereil rniisseii. Das ,Ich denke' = ich glaube, ich erwarte, ich bestiriiine, ic.li urteile, ich werte, ich setze Zwecke. Selbsthcwusstsei~iwäre also IetztlicIi Einstimmigkeit des Jenkcnden' Bewusstseins"; urid *usscrl fügt hinzu: „ Muss es ein soIches geben ? " 1 Husserl gibt nun in der Tat in mehreren 'Tcsten seiner Auffassung Ausdruck, dass das ,.Ich der transzendentalen Apperzeption", das sich durch die Konstitution dcr Welt konstituiert, Siitsmit dieser Konstituiton selbst von drr trans7,riicIc~i~t:11c~11 jektivität her gesclicn ciii blossc~L;iiI.;tiiiii ist. So f i i l i i t cr (siw;i in einem Text aus dem Jahre 192j aus, dass in der Weltkonstitution immer die Möglichkeit bestehe, dass sich die Welt in ein blosses Gewühl auflöse. Er verweist dann auf den Kantisclien Gedanken des „Ich der transzendentalen Apperzcptioii" : „Man kann auch sagen: eine völlige Aiiflösung der Welt in ein ,Gewiilil' koninlt gleich der Auflösung des Ichs, eine Verwandlung in ,Verrücktheit1
' s. Husserls Exemplar von Natorps Allrerrwi~iel>syrholo:.ir, S. 207; l l i i ~ ~ r riiiitcrl
streicht.
294
HUSSEKLS VERHÄLTNIS Z U K A N T
SYSTKMATISCIIB D A R S T E L L U N G
(und nicht in eine natürlich zu erklarende, nach Art der gewöhnlichen Verrücktheit, die ein Naturvorkom~nnisder, wie wir sicher bleiben, exakten Natur ist). Aber warum soll das Ich sich nicht auflösen? Warum müsste es ein persönliches, mindest relativ standhaltendes Ich geben?" 1 Oder in einem anderen Text: „. . . warum soll es nicht ein ,rielfarbigss' Selbst geben können. Ist das eigentlich nicht in der Tat denkmsglich, kann ich nicht durch Abbau der assoziativen Erfahrungskonstitution sozusagen einen personalen Selbstmord bigehen, während doch als Unterlage für diese Möglichkeit mein Leben, wenn auch als objektiv-sinnliches, verbleibt nritsamt der Ichpolarisierung, wenn schon dieser Ichpol keinen personalen tabituellen Sinn hat. Ja, man könnte weiter sagen: Auch dann bin ich identisches Ich einer izentischen Habitualität, auch dann habe ich meine bleibende Habe - nicht eine Umwelt als ,objektive1, aber die Einheit meines Lebens, die Mannigfaltigkeit meiner Empfindungsdaten aber ich bin nicht in der Einheit der immanenten Zeit. Ich in bezug auf eine Natur, eine Welt und nicht in einer Welt, weltlos . . . So wäre der Tod vorstellbar als blosse Auflösung meines Ich als Ich einer transzendentalen Apperzeption - als Ausscheiden ail5 der Welt, die weiter ist d s durch eine Iritersubjektivität konstituiert, der ich selbst nicht mehr zugehöre." Die Kontingenz der Weltkon..titution im transzendentalen Bewusstceiri hat Husserl schon hervorgehoben, als ihm der Gedanke des ,,Ich der transzendentalen Apperzeption" noch fremd war. Je nach dem Zusammenliang hat er bald die Faktizität der Entsprechung der Welt bezüglich wicsetiscfiaftlicher, ethischer und ästhetischer Ideale, bald die Faktizität d.-r Konstitution einer cinhcitlichen Welt überhaupt (die damit noch nicht streng ratiod e n Forderungen geinäss sein muss) ini Auge. E s ist aufschlussreich, dass dicse Gedanken in der Entwicklung Husserls zuerst gerade in Auseinandersetzungen mit Kant und dem Neukantianismus! und zwar in Oppositiori zu diesen, auftreten. Bereits in Texten aus dem Jahre 1907, in denen Husserl immer wieder auf Kant zu sprechen kommt, finden sich Überlegungen ivie die folgenden : „Wie aber: muss das Bewusstsein rationalisierbar sein, so dass sich in ihm eine Welt konstituiert? Könnte nicht 131s. x i g . F I V 3, C. 57a (wohl 1925).
hk. orig. A V1 30, S. 52b (wohl 1926).
295
im Bewusstsein alles auftreten an Elementen, Selbstanschauungen, Urteilen etc., was dem Begriff Vernunft Sinn gibt. (und ohne das ist ja wohl Bewusstsein nicht rnöglich, mindestens die Möglichkeit dazu gehört zum Bewusstsein), und doch der man' nigfaltige Inhalt des Bewusstseins sich nicht streiig ratinn a I isieren lassen oder überhaupt nicht, also keine Natur und keine Naturwissenschaft. Was nützen die idealen Möglichkeiten, die zum Urteil, zur Evidenz gehören, und die Normen, die sie gewähren, wenn ein ,sinnloses Gewühl' d a ist, das in sich keine Natur zu erkennen gestattet. Die Frage ist nicht, wie muss der Lauf des absoluten Bewusstseins sein, das in sich eine Natur birgt . . . Auch das ist eine Frage." „. . . muss es Natur geben, müssen Empfindungsinhalte transzendente Apperzeptionen erfahren, die in der Wahrnehmung eine einheitliche Natur konstituieren? . . . Aber nun muss eine solche Apperzeption nicht statthaben; warum müsste sie auch?" 2 HusserI spricht in diesen Texten auch von dcr im Gang der Erfahung liegenden Möglichkeit der Aiiflösiing der Natur in Phantome oder in ein Gewühl von En~pfinduiigsdatei~, was die völlige Vernichtung der Transzendenz bedeuten würde.3 Dieselben Gedankengänge finden sich w c h in mehrcrcii Texttm, die um 1908 geschrieben sein dürften und tlic wieilcriim Auseinandersetzungen mit Kant gewidmet sind: „. . . xvaruin müssen die logischen Gesetze ein Feld der Anwen(li1ng liaben? In einer faktischen Natur? Die transzendentale Logik, als trnriszcndental auf das Bewusstsein zuruckgcfiilirte, cinthält die G c ü ~ d ezu einer möglichen Xatur, aber nichts von eincr faktisclicn . . . L)as Wunder ist hier die Rationalität, die sich itn absoluten .Bewusstsein dadurch erweist, dass sich in ihrn nicht nur überhaupt irgendetwas konstituiert, sondern dws sich eine Natur konstituiert, die Korrelat einer exakten Naturwissenschaft ist." 4 Neben manchen weiteren Texten 5 weisen auch die Ideea I auf die denkbare Möglichkeit hin, ,,dass es im Erfahren von unausglcichbaren und 1
Ns. transcr. D 1 3 XXI, S. 137,'38 (ivolil 1907); vgl. JIs. transcr. 13 T\.
I,
S. 2 4 7 ' 4 8
(wohl 1go8), wo Husserl fast wörtlich denselben Test mie
Ms. transcr. D
13
XXI, C. 151 (wohl 1907).
s. a.a.0. S. 25/26. 59 ff., 83, 123 (wolil 1907). a Ha V I I , F M . X X , 5. 394 (rgoS). 6 zum Problem der Faktizität der IVeltkoiistitutioii 5 . auch:
Xs. transcr. 13 I 4 . S. 2 ff. (1go8/og); Ms.orig. A I 36, S. 188-198 (SS 1910); 11s. transcr. E 111 1 2 I, C . 30 (wohl rgro); Ms. orig. X 111 6 , C. r z a ff. (Bernau, 1918); M i . transcr. B I V 12, S. 9 ( w h i $920); Ha VII, Beil. XVIII, C. 373 (1921 od. spater).
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCIIE DARSTELLUNG
29'3
nicht nur für uns, sondern an sich unausgleichbaren Widerstreiten wiinrnclt, dass die Erfahrung mit einem Male konsequent sich gegen die Zumutung, ihre Diugsi.tzungen jemals einstimmig durchzuhalteil, widerspenstig ze:gt, dass ihr Zusammenhang die festen Regelordnungen der Alxchattungen, Auffassungen, Erscheinungen einbüsst, und dass das wirklich in infinitum so bleibt -d ass CS keine einstimmig setzbare, d s o seiende Welt mehr gibt.'" „Existenz einer Welt ist das Korrelat gewisser, durch gewisse Wesensgestaltungen ausgezeichneter Erfahrungsmannigfaltigkeiten. Es ist aber n i c h t einzusehen, dass aktuelle Erfahrungen n u r in solchen Zusammenhangsformen verlaufen können . . .." 2 Das Kolleg Erste Philosophie 1g2,3/24widmet diesem Problem der Möglichkeit der Auflösung der V e l t in ein blosses „Gewühl" von Erscheinungen zwei Vorlesungcr~3 Diese Kontingenz wird nach IIusserl natürlich nicht durch die apriorische Weltontologie aufgdloben. Diese bestimmt zwar notwendige Wesensstrukturen der Welt, abcr darüber, ob es überhaupt Welt geben muss, sagt sie nichts. Ihr Gegenstand ist das Sosein und nicht das Dasein.4 Xcht nur irn D a s e i n einer Welt für das Bewusstsein liegt nach Husserl ein Faktum, sondern a ~ c irn h W i e dieser Welt. Denn die faktisch konstituierte Welt ist c i n e der verschiedenen Welten, die ontologisch nlöglich sind. Andererseits spricht Husserl zwar auch vom Apriori der Weltexistenz. Damit meint er aber nicht eine absolute Wesensnotwendigkeit, sondern den Verhalt, d a s während das einzelne Ding in der Erfahrung immer iii der Eöglichkeit der Aufhebung durch eine folgende widerstreitende Erfahrung steht, die Welt selbst von d i e s e r Möglichkeit der Aufhebung nicht betroffen wird, da sie nicht in Widerstreit mit einer einzclrien Dingerfahrung treten I i a i ~ sondern ~, der ideale, immer präsnmierte Horizont ist, auf Grund dessen und i n dem das Ich die widerstreitenden Setzungen durch Korrektur (Modalisierwg der Setzungen) zur Einheit bringt.5 Dadurch ist aber die Fyage noch nicht berührt, ob sich im transzendentalen Bewusstsein überhaupt eine präsumptiv 1 2
3 J
5
idsen I, C. Iij. a.a.0. S. 1x4. E+slc Pk. 11, 33. 11. 34. Vorlesung; V:. I i a VIII, Beilage S I (1924). E. W.orjg. A 1 36,S. 192b ff. (CS 1Cro)U. Ms. orig. F i V 3, S. j7R f f (wohl 1925). E. Ms. orig. .I I 36, S. 189-199 (Juni 1910).
ztr
KANT
297
durchhaltbare Welt konstituieren muss. Auch Husserls Rede von der Apodiktizität der Weltcxisteilz ineint kcin notwcndigcs Sciri der Welt, sondern nur die r e l a t i v c oder ciiipirisclic Apocliktizität, die darin besteht, dass ich w ä h r e n d der einsti~nmigeil Welterfahrung nicht an ein Nichtsein der Welt glauben kann. Dies heisst aber nicht, dass das Nichtigwerden der IVelt prinzipiell ausgeschlossen ist .I Husserl wusste sich in seiner Auffassung von der Faktizität der Weltkonstitution bzw. des „Ich der transzendentalen Apperzeption" in einem fundamentalen Gegensatz zum deutschen IdeaIismus. Nicht nur bei Kant, für den zwar die teleologisclic Weltstruktur (die Gliederung der Natur in Gattungen und Arten und ihre Fassbarkeit durch empirische Gesetze) ein blosses, aus dem Wesen der Subjektivität heraus unerklärbares F a k t U in kt,2 die k a t e g o r i a l e Welt f o r m aber doch ihren zureichenden Grund im Wesen der Subjektivität zu haben scheint, sondern vor d e m bei J. G. Fichte, der das absolute Ich in notwendigen dialektischen Prozessen aus eigener Tatkraft die Welt setzen lasst,3 sah er dieser Faktizität nicht Rechnung getragen. Ebenso fand er die seiner eigenen Auffassung enigcgengesetzte These von der notwendig aus dem Bewusstsein hervorgehcnderi Welt in1 Neukantianismus ausgcsprochen: „Neukantianismus. Das Denken in Form unserer gegebenen Wissenschaft ist kein ziifälliges Denkeil, sondern ein notwendiges. Es hat in sich eine i~otwericligcL)ialektil< . Die Natur notwendiges Produkt des Rewmstscins als vernünftigen Bewusstseins. Es gibt nicht nur Wissenschaft als Faktum, es soll und muss Wissenschaft geben." 4
..
Indem Husserl lehrt, dass die Weltkonstitution bzw. das welthabende Ich (das „Ich der transzendentalen Apperzeption") in der transzendentalen Subjektivität selbst keinen Grund findet, der diese Konstitution notwcndig macht und das Ich sich notwendig als welthabendes setzen lässt, oder besser, der die Genesis und Fortdauer dieser Konstitution garantieren könnte, so dass für die transzendentale Subjektivität nicht beständig die Möglich& s. l d c m I, S. 109;Erste Ph. 11, S. 54; Ha 1'111, Beii. S I I I , C. 397, 400 (~gzjl. a s. den Schluss der Streitschrift gegen Eberhard und Iiritik der wirroi 17crrru;ift. A 653 If. B 681 ff. 'Na. trariscr. B IV g, C. 19 ff. (wohl um 1915). 4 a.a.0. C. 21 (wohl um ~grg).
298
!
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
keit der Auflösung des Kosmos und des „Ich der transzendentalen Apperzeption" bestände, ergibt sich ihm ein Begriff des ,,transzendentalen Idealismus", der von demjenigen des deutschen Idealismus grundsätzlich verschieden ist. Husserl legt zwar dar, dass die transzendentale Subjektivität in der genetischen Konstitution cliircli ihr „Leben" die Welt produktiv hervorbringe; darin glaubt er sich, wobei er vom „Ding an sich" Kants abstrahiert, mit dessen Lehre von der transzendentalen Synthesis, die die phänomenale Welt - für Husserl die einzig wirkliche Welt - crzeiigt, einig. In diesem „leistenden Tdeben" ist das Ich - oder genauer, sind die Ich (Weltkonstitution ist konkret intersubjektiv) - 'nicht aktuell tätig, sondern „anonymH, verborgen. Trotzdem ist nach Husserl dieses „Leben" „LebenMdes Ichs, das als Ichpol den ganzen in der immanenten Zeit konstituierten Erlebnisstrom zu eigen hat und in diesem Sinn ,,Subjektn dieses „Lebensm ist. Diese genetische Konstitution geschieht nun aber nicht aus dem eigenen Wesen oder der eigenen „MachtJ' des transzendentalen Lebens. Dass es einen Kosmos und gerade d i e s e n Kosmos produktiv konstituieren k a n n , -. so können wir Husserl interpretierendsagen - liegt nicht in ihm selbst, sondern ist für es letztlich ,,Gnader' ; cs ist immer in der ,,Gefahrm, dass sich ihm dicse ,,Gnade'' entzieht, d.h, dass sich der Kosmos in ein Chaos von Empfindungen auflöst, oder dass es als wclthabendes, also als eigentliches Ich zerfällt. Die transzeridentale Subjektivität ist nicht der ausreichende Grund für das Sein der Welt. D i e W e l t k o n s t i t i i t i o n i s t n a c h H u s s e r l a l s o n i c h t d a s eigene W e r k d e r t r a n s z e n d e n t a l e n S u b j e k t i v i t ä t , sondern sie ist für sie etwas radikal Gegebenes, wie I-lus:;erl sagt, ein Wunder.1 Die transzendentale Subjektivität ,,produziert" die transzendente Welt, indem sie dieses „Produzieren“ nicht als eine eigene Möglichkeit besitzt, sondern ii~irnerlortempfängt. Auf die Wortnuancen achtend können wir sagen: Nach Husserl „produziert" die Subjektivität die Welt, aber sie erschafft sie nicht. Darum besitzt nach Husserl die Welt für die Subjektivität auch einen unaufhebbaren Charakter der Fremdheit. Ir1 der Faktizität der Weltkonstitution im Sinne deren letzten Unerklärbarkeit aus dem Wesen der transzendentalen Subjektivität sah Ilusserl den Ansatzpunkt für die eigentliche Meta1 s.
Ha VII, Beil. XX, S . 394 (1go8).
physik. Schon in der Göttinger Zeit erklärt cr, dass die Faktizität der Konstitution einer theoretischen, ethischen und ästhetischen Forderungen entsprechenden Welt nicht Problem der Logik und Phänomenologie, sondern der Metaphysik sei.1 Dies ist aber nicht nur eine Auffassung des frülien Husscrl. In der Vorlesung Ers/e Philosofilzie voni Wintersciiicstcr 1923/24 1)criirrkt c:r : , , l ) ~ r c ltlic. i ihnen <SC. den positiven Tatsachenwisscnscllafte~~) in Anwendung der eidetischen Phänomenologie zuwachsende letzte Interpretation des in ihnen als Faktum erforschten objektiven Seins und durch die in dicscr 1'liaiioiiic.iiolofiic~iiii(g-c~fortlpi-k iiiiivcrs;~tr~ Betrachtung aller Regionen der Objektivität in bezug auf die universale Gemeinschaft transzendentaler Subjekte gewinnt das Weltall, das universale Thema der positiven Wissenschaften, ,metaphysische' Interpretation, was nichts anderes hcisst als ciiic Interpretation, hinter der eine andere zii suchen keinen \vissenschaftlichen Sinn gibt. Aber dahinter eröffnet sich auf phäriornenolagischem Boden eine weiter nicht mehr zu interpretierende Problematik, die der Irrationalität des traiiszendentalen Faktums, das sich in der Konstitution der faktischen IVelt und des faktischen Geisteslebens ausspricht: also Metaphysik in einem neiien Sinn."z Einige Monate später schreibt er: „Die Frage des n a t W c h eingesteIlteri Menschen nach den1 Grunde des Faktiirns dieser Welt wird in der transze11dt:ntalen Irinenei~istclliirigzur Frage nach dem Grunde des Seins dieser faktischen Subjektivitäten und der faktisch in ihnen sich vollzicliendch Konstitution der Welt, darin beschlossen aller faktisch erfüllten Bedingungen der Möglichkeit solcher Konstitution. Wclchen Sinn der hier spielende Begriff des ,Grundes1haben kann, und was es sein kann, das uns an diesem Faktum nicht befriedigt ruhen lässt, das ist eine neue Frage, die auf eine höhere Stufe transzendentaler Forschung verweist." 3 Das irrationale Faktum, dass sich im Bcwusstsein ein Kosmos (und gerade d i e s e r Kosmos) und nicht ein Chaos konstituiert, führt in Husserls Denken auf den der transzendentalen Sukjektivität transzendenten absoluten Grund: auf Gott: ,,Aber dass nach den ideal normativen Gesetzen sich eine einheitliche und cbenda und Ms. orig. Ii I 12,S. 57a (\I 5 1910 I I ) Pk. I , 5. 188 Anm. Ha VII, K a n b Kopern%kanirche Umdrehung , C 220
1 C. "Y&
8
(1924)
300
S Y S TEMATISCIIE DARSTELLUNG
sohin radonale T3e1~usstseinsord~ung muss herstellen lassen, dass es eine Natur muss geben kör-nen und eine Kultur und eine Entwicklung der Natur, die Kultur ermöglicht und eine Entwicklung der Kultur im Sinne idealer Kultur, das ist nicht ,notwendig'. Oder gibt es dafür eigentümliche Quellen der Notwendigkeit? D a s hiesse G o t t d e m o n s t r i e r e n . " 1 Eingehender legt Husserl diesen Gedanken in den Ideen I dar: Der rationale Charakter der im Bewusstsein sich konstituierenden Welt wirft die Frage nach Gott als dem bewusstseinstranszendenten aber nicht weltlichen Grund dieser Rationalität oder Teleologie auf, da diese nicht durch das Wesen des Bewusstseins gefordert ist.2 Gott ist in den Idee% I aufgefasst als das ,,ordnende Prinzip des Absoluten", 3 das diesem Absoluten (nämlich der transzendentalen Subjektivität) transzendent ist (aber nicht transzendent im Sinne der Transzendenz der W e l t ) iirid sich als solches im Bewusstsein „intuitivo bekundet.4 Wir möchten uns hier nicht weiter mii Husserls philosophischer Theologie, die nur in einigen A+nsätzen besteht und ganz von einem finalistischen Zug gepriigt ist, beschäftigen.6 Nur auf Husserls M e t h o d e für den Erweis eines absoluten bewusstseinstranszenden:en Grundes, der das irrationale Faktum der Weltkonstitution im transzendentalen Bewusstsein zu tragen vermag iind dadurch diese Irrationalität aufhebt, soll noch näher eingegangen wcrc3n 13ci dieser Methode k:mn es sicli nicht mehr um einen Aufweis von statischen und genetischen Zusammenhängen von ,J'hänornenen" handeln, sondern es gilt, die Daseinsniöglichkeit dieser teleologischen Zusammenhärrge als solche zu begründen. Husserl lässt hicr die phänomenologische Methode sich dessen 7öllig bewusst - hinter sich zurück, obwolil er sie in hIs. trair!.cr. B I 4, S. 213 (1908 od. 1909); wir unterstreichen. Ideen 1' 5 jS. a.a.0. S. 121. 4 a.a.0. S. 121j2z. 5 auifühtiict.sten Gedanken über das Gottesproblem enthält das Ms. transcr. B I11 4 ( z n i s c h ~ n1930 U. 1934). Gott wir.$ hier als ,,absolute Polidee", als ,,Absolutes iii eiiicrn ncueri übrrweltlichen, iibcr~nenschlicli<:ii,übertranszende~ital-subjektiven Sinn" angcsprcdien, auf das die trans7andentalc Allsnbjektivität (die Husserl im Brief a n seinen Freund G. Albrecht vom 3. Juni 1932 als ,,die wahre Stätte göttlichen U'irkens" bezekhret) in ihrem Lebens~rozess teleologisch hinstrebt. Zum Gottesproblern bei H a s e r l vgl. H. L. Van Hreda, Husserl et le probl2nze de Dieu; S . Strasscr, Das GoMesproblan iqz der CpütplziEosophic Husserls; H . Hohl, Lebenswelt und Gesclrichlc 1
2
"
IICSSERLS V E K H A L T N I S ZU K A N T
301
manchen Äusserungen als die einzige philosopliische Methode zu betrachten scheint. Näher besehen vertritt Husserl aber keineswegs in der Philosophie einen „Methodenmonistnus". Die Phänomenologie ist für ihn nur die notwendige Grundlegung der streng wissenschaftlichen Philosophie und erhebt nicht den Anspruch, die ganze Philosophie zu sein. Da er sich während seines Lebens fast nur mit dicser Grundlegung bcscliäftigtc, die er zu einer endgültigen erheben wollte, entsteht der Eindruck, dass er die PhanomenoIogie mit der Philosophie überhaupt idcntifizicrtc.. Allerdings ist sich Husserl selbst der Grenzen der phänornenologischen Methode nicht immer bewusst gewesen: Wenn er in der Philosophie nur solche Begriffe zulässt, deren „Erfüllung" in der phantasierenden Anschauung phänomenologisch nachgewiesen werden kann, und weiter diese Anschauung zum absoluten RIas des Gebrauchs der Begriffe erhebt, wenn cr also alle konstriiiertcri Begriffe in der Pkiiosophie ablehnt - nian denke an die Polemik gegen Kants Idee des z ~ e l l e c t u archetypus s - dann verbaut er sich eigentlich selbst ein philosophisches Denken, das sich über die Phänomenalität erhebt, um diese zu begründen. Husserl ist hicr in einer Art von Positivismus befangen, der nur solche Begriffe als sinnvoll zulässt, die sich durch Anschauung „verifizieren" lassen. Dadurch, dass er aber die Möglichkeit einer Metaphysik anerkennt, die nicht mehr phänomenologisch vorgehcri kann, gibt er selbst faktisch dicsc ,,posilivistisclie" Stclliiiig niif ; ticiin eine solche Metaphysik nitiss iiotnv~ntlig I+griffr q,bpiiclii~ii, deren Sinn nicht mehr durch Intuition adäquat ciri>ulijscw ist; der Metaphysiker versteht nicht mehr, wovon er sprechen muss. Für die Methode, die Husserl zur n~etapliysisclienBcgriiiidurig der Weitkonstitution anwenden will, beruft er sicli auf die Kantischen ,,Postulate" der Kritik der Praktischeu T7eri~ztn/t. hrn 3. April 1925 schreibt er an E. Cnssirer: „Ihr Hncli lässt, wir Sie selbst wissen, abgesehen davon, dass es nur erster :Inhicb sein konnte, ungeheure Probleme offen. Vor allein, die Idee und Form einer mytliischen VVeltanscllauung und jeder sonstigen zur Einheit einer Gesamtanschauung sich verflechtenden universaien Intentionalität einer vergen~einschaftetdaliinlcbcnden Nenscliheit charakterisiert zunächst ein historisch faktisches Gebilde. nämlich PhGosophie der sy»tbolischen Fortrten T I , Das tnylhischc Dertkcli (1925); Anm. d. Verf.
302
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Historische Genesis steht aber unter Wesensgesetzen. Es gilt aus dem ABC der transzendentalen Struktcr2n und darunter denjenigen der Genesis transzendentalen Lebens die notwendigen Stufen der konkreten Entwieklungstypit einer Menschheit überhaupt verständlich zu machen: die Entwicklungstypik der geltenden und doch nicht endgültigen Wdtanschauungen, ebenso wie die Typik aller universalen Scheine m d Verirrungen auf der Stufe der schon erwachten Vernunft. Dazu natürlich auch auf anderer Seite die Probleme der Faktizkät als solcher, die der ,Irrationalität1,die, wie mir scheint, n w behandelt werden können in einer erweiterten Methode der Kantischen Postulate. Das ist vielleicht die grösste der Kantischen Entdeckungen. Freilich, wie alles Kantische nur Entdeckung, die allererst endgültiger wissenschaftlicher Begründung, Umgrenzung bedarf." 1 Es scheint, dass Husserl nicht rein auf dem Boden der theoretischen Vernunft über das faktische Dasvin des Phänomens der Weltkonstitution im transzendentalen (rntersubjektiven) Bewusstsein hinausgehen wollte, sondern div Metaphysik wie Kant durch die Postulate der praktischen Vernunft zu begründen versuchte. Auf welche konkrete Weise cr nun diese Methode des praktischen Postulates in der Metaphysik anzuwenden gedachte, ist aus seinem Schrifttum nicht klar ersichtlich. Es ist anzunehmen, dass er hier nicht zu vollcr Klarheit und festrn Positionen durchgedrungcm ist. Es fehlt aber doch nicht völLi5 an Hinweisen, die uns wenigstens in diese metaphysischen Gedanken Husserls einen ungcfährcn Einblick vermitteln. Ein Text Husserls aus dem Jahre 1923 trägt den Titel: „Postulatcnlehre Kmis". 2 In ihm bespricht er die Sinnlosigkeit, die dem nienschlichen Leben und Streben in der Welt durch den Horizont des möglichen E n d e s der Erde mit allen ihren Schöpfungen drr Kultur zuwächst. Er bemerkt, dass daran auch nichts durch die transzendentale Inneneinstellung geändert werde: ,,Wie, wenn der Gang der passiven und aktiven Konstitution und so ein si;b:ektives Leben in der Form menschlichen Leibes in Beziehung mit konstituierter Umwelt ein ,Zufall' wäre - und wenn die Bedingungen der Möglich1 Brief an E. Cassirer vom 3. April 1925; Kopie i n Husserl-Archiv. 2 s. Ha VIII, Beil. V, S. 354155 (1923); vgl. die prallelen Ausführungen in Ms. transcr. E 111 I, C. 819 (zwischen 1930 U. 1934).
keit eines fortschreitend wertvollen Lebens, einer gegen die Idee einer echten Menschheit und einer Gotteswelt hinlebenden Menschheit nur zufällig und partiell und vorübergehend erfüllt wären"? 1 Wenn die Konstitution einer sinnvollen Welt nur ein zufälliges und vorübergehendes Faktum ist - so geht der Gedankengang Husserls weiter - dann scheint das Weltleben ein Wahn zu sein; ich kann es nicht mehr bejahen und in ihm strebend meine werthaften Ziele verwirklichen wollen. Andererseits aber - hier verweist Husserl auf Kant - weiss ich um den kategorischen Imperativ, der von mir ein Handeln im Hinblick auf eine universale Wertsteigerung der Menschenwelt absolut fordert. Dieser absoluten Forderung kann ich jedoch nur leben, d.h. sie ist nur dann selbst eine sinnvolle oder „reale", wenn ich an den Sinn der Welt glauben kann. - Über diesen Punkt geht der zitierte Text Husserls nicht hinaus, Es ist aber ersichtlich, wie hier nun die „Postulate Kants" einzusetzen hätten. Da die Weltkonstitution in der transzendentalen Subjektivität in sich die Möglichkeit nicht aussc~diesst,selbst in einem Chaos zu cnden ; da sie also ihre Sinnhaftigkeit nicht aus sich zu garantieren vermag, anderexseits aber die absolute moralische Forderung diese Sinnhaftigkeit voraussetzt, muss ein transzendentes Wesen postuliert werden, dasdenSinn des Weltlebens des Ichs gewährleisten kann. Nach Husserl wirkt dieses Wesen als Telos des gcrncinschaft!ichen weltkonstituierenden Lebens der transzendentalen Subjekte.
1 s.
Ha VIII, Beil. V, C. 354155 (1923).
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZU KANT
7. K A P I T E L
$28. Die Stellung Kants i n der teleologischen Entwicklzcng der Philoso$hiegeschichte Yit diesem Paragraphen treten wir an einen neuen Aspekt von Hnsserls Kantverhältnis heran. E s geht hier nicht mehr um die Frage, wie Husserl Kantische Ideen interpretierte, beurteilte und für sein eigenes Denken fruchtbar machen konnte, sondern um eine globale Sicht Husserls Ces Verhältnisses zwischen der Transzendentalphilosophie Kant; und der transzendentalen Phänomenologie. Diese globale Sicht ist aber ganz besonderer Ari : Sie geschieht aus Husserls P h;loso p h i e der Pliilosophiegeschichte heraus. Was wir in dresem Paragraphen behandeln wollen, ist also nicht Husserls rein h i s t o r i s c h e Sicht des Verh a h i s s e s zwischen der Philosophie Kants und seiner eigenen ~ h i l o s o ~ h i esondern ', gewissermass~riseine „ P h i 1o s o phi e seines Kantverhältnisses". Die eiiropäische Philosophiegeschichtc wurde von Husserl als cinr teleologische Entwicklung zur transzendentalen Phanomenologie aufgefasst. Diese bildet nach iktn a l m nicht das Ende der Plirlocophiegeschic~itc,sondern in rbrcin Auftreten zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts deren eigentlicher Anfang: In der traxzendentalen Phänomenologie kommt die Philosophie erst zu sich selbst, d.h. in ihre wahre, streng wissenschaftliche Gestalt, in der sie sich nun in unendlichc?r Fortentwickliing e n d g ü1t ig realisieren kann. Husserl war der Uberzeugung, in seiner tran~z~dental-phänomenologischen Methode - um mit Kant zu reden - „den einzigen, sehr durch Sinnlichkeit verwachsenen Fusssteig entdeckt" zu haben, auf d e n es ihm „gelang, das bisher verfehlte Nachbild der Idee der Philosophie", allerdings nicht ,,sc.weit es Menschen vergönnet ist", sondern nur im Anfang dem Urbild gleichgemacht zu haben.1 Damit ist es nach Husserl in der wgl, Kritik der reinen Vernunft, A 637 ff.iB 865 ff.; vgl. auch die Schlussätze dieses Kaiitisclien Werkes. 1
305 Philosophiegeschichte endlich möglich gewordcn, nicht nur das Philosophieren, sondern auch d i e Philosophie zu erlernen. Wenn sich EIusserl immer wieder als A n f ä n g e r der Philosophie bezeichnete, so ist dies nicht etwa ein blosser Ausdruck grösster Bcscheiclenheit, sondern ein ungeheurer Anspruch, der Anspruch nämlich, analog wie Galilei die Physik, die rclitr Pliilo.;opliir 111 Gang gebracht zu haben.1 Von dieser Idee der Philosophiegeschichte her ergibt sich für Husserl auch eine besondere Weise der Interpretation geschichtlicher Philosophien. In einer Reflexion übcr die Methode seiner philosophiegeschichtIichen Betrachtungsweise schreibt er in der Krisis: ,,Jeder lustorische Philosoph vollzieht seine Selbstbesinnungen, führt seine Verhandlungen mit den Philosophen seiner Gegenwart und Vergangenheit. E r spricht sich über all das aus, fixiert in solchen Auseinandersetzungen seinen eigenen Standort, schafft sich so ein Selbstverständnis über sein eigenes Tun, wie denn auch seine veröffentlichten Theorien in ihm erwachsen sind in dem Bewusstsein dessen, dass er darauf Iiinwollte. Aber wenn wir durch historische Forschung noch so genau über solchc ,Selbstinterpretationen' (und sei es auch über dir einer gaiizcn Kette von Philosophen) iinterrictitr?t werden, so erfahren wir daraus noch nichts über das, worauf ,es' letztlich in cler verborgencii Einheit htentionaler Innerlichkeit, welche allein Einlieit der GeV ' . Nur schichte ausmacht, in alt (lirsrt-i Philosoldlrii ,l~i~i:~iiswollt in der Endsliftung offenbart: sich das, nur von ihr aus kann sich die einheitliche Ausgerichtetheit dier Philosophien und Philosophen eröffnen, und von ihr aiic kann eine Erhellung gewonnen werden, in weIcher rnan die vergangenen Denker versteht, wie sie selbst sich nic hätten verstclwn könnrn." 2 Für Hiisscrl war rs also nicht nur legitim, sondern zum wirklichen Verständnis durchaus notwendig, eine historische Philosophie über ihren Wortlaut Wnaus von seiner eigenen Philosophie her zu interpretieren - eine ~~)iilosopliicgcscliiclitlic~ic Intcrprctationswcisc, dic bekanntlich Schule gemacht hat. Umgekehrt scheint aber auch wenigstens nach dem späten L
Husserl gebraucht diesen Vergleich mit Galilei selbst ins eiiiein Brief an Albrecht
miii 12. April r g r g (Kopie des 13riefc-s irn Husscrl-Archii~). 2 Krisis, C. 74.
306
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H u s e r l eine kritische Besinnung auf riie Geschichte der Philosophie rine notwendige Voraussetzung zur Erfassung der endgiiltigen Philosophie, d.h. der phänommologischen Transzendentalphilasophie zu sein. Im Logos-Artikelvon 1911schreibt Husserl zwa: den Satz: ,,Zu Philosophen werden wir nicht durch (historische> Philasophien." 1 Auch Husserls vielgenannter Imperativ ,,zu d e l Sachen selbst !" hat einen gewissen antihistorischen Affekt, als Gegenparole nämlich zu den Ende des 19.und Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden Parolen „zurück zu Kant !", ,,zurück w Thomns!", ,,zurück zu Hcgcll". Doch lehnt jener Imperativ Husserls keineswegs eine Vertiefung in historische Philoso-hien als unnütz oder schädlich ab, sondern ist nur gegen ein Philosophieren gerichtet, das sich an ein traditionelles philosophisches Systiln~mit seinen festen Problemstellungen, Begriffen und Methoden bildet. Denn unmittelbar vor dem oben zitierten Satz aus dem Logos-Artikel schreibt Husserl: „Gewiss bedürfen wir auch dex Geschichte. Nicht in der Weise der Historiker freilich, uns in Eie Entwicklungszusamrnenhän~ezu verlieren, in welchen die gossen 3hilosopliien erwachsen sind, sonclern um sie selbst, nach ihrem eigenen Geistesgehalt auf uns anregend wirken zu lassen. In der Tat, aus diesen historischen Philosophien strömt uns, wenn w;ir uns in sie hineinzuscbauc:n, in die Seclr: ihrer Worte und Theorien zu ,dringen verstehen, philosophisches L e b e n entgegen, mit dcm ganzcn Reichtum und der Kraft lebendiger Motivation-~~.'' 2 Dass 14usserl jedoch schon zur Zeit der Abfassiing des Logos-Artikels die Beschaf tigung mit der Philosophiegeschichtc als condilio sins uzca mmz für die Regriindurig der endgültigen, wirklich wismwhaftlichen Philosophie betrachtete,ist kaum anzunehmen. Die: ist &er &rFall in derVorlesung BrstePhiZoso~hievomWintersemester 1923j24,in der der historische Teil gcnau die Hälfte der Ausführungen in Anspruch nimmt. Huserl erklärt hier ausdrücklich, dass die kritische Auseinandersetzung mit der philosophischcn Trndition ein erstes n o t w c n tligcs Stück für meditationes de priwa #dUIosophia sei.3 In der Krrsis, in der wiederum die historisrhen Betrachtungen einen bede-itenden Platz einnehmen, bestimmt Husserl deren notwendige Funktion genauer: „Wir
versuchen, die E i n h e i t , die in d e n historisclieri Zielstellungen, irn Gegeneinander und Miteinander ihrer Verwandlungen waltet, herauszuverstehen und in einer beständigen Kritik, die immerfort nur den historischen Gesamtzusammenhang als einen personalen im Auge hat, schliessIich die historische Aufgabe zu erschauen, die wir als die einzige uns persönlich eigene anerkennen können."l Steht nun aber diese Auffassung, dass die kritische Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition dazu dient, die eigene philosophische Aufgabe k o n k r e t zu erschauen, nicht im Widcrspruch zur anclcrri Auflassurig I-lusscrls, nach der viclmelir unigekehrt die Philosophiegeschichte e r s t von ihrer Endgestalt, nämlich von der transzendentalen Phänomenologie her wirklich verstanden werden kann? Dieser Widerspruch löst sich nach Husserl im Gcclankcn auf, dass clic kritische 13esinnurig auf die Philosophiegeschichte ,,nichts anderes (ist) als die echte Selbstbesinnung des Philosophen auf das, worauf er e i g e n t l i c h hinauswill, was in ihm Wille ist a u s dem Willen und a l s Wille der geistigen Vorväter." 2 Eclitc! Selbstbesinniirig und eclitc p h i losophiegeschicfitliche Besinnung bilden nach Husserl als eine E i n h e i t : Echte Besinnung auf die Philosophiegeschichte kann nur stattfinden in der selbständigen Besinnung auf die Forderungen der Idee der Philosophie selbst als des der Philosophiegesichte eingepflanzten und immer intendierten Telos, und die Besinnung auf die c i g c r i e pliiIosopliisclic AirfgnI->cist nur. miiglich durch die Philosophiegeschiclite, die, d a sie aus der eigenen historischen Situation, aus dem eigenen ,,ZeitgeistH und individuellen Verständnis heraus rekonstruiert wird, notwendigerweisc einen - wic HusserI sagt - ,,dichterischen" oder „romanhaftenwCliarakter besitzt.3 Im folgenden skizzieren wir Husserls Sicht dcr Philosophicgeschichte, wobei wir unser besonderes Augenmerk auf dic Rolle richten, die von 1-Iiisserl der Iiopcrniknnisclicn Wenclung Kants zugewieqen wird:Qer Ursprung der europäischen Philosophie
'
Krisis,
C. 7r17z; vgl. Ha VI, Beil. XXVIII, S. 510 (Sommer 1935).
I ~ s ~ C. S ,72/73.
Ha VI, Beil. XXVIII. S. 513; siehe zu dieser Tkilage die textkritisclirli A I I mcrkirngen a.a.0. C. 5 5 6 . 4 Iri unwrcr Skixziimiiil: fi)I~(?ir wir d~!iiiliistori.;<:Ii~~ri 'Keil von I
1/11) und der
K~isis.
308
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
(die Urstiftung des philosophischen Telos) liegt in Platons Idee dcr Brcro&p-q, Platons Dialektik, die jene Idee zu verwirklichen suchte war aus r a d i k a l s t e r ~ e r n u n f te n t w o r f e n : Sie fragte nach der „Möglichkeit einer ~ i s s e n i c h a f tüberhaupt und von Seiendem überhaupt" und „für sie gab es noch keine wirkliche Wsser-schaft und keine wirkliche Welt als im voraus schon geltende". 1 hin Anfang stclit also für Husscrl die r;idikalste Fragcstellung hinsichtlich der Möglichkeit von Wahrheit - die aber, in ihrer Radikalität, wie sich zeigt, alsbald (nämlich schon bei Aristoteles) in eine gewisse Vergessenheit geraten wird. Diese Idee einer sich absolut rechtfertigenden und methodisch fortschreitenden Wissenschaft hat für dic eiiropäisclie Pliilosophiegexhichte den Sinn eines ihr zu Beginn eingesenkten Telos, oder besser, eines sie erst stiftenden Telos, auf das hin sie sich in der Folgezeit durch zahIlose Verirrungen und ungenügende Versuche hindurch, aber doch in ciner festen Zielstrebigkeit hinentwickelte. Das pliilosophische Telos, das diircli Platon gestiftet wurde, hat aber nach Husserl nicht nur eine philosophische, das Erkenntnisleben des curopäischcn Menschen bestimmende Bedeutung, ES ist vie:tnchr Grutidlage für ein universales, die g a n z e Kultur umspa7ncwdcs T&.,: das Tcloq rinrs sich in allen seincn Tätigkcilcii diircli die Vcriiuiiit absolut rcclitic~rligcii(lciiLcbens. Sokratzs erkannte als erstcr dicses universale Telos eines Lebens aus Erkenntnis oder Vcrnunft als höchste ethische Forderung und wurde Aadurch zum Stifter der europäischen Kultur, die in ihrem Wesen eine philosophische! ist. Fiir die dieses uriivcrsalc Telos als Entelechie in sich bergende europäische Kultur erwächst daher die Wiisenschalt nicht nur als eine unter andern Kiilturformcn, ~ V ,dessen sondern sie übernimmt die Rolle des ~ ~ E ~ O V L Kvon Gelingen und Versagen Gelingen und Vcrsagen des curopäischen Menschen abhängt. Dahcr führte Husserl die Krisis der europäischen Menschheit der Gegenwart zurück auf eine Krisis der ,,Wissenschaft". Seiner Idee der i ~ ~ o 4 vermochten pq aber Platon und die ihm folgenden Philosophen der Antike nicht zu genügen: „Wie sehr Platon sich bemühte, in diesem radikalen Geiste eine Logik ZU begründen, zu den notwendigen Snfängen und Methoden drang er nickt durch, und schon Aristoteles verfiel in die sehr natür1
Logik, S . 198.
HUSSERLS VERHÄLTNIS
ZU K A N T
309
liche Selbstverständlichkeit einer vorgegebenen Welt, eben damit jede radikale Erkenntnisbegründung preisgebend. So kam es, dass die antike Wissenschaft, bei all ihrer Prätention, Philosophie, sich wirklich letzt-rechtfertigende und voll befriedigende Wissenschaft zu sein, bei all ihren bewundernswerten Leistungen doch nur das zustandebrachte, was wir dogmatischa Wisscnsclirift nennen und nur als eiiic Vorstufc cclitcr philosopliisclicr Wissciischaft statt ihrer seIbst gelten lassen." 1 Dieses radikale Ungenügen bezcichnct Husscrl auch schon mit dcm Wort „Objektivismus". Er meint mit ihm hier diejenige wissenschaftliche und vorwissenschaftliche Haltung, die, von der natürlichen Ejnstellung befangen, die Welt imincrfort als vorgegebcneii Uocleii uiibcfrrigt voraussetzt und die mannigfaltigen in der Welt seienden Objekte zu erkennen versucht, ohne die Subjektivität, in deren Leben sich die Welt mit ihren physischen und psychischen Wesen konstituiert, thematisch zu machen. Damit war die dogmatische oder objektivistische Wissciischaft der Aiitikc unfähig, sich ;~l>soltit zu rechtfertigen, was sich darin zeigte, dass sie den Skeptizismus, der immer mf dcn siibjcktiven Charakter aller Erkenntnis iiritl somit auf die lirqwiirdigkeit ihres objektiven Geltiingsanspruchs hinwies, n i e wirklich zii iil~nrwiii~lcii vc~riiioclitc~.
In wesentlich derselben Situation bliob nach Husserl die inittelalterliche Phibsophie. Erst mit Descartes tritt gegenüber der Antike etwas völlig Neues in die Philosopbiegeschicht~.Das Neue Descartes' lag darin, daqs er die reinc Subjektivität, das cgo, das intentional seine cogitata enthält, als den absoluten Grund aller Wissenscliaft entdeckte und auf sic alle Objektivität und alle objektiven Wissenschaften zurückbezog. Damit hatte er das „transzendentale Motiv" in die Entwicklung der neiizcitliclien I'hilosophie gelegt, dem sich diese von nun an nicht inehr entziehen konnte, und auch den ersten Schritt zur Überwindung- des subjektivistischen Skeptizismus getan, die nur darin bestehen kann, dass dieser in einem höheren Sinne wahr gemacht wird. In einer gewissen Weise hatte zwar schon Augustin auf die Zweifellosigkeit des ego cogito hingewiesen. „Aber die neue Wendung entspringt bei Descartes dadurch, dass er aus einer antiskeptischen Pointe einer blossen Gegenargumentation eine theoretische FestE d e ~ hI,. s. 56.
31°
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
stellmg macht." 1 Trotzdem kann aber Descartes nicht als erster Transzendentalphilosoph bezeichnet werden: da sein philosophisches System keine Transzendentalphilosopic ist: „So wenig wird Descartcs zum Begründer einer auf dem transzendentalen Boden, dem cgo cogito, gebauten und dann wirklich transzendentalen Philosophie, dass er durchaus im objektivistischen Vori~rtvil1wfauqr1111-cil)I.Spin ,qnrim~Al)p:~r:~l ~ ) l t i l o s o ~ ~ lrncdi~i~(:l~ trerender Xetiiodik dient scliliesslicli dazu, die objektive Welt, das Substrat der objektiven Wissenschaften, und diese selbst gegenüber den Angriffen der Skepsis zu retzen . . .." 2 Descartes hat zwar den Wc,: znr transzenctentalcn S~~bicktivitRt prinzipiell geIlfhcl, rr 1tn:tc tlicsc i i i i gcistigcw Ulicldcltl, ihcr c r vcriiioclitc sie nicht als solche zu fassen und hat sie auch nicht, was allein eine transzenrlentale und damit absolut gerechtfertigte Wissenschaft hätte konstituieren können, einem wissenschaftlichen Studium unterworfen. Er interpretierte das ego cogito fälschliclierweise als mem sivz a n z i n ~ sd.li. , als die in die Welt gehörige reale seelische Subitanz, als „Endchen der Urelt", von den1 aus es das ,,ubrige der Welt", die realen materiellen Substanzen durch einen Schluss zu sichern galt. Husserl zögerte darkm nicht, Descartes' aIs den „ U r v ~ t e des r Psychologismus" 3 zu bezeichnen. Andercrseits hat auch e h e ganz besondere Art von Objektivismus in Descartes ihre Wurzel: der Objektivismus, der durdi nescartes Zweisubstanzrnlehrc und Methodciimonismus gebildet wird. In jener Lehre liegen eine Verabsolutlerung der Welt, die letztlich in einer Verkennung der äussern Erfalirung als originaler Selbstgeb l ~ n gwurzclt,4 und zugleich die Auffassung, dass die Seele Reales eines gleichenSinnes sei wie die kijrperliche Natur, eine Auffassung. &e auch irn Methodenmonismus zur Geltung kommt. So hat denn Descartes durch seine Zweisubstanzenlehre sowie durch seine These von der Einheit der wkscnl;chaftliclicn Methode (Methodenmonismus) die weitere wissenschaftliche Entwicklung auf eine naturalistische Bahn geführt. In der Philosophie Decartes liegen demnach die Ursprünge der beiden antagonistischen Kräfte, die den Gang der ganzen neuzeitlichen Philosophie bestimmen: Sie hat sowohl durch den Rückgang auf das cogito das 0. C. 61162. C. 73. Ha V I I , Beil. XI, S . 338 (1923).
1 a.a.0. 2 a.a.0. 4 5.
Lofik, C. 2g9.
transzendentale Motiv in die weitere philosophische Entwicklung eingepflanzt als auch die Grundlagen für den physikalistischen Objektivismus, zu dessen Begründung in ihr der Riickgang auf das cogito eigentlich diente, gelegt. Eine besondere Bedeutung in der 1Sntwickliing tlcr trnnszcn i i i i i i lri:i(:Ii Iliissc~i~l i i i t l ~ ~ I;olp!xc%il i . (I<.iii t 3 i i ~ lischen Empirismus, Locke, Eerkeley and Hume, zu. Locke unternahm es als erster, für das cogito Descartes', das dieser zu studieren unterlassen hatte, eine allein auf die inncm Krfal~rrir~g griin(l(w111,\Visst~iisd~:i.fi~ I I I ~ ~ , ~ I ~ ~~ I~ I ~( I I( -~I I~I : diese WissciiscJi:~flallc iirliciiiiliiis aui' ilirc inluilivc: Qucllcii iri der Subjektivität zurückführte, hatte sie die Funktion einer Erkenntnistheorie. Lockes Unternehmen war aber durch grundsätzliche Mängel zum Scheitern verurteilt. Er unterliess es, den Cartesianischen Anfang der Zweifelsbetrachtung nachzuvollziehen und setzte in natürlicher Naivität das Sein der Welt voraus. Das Bewusstsein fasste er als die einen Teil des Menschen bildende Psyche auf. Dadurch verfiel er in den Widersinn, die objektive Erkenntnis auf dem Boden einer selbst objektiven (d.h. weltlichen) Wissenschaft begründen zu wollen, und geriet in den eine totale Skepsis in sich bergcnderi Psycliologisrnus. Diesen Irrtümern gesellte sich aber noch ein weiterer ebenso fundamentaler hinzu : Locke dachte &X Bewusstsein nach Analogie der Raumwelt, was ihn daran hinderte, an seine eigenwesentliche Struktur, die Intentionalität, heranzukoinnieri. Nie hat Locke das Verhältnis des intentionalen Gegenstandes zu den Bewusstseinserlebnissen, in deren Synthesis er sich als Einheit konstituicrt, ohne ein reeller Bestandteil dieser Erlebnisse zu sein, zu fasscn vermocht, ebensowenig wie das reine Ich, das als identisches in den Erlcbnisseii Icbt. I)as 13cwusstscin ist gcdnclit als t a 6 ~ l a oder als Raum, .in dem sich die verschiedenen ideas, die „selbstverständlich" auf irgend eine Weise die Welt abbilden, zu Komplexen vereinen, deren reelle Bestandteile sie bilden. Diese Naturalisierung des Bewusstseins war sehr verhängnisvoll für die Entwicklung der Transzendentalphilosophie. Denn hätte Locke eine echte deskriptive Psychologie aufgebaiit, dann würde diese bei einer Besinnung auf den eigentlichen transzendentalen Sinn des cogito die Funktion übernommen haben, der Transzendental-
I I .
3 I2
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
philosophie wichtige Erkenntnisse über Bewusstseinsstrukturen zu liefern. Noch eine weitere methodische Voraussetzung für die Erm6glichung einer Bcwusstseinswisseriscliaft, sci es einer psycholq$schen oder transzendentalen, fehlte Locke: die Eidetik, die allein es ihm ermöglicht hätte, über das Empirische hinauszuukc~minen. 13incii wcilercii Sclirilt l i i i i zur 'Sr;~iisz~iitltri1l;~1~~1~iio~0~~l1ic vollzog in der Geschichte Berkeley, indem er die Unhaltbarkeit der Lockz'cchen Voraussetzung einer absolut bewusstseinstranszendenten Welt, die durch die immanenten ideas abgebildet Mrd, nachwies. Seinc Theorie ist der crstc Vcrsuch, rein aus den Forderirnger-, welche die immanent verlaufenden Erfahrungen selbst ergeben, den Sinn der Welt wissenschaftlich zu bestimmen. In diesem Versuch liegt der Keim zu einer notwendigen Bewusstscins~
\
ZU K A N T
3 13
gesehen hat, aus der Konkretion der rein egologischen Innerlichkeit, in der, wie er sah, alles Objektive dank einer siibjcktiven Genesis bewusst und bcstcnfalls crfalircn wird, eben dicscs Objektive als Gebilde seiner Genesis zu erforschen, um aus diesen letzten Ursprüngen den rechtmässigen Seinssinn alles für uns Seienden verständiich zu mnchen ." 1 Wie seinen Vorgängern fallt I-lunic nbcr gcr:~tli!tl:is. was Ih:wiissisoiii zu I~owiisslsciii i i i i ~ i : I t , die Intentionalität, unter den Tisch: ,,Alles Sein, das Sein der Körper wie der Geister, reduziert sich auf psychische Daten, auf Haufen vom ichlosen Perzeptionen." 2 Humes Naturalismus und Psychologisinus bestand nbcr nicht nur in tlicscr Vcrsaclilicliiiiig des Bewusstseins bzw. Negierung des intentional Gcgcnständiichen, sondern auch im verkehrten empiristischen Prinzip, Bewusstseinsgezetze nur auf i n d u k t i v e m Wege, d.h. empirisch gewinnen zu wollen. E r geriet dadurch in den Widersinn, die letzten Prinzipien des Rechts aller Induktionen und aller Erkenntnis überhaupt selbst wieder durch Induktioneri zu 1 . ~ gründen. So zerstörte er im nicht nur die Rationalität aller Weltwisenschaften, sondcrn loste auch diejenige der Wisscnschaft vom Rewusstsein auf und fielin den „totaleil Bankrott aller Erkenntnis". H m e s Festhalten an der Rationalität der Ideenwissenschaften, die in den relations of ideas gründen, betrachtete Husserl als eine ,,intellektuelle Unredichkeit". ,,Auch das reduziert sich gernäss der nominalistisclien Deiitung des allgemeinen Denkens auf Assoziationen und sonst zugehörige psychologische IrrationaiXäten. Allgemeine Ideen, allgemeine Einsichten sind irn Grunde ein I-Iume'scker Haupttitel für bloss subjektive Fiktionen. Ware Huine als Skeptiker konsequent, so dürfte er einfach nichts sagen, selbst der allgemeine Satz, dass es unverständlich sei, wie überhaupt ubcr die jeweiligen Perzeptionen hinaus etwas ausgesagt werden könne, dürfte nicht ausgcsq$ werden. Vom Vorzug der reinen Mathematik ist dann also gar keine Rede. Das Ende ist der absolute Bankrott a l l e r Erkciintnis." 3 Das für die künftige Transzendentalphilosophie Bedeutsame des englischen Empirismus liegt nach Husserl im Gedanken, zur Logik, C. 1 Ersie
226/27.
PA. I, S . 158.
a.a.0. C. 181.
3 I4
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Erkciintnisbegrüncliiilg auf dic ititriitivcn Ur~iicllcn allcr Erkenntnis in der reinen Immanenz dss Bewusstseins zurückzugehen und von hier aus die genetisch-konstitutive Problematik der Objektivität zu stellen und zu behandeln. Die dieser Idee entsprechende Wissenschaft musste aber dadurch völlig versagen, dassesnicht gelang, die Subjektivität a l s Subjektivität zu fassen: Psychologistisch wurde ihrer intentioralen Struktur mit ihren synthetischen Einheiten der intentionalen, irreell in den Erlebnissen liegenden Gegenstände und andererseits auch dem reinen Ich ein Komplex von sensuellen Daten unterschoben, und naturalistisch und empiristisch wurden diese Komplexe durch eine Methode untersucht, die den empirischen Naturwissenschaften abgelesen war. Schliesslich wurde auch der transzendentale Charakter der Subjektivität nie wirklich erfasst, was einen Psychologismus in einem neuen Sinn bedeutet. Die Folge dieser Verkenncng der Subjektivität war ein inpliziter oder expliziter universaler Skeptizismus.
hatte. In dicscin koristriiic~rciitlciiCristc cwtstaiitl dit. scliori ;LII[ die Okkasionalisten zurückgehende „Versöl~~~ungsmetaphysik" zwischen kausalistischer und theologischer Weltbetrachtung, im weiteren aber auch Leibnizens Monadologie, in der das transzendentale Motiv bereits zu einer sehr bedeutenden Auswirkung kam. Zu einer Ausbildung einer transzendentalen Uewusstseirisvrissenschaft kam es aber bei Leibniz nicht, obschon er in genialen Antizipationen und gelegentlichen Aperyus Grundeigenschaften der Intentionalität erfasste. Zur Strömung des Rationalismus rechnete Husserl auch die auf Galilei zurückgehende und auf einer Idealisierung (oder Rationalisierung)der Natur beruhende mathematische Naturwissenschaft. Diese war rein objektiv eingestellt und war in ihrer philosophischen Selbstinterpretation mit einer Verabsolutierung der rnathematischen Natur verbunden; damit wirkte sie in dcr Entwicklung der Wissenschaft dem transzendentalen Motiv des Rückganges auf die absolute Subjektivität mit ungeheurer Kraft entgegen.
Uieser empiristischen Strömung stand in der ricuzcitlichen Entwicklung der Philosophie der Rationalismus gegeniiber. Während in einem gzwissen Sinne der Empirismus den antikcn Skeptizisnius weiterfiihrte, verkörperte die ra:ionalistische Schule die Fnrtsetzur~und Abwandlung des antiken I-'latonisinus. Auch sie geht auf lkscartes, und zwar auf dessen Ideal einer universalen mathematisch-deduktiven Methode, zurück und versuchte dieses Ideal in umfassender Gestült zu venvirklichcn. Den Höhepunkt dieser rationalistischeri Linie, dic allcin auf objektive Wissenschaft eingestellt und damit doginatisch oder objektivistisch ist, bildet Spinozas E.fhica more geometrico demonskata. Andererseits musste die rationalistische Strömung aber auch Motiven Rechnung tragc-n, dic sich in Gcgcnsatz zu ihrani „gcotnctrisclicn" Wissenscllaft-;idcal l>cf;inden.Eiiim:~lbcstatidcii die rcligiöscn und cthischen Forderungen der ~nenscliliclienFreiheit und einer freien göttlichen Weltschopfung und teleologiichen Weltlenkung. Weiter wirkte aber auch im Rationalismus das transzendentale Motiv Descartes'. Um diesen verschiedenartigen und gegensätzlichen Ariforderungen zu genügen, entwickelte die rationalistische Schule eine eigenartige konstruktive Methode, die die Voraussetzungen S r die Versöhnung dieser Anforderungen zu ermitteln
Aus unseren Darstellungen geht hervor, dass nach Husserls Auffassung die Philosophiegesckichte vor Kant zwar bedeutsame Ansatze, aber noch keine echtc Trariszendentalphilosopl~iehervnrgetiraclit Imt. 1)ics war I I I ~ I I i i i sc*iri(:ii A U ~ : Ii i Ii c : i i i c i i i i P:wissen Sinne die historische J..eisturig ICants. In der Krisis schreibt Husserl: „Was uns jetzt besonders interessiert, ist - zunächst in formaler Allgemeinheit gesproclicn -, dass in Reaktion gegen den Humeschen Datenpositivismus, welcher in seincrn Fiktionalismus die I'hilosophic als Wissenschaft aufgibt, nun zum e r s t e n Mal s e i t D e s c a r t e s einegrosseundsystematisch aufgebaute wissenschaftliche Philosophie auftritt, die anzusprechen ist als transzer.idcn t iilcr Siil)j(~ktivisri~iis." 1 ,,Tasächlich ist, wcnn wir tlic ii(~g;ttivistiscli-~k(?1)t iscli<:1'liilocol)liic~ eines Humc nicht niitrcchiicii, <-lasICantisclic Systcni dcr crstc:, und in erhebendem wissenschaftlichen Ernste durchgeführte Versuch einer wirklich universalen Transzendentalphilosophie, gemeint aIs s t r e n g e r W i s s e n s c h a f t , eines n u n e r s t e n t d e c k t e n und allein echten Sinnes strenger Wisscnschaftliclikeit." 2 Auch der Aufsatz Iialtt zmd die Idee der Tramze?tdental-
' Krisis, S. roo. a.a.0.
S. roz.
316
HUCSERLS VERHÄLTNIS ZU K A N T
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
philosoplzie nennt die Philosophie Kants „ein erstes System einer wissenschaftIichen Transzendentalphilosophie". 1 Mit welchen fundamentalen Mängeln und Einsichten die Kantische Transzendentalphilosophie nach Husserl erfüllt ist, haben wir in den vorhergehenden Kapiteln darzustellen versucht. Hier c.tellen wir nur fest, dass nach Husserls Geschichtsbild das subjektivistische Prinzip (das in ständigem Kampf gegen den Objektivismus schon in der antiken Skepsis aufgetaucht war, dann bei Descartes zum theoretischen Ansatzpunkt der Wissenschaft gemacht wurde und im englischen Empirismus eine naturalistische Erörterung erfahren hatte) in der Philosophie Kants zum ersten Mal eine systematische wissenschaftliche Gestalt erhielt und damit 31e ganze Konzeption der Wissenschaft grundlegend reformierte. Ach für Husserl hatte die Philosophie Kants die Bedeutung der kopernikanische^ Wendung", die als Umwendung des Cbjektivismus zum transzendentalen Subjektivismus „die grösste ailer Revolutionen" 2 ist. Allerdings war diese epochemacl-ende Wendung in seinen Augen cine schon längst vorbereitete und besass nicht die totale Orginalität, die ihr Kant selbst ztischrieb. Descartes und Hume sind in ihrer Fragestellung sogar radikaler als Kant. „Doch wie immer, Kants Originalität wird dadurch nicht geschmälert. Nicht nur hat er die seit Descartes immer wieder aufkeimende und immer wieder versinkende transzendentale Idee in eigentümlichct Prägung neu c.iitdcckt; iliin gebührt der Ruhin, dnss cr in brispiclloser Dcnkenergie von der Idee zur theoretischen Tat fortschritt und mit cem Verbande seiner drei unerschBpflichen Grundwcrke die Transzcndentalphilosophie selbst e r s t e h e n liess ; das aber so, wie eine neue Wissenschaft überhaupt und im ernstlichen Sinne ersteht: nämlich in Gestalt cincr systematisch leitenden Problenatik und -iner systematischen Einheit positiv lösender ratior-aler Theorien. E r blieb also nicht, wie Leibniz, im allgemeinen ,Aperp' stccken, geschweige denn dass er wie Hume - um ein Kantisches Gleichnis zu gebrauchen - statt die gefährliche Fahrt zu gutem Ende zu führen, ,sein Schiff auf dem Strande des Skeptizismus auffahren und verfaulen liess'." 1
Ha V I I , h'mt..., S. 280 (1924).
2
Kvisis, S. 69.
a Ha VII, K a u f . . . ,S. 241 (rgz4).
317
Der geschichtliche Teil der Vorlesungen Erste Phdosophic (1gqjz4) endet mit Erörterungen über Kant. Dasselbe ist bei den EinIeitungsvorlesungen von 1916 und 1918 und in den ersten beiden historischen Teilen der Krisis der Fall. Es scheint, dass Husserl im teleologischen Weg der Geschichte zur phänomenologischen Transzendentalphiloso1~11ic in Kant deren nächste (nicht nur zeitIich nächste!) bedeutsame Vorstufe erblickt hat. Allerdings denkt Husserl meistens mit Kant zusammen den postkantianischen deutschen Idealismus, dem er aber weit weniger Wert als jenem beimass und nur insofern betrachtete, als dieser die Kantische „Kopernikanische Wendung" iibernahm. Diese Beurteilung Kants kommt auch in Husserls Ausführungen zum Ausdruck, die der nachkantischen Philosophiegeschichte gelten, In der Sektion B des dritten Teiles der Krisis greift Husserl ndch dem Unterbruch, der durch die Sektion A („l>erWeg in die phänomeno~ogischeTranszendentalphilosophie in der Riickfrage von der vorgegebenen Lebenswelt aus") gebildet wird, wieder auf historische Gedankengänge zurück, um diese über Kant hinauszuführen. Wie wir wissen,l kam dieser Unterbruch text-geschichtlich so zustande, dass Husserl in den Gang dcr Frager Vorträge, die er der Krisis zugrunde legte, die Leberisweltproblernatik einschob. Nach diesen Ausführungen sah Husserl die ncueste Philosophie- oder Wissenschaftsgeschichte durch den Sieg des Positivismus, der die moderne Forni des Objektivismus darstellt, gekeitiizcichiict. I i i i positivisti~cliriiOl~jcktivisiriiis liegt nach ihm der Grund für cine tiefgehende Iirisis des curopäischen Menschentums der Gegenwart : Die gegenwärtige Situation des europäischen Menschen ist bestimmt durch eine Diskrepanz zwischen Leben und Wissenschaft ; die Wissenschaft hat es aufgegeben, die wichtigsten Lebensfragen zu beantworten und wird daher vom Leben als letztlich unniitz verworfen. Dies bedeutet aber die Auflösung desjenigen Ideals und Telos, das das Wesen des europäischen Menschen konstituiert: das Ideal eines Lebens aus Vernunft, d.h. auf dem Grunde rationaler Wissenschaft. Die Krisis der Wissenschaft und damit die Krisis des europäischen Menschen kann nach Husserl nur überwunden werden, wenn die Wissenschaft dem Leben der transzendentalen Subjektivität Rechnung tragen würde und sich dadurch als transzendentale
'
S.O.
C. 49.
-
3x8
SYSTEMATISCHE DAKSTE 'ZUNG
=I
Wissenschaft begründete. Verlangt Huss rl ein Zurück zur Transzendentalphilosophiedes deutschen Idealismus? In der Einleitung der Prager Vorträge schreibt Husserl, nachdem er die geistige Krisis des gegenwärtigen Europa gekennzeichnet hat: ,,In Wahrheit dürfen wir nui- von einer allgemeinen europäischen Krise sprechen, welche blms ernstlich zum Zusammenbruch zu werden droht. Denn abgesehen von der bei aller fortschreitenden Zersetzung doch noch lebendigen kirchlichmittelalterlichen Gestalt der Religiosität, hatte in kleineren Kreisen die Traxizendentalphilosophie gegenüber dem Positivismus noch Freunde und Verfechter, obschon sie in ihrer methodischen Schwäche und ihrer mattgnworcenen Selbstsicherheit unfähig war, den allgemeinen Geist wirksam zu bestimmen. War n i c h t hier - wenn ü b e r h a u p t - noch eine Hoffnung f ü r die E r h a l t u n g des neuzeitlichen europäischen Menschentums und für die Rechtfertigung seiner Reaktion gegen das Mittelalter? Sicherlich a b e r n u r , wenn es gelingen k ö n n t e , die methodische Unzulänglichkeit, Eie allen Gestalten des t r a n s z e n d e n t a l e n Idealismus eignete, zu überwinden, also wenn es gelänge, ihm durch eine radikale Reform seiner Methode eine viillig neue Gestalt zu geben; d.11. an Stelle des unklaren Tiefsinns eine elementare und analytisch von unten in die Höhe baurndc systcmstische Wissenschaft zu sctzen, die den höchsten wissenschaitlichen Anforcierungen genügt. Diese Reform müsste in ciner radikalen Vertiefung, in dem wesensmässigen und echten Sinn der transzendentaien Umwendung gründen und in der ihr ein unverlierbares Recht gebenden Einsicht, dass sie ein? Möglichkeit, ja die einzige Möglichkeit sei, rine sinnvolle einheitliche Universalphilosophie . 1 Der in erledigender Arbeit auf die B e i ~ ezu bringen Grund, warum in der Geschichte der Positivismiis die Transzendentdphilosophie überwand, war ihr methodisches Ungenügen: , Man konnte nicht bei ihnen (SC.bei den Philosophien des deutschen Idealismus> bleiben und in ihrem Geist weiterarbeiten wollen. Es war eine Evidenz in Vorahnungen . . ., die ganz unfähig war, an das Erahnte selbst je unmittelbar heranzuführen i;nd zu einer bodenständigen Analyse, Begnffsbildung, Wesensverallgemeinerurg, kurz, zu einer wirklich wissenschaftlichen 131s. transcr. K I11 1/11,S. 9/10;wir unterstreiclieu.
. . ."
Arbeit zu wcrden." I)as incthodisclic Uiigciiügcii, ths die Abkehr von der idealistischen PhiIosophie bewirkte, entwertet aber nicht ihren innern Gehalt: Diese Philosophic „macht nicht eigentlich Bankrott, ihre Guthaben sind nicht als wertlos enthüllt, aber sie treibt eine Wirtschaft mit Wechsel auf verborgene Goldschätke, ohne dass diese je wirklich aus den Tiefen der Erde durch bergwerkliche Arbeit reell gehoben worden wären. Die tiefsinnigen Intuitionen, in denen dieses Gold erahnt war, waren nicht ohne Kraft, aber Denkgebilde eines derartigen Tiefsinnes sind nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, nicht Ergebnisse einer iin ernsten Sinn wissenschaftlichen Arbeit."z Diese Zitate zeigen deutlich, wie Husserl das geschichtlicheVerhältnis zwischen dem deutschen Idealismus (wobei er vor allem die PhiIosophie Kants im Auge hatte) und seiner eigenen Transzendentalphilosophie sah: Um die durch den positivistischen Objektivismus hervorgerufene Krisis des europäischen Menschen zu überwinden, gilt es sich den vom deutschen Idealismus erahnten ,,Goldschätzen" zuzuwenden. In ihnen allein liegt die Hoffnung für die Errettung des europäischen Menschen. Diese Zuwendung kann aber kein „Zurück zu Kant" oder „Zurück zu Fichte'' usw. im Sinne einer Wiederaufnahme ihrer Systeme bedeuten; sie kann ihnen gegenüber auch nicht eine blosse Vcrbeswrung sein wollen, was eine Gemeinsamkcit der Methode voraussetzte.s Vielmehr gilt es, in völlig neuer Weisc den wahren Gchalt des deutschen Idcalisinils „ans T;igcslicht zu fördern". Diese neue Weise muss dem wahren Kern der Forderung des Positivismus, nur mit dem ZU rechnen, was wirklich gegeben ist, Genüge tun; sie muss also eine „positivev Transzendentdphilosophie begründen. Nur so kann der neue transzendentale Subjektivismus den Angriffen des positivistischen Objektivismus siegreich widerstehen. Die Philosophien des deutschen Idealismus können also nicht in Geltung genommen und als Grundlagen für die ncue Trniiszciidental~~l~iloso1~1~iic bcrilitzt werden; nur als eine Art „LeitideenJ' können sie für eine Forschung, die sich auf einem völlig selbständigen, streng wissenschaftlichen Boden bewegt, fungieren.4 Notwendig wirken sic 1
D
8
a.a.0. S. 23. a.a.0. S. 8 . 5 . Ha V I I . Xa+al.. ., C . 234 (1924); vgl. H a V1
4 S.
Ha VlI, l i a n l . . . (1924).
Beil. X,
S. 431 (1936).
320
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
nach Husserk teleologischer Auffassung der Philosophiegeschicht e bew~sstoder unbewusst als Denkmotive im geschichtlich ver-
gemeindiafteten Philosophicrcn der Gegenwart. Solche mehr oder weniger unbewusste Motivationen würde Husserl wohl für seine eigene philosophische Entwicklung der früheren Jahre angenommen haben, während ihm seit etwa 1907 die Kantische Philosophie immer deutlicher als Orientierungsidee vor Augen stand. Erst auf dein Boden der streng wissenscl~aftlichvorgehender Transzendentalphilosophiekann der wahre Gehalt des deutschen Idealismus richtig und klar erfasst und begründet werden. Der deutsche Idealismus stellt den historischen Vorgriff auf die wissenschaftliche Transzendentalphilosophie dar, einen Vorgriff in Vorintuitionen und „mythischen" Begriffen. In der Kantisshen transzendentalen Subjektivität „ist eben das in lebendiger Intuition erschaut, was die Phänomenologie in ihrer Methode in apodiktischer Evidenz selbst erfasstH;l die phänomcnolcrgixhen Quellen von Kants Intuitionen sind in fast allen seinen neorien nachzuweisen,2 so dass sich Husserl „nach gossen Linien mit Rant einig sehen" kann.3 Dieser Vorgriff hat d s Vorgriff oder als Weltanschauung, aber nicht in dcr Prätention, M'issencchaft zu sein, seine Gültigkeit.4 Es bestätigt sich die Bemerkung E. Finks, dass Husserl in der Seic nack den Ideen „überzeugt ist, die Intentionen der grosscn Transzen3entalisten auf analytischem Wegc zu erfüllen". 5
1
Ha Vi, Beil. X, S. 431 (1936). Ha Vil, Kant.. .,S . 235 (1924).
ebenia. rgl. cie -4wführungen von R. Boehm in Husserl et l'idlalisme classique. 5 s. E . Firiks Vorbemerkung zu Husserls Entwurf einer Vorrede zu den Log. Unters. (ig13). Tijdjchiift voor Philosophie, S . 107. X
4
HUSSERLS
VEKHÄLTNIS
ZUM
NEUKANTIANlSMUS
Es sind zwei Themengebiete der Philosophie Natorps, mit denen sich Husserl eingehend beschäftigte: mit Natorps Idee der Logik (bzw. mit dessen Ausführungen gegen den logisclien Psychologismus) und - in bedeutenderem Masse - mit Natorps philosophischer Psychologie.
I.
KAPITEL
Hzcsserl und NatorPs Argzcmentation gegen. den IJsychologism.s Im ersten Teil von Husserls Logischen Unterswhzclzgen,in den Prolegomena, der der Widerlegung des Psychologismus und damit zugleich der Darlegung der Idee der reinen objektiven Logik gewidmet ist, nimmt das achte Kapitel die zentrale Stellung ein, da hier nicht mehr wie in den vorangegangenen Kapiteln die Konsequenzen des Psychologismus, sondern dessen Voraussetzungen, in denen die Argumente gründen, aufgewiesen und als unhaltbar hingestellt werden. Es sind folgende drei Voraussetzungen, die H~isserlhier widerlegt: Erstens, die logischen Gesetze sind wesentlich normativ und zwar in bezug auf das psychische Phänomen, das wir Erkenntnis nennen; zweitens, Logik spricht von Vorstellungen und Urteilen, von Schlüssen und Beweisen usw., was alIes psychische Phänomene und Gebilde sind; drittens, die Logik als die Kunstlehre, welche uns in der Erkenntnis der Wahrheit fördern will, erforscht die psychischen Bedingungen des Evidenzgefühls. Husserl beruft sich in der Widerlegung der ersten und zweiten
$29.
3 22
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
psychologistischen Voraussetzung auf Natorp. In der Widerlegung der ersten Voraussetzung schreibt er in einer Anmerkung: ,,In dieser Überzeugung, dass der normative Gedanke, das Seind i e n , nicht zum Inhalt der logischen Sätze gehört, treffe ich zu meiner Freude mit Natorp zusammen, der sie jüngst in der Sozilzlfiüdagogik (Stuttgart, 1899, $ 4 ) kurz und klar ausgesprochen hat . . . Auch in einigen anderen, nicht minder wesentlichen Punkten berühren sich meine Prolegomena mit diesem Werke des scharfsinnigen Forschers, welches mir für die Bildung und Darstellung meiner Gcdankcn leider nicht inchr hilfreich sein konnte. Dagegen konnten auf mich zwei ältere Schriften Natorps, der oben zitierte Aufsatz aus den Philoso~hischenMonatsheften XXIII 1 und die Einleitung in die Psychologie anregend wirken - wie sehr sie mich auch in anderen Punkten zu Widerspruch rciztcn." 2 In bczug auf dic Tlicsc clcs nicht normativen Wesens der reinen Logik kommt die von Husserl erwähnte „anregende Wirkung" von Seiten Natorps nicht in Frage. Denn am 14. März 1 8 ~ 7schreibt Husserl an ihn, dass er gcglaubt habe, er, Natorp, betrachte als Antipsychologist dic Logik nlc cinc wesentlich normative nun aber finde er bei ihm denselben Standpunkt vertrctcn, wie er selbst ihn in seiner seit Dezember 1896 so gut wie druckreifen Arbeit (= Prolegomena) einnehme; er fügt hinzu, dass er diese Richtigstellung seincr Meinung persönlichen Mittcilungcn Natorps verdanke.V)ie beiden von liusserl im Zitat aus den Prolegomena angeführten Schriften Natorps (Objektive zcnd sdyektive Begriilzdung der Erkenntnis iind EideiEung in die Psychologie) sprcchen sich nicht über das Problem des normativen Cliaraktcrs dcr Logik aus. Anders steht es hinsichtlich der „anregenden Wirkung" von Seiren Natorps mit Husserls Widerlegung des zweiten psychologistischen Vorurteils, das die Gegenstände der Logik, die VorsteIlungeri, Urteile, Beweise iisw., als p s y c h i s c h e Phänomene betrachtet. In dieser Widerlegung verweist Husserl in einer Anmerkung auf „die schönen Ausführungen von Natorp Ober objektive und subjektive Begr6ndun.g der Erkenntnis". 4
Dieses zweite Vorurteil des Psychologismus ist dessen griindlegendes, und entsprechcnd ist auch die Widerlegung dieses Vorurteils das Kernstück von Husserls Argumentation gegen den Psychologismus. E r geht gegen dieses Vorurteil vor, indem er deutlich macht, dass die reine Logik von Begriffen, Urteilen und Schlüssen nicht als von psychischen Erlcbnissen oder von dcrcn Aspekten handelt, sondern als von objektiven idealen Gebilden, die mit den idealen Gegenständen der Mathematik in einem engen Zusammenhang stehen; demnach würde, wie in der reinen Mathematik so xiich in dcr rrinrii Logik, cinc crnl)iriscJi-l~sycI1oIogische Begründung der idealen Gcsctzc cinc p~.rcCßaaq~ i < r&,?,C, yEvo~bedeuten.1 Dass diese Metabasis den Grundfehler des Psychologismus ausmacht und für jeden über Logik Philosophierenden eine grosse Gefahr darstellt, darauf weist Husserl schon in der EinIeitung dcs Wcrkcs Jiiii.2 Im wesentlichen dieselbe Argumentation enthält nun auch der angeführte Aufsatz Natorps aus dem Jahre 1887, von dem eine fast vollständige handgeschriebene Abschrift Husserls erhalten ist.3 Er weist diirnuf hin, tlnss rlic Logik als Tlicoric dcr W;~lirlicit nicht auf subjektives Erleben oder auf subjektive Futiktioi~e~i gerichtet ist, sondern auf rein Objektives, nämlich auf Grundhegriffe und Gruridsätze. Wiederum wie später Husserl. erklärt Natorp, dass das Begründete und das Begründende in demselben Genus liegen müssen, so dass alle objcktivc Wi'isc.nschnlt, Mathematik, mathematische Naturwisscnsciiaft so gut wie Logik primär keiner psychologischen, d.h. subjektiven Begründung bedürfen; eine solche würde, wenn sie die Stclle oder Funktion der objektiven Begründung einnähme, cine Metalmsis darstellen.4 Der einzige Unterschied dieser Argumentation gegenüber der analogen von Husserl liegt darin, dass Natorp die psychologische Begründung der reinen Logik nicht als Metabasis von der idealen in die reale Sphäre, sondern als cine solche von der objektiven in die subjektive Sphäre auffasst. Dieser Unterschied t u t aber an der Uberein~timmun~ des Grundgedankens der antipsychologia.a.0.
3 s handelt sich um den Aufsatz itber objektive und subjektive Begvündung der Erkenntni's; Anm. d. Verf. Loz. Unters. I , I . Aufl. 8. 156 Anm. I. 8 Ko2ie des Driefes im Husserl-Archiv. 4 s. Log. lintcrs. I , r . Aufl. C. 1 6 9 Anm. I . 1
5 9 44 ff.
' Log. Unters. I , I . Aufl. S. 617.
s. Ms. orig. A VI r r I , S. 133a-137b (wohl vor 1896; auch den Aufsatz Natorps Zur Sfrcilfragc xmischen Emfiirismus und Kritizismus hat Husserl exzerpiert und zusammengefasst (a.a.0. S. 124 ff. (um r q w ) ) . s. ober objektivc und subjektive Begriindrng der Iirkenntnis, S. 262 ff.
324
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
stischen Argumentation Natorps und Husserls keinen Abbruch. Ein wesentcches Moment an dieser gemeinsamen Argumentation ist die erviihnte Parallelsetzung der Logik mit der Mathematik, worauf I-Iussed auch in seinem Brief vom 14. März 1897hinweist: „>feine eigene Position <SC. in den Prolegomena) begründe ich zunächst durch Parallelisierung der logischen und algebraischen Sätze - ~ 1 5 0wiederum in erfreulicher Ubereinstimmung mit Ihrer- Lehren . . .." 1 Da HussrrI diesen Aufsatz Natorps vor der Abfassung seiner ProEegomeaa gründlich studierte und ihm selbst eine anregende Wirkxng auf seine eigenen Forschungen zuschreibt, darf es als äusserst-wzhscheinlich betrachtet werden, dass die angeführte Argumentation Husserls gegen den Psychologismus diewesentiichen Motive von Natorp empfangen hat. Es drängt sich weiter die Vermutung: auf, dass Husserls Abwendung von seiner frühen psychoIogistischen Position im Jahre 1894 nicht nur auf Freges Kritik der PitilosoPhie der ArithmetiR,Z sondern vielleicht in einem noch bedeutenderen Ausrnass auf Natorp, sei es auf den genannten Aufsatz oder sei es auf pcrsönlichc Mitteilungen, zuiück ZU führen ist. Jedenfalls weist Natorps Widerlegung des Psychologi~musmehr verwandte Züge mit derjenigen Husserls auf als die Kritik Freges, die Husserl im wesentlichen die Vermengung von Objekt und Vorstellung des Objektes vorwirft ; auch verweist Husserl in seiner angeführten Argumentation geger. den Psychologismus zucr s t auf Natorp und erst an zweiter Stelle auf Frege,3 der übrigens im Gegensatz zu I-Iusserl und Natorpdie logischen Gesetze als wesentlich normativ betrachtete. Husserl und Natorp lcbnen beide zunäc 11st eine psychologische Begründung der Logik, deren Idee sie im wesentlichen gleich fasssn,4 als Psychologismus ab, und zwar mit der BegrünIio;,ic rlcs Ilrirfrs ini 1Iunscrl.ArcIilv. Bbilwh:ill für l'hilosol>hie «itd l>hilosol>hzscIti:lirilik, 103 ( I N + $ )C. , 313-332. 3 La;. U~Efcrr.I, I. Aufl., S . 169 Anin. I. 4 Lozik, in allgemeinster Weise bestimmt, ist für Natorp wie für IIusserl Theorie Ton Wissenschaft ilberhaupt, Theorie von Theorie Uberhaupt. Husserl drückt dies in Kantischen Redeu-endungen so aus: Logik hat „den Bedingungen der Möglichkeit Cer Theorie Zbbrrhaopt", d.11. „den Bedingungen der Möglichkeit der Wahrheit überhaupt" narhziischai (Log. Ilnters. I, I . Aufl. S. 236137). Natorps Formulierung iii i f b n o5jektici -iid ~ r ~ b j c k t i v1)egrilndung e der Erkrttnlnis Iaiitct: „l.ogik als Theorie der Erkenntnis will die gesetzmassige Verfassung darlegen, wodurch Erkenntnis eine innere Einheit bildat" (S. 2 5 6 ) , wobei unter Erkenntnis nicht der Erkenntnisakt, sondern ein oijekti-fes theoretisches Gebilde zu verstehen ist. Wenn Natorp in seiner Besprezhung vm Husserls Prolegomena gegen diese einwendet, dass die Logik vom 1
0 L.
dung, dass das primäre und eigentliche Thema der Logik mit Subjektivem nichts zu tun habe. Beide fordern aber andererseits doch eine subjektive Begründung,l die aber keineswegs die Stelle der objektiven, die im innern Zusammenhang der objektiven Wissenschaft selbst geschehen muss, einzunehmen hat - das wäre eben Psychologismus -, sondern in einer völlig neuen Dimension liegt und einen völlig neuen Begründungss in n hat. Bei Husserl hat diese Begründung durch die Phänomenologie, die er in den Logischeil Udersuchzcngen als ,,deskriptive Psychologie" (nicht empirische) fasst, zu geschehen, während Natorp diese Aufgabe als die Aufgabe der allgemeinen Psychologie, die er auf eine völlig eigenartige Weise, und zwar ebenfalls als nicht empirische auffasst, bezeichnet. Das Verhältnis Husserls zu Natorps Psychologie soll im foIgenden Kapitel erörtert werdcn.
Problem des Gegenstandes (aufgefasst als Gegenstand der Erfahrung) nicht getrennt werden könne (anders ausgedrikkt: dass die Logik der formalen Wahrheit in der I.o~ik der Wahrheit des Gegenstnnilea, (1.h. in dcr transsen~lentalenLogik begriitidct werden miisse), sn t r i f f t er darnit wohl ciriei~ 1Jiitrrsi:hi~tlzwisrhrri sciricr ei~rricii Auffassung der reinen Logik und derjenigen des frühen Husserl. scheint aber andererseits doch zu wenig auf Husserls Betonung des Zusammenhanges von Logik und Gegenstandstheorie (s. Log. Uf18crs.I , $8 69-71) und Idee der Erweiterung der Logik sur Theorie der Erfahrungserkenntnis (s. a.a.0. F, 72) zu achten. In der Klärung des Verhältnissrs von forninlei I.n~ikiirid Tlirorii.
2.
KAPITEL
Wir haben bereits die Stelle aus den Prolegomena angeführt, in der Husserl auch Natorps Einleitung i n die Psychologie eine anregende Wirkung auf seine Phänomenologie zuerkennt. Am 18. Xärz 1909 schreibt er Natorp über das Verhältnis zwischen dessen Psychologie und seiner eigenen Phänomenologie: „Ich meine auch, dass diese beiden ,Psycliologien' dem Wesen nach zusammenhängen müssen, in ungeklärter naher Verwandtschaft stehen. Aber Phänomenologie bedarf in keiner Weise einer ihr vorangehendcn Transzendentalphilosophie, während Ihre Psychologie der Transzendentalphilosophie nachfolgen soll: wie Sie selbst bemerkt haben. Freilich, was wir beide Transzendentalphilosoplie nennen, worin wir ihrc wesentlichen Probleme und Methoden sehen, dürfte recht verschieden sein. Und doch ist es mir, als ob wir einander n a h stünden, und als ob es die eine und selbe Philosophie wäre, die uns verbinde, uns illre verschiedenen Aspekte darböte, verschiedene, aber einander fordernde Problemgruppen uns zugeteilt hätte. Nur meine ich. die wurzclhaftcn Probleme liegen im phänomenologischen Untcn, von wo aus die natürlichen Fortschritte zu den Gipfelproblemen führen miissen. Wie immer, ich sehe oder fühle tiefreichende innere Gemeinsamkeiten und Koinzidenzien, ich hege die Zuversicht, d a s die Arbeit der Zukunft mit tlcr Aufkliiriiiig ;~iiclicinc Vcrs611niiiig unserer methodischen und sachlichen Differenzen bringen werde." 1 Dieser Brief zeigt uns, dass Husserl eine enge Verwandtschaft zwischen seiner Phänomenologie und Natorps Psychologie sah, andererseits aber auch sich verschiedener Differenzen bewusst war. I m folgenden soll untersucht werden, worin Husserl diese Gemeinsamkeiten und Differenzen konkret feststellte, und inwiefern für jene ein Einfluss Natorps auf Husserl in Frage kommt. 1
Kopie des Briefes im Husserl-Archiv.
3 30. Natürliclte m
d $hltnomenologische Einstellung und Natorps Kontrastierztlzg von objektiver und subjektiver ErkenntnisricIztung Natorp bestimmt als den Gegenstand der Psychologie das „Subjektive, rein als dieses", das aiier Natur, allem Objektiven gegenüberliegt.1 Die Psychologie als d i e subjektive Wissenschaft zeichnet sich nach i h n gegciiübcr allcn o b j c k t i vc 11 Wisscnschaften, zu denen auch die Transzendentalphilosophie gehört, grunclsatzlich durch eine neue Erkenntnisrichtung oder neue Erkenntnisdimension, eben die subjektive, aus.2 Die Erkenntnisrichtung auf das Objektive ist für Natorp die primäre; er bezeichnet sieauch als die n a t ü r l i c h e , S i n welche der die Subjektivität ,,rekonstruierendeJ' Psychologe immer zurückzufallen droht: ,,Dass Rekonstruktion eine wirkliche und nicht ganz leichte Aufgabe ist, wird ain klarsten, wenn man clar:nii achtet, wie unmittelbar und unvermerkt sich die Objektivierung gewöhnlich vollzieht. Schon jede Benennung, jede Fixierung des Blickcs . . ., kurz jede noch so entfernt auf ein Erkennen gericlitete Funktion schlicsct wenigstens einen Versiicli der Objektivierung ein. Ohnc eine ganz eigens auf die Subjektivität des Erscheinen~gerichtete Reflexion achten wir überhaupt nur auf den Gegenstand, d.h. wir objektivieren . . . . ' I 4 Natorp stellt seine Psychologie der ,,naturalistischen" oder der „objektivistischen" gegenüber, die das Psychische oder Subjcktive „objektiviertv, d . 1 ~in den objektiven, raumzeitlich naturkausalen Lusaminenhang einordnct.5 Die Psychologie Natorps will nicht das nienschliche individuelle ßewusstsein erforschen, da dieses eine o b j e k t i v e Einheit ist.6 Nach Natorp sind a l l e Erscheinungen Gegenstand der PsychoIogie und nicht etwa nur die Erscheinungen einer „inneren Wahrnehniung"; inz Gcgciisntz 7.11 den ol>jrlitivc:iiWissc:iiscli;~II(:ii,die, nur auf das in den Erschcinungcn sich (larstellenclc Objekt ausgehen, werden diese in der Psychologie in ihrer ursprünglichen Konkretion und Kontinuität in1 unmittelbaren Bewusstsein beEinlrdwp1g in die Psyckolgie, 8 6 ; Allgemeine Psychologie, C. 8 , 2 3 . Einleiiung.. ., f 6 ; AUgegemeine . . , 4. Kap. Allgemeine.. ., C. rgq. 4 Einleiiunx. . . , S. 9 4 . 8 Einleifirng.. ., $ 5 ro, 12; AUgmteixe.. 5 . Kap. Allgemeine. ., 4 . Kap. 5 2. i
.
2
.
.,
328
SYSTEMATISCHE DARSTELLLXG
trachte{. Das ,,gegebene Material1' der objektiven und subjektiven Wissenschaft deckt sich also; der Unterschied zwischen ihnen besteht nur in der Forschungsri ch t ung : in der Richtung auf das Objekt (die ,,Naturv) oder in der Richxng auf das Subjekt (das Bew~sstsein).~ Vorgebildet sieht N a t c q seine Psychologie in Kants subjektiver Deduktion in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft.2 Wir haben schon darauf hingewiesen, dass i'l dieser Bestimmung der subjektiven Wissenschaft gqenübe-r der objektiven durch eine radikal neue Erkenntnisrichtung Husserl Natorp weitgehend gefolgt ist.3 Die „PsycheH (Subjektivität) Natorps identifiziert er mit seinem ,,transzendentalen Bewusstsein": In der Form einer Randbemerkung in seinem Exeinpiar des Werkes Allgemeine Psychologie notiert er zu Na-orps Gegrnüberstellung von objektiver und subjektiver Erkenntnisrichtung: ,,Umschlag vom objektiven in den transzendentalen Standpunkt. Die Psyche wäre alsodas transzendentale Subjekt und transzendentales Bewusstsein." 4 Zum zitierten Text Natorps übex &e Gefahr des Rückfalls des Psychologen in die objektive oder catürliche Erkenntnis (Objektivierung) bemerkt er in einem Manuskript aus dem Jahre 1909: ,,Alles vortrefflich . . . und soweit durchaus auf die Yliänomcnologie passend . . ."5 Jin $ 8 :er Schrift Philoso$hische Proj5ädeutik bestimmt Natorp es als ,4u$abe der Psychologie, zu erforschen, wie sich die Objektivitäten jeglicher Art irn unmittelbaren Bewiisstsciii darstellen; Husw,rl bctnerkt arn Rande seines Exemplars: „Phänomenolcgie". Wie Natorp seine Psychologie, so definiert auch Husserl seine l'hanomenologie durch cinc besondere Erkenntnlsri C h t U ng oder - in seiner eigenen Sprache - durch eine bescndere E i n s t ell u n g , die er die phänomenologische oder transzcndcntale nennt und radikal von dcr natürlichen Einstellung der objektiven Wissenschaft iinterscheidet.6 Der Gegenstand der Phänomenologie 1 a.a.0. 5. Kap. $ 8 , und 10. Kap. ?j7; Einleitung.. ., C. 1 0 3 . 3 Easleiturrg. . ., S. 121).
.
S.O. C. 194. s. Husserls Exemplar von Allgemeine.. ., S. 8 . 5 Ms. orig. K I1 4, S. 1o5a (15.116.Okt. 1909). 6 Vgl. o. $18. I m folgenden sei noch ein Text wiedergegeber,. in dem Husserl das Verhältnis von Xatur- und Geisteswissenschaft (womit er hier die Phänomenologie meint) in einer Weise bestimmt, die genauestens der Katorpschen Gegenüberstellung von objektiver und subjektiver Wissenschaft entspricht: ,.iVBhrend die Natur-
Husserls ist die reine transzendentale Subjektivität, und diese Reinheit bedeutet die Transzendenz gegenüber allen ,,objektivistischen" oder, wie Husserl auch sagt, mundanen Auffassungen, die die Subjektivität in den objektiven Weltzusammenhang einordnen würden; auch hier befindet sich Husserl in Übereinstiinmung mit Natorp. Entsprechend folgt er auch dessen Kampf gegen,die ,,Objektivierung" oder „Naturalisierung" des Bewusstseins.h Schliesslich beruft er sich für seine Wissenschaft von der reinen Subjektivität wie Natorp auf die subjektive Deduktion der ersten Auflage von Kants Kritik der reinen Vernun/t.z Allerdings wirft Husserl Natorp vor, clic Gcgenüberstcllutig von objektiver und subjektiver Erkenntnisrichtung nicht durch die Methode der phänomenologischen Reduktion geklärt zu haben ; er notiert diesbezüglich in seinem Exemplar von Allgemeine Psychologie: ,,Der Gegensatz Objekt-Subjekt, der hier überall spielt, findet erst seine verständliche Aufklärung durch die phänomenologische Reduktion, bzw. in der Kontrastierung der natürlichen Einstellung und der natürlichen Reflexion, die Vorgegebenheiten, Seiendes, Objekte im voraus hat, und der transzendentalen EinstcLlung, die auf das ego cogito zurückgeht, also in die absolute Reflexion übergeht. . .." 3 Husserl vermisst bei Natorp ebenso wie bei Kant eine bewusste (methodische) Ausschaltung aller objektiven (transzendenten) Sctzungen. Wie wir schon &ersten Teil ausgeführt haben, hielt Hucserl aber eine de fad0 transzendental: Einstellung ohnc ausdrückliclicti Vvllzug der phänomenologischen ~eduktionfür durchaus möglich; er konnte sie für m&lich halten, weil ihr Wcsen nicht primär in einer Ausschaltung, sondern in einer thematischen Umwendung (hin zur reinen Subjektivität) besteht, die die Ausschaltung der wisse~tschaltenalles l d w wbjektiv Relative als ßekundung eines da theoretisch herauszuerkennenden Objektiven behandeln, in dem Sinn, dass sie jeweils fiir die erfahrene Natur, die einzelsubjektiv und intersubjektiv wirklich erfahren ist nur als wechselnde Erscheinung, ein a n sich Wahres suchen, das in all diesen Erscheinungen erscheint und das ungleich diesen selbst alle bestimnite Heziehung auf bestirnnite Subjekte und Subjektgemeirisclinften aiisgeschiedrn hat, wiirde tlaiiii korrelativ dazu die Geisteswissenschaft eine Wissenschaft sein, welche gerade alle diese Brsclicinungen, all das bekundende Subjektive der Natur erforscht, aber dann auch überhaupt alle fungierende Subjektivität i n ihrer Eigenwirklicbkeit, in ihrer Art, als Subjektivität zu fungieren, als Subjektivität synthetische Leistung (objektivierend) (Ms. orig. F I 32, S. grb, S S 1927). zu üben .
. ."
330
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
transzendentalen Reduktion nur vor einer Metabasis in die „objekt
2
a
9 18.
.
A3gtvneine. ., S . 107, A2gemcinc. . ., 4 . Kap. $ 9 ; 8. Kap. §§4,7,11,12; vgl. Phi osophie und Psychologie.
4 I n seiner Einleitung zu H a V I I bemerkt R. Boshm, ,,dfss es Natorp und nicht Husserl selbst war, der zuerst die ,neue Phänomenologie' i n ihrkm innerlichen Anspruch erkannte, eine Erste Philosophie zu begründen, und dies mit diesen Worten aussprach" (a.a.0. J. XVIII/XIX), und hält es für wahrscheinlich, dass Husserl „den Gedanken oder doch die Formel der ,transzendentalen Brke~intiiistheorie' (transzendentalen Phänomenologie) als Erster Philosophie von Natorp übernornnien hat" (a.a.0. C. XX). Es scieint uns hier ein Missverständnis vorzuliegen. I n seiner Besprechung der Prolcgo:nenn, auf die Boehrn abstellt, erörtert Natorp nur Husserls Idee der o b j e k -
H U S S E R L S VEBHÄLTNIS ZUM
NEUKANTIANISMUS 331
Wir erinnern an die Stelle aus dem bereits zitierten Brief an Natorp vom 18. März 1909: „Aber Phänomenologie bedarl: in keiner Weise einer ihr vorangehenden Transzendentalphilosophie, wäbrcnd llirc I'syclwlogic dcr 'I'r;~1isz~:1idcii~~l>1i1oso~~11iic~ nachfolgen soll . . .." W e n n Natorp die von ihm gestellte Aufgabe der Psychologie als die l e t z t e Aufgabe der Philosophie bezeichnet, schreibt Husserl an den Rand der entsprechenden Texte Natorps: ,,erste ! ! ? ". 2 In diesem ciiicn L'unlrtc sc1ic:iiicii also dic I'liii~roiiiciiologic Husserk und die Psychologie Natorps einander diametral entgegengesetzt zu sein. Bei näherer Betrachtung verliert dieser Gegensatz aber seine volle Schärfe: Es gilt nur zuzusehen, in welchcm Siriii r f l i i s s r r l sciiii: I'liiiiioiiic~iioIogi(!als iiii;~ldiiiiigig von den objektiven Wissenscliaftcii erklärt, uucl andcrcrscits Natorp diese Wissenschaften als Voraussetzung für seine Psychologie beansprucht. Bei Natorp ist das Abhängigkeitsverhältnis der Psychologie gegenüber den objcktiven Wissenschaften nicht ein derartiges, dass die Psycltologie Sätzc dcr objektiven Tlicoricb in sich als Prämissen aufnehmen müsste, so wie etwa die Biologie auf der Chemie oder die spezielle Metaphysik auf der allgemeinen basiert, sondern jene Abhängigkeit bedeiitct nur, dass die objektive Wissenschaft Ausgangspiink t , und zwar notwcticligcr, der subjektiven Betrachtung ist. niese ist der objektiven Erkenntnisrichtung diametral entgegengesetzt, vollzieht also das i i v e n (oder positiven) reinen Logik, die fiir Natorp Erkenrilniskritik ist, und erkeriut nur dieser objektiven Logik den Anspruch zu, Erste Philosophie zu sein. Von c h Phfnomenologie i m eigentlichen Sirrii ist dabei gar nicht die Kcde - denn den zweiten, erst eigentlich phänomenologischen Band der Log. Unters. kennt Natorp in jener BI:sprechung ja noch nicht. Damit gibt Natorp nur seiner eigenen Meinung Ausdruck, dass (rein objektiv gerichtete) Transzendentalphilosophie,zu der die reine Logik oder Erkcnntniskritik gehört, Erste Philosophie ist, und zwar im Gegensatz zur subjektiv ~ericliteten Wisseiischaft. d.h. zur Psychologie, die nicht Erste, sondern Letzte Philosophie zu sein hat. Für Husserl ist nun nicllt die reine I n ~ i koder irgcndeirir andere , . p i t i v e 7 ' Wi%wischaft Krstn l'liiljoktiv gerichtete Wissenschaft, die Ph.lnoinciiologir, die nitsgrtit voiri cngito. Nntorli crkannte also in seiner Besprechung der Prolegomena gerade n i c h t die 1'1iäii~ineiiolo~i~ in ihrem Anspruch, Brste Philosophie zu begründen. Husserl dürfte die Bezeichnung „Erste Philccophie" für seine Phänomenologie nicht von Natorp, sondern von Desrartcs' hfeditaiwnes de Frima philosophia übernommen haben. Nur den Worten nach besteht eine ~bereinstimmungin der Verbindung von „Transzendentalphilopophir" und ,,Erste Philosophie" bei Natorp uiid Husserl. I)rs IJriterschiedrs in der H r d r i i t i ~ n ~ von ,,Transzendentalphilus«phie"zwisclicii ilirii und Natorp war sirli I lussrrl I i r w i i ~ ~ t (s. das folgende Zitat). 1
2
0. S. 326. i~usserlsExemplar von Allgcmeine..
Vgl.
., C.
21.
332
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
objektive Interesse selbst nicht niit; das Resultat der Objektivierung wird ihr nur zum Problem der methodisch völlig neuen Fmchung, die grundsätzlich keine objektive (objektivierende) mehr sein darf. Husserl andererseits verlangt für die Phänomenologie die Awschaltung d e r empirischen Natur- und Geisteswissenschaften sowie der entsprechenden formalen und materialen Ontologien, wodurch :ene diesen gegenüber eine ,,absolute Independenz" erhä1t.f A-xr es ist nicht zu vergessen, ,,dass alles phänomenologisch Ausgeschaltete in einer gewissen Vorzeichenänderung doch in den Rehmen der Phänomenologie gehöre. Nämlich die realen unC idealen Wirklichkeiten, die der Ausschaltung verfallen, sind in der phänomenologischen Sphäre vertreten durch die ihnen entsprechenden Gesamtmannigfaltigkeiten von Sinnen und Sätzen." 2 Da nun das Noema die transzendente Gegenständli~hkeitvertrittundihrentsprkht, jaim transzenden talensinn nichts anderes ds diese Gegenständlichkeit mit „umgekehrten Vorzeich~r~" ist? und da sich andererseits nach Husserl die Konst:tutio~ix~roblc:natikan der noenzatischcn Seite zu orientieren hat, sind Gie fundamentalen Schcidungen der formalen wie materialen Ontologien Haupttitel und unentbehrliche Leitfäden für die Phänoxenalogie der Konstitution dcr betreffenden Gegenständlichkeiten;",. , die Grundbegriffe und Grundsätze der Ontologien 5ind die notwendigen ,Leitfäden1 für eine universale Phänonicridogie in der I~öhereriStufe einer Phänomenologie der Vernunft,bzw. für dcn systematischen Entwurf der konstitutiven Problematrk, welche sich einerseits auf die formal-ontologische ,qliasi'-Region ,Gegenstand überhaupt' und andererseits auf die obersten Regionen von Gegenständlichkciten beziehen. Es bedarf also einer systematischen Begründung aller formalen und regionalen Ontoiogien und eher sie selbst in der systematischen Ge-
.
r s. Idecn !, $8 56-50. 2 a.a-0. S. 329. Das Noema iin transzendentalen Sinne ist nicht zu verwechseln mit dem psychologschen No.-ma, Dieses ist der intentionale Sinn eines aktuellen Erlebnisses, der sich nicht abscha~tet,sondern sich auf das sich abschattende und sich in ihm bekundende tra~szendenteSeiend? bezieht. Das transzendentale Noema verweist demgegenüber ;dciit auf ein wvn ihm unabhängiges Seiendes, sondern ist das Seiende selbst. Die Ideen iassen '.Interschied zwischen psychologischem und transzendentalem Noema unerörtert (s E. Fink, Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls i n der gqcnmädiger. K*itiF;,S . 363164). 4 Ideen I . 3 3 3 1 , 364, 379; Cart. ~lleditatiowen,S. 165; Krisis, S. 175, 177.
H U S S E R L S V E R H Ä L T N I S ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
333
meinschaft leitenden universalen ,I
q
3%
IIUSSERLS VERKÄLTNIS
SYSTEMATISCIIE DARSTELLUNG
Pcsitivität oder die natürlich-objektive EinstelIung der transzendentalen Reflexion voraus, sondern die objektiven Wissenschaften sind auch insofern primär, als sie in dm Transzendentalphilocophie eine notwenpge Leitfadenfunktibx innehaben. Husnennt denn auch in Formale umd trans#endentale Logik die ~bjektiveLogik die e r s t e Logik und die Transzendentalphiloiophie clic „lc.tzte Wissenschaft". 1 Schien auf den ersten Blick ein radikaler Gegensatz in der Sicht des Verhältnisses von objektiver und subjektiver Wissenschaft zwischen Husserl und Natorp zu bestehen, so zeigen sich hier nun fundamentale Übereinstimmungen. Für Husserl wie für Natorp ist die objektive Wissenschaft, als Grundlage die Ontologie - Natorp würde sagen: die transzendentale Logik -, „Ausgaqspunkt'' der subjektiven Wissenschaft (bzw. der subjektiven K ~nstitutionsproblematik,die das Kernstück der Phänomenologie bildet). Bei Husserl erfahren diese Ontobgien oder die betreffenden Onta durch die transzendentale Epoche eine Änderung des „Vorzeichens" ; implizit ist dies auch bei Natorp der Fall, da auch bei ihm die subjektive Erkenntnisrichtung eine völlige Abwendung von der objektiven bedeltet, d.h. die Erscleinungen nicht mehr auf den Gegenstand. sondern auf das Subjekt als Erscheinungcn im Bewusstsein bezieht. Husserl scheint zeitweise sclbst gesehen zu haben, das: Natorps Position hier nicht einfach seiner eigenen entgegensetzt ist. So schreibt er in einem Manuskript, das einen Text aus der Eiltleitwng in die Isyckologie exzerpiert und auch der Kritik unterwirft, zur Thcse Natorps, dass die Psychologie aus den erkannten Gegenständen (erkannt in der Objektivierung) die Erscheinungen als den subjektiven Grund dieser Erkenntnis zu rekonstruicrcn habe: ,,So wird ,GegenstandJ (und zwar Gegenstand jeder Kategorie und schliesslich jeder besonderen Wesenheit) vom phanomenologischen Standpunkt aus zur Anzeige für einen gewissen Kreis aufweisbarer und zu studierender Erkmntnisprozesse: wirklicher oder möglicher." 2 Wahrscheinlich ist Husserl in seiner, in den Lo.gischen Unfersuch.zcngennoch nicht voll zur Geltung kommen1 Logik, S.236, 239; vgl. Ms. transcr. E 111 5, C. 5-7 (Sept. 1933)und den Brief an L&---Eruhl vom 11. März 1935, wo Husserl erklärt, dass in der Geschichte der Verr.urft die p o s i t i v e Wissenschaft notwendigerweise die e r s t e Wissenschaft und Voraussetzung der transzendentalen Wissenschaftlichkeit sei. 3 Ms. orig. K I1 4,C. 105b (15.116.Okt. 1909).
ZUM NEUKANTIANISMUS
335
den Einsicht, dass die konstitutive Phänomenologie vom On oder vom Noema ausgehen und es als „LeitfadenJ' für die Erforschung der korrelativen Erlebnisse in sich selbst einbeziehen muss, stark durch Natorps Einleitung i n die Psychologie gefördert worden. Darauf soll unten noch genauer eingegangen werden.1 Diese fundamentale Ubereinstim~nun~ in der Sicht des Verhältnisses von subjektiver und objektiver Wissenschaft zwischen Natorp und Husserl lässt hier aber trotzdem noch manche Verschiedenheiten bestehen. Einmal hat nach Natorp die subjektive Wissenscliaft systeinatisch bei den höchsten Objektivierungen (bei denen der Wissenschaften) einzusetzen, während Husserl - besonders in seiner späteren Zeit - eine vorgängige Analyse der tieferen Stufen der Konstitution verlangt. En seinem Brief an Natorp vom 18. März 1909 betont er, dass die Phänomenologie in diesem Sinne „unten" anzusetzen habe.2 Dies hangt zusammen mit methodischen Divergenzen der belden Philosophen, die im folgenden Paragraphen besprochen werden sollen. Weiter wurde Husserl im Laufe seiner philosophischen Entwicklung die Möglichkeit der rein positiv e n Ontologien immer fragwürdiger. Natürlich anerkannte er, dass etwa die formale Logik oder die Mathematik unter Abstraktion vom transzendentalen Uewsstsein entwickelt werden könne. Aber er wics imrncr mehr auf dir: Unklarheiten liin, denen die Ontologie, besonders die materiale, ausgesetzt ist, wenn sie nicht von ine er pkänomenologicchen Ursprungsforschung geleitet wird.3 Während er noch zur Zeit der Fünf Vorlesungelt (1907) von der Logik, naturwissenschaftlichen Ontologie, Raumlclire, Ethik, Ästlictik als rein positiven Wissenschaften, die sich nicht um das Bewusstsein zu kümmern brauchen, sprach,4 erklärte er in den Zwanziger Jahren, besonders als er auf das in dcn Ontologien liegende Moment der Idealisierung aufmerksam wurde, eine wirklich klare Erfassung des Ontologischen ohne konstitutive Analyse, die bis 1 S.U.
S. 359 8.
's.o. S. 161, Anm. 2).
s. Log. Unters. 11, I . Aufl. Einleitung $8 I, 2, 4; vgl. Ideen I , S. a r ff., 80 ff.; Ha V, Beil. I, S: 130 (1912). s. Ms. orig. B I1 I, S. 27 ff. (wohl 1908).
'
C. 360; Ideen I I I ,
3s6
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
zum erfahrenden Leben hinabreicht, für unmöglich. Nach Nuscerl ist also die objektive Ontologie für die konstitutive Analyse (Phänomenologie) nicht einfach ein fester unveränderlicher Leitfaden, sondern die Phänomenologie ist für die Ontologie auch p r o d u k t i v , indem sie zur Erfassung des Ontologischen beiträgt, weiter aber auch k r i t i s c h , indem sie die naiv-objektive Evidenz des Ontologischen einer Kritik unterwirft und eventuell berichtigt.1 ObscIron die Phänomenologie die Ontologie als „Leitfadenu benötigt, stntzt sie sich doch nicht einfach ,,blind" auf sie, sonden- sie besitzt in ihrer Intuition ihre eigene Urquelle des Rechts, von der aus sie die Ontologie zu bereichern und zu berichtigen vermag. Für Husserl fallen Ontologie und Phänomenologie letztlich zusammen, d.h. sie bilden zwei korrelative Forschungsseiten, die nur zusammen voll verwirklicht werden können.2 DemgegenUber betrachtete Natorp die Objektivieru g als von der Sub1 jrktxierung (subjektiven Erkenntnisrichtung) völlig unabhängig; irmgekehrt sind die objektiven Wissenschaftkn für die subjektive (die Psychologie) feste Fakten, auf die sie für ihre,,Rekonstruktion ' angewiesen ist und die sie nicht verändern kann. Wenn Husserl gegenüber Kant erklärt, dass eine transzcndcntale Logik r.ur i n einer transzendentalen Noetik möglich ist, dann hat er n i t dieser Bemerkung vor allem Natorp im Auge.3 cincm weiteren Gegensatz zu Natorp hält Husserl an der Mögkhkeit einer ,,objektiven" oder mundanen geisteswissenschaftlichen Psychologie fest; für Natorp kann objektive Psychologie letztlich nur Psychophysik oder Physiologie sein.* Schliesslich war sich Husserl auch des folgenden fundamentalen Vnterschiedes zwischen sich und Natorp bewusst: Nach Nawrp hat die Subjektivität gegenüber der Objektivität (das Bewusstseir gegenüber der Welt) keinen metaphysischen Vorzug: „In Wahrheit bedingt nicht die Objektivität die Subjektivität, noch die Snbjektivität die Objektivität, noch beide als Drittes ugl. Logik. 3. 160161. 5. Ha VIII: Weg i n die trartssendentale Phänomenologie als absolute und universale OnZc!ogie . . , C . 227 Anm. I (1923); Ms. orig. A V11 14, S. 18a (1924 od. 1925); Ns. x i g . A 111 4, S. la (wohl Ende der Zwanziger Jahre); Ms. transcr. A VII 20, c. 14, 23 (1931:1, S. 75 ff. (1929/30); V & 0. 8 15. 3 5 . H a VII, X a n t . . ., S. 281. "Siehe Husserls Randbemerkung zu Allgemeine. ,S. X 5, 105, in der er gegenilber Xatorp eine mcndane Psychologie für möglich erklärt. Wenn Hussed allerdings in der Krisis darlegt; dass die reine Psychologie in ihrer wahren Gestalt transzendentale Eewxs:seinslehre sei, dann stimmt er mit Natorp überein (vgl. o. f 18b). 1
.
..
ZUM NEUICANTIANISMUS
337
die Erscheinung, sondern die Richtung unserer Betrachtung bedingt die Auffassung der Erscheinungen im objektiven oder subjektiven Zus;irninenhnnge." 1 Subjektivität und Objektivität und entspreclierid auch subjcktive und objcktivc Uctrachtungsrichtung sind nach Natorp „metaphysisch gleichwertig" ; sie entsprechen zwei korrelativen Standpunkten, von denen sich keiner als den absoluten bezeichnen darf. Der Gegenstand ist nicht die Folge des ihn konstituicrcnclcri Uewusstscins; cr ist niclit iin 1 % ~ wusstsein begründet.2 Wenn von Objektivierung als einer Konstruktion des Gegenstandes gesprochen wird, so ist von spontanen Handlungen der Subjekts nicht die Rede; man kann zwar solche Wendungen gebrauchen, aber dann gilt es sich dessen bewusst zu sein, dass man vom psychologischen Standpunkt aus spricht und sich damit in einer r e l a t i v e n Redeweise befindet.3 Zwischen der Einheit der Subjektivität und der Einheit der Objektivität besteht kein Verhältnis der Bedingung, sondern ein Verhältnis der Entsprechung4 In einem Manuskript, das Natorps psychologische Methode der Rekonstruktion behandelt, verlangt Husserl mit diesem die Zurückleitung aller Gegenstände auf das Bewusstsein. Das Bewusstsein bezeichnet er dann als das Absolute und bemerkt, dass Natorp diese Absolutheit entschierien leugnen würcic.5 Für Husserl ist das reine Bewusstsein gegenüber der weltliclien Objektivität einmal insofern das Absolute, als es in1 Gegensatz zu dieser in seiner Existenz apodiktisch gegeben ist und sich nicht in Erscheinungen abschattet.6 Wciter ist es gegenüber der Welt auch darin absolut, dass es zu seiner Existenz der Welt keineswegs bedarf, wahrend die Welt ein intentionales Gebilde des transzendentalen Bewusstseins ist.7 Entsprechend ist für Husscrl die Erkenntnis des transzendentalen Bewusstseins keineswegs „gleichwertig" mit dcr natürlich-objektiven Erkenntnis, sondern sie steht ü b e r dieser, indem sie sie als absolute Reflexion zugleich umspannt. Der letzte Sinn der positiven Erkennt-
' Allgemeine.. ., S.
212.
* EinleiLung.. ., 5 14. iAllgemeine..
* a.a.0. S. 2x0.
'
., S. zag.
Ms. orig. K I1 4, S. 11ob (15.116. Okt. 1909). Zum Problem der Absolutheit des Dewus~tseinss. R. Boehm, Zum Begriff des ,Absoluten' bei Husserl; vgl. o. $ 5 25-27. ' S . O . C. 200. S.O.S. 200. U. 3 25.
338
SYSTEMATISCHE D A E S T E L L U N G
nis wird erst von der phänomenolc~gischcnerfasst, während das umgekehrte Vsrhältnis nicht zutrifft. Der zweite und vierte (letzte) der genannten Gegensätze, in denen sich Husserl in der Auffassung des Verhältnisses von ,,subjektiver" und ,,objektiverH UTissunschaft gegenüber Natorp sah, konnten in Kantischen Formeln so gekennzeichnet werden, dass, während Natorp in der Systematik der Wissenschaft der ,,objektiven 3eduktionW (der Transzendentalphilosophie im Sinne Natorps) den Primat gegenüber der „subjektiven Deduktion" :der Psychologie) gibt und sie als zwei „gleichberechtigte". nebeneinander liegende, aber komplementäre „StandpunkteHbetrachtet, Husserl die ,,subjektive 3eduktion" (die Phänomenologie) als die ,.Erste Philosophie" auffasst, in der die „objektive Deduktion" (die Ontologie) letztlich aufgehoben wird. Das in diesem Paragraphen Ausg.-fChrte bildet eine notwendige Ergänzung zum $18.In jenem Paragraphen haben wir auf den Zusamnimhmg zwischen Husscrls und Kants bzw. Natorps Rückgang zur reinen Subjektivität ailfmerksam gemacht. Diesen Zusammenbang hat sich durch das soebcn Ausgeführte prazisiert: Die ?Terwandtschaft zwischen der ,,subjektiven Wissenschaft" H w s ~ r l sund Natorps ist besser sichtbar geworden; andererwits haben sich aber auch Gegensätze gezeigt. Der bedeutendste von ihnen ist ohne Zweifel der, dass Natorp Subjektivität und Objektivität, bzw. subjektive Wissenschaft und objektive Wissenschaft als zwei entgegengesetzte „l)imensionen" einandcr glei C h s t ell t , während Husserl die Subjektivität, bzw. die subjektive Wissenschaft als tragenden Grund auffasst. Um das Bild der räumlichen Kichtungen und Dimensionen zu gebrauchen, könnte man sagen: Für Natorp liegt die subjektive Wissenschaft nur in der entgegengesetzten Richtung der objektiven; sie verfolgt den Weg, den die objektive Wissenschaft und Erkenntnis gegangen ist, gewissermassen r;ü C k m ä r t s , während nach Husserl die subjektive und objektive Wissenschaft irn Verhältnis von Zweidimensionalität und Dreidimensionalität stehen. In Husserlc Betonung der Absctlutheit der Gegebenheit der Existmz dur Subjektivität (im Gegensaiz zum präsumtiven Charakter der Weltexistenz) zeigt sich de Einfluss Descartes. Andererjeits ist für Husserl Subj5ktivität gegenüber der mundanen Objektivität auch insofern absolut, als sie diese als ihr
1
„GebildeJ' konstituiert; hier steht Husserl in der Gefolgschaft K a n t s, aber doch auch N a t o r p s . Natorp lehnt zwar einen solchen Absolutheitsanspruch der Subjektivität von einem gewissen Standpunkt aus ab.1 Andererseits ist für ihn die Objektivität aber doch nichts anderes als eine „KonstruktionH („Objektivierung") der Subjektivität. Wie Natorp diese beiden Standpunkte zu vereinbaren vermag, ist nicht ersichtlich.
31. Die genetische Problemai%kder Psychologie Natorps Um darstellen zu können, von welcher Bedeutung die Psychologie Natorps für HusserIs Konzeption seiner Phänomenologie als einer letztlich g e n e t i s c h e n war, müssen wir vorerst noch etwas ausführlicher auf Natorps Auffassung der Psychologie, wie sie in seinem Werk Allgemeine Psychologie (1912) zum Ausdruck kommt, eingehen. Natorp teiIt seinc Psychologie in zwci Provinzcii ein: i n t h : Phänomenologie undindie Psycliologie d e r Stuferifolge der E r l e b n i s e i n h e i t e n . Die Phänomenologie ist vom systematischen Gesichtspunt aus die grundlegende. Natorp sagt von ihr: ,,. wenigstens annähernd entspricht sic wohl dem, was Husserl mit diesem Namen bezeichnet: der blossen Beschreibung der Bewusstseinsgestaltungen ihrer Art nach.. .." 2 Durch sie werden die psychologischen Gninclkategorien für die Bewusstseinsinhalte gcworinim : so die Katcgciricii Einpfiridung, Vorsicllung, Denken (ais die drei Haupts t uf e n des Uewusstseins) odcr Sinnlichkeit überhaupt, Raum- und Zeitordnung überhaupt, Begriffsfügung überhaupt, Strebung überhaupt; auch die subjektiven Gmndlagen der verschiedenen Bewusstscinsrichtungen (theoretische, ethische, ästhetische, religiöse) werden durch sie allgemein erfasst und eventuell durch weitere Spezifikation der Begriffe näher beschrieben ; einbezogen in diese Beschreibung der Bewusstseinsarten können weiter werden die unvollkommenen Objektivierungen des Meinem, Glaubens, Phantasicrens usw.. Nzch Natorp vertritt die Phänomenologie die o n t i s c h e oder s t a t i s c h e Seite der psychologischen Forschung, da sie das Psychische als in feste Arten aufgespalten auffasst. Damit bleibt sie aber im Abstrakten und reicht nicht wirklich bis zum Kon-
..
1 S.O.
C. 336137.
1 Allgemeine.
. . , S . 241142.
34O
HUSSERLS VEKHÄIXNIS ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
kreten oder Unmittelbaren des Erlebnisses heran: ,,Dieses scheint so noch immer bloss rubriziert, also zerteilt, ja auseinandergerissen, nicht aber in seiner Integrität erfasst oder auch nur crfassbi~rzu wcrclcit." 1 In seinem Werk Allgemeine Psychologie wie in seiner Besprechung von Husserls Ideen wirft Natorp diesem vor, dass er auf der S t d e eines starren Platonismus stehen geblieben sei, d.h. das Bewusitsein letztlich als etwas S e i e n d e s (Ontisches oder Statisches) anstatt als etwas W e r d e n d e s (Genetisches oder Dynamisches) betrachte. „Und so ist der Eidetik (Husserls) letzter ScNuss eine „Klassifikation" der Wissenschaften nach letzten endgültig gegeneinander abgegrenzten ,Seinsregionenl, denen ebcnsoviele ,regionale Ontologicii' entsprcclicn; statt dessen wären logische Genealogien zu fordern." 2 Der Grund, warum H ~ s s e r lbei der ontischen oder statischen Ansicht des Bewusstseins stehen geblieben sei, liegt nach Natorp darin, dass er immcr blctss das einzelne Erkenntnisstadium vor Augen habe, anstatt das .,Ganze der menschlichen, der menschheitlichen Erkenntnis ir, der ununterbrochenen Folge ihrer Entwicklung von der niederst2n noch rekonstruierbaren zur höchsten bisher erreichten oCer absehbaren Stufe" zu betrachten.3 Natorp erklärt: „Ist es aber etwa möglich, und wie ist es möglich, über diesen ganzen Standpunkt der dgerneinen Beschreibung des Bcwusstseinsinkaltes, seiner Art nach, hinaus zu dem bestimmten, konkreten Erletsnis vor- oder doch näher an es heranzudringen? Jene allgemeinen Kategorien begrenzen allenfalls das Gebiet des überhaupt Erlebbaren, seincn allgemeinen Möglichkeiten nach, aber erreichen doch nicht den Akt, die Aktualität des Erlebens selbst."4 Die Übmindung des statischcn Gesichtspunktes der Phänomenologie geschieht durch die zweite Provinz der Psychologie: dilrch die Betrachtung der Stiifrnfolgeder Brlebniseinhciten, die die g e n e t i s c h e Bewusstseinsforschung vertritt. Dieser Betrachtung ist die Zurückbeziehung des Erlebnisinhaltes auf das erlebende I c h wesentlich, indem nämlich die verschiedencn Erlebniseinheilen, deren wichtigste Stufen das Erlebnismoment, 1 a.a.0. S. 2 . g ; zu Natorps Begriff der Phänomenologie s. a.a.0. Kapitel 9, ' 5 . Husserls ;dzen.. ., S. 232, Allgemeine.. . , S . 283.
10,
8 5 6,
341
der begrenzte Erlebniszusam~nenhangund die ideelle Bewusstseinseinheit des begrifflichen Denkens sind, ihren Ausdruck in verschiedenen empirischen Ichgestaltungen finden: Das Ich des Erlebnismomentes ist ein rriii potcnticllcs, das Tcli
10.
Kap. $ 5 7, 8, 9, 15;
3q2
K U S S E R L S V E R H Ä L T N I S ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Natorp die Rekonstruktion des Subjektiven. Das Subjektive bedeutet hier aber konkret nur die jeweils niederere Stufe der 0bjektivierung. Es gibt also nicht ein absolut Subjektives, und ihm gegenüber ein absolut Objektives, sondern es gibt eine Stufenfolge relativsr Objektivierungen, der im Rückgang wiederum eine Stufenfolge relativer Subjektivierungen entspricht. Die Forderung der Rekonstruktion des Sujjektiven besagt demnach kcnkret nur, dass von der jeweils höheren Stufe der Objektivierung zur niedereren und dem Unmittelbaren des Bewusstseins niiherliegendrn zurückzugehensei.1 Diese niederere Stufe ist immer wiederum ein Objektiviertes oder Objektives; das absolut Subjektive ist nur die reine ideale Grenze der Subjektivierung oder Rekonstruktion, die Natorp als reine Potenz, npWq GA?, bixccpov, rirs dem die ganze objektivierende Weltschöpfung des Bewusstseins hervorgeht, bezeichnet.2 Das immer wiederkehrende Beispiel Natorps für zwei übereinanderliegende Objektivierungsstufen ist das folgende: Auf einer gewissen Entwicklungsstufe der objektiven Erkenntnis wird di?Farbe oderder Ton als das Objektive, d.h. als die objektive Darstellung des Gegenstandes (X) aufgefasst; für die nächste Objektivientngcstufe abcr sind Farbigkeit und Töne etwas bloss Subjektives, während sie nun gewisse physikalische Qualitäten, wie Wellenschwingungen als d a s Objektive betrachtet.3 Das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Stufcn dcr Objektivierung wird von Natorp folgendermassen näher bestimmt: Das Subjektive (d.h. die niederere Objektivleningsstuie) ist immer &c Potenz des Objektiven (d.h. dw höheren Objektiviemngsstufe) in dem Sinne nämlich, dass das Objektive (die objektive B-stimmung) a u s dem Subjektiven Id2r Potcnz der betreffenden 3.stimniung) erkannt wird.4 Der Begriff der Potcnz ist also bei Natorp nicht bloss negativ; er schliesst die Positivität der Möglichkeit und der Aufgabe der Bestimmung in sich. Die Potenz ist nicht das Unbestimmte, sondern vielmehr das Bestimmbare, da? zii Brsti-nincndc, clasjrnigc, (las die Bestiiiiiniing fordert, dic dann die objektivierende Erkenntnis an ihm wirklich vollzieht.6
343
Rekonstruktion des Subjektiven ist daher „Zurückbeziehung auf den Ursprung". 1 Für die objektivierende Erkenntnis gelten nun aber die im Fortgang der Objektivierung überschrittenen Stufen nicht mehr; das Interesse für sie ist verloren. Nichtsdestoweniger gehören sie aber zum Universum des Bewusstseins.2 Die Aufgabe der Psychologie besteht darin, diese von der objektivierenden Erkenntnis zur Seite gestellten Bewusstseinsgehalte in Betracht zu ziehen. Wenn Natorp erklärt, dass die Psychologie zum Unmittelbaren des Bewusstseins vor aller Objektivierung zurückzugehen oder die Objektivierungen gleichsam ungeschehen zu machen habe, so bcdeutet dies nicht, dass die rcinr Potenz, aus der die Weltschöpfung des Bewusstseins hervorgeht, als etwas völlig Bestimmungsloses unter Absehung aller Objektivierungen das zu Ermittelnde wäre (eine unmögliche Aufgabe !), sondern dieser Rückgang „hinter1' die Objektivierung bedeutet die bestimmende Erfassung auch all desjenigen Bewusstseinsgehaltes, von dem die objektivierende Erkenntnis absieht, d.h, von dem sie das jeweils für sie Objektive losgelöst hat.3 M.a.W., die Psychologie hat die Aufgabe, die unendliche Fülle der Darstellungen dcs Gegenstandes (X) in ihrer unendlichen Stufenfolge zu rekonstruieren. Diese psychologische Betrachtungsweise bedeutet gegenüber der objektivierenden Erkenntnis, für die es jeweils nur eine gültige (objektive) Darstellung des Objekts gibt, den ubergang in eine neue Dimension, da. sie nicht nur e i n e Objektivität, sondern eine schli(:s..licli unendliche Stiifcnfolgr:von Objektivierungen betrachtet.4 Nochmals anders ausgedrückt, in der Psychologie wird die starre Objektwelt, die sich von den konkreten Erlebnissen losgelöst und wie ein Fremdes ihnen gegenübergestellt hat, in das volle fliessende Leben des Bewusstseins zurückbezogen und rcintcgricrt. 1)ie Psychologie liist tlic fcstcii Objekte des rationalen Uenkens auf, sie verflüssigt sie in das Irrationale, d.h. Vor- und Überrationale der logischen Kontinuität des Denkprozesses, welche stets aus dem Unendlichen ins (mtwi(:k(4t." Wncndliclic dic cndliclicti lk*stii~iiiilli(*itt:~~ Besonders deutlich stellt Natorp in seinem Aufsatz I'hilosoa.a.0. a.a.O. 3 a.a.0. 4 a.a.0. 1
C. 71.
S. 70. 4. Kapitrl, 8 CO. S. 124. 6 Husscrls Ideen.. S. 230. 9
.,
344
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
phie und ,Psychologie die abstrakte Starrheit der Objektwelt
und das voUe fliesende Leben des Bewusstseins einander gegenSber: Die cbjektive Erkenntnis hat es zwar letztlich auch auf die grenzenlose Mannigfaltigkeit des Lebens abgesehen; „aber in fast diametralem Gegensatz zu dieser ihrer zuletzt aufs Leben gerichteten Absicht scheint sie dem Leben sich nur mehr und mehr zu entfremden, es in tote Begriffe zu venvandeln ;seine Fülle schent in ihr verarmt, die Unmittelbarkeit, in der allein es wirkliches Leben ist, durch Vermittlungen und Vermittlungen von Vemittlungen ohne Ende unwiederbringlich verloren, seine flutende Repamkeit in festliegende, unbiegsame ,Formenf erstarrt, sein energischer Tatcharakter zu tatloser Betrachtung gelalirnt".l Der Prozess der Objektiviemngen, bzw. der Ichgestaltungen darf nach Natorp von der Psychologie nicht als ein in der Zeit sich abspielender aufgefasst werden; denn durch eine zeitliche 3etrzchtung würde das Bewusstsein in den o b j e k t i v e n zeitlichräumlich kausalen Zusarnincnliang der Natur eingeordnet. Natorp anerkennt keinen Wesensunterschied - wie ihn Husserl vollzieht zwischen cin.rr transzendenten oder objektiven Weltzeit und einer immanentm Zeit des reinen Bewusstseins. Die sogenannte psyc2ische Zeit ist nach ihm nur ein ungenaues Scliäizen der einen objektiven vom Raume untrennbaren Zeit. Die Genesis des Bewuss~seinsist also kein zeitlicher Verlauf, sondern sie ist, wie die logische odrr mathematische „Genesis", eine rein inhaltliche Entwicklung des Bcwusstseinsinhaltes und des Hewusstseinsumfanges, d.h. der Ausdehnung des Ichbezuges. In der Psychologie kommt es nicfit auf die zeitliche Priorität ati, als ob das Urspningliche des Bewusstseins gleichsam aLs prähistorisches Stadium und die Objektivierung als Fortschritt in der Zeit nachgewiesen ;v~rcl~~n niiidcn, sondcrn cs knnimt an ntif die stibjektiven Grundlagen und V«raussctziiiigcii zu ;illcii Objclslivicriiiig~~~.~ Natorps Sirht der Stellung der Zcit im Bewusstsein ist in der Eiwleitttng in die Psychologie (1888) und in Allgemeine Psychologie T I ~ I Z ) nickt dieselbe. Während er in seinem früheren Werk die Zeit als iiidiiiigini Rcwiisstsein bczcichnct, &e gleich beim Eintritt in die Psychologie eingeführt werden 1
P3losophw imd Psychologie, C. 180/81. A:!gnneinc.. ., ro. Kap. 8s 10,Ir, 12.
muss und irn weiteren selbstverständliche Voraussetzung der psychologischen Erwägungen zu sein hat,l erklärt er im Werke von 1912, dass die Zeitvorstellung nicht bis zu den allerletzten Tiefen des Bewusstseins zurückreiche, sondern zugleich mit der Raumvorstellung erst aus grundlegenderen zeit- und raumfreien 13ewusctseinsverbindungen in der Objektivierung hervorgehe; nur so glaubt er den schon in der Einleitung scharf betonten Satz, dass ursprünglich die Zeit im Bewusstsein, und nicht das Bewusstsein in der Zeit gegeben sei, konsequent durchhalten zu können.2 Nach diesem Überblick über Natorps Konzeption der Psychologie wenden wir uns Husserls Verhältnis zu clicscr, sofcrii sic bcdeutsam für seine Idee einer genetischen Phänornenologie war, zu. Vorerst kehren wir noch vor das Jahr 1918 - das Jahr, in den1 Husserl sowohl den Aufsatz Philosophie u n d Psychologie als auch das Werk A l l g e m i n e Psychologie studierte - zurück und untersuchen, wie Husserl damals dir! gciie t ischc Pro1,lciiiirtik tlcr Psychologie Natorps, die, allerdings unter Absehung von den Ichstufen, die E i d e i t w z g in die Psychologie völlig beherrscht und noch keiner ,,Phänomenologie" als der ersten Provinz der Psychologie gegenübergestellt ist, auffasste. In einem Manuskript aus dem Jahre 1909 (Oktober), in dem Husserl Natorps psychologischen Rekonstmktionsgedanken erörtert, schreibt er: ,,Unter dem Titel ,Erscheinungen1 denkt er <SC. Natorp> nicht an die Bewusstseinsgcstaltungen in meinem Sinn, sondern an die jeweiligen konstituierten Gegenstände der jeweiligen Objektivationsstufe. Der Naturforscher nennt auch in1 Gegenstand alles, was logisch nicht standhalt, einen Schein oder blosse Erscheinung. Der Gegenstand in seinen sinnlichen Eigenschaften ist blosse Erscheinung, oder sie sind Sachc blosser subjektiver Ersclic?iniingcw vtc. 'I%ist vinci Krosw A~ifg;tl)c*, tlic. S ~ I I fenfolge von relativ gültigcii und ungültigen Objcktitätcn zu verfolgen bis hinauf zur naturwissenschaftlichen Objektität der Physik ünd wieder die in der ,Reflexion' sich ergebenden Erscheinungsobjektitäten (Sehding etc.) ziiriickziivcrfolgen bis ziini letzten i3ewusst~cinsfliiss.Aber das ist iiiclll Saclic der ,iialtirwissenschaftlichen Objektivierung'. Der Naturforscher, wie jeder1
Einbitung. Allgcmcinc.
. . , § § 7 U. 13. .., 10. Kap. $ 8 10, 15.
346
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
mann, macht Erfahrungen und die erfahrener Objekte bestimmt er logisch. U'o die Bestimmung logisch Unzirträglichkeiten hervortreten lässt, da sagt er, das existiert nicht, oder, es existiert in Wirklichkeit nicht so wie es erscheint, es ist bloss subjektiv. Aber weiter hat er sich nicht um diese intentionalen Gegenständlichkeiten zu kümmern. Die Richtung auf das objektive, wahre und wirkliche Ding und das intereise seiner Erkenntnis führt wohl über nicht objektive QuasigegehsEindlichkeiten,aber es fordert nicht deren Erforschung und die Erforschung deren phänomenologischen Konstitution Erst das wahrhaft erkenntnistheoretische Interesse, nicht das objektiü-logische, sondern das der Konstitution der wirklichen und jedweder unwirklichen in ihrer Konstitution, bringt diese Untersuchungen. Es darf auch nicht verkannt werden die relative Gültigkeit, das relative Sein der Gegenstande, die in der Stufexfolge vor der physikalischen Natur liegen, z.B. das Ding des ge-dhnlichen Lebens, die Dinge der deskriptiven Naturwissenschaft etc.; ferner die ästhetischen Gegenstände, die Bedeutung der Bildgegenitände etc. . . .." Diesen Gedanken übernehmend erklärt Husscrl im Logos-Aufsatz (I~IX), dass es die Aufgabe der Psyct~ologieund Phänomenologie sei, das „Medium der Phänomenalität", d.h- die sinnlichen Erscheinungen jm Sinne der sinnlichen Dinge, in denen sich die wahre, objektive, physikalisch-exakte Natur Garstellt, bnw. durch die hindurch das wissenschaftlichf Erfahningsdenken, ohne sie aber selbst ziim Forschungstliema zu machen. das Objektive herauskonstruicrt, zu erforschen.2 Husserl versucht also, der Forderung Natc~rps,das Psychische einer ,,genetischenw Betrachtung zu unterziehen, in etwa zu entsprechen. Er bemerkt am Rande seines Exemplars von Allgemeifie Psychologie zu dem an ihn gerichteten Vorwurf eines starren Platonis~nus:„Ja und nein - für d i u Logischefi Unters~chungen."~ In demselben Sinne schreibt er am 29. Juni 13x8 an Natorp, dass er ,,schon seit mehr als einem Jahrzehnt die stufe des statischen Platonisn~us überwunden habe und der Phänomenologie als Hauptthema die Idee der transzendentalen Genesis gestellt Ms. orig. K I1 4, C. 11oa/b (15.116. Okt. 1909). Logos, C. 311; man beachte hier Husserli Gebrauch des Natorpschen (überhaupt Neukantianischen) Begriffs der Konstruktior. fia die objektive; wissenschaftliche Erkenntnis. 3 Randbemerkung Husserls in Allgemeine.. ., S. 288. 4 Kopie des Briefes im Husserl-Archiv. 1
3
habe". Betrachten wir aber die genetischen Uberlegungen Husserls aus der Zeit vor 1918 genauer, dann zeigt es sich, dass diese noch sehr weit von Natorps Idee der Psychologie entfernt sind. In den Idem spricht Husserl nur sehr selten von ,,Genesisw.Er gebraucht diesen Ausdruck einmal, um die ontologische und phänomenologische Betrachtungsweise zu konfrontieren: „Die ontologische Betrachtungsweise ist sozusagen katastematisch. Sie nimmt die Einheiten in ihrer Identität und um ihrer Identität willen als wie ein Festes. Die phänomenologisch-konstitutive Betrachtung nimmt die Einheit im Fluss, nämlich als Einheit eines konstituierenden Flusses, sie verfolgt die Bewegungen, die Abläufe, in denen solche Einheit und jede Komponente, Seite, reale Eigenschaft solcher Einheit das Identitätskorrelat ist. Diese Betrachtung ist gewissennassen kinetisch oder ,genetisch': eine ,GenesisJ,die einer total verschiedenen ,transzendentalen' Welt angehört als die natürliche und naturwissenschaftlicheGenesis . . .. Jede Erkenntniseinheit, insbesondere jede reale, hat ihre ,Geschichte' oder auch, korrelativ gesprochcn, das Bewusstsein von diesem Realen hat seine ,Geschichte', seine immanente Teleologie in Form eines geregelten Systems wcscnhaf t zugehöriger Bekundungs- und Beurkundungsweisen, die sich aus ihm herausholen, ihm abfragen lassen. Und was dic Sache selbst ist, (las tritt in Evidenz nach allen Seiten seines Wesens erst hervor in seiner Geschichte, die die Einheiten und ihre Moincnte zur Abhchung bringt, indcm sie dic konstituicrcndcti Manriigfaltigkcitcii iii 1%~wegung setzt." Obschon diese Gegenüberstellung von Ontologie und Phänomenologie in ihrer Terminologic sofort an Natorp erinnert, entspricht sie dessen Auffassung der Psychologie nur wenig. Die Phänotnenologie wird in diesem Text nur daher als „genetischH oder „kinetisch" bezeichnet, weil sic von den festen Gegenständen zum Fluss der Erlebnisse als einem teleologiscli gcregelten Bewegungssystem von mannigfaltigen intentionalen Akten, in deren Ablauf sich der intentionale Gegenstand originär konstituiert, zurückgeht; dabei werden sowohl die intentionalen Gegenstände als auch das System der gegenstandskonstituierenden Erlebnisse als f e s t e oder „fertigeHGegebenheiten aufgefasst. Der genetische Rückgang besteht keineswegs im Rückgang auf „primitivereMgegenständliche Einheiten, a u s denen sich die höheren entwickeln. 1 5.
Ha V, Beil. I, 5. 129 (1912).
348
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Zwar unterscheidet Husserl in den Ideen (und auch schon vorher, so in den Fiirtf Vorlesungen) v*rschiedene Stufen der Konstitution, denen korrelativ verschiedene Stufen von Gegenstandsmomenten und Gegenständen entsprechen - und gerade im Hinblick auf diese Stufen gebraucht Husserl in einem besonderen Sinne das „Bild der Genesis". 1 Diese Stufenordnung wird aber nicht als eine genetische aufgefasst im Sinne, dass sich die höhere Stufe a u s der niedereren entwickeln würde, sondern Husserl der-k: die Stufenordnung als eine s i a t i s c h e , als ein teleologisch gcdiiclitr~tcsSyst(wi von A ~ ~ ~ ~ ~ x q i~n itlvm i o ujcwcils ~ i , die obere Stufe nur auf der unteren ruht, sie also voraussetzt, keineswegs aber a u s ihr erklärt wird. Über diesen statischen Gesichtspunkt geht Husserl vor den Ideen und auch in diesen nicht hin;irrr:.2 Aiich die Brtr;iclitiing tlcr von drn objrlctivcn Wissenschaft auf die Seite geschol>crien „blass subjektiveii" Erscliciiiungcri der sinnlxhen Erfahrung bewegt sich nun bei Husserl zur Zeit der Idee% noch grundsätzlich in diesem staliichen Rahmen, obschon gende sie Motive enthielt, ihn zu durchlkechen. Die Erkläruiig Husscrls gcgciiübcr Natorp von 1918,dass er schon seit mehr als einem Jahrzehnt der Phänomenologic das Problem der transeendcntaleii Genesis gestellt habe, bezieht sich vielleicht weniger auf die Phänomenologie der Konstitution der T r a n s z e n ~ h zals auf die Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseim, die Husserl schon 1g04/og in Vorlesungen zu entwickeln versuchte.3 Er nennt zwar diese Phänomenologie vor 1918 nie genetisch; erst in den Zwanziger Jahren bezeichnet er sie als dle Grundlage der genetischen Konstitution. Als deren Grundlage scheint sie aber schon nicht mehr eigentlich zur genetischen Problemetik, im Sinne wie sie von Husserl seit den Zwanziger Jahrrn verstanden wird, selbst zu gehören. In der intentionalen Analyse des inneren Zeitbewusstceins untersucht Husserl die Konstitution der Zeitlichkeit der Empfindungen und intentionalen Erlebnisse als immanenten dauernden ( i n der „objektiveno immanenten Zeit seienden) Einheiten im absoluten zeitkonstituierenden Bewusstseinsfluss. Damit entspricht er in gewisser Weise z.3. ideen 11, C. 2 3 ; Ha V, Beil. I, S. 125 (1gx2). Die Idrsn I1 enthalten zwar genetische Oberlegungen (S. 214/15).Diese treten aber erst in der zweiten Steinschen Fassung (1918/19) auf, also erst n a c h dem uns interessierenden Zeitpunkt. 3 s. Phän ~menologiedes inneren Zeitbewusstssins. 1 s.
IIUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M N E U K A N T I A N I S M U S
349
Natorps Forderung, aUe festen Objektitäten - auch die Erlebnisse im Sinne Husserls - ins Bewusstsein zu verflüssigeri. Manche Anklänge der Zeitproblematik Husserls an diejenige Natorps machen es wahrscheinlich, dass Husserl auch in diesem Punkt von Natorps Einleitung in die Psychologie eine „anregende Wirkung" empfangen hat. Wie Natorp Iehnt es Husserl ab, das absolute zeitkonstituierende Bewusstsein, das er in einem radikalen Sinne absolute Subjektivität nennt, i n die Zeit zu stcllcn. „Von einer Zcit dcs Ictztcii konstituicrciirlcii l~cwiisstsc~ii~s h i i i ~ iiiclit i i i t i I ~ i . gc~sl)r~t:iit~ii werden." 1 „Die subjektive Zeit konstituiert sich im absoluten zeitlosen Bewusstsein, das nicht Objekt ist." 2 Es hat nach Husserl keinen Sinn, von den absoluten zeitkonstituierenden Phäno, mcncn zit sngrm, sir sric%tii i i i Jrtzi i i i i t l . sc+ii vorli~i-~ ~ ( Y I I sics folgten ci~ianclerzeitlich nach oder seien gleiclizcitig usw. ; vor1 dcr absoluten Subjektivität kann nur gesagt werden, dass sie zu einem Jetzt oder einem Vorher gehöre, indem sie für diese konstituierend ist.3 „Wir kiinnen nicht mrlcrs sagen als: dieser Fli~ss ist etwas, das wir nach dcrn ICoiislituicrtcii so iicnncri, aber cs ist nichts zeitlich ,Objektives'. Es ist die absolute Subjektivität und hat die absoluten Eigenschaften eines in1 Bilde als ,Fluss' zu Rczeichnenden, in einem Aktualitätspunkt, Urquellpunkt, ,Jetzt1 Entspringenden usw, In1 Aktualitätserlebnis habcn wir den Urquellpunkt und eine Kontinuität von Nachhallriiomcnten, F ü r all das fehlen uns die Narnen."4 Diese Sätze Husserls, besonders etwa die Wqndungen, dass der absolute Fluss nichts zeitlich ,,Objektives" sei, dass er vom Konstituierten her genannt werden müsse, dass für ihn aber eigentlich die Namen fehlen, haben ihre unmittelbaren Entsprechungen bei Natorp. Husserl folgt auch darin Natorps Einleitztng, dass er die Zeit als die „Urformn des Bewusstseins auffasst und so das zeitkonstituierende Bewusstsein letztlich als ein ineins unzeitliches (weil allererst zeitigendes) und zeitliches (weil immer schon sich selbst gezeitigtes) offenbar werden lässt: Der absolute Bewusstseinsfluss konstituiert sich selbst, d.h. er ist sich in sich selbst vor der Reflexion retentional gegeben in der Form der a.a.0. S.432. * a.a.0. C. 464. a.a.0. S. 429. 4
clrenda.
35O
BUSSERLS V E R H Ä L T N I S Z U M N E U K A N T I A N I S M U S
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
„?räphänomenalcn" oder ,,priiinniancntcn" vorkonstituierten Zeit [die nicht zu verwechseln ist mit der konstituierten „objektiven" Zeit der reflektierten immanenten Einheiten), in die die Phasen des Flusses (die Phase der Aktualität und die Serien der voraktuellen und nachaktuellen Phasen) „quasizeitlich" eingeordnet sind. Gebender und gegebener Fluss kommen dabei aber n x h t völlig zur Deckung: „Was im Momentan-Aktuellen des &wnsstseinsflusses zur Erscheinung gebracht wird, das ist in der fieihe der retentionalen Momente desselben vergangene Phase des Bewusctsiinsflusses."l Nach Ausführungen des langjährigen .ksistenten Husserls, E. Fink, soll dieser in seiner Spätzeit noch entschiedener als in den Vorlesungen von 1g04/05 die Zeitlosigkeit des letzten Quellgrundes des Bewusstseins hervorgehoben haben.2 Auch hier wäre eine gewisse Ähnlichkeit mit Natorps Ent~%
3.0.
344145-
I m bereits erwähnten Brief an Farber aus den Dreissiger Jahren schreibt Husscrl: .,Only Natorp interested me, more for personal reasons, and I read thoroughly the lirst e t i t i o ~of his Introduction to Psychobgy, but not thc cnlarged second edition" Is. M. Farber, The Facndation of Phenomenology C. 17). Husserl muss sich in diesem 3:ief getäirscht Ixaben, dennaus seinem Exemplar von Natorps Allgemeine.. (= 2. A-lfl. von Einleitung.. .) geht folgendes hervor: 19x2 erhielt er das Werk als Geschenk .rom V~rfasser;a n 15. September 1913 las er (auf einer Reise in die Ferien) die ersten fünfzig Seiten und b-ieb hier stecken; nicht weiter brac te ihn ein zweiter Anlauf am 3. Jan-IY ,915; ezst im September igi8, während sein$ Ferien in Bernau. hat er das iVerii „systematisch gründlich studiert", wie er auf der krsten Seite seines Exemplars bemerkt. E3 ist völli: sicher, dass Husserl ausser dem 9. Rapitei, das sich mit fremden .4uffasäungen auseinandersetzt, das ganze Werk genau gelesen hat. Wie wir bereits bex r k t e n , benutzt? er es auch im Wintersemester 1g22/23 für philosophische obungen i n seinem akademischen Unterricht (S.O.C. 39). - Den Aufsatz Philosophie und Psyf k d o g k las er - i-ie Husserls Exemplar eines Separatabdruckes dieses Aufsatzes zu entnekmen ist - i m August desselben Jahres. 4
.
351
deht.1 Er teilt tlic Pli5iioiiiciiiol(1gic:ciii iii ciiic s t a t isclic: iiiitl i i i eine g e n e t i s c h e , wobei die erste der zweiten systematisch vorauszugehen hat. Die statische Phanonienologie bestimmt er fogendemassen: „Die zunächst ausgebildete Phänomenologie ist bloss statische, ihre Deskriptionen sind analog den naturhistorischeii, die den einzelnen Typen nachgehen und sie allenfalls ordnend systematisieren. Fragen der universalen Genesis und die über die Zeitformung hinausgehende genetische Struktur des ego in seiner Universalität bleiben noch fern, wie sic ja in der Tat hölicrstufige sind." 2 Die statische Pliänomenologie geht nach einer Analyse der allgemeinsten Bewusstseinsstrukturen (wie der Scheidungen Noema - Noesis, Erlebnis - reines Ich usw.) den Korrelationen zwischen konstituierendem Bewusstsein und konstituierter Gegenständlichkeit nach, indem sie diese Gegenständlichkeit als feste Leitfäden benützt ;m.a.W., sie betrachtet die Bewiisstseinssysteme, in denen objektive Einheiten undZusammenhänge, auch solche zwischen Gegenständen und Begriffen, Wahrheiten etc. sich konstituieren. Sie erforscht die mannigfaltigen einstimmigen, aber möglicherweise auch in Unstimmigkeit übergehenden Zusammenhänge der Wahrnehmung als die Bewusstseinsweisen, die die Gegenstände zu originärer Darstellung bringcn, cl.11. origiiiär konstituieren, aber auch die anderen von einander scharf unterschiedenen Sondertypen des intentionalen Bewusstseins, wie Wiedererinnerung, Vorenvartung, Signifikation, analogisierende Veranschaulichung etc., die allc durch dic cinzctlncn Cicgcnstnndsregionen ihre von der statisclien l'hänoin&ologic zu erfasscndeii Besondeningen erfahren. Entscheidend für den statischen Charakter dieses Vorgehens ist dabei, dass die Gegenstände mit ihren ontologischen Strukturen wie korrelativ die betreffenden Apperzeptionssysteme oder koiistituicrc~iden Ziisamrricnliänge als gewissermassen f e s t e Einheiten bzw. f e r t i g e Systeme aufgefasst werden, nach deren Genesis nicht gefragt wird. Ihre systematische Einheit erhält die konstitutive statische Phänomenologie von der systematischen Einheit der Ontologien. Demgegenüber fragt die g e n e t i s C h e Phänomenologie nach 1
Zu Huscerls Gegenüberstellung von statischer und genetischer Phänotneriologie
in der Zeit um 1920 siehe besonders Ms. transcr. B 111 10, C. 35-72 (um 1920). Umrlmcn ist das Verhältnis von statischer und genetischer Phänomenologie auch i n mik. 8 97, Beil. 11, $ 2 ; Cnrf. Med., 5 5 30-41. 50. Carl. hfed.. C. Iro.
HUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M N E U K A N T I A N I S M U S
der Genesis der Konstitution (iin statischen Sinne), d.h. nach der Konstitut-on oder Urstiftung der konstituierenden (den Gegenstand jeweils darstellenden) Apperzeptionsarten, die habituell im jeweiligen Bewusstsein bereitliegen und den in ihnen ursprünglich gestiiteteri Sinn in die aktuelle Erfahrung übertragen. Der Begriff der gnetischen Konstitution ist gegenüber demjenigen der statischen Konsritution also grundsätzlich verschieden: in der genetischen Korstitution geht es um die Konstitution der statischen Kmstitution, m.a.W., der genetischen Phänomenologie geht es u r die ,,Geschiclite" der Apperzeptionen; allerdings nicht um die faktische Geschichte, sondern um die Wesensgeschichte, d.h. um Üe notwendige „Form1' der Geschichte; korrelativ gesprochen, es geht ihr um die ,,Geschichte" der intentionalen Gegenstände, die nun nicht mehr wie in der statischen Phänomeno1og:e als kste durch zeitlos-unveränderliclie ontologische Strukturrn besyirnrnte Einheiten, sondern als etwas in Urstiftungen Geworder-es, eine „sedimentierte Geschichte" in sich Tragendes aufgcfasst und hinsichtlich dieser Geschichte, d.h. hinsichtlich der in ihncn rrnplizicrtcn und nicht mehr oiien zu Tage liegenden Sinneshorizonten befragt werden. Universal betrachtet erforscht die genetische Phänomenologie nach Husserl die „Geschichte" des konkreten Q o , das als Einheit des Ich als des Substrates von habituellen Apperzeptionen und Meinungen und der darin für d a s Ich Irabitiicll sciciirlcn und sowicnclcn Wniwclt gedacht wird. Diegc konkrete Ich nennt Husserl mit Leibniz Monade. Die E r f o ~ d ~ u der n g Genesis der Monade bedeutet also zugleicli die Erforschung dcr Genesis der für das Ich seienden Welt und Umwelt und die Erforschung der Genesis der konstitutiven Systeme, durch die für das Ego die und jene Gcgenstände und Gcgenstandskategoricn beständig sind. Indem die genetische PIiZnorncnologie den Gesetzen der „Geschichte" des konkreten Ego und damit den Gesetzen seiner Indiv i d u a t i o ~ als gewordener und ständig werdender Einheit nachgeht, zeigt sie, wie Bewusstsein a u s Bewusstsein wird, d.h. wie eine löhere Entwicklungsstufe der Monade a u s der tieferen, und darrit wie eine höhere Umwelt a u s einer primitiveren entsteht. Fiu Husserl ergeben sich so verschiedene Entwicklungsstufen drs konkreten Ego und darin beschlossen verschiedene Entwickiungsstufen der Welt, die sich der universalen Form der
353
Zeitlichkeit einfügen. Als fundanientale Stufen der Genesis des konkreten Ego, die nur allgemeine Titel sind für unendliche Stufungen, unterscheidet Husserl die Konstitution der hyletischen Objekte, und der immanenten überhaupt, im ursprünglichen immanenten Zeitbewusstsein, die Konstitution der primordialen Welt und die Konstitution der intersubjektiven Welt. Die genetische Phänomenologie nennt Husserl im Unterschied zur statischen auch ,,erMärende", „regressive" oder ,,reduktivew, da sie das faktische transzendentale Bewusstsein und seine Objekte erklärend zurückführt auf dic wcscnsniässig ,,gcscliiclitlicii" ursprünglicheren Stufen. Wenn wir Ifusserls Unterscheidung und Bestimmung von statischer und genetischer Phänomenologie mit der oben dargestellten Gegenüberstellung Natorps von Phänomenologie und Psychologie der Stufen dcr Er1cl)niscinlieitenvcrglciclien, dann fallc~i uns sofort fundamentale Parallelen auf. Natorp und Husserl fassen beide die erste Provinz ihrer Psychologie, bzw. Phänomenologie als Beschreibung der verschiedenen Rewusstseinsarterr auf. Weit bedeutsamer ist aber dic Verwandtschaft der gc n C t i sehen PhänomenoIogie Husserls mit dcr entsprechenden psychologischen ,,Provinz" Natorps. Wie diese den Ichstufen, so geht Husserls genetische Phanomenologi~den genetischen Stufen der Monade (welchen Terminus auch Natbrp gebraucht !) nach; dicse Stufen bedeuten fiir ihn wie fiir Nntorp glciclizclitig S t tifcii V O I L Objektitäten, die nicht bloss auf einander g e b a u t sind, sondern sich auseinander e n t W i c k e l n . Die genetische Phänomenologie Husserls hat demnach auch diesen Stufenbau der Objektitätcn, bzw. den Stufenbau der Monaden zurückzuverfolgeri bis zu den letzten Ursprüngen und in dieser Aufwicklung der sedimentierten Sinnesgescliichte der Welt das verborgen leistende Leben des Bcwusstseiris sichtbar zu maclien. Sie liefcrt dic „Genealogie der Logik", die Natorp von Husserl schon in seiner Kritik der Ideen gefordert hatte.1 Husserls Bezeichnung der genetischen Phänomenologie als ,,regressive" oder „reduktiveu klingt an Natorps „Rekonstruktion" an. Ja, in gewissen Texten gcbraucht Hucserl selbst diesen Natorpschen Terminus.2 Die Paral1
lo&
Siehe o. C. 340; der Untertitel von E r f . u. Urt. lautet: Untersuchungen zur Geneader Logik. Dieses Werk HusserIs geht grösstentcils zurück auf Vorlesungen, die S. 259 Anm. I).
Hussed irn Wintersemester r g z o / z ~gehalten hat (s. o.
'
S.U.
C. 370 ff.
354
SYSTEMATISCHE DAESTELLUNG
lelen zwischen Husserls Phänomenclogie, die letztlich genetische Monadologie sein will, und Natorps Psychologie könnten weiterhin verfolgt werden. Hier sei nur n x h auf die folgenden wesentlichen Punkte hingewiesen: Wie Natorp so setzt auch Husserl einen Gegensatz oder, wie Husserl auch sagt, eine „Krisisu (Spaltung) zwischen ob j ek t i ver Wisscnscliaft und dcni Lcbci: und bctrnclilct dic Phänomenologie, die zum Leben des Bewusstseins zurückkehrt, als Weg zur uberwindung dieser ,,KrisisH.Dieses Gedankenmotiv ist sehr bedeutsam in Husserls letztem grossesi Werk. Weiter spielt bei der Phänomenclogie des späten Husserls der Gedanke des Rückganges von der hijheren Objektität der wissenschaftlichen Welt zur niedererm, „bloss subjektiven" Objektität der Lebenswelt noch vor der eigentlichen genetischen Problematik eine im exakten Sinr fundamentale Rollc. Dieser Rückgang zur Subjektivität als Rrickgang zu riner subjektiven Wclt ist für Husserl schon in den Zwanziger Jahren, besonders deutlich dann aber in der Krisis (DEIWeg ia die fihänomenologische TranszendentalPhilosophie 2ia der Riickfrage von der vorgegebenen Lebenswelt aus) einer der Hauptzugänge in die phänomenologische Trmszendcntalphiloiophie. Nxtorps Idee des Rückganges zu den ticfcrcn Objclitivirruiigsotii~f.ii wird für Wusserl zu einem Ausgangspunkt sciner transzendcntalen Phänomenologie. Scldiesslich sei auch noch besonders die Verwandtschaft zwisclicn Husserls spätcn Auffassunt; dcr Subjektivität als eine in einer ,,GeschichteHstufenweise Objektivierungcn vollziehende und damit sich selbst konstituierende mit derjenigen Natorps hervorgehoben. Der Natorpschc Terminus der Objektivierung kommt bei Husserl als Titel fiir die ursprüngliche (sowohl in doxisclieri d s auch in niclitdoxischen Akten vcrlaufciidc) Konstitution von Gegenständen des öitern vor.1 Ebenso gebraucht Husserl den Begriff der Konstruktion, aber meistens nicht wie Natorp als Begriff der Objektivierung überhaupt, sondern für die objektiv-wissenschaftliche Tatsachen- und Wcsenserkenntnis.2 Ubrigens erinnerte schon Huscerls Begriff des objektiven 2.B. Idee% I , C. zgolgr; Ideen XI, S. 16 s. 2.B. Ideen J , S. 127;Ms. transcr. E 111 2 , S. 39ff (St.Märgen 1921);ErstePh. 11, C, 186lr87; Ms. transcr. B 111 3 I, C. 516 (wohl 1931); ICr&-s, S. 259. 1 s. 2
(transzendenten) Gegenstandes in den Ideen als eines im Noema intentional enthaltenen X an Natorp, bzw. an den Kantianismus im allgemeinen. Es scheint uns, dass wesentliche Ursprünge von Husserls philosophischer Entwicklung seit den Jahren vor 1920, die durch die Konzeption einer genetischen Phänomenologie oder genetischen Monadcciilclirc bcstiiiuiit ist, i i i I liisscrls St.iitliii~iivoll N;Ltorps Aufsatz Philoso$lzie und Psychologie und des Werkes Allgemeine PsychoZogie desselben Autors während der Monate August und September 1918 gesucht werden müssen. Hier hat Husserl wohl die bedeutendsten Motive erhalten, die bei der Umgestaltung seiner Phänomenologie nach dem Weltkrieg wirksam waren. Trotzdem möchten wir Husserls Wendung zur genetischen Phänomenologie n i c h t auss C hli esslich auf den Einfluss Natorps zurückführen. Schon vor 1918 liegt in Husserls Phänomenologie eine Tendenz zu eincr gcnetischcn Auffassung, und weiter könnte auch die l3eschäftigung mit Kant und Ficl~tcim Jalirc 19x7 wie die Fichte-Vorlesungen nahelegen 1 - Husserl einige Impulse für diese Wendung vermittelt haben. Natorps Einfluss ist aber zweifellos der wichtigste und auch wichtiger als derjenige Kants. Erst nachdem Husscrl schon auf Grund der Lektüre der genannten Natorpschc~iSclitiftcii dic lcl& ciiicr gciit:tiscli(:ii I'liiiiiomcnologie gefasst hatte, identifizierte er Kants „Synthesis" ais ,,vcrborgcnc Handlung des Vcrstandcs" mit scincr 'ldcc dcr genetischen Konstitution. Andererseits empfand Husserl hier Kant ihm in gcwisscr I-iiiisiclit doch wictlnr iiälicir stcliciitl als Natorp, da jener für ihn in seiner Idee der Synthesis als VerstandeshandIung die noetische Seite der Konstitution, die Natorp als inexistent betrachtete, zur Geltung kommen liess.2 Husserl ist sich der Bedeutung, die Natorps Psychologie für ihn hatte, wenn auch niclit in dcii ciiizcliicn I'iinktcn, bcwiisst gcWesen. Wir haben schon den Brief an E. Cassirer aus dem Jahre 1925 zitiert, in dem Husserl erklärt, dass er nun in den allerletzten Jahren von Kant und den Neukantianern reiche Belehrungen empfangen könnc.3 Am I. Fcbruar 1922 schrieb cr an Natorp: ,,. . . Denn von Ihnen, ich wage zu sagen, von Ihrem 1
'
s. Ms. transcr. F I 22 (1917). 9 32.
S.U.
'S.O.
S. 39.
Innerster, Eigensten. Besten zu lernen, ist +ir gegeben. Ihre begrifflich~Art der Gedankenformung, Ihre Art, sich logisch-theo~ ist mir fremd. Aber während andere von retisch z i objektiviercn, Ihnen nur das relativ Äussere erfassten, hörte ich allzeit und cchoni eh ich Sie gesehen, Sie selbst. Eine Persönlichkeit, eine urcprüngli&? schauende mit ihren innersten Motivationen war hinter dem abstrakt Geformten lebendig, und kraft dieser Einfühlung sah ich s.2.s. mit Ihrem inneren Auge - und zugleich als anderer mit eigenen und dachte mit eigenen Gedanken, in denen i c h nun beiderseitig Gesehenes und beiderseitige Motivationen einigten. YiatürLich wusste ich nie zu sagen, was ich da lernte, was von Ihn= her gewirkt war. Kurzum, Sie wirkten in einigen Ihrer Cchriften auf mich so, wie die grossen originalen Denker (aber auch nur die) ; nur sie konnte ich nicht lesen, ohne mich ganz prsönlich-innerlich mit Ihnen zu berühren - durch die Theorien hindurch, die ich kaum kritisierte." ICjirik an Natorps Begriff der Subjektivität Yach Katorp hat die Psychologie sich mit dem Bewusstseinsitihal t d e r den Erscheinungen, sofern sie auf das Bewusstsein kzogen gedacht werden, zu befassen; es sind dies dieselben Erscheinungen, von denen auch die objektive Erkenntnis (die Objektivierung) ausgeht, nur dass sie jcne nicht auf das Bewusstsein, sondern auf den Gegenstand (auf das Objekt und nicht auf das Subjekt) bezieht. Natorp verneint die Existenz von verschiedenen ,,E:lebnissen" oder Akten des Auffassens des Inhaltes, die von dieseAnInhalt zu unterscheiden und einer besonderen psycilologisken Untersuchung zu unterziehen wären. Er erklgrt als Iicispicl, dass das Mlircn eincs 'i'oiies dasselbc ~ c wie i der Ton; der Unterschied liege allein in der Betrachtungsrich t ung : Das criic Mx i ~ i i itlcr siil~jeklivciiUelrirclitung) wcrtlc clic I3rsclieinuiig al~fdas 13et~sstsein,das andere Mal (in der objektiven Betrachtung) auf den Gegenstand bezogen. Der Bezug auf das Bewusstsein oder, was dasselbe ist, der Bezug auf das Ich ist nach Natorp bzi allen 3ewusstseinsinhalten derselbe: Es gibt nicht verschiedune Bewusstseinsarten; alle psychologisch fassbaren Unterschiede liegen im Inhalt. Die Bewusstheit (der Bezug auf das Ich) ict daher gar nicht Problem der Psychologie, sondern notwendig 33.
1
Kopie d s Briefes im Husserl-Archiv.
vorauszusetzender Prob1emgrund.l Ihren Ausdruck findet die Bewusstheit in der Verbindung (genauer, im Verbundensein) der Bewusstseinsinhalte. Alles Bewusstsein beruht auf Verbindung; sie ist die Grundgestalt, die eigentliche Existenzweise der Bewusstseinsinhalte; das Bewusstsein besteht in Verbindung, alles Isolierte ist Abstraktion. Darum hat die Psychologie die Aufgabe, die ursprüngliche Verbindung (Einheit) des Bewusstseinszu rekonstruieren.2 In dieser Auffassung Natorps sah Husserl die fundamentalen Scheidungen, die die Struktur der Subjektivität einerseits und der Phänomenologie andererseits bestimmen, verkannt. Er wirft ihm vor, die drei verschiedenen Bedeutungen von ,,Erscheinungw und den Gehalt und die Verschiedenheit der entsprechenden drei Bereiche der subjektiven Forschung nicht erfasst zu haben : nämlich „Erscheinungw als konkretes Erlebnis , zweitens, „Erscheinung" als erscheinender Gegenstand als solcher (gegenständlicher Sinn oder intentionaler Gegenstand als solcher) und drittens, ,,Erscheinung" als reeller Bestandteil der „ErscheinungH im ersten Sinne: die E m p f i n d u n g . So schreibt er etwa zu AusführungenNatorpsin Allgemeine Psychologie: ,,Natorpsieht nicht, d a s Erscheinung von als Erlebnis etwas anderes ist als Erscheinungssinn." Auch die Verschiedenheit von intentional Gegenständlichem und Empfindung, z.B. von Gegcnstandsfarbe und Empfindungsfarbe betont Husserl in solchen Randbemerkungen zu Natorps Werken.4 Vor dlem wandte sich Htisserl gegen Natorps Ablehnung einer besonderen, die Erlebnisse, oder genauer, die N o e s en (intentianalen Akte) erfassende Rewiisstsrinsforscl~t~ngbzw. gcgcii Natorps Negation der Existenz von mannigfaltigen, vom Bewusstseinc„inhdt" zii iintnrsrhcidrndrii Aitffnssiiiigs;~kt(~~~, odt~ positiv ausgedrückt, gegen Natorps These (die übrigens schon H. Cohen vertrat), dass die Bewusstheit immer dieselbe ist, und dass das Bewusstsein nur durch die „Gegenständen differenziert wird. Ber~jtsin den Logischen Untersuchungenführt Husserl aus-
.
' I%kilung. .. 6:. -i.&D.
6 6 I-s.
V
"
§ 5 ; Phdosophische Propädeutik, § 3 ; Allgemeine.
.4
* Einleitung. .. .
5 5,
6 ; Allgemeine.
. ., 3. Kap. 5 5 7-1I .
. ., z .
Kap. 5 $
J,
* Husscrls Exemplarvou AUgemeine.. .,S. 106; vgl. Ms.orig. K 114, S. xogb (15.116.
Okt. zaooL -. 4
Hiisserls Exernplar von Allgemeine..
., S. 114.
Xif3
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
drücklich gegen Natorp aus: „Nichts kann ich evidenter finden als den . . . Unterschied zwischen Inhalten und Akten, spezieller zwischen Wahrnehmungsinhalten irn Sinne von präsentierenden Empfindungen und Wahrnehmungsakten im Sinne der auffassenden Intention . . .." 1Auch in späterer Zeit richtete er sich gegen jene These, so etwa in Erste Philosofihie 1g23/24, ohne allerdings Natorp zu nennen: „Vor d e m wird man . . . aufmerksam auf die Mannigfaltigkeiten möglicher Reflexionsrichtungen, mit denen auch erst klar hervortritt, das Bewussthaben von etwas, z.B. Wahrnehmen eines Wahrgenommenen, Erwarten eines Erwarteten, Urteilen eines Geurteilten und d ~ l . nicht , ein Leeres oder deskriptiv Armseliges ist gegenüber dem darin Bewussten rind allenfalls nur qualitative Unterschiede hat; als ob z.B. Wahrnehmen und Erinnern sich nur durch eine unsagbare ,Qualität der Rcwiissthcit' untrrschicdcn." 2 Es ist hier daran zu erinnern, dass Husserl ursprünglich seine Phänomenologie im wesentlichen durch das Noetische bestimmte : In den Logischen Untersuchunge ist der Gegenstand der Phänomenologie reduziert auf den reellen GehaIt der Erlebnisse, zu dem allerdings ncbcn den Noesen (in der Sprache der Logischen Ilnlersuchungen: der auffassende Akt) auch die Empfindungen („primären Inhalte") gehören. Diese spiclen aber gegenüber jenen in der phiinomcnologischenForschung eine entergeordnete roll^.^ Nicht reeller Bestandteil des Erlebnisses, Sondern vielmehr irred e r ist der intentionale Gegenstand als solcher oder dasjenige, was Husserl in den Ideen Noema nennt; de i w e war dieses also in den Logischen Untersuchungen von der FWnomenologie ausgeschlossen. Vom Gesichtspunkt dieser Phänornenologic bedeutet daher die angeführte These Natorps die NegiLtion der Möglichkeit der Phänomenologie im Sinne der Negation der Existenz ihres Gegenstandes. Wenn Husserl nun schon spätestens in den Fünf Vorlesungen von 1907 (wohl aber bereits einige Jahre früher) und besonders deutlich dann in den Idee% und in der zweiten Auflage der Logischen Untersuchungen (1913) 4 auch das Noema oder den „inexistenten Gegenstand 5 in die Phänomenologie einLog. Unters. 11, I . Aufl. C. 362; 2. Aufl. C. 383. *Erste P I . I , S. 1 x 0 ; vgl. Fünf Vwlesungefi, C. 11/12. a s. Ideen I , C. 215, wo Husserl betont, dass die Hyletik nach ihrer Bedeutung für die Phänomenologie weit unter der Noetik stehe. Log. Unlem. 11, 2. Aufl. S. 397 Anm. 5 ,,inexistent" im Sinne von existere i n (cogitiltione). 1
HUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M NEUKANTIANISMUS
359
bezieht und erklärt, dass die noetische Forschung nur in Korrelation mit der nocmatischcn möglich sei, so bedeutet dies eine wesentliche Annäherung der Position Husscrls an ciicjciiigc Natorps. Denn Natorps Argument für die Nichtexistenz besonderer Aktgehalte besteht gerade in der Feststellung, dass Akte wie Wahrnehmen, Erinnern, Erkennen nicht bestimmt werden können ohne Bestimmung des wahrgenommenen,bzw. erinnerten oder erkannten Gegenstandes als solchen. Insofern ist Hucserl Natorp vollständig gefolgt; nicht mit vollzogen hat er aber Natorps ScNuss, den dieser aus jcncr Feststellung zog, nämlich, dass das Bewusstsein nur durcli die „Gcgenständc" (die ~ewiisstscinsinhalte) differenziert werde, sondern Husserl stellt Natorp die These von der Korrelation und Parallelität von Noema und Noesis gegenüber. Gehen wir auf dicsc? 'Ihcsc Hiisssrls etwas gciiniicr cin iiiitl bringen wir sie in Zusarnnienliang mit dcr von ihm faktisch geübten phänomenologischen Analyse, um die genannte Divergenz mit Natorp genauer zu bestimmen. Es wird sich dabei zeigen, dass die von Husserl geübte phänomenologische Analyse im wesentlichen der Position Natorps entspricht. Dies schlicsst aber nicht aus, dass er im Gegensatz zu Natorp immer den Ak tcharakter des Bewusstseins - allerdings nur auf einer gewissen Konstitutionsstufel - betont. Dieser Aktcharakter wird sich aber nicht d s ein intuitives, sondern als ein k o n s t r u k t i v e s Element crweisen. Zuerst wollen wir unser Augenmerk darauf richten, dass nach Husserls eigener, immer wicderholtcr ErMäriing die nocmatische Analyse gegenüber der noetisclien das P r i m a t besitzt, da sie dieser gegenüber die „LeitfadenfunktionJ' einzunehmen hat. Die Bewusstseinsphänomenologic ist primär vom intentionalen Gegenstand aus oricntiert.2 Notwendigerweise nimmt also nach Husserl die phänomenologische Analyse ihren Ausgang bei der noematischen Reflexion, d.h. bei der Reflexion auf den Gegenstand im Wie seiner Gcgebcnhcitswcisc und sciner Vcrmciiithcit mit seinen implizierten Sinneshorizonten. Dass z.B. das Ding sich 1 Vgl. o. S. 274; für die Konstitntionsproblematik des immanenten Zeitbewusstseins lehnt Humrl in Übereinstimmung mit Natorp den Aktbegriff ab. „Nicht jedr Konslitution hat das Schema Auffassungsinhalt-Auffassung." (Zeitbewusstsein, S. 371 Anm. I).
361
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
B U S S E R L S V E R K Ä L T N I S ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
kontinuierlich abschattet, dass es vom Welthorizont umfangen ist USW., uni nur zweigeläufigcBeispielczu nennen, wird in der n o e mat i s C h en Reflexion erfasst. Die Frage stellt sich : Was bleibt denn fürdie noe tische Reflexion an subjektiven Gehalten noch übrig ? Bemerken wir vorerst, dass vieles, was Husserl einst als noet i s c h e Analyse aufgefasst hatte, er später als noematische Analyse anerkennen musste. So schreibt er in den Ideen I im Hinblick auf die Logischen Unterswhungen: ,,In grossem Masse ist das, was man für Aktanalyse, für noetische, gehalten hat, durchaus in der Blickrichtung auf das ,Vermeinte als solches' gewonnen, und so waren es noematische Strukturen, die man dabei beschrieb." 1 ,4kr bleiben denn nicht trotzdem mannigfache noetische Strukt u r a übrig, die durch die Ausdrücke Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung usw. im Sinne von nomina a c t i o n i s bezeichnet werwas sind das für Strukturen? Wahrnehmung usw. im d e ~ Doch ? Sinne des nomen actionis, d.h. als Noesis ist nur bestimmt durch die Wahrnehmung im Sinne des nomen rei actae, d.h. durch das Noema. Das gibt Husserl ohne weiteres zu;2 es ist ja auch der Grund. warum die noetische Reflexion nicht ohne die noematische sein kann (wohl aber die noematische ohne die noetische!). Was ist dann in der Bestimmung z.B. der Wahrnehmung noch spezifisch noetisch? Es bleibt die noetische I n t e n t i o n a l i t ä t . Von ihr sagt Husserl in der Krisis: ,,Deren eigenes Sein ist nichts anCeres als Sinnbildung mit Sinnbildiirig zusammen fungierend, 1 ) . , ~G c l d t l ' der in dcr Syriilicsic nciicti Siiin ,koiistiliii~r~tid'."~ noetischen Intentionalität besteht im ,,Hervorrufen" von Sinnen (Noemen!) und in der Synthesis (Verbindung) dieser Sinne zu neuen Sinneinheiten .Wir haben im letzten Satz den Ausdruck ,,GAaltW bewusst in Anführungszcichcn gesctzt ; denn ganz offensichtlich handelt es sich bei diesem „Hervorrufen" und diejem ,,Verbinden" um gar keine intuitiv fassbaren Inhalte: Das ,,Hervorrufen eines Sinnes" ist nicht anders zu erfassen als am ,,H?rwortretenJ' eines Sinnes, und die Synthesis ist objektiv nicht anders zu ermitteln als in der Betrachtung des „Synthema" als der Verbindung (nomen rei actae) der noematischen Sinne. ,,Noetische I~tentionalität", „noetische Konstitution", „noetische Synthesis" sind unseres Erachtens k o n s t r u i e r t e („erschlos-
sene") Begriffe. die dadurch ziistandc kommen, dass dnr Fliiss der noematischen Sinne auf Grund des vorreflexivei~und vorobjektiven Inneseins des aktuellen Lebens auf das Ich bezogen gedacht wird. Das sagen wir, aber das sagt nicht Husserl. Wir fragen uns aber, ob Husserl nicht am Ende seines Lebens dieser Tatsaclic sich doch bewusst geworden ist. Seine Auffassung von der l->arallelitätder noematischen und noetischen Analyse in der Phänomenologie hat Husserl unseres Wissens zwar nie ausdrücklich widerrufen. Aber in der Krisis umreisst er das Forschungsfeld der Pliänomenologic: auf eine Weise, die das Fallenlassen einer besonderen noetischen Analyse bedeutet.1 Wir meinen den $50 dieses Werkes: Ersfe Ordnmg aller Arbeitsprobleme unter den Titeln: Ego - cogito - cogihztum. Wir erwarten, dass Husserl hier wie üblich unter ,,cogitoW die Noesis, unter ,,cogitatzm" das Noema versteht. Dein ist aber nicht so: Das ,,cogilatum" bezeichnet hier den Gegeristandcpol, d.h. das identische X, das sich in mannigfachen Erccheinungsweisen zeigt; diese subjektiven Erscheinungen in ihrer synthetischen Verbundenheit sind mit dem Titel cogito gemeint, und das Ego schliesslich ist der Tchpol als der identische Vollzieher aller Geltungen. Wo sind die ,,Arbeitsprobleme" der Noesis? Sie sind verschwunden! Bemerken wir, dass die in diesem Paragraphen der Krisis vollzogene Scheidung genau der Natorpschen Scheidung: Ichpl-Bewusstseirrsinhalt-Gegenstands1,ol entspricht. D a s IlusscrI sciiic L'Iiä~ioiiiciiologi~: wiilirciitl sciliicsl~~lic:iis iiiiiiitir deutlicher als noematische auffasste, dürfte in einem entscheidenden Masse auf den Einfiuss Natorps zurückgeführt werden ; andererseits wurde HusserI dazu wohl auch durch die Cartesianische Zweifelsbetrachtung, die neben dem cogito auch die cogitata stehen lässt, motiviert.
360
Der Umfang des phänomenologischen Forschungsfeldes der Ideen unterscheidet sich von demjenigen der Logischen Untersicchmgen nicht nur durch die Einbeziehung des ,,GegenstandspoE b e ~ s obereits in] E~tcycZopediaBrita~nica-Artikel(s. Ha IX, S. 238139,244, 280). Auf S . 283 dieses Artikels unterscheidet Husserl zwar zwischen „,noetischer' und .utnmatischer' Richtung der phänomenologischen Beschreibungen". Unter „Noesis" werden hier aber nicht mehr A k t e , sondern die mannigfaltigen E r s c h e i n u n g e n der gegenständlichen Einheiten, also eigentlich Noemen verstanden, während als ..Noemaw die gegenständliche mannigfaltig erscheinende E i n h e i t als solche, also eigencIich das Ontologische bezeichnet wird.
362
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
les" (durch das Noema), sondern auch durch die Einbeziehung des
entgegengesetzten Poles,derwiedasNoemakeinenreellcn Bestandteil des Erlebnisses bildet, nämlich des reinen Ich. Auch in diesem Punkte verdankt Husserl wohl Natorp wesentliche Anregungen. In den Logischen Untersuchungen schreibt er, dass er das reine Ich Natorps, das dieser als Beziehungszentrum aller Bewusstjeinsinhalte auffasst, nicht zu finden vermöge; in der zweiten Auflage desselben Werkes (1913)korrigiert er sich aber ausdrücklich, indem er dieses reine Ich als im Vollzug der Evidenz des cogito adäquat erfassbar erklärt.1 Diese Annäherung Husserls an Natorp geschieht allerdings auch wiederum auf einem Hintergrund fudamentaler Divergenzen. Nach Natorp ist dieses Ich nicht intuitiv erfassbar, überhanpt nicht objektivierbar, sondern blocs notwendig vorauszusetzender Beziehungspunkt der Bewusstieinsinhalte (dasjenige, cem die Bewusstseinsinhalte bewusst sind), d.h. das subjektive Zentrum der für alle Bewusstseinsinhalte völlig gleichartigen Bewusstheit, das selbst aber nicht wiederum Bewusstseinsinhalt sein kann. Husserl dagegen betrachtet nicht nur das reine Ich als ein intuitiv erfassbares. sondern nach ihm lebt dieses Ich a ~ c in h sehr verschiedenen Weisen X in den jeweiligen Erlebni~arte~ und Erlebnismodis und gibt SO zu einer Mannigfaltigkeit wichtiger Beschreibungen Anlass. Er unterscheidet an den Erlebnissen das rein Subjektive oder die subjektiv orientierte Seite, die die Wcisen betrifft, wie das Ich, in den Erlebnissen lebt, und eine ich-abgewandte, zur Konstitution des intentionalen Gegcnstandm hin orientierte Seite. Entsprechend ergibt sich ihm eine Zweiteilung der phänomenologischen Untersuchungen, wobei er hervorhebt, dass die objektive Seite untersucht werdcn kann „oIinc dass man sich mit dem reinen Ich und seinen Weisen der Beteiligung dabei irgend tiefergrhenrl brschäftigt". 2 Hiisscrls phänomenologische Untcrsuchu~igcnsind zuin grösstcn Tcil objcktiv oricnticrt, d.ll. sic befasser_ sich mit der Konstitution des intentionalen Gegenstandes. Ein wesentlicher Unterschied in der Auffassung der reinen Ich liegt zwischen Husserl und Natorp auch darin, dass für Husserl
dasjnden Noesen lebende Ich ein einzelnes ist, das in einer intersubjektiven Gemeinschaft steht, während Natorp das reine Iclri als das „Ich überhaupt", als die nicht objektivierbare und damit eigentlich auch nicht zu erfassende subjektive Entsprechung der objektiven gegenständlichen Einheit betrachtet. Diesen letzten Unterschied hat Husserl nie ausdrücklich hervorgehoben; den „Ichpol" seiner Phänomenologie identifiziert er mit dem Ich Natorps. Umson~dirbctonte er aber dicscm gcgenüber die intuitive Erfassbarkeit des reinen Ich und unterwarf Natorps These von der uniformen, überhaupt nicht zu fassenden Beziehung des Ich zu den Bewusstseinsinhalten einer scharfen Kritik. Zu den Ausführungen Natorps, dass das Ich, von dem wir sprechen und das wir somit objektiv erfassen, nicht das ursprüngliche, sondern nur ein abgeleitetes, spiegelbildliches, fiktives Ich sei, bemerkt Husserl: „Das ist eine reine Ichskepsis und mit dem skeptischen Widersinn behaftet." 1 „Nehmen wir einen Kasten im Bild: hatte ich ihn oder dergleichen nie gesehcn, so gäbe es für mich kein BiId."2 Gegcn dic Thcsc, dass das iirspriinglichc Ich nicht gegeben werden könne, sondern nur und zwar notwendig als letzter Seinsgrund und Problemgnind der Psychologie supponiert werden müsse, führt er aus: „Das Ich in seiner Ursprünglichkeit : wie alles, was ist, nur für ein Ich ist inmannigfaltigcn Modis der so ist auch (1;~s Idi Gegebenheitswcisen (1Srscliciiiiitigswcise1~). für sich selbst und für irgendcin ldi nur in Modis. Und cincr dieser Modi ist das Ich in seiner Urspninglichkeit . . . 3 „Ich kann nichts als notwendig supponieren, was ich nicht in seiner Möglichkeit sehe." 4 „Aber kann etwas Wcscn habcri und Ccirr, das nicht gegeben werden kann.'' 5 „Von dem wahres Sein, Tatsache, echte Begriffe, Erkenntnis, Urteil e t ~ Begründenden . kann es also keine Wissenschaft geben, es kann selbst nicht sein, nicht begriffen wcrtlcti ctc., iiiid tlir Wissc~iis(:linftv o i r :ill (lwi i i i i i s s l c es voraussctzcn, müsste auf sich selbst bczogcti sein, was widersinnig ist . . .." 6 Tm 3 23 der Ideen I I , der überschrieben ist: „Erfassbarkeit des
."
Randbemerkung Husserls in Allgemeine.. ., S. 3 0 . Randbemerkung Husseris iii ALIgenieine.. ., C. 31. 8 ebenda. Randbemerkung Husseris in Allgemeine. . , S . 39; Husserl unterstreietit 8 Randbemerkung Huscerls in Allgcm&e.. ., S. 3 1 . Randbemerkung Husserls in Allgemeine. . , C. 32. 1
Log. Unters. II, I . Aufl. S. 340 Cf. mit Log. Unters. 11, 2 . Aufl. S. 357 U. 360 Xnin ; zu Husserlq Lehre vorn Ich s.o. f 26. 2 Jdezn I. S. 196. Diese Scheidung vc.n sibjektiver und objektiver Forschungs~ i c i t u n gist nicht zu verwechseln mit der Scheidung zwischen noematischer und nochscher Forschung (s. a.a.0. S. 231, ~ € 1 ) . 1 Vergleide
. .
reinen Ich (des Ich-pol)", setzt sich Husserl eingehend mit Natorp auseinander, ohne ihn aber zu nennen. Er schreibt: Es gehört ,,zum ?Vesen des reinen Ich, sich selbst als das, was es ist und wie es fungiert, erfassen und sich so zum Gegenstand machen zu können. k s reine Ich ist also keineswegs Subjekt, das niemals Objekt w~rdenkann, wofern wir eben den Begriff des Objektes nicht von vornherein beschränken und insbesondere auf ,natürliche' Objekte, auf mundane, ,reale' beschränken, mit Beziehung auf welche der Satz allerdings in einem guten und wertvollen Sinn gelten würde. Denn das ist gewiss sehr bedeutsam, dass das reine Ich allem Realen und überhaupt allem anderen gegenüber, was noch als ,seiend' bezeichnet werden kann, eine völlig isolierte Stellung einnimmt. Wir können nämlich sagen : alles im weitesten Sinn Gegenständlicheist nur denkbar als Korrelat möglichen Bewusstseins, näher: eines möglichen ,ich denke' und somit als beziehbar auf ein reines Ich. Das gilt auch vom reinen Ich selbst. Das reine Ich ist durch das reine Ich, das identisch selbe, gegenständlich setzbar," "ach Husserl kann sich das reine Ich dadurch originär selbst erfassen, dass es fungierend in einem neuen c q ü o auf ein in der Retention gegenwärtiges (anderes) cogito reflektiert und das darin auftretende reine Ich wahrnehmend erfüsst. Er unterscheidet also zwischen dem „ursprünglichen", licht gegenständlichen (nicht reflektierten, sondern reflektierenden) Ich cnd dem objektivierten (nicht aktuell reflektierenden, , d>cr s ~ i l d ~ r n~ f I ~ l ~ t i ~T rA Z ~ i ~ )('r tdclärf hridc auf Grund von hüherer lieflexion als ,,in Wahrlieii ein und dasselbe ieinc Ich". 3adurch wird für Husserl das reine Ich zu einem zeitlichen,d.h. in der immanenten Zeit seienden; denn das reine Ich erfasst sich als identisch mit dem Ich, das in den vergangenen, sei es in der Xexntion zurückgelialtenen oder in der Reproduktion wiedererinnerten iogitttltiones lebte und vom vergangenen Jetzt bis zum aktuellen fliessenden Gegenwartsjetzt als identisches dauerte (wennauch in eincr Dauer ganz anderer Art, als Erlebnisse dauern). So wird das reine Ich fiir Wiisserl ein? Einheit, die selbstbewusstseinsmässig konsituiert ist, nämlich gezeitigt mit seinen Erlebnissen in einem Bewusstsein eines neuen Sinnes: im immanenten ZeitbewusItsein. Dieses Bewusstsein scheint nach den Vorlesungen 1
8
Ideen 11, S 101. C. 102.
a.a.0.
zarr Plcüm?ioEogie dcs inneren Zeithcwusstscins von 1905 und nach den Ideem kein „ichpolarisiertec" mehr zu sein. Der späte Husserl nimmt hier aber doch eine Ichpolarisierung an; allen Anzeichen nach hält er diese aber nicht mehr gegenst$ndlich intuitiv erfassbar, sondern nur für „rekonstmierbar".l Auch a n diesem Punkt - iii rlcr Auff:iss~iigtlcs iirsprüiigliclictcii Icli scheint sich Husserl Natorp genähert zu haben. Gegen Natorps Begriff der „BewusstheitH als der inhaltslosen, notwendig zu supponierenden Beziehung der Bewusstseinsinhalte auf das ebenso zu supponierende Ich bemerkt Ilusserl: „Nein, das Bewusstsein ist nicht Beziehung = Beziehen, sondern wird zu einer Beziehung in der Reflexion und in einem reflektiven Beziehen. Wovon ist aber die Rede? Von der Beziehung, dem sich Beziehen des Ich auf seinen Inhalt. Aber wenn wir dabei auch f absehen vom Unterschied zwischen dem sich Bezielicn ; i ~ den intendierten, gemeinten Gegenstand, der beachteter ist, und dcrn Bewussthaben ohne solche spezifische Meinung, so ist sicher, dass das Ich nicht sich in Relation setzt zum Inhalt." 2 „Das einzelne intentionale Erlebnis ist kein Beziehungserlebnis (Bewusstsein von Beziehung}. Was die Beziehung zwischen Ich und intentionalem Gegenstand (als gegenständliche Beziehung) voraussetzt ist Reflexion auf das Erlebnis und Reflexion niit Identifikation des Ich und dcs Gegenstandcl;." 3 ,, . . . das sicli IJczicBctn dcs Ich auf den Gegenstand (sagt) nicht, dass das i3cwiisstsciii selbst ciiic? I
. ..,
* Randbemerkung Husserls in Aiigcmeinc.. ., S. 26. * Randbemerkung Husserls in Allgemeine.. ., S. 27.
366
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
macht, dass die Weisen des h b e n s des Ich in seinen Erlebnissen,
also die subjektive Szite der Erlebnisse (nicht aber das Ich in sich, das absolut einfxh ist) .zu mannigfaltigen Beschreibungen Anlass geben, trifft er diesen. Er bemerkt zu Ausführungen im Werk AElgemeiw Psy:hoEcgk, wo erklärt wird, dass nur der Bewusstseinsinhaif. (das. was b e ~ u s s ist, t oder die Erscheinungen) beschrieben werden ksniie, tilcht aber das Ich und die Beziehung auf dieses: „ a k a doch auch, wie das Ich sich dabei verhält, affiziert ist etc.". 1 33. Kritik um Nato@ jxychlogischer Methode Aus diesen Cnterschieden :n der Auffassung der Subjektivität heraus bestimmen Husserl u k Natorp in verschiedener Weise die Aufgaben und jesonders d:e Methoden der Phänomenologie bzw. der Psychologie. \17ic wir oben ausf-ihrten, sind nach *atorp der Psychologie n nur Rewusstsrinsinhdte oder ~ r s c h e i n d n ~ egcgcben. Es sind dieselben Erscheinungen, die auch der o b j e k t i V e n Erkenntnis gegeben sind, und die diese iamer schon objektiviert, d.h. auf G~genständekezoger und damit ,,aufgespaltenH und einzeln „festgehalten" (isoliert und abstrahiert) und zum Teil auch fallen gelassen hat. Wie wir wissen, stcllt Natorp der Psychologie die Aufgabe, das „mbjektive Dasein der Erscheinungen vor aiicr Objektivierung", das .,Unrnittelbarc des Bewusstseins", das konkrete ursprüngliche Bewusstseinslebcn in seiner aller abstrahierenden und isolierenden Objektivierung vorausgehenden Kontiniiität und Fülle zu rekonstruieren. Dieses Unmittelbare des Beuusstseins ist aber nicht unmittelbar erfassbar. Alle blosse Reflexion auf das Bewusstsein hat nach Natorp eine isolierende und abstrahierende, kurz, eine objektivierende Wirkung und zerstört die korkrete Ihntinuität des Unmittelbaren. Gesetzeserkenntnis ist v3m unmittelbaren Bewusstsein nicht möglich, da es nach N a t o r ~gerade das Gesetz ist, das die „Objektivitätw (= ,,Naturt') kcnstituiert :ar.dere Gesetze als naturkonstituierende kennt er irn theoretischen Bereiche nicht. Auch die blosse Deskription v m Tatsachen -vermag nach ihm der Subjektivität des Subjektiven nicht gerecht zu werden, da sie schon im Gebrauche allgeminer Begriffe abstrahierend und objektivierend 1 Randbemerkusg H u s d s in illlgrmezne.. ., S. 31.
vorgeht und weiter auch implizit auf Naturgesetze rekurrieren muss (Tatsachene~kenntnissetzt Gesetzeserkenntnis voraus). Die einzige liIögIichkeit, das Subjektive (das Unmittelbare des Bewusstseins) zu erfassen, besteht nach Natorp darin, es vom Objektiven her r e k o n s t r u k t i v zu erschliessen. Rekonstruktion oder Subjektivierung sind für Natorp die Gegenbegriffe zu Konstruktion und Objektivierung. Konstruktion ist jede Auffassung der Erscheinungen als Erscheinungen eines Gegenstandes auf Grund eines Gesetzes. Die Rekonstruktion besteht in der Umkehrung der Konstruktion: Sie erzeugt den ursprünglichsten Erscheinungszusamrnenhang aus den Schöpfungen der objektivierenden Auffassung gedanklich wieder. Es handelt sich um ein indirektes Erschliessen (natürlich nicht um ein formallogischdeduktives}, nicht aber um ein unmittelbares Erfassen.1 Gegen Husserls These von der adäquaten Gegebenheit des reinen Bewusstseins wendet Natorp in seiner Besprechung der Ideen I ein, dass das Gegebene immer schon ein Objektiviertes sei; das ursprüngliche Bewusstsein sei nie gegeben, sondern nur zu erSChIiessen 2. Husserl, dessen Auffassung vom Bewusstsein bzw. von der Phänomenologie ursprünglich von der Idee des in der immanenten Wahrnehmung adäquat und direkt erfassbaren Erlebnisses (intentionalen Aktes) her bestimmt war, konnte Natorps Konzeption der Aufgabe und Methode der Psychologie nicht gutheissen. Er bemerkt in einem Brief an Natorp aus dem Jdm 1908, d a s sich seine „- in keiner Weise psychologistischen Probleme nicht decken mit denen des Marburger Kreises". 3 In cinem Manuskript aus dem Jahre 1909 schreibt er, nachdcrri er Natorps Auffassungder Psychologie als eines rekonstruktiven Rückgangs zum UnmittcIbaren des Bewusstseins durch Rückgängigmachung der Objektivierungen aus der Einleitung in die Psychologie ex~ r p i e r tund zusammengefasst hat: „Das kann ich wirklich 1 Zu Natorps Lehre der Rekonstruktion s. Einleitung.. ., 5 1 3 ; Allgemeine.. ., 5.. 7. U. 8. Kapitel. Zu Natorps Begriff der Rekonstruktion als Schliessen sei folgender Satz aus A U g e k n e . . zitiert: „. aus dem irgendwie (im objektiven Sinne) schori Erkannten allein Iässt sich die Erscheinung als subjektive Grundlage dieser Erkenntnis durch Rückschluss ~edergewinnen"(S. 193). Husscds Ideen.. ., S. 224-246. Vgl. O. S. 109, Anm. 3. Brief an Natorp vom 23. Dez. 1908 (Kopie im Husserl-Archiv). I m Ms. orig. K 11 4, S. 1o3a-rrob (15.116. Okt. 1909) exzerpiert und erörtert Husxrl den 8 13 („Rekonstruktion der Subjektivität als eigentümliche Aufgabe der Rychologie") von Natorps Einleitung.. In dernsclbcn Ms. finden sich auch ausführliche Exzerpte über Psychologie aus andern Schriften Natorps (a.a.0. S. 98a ff.).
.
..
*
'
..
368
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
nicht billigen. Die wahre Aufgabe wird aus den Händen verloren. Die Erscheinungen vor der Objektivierung sind das Problem? Nein, die Erscheinungen d e r Objektivierung, würde ich sagen, sind das Problem, meinethalben auch die Erscheinungen vor, aber jedenfalls und vor allem die in der Objektivierung. Wir objektivieren, heisst doch nicht, wir nehmen die Erscheinungen, nämlich verstanden als die unmittclb~renErlebnisse, sehen auf sie hin und tun dann etwas niit ihnen; sondern ein gewisser Prozess von unmittelbaren Erlebnissen läuft ab, und dieser Prozess heisst je nachdem: Wahrnehmen, Vorstellen, Urteilen, Begründen, Beweisen, Wissenschaft treiben etc., und dabei stehen uns Gcgcnstandc vor tlcm ansclinuerdeo uitd ergreifenden Biick und stehen da als so und so bestimmte und sich immer neu bestimmende, und eventuell stehen uns Bedeutungen, logische Gebilde, derart wie Gesetze, Beweise ztc. vor Augen zugleich in ihrer Beziehung auf die Gegenstände worüber. Und nun ist das Problem, das ,Bewusstsein', das unmittelbare Erlebnis selbst zum Studium zu machen, in dem die GegenstaUdlichkeiten zur vermeintlichen oder wirklichen Gegebenheit, logischen Bestimmtheit etc. kommen. Gewiss, aus gegebenen Erscheinungen (im Kantischen Sinn, aus vorläufigen Objektitktcn) werden Naturgegenstände ,gemacht', das Erscheinende wird eben logisch so und so ,behandelt', es wird auf anderes Ersvheinendes bezogen, es wird methodisch bestimmt nach dem, was es ist. Und es ist eines der Probleme, die Wissenschaft uns stcllt, das zu erklären, cl.h.die Methoden zu beschreiben, denen Herausarbcltung wirklicher und wahrer Objektivität folgen muss. Das wärc Logik und hinsichtlich der Naturobjckte Erfahrungslogil, Aber etwas anderes ist es, die reincn Bewusstseinsgestalten ldie ,Erlebnisse1) reflektiv zu studieren, in denen dieser methodisqhe Prozess verlauft und zwar irn jeweiligen ,individuellenJ Be9sstsein in bestimmten Konkretionen verläuft, und wie aus ihnen heraus die Möglichkeit der Beziehung des ,Bewusstseins' auf Gegenstand zu verstehen ist. ,Aus Gegenständen, wie wenn sie das Gegebene wären', die Erscheinungen zu rekonstruieren, das ist ein unklarer und unfruchtbarer Gedanke." 1 „Mir scheint, dass bei Natorp Vermengungen sich einstellen und alle diese Ausserungen erklären.Wir müssen unterscheiden die Objektivierung, die im Erkenntnis-
' a.a.0. C. ~oqajb(rg./16. Okt. 1909).
Prozess der Wissenschaft und des gcnicincn 1,cbcns sclbst vor1 iegt, und die Objektivierungcn, die wir vollziclicn, wenn wir auf dieseii Erkenntnisprozess selbst reflektieren, um ihn zum Gegenstand unserer Studien zu machen. Diese letzteren Objektivierungen sind es, die wir gleichsam rückgängig machen müssen, um den unverfälschten Gehalt des wirklichen Erkenntniserlebnisws, das wir jeweils studicrcii, Iicr:~tiszmlcstillil:re11.Auf das passt h s t alles, was Natorp sagt. Aber dann vermengt er, wie mir scheint, dies mit der Objektivierung der Erkenntnis selbst und will nun auch diese Objektivierung ungeschehen machen; und nun verfällt er darauf, das Unmittclharr des T3rwiisstsrins ( i i i i t i i l i ~ : l i t1t.s T3rkenntnisbcivusstsciiis, in dciii Objcklität erkaiint wird) aus dcr Art der Objektität selbst zu rekonstruieren, in einer Art Umwendung der transzendentalen Methode." 1 Husserl unterscheidet also zwischen der Objektivierung, die clic transzcndcntc Erkcnntnis ausmacht und die in der Phänomenologie studiert werden soI1, und die Objektivierung, die die n a t ü r l i c h e Reflexion mit den immanenten Erlebnissen vollzieht (indem sie sie in den Naturzusarnmenhang als Teil des leib-seelischen Menschen einordnet) und die von der Phänomennlogi~.rückgängig gemacht werden muss. Streng genommen sind auch für die statische Phänomenologie (von derem Gesichtspunkt aus die obige Kritik Husserh geschrieben ist) die reinen Erlebnisse nichts Gegebenes: Sic sind nichts Vorgcgebcncs, kiiiiticm nl?cr durch die Methode der pliätiornenologisclie~~ lCetluktion und 1Cenexion in ihrer Reinheit zur Gegebenheit gebracht werden. Die Phänomenologie EIusserls will im Gegensatz zur Ysychologie Natorps primär eine rein intuitive Wissenschaft sein ; gegenüber allen objektiven (auf „Transzendenz" gerichteten) Wissenschaften beruft sie sich (wenigstens in den Ideen) auf ,,adäquateu und immanente Anschauung. Irn Gegensatz zu Natorp beanspmcht HusserI für die Phänomenologie ein ihr eigenwesentliches intuitives Erfahrungsfeld. Er wendet gegen Natorp im Hinblick auf die Wissenschaft von der Subjektivität ein: „Das Gebiet einer Wissenschaft muss durch ursprüngliche Erfahrung gegeben sein 1 a.a.0.
C. rogap (15.116. Okt. 1909). Was die in diesem Text enthaltene Kritik
der „Rückgängigmachung" der Objektivierung der natürlichen Erkenntnis anbcI a n ~ t so , ist zu bemerken, dass Husserl erst in seiner genetischen Phänomenologie d i r ldee einen eigentlichen Wert wird abgewinnen können.
370
HUSSERLS VERHÄLTNIS
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
. . .."I (also auch das Gebiet rlcr reinen sttbjektiven Wissenschaft). Dadurch, dass das reine Bcwusstseii: in dcr tr,uiszeiidentalen Erfahning zum Objekt gcmacht wird, wird es nach Husserl nicht „naturalisiert"; er wirft Natorp vor. fälschlichenveise Objektivität mit ,,transzendentern Objektivität (Natur) zu identifizieren.2 Ebensowenig bedeutet fiir ihn an sich die begriffliche und gesetzii&sigc M;issulig dcr Subjclrtivitiil cinc solclic „Naturalisicrung" ; gegenüber Natorp betont er die Möglichkeit einer eigenen W esensgesetzlichen (eidetischen) Bestimmung des Subjektiven, die mit naturgesetzlicher Bestimmung nichts zu tun hat.% Wir haben in unseren Untersuchungcn sclion gelegentlich darauf hingewiesen, dass die Rolle und Grenze der Intuition in der Phänomenologie Husserls keineswegs eine klar bestimmte ist. Im letzten Paragraphen ist uns u.a. der konstruktive Charakter' von Husscrls Noctik (iiri strciigcn Siiiiic) offciibar gcwordcn; dies bedeutet, dass schon die s t a t i s C h e Phänomenologie ein konstruktives Element aufweist. Dieses bestimmten konstruktiven Elementes scheint sich Husserl allurdings erst sehr spät oder überhaupt nie bewusst geworden zu sein. Anders steht es nun hinsichtlich der g en e t i s C hen Phknomenologie. Diese Pliänomenologie nennt Husserl. auch „erklarende" ini Gegensatz zum deskriptiven Charakter der statischen.' .,Erklärende" Wissenschaft geht nach Husscrl wcsensmässig über den Bereich des Anschaulichen hinaus.4 In diesem Sinne gesteht er also ausdrücklich der genetischen Miänomenologie ein nicht-intuitiv konstruktives Moment zu. Worin dieses konstmktivc Elcment hier genau bcsteht und wieweit es reicht, darüber spricht er sich aber nicht deutlich aus. Wesensmässig ist unseres Erachtens schon der aUgenieine Grundcharakter der genetischen Phäcomenologie, nämlich die Aifwickelung der Sinnesgertesis eines Gegenstandes, die stufenweise den Verweisen der Sinne auf ursprünglichere Sinne folgt, konstruktiv. Die genetisch ursprünglichsten Sinne sind nicht unmittelbar (intuitiv) zu erfassen. Ganz offensichtlich ist dies bei den sog. „primordialen" Simen, d.h. bei den Sinnen, die
...
Randbemerkung Husserls in Allgemeine. C. 92. s, Ms. orig. F IV 3, S. 58a (ungefähr 1gr51 U. Randbemerkung Husserl in AUgemeine. . , S. 8. 3 s, Randbemerkung Husserls in Allgemeine.. ., S. 104. * s. Iir>sis,C. 226127. 1
.
1
!
I
ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
371
noch keinen intcrsiibjcktivc\ri Clr:tr:lktcr I>csitscii; cloiiri ciric? primordialc Welt ist fiir den Pliänorncriologcii nic ctwas unmittcibar Gegebenes.' Der späte Husserl anerkennt, dass die Empfindungdaten keine unmittelbare Gegebenheiten sind.2 Völlig bewusst ist er sich über den konstruktiven Charakter der Erforschung dcr ,,grn~rztivwI r s ~ l ~ ~ i itlw ~ ~ lCk;o, ~ : ~ ~(1.11. " ( h s i I1iol>it~nlatik der Urkoristi1ution.s Es ist bedeutsam, dass Husserl in solchen urkonstitutiven Zusammenhängen auch den Natarpschen Terminus der R e k o n s t r u k t i o n vrrwcnclrt: Ein Tcxt a i ~drni Jnlirc, 1021 erklärt, dass CS in dcr siibjcklivcii lirkciiiitriis „zur Gegcbeiiiieit der Erfassung, zu der originalen Erkenntnisgegebenheit durch R e k o n s t r u k t i o n der in der Seele, in ihremlebendigen WerdensProzess in der Weise der Urstiftung von intrntionrilcn Elrilicitrn vollzogenen Iirkotirtri~ktioricii"ko~iiiiic..i111ciiiciii 'i.cxt :~iisclcni Jahre 1931, der die ursprünglichste Konstitution von Vonveltlichem und Vorseiendem in der „ersten Kindheit" des Ego zu enthüllen versucht, schreibt Husserl: „In der phänomenologischen Rekonstruktion findet unter dem Titel einer Enthiillung der dunklen Hintergründe eine ,ursprüngliclie Zeitigurig', ich meine eine wirkliche als Seinskonstitution von solchem statt, das vorher ,schon war', aber nicht: als seiend konstituiert war und als das nicht zu einer Zeitigung gekommen war". 6 Ein dritter Text, aus dem Jahre 1933, spricht von dcr Tricbintentionnlität dcs iiranfangenden Ego und stellt IIusserls früherer Lehre vom inneren Zeitbewusstsein, in der die irn Zeitbewusstsein aufgewiesene Intentionalität nicht als ichliche charakterisiert wurde, die These gegenüber, dass das Ego schon im Uranfang „ichpolarisiert", ein Ich gerjchtetcr „InstinkteH,die die treibende Kraft der Zeitigung bilden, sei: „Die Rückfrage und Rekonstruktion führt auf die ständige Zentrierung durch den Ichpol jeder Primordialität, der
Der konstruktive Charakter der Proble matik der fiimordialität kommt besonder deutlich in Logik, S. zrz/r3 zum Ausdruck. 8 K h i s , S. 236. vgl. Ms. orig. A V11 17, S. q a / b (Sept. 1931). wo Husserl die generativen Gerbehnisse der Geburt und des Todes als der transzendental-phänomenologischen Erfahrung unzugänglich erklärt. 4 his. transcr. E I11 2, C. 36 (St. Margen 1921). Ms. transcr. B III 3 I, S. 16!17 (1931).
*
'
I
372
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
s t i d i g e r Pol bleibt im ständigen Gang der Objektivation." AI% noch in einein anderen Zusammenhang haben wir bei Husaerl den Natorpschen Begriff der Rekonstruktion angetroffen: Ir ~ n e m;Manuskript;aus der Zeit um 1920 stellt Husserl die Frage, wie die sinnliche Erscheinungswelt beschaffen sein müsse, dzmk aiii ihr die wissenschaftliche Objektivität herauserkennbar sei. Er ssclilir.sst tlic 1~r:igcislrlli~iig i i i i l Iolgciiclcii SS.lzcii, iiaclidciii er d ~ r u hingewiesen f hat, dass schon Platon, Kant und der Neukantianismus dieses Problem kannten: „Wie nennen wir dieses Problem? Die Problemeder t r a n s z e n d e n t a l e n Rekonstrukt ion der notwendigen Konstituentien des phänomenalen Gegenstaildcs und d& iiictliodischcii Vorriussctzuiigcii sciiicr Objcktivkr-jng - auf Grund der Forderung, dass von ihm objektive WissensLlaft möglich sei, dass er Objekt einer Natur als definiter Manligfaltigkeit sein kann." 3 Husserl gebraucht hier den Termin- „transzendentale Rekonstruktion"; für einen Rückgang von #der wissenschaftlichen Objektivität] zur vorwissenschaftlichen Gegenstihdlichkeit, der unter ddr „transzendentalen" F r a g nach den Bedingungen der Möglichkeit der Objektivität steht. Diese Weise des Rückgangs ist bei Husserl allerdings nicht di- ublichc, wenn cs ihm um die Erfassiirig clcr sinnliclien Welt 1 M r transcr. E III g, S. 5 (Schluchsec, Sept. 1933). :Nwht 11.1s irr Iiczrig auf die Urkonstitution, sondern auch hinsichtlich der Problemajk des „latenleiiW Scins: „des tra~~rnloseri Scblafcs, der Gcburts~estaltder Su>j&tivit8t bzw. des problematisclien %Ins vor der Geburt, des Todes und des ,nach ietu Tode' " gebrancht Husserl den 'I'errnious „Rekonstriiktion" in einem T e ~ tmilis d c Dreissiger ~ Jahren, wobei er zugleicb der Fragwürdigkeit dcr damit bez e i r b d e n Aufgabe Ausdruck gibt: „Die3e p z e (latente} Seinssphärc ist eine solche der RGmst~arkfion - nämlich von der patenten zurückgehend auf das Latente, scincr Mcdif5ation nachgehend. Aber es gibt Rekonstruktion von solchem, was Bewusit. seix, .Ras in gewisscr Weise Erfahrung ist, von einer crfahrcnden Subjektivitlt, die doch n:zht aktiv erfahrendc ist in einer W e h , die eine wirkliche Kommunikation und Seinsausweisung ermöglichte, und das prinzipiell. So für das urkindliche Seelenleben. A k r s ist und ist evident rekonstruierbat (in einer nur ,vagen' Bestimmtheit) und ist wirklid mit dem Seinssinn, den die Rekonstrnktion ihm zuweist. E s ist als ein nur so intersubjektiv zugangliches Bewusstsein, Fur-sich-sein. Aber wie weit reicht solche RekoffFtcuk¿ion hinsichtlich Geburt (bzw. ev. vor der Gcburt) und Tod (nach dem T o q . Handelt es sicb um Rekonstruktionen, die der Analoie mit dem sedimentierten Sein fc'gen miissen (dem „Unbewussten" i n unserer Bewusstseinssphäre), und werder?.wir dann nicht zurückgetrieben von den Menschen zu den Tieren, zu den PflanZen, ZL den niedersten Lebewesen, zu der Atomkonstitution der neuen Physik zu einer Totalbetrachtung der wach konstituierten Welt und von ihr aus zu einer transzado~ital-subjektivenBetrachtung, die rekonstruierend zurückgeht auf Subjekt. Wesen -.-mscfiedener Ordnungsntufen mit einem Instinktbewusstsein und instinktiver Kmrianikation, monadoiogischer Kommunikation im Monadenwechsel." (Ms. orig. A f 23. S. z c b ; wohl Dreissiger Jahre). z Ms. orig. A 1 36, S. 163a/b (rgrg od. 1920).
-
als des genetischen Ursprungs der objektiv-wissenschaftlichen Objektivität geht. Doch spielen solche Gedanken in seiner Problematik der Lebenswelt zweifellos auch mit. Aus dem Vorangehenden dürfen wir den Schluss ziehen, dass sich Husserl des konstruktiven Charakters zumindest seiner geriet ischen Ph5nomcnologir wiiig.;tc-ii.; tc4wc+<. ~wwII.;.;~will. und d a s cr iiuclh in i l i c w i i i I'iitikl sciiic l'osition tlerjciiigen Natorps anglich.
2.
ABSCHNITT
HUSSERLS VERHALTNIS Z U H E I N R I C H R I C K E R T
In unserem historischen Oberblick über Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus haben wir darauf hingewiesen, dass sich Husserl mit Heinrich Rickert, mit dem er von 1910 an in einem regelmässigen Briefwechsel stand, besonders seit dem Weltkrieg in einer Art weltanschaulicher Gemeinschaft fühlte. So kann Husserl in Beantwortung eines Briefes von Rickert, der ihm mitteilt, dass er, Husserl, an erster Stelle zu seinem Nachfolger in Freiburg vorgeschlagen wurde, schreiben: „Es bedeutet für mich viel, dass ich in jene Atlunossphare philosophischen Geistes käme, an die der Name Freiburg jeden Freund der Philosophie sofort erinnert; sie ist - ich glaube damit Ihren Vorgängern Riehl und Windelband kein Unrecht zu tun - Ihr eigenstes Werk." Er begründet seine Wertschätzung der durch Rickert geschaffenen philosophischen Athmossphäre damit, d a s auch seine eigcne Philosophie Erziehung zum idealistischen Geisile sei.1 In einem Brief I aus dem Jahre x921 nennt Husserl das Werk Rickerts System der Phdosophie „eine Quelle der Stärkung, Aufklärung und Belehrung . . . für alle Philosophen, die deri tiefsten Motiven nach die innere Gemeinschaft mit dem deutschen Idealismus teilen". Ober diese gemeinsame idealistische 5Weltanschauunghinaus ging aber Husserls Verwandtschaftsgcfühl mit Rickert kaum. Dessen philosophisches Vorgehen war ihm zu fremd, als dass es sein Denken wesentlich zu befruchten vermocht hatte. Gegen Rickerts Weise des Philosophierenshatte er eine tiefe Abneigung; sie war ihm der Inbegriff eines un7n*isserschaftlichen, vom Systemtrieb beherrschten ins Leere hinein konstruierenden Vorgehen~.,,So verglich er", schreibt Herbe3 Spiegelberg von Husserl, „die Rickertschen Schriften mit einer hohen Säulenhalle, 1 3
Brief an Rickert v o m 26. Dez. 1915(Kopie i m Husserl-Archiv). Brief an Rickert v o m 11. Februar rgzr (Kopie im Husssrl-Archiv).
deren Klarheit er beim ersten Lesen ästhetisch geniesse, mit dercii Leere er aber bei wiederholter Lektürc nichts anzufangen wisse."' Man kann weiter sagen, dass Husserl in Rickerts Philosophie hauptsächlich eine Entwickiung der schlechten Elemente der Philosophie Kants erblickte. Kant selbst fühlte er sich viel näher als Rickert. Seine Auseinandersetzungen mit diesem bewegen sich denn auch weitgehend in einer ablehnenden Haltung. Soweit sie fassbar sind, beziehen sie sich auf Rickerts allgemeine erkenntnistheoretische Problematik der Begründung der Objektivität der Erkenntnis und auf die spezifisch methodologischen Probleme der positiven Wissenschaften. Mit Rickerts ,,Zustandsforschung", die dieser unter einem gewissen Einfluss von Husserls Phänomenologie entwickelte, und die das Unmittelbare oder Vorgegenständliche im Bewusstsein zu erforschen hat, scheint sich Husserl nicht mehr beschäftigt zu haben.2
1 s. Spiegelbergs Beitrag
in Edmund Hrsserl 1859-1959, S . 59.
zu Rickerts „Zustandsforschung" s. die Logos-Aufsätze Die Methode der Philoropkic und d
Did
Erken&nC der i n l e E l i g i b h Welt und dQs Problem der Metaphysik ( B d . 16, 1927
und Bd. 18, 1929).
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZUM NEUKANTIANISMUS X.
KAPITEL
HUSSERLS K R I T I K AN EICKEKTS E:RKENNTNISTHEORIE
Wir legen der folgenden Darstellung hauptsächlich Husserls Notiwn 1 zu Rickerts umfassendem Aufsatz Zwei Wege der Erkendlzistlzeorie z u p d e , der rgog erschiene2 ist und als Hauptproblem das Verhältnis zwischen der transzendental-psychologischen und der transzenctental-logischen Bestimmung des Gegenstandes der Erkenntnis behandelt. Diese Notizen Husserls, die rgro enfstanden sind und die Form einer alternierenden Folge von stenographierten Exzerpten und kritischen Bemerkungen haben, teilweise aber auch systematisch einen1 a~f~ctaiicliten Problem nachgellen, nehmen zu drei wesentlichen Punkten von Rickerts Erkenntnistheorie Stellung: erstens, zu c s e n Ausgangspunkt; -lZw+tens, zur Auffassung des Erkenntnisproblems als eines bloss formalen und sd~iesslichzur Bestimm-mg des transzendenten Gegenstandes als eines transzendenten Eollens oder Wertes bzw. t zur Bestimmung des Erkennens als eines Stellungnehmens zu 1 Werten. Obschon damit wesentliche Linien der Rkkertschen Erkenntnistheorie berührt sind, bleiben h c h andere wesentliche Aspekte kaum oder gar nicht erörtert. SO schweigt k h ~ ~ efast tl völlig über Rickerts Konfrontation von Transzendentalpsychologie und transzendentaler Logik. Immrhin kommt zum Ausnm&, dass Husserl Rickerts Abgrenzung der Transzendentalvon der empirischen Psychologie als ungenügend betra&tct.2 Wie Husserl Rickerts Transzendentalpsycholog~ebeurteilte, wissen wir aus andern Zusammenhängen. In den Lugischen Ufiterswhungen schreibt er: „Obrigens gehört nicht b1os.s Lange, sondern ein guter Teil der Neukantianer in die Sphäre psychologistischer Erkenntnistheorie, wie wenig sie es auch Wort haben wollen. Transzendentalpsychologieist eben a u c h PsYcho-
logie-" Dieses W e i l über Rickerts TranszendentalPsychologie hat Husset1 in den spätern Auflagen des Werkes nie zurückgen o ~ ~ ~ Andere ~ e n . wichtige Punkte von Rickerts Erkenntnistheofie, so vor a h n der Begriff des erkenntnistheoretischen ~ c h oder des urteilenden Bewusstseins überhaupt und dessen Bezug zum transzendenten Wert einerseits und zur immanenten Wirklichkeit andererseits kommen im Aufsatz selbst nicht zur sprache. Implizit berührt werden diese Punkte teilweise in Husserls Erörtemngen über Rickerts Methodenlehre der positiveil Wissenschaften, die im nächsten Kapitel besprochen werden sollen, § 34. Kr&%
U% Rickerls Vorawssetzungen in. der Stellung des Problems des Gegenstandes der Erkenntnis Nach Rickert hat die Erkenntnistheorie nicht nach der ~ 6 lichkeit der Erkenntnis zu fragen, sondern von vornherein vorauszusetzen, dass es wahre Erkenntnis gibt, und damit auch das-
jenige vorauszusetzen, was das Denken zu mehr als einem blassen psychischen Prozess macht, d.h. dasjcnigc, was clciii I>ciikcii d(:i-i Charakter der wahren Erkenntnis verleiht. Dieses Gültigkeit verleihende Etwas kann nach Rickert nicht selbst wiederum ein, Denken oder etwas Psychischessein, sondern es hat als ein Gegenstand zu gelten, der jenem gegenüber unabhängig oder transzendent ist. Alles iibrige dieses Gegenstandes bleibt aber nach Rickert irn Ausgang der Erkenntnistheorie noch völlig unbcstimmt. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie besteht darin, zu bestimmen, was dieses vorausgesetzte Transzendente ist und wie es immancnt wird, d.h. wie wahre Erkenntnis müglich ist. Husserl unterwirft in den genannten Reflexionen aus derri Jahre xgro diese Rickertsche Bestimmung des Ausgangspunktcs der Erkenntnistheorie einer Kritik. Diese Kritik beruht ab~:r teilweise auf Missverstandnisscn, und CS zeigt sich, dass Hucscri Rickert in manchen Punkten näher steht als er sicli sclbst bcwusst ist. Husserl verlangt von der Erkenntnistheorie, dass sie „mit Rücksicht auf den Skeptizismus" 2 radikal oder voraussetzungslos vorgehe, und will sich darüber Rechenschaft ablegen, inwiefern eine solche voraussetzungslose Erkenntiiistheorie inögIich ist.$ M.a.W., Husserl besinnt sich über den Sinn der Voraus1
1
MS.tranccr. A I
42, S. 1-69
a a.a.0. S. 39 (1910).
(wo).
377
8
Log. URfers., I, I . Aufl. S. 93 Anm. 3. hls. transcr. A I 42, S. 27 (1910). ebeda.
~
-
.
1
379
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
HUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M NEUKANTIANISMUS
setzungslosigkeit, die er von der Erkenntnistheorie fordert. Vorerst geht er auf den Gedanken ein, den er bei Rickert zu finden glaubt, nämlich, dass alle Wissenschaft tiüe Existenz ihres zu erforschenden Gegenstandes voraussetze; so airch die Erkenntnistheorie den ihrigen: eben die Erkenntnis. Rickert wird nun vorgeworfen, dass er aus diesem Argument - dessen Triftigkeit einmal vorausgesetzt - zuviel schliesse und zwar auf Grund der Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ,,Existenz der Erkenntnis". Dieser Ausdruck könne einerseits wirkliche Erkenntnis bedeuten, andererseits aber auch nur mögliche Erkenntnis im Sinne der Existenz der I d e e der Erkenntnis.1 Wenn die Erkenntnistheorie wie jede Wissenschaft ihren Gegenstand voraussetzen müsse, so bedeute dies also nicht, dass sie in i k e n Anfang gleich anzunehmen habe, dass irgendeine wirkliche Erkenntnis als Tatsache realisiert sei, wie dies Rickert glaube, smdem nur, dass es Erkenntnis als ideelle Möglichkeit gebe: „Die Erkenntnistheorie aL Wesenslehre von der Erkenntnis, alsWissenschaft vom Wesen, von der Idee der Erkenntnis setzt nicht wirkliche Erkenntnis voraus, sondern Erkenntnis als -Idee. Und g3hört zur Erkenntnis als Idee die Idee der Beziehung auf einen transzendenten Gegenstand, so setzt sie nicht die Existenz eines solchen Gegenstandes, sondern eben die Idee von seiner Existenz d s Korrelat der Idee des Erkennens voraus. Oder besser noch: wenn sie mit der Setzung der Erkenntnis als Idee beginnt, so setzt sie nur diese voraus. und was sie aus dieser Idee, wie die Idee eine: entsprechenden Gegenständlichkeit, herauszieht, ist schon nicht Voraussetzung, sondern Folge." 2 Im weiteren crörtcrt Husserl die Möglichkeit, noch hinter die Voraussetzung, die sich auf den Gedanken stützt, dass jede Wissenschaft die Existenz ihres Gegenstandes voraussetzt, zurückzugehen. Er weist dabei auf die Möglichkeit einer Wissenschaft hin, die damit beginnt, die Existenz ihres Gegenstandes allererst zu begründen. Also sei es auch d e n k b ~ dass , eine Erkenntniswissenschaft die Aufgabe hat, die Existenz der Idee der Erkenntnis nachzuweisen. Gegen das Argument Rickerts, dass Wissenschaft gar keinen Sinn hätte, wenn ihr nicht die OberZeugung von der Möglichkeit der Erkenntnis als Voraussetzung zugrunde
liegen würde. erwidert Husserl, dass dieser Einwand zwar an sich richtig, aber dennoch nicht wirklich zutreffend sei, da es zwei Bedeutungen von ,,Voraussetzung" zu unterscheiden gelte: die explizite Voraussetzung, die in der Wissenschaft als vorgegebene Prämisse benützt wird, und die implizite Voraussetzung, die dazu dient, sich dessen zu vergewissern, dass Erkenntnis in der Tat eine Möglichkeit ist, d.h. als Idee existiert. Damit, dass jede Wissenschaft und so auch die Erkenntnistheorie implizit voraussetzt, dass Wissen möglich ist, sei noch nicht gesagt, dass sie diese Erkenntnis als Vorgegebenheit hinnehmen dürfe.1 So erklärt Husserl gegen Rickerts These, dass die Erkenntnistheorie nicht nach der Möglichkeit des Erkennens fragen könne, da sie schon mit dem ersten Satz, den sie als wahr hinstellt, implizit seine Wirklichkeit behaupte und damit beweise, dass ihre Frage gar nicht ernst war: „Die Frage, meine ich, ist eine ernste, solange das Implizite wirklich implizit ist, nur wenn es sich in ein Explizites verwandelt hat, kann die Frage nicht mehr eine ernste sein." 2 Husserl kommt mit Kickert darin überein, dass die Erkenntnistheorie gleich von ihrem Anfang an, die Idee der wahren Erkenntnis, der Wahrheit oder, wie Rickert sagt, den absoluten Unterschied zwischen wahren Gedanken und Gedanken überhaupt voraussetzen muss. Diese Idee hat aber nach Husserl an1 Anfang der Erkenntnistheorie nur eine implizite, d . 1 ~noch unbestimmte, unartikulierte zu sein. Dic Erkcnritnistheorie darf also nicht irgendwelche vorgegebenen Auffassungen von der Idee der Wahrheit einfach übernehmen, sondern muss sich selbst diese Bestimmungen in radikaler Besinnung geben. Den Weg, den sie dabei einzuschlagen hat, deutet Husserl in diesen Reflexionen über Fückert nur an: Sie hat sich eine absolut klare Einsicht zu verschaffen.8 Es ist der Cartesianische Gedanke, den Husserl hier aufgreift.In den Fünf Vorlesungen von 1907 erörtert Husscrl dasselbe Problem des Anfangs der Erkenntnistheorie und gibt hier auch, nur etwas ausführlicher, dieselbe Lösung: „In Frage gestellt ist aber, da die Erkenntniskritik die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt, und zwar hinsichtlich ihrer Triftigkeit als
378
3 8 ~
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
Problem setzt, alle Erkenntnis. Fängt sie an, so kann ihr keine Erkenntnis als gegeben gelten . . . Darf aber Erkenntniskritik keine Erkenntnis von vornherein übernehmen, so kann sie selbst damit anfangen, sich Erkenntnis zu geben . . .,die sie unmittelbar aufweist und die von einer Art ist, dass sie, absolut klar und zweifellos, jeden Zweifel an ihrer Mög]lchkeit ausschliesst und schlechthin nichts von dem Rätsel entplt, das den Anlass zu allen skeptischen Verwirrungen gegeben hatte. Und nun wies ich auf die Cartesianische Zweifelsbetrachtung hin und auf die Sphäre absoluter Gegebenheiten, bzw. auf den Kreis ahsoluter Erkenntnis, die unter dem Titel Evidenz der cogitatio erfasst ist."' In den Reflexionen zum erwähnten Aufsatz Rickerts macht nun Husserl diesem den Vorwurf, in der Bestimmung des Ausgangspunktes der Erkenntnistheorie vorgegebene, das heisst für Husserl aus der natürlich-objektiven Einstellung stammende Voraussetzungen als Prämissen zu übernehmen, Voraussetzungen, die also über die berechtigte und notwendige „implizite" Voraussetzung der Idee der Wahrheit hinausgehen. Diese Voraussetzungen liegen nach Husserl in der von Rickert zu Beginn seiner Erkenntnistheorie angesetzten Prämisse: Wahres Denken ist mehr als ein psychischer Prozess, es setzt also einen dem Psychischen gegenüber unabhängigen und transzendenten Gegenstand voraus, der selbst nicht wicderum Psychisches sein kann. Unbesehen vorausgesetzt ist hier nach Husserl ein Zweifaches: erstens, dass Erkenntnis ein psychischer Prozess ist (wenn auch nicht bloss ein psychischer Prozess), dass es also Erkenntnistheorie von vornherein auch mit Psychischem zu tun hat; und zweitens, dass es einen transzendenten Gegenstand gibt. Husserls Kritik der ersten dieser Voraussetzungen, obschon sie näher besehen die weitaus fundamentalere ist, fällt viel kürzer aus als die Kritik dcr zweit.cn 2 und gipfelt im Vorwurf, dass Rickert nicht wjrklich die Erkenntnistheorie von der Psychologie freizuhaiten vermöge.3 Die Kritik von Rickerts Voraussetzung des nicht-psychischen ,,transzendenten Gegenstandes" beruht auf einem Missverständnis des von Rickert hier verwendeten Gegenstandsbegriffs. Hus1
2 3
Fiinf Vwlesurtgen, S. 33. Ms. transcr. A I 42, C. 28, 34 (1910). a.a.0. S. 40 (rgro).
HUSSERI.S V E R H A L T N I S Z U M N E I T K A N T l h N I S M l J S
381
serl versteht hier unter ,,Gegenstands' den seienden Gegenstand, der erkannt und über den gcurteilt wird, wälircnd Rickert darunter vorcrst nur dasjenige verstehen will, was dem Erkennen seine Gültigkeit verleiht. In seinen weiteren Ausführungen des genannten Aufsatzcs wird Rickert diesen „transzendenten Gcgcnstand" gerade als den n ic htseienden Gegenstand bestimmen der seiende Gegenstandist für Rickert immer immanent -, sondern als geltenden Wert oder auch als ein Sollen. Auf Grund dieser Fehlinterpretation sind Husserls kritische Bemerkungen zu dieser Rickertschen Voraussetzung eines „transzendenten Gegenstandes" auch weitgehend belanglos. So entgegnen sie etwa Rickert, dass der transzendente Gegenstand gar nicht etwas Nicht-psychisches sein muss, da doch auch das Psychische erkannt werden, d.h. Gegenstand der Erkenntnis sein könne.192 Husserl versucht auch, die Rickertschen Bestimingen des vorauszusetzenden Gegenstandes als eines nicht-psychischen und eines transzendenten im Sinn zu verstehen, dass das Sein des Gegenstandes nichts besage von seinem Erkanntsein. Die Annahme der reinen Immanenz, die Rickert für den Ausgang der Erkenntnistheorie als unmöglich betrachtet, interpretiert Husserl also als Annahme, dass etwas, um zu sein auch erkannt sein müsse. Auch I-Iusserl lehnt diese Annahme ab, aber er weist es andererseits auch zurück, gleich zu Anfang der Erkenntnistheorie die Unmöglichkeit dicser Annahrne vorauszusetöen.J Im ganzcn gesehen, erblickt Husserl in Rickerts Voraussetzung des transzendenten Gegenstandes bzw.in Rickerts Ablehnung einer reinen Immanenz als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie eine Hiniibernahrne von natürlichen Auffassungen in die Erkenntnicthcorie.4 Er fordert von der Erkenntnistheorie, dass sie rein „immanent" verfahre und sich, nicht nur am Anfang, sondern überhaupt, jeder Anleihe aus der Sphäre der „TranszendenzM enthalte.5 Alles kommt aber darauf an, richtig zu verstehen, was Husserl 1 a.a.0. S. 2 5 , 34, 37 (1910). Nach Rickert wird auch in den nicht über Bewusstseinstatsachen hinausgehenden Urteilen ein transzendenter nicht-psychischer (überhaupt nicht seiender) Gegenstand anerkannt, da auch diese Urteile wahr sein wollen (s. Der Gegenstand der Erkenntnis, 3. Aufiage, S . 359). 1 Ms. transcr. A T 42, C . 37 ff. (1910). 4 a.a.0. C. 27. a Fünf Vorlesmgeu, S . 33.
382
383
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
HUSsERLS VERHÄLTNIC Z U M NEUKANTIANISMUS
hier unter „reiner Immanenz" versteht. In seiner Reflexion zum genannten Aufsatz Rickerts bcmerkt er im Anschluss an dessen Ablehnung eines reinen Immanenzstandpunktes für die Erkenntnistheorie, dass es gelte zwischen verschiedenen Imrnanenzbegriffen zu unterscheiden: erstens, Immanenz im Sinne des Erkanntseins; zweitens, Immanenz im Sinne eines Beschlossenseins im realen psychischen Subjekt (im Menschen) ; und drittens, Immanenz im Sinne des reellen Beschlossenseins im Erlebnis.] Unmittelbar nach dieser Unterscheidung schreibt Husserl: „Aber aIlerdings richtig ist, wenn Rickert weiter sagt: Die Wahrheit, um derentwillen wir das Denken Erkennen nennen, ist keine psychische Tatsache. Nämlich die Eigenschaft des Denkens, die wir Triftigkeit nennen, ist nicht etwas im Denken selbst als ,psychischer' Charakterzug Aufweisbares, bzw. kann nicht in diesem Charakterzug bestehen. Denn wenn ich richtig urteile, ,jede algebraische Gleichung .', liegt nicht ein Moment ,Richtigkeit' in diesem Urteilsakt vor, und wenn ich im Bewusstsein den Satz als Wahrheit ,einsehei, so ist zwar das Bewusstsein des Satzes in dieser Einsicht charakterisiert, aber dieser Charakter der Einsicht kann auch nicht der Wahrheits- oder Triftigkeitscharakter sein: denn der<sc. der Charakter der Einsicht) kommt dem Urtcilsakt zu, der den beweisenden Gedankengang abschliesst, nicht aber dem anderen Urteilsakt, den ich vollzkh~,,wenn ich ohne Bcweh ,dasselbe Urteil' falle, und selbst wenn rgend ein Satz immer psychisch mit ENidenz auftriite, so wäre, es denkbar, dass er es nicht täte. Und jedenfalls, der Satz bleibt wahr, wenn er W ob ich Evidenz habe oder nicht. Die Evidenz ist etwas K mepdes und Gehendes, der Satz ist wehr, und jedes Urteil, ihn; zum Urteilsinhalt hat, ist triftig. So wie ich also einem Urteilen den Charakterzug der Triftigkeit beimesse, transzendiere ich das &-leb& selbst." 2 In Husserls Ideen I steht der Satz: ,,Indessen ins Schrankenlose können wir Transzendenzen ausschalten, transzendentale Reinigung kann nicht A
Der 1-anenzstandpunkt, den Husserl für die Erkenntnist h r i e als einen unmöglichen erkennt, ist die Beschränkung auf die reellen Bestande des Bewusstseins, m.a.W., die Reduktion auf die Erlebnisse (Akte und liyletische Bestände), also die Reduktim im Sinne der Logischen Unterszcchzcngen. Husserl stellt fest, des sich eine Wisscnscliaft der walircii Erkcrintnis nicht auf einc AnaIyse der Erlebnisse beschränken kann, sondern ein diesen Erlebnissen gegenüber Transzendentes in die Untersuchung einbeziehen muss. In diesem fundamentalen Punkt ist Husserl mit Rickert einig. In der Bestimmung dieses Transzcndentcn, dic cr. bei Rickert gleich anfangs vollzogen siclit, will er abcr ilim niclit folgen. Die für die Erkenntnistheorie geforderte Transzendenz bedeutet nach Husserl nicht eine Transzendenz im natürlich-objektiven Sinne, sondern konkret zunächst die Transzendenz, die jedem intentionalen Gegenstand, sei er ,,imnianeiit" oder ,,transzendentH,als intentionaler Einheit gegenüber den mannigfaltigen Bewusstseinserlebnissen eignet. Es ist zu bemerken, dass die von Rickert für den Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie geforderte Transzendenz in ihrer Bestimungslosigkeit und Vieldeutigkeit auch im Sinne der Transzendenz bestimmt werden könnte, die Husserl als Voraussetzung für die Erkenntnistheorie fordert. Weil Husscrl in jene Transzendenz Rickerts, die dieser zu Beginn noch ganz unbestimmt lassen will, schon mancherlei Bestimmungen bineininterpretiert, scheint er sich dieser Uber~instimrnun~ zwischen ihiri und Rickert nicht wirklich bewusst geworden 211 sein. Allerdings bestimmt dann Rickert die Transzendenz im Laufe seiner Untersuchungen auf eine Weise, die mit Husserls Positionen nicht mehr vereinbar ist. Kusserls ubenvindung des Reduktionsgedankens der Logischen Unterscckungen geht kaum auf ciiicn Eiiiiluss Rickcrts ziirück; jedenfalls nicht auf die Lektüre des Aufsatzes Zwei Wege der Erkcmtnistheorie von 1909, da Husserl wohl schon xgo4, spätestens aber 1907 den Standpunkt der reellen Immanenz aufgegeben hat.'
..
i
Bewusstsein, aber keine Möglichkeit für eine Wissenschaft V 0 reinen Bewusstsein übrig bliebe." 1 transcr. A I 42,C. 39;vgl. die Unterscheidungder verschiedenen ~ m m a n m begriffe Husseris 0. S. 212/13. P. a.a.0. S. 39/40(1910). 8 Ideen I,S. 140.
1s.o.
S. 197.
386
SYSTEMATISCHE DARS'TELLUNG
Husserl die Wahrheitsprobleme tatsächlich als Formproblerne anspreclien.1 Dieser zweite Formbegriff Husserls steht nun dem Rickertschen Formbegriff weitaus näher als der formal-logische Formbegriff, als den Husserl fälschlicherweise jenen interpretiert. Denn für Rickert sind auch die materialen Begriffe wie Kausalität, Substantialität usw. Formen. Ob sich Husserl in1 Augenblick, als er in seinen Notizen die Erkenntnisprobleme selbst als Formproblerne bezeichnete, dessen bewusst geworden ist, geht aus dem Text nicht hervor.2 J 36. Kritik an Rickerts Bestimmung des transzendenten Gegenstan.des Das Problem, das sich Rickert hinsichtlich der Form der Erkenntnis stellt, lautet: „Wonach soll die Form des Gedankens sich richten, damit der Gedanke wahr ist und Erkenntnis wird?"3 Rickert sucht nach dem „transzendenten Gegenstand" der Form der Erkenntnis; er fragt sich, wonach sich die Formung eines Inhalts (Hyle) zu einem Erkcnntnisgegenstand richtet. Durch die Transzcndentalpsychologie kommt er zum Schluss: Diese Formung richtet sich nach einem transzendenten Sollen; der ,,transzendente Gegenstand" der Erkenntnis ist ein Sollen. Denn, so begründet er diese These, Erkcrincn geschieht irn Urteilen, dessen Grundcharakter nicht kontemplativer Art, sondern ein alternatives Stellungnehmen, ein Bejahen oder Verneinen ist ;der eigentliche Erkenntnisakt (das Bejahen oder Verneinen) ist also ein dem Wollen verwandtes Verhalten. Wenn dies zutrifft, dann kann dasjenige, wonach sich die Bejahung und Verneinung richtet, nur ein Sollen sein. Dieses Sollen muss nach Rickert, sofern es Grund der wahren Erkenntnis ist, ein unbedingt notwendiges, d.11. ein „reinesv, an kein Sein gebundenes oder transzendent es 1 Den Inhalt, der nach dem oben zitierten Text kein Wahrheitsproblem stellt, bezeichnet Husserl dort als ,,KernM (S.O.S. 384). Husserl meint wohl mit diesem Ter. minus die blosse Hyle oder ev. auch die Materie (Inhalt) oder den Sinn des Noemas irn (;cacnsatz zu (Irn „tlictischcii Clinrnktcrcti" odct ziir „Qanllt.it" dcs Nocnias, die in einem inneren Zusammenhang mit den ontologischen Formen steht (s. Ideen I, S. 316 ff.). Für sich betrachtet bietet nach den ldeen 1 der Sinn des Noemas noch kein Wahrheits-oder Vernunftproblem; dieses Problem stellt sich erst mit der „Beziehung auf den Gegenstand" (C. a.a.0. $ 5 128,129). 2 Man vergleiche Husserls Verhältnis zum Formbegriff Rickerts mit Husserls Verhältnis zum Kantischen Apriori (S.O.58 13, 14). 3 Zwei Wege der Erkenntnistheorie, S . 178.
-
SoUen sein. Dieses transzendente Sollen ist selbst kein Sein, sondem dererst Sein begründend: Die Erkenntnis vermittelt den1 Inhalt die Form des Seins auf Grund der apriorischen Forderung, dass diesem Inhalt die Form des Seins gegeben werden soll. Dem Erkennen immanent wird dieses Sollen im Evidenzgefühl, das als psychischer Repräsentant oder immanentes Anzeichen der Transzendenz fungiert. Rickerts Position ist also verwandt mit derjenigen Fichtes: Die Erkenntnis, d.h. die Formung des Inhalts zu einem Gegenstand oder, was damit letztlich gleichbedeutend ist, die Konstitution der Welt, geschieht auf dem Grund eines absoluten ,,praktischen" Imperativs. Durch eine andere Überlegung, die nicht mehr transzendentalpsychologisch vom Erkenntnisakt ausgeht, sondern transzendental-logisch bei den Bedeutungen oder Sinnen der wahren Sätze einsetzt, bestimmt Rickert den transzendenten Gegenstand der Erkenntnis, der nun aber rein für sich, also unter Abstraktion von der Erkenntnis (also eigentlich nicht mehr a l s Gcgeristancl der Erkenntnis) betrachtet wird, als tr<arszendenten Wert : Die Formen der Sinne (Bedeutungen) der wahren Sätze sind nichts Seiendes, auch nicht ideales Sein, sondern transzendente Werte, die logisch vor allem Seienden liegen, d.h. a priori sind.
Zu Rickerts Bestimmung der Urteilssinne oder -bedeiitungen als nicht-seiende Werte nimmt IIiissrrl iri sririrr lioflcxioiz nur kurz Stellung, um sich dann eigenen Untersuchungen über das Verhäitnis von Erkennen und Wmten zu widmen. Gegen Rickerts Argumentation, dass der wahre Sinn eines Urteils iiber ein ideales Sein nicht mit diesem Sein zusamrncnfalle, erklärt er: „Aber beweist das, dass nicht auch der Satz <Sinn>ein Ideales ist? ICann nicht eine Idee auf eine andere Idee gerichtet sein?" 1 Gegen Rickerts A~gument,dass das ideale Sein, wie etwa die geometrische Idee „der Winkel im Halbkreis" im Gegensatz zu den Urteilsbedeutungen nicht wahr oder falsch sein könne, bemerkt Husserl: ,,Natürlich, abcr wer würde auch bcliauptcn, dass alle idealen Gegenstände Sätze sind? Nur Satze sind wahr und falsch. Was sind das für sonderbare Argumentationen? Wenn jemand Zahlen, geometrische Gebilde und Sätze insgesamt als ideale Gegenstände bezeichnet, so wird er nicht behaupten, dass sie 1
AIS. transcr. A I
42,
S. 65 (1910).
389
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS VERHÄLTNIS ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
einerlei sind, aber wohl, dass sie ein Gemeinsames haben." 1 ' Husserl geht dann ein auf den für ihn innerhalb der idealen Seinssphäre liegenden Unterschied von Urteilssinnen (Urteilsbedeutungen oder Sätzen) und allgemeinen Gegenständen (Spezies), die durch die Abstraktion oder Ideation gewonnen werden, und betont die Eigenartigkeit des Reiches der Sätze gegenüber dem anderen idealen Sein. Er korrigiert sich hier hinsichtlich seiner Prolegomena, in denen er die Urteilssinne als Ideen im Sinne der allgemeinen Spezies aufgefasst hatte.2 In dieser Unterscheidung der Sätze von den allgemeinen ~egenktändenhat sich Huscerl also Rickert genähert, womit wir aber nicht sagen wollen, dass dies unter dessen Einfluss geschah. Trotzdem bleiben aber für Husserl die Sätze ideales Sein. Werte können sie nach Husserl nur werden, insofern sich auf sie ein Akt des Wertens (eine Wertapperzeption) beziehen kann.3 Aber selbst als Werte bleiben sie noch Seiendes. Denn nach Husserl ist der Wert nicht nur ini Sein fundiert - nur was als Scicndes vorgestellt ist, kann als Wert apperzipivrt werden 4 -, sondern der Wert selbst (das gewertete Seiende a l s gewertetes) ist cin Seiendes, da in einem nun im Wertapperzipieren fundierten theoretischen Bewusstsein gesagt werden kann, dass der Wert ist und wie er ist.5 Dass der Wert theoretisch als seiender Gegenstand erfasst werden kann, beruht darauf, dass das Werterlebnis selbst implizit ein objektivierendes ist,6 d.h. eine verborgenc Seinssetzung enthält; 7 das wertnehmende Erfühlen trägt den Wert bewiisstseinsdissig so in sich, dass er jederzeit erfahrungsbereit ist, bereit für das bloss zugreifende Lrfassen als daseiend.8 Es ist ein grundlegender Gedanke Husserls, dass jedes Bewusstsein zutiefst c i i i Scinsl>cwusstscinist, odcr, noetiscli gesproclicn, d w jedes intentionale Erlebnis als Urdoxa fungiert.9 Dieses in allen intcntionalcn I~rlcbnisscnfiingicicridc Seinsbcwusstsein identi-
fiziert Husserl keineswegs mit einem theoretischen Akt ; vieimehr handelt es sich um eine vortheoretische Objektivierung oder Seinskonstitution, die die Voraussetzung für alle Theorie ist, da ein theoretischer Akt wesensmässig auf ein vorgegebenes (d.h. auf ein bereits objektiviertes oder konstituiertes) Seiendes gerichtet ist.L2 Hussed wirft Rickcrt vor, tlcn Scinsbcgriff aiif cinc unklarc Weise zu begrenzen, und ihn nicht als einen „stufierbaren" anzuerkennen.3
388
1
ebenda.
e Husserl weist an folgenden Stellen auf d i e s n Mangel der Prolegomena hin: M?, orig. A 111 X I ,C. 21a (um 1920); Brief an R. Inprden vom 5. April 1918 (veröffent-
licht in Zeitschrift ff4r Philosophie S I 1 1 (1959). S . 349); Logik, s Ms. transcr. A I 42 C. 14 (19x0). 4 a.a.0. S. rr (1910); vgl. Ideen I , S. 285; I d m n I I , $5 4, 7. 5 a.a.0. C. 2 ( ~ g r o ) vgl. ; Ideen I , S. 278, 297 % s . I&en I I , S. 16. 7 s. Ideen I , C. 297 ff.
C. 138 Anm. I.
Von fundamentaIer Bedeutung ist Husserls Kritik an Rickerts Bestimmung des Erkennrns als cincs Uejaiiens cincs transzcndenten Sollens auf Grund eines Evidenzgefühls. Husserl beginnt in seinen RefIexionen diese Kritik mit dem Satz: „Ich kann nicht anders sagen, als dass dieser Lehre eine sehr schlechte Phänomenologie zugrunde liegt." 4 Schon a n Rickerts Auffassung des cigcnf Iichen Erkcniitiiisaktcs als eines Bejahens oder Vernejnens übt Husserl Kritik. Sein Begriff der Erkenntnis ist zwar kein kontcniplativer; darin ist cr mit Rickert einig. Er betont in der Erkenntnis das Moment des Setzens (Thetischen, Positionalen) oder des Glaubens (Doxa) ;ja, er sieht dieses Moment nicht nur irn begrifflichen Urteil, sondern in jedem intentionalen Erlebnis, also schon in der vorbegriffIichen W;thrnehmung,5 Die Konstitution des Seins hat nach ihm wesentlich einen Charakter des Setzens und des Glaubens. Dieser Charakter ist nun aber, weder irn Bereidz des begrifflichen6 Erkennens noch irgendwo sonst, aLc ein Bejahen oder Verneinen anzusprechen. Bejahen (Affirmation) und Verneinen (Negation) sind nädi Husscrl blosse tbetisclic odcr doxische Modi f i k a t i o 1 s. Idcea 11, S. 4, 6. s Der thwirrtiwlie Akt ist iiacli Iliirrnrrl kriiiwwcgs iirapi.iliiglichcr:iI$ dcr wc~tciidi: oder wollende, denn diese sind nicht notwendig in einem theoretischen Akt fundiert, sondern setzen, wie der theoretische Akt selbst, als Möglichkeitsbedingung nur ein objektivierendes oder doxisches Erlebnis voraus. Das theoretische Bewusstsein zeichnet sich nach Husserl durch seine Universalität aus: „Alle Akte, die nicht von vorneherein theoretische sind, lassen sich durch Eiristellurigeän
391
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
HUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M NEUKANTIANISMUS
nen .l Die nrsprüngliche Thesis odcr die,Urdoxa ist ein schlichtes Setzen des Seins im „Modus" des ursFdng1ichen Gewisseins. Bejahung oder Verneinung sind entweddr Modifikationen dieser Urdoxa, (indem das als ursprünglich gewisses Sein Gesetzte „unterstrichen" oder „durchstrichenn wird) oder sie sind Modifikationen höherer Stufe (Modifikationen von Modifikationen), etwa als Negation eines Möglichen oder Affirmation eines Fraglichen. Das Urteil „S ist P" ist nach Husserl d s o keine Bejahung als das Gegenstück der Verneinung, sondern est ist eine Setzung, ein Urglaube, der in sich noch keine Beziehung hat zur Negation. Affirmation und Negation sind nach Husserl nun aber auch nicht etwa die Grundcharaktere der affirmierenden und negierenden Urteile a l s Urteile. Jede doxische Modifikation ist vielmehr umfasst von einer schlichten Urdoxa, die das modifizierte Seiende, z.R. in der Negation das „durchgestrichene Seiende'' als seiendes Objekt setzt,2 und es ist naci Husserl diese Urdoxa als ursprüngliche Position, die den Grundcharakter des Urteils und zwar jedes Urteils ausmacht. Urteilen ist daher als solches nie Bejahen oder Verneinen, sondern es kann Bejahung oder Verncinung cn t hal t cn , d,h. bcjnhcndcs odcr vcrneincndes Urteil sein. Der weiteste und grundlegendstc Urtcilsbegriff Husserls ist derjenige, der durch den Hunleschcn Ausdruck belief bezeichnet wirc1.3 Aus dieser Auffassung heraus erklärt Husserl in seinen Reflexionen über Rickerts Aufsatz hinsichtlich Affirmation und Ncgntion : ,,Irn Akt rlcs gcs:~tntcn Glaubens tritt hier cin Zustimmen auf zu einem ,ProponiertenJ,im Gegenfall ein Negieren, ein Ablehnen eines ,Proponierten'. Nicht jedes Urteil ist ein zustimmendes oder ablehnendes. Es gibt ein schlichtes Urteilen. Das ist selbst wieder missdeutlich: Urteilen a l s solches ist nicht Zustimmen (oder Verneinen), aber es gibt Urteile, i n denen Zustimmungen (odcr krneinungen> auftreten und die darum zustimmende (oder verneinende) heiscen." 4 Das Bedeutsame in dieser Kritik Husserls liegt darin, dass hier deutlich zum Ausdruck kommt, dass der eigentliche seinskonstituierende Akt, nämlich die Urdoxa, nach Husserl kein
t h e o r e t i s c h e r ist. Dcr thcorctisclic Akt ist zwür nach ihm iri einem gewissen Sinne auch seinskonstituierend, aber er konstituiert gerade nicht dasjenige Sein, auf das er als theoretisclier intentional gerichtet ist, nämiich den vorgegebenen, theoretisch erfassten Gegenstand, sondern die „kategorialenw Gegenständlichkeiten, die in diesem Akt noch kcinc t h e o r e t i s c h e r f a s s t e n 0 b j e k t e sind, sondern zu solchen erst werden, wenn das theoretisierende Subjekt sich auf diese neuen Gegenständlichkeiten meinend richtet, also neue, sie in ihrem Sein erfassende und theoretisch bestimmende Akte vollzieht. Alle fundierten Akte besitzen nach Husserl eine Schicht, die die liorni des cogito hat aber nicht zugleich das betreffende cogitatum erfasst.1 Das jenige, worauf der theoretische Akt etwa in der Verneinung oder Bejahung erfassend gerichtet ist, wird also nicht von diesem selbst konstituiert, sondern in einer zugrundeliegcnden Urdoxa, die eventuell in einem andern (zugrundcliegenden) theoretischen Akt fungieren kann. Demgegenüber ist bei Rickert der ursprüngliche Konstitutionsbezug ein theoretischer.
390
Ideen I , 5 106; Erf U. Urt., S. 109 ff. Ideen I , 5 106; vgl. 8 105. 3 s. Logik, S. 188. 4 Ms. transcr. A I 42, C. 21; wir unterstreichen. VgL erklärt, dass Bejahen etwas anderes als Urteilen sei. 1 s. 2
a.a.0.
S. 55, wo Huswrl
Husscrls zcntralc Kritik ; ~ i Iiickcrts i U w t i i i i i i i i i i i g dcr ICrkcniitnis wendet sich gegen die Auffassung, dass sich das Erkennen letztlich nach einem transzendenten Sollen richtet odcr dass das Bejahen als eigentlicher Erkenntnisakt ein Bejahen einer transzendenten F o r d e r u n g sei: „Was Rickert sagt, ist grundverkehrt. Das 1lcj;ditr: sei h c : I~ordcriiiig?Was Iicissi ciiic Forderung? Einer Forderung füge ich mich wollend. Das wollende ,Zustimmen', einem geäusserteti Wünschen nachkornmcn, einem Befehl, das ist eine eigene Tatsache. Das J a ist hier: Ich wilI in Obereinstirnmung mit deinem Wunsch. Das Ja im Urteil: Ich urteile in Übereinstimmung mit deiner Frage (oder auch, ich urteiIe in uberein~tirnmun~ mit dir, mit deinem Urteil)." 2 Husserl scheidet streng zwischen detn Ja der Willenssphärc, das allein ein Ja gegenüber einer Forderung ist, und dem Ja der Urteilssphäre. Die Frage aber, was in der Urteilssphäre bejaht wird, hat nach Husserl, wie wir auf Grund des Vorangehenden ohne weiteres verstehen, mit der Frage, auf die es Rickert abgesehen hat, nämlich mit der Frage, wonach sich die Erkenntnis 1
s. Ideen I , C. 82.
Ms. transcr. A I
qz, C. 56 (1910).
393
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
H U S S E R L S V E R H Ä L T N I S ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
r i c h t e t , gar nichts zu tun. So fährt Husserl nach dem zuletzt zitierten Satz unmittelbar fort: „Etwas total anderes ist die Frage, ,wonach wir uns im Urteilen richten', wenn wir wahr urteilen, oder was das Urteil, wenn CS wahr ist. zum ,richtigeng macht." 1 Im weiteren entwirft er seine Theorie der Evidenz als der Rechtsquelle des Urteils (im allgemeinen Sinn der Thesis). 2 Die Urquelle alles Rechts liegt nach Husserl im originären Sehen (,,Wahrnehmung"), in dem das im „UrteilH Gesetzte zur „leibhaftigen" Selbstgegebenheit kommt. Alle anderen Evidenzarten, etwa dicjcnigc der Erinnerung odcr der Einfühlung oder die mittelbare Evidenz eines Erschlossenen, haben ihren rechtgebenden Charakter nur durch ihren Zusammenhang mit der Urevidenz.3 Diese Evidenz - sofern unter ,,EvidenzHricht die evidente Thesis oder Doxa verstanden wird - h a t nach Husserl selbst kein Recht, sie ist nicht rechtmässig, sondern rechtgebend, Rechtsquell. Die Rede von Rechtmässigkeit hat nach Husserl nur einen Sinn in bezug auf die Thesis. Es wäre sinnlos zu sagen, dass das reine Sehen sein Recht vom Gesehenen erhält, oder, dass sich das reine Sehen nach dem Gesehenen richtet, denn Gesehenes gibt es ja nur durch das Sehen. Ein Recht hat nach Husserl die Thesis, die das Gesehene setzt, oder die Doxa, &C das Gesehene glaubt; sie hat darum ein Recht, weil sie eben sieht, weil sie selbst sehende ist. Diese Thesis wird also selbst zur Evidenz (in cincm zweiten Sinn). Husserl gebraucht dieses Wort rncistens in diesem zweiten Sinn, der aber nach ihm nicht der ursprüngliche ist.4 Von dieser setzenden oder glaubenden Evidenz kann und muss also gesagt werden, dass sie rechtmässig sei. Kann aber von ihr gesagt werden, dass sie sich nach etwas r i c h t e t ? Sie selbst ist ja sehende, sie enthält ihren motivierenden Rechtsgrund in sich selbst . Sie ist motiviert durch das Sphen :im ersten Sinn), sie r i c h t e t sich aber nicht eigentlich qach diesem, insofern „richten" ein Richten nach etwas „Transdendentem" bedeutet. Der innerste Erkenntnisbezug, die thetische oder doxische Evidenz, ist nach Husserl also kein sich Richten nach einem Transzendenten (verstanden als „absolute" Transzendenz). So erklärt
Wusserl in seinen Reflexionen über Kickcrt, dass die Rede vom sich Richten die Abbildtheorie wenigstens bildlich wirksam werden lasse.1 Husserl lehnt natürlich diese Rede nicht schlechthin ab; er gebraucht sie selbst zur Charakterisiemng mannigfaltiger logischer Bezüge, so für das Angleichen der Meinung an den evidenten Sachverhalt.2 Sie ist aber nach ihm ungenügend uiid irreleitend für die Bezeichnung des innersten Wesens der Erkenntnis und der Wahrheit. Die Rechtsquelle der Erkenntnis und allgemeiner der Seinskonstitution überhaupt, ist nach Husserl also die Evidenz lind nicht ein transzcridentcs Sollen odcr eine Fordcrung. Die Porderung gehört nach ihm in die Willenssphäre und nicht in die doxische Sphäre. Um sich des rechtgebenden Charakters der Evidenz inne zu werden, gilt es zu sehen, was sie ist: dass sie ein Sehen ist und als originäre ein Sclien, in dem das Gcsctztc zu „leibhaftiger" Selbstgegebenheit kommt. In einer nächsten Kritik wirft Husserl Rickert vor, das Wesen der Evidenz durch deren Bestimmung als eines gefuhismässigen Anzeichens (Rriteriurns) für ein transzendentes Sollen vollständig zu verfehlen.3 Er hält diese Bestimmung für eine blosse „KonstruktionH.4 Ware Evidenz ein an einem Urteilsakt haftendes Gefühl, dann vermöchte sie nie ein Recht zu verbürgen.5 Evidentes und nichtevidentes Urteilen unterscheiden sich wesentlich nicht durch ein gefühlsmässiges Moment, sondern dadurch, dass das cvidcnte Urteil in einer Einsicht gründet, und das nicht-evidente nicht. In den Idee% I schreibt Nusserl gegen Rickerts Auffassung der Evidenz, ohne diesen allerdings zu nennen, aber, wie besonders deutlich der Gebrauch des Rickertschen Terminus ,,transzendentes Sollen" zeigt, ihn zweifellos meinend: „Evidenz ist in der Tat nicht irgendein Bewusstseinsindex, der an ein Urteil (und gewöhnlich spricht man nur bei einem solchen von Evidenz) angeheftet, uns wie eine mystische Stimme aus einer besseren Welt zuruft: Hier ist die Wahrheit!, als ob solch eine Stimme uns freien Geistern etwas zu sagen und ihren Rechtstitel nicht auszuweisen hätte. Wir brauchen uns mit Skeptizismen nicht mehr
392
S.56 (xgro]. S.56/57(19x0). Ideen I, $ 5 136, 141.
a.a.0. 2 a.a.0.
1
3 V@, 4
Zur Doppeldeutigkeit des Terminus „Evidenz" s. Ha 111, Eeif. XXV (rg14).
Ms. transa. A I 42,S . 57 (19x0). a.a.0. S.56 (xgro].
* a.a.0. S. 62 ff. (1910). 4
ebenda. a.a.0. S. 62 (igro).
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
394
auseinanderzusetzen und Bedenken des alten Typus zu erwägen, die keine Index- und Gefühlstheorie der Evidenz überwinden kann: ob nicht ein Lügengeist (der Cartesianischen Fiktion) oder eine fatale Änderung des faktischen Weltverlaufs es bewirken könnte, dass gerade jedes falsche Urteil mit diesem Index, diesem Gefühl der Denknotwendigkeit, des transzendenten Sollens U. dgl. ausgestattet wäre." 1 Auf Grund der Rechtfertigung der logischen Wahrheit durch ein &Fomentdes Willens (das Sollen oder die Forderung) Un~deutiingder Evidenz in cin Gefühl kennzeichnet Rickerts Erkenntnistheorie als einen Emotionalismus. In einem Vorlesungstext aus der Zeit der Ideert führt er aus: „Während der Intellektualismus geneigt ist, alle Vernunft in der emotionalen Sphäre wegzudeuten und in Betätigungen logischer Vernunft aufzulösen, verfährt dieser Emotionalismus umgekehrt : Die logische Vernunft e r d umgedeutet in eine emotionale; vernünftige BeBewertung überhaupt ist bloss Sache des Gefühls, wobei es fr&& an alIeii näheren Analysen fehlt, die es ihrerseits machen könnten, wie Gefühl überhaupt obj Gültigkeit konstituieren könne. Natürlich richtet sich diese gegen die in unserer Zeit so beliebten Theorien Rickerts un Windelbandc."
2.
KAPITEL
37. Kritik a ~ aRickcrls Methodrnlciirr Husserl hat mehrmals in Vorlesungen und auch in Publikationen auf Rickerts Wissenschaftstheorie Bezug genommen; ausführIicher aber nur in seinem ersten Bericht über deutsche Schriften zur Logik,l der u.a. Rickerts Aufsatz Z u r Tlzeorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung (1894) behandelt, und dann besonders in der bereits mehrmals zitierten Vorlesung Natur ztnd Geist vorn Sommrrsemrstcr 1927,clrr
' Uber diese Vorlesung schreibt Husserl am 26. Dez. 1928 an Rickert: „Ich habe 1
I d e n I , S . 354.
8
Ms. transcr. F I 24, S . 249 (1911od. 1914).
in meinen vierstündigen Vorlesungen über Natur und Geist einige Wochen lang die Von Ihnen darin (SC. in Die Grmzen der aaturre~issenschaftlichen Ijegriffsbildrrng) 1)"folgte transzendentale Methode mit der Kantischen uiid rnit nieiiier eigenen koith t i e r t . um mir selbst innere Klarheit über die hier spielenden wissenschaftstheo~ l l r h e nProbleme zu verschaffen, bzw. mein eigenes Vorgehen zu rechtfertigen. Einiges iiber den Stil dieser Kritik wäre aus der jetzigen Arbeit (SC. Logik) zu mlntbrnen" (Kopie des Briefes im Husserl-Archiv).
3g6
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
ist, und das an eine ,,fertige" objektive 'Caiirklichkeitherantritt, um sie theoretisch zu bewältigen, ist für Rickert das reale oder empirische, nicht aber das erkenntnistheoretische Subjekt (das überinclividuelle „Ich der reinen Apperzeption"). Dem reinen überindividuellen Ich ist die objektive Wirklichkeit nicht etwas absolut Vorgegebenes, sondern sie ist das immancnte Produkt seiner Formung; ihre konstitutiven Formen (2.13. die Formen ,,'lVirklichkeit", „Substantialität", „Kausalität") haben ihren Ursprung in den Kategorien (Bejahungsfc+~men) des crkcnntniti theoretischen Subjekts. Die objektive Wirklichkeit, vor der das empirische Ich steht, ist also schon etwas subjektiv Geformtes, aber nicht geformt von diesem empirischen, sondern vom erkehntnistheoretischen Subjekt. Um die objektive Wirklichkeit wissenschaftlich zu erfassen, muss nach Rickert das empirische Subjekt diese mit n euen F o r m e n versehen. Diese neuen Formen sind aber nicht mehr konstitutive Wirklichkeitsformen, sondern blosse methodologische Formen. Diese Unterscheidung zwischen konstitutiven Wirklichkeitsformm und blossen m e t b dologischen Formen betrachtet Rickert als eine seiner bedeutendsten Neuerungen gegenüber Kant. Nach seiner Auffassung lie in Kants Begriff der Natur eine Verrnenpng diescr beiden Fomtypen vor, was nach ihm damit zusammnihängt, dass Kant Begriff der Wissenschaft in der Kritik &V reinen Veraunft demjenigen der Naturwissenschaft Nextons gleichsetzte W daher Möglichkeitsbedingungen,diesich nur auf die mathematischmechanischen Naturwissenschaften beziehen, also nur spezielle methodologische Formen sein können, zu konstitutiven Wirklichkeitsformen werden liess. Rickert hat hier besonders eine Kantische Kategorie im Auge: diejenige Cer Kausalität. In die* sem Begriff Kants liegt nach ihm einerseits eine wirkliche. Rategorie oder Wirklichkeitsforrn vor, nämlich diejenige der kausalen Abhängigkeit ; zugleich ist aber damit eine blosse methodologische Form verkoppelt: diejenigc dei Gesetzmässigkeit. Die objektive Wirklichkeit ist nach Rickert zwar kausal, aber nicht gesetzmässig. Wenn sie dies nämlich wäre, so über Rickert, dann müssten alle Wissenschaften von der objekti Wirklichkeit Gesetzeswissenschaften sein; dann wäre die turwissenschaft als Gesetzeswissenschaftpler excellelzce der Prot t yp aller objektiven Wissenschaften, und die Wissenschaften, di
diese vollkommene Gesetzesstmktur der Naturwissenschaften nicht erreichen, wie die Geschichtswissenschaft, wären bloss von niederer Wissenschaftlichkeit. Gerade diesen Methodenmonismus und die in ihm liegende Gleichsetzung von ,,NaturH (als System von Gesetzen) und objektiver Wirklichkeit will Rickert vermciden; m,a.CV., <:r will tlio (~c~sclii~:l~tswiss~~t~s~:I~~~It~:~~ ; ~ l sc.igc.11ständigen Wissenschaftstypus bewahren. Gehört nämlich die Gesetzmässigkeit nicht zur objektiven Wirklichkeit, dann kann nach Rickert diese objektive Wirklichkeit unter einem wisscnschaftlichen Gesichtspunkt betrachtet werden, der keineswegs eine gesctziniissigc Erfnssiing fordert, viclrndir dicsc l<:tztlicli ausschliesst. An diesem Punkt setzt Rickerts berühmte Scheidung zwischen Natur- und Geschichtswissenschaftenein: Das e n d l i c h e empirische Subjekt muss, wenn es die extensiv undintensiv U n en d 1ich e Mannigfaltigkeit der objektiven Wirklichkeit erkennen will, diese umformen. Diese Uniforrnung kann nun grundsätzlich unter zwei rein formal voneinander verschiedenen Zielsetzungen oder Iriteressen geschehen, die sich der Tendenz nach schon in der vorwissenschaftlichen Auffassung finden. Entwcder interessiert sich das Subjekt nur für das den verschiedenen Objekten Gemeinsame, d.h. für das Allgemeine, oder aber es interessiert sich für das Besondere oder das I n d i v i d u e l l e . Das erste Interesse führf zu einer generalisierenrlen Auffassiing rlcr unendlichen objektiveu Wirklichkeit und enthält als höclistes wisscnschaftIiches Ziel, die zu erkennende Wirklichkeit so unter allgemeine Begriffe zu bringen, dass diese sich durch die VcrhäliRisse der Unter- und Uberordnung zu einem einheitlichen System zusammenschliessen. Konkreter gesprochen, bedeutet dieses Ziel folgendes: Die generalisierende Wisscnscliaft kann sich nicht init empirischen, aus der Anscliauuiig durch vergleichende Abstraktion gewonnenen Begriffen bzw. mit beschreibenden und klassifizierenden Urteilen begnügen - die unendliche Wirklichkeit ist ja klaccifizierend-beschreibelidauch gar nicht zu uingrcifen. Fiir die generalisierende Wissenschaft kann die Beschreibung (irgendeine Morphologie und TypoIogie) nur eine Vorstufe sein, der eine Erfassung durch unbedingt allgemeine Begriffe und unbedingt allgemeine Urteile, d.h. Naturgesetze, zu folgen hat. Iliese Gesetze dürfen letztlich keine offene und zusammenhangslose Viel-
3g8
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
heit bilden, sondern müssen sich zu einem Gesetzessystem z sammenschliessen, d.h. selbst wiederum imter Gesetzen stehe Ein solches Gesetzessystem als das letzte Ideal der generalisiercnden Auffassung ist nur möglich, wenn die Gegenstände, auf die es sich bezieht, quantitativ absolut unteilbar und in ihren Relationen qualitativ absolut uniform sind; m.a.W., ein solchcs System ist nur auf Grund eines atomistischen Mechanismus möglich. Dieses Ideal gilt mutatis mutardis nicht nur für die Gesetzeswissenschaft von der Körperwelt, sondern auch für die Psychologie, die als gesetzeswissenschaftliche alles Seelische schliesslich auf Empfindungselemente (als ihre „AtomeH) zu reduzieren hat. Dadurch, dass das generalisierende Verfahren das Individuelle (die individuellen Differenzen) immer mehr beseitigt, erhält es noch einen weiteren Charakterzug: Es verliert die Anschaulichkeit.1 Den Begriff der Gesetzeswissenscaft, die aus der generalisie den Umformung der objektiven Wirklichkeit erwächst, iden fiziert Rickert mit dem Begriff der Natrnvissenschaft. Di stellt er die Geschichts- oder die Kultunvissenschaft 2 gegenü die aus der i n d i v i d u a l i s i e r e n d e n Auffwung der unendlic objektiven Wirklichkeit hervorgeht : Auch diese Auffassungrn eine Umformung der objektiven Wirklichkeit sdn, da ein exte und intensiv Unendliclies vorn endliclren Subjekt gar nicht an als durch Umformung erfasst werden k a m . Sie geschieht dadurch, dass das grundiegende Interesse arn Einmaligen nicht indifferent auf die unendlichen vielen Individuen der jektiven Wirklichkeit bezieht, sondern nur auf die b e d e u t U v o l l e n . Bedeutungsvoll ist ein kdividuum für das ernpir Subjekt, wenn es entweder praktisch gewertet oder theore auf einen Wert bezogen wird. Praktische Wertung, die eine tiye oder positive Stellungnahme einscldiesst, kommt eine objektive Wissenschaft nicht in Frage. Der Historik als Historiker daher seine Objekte nicht, wohl aber Werte wie die des Staates, der wirtschaftlichen Organisation, Kunst, der Religion usw. als empirisch zu konstatierende T sachen vor, bezieht theoretisch die Objekte auf diese Werte, un Individualität und Anschaulichkeit gehören nach Rickert streng zusammen. Geschichte ist für Rickert der l o g i s c h e Gegensatz ¿U Natur, Kultur der sachl i che Gegensatz. 1
2
mit Rücksicht daxauf, ob und wodurch die Individualität dieser Objekte für jene Werte etwas bedeutet, gliedert sieh ihm die Wirklichkeit in wesentliche und unwesentliche Bestandteile. Die theoretische Wertbeziehung ist auch dadurcli von Willkür frci, dass die Werte, die für den Historiker in Betracht kommen, a l l gemein menschliche oder s o z i a l e Werte sein müssen. Da das mensdiIiche Seelenleben oder die menschlichen Persönlichkeiten besonders bedeutsam für die allgemeinen Werte sind, so ist die Geschichte vorwiegend aber nicht ausschliesslich auf sie bezogen. Das Hauptobjekt der Geschichte ist das menschliche Kulturleben, wenn unter „Kultur" der Prozess, durch den im Laufe der geschichtlichen Entwicklung die sozialen Werte verwirklicht werden, verstanden wird. Primär für die Gegenüberstellung von Natur- und Geschichtswissenschaft ist aber für Rickcrt nicht irgendein inhaltlicher, sondern nur der rein formale Unterschied, der darin liegt, dass die eine ihre Gegenstände auf Werte bezieht und sie in ihrer bedeutungsvollen Individualität zu erfascen sucht, wahrend die andere von aller Wertbeziehung wie auch von der Individualität absieht und immer zu Aligemeinercm fortschreitet. Hervorzuheben ist, dass nach Rickert der Begriff der gesctiichtliehen Individudität und der Begriff der Individualität dcr objektiven Wirklichkeit keineswegs zusammenfallen. Ein Individuek der Geschichte kann aus Allgcrneinem zusamrncngesetzt sein - so etwa clie einmalige Französische Revolution aus &n Agemeinen Vorkommnissen der Volkserhcbung, des Krieges, der Hinrichtungen usw. -, was beim Individuellen der objektiven Wirklichkeit nicht der Fail ist. Der Begriff der Individualität meint bei Rickert nie das Einzelne, sondern das qualitativ Einmalige, Dieser Methodologie Rickerts konnte Husserl einerseits grosse Wertschätzung entgegenbringen; insofern nämlich, als sie eine KriegserMärung an den naturalistischen Methodenmonismus bedeutet, der in der zweiten Hälfte dcs 19. Jahrliunclerts und noch zu Beginn des zwanzigsten sehr stark verbrcitct war und sogar unter den Neukantianern (Riehl, Cohen) ihre Vertreter iand. Die Verkehrtheit dieses Methodenmonismus darzutun, war auch eines der Kauptanliegen Husserls; so konnte er in cincin
401
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
HUSSERLS VERHÄLTNXS ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
Brief aus dem Jahre 1915Rickert als einen Bundesgenossen im Kampf gegen den Naturalismus bezeichnen 1 und dessen Werke in den Ideen I1 neben denjenigen Dilthe@ Simmels und Münüber das Versterbergs zu den bedeutenden Untersuchungen j hältnis von Natur- und Geisteswissenschaft zählen.2 HusserIs Übereinstimmung mit Rickert in dieser methodologischen Problematik ging aber über diese Gegnerschaft gegen den gemeinsamen Feind des Naturalismus hmaus. Die Kennzeichnung des Unterschiedes von Natur- und Geisteswissenschaft durch die Abwesenheit, bzw. Anwesenheit von W e r t e n spielt auch in Husserlc Methodologie der Ideen II eine wichtige - wenn auch, wie wir noch zeigen werden, nicht die entscheidende - Rolle. Glcicii in den ersten zwci Paragraphen dicscs Werkcs wird die Natur als Gegenstand der Naturwissenschaft bestimmt durch die Abwesenheit von Werten: „. . . eine hmschende ,Apperzeption' bestimmt es im voraus, was naturwissenschaftiiches Objekt ist und was nicht, also was im naturwissenschaftlichen Sinne Natur ist und was nicht. Das gilt es zur Klarheit zu bringen. In dieser Hinsicht ist von vornherein evidcnt, dass alle die Prädikate, dic wir Dingen unter dcn Titcln Annehmlichkeit, Schönheit, Nützlichkeit, praktische Angemessenheit, Vollkommenheit zusprechen, ganz ausser Betracht bleiben (Werte, Güter, Zwecknbjekte, Werkzeuge, gut-für-etwas ctc.}. Sie gehen den Naturforscher nicht an, sie gehörcn nicht zu Natur in seinem Sinne." 8 „Die N a t u r e n t h a l t a l s blosse N a t u r keine Wcrte, k cin e K u n s t werke etc., die doch Gegenstände möglicher Erkenntnis und Wissenschaft sind." 4 Diese Katur als Korrelat der Naturwissenschaft umfasst nach 'Husserl auch ein Seelisches, das als Annex oder Schicht realer Vorkommnkse an den Leibern durch seine physiopsychischen und idiopsychischen Abhängigkeiten konstituiert ist.5 Demgegenüber ist nach Husserl der Gegenstand der Geisteswissenschaft bestiamt durch die Persönlichkeit, die ist, was sie ist, als Subjekt einer Umwelt, auf die sie im Verband mit anderen Personen wahrnehmend, erfahrend, wertend, fühlend, handelnd usw. bezogen ist. Diese Beziehung ist kein
Kausalverlialtnis zwischen Dingen und Menschen als Naturrealitäten, sondern eine Motivations beziehung zwischen Gegenständen mannigfaltigster Art, die nur insofern zur Umwelt gehören, als sie durch Apperzeptionen und Setzungen erfasst oder horizontmässig als mitgegeben oder erfahrungsbereit mitbewusst sind, und der apperzipierenden und setzenden Person. Die Umwelt der Person zeichnet sich gegenüber der ,,NaturHwesentlich dadurch aus, dass sie Wertcharaktere besitzt, d.h. dass sie eine intersubjektive Welt von nützlichen und unnützlichen, schönen und hässlichen, guten und schlechten usw. Objekten naturhafter und kulturelIer Art, aber auch von realer und idealer Seinsweise ist.1 Husserl folgt also Kickcrt darin, dass auch er die Geisteswissenschaft irn Unterschied zur Naturwissenschaft auf Wertobjekte bezogen sein lässt. Auch darin ist er mit ihm im Einvernehmen, dass der Geisteswissenschaftler nicht selbst zu den betreffenden Werten Stellung nehmen muss. IIusscrl schlagt aber mit I-Tilfr seincs Begriffs der Einfühlung eine andere Richtung als Iiickert ein: Den Rickertschen Begriff der theoretischen Wertbezieliung crsctzt cr durch rlic Erklärung, dass der Gcistcswissenschaftler sich in die wertenden Personen hineinversetzen und ihr Motiviertsein durch die subjektiv vermeinten Wcrte erforschen kann, ohne seIbst auf dem Boden ihrer Wertungen zu stchen.2 Dadurch kommt aber zum Ausdruck, dass bci Husserl der Wert in der Geisteswissenschaftnicht die Funktion cines ,,Selektionspririzips" übernimmt, das darüber entschcidet, was für den Wissenschaftler bedeutungsvoll,bzw. bedeutungslos ist, sondern zum I n h a l t der Geisteswissenschaft gehört. Allgemeiner gefasst, bei Husscrl ist nicht die formale Methode der Geisteswissenschaft durch die Wertbeziehmg bestimmt, sondern ihr Inhalt. Die Geisteswissenschaft muss denn nach Husserl auch nicht durchwegs auf WertObjekte bezogen sein. So hat es die geisteswisscnschaftlichc Erforschung der b l o s wahrnchmcndcn Person niclit mit Werten zu tun ; sie ist dadurch geisteswissenschaftliche,dass in ihr die Natur nur insofern in Betracht kommt, als sie personal erfahrene und sonstwie bewusste ist.3 Weiter betont Husserl auch weniger, dass
40°
'S.O.
C. 35.
I d e e s 12, S. 173. a Ideen XI, S. 2. 4 a.a.0. S. 3. 6 a.a.0. C. 142143, 175, 2 S.
$1 so, 51. Ms. orig. F I 32, C. 17ra (1927). 9 s. Ha IV, Beil. XII, S . 367 ff. (1916 od. 1917). s. a.a.0.
3 209
u.a.
402
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
es die Geschichte auf das Einmalige, Individuelle abgesehen hat. Nach ihm sucht auch die historische Betrachtung nach Gesetzen (Wesensgesetzen).' Das fundamentalste Kriterium des Unterschiedes zwischen Natur- und Geisteswissenschaft liegt denn für Husserl auch nicht in der individualisierenden Beziehung auf den Wert, sondern in einer Divergenz in der Auffassung (Apperzeption) des Verhältnisses von Natur und Geist. Andererseits aber erinnert gerade Husserls Zurückführung des Unterschiedes von Natur- und Geisteswissenschaft auf eine Verschiedenheit der Auffassung sofort an Rickert und erweist sich als den Punkt, wo wohl die tiefste Uberein~timrnun~ zwischen den methodoIogischen Konzeptionen der beiden Philosophen anzusetzen ist, wenn sich auch sofort wiederum fundamentale Divergenzen zeigen werden. Nach Husserl haben es die Natur- und Geisteswissenschaft mit zwei verschiedenIn Seinsr egi o n e n zu tun. Diese Regionen liegen aber nach i m nicht nebeneinander, wie etwa für das über die Landschaft schwdifendc Auge ein Kornund ein Haferfeld nebeneinander liegen können. Vielmehr füllt die Rcgian dcr Natur wie imdcrerscits dic Kcgioii dcs Gcistcs und der GeiSteswdt j eweils den ganzen Horizont des betreffenden Wissenschaftlers aus: Der Naturwissenschaftler sicht nur Natur; dcr Geisteswissenschaftlcr sieht nur Geist. Die Region ist aber d a d u r c h nur regionale Totalität und niclit die Totalität des Seins, dass sie das Korrelat einer relativen, nur partiellen (abstrakten) Auffassung (Apperzeptloiiswcisc,Erfalirungsweise) und Einstellung (eine partielle Einstellung innerhalb des Gesamtrahmens der natürlichen Einstellung) ist.2 Auch nach Rickert ist der Wissenschaftler jeweils auf das Ganze des vor ihm Liegenden gerichtet; dieses Ganze ist aber nur das Ganze eines besonderen Interessens, also eine abstrakte Universalitiit. Rickert bestimmt, wie wir gesehen haben, primär diese verschiedenen Auffassungsweisen durch den rein formalen Unterschied der Individualisierung bzw. Generalisierung einer unendlichen Mannigfaltigkeit und deduziert aus diesem Unterschied die Methodenideen der betreffenden Wissenschaften. HusserIs Kritik an Rickerts Methodologierichtet sich vor allem gegen diese rein formale Bestimmung und Deduktion. Am ein1 Ha IV, 2 s. Ideea
Beil. XII, C. 372 (1916 od. 1g17). EI S. 143,179 ff., 208 ff.
gehendsten hat er sie in der von uns schon oft zitierten Vorlesung Geist aus dem Jahre 1927 ausgeführt. Aber noch in seinen allerletzten Jahren übte er Kritik an dieser Methodologie. In einem Text aus dem Jahre 1936 schreibt er: „Es ist ganz verkehrt, durch die Windelband-Rickertsche formale individualisierende und generalisierende Methode den Unterschied zwischen Geschichtswissenschaftenund Natur- (Realitäts-) wissenschaften aufklären zu wolien. Die Naturwissenschaft als Wissenschaft von der faktischen Natur hat es universal und im einzelnen mit ,individuellen' Fakten zu tun. Die Geschichtswissenschaft hat es mit den Personen und personal vergemeinschafteten Menschheiten und mit diesen selbst mit d e m sie so als Personalitäten Charakterisierenden - ihren personalen Leben, der ihnen in ihrem Leben geltenden und von ihnen bewerteten und zweckmässig gestalteten Welt - zu tun, der Welt, die in ihrem Leben vorgegeben und praktisch gestaltet, praktischen Sinn gewinnend ist." 1 Diese Kritik Husserls enthält zwar ein Missverständnis, da sie Rickerts Begriff der Inciividualität in1 Sinnr d r s Einxrliicii und niclit iin Siiirie des qualilativ Einriialigen verstelit. Auch Rickert weiss natürlich, dass es die Naturwissenschaft mit Xndividuen, im Sinne von in Raum und Zeit vereinzelten realen Dingen zu tun hat, aber er weist darauf hin, dass das naturwissenschaftliche Interesse nicht auf diese einzelnen Dinge als qualitntiv einmalige, .sondern auf die cinzclncn Dingc als inininr wictlcrholbare Exemplare allgemeiner Arten geht. Dieser Auffassung Rickerts würde Husserl ohne weiteres zustimmen, denn auch er hebt hervor, dass das naturhafte Ding zwar immer ein Einzelnes aber nie prinzipiell ein Einmaliges ist.2 Trotz dieses Missverständnises kommt aber in der oben zitierten Kritik ein echter Gegensatz zwischen Husserl und Rickert zum Ausdruck: Husserl weist sofort auf den Unterschied irn I n h a l t der jeweiligen Wissenschaften und lehnt es ab, aus rein formalen Methodenunterschieden die Strukturen der Wissenschaften zu deduzieren. Bevor wir auf die ausführliche Kritik h s s e r l s an den methodoiogischen Deduktionen Rickerts eingehen, sei kurz hervorgehoben, was Husserl am Resultat dieser Deduktionen ablehnte.
Natur
Ms. transcr. K 111 6 , S . 321 (1936). Idem 11, $64.
1 s.
4O4
SYSTEMATISCIIR DARS1'BI.LUNG
HusserI nennt in seiner Vorlesung N a t w w d Geist (1~27)v allem zwei Punkte, in denen Rickert nach seiner Auffassung fc geht: erstens, die Deduktion des überlebten Methodenideals des Mcchnisnuis für dic lClörpcrwissciiscl1i~Ct~11 1 und zweitens, die Forderung eines ähnlichen Ideals für die gesamte Psychologie. Diese Unterordnung der Psychologie unter ein physikalisches MetIiodenideal bedeutete für Husserl einen Naturalismus, und so bezichtigt er denn Rickert, trotz dessen aiitinaturalistischen Bestrebungen, der Irrtümer des eigenen Gegners.2 Husserl selbst anerkannte zwar eine Psychologie als Naturwissenschaft (alsPsychophysik) ; diese Psychologie steht nach ihm aber weder unter dem Vorbild dcr Physik, noch ist sie für ihndie cinzigc. Dilthey folgend t~iitcrscliiedHusserl zwisclicn ciiicr~iiaturwisseiischaftlichcn und einer geisteswissenschaftlichen Psychslcgie und gab dabei der zweiten als der Wissenschaft von den reinen Seelen den Vorrang als eigentlicher Psychologie.3 Rickerts NaturaIismus in der Psychologie war für Husserl nur ein Fall, wenn auch der bedeutsamste, einer der noctiscli-rioematischen Mannigfaltigkeit der Erfahrungsarten nicht gerecht werdenden. Uniforrniemng der wissenschaftlichen Methoden. Er setzt selbst innerhalb der Na* turwissenschaft eine Vielheit von Methodcn an: ,,Naturwissenschaft hat eine sehr verschiedene Methode je nach ihren Ideen von Natur, je iirtchctem sie von den Idcenphysikalischer Individualität oder morphologisch-biologischer I~idividualitätgeleitct ist und je nachdem sie idealisierend und mathematisierend ist und einer aus der Eigenart der naturlichen Erfahrung entspringenden Motivation auf Exaktheit folgt oder nicht. Es ist verkehrt, ausschliesslich auf Physik hinzusehen."4 Gehen wir nun zu Husserls Kritik an Rkkerts rnethodischcm Verfahren in der Gewinnung der natuh und geschichtswisse schaftlichen Methodenideen über. Scharfe Kritik übt Husscrl schon arn ' ~ u s ~ a n ~ s pder nkt thodologischen DeduktiqJien Rickerts: an der Gegenüberstell der objektiven extensiv und intensiv unendlichen Wirklich einerseits und des endlichen Subjektes:andererseits, das diese 1 Ms. orig. F I 32, C . 118a (SC 1927).
1
2 3
4
a . a . 0 . C. 92b, 98b/99a, 118% 119b (CS 1927). s. Ideen I I , C. 143. 173 ff.; Ha IV, Lkil. XII, S. 356 if, S. 365166 ( I ~ I G0d. 1917 Ms. orig. F I 32, S. 98a (1927).
endlichkeit erkenntnismässig zu überwinden hat; und an der daran geknüpften Frage, welche Begriffsbildungen oder Metlioden dies errnöglic1icn können: .,Man kann nicht der Erknnnfnis voranstellen einc an sich scicndc Wclt unendiclicr Mannigfaltigkeiten und zwar als eine noch völlig unerkannte, um nachher nach subjektiven Mitteln zu fragen, mittels deren subjektive menschliche Interesseii, genaniit ,thcorctisclic' zii bcfric(1ignn scicii. 1)riiri an sich seiende Welt mit an sicli seicndcn iincndlichen Mannigfaltigkeiten von Seinsbestimmungen hat überhaupt erst einen möglichen Seinssinn aus gewissen Leistungen, die da Erkenntnisleistungen heissen ; ihr wahres Sein besagt nichts anderes und nur ."I in korrelntivciu Aiistlr~iclctlcnn ilirc: priiwipicllc: I5rkaiiiil>;~rk~il ,,Erkenntnis vollzieht sicli notwenclig in Uegriffcn (urteilcndbegründend). Wenn aber Erkenntnis Seiendes und Soseiendes begrifflich und wahrhaft feststellt, ist eben dieses Seiende selbst begrifflich. Die Begriffe sind nicht unsere Sache, die nur u n s Erkennende angehen. Das Seiende seinerseits ist nicht in sich: den Begriffen fremd. Ferner erkennen wir begrifflich denkcnd und einsehend Gesetze, so sind wir nicht Gesetzgeber, und die Dinge an sich ohne Gesetze, sondern der Welt selbst als seiender gehören die Gesetze zu, von ihr in ihrem Sein unabtrennbar." 2 „Rickert tut so, als ob vorweg eine Welt vor der Erkenntnis wäre, und dic Erkenntnis eine umformende Auffassung wäre. Es ist eine Uniformung der Vermeintheiten der Erfahrung, aber diejenige Umformung, in der d a in ihr liegende Wahre und Falsche sich bestimmt. Das in ihr Liegende besagt aber nicht, dass sie selbst schon Wahrheit, wahres Sein als reelles Erfahrungsstück in sich trüge, sondern, dass jedermann auf ihrem Grund und entsprechend fortschreitend zu Erkenninisgebilden kommen muss, die sich ais Enthüllung und explizite Bestimmung der Erfalirungsmeinung einsehen lassen." 3 Husserl wirft hier Rickert zugleich einen theoretischen P r a g m a t i s m u s und einen R e a l i s m u s vor. Pragmatisch ist der Ausgangspunkt der Rickertschen Deduktion nach HusserI deshalb, weil er die Begriffe und Gesetze gewissermassen als nützliche, bloss ,,subjektive" Instrumente ansetzt, mit Hilfe 1
a.a.0. S. 1o3a (SS 1927).
3
a.a.0. C. r t z b (CS 1927).
* ebenda.
406
SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
deren der endliche Mensch die itn voraus seiende, an sich begriffsfremde, unendliche Welt in der theoretischen Praxis erfasst.1 Dem Sinn nach denselben Vorwurf hat Husserl schon in seinem ersten Bericht iiber dewtsche Schriften zw Logi5, der 1897 erschien, an Rickert gerichtet. Damals erklärte er gegzn Rickerts Aufsatz Zar Theorie der naturwissenschaftlichen Begriffsbildzcng,dass die Begriffe und Gesetze nicht als blosse Mittel aufgefasst werden dürfen, mit deren Hilfe es dem e n dli C hen Menschen gelinge, die unendliche Wirklichkeit der Erkenntnis zu unterwerfen, da selbst im Falle, dass dem menschlichen Geiste eine unendliche Erfahrung möglich wäre, die Erkenntnis desen, was allgemein ist, und der darauf basierenden Gesetze ihre volle Bedeutung bewahren würde. Husserl lehnt es ab, im begrifflichen Wesen der Erkenntnis einen Endlichkeitscharakter zu sehen; Begrifflichkeit gehört nach ihm zum Wesen von Erkenntnis überhaupt.2 Entsprechend lehrt Husserl auch, dass die wahre Wirklichkeit selbst unter Begriffen steht. Diese an sich seiende Wirklichkeit darf nun aber nach der oben angeführten Kritik Husserls nicht in der Weise Rickerts realistisch als etwas der Erkenntnis Vorangehendes und ihr gegenüber Absolutes aufgefasst, sondern muss als ein Gebilde bctrachtet werden, das seinen ganzen Seinssinn aus der Erkenntnisleistung empfangen hat und beständig neu empfängt: Sie empfängt ihren Seinssinn auf dem Boden der vorbegrifflichen puren Erfahrung, in der eine Welt, welche aber keine uriendiche an sich seiende Mannigfaltigkeit ist,3 d s aktuelle und potcntielle Präsurnption beschlossen liegt; dann aber auch aus der begrifflichen und schliesslich w~ssenschaftlich-begrifflichen Erkenntnis, die die potentielle Erfahrungspräsumption des Immer-wieder und des f f b e r h a u ~ ins t aktuelle Bewusstsein erhebt und damit erst die präsumptiw Idee der a n sich seienden iinendlichcti Wclt als dcr für jedcrinann überhaupt und fiir iiw in iii;~nnigI;iltigciiiiögliclwr Erhliriiiig iihcrliaupt immer wieder zugänglichen und ausweisbaren o b j e k t i ven Wirklichkeit konstituiert.4 „Das Sein der Welt ist also nicht Sein im voraus mit einer hintennachkommenden Erkenntnis, sondern das S.rozb, xogb (SS 1927). s.o. S. 126. 3 Die Lebenswelt hat nach Husserl einen offeLen Horizoct, sie ist aber keine unendliche Mannigfaltigkeit. 4 Ms. orig. F 1 32, S. 104b ff. (SC 1927). 1
a.n.0.
Sein der Welt ist Scin einer zunächst blinden und darin exyliziteti und sehenden Erfahrungspräsumption und dann einer in ciner Relativität von gelingenden Begründungsstufen sich immer höheren relativen Wahrheitswert zueignenden wissenschaftlichen Präsumption. Die notwendige Erfahrungs- und Erkenntnisgeltung, welche während dieses gelingenden intersubjektiven Prozesses der Glaube an die Wirklichkeit der Welt setzt, gibt dem Erkenntnisziel, der präsumierten Welt als ins Unendliche zu bestimmender, sein notwendiges Walirlieitsrccht. 1)ie ideale Grcnzidee - obschon eine unerreichbare - ist die einer allvollkommenen Erkenntnis und als Korrelat die Welt selbst, die in ihrem schlechthinnigen Sein bloss Korrelat dieser Erkenntnis wäre." 1 Die O b j e k t i v i t ä t einer an sich seienden Welt, die dem Subjekt gegenübersteht, ist nach Husserl nicht Ausgangspunkt oder Grundlage, sondern eine in der wissenschaftlichen Erkenntnis entworfene Idee. Ausgangspunkt der systematischen Erkenntnis ist nach Husserl die Lebenswelt, die nicht streng objektiv ist. Esist sehr bemerkenswert, dass sich Husserl in seiner Kritik des realistischen Ansatzes der Rickertschen Methodologie auf K a n t beruft. Es sei hier der entsprechende Text zitiert, aus dem wir bereits einige Sätze anführten,Z dessen volle Bedeutung aber erst in diesem Zusammenhang der Kritik Rickerts sichtbar wird: ,,Rickert äussert sich in seinem Werk wiederholt, dass seine wissenschaftstheoreCisckc Decliiktion keinen Anlsss hat in erkenntnistheoretische Erwägungen einzutreten. Ich incincrseits aber verstehe nicht, wie eine solchc Deduktion anders möglich und begründet sein kann, es sei denn als cine crkenntnistheoretische. Von dieser Art sind die transzcndcntaleti llediiktionen Kants. Als echt erkenntnistheoretische bewegen sie sich im Rahmen einer konkreten obschon universalen Betrachtung unsercr Erfaliriing iiiirl rirfdiriiii~swc?l1..sowie iiriwrcv- Wisst-riscliaftcn von clicwr IM:~1ii~i1ii~sw1~l I -- I I I I S ( : ~ I : ~wiilcl ic:li cvit lcri l leistungsfähigen Wissenschaften, wie Mathematik und Naturwissenschaft, oder nur solche Leistung prätendierenden wie die Metaphysik. Hier stellt Kant, also immer im Rahmen konkreter Gesamtanschauung verbleibend, seine Fragen und entwirft seine Deduktionen, In der Erfahrung mcincn wir die sciciidc Wclt zu
405
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
haben, irnd doch Erfahrung bedarf des Denkens, eines ganz andersartigen Denkens, es bedarf der objektiven Wissenschaft, um da3 Erfak-ene in seinem wahren Sinn zu erfassen. Was leistet diese. wie ist die in ihr erwachsende Erkenntnis des Seins der Welt, des in ,objektiverJ Wahrheit Seins und Soseins zu verstehen. Wie ist es zu verstehen, dass Wissenschaft von der Welt a prori an eine gewisse Grundbegrifflichkeit gebunden ist? Grurdbe,+ffe und Grundurteile, die der Erfahrung ,vorangehen' und ;ie normieren? In der universalen Erfahrung ist eine objektive Welt nur dann erfahren, nur dann können wir sagen. dass sie d ~ ist s cobjektiv gültige), wenn ein wissenschaftliches Denken sich auf Erfahrung in solcher jeden Erkennenden der Erkenntnisgemmsrhaft zwingenden Gültigkeit aufstufen kann, derart, d a s eben evrdent wird: Was jeweils Erfahrung in ihrerbegriffslosen Ar: Mosc anschaut, ist das, was die Erkenntnisleistung der Wissensc5aft nach dem in ihr liegenden ,objektiv1wahren Sein allererst herausstellt (enthüllt, entfaltet). Dass Erfahrung tragfähig ist f k ,wissenschaftliches' Denken, das allein macht es aus, dass ihreh objektiver Wahrheitsgehalt, einGehalt an objektiv wahrem Sein un:er dem Titel Welt zugeschrieben werden kann. Aber wa-m ist Erfahrung tragfähig für wissenschaftliches Denken, und iimg&chrt wann ist ein Denken wirklich wissenschaftlich, wirkliche Erfahrung, objektiv gültige Wahrheit enthüllend? Drucken nicnt die apriorischen Grundbegriffe der cchten Wissenschaften Bedingungen der Möglichkeit solcher Erfahrungserkenntnis aus? Un3 welche Formen muss Erfahrung selbst hinsichtlich der in ihr anschmlich erfahrenen Dingwelt haben, um begrifflich, urteilsmassig, wissenschaftlkh-wahrheitcmässigerfassbar zu sein USW., erfascbar als objektiv, an sich gültig? So geht Kant vor undindern , er in uns die Einsicht, dass einc seiende Welt er co i ~ g e b tweckt nicht für ims voiweg gegebene Tatsache ist in der blossen Erfahrung eines jeden, und dass die erkennende Betätigung der \Viss~iic~haft nicht etwas ist, das dieser vorgegebenen nachfolgt als ein an ihr irgendwie Herumhantieren, dessen Ergebnis ein vollkmmenes individuelles oder generelles Gebilde der Weltwirl-tlichkeit selbst wäre . . . Vielmehr schafft er die Einsicht, d s s die Welt, dir für uns ist, erst in unserer Erkenntnis für ur2 üOerhaupt ist und dass sie für uns nichts anderes ist als in uns-rer Erfduung und in unserem Denken sich unter dem Titel
objektive Erkenntnis gestaltende. Die objektiv-wahre Welt ist dann das Ideal der in einsichtiger intersubjektiv notwendiger Gültigkeit sich für uns und in uns als rechtmässig wahre heraucstellenden. Kant nimmt zwar seinen Ausgang vom Faktum der allgemeinen Erfahrung und Erfahrungswissenschaft und ihrer naiven von uns Iiingenoiiin~e~ien Gcltung. Abcr intlrin rr n;i(:li der prinzipiellen Möglichkeit und dem Sinn dieses Faktums und eines solchen Faktums überhaupt als Möglichkeit fragt, verliert das Faktum den Charakter einer bleibenden Voraussetzung und fraglosen Geltung: seine prinzipielle Möglichkeit verständlich zu machen, führt zu seiner ,Einklammerung'. Was nun Rickert aribelangt, so setzt er die Welt als vorgegebene Tatsache voraus und sie bleibt für ihn in Seinsgeltung - und beginnt damit auf die Unendlichkeit hinzuweisen, in die uns die direkte Erfahrungserkenntnis verstrickt, die extensiven und intcnsiv~iiUticndliclikeiten." 1 Wir haben in unseren Ausführungen über Rickert gezeigt, dass dieser letztlich kein „RealistMist, sondern die objektive Wirklichkeit aus den Formungen (Kategorien) des reinen erkenntnistheoretischen Bewusstccins hervorgehen lässt. Wcitcr 1i;ibcn wir aber auch darauf aufmerksam gemacht, dass er seine methodologischen irbcrlegungen auf dem Boden des empirischen Rcalismus durchführt, und zwar auf Grund der fundamentalen Scheidung zwischen den konstitutiven Wirklichkcitsformcn und dcn methodologischen Erkenntnisformen bzw. zwischen den1 erkenntnistheoretischen und dem empirischen Subjekt. In dieser Scheidung stellt er sich bewusst Kant entgegen, dem er vorwirft1 im Begriff der ,,Naturmdiese beide Formarten vermengt zu haben. Den methodologischen Erkenntnisformen will Rickert einen viel subjektiveren Sinn geben, als dies Kant implizit durch deren Verinengung mit den Kategorien (Wirkliclikritsformcii) tat; ~ i n d zwar so, dass er diese methodologisclicn Forinen nicht auf das die objektive Wirklichkeit produzierende überindividuelle erkenntnistheoretische Ich (transzendentale Apperzeption) bezieht, sondem blass auf das die objektive Wirklichkeit schon ,,fertigu vor sich habende empirische oder psychologische Subjekt. Die objektive Wirklichkeit ist für das empirische Subjekt das erlebte und gegenständlich vorgegebene Material, das es mit Hilfe sciilcr 1
a.a.0. S. rrga-rrqa (CS 1927).
41°
H U S C B R L S V E R H Ä L T N I S Z U M N E U K A N T I A N I S M U S 411
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Erkenntnisbegriffe zur „Natur1' oder zur „Geschichte" umf Dabei zeigt sich ein unaufhebbarer Antagonismus zwischen was wirklich ist, und dem, was erkannt (,lbegrifflich bewäl ist ; m.a. W., die objektive Wirklichkeit ist qachRickert irrati In Husserls ~ r i t i ' kan Rickert in der Vodescng Natur und (1927)kommt nicht zum Ausdruck, ob sich Husserl jener fundamentalen Scheidung Rickerts zwischen der Ebene des erkenntnisthe4retischen Ich und der objektiven Wirklichkeitsformen einerseits und derjenigen des realen Ich und der Erkenntnisfonen andererseits bewusst ist oder nicht. Jedenfalis lehnt Husserl unter Berufung auf Kant ! - diese Scheidung implizit schon da durch ab, dass er die Wissenschaften letztlich Leistung der sinn gebend Welt erkennenden t r a n s z e n d e n t a l e n Subjektivität sein lässt und sie nicht durch die blosse Beziehung auf den realen Menschen relativiert. Alle Erkenntnis, alles Bewusstsein überhaupt ist nach Husserl, r a d i k a l (d.h. transzendental-phänornenologisch) gefasst , transzendental. Gegenüber Rickert betont Husserl andererseits auch, dass dk objektive Wirklichkeit letztlich ein „ideal% Telos begrifflich eikcnntnismässigerund immer reicherer begrifflicherBestimmung"~ sei; die objektive Wirklichkeit ist also für Husscrl nichts Irratib nales, sondern ein völlig rationales Gebilde. Die Frage ist hier aber ob Husserl Rickerts Begriff der objektiven MTirklichkcit nicht missversteht. Zwar ist dieser Begriff bei Rickat bestimmt durch das ob j e k t i V e Gegenüber des erkennenden und Wissenschaf treibenden Subjekts. Er ist aber auch dadurch charaktcrisiert, dass er das sinnlicli-anschauliche ,,Material", d.h. den Ausgangs* punkt oder die Grundlage des begrifflichen Erkennens bezeichnet. Für Husserl sind diese beide Bestimmungen unvereinbar. Die Grundlage (Ausgangspunkt) des wissenschaftlichen Erkennens ist für ihn gerade nicht ein rein objektive Gegenüber, sondern ein Subjektives, das sinnlich Anschauliche, die Umwelt des natürlichen Lebens. Husserl bringt in der angeführten Vorlesung von 1927 den Rickertschen Begriff der objektiven Wirklichkeit mit seinem Begriff der sinnlichen Erfahrungswelt nicht zusammen - mit einem gewissen Recht natürlich. Wenn wir aber die Gegenüberstdlung Rickerts von anschaulicher objektiver Wirklichkeit und
-
1
a.a.0. S. 105b (SS 1927).
letztlich unanschaulicher wissenschaftlich-begrifflicher „Natur " und diejenige Husserls von sinnlicher Erfahrungswelt oder Lebenswelt und objektiv-wissenschaftlicherWelt miteinander konfrontieren, so fallen uns sofort Parallelen auf. Die objektive Weh der exakten Naturwissenschaft ist für Husserl gegenüber der sinnlichen Erfahrungsweft eine ,,Abstraktion", ein der sinnlichen Erfahningswelt als ihrer Grundlage substruiertes idealisiertes Gebilde, das - hier Iiegt wohl die auffallendste Parallele zu Rickert - eine a n d e r e OntoIogie, d.h. eine andere Formenstmktur besitzt als die sinnliche Erfahrungswelt. Wie Rickert konstitutiveWirklichkeitsformen und methodologischc Erkenntnisformen einandcr gegcnübcrstellt, so untcrsclicidet Husserl zwischen den Formen der sinnlichen Erfahrungswelt (Ontologie der Lebenswelt) und den idealisierten und mathematisierten Weltformen des Wissenschaftlers, die nach ihm nicht bloss eine analytische Enthüllung jener sind, und die er, wiederum in Übereinkunft mit Rickert, mit Kants lzatura formaliter spectata (wenigstens bis zu einem gewissen Zeitpunkt) in Zusanunenhang bringt.1 Die ü'bereinstimmung besteht speziell hinsichtlich des zentralen Begriffs der Kausalität: Rickert wie Husserl unterscheiden hier zwei verschiedene Formen: die exakte gesetzliche Kausalität dcr objektiven Wissenschaft und die Kausalitiit der sinnlichen Welt, die für Husserl ini Gegensatz zu Rickcrt aber doch eine gewisse Gesetzlichkeit, nämlich eine ungefähre Regelmässigkeit bedeutet.2 Dieser soeben genannte Unterschied scheint vorerst unbedeutend; bei näherem Zusehen weist er aber doch auf eine radikalc Divergenz zwischen Rickert und Husserl hinsiclitlich der Auffassung des Verhältnisses von erlebter und wissenschaftlich bestimmter Realität hin. Für Rickert haben die konstitutiven Wirklichkeitsformen und die methodologischen Erkenntnisformen miteinander nichts zu tun, sie befinden sich in einer Diskontinuität. Husserl dagegen betont, dass in der sinnlichen Erfahrungswelt selbst die Motive für die Konstitution der wissenschaftlichen Welt liegen; genauer, nach Husserl hat „die Welt als Lebenswelt . . . die ,gleichenJ(aber nicht dieselben!> Strukturen, als welche die objektiven Wissenschaften, in eins mit ihrer (durch 1 S.O.
( 14.
'S.O.
C.
750.
4I2
die Tradition der Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit wordenen) Substruktion einer ,ar- sich' seienden, in ,Wahrheiten an sich' bestimmten Welt, als epriorische Strukturen voraussetzen und systematisch in apriorischen Wissenschaften entfalten, in Wissenschaften vom Logos, von den universalen methodischen Normen, an welche jede Erkenntnis der ,an sich objektiv' seienden Welt sich binden muss". Dieser Unterschied zwischen Rickert und Husserl hat seine Entsprechung in der völligen Verschiedenheit im Verfahren der Gewinnung der Methodenideen wie es von den beiden Philosophen geübt wird. Darauf soll n gcnaii eiiig~,g:~iigcn w~idcn. Doch vorerst sei noch folgendes festgehalten : Es wird deutli dass Huscerl sich in einer Mittrlstellung zwischen Kant Rickert befindet: Er unterscheidet mit Rickert zwischen apriorischen Formen der Wissenschaften und den aprioris Formen der anschaulich erlebten Welt; aber er bezeichn beiden Formarten als die „gleichenH (wenn auch nicht selben!) und bezieht sie beide auf die transzendentale S vität - hierin folgt Husserl Kant. Husserl ist sich erst in der zwe ten Hälfte der Zwanziger Jahre bewusst geworden, dass die ~zaturaformaliter s$ectata der ~ k s e n s c h d f t e nnicht einfach eine analytische Enthüllung der Wcltforrn d4r vortheoretischen Erfahrung ist, sondern dieser Form neue l~ormmon~ente zufiilirt.* In der Krisis spielt die Unterscheidung zwischcn der Ontolagiß der Lebcnswclt urid dcr Ontologie der wissenscl~aftlichenWelt eine fundamentale Rolle. Wir halten es für nicht ausgeschloss obschon die Vorlcsiing Natmr und ~ e i s t ' v o n1927 dazu kcinc haltspunkte bietet -, dass Husserl durch Rickertsclie Gedanke gänge zu dieser Unterscheidung motiviert wurde. Ob dies durc rekte Lektüre von Rickerts Schriften geschah - die IIauptwe Rickerts Der Gegenstand der Erkexatnis und Die Grenzen der nai wissenschaftlichen Begriffsbildzcng hat Husserl in mehreren lagen studiert - oder ob er den Einfluss des Rickertschen Mi1 das auch noch in den Zwanziger Jahren durch die Anwesen der Rickertschüler und -anhänger Kroner, Mehlis und Cohn Freiburg herrschte, erfuhr, ist nicht auszumachen und ist bei gleich möglich. Nicht ausgeschlossen ist, dass Heidegger, der au 1
H U S S E R L S VERR'LTNIS
SYSTEMATISCIIE D A R S T E L L U N G
Krisis, C. 142. S.O.
s. 254155.
ZUM NEUKANTIANISMUS
413
zu Rickert „in die Schule ging" und sich bei ihm habilitierte, Husseri den Gedanken nahe legte, die Formenstruktur dcr Wissenschaft nicht einfach mit der Ontologie der erfahrenen Welt zu identifizieren. Wir haben schon indirekt angedeutet, dass es auch Heidegger gewesen sein könnte, der Husserl wenigstens zeitweise davon abbraclitc, Knnts ILtcgoricn mit dcii ii;iti~rwiv+wsrli;tit lichen Kategorien glcichzusctzcii.l
Nach dieser Darstellung von Husserls Kritik an Rickerts Ans a t z p u n k t der Methodologie soll nun auf Husserl Kritik ain t1t.i. VorgcIicii Ric1ici.L~iii tk:r 1)c:cl ii li L i o i r tlw McCliotloiii(1~~c:ii positiven Wissenschaften eingegangen werden. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass die ganze Deduktion Rickerts vom rein formalen Gedanken getragen wird, dass das Subjekt, wenn es die unendliche Wirklichkeit in der Erkenntnis bewältigen will, diese entweder generalisierend oder individualisierend umformen muss. Rickert schaut also nicht auf die konkreten Gestaltungen der erlebten objektiven Wirklichkeit, um an ihnen selbst die Methodenideen gewissennassen abzulesen, die einc wissenschaftliche Erfassung erlauben würden, sondern er entwickelt diese Ideen „a priori" aus jenen formalen Grundgedanken, wobei allerdings das Fakt u m der Wissenschaften mit zum Ausgangspunkt gehört. Dem entspricht natürlich die vorhin genannte Auffassung Rickerts, dass diesc Methodenideen (i-rietlicidologIsc11~~11 Erkcnntnisformeii) mit der objektivcii Wirkliclikcit i n sich iiiclits zu t u n haben, also auch nicht a u s ihr ,,abgelesen“ werden können. Dcmgcgcnübcr vcrlangt Hiisserl für jcdc T>ccluktioiioder Konstruktion von ontologischen Formcn als Methodenprinzipicn der Wissenschaften eine phänomenologische Fundarnentierung. Über diese Forderung Husserls haben wir schon kurz gesprochen, als wir allgemein dessen Verhältnis zum Gcdanken der Deduktion von ontologischen Strukturen erörterten.2 Im jetzigen Zusamrneiihang der Kritik der Methodologie Rickerts kommt sie nur in der Gestalt zii Wort, in der sie von Husserl im Hinblick auf das Problem der U n t e r s c h e i d u n g der verschiedenen Wissenschaften und der Entwicklung der v e r s C h i e d e n e n wissenschaftlichen Methodenideen oder Grundbegriffe erhoben wird. 1 S.O.
9
S. Sg.
s.o. f r g .
4I4
SYSTEMATISCHE D A R S T E > L U N G
Diese Unterscheidung und Gewinnung der Grundlagen der V schiedenen Wissenschaften kann nach Hussmls Ausführungen in der Vorlesung Nutzlr zlnd Geist (1927) in volier Klarheit nur auf Grund des Rückgangs auf die V olle k o n k r e t e Erfahrung, aus der alle Wissenschaft entspringt, erreicht werden: d.h. durch die phänomenologische Analyse des vollen konkreten Lebens und dessen Welt (Lebenswelt).l Die alle andern Wissenschaften in ihren Prinzipien fundierende Wissenschaft hat nach Husserl dieses Leben zu erfassen. Sie hat also in einem bestimmten Sinne Lebensphilosophie zu sein; nicht Lebensphilosophie aus irgendeiner irrationalistischen, gegen die Rationaiität der Wissenschaft gerichteten Haltung, wie sie von der jenen Namen tragenden philosophischen Strömung des 20. Jahrhunderts eingenommen wurde, sondern Lebensphilosophie aus der Forderung nach radikalster Wissenschaftlichkeit und Rationalität und aus der Einsicht heraus, dass die positive Wissenschaft dieser Forderung nicht entspricht, So kann Husserl 1927 ausführen: ,Der Gnindcharakter der Phanomenologie ist also wissenschaftlicheLebensphilosophie; ist Wissenschaft nicht unter Voraussetzung lind auf dem Grunde der vorgegebenen Wissenschaften,sondern radikale Wissenschaft, die das konkrete,universale Leben und seine Lebenswelt, die wirklich konkrete. Umwelt als wissenschaftliches Urthema hat, das sie von hier ausgehend und rein aus der konkretesten Anschauung schöpfend die strukturelle Typik dieser Umwelt auf strenge und jederzeit nachzuprüfende Begriffe bringt um1 von da aus systematisch die Grundbegrifflichkeit gewinnt, die allcn möglichen Wissenschaften dienen müssen, so wie sie andererseits zeigt, dass alle mögliclien Wissenschaften nur Sinn haben können in bezug auf die Urstrukturen der Lebenswirklichkeit. Es erwächst also in der Phänomenologie die unter allen Umständim ui fordernde Grundwisscnscl~aft, denn alle erdenkliche Theorie und Wissenschaft entspringt aus dem Leben und bezieht sich auf die vortheoretische Welt, auf die Welt purer Erfahrung, auf die Welt, in die wir als praktische Menschen hineinleben." 8 Die Strukturen der Lebenswelt bilden Lach Husserl aiso die Grundlage für die Erkenntnisziele aller pos$ti~en Wissenschaften: sie schreiben diesen ihre Ziele und ~ e t h o d e nvor. Die Grundbe:
griffe, mit clcncn clic Wisscnscliaftcn ilirc Grgc?nständccrnrbcilcii, haben ihr Mass an den zugrundeliegendenlebensweltlichen Strukturen.1 Die Lebenswelt gibt in ihrer invarianten Wesenstypik im voraus alle möglichen wissenschaftlichen Themen in die Hand.2 Die Scheidungcn und Gruppieruiigcn
' 31s. orig. F 1 3 2 , S. 116aff., 12ra ff. (SC 1927). P
8
1
vgl. Krisis, § f 60, 62, 65, 66; Phänomenologische P S Y C ~ O ~ O8 ~7.M , Ms. ong. F I 32, S. 11oa/b (SS 1927).
ß
7
S. 229. a.a.0. S. 230. Ms. orig. F I 32, C. gga ff., 13ga ff. (CS 1927). a.a.0. C. rrob (SC 1927). a.a.0. C. r3ga ff. (SS 1927). a.a.0. S. 12oa (SC 1927).
Krisis,
41~
es, wie ein Mensch oder ein Kunstwerk, nicht blosc körperlich sondern nur, wie alles Reale, ,verkörpert'. Die Welt reduzi sich in solcher mit universaler Konsequenz durchgeführten straktion auf die abstrakt-universale Natur, das Thema der p Naturwissenschaft. Hier allein hzt zunächst die geomet Idealisierung, dann alle weitere mathematisierende Theoretisicrung ihren möglichen Sinn geschöpft. Sie beruht auf der Evidenz der ,äusseren Erfahrung', die in Wahrheit also eine abstraktive ist." 1 Die wirklich konkrete und „sellständigeWWelt ist für Husxrl nur die konkrete Lebenswelt; korrelativ, die wirklich konkrete Erfahrung ist nur die IebensweltIiche Erfahrung, und aiie besonderen Erfahrungsarten der einzelnen Wissenschaften verkörpern nur eine besondere Einstellung, eine relative Apperzep. tionsart. Damit die einzelnen Gegenstandsbereiche (oder, um den Terminus der Ideen zu gebrauchen, die verschiedenen Regionen) bzw. die cinzcliicn 1~rfahriiiigs;~rtcii in ilircr Verschiedenheit und Zusairuncngeliörigkeit erfasst werchn können, inuss die konkrete Lebenswelt und die ~ebensweltlichcErfahrung untersucht werden. Bereits in den Ideelz 11 hatte Husserl erklärt: „Nur im Rahmen der Phänomenologie, dur,ch Beziehung der Seinsunterscliicilc dcr sich koiistituiercndcn Gegciistäiide auf die korrelativen Wesenszusammenhänge der entsprechenden konstituierenden Mannigfaltigkeiten, sind diese Unterschiede (der verschiedcnen Wissenschaften) unvcnvirrt zu erhalten, in absolut sicherer Sonderung, frei von allcn Missdeutungen, die in den unwillkürlichen und bei Mangel an reiner Reflexion unmerklichen Einstellungsänderunpn ihre Quelle haben. Durch Rückführung auf das absolute Bewusstsein und Sie in ihm zu verfolgenden gcsamten Weccnszusainrnenh'&ngcsir.d allererst die sinngemässen 1CcIxLiviliil c i i (lor Iwlrcffciitlcii (;c~~cii~;tiiiicllic111~eitc11 dcr einen und anderen Einstellungen und ihre wechselseitigen Wesensbeziehungen zu verstehen." 2 Auf Grund dieser Auffassungen übt nun Husserl in seiner Vorlesung von 1927 an Rickerts inctliodologischen Deduktionen scharfe Kritik. Dabei entwickelt er einen stark polemischen Ton: 1
H U S S E R L S V B R H Ä L T N I S ZUM N E U K A N T I A N I S M U S
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Krisis, C. 230. Idcen XI, S. 180.
417
Er bezeichnet die Verfahrensweisen Rickerts als „eine Art Scheindeduktionen, durch die man schliesslich alles deduzieren kann, was sich aus ansprechenden, abcr ungeklärten Vorurteilen her uns empfiehlt". 1 Der Grundgedanke seiner Kritik ist der, dass eine Konstruktion von Methodenideen für die Welterkenntnis ohne vorgängige Analyse der Erfahrungswelt und Welterfahrung nicht wissen kann, ob solche Methodenideen nicht von der Wesensartung der Welt ausgeschlossen werden.2 Wir haben oben schon darauf hingewiesen, dass nach Husserl die von Rickert entwickelten Methodenideen tatsächlich den Strukturen der Welt widersprechen: Rickerts Naturalismus in der Psychologie und überhaupt seine ,,Uniforinieriing" aller nicht niif Wcrtc bczogcneii Wissenschaften beruht auf der falschen Voraussetzung, dass ,,alle individuellen Objekte wesentlichvon derselben Sinnesstruktur sein sollen, ob es nun materielle Objekte und zwar im Sinne der Physik oder Biophysik sind oder psychische Individuen, menschliche oder tierische Scclc~i".",l)icsc ~)rinzipicllcGiciclistclliiiig von I(Brl)ci und Seele in der naturalistisdien Methode setzt offenbar voraus die ursprünglichere prinzipielle Gleichstellung derselben in ihrer vowissenschaftlichcn, in ihrer lebensweltlichen Erfahrungsgegebenheit. Körper und Seele bezeichneten danach zwei rc;ilc Schichten in dicscr ~ r f a i i r t i n ~ ~ ; wiiic ~ihr t , Jihiikh glcichsinriig reell und real verbunden wie zwei Stücke eines Körpers; also konkret eines ausser dem anderen, von ihm gesondert, nur geregelt verbunden. Aber schon ciicsc forrndc. Glciclistcllung ist widersinnig; das ist wider das Bigenwesentliclie dcr Körper und Seelen, wie es in der lebensweltlichen Erfahrung wirklich gegeben ist . ..." 4 Auch in dieser an Rickert gerichteten Kritik, Methodenideen ohne vorgängige Analyse clcs Erfahriings- iiiitl drs t1nr;uif gegründctcri wisst:tisiliiifllic~~~:~~ I )ciiklt!l>oiiszu cictLui.icrc:ir, bcri~lt sich Husserl, wie wir in einem anderen Zusammenhang schon hervorhoben, auf Kant.5 Folgender Text sei hier trotz seines Umfanges wiedergegeben, da er zugleich diese Kritik ins Wesentliche zusammenfasst und Husserls bcincrkcnswcrtc Berufung auf Kanl 1
Ms. orig. F I 32, C. 139b (CS 1927).
'a.a.0. C. ~ozb,i q b , {SC 1927). 'a.a.0. C. r4oa (SS 1927). 4
Kiisis, C. 219.
ß
S.O.
S. 160/1.
41s
SYSTEMATISCHE D A R S T Z L L U N G
gegen den Neukantianer Rickert enthält: „Kant als Philosoph stellt sich auf eine höhere Warte und "iberschaut das TypischAllgemeine dieses Lebens, stellt hier eben Fragen eines tieferen, aber immer noch konkreten Verständ~ssesbetreffend Sinn und Möglichkeit solcher Leistungen und der Rechtmässigkeit hier zu stellender Ziele und universaler normatrver Ideale. Rickert aber, die Konkretion des Lebens und der Wissenschaft unter sich lassend, stellt formale Forderungen und konstruiert formale Notwendigkeiten mit dem Ziel der erkenntnismässigen Überwindung der Unendlichkeiten. Nominell bezieht sich diese Konstruktion zwar auf die Welt unserer wirklichen u x l möglichen Erfahrung, während doch eben dies, dass es die Welt möglicher Erfahrung ist, nicht konkret aus der Erfahrung selbst geschöpft ist. Die Wesensart der Erfahrung und des auf sie zubeziehenden Denkens, durch die die Welt diejene ist, die für uns den konk~etbestimmten Sinn hat, durch die sie für uns nicht eine leere unendliche Mannigfaltigkeit ist, sondern die für uns allein sinnvolle Welt von den und den a priori ihr zugehörigen Sinnesstrukturen - bleibt in den systematischen Deduktionen Rickerts eigentlich ganz ausser Frage. Von physischer und psychophysischer Natur, von Raum, Zeit, Kausalität ist zwar die ICetic, ebenso von Dingen in ihrer Unendlichkeit fortschreitender qualitativen und quantitativen Erfahrung, von ihrer Beschreibung, von exakter Begriffsbildung und Eesetzeserforschung: aber das a l l e in einer lccr formalen Sacliferne. - Wcnn vcrniinftigc und n priuri gültige Erkenntnicforderungen an die Welt gestellt und in dieser Gültigkeit deduziert werden sollen, müssten wir doch konkret erst zeigen, dass die für uns allein Sjnn habende Welt, die <Welt>unserer Erfahrung und des sie sukzessive theoretisc5 enthüllenden Denkens, an unsere Erkenntnis diese Forderungen stellt: dass sie sie stellt, undErkenntnisweil sie cbcn selbst, als was sic ist, Erfi~i~ningswelt ist, als solche gewisse intuitiv aufvelsbare Strukturen hat, die uns binden, die an unser prädikatit-cs Denken also Forderungen stellen. M.a.W., wir müssen anschaulich die WesenskorreIation von Erfahrungswelt und wissenschaftlicher Wahrheitswelt in ihren konkret allgemeinen Strukturen durchforschen, wir müssen dem Wort Welt den konkret vollen Sinn geben und darin zeigen, dass eine unendliche Mannigfaltigkeit dieser Wesensart Welt sich als ,wahrhafte' und im ,objektiven Sinn' seien-
BUSSERLS VERHÄLTNIS Z U M NEUKANTIANISMUS
419
de erkenntnismässig nur verwirklichen kann in den und den Erkenntnisformen, in Wissenschaften der und der methodischen Formen. Dann sind die an ein vernünftiges Erkennen zu stellenden Forderungen nicht solche, die wir leer formal deduzieren, etwa weil wir uns in den Kopf gesetzt haben, unendliche Mannigfatigkeiten zu überwinden - ohne zu fragen, ob sie durch ihren Sinn solche Überwindung zulassen -, sondern es sind dann die zu stellenden Forderungen solche, die die Welt selbst, die zunächst sinnliche, an uns stellt (sofern dieser ursprüngliche und erste Sinn, sinnliche Welt, in sich Möglichkeiten und Tendenzen zur Idealisierung als ,objektive1in sich hat) durch den ihr eigenen Sinn. Der eigene Sinn der Welt ist aber zunächst nichts anderes als der Sinn, der in der Einstimmigkeit unserer Erfahrung an uns als die Erfahrenden als anschauliche Präsumption einer seienden Welt herantritt und der von uns als theoretische Denksubjekte in der neuen Sinngebung der Idealisiening in den Formen der prädikativen Wahrheit und Wissenschaft theoretisch enthüllt, in spezifisclicr Denkarbcit konstituiert wcrclcri soll. Nur so vorgchend können wir, also nur im echten Sinn erkenntnistheoretisch die radikale Norm und Form möglicher Weltwissenschaft und einer seiendcn Wclt als ihr l
2
4z0
SYSTEMATISCHE D A R S T E L L U N G
Rickertschen Deduktionen im Gegensatz zu den Kantischen bekämpft habe, so geschah es, weil Deduktionen für die Welt als Welt unserer Erfahrung vollzogen waren und dabei von Raum und Zeit, von physischen Dingen, von Seelischem, von Natur und KuItur usw. die Rede war, während doch nie durch konkrete Erwägung solcher materialen Gehalte der Erfahrungswelt den formalen Deduktionen die durch den nun besonderen Sinn dieser Welt erforderlichen Begrenzungen gegeben wurden. Ich gebe dem Gesagten noch ein bestimmtes Relief, indem ich betone, dass ich das Recht formai durchgeführter transzendentaler Deduktionen nicht etwa leugnen will." 1 Mit dem Ausdruck ,,formalistischeVerausserlichungder Kantischen Gedanken einer transzendentalen Deduktion" ist Husserls Einschätzung des Rickertschen Philosophierens am treffendsten gekennzeichnet.
1 Ms. orig.
b
F I 32, S. xz5a (SS 1927).
SCHLUSS
Am Ende unserer Untersuchungen wollen wir in knappen Zügen das Gesamtbild des Verhältnisses Husserls zu Kant und zum Neukantianismus, das sich uns allmählich ergab, zu umreisen versuchen. Es soll hier keine Aufreihung von Einzelresultaten gegeben, sondern ein Gesamteindruck gewonnen werden, der als fruchtbarer Ansatzpunkt für eine systematische Konfrontation von Kritizismus und Phänomenologie dienen könnte. Noch bevor wir im Verhältnis der Phänomenologie zum Kritizismus auf die Probleme der einzelnen Verwandtsdiaften, Gegensätze und der Beeinflussung eingehen, können wir feststellen, dass Husserls Philosophieren seit der Mitte der Neunziger Jahre in steigendem Masse in einer Auseinandersetzung mit Kant und dem Neukantianismus geschah. Als entscheidende zeitliche Wendepunkte ergaben sich uns in dieser Hinsicht die Jahre 18g4/95,~907-1910 und 1918, die zugleich auch Marksteine in der inneren Entwicklung von Husserls Phänonienologie bedeuten. Husserl hat die Kantischen und neukantianischen Hauptwerke studiert. Das geistige Milieu, in dem er dachte, war, besonders in Walle, aber auch in Göttingen und Freiburg, sehr stark durch Kant und den Neukantianismus geprägt. Es darf gesagt werden, dass keiner der grossen Philosophen der Vergangenheit und keine zeitgenössische philosophische Strömung in Husscrls L)cnken seit der Jahrhundertwende so gegenwärtig waren wie Kant und der Neukantianismus. Weitgehend muss Husserls Philosophieren aus einer dialogischen Beziehung zur Kantischen und neukantianischen Philosophie heraus verstanden werden, und zwar schon vor der Frage, ob dieser Dialog ein Zusammenstimmen oder ein sich Widersprechen war. Grundlegender ist, dass überhaupt ein echter Dialog bestand, der als solcher schon Gemeinsamkeiten in bemg auf das Fragen und die Weise des Philosophierens vor-
422
SCHLUSS
aussetzt. Die fundamentalste Gemeinsamkeit liegt hier wohl in der Idee der Philosophie als eincr streng wissenschaftlichen und reflexiven ,.KritikHder Vernunftprinzipien mit dem Ziel des Vernünftigwerdens der Vernunft und der Errichtung einer endgültigen Metaphysik. Über diesen gemeinsamen Geist philosophischen Fragens hinaus habcn wir fast in allen wichtigen Problemkreisen von Husserls Philosophie positive Beziehungen zu Kant oder zu Natorp feststellen können, deren sich Husserl z j m grossen Teil auch selbst bewusst war, so dass er sich .,nach grbssen Linien mit Kant einig" erklären und mit Natorp in einer „nkhen Verwandtschaft" wissen konnte. Wir erinnern an Husserls Idee der objektiven Logik, die er wohl in einem bedeutendem Masse Natorp zu verdanken hat; weiter an seine Konzeption der Ontologie und des analytischen und synthetischen Apriori, deren Bezüge zur formalen und transzendentalen Logik und zur Idee der rtatwa formaliter s$ectuta Kants uns deutlich geworden sind; endlich ist in diescm Problemkreis auch auf die (allerdings bci weitem nicht vollständige) Parallele zwischen der Husserlschen Untcrscheidung von schlicht erfahrungsmässigen und wissenschaftlichen Weltformen einerseits und der Rickertschen von konstitutiven Wirklichkeitsformen iind i~ictliodologiscliciiIl;rkcnntnisformcri :~ndercrrieitshinzuweisen. Dann ist aucli an die Ueziehiing zwischen Husscrls transzendentaler Reduktion und der Kantischen und besondcrs Natorpschen Rückwendung zur Subjektivität am hitproblem und Lcitfaden desobjektiven Apriori undweiter auch an das fundamcntalc Abhängigkeitsverhältnis von Husserls Idee der ge n e t i SC h e n Konstitution von Kants Lehre von der produktiven Synthesis bzw. von Natorps rekonstruktiver Psychologie zu denken. Schliesslicli müssen wir uns die Verwandtschaft von Kants und Husserls idealistischer Weltinterpretation und auch die methodologische Bedeutung von Kants Postulatenlehre für Husserls Metaphysik vor Augen halten. Diese Verwandtschaften zeigen die Lebendigkeit der transzendental-philosophischen Tradition im Denken Husserls. Trotzdem kann Husserls Philosophie keineswegs als eine neukantianische bezeiclinct werden. Husscrl hat selbst eine solche
SCHLUSS
423
Klassifizierung iinirier radikal abgelehnt, und zwar hauptsächlicli mit dem Hinweis auf m e t h o d i s c h e Divergenzen. Kant hat in unnachgiebiger Konsequenz über den Weg, den eine Metaphysik, „die als Wissenschaft wird auftreten können", einzuschlagen hat, reflektiert und zu diesem Zweck die Vernunft einer Kritik unterworfen - ohne sich aber über die Methode dieser Kritik selbst ~ radikd zu basiiinen. l k s c I3csiiiiiiiiig wm tcilwcis<:( 1 Nciik:~iitianern vorbehalten; in weit radikalerer Weise aber dem Yhänomenologen Husserl, der in seinem immer neu einsetzenden Ringen um die transzendental-phänomenologische Reduktion der Vernunftkritik methodische Richtlinien verschaffte, die zwar nicht ohne Zusarnmcnliang mit dcnjcnigcn Krints und dcr Nciiknntianer sind, aber doch eine viel durchdachtere Gestalt aufweisen. Verbunden mit der Lehre und Methode der Eidetik geben sie der transzendentalen Bewusstseinsforschung eine neue methodische Fundierung. Husserl steht in der Linie Kants, aber er ist in der kritischen Reflexion eine Stufe tiefer vorgedrungen und damit über ihn hinausgegangen. Was Husserls Vorgehen gegenüber der Kantischcn und postkantianischen Philosophie weiter auszeichnet, ist die konsequente und universale Durchführung der Intentionalanalyse. Husserls Phänonienologie versucht, das Lcben der Subjektivität in allen s e h n intentionalen Gcstalteri lind lni~ilikiitioncnanalytisch zur Gegebenlicit zu bringen, um auf den1 Wcg der „PositivitätU („von unten", wic Hiisserf aucli sagt) zii dcn I'rinzipicn cks IIcwiisstseins vorzudringen. Sie stellt sich bewusst gegen ein Vorgehen, das von eincin konstruierten Prinzip aus („von obcn") die Erfahrung und überhaupt das konkrete Leben der Subjektivität (die „Positivitat") rekonstruiert, ohnc dabei dieses Leben zur Gegebenheit kommen zu lassen. Dieses Vorgehen schuf Kant und den Neukantianern gegenüber ein neues geistiges Klima und Pathos, das in einem inneren Zusammenhang mit dein Geist der rnodcrnen empirischen Wissenschaften steht. Durch die universal zu den mannigfaltigen Gestalten der Intentionalität vorstossenden Untersuchungen hat Husserl auch neue Aspekte und Bereiche des Bewusstseins~ebenseröffnet und konkret sichtbar gemacht: Man denke hier an seine Phänomenologie der Zeit, des Horizontbewusstseins, des Kulturlebens, besonders auch an seine Analysen der Intorsulijcktivität, i n tl(:iicii (1;~siin tlciitcc1ic:ri I
I 424
SCBLUSS
1
lismus übergangene individuelle Einzelbewusstsein in seiner intentionalen Gemeinschaft mit dem alter ego innerhalb der geschichtlichen Sozialität zu Wort kommt. Husserls konkrete Analysen lassen auch die übernommenen Kantischen und naukantianischen Elemente in einem neuen Licht erscheinen. Mit diesem analytischen Vorgehen Husserls ist eine Einsicht eng verbunden, die Husserl am tiefsten vor Kant und dem ganzen deutschen Idealismus auszeichnet: die Einsicht in die reine Faktizität und insofern Irrationalität der Weltkonstitution im transzendentalen Bewusstsein, bzw. die Einsicht in die Unableitbarkeit der subjektiv konstituierten Welt aus der Subjektivität. Damit wurde er im Gegensatz zum deutschen Idealismus der radikalen Abhängigkeit der transzendentalen Subjektivität gerecht - und zwar ohne diese im Sinne eines ,,Realismus" zu naturalisieren - und öffnete der Metaphysik den Weg zum letzten und wahrhaft Absoluten.
ANHANG I
L I S T E VON H U S S E R L S V O R L E S U N G E N UND UBUNGEN Ü B E R K A N T l
Halle: 18golg1 Geschichte der neueren Philosophie 1895196 Geschichte der Religionsphilosophie seit Spinoza 1897198 Geschichte der Philosophie Philosophmhe Anfängerübungen über Kants P d q y t m a ZU e i w r jeden kQnftigen Metaphysik 1898 Kant und die nachkantische Philosopliie Philosophische Ubungen im Anschluss an Kants Kritik der veinen Vevnulzft I 8gg Geschichte der 2hilosophie 18ggl1goo Kant und dienachkantische Philosophie Philosophische Ubungen im Anschluss an Kants Prdegontelra 1900 Geschichte der Philosophie 1goo101 Kants Philmophie Philosophische "Sungen iin Anschluss an Kants Kvitih der reinen Vernunft 1901 Geschichte d w Philosriphie
3 Stunden 3
Stunden 5 Stunden
2
in beliebigen Stunden 2 Stunden in beliebigen Stunden 5 Stunden 3 Stunden in bcliebigen Stunden 5 Stunden
Gbtlingen: 1902 Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Philosophische Ubungen über Kants .Kvilih der reine% Vernunft 1903 Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden 1903/04 Geschiclite der iieiieren Philosopliic von Iiant einsdilicss!icli Ijis mir ( k g c t i w w t 4 S t i i ~ i d c i t Philosophische Ubungen über Kants Kritik der prschen Vernunft 1904 Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Diese Liste stiitzt 4 c L in der Hnuptsarhe auf eirie i~nvcröffcntlicl~tc Studie von Frau L. Gelber, Acta aufhmtica. Diese beiiützt ihrerseits Aufzeichiiurigei~voii H. L. Van Breda. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass Husserl nicht alle Vorlesungen, die wir anführen, und die er in den Vorlesungsverzeichnissen ankündigte, abgehalten hat. Andererseits hat H~sserEauch wiederum Vorlesungen und Übungen durchgeführt, die er nicht ankündigte, so etwa die Kantübungen vom SS 1927. Die doppelten Jahreszahlen bezeichnen die Wintersemester, die einfachen die Sommersemester. Gemeint sind jeweils die Wochenstunden.
ANHANG I
ANHANG X
Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Kant und die nachkantische Philosophie 4 Stunden Philosophische ubungen über ICants Theorie der Erfahrung nach der K&k der reinen Vernunft und den Prolegomena 2 Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Philosophische Übungen über Kants ethische Prinzipienlehre nach der Grundlegung der Metaphysik der Sitte* und der Kvitik der praktischen Vwnunft in beliebigen Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Kant und die nachkantische Philosophie 4 Stunden Allgemeine Geschichte der ~hilosoihie $ 4Stunden Allrremeine Geschichte der Philosoohie 4 Stunden ~hi?oso~hische ubungen im ~ n s c h ~ u s s an Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten und seine Kritik der praktischen Vernunft in beliebigen Stunden Kant und die nachkantische Philosophie 4 Stunden Philoso~hische Übungen über Kants Kvitik & reine# V e r k n f t in beliebigen Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Allgemeine Geschichte der PhiIosophie von den ältesten Zeiten bis Anfang des IQ. Jahrhunderts 4 Stunden Kant und die nachkantische Philosophie 4 Stunden Philosophische Ifbungen im AnschIuss an Kants Kritik der r e i m Versunft in beliebigen Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie von den ältesten Zeiten bis Anfang des 19. Jahrhunderts 4 Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie von den Xltesten Zeiten bis Anfang des 19. Jahrhunderts 4 Stunden Kant und die Philosophie der Neuzeit q Stunden Allgemeine Geschichte der Philosophie bis Kant inkl. 4 Stunden Philosophische ubungen im AnschIuss an Kants Kritik der praktischen Vernunft und Grundlegung der Metaphysik dpr Sittrn in hlicbigen Stunden Allgenieiue Geschichte der Philosophie 4 Stunden Kant und die Philosophie der Neuzeit 4 Stunden
1918/1g
Übungen übcr Kants Transzendentalphilosophie rgzx Geschichte der neucrcrl Pliilr>sopliic 1922 Geschichte der neueren Philosophie 1g24/25 Geschichte der neueren Philmphie 1926 Geschichte der neueren Philosophie
4 Stunden
4 Stunden 4 Stundcn 4 Stunden
i. Br.: Allgemeine Geschichte der Philosophie 4 Stunden Kants Transzendentalphilosophie Philosophische ubungen im Anschluss an Kants transzendentale h t h e t i k Geschichte der Philosophie von den ersten Anfängen bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts 4 Stunden
1 Diese Übungco sind nicht im E'o~lesungsuerzeichnis angekiindigt. Von ihnen ist aber ein Ms. erlialirri (M?.orig. A I 40).
A X H A N C XI ANHANG I1
I-TUSSERLS S T U D I U M D E R KANTISCHEII' U N D NEUKANTIANISCHEN LITEKATUR1.Q
I. KANT-AUSGABEN, DIE
SICH I M BESITZ HUSSERLC BEFANDEN:
( A ) Gesamtausgaben
* Sämtliche Werke. I n chronologischer Reihenfolge, herausgegeben
von
G . HARTENSTEIN, 8 B5nde. Voss, Leipzig 1867-68 3
Werke. 111 Gemeinschaft mit Herniann Cohen . . . . herausgegeben von E. CASSIRER, I I Bände, Cacsirer, Berlin 1912-1922
( B ) Ausgaben einzelner Werke (a) Ausgaben der Kritik der reinen Vernunft Text der Ausgabe von 1781 init Beifügung sämtlicher Abwcichungen der Ausgabe von 1787, herausgegeben von K. KEHRBACH, 2 . verbesserte Auflage, Reclam's Universal Bibliothek, RecIam jun., Leipzig 1878 * herausgegeben und mit einer Einleitung, sowie einem !5achregiata versehen von K. VORLANDER, Wendel, Halle a . S. 1899 6 cliemalige Kelirbachausgabe, neu herausgegeben von R.SCIIMIDT, 2 . Auflage, Reclams Universal Bibliothek, Reclam jun., Leipzig 1924 (b) Aiisgaben der Probgomena * herausgegeben und historisch erklärt von B. ERDMANN, Vcas, Leipzig 1878 * kcrausgegeben von I<. SCHULZ,Reclan~ Universalbibliothck. Reclarn jun., Lcipzig 1888 6 (C) Ausgabe der Grundlegung zur Metaphysik der $tsn * herausgegcben voii Th. FRITSCH, Reclanils Univcreal 13ililiothak, Kcclxiii juti., lxipzig iy04 (zwei Bxeniplare) (d) Ausgaben der Kritik der praktischen Vernunjt * Tcxt der Ausgalic. von I 7881111tcrRcriicksiclitigung der 2 . Ausgabe voii 1792 und dcr 4. Ausgabe von 1797, herausgegeben von K. KEHRBACH, Reclam's Universal Ribliuthck, Reclam jun., Leipzig 1878 herausgegeben und mit eincr EinIeit~ing versehen von K. VORLAND~LR. Philosophische Bibliothek, Dürr, Leipzig 1906
P
Die in diesem Anhang enthaltenen Listen wurden hauptsächlich auf Grund von Husserls Privatbibliothek, die sich heute im Husserl-Archiv befindet, aufgestellt. Werke, in denen sich Anstreichungen und Bemerkungen Husserls befinden, bozeichnen wir mit einem Stern (*). zitiert in Ph. d. Arithmetik und in den Log. Unters. zitiert in Ms. orig. X X 3 und Ms. transcr. B IV I. zitiert in Ms. transcr. B IV I. 6 zitiert in Ms. transcr. B IV I.
424
(e) Ausgabe der I(ritik der Urteilskraft heraiisgegcbcn und niit einer Kinloitiitig. sowie ciilcm l'crsorien- uiid Sa,chregister versehen von K. VORLANDER. 3. Auflage, Philosophische Bibliothek, Dürr, Leipzig 1902 (f) A u s g a b e n a n d e r e r S c h r i f t e n K a n t s Brief Kants a n Lipidner, E i n Brief Kants mitgeteilt von B. GROETHUYSEN, Sitzungsberichfe der Preisssischen Akademie der Wissenschaften, Gesamtsitzung vom I . Februar 1906 * Metaphysische Anjangsgriln.de der Naturwissenschaft. neu~lieraiisV c r i i f i ~ ~ ~ t l i c l der ~ ~ ~I'liilosophisclicii ~ipn~~ (;Cgegeben von A. HI>FLF.R. sellschaft an dcr Universität zu Wicti, 13d. llla. Pfeiffer, I.,cipzig 1900 * Träume eines Geislersehers erläutert durch Träume der Metaphysik, Text der Ausgabe von 1766 unter Berücksichtigung der Ausgaben B und C herausgegeben von K. KEHRBACH, Reclam's Universal Bibliothek, Reclam jun., Leipzig 1830 Kants Opus posthumum dargestellt und beurteilt von E. A n r c ~ ~ s , Berlin 1920 E i n neu aufgefundenes IioEleghefl auch Iinnts Vorlesung über physische Geographie, herausgegeben von E. ADICKES,Tübingen 1913 Eine Vorlesung Kants iiber Ethik irn Auftrage der Kantgesellschaft herausgegeben von Paul MENZER,Heise, Berlin 1924 2. DIR VON HUSSERL CELESiENBN SCtiRtIrTEN K A N T S
Die falsche Spitzfindigkeit der trier syllogistaschen Figuren erwiesen (Hartenstein) Versuch den Begriff der negatioex Gösse i n die Weltweisheit einzufiihven (Hartenstein) Der einzig mögliche ßeweisgrwnd zu einer Demonslralion fiir das Dasein Gottes (Hartenstein) Beobachtungen über das GejdhE des Schönen und Erhabenen (Hartcristein) Untersuchungen über die DeutlichAsif der Crrundsätxe der natürlichen Theologic ulzd der Moral (Hart:enstein) Träume eines Geistersehers (Kehrbach) Vom ersten Grund des Unterschiedes der Gegeradaninz R a u m (1-Iartenstciri) De mundi sensibilis et inblligibiiis forma atque princieis (Hartensteiri) Kritik der reinen Vernunft (Wartenstein, Kehrbach, Vorliirider) Prolegomena (Erdriiann, 1-Karte~istciir, Scliulz) Grundlegung zzlr Meiuphysih der Sitten (Fritsch, Hartenstein) Metaphysische Anfangsfrülzde dt-r Nnlwiuissensckaft (T-Tartcristein, HBfler) Kritik der praktischen Vernunjt (Hartcnstein, Kehrbach) Kritik der Urteilskraft (Hartenstein) ober eine Entdeckung, nach der alle n e w Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere nntbehrlich gemacht werden soll (Hartenstein) 1 Diese Liste wurde hauptsächlich auf Grund der Anmerkungen und Anstreichungen aufgestellt, die sich in Husserls Exemplaren der Kantischen Werke befinden. In Klammern nennen wir die jeweilige Ausgabe, in der Husserl das betreffende Werk Kants studierte. Die Werke Kants werden in chronologischer Reihenfolge (nach dem Erscheinungsdatum) angeführt. 8 Nur in den ersten sieben Seiten des 83 Seiten umfassenden Textes finden sich Lesespuren.
43O
ANHANG I I
ANHANG I1
Uber Philosophie überhaupt, zur Eideilung in die Kritik der Urkilskrajl, die von Beck stark überarbeitete Fassung (Hartenstein) Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Wartenstein) Logik, ein Handbuch zu Vorlesungen herausgegeben von G. B. Jäsche (EIartenstein) Welches sind die wirklichen Fortschritte, welche die Metaphysik seit Leibnitz's und Wolff's Zeiten i n Deutschland gemacht hat herausgegeben von F . T. Rink (Hartenstein) (alle Hartenstein) : mit L a m b e r t : Lambert a n Kant : 3. Februar 1766 Kant a n Lambert : 2. September 1770 Lambert an Kant: Atiiangs Dezember 1770 ~ i i i tM c i i ~ l c l s s o l i i :i I h i i t :in Mciitlc~lssc>liii: H. April 1766 Mendelssohn an Kaiit: 23. Dezember 1770 mit H e r z : Kant an Herz: 7. Juni 1771 Kant a n Herz : 21. Februar 1772 Kant an Herz: 1773 Kant an Herz: 26. Mai 1789 tiiit l i e i i i l i o l tl : Kant an Reinliold : 19. Mai 1789 W E R K E ~ B E RKANT, DIE HUSSEKL ZITIERT ODER STUDIERT HAT B
*%NIXE
F.,
*BERGMANN J., *BERGMANN J., *BRENTAN~ F.. *COHENH..a COUTURAT L.,4 *DILTHEY
W.,
B L S ~ N H ATN . , 6S
*HEIDEGGER M., HEMAN F., HICKSG.,
2
*HOFMANN P., KÖNIG,E. *KRAUSE A.,
BRIEFWECHSEL K A N T S
3.
*EWALDO.,
MINDESTENS TEILWEISE
Kant und die philoso#hische Aufgabe ernserer Zeit. Rerlin 1832 Vorlesungen über Metaphysik mit besonderer Beziehung au/ Ir'ant, Berlin 1886 Geschichte der Philosophie, 2. Bd. : Die deutsche Philosophie um Knnb bis Beneke Berlin ~ 8 g 2 / g 3 Die vier Phasen der Philosophie und ihr augenblickNcher Stand, Lcipzig 1926 Kants Theorie der Erfahrarng, 2. Aufl.. Berlin 1885 L a philosophie des naathLwtatiqires dde Kant. Auszug aus Revue de mktaphysique el de morale, 1904 (IZ), C. 321-383 Die Jugendgeschichle Hegels zsnd andere Abhandlungen zur GescRichb des deutschen IdeaEsmus, Leipzig U. Berlin iyz I F r i ~ sund fianl. Eilt Raitrng X? Geschiclrle und aur systematischen Grundlegung der Erkennkisbheoric, Giessen 1906
Von den 230 Seiten sind nur die ersten 30 mit Anstreichungen versehen.
*VONKRIESJ., *I<no~ir.i< I<., *MELLING.,
43I
liants Methodologie i n ihren Grundzügen, Berlin 1906 Kant und das Problem der Metaphysik, Bon11 1929 Kants philososophische Kosmologie, Kant-Studien, 1004' .Die BegriJfe Phänonaenoa und Noumenon in ihrem Ve~laädtniszueinawder bei Kant, Leipzig 1897 Aligemeinr~issenscha/l und Geisteszuissenscha/t, C1i:trlr~ltciilriir~ 1925 U m Kausalproblem von Curlesius bis Kant 9 Populrire Darstellung v m Trnmanuel Kants „Kritik der reinen Veunun/t 2. Aufl. 1882 Immranud K a n f und seine Bedeutung fiir die Naturfors~htang der G~penztinri,Xerlin 1024 I'on l;,V I i e p d , 2 l h l ~ s , ,' l ' i i l ~ i ~i ~o ~q v ~ ~ Ii.>aeyclo~i~liiisi:/ifis WürCerLttch der kri/ischen l'hilo-
sophie oder Versuch einer fasslichen und vollstälzdigen ErkEerttng der i n Kants kritischen und dogmatischen S c M f f e n enthaltenen Begrifje und Sätze, ZüHichau, Jena und Leipzig 1797-1804 Iknd und die Marbiirjier S c h u k , I
a Diese Liste wurde auf Grund der Anmerkungen und Anstreichungen in der
Kantischen Sekundärliteratur von Husserls Privatbibliothek, sowie auf Grund von Zitaten in Manuskripten aufgestellt. I n Husserls Privatbibliothek befinden sich gegen zoo Werke über Kant, der grössere Teil scheint aber nngeIesen. Werke, in denen sich Anstreichungen Husserls befinden, bezeicliiicn wir mit ciiiein Stern. 3 zitiert in Ms. orig. X X 3 (1893). 4 zitiert in Ms. orig. F I 3, S. 81a (1907). 5 zitiert in Ms. orig. B I V g, S. 2 (1907 od. 1908).
so zitiert in Ms. orig. X X 4; gemeint ist wohl der Aufsatz Imntanzcel Kaltts philosophisches VermäcktnS, KanSstudiea I X (rgoq) S . 155-195. 2 SO zitiert in Ms. or:q. X X 5 (zwischrn 1003 U. 1906) gcmeint ist wohl Die Rn& wicklung des I~ausat.jr/a>lsmsi n der noucren I'hilosopkie, 2 Udc. 1888!go. 3 zitiert in Ms. orig. X X 5 (zwischen 1903 u. 1906);dieses Werk befand sich nicht im Besitz Husserls. zitiert in Ms. orig. 7 I ;2, S. 45a (um 1910). zitiert in Ms. orig. X X 5 (zwischen 1903 U. 1906).
ANHANG I1
4. NEUKANTIANISCHE LITERATUR, D I E HUSSERL GANZ ODER TEILWEISE STUDIERT HAT CA) Der physiologische Neukanlianismu
(a) HERMANN HELMHOLTZ Vmträge und Reden, X. Band, Braunschweig 1884 (teilweise gelesen)
Geschichte des Materialismus, 3. Auflage, Iserlohn 1876 (teilweise, hauptsächlich die Kapitel über die Neuzeit gelesen) Logische Studien, Iserlohn 1877 (ganz gelesen) ( B ) Der psychologische Neukanfianisnrus (a) BENNOERDMANN
Die Axiome der Geometrie, Leipzig 1877 (ganz gelesen) Logik, I. Band: Logische Elemenfarlehre, Halle a.S. 1892 (ganz gelesen) Theorie der Typeneinteilungen, Philos. Monatshefte, X X X Ober Inhalt und Geltung des Kausalgesetzes, Halle a.S. 1905 (wohl ganz gelesen) (b) HANSCORNELIUS Versuch einer Xhemie der Ezistentiakr&aEs, München 18949 Psychologie als Erfahrungsvrissenschaft, Leipzig 1897 (ganz gelesen; irn Exemplar Husserls befinden sich hineingelegte Blätter, die auf den 28. September rgo6 datiert sind und auf denen sich Hussed mit Cornelius auseinandersetzt) Uber Gestaltqualitüten, Zeitschrift fur Psychologie und Physiologie der Sinnesor~ane,I3d. 22 (auf diesen Aufsatz nimmt Nusserl in den Logischen Untersuchungen ßezug)
Untersuchungen über den logischen Gehalt des Kazdsalgeselzes, Leipzig 1905 (nur sehr wenig gelesen)
( C ) Die Marburgtv Schzrle (a) RERMANN COHEN
Kants Theorie der Er/ahrung. 2. Auflage, Berlin 1885 (kaum mehr gelesen als den Paragraphen über Kants transzendentale Methode im Einleitungskapital) (b) PAULNATORP Ober objektive und subjektive Begründung der Erkenntnis, Philosophische 1 zusammengesteiit auf Grund von Husserls Privatbibliothek und anderen Quellen (Manuskripte und Briefe). 8 von Husserl besprochen in seinem Bericht uber deutsche Schcifteo zur Logik aus dem Jahre 1894.
ANHANG II
433
Monatshfte XXIII (1887) (von Husserl ganz gelescn, fast ganz abgeschrieben und in den Logischen Untersuchungen mehrmals zitiert) Einleitung in die Psychologie. Freiburg i. Br. 1888 (von Husserl ganz gelesen, mehrmals in Mariuskripten erörtert und in den Logischen Untersuchmgen zitiert) Z u r Streitfrage zwischen Empirismus ?tnd K r i t i z i m u s , Archiv für systematzsche Philosophie, 1899 ( 5 ) (gelesen und fast ganz exzerpiert) Sozialpädagogik, Stuttgart 1899 (zitiert in den Logischen Untersuchungen) Die EntmvicklungDesciartes VOR den ,,Regelnu bis zu den ,,Meditationen", Archiv für Geschdde dw Philosophie, X (1896) S . 10-28 (mindestens teilweise gelesen) Z u den logischen Gvundlagen der newren M a t h e m t i k , Archiv füv systematische Philosaphie, VII ( I ~ o I ) ,S. 177-zog, S. 373-384 (mindestens teilweise gelesen) Platos Ideenlehr8. Eine Einfidhrung zn den Ideralismus, Leipzig 1903 (wohl ganz gelesen) Philosophische Propädeutik, Marburg 1903 (wohl ganz gelesen) Logik, Marburg 1904 (mindestens teilweise gelesen) Die logischen Grundlagen d w exaktm Wissenschaften. Leipzig und Berlin 1910 (mindestens teilweise g e h e n ) Allgemeir~Psychologie, Tübingen I912 (systematisch und gründlich studiert) Philosophie und Psychologie, Logos, IV (1913). S. 176-202 (ganz gelesen) Deutscher Weltberuf, 1918 (wohl ganz gelesen) Die Begr#/sform ina mythischen Denken, Leipzig und Berlin 1922 (von den 62 Seiten sind wohl nicht melir als die ersten 2 0 gelesen) Die Philo~ophied e Griechen ~ von den A n f ä y e n bis Platon in Geschichte der Philosophie hrsg. von M. Dessoir. 1924 (nur teilweise gelesen) Philosophie dry symbolischen Fornzele, 3 Bände, nerlin I < > Z S - 1 9 2 ~ I. 'J'cil: IAc Sprache (nur tcilwcisc gelrsen) 2. Teil: Das mythische Denken (nur teilweise gelesen) 3. Teil: Phüfiomenologie der Erken*tnis (nur wenig gelesen) Determinismus und Indeterminismus i n der modernen Physik. Historische und syslemaiische Studien z l m ICausaZproblem, Göteborg 1937 (wohl ganz gelesen) ( D ) Die südwestdetsdsche Schule
Uber die Gewissheit dev Erkenntais. Eine psychologisch-erkenntnistheoretisch$ Studie, Rerlin 1873 (ganz gelcsen)
434
A N H A N G I1
Präludien. Aufsätze und Reden z w Einleitung i?$die Philosophie, r . Auflage, Freiburg und Tübingen 1884 (4. Aufsatz: I ~ ~ n r s eK Ea ~ i lund 7. Aufsatz: Normen und Naturgesetze gelesen) Präludien . . ., I1 4. Auflage, Tübingen, 191I (gelesen: 3. Aufsatz : Nmmen und Naturgesetze; 5. Aufsatz: Geschzciate u d Natwwissenschaff; I I . Aufsatz: Das Heilige) Geschichte und Naturwissenschaft, Strassburg, 1900 (ganz gelesen) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 4. Auflage, Tübingen 1907 (teilweise gelesen) Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig rgrr (fast ganz gelesen) Geschichte der antiken Philosophie in Ha~dbzschdw kEassischen Altertumswissenschaft, 3. Auflage, München 1912(teilweise gelesen) Einleitung in die Philosophie, Tübingen 1914(ganz gelesen) (b) HEINRICH RICKERT Der Gegenstand der Erkenntnis, Freiburg 1892 (ganz gelesen) Der Gegenstand der Erkenntnis, 2. Aufl., Tübingen und Leipzig 1904 (ganz gelesen) Z u r Theorie der naturwissenschaftkhen BegviffsbGdung, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XVIII (1894),S . 277-319 (von Husserl besprochen in seinem Beticht i)6w deMsche Schiften mu tv Logik aus dem Jahre 1894) Kultuvwissenschaft und Naturwissenschaft, Freiburg i . Br. 1899 (ganz gelesen) Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, 3. Auflage, Tübingen 19x5 (wohl ganz geleson) Die Grenzen der naturwissenschaftliclaen ßegriffsbilduwg, Tübingen und Leipzig 1902 (gelesen: 2. Kapitel: Natur uad Geist) 2. Auflage, Tübingen 1913 (wohl das ganze Werk, Die Grenzen ausgenommen das 5. Kapitel gelesen; cr6rter-t in der Vorlesung Natur und Geist vom Sommersemester 1927) Zwei Wege der Erkenntnistheorie. Kant-Studien, 1909 ( q ) , S. 169-228 (ganz gelesen und in einem Manuskript eingehend kritisiert) Die Philosophie des Lebens, Tübingen igzo (nur teilweise gelesen) System der Philosophie, J., Tübingen 1921 (teilweise gelesen) Die Heidelberger Tradition und Kants Kritizismus, Berlin 1934 (die ersten 15 Seiten gelesen)
. ...
(C)
EMILLASK Fichtes Idealismus und die Geschichte, Tübingen und Leipzig 1902 (teilweise gelesen)
(d) JONAS COHN
Voraussetzungen und Ziele des Erkennens, Leipzig 1908 (ganz gelesen)
A N H A N G I1
435
{ E ) Der realistisch Neukantianismus Ators R I E ~ L Der philomphisshe Kr&'cisnaus und sei* Bedeutung fiir die positive WissenscJuft, 3 Bde., 1876-1887 (zitiert in den Logischen Untersuchungen]
BIBLIOGRAPHIE
BIBLIOGRAPHIE
I.
DIE SCHRIFTEN HUSSERLS
I.
Veröffentlichte Schriften
Die bis heute vollständigste Bibliographie von veröffentlichten Texten Husserls und von gbersetzungen solcher in fremde Sprachen gibt H. L. VAN BREDA in Edmund Husserl1859-1959, Phaemenologica Bd. IV, Nijhoff, Haag 1959, S. 289-306. Im folgenden führen wir nur die in unserer Arbeit zitierten verßffentlichten Schriften Husserls an, vorerst die in der Husserliana (Gesammelte Werke) erschienenen, dann die Publikationen, die nur anderswo herausgegeben wurden. Unsere Zitate beziehen sich alle auf die im folgenden genannten Ausgaben.
Cartesianische Meditationen und Pariser Vorlräge (zitiert als Cart. Med.) herausgegeben und eingeleitet von Prof. Dr. S. Strasscr, Husscrliana (zitiert als Ha) Bd. I, Nijhoff, Haag I950 Die Idee der Phänomenologie. Fünf VorZesungen (zitiert als F ü s f Vorksungen) herausgegeben und eingeleitet von W a h r Riemd, Ha Bd. 1 l, 2. Auflage, Nijhoff, Haag 1958 Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänmnologischen Philosophis. Erstes Buch: Allgemeine Einfiihrung ilz die reine P h ä n o m l o g i e (zitiert als Ideen I ) neuc, auf Grund der handscliriftlichen Zusätze des Verfassers erweiterte Auflage, herausgegeben von walter Riemel, Ha Bd. I1 C, Nijhoff, Haag 1950 Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologisc8en Philosophie. Zweites Buch: Phänomenolog~isch Untersuchungen zur Konslifutim (zitiert als Ideen ZZ) herausgegeben von Marly Bierriel, Ha Bd. IV, Nijhoff, Haag 1952 Ideen zu einer reinen Phänonzenologie und phänomenologischen Philosaplii8. L)rities Buch: Die Phänowenologie und die Fundamente der Wisscnsckatten (zitiert als Ideen I I Z ) herausgegeben von Marly Biemei, H a Bd. V, Nijhoff, Haag 1952 Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phdnomenologie. Eine Einleitung i n die phänomenologische PhiIos@hi~ (zitiert als Krisis) herausgegeben von Walter Bieinel, Ha W.VI, Nijhoff, Hmg I954 Erste Philosophie (19z3/zq). Erster Teil: Ziritische Ideengeschichle (zitiert als Erste Ph. I) herausgegeben von Rudolf Boehm, H a Bd. VII, Nijhoff. Haag 1956
437
Erste Philosophie ( ~ 9 2 3 / 2 4 )Zweiter . Teil: Theorie der $hänomenologischen Reduktion (zitiert als Ersle Pk.11) herausgegeben von Rudolf Boehm, Ha VIII, Nijhoff, Haag 1959 Phänomenologische PsychoEogie. Vwlesungen Somtnevsementer 1925 herausgegeben von Walter Biemel, H a IX, Nijhoff, Haag 1962 Philosophie der Arithmetik. Psychologische und Eogische Untersuchungen. Erster Band (zitiert als Ph.d.AritheWk) Pfeffer, Halle a. S. 1891 Psychologische Stwiien z u r elemmlaren Logik, PhilosopAis~heMonatshefte, 30 (:894). S. 159-191 Berzcht über deatsche Schvifleranrr Logik azas dem Jahre 1894, Archiv für systematische Philosophi5, 3 (1897), S. 2 16-244 Logische Untersuchungen. Erster Theil: Protegmena zur reinen Logik (zitiert als Log. Unters, I),Niemeyer, Halle a.S. I900 ( 2 . umgearbeitete Auflage, 1913; 3. U. 4. Aufiagen 1922 und 1928) Logische Untersuchungen. Zweikr Theil: UnZersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (zitiert als Log. Unters. IL), Niemeyer, Halle a.S. 1901 (2. umgearbeikte Auflage 1913 U. 1921; 3. und 4. (unvollständig) Auflage 1922 und 1928) Bericht über deutsch Schri,Ften zuv Logik aus dea Jahren 1895-1899, Archiv für systematische Philos?phie. 9 (19031, S. 113-132, 237-259, 393-408, 523-543; 10 (1904), S. 287-294 Philosophie als strenge Wissensch~ft(zitiert als Logos), Logos, r ( I ~ X O / I K ) , S. 2 8 ~ 3 4 1 Vorleszcngen zur P k ä n o m n o l o g i ~des inneren Zeitbewusstseias (zitiert als Phänomenologie des innefen Zeitbewusstseins) herausgegeben von Martin he I-Ieideggcr, Jahrbuch für Philosophie und p h ~ n o ~ n o l o g ~ cForschung, 0 (1928) S. VIII-IX, 367-498 (erschienen auch als Separatdruck) Formale und tralzszendenb'e Logik. Versuch einw Kritik der bgischen Vmnunft (zitiert als Logik), jahrbuch fiir Philosophie und phünomenologische Forschung, 10 (1929)~S. V-XTII, 1-298 (erschienen auch als Separatdruck) Entwurf einer ,,Vorrede" zuden ,,Logischan lJniersudung~n"(z91.y) heraiisgegeben von Eugen Fink, Tzjdschriff voor Philosophie, r (1939). S. 106133: 319-339 Evlahrung und Urteil. Ulztersztchtmgen zur Genealogie der Logik redigiert und hcrausgcgeben von Ludwig Landgrebe, Claasseri, Hamburg 1948 (dieses Werk ist bereits 1939 in R a g erschienen, wurde aber bis auf wenige Exemplare vernichtet) ; 2. unverkndcrte Auflage 1954 Persönliche Aufzeichnungeli herausgegeben von Waiter Biemel, Philosophy and Phenomenologkal Research, 16 (1956). S. 293-302 2.
Un~eriif/antlicRlr~Manirskripfe (mit Index unserer Zitate)
Wir führen im folgenden die in unserer Studie ausdrücklich zitierten Manuskripte in der Anordnung an, die der Klassifikation des HusserlArchivs in Löwen entspricht. Diese Klassifikation fusst in der Hauptsache (die Gruppen ,4 bis F) auf cincni Nan, den im Jahr? 1935 E. Fink und L. Landgrebe im Auftrage Husserls cntwarien. IXe Gruppen K bis X wurden von H. L. Van Breda in Löwen dem Plan von 1935 beigefügt. 13ei den Daten, die wir in der unten stehenden Liste nach den jeweiligen
438
BIBLIOGRAPHIE
BIBLIOGRAPHIE
Manuskriptsignaturen angeben, handelt es sich oft nur um b1os.e Grenzdaten, da eine grosse Anzahl der Nusserlcchen Manuskripte Texte aus nicht selten weit auseinanderliegenden Zeiten enthdten. Eine genauere Zeitangabe der in unserer Arbeit zitierten Manuskripttexte fügen wir jeweils in den zu den Zitaten gehörigen Fussnoten bei. Es sei hier noch bemerkt, dass wir die zum grössten Teil in den HusserlArchiven Löwen und Köln verfertigten Transkriptionen der in Gabelsberger Steriograpliie geschriebenen Originale Wuswrls zitieren, soweit uns solche vorlagen. Andernfalls beziehen wir uns direkt auf die Originale. Die Transkriptionen sind in unserer Arbeit durch „Ms. transcr." (z.B. Ms. transcr. B I11 12), die Originale durch . , M i ong." (z.B. Ms. orig. A 1 8 ) gekennzeichnet. A
. Mwndane Phänomenologie
1
1
I. Logik und formale Ontologie A I 8 (vor 1900-1911): siehe oben S . 145, 155, 156, 175, 245 A I 12 (1897-1913): s.o. S. 19. 140 A I 3 6 (1910-1926): S.O.S. 136, 150, 159, 169/70, 174, 175. 185, 235, 245. 265166, 289, 295, 296, 372 A I 40 (1923-1927): S.O.S. 40, 87, 136j37, 427 A 142 (1910): S.O. S. 32, 376382, 384, 387-393 111. Ontologie (Eidetik und ihre Methodologie) A I11 4 (1918-um 1926) : S.O. S. 75, 336 A 111 6 (1918-1930): S.O. S. 295
B . Die Redrtktdolz I . Wege rur Reduklion B I 3 (1917) : s.o. S. 38, 69, 184 B I 4 (1~8-1g0g): S.O. S. 295, 299(300 B I 13/11 (um 1925-1933) : S.O. S. 292 B 1 21/IV (um 1q18-1026) : S.O. S. 280 11. Die Reduktion selbst und ihre Methodologie
B I1 I (1307-1917): S.O.S. 30, 31, 180181, 197, 223, 224, 244, 335 111. V o d ä ~ f i Ivanszendentab y Znte~lionnlanaZytik B I11 311 (1931): s.o. S. 95, 354 13 I t t ro {ryzr-iyzg): s.o. C. 63, iti4. 271-273, 35r B 111 1 2 {um 1910) : s.o. C. 295 IV. Historiscae ulad systeneaiische Selbstcharakterislik der Phänomenologie B IV I (um 1900-um 1924): s.o. C. 30, 33, 41, 57, 65, 66. 73, 99, 1141 15, 121, 126, 132, 138, 146147, 1473 149. 154/55> 1.59, 165. 2469 248, 251, 268. 295.428 B IV 2 (cm 1916-um 1925): S.O. S. 102 B IV 6 (1908-1924): S.O. S. 121, 122, 127, 149, 175. 213 B IV g (tim 1907-um 1925): s.o. S. 292, 297, 430 B IV 10 (1916-1924): S.O. S, 38, 4x B IV 12 (1917-1920): S.O. S. 136, 175, 259160. 268/69, 295
IV. Wissenschaftstheovie A1V5 (rgrz-1g3q): s.o. S. 90, 136, 141, 145, 146, 148, 150, 163164, 1738 250/51, 253154. 251/56 26.5 A IV 7 (1931): s.o. S. 171 V. Intentional8 Atrtliropologie (Person «nd Umweid) A V 21 (1924-1927): S.O. S. 269-271, 289, 291 A V 22 (um 1931): s.o. S. 372 VI. Psychologie (Lehre von der Intentwndität) A V1 811 (1904-1912): S.O. S. 30, 63, 2581.59 A V1 10 (1909-um 1920): S.O. S. 292 A V1 1111 (um 1896-1910): s.o. S. 323 A V1 26 (Zwanziger Jahre) : s.o. S. 248 A V1 30 (1909-1926): S.O. C. 289-291, 294 VII. Theorie der Weltappevzeption A V11 14 (1920-1926): S.O. S. 134, 136, 141, 148, 166, 170, 253. 336 A V11 I7 (1929-1933) : S.O. S. 371 A V11 18 (1930): S.O. S. 148, 150. 171 A V11 20 (1930-1931) : S.O. S. 132, 336 A V11 25 (vor 1900-um 1918): S.O. S. 147 A V11 26 (1925): S.O. S. 241
E . Intersubjektive Kmaslitz~tiolz 111. Transzendentale Anthropologie (transzendentale Theologie, Teleologie) E I11 I (zw. 1930 U. 1934): s.o. S. 302 -E 111 2 ( ~ 4 2 1 1934135): , s.o. S. 173. 273. 283, 287. 354, 371 E I11 4 (cm 1934): S.O.S. 300 E 111 5 (1933): S.O. s. 334, 371
F . Vorlesungen und Vorträge I. Vorlesungsn und Teile aus Vorlesungen F I I ( A l b und n e w Logik, WS 1908/09): s.o. S. 135 F I 3 (U~~a'lstheovie, wohl SS 1905 und später): S.O. S. 99, 430) F I 10 (EiPafzihvulzg ia die Logik u d Erkenntnistheorie, WS 1906/07) : S.O. S. 181/82 F I 12 (Logik als Theorie der Erkendnis, WS I ~ I O / I I ) :S.O. S. 31, 61, 141, 145, 146. 158, 175, 199, 224125, 299
F 1 2 0 (Grundfragen der Ethik, SS 1902): s.o. S. 1x9, 127 F I 22 (Fichtes Menschheitsideal, 19x7 und 19x8): S.O. S. 36, 38, 74, 258, 355 F I 24 (Grundprobleme der Ethik, WS 1go8/og) : s.o. S. 62, 63, I I I ,
i-7
RJRLIOGRAPHIE
BIBLIOGRAPHIE
440
136. 16.5, 394 F I 2 6 (Erkenntnistheorie, WS ~gozlog):S.O. S. 25, Izr. 126, 129, 144. 264 F I 2 8 (Einleitung in die Ethik, CS 1g20): S.O. C. 40, 56, 58, 61, 62, 64, 73. 89. 103/04. 111, 119, 193 F I 3 0 (Eznleitung i n die Philosophie, SS 1916): S.O. S. 38. 73, 75, 80, 82, 123, 141, 250 F I 3 2 (Natur und Geist, SS 1927): S.O. S. 40, 61/62, 82, 84, 99, 135, 136, 151-153. 160-162, 165166, 17j, 278, 292, 328/29, 401, 404410, 412, 414-420 F I 33 (Einführung i n die Phänomenologie, W S 1926/27): S.O. S. 148 F I 36 (Einleitung in die phänomenologische Psychdogie. SS 1915): S.O.S. 289 F I 40 (Einleitung i n die Philosophie, SS 1g16 und WS 19x9120): S.O. S. 40, 57, 99/1oo, 227 F I 42 (verschiedene Vorlesungstexte aus der Zeit zwischen 1905 und 1916): S.O. S. 25, 31, 59, 69. 75, 82, 193, 431 F I 43 (Grundpobleme der PhänumzenoEogia, W S I ~ I O ~ I I )S.O. : S. 145, 199, 225. 276177, 279, 284
IV. Lose Blnfter F IV 3 (uni 1915-um 1925): S.O. S. 141. 293/94, 296, 370
K . Autographe, die i n der kritischen Sichtung von 1935 nickt au/gcnamfflaw wurden (unter chronologischem Gesichtspunkt von H. L. Van 3rd geordnet) 1. Manuskripte vou xgro K I 18 (um 1890-uni 1900): S.O. S. 98/99 K I 20 (1896): s.o. S. 140 K 1 2 5 (1895): s.o. S. 11 K I 28 (1887-1890): S.O. S. 11, 59, 72/73
111. Maxuskripte nach 1930-zur ~risisproblemktik K 111 1/11 (1935): S.O. S. 48, 74, 107, 108, 192, 307, 318/19 K 1116 (rg34-1936): S.O. S. 403 K 111 26 (um 1937): s.o. S. 63, 82 I< 111 28 (um 1936x937): s.o. S. 86, 105, 136, 266
X . Abschriften von Randbemerkungen Husserk i n den BBchevn seiner ßibliothek Randbemerkungen zu Heidegger, Kant und das Pvohlem der Mslaphysih: S.O.S. 76, 13o/31, 144. 189-191 Randbemerkungen zu Natorp, AZlgemeine Psychologie nach k d i s c h n
441
M . Abschriften von Manuskripten Husserls i n Kurrentschrift, bzw. M a schinemcltriff, vw 1938 von Husswls Assisienten in Freiburg ausgeführt I . Vorlesungen M I I (Phänomenologie und Erhennlnislhemie, SC 1917): S.O. C. 38, 69, 184 11. Vwträgc?
M I1 r/iI (Phixotmnodogieund Anthropologie, Berlin, 10.6.1931) : S.O. S. 202 111. Entwür:e fiir PubJiha#cnzen M I11 9:Vlb (Lndwig Landgrebes Ausarbeitung eines Bruchstückes der -Jorlesung Grundproblenze der Pkämmenologie vom W S I ~ I O / I I:)S.O.S. 277. 279/80, 284
X. Archivaria X . Notiz- arid Tagebücher X X 3: (1893-1898) s.o. S. ro, 428, 430 X X 4: (1903-1905) S.O. S. $26, 431 X X 5 : (1903-1929) S.O. 5. 431
3 Briefe (mit Index zcnserer Zitate) ( i n LZwen kZassijiziert unter &r Signatur R) An Custav Albvecht vom 21. November r899: S.O. S. 14 vom 22. August rgor : S.O. S. 15, 325 vom I. Juli 1908: so. S. 182183 vom 27. Septemkr 1917: s.o. S. 184 vom 12. April 1919: s.o. S. 305 vom 3. Juni 1932: s.o. S. 300
A n Abbt Baudm vom 26. Mai 1934: s.o. C . 276 A n Ernst Casvirer vom 3. April 1925: s.o. S. 29, 39, 301/02 An Wilhelm Cilthey vom 546. J ~ l 1911 i (teilweise veröffentlicht in H a IX, S. XVIII-XXI) : S.O. S. 146 A n Marvin F ~ r b e r aus den Dreissiger Jahren (veröffentlicht in M. Farber, The Foundation of Phenomenology, S. 17): s.o. S. 13, 350 A n Ernst HocXing: vom g. Juli 1903: s.o. S. 286
443
BIBLIOGRAPHIE
BIBLIOGRAPIIIE
A n Roman Ingarden: vom 7. April 1932: S.O. S. 43 vom 11. Juni 1932: S.O.C. 43/44 vom 19. August 1932: s.o. S. 44 A n Helmut K u h n vom 28. November 1934: s.o. S. 44 A n Arnold Metzger vom 4. September 1919: S.O.S. 28 (veröffentlicht in Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, 62 (1953)~S.195-200) A n Paul Natorp: vom 14. März 1897: S.O. S. 322, 324 vom 23. Dezember 1908: S.O. S. 32, 367 vom 18. März 1909: S.O.S. 32, 161, 183, 326, 331 vom 22. F e b ~ a 1910: r S.O. S. 32 vom 28. Oktober 1910: S.O. C. 32 vom 8. Juni 1917: S.O. S. 33 vom 29. Juni 1918: s.o. S. 28/29, 35 vom I. Februar 1922: S.O. S. 355156 A n Erich Przywara vom 15. Juli 1932: S.O. S. 128 A n Heinrich Rickevt vom 25. April 1910: s.o. S. 33 vorn 20. Dezember 1915: s.o. C. 12, 28, 35, 37 vom 26. Dezember XgI5: S.O. C. 35, 374 vom 20. August 1920: S.O. C. 38 vom 11. Febmar 1921: S.O. S. 374 vom 26. Dezember 1928: s.o. S. 42, 45, 395 A n Hans Stoltenberg vom 11, Juni 1934 (verßffentkht in ZeitscWft fiir Philosophische Forschung, 13 (rgsg), S. 179-180): S.O.S. 239
FRAGATA, JULIO,in seinem Werk A Femmemlogia de Husserl, Livraria Cruz, Braga 1959 Omaggio a Hussed a cum di E ~ z PACI, o I1 Saggiatore, Milario 1960
442
Bisher sind folgende umfassende Husserl-Bibliographien erschienen: PATOCKA, J A N ,Revue ~ Internationale de Philosophie, r (r939), S. 374-397 RAES,JEAN,Ergänzung und Erweiterung der oben genannten Bibliographie, in Revue Internationale de Philosophie, 4 (rggo), S. 469-475 VANBREDA,HERMANN LEO,Bibliographie ( a n a l y t i s c h e ) in Imtrlul International de Philosophie, LU philoscrphie a u m'lieu d u uingtidnrs sidcla herausgegeben von R. Klibansky, La nuova Italia editnce, Firenzc r958, S. 65-70 ELEY,Lothar, Erganzung und Erweitemng der Bibliographien von Patocka und Kaes unter Renutzung der Bibliographie von Van Brcda in Zeitschrift für philosophische Forschung, 13 (1959), S. 357-367 Sehr gutc Bibliographien, hauptsächlich für den romanischen Sprachbereich, bieten ferner: BERGER,GASTON, in seinem Werk Le cogito d a m k philosophie de Hwserl. Aubier, Paris 1941. S. 141-156 ( A n a l y t i s c h e Bibliographie für den f r a n z ö s i s c h e n Sprachbereich) LAUER,QUENTIN, in seinem Werk Ph6nomthologie de Husserl. Essai sur lo genesede l'intentionalitk, P.U.F., Paris 1955, S. 431-441
Im folgenden führen wir nur diejenigen Wcrke an, die sich eingehender mit dem Problem des Verhältnisses von Kritizismus und Phänomenologie beschäftigen, oder die wir in unserer Arbeit ausdrücklich zitieren. "BAUMGARDT, DAYID,Das Möglichkeits$roblem der Kritik der reinen Vernunft, der modeinela Phänonaenologie und der Gegenstandstheovie, Kants t d i e n , Erg.-heft 5 I irgzo). S. 31-52 BERGER,GASTON,Le cagito dans la philosophie de Husserl, Aubier, Paris I941 BIEMEL,WALTER,Llie entscheidenden Phasen in Husseds Philosophie, Zeitschrift für philcsophische Forschung, 13 (1959)~S. 187-213 BOEHM,RUDOLP,Les ambig&ks des concepts hussmliens d'.,immanence" et de ,,transcendance", R z v m philosophique de da France et de I'ktranger, 149 (1959), S. 481-526 BOEHM,RUDOLP,Hmserl et l'idkalisw classique, Revue phalosophique de Louvain. 57 (Igjg). S. 35!-396 BOEHMRUDOLF,Z u m Begrzff des .,Absoluten" bei Hwsserl. Zeitschrift für philosophische Fors~htrng,13 (1959), S. 214-242 BRAND,CERD,Weit, Ich und Zeit. nach umeröffentlichten Manuskripten E. Husserls, NijhoE, Haag 195j VANBREDA, HERMANN LEOund BOEHX, RUDOLF,Les Archives-Nusserl d Louvain, Etudes Pbilcsophiques, g (1954))S. 9-20; deutsche Fassung in Philosophisches Jahrbllch der Görresgesellschaft, 6% (19531, S. 241.-252) VANBREDA,HERMAKN~.EO, Husserl et le $roblhw de Dieu, Proceedings of the 10th Int. Cong. PkJ., S . 1210-1212. BRENTANO, FRANZ,Vars-&h *er die Erkenntnis herausgegeben von Alfred Kastil, Philosophis&e Bibliotheh, Bd. 194, Meiner, Leipzig 1925 BRENTANO, FRANZ, B e vier Phasen der Philosophie und ihr augenblicklicher Stand, 2. Auflage, heraiisgc~c!tx?rivon Oskar Krriiis, Philosor>hischt?Ilibliothek, Bd. 195, Mciner, Leipzig 1926 BRENTANO. FKANZ,Vom Dasein Gottes herausgebeben von Alfred Kastil, Philosophische RibiiotAek, Bd. 2x0, Meiner, Leipzig 1929 BRENTANO, FRANZ,nie Lehre vom richtigen Urteil herausgegeben von Franziska Mayer-Killebrand, Francke, Bern 1956 COHEN,HERMANN, h a n t s Theorie der Erfahrung, z . Aufiage, Berlin 1885 D u s s o ~ rHENRI, , Hussed jugß d8 . Kant, in Revue philoso#hlque de ia France et de I'dtvangev, 149 (19jg). S. 527-544 EHRLICH, WALTHER, Kant und Hussevl. Kritik d w transzendentalen und phänomenologischen Methode, Niemeyer, Haue a.S.r923 EWALU,OSCAR., ICalats Methodologie in ihren Grundzügen. Eiize erkenntnistheort?tistAP Udrrsudhu?tg, Iioftnat~n,IZcrIin xc)oG FARBER, MARVIN.T k Fuundatiun of Phsnotnenology, Iiarv. Univ. Press, Cambridge (U.S.A.) 1943 FINK,EUGEN,Die ph&no+n.enologische Phzlosophie Edmund Hz4sserls i n der gegenwärtigen Kritik, Fant-Studien, 38 (19331, S. 319-383 FINK,EUGEN,Das Prgbkm der Phänomnolo.yie Edmund Hzcsserls, Revue Internationale de Philoauphie, I (1g39), S . 226-270 FINK, EUGEN,Die S4älpMlosophie Husseds i n der Freibuvger Zeit in Edmund Husserl185g-rg5g @.U.) C.99-1 15.
4-44
BIBLIOGRAPHIE
FOLWART, HELMUT,Kant, Husserl, Heideggev [Krit~zasmus,F'hFit
BIBLIOGRAPHIE
445
E. IIusswls , . P ~ o l ~ f o ; r ~zur z ~ n areinen L o p k " . Kant-Studien, 6 ( x c j o r ) . S.270-283 Allrenaeane Psvcholo~ze nach kritischer Methode. Erstes NATORR.PAUL. B ~ C G~ h j e k t u n d k e f h o d e der'I'sycGlogie, J . B. C. Mohr, Tübingen 1912 NATORP,PAUL, PMosophie u%d Psychologie, Logos, 4 ( 1 9 1 3 ) ~S. 176202 NATORP, PAUL,Husseris Ilieen zzt einerreinen Phänomenologie, Oie Geisteswissenscha./t~nI ( r i > i + ) , S . . p G l i , ; n1)gctlriickt i n I.ogos, 7 (I<)17/18). S. 224-246 OSBORN, ANDREW U., Edmund Husserl and his Logical Investigations, 2. Aufl., Carnbridge ~Macsachusetts)1949 PLESSNER, HELMUTE., Die Krisis der transzendelafabn ~ a b h e iim t Anfang, Heidelberg 1918. Bei Hussevl in Göttingen in Edmund Husserlr859PLESSNER, HELMUTH., 19.59 (s.o.) S. 29-39 REINACH,ADOLF,Kan:s Auffassung des Humeschen Problems in Gesammelte S c G f t e n , Nkmeyer. Halle a. S. 1921, S. 1-35 RICKERT,HEINRICH;Der Gegenstand der Erhenntnis. Einführung in die TranszendentalpMCosophie, 3. völlig umgearbeitete und erweiterte Auflage, J. B. C. Mohr, Tübingen 1915 (6. Aufl. 1928) RICKERT,HEINRICH,Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine l o g k h e Einleitung i n die historischen Wissenschaften, z., neu bearbeitete Auflage, J. B. C. Mohr, Tübingen 1913, (5. Auflage 1929) RICKERT,HEINRICHZwei Wege dev Z+kenntnistheurie. Transzendental#sychologJe und Tranuendentallogik, Kanl-Studien, 14 (igog), S. 169-228 RICKERT,HEINRICH,Die.Phi1osophie des Lehens, Tübingen 1920 RICKERT, XIEINRTCH. Die Methode der Philosophie und das IJnmittelbave, Logos 12 (1023) S. 2.35-280 RICOEUR, PAUL,Kafit et Husserl. liala6-Stüdiea, 46 (1954(55),S.44-07 RIEFFEKT,JOHANN, Lo$k. Eine Kritik a n der Geschichte ihresrer Idee, in Lehrbuch der Philosophiz, herausgegeben von M . Dessoir, Berlin 1925, S. 7-301 ROTH,ALOIC,E d m u d Ifusserls ethische Untersuchungen, Phacnovnenologiccc Bd. 7. Nijlioff, Haag 1960 SAUER,F R I ~ R I C Iilber I . das Yerhdhiais der Husserlschen Phänomenologie zu David Hume, Kant-Studien, 35 (1931), S. 151-182. a n Hussed, in L'd~nundHiisscrl 1359SCHAPP, WILIIELM,Eri?~nerunge>~ 1959 (S.O.), S. 12-25 SEEBOHM, THCIMAS, Die Bedangu~gender MGglichheit der TranszendentalPhilosophie. Edmuled Husserls tramzedentd-pha~zomenologischerAnsatz, darwstellt i m AnscRluss an seine Kant-Kritik, Rouvier, Bonn 1962 SRIEGELBERG, HERBERT, PerspeRfivenuiondel: Konstilulion eines Husserlbildes, in Ednaund iiusserl 1859-1959 (S.O.)S. 56-63 SPIEGELBERG. HEKHBRT, The Phenomenologzcal Mocernent, 2 Bde., Phaenomenologica 516, Nijhoff, Haag 1960 STADLER, AUGUST,Die Gru~dsätzeder reinen Erhenntnistheorie i n der Kantischen Philosophie. Kridische Darstellung, Hirzel, Leipzig 1876 STECKELMACHER, MORITZ,Die formale Logik K a d s in ihren Beziehungen zur transzendentale^, Koebner, Breslau 1879 STEIN,EDITH,Diskus3ionisbeitragin L a fihthominologie. JournLes d'itudes de la SocillthomisCz, 12 sept. 1932, Juvisie e t Le Saulchoir S. 48/49 STRASSER, STEPHAN,D a Gottessproblem i n der Spätphilosophie Edmund
446
BlBLlOGRAPHlE
Husse&, PhiZosophisches Jahrbuch der G ~ r r e s - G e s e ~ ~ s X959 c ~ f 6 (6710 S. 130-142 Ph&~mknologie ef m a t b r i d z s ~dialectd!W, Editions T R ~ T'Ao, ~ Minh-Tk, Paris I951 DE VLEESCHATJER, HERMANN., La philosophie colafenepwai?zed Ee cdicimse kantien, Etudes Philosophiques, 11 (1937). S. 9-14; 12 (1938)- S. **3I WAGNER, HANS., Kritische Bemevkungm w HyserEs Nachlass, Philosophische Rundschau, 1953154 (I), S. 1-22 U. 93-123 WERNICKE, ALEXANDER, Die Thewie des Gegenstandes zcnd die Lehr* vom Dinge-an-sich bsi Immanuel Kant. Ein B e i t w ZiW2 VersIändnisse der kritischen Systems, Meyer, Brauncchweig 1904 ZOCHBR, RUDOLF, Husserls Phänomenologie utad S c h ~ H Logik. a Ei* Batvag Kritik des intuitionistischen O l a t o ~ o g i isn~ d~ r + m m W d W München 1932
NAMENREGISTER
hlbrecht, G.. 14, 15, 182, 184. 300 At-istoteles, 37, 308 Anaxagoras, 37 Augustinus, 309 Bauch, B.. rao Baudin, 226 Baumann. J.. 25, 31 Berger, G.. 243 Berkeley, 11. 311. 312 Biemel, W., 24, 31, 183 h b m , R., VIII, X, 15, 35, $3. 1091 10, 195. 259, 320. 330/31. 33? Rolzano. 29 Van Breda, H. L.. VIII, IX, 300 ßrentano, 4-8, 11, 15, zg,59, 1 x 0 Brouwer, L., gq Cassirer. E., 29, 31/32, 39, rzo. 269, 301b2, 355 Cohen, H..zx, 23, 80, rzo, 357, 399 Qhn. J., 33. 34 Cusanus, 5 Ikmokrit, 37 Ikscarteri. 16-28. zy. 72, 108, 124. 181, 197, 198. 206. 235, 236, 283. jo9/10, 3'4. 315. 3'6, 394 Dilthey, W., 89, 146, 400 Erdmann, B., 14 Ewald. O.,30. 158159 Farber, M., 13, 350 Fechner, G., 3 Fichte. J. G., 4, 35-37, 38, 7 4 292. 297, 355 Fink, E.. X, 113, 195. 239!40. 245, 274. 320, 325. 332, 350 Fischer. K.. ~ z o Frege. G.. 13, 324 Fries, 22 Calilei, 49. 305, 315 Gomperz, H., 126 He@. 3. 37, 179 Heidegger, M.. 34. 44, 76. 88, 89. q o / 31. 144. 188-191, 248, 269 Helmholtz, H., 3, 4, 9/10, 14, 119. 1 2 2 Henrich. D., 40, 84 Heraklit, 37, 246
Herbart. J., 1 2 Herz, M., 69 Hocking, E., 286 Hobl, H., 300 Hume, 11. 18. 49, 61, 72, 87, 103, 104. 231, 262. 311. 312113, 315, 316 Ingarden, R., 38, 43/44, 388 James, W., 11 Jaspers. K., 37/38 Kaufmann, F., V11 von Kries, J., 42 Kronecker, 3, 99 Krnner, R.. 34, 42 ICiilin. 11.. 4 4
Katit, V&-X, 3-320, 324, 328, 329.
338/39.355. 372. 396, 407-413. 417420, 421-424 Landgrebe, L.. 43, 225, 179 Lange, F. A., 3. 4. 9/10. rq, 83, rrg, 376 Leibniz. 12, 75, 110, 315, 316, 341 r,t.iikipp. 37
IAvy-I~KIIIII. I*., 334 Locke, 11, 66, 311lrz Lotze, 12, 29 Lollus. 5 Maier, I T . , 32 Mehlis, G.. 34 Xellin, G., 2 1 Merleau-Ponty, M., 269 Metzger. A., 28 fiIil1, J., 11 MiIl. J. St., 11/12 Miillcr, G. E.. 25 Miinstcrbcrg. 11.. loo Natorp, I'., VIII, 1 3 , 15, 25, 26-28, 29, 31/32, 35, 39, 67, 83, 109110. 161, 183. 194, 195. 238139, 240, 260, 286, 293, 321-373, 422 Nelson, L.. 32 Panlsen, F., 3 Platon. zg, 56,100. 113, 142, 269, 308, 372 Plessner, H., 17 Przywara, E., 128
448
NAMENREGISTER
Reinach, A., 61 Rickert, H.,VII. VIII, 12, 13, 28, 32/33,34, 353 40. 42, 45, 110, ISX, 156, 160, 192, 238, 240. 374-420. 422 Riehl, A., 14. 106, 120. 122, 374, 399 Roth. A., 54 Schelling, 4,37/38 Sigwart, Ch., 12 Simmel, G., 400 Spiegelberg, H., 374175 Spinoza, 314 Sokrates, 269. 308 Stadler, A.. 22, 23
Steckelmacher, M,, 22. 23 Stein, E., 38, 348 Stoltenberg. H., 239 Strasser. S., 300 Stunipl, C..11 ileberweg, F., 17, 21 Vaihinger, H.,14, 21 Weierstrass, 3, gg Wernicke. A., 30, 120 Windelband, W.,r2, ~51,374,394,403 Wolff, 58, 67 Wundt. 3, I I Zeller, E.,4