Markus Scholz Presse und Behinderung
Markus Scholz
Presse und Behinderung Eine qualitative und quantitative Untersuc...
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Markus Scholz Presse und Behinderung
Markus Scholz
Presse und Behinderung Eine qualitative und quantitative Untersuchung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Diss. an der LMU München, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Anke Vogel, Ober-Olm Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17080-0
Für Georg und Heinrich, Henry und Mucki, Anna und Barbara
Vorwort
Die meisten Personen würden in einem Vorwort zu einer derartigen Arbeit wahrscheinlich schreiben, dass sie sich schon seit Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt haben und das Interesse an der Thematik schon von Beginn an tief in ihnen verwurzelt war. Mein Weg zu dieser Arbeit und auch zu der damit verbundenen Thematik war ein etwas anderer und beruhte auf dem Scheitern eines Projektes, mit dessen Thematik ich mich schon länger beschäftigt habe und dessen Interesse dazu tief in mir verwurzelt war. Auf der Suche nach einem neuen Thema im sonderpädagogischen Kontext bin ich dann unter der Bedingung möglichst großer Unabhängigkeit von Entscheidungen dritter Personen oder Institutionen auf den Medienbereich gestoßen und im Nachhinein betrachtet hat sich dies als hochgradig interessant und fruchtbar herausgestellt. Neben Seminaren zu dieser Thematik und verschiedenen Kontakten ist aus dieser Beschäftigung heraus auch eine Filmreihe entstanden, die sich mittlerweile fest im Semesterplan der Studierenden etabliert zu haben scheint. Manchmal eröffnen sich also durch einen vermeintlichen Schritt zurück ganz neue, schöne und erlebenswerte Möglichkeiten und Perspektiven. Mein Dank an dieser Stelle gilt zu allererst meinen Eltern, Henry und Mucki, ohne deren Unterstützung ein derartiges Vorhaben nicht möglich gewesen wäre und deren persönliches Vertrauen in mich und meine Entscheidungen mir stets das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben hat. Auch ohne die persönliche Unterstützung durch meine Freundin Beate wäre mir manches wahrscheinlich wesentlich schwerer gefallen. An dieser Stelle schulde ich ihr auch für unsere inhaltlichen Gespräche höchsten Dank. Wer sich über Monate eine kleine Wohnung unter der Prämisse zweier Dissertationsabschlüsse teilen kann, den verbindet wirklich sehr viel. Zudem möchte ich mich bei all meinen Freunden bedanken, dass sie meine Abwesenheit bei dem ein oder anderen sozialen Ereignis verschmerzen konnten, stets zu mir gestanden und Verständnis dafür gezeigt haben, dass ich in den letzten Monaten kaum meine Wohnung verlassen konnte. Nicht weniger wichtig beim Entstehen einer solchen Arbeit ist die inhaltliche und fachliche Betreuung. An erster Stelle möchte ich mich hier bei meinem Doktorvater Konrad Bundschuh bedanken, der stets ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte und dessen Aufgeschlossenheit gegenüber Ideen und Konzepten es mir ermöglichte, ‚meine’ Arbeit zu schreiben. Auch meinen Kolleginnen und
8
Vorwort
Kollegen am Lehrstuhl für Geistigbehinderten- und Verhaltensgestörtenpädagogik an der LMU München, die mir nicht nur mit fachlichem Rat zur Seite standen, gilt es zu danken. Die außerordentlich freundschaftliche Atmosphäre innerhalb des Teams und das in der heutigen Zeit sicherlich nicht selbstverständliche Miteinander waren und sind für mich zentrale Faktoren meines persönlichen Wohlbefindens. Angefangen beim Zweitgutachter dieser Arbeit PD Dr. Michael Wagner, dessen konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung mich immer wieder anregte, über Dr. Sybille Kannewischer, Dr. Christoph Winkler und Sebastian Reiter, mit denen es einfach schön war, bei Tee oder Kaffee zusammenzusitzen, hin zu meiner Kollegin Barbara Welz und meinem Kollegen Stefan Baier, mit dem mich mehr als eine große Fußballleidenschaft verbindet, bis zu meiner Bürokollegin Isabella Ottenlocher und meinem Bürokollegen Dr. Wolfgang Dworschak, mit denen Zusammenarbeiten auch auf engstem Raum schön ist, soll hier niemand unerwähnt bleiben. Auch an den mittlerweile nicht mehr an der LMU beschäftigten Dr. Johannes Bach richtet sich mein Dank. Er hat mich in meinem wissenschaftlichen Fortkommen in zahlreichen nachmittäglichen Gesprächen unterstützt. An dieser Stelle gilt es auch noch zahlreichen anderen Personen außerhalb der LMU zu danken, die für das Entstehen der Arbeit in der vorliegenden Form äußerst wichtig waren. Allen voran Herrn Ministerialrat Erich Weigl, dessen Interesse für diese Thematik mir stets die Bedeutung einer derartigen Untersuchung vor Augen geführt hat. Weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. soz. wiss. Arnfried Bintig von der Fachhochschule in Köln, der mir mit seiner Habilitationsschrift den Einstieg in die Thematik sehr vereinfacht hat, PhD Beth Haller von der Towson University in Maryland, die mir auch ihre unveröffentlichten Forschungsergebnisse zur Thematik zur Verfügung stellte, und schließlich Prof. Dr. Willi Hager von der Universität Göttingen, ohne dessen Hilfe die Originaldaten deutscher Eigenschaftswortnormierungen wohl auf ewig in den Sektoren alter 5 ¼ Zoll-Disketten verschollen geblieben wären. Zu guter Letzt möchte ich mich auch beim statistischen Beratungslabor der LMU München unter Leitung von Prof. Dr. Helmut Küchenhoff und insbesondere bei dessen Mitarbeiterin Monia Mahling bedanken, die mich stets kompetent und freundlich in Bezug auf meine statistischen Daten beraten haben. Markus Scholz München, den 16. März 2009
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 15 Tabellenverzeichnis .......................................................................................... 21 Einleitung .......................................................................................................... 27
I
Theoretische Rahmenüberlegungen..................................................... 31
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5
Medien- und Kommunikationswissenschaft............................................ 31 Medien..................................................................................................... 32 Kommunikation....................................................................................... 34 Massenkommunikation und Massenmedien............................................ 37 Einfluss und Wirkung von Massenmedien .............................................. 40 Historische Entwicklungen...................................................................... 41 Das Agenda-Setting-Modell .................................................................... 43 Theorie der Schweigespirale ................................................................... 45 Fazit der Überlegungen ........................................................................... 48
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Behinderung ............................................................................................ 49 Paradigmen.............................................................................................. 51 Klassifikationen der WHO ...................................................................... 54 Handlungsmodelle................................................................................... 61 Fazit der Überlegungen ........................................................................... 63
II
Untersuchungsgegenstand .................................................................... 65
1 1.1 1.2
Begriffsklärungen und Kategorisierung .................................................. 65 Zeitungen................................................................................................. 65 Zeitschriften............................................................................................. 67
10
Inhaltsverzeichnis
2 2.1 2.2 2.3
Historische Entwicklung ......................................................................... 69 Die Presse von 1949 bis 1985.................................................................. 69 Die Presse um die Zeit der Wiedervereinigung ....................................... 71 Die Lage der Presse in den letzten Jahren ............................................... 73
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
Kriterien und Auswahl ............................................................................ 74 Die Presse im intermedialen Vergleich ................................................... 75 Die Frage der Zeitgemäßheit ................................................................... 75 Die Frage der Glaubwürdigkeit ............................................................... 80 Die Frage weiterer Qualitäten.................................................................. 82 Die Frage der Ökonomie und der Ergiebigkeit........................................ 83 Fazit der Überlegungen ........................................................................... 84 Auswahlkriterien der Presseerzeugnisse.................................................. 84 Thematische und publizistische Vielfalt und Vergleichbarkeit ............... 85 Auflage .................................................................................................... 86 Archivzugang .......................................................................................... 86
4 4.1 4.2
Zeitungen................................................................................................. 87 Bild .......................................................................................................... 87 Süddeutsche Zeitung ............................................................................... 89
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Zeitschriften............................................................................................. 91 Bunte ....................................................................................................... 91 Der Spiegel .............................................................................................. 92 Focus ....................................................................................................... 94 Stern ........................................................................................................ 95 Super Illu ................................................................................................. 97
III
Forschungsstand Behinderung in der Presse ...................................... 99
1
Überblick über den Forschungsstand....................................................... 99
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Quantitäten ............................................................................................ 103 Häufigkeit der Medienbeiträge.............................................................. 103 Art der Medienbeiträge.......................................................................... 105 Themen.................................................................................................. 107 Sprache .................................................................................................. 111 Behinderungsarten................................................................................. 116
Inhaltsverzeichnis
11
2.6 2.7
Ursachen der Behinderung oder Einschränkung ................................... 119 Zusätzliche Aspekte und Zusammenfassung......................................... 120
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.1.8 3.1.9 3.1.10 3.1.11 3.2 3.3
Qualitäten .............................................................................................. 121 Rollenklischees...................................................................................... 121 Der Bedauerns- und Bemitleidenswerte ................................................ 122 Das Gewaltopfer.................................................................................... 123 Der Unheimliche und Böse.................................................................... 124 Der Exotische ........................................................................................ 125 Der Superkrüppel .................................................................................. 126 Die Lachnummer ................................................................................... 127 Der Unangepasste und Verbitterte......................................................... 127 Die Belastung ........................................................................................ 128 Der A-Sexuelle oder sexuell Andersartige ............................................ 129 Der Unfähige ......................................................................................... 130 Der Normale .......................................................................................... 130 Mechanismen der Medien ..................................................................... 131 Zusammenfassung ................................................................................. 135
IV
Forschungsdesign ................................................................................ 137
1
Erkenntnisinteressen.............................................................................. 139
2
Recherche .............................................................................................. 140
3
Allgemeine Datengewinnung ................................................................ 144
4
Spezielle Datengewinnung .................................................................... 149
5
Auswertung und Ergebnisdarstellung.................................................... 153
V
Quantitative Ergebnisse...................................................................... 155
1 1.1 1.2 1.3 1.4
Artikeldaten und medienrelevante Daten .............................................. 155 Häufigkeiten der Medienbeiträge .......................................................... 156 Länge der Beiträge ................................................................................ 158 Art der Beiträge ..................................................................................... 163 Zwischenfazit ........................................................................................ 165
12
Inhaltsverzeichnis
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Themen.................................................................................................. 166 Themenverteilung.................................................................................. 167 Thematische Konkretisierungen ............................................................ 170 Thematische Zusammenhangsuntersuchung ......................................... 174 Zwischenfazit ........................................................................................ 178
3 3.1 3.2 3.3 3.4
Einschränkung und Behinderung........................................................... 180 Arten von Behinderung und Einschränkung.......................................... 181 Verständnis von Behinderung ............................................................... 183 Handlungsmodelle................................................................................. 185 Zwischenfazit ........................................................................................ 195
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Soziodemographische Informationen und Genese ................................ 198 Gruppen-, Alters- und Geschlechterverteilung...................................... 198 Behinderungsart, Familie und Beruf...................................................... 200 Genese der Einschränkung .................................................................... 204 Zwischenfazit ........................................................................................ 206
5 5.1 5.2 5.3 5.4
Personen ................................................................................................ 206 Emotionen ............................................................................................. 207 Kompetenzen und Erfolge ..................................................................... 214 Eigenschaften ........................................................................................ 221 Zwischenfazit ........................................................................................ 230
6 6.1 6.2 6.3 6.4
Sprache .................................................................................................. 234 Umschreibung der Einschränkung......................................................... 234 Personenbezeichnungen ........................................................................ 235 Hilfsmittel.............................................................................................. 250 Zwischenfazit ........................................................................................ 251
7 7.1 7.2 7.3
Unterstützung ........................................................................................ 253 Hilfsmittel.............................................................................................. 254 Personale Unterstützer........................................................................... 255 Zwischenfazit ........................................................................................ 257
8 8.1 8.2
Zusammenfassung der Ergebnisse......................................................... 258 Die unterschiedlichen Printerzeugnisse................................................. 259 Die unterschiedlichen Formen oder Arten von Behinderung und Einschränkung ....................................................................................... 265
Inhaltsverzeichnis
13
8.3
Allgemeines........................................................................................... 270
VI
Qualitative Ergebnisse ........................................................................ 273
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12
Rollenklischees...................................................................................... 273 Der Bedauerns- und Bemitleidenswerte ................................................ 274 Das Gewaltopfer.................................................................................... 277 Der Unheimliche und Böse.................................................................... 280 Der Exotische ........................................................................................ 282 Der Superkrüppel .................................................................................. 284 Die Lachnummer ................................................................................... 287 Der Unangepasste und Verbitterte......................................................... 288 Die Belastung ........................................................................................ 289 Der A-Sexuelle und sexuell Andersartige ............................................. 292 Der Unfähige ......................................................................................... 294 Der Normale .......................................................................................... 295 Zwischenfazit ........................................................................................ 296
2
Mechanismen der Presse ....................................................................... 299
3
Zusammenfassung der Ergebnisse......................................................... 306
VII
Fazit und Ausblick............................................................................... 309
Literaturverzeichnis .......................................................................................... 315 Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis............................................................. 329
Anhang............................................................................................................. 335 1
Variablenliste......................................................................................... 335
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Codeliste................................................................................................ 341 Themenkonkretisierung (2) ................................................................... 341 Einschränkung und Behinderung (3) ..................................................... 345 Soziodemographie und Genese (4)........................................................ 351 Personen (5)........................................................................................... 354 Sprache (6) ............................................................................................ 360
14
Inhaltsverzeichnis
2.6
Unterstützung (7)................................................................................... 364
3
Qualitative Orientierungsdimensionen .................................................. 365
4 4.1 4.2
Codebaum.............................................................................................. 366 Version 0.01 (erste Version).................................................................. 366 Version 3.01 (Endgültige Version)........................................................ 369
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Einfaches Kommunikationsmodell. ........................................... 34 Abbildung 2: Die vier Seiten einer Nachricht (vgl. Schulz von Thun 2008, 30)................................................ 36 Abbildung 3: Allgemeines Massenkommunikationssystem nach Aufermann (vgl. Aufermann 1971, 19)...................................... 39 Abbildung 4: Dynamisches Modell der öffentlichen Meinung (vgl. Schenk 2002, 493). ............................................................ 47 Abbildung 5: Wechselwirkung zwischen den Komponenten der ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 23). ........................................................ 58 Abbildung 6: Systematische Einteilung von Zeitschriften in Anlehnung an Kaltenhäuser (vgl. Kaltenhäuser 2005, 23). Für die Untersuchung relevante Bereiche wurden grau hervorgehoben. 68 Abbildung 7: Überblick über die Relationen der durchschnittlichen täglichen Nutzungsdauer tagesaktueller Medien von Personen ab 14 Jahren in Minuten (Werte aus Reitze/Rider 2006, 39). Gesamtnutzungsdauer pro Tag entspricht 100 %...... 76 Abbildung 8: Entwicklung der Reichweite verschiedener Massenmedien bei Personen ab 14 Jahren im Vergleich (Werte aus Reitze/ Rider 2006, 32ff.)....................................................................... 77 Abbildung 9: Entwicklung der Visits pro Monat bei den Online-Angeboten der ausgewählten Presseerzeugnisse (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008a). .................................................. 79
16
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 10: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Straßenverkaufszeitung Bild in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 88 Abbildung 11: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Tageszeitung Süddeutsche Zeitung in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 90 Abbildung 12: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Illustrierten Bunte in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 92 Abbildung 13: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 93 Abbildung 14: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage des Nachrichtenmagazins Focus in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 95 Abbildung 15: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der politischen Illustrierten Stern in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 96
Abbildungsverzeichnis
17
Abbildung 16: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Illustrierten Super Illu in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). ... 98 Abbildung 17: Ablaufschema der Untersuchung. ............................................ 138 Abbildung 18: Textbeispiel zur Erläuterung der Codierung. ........................... 146 Abbildung 19: Ausschnitt aus dem Codebaum. ............................................... 147 Abbildung 20: Veranschaulichung einer Codierung im Text durch MAXqda 2007. ........................................................................ 147 Abbildung 21: Die Bewertungskategorien der Adjektive. Originalauszug der Endfassung des Codierbaums dieser Studie aus MAXqda 2007. ........................................................................ 151 Abbildung 22: Boxplot der durchschnittlichen Textlänge in Wörtern der untersuchten Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Ausreißer und Extremwerte sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht beschriftet. .......................................... 160 Abbildung 23: Boxplot der durchschnittlichen Textlänge in Wörtern der untersuchten Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Zahlen neben den Ausreißern geben die jeweilige Textlänge an............................................................................. 161 Abbildung 24: Entwicklung der durchschnittlichen Textlänge der untersuchten Presseerzeugnisse während des Untersuchungszeitraums. ......................................................... 162 Abbildung 25: Histogramm der Altersverteilung der innerhalb der Artikel erwähnten Einzelpersonen (N=802; Mittelwert: 30,1; Median: 27,5)........................................................................... 199 Abbildung 26: Relative Häufigkeiten der Behinderungs- beziehungsweise Einschränkungsarten auf personaler Ebene (Code 4-3; N=1258). ................................................................ 201 Abbildung 27: Prozentuale Verteilung des Zeitpunkts der Ursache beziehungsweise des Auftretens von Behinderung oder Einschränkung (vgl. Code 4-8-2)............................................. 204
18
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 28: Prozentuale Verteilung der Ursache von Behinderung oder Einschränkung (vgl. Code 4-8-1)............................................. 205 Abbildung 29: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) in Bezug auf Menschen mit Behinderung in Abhängigkeit verschiedener sozialer Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-1). ................................ 208 Abbildung 30: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen in Abhängigkeit verschiedener sozialer Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-2)................................................................. 209 Abbildung 31: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen in Abhängigkeit von verschiedenen sozialen Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-2) unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. ............................... 210 Abbildung 32: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen (perspektivenunabhängig) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid......... 211 Abbildung 33: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Menschen (perspektivenunabhängig) in Abhängigkeit von verschiedenen Behinderungs- oder Einschränkungsformen der im Artikel handelnden Personen (Variable 4-3V) unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. ......................................................................................... 213 Abbildung 34: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1). .................................................. 214 Abbildung 35: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der beschriebenen Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2)......................................................... 215
Abbildungsverzeichnis
19
Abbildung 36: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften und Zeitungen (*Bei Kategorien mit mindestens 20 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens zwei Texte zurück)..... 217 Abbildung 37: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften und Zeitungen (*Bei Kategorien mit mindestens 10 Nennungen geht mehr als die hälfte auf höchstens einen Text zurück). ...................... 218 Abbildung 38: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V) (*Bei Kategorien mit mindestens 20 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens zwei Texte zurück)...................... 219 Abbildung 39: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V) (*Bei Kategorien mit mindestens 10 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens einen Text zurück)................................................... 221 Abbildung 40: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Verwendung von Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff (Code 6-2) bei unterschiedlichen Presseerzeugnissen................................................................... 238 Abbildung 41: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Verwendung von Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff (Code 6-3) bei unterschiedlichen Presseerzeugnissen................................................................... 239 Abbildung 42: Prozentuale Veränderung in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im Untersuchungszeitraum. Die Differenzwerte bei den einzelnen Jahren ergeben sich aus dem Vergleich mit den relativen Häufigkeiten des Vorjahres. ............................... 242
20
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 43: Prozentuale Veränderung in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im gesamten Analysezeitraum bei den untersuchten Zeitungen.................... 243 Abbildung 44: Prozentuale Veränderungen in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im gesamten Analysezeitraum bei den untersuchten Zeitschriften. .............. 245 Abbildung 45: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der sprachlichen Darstellung des Hilfsmittels Rollstuhl (vgl. Code 6-4) innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse. 250 Abbildung 46: Klischeehafte Rollenbilder in der Presse mit sich teilweise überschneidenden oder gegenteiligen Charakterisierungen der handelnden Personen mit Behinderung.............................. 298
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Gegenüberstellung der Sichtweisen von Bleidick und Müller im Kontext Behinderung............................................................ 53
Tabelle 2:
Überblick über die ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 17; World Health Organisation 2001, 11). ....................................... 60
Tabelle 3:
Differenzierung und Systematisierung unterschiedlicher Zeitungen. .................................................................................. 66
Tabelle 4:
Glaubwürdigkeit unterschiedlicher Medien im Vergleich verschiedener Studien. ............................................................... 81
Tabelle 5:
Überblick über deutschsprachige Forschungsprojekte und Publikationen zur Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Presse........................................................ 101
Tabelle 6:
Überblick über internationale Forschungsprojekte und Publikationen zur Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Presse........................................................ 102
Tabelle 7:
Prozentualer Anteil der Themen der Berichterstattung im Kontext Behinderung in der amerikanischen Presse nach Haller. Vergleich zweier Untersuchungszeiträume (vgl. Haller 2003, 66ff.). Hervorhebungen der jeweils am stärksten vertretenen Themen und der größten Veränderungen......................................................................... 110
Tabelle 8:
Prozentualer Anteil (eigene Berechnung) unterschiedlicher sprachlicher Konstruktionen mit Behinderungsbegriff zur Beschreibung von Personen mit Behinderung in den Medien. 112
Tabelle 9:
Prozentuale und absolute Häufigkeit der Medienbeiträge im Untersuchungszeitraum unter Variation der Variable 1-5. . 156
Tabelle 10:
Anzahl der Artikel der untersuchten Zeitungen sortiert nach Jahren unter der Bedingung Variable 1-5=HP................. 157
22
Tabellenverzeichnis
Tabelle 11:
Anzahl der Artikel der untersuchten Zeitschriften sortiert nach Jahren unter der Bedingung Variable 1-5=HP................. 157
Tabelle 12:
Durchschnittliche Länge der Artikel der Zeitungen in Wörter pro Artikel unter Variation der Variable 1-5. .............. 158
Tabelle 13:
Durchschnittliche Länge der Artikel der Zeitschriften in Wörter pro Artikel unter Variation der Variable 1-5. .............. 159
Tabelle 14:
Absoluter und prozentualer Anteil der Textgattungen der Artikel innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. ..................................................................... 164
Tabelle 15:
Absoluter und prozentualer Anteil der Textgattungen der Artikel innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. ..................................................................... 165
Tabelle 16:
Absolute und prozentuale Themenverteilung innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Die jeweils drei häufigsten Themen sind hervorgehoben. ....... 168
Tabelle 17:
Absolute und prozentuale Themenverteilung innerhalb der Zeitschriften unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Die jeweils drei häufigsten Themen sind hervorgehoben. ....... 169
Tabelle 18:
Konkretisierung der Sportthematik. Absolute und relative Häufigkeiten der Unterthemen sortiert nach Zeitung beziehungsweise Zeitschriftenart unter der Bedingung Variable 2V=Sport und Code 1-5=HP. .................................... 171
Tabelle 19:
Konkretisierung der Rollen innerhalb der Justizthematik. Absolute und relative Häufigkeiten sortiert nach Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. ....................................................... 172
Tabelle 20:
Art des Verbrechens innerhalb der Justizthematik. Absolute und relative Häufigkeiten sortiert nach Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. ....................................................... 173
Tabelle 21:
Relative Häufigkeiten der drei häufigsten Themen (Variable 2V) in Zusammenhang mit der Art der im Artikel thematisierten Einschränkung (Variable 4-3V) unter der Bedingung Variable 1-5=HP/HP oder NP. .............................. 175
Tabellenverzeichnis
23
Tabelle 22:
Absolute und relative Häufigkeiten der Rollen behinderter oder eingeschränkter Personen innerhalb der Arten von Einschränkungen, bei denen Justiz ein dominierendes Thema ist, unter der Bedingung Variabel 1-5= HP oder NP................ 177
Tabelle 23:
Absolute Häufigkeiten der Täter/Opferrolle von Menschen mit Behinderung bei unterschiedlichen Vergehen in Abhängigkeit der Behinderungsart unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. ....................................................... 178
Tabelle 24:
Absolute und relative Häufigkeiten der Arten von Einschränkungen und Behinderung auf Artikelebene (Variable 4-3V) und personaler Ebene (Code 4-3). ................. 181
Tabelle 25:
Prozentuale und relative Häufigkeiten der Arten von Einschränkung und Behinderung (Variable 4-3V) in Abhängigkeit von den Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten. .................................................................... 182
Tabelle 26:
Absolute und relative Häufigkeiten des Behinderungsverständnisses (Code 3-1) auf Artikelebene (Code wurde in Textvariable umgewandelt) in Abhängigkeit von den Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten........... 184
Tabelle 27:
Absolute und relative Häufigkeiten des Behinderungsverständnisses (Code 3-1) auf Artikelebene (Code wurde in Textvariable umgewandelt) in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V)................................ 185
Tabelle 28:
Absolute und relative Häufigkeiten der sozialen Zuordnung der Handlungsmodelle (Code 3-2-1)........................................ 186
Tabelle 29:
Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2). ................. 187
Tabelle 30:
Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3)................. 188
Tabelle 31:
Absolute und relative Häufigkeit der sozialen Zuordnung der Handlungsmodelle (Code 3-2-1) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V)............ 189
24
Tabellenverzeichnis
Tabelle 32:
Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V). .............................................. 190
Tabelle 33:
Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V). .............................................. 192
Tabelle 34:
Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen........................ 192
Tabelle 35:
Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen........................ 193
Tabelle 36:
Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften.................... 194
Tabelle 37:
Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften.................... 195
Tabelle 38:
Absolute Zahlen der Altersverteilung in Altersgruppen sortiert (Code 4-4).................................................................... 200
Tabelle 39:
Absolute Häufigkeiten bezüglich des Familienstandes der Personen (Code 4-5). ......................................................... 202
Tabelle 40:
Absolute und relative Häufigkeiten der zehn meist genannten Berufe (Code 4-7) der in der Presse erwähnten Menschen mit Behinderung oder Einschränkung. ................... 203
Tabelle 41:
Absolute und relative Häufigkeiten der Emotionen (Code 5-1-1) von und in Bezug auf Menschen mit Behinderung (Code 5-1-2-1, 5-1-2-2) mit und ohne Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. ......................................................................................... 207
Tabellenverzeichnis
25
Tabelle 42:
Typische in der Beschreibung der Presse am häufigsten auftauchende Charakterisierungen von behinderten Personen mit Angaben der sozialen Bewertung in unterschiedlichen Kategorien................................................................................ 223
Tabelle 43:
Vergleich der Mittelwerte des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten der untersuchten Kategorien in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (N=Zahl der Artikel). .............................. 225
Tabelle 44:
Vergleich der Mittelwerte des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten der untersuchten Kategorien zwischen den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften (N=Zahl der Artikel)........................................... 226
Tabelle 45:
Anteil an Artikeln mit Koeffizientenwerten (EBK) unter -1 an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich. Im Vergleich zu Tabelle 46 sind höhere Anteile markiert. ...................................................................... 228
Tabelle 46:
Anteil an Artikeln mit Eigenschaftsbewertungskoeffizienten (EBK) über 1 an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich......................................................................... 229
Tabelle 47:
Absolute und relative Häufigkeiten der sprachlichen Umschreibungen von Einschränkungen in der Presse (vgl. Code 6-1). ........................................................................ 235
Tabelle 48:
Absolute und relative Häufigkeiten von Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff (Code 6-2) in Abhängigkeit von der Aussagenperspektive (Code 6-2-1, 6-2-2, 6-2-3)........................................................ 236
Tabelle 49:
Absolute und relative Häufigkeiten von Personenbezeichnungen unter Verwendung des Behinderungsbegriffs (Code 6-3) in Abhängigkeit von der Aussagenperspektive (Code 6-3-1, 6-3-2, 6-3-3)..................... 237
Tabelle 50:
Zusammenfassung der absoluten und relativen Häufigkeiten aller erfassten Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) bei verschiedenen Presseerzeugnissen. .................................... 240
26
Tabellenverzeichnis
Tabelle 51:
Absolute und relative Häufigkeiten der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) in jedem einzelnen Jahr der Untersuchung................................... 241
Tabelle 52:
Absolute und relative Anteile an Artikeln mit diskriminierenden oder politisch korrekten sprachlichen Personenbezeichnungen an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich (die drei höchsten Werte sowie die höchsten positiven und negativen Differenzen sind hervorgehoben). ....................................................................... 246
Tabelle 53:
Absolute und relative Anteile an Artikeln mit diskriminierenden oder politisch korrekten Personenbezeichnungen an der Gesamtzahl der Artikel innerhalb der jeweiligen Behinderungsart oder Einschränkungsform (die drei höchsten Werte sowie die höchsten positiven und negativen Differenzen sind hervorgehoben). ....................................................................... 247
Tabelle 54:
Prozentualer Anteil unterschiedlicher sprachlicher Konstruktionen mit Behinderungsbegriff zur Beschreibung von Personen mit Behinderung in den Medien. ....................... 249
Tabelle 55:
Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen von Hilfsmitteln (Code 7-1)............................................................ 255
Tabelle 56:
Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen verschiedener personaler Unterstützter (vgl. Code 7-2-1). ...... 255
Tabelle 57:
Anzahl der Artikel, denen personale Unterstützungskategorien (Code 7-2-1) zugeordnet werden konnten, aufgelistet nach den untersuchten Presseerzeugnissen................................................................... 256
Tabelle 58:
Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen von Personen oder Personengruppen, die Hilfe erfahren (Code 7-2-2)............................................................................. 257
Einleitung
Quasthoff: Bei einigen deutschen TV-Sendungen haben mir die Redakteure knallhart gesagt, dass sie mich nicht einladen können, weil die Zuschauer angeblich keine Behinderten sehen wollen. In Nürnberg stand mal in der Zeitung: „Der behinderte Zwerg Quasthoff hinkt auf die Bühne.“ Das hat mich so böse gemacht, dass ich das erste und einzige Mal bei einer Zeitung angerufen habe. Aber Schmierfinken und Idioten gibt es in Ihrem Genre wie in meinem. Natürlich gibt es über mich auch diese tränenseligen Rührgeschichten à la „Schwerbehinderter trotzt seinem Schicksal“, aber auf die kann ich ebenso gut verzichten. Stern: Sie treten häufig in den Vereinigten Staaten auf. Geht man dort anders mit Ihnen um? Quasthoff: Bei Tower Records in Boston kam neulich ein junges Mädchen auf mich zu. Sie wollte zwar keine Locke von mir, aber sie sagte ganz aufgeregt: „I'm your biggest fan!“ So was schmeichelt einem natürlich. Ich mag es, in den Staaten zu sein, weil die Leute dort sehr offen und locker mit meiner Behinderung umgehen. Sie geben mir zum Beispiel spontan die Hand. Damit haben viele Leute in Europa Schwierigkeiten. (Stern 13.04.2000, 136) SZ: Wir fragen nur deshalb, weil der Veranstalter der Paralympics in Salt Lake City Richtlinien für Journalisten herausgegeben hat, wie man behinderten Athleten begegnen sollte. Darin heißt es unter anderen: „Bezeichnungen wie ‚der Blinde‘ oder ‚der Krüppel‘ spiegeln nicht die Individualität der Athleten wider und sollten vermieden werden.“ Was halten Sie davon? Mayer: Ich erwarte schon eine gewisse Höflichkeit. Aber im Ernst: Im Privaten machen wir untereinander schon unsere Witze. Meine Familie und meine Freunde haben sich damit auseinandergesetzt und mitgekriegt, wie wir Behinderte miteinander reden, und genauso reden wir nun manchmal untereinander. Wenn einer zum Beispiel sagt, er hat Kreuzweh, dann frage ich ihn, ob er in den Rollstuhl will und ich ihn schieben soll. […] SZ: Weiterhin heißt es: „Vermeiden Sie Bezeichnungen wie ,tragisch‘, ,Opfer‘ oder ,An den Rollstuhl gefesselt‘.“ Mayer: Das steht immer wieder in der Zeitung: „Seit ’96 ist er an den Rollstuhl gebunden“ und so. Mir gefällt das nicht, wenn ich es lese, das gebe ich zu. Klar, ich bin ein Sportler mit Behinderung, deshalb bin ich ja auch bei den Paralympics und nicht bei Olympia. Aber tragisch? Ganz im Gegenteil, ich habe sehr viel Spaß am Leben.
28
Einleitung
SZ: Schließlich: „Versuchen Sie, Ihre Geschichten nicht nur auf die Behinderung abzielen zu lassen.“ Mayer: Ganz genau, sondern auf den Sport. Das ist es, was die Behindertensportler wollen. (Süddeutsche Zeitung 09.03.2002, 48)
Der Umgang von Journalisten und Redakteuren mit der Thematik Behinderung oder behinderten Personen scheint, wie die einleitenden Beispiele zeigen, nicht immer glücklich und von gegenseitigem Verständnis geprägt zu sein. Menschen mit Behinderung haben konkrete Vorstellungen davon, wie die Berichterstattung aussehen sollte, und artikulieren dies auch. Dabei sind Begriffe wie „behinderter Zwerg“ oder „an der Rollstuhl gefesselt“ ebenso unpassend wie Sentimentalitätsgeschichten oder die übermäßige inhaltliche Fokussierung auf eine Einschränkung oder Behinderung, hinter der die eigentlichen Themen der Artikel verschwinden. Es scheint also sinnvoll zu sein und im Interesse behinderter Menschen zu liegen, dass sich Journalisten und Redakteure Gedanken über die Art und Weise machen, wie Personen mit Behinderungen und Einschränkungen dargestellt werden. Dabei stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Berichterstattung innerhalb der Massenmedien. Ist das Beispiel der Süddeutschen Zeitung, bei dem sich der Interviewer sichtlich interessiert an guter Berichterstattung zeigt, oder eher der von Thomas Quasthoff beschriebene Fall einer Nürnberger Zeitung die Ausnahme beziehungsweise die Regel innerhalb der Medien? Die Relevanz der Art und Weise der Darstellung innerhalb der Massenmedien liegt in der Tatsache begründet, dass in der postmodernen Informationsgesellschaft die Vorstellungen, das Wissen und unter Umständen auch die Einstellungen zu Themen, Personen oder Ereignissen in hohem Maße durch diese geprägt werden. Immer stärker bestimmen Sekundärerfahrungen und Sekundärwissen unseren Alltag. Die Wichtigkeit der Medien in diesem Gefüge drückt der deutsche Soziologe Niklas Luhmann in einem seiner wohl berühmtesten Zitate wie folgt aus: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Dies gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur“ (Luhmann 2004, 9).
Ein großer Einfluss der Medien scheint also unbestritten, auch wenn die exakten Prozesse und unterschiedlichen Theorien durch diesen einzelnen Satz sicherlich verkürzt dargestellt werden (vgl. ausführlicher Kapitel I 1.4). Als Untersuchungsgegenstand zur Analyse des Umgangs der Massenmedien mit dem Phänomen Behinderung wurde die Presse ausgewählt. Warum
Einleitung
29
gerade auch im 21. Jahrhundert dieses Massenmedium seinen Status als Leitmedium noch nicht verloren hat und weshalb es sich außerdem noch sehr gut zur Analyse eignet, soll in Kapitel II 3 ausführlich erläutert werden. Ziel der Untersuchung ist es, die Darstellung von Menschen mit Behinderung innerhalb der Presse näher zu beleuchten, zu analysieren und abschließend kurz zu bewerten. Da im deutschsprachigen Raum sehr wenige Untersuchungen vor allem im Bereich der Presse vorliegen (vgl. Kapitel III), wurde die Studie sehr explorativ angelegt, um auch eine Basis für zukünftige Forschungen auf dieser Ebene zu schaffen. Die gesamten Ausführungen gliedern sich insgesamt in sieben Teile. Die theoretischen Rahmenbedingungen im Teil eins dieser Ausführungen setzten sich sowohl mit medien- und kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen als auch mit dem Phänomen Behinderung auseinander. Der medien- und kommunikationswissenschaftliche Teil beschäftigt sich mit den Grundbegriffen Medien, Kommunikation und Massenmedien und versucht Wirkungstheorien über den Einfluss von Massenmedien auf die Rezipienten sowie die historische Entwicklung dieser Theorien zu beschreiben. Im Zusammenhang mit Behinderung werden unterschiedliche Paradigmen und Handlungsmodelle im Kontext des Phänomens dargestellt. Die Modelle der WHO versuchen dabei, konkrete Beispiele für die Sichtweise von Behinderung zu liefern. Der zweite Teil der Untersuchung beschäftigt sich sehr ausführlich mit dem Untersuchungsgegenstand. Begrifflichkeiten und die historische Entwicklung der Presse im letzten Jahrhundert stehen dabei zunächst im Fokus der Ausführungen. Anschließend stellt sich die Presse einem intermedialen Vergleich, der zusammen mit der Beschreibung der Auswahlkriterien als Begründung für die Wahl des Untersuchungsgegenstandes angesehen werden kann. Den Abschluss dieses Oberkapitels bilden kurze Porträts der ausgewählten Zeitungen und Zeitschriften. Teil drei der Ausführungen widmet sich dem Forschungsstand zur Thematik Behinderung in der Presse und liefert zunächst einen Überblick über nationale und internationale Publikationen und Forschungsvorhaben in diesem Bereich. Anschließend werden sowohl quantitative als auch qualitative Ergebnisse dieser Untersuchungen näher ausgeführt. Quantitativ liegt der Fokus dabei auf Art und Häufigkeit der Medienbeiträge, auf den Themen, der Sprache, den Arten von Behinderung oder Einschränkung sowie deren Ursachen. Qualitativ werden durch andere Autoren beschriebene klischeehafte Rollenvorstellungen von Menschen mit Behinderung und unterschiedliche Mechanismen der Mediendarstellung näher beleuchtet. Der vierte Teil der Untersuchung beschreibt das Forschungsdesign. Neben den grundsätzlichen Erkenntnisinteressen werden hier vor allem die Recherche und die unterschiedlichen Methoden der Datengewinnung geschildert. Ein kleineres Kapitel zum Schluss widmet sich auch den Basisüberlegungen zur Ergebnisdarstellung, die der Untersuchung zugrunde liegen.
30
Einleitung
Teil fünf ist der erste, der sich mit der Ergebnisdarstellung und Auswertung auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht hier die Betrachtung von quantitativ erfassbaren medialen Inhalten. Die Reihenfolge der Darstellung entspricht dabei im Wesentlichen der des Codierschemas in Anhang 2. Schwerpunkte sind die Untersuchung medienrelevanter Daten, die Analyse der Themen, das Aufzeigen des Behinderungsverständnisses und der Handlungsmuster im Kontext Behinderung. Personenbezogen werden dabei auch soziodemographische Daten analysiert sowie die Ergebnisse bezüglich der Beschreibung behinderter Personen in der Presse ausführlich untersucht. Die Darstellung der Erkenntnisse im Bereich Sprache und Unterstützung von Menschen mit Behinderung bilden den Abschluss dieses Kapitels. Der sechste Teil analysiert die vorher auch schon innerhalb der qualitativen Ergebnisdarstellung angeführten Konstrukte hinsichtlich ihres Auftretens innerhalb der Presse und versucht diese falls möglich anhand von archetypischen Textbeispielen näher auszuführen und so ausführlich zu beschreiben. Der letzte Teil der Untersuchung versucht ein knappes Fazit zu ziehen und einen Ausblick auf und die Notwendigkeit von weiteren Forschungen aufzuzeigen.
I Theoretische Rahmenüberlegungen
In der Arbeit wird versucht das Bild von oder die Sicht auf Behinderung aus massenmedialer Perspektive zu beleuchten. Es ist deshalb zunächst wichtig, sich mit medien- und kommunikationswissenschaftlichen Grundbegriffen sowie der gesellschaftlichen und fachwissenschaftlichen Beschreibung von Behinderung auseinanderzusetzen. Diese beiden Bereiche strukturieren auch die nachfolgenden theoretischen Grundüberlegungen, die eine Verständnis- und Ausgangsbasis für die später folgenden Analysen und Interpretationen bilden sollen. In einem ersten Teil werden dabei wichtige Grundbegriffe und Modelle der Medienwissenschaft geklärt. Dazu wird zunächst der Begriff Medium erläutert und eine systematische Einordnung verschiedener Medien vorgestellt (Kapitel I 1.1). Anschließend kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff Kommunikation auf personaler Ebene (vgl. Kapitel I. 1.2). Danach werden die Begriffe Massenkommunikation und Massenmedien beleuchtet und im Kontext wichtige Modellvorstellungen erörtert (vgl. Kapitel I 1.3). Ein Überblick über Wirkungstheorien in der Medienforschung folgt (vgl. Kapitel I 1.4), wobei die Theorien des Agenda-Settings und der Schweigespirale betrachtet werden und damit den ersten Teil der Rahmenüberlegungen abschließen. Im zweiten Teil wird das Phänomen und der Begriff Behinderung näher beleuchtet. Dabei stehen zunächst verschiedene Paradigmen des Behinderungsverständnisses im Fokus (vgl. Kapitel I 2.1). Der Kategorisierungsvorschlag der WHO bildet die Konkretisierung der Rahmenüberlegungen im Kontext des Paradigmenbegriffes und stellt eine ausgearbeitete Möglichkeit zur Beschreibung des Phänomens Behinderung dar, auch wenn dies nicht die einzige Intention dieses ICF genannten Modells ist (vgl. Kapitel I 2.2). Schließlich werden die Handlungsmodelle im Kontext Behinderung nach Kobi vorgestellt (vgl. Kapitel I 2.3), die gemeinsam mit dem WHO-Modell und den Paradigmen eine wichtige Auswertungsgrundlage der Untersuchung bilden. 1
Medien- und Kommunikationswissenschaft
Medien- und Kommunikationswissenschaften setzten sich wissenschaftlich mit verschiedenen Fragen der Themengebiete auseinander. Vor allem die Bedeutung
32
I Theoretische Rahmenüberlegungen
von Massenmedien, ihre Wirkung, Rezeption und die Art und Weise, wie Kommunikation massenmedial funktioniert, werden dabei in den Mittelpunkt gestellt. Für diese Untersuchung wichtige Modelle und zentrale Begriffe sollen in diesem Kontext zunächst geklärt werden. Dabei geht es neben den grundlegenden Begriffen vor allem um Konstrukte, die im Zusammenhang mit einer Untersuchung von Presseerzeugnissen wichtig erscheinen.
1.1
Medien
Mit dem Begriff Medien wird gesellschaftlich oft gleich der Begriff Massenmedien assoziiert. Allerdings unterscheiden sich die Begrifflichkeiten. Sehr vieles kann, je nach praktischem oder wissenschaftlichem Hintergrund, als Medium bezeichnet werden, von der Luft als physikalisches Medium zur Übertragung von Schall, über Unterrichtsmedien in der Aus- und Weiterbildung bis hin zum eingangs erwähnten Verständnis (vgl. Vollbrecht 2005, 29). In der Alltagssprache stützt man sich in der Regel auf eine etymologisch entstandene nominale Definition des Begriffs Medium. Es wird dabei als Mittler oder Vermittler verstanden. Dies erklärt das breite Verständnis und die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs (vgl. Faulstich 2002, 24). Innerhalb der fachwissenschaftlichen Disziplinen, die sich zentral mit dem Phänomen Medien auseinandersetzen, wurden verschiedenste komplexe theoretische Bedeutungen entwickelt, die sich selbst hier in der begrifflichen Verwendung wesentlich voneinander unterscheiden (vgl. Faulstich 2004a, 14). Allgemein wird unter Medium in der Medienwissenschaft „ein institutionalisiertes System um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz“ (Faulstich 2004b, 12) verstanden. In dieser Definition finden sich vier Bedeutungsdimensionen. Ein Medium ist ein institutionalisiertes System (1), es ist etabliert, wird von vielen Menschen genutzt, ist bekannt und als Medium akzeptiert. Es bedient sich weiter eines organisierten Kommunikationskanals (2). Kommunikation erfolgt also nach bestimmten festgelegten Regeln und wird durch das Medium strukturiert. Zudem besitzt ein Medium ein spezifisches Leistungsvermögen (3). Charakteristische Merkmale bestimmen die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation mit Hilfe des Mediums. Die Tatsache, dass die Bedeutung von bestimmten Medien einem ständigen Wandel unterzogen ist drückt, der Terminus gesellschaftliche Dominanz (4) aus. Wird die Funktion eines Mediums im Laufe der Zeit komplett durch ein anderes Medium ersetzt, verliert es den Status als Medium (vgl. Faulstich 2004b, 12). In der heutigen
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
33
medienwissenschaftlichen Diskussion geht man nach dieser Definition von 211 Einzelmedien aus (vgl. Faulstich 2004c), die sich unterschiedlichen Kategorien zuordnen lassen. Eine leicht verständliche und viel beachtete begriffliche Systematisierung2 ist die operational orientierte Unterscheidung in primäre, sekundäre, tertiäre (vgl. Faulstich 2004b, 13; Pross 1972, 127f.) und in neuerer Zeit auch quartären Medien (vgl. Faßler 2002, 147; Faulstich 2004a, 13; Faulstich 2002, 25; Ludes 2003, 64). Primärmedien verbreiten ihre Informationen ohne technische Hilfsmittel (vgl. Faulstich 2004a, 13). Es sind sogenannte Menschmedien, wobei die beteiligten Personen nicht als Individuen, sondern komplexe Systeme betrachtet werden. Vor allem in früheren Zeiten waren solche Medien in der Funktion von Marktschreiern, Hofnarren und Erzählern von Bedeutung. In der heutigen Zeit ist im eigentlichen Sinn hiervon nur noch das Theater übrig geblieben (vgl. Faulstich 2004b, 13; Ludes 2003, 65f.). Unter Sekundärmedien, synonym könnte man auch Printmedien oder Druckmedien sagen, versteht man heute Briefe, Zeitungen, Zeitschriften oder ähnliche Erzeugnisse (vgl. Faulstich 2004b, 13; Faulstich 2002, 25). Kennzeichnend für Sekundärmedien ist, dass sie auf der sogenannten Produktionsseite technischer Hilfsmittel zur Herstellung bedürfen, wohingegen der Empfänger ohne technisches Gerät auskommt (vgl. Faulstich 2004a, 13; Pross 1972, 128). Die in der Untersuchung fokussierte Presse und die damit verbundene massenhafte Verbreitung bestimmter Druckerzeugnisse bildete sich im 17. Jahrhundert heraus, was unter anderem mit der Weiterentwicklung des Buchdrucks, dem zunehmenden wirtschaftlichen Interesse an der Nachrichtenweitergabe und der Entwicklung des Botenwesens zu tun hatte (vgl. Pürer/Raabe 2007, 50). Erzeugnisse mit überregionaler Bedeutung und einer für die damalige Zeit sehr hohen Verbreitung wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufgelegt (vgl. Pross 1972, 209f.; Pürer/Raabe 2007, 52). Tertiärmedien, elektronische Medien oder analoge Medien (vgl. Faulstich 2004b, 13), sind dadurch gekennzeichnet, dass sowohl auf der Seite des Nachrichtensenders als auch auf der des Empfängers technische Hilfsmittel benötigt werden. Die historische Entwicklung führte von den ersten Telegraphenverbindungen über das Telefon und mit Hilfe neu erfundener Technik hin zu den dominierenden Medien Radio und Fernsehen (vgl. Pross 1972, 128). Letztgenanntes
1
2
In alphabetischer Reihenfolge: Blatt, Brief, Buch, Chat, Computer, E-Mail, Fernsehen, Film, Foto, Heft/Heftchen, Hörfunk, Intranet/Extranet, Multimedia, Plakat, Telefon/Handy, Theater, Tonträger, Video, World Wide Web, Zeitschrift, Zeitung. Ein Überblick über weitere Differenzierungs- und Systematisierungsversuche des Medienbegriffes bietet Pürer (vgl. Pürer 2003, 210f.).
34
I Theoretische Rahmenüberlegungen
entwickelte sich zunächst in den USA und später auch in Deutschland zu einem Leitmedium (vgl. Ludes 2003, 69). Quartärmedien werden auch als digitale Medien bezeichnet. Unter dem Oberbegriff lassen sich zum Beispiel der Computer, E-Mail oder das World Wide Web3 subsumieren (vgl. Faulstich 2002, 25). Wie bei den Tertiärmedien wird auch hier auf Sender- und Empfängerseite ein technisches Gerät benötigt. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal liegt in der Tatsache, dass die Informationen in digitaler Form und nicht mehr analog verteilt werden. Bei modernen Online-Medien ist zudem die Auflösung der klassischen Sender-EmpfängerBeziehung und somit eine Rollenumkehrung möglich (vgl. Faulstich 2004a, 13). Die bisherigen Ausführungen haben schon gezeigt, dass der Medienbegriff eng mit dem Kommunikationsbegriff verbunden ist. Organisation von Kommunikation ist ein definitorischer Bestandteil von Medien. Der Begriff der Kommunikation und der ablaufenden Prozesse soll nachfolgend zunächst auf personaler Ebene beschrieben werden.
1.2
Kommunikation
„Kommunikation ist ein sowohl fach- wie auch alltagssprachlich verwendeter Begriff mit zahlreichen Bedeutungsgehalten“ (Pürer 2003, 58). In den folgenden Ausführungen soll versucht werden, das Phänomen unter Beachtung einer personalen Ebene zu beschreiben. In verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen lässt sich ein Grundverständnis mit identischen Elementen finden, hierzu gehören: Ein Sender oder Kommunikator, ein Kommunikationsinhalt, ein Kanal zur Übermittlung und schließlich ein Empfänger oder Rezipient (vgl. Dulisch 1998, 20f.; Pürer 2003, 60 Schulz von Thun 2008, 25; ähnlich auch Shannon/Weaver 1949 zit. nach Maletzke 1988, 6). Kanal Sender
Encodierung
Decodierung
Empfänger
Abbildung 1:
3
Einfaches Kommunikationsmodell.
Trotz der Einwände von Faulstich (vgl. Faulstich 2004b, 157) werden in den nachfolgenden Ausführungen, aufgrund der vorherrschenden Alltagssprache, aber auch wegen der Verwendung in verschiedenen Untersuchungen (vgl. Becker 2006; Reitze/Rider 2006) die Begriffe Internet und World Wide Web synonym gebraucht.
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
35
Aus den beschriebenen Elementen lässt sich ein einfaches Kommunikationsmodell erstellen, das den Prozess der Kommunikation beschreibt, dabei wechseln auf personaler Ebene in der Alltagskommunikation ständig die Rollen zwischen Empfänger und Sender. Letzterer verschlüsselt (encodiert) eine Information mit Hilfe eines bestimmten Zeichenvorrats und übermittelt die Informationen, zum Beispiel sprachlich, an den Empfänger. Dieser decodiert schließlich die Botschaft (vgl. Abb. 1). Voraussetzung für die Informationsübertragung ist das Vorhandensein eines zumindest teilweise gemeinsamen Zeichenvorrats von Sender und Empfänger (vgl. Faulstich 2002, 35). Betrachtet man diese Modellvorstellung auf personaler Ebene lässt sich Kommunikation als ein Prozess beschreiben, der in der Regel durch direkte Interaktion gekennzeichnet ist. Sender und Empfänger befinden sich also in einer einheitlichen raumzeitlichen Lage. Zudem ist der Prozess beidseitig, wird also durch einen ständigen Rollenwechsel zwischen Sender und Empfänger aufrechterhalten. Die Aussagen des Senders richten sich dabei mit konkreten Intentionen an sein personal bestimmbares Gegenüber, den Empfänger. Trotz der vermeintlichen Objektivität, die die Nachricht in diesem Kontext durch die beschriebene Intentionalität aufweist, ist es durchaus möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass zwischen dem, was der Kommunikator an Information weitergeben möchte, und dem, was tatsächlich beim Empfänger ankommt, wesentliche Unterschiede bestehen. Warum dies so ist, liegt zuerst einmal an der „Anatomie einer Nachricht“, mit der sich Friedmann Schulz von Thun auseinandergesetzt hat. Er unterscheidet im Rahmen von in erster Linie personalen Kommunikationsprozessen vier Seiten einer Nachricht: den Sachinhalt, die Selbstoffenbarung, die Beziehung und den Appell (vgl. Schulz von Thun 2008, 26ff.). Mit Sachinhalt ist die sachliche Information gemeint, die der Sender vermitteln will. Der Terminus Selbstoffenbarung beschreibt die Tatsache, dass jede Nachricht auch Informationen über den Sender liefert, die jenseits der Sachebene liegen. Aus jeglicher Nachricht geht auch etwas über das Verhältnis zwischen dem Sender und dem Empfänger hervor. Es wird deutlich, was die Personen voneinander halten oder auch wie sie zueinander stehen. Dies bezeichnet Schulz von Thun als Aspekt der Beziehung. Zudem enthalten fast alle Nachrichten einen Appell. Der Sender versucht also in bestimmter Weise Einfluss auf den Empfänger der Nachricht zu nehmen und ihn dadurch zu bewegen, vielleicht etwas zu tun oder zu unterlassen. Dieser Versuch der Einflussnahme kann implizit versteckt oder auch relativ offen formuliert sein. Schulz von Thun fasst diese Aspekte in folgender Abbildung zusammen (vgl. Abb. 2).
36
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Selbstoffenbarung
Sender
Nachricht
Appell
Sachinhalt
Empfänger
Beziehung
Abbildung 2:
Die vier Seiten einer Nachricht (vgl. Schulz von Thun 2008, 30).
Das aufgezeigte Nachrichtenquadrat vermittelt die Perspektive des Senders. Im Prozess der Kommunikation ist es aber auch entscheidend, was auf Empfängerseite passiert. Dem Empfänger bleibt die freie Auswahl, welchen Aspekt der Nachricht er aufgreift. Je nachdem wird sich seine Antwort oder Reaktion unterscheiden. Schulz von Thun stellt deshalb den vier Aspekten einer Nachricht auf Senderseite den „vierohrigen Empfänger“ entgegen (vgl. Schulz von Thun 2008, 45). Dementsprechend können also das Verständnis einer Aussage und eine eventuell folgende Reaktion darauf stark variieren. Beides ist stets abhängig davon, welche Seite der Nachricht der Empfänger aufnimmt. Wie in vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen4 führte der Einfluss der naturwissenschaftlichen Forschung, insbesondere die Erkenntnistheorie des Konstruktivismus (vgl. Maturana/Varela 1987), dazu, dass man sich zum Teil von dieser traditionellen Sichtweise der Objektivierbarkeit von Aussagen verabschiedet (vgl. Dulisch 1998, 21). Trotzdem bietet das vorgestellte Modell aufgrund seiner leichten Verständlichkeit eine mögliche Ausgangsbasis um Aussagen aus der Perspektive möglicher Rezipienten zu interpretieren und ihre Wirkung zu hinterfragen. Kommunikation kann aber nicht nur auf personaler, sondern auch auf massenmedialer Ebene ablaufen. Die Grundprozesse sind dabei ähnlich, dennoch gibt es wesentliche definitorische Unterschiede zwischen der Massenkommuni4
Auch in der Pädagogik und Heilpädagogik ließ sich in den letzten Jahren eine ähnliche Entwicklung betrachten (exemplarisch hierzu: Arnold/Siebert 2006; Lindemann 2006; Siebert 2005; Wagner 2000).
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
37
kation und der personalen Kommunikation. Dies soll im Folgenden näher ausgeführt werden.
1.3
Massenkommunikation und Massenmedien
Der Begriff Massenkommunikation fand erst in den 60er-Jahren Einzug in den deutschen Sprachraum. Er entstand aus dem englischen Begriff „mass communication“. Davor wurden öffentliche Aussagen, die sich an ein weiteres Publikum richteten, mit dem Begriff Publizistik umschrieben (vgl. Pürer 2003, 74f.). Der klassischen Definition von Maletzke folgend ist Massenkommunikation diejenige Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel, indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden (vgl. Maletzke 1963, 32). Öffentlich meint, dass es keine begrenzte, personelle oder in irgendeiner Form definierte Empfängerschaft gibt. Die technischen Verbreitungsmittel wären dabei die verwendeten Medien. Medien, die Massenkommunikation betreiben, bezeichnet man als Massenmedien. Als solche gelten demnach: „Alle Einrichtungen der Gesellschaft […], die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen. Vor allem ist an Bücher, Zeitschriften, Zeitungen zu denken, die durch die Druckpresse hergestellt werden; aber auch an photographische oder elektronische Kopierverfahren jeder Art, sofern sie Produkte in großer Zahl mit unbestimmten Adressaten erzeugen“ (Luhmann 2004, 10).
Der Terminus indirekt meint, dass es zwischen Sender und Empfänger keine direkte Interaktion im Sinne einer räumlichen, zeitlichen oder raumzeitlichen Nähe gibt (vgl. Luhmann 2004, 11; Maletzke 1963, 32). Bei der personalen Kommunikation, egal ob „face to face“ oder durch ein technisches Medium (z. B. Telefon) vermittelt, ist dies anders. Sie zeichnet sich eben genau durch eine raumzeitliche Gleichheit oder Nähe aus. Unter dem Begriff disperses Publikum werden Menschen oder Gruppen von Menschen verstanden, die miteinander gemeinsam haben, dass sie sich an verschiedenen Orten oder auch zu verschiedenen Zeiten einem gemeinsamen Gegenstand (den Massenmedien) zuwenden. Keinesfalls ist dies so zu verstehen, dass diese Gruppe bestimmte Eigenschaften aufweist oder gar als Organisation aufzufassen ist. Das disperse Publikum ist also „weder eine Situationsmasse, noch eine Menge, noch eine Gruppe, noch eine Organisation“ (Maletzke 1963, 32). Davon abgegrenzt wird das sogenannte Präsenzpublikum, welches räumlich versammelt, von ähnlichen Interessen geleitet, sich unter ähnlichen räumlich-situativen Bedingungen befindet und ähnliche
38
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Erwartungen hat. Dies ist zum Beispiel im Theater oder im Kino der Fall (vgl. Pürer 2003, 77). Aus heutiger Sicht innerhalb dieser Begriffsbestimmung der Massenmedien sicherlich kritisch zu hinterfragen bleiben die Begriffe „einseitige Kommunikation“ und das unbestimmte „disperse“ Publikum. Das World Wide Web oder Entwicklungen im Bereich des interaktiven Fernsehens bieten durchaus die Möglichkeit, die Einseitigkeit der Kommunikation aufzulösen. Zudem wird durch gezielte Rezipientenforschung versucht, die Inhalte an ein ganz bestimmtes Publikum zu richten. Trotz der Kritik wird diese Begriffsbestimmung von Maltzke auch heute noch zitiert und weithin anerkannt (vgl. Vollbrecht 2005, 32). In einem aktuellen Verständnis sei unter Massenkommunikation im Rahmen dieser Untersuchung verstanden: „Von professionellen Medienkommunikatoren (also von Journalisten, Moderatoren, Kommentatoren, Entertainern etc.) öffentlich, indirekt, über technische Medien (Presse, Radio, Fernsehen) und weitestgehend einseitig an eine Vielzahl von Menschen gerichtete Aussagen (informierender, bildender, überredender, werbender oder unterhaltender Natur), die von ihren Empfängern entschlüsselt sowie im Sinn verbunden und mit Bedeutung versehen werden“ (Pürer 2003, 75).
Eine eingängige Veranschaulichung dieser Vorstellung liefert das von Aufermann beschriebene allgemeine Massenkommunikationssystem (vgl. Abb. 3). Es ist gekennzeichnet durch eine „polarisierte Verteilung der kommunikativen Rollen“ (Aufermann 1971, 19), das heißt, es gibt eine klar festgelegte Sender- und eine davon abgegrenzte Empfängerrolle, wodurch die Kommunikation stets einseitig erfolgt. In der Abbildung ist dies durch die immer gleiche Richtung der Pfeile symbolisiert. Der Kommunikator sendet die Informationen aus, die Rezipienten können diese nur aufnehmen, haben aber selbst in der Regel keine Möglichkeit, diesen Kommunikationsprozess umzukehren. Es besteht also kein direkter Kontakt zwischen Sender und Empfänger, was in der Abbildung durch die unterbrochenen Pfeile5 gekennzeichnet ist. Grundsätzlich steht der Senderrolle, also dem Kommunikator (K), eine große Anzahl an Rezipienten (R) gegenüber. Die Variable „j“ ordnet in der Abbildung den Rezipienten unterschiedliche Nummern zu, um zu kennzeichnen, dass es sich um verschiedene Personen in verschiedenen raumzeitlichen Gegebenheiten handelt6. Der in der Abbildung durch die gestrichelte Linie symbolisierte Kontakt zwischen R5,i und R6,i ist dabei rein zufällig.
5 6
Kein vom Kommunikator ausgehender Pfeil führt durchgehend zum Rezipienten. Es gibt also R1,i, R2,i, R3,i usw.
39
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
K
j=1,2,…,n i=1,2,…,k
Rj,i
Rj,i
Rj,i
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Abbildung 3:
Allgemeines Massenkommunikationssystem nach Aufermann (vgl. Aufermann 1971, 19).
In der Mehrheit handelt es sich also um ein heterogenes Publikum, ohne für den Prozess wichtige Gemeinsamkeiten. Die Rezipienten lassen sich demnach nicht „einer einzigen [gemeinsamen] kommunikationsrelevanten sozialen Kategorie zuordnen“ (Aufermann 1971, 19), was in der Abbildung durch die möglichen unterschiedlichen Werte bei „i“ symbolisiert wird.7 Zwischen dem Kommunikator und den Rezipienten erfolgt nur eine indirekte Kommunikation. In der Regel versuchen die Kommunikatoren mehr über ihr Publikum herauszufinden, um ihre Aussagen besser abstimmen und Wirkungsweisen einschätzen zu können. Der Kommunikator oder die Gruppe der Kommunikatoren bleiben dem Rezipienten aber weitgehend unbekannt, wobei eine positive oder negative Stereotypisierung erfolgen könnte (vgl. Aufermann 1971, 19). Die Rezipienten bilden so 7
Wenn man für die Variable i verschiedene Werte einsetzt, erhält man Rj,1, Rj,2, Rj,3 usw. Gäbe es zum Beispiel R1,1, R2,1, R3,1 usw., hätte also i bei den Rezipienten den gleichen Wert, in diesem Fall 1, würde dadurch ein kommunikationsrelevantes Merkmal, zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Gruppe symbolisiert. Dies würde nach Aufermann dann einer sektorspezifischen und keiner allgemeinen Massenkommunikation mehr entsprechen. Ein sektorspezifisches Publikum wäre zum Beispiel bei Parteiorganen oder Fachzeitschriften zu finden (vgl. Aufermann 1971, 18). Man spricht dabei von sektorspezifisch, da das Publikum für die Kommunikation relevante Merkmale gemeinsam hat, nämlich die Zugehörigkeit zu eben einer bestimmten Partei oder einer bestimmten fachlichen Gruppe.
40
I Theoretische Rahmenüberlegungen
unter Umständen ein bestimmtes Image für unterschiedlichste massenmediale Kommunikatoren. Je nach betrachtetem Medium oder Fokus der Darstellung gibt es auch zahlreiche andere Schemata, die sich mit Massenkommunikation auseinandersetzen, auf die hier nur verwiesen werden kann (exemplarisch dazu Maletzke 1988, 56ff.; Maletzke 1963, 38ff.). Neben diesen traditionellen Modellvorstellungen ist auch das sogenannte Modell der elektronisch mediatisierten Gemeinschaftskommunikation erwähnenswert, welches versucht aktuellen Kommunikationsrealitäten gerecht zu werden. Vor allem die Entwicklungen durch das World Wide Web werden hier durch die mögliche Umkehrung zwischen der Sender- und Empfängerrolle berücksichtigt (vgl. Burkart/Hömberg 1998, 35).
1.4
Einfluss und Wirkung von Massenmedien
Die eben beschriebenen Kommunikationsmodelle versuchen den Prozess zu beschreiben, der zwischen Sender und Rezipienten bei der Übermittlung von Informationen abläuft. Wenn man sich mit der inhaltlichen Analyse eines Mediums auseinandersetzt, ist für die Interpretation und Einordnung der Ergebnisse wichtig, welchen konkreten Einfluss transportierte Inhalte auf den Rezipienten haben oder haben könnten. Betrachtet man die Funktion von Massenmedien in unserem Kulturkreis, lässt sich behaupten, dass alles (oder zumindest sehr vieles), was wir wissen oder zu wissen glauben, nicht durch direkte personale Kommunikation vermittelt wurde. Niklas Luhmann drückt dies folgendermaßen aus: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Dies gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur“ (Luhmann 2004, 9).
Auf den ersten Blick scheinen also Massenmedien einen sehr großen Einfluss auf uns zu haben, wenn wir praktisch unser gesamtes Wissen aus ihnen ziehen. Allerdings relativiert Luhmann seine Aussage zum Teil, indem er sagt: „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht vertrauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt: Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbarem versehen – und trotzdem darauf aufbauen, daran anschließen müssen“ (Luhmann 2004, 9f.).
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
41
Es herrscht also durchaus ein Bewusstsein darüber, dass nicht alles, was in den Massenmedien kommuniziert und zum Empfänger gebracht wird, zu jeder Zeit glaubwürdig und vertrauenswürdig ist. Dahingehend bestehen zwischen und innerhalb einzelner Massenmedien durchaus Unterschiede (vgl. Reitze/Rider 2006; forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH 2006; ebd. 1998; Zeitungs-Marketing-Gesellschaft 2006), Näheres dazu in Kapitel II 3.1. Ein Großteil des Einflusses scheint daher zu rühren, dass uns einfach unter bestimmten Umständen wenige Alternativen bleiben.8 Die Wirkungsforschung setzt sich mit Modellen auseinander, die versuchen verschiedene Einflüsse zu bestimmen, aufzuzeigen und zu erklären. Dabei werden in erster Linie Einstellungsänderungen, Wissensveränderungen und Verhaltensveränderungen als mögliche Wirkungsarten differenziert (vgl. Brosius 2003, 136ff.). Obwohl sich die Untersuchung in erster Linie mit Inhalten beschäftigt und die Wirkung von Mediendarstellungen nicht primär betrachtet, ist eine überblicksartige Beschäftigung mit unterschiedlichen Ansätzen für die Reflektion der Ergebnisse wichtig.
1.4.1
Historische Entwicklungen
Bonfadelli teilt den Entwicklungsverlauf der Wirkungsforschung in Anlehnung an Brosius und Esser grob in drei Phasen ein (vgl. Bonfadelli 2004, 27). Die erste Phase der klassischen Medienforschung entwickelte sich zu Beginn des Jahrhunderts vor dem Hintergrund der modernen Massenpresse, dem damals neuen Medium Radio und später auch dem Fernsehen (vgl. Bonfadelli 2004, 29; Brosius 2003, 130f.). Ähnlich wie in vielen anderen wissenschaftlichen Bereichen9 ging man zunächst von einer einfachen Stimulus-Reaktions-Theorie aus (vgl. Naschold 1973, 16f.). Die Rezipienten wurden in diesem Ansatz als breite einheitliche Masse vieler einzelner Individuen gesehen. Diese Vorstellung führte dazu, dass man von starken Medien ausging, die durch geschickt gesetzte Stimuli einen sehr großen Einfluss auf die einzelnen Glieder der einheitlichen Massengesellschaft haben (vgl. Catton 1973, 66; Bonfadelli 2004, 29ff.; Schenk 2002, 57). Die Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten nutzte gezielt die ‚fraglose 8
9
Die Berichterstattung Russlands und Georgiens während des Kaukasuskonflikts im Sommer 2008 bietet ein anschauliches Beispiel dafür, wie schwierig es für die jeweiligen Bevölkerungsgruppen ist, sich nicht von der Subjektivität transportierter Nachrichten, durch die Massenmedien der jeweiligen Politsysteme, beeinflussen zu lassen. In Pädagogik und Psychologie war im Rahmen der Lerntheorie dieser Ansatz zunächst ebenfalls vorherrschend (vgl. Gage et al. 1996, 231). Auch die weitere Entwicklung der Wirkungsforschung weist große Parallelen zur personalen Forschung im psychologisch-pädagogischen Feld auf.
42
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Übernahme’ der geschriebenen oder gesendeten Informationen als Modus zur Vermittlung von Befehlen und Weisungen für die Bevölkerung (vgl. Faßler 2002, 143). Inwieweit die vermutete fraglose Übernahme der Realität wirklich entsprach, bleibt dahingestellt. Sie stützte allerdings zunächst die Vorstellung der Omnipotenz der Massenmedien. Gezielte wissenschaftliche Forschungen, wie zum Beispiel die Reaktionen der Bevölkerung auf das Radio-Hörspiel „Invasion from Mars“ (vgl. Cantril 2005, 1. Aufl. 1940), konnten eine gewisse Potenz der Medien aufzeigen. Es gab Menschen, die auf das Hörspiel panisch reagierten, weil sie nicht wussten oder nicht erkannten, dass es sich um eine fiktive Darstellung handelte. Allerdings muss betont werden, dass diese Effekte keineswegs bei allen, auch nicht bei vielen Zuhörern auftraten, wie dies zum Teil immer noch in populärwissenschaftlichen Publikationen (exemplarisch Kinskofer/Bagehorn 2006, 177) behauptet wird. Im Vergleich zur Reichweite des Hörspiels war nur eine kleine Gruppe von Zuhörern überhaupt von einer Panik betroffen (vgl. Cantril 2005, 1. Aufl. 1940, 67). Weitere Forschung aufgrund fehlender Erklärungen für bestimmte mediale Effekte führte dazu, dass man sich vom einfachen Stimulus-Response-Modell verabschiedete, weil es nicht mehr ausreichend war, um beobachtete Phänomene zu beschreiben (vgl. Faßler 2002, 144). Ein Paradigmenwechsel führt zur zweiten Phase mit Beginn in den 50er-Jahren. Aus der „Allmachtstheorie“ wurde die „Ohnmachtstheorie“, oder weniger drastisch ausgedrückt das Modell begrenzter oder schwacher Medienwirkungseffekte (vgl. Brosius 2003, 132; Schenk 2002, 57). Zwischen Stimulus und Response wurde der Rezipient als regulierender und mediatisierender Organismus gesehen. Den Medien wurde nicht mehr die Macht über das Verhalten des Einzelnen zugeschrieben, sondern begrenzter Einfluss auf dessen Einstellungen (vgl. Bonfadelli 2004, 31). Das Modell wurde dabei leider auch herangezogen, „um die Folgenlosigkeit journalistischen Handelns zu belegen“ (Schenk 2002, 58). In der aktuellen Publikation des soziologischen Standardwerks im Kontext Behinderung von Cloerkes wird im Zusammenhang mit der Medienwirkung vor allem auf Ergebnisse dieses Paradigmas Bezug genommen. Der Einfluss massenmedialer Information auf Einstellungen und die Potenz zur Veränderung von Einstellungen in positiver Weise durch die Massenmedien wird als sehr gering betrachtet. Zudem wird auf die Gefahr gegenteiliger Effekte im Sinne einer Verstärkung von Vorurteilen hingewiesen (vgl. Cloerkes 2007, 144f.). In der dritten und letzten Phase dieses groben Überblicks werden Ansätze und Modelle diskutiert, die sich mit einer sehr differenzierten Sichtweise des Einflusses von Massenmedien auseinandersetzen. Brosius drückt dies sehr anschaulich folgendermaßen aus: „Manche Medienbotschaften führen bei manchen Rezipienten unter bestimmten Umständen und zu gewissen Zeiten zu einer Wirkung“ (Brosius 2003, 133). Es werden dabei Effekte im kognitiven und emotionalen Bereich fokussiert. Der Rezipient wird nicht mehr passiv gesehen, sondern
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
43
als aktiver Nutzer von bestimmten Medienangeboten, die er selbst nach seinen Bedürfnissen selektiert (vgl. Bonfadelli 2004, 33). „Insgesamt betrachtet, zeichnet sich eine Rückkehr zu der Vorstellung von den ‚mächtigen Medien’ ab, die jedoch anders [als früher] begründet wird“ (Schenk 2002, 59). Es steht dabei nicht die Frage im Mittelpunkt, ob es tatsächlich Medienwirkung gibt oder nicht, sondern unter welchen Bedingungen es unter Berücksichtigung beider Seiten, also der des Mediums und der des Rezipienten zu Wirkungen kommt (vgl. Brosius 2003, 133). Dass Medien abgesehen davon große Verantwortung und sehr großen Einfluss auf das unmittelbare Erleben einzelner Personen haben können, zeigt sich am Beispiel von Untersuchungen zum sogenannten Medienopfersyndrom. Das Deanonymisieren und Anprangern von Einstellungen, Verhalten und Meinungen durch Massenmedien führt hier bei den betroffenen Personen sogar zu einem psychotherapeutisch behandlungswürdigen Zustand (vgl. Gmür 2007). Im Rahmen dieser Untersuchung ist die Beschäftigung mit allen möglichen Wirkungsansätzen sicherlich nicht möglich und nötig. Nachfolgend möchte ich aber kurz zwei Theorien vorstellen, die den neueren Paradigmen der Medienwirkungsforschung zugeordnet werden und Perspektiven beleuchten, die in die bisherige Diskussion medialer Darstellungen von Menschen mit Behinderung kaum Eingang gefunden haben.
1.4.2
Das Agenda-Setting-Modell
Wie bereits bei der Darstellung der ersten und zweiten Phase innerhalb der historischen Entwicklung der Medienwirkungsforschung beschrieben (vgl. Kapitel I 1.4.1), untersuchte man lange Zeit vor allem jegliche Einflüsse der Massenmedien auf Einstellungen und Verhalten der Rezipienten (vgl. Schenk 2002, 399). Die Idee des Agenda-Settings kennzeichnet eine Wende im Forschungsinteresse durch eine andere Herangehensweise. Ein erster Ausgangspunkt, der für die Überlegungen leitend war, wurde von Cohen formuliert: „The press is significantly more than a purveyor of information. It may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about” (Cohen 1963, 13).
Die Presse als Massenmedium wird also weder als neutraler Informationslieferant noch als großer Einflussfaktor auf Haltungen der Personen gesehen, sie bestimmt in dieser Theorie vielmehr das, worüber die Rezipienten nachdenken. Was man nicht lesen oder sehen kann, hat für Leute, die nicht direkt an einem Ereignis teilhatten, nie stattgefunden (vgl. Cohen 1963, 13). Der Fokus liegt also in kognitiven Effekten, die Massenmedien haben können. Informationen, be-
44
I Theoretische Rahmenüberlegungen
stimmte Themen oder auch gesellschaftliche Probleme werden uns in erster Linie mit Hilfe der Massemedien nähergebracht (vgl. Schenk 2002, 9f.) Dies entspricht auch im Wesentlichen der zu Beginn des Kapitels erwähnten Vorstellung von Luhman (vgl. Kapitel I 1.4). Massenmedien helfen mit ihren Informationen unsere Realität zu strukturieren und bestimmen, auf welche Probleme die Menschen aufmerksam werden und was sie beschäftigt (vgl. Cohen 1963, 13; McCombs/Einsiedel/Weaver 1991, 12; McCombs/Shaw 1977, 2). Ein wesentlicher Meilenstein des Forschungsinteresses war eine Untersuchung während der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1968, dabei wurde folgende viel zitierte These aufgestellt: „The mass media set the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes towards the political issues“ (McCombs/Shaw 1991, 18).
In dieser Formulierung finden sich alle zentralen Konstrukte des AgendaSetting-Ansatzes. Die Wichtigkeit (Salience), die Themen (Issues) und die sogenannte Agenda. Die Wichtigkeit lässt sich dabei auf intra- und interpersonaler Weise betrachten. Es geht darum, wie wichtig ein Thema für eine Person ist und wie oft sich die Person mit anderen Menschen über ein bestimmtes Thema unterhält. Zusätzlich spielt noch die sogenannte „Perceived Community Salience“ (Eichhorn 2005, 10) eine Rolle, die sich mit der von der Person wahrgenommenen Wichtigkeit eines Themas auseinandersetzt. Auf der Seite der Medien kann man die Wichtigkeit bestimmter Themen mit Hilfe einer inhaltsanalytischen Messung der Häufigkeit des Auftretens bestimmen. Auch der Umfang oder die Stellung eines Inhalts innerhalb einer Nachricht wird als Indikator für die Wichtigkeit angesehen (vgl. ebd., 12). Der Begriff Thema übersetzt den englischen Begriff „issue“ eigentlich nur unzureichend. Mit Themen sind innerhalb dieses Konstrukts kontroverse Fragen und Probleme der Gesellschaft gemeint (vgl. Bonfadelli 2004, 239). Eichhorn versteht unter „Thema“ eine „öffentliche Streitfrage“. Weiter beklagt er dabei ein wenig einheitliches Verständnis und eine fehlende Operationalisierung des Begriffes innerhalb der Forschung in diesem Bereich (vgl. Eichhorn 2005, 8ff.) Für die innerhalb dieser Ausführungen notwendige Betrachtung ist dieses Verständnis im Sinne einer öffentlichen Streitfrage vollkommen ausreichend, weshalb nicht näher auf die Probleme des Begriffes eingegangen werden soll. Agenda bezeichnet in der Theorie die Rangordnung der Themen in Bezug auf ihre Wichtigkeit. Diese Wichtigkeit kann, wie bereits angesprochen, auf unterschiedliche Weise ermittelt werden. Ursprünglich ging es dabei vor allem um die Häufigkeit bestimmter Themen (vgl. Eichhorn 2005, 12).
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
45
Der Einfluss der Massenmedien nach der Agenda-Setting-Theorie auf die Rezipienten liegt bei der Auswahl der Themen. Die Themen, die am häufigsten medial präsent sind (Medienagenda) werden zu den wichtigsten Themen in der öffentlichen Diskussion (vgl. McCombs 2004, 5). Viele Publikationen belegen die Zusammenhänge zwischen dem Wissen über oder die Einschätzung der Wichtigkeit von bestimmten Themen und der Häufigkeit der Berichterstattung in den Medien (vgl. McCombs 1997; McCombs/Shaw 1991; McCombs/Shaw 1977). Zu erwähnen bleibt, dass die Medienagenda nicht notwendigerweise der persönlichen Agenda entspricht. Dafür können zahlreiche Variablen, wie Bildung, Vorwissen, Einflüsse von Bekannten oder Institutionen verantwortlich sein (vgl. McCombs/Shaw 1977, 10f.). Menschen sind also nicht nur auf Mediennutzer reduzierbar, weil sie in verschiedensten sozialen Bezügen leben und interagieren (vgl. Mikos 2005, 81). Dennoch wird ein wichtiger Einfluss von Massenkommunikation angenommen, der weit über die Verstärkung von ohnehin schon vorhandenen Haltungen hinausgeht (vgl. McCombs/Einsiedel/Weaver 1991, 21). Im Kontext Behinderung müsste man deshalb eigentlich von einem wesentlich größeren Einfluss medialer Berichterstattung ausgehen, als dies zum Beispiel durch Cloerkes (vgl. Cloerkes 2007, 144) angenommen wird. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass überhaupt eine massenmediale Agenda zu bestimmten Problemfeldern in diesem Themenbereich existiert. Dabei ist die Frequenz der Berichterstattung für eine mögliche Wirkung entscheidend (vgl. Bonfadelli 2003, 89). Zusammenfassend stellen sich aus meiner Sicht also zwei mögliche Auswertungshorizonte. Zum einen kann betrachtet werden, inwieweit es gehäufte Berichterstattungen zu bestimmten Themen im Kontext Behinderung gibt, zum anderen wie wichtig grundsätzlich das Thema Behinderung in verschiedenen Medien ist. 1.4.3
Theorie der Schweigespirale
Die Theorie der Schweigespirale erfasst indirekte Effekte der Massenmedien, die auf der Orientierung, besser gesagt auf der Annahme einer bestimmten Meinungsorientierung in der Öffentlichkeit beruhen (vgl. Schenk 2002, 67). Die Schweigespirale wird dabei als Prozess der Entstehung und Ausbreitung öffentlicher Meinung gesehen. Für Noelle-Neumann konstituieren „Meinungen im kontroversen Bereich, die man öffentlich äußern kann, ohne sich zu isolieren“ (Noelle-Neumann 2001, 91), die sogenannte öffentliche Meinung. Nach ihrer Ansicht fürchtet sich der Mensch vor sozialer Isolation (vgl. Noelle-Neumann 2001, 92), deshalb ist in der sozialen Situationen die Wahrnehmung der vermeintlichen öffentlichen Meinung sehr wichtig. Nimmt eine Person an, dass die Meinung der Umwelt zu einem bestimmten Thema der eigenen Meinung entspricht, dann hat
46
I Theoretische Rahmenüberlegungen
das Individuum keine Angst, sich zu isolieren, und wird deshalb seine eigene Meinung einbringen, vertreten und kundtun. Ist das Gegenteil der Fall, also wird die öffentliche Meinung als zur eigenen konträr angesehen, wird sich das Individuum zurückhalten (vgl. Noelle-Neumann 1989, 43). Betrachtet man ausgehend von diesen sozialen Mikroprozessen die ablaufenden Makroprozesse, an der die Massenmedien beteiligt sind, spielen zwei Faktoren eine wichtige Rolle. Zum einen bestimmen die Massenmedien in gewisser Weise das, was die Menschen als öffentliche Meinung wahrnehmen (vgl. Agenda-Setting im Kapitel I 1.4.2), indem diese konstant über bestimmte Ereignisse berichten. Zum anderen kann es nach Noelle-Neumann auch sein, dass eine verzerrte Berichterstattung der öffentlichen Meinung dazu führt, dass sich die Schweigespirale in Gang setzt, was zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung führen kann. Die folgende Abbildung in Anlehnung an Schenk verdeutlicht die beschriebenen Prozesse (vgl. Abb. 4). Die Abbildung teilt sich in zwei Bereiche für zwei unterschiedliche Personen (A und B), zudem werden auch zwei verschiedene Zeitpunkte (t1 und t2) betrachtet. Person A hat eine bestimmte Meinung zu einem Thema (dunkelgraues Feld). Diese Meinung kann der von der Person wahrgenommenen Umweltmeinung entsprechen, also konstant sein, oder ihr nicht entsprechen und so dissonant sein. Die Wahrnehmung der Umweltmeinung von Person A, also das was Person A als öffentliche Meinung zum Thema X vermutet, wird dabei zum Zeitpunkt t1 durch die direkte Umweltwahrnehmung von Person A sowie auch durch die Massenmedien beeinflusst. Meint Person A, dass ihre Meinung der allgemeinen Meinung entspricht, wird sie in einer Diskussion oder einem Gespräch mit Person B zum Zeitpunkt t2 diese auch äußern. Bei einer angenommenen dissonanten Meinung wird nach der Theorie Person A wenig Redebereitschaft gegenüber Person B bezüglich des Themas X zeigen. Dieses Verhalten gegenüber Person B beeinflusst nun wieder in Kombination mit den Massenmedien die Wahrnehmung der öffentlichen Meinung.
47
1 Medien- und Kommunikationswissenschaft
PersonA
PersonB
EigeneMeinung zumThemaX
konstant
dissonant
Wahrnehmungder Umweltmeinung zumThemaX
Direkte Umweltwahr h
KeineIsolationsfurcht
HoheRedebereitschaft
Isolationsfurcht
KaumRedebereitschaft
Wahrnehmungder Umweltmeinung zumThemaX
Mehrheitsmeinung Gegenwärtige Zukunftseinschät zung
Massenmedien
Zeitpunktt1
Zeitpunktt2
Abbildung 4:
Dynamisches Modell der öffentlichen Meinung (vgl. Schenk 2002, 493).
Wenn die eigentliche Minderheitenmeinung durch die Massenmedien konstant und kumulativ als Mehrheitsmeinung dargestellt wird, kann es nach dieser Theorie auf Basis der beschriebenen Mikroprozesse sein, dass Meinungsvertreter der eigentlichen Mehrheitsmeinung ihre Ansichten aus Angst vor sozialer Isolation nicht mehr vertreten und es so durch die medial vermittelte Minderheitenmeinung und deren Vertreter zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung kommt. Allerdings macht Noelle-Neumann eine wichtige Einschränkung. Sie nimmt dabei auf Tönnies Bezug, der öffentliche Meinung als etwas beschreibt, dass in
48
I Theoretische Rahmenüberlegungen
verschiedenen Aggregatzuständen (fest, flüssig und gasförmig) vorliegen kann. Der Prozess der Schweigespirale trägt sich bei flüssigem Aggregatzustand der öffentlichen Meinung zu (vgl. Noelle-Neumann 2001, 91). Ein fester Aggregatzustand würde eine unumstößliche Meinungssituation, also einen festen Zustand beschreiben. Etwas, das aus vielleicht kulturhistorischer Prägung unumstößlich erscheint. Flüssig meint dagegen, dass es einer gewissen Kontroverse jenseits eingefahrener und festgeschriebener Zustände bedarf. Es muss eine Diskussion bezüglich des Themas herrschen. Die zu Beginn eingebrachte Begriffsbestimmung wird deshalb ergänzt: „Im verfestigten Bereich der Traditionen, Sitten, vor allem aber Normen sind jene Meinungen und Verhaltensweisen öffentliche Meinung, die man öffentlich äußern oder einnehmen muß, wenn man sich nicht isolieren will. Isolationsfurcht eines einzelnen, sein Bedürfnis akzeptiert zu werden einerseits, und die von Öffentlichkeit als Urteilsinstanz gestellte Forderung zur Konformität mit etablierten, allgemein gebilligten Meinungen und Verhaltensweisen andererseits konservieren eine bestehende Ordnung“ (Noelle-Neumann 2001, 92).
Unter bestimmten Bedingungen kann also eine Minderheitsmeinung zu einer Mehrheitsmeinung und so zur öffentlichen Meinung werden. Neben der auch bei der Agenda-Setting-Theorie wichtigen Frequenz spielen bei der Schweigespirale zusätzlich Konstanz und Sichtbarkeit der Berichterstattung eine Rolle (vgl. Bonfadelli 2003, 89). Betrachtet man sich die Implikationen für die Darstellung von Menschen mit Behinderung, könnten sich nach der vorgestellten Theorie durchaus mediale Effekte und Einflüsse ergeben. Eine relativ konstante und kumulative Darstellung bestimmter Ereignisse, zum Beispiel Menschen mit geistiger Behinderung als Gewalttäter, könnte demnach die öffentliche Meinung bezüglich dieser Personengruppe beeinflussen. Bei der Darstellung einzelner Ergebnisse soll dies wieder aufgegriffen werden.
1.5
Fazit der Überlegungen
Kommunikationsprozesse laufen auf personaler und massenmedialer Ebene nach einem ähnlichen Grundschema ab. Wesentliche Unterschiede sind vor allem die Einseitigkeit und Indirektheit massenmedialer Kommunikation. Grundsätzlich besteht bei jeglicher Kommunikation immer das Problem, dass die Aussagen nicht notwendigerweise so beim Rezipienten ankommen, wie das vom Kommunikator beabsichtigt war, was exemplarisch am Modell der personalen Kommunikation von Schulz von Thun erläutert wurde. Die im Kontext Massenkommunikation und Massenmedien diskutierten Theorien haben gezeigt, dass Informa-
2 Behinderung
49
tionen über die Welt und das Wissen zu bestimmten Themen aus den Massenmedien bezogen werden. Sie strukturieren durch die verbreiteten Informationen die Realität unserer Gesellschaft. Unabhängig vom Einfluss der Massenmedien auf Einstellungen oder Haltungen bieten sie zunächst eine Möglichkeit, durch den Umgang mit bestimmten Themen prägende gesellschaftliche Denkweisen zu verstehen und Handlungsmuster zu entdecken. Der qualitative und quantitative Umgang mit einzelnen Themen lässt dann Rückschlüsse auf deren gesellschaftliche Relevanz zu. Die vorgestellten Modelle der Medienwirkungsforschung bieten einen Interpretationshintergrund für mögliche Effekte in den Medien auftauchender Themen und Inhalte. Der Begriff Behinderung wurde in diesem Kapitel schon des Öfteren erwähnt. Nachfolgend sollen für die Untersuchung wichtige Grundverständnisse und Theorien beschrieben werden, die sich näher mit diesem Phänomen auseinandersetzen und klären, was man in der fachwissenschaftlichen Diskussion unter dem Begriff verstehen kann. 2
Behinderung
Behinderung ist ein äußerst komplexer Begriff, der je nach thematischem Hintergrund verschiedene Einschränkungen beschreibt, unterschiedliche Funktionen erfüllt und so auch multiple Sichtweisen repräsentiert. Trotz seines intensiven Gebrauchs wird er immer wieder infrage gestellt (vgl. Weisser 2005, 104) und innerhalb der Wissenschaften, die sich in irgendeiner Weise mit Behinderung befassen, gibt es zum Teil Bestrebungen, den Begriff zu ersetzen (vgl. Felkendorf 2003, 26ff.). Die ständige Umbenennung der Schulen innerhalb der einzelnen sonderpädagogischen Bereiche ist nur ein Beispiel für die offensichtliche Unzufriedenheit grundsätzlicher begrifflicher Festlegungen in diesem Forschungsbereich (vgl. Powell 2003, 122f.). Diese Voraussetzungen führen dazu, dass es sehr schwierig ist, den Begriff oder besser gesagt das Phänomen allgemein zu definieren.10 Der §2 Satz 1 des Sozialgesetzbuches IX versucht dies folgendermaßen: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von
10
Für eine Untersuchung, die sich mit der Darstellung von Menschen mit Behinderung oder Behinderung allgemein in der Presse auseinandersetzt, ist es zunächst, vor allem für die Recherche und den Umgang mit quantitativen Daten, problematisch, auf keine allgemeine Definition zurückgreifen zu können. Innerhalb der Beschreibung des Recherchevorgangs (vgl. Kapitel IV 2) wird eine transparente Darstellung des Umgangs mit dieser Problematik versucht.
50
I Theoretische Rahmenüberlegungen
dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist“ (Bundesministerin der Justiz 2001, 6f.).
Diese juristische Definition betont zum einen die Seite des Individuums als Träger bestimmter Eigenschaften, in diesem Fall von Beeinträchtigungen, zum anderen die daraus entstehenden Probleme in der Gesellschaft. Zudem versucht man über die Angabe eines Zeitraums Behinderung von Krankheit abzugrenzen. Ähnlich wird der Begriff auch in der allgemeinen Behindertenpädagogik durch Bleidick definiert (vgl. Bleidick 1999, 15). Man kann Behinderung aber auch weniger der Person zugeordnet sehen, wie Cloerkes in seiner Definition zeigt. Für ihn ist Behinderung: „Eine dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen und seelischen Bereich, der allgemein ein entscheidend negativer Wert zugeschrieben wird. ‚Dauerhaftigkeit’ unterscheidet Behinderung von Krankheit. ‚Sichtbarkeit’ ist im weitesten Sinne das ‚Wissen’ anderer Menschen um die Abweichung. Ein Mensch ist ‚behindert’, wenn erstens eine unerwünschte Abweichung von wie auch immer definierten Erwartungen vorliegt und wenn zweitens deshalb die soziale Reaktion auf ihn negativ ist“ (Cloerkes 2007, 8).
Trotz der Gemeinsamkeiten (es geht zunächst um eine Abweichung im geistigen, seelischen oder körperlichen Bereich) wird hier das Phänomen anders verstanden. Behinderung ist demnach nichts Absolutes, sondern erst etwas, dass in einem sozialen Kontext entsteht. Nicht allein die Abweichungen in den einzelnen Kategorien sind entscheidend, sondern auch die Reaktion der Umwelt auf diese Abweichungen. Behinderung konstruiert sich demnach erst durch die Umwelt und deren Reaktionen auf die Person. Der Begriff Behinderung kann also verwendet werden, um die Eigenschaft einer Person (behindert sein) oder den durch die Umwelt entstehenden Zustand zu beschreiben (als behindert gesehen werden oder behindert werden). Für die Untersuchung sind beide vorgestellten Sichtweisen, also sowohl die individuellen wie auch die sozialen Aspekte von Behinderung interessant. Von mehreren Personen geteilte Verstehensmodelle bewegen sich innerhalb dieses Spannungsfeldes im Kontext des Behinderungsbegriffs und bilden so innerhalb der Theorie in diesem Bereich die Basis für wissenschaftliche Kommunikation, somit haben sie die Funktion eines Paradigmas (vgl. Moser/Sasse 2008, 21).
2 Behinderung
2.1
51
Paradigmen
Als Paradigmen kann man theoretische Ansätze oder wissenschaftliche Sichtweisen innerhalb einer Fachwissenschaft verstehen. Es ist also das, was einer bestimmten Gruppe von Wissenschaftlern gemeinsam ist (vgl. Cloerkes 2007, 10; Müller 1991, 15). Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Begriff Behinderung zu beschreiben. Diese unterschiedlichen Sichtweisen können zu verschiedenen Paradigmen zusammengefasst werden (vgl. Bleidick 1999; Bleidick 1981; Bleidick 1977; Müller 1991). Bleidick unterscheidet dabei zunächst vier Paradigmen (vgl. Bleidick 1977; Bleidick 1981), später nur noch drei (vgl. Bleidick 1999), bei Müller gibt es insgesamt elf unterschiedliche Sichtweisen gegliedert in drei Ebenen, von denen für diese Betrachtung nur der sogenannte „behinderungsorientierte Ansatz“ interessant ist, der sich im Wesentlichen mit theoretischen Betrachtungen der Ursache von Behinderung auseinandersetzt und dabei die individuale, mikrosoziale und makrosoziale Ebene unterscheidet (vgl. Müller 1991, 35ff.). Auch das bei Bleidicks Überlegungen vorliegende Einteilungskriterium der unterschiedlichen wissenschaftlichen Sichtweisen von Behinderung stützt sich auf den Ursachenaspekt. Trotz der Tatsache, dass Bleidick in neueren Publikationen nur mehr drei Paradigmen beschreibt, gehe ich in Anlehnung an die berechtigte Kritik von Cloerkes (vgl. Cloerkes 2007, 12) zunächst von folgenden ursprünglich vier beschriebenen Paradigmen aus: dem personenorientierten, dem interaktionistischen, dem systemtheoretischen und dem gesellschaftstheoretischen Paradigma. Bei der nachfolgenden Beschreibung dieser Ansätze wird auch die Modellvorstellung von Müller berücksichtigt, die sich über weite Strecken mit den Ausführungen von Bleidick deckt. Die Unterschiede sollen anschließend in einem Schaubild verdeutlicht werden (vgl. Tab. 1). Im personenorientierten Paradigma, auch medizinisches Modell (vgl. Bleidick 1999, 25; Bleidick 1981, 26) oder Individualansatz (vgl. Müller 1991, 36) genannt, resultiert Behinderung aus einer medizinisch erklärbaren Ausgangslage. Bei der als behindert bezeichneten Person liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine strukturelle oder funktionale Störung vor. Behinderung entsteht innerhalb dieser Annahme als direkte Folge dieser körperlichen Beeinträchtigung (vgl. ICIDH im Kapitel I 2.2). Sie ist somit „ein persönliches, weitgehend unabänderliches und somit hinzunehmendes Schicksal“ (Bleidick 1981, 27). Die Vorstellung von Behinderung ist personenorientiert und die Ursache dafür ist nach dieser Vorstellung ein unveränderbares Ereignis in der Vergangenheit (vgl. Müller 1991, 59). Diese Sichtweise ist vor allem wegen der starken medizinischen Prägung in der Kritik, war aber im Umgang mit behinderten Menschen auch von wissenschaftlicher Seite her lange das dominierende Paradigma. Erst Entwicklungen in der neueren Zeit führen hier zu größeren Veränderungen (vgl. ICF im Kapitel I 2.2).
52
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Das interaktionistische Paradigma oder der mikrosoziale Ansatz wurde, wie der Name schon sagt, maßgebend durch die Theorie des symbolischen Interaktionismus und den damit verbundenen „labeling approach“ geprägt (vgl. Müller 1991, 42f.). Behinderung wird nicht als fester Zustand gesehen, sondern als Zuschreibungsprozess mit impliziten Erwartungshaltungen aus der unmittelbaren Umwelt. Sie wird so zu einer sozialen Kategorie (vgl. Bleidick 1999, 33; Bleidick 1981, 28). Der Mensch mit Behinderung ist anders, als seine Umgebung das erwartet hat. „Die Behinderung ist im wesentlichen [sic!] das Resultat sozialer Reaktionen“ (Cloerkes 2007, 11). Im Gegensatz zum personenorientierten Paradigma ist Behinderung hier ein gegenwartszentrierter Zustand (vgl. Müller 1991, 60). Sie entsteht erst in der Situation durch die Erwartungen des Gegenübers. Nicht nur die Person an sich, sondern auch die Umwelt spielt bei der Entstehung von Behinderung nach dieser Vorstellung eine ebenso wichtige Rolle. Im systemtheoretischen Paradigma konstituiert sich Behinderung als Systemfolge. Die Vorstellung beruht auf der systemtheoretischen Betrachtung der Gesellschaft. Vereinfach gesagt versuchen gesellschaftliche Systeme die Komplexität ihrer Umwelt durch Ausdifferenzierung, also einem unterschiedlichen Umgang mit verschiedenen Teilen ihres Gesamtsystems, zu reduzieren. Das Schulsystem in Deutschland tut dies durch Ausdifferenzierung nach Alter und Leistung (vgl. Bleidick 1981, 31; Cloerkes 2007, 11). Behinderung entsteht dabei im Nachhinein als Folge dieser Ausdifferenzierung, indem es spezifische Schulangebote in Form von Sonderschulen für Kinder mit „Behinderung“ gibt. Überspitzt formuliert wird das Kind erst durch eine spezifische Beschulung „behindert“. Das gesellschaftstheoretische Paradigma oder der makrosoziale Ansatz (vgl. Müller 1991, 52) erklärt Behinderung zumeist als Folge gesellschaftlicher Gegebenheiten, die über konkrete Handlungssituationen hinausgehen. Die Gesellschaftsstruktur in ihrer Gesamtheit und ihr Einfluss auf das Entstehen von Behinderung außerhalb mikrosozialer Interaktionsprozesse steht dabei im Fokus (vgl. Müller 1991, 53). Eine materialistische, von Jantzen geprägte Sichtweise wird oft mit diesem Paradigma gleichgesetzt (vgl. Bleidick 1981, 32; Cloerkes 2007, 11). Behinderung ist in diesem Ansatz ein gesellschaftliches Produkt, welches auch unmittelbar mit den sozio- oder politökonomischen Gegebenheiten bestimmter sozialer Gruppen zusammenhängt. Müller impliziert in seinem makrosozialen Ansatz auch systemische Elemente, wenn er bei Behinderung vom Versagen gesellschaftlicher Institutionen spricht (vgl. Müller 1991, 53). Da bei ihm die systemtheoretische Sicht nicht explizit erwähnt wird, beinhaltet Behinderung aus makrosozialer Sicht auch die Elemente dieses Ansatzes. Zudem scheint eine grundsätzliche Trennung zwischen Gesamtgesellschaft und den Systemen, die eine Gesellschaft erst konstituieren, ohnehin schwierig.
53
2 Behinderung
Bleidick Personenorientiertes Paradigma
Interaktionstheoretisches Paradigma
Systemtheoretisches Paradigma
Gesellschaftstheoretisches Paradigma
Ursache von Behinderung Behinderung ist eine Einschränkung der Person als medizinisch fassbarer Sachverhalt. „behindert sein“ Behinderung ist eine Zuschreibung, die in einer Interaktion durch die unerwartete Andersartigkeit des Gegenübers entsteht. „als behindert gesehen werden“ Behinderung ist ein Erzeugnis von Systemen, zum Beispiel vom System Schule. „behindert gemacht werden“ Behinderung ist ein Produkt der Gesellschaft. „behindert werden“
Müller Individualansatz
Mikrosozialer Ansatz
Makrosozialer Ansatz
Tabelle 1: Gegenüberstellung der Sichtweisen von Bleidick und Müller im Kontext Behinderung. Die Tabelle fast die unterschiedlichen Begriffsbezeichnungen von Bleidick und Müller zusammen. Die im Wesentlichen sehr ähnlichen Vorstellungen unterscheiden sich nur durch eine Differenzierung zwischen gesellschaftstheoretischer und systemtheoretischer Sicht bei Bleidick, auf der makrosozialen Ebene bei Müller (vgl. Tab. 1). Die vorgestellten Paradigmen bilden einen allgemeinen theoretischen Rahmen, wie man das Phänomen oder die Tatsache einer Behinderung fachwissenschaftlich beschreiben kann. Bei der konkreten Auseinandersetzung mit dem was gesellschaftlich, aber auch fachwissenschaftlich unter dem Begriff Behinderung verstanden wird, ist die jeweils zeitaktuelle Klassifikation der World Health Organisation wegen ihrer Internationalität und Transdiszipliniarität von herausragender Bedeutung.
54 2.2
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Klassifikationen der WHO
Das erste Modell, die International Classification of Impairment, Disability and Handicap (ICIDH), stammt aus dem Jahre 1980 und wurde 1993 in einer revidierten Fassung neu aufgelegt. Es sollte als Klassifikationssystem der Folgeerscheinungen von Krankheit dienen, so der Untertitel. Das Rahmenkonzept besteht aus drei Dimensionen11 (vgl. Matthesius 1995, 243; Matthesius/Leistner 1990, 27ff.; World Health Organization 1980, 27ff.): 1.
2.
3.
Impairment: Bedeutet so viel wie Schädigung und meint dabei eine Beeinträchtigung hinsichtlich psychischer oder körperlicher Strukturen beziehungsweise Funktionen. Disability: Meint die aus der Schädigung resultierende Behinderung (vgl. Matthesius/Leistner 1990, 28, 37) oder Fähigkeitsstörung (vgl. Matthesius 1995, 244). Es ist dabei jegliche Beeinträchtigung oder Funktionseinschränkung gemeint, die eine Person davon abhält, Fähigkeiten auszuüben, die innerhalb eines normalen Bereiches liegen. Handicap: Direkt aus einer Schädigung oder aus der beschriebenen Unfähigkeit heraus kann eine Beeinträchtigung (soziale Behinderung) entstehen. Das Individuum wird benachteiligt und dadurch davon abgehalten, normale gesellschaftliche Rollenerwartungen zu erfüllen.
Dieses Verständnis wurde so oder in ähnlicher Form in zahlreichen nationalen und internationalen Publikationen bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Behinderung beschrieben (vgl. Brackhane 2007, ,37; Cloerkes 2007, 5; Fischer 2003, 299ff.; Hirschberg 2003, 120ff.; Lindmeier 1993, 188ff.; Speck 2003, 197; Titchkosky 2003, 14f.). Das Modell unterscheidet, wie beschrieben, zwischen einer wie auch immer ausgefallenen körperlichen Schädigung, einer Behinderung oder Fähigkeitsstörung und einer Beeinträchtigung. Ausgangspunkt des Prozesses ist dabei immer die Dimension der Schädigung, aus der sich eine Fähigkeitsstörung ergeben kann, was schließlich unter Umständen zu einer sozialen Beeinträchtigung führt (vgl. Titchkosky 2003, 15; Matthesius/Leistner 1990, 30). Sprachlich und begrifflich ist der Umgang mit „disabilty“ und „handicap“ interessant. Beides könnte man mit dem Begriff Behinderung übersetzen. Die offizielle deutsche 11
Die verwendeten Terminologien der Dimensionen oder auch das Vorhandensein eines Oberbegriffs und dessen Terminologie war international nicht einheitlich geregelt. Verschiedene Nationen benutzten unterschiedliche Begriffe mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt (vgl. Matthesius 1995, 220). Auf die Veränderungen innerhalb der deutschsprachigen Übersetzung soll innerhalb der Erläuterungen noch kurz eingegangen werden.
2 Behinderung
55
Übersetzung der ICIDH im Jahr 1990 wählte für „disability“ den Begriff Behinderung für „handicap“ den Begriff Beeinträchtigung (vgl. Matthesius/Leistner 1990, 29). In der offiziellen Übersetzung der Neuauflage von 1993 im Jahr 1995 wurde der Begriff Behinderung als Oberbegriff für alle drei Aspekte gewählt. „Disability“ wurde als Konsequenz mit Fähigkeitsstörung12 übersetzt (vgl. Jochheim 1995, 5), da die sprachliche Konstruktion Behinderung im deutschsprachigen Raum ein breiteres Verständnis aufweist, als dies durch den Terminus „disability“ beschrieben wird (vgl. Meyer 2004, 19). Im Modell der ICIDH wird durch den Begriff die personale Ebene von Behinderung ausgedrückt. „Disability“ beschreibt also etwas, das von der Person aktiv ausgeht. Damit ist die Übersetzung mit Fähigkeitsstörung oder „Unfähigkeit13“ (Fischer 2003, 300) passender als der zuvor gewählte Begriff Behinderung. „Handicap“ beschreibt im Gegensatz dazu eine rein soziale Ebene. Modern interpretiert könnte man die Folge von Beeinträchtigung im Sinne von „handicap“ als die soziale Dimension von Behinderung verstehen, die erst im Kontext einer gesellschaftlichen Rollenerwartung entsteht. So würde sich bei der ICIDH eine ähnliche Sichtweise wie bei Bach ergeben, der Behinderung nicht als Eigenschaft, sondern als „eine Relation zwischen individualen und außerindividualen Gegebenheiten“ (Bach 1985, 6) beschrieben hat. Trotz der Berücksichtigung personaler und sozialer Faktoren gab es Kritik an der ICIDH. Ein wesentlicher Punkt der kritischen Diskussion war, dass Behinderung ihren Ausgang immer in einer persönlichen Schädigung hat (vgl. personenorientiertes Paradigma im Kapitel I 2.1). So wurden soziale Aspekte durch das Konstrukt „handicap“ im Sinne sozialer Beeinträchtigung zwar berücksichtigt, ohne eine körperliche Schädigung konnte es aber bei diesem Modell zu keiner sozialen Beeinträchtigung kommen. Die Vorstellung war insgesamt also stark individuumszentriert und defektorientiert (vgl. Cloerkes 2001, 4; Lindmeier 1993, 209f.). Damit eng verbunden ist auch die Kritik an der Linearität des Modells, durch die die Richtung von der Schädigung ausgehend vorgegeben ist, obwohl zum Beispiel bei einer Lernbehinderung auch ein umgekehrter Prozess wirksam werden würde, der von einer sozialen Beeinträchtigung zu einer personalen Lernbehinderung führen kann (vgl. Waldschmidt 2003, 94). Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass dies in der Neuauflage der ICIDH von 1993 nicht verschwiegen wird. Hier wird durchaus schon auf die 12 13
Einen Überblick über die von unterschiedlichen Autoren als Übersetzung gewählten Termini bietet Lindmeier (vgl. Lindmeier 1993, 190). Wortwörtlich übersetzt würde ‚to disable’ als Antonym von ‚to enable’ mit ‚unfähig machen’ zu übersetzen sein. Im Sinne dieser Passivkonstruktion würde aus sprachanalytischer Perspektive durch den Terminus ‚disabled’ auch ein sozialer Faktor berücksichtigt, der in der eigentlichen Erläuterung der ICIDH nicht auftaucht (vgl. auch Felkendorf 2003, 29).
56
I Theoretische Rahmenüberlegungen
komplexe Realität hingewiesen, die nicht einfach durch einen linearen Verlauf beschrieben werden kann (vgl. Matthesius 1995, 246). Der relativ ungenaue und nicht ausreichend definierte Begriff der Normalität als Vergleichdimension für die Kategorien wurde ebenfalls kritisch hinterfragt. Wichtige Kontextfaktoren bei der Betrachtung, wie sich Normalität in einer Gesellschaft überhaupt konstituiert, wurden nicht ausreichend beachtet. Die kanadische Soziologin Tanya Titchkosky formuliert das außer Acht lassen dieser Faktoren folgendermaßen: „Seeing disability as the doing and non doing of normal things requires that one does not see the interactional, epistemological, and setting expectations which organize and produce a culture´s taken-for-granted sense of the ‘normal doing of things’ in the first place” (Titchkosky 2003, 15f.).
Es fehlte die Einsicht, dass Behinderung nicht nur etwas mit den körperlichen Voraussetzungen einer Person zu tun hat. Einem Menschen mit Behinderung wird zwar vermeintlich objektiv die Unfähigkeit innerhalb eines Normbereiches nachgewiesen, würde aber die Umwelt, also die mikro- und makrosozialen Räume, in denen sich die Person unmittelbar befindet, diese Fähigkeit nicht erwarten oder voraussetzen, müsste es nicht notwendigerweise zu einer Behinderung im eigentlichen Sinne kommen. Bei der neuen Modellvorstellung der Weltgesundheitsorganisation der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), die 2001 veröffentlicht wurde (vgl. World Health Organisation 2001), ist die Vorstellung insgesamt multidimensionaler. Die 2005 publizierte deutsche Endfassung heißt Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Schwierig dabei ist nach wie vor der Umgang mit dem Begriff Behinderung, der wie bereits in der ersten deutschsprachigen Version der ICIDH von 1990 als Übersetzung von „disability“ im Titel auftaucht. Die ICF ist ein sehr umfangreiches Werk, weshalb nachfolgend der Fokus auf der für diese Arbeit wichtigen Beschreibung von Behinderung liegen soll. Diese Betrachtung gestaltet sich nicht einfach, da innerhalb der ICF der Terminus sehr oft gebraucht und an vielen Stellen nicht immer gleich definiert wird (vgl. Meyer 2005, 172). Zum Teil wiederholen sich die Begriffsbeschreibungen innerhalb der knapp 200 Seiten des Werkes häufig. Diese Redundanzen mit oft nicht genau geklärter begrifflicher Bedeutung erschweren dabei leider ein genaueres Verständnis (vgl. Meyer 2004, 26). Insgesamt betrachtet versucht die ICF aufgeführte Kritikpunkte der Vorgängerversion zu berücksichtigen. Wesentliche Ziele bei der Neufassung waren unter anderem eine gemeinsame wissenschaftliche Basis für die Beschreibung von Gesundheitszuständen zu schaffen, dafür eine gemeinsame sprachliche Basis
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57
zu erstellen und so Grundlagen für internationale Datenvergleiche zu liefern (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 11; World Health Organisation 2001, 5). Die Konstrukte der ICF, die für die Beschreibung des Gesundheitszustands einer Person herangezogen werden, sind dabei in zwei Teile mit jeweils zwei Komponenten aufgegliedert (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 16ff.; World Health Organisation 2001, 10ff.): 1.
2.
Functioning and Disability (Funktionsfähigkeit und Behinderung) Body Functions and Structures (Körperfunktionen und -strukturen): Mit Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen des Körpers oder seiner Systeme (zum Beispiel Sehen) gemeint. Körperstrukturen beschreiben anatomische Teile des Körpers (zum Beispiel Gliedmaßen). Activity and Participation (Aktivität und Partizipation (Teilhabe)): Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung durch eine Person. Teilhabe bedeutet deren Einbezogenheit in eine Lebenssituation. Contextual Factors (Kontextfaktoren) Environmental Factors (Umweltfaktoren): Hierunter fallen Merkmale und Einflüsse der materiellen und sozialen Welt, also Faktoren, die außerhalb des Individuums liegen. Dabei werden sowohl mikrosoziale Bereiche, wie Familie oder Arbeitsplatz, als auch makrosoziale Bereiche, wie Verkehrs- oder Unterstützungssysteme beachtet. Personal Factors (Personenbezogene Faktoren): Einstellungen, Haltungen und Umstände innerhalb der Individuumsebene, die nicht Teil des Gesundheitsproblems sind, werden den personenbezogenen Faktoren zugeordnet (z. B. ethnische Zugehörigkeit, Ausbildung, Gewohnheiten etc.).
Jede dieser Komponenten besteht aus unterschiedlichen Domänen14, die sich wiederum in Kategorien15 aufteilen (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 16). Die ICF betont dabei, dass sich mit Hilfe des Kodierschemas Gesundheitszustände aller Personen beschreiben lassen. Es erfolgt keine Einschränkung auf eine spezifische Personengruppe (vgl. 14
15
Domänen bilden die Blöcke und Kapitel innerhalb jeder Komponente. Dabei gibt es je nach Komponente eine sinnvolle Anzahl an entsprechenden physiologischen Funktionen, anatomischen Strukturen, Handlungen oder Aufgaben (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 148). „Kategorien sind Klassen oder Teilklassen innerhalb einer Domäne einer Komponente, z.B. die Einheiten der Klassifikation“ (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 148).
58
I Theoretische Rahmenüberlegungen
ebd., 13). Explizit findet auch Erwähnung, dass durch die ICF keine Personen klassifiziert werden sollen, sondern lediglich versucht wird, die Situation einer Person mittels der Domänen des Gesundheitszustandes zu beschreiben. Dabei sollen stets auch sogenannte Kontextfaktoren betrachtet werden (vgl. ebd., 14). Theoretisch besteht wie erwähnt eine klare Zweiteilung, die allerdings im Kodierteil der ICF nicht mehr deutlich wird. Die personenbezogenen Faktoren werden zum Beispiel in diesem Abschnitt nicht mehr aufgeführt (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 22). Zudem gibt es vier gleichwertige Listen, die Körperfunktionen (vgl. ebd., 35), Körperstrukturen (vgl. ebd., 40), Aktivität und Partizipation (Teilhabe) (vgl. ebd., 42) sowie die Umweltfaktoren (vgl. ebd., 47) jeweils einzeln aufführen, was eigentlich nicht der vorher beschriebenen Aufteilung entspricht (vgl. Meyer 2004, 25). Die in der theoretischen Konzeption weiter angeführten Beziehungen zwischen den einzelnen Komponenten verdeutlicht nachfolgende Abbildung (vgl. Abb. 5). Sie beschreibt die Funktionsfähigkeit einer Person als Wechselwirkung zwischen dem Gesundheitsproblem und den Kontextfaktoren (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 23). Gesundheitszustand (GesundheitsstörungoderKrankheit)
Körperfunktionenund strukturen
Umweltfaktoren
Abbildung 5:
Aktivitäten
Teilhabe
personenbezogeneFakto ren
Wechselwirkung zwischen den Komponenten der ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 23).
Grundsätzlich gilt, dass jede Komponente innerhalb des Schemas sowohl positive Aspekte, also das Vorhandensein einer Funktion, Struktur oder Aktivität, wie auch negative Aspekte, also eine Schädigung oder Einschränkung ausdrücken
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59
kann. Der Terminus Behinderung wird dabei in der ICF als Gegenteil von Funktionsfähigkeit mit den Komponenten Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivität und Teilhabe gebraucht (vgl. Tab. 2). Er ist also der Oberbegriff, um Probleme der Funktionsfähigkeit aufzuzeigen (vgl. ebd., 4). Somit bezieht sich hier der Begriff Behinderung, wie auch in der Tabelle zu erkennen, nur auf die negativen Aspekte des Teils Funktionsfähigkeit und damit auf Schädigung sowie die Beeinträchtigung von Aktivität und Teilhabe. Eine Behinderung liegt demnach vor, wenn die Person eine Schädigung ihrer Köperfunktionen oder Körperstrukturen aufweist oder in ihrer Aktivität beziehungsweise Teilhabe beeinträchtigt ist, also in mindestens einer Komponente der funktionalen Gesundheit Einschränkungen vorliegen (vgl. Schuntermann 2007, 34). Weiter postuliert die ICF, dass die Funktionsfähigkeit beziehungsweise Behinderung eines Menschen als dynamische Interaktion zwischen Gesundheitsproblem und Kontextfaktoren aufgefasst wird. Diese Kontextfaktoren stehen in Wechselwirkung mit den einzelnen Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 14). Unter Erwägung der in Tabelle 2 veranschaulichten Zusammenhänge und des vorher erläuterten Behinderungsbegriffes als negative Ausprägung der Funktionsfähigkeit haben Kontextfaktoren zwar einen wichtigen Einfluss auf einen eventuell als Behinderung bezeichneten Gesundheitszustand, bilden dabei jedoch keine allein bedingende Komponente. Sie können also einen behindernden Zustand beeinflussen, ihn verbessern oder verschlechtern. Ursächlich generiert werden kann dieser allerdings durch die Kontextfaktoren nach der ICF nicht. Diesen Punkt greift Cloerkes kritisch auf. Für ihn ist auch in der ICF die scheinbar objektivierbare Normabweichung im Sinne einer Schädigung oder Einschränkung des Individuums alleiniger Ausgangspunkt der Behinderung. Dabei stellt er die Frage, ob diese Normabweichung wirklich so leicht und objektiv festgestellt werden kann, wie dies hier medizinisch suggeriert wird. Weiter kritisiert er, dass es trotz der Berücksichtigung der Kontextfaktoren keine explizite Betrachtung sozialer Normen oder negativer Bewertungen gibt, die Behinderung, durch eine Beeinflussung von Aktivitäten und Funktionen ebenfalls generieren könnten, ohne dass es dafür einen objektiven Grund innerhalb der Person zu geben scheint. Auch das nachträgliche Einstellen einer Schädigung aufgrund negativer Bewertungen einer Person durch die Umwelt wird nach Cloerkes zu wenig beachtet (vgl. Cloerkes 2007, 7).
60
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Komponenten Domänen
Konstrukte
Funktionsfähigkeit und Behinderung Körperfunktionen Aktivität und und -strukturen Teilhabe Körperfunktionen Lebensbereiche und -strukturen (Aufgaben, Handlungen)
Veränderung in Körperfunktionen (physiologisch) Veränderung in Körperstrukturen (anatomisch)
Positiver Aspekt Negativer Aspekt
Leistungsfähigkeit (Durchführung von Aufgaben in der standardisierten Umwelt) Leistung (Durchführung von Aufgaben in der gegenwärtigen, tatsächlichen Umwelt) Aktivitäten Teilhabe
Funktionale und strukturelle Integrität Funktionsfähigkeit Schädigung Beeinträchtigung der Aktivität Beeinträchtigung der Teilhabe Behinderung
Kontextfaktoren Umweltfaktoren Äußere Einflüsse auf Funktionsfähigkeit und Behinderung Fördernde und beeinträchtigende Einflüsse von Merkmalen der materiellen, sozialen und einstellungsbezogenen Welt
Personenbezogene Faktoren Innere Einflüsse auf Funktionsfähigkeit und Behinderung Einflüsse von Merkmalen der Person
Positiv wirkende Faktoren
Nicht anwendbar
Negativ wirkende Faktoren (Barrieren, Hindernisse)
Nicht anwendbar
Tabelle 2: Überblick über die ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 17; World Health Organisation 2001, 11). Positiv zu unterstreichen bleibt trotzdem ein vom Grundsatz her biopsychosoziales Verständnis von Behinderung, welches versucht sowohl eine medizinische als auch eine soziale Perspektive miteinander zu vereinigen. Im medizinischen Modell wird Behinderung dabei als Problem der Person angesehen. Im sozialen Modell ist Behinderung kein Merkmal einer Person, sondern wird als komplexer Zusammenhang von Bedingungen gesehen, von denen viele gesellschaftlich gemacht sind (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 25; World Health Organisation 2001, 20). Zusammenfassend zeigen sich die Rezeptionen innerhalb behinderungsspezifischer Fachwissenschaften mit der Modellvorstellung der ICF zufriedener als mit der Vorgängerversion. So wird vor allem die systematische Berücksichtigung von
2 Behinderung
61
Kontextfaktoren positiv gesehen. In der Vorstellung zeigen sich Einflüsse auf den Gesundheitszustand nicht mehr nur unidirektional von einem Individuum aus, sondern werden auch von Prozessen außerhalb beeinflusst (vgl. Cloerkes 2007, 6; Waldschmidt 2003, 96). Zudem ist eine Schädigung nicht mehr notwendiger Ausgangspunkt für eine Behinderung, auch durch Probleme in Teilhabe oder Aktivität kann eine Behinderung entstehen (vgl. Waldschmidt 2003, 96). Die Modellvorstellung der WHO liefert einen konkreten Vorschlag einer Sichtweise von Behinderung, die Elemente aus verschiedenen zuvor beschriebenen Paradigmen enthält. Es findet sich zumindest eine personenbezogene und eine interaktionistische Sichtweise, zudem werden durch die sogenannten Kontextfaktoren weitere mikro- und makrosoziale Überlegungen berücksichtigt. Die ICF bildet deshalb auch die wesentliche Ausgangsbasis für die Untersuchung des Behinderungsverständnisses innerhalb der analysierten Presseerzeugnisse. Neben der Sichtweise sollen im Rahmen dieser Studie auch dargestellte Reaktionen und Handlungsimplikationen betrachtet werden, da diese im gesellschaftlichen Kontext sehr entscheidend sind. Unabhängig davon, wie man Behinderung einordnet, hat man verschiedene Möglichkeiten, auf das Phänomen zu reagieren. Eine theoretische Grundposition, die sich mit solchen Handlungsmodellen im Kontext Behinderung auseinandersetzt, liefert Kobi.
2.3
Handlungsmodelle
Nach Kobi sind die der Betrachtungsweise zugrunde liegenden Paradigmen (vgl. Kapitel I 2.1) mögliche Ausgangspunkte für die Gestaltung von Modellen und Handlungskonzepten. Das Paradigma bestimmt, wie zuvor beschrieben, die Sichtweise von Behinderung, das Modell mögliche Handlungsweisen (vgl. Kobi 1981, 11). „Jedem Modell liegt [dabei in der Regel] ein Paradigma, eine exemplarische Sichtweise des jeweiligen Phänomens zugrunde“ (Vernooij 2007, 27). Kobi versteht unter einem Modell in diesem Zusammenhang: „Einen formalen Raster [sic!], eine Passform zur Problemerfassung und -bearbeitung. Es ist das Grundmuster, nach welchem für den konkreten Einzelfall schliesslich [sic!] Handlungskonzepte und –strategien entwickelt werden“ (Kobi 1981, 11).
In diesem Grundverständnis werden fünf verschiedene Handlungsmodelle unterschieden. Das karitative Modell, das exorzistische Modell, das rehabilitative Modell, das medizinische Modell und schließlich das interaktionistische Modell (vgl. Kobi 1981, 11). Ergänzen könnte man in neuerer Zeit vielleicht noch das integrative Modell, das in der Sonderpädagogik häufig, und ich stimme mit
62
I Theoretische Rahmenüberlegungen
Cloerkes überein, fälschlicherweise (vgl. Cloerkes 2007, 11; Cloerkes 2001, 10) als Paradigma16 bezeichnet wird. Die erste von Kobi beschriebene Handlungsweise ist das karitative Modell. In seiner Perspektive ist das Modell sehr stark von einer christlichen Haltung geprägt, es lässt sich allerdings auch leicht auf nicht religiös geprägte Bereiche übertragen. Die Menschen mit Behinderung werden als bedürftige oder notleidende Personen gesehen. Durch Opfergaben oder Spenden, also durch karitative Akte, können sich die handelnden Personen von ihren Schuld- und Mitleidsgefühlen befreien (vgl. Kobi 1981, 12f.). Die Spenden führen nicht dazu, dass sich der Status der Person verändert. Im Gegenteil, nach Kobi verstärkt sich dadurch die Definition des Gegenübers als dass, was er ist, eine von anderen abhängige Person (vgl. Kobi 1981, 12). Spendensammlungen in Fernsehsendungen oder Spendenaufrufe in Zeitungen bedienen sich genau desselben Handlungsmusters, indem sie das Leid einzelner Personen in den Mittelpunkt stellen und somit einen Spendenappell an die Zuschauer richten. Dieses Handlungsmuster impliziert damit schon eine klischeehafte Vorstellung der Menschen mit Behinderung als bedauerns- und bemitleidenswerte Personen (vgl. Barnes 1992, 7f.; Nelson 1994a, 5f.). Solche archetypischen durch die Medien implizierten Charakterisierungen sollen später noch näher thematisiert werden (vgl. Kapitel III 3.1). Im exorzistischen Modell wird die Person mit Behinderung als von einem „unreinen Geist“ (Kobi 1981, 13) besessen angesehen. Etwas nicht in der Person liegendes hat Besitz von ihr ergriffen und bestimmt so das Handeln der Person. Nach Kobi geht es in diesem Modell darum, „diesem Etwas durch purgierende Massnahmen [sic!] den Aufenthalt im Fremdkörper zu verleiden“ (ebd., 13). Das Modell hat sicher in der heutigen Kultur und den damit verbundenen modernen gesellschaftlichen Systemen an Bedeutung verloren, findet sich aber zum Teil noch immer im durch die katholische Kirche zuweilen geduldeten Exorzismus, als Reaktion auf „unerklärliche“ Verhaltensweisen von Personen. Handlungsleitend beim rehabilitativen Modell ist die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Einzelnen, durch das „Reparieren“ seiner Behinderung, zum Beispiel durch eine Prothese bei fehlenden Gliedmaßen. Kobi sieht in der prothetischen Versorgung behinderter Menschen in erster Linie die Rückführung in Produktionsabläufe der Gesellschaft und somit in die Arbeitswelt als wesentlichen Handlungsimpuls (vgl. ebd., 13). Dem Modell liegt die Sichtweise des medizinischen Paradigmas zugrunde. Für die spätere Verwendung leichter Abwandlungen dieser Modellvorstellungen für die inhaltliche Auswertung der Texte (vgl. Anhang 2.2) ist an dieser Stelle eine klare Unterscheidung zwischen rehabilitativen und medizinischen Handlungen notwendig. Im Folgenden sollen 16
Zur Kritik am teilweise inflationären Gebrauch des Paradigmabegriffes in der Sonderpädagogik siehe Hillenbrand 1999 und Thimm 1997.
2 Behinderung
63
unter dem rehabilitativen Modell in Abgrenzung zum medizinischen Modell nur jene Handlungsweisen verstanden werden, die Funktionen oder Strukturen einer Person wiederherstellen. Notwendige Voraussetzung für eine rehabilitative Handlung ist, dass die Person berreits zu einem früheren Zeitpunkt über die Funktion verfügte. Rehabilitation wird also nur als Wiederherstellung gesehen. Im Gegensatz dazu geht es im medizinischen Modell um Heilung von einem schon immer vorhandenen und somit grundsätzlichen Problem. Kobi versteht darunter Handlungsweisen, die versuchen eine Krankheit oder Einschränkung durch Bekämpfung der Ursache zu heilen, wobei die Bemühungen dabei nicht nur körperliche, sondern auch geistige Einschränkungen fokussieren (vgl. Kobi 1981, 14f.). Das medizinische Modell bedient sich als Sichtweise dem personenorientierten Paradigma (vgl. Kapitel I 2.1). Die Ursache einer Behinderung ist in dieser Annahme objektivierbar. Schafft man diese objektivierbare Ursache aus dem Weg, ist die Person geheilt. Unter diesem Handlungsmuster werden später in der Auswertung auch Strategien subsumiert, die einer Einschränkung präventiv begegnen. Teil des so verstandenen medizinischen Handlungsmusters soll damit auch die „Prävention von Behinderung“ durch Abtreibung sein. Als letzte Handlungsweise beschreibt Kobi das interaktionistische Modell. Er sieht in diesem Modell vor allem eine große Chance für die Pädagogik. Behinderung ist Isolation und dem kann durch Interaktion entgegengewirkt werden. In dieser Sichtweise ist der Mensch nicht mehr das reine Objekt bestimmter Bemühungen, sondern erhält eine aktive Rolle. Das interaktionistische Modell steht daher den medizinischen Handlungsweisen fast diametral gegenüber (vgl. ebd., 18ff.). Aus diesem Verständnis kann der Handlungsweise ein konkretes Paradigma, in diesem Fall das interaktionistische, als Sichtweise zugeordnet werden (vgl. Kapitel I 2.1). In einem pragmatischen Kontext werden unter diesem Modell alle Handlungsweisen subsumiert, die Interaktion und Kontakt mit behinderten Menschen intendieren. Auf der Ebene von institutionellen Systemen, wie der Schule, lassen sich so auch Aspekte eines integrativen Handlungsmodells einbinden. Die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung wäre demnach die interaktionistische Handlung eines gesellschaftlichen Systems (ausführlichere Beschreibungen im Anhang 2.2).
2.4
Fazit der Überlegungen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Begriff, das Phänomen oder die Tatsache ‚Behinderung’ zu betrachten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie nur zu einem möglichen und weitgehend differenzierten Begriffsverständnis, aber zu keiner abschließenden Definition beitragen können. Egal ob man Behinderung als personenbezogene Eigenschaft, als etwas rein von der Umgebung konstruier-
64
I Theoretische Rahmenüberlegungen
tes oder als irgendetwas dazwischen ansieht, bleibt vorerst mit Bundschuh zu sagen: „Es gibt keinen ‚richtigen’ Begriff von Behinderung, der die Komplexität dieses Phänomens umfasst“ (Bundschuh 2008, 43). Für die Ausführungen ist wichtig, dass das, was Behinderung ist oder wie Behinderung gesehen wird, eine wichtige Dimension der Analyse darstellt. Es wird versucht die Sichtweise der Presse, der Menschen mit Behinderung oder der arbeitenden Journalisten zu erfassen. Was ist gemeint, welche Vorstellung hat der Verfasser, wenn er in einem Artikel von Behinderung spricht, oder welche Vorstellungen von Behinderung haben als behindert geltende Personen? Es ist deshalb nicht notwendig, eine persönliche Begriffsdefinition darzulegen oder von einer bestimmten Vorstellung auszugehen, da dies die Sicht auf tatsächlich vorherrschende Sichtweisen, Paradigmen oder Handlungsmodelle in der Presse versperren würde. Nicht die Sicht des Autors17, sondern die Sicht und die Darstellung des Journalisten sind entscheidend. Trotzdem gab es im Kontext der Recherche die Notwendigkeit, zum Teil ein bestimmtes Behinderungsverständnis zu vertreten, indem bestimmte Begriffe für die Suche ausgewählt wurden (vgl. Kapitel IV 2). Auf eine grundsätzliche genau festgelegte Beschreibung wurde aber verzichtet. Die dargestellten Handlungsmodelle liefern zusammen mit den Paradigmen Ausgangspunkte für Kategorien zur Auswertung medial vermittelter Inhalte im Kontext von Behinderung und behinderten Menschen. Die untersuchten Inhalte führten zum Teil dazu, dass in den Kapiteln vorgestellte Modelle und Konstrukte weiter ausdifferenziert und ergänzt werden mussten. Dies trifft insbesondere auf die eben beschriebenen Handlungsmuster von Kobi zu (vgl. Anhang 2.2).
17
Das Vorgehen in der Recherche beschreibt im Wesentlichen das der Untersuchung zugrunde liegende Verständnis von Behinderung als Kombination von Begriffen und Themenbereichen, die vom Verfasser für die Recherche ausgewählt wurden. Zudem werden hier teilweise aus pragmatischen Gründen wichtige Einschränkungen getroffen (vgl. Kapitel IV 2).
II Untersuchungsgegenstand
Der zweite große Abschnitt der Ausführungen setzt sich mit dem Untersuchungsgegenstand auseinander. Als Untersuchungsgegenstand wurde die Presse als Sekundärmediun gewählt, welches die klassischen Merkmale von Massenmedien (vgl. Kapitel I 1.3) erfüllt. In den folgenden Kapiteln sollen zunächst wichtige Begriffe geklärt, voneinander abgegrenzt und schließlich systematisiert werden (vgl. Kapitel II 1). Zur besseren Einordnung der Bedeutung und der Situation von Zeitungen und Zeitschriften wird auch die historische Entwicklung dieser Medien nach Ende des Zweiten Weltkrieges beschrieben (vgl. Kapitel II 2). Anschließend wird versucht die konkrete Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und der einzelnen Zeitungen und Zeitschriften anhand bestimmter Kriterien zu begründen (vgl. Kapitel II 3). In den beiden Schlusskapiteln dieses Teils der Ausführungen werden die zur Analyse gewählten Printmedien kurz vorgestellt. Dabei werden historische und aktuelle Entwicklungen der einzelnen Presseerzeugnisse sowie deren Verbreitung in den letzten Jahren genauer betrachtet (vgl. Kapitel II 4 und Kapitel II 5). 1
Begriffsklärungen und Kategorisierung
Sekundäre Massenmedien werden auch als Printmedien oder Presse bezeichnet. Beide Begriffe sollen innerhalb der Ausführungen synonym gebraucht werden. Unter dem Begriff Presse verstand man zunächst nur die Beschreibung der Werkzeuge des Herstellungsverfahrens, später im 19. Jahrhundert übertrug sich der Begriff schließlich auch auf die Produkte dieses Prozesses. Die wichtigsten Kategorien innerhalb der Presse sind Zeitungen und Zeitschriften (vgl. Stöber 2003, 43), die nachfolgend charakterisiert und definitorisch voneinander abgegrenzt werden sollen.
1.1
Zeitungen
Der Terminus Zeitung entstammt dem spätmittelhochdeutschen Begriff „zi tunge“, was so viel bedeutete wie Nachricht, Kunde oder Botschaft. Ab der zweiten
66
II Untersuchungsgegenstand
Hälfte des 15. Jahrhunderts verstand man darunter bereits eine schriftliche Nachricht im Druck (vgl. Köbler 1995, 473), was schließlich zum heute gebräuchlichen Begriff führte. In Anlehnung an Groth sind Publizität, Aktualität, Periodizität und Universalität als Charakteristika definierend. Zeitungen sind also öffentlich und allgemein zugänglich (Publizität), sind gegenwartsbezogen und zeitnah, berichten also über tagesaktuelle Geschehnisse (Aktualität), erscheinen regelmäßig in bestimmten Abständen (Periodizität) und sind inhaltlich offen, beschäftigen sich also mit vielen unterschiedlichen Themen (Universalität) (vgl. Faulstich 2004b, 85; Pürer/Raabe 2007, 12; Schaffrath 2004, 484). In Abgrenzung zu anderen Medien ist auch die Disponibilität, damit ist die freie Verfügbarkeit nach Ort und Zeit, sowie die Fixierung in Schrift und Druck charakterisierend. Die heute größtenteils selbstverständlichen Online-Ausgaben führen jedoch zum Verlust der definitorischen Trennschärfe dieser Eigenschaften (vgl. Schaffrath 2004, 484). Innerhalb der Zeitungen kann mit Hilfe der genannten Eigenschaften noch weiter systematisiert und differenziert werden. Nachfolgendes Schaubild (vgl. Tab. 3) versucht dies anhand der Charakteristika Periodizität, Publizität sowie den zusätzlichen Dimensionen Inhalt und Distribution (vgl. Chill 1999, 72ff.; Schaffrath 2004, 485). Zeitungen Periodizität Publizität Inhalt Distribution
Tageszeitung
Wochen- oder Sonntagszeitung Lokalzeitung Regionalzeitung Überregionale Zeitung NachWirtGeneralParteiKirchenrichtenschaftsanzeiger zeitung zeitung zeitung zeitung Abonnementzeitung Straßenverkaufszeitung
Tabelle 3: Differenzierung und Systematisierung unterschiedlicher Zeitungen. Die Einordnung einer bestimmten Zeitung innerhalb dieser Systematisierung dient nicht nur der Ordnung, sondern gibt auch Aufschlüsse über Themen, Inhalte und die Art der Gestaltung der einzelnen Zeitung. Eine Tageszeitung kann Themen unmittelbar aktuell betrachten. Eine Wochenzeitung hat dafür kommentierende Möglichkeiten und kann Geschehnisse in größere Zusammenhänge einordnen (vgl. Schaffrath 2004, 485). Eine lokale Zeitung wird viele Themen und Personen ihrer unmittelbaren Umgebung beleuchten, während eine überregionale Zeitung kein Interesse an Lokalprominenz und –politik haben wird. Stra-
1 Begriffsklärungen und Kategorisierung
67
ßenverkaufszeitungen18 sind in ihrer Aufmachung gegenüber Abonnementzeitungen auffälliger, die Titelseiten sind bunter, die Überschriften reißerischer und es finden sich sowohl auf der Titelseite als auch im Heft zahlreiche Fotos (vgl. Chill 1999, 72ff.; Pürer/Raabe 2007, 18).
1.2
Zeitschriften
Der Begriff der Zeitschrift hat sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem im 17. Jahrhundert gebräuchlichen Terminus Chronogramm oder Zeitbuch heraus entwickelt. In der heutigen Alltagssprache ist dafür auch noch der französische Begriff ‚Journal’ gebräuchlich (vgl. Köbler 1995, 473). Eine klare Definition und Abgrenzung des Begriffes Zeitung von Zeitschrift liegt bis heute in keiner allgemeinverbindlichen Form vor, da beides in der Forschung meist gemeinsam unter dem Begriff Presse behandelt wird (vgl. Winter 2004, 454). Trotzdem macht es Sinn zwischen diesen beiden Begriffen zu unterscheiden, weil es sich in verschiedenen Bereichen nicht um dasselbe handelt. Einen funktional orientierten Ansatz der Begriffsbestimmung liefert Faulstich, wonach die Zeitschrift vier charakteristische Merkmale aufweist. Die Themenzentrierung (1) bildet den Gegenbegriff zur Universalität der Zeitung. Zeitschriften können sich zum Teil oder auch ganz bestimmten Themen widmen und diese auch in wesentlich größerem Umfang aufbereiten. Die periodische Kontinuität des Erscheinens wird durch den Begriff Temporizität (2) beschrieben. Im Gegensatz zur Zeitung sind die Erscheinungsperioden verlängert (von wöchentlich bis jährlich). Die meisten Zeitschriften widmen sich dabei einer bestimmten Lesergruppe. Faulstich wählt dafür den Begriff der Interessenspezifizierung (3) im Gegensatz zur Publizität der Zeitungen. Kontextualisierung (4) beschreibt die Tatsache, dass Themen in Zeitschriften meist fachspezifisch aufgegriffen werden und so keine sozialen oder politischen Zusammenhänge beleuchten (vgl. Faulstich 2004b, 91f.; Winter 2004, 455f.). Je nach Art der Zeitschrift sind diese Eigenschaften mehr oder weniger zutreffend.19 Unter den Zeitschriften lassen sich nach Pürer
18
19
Synonym kann dafür auch der Begriff Boulevardzeitung, vom französischen „boulevard“ für Straße, verwendet werden. Streng genommen unterscheidet nicht nur die Distribution, sondern auch die Art des redaktionellen Konzepts die Boulevardzeitung von der „seriösen“ Tageszeitung (vgl. Pürer/Raabe 2007, 18). Bestimmte Arten von Publikumszeitschriften (Nachrichtenmagazine, politische Illustrierte) lassen sich nicht so eindeutig abgrenzen, da sie zum Teil auch große Parallelen zu Wochenzeitungen aufweisen.
68
II Untersuchungsgegenstand
allgemein anerkannt sieben verschiedene Typen20 definitorisch unterscheiden (vgl. Pürer/Raabe 2007, 22), die sich zusätzlich noch weiter inhaltlich ausdifferenzieren lassen. Für die Ausführungen sind dabei nur die aktuellen Zeitschriften und Magazine interessant, die den Publikumszeitschriften untergeordnet werden können (vgl. Abb. 6). Hierunter fallen vor allem Nachrichtenmagazine, Illustrierte und Frauenzeitschriften (vgl. ebd., 23).
Zeitschriften
…
Abbildung 6:
…
Publikumszeitschriften
Fachzeitschriften
…
AktuelleZeitschriften undMagazine
Programm zeitschriften
Illustrierte
Politische Illustrierte
Nachrichten magazine
Systematische Einteilung von Zeitschriften in Anlehnung an Kaltenhäuser (vgl. Kaltenhäuser 2005, 23). Für die Untersuchung relevante Bereiche wurden grau hervorgehoben.
Nicht immer ist die Zuordnung von bestimmten Produkten unter den Bereich Zeitschrift einheitlich.21 Die Untersuchung orientiert sich größtenteils an der Grundeinteilung von Pürer/Raabe 2007 und den Ausführungen von Kaltenhäuser. Der in der Abbildung 6 beschriebene Terminus „politische Illustrierte“ ist dabei eigentlich nicht allgemein definiert, soll aber hier in Anlehnung an die logische Argumentation von Kaltenhäuser gebraucht werden (vgl. Kaltenhäuser 2005, 23).
20
21
Zeitschriftentypen: Publikumszeitschriften, Fachzeitschriften, Kunden-, Werks- und Betriebszeitschriften, Verbands- und Vereinszeitschriften, Amtsblätter, Titel der Insertionspresse und alternative Zeitschriften. Bei Chill erfolgt eine Trennung von Publikumszeitschriften und Wochenzeitungen beziehungsweise Magazinen. Zu den Magazinen wird zum Beispiel Der Spiegel gezählt. Diese Einteilung sieht Magazine näher an Wochenzeitungen und definiert diese in Abgrenzung zu Zeitungen und Zeitschriften. Illustrierte hingegen fallen unter Publikumszeitschriften (vgl. Chill 1999, 77ff.).
2 Historische Entwicklung
2
69
Historische Entwicklung
In Anlehnung an Pürer und Raabe lassen sich nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedene Phasen der Presseentwicklung herausstellen. Nachfolgend soll sehr knapp die Entwicklung ab dem Jahr 1949 beschrieben werden, bis 1989 wird dabei vor allem der Verlauf in Westdeutschland dargestellt. Dieser Phasenablauf richtet den Fokus größtenteils auf die Entwicklung des Zeitungsmarktes. Der zum Teil etwas differierende Ablauf auf dem Zeitschriftenmarkt (vgl. Winter 2004, 465ff.), insbesondere bei den Publikumszeitschriften, findet in den einzelnen Kapiteln ohne eine eigene begriffliche Einteilung Beachtung.
2.1
Die Presse von 1949 bis 1985
Bis 1985 werden drei Phasen unterschieden. Die Aufbauphase (1) bis circa 1954, die Phase der Pressekonzentration (2) bis 1976 und die Phase der Konsolidierung (3) bis 1985 (vgl. Pürer/Raabe 2007, 117). Die Aufbauphase begann mit der Erteilung der Generallizenz, einer generellen Erscheinungsgenehmigung für Zeitungen. Jede Person, die nicht im Verlauf der Entnazifizierungsverfahren nach Kriegsende als Beschuldigter oder Belasteter galt, durfte demnach eine Zeitung herausgeben (vgl. Pürer/Raabe 2007, 117; Pürer 2003, 232). Dies führte zu einem regelrechten Boom beim Erscheinen neuer Zeitungen. Am Ende dieser Phase im Jahr 1954 wurden insgesamt 1500 verschiedene Zeitungen von 624 Verlagen herausgegebenen. Insgesamt gab es in der Zeit 225 sogenannte publizistische Einheiten22 (vgl. Schütz 2007, 561; Schütz 2005a, 40). Niemals mehr herrschte in Deutschland eine solche Vielfalt (vgl. Pürer 2003, 232). Der Aufbauphase mit ihrem breiten Spektrum an Zeitungen Mitte der 50erJahre folgte die Phase der Pressekonzentration. Der Begriff beschreibt den Prozess des Verschwindens oder der Fusionierung von mehreren regionalen oder lokalen Zeitungen. Ein wichtiger Grund dafür lag in der Verschiebung der Hauptfinanzierung in Richtung Anzeigen (vgl. ebd., 233) Auch der Zeitschriftenmarkt war von der Konzentration betroffen. Schaffrath unterscheidet zwei (vgl. Schaffrath 2004, 495), Noelle-Neumann drei Formen der Pressekonzentra22
Eine publizistische Einheit ist eine Zählgröße. Sie beschreibt eine redaktionell selbstständige Tageszeitung (vgl. Pürer 2003, 232f.). Eine solche Einheit kann verschiedene Zeitungstitel und Verleger umspannen. Innerhalb einer publizistischen Einheit haben alle Zeitungen den gleichen Zeitungsmantel (vgl. Schaffrath 2004, 485; Schütz 2005a, 22), der die nicht lokalen Themen umspannt. Eine publizistische Einheit kann zum Beispiel nur eine Ausgabe, aber auch 30 verschiedene Ausgaben publizieren.
70
II Untersuchungsgegenstand
tion (vgl. Noelle-Neumann 1968, zit. nach Pürer/Raabe 2007, 120). Unter der publizistischen Konzentration (1) versteht man die Verringerung der Zahl publizistischer Einheiten. Der bis dato niedrigste Stand wurde 1976 mit 121 erreicht (vgl. Schütz 2007, 561; Schütz 2005a, 484). Die Verringerung der Anzahl der Verlage wird durch den Begriff Verlagskonzentration (2) umschrieben. Sie hatte zur Folge, dass es immer weniger, aber dafür immer größere Verlage gab (vgl. Pürer/Raabe 2007, 120; Schaffrath 2004, 495). Im Jahr 1972 zum Beispiel wird knapp 50 % der Gesamtauflage von Tages- und Sonntagszeitungen durch die fünf größten Verlagsgruppen23 publiziert (vgl. Aufermann/Lange/Zerdick 1973, 280). Alles in allem sank die Anzahl der Verlage als Herausgeber von Zeitungen im Zeitraum von 1967 bis 1976 von 535 auf 403, obwohl zur gleichen Zeit die Gesamtauflage aller Zeitungen von 18,0 auf 19,5 Millionen zunahm (vgl. Schütz 2005a, 344, 484). Auch bei den Publikumszeitschriften gab es trotz der großen Heterogenität des Segments ähnliche Prozesse. Bereits in den 60er- und 70erJahren wurde der Markt durch vier große Verlage24 bestimmt (vgl. Pürer/Raabe 2007, 126; Winter 2004, 465). Die dritte Form der Pressekonzentration wird durch den Begriff Auflagenkonzentration (3) umschrieben. Dadurch wird die „zunehmende Vereinigung der Auflagenanteile eines Zeitungs- [und/] oder Zeitschriftentyps bei einem bzw. wenigen Verlagen“ (Pürer/Raabe 2007, 120) bezeichnet. Nimmt man innerhalb dieses Zeitraums die Entwicklung der tagesaktuellen Straßenverkaufspresse als Beispiel, so wäre der Axel Springer Verlag zu nennen. Die gemeinsame Auflage seiner Produkte Bild25 und B. Z. lag Ende 1972 bei circa 3,7 Millionen, womit der Verlag dieses Segment absolut dominierte (vgl. Aufermann/Lange/Zerdick 1973, 278f.). Der nächste Zeitabschnitt (bis 1985) wird als Phase der Konsolidierung bezeichnet (vgl. Pürer/Raabe 2007, 141; Pürer 2003, 235). Die Phase der Konzentration kam vorübergehend zum Stillstand und die Strukturen des Zeitungsmarkts verfestigten sich. In der Zeit erfolgte ein leichter Anstieg der publizistischen Einheiten auf insgesamt 126, was einer Zunahme von 5 Einheiten entsprach. Auch die Zahl der produzierten Ausgaben stieg, lediglich die Anzahl der publi23
24
25
Die fünf größten Gruppierungen innerhalb der Tagespresse zu dieser Zeit sind: Axel Springer Verlag (Anteil an der Gesamtauflage: 26,9 %), Gruppe um den Süddeutschen Verlag/Verlag M. DuMont (Anteil an der Gesamtauflage 8 %), Gruppierung um die Stuttgarter Zeitung (Anteil an der Gesamtauflage: 6,7 %), Gruppe um die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Anteil an der Gesamtauflage: 4,2 %) und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Anteil an der Gesamtauflage: 3,2 %) (vgl. Aufermann/Lange/Zerdick 1973, 278f.). Diese bis heute (vgl. Winter 2004, 470) dominierenden Verlage waren: Heinrich Bauer Verlag (gewichteter Anteil an der Gesamtauflage: 32,94 %), Axel Springer Verlag (gewichteter Anteil an der Gesamtauflage: 13,28 %), Burda-Konzern (gewichteter Anteil an der Gesamtauflage: 12,08 %) und Gruner & Jahr (gewichteter Anteil an der Gesamtauflage: 8,16 %) (vgl. Dederichs 1977 zit. nach Pürer/Raabe 2007, 127). Die wöchentlich erscheinende Bild am Sonntag wurde hier nicht berücksichtigt.
2 Historische Entwicklung
71
zierenden Verlage sank in diesem Zeitraum von 403 auf 382 (vgl. Schütz 2007, 561). Die Situation auf dem Zeitschriftenmarkt in dieser Zeitspanne ist schwieriger zu beschreiben, da es sich bei Zeitschriften grundsätzlich um ein wesentlich facettenreicheres Medium handelt (vgl. Abb. 6 im Kapitel II 1.2). Bei den Publikumszeitschriften blieben die bereits erwähnten Verlage dominierend. Der Axel Springer Verlag konnte sogar seinen Marktanteil ausbauen (vgl. Pürer/Raabe 2007, 143). Die entspannte Konkurrenzsituation führte zur sogenannten Diversifikation, bei der die Verlage versuchten ihre Marktführerschaft in bestimmten Segmenten abzusichern, indem sie neue Titel kreierten. Es wurden aber auch neue Titel in anderen Zeitschriftensparten publiziert, wenn sich die Verlage dadurch eine Verbesserung auf dem Markt erhofften (vgl. Winter 2004, 467).
2.2
Die Presse um die Zeit der Wiedervereinigung
Die Grundstruktur der Presse in den 80er-Jahren bis zur Wiedervereinigung blieb relativ konstant (vgl. Pürer/Raabe 2007, 147). Allerdings nahm die Zahl publizierender Einheiten der Tagespresse in der Zeit von 1985 bis 1989 von 126 auf 119 ab, was gleichzeitig dem tiefsten Stand der betrachteten Zeitspanne bis heute entspricht (vgl. Schütz 2007, 561; Schütz 2005b, 612). Trotzdem war Deutschland zu dieser Zeit noch immer das Land mit den meisten Zeitungstiteln in Europa, was vor allem an den vielen lokalen und regionalen Ausgaben lag. Der Markt der Tageszeitungen wurde noch immer durch die Großverlage26 dominiert, wobei es auch zahlreiche kleine und mittlere Verlage in großer Zahl gab (vgl. Pürer/Raabe 2007, 147ff.). Die Zeit um die Wiedervereinigung bot auch ostdeutschen Verlagen die Chance auf neue Absatzmärkte. Allerdings gab es gerade bei diesen zum Teil dramatische Auflagenverluste. Medienpolitisch geprägt wurde die Zeit durch die Treuhandanstalt, die für die Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen verantwortlich war (vgl. Pürer 2003, 239). Ein Großteil dieser ehemals staatlichen Unternehmen ging an deutsche Großverlage im Zeitschriften- und Zeitungssektor (vgl. Röper 1991, zit. nach Pürer/Raabe 2007, 233; Schneider 1995, 54). Innerhalb der Tagespresse setzte nach anfänglichem Boom in den neuen Bundesländern ein Konzentrationsprozess mit massivem Auflagenrückgang ein. Vor allem Zeitungsneugründungen blieben nicht lange bestehen (vgl. Pürer 2003, 240f.). Betrachtet man die Entwicklung der publizistischen Einheiten im 26
Die größten Tageszeitungsverlage zu dieser Zeit waren: Verlag Axel Springer (Marktanteil 26,68 %), Zeitungsgruppe WAZ (Marktanteil 6,02 %), Süddeutsche Verlagsgruppe (Marktanteil 3,56 %), Verlagsgruppe DuMont-Schauberg (Marktanteil 3,25 %) und die Stuttgarter Zeitungsverlagsgruppe (Marktanteil 3,15 %) (vgl. Röper 1989, zit. nach Pürer/Raabe 2007, 149).
72
II Untersuchungsgegenstand
wiedervereinigten Deutschland blieben von 158 Einheiten 1991 bereits zwei Jahre später nur noch 137 übrig. Die Zahl der Verlage und Ausgaben verringerte sich in der Zeit ebenfalls (vgl. Schütz 2007, 561). Auf dem Zeitschriftenmarkt kam es kurz nach der Wende zu einem massiven Titelschwund ostdeutscher Zeitschriften. Im Bereich der Publikumszeitschriften hatte es ohnehin nur sehr wenige Titel vor der Wiedervereinigung gegeben, die allerdings über hohe Auflagenzahlen und Reichweiten verfügten. Innerhalb des gesellschaftlichen Systems der DDR gab es eine klare Funktionszuweisung für jedes Produkt, welches sich so von den anderen Titeln absetzen konnte. Die Annahme war, dass ein sozialistisches Gesellschaftssystem aufgrund der homogenen Struktur nur wenige Titel benötigt (vgl. Haller/Held/Weßler 1995, 122). Mit der Situation des Umbruchs hatten die ostdeutschen Titel vor diesem Hintergrund große Schwierigkeiten. Auf der Seite der Zeitschriftenverleger gab es große Probleme, die vorhandenen Strukturen umzugestalten und den neuen Erfordernissen anzupassen, zudem fehlte wichtiges Wissen im Bereich Marketing und auch finanzielle Mittel zur Expansion auf den gesamtdeutschen Markt waren nur unzureichend vorhanden (vgl. Haller/Held/Weßler 1995, 123f.). Auf Seite der Leser führten Neugiereffekte bezüglich bestimmter westdeutscher Titel zu massiven Auflageneinbrüchen bei den ostdeutschen Zeitschriften. Die anfängliche Begeisterung für Titel aus den alten Bundesländern flaute allerdings schnell ab.27 Haller et al. kommen zu dem Fazit, dass durch die Abkehr von ehemaligen DDR-Titeln gepaart mit einer einsetzenden Ignoranz gegenüber Westtiteln ein Vakuum entstand, „das von anderen Unterhaltungsmedien – in erster Line von den privaten TV-Programmanbietern gefüllt wurde“ (Haller/ Held/Weßler 1995, 130). Gesamtdeutsch betrachtet ist auf dem Zeitschriftenmarkt ab Anfang der 90er-Jahre eine Phase von wichtigen Neugründungen sowie eine starke Spezialisierung zu beobachten, die den bereits erwähnten Diversifikationsprozess ergänzt. Ablesen lässt sich dies an der Zunahme der Anzahl der Zeitschriften innerhalb der meisten Auflagekategorien zwischen 1991 und 1993 (vgl. Verband Deutscher Zeitschriftenverleger 1996, zit. nach Winter 2004, 467). Auch die in der Untersuchung betrachteten Erzeugnisse Super Illu und Focus wurden in der Zeit durch den Burda Verlag gegründet (näheres dazu in den Kapiteln II 5.3 und II 5.5). Mit Letzterem hat sich in der Folge in Deutschland ein zweites Nachrichtenmagazin etabliert.
27
Der Reichweitentrend Ost des Nachrichtenmagazins Der Spiegel sank von ca. 7 % im Jahr 1990 und 1991 auf 5 % in den Jahren 1992 und 1993, der der politischen Illustrierten Stern von ca. 5,5 % auf nicht einmal mehr 4 % im Jahr 1992 (vgl. Voges 1995, 169).
2 Historische Entwicklung
2.3
73
Die Lage der Presse in den letzten Jahren
Nach Pürer lässt sich die Situation der deutschen Presse seit Mitte der 90er-Jahre in vier kurze Phasen einteilen. Die Phase der relativen Stabilisierung (1), die Phase des Aufschwungs (2), die Phase der Krise (3) sowie Wege aus der Krise (4) (vgl. Pürer/Raabe 2007, 387). Nach der Wiedervereinigung und den damit verbundenen Veränderungen auf dem gesamtdeutschen Zeitungsmarkt folgte zunächst eine Phase der Stabilisierung. Die Zahl der publizistischen Einheiten der Tagespresse blieb von 19951999 konstant bei 135 (vgl. Schütz 2007, 561). Viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage begannen sich in diesem Zeitraum auch auf dem Online-Markt mit Angeboten zu positionieren und entwickelten sich so immer mehr zu multimedialen Unternehmen (vgl. Pürer 2007, 387; Winter 2004, 467). Trotz konstanter und andauernder Reichweitenverluste der tagesaktuellen Presse (vgl. Abb. 8 in Kapitel II 3.1.1) spricht man zu Beginn des 21. Jahrhunderts von einer Phase des Aufschwungs. Dies hatte vor allem mit einer Zunahme an Werbeeinnahmen zu tun. Die Zeitungen konnten Umsatzzuwächse von über 6,6 % verbuchen (vgl. Keller 1999, zit. nach Pürer 2007, 388). Vor allem überregionale Zeitungen und die Straßenverkaufspresse profitierten in hohem Maße von der guten wirtschaftlichen Lage zu dieser Zeit. Auch die Zeitschriften konnten Ende der 90er-Jahre bis zum Jahr 2000 einen Boom mit Rekordwachstum verzeichnen (vgl. Winter 2004, 468). Die Tagespresse erhöhte durch Ausweitung bestehender Ressorts, durch neue redaktionelle Teile und durch Zeitungsneugründungen ihr Engagement in dieser Zeit (vgl. Pürer 2007, 388). Die Zahl der publizistischen Einheiten stieg im Zeitraum zwischen 1999 und 2001 von 135 auf 136, die Zahl der Ausgaben insgesamt von 1581 auf 1584 (vgl. Schütz 2007, 561). Die Phase des Aufschwungs hielt allerdings nicht lange an. Bereits Mitte 2001 setzte ein dramatischer Rückgang von Werbeeinnahmen innerhalb des Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes ein (vgl. Pürer 2007, 395; Winter 2004, 468), der Pressemarkt befand sich somit in der Phase der Krise. Pürer führt zwei wesentliche Faktoren für den Einbruch der Einnahmen an. Zum einen die allgemeine konjunkturelle Lage zu dieser Zeit mit einem schwachen Wirtschaftswachstum und dem Platzen der „New Economy Blase“. Zum anderen spielte die Medienstruktur eine Rolle. Verschiedene Leistungen, wie zum Beispiel der Kleinanzeigenmarkt, konnten durch neuere Angebote im World Wide Web für den Nutzer wesentlich angenehmer gestaltet werden (Immobilien, Privatverkäufe jeglicher Art, Stellenangebote etc.). Dadurch fielen vor allem für die Tageszeitungen wichtige Einnahmequellen weg (vgl. Pürer 2007, 397). Neben der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation blieben auch die Nutzungsdauer (vgl. Abb. 7 in Kapitel II 3.1.1) und die Reichweite der Presse weiter rückläufig (vgl. Abb. 8 in Kapitel II 3.1.1).
74
II Untersuchungsgegenstand
Um Wege aus der Krise zu finden, reagierten Zeitungsverlage mit verschiedenen Strategien. So wurden Zeitungen in neuen Formaten eingeführt (zum Beispiel Welt kompakt), Zusatzprodukte wie Bücher, Musik oder Filme zu günstigen Konditionen angeboten (zum Beispiel das Film- und Buchangebot der Süddeutschen Zeitung) oder es wurde versucht sich auf dem geöffneten Briefmarkt zu positionieren (zum Beispiel der Postdienstleister PIN Group, an dem der Axel Springer Verlag beteiligt war) (vgl. Pürer 2007, 398ff.). Versucht man die aktuelle Lage der Presse einzuschätzen, bleibt zunächst der Schluss, dass eine Zeitungskrise kaum wirklich eingetreten ist. Die wirtschaftliche Lage hatte sich zwar zunehmend verschlechtert, zudem ist ein Rückgang der publizistischen Einheiten von 138 im Jahr 2004 auf 136 im Jahr 2006 und auch bei den Ausgaben zu verzeichnen. Insgesamt hielten sich die Auswirkungen aber in Grenzen. Die Position vor allem lokaler Zeitungsangebote ist nach wie vor gefestigt (vgl. Schütz 2007, 561). Aktuell wird der Markt, wie schon seit Langem, durch große Verlagsgruppen beherrscht. So beläuft sich der Marktanteil der fünf größten Verlagsgruppen28 der tagesaktuellen Presse im Jahr 2008 auf 44,8 % (vgl. Röper 2008, 421). Die aktuelle Situation auf dem Markt der Publikumszeitschriften zeigt eine Steigerung der Anzahl an Titeln von 847 im Jahr 2000 auf 902 im Jahr 2007 (vgl. Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) 2008, 170), allerdings verringerte sich die Gesamtauflage im gleichen Zeitraum von 124,45 auf 116,75 Millionen (vgl. ebd. 2008, 169). Auch der Markt der Publikumszeitschriften wird durch Großverlage dominiert, deren Marktpositionen sich mit leichten Veränderungen weiter gefestigt haben. Im ersten Quartal 2008 betrug der Marktanteil der vier größten Verlage29 im Bereich der Publikumszeitschriften insgesamt 61,9 % (vgl. Vogel 2008, 468). 3
Kriterien und Auswahl
In diesem Abschnitt sollen Gründe dafür beschrieben werden, warum gerade die Presse als Untersuchungsgegenstand gewählt wurde und welche Kriterien der Auswahl der einzelnen untersuchten Presseerzeugnisse zugrunde liegen.
28
29
Die fünf größten Verlagsgruppen im Bereich der tagesaktuellen Presse des Jahres 2008 sind: Die Axel Springer AG (Marktanteil 22,1 %), die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/Die Rheinpfalz/Südwest Presse (Marktanteil 8,5 %), die Verlagsgruppe WAZ (Marktanteil 6,0 %), die Verlagsgruppe DuMont Schauberg (Marktanteil 4,2 %) und die Ippen Gruppe (Marktanteil 4,0 %) (vgl. Röper 2008, 421). Die vier größten Verlagsgruppen im Bereich der Publikumspresse sind: Bauer (Marktanteil 19,5 %), Burda (Marktanteil 16,5 %), Springer (Marktanteil 15,1 %) und Gruner + Jahr (Marktanteil 10,8 %) (vgl. Vogel 2008, 468).
3 Kriterien und Auswahl
3.1
75
Die Presse im intermedialen Vergleich
Warum wählt man in einer Zeit, in der sich das World Wide Web und das Fernsehen in der öffentlichen Diskussion immer mehr zu den einzig dominierenden Leitmedien entwickeln und teilweise sogar miteinander verschmelzen, ausgerechnet die Presse als Gegenstand für eine Untersuchung? Ist das denn sinnvoll, kann man da noch von zeitgemäßer Forschung sprechen, müsste man sich nicht andere Untersuchungsgegenstände suchen? Im folgenden Abschnitt soll versucht werden anhand von zentralen Ausgangsfragen die Situation der Presse im intermedialen Vergleich zu schildern, dabei Stärken und Schwächen dieses Untersuchungsgegenstandes herauszuarbeiten und dessen Wahl auf diesem Wege zu begründen. Trotz des Versuchs einer möglichst umfangreichen Diskussion kann das Feld möglicher intermedialer Vergleichsdimensionen hier nicht zur Gänze aufgezeigt werden.30
3.1.1
Die Frage der Zeitgemäßheit
Die großen gesellschaftlichen Veränderungen durch die weltweite Vernetzung lassen zunächst die Frage auftauchen, ob die Presse mit Zeitungen und Zeitschriften nicht ein auslaufendes Medienmodell ist, welches es in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird. Diese Frage beinhaltet zunächst zwei Aspekte. Zum einen, ob es tatsächlich so sein wird, dass die Presse in ihrer derzeitigen Form nicht mehr allzu lange existiert. Zum anderen die Frage des Unterschiedes zwischen Inhalten und Informationen im World Wide Web und denen in gedruckter Form. Zahlreiche Presseerzeugnisse31 haben schon seit langer Zeit eigene Internetpräsenzen. Würden diese den Printausgaben im weitesten entsprechen, wäre eine Analyse der Druckausgabe faktisch gleichzeitig eine Untersuchung weiter Teile der Online-Präsenzen der journalistischen Massenmedien. Betrachtet man die Presse gegen Ende des letzten und Anfang dieses Jahrtausends, fallen bestimmte Aspekte auf. Sowohl Reichweite als auch Nutzungsdauer im Vergleich zu anderen tagesaktuellen Medien wie Fernsehen und Internet sinken (vgl. Abb.7 und Abb. 8). Diese Betrachtung der Daten zeigt zwar, dass der relative Wert der Nutzungsdauer nur leicht von 35 Minuten im Jahr 1970 auf 28 Minuten im Jahr 2005 gesunken ist. Die Gesamtnutzungsdauer von Medien innerhalb des Tages hat aber im selben Zeitraum stark von 221 Minuten auf 513 Minuten zugenom30 31
Einen umfassenden Überblick zu intermedialen Vergleichen liefert Reitze/Rider 2006. Bereits 1998 hatten über 100 Tageszeitungen und Zeitschriften einen eigenen Interntauftritt (vgl. Tonnemacher 1998, 174), auch alle hier untersuchten Printmedien verfügen darüber.
76
II Untersuchungsgegenstand
men. Zeitungen werden demnach 2005 in der Relation wesentlich weniger genutzt. Betrachtet man den Gebrauch sonstiger nicht tagesaktueller Medien, zu denen auch die Zeitschriften zählen, ist ebenfalls ein Anstieg der Gesamtnutzungsdauer von 48 Minuten im Jahr 1980 auf 87 Minuten im Jahr 2005 erkennbar. Die Nutzungsdauer der Zeitschriften innerhalb dieser Spanne blieb relativ konstant und änderte sich nur leicht von 11 auf 12 Minuten und nimmt somit im relativen Vergleich zur Gesamtnutzung ebenfalls ab (vgl. Reitze/Rider 2006, 46). Zeitung
Fernsehen
Radio
Internet
100%
13 44
90% 73
80%
113
135
154
170
162 206
70%
221
60% 50% 40%
113 125
125 121
30%
135
158 185
220
20% 10%
35
38
38
33
28
30
30
28
1974
1980
1985
1990
1995
2000
2005
0% 1970
Untersuchungsjahr
Abbildung 7:
Überblick über die Relationen der durchschnittlichen täglichen Nutzungsdauer tagesaktueller Medien von Personen ab 14 Jahren in Minuten (Werte aus Reitze/Rider 2006, 39). Gesamtnutzungsdauer pro Tag entspricht 100 %.
Die Reichweite der Presse im Vergleich zu anderen Medien ist wie bereits erwähnt ebenfalls rückläufig (vgl. Abb. 8). Zwar erreichen die Printmedien noch immer einen sehr großen Teil der Bevölkerung, im Vergleich zum Fernsehen ergibt sich allerdings eine deutliche Differenz. Die deutlichste Reichweitenerhöhung kann das Internet verzeichnen, welches noch bedeutungslos im Jahr 1995 bereits zehn Jahre später 28 % der Personen ab 14 Jahren erreicht (vgl. Reitze/Rider 2006, 27). Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch bei der Betrachtung der offiziellen Daten der
77
3 Kriterien und Auswahl
Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) zur Auflagenentwicklung von Tageszeitungen und Publikumszeitschriften (vgl. IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). Der Gesamtverkauf tagesaktueller Zeitungen sank von ungefähr 29,4 Millionen im Jahr 1998 auf circa 24 Millionen im Jahr 2008, der bei den Publikumszeitschriften von circa 126 Millionen 1998 auf ungefähr 116 Millionen 2008. Zeitung
Fernsehen
Radio
Internet
Zeitschriften
100 90
ReichweiteinProzent
80 70 60 50 40 30 20 10 0 1970
1974
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Untersuchungsjahr
Abbildung 8:
Entwicklung der Reichweite verschiedener Massenmedien bei Personen ab 14 Jahren im Vergleich (Werte aus Reitze/Rider 2006, 32ff.).
Alles in allem könnten dies Indizien für ein mittelfristiges Verschwinden der klassischen Printmedien sein. Noch bieten Printerzeugnisse allerdings klare Vorteile gegenüber anderen Medien. Vor allem die ortsunabhängige Verfügbarkeit (vgl. Disponibilität im Kapitel II 1.1) ist ein Faktor, der Printerzeugnisse noch länger aktuell halten wird. Der Leser ist nicht räumlich oder zeitlich gebunden32, bleibt also mobil (vgl. Chill 1999, 150; Tonnemacher 1998, 179) und vor allem 32
Neue mediale Trends, wie zum Beispiel die Mediatheken diverser Fernsehsender oder der sogenannte Podcast, ermöglichen mittlerweile ebenfalls eine zeitunabhängige Betrachtung von Inhalten, Letzterer sogar in mobiler Form.
78
II Untersuchungsgegenstand
benötigt er kein Gerät33 für die Decodierung der Informationen. Die Bedeutung der Printerzeugnisse nimmt zwar ab, mittelfristig wird es aber wahrscheinlich auf Grund der genannten Vorteile noch nicht zu einer Ablösung der Printmedien als solche kommen. Betrachtet man die eingangs des Kapitels angesprochene Parallelität von Print- und Online-Ausgaben unter der Berücksichtigung der Steigerung34 von Nutzungsdauer und Reichweite des Internets (vgl. Abb. 7 und Abb. 8) im Allgemeinen, aber auch bei der Nutzung der Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften im Speziellen (vgl. Abb. 9), zeigt sich vor allem eine mediale Veränderung großer Teile der Presse, deren Vertreter sich mehr und mehr als von einem eigentlichen Medium, wie Zeitung oder Zeitschrift, unabhängige Institutionen präsentieren, die vor diesem Hintergrund definitiv als multimediale Konzerne und nicht mehr nur als Vertreter der Presse im eigentlichen Sinn gesehen werden müssen. Im Jahr 1998 untersuchte Wagner die Parallelität von Online- und Printausgaben verschiedener Magazine und Zeitungen und fand dabei Übereinstimmungen zwischen 20 % und 40 % bei den meisten Erzeugnissen.35 Die Tageszeitung (taz) stach in der Untersuchung mit einer Übereinstimmung von 100 % heraus (vgl. Wagner 1998, 198). Zürn stellte 1999 Übernahmequoten von Printartikeln in die Onlineausgabe zwischen 34 % und 86 % bei drei verschiedenen Zeitungen36 fest. Bei der auch im Rahmen dieser Untersuchung betrachteten Süddeutschen Zeitung lagen die Übereinstimmungen zwischen 44 % und 53 % (vgl. Zürn 2000, 320). Auffällig bei der Untersuchung war auch, dass es keinen erwähnenswerten Anteil an exklusiven Onlineartikeln gab (vgl. Zürn 2000, 320). Neuere empirische Daten zum Verhältnis zwischen Online- und Printausgaben der Presse konnten leider nicht gefunden werden. Eigene Stichproben in dem Bereich ergaben, dass vor allem zahlreiche Artikel der Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus nach wie vor auch online zugänglich sind.
33
34
35 36
Die Geräteentwicklung im Bereich Handy, elektronischem Papier und Multiformatplayern könnte mittelfristig diesen Vorteil aufwiegen, da Robustheit und Größe die Mitnahme der Geräte in fast alle Lebensbereiche ermöglichen. Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften werden immer wichtiger. Waren zum Beispiel 1997 nur 95 Zeitungen online verfügbar, waren es nach Zahlen des Bundes Deutscher Zeitungsverleger 2001 bereits 390 Zeitungen (vgl. Schaffrath 2004, 500). Untersucht wurden: Die Tageszeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Bild und Focus. Untersucht wurden: Süddeutsche Zeitung, Neue Züricher Zeitung und Die Presse.
79
3 Kriterien und Auswahl
Bild.de
Bunte.de
FocusOnline
SpiegelOnline
SternOnline
Sueddeutsche.de
100 90 80
VisitsinMillionen
70 60 50 40 30 20 10 0 2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinMonate
Abbildung 9:
Entwicklung der Visits pro Monat bei den Online-Angeboten der ausgewählten Presseerzeugnisse (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008a).
Diese Erkenntnisse lassen die Annahme zu, dass zwischen Online- und Printausgaben der hier untersuchten Erzeugnisse Übereinstimmungen gegeben sind. Daneben ist ein massiver Anstieg der sogenannten Visits37 der Onlinepräsenzen vieler hier untersuchter Presseerzeugnisse in den letzten Jahren zu beobachten (vgl. Abb. 9). Vor allem die Internetseiten tagesaktueller Zeitungen und Nachrichtenmagazine werden immer häufiger genutzt.38 Die in dieser Untersu37
38
Ein sogenannter Visit ist eine Größe, mit der sich die Nutzung eines Onlineangebots durch den Nutzer quantifizieren lässt. Ein Visit bezeichnet dabei einen zusammenhängenden Nutzungsvorgang. Der Visit beginnt, wenn der Nutzer eine beliebige Seite des Angebots aufruft (Page Impression), und endet, wenn 30 Minuten lang keine weitere Page Impression erzeugt wird. Kehrt der Nutzer innerhalb von 30 Minuten von einem anderen Angebot wieder auf das ursprüngliche Angebot zurück, wird kein neuer Visit gezählt (vgl. IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2004, 4ff.). In exakten Zahlen ausgedrückt steigerten sich die Visits pro Monat im betrachteten Zeitraum folgendermaßen: Bild.de von 7,3 auf 63,5 Millionen, Focus Online von 7,6 auf 20,1 Millionen, Spiegel Online von 15,5 auf 92,4 Millionen, Stern.de von 2,2 auf 14,2 Millionen, Sueddeutsche.de von 2,6 auf 15,9 Millionen. Das Angebot der Bunten startete zuerst in Kooperation mit T-Online bei 2,1 Millionen und steigerte sich bis Oktober 2007 auf 4,4 Millionen, seitdem gibt es mit Bunte.de ein eigenes Angebot, welches im September 2008 2,9 Millionen Visits pro Monat aufwies.
80
II Untersuchungsgegenstand
chung ebenfalls betrachteten klassischen Illustrierten Bunte und Super Illu spielen hier im Vergleich zu den anderen Angeboten nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle.39 Unter diesen Aspekten betrachtet kann man die Presse in weiten Teilen für einen sehr zeitgemäßen Untersuchungsgegenstand halten. Ihre medialen Repräsentationen verändern sich zwar, ergänzen sich aber auch zunehmend gegenseitig durch crossmediale Strategien40 und verlieren so keineswegs ihre inhaltliche Bedeutung, sondern bauen diese eher weiter aus, da sie durch die Kombination von Print- und Onlineausgaben ein breiteres Publikum erreichen.41
3.1.2
Die Frage der Glaubwürdigkeit
Die von den Rezipienten angenommene Glaubwürdigkeit des Mediums spielt im Kontext der Wirkung und somit auch bei der Interpretation der Ergebnisse der Untersuchung eine große Rolle (vgl. auch Wirkungstheorien im Kapitel I 1.4). Vereinfacht könnte man ausdrücken, je glaubwürdiger ein Medium, umso größer das Potenzial einer kognitiven oder emotionalen Beeinflussung der Rezipienten. Anhand von vier Studien soll kurz die Glaubwürdigkeit der Presse im intermedialen Vergleich aufgezeigt werden. Die Daten der zitierten Studien wurden entweder durch persönliche (vgl. Becker 2006) oder telefonische Interviews (vgl. forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH 1998; Reitze/Rider 2006) einer repräsentativen Zufallsstichprobe erhoben.
39
40
41
Die Zahl der Visits des Angebots Super-Illu.de sank im Betrachtungszeitraum von 451 auf 301 Tausend pro Monat, weshalb auf eine grafische Darstellung zusammen mit den anderen Angeboten auf Grund mangelnder Aussagekraft verzichtet wurde. Crossmedial meint hier die Verknüpfung verschiedenster Medienformen unter einem Dach, zumeist ist dies ein Produktname des betreffenden Unternehmens. Neben einem eigenen Online-Angebot gibt es auch Anbieter, die unter dem Namen von Zeitungen oder Nachrichtenmagazinen Fernsehreportagen und Sendungen produzieren. Beispiele hierfür wären Stern TV, Süddeutsche TV, Spiegel TV oder Focus TV. Exemplarisch dazu hat die Marktforschung der Süddeutschen Zeitung analysiert, dass nur 11 % der Zeitungsleser das Onlineangebot nutzen und umgekehrt nur 12 % der Onlinenutzer auch die Zeitung lesen. Effektiv führt diese crossemediale Strategie von Zeitungs- und Onlineangebot so zur beinahen Verdoppelung der Leserschaft (vgl. Süddeutsche Zeitung 2008, 20).
81
3 Kriterien und Auswahl
Forsa 199842 N=1002; >18 Jahre Massenkomm. 2000 N=4500; >14 Jahre Massenkomm. 2005 N=4500; >14 Jahre ZMG 2006 N=2472; >14 Jahre
Presse Zeitung Zeitschrift 41 %
Fernsehen privat öff.-r. 7% 31 %
Radio privat öff.-r. 2% 11 %
Internet 1%
62 %
-
70 %
53 %
14 %
62 %
-
66 %
49 %
22 %
78 %
63 %
66 %
43 %
60 %
70 %
Tabelle 4: Glaubwürdigkeit unterschiedlicher Medien im Vergleich verschiedener Studien. Die Tabelle 4 zeigt grundsätzlich eine hohe Glaubwürdigkeit der Presse, vor allem der Zeitungen in der Wahrnehmung der Rezipienten. Zeitungen sind bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit in allen vorgestellten Untersuchungen entweder an erster (vgl. forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse mbH 1998; Becker 2006, 33) oder hinter dem öffentlich rechtlichen Fernsehen an zweiter Stelle (vgl. Reitze/Rider 2006, 76). Diese Ergebnisse sind sicherlich nicht auf alle untersuchten Zeitungen43 und Zeitschriften übertragbar. Sie sprechen aber grundsätzlich dafür, dass die Presse ein hohes Potenzial zur kognitiven Beeinflussung der Rezipienten hat. Die Tatsache, dass das Internet bei allen Untersuchungen die geringste Glaubwürdigkeit aufweist, hat sicherlich auch mit der breiten Angebotspalette im Netz und der fehlenden Einschränkung auf bestimmte Informationsseiten in der Befragung zu tun. Die Qualität44 der Online-Angebote der Printmedien wird nämlich durch die Nutzer wesentlich positiver bewertet als die anderer Portale (vgl. VDZ-Studie 2005 zit. nach Reibnitz 2007, 7).
42
43 44
Im Gegensatz zu den anderen Studien wurde hier Glaubwürdigkeit nicht zweistufig (am ehesten glaubwürdig, an zweiter Stelle glaubwürdig) erfasst, sondern lediglich nach dem glaubwürdigsten Medium gefragt. Für die Boulevardpresse ist eine hohe Glaubwürdigkeitseinschätzung sicherlich nicht zu erwarten. In allen Dimensionen (Hochwertigkeit, Vertrauen, Aktualität, Vollständigkeit, Thementiefe, Relevanz etc.) wurden hier die Online-Präsenzen der Printmedien besser bewertet.
82
II Untersuchungsgegenstand
3.1.3
Die Frage weiterer Qualitäten
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass der Untersuchungsgegenstand durchaus noch zeitgemäß und aus der Sicht der Rezipienten auch sehr glaubwürdig ist. Neben diesen wichtigen und zentralen Dimensionen gibt es auch noch weitere Vergleichsaspekte zu anderen Medien, die hier kurz angerissen werden sollen, um die Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes aufzuzeigen. Ein wesentlicher Vorteil der Presse im Vergleich zum Medium Fernsehen oder auch zur reinen Internetberichterstattung liegt darin, bestimmte Ereignisse in einen größeren Kontext einzubetten und so die Möglichkeit zu haben, Inhalte sehr viel facettenreicher zu betrachten (vgl. Chill 1999, 150). Die Fernseh- oder auch Radioberichterstattung hat für eine ausführliche Betrachtung sehr viel weniger Raum und Zeit. Die Menschen nutzen die Presse, um sich rundherum über Ereignisse zu informieren, die sie vielleicht im Fernsehen gesehen oder die sie hautnah erlebt haben. Zudem gibt es Inhalte, die in die Fernsehberichterstattung keinen Eingang finden, weil sie sich auf einen zu kleinen regionalen Bereich beschränken, beziehungsweise nicht oder noch nicht wichtig genug sind, um thematisiert zu werden. Im Kontext der Medienwirkung sind dies wichtige Faktoren, die im Rahmen der Agenda-Setting-Theorie (vgl. Kapitel I 1.4.2) auch untersucht wurden. Hier zeigt sich die Presse im Vergleich zum Medium Fernsehen bei genauer Betrachtung etwas einflussreicher (vgl. McCombs 2004, 49). Tageszeitungen erfüllen zudem eine wichtige Informationsfunktion, die den Menschen in ihrem unmittelbaren Alltag durch die lokale Berichterstattung weiterhilft (vgl. Schneider/Raue 2003, 270). Zeitungen und auch Zeitschriften liefern also insgesamt eine wesentlich breitere Palette an Informationen, die auch eine starke Wirkung auf die Rezipienten zu haben scheint. Dass Informationsgewinnung und auch Alltagsorientierung wichtige Nutzungsmotive für die Presse, insbesondere für Tageszeitungen sind, zeigt sich auch in der Langzeitstudie „Massenkommunikation“. Dabei wurden Personen über 14 Jahre befragt, die mindestens zwei Medien regelmäßig nutzen, auf welches Medium bestimmte Nutzungsaussagen45 am besten zutreffen. In der Kategorie Informationsgewinnung liegt die Tageszeitung mit 36 % vor dem Fernsehen an erster Stelle. Bei der Alltagsorientierung hat das Fernsehen mit 33 % knapp vor der Tageszeitung mit 32 % den höchsten Wert. Auch „mitreden können“ ist mit 33 % ein wichtiges Nutzungsmotiv der Tageszeitungen, auch hier hat das Fernsehen mit 43 % den höchsten Wert. In allen drei genannten Kategorien liegen Tageszeitung oder Fernsehen jeweils weit vor den Medien Hörfunk oder Internet (vgl. Reitze/Rider 2006, 71). Zeitungen hatten vor allem bei Aus45
Aussagen waren unter anderem: „Damit ich mitreden kann“, „weil ich Denkanstöße bekomme“, „weil ich mich informieren möchte“, „weil es mir hilft mich im Alltag zurechtzufinden“ etc.
3 Kriterien und Auswahl
83
sagen hohe Prozentwerte, bei denen der Nutzer eine aktive Rolle hatte, indem er sich zum Beispiel über einen bestimmten Sachverhalt informieren wollte. Motive wie Entspannung oder auch den Alltag vergessen spielen bei Tageszeitungen im Gegensatz zu Radio oder Fernsehen kaum eine Rolle (vgl. ebd.). Insbesondere bei der Zeitung ist also die Aktivität der Rezipienten im Vergleich zu anderen Medien deutlich erhöht. Im Gegensatz zum Fernsehen, das als klassisches „Feierabendmedium“ zum Teil oft passiv beobachtet wird, befindet man sich beim Lesen der Zeitung in einer eher aktiven Haltung. Eine Studie der Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG) fand heraus, dass 20 % der Zeitungsleser über 14 Jahren sich bei der Zeitungslektüre während der gesamten Nutzung in einem aktiven Zustand befinden. Beim Fernsehen sind dies nur 5 % (vgl. Becker 2006, 32). Neben dem Aspekt der Aktivität wurde in der Untersuchung auch der Faktor Konzentration auf das Medium erhoben. Hier liegt die gesamte Presse in Form von Zeitungen und Zeitschriften an der Spitze. Zeitungen werden zu 80 %, Zeitschriften sogar zu 83 % sehr konzentriert oder konzentriert genutzt. Auch das öffentlich rechtliche und private Fernsehen hat in diesem Bereich hohe Werte von 80 % beziehungsweise 78 %. Allerdings sind die Werte für die sehr konzentrierte Nutzung im Schnitt um 5 % geringer. Radio und Internet werden wesentlich weniger konzentriert genutzt. Die Werte konzentrierter oder sehr konzentrierter Nutzung liegen bei 39 % für den Hörfunk und bei 44 % für das Internet (vgl. Becker 2006, 36). Die Qualität der Presse, vor allem der Tageszeitung liegt darin, dass das Medium im Vergleich zu anderen Massenmedien sehr aktiv und konzentriert genutzt wird. Der im intermedialen Vergleich wichtige Faktor ist die aktive Suche nach Informationen. Alltagsbewältigung und sich in die gesellschaftliche Diskussion einbringen sind ebenfalls zentrale Nutzungsmotive.
3.1.4
Die Frage der Ökonomie und der Ergiebigkeit
Für den Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung ist es wichtig, dass er es ermöglicht, auf ökonomische Weise umfangreiche und ergiebige Informationen zu erheben. In beiden Bereichen bietet die Presse gegenüber tertiären Medien, wie Radio oder Fernsehen, wesentliche Vorteile. Durch die digitale Archivierung vieler Presseerzeugnisse ist es möglich, nach bestimmten Themen oder Begriffen zu suchen und so einen bestimmten thematischen Bereich komplett und relativ ökonomisch zu erschließen (vgl. Recherche im Kapitel IV 2). Eine Untersuchung in Bereichen, in denen keine digitale Archivierung stattfindet, wie bei den meisten Fernseh- oder Radiosendungen, ist bei gleichem Umfang wesentlich zeitaufwändiger, da man sich im Prinzip jede einzelne Sendung ansehen
84
II Untersuchungsgegenstand
müsste, um ein bestimmtes Thema ähnlich umfangreich zu erschließen. Presseerzeugnisse bieten also neben dem Internet die Möglichkeit einer kompletten Erschließung einer bestimmten Thematik.
3.1.5
Fazit der Überlegungen
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Presse im Gesamten ein sehr glaubwürdiges, noch immer zeitgemäßes und mit vielen Qualitäten ausgestattetes Medium ist. Zwar liegt es in manchen Bereichen hinter dem Leitmedium Fernsehen, im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Aktivität stellt es aber nach wie vor ein zentrales Leitmedium dar. Dies gilt insbesondere für die Tageszeitung. Die hohe Parallelität der Online- und Printausgabe bestimmter Zeitschriften und Zeitungen ist ein Indiz für die Zeitgemäßheit des Gegenstandes. Hinsichtlich der Thematik Behinderung kann unter Berücksichtigung der aufgeführten Aspekte davon ausgegangen werden, dass vermittelte Informationen aufgrund der Aktivität der Nutzer vielleicht sogar größere Auswirkungen haben, als dies durch die Berichterstattung innerhalb des Fernsehens erreicht werden kann. Die hohe Glaubwürdigkeit wäre dafür ein weiteres Indiz, welches zudem für die hohe Breitenwirkung von Zeitungen und Zeitschriften spricht. Nicht zuletzt machen der augenblicklich geringe Forschungsstand im deutschsprachigen Bereich (vgl. Kapitel III 1) sowie die hohe Ökonomie und Ergiebigkeit der Presse aufgrund umfangreicher digitaler Archivierung der Artikel diese zum geeigneten Untersuchungsgegenstand für eine möglichst facettenreiche Betrachtung des Phänomens Behinderung.
3.2
Auswahlkriterien der Presseerzeugnisse
Die vorherigen Ausführungen haben sich mit der Begründung der Presse als Untersuchungsgegenstand auf Basis eines intermedialen Vergleiches auseinandergesetzt. Für die konkrete Auswahl der zu untersuchenden Erzeugnisse wurden zudem verschiedene Kriterien aufgestellt. Zunächst musste es sich um Erzeugnisse handeln, welche thematisch einen weiten Bereich abdecken (thematische Vielfalt). Dabei waren zunächst nur allgemeine thematische Überlegungen leitend. Inwiefern sich das gewählte Erzeugnis in welchem Rahmen auch immer mit Behinderung auseinandersetzt, sollte erst die Untersuchung an sich zeigen. Zudem sollten unterschiedliche Erscheinungsformen beleuchtet und miteinander verglichen werden (publizistische Vielfalt und Vergleichbarkeit). Weiter wurde auf eine hohe Verbreitung der analysierten Zeitung oder Zeitschrift geachtet. Ein
3 Kriterien und Auswahl
85
digitaler Archivzugang war für die Untersuchung ebenfalls wichtig (vgl. Recherche in Kapitel IV 2).
3.2.1
Thematische und publizistische Vielfalt und Vergleichbarkeit
Betrachtet man die Charakteristika des Mediums Zeitung (vgl. Kapitel II 1.1), ist per se aufgrund der definitorischen Universalität eine thematische Vielfalt gegeben. Zeitungen, die dem zwar entsprechen, aber inhaltlich einen anderen Fokus verfolgen (zum Beispiel Wirtschaftszeitungen), kamen nicht in die nähere Auswahl. Bei Zeitschriften zeigt sich inhaltlich ein wesentlich breiteres Bild. Es gibt zahlreiche Fachzeitschriften, die sich spezialisiert mit verschiedenen Thematiken befassen. Aktuelle Zeitschriften und Magazine, die den Publikumszeitschriften zugeordnet werden (vgl. Abb. 6 im Kapitel II 1.2), beschäftigen sich mit der breitesten thematischen Auswahl, sie werden in der Fachsprache auch „GeneralInterest-Titel“ (Pürer/Raabe 2007, 23) genannt. Zeitschriften, die sich ebenfalls mit einer breiten Palette an Themen beschäftigen, sich aber an eine klar umgrenzte Zielgruppe richten, wie zum Beispiel Jugend- oder Frauenzeitschriften, sollen nicht Teil der Untersuchung sein. Neben der angesprochenen thematischen Vielfalt, sollen auch unterschiedliche Erscheinungsformen, also die publizistische Vielfalt beachtet werden. Wochenzeitungen fanden zugunsten einer größeren Zeitschriftenauswahl dabei keine Berücksichtigung. Um die Vergleichbarkeit für die Auswertung zu gewährleisten und möglichst wenig durch regionale Gegebenheiten46 beeinflusst zu sein, sollten alle gewählten Erzeugnisse überregional erscheinen, sich aber in Art der Darstellung und bei den Zeitungen in der Form der Distribution unterscheiden (vgl. Tab. 3 in Kapitel II 1.1). Für die Untersuchung relevant nach diesen Kriterien sind demnach überregionale Abonnement- und Straßenverkaufszeitungen im Bereich Zeitungen und Illustrierte, politische Illustrierte und Nachrichtenmagazine bei den Zeitschriften. Als zweites Auswahlkriterium wurde die verkaufte Auflage herangezogen.
46
Eine Untersuchung von Weiser zeigt, dass Behinderung vor allem in sozialräumlichen nahen Kontexten thematisiert wird (vgl. Weisser 2005, 105). Um den Einfluss bestimmter regionaler Gegebenheiten, zum Beispiel einer Werkstatt oder einer Komplexeinrichtung für Menschen mit Behinderung, in der unmittelbaren Umgebung möglichst gering zu halten und möglichst allgemeine lokalunabhängige Ergebnisse zu bekommen, wurden überregionale Presseerzeugnisse gewählt. Falls möglich wurde zusätzlich auf die Fernausgabe der Zeitung zurückgegriffen.
86
II Untersuchungsgegenstand
3.2.2
Auflage
Die Bedeutung einer Zeitung oder Zeitschrift hängt mit ihrer Verbreitung und somit unmittelbar mit der verkauften Auflage zusammen. Die jeweils zwei auflagenstärksten Printerzeugnisse im Untersuchungszeitraum wurden, sofern sie den oben genannten Kriterien entsprachen, zunächst für die Analyse ausgewählt. Betrachtet man das Angebot überregionaler Tageszeitungen, sind dies die Süddeutsche Zeitung (SZ) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) (vgl. Pürer/Raabe 2007, 412; Schneider/Raue 2003, 332), bei den Boulevardblättern bleibt nur die Bild als einzige wirkliche überregionale Straßenverkaufs- oder Boulevardzeitung. Die zweitgrößte Auflage in diesem Bereich haben der Express und die Berliner Zeitung (vgl. Pürer/Raabe 2007, 414), beide erfüllen allerdings nicht das Kriterium überregional. Im Bereich der Zeitschriften war die Auflage weniger entscheidend, da sich aufgrund der im vorherigen Kapitel festgelegten Kriterien auch ohne die Berücksichtigung der Auflagenzahlen eine relativ eindeutige Auswahl ergibt. Bei den Nachrichtenmagazinen existieren in Deutschland nur Der Spiegel und der Focus (vgl. Kaltenhäuser 2005, 22f.; Pürer/Raabe 2007, 23; Stockmann 1999, 9). Die beiden auflagenstärksten Illustrierten sind der Stern und die Bunte. Aufgrund der Begriffsbestimmung des Stern als politische Illustrierte (vgl. Kapitel II 1.2) und auch wegen der hohen Bedeutung im ostdeutschen Raum fand die Super Illu ebenfalls Eingang in die Untersuchung. Ihre Auflage in diesem Segment ist hinter Stern und Bunte die dritthöchste in Deutschland (vgl. Pürer/Raabe 2007, 423).
3.2.3
Archivzugang
Das letzte zu erfüllende Kriterium der Presseerzeugnisse war ein digitaler Archivzugang, der eine Kombination aus thematischer und begrifflicher Suche ermöglichte (vgl. Kapitel IV 2). Außer bei der Bild, der Super Illu und der FAZ war dies bei allen ausgewählten Zeitungen und Zeitschriften der Fall. Für Bild und Super Illu gab es kein frei zugängliches Archiv. Wegen der hohen Bedeutung der Super Illu im ostdeutschen und der Bild im gesamtdeutschen Raum wurden sie trotzdem in die Untersuchung mit einbezogen.47 Dies geschah über Aufträge an die jeweiligen Archivabteilungen der Verlage.
47
Ein wesentlicher Nachteil liegt darin, dass das Vorgehen bei der Recherche nicht genau überprüft werden kann. Vielleicht erlaubt die Art der Archivierung oder der digitalen Suchmöglichkeiten auch nicht dasselbe Vorgehen wie bei der eigenständigen Recherche.
4 Zeitungen
87
Die zugänglichen digitalen Archive der FAZ ermöglichten leider keine thematische Suche.48 Dies und die analysetechnisch nicht zu bewältigende Menge an Artikeln bei der Berücksichtigung von drei täglich erscheinenden Zeitungen führte schließlich dazu, dass diese Zeitung nach der Recherche aus der Untersuchung ausgeschlossen wurde. 4
Zeitungen
In diesem Kapitel sollen die untersuchten Tageszeitungen Bild und Süddeutsche Zeitung kurz porträtiert sowie die Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage49 der letzten Jahre betrachtet werden.50
4.1
Bild
Die Bild ist eine Montag bis Samstag erscheinende tagesaktuelle Boulevardzeitung, die vom Verleger Axel Springer ins Leben gerufen wurde. Die erste Ausgabe erschien am 24. Juni 1952 (vgl. Pürer/Raabe 2007, 157). Eigentlich ist es mittlerweile nicht ganz korrekt von „der“ Bild zu sprechen, da es in Deutschland über 30 regionale Ausgaben der Zeitung gibt, die lokale Unterschiede aufweisen (vgl. ohne Autor 2006). Nach eigenen Angaben ist die Bild die größte Tageszeitung Europas. Aktueller Chefredakteur und Herausgeber ist Kai Diekmann (vgl. ohne Autor 2008a). Die Bild war und ist wegen ihrer Art der Darstellung und ihres angenommene Einflusses auf die Gesellschaft immer wieder in heftige Kritik geraten. In den 60er- und 70er-Jahren warf ihr vor allem das linke politische Spektrum Manipulation, Übermacht (vgl. Spoo 1968, 205) und „Staatspropaganda“ zur Verteidigung des bestehenden Gesellschaftssystems (vgl. Alberts 1972, 145) vor. Die Bild ist Teil des Axel Springer Verlags, dem Verlag mit den größten Anteilen auf dem Zeitungsmarkt in Deutschland. Der Marktanteil bei den Kaufzeitungen lag 2001 bei 81 %. In diesem Jahr betrug der Gesamtmarktanteil der Axel Springer Verlag AG an allen verkauften Zeitungen in Deutschland 23,6 % (vgl. Schaffrath 2004, 496). Dies sind Zahlen, die einen sehr großen 48 49
50
Ohne die Möglichkeit einer thematischen Suche kann es in einzelnen Kategorien zu Zirkelschlüssen kommen, zum Beispiel im Bereich der Sprache. Die tatsächlich verbreitete Auflage bezeichnet alle im Umlauf befindlichen Exemplare einer Zeitung oder Zeitschrift. Sie ist die Summe aus der tatsächlich verkauften Auflage und den Freiexemplaren (persönliche Korrespondenz mit Herrn Karsten Heidenreich vom IWF am 13.10.2008). Der Abstand der Linien innerhalb der Grafiken entspricht dabei zur besseren Vergleichbarkeit bei allen Darstellungen genau 50 000 Exemplare.
88
II Untersuchungsgegenstand
Einfluss des Verlages innerhalb Deutschlands belegen. Die Entwicklungen der Pressekonzentration (vgl. Kapitel II 2.1) und die Rolle, die der Axel Springer Verlag dabei spielte, wurde bereits in den 60er-Jahren heftig diskutiert (vgl. Burkhardt 1968, 34; Spoo 1968). Auch Inhalte und die redaktionelle Arbeit der Bild boten immer wieder Anlässe zu heftiger Kritik. In diesem Zusammenhang sollen vor allem die Arbeiten von Günther Wallraff nicht unerwähnt bleiben, der jahrelang verdeckt unter einem Pseudonym bei der Zeitung beschäftigt war und in seinen Publikationen über Art und Weise der Berichterstattung der Bild informierte. In der sogenannten Bild-Triologie wurden Unwahrheiten, Hetzereien, Verleumdungen und viele weitere zu hinterfragende Arbeitsmethoden der Zeitung dokumentiert (vgl. Wallraff 2004; Wallraff 1999; Wallraff 1985). Die Bild wurde auch wegen dieser Enthüllungen vom deutschen Presserat öfter gerügt als jedes andere Presseerzeugnis in Deutschland (vgl. Pürer/Raabe 2007, 156). Der Beliebtheit und Auflage der Zeitung schien dies keinen Abbruch zu tun. Letztere bewegte sich in den 70er- und 80er-Jahren konstant jenseits der 4 Millionen (vgl. Schütz 2005a, 539; Schütz 2005b, 674). 5
TatsächlichverbreiteteAuflageinMillionen
4,75
4,5
4,25
4
3,75
3,5
3,25
3 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 10: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Straßenverkaufszeitung Bild in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b).
4 Zeitungen
89
Betrachtet man die tatsächlich verbreitete Auflage der Bild in den letzten 10 Jahren, lässt sich ein massiver Rückgang von 4,5 auf 3,4 Millionen beobachten (vgl. Abb. 10). Gründe dafür liegen unter anderem in der unmittelbaren Konkurrenzsituation der Bild mit dem Medium Fernsehen51 und dem grundsätzlichen Rückgang der Verkaufszahlen im Pressesegment, bei gleichzeitiger Verstärkung der Fernseh- und Online-Nutzung (vgl. Kapitel II 3.1.1). Trotz des Rückgangs erreichte die Bild laut Markt- und Werbeträger-Analyse 2008 noch 9,35 Millionen Leser pro Ausgabe und damit 14,4 % der deutschen Bevölkerung über 14 Jahre (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008a).
4.2
Süddeutsche Zeitung
Die Süddeutsche Zeitung ist die größte überregionale Abonnement-Tageszeitung Deutschlands (vgl. Pürer/Raabe 2007, 412; Süddeutsche Zeitung 2008, 2). Kurz nach dem Krieg erhielt sie die Lizenz von der US-Militärregierung in Bayern und konnte am 6. Oktober 1945 die erste Ausgabe publizieren (vgl. Pürer/Raabe 2007, 109; Süddeutscher Verlag 1987, 3). Wegen Papiermangels konnte die Süddeutsche Zeitung zunächst nur einmal, später dann dreimal die Woche erscheinen. Erst ab 1949 gab es eine regelmäßige Ausgabe an jedem Werktag (vgl. Süddeutscher Verlag 1987, 3). Mittlerweile erscheint die Zeitung samstags und an jedem Wochentag. Die Süddeutsche Zeitung sieht sich selbst als eine von Parteien unabhängige politische Zeitung, die sich um unverfälschte und vollständige Informationen bemüht (vgl. ebd., 5). Aktueller Chefredakteur ist Hans Werner Kilz. Inhaltliche Besonderheiten der Zeitung sind die Glosse „Streiflicht“ sowie die ausführlichen Reportagen auf der sogenannten „Seite Drei“ (vgl. Chill 1999, 74). Die Kernleserschaft der Zeitung ist vor allem im Münchner Raum zu finden, dennoch gibt es auch einen klaren überregionalen Fokus (vgl. Süddeutsche Zeitung 2008, 11). Eine etwas ältere Untersuchung von Infratest belegt eine hohe Bindung52 der Leserschaft an die Süddeutsche Zeitung im Vergleich zur Leserbindung anderer überregionaler Abonnementzeitungen (vgl. Zakrzewski 1995, 60). Die hohe Bedeutsamkeit der Süddeutschen Zeitung innerhalb der Presselandschaft in Deutschland spiegelt sich in einer Befragung von Weischenberg et al. wider. Die 51 52
Die ‚Bild’ bezeichnet sich selbst als die gedruckte Antwort auf das Fernsehen (vgl. ohne Autor 2006). Befragt nach einem Ersatz, falls die bevorzugte Zeitung nicht mehr verfügbar wäre, entschieden sich 22 % der Leser der Süddeutschen Zeitung für die Antwort „es gibt keinen Ersatz“, anstatt ein anderes Produkt zu wählen Bei der Leserschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt gaben dies nur 8 % der Befragten an (vgl. Zakrzewski 1995, 60).
90
II Untersuchungsgegenstand
Zeitung wurde bei einer repräsentativen Umfrage unter ausgewählten Journalisten am häufigsten als regelmäßig genutztes Medium genannt und bildet so mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel das wichtigste Leitmedium53 der Presselandschaft in Deutschland (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006a, 134; Weischenberg/Malik/Scholl 2006b, 359). Auch bei einer Untersuchung von Reinemann führt die Süddeutsche Zeitung die Rangliste54 der am meisten durch Journalisten genutzten überregionalen Zeitungen an (vgl. Reinemann 2003, 157).
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
500
450
400 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 11: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Tageszeitung Süddeutsche Zeitung in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). 53
54
Bei der Befragung nach regelmäßig genutzten Pressemedien (Mehrfachnennungen waren möglich) kam die Süddeutsche Zeitung auf 35 %, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel auf 34 %, es folgten die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit und Bild mit 15 %, 11 % beziehungsweise 10 % (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006a, 134; Weischenberg/Malik/Scholl 2006b, 359). Die Journalisten wurden befragt, welche der aufgeführten Zeitungen sie (fast) nie, ab und zu oder (fast) täglich nutzen. Mehrfachnennungen waren möglich. 73 % der befragen Journalisten gaben an die Süddeutsche Zeitung fast täglich zu nutzen, es folgten die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit 59 %, die Welt mit 41 %, die Frankfurter Rundschau mit 26 % und die tageszeitung mit 23 %.
5 Zeitschriften
91
Im Vergleich zu allen anderen hier betrachteten Presseerzeugnissen veränderte sich die Auflage der Süddeutschen Zeitung innnerhalb des Zeitraums weniger. Es ist ein leichter Aufwärtstrend mit einer Stabilisierung über 450 Tausend in den letzten Jahren zu erkennen (vgl. Abb. 11). Erwähnenswert ist, dass die Süddeutsche Zeitung im Gegensatz zu ihrer Konkurrenz zuvor seit Jahrzehnten kontinuierliche Auflagensteigerungen für sich verbuchen konnte (vgl. Schütz 2005a, 64, 213, 505; Schütz 2005b, 663, 787). Mit einer aktuellen Auflage von ca. 466 Tausend in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2008 erreicht die Süddeutsche Zeitung insgesammt 1,26 Millionen Leser, was einem Anteil von 1,9 % der Bevölkerung über 14 Jahre entspricht (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008a). 5 5.1
Zeitschriften Bunte
Franz Burda wandelte 1954 seine Zeitschrift Das Ufer in die Bunte Illustrierte um, die in der Folge die Grundlage für eine umfangreiche Expansion des Unternehmens bildete (vgl. Institut für Medien- und Kommunikationspolitik ohne Jahr). Die Bunte ist eine klassische Illustrierte, deren Fokus nach eigenen Angaben im Bereich Entertainment liegt. Als ummittelbare Konkurrenzprodukte55 werden der Stern und die Gala des Verlags Gruner + Jahr gesehen (vgl. Burda People Group ohne Jahr, 11, 18f.). Der redaktionelle Eigenanspruch ist „eine aufregende und seriöse Berichterstattung aus der Welt der Macht und Stars“ (Burda People Group ohne Jahr). Die aktuelle Redaktionsdirektorin und Chefredakteurin ist Patricia Riekel. Betrachtet man sich die Auflagenentwicklung der Illustrierten Bunte lässt sich nach hohen Werten in den Jahren 2001 und 2002 wieder ein leichter Abwärtstrend erkennen. Trotzdem scheint sich die tatsächlich verbreitete Auflage bei über 700 Tausend zu stabilisieren (vgl. Abb. 12). Zu Beginn des Jahres 2008 erreichte die Bunte mit einer tatsächlich verbreiteten Auflage von ca. 716 Tausend Exemplaren insgesamt 3,58 Millionen Personen im Alter von über 14 Jahre. Dies entspricht einer Reichweite von 5,5 % (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008b).
55
Die vor allem im ostdeutschen Raum beliebte Super Illu wird hierbei nicht genannt, da sie aus dem gleichen Verlagshaus stammt (vgl. Kapitel II 5.5).
92
II Untersuchungsgegenstand
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
900
850
800
750
700
650
600 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 12: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Illustrierten Bunte in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b).
5.2
Der Spiegel
Der Spiegel ist ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin. Es ging aus dem durch die Militärregierung herausgegebenen Magazin Diese Woche hervor, das Ende 1946 verboten wurde, um dann unter deutscher Verantwortung und mit neuem Namen am 4. Januar 1947 als Der Spiegel zu erscheinen (vgl. Brawand 1987, 100). Untrennbar mit dem Spiegel verbunden ist der Name Rudolf Augstein, der zunächst Redaktionsführer (vgl. Brawand 1987, 103), später dann gleichzeitig Verleger, Herausgeber und Chefredakteur war (vgl. Pürer/Raabe 2007, 166). Das Magazin ist bekannt dafür, einen hohen journalistischen Aufwand zu betreiben. So war es maßgeblich für die Aufklärung vieler Skandale im politischen Feld verantwortlich. Zudem prägt ein sehr markanter Schreibstil die Geschichten des Spiegels (vgl. Brawand 1987, 127ff.). Nach Stockmann ist ein investigativer Journalismus, der auf einer kritischen Grundhaltung basiert und so versucht politische und gesellschaftliche Missstände aufzuklären, sowie die Präsentation der Inhalte in Geschichtsform mit starrem Aufbau und unter Einsatz
93
5 Zeitschriften
spezifischer sprachlicher Mittel, wie Zynismus oder Ironie, kennzeichnend und typisch für die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (vgl. Stockmann 1999, 19). Das Magazin galt schon immer als eines der wichtigsten Presseerzeugnisse in Deutschland. Bei aktuellen Befragungen zur Mediennutzung von Journalisten lag Der Spiegel im Vergleich zu anderen überregionalen Wochenmedien an erster (vgl. Reinemann 2003, 166) oder bei Betrachtungen der gesamten Presse an zweiter Stelle (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006a, 134; Weischenberg/Malik/Scholl 2006b, 359). Im Vergleich zu früheren Untersuchungen büßte der Spiegel insgesamt etwas an Bedeutung ein. Dazu trägt auch eine gewisse Ausdifferenzierung innerhalb der journalistischen Arbeit bei, was bedeutet, dass sich spezifische Fachjournalisten mittlerweile eher an passenden Fachmedien als an Universalmedien wie Nachrichtenmagazinen orientieren (vgl. Weischenberg/Malik/Scholl 2006a, 136; Weischenberg/Malik/Scholl 2006b, 359). Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo bilden seit Februar 2008 die Chefredaktion des Magazins (vgl. ohne Autor 2008b). Bis zu seiner Entlassung war zuvor Stefan Aust jahrelang Chefredakteur. Dessen Person und Führung des Magazins wurden zum Teil sehr kritisch gesehen (vgl. Gehrs 2005).
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
1200
1150
1100
1050
1000
950 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 13: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b).
94
II Untersuchungsgegenstand
Die tatsächlich verbreitete Auflage des Spiegels in den letzten zehn Jahren zeigt sich im Jahrestrend relativ konstant über der Grenze von 1,05 Millionen mit Höhen im Zeitraum zwischen 2001 und 2005, als zeitweise Auflagen von über 1,1 Millionen erreicht wurden (vgl. Abb. 13). Mit kleineren Schwankungen finden sich diese Werte auch bei der Auflage zu Beginn der 90er-Jahre (vgl. Kaltenhäuser 2005, 87; Stockmann 1999, 23). Im zweiten Quartal 2008 erreichte Der Spiegel mit einer Auflage von 1,04 Millionen 8,8 % der Bevölkerung über 14 Jahre was ungefähr 5,71 Millionen Menschen entspricht (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008c).
5.3
Focus
Das Nachrichtenmagazin Focus des Burda Verlages erschien zum ersten Mal am 18. Januar 1993 und etablierte sich in der Folge als zweites deutsches Nachrichtenmagazin. Der Focus verstand sich nicht als Gegenentwurf, sondern als Konkurrenzmedium zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel (vgl. Herbort 2002, 5; Pürer/Raabe 2007, 264). Die mit diesem Verständnis verbundene Eigenständigkeit des Produktes zeigte sich unter anderem dadurch, dass lediglich 19 % der Erstkäufer des Focus angaben auch das Nachrichtenmagazin Spiegel zu beziehen (vgl. Filipp 1995, 27). Aktueller Herausgeber und neben Uli Baur aktueller Chefredakteur ist Helmut Markwort, der auch maßgeblich an der Entwicklung des Magazins beteiligt war. Der Focus bezeichnet sich selbst im Untertitel als „das moderne Nachrichtenmagazin“, was sich auch in der Art der Aufmachung und der redaktionellen Arbeit niederschlägt. Nach einer Zusammenstellung von Stockmann soll sich der Focus durch eine klare Form und eine einfache, durch zahlreiche Grafiken, Tabellen und farbige Bilder gestützte Sprache auszeichnen. Inhalte sollten dabei nützlich, aber nicht belehrend sein, wobei Wert auf konstruktive Kritik gelegt wird (vgl. Stockmann 1999, 22). In Abgrenzung zum Spiegel als klassisches Nachrichtenmagazin bezeichnet Kaltenhäuser den Focus als illustriertes Nachrichtenmagazin, um auch begrifflich den unterschiedlichen Arten der redaktionellen Gestaltung gerecht zu werden (vgl. Kaltenhäuser 2005, 23). Der Focus konnte seine Auflage in den letzten zehn Jahren relativ konstant halten. In den Jahren 2006 und 2007 gab es einen leichten Abwärtstrend, insgesamt bewegte sich die tatsächlich verbreitete Auflage bis auf kleinere Schwankungen im Bereich von 750-800 Tausend Exemplaren im Jahrestrend (vgl. Abb. 14). Zuletzt erreichte der Focus im zweiten Quartal 2008 bei einer tatsächlich verbreiteten Auflage von 765 Tausend 4,61 Millionen Leser, was einer Reichweite von 7,1 % bei der Bevölkerung über 14 Jahre entspricht (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008c). Die derzeitigen Auflagenwerte entsprechen
95
5 Zeitschriften
denen, die seit der Etablierung 1995 erreicht wurden. Nach der Einführung 1993 stieg die Auflage zunächst konstant von 487 Tausend auf 782 Tausend im Jahr 1996 an und pendelte sich seitdem auf diesem Niveau ein (vgl. Stockmann 1999, 23f.). Interessanterweise hatte die Markteinführung des Focus kaum Auswirkungen auf die Auflagenentwicklung des Spiegels, weshalb man davon ausgeht, dass sich der Focus andere und neue Leserschichten erschlossen hat (vgl. Stockmann 1999, 24).
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
850
800
750
700
650
600 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 14: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage des Nachrichtenmagazins Focus in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b).
5.4
Stern
Der vom Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr herausgegebene Stern erschien am 1. August 1948 zum ersten Mal. Der Gründer Henri Nannen verwandelte das ihm gehörende Jugendmagazin Zickzack „unter starker Strapazierung des Lizenzrechts der Besatzungsmächte“ (Schneider 2000, 24) in ein Unterhaltungsblatt, welches vor allem in seinen Anfangsjahren kaum um Seriosität bemüht war (vgl.
96
II Untersuchungsgegenstand
ebd.). Mit der Zeit wurden die Themen aber politischer und der Stern insgesamt anspruchsvoller und seriöser. Kaltenhäuser verwendet für das Blatt in der derzeitigen Konzeption den Terminus „politische Illustrierte“ (Kaltenhäuser 2005, 77) und unterstreicht damit auch begrifflich den eigenen Anspruch des Sterns, der sich selbst im Segment der aktuellen Wochenmagazine in Konkurrenz von Der Spiegel und Focus sieht (vgl. Gruner+Jahr 2008, 18). Nach unruhigen Phasen zwischen 1997 und 2001 (vgl. Kaltenhäuser 2005, 78) sind aktuell Thomas Osterkorn und Andreas Petzold die Chefredakteure des Stern. Ein bis heute ausstrahlender Einschnitt in der Geschichte dieser Illustrierten war die Veröffentlichung der angeblichen Hitler-Tagebücher im Jahr 1983 (vgl. Schneider 2000, 186ff.), durch die der Stern nahezu weltweit traurige Berühmtheit erlangte. Der Imageschaden der Veröffentlichung dieser Fälschungen haftet dem Stern bis in die heutige Zeit an. Die Auswirkungen dieses Skandals auf die Auflage waren jedoch äußerst gering (vgl. ebd., 214).
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
1250
1200
1150
1100
1050
1000
950 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 15: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der politischen Illustrierten Stern in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b).
5 Zeitschriften
97
Im Jahrestrend der letzten zehn Jahre ist die Auflage des Stern mit quartalsabhängig hohen Schwankungen insgesamt rückläufig (vgl. Abb. 15). 1997 lag die Auflage des Sterns noch deutlich über der des Spiegels (vgl. Kaltenhäuser 2005, 87). Über die Jahre glichen sich die Auflagen jedoch an und seit dem 1. Quartal des Jahres 2005 lag der Stern sogar konstant hinter dem Spiegel. In den ersten beiden Quartalen des Jahres 2008 war die Auflage mit 989 und 995 Tausend zum ersten Mal unter die Millionengrenze gesunken. Trotz der geringeren Auflagenverbreitung erreicht der Stern zu Beginn des Jahres 2008 bei den aktuellen Publikumszeitschriften mit 11,4 Prozent die meisten Personen. Dies entspricht ca 7,4 Millionen Menschen über 14 Jahre (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008c).
5.5
Super Illu
Die Zeitschrift Super Illu des Burda Verlags war zur Zeit der Wende eine der Neugründungen von Westverlagen speziell für den ostdeutschen Markt (vgl. Pürer/Raabe 2007, 245). Nach eigenen Angaben fokussiert die inhaltliche Gestaltung des Heftes einen „aktuellen Mix aus Zeitgeschehen, Politik, Ratgeber und Unterhaltung“ (Hubert Burda Media ohne Jahr(a), 4). Die Zeitschrift konnte sich nach der Einführung schnell durchsetzen und erreichte Auflagen zwischen 700 und 900 Tausend, bis sie sich schließlich 1995 vorerst bei Auflagenstärken von 560 Tausend einpendelte (vgl. Pürer/Raabe 2007, 245). Von Anfang an war die Illustrierte vor allem im ostdeutschen Raum verbreitet, wo sie zunächst 86 % ihrer gesamten Auflage verkaufte (vgl. Voges 1995, 168). Auch aktuell übertrifft hier ihre Reichweite nach eigenen Angaben mit 21,2 % sowohl die der Bild (vgl. Hubert Burda Media ohne Jahr(a), 5) als auch die gemeinsame Leserschaft der Konkurrenzprodukte Bunte, Focus, Stern und Spiegel (vgl. Hubert Burda Media ohne Jahr(b)).56
56
Nach Angaben der Super Illu beläuft sich die Reichweite der Illustrierten Bunte auf 3,5 %, die des Stern auf 5,1 %, die des Nachrichtenmagazins Focus auf 5,3 % und die des Spiegels auf 5,8 % im ostdeutschen Raum (vgl. Hubert Burda Media ohne Jahr(b)).
98
II Untersuchungsgegenstand
TatsächlichverbreiteteAuflageinTausend
700
650
600
550
500
450
400 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
JahreunterteiltinQuartale
Abbildung 16: Entwicklung der tatsächlich verbreiteten Auflage der Illustrierten Super Illu in den letzten zehn Jahren (Untersuchungszeitraum grau markiert). Trendlinie berücksichtigt die Zahlen der jeweils vier letzten Quartale (Datenquelle IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2008b). Betrachtet man die gesamtdeutsche Entwicklung der Auflage in den letzten zehn Jahren lässt sich ein klarer Trend nach unten bei der Illustrierten Super Illu erkennen. Nach einem relativ konstanten Verlauf nach 1998 fällt im Jahrestrend ein klarer Rückgang der tatsächlich im Umlauf befindlichen Auflage seit dem Jahr 2004 auf. Nach dem zweiten Quartal 2007 wurde zudem die Marke von 500 Tausend nicht mehr überschritten (vgl. Abb. 16). Trotzdem erreicht die Super Illu mit 494 beziehungsweise 453 Tausend zu Beginn des Jahres 2008 immerhin 2,74 Millionen Leser, was einer Reichweite von 4,2 % im gesamtdeutschen Raum entspricht (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2008b).
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Der dritte Teil der Ausführungen setzt sich mit dem Forschungsstand zum Thema Behinderung in der Presse auseinander. Vor allem die Entwicklungen seit dem Ende des 20. Jahrhunderts stehen dabei im Fokus. Auch medienübergreifende Ergebnisse und Feststellungen werden thematisiert. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über Forschungsprojekte, die sich mit der Darstellung von Menschen mit Behinderung in den Medien allgemein und speziell in der Presse auf unterschiedliche Weise auseinandergesetzt haben. Dabei werden sowohl Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum als auch internationale Forschungsprojekte beleuchtet (vgl. Kapitel III 1). Anschließend werden quantitative Ergebnisse dieser Forschungsprojekte vorgestellt. Diese beinhalten Analysen zur Häufigkeit und Art der Medienbeiträge, Untersuchungen zu den Themen der Artikel, die sich mit Behinderung auseinandersetzten, Betrachtungen der verwendeten Sprache sowie die Identifikation auftauchender Behinderungsarten und deren Ursachen (vgl. Kapitel III 2). Im nächsten Unterkapitel geht es um den Bereich qualitativer Forschungsergebnisse. Hier werden auch Inhalte und Erkenntnisse der Untersuchung anderer Medien57 beziehungsweise medienübergreifender Konzepte vorgestellt, die für die Auswertung dieser Arbeit herangezogen wurden. Dabei geht es um Rollenbilder, die Menschen mit Behinderung innerhalb der Medien einnehmen können, und um Mechanismen, also starre Schemata, wie bestimmte Medien, in diesem Fall die Presse, mit der Thematik Behinderung umgehen (vgl. Kapitel III 3). 1
Überblick über den Forschungsstand
Im Unterschied zu anderen Medien wie Film58, Fernsehen59 oder auch zur Literatur60 gibt es relativ wenige Untersuchungen im deutschsprachigen Raum, die sich 57
58
Zum Teil ist eine Unterscheidung nach Medien auch überflüssig. Unter Umständen ist die dahinterstehende Person, also der Journalist, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, viel bedeutender für die Repräsentation als die Einflüsse, die durch das Medium selbst gegeben sind. Das Forschungsinteresse wurde hier auch durch die steigende Zahl an Hollywoodproduktionen und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit für die Thematik geweckt (vgl. Riley 2005, 69ff.). Einen guten Überblick über verschiedene Themenbereiche bietet der Herausge-
100
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
systematisch mit dem Phänomen Behinderung innerhalb der Presse auseinandersetzen. Im Standardwerk „Soziologie der Behinderten“ wird nur eine Publikation von Bintig aufgeführt (vgl. Bintig 1984a), die sich mit der Thematik beschäftigt (vgl. Cloerkes 2007, 140). Vor allem in der jüngeren Vergangenheit scheint das Forschungsinteresse in diesem Bereich von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. Galehr 2005; Soll/Charlton/Lucius-Hoene 1999) zum Erliegen gekommen zu sein. International gibt es mehrere, wenn auch zum Teil sehr spezifische Publikationen zu diesem Bereich.61
59
60
61
berband von Heiner/Gruber sowie die Dissertation von Bartmann (vgl. Gruber/Heiner 2003; Bartmann 2002). Auch ein von Degenhardt geleitetes Forschungsprojekt liefert interessante Aspekte zu dieser Thematik (vgl. Degenhardt/Hilgers 2007; Degenhardt 1999; Hilgers 1999). International sind in dem Kontext vor allem die Aufsatzsammlungen von Smit/Enns und Pointon/Davies erwähnenswert (vgl. Smit/Enns 2001; Pointon/Davies 1997). Einen sehr interessanten und umfangreichen Überblick über die historische Entwicklung der Darstellung von Menschen mit Behinderung im Film liefert Norden, der die Filmgeschichte zu dieser Thematik in acht sehr schön herausgearbeitete Phasen einteilt (vgl. Norden 1994). Im deutschsprachigen Raum sind hier die sehr aktuellen Publikationen von Bosse zu erwähnen, die sich mit Boulevardmagazinen unterschiedlicher Sender auseinandersetzt (vgl. Bosse 2007a; Bosse 2007b; Bosse 2006). Sehr umfangreich ist auch die Untersuchung von Huainigg, der das Fernsehprogramm des ORF in den 90er-Jahren über zwei mal zwei Wochen beobachtete und dabei eine wenig positive Entwicklung im Vergleich zur Fernsehrealität in den 80er-Jahren festgestellt hat (vgl. Huainigg 1996a). Auch internationale TV-Anstalten wurden in die Untersuchung mit einbezogen (vgl. Huainigg 1996b). Im englischsprachigen Raum ist die Untersuchung von Cumberbatch und Negrine erwähnenswert, die sich mit fiktionalen und nonfiktionalen Darstellungen innerhalb des englischsprachigen Fernsehens auseinandersetzt und innerhalb fiktionaler Darstellungen einen transatlantischen Vergleich zwischen den USA und Großbritannien zieht (vgl. Cumberbatch/Negrine 1992). Die Betrachtungen in der Literatur spiegeln die Vielfältigkeit des Bereiches wider. Von Behinderung in der Weltliteratur (vgl. Radtke 1982) über Rollenmetaphern (vgl. Mürner 1990) und Gedichte (vgl. Mürner 2003a) bis hin zu Comics (vgl. Zimmermann/Kagelmann 1982) und Kinder- und Jugendliteratur (vgl. Baumgartner 2001a; Baumgartner 2001b; Fries/Mändele 2007; Nickel 1999; Rupp 1983; Zimmermann 1982) gibt es zahlreiche Auseinandersetzungen mit der Thematik. Vor allem im Bereich der Sportberichterstattung und zu Betrachtung der Sprache im Kontext Behinderung liegen hier zahlreiche Publikationen vor.
1 Überblick über den Forschungsstand
Autor(en)
Titel der Untersuchung(en) / Publikation(en)
Untersuchungszeitraum
Untersuchungsgegen stand
Stichprobenbeschaffenheit
Forschungsdesign / Methodik
Zentrale Fragestellungen / Ziele
101
Deutschsprachige Forschungsprojekte und -publikationen zum Thema Behinderung in der Presse Soll, Katrin; Charlton, Bernard, Jeff; PribitBintig, Arnfried Galehr, Christiane Michael; Luciuszer, Susanne Hoene, Gabriele Identitätsangebote für Betroffene – Krankheit und Behinderung Diskriminierung in den Medien (Teil behinderter Menschen Darstellung von des Projekts: Medien Behinderte in Publiin Wort und Bild (Teil Behinderung in der kumszeitschriften der Selbstvergewisseder Studie: Soziale Tagespresse (Diplom(Habilitationsschrift) rung im Wandel und Rehabilitation und arbeit) ihre Bedeutung für die Öffentlichkeitsarbeit) Sicherung prekärer Identität bei Krankheit und Behinderung) 1. Februar – 30. April 2005 (quanJuli 1979 – 1955, 1975 und 1995 titativ); 1985 – 1987 Juni 1982 1. – 15. April 2005 (qualitativ) 10 deutschsprachige Drei deutsche PubNicht näher spezifiPublikumszeitschrifZwei regionale und likumszeitschriften, zierte Printmedien im ten (Nachrichtenmaeine überregionale zwei öffentlich-rechtdeutschsprachigen gazine, Frauenzeitösterreichische liche und ein privater Raum schriften und IllustTageszeitung Fernsehsender rierte) 261 Artikel in der Presse; 62 Berichte (quantita199 Fernsehbeiträge tiv); Selektive Auswahl 834 Beiträge; Voller14 Artikel (qualitativ); (Film- und Fernsehpassender Artikel hebung protokolle); VollerheVollerhebung bung Inhaltsanalyse ergänzt Dokumentationsausdurch multivariate Vergleichende diastellung basierend auf Qualitative und chrone Analyse auf Verfahren zur Festquantitative einem stellung von BezieBasis textsemiotischen hungen zwischen Inhaltsanalyse qualitativer und Ansatz mehr als zwei Variabquantitativer Daten len Betrachtung der Themen im Kontext Unterschiede in der Behinderung und Berichterstattung Veränderung hinsichtmögliche Perspektiven zwischen den ZeitIdentifikation textlilich der Quantität der der Berichterstattung. schriften und bei cher DiskriminieBeiträge in verschieverschiedenen Arten Einfluss der Presseberungsstrategien auf denen Medien. von Behinderung. Basis von vier richte auf die EntsteAnalyse der Rolle Grundmustern des hung einseitiger und Feststellen des Einmedialer SinnstifVerhaltens gegenüber flusses des „Internati- realitätsferner Bilder tungsangebote bei der von Behinderung. onalen Jahres der Menschen mit Konstitution personaBehinderten“ (1981) Festellen der Frequenz Behinderung. ler Identität. auf die Berichterstat- und des Um-fangs der tung. Berichterstattung zur Thematik.
Tabelle 5: Überblick über deutschsprachige Forschungsprojekte und Publikationen zur Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Presse.
102
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Internationale Forschungsprojekte u. -publikationen zum Thema Behinderung in der Presse Keller, Clayton E.; Hallahan, Yoshida, Roland Daniel, P.; Adams, Lisa; K.; Wasilewski, McShane, Auslander, Gail Haller, Beth A. Nikolic, Daniela; Autoren Lynn; Friedman, Edward A.; K.; Gold, Nora Milincic, Ivana Douglas L. Crowly, Paula E.; Blandford, Barbara J. Mayor News The Coverage of Recent NewspaTitel der Vier Publikatio- Media Coverage Persons with Disability in the per Coverage Untersunen in diversen of DIsability Disabilities in Press About Persons chung/Publi Zeitschriften Topics (ForAmerican Newswith Disabilities kation schungsbericht) papers Okt. – Nov. Januar – Dezem1998/2002 ber 2006 UntersuJanuar – März Jahrgänge 1986 (Zeitungen); Jahrgang 1987 März 2006 – chungs1998 1998/2002 und 1987 Januar 2007 zeitraum (Nachrichtenma(Montenegro) gazine) Archivierte Acht Zeitungen PresseerzeugnisFünf amerikaniund drei Nach- 12 amerikanische se aus Serbien Drei kanadische sche Zeitungen Unterrichtenmagazine; Zeitungen aus und Bosnien und drei israelimit einer Minsuchungsvier amerikani- unterschiedlichen destauflage von gegenstand Herzegovina; drei sche Zeitungen sche FernsehsenRegionen Zeitungen aus 350000 der Montenegro 188 Artikel; 256/483 Artikel 428 Artikel; 84 zufällige Stichund 1097 (Bosnien Tagesausgaben Stichprobenprobe von 15 % 34/21 FernsehHerzegovina); 89 427 Artikel; pro Zeitung beschaffen(Montenegro); ? Vollerhebung der relevanten nachrichten; (Auswahl zufälliheit Artikel jeder beides; Vollerhe(Serbien) ger Wochentage) Zeitung bung Vergleichende Inhaltsanalyse Inhaltsanalyse Inhaltsanalyse Inhaltsanalyse Qualitative und Forschungsmit eher qualitamit eher quantita- mit quantitativem quantitative mit eher quantitadesign / tivem Fokus in tivem Fokus in Fokus in der tivem Fokus in Inhaltsanalyse Methodik der Auswertung der Auswertung Auswertung der Auswertung Analyse der Verständnis von Veränderungen in thematischen dem was in der Stellung von der BerichterstatPresse über Behinderung in tung der beiden Analyse und Behinderung den Artikeln. untersuchten Analyse der in publiziert wird. Vergleich der Betrachtung der Jahre. Analyse den Zeitungen Untersuchung dargestellten dargestellten der NachrichtenZentrale behandelten von Sprache und Arten und Ursaund BehindeAuswirkungen FragestelThemen und chen von BehinThemen, aber der Behinderung rungsart. Belungen / Sachverhalte auch von Model- derung sowie der auf die porträtiertrachtung der Ziele sowie der Art der len der Berichter- für die Personen te Person und der Sprache sowie Behinderung. verwendeten stattung sowie der Informations- zur Verbesserung eventuell auftreTermini. der Situation quelle der tenden klischeebeschriebenen untersuchten haften DarstelNachrichten. Handlungsmöglungen. lichkeiten.
Tabelle 6: Überblick über internationale Forschungsprojekte und Publikationen zur Darstellung von Menschen mit Behinderung in der Presse.
2 Quantitäten
103
Die Tabellen 5 (deutschsprachig) und 6 (international) geben einen Überblick über die Forschungspublikationen anhand der Dimensionen Autor(en), Titel der Untersuchung/Publikation, Untersuchungszeitraum, Untersuchungsgegenstand, Stichprobenbeschaffenheit, Forschungsdesign und Methodik, zentrale Fragestellungen sowie Ziele. Auswahlkriterium für die dabei aufgeführten Forschungsvorhaben war eine gewisse Generalität der untersuchten Dimensionen. Deshalb werden im Überblick Publikationen, die sich mit speziellen Themenbereichen wie Sport (vgl. Renggli 2007; Smith/Nigel 2005; Hardin et al. 2001; Maas/Hasbrook 2001; Schantz/Gilbert 2001; Schell/Rodriguez 2001), Werbung (vgl. Buschmann 2003; Panol/McBride 2001; Reinhardt/Gradinger 2007; Thomas 2001) oder der Sprache (vgl. Dajani 2001; Gottlieb 2001; Haller/Dorries/Rahn 2006; Weisser 2005) beschäftigen, nicht berücksichtigt. Auch Forschungsvorhaben, die sich mit ganz bestimmten Einschränkungen oder Syndromen auseinandersetzen (vgl. Bonnstetter 1986; Carter/Parmenter 1996; Jones/Smith 2007), sind nicht Teil der Überblickstabellen. Wichtige Ergebnisse der einzelnen, auch zum Teil nicht in den Tabellen aufgeführten Publikationen sollen jedoch gemeinsam in den Kapiteln III 2 und III 3 beleuchtet werden. Eine Betrachtung aller untersuchten Dimensionen ist dabei nicht möglich. Im Wesentlichen beschränken sich die Ausführungen auf für diese Untersuchung relevante Aspekte auf qualitativer und quantitativer Ebene. 2
Quantitäten
Unter dem Begriff Quantitäten sollen Betrachtungen aufgeführt werden, deren Ergebnisse relativ objektiv quantifizierbar sind. In den betrachteten Forschungsvorhaben geschieht dies zumeist durch Angabe von absoluten oder prozentualen Werten. Auf der Ebene der Ergebnispräsentationen ist die Zuordnung zu Quantitäten relativ eindeutig, jedoch können auch bestimmte mit qualitativen Methoden erhobene Daten quantitativ präsentiert werden. Die Konstrukte innerhalb der Präsentation qualitativer Ergebnisse sind allerdings meist zu komplex, um rein quantitativ beschrieben werden zu können. Allerdings finden sich auch im nächsten Kapitel zum Teil quantitative Daten zur Untermauerung einzelner dort beschriebener qualitativer Erkenntnisse (vgl. Kapitel III 3).
2.1
Häufigkeit der Medienbeiträge
Es gibt kaum Untersuchungen, die sich im Längsschnitt mit der Häufigkeit von Beiträgen zur Thematik Behinderung auseinandersetzen. Aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise und Stichprobenbeschaffenheit ist es zudem auch nicht möglich, verschiedene Forschungsvorhaben in diesem Bereich zu
104
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
vergleichen. Aus unterschiedlichen Publikationen, die sich mit der Thematik Behinderung in den Medien befassen, ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, dass das mediale Interesse an der Thematik wohl grundsätzlich zugenommen hat. In der Filmindustrie lassen sich beim wohl wichtigsten Ereignis, der Oscarverleihung, durchaus Trends beobachten, die ein gesteigertes Interesse62 an Themen im Kontext Behinderung suggerieren (vgl. Riley 2005, 69ff.). Dafür, dass es in neuerer Zeit mehr Filme zu dieser Thematik gibt, würden auch Beobachtungen bezüglich der Erscheinungsjahre der Filme in diesem Themenbereich sprechen. Ergebnisse zur Häufigkeit von Filmen bestimmter Jahrgänge lassen vermuten, dass es in neuerer Zeit wesentlich mehr Filme zum Thema Behinderung gibt (vgl. Bartmann 2002, 82; Degenhardt63 1999, 70f.).64 Dies könnten Indizien für ein gesteigertes Interesse sein.65 Inwieweit das für andere Medien ebenfalls zutrifft und sich auf die Presseberichterstattung übertragen lässt, kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. In der meines Wissens einzigen deutschsprachigen Untersuchung, die sich im Kontext von Presse- und Fernsehberichterstattung mit der Thematik Behinderung beschäftigt, stellen Soll et al. fest, dass die Anzahl der Medienberichte, die sich mit der Thematik Behinderung auseinandersetzten, über die Jahre deutlich zunahm. Gab es im Jahr 1955 in den Zeitschriften Der Spiegel, Stern und Bunte zusammen nur 53 Artikel zu dieser Thematik, steigerte sich die Zahl 1975 auf 71 und 1995 auf 137 Artikel, die sich mit Behinderung beziehungsweise chronischen Krankheiten auseinandersetzten. Ähnliche Tendenzen in der Berichterstattung des Fernsehens werden auch aufgezeigt (vgl. Soll/Charlton/Lucius-Hoene 1999, 21ff.). Allerdings werden diese Ergebnisse relativiert. Es wird darauf hingewiesen, dass sich auch der Umfang der untersuchten Medienerzeugnisse innerhalb dieser Zeitspanne deutlich vergrößert hat (vgl. ebd., 24). Die Berechnung eines Verhältnisses zwischen der absoluten Anzahl an Artikeln und derer, die sich mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen, wäre eine Größe, die zur abschließenden Klärung der Frage beitragen könnte. Im amerikanischen Raum gibt es eine etwas aktuellere Untersuchung, die sich mit der Veränderung der Berichterstattung von 1998 zum Jahr 2002 beschäftigt (vgl. Haller 2003). Haller stellt dabei fest, dass die Anzahl der Berichte 62 63 64
65
In jüngerer Vergangenheit wären hierzu die Filme „I am Sam“, „Ray“, „Das Meer in mir“ und „Million Dollar Baby“ zu nennen. Die Untersuchung von Degenhardt beschäftigt sich dabei nur mit sehgeschädigten Menschen. Beide angeführten Untersuchungen setzen ihre Stichprobe aus ausgestrahlten Filmen und dem Verleih zusammen. Insbesondere bei der Ausstrahlung von Filmen scheint es nicht verwunderlich, dass es sich eher um neuere Produktionen handelt. Es kann sicherlich auch davon ausgegangen werden, dass die Zahl an Filmen, die im Gesamten produziert wurden, in neuerer Zeit massiv zugenommen hat. Die Ergebnisse sind also diesbezüglich nur bedingt aussagekräftig.
2 Quantitäten
105
in den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften um 89 % zunahm. Bis auf den Philadelphia Inquirer kam es bei allen untersuchten Zeitungen und Zeitschriften zu einer vermehrten Berichterstattung im Kontext Behinderung (vgl. ebd., 61). Diese Entwicklung ist insofern erstaunlich, da die Anschläge auf das World Trade Center zwischen den beiden Untersuchungszeiträumen lagen. Die damit verbundenen Folgen für Amerika und seine Gesellschaft waren in den amerikanischen Medien lange Zeit bestimmend, was weniger Platz für andere Themen ließ. Dies führte zunächst dazu, dass es kleinere Einbrüche in der Zahl der Berichte im Jahr 2001 gab. 2002 kam es aber wieder zu einer Erhöhung der Berichterstattung. Haller führt das gesteigerte Interesse für das Thema Behinderung in den Medien auf zahlreiche Initiativen zurück, die sich für die Betrachtung des Themas stark machten (vgl. ebd., 23). Zum Teil könnten aber auch Veränderungen der Recherchequelle LexisNexis® dafür verantwortlich sein, dass 2002 mehr Artikel zur Thematik gefunden wurden. Zusammenfassend kann man feststellen, dass viele Indizien dafür sprechen, dass es ein gesteigertes Interesse der Medien für das Thema Behinderung gibt. Für den deutschsprachigen Raum lässt sich jedoch keinesfalls eine endgültige Aussage treffen, da die Daten der vorliegenden Studie von Soll et al. nur bedingt dafür geeignet sind. In den USA sprechen Beobachtungen im Bereich Film, Fernsehen und Presse in letzter Zeit dafür, dass der Thematik mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, als noch vor einigen Jahren.
2.2
Art der Medienbeiträge
Aus journalistischer Sicht lassen sich verschiedene Arten von Beiträgen in den Medien unterscheiden.66 Interessant dabei ist, inwieweit Menschen mit Behinderung innerhalb der zeitaktuellen Geschehnisse, also bei Nachrichten, eine (bestimmte) Rolle spielen oder in eher zeitunabhängigen Kontexten, zum Beispiel im Rahmen von Porträts oder Reportagen, zu finden sind. Im Rahmen seiner Untersuchung von Publikumszeitschriften fand Bintig heraus, dass 64 % der Artikel zum Thema Behinderung Berichte oder Reportagen waren, 18,1 % waren Leserbriefe, 10 % Nachrichten, bei 5 % der Artikel handelte es sich um praktische Ratschläge und 2,9 % waren sonstige Artikel, wie Rezensionen oder Kommentare (vgl. Bintig 1984a, 229). Die Dominanz von Berichten und Reportagen innerhalb von Magazinen und Illustrierten in Verbindung mit relativ wenigen Nachrichten verwundert nicht, da die untersuchten 66
In dieser Untersuchung wird dabei zwischen Reportage/Feature, Nachricht, Kommentar, Leserbrief, Interview, Porträt und Nachruf unterschieden (vgl. Anhang 1; hier findet sich auch eine detaillierte Beschreibung der Charakteristika der unterschiedlichen Textarten).
106
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Publikumszeitschriften weniger tagesaktuell ausgerichtet sind. Verglichen mit einer Zufallsstichprobe aller Artikel fielen ungleiche Verhältnisse zwischen Artikeln über das Thema Behinderung und der grundsätzlichen Verteilung der Art der Medienbeiträge innerhalb der Zeitschriften bei Leserbriefen und praktischen Ratschlägen auf. Innerhalb der Zeitschriften lag der allgemeine Anteil der Leserbriefe nur bei 1,3 % (im Gegensatz zu 18,1 % bei Themen im Kontext Behinderung), dafür der der praktischen Ratschläge bei 16,3 % (im Gegensatz zu 5 % im Kontext Behinderung). Leserbriefe im Themenbereich Behinderung waren also klar überrepräsentiert, praktische Ratschläge im Vergleich zur grundsätzlichen Struktur der Zeitschriften eindeutig unterrepräsentiert. Bintig schloss daraus, dass das Thema Behinderung im Untersuchungszeitraum oft ohne eigenständigen Beitrag der Redaktion aufgegriffen wurde (vgl. Bintig 1984a, 230). Inwieweit sich dies über die Zeit verändert hat und vielleicht auch den Beobachtungen dieser Untersuchung entspricht, wird im Ergebnissteil noch weiter ausgeführt (vgl. Kapitel V 1.4). Keller et al., die sich mit Artikeln in amerikanischen Tageszeitungen während der späten 80er-Jahre auseinandersetzten (vgl. Tab. 6), fanden heraus, dass sich die Mehrheit der untersuchten Artikel sogenannten „Soft News“, also Reportagen (29,3 %), Rezensionen und Rubriken (zusammen 22,2 %), zuordnen ließ. Der Anteil an Nachrichten mit 35,4 % war für den Untersuchungsgegenstand Zeitung dabei nicht sonderlich hoch. Veranstaltungshinweise mit 10,1 % und Kommentare mit 3 % bildeten die weiteren Kategorien. Keller et al. sehen bei den „Soft News“ die Gefahr, dass es durch die starke emotionale Färbung der Geschichten eher zur Verwendung stereotyper oder klischeehafter Rollenmuster kommen könnte (vgl. Keller et al. 1990, 275). Untersucht wurde diese Vermutung allerdings nicht. Betrachtet man die Forschungsberichte von Haller (vgl. Tab. 6), kann in neuerer Zeit noch immer ein hoher Anteil an sogenannten „Features“, also Reportagen konstatiert werden, der allerdings leicht rückläufig ist. Waren 1998 noch 38 % der Artikel im amerikanischen Presseraum Reportagen (vgl. Haller 2003, 63; Haller 1999), sind es 2002 nur noch 33 % (Haller 2003, 63). Insgesamt wurden zu beiden Untersuchungszeitpunkten sogenannte „hard news“ (Nachrichten) bereits als die am häufigsten vorkommende Form von Artikeln im Kontext Behinderung kategorisiert. Ihr Anteil lag 1998 bei 48 %, vier Jahre später bereits bei 55 % (vgl. Haller 2003, 63; Haller 1999). Vergleicht man die Ergebnisse von Keller et al. und Haller unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Untersuchung von Haller auch Nachrichtenmagazine67 berücksichtigt wurden, lässt sich eine eindeutige Verschiebung in 67
Dar Anteil an Reportagen ist hier auf Grund der Eigenschaften des Untersuchungsgegentands Zeitschrift (vgl. Kapitel II 1.2) sicherlich höher als bei Zeitungen (vgl. Kapitel II 1.1).
2 Quantitäten
107
Richtung Nachrichtenberichterstattung feststellen. Das Thema Behinderung wird im nordamerikanischen Raum also aktuell im Gegensatz zu früher mit nachrichtenrelevanten Informationen assoziiert (vgl. Haller 1999). Inwieweit dies auch für die untersuchten deutschsprachigen Zeitungen der Fall ist, geht aus den Ergebnissen in Kapitel V 1.3 hervor. 2.3
Themen
Die Schwierigkeit bei der Betrachtung der Themen liegt in der sehr unterschiedlichen thematischen Kategorisierung innerhalb der einzelnen Untersuchungen. Die Themeneinteilung reicht dabei von sehr groben Kategorisierungen in sieben Bereiche (vgl. Galehr 2005) bis hin zu 78 thematischen Kategorien (vgl. Haller 2003, 67). Eine vergleichende Darstellung ist deshalb praktisch unmöglich, daher sollen im Folgenden nur die jeweils häufigsten Themen oder Themenkategorien der jeweiligen Untersuchungen angeführt werden. Weniger aussagekräftige thematische Bezeichnungen werden wenn möglich inhaltlich durch Fußnoten geklärt. Bintig kategorisierte in seiner Untersuchung (vgl. Tab. 5) insgesamt 19 verschiedene Themenbereiche. Dominierend waren individuelle Lebensprobleme68 (21,6 %), Wissenschaft (15,2 %) und Prominenz (13,3 %). Gefolgt von individuellen Problemen mit zwischenmenschlichen Beziehungen69 (11,5 %) oder Behörden (9,3 %). Schließlich folgten Politik, Kriminalstatistik (jeweils 5,2 %) sowie Technik, Kunst und Haushalt70 (jeweils ca. 3 %). Über alle anderen Themenbereiche wurde keine Auskunft gegeben, da sie weniger als jeweils 2,5 % der Untersuchung ausmachten (vgl. Bintig 1984a, 227). Im Vergleich mit der grundsätzlichen inhaltlichen Struktur des untersuchten Gegenstandes stellte Bintig heraus, dass im Kontext Behinderung viel öfter private zwischenmenschliche Probleme thematisiert wurden, als dies bei anderen Artikeln einer Vergleichsstichprobe der Fall war. Individuelle und zwischenmenschliche Probleme machten hier jeweils nur 6,2 % der Berichterstattung aus (vgl. ebd., 228). Das Ergebnis spiegelt so auch die Sichtweise wider, dass es sich bei Behinderung um ein persönliches und weniger um ein gesellschaftliches Problem handelt, ein mögliches Indiz für die Dominanz einer medizinischen oder personenorientierten 68 69
70
Mit individuellen Lebensproblemen sind Inhalte gemeint, die persönliche Probleme „von der Kosmetik bis zur Existenzangst“ (Bintig 1984b, 7) beschreiben. „Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen“ beschreibt als Kategorie Inhalte, die sich mit Fragen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens auseinandersetzen. Dabei sind auch Themen wie Gruppenkonflikte, Gruppenbeziehungen und soziale Vorurteile (vgl. Bintig 1984b, 7) enthalten. Aus den Ausführungen von Bintig wird leider nicht klar, was mit „Haushalt“ gemeint ist. Im Codierbuch findet sich lediglich der Bereich „Haushalts- und Familienprobleme“ (vgl. Bintig 1984b, 6f.).
108
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Sichtweise von Behinderung (vgl. Kapitel I 2.1) durch die Presse in den späten 70er- und zu Beginn der 80er-Jahre. Bei Galehr (vgl. Tab. 5) finden sich wie bereits erwähnt sieben verschiedene Themenkategorien. Da hier in der Veröffentlichung genaue Werte fehlen und die drei untersuchten Zeitungen nur einzeln ausgewertet wurden, lassen sich im Gesamten nur sehr grobe Angaben basierend auf einer Grafik (vgl. Abbildung 3 bei Galehr 2005) machen. Die mit weitem Abstand am meisten Artikel wurden dem Themenbereich Psycho-Soziales71 zugeordnet (ca. 40 % - 55 % pro Zeitung), gefolgt von den ungefähr gleich häufig vertretenen Themenbereichen Sport72 (ca. 3 % - 21 % pro Zeitung) und Recht (ca. 12 % - 16 % pro Zeitung). Eine ähnlich umfangreiche Berichterstattung innerhalb dieser Untersuchung fand sich nur noch in der Themenkategorie Ethik73 (ca. 5 % - 16 % pro Zeitung). Schließlich folgten die weniger beachteten Themen Medizin (ca. 2 % - 10 % pro Zeitung), Politik (ca. 2 % - 7 % pro Zeitung) sowie Verbrechen und Gewalt (0 % – ca. 7 % pro Zeitung) (vgl. Galehr 2005). Eine Interpretation der Ergebnisse ist schwierig, da Galehr bis auf die drei innerhalb der Fußnote beschriebenen Bereiche keine weiteren Angaben zu den Themenkategorien gibt. Zudem ist die Datenbasis mit 62 Artikeln relativ gering und die Beschreibung des Themenbereiches PsychoSoziales so breit gewählt, dass die Dominanz dieser Thematik nicht verwundert. Die thematische Kategorisierung bei Yoshida, Wasilewski und Friedman (vgl. Tab. 6) ist sehr differenziert und umfasst 20 Themenkategorien.74 Nachfolgend werden die Themenbereiche genannt, die in wenigstens vier der fünf untersuchten amerikanischen Zeitungen mindestens 5 % der Berichterstattung ausmachten. Die am häufigsten genannten Themen75 waren Haushalt, Regierungsausgaben und Steuern (16,5 %) gefolgt von Wohnen und Normalisierung (16,0 %) und der Behandlung in Institutionen (13,3 %). Die Themenbereiche Politikgestaltung76 (10,7 %), persönliche Überwindung von Behinderung (10,3 %), Technik (7,5 %), 71 72 73 74 75 76
Galehr gibt hier Wohnen, Arbeit, Alltagsbewältigung, Spenden, Portraits, Ereignisse und Projekte als Rahmenbegriffe an (vgl. Galehr 2005). Sportereignisse und Sportlerportraits beschreiben diese Kategorie (vgl. Galehr 2005). Die Kategorie wird von Galehr mit Hilfe der Begriffe „Sterbehilfe“ und „pränatale Diagnostik“ umschrieben. Um in der Auswertung berücksichtig zu werden, musste eine Themenkategorie mindestens 5 % der Berichterstattung irgendeiner der fünf untersuchten Zeitungen ausmachen. Eigene Übersetzung der Begrifflichkeiten ins Deutsche. Der Originalbegriff lautet hier „policy making“. Es wäre vereinfacht und nicht richtig, dies mit Politik zu übersetzen, da es im amerikanischen Raum für das von uns als Politik bezeichnete Konstrukt drei verschiedene Begriffe gibt, die unterschiedliche Dimensionen der Politik beschreiben, nämlich „politics“ (prozesshafte Dimension), „polity“ (institutionalisierte Dimension) und „policy“ (inhaltliche Dimension). Vergleichen könnte man dies mit der Tatsache, dass die im deutschen Sprachraum gebräuchlichen erziehungswissenschaftlichen Begriffe Bildung und Erziehung im englischen nur den Äquivalentbegriff „education“ haben.
2 Quantitäten
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Arbeit (6.9 %) sowie Sport (6,4 %) und schließlich medizinischen Fortschritt (6,4 %) waren auch in mindestens vier von fünf Zeitungen vertreten. Ebenfalls einen hohen Anteil an der Gesamtberichterstattung hatten Informationen über behinderte Menschen (9 %), allerdings war dieser Themenbereich nur in drei der fünf untersuchten Zeitschriften in für die Auswertung ausreichender Form berücksichtigt74 (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 421). Die Autoren hoben vor allem hervor, dass Erziehung und Sonderpädagogik innerhalb der Berichterstattung im Untersuchungszeitraum faktisch keine Rolle spielten. Fehlende Kenntnisse und Informationen von Reportern zu diesem Thema, aber auch ein gewisses Desinteresse gegenüber dieser Thematik durch die Medien wurden als Gründe vermutet. Nachrichten im Bereich Sonderpädagogik schienen nicht berichterstattungswürdig (vgl. ebd., 422). Haller verglich in ihrer Untersuchung (vgl. Tab. 6) zwei verschiedene Zeitpunkte miteinander. Die nachfolgende Tabelle stellt die jeweils zehn häufigsten Themen im Kontext Behinderung der beiden untersuchten Jahrgänge 1998 und 2002 gegenüber (vgl. Tab. 7). Im Gegensatz zur gerade angesprochenen Untersuchung von Yoshida, Wasilewski und Friedman lässt sich aus der Tabelle ersehen, dass gerade Artikel über Kinder mit Behinderung und Erziehung im Jahr 1998 dominierende Themen waren, allerdings sind auch dies die beiden Themenbereiche, die die größten negativen Differenzen im Vergleich mit 2002 aufweisen. Das Jahr 2002 bestimmen, ähnlich wie auch die Ergebnisse von Yoshida, Wasilewski und Friedman in den 1990er-Jahren zeigten77, Themen wie staatliche Finanzierung von Programmen im Kontext Behinderung oder Kosten des Gesundheitswesens (vgl. Haller 2003, 66). Der Faktor Kosten und Finanzierung schien also im amerikanischen Raum bei der Berichterstattung über das Thema Behinderung eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Die Gefahr einer einseitig auf diese Inhalte fokussierten Berichterstattung könnte darin bestehen, dass behinderte Menschen von den Medienrezipienten in erster Linie als Verursacher von Kosten gesehen werden. Eine ausgeglichene und differenzierte Berichterstattung wäre deshalb hier besonders notwendig.
77
Der Themenbereich Haushalt, Regierungsausgaben und Steuern wurde hier vor allem von Berichten über die Kosten von Programmen für Menschen mit Behinderung dominiert (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 420).
110
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Kinder mit Behinderung Staatliche Finanzierung von Programmen Erziehung – Integration/ Inklusion Zugang zum und Kosten des Gesundheitswesens Einstellungsbezogene Barrieren Erziehung – allgemein Zugang zum Arbeitsmarkt Altern und Alter Zugang zu Freizeit, Erholung und Sport Private Finanzierung von Programmen Zugang zu Verkehrsmitteln Viktimisierung (Verbrechen gegen behinderte Menschen) Gesundheitsversorgung
Haller 1998 N=256 23 % 19 %
Haller 2002 N=483 8% 18 %
Veränderung
17 %
6%
- 11 %
12 %
14 %
+2%
11 %
3%
-8%
10 % 10 % 7% 7%
8% 4% 2% 6%
-2% -6% -5% -1%
7%
9%
+2%
5% 4%
5% 7%
+/- 0 % +3%
4%
6%
+2%
- 15 % -1%
Tabelle 7: Prozentualer Anteil der Themen78 der Berichterstattung im Kontext Behinderung in der amerikanischen Presse nach Haller. Vergleich zweier Untersuchungszeiträume (vgl. Haller 2003, 66ff.). Hervorhebungen der jeweils am stärksten vertretenen Themen und der größten Veränderungen. Insgesamt gab es mit Viktimisierung nur ein Thema, dass innerhalb der Artikel 2002 häufiger vertreten war als 1998 (vgl. Tab. 7). Die vermehrte Berichterstattung über Gewalt gegen Menschen mit Behinderung wird von Haller positiv bewertet. Sie sieht zwar durchaus die Gefahr im Kontext klischeehafter Rollenvorstellungen von Menschen mit Behinderung als arme bemitleidenswerte Opfer (vgl. Kapitel III 3.1.2), trotzdem muss ihrer Meinung nach der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Gewalt gegen behinderte Menschen ein wichtiges 78
Eigene Übersetzung der Begrifflichkeiten ins Deutsche. Es konnten pro Artikel mehrere Themen vergeben werden, weshalb die Gesamtsumme der Prozentwerte über 100 liegt.
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aber oft unbeachtetes Thema ist. Gewalt oder Verbrechen gegen Kinder mit Behinderungen sind im Vergleich zu Kindern ohne Behinderung in Amerika um den Faktor 3,44 erhöht. Dies sollte sich nach Haller auch in der medialen Berichterstattung widerspiegeln (vgl. Haller 2003, 27). Die bereits angesprochene Uneinheitlichkeit der thematischen Untersuchungen im Kontext der medialen Berichterstattung über Behinderung und Menschen mit Behinderung macht ein zusammenfassendes Fazit für diesen Bereich faktisch unmöglich. Auch ein Vergleich mit den Erkenntnissen dieser Untersuchung (vgl. Kapitel V 2) ist ohne dieselben Themenkategorien nicht möglich.
2.4
Sprache
Sprache oder die Bedeutung von Sprache wird im Kontext der sich mit Behinderung beschäftigenden Fachwissenschaften häufig diskutiert. Teilweise wird der Sonder- und Heilpädagogik ein zu stark euphemisierender sprachlicher Umgang vorgeworfen, der die Personen, deren eigentliche Einschränkungen und die dahinterstehenden Probleme verschleiert (vgl. Barsch/Bendokat 2002, 455). Auch wenn politisch korrekte Sprache im Umgang mit Behinderung sicherlich kontrovers gesehen werden kann, bleibt Sprache ein wichtiges Ausdrucksmittel von gesellschaftlicher Akzeptanz oder auch gesellschaftlicher Diskriminierung (vgl. Schwendter 1988, 40ff.), obwohl bis jetzt keine konkreten Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung und der dahinterstehenden Sprache gefunden wurden (vgl. Auslander/Gold 1999a, 1397). Innerhalb dieses Kapitels soll es vor allem um die für Personen mit Behinderung in den Medien verwendeten sprachlichen Konstrukte gehen. Die Schwierigkeit der Darstellung liegt in den zum Teil sehr unterschiedlichen Kategorien, die in den jeweiligen Analysen verwendet wurden. Grundsätzlich lassen sich sprachliche Ausdrücke mit und ohne Verwendung des Behinderungsbegriffes unterscheiden. Da im deutschsprachigen Raum dazu keine Forschungsergebnisse vorliegen, sind nachfolgend nur internationale Publikationen berücksichtigt. Tabelle 8 zeigt einen Überblick über personenbezeichnende Begrifflichkeiten unter Verwendung des Terminus „disability“ in verschiedenen Formen. Dabei würde „the disabled“ am ehesten79 dem Begriff „der Behinderte“, „disabled per79
Wie bereits im Kapitel I 2.2 besprochen ist eine genaue Übersetzung des Terminus „disability“ nicht möglich. Eine sprachkulturell und etymologisch gleichbedeutende Entsprechung im deutschsprachigen Raum existiert nicht. Um überhaupt eine Vergleichbarkeit für die spätere Auswertung zu schaffen, wurde „disability“ analog zur deutschen Fassung der ICIDH von 1990 (vgl. Matthesius/Leistner 1990) und der ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005) mit „Behinderung“ und nicht wie bei der deutschen Version der ICIDH von 1995 mit „Fähigkeitsstörung“ (vgl. Matthesius 1995) übersetzt.
112
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
son“ dem Ausdruck „behinderte Person“ und die Konstruktion „person with disability“ analog „Person mit Behinderung“ entsprechen. Bei der überblicksartigen Zusammenstellung der Ergebnisse werden auch Forschungsvorhaben berücksichtigt, die in der vorher gemachten Aufstellung (vgl. Tab. 6) aus genannten Gründen (vgl. Kapitel III 1) fehlen. The disabled Haller/Dorries/Rahn 1990 N=140; Z=398 Haller/Dorries/Rahn 1995 N=224; Z=532 Auslander/Gold 1998 Kanada N=224 Israel N= 203 Haller 1998 N=256 Dajani 1999 N=41; Z=119 Haller/Dorries/Rahn 2000 N=186; Z=508 Haller 2002 N=483
15,6 %
Disabled person 24,1 %
Person with disability 8,0 %
25,8 %
24,2 %
8,5 %
16,5 %80 24,1 %80 15 % 25,2 %
19,6 %81 36,0 %81 Nicht katego24,5 % risiert 22,7 % 17,6 %
16,7 %
28,0 %
16,1 %
17 %
Nicht kategorisiert
25,0 %
Tabelle 8: Prozentualer Anteil (eigene Berechnung) unterschiedlicher sprachlicher Konstruktionen mit Behinderungsbegriff zur Beschreibung von Personen mit Behinderung in den Medien.82
80 81 82
In beiden Fällen beinhaltet dieser Anteil auch den Begriff „the handicapped“. In der Publikation wurden die Termini „people with disabilities“ und „disabled people“ zusammengefasst. Kleinste codierte Einheit ist dabei entweder die sprachliche Konstruktion an sich (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006; Dajani 2001, 205) oder der gesamte Text (vgl. Haller 2003, 69; Auslander/Gold 1999a, 1398; Haller 1999), wobei N die Gesamtzahl der Texte und Z die Zahl aller gefundenen sprachlichen Ausdrücke angibt. Auch andere sprachliche Konstruktionen ohne Verwendung der Begriffe „disability“ oder „disabled“ fanden zum Teil in der Untersuchung Berücksichtigung, weshalb die Addition der Werte in den Zeilen nicht notwendigerweise 100 % ergibt.
2 Quantitäten
113
Die Ergebnisse zeigen sich zum Teil sehr heterogen, was klare Aussagen schwierig macht. Auch die kaum einheitliche Kategorisierung erschwert eine Auswertung. Trotzdem scheint eindeutig, dass sich die Begriffskonstruktion „person with disability“ innerhalb der Presse in den letzten Jahren stärker durchsetzt. War der Anteil zu Beginn und Mitte der 90er-Jahre noch sehr gering, ist je nach Studie eine anteilige Verdoppelung (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006; Dajani 2001) oder Verdreifachung des Gebrauchs dieser Begriffskonstruktion festzustellen (vgl. Haller 2003). Diese Entwicklung hat jedoch offensichtlich wenig Einfluss auf die Verwendung der Substantivierung „the disabled“, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichen Untersuchungen relativ konstant Verwendung fand. In der Publikation von Dajani ist „the disabled“ sogar der von der Presse am häufigsten verwendete Begriff (vgl. Dajani 2001). Auch in der im Überblick (vgl. Tab. 6) erwähnten Studie von Adam, Nikolic und Milincic wird ebenfalls die Substantivierung „invalidi“ („the disabled“ oder „der Behinderte“) als am häufigsten verwendete Begriff ausgemacht, leider werden dazu keine absoluten oder prozentualen Angaben angegeben (vgl. Adams 2008, 11). Generell wird die Verwendung der Substantivierung sowohl im fachwissenschaftlichen Kontext (Gröschke 1998, 365; Speck 2005, 48; Speck 2003, 54) als auch durch behinderte Menschen selbst (vgl. Radtke 2006, 126; Radtke 2003a, 8; Radtke 2003b, 5; Radtke 1995, 93f.) negativ gesehen, da es die Person ausschließlich auf ihre Behinderung reduziert und diese Generalisierung die Gefahr der Stigmatisierung in sich birgt. Bevorzugt wird deshalb die Verwendung der Termini „behinderter Mensch“ oder „Mensch mit Behinderung“ (vgl. Cloerkes 2007, 8). Aus journalistischer Sicht könnte die platzraubende und umständliche Formulierung „Person oder Mensch mit Behinderung“ („person with disability“) (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006, 70) unabhängig von der Bekanntheit der Problematik ein Grund dafür sein, dass sich diese Begriffskonstruktion nach diesen Ergebnissen im Vergleich zur Substantivierung noch nicht endgültig durchgesetzt hat, auch wenn sich im Vergleich zu den 90er-Jahren klare Veränderungen ergeben haben. Allerdings gibt es im deutschen wie auch englischen Sprachraum Kritik an der Bezeichnung „person with disability“ beziehungsweise „Person oder Mensch mit Behinderung“.83 83
Der deutsche Publizist und Mitgründer der sogenannten Krüppelbewegung Franz Christoph sieht in dieser sprachlichen Konstruktion eher die Doppelmoral der Gesellschaft, um sich nicht mit anderen Wertevorstellungen auseinandersetzen zu müssen (vgl. Christoph 1990, 117f.). „Der Behinderte war nun kein Behinderter mehr, sondern ‚auch Mensch’, ein ‚trotzdem und dennoch Mensch’“ (Christoph 1990, 117). Auch der englische Wissenschaftler Colin Barnes wehrt sich gegen die Begrifflichkeit. Für ihn beschreibt „people with disabilities“, dass die Behinderung „Eigentum“ des Individuums ist und das Verständnis so nahe am medizinischen Modell liegt. Soziale und gesellschaftliche Aspekte finden in dieser Terminologie keinen Ausdruck (vgl. Barnes 1992, 20). Die Formulierung „behinderte Person“ könnte man im Gegensatz
114
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Die Untersuchung der sprachlichen Konstruktionen zur Beschreibung der Personen, die den Begriff „disabled“ in keiner Variante enthielten, waren so verschieden84, dass sich keine verbindende einheitliche Darstellung der Ergebnisse finden ließ.85 Auffällig bei der Betrachtung war, dass der im englischen Sprachraum ungeliebte Terminus „handicapped“86 in den untersuchten Presseerzeugnissen immer weniger gebraucht wurde. Die unspezifische Verwendung sank von 17,6 % im Jahr 1990 auf nur noch 8,5 % im Jahr 2000 (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006, 69), in einer weiteren Untersuchung im Vergleich von
84
85 86
dazu sowohl personenorientiert (der Mensch ist behindert) als auch sozial (der Mensch wird behindert) interpretieren. Auch davon abweichende Argumentationen stellen sich gegen die Bezeichnung „person with disability“. So kritisiert zum Beispiel die Kanadierin Tanya Titchkosky, die aus ihrer Sicht nicht ausreichende Verbindung zwischen Person und Behinderung durch den Begriff „person with disability“. Für sie ist Identität etwas, das unmittelbar aus dem Körper einer Person erwächst und als Teil der Person gesehen werden sollte. Sie verwendet deshalb durchgängig den Terminus „disabled person“, um diese Zugehörigkeit zu verdeutlichen (vgl. Titchkosky 2003, 24). Eine Schlussfolgerung, die zumindest einen Teil dieser Ausführungen auf den Punkt bringen könnte, ist eine Aussage des mittlerweile verstorbenen behinderten Soziologen und Erstherausgebers der „Disability Studies Quarterly“ Irving Zola: „I wish to be recognized, by the world, as a ‚person with a disability’. But I am proud to be a ‚disabled person’” (Johnson 1994, 29). Auslander und Gold kategorisierten im Kontext personaler Beschreibungen die Begriffe „patient”, „victim” sowie „other inappropiate terms”; Haller, Dorries und Rahn die Begriffe „handicapped”, „cripple”, „crippled” und „disability”, Haller und Dajani „amputee”, „blind”, „crippled”, „deaf”, „handicapped”, „physically challenged”, „retarded”, „victim”, „mentally ill” und „quadra(or para)plegic”. Für diese Untersuchung wurde deshalb eine eigene Kategorisierung der Begriffskonstruktionen ohne den Wortbestandteil „Behinderung“ vorgenommen (vgl. Anhang 2.5). Johnson führt unterschiedliche Ursachen an, warum der Begriff „handicapped“ von vielen Personen oder Organisationen abgelehnt wird. Dafür werden unter anderem etymologische Gründe aufgezählt. Es könnten Zusammenhänge zwischen „cap in hand“ (zu Deutsch: gehorsam, demütig, unterwürfig) oder „to go cap in hand“ (zu Deutsch: betteln) bestehen, was allerdings sprachhistorisch nicht wirklich geklärt zu sein scheint. Gesicherter ist der Zusammenhang von „handicapped“ und einem Wettspiel genannt „hand in cap“ aus dem 14. Jahrhundert. Das dabei zugrunde liegende Konzept des Ausgleichens wurde Ende des 17. Jahrhunderts auf Pferderennen übertragen (vgl. Johnson 1994, 27). Aufbauend auf diesem Konzept dient das Nomen im Sport oder bei anderen Wettbewerben der Beschreibung einer Benachteiligung von Überlegenen oder einem Nachteilsausgleich zum Abgleichen der Chancen. Dies erfolgt zum Beispiel durch einen Zeitvorsprung für den vermeintlich Unterlegenen oder beim Autorennen durch Zusatzgewichte bei den überlegenen Fahrzeugen (vgl. Random House Inc. 2006). Ein weiterer und nach Ansicht von Johnson viel wichtiger Grund für die Ablehnung liegt in der Tatsache, dass es sich bei dem Begriff „handicapped“ um einen von außen, also von externen Instanzen auferlegten Terminus handelte. Interessanterweise wehrten sich die Interessengruppen vor allem gegen die soziale Prägung des Begriffes, der behinderte Menschen als Personen kennzeichnete, welche in der Gesellschaft nicht funktionieren. Dabei weist Johnson ausdrücklich daraufhin, dass man auch genau gegenteilig argumentieren und so auch durch den Begriff ausdrücken könnte, dass nicht ein physischer Zustand, sondern die Unterdrückung durch die Gesellschaft für die Behinderung verantwortlich wäre (Johnson 1994, 29).
2 Quantitäten
115
1998 zum Jahr 2002 von 10 % auf nur noch 6 % (vgl. Haller 2003, 69). Bei Dajani hatte der Begriff 1999 bereits nur einen Anteil von 7,6 % (vgl. Dajani 2001, 205). Der ebenfalls kategorisierte Begriff „cripple“ fand auch als Adjektiv „crippled“ kaum noch Verwendung (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006, 69; Dajani 2001, 205). Betrachtet man Fazit und Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen stellen die Autoren Verschiedenes heraus. Haller, Dorries und Rahn sehen insgesamt die Verwendung diskriminierender und unpassender Termini rückläufig und ziehen ein verhalten positives Fazit für die Zukunft: „This study offers no definitive proof that the media are beginning to understand disability rights and disability terminology, but the trends found do indicate that their labeling of people with disabilities has improved” (Haller/Dorries/Rahn 2006, 72).
Auch Dajani zieht eigentlich ein positives Fazit bezüglich der verwendeten Sprache in den Artikeln des untersuchten Mediums. Insgesamt werden relativ wenig diskriminierende oder stigmatisierende Begrifflichkeiten87 gebraucht (vgl. Dajani 2001, 207). Das Fazit von Auslander und Gold fällt klar negativer aus: „The fact that more than half of the articles included in the study used language that is clearly insensitive or disabling highlights how far we are from achieving a norm of sensitive, appropriate language with regard to the people with disabilities” (Auslander/Gold 1999a, 1402).
Deren Untersuchung zeigt auch teilweise Zusammenhänge zwischen textlichem Inhalt und der angewandten Sprache. Die Termini waren zum Beispiel positiver, wenn es sich bei der Person um ein Kind mit Behinderung handelte. Eher negative Begrifflichkeiten wurden vor allem dann verwendet, wenn sich der Artikel mit Gruppen oder Organisationen auseinandersetzte (vgl. Auslander/Gold 1999a, 1403). Die Schwierigkeit in der Betrachtung der Sprache liegt vor allem in den nicht geklärten Zusammenhängen zwischen innerer Haltung und bestimmten Begrifflichkeiten sowie dem unklaren Einfluss auf mögliche Rezipienten. Abschließend festzustellen bleibt auch, dass die gebrauchten Termini sehr inkonstant und unterschiedlich sind. Ein einheitlicher Gebrauch für Menschen mit Behinderung in den Medien hat sich weder in einem positiv noch negativ zu 87
Der Vergleich der in der Untersuchung betrachteten allgemeinen Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP) mit der Agentur „The Disability News Service“ (DNS) zeigt allerdings eine wesentlich häufigere Verwendung diskriminierender Begrifflichkeiten auf Seiten der AP. Der DNS verwendet fast ausschließlich „People First“-Begriffe, also Konstruktionen wie „person with disability“ oder „individuals with disabilites“ etc. (vgl. Dajani 2001, 207).
116
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
bewertenden Sinn durchgesetzt. Wesentliche Erkenntnisse dieser Vorabbetrachtung sollen im Auswertungsteil (vgl. Kapitel V 6.2) aufgegriffen werden.
2.5
Behinderungsarten
In diesem Kapitel sollen Erkenntnisse über die Häufigkeit der Thematisierung bestimmter Formen oder Arten von Behinderung oder Einschränkung in der Presse thematisiert werden. Im Kontext der Medienwirkungstheorien (vgl. Kapitel I 1.4) spielt die Häufigkeit medialer Repräsentation eine wichtige Rolle. Die Betrachtungen geben Aufschlüsse, welche Arten von Behinderung medial am häufigsten präsent sind und in der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Wie bereits durch die vorherigen Kapitel deutlich wurde, gibt es auch hier kaum (aktuelle) Erkenntnisse im deutschsprachigen Raum. Eine qualitative Auswertung von 14 Artikeln bei Galehr ergab, dass am häufigsten Personen mit körperlichen Einschränkungen oder Behinderungen (6 Fälle) Gegenstand der Berichterstattung waren. Jeweils zwei Artikel widmeten sich psychischen Krankheiten und geistiger Behinderung. Sehbehinderung und Gehörlosigkeit wurde in jeweils einem Artikel thematisiert (vgl. Galehr 2005). Trotz der sehr kleinen Stichprobe und des großen zeitlichen Abstandes zeigen sich ähnliche Tendenzen wie in der Studie von Bintig. Bintig fand heraus, dass sich 51,4 % der untersuchten Artikel mit körperlich behinderten Menschen88, 14,4 % mit Sinnesbehinderungen89, 6,0 % mit sozialen Behinderungen90 und 5,1 % mit geistiger Behinderung91 auseinandersetzten. Mehrfachbehinderungen92, bei denen keine Einschränkung als primär angesehen werden konnte, waren bei 8,7 % der Artikel präsent. Für die restlichen Artikel konnte keine Behinderungsform kategorisiert werden oder der Artikel setzte sich mit mehreren Formen auseinander. Trotz der Dominanz von körperbehinderten 88 89 90
91 92
Die Kategorie definiert Körperbehinderung als „Defekte des Bewegungs- und Stützapparats oder der inneren Organe“ (vgl. Bintig 1984b, 2). Hierunter versteht Bintig jegliche Defekte der Sinnesorgane. Es können Augen, Ohren, Tastund Geschmacksorgane betroffen sein (vgl. Bintig 1984b, 2). Soziale Behinderung dient in der Codierung von Bintig als Restkategorie für die Bereiche Verhaltensauffälligkeit, Sprach- und Lernbehinderung sowie Suchtkrankheiten oder „Geisteskranke“ (Bintig 1984b, 2). Unter geistiger Behinderung wird eine erbliche Intelligenzminderung verstanden (vgl. Bintig 1984b, 2). Mehrfachbehinderung wurde dann kategorisiert, wenn die Person mehrere Beeinträchtigungen aus unterschiedlichen Kategorien hatte. Allerdings ist die Zuweisung zu dieser Kategorie uneindeutig. So wäre ein Rollstuhlfahrer mit Hörgerät bei Bintig unter Körperbehinderung kategorisiert worden, ein blinder Rollstuhlfahrer aber unter Mehrfachbehinderung (vgl. Bintig 1984b, 2).
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Menschen innerhalb der Berichterstattung sieht Bintig sie innerhalb der Medien unter Bezugnahme auf die damalige Verteilung körperlicher Einschränkung in der Bevölkerung unterrepräsentiert. Alle anderen Behinderungsarten sind nach Bintig medial überrepräsentiert, da es häufiger Artikel über sie gab, als es die tatsächliche Verteilung innerhalb der Bevölkerung suggerieren würde (vgl. Bintig 1984a, 210). Im Gegensatz zu anderen Medien93 halten sich hier aber die Unterschiede zwischen medialer Präsenz und tatsächlicher Verteilung durchaus in Bereichen, die kein komplett unrealistisches Bild zeichnen und deshalb nicht überinterpretiert werden sollten. Eine fehlende einheitliche Systematik94 innerhalb der Untersuchungen im nordamerikanischen Raum erschwert eine gemeinsame vergleichende Darstellung. Tendenziell scheint unabhängig von den untersuchten Zeiträumen und Printerzeugnissen auch in diesem Sprachraum Körperbehinderung oder physische Einschränkung medial am stärksten präsent zu sein. Die Anteile liegen hier bei 20,7 % (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 422) beziehungsweise 27 % (vgl. Keller et al. 1990) bei den amerikanischen und 67,4 % bei den kanadischen Tageszeitungen (vgl. Auslander/Gold 1999b, 423). Aus den Untersuchungen von Haller lassen sich leider keine Rückschlüsse auf die genaue Anzahl der Artikel, die sich mit körperlichen Einschränkungen auseinandersetzen, ziehen. Weder in der Untersuchung von 1998 (vgl. Haller 1999) noch von 2002 (vgl. Haller 2003, 65) wurde eine dafür geeignete Kategorisierung getroffen. „Mental Retardation“, also geistige Behinderung spielte als Thematik in amerikanischen Zeitungen mit einem Anteil von 28,2 % in den Jahren 1986/87 (vgl. Yoshida/Wasilewski/ Friedman 1990, 422), 13 % im Jahr 1987 (vgl. Keller et al. 1990, 275), 12 % im 93
94
Untersuchungen zeigen, dass im Medium Film Sinnesbehinderungen ähnlich häufig thematisiert werden wie Körperbehinderungen (vgl. Bartmann 2002, 87) oder sogar die dominante Einschränkungsform (vgl. Degenhardt 1999, 69) sind. Die älteste betrachtete Untersuchung von Yoshida, Wasilewski und Friedman (vgl. Tab. 6) kategorisiert „hard of hearing/deaf“, „deaf or blind“, „emotionally disturbed“, „learning disabled“, „mentally retarded“, „multiply handicapped“, „orthopedically impaired“, „other health impaired“, „visually handicapped”, „handicapped“, „partners of persons with handicapping conditions“ und „nonhandicapped“ (Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 422). Keller et al. (vgl. Tab. 6) teilen in „physically disabled“, „mentally retarded“, „handicapped“, „disabled“, „learning disabilites“, „behavior disorder“, „visually impaired“, „hearing impaired“, „special education“, „mentally disordered“, „speech and language disordered“, „Special Olympics“ und „developmental disabilities“ (Keller et al. 1990, 275) ein. Auslander und Gold (vgl. Tab. 6) kategorisieren 4 Arten von Behinderung: „physical“, „developmental“, „psychatric“, „combination“ (Auslander/Gold 1999b, 423). Bei der insgesamt 33 Kategorien umfassenden Untersuchung von Haller werden folgende Kategorien in der Ergebnisdarstellung berücksichtigt: „general“, „learning disability/dislexia“, „mobility impairment that requires wheelchair use“, „mental retardation/developmental disabilities“, „major mental illness“, „blind/partially sighted“, „deaf/hearing impairment“, „cerebral palsy“, „autism“, „Multiple Sclerosis“ und „AIDS“ (Haller 2003, 65).
118
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Jahr 1998 (vgl. Haller 1999; Haller 2003, 65) und 8 % im Jahr 2002 (Haller 2003, 65) innerhalb der Berichterstattung eine relativ große Rolle, auch wenn es im Jahr 2002 wahrnehmbar weniger Artikel darüber gab. Im Gegensatz dazu kam der sogenannten „learning disability“ oder auch spezifischen mit dem Lernen assoziierten Einschränkungen eine wachsende Aufmerksamkeit zu. In den späten 80erJahren mit nur 2,1 % (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 422) beziehungsweise 4 % noch wenig beachtet (vgl. Keller et al. 1990, 65), steigerte sich der Umfang der Berichterstattung zu dieser Thematik 1998 auf 14 % (vgl. Haller 1999; Haller 2003, 65) und ging dann 2002 auf 8 % zurück (vgl. Haller 2003, 65).95 Trotz dieses Rückgangs scheint der Themenbereich innerhalb der amerikanischen Presse in neuerer Zeit mehr Aufmerksamkeit zuteil zu werden. Inwieweit der Einbezug von Nachrichtenmagazinen in der Untersuchung bei Haller diese Verteilung beeinflussen oder verändern mag, kann an dieser Stelle leider nicht geklärt werden. Die Menge der Berichterstattungen im Kontext von Sinnesbehinderungen schien konstant zu bleiben. Die Kategorien „blind“, „visually impaired“ oder „visually handicapped“ machten zwischen ca. 7 % in den Jahren 1986/1987 und 1998 (vgl. Keller et al. 1990, 275; Haller 2003, 65; Yoshida/Wasilewski/ Friedman 1990, 422) und 8 % im Jahr 2002 (vgl. Haller 2003, 65) der Berichterstattung aus, „deaf“ oder „hearing impaired“ zwischen 4 % im Jahr 2002 und 7 % im Jahr 1998 (vgl. Haller 2003, 65). Hier stellen lediglich die 11 % der Untersuchung von Yoshida, Wasilewski und Friedman (vgl. ebd., 422) eine größere Abweichung im Vergleich zu den anderen Ergebnissen dar. Ähnlich wie auch die Analysen im deutschsprachigen Raum zeigen, scheinen körperliche Einschränkungen insgesamt auch im nordamerikanischen Raum medial am präsentesten zu sein. Hervorzuheben ist die relativ umfangreiche Berichterstattung zu Einschränkungen, die im weitesten Sinne kognitive Bereiche betreffen wie „learning disabilities“, aber vor allem „mental retardation“ (geistige Behinderung) in der amerikanischen Presse, im Gegensatz zu den vorgestellten Untersuchungen im deutschen Sprachraum. Allerdings sei hier auch auf die begrenzte Aussagekraft der Untersuchungen von Bintig und Galehr hingewiesen. Sowohl der lang zurückliegende Untersuchungszeitraum von Bintig als auch die sehr kleine Stichprobe von Galehr (vgl. Tab. 6 in Kapitel III 1) könnten Erklärungen für diese Unterschiede bieten.
95
„Learning disabilites“ waren damit hinter der Kategorie „general“ die am zweithäufigsten thematisierte Kategorie (vgl. Haller 1999).
2 Quantitäten
2.6
119
Ursachen der Behinderung oder Einschränkung
Neben der Häufigkeit der Thematisierung bestimmter Arten von Behinderungen werden innerhalb zwei in Tabelle 5 und 6 aufgelisteter Forschungsvorhaben auch die von den Medien vermittelten Ursachen einer Einschränkung oder Behinderung erfasst. Bintig versuchte mit Hilfe von statistischen Erhebungen über Ursachen von Behinderung und Einschränkung im Deutschland der damaligen Zeit zu ergründen, inwieweit die Darstellungsmuster der untersuchten Publikumszeitschriften der Realität entsprachen (vgl. Bintig 1984a, 212). Bei Auslander und Gold lag der Fokus eher auf einer Analyse von Zusammenhängen zwischen der Ursache der Behinderung und anderen Faktoren der Berichterstattung, wie Terminologie oder Schwerpunkt des Artikels (vgl. Auslander/Gold 1999b, 426). In der Untersuchung von Bintig waren die medial beschriebenen Ursachen von Behinderung in vielen Bereichen gleichmäßig verteilt. Angeborene Behinderungen machten 27,6 %, und durch Krankheit erworbene Einschränkungen 27,8 % der Berichterstattung aus. Es folgten 20,7 % Berichte, bei denen Unfälle die Ursache von Behinderung waren, 4,7 % setzten sich mit Kriegsbeschädigung auseinander und alle anderen Gründe wurden mit 19,2 % unter sonstige Ursachen zusammengefasst (vgl. Bintig 1984a, 212). Im Vergleich zur offiziellen Statistik über die Ursachen von Einschränkungen und Behinderungen in Deutschland aus dem Jahr 1982 stellte Bintig eine Unterrepräsentation von durch Krankheit erworbene Behinderung und eine Überrepräsentation der angeborenen (acht Mal mehr Berichte als relativer Anteil an der Gesamtpopulation) und durch Unfall erworbenen Einschränkungen (zwölf Mal mehr Berichte als relativer Anteil an der Gesamtpopulation) fest (vgl. Bintig 1984a, 212). Da es sich bei Unfällen grundsätzlich um nachrichtenrelevante Ereignisse handelt und für die betroffenen Personen daraus resultierende Einschränkungen nicht unwahrscheinlich sind, überrascht vor allem letzteres Ergebnis der Untersuchung nicht. Auch Auslander und Gold untersuchten die durch die Presse vermittelte Ursache von Einschränkungen in ihrem Kategoriensystem. Bei den insgesamt 230 Artikeln, die in diesem Bereich in israelischen und kanadischen Zeitungen kategorisiert wurden, war bei 31 % der Grund von Behinderung eine erworbene Krankheit, bei 28 % war die Ursache angeboren, 22 % der betrachteten Einschränkungen gingen auf einen Behandlungsfehler zurück, 15 % wurden durch einen Unfall oder ein Verbrechen verursacht und 4 % konnten keiner der vorherigen Kategorien zugeordnet werden (vgl. Auslander/Gold 1999b, 423). Der hohe Anteil an der Kategorie ‚Behandlungsfehler’ ging auf einen Skandal mit verunreinigten Blutkonserven in Kanada während des Untersuchungszeitraums zurück (vgl. Auslander/Gold 1999b, 427). Ansonsten wäre hier der Anteil wohl geringer ausgefallen. Auslander und Gold fanden auch heraus, dass es Zusam-
120
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
menhänge zwischen der in den Medien gebrauchten Sprache und der Entstehungsursache für Behinderung gab. Gefühllose („insensitive“) Sprache wurde am ehesten gebraucht, wenn der Grund der Einschränkung in einer Krankheit lag oder extern durch Gewalt oder Unfälle verursacht wurde. Hingegen wurde in den Artikeln im Kontext angeborener Behinderungen wesentlich stärker auf die Sprache geachtet. Die Autoren sehen darin ein Zeichen größerer Sympathie für Menschen, die „unschuldig“ an ihrer Situation sind (vgl. Auslander/Gold 1999b, 429). Vielleicht liegt der Grund aber auch einfach nur im Versuch der Presse, die Situation der Menschen, die ihre Einschränkung erst im Laufe des Lebens erworben haben, für den Rezipienten zusätzlich mit Hilfe sprachlicher Mittel zu dramatisieren. Abschließend klären lässt sich dieser Sachverhalt hier nicht. Dies liegt auch am Fehlen einer genaueren Bedeutungsbestimmung von „gefühlloser“ oder „achtsam gebrauchter“ Sprache durch die Autoren. Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Datenbasis in diesem Bereich äußerst gering ist. Zudem kann man konstatieren, dass beide Studien aufgrund verschiedener Untersuchungsgegenstände, des sehr unterschiedlichen Analysezeitraums und auch der kulturellen Hintergründe nicht vergleichbar sind. Trotzdem ergeben sich Parallelen bezüglich des Anteils an angeborenen Behinderungen beziehungsweise durch Krankheit erworbenen Einschränkungen in beiden Publikationen. Eine Untersuchung des von Auslander und Gold postulierten Zusammenhangs zwischen Sprache und Auftretenszeitpunkt einer Einschränkung ist aufgrund der begrifflichen Unklarheiten in der Darstellung beider Autoren innerhalb dieser Untersuchung leider nicht möglich.
2.7
Zusätzliche Aspekte und Zusammenfassung
Die vorgestellten Quantitäten der einzelnen bereits durchgeführten Forschungsvorhaben greifen nur einen Teil aller tatsächlich untersuchten Dimensionen auf. So liegen die Schwerpunkte der in den Tabellen 5 und 6 vorgestellten Untersuchungen in zum Teil sehr unterschiedlichen Bereichen oder sind zu umfangreich, um einen größeren Teil der Ergebnisse innerhalb dieses Überblicks thematisieren zu können. Die Ausführungen haben sich vor allem auf Bereiche beschränkt, die in mehr als einem der betrachteten Artikel oder Forschungsvorhaben thematisiert wurden. Zusätzliche Aspekte, wie zum Beispiel geschlechtsspezifische Unterschiede in der Darstellung (vgl. Gold/Auslander 1999a), Quelle der im Artikel beschriebenen Inhalte (vgl. Haller 2003, 70), sozioökonomischen und demographische Informationen (vgl. Bintig 1984a, 214ff.) oder die vermittelte Definition beziehungsweise das Verständnis von Behinderung (vgl. Bintig 1984a, 213) werden wenn relevant im Ergebnisteil aufgegriffen.
3 Qualitäten
3
121
Qualitäten
Bei der Betrachtung der Qualitäten in diesem Kapitel soll es vor allem um größere, nicht mehr rein durch Zahlen auszudrückende Konstrukte gehen, die im Rahmen der Auswertung innerhalb der Ausführungen eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird grundsätzlich zwischen der medialen Beschreibung der Individuen (vgl. Kapitel III 3.1) und den Kontexten beziehungsweise Arten von bestimmten Darstellungsmustern auf der Ebene der Artikel (vgl. Kapitel III 3.2) unterschieden. Es geht also um die Rolle der Person an sich und um die Art, Funktion oder Rolle des Artikels. Dabei muss der Artikel nicht notwendigerweise konkrete Individuen thematisieren. Inwieweit die Basis der vorgestellten Konstrukte nur assoziativ ist oder strengen empirischen Grundsätzen genügt, soll dabei zunächst keine Rolle spielen. Zum Teil werden einzelne Konstrukte durch quantitative Daten gestützt, allerdings würden diese streng genommen nie ausreichen, um die einzelnen qualitativen Kategorien in ihrer Gänze zu erfassen. Innerhalb der nachfolgenden Beschreibungen finden auch explizit Erkenntnisse aus der Betrachtung von Menschen mit Behinderung im Kontext weiterer Massenmedien jenseits der Presse Beachtung.
3.1
Rollenklischees
Die nachfolgend diskutierten und vorgestellten Rollenklischees oder auch stereotypen Darstellungsformen von Menschen mit Behinderung stützten sich im Wesentlichen auf Ansätze aus der amerikanischen Forschung, die auf einem Aufsatz von Biklen und Bogdana basieren (vgl. Nelson 1994a, 4; Barnes 1992, 6). Die dabei verwendeten Termini wurden eingedeutscht.96 In der Annahme der Autoren sind viele der vorgestellten Rollenklischees nicht erst Produkte der Massenmedien, sondern haben sich im gesellschaftlichen Bewusstsein durch Geschichten, Mythen, die Weitergabe von Vorurteilen oder aus dem in unserer Kultur verbreiteten christlichen Glauben entwickelt (vgl. Barnes 1992, 5). Man könnte sie also als Produkte der kulturgeschichtlichen oder medienhistorischen Entwick-
96
Die bewusst provokanten und verabsolutierenden Begriffe sollen dabei den durch die Originalautoren zum Ausdruck gebrachten negativen Charakter dieser Klischees unterstreichen. Die dargestellten Autoren lassen sich der sogenannten „negative-image school“ zuordnen, die Zusammenhänge zwischen medialen Repräsentationen in Historie und Gegenwart und den Einstellungen gegenüber behinderten Menschen in einer Gesellschaft sehen (vgl. Mitchell/Snyder 2000, 17ff.). Die Ansätze und Sichtweisen sollten keinesfalls grundsätzlich generalisiert werden, sie bilden aber eine mögliche Grundlage für Analysen.
122
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
lung bis in unsere Zeit sehen.97 Für die Medien, insbesondere die Massenmedien, besteht durch ihre Kommunikationsfunktion die Möglichkeit, diese klischeehaften Vorstellungen weiter zu transportieren oder langfristig durch andere Ansätze zu ersetzen. In enger Verknüpfung mit den beschriebenen Stereotypen stehen auch die in Kapitel I 2.3 erwähnten Handlungsmuster als mögliche Reaktionen auf ein bestimmtes Rollenklischee oder eine typische Vorstellung. In diesem Teil der Arbeit werden die Rollenklischee zunächst auf Basis verschiedener Publikationen vorgestellt. Im Ergebnisteil der Arbeit (vgl. Kapitel VI 1) erfolgt eine Betrachtung, inwieweit sich diese Darstellungsmuster tatsächlich innerhalb der deutschen Presse finden. Hier wird auch versucht archetypische Artikel für derartige Rollenbeispiele zu identifizieren und näher zu beleuchten.
3.1.1
Der Bedauerns- und Bemitleidenswerte
Die klischeehafte Darstellung der „disabled person as pitiable and pathetic“ beschreibt Personen mit Behinderung als von der Gesellschaft abhängige und bemitleidenswerte Individuen (Elliot 1994, 76; Nelson 1994a, 5; Barnes 1992, 7). Ein tragisches Schicksal wird dabei in der Regel betont. Der unmittelbare Impuls und die Aufforderung an die Rezipienten ergeht direkt oder indirekt, indem sie zum Beispiel ihren Ausdruck in der vorgelebten oder beschriebenen karitativen Handlung findet. Durch Spenden können sich die Mitglieder der Gesellschaft besser fühlen. Es wird ihnen die Möglichkeit gegeben, sich großzügig zu zeigen, um sich auch selbst etwas Gutes zu tun. Nach Kobi erfolgt eine Befreiung von einer religiösen Bedürfnisspannung durch in der Regel anonyme Hilfe (vgl. Kobi 1981, 12f.). Für die Darstellung oder Berichterstattung kennzeichnend sind weiter die Verwendung sehr emotionaler Begrifflichkeiten wie „mutig“, „tapfer“, „heldenhaft“, aber auch der Termini „Unglück“ oder „Opfer“ (vgl. Barnes 1992, 8). Menschen mit Behinderung sind hier Objekte von Mitleid. Beispielhafte mediale Repräsentation dieses Klischees wären Spendengalas im Fernsehen (vgl. Nelson 1994a, 5) oder Spendenaufrufe in Zeitungen, aber auch die Werbung für karitative Organisationen kann in diese Richtung klischeehafte Vorstellungen der Personen mit Behinderung vermitteln (vgl. Barnes 1992, 9). Nach Elliot ist in dem Spannungsfeld zu beachten, dass sicherlich einige Menschen mit Einschränkungen von anderen extrem abhängig sind. Dies gilt aber keineswegs für alle behinderten Menschen. Rezipienten und Mediennutzer nehmen dies allerdings so war, weil zumeist über Selbstständigkeit und positive Entwicklungen, nach Elliots Auffassung, in diesem Rah97
Weiterführendes im Kontext medienhistorischer und kulturgeschichtlicher Betrachtungen von Behinderung im deutschsprachigen Raum liefern Aufsätze und eine Monographie von Mürner (vgl. Mürner 2003b; Mürner 2002a; Mürner 2002b; Mürner 2002c) .
123
3 Qualitäten
men nicht berichtet wird (vgl. Elliot 1994, 76). Bintig sieht in einer besonders betonten mitleidvollen Berichterstattung eine sublime Diskriminierung, die in seiner bereits etwas älteren Untersuchung deutscher Publikumszeitschriften fast ein Drittel (32,1 %) derjenigen Texte ausmachte, die als diskriminierend gekennzeichnet wurden (vgl. Bintig 1984a, 221). Auch Adam findet in ihrer Untersuchung der Presse des Balkanraumes ähnliche unter dieses Rollenklischee fallende Darstellungsmuster (vgl. Adams 2008, 33). Eine Möglichkeit, diese stereotype Darstellung zu umgehen, wäre laut Barnes ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nehmen und Geben. Menschen mit Behinderungen sollten nicht ausschließlich als Almosenempfänger dargestellt werden, sondern auch als Spendengeber (vgl. Barnes 1992, 22). 3.1.2
Das Gewaltopfer
Der Zusammenhang von Gewalt und Behinderung ist ein realer und in den Medien oft transportierter Inhalt. Die zum Teil überfrequentive Häufigkeit dieser Darstellungen führt nach Barnes dazu, dass Menschen mit Behinderung als hilflos und abhängig wahrgenommen werden (vgl. Barnes 1992, 10). Kulturhistorisch ist dieses Bild aus unterschiedlichen Gründen tief verwurzelt. In der Geschichte der Menschheit gibt es zahlreiche Belege für Gewalt gegen oder Ermordung von Menschen oder Kindern mit Behinderung. Angefangen bei den antiken Kulturen der Römer und Griechen bis hin zu den unvorstellbaren Verbrechen der Nationalsozialisten im deutschen Reich. Die Motive für Gewalt waren dabei unterschiedlich. Sogar Heilungsmotive sind historisch mit Gewalt verbunden. Belege dafür reichen vom Umgang mit sogenannten „Wechselbälgern“ im Mittelalter bis hinein in die Elektroschocktherapien geistig oder psychisch behinderter Menschen in der Neuzeit (vgl. Petersen 2003, 65). Nach Barnes führt die Abwesenheit einer breiteren Rollenpalette in Medien und Literatur in der Gesellschaft zur Schlussfolgerung, dass behinderte Menschen nicht auf sich selbst aufpassen können und so anfällig für Gewalt sind (vgl. Barnes 1992, 10). Täter oder Bösewichte durch Gewalt gegen behinderte Menschen noch skrupelloser erscheinen zu lassen und so beim Zuschauer durch die vermeintliche doppelte Opferrolle (Opfer von Behinderung und Opfer der Gewalt) noch mehr Mitleid zu erregen, ist zumeist ein bei Filmen (vgl. Bartmann 2002, 135), aber auch in der Nachrichtenberichterstattung bekanntes und genutztes Motiv. Bei der Untersuchung von Yoshida, Wasilewski und Friedman machten Artikel über Verbrechen oder Gewalt gegen Menschen mit Behinderung zwar insgesamt nur 6,4 % der Berichterstattung aus, bei einzelnen Zeitungen ließen sich jedoch Anteile von bis zu 12,5 % (New Orleans Times-Picayune) feststellen (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 421). Nicht notwendigerweise sind
124
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
allerdings alle Berichte über Gewalt gegen behinderte Menschen gleich in irgendeiner Form klischeehaft oder stereotyp. Zudem sieht Haller mehr Berichte über Gewalt gegen Menschen mit Behinderung in der Presse nicht unbedingt negativ, da Gewalt gegen dies Personengruppe im Vergleich zu nichtbehinderten Menschen auch in der Realität überhäufig vorkommt (vgl. Haller 2003, 27).
3.1.3
Der Unheimliche und Böse
Eines der ältesten Vorurteile und damit sicherlich auch eines der mit am weitesten verbreiteten Rollenklischees in den Medien ist das der unheimlichen, bösen und kriminellen Person mit Behinderung. Von der Rolle behinderter Menschen im alten Testament (vgl. Barnes 1992, 11) über die Literatur des Mittelalters (vgl. Radtke 1982, 65) bis zu den Medienmustern der heutigen Zeit (vgl. Nelson 1994a, 6) finden sich viele Varianten der Gleichsetzung von Behinderung und Boshaftigkeit oder Kriminalität. Eine körperliche Auffälligkeit symbolisiert dabei ein gefährliches und geschädigtes Inneres (vgl. Longmore 2001, 2f.; Longmore 1987, 66). Vor allem im Spielfilm wird dieses Rollenklischee immer wieder eingesetzt. Bei einer Untersuchung von Bartmann war jede zehnte behinderte Person, die in einem Spielfilm zu sehen war, ein Bösewicht (vgl. Bartmann 2002, 137). Filmtechnisch macht man sich dabei zunutze, bereits durch die Äußerlichkeiten die Rolle und Funktion der Figur für das Publikum vermeintlich erkennbar zu gestalten. Die vielleicht bekanntesten Beispiele der neueren Filmgeschichte liefert die JamesBond-Reihe, in der beinahe in jeder Episode eine Person mit einer körperlichen Einschränkung oder äußerlichen Auffälligkeit den Bösewicht gibt. Aber nicht nur Filme, sondern auch Berichte in Zeitungen und Magazinen liefern Beispiele für diese stereotype Darstellung. „Newspaper articles sensationalising the connection between intellectual impairments and criminality are common in both the tabloids and the ‚quality’ papers […]. The overall message coming out of these stories is that such people cannot be trusted, are a danger to children and should be locked up” (Barnes 1992, 11).
Unter Betrachtung der Medienwirkungstheorien (vgl. Kapitel I 1.4) hat eine derartige Darstellung sicherlich unmittelbare Auswirkungen auf die gesellschaftliche Rezeption, die damit verbundene Stellung und somit auch auf den Alltag so beschriebener Personengruppen. Wirft man einen Blick auf die quantitativen Ergebnisse in diesem Bereich, lässt sich zumindest für den amerikanischen Raum eine deutliche Abnahme bezüglich der grundsätzlichen Berichterstattung von Menschen mit Behinderung als Kriminelle oder Gewalttäter konstatieren. Stellen Yoshida, Wasilewski und Friedman in den 1980er Jahren noch einen
125
3 Qualitäten
Anteil von 4,8 % mit Spitzen von 12,8 % (Chicago Tribune) in der Presse (vgl. Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 421), liegt der Prozentsatz an Artikeln, in denen behinderte Kriminelle thematisiert werden, 2002 unter einem Prozent (vgl. Haller 2003, 67). Inwieweit diese wenigen Berichte einer hier beschriebenen klischeehaften oder stereotypen Darstellung entsprechen, lässt sich allerdings nicht sagen, da hierfür mehrere Faktoren, die über die reine thematische Zuordnung hinausgehen, entscheidend sind. Die Art der Charakterisierung der Person ist in dem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. So wäre es auch möglich, Straftäter mit Behinderung oder Einschränkung sehr sachlich darzustellen oder eine möglichst große Emotionalisierung auf der Seite der Rezipienten durch die Beschreibung und Hervorhebung negativer Eigenschaften zu erzielen.
3.1.4
Der Exotische
Exotisches ruft Neugierde hervor. Dieses Verständnis im Kontext Behinderung hat seinen Ursprung auf den Jahrmärkten des Mittelalters. Menschen mit Behinderung wurden zur Schau gestellt, um die Neugierde und Begierde der Zuschauer nach Sensationen zu stillen. Sie wurden so zu Objekten der Neugierde (vgl. Barnes 1992, 12). Im modernen medialen Kontext erfüllen Fotografien und Bilder in Magazinen diese Funktion. Die Zurschaustellung von „medizinischen Kuriositäten“ im Rahmen von Presseveröffentlichungen und Bildbänden bergen nach Barnes die Gefahr, dieselben voyeuristischen Grundmuster der Rezipienten zu bedienen, die auch die Jahrmarktsbesucher in zurückliegenden Zeiten fasziniert haben (vgl. ebd.). Bosse hat in seiner Untersuchung von Boulevardmagazinen im deutschen Fernsehen gezeigt, dass dieses Rollenklischee mit einem prozentualen Anteil von 15,3 % eines der am häufigsten thematisierten Phänomene ist (vgl. Bosse 2006, 189), wobei aus der Darstellung nicht ganz deutlich wird, wann und warum diese Vorstellung codiert wurde. Grundsätzlich scheinen vor allem Menschen mit sichtbaren Einschränkungen von diesem Rollenklischee betroffen zu sein. Solche Klischees bergen auch Komponenten emotionaler Reaktionen in sich. Abwehr und Angst einerseits und Neugierde andererseits stehen sich unmittelbar als ursprüngliche kulturell geprägte Reaktionen auf Menschen mit Behinderung gegenüber und ergänzen sich zu dem, was Cloerkes als „originäre Reaktionen“98 bezeichnet (vgl. Cloerkes 2007, 119). Auch wenn diese Reaktionen als nicht ausschließlich schlecht anzusehen sind, verfestigen sie sich unter Umständen durch 98
„Originär“ bedeutet so viel wie ursprünglich oder spontan. Der Auslöser einer solchen Reaktion kann eine sichtbare Abweichung sein. Die „originäre Reaktion“ kann Elemente von Neugierde oder Angst enthalten, die je nachdem zu Exploration oder auch Aggression führen können (vgl. Cloerkes 2007, 119ff.).
126
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
solche Stereotypen und verhindern so die Entwicklung anderer von Äußerlichkeiten unabhängiger Reaktionen und Handlungsmuster.
3.1.5
Der Superkrüppel
Das im anglo-amerikanischen Sprachraum „Super-Cripple“ genannte Klischee beinhaltet zwei mögliche Dimensionen. Einerseits die relativ realistische Ausprägung der Schilderung eines besonderen Talents (vgl. Elliot 1994, 76) oder des mutigen Kampfes einer Person mit Behinderung gegen ihr Schicksal, gegen Bildungs- oder andere soziale Barrieren. Dabei kann die Person entweder triumphieren oder heroisch scheitern (vgl. Nelson 1994a, 6). Adam findet vor allem für dieses Bild in ihrer Untersuchung der Presse im Balkanraum (vgl. Tab. 6 in Kapitel III 1) einige Beispiele (vgl. Adams 2008, 33). Andererseits existiert die übernatürliche Dimension dieser stereotypen Vorstellung, die vor allem in filmischen Kontexten thematisiert wird. Die Person mit Behinderung, meist sind dies blinde Menschen (vgl. Bartmann 2002, 138; Barnes 1992, 12), hat dabei eine außergewöhnliche übermenschliche, ihre Einschränkung mehr als kompensierende Fähigkeit. Ausprägungen dabei wären ein sechster Sinn oder eine uneingeschränkte Orientierung mittels des Gehörs. Bei cinematographischen Darstellungen lässt sich argumentieren, dass Filme in erster Line der Unterhaltung dienen und Realismus vor allem in Actiongenre sicherlich nur eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. Hilgers 1999, 105). Bei Nachrichten oder Presseberichten liegt in der notwenigen Überkompensation zum Erlangen medialer Aufmerksamkeit innerhalb dieser Darstellung die Gefahr. Wenn sich die Berichterstattung zu sehr auf Außergewöhnliches konzentriert, bedeutet dies den medialen und unter Umständen auch gesellschaftlichen Ausschluss für die meisten Menschen mit Behinderung, die über keine „spektakulären“ Eigenschaften verfügen. Nach Barnes und Nelson wirkt sich dies unter Umständen auch negativ auf die gesellschaftliche Akzeptanz der „normalen“ Menschen mit Behinderung aus (vgl. Barnes 1992, 13; Nelson 1994a, 6). Allerdings darf man im Kontext der Nachrichtenberichterstattung nicht vergessen, dass grundsätzlich nur aktuelle, interessante und relevante Ereignisse einen Anlass zur Berichterstattung bieten. Von daher sind per se außergewöhnliche Vorkommnisse unabhängig davon, ob es sich um den Behinderungskontext handelt oder nicht, häufiger vertreten, weil es sich um einen grundsätzlichen Mechanismus des Mediums handelt, über Dinge zu berichten, die bestimmte Kriterien erfüllen.99 99
Innerhalb des Journalismus wird zur Veranschaulichung dieser Tatsache meist folgendes Beispiel gebraucht: „Hund beißt Mann“ ist keine Nachricht „Mann beißt Hund“ dagegen schon (vgl. Ruß-Mohl 2003, 55). Was sehr gut verdeutlicht, dass es einen Anlass für eine Nachricht,
127
3 Qualitäten
3.1.6
Die Lachnummer
Auch das Bild des behinderten Menschen als „object of ridicule“ ist ein durch die kulturhistorische Entwicklung unserer Gesellschaft geprägtes und lange verbreitetes Bild, das auch in modernen massenmedialen Darstellungen vorhanden ist. Bei den bereits erwähnten originären Reaktionen auf behinderte Menschen findet sich diese Komponente durch das Verspotten als eine mögliche aggressive Ausprägung zum Beispiel beim Überspielen von Angst wieder (vgl. Cloerkes 2007, 119f.). Ähnlich wie das Rollenklischee des Unheimlichen und Bösen (vgl. Kapitel III 3.1.3) gibt es auch diese stereotype Darstellungsform laut einschlägiger Autoren in verschiedensten Medien. Die Behinderung oder die Einschränkungen innerhalb des täglichen Lebens, die die Person erfährt, dient dabei dem Zuschauer, Leser oder Betrachter zur Belustigung. In der Literatur taucht die Figur des „Mr. Magoo“, ein älterer Mann mit starker Sehbehinderung, der in Comics und einer Kinoverfilmung aufgrund seiner Einschränkung in für die Zuschauer vermeintlich belustigende Situationen gerät, immer wieder als archetypisches Beispiel für dieses Rollenklischee auf (vgl. Barnes 1992, 13; Bartmann 2002, 142). Barnes kritisiert vor allem, dass derartige Rollendarstellungen Möglichkeiten für behinderte Menschen schwächen, in der Gesellschaft ernst genommen zu werden. Zudem wirkt sich dieses Rollenbild nicht gerade positiv auf Selbstvertrauen und Selbstachtung von behinderten Menschen, Kindern oder deren Eltern aus (vgl. Barnes 1992, 14). Bartmann äußert sich dazu ähnlich, sieht jedoch in dieser Typisierung nicht nur Negatives, da Humor als Bewältigungsstrategie auch bei Betroffenen und ihrem Umfeld zu beobachten sei. Die Gefahr liege einzig und allein in der Reduktion auf dieses Klischee. „Solange diese Darstellungen jedoch nicht übermächtig werden, müssen sie wohl toleriert werden“ (Bartmann 2002, 142). Bei der Analyse der Berichterstattung des Fernsehens konnte Bosse feststellen, dass diese stereotype Darstellung faktisch nicht mehr vorkommt. Erfreulicherweise wurde nur ein Beitrag mit diesem Rollenbild in der Untersuchung gefunden, was einem Prozentwert von 0,8 entspricht (vgl. Bosse 2006, 188).
3.1.7
Der Unangepasste und Verbitterte
Dieses Rollenklischee beschreibt die Darstellung von Menschen mit Behinderung als sich selbst bemitleidende Personen, die es nicht gelernt haben, mit ihrer Behinderung umzugehen oder sie zu akzeptieren (vgl. Longmore 2001, 7; Longmore eine Reportage oder ein Interview geben muss, der für den Leser aus verschiedensten Gründen interessant sein könnte. Alltägliches findet dabei in jeglichem Kontext wenig Beachtung.
128
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
1987, 70; Nelson 1994a, 8). „The disabled person as their/his own worst enemy“ ist die Bezeichnung dieser Darstellungsform im anglo-amerikanischen Raum (vgl. Barnes 1992, 14; Nelson 1994a, 8). Die Medien suggerieren mit diesem Rollenmuster, dass die beschriebenen Personen ihre Einschränkungen und die Behinderung nur annehmen müssten, um darüber hinwegzukommen. Dieses Klischee beschreibt Behinderung zum Beispiel in Filmen als Metapher für Abhängigkeit und Verwundbarkeit, deren negative Implikation durch Annahme überwunden werden kann und so zu einem besseren oder erfolgreicheren Leben führt. Ein Teilaspekt dieser Darstellung ist auch, dass der Anstoß für Veränderungen durch nichtbehinderte Personen erfolgt, was zusätzlich die Unfähigkeit der dargestellten behinderten Personen unterstreicht (vgl. Nelson 1994a, 8). Grundsätzlich ist dies stark mit einer personenorientierten und medizinischen Sichtweise von Behinderung verbunden (vgl. Kapitel I 2.1). Sie ermöglicht so der Gesellschaft, Behinderung als etwas zu sehen, dass aus der Wut und Verbittertheit der Person und ihrer Unfähigkeit heraus entsteht, bestimmte körperliche Einschränkungen zu akzeptieren. Tatsächlich vorhandene und behindernde Bedingungen und Gegebenheiten in der Umwelt werden so vollkommen ausgeblendet (vgl. Barnes 1992, 15).
3.1.8
Die Belastung
Das Rollenmuster der „disabled person as burden“ beschreibt und porträtiert behinderte Menschen als Belastung für ihre Familie und ihr Umfeld. Einerseits wird hier die Hilflosigkeit und Abhängigkeit der betroffenen Personen sowie die Notwendigkeit von Hilfe und Unterstützung beschrieben (vgl. Barnes 1992, 15), andererseits ergeht auch die implizite Nachricht, dass diese Belastung für alle Beteiligten schwer zu ertragen ist und deswegen vermieden werden sollte (vgl. Nelson 1994b, 8). Diese Belastung kann in der medialen Vermittlung auch zum Bruch von Familien oder zur personalen Selbstzerstörung beteiligter Personen führen (vgl. Barnes 1992, 15). Nach Nelson erfolgt in bestimmten Ausformungen dieses Rollenklischees eine Instrumentalisierung der behinderten Personen, die nicht mehr als Personen selbst interessant sind, sondern in der Darstellung vor allem die Gütigkeit und Aufopferungsbereitschaft der Umgebung verstärken sollen. Als Beispiel führt er die medial unterschiedliche verarbeitete Geschichte von Heidi an, in der es die Hauptfigur schafft, die im Rollstuhl sitzende Clara durch die aufopfernde Umsorgung zu heilen (vgl. Nelson 1994b, 9). Unter dem Rollennamen „Schützling“ beschreibt Bartmann sich zum Teil mit diesem Rollenklischee überschneidenden Darstellungsmuster in neueren Filmproduktionen und dem Fernsehen (vgl. Bartmann 2002, 133). Den Helden oder die Hauptfigur noch heldenhafter und
129
3 Qualitäten
selbstloser erscheinen zu lassen, ist dabei die Funktion dieses Rollentypus als faktisches Gegenstück zum Gewaltopfer, bei dem die Instrumentalisierung den gnadenlosen Charakter des Täters unterstreicht (vgl. Kapitel III 3.1.2).
3.1.9
Der A-Sexuelle oder sexuell Andersartige
Die Rollendarstellung im Kontext der Sexualität von behinderten Menschen vereinigt unter der Bezeichnung „the disabled person as sexually abnormal“ unterschiedliche Aspekte. Als gemeinsames Element zeigt sich dabei eine dargestellte Abweichung der Sexualität von der gesellschaftlichen Norm, deren Ausprägung in zwei Richtungen erfolgen kann. Einerseits werden Menschen mit Behinderung in den Medien als sexual inaktiv dargestellt und beschrieben. Ein Muster, das sich bereits in der griechischen Mythologie in Person des Gottes Hephaistos100 findet (vgl. ebd.). Diese Annahme zieht sich nach Barnes als Rollenklischee durch zahlreiche mediale Repräsentationen von Menschen mit Behinderung, insbesondere bei der Darstellung von behinderten Frauen, deren Einschränkung in Film und Fernsehen zuweilen dazu instrumentalisiert wird, die Untreue ihrer Männer mit anderen Frauen zu begründen (vgl. ebd.). Die zweite Ausprägung des Rollenklischees hat laut Barnes ihre medienhistorischen Wurzeln in der Geschichte des Glöckners von Notre Dame.101 Übermäßiges und abnormes sexuelles Verhalten und Verlangen sind dabei die wesentlichen Kennzeichen dieser stereotypen Sichtweise. Das Bild wird so oder so ähnlich durch unterschiedlichste Darstellungen in verschiedenen Medien immer wieder transportiert. Innerhalb der tagesaktuellen Presse trägt nach Barnes vor allem die Boulevardberichterstattung durch zum Teil sehr reißerische Titelthemen dazu bei, dass Zusammenhänge zwischen Behinderung und abnormer Sexualität vor allem bei geistigen Beeinträchtigungen für die Rezipienten präsente Muster bleiben (vgl. ebd., 17).
100 Die körperliche Einschränkung von Hephaistos wird von Barnes als Mitgrund für die zahlreichen Affären von dessen Frau Aphrodite angeführt (vgl. Barnes 1992, 16). 101 Den Ausführungen von Barnes kann in diesem Aspekt nur bedingt zugestimmt werden. Der Stoff des Glöckners von Notre Dame basierend auf dem Originalwerk von Victor Hugo wurde auf sehr unterschiedliche Weise medial verarbeitet. Die Handlung entsprach dabei nicht immer dem der Vorlage, auf deren Basis das beschriebene Rollenklischee weniger nachvollziehbar wirkt.
130 3.1.10
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
Der Unfähige
Das Klischee des Unfähigen konstituiert sich weniger aus einer Form der aktiven Präsentation als aus dem Fehlen bestimmter Arten medialer Darstellungen eingeschränkter Personen. Nach Barnes werden Menschen mit Behinderung selten als aktive Mitglieder der Gesellschaft gezeigt, die für die Gemeinschaft wichtige Aufgaben übernehmen, Expertenwissen haben oder anderweitig wichtige Beiträge zur Gesellschaft liefern (vgl. Barnes 1992, 17). Erfolgt dennoch eine Porträtierung, betont Nelson, dass die Personen oft als allein durch ihre Einschränkung oder Behinderung definiert gesehen und als unfähig dargestellt werden, ein erfülltes, erfolgreiches und glückliches Leben zu führen (vgl. Nelson 1994a, 9). Der sozioökonomische Status der innerhalb dieses Rollenklischees dargestellten Menschen ist zumeist niedrig. Sie sind beruflich wenig erfolgreich und von anderen abhängig. Sie sind selten Experten oder Wissende, was man nach Barnes daran sehen kann, dass behinderte Menschen in Talkshows oder Interviews meist nur zu Wort kommen oder eingeladen werden, wenn das Thema in irgendeiner Form mit Behinderung zu tun hat (vgl. Barnes 1992, 17). Grundsätzlich ist zwar positiv zu bewerten, dass Menschen mit Behinderung in diesem Kontext als Experten in eigener Sache auftreten. Allerdings treten sie so praktisch auch nie als Experten in anderen Dingen auf. Sie werden dadurch medial nur auf ihre Behinderung reduziert. Die Behinderung ist das per se Definierende; andere Kontexte, wie Professionen, Wissen oder sonstige gesellschaftliche Themen werden ausgeblendet.
3.1.11
Der Normale
Das elfte und damit letzte innerhalb der Forschung beschriebene Rollenklischee ist das des Menschen mit Behinderung als „normal“. Dabei ist diese mediale Repräsentation von behinderten Menschen nicht mit dem in der behindertenpädagogischen Fachwissenschaft verwendeten Begriff der Normalisierung102 zu verwechseln. Vielmehr spiegelt sich darin eine bestimmte Art der medialen Darstellung von Menschen mit Behinderung als Personen des alltäglichen Lebens, die gleichzeitig eine Form der körperlichen Einschränkung haben. Barnes sieht diese Darstellung vor allem in der Werbung und in TV-Serien umgesetzt. Er vermutet dabei eine Art Quotenregelung, nach dem Motto, es muss noch unbedingt eine Person mit Behinderung geben. Wobei die Rolle der Person für die Handlung der Serie oder des Werbespots nicht sonderlich bedeutungsvoll ist. Die 102 Für einen Einblick in dieses Konzept siehe Thimm/Bank-Mikkelsen 2005; Thimm 1988.
3 Qualitäten
131
Darstellungen wirken dabei meist oberflächlich und die Beschreibungen entsprechen den alltäglichen Erfahrung von Menschen mit Behinderung keineswegs. Eine mehrdimensionale Präsentation, die auch auf Probleme im Leben von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen eingeht, erfolgt dabei nach Barnes so gut wie nicht (vgl. Barnes 1992, 18).
3.2
Mechanismen der Medien
Neben den personenbezogenen Beschreibungen der stereotypen oder klischeehaften Rollen von Menschen mit Behinderung in den Medien lassen sich nach Mürner auch allgemeinere, insbesondere für die Presse- und Nachrichtenberichterstattung zutreffende Mechanismen des Umgangs von Massenmedien mit behinderten Menschen finden, die er mit einzelnen Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften zu belegen versucht (vgl. Mürner 2003b, 189ff). Trotz der teilweisen Überschneidung der Charakteristika mit personalen Beschreibungen und somit einer Verbundenheit einiger dieser Mechanismen mit den vorher erwähnten Rollenklischees sollen diese hier eigenständig beschrieben und mit den Erkenntnissen von Bernard und Pribitzer ergänzt (vgl. Tab. 5 in Kapitel III 1) werden. Aus streng wissenschaftlich empirischer Sicht sind die dargestellten Mechanismen aufgrund ihrer sehr assoziativen und auch selektiven Entstehungsbasis teilweise kritisch zu betrachten, zudem werden sie bei Mürner nur sehr knapp, wenig ausführlich und zum Teil widersprüchlich erläutert. Insgesamt bilden sie allerdings einen grundsätzlichen Ansatzpunkt für eine Auswertung verschiedener Artikelformen in der Presse (vgl. Kapitel VI 2). Falls möglich werden die einzelnen Mechanismen durch Daten aus eher quantitativ orientierten Untersuchungen gestützt. Mürner unterscheidet sechs verschiedene Mechanismen: Menschen, Tiere, Sensationen, Unglücksfälle und Verbrechen, Prominenten-Meldungen, Kompensationsgeschichten, den Wissenschaftsreport und die Betroffenheitsbezeugung. Er stellt dabei explizit heraus, dass sich diese Mechanismen vielfach überschneiden (vgl. Mürner 2003b, 189), weshalb sich auch in der Beschreibung einzelne Mechanismen in bestimmten Bereichen nicht eindeutig voneinander trennen lassen. Dies zeigt sich besonders deutlich beim Wissenschaftsreport und den Kompensationsgeschichten. Den Mechanismus Menschen, Tiere, Sensationen charakterisiert Mürner mit dem Schwanken „zwischen dem herabsetzenden Tiervergleich, dem ‚Kuriositätenkabinett’ der früheren Jahrmärkte und der Skandalträchtigkeit, die Veränderung veranlassen will“ (Mürner 2003b, 189). Meist erfolgt eine sehr verkürzte Darstellung, die auf Neugier oder das Aufrütteln der öffentlichen Moral ausge-
132
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
richtet ist. Die Artikel sind eher einfach zu lesen und der Grund für diese leicht konsumierbare Präsentationsart ist laut Mürner, dass sie auf Vergessen angelegt sind (vgl. ebd., 190). Trotz der eventuell erfolgenden Anprangerung und dem Aufdecken von Skandalen im Kontext der Lebenswelt behinderter Menschen scheint eine Wirksamkeit derartiger Artikel im Sinne der Anbahnung von Veränderungsprozessen, um Hürden und Diskriminierung zu beseitigen, aus der Perspektive Mürners aufgrund der Art der Darstellung gering. Der Terminus Verbrechen innerhalb des als Unglücksfälle und Verbrechen bezeichneten Mechanismus deutet schon die enge Verbundenheit dieser Art der Berichterstattung mit dem Rollenklischee des bösen und kriminellen Menschen mit Behinderung an (vgl. Kapitel III 3.1.3). Vor allem die Boulevard- aber auch die Lokalpresse schafft nach Erkenntnissen von Mürner und Bernard/Pribitzer immer wieder Zusammenhänge zwischen Behinderung oder Einschränkungen und Straftaten, indem die Charakterisierung der Täter durch die Beschreibung der für die Behinderung kennzeichnenden Merkmale erfolgt. Das Interesse an der gesamten Persönlichkeit geht verloren, die Charakterisierungen stützen sich auf einfache, oberflächlich feststellbare und so zumeist äußerliche Merkmale (vgl. Bernard/Pribitzer 1988, 31; Mürner 2003b, 190). Die in der Bezeichnung extra angeführten Unglücksfälle werden leider nicht weiter thematisiert. Im Wesentlichen könnten damit wohl Berichte über Unfälle von Menschen mit Behinderung verstanden werden. Die Beschreibung der Prominenten-Meldung erfolgt durch Mürner zunächst über den laut seiner Wahrnehmung in der Berichterstattung vorhandenen Gegensatz zwischen Körper und Geist, wobei er einen Artikel über Stephen Hawking als Beispiel heranzieht, an dem er dies zu verdeutlichen versucht. Die Art der Darstellung versteckt seiner Meinung nach durch Überhöhung und Verklärung das Vorurteil, dass eine körperliche Einschränkung auch eine geistige Behinderung nach sich zieht. Dadurch verstärkt sich die gesellschaftliche Ausgrenzung. Wobei Mürner in der Behinderung und der Berühmtheit Gegengewichte sieht, die Medienberichte gezielt nutzen. Die Befriedigung der Sensationslust der Rezipienten spielt dabei eine zentrale Rolle. „Die Bloßstellung der Behinderung geht im ‚Edelstigma’ oder im propagierten Glanz der prominenten behinderten Einzelperson unter“ (Mürner 2003b, 191). Dabei werden Personen porträtiert, deren Berühmtheit sehr unterschiedliche Gründe haben kann. Ein außergewöhnliches Talent und eine damit verbundene Darstellung als „Superkrüppel“ (vgl. Kapitel III 3.1.5) wäre dabei ebenso denkbar wie die Berichterstattung über eine in der Öffentlichkeit stehenden Person, die durch einen Unfall oder eine chronische Erkrankung eine körperliche Einschränkung erfahren hat. Bekannte Beispiele in den letzten Jahren dafür wären Artikel über den englischen Physiker Stephen Hawking oder den 2004 verstorbenen Schauspieler Christopher Reeve.
3 Qualitäten
133
Die sogenannten Kompensationsgeschichten thematisieren das Verschwinden von Behinderung (vgl. Mürner 2003b, 192). Die Funktion dieser Geschichten liegt aus der Sicht Mürners im legitimen Motiv, den Alltag von Menschen mit Behinderung zu erleichtern, die Behinderung zu bewältigen oder sogar zu überwinden. Der implizit an die Rezipienten gerichtete Appell bevorzugt dabei eher technische als zwischenmenschliche oder gesellschaftliche Lösungen (vgl. Mürner 2003b, 192). Diese Art der Darstellung impliziert ein sehr personenorientiertes Bild von Behinderung (vgl. I 2.1), als Folge davon sind die beschriebenen Handlungsmuster rehabilitativ oder kompensatorisch103 (vgl. Kapitel I 2.3). Keller et al. haben bei ihrer bereits in der allgemeinen Übersicht aufgeführten Untersuchung (vgl. Tab. 5 in Kapitel III 1) herausgefunden, dass bei den Artikeln, die sich mit der Verbesserung der Situation von behinderten Menschen auseinandersetzten, insgesamt 28 % der Beschreibungen technische (13 %) oder medizinisch-therapeutische (15 %) Möglichkeiten zur Heilung oder Verbesserung fokussieren (vgl. Keller et al. 1990, 278). Eine Untersuchung der Fernsehberichterstattung von Bosse zeigt, dass die Überwindung von Behinderung das am häufigsten verwendete Motiv der Berichterstattung ist. Insgesamt setzten sich 17,8 % der untersuchten Beiträge von Boulevardmagazinen im Fernsehen damit auseinander. Auch die durch Medien zum Teil verbreitete Vorstellung von der vollständigen Kompensation bestimmter Einschränkungen oder Sinne durch andere Fähigkeiten ist nach Mürner ein möglicher Aspekt des hier vorgestellten Berichterstattungsmechanismus. Wobei die dahinterstehende Idee eines kompletten Ausgleichs bestimmter Fähigkeiten durch andere nach seiner Meinung schon den Status eines Klischees erreicht hat. Mürner verdeutlicht das an verschiedenen Beispielen, wie das des einarmigen Pianisten, der klingt wie ein zweiarmiger Pianist, oder Berichten darüber, dass jemand, der nicht sehen kann, besser hört (vgl. Mürner 2003b, 192). Der nächste durch Mürner beschriebene Mechanismus, der sogenannte Wissenschaftsreport, zeichnet sich ähnlich wie die Kompensationsgeschichte durch eine sehr technische und personenorientierte Herangehensweise an das Phänomen Behinderung aus. Für diese Berichte über Prothesen und technische Innovation, zum Beispiel zur Wiederherstellung von Körperfunktionen, ist nach Mürner der stark hervorgehobene wissenschaftliche Bezug kennzeichnend. Dabei werden „empirische, objektive Forschungseinheiten, tabellarische Auflistungen oder prozentuale Berechnungen“ (Mürner 2003b, 192) innerhalb des Artikels ange103 Die Erfahrungen bei den ersten Analysen der Artikel für diese Untersuchung führten dazu, dass im Rahmen der hier erfolgenden Auswertung mehr Handlungsmodelle als bei Kobi (vgl. Kapitel I 2.3) beschrieben werden. Deswegen wird hier auch zwischen kompensatorischen und rehabilitativen Handlungsmustern unterschieden (vgl. Anhang 2.2). Beide Varianten könnte man dem Verständnis von Kompensationsgeschichten bei Mürner zuordnen.
134
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
führt, um den Forschungscharakter zu unterstreichen. Nach Bernard und Pribitzer kommt es im Zusammenhang mit Technologie in der Berichterstattung104 zuweilen dazu, dass die Person mit Behinderung ausgeblendet wird und eher die Spitzenleistung der Technik im Vordergrund steht. Implizit wird so, durch die Verschiebung des Fokus vom Menschen auf die damit im Zusammenhang stehende Hilfsmittelindustrie, die Aufnahme zwischenmenschlicher Kontakte als Handlungsstrategie in den Hintergrund gedrängt (vgl. Bernard/Pribitzer 1988, 15). Auch der Bereich der medizinischen oder genetischen Forschung findet sich innerhalb dieser Berichterstattung wieder. Der dabei in den Mittelpunkt gestellte Kampf gegen Behinderung, deren Prävention mittels biologisch genetischer Untersuchungen und die damit verbundenen Darstellungen von Erkenntnissen der medizinischen Forschung, sollen Hoffnung auf Heilung und die Vermeidung von Behinderung schaffen (vgl. Mürner 2003b, 192f.). Sie spiegeln so ein rein medizinisches Verständnis von Behinderung wider. Unmittelbar damit verknüpft ist das Propagieren eines medizinischen Handlungsmodells (vgl. Kapitel I 2.3). Der letzte durch Mürner beschriebene Berichterstattungsmechanismus ist die Betroffenheitsbezeugung. Sie ist unmittelbar mit der stereotypen Darstellung des Menschen mit Behinderung als bedauerns- und bemitleidenswerte Person verbunden (vgl. Kapitel III 3.1.1). Medial erfolgt hier ein Aufruf zur Wohltätigkeit im Sinne der bei den Handlungsmustern von Kobi beschriebenen karitativen Handlung (vgl. Kapitel I 2.3). Ausprägungen dieses Mechanismus wären entweder in Form eines stellvertretenden Berichtes, der beschreibt wie andere Menschen an Organisationen oder behinderte Menschen direkt spenden, oder im Sinne eines Aufrufs an die Rezipienten möglich. Die Beschreibung von Spenden oder karitativen Handlungsmustern ist bei einer Untersuchung von Keller et al. mit 14 % im Kontext von Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung eines der am häufigsten innerhalb der Presse benutzten Motive (vgl. Keller et al. 1990, 278). Zumeist setzen sich Prominente, Politiker oder andere repräsentative Mitglieder der Gesellschaft zusammen mit den zu unterstützten Personen medial in Szene. Bernard und Pribitzer kategorisieren diese Art der Berichterstattung unter dem Schlagwort „Hilfe“ als eine Art medial vermittelte aufdringliche Zuwendung, deren Art der Berichterstattung „den fundamentaleren Mangel an kollektiver gesellschaftlicher Verantwortlichkeit für die Benachteiligten verdeckt“ (Bernard/Pribitzer 1988, 16). Mürner sieht dabei das Motto „Helfen und Gewinnen“ als zentrales Leitmotiv bestimmend innerhalb der meisten medialen Aktionen in diesem Kontext (vgl. Mürner 2003b, 193). Die damit verbundene sentimentale Berichterstattung sieht er innerhalb der Medienlandschaft noch immer überwiegen. Viel zu selten finden 104 Bernard und Pribitzer fassen diese Art der Berichterstattung in ihrer Ausstellung unter der Überschrift „Rehabilitationstechnik & Co.“ zusammen (vgl. Bernard/Pribitzer 1988, 15; 17ff.).
3 Qualitäten
135
sich nach seiner Ansicht demnach informierende Reportagen, die über Lebenssituationen und Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderung berichten (vgl. ebd., 194).
3.3
Zusammenfassung
Die dargestellten Rollenklischees, Stereotypen und Mechanismen der Medien bilden einen Überblick über theoretische und assoziative Überlegungen im qualitativen Bereich der medialen Illustration von Menschen mit Behinderung. Dabei kann sicherlich bereits hier festgestellt werden, dass nicht jedes in Kapitel III 3.1 vorgestellte Rollenbild oder jeder in Kapitel III 3.2 beschriebene Mechanismus Teil jeglicher medialer Berichterstattung ist. Die vorgestellten Muster sind wahrscheinlich auch nicht gleich häufig in jeder Art von Massenmedium vertreten. Zudem ist die Basis zum Teil sehr selektiv und assoziativ und außerdem verändern sich die Klischees oder Mechanismen auch mit der Zeit oder Häufigkeiten verschieben sich aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen in verschiedenste Richtungen. Da diese Beschreibungen die einzigen ihrer Art im Kontext der Medien sind, sollen sie dennoch als Ausgangsbasis für die qualitative Untersuchung im Rahmen dieser Studie dienen. Inhaltlich gibt es Überschneidungen sowie unterschiedliche Formen und Ausprägungen der einzelnen vorgestellten Darstellungsmuster. So lassen sich bei manchen Rollenklischees verschiedene Arten innerhalb desselben Grundmusters differenzieren. Zum Teil überschneiden sich auch Mechanismen mit bestimmten Rollenklischees und umgekehrt, wie zum Beispiel die stereotype Darstellung behinderter Menschen als bedauerns- und bemitleidenswerte Personen und die Betroffenheitsgeschichte bei den Mechanismen von Mürner. Entscheidend im Kontext dieser Betrachtungen scheinen auch die Handlungsmodelle von Kobi (vgl. Kapitel I 2.3) zu sein, die Anhaltspunkte dafür liefern können, welche Reaktionen auf Behinderung innerhalb der Medien dargestellt werden und welche Mechanismen oder Rollenbilder dies unter Umständen zur Folge hat. Den stereotypen Rollenklischees ist gemeinsam, dass die größte Gefahr darin besteht, Behinderung zu instrumentalisieren und aus diesem Muster heraus bestimmte Bilder von Behinderung immer wieder zu verbreiten, die so nach einer Weile nicht mehr nur den Blick der Massenmedien beschreiben, sondern auch die Haltung der Gesellschaft zum Phänomen Behinderung dauerhaft prägen (vgl. Wirkungstheorien in den Kapitel I 1.4). Ziel medialer Darstellungen sollte es sein, die Personen als Personen zu sehen, deren Einschränkungen und Behinderungen nicht verschwiegen, aber auch nicht überbetont werden (vgl. Nelson 1994a, 15). Ob es in der Presse stereotype und klischeehafte Darstellungsmuster,
136
III Forschungsstand Behinderung in der Presse
wie sie hier beschrieben wurden, gibt und inwieweit sich innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse Beispiele dafür finden lassen, soll im Ergebnisteil näher beleuchtet werden. Auch die von Mürner beschriebenen massenmedialen Mechanismen werden hier noch mal einer genaueren Betrachtung unterzogen (vgl. Kapitel VI).
IV Forschungsdesign
Im vierten Teil dieser Ausführungen soll nun ausführlich das Design der Studie erläutert werden. Zunächst werden dabei die Erkenntnisinteressen dargestellt, die sich zum Teil auch aus den eben vorgestellten Ergebnissen ergeben und die Basis der vorliegenden Untersuchung bilden (vgl. Kapitel IV 1). Ausgehend von einer umfangreichen Beschreibung des Vorgehens bei der Recherche und der Erläuterung der dabei angewandten Suchmethode werden nachfolgend auch Bedingungen geschildert, die zum Ausschluss einzelner Artikel nach der Recherche geführt haben (vgl. Kapitel IV 2). Anschließend wird das methodische Vorgehen der Datengewinnung mit Hilfe des Erhebungsinstrumentes beschrieben und näher erläutert. Dabei werden auch methodische Besonderheiten innerhalb einzelner Bereiche thematisiert (vgl. Kapitel IV 3 und IV 4). Das Kapitel Forschungsdesign schließt mit Vorüberlegungen zur Darstellung der quantitativen und qualitativen Ergebnisse (vgl. Kapitel IV 5). Zu Beginn der Beschreibung möchte ich einen kurzen Überblick über den Ablauf der Untersuchung geben. Das Schema orientiert sich dabei im Wesentlichen an Ausführungen zum Ablauf qualitativer Inhaltsanalysen von Mayring (vgl. Mayring/Hurst 2005, 440; Mayring 2005, 12; Mayring 2003, 54ff.). Die Abbildung wurde etwas vereinfacht, es wurde zum Beispiel nicht jede Überarbeitung des Untersuchungsinstruments dargestellt oder auch nicht ausführlich zwischen induktiver und deduktiver Kategoriebildung getrennt (vgl. Abb. 17). Dies soll allerdings innerhalb von Kapitel IV 3 noch einmal aufgegriffen werden. Zunächst steht das Erkenntnisinteresse im Vordergrund, welches allerdings unmittelbar mit der Materialauswahl verbunden ist. Die Begründung der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes wurde schon bei den Erläuterungen in Kapitel II 3 thematisiert. Es folgte die Recherche, die sich in diesem Fall in drei Kategorien gliedern lässt, bevor die Texte einer ersten Revision unterzogen wurden. Aus einem Teil des nach der Revision erhaltenen Ausgangsmaterials wurde in Verbindung mit den Erkenntnisinteressen ein Codierschema entwickelt, welches nach einem Materialprobedurchgang noch verändert und auch erweitert wurde. Anschließend wurde das gesamte Material codiert, wobei stets die Möglichkeit einer Veränderung des Codierleitfadens bestand. Danach wurde das Material quantitativ ausgewertet.
138
IV Forschungsdesign
Erkenntnisinteresse
AuswahldesGegenstandes
Materialrecherche ThematischeSuche AllgemeineBegriffssuche
Revision SpezielleBegriffssuche
Ausgangsmaterial
FestlegungderAnalyse undCodeeinheiten
FormulierungeinesKategoriensystems
Induktiveund deduktiveCodie rung
Probecodierung
CodierungdesgesamtenMaterials
QuantitativeAuswertung
QuantitativeErgebnisse
AssoziativeIdentifikation
QuantitativeIdentifikation
QualitativeAuswertung
QualitativeErgebnisse
Abbildung 17: Ablaufschema der Untersuchung.
1 Erkenntnisinteressen
139
Die Auswertung bildete zusammen mit assoziativen Überlegungen, die während der Analyse der Texte in Form von Memos festgehalten wurden, die Basis für die qualitative Überprüfung der vorgestellten Rollenklischees (vgl. Kapitel III 3.1) und Mechanismen (vgl. Kapitel III 3.2). 1
Erkenntnisinteressen
„Was erfährt ein Rezipient der Massenmedien Zeitung und Zeitschrift über Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen oder über Behinderung oder Einschränkung an sich?“ kann als leitende Grundfrage für diese Untersuchung bezeichnet werden. Dabei sollen sowohl rein quantitative als auch qualitative Aspekte Berücksichtigung finden. Die Untersuchung verfolgt einen explorativen Ansatz, da die Datenbasis für das Verfassen klassischer Hypothesen im deutschsprachigen Raum viel zu gering war. Die sich aus diesem Fokus im Laufe der Zeit ergebende Grundstruktur wird hier näher erläutert. Sie geht von bestimmten Interessenlagen aus, war aber zu Beginn noch nicht in dieser Form vorstrukturiert (vgl. Veränderungen der Codierliste im Anhang 4.1 und 4.2). Grundsätzlich von Interesse waren zunächst sowohl Personen mit Behinderung oder Einschränkung als auch das Phänomen Behinderung an sich. Beides sollte in der Analyse betrachtet werden. Wichtig für die Interpretation und die Darstellung der Ergebnisse, welche innerhalb aller bisherigen Untersuchungen kaum beachtet wurden, sind dabei unterschiedliche Perspektiven. Für die Interpretation spielt es eine wesentliche Rolle, ob Aussagen von einer behinderten oder eingeschränkten Person selbst, vom Journalisten oder von einer dritten durch den Journalisten zitierten Person getroffen werden. Neben medienrelevanten Daten der Untersuchungsgegenstände, der Betrachtung verschiedener Themen sowie dem Behinderungsbegriff und mit Behinderung verbundener Handlungsmuster sollten vor allem Sprache und Charakterisierung der Personen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen. Dazu musste erfasst werden, welche Personen mit Behinderung in der Presse auftauchen, wie diese charakterisiert werden, welche Kompetenzen oder Emotionen thematisiert und welche sonstigen Informationen dargestellt werden. Auch personale Unterstützer und Hilfsmittel sollten bei der Analyse Berücksichtigung finden. Stichpunktartig zusammengefasst ergibt sich aus diesen Überlegungen folgende Struktur, die sich allerdings erst im Laufe der Analyse in diese finalen Gruppen ordnen ließ:
Artikeldaten und medienrelevante Daten (Länge der Artikel, Art der Artikel) Themen (Art der Themen und relevante Subthemen) Behinderung (Art der Einschränkung, Verständnis von Behinderung, Handlungsmodelle)
140
IV Forschungsdesign
Soziodemographische Informationen (Alter, Familie, Beruf) Sprache (allgemeine Bezeichnungen und Personenbezeichnungen) Unterstützung (Hilfsmittel und personale Unterstützung)
Qualitativ sollten einzelne quantitative Ergebnisse mit Textbeispielen belegt werden. Zudem war auch Ziel der Untersuchung herauszufinden, ob die zuvor vorgestellten klischeehaften Rollenbilder oder Mechanismen innerhalb der ausgewählten Presseerzeugnisse auftauchen. Entdeckte Rollenbilder oder Mechanismen sollten durch Beispiele verdeutlicht werden. Vergleiche zwischen den einzelnen Zeitungen und Zeitschriften oder auch von bestimmten Arten von Behinderung in qualitativen und quantitativen Bereichen, um vielleicht typische Darstellungsmuster zu identifizieren und Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen, bildeten ebenfalls einen wichtigen Teil der Erkenntnisinteressen dieser Untersuchung, deren Verlauf nachfolgend beginnend mit der Recherche, deren Ausgangspunkt die zu Beginn vorgestellte Frage war, geschildert wird.
2
Recherche
Da es aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht möglich war, jedes Printerzeugnis über einen großen Zeitraum zu kaufen, durchzulesen und so die Artikel zu finden, welche sich direkt oder indirekt mit der Thematik „Behinderung“ auseinandersetzten, blieb nur die Recherche in digitalen Archiven als Möglichkeit der Sammlung relevanter Texte. Unter dem Aspekt der Ökonomie bietet diese Vorgehensweise große Vorteile. So lässt sich in relativ kurzer Zeit eine große Zahl an Artikeln finden, welche bereits in der zur Auswertung benötigten digitalen Form vorliegen, also nicht mehr transkripiert oder anderweitig aufbereitet werden müssen. Eine umfangreiche und relativ komplette Erschließung des Untersuchungsgegenstandes ist so möglich. LexisNexis® und das Archiv der Süddeutschen Zeitung (Jahresausgabe auf CD-ROM 2000-2004 in der Bayerischen Staatsbibliothek) wurden zur Recherche herangezogen. Für die Zeitschrift Super Illu und die Boulevardzeitung Bild gab es leider keine frei zugänglichen digitalen Archive, deshalb wurde in beiden Fällen die Archivabteilung des Verlages mit einer Recherche beauftragt. Der Untersuchungszeitraum sollte möglichst umfangreich und aktuell sein und wurde auf sechs Jahre (01.01.2000 bis 31.12.2005) festgesetzt. Der Zugriff auf die genannten digitalen Archive erfolgte zwischen dem 24.01.2006 und dem 27.06.2006. Die Ergebnisse der Recherche aus der Archivabteilung der Bild erreichten mich am 20.01.2006. Aufgrund von notwendigen Modifikationen bekam ich nach erneuter
2 Recherche
141
Rücksprache mit dem Archiv am 16.02.2006 noch einmal weitere Artikel. Alle Texte wurden einer ersten Revision unterzogen, nicht brauchbare Berichte wurden aussortiert. Mir in ausgedruckter Form zugesandten Artikel, die nach einer ersten Revision noch übrig waren, wurden mit Hilfe einer OCR-Software105 digitalisiert. Die Ergebnisse der Zeitschrift Super Illu wurden mir am 24.03.2006 per E-Mail zugesandt. Auch hier kam es nach Rücksprache zu einer weiteren Sendung am 07.04.2006. Die verwendeten Archive zur Eigenrecherche boten sowohl die Option zur begrifflichen Volltextsuche (1) als auch zur thematisch gegliederten Suche (2). Die Volltextsuche ermöglichte das Auffinden von bestimmten Begriffen oder Begriffskombinationen innerhalb der archivierten Artikel. Die Suchbegriffe konnten mit Hilfe sogenannter „boolscher Operatoren“106 verknüpft werden. Groß- und Kleinschreibung spielte dabei keine Rolle, zudem konnte auch nach Wortbestandteilen gesucht werden. Die mit Hilfe der Suchbegriffe gefundenen Artikel ließen sich im Volltext anzeigen. Die gefundenen Suchbegriffe wurden dabei innerhalb des Textes in der Bildschirmdarstellung automatisch hervorgehoben. Eine Kombination aus den beiden genannten Suchmöglichkeiten schien die beste Variante zu sein, um viele relevante Artikel zu finden. Um den Überblick über die Suchergebnisse nicht zu verlieren und die Anzahl an Treffer überhaupt bewältigen zu können, wurde die begriffliche Volltextsuche in eine allgemeine (1-1) und eine spezielle Begriffssuche (1-2) unterteilt sowie Jahrgänge und Printerzeugnisse jeweils einzeln durchsucht. Zuerst wurde eine thematische Suche (2) in bestimmten Themenkategorien durchgeführt. Diese waren je nach Archiv sehr unterschiedlich benannt. Bei LexisNexis® hießen sie zum Beispiel „behinderte Menschen“ oder „Behinderung und Gesellschaft“. Beim Archiv der Süddeutschen Zeitung „behinderte Menschen in Deutschland“, „behinderte Menschen in Bayern“ „behinderte Menschen im Beruf“ oder ähnlich. Die thematische Suche allein wäre nicht ausreichend, um alle Artikel des Themenbereichs Behinderung zu finden. Grund dafür könnte zum Beispiel eine falsche oder versehentliche Zuordnung der Artikel zu einem anderen Themenbereich durch die archivierende Person sein. Zudem könnte es auch Artikel geben, die ihren thematischen Fokus zwar in einem anderen Bereich haben, aber trotzdem für die Untersuchung relevant sind.107 Die thematische Suche wurde deshalb durch eine allgemeine Begriffssuche (1-1) innerhalb der Volltexte ergänzt. Als Suchbegriffe dienten „Behinderung oder B(b)ehindert(e)“. Die spezielle Begriffssuche (1-2) bildete die letzte Kom105 Zur Digitalisierung der analog vorliegenden Texte wurde der ABBY Fine Reader 8.0 verwendet. 106 Logische Operatoren oder Verknüpfungen wie „und“, „oder“, „nicht“ usw. 107 Zum Beispiel könnte ein Bericht über einen Sportler bei den Paralympics je nach Archiv auch nur unter die Themenkategorie Sport eingeordnet worden sein.
142
IV Forschungsdesign
ponente des Recherchesystems. Die hier für die Volltextsuche verwendeten Begriffe orientierten sich an Begrifflichkeiten, die eine bestimmte Form von Einschränkung oder Behinderung beschreiben. Zusätzlich wurde versucht verschiedene medizinische und auch veraltete Bezeichnungen ergänzend zu verwenden. Mit folgenden Begriffskombinationen wurde eine Suche durchgeführt:
„Geistig zurückgeblieben“ oder „Intelligenzminderung“ oder „intelligenzgemindert“ oder „Intelligenzdefizit“, „bildungsunfähig“ oder „schulunfähig“ oder „geistig minderbegabt“ „Autismus“ oder „autistisch(e)“ oder „Autist“ „Down Syndrom“, „Mongolismus“ oder „mongoloid“ „K(k)örperbehindert(e)“ oder „Körperbehinderung“ oder „(Q)querschnittsgelähmt(e)“ oder „Querschnittslähmung“ „G(g)ehörlos(e)“ oder „S(s)ehbehindert(e)“ oder „Sehbehinderung“ „Lernbehinderung“ oder „L(l)ernbehindert(e)“
Auf eine Volltextsuche mit den Begriffen „blind“ und „taub“ musste aufgrund einer unüberschaubaren Menge an Suchergebnissen (zum Beispiel „er war blind vor Wut“ oder „auf diesem Ohr ist er taub“ etc.) verzichtet werden. Auch deswegen erhebt diese Liste keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit, man könnte mit Sicherheit noch weitere Begriffe ergänzen, mit denen eine Suche ebenfalls möglich gewesen wäre. Das so gefundene Material wurde einer Revision unterzogen, die Artikel, die nachfolgende Kategorien erfüllten, aus der Untersuchung ausschloss. 1.
2.
Metaphorische Begriffsverwendung Artikel, die nur Sätze enthielten, wie „es kam zu einer Behinderung der Bauarbeiten“, „sie behinderten sich auf der Zielgerade“, „beinahe autistisch war die Darstellung der Schauspieler“ oder vergleichbare rein metaphorische Wortverwendungen108 wurden aussortiert. Berichte über fiktive Figuren aus Literatur, Film und Fernsehen, Pre- bzw. Reviews von nicht dokumentarischen Filmen oder Filmen deren Akteure nur „so tun als ob“ Hierunter fallen Artikel über Filme oder Theaterstücke, in denen Menschen mit Behinderung von Menschen ohne Behinderung schauspielerisch dargestellt werden (zum Beispiel das Review des Hollywoodfilms „I am Sam“), beziehungsweise Buchvorstellungen ohne biographischen Hintergrund. Diese
108 Näheres dazu bei Frei und Weisser, die sich differenziert mit der metaphorischen Verwendung der Begriffe „Autismus“ und „Behinderung“ auseinandersetzen (vgl. Weisser 2005; Frei 2002).
2 Recherche
3.
4.
5.
6.
7.
143
Kategorie sollte direkt am jeweiligen Medium untersucht werden, deshalb verweise ich hier auf die bereits erwähnten Publikationen (vgl. Kapitel III 1). Veröffentlichte Statistiken, Stellenanzeigen, Stellengesuche, Veranstaltungshinweise oder Ähnliches Veröffentlichte Schwerbehindertenstatistiken (zum Beispiel „der Anteil an Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland lag 2001 bei 2 %“), reine Veranstaltungshinweise und Stellengesuche von Schulen oder Wohnheimen (zum Beispiel „das Wohnheim an der XY Straße veranstaltet am 02.02.2002 ein großes Faschingsfest“) sind Musterbeispiele für diese Kategorie. Erwähnungen innerhalb von Floskeln ohne weitere Konkretisierung Artikel, in denen der Begriff Behinderung nur innerhalb von Floskeln, wie „zu Gunsten alter, kranker und behinderter Menschen“ oder mit gleichwertigen anderen Begriffen ohne weitere Konkretisierung fällt, wurden ausgeschlossen. Wenn es außer der Floskel noch Inhalte gab, die sich mit behinderten Menschen auseinandersetzten oder Behinderung beziehungsweise Einschränkung thematisierten, dann verblieb der Artikel in der Erhebung Satirische, kabarettistische oder poetische Texte Eine Kategorisierung und qualitative Interpretation dieser Art von schriftlicher Darstellung erschien zu undeutlich für eine konkrete Auswertung. Berichte über altersbedingte Einschränkungen Eine Differenzierung und Abgrenzung ist hier besonders schwer.109 Orientiert am im SGB IX festgelegten Verständnis von Behinderung110 (vgl. Kapitel I 2) fallen unter diese Kategorie alle Artikel, die sich mit Einschränkungen beschäftigen, deren Genese ausschließlich altersbedingt oder im weitesten Sinne altersgemäß ist und primär keine andere Kausalursache in der Person oder der Umwelt hat. Berichte über sozial-emotionale Auffälligkeiten Auch diese Kategorie wurde von der Untersuchung ausgeschlossen. Die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit psychiatrischen oder sozialemotionalen Auffälligkeiten sind vor allem im Bereich der Presse unscharf
109 Ausschlaggebend für den Ausschluss dieser Kategorie waren sowohl Überlegungen bezüglich des Erhebungsumfangs als auch Schwierigkeiten der Differenzierung von Alter, Einschränkung und Behinderung auf Basis von Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Der Ausschluss hat sicherlich Auswirkungen auf die Ergebnisse im Bereich der Altersstruktur, unter Umständen auch auf die Geschlechterverteilung (vgl. Kapitel V 4.1), vielleicht aber auch auf weitere Bereiche. Im Sinne des im Kapitel I 2.2 vorgestellten Behinderungsverständnisses der ICF wäre eine derartige Einschränkung sicherlich nicht zulässig, allerdings empfiehlt die ICF für den deutschsprachigen Sozialbereich die Nutzung des SGB IX (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005, 5). 110 Die Definition von Behinderung nach SBG IX bezieht durch den Vergleich mit einem für das Lebensalter typischen Zustand eine Altersäquivalenz als für Behinderung kennzeichnender Faktor mit ein (vgl. Schuntermann 2007, 35).
144
IV Forschungsdesign
und undifferenziert. Zudem wurde die Recherche grundsätzlich nicht auf diese Art von Auffälligkeiten ausgelegt. Die Zuordnung von sozial-emotionaler Einschränkungen und Störungen zum Phänomen Behinderung scheint zudem fachwissenschaftlich diskussionswürdig.111 Alle anderen Texte gingen als Ausgangsmaterial in die Untersuchung ein. Die Erhebung wird als (selektive) Vollerhebung betrachtet, weshalb in der quantitativen Auswertung zur Feststellung von Unterschieden keine induktiven statistischen Verfahren, wie etwa Signifikanztest notwendig werden. Am Ende des Recherchevorgangs blieben insgesamt 1634 Texte, die als Ausgangsmaterial für die Datengewinnung zur Verfügung standen.
3
Allgemeine Datengewinnung
Im Folgenden soll nun sowohl die methodische Basis der Datengewinnung als auch der Weg und die Herangehensweise an den Forschungsgegenstand möglichst nachvollziehbar und exakt beschrieben werden, denn „qualitatives Forschen darf nicht verschwommen sein; die Vorgehensweisen müssen offengelegt und systematisiert werden wie quantitative Techniken auch. Nur so lassen sie sich vernünftig, gegenstandsangemessen einsetzen, nur so lassen sie sich auch untereinander kombinieren und mit quantitativen Analyseschritten dort, wo es notwendig ist, verbinden“ (Mayring 2002, 65). Innerhalb der qualitativen Forschung im Medienbereich gibt es, wie auch in anderen Fachrichtungen verschiedenste methodische Modelle für die Gewinnung von Daten aus Ausgangsmaterial. Dabei wird angestrebt, „dem jeweiligen Projekt eine an Theorie und Erhebungsmethode orientierte Auswertungsmethode auf den Leib zu schneidern. Das bedeutet, dass keine dogmatischen Entscheidungen für eine Richtung getroffen werden sollten, sondern eine dem Forschungsgegenstand angepasste Auswertungsmöglichkeit gefunden werden muss“ (Prommer 2005, 404). Dieser Untersuchung ging es in erster Linie um die Grundlagen und eine erste Erschließung des Forschungsgegenstandes, wobei die behindertenpädagogische Ausrichtung des Forschers sicherlich eine mitbestimmende Rolle spielt und deshalb hier auch nicht verneint wird. Trotzdem sollte ein möglichst unvoreingenommener und strukturierter Einblick in die Printmedienlandschaft und deren Berichterstattung über das Thema Einschränkung und Behinderung erfolgen. Es geht also nicht um die Überprüfung ganz bestimmter vorher festgesetzter Hypothesen, vielmehr soll das Explorative im 111 Zur Diskussion von Möglichkeiten und Gefahren einer Gleichsetzung von emotionalen Störungen mit einer Behinderung sei hier auf die differenzierten Ausführungen von Felkendrof verwiesen (vgl. Felkendorf 2003, 39).
3 Allgemeine Datengewinnung
145
Sinne eines Er-forschens im Vordergrund stehen. Um dies zu erreichen, war es notwendig, dass die Herangehensweise verschiedene Dinge berücksichtigte. Zum einen musste die Ausgangstheorie oder Methode sehr offen und flexibel sein, weiter durfte diese Offenheit aber nicht zu einer Unstrukturiertheit führen und schließlich musste sich alles so dokumentieren lassen, dass es quantitativ und qualitativ ausgewertet werden konnte. Als Folge dieser Bedingungen stützte sich die hier angewandte Methodik auf drei Säulen. Die Basis „Grounded Theory“ (vgl. Glaser/Strauss 2005; Lampert 2005) garantierte dabei die Offenheit und Flexibilität der Kategoriebildung sowie der Theoriegewinnung. Theoriebildung wird dabei als offener Prozess gesehen, der nie abgeschlossen ist (vgl. Glaser/Strauss 2005, 41). Zudem erlaubt die Herangehensweise auch das „Ignorieren“ bereits aufgestellter Theorien und Ergebnisse, um den eigenen Blick auf den Untersuchungsgegenstand nicht schon von vornherein zu beeinflussen (vgl. Glaser/Strauss 2005, 43 u. 47), was eine sehr offene Herangehensweise ermöglicht. Die Struktur des Vorgehens wurde durch die qualitative Inhaltsanalyse vorgegeben (vgl. Mayring/Hurst 2005; Mayring 2003; Mayring 2000). Sie verhindert, dass eine qualitativ orientierte Herangehensweise vollkommen willkürlich und von allem losgelöst durchgeführt werden kann. Die Datengewinnung für eine ausführliche Auswertung erfolgte computergestützt (vgl. Corbin/Strauss 2008, 87ff.; Kuckartz 2005; Kelle 2000, 485) mit Hilfe des Datenanalyseprogramms MAXqda 2007. Für die deskriptiv statistischen Auswertungen wurden diese Daten dann umgewandelt und mit SPSS 16 weiter verarbeitet. Im konkreten Fall gab es zur Datengewinnung zwei verschiedene Systeme. Eine Variablen- und eine Codeliste, die als Grundlage zur Analyse der Texte dienten. In der zu Beginn vorgestellten Grafik werden diese einheitlich als Kategoriensystem bezeichnet (vgl. Abb. 17). Zunächst gilt es, die Verbindung und Unterschiede zwischen den Begriffen Variable, Code und Kategorie zu klären, auch wenn innerhalb der Ausführungen die Begriffe Code und Kategorie zumeist synonym gebraucht werden. Allgemein gilt, dass eine Kategorie die Analyseaspekte der Untersuchung beschreibt (vgl. Mayring/Hurst 2005, 438; Prommer 2005, 405). In diesem Fall bildeten die Erkenntnisinteressen, also das, was untersucht werden soll, die ersten Ausgangskategorien (vgl. Kapitel IV 1), die mit Hilfe von weiteren (Sub)Kategorien ausdifferenziert wurden. Eine Variable bezieht sich immer auf die Gesamtheit des einzelnen Elementes des Untersuchungsgegenstands, beschreibt also im konkreten Fall die Eigenschaften eines gesamten Artikels. Ein Code ist im Gegensatz dazu nur mit den festgelegten Untersuchungseinheiten verknüpft, die sich je nach Kategorie aus einzelnen Wörtern oder auch ganzen Sinneinheiten innerhalb der Texte konstituieren können. Der Code an sich beschreibt dabei die konkrete Ausprägung einer (Sub)Kategorie (vgl. Prommer 2005, 405). Codes können mit Hilfe von MAXqda in
146
IV Forschungsdesign
Variablen umgewandelt werden. Innerhalb der vorliegenden Untersuchung war dies notwendig, um die Daten mit Hilfe von SPSS 16 weiter bearbeiten zu können. MAXqda 2007 weist bei der Umwandlung von Codes in Variablen jeder entstehenden Variable einen Zahlenwert entsprechend der Anzahl der Codierungen der Kategorie oder des einzelnen Codes innerhalb des jeweiligen Textes zu. Jeder Text wird in SPSS als einzelner Fall betrachtet, die Anzahl der Texte ist also gleich der Anzahl der Fälle. Eine andere Umwandlung, die zum Beispiel jeder Person einen Fall zuweist, war leider nicht möglich. Für die konkrete Formulierung eines Kategoriensystems, welches für eine qualitative Inhaltsanalyse benötigt wird, kann zwischen deduktivem und induktivem Codieren beziehungsweise deduktiver und induktiver Kategorienbildung unterschieden werden. Beide Verfahren wurden im Rahmen dieser Untersuchung eingesetzt. Ähnliche Studien aus dem Medienbereich, Theorien und mit der Fragestellung verknüpfte Aspekte bildeten die Basis der deduktiven Kategorienbildung. Kategorien wurden also aufgrund von Erkenntnissen aus anderen oder auch ähnlichen Bereichen festgesetzt. Für diese Vorgehensweise werden die Kategorien, die untersucht werden sollen, zunächst in einem Codebaum organisiert (vgl. Anhang 4.1 und 4.2) und innerhalb einer Codeliste, bei den Variablen in einer Variablenliste, näher erläutert (vgl. Anhang 1 und 2). Die nachfolgenden Abbildungen veranschaulichen konkret Schritt für Schritt einen derartigen Codiervorgang, wie er im Rahmen dieser Untersuchung abgelaufen ist. Folgender Text aus der Boulevardzeitung Bild vom 28.07.2003 liegt vor und soll codiert werden (vgl. Abb. 18):
Abbildung 18: Textbeispiel zur Erläuterung der Codierung. Als Erstes fällt die sprachliche Personenbezeichnung „Behinderte“ auf, die erfasst werden soll. Der bereits vorhandene Codebaum in diesem Bereich sieht folgendermaßen aus (vgl. Abb. 19):
3 Allgemeine Datengewinnung
147
Abbildung 19: Ausschnitt aus dem Codebaum. In der Kategorie Sprache mit Behinderungsbegriff in der Verwendung durch den Journalisten (Autor) befindet sich also schon eine mögliche Einordnung der Sprachkonstruktion durch den Code „Substantivierung“. Die Textstelle wird erfasst, worauf sich der Wert hinter dem Begriff Substantivierung auf 1581 erhöht. MAXqda 2007 kennzeichnet diese Codierung auch im Text (vgl. Abb. 20).
Abbildung 20: Veranschaulichung einer Codierung im Text durch MAXqda 2007. Das deduktive Bilden von Kategorien aus Erkenntnissen und Theorien vorausgegangener Forschung ist eine wichtige Säule innerhalb der vorgestellten Analyse, „aber man kann (und wir meinen: sollte) den fraglichen Bereich auch ohne irgendeine vorgefasste Theorie untersuchen, die der eigentlichen Forschung vorweg die ‚relevanten’ Konzepte und Hypothesen bestimmt“ (Glaser/Strauss 2005, 43). Diese Forderung an die Untersuchung des Forschungsgegenstandes durch Glaser und Strauss ist äußerst wichtig. Oft versperrt eine sehr starre vorher festgelegte, in manchen Fällen dogmatische Sichtweise den Blick auf den eigentlichen Kern des Untersuchungsgegenstandes, weswegen der deduktive Weg nur einen Teil des methodischen Gerüstes dieser Untersuchung darstellte. Um für die Printmedien
148
IV Forschungsdesign
typische Kategorien von Interesse zu finden und diese zu codieren, war ein zweiter Schritt, nämlich der der induktiven Kategorienbildung notwendig. Die eben erwähnten Autoren formulieren dazu etwas provokant: „Es ist eine sinnvolle Strategie, die Literatur über Theorie und Tatbestände des untersuchten Feldes zunächst buchstäblich zu ignorieren, um sicherzustellen, dass das Hervortreten von Kategorien nicht durch eher anderen Fragen angemessene Konzepte kontaminiert wird“ (Glaser/Strauss 2005, 47). Genau dieser Forderung wird die induktive Kategorienbildung gerecht. Tauchten in den Artikeln Textstellen oder Wörter auf, die sich mit Hilfe der deduktiv gebildeten Kategorien nicht oder nicht zufriedenstellend einordnen ließen, kam es zu einem induktiven Bilden von Kategorien. Dies soll in den meisten Fällen „in vivo“ geschehen, also direkt aus den Texten und Artikeln heraus, unter Verwendung der vorgefundenen Begrifflichkeiten und wird deshalb auch „in vivo codieren“ genannt (vgl. Lampert 2005, 520; Böhm 2000, 478). So wurden also schrittweise neue Kategorien aus dem Material heraus gebildet (vgl. Mayring/Hurst 2005, 472). Hätte es im vorherigen Beispiel noch keine Kategorie mit der Bezeichnung „Sprache mit Behinderungsbegriff (Autor)“ gegeben, hätte diese erst beginnend mit dem Code „Substantivierung“ gebildet werden können. Möglich wäre auch gewesen, dass die Oberkategorie bereits existiert, nur bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Substantivierung innerhalb der Texte aufgetaucht ist. Der Artikel hätte dann mit der Formulierung „Behinderter“ die erste Codierung in einer vorher noch nicht vorhandnen Subkategorie geliefert. Induktive Kategorien können also völlig neue eigenständige Bereiche bilden oder auch vorhandene Kategorien mit Unterkategorien weiter ergänzen. Zur Datengewinnung im konkreten Fall wurde zunächst auf Basis der Ausgangsfrage ein erstes Kategoriensystem entwickelt. Das Kategoriensystem wurde wie beschrieben ständig verändert und angepasst. Insgesamt gab es drei komplette Überarbeitungen des Kategoriensystems innerhalb dieser Untersuchung, die insgesamt bis zu fünf größere Versionen mit deutlichen Veränderungen aufwiesen. Vor der endgültigen Auswertung gab es so insgesamt zwölf Überarbeitungen des Kategoriensystems (die erste und die letzte Version des Codebaums finden sich im Anhang 4.1 und 4.2). Die verwendete Software MAXqda 2007 diente innerhalb dieses Vorgangs dazu, die Codierungen im Kategoriensystem quantitativ zu erfassen. Insgesamt wurden so in allen Kategorien 39731 einzelne Codierungen gezählt, das entsprach 24,3 Codierungen pro Text. Je nach Kategorie waren verschiedene Arten von Analyseeinheiten möglich. So gab es Kategorien, bei denen nur einzelne Worte codiert wurden, wie zum Beispiel bei den Personenbezeichnungen, andere Kategorien ermöglichten eine Codierung von Sinneinheiten, die von Textabschnitten bis zum gesamten Text reichen konnten. Innerhalb der Beschreibung der einzelnen Kategorien in der Codeliste finden sich auch Informationen darüber, wie im konkreten Fall codiert wurde (vgl. Anhang 2).
4 Spezielle Datengewinnung
149
Zusätzlich zum Kategoriensystem wurde auch assoziativ gearbeitet. Fiel ein Text innerhalb der Analyse als besonders passend oder beispielhaft für ein bestimmtes theoretisches Konstrukt, zum Beispiel ein Rollenklischee, auf, wurde mit Hilfe der Software ein Memo erstellt, das dann zur qualitativen Auswertung herangezogen werden konnte. Der Terminus „qualitativ“ kann im Verständnis der hier beschriebenen Datengewinnung zweierlei bedeuten: Einerseits die induktive oder deduktive Zuordnung bestimmter Sinneinheiten, als Ausprägungen von Codes, auf Basis einer Interpretation der jeweiligen Textstelle in das Kategoriensystem112 und andererseits die zuvor beschriebene Möglichkeit, Auffälligkeiten im Text zu vermerken, um daraus Erkenntnisse für die qualitative Untersuchung der in Kapitel III 3 vorgestellten Konstrukte zu ziehen.
4
Spezielle Datengewinnung
Ein wesentliches Anliegen der Studie war die Analyse der Charakterisierung der behinderten oder eingeschränkten Personen durch die Presse. Vor allem bei der Erhebung der Eigenschaftswörter bestand zunächst die Schwierigkeit, dass deren soziale Bewertung nicht objektiv erfassbar war. Der Autor wollte sich in dem Fall aber nicht auf seine persönliche Interpretation stützen, ob zum Beispiel „aggressiv“ oder „traurig“ sozial oder personal erwünschte Eigenschaften sind. Um diese Beschreibung also nicht subjektiv, sondern möglichst objektiv zu bewerten, wurde hierfür eine Methode entwickelt, die im Folgenden kurz erläutert werden soll. Die dabei verwendeten Konstrukte und Studien haben ihren Ausgangspunkt in der lexikalischen Forschung der Persönlichkeitspsychologie, die sich mit der Kategorisierung und Nutzung der Eigenschaftsbeschreibungen von Personen beschäftigt. Lexikalische Betrachtungen charakterbeschreibender Eigenschaften zur späteren Verwendung innerhalb der Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen, englisch auch „traits“ genannt, bildeten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Basis dieser Forschungen (vgl. Allport/Odbert 1936). Für diese Untersuchung wurde das Bielefelder inhaltliche Kategoriensystem, kurz IKS (vgl. Angleitner/Ostendorf 1994; Angleitner/Ostendorf/John 1990; Henss 1998, 134; Henss 1995, 142) genutzt, um Adjektive, aber auch Substantivierungen (Henss 1995) zur Beschreibung der behinderten Personen in den Texten zu erfassen und innerhalb einer Systematik zu gliedern. Die Zuteilung der 112 Je nach Kategorie ist dabei eine größere oder kleinere qualitative Interpretation der Textstelle notwendig. Die Einordnung einzelner Wörter, zum Beispiel innerhalb der Kategorie Sprache, ist relativ eindeutig. Die Zuordnung eines bestimmten Textabschnitts zu einem Handlungsmuster oder zu einer Sichtweise von Behinderung ist schwieriger und erfordert ein höheres Maß an Interpretation.
150
IV Forschungsdesign
Adjektive (zum Beispiel „mutig“) beziehungsweise substantivierten Beschreibungen (zum Beispiel „der Mutige“) zu den Kategorien Dispositionsbegriffe, temporäres Erleben und Verhalten, gesellschaftliche und soziale Aspekte, äußerliche Charakteristika, Erscheinungsbild und Begriffe von eingeschränkter Verwendbarkeit erfolgte dabei auf Basis einer Untersuchung von Angleitner und Ostendorf (vgl. Angleitner/Ostendorf 1994; Hager/Hasselhorn 1994a, Tabelle 51 und 5-2 im digitalen Anhang; Angleitner/Ostendorf/John 1990). Das im Text gefundene Adjektiv wurde jeweils der Kategorie zugeordnet, für die die Zustimmung innerhalb der genannten Untersuchung am größten war. Im Zweifelsfall, also bei nicht eindeutigen Vorgaben oder wenn das Adjektiv in der Ergebnistabelle nicht aufgeführt war, wurde anhand des Kontextes die am besten passende Kategorie gewählt. Ausführliche Beschreibungen der einzelnen Kategorien finden sich im Anhang 2.4. So wurden zunächst alle Eigenschaften innerhalb der Texte erfasst. Da aber nicht nur die Erfassung sondern auch Bewertung der Eigenschaften von Bedeutung war, musste auch auf verschiedene andere Untersuchungen zurückgegriffen werden, die sich mit der Angenehmheit (vgl. Hager et al. 1994; Möller/Hager 1994), der sozialen (vgl. Klapprott 1994; Ostendorf 1994) und personalen Erwünschtheit (vgl. Mecklenbräuker/Hager/Möller 1994) sowie mit der Sympathie für den Träger der beschriebenen Eigenschaft auseinandersetzten (vgl. Busz et al. 1994). Was mit den einzelnen Konstrukten gemeint ist, wird im Auswertungsteil und bei der Interpretation der Ergebnisse näher thematisiert (vgl. Kapitel V 5.3). Die Resultate der betrachteten Studien wiesen einem Großteil der kategorisierten Adjektive einen Zahlenwert auf zunächst unterschiedlichen Skalenniveaus zu, der etwas über die Bewertung dieser Eigenschaft durch die Probanden aussagte. Die unterschiedlichen Skalen wurden durch die Herausgeber des „Handbuchs deutschsprachiger Wortnormen“ transformiert, sodass eine bipolare Skala mit Werten zwischen -20 und +20 entstand (vgl. Hager/Hasselhorn 1994a, Tabelle 3-0 im digitalen Anhang; Hager/Hasselhorn 1994b, 158ff.). Für die Kategorien Sympathie für den Träger der Eigenschaft, soziale und personale Erwünschtheit sowie Angenehmheit lagen also einheitliche Werte vor, die beschrieben, wie ein bestimmtes Adjektiv auf die Probanden gewirkt hat. Ein Wert von -18 würde bedeuten, dass das Adjektiv von den Probanden als besonders unangenehm, unerwünscht oder unsympathisch eingeschätzt wurde. Die den einzelnen Adjektiven zugewiesenen Werte konnten im digitalen Anhang des „Handbuchs deutschsprachiger Wortnormen“ gefunden werden (vgl. Hager/Hasselhorn 1994a, Tabelle 4-1, 4-6, 4-6a, 4-6b und 4-6c im digitalen Anhang). So lag also auch für diese Untersuchung eine indirekte Bewertung der Adjektive vor, die in den betrachteten Artikeln gefunden werden konnten.
4 Spezielle Datengewinnung
151
Innerhalb MAXqda 2007 ist jedoch keine sinnvolle Codierung mit Zahlen in Kategorien möglich, weshalb den Werten zunächst wieder Codes als Ausprägung der jeweiligen Kategorie zugewiesen werden mussten. Dazu wurde eine fünfstufige Skale gewählt. Am Beispiel Angenehmheit stellt sich dies wie folgt dar: Allen Adjektiven, denen in Tabelle 4-1 (vgl. Hager/Hasselhorn 1994a) ein Wert zwischen -20 und –12,01 zugewiesen wurde, wurden mit Hilfe von MAXqda 2007 als „unangenehm“, alle mit Werten zwischen -12 und -4,01 als „teilweise unangenehm“, mit Werten zwischen -4 und +4 als „neutral“, bei Werten zwischen +4,01 und +12 als „teilweise angenehm“ und über +12 als „angenehm“ kategorisiert. Analog geschah dies mit den Kategorien Sympathie für den Träger der Eigenschaft sowie bei personaler und sozialer Erwünschtheit (vgl. Abb. 21). Somit war jedes in einer der vorgestellten Untersuchungen erfasste Eigenschaftswort relativ objektiv bewertbar.
Abbildung 21: Die Bewertungskategorien der Adjektive. Originalauszug der Endfassung des Codierbaums dieser Studie aus MAXqda 2007.
152
IV Forschungsdesign
Eigenschaftswörter, die nicht innerhalb einer der vorgestellten Publikationen auftauchten, konnten nicht in die Bewertung mit aufgenommen werden, wurden aber trotzdem grundsätzlich erfasst. Um zu einer Aussage über die Art und Weise der Charakterisierung zu gelangen, also bewerten zu können, ob Menschen mit Behinderung in den Artikeln für die potentiellen Rezipienten sympathisch, angenehm und mit personal oder sozial erwünschten Eigenschaften besetzt dargestellt werden, wurden die Kategorien, die die 5-stufige Skale bildeten, später in SPSS wieder in Zahlenwerte umgewandelt (-2 bis +2, fünfstufige Skala, ganzzahlig). Wenn also in MAXqda ein Adjektiv als unangenehm eingestuft wurde, erhielt es in SPSS den Wert -2, war es als angenehm eingestuft den Wert +2. Um zu bewerten, wie die Personen oder die Person mit Behinderung innerhalb des gesamten Artikels dargestellt werden, wurde ein hier als Eigenschaftsbewertungskoeffizient (EBK) bezeichneter Wert errechnet. Dies geschah für jeden Artikel wie folgt:
(2) u n1 (1) u n2 0 u n3 1 u n4 2 u n5 n1 n2 n3 n4 n5
Wobei n1 die Anzahl der Adjektive innerhalb des Artikels angibt, die als „unangenehm“, n2 die als „teilweise unangenehm“, n3 die als „neutral“, n4 die als „teilweise angenehm“ und n5 die als „angenehm“ kategorisiert wurden. Analog wurde mit den anderen Bewertungskategorien Sympathie für den Träger der Eigenschaft sowie mit der personalen und sozialen Erwünschtheit verfahren. Die Berechnung des EBK für die typischen Eigenschaften, die Menschen mit Behinderung innerhalb der Presse zugewiesen wurden (vgl. Tab. 42 in Kapitel V 5.3), erfolgte auf ähnliche Weise. Mit Hilfe des Wertes ist es möglich, Artikel zu identifizieren, die behinderte Personen als besonders sympathisch, angenehm und mit personal und sozial erwünschten Eigenschaften darstellen (positiver EBK-Wert) oder genau das Gegenteil tun (negativer EBK-Wert). So wird eine sehr objektive Bewertung der Eigenschaftsbeschreibungen innerhalb der Presse möglich. Zum Schluss soll noch ein konkretes Beispiel den Ablauf verdeutlichen. Im Artikel „’Ich habe mir jeden Traum erfüllt’“ in der Zeitschrift Super Illu beschreibt die Sängerin Kerstin Rogers ihren Sohn Nick als „sehr selbstständig“ (Super Illu 14.11.2002, ohne Seite). Die zuvor vorgestellten Publikationen (vgl. Hager et al. 1994; Möller/Hager 1994) stellten für das Adjektiv „selbstständig“ einen Wert von 13,85 bezüglich dessen Angenehmheit fest (vgl. Hager/Hasselhorn 1994a, Tabelle 4-1 im digitalen Anhang). Die Eigenschaft wurde durch die Probanden also als ziemlich angenehm eingestuft. Da der Wert über +12 liegt, wurde er in MAXqda als „angenehm“ kategorisiert. Bei der Umrechnung der Werte für SPSS erhielt das
5 Auswertung und Ergebnisdarstellung
153
Adjektiv dann der Einordnung entsprechend den Wert +2. Dieser Wert konnte dann zusammen mit den anderen Werten der in diesem Artikel beschriebenen Eigenschaften zur Berechnung des EBK für die Kategorie Angenehmheit des Artikels herangezogen werden.
5
Auswertung und Ergebnisdarstellung
Wie bereits erwähnt wurde auf das Aufstellen von klassischen Hypothesen aus unterschiedlichen Gründen verzichtet. Der Datengewinnung lag deswegen ein sehr offenes, aber strukturiertes System zugrunde, dass ein Er-forschen in den Mittelpunkt stellte. Der induktive und explorative Charakter der Untersuchung sollte sich auch in einer offenen Ergebnisdarstellung äußern, die sich ohne formale Zwänge entwickeln kann. Ähnlich wie die Analyse teilt sich die Darstellung der Ergebnisse auch in einen quantitativen und in einen qualitativen Teil. Der quantitative Abschnitt fokussiert deskriptive statistische Auswertungsmethoden. Neben der grundsätzlichen Darstellung von absoluten und relativen Häufigkeiten erfolgen auch Vergleiche mit Hilfe von Kreuztabellen. Die Darstellungen im Bereich der Charakterisierungen nutzen zudem die Werte der in Kapitel IV 4 vorgestellten Berechnung des EBK. Die quantitative Auswertung folgt dabei größtenteils der Reihenfolge des Codierschemas (vgl. Anhang 2). Innerhalb der einzelnen Kapitel werden dabei fast immer Vergleiche zwischen den einzelnen Printerzeugnissen oder der Art der Behinderung und Einschränkung angestellt. Zudem fließen Ergebnisse aus anderen Studien in die Darstellung mit ein, sofern diese kompatibel sind, was leider nicht allzu häufig der Fall war. Falls passend wird innerhalb der quantitativen Analyse auch auf konkrete Textbeispiele verwiesen, um die Basis der Daten zu verdeutlichen sowie eine Verknüpfung zwischen Quantität und Qualität in der Auswertung zu schaffen. Die qualitative Ergebnisdarstellung basiert fast ausschließlich auf den in Kapitel III 3 vorgestellten Konstrukten. Auf Basis der innerhalb der Analyse festgehaltenen Assoziationen und der quantitativen Ergebnisse werden archetypische Beispiele für die Konstrukte vorgestellt, sofern sie innerhalb der Analysen bestätigt werden konnten. Die Auswertung in diesem Teil geht tiefer in den Text und belegt oder widerlegt mit Hilfe einzelner Textstellen oder auch in Kombination mit quantitativen Erkenntnissen verschiedene Rollenbilder oder Mechanismen.
V Quantitative Ergebnisse
Nachfolgend werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt, die sich quantifizieren lassen. Zur Erleichterung der Orientierung und um Erläuterungen nicht ständig wiederholen zu müssen wird innerhalb dieser Darstellung zuweilen auf die Nummerncodierung der Variablen oder Codes verwiesen, die sich im Anhang jeweils hinter der Variablen- oder Codebezeichnung in Klammern befinden (vgl. Anhang 1 und 2). Die Reihenfolge der Ergebnisdarstellung entspricht im Wesentlichen der der Codierliste. Zunächst werden Artikeldaten und medienrelevante Daten betrachtet (vgl. Kapitel V 1), danach werden die Themen, die im Kontext von Einschränkung und Behinderung auftauchen, analysiert (vgl. Kapitel V 2), anschließend werden das Verständnis des Phänomens Behinderung in der Presse sowie damit assoziierte Handlungsmuster näher beleuchtet (vgl. Kapitel V 3). In der Folge wendet sich die quantitative Analyse konkreter den einzelnen Personen zu. Zunächst werden die Ergebnisse der Auswertung der soziodemographischen Informationen, die sich in den einzelnen Artikeln über Menschen mit Behinderung finden, dargestellt (vgl. Kapitel V 4). Anschließend erfolgt eine sehr ausführliche Betrachtung der Charakterisierung der Personen, wobei die in der Presse beschriebenen Emotionen, Kompetenzen und Eigenschaftsbeschreibungen im Mittelpunkt stehen (vgl. Kapitel V 5). Schließlich wird der Sprachgebrauch der Printmedien untersucht (vgl. Kapitel V 6), bevor der Auswertungsteil mit der Betrachtung personaler und hilfsmittelspezifischer Unterstützung schließt (vgl. Kapitel V 7).
1
Artikeldaten und medienrelevante Daten
Innerhalb dieses Abschnitts werden die Ergebnisse bezüglich der Häufigkeit von Berichten über Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen, die Länge und die Art der Beiträge betrachtet und mit den Erkenntnissen aus Kapitel III 2.1 und III 2.2 verglichen.
156 1.1
V Quantitative Ergebnisse
Häufigkeiten der Medienbeiträge
Die Ergebnisse in Kapitel III 2.1 suggerieren ein gesteigertes Interesse seitens der Medien an der Thematik Behinderung in den letzten Jahren. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Häufigkeit der Berichterstattung über Behinderung unter Variation der Variable 1-5 (vgl. Anhang 1). Erscheinungsjahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Häufigkeit gesamt 336 (20,6 %) 325 (19,9 %) 286 (17,5 %) 221 (13,5 %) 259 (15,9 %) 207 (12,7 %) 1634 (100 %)
Häufigkeit (EW) 51 (19,2 %) 54 (20,3 %) 44 (16,5 %) 39 (14,7 %) 39 (14,7 %) 39 (14,7 %) 266 (100 %)
Häufigkeit (NP) 73 (21,7 %) 75 (22,3 %) 52 (15,4 %) 48 (14,2 %) 46 (13,6 %) 43 (12,8 %) 337 (100 %)
Häufigkeit (HP) 212 (20,6 %) 196 (19,0 %) 190 (18,4 %) 134 (13,0 %) 174 (16,9 %) 125 (12,1 %) 1031 (100 %)
Tabelle 9: Prozentuale und absolute Häufigkeit der Medienbeiträge im Untersuchungszeitraum unter Variation der Variable 1-5. Tabelle 9 zeigt, dass die Zahl der Medienbeiträge, die den Untersuchungskriterien (vgl. Kapitel IV 2) entsprachen, unabhängig davon, ob sie sich haupt- oder nebensächlich mit Behinderung beziehungsweise Einschränkung auseinandersetzten oder diese nur erwähnten, innerhalb des Untersuchungszeitraums fast kontinuierlich (mit Ausnahme des Jahres 2004) abnahm. Insgesamt fanden sich die meisten Artikel zur Thematik im Jahr 2000, die wenigsten im Jahr 2005. Die Anzahl an Artikeln, bei denen Behinderung oder behinderte Menschen Hauptpersonen beziehungsweise Hauptthema des Artikels waren, sind erstaunlicherweise 2003, im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung, mit 134 ähnlich gering wie im Jahr 2005 mit 125 Artikeln. Nichtsdestotrotz sollten diese Zahlen nicht überinterpretiert werden, da sie in hohem Maße von den beiden Zeitungen geprägt werden. Der Anteil der Zeitungsartikel an allen Artikeln beträgt insgesamt 66,5 % und 75,8 % bei Texten, die sich hauptsächlich (HP) mit Behinderung auseinandersetzen. In den Tabellen 10 und 11 wird deshalb die Anzahl der Texte in den einzelnen Untersuchungsjahren nach Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftentiteln getrennt aufgelistet. Dabei wurden nur Artikel berücksichtigt, deren Schwerpunktthema Behinderung oder Menschen mit Behinderung war.
157
1 Artikeldaten und medienrelevante Daten
Erscheinungsjahr
Bild
Süddeutsche
2000
42 (18,3 %)
122 (22,1 %)
2001
43 (18,7 %)
112 (20,3 %)
2002
41 (17,8 %)
101 (18,3 %)
2003
38 (16,5 %)
58 (10,5 %)
2004
38 (16,5 %)
93 (16,8 %)
2005
28 (12,2 %)
66 (12,0 %)
230 (100 %)
552 (100 %)
Tabelle 10: Anzahl der Artikel der untersuchten Zeitungen sortiert nach Jahren unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Absolut gesehen war der Umfang der Berichterstattung vor allem in den Jahren 2000 und 2001 sehr hoch. Den Tiefpunkt erreichte die Berichterstattung bei der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2003, bei der Bild im Jahr 2005. Insgesamt ist mit einer Ausnahme im Jahr 2004 ein rückläufiger Trend feststellbar, über dessen Ursachen aufgrund fehlender Vergleichswerte bezüglich der Entwicklung des Umfangs der Zeitungen an sich leider nur spekuliert werden kann. So könnten die starke Prägung durch das tagesaktuelle Geschehen (vgl. Art der Beiträge in Kapitel III 2.2) sowie grundsätzliche Kürzungen des Umfangs aufgrund der wirtschaftlichen Situation (vgl. Geschichte der Zeitungen in Kapitel II 2.3) Gründe für eine rückläufige Berichterstattung sein, was deshalb nicht notwendigerweise mit einem sinkenden Interesse an der Thematik Behinderung verbunden sein müsste. Trotzdem erstaunt die geringe Zahl an Berichten 2003, innerhalb des Europäischen Jahrs der Menschen mit Behinderung, in der Süddeutschen Zeitung. Im Gegensatz zu den Zeitungen ist das Bild bei den untersuchten Zeitschriften heterogener (vgl. Tab. 11). Ersch.jahr
Bunte
Focus
Spiegel
Stern
2000
6 (24 %)
8 (16,3 %)
14 (19,4 %)
12 (20,0 %)
8 (18,6 %)
2001
8 (32 %)
10 (20,4 %)
10 (13,9%)
8 (13,3 %)
5 (11,6 %)
2002
5 (20 %)
11 (22,4 %)
15 (20,8 %)
8 (13,3%)
9 (20,9 %)
2003
1 ( 4 %)
5 (10,2 %)
13 (18,1 %)
11 (18,3 %)
8 (18,6 %)
2004
5 (20 %)
9 (18,4 %)
9 (12,5 %)
14 (23,3 %)
6 (14,0 %)
0 (0 %)
6 (12,2 %)
11 (15,3 %)
7 (11,7 %)
7 (16,3 %)
25 (100 %)
49 (100 %)
72 (100 %)
60 (100 %)
43 (100 %)
2005
Super Illu
Tabelle 11: Anzahl der Artikel der untersuchten Zeitschriften sortiert nach Jahren unter der Bedingung Variable 1-5=HP.
158
V Quantitative Ergebnisse
Ein eindeutiger Trend lässt sich bei der Betrachtung der Zeitschriften nicht feststellen. Festzuhalten bleibt dennoch, dass im Jahr 2005 bei der Illustrierten Bunte und bei der Illustrierten Stern die wenigsten Artikel zur Thematik gefunden wurden, zudem war die Gesamtzahl an Artikeln aller Zeitschriften innerhalb diesen Jahres mit 31 auch am geringsten. Die meisten Berichte gab es in den Jahren 2000 und 2002. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung hatte also auf Basis dieser Daten auch bei den Zeitschriften keine Effekte bezüglich einer vermehrten Berichterstattung. Mit insgesamt 38 Artikeln zur Thematik ist 2003 das Jahr mit den zweitwenigsten Publikationen im untersuchten Zeitraum. Allerdings fehlen auch hier wie bei den Zeitungen Vergleichswerte bezüglich der Gesamtzahl der Artikel innerhalb der Nachrichtenmagazine und Illustrierten in den jeweiligen Jahren. Bei der ohnehin geringen Anzahl an Schwerpunktthemen zur Thematik Behinderung oder Einschränkung dürften zudem zeitaktuelle Geschehnisse einen starken Einfluss auf die Quantität der Berichterstattung haben.
1.2
Länge der Beiträge
Die Länge der Beiträge wurde zunächst unter Variation der Variable 1-5 (vgl. Anhang 1) untersucht, um herausfinden, ob Artikel, die sich hauptsächlich mit Behinderung oder Einschränkung befassen, sich in ihrem Umfang von Artikeln unterscheiden, die dies nur am Rande oder in einem Nebenthema tun. Tabelle 12 zeigt, dass die durchschnittliche Artikellänge bei den Zeitungsartikeln geringer wird, wenn sich die Artikel hauptsächlich (HP) mit Behinderung auseinandersetzen. Artikel, die nur nebenbei Behinderung oder Einschränkung thematisieren (NP) oder diese nur erwähnen (EW), sind durchschnittlich länger. Die Unterschiede liegen hier bei 109 (Bild) beziehungsweise 268 Wörtern (Süddeutsche Zeitung). Bild Süddeutsche
Gesamt 203 (N=284) 565 (N=802)
EW 297 (N=16)113 765 (N=109)
NP 253 (N=38) 673 (N=141)
HP 188 (N=230) 497 (N=552)
Tabelle 12: Durchschnittliche Länge der Artikel der Zeitungen in Wörter pro Artikel unter Variation der Variable 1-5.
113 Die geringe Anzahl an Texten mag hier verschiedene Gründe haben. Zum einen sind die Artikel der Bild grundsätzlich sehr kurz, sodass eine Einordnung unter EW selten erfolgt. Zum anderen wurde die Recherche bei Bild und Super Illu durch die Archivabteilung der Zeitung durchgeführt, deren Recherchestruktur eventuell diese Texte nicht ausreichend erfasst hat.
159
1 Artikeldaten und medienrelevante Daten
Fast identisch zu den Ergebnissen bei den Zeitungen zeigt sich das Ergebnis bezüglich der Artikellänge bei den Zeitschriften (vgl. Tab. 13), lediglich die Illustrierte Super Illu liefert ein etwas anderes Bild. Der grundsätzlich höhere Umfang der einzelnen Artikel bei den Zeitschriften führt dazu, dass sich hier die Beitragslänge in Wörtern zwischen den Artikeln, die Behinderung oder Einschränkung nur erwähnen (EW), und den Artikeln, die sich hauptsächlich mit Behinderung auseinandersetzen (HP), um durchschnittlich bis zu 546 Wörter (Stern) unterscheidet. Nachfolgend werden in diesem Kapitel nur noch Texte betrachtet, die sich hauptsächlich mit Behinderung oder Einschränkungen auseinandersetzen. Bunte Focus Spiegel Stern Super Illu
Gesamt 744 (N=97) 862 (N=120) 1368 (N=165) 1614 (N=109) 432 (N=57)
EW 835 (N=39) 1113 (N=31) 1674 (N=50) 1935 (N=20) 226 (N=1)113
NP 790 (N=33) 987 (N=40) 1342 (N=43) 1860 (N=29) 710 (N=13)
HP 540 (N=25) 602 (N=49) 1171 (N=72) 1389 (N=60) 353 (N=43)
Tabelle 13: Durchschnittliche Länge der Artikel der Zeitschriften in Wörter pro Artikel unter Variation der Variable 1-5. Die grafische Darstellung der Verteilung der Textlänge der Zeitungen (vgl. Abb. 22) zeigt zunächst die aufgrund der Machart und zum Selbstverständnis der Art der jeweiligen Zeitung (vgl. Kapitel II 4.1 und Kapitel II 4.2) passenden und somit nicht überraschenden Unterschiede im Umfang der Texte. Die Süddeutsche Zeitung setzt sich demnach wesentlich umfangreicher mit der Thematik auseinander, die Bild zeigt hier die boulevardtypische Kürze.
160
V Quantitative Ergebnisse
Abbildung 22: Boxplot der durchschnittlichen Textlänge in Wörtern der untersuchten Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Ausreißer und Extremwerte sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht beschriftet. Der Median der Textlänge bei der Bild (N=230) beträgt 113,5 Wörter pro Text. In der Abbildung durch die graue Box gekennzeichnet gruppieren sich 50 % der Texte mit einer Textlänge zwischen 62 und 282 Wörtern um ihn herum. Die minimale Textlänge der Bild beträgt 16 Wörter. Der längste Artikel, der sich hauptsächlich mit Behinderung auseinandersetzt, ist 734 Wörter lang. Bei der Süddeutschen Zeitung (N=552) liegt der Median bei 382 Wörtern pro Text, die darüber und darunterliegenden 25 % decken ein Spektrum zwischen 190 und 669 Wörtern ab. Der kürzeste Artikel der Süddeutschen Zeitung, in dem es hauptsächlich um Behinderung geht, ist 59, der längste 2770 Wörter lang. Bei der Betrachtung der Textlängenverteilung der Zeitschriften ergibt sich aus medienwissenschaftlicher Sicht ein zunächst überraschendes Bild, das sich bereits in Tabelle 13 erahnen lässt. Die politische Illustrierte Stern zeigt eine sehr ausführliche Berichterstattung auf dem quantitativen Niveau des Nachrichten-
1 Artikeldaten und medienrelevante Daten
161
magazins Spiegel, wohingegen der Umfang der einzelnen Artikel des Nachrichtenmagazins Focus zur Thematik Behinderung knapp über dem Niveau der hier betrachteten klassischen Illustrierten liegt. Auch wenn Quantität nicht gleich Qualität bedeutet, so ist dies auch im Hinblick auf die definitorischen Abgrenzungen (vgl. Kapitel II 1.2) überraschend und unterstreicht in Teilen das Selbstverständnis des Stern als politische Illustrierte (vgl. Kapitel II 5.4) in Abgrenzung zur klassischen Illustrierten und die Nähe zu den Nachrichtenmagazinen. Beim Focus bestätigt die Textlänge bezüglich des Themenbereichs Behinderung, dass er auch als „illustriertes Nachrichtenmagazin“ (vgl. Kapitel II 5.3) gilt.
Abbildung 23: Boxplot der durchschnittlichen Textlänge in Wörtern der untersuchten Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Zahlen neben den Ausreißern geben die jeweilige Textlänge an. Der Unterschied im Textumfang bei der Berichterstattung innerhalb der Nachrichtenmagazine ist wie bereits erwähnt sehr hoch. Der Median der Textlänge beim Nachrichtenmagazin Focus (N=49) liegt bei 366 Wörtern, der des Spiegel (N=72) bei 1215,5 Wörtern. Die Textlänge der 50 % um den Median gruppierten Texte
162
V Quantitative Ergebnisse
reicht beim Focus von 111 bis 986,5 Wörtern und beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel von 175,25 bis 1793. Der kürzeste Artikel zur Thematik ist beim Focus 14, beim Spiegel 83 Wörter lang, der längste Artikel beträgt 2637 Wörter beim Focus und 3885 beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Der Median der Textlänge bei der politischen Illustrierten Stern (N=60) umfasst 1250,5 Wörter, die darüber und darunterliegenden 25 % der Texte sind zwischen 597 und 2137 Wörter lang. Der kürzeste Text des Stern zur Thematik umfasst 89, der längste 3822 Wörter. Wie zu erwarten weisen die klassischen Illustrierten innerhalb der Zeitschriften die kürzesten Artikel zur Thematik Behinderung beziehungsweise Einschränkung auf. Der Median der Textlänge liegt bei der Illustrierten Bunte (N=25) bei 223 Wörtern, bei der Super Illu (N=43) bei 243 Wörtern. Die mittleren 50 % der Texte haben bei der Bunten eine Länge zwischen 108,5 und 832 Wörtern, bei der Super Illu zwischen 187 und 554 Wörtern. Der kürzeste Text bei der Super Illu umfasst 52, der längste 1051 Wörter. Bei der Illustrierte Bunte liegt das Minimum der Textlänge bei 62, das Maximum bei 2510 Wörtern pro Artikel (vgl. Abb. 23). Bild
Bunte
Focus
Spiegel
Stern
Süddeutsche
Super Illu
1800
1600
1400
1200
1000
800
600
400
200
0 2000
2001
2002
2003
2004
2005
Abbildung 24: Entwicklung der durchschnittlichen Textlänge der untersuchten Presseerzeugnisse während des Untersuchungszeitraums.
1 Artikeldaten und medienrelevante Daten
163
Betrachtet man alle Artikel, bei denen Behinderung Hauptthema oder Personen mit Behinderung Hauptpersonen sind (N=1031), variierte die Textlänge innerhalb des sechsjährigen Untersuchungszeitraums leicht. Bei einer durchschnittlichen Textlänge von 527 Wörtern ließ sich 2002 mit 493 Wörtern (N=190) die geringste und 2004 mit 565 (N=174) die höchste durchschnittliche Textlänge feststellen. Innerhalb der untersuchten Titel gab es in der durchschnittlichen Textlänge zum Teil deutliche Schwankungen (vgl. Abb. 24). Kaum Veränderungen über den Untersuchungszeitraum ergaben sich bei der Boulevardzeitung Bild und der Süddeutschen Zeitung. Auch die Super Illu blieb relativ konstant in der Textlänge, lediglich im Jahr 2000 war diese deutlich höher als in den anderen Jahren. Bis auf einen Ausreißer im Jahr 2004 bewegen sich die durchschnittlichen Artikellängen beim Focus ebenfalls auf ähnlichem Niveau. Bei der Illustrierten Bunte lässt sich ein kontinuierlicher Rückgang der Artikellänge feststellen, zudem gab es im Jahr 2005 keine Artikel mehr, bei denen Behinderung eine Hauptthematik war. Große Schwankungen innerhalb der durchschnittlichen Artikellänge finden sich beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Die durchschnittliche Länge der Artikel variiert hier zwischen 844 Wörtern im Jahr 2000 und 1357 im Jahr 2003. Ebenfalls größere Unterschiede ergeben sich beim Stern, allerdings lässt sich hier ein kontinuierlicher Trend in Richtung größerem Artikelumfang feststellen. Die durchschnittliche Länge stieg hier fast kontinuierlich von 1265 auf 1591 Wörter pro Artikel.
1.3
Art der Beiträge
Die Art der Beiträge, also die Textgattung, gibt Aufschluss über den Charakter der Berichterstattung der einzelnen untersuchten Printmedien. Die Artikel, die Behinderung als Hauptthema haben, wurden hierbei untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Zeitungen natürlich in hohem Maße durch die Nachrichtenberichterstattung geprägt sind (vgl. Tab. 14). Vor allem die Bild hat einen für eine Boulevardzeitung erwarteten hohen Anteil von 82,2 % an reinen Nachrichten. Auch bei der Süddeutschen Zeitung ist die aktuelle Nachricht die am häufigsten vorkommende Textgattung im Kontext Behinderung. Zusammenfassend machten aber auch Porträts und Reportagen beinahe ein Drittel der Gesamtberichterstattung aus, es lässt sich also eine durchaus heterogene Betrachtungsweise der Thematik feststellen, die nicht nur aktuell geprägt ist.
164
Aktuelle Nachrichten Interviews Kommentare Leserbriefe Nachrufe Porträts Reportagen/Features
V Quantitative Ergebnisse
Bild 189 (82,2 %) 8 (3,5 %) 2 (0,9 %) 1 (0,4 %) 18 (7,8 %) 12 (5,2 %) 230 (100 %)
Süddeutsche 316 (57,2 %) 15 (2,7 %) 20 (3,6 %) 28 (5,1 %) 7 (1,3 %) 49 (8,9 %) 117 (21,2 %) 552 (100 %)
505 23 22 29 7 67 129 782
Tabelle 14: Absoluter und prozentualer Anteil der Textgattungen der Artikel innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Der Anteil an Nachrichten in der Bild war im Jahr 2002 mit 90,2 % am höchsten und 2003 mit 71,1 % anteilsmäßig am geringsten. Der größte Nachrichtenanteil der Süddeutschen Zeitung lag 2003 bei 65,5 %, der geringste Anteil konnte mit 50,5 % 2004 festgestellt werden. Das ebenfalls quantitativ sehr hohe Kontingent an Reportagen war im Jahr 2001 mit 26,8 % am höchsten. Auch bei den Zeitschriften ist der Anteil an aktuellen Nachrichten zur Thematik Behinderung hoch. Bei den Illustrierten Super Illu, Bunte sowie beim Nachrichtenmagazin Focus sind aktuelle Nachrichten mit einem Anteil von 53,5 %, 48 % beziehungsweise 38,8 %, sogar die häufigste Textgattung, wenn es um Behinderung oder Menschen mit Behinderung geht (vgl. Tab. 15). Die politische Illustrierte Stern und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel weisen für ihre Art von Printmedium typischere Häufigkeitsverteilungen auf. Die Anteile von Reportagen beziehungsweise Features und von Porträts liegen beim Spiegel bei 37,5 % und 15,3 % und machen damit über die Hälfte der Artikel aus. Beim Stern ergeben die Anteile dieser beiden Textgattungen zusammen sogar fast zwei Drittel (65 %) der gesamten Berichterstattung zum Thema Behinderung (vgl. Tab. 15), beim Nachrichtenmagazin Focus sind es nur 38,8 %.
165
1 Artikeldaten und medienrelevante Daten
Aktuelle Nachrichten Interviews Kommentare Leserbriefe Nachrufe Porträts Reportagen/ Features
Bunte 12 (48,0 %)
Focus 19 (38,8 %)
Spiegel 24 (33,3 %)
Stern 13 (21,7 %)
Super Illu 23 (53,5 %)
91
5 (20,0 %) 1 (4,0 %) 2 (8,0 %) 2 (8,0 %) 3 (12,0 %)
9 (18,4 %) 2 (4,1 %) 3 (6,1 %) 16 (32,7 %)
5 (6,9 %) 2 (2,8 %) 3 (4,2 %) 11 (15,3 %) 27 (37,5 %)
6 (10,0 %) 1 (1,7 %) 1 (1,7 %) 21 (35,0 %) 18 (30,0 %)
5 (11,6 %) 2 (4,7 %) 1 (2,3 %) 8 (18,6 %) 4 (9,3 %)
30 0 8 7 45 68
25 (100 %)
49 (100 %)
72 (100 %)
60 (100 %)
43 (100 %)
249
Tabelle 15: Absoluter und prozentualer Anteil der Textgattungen der Artikel innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Auf eine gesonderte Darstellung der Anteile bestimmter Textgattungen innerhalb der einzelnen Untersuchungsjahre wie kurz zuvor bei den Zeitungen wird aufgrund der kleinen Datenbasis und der damit verbundenen geringen Aussagekraft einzelner Prozentwerte verzichtet.
1.4
Zwischenfazit
Im ersten Teil dieser Ergebnisdarstellung ging es um die Betrachtung grundsätzlicher, mit Hilfe von Variablen erhobener medienwissenschaftlicher Daten der untersuchten Artikel. Der Schwerpunkt der Betrachtung lag vor allem auf Texten, die sich hauptsächlich mit Behinderung oder Einschränkung beziehungsweise mit behinderten oder eingeschränkten Menschen beschäftigten (Variable 1-5=HP). Im Gesamten betrachtet hat der Anteil an Artikeln, die sich mit der Thematik auseinandersetzten, im Laufe des Untersuchungszeitraums abgenommen. Dies gilt vor allem für die betrachteten Zeitungen. Die Gründe dafür können leider nicht abschließend geklärt werden. Der hohe Anteil an aktuellen Nachrichten innerhalb der Zeitungen, aber auch bei einigen Zeitschriften deutet darauf hin, dass die Berichterstattung stark von aktuellen Ereignissen geprägt wird, was sich logischerweise auch in der Zahl der Artikel niederschlagen kann. Zeit- oder aktualitätsunabhängigere Berichterstattung erfolgt vor allem durch den Stern, den Spiegel und zum Teil durch das Nachrichtenmagazin Focus. Auch die Süddeutsche Zeitung weist hier hohe Anteile auf. Berücksichtigt man alle Werte der Tabelle 14 und 15, so ergibt sich mit einem Gesamtanteil von 57,8 % an aktuellen Nachrichten und 30,0 % an Reportagen und Porträts eine sehr ähnliche Verteilung wie bei Haller (vgl. Kapitel III 2.2), die bei amerikanischen Nachrichtenmagazinen und Zeitungen 2002 einen Anteil von 55 % an Nachrichten und
166
V Quantitative Ergebnisse
33 % an Reportagen (Porträts wurden hier nicht extra kategorisiert) feststellte. Im Vergleich zu der schon älteren Untersuchung von Bintig im deutschsprachigen Raum ist eine klare Veränderung feststellbar (vgl. III 2.2). Leserbriefe spielen bei Weitem keine so bestimmende Rolle mehr. Kein Presseerzeugnis weist mehr Anteile dieser Textart über 5 % auf. Bei Bintigs Untersuchung von Publikumszeitschriften in den frühen 80er-Jahren waren es noch 18,1 %, was der zweithäufigsten Berichterstattungsform entsprach (vgl. Bintig 1984a, 229). Wenn sich in der heutigen Presselandschaft der Thematik Behinderung gewidmet wird, dann im Gegensatz dazu sehr häufig in Form eines eigenständigen Berichtes. Die vom Textumfang ausführlichste Berichterstattung zum Thema Behinderung erfolgt bei den Zeitungen durch die Süddeutsche Zeitung und bei den Zeitschriften durch den Stern und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Artikel mit dem Hauptthema Behinderung sind insgesamt kürzer als Artikel, die Behinderung nur als Nebenthema aufgreifen oder erwähnen. Grund hierfür könnte die starke aktuelle Prägung der Artikel sein, da viele der aktuellen Nachrichten eher kürzer sind. Die durchschnittliche Textlänge der Artikel, die sich mit Behinderung hauptthematisch auseinandersetzen, bleibt insgesamt gesehen konstant. Innerhalb der einzelnen Presseerzeugnisse ergaben sich allerdings im Laufe des Untersuchungszeitraums zum Teil größere Schwankungen. Ein klarer Rückgang des Interesses der Thematik kann vor allem bei der Illustrierten Bunte festgestellt werden, bei der die Textlänge bei der Hauptthematik fast kontinuierlich abgenommen hat. Zudem gab es im Jahr 2005 keinen einzigen Artikel auf Basis der hier durchgeführten Recherchen mehr, der sich hauptsächlich mit der Thematik Behinderung oder Einschränkung auseinandergesetzt hat.
2
Themen
Im zweiten Kapitel der Ergebnisdarstellung werden die innerhalb der Zeitungsund Zeitschriftenartikel im Kontext Behinderung fokussierten Themen (Variable 2V im Anhang 1) ausgewertet. Dabei geht es zunächst um die grundsätzliche Verteilung der Themen, wenn Behinderung die Kernthematik (Variable 1-5=HP im Anhang 1) des jeweiligen Artikels ist. Weiter sollen auch die in der Codeliste dargestellten thematischen Konkretisierungen (vgl. Anhang 2.1) angesprochen und ausgewertet werden. Zudem werden auch Zusammenhänge zwischen Themen, der thematischen Konkretisierung und den Arten von Behinderung (Variable 4-3 V im Anhang 1), die im Artikel auftauchen, untersucht.
2 Themen
2.1
167
Themenverteilung
Betrachtet man die Häufigkeiten der Themen (vgl. Variable 2V im Anhang 1) innerhalb der Zeitungen, lassen sich trotz der sehr unterschiedlichen quantitativen Verteilung bei der Bild und der Süddeutschen Zeitung grundsätzlich weitgehend überschneidende Schwerpunkte erkennen (vgl. Tab. 16).114 Sowohl in der Bild als auch in der Süddeutschen Zeitung taucht Behinderung am häufigsten im Themenbereich „Justiz“ auf. Innerhalb der Bild macht diese Thematik 40 % der gesamten Schwerpunktberichterstattung zum Thema Behinderung aus. Innerhalb der Süddeutschen Zeitungen sind es immerhin noch 16,1 %. Bei der Süddeutschen bildet „Politik“ (14,7 %), bei der Bild „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ (10,9 %) das zweithäufigste Thema. „Sport“ im Kontext von Behinderung belegt bei Bild und Süddeutscher Zeitung mit 10 % beziehungsweise 12,5 % den dritten Rangplatz bei den Themen. Innerhalb der Süddeutschen Zeitung ebenfalls wichtige Bereiche, die über fünf Prozent der Berichterstattung ausmachen, sind „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ (10,7 %), „Wirtschaft“ (6,9 %) sowie „Schule, Hochschule, Ausbildung und Erziehung“ (6,2 %). Bei der Bild stellen „Politik“ (9,6 %) und die wohl boulevardtypischen Berichte über „Unfälle, Katastrophen und Unglücke“ (8,3 %) die weiteren Bereiche mit einem mehr als fünfprozentigen Anteil an der gesamten Berichterstattung im Behinderungskontext dar. Die thematischen Schwerpunkte in den Zeitschriften liefern ein eher gemischtes Bild, auch wenn es grundsätzliche Ähnlichkeiten gibt. Bei den Illustrierten Stern, Bunte und Super Illu ist der Themenbereich „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ mit 21,7 %, 32 % und 44,2 % an erster Stelle. Da dieser Themenbereich sowohl das zwischenmenschliche Zusammenleben als auch Hilfsaktionen und Charityveranstaltungen beinhaltet (vgl. Anhang 1), ist dies aufgrund der thematischen Schwerpunktsetzung der Illustrierten nicht verwunderlich. Die Themenbereiche „Medizin“ und „Sport“ spielen bei der Super Illu (jeweils 9,3 %) und beim Stern (20 % und 10 %) ebenfalls eine wichtige Rolle. Zusätzlich findet sich die Thematik „Verkehr“ (9,3 %) bei der Illustrierten Super Illu unter den bestimmenden Themenbereichen in Verbindung mit Einschränkung oder Behinderung. Die starke Ausrichtung auf Stars und Sternchen in der Bunten findet ihre Bestätigung in den Themenkomplexen „Medien und Massenmedien“, „Musik, Kunst und Kultur“ sowie „Sport“ (jeweils 12 %) (vgl. Tab. 17).
114 Die vier häufigsten Themenbereiche sind, wenn auch in anderer Reihenfolge, dieselben.
168
Ethik Geschichte Immobilien Justiz Kirche Krieg, Kriegsfolgen Medien, Massenmedien Medizin Menschen, Gesellschaft, Soziales Multimedia, Unterhaltungselektronik Musik, Kunst, Kultur Politik Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung Sport Technik Tourismus, Reise Unfälle, Katastrophen, Unglücke Verkehr Wirtschaft Wissenschaft Sonstiges
V Quantitative Ergebnisse
Bild 2 (0,9 %) 1 (0,4 %) 92 (40,0 %) 1 (0,4 %) 8 (3,5 %)
Süddeutsche 15 (2,7 %) 5 (0,9 %) 8 (1,4 %) 89 (16,1 %) 3 (0,5 %) 2 (0,4 %) 18 (3,3 %)
17 6 8 181 3 3 26
7 (3,0 %) 25 (10,9 %)
16 (2,9 %) 59 (10,7 %)
23 84
1 (0,4 %)
6 (1,1 %)
7
6 (2,6 %) 22 (9,6 %) 3 (1,3 %)
25 (4,5 %) 81 (14,7 %) 34 (6,2 %)
31 103 37
23 (10,0 %) 2 (0,9 %) 2 (0,9 %) 19 (8,3 %)
69 (12,5 %) 16 (2,9 %) 10 (1,8 %) 6 (1,1 %)
92 18 12 25
4 (1,7 %) 5 (2,2 %) 7 (3,0 %) 230 (100 %)
18 (3,2 %) 38 (6,9 %) 23 (4,2 %) 11 (2,0 %) 552 (100 %)
22 43 23 18 782
Tabelle 16: Absolute und prozentuale Themenverteilung innerhalb der Zeitungen unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Die jeweils drei häufigsten Themen sind hervorgehoben.
169
2 Themen
Bunte Ethik Geschichte Immobilien Justiz Kirche Krieg, Kriegsfolgen Medien, Massenmedien Medizin Menschen, Gesellschaft, Soziales Multimedia, Unterhaltungselektronik Musik, Kunst, Kultur Politik Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung Sport Technik Tourismus, Reise Unfälle, Katastrophen, Unglücke Verkehr Wirtschaft Wissenschaft Sonstiges
1 (4,0 %) 3 (12,0 %)
Focus
Spiegel
6 (12,2 %) 1 (1,4 %) 1 (1,4 %) 5 (10,2 %) 14 (19,4 %) 1 (2,0 %) 1 (1,4 %) 1 (2,0 %) 1 (1,4 %) 3 (6,1 %) 5 (6,9 %)
Stern 4 (6,7 %) 3 (5,0 %) 4 (6,7 %)
Super Illu 1 (2,3 %) 2 (4,7 %) 1 (2,3 %)
7 1 25 2 7 16
1 (4,0 %) 8 (32,0 %)
4 (8,2 %) 4 (8,2 %)
1 (4,0 %)
4 (8,2 %)
1 (1,4 %)
5 (8,3 %)
-
11
3 (12,0 %) 1 (4,0 %) -
3 (6,1 %) 4 (8,2 %) 1 (2,0 %)
4 (5,6 %) 4 (5,6 %) -
4 (6,7 %) 5 (8,3 %) -
1 (2,3 %) 3 (7,0 %) -
15 17 1
3 (12,0 %) -
3 (6,1 %) 5 (10,2 %) -
5 (6,9 %) 5 (6,9 %) -
6 (10,0 %) 1 (1,7 %)
4 (9,3 %) 2 (4,7 %)
21 10 3
12 (16,7 %) 12 (20,0 %) 4 (9,3 %) 7 (9,7 %) 13 (21,7 %) 19 (44,2 %)
2 (4,1 %) 4 (9,3 %) 1 (1,7 %) 1 (2,3 %) 2 (8,0 %) 2 (4,1 %) 11 (15,3 %) 2 (3,3 %) 2 (8,0 %) 1 (2,0 %) 1 (2,3 %) 25 (100 %) 49 (100 %) 72 (100 %) 60 (100 %) 43 (100 %)
33 51
6 2 17 4 249
Tabelle 17: Absolute und prozentuale Themenverteilung innerhalb der Zeitschriften unter der Bedingung Variable 1-5=HP. Die jeweils drei häufigsten Themen sind hervorgehoben. Die Themenverteilung innerhalb der Zeitschriften zeigt auch einen deutlichen Unterschied zwischen den Nachrichtenmagazinen und den Illustrierten. Lediglich beim Themenbereich „Medizin“ beim Spiegel (16,7 %) findet sich eine Überschneidung innerhalb der drei am häufigsten vorkommenden Themen zwischen Illustrierten und dem genannten Nachrichtenmagazin. Weitere wichtige Themen des Spiegels im Zusammenhang mit Behinderung sind die Bereiche Wissenschaft (15,3 %) und wie auch beim Focus der Bereich „Justiz“ (19,4 % im Spiegel, 10,2 % im Focus). Feststellen ließen sich zudem die Schwerpunkte „Ethik“ (12,2 %) und „Technik“ (10,2 %) in der Berichterstattung des Focus im Rahmen von Behinderung.
170 2.2
V Quantitative Ergebnisse
Thematische Konkretisierungen
Die mit Hilfe der Codeliste erhobenen thematischen Konkretisierungen dienen einerseits der genaueren Betrachtung eines kleinen Teils wichtiger in den Medien vorkommender Themenbereiche und andererseits auch als mögliche Indikatoren, um bestimmte klischeehafte Darstellungen (vgl. Kapitel III 3 und VI) zu erfassen.115 Insgesamt wurden in drei116 Themenbereichen („Sport“, „Justiz“ sowie „Unfälle, Katastrophen und Unglücke“) thematische Konkretisierungen vorgenommen. Auch hier werden in der Auswertung nur Artikel betrachtet, die sich hauptsächlich mit Einschränkungen oder Behinderung auseinandersetzen (Variable 1-5=HP). Tabelle 18 zeigt die Analyse der Themenkonkretisierung im Bereich „Sport“. Die Süddeutsche Zeitung setzt sich anteilsmäßig sehr ausführlich mit den paralympischen Spielen auseinander. Die Artikel variieren dabei von reinen Ergebnisnachrichten (vgl. Süddeutsche Zeitung 23.10.2000, 47) über Interviews (vgl. ebd. 09.03.2002, 48) bis hin zu Berichten über Doping (vgl. ebd. 14.03.2002, 38; 18.09.2004, 41). Zudem wird hier über alle Sommer- und Winterparalympics während des Untersuchungszeitraums berichtet. Die Bild, aber auch die untersuchten Nachrichtenmagazine scheinen an dieser Thematik weniger interessiert zu sein. Die Bild thematisiert in diesem Rahmen nur einen Fall von Medaillenbetrug durch die spanische Basketballmannschaft der geistig behinderten Sportler (vgl. Bild 25.11.2000, 8; 15.12.2000, 24), die Eröffnungsfeier von Sydney (Bild 19.10.2000, 13) und eine Spende für den Wiederaufbau des paralympischen Büros (vgl. Bild 19.12.2001, 19). Der genannte Betrugsfall wird auch durch die Nachrichtenmagazine aufgegriffen (vgl. Focus 04.12.2000, 266f.). Zusätzlich wird in einem kurzen Artikel ein vermeintlich ungünstiger Werbeslogan bei den Paralympics thematisiert (vgl. Focus 17.07.2000, 176). Der Stern berichtet kurz über den Erfolg von Wojtek Czyz (vgl. Stern 30.09.2004, 22) und ist damit die einzige Illustrierte, die die paralympischen Spiele hauptthematisch beachtet. 115 Mögliche unmittelbar mit den Konkretisierungen verbundene Rollenklischees wären das des „Unheimlichen und Bösen“ (Täter oder Verurteilter, Code 2-3-1), des „(Gewalt)Opfers“ (Opfer von Verbrechen oder Unfällen, Code 2-2 und 2-3-1) oder das des „Sexuell Andersartigen“ (Sexualstraftäter, Code 2-3-1 und 2-3-2). Bei den Mechanismen wäre zum Beispiel „Unglücksfälle und Verbrechen“ eine passende Kategorie. 116 Ursprünglich sollten neben dem für die Rollenklischees wichtigen Bereich Katastrophen, Unfälle, Unglücke die drei Themen, die am häufigsten unter den Top-drei-Themen der jeweiligen Zeitschriften und Zeitungen vorkommen, kategorisiert werden. Dies wären die Bereiche Sport (5 von 7-mal unter den drei wichtigsten Themen), Justiz ((4 von 7-mal unter den drei wichtigsten Themen) und Menschen, Gesellschaft und Soziales (4 von 7-mal unter den drei häufigsten Themen) gewesen. Leider erwies sich die Konkretisierung im Bereich Menschen, Gesellschaft und Soziales als nicht praktikabel, weshalb darauf verzichtet wurde.
171
2 Themen
Allgemeiner Sport Behindertensport Paralympics Special Olympics Sportler d. Jahres Sportler und Sportpersönlichkeiten Sportverwandte Themen
Bild
Süddeutsche
Illustrierte
5 (7,2 %)
Nachrichtenmagazine -
2 (8,7 %)
5 (38,5 %)
12
2 (8,7 %)
12 (17,4 %)
-
-
14
4 (17,4 %) 2 (8,7 %)
37 (53,6 %) 2 (2,9 %)
2 (25,0 %) -
1 (7,7 %) -
44 4
3 (13,0 %)
2 (2,9 %)
-
-
5
7 (30,4 %)
6 (8,7 %)
5 (62,5 %)
7 (53,8 %)
25
3 (13,0 %)
5 (7,2 %)
1 (12,5 %)
-
9
23 (100 %)
69 (100 %)
8 (100 %)
13 (100 %)
113
Tabelle 18: Konkretisierung der Sportthematik. Absolute und relative Häufigkeiten der Unterthemen sortiert nach Zeitung beziehungsweise Zeitschriftenart unter der Bedingung Variable 2V=Sport und Code 1-5=HP. Grundsätzlich finden sich in den Illustrierten und Nachrichtenmagazinen, aber auch bei der Bild im Bereich „Sport“ im Kontext von Behinderung eher Berichte über Sportler oder Sportpersönlichkeiten, deren Karriere sich durch einen Unfall grundsätzlich verändert hat und die dann entweder den Sprung zurück in den Spitzensport geschafft haben oder sich anderweitig engagieren (vgl. Bild 30.11.2005, 10; Bunte 06.03.2002, 62; Der Spiegel 25.03.2002, 130ff.; Focus 05.05.2003, 176f.; Stern 18.11.2004, 256; Super Illu 22.07.2004, ohne Seite). Einen Überblick über die Rollen behinderter Personen innerhalb des Themenbereichs „Justiz“ liefert Tabelle 19. Sowohl bei den Nachrichtenmagazinen als auch bei den Illustrierten sind Menschen mit Behinderung als Täter, Tatverdächtige, Angeklagte oder als Beklagte die häufigste Erscheinungsform, wobei die Illustrierten ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen der Darstellung als Opfer und Täter haben, als dies bei den Nachrichtenmagazinen der Fall ist. Dafür haben Letztere anteilsmäßig ähnlich viele Berichte über Menschen mit Behinderung als Kläger (10 %) oder Berichte über Verurteilte (15 %) wie die Süddeutsche Zeitung, die nicht nur wegen dem gleichen Verhältnis zwischen Täter- und Opferrolle insgesamt das ausgewogenste Darstellungsmuster aufweist. Innerhalb der Boulevardzeitung Bild dominiert die Rolle des Opfers oder Geschädigten (58,4 %) im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung. Auch die Täterrol-
172
V Quantitative Ergebnisse
le ist häufig zu finden (32,6 %), wohingegen sich relativ wenige Berichte über Menschen mit Behinderung als Kläger (2,2 %) oder Verurteilte (6,7 %) finden.
Täter, Tatverdächtiger, Angeklagter, Beklagter Opfer, Geschädigte Kläger Verurteilter, Todesstrafe
Bild
Süddeutsche
Illustrierte
34 (35,8 %)
Nachrichtenmagazine 11 (55,0 %)
29 (32,6 %)
4 (57,1 %)
78
52 (58,4 %)
34 (35,8 %)
4 (20,0 %)
3 (42,9 %)
93
2 (2,2 %) 6 (6,7 %)
17 (17,9 %) 10 (10,5 %)
2 (10,0 %) 3 (15,0 %)
-
21 19
89 (100 %)
95 (100 %)
20 (100 %)
7 (100 %)
211
Tabelle 19: Konkretisierung der Rollen117 innerhalb der Justizthematik. Absolute und relative Häufigkeiten sortiert nach Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. Inwieweit insbesondere die dargestellten Täter- oder Opferrollen in irgendeiner Form den bereits thematisierten klischeehaften Rollenvorstellungen (vgl. Kapitel III 3.1) von Menschen mit Behinderung entsprechen, soll noch näher innerhalb der qualitativen Auswertung besprochen werden (vgl. Kapitel VI 1). Aus quantitativer Sicht sind dahingehend zumindest Ansatzpunkte vorhanden. Neben den Rollen von behinderten Menschen wurden auch die Arten von Straftaten oder Verbrechen kategorisiert. Nicht verwunderlich dabei ist, dass der Straftatbestand des (versuchten) Mordes oder Totschlages als sicherlich nachrichtenwürdigstes Ereignis dominiert (vgl. Tab. 20). Daneben sind Sexualdelikte sowie versuchte Körperverletzung Straftatbestände, die im Zusammenhang mit Behinderung in allen Zeitungen und auch in allen Arten von Zeitschriften der Untersuchung vorkommen.
117 Da innerhalb der Rollenbeschreibung Mehrfachcodierungen möglich sind, auch Artikel mit Variable 1-5=NP berücksichtigt wurden und zudem nicht jeder Artikel innerhalb des Themenbereiches der Justiz dem Menschen mit Behinderung eine bestimmte Rolle zuweist, stimmen die Gesamtsummen nicht notwendigerweise mit den Häufigkeiten aus Tabelle 20 überein.
173
2 Themen
Mord, Totschlag, Sterbehilfe Sexualdelikte Körperverletzung Keine Straftaten Inzest Betrug, Diebstahl Früheuthanasie, Spätabtreibung Raub Freiheitsberaubung
Bild
Süddeutsche
Illustrierte
39 (34,2 %)
Nachrichtenmagazine 13 (37,1 %)
38 (32,2 %)
5 (38,5 %)
95
11 (9,3 %) 25 (21,2 %) 15 (12,7 %) 3 (2,5 %) 8 (6,8 %) -
24 (21,1 %) 15 (13,2 %) 33 (28,9 %) 2 (1,8 %) 1 (0,9 %)
10 (28,6 %) 4 (11,4 %) 5 (14,3 %) 1 (2,9 %) 2 (5,7 %)
4 (30,8 %) 1 (7,7 %) 3 (23,1 %) -
49 45 53 7 10 3
9 (7,6 %) 9 (7,6 %)
-
-
-
9 9
118 (100 %)
114 (100 %)
35 (100 %)
13 (100 %)
280
Tabelle 20: Art des Verbrechens118 innerhalb der Justizthematik. Absolute und relative Häufigkeiten sortiert nach Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. Wesentlich weniger wird insgesamt über Betrug und Diebstahl, Früheuthanasie, Inzest, Raub oder Freiheitsberaubung berichtet. Die letzten beiden genannten werden nur in der Boulevardzeitung Bild thematisiert. In der Kategorie „keine Straftaten“ fallen neben kleineren Vergehen oder Streitigkeiten, wie Verkehrsdelikten (vgl. Bild 31.01.2002, 3; Süddeutsche Zeitung 19.07.2000, 14) oder Lärmbelästigungen (vgl. Bild 27.04.2000, 10), vor allem Berichte, die sich mit Schmerzengeld oder Schadensersatzforderungen aufgrund von Behinderung auseinandersetzen (vgl. Bild 19.02.2005, 9; 13.06.2001, 6; Der Spiegel 27.11.2000, 303; Focus 24.06.2002, 36f.; Süddeutsche Zeitung 21.10.2005, 34; 24.03.2003, 14) auf. Die Rollen innerhalb des Themenbereiches Unfälle, Katastrophen und Unglücke wurden nicht nach Zeitungen oder Zeitschriften getrennt ausgewertet. Eine gesonderte Aufstellung erschien wegen der relativ geringen anteiligen Werte innerhalb der meisten Presseerzeugnisse wenig sinnvoll. Unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP (N=24) liegt innerhalb der Kategorie der Anteil von Unfällen behinderter Menschen bei 54,2 %. Bei 20,1 % davon fallen Menschen mit Behinderung dem Unglück oder der Katastrophe zum Opfer, in nur 8,3 % der Fälle sind behinderte Menschen Retter anderer Personen.
118 Da innerhalb dieses Codes Mehrfachcodierungen möglich sind und auch Artikel mit Variable 1-5=NP berücksichtigt wurden, stimmen die Gesamtsummen nicht notwendigerweise mit den Häufigkeiten aus Tabelle 19 überein.
174 2.3
V Quantitative Ergebnisse
Thematische Zusammenhangsuntersuchung
Zunächst wurden die Zusammenhänge zwischen den Themen der Artikel bei Hauptthematik Behinderung und den im Artikel vorkommenden Arten von Behinderung (vgl. Variabel 4-3V) untersucht. Dazu wurden für jede auf Artikelebene erhobene Behinderungsart die drei häufigsten Themen ermittelt und die relativen Häufigkeiten an der Gesamtberichterstattung im Rahmen der jeweiligen Einschränkung bestimmt (vgl. Tab. 21). Die Auswertung erfolgte nur für die Artikel, die sich mit einer bestimmten Art der Einschränkung oder Behinderung beschäftigen.119 Die Verteilungen in der Variation der Variable 1-5 unterscheiden sich nur minimal. Bis auf den Themenbereich „Technik“ bei Blindheit und dem Bereich „Schule, Hochschule, (Aus)Bildung und Erziehung“, die unter der Bedingung HP oder NP bei Artikeln zu kognitiven Einschränkungen nicht mehr vertreten sind, ergibt sich ein fast identisches Bild. Inhalte wie „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ (6 von 7) und „Justiz“ (5 von 7) sind fast immer unter den drei häufigsten Themen unabhängig von der Art der im Artikel thematisierten Einschränkung. Die Themenbereiche „Medizin“, „Schule, Hochschule, (Aus)Bildung“, „Sport“, „Technik“ (Letzteres nur unter der Bedingung Variable 1-5=HP) und „Wissenschaft“ finden sich jeweils zweimal unter den drei häufigsten Themen. Der Themenbereich „Politik“ ist nur einmal unter den Top-Drei-Themen vorhanden, und zwar im Kontext der Berichterstattung über Blindheit beziehungsweise blinde Menschen, ist dafür aber der größte Themenbereich. Artikel über Protestaktionen gegen die Kürzungen des Blindengeldes (vgl. Süddeutsche Zeitung 11.09.2004, 8; 16.02.2004, 40) und Berichte über das Wählen prägen hier das Themenspektrum (vgl. ebd. 10.08.2002, 2; 13.10.2001, 11).
119 Es fehlen Artikel, die sich gleichzeitig mit verschiedenen Arten von Einschränkungen und Behinderungen auseinandersetzten (Variable 4-3V=Mehrere) oder bei denen keine Zuordnung zu einer bestimmten Einschränkung oder Behinderung möglich war (Variable 4-3V=n.e.).
175
2 Themen
Autismus (N=19 / 23)
Blindheit (N=98 / 112)
Gehörlosigkeit (N=43 / 47)
1. / 1. Wissenschaft 31,6 % / 30,4 %
1. / 1. Politik 14,3 % / 15,2 %
2. / 1. Menschen, Gesellschaft, Soziales 26,3 % / 30,4 % 3. / 3. Justiz 21,1 % / 17,4 %
2. / 2. Sport 11,2 % / 11,6 %
1. / 2. Schule, Hochschule, (Aus)Bildung, Erziehung 16,3 % /14,9 % 1. / 1. Technik 16,3 % / 17,0 %
Spracheinschränkung (N=4 / 4) 1. / 1. Menschen, Gesellschaft, Soziales 50,0 % / 50,0 % 2. / 2. Justiz 25,0 % / 25,0 % 2. / 2. Medizin 25,0 % / 25,0 %
3. / 2. Menschen, Gesellschaft, Soziales 10,2 % / 11,6 % 3. / - Technik 10,2 % / Kognitive Einschränkung (N=168 / 221) 1. / 1. Justiz 42,9 % / 42,1 %
3. / 3. Wissenschaft 11,6 % / 10,6 %
2. / 2. Menschen, Gesellschaft, Soziales 12,5 % / 12,2 % 3. / - Schule, Hochschule, (Aus)Bildung, Erziehung 7,7 % / - / 3. Musik, Kunst, Kultur - / 8,1 %
2. / 2. Menschen, Gesellschaft, Soziales 17,2 % / 16,5 % 3. / 3. Justiz 16,8 % / 15,0 %
Mehrfacheinschränkung (N=46 / 65) 1. / 1. Justiz 43,5 % / 42,5 %
2. / 2. Menschen, Gesellschaft, Soziales 28,3 % / 23,1 % 3. / 3. Medizin 8,7 % / 9,2 %
Physische Beeinträchtigung (N=285 / 346) 1. / 1. Sport 20,0 % / 18,5 %
Tabelle 21: Relative Häufigkeiten der drei häufigsten Themen (Variable 2V) in Zusammenhang mit der Art der im Artikel thematisierten Einschränkung (Variable 4-3V) unter der Bedingung Variable 15=HP/HP oder NP. Insgesamt fallen vor allem die hohen Prozentwerte des Themenbereiches „Justiz“ bei kognitiven und mehrfachen Einschränkungen auf, die hier mit 42,9 % / 42,1 % beziehungsweise 43,5 % / 42,5 % fast die Hälfte des jeweiligen Einschränkungskontextes ausmachen. Die Rollenverteilungen der behinderten Personen innerhalb dieser Artikel unterscheiden sich jedoch grundlegend (vgl. Tab. 22). Die Berichterstattung über Autismus prägen Artikel aus dem Bereich „Justiz“, „Wissenschaft“, „Schule, Hochschule, (Aus)Bildung und Erziehung“. Letztere sind ebenso wie „Technik“ im Zusammenhang mit Gehörlosigkeit wichtige
176
V Quantitative Ergebnisse
Themen der untersuchten Presseerzeugnisse. Bei diesen finden sich Artikel zu Cochleaimplantaten (vgl. Der Spiegel 26.03.2005, 156) und technischen Innovationen für gehörlose Menschen (vgl. Der Spiegel 02.02.2002, 146; Focus 12.11.2001, 176). Sport dominiert die Berichterstattung bei physischen Einschränkungen und spielt auch im Kontext Blindheit eine wichtige Rolle. Bei den physischen Einschränkungen ist die Berichterstattung hier bunt gemischt und reicht von den Erfolgen behinderter Sportler (vgl. Bild 29.08.2005, 11) über Unfälle von Spitzensportlern (vgl. Bunte 06.03.2002, 62) bis hin zu Artikeln rund um die Paralympics (vgl. Süddeutsche Zeitung 14.09.2004, 32). Neben paralympischen Berichten (vgl. ebd. 21.09.2004; 33) war innerhalb der Sportthematik im Zusammenhang mit Sehbeeinträchtigung die Geschichte der amerikanischen Läuferin Marla Runyan häufiger zu finden (vgl. Bild 14.08.2000, 6; Bunte 03.08.2000, 10; Der Spiegel 18.09.2000, 270), die sich nach zahlreichen paralympischen Erfolgen für die olympischen Spiele qualifizieren konnte. Der Bereich „Justiz“ ist neben „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ das am häufigsten innerhalb der ersten drei Ränge vorkommende Thema. Da innerhalb dieses Themenbereichs weitere Untersuchungen zur thematischen Konkretisierung durchgeführt wurden (vgl. Kapitel V 2.2), können nachfolgend noch genauere Analysen zu Rollen und Art der Straftaten in Abhängigkeit der dargestellten Behinderungs- oder Einschränkungsform betrachtet werden. Dabei werden, mit Ausnahme von Spracheinschränkungen120, diejenigen Einschränkungsformen untersucht, bei denen die Justizthematik unter der Bedingung Variable 15=HP oder NP einen der ersten drei Rangplätze einnimmt (vgl. Tab. 21). Dies ist bei allen Formen bis auf Gehörlosigkeit und Blindheit der Fall. Bei Autismus und Mehrfacheinschränkungen ist die Rolle des Opfers oder Geschädigten mit 100 % beziehungsweise 62,5 % dominant vorherrschend. Der einzige Artikel, in dem die Person mit Mehrfacheinschränkung angeklagt oder besser gesagt beklagt wird, beschreibt einen Fall von Lärmbelästigung (vgl. Bild 27.04.2000, 10). Die Rolle als Täter, Tatverdächtiger oder Angeklagter dominiert hingegen bei kognitiven Einschränkungen (54,6 %), zudem finden sich nur in diesem Spektrum alle Artikel im Kontext der Todesstrafe (18,8 %). Menschen mit kognitiven Einschränkungen haben desweiteren nie die Rolle des Klägers außerhalb eines Straftatbestandes, was bei Personen mit physischen Beeinträchtigungen im Gegensatz dazu die häufigste Rolle ist (41,2 %). Die Rollenverteilung bei dieser Einschränkungsform ist im Kontext des Themenbereiches Justiz weniger durch bestimmte Rollen geprägt und somit ausgeglichener.
120 Da es sich nur um einen Artikel handelt, bei dem ein stotternder Mann wegen eines Angriffs auf einen anderen stotternden Mann angeklagt war (vgl. Bild 20.07.2000, 3), wäre eine prozentuale Auswertung hier wenig sinnvoll.
177
2 Themen
Autismus
Täter, Tatverdächtiger, Angeklagter, Beklagter Opfer, Geschädigte Kläger Verurteilter/ Todesstrafe
-
Mehrfacheinschränkung 1 (12,5 %)
Kognitive Einschränkung 55 (54,6 %)
Physische Einschränkung 9 (26,5 %)
65
4 (100 %)
5 (62,5 %)
27 (26,7 %)
11 (32,4 %)
47
-
2 (25,0 %) -
19 (18,8 %)
14 (41,2 %) -
16 19
4 (100 %)
8 (100 %)
101 (100 %)
34 (100 %)
147
Tabelle 22: Absolute und relative Häufigkeiten der Rollen behinderter oder eingeschränkter Personen innerhalb der Arten von Einschränkungen, bei denen Justiz ein dominierendes Thema ist, unter der Bedingung Variabel 1-5= HP oder NP. Neben den Rollen wurde auch die Art der Justizthematik in Abhängigkeit der einzelnen Behinderungs- oder Einschränkungsformen untersucht. Auch hier beschränken sich die Analysen unter der Bedingung Variabel 1-5=HP oder NP auf diejenigen Arten von Einschränkungen, bei denen Justiz eines der vorherrschenden Themen ist (vgl. Tab. 21). Die vorangegangenen Ergebnisse haben bereits gezeigt, dass Menschen mit kognitiven Einschränkungen unmittelbar mit der Justizthematik verbunden sind. Personen mit Lern- oder geistiger Behinderung sind dabei meist Täter oder Verdächtigte bei schweren Straftaten wie Mord, Totschlag oder auch Sexualdelikten. Die innerhalb des Untersuchungszeitraums liegenden Fälle „Peggy Knobloch“ (vgl. Bild 09.01.2003, 8; Der Spiegel 10.11.2003, 72; Focus 28.10.2002, 44f.; Süddeutsche Zeitung 29.04.2003, 29) und „Pascal“ (vgl. Der Spiegel 5.11.2004, 95ff.; Süddeutsche Zeitung 20.09.2004, 10), bei denen jeweils Personen mit kognitiven Einschränkungen angeklagt waren, sind maßgeblich für die Dominanz der genannten Verbrechen mitverantwortlich. Viel weniger häufig erfolgen Berichte über Menschen mit kognitiven Einschränkungen als Opfer von Verbrechen oder Straftaten. Innerhalb dieser Kategorie finden sich Mord, Totschlag, Körperverletzung und Freiheitsberaubung als häufigste Kategorien.
178
V Quantitative Ergebnisse
Mord, Totschlag, Sterbehilfe Sexualdelikte Körperverletzung Keine Straftaten Betrug, Diebstahl Raub Freiheitsberaubung
f Täter Opfer Täter Opfer Täter Opfer Täter Opfer Täter Opfer Täter Opfer Täter Opfer
Kognitive Einschränkung 44 11 32 3 3 8 1 1 1 1 2 7 114121 (100 %)
Physische Einschränkung 1 4 1 2 3 3 4 1 1 20 (100 %)
45 15 33 5 3 11 4 1 5 1 1 3 7
Tabelle 23: Absolute Häufigkeiten der Täter/Opferrolle von Menschen mit Behinderung bei unterschiedlichen Vergehen in Abhängigkeit der Behinderungsart unter der Bedingung Variable 1-5=HP oder NP. Personen mit physischen Einschränkungen sind innerhalb der Berichterstattung fast gleich häufig Opfer oder Täter. Opfer vor allem von Mord und Totschlag, Täter im Kontext Betrug und Diebstahl, Letzteres wegen der Berichte über einen im Rollstuhl sitzenden Autodieb (vgl. Bild 12.05.2000, 5) und einen betrügerischen Ex-Konsul (vgl. Bild 25.11.2004, 6; Süddeutsche Zeitung 24.11.2004, 46). Qualitative Schlussfolgerungen im Kontext der gesamten Justizthematik bei Menschen mit Behinderung finden sich in den Kapiteln VI 1.2, VI 1.3, VI 1.9 und VI 2.
2.4
Zwischenfazit
Die thematische Analyse der Zeitungen ergibt Parallelen zwischen der Bild und der Süddeutschen Zeitung. Bei den Zeitschriften zeigt sich ein thematisch heterogeneres Bild mit größeren Überschneidungen innerhalb der Illustrierten. Die Themenbereiche „Sport“, „Justiz“ sowie „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ sind insgesamt die dominierenden Themen und belegen am häufigsten die ersten drei Rangplätze innerhalb der analysierten Printerzeugnisse. 121 Die Zahl ist höher als die tatsächliche Anzahl der zugeteilten Rollen (vgl. Tabelle 22), da auf Grund der Tatsache, dass vielen Personen innerhalb der Artikel mehrere Straftaten vorgeworfen werden, hier Mehrfachcodierungen möglich waren.
2 Themen
179
Im Bereich „Sport“ können Unterschiede innerhalb der Berichterstattung zwischen den Nachrichtenmagazinen, Illustrierten und der Bild auf der einen und der Süddeutschen Zeitung auf der anderen Seite festgestellt werden. Während sich Erstere mehr mit personenbezogenen Ereignissen im Kontext des Sports auseinandersetzen, sind bei der Süddeutschen Zeitung die Berichte über die Paralympics dominierend. Die Betrachtung der thematischen Konkretisierung im Bereich „Justiz“ ergibt, dass die Bild über Menschen mit Einschränkungen eher in der Opferrolle berichtet, während die Nachrichtenmagazine und Illustrierten sie eher als Straftäter und Angeklagte thematisieren. Bei der Süddeutschen Zeitung ist das Verhältnis ausgeglichen. Die häufigste Art von Verbrechen dem die Presse bei behinderten und eingeschränkten Menschen Aufmerksamkeit schenkt, sind Berichte über Mord oder (fahrlässige) Tötung. Neben Körperverletzung und Sexualdelikten wird dieser Themenbereich in jeder Zeitschriftenart und innerhalb der beiden Zeitungen thematisiert. Außer den Illustrierten beschäftigen sich auch alle Presseerzeugnisse dieser Untersuchung mit kleineren Delikten (keine Straftaten). Die Betrachtung der Zusammenhänge zwischen der Art der im Artikel beschriebenen Einschränkung und den einzelnen Themen ergibt, dass bei fast jeder Art von Einschränkung die Themen „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ sowie das Thema „Justiz“ behandelt werden. Blindheit und Gehörlosigkeit bilden als Einschränkungsformen hier Ausnahmen. Lediglich der Themenbereich „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ ist bei Blindheit unter den drei ersten Rangplätzen vertreten. Im Kontext Sinneseinschränkungen scheint die thematische Struktur weniger durch bestimmte Inhalte geprägt zu sein, im Gegensatz zu den anderen erhobenen Behinderungsformen. Weiter wurden die Zusammenhänge zwischen Einschränkungsart und der Rolle innerhalb des Themas „Justiz“ untersucht, da für diesen Bereich auch eine thematische Konkretisierung (vgl. Variable 2 im Anhang 1) vorliegt. Die Rolle des Opfers ist für die Berichterstattung im Kontext von Mehrfacheinschränkungen und Autismus vorherrschend, bei kognitiven Einschränkungen ist es eher die des Angeklagten oder des Täters. Menschen mit Behinderungen als Kläger finden sich in diesem Rahmen am häufigsten bei Artikeln, deren Akteure physisch beeinträchtigt sind. Hier ist die zudem Opferrolle leicht dominant, auch wenn das Verhältnis zwischen der Darstellung als Täter beziehungsweise Angeklagtem und der Opferrolle im Vergleich zu den anderen Behinderungsformen eher ausgeglichen ist. Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind innerhalb der Presseberichterstattung Angeklagte oder Tatverdächtige, wenn es um schwere Straftaten wie Sexualdelikte oder auch Mord beziehungsweise (fahrlässige) Tötung geht. Zwar sind sie in diesem Zusammenhang nicht immer, aber sehr häufig Täter. Vor dem Hintergrund der in den Kapiteln I 1.4.2 und I 1.4.3 betrachteten Wirkungstheorien wäre es demnach nicht verwunderlich, wenn Menschen mit
180
V Quantitative Ergebnisse
Lern- oder geistigen Behinderungen bei den Rezipienten oder in der Gesellschaft allgemein ein negatives und unter Umständen klischeehaftes Image erhalten, weil sie konstant und wiederholt in Nachrichten und Reportagen als Täter schwerer Gewalttaten thematisiert werden. Inwieweit es sich dabei um eine rein sachliche, neutrale und den Tatsachen folgende Berichterstattung oder eher um den Transport bestimmter Rollenvorstellungen (vgl. Kapitel III 3.1.3) handelt oder inwiefern bestimmte massenmediale Mechanismen zum Tragen kommen, soll noch weiter bei der qualitativen Auswertung in Kapitel VI aufgegriffen werden. Aus rein quantitativer Sicht gibt es zumindest innerhalb der thematischen Dimension vorläufige Indizien, die mögliche Rollenvorstellungen unterstützen könnten.
3
Einschränkung und Behinderung
Das Kapitel Einschränkung und Behinderung setzt sich mit quantitativen Aspekten auseinander, die eine enge Verbindung zu den Kapiteln I 2.1, I 2.2 und I 2.3 aufweisen. Zunächst wird analysiert, wie die Verteilung unterschiedlicher Einschränkungs- oder Behinderungsarten innerhalb der Artikel ist. Dabei wird sowohl die Ebene des Artikels (Variable 4-3V) als auch die Ebene der dargestellten Personen (Code 4-3) berücksichtigt und auf eventuelle Unterschiede innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse eingegangen. Aufgrund der oft sehr geringen Zahl an Artikeln einzelner Printmedien in dieser Auswertungsdimension werden die Zeitschriften jeweils in den Kategorien Illustrierte und Nachrichtenmagazine gemeinsam betrachtet. Danach wird versucht zu klären, welches Verständnis von Behinderung in den einzelnen Artikeln vorliegt (vgl. Code 3-1 in Anhang 2.2) und ob es Unterschiede in der Vorstellung in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung gibt. Den letzten und umfangreichsten Teil bildet die Betrachtung der in der Presse thematisierten Handlungsmodelle im Kontext von Einschränkung und Behinderung (vgl. Code 3-2 in Anhang 2.2). Neben der Betrachtung absoluter und relativer Häufigkeiten des Auftretens bestimmter Handlungsstrategien wird auch analysiert, inwieweit bestimmte Handlungsmodelle bei einzelnen Printerzeugnissen oder im Kontext bestimmter Arten von Einschränkung und Behinderung gehäuft auftreten. Außerdem werden die in der Presse beschriebenen sozialen Zuordnungen bestimmter Handlungen untersucht (vgl. Code 3-2-1 in Anhang 2.2), um zu sehen, über welche Handlungen welcher sozialer Gruppen im Zusammenhang mit Behinderung in der Presse berichtet wird.
181
3 Einschränkung und Behinderung
3.1
Arten von Behinderung und Einschränkung
Die Arten beziehungsweise Formen von Behinderung und Einschränkung wurden sowohl auf Artikelebene (vgl. Variabel 4-3V in Anhang 1) als auch auf personaler Ebene betrachtet (vgl. Code 4-3 in Anhang 2.3). Tabelle 24 stellt die Ergebnisse in absoluten und relativen Häufigkeiten gegenüber. Autismus Blindheit Gehörlosigkeit Kognitive Einschränkung Mehrfacheinschränkung Physische Einschränkung Spracheinschränkung Nicht entscheidbar Mehrere (nur 4-3V)
Variable 4-3V 31 (1,9 %) 125 (7,6 %) 50 (3,1 %) 303 (18,5 %) 71 (4,3 %) 366 (22,4 %) 4 (0,2 %) 496 (30,4 %) 188 (11,5 %) 1634 (100 %)
Code 4-3 35 (2,3 %) davon 9 Savants 178 (11,9 %) 59 (3,9 %) 309 (20,6 %) 99 (6,6 %) 569 (38,0 %) 9 (0,6 %) 240 (16,0 %) 1498 (100 %)
Tabelle 24: Absolute und relative Häufigkeiten der Arten von Einschränkungen und Behinderung auf Artikelebene (Variable 4-3V) und personaler Ebene (Code 4-3). Der Überblick zeigt, dass die Verteilung der Arten von Behinderung oder Einschränkung auf personaler und auf Artikelebene ähnlich ist. In beiden Fällen ist die physische Einschränkung die häufigste Art der innerhalb der Presse thematisierten Formen, gefolgt von kognitiven Einschränkungen, Blindheit und Mehrfacheinschränkung. Gehörlosigkeit wird weniger thematisiert (nur 3,1 % beziehungsweise 3,9 % der Fälle). Weitaus geringere Beachtung finden Spracheinschränkungen mit 0,2 % beziehungsweise 0,6 %. Dieser minimale Wert könnte seinen Grund in thematischen Aspekten (weniger Assoziation mit Behinderung) oder fehlenden Suchbegriffen innerhalb der Recherche (vgl. Kapitel IV 2) haben. Der Anteil der sehr spezifischen Störung Autismus ist auf Artikelebene mit 1,9 % und auf personaler Ebene mit 2,3 % dagegen viel höher. Ähnlich wie in den bereits vorgestellten Untersuchungen (vgl. Kapitel III 2.5) sind insgesamt körperliche Einschränkungen printmedial am stärksten präsent. Die relativ hohen Anteile an kognitiven Einschränkungen bilden einen größeren Bereich und sind häufiger vertreten als bei aktuellen englischsprachigen Untersuchungen und entsprechen mit 18,5 % und 20,6 % eher den Werten älterer Untersuchungen in diesem Sprachraum (Yoshida/Wasilewski/Friedman 1990, 422). Haller berichtet in neuerer Zeit nur noch von Werten um die 10 % (vgl. Haller 2003, 65; Haller 1999).
182
V Quantitative Ergebnisse
Tabelle 25 verdeutlicht die Unterschiede bei den Arten von Behinderung oder Einschränkung in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten. In der Grundcharakteristik der Verteilung ähneln sich Nachrichtenmagazine, die Illustrierten und die Süddeutsche Zeitung. Die Bild weist eine nicht grundsätzlich andere, aber zumindest teilweise unterschiedliche Verteilung der thematisierten Arten von Behinderungen auf. Im Gegensatz zur Süddeutschen Zeitung und in Abgrenzung zu den Zeitschriftenarten Nachrichtenmagazinen und Illustrierten ist bei der Bild die kognitive Einschränkung (24,3 %) die am häufigsten angeführte Behinderungsform. Bei den anderen Erzeugnissen beziehungsweise Erzeugniskategorien dominiert hingegen die physische Einschränkung (21,1 %, 31,9 % und 19,3 %). Das Thema Blindheit wird im Gegensatz dazu in der Bild am wenigsten behandelt. Hier gibt es die meisten Berichte im Segment der Illustrierten mit einem Anteil von insgesamt 11 % an der Gesamtberichterstattung (vgl. Tab. 25).
Autismus Blindheit Gehörlosigkeit Kognitive Einschränkung Mehrfacheinschränkung Physische Einschränkung Spracheinschränkung Nicht entscheidbar Mehrere
Bild
Süddeutsche 4 (0,5 %) 68 (8,5 %) 24 (3,0 %) 138 (17,2 %)
Nachrichtenmagazine 11 (3,9 %) 17 (6,0 %) 13 (4,6 %)) 53 (18,6 %)
11 (3,9 %) 11 (3,9 %) 8 (2,8 %) 69 (24,3 %)
Illustrierte 5 (1,9 %) 29 (11,0 %) 5 (1,9 %) 43 (16,3 %)
31 125 50 303
20 (7,0 %)
24 (3,0 %)
10 (3,5 %)
17 (6,5 %)
71
67 (23,6 %)
155 (19,3 %)
60 (21,1 %)
84 (31,9 %)
366
1 (0,4 %)
2 (0,2 %)
-
1 (0,4 %)
4
90 (31,7 %) 7 (2,5 %) 284 (100 %)
260 (32,4 %) 127 (15,8 %) 802 (100 %)
84 (29,5 %) 37 (13,0 %) 285 (100 %)
62 (23,6 %) 17 (6,5 %) 263 (100 %)
496 188 1634
Tabelle 25: Prozentuale und relative Häufigkeiten der Arten von Einschränkung und Behinderung (Variable 4-3V) in Abhängigkeit von den Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten. Vergleicht man die Häufigkeiten und die Verteilung innerhalb der Nachrichtenmagazine und Illustrierten mit den Ergebnissen der älteren deutschen Untersuchung von Publikumszeitschriften durch Bintig (vgl. Bintig 1984a), lassen sich Unterschiede erkennen. Zwar ist auch bei Bintig die körperliche Behinderung die am häufigsten thematisierte Form (vgl. Kapitel III 2.5), in der vorliegenden Studie zeigt sie sich allerdings wesentlich weniger dominant. Bei den Illustrierten ließen sich 31,9 %, bei den Nachrichtenmagazinen 21,1 % der Artikel dieser
3 Einschränkung und Behinderung
183
Einschränkungsform im Gegensatz zu 51,4 % bei Bintig (vgl. ebd., 210) finden. Der Anteil an Berichten über Sinnesbeeinträchtigungen hat sich im Vergleich zur Studie von Bintig ebenfalls verkleinert, dafür gibt es innerhalb der hier untersuchten Nachrichtenmagazine und Illustrierten wesentlich mehr Artikel im Kontext kognitiver Einschränkungen. Der Prozentsatz dieser lag bei Bintig nur bei 5,1 % (vgl. ebd., 210). Im Kontext Mehrfacheinschränkungen lassen sich innerhalb dieser Untersuchung ähnliche Werte (3,5 % und 6,5 %) im Vergleich zu 5,1 % (vgl. ebd.) feststellen.
3.2
Verständnis von Behinderung
Mögliche Verständnis- und Sichtweisen von Behinderung wurden schon in Kapitel I 2 angesprochen. In diesem Abschnitt der Auswertung wird nun untersucht, welches Verständnis von Behinderung innerhalb der Presse vorherrscht und ob sich hinsichtlich der Arten der untersuchten Printerzeugnisse oder abhängig von der thematisierten Form der Einschränkung Unterschiede in der Sichtweise ergeben. Grundsätzlich wurden dabei nur Artikel betrachtet, bei denen der Terminus Behinderung in irgendeiner Form auftaucht (vgl. Code 3-1 im Anhang 2.2). Von den insgesamt 831 in dieser Kategorie codierten Sinneinheiten zeigten 649 (78,1 %) ein medizinisch-kausales Verständnis, 149 (17,9 %) ein interaktional-funktionales, 10 (1,2 %) ein gesellschaftsbedingtes, 7 (0,8 %) ein systemisch konstruiertes und 16 (1,9 %) ein gesellschaftlich konstruiertes Bild von Behinderung. Innerhalb der Presseberichterstattung dominiert also die Auffassung, dass Behinderung eine individuelle medizinische Kategorie ist (vgl. Kapitel I 2.1). Weniger wird die Umwelt, die Gesellschaft beziehungsweise ihre Systeme für das Entstehen von Behinderung (mit)verantwortlich gesehen. Auch wenn im Rahmen der Artikel immer wieder von Problemen durch verschiedenste Barrieren berichtet wird (vgl. Focus 04.03.2002, 70; Stern 18.11.2004, 48; Süddeutsche Zeitung 04.05.2005, 44) als grundsätzlich eine Behinderung generierender Aspekt, wird dies in der Regel nicht gesehen. Es erfolgt eher eine Abtrennung im Sinne von: eine Person hat aufgrund ihrer Behinderung Schwierigkeiten durch verschiedene Barrieren (vgl. Süddeutsche Zeitung 10.01.2004, 8; 30.04.2002, 4). Einen Überblick über die Verteilung eines bestimmten Verständnisses von Behinderung auf Ebene der Artikel gibt Tabelle 26. Dabei werden nur Artikel betrachtet, bei denen eine bestimmte Auffassung von Behinderung auch deutlich wird. Im Einzelfall kann ein Artikel auch gleichzeitig mehrere Sichtweisen beinhalten. Die Kategorien gesellschaftsbedingt, systemisch konstruiert und gesellschaftlich konstruiert (vgl. Code 3-1 im Anhang 2.2), also die Modelle, die über
184
V Quantitative Ergebnisse
ein personenbezogenes oder mikrosoziales Behinderungsbild hinausgehen, wurden unter dem Terminus makrosoziale Modelle zusammengefasst.
Medizinischkausal Individualfunktional Makrosoziale Modelle
Bild
Süddeutsche 257 (78,4 %)
Nachrichtenmagazine 107 (74,3 %)
97 (78,9 %)
Illustrierte 92 (72,4 %)
25 (20,3 %)
53 (16,2 %)
33 (22,9 %)
30 (23,6 %)
1 (0,8 %)
18 (5,5 %)
4 (2,8 %)
5 (3,9 %)
123 (100 %)
328 (100 %)
144 (100 %)
127 (100 %)
Tabelle 26: Absolute und relative Häufigkeiten des Behinderungsverständnisses (Code 3-1) auf Artikelebene (Code wurde in Textvariable umgewandelt) in Abhängigkeit von den Zeitungen beziehungsweise Zeitschriftenarten. Die Bild und die Süddeutsche Zeitung weisen beide mit über 78 % einen sehr hohen Prozentsatz eines medizinisch-kausalen Behinderungsbildes (vgl. Personenorientiertes Paradigma im Kapitel I 2.1) auf. Der Wert bei Nachrichtenmagazinen und Illustrierten ist hier etwas geringer. Das individual-funktionale Modell kommt anteilsmäßig innerhalb der Illustrierten (23,6 %), Nachrichtenmagazine (22,9 %) und der Bild (20,3 %) deutlich häufiger zum Ausdruck als bei der Süddeutschen Zeitung (16,2 %). Dafür gibt es in der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung den höchsten Anteil an makrosozialen Behinderungsmodellen (5,5 %), gefolgt von Illustrierten (3,9 %) und Nachrichtenmagazinen (2,8 %). Vor allem innerhalb der Berichterstattung der Bild kommt ein derartiges Verständnis bei einem relativen Anteil von 0,8 % so gut wie nicht zum Tragen. Wie aufgrund des Überblicks in Tabelle 26 nicht anders zu erwarten, dominiert das medizinisch-kausale Verständnis von Behinderung bei jeder kategorisierten Art von Einschränkung (vgl. Tab. 27). Allerdings ergeben sich wesentliche Unterschiede in der Verteilung abhängig von der Form der Behinderung. Sofern der Terminus Behinderung mit Blindheit oder Gehörlosigkeit assoziiert wird, kommt fast immer ein medizinisches Verständnis zum Tragen. Die untersuchten Presseerzeugnisse stellen dabei den einfachen kausalen Zusammenhang zwischen einem medizinisch-körperlichen Defekt und einer Behinderung her. Allerdings ist der Anteil an makrosozialen Modellen von Behinderung bei Sinnesbehinderungen innerhalb der Presseberichterstattung höher als das des individual-funktionalen Modells. Eine makrosoziale Sichtweise wird dabei speziell bei Gehörlosigkeit innerhalb der Artikel von zitierten gehörlosen Personen vertreten
185
3 Einschränkung und Behinderung
und nicht durch den Autor des Artikels selbst. Dabei wird von den zitierten Personen betont, dass es sich bei der Gehörlosengemeinschaft eher um eine Subkultur oder Minderheit handelt und der Terminus oder der Begriff Behinderung ein von der übrigen Gesellschaft etabliertes Konstrukt ist (vgl. Der Spiegel 29.07.2002, 86ff.; Focus 15.04.2002, 274).
Medizinisch-kausal Individualfunktional Makrosoziale Modelle
Medizinisch-kausal Individualfunktional Makrosoziale Modelle
Autismus
Blindheit
Gehörlosigkeit
8 (50,0 %) 7 (43,8 %)
42 (91,3 %) 1 (2,2 %)
18 (81,8 %) 1 (4,5 %)
Mehrfacheinschränkung 43 (59,7 %) 29 (40,3 %)
1 (6,3 %)
3 (6,5 %)
3 (13,6 %)
-
16 (100 %) Spracheinschränkung
22 (100 %) Physische Einschränkung 162 (76,8 %) 46 (21,8 %)
72 (100 %)
2 (50,0 %) 1 (25,0 %)
46 (100 %) Kognitive Einschränkung 88 (69,3 %) 32 (25,2 %)
1 (25,0%)
7 (5,5 %)
3 (1,4 %)
4 (100 %)
127 (100 %)
211 (100 %)
Tabelle 27: Absolute und relative Häufigkeiten des Behinderungsverständnisses (Code 3-1) auf Artikelebene (Code wurde in Textvariable umgewandelt) in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V). Im Kontext Autismus, Mehrfachbehinderungen und Spracheinschränkungen sind weniger Artikel mit medizinisch-kausalem Behinderungsverständnis zu erkennen. Hohe Häufigkeiten des individual-funktionalen Verständnisses sind im Vergleich zu den anderen Behinderungsarten vor allem bei Mehrfachbehinderungen und im Zusammenhang mit Autismus zu finden. Bei kognitiven und physischen Einschränkungen wiederum ist ein medizinisch-kausales Verständnis dominanter, allerdings ist auch hier der Anteil an der individual-funktionalen Sichtweise wesentlich höher als innerhalb der Sinneseinschränkungen.
3.3
Handlungsmodelle
Die bereits in Kapitel I 2.3 erläuterten Handlungsmodelle von Kobi (vgl. Kobi 1981) dienten als Ausgangsbasis für nachfolgende Betrachtung. Im Laufe der Analyse wurden die Kategorien induktiv erweitert, was zu insgesamt 12 inhaltli-
186
V Quantitative Ergebnisse
chen Kategorien führte, über die im Rahmen der Presse berichtet wird (vgl. Code 3-2-2 in Anhang 2.2). Zudem wurde versucht, die Handlungsmodelle sozialen Kategorien zuzuordnen, die auf individualer und systemischer Ebene zwischen der Perspektive von Personen mit Einschränkungen oder Behinderungen und nicht behinderten Personen unterscheiden. Des Weiteren wurde auch eine makrosoziale Kategorie eingeführt (vgl. Code 3-2-3). In der Presse beschriebene Handlungsmodelle als Reaktion auf Behinderung, die sich keiner sozialen Kategorie zuordnen ließen, wurden extra kategorisiert (vgl. Code 3-2-3). An eine Betrachtung der Häufigkeiten der beschriebenen Kategorien schließen sich innerhalb dieses Kapitels weitere Zusammenhangsuntersuchungen im Kontext der Handlungsmodelle an. Die Zuordnung der sozialen Kategorien bezieht insgesamt 1101122 einzelne Codierungen ein. Es ergibt sich die in nachfolgender Tabelle aufgeführte Verteilung. Individual extern Individual Eigenperspektive Systeme extern Systeme Interessenvertretungen Makrosysteme
Absolut 212 100 488 39 262 1101
Relativ 19,3 % 9,1 % 44,3 % 3,5 % 23,8 % 100 %
Tabelle 28: Absolute und relative Häufigkeiten der sozialen Zuordnung der Handlungsmodelle (Code 3-2-1). Im Kontext der Handlungsstrategien im Zusammenhang mit Behinderung beschreibt die Presse eher Handlungsmuster externer Personen (19,3 %) oder Systeme (44,3 %), die selbst nicht von Einschränkungen betroffen sind, oder auch Handlungen von Makrosystemen (23,8 %). Handlungsstrategien und Initiativen von betroffenen Personen selbst (9,1 %) oder deren eigenen Interessenvertretungen oder Selbsthilfegruppen (3,5 %) werden innerhalb der Artikel wesentlich weniger thematisiert. Die Berichterstattung zeigt ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Handlungen von externen Experten oder Organisationen und betroffenen Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen (vgl. Tab. 28).
122 Da das Analyseprogramm MAXqda 2007 beim Kopieren von Codes keine überlagernden Codeausprägungen innerhalb einer Kategorie zulässt, fällt diese Zahl geringer aus als die tatsächliche Anzahl an Handlungsmustern. Praktisch zählt das Programm zwei verschiedene Handlungsmuster derselben sozialen Kategorie die sich textlich überschneiden nur einmal. Die Unterschiede in Tabelle 28 und Tabelle 29 haben genau diese Ursache.
187
3 Einschränkung und Behinderung
Insgesamt wurden bei den Handlungsmodellen mit sozialer Komponente 1147 Sinneinheiten codiert. Zur besseren Übersicht wurden die Häufigkeiten der einzelnen Strategien in Tabelle 29 zusammengefasst. Ausschluss, Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Hilfe, Einsatz (unspezifisch) Interaktion, Kontakt Karitativ Kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Mitgestaltend, legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstiges
Absolut 32 69 4 8 125 215 268 105 (35) 60 68 135 23 35 1147
Relativ 2,8 % 6,0 % 0,3 % 0,7 % 10,9 % 18,7 % 23,4 % 9,2 % (3,1 %) 5,2 % 5,9 % 11,8 % 2,0 % 3,1 % 100 %
Tabelle 29: Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2). Die drei häufigsten Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit, auf die innerhalb der Presse verwiesen wird, sind das kompensatorische (23,4 %), das karitative (18,7 %) und das rehabilitative Modell (11,8 %), gefolgt von Kontakt, Interaktion (10,9 %), dem medizinischen Modell (9,2 %) und Maßnahmen zur Eingliederung ins Arbeitsystem (6,0 %). Wenig Bedeutung kommt dem exorzistischen Handlungsmodell zu, das nur innerhalb von vier Artikeln beschrieben wird. Berichtet die Presse über Einsatz oder Hilfen für Menschen mit Einschränkungen, geschieht dies zudem meist in konkreter Form, was sich an den geringen Prozentsätzen der Kategorie Hilfe, Einsatz (unspezifisch) zeigt (vgl. Tab. 29). Neben den eben aufgeführten Handlungsmodellen mit sozialen Zuordnungsmöglichkeiten wurden weitere Strategien codiert, die sich keiner spezifischen sozialen Kategorie zuordnen ließen (vgl. Code 3-2-3 in Anhang 2.2). Tabelle 30 stellt die absoluten und relativen Häufigkeiten der dabei untersuchten Modelle gegenüber.
188
Auslesend, verhindernd (Möglichkeit zur Auslese) Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Medizinisch (Therapeutisch) Rehabilitativ
V Quantitative Ergebnisse
Absolut 236 (159) 226 130 (38) 67 659
Relativ 35,8 % (24,1 %) 34,3 % 19,7 % (5,8 %) 10,2 % 100 %
Tabelle 30: Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3). Im Zusammenhang mit den Handlungsstrategien, bei denen keine Zuordnung zu einer sozialen Kategorie möglich ist, dominieren verhindernde und auslesende Maßnahmen (35,8 %). Wobei sich ein großer Anteil in der codierten Subkategorie „Möglichkeit zur Auslese“ findet. Verweise auf kompensatorische Maßnahmen mit Unterstützung von Hilfsmitteln erfolgen ebenfalls sehr häufig (34,3 %). Betrachtet man die Handlungsmodelle mit und ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit zusammen, kann man feststellen, dass innerhalb der Presseberichterstattung auf das kompensatorische Handlungsmuster am häufigsten verwiesen wird. Es kann somit als das innerhalb der untersuchten Printerzeugnisse dominierende Handlungsmodell angesehen werden. Die Zusammenhanganalysen der Handlungsmodelle versuchen einen Großteil der zuvor vorgestellten absoluten und relativen Häufigkeiten der in diesen Kontext wichtigen Konstrukte in Abhängigkeit von der im Artikel thematisierten Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V) oder auch der untersuchten Zeitung oder Zeitschrift aufzuzeigen. Einen Überblick über die Verteilung der sozialen Zuordnung der innerhalb der einzelnen Artikel aufgeführten Handlungsmodelle liefert Tabelle 31. Da auch in Tabelle 28 insgesamt externe Systeme in der Darstellung der Presse als Akteure in Reaktion auf Behinderung allgemein dominieren, verwundert es nicht, dass diese sozialen Gruppen auch bei fast jeder Art von Einschränkung123 den höchsten Anteil an Nennungen haben.
123 Dies gilt für alle Formen außer für Spracheinschränkungen. Allerdings sind hier auch nur insgesamt zwei Handlungsmodelle codiert, was keine wirklich aussagekräftigen Interpretationen zulässt.
189
3 Einschränkung und Behinderung
Individual extern Individual Eigenperspektive Systeme extern Systeme Interessenvertretungen Makrosysteme
Individual extern Individual Eigenperspektive Systeme extern Systeme Interessenvertretungen Makrosysteme
Autismus
Blindheit 6 (4,8 %) 19 (15,3 %)
Gehörlosigkeit 4 (9,8 %) 2 (4,9 %)
Mehrfacheinschränkung 10 (28,6 %) -
7 (46,7 %) 1 (6,7 %) 7 (46,7 %) -
78 (62,9 %) 6 (4,8 %)
25 (61,0 %) 3 (7,3 %)
23 (65,7 %) -
15 (100 %) Spracheinschränkung
7 (17,1 %) 41 (100 %) Physische Einschränkung 74 (26,3 %) 61 (21,7 %)
2 (5,7 %) 35 (100 %)
2 (100 %)
15 (12,1 %) 124 (100 %) Kognitive Einschränkung 34 (38,2 %) -
-
40 (44,9 %) 7 (7,9 %)
124 (44,1 %) 5 (1,8 %)
2 (100 %)
8 (9,0 %) 89 (100 %)
17 (6,0 %) 281 (100 %)
Tabelle 31: Absolute und relative Häufigkeit der sozialen Zuordnung der Handlungsmodelle (Code 3-2-1) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V). Betrachtet man die einzelnen Behinderungs- oder Einschränkungsarten fällt auf, dass bei Mehrfacheinschränkungen und kognitiven Einschränkungen der Anteil an Eigenhandlungen oder Handlungen von Interessen- oder Selbsthilfegruppen in der Pressedarstellung äußerst gering oder gar nicht vorhanden ist (0 % – 7,9 %). Der Umgang mit Behinderung beziehungsweise die Reaktionen darauf sind innerhalb dieser Einschränkungsformen in der Darstellung der Presse also in hohem Maße von externen Personen oder Instanzen geprägt. Die Häufigkeiten liegen dabei zwischen 83,1 % bei kognitiven Einschränkungen und 94,3 % bei Mehrfacheinschränkungen. Zwar sind auch bei anderen Einschränkungsformen außerhalb der jeweiligen Person oder Personengruppe mit Behinderung liegende Instanzen dominant, die Anteile an der gesamten erfassten Berichterstattung sind aber mit Werten zwischen 67,7 % und 70,8 % deutlich geringer als bei kognitiven Behinderungsarten. Initiativen oder Handlungen von Makrosystemen finden sich am ehesten im Kontext von Sinnesbeeinträchtigungen wie Gehörlosigkeit (17,1 %) oder Blindheit (12,1 %). Im Zusammenhang mit Autismus, Mehrfacheinschränkungen (5,7 %), aber auch bei physischen Einschränkungen (6,0 %) sind die Anteile hier im Verhältnis wesentlich kleiner.
190
Ausschluss, Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Unspezifische(r) Hilfe, Einsatz Interaktion, Kontakt Karitativ Kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Mitgestaltend, legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstiges
Ausschluss, Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Unspezifische(r) Hilfe, Einsatz Interaktion, Kontakt Karitativ Kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Mitgestaltend, legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstiges
V Quantitative Ergebnisse Autismus
Blindheit
Gehörlosigkeit
1 (5,3 %)
2 (1,6 %)
-
Mehrfacheinschränkung -
-
5 (3,9 %)
2 (4,9 %)
-
1 (5,3 %) -
-
-
-
2 (10,5 %) 5 (26,3 %) 5 (26,3 %) (4) 4 (21,1 %) 1 (5,3 %) 19 (100 %) Spracheinschränkung 1 (50,0 %)
6 (4,7 %) 5 (3,9 %) 68 (53,5 %) 1 (0,8 %) 16 (12,6 %) 11 (8,7 %) 8 (6,3 %) 5 (3,9 %) 127 (100 %) Kognitive Einschränkung 11 (12,4 %)
3 (7,3 %) 1 (2,4 %) 20 (48,9 %) 6 (14,6 %) (-) 1 (2,4 %) 4 (9,8 %) 4 (9,8 %) 41 (100 %) Physische Einschränkung 15 (5,2 %)
4 (9,5 %) 13 (31,0 %) 12 (28,6 %) (7) 4 (9,5 %) 9 (21,4 %) 42 (100 %)
-
1 (1,1 %)
6 (2,1 %)
-
2 (2,2 %) -
8 (2,7 %)
1 (50,0 %) -
38 (42,7 %) 11 (12,4 %) 4 (4,5 %) 2 (2,2 %) (-) 17 (19,1 %) 2 (2,2 %) 1 (1,1 %) 89 (100 %)
11 (3,8 %) 72 (24,7 %) 33 (11,3 %) 42 (14,4 %) (7) 3 (1,0 %) 7 (2,4 %) 89 (30,6 %) 1 (0,3 %) 4 (1,4 %) 291 (100 %)
2 (100 %)
Tabelle 32: Absolute und relative Häufigkeiten der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V). Tabelle 32 stellt die Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit den Arten von Behinderung und Einschränkung gegenüber. Auch hier finden sich logischerweise die häufigsten Handlungsmuster von Tabelle 29 bei zahlreichen Einschränkungsformen wieder. Neben karitativen, kompensatorischen und rehabilitativen sind aber innerhalb bestimmter Einschränkungsformen auch andere
3 Einschränkung und Behinderung
191
Handlungsmodelle bestimmend. Die einzelnen Behinderungsformen weisen, wie der Überblick zeigt, durchaus unterschiedliche Charakteristika auf. Bei Autismus lassen sich gleichwertig (jeweils 26,3 %) karitative und medizinische Handlungsimplikationen finden. Bei Sinnesbehinderungen spielt Kompensation erwartungsgemäß die wichtigste Rolle. Innerhalb dieses Überblicks sind die Sinnesbeeinträchtigungen Blindheit, Sehbehinderung beziehungsweise Gehörlosigkeit, Hörbehinderung, neben den physischen Einschränkungen, die einzigen Behinderungsarten, in deren Kontext, wenn auch nur in Einzelfällen, über mitgestaltend legislative Handlungsmuster berichtet wird. Im Zusammenhang mit Mehrfacheinschränkungen geht es neben dem karitativen Handlungsmuster (31,0 %) häufig um medizinisch therapeutische Handlungsformen (28,6 %). Interaktion und Kontakt (42,7 %) sind innerhalb der Berichterstattung in Verbindung mit kognitiven Einschränkungen dominierend, zudem spielen, wenn auch mit großem Abstand, pädagogische Handlungsmodelle (19,1 %) hier eine wichtige Rolle. Rehabilitative Handlungen prägen die Berichterstattung im Kontext von physischen Einschränkungen (30,6 %). Auch der Anteil an karitativen Handlungsformen (24,7 %) ist hier groß. Bei den Handlungsmodellen ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit gibt es auch Unterschiede zwischen den Arten von Einschränkungen (vgl. Tab. 33). Bei den physischen sowie bei den Sinneseinschränkungen, vor allem bei Blindheit (93,3 %), ist das hilfsmittelspezifische kompensatorische Handlungsmuster bestimmend. Allerdings teilt sich dieses Handlungsmodell im Kontext Gehörlosigkeit den ersten Rangplatz mit dem medizinischen Handlungsmodell. Über auslesende oder verhindernde Handlungsmuster wird innerhalb der Presseberichterstattung nur im Kontext von drei Behinderungs- oder Einschränkungsformen berichtet. Der Anteil dieses Handlungsmodells ist insbesondere im Zusammenhang mit kognitiven Einschränkungen hoch (77,1 %). Auch bei Mehrfacheinschränkungen ist dieses, wenn auch mit geringerem Anteil an der Gesamtverteilung, dominierend. Um Charakteristika und Unterschiede in der Berichterstattung und im Umgang mit Behinderung und Einschränkung in den einzelnen untersuchten Printmedien zu identifizieren, wurden die Handlungsmodelle auch nach den einzelnen Zeitschriften und Zeitungen differenziert analysiert (vgl. Tab. 34, Tab. 35, Tab. 36 und Tab. 37). In beiden Zeitungen werden alle Handlungsmodelle innerhalb der untersuchten Artikel thematisiert (vgl. Tab 34). Zwar haben Bild und Süddeutsche Zeitung zwei (karitativ und kompensatorisch) der drei häufigsten Handlungsmuster (ergänzend Eingliederung Arbeitssystem bei der Bild und Interaktion, Kontakt bei der Süddeutschen Zeitung) gemeinsam, trotzdem lässt sich eine etwas
192
V Quantitative Ergebnisse
andere Verteilung und Schwerpunktsetzung in der Berichterstattung der Bild im Vergleich zur Süddeutschen Zeitung auf dieser Ebene erkennen.
Auslesend, verhindernd (davon Möglichkeit zur Auslese) Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Rehabilitativ
Auslesend, verhindernd (davon Möglichkeit zur Auslese) Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Rehabilitativ
Autismus
Blindheit
Gehörlosigkeit
-
-
-
-
70 (93,3 %)
18 (42,9 %)
8 (100 %) (3) 8 (100 %) Spracheinschränkung
-
4 (5,3 %) (-) 1 (1,3 %) 75 (100 %) Kognitive Einschränkung 27 (77,1 %) (12) -
18 (42,9 %) (1) 6 (14,3 %) 42 (100 %) Physische Einschränkung 20 (9,9 %) (8) 92 (45,3 %)
1 (100 %) (-) 1 (100 %)
8 (22,9 %) (2) 35 (100 %)
43 (21,2 %) (10) 48 (23,6 %) 203 (100 %)
-
Mehrfacheinschränkung 15 (40,5 %) (2) 5 (13,5 %) 12 (32,4 %) (5) 5 (13,5 %) 37 (100 %)
Tabelle 33: Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (Variable 4-3V). Ausschluss, Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Unspezifische(r) Hilfe, Einsatz Interaktion, Kontakt Karitativ Kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Mitgestaltend, legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstiges
Bild 7 (6,1 %) 18 (15,7 %) 1 (0,9 %) 5 (4,3 %) 7 (6,1 %) 39 (33,9 %) 15 (13,0 %) 12 (10,4 %) (5) 1 (0,9 %) 2 (1,7 %) 5 (4,3 %) 1 (0,9 %) 2 (1,7 %) 115 (100 %)
Süddeutsche Zeitung 19 (2,9 %) 48 (7,2 %) 3 (0,5 %) 3 (0,5 %) 91 (13,7 %) 80 (12,1 %) 197 (29,7 %) 20 (3,0 %) (9) 54 (8,1 %) 52 (7,8 %) 52 (7,8 %) 16 (2,4 %) 28 (4,2 %) 663 (100 %)
Tabelle 34: Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen.
193
3 Einschränkung und Behinderung
Bei der Bild dominiert das karitative Handlungsmodell mit einem Anteil von fast 34 % im Kontext derjenigen mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit. In der Süddeutschen Zeitung ist dieses Modell zwar ebenfalls eines der meist thematisierten, allerdings ist der Anteil mit 12,1 % wesentlich geringer. Der größte Anteil an Aussagen innerhalb der Artikel der Süddeutschen Zeitung lässt sich dem kompensatorischen Modell (29,7 %) zuordnen. Innerhalb der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit gibt es auch unterschiedliche Verteilungen bei den beiden untersuchten Zeitungen. Bei der Süddeutschen Zeitung wird das auslesend, verhindernde Handlungsmuster am häufigsten thematisiert. Der Anteil im Kontext der Diskussion über Auslese ist mit 91 Nennungen dabei sehr hoch. Etwas geringer, aber dennoch sehr präsent ist der Anteil an hilfsmittelspezifisch kompensatorischen Handlungen (37,9 %). Diese Form spielt also sowohl bei den Handlungsmodellen mit als auch bei denen ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit eine wichtige Rolle und kann insgesamt als das in der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung am häufigsten thematisierte Handlungsmuster angesehen werden. Auslesend, verhindernd (davon Möglichkeit zur Auslese) Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Rehabilitativ
Bild 5 (14,7 %) (4) 9 (26,5 %)
Süddeutsche Zeitung 134 (40,6 %) (91) 125 (37,9 %)
11 (32,4 %) (4) 9 (26,5 %) 34 (100 %)
52 (15,8 %) (11) 19 (5,6 %) 330 (100 %)
Tabelle 35: Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen. Innerhalb der Bild gibt es grundsätzlich wesentlich weniger Beschreibungen von Handlungsmustern als Reaktion auf Behinderung oder Einschränkung, die keiner Person oder Gruppe zugeordnet werden können (34 im Vergleich zu 330 bei der Süddeutschen Zeitung). Die meisten Aussagen finden sich zu medizinischen Handlungsimplikationen (32,4 %). Rehabilitation und Kompensation folgen mit jeweils 26,5 % auf Rangplatz zwei der Handlungsmodelle ohne sozialer Zuordnungsmöglichkeit (vgl. Tab. 35). Bestimmte innerhalb der Zeitungen codierte Handlungsmodelle werden innerhalb der Zeitschriften grundsätzlich nicht thematisiert. Hier finden sich weder exorzistische Modelle noch Aussagen, die unspezifische Hilfen beschreiben. Die wenigsten Arten von Handlungsmustern werden innerhalb der klassischen Illustrierten Bunte (7) und Super Illu (5) angesprochen. Die Variationen bei den Hand-
194
V Quantitative Ergebnisse
lungsmodellen innerhalb der politischen Illustrierten Stern und der beiden Nachrichtenmagazine sind etwas breiter. Die innerhalb der Nachrichtenmagazine thematisierten Handlungen weisen im Gesamten Parallelen auf. Die medizinische Bekämpfung der Ursache von Einschränkung und Behinderung ist dabei am häufigsten zu finden. 20,6 % aller im Focus und 24,8 % der im Spiegel genannten Handlungsmuster setzen sich damit auseinander. Auch die Verteilungen der karitativen, kompensatorischen und rehabilitativen Handlungsmuster zwischen den beiden Magazinen sind mit 14,7 % zu 15,8 %, 17,6 % zu 19,8 % und 19,1 % zu 19,8 % sehr ähnlich. Im Kontext Behinderung und Einschränkung werden also innerhalb der Nachrichtenmagazine fast identische Handlungsstrategien thematisiert. Das Bild innerhalb der Illustrierten ist weniger einheitlich. Bei der politischen Illustrierten Stern lassen sich die meisten Aussagen im hier thematisierten Untersuchungskontext dem rehabilitativen (27,7 %), dicht gefolgt vom medizinischen (23,4 %) und karitativen Modell (21,3 %) zuordnen. Das rehabilitative und das karitative Handlungsmuster finden sich auch bei der Super Illu unter den drei meistgenannten Modellen. Zusätzlich spielen dort auch Beschreibungen von Kompensationsmaßnahmen eine wichtige Rolle (vgl. Tab. 36). Ausschluss, Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Unspezifische(r) Hilfe, Einsatz Interaktion, Kontakt Karitativ Kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Mitgestaltend, legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstiges
Bunte 2 (3,2 %) -
Focus 1 (1,5 %)
Spiegel 2 (2,0 %) 2 (2,0 %)
Stern 2 (2,1 %) -
Super Illu -
-
-
-
-
-
1 (1,6 %) 39 (62,9 %) 5 (8,1 %) 8 (12,9 %) (6) 6 (9,7 %) 1 (1,6 %) 62 (100 %)
11 (16,2 %) 10 (14,7 %) 12 (17,6 %) 14 (20,6 %) (6) 1 (1,5 %) 1 (1,5 %) 13 (19,1 %) 4 (5,9 %) 1 (1,5 %) 68 (100 %)
5 (5,0 %) 16 (15,8 %) 20 (19,8 %) 25 (24,8 %) (4) 4 (4,0 %) 6 (5,9 %) 20 (19,8 %) 1 (1,0 %) 101 (100 %)
5 (5,3 %) 20 (21,3 %) 8 (8,5 %) 22 (23,4) (4) 7 (7,4 %) 26 (27,7 %) 2 (2,1 %) 2 (2,1 %) 94 (100 %)
5 (11,4 %) 11 (25,0 %) 11 (25,0 %) 4 (9,1 %) (1) 13 (29,5 %) 44 (100 %)
Tabelle 36: Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-2) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften. Wie bei keinem anderen untersuchten Printerzeugnis dominiert innerhalb der klassischen Illustrierten Bunte ein einziges, nämlich das karitative Handlungsmuster (62,9 %). Grund dafür sind die zahlreichen Berichte über Charityveranstaltungen und gesellschaftliche Ereignisse von Stars und Sternchen im Rah-
195
3 Einschränkung und Behinderung
men derer, meist durch Erwähnung in einem Nebensatz, auf karitative Aktionen für behinderte Kinder hingewiesen wird, die ihnen zum Beispiel eine Delfintherapie ermöglichen sollen (vgl. Bunte 29.09.2005, 124; 19.09.2002, 109). Nachfolgende Tabelle zeigt die relativen Häufigkeiten bestimmter Handlungsmuster in den Zeitschriften, bei denen keine soziale Zuordnung in irgendeiner Form möglich war (vgl. Tab. 37). Auslesend, verhindernd (davon Möglichkeit zur Auslese) Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Medizinisch (davon Therapeutisch) Rehabilitativ
Bunte 2 (6,3 %) (1) 4 (12,5 %)
Focus 30 (45,5 %) (21) 18 (27,3 %)
Spiegel 48 (46,2 %) (35) 34 (32,7 %)
Stern 16 (24,2) (6) 23 (34,8)
Super Illu 1 (3,7 %) (1) 13 (48,1 %)
18 (56,3 %) (11) 8 (25,0 %) 32 (100 %)
9 (13,6 %) (3) 9 (13,6 %) 66 (100 %)
18 (17,3 %) (6) 4 (3,8 %) 104 (100 %)
16 (24,2) (1) 11 (16,7 %) 66 (100 %)
6 (22,2 %) (2) 7 (25,9 %) 27 (100 %)
Tabelle 37: Absolute und relative Häufigkeit der Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (Code 3-2-3) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften. Bei beiden Nachrichtenmagazinen wird ähnlich wie bei der Süddeutschen Zeitung das auslesend, verhindernde Handlungsmodell am häufigsten beschrieben. Insbesondere die Diskussionen um die Möglichkeiten zur Prävention von Behinderung mittels Abtreibung oder Präimplantationsdiagnostik (Möglichkeiten zur Auslese) standen innerhalb der hier untersuchten Modelle im Fokus. 46,2 % der Aussagen zu Handlungsmodellen ohne soziale Zuordnung im Nachrichtenmagazin Der Spiegel und 45,5 % beim Focus setzten sich mit dieser Thematik auseinander. Die Kompensation durch Hilfsmittel war innerhalb der Berichterstattung von Stern und Super Illu am häufigsten zu finden. Ähnlich wie bei den Handlungsmustern mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (vgl. Tab. 36) zeigt sich auch bei denen ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit die Bunte wieder mit einem einzelnen sehr dominanten Handlungsmodell. In diesem Fall ist es das innerhalb der anderen Zeitschriften etwas weniger beachtete medizinische Handlungsmuster (56,3 %).
3.4
Zwischenfazit
Menschen mit kognitiven Einschränkungen, also Personen mit sogenannten Lernbehinderungen und geistigen Behinderungen, sowie Menschen mit körperlichen Funktionseinschränkungen sind innerhalb der untersuchten Printmedien die präsentesten Formen. Im Kontext der Medienwirkung (vgl. Kapitel I 1.4) dürften
196
V Quantitative Ergebnisse
diese Formen von Einschränkungen sowohl sehr prägend für das Bild von Behinderung sein als auch für das, was die Rezipienten unter einer Behinderung verstehen. Weniger oft beschrieben werden Sinnesbeeinträchtigungen, wobei Sehbeeinträchtigung und Blindheit öfter journalistisch verarbeitet werden als Gehörlosigkeit und Hörbehinderung (vgl. Kapitel V 3.1). Grundsätzlich gibt es kaum Unterschiede in der Verteilung zwischen der Betrachtung der auf Artikelebene dargestellten Einschränkungen (Variable 4-3V) und der der Behinderungsarten bei den innerhalb aller Artikel thematisierten Personen (Code 4-3). Innerhalb der Zeitungen und Zeitschriften sind die Verteilungen der Arten von Behinderung sehr ähnlich. Lediglich die Bild weist deutlichere Unterschiede zu den anderen Erzeugnissen auf (vgl. Tab. 25). Sie ist das einzige Printerzeugnis, bei dem die kognitive Einschränkung am häufigsten im Fokus steht. Im Vergleich zu neueren Untersuchungen im englischen Sprachraum und zu einer älteren Untersuchung deutschsprachiger Publikumszeitschriften ergeben sich erkennbare Unterschiede in den Häufigkeitsverteilungen der einzelnen Behinderungs- oder Einschränkungsarten. Die Analyse des Verständnisses von Behinderung ergab, dass unabhängig von der untersuchten Zeitung beziehungsweise Zeitschrift oder der Art der Einschränkung ein medizinisch-kausales Bild des Phänomens Behinderung vorherrscht. Bei Sinnesbehinderung insbesondere dann, wenn der Artikel Blindheit oder Sehbehinderung thematisiert. In diesem Rahmen ist es beinahe das einzig angesprochene Verständnis. Makrosoziale Konstrukte und Sichtweisen sind insgesamt sehr wenig vertreten und wenn, dann eher in Abgrenzung zum Terminus oder dem Konstrukt Behinderung. Die Süddeutsche Zeitung hat hier innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse den höchsten Anteil. Bei den Behinderungsarten lassen sich die größten prozentualen Werte im Kontext von Hörbehinderungen finden. Viele der innerhalb der Presse thematisierten Handlungsmodelle und Handlungsstrategien zeigen, dass Menschen mit Behinderung noch nicht wirklich als Experten oder Unterstützer in eigener Sache gesehen oder dargestellt werden. Es dominieren fast immer Aktionen, die externen Personen, Gruppen oder gesamtgesellschaftlichen Subsystemen zugeordnet werden können (vgl. Tab. 31). Im Bild der Presse entscheiden also eher externe Instanzen oder andere Personen über Handlungen, die im Kontext Behinderung beschlossen oder durchgeführt werden. Dies lässt auch zum Teil Rückschlüsse auf die tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten zu, über die die Presse ja berichtet. Vor allem bei Personen mit Autismus, kognitiven Einschränkungen oder Mehrfachbehinderungen wird dies sehr stark deutlich. Hier erfolgt nahezu keine Berichterstattung über Handlungsmodelle, die der Person oder Selbsthilfeorganisationen der jeweiligen Einschränkungsart zugewiesen werden.
3 Einschränkung und Behinderung
197
Die dominierenden Handlungsstrategien mit sozialer Zuordnung, die die Presse im Kontext Behinderung darstellt, sind karitative, kompensatorische und rehabilitative Vorgehensweisen. Die stark individuumsorientierte Prägung vor allem dieser Handlungsmuster unterstreicht auch das dargestellte Verständnis von Behinderung (vgl. Kapitel V 3.2). Dieses suggeriert, dass die Ursache von Behinderung in erster Linie in der Person selbst liegt, aus diesem Grund sind logischerweise auch die individuumszentrierten und im Kontext karitativer Aktionen anonymisierten Handlungsstrategien am häufigsten erwähnt. Lediglich im Zusammenhang mit kognitiven Einschränkungen findet sich mit „Interaktion, Kontakt“ eine soziale Handlungsstrategie als häufigste Nennung. Bei der Untersuchung der Modelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit war in der Presse das auslesend/verhindernde Modell das, welches die meiste Erwähnung fand. Vor allem im Kontext kognitiver Einschränkungen war es das mit Abstand am häufigsten dargestellte Modell. Auch bei Mehrfacheinschränkungen wurde es sehr oft thematisiert. Ebenso findet die Abtreibungsdiskussion offenbar in erster Linie in Verbindung mit diesen beiden Einschränkungsformen statt. Inwieweit die Diskussion auch andere Arten von Einschränkungen betreffen würde, wenn es eindeutigere diagnostischere Verfahren für angeborene Blindheit oder Gehörlosigkeit gäbe, kann hier nicht geklärt werden. Auch über die Wirkung eines Zusammenhangs zwischen der Abtreibungsdiskussion und der Akzeptanz von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in der Gesellschaft kann man nur spekulieren. Die gehäuft im Kontext einer spezifischen Art von Behinderung innerhalb der Presse ausgetragenen und vorgestellten Diskussionen mögen dabei nicht unbedingt zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Wertschätzung dieser Personengruppe beitragen. Die Ergebnisse im Bezug auf die Zusammenhänge bestimmter Handlungsstrategien mit bestimmten Zeitungen oder Zeitschriften ergeben Ähnlichkeiten in der grundsätzlichen Verteilung der Handlungsmuster bei den untersuchten Nachrichtenmagazinen. Innerhalb der Zeitung Bild, aber insbesondere bei der Illustrierten Bunte findet sich ein sehr hoher Anteil an karitativen Handlungsmustern (vgl. Tab. 34 und Tab. 36). Vor allem bei der Bunten gibt es dabei eine sehr eigene Art von Berichterstattung, deren Fokus eigentlich auf der Beschreibung eines „Society Events“ mit zahlreichen Prominentennennungen liegt, die nebenbei oder auch fast zufällig innerhalb dieser Veranstaltung etwas für behinderte Menschen tun (vgl. dazu auch Kapitel VI 2). Keine der anderen Handlungsstrategien ist innerhalb eines bestimmten Presseerzeugnisses so dominant. Bei den Handlungsstrategien ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit fällt auf, dass sich die Illustrierten Bunte und Super Illu aus der Diskussion um Abtreibung oder der Berichterstattung darüber heraushalten, während genau dies innerhalb der Nachrichtenmagazine und bei der Süddeutschen Zeitung ein wichtiger Teil der Dar-
198
V Quantitative Ergebnisse
stellung ist (vgl. Tab. 37). Per Definition eher auf Unterhaltung und Sensation ausgelegte Printerzeugnisse zeigen sich dahingehend also zurückhaltend; die Diskussion darüber findet eher im Feld des „seriösen“ Journalismus statt.
4
Soziodemographische Informationen und Genese
Dieses Kapitel setzt sich mit der Erfassung der soziodemographischen Merkmale, wie Geschlecht, Alter, Beruf und Familienstand der in den Artikeln vorkommenden Menschen mit Behinderung auseinander. Die Ausgangsgrößen sind dabei recht unterschiedlich, da sich in vielen Berichten nur wenige Informationen über die dargestellten Personen mit Behinderung oder Einschränkung finden. Anzumerken bleibt außerdem, dass die Daten durch mehrere Berichte in einer oder mehreren Zeitungen oder Zeitschriften über ein und dieselbe Person leicht verfälscht werden.124
4.1
Gruppen-, Alters- und Geschlechtesverteilung
Innerhalb der 1634 untersuchten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel wird über 1145 namentlich und 353 nicht namentlich erwähnte Einzelpersonen berichtet. Daneben gibt es 42 nicht klar definierte Personengruppen und 409 spezifische Gruppen, die innerhalb der Grundgesamtheit aller Artikel auftauchten (vgl. Code 4-1). Die Ausführungen innerhalb dieses Kapitels beschäftigen sich jedoch nur mit Einzelpersonen. Die Altersverteilung der innerhalb aller Artikel gefundenen Menschen mit Behinderung zeigt das nachfolgende Histogramm (vgl. Abb. 25). Neben der angesprochenen möglichen Mehrfachbetrachtung einer Person hat auch der Ausschluss altersgemäßer oder rein altersbedingter Einschränkungen starken Einfluss auf diese Verteilung (vgl. Kapitel IV 2), was nur eine vorsichtige Interpretation der Daten zulässt.
124 Aufgrund des Designs der Untersuchung lassen sich Falldoppelungen innerhalb eines Codes nicht ausschließen. Die Daten von bestimmten bekannten und unbekannten Personen sind deshalb innerhalb dieser statistischen Betrachtung öfter vorhanden.
4 Soziodemographische Informationen und Genese
199
Abbildung 25: Histogramm der Altersverteilung der innerhalb der Artikel erwähnten Einzelpersonen (N=802; Mittelwert: 30,1; Median: 27,5). Das Diagramm des Lebensalters der innerhalb der Presse erwähnten Personen zeigt, dass im Kontext Behinderung relativ viele Kleinkinder und Jugendliche thematisiert werden. Dominant ist jedoch der Altersbereich zwischen 20 und 30 Jahren, in dem sich die meisten der erwähnten Personen befinden. Die sehr hohen Werte haben ihren Grund zum Teil in der Berichterstattung über Sportler, wie zum Beispiel Wojtek Czyz (vgl. Stern 30.09.2004, 41, Süddeutsche Zeitung 04.06.2005, 39), Verena Bentele (vgl. Süddeutsche Zeitung 11.03.2002, 41) oder dem durch einen Unfall gelähmten Ronny Ziesmer (vgl. Bild 23.10.2004, 20, Super Illu 15.11.2004, ohne Seite), die sich alle innerhalb dieser Altersspanne befinden. Zusätzlich beeinflusst wird dies auch durch das Alter von Ulvi Kulac, dem Angeklagten im Fall Peggy, auf den ebenfalls in zahlreichen Artikeln mit Altersangabe verwiesen wird (vgl. Bild 24.10.2002, 3; Der Spiegel 26.03.2005, 60ff.). Auch personenbedingt ist der hohe Wert kurz nach 50 Jahren, der zu gro-
200
V Quantitative Ergebnisse
ßen Teilen von Artikeln oder Erwähnungen des verstorbenen Hollywoodschauspielers Christopher Reeve (vgl. Bild 25.10.2003, 12; Bunte 29.12.2004, 64; Stern 31.10.2002, 212; Super Illu 14.10.2004, ohne Seite) verursacht wird. Alte Menschen finden laut Abbildung 25 in der Presse weniger Beachtung, was zum Teil an dem bereits erwähnten Ausschluss altersadäquater Einschränkungen aus der Grundgesamtheit, aber auch an der Datenbank125 liegen mag. Der Grund könnte aber auch darin zu suchen sein, dass ältere Menschen mit Behinderung in der Presse tatsächlich wesentlich weniger häufig thematisiert werden. Die nachfolgende nach Alterskategorien sortierte Tabelle noch mal verdeutlicht die grundsätzliche Altersverteilung in absoluten Zahlen (vgl. Tab. 38).
Altersgruppen
Säugling
Kind
Jugendliche
Erwachsene
14
136
70
554
Alte Menschen 32
Relativ 806126
Tabelle 38: Absolute Zahlen der Altersverteilung in Altersgruppen sortiert (Code 4-4). Von den 1498 innerhalb der Artikel erwähnten Personen wurde bei 1448, also einem Anteil von 96,7 %, das Geschlecht der Personen ersichtlich. Fast genau zwei Drittel waren männlich (66,4 %), ein Drittel (33,6 %) weiblich. Männliche Personen mit Behinderung werden also medial öfter repräsentiert als weibliche Personen. Obwohl Behinderung und Einschränkung in der Realität öfter Männer als Frauen betrifft, sind die realen Unterschiede laut statistischem Bundesamt127 weit geringer (vgl. Pfaff 2007, 714f.).
4.2
Behinderungsart, Familie und Beruf
Bei 1258 Artikeln konnte die Art der Behinderung oder Einschränkung bestimmt werden, was einem Anteil von 84,0 % entspricht. Die gesamte Verteilung des 125 Bei der verwendeten Datenbank LexisNexis® erfolgte eine Trennung der Kategorien „Altern“ und „Behinderung und Gesellschaft“ als einzeln definierte Subkategorien von „Gesellschaft, Sozialhilfe & Lebensstil“. Dadurch wurden unter Umständen Artikel nicht gefunden, die sich mit Behinderung im Alter auseinandersetzten, aber nur in die Kategorie „Altern“ eingeordnet waren. 126 Der etwas höhere Wert im Vergleich zu dem in Abbildung 25 ergibt sich daraus, dass in wenigen Texten die Zuordnung zur Altersgruppe eindeutig war, aber kein genaues Alter angegeben wurde. 127 Die Publikation nimmt den Behinderungsbegriff des SGB IX als Basis. In der Auslegung unterscheidet sich allerdings der Behinderungsbegriff doch etwas von dem Verständnis dieser Untersuchung. Nach Pfaff ist ungefähr jeder zwölfte Mensch in Deutschland schwerbehindert, was einer Quote von 8,2 % entspricht (vgl. Pfaff 2007, 713).
4 Soziodemographische Informationen und Genese
201
Codes 4-3 wurde zwar schon in Tabelle 24 aufgelistet, soll aber an dieser Stelle ohne Berücksichtigung der 240 Personen, bei denen keine Bestimmung der Einschränkungsart möglich war, noch einmal graphisch veranschaulicht werden (vgl. Abb. 26). Die meisten innerhalb der Presse erwähnten Personen kann man dem Bereich der körperlichen Einschränkungen zuordnen (569). Personen mit kognitiven Einschränkungen machen mit 309 ziemlich genau ein Viertel der Berichterstattung aus. Danach folgen blinde- und sehbehinderte Menschen. Hier werden insgesamt 178 Personen erwähnt. 99 Personen mit Mehrfacheinschränkungen und 59 schwerhörige und gehörlose Personen tauchen in der Berichterstattung auf und 36 Personen mit Autismus, aber nur 9 mit Personen mit Spracheinschränkungen werden innerhalb der Artikel thematisiert.
Abbildung 26: Relative Häufigkeiten der Behinderungs- beziehungsweise Einschränkungsarten auf personaler Ebene (Code 4-3; N=1258). Der Familienstand wurde ebenfalls erhoben, allerdings konnte er nur für sehr wenige, insgesamt 118, der in den einzelnen Artikeln erwähnten Personen festgestellt werden. Tabelle 39 zeigt die absoluten Häufigkeiten der erhobenen Codes zum Familienstand (vgl. Code 4-5 im Anhang 2.3).
202
Familienstand
V Quantitative Ergebnisse Ledig
Verheiratet
Verwitwet
Geschieden
17
68
2
3
In Beziehung 28
Relativ 118
Tabelle 39: Absolute Häufigkeiten bezüglich des Familienstandes der Personen (Code 4-5). Die Auflistung verdeutlicht, dass man in der Regel wenig über die in den Artikeln repräsentierten Personen erfährt. Der geringe Wert in der Spalte „ledig“ lässt vermuten, dass dies, wenn es der Fall ist, nicht thematisiert wird. Ist die Person mit Behinderung in einer Beziehung oder verheiratet wird eher darauf verwiesen. Ein Hinweis auf eine Ehe erfolgt absolut am häufigsten bei physischen Einschränkungen (43), gefolgt von Blindheit oder Sehbehinderung (13) und Mehrfacheinschränkungen (8). Relativ in Abhängigkeit von der Anzahl der Personen bei den jeweiligen Einschränkungsarten ergeben sich die höchsten Quoten ebenfalls bei diesen drei Formen. Der Anteil an verheirateten Personen bei Mehrfacheinschränkungen beträgt 8 %, bei physischen Einschränkungen 7,6 % und bei Blindheit oder Sehbehinderung 7,3 %. Bei Autismus erfolgt in der Berichterstattung kein Verweis auf Ehen oder Beziehungen. Bei kognitiven Beeinträchtigungen, aber auch bei gehörlosen oder schwerhörigen Personen gibt es vereinzelte Hinweise auf Ehen. Beziehungen werden bei Letzteren öfter erwähnt, was auch durch die Berichte über das lesbische Paar Sharon Duchesneau und Candace McCullough128 beeinflusst wurde (vgl. Bild 26.04.2002, 7; Focus 15.04.2002, 274). Ähnlich gering wie die Hinweise zum Familienstand von Menschen mit Behinderung waren auch die Indizien bezüglich Kinder von behinderten Menschen. Insgesamt wurden in 60 Artikeln 68 Kinder der beschriebenen Personen codiert. Hinweise auf Berufe fanden sich wesentlich häufiger. 402 Personen konnte eine Profession zugeordnet werden. Alles in allem gab es 103 verschiedene Berufe (vgl. Code 4-7 in Anhang 2.3). Tabelle 40 gibt einen Überblick über die Berufe, die am häufigsten codiert wurden.
128 Über das Paar, welches mittels genetischer Tests und eines Samenspenders sichergehen wollte, dass das Kind auf alle Fälle gehörlos wird, wurde in einigen Artikeln berichtet.
203
4 Soziodemographische Informationen und Genese
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 8. 8.
Schauspieler Sänger, Musiker Politiker Künstler Student Richter, Jurist Mitarbeiter der WfbM129 Journalist Physiker Auszubildender …
Absolut 54 37 33 27 24 18 17 8 8 8 … 402
Relativ 13,4 % 9,2 % 8,2 % 6,7 % 6,0 % 4,5 % 4,2 % 2,0 % 2,0 % 2,0 % … 100 %
Tabelle 40: Absolute und relative Häufigkeiten der zehn meist genannten Berufe (Code 4-7) der in der Presse erwähnten Menschen mit Behinderung oder Einschränkung. In der Auflistung der zehn innerhalb der Texte am häufigsten den behinderten Personen zugewiesenen Berufe zeigt sich eine Verteilung, wie man sie innerhalb eines Massenmediums erwarten würde. Vor allem Berufsgruppen mit hohem Nachrichtenpotenzial sind unter den ersten zehn, wie Schauspieler, Musiker, Sänger und Politiker. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um Erwähnungen oder Berichte über viele verschiedene Personen, sondern auch um Artikel und Verweise auf einzelne Personen, die in hohem Maße die Berichterstattung mitbeeinflussten. Beispiele hierfür wären Bobby Brederlow (Stern 24.01.2002, 2; Süddeutsche Zeitung 30.01.2002, 60f.) und Christopher Reeve (vgl. Süddeutsche Zeitung 12.10.2004, 14; Super Illu 19.04.2000, 28) bei den Schauspielern, Thomas Quasthoff (Der Spiegel 26.05.2005, 174f.; Stern 13.04.2000, 136) und Corina May (vgl. Bunte 13.02.2002, 92f.; 20.01.2000) in der Kategorie Musiker und Sänger sowie Wolfgang Schäuble (vgl. Bild 06.02.2004, 2; Stern 11.03.2004, 36) und Ilja Seifert (vgl. Süddeutsche Zeitung 01.03.2002, 6; 10.10.2000, 13) in ihrer Funktion als Politiker. Insgesamt zeigt sich innerhalb der Berufsfelder ein sehr heterogenes Bild vom Hilfsarbeiter auf dem Bauernhof (vgl. Der Spiegel 18.11.2002, 76) über eine IT-Spezialistin (vgl. Süddeutsche Zeitung 04.12.2004, 13) bis hin zur Justizprofessorin (vgl. Bild 04.10.2005, 2). Es sind also sehr viele unterschiedliche Tätigkeiten von Menschen mit Behinderung erwähnt.
129 Werkstatt für behinderte Menschen.
204 4.3
V Quantitative Ergebnisse
Genese der Einschränkung
Der Entstehungszeitpunkt einer Behinderung oder Einschränkung ließ sich in 740 Fällen kategorisieren (vgl. Code 4-8-2 in Anhang 2.3), in 662 Fällen wird dabei auch die Ursache der Behinderung angesprochen (vgl. Code 4-8-1 in Anhang 2.3). Die Einordnung des Entstehungszeitpunkts folgt dabei der klassischen Einteilung in prä-, peri- und postnatal entstandene Schädigungen (vgl. Neuhäuser 2003, 113ff.). Pränatal
Perinatal
Postnatal
44,1%
52,0%
3,9%
Abbildung 27: Prozentuale Verteilung des Zeitpunkts der Ursache beziehungsweise des Auftretens von Behinderung oder Einschränkung (vgl. Code 4-8-2). Der häufigste Zeitpunkt der Entstehungsursache einer Behinderung innerhalb der Presseartikel ist postnatal (52,0 %). Der Anteil an pränatal entstandenen Formen ist mit 44,1 % aber fast genauso hoch, 3,9 % der Fälle ließen sich einem perinatalen Entstehungszeitpunkt zuordnen (vgl. Abb. 27). Die Werte sind kaum mit denen anderer im Kapitel III 2.6 aufgeführter Untersuchungen vergleichbar. Zwar wird dort auf angeborene Behinderungen verwiesen, was auf den ersten Blick pränatalen Einschränkungsformen entspricht. Allerdings ist der Begriff nicht ausreichend definiert und damit bleibt unklar, ob auch externe perinatale Ursachen, wie zum Beispiel Gewalteinwirkung auf das ungeborene Kind, unter
205
4 Soziodemographische Informationen und Genese
diese Kategorie fallen oder ob mit angeboren nur interne im ungeborenen Kind liegende Ursachen gemeint sind. Neben dem Zeitpunkt wurde auch die grundsätzliche Ursache oder Diagnose des Entstehens einer Behinderung kategorisiert. Dabei wurde zwischen internen, externen und unklaren beziehungsweise multifaktoriellen Ebenen unterschieden, wobei sich „unklar“ in diesem Fall auf die abschließende wissenschaftliche Klärung des Phänomens bezieht und nicht darauf, ob dies einer durch den Text gegebenen Information zu entnehmen ist. Interne Ursachen machten 33,5 % der Fälle aus, in 12,2 % war der Grund wissenschaftlich unbekannt oder multifaktoriell. Den größten Anteil hatten mit 54,2 % Einschränkungen oder Behinderungen, die extern bedingt waren (vgl. Abb. 28). Intern
Extern
Unbekannt,multifaktoriell
12,2% 33,5%
54,2%
Abbildung 28: Prozentuale Verteilung der Ursache von Behinderung oder Einschränkung (vgl. Code 4-8-1). Die häufigste interne Ursache von Behinderung, die in der Presse thematisiert wird, sind chromosomale Störungen und hier im Speziellen die Chromosomenanomalie Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom. Hier gibt es 71 erfasste Fälle. Externe, also von außen verursachte Störungen haben ihren Ursprung meist in einem Unfall. Mit 195 codierten Einheiten machen Unfälle 29,5 % aller kategorisierbaren Ursachen in diesem Bereich aus. Bei den nicht abschließend geklärten beziehungsweise multifaktoriell bedingten Störungen sind autistische Störungen am häufigsten genannt.
206 4.4
V Quantitative Ergebnisse
Zwischenfazit
Die soziodemographischen Informationen der innerhalb der Zeitungen und Zeitschriften erwähnten Personen ergeben ein teilweise mit realen Gegebenheiten nicht korrespondierendes Gesamtbild. Dafür sprechen vor allem die stark von offiziellen Statistiken abweichenden Daten bezüglich der Alters- und Geschlechterverteilung. Neben einer Überrepräsentation des männlichen Geschlechts zeigen Altersverteilung und Altersdurchschnitt (vgl. Abb. 25) stark von realen Daten der Bevölkerung in Deutschland (vgl. Pfaff 2007) abweichende Werte. Außer den tatsächlichen Unterschieden zwischen der Presseberichterstattung und der Realität sind sicherlich auch ein anderes Verständnis von Behinderung im Vergleich zur Publikation von Pfaff, das Vorgehen innerhalb der Recherche und die thematische Struktur des verwendeten Archivs Faktoren, die für die großen Differenzen verantwortlich sein können. Aber auch eine tatsächliche Unterrepräsentation bestimmter Altersgruppen innerhalb der Printmedien ist nicht auszuschließen. Die Informationen über Beruf und Familie von Menschen mit Behinderung zeigen ein sehr heterogenes Bild. Menschen mit Behinderung sind verheiratet, haben Kinder und verschiedene Berufe. Aufgrund der Berichterstattungsmechanismen der Presse ist es auch nicht verwunderlich, dass bestimmte Arten von Berufen gehäuft auftauchen. Schauspieler, Politiker sowie Musiker und Sänger sind Berufsgruppen, denen Personen des öffentlichen Interesses angehören und die somit logischerweise überhäufig innerhalb einer medialen Untersuchung repräsentiert sind. Dabei werden aufgrund des Designs der Untersuchung (vgl. Kapitel IV) wie bereits einleitend erwähnt bestimmte Personen öfter erfasst und so die tatsächlichen Ergebnisse auch verfälscht. Eine fallbezogene Betrachtung der Personen war leider nicht möglich. Externe und nach der Geburt auftretende Ursachen sind innerhalb der Berichterstattung der Presse am häufigsten für eine Einschränkung verantwortlich. Ein aussagekräftiger Vergleich mit anderen Untersuchungen (vgl. Kapitel III 2.6) in diesem Bereich war aufgrund der sehr unterschiedlichen Kategorisierungen nicht möglich.
5
Personen
Dieser Teil der Auswertung fokussiert die Darstellung von Personen innerhalb der untersuchten Artikel. Codiert wurde nur dann, wenn die Ausprägung des Codes 4-1 (vgl. Anhang 2.3) entweder „Nicht namentlich erwähnte Personen“ oder „namentlich erwähnte Personen“, also Einzelpersonen waren. Drei Kategorien versuchen ein klareres Bild davon zu schaffen, wie Menschen mit Ein-
207
5 Personen
schränkungen und Behinderungen in der Presse charakterisiert werden. Neben den Emotionen von und in Bezug auf Menschen mit Behinderung werden auch Kompetenzen und Erfolge sowie in der Presse zur Beschreibung der Personen verwendete Eigenschaften erfasst. Auch eine Auswertung der sozialen Bewertung dieser Eigenschaften auf Basis lexikalischer Untersuchungen ist Teil der Auswertung (vgl. Kapitel IV 4).
5.1
Emotionen
Bei der Betrachtung der Emotionen werden einerseits verschiedene Emotionsarten (vgl. Code 5-1-1 in Anhang 2.4) sowie die ihnen zugrunde liegenden sozialen Perspektiven berücksichtigt (vgl. Code 5-1-2 in Anhang 2.4). Dabei wird zwischen Emotionen in Bezug auf Menschen mit Behinderung (vgl. Code 5-1-2-1 in Anhang 2.4) und Emotionen beziehungsweise Befindlichkeiten behinderter Menschen unterschieden (vgl. Code 5-1-2-2 in Anhang 2.4). Generell ergab sich die in Tabelle 41 aufgelistete Verteilung von Emotionen von und in Bezug auf behinderte Menschen. Die Auflistung erfolgt sowohl mit und ohne Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid.
Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle Mitgefühl, Mitleid, Leid
Emotionen in Bezug auf Menschen mit Behinderung 31 (68,9 %) 10 (22,2 %) 3 (6,7 %)
Emotionen behinderter Menschen 18 (8,2 %) 21 (9,6 %) 107 (48,9 %)
Emotionen behinderter Menschen (Zusatzkategorie) 18 (4,5 %) 21 (5,3 %) 107 (27,0 %)
1 (2,2 %) -
73 (33,3 %) -
73 (18,4 %) 178 (44,8 %)
45 (100 %)
219 (100 %)
397 (100 %)
Tabelle 41: Absolute und relative Häufigkeiten der Emotionen (Code 5-1-1) von und in Bezug auf Menschen mit Behinderung (Code 5-1-2-1, 5-1-22) mit und ohne Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. Insgesamt finden sich innerhalb der untersuchten Artikel relativ wenige Beschreibungen, die sich konkret mit Emotionen im Bezug auf einzelne Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen (45 Codierungen). Wesentlich öfter wird innerhalb der Artikel über Emotionen von behinderten oder eingeschränkten
208
V Quantitative Ergebnisse
Menschen berichtet (219 beziehungsweise 397 Codierungen). Bei den innerhalb der Presse vermittelten Emotionen von und in Bezug auf Menschen mit Behinderung lassen sich mehr Emotionen finden, die positiven Kategorien zugeordnet werden können (Zuneigungsgefühle (68,9 %) bei „Emotionen in Bezug auf“, Wohlbefindlichkeitsgefühle (48,9 %) bei „Emotionen von behinderten Menschen“). Wird die Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid berücksichtigt, ist diese auch mit 44,8 % dominierend. Leid und Mitleid scheinen also im Kontext von Personen mit Behinderungen oder Einschränkungen ein zentrales Gefühl im Zusammenhang mit der Berichterstattung zu sein. Abbildung 29 stellt die Emotionen in Bezug auf Menschen mit Behinderung in Abhängigkeit der jeweiligen sozialen Zuordnung der einzelnen Aussagen dar. Die sehr geringe Anzahl führt zwar zu weniger Aussagekraft, allerdings lässt sich eine grundsätzliche Tendenz feststellen.
Abbildung 29: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) in Bezug auf Menschen mit Behinderung in Abhängigkeit verschiedener sozialer Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-1). Die Abbildung zeigt, dass Zuneigungsgefühle in Bezug auf Menschen mit Behinderung unabhängig von der getroffenen sozialen Zuordnung dominieren. Innerhalb der Presse sind Zuneigungsgefühle insbesondere im Kontext der durch wörtliche Zitate dargestellten Emotionen dritter Personen mit über 80 % be-
5 Personen
209
stimmend. Unbehagen oder Abneigung findet innerhalb der Presse nur selten Ausdruck. Wenn dann sind allerdings nie Personen mit Sinnesbehinderungen oder Autismus betroffen. Zudem wird Abneigung oder Unbehagen am wenigsten durch dritte Personen geäußert (vgl. Abb. 29) und kommt innerhalb der hier untersuchten Artikel nur im Kontext kognitiver oder physischer Einschränkungen oder im Zusammenhang mit Mehrfachbehinderungen vor. Die Beschreibung der Emotionen von Menschen mit Behinderung aus verschiedenen Perspektiven erfolgt wie bereits in Tabelle 41 dargestellt wesentlich häufiger. Die nachfolgenden Abbildungen versuchen mit und ohne Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid die Emotionen unter Verweis auf die soziale Zuordnung darzustellen. Dominieren im Kontext der Emotionen in Bezug auf behinderte Menschen noch deutlich positive Gefühle (vgl. Abb. 29), so ist das Verhältnis zwischen Zuneigung und Wohlbefinden auf der einen und Abneigung und Unbehagen auf der anderen Seite bei Emotionen von Menschen mit Behinderung wesentlich ausgeglichener, auch wenn hier ebenfalls Zuneigungs- und Wohlbefindlichkeitsgefühle öfter auftauchen (vgl. Abb. 30).
Abbildung 30: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen in Abhängigkeit verschiedener sozialer Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-2).
210
V Quantitative Ergebnisse
Bezüglich der sozialen Zuordnung lassen sich Unterschiede in der Verteilung der Emotionen feststellen. So wird von Personen mit Behinderung innerhalb der Presse anteilsmäßig häufiger von Wohlbefinden und Zuneigung berichtet, als dies durch den Autor vermittelt durch dritte Personen oder auch durch den Autor selbst der Fall ist. Dementsprechend werden auch Unwohlsein und Abneigung gegenüber sich selbst durch Menschen mit Einschränkungen innerhalb der Presse wenig artikuliert. Bei den für die Artikel verantwortlichen nichtbehinderten Autoren ist das Verhältnis zwischen Zuneigung und Wohlbefinden auf der einen und Abneigung und Unbehagen auf der anderen Seite dagegen fast ausgeglichen. Berücksichtigt man die Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid werden die Unterschiede abhängig von den einzelnen Perspektiven noch deutlicher (vgl. Abb. 31).
Abbildung 31: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen in Abhängigkeit von verschiedenen sozialen Zuordnungsperspektiven (Code 5-1-2-2) unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. In der Berichterstattung der Presse wird von Personen mit Behinderung ihr eigenes Leben oder auch ihr körperlicher Zustand kaum mit Leid oder leiden assoziiert. Dagegen spielt Mitleid und die Annahme, dass Menschen mit Behinderung
5 Personen
211
leiden sowohl bei dritten Personen als auch und vor allem bei den nichtbehinderten Autoren der jeweiligen Artikel eine bestimmende Rolle. Betrachtet man die Emotionen der behinderten Menschen unabhängig von der Perspektive innerhalb der einzelnen Zeitungen und Zeitschriften (vgl. Abb. 32), kann festgestellt werden, dass das Motiv von Leid und Mitleid bei allen untersuchten Printerzeugnissen sehr präsent ist. Beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel kommt dies bei über der Hälfte (53,2 %) der Aussagen bezüglich der Emotionen von Menschen mit Behinderung zum Tragen. Die Anteile an Leidbeziehungsweise Mitleidsaussagen bei der Bild, der Süddeutschen Zeitung und dem Stern sind mit 47,8 %, 47,4 % beziehungsweise 44,3 % ebenfalls sehr hoch. Bei der Süddeutschen Zeitung, dem Stern, der Bild und vor allem beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel lassen sich zudem wenige Aussagen bezüglich Wohlbefindlichkeit finden. Beschreibungen von Unbehagensgefühlen finden sich vor allem bei Bunte und Focus, die Anteile betragen 30,4 % beziehungsweise 28,1 %. Insgesamt liefert die Super Illu die positivste Gefühlsbeschreibung im Kontext der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung. 52,9 % der innerhalb ihrer Artikel beschriebenen Emotionen sind Wohlbefindlichkeitsgefühle.
Abbildung 32: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Personen (perspektivenunabhängig) in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid.
212
V Quantitative Ergebnisse
Das Gesamtbild ist sehr heterogen, Gemeinsamkeiten gleicher Zeitschriftenkategorien wie ein typisches Bild für Illustrierte oder Nachrichtenmagazine lassen sich nicht erkennen. Abbildung 33 verdeutlicht die emotionsrelevanten Aussagen, unabhängig von einer bestimmten Perspektive, innerhalb der Artikel für die unterschiedlichen Arten von Behinderung oder Einschränkung (vgl. Code 4-3V im Anhang 1). Leider konnte aufgrund der Vorgehensweise nur eine angenäherte Einzelfallbetrachtung der Personen erfolgen. Insbesondere, wenn mehrere Arten von Behinderung oder Einschränkung im Artikel thematisiert wurden, konnten keine genauen Aussagen bezüglich der Zugehörigkeit einer bestimmten Emotion zu einer bestimmten Art von Behinderung getroffen werden.130 Insgesamt betrachtet ergibt sich ein sehr vielfältiges Bild, mit wenigen Zuneigungs- oder Abneigungsgefühlen. Leider ist die Darstellung aufgrund zum Teil sehr geringer Ausgangsdaten (Gehörlosigkeit, Spracheinschränkung) nicht bei allen Behinderungsformen oder Einschränkungsarten aussagekräftig. Betrachtet man die restlichen Arten von Behinderung und Einschränkung fällt auf, dass vor allem bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Blindheit und bei physischen Einschränkungen der Anteil an Wohlbefindlichkeitsgefühlen mit 40,8 %, 33,3 % und 30,9 % deutlich höher ist als bei Mehrfacheinschränkungen und Autismus. Die Werte beschriebener Wohlbefindlichkeitsgefühle liegen hier nur bei 9,5 % beziehungsweise 20,0 %. Es dominieren Leidvorstellungen und Mitleidsbekundungen, die bei den Mehrfacheinschränkungen 64,3 % und bei Autismus immerhin 56,0 % der Aussagen ausmachen. Auch bei kognitiven Einschränkungen lässt sich in diesem Kontext mit 40,8 % ein hoher Anteil finden. Bei blinden Personen und bei den physischen Einschränkungen werden Leid und Mitleid im Verhältnis zu den anderen Behinderungsformen am wenigsten thematisiert. Die meisten Unbehagensgefühle finden sich bei Blindheit beziehungsweise Sehbehinderung (27,8 %) und im Kontext von mehrfacheingeschränkten Personen (23,8 %).
130 Die Anzahl der Aussagen ist unter der Kategorie „Mehrere“ zusammengefasst.
213
5 Personen
Zuneigungsgefühle Mehrere
Wohlbefindlichkeitsgefühle
3
Nichtentscheidbar
1
11
1
4
Unbehagensgefühle
17
4
PhysischeEinschränkung
11
1
12
27
1
20
Gehörlosigkeit
2
Blindheit
0%
1
6
1
2
5
10%
23
5
2
4
1
Autismus
59
41
10
KognitiveEinschränkung
1
1
55
4
Mitgefühl,Mitleid,Leid
30
3
1
Spracheinschränkung
Mehrfacheinschränkung
Abneigungsgefühle
20%
30%
14
3
40%
5
5
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 33: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Emotionsarten (Code 5-1-1) behinderter Menschen (perspektivenunabhängig) in Abhängigkeit von verschiedenen Behinderungs- oder Einschränkungsformen der im Artikel handelnden Personen (Variable 4-3V) unter Berücksichtigung der Zusatzkategorie Mitgefühl, Mitleid, Leid. Interessant ist auch die Verteilung in der Kategorie „nicht entscheidbar“, die Aussagen sammelt, welche sich nicht sicher einer ganz bestimmten Art von Einschränkung oder Behinderung zuordnen lassen. Leid und Mitleid dominieren hier mit 73,9 % wie bei keiner anderen Kategorie. Aufgrund der Definition dieser Kategorie (vgl. Variable 4-3V in Anhang 1) sind hierunter auch einige entweder körperlich behinderte oder mehrfacheingeschränkte Personen, bei denen keine eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Einschränkungsformen möglich war. Der tatsächliche Anteil an Leid und Mitleid innerhalb dieser beiden Personengruppen könnte also auch leicht höher liegen.
214 5.2
V Quantitative Ergebnisse
Kompetenzen und Erfolge
Mithilfe der hier betrachteten Kategorie (vgl. Code 5-2 im Anhang 2.4) wurden innerhalb der Texte beschriebene Kompetenzen und Inkompetenzen (vgl. Code 5-1-2 im Anhang 2.4) sowie Erfolge und Misserfolge (vgl. Code 5-2-2 im Anhang 2.4) beziehungsweise das Scheitern an Aufgaben von Menschen mit Behinderungen in unterschiedlichen qualitativen Abstufungen erfasst. Man könnte diese Kategorie als eine Art Indikator für bestimmte klischeehafte oder archetypische Vorstellungen von Menschen mit Behinderung sehen. Die Beschreibung von außergewöhnlichen Kompetenzen oder Erfolgen würde zum Beispiel der Vorstellung des „Superkrüppels“ entsprechen (vgl. Kapitel III 3.1.5 und VI 1.5). Neben den generellen Verteilungen sollen hier auch Unterschiede zwischen den einzelnen Arten von Behinderung und den untersuchten Zeitungen aufgezeigt werden.
Abbildung 34: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1). Insgesamt gibt es 823 Sinneinheiten innerhalb der Texte, die den Kategorien Kompetenzen und Inkompetenzen zugewiesen werden konnten, und 348, bei denen eine Zuordnung zu Erfolg und Misserfolg, Scheitern möglich war. Die
5 Personen
215
Abbildungen 34 und 35 zeigen deutlich, dass es mit einer Ausnahme (basale Ebene bei Kompetenzen/Inkompetenzen) eher zu einer Beschreibung von Erfolg und Kompetenzen kommt, als dass Inkompetenzen beschrieben werden. In der Gegenüberstellung Kompetenzen/Inkompetenzen wurden insgesamt 460 basale, 190 alltägliche und 173 herausragende Fähigkeiten erfasst. Bei den Kategorien „alltäglich“ und „herausragend“ überwiegen die Beschreibungen von Kompetenzen. Lediglich bei den basalen Fähigkeiten werden in der Presse hauptsächlich Inkompetenzen aufgezeigt, allerdings in dieser Kategorie auch sehr häufig (vgl. Abb. 34). Von der Tendenz der Verteilung entspricht dies auch der Übersicht bei der Nennung von Erfolgen beziehungsweise Misserfolgen. Auch hier wird eher auf basaler Ebene zumindest häufiger als innerhalb der anderen Kategorien über Misserfolge und Scheitern berichtet. Jedoch ist die Gesamtzahl der Ausgangsdaten im Vergleich zu den beiden anderen Kategorien „alltäglich“ und vor allem „außergwöhnlich“ ziemlich gering (vgl. Abb. 35).
Abbildung 35: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der beschriebenen Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2). Die Verteilung zwischen den Kategorien Erfolg und Misserfolg erfasst 12 basalen, 47 alltäglichen und 289 außergewöhnlichen Erfolgen oder Misserfolgen zugeordnete Aussagen. Die hohe Zahl an außergewöhnlichen Erfolgen liegt
216
V Quantitative Ergebnisse
sicherlich am grundsätzlichen Mechanismus der Presse- oder Nachrichtenberichterstattung generell, die per se eher an Außergewöhnlichem als an Alltäglichem interessiert ist. Die Verteilung der eben betrachteten Kategorien in Abhängigkeit vom jeweiligen Presseerzeugnis wird durch Abbildung 36 verdeutlicht. Bei der Boulevardzeitung Bild und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel dominieren Beschreibungen von Inkompetenzen, bei der Süddeutschen Zeitung, den Illustrierten Stern und Bunte sowie dem Nachrichtenmagazin Focus werden mehr Aussagen bezüglich Kompetenzen getätigt. Ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen den Kompetenzen und Inkompetenzen zeigt die Illustrierte Super Illu, bei der die Verteilung genau 50 % zu 50 % beträgt. Anzumerken ist auch, dass sich innerhalb der Super Illu die wenigsten Aussagen bezüglich herausragender Fähigkeiten finden. In allen anderen Presseerzeugnissen kann man solche Beschreibungen anteilsmäßig wesentlich häufiger entdecken, insbesondere bei der Süddeutschen Zeitung, bei der herausragende Kompetenzen den größten Teil aller kategorisierten Fähigkeiten einnehmen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ist in diesem Zusammenhang sehr stark durch zwei Artikel geprägt, in denen sich allein schon über die Hälfte aller beschriebenen Kategorisierungen außergewöhnlicher Fähigkeiten finden (vgl. Der Spiegel 22.09.2003, 174; 10.03.2003, 164). Alltägliches dominiert mit einem Anteil von 42,9 % bei der Illustrierten Bunte, der Anteil an Beschreibungen basaler Fähigkeiten ist im relativen Vergleich zu den anderen Presseerzeugnissen hier am geringsten. Bei den Inkompetenzen geht es meist um die Beschreibung von Grenzen innerhalb basaler Fähigkeiten. Der Anteil unter allen beschriebenen Kompetenzen ist hier bei fast allen Printmedien, mit Ausnahme der Süddeutschen Zeitung und der Bunten, am höchsten. Inkompetenzen bei alltäglichen Verrichtungen werden wesentlich weniger häufig thematisiert. Nur bei der Super Illu finden sich auch hier fast ausgeglichene Verhältnisse zu basalen Inkompetenzen. Über Unfähigkeiten im Kontext herausragender Kompetenzen („herausragende Inkompetenzen“) finden sich nur vereinzelte Aussagen in Super Illu, Süddeutscher Zeitung und Stern.
217
5 Personen
SuperIllu
HerausragendeKompetenzen
AlltäglicheKompetenzen
BasaleKompetenzen
BasaleInkompetenzen
AlltäglicheInkompetenzen
HerausragendeInkompetenzen
9
1
Süddeutsche
45
86
Stern
19
21
Spiegel
Focus
6
Bunte
4
Bild
12
0%
30%
3
11
2
9
54
22
20%
18
24
15
10%
40%
1
4 1
62
14
12
14
19
64
48
7
1
84
43
19
40*
9
10
10
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 36: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften und Zeitungen (*Bei Kategorien mit mindestens 20 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens zwei Texte zurück). Wie bereits in Abbildung 35 ersichtlich sind außergewöhnliche Erfolge innerhalb der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung dominierend, allerdings weist die Verteilung zwischen den einzelnen Printerzeugnissen durchaus Unterschiede auf, wie Abbildung 37 verdeutlicht. Vor allem innerhalb der Zeitungsartikel finden sich sehr viele Aussagen, die dieser Kategorie zugeordnet werden können. Die Anteile liegen bei über 80 % bei der Bild und bei über 90 % bei der Süddeutschen Zeitung. Die Werte der Illustrierten Bunte liegen mit über 80 % ebenfalls in diesem Bereich. Deutliche Unterschiede ergeben sich vor allem zur Super Illu und dem Nachrichtenmagazin Focus. Hier finden sich im Vergleich zu den Zeitungen überhaupt wenige der Kategorie zuordenbare Aussagen, anteilsmäßig wird innerhalb dieser wenigen Verweise wesentlich häufiger über alltägliche Erfolge von Menschen mit Behinderung oder Einschränkung berichtet. Auch der Stern weist hier relativ hohe Anteile auf, wobei die Anzahl an Nennungen übermäßig stark durch einen einzelnen Artikel zum Thema Down-Syndrom
218
V Quantitative Ergebnisse
geprägt ist (vgl. Stern 27.05.2004, 172). Ansonsten ergäbe sich wohl eine ähnliche Verteilung wie beim Spiegel, bei dem die alltäglichen Erfolge ebenfalls keine große Rolle spielen. AußergewöhnlicheErfolge
AlltäglicheErfolge
BasaleErfolge
Basale(s)Misserfolge,Scheitern
Alltägliche(s)Misserfolge,Scheitern
Außergewöhnliche(s)Misserfolge,Scheitern
SuperIllu
5
4
Süddeutsche
2
176
Stern
7
22
Spiegel
Focus
2
5
7
Bunte
17
Bild
33
0%
10%
20%
30%
1
12*
22
40%
2
2
1
5
60%
70%
80%
1
1
5
1
2
50%
3 11 7
90%
1
100%
Abbildung 37: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von den untersuchten Zeitschriften und Zeitungen (*Bei Kategorien mit mindestens 10 Nennungen geht mehr als die hälfte auf höchstens einen Text zurück). Über Misserfolge und Scheitern wird grundsätzlich innerhalb der Zeitungen und Zeitschriften weniger berichtet (vgl. Abb. 37). Erwähnenswerte Anteile finden sich innerhalb des Spiegels, der Super Illu und für alltägliches Scheitern im Nachrichtenmagazin Focus. Scheitern oder Misserfolge in außergewöhnlichen Kategorien werden nur innerhalb der Süddeutschen Zeitung thematisiert, allerdings sind die Anteile mit 3,6 % hier sehr gering. Die Auswertung der beschriebenen Fähigkeiten in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung ergab generell, dass bei physischen
219
5 Personen
Einschränkungen, Spracheinschränkungen131, Gehörlosigkeit, Blindheit und Autismus die Beschreibungen von Kompetenzen überwiegen. Was bei Blindheit und Autismus im Bereich der herausragenden Kompetenzen sehr von jeweils einem (vgl. Süddeutsche Zeitung 26.01.2002, ROM1) beziehungsweise zwei Artikeln (vgl. Der Spiegel 22.09.2003, 74; Süddeutsche Zeitung 02.05.2003, 16) beeinflusst wird, die einen Großteil der Nennungen auf sich vereinen. Zumindest bei Autismus wäre ohne diese beiden Artikel das grundsätzliche Bild sehr stark verändert. Hohe Anteile an Nennungen, die alltägliche Kompetenzen beschreiben, lassen sich mit 33,3 % vor allem im Kontext kognitiver Einschränkungen finden.
Nichtentscheidbar
HerausragendeKompetenzen
AlltäglicheKompetenzen
BasaleKompetenzen
BasaleInkompetenzen
AlltäglicheInkompetenzen
HerausragendeInkompetenzen
3
Mehrere
17
PhysischeEinschränkung
14
15
9
48
KognitiveEinschränkung
17
80
44
7
Gehörlosigkeit
27
36
85
5
2
Blindheit
10%
20%
8
30%
40%
50%
2
7
24
47*
0%
1
6
41*
Autismus
1
3
8
2
22
19
1
4
2
112
1
27
Spracheinschränkung Mehrfacheinschränkung
4
3
4 1
16
40
3
60%
70%
4 1
80%
90%
Abbildung 38: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Kompetenzen bzw. Inkompetenzen (Code 5-2-1) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V) (*Bei Kategorien mit mindestens 20 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens zwei Texte zurück).
131 Die Datenlage im Bereich Sprache ist zu gering, um weitere Aussagen treffen zu können.
100%
220
V Quantitative Ergebnisse
Im Gegensatz zu allen anderen Einschränkungsformen, bei denen durchgängig die Beschreibung einer Inkompetenz den höchsten relativen Anteil an allen Nennungen131 hat, ist bei Blindheit und Autismus, hier vor allem durch die Berichte über das Savant-Syndrom beeinflusst, die Beschreibung außergewöhnlicher Kompetenzen dominierend. Wenn im Kontext Autismus Inkompetenzen thematisiert werden, können diese meist dem Bereich der basalen Inkompetenzen zugeordnet werden. Der Anteil liegt dabei mit 38,8 % weit unter dem Wert bei Mehrfacheinschränkungen (63,4 %), ungefähr auf dem Niveau der anteiligen Nennungen bei physischen Einschränkungen (36,5 %) oder Gehörlosigkeit (35,3%), bei denen diese Beschreibung jeweils den höchsten relativen Anteil aufweist. Grundsätzlich werden Inkompetenzen eher auf basaler Ebene beschrieben (vgl. Abb. 38). Im Zusammenhang mit Scheitern und der Beschreibung von Misserfolgen stehen bei allen Einschränkungsformen beschriebene Erfolge im Vordergrund. Schilderungen von Scheitern oder Misserfolgen sind kaum zu finden. Meist wird von außergewöhnlichen Erfolgen berichtet. Im Rahmen von Autismus und kognitiven Einschränkungen, hier stark durch einen Text geprägt (vgl. Stern 27.05.2004, 172), finden sich im Vergleich zu den anderen Arten von Einschränkung und Behinderung relativ viele Beschreibungen von Kompetenzen in alltäglichen Bereichen. Dafür gibt es bei diesen beiden Einschränkungsarten im Rahmen der Berichterstattung die wenigsten Zuordnungen im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Erfolgen (53,8 % bei Autismus, 57,1 % bei kognitiven Einschränkungen). Von Mehrfacheinschränkungen (66,7 %) über physische Einschränkungen (80,3 %), Gehörlosigkeit (83,3 %) und schließlich Blindheit (87,2 %) weisen hier alle anderen Personengruppen wesentlich höhere Werte auf. Alltägliche Erfolgsbeschreibungen tauchen hier nur vereinzelt auf (vgl. Abb. 39). Grundsätzlich zeigt die Betrachtung der absoluten Werte in der Abbildung 39, dass die Kategorien physische Einschränkungen und Blindheit gemeinsam 60,9 % aller (inklusive „mehrere“ und „nicht entscheidbar“) und 73,8 % derjenigen Aussagen, die sich einer bestimmten Einschränkungsform zuweisen lassen, auf sich vereinen und damit im Zusammenhang mit Erfolg, Misserfolg, Scheitern die zentralen Kategorien sind. Im Gesamten gibt es zwar auch viele Verweise im Kontext kognitiver Einschränkungen, hier ist allerdings, wie bereits erwähnt, im Bereich der „alltäglichen Erfolge“ die Datenbasis durch nur einen Text stark beeinflusst.
5 Personen
221
Abbildung 39: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der qualitativen Ausprägungen der Erfolge bzw. Misserfolge (Code 5-2-2) der beschriebenen Person in Abhängigkeit von der Behinderungsart (Variable 4-3V) (*Bei Kategorien mit mindestens 10 Nennungen geht mehr als die Hälfte auf höchstens einen Text zurück).
5.3
Eigenschaften
Neben den Emotionen und der Beschreibung von Kompetenzen und Erfolgen wurden auch die personenbeschreibenden Eigenschaften untersucht, die in den Presseartikeln zum Ausdruck gebracht werden. Zunächst wurde dabei analysiert, welche Eigenschaften allgemein für Menschen mit Behinderung in der Berichterstattung gehäuft auftreten. Daneben sollten die gefundenen Charakterisierungen auch hinsichtlich ihrer sozialen Bewertung analysiert werden. Als Basis dafür dienten Einschätzungen aus lexikalischen Untersuchungen bezüglich der Sympathie für den Träger (vgl. Busz et al. 1994), der Bewertung der sozialen Erwünschtheit (vgl. Klapprott 1994; Ostendorf 1994), der Angenehmheit (Hager et al. 1994; Möller/Hager 1994) und der personalen Erwünschtheit einer Eigenschaft (vgl. Mecklenbräuker/Hager/Möller 1994). Das Konstrukt Sympathie für
222
V Quantitative Ergebnisse
den Träger der Eigenschaft beschreibt dabei die Sympathieeinschätzung bei einem jungen Mann. Die Versuchspersonen stellten sich in der zugrunde liegenden Untersuchung für jede vorgegebene Eigenschaft einen jungen Mann vor, der die betreffende Eigenschaft besitzt, und sollten ihn dann danach beurteilen, wie sympathisch er ihnen erscheint (vgl. Busz et al. 1994, 286). Um die soziale Erwünschtheit einer Eigenschaft zu bestimmen, wurde auf Ergebnisse aus Studien zurückgegriffen, die innerhalb bestimmter Untersuchungen Personen dahingehend befragt haben, ob es positiv oder negativ ist, wenn eine fiktive Person eine bestimmte Eigenschaft verkörpert (vgl. Klapprott 1994, 299). Ähnlich verhält es sich bei der persönlichen oder hier personal genannten Erwünschtheit. Dabei erfolgte nur eine differenziertere Befragung. So sollten sich Männer beziehungsweise Frauen bei der Bewertung der Eigenschaft eine gleichaltrige Person gleichen Geschlechts vorstellen. Es wurden dabei auch Versuchsreihen zur Einschätzung des anderen Geschlechts durchgeführt (vgl. Mecklenbräuker/Hager/ Möller 1994, 318f.), die allerdings im Rahmen dieser Studie keine Berücksichtigung fanden. Bei der Kategorie Angenehmheit wurde auf Ergebnisse aus Erhebungen zurückgegriffen, die Personen befragt haben, ob Eigenschaftswörter, die zur Beschreibung von Menschen aufgelistet wurden, eher angenehme oder unangenehme Gefühle bei ihnen auslösten (vgl. Hager et al. 1994, 254f.). Genauere Erläuterungen zur Datenbasis und zum Vorgehen und der Umrechnung der Werte innerhalb der hier durchgeführten Analyse finden sich innerhalb des Methodikteils in Kapitel IV 4. Insgesamt wurden hier 1094 (1285 inklusive der Zusatzkategorien bei den äußeren Charakteristika) Eigenschaftsbeschreibungen von Personen mit Einschränkung erfasst, davon waren 380 den Dispositonsbegriffen (vgl. Code 5-31), 308 dem temporären Erleben und Verhalten (vgl. Code 5-3-2), 234 den gesellschaftlichen und sozialen Aspekten (vgl. Code 5-3-3), 154 äußeren Charakteristika mit den Zusatzkategorien x und z 345 (vgl. Code 5-3-4) und 18 den Begriffen mit eingeschränkter Verwertbarkeit (vgl. Code 5-3-5) zuzuordnen. Innerhalb der Texte gab es dabei 372 unterschiedliche Beschreibungen (517 mit den Zusatzkategorien bei den äußeren Charakteristika) von Eigenschaften. In der nachfolgenden Tabelle sind die 25 Eigenschaften aufgelistet, die am häufigsten Kategorisiert wurden (vgl. Tab. 42). Neben der Anzahl der Nennungen (AZ) erfolgt eine Zuordnung zu den einzelnen Kategorien des Bielefelder inhaltlichen Kategoriensystems unter Angabe der Codenummer (vgl. Anhang 2.4). Zusätzlich wird, wenn möglich, der neue für die SPSS-Auswertung berechnete Wert der sozialen Einschätzung (vgl. Kapitel IV 4) in den zu Beginn des Kapitels beschriebenen Dimensionen Sympathie für den Träger der Eigenschaft (STE), soziale Erwünschtheit (sE), Angenehmheit (A) und personale Erwünschtheit (pE) angegeben. Aus der sozialen Bewertung der häufigsten Eigenschaften wird außerdem der Wertungskoeffizient berechnet (vgl. Kapitel IV 4).
223
5 Personen
1. Krank 2. Hilfsbedürftig 3. Nicht (mehr) gesund 4. Hilflos 5. Glücklich 6. Kämpferisch 7. Willensstark 8. Pflegebedürftig 9. Schön 10. Optimistisch 11. Stolz 12. Klein 13. Stark (Persönlichkeit) 14. Tapfer 15. Selbstständig 16. Selbstbewusst 17. Traurig 18. Aggressiv 19. Fröhlich 20. Intelligent 21. Anders 22. Wehrlos 23. Depressiv 24. Zufrieden 25. Abhängig
AZ 63 60 38
Kategorie körperliche Symptome (5-3-2b) Rolle und Beziehung (5-5-3a) körperliche Symptome (5-3-2b)
STE -
sE -2 -
A -1 -
pE -1 -
32 31 25 25 23
Fähigkeiten, Talente (5-3-1b) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Rolle und Beziehung (5-3-3a)
O 1 -
-2 2 1 2 -
-1 2 1 2 -
-1 1 1 1 -
19 18 18 18 16
Erscheinungsbild und Aussehen (5-3-4b) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Anatomie, Konstitution (5-3-4a) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a)
O -
1 1 O O -
2 O O -
1 1 O O 1
16 15 14 14 13 13 12 10 9 8 8 8
Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Fähigkeiten, Talente (5-3-1b) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Temperament, Charaktereigenschaften (5-3-1a) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Fähigkeiten, Talente (5-3-1b) Reine Evaluationen (5-3-3c) Fähigkeiten, Talente (5-3-1b) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Emotionen, innere Zustände (5-3-2a) Rolle und Beziehung (5-3-3a) Eigenschaftsbewertungskoeffizient (EBK)
1 1 O O 1 1 O O -1 0,40
1 2 2 -1 O 2 2 -2 1 -2 0,19
1 2 -1 -1 2 2 -1 2 -1 0,44
1 2 1 O -1 1 2 -1 -1 0,28
Tabelle 42: Typische in der Beschreibung der Presse am häufigsten auftauchende Charakterisierungen von behinderten Personen mit Angaben der sozialen Bewertung in unterschiedlichen Kategorien. Betrachtet man die häufigsten Eigenschaften, ergibt sich ein heterogenes, breit gefächertes Bild, das sehr divergierende und auch unterschiedlich bewertete Eigenschaften erfasst. An der Spitze dominieren mit „krank“, „hilfsbedürftig“, „nicht (mehr) gesund“ und „hilflos“ Charakterisierungen, die einen unangenehmen körperlichen Zustand sowie Abhängigkeit beschreiben. Erst an fünfter Stelle und an den dahinterliegenden Positionen folgen positive Beschreibungen, wie zum Beispiel glücklich, kämpferisch, willensstark, schön, selbstständig und selbstbewusst. Insgesamt ergibt sich auf den ersten Blick ein relativ ausgeglichenes Bild zwischen den positiven und negativen Begrifflichkeiten. Die Berechnung des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten (EBK) ergibt für alle erhobenen Kategorien durchgehend positive Werte. Das heißt, die typischen (am häufigsten) innerhalb der Presse beschriebenen Eigenschaften von Menschen mit Behinderung werden durchgehend als sympathisch, angenehm sowie
224
V Quantitative Ergebnisse
sozial- und personal erwünscht gesehen. Am geringsten sind mit 0,28 und 0,19 die Werte innerhalb der sozialen und personalen Erwünschtheit von Eigenschaften. Allerdings gilt grundsätzlich zu beachten, dass die Charakterisierungen „nicht (mehr) gesund“ und „hilfsbedürftig“ aufgrund fehlender Ausgangsdaten nicht in die Berechnung mit eingegangen sind. Ausgehend von einer negativen Wertung der beiden Adjektive innerhalb der Berechnung des Koeffizienten, würde sich ein komplett anderes Bild ergeben. Zumindest bei der sozialen und personalen Erwünschtheit müsste man mit einem negativen Koeffizienten als Ergebnis rechnen. Die Mittelwerte des EBK der einzelnen Kategorien wurden auch in Abhängigkeit der im Artikel thematisierten Art von Behinderung untersucht. Grundsätzlich fällt auf, dass, sofern die Person einer bestimmten Art von Einschränkung zugeordnet werden kann, die Werte für alle erhobenen Kategorien größer Null sind. Die innerhalb der Artikel verwendeten Charakterisierungen für Menschen unabhängig von der Art der Behinderung lassen sich demnach grundsätzlich als positiv bewerten (vgl. Tab. 43). Dabei gilt es zu bedenken, dass innerhalb der Kategorie „nicht entscheidbar“ auch Grenzfälle zwischen physischen Behinderungen und Mehrfacheinschränkungen, die nicht eindeutig kategorisiert werden konnten, zugeordnet sind. Aufgrund der sehr geringen Anzahl (N zwischen 12 und 17) würde dies den Bewertungskoeffizienten bei physischen Einschränkungen sicher nicht stark beeinträchtigen, wohl aber den innerhalb von Mehrfacheinschränkungen. Eine abschließende Gewissheit kann allerdings im Rahmen dieser Darstellung nicht erreicht werden. Die Betrachtung zeigt außerdem, dass es Formen von Einschränkungen gibt, deren in der Presse beschriebenen Eigenschaften deutlich positiv (Personen mit physischen Einschränkungen oder gehörlose schwerhörige oder spracheingeschränkte Personen, wobei bei Letzteren die Datenbasis mit nur einem oder zwei Texten zu klein ist) sozial bewertet werden, also insgesamt eine positivere Charakterisierung erfahren. Bei anderen Einschränkungsarten wie mehrfacheingeschränkten oder autistischen Personen weisen die Eigenschaften einen eher neutralen Koeffizienten auf, ihre Charakterisierung fällt im sozialen Bewertungsvergleich gegenüber den beiden zuvor genannten Einschränkungsarten klar negativer aus.
225
5 Personen
Autismus Blindheit Gehörlosigkeit Kognitive Einschränkung Mehrfacheinschränkung Physische Einschränkung Spracheinschränkung Nicht entscheidbar Mehrere
Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N
STE 0,2000 7 0,1042 12 0,0000 1
sE 0,1429 8 0,3241 18 1,3250 4
A 0,1704 9 0,4907 18 1,4250 4
pE 0,0675 9 0,3417 20 0,6250 4
Mittelwert N
0,3102 38
0,4477 55
0,3049 56
0,1242 56
Mittelwert N
0,2963 9
0,0135 16
0,4538 16
0,0674 16
Mittelwert N
0,4523 103
0,7662 134
0,7955 134
0,4762 140
Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N
1,0000 1 0,2500 12 0,3479 16 0,3681 199
1,4000 1 -0,8922 17 0,3201 29 0,4798 282
0,9167 1 -0,2969 16 0,3237 26 0,5414 280
1,0000 2 -0,3824 17 0,0093 27 0,2763 291
Tabelle 43: Vergleich der Mittelwerte des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten der untersuchten Kategorien in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder Einschränkung (N=Zahl der Artikel). Dementsprechend ergeben sich, nimmt man die sprachbehinderte Personen aufgrund der geringen Datenbasis aus, die höchsten Werte im Bereich Sympathie für den Träger der Eigenschaft bei Artikeln über Personen mit körperlichen Einschränkungen (0,4523). Soziale Erwünschtheit (1,3250), Angenehmheit (1,4250) und personale Erwünschtheit (0,6250) haben die höchsten Eigenschaftsbewertungskoeffizienten im Kontext von Artikeln über gehörlose Personen. Die niedrigsten Werte finden sich bei der personalen und sozialen Erwünschtheit in der Charakterisierung von Personen mit Mehrfacheinschränkungen (0,0135 und 0,0674), im Zusammenhang mit der Sympathie für den Träger der Eigenschaft bei blinden und sehbehinderten Menschen (0,1042) und in punkto Angenehmheit bei Artikeln über autistische Personen (0,1704). Bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen befindet sich der Koeffizient im Vergleich zu den anderen Einschränkungsformen durchgängig im mittleren (0,4477 bei sozialer Erwünschtheit) bis unteren Bereich (0,1242 bei personaler Erwünschtheit). Negative Werte zeigen sich nur in der Kategorie „nicht entscheidbar“, die wie bereits erwähnt auch Fälle von mehrfach oder nur körperlich eingeschränkten Personen enthält.
226
V Quantitative Ergebnisse
Neben den Unterschieden bei Form und Art der Behinderung oder Einschränkung wurden zudem die Eigenschaftsbewertungskoeffizienten in Abhängigkeit von den Zeitungen oder Zeitschriften untersucht, um herauszufinden, ob es bestimmte Printmedien gibt, die hinsichtlich der Charakterisierung von Menschen mit Behinderung in ihren Artikeln eher auf sozial positiv oder negativ bewertete Eigenschaftsbegriffe zurückgreifen. Tabelle 44 fasst die Ergebnisse dieser Analyse zusammen. Zuerst lässt sich feststellen, dass alle Eigenschaftsbewertungskoeffizienten bei allen Zeitungen und Zeitschriften innerhalb jeder untersuchten Kategorie positive Werte aufweisen. Die hohen Werte bei Bunte und Super Illu zeigen, dass besonders die klassischen Illustrierten innerhalb der untersuchten Artikel auf Begrifflichkeiten zurückgreifen, die als sozial und personal positiv und angenehm bewertet werden. Zumindest in den Kategorien soziale Erwünschtheit und Angenehmheit weisen auch das Nachrichtenmagazin Focus (0,7592 und 0,8641) und die politische Illustrierte Stern (0,7125 und 0,7984) noch einigermaßen hohe Bewertungskoeffizienten auf. Die durchgängig niedrigsten Koeffizienten in allen Bereichen finden sich beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Auch Bild und die Süddeutsche Zeitung haben in den meisten Bereichen im Vergleich zu den Illustrierten geringere Werte. Bild Süddeutsche Focus Spiegel Bunte Stern Super Illu
Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N Mittelwert N
STE 0,3316 47 0,3148 72 0,2857 14 0,1718 24 0,6964 14 0,5216 17 0,7515 11 0,3681 199
sE 0,2672 64 0,4545 97 0,7592 16 0,1049 37 1,118 20 0,7125 31 0,8018 17 0,4798 282
A 0,3562 67 0,4236 95 0,8641 15 0,3455 39 1,1623 19 0,7984 31 1,0155 14 0,5414 280
pE 0,1031 65 0,2312 103 0,3445 16 0,0721 39 0,7566 19 0,4614 31 0,7149 18 0,2763 291
Tabelle 44: Vergleich der Mittelwerte des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten der untersuchten Kategorien zwischen den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften (N=Zahl der Artikel). Zwischen den Zeitungen zeigen sich bei den Mittelwerten große Parallelen. Die Werte der Bild liegen bis auf die Kategorie Sympathie für den Träger der Eigen-
5 Personen
227
schaft leicht unter dem Koeffizienten der Süddeutschen Zeitung. Die Unterschiede der Differenzwerte sind in Bereichen von 0,0168 (STE) bis 0,1873 (sE) sehr gering. Auch die klassischen Illustrierten Bunte und Super Illu zeigen in den Mittelwerten innerhalb der Kategorien große Gemeinsamkeiten mit relativ geringen Abweichungen zwischen 0,0417 (pE) und 0,3162 (sE). Neben den bereits untersuchten Aspekten war auch der thematische Bezug im Kontext extremer Darstellungen von Interesse. Dafür wurden nur Texte untersucht, deren Personencharakterisierung einen deutlich negativen (EBK <-1) oder klar positiven (EBK >1) Mittelwert beim Eigenschaftsbewertungskoeffizienten ergab. Mittels Kreuztabelle wurde dann die jeweilige Zahl der Artikel innerhalb eines bestimmten Themenbereichs der Gesamtzahl der Artikel bei genau diesem Thema gegenübergestellt. Wobei nur solche Artikel betrachtet wurden, bei denen Adjektive oder Eigenschaftsbeschreibungen vorkamen, aus denen sich ein Eigenschaftsbewertungskoeffizient ermitteln ließ. Für die Kategorie Sympathie für den Träger der Eigenschaft (STE) war dies bei 199, für die Kategorie soziale Erwünschtheit (sE) bei 282, für die Kategorie Angenehmheit (A) bei 260 und für die Kategorie personale Erwünschtheit (pE) bei 291 Artikeln der Fall. Für die Kategorie Sympathie für den Träger der Eigenschaft war eine Einordnung nur bei zwei Artikeln möglich, beide Male mit einem EBK unter -1 (vgl. Tab. 45). In diesem Zusammenhang gibt es also nur vereinzelte stark negative Darstellungen. Einmal im Kontext der Justizthematik (vgl. Bild 05.09.2003, 6) und einmal im Themenbereich „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“ (vgl. Süddeutsche Zeitung 25.11.2000, ROM6). Innerhalb der anderen Kategorien soziale und personale Erwünschtheit sowie Angenehmheit gibt es mehrere extreme EBK-Werte, allerdings alle häufiger im Bereich über 1, also innerhalb positiver Aspekte. Die meisten Artikel, die in ihrer Charakterisierung der Personen deutlich von einer neutralen Darstellung abweichen, finden sich im Bereich der sozialen Erwünschtheit. Hier liegen mit 156 weit mehr als die Hälfte an Artikeln außerhalb des EBK-Bereichs von -1 bis 1. Themen, deren Artikel negative Charakterisierungen der handelnden Personen in allen vier untersuchten Bereichen aufweisen, sind „Justiz“ sowie „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“, wobei die Zuordnung bei Letzterem nur auf einem einzigen Artikel basiert und dadurch wenig aussagekräftig ist. Zusätzlich sind in den Bereichen „Krieg, Kriegsfolgen“ und „Medizin“ noch zumindest innerhalb von wenigstens zwei Kategorien Artikel mit negativen Beschreibungen vertreten. In den Bereichen Angenehmheit und personale Erwünschtheit basiert dies allerdings auf einer sehr geringen Anzahl an Texten, womit vor allem die Zuordnungen im Kontext sozialer Erwünschtheit in den Fokus treten. Bei einigen Themenbereichen ist hier der Anteil an Artikeln mit stark negativem EBK im Verhältnis zu allen Artikeln des Themenbereichs relativ hoch. Bei den Themen
228
V Quantitative Ergebnisse
„Ethik“, „Justiz“ und „Kirche“ enthalten 40 % - 100 % der Artikel Charakterisierungen, die stark negative Werte im Kontext sozialer Erwünschtheit aufweisen, also einen EBK kleiner 1 haben. Bei den Themenbereichen „Krieg, Kriegsfolgen“ und „Medizin“ sind die Anteile mit 33 % beziehungsweise 24 % auch noch sehr deutlich (vgl. Tab. 45). Ethik Justiz Kirche Krieg, Kriegsfolgen Medien, Massenmedien Medizin Menschen, Gesellschaft, Soziales Musik, Kunst, Kultur Politik Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung Sport Unfälle, Katastrophen, Unglücke Wissenschaft Sonstiges Gesamtzahl an Artikeln mit EBK <-1 Gesamtzahl an Artikeln
STE 1 (2,9 %) -
sE 3 (60,0 %) 18 (40,0 %) 1 (100,0 %) 3 (33,3 %) 1 (5,6 %)
A 3 (6,3 %) -
pE 1 (2,0 %) 1 (16,7 %) -
1 (16,7%) 2 199
6 (24,0 %) 12 (16,0 %) 2 (10,0 %) 1 (12,5 %) 1 (12,5 %) 3 (9,1 %) 1 (16,7 %) 1 (9,1 %) 2 (25,0 %) 55 282
2 (8,3 %) 1 (12,5 %) 6 280
1 (4,2 %) 1 (12,5 %) 4 291
Tabelle 45: Anteil an Artikeln mit Koeffizientenwerten (EBK) unter -1 an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich. Im Vergleich zu Tabelle 46 sind höhere Anteile markiert. Vergleicht man allerdings die Anteile an den einzelnen Themenbereichen dieser Übersicht mit den Anteilen an Artikeln, die ein besonders positiv bewertetes Charaktersisierungsbild aufweisen, also einen EBK von über 1 haben (vgl. Tab. 46), ist erkennbar, dass die sehr positiven Charakterisierungen innerhalb der meisten Themen klar überwiegen. Lediglich in den Themenbereichen „Ethik“ (sE), „Kirche“ (sE), „Krieg, Kriegsfolgen“ (sE, pE), „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“ (STE) und „Justiz“ (sE) dominieren im Vergleich dazu negative EBK-Werte. Bei allen anderen Themenbereichen gibt es in den untersuchten Kategorien soziale und personale Erwünschtheit sowie Angenehmheit mehr Artikel mit EBK-Werten über 1.
229
5 Personen
Ethik Geschichte Immobilien Justiz Kirche Krieg, Kriegsfolgen Medien, Massenmedien Medizin Menschen, Gesellschaft, Soziales Musik, Kunst, Kultur Politik Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung Sport Technik Unfälle, Katastrophen, Unglücke Verkehr Wirtschaft Wissenschaft Sonstiges Gesamtzahl an Artikeln mit EBK >1 Gesamtzahl an Artikeln
STE -
sE 2 (100,0 %) 1 (100,0 %) 8 (17,8 %) 1 (16,7 %) 7 (38,9 %)
A 1 (20,0 %) 2 (100,0 %) 6 (12,5 %) 1 (16,7 %) 4 (22,2 %)
pE 4 (8,2 %) 1 (5,6 %)
-
9 (36,0 %) 24 (32,0 %) 7 (35,0 %) 5 (62,5 %) 2 (25,0 %)
7 (29,2 %) 24 (31,6 %) 4 (22,2 %) 1 (12,5 %) 1 (12,5 %)
3 (12,5 %) 7 (9,1 %) 2 (10,0 %) -
0 199
20 (60,6 %) 1 (50,0 %) 2 (33,3 %) 1 (33,3 %) 2 (100,0 %) 5 (45,5 %) 4 (50,0 %) 101 282
14 (43,8 %) 1 (50,0 %) 2 (50,0 %) 1 (33,3 %) 2 (100,0 %) 7 (63,7 %) 4 (57,1 %) 82 280
2 (5,6 %) 1 (50,0 %) 1 (33,3 %) 1 (50,0 %) 2 (20,0 %) 24 291
Tabelle 46: Anteil an Artikeln mit Eigenschaftsbewertungskoeffizienten (EBK) über 1 an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich. Bis auf die erwähnten Ausnahmen zeigen alle Personenbeschreibungen innerhalb verschiedenster Thematiken hohe bis sehr hohe Anteile an stark positiven EBKWerten. Dies gilt vor allem für die Kategorien soziale Erwünschtheit und Angenehmheit. Im Rahmen der personalen Erwünschtheit finden sich deutlich weniger hohe Prozentsätze. In der Kategorie Sympathie für den Träger der Eigenschaft gibt es sogar keinen einzigen Artikel mit einem EBK-Wert von über 1. Neben den auf sehr wenigen Texten beruhenden Themen „Geschichte“ und „Wirtschaft“, bei denen der Anteil an Artikeln mit einem Koeffizienten größer 1 in den Kategorien soziale Erwünschtheit und Angenehmheit 100 % beträgt, ist besonders der auf sehr vielen Texten beruhende Anteil im Themenbereich „Sport“ von 60,6 % bei sozialer Erwünschtheit und 43,8 % bei Angenehmheit hervorzuheben. Ähnliches gilt für die positiven Charakterisierungen im Themenbereich „Menschen, Gesellschaft und Soziales“, die ebenfalls auf einer breiten Datenbasis noch Anteile von knapp einem Drittel im Kontext sozialer Erwünschtheit und Angenehmheit aufweisen.
230 5.4
V Quantitative Ergebnisse
Zwischenfazit
Innerhalb dieses Kapitels wurde mit Hilfe der Analyse, der in der Presse dargestellten Emotionen, Kompetenzen, Inkompetenzen, Erfolge, aber auch des Scheiterns und der beschriebenen Eigenschaften, versucht ein möglichst umfassendes Bild der Person mit Behinderung in den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften aufzuzeigen. Neben der auch schon in vorherigen Kapiteln getätigten Analysen bezüglich verschiedener Zusammenhänge im Kontext der Art der Behinderung oder der untersuchten Zeitung oder Zeitschrift wurde hier im Zusammenhang mit der Untersuchung der Eigenschaften ein spezifischer Fokus auf die Rezipientenperspektive gelegt. Dafür wurden den Eigenschaftsbeschreibungen, also den verwendeten Adjektiven und Substantiven zur Charakterisierung der Person innerhalb der Artikel, auf Basis sozialer Untersuchungen Werte zugewiesen, aus denen sich eine hier als Eigenschaftsbewertungskoeffizient bezeichnete Größe ermitteln ließ, die Aussagen darüber zulässt, ob die Eigenschaften, die in der Presse benutzt werden, aus der Sicht potenzieller Rezipienten sozial oder personal erwünscht, sympathisch oder angenehm sind (zur Berechnung vgl. Kapitel IV 4). Bei der Analyse der Emotionen zu Beginn zeigte sich, dass Leid, Mitleid und Mitgefühl zentrale Gefühle im Kontext der Berichterstattung über Behinderung sind, allerdings spielen auch positive Emotionen wie Wohlbefindlichkeitsund Zuneigungsgefühle eine wichtige Rolle. Hier fiel bei der Analyse auf, dass Menschen mit Behinderung oder Einschränkung selbst häufiger von Wohlbefinden berichten, als dies durch den Journalisten oder auch vonseiten dritter Personen geschieht. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass die Vorstellung der Autoren oder die von dritten Personen bezüglich der Gefühlslage von behinderten Menschen pessimistischer ist, als dies tatsächlich der Fall zu sein scheint. Zudem könnte die Authentizität eine wichtige Rolle spielen. Positive Aussagen bezüglich des eigenen Wohlbefindens aus der Perspektive der behinderten Person selbst sind sicherlich glaubwürdiger (vgl. Cloerkes 2007, 143f.) als die des für den Text verantwortlichen Journalisten, weshalb in diesem Zusammenhang vielleicht eher betroffene Personen zitiert werden. Der angesprochene Unterschied besteht auch in Verbindung mit Leid. So betonen Menschen mit Behinderung selbst in nur wenigen Artikeln ihr persönliches Leid, wohingegen dies in Kombination mit Mitleid bei dritten Personen, aber vor allem bei den Autoren der Artikel eine häufige, ja sogar die dominierende Assoziation ist. Die Grundbotschaft dahinter ist in der Regel, dass man eine Behinderung nicht nur hat oder erfährt, sondern dass man unter ihr leidet. Hier ergeben sich durch die Auswertung auch Hinweise auf klischeehafte Darstellungsformen, wie zum Beispiel der bedauerns- und bemitleidenswerte Mensch mit Behinderung (vgl. Kapitel III
5 Personen
231
3.1.1 und VI 1.1) oder die Belastung für die Familie (vgl. Kapitel III 3.1.8 und VI 1.8). Die Verteilung der Art der Emotionen ist über Zeitungs- oder Zeitschriftenarten hinweg sehr unterschiedlich. Es wurden keine gemeinsamen oder typischen Merkmale bestimmter Zeitschriftentypen gefunden, allerdings gab es Parallelen zwischen Bild und Süddeutscher Zeitung (vgl. Abb. 32). Bei der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Emotionen und Behinderungsarten wurden weniger Wohlbefindlichkeitsgefühle bei Mehrfacheinschränkung und Autismus gefunden. In der Vorstellung des Journalisten sind dies wohl sehr schwere Einschränkungen. Unbehagensgefühle fanden sich im Vergleich zu anderen Einschränkungen häufig im Kontext blinder oder sehbehinderter Personen. Bei Artikeln über gehörlose oder schwerhörige Menschen ist Ungehagenheit sogar die dominierende Emotion, bei allerdings kaum erwähnenswerter Gesamtzahl an emotional kategorisierbaren Aussagen. Kompetenzen und Erfolge spielen generell eine wichtige Rolle in der Berichterstattung. Die tendenziell häufigere Beschreibung von Erfolgen und Kompetenzen liegt im Zusammenhang mit Behinderung wahrscheinlich eher im Raum der für die Presse berichtenswerten Inhalte, als die Beschreibung von Inkompetenzen und Scheitern, was sich am deutlichsten bei der im Vergleich zu den anderen Kategorien sehr hohen Anzahl an Beschreibungen außergewöhnlicher Erfolge zeigt (vgl. Abb. 35). Fast gegenteilig verhält es sich allerdings bei der Beschreibung basaler Inkompetenzen, die somit eine kleine Ausnahme bilden. Diese dienen dazu, in einzelnen Berichten die Abhängigkeiten der von Einschränkung betroffenen Personen noch zusätzlich zu unterstreichen, indem die Unfähigkeiten bezüglich einfachster Handlungen aufgezählt werden. Auch hier findet sich also die Basis für potenziell klischeehafte Darstellungen von Menschen mit Behinderung als bedauerns- und bemitleidenswerte, die aufgrund ihrer Unfähigkeit von anderen Personen abhängig und nicht in der Lage sind, ein eigenes erfülltes Leben zu führen. Innerhalb der Kompetenzen tut sich vor allem die Süddeutsche Zeitung mit zahlreichen Beschreibungen außergewöhnlicher Fähigkeiten hervor (vgl. Abb. 36). Der hohe Anteil an Sportberichterstattung (vgl. Tab. 16 in Kapitel V 2.1) mag dafür eine Erklärung sein. Insgesamt zeigt sich im Vergleich der Zeitungen und Zeitschriften ein heterogenes Bild ohne große Gemeinsamkeiten zwischen Presseerzeugnissen gleicher Kategorien. Fokussiert man die Unterschiede auf der Ebene der Behinderungsformen, zeigt sich, dass bei kognitiv oder mehrfacheingeschränkten Personen erwartungsgemäß eher eine Beschreibung des „Nicht-Könnens“ vorliegt. Bei kognitiv eingeschränkten Personen bezieht sich dies zumeist auf alltägliche Verrichtungen. Bei allen anderen Behinderungsformen geht es um das Herausstellen vielleicht auch bestimmter, unter Umständen mit der Behinderung oder Einschränkung verknüpfter Inkompetenzen auf vornehmlich basaler Ebene. Wird die Quantität der
232
V Quantitative Ergebnisse
Aussagen der Presse über Einschränkungen im Alltagsbereich näher betrachtet scheinen sich die dargestellten basalen Unfähigkeiten nicht so stark auszuwirken, jedenfalls wird über diese deutlich weniger berichtet. Bei den Artikeln über Personen mit Sinnesbeeinträchtigungen, wie Gehörlosigkeit und Blindheit, ergeben sich große Unterschiede im Rahmen der beschriebenen Fähigkeiten. Vor allem der große Anteil an Beschreibungen herausragender Kompetenzen bei blinden Personen ist für diese Differenz verantwortlich. Außergewöhnliche Erfolge spielen in Verbindung mit der Berichterstattung bezüglich körperlich eingeschränkter Personen eine wichtige Rolle. Grund dafür ist größtenteils wieder die Sportberichterstattung, die innerhalb der Artikel über Personen mit diesen Einschränkungsformen eine der wichtigsten Themenbereiche ist (vgl. Tab. 21 in Kapitel V 2.3). Die Verknüpfung von bestimmten Einschränkungsformen mit dem Bereich Sport scheint Auswirkungen auf die mediale Präsenz im Zusammenhang mit der Beschreibung von Erfolg zu haben. So gibt es für körperliche Einschränkungsformen oder Blindheit in Kombination mit paralympischen Höchstleistungen eine einigermaßen regelmäßige Berichterstattung. Der Zusammenhang zwischen sportlichem Erfolg und medialer Präsenz ist dabei kein behinderungsspezifischer Mechanismus der Massenmedien, sondern eher ein logischer medialer Zusammenhang. Über sportliche Erfolge und Höchstleistungen wird auch in weniger populären Sportarten berichtet, außergewöhnliche Leitungen dienen dabei als Schreibanlass. Die typischen Eigenschaften, die Menschen mit Behinderungen innerhalb der Presse zugeschrieben werden, sind im Gesamtbild sehr heterogen und beinhalten hinsichtlich verschiedener Dimensionen sowohl sozial positiv als auch negativ bewertete Begriffe. Auch wenn die häufigsten und typischen Charakterisierungen negativ geprägte Begriffe sind, ergeben sich im Gesamtbild der am öftesten gebrauchten Beschreibungen positive Eigenschaftsbewertungskoeffizienten, das heißt, dass die typischen Eigenschaften, mithilfe derer die Presse Menschen mit Behinderung charakterisiert, insgesamt als sozial, personal erwünscht, angenehm und sympathisch bewertet werden (vgl. Tab. 42). Da allerdings für zwei der am meisten gebrauchten Charakterisierungen keine Werte für eine soziale Bewertung vorlagen, könnte das tatsächliche Bild negativer ausfallen, da eine positive soziale Bewertung der Charakterisierungen „hilflos“ und „nicht mehr gesund“ eher unwahrscheinlich scheint. Der eben erwähnte Eigenschaftsbewertungskoeffizient diente auch für die nachfolgenden Analysen als Basisgröße für die angestellten Vergleiche. Sowohl beim Vergleich der unterschiedlichen Zeitungen als auch bei dem der verschiedenen Arten von Einschränkungen ist der Eigenschaftsbewertungskoeffizient EBK in allen vier Dimensionen (soziale und personale Erwünschtheit, Sympathie für den Träger der Eigenschaft und Angenehmheit) mit Ausnahme der Kategorie „nicht entscheid-
5 Personen
233
bar“ immer positiv. Innerhalb der unterschiedlichen Einschränkungsformen weisen Artikel über autistische, blinde, sehbehinderte oder mehrfacheingeschränkte Personen zumindest einmal den niedrigsten Bewertungskoeffizienten in einer der untersuchten Dimensionen auf. Gehörlose Personen, aber auch zum Teil physisch beeinträchtigte Personen sind innerhalb der Berichterstattung in allen Bereichen durchgehend positiver charakterisiert, wobei die Einordnung bei Gehörlosigkeit auf nur sehr wenigen Artikeln beruht. Im Vergleich der Zeitungen und Zeitschriften untereinander ergeben sich große Parallelen bei den beiden klassischen Illustrierten Bunte und Super Illu, die in allen Dimensionen die positivsten EBK-Werte aufweisen, also in ihrer Berichterstattung über eingeschränkte Personen eher auf Begrifflichkeiten zurückgreifen, die als angenehm, sympathisch sowie sozial und personal erwünscht bewertet werden. Innerhalb der beiden untersuchten Zeitungen sind die Unterschiede hinsichtlich der EBK-Werte gering. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel benutzt in Relation zu den anderen Zeitungen und Zeitschriften eher Begriffe, die sozial weniger gut bewertet werden. Dessen EBK ist innerhalb aller untersuchten Dimensionen der geringste im Vergleich der untersuchten Presseerzeugnisse (vgl. Tab. 44). Den Abschluss des Kapitels bildete eine thematische Untersuchung derjenigen Artikel, die besonders negative oder besonders positive EBK-Werte aufwiesen, um zu analysieren, ob es Zusammenhänge zischen den Personenbeschreibungen und den Themen des Artikels gibt. Dabei war festzustellen, dass es innerhalb der untersuchten Dimension „Sympathie für den Träger der Eigenschaft“ wenig außergewöhnlich hohe oder niedrige EBK-Werte gab. Im Bereich der Artikel mit EBK-Werten unter -1 galt dies auch für die Dimensionen „personale Erwünschtheit“ und „Angenehmheit“. Themen, die in mehr als einer untersuchten Dimension negative EBK-Werte aufwiesen waren, „Justiz“, „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“, „Krieg, Kriegsfolgen“ und „Medizin“. Im Vergleich mit den anteilsmäßig viel häufiger vorkommenden Artikeln mit einem EBK-Wert über 1 dominierten negative Werte nur innerhalb der Dimension soziale Erwünschtheit in den Themenbereichen „Ethik“, „Justiz“, „Kirche“, „Krieg und Kriegsfolgen“. In allen anderen Dimensionen waren stark positive Charakterisierungen vorherrschend, zum Beispiel in den Themenbereichen „Sport“, „Wissenschaft“ und „Wirtschaft“. Die aufgrund besonders breiter Datenbasis (mindestens 10 Texte innerhalb einer Dimension in einer Themenkategorie) sehr aussagekräftigen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen. Innerhalb des Themenbereiches „Justiz“ erfolgt hauptsächlich in Bezug auf die soziale Erwünschtheit eine negative Darstellung der charakterisierten Personen mit Behinderung. Inwieweit dies in eine stereotypisierte Darstellung des Menschen mit Behinderung als unheimlich und böse (vgl. Kapitel III 3.1.3) führt, wird im qualitativen Teil noch ausführlicher geklärt (vgl. Kapitel VI 1.3). Beim
234
V Quantitative Ergebnisse
Themenbereich „Sport“ dominieren im Kontext sozialer Erwünschtheit im Gegensatz dazu stark positive Charakterisierungen. Gleiches gilt für den Themenbereich „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ in der Dimension Angenehmheit. Dieser ist im Kontext personaler Berichterstattung sehr stark durch Porträts geprägt. Der große Anteil an sehr hohen EBK-Werten in zwei Dimensionen spricht dafür, dass bei der Porträtierung von Menschen mit Behinderung eher auf Begriffe zurückgegriffen wird, die als angenehm und sozial erwünscht wahrgenommen werden.
6
Sprache
Die Analyse der in der Presse verwendeten Sprache im Kontext Behinderung erfolgt in drei Abschnitten. Zunächst werden die Formulierungen zur Umschreibung beziehungsweise Beschreibung der Einschränkung erfasst (vgl. Code 6-1 im Anhang 2.5). Danach folgt eine sehr ausführliche Analyse der sprachlichen Personenbezeichnungen mit (vgl. Code 6-3 im Anhang 2.5) und ohne Behinderungsbegriff (vgl. Code 6-2 im Anhang 2.5). Neben den bereits aus den vorherigen Kapiteln bekannten Vergleiche der unterschiedlichen Zeitschriften und Zeitungen wird versucht im Längsschnitt auch eventuell auftretende Veränderungsprozesse innerhalb der sprachlichen Bezeichnung von Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen zu erfassen. Um diese Resultate anderen Forschungsergebnissen gegenüberstellen zu können, werden daraufhin die vorher in Personenbezeichnungen mit und solche ohne Behinderungsbegriff getrennten Betrachtungen zusammengefasst. Gegen Ende des zweiten Teils wurde die Verwendung besonders korrekter oder diskriminierender Sprache in Abhängigkeit von unterschiedlichen Behinderungsformen sowie der im Text vorliegenden Thematik untersucht. Abschließend werden grundlegende Ergebnisse der sprachlichen Analyse dieser Untersuchung mit den bereits vorliegenden Erkenntnissen aus anderen Forschungsvorhaben (vgl. Kapitel III 2.4) in diesem Bereich verglichen. Der letzte Teil des Kapitels beschäftigt sich noch kurz mit sprachlichen Beschreibungen im Kontext von Hilfsmitteln. Dies wird exemplarisch an sprachlichen Konstruktionen im Zusammenhang mit der Rollstuhlnutzung analysiert.
6.1
Umschreibung der Einschränkung
Innerhalb der Analyse finden sich 1977 sprachliche Konstruktionen, die sich nicht direkt einer Personenbeschreibung oder -charakterisierung zuordnen ließen und zur Be- oder Umschreibung einer Einschränkung innerhalb der untersuchten
235
6 Sprache
Presseerzeugnisse benutzt werden. Tabelle 47 veranschaulicht die Rangfolge der verwendeten Begriffskategorien. Die häufigste Verwendung für eine Einschränkung hat mit 34,9 %, wie nicht anders zu erwarten der Behinderungsbegriff. Er ist somit die zentrale sprachliche Bezeichnung für eine wie auch immer geartete Einschränkung. Der Gebrauch bestimmter Syndromnamen oder medizinischer Fachausdrücke ist mit 20,2 % ebenfalls sehr häufig vertreten, genauso wie die Beschreibung funktionaler oder struktureller Einschränkungen oder Schäden (17,6 % beziehungsweise 16,4 %). 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Behinderungsterminus Syndrom, Krankheitsbezeichnung Funktionale Einschränkung Strukturelle Einschränkung Handicap (unspezifisch) Prozent- oder Stufenangabe Entwicklungsverzögerung, Entwicklungsrückstand Normabweichung Schulangabe
Absolut 689 400
Relativ 34,9 % 20,2 %
347 324 58 53 45
17,6 % 16,4 % 2,9 % 2,7 % 2,3 %
39 22 1977
2,0 % 1,1 % 100 %
Tabelle 47: Absolute und relative Häufigkeiten der sprachlichen Umschreibungen von Einschränkungen in der Presse (vgl. Code 6-1). Der im angloamerikanischen Sprachraum weniger beliebte Begriff „Handicap“ (vgl. Kapitel III 2.4) findet sich in der unbestimmten, also nicht näher durch einen Zusatz wie körperlich oder geistig spezifizierten Version mit 2,9 % auf Rangplatz fünf, allerdings schon mit deutlichem prozentualem Abstand zu den vorherigen Kategorien. Zusammen mit den weiteren Kategorien, die sich alle im Bereich zwischen 1,1 und 2,7 % bewegen, spielen diese Umschreibungen eine klar untergeordnete Rolle.
6.2
Personenbezeichnungen
Zunächst wird bei der Analyse der Sprache, die innerhalb der Artikel als Personenbezeichnungen dient, zwischen Sprachkonstruktionen mit (vgl. Code 6-3 im Anhang 2.5) und ohne Behinderungsbegriff (vgl. Code 6-2 im Anhang 2.5) unterschieden. Innerhalb beider Codes gibt es Adjektivierungen, Substantivierungen und die als politisch korrekt bezeichneten Begriffe. In Anlehnung an die
236
V Quantitative Ergebnisse
innerhalb der Fachwissenschaften im Kontext Behinderung gebräuchlichen Ausdrücke werden alle „mit“-Konstruktionen als politisch korrekt bezeichnet, also zum Beispiel „Menschen mit Behinderung“ oder „Personen mit Querschnittslähmung“. Innerhalb der Betrachtung der Sprache ohne Behinderungsbegriff wird zusätzlich zwischen den Kategorien Hilfsmittelsubstantivierung und diskriminierenden Personenbezeichnungen unterschieden. Die Tabellen 48 und 49 zeigen die Ergebnisse der Analysen in Abhängigkeit von der Aussagenperspektive. Die Adjektivierung, also die Form „der behinderte Mensch“ oder „der querschnittsgelähmte Mensch“ ist zusammen mit der Substantivierung („der Behinderte“, „der Querschnittsgelähmte“) die am häufigsten gebrauchte sprachliche Konstruktion. Autor Politisch korrekt o.B. Adjektivierung o.B. Hilfsmittelsubstantivierung Substantivierung o.B. Diskriminierung
178 (8,5 %) 822 (39,3 %) 187 (8,9 %) 814 (38,9 %) 91 (4,3 %) 2092 (100 %)
Person mit Behinderung 8 (6,6 %) 47 (38,5 %) 5 (4,1 %) 58 (47,5 %) 4 (3,3 %) 122 (100 %)
Dritte Person 32 (17,8 %) 48 (26,7 %) 13 (7,2 %) 65 (36,1 %) 22 (12,2 %) 180 (100 %)
218 (9,1 %) 917 (38,3 %) 205 (8,6 %) 937 (39,1 %) 117 (4,9 %) 2394 (100 %)
Tabelle 48: Absolute und relative Häufigkeiten von Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff (Code 6-2) in Abhängigkeit von der Aussagenperspektive (Code 6-2-1, 6-2-2, 6-2-3). Bei den Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff überwiegen bei den Journalisten die Adjektivkonstruktionen mit 39,3 %, bei Personen mit Behinderung und bei dritten Personen wie auch insgesamt die Substantivierung. Diskriminierende Begrifflichkeiten werden sowohl durch die Autoren als auch durch die Menschen mit Behinderung seltener benutzt. Die Anteile liegen nur bei 4,3 % und 3,3 %, was bei den Personen mit Behinderung nur vier Nennungen entspricht. Dritte Personen benutzten viel häufiger Begrifflichkeiten, die als diskriminierend eingestuft wurden. 12,2 % der Personenbezeichnungen konnten dieser Kategorie zugeordnet werden. Insgesamt machen diese Begriffskonstruktionen mit 4,9 % aber den mit Abstand geringsten Teil der sprachlichen Ausdrücke aus. Häufiger werden Hilfsmittelsubstantivierungen wie „der Rollstuhlfahrer“ benutzt. Dieser sprachliche Ausdruck ist bei den Journalisten im Vergleich zu Personen mit Behinderung oder dritten Personen am beliebtesten. Insgesamt beträgt der Anteil 8,6 %. Die als politisch korrekt bezeichneten „mit“Konstruktionen finden im Gegensatz zur Adjektivierung und Substantivierung kaum Verwendung. Zwar werden sie von dritten Personen mit 17,8 % relativ oft
237
6 Sprache
gebraucht, dennoch liegt der innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse benutzte Anteil dieser sprachlichen Konstrukte im Kontext der Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff insgesamt nur bei 9,1 % (vgl. Tab. 48). Die Analysen der Personenbezeichnungen unter Verwendung des Behinderungsbegriffs ergeben ein sehr ähnliches Bild. Auch hier dominieren grundsätzlich Adjektivierung und Substantivierung. Der als politisch korrekt bezeichnete Ausdruck „Mensch oder Person mit Behinderung“ hat im Gesamten nur einen Anteil von 4,9 %, wobei er am häufigsten, wie auch schon bei den Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff, von dritten Personen gebraucht wird. Zudem ist bei dritten Personen der Anteil an der Verwendung der Bezeichnung „der Behinderte“ mit 39,7 % am geringsten. Im Gegensatz zur Sprache der Journalisten und zu den Personen mit Behinderung ist hier die Adjektivierung, also „der behinderte Mensch“, dominierend (vgl. Tab. 49). Autor Politisch korrekt Adjektivierung Substantivierung
122 (4,0 %) 1350 (44,2 %) 1580 (51,8 %) 3052 (100 %)
Person mit Behinderung 5 (4,2 %) 48 (40,7 %) 65 (55,1 %) 118 (100 %)
Dritte Person 51 (10,4 %) 245 (49,9 %) 195 (39,7 %) 491 (100 %)
178 (4,9 %) 1643 (44,9 %) 1840 (50,3 %) 3661 (100 %)
Tabelle 49: Absolute und relative Häufigkeiten von Personenbezeichnungen unter Verwendung des Behinderungsbegriffs (Code 6-3) in Abhängigkeit von der Aussagenperspektive (Code 6-3-1, 6-3-2, 6-3-3). Noch deutlicher als bei der Personenbezeichnung ohne Behinderungsbegriff ist, wie der Tabelle 49 zu entnehmen, hier die Substantivierung die häufigste Konstruktion. Vor allem die Tatsache, dass dies auch bei wörtlichen Aussagen von Menschen mit Behinderung der Fall ist, bleibt angesichts der Diskussion um die beste Begrifflichkeit (vgl. Kapitel III 2.4) schon überraschend, da diese Form der Personenbezeichnung zum Beispiel von Radtke in zahlreichen Publikationen eigentlich als diskriminierend abgelehnt wird (vgl. Radtke 2006, 126; Radtke 2003a, 8; Radtke 2003b, ,5; Radtke 1995, 93f.). Um ein differenzierteres Bild der sprachlichen Bezeichnungen für Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen in der Presse zu bekommen, ist eine Analyse der Sprachkonstruktionen innerhalb der einzelnen Zeitungen und Zeitschriften notwendig, da die Gesamtstatistiken in diesem Bereich in hohem Maße von den untersuchten Zeitungen, insbesondere der Süddeutschen Zeitung, geprägt werden, weil diese mit Abstand die meisten Artikel innerhalb der Untersuchungsgesamtheit stellt (vgl. Tab. 10). Abbildung 40 und 41 versuchen die bereits beschriebenen Sprachgebilde im Vergleich der einzelnen Zeitschriften
238
V Quantitative Ergebnisse
und Zeitungen zu veranschaulichen. Zunächst werden dabei die Personenbezeichnungen mit und ohne Behinderungsbegriff unabhängig von der Aussagenperspektive getrennt voneinander untersucht. Tabelle 50 fasst dann die beiden Arten von Personenbezeichnungen in einer gemeinsamen Auflistung zusammen. Innerhalb der Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff weist die politische Illustrierte Stern (15,7 %) gefolgt vom Nachrichtenmagazin Focus (14,1 %) den größten Anteil an politisch korrekten Sprachbezeichnungen auf. Den geringsten Anteil hat hier die Illustrierte Super Illu. Eher unerwünschte Substantivierungen und sprachliche Diskriminierungen tauchen mehrheitlich beim Stern, dem Spiegel und der Bunten auf. Bei der Süddeutschen Zeitung ist das Verhältnis zwischen erwünschten und unerwünschten sprachlichen Konstruktionen eher ausgeglichen. Den in der Veranschaulichung bei den Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff auf Basis des Auswertungsschemas positivsten Sprachgebrauch weist die Boulevardzeitung Bild auf. Diskriminierungen und personenbezogene Substantivierungen der Einschränkungen haben hier den geringsten Anteil.
Abbildung 40: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Verwendung von Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff (Code 6-2) bei unterschiedlichen Presseerzeugnissen.
239
6 Sprache
Bei der Analyse der Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff (vgl. Abb. 41) zeigt sich eine etwas andere Aufteilung. Das Verhältnis zwischen erwünschten politisch korrekten Begrifflichkeiten oder der Adjektivkonstruktion „behinderter Mensch“ zu der als eher diskriminierend angesehene Substantivierung ist hier bei der Bild fast ausgeglichen. Deutlich weniger Substantivierungen finden sich hier sowohl bei Spiegel, Focus als auch Stern, aber vor allem bei der Illustrierten Bunte, die damit den im Kontext der Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff wohl wünschenswertesten Sprachgebrauch aufweist und weitestgehend auf Substantivierungen verzichtet. Trotz des höchsten Anteils an politisch korrekten Sprachkonstruktionen in diesem Bereich, was einen bewussten Umgang mit der Sprache innerhalb der Behindertenthematik vermuten ließe, verwendet die Süddeutsche Zeitung ähnlich wie die Illustrierte Super Illu sehr viele Substantivierungen, was die positiven Ansätze wieder relativiert. Politischkorrekt
SuperIllu
45
939
151
1266
Stern 1
97
Spiegel 3
64
164
Focus
7
Bunte
2
Bild
Substantivierung
34
2
Süddeutsche
Adjektivierung
121
87
65
12
0%
136
22
223
10%
20%
30%
220
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 41: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der Verwendung von Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff (Code 6-3) bei unterschiedlichen Presseerzeugnissen. Ein abschließendes Bild aller untersuchten sprachlichen Konstruktionen liefert Tabelle 50, indem sie gleichzeitig alle absoluten und relativen Häufigkeiten der Personenbezeichnungen mit und ohne Behinderungsbegriff nach Zeitschriften
240
V Quantitative Ergebnisse
beziehungsweise Zeitungen sortiert berücksichtigt. Hier zeigt sich auch noch mal die bereits erwähnte starke Dominanz der Süddeutschen Zeitung, für die insgesamt 3607 Codierungen erfasst wurden. Innerhalb der meisten untersuchten Printerzeugnisse dominieren Begriffskonstruktionen unter Verwendung des Terminus „Behinderung“. In Bild (32,3 %), Bunte (34,2 %), Focus (32,0 %) und Stern (26,1 %) ist dies jeweils die Adjektivierung also die Form „der/die behinderte Person/Mensch“. Innerhalb der Süddeutschen Zeitung (35,1 %) und der Illustrierten Super Illu (33,8 %) ist „der Behinderte“, also die Substantivierung, die am häufigsten gebrauchte Bezeichnung für Personen mit Behinderungen oder Einschränkungen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel stellt innerhalb dieser Analyse eine Ausnahme dar, weil es das einzige untersuchte Presseerzeugnis ist, in dem eine Art der sprachlichen Personenbezeichnung ohne die Verwendung des Behinderungsbegriffes mit 28,0 % dominiert. Bild
SZ
Bunte
Focus
Spiegel
Stern
Politisch korrekt Politisch korrekt o.B. Adjektivierung Adjektivierung o.B.
12 1,7 % 12 1,7 % 223 32,3 % 128 18,6 %
151 4,2 % 108 3,0 % 939 26,0 % 479 13,3 %
2 1,1 % 10 5,3 % 65 34,2 % 38 20,0 %
7 1,9 % 23 6,1 % 121 32,0 % 61 16,1 %
3 0,4 % 31 4,5 % 164 23,9 % 118 17,2 %
Hilfsmittelsubstantivierung Substantivierung Substantivierung o.B. Diskriminierung
47 6,8 %
124 3,4 %
1 0,5 %
8 2,1 %
16 2,3 %
1 0,3 % 33 8,9 % 97 26,1 % 66 17,7 % () 5 1,3 %
220 31,9 % 38 5,5 % 10 1,4 % 690 100 %
1266 35,1 % 494 13,7 % 46 1,3 % 3607 100 %
22 11,6 % 49 25,8 % 3 1,6 % 190 100 %
87 23,0 % 63 16,7 % 8 2,1 % 378 100 %
136 19,9 % 192 28,0 % 25 3,6 % 685 100 %
64 17,2 % 84 22,6 % 22 5,9 % 372 100 %
Super Illu 2 1,5 % 1 0,8 % 34 25,6 % 27 20,3 % 4 3,0 % 45 33,8 % 17 12,8 % 3 2,3 % 133 100 %
Tabelle 50: Zusammenfassung der absoluten und relativen Häufigkeiten aller erfassten Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) bei verschiedenen Presseerzeugnissen. Da der Sprachgebrauch möglicherweise einem gewissen zeitlichen Wandel unterzogen ist, wurden die sprachlichen Konstruktionen zur Bezeichnung von Menschen mit Behinderung und Einschränkung auch im Längsschnitt untersucht,
241
6 Sprache
um sowohl generelle als auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Presseerzeugnis auftauchende Tendenzen und Veränderungen feststellen zu können. Tabelle 51 gibt zuerst einen allgemeinen Überblick über den Sprachgebrauch innerhalb der einzelnen Jahre der Untersuchung, der durch Abbildung 42 weiter veranschaulicht wird. An dieser Stelle sei noch mal darauf verwiesen, dass diese erste Betrachtung stark durch die Menge an Artikeln in der Süddeutschen Zeitung beeinflusst ist. Für generelle Vergleiche zu anderen Untersuchungen ist diese Aufstellung dennoch notwendig. Politisch korrekt Politisch korrekt o.B. Adjektivierung Adjektivierung o.B. Hilfsmittelsubstantivierung Substantivierung Substantivierung o.B. Diskriminierung
2000 44 3,4 % 50 3,9 % 312 24,4 % 196 15,3 % 39 3,0 %
2001 21 1,7 % 42 3,3 % 363 28,8 % 177 14,0 % 36 2,9 %
2002 30 2,7 % 39 3,6 % 278 25,3 % 190 17,3 % 44 4,0 %
2003 28 3,5 % 21 2,6 % 217 26,8 % 96 11,8 % 29 3,6 %
2004 33 3,4 % 50 5,1 % 294 29,9 % 158 16,1 % 34 3,5 %
2005 22 3,5 % 16 2,6 % 179 28,8 % 100 16,1 % 23 3,7 %
405 31,6 % 199 15,6 % 35 2,7 % 1280 100 %
398 31,6 % 193 15,3 % 31 2,5 % 1261 100 %
327 29,8 % 176 16,0 % 14 1,3 % 1098 100 %
259 31,9 % 145 17,9 % 16 2,0 % 811 100 %
256 26,0 % 149 15,1 % 10 1,0 % 984 100 %
195 31,4 % 75 12,1 % 11 1,8 % 621 100 %
Tabelle 51: Absolute und relative Häufigkeiten der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) in jedem einzelnen Jahr der Untersuchung. Die Substantivierung, also die Form „der Behinderte“, ist mit Ausnahme des Jahres 2004, hier wird die Adjektivierung unter Verwendung des Behinderungsbegriffs etwas öfter gebraucht, innerhalb der sechs Untersuchungsjahre die häufigste Form der Personenbezeichnung. Auffällig ist auch, dass sich im Jahr 2005 insgesamt nur noch knapp die Hälfte an personenbezeichnenden Begriffen des Jahres 2000 findet. Ein Grund dafür ist die sinkende Anzahl von Texten an sich (vgl. Tab. 9 in Kapitel V 1.1). Da sich diese aber nicht wesentlich in der Länge verändert haben (vgl. Abb. 24 in Kapitel V 1.2), dürften sich keine so großen Unterschiede zwischen dem Jahr 2000 und 2005 ergeben. Eine mögliche Erklärung wäre, dass eine direkte Personenbezeichnung im Laufe der Jahre immer mehr vermieden wurde.
242
V Quantitative Ergebnisse
In der Tabelle Tab. 51 lässt sich bereits erahnen was die Abbildung 42 veranschaulicht. Sie zeigt, dass die Veränderungsprozesse über die Jahre hinweg äußerst gering sind und sich konstant unter der 6%-Marke bewegen. Zudem sind keine klaren Trends erkennbar, die zum Beispiel eine kontinuierlich häufigere Verwendung oder die Vermeidung einer bestimmten sprachlichen Konstruktion suggerieren würden.
Abbildung 42: Prozentuale Veränderung in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im Untersuchungszeitraum. Die Differenzwerte bei den einzelnen Jahren ergeben sich aus dem Vergleich mit den relativen Häufigkeiten des Vorjahres. Über den gesamten Sechsjahreszeitraum der Untersuchung nahm die Verwendung als politisch korrekt betrachteter Personenbezeichnungen relativ um 0,1 % zu und ohne den Gebrauch des Behinderungsterminus um 1,3 % ab. Adjektivierungen mit und ohne Behinderungsbegriff sowie die Hilfsmittelsubstantivierung verzeichneten eine Zunahme von 4,4 % und 0,8 % beziehungsweise 0,7 %. Im Vergleich zum Beginn des Untersuchungszeitraums sank der Gebrauch von Substantivierungen mit und ohne Behinderungsterminus um 0,2 % beziehungsweise 3,5 %. Auch gab es insgesamt betrachtet eine leichte Abnahme der diskri-
6 Sprache
243
minierenden Personenbezeichnungen um 0,9 %. Man könnte also von einer leichten Reduzierung unerwünschter Begrifflichkeiten sprechen. Die Veranschaulichung verdeutlicht allerdings, dass dies wohl eher zufällig ist, da die Differenzen im Vergleich zu den Vorjahren keine Tendenzen aufzeigen. Nahmen zum Beispiel die Substantivierungen unter Verwendung des Behinderungsbegriffs vom Jahr 2003 auf 2004 um fast sechs Prozent ab, stiegen sie im darauffolgenden Zeitraum um fast wieder genau diese sechs Prozent. Entsprechende Beispiele ließen sich für fast alle Begriffskonstruktionen finden, wobei das als politisch korrekt bezeichnete „Menschen mit Behinderung“ dabei den geringsten Schwankungen unterworfen war und in den letzten Jahren der Untersuchung nahezu auf gleichem Niveau blieb (vgl. Abb. 42). Die Differenzen innerhalb der einzelnen Presseerzeugnisse zeigen, dass innerhalb der untersuchten Zeitungen Bild und Süddeutsche Zeitung noch Ähnliches gilt wie bei der Gesamtanalyse der Personenbezeichnungen. Die Unterschiede bewegen sich hier in Bereichen unter 6 % (vgl. Abb. 43). Diskriminierende Begrifflichkeiten und die Substantivierungen ohne Behinderungsbegriff nehmen bei beiden Zeitungen ab, dafür die Verwendung politisch korrekter Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff leicht zu.
Abbildung 43: Prozentuale Veränderung in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im gesamten Analysezeitraum bei den untersuchten Zeitungen.
244
V Quantitative Ergebnisse
Vom Gesamtbild könnte man der Süddeutschen Zeitung eine leicht positive Entwicklung bescheinigen, weil bis auf politisch korrekte Bezeichnungen ohne Behinderungsbegriff alle, eher akzeptierten sprachlichen Konstrukte, Zuwächse verweisen konnten. Die Verwendung von Substantivierungen oder der Gebrauch diskriminierender Personenbezeichnungen nahm zudem im gleichen Zeitraum leicht ab. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die starken Schwankungen in der Abbildung 42 dafür sprechen würden, dass dies nur eine zufällige Entwicklung ist, der keineswegs ein einheitlicher Prozess zu Grunde liegt. Wesentlich stärkere Veränderungen hinsichtlich der Personenbezeichnungen mit und ohne Behinderungsbegriff zwischen dem Beginn des Untersuchungszeitraums 2000 und dem Ende 2005 lassen sich feststellen, wenn man die einzelnen Zeitschriften getrennt voneinander beobachtet. Bei der Illustrierten Bunte sind Unterschiede bis zu knapp 40 % bei der Hilfsmittelsubstantivierung und der Substantivierung ohne Behinderungsbegriff ersichtlich. Beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel gab es innerhalb des Untersuchungszeitraums mit 20,2 %, bei der Super Illu mit 15,9 % einen deutlichen Zuwachs bei der Verwendung der Personenbezeichnungen „der Behinderte“, im gleichen Zeitraum nahm dies beim Stern um 19,2 % ab. Dafür stieg hier die Substantivierung ohne Behinderungsbegriff innerhalb dieses Zeitraums deutlich um 16,7 % deutlich. Politisch korrekte Personenbezeichnungen wurden über den Untersuchungszeitraum vom relativen Anteil her fast konstant häufig verwendet. Hier zeigten sich nur sehr kleine Veränderungen bei politisch korrekten Begriffen ohne Behinderungsterminus im 5 %-Bereich. Erfreulich ist der deutliche Rückgang an diskriminierendem Sprachgebrauch innerhalb der Illustrierten Super Illu, hier reduzierte sich der Anteil im Vergleich der Jahre 2000 und 2005 um 13,6 %, bei allerdings sehr geringer Ausgangsdatenbasis von insgesamt nur 22 Texten aus dem Jahr 2000 und 12 Texten aus dem Jahr 2005 (vgl. Abb. 44).
6 Sprache
245
Abbildung 44: Prozentuale Veränderungen in der Verwendung bestimmter Personenbezeichnungen (Code 6-2 und 6-3) im gesamten Analysezeitraum bei den untersuchten Zeitschriften. Im Gegensatz zu der Süddeutschen Zeitung lassen sich innerhalb der untersuchten Zeitschriften allerdings keine bewertbaren Gesamteindrücke formulieren. Die Veränderungen innerhalb jeder untersuchten Zeitschrift sind zu heterogen, als dass eine abschließende positive oder negative Einordnung möglich wäre. Vor dem abschließenden Vergleich mit Ergebnissen anderer Untersuchungen soll noch abgeklärt werden, inwieweit thematische Zusammenhänge zwischen Artikeln mit besonders positiver, also politisch korrekter Sprache (sowohl mit und ohne Verwendung des Behinderungsbegriffs) und bestimmten Themen oder Arten und Formen von Behinderung und Einschränkung bestehen. Tabelle 52 und Tabelle 53 geben einen Überblick über diese Beziehungen. Dabei wurde jeweils der Anteil an Artikeln mit diskriminierenden oder politisch korrekten Personenbezeichnungen der Gesamtzahl des jeweiligen Artikels im Themenbereich oder der Art der Einschränkung gegenübergestellt sowie die Differenz aus diesen beiden Werten bestimmt, um die Themen beziehungsweise Behinderungsarten zu finden, bei denen eine besonders negative oder positive Art von Sprache zur Bezeichnung der Personen überwiegend Verwendung findet. Im Gegensatz zu den üblichen hier vorgestellten Analysen wurden dabei nicht einzelne sprachliche Konstrukte
246
V Quantitative Ergebnisse
betrachtet, sondern der Artikel als Ganzes, damit die Effekte einzelner Texte mit überhäufig vielen Nennungen ausgeblendet werden.
Ethik Geschichte Immobilien Justiz Kirche Krieg, Kriegsfolgen Medien, Massenmedien Medizin Menschen, Gesellschaft, Soziales Multimedia, Unterhaltungselektronik Musik, Kunst, Kultur Politik Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung Sport Technik Tourismus, Reise Unfälle, Katastrophen, Unglücke Verkehr Wirtschaft Wissenschaft Sonstiges Gesamtzahl an Artikeln
Diskriminierung 5 (6,8 %) 3 (16,7 %) 23 (8,4 %) 5 (33,3 %) 10 (15,6 %)
Politisch korrekt 17 (23,0 %) 1 (5,6 %) 2 (14,2 %) 14 (5,1 %) 1 (9,1 %) 1 (6,7 %) 10 (15,6 %)
Differenz 12 (16,2 %) -2 (-11,1 %) 2 (14,2 %) -9 (-3,3 %) 1 (9,1 %) -4 (-26,6%) 0 (0,0 %)
5 (4,9 %) 11 (4,9 %) 2 (1,0 %) -
15 (14,7 %) 34 (15,2 %) 7 (31,8 %) 13 (16,5 %) 31 (16,9 %) 12 (22,6 %)
10 (9,8 %) 23 (10,3 %) 7 (31,8 %) 13 (16,5 %) 29 (15,9 %) 12 (22,6 %)
5 (3,3 %) 2 (6,3 %) 2 (2,1 %) 3 (5,4 %) 76
28 (18,8 %) 4 (10,5 %) 6 (35,3 %) 2 (6,3 %) 5 (14,3 %) 13 (20,0 %) 13 (13,4 %) 5 (9,1 %) 234
23 (15,5 %) 4 (10,5 %) 6 (35,3 %) 0 (0,0 %) 5 (14,3 %) 13 (20,0 %) 11 (11,3 %) 2 (3,7 %)
Tabelle 52: Absolute und relative Anteile an Artikeln mit diskriminierenden oder politisch korrekten sprachlichen Personenbezeichnungen an der Gesamtzahl der Artikel im jeweiligen Themenbereich (die drei höchsten Werte sowie die höchsten positiven und negativen Differenzen sind hervorgehoben). Die meisten diskriminierenden Personenbezeichnungen finden sich anteilsmäßig innerhalb von Artikeln aus den Themenbereichen „Geschichte“, „Medien, Massenmedien“ und „Krieg, Kriegsfolgen“. Im Kontext „Tourismus, Reise“, „Multimedia, Unterhaltungselektronik“ und „Ethik“ gibt es die meisten Artikel, die als politisch korrekt bezeichnete Sprache gebrauchen. Der Unterschied der Anteile gibt Aufschluss darüber, inwieweit Artikel mit negativ oder positiv bewerteten Begrifflichkeiten dominieren, und liefert so ein etwas differenzierteres und leicht von den relativ häufigsten Nennungen abweichendes Bild. Zusätzlich zu
247
6 Sprache
den Themen „Geschichte“ und „Krieg, Kriegsfolgen“ findet sich so auch der Themenbereich Justiz unter den drei Kategorien mit den negativsten Differenzen. Im Gegensatz zur Kategorie „Medien, Massenmedien“ stehen hier den zahlreichen Artikeln mit diskriminierenden Personenbezeichnungen weniger Texte mit politisch korrekten Bezeichnungen gegenüber (vgl. Tab. 52). Der tendenziell diskriminierendere Sprachgebrauch innerhalb der genannten Themen beinhaltet zwei unterschiedliche Gründe. Einerseits dient zum Beispiel der als diskriminierend kategorisierte Begriff „Krüppel“ in Einzelfällen zur zusätzlichen Dramatisierung und zur Verstärkung der Opferrolle im Zusammenhang mit Unfällen oder Straftatbeständen (vgl. Bild 30.06.2000, 7; 27.09.2000, 1 u. 5; Der Spiegel 24.04.2000, 195ff.). Andererseits leisten die Bezeichnungen der Täter im Justizkontext als „schwachsinnig“ oder „debil“ auch einen Beitrag zur überwiegend negativeren Sprache innerhalb dieses Themenbereiches (vgl. Der Spiegel 26.03.2005, 60f.; Süddeutsche Zeitung 03.05.2004, 44). Der Grund könnte ein weniger sensibler oder bewusst diskriminierender Sprachgebrauch in Verbindung mit Straftätern durch die Presseerzeugnisse sein. Autismus Blindheit Gehörlosigkeit Kognitive Einschränkung Mehrfacheinschränkung Physische Einschränkung Spracheinschränkung Nicht entscheidbar Mehrere Gesamtzahl an Artikeln
Diskriminierung 3 (9,7 %) 24 (7,9 %) 5 (7,0 %) 26 (7,1 %) 8 (1,6 %) 10 (5,3 %) 76
Politisch korrekt 4 (12,9 %) 8 (6,4 %) 5 (10,0 %) 48 (15,8 %) 4 (5,6 %) 51 (13,9 %) 58 (11,7 %) 56 (29,8 %) 234
Differenz 1 (3,2 %) 8 (6,4 %) 5 (10,0 %) 24 (7,9 %) -1 (-1,4 %) 25 (6,8 %) 50 (10,1 %) 46 (24,5 %)
Tabelle 53: Absolute und relative Anteile an Artikeln mit diskriminierenden oder politisch korrekten Personenbezeichnungen an der Gesamtzahl der Artikel innerhalb der jeweiligen Behinderungsart oder Einschränkungsform (die drei höchsten Werte sowie die höchsten positiven und negativen Differenzen sind hervorgehoben). Mit Ausnahme von Mehrfachbeschränkungen gab es keine Form oder Art von Behinderung, bei denen die Anzahl an Artikeln, die diskriminierende Begrifflichkeiten verwenden, höher war, als die jener, die politisch korrekte Bezeichnungen verwenden (vgl. Tab. 53). Kapitel III 2.4 hat sich bereits ausführlich mit dem Forschungsstand im Bereich Sprache innerhalb der Presse beschäftigt. Da deutschsprachige Untersuchungen auf diesem Gebiet bis jetzt grundsätzlich fehlten, war nur eine Auflis-
248
V Quantitative Ergebnisse
tung internationaler englischsprachiger Ergebnisse möglich. Die meisten Untersuchungen berücksichtigten dabei einheitlich die Begriffe „the disabled“, „disabled person“ oder „person with disability“. Zur Schaffung einer Vergleichbarkeit mit dieser Untersuchung wurde der Terminus „disability“ in Anlehnung an die ICF (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005) und die erste offizielle deutsche Übersetzung der ICIDH aus dem Jahr 1990 (vgl. Matthesius/Leistner 1990) mit dem Begriff „Behinderung“ übersetzt, auch wenn die beiden Begriffe sprachtheoretisch und kulturell kein wortwörtliches Äquivalent sind (vgl. Kapitel I 2.2). Die bereits in Kapitel III 2.4 dargestellte Überblickstabelle wurde mit Werten dieser Untersuchung ergänzt (vgl. Tab. 54). Die angeführten englischsprachigen Ergebnisse beziehen sich zum Teil auf dieselben Zeiträume, was einen direkten Vergleich der Sprache ermöglicht. Im Gegensatz zu den englischsprachigen Zeitschriften verwendet die deutsche Presse sowohl im Jahr 2000 als auch im Jahr 2002 die politisch korrekte Version „person with disability“ deutlich weniger. Bei Haller war dies im Jahr 2002 mit 25,0 % sogar die innerhalb der Artikel am häufigsten gebrauchte Bezeichnung (vgl. Haller 2003, 69), im gleichen Jahr taucht sie innerhalb der untersuchten deutschen Printmedien nur zu 2,7 % auf. In beiden Jahren dominiert hier die Substantivierung „der Behinderte“ mit 31,6 % im Jahr 2000 und 29,8 % im Jahr 2002. Die Anteile des entsprechenden Terminus „the disabled“ liegen in dieser Zeit bei den amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften mit 16,7 % (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006, 69) und 17,0 % (Haller 2003, 69) ungefähr halb so hoch. Ähnlich hohe Werte in diesem Bereich zeigen die Studien von Dajani 1999 (vgl. Dajani 2001, 205), die israelischen Tageszeitungen bei der Untersuchung von Auslander und Gold 1998 (vgl. Auslander/Gold 1999a, 1399) und die amerikanischen Presseerzeugnisse im Jahr 1995 (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006, 69). Innerhalb der internationalen Presselandschaft lässt sich eine vermehrte Verwendung der hier als politisch korrekt bezeichneten Begriffskombination „person with disability“ beobachten, die sogar im Jahr 2002 bei der Untersuchung von Haller die häufigste Begriffskombination ist. In allen hier dargestellten Untersuchungen wird dieser Terminus seit Beginn der 90er-Jahre öfter gebraucht, als in dieser Studie ausgewählter deutscher Presseerzeugnisse (vgl. Tab. 54). Die Anteile aller anderen Untersuchung liegen mit Werten zwischen 8,0 % und 25 % deutlich höher. Im Rahmen dieser Analysen konnte in den Jahren 2000 beziehungsweise 2002 nur eine Verwendung von 2,7 % und 3,4 % festgestellt werden.
249
6 Sprache
Haller/Dorries/Rahn 1990 N=140; Z=398 Haller/Dorries/Rahn 1995 N=224; Z=532 Auslander/Gold 1998 Kanada N=224 Israel N=203 Haller 1998 N=256 Dajani 1999 N=41; Z=119 Haller/Dorries/Rahn 2000 N=186; Z=508 Diese Untersuchung 2000 Z=1280 Haller 2002 N=483 Diese Untersuchung 2002 Z=1098
The Disabled
Disabled Person
15,6 %
24,1 %
Person with disability 8,0 %
25,8 %
24,2 %
8,5 %
16,5 %132 24,1 %132 15 %
19,6 % 36,0 % Nicht kategorisiert
24,5 %
25,2 %
22,7 %
17,6 %
16,7 %
28,0 %
16,1 %
31,6 %
24,4 %
3,4 % 27,8 %
17 %
Nicht kategorisiert
25,0 %
29,8 %
25,3 %
2,7 % 28,0 %
Tabelle 54: Prozentualer Anteil unterschiedlicher sprachlicher Konstruktionen mit Behinderungsbegriff zur Beschreibung von Personen mit Behinderung in den Medien.133 Betrachtet man die gesamte Tabelle 54 und nicht nur einzelne Bereiche, fällt auf, dass das sprachliche Profil der untersuchten deutschen Presseerzeugnisse in den Jahren 2000 und 2002 dem der amerikanischen Presse aus dem Jahr 1995 (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006) entspricht, die sich seit dem, wenn man eine Wertung einbringen möchte, eher positiv entwickelt hat, indem deutlich häufiger die politisch korrekte Version „person with disability“ verwendet wird. Die englischsprachige Presse kommt damit den Forderungen von Interessenvertretern und Betroffenen eher nach, als dies die hier untersuchten deutschen Zeitungen und Zeitschriften tun.
132 In beiden Fällen beinhaltet dieser Anteil auch den Begriff „the handicapped“. 133 Kleinste codierte Einheit ist dabei entweder die sprachliche Konstruktion an sich (vgl. Haller/Dorries/Rahn 2006; Dajani 2001, 205) oder der gesamte Text (vgl. Haller 2003, 69; Auslander/Gold 1999a, 1398; Haller 1999), wobei N die Gesamtzahl der Texte und Z die Zahl aller gefundenen sprachlichen Ausdrücke angibt. Auch andere sprachliche Konstruktionen ohne Verwendung der Begriffe „disability“ oder „disabled“ fanden zum Teil in den Untersuchungen Berücksichtigung, weshalb die Addition der Werte in den Zeilen nicht notwendigerweise 100 % ergibt.
250 6.3
V Quantitative Ergebnisse
Hilfsmittel
Neben den Termini zur Bezeichnung von Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen wurde auch der sprachliche Umgang im Kontext von Hilfsmitteln analysiert. Es folgte dabei eine Beschränkung auf das innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse am meisten erwähnte Hilfsmittel, dem Rollstuhl (vgl. Tab. 55 in Kapitel V 7.1). Dabei wurde unterschieden zwischen einem negativen, Leid implizierenden und so diskriminierenden Sprachgebrauch „an den (Roll)Stuhl gefesselt“ (vgl. Firlinger 2003, 20; Mosaik – Die Bunte Rampe 2003, 2), einer neutralen begrifflichen Verwendung „im Rollstuhl sitzend“ sowie positiven Beschreibungen und sprachlichen Konstrukten, die den Rollstuhl als ermöglichendes Hilfsmittel ansahen. Es konnten alles in allem 119 sprachliche Ausdrücke codiert werden. Abbildung 45 zeigt die prozentuale und absolute Verteilung der drei untersuchten Kategorien. Negativ
SprachlicheDarstellungder HilfsmittelamBeispielRollstuhl
12
0%
Neutral
Positiv
90
10%
20%
30%
40%
50%
17
60%
70%
80%
90%
100%
Abbildung 45: Balkendiagramm absoluter und relativer Häufigkeiten der sprachlichen Darstellung des Hilfsmittels Rollstuhl (vgl. Code 64) innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse. Wie in der Abbildung zu erkennen ist, überwiegen neutrale und positive Sprachkonstrukte im Zusammenhang mit dem Hilfsmittel Rollstuhl. Der Ausdruck „an
6 Sprache
251
den Rollstuhl gefesselt“ wurde nur 12-mal innerhalb der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften gefunden, was einem Anteil von 10,1 % entspricht. Er fand dabei mit Ausnahme der politischen Illustrierten Stern in jeder der untersuchten Presseerzeugnisse Verwendung, und zwar einmal in der Bild, dreimal in der Illustrierten Bunte und einmal in der Super Illu, ebenfalls einmal im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, zweimal im Focus und viermal in der Süddeutschen Zeitung. Bei der Illustrierten die Bunte kam der Ausdruck innerhalb eines Artikels zweimal vor (vgl. Bunte 14.10.2004, S. 47).
6.4
Zwischenfazit
Der Behinderungsbegriff wird in der Presse am häufigsten zur Beschreibung einer Einschränkung benutzt. Auch die Nennung eines bestimmten Syndroms oder einer chronischen Krankheit erfolgt oftmals, um eine Einschränkung zu verdeutlichen, sofern sich die Bezeichnung nicht direkt auf eine Person, sondern auf die Einschränkung an sich bezieht. Als Ergebnis der Analyse der Personenbezeichnungen muss konstatiert werden, dass trotz der Forderungen hinsichtlich der sprachlichen Bezeichnung von Menschen mit Behinderung (vgl. Gröschke 1998, 365; Radtke 2006, 126; Radtke 2003a, 8; Radtke 2003b, 5; Radtke 1995, 93f.; Speck 2005, 48; Speck 2003, 54) innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse insgesamt die Substantivierung vorherrschend ist. Sie ist, egal ob mit oder ohne Behinderungsbegriff, die am meisten verbreitete Form. Auch durch den Personenkreis selbst wird sie am häufigsten gebraucht (Beispiele hierfür Stern 13.04.2000, 136; Süddeutsche Zeitung 27.12.2002, V2/11). Zudem verwendet zum Beispiel auch Radtke in Interviews vereinzelt, entgegen der vorher innerhalb seiner Publikationen erwähnten Position den Terminus „Behinderte“ anstatt „behinderte Menschen“ oder „Menschen mit Behinderung“ (vgl. Ohne Autor 2003, 112, 117; Radtke/Keienburg 2001, 10f.). Die adjektivierte Form wird am häufigsten von Journalisten bei Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff und von dritten Personen bei Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff gebraucht. Grundsätzliche Alternativen, wie die hier als politisch korrekt bezeichneten Sprachkonstruktionen, werden so gut wie nicht verwendet. Am häufigsten erfolgt der Gebrauch ebenfalls durch dritte Personen. Allerdings finden sich innerhalb dieser Aussagenperspektive auch die meisten diskriminierenden Begrifflichkeiten, deren Anteile innerhalb der anderen Perspektiven sehr gering sind. Auf Ebene der einzelnen Zeitschriften und Zeitungen wurden bei der Illustrierten Super Illu im Verhältnis am wenigsten politisch korrekte Personenbezeichnungen codiert. Unter der Verwendung des Terminus Behinderung für die Personenbe-
252
V Quantitative Ergebnisse
zeichnung finden sich hier die meisten Bezeichnungen bei der Süddeutschen Zeitung. Der Stern hat im Zusammenhang mit den Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff hier den relativ höchsten Anteil, allerdings gibt es dort auch die meisten diskriminierenden Bezeichnungen. Veränderungen der Sprache für die Personenbezeichnungen über die Jahre ergaben sich nur kaum und eher unkontinuierlich ohne klar ersichtlichen Trend. Bei der Süddeutschen Zeitung findet sich vielleicht am ehesten ein minimal positiver Verlauf. Hier lassen sich im Längsschnitt weniger diskriminierende und substantivierende Benennungen sowie die nahezu gleichbleibende Verwendung politisch korrekter Begriffe bei gleichzeitiger Steigerung der Adjektivierung beobachten (vgl. Abb. 43). Die sprachlichen Veränderungen aller anderen Presseerzeugnisse sind zu uneinheitlich und zu unbeständig, als dass sich Aussagen über positive oder negative Veränderungen machen ließen. Es wurde weiter festgestellt, dass bestimmte Themen eher dazu neigen, positive oder negative Sprache zu verwenden. Die Bestimmung der prozentualen Unterschiede zwischen diskriminierender und politisch korrekter Sprache ergab, dass im Kontext „Geschichte“, „Justiz“ und „Krieg, Kriegsfolgen“ eher Tendenzen für diskriminierende Personenbezeichnungen zu finden sind. Am politisch korrektesten ist die Sprache innerhalb von Artikeln zu den Themen „Multimedia und Unterhaltungselektronik“, „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“ sowie „Tourismus und Reise“. Zudem gibt es auch noch zahlreiche weitere Themen, bei denen keine diskriminierenden Begrifflichkeiten vorkommen. Mehr Artikel mit diskriminierenden als mit positiven Personenbezeichnungen finden sich in den Themenbereichen „Geschichte“, „Justiz“ und „Krieg, Kriegsfolgen“. Bei genauerer Betrachtung der Texte fällt auf, dass diese Begrifflichkeiten dabei zuweilen zur Dramatisierung der Darstellung genutzt werden. Der Terminus „Krüppel“ als Personenbezeichnung für die Opfer von Krieg oder Gewalttaten ist dabei eine häufig verwendete Form. Im Justizkontext führt ein wohl unvorsichtigerer oder bewusst diskriminierender Sprachgebrauch für die Täter dazu, dass als diskriminierend kategorisierte Personenbezeichnungen innerhalb dieses Themenbereichs dominieren. Der Vergleich der Ergebnisse der sprachlichen Personenbezeichnungen innerhalb dieser Untersuchung mit denen anderer internationaler Publikationen, insbesondere von Analysen der englischsprachigen Presse zeigt, dass Letztere insgesamt eher positive Sprache verwenden oder zumindest einen bewussteren Umgang mit sprachlichen Ausdrücken haben. Das sprachliche Profil der deutschen Presse entspricht eher noch dem der amerikanischen Presse zu Beginn bis Mitte der 90er-Jahre. Bis auf die bereits in einer Fußnote im Kapitel III 2.4 angesprochene Problematik, ob „disabled person“ oder „person with disability“ der bessere Terminus ist, führen und führten im englischen Sprachraum immer wie-
7 Unterstützung
253
der gestellte Forderungskataloge an die Sprache im Kontext Behinderung (vgl. Barnes 1997, 231ff.; Barnes 1992, 19ff.; ohne Autor 1994, 212ff.; Riley 2005, 219ff.) sicherlich auch dazu, dass ein sensiblerer Umgang mit Sprache vonseiten der Journalisten erfolgte, sich Personenbezeichnungen in eine erwünschte Richtung verschoben und so schließlich die Begriffe „person with disability“ oder „disabled person“ in fast allen neueren Untersuchungen134 ab Ende der 90erJahre häufiger Verwendung fanden als die Substantivierung „the disabled“. Obwohl es im deutschsprachigen Raum ähnliche Publikationen gibt (vgl. Firlinger 2003; Mosaik – Die Bunte Rampe 2003), scheint sich dies, auch in Kombination mit den bereits erwähnten Forderungen von Fachwissenschaftlern und behinderten Menschen, im Gegensatz zur englischsprachigen Presse wesentlich weniger ausgewirkt zu haben. Da es sich um relativ aktuelle Publikationen handelt, könnten Effekte eventuell auch erst später auftreten. Die sehr knappe Analyse der sprachlichen Konstrukte im Zusammenhang mit dem Hilfsmittel Rollstuhl zeigte, dass der Ausdruck „an den Rollstuhl gefesselt“ nur noch vereinzelt im Kontext des Hilfsmittels verwendet wird. Die Presse nutzt durchgängig eher neutrale Formulierungen wie „im Rollstuhl sitzend“ oder versucht den Rollstuhl positiv als ermöglichendes Hilfsmittel darzustellen.
7
Unterstützung
Den Abschluss des quantitativen Teils der Untersuchung bildet eine Auswertung personaler und materieller Unterstützungen für Menschen mit Behinderung. Dabei wird zunächst analysiert, welche Hilfsmittel innerhalb der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften genannt werden und wie häufig diese vorkommen. Im zweiten Teil des Kapitels liegt der Fokus auf Unterstützungen und Hilfen für Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen durch dritte Personen. Dabei wird quantitativ erfasst, wer in den Artikeln der Presse Menschen mit Behinderung unterstützt und wer oder welche Gruppen unterstützt werden. Zudem wird untersucht, ob bestimmte Arten von Behinderung mehr personale Unterstützung in diesem Kontext erfahren beziehungsweise welche Zeitungen und Zeitschriften über welche Art von Hilfe berichten.
134 Ausnahme dabei bildet die Untersuchung von Dajani (vgl. Dajani 2001), allerdings sind auch hier die Anteile an der Form „people with disability“ wesentlich höher als in den hier untersuchten deutschen Presseerzeugnissen.
254 7.1
V Quantitative Ergebnisse
Hilfsmittel
Innerhalb der untersuchten Artikel wurden 1576 Nennungen von 63 verschiedenen Hilfsmitteln oder Hilfsmittelgruppen135 erfasst. Tabelle 55 veranschaulicht die absoluten und relativen Häufigkeiten der zehn am zahlreichsten erwähnten Hilfsmittel. Der Rollstuhl ist mit einem Anteil von 38,1 % mit Abstand das Hilfsmittel, welches am häufigsten thematisiert wird. Gefolgt von der Gruppe Gebärdensprache, Gebärdendolmetscher mit 9,1 %, was insofern erstaunt, da der Anteil an Artikeln mit der Thematik Gehörlosigkeit insgesamt innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse eher gering ist (vgl. Tab. 24 in Kapitel V 3.1). Grund dafür ist, dass zahlreiche Nennungen innerhalb der Diskussion um das Gleichstellungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen, bei der die Gebärdensprache beziehungsweise der gesetzliche Anspruch auf Gebärdendolmetscher häufig als Beispiel angeführt wird (vgl. Bild 30.10.2002, 7; Süddeutsche Zeitung 08.11.2002, 5; 22.03.2002, 2) und diese Artikel oft mehrere Arten von Einschränkungen thematisieren, weshalb sie dann unter „mehrere“ kategorisiert worden sind (vgl. Code 4-3V in Anhang 1 und Code 4-3 in Anhang 2.3). Prothesen und elektronische Körperteile werden mit 7,2 % der anteiligen Nennungen ebenfalls noch häufig erwähnt. Alle weiteren Hilfsmittel und Hilfsmittelgruppen weisen keine Anteile über 5 % mehr auf. Die meisten der genannten Hilfsmittel oder Hilfsmittelgruppen dienen der personalen Kompensation oder Rehabilitation, versuchen also die Einschränkung der Person an sich zu kompensieren oder die Funktionsfähigkeit einer Person in einem bestimmten Bereich wieder herzustellen (vgl. Handlungsmodelle in Kapitel I 2.3 und im Anhang 2.2). Mit den Hilfsmittelkategorien „Umgebungsgestaltung“ (4,1 %) und „Autoumbauten“ (3,3 %) finden sich aber auch Möglichkeiten der Unterstützung wieder, die ihren Ansatzpunkt außerhalb der Person in den alltäglichen Handlungsräumen der Umwelt haben.
135 Funktional sehr ähnliche Hilfsmittel wurden zusammengefasst (z. B. Zigarettenanzünder und Einhanddosenöffner zur Kategorie „Alltagshilfen“, ebenso bildeten zum Beispiel jegliche Arten von Schablonen für blinde Menschen eine eigene Kategorie).
255
7 Unterstützung
1. 2.
Rollstuhl Gebärdensprache, Gebärdendolmetscher 3. Prothese, elektronische Körperteile 4. Umgebungsgestaltung 5. Cochleaimplantat 6. Autoumbauten 7. Blindenschrift, elektronische Blindenschriftleiste 8. Akustische Signale 9. Blindenhund, Blindenpony 10. Krücken …
Absolut 600 144
Relativ 38,1 % 9,1 %
115
7,2 %
64 55 53 51
4,1 % 3,5 % 3,3 % 3,2 %
43 38 37 … 1576
2,7 % 2,3 % 2,3 % … 100 %
Tabelle 55: Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen von Hilfsmitteln (Code 7-1).
7.2
Personale Unterstützer
Dieser Teil der Auswertung versucht die personale Unterstützung für Menschen mit Behinderung und Einschränkung zu analysieren (vgl. Code 7-2-1 und Code 7-2-2 im Anhang 2.6). Die grundsätzlichen Häufigkeiten werden dabei ebenso erfasst wie eventuell auftretende Zusammenhänge in Verbindung mit der Art der Zeitschrift oder der Form der Behinderung oder Einschränkung (vgl. Variable 43V in Anhang 1).
Person des Unterstützers
Einzelperson(en)
Unbest. Personen
Gruppe
Unternehmen, Firma
Unklar
Relativ
82 (46,6 %)
10 (5,7 %)
23 (13,1 %)
50 (28,4 %)
11 (6,3 %)
176
Tabelle 56: Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen verschiedener personaler Unterstützter (vgl. Code 7-2-1). Insgesamt gibt es 176 erfasste Unterstützer oder Unterstützergruppen innerhalb der untersuchten Artikel. Die häufigste personale Unterstützung erfolgt durch namentlich erwähnte Einzelpersonen, mit 46,6 % liegt der Anteil hier knapp unter der Hälfte der Anzahl aller codierter Einheiten. Es folgen Unternehmen und Firmen mit einem Anteil von 28,4 %. Gruppen spielen mit 13,1 % auch noch
256
V Quantitative Ergebnisse
eine relativ wichtige Rolle. Weniger häufig wird von der Hilfe unbestimmter also anonymer Personen berichtet (vgl. Tab. 56). In der Berichterstattung der Zeitungen und Zeitschriften im Kontext personaler Unterstützung zeigen sich deutliche Unterschiede. Im Nachrichtenmagazin Focus gibt es nahezu keine Berichte darüber (3), wohingegen in den Illustrierten Super Illu (23) und Bunte (31) sehr häufig über Unterstützungen berichtet wird. Angesichts der insgesamt im Verhältnis zu den anderen Zeitungen und Zeitschriften deutlich wenigeren Artikel der klassischen Illustrierten innerhalb dieser Untersuchung, sind diese Werte durchaus beachtlich (vgl. Tab. 57).
Bild Bunte Focus Spiegel Stern Süddeutsche Super Illu
Einzelperson(en) 10 25 2 9 8 26 2 82
Unbest. Personen 1 2 1 5 1 10
Gruppe 7 1 1 1 2 10 1 23
Unternehmen, Firma 8 3 1 5 14 19 50
Relativ 26 31 3 12 15 55 23
Tabelle 57: Anzahl der Artikel, denen personale Unterstützungskategorien (Code 7-2-1) zugeordnet werden konnten, aufgelistet nach den untersuchten Presseerzeugnissen. Trotz der ähnlich hohen Anteile innerhalb der Gesamtberichterstattung im Unterstützungskontext unterscheiden sich die beiden Illustrierten jedoch deutlich (vgl. Tab. 57). So erfolgen innerhalb der Bunten fast ausschließlich Beschreibungen von Hilfsaktionen bestimmter und namentlich erwähnter Personen. Zumeist sind dies prominente Persönlichkeiten, die sich in Form von Spenden, Galen oder Schirmherrschaften für Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen einsetzten (vgl. Bunte 04.09.2003, S. 112; 21.08.2003, S. 106f.; 19.09.2002, S. 109). Bei der Super Illu dominiert hingegen die Kategorie „Unternehmen, Firma“. Hier wird also weniger über die Aktionen einzelner Personen berichtet. Dafür gibt es eine ganze Rubrik „Super Illu kämpft für Sie“, in der die Illustrierte selbst ihre eigenen Aktionen zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen publiziert. Dabei werden im Kontext Behinderung fast ausschließlich einzelne Personen beschrieben, denen durch die Aktion der Zeitschrift geholfen wird (vgl. Super Illu 03.02.2005, ohne Seite; 03.04.2003, ohne Seite; 31.08.2000, S. 53). Die Bild hat mit der Aktion „Bild kämpft für Sie“ eine ähnliche Rubrik (vgl. Bild 08.10.2002, 5; 05.04.2001, 12). Auch bei der
257
7 Unterstützung
Süddeutschen Zeitung gehen die Nennungen im Bereich „Unternehmen, Firma“ zum Teil auf eine eigene durch die Zeitung regelmäßig stattfindende Adventskalenderaktion zurück (vgl. Süddeutsche Zeitung 17.12.2005a, 45; 25.11.2000, 57). Konkrete Projekte wie zum Beispiel Spenden an einzelne Personen oder die Unterstützung spezifischer Gruppen mit Nennung der Projekte sind die häufigsten Kategorien im Kontext der Hilfe an Menschen mit Behinderung (vgl. Tab. 58). Dabei überwiegt die Berichterstattung über die Unterstützung für spezifische Gruppen unter Nennung der Projekte mit 28,4 % leicht die thematisierten Hilfen für einzelne Personen (27,3 %). Die wenigsten Codierungen gab es im Bereich der Hilfen für spezifische Gruppen ohne die Nennung eines bestimmten Projekts. Einzelperson Hilfe an
48 (27,3 %)
Spez. Gruppe mit Proj. 50 (28,4 %)
Spez. Gruppe ohne Proj. 15 (8,5 %)
Unsp. Gruppe mit Proj. 35 (19,9 %)
Unsp. Gruppe ohne Proj. 28 (15,9 %)
176
Tabelle 58: Absolute und relative Häufigkeiten der Nennungen von Personen oder Personengruppen, die Hilfe erfahren (Code 7-2-2). Die Analyse der Unterstützung verschiedener Formen von Einschränkung oder Behinderung ergab, dass innerhalb der Presse am häufigsten die Unterstützung von Personen mit physischen Einschränkungen thematisiert wird (49 Nennungen), gefolgt von Personen mit kognitiven Einschränkungen (18 Nennungen). Im Kontext Gehörlosigkeit ließ sich nur eine Nennung finden, bei Autismus fünf, im Kontext blinder und sehbehinderter Personen acht und sieben im Zusammenhang mit mehrfacheingeschränkten Personen. Insgesamt 69 Nennungen sind auch keiner bestimmten Art von Behinderung oder Einschränkungen zuzuordnen.
7.3
Zwischenfazit
Hilfen oder Hilfsmittel, die die Presse thematisiert, versuchen in der Regel Behinderung zu kompensieren oder dienen der personalen Rehabilitation. Das am häufigsten genannte und damit auch unmittelbar Behinderung symbolisierende Hilfsmittel ist der Rollstuhl. Allerdings finden sich auch Hilfen wie Autoumbauten oder Umgebungsgestaltungen, die losgelöst von einem einzelnen Gegenstand oder einer Person behinderte Menschen durch Veränderung der unmittelbaren sozialen Umgebung helfen. Als Unterstützer von Menschen mit Behinderung dienen in der Presse in erster Linie namentlich erwähnte Einzelpersonen, aber auch Unternehmen oder
258
V Quantitative Ergebnisse
Firmen, wobei sich die einzelnen Zeitungen und Zeitschriften aufgrund von verschiedenen Rubriken dahingehend stark unterscheiden. Am deutlichsten wird dies bei der Betrachtung der beiden Illustrierten Bunte und Super Illu. Die Bunte fokussiert ganz stark Berichte über Unterstützungs- oder Charityveranstaltungen, in denen namentlich genannte berühmte Einzelpersonen meist unpersönlich karitativ tätig sind, also kein direkter Kontakt zu den Menschen mit Behinderung besteht. Im Gegensatz dazu greifen Mitarbeiter der Super Illu selbst aktiv handelnd ein und unterstützen behinderte und eingeschränkte Personen in Notsituationen, um dann über ihre Erfolge als System „Zeitschrift“ in einer eigenen Rubrik zu berichten, was logischerweise zu wesentlich mehr Codierungen im Bereich „Unternehmen, Firma“ führte. Von diesen Unterstützungsaktionen profitieren hauptsächlich Einzelpersonen oder bestimmte Projekte, die sich an eine spezifische Gruppe richten. Der Anteil an Berichten über unspezifische oder nicht konkrete Unterstützungsangebote ist im Einzelnen betrachtet geringer als die jeweilige Konkretisierung. Wenn also über Unterstützung berichtet wird, dann im Regelfall auf keiner der beiden Seiten anonym. 8
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die quantitativen Ergebnisse dieser Analyse zeigen ein sehr heterogenes und vielfältiges Bild von Behinderung in der Presse. Die grundsätzliche Frage der Untersuchung war, was die Rezipienten der Presseerzeugnisse von den Printmedien über Behinderung oder Einschränkung generell und vor allem über behinderte und eingeschränkte Menschen erfahren. Innerhalb der Wirkungsdiskussion ist zudem die Frage aufgetaucht, wie diese Bilder die Rezipienten kognitiv oder in ihren Meinungen beeinflussen könnten (vgl. Kapitel I 1.4). Eine generelle Beantwortung dieser Fragen scheint aufgrund der Vielfalt der Ergebnisse zunächst schwierig. Für eine differenziertere Betrachtung wurde diese Ergebniszusammenfassung untergliedert, um einerseits die Unterschiede zwischen den einzelnen Zeitungen und andererseits die Unterschiede in Abhängigkeit von der Art der Behinderung oder der Form der Einschränkung zu beleuchten. Um überhaupt eine Darstellung der sehr divergierenden Ergebnisse zu ermöglichen, ist die Betrachtung innerhalb dieser Zusammenfassung etwas generalisierter und weniger detailreich als die Resümees in Form von Zwischenfaziten innerhalb der einzelnen Kapitel. Nach der separaten Ergebniszusammenfassung im Bezug auf einzelne Erzeugnisse oder Behinderungsformen erfolgt noch eine generelle Betrachtung und Interpretation allgemeinerer Erkenntnisse der quantitativen Analyse.
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
8.1
259
Die unterschiedlichen Printerzeugnisse
Innerhalb dieser Untersuchung wurden Presseerzeugnisse aus verschiedenen Kategorien analysiert. Die Süddeutsche Zeitung als Qualitätsabonnementzeitung, als Gegenstück dazu die Bild als ‚die’ Boulevardzeitung in Europa, die Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus, die klassischen Illustrierten Super Illu und Bunte sowie der als politische Illustrierte kategorisierte Stern. Zum Teil wurden innerhalb der Analyse die Nachrichtenmagazine und die Illustrierten zusammengefasst, vor allem wenn die Datenlage nicht sonderlich umfangreich war. Der Schwerpunkt dieses Resümees soll auf den Spezifika der einzelnen Presseerzeugnisse im quantitativen Kontext liegen. Die Bild stellt mit 284 Artikeln die zweithöchste Anzahl an Texten innerhalb dieser Untersuchung. Erwartungsgemäß knapp war dabei der Umfang der einzelnen Artikel. Die Berichterstattung ist dabei stark durch aktuelle Ereignisse geprägt, was ein Anteil von 82,2 % an aktuellen Nachrichten zeigt. Mit Sport, Menschen, Gesellschaft und Soziales sowie Justiz weist die Bild für die Presse insgesamt typische Themen im Kontext Behinderung auf. Im Themenbereich „Justiz“ prägen zahlreiche Berichte über Mord und Menschen mit Behinderung als Täter und Opfer die Berichterstattung. Quantitativ finden sich hier also deutliche Belege für bestimmte Rollenklischees, die Menschen mit Behinderung möglicherweise in ein Schwarz-Weiß-Schema von Tätern und Opfern einordnen. Zumindest die Häufigkeit der Berichterstattung würde dies vermuten lassen. Zum Teil bestätigten sich diese Annahmen auch in der späteren Auswertung der Rollenklischees (vgl. Kapitel VI 1). Innerhalb der Bild erfolgt oft die Darstellung eines karitativen beziehungsweise medizinischen Handlungsmusters als Reaktion auf Behinderung. Das karitative Muster kann in der Häufigkeit auch als Basis für klischeehafte Rollenvorstellungen angesehen werden (vgl. Kapitel I 2.3, III 3.1 und VI 1). Leid und Mitleid sind prägende Emotionen im Kontext der Berichterstattung über behinderte und eingeschränkte Personen innerhalb der Bild, im Vergleich zu den anderen Printerzeugnissen erfolgen zudem eher weniger Verweise auf Wohlbefindlichkeiten innerhalb der Texte, auch wenn es einzelne Artikel gibt, die dies sehr stark betonen (vgl. Bild 17.01.2003, 5). Der Anteil an Kompetenzbeschreibungen von behinderten Personen innerhalb der Bild ist der geringste aller untersuchten Presseerzeugnisse. Dafür gibt es boulevardtypisch sehr viele Berichte über außergewöhnliche Erfolge. Die mittels des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten erhobene soziale Bewertung der Charakterisierung ergibt in allen Kategorien einen positiven Wert. Im Vergleich zu den meisten anderen hier untersuchten Presseerzeugnissen sind die Charakterisierungen allerdings etwas negativer. Die quantitativ erfasste Sprache der Bild ist schwer einheitlich zu beurteilen. Es gibt sehr wenige diskriminierende Begrifflichkeiten als Personenbezeichnung von behinderten Menschen. Dafür finden sich zahlrei-
260
V Quantitative Ergebnisse
che Substantivierungen und sehr wenige hier als politisch korrekt bewertete Ausdrücke. Als aber weitgehend akzeptierte Begriffskonstruktion dominiert die Adjektivierung unter Verwendung des Behinderungsbegriffes. Der aus journalistischer Sicht faktische Gegenentwurf zur Bild ist die Süddeutsche Zeitung, bei der im Rahmen dieser Untersuchung 802 Artikel ausgewertet wurden, was der mit Abstand höchste Anteil an Artikeln war. Die Texte waren deutlich länger als die der Bild, zum Teil bewegte sich der Umfang auf dem Niveau von Reportagen in Nachrichtenmagazinen. Die aktuellen Inhalte sind nicht ganz so prägend, trotzdem finden sich auch hier am häufigsten aktuelle Nachrichten als Artikelart im Kontext Behinderung. „Politik“, „Justiz“ und „Sport“ sind im Zusammenhang mit Behinderung relativ gleichwertig die bestimmenden Themen innerhalb der Süddeutschen Zeitung. Auch hier gibt es viele Berichte über Mord und Menschen mit Behinderung als Täter oder Opfer, was den Gesamtanteil anbelangt allerdings in deutlich geringerem Umfang als bei der Bild. Das dominierende Handlungsmodell innerhalb der Artikel über Behinderung ist das kompensatorische, was auch gleichzeitig eine medizinisch kausale Sicht von Behinderung unterstreicht, die in der Süddeutschen Zeitung ebenso wie in allen anderen untersuchten Printmedien vorherrschend ist. Die Diskussion über Abtreibung und Präimplantationsdiagnostik spielt bei der Süddeutschen Zeitung ebenfalls eine wichtige Rolle, was sich durch den hohen Wert im Bereich des auslesend verhindernden Handlungsmusters und dabei im speziellen in der Unterkategorie „Möglichkeit zur Auslese“ zeigt. In Bezug auf die Emotionen zeigt die Süddeutsche Zeitung ein ähnliches Profil wie die Bild. Leid und Mitleid stehen im Mittelpunkt. Der Anteil an beschriebenen Wohlbefindlichkeitsgefühlen ist hier geringer, wobei wesentlich höher als der von Abneigungsgefühlen. Sehr viel hingegen wird in der Süddeutschen Zeitung über Kompetenzen und Erfolge von behinderten Menschen berichtet, was ursächlich mit dem hohen Umfang an Sportberichten zusammenhängen könnte. Zur Charakterisierung der behinderten oder eingeschränkten Personen verwendet die Süddeutsche Zeitung sozial etwas besser bewertete Begriffe als zum Beispiel die Bild. Andere Printerzeugnisse haben hier aber noch deutlich höhere Werte. Auch bei der Süddeutschen Zeitung fällt die Bewertung der Sprache schwer, wobei sie das einzige Printmedium ist, bei der sich im Längsschnitt ein leicht positiver Trend erkennen lässt, der aber, betrachtete man die sprachliche Entwicklung innerhalb der einzelnen Jahre, auch eine Momentaufnahme sein könnte. Insgesamt gibt es auch hier Potenzial für einen bewussteren Umgang mit bestimmten Personenbezeichnungen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Anteil an als politisch korrekt gewerteten Sprachkonstruktionen innerhalb der Süddeutschen Zeitung am höchsten war. Beim Nachrichtenmagazin Focus ergab der Abschluss der Recherche 120 Artikel, die in die Untersuchung einbezogen wurden. Im Vergleich zum Stern und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel waren die Texte des Focus deutlich
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
261
kürzer, das Niveau der Textumfänge entsprach beinahe dem der Illustrierten Bunte, was den Ruf des Focus als illustriertes Nachrichtenmagazin zumindest für den Kontext Behinderung bestätigt. Neben dem damit verbundenen verknappenden Stil des Magazins sind dafür auch sehr viele kurze Nachrichten und im Vergleich zu den beiden genannten Zeitschriften deutlich weniger Porträts verantwortlich. Die bestimmenden Themen innerhalb des Focus sind „Justiz“, „Technik“ und „Ethik“. Dass ethische Debatten im Focus eine wichtige Rolle spielen, zeigt sich auch innerhalb der beschriebenen Handlungsmuster. Auslesend und verhindernde Handlungsbeschreibungen beziehungsweise der Subcode „Möglichkeit zur Auslese“ sind dabei bestimmend. Bei den Handlungsmustern mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit ist das medizinische Handlungsmuster innerhalb der Artikel am häufigsten vertreten. Interessanterweise ist dies beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel ebenfalls so. Die Nachrichtenmagazine zeigen also nahezu identische Berichterstattungsmuster in den beschriebenen Reaktionen auf Behinderung und den damit verbundenen Handlungen. Die Emotionen Mitgefühl, Leid und Mitleid sind beim Focus weit weniger dominant als bei den anderen Printerzeugnissen. Bei den weiteren analysierten Gefühlen innerhalb der Berichterstattung herrscht ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen Wohlbefindlichkeit und Unbehagen. Ähnlich stellt sich dies auch bei der Beschreibung von Kompetenzen im Vergleich zu Inkompetenzen dar. Innerhalb des Focus finden sich anteilsmäßig die wenigsten Beschreibungen über außergewöhnliche Erfolge, was zumindest aus quantitativer Sicht keine Basis für das Klischee des „Superkrüppels“ (vgl. Kapitel III 3.1.5) sein dürfte. Die Mittelwerte des Eigenschafsbewertungskoeffizienten des Focus weisen bis auf den Bereich „Sympathie für den Träger der Eigenschaft“ Werte auf dem Niveau der Illustrierten und klar über dem der Zeitungen auf. Menschen mit Behinderung werden also innerhalb des Focus deutlich als mit angenehmen und vor allem mit sozial erwünschten Eigenschaften ausgestattete Individuen dargestellt. Die Sprache und Sprachentwicklung des Focus ist ähnlich wie bei den anderen Printerzeugnissen schwierig zu interpretieren; im Längsschnitt zeigen sich relativ geringe Veränderungen. Die verwendeten Personenbezeichnungen sind zum Teil in hohen Anteilen politisch korrekt. Bei den Substantivierungen gibt es Printerzeugnisse, die mehr, aber auch solche, die diese Begriffskonstruktion deutlich weniger gebrauchen. Der Focus liegt sozusagen im Mittelfeld, was die Bewertung der sprachlichen Personenbezeichnungen anbelangt. Beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel wurden 165 Artikel untersucht. Diese haben einen deutlich größeren Umfang als die des zweiten Nachrichtenmagazins Focus. Auch die Art der Artikel ist stärker von den für ein Nachrichtenmagazin typischen Reportagen und Porträts geprägt. Die ersten drei Rangplätze bei den Themen belegen „Wissenschaft“, „Medizin“ und „Justiz“. Bei beiden Nachrichtenmagazinen gibt es eine hohe Berichterstattungsdichte im Bereich der Justiz,
262
V Quantitative Ergebnisse
wobei Menschen mit Behinderung hier zumeist Täter sind. Rein quantitativ wären das Indizien für das Klischee des unheimlichen und bösen Menschen mit Behinderung (vgl. Kapitel III 3.1.3). Qualitativ lässt sich das allerdings nicht bestätigten (vgl. Kapitel VI 1.3). Innerhalb der beschriebenen Handlungen als Reaktion auf Behinderung sind im Spiegel mit „medizinisch“ und „auslesend, verhindernd“ die gleichen Muster vorherrschend wie beim Nachrichtenmagazin Focus. Allerdings scheint hier die Diskussion, wie die Themen zeigen, eher medizinisch und wissenschaftlich beeinflusst. Im Gegensatz zum Focus, bei dem eher ethische Implikationen innerhalb dieser Berichterstattung aufgegriffen werden. Die Beschreibungen der emotionalen Lage von behinderten Personen innerhalb des Spiegels ist eher negativ geprägt. In keinem anderen hier untersuchten Printerzeugnis ist der Anteil an Leid, Mitleid innerhalb der Berichterstattung so groß und von Wohlbefindlichkeit so klein. Es werden etwas mehr Inkompetenzen als Kompetenzen innerhalb der Artikel beschrieben, dafür aber ein relativ hoher Anteil an außergewöhnlichen Erfolgen. Die niedrigsten Werte beim Eigenschaftsbewertungskoeffizienten in allen Kategorien zeigen, dass Der Spiegel Menschen mit Behinderung im Vergleich zu den anderen Zeitschriften und Zeitungen am negativsten charakterisiert. Wobei die Eigenschaftsbeschreibungen an sich nicht negativ sind, sondern leicht positive EBK-Werte aufweisen. Man könnte die Berichterstattung des Spiegels hier als am stärksten ausgeglichen beschreiben. Die sprachliche Längsschnittuntersuchung der Personenbezeichnungen ergibt auch beim Spiegel keinen klar ersichtlichen Trend. Im Vergleich zu den anderen Printerzeugnissen fällt vor allem der relativ hohe Anteil an diskriminierenden Bezeichnungen auf, der zweithöchste aller Presseerzeugnisse innerhalb dieser Untersuchung. Die politische Illustrierte Stern liegt definitorisch irgendwo zwischen den klassischen Illustrierten und den Nachrichtenmagazinen. Die Nähe zu den Nachrichtenmagazinen zeigt sich im Umfang der 109 Artikel, die untersucht wurden. Der Stern weist die größte durchschnittliche Artikellänge aller hier untersuchten Zeitungen und Zeitschriften auf. Noch mehr als beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel bestimmen dabei Reportagen und Porträts die Berichterstattung im Kontext Behinderung. Die Art der Themen verweist jedoch auf die Nähe zu den klassischen Illustrierten, die hier ein ähnliches Themenprofil aufweisen. „Medizin“, „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ sowie „Sport“ bilden die drei ersten Rangplätze der Themen beim Stern. Die Justizthematik spielt im Gegensatz zur Berichterstattung über Behinderung bei den Zeitungen oder Nachrichtenmagazinen beim Stern, aber auch bei den anderen Illustrierten, nur eine sehr untergeordnete Rolle. Bei den Handlungsmustern herrschen zumeist personenorientierte Reaktionen innerhalb der Berichte vor. Rehabilitation und die Kompensation mittels Hilfsmitteln stehen dabei quantitativ an der Spitze. Auch Leid und Mitleid spielen in der Berichterstattung des Stern eine wichtige Rolle. Wohlbefindlichkeitsbeschreibungen sind etwas häufiger zu finden als die Darstellung von Unwohlsein. Innerhalb des Sterns wird mehr von Kompetenzen
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
263
Unwohlsein. Innerhalb des Sterns wird mehr von Kompetenzen als von Inkompetenzen behinderter Personen berichtet, wobei es dabei mehr als bei anderen Printerzeugnissen um basale Dimensionen geht. Neben außergewöhnlichen wird auch über alltägliche Erfolge berichtet, allerdings wurden diese Zahlen sehr stark von einem einzelnen Artikel beeinflusst. Der Mittelwert des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten, der die soziale Bewertung der zur Charakterisierung der behinderten Menschen verwendeten Eigenschaftswörter quantifiziert, zeigt in allen Kategorien, bis auf „Sympathie für den Träger der Eigenschaft“, fast identische Werte zum Nachrichtenmagazin Focus. Insgesamt kann man also von einer deutlich mit positiven Adjektiven verbundenen Beschreibung sprechen. Die sprachliche Längsschnittanalyse der Personenbezeichnungen im Kontext Behinderung und Einschränkung, die vom Stern verwendet wurden, zeigen keine kontinuierliche Entwicklung. Negativ zu bewerten ist der höchste Anteil an diskriminierenden Begrifflichkeiten aller betrachteten Zeitungen und Zeitschriften. Dem steht auf der positiven Seite jedoch wieder der höchste Wert bei politisch korrekten Personenbezeichnungen ohne Behinderungsbegriff gegenüber. 97 Artikel der klassischen Illustrierten Bunte wurden analysiert. Der Umfang der Artikel ist relativ klein, aber trotzdem weitaus höher als bei der zweiten in dieser Untersuchung analysierten Illustrierten, der Super Illu. Die Entwicklung der Artikelanzahl und Artikellänge deutet auf ein stark sinkendes Interesse der Bunten an der Thematik Behinderung hin. Die wichtigsten Themenbereiche innerhalb dieser Illustrierten sind „Medien, Massenmedien“, „Menschen Gesellschaft und Soziales“, „Musik, Kunst, Kultur“ und „Sport“, wobei grundsätzlich Nachrichten mit aktuellem Charakter im Vordergrund stehen. Das karitative Handlungsmuster ist innerhalb der Bunten absolut dominant, dabei werden vor allem Hilfsaktionen von Einzelpersonen angesprochen. Rein quantitativ finden sich also starke Indizien für den Mechanismus der Betroffenheitsbezeugung (vgl. Kapitel III 3.2), was sich auch in der qualitativen Analyse bestätigen ließ (vgl. Kapitel VI 2). Innerhalb der Darstellung der Emotionen findet sich in der Bunten ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen Wohlbefindlichkeit, Unwohlsein sowie Leid und Mitleid, ohne dass eine Emotion eindeutig vorherrschend wäre. Die Bunte beschreibt behinderte Personen zudem eher als kompetent, wobei alltägliche Fähigkeiten bestimmend auftreten. Anteilsmäßig finden sich auch zahlreiche Berichte über außergewöhnliche Erfolge von Menschen mit Behinderung. Eingeschränkte Personen werden in der Bunten durch deutlich positive Eigenschaftsbeschreibungen charakterisiert. Der Mittelwert des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten ist im Vergleich zu den anderen Printerzeugnissen hier in fast allen Bereichen, mit Ausnahme der Kategorie „Sympathie für den Träger der Eigenschaft“, am höchsten. Im Längsschnitt weist die Bunte die größten Schwankungen innerhalb der sprachlichen Personenbezeichnungen auf. Erfreulicherweise verwendet die Illustrierte sehr wenig diskriminierende Begrifflichkei-
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V Quantitative Ergebnisse
ten und im Gegensatz zu den meisten anderen Zeitungen und Zeitschriften auch erheblich seltener die Substantivierung des Behinderungsbegriffs. Die Illustrierte Super Illu ist die letzte Zeitschrift, die untersucht wurde. Mit 57 Artikeln fand sich hier deutlich weniger Ausgangsmaterial als bei den übrigen Printmedien, was vielleicht auch an der externen Recherche gelegen haben mag (vgl. Kapitel IV 2). Die Artikellänge war innerhalb der Zeitschriften am wenigsten umfangreich und lag mit durchschnittlich 432 Wörtern auch unter dem Wert bei Artikeln der Süddeutschen Zeitung. Berichte über aktuelle Ereignisse bilden den Kern der Berichterstattung dieser klassischen Illustrierten. Die häufigsten Themen „Medizin“, „Sport“ und „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ entsprechen der des Stern, wobei bei der Super Illu der Bereich Menschen, Gesellschaft und Soziales mit einem Anteil von 44,2 % stark herausragt. Bei den Handlungsmodellen stellt die Super Illu in ihrer Berichterstattung größtenteils rehabilitative und kompensatorische Handlungsmuster in den Mittelpunkt. Auch karitative Tätigkeiten spielen eine wichtige Rolle. Im Bereich der Unterstützung von Menschen mit Behinderung gibt es zudem eine eigene Reihe innerhalb der Super Illu, was zusätzlich die Wichtigkeit der beschriebenen karitativen Handlungen unterstreicht. Die emotionale Darstellung von Menschen mit Behinderung innerhalb der Super Illu ist sehr viel weniger durch Leid, Mitgefühl und Mitleid bestimmt und fokussiert hier, wie kein anderes analysiertes Printmedium, die Wohlbefindlichkeit von Menschen mit Behinderung. Die Gegenüberstellung von Kompetenzen und Inkompetenzen innerhalb der Berichterstattung ist in allen Komplexitätsabstufungen absolut ausgeglichen. Jeder basalen, alltäglichen oder herausragenden Kompetenz steht exakt die gleiche Anzahl an beschriebenen Inkompetenzen gegenüber. Auch alltägliche Erfolge sind fast ebenso häufig zu finden wie außergewöhnliche Erfolge, wobei hier der Umfang der Datenbasis nicht sonderlich hoch ist. Die Super Illu verwendet, ähnlich wie die Illustrierte Bunte, zur Beschreibung der Personen mit Behinderung innerhalb der Artikel deutlich positiv bewertete Eigenschaften. Alles in allem ist die personale Beschreibung innerhalb der Super Illu äußerst positiv, man könnte dies beinahe schon als übertrieben positiv bezeichnen. Im Bereich der Sprache zeichnet sich bei der Super Illu, wie bei den meisten anderen Printerzeugnissen, kein konstanter Trend ab. Grundsätzlich werden hier weder übermäßig viel diskriminierende, aber auch fast keine als politisch korrekt kategorisierten Begriffskonstruktionen verwendet. Die Substantivierung dominiert, die Super Illu hat also noch deutliches Verbesserungspotential, was diesen Bereich anbelangt.
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
8.2
265
Die unterschiedlichen Formen oder Arten von Behinderung und Einschränkung
Neben den Vergleichen der verschiedenen Printerzeugnisse wurden sehr viele Kategorien auch in Abhängigkeit von der Form oder Art der Behinderung beziehungsweise Einschränkung untersucht, um herauszufinden, ob bestimmte Personengruppen mit bestimmten Themen oder Handlungen innerhalb der Presse assoziiert werden und ob die Charakterisierungen der Personen in Abhängigkeit von der Art der Einschränkung verschieden sind. Dazu wurde zwischen mehreren Einschränkungsarten unterschieden. Der Einschränkungsbegriff und der Behinderungsbegriff werden nachfolgend synonym gebraucht, um ständige Wortdoppelungen zu vermeiden. Innerhalb der Untersuchung wurde zwischen physischen Beeinträchtigungen, kognitiven Beeinträchtigungen, in Blindheit und Gehörlosigkeit aufgeteilte Sinnesbeeinträchtigungen, Mehrfacheinschränkungen, Spracheinschränkungen und Autismus differenziert. Bis auf Spracheinschränkungen, die wohl auch aufgrund des Recherchesystems (vgl. Kapitel IV 2) nur in sehr wenigen Artikeln zu finden waren, werden nachfolgend für alle Einschränkungsformen die zentralen oder auffälligen Ergebnisse der quantitativen Analyse zusammengefasst. Am häufigsten werden in der Presse physische Einschränkungen, also Körperbehinderungen thematisiert. Diese tauchen im Kontext mit den Themen „Sport“, „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ und „Justiz“ auf. Innerhalb der Justizthematik sind Personen mit körperlichen Behinderungen häufig Kläger, etwas weniger oft Opfer und noch seltener Täter im Zusammenhang mit Straftaten. Das bestimmende der beschriebenen Handlungsmuster mit sozialer Zuordnung ist das Rehabilitative. Entscheidungen, Vorschläge und Handlungsimplikationen erfolgen in der Berichterstattung der Presse im Zusammenhang mit körperlichen Einschränkungen durch externe Systeme. Kompensation durch Hilfsmittel spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, was aus der Art und Weise der Einschränkung heraus auch logisch erscheint. Die emotionale Charakterisierung von körperlich behinderten Menschen stellt keine bestimmte Emotion in den Vordergrund. Leid, Mitleid und Mitgefühl sind etwa gleich häufig vertreten wie beschriebene Wohlbefindlichkeitsgefühle der dargestellten Personen. Etwas weniger werden Unbehagensgefühle thematisiert. Die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Kompetenzen und Inkompetenzen, die durch die Presse geschildert werden, ergibt, dass Personen mit körperlichen Einschränkungen etwas häufiger als kompetent dargestellt werden. Innerhalb der Inkompetenzen ist der Bereich der Beschreibung basaler Inkompetenzen am deutlichsten. Alles in allem finden sich hier auch die meisten codierten Ausdrücke. Das Gesamtbild zeigt so eigentlich kompetente Personen, die in einfachsten Dingen Defizite aufweisen, zu deren Bewältigung sie unterstützt werden müssen. Im Rahmen dieser Einschränkungsform wird insgesamt viel über außergewöhnliche Erfolge gesprochen, aber auch
266
V Quantitative Ergebnisse
das Scheitern in basalen, alltäglichen und auch bei außergewöhnlichen Vorhaben wird beschrieben. Menschen mit körperlichen Behinderungen werden in der Presse mit Hilfe überwiegend als angenehm, sozial und personal erwünscht und als sympathisch bewerteten Eigenschaften charakterisiert. Insgesamt sollte das Bild der Rezipienten über diese Form der Einschränkung auf Basis der quantitativen Ergebnisse sehr vielfältig und im Wesentlichen positiv sein. Als zweithäufigste Form der Einschränkung in der Presse finden sich kognitive Einschränkungen. Zum Teil mag dies auch mit der spezifischen Begriffssuche innerhalb der Recherche zu tun haben.136 Personen mit kognitiven Einschränkungen tauchen in der Berichterstattung der Presse innerhalb der Themenbereiche „Justiz“, „Menschen, Gesellschaft und Soziales“, „Schule, Ausbildung, Erziehung“ und „Musik, Kunst und Kultur“ auf. Wobei der Justizkontext mit über 40 % der absolut dominierende thematische Bereich ist. Innerhalb der Justizthematik sind geistig behinderte oder lernbehinderte Personen am häufigsten in der Rolle der Täter und viel weniger in der des Opfers und nie in der Rolle des Klägers dargestellt. Wenn sich die Häufigkeit bestimmter Berichte oder Themenkontexte auf die kognitiven Prozesse und zum Teil auch auf die Einstellungen gegenüber bestimmten Sachverhalten, wie innerhalb der Theorie des Agenda-Settings (vgl. Kapitel I 1.4.2) oder auch bei der Schweigespirale (vgl. Kapitel I 1.4.3) beschrieben, auswirkt, ist es in Bezug auf diese quantitativen Daten im Zusammenhang mit der hier angeführten Personengruppe nicht unwahrscheinlich, dass eine unmittelbare Verknüpfung zwischen der Rolle des Täters schwerer Straftaten und Menschen mit kognitiven Einschränkungen aufseiten der Rezipienten erfolgt. Zwar bestätigt sich bei genauerer qualitativer Analyse dieses Bild nicht durchgängig, allerdings lassen sich vor allem in der Boulevardzeitung Bild Tendenzen finden, die die klischeehafte Vorstellung über Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder geistigen Behinderung als kriminell, böse und gewaltbereit stützen (vgl. Kapitel VI 1.3). Innerhalb der Handlungsmodelle taucht Interaktion und Kontakt als Handlungsstrategie auf. Dies gilt auch für den Kontext Schule in Form von Integration. Bei der sozialen Zuordnung der Handlungsmuster fällt auf, dass die beschriebenen Handlungsstrategien als Reaktion auf die Behinderung sehr stark von externer Seite determiniert dargestellt werden. Eigeninitiative oder Eigenorganisation erscheint in der Presse in diesem Kontext nicht, was vermutlich auch der tatsächlichen Situation der Personengruppe entspricht, deren gesellschaftliches Leben trotz der Forderung nach 136 Innerhalb der spezifischen Begriffssuche wurde mit mehr Begriffen aus dem Feld der kognitiven Einschränkungen gearbeitet. Für die Sinnesbehinderungen war zum Beispiel eine Suche mit den wichtigen Begriffen „taub“ und „blind“ aus genannten Gründen (vgl. Kapitel IV 2) nicht möglich. Auch wenn die allgemeine Begriffssuche und die thematische Suche dies unter Umständen etwas ausgleichen konnten, bleibt die Möglichkeit einer tatsächlich anderen Verteilung.
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
267
Selbstbestimmung noch immer sehr stark fremdbestimmt ist. Bei Handlungsmustern ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit beschreibt die Presse im Zusammenhang mit kognitiven Einschränkungen sehr häufig verhindernde oder auslesende Handlungsmuster. Bei keiner anderen Form der Behinderung ist dies in vergleichbarem Umfang der Fall. Der Grund hierfür liegt sicherlich in den potenziellen Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik bei Syndromen, die unmittelbar mit kognitiven Einschränkungen in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel dem Down-Syndrom. Leid und Mitleid sind innerhalb der emotionalen Beschreibung der Personengruppe bestimmend, aber auch über Wohlbefinden wird zahlreich berichtet. Geschilderte Unbehagensgefühle dieser Personengruppe finden sich wesentlich seltener. Menschen mit kognitiven Einschränkungen werden etwas häufiger als inkompetent denn als kompetent dargestellt. Auf der Ebene alltäglicher Kompetenzen finden sich die meisten Nennungen. Hier ist das Verhältnis zwischen Kompetenz und Inkompetenz jedoch ausgeglichen. Neben Personen mit Autismus ist der Anteil an Beschreibungen außergewöhnlicher Erfolge im Kontext kognitiver Einschränkungen im Vergleich zu allen anderen Arten von Einschränkung am geringsten. Die Charakterisierung der Personen ist eigentlich positiv. Die geringsten Wertungskoeffizienten zeigen sich in der Kategorie „personale Erwünschtheit“. Die dritthäufigste Einschränkungsform ist Blindheit oder Sehbehinderung, die vor allem innerhalb der Themenbereiche „Politik“, „Sport“, „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ sowie „Technik“ durch die Presse thematisiert wird. Mit Politik steht dabei ein Thema an der Spitze, welches sich innerhalb keiner anderen Art der Einschränkung unter den wichtigsten Themen findet. Innerhalb der Presse wird am häufigsten auf kompensatorische Handlungsstrategien im Kontext von blinden Personen verwiesen. Zudem zeigt sich hier ein hoher Anteil an Darstellungen von Eigeninitiative. Nur innerhalb der Berichterstattung über physische Behinderungen liegen hier höhere Anteile vor. Die emotionale Beschreibung blinder oder sehbehinderter Personen in der Presse zeigt sich insgesamt ausgeglichen. Es wird minimal mehr von Wohlbefindlichkeit als von Unbehagen oder Leid und Mitleid gesprochen. Blinde oder sehbehinderte Menschen werden zudem als kompetent und äußerst erfolgreich dargestellt. Auch wenn ein Großteil der Beschreibung herausragender Fähigkeiten maßgeblich durch zwei Texte beeinflusst wird, ohne die das Verhältnis zwischen Kompetenz- und Inkompetenzbeschreibungen wohl ausgeglichener wäre. Eher überraschend sind die Werte des Eigenschaftsbewertungskoeffizienten der Beschreibung blinder Personen durch die Presse. In der Kategorie „Sympathie für den Träger der Eigenschaft“ findet sich der niedrigste Durchschnittswert aller Einschränkungsformen, bei denen eine einigermaßen ausreichende Zahl an Bewertungen vorliegt. Das heißt nicht, dass zur Darstellung blinder Personen ausschließlich als
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V Quantitative Ergebnisse
unsympathisch empfundene Adjektive verwendet werden. Der Wert liegt noch im positiven Bereich. Als besonders sympathisch kann die Charakterisierung aber auch nicht angesehen werden. Nicht ganz so oft wie Blindheit oder Sehbehinderung finden sich Mehrfacheinschränkungen innerhalb der Berichterstattung der Presse. Die Justizthematik ist ähnlich wie im Kontext kognitiver Einschränkung sehr häufig vertreten, wobei, sofern eine Rollenverteilung erfolgt, diese Personengruppe eher Opfer als Täter ist. Weitere wichtige Themen in Verbindung mit Mehrfacheinschränkungen sind „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ und die „Medizin“. Innerhalb der Handlungsmuster zeigen sich ebenfalls Parallelen zu der Darstellung kognitiv eingeschränkter Menschen. Die Handlungsinitiative liegt hier ausschließlich extern und bei den Handlungsmustern ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit ist das „auslesend verhindernde“ dominierend. Auch karitative Handlungsmuster kommen im Kontext von Mehrfacheinschränkungen häufiger vor. Leid, Mitleid und Mitgefühl sind die bestimmenden Emotionen im Rahmen der Berichterstattung innerhalb dieses Personenkreises. Entsprechend der körperlichen Voraussetzungen dieser Personen werden durch die Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche basale Inkompetenzen beschrieben. Fast im Gegensatz dazu finden sich, wenn auch auf sehr geringer Datenbasis, nur Berichte über Erfolge, nicht über Misserfolge oder Scheitern dieses Personenkreises. Die Charakterisierung der mehrfachbehinderten Personen innerhalb der Presse erfolgt im Vergleich zu den anderen Einschränkungsformen mit eher unerwünschten Begrifflichkeiten. Insgesamt ist es wohl die negativste Beschreibung einer Personengruppe. Allerdings ist hier der Eigenschaftsbewertungskoeffizient auch innerhalb aller Kategorien positiv, was auf eine ausgeglichene Charakterisierung hinweist, wobei die tatsächlichen Werte aufgrund unklarer Fälle im Bereich „nicht entscheidbar“, die den Mehrfacheinschränkungen zuzuordnen wären, auch geringer ausfallen könnten. Weitaus weniger Artikel als im Kontext Blindheit oder Sehbehinderung gibt es über Hörbehinderung oder Gehörlosigkeit. Wichtige Themen in Zusammenhang mit dieser Personengruppe bilden „Schule, Hochschule, Ausbildung, Erziehung“, „Technik“ und „Wissenschaft“. Letztere Gebiete erweisen sich sicherlich auch mitverantwortlich für die große Zahl an kompensatorischen und medizinischen Handlungsmustern in Verbindung mit Gehörlosigkeit. Wie bei allen anderen Einschränkungsformen und Behinderungsarten sind hier auch von externen Instanzen initiierte Handlungsmuster bestimmend. Die Ursache der Behinderung ist, wie bei Blindheit, sehr offensichtlich mit der körperlichen Verfassung der Person verbunden, wodurch auch hier innerhalb der Artikel ein medizinischkausales Verständnis von Behinderung dominiert. Wobei der Begriff Behinderung aus der Eigenperspektive der gehörlosen Personen nicht passend ist, weil sich der Personenkreis eher als Subkultur innerhalb der Gesellschaft sieht, was
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
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zum Teil auch in der Berichterstattung innerhalb der Presse deutlich wird. Erkennbar ist dies quantitativ auch an der Beschreibung makrosozialer Vorstellungen von Behinderung, die besonders innerhalb dieser Einschränkungsform hervortreten, auch wenn die Ausgangsdaten hier nicht sonderlich umfangreich sind. Die Datenbasis über Emotionen, Kompetenzen und Erfolge beziehungsweise Misserfolge im Rahmen dieser Studie fällt zu gering aus, um wirklich verlässliche Aussagen diesen Personenkreis betreffend machen zu können. Im Großen und Ganzen ergibt sich eine Dominanz von Unbehagen und eine relativ ausgeglichene Beschreibung von Kompetenzen und Inkompetenzen. Zudem wird nur über Erfolge berichtet. Die Eigenschaften, mit denen gehörlose Personen im Massenmedium Presse beschrieben werden, sind äußerst positiv bewertet mit Eigenschaftsbewertungskoeffizienten über dem Wert 1 in den Kategorien soziale Erwünschtheit und Angenehmheit. Allerdings ist die Datenbasis mit vier Artikeln hier äußerst dürftig. Insgesamt zeigt die Zusammenfassung, dass über gehörlose Personen relativ wenig Berichterstattung erfolgt. Inwieweit das Recherchesystem (vgl. Kapitel IV 2) oder die gewollt fehlende Assoziation zum Terminus Behinderung dabei eine bestimmende Rolle spielt, muss leider offen bleiben. Zur spezifischen Einschränkung Autismus finden sich innerhalb dieser Untersuchung die wenigsten Artikel. Trotzdem ist der Anteil für eine derartig spezifisch eingegrenzte Symptomatik beachtlich. Bei der Betrachtung der Handlungsmodelle fiel auf, dass Handlungen als Reaktion auf die Einschränkung viel stärker extern individual geprägt sind, also auf den Initiativen einzelner Personen aufbauen als bei anderen Einschränkungsformen, wobei medizinische und karitative Handlungen dabei dominieren. Die Beschreibung der Gefühlslage autistischer Personen erfolgt mit starkem Schwerpunkt auf Leid und Mitleid, ist aber ansonsten eher ausgeglichen. Zuneigung, Wohlbefinden und Abneigung, Unbehagen halten sich in etwa die Waage. Die Artikel über das sogenannte SavantSyndrom führen dazu, dass es sehr viele Nennungen von außergewöhnlichen Kompetenzen im Zusammenhang mit Autismus gibt, denen andererseits zahlreiche Inkompetenzen auf basaler Ebene gegenüberstehen. Des Weiteren wird in diesem Kontext fast ausschließlich über Erfolge von autistischen Personen berichtet, wobei es im Vergleich zu allen anderen Einschränkungsformen dabei sehr viel mehr um alltägliche und basale Dimensionen geht. Allerdings sind auch hier die außergewöhnlichen Erfolge in der Berichterstattung der Presse grundsätzlich dominant. Die Charakterisierung autistischer Personen stellt sich als sehr neutral heraus. Im Vergleich zu vielen anderen Einschränkungsformen werden autistische Personen aber etwas negativer, sprich mit weniger erwünschten, angenehmen und sympathischen Eigenschaften ausgestattet gesehen, was sich in eher geringen Werten beim Eigenschaftsbewertungskoeffizienten innerhalb der einzelnen Kategorien ausdrückt.
270 8.3
V Quantitative Ergebnisse
Allgemeines
Rezipienten der Presse während des Untersuchungszeitraums haben, falls sie interessiert waren, viel über Behinderung und Einschränkung erfahren, wobei Indizien dafür sprechen, dass das grundsätzliche Interesse an der Thematik etwas abgenommen hat, beziehungsweise sehr starken zeitaktuellen Schwankungen unterworfen ist. Erstaunlich ist, dass das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung 2003 keinen positiven Effekt auf den Umfang der Berichterstattung hatte, was sicherlich zu erwarten gewesen wäre. Wichtige Themenbereiche, in deren Rahmen über Menschen mit Behinderung oder über Behinderung und Einschränkung an sich berichtet wurde, waren „Sport“, „Justiz“ sowie ein Bereich, der hier als „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ bezeichnet wird. Ein neutraler Rezipient würde also am ehesten diese drei Bereiche mit Behinderung assoziieren, weil sie kontinuierlich in fast allen untersuchten Presseerzeugnisse, wenn auch im Detail verschieden betrachtet, auftauchen. Was die Rezipienten also über Behinderung erfahren und damit auch wissen (vgl. Kapitel I 1.4), wird sehr wahrscheinlich im Bereich dieser drei Themen liegen, denen die Presse rein quantitativ offensichtlich die größte Wichtigkeit zuschreibt. Sehr verkürzt ausgedrückt wären behinderte Menschen also entweder Sportler, Täter oder Opfer von Verbrechen, oder sie werden in einem anderen sozialgesellschaftlichen oder zwischenmenschlich eingebetteten Kontext präsentiert, aus dem sich auch qualitativ nur schwer ein bestimmtes Bild ziehen lässt, da der Themenbereich „Menschen, Gesellschaft und Soziales“ viele Aspekte von Charity bis Lebensporträts beleuchten kann. Welche Meinung sich Rezipienten auf dieser Grundlage bilden könnten, bleibt unklar. Sicher scheint nur, dass sie nicht einheitlich sein kann, sondern ambivalent und differenziert sein muss, weil Täter im Kontext Gewaltverbrechen und Leistungssportler sozial eine komplett andere Bewertung erfahren. Die in der Presse beleuchteten Handlungen und Erklärungen von Behinderung sprechen für eine stark personenorientierte Perspektive (vgl. Kapitel I 2.1). In der Darstellung der Presse entsteht sie aus einer Schädigung der Person mehr oder weniger unabhängig von der Umwelt. Auch die am häufigsten genannten Handlungsmuster bestätigen diese Sichtweise, in dem sie stark personenorientierte Lösungsvorschläge wie Kompensation oder Rehabilitation propagieren. Die anderen Ursachenzusammenhänge in mikro- oder makrosozialen Bereichen beim Entstehen von Behinderung werden durch die Printmedien nur ungenügend berücksichtigt. Für den Rezipienten ist Behinderung somit gleichzusetzen mit einer körperlichen Schädigung und einer daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigung. Behinderung wird innerhalb der Gesellschaft als medizinisch-kausales Problem dargestellt, bei dem die Umwelt dann Beachtung findet, wenn sie das Leben der schon behinderten Menschen noch zusätzlich erschwert. Das solche
8 Zusammenfassung der Ergebnisse
271
Umweltfaktoren oder gesellschaftlichen Gegebenheiten eine Behinderung unter Umständen auch erst entstehen lassen können, wird nur in sehr vereinzelten Fällen angemerkt. Allgemeine Daten der innerhalb der Presse auftauchenden Menschen mit Behinderung zeigen für ein Massenmedium typische Verteilungen in der Profession der Personen. Berufsgruppen mit hohem Nachrichtenwert, wie Politiker, Sänger oder Schauspieler, sind am häufigsten zu finden, was sicherlich nicht nur im Kontext von Menschen mit Behinderung, sondern ein allgemein in den Medien auftretender Mechanismus ist. Die Alters- und Geschlechterverteilungen entsprechen nicht den statistischen Daten über behinderte Menschen in Deutschland. Sowohl das männliche Geschlecht als auch verschiedene Altersgruppen sind klar überrepräsentiert, wohingegen ältere Menschen klar unterrepräsentiert sind. Innerhalb des Kapitels in der Auswertung wurden hierfür schon zahlreiche Gründe angeführt, die deshalb hier nicht noch einmal wiederholt werden sollen (vgl. Kapitel V 4.1). Menschen mit Behinderung stellen sich selbst innerhalb der Presse als Personen dar, bei denen Wohlbefindlichkeitsgefühle dominieren. Durch die Journalisten erfolgt die Beschreibung der Gefühlslage nicht ganz so positiv, wobei auch hier Wohlbefinden und Zuneigung überwiegen. Zudem werden behinderte Menschen größtenteils mit in der sozialen Bewertung positiv wahrgenommenen Eigenschaftsbegriffen umschrieben und weitgehend als erfolgreich und kompetent dargestellt. Trotz dieser eher positiven Beschreibungen ist Leid und Mitleid eine bestimmende Emotion innerhalb der Berichterstattung. Aus der Rezipientenperspektive ist eine Interpretation oder Bewertung dieses Bildes sehr schwierig. Einerseits berichten die glaubhaftesten Personen, also die Menschen mit Behinderung selbst über Wohlbefindlichkeit und Glück, zudem werden sehr oft außergewöhnliche Erfolge geschildert, andererseits spielen Leid, Mitleid und zum Teil auch Unbehagen eine quantitativ mitbestimmende Rolle. Vor allem Leid und Mitleid scheinen aufseiten der Autoren zu einer Standardbeschreibung geworden zu sein. Insgesamt zeigt sich bei der Charakterisierung ein Bild, dass „den“ Menschen mit Behinderung nicht beschreiben kann. Eine vertiefte Betrachtung der einzelnen Behinderungsformen (vgl. Kapitel V 8.2) liefert hier sicherlich eine passendere und detailliertere Darstellung. Leichter fällt ein quantitatives Fazit im Bereich der Sprache. Hier muss klar festgestellt werden, dass die Presse generell den Forderungen zu sprachlichen Bezeichnungen in vielen Bereichen kaum Rechnung trägt. Dies trifft nicht nur auf diskriminierende, veraltete oder auch zur inhaltlichen Verstärkung instrumentalisierte Bezeichnungen zu, die sich, wenn auch in geringer Anzahl, noch immer innerhalb der Presse finden, wie „mongoloid“, „debil“ oder „Krüppel“, sondern auch und vor allem auf den Terminus „Behinderte“, der trotz zahlreicher
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V Quantitative Ergebnisse
Forderungen (vgl. Firlinger 2003, 22f.; Gröschke 1998, 365; Mosaik – Die Bunte Rampe 2003, 3; Radtke 2006, 126; Radtke 2003a, 8; Radtke 2003b, 5; Radtke 1995, 93f.; Speck 2005, 48; Speck 2003, 54) noch sehr oft benutzt wird, ja zum Teil der am häufigsten gebrauchte Begriff zur Beschreibung der Personen ist. Der Vergleich mit englischsprachigen Studien hat gezeigt, dass hier die deutsche Presse noch Nachholbedarf hat. Wobei nicht unerwähnt bleiben darf, dass die „Substantivierung“ auch durch Menschen mit Behinderung selbst innerhalb der Presse am häufigsten verwendet wird. Überhaupt scheint der richtige Begriff fraglich, da es auch an der hier als politisch korrekt bezeichneten Terminologie „Mensch mit Behinderung“ Kritik gab (vgl. Christoph 1990, 117f.). Es besteht also keineswegs Einigkeit über die Begrifflichkeit. Persönlich finde ich in diesem Zusammenhang ein Zitat des mittlerweile verstorbenen behinderten Soziologen und Erstherausgebers der ‚Disability Studies Quarterly’ Irving Zola sehr passend: „I wish to be recognized, by the world, as a ‚person with a disability’. But I am proud to be a ‚disabled person’” (Johnson 1994, 29), was so auch gleichzeitig als Begründung der Wertung „politisch korrekt“ für diese Begrifflichkeit gesehen werden kann. Aus quantitativer Sicht kann man also insgesamt eine in Details verbesserungswürdige Sprache konstatieren, in der hoffentlich in Zukunft auch im Rahmen der Analyse nicht erfasste Ausdrücke wie „Behinderten-Transporter“ (Bild 06.01.2005, 10) oder ein Satz wie „je weniger es von ihnen gibt, desto lieber hat man die Menschen mit Down-Syndrom: Sie rühren mit anarchischem Charme, und im Fernsehen haben sie unter Behinderten den gleichen Status wie Flipper unter den Meerestieren“ (Stern 27.05.2004) der Vergangenheit angehören, dessen satirischer Unterton, in einem ansonsten schön geschriebenen und lesenswerten Artikel über Menschen mit Down-Syndrom sicher nicht wie gedacht beim Rezipienten ankommt. Insgesamt liefern die quantitativen Daten zum Teil Belege für innerhalb der qualitativen Auswertung betrachtete Rollenklischees (vgl. Kapitel VI 1) oder Mechanismen der Medien (vgl. Kapitel VI 2). Leid, Mitleid, die Themen „Justiz“ und „Sport“ und im Großen und Ganzen positiv bewertete Charakterisierungen unter Verwendung nicht immer passender Sprache sind das, was rein quantitativ erfassbar beim Rezipienten ankommt und bilden somit die sicherlich sehr grob formulierte Ausgangslage für weitere qualitative Analysen.
VI Qualitative Ergebnisse
Innerhalb der qualitativen Ergebnisdarstellung spielen nicht mehr nur Zahlen oder Verhältnisse eine Rolle. Auf Basis der quantitativen Ergebnisse und der bereits vorgestellten qualitativen Konstrukte auf der Ebene der Personen (vgl. Kapitel III 3.1) und der Ebene der Artikel (vgl. Kapitel III 3.2) sollen assoziativ Textbeispiele und Ausschnitte aus Nachrichten, Reportagen und Porträts vorgestellt werden, für die eine Zuordnung möglich war. Dabei wird zum einen kritisch hinterfragt, inwieweit sich klischeehafte Rollenbilder von behinderten Menschen in der Presse finden, welche Funktion einzelne Artikel haben und schließlich welche Schlüsse sich hinsichtlich der Mechanismen der untersuchten Printmedien ziehen lassen. Es wird dabei versucht, getroffene Assoziationen mit konkreten Textbeispielen zu belegen und auch auf eine quantitative Basis zu stellen. Eine qualitativ-assoziative Einschätzung ist notwendig, da bei bestimmten Konstrukten, wie zum Beispiel einem Rollenklischee, die quantitative Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien nicht notwendigerweise zu einer klischeehaften Darstellung führen muss. Zum einen lässt die Beschreibung bestimmter Inhalte mit bestimmten Begriffen dem Rezipienten einen großen Spielraum für Interpretationen (vgl. Kommunikationsmodell in Kapitel I 1.2), zum anderen sind Konstrukte, wie zum Beispiel einzelne Mechanismen, theoretisch nicht so exakt zu beschreiben (vgl. Kapitel III 3.2), als dass sie sich abschließend rein auf quantitativer Ebene bestätigen lassen würden. Trotzdem sollen die quantitativen Ergebnisse wenn möglich als Ausgangsbasis dienen, um mögliche Artikel für zum Beispiel klischeehafte oder stereotype Darstellungsformen zu finden (vgl. Ablaufschema der Untersuchung Abb. 17 in Kapitel IV). 1
Rollenklischees
Bei der Betrachtung der Rollenklischees fungieren die bereits aufgeführten Beschreibungen (vgl. Kapitel III 3.1) verschiedener klischeehafter oder stereotyper Rollenvorstellungen von Menschen mit Behinderung als Ausgangsbasis. Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen (vgl. Bosse 2006, 189) wird dabei nicht davon ausgegangen, dass die meisten Beschreibungen von Menschen mit Behinderung einen bestimmten Klischee zuzuordnen sind. Es gibt Artikel, die eine
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VI Qualitative Ergebnisse
archetypische Beschreibung eher erfüllen, und solche, die zum Teil Aspekte davon aufweisen, bei näherer Betrachtung aber sicher nicht als klischeehaft bezeichnet werden können. Zu Beginn der Beschreibungen der einzelnen Ergebnisse erfolgt eine kurze Zusammenfassung davon, was mit dem jeweiligen Rollenklischee gemeint ist. 1.1
Der Bedauerns- und Bemitleidenswerte
Kennzeichnend für diese Rollenvorstellung ist, dass die behinderte oder eingeschränkte Person als bemitleidenswert und von der Gesellschaft abhängig dargestellt wird. Menschen mit Behinderung haben dabei die Rolle eines Almosenempfängers, durch die ihr, in der Regel tragisches Schicksal, noch zusätzlich betont wird (vgl. Barnes 1992, 7; Elliot 1994, 76; Nelson 1994a, 4). Mitleid ist dabei von zentraler Bedeutung, zudem werden nach Barnes in der Regel emotionale Begrifflichkeiten gebraucht (vgl. Barnes 1992, 8). Die quantitativen Ergebnisse sprechen zunächst für das grundsätzliche Vorhandensein aller dieser Kriterien. Leid und Mitleid sind im Kontext Behinderung quantitativ sehr dominierend (vgl. Kapitel V 5.1), zudem finden sich auch zahlreiche karitative Handlungsmuster (vgl. Kapitel V 3.3) sowie grundsätzliche Berichte über Hilfe und Unterstützung von Menschen mit Behinderung (vgl. Kapitel V 7.2). Die von Barnes beschriebenen Begrifflichkeiten, wie zum Beispiel „tapfer“, sind ebenfalls Teil der Berichterstattung zur Beschreibung und zur Charakterisierung behinderter und eingeschränkter Personen in den Artikeln. „Tapfer“ ist sogar generell ein besonders typisches Adjektiv zur Personenbeschreibung in diesem Kontext (vgl. Tab. 42 in Kapitel V 5.3). Theoretisch lassen sich also damit all diejenigen Artikel ermitteln, die diese quantitativen Bedingungen erfüllen. In der praktischen Umsetzung ist dies nur bedingt möglich, da nicht abschließend geklärt ist, was zum Beispiel innerhalb des Konstruktes mit emotionalen Begrifflichkeiten gemeint ist. Zudem stellt sich auch die Frage, inwieweit Leid oder Mitleid sprachlich abseits von der Verwendung der Begrifflichkeiten zum Rezipienten transportiert werden könnte. Weswegen zunächst die Zuwendungs- oder Unterstützungsartikel sowie während der Analyse der Artikel getroffene Assoziationen als Ausgangsbasis dienen, um Musterbeispiele für den Archetypus des bedauerns- und bemitleidenswerten behinderten Menschen in der Presse zu identifizieren. Karitative Handlungsmuster und Hilfen an Menschen mit Behinderung tauchen, wie die quantitativen Ergebnisse zeigen, dabei vor allem in der Illustrierten Bunte auf (vgl. Tab. 57 in Kapitel V 7.2). Allerdings fehlt diesen Artikeln in der Regel eine klare Charakterisierung der Person. Berühmte Persönlichkeiten oder Stiftungen werden dabei als Wohltäter für Menschen mit Behinderung darge-
1 Rollenklischees
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stellt, ohne näher auf die unterstützten Personen einzugehen. Die Menschen oder die Personengruppe mit Behinderung werden zwar als Almosenempfänger thematisiert, ihre Charakterisierung ist aber entweder gar nicht vorhanden (vgl. Bunte 16.06.2005, 100; 09.09.2004, 111; 21.08.2003, 106f.) oder zu oberflächlich (vgl. Bunte 19.09.2002, 109; 21.12.2000, 10), als dass man dies grundsätzlich als emotionalisierte Beschreibung bezeichnen könnte. Vielmehr spielen hier die impliziten Vorstellungen der Rezipienten eine wichtige Rolle. Haben diese unter Umständen schon Vorurteile oder klischeehafte Vorstellungen von Menschen mit Behinderung als bemitleidenswerte Almosenempfänger, dann können diese durch derartige Berichte vielleicht noch verstärkt, aber keinesfalls ausgelöst werden. Zum Teil anders gestalten sich die Artikel im Kontext karitativer Handlungen und der Unterstützung von Menschen mit Behinderung in der Süddeutschen Zeitung. Bei der in dem Zusammenhang fast jährlich auftauchenden Adventskalenderaktion lassen sich neben dem Aufruf zum Spenden auch Beschreibungen der Empfänger von Hilfen finden. Ziemlich genau dem Rollenklischee des bedauerns- und bemitleidenswerten Menschen mit Behinderung entspricht zum Beispiel der Artikel „Seit 1949 im Dienst der Nächstenliebe“ (vgl. Süddeutsche Zeitung 26.11.2005, 20). Hier lassen sich wesentliche Elemente dieses Rollentyps finden. Der Artikel lässt sich sehr schön in zwei Teile untergliedern. Der erste Teil setzt sich mit der Beschreibung der Lebensumstände von Familien mit behinderten Kindern auseinander und beginnt mit „die Pflege prägt das Leben der Familie. Die Eltern sind körperlich und seelisch am Ende und vom Schmerz und vom Mitleid für ihr Kind zerrissen“ (ebd.). Ein tragisches Schicksal der Familie wird betont, dabei werden Leid und Mitleid in den Mittelpunkt gestellt. Beim Weiterlesen erfährt der Leser, dass Eltern dieser Kinder kaum Kontakte zu „Gesunden“ haben und die Scheidungsrate bei Ehen, aus denen behinderten Kinder hervorgingen, bei 80 % liegt und Hilfen nur wenig oder gar nicht bezahlt werden (vgl. ebd.). Hier zeigt sich auch die unmittelbare Verbindung zur Vorstellung des Menschen mit Behinderung als Belastung (vgl. Kapitel III 3.1.8 und Kapitel VI 1.8). Im zweiten Teil des Textes kommt es dann zum Spendenaufruf unter Angabe der Bankverbindung der Süddeutschen Zeitung. Es wird also zu einem karitativen Handlungsmuster aufgefordert, wobei in dem Fall der Spendenempfänger keine konkrete Person, sondern eine unbestimmte Personengruppe mit bestimmten Eigenschaften ist. Neben den Bankverbindungsdaten findet sich zum Schluss des Artikels ein Hinweis auf die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden (vgl. ebd.). Vom Prinzip her ähnlich gestaltet sich der Artikel „Ein Fußballspiel hat Elias´ Leben verändert“ (vgl. Süddeutsche Zeitung 13.12.2002, 33). Der zweite Teil ähnelt hier dem vorher vorgestellten Artikel fast wortwörtlich. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass hier ein konkreter Einzelfall vorgestellt wird, der als Aufruf zur karitativen Tätigkeit dient. Neben der Beschreibung der schwierigen
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VI Qualitative Ergebnisse
Situation sowie der Inkompetenzen von Elias, wird ganz zu Beginn auch der Vorfall geschildert, der zur Einschränkung des Jungen geführt hat und angemerkt, dass er auf den Kopfball, der wahrscheinlich zu seiner Hirnschädigung führt, noch heute stolz ist, weil er so den Ball der gegnerischen Mannschaft abwehren konnte (vgl. ebd.). „Stolz“ könnte durchaus als emotionale Eigenschaftsbeschreibung angesehen werden, womit der Text auch dieses Kriterium von Barnes für das Rollenklischee des bedauerns- und bemitleidenswerten behinderten Menschen erfüllt (vgl. Barnes 1992, 8). Obwohl neben der Süddeutschen Zeitung und der zuvor erwähnten Illustrierten Bunte auch andere Zeitungen und Zeitschriften über karitative Handlungen in ähnlicher Weise berichten, so sind doch die beiden Texte der Süddeutschen Zeitung sowohl aus objektiver wie auch aus assoziativer Sicht eher archetypische Musterbeispiele für das hier besprochene Rollenklischee. Neben der Tatsache, dass die wesentlichen Eigenschaften, die durch Barnes, Elliot und Nelson (vgl. Barnes 1992, 7; Elliot 1994, 76; Nelson 1994a, 5) beschrieben wurden, erfüllt sind, liegt der Grund auch in der Instrumentalisierung der Behinderung zum Spendenaufruf. Während Super Illu, Bild und Bunte in diesem Kontext fast ausschließlich über bereits durchgeführte Hilfsaktionen berichten, was genau betrachtet eher dem Mechanismus der Betroffenheitsbezeugung entspricht (vgl. Kapitel III 3.2 und Kapitel VI 2), wird in diesen Beispielen der Süddeutschen Zeitung Schicksal und Leid als zentral in den Mittelpunkt des Lebens von Familien mit behinderten Kindern oder behinderten Kindern an sich gestellt, um bei den Rezipienten Spendenbereitschaft zu erreichen. Eine karitative Handlung wird dadurch erst initiiert. Dass eine derartige Aufforderung nicht notwendigerweise in eine klischeehafte Rollendarstellung mündet, zeigt zum Beispiel der Artikel „Gewonnen!“ (vgl. Stern 07.12.2000, 258). Auch hier wird ähnlich wie bei den Artikeln aus der Süddeutschen Zeitung zu Spenden aufgerufen, der Artikel, bei dem es um einen Unterstützungsaufruf für ein Haus für behinderte Kinder und ihre Eltern geht, kommt allerdings gänzlich ohne eine übermäßige Betonung des Mitleidsaspektes aus. Zu Beginn wird wenig emotionalisiert darauf hingewiesen, dass sich behinderte Kinder zusammen mit ihren Eltern in diesem Haus von ihrem anstrengenden Alltag erholen können. Nicht jeder Spendenaufruf muss also gezwungenermaßen eine klischeehafte Rollendarstellung auslösen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist. Bei der Beschreibung der einzelnen Rollenklischees im Kapitel III 3.1 der Arbeit wurde zu Beginn betont, dass derartige Rollenklischees negativ zu bewerten sind, da sie ein bestimmtes unter Umständen überholtes Bild von Behinderung transportieren. Im Kontext der stereotypen Vorstellung des bedauerns- oder bemitleidenswerten Menschen mit Behinderung lässt sich allerdings auch das Dilemma erkennen, in dem sich der Journalist befindet. Je positiver und weniger klischeehaft seine Darstellung, umso geringer vielleicht die Bereitschaft zu
1 Rollenklischees
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spenden. Trotzdem sollte gerade in diesem Kontext sehr umsichtig mit der Beschreibung von Personen mit Behinderung umgegangen werden. Die Gefahr ist groß, dass sich vor allem dieses Bild als alleiniges Bild von Menschen mit Behinderung in den Köpfen der Rezipienten festsetzt. Vor allem die regelmäßige Berichterstattung vor Weihnachten, die sich unter Umständen innerhalb derselben Zeitung jedes Jahr in ähnlicher Form wiederholt, könnte zur Verfestigung dieses Bildes beitragen (vgl. Wirkungstheorien im Kapitel I 1.4). Umso wichtiger ist es auch wie Barnes betont, dass Menschen mit Behinderung nicht nur als Empfänger, sondern auch als Spender in der Berichterstattung auftauchen (vgl. Barnes 1992, 22). Vereinzelt finden sich dafür im Rahmen dieser Studie auch schon Beispiele, wobei es sich bei den Spendern fast immer um eine berühmte Person mit einer Behinderung oder Einschränkung handelt, wie Alessandro Zanardi, Ronny Ziesmer oder Christopher Reeve (vgl. Focus 05.05.2003, 176f.; 31.01.2000, 15; Süddeutsche Zeitung 21.07.2005, 3). 1.2
Das Gewaltopfer
Auch beim Rollenklischee des Menschen mit Behinderung als Opfer von Gewalt ist ähnlich wie zuvor Leid und Mitleid die dominante Emotion. Behinderte Personen werden als hilflos und abhängig dargestellt (vgl. Barnes 1992, 10). Auf quantitativer Ebene lassen sich verschiedene Indizien für dieses Rollenklischee finden. Wie bereits im quantitativen Teil herausgestellt wurde, ist die Justizthematik im Kontext Behinderung innerhalb vieler untersuchter Presseerzeugnisse ein häufig auftauchendes Thema (vgl. Kapitel V 2.1, Kapitel V 2.2 und Kapitel V 2.3). Insbesondere innerhalb der Zeitung Bild finden sich zahlreiche Artikel, in denen Menschen mit Behinderung Opfer von Verbrechen oder Gewalt werden (vgl. Tab. 19 in Kapitel V 2.2). Betrachtet man die Artikel, die über Gewalt gegen Menschen mit Behinderung berichten genauer, lässt sich nicht immer ein klischeehaftes Rollenbild finden, was auch daran liegen mag, dass Gewalt gegen behinderte Menschen ein leider in der Realität häufig vorkommendes Phänomen ist (vgl. Haller 2003, 27) und somit das Informieren der Öffentlichkeit darüber grundsätzlich nicht negativ gesehen werden darf. Beschreibungen, die dabei in instrumentalisierter Weise funktionieren und so auch ein bestimmtes Rollenklischee propagieren, erfolgen weniger. Wenn dann dienen sie dabei nicht nur dazu, ein bestimmtes Bild des Opfers als hilflose Person zu verbreiten, sondern auch um auf dieses Weise instrumentalisiert etwas über den Charakter der Täter auszusagen. Dabei lassen sich zwei verschiedene Arten von Charakterisierungen unterscheiden. Im ersten Fall dient die Beschreibung des Opfers als eine im Alltag eingeschränkte und auf Hilfe angewiesene Person zur Verstärkung der Abneigung des
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VI Qualitative Ergebnisse
Rezipienten gegenüber dem Täter, der dann besonders skrupellos erscheint, da ein Mitglied einer vermeintlich besonders schwachen Gruppe der Gesellschaft sein Opfer wird. Musterbeispiele hierfür wären „Rollstuhlfahrer in der Wohnung überfallen“ und „Gemeine Sexfalle“, beide aus der Zeitung Bild und mit ähnlichem Muster (vgl. Bild 24.12.2001, 3; 21.03.2001, 3). Die Artikel sind relativ kurz und beschreiben eine Straftat gegen eine behinderte Person, die mit Adjektiven wie „wehrlos“ oder „hilflos“ charakterisiert wird und von den Tätern offensichtlich genau aus diesem Grund ausgewählt wurde, was folgendes Zitat verdeutlicht: „Die Krankenschwester hob die Behinderten aus ihren Rollstühlen, legte sie aufs Bett. Dann durchwühlte sie die Wohnungen nach Bargeld, Schmuck, Handys – vor den Augen ihrer hilflosen Opfer“ (vgl. Bild 24.12.2001, 3). Die Person mit Behinderung hat hier sozusagen eine doppelte Opferrolle (vgl. Bartmann 2002, 135) und entspricht damit dem, was mit dem Klischee des Gewaltopfers gemeint ist. Wenn auf Rezipientenseite ohnehin schon ein Bild des wehrlosen und abhängigen behinderten Menschens vorhanden ist, kann dies durch derartige Darstellungen vielleicht noch verstärkt werden. Es mag sich darüber debattieren lassen, inwieweit eine derartige Charakterisierung sein muss und ob man nicht auf die Beschreibung von Hilflosigkeit und Abhängigkeit der Opfer in diesem Kontext eher verzichten sollte. Unweit skeptischer zu betrachten sind allerdings Tendenzen, die Hilflosigkeit und Abhängigkeit der behinderten Person als Entschuldigung für eine Straftat anzuführen, was im anderen möglichen Fall der Opferrolle geschieht. Der Unterschied dabei liegt darin, dass die Täter in der Regel nächste Verwandte der behinderten Person sind und es sich bei der Straftat stets um ein Tötungsdelikt handelt. Im Artikel „Tötete sie aus Mutterliebe“ erfolgt eine ähnliche Charakterisierung von Rico, wie dies auch in den beiden vorher genannten Artikeln geschehen ist. Zusätzlich zum Aspekt der Hilflosigkeit wurde auch Leid und Mitleid thematisiert, die gleichzeitig als Motiv für die Tat herangezogen werden (vgl. Bild 17.12.2004, 7). Das innerhalb dieses Artikels mit Behinderung verbundene Leid wird als Rechtfertigung für die Tötung eines Menschen angesehen. Ungeachtet des grundsätzlichen Respekts, dem man jeder persönlichen Entscheidung, sei es nun zu leben oder sterben zu wollen, entgegenbringen muss, bergen derartige Darstellungen die Gefahr, dass sich vor allem Leser, die nur wenig über verschiedenste Arten von Behinderung und Einschränkung wissen, grundsätzliche und generalisierende Meinungen im Kontext der Qualität des Lebens von Menschen mit Behinderung bilden. Mit Zitaten von dritten Personen wie „ich bin überzeugt, die Mutter wollte nur das Beste“ und „wenn der Tod für das Opfer sogar eine Erlösung ist, dann bewegt sich das Strafrecht auf unsicherem Boden […] Meines Erachtens handelte die Frau aus grenzenloser Mutterliebe“ (vgl. ebd.) umgeht zwar der hier publizierende Journalist einer eigenen Wer-
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tung, stellt allerdings dadurch seine Meinung auch klar und deutlich heraus, da keine Gegenargumente angeführt werden, und verstärkt so ein unter Umständen festgefahrenes Meinungsbild über die Lebensqualität behinderter Personen. Die Rolle eines Opfers von Gewalt in dieser Form ist dabei eine Folge der Vorstellung des Menschen mit Behinderung als Belastung (vgl. Kapitel III 3.1.8 und VI 1.8). Dabei kann sich die Person aufgrund ihrer Einschränkung selbst als belastend empfinden und/oder von ihrer Umwelt als belastend empfunden werden und so als Resultat und Kombination dieser beiden Vorstellungen zum gewollten oder ungewollten Opfer eines Verbrechens werden. Insofern hängen die klischeehaften Vorstellungen des Menschen mit Behinderung als Belastung, als bedauerns- und bemitleidenswertes Individuum und die Rolle des Opfers in dieser Ausprägung unmittelbar zusammen und werden erst durch die Handlung oder Reaktion der Umwelt abschließend definiert (vgl. Abb. 46 in Kapitel VI 1.12). Im konkreten Fall des Gewaltopfers dient die Kombination aus Mitleid, Verzweiflung, Belastung und eines im Einzelfall geäußerten Wunsches der behinderten Person zur Legitimation der Straftat. Dieses Rollenbild wird von Nelson als „Better-Off Dead“ beschrieben. Der Tod wird dabei als ein der Behinderung vorzuziehendes Schicksal gesehen (vgl. Nelson 1994a, 7). Der Berichterstattungsstrang im Kontext des hier beschriebenen Falles kommt im Artikel „Berlins mutigstes Urteil“ zum Schluss, dass „die Mutter, die aus Liebe tötete“ (Bild 14.09.2005, 3) des Tötungsdeliktes schuldig ist, aber nicht bestraft wird. Der Tenor des Artikels sieht diese Entscheidung sehr positiv („Applaus im Saal“), zudem wird die Tat noch einmal durch die Beschreibung des Leidens und der schwierigen Situation legitimiert, wobei besonderer Fokus darauf gelegt wird, dass es auch die Entscheidung von der behinderten Person selbst war, ihrem eigenen Leben mit Hilfe ihrer Mutter eine Ende zu bereiten (vgl. ebd.). Der Tenor der Süddeutschen Zeitung ist innerhalb einer ähnlichen Thematik im Zusammenhang mit dem Freispruch eines Neuseeländers, der seine Tochter erstickt hat, deutlich anders. Auch wenn die Fälle vielleicht nicht hundertprozentig vergleichbar sind, zeigt sich hier doch ein deutlich anderer Umgang mit der Thematik Euthanasie und Sterbehilfe (vgl. Süddeutsche Zeitung 14.12.2004, 13). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Rolle des Gewaltopfers aus qualitativer Sicht sehr unterschiedliche Auswirkungen hat. Sie instrumentalisiert, um die Täter als besonders herzlos oder als besonders „gütig“ erscheinen zu lassen. In beiden Ausprägungen ist die Person mit Behinderung das Opfer. Die publizistische und gesellschaftliche Bewertung der Tat unterscheidet sich jedoch grundsätzlich. Darin liegt auch eine große Gefahr dieser Darstellung. Vor allem das Thema aktive Sterbehilfe ist sehr sensibel, weshalb auch pauschale Urteile in diesem Kontext nicht angebracht sind. Es bleibt jedoch die Gefahr, dass aufsei-
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VI Qualitative Ergebnisse
ten der Leser von Artikeln mit ähnlichen wie den hier dargestellten Inhalten Generalisierungsprozesse stattfinden oder Meinungen verstärkt werden, die über den Einzelfall hinaus betrachtet zu gefährlichen Fehlschlüssen bezüglich der generellen Qualität des Lebens behinderter Menschen führen können. Im Verhältnis zur Qualitätsabonnementzeitung Süddeutsche Zeitung, den Nachrichtenmagazinen, aber auch den Illustrierten neigt vor allem die Bild zu Darstellungen, die mithilfe einer Charakterisierung von Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Wehrlosigkeit in Verbindung mit Leid und Mitleid erst die Ausgangsbasis für die eben beschriebenen stereotypen Vorstellungen, egal welcher Ausprägung, schafft. Auch hier muss erwähnt werden, dass diese allerdings auch nur einen Teil der Berichterstattung ausmachen. Ebenso finden sich auch innerhalb der Boulevardpresse Gegenbeispiele, in denen Straftaten gegenüber Menschen mit Behinderung thematisiert werden, die gänzlich ohne diese emotionalen Verstärker auskommen und sachlich, ohne in ein Rollenklischee zu verfallen, über die Ereignisse berichten (vgl. Bild 29.10.2002, 5; 30.07.2001, 14).
1.3
Der Unheimliche und Böse
Das gänzliche Gegenteil vom im vorherigen Kapitel beschriebenen Rollenklischee ist das des unheimlichen, bösen oder kriminellen Menschen mit Behinderung. Auch hier lassen sich innerhalb der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften quantitative Indizien finden. Innerhalb der Nachrichtenmagazine und Illustrierten ist hier sogar eine breitere Ausgangsbasis vorhanden, als dies beim Rollenbild des Opfers von Gewalt und Verbrechen der Fall ist (vgl. Tab. 19 in Kapitel V 2.2). Insbesondere Menschen mit kognitiven Einschränkungen werden in diesem Zusammenhang in der Presse während des untersuchten Zeitraums immer wieder thematisiert (vgl. Tab. 23 in Kapitel V 2.3). Innerhalb vieler Artikel im Kontext dieser Thematik erfolgt jedoch trotz der Brisanz, schließlich geht es in den meisten Fällen um Mord, Todschlag oder schwere Sexualdelikte, eine überraschend sachliche Darstellung der Personen und Hintergründe, die weitestgehend auf provokante Darstellungen und Titel à la „Dorfdepp oder Mörder?“ aus der Welt online (vgl. Mielke 2003, ohne Seite) verzichtet. Dennoch lassen sich hier auch Beispiele von Artikeln finden, die eine negative Eigenschaftsbeschreibung meist in Kombination mit der Betonung von Äußerlichkeiten fokussieren und so einen Grundcharakter in der Darstellung schaffen, die der hier beschriebenen stereotypen Vorstellung entspricht. Im Zusammenhang mit dem Mordfall „Peggy“ kann man die Artikel „Der dicke Grinser beleidigt Peggys Mutter“ und „Verrät der Dicke, wo die tote Peggy liegt“ anführen (vgl. Bild 09.10.2003, 8; 08.10.2003, 3). Kennzeichnend für
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beide Artikel ist zunächst die Substantivierung von Äußerlichkeiten bereits in der Überschrift, wobei „dick“ im Kontext Angenehmheit und sozialer Erwünschtheit durchgängig negativ bewertet wird (vgl. Hager/Hassel-horn 1994a, Tabelle 4-1 und 4-6 im digitalen Anhang). Der Angeklagte wird in beiden Artikeln zusätzlich als „massig“ oder „bullig“ beschrieben, um das äußere Erscheinungsbild zu betonen. Das Adjektiv „unrasiert“ (vgl. Bild 09.10.2003, 8; 08.10.2003, 3) unterstreicht dabei noch zusätzlich ein aus Rezipientensicht wohl als unsympathisch zu bewertendes Erscheinungsbild. Grundsätzlich wirken Wortwahl und Darstellungen besonders negativ, wenn es sich um sehr schwere Verbrechen gegen Kinder, wie Sexualstraftaten oder Mord, handelt und die Täter neben einer kognitiven Einschränkung auch weitere psychiatrische Auffälligkeiten aufweisen. Hier lassen sich Artikel finden, in denen Begriffe wie „Bestie“ (vgl. Bild 14.10.2004, 10) oder „Monster“ (vgl. Bild 15.07.2005, 6) fallen und zusätzlich die bereits beschriebene Fokussierung auf Äußerlichkeiten erfolgt, indem der Angeklagte als „klein“ und „häßlich“ beschrieben wird (vgl. ebd.). Diese Konzentration auf oberflächliche Erscheinungsmerkmale stellen auch Mürner (Mürner 2003b, 190) und Bernard/Pribitzer (vgl. Bernard/Pribitzer 1988, 31) fest, womit sich der massenmediale Mechanismus „Unglücksfälle und Verbrechen“ zum Teil aufzeigt, der allerdings auch schon per Definition kaum vom Rollenbild des unheimlichen und bösen behinderten Menschen zu trennen ist (vgl. Kapitel III 3.2 und Kapitel VI 2). Trotzdem bedient sich auch die Bild, bis auf die genannten Ausnahmen, einer grundsätzlich nicht dem negativen Vokabular des zuvor aufgeführten Beispiels der Welt online. Die Berichterstattung innerhalb der anderen hier untersuchten Erzeugnisse den Fall „Peggy“ betreffend ist über weite Strecken allerdings noch sachlicher, verzichtet auf die negativ konnotierte Beschreibug von Äußerlichkeiten (vgl. Der Spiegel 10.11.2003, 72; Focus 06.10.2003, 58ff.; Süddeutsche Zeitung 24.10.2002, 34) und stellt vereinzelt in Bezugnahme auf dritte Personen sogar positive Eigenschaften des als geistig behindert bezeichneten Angeklagten heraus. Innerhalb dieser Studie lässt sich sowohl von quantitativer (vgl. Tab. 23 in Kapitel V 2.3) als auch von qualitativer Seite der bereits von Barnes in der theoretischen Umschreibung dieses Rollenklischees (Barnes 1992, 11; Kapitel III 3.1.3) dargestellte Verbindung zwischen kognitiver Einschränkung und Kriminalität bestätigen. Obwohl der Zusammenhang aus quantitativer Sicht sehr klar erscheint, muss jedoch erwähnt werden, dass die Darstellung an sich weniger klischeehaft und auf Äußerlichkeiten beschränkt erfolgt. Zwar lassen sich dafür vor allem in der Bild auch Indizien finden, insgesamt betrachtet bleibt die Darstellung aber eher ausgewogen und sachlich. Bezüglich der Wirkung auf die Rezipienten ist, wie bereits theoretisch dargelegt, neben der Qualität auch die
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VI Qualitative Ergebnisse
Quantität (vgl. Kapitel I 1.4) ein wichtiger Faktor, der durch die Redaktionen durch die Auswahl der Themen für eine bestimmte Zeitungs- oder Zeitschriftenausgabe beeinflussbar ist. Rein quantitativ sind Menschen mit Behinderung insbesondere mit kognitiven Einschränkungen innerhalb der Presse eher Täter als Opfer (vgl. Tab. 23 in Kapitel V 2.3). Qualitativ betrachtet sollten diese Darstellungen, wenn überhaupt, nur im Rahmen der Berichterstattung der Bild tatsächlich ein stereotyp negatives Rollenklischee verbreiten. Allerdings sind hier Menschen mit Behinderung in der Darstellung viel häufiger Opfer als Täter (vgl. Tab. 19 in Kapitel V 2.2).
1.4
Der Exotische
Exotik und Kuriosität sind im Kontext dieses Rollenklischees von zentraler Bedeutung. Menschen mit Behinderung werden zur Schau gestellt, ihre körperliche Andersartigkeit dient der Unterhaltung und der Befriedigung der Neugierde der Rezipienten oder Beobachter (vgl. Barnes 1992, 12). Die Darstellung von Kuriosität oder Exotik erfolgt sehr stark über den optischen Eindruck, was es schwierig macht bei einer Untersuchung, die sich nur mit Sprache und Text beschäftigt, überhaupt eine Aussage zu machen, da unter Umständen eben genau die Bildinformationen zur Beurteilung fehlen. Trotzdem lassen sich vereinzelt Artikel finden, die aufgrund ihrer textlichen Beschreibung dem Rollenklischee zuzuordnen sind und dabei einen voyeuristischen Charakter haben. Für die archetypische Verdeutlichung dieses Klischees sollen zwei Artikel herausgegriffen werden, die innerhalb der Analyse auf Basis von Assoziationen und in den Artikeln auftauchenden sprachlichen Vergleichen in den Kontext passen, wobei der erste Artikel auch gleichzeitig die Schwierigkeit und Relativität einer solchen Einschätzung verdeutlicht. Hierbei handelt es sich um eine Publikation in der politischen Illustrierten Stern. Der Titel des Artikels ist „Ausser gewöhnliche Menschen“ und setzt sich mit Personen auseinander deren Körper auf die unterschiedlichste Art und Weise anders ist, als man das innerhalb der gesellschaftlichen Norm erwarten würde. Ausgangspunkt sind Fotografien des französischen Fotografen Gerard Rancinan (vgl. Stern 27.11.2003, 112). Die sprachliche Darstellung zu Beginn des Artikels ist sehr positiv. So berichtet die Engländerin Alison Lapper über Wohlbefinden, ihre Rolle als Mutter und darüber, dass sie mit Mitleid nichts anfangen kann. Weiter heißt es, dass die Personen, um die es in dem Artikel geht, mit ihrer Andersartigkeit viel normaler umgehen als die Gesellschaft, in der Unsicherheit und vielleicht auch Mitleid und Hilfswilligkeit dominieren (vgl. ebd.). Bei der Vorstellung der am Artikel beteiligten Personen greift der Autor dennoch auf durch dritte Personen vermittelte
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Fabel- und Tiervergleiche zurück, indem er Ausdrücke wie „genannt der Wolfsmann“ oder „von seinen Freunden ‚Zyklop’ genannt“ benutzt und so dem Rezipienten in einem eigentlich sehr positiven Artikel die Assoziationen und Verbindungen zu einem dem Klischee entsprechenden Kuriositätenkabinett liefert und unter Umständen damit die eigentliche Intention umgeht. Hier zeigt sich auch die Schwierigkeit der Zuordnung zu diesem Klischee. Für den wenig informierten Rezipienten ergeben sich hieraus sicherlich andere oder ungewollte Assoziationen, die absolut konträr zum Tenor des Artikels zu sehen sind. Ob der hier dargestellte Artikel also dem angesprochenen Stereotyp entspricht, entscheidet noch viel mehr als bei anderen Vorstellungen das Auge des Betrachters (vgl. Kapitel I 1.2). Die grundsätzliche Darstellung der Personen innerhalb des Artikels entspricht also nicht notwendigerweise dem vorgestellten Rollenbild. Eindeutiger einem stereotypen Klischee zuzuordnen ist vielleicht die Darstellung der Personen im Artikel „’Jeden Tag Prügel’“ publiziert im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der sich mit körperbehinderten Bettlern in deutschen Großstädten auseinandersetzt (vgl. Der Spiegel 07.11.2005, 72ff.). Auch hier erfolgt eine Beschreibung der körperlich eingeschränkten Protagonisten, die sich im Fabelwesen- und Tiervokabular bedient. Allerdings nicht wie zuvor durch dritte Personen vermittelt, sondern direkt durch den Autor des Artikels. „Monster“, „Märchenfigur“, „Riesen“, „Zwerge“, „Bärfrau“ und „Elefantemensch“ umfassen dabei das begriffliche Spektrum des für den Artikel verantwortlichen Journalisten, für den Dancio einer der bettelnden behinderten Menschen „mit seiner bizarr verwachsenen Gestalt früher eine Attraktion auf Rummelplätzen gewesen [wäre]“ (ebd.). Der Autor zieht also bewusst die Parallele zum historischen Ausgangspunkt der hier beschriebenen klischeehaften Rolle von behinderten Menschen und charakterisiert sie in seinem Artikel sowohl durch Beschreibungen als auch mit Hilfe der angesprochenen Termini dementsprechend. Was dazu führt, dass ein eigentlich gut gemeinter Artikel über die Probleme und das Schicksal der beschriebenen Personen zum Teil aufgrund der Mischung aus Neugierde und Mitleid eher dem Charakter einer „Freak Show“ gleicht und den eigentlichen Fokus des Artikels in den Hintergrund treten lässt. Je nachdem ob Mitleid oder Neugierde beim Rezipienten überwiegt hat eine derartige Darstellung sicherlich unterschiedliche Auswirkungen auf das Bild der porträtierten Personen. Wegen der bereits angesprochenen fehlenden Bildinformationen lassen sich keine vollständig abgesicherten Aussagen über allgemeine Häufigkeiten dieser Form der Darstellung von behinderten Menschen machen. Der assoziative Eindruck innerhalb der Untersuchung spricht eher dafür, dass es sich im Gegensatz zu den vorher erwähnten Rollenbildern um eine innerhalb der Presse wenig verbreitete Darstellungsform handelt, die sich wenn dann überhaupt auch nur in Nachrichtenmagazinen oder Illustrierten in Kombination von ausführlichen Cha-
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VI Qualitative Ergebnisse
rakterisierungen gekoppelt mit Fotografien und Bildern finden lässt. Bei Zeitungen ist die Berichterstattung durchschnittlich kürzer und selbst innerhalb der Boulevardpresse auf weniger Bilder beschränkt, was es auch von theoretischer Seite schwieriger macht, ein derartig komplexes Klischee zu transportieren.
1.5
Der Superkrüppel
Bereits innerhalb der theoretischen Überlegung zu den einzelnen Stereotypen wurde auf die unterschiedlichen Varianten der „Super Cripple“-Darstellung verwiesen (vgl. Kapitel III 3.1.5). Mögliche Aspekte hiervon sind die Beschreibung einer herausragenden Kompetenz oder der heroische Kampf einer Person gegen ihre Behinderung oder sonstige Barrieren (vgl. Elliot 1994, 76; Nelson 1994a, 6). Die Gefahr, die in dieser stereotypen Sichtweise liegt, ist, dass Aufmerksamkeit nur denjenigen Personen mit Behinderung zuteil wird, die über ein besonders herausragendes Talent verfügen und ihre Einschränkung überkompensieren müssen, um Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. Barnes 1992, 22). Schwierig an dieser theoretischen Konzeption ist, dass eine Bewertung innerhalb der Nachrichtenberichterstattung und dadurch auch im Kontext der Presse schwerfällt. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass Nachrichten faktisch per Definition nur über Ereignisse berichten, die in irgendeiner Form berichtenswert erscheinen. In der Regel handelt es sich dabei seltener um Alltägliches, als vielmehr um Interessantes, Wichtiges, Relevantes, Herausragendes und Ungewöhnliches (vgl. Ruß-Mohl 2003, 54ff.). Unreflektiert betrachtet würde das Modell suggerieren, dass nur im Kontext Behinderung Personen Außergewöhnliches leisten müssen, um medial in der Presse Beachtung zu finden. Sofern die Inhalte der Nachrichten nicht von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse sind, ist immer ein Herausragen aus der Masse notwendig, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies gilt also keinesfalls nur für Menschen mit Behinderung. Einfaches und Alltägliches fällt einfach nicht in das Berichterstattungsraster der Massenmedien. Andererseits muss auch gesehen werden, dass zum Beispiel innerhalb der Sportberichterstattung häufig nur über Menschen mit Behinderung berichtet wird, wenn diese außergewöhnliche Erfolge feiern. Wohingegen über gesellschaftlich populäre Sportarten fast täglich geschrieben wird. Im Vergleich zu manchen Randsportarten lässt sich jedoch wieder der Eindruck gewinnen, dass über Großereignisse im Behindertensport, wie zum Beispiel über die Paralympics, doch relativ häufig und umfangreich informiert wird. Die Elemente des stereotypen Rollenmusters „Superkrüppel“, wie herausragende Talente (vgl. Abb. 34 in Kapitel V 5.2), außergewöhnliche Erfolge (vgl. Abb. 35 in Kapitel V 5.2) und dazu passende Charakterisierungen wie „stark“,
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„kämpferisch“ und „willensstark“ (vgl. Tab. 42 in Kapitel V 5.3), lassen sich quantitativ in zahlreichen Artikeln nachweisen. Wegen der zuvor beschriebenen Funktionsweise der Presse ist ein derartiges Bild auch nicht verwunderlich. Von daher treffen bestimmte Elemente des Rollenbilds „Superkrüppel“ auf viele in der Presse erwähnte Personen mit Behinderung zu, weshalb die nachfolgenden Beispiele auf Basis einer qualitativen Bewertung des jeweils gesamten Artikels aus einer Grundmenge an Artikeln ausgewählt wurden, die aus verschiedenen Gründen am besten den Kriterien des hier betrachteten Rollenklischees entsprechen. Dabei fiel bereits auf, dass Artikel, die dem Stereotyp „Superkrüppel“ zugeordnet werden können, im Kontext Boulevard, also bei der Bild auftauchen oder innerhalb einer Illustrierten zu finden sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Personen schon vor ihrer Behinderung in der Öffentlichkeit standen. Die Süddeutsche Zeitung dagegen fokussiert in dem Kontext eher einzelne außergewöhnliche durchgeführte oder geplante Leistungen von Menschen, die erst dadurch in den Fokus rücken, wie Thomas Hoffmarck, der mit dem Rollstuhl bis nach Istanbul fahren wollte (vgl. Süddeutsche Zeitung 25.08.2004, 10), Tom Whittacker, der mit seiner Prothese den Mount Everest besteigen wollte (vgl. ebd. 22.03.2002, 18), oder die körperlich eingeschränkten Peter Rieke und Jamie Andrew, die erfolgreich Berge in Schottland und den USA bestiegen haben (vgl. ebd. 20.06.2000, 16). Neben dieser Personengruppe gibt es auch Menschen, deren generelle Darstellung aufgrund ihrer Biographie und der Außergewöhnlichkeit ihrer Lebensgeschichte fast schon unmittelbar mit dem hier beschriebenen Stereotyp verknüpft ist. Neben Berichten über die Sportler Alessandro Zanardi (vgl. Bild 30.11.2005, 10; 29.07.2005, 11; Bunte 22.11.2001, 14; Super Illu 23.10.2003, ohne Seite) oder Wojtek Czyz (vgl. Bild 30.11.2005, 10; Stern 30.09.2004, 22), die jeweils nach einem schweren Sportunfall wieder beziehungsweise erst dann Teil der Weltspitze in einem bestimmten Sportbereich wurden, ist vor allem die Darstellung des Schauspielers Christopher Reeve fast ausschließlich durch eine Superman-Analogie geprägt und somit prädestiniert für das Klischee des Rollenbildes „Superkrüppel“. Können die Artikel über Zanardi und Czyz beinahe über den absoluten Triumph der Person über die körperliche Behinderung und die damit verbundenen Einschränkungen berichten, so stellen die Artikel über Reeve eher den heroischen Kampf des Schauspielers gegen seine Behinderung, die damit verbundenen Grenzen sowie sein Engagement für andere behinderte Menschen in den Mittelpunkt (vgl. Bild 23.10.2003, 10). Kampf, Willensstärke, Ausdauer und Engagement sind dabei die wichtigsten Grundpfeiler der Darstellung. Der ausführlichste Bericht über Reeve und dabei nicht in allen, wenn auch in einigen, Aspekten typisch für die Berichterstattung in diesem Zusammenhang ist der Artikel „Nur der Himmel ist die Grenze“ in der Illustrierten Stern (vgl. Stern
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VI Qualitative Ergebnisse
31.10.2002, 212). Die Kurzzusammenfassung zu Beginn des Artikels startet mit der Beschreibung über die fast unmöglichen basalen Kompetenzen, wie das Bewegen eines Fingers oder das Spüren von Berührungen, die sich Reeve trotz seiner vollständigen Querschnittslähmung wieder erkämpft hat. Das hier aufgeworfene Motto des Kampfes wiederholt sich im letzten Viertel des Artikels, wobei diesmal Reeve nicht für sich selbst, sondern für die Unterstützung derjenigen kämpft, denen es finanziell schlechter geht als ihm (vgl. ebd.). Neben dem kämpferischen Aspekt, der Beschreibung des Unfalls, der zur Querschnittslähmung von Christopher Reeve führte, und der Aufzählung der außergewöhnlichen Dinge, die für ihn möglich sind, die er sich erarbeitet hat, obwohl sie eigentlich unmöglich scheinen, relativiert der Autor mithilfe der Beschreibung der äußeren Erscheinung von Reeve. Und setzt so einen Kontrapunkt zu seinen eigenen euphorischen Beschreibungen und der grundsätzlichen Berichterstattung in den Medien: „Die Blätter schreiben von Wunder und Sensation. Er sei ein Hoffnungsträger für die 200 000 Querschnittsgelähmten in den USA, ach was – weltweit. Er sei ein Superman. Reeve sagt: ‚Das ist sehr freundlich, aber es stimmt nicht.’ Wer ihm dann gegenübersitzt, glaubt den Blättern nicht. Er sieht nicht aus wie ein medizinisches Wunder. Er sieht nicht mehr aus wie Superman. Die Haare dünn, den Kopf fixiert an einer Stützte. Die Augen indes wach wie eh und je. Er sieht verdammt noch mal aus wie ein Querschnittsgelähmter“ (ebd.).
Der Autor beschreibt so kurz eigentlich genau das Gegenteil des bis dahin vorherrschenden Grundtenors des Artikels und setzt sich damit auch teilweise von anderen wesentlich klischeehafteren Darstellungen in diesem Kontext ab, wie: „Christopher Reeve sitzt zwar im Rollstuhl, dennoch wirkt er in keinster Weise schwach. Er ist muskulös. Seine Beine, die in Schienen befestigt sind, sehen so aus, als würde er jeden Moment wie Superman dies Fesseln sprengen und aufstehen“ (Bild 23.10.2003, 10).
Der Schluss des Porträts endet mit Reeves Feier zum 50-jährigen Geburtstag, an dem er geplant hatte, aus eigener Kraft aufstehen und sein Glas erheben zu können. Der Autor schreibt: „Sie versammelten sich um die Geburtstagstorte, und alle bis auf einen standen und erhoben ihr Glas“ (Stern 31.10.2002, 212) und verdeutlicht so das Scheitern des Vorhabens gleichwohl größter Bemühungen. Trotzdem wird konstatiert, Reeve bewege „mehr als Finger und Zehen“ (ebd.). Dieses heroische im Kampf scheitern, während dennoch ein wichtiger Beitrag für die Allgemeinheit geleistet wurde, ist ebenfalls eine mögliche Ausprägung der hier verdeutlichten klischeehaften Vorstellung, was das Beispiel auch wieder sehr typisch für das Rollenklischee erscheinen lässt. Grundsätzlich zeigt sich,
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wie schwierig eine tatsächliche Zuordnung zu diesem Rollentypus ist, weil in diesem Fall gerade die äußere Beschreibung der Person nicht in das Klischee passt. Andererseits enthält der Artikel auch zahlreiche Elemente, die in Bezug auf die körperliche Verfassung von Reeve außergewöhnliche Kompetenzen beschreiben und so sicherlich auch ein wesentlicher Grund für den Bericht sind. Gerade im Zusammenhang mit Reeve zeigt sich vielleicht auch, wie wichtig die Berichterstattung auch oder vielleicht gerade wegen der Superheldenrolle ist, um auf Probleme oder Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Die starke Präsenz die Reeve zu seinen Lebzeiten hatte,137 und andere Menschen mit Behinderung, die Außergewöhnliches leisten, innerhalb der Presse haben, bestätigt zwar zum Teil das, was Barnes als Gefahr im Kontext der „Superkrüppel“-Darstellung sieht, nämlich, dass Menschen mit Behinderung ihre Einschränkung überkompensieren müssen, um medial präsent zu sein. Allerdings handelt es sich dabei um einen grundsätzlichen Mechanismus der Massenmedien, der nicht nur allein für Menschen mit Behinderung wirksam ist, sondern für alle Person im Kontext der Medienberichterstattung gleichermaßen gilt. Mediale Präsenz im Zusammenhang mit Behinderung ist wichtig. Die zahlreichen Berichte, auch die des Superkrüppel-Klischees, machen auf Probleme und vielleicht auch auf wichtige Vorbilder aufmerksam, weshalb dieses Rollenklischee in der hier vorgefundenen Ausprägung nicht nur negativ gesehen werden darf, zumal es nur einen kleinen Teil der Berichterstattung ausmacht.
1.6
Die Lachnummer
Innerhalb des Rollenklischees die ‚Lachnummer’ dient der Mensch mit Behinderung dem Rezipienten als Objekt der Belustigung, was nach Barnes Menschen mit Behinderung die Möglichkeit nimmt, innerhalb der Gesellschaft ernst genommen zu werden (vgl. Barnes 1992, 14). Im Rahmen dieser Untersuchung konnte kein einziger Artikel dem Rollenklischee ‚Lachnummer’ zugeordnet werden. Dies legt den Schluss nahe, dass sich dieses Bild innerhalb der Presseberichterstattung grundsätzlich nicht findet, was im Übrigen auch für das Medium Fernsehen in der heutigen Zeit gilt (vgl. Bosse 2006, 189). Weder quantitativ noch qualitativ-assoziativ konnten Belege für diese stereotype Sichtweise von Menschen mit Behinderung entdeckt werden. Inwieweit dieses Klischee je innerhalb der hier betrachteten Medien vorhanden war, kann aufgrund fehlender Informationen nicht beantwortet werden. 137 Bis zu seinem Tod im Oktober 2004 wurde Reeve in insgesamt 29 Artikeln erwähnt, was einem Anteil von 2,2 % der gesamten Berichterstattung mit Haupt- oder Nebenthema Behinderung bis Ende 2005 entspricht.
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VI Qualitative Ergebnisse
Zudem könnten auch der Ausschluss satirischer Texte (vgl. Kapitel IV 2) und das Fehlen von Bildmaterial der in den Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Comics zumindest theoretisch dafür verantwortlich sein, dass sich keine Indizien für eine derartige Darstellung finden ließen.
1.7
Der Unangepasste und Verbitterte
Theoretisch wird das Bild des unangepassten und verbitterten behinderten Menschen als Sichtweise beschrieben, bei der die Person nicht gelernt hat mit ihrer Behinderung umzugehen und sich selbst bemitleidet (vgl. Barnes 1992, 14; Longmore 2001, 7; Longmore 1987, 70; Nelson 1994a, 8). Die quantitative Basis für diese Art von Rollenklischee ist relativ gering, da Selbstmitleid und negative Gefühle behinderter oder eingeschränkter Personen, im Gegensatz zu anderen Perspektiven, selten thematisiert werden (vgl. Abb. 31 in Kapitel V 5.1). Zudem sind grundsätzlich negative Gefühle oder auch Selbstmitleid im Kontext von Behinderung und Einschränkung für Menschen, die nicht betroffen sind, durchaus nachvollziehbare Emotionen, deren Verneinung eine ebenso wenig realistische Darstellung ermöglichen würde wie deren Überbetonung. Es stellt sich also die Frage, ob man überhaupt von einer klischeehaften Rollenvorstellung sprechen kann, wenn die quantitativ empirische Basis so gering ist und nur einen sehr kleinen Teil der Berichterstattung ausmacht. Vor diesen Überlegungen müsste man auf alle Fälle konstatieren, dass das Bild des unangepassten oder verbitterten behinderten Menschen innerhalb der Presse eigentlich nicht präsent ist. Für das Klischee vom Prinzip her passend ist innerhalb des ganzen Spektrums an Artikeln zum Beispiel das Porträt „Die Welt sieht anders aus, wenn du im Rollstuhl sitzt“ in der Süddeutschen Zeitung (Süddeutsche Zeitung 20.10.2001, ROM7). Der Artikel unterscheidet sich in der Konstanz der Grundstimmung von den meisten anderen Artikeln, in denen behinderte Menschen über ihre eigenen Emotionen berichten. Wie auch durch die quantitativen Ergebnisse bestätigt (vgl. Kapitel V 5.1), herrschen hier eher positive Gefühle wie Zuneigung und Wohlbefinden vor. Abneigung, Unbehagen und Selbstmitleid finden sich seltener und sind eigentlich nur im erwähnten Porträt dominante Emotionen. Das Leben der Hauptperson Peggy wird hier von Unzufriedenheit über den eigenen Körper, von Trauer über die Situation und von Selbstmitleid geprägt dargestellt. Die Hauptperson „hasst ihren Bauch“, fühlt sich „hässlich“, „hilflos“, „schwach“ und „elend“. Die Autorin berichtet immer wieder von Begebenheiten, in denen Peggy weint. Einerseits aus grundsätzlicher Trauer über ihre Situation („Sie sitzt und weint stundenlang“), andererseits aus Hilflosigkeit in bestimmten
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Situationen („Sie geriet in Panik, weil sie nichts machen konnte. Peggy saß in ihrem Rollstuhl auf einem Felsen und weinte bitterlich“) (vgl. ebd.). Bereits zu Beginn des Artikels nach der Schilderung des Unfalls wird von Alpträumen der Hauptperson berichtet, während sie im Koma liegt. Das beschriebene Verhältnis zu Mann und Kindern wirkt angespannt. Im Laufe des Textes werden immer wieder Situationen geschildert, in denen ein eher belastendes Verhältnis der Familie untereinander aufgezeigt wird. Als besonders bedrückend für Peggy werden auch die aufmunternden Äußerungen der Umgebung dargestellt. Für sie ist der Ausspruch der Nachbarinnen „du kannst doch alles“ ein Zeichen von Gleichgültigkeit für ihre Situation und mehr kränkend als aufmunternd (vgl. ebd.). Wie bereits erwähnt ist der hier beschriebene Text, was die Grundstimmung anbelangt, in der Form einzigartig. Andere Artikel, die auch die Gefühlssituation und die Probleme von Menschen mit erworbenen Behinderungen beschreiben, sind in der Stimmungslage ausgeglichener (vgl. Focus 04.03.2002, 70) und nicht so einseitig pessimistisch wie der gerade erläuterte Artikel. Die Frage, die sich stellt, ist, kann man in diesem Fall von einem stereotypen oder klischeehaften Rollenbild sprechen. Der vorgestellte Artikel der Süddeutschen Zeitung erfüllt in der Art seiner qualitativen Darstellung sicherlich die Kriterien, die einem Bild des behinderten Menschen als unangepasst und verbittert entsprechen. Allerdings spricht die Häufigkeit einer derartigen Porträtierung keineswegs dafür, dass es sich dabei um ein klassisches Klischee handelt, welches in der Presse vertreten ist. Zudem stellt sich die Frage, warum positive Gefühlsdarstellungen im Kontext Behinderung überhaupt überwiegen müssten und ob eine insgesamt ausgeglichenere Beschreibung positiver und negativer Emotionen eher der Realität entsprechen würde. Betrachtet man die Selbstdarstellung von Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen unter Berücksichtigung aller Aspekte, würde man wohl eher vom Stereotyp des „Glücklichen, Selbstbewussten und Willensstarken“ sprechen müssen (vgl. Bild 30.11.2005, 10; 12.05.2004, 7; 17.01.2003, 5; Stern 27.12.2001, 97) als vom unangepassten und verbitterten Menschen mit Behinderung.
1.8
Die Belastung
Dieses Rollenklischee stellt Menschen mit Behinderung als unselbstständig, hilflos und somit als Belastung für sich und ihr Umfeld dar. Dabei wird in der Regel auch auf die Notwendigkeit von Unterstützung und Hilfe hingewiesen (vgl. Barnes 1992, 15). Die Charakterisierung von behinderten Menschen als hilflos oder abhängig findet sich häufiger innerhalb der hier untersuchten Presseberichterstattung (vgl.
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VI Qualitative Ergebnisse
Tab. 42 in Kapitel V 5.3). Insgesamt kommt es in vielen Texten zu Aussagen über Lasten und Belastungen von Familien und dem nahen sozialen Umfeld von behinderten Personen aufgrund deren Bedürfnisse und Einschränkungen. Diese Sichtweise ist nicht nur was die Charakterisierung von Menschen mit Behinderung anbelangt eng mit der stereotypen Darstellungsform des „Bedauerns- und Bemitleidenswerten“ (vgl. Kapitel III 3.1.1 und Kapitel VI 1.1) verbunden, sondern bildet im Prinzip sogar dessen Ausgangsbasis. Dient in der Vorstellung des behinderten Menschen als bedauerns- und bemitleidenswert die Beschreibung der Person noch zum Aufruf für eine karitative Handlung, erfolgt im Kontext des klischeehaften Bildes als Belastung nur eine Schilderung der Situation und auch eine Charakterisierung des unmittelbaren Umfeldes der Person. Das Leben des ebenfalls thematisierten Umfelds ist ohne wenn und aber auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der behinderten Person ausgerichtet. Auch das im Kontext Gewaltopfer beschriebene Bild des Menschen mit Behinderung als „better off dead“ (vgl. Kapitel VI 1.2) hat seinen Ursprung in der Darstellung des Menschen mit Behinderung als Belastung, was die grundsätzliche Beschreibung der Person anbelangt. Das Problem der Darstellung des Menschen mit Behinderung als Belastung liegt nicht so sehr in der einseitigen Charakterisierung, sondern vielmehr in der damit verbundenen Instrumentalisierung der behinderten Personen zur Thematisierung der Aufopferungsbereitschaft der Umgebung (vgl. Nelson 1994a, 9). Der Artikel „Geliebtes behindertes Kind“ in der Süddeutschen Zeitung ist ein konkretes Beispiel für das hier beschriebene Rollenbild (vgl. Süddeutsche Zeitung 17.12.2005b, 48). Auch wenn der Text auf der gleichen Seite von einer Spendenaufforderung begleitet wird (vgl. ebd. 17.12.2005a, 48), ist innerhalb dieses Beitrags zunächst die Belastung der bestimmende Inhalt. Bereits zu Beginn heißt es hier „die Diagnose irreversibler Schäden bei Sohn oder Tochter treibt die Familien oft an den Rand des Abgrunds“ (Süddeutsche Zeitung 17.12.2005b, 48), womit dem Leser sofort klargemacht wird, dass die Situation mit einem behinderten Kind äußerst belastend für das nahe soziale Umfeld ist. Im weiteren Verlauf des Textes werden zwei Fallbeispiele angeführt, wobei der Fokus auf der Betrachtung der Lebenssituation der Mütter der behinderten Kinder liegt. Das erste Fallbeispiel beschreibt die Situation von Frau B., deren Sohn Jonas einen nicht weiter erläuterten Gendefekt aufweist. Das Ende des ersten Abschnitts leitet mit der von Frau B. formulierten Möglichkeit zur Beendigung ihres eigenen und dem Leben des Kindes („’Gegen einen Baum fahren. Dann wäre die Gesellschaft uns los’“), verschiedene Beschreibungen der belastenden Situation und der Abhängigkeit („füttern“, „wickeln“) von Jonas ein. Neben Schwierigkeiten bei Bewerbung und Jobsuche wird auch kurz auf den Bruch der Familien hingewiesen („dann geht der Vater“) (vgl. ebd.). Auch bei
1 Rollenklischees
291
den Ausführungen zum zweiten Fall, Jenny, einem Mädchen mit Rett-Syndrom, wird der Fokus ebenfalls stark auf die Beschreibung der Situation und die Lage der Mutter Frau D. gelegt. Neben einer kurzen Betrachtung der Kompetenzen von Jenny (kann nicht sprechen, muss mit zwölf Jahren noch gewickelt werden), die ihre Abhängigkeit von der Mutter verdeutlichen, kommt vor allem die schwierige finanzielle Lage zur Sprache, was durch Anmerkungen wie „doch das Geld fehlt“, „ist für sie sogar gebraucht unerschwinglich“ verdeutlicht wird. Ähnliche Aussagen sind zwar im ersten Fall auch Teil der Beschreibung („eine Entlastung, die sich Susanne B. eigentlich nicht leisten kann“), was insgesamt aber nicht so dominant herausgestellt wird (vgl. ebd.). Hier zeigt sich auch schon die Nähe oder die mögliche Veränderung des Rollenbildes von der Belastung hin zum Mitleid, da man dies schon implizit als Aufforderung zur Unterstützung ansehen könnte, für die sich zusätzlich auf derselben Seite noch ein unmittelbar damit verknüpfter Artikel unter Angabe eines Spendenkontos findet (vgl. Süddeutsche Zeitung 17.12.2005a). Charakteristisch für das dargestellte Rollenbild ist auch die Beschreibung der Mütter, die als besonders aufopferungsbereit dargestellte werden, was sich an Textsellen wie „bis ihr die Schmerzen im Rücken Tränen in die Augen trieben. Auf 54 Kilo war sie abgemagert und mit den Nerven […] am Ende“ oder „früher schleppte sie ihre Tochter im Fahrradanhänger die Waldwege hinauf“ (Süddeutsche Zeitung 17.12.2005b) deutlich erkennen lässt. Sowohl Frau B. als auch Frau D. werden so als Personen charakterisiert, die trotz widrigster Umstände (finanziell, familiär) für ihr behindertes Kind bedingungslos alles tun. Die Darstellung von Menschen mit Behinderung als Belastung findet sich nicht immer in so ausgeprägter Form in den Artikeln wieder, auch die Anzahl der dem stereotyp genau entsprechenden Artikel ist gering. Interessanterweise veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung, deren eben erläuterter Artikel größtenteils ein Musterbeispiel für die hier beschriebene Klischeerolle ist, im Rahmen der Adventskalenderaktion einen Kommentar mit dem Titel „Ein Werk der Solidarität“, der die negativen Konsequenzen (Sterbehilfe, Prävention durch Abtreibung) einer reinen Leidensvorstellung des Lebens behinderter Menschen aufzeigt (vgl. Süddeutsche Zeitung 02.12.2000, 57). Der Artikel Instrumentalisiert aber leider diese Vorstellung dann doch, um für finanzielle und materielle Unterstützung zu werben, ohne zu realisieren, dass der Ausgangspunkt, also die Darstellung des Lebens von Menschen mit Behinderung als nur belastend und leidend die Ausgangssichtweise einer zweiseitigen Medaille ist, die sich nur in ihren Konsequenzen („Erlösung“ oder „Unterstützung“), nicht aber in ihren grundsätzlichen Darstellungsmustern unterscheidet.
292 1.9
VI Qualitative Ergebnisse
Der A-Sexuelle und sexuell Andersartige
Im Kontext Sexualität werden zwei Rollenmuster theoretisch beschrieben. Einerseits das der a-sexuellen behinderten Person, andererseits das des sexuell andersartigen Menschen mit Behinderung. Das erste Rollenklischee lässt sich dabei weniger selbst finden, sondern wird eher durch eine mediale Tabuisierung des Themas konstituiert. Dies gilt nach Barnes vor allem bei Frauen mit Behinderung (vgl. Barnes 1992, 16). Neben diesem Muster besteht auch die Möglichkeit, dass wenn es überhaupt zu einer Beschreibung der Sexualität von Menschen mit Behinderung kommt, diese vor allem bei kognitiven Einschränkungen als unnormal und abnorm dargestellt wird (vgl. Barnes 1992, 17). Bei der Analyse der Texte konnte festgestellt werde, dass das Thema Behinderung und Sexualität nicht grundsätzlich tabuisiert wird. Es taucht sowohl in einigen Artikeln als Hauptthematik auf (vgl. Süddeutsche Zeitung 20.12.2003, ROM 3; 17.09.2003, 12; 20.11.2001, V2/13; 16.09.2000, ROM6) als auch als Thematik in Interviews oder Porträts (vgl. Bunte 13.02.2002, 98f.; Stern 02.01.2004, 122), insgesamt also in wahrnehmbarer Häufigkeit. Innerhalb der Süddeutschen Zeitung finden sich die meisten Artikel in diesem Kontext. Von einer grundsätzlichen Beschreibung behinderter Menschen als asexuell kann also nicht gesprochen werden. Allerdings gibt es trotzdem innerhalb einiger Artikel Hinweise wie „ich kann nie Sex haben“ (Focus 20.08.2001, 66) oder „erneut wird ihm klar, was er längst weiß, dass sein Hunger nach Zärtlichkeit, nach Sexualität nie gestillt werden kann“ (Der Spiegel 11.06.2001, 84), die dem Leser suggerieren, dass insbesondere mehrfachbehinderte Menschen kein Sexualleben haben. Ähnliches gilt auch für Frauen mit Einschränkungen, über deren Sexualität nur höchst selten gesprochen wird. Wird Sexualität ausführlicher behandelt, geht es um die behinderte Frauen als Opfer von Sexualstraftaten (vgl. Süddeutsche Zeitung 20.01.2001, ROM6). Selbst Artikel, die sich sehr detailliert mit der Thematik Sexualität und Behinderung beschäftigen, wie die Reportage „Am Kran – und doch wie in den Wolken“, blenden weibliche Sexualität in dem Zusammenhang vollkommen aus. Alle hier beschriebenen Fallbeispiele setzen sich nur mit Männern auseinander, die meist einen Kontaktservice nutzen (vgl. Süddeutsche Zeitung 16.09.2000, ROM6). Diese Ausblendung der weiblichen Sexualität wird in einem veröffentlichten Leserbrief auch kritisch angemerkt (vgl. Süddeutsche Zeitung 26.09.2000, 15). Für mehrfacheingeschränkte und weibliche Personen scheint das Rollenbild des asexuellen Menschen mit Behinderung in der Presse also durchaus präsent zu sein. Abschließend bewerten lässt sich der Sachverhalt jedoch nicht, da keine grundsätzlichen Informationen darüber vorhanden sind, inwieweit Sexualität innerhalb der Berichterstattung der Zeitungen und Zeitschriften überhaupt eine Rolle spielt.
1 Rollenklischees
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Für das zweite Rollenbild im Kontext Sexualität zeigen die quantitativen Ergebnisse bereits erste Anhaltspunkte, die vor allem einen Zusammenhang zwischen Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Sexualstraftaten vermuten lassen (vgl. Tab. 23 in Kapitel V 2.3). In beinahe allen Nachrichten oder Artikeln, bei denen Menschen mit Behinderung die Täter im Zusammenhang mit Sexualdelikten sind, erfolgt ein Verweis auf ihre kognitive Einschränkung. Dies wird durch Begriffe wie „geistig behindert“ (Bild 27.08.2005, 9, 24.10.2002, 3), „Intelligenzminderung“ (Bild 14.10.2004, 10) oder „geistig zurückgeblieben“ (Bild 15.07.2005, 6; 23.10.2002, 6; 20.04.2001, 7) zum Ausdruck gebracht. Vor allem innerhalb der Boulevardzeitung Bild sind die verwendeten Personenbezeichnungen für die Täter ähnlich wie beim Rollenbild des unheimlichen und bösen Menschen mit Behinderung (vgl. Kapitel VI 1.3) sehr negativ. Größtenteils überschneiden sich die Artikel hier auch, weil in sehr vielen der beschriebenen Fälle Mord einer Sexualstraftat folgte. Auch innerhalb dieses inhaltlichen Kontextes ist ähnlich wie in Kapitel VI 1.3 die Berichterstattung bei den Nachrichtenmagazinen und bei der Süddeutschen Zeitung von Grund auf sachlicher (vgl. Süddeutsche Zeitung 23.03.2004, 11) als die der Boulevardzeitung Bild, indem auch bei der Beschreibung der Täter auf sachlichere Sprache geachtet wird, auch wenn Der Spiegel in einem Artikel „debil“ als völlig veraltete und diskriminierende Beschreibung verwendet (vgl. Der Spiegel 26.03.2005, 60). Zumindest die Darstellungen der Bild entspricht also im Wesentlichen dem was innerhalb dieser stereotypen Vorstellung auch theoretisch beschrieben wird. Insgesamt lässt sich also sagen, dass beide Ausprägungen der Rollenbilder im Kontext Sexualität innerhalb der Presse zu finden sind. Dem Rezipienten wird einerseits durch die Abwesenheit der Berichterstattung über Sexualität insbesondere bei behinderten Frauen und bei schwermehrfacheingeschränkten Personen durchaus ein Bild von behinderten Menschen als asexuelle Individuen vermittelt, denn nur das, was medial Beachtung findet, ist für die breite Masse in diesem Kontext auch existent (vgl. Kapitel I 1.4). Der an die Rezipienten vermittelte Zusammenhang zwischen Sexualität und Behinderung ist also in sehr vielen Fällen nicht durch Berichte über als normal erachtete sexuelle Bedürfnisse geprägt (eine Ausnahme bildet hier sicherlich die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, die sich dem Thema häufiger widmet), sondern fast ausschließlich in ein bipolares Schema eingeordnet, dass Menschen mit Behinderung eine Täter- oder Opferrolle zuordnet, wobei die Täterrolle vor allem bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen sehr präsent ist. Auf Basis der Wirkungstheorien (vgl. Kapitel I 1.4) wäre es also kein Wunder, wenn sich aufgrund einer relativ konstant wiederholenden Berichterstattung Zusammenhänge zwischen kognitiver Einschränkung und sexueller Abnormität bei den Rezipienten verfestigen und so ein ganz bestimmtes und klar negativ geprägtes Bild insbesondere
294
VI Qualitative Ergebnisse
von kognitiv eingeschränkten Personen entsteht. Vor allem die Masse an Berichten in der Bild könnte dazu führen. Andererseits wird auch hier in der Regel über Ereignisse berichtet, die sich tastsächlich zugetragen haben.
1.10
Der Unfähige
Das stereotype Bild des unfähigen Menschen mit Behinderung wird theoretisch entweder dadurch beschrieben, dass Menschen mit Behinderung innerhalb der massenmedialen Berichterstattung nicht als für die Gesellschaft bedeutende Personen dargestellt werden (vgl. Barnes 1992, 17), oder eine Berichterstattung erfolgt, die die Person als unfähig beschreibt, ein erfolgreiches Leben zu führen und in erster Line die Behinderung in den Mittelpunkt stellt (vgl. Nelson 1994a, 9). Als Basis dieses Rollenklischees müssten sich Indizien dafür finden lassen, dass Menschen mit Behinderung als unfähig und inkompetent in der Presse repräsentiert werden. Die quantitativen Ergebnisse zeigen hier, dass zwar auf basaler Ebene häufig von Inkompetenzen berichtet wird, auf der Ebene von Alltäglichem oder Herausragendem aber überwiegend Kompetenzen der Personen beschrieben werden (vgl. Abb. 34 und Abb. 35 in Kapitel V 5.2). Auch die Betrachtung der Berufsbilder innerhalb der quantitativen Ergebnisdarstellung (vgl. Tab. 40 in Kapitel V 4.2) zeigt, dass Menschen mit Behinderung in der Darstellung der Presse aktive Mitglieder der Gesellschaft sind, die vielfältige und wichtige Professionen bekleiden. Ein wesentlicher Aspekt des Klischees, der sich auf das nicht Vorhandensein wichtiger gesellschaftlicher Rollen bezieht, kann also keinesfalls bestätigt werden. Auch werden Menschen nicht einseitig als unfähig und wenig erfolgreich dargestellt, wenn Darstellungen von Hilfsbedürftigkeit und Erfolglosigkeit erfolgen, dann eher passend zu einem Rollenbild des bedauerns- und bemitleidenswerten oder belastenden Menschen mit Behinderung. Nach Barnes taucht dieses Rollenbild auch oft implizit in Interviews auf, indem behinderte Menschen nur als Experten in eigener Sache auftreten (vgl. Barnes 1992, 17). Die qualitative Betrachtung zeigt, dass wenn behinderte Menschen interviewt werden, die Thematik Behinderung dabei schon fast immer aufgegriffen oder zum Teil im Mittelpunkt steht. Selten ist hingegen, dass eine Behinderung durch den Journalisten überhaupt nicht thematisiert wird und somit in den Hintergrund tritt, wie bei einem Interview mit dem Baritonsänger Thomas Quasthoff unter dem Titel „Cool – ein furchtbares Wort“ im Nachrichtenmagazin Spiegel (vgl. Der Spiegel 26.03.2005, 174f.). Im Großen und Ganzen erfolgt weder eine Reduzierung noch Überbetonung der Expertenrolle im Kontext Behinderung, man könnte auch Behindertenrolle sagen, die wie bereits erwähnt häufig thematisiert, aber in den seltensten Fällen das einzig bestimmende Thema ist.
1 Rollenklischees
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Unfähigkeiten finden sich zwar innerhalb der Presse, aber die Darstellung entspricht weitestgehend nicht der theoretischen Beschreibung von Barnes (vgl. Barnes 1992, 17f.) und Nelson (vgl. Nelson 1994a, 9). Die Repräsentation und Charakterisierung von Menschen mit Behinderung in den Artikeln innerhalb jeder Zeitung oder Zeitschrift sind grundsätzlich sehr heterogen. Auch wenn das Thema Behinderung in vielen Beschreibungen, Charakterisierungen und Gesprächen mit den jeweiligen Personen eine Rolle spielt, treten Menschen mit Behinderung nicht nur als Experten ihrer eigenen körperlichen Einschränkung, sondern auch in anderer Kontexten wie Politik, Sport oder Musik als wichtige Persönlichkeiten auf, weshalb sicherlich nicht von einem Stereotyp der Unfähigkeit gesprochen werden kann, wenn es darum geht, ein erfolgreiches Leben zu führen. Zwar finden sich wenige Fälle, in denen Behinderung überhaupt keine Rolle in der Berichterstattung spielt, dafür könnte der Grund aber auch in der Recherche liegen, bei der der Terminus Behinderung ja eine zentrale Rolle gespielt hat (vgl. Kapitel IV 2). Artikel, die dies nicht erwähnen, wurden mithilfe der Recherche vielleicht auch nicht gefunden, sofern sie nicht thematisch im Bereich Behinderung eingeordnet waren.
1.11
Der Normale
Die klischeehafte Rolle des „normalen“ Menschen mit Behinderung wird durch Barnes als eine Art Quotenregelung beschrieben. Innerhalb von Film, Fernsehen und auch in der Werbung werden Menschen mit Behinderung dargestellt, die für die Handlung keine große Bedeutung haben. Sie tauchen auf, damit auch ein Mensch mit Behinderung dabei ist (vgl. Barnes 1992, 18). Versucht man dieses Bild auf die hier durchgeführte Untersuchung zu übertragen, bildet die Rolle der Person mit Behinderung innerhalb der Artikel einen Ansatzpunkt. In jedem Artikel wurde festgestellt, ob Behinderung ein Hauptoder Nebenthema ist beziehungsweise die Person mit Behinderung inhaltlich eine Haupt- oder Nebenrolle spielt oder nur erwähnt wird (vgl. Variable 1-5 im Anhang 1). Da die Personen innerhalb dieses Rollenklischees für den Inhalt wenig bis keine Bedeutung haben, wären maximal Nebenrollen eine mögliche Ausgangsbasis für diese Art der Darstellung. Falls es zu einer Beschreibung der Person kommt, müsste diese zusätzlich auch noch sehr oberflächlich sein (vgl. Kapitel III 3.1.11). Quantitativ wurden in der Untersuchung 266 Artikel gekennzeichnet, bei denen eine Person mit Behinderung oder Behinderung nur erwähnt wurde, und 337, bei denen Behinderung als Nebenthema oder Nebenrolle aufgegriffen wurde. Betrachtet man die Artikel intensiver, dann erfüllt Behinderung oder die dargestellten Personen mit Behinderung eine bestimmte Funktion, die
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VI Qualitative Ergebnisse
neben vielen anderen Möglichkeiten zum Beispiel dazu dient, die Hauptperson(en) des Artikels in einer bestimmten Weise zu charakterisieren. Dies führt im Kontext einer qualitativen Bewertung dazu, dass die Rolle der Person innerhalb dieser Artikel, je nach Charakterisierung, vielleicht die eines bedauerns-, bemitleidenswerten oder auch belastenden Menschen ist, ohne alle theoretisch möglichen Merkmale derartiger Rollenklischees aufzuweisen. Dies zeigt auch schon das Grundproblem der Übertragung dieser Rollenvorstellung auf das Massenmedium Presse. Innerhalb von Artikeln werden meist nur Personen erwähnt oder beschrieben, die eine tatsächliche Bedeutung für die Handlung, den Inhalt oder die Botschaft des Artikels haben. Eine Darstellung im Sinne einer bestimmten Quote, wie dies im Fernsehen oder vielleicht auch der Werbung möglich ist, lässt sich deshalb hier eigentlich nicht identifizieren. Außer bei sehr ausführlichen Porträts sind die Darstellungen aller Personen, nicht nur derer mit Behinderung, immer in gewisser Weise oberflächlich, was eigentlich der theoretischen Beschreibung dieses Klischees durch Barnes entspricht (vgl. Kapitel III 3.1.11). Vor allem bei Nachrichten, und diese machen einen Großteil der Berichterstattung aus (vgl. Tab. 14 und Tab. 15 in Kapitel V 1.3), steht dabei aus journalistischer Sicht der Inhalt, und dies ist in den seltensten Fällen eine Charakterisierung der Person, im Mittelpunkt. Ein derartiges Rollenbild existiert unter Bezugnahme auf die dargestellten Faktoren innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse nicht.
1.12
Zwischenfazit
Innerhalb der Presse lassen sich im Untersuchungszeitraum typische Beispiele der für die Massenmedien beschriebenen Rollenklischees (vgl. Kapitel III 3.1) entdecken. Jedoch sind nicht alle diese Klischees grundsätzlich innerhalb der Presse oder im Rahmen jedes untersuchten Presseerzeugnisses vorhanden. Manche der Rollenbilder, wie zum Beispiel „der Normale“, „der Unfähige“ oder „die Lachnummer“, lassen sich in der Presse nicht nachweisen. Äußerst selten, aber im Einzelfall zu finden, sind die Klischees des „Unangepassten und Verbitterten“ und „des Exotischen“. Grundsätzlich werden diese Rollenbilder also durch die Presse nicht vermittelt, weil sie nicht in der für eine tatsächliche Wirkung notwendigen Häufigkeit und Regelmäßigkeit auftauchen (vgl. Kapitel I 1.4). Allenfalls ist eine Verstärkung bestimmter ohnehin schon vorhandener stereotyper Vorstellungen aufseiten des Rezipienten denkbar, die durch diese vereinzelten Beispiele oder in die Richtung tendierende Hinweise innerhalb anderer Artikel bestätigt werden könnten.
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Im Kontext von Rollenbildern, die mit Sexualität im Zusammenhang stehen, gibt es wenige Hinweise für das Bild des asexuellen behinderten Menschen. Vor allem die Süddeutsche Zeitung thematisiert Sexualität und Behinderung. Zudem erscheint Sexualität als Nebenthematik oder in Erwähnungen auch in anderen Presseerzeugnissen. Hinweise auf ein Rollenbild lassen sich in diesem Zusammenhang am ehesten mit behinderten Frauen finden, deren Sexualität nur sehr selten angesprochen wird. Anders bei der Ausprägung des „sexuell Andersartigen“. Hier zeigen einige Berichte und Nachrichten, hauptsächlich in der Boulevardzeitung Bild, einen Zusammenhang zwischen kognitiver Einschränkung und sexueller Andersartigkeit oder Gewalttätigkeit im sexuellen Kontext. Die Charakterisierung der Personen ist dabei zum Teil den Artikeln ähnlich, die über Menschen mit Behinderung als Täter in Straftatbeständen berichten. Die Bild richtet in einigen Artikeln ihren Fokus stark auf die Äußerlichkeiten dieser Personen und auch die anderen Kennzeichen dieser Artikel entsprechen den Rollenbeschreibungen unheimlicher, böser und krimineller Menschen mit Behinderung (vgl. Kapitel III 3.1.3). Auch hier sind es vor allem Personen mit kognitiven Einschränkungen, die im Kontext dieser Nachrichten als Täter auftauchen. Allerdings ist dies nicht bei allen Artikeln der Fall und der Umgang der Süddeutschen Zeitung und der Zeitschriften mit dem Thema behinderte Straftäter, auch im Kontext von Sexualstraftaten, ist sachlich, neutral und nicht emotional eingefärbt. Dem Rollenklischee des unheimlichen und bösen oder sexuell andersartigen behinderten Menschen entsprechende Beispiele lassen sich also nur vereinzelt entdecken. Die übrigen klischeehaften Rollenbilder treten in bestimmten Ausprägungen deutlich wahrnehmbarer innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse auf. Dabei kann festgestellt werden, dass die Boulevardzeitung Bild in manchen Kontexten zu einer Beschreibung der Personen tendiert, die klischeehafte Rollenvorstellungen beim Rezipienten fördern, weil die Darstellung je nach Zusammenhang in eine bestimmte Richtung emotionalisiert erfolgt. Dabei ist sie aber nicht grundsätzlich das einzige Erzeugnis, das sich einer derartigen Emotionalisierung bedient. Die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel tut dies in bestimmten Zusammenhängen auch, allerdings nicht in der Konstanz. Bei der Analyse fiel zudem auf, dass sich die Beschreibungen innerhalb verschiedener Rollenbilder sehr stark ähneln und erst durch die geschilderten Handlungen oder Handlungsvorschläge die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Rollenmuster abschließend definiert wird. Die Darstellung der innerhalb der Artikel handelnden Personen mit Behinderung ähneln sich bei den Klischees „der Bedauerns- und Bemitleidenswerte“, „die Belastung“, „das Gewaltopfer“ sowie dessen Ausprägung „better off dead“ zum Teil sehr stark. Leid und Mitleid mit der Person und die Beschreibung von Hilfsbedürftigkeit, Hilflosigkeit, Unselbstständigkeit und Abhängigkeit sind dabei die Ausgangsbasis für alle drei Rollenbilder (vgl. Abb. 46).
298
VI Qualitative Ergebnisse
„Gewaltopfer“
„Opfer“ „Betteroff Dead“
„BedauernsͲ undBemitleiͲ denswert“
„Superkrüppel“
„Belastung“
Abbildung 46: Klischeehafte Rollenbilder in der Presse mit sich teilweise überschneidenden oder gegenteiligen Charakterisierungen der handelnden Personen mit Behinderung. Weiter in die Abbildung integriert ist das Rollenbild des „Superkrüppels“. Kompetenz und Selbstständigkeit beschreiben hier in Verbindung mit einer positiven Charakterisierung mit erwünschten Eigenschaften fast das genaue Gegenteil der anderen in der Abbildung skizzierten Rollenklischees. Wie bereits erwähnt kommen alle diese Rollenbilder innerhalb der hier untersuchten Presseerzeugnisse vor. Die Übergänge zwischen den drei in der Mitte dargestellten Vorstellungen sind dabei zum Teil fließend. Als bedauerns- und bemitleidenswert werden Menschen mit Behinderung neben den eigenen Sparten für Wohltätigkeit in der Bunten, der Super Illu oder der Bild auch in der Süddeutschen Zeitung porträtiert, deren Charakterisierungen wie die Textbeispiele zeigen in diesem Zusammenhang besonders stark von Klischees beeinflusst wurden, ähnlich wie auch beim Rollenbild des Menschen mit Behinderung als Belastung. Beschreibungen, die dem Klischee des Menschen mit Behinderung als „better off dead“ entsprechen, finden sich in deutlicher Ausprägung nur in der Boulevardzeitung Bild. Andere Erzeugnisse gehen mit der Thematik Sterbehilfe wesentlich sensibler um. Ähnlich ist es auch beim Rollenbild der behinderten oder eingeschränkten Person als Opfer, welches ebenfalls, wie die quantitativen Ergebnisse auch schon vermuten ließen, innerhalb der Bild am häufigsten und auch am deutlichsten findet. Darstellungen die dem Stereotyp „Superkrüppel“ zugeordnet werden können, lassen sich hingegen je nach Ausprägung wieder in fast allen untersuchten Zeitungen und Zeitschriften nachweisen. Von den elf theoretisch vorgestellten und bekannten Rollenklischees von Menschen mit Behinderung können sechs in mindestens einer Ausprägung („der
2 Mechanismen der Presse
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Bedauerns- und Bemitleidenswert“, „das Gewaltopfer“ auch in der Ausprägung „better off dead“, „der Unheimliche und Böse“, „der Superkrüppel“, „die Belastung“ und „der Sexuell Andersartige oder Asexuelle“, wobei das Klischee asexuell nur für behinderte Frauen zutreffend ist), zwei in Einzelfällen („der Unangepasste und Verbitterte“ sowie „der Exotische“) und drei gar nicht nachgewiesen werden („die Lachnummer“, „der Unfähige“ und „der Normale“). Wichtig an dieser Stelle anzumerken bleibt, dass nicht jede Charakterisierung von Personen innerhalb der Presse einem der hier geschilderten klischeehaften Rollenbilder entspricht. Sehr viele tun dies überhaupt nicht. Nicht jedes Klischee oder jede Beschreibung ist an sich schon gefährlich. Die Probleme im Alltag einer behinderten Person zu zeigen, um zu Spenden zu animieren, mag unter Umständen sogar sinnvoll sein. Wer würde Spenden, wenn in dem Fall das Leben als leicht, unbeschwerlich und ohne Probleme dargestellt werden würde. Die Gefahr der Darstellung ist nicht das Bild, selbst sondern die Interpretation des Bildes und die Verknüpfung mit anderen Erfahrungen aufseiten des Rezipienten. Wenn alles, was dieser über Behinderung weiß, auf einem Rollenklischee des bedauerns- und bemitleidenswerten Menschen mit Behinderung beruht, dann wird dies in höchstem Maß sein generelles Bild von behinderten und eingeschränkten Personen beeinflussen. Das Bild, welches die hier untersuchten Presseerzeugnisse jedoch von Behinderung liefern, ist im Großen und Ganzen sehr viel heterogener und weniger einseitig, wie die beschriebenen Stereotypen vermuten lassen würden (vgl. III 3.1). Die Vorstellung der Rezipienten der Presse im Zusammenhang mit Behinderung müsste also sehr vielfältig und nicht immer klischeehaft geprägt sein. 2
Mechanismen der Presse
Neben den eben gerade anhand von Beispielen erläuterten Rollenbildern wurde auch versucht archetypische Textbeispiele für die in erster Linie durch Mürner beschriebenen Mechanismen der Massenmedien innerhalb der betrachteten Presseerzeugnisse zu finden und deren Vorkommen zu analysieren. Wie nach den Ausführungen von Mürner (vgl. Kapitel III 3.2) zu erwarten, zeigen sich viele von ihm aufgezeigte Mechanismen der Massenmedien unmittelbar mit bestimmten Rollenvorstellungen verknüpft, dazu gehören „Unglücksfälle und Verbrechen“, die „Prominentenmeldung“ und die „Betroffenheitsbezeugung“. Die in der Reihenfolge als Erstes betrachtet werden. Der beschriebene Mechanismus Unglücksfälle und Verbrechen erschließt sich im Kontext des Terminus Verbrechen durch das Rollenbild des unheimlichen, bösen und kriminellen Menschen mit Behinderung. Dabei neigt die Boule-
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VI Qualitative Ergebnisse
vardzeitung Bild am ehesten dazu, in dieses Muster zu verfallen, wenn auch nicht alle Artikel im Kontext von Verbrechen diesem Schema zugeordnet werden können. Beispiele und Erläuterungen hierzu finden sich bei der Beschreibung des Rollenbildes „der Unheimliche und Böse“ in Kapitel VI 1.3 und sollen deshalb hier nicht noch mal weiter erläutert werden. Der Kontext Unglücksfälle, der zumindest im Titel dieses Mechanismus auftaucht, wird von Mürner leider nicht näher beschrieben (vgl. Kapitel III 3.2). Innerhalb der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften lassen sich zwei verschiedene Arten von Unglücksfällen beobachten: Einerseits Unglücksfälle von Menschen mit Behinderung, andererseits Unfälle oder Unglücksfälle als Ursache von Behinderung und Einschränkung. Die Berichte und Verweise auf Unfälle als Ursache von Behinderung sind so zahlreich (195 Fälle) und heterogen, dass sie sich keinem gemeinsamen Mechanismus zuordnen lassen. Über Unglücksfälle oder Unfälle von behinderten Menschen finden sich allerdings recht wenige Berichte innerhalb der untersuchten Zeitungen und Zeitschriften. Der mit Abstand größte Anteil kann in der Bild festgestellt werden. Neben sachlichen Berichten über die Ereignisse erscheinen auch vereinzelt Darstellungen, bei denen die Einschränkung und die damit verbundenen Inkompetenzen in basalen Bereichen als Mitverursacher des Unfalls oder Unglücks dargestellt werden. Allerdings bilden hier zugehörige Artikel wie „Sie starb, weil sie den Zug nicht hörte“ (vgl. Bild 08.10.2004, 10) oder „In diesem Korb starb ein Kind“ (vgl. ebd. 04.08.2004, 3) eher die Ausnahme, weshalb es übertrieben wäre, von einem grundsätzlichen Muster zu sprechen. Ähnlich wie zuvor im Verbrechenskontext besteht auch zwischen der Prominentenmeldung und Formen der Darstellung beim Rollenklischee „Superkrüppel“ ein Zusammenhang. Das oben ausführlich diskutierte Beispiel von Christopher Reeve muss in diesem Zusammenhang nicht ein weiteres mal extra aufgeführt werden (vgl. Kapitel VI 1.5). Neben dem Aspekt von Berühmtheit und Edelstigma thematisiert Mürner in diesem Zusammenhang auch die Art der Darstellung im Umgang mit Gegensätzen zwischen Körper und Geist in der Presse (vgl. Mürner 2003b, 191), welche sich in der Presse bei Berichten über Steven Hawking finden (vgl. Focus 30.09.2001, 3; Süddeutsche Zeitung 17.10.2001, 3). Viel häufiger sind Gegensatzbeschreibungen aber zwischen dem sozialen Verhalten oder allgemeinen kognitiven Fähigkeiten und einem herausragenden Talent insbesondere im Zusammenhang mit Autismus beziehungsweise dem Savantsyndrom (vgl. Der Spiegel 22.09.2003, 74; Süddeutsche Zeitung 02.05.2003, 16). Die Art der Darstellung betont diesen Unterschied zwar und verdeutlicht dies dem Leser, der dadurch natürlich auch fasziniert werden soll. Die Art und Weise stützt weder in diesem noch im vorherigen Aspekt aber die Behauptung von Mürner, durch Überhöhung oder Verklärung Vorurteile zu verstärken. Die von ihm angeführten Beispiele aus der Süddeutschen Zeitung von 1993 und 1998
2 Mechanismen der Presse
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zeigen zumindest auf sprachlicher Ebene, was damit gemeint sein könnte („tragisches, in sich zusammengesunkenes Häuflein Fleisch mit Superhirn“; „Kleiderbügel“). Derartige Formulierungen sind aber in dieser Art zumindest nicht mehr in einer verwertbaren Häufigkeit in aktuelleren Darstellungen der hier untersuchten Presseerzeugnisse zu entdecken. Am ehesten könnte man dies noch von der Bildunterschrift „keine Muskeln, nur Hirn“ im Nachrichtenmagazin Focus (vgl. Focus 03.09.2001, 3) behaupten. Von einem grundsätzlichen Mechanismus lässt sich angesichts der nicht vorhandenen Häufigkeit solcher Formulierungen innerhalb des hier zugrunde liegenden Untersuchungszeitraums nicht mehr sprechen. Die Betroffenheitsbezeugung ist das letzte Muster, welches eine unmittelbare Verknüpfung zu einer klischeehaften Darstellung aufweist. Diesen Mechanismus, den Mürner anhand der „Aktion Mensch“ verdeutlicht (vgl. Mürner 2003b, 193), kann man im unmittelbaren Zusammenhang mit der Vermittlung des Klischees des bedauerns- und bemitleidenswerten Menschen mit Behinderung sehen (vgl. Kapitel VI 1.1 und Kapitel III 3.1.1), das im Wesentlichen dazu dient, implizit oder explizit zu einer karitativen Handlung aufzufordern. Wobei innerhalb der analysierten Printerzeugnisse im Unterschied zur „Aktion Mensch“ nicht das Motto „Helfen und Gewinnen“ im Vordergrund steht. Die Bandbreite an Artikeln reicht bei karitativen Handlungsmustern von sehr intensiven Beschreibungen der Personen und ihrer Umwelt, die ein sehr starkes Rollenbild transportieren (vgl. Kapitel III 3.1.1), bis hin zu Darstellungen, bei denen Behinderung oder die behinderten Personen nur beiläufig erwähnt werden. Innerhalb der Illustrierten Bunte finden sich zahlreiche Berichte über Veranstaltungen und Wohltätigkeiten von Berühmtheiten, die sich „betroffen“ zeigen, und über deren Spendenund Charitytätigkeiten (vgl. Tab. 57 in Kapitel V 7.2) teilweise in sehr kurzen Artikeln berichtet wird (Bunte 04.09.2003, S. 112; 21.08.2003, S. 106f.; 19.09.2002, S. 109.). Die Empfänger dieser Spenden treten in den Hintergrund und werden innerhalb dieser Berichte nicht weiter thematisiert. Manchmal werden sie nur in einem Nebensatz erwähnt. Vor allem hier erscheint der Mechanismus der Betroffenheitsbezeugung, weil Personen mit Behinderung objektiviert und als breite Masse gesehen werden. Weiterführende Informationen über die Projekte oder Spendenempfänger fehlen, womit der Fokus einzig und allein auf den Wohltätern liegt. Deren Großzügigkeit und vermeintliche Verantwortungsübernahme wird so propagiert. Das Bezeugen der Betroffenheit einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht ist das eigentliche Ziel dieser Artikel, die zumeist auf einer einseitigen Sichtweise von behinderten Menschen als bedauerns- und bemitleidenswerte Personen beruhen oder diese zumindest implizit transportieren. Als Menschen, Tiere, Sensationen bezeichnet Mürner einen Mechanismus der Presse, der durch die Berichterstattung über einen Skandal Veränderung
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VI Qualitative Ergebnisse
bewirken will. Er kritisiert hier vor allem die Darstellung, die er als leicht konsumierbar und auf vergessen hin ausgelegt sieht (vgl. Mürner 2003b, 191). Berichte über kleinere und größere Skandale oder Artikel, die auf Missstände hinweisen, finden sich zahlreich innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse. Diese entsprechen vereinzelt den Beschreibungen von Mürner. Die am stärksten emotionalisierten und kürzesten Artikel sind in der Boulevardzeitung Bild enthalten, aber auch in anderen Zeitungen und Zeitschriften gibt es zum Teil in dieses Muster passende Berichte. Dabei wird schon in der Überschrift etwas angeprangert und dann in einem sehr knappen Artikel weiter erläutert. „Regierung streicht Behinderten-Zuschüsse“ (Bild 16.03.2002, 2), was stellvertretend durch eine dritte Person als eine „echte Sauerei“ (ebd.) bezeichnet wird, „Flugkapitän wirf Behinderte aus dem Jet“ (Bild 28.07.2003, 8) oder „Rolli blitzt ab“ (Focus 20.09.2004, 16) sind archetypische Beispiele die man dieser Kategorie zuordnen kann. Grundsätzlich bildet dieser Typus von Artikeln aber eher die Ausnahme. Die Boulevardzeitung Bild neigt möglicherweise wegen ihrer ohnehin schon sehr kurzen Artikel (vgl. Abb. 22 in Kapitel V 1.2) zu einer minimalisierten Darstellung. Allerdings muss dies nicht notwendigerweise nur in einem behinderungsspezifischen Kontext der Fall sein, sondern gilt wohl grundsätzlich als Charakteristikum dieses Presseerzeugnisses. Von einem typischen Mechanismus im Kontext Behinderung zu sprechen wäre deshalb wahrscheinlich nicht richtig. Festzustellen bleibt allerdings, dass es Artikel gibt, deren Eigenschaften der Beschreibung durch Mürner entsprechen und deren Funktion eher die Befriedigung von Sensationslust und Neugier als die Vermittlung von sachlichen Informationen ist. Der Wissenschaftsreport berichtet von technischen Innovationen für Menschen mit Behinderung oder biologischen Erkenntnissen zur Bekämpfung ihres Entstehens (vgl. Mürner 2003b, 192). Bereits die quantitative Analyse der Themen hat gezeigt, dass innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse „Technik“ und „Wissenschaft“ im Kontext Behinderung eine Rolle spielen. Vor allem bei den Nachrichtenmagazinen liegen die Anteile dieser Themen an der Gesamtberichterstattung sehr hoch. Sowohl beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel als auch beim Focus lässt sich eines der beiden Themen unter den drei häufigsten finden (vgl. Tab. 17 in Kapitel V 2.1). Auch der Bereich „Medizin“, im Rahmen dessen zum Teil ebenfalls wissenschaftliche Erkenntnisse und damit verbundene Handlungsmuster dargestellt werden, wird innerhalb der untersuchten Presseerzeugnissen häufig thematisiert (vgl. Tab. 16 und Tab. 17 in Kapitel V 2.1). Der Vermutung, dass diese teilweise rein technisch, biologisch und medizinisch geprägte Betrachtung auch ein rein personenorientiertes Bild von Behinderung vermittelt, kann innerhalb der qualitativen Betrachtung zugestimmt werden. Allerdings zeigt die quantitative Auswertung ohnehin eine grundsätzliche Domi-
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nanz einer personenorientierten medizinisch-kausalen Sicht von Behinderung (vgl. Tab. 26 in Kapitel V 3.2), die nicht notwendigerweise nur mit den Themen „Medizin“, „Technik“ und „Wissenschaft“ verbunden sein muss. Die Gefahr von Artikeln wie „Das Geheimnis des Lebens“ (Bild 10.05.2000, 5), „Schritt für Schritt zum Erfolg“ (Stern 31.10.20002, 220), „Der Griff nach den Genen“ (Stern 29.06.2000, 58), „Hoffnung für Querschnittsgelähmte“ (Der Spiegel 24.05.2004, 142) oder auch „Stehe auf und gehe“ (Focus 28.08.2000, 104ff.) ist, dass sie trotz ihrer Absichten über wissenschaftliche Forschung die Ursachen bestimmter Syndrome oder Arten von Einschränkungen beziehungsweise Heilungsaussichten zu berichten, implizit ein eher distanziertes Bild zu den Personen mit Behinderung aufbauen. Kontakte, Interaktionen oder das Lösen alltäglicher Probleme stehen dabei nicht im Vordergrund. Dass Syndrome, Einschränkungen und Behinderungen Krankheiten sind, die eine rein körperliche Ursache haben und nur durch Behandeln des Körpers „geheilt“ werden können, ist eher die Botschaft dieser Artikel. Ein moderneres Verständnis der Komplexität des Gesundheitszustandes einer einzelnen Personen, wie zum Beispiel in der ICF zu sehen (vgl. Kapitel I 2.2), kann hier nicht entdeckt werden. Auch der Fokus der technischen Artikel ist eher depersonalisierend. Artikel wie „Der WunderRollstuhl von Superman“ (Bild 25.10.2003, 12), „Blinde sehen, Taube hören“ (Bunte 20.01.2000, 72), „Der Chip im Ohr“ (Süddeutsche Zeitung 21.03.2001, VP3/18), „Teleskop im Auge“ (Der Spiegel 28.07.2003, 128), „Elektronischer Blindenhund“ (Focus 24.07.2000, 114) oder „Sprechender Handschuh“ (Focus 11.08.2003, 92) stellen dabei voll und ganz das technische Gerät, die innovative wissenschaftliche oder erfinderische Leistung sowie die technischen Möglichkeiten und die Spezifikationen der Hilfsmittel in den Mittelpunkt. Dieser Mechanismus der Darstellung ist so vor allem innerhalb der Nachrichtenmagazine durchaus präsent. Die dabei beschriebenen Handlungsmodelle sind rehabilitativ, medizinisch, auslesend oder eher auf Hilfsmittel bezogen kompensatorisch. Kompensation ist auch das leitende Motiv der letzten von Mürner beschriebenen Art des medialen Umgangs mit Behinderung. Innerhalb der Kompensationsgeschichten geht es, wie der Name schon sagt, um die Kompensation der Behinderung. Dabei kann man aufgrund der Beschreibung Mürners zwei Arten aufzeigen. Zum einen handelt es sich dabei um die Kompensation auf personaler Ebene mithilfe eigener Sinne oder Talente. Ein Beispiel dafür wäre nach Mürner, dass die Darbietung eines einarmigen Pianisten so klingt wie die eines zweiarmigen (vgl. Mürner 2003b, 192). Zum anderen geht es nach in solchen Artikeln um die Kompensation von Behinderung durch technische Lösungen (vgl. ebd.). In dieser Studie als rehabilitativ und kompensatorisch bezeichnete Handlungsmuster mit einem personenbezogenen Fokus würden also im Vordergrund stehen. Dabei ergeben sich inhaltliche große Schnitt-
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VI Qualitative Ergebnisse
mengen zum bereits thematisierten Muster des Wissenschaftsreports, wobei die Ausrichtung dabei nicht mehr so wissenschaftlich und technisch ist. Verweise auf die Kompensation oder Rehabilitation als Handlungsmuster finden sich innerhalb der untersuchten Artikel zur Genüge. Sie bilden in der Beschreibung der Presse zentrale Handlungsmuster im Umgang mit Behinderung und Einschränkung (vgl. Tab. 29 und Tab. 30 in Kapitel V 3.3). Ein Teil des Mechanismus Kompensationsgeschichte steckt also in sehr vielen Artikeln und zum Teil sprechen Artikel, die gerade als Beispiel für Wissenschaftsreporte gebraucht wurden, dies schon in Überschriften wie „Blinde sehen, Taube hören“ (Bunte 20.01.2000, 72) oder „Stehe auf und gehe“ (Focus 28.08.2000, 104ff.) an. Das Motto darzustellen, wie Behinderung verschwindet, kann in dieser Ausprägung also durchaus als zentrales Darstellungsmuster der Presse betrachtet werden. Die eher personal oder eigenkompensativ orientierte Ausprägung, die zu Beginn des Absatzes als zweite mögliche Variante der Kompensationsgeschichte genannt wurde, findet sich ebenfalls innerhalb der Presse, wenn auch nicht in einem Umfang oder in einer Regelmäßigkeit, um von einem Mechanismus zu sprechen. Das Bild der Öffentlichkeit, dass sich zum Beispiel blinde Menschen durch ein außergewöhnliches Gehör auszeichnen, überaus musikalisch sind und sich mit Schall perfekt orientieren können, ist wohl eher durch die Filmindustrie geprägt und nach den vorliegenden Erkenntnissen weniger ein Presseprodukt (vgl. Degenhardt 1999, 74ff.; Hilgers 1999, 105ff.). In diesem Kontext soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch dieses Klischee eine wahre Basis hat wie der mittlerweile verstorbene Ben Underwood, zu sehen in zahlreichen Fernsehreportagen, oder Daniel Kish (vgl. Der Spiegel 18.11.2002, 190) zeigen, die sich mithilfe von Echolotung sicher in ihrer Umgebung bewegen können. Es gibt auch Berichte über blinde Menschen, die nur mit ihrem Gehör Videospiele spielen (vgl. Stern 31.07.2003, 124). Insgesamt sind diese Darstellungen aber nicht sonderlich klischeehaft. Selbst der Titel des eben erwähnten Spiegelartikels „Der sehende Blinde“ (Der Spiegel 18.11.2002, 190) kann nicht als Kompensationsgeschichte in der genannten Ausprägung interpretiert werden, da sich die Überschrift nicht auf Kishs Fähigkeiten bezieht, sondern auf Mike May, der aufgrund einer neuen Operationsmethode sein Augenlicht zurückerlangte. Diese Form der Kompensationsgeschichte lässt sich also weder in der Häufigkeit noch in der Klischeehaftigkeit in der Presse finden, um von einem grundsätzlichen Mechanismus sprechen zu können. Wenn überhaupt verstärken sie allenfalls bereits vorhandene Vorstellungen in dem Zusammenhang. Kompensation im Sinne einer Überwindung von Einschränkungen jedoch ist eines der zentralen Motive innerhalb der Presseberichterstattung, was zumindest einem Teil des von Mürner beschriebenen Mechanismus der Kompensationsgeschichte entspricht.
2 Mechanismen der Presse
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Nachfolgend sollen noch mal kurz die Ergebnisse dieses Kapitels zusammengefasst und abschließend bewertet werden. Der Mechanismus Unglücksfälle und Verbrechen findet sich mit dem Schwerpunkt Verbrechen innerhalb der Boulevard Zeitung Bild deutlich wieder. Sehr wenige Berichte beschäftigen sich hingegen mit Unglücksfällen in der Art und Weise, als dass dies als Mechanismus bezeichnet werden kann. Auch bei den Prominentenmeldungen lassen sich nur noch vereinzelt durch Mürner beschriebene Eigenschaften dieses Typus von Artikel nachweisen. Insgesamt folgt die Darstellung hier also auch keinem einheitlichen Schema. Anders bei den Betroffenheitsbezeugungen, bei denen man vor allem bei der Illustrierten Bunte von einem Mechanismus sprechen kann, da sich zahlreiche Berichte anführen lassen, die das Thema karitative Tätigkeit berühmter Personen im Rahmen von sogenannten ‚Societyveranstaltungen’ gleich und auf ähnliche Weise depersonalisiert und einseitig auf die ‚Society’ fokussiert betrachten. Es gibt auch Artikel, die der theoretischen Beschreibung von Menschen, Tiere, Sensationen entsprechen, allerdings weist hier vor allem die Häufigkeit des Auftretens klar gegen einen grundsätzlichen Mechanismus, auch wenn die angeführten Artikel ziemlich genau den durch Mürner beschriebenen Eigenschaften dieser Art gleichen (vgl. Mürner 2003b, 189). Eindeutig hingegen gibt es den Mechanismus des Wissenschaftsreports innerhalb der untersuchten Presseerzeugnisse. Ebenso gilt dies für eine Ausprägung der Kompensationsgeschichten, bei denen Behinderung durch technische Hilfsmittel verschwinden soll. Beide Arten der Darstellung können als über fast alle Presseerzeugnisse hinweg geltende Mechanismen der Presse angesehen werden, wobei die damit verbundenen Themen „Technik“ und „Wissenschaft“ vor allem innerhalb der Nachrichtenmagazine relevant sind. Kompensationsgeschichten, in denen es um die körpereigene Kompensation von Einschränkungen geht, kommen ebenfalls vor, sind aber weder in der von Mürner beschriebenen Klischeehaftigkeit (vgl. Mürner 2003b, 192) noch in einer Menge vorhanden, um tatsächlich als Mechanismus bezeichnet werden zu können. Betrachtet man Mechanismen als starr ablaufende Schemata eines Prozesses, müsste das übertragen auf die Presse in dieser Thematik einen starren und einseitigen Umgang mit Behinderung bedeuten. Unter diesen Voraussetzungen treffen die meisten durch Mürner (vgl. Mürner 2003b, 189ff.) oder auch Bernard und Pribitzer (vgl. Bernard/Pribitzer 1988, 7ff.) geschilderten Mechanismen für die Presse innerhalb dieses Untersuchungszeitraums nicht zu. Die Darstellung der Presse ist wesentlich heterogener, als dies die Annahmen von Mürner vermuten lassen würden. Die eher assoziativen Beschreibungen mit einzelnen Beispielen halten demnach einer umfangreichen Prüfung nicht stand, weil sie der Unterschiedlichkeit der Darstellung nicht gerecht werden. Grundsätzlich lässt sich also kaum von einem homogenen oder mehreren einheitlichen Mechanismen im Umgang mit Behinde-
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VI Qualitative Ergebnisse
rung in der Presse sprechen. In Einzelfällen treffen diese zwar auf bestimmte Printerzeugnisse zu, wie Bunte und Bild gezeigt haben. Im Gesamten betrachtet ist das Bild aber wesentlich vielfältiger. 3
Zusammenfassung der Ergebnisse
Ziel des qualitativen Teils der Untersuchung war es, bereits innerhalb der theoretischen Beschreibung aufgezeigte Rollenbilder und Mechanismen zu identifizieren, wenn möglich archetypisch darzustellen und schließlich die Ergebnisse zu interpretieren. Einheitlich lässt sich sowohl für die Rollenbilder als auch für die Mechanismen feststellen, dass sie zum Teil existieren und sich auch Beispiele für sie finden lassen. Allerdings können diese bei Weitem nicht das ganze Spektrum der Berichterstattung des Massenmediums Presse beschreiben. Zudem gibt es Klischees und Mechanismen, die quantitativ nicht in dem Umfang auftauchen, dass man sie wirklich als solche bezeichnen könnte. Ein Großteil der Meldungen, Nachrichten, Interviews, Porträts und Reportagen scheint also ohne Rollenklischees auszukommen und das Thema Behinderung auch nicht nach einem bestimmten mechanischen Schema zu betrachten. Vielmehr erfüllen sie andere Aufgaben und zeigen andere Umgangsschemata, sofern man in diesem Kontext von einem starren Begriff wie Schema sprechen mag. Nachrichten und Meldungen informieren den Leser über gesellschaftliche und physische Barrieren für Menschen mit Behinderung (vgl. Bild 29.11.2002, 9; 05.06.2001, 11; Stern 17.10.2002, ohne Seite; Süddeutsche Zeitung 04.05.2005, 44; 23.02.2004, 10), über mangelnde Toleranz der Gesellschaft (vgl. Der Spiegel 22.05.2000, 42; Focus 13.03.2000, 158ff.), über unzureichende Gesetze oder deren mangelhafte Umsetzung (vgl. Süddeutsche Zeitung 10.01.2004, 8; 08.04.2003, 10) oder die offensichtliche Diskriminierungen oder Beleidigung von Menschen mit Behinderung (vgl. Bild 07.12.2002, 4; 09.05.2001, 4; Der Spiegel 08.12.2003, 207; Stern 13.04.2000, 136; Süddeutsche Zeitung 11.04.2002, 18; 30.04.2001, 51). Zudem wird auch über Forderungen von behinderten Menschen und deren Widerstände gegen Diskriminierung (vgl. Bunte 04.07.2002, 77; Süddeutsche Zeitung 06.05.2003, 35; 05.05.2000, 8) und Unterstützungskürzung informiert (vgl. Bild 16.03.2002, 2; Süddeutsche Zeitung 26.06.2000, 26). Womit sich die Frage stellt, ob die theoretische Beschreibung bestimmter Negativrollenbilder oder Mechanismen ein passender Ansatz zur Analyse der Printmedien allgemein ist, da sie, wie sich hier gezeigt hat, nur einen kleinen Ausschnitt der Inhalte und Bilder erfassen, die tatsächlich verbreitet werden. Trotzdem wäre es sicherlich auch nicht richtig, die Berichterstattung aus qualitativer Sicht uneingeschränkt positiv zu bewerten. Alle hier untersuchten
3 Zusammenfassung der Ergebnisse
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Zeitungen und Zeitschriften weisen Berichte auf, die klischeehaft sind oder zum Teil auch einen mechanischen Umgang mit dem Themenkomplex Behinderung aufzeigen. Das gilt für bestimmte Presseerzeugnisse mehr, wie die Bild mit ihrer teilweise überstark emotionalisierten Berichterstattungen, oder auch die Illustrierte Bunte mit ihren zahlreichen mechanisch wirkenden Betroffenheitsbezeugungen zeigen. Für andere etwas weniger, wie zum Beispiel für den Großteil der Berichte innerhalb der Süddeutschen Zeitung, auch wenn diese keinesfalls frei von klischeehaften Darstellungen ist, wie verschiedene archetypische Beispiele für bestimmte Rollenmuster innerhalb der Analyse gezeigt haben (vgl. Kapitel VI 1). Dafür werden hier auch als schwierig betrachtete Themen wie Sexualität und Behinderung angegangen (vgl. Süddeutsche Zeitung 20.12.2003, ROM3; 16.09.2000, ROM6) und vereinzelt auch Unsicherheiten und Fehler der Journalisten im Umgang mit Behinderung thematisiert (vgl. Süddeutsche Zeitung 31.12.2004, 47). Da zur Bestätigung eines verfestigten Rollenvorurteils aber vielleicht schon einzelne Berichte ausreichen (vgl. Cloerkes 2007, 110), muss man Teile der Berichterstattung aller hier untersuchten Presseerzeugnisse aber auch kritisch beurteilen. Fast alle analysierten Artikel zeigen zudem noch eine starke Fokussierung auf die Behinderung oder Einschränkung an sich, die für das eigentliche Thema des Berichtes bisweilen gar nicht notwendig wäre. Eine positive Ausnahme bildet hier ein Interview mit dem Sänger Thomas Quasthoff (vgl. Der Spiegel 26.03.2005, 174). Ob dies wirklich ein Einzelfall ist oder das Fehlen weiterer Beispiele in der Recherchemethodik begründet liegt, bei der Behinderung ja erwähnt oder der Artikel als solches zumindest so kategorisiert werden muss, damit eine thematische Verknüpfung auftaucht (vgl. Kapitel IV 2), wäre eine Frage, der nachgegangen werden sollte. Die Ergebnisse der Betrachtung der Mechanismen haben weiter aufgedeckt, dass vor allem Wissenschaft und Kompensation Muster sind, die tatsächlich ein Schema der Berichterstattung bilden. Dies gilt in hohem Maße für die Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus. Damit eng verknüpft ist ein medizinischkausales, also stark personenorientiertes und medizinisch geprägtes Behinderungsbild, das sich sowohl direkt bei der Betrachtung des Behinderungsverständnisses (vgl. Kapitel V 3.2) als auch indirekt bei der Analyse der Handlungsmuster (vgl. Kapitel V 3.3) bereits im quantitativen Teil gezeigt hat. Behinderung stellt sich so als rein individuelles und technisch oder medizinisch lösbares Problem für den Rezipienten dar. Die Gefahr eines Verlusts von Zwischenmenschlichkeit und Sozialität in diesem Kontext (vgl. Mürner 2003b, 192) ist also durch diese Repräsentationen auf alle Fälle gegeben. Eine veränderte Darstellung des Phänomens Behinderung in der Presse, die stärker auch gesellschaftliche und soziale Aspekte der Genese von Behinderung ins Auge fasst, wäre hier
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VI Qualitative Ergebnisse
sicherlich ein erster Ansatzpunkt. Das grundlegende Bild auf das Phänomen aus der Sicht des Rezipienten zu verändern und es von einem in der jetzigen Darstellung eher persönlichem zu einem gesellschaftlichen „Problem“ zu machen, wäre so eine Zielperspektive der Berichterstattung.
VII Fazit und Ausblick
Die Studie versuchte sich auf explorative Weise der Frage anzunähern, wie Menschen mit Behinderung innerhalb der deutschsprachigen Presse dargestellt werden. Dazu wurde der Inhalt ausgewählter Presseerzeugnisse in den Jahren 2000– 2005 komplett quantitativ und auch qualitativ analysiert. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es auf die Eingangsfrage keine pauschale oder einheitliche Antwort geben kann, weil die Ergebnisse in Abhängigkeit von den einzelnen Presseerzeugnissen sehr verschieden sind und zudem nicht geklärt ist, was genau die einzelne Person, der Journalist oder die Allgemeinheit unter Behinderung versteht. Auch die Ergebnisse unterscheiden sich je nach Form der Einschränkung oder der Art der Behinderung (falls man unter den Begriffen das gleiche verstehen mag) in einzelnen Dimensionen zum Teil deutlich voneinander. Das Bild, das dem Rezipienten dargeboten wird, ist also in erster Linie ein sehr heterogenes. Sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Ergebnisse zeigen, dass sich nur zum Teil Kontinuitäten und Regelmäßigkeiten finden, auf Basis derer ein bestimmtes, klischeehaftes, negatives oder einseitiges Bild von Behinderung oder behinderten Personen in bestimmten Kontexten vermittelt wird. Eine einheitliche Interpretation und Zusammenfassung der Ergebnisse scheint vor diesem Hintergrund nicht wirklich möglich zu sein, weshalb in diesem letzten Kapitel der Untersuchung auf einzelne Aspekte hingewiesen wird, die keinesfalls die Gesamtheit der Ergebnisse repräsentieren. Hier finden sich umfangreichere Ausführungen in den Kapiteln V 8 und VI 3. Im Gegensatz zu bereits erwähnten Vermutungen auf Basis anderer Untersuchungen und den offensichtlichen Veränderungen innerhalb der Fernsehberichterstattung scheint das Interesse an der Thematik Behinderung innerhalb der Presse eher abzunehmen, wobei sich dies aufgrund der Untersuchungsmethodik nicht abschließend klären lässt oder auch genau darin begründet sein könnte. Neben vielen andern Kategorien war die Analyse der Sprache sehr aufschlussreich, da hier die meisten Vergleichsdaten mit anderen, wenn auch englischsprachigen Untersuchungen vorlagen. Hier hat sich gezeigt, dass insgesamt und auch innerhalb jeder einzelnen Zeitschrift und Zeitung dieser Untersuchung Verbesserungspotenzial besteht. Die deutsche Presse findet sich im Vergleich zu englischsprachigen Printmedien hier klar im Rückstand. Dass Begriffe wie „mongoloid“, „debil“, „Krüppel“, „Behinderten-Transporter“, „an den Rollstuhl gefesselt“ und
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VII Fazit und Ausblick
auch die Substantivierung der Behinderung oder Einschränkung als Personenbezeichnung zu vermeiden sind, müsste aufgrund zahlreicher Auseinandersetzungen mit dieser Frage (vgl. Barnes 1997, 231ff.; Barnes 1992, 19ff.; Firlinger 2003; Mosaik – Die Bunte Rampe 2003; ohne Autor 1994, 212ff.; Gröschke 1998, 365; Radtke 2006, 126; Radtke 2003a, 8; Radtke 2003b, 5; Radtke 1995, 93f.; Riley 2005, 219ff.; Speck 2005, 48; Speck 2003, 54) den interessierten Journalisten und verantwortlichen Redakteuren durchaus bewusst sein. Auch auf Fabelwesen- und Tiervergleiche, waren sie auch noch so wenig innerhalb der Analyse vorhanden, muss noch konsequenter verzichtet werden. An sich wird das Phänomen Behinderung in der Presse medizinisch-kausal gesehen, die häufigsten dargestellten Handlungsmuster waren demnach auch kompensatorisch. Insgesamt war die Darstellung dabei sehr oft durch Leid, Mitgefühl und Mitleid geprägt, was aber, wie die qualitative Auswertung gezeigt hat, nicht immer zu klischeehaften Rollenbildern, die mit dieser Vorstellung in Verbindung stehen, führt (vgl. Kapitel VI 1.1, Kapitel VI 1.2 und Kapitel VI 1.8). Trotzdem bleiben Leid und Mitleid aus Sicht des Rezipienten sicherlich unmittelbar mit Behinderung oder behinderten Personen verknüpft, wobei die Gesamtdarstellung und Charakterisierung der porträtierten Personen im Großen und Ganzen auch durch positive Eigenschaften, positive Gefühle und Kompetenzen mitgeprägt wird. Überhaupt ist eine einheitliche und durchgehend positive oder negative Linie in der Betrachtung des Phänomens Behinderung in keiner der untersuchten Printmedien zu erkennen. Innerhalb jedes Erzeugnisses finden sich quantitative oder qualitative Auffälligkeiten, die einer Verbesserung bedürfen, aber auch Artikel, die einen sehr durchdachten und keineswegs oberflächlichen Umgang der Thematik Behinderung zeigen. Es scheint also, als wäre es stark vom Engagement des einzelnen Journalisten abhängig, ob der Artikel in seiner sprachlichen, thematischen und inhaltlichen Darstellung die Forderungen behinderter Menschen an die Massenmedien und insbesondere die Presse, wie sie auch in der Einleitung thematisiert werden, berücksichtigt oder sich doch unpassender Sprache, Mechanismen und Klischees bedient. Innerhalb bestimmter Aspekte der qualitativen Dimensionen lassen sich dennoch auch für bestimmte Printerzeugnisse typische Muster finden, wie zum Beispiel die zuweilen stark emotionalisierten und klischeehaften Rollendarstellungen behinderter Menschen innerhalb der Boulevardzeitung Bild, die vereinzelt vorhandenen stereotyp wirkenden Rollenbilder in der Süddeutschen Zeitung, die sehr technische Herangehensweise an das Phänomen Behinderung durch die Nachrichtenmagazine Der Spiegel und Focus oder die Fülle und Dominanz an mechanischen Mitleidsbekundungen durch ‚Stars und Sternchen’ in der Illustrierten Bunte. Zuweilen fielen innerhalb der qualitativen Analyse auch inhaltliche Aspekte auf, die auch Verbesserungspotenzial haben, im Rahmen dieser Arbeit jedoch noch nicht wei-
VII Fazit und Ausblick
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ter beleuchtet werden konnten. Sie bieten allerdings Ansätze für weitere Forschungen. Dabei könnte geklärt werden, warum Pressevertreter ‚Stellvertreterinterviews’ (vgl. Focus 28.01.2002, 60f.) führen, anstatt mit als geistig behindert bezeichneten Personen über ihr Leben, ihre Erfahrungen oder ihre Tätigkeit persönlich zu sprechen, warum eine Fernsehmoderatorin mit Behinderung „Deutschlands tapferste Moderatorin“ (Bild 30.07.2005, 4) ist oder weshalb Männer mit 41 Jahren noch „Sorgenkinder“ (Bild 31.01.2005, 5) sind. Als Fazit der Betrachtung der Berichterstattung kann man allerdings ziehen, dass der Umgang mit der Thematik Behinderung in der Presse und die damit verbundenen Beschreibungen der Personengruppe positiver sind, als es die durch Barnes, Nelson und Longmore (vgl. Kapitel III 3.1) beschriebenen Rollenklischees und die von Mürner und Bernard/Pribitzer dargestellten Mechanismen (vgl. Kapitel II 3.2) hätten erwarten lassen. Nicht jede Art der Darstellung oder Haltung zu einem bestimmten Thema oder Phänomen basiert auf einem bestimmten negativen Klischee oder lässt sich einem der vorgestellten Medienmechanismen zuordnen. Man kann also nicht generell von einer pauschalen negativen Typisierung ausgehen. Zudem lässt sich die grundsätzliche Frage stellen ob eine dichotome Trennung in negative und positive Bilder ein vielleicht zu einfacher und der Realität nicht entsprechender Ansatz ist, wie dies Pointon und Davies zum Ausdruck bringen (vgl. Pointon/Davies 1997, 1), da sich das Problem, was genau das Positive oder Negative konstituiert, wahrscheinlich nie abschließend und rein objektiv klären lässt. Die quantitativen und qualitativen Ergebnisse zeigen dennoch auf, dass die Berichterstattung bei Weitem nicht immer optimal ist und sich wohl nur sehr wenige Journalisten mit der Thematik so intensiv auseinandersetzen wie der Interviewer der Süddeutschen Zeitung in der Einleitung dieser Arbeit. Für den Rezipienten der Presse bedeutet dies zunächst, dass sein Bild von Behinderung je nach Zeitung oder Zeitschrift ein sehr vielfältiges sein müsste. Allerdings treten zum Teil regelmäßige Meldungen innerhalb der einzelnen Zeitungen und Zeitschriften auf, die ein bestimmtes Bild einzelner Personengruppen vermitteln und so die Leser auf kognitiver und emotionaler Ebene in eine Richtung beeinflussen könnten. Ein Beispiel dafür wäre die gehäufte Darstellung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen als Täter oder Angeklagte im Kontext schwerer Gewaltverbrechen. Inwieweit diese Konstrukte auf die Rezipienten tatsächliche Wirkungen ausüben, hängt sicherlich auch von deren sozialen Umfeld oder auch anderen Medien ab (vgl. Kapitel I 1.4.3). Die theoretische Möglichkeit dazu besteht zumindest. Das Gesamtbild der Darstellungen von Menschen mit Behinderung ist allerdings, wie bereits erwähnt, vielfältiger und kann nicht nur auf einseitige Rollenbilder reduziert werden.
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VII Fazit und Ausblick
Aus diesen Feststellungen ergeben sich aus meiner Sicht verschiedene Implikationen: Einerseits für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Themenkomplex Behinderung in der Presse, andererseits für die Presse als Institution und die innerhalb dieses Systems arbeitenden Journalisten. Aus wissenschaftlicher Sicht bleibt zunächst zu hinterfragen, ob die verwendeten qualitativen Konstrukte, also die Rollenklischees und Mechanismen, wirklich eine geeignete Basis für die Beschreibung der Presseberichterstattung sind. Wie bereits mehrfach erwähnt, lassen sich zwar je nach Kategorie mehr oder weniger Beispiele für Darstellungen finden, die in ihrer Schematik dem entsprechen, was mit jenen Rollenklischees oder Mechanismen gemeint ist. Im Großen und Ganzen lässt sich aber die gesamte Berichterstattung dadurch nur unzureichend abbilden, weil eigentlich nur negative Aspekte berücksichtigt, gesucht und somit auch gefunden werden. Alle Artikel, die keinem Klischee oder Mechanismus entsprechen, sind so keiner Kategorie zugeordnet und tauchen damit innerhalb der qualitativen Betrachtungen nicht auf. Das grundsätzliche Vorhandensein von Typisierungen ist zwar wichtig, um Konstrukte und Mechanismen aufzuspüren, wie Massenmedien mit bestimmten Inhalten umgehen. Der mit diesen Konstrukten verbundene Negativismus könnte aber bei Auslassung anderer Bezugspunkte leicht zum Dogmatismus führen und damit ein eigentlich realitätsfernes Bild der Berichterstattung aufzeigen. Diese Untersuchung hat innerhalb der Ergebniszusammenfassungen versucht darzustellen, dass es auch andere positive Mechanismen und Rollenbilder innerhalb der Printmedien gibt (vgl. Kapitel VI 3), deren Beschreibung und Auffindung Aufgabe weiterer Forschungen sein kann. Quantität und Kontinuität sind Aspekte, die dabei auf Basis der hier thematisierten Wirkungstheorien von entscheidender Bedeutung bezüglich des Einflusses auf den Rezipienten sind (vgl. Kapitel I 1.4). Aufgespürte Konstrukte müssen also nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ belegbar sein, um tatsächlich von Rollenklischees oder Mechanismen sprechen zu können. Dies gilt gleichermaßen für die bereits geschilderten negativen wie für eventuell noch zu beschreibende positive Konstrukte. Für Erstere wurde innerhalb der Auswertungen bereits versucht Quantitäten zu berücksichtigen, indem darauf hingewiesen wurde, wenn die Berichterstattungsschemata (Rollenbilder, Mechanismen) nur vereinzelt vorhanden waren. Eine weitere Forderung für die Forschung im Fachgebiet müsste sicherlich die Erweiterung der Aktivität innerhalb des bis jetzt vonseiten der Wissenschaften im Kontext Behinderung im deutschsprachigen Raum eher vernachlässigten Forschungszweiges der Medienforschung sein. Dann wäre es vielleicht auch längerfristig möglich, über die Inhalte einer rein beschreibenden Studie, wie sie hier vorliegt, hinauszugehen und tatsächliche und nicht nur vermutete mediale Einflüsse auf unterschiedlichste Rezipienten im kognitiven und emotionalen
VII Fazit und Ausblick
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Bereich zu untersuchen, um genauere Zusammenhänge zwischen der Nutzung bestimmter Informationsmedien und dem Bild der Rezipienten von Behinderung und behinderten Menschen zu identifizieren. Für die Kommunikatoren, also die Redakteure und Journalisten würde sich aus den Forschungsergebnissen ebenfalls ein gewisser Handlungsbedarf ergeben. Innerhalb der journalistischen Aus- und Weiterbildung muss dem Umgang mit Behinderung in der Berichterstattung eine ebenso große Rolle zugewiesen werden wie der mit andern Mehr- und Minderheiten innerhalb unserer Gesellschaft. Zwar zeigt das Gesamtbild der hier untersuchten Zeitungen und Zeitschriften mit Ausnahmen ein tendenziell neutrales, also weder sonderlich positives noch negatives Bild des Umgangs mit Behinderung und behinderten Menschen, jedoch verdeutlicht vor allem der sprachliche, aber zum Teil auch inhaltliche Umgang mit der Thematik, dass hier noch Optimierungsbedarf besteht. Dies ist natürlich ein bilateraler Prozess, der auch vonseiten der Personen mit Behinderung und deren Interessenvertretungen mitgestaltet werden muss. Ratgeber zum Schreiben über Behinderung sind dafür ein Anfang (vgl. Firlinger 2003; Mosaik – Die Bunte Rampe 2003). Im englischen Sprachraum finden sich solche Publikationen schon länger, die sich zum Teil auch mit weit mehr als nur dem rein sprachlichen Umgang mit der Thematik beschäftigen (vgl. Barnes 1997, 231ff.; Barnes 1992ff., 20; ohne Autor 1994, 212ff.; Riley 2005, 219ff.), was sicherlich dazu beigetragen hat, dass sich die Berichterstattung in verschiedenen Bereichen, innerhalb dieser Untersuchung wurde dies am Bereich Sprache aufgezeigt (vgl. Tab. 54 in Kapitel V 6.2), positiv verändert hat. Allerdings müssen Journalisten auch Interesse und die Bereitschaft mitbringen, sich mit diesen Inhalten auseinanderzusetzen, um zu einer durchgängigen Berichterstattung jenseits von Klischees und veralterten Formulierungen zu kommen.
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Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis
Beim Verzeichnis der Zeitungs- und Zeitschriftenartikel ist grundsätzlich zu beachten, dass die Angaben nicht auf den Originalen basieren, sondern digitalen Archiven entnommen wurden (vgl. Kapitel IV 2). Es kann daher in Einzelfällen aufgrund von Unklarheiten im Ausgangsmaterial beziehungsweise der unvollständigen oder nicht korrekten Archivierung seitens des Digitalarchivs sein, dass sowohl die Titel und Untertitel bei Artikeln oder auch die Seitenangaben sowie das Veröffentlichungsdatum der Publikation nicht korrekt wiedergegeben werden, unvollständig bleiben, sich auf die Archivierungsposition beziehen oder ganz fehlen. Gleiches gilt für die zur Auswertung herangezogenen Archivkopien, bei denen innerhalb des Digitalisierungsprozesses OCR138 unter Umständen Daten verloren gingen. Da bei den Texten aus digitalen Archiven die Seitenangaben nur zu Beginn angegeben, aber im Text nicht mehr vermerkt werden, kann es zudem zu Abweichungen bezüglich der exakten Position von wörtlichen Zitaten kommen. Ist die genaue Seite der übernommenen Aussage nicht mehr feststellbar, wird stets die Seite angegeben, auf der der Artikel beginnt. Dies gilt für die gesamte Arbeit. Bild (27.04.2000): Wie laut darf ein Kind nachts weinen?, S. 10. Bild (10.05.2000): Das Geheimnis des Lebens, S. 5. Bild (12.05.2000): Berlins traurigster Autodieb, S. 5. Bild (30.06.2000): Er will eine Million Schadenersatz, S. 7. Bild (20.07.2000): Stotterer trifft Stotterer – ein fast tödliches Missverständnis, S. 3. Bild (14.08.2000): Marla – ihr Wille ist stärker als ihr Handicap, S. 6. Bild (27.09.2000): … wenn du für Deutschland dein Bein verlierst, S. 1 u. 5. Bild (19.10.2000): 100 000 feierten behinderte Sportler, S. 13. Bild (25.11.2000): Paralympics: Medaillen-Betrug, S. 8. Bild (15.12.2000): Nachrichten: Unfassbarer Betrug, S. 24. Bild (21.03.2001): Rollstuhlfahrer in Wohnung überfallen, S. 3. Bild (05.04.2001): Was der Bild-Bus in Templin erreichte, S. 12. Bild (20.04.2001): Er hat Mandy lebendig begraben, S. 1 u. 7. Bild (09.05.2001): Anke Engelkes Freund beleidigt Behinderte, S. 4. Bild (05.06.2001): Gehbehinderte fahren sich an Pollern fest!, S. 11. 138 Abkürzung für Optical Charakter Recognition. Bezeichnet ein Verfahren zur automatischen softwaregestützten Texterkennung.
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Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis
Bild (13.06.2001): Hohes Schmerzensgeld für ein behindertes Kind, S. 6. Bild (30.07.2001): Behinderte Tochter zwei Jahre lang in Schuppen gequält, S. 14. Bild (19.12.2001): Dicker Scheck für US-Behindertensport, S. 19. Bild (24.12.2001): Gemeine Sexfalle, S. 3. Bild (31.01.2002): Behinderter Porsche-Fahrer telefoniert bei Tempo 182, S. 3. Bild (16.03.2002): Regierung streicht Behinderten-Zuschüsse, S. 2. Bild (26.04.2002): Ist dieses Mutterglück pervers?, S. 7. Bild (08.10.2002): Wie Bild dem gelähmten Herrn Heger helfen konnte, S. 5. Bild (23.10.2002): Er hat 11 Kinder missbraucht, S. 1 u. 6. Bild (24.10.2002): Wer im Dorf wusste von seinem perversen Trieb?, S. 3. Bild (29.10.2002): Mann im Rollstuhl verprügelt und ausgeraubt, S. 5. Bild (30.10.2002): Dolmetscher für Gebärdensprache in Ämtern geplant, S. 7. Bild (29.11.2002): Die Bahn spart auch am Service, S. 9. Bild (07.12.2002): Lisa Fitz demütigt Behinderte, bis sie in Ohnmacht fällt, S. 4. Bild (17.01.2003): Ich lebe im Rollstuhl und bin glücklich, S. 5. Bild (28.07.2003): Flugkapitän wirft Behinderte aus dem Jet, S. 8. Bild (05.09.2003): Richterin verbietet Schweigeminute für ermordeten Marinus, S. 6. Bild (08.10.2003): Verrät der Dicke, wo die tote Peggy liegt?, S. 3. Bild (09.10.2003): Der dicke Grinser beleidigt Peggys Mutter, S. 8. Bild (23.10.2003): Superman spricht über sein Leben im Rollstuhl, S. 10. Bild (25.10.2003): Der Wunder-Rollstuhl von Superman, S. 12. Bild (06.02.2004): Kritik an Rollstuhl-Titel zu Schäuble, S. 2. Bild (12.05.2004): Jung, schön, Rollstuhl…, S. 7. Bild (04.08.2004): In diesem Korb starb ein Kind, S. 3. Bild (08.10.2004): Sie starb, weil sie den Zug nicht hörte, S. 10. Bild (14.10.2004): Richter schickt Eileens Vergewaltiger nicht ins Gefängnis, S. 10. Bild (23.10.2004): Ronny Ziesmer – Gelähmter Olympia-Turner kann Kinder zeugen, S. 20. Bild (25.11.2004): Polizei jagt den Konsul im Rollstuhl, S. 6. Bild (17.12.2004): Tötete sie aus Mutterliebe?, S. 7. Bild (06.01.2005): Sechs Behinderte bei Busunfall verletzt, S. 10. Bild (21.01.2005J): Räuber nahmen diesem Rentner sein ganzes Erspartes, S. 5. Bild (19.02.2005): Falsche Diagnose! Ärztin muss 80 000 Euro Strafe zahlen, S. 9. Bild (15.07.2005): Zwillings-Schwestern (10) am Strand vergewaltigt!, S. 6. Bild (30.07.2005): Heute kommt Deutschlands tapferste Moderatorin, S. 4. Bild (27.08.2005): Zwei Haare überführten den Mörder der kleinen Marla, S. 9. Bild (29.08.2005): Zanardi: 1. Sieg ohne Beine, S. 11. Bild (14.09.2005): Berlins mutigstes Urteil, S. 3. Bild (05.10.2005): Bundespräsident schüttelt armloser Frau den Fuß, S. 2. Bild (30.11.2005): So meistern wir unser Schicksal, S. 10. Bunte (20.01.2000): Blinde sehen, Taube hören, S. 72. Bunte (03.08.2000): Sie läuft dem Dunkel davon, S. 10. Bunte (21.12.2000): ‚Big Brother’ – es geht auch anders, S. 10. Bunte (22.11.2001): Unglaublich, aber er fährt schon wieder Auto, S. 14.
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Bunte (13.02.2002): Ihr Herz sieht mehr als alle Augen, S. 98-99. Bunte (04.07.2002): Bobby räumt auf mit Vorurteilen, S. 77. Bunte (19.09.2002): Kinder sind die Hauptsache, S. 109. Bunte (06.03.2003): Das Leben ist wichtiger als Beine, S. 62. Bunte (21.08.2003): Django und der Kaiser: Da flossen Tränen, S. 106-107. Bunte (04.09.2003): Kaiser sucht Babysitter, S. 112. Bunte (09.09.2004): So viel Geld – nur mit Golf!, S. 111. Bunte (14.10.2004): Ein ‚Superman’ bis in den Tod, S. 47. Bunte (29.12.2004): Menschen, die uns bewegten, S. 64. Bunte (16.06.2005): Die Nacht der guten Herzen, S. 100. Bunte (29.09.2005): Marie Waldburg: Was ich sonst noch so hörte, S. 124. Der Spiegel (24.04.2000): Die neuen Opfer des alten Krieges, S. 195-198. Der Spiegel (22.05.2000): Das perfekte Kind, S. 42. Der Spiegel (18.09.2000): Marlas Geschichte, S. 270. Der Spiegel (27.11.2000): Schadenersatz für ein Leben, S. 303. Der Spiegel (11.06.2001): ‚Bitte bring mich in den Müll’, S. 84. Der Spiegel (02.02.2002): Sprechende Handschuhe, S. 146. Der Spiegel (25.03.2002): ‚Ein unglaublicher Moment’, S. 130-132. Der Spiegel (29.07.2002): Die Kinder von der Samenbank, S. 86-90. Der Spiegel (18.11.2002): Drei mal vier ist elf, S. 76. Der Spiegel (18.11.2002): Der sehende Blinde, S. 190. Der Spiegel (10.03.2003): Hupen in Fis, S. 164. Der Spiegel (28.07.2003): Teleskop im Auge, S. 128. Der Spiegel (22.09.2003): Das gierige Gehirn, S. 74. Der Spiegel (10.11.2003): ‚Er hat’s gestanden’, S. 72. Der Spiegel (08.12.2003): Behinderte sollen draußen bleiben, S. 207. Der Spiegel (24.05.2004): Hoffnung für Querschnittsgelähmte, S. 142. Der Spiegel (15.11.2004): ‚Du warst das!’, S. 95-98. Der Spiegel (26.03.2005): Entdecker in der Welt der Töne, S. 156. Der Spiegel (26.03.2005): Eine Stadt und ihr Mörder, S. 60-62. Der Spiegel (26.05.2005): ‚Cool – ein furchtbares Wort’, S. 174-175. Der Spiegel (07.11.2005): ‚Jeden Tag Prügel’, S. 72-76. Focus (31.01.2000): Medizin – Hoffnung für Superman, S. 15. Focus (13.03.2000): Gemeinsam einsam, S. 158-161. Focus (17.07.2000): Fehlstart der Werbetexter, S. 146. Focus (24.07.2000): Elektronischer Blindenhund, S. 114. Focus (28.08.2000): Stehe auf und gehe, S. 104-108. Focus (04.12.2000): Dummheit (mit Attest) siegt, S. 266-267. Focus (20.08.2001): ‚Stumm zu sein ist kalt’, S. 66-71. Focus (30.09.2001): Das Gewissen als Notlösung, S. 3. Focus (12.11.2001): Telefon für Taubstumme, S. 176. Focus (28.01.2002): ‚Er war sofort wahnsinnig frech’, S. 60-61. Focus (04.03.2002): ‚Ich stoße ständig an Grenzen’, S. 70.
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Focus (15.04.2002): Taub auf Bestellung, S. 274. Focus (24.06.2002): ‚Er wird alles verstehen’, S. 36-37. Focus (28.10.2002): Fall Peggy, S. 44-45. Focus (05.05.2003): Motorsport; die zweite Chance, S. 176-177. Focus (11.08.2003): Sprechender Handschuh, S. 92. Focus (06.10.2003): Fall Peggy – unheimlich harmlos, S. 58-60. Focus (20.09.2004): Rolli blitzt ab, S. 16. Stern (13.04.2000): ‚Seit ihr alle krank?’, S. 136. Stern (29.06.2000): Der Griff nach den Genen, S. 58. Stern (07.12.2000): Gewonnen!, S. 258. Stern (27.12.2001): Mutmacher, S. 97. Stern (24.02.2002): Menschlichkeit siegt, S. 2. Stern (17.10.2002): Im Irrgarten der Klicks, ohne Seite. Stern (31.10.2002): Nur der Himmel ist die Grenze, S. 212. Stern (31.10.2002): Schritt für Schritt zum Erfolg, S. 220. Stern (31.07.2003): Ohren auf und durch, S. 124. Stern (27.11.2003): Ausser gewöhnliche Menschen, S. 112. Stern (02.01.2004): ‚Ich wollte es allen noch zeigen’, S. 122. Stern (11.03.2004): Der zerstörte Kandidat, S. 36. Stern (27.05.2004): So nah und doch so fern, S. 172. Stern (30.09.2004): Raketen-Mann, S. 22. Stern (18.11.2004): Eine starke Haltung, S. 256. Süddeutsche Zeitung (05.05.2000): Protestaktion für Behindertenrechte, S. 8. Süddeutsche Zeitung (20.06.2000): Schwer Behinderte bezwingen Berggipfel, S. 16. Süddeutsche Zeitung (26.06.2000): Bund spart an Werkstätten für Behinderte, S. 26. Süddeutsche Zeitung (19.07.2000): Strafe wegen 3,4 Promille im Rollstuhl, S. 14. Süddeutsche Zeitung (16.09.2000): Am Kran – und doch wie in den Wolken, S. ROM6. Süddeutsche Zeitung (26.09.2000): Liebe nur auf Bestellung?, S. 15. Süddeutsche Zeitung (10.10.2000): ‚Wir schämen uns’, S. 13. Süddeutsche Zeitung (23.10.2000): 17 Medaillen bei Paralympics in Sydney, S. 47. Süddeutsche Zeitung (25.11.2000): Kampf um Vertrauen, rund um die Uhr, S. ROM6. Süddeutsche Zeitung (25.11.2000): Adventskalender für gute Werke, S. 57. Süddeutsche Zeitung (02.12.2000): Ein Werk der Solidarität, S. 57. Süddeutsche Zeitung (20.01.2001): Es kann der Onkel sein, der Pfarrer oder der Pfleger, S. ROM6. Süddeutsche Zeitung (31.03.2001): Der Chip im Ohr, S. VP3/18. Süddeutsche Zeitung (30.04.2001): ‚Die subjektiven Verhältnisse wirken sich mindernd aus’, S. 51. Süddeutsche Zeitung (17.10.2001): Stephen Hawking in München, S. 3. Süddeutsche Zeitung (08.11.2001): ‚Meilenstein in der Behindertenpolitik’, S. 5. Süddeutsche Zeitung (13.10.2001): Gysi trägt Fassonschnitt, S. 11. Süddeutsche Zeitung (20.10.2001): Die Welt sieht anders aus, wenn du im Rollstuhl sitzt, S. ROM7.
Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis
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Süddeutsche Zeitung (20.11.2001): Liebe mit Hindernissen, S. V2/13. Süddeutsche Zeitung (26.01.2002): Das achte Weltwunder, S. ROM1. Süddeutsche Zeitung (30.01.2002): Vom Recht auf Glück, S. 23. Süddeutsche Zeitung (01.03.2002): Gesetz soll Barrieren für Behinderte abbauen, S. 6. Süddeutsche Zeitung (09.03.2002): Moralprüfer auf Ski, S. 48. Süddeutsche Zeitung (11.03.2002): Vollzeit-Amateure, S. 41. Süddeutsche Zeitung (14.03.2002): Richtige Reaktion, immenser Schaden, S. 38. Süddeutsche Zeitung (22.03.2002): Aktuelles Lexikon – Gleichstellungsgesetz, S. 2. Süddeutsche Zeitung (22.03.2002): Mit einem Bein auf dem Everest, S. 18. Süddeutsche Zeitung (11.04.2002): As ohne Chance, S. 18. Süddeutsche Zeitung (30.04.2002): Schleifarbeit an Barrieren, S. 4. Süddeutsche Zeitung (10.08.2002): Blinde können ohne fremde Hilfe wählen, S. 2. Süddeutsche Zeitung (24.10.2002): ‚Jedes Geständnis braucht Fakten’, S. 34. Süddeutsche Zeitung (13.12.2002): Ein Fußballspiel hat Elias´ Leben verändert, S. 33. Süddeutsche Zeitung (27.12.2002): Sagen Sie … was ist denn die Brücke-Krücke-WG, S. V2/11. Süddeutsche Zeitung (08.04.2003): Theoretischer Meilenstein, S. 10. Süddeutsche Zeitung (24.03.2003): Gnädige Kälte, S. 14. Süddeutsche Zeitung (29.04.2003): Prozess im Fall Peggy verzögert sich, S. 29. Süddeutsche Zeitung (02.05.2003): Bewundernswerte Idioten, S. 16. Süddeutsche Zeitung (17.09.2003): Berührungen, die nicht alle akzeptieren, S. 12. Süddeutsche Zeitung (06.05.2003): Behinderte protestieren gegen Diskriminierung, S. 35. Süddeutsche Zeitung (20.12.2003): Die Berührbare, S. ROM3. Süddeutsche Zeitung (10.01.2004): Hohe Hürden, S. 8. Süddeutsche Zeitung (16.02.2004): ‚Blinde werden doppelt zur Kasse gebeten’, S. 40. Süddeutsche Zeitung (23.02.2004): Behinderte wollen nicht um Reisen kämpfen, S. 10. Süddeutsche Zeitung (23.03.2004): Prozess um Missbrauch von Behinderten, S. 11. Süddeutsche Zeitung (03.05.2004): Lebenslang trotz offener Fragen, S. 44. Süddeutsche Zeitung (25.08.2004): 3000 Kilometer, nur mit den Händen, S. 10. Süddeutsche Zeitung (11.09.2004): Gelb-Schwarz gegen Schwarz-Gelb, S. 8. Süddeutsche Zeitung (14.09.2004): Sport als Lebenselixier, S. 32. Süddeutsche Zeitung (18.09.2004): Nur für die Gesundheit, S. 41. Süddeutsche Zeitung (20.09.2004): Das Grauen im Hinterzimmer, S. 10. Süddeutsche Zeitung (21.09.2004): Schneller als das Augenlicht, S. 33. Süddeutsche Zeitung (12.10.2004): Ewige Heldenrolle, S. 14. Süddeutsche Zeitung (24.11.2004): Rollstuhlfahrer flieht vorm Knast, S. 46. Süddeutsche Zeitung (04.12.2004): Arbeitsspeicher im Kopf, S. 13. Süddeutsche Zeitung (14.12.2004): Das Recht zu töten, S. 13. Süddeutsche Zeitung (31.12.2004): Reyes und der Idiot, S. 47. Süddeutsche Zeitung (04.05.2005): Behinderte: Noch immer zu viele Barrieren, S. 44. Süddeutsche Zeitung (04.06.2005): Aufschwung mit Schwächen, S. 39. Süddeutsche Zeitung (21.07.2005): Der längste Wettkampf, S. 3. Süddeutsche Zeitung (21.10.2005): Schmerzensgeld nach Behinderung, S. 34. Süddeutsche Zeitung (26.11.2005): Seit 1949 im Dienst der Nächstenliebe, S. 20. Süddeutsche Zeitung (17.12.2005a): Adventskalender für gute Werke, S. 48.
334
Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis
Süddeutsche Zeitung (17.12.2005b): Geliebtes behindertes Kind, S. 48. Super Illu (19.04.2000): Christopher Reeve geboren 1952 – Superman und sein Superglaube, S. 28. Super Illu (31.08.2000): 8 Jahre (!) auf Kriegsopferrente gewartet, S. 53. Super Illu (14.11.2002): ‚Ich habe mir jeden Traum erfüllt’, ohne Seite. Super Illu (03.04.2003): Potsdam – Behinderter zwischen den Gesetzen, ohne Seite. Super Illu (23.10.2003): Comeback mit Vollgas, ohne Seite. Super Illu (14.10.2004): Ein echter Superman, ohne Seite. Super Illu (22.07.2004): Ein Turner-Alptraum, ohne Seite. Super Illu (15.11.2004): Der Mann, der sich nicht aufgibt, ohne Seite. Super Illu (03.02.2005): Behinderten-Stelle – Arbeitsagentur half, ohne Seite.
Anhang
Variablen beziehen sich immer auf den gesamten Text, Codes nur auf einzelne Sinnabschnitte oder Wörter. Jedem Text kann nur eine Variable zugewiesen werden, aber theoretisch mehrere Codes. Es gibt Codes, bei denen die Anzahl der vergebenen Zuweisungen eine wichtige Rolle spielt, z.B. im Bereich Sprache oder Person/Gruppe. Bei manchen Bereichen ist es auch zulässig, für einen Ausdruck oder Sinnabschnitt zwei verschiedene Codes (Doppelcodierung) eines Bereichs zu vergeben. Bei der nachfolgenden Beschreibung der einzelnen Variablen und der thematischen Bereiche der Codierliste mit ihren Dimensionen folgt eine genaue Erklärung, wie es zur Vergabe der jeweiligen Variable oder des Codes kommt. Bei den Codes wird extra angeführt, falls Doppelcodierung erlaubt sind. Die Auswertungslisten im Anhang bestehen aus drei Teilen. Dem Variablenteil (1), der quantitativen Codierliste (2) und den qualitativen Orientierungsdimensionen (3). Jeder Variable und jedem Code ist zur Identifikation eine Nummer zugeordnet, die dahinter in Klammern notiert ist. Auf diese Nummer wird auch in den Ergebnisteilen der Arbeit (vgl. Kapitel V und VI) verwiesen. Den Variablen sind Kennzeichnungen von 1-1 bis 1-5 sowie 2V und 4-3V zugeordnet, den Codes Zahlenverweise von 2, 2-1, 2-2 usw. bis 7-2-3.
1
Variablenliste Variablenbezeichnung Erscheinungsjahr (1-1) Quartal (1-2)
Mögliche Werte 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005 1, 2, 3, 4
336 Textlänge in Wörtern (1-3) Textgattung139 (1-4)
Anhang
1 – 99999 AN (Aktuelle Nachricht) Eine Nachricht ist in der Regel kurz, klar, aktuell, kommentarlos und von allgemeinem Interesse. Allerdings gibt es auch längere Nachrichtenformen wie Berichte oder Hintergrundberichte. Aktualität ist das erste Auswahlkriterium. Eine Nachricht enthält keine Meinung, ist objektiv und das wichtigste steht meist zu Beginn des Artikels. I (Interview) Ein Interview besteht aus Fragen und Antworten, die nicht immer wortwörtlich abgedruckt werden und auch nicht notwendigerweise in klassischer Interviewdarstellung aufgearbeitet sind (auch Artikel die größtenteils aus Fragen/Antworten zusammengesetzt sind ohne die Form „Herr A:; Zeitung:“). Es erfolgt eine Begegnung von zwei oder mehr Personen, dabei werden bestimmte Teile des Gespräches veröffentlicht. K (Kommentar) Ein Kommentar ist eine Stellungnahme zu einer bestimmten Nachricht oder einem bestimmten Thema. Der Kommentar ist entweder erklärend, analysierend oder sehr subjektiv gefärbt, auch eine Gegenüberstellung von Argumenten ist möglich. LB (Leserbrief) Leserbriefe sind veröffentlichte Rückantworten der Rezipienten zu einem bestimmten Thema oder Artikel. N (Nachruf) Ein Nachruf ist die Darstellung der Bilanz eines Lebens. Auch eine porträthafte Auseinandersetzung ist möglich sofern die Hauptperson verstorben ist. P (Porträt) Das Porträt ist eine Reportage, die in den allermeisten Fällen auf eine Hauptperson beschränkt ist.
Mensch mit Behinderung bzw. Behinderung ist im Artikel (1-5)
RF (Reportage, Feature) Stimmungen, Eindrücke des Journalisten, Gefühle und Meinungen der Betroffenen werden in Reportagen in Abgrenzung zu Nachrichten behandelt. Beim Feature geht der Journalist über den Einzelfall hinaus. Die subjektive Sicht des Beobachters ist gefragt. Es erfolgt eine lebendige Schilderung der Geschehnisse vor Ort mit "atmosphärischen Zwischentönen". HP (Hauptperson oder Hauptthematik) Der Artikel beschäftigt sich hauptsächlich mit der Person oder der Personengruppe, zum Beispiel eine Reportage über einen
139 Beschreibungen der einzelnen Textgattungen in Anlehnung an Chil, Ruß-Mohl und Schneider/Raue (vgl. Chill 1999, 55f., Ruß-Mohl 2003, 54ff., Schneider/Raue 2003, 59ff.).
Anhang
337 Sportler mit Behinderung. Die Einordnung unter die Kategorie Hauptthematik erfolgt dann, wenn sich der Artikel grundsätzlich mit der Thematik Behinderung auseinandersetzt, wenn die Person, um die es im Artikel hauptsächlich geht, eine Einschränkung hat oder der Artikel von einer Entscheidung oder einem Ereignis berichtet, welches vor allem oder ausschließlich Menschen mit Behinderung betrifft. NP (Nebenperson oder Nebenthematik) Die behinderte Person oder Behinderung an sich ist das Thema, allerdings nicht in erster Linie (z.B. Bericht über eine Messe, auf der es in einem Teilbereich um Innovationen für Menschen mit Behinderung geht). Behinderung ist hier nicht die grundlegende Thematik des Textes, spielt aber eine Rolle und wird nicht nur in einem Nebensatz erwähnt. Vorstellbar wäre ein Bericht über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens, bei dem ein Mitarbeiter mit Behinderung zu einem bestimmten Sachverhalt befragt wird.
Themenkategorie (2V)
EW (Erwähnt) Behinderung, Einschränkung oder ein bestimmtes Syndrom wird nur im Nebensatz erwähnt. Es erfolgt keine weitere thematische Vertiefung, zum Beispiel „Frau X hat ein behindertes Kind“ als einziger Verweis in einer Reportage. Die Person oder die Personengruppe wird in einem oder zwei Sätzen erwähnt, allerdings nicht weiter thematisiert. Ausnahmen bilden Kurznachrichten oder wenn sich „Behinderung“ in der Überschrift findet. Je nach Anteil der behinderungsspezifischen Informationen wird dann entweder NP oder HP kategorisiert. Medien und Massenmedien: Alle Beiträge rund um Fernsehen, Programme, Fernsehsendungen oder Berichte über andere Medien, wie etwa Artikel in anderen Zeitungen. Auch Buchrezensionen und Rezensionen autobiographischer Werke fallen unter diese Kategorie. Multimedia, Unterhaltungselektronik: Alle Artikel aus den Bereichen Internet, Multimedia und Elektronik fallen unter diese Kategorie, angefangen von Computer, Unterhaltungselektronik, Software, Spiele bis hin zum Internet. Ethik: Artikel, die sich mit Sterbehilfe, Selbstmord oder ethische Fragen zur Diagnostik auseinandersetzen. Auch Beiträge zur Abtreibungsdiskussionen fallen unter diesen Themenbereich. Menschen, Gesellschaft, Soziales: Artikel, die den Bereich des zwischenmenschlichen Zusammenlebens betreffen, auch Hilfs-
338
Anhang veranstaltungen und Charity-Galas sind Teil der Kategorie. Zudem sind Berichte über ein oder mehrere Personen im Sinne von Porträts, sofern kein anderer Fokus (z.B. Sportler, Schauspieler, Künstler etc.) existiert, Teil der Kategorie. Geschichte: Die Variable beinhaltet Berichte über lang vergangene und historische Ereignisse. Kirche: Artikel, die sich mit der Institution Kirche oder ihren Mitarbeitern beschäftigen konstituieren diese Kategorie. Immobilien: Alle Artikel der Bereiche Bauen, Wohnen oder Miete, die keine politischen oder juristischen Entscheidungen, wie zum Beispiel Wohnrecht betreffen fallen in diesen Themenbereich. Justiz: Dieses Thema beinhaltet alle Artikel, die einen juristischen Hintergrund haben. Darunter fallen Straftaten von und an Menschen mit Behinderung, Gerichtsurteile oder Verfahren gegen Mediziner, die evtl. für die Entstehung einer Einschränkung verantwortlich waren oder eine vermeintliche Behinderung nicht oder zu spät diagnostiziert haben. Innerhalb des Codierbuches wird diese Kategorie sowohl nach der Art des Verbrechens (Gewalt, Betrug etc.) als auch nach der Rolle des Menschen mit Behinderung (Täter, Opfer, Kläger) weiter differenziert (vgl. Anhang 2.1). Krieg, Kriegsfolgen: Berichte über Krieg, kriegerische Auseinandersetzungen oder auch die Folgen eines Krieges definieren diese Kategorie. Unfälle, Katastrophen, Unglücke: Berichte über außergewöhnliche Naturkatastrophen, Anschläge, Unfälle von Menschen mit Behinderung gehören in diesen Themenbereich. Auch hier erfolgt in Anhang 2.1 eine Konkretisierung. Musik, Kunst, Kultur: Artikel über kulturelle Ereignisse (Oper, Theater etc.), Kunstveranstaltungen (Ausstellungen, Projekte) oder auch Porträts von Künstlern und Musikern werden thematisch dem Bereich Musik, Kunst und Kultur zugeordnet. Hierunter fallen auch Modeltätigkeiten mit künstlerischem Hintergrund. Medizin: Hierunter werden alle Artikel mit medizinischem Fokus erfasst. Beschreibungen von medizinischen Therapiemöglichkeiten gehören ebenso zu dieser Kategorie wie Berichte über PND, PID oder ärztliche Eingriffe, deren Fokus nicht in einem ethischen, juristischen oder rein wissenschaftlichen Bereich liegt.
Anhang
339 Politik: Zu diesem thematischen Bereich gehört alles, was im weitesten Sinne mit Politik oder Politikern verbunden ist. Dazu gehören Gesetzgebung, Familien-, Sozial-, Verkehrspolitik usw. sowie auch Interviews oder Porträts von Politikern. Schule, Hochschule, (Aus)Bildung, Erziehung: Thematische Bereiche, die sich mit Schule, Erziehung und Bildung auseinandersetzen, werden hier eingeordnet. Dazu gehören Berichte über Schulen, Kindergärten oder andere Bildungseinrichtungen sowie über besondere Konzepte zur Unterrichtung von Menschen mit Behinderung. Auch Berufsausbildung und universitäre Weiterbildung sind Teil dieser Variablenkategorie. Sport: In diese Kategorie fallen Artikel, die sich hauptsächlich mit einem Sportereignis, einer bestimmten Sportart oder einer Sportpersönlichkeit beschäftigen. Auch Dopingfälle und Diskussionen über damit verbundene Risiken und Folge fallen in den Bereich Sport. Technik: Artikel, die sich mit technischen Innovationen oder Neuerungen für Menschen mit Behinderung beschäftigen, oder auch Artikel, in denen Menschen mit Behinderung technische Neuerungen entwickeln bilden diese Kategorie. Tourismus/Reise: Dieser Themenbereich beinhaltet Reiseberichte und Informationen für oder über Menschen mit Behinderung auf Reisen. Verkehr: Alles im Bereich Verkehr, was nicht unter Verkehrspolitik zu verorten ist, zum Beispiel Berichte oder Meldungen im Bereich öffentlicher oder privater Verkehrsmittel bilden diese Kategorie. Zugänglichkeit und Nutzung dieser Verkehrsmittel durch Menschen mit Behinderung werden dabei in der Regel thematisiert. Wirtschaft: Jegliche Wirtschaftsmeldungen bilden diese Kategorie. Vorstellbar wären Unternehmensmeldungen über Rehafirmen, Arbeitsprojekte, Integrationsprojekte in Firmen oder Berichte über die Werkstatt für behinderte Menschen. Verschiedene Berufsfelder für Menschen mit Einschränkungen und die Vermittlung von Jobs ergänzen diesen thematischen Bereich. Wissenschaft: Alle Artikel über Wissenschaften egal ob eher technisch, psychologisch, medizinisch oder philosophisch werden dieser Kategorie zugeordnet. Berichte oder Meldungen über Forschungsvorhaben oder Forschungsergebnisse sind in der Regel Teil des Artikels. In Abgrenzung zu den Kategorien Technik oder Medizin liegt hier der Fokus klar auf der Forschung.
340
Anhang
Sonstiges: Themen, die nicht unter eine andere Kategorie eingeordnet werden können.
Art oder Form der Behinderung oder Einschränkung (funktionaler Begriff) (4-3V)
(Ausland): Bei allen vorherigen Variablen als Ergänzung möglich ist die Kategorie Ausland, falls es sich zum Beispiel um einen Justiz- oder Medizinfall aus dem Ausland handelt. Diese Auflistung bezieht sich sowohl auf die im Artikel behandelten Personen sowie auch auf die behandelten Themen. Ob es sich um Personen oder Themen handelt, ist für die Zuweisung nicht relevant. So wird zum Beispiel GH als Kategorie sowohl vergeben, wenn der Artikel gehörlose Personen thematisiert, aber auch wenn es um technische Neuerungen bei Cochleaimplantaten geht und keine Personen mit Gehörlosigkeit innerhalb der Ausführungen beschrieben werden. In der Codeliste gibt es für die Einschränkungen der Personen einen extra Code. Unter dem Namen der Variablenkategorie erfolgt eine Auflistung einiger, aber nicht aller Schlagwörter, die für die Vergabe der Kategorie relevant waren. Kann die Person oder das Thema keiner bestimmten Form oder Art von Einschränkung zugeordnet werden oder ist die Zuordnung nicht eindeutig (z. B. bei Rollstuhlfahrern ohne Kontextinformationen, da sie unter Umständen auch den Mehrfacheinschränkungen zuzuordnen sind), wird der Artikel mit n. e. (nicht entscheidbar) gekennzeichnet. Die grundsätzlichen Einordnungen orientierten sich dabei an den gängigen Definitionen der jeweiligen sonderpädagogischen Fachrichtungen (vgl. Hedderich 2006, 19ff.; Leonhardt 2002, 71ff.; Leyendecker 2006, 21ff.; Neuhäuser 2003, 115ff.; Speck 2005, 43ff.; Walthes 2005, 46ff.; Welling 2006, 13ff.). Au (Autismus): Savantsyndrom, frühkindlicher Autismus, Asperger Autismus etc. B (Blindheit): Brailleschrift, Sehbehinderung, Blindheit, etc. GH (Gehörlosigkeit) Gehörlosigkeit, Hörbehinderung, Cochleaimplantat etc. KE (kognitive Einschränkung): Geistige Behinderung, Lernbehinderung, kognitiv eingeschränkte Personen, etc. MB (Mehrfachbehinderung): Kombination von mindestens zwei Kategorien (B, GH, KE, PE) entweder personenbezogen (mehrfachbehinderte Person) oder thematisch (Innovationen für gehörlos blinde Personen).
341
Anhang
Mehrere: Mindestens zwei verschiedene klar voneinander abgegrenzte Formen von Behinderung innerhalb des Artikels. Der Artikel würde zum Beispiel Gehörlosigkeit und Blindheit thematisieren, aber nicht gehörlos blinde Personen PB (physische Beeinträchtigung): Körperbehinderung, Prothese, Amputation etc. SpE (Sprach- oder Sprecheinschränkung): Stottern, Poltern, Störung des Sprachzentrums im Gehirn etc.
2
Codeliste
Folgende Codeliste lag der Auswertung dieser Untersuchung zugrunde. Zu Beginn wird die jeweils betrachtete Kategorie kurz erläutert. Zudem wird erwähnt, falls der Code oder die Kategorie nur eine Codierung pro Text erlaubt. Ob einzelne Worte oder komplette Sinneinheiten codiert werden konnten, erschließt sich aus der Beschreibung des Codes.
Aussageebene Alle wörtlichen und nicht wörtlichen, also sinngemäßen Aussagen, die nicht vom Autor stammen, werden hier gekennzeichnet. Dritte Aussagen von nicht behinderten oder eingeschränkten Personen über Menschen mit Behinderung. Menschen mit Behinderung Aussagen von Menschen mit Behinderung über sich selbst oder über andere Personen mit Behinderung.
2.1
Themenkonkretisierung (2)
Bei bestimmten Themenbereichen wird zusätzlich zur Variable Themenkategorie noch eine thematische Konkretisierung vorgenommen. Es kann grundsätzlich mehrfach codiert werden. Bei Sport oder Katastrophen und Unglücke wird in der Regel aber nur ein Code vergeben.
342
Anhang
Sport (2-1) Möglichst nur einmal codieren, außer bei sehr gleichmäßigen Verteilungen. Bei der Auswertung werden doppelt codierte Texte nur jeweils halb gezählt. Sportler und Sportpersönlichkeiten Personenbezogene Berichte über Sportler, ohne ein konkretes Sportereignis zu fokussieren. Auch Berichte über ehemalige Sportler, die zum Beispiel aufgrund eines Unfalls ihre Karriere beendet haben. Sportverwandte Themen Texte, die sich auf keine konkrete Sportveranstaltung oder einen Sportler beziehen, aber im Themenbereich des Sports angesiedelt sind (z. B. allgemeines Doping im Behindertensport ohne konkrete Veranstaltung). Behindertensport Hierunter fallen Texte, die sich spezifisch mit der Thematik Behindertensport auseinandersetzen, einen Sportler mit Behinderung porträtieren oder auch Berichte über Verbandssitzungen und Versammlungen. Allgemeiner Sport Alle Artikel, die sich nicht spezifisch mit Behindertensport beschäftigen. Die Personen mit Einschränkungen nehmen an Sportveranstaltungen teil, die nicht spezifisch für Menschen mit Behinderungen veranstaltet werden. Paralympics Texte und Artikel, die sich größtenteils mit den Paralympics als spezifische Veranstaltung des Behindertensports beschäftigen. Special Olympics Texte und Artikel, die sich größtenteils mit den Special Olympics als spezifische Veranstaltung des Behindertensports beschäftigen. Deaflympics Texte und Artikel, die sich größtenteils mit den Deaflympics als spezifische Veranstaltung des Behindertensports beschäftigen.
Anhang
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Unfälle/Katastrophen/Unglücke (2-2) Rolle des Menschen mit Behinderung im Bereich von Katastrophen, Unglücken oder Unfällen. Möglichst nur einmal codieren, außer bei sehr gleichmäßigen Verteilungen. Rettung der behinderten Person Der Artikel thematisiert die Rettung einer Person mit Behinderung bei einem Unfall oder einer Katastrophe. Mensch mit Behinderung als Opfer Der Mensch mit Behinderung fällt dem Unfall oder der Katastrophe zum Opfer. Selbstmord Selbsttötung oder versuchte Selbsttötung eines Menschen mit Behinderung. Menschen mit Behinderung als Retter Eine Person mit einer Behinderung rettet andere Personen aus einer gefährlichen oder auch lebensbedrohlichen Situation. Behinderter Mensch als Unfallverursacher Die Person mit Behinderung verursacht ein Unglück oder einen Unfall, der zumindest zur Gefährdung anderer Personen führt. Unfall einer Person mit Behinderung Text oder Artikel berichtet über einen Unfall einer Person mit Behinderung.
Verbrechen/Rechtsstreit (2-3) Die Rolle jeder Person und jede in diesem Kontext thematisierte Art von Vergehen wird codiert. Es sind also Mehrfachcodierungen innerhalb jeder Kategorie bei einem Text möglich.
Rolle der behinderten Person (2-3-1) Mensch mit Behinderung als Täter, Tatverdächtiger, Angeklagter, Beklagter Der Mensch mit Behinderung ist der Täter, der Angeklagte oder verdächtig die Tat begangen zu haben beziehungsweise eine Familie oder Person muss sich
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Anhang
einer Klage außerhalb von Straftatbeständen stellen (zum Beispiel einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen Lärmbelästigung). Mensch mit Behinderung als Opfer Der Mensche mit Behinderung ist das Opfer des Verbrechens. Mensch mit Behinderung als Kläger Die Person mit Behinderung oder deren gesetzliche Vertreter sind der/die Kläger. Mensch mit Behinderung als Verurteilter/Todesstrafe Berichte über Menschen mit Behinderung aus dem Ausland über zum Tode verurteilte behinderte Menschen, deren Urteil vollstreckt wurde oder die noch auf eine Urteilsvollstreckung warten.
Art des Verbrechens (2-3-2) Bei welcher Art von Verbrechen hat der Mensch mit Behinderung eine der vorher genannten Rollen eingenommen. Für die Codierung ist es hier nicht entscheidend, ob die Person das Verbrechen tatsächlich begangen hat oder zu Recht oder zu Unrecht angeklagt wurde. Es wird auch codiert, wenn es sich nur um einen Straftatversuch handelte. Mögliche Ausprägungen dieser Dimensionen sind:
Betrug, Diebstahl (ohne Gewalteinwirkung) (Versuchter) Mord, Totschlag, (fahrlässige) Tötung Raub (mit Gewalteinwirkung) (Fahrlässige) Körperverletzung Freiheitsberaubung, Entführung Inzest Sexualdelikte Früheuthanasie, Spätabtreibung (aktive Sterbehilfe bei Säuglingen, nicht genehmigte Spätabtreibungen) Keine Straftaten (z.B. Verkehr, Lärmbelästigung, Schadenersatz, Leistungseinklagen etc.)
345
Anhang
2.2
Einschränkung und Behinderung (3)
Verständnis von Behinderung (3-1) Wie beschreibt oder versteht der Autor oder die im Text direkt oder indirekt zitierten Personen das Phänomen Behinderung. Voraussetzung für eine Codierung ist, dass der Begriff Behinderung im Text entweder bei der „Personenbezeichnung“ oder bei der „Umschreibung der Einschränkung“ (vgl. 2.5) fällt. Pro Text können mehrere Codierungen einzelner Sinnabschnitte erfolgen. Es ist also durchaus möglich, dass der Autor des Texts zwei verschiedene Verständnisse von Behinderung beschreibt. Mögliche Gründe für eine Nichtcodierung wären, dass Behinderung erwähnt, aber nicht spezifiziert wird oder dass Behinderung explizit von der umschriebenen Einschränkung abgegrenzt wird (zum Beispiel behinderte und blinde Menschen, behinderte und autistische Kinder etc.). Medizinisch-kausal (Behinderung als individuelle körperliche Kategorie) Behinderung entsteht hier in einem kausalen Zusammenhang aufgrund einer Schädigung des Organismus. Behinderung wird z.B. schon pränatal diagnostiziert oder dem Träger eines Syndroms zugeschrieben, ist also ein medizinisch definierter körperlicher Defekt (vgl. Personenorientiertes Paradigma Kapitel I 2.1). Die Behinderung wird im Artikel durch die Abweichung von Körperfunktionen und -strukturen der Person umschrieben (vgl. ICF im Kapitel I 2.2). Faktoren wie eine bestimmte genetische Ausstattung, das Fehlen von Gliedmaßen oder andere Veränderungen der Körperstrukturen wären mögliche Dimensionen. Interaktional-funktional (Behinderung als mikrosoziale Kategorie) Behinderung entsteht in der Interaktion mit Personen im sozialen Nahfeld, indem bestimmte Erwartungen an den Interaktionspartner von einer Seite nicht adäquat erfüllt werden können (vgl. Interaktionistisches Paradigma in Kapitel I 2.1). Die Kategorie hat auch automatisch individuelle Elemente. Die Person gilt als behindert, weil sie bestimmte Dinge, die erwartet werden, nicht kann. Der Sinnabschnitt beschreibt Behinderung als etwas, das aus einer Einschränkung in der Aktivität der Person resultiert (vgl. ICF Kapitel I 2.2). Die Person kann sich nicht selbst versorgen, sich nicht fortbewegen, nicht lesen, nicht kommunizieren oder Ähnliches und wird deshalb als behindert umschrieben. Gesellschaftlich bedingt (Behinderung als makrosoziale Kategorie) Behinderung entsteht erst in der Gesellschaft. Die Person wird im Artikel beschrieben als jemand, der Probleme in der Teilhabe (vgl. ICF im Kapitel I 2.2) am gesellschaftlichen Leben aufgrund der Beschaffenheit der Umwelt hat. Der
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Anhang
Artikel beschreibt die Person als behindert, weil zum Beispiel Fernsehfilme nicht untertitelt werden, Aufzüge fehlen oder Ähnliches. Behinderung wird durch die Beschaffenheit des Realraums, also der Umgebung, in der sich die Menschen bewegen, gemacht. Systemisch (Behinderung als makrosoziale Kategorie im Systemfokus) Behinderung entsteht erst durch die eine Gesellschaft konstruierenden Systeme. Die Person wird vom Autor des Artikels als behindert umschrieben, weil sie zum Beispiel eine Schule für lernbehinderte Schüler besucht (vgl. Systemisches Paradigma im Kapitel I 2.1). Gesellschaftlich konstruiert (Behinderung ist nicht existent) Behinderung existiert eigentlich nicht. Behinderung wird im Sinnabschnitt als eine Erfindung der Gesellschaft beschrieben und dabei eher als Subkultur oder Minderheit aufgefasst, die es objektiv gesehen nicht gibt.
Beschriebene Handlungsmodelle (3-2) Handlungsmodelle (vgl. Kapitel I 2.3) sind formale Raster zur Problemerfassung und Bearbeitung, also Grundmuster, nach welchen im konkreten Einzelfall Handlungsstrategien entwickelt werden. Die zugrunde liegende Einteilung geht auf Kobi (1981) zurück, wurde aber aufgrund der Erfahrungen bei den ersten Probecodierungen erweitert, einem moderneren Verständnis angepasst und spezifischen sozialen Kategorien zugeordnet. Innerhalb der Ausprägung des Codes werden tatsächlich ausgeführte, dargestellte oder geplante Handlungsmuster als Reaktion auf Behinderung beziehungsweise Einschränkung oder zum Umgang mit der Thematik Behinderung oder mit behinderten Personen gekennzeichnet. Dabei ist die Meinung des Autors oder anderer Person über die Wirkung oder den Erfolg der Handlungsmaßnahme nicht entscheidend. Allein die Nennung, auch zur Veranschaulichung, führt zu einer Codierung. Pro Text können beliebig viele Handlungsmodelle codiert werden. Es gibt beschriebene Handlungsmuster, die sich sozialen Kategorien oder Gruppen zuordnen lassen, und solche, bei denen keine derartige Einordnung möglich ist. In dieser Beschreibung werden zuerst die sozialen Kategorien und mögliche Handlungsmodelle innerhalb dieser Kategorien erläutert. Anschließend erfolgt die Beschreibung der Handlungsmodelle, bei denen keine soziale Zuordnung möglich war. Bei der Codierung erfolgt zunächst eine Zuweisung zur sozialen Kategorie und anschließend zum Handlungsmodell.
Anhang
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Soziale Zuordnung (3-2-1) Individual extern Beschriebene Handlungen die von einzelnen Personen initiiert oder direkt ausgeführt werden als Reaktion auf Behinderung oder zur Verbesserung der Situation von behinderten Menschen. Individual Eigenperspektive Der Artikel beschreibt Handlungsmodelle, die von einer bestimmten Person mit Behinderungen oder Einschränkungen selbst als Strategien im Umgang mit ihrer Behinderung angewendet werden. Systeme extern Die beschriebenen Handlungsmodelle werden von Familien oder kleineren gesellschaftlichen Systemen (zum Beispiel eine bestimmte Schule oder eine bestimmte Arbeitsstelle) umgesetzt oder geplant. Systeme Interessenvertretung/Selbsthilfe Beschreibt der Autor Handlungen von Interessenvertretungen, Selbsthilfegruppen oder ähnlichen Systemen, wird die Aussage in diesem Bereich codiert. Makrosysteme/Gesamtgesellschaftliche Subsysteme Handlungen oder Initiativen im Kontext Behinderung, die im Artikel beschrieben werden und von sehr großen Gesellschaften (wie zum Beispiel der WHO) oder staatlichen Großsystemen (wie zum Beispiel der Regierung oder dem Schulsystem allgemein, wobei einzelne Schulen der mikrosystemischen Kategorie zugeordnet werden) ausgehen, fallen in diesen Bereich.
Handlungsmodelle mit sozialer Zuordnungsmöglichkeit (3-2-2) Ausschluss/Verstecken Alle dargestellten Handlungen, die Menschen mit Behinderung von der Öffentlichkeit freiwillig oder unfreiwillig isolieren, wie das Verstecken von behinderten Verwandten im Schuppen oder die Kontaktvermeidung zur Umwelt von Menschen mit Behinderung selbst. Eingliederung Arbeitssystem Der Sinneinheit beschreibt Eingliederungsversuche von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt. Dies kann eigenaktiv, durch die Gesetzgebung oder
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auch durch verschiedene Systeme geschehen, wie ein Bericht über eine Agentur die Menschen mit Behinderung bei der Arbeitssuche unterstützt. Exorzistisch Ein Bericht über exorzistische Handlungen als Reaktion auf Behinderung wäre das Musterbeispiel für diese Kategorie. Unspezifische(r) Hilfe/Einsatz Eine Codierung in diesem Bereich erfolgt, wenn Teile des betrachteten Zeitungsausschnitts Einsatz oder Hilfen für Menschen mit Behinderung beschreiben, ohne diese näher zu konkretisieren. Interaktion/Kontakt Abschnitte der Zeitungsartikel, die sich mit dem direkten Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderung beschäftigen, fallen unter dieses Handlungsmuster, wie zum Beispiel das gemeinsame Fußballtraining von Kindern oder die gemeinsame Beschulung in Integrationsklassen. Karitativ Die Aussage beschreibt oder schildert materielle oder finanzielle Hilfen für Menschen mit Behinderung. Kompensatorisch Die Abschnitte des Textes, die beschreiben, wie versucht wird, Behinderung durch ein (technisches) Hilfsmittel zu umgehen, fallen in diese Kategorie. Die Funktionsfähigkeit der Person an sich wird nicht wieder hergestellt, allerdings erlaubt das Hilfsmittel die Einschränkung zum Beispiel mit einem anderen Sinn zu kompensieren. Im Gegensatz dazu steht das Handlungsmuster der Rehabilitation (Wiederherstellung) und auch das der Medizin (Heilung und nicht Umgehen der Einschränkung). Kompensatorisch wären inhaltliche Abschnitte zu Gebärdendolmetschern in Ämtern, barrierefreie Verkehrsmittel oder das Aufstellen von Tastmodellen für blinde Personen. Dieses Handlungsmodell gibt es auch ohne soziale Zuordnung (vgl. Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit). Medizinisch Ein medizinisches Handlungsmuster versucht Heilung durch die Bekämpfung der Ursache zu ermöglichen. Auch präventive Maßnahmen (Medikamente, Impfungen oder Diäten) zur Verhinderung einer sich entwickelnden Einschränkung sind dieser Kategorie zugeordnet. Vorher nicht vorhandene Funktionen sollen durch das medizinische Handlungsmuster ermöglicht werden. Im Gegensatz zum rehabilitativen Handlungsmuster muss hier die Funktion nicht schon vorhanden
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349
gewesen sein. Im Gegensatz zur Kompensation geht es um das Ermöglichen von bestimmten Funktionen (zum Beispiel Hörer) und nicht das Kompensieren durch andere Hilfsmittel. Im Rahmen des Zeitungs- oder Zeitschriftenartikels wären Beschreibungen von Impfungen gegen Stoffwechselerkrankungen, bis zum Einsetzen von Cochleaimplantaten als Inhalte dieses Codes denkbar. Als Subkategorie wird hier zusätzlich noch die Dimension therapeutisch codiert, für Maßnahmen deren Wirkung nicht klar (unspezifische Verwendung des Therapiebegriffes) oder nicht abschließend zu beurteilen ist (zum Beispiel Delfintherapie oder Gestützte Kommunikation). Mitgestaltend/Legislativ Handlungen zur allgemeinen Verbesserung der gesetzlichen Lage von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft werden beschieben. Sind die beschriebenen Inhalte sehr allgemein (Herr A hat an Gesetz XY zur Gleichberechtigung mitgearbeitet) oder lassen sich keiner anderen Kategorie zuordnen (wie etwa die gesetzliche Verpflichtung, barrierefrei zu bauen zum kompensatorischen Handlungsmodell), werden sie hier codiert. Pädagogisch Pädagogische Handlungsmuster zeichnen sich dadurch aus, dass sie versuchen Menschen mit Behinderung bestimmte Kompetenzen und Fähigkeiten zu vermitteln. Teile des Artikels könnten zum Beispiel Möglichkeiten zur schulischen Förderung von Menschen mit Behinderung beschreiben. Rehabilitativ In dieser Kategorie erfolgt eine Codierung, wenn inhaltlich beschrieben wird, wie eine bereits vorher vorhandene Fähigkeit in Teilbereichen oder vollständig wiederhergestellt wird. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion mithilfe von Prothesen fällt ebenfalls unter diese Kategorie. Auch bei diesem Handlungsmodell gibt es eine extra Zuordnungsmöglichkeit ohne die zu Beginn erwähnten sozialen Kategorien. Simulativ Der Versuch, sich in die Rolle einer Person mit Einschränkungen hineinzuversetzen, ist kennzeichnend für das simulative Handlungsmodell. Die Sinneinheit beschreibt die versuchte Selbsterfahrung einer Behinderung oder Einschränkung. Sonstiges Die klare Beschreibung einer bestimmten Handlung innerhalb der Artikel, die keiner anderen Ausprägung eines der unter Handlungsmodellen aufgeführten Codes zugeordnet werden kann.
350
Anhang
Handlungsmodelle ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (3-2-3) Handlungsmodelle, die keiner sozialen Kategorie zugewiesen werden, können werden nachfolgend beschrieben. Auch hier ist die Codierung mehrerer Modelle innerhalb eines Artikels möglich. Auslesend/Verhindernd Jegliche inhaltliche Beschreibung von Maßnahmen, die Behinderung oder Einschränkungen dadurch verhindern oder zu verhindern versuchen, dass Menschen mit Behinderung nicht geboren werden. Zum Beispiel Abtreibung oder selektive Nichteinpflanzung von Embryonen nach präimplantationsdiagnostischen Verfahren. Als Subkategorie wurde hier die Beschreibung der ‚Möglichkeit zur Auslese’ codiert. Auf den Versuch einer Einordnung in personale oder soziale Kategorien wurde in diesem Kontext verzichtet. Hilfsmittelspezifisch kompensatorisch Alle kompensatorischen Maßnahmen, die nicht einer sozialen Gruppe oder einer bestimmten Person zugeordnet werden könne. Sie beschreiben eher die Eigenschaften, Vorteile und die Beschaffenheit der kompensierenden Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung. Medizinisch Alle bereits weiter oben beschriebenen medizinische Handlungen, deren Initiation grundsätzlich (‚ein Chip kann die Netzhautfunktion übernehmen’) oder mangels Beschreibung (‚er muss operiert werden’) nicht einer bestimmten Person oder sozialen Gruppe zugeordnet werden kann. Auch hier gibt es die Subkategorie ‚Therapeutisch’. Rehabilitativ Rehabilitative Handlungsmuster, die nicht direkt einer bestimmten Person oder sozialen Gruppe zugeordnet werden können. Die Initiative ist dabei entweder unspezifisch (‚sie musste zur Reha’) oder die Aussage ist auf die Beschaffenheit oder Eigenschaft eines Hilfsmittels bezogen (‚mit der Prothese können Menschen wieder gehen’).
351
Anhang
2.3
Soziodemographie und Genese (4)
Dieser Bereich der Codeliste versucht wesentliche soziodemographische Daten zusammenzutragen. Die Codierung erfolgt auf Grundlage der im Text thematisierten Personen. Für jede im Text vorkommende Person ist eine Codierung für jede der nachfolgenden Kategorien möglich. Pro Text können also mehrere Codierungen erfolgen. Aufgrund des zugrundeliegenden Verfahrens ist es leider nicht möglich, doppelt oder innerhalb der Untersuchung öfter thematisierte Personen herauszufiltern.
Person/Gruppe (4-1) Die Codierung dient der Bestimmung der insgesamt durch die Medien behandelten Gruppen oder Personen. Es wird jeweils jede im Artikel genannte Gruppe und auch jede Einzelperson codiert. Keine bestimmte Person oder Gruppe Der Artikel thematisiert keine Personen oder nachfolgend beschriebene spezifische Gruppen. Spezifische Gruppe Eine spezifische Gruppe sind zum Beispiel Schüler einer bestimmten Schule oder auch im Artikel behandelte Personengruppen, die eine bestimmte Einschränkung oder Form von Behinderung gemeinsam haben (im Artikel wird über Menschen mit Down-Syndrom gesprochen). Mehrere, aber nicht klar definierte Personen Handelt es sich um eine nicht klar definierte Gruppe, aber um eine klare Anzahl an Personen, erfolgt eine Codierung in dieser Kategorie. Nicht namentlich erwähnte Person Hierunter fallen Einzelpersonen, die nicht namentlich erwähnt werden. Namentlich erwähnte Person Einzelpersonen, die im Text namentlich genannt werden, wird dieser Code zugewiesen.
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Anhang
Geschlecht (4-2) M=Männlich W=Weiblich
ArtderEinschränkung/Behinderung(43) Im Gegensatz zur Variable 4-3V werden hier nur die Einschränkungs- oder Behinderungsarten der im Artikel handelnden Person codiert. Mehrfachcodierungen sind möglich, wenn in einem Text mehrere Personen verschiedene oder auch gleiche Einschränkungen aufweisen. Die Einordnungen orientieren sich an den gängigen Definitionen und Schemata der jeweiligen sonderpädagogsichen Fachrichtungen (vgl. Hedderich 2006, 19ff.; Leonhardt 2002, 71ff.; Leyendecker 2006, 21ff.; Neuhäuser 2003, 115ff.; Speck 2005, 43ff.; Walthes 2005, 46ff.; Welling 2006, 13ff.) Au (Autismus): Personen mit Savantsyndrom, frühkindlichem oder Asperger Autismus. B (Blindheit): Sehbehinderte oder blinde Personen. GH (Gehörlosigkeit) Gehörlose oder hörbehinderte Personen. KE (kognitive Einschränkung): Menschen mit kognitiven Einschränkungen, einer sogenannten geistigen Behinderung oder einer Lernbehinderung MB (Mehrfachbehinderung): Kombination von mindestens zwei Kategorien (B, GH, KE, PE) PB (physische Beeinträchtigung): Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder Behinderungen. Unter die Kategorie fallen zum Beispiel auch kleinwüchsige Personen. SpE (Sprach- oder Sprecheinschränkung): Menschen mit Sprach- oder Sprechstörungen.
Anhang
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Alter (4-4) Das Alter der im Artikel thematisierten Personen wird grob in Kategorien erfasst. Zusätzlich erfolgt eine Auswertung der genauen Altersangaben falls diese angegeben werden. Embryo/Fötus, Säugling (0-12 Monate), Kind (1-12 Jahre), Jugendlicher (12-18 Jahre), Erwachsene (18-65 Jahre), Alte Menschen (ab 65 Jahre)
Familienstand (4-5) Falls der Familienstand aus dem Artikel ersichtlich ist wird er in einer der folgenden Dimensionen kategorisiert: Ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, in einer Beziehung
Kinder (4-6) Vorhandensein und Zahl der Kinder werden codiert.
Beruf (4-7) In Vivo Codierung des Berufs.
Genese der Einschränkung (4-8) Ursache (4-8-1) Dieser Code versucht zu erfassen, wo die Bedingungen oder Ursachen für das Auftreten einer Schädigung oder Einschränkung lagen. Intern Die Ursachen liegen im Körper der Person (Chromosomenanomalien) oder werden durch einen internen körperlichen Prozess ausgelöst (Formen von Hirnblutung, Schlaganfall).
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Anhang
Extern Die Ursachen der Störung oder Einschränkung liegen außerhalb des Körpers der betroffenen Person. Der Grund der Einschränkung ist eine Krankheit, Gewalteinwirkung oder eine Intoxikation durch Strahlung oder Chemikalien. Unklar Wird dann codiert, wenn die Ursache oder Quelle einer Einschränkung nicht abschließend wissenschaftlich geklärt oder multifaktoriell ist, zum Beispiel Autismus oder Amyotrophe Lateralsklerose.
Zeitpunkt der Ursache/des Ausbruchs (4-8-2) Grundsätzlich gilt bei dieser Codierung der Zeitpunkt des Auftretens der Ursache einer Einschränkung als ausschlaggebend. Ist der Zeitpunkt allerdings wissenschaftlich nicht abschließend geklärt, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, wird der Zeitpunkt des Auftretens einer Störung oder Einschränkung codiert. Pränatal Die Ursache der Einschränkung trat vor der Geburt auf. Perinatal Die Ursache liegt in der Zeit während der Geburt oder innerhalb der ersten Woche nach der Geburt. Postnatal Die Ursache der Einschränkung liegt in der Zeit nach der Geburt. 2.4
Personen (5)
Emotionen (5-1) Die Auswertung der Emotionen im Zusammenhang mit behinderten oder eingeschränkten Menschen erfolgt auf Basis der Überlegungen von Ulich und Mayring (vgl. Ulich/Mayring 2003, 151ff.). Es werden dabei grundsätzlich Zuneigungs- und Abneigungsgefühle sowie Wohlbehagen und Unbehagen unterschieden. Da in der Originalpublikation von Ulich und Mayring trotz eines Hinweises keine konkrete Einteilung in die vier Dimensionen erfolgt, orientiert sich die Zuweisung an Bundschuh (vgl. Bundschuh 2003, 36). Pro Text können beliebig viele Emotionen codiert werden.
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Emotionsarten (5-1-1) Zuneigungsgefühle Liebe und Sympathie; Stolz, Selbstwertgefühl; Hoffnung, Sehnen; Überraschung Abneigungsgefühle Ekel, Abscheu; Verachtung; Ärger, Wut, Zorn; Angst, Furcht; Hass; Eifersucht; Neid Wohlbefindlichkeitsgefühle Lustgefühl, Genusserleben; Freude; Zufriedenheit; Erleichterung, Entspanntheit; Glück Unbehagensgefühle Niedergeschlagenheit; Trauer, Kummer, Wehmut; Scham; Schuldgefühl; Langeweile, Müdigkeit, Leere; Anspannung; Nervosität, Unruhe, Stress; Einsamkeit Sowie die Zusatzkategorie Mitgefühl/Mitleid/Leid, da diese auch bei Mayring und Ulich extra kategorisiert wird (vgl. Ulich/Mayring 2003, 151).
Soziale Zuordnung (5-1-2) Die den Artikeln beziehungsweise den codierten Sinneinheiten zugrunde liegenden Perspektiven werden ebenfalls beachtet. Dabei wird unterschieden zwischen Emotionen in Bezug auf Menschen mit Behinderung (5-1-2-1) und Emotionen beziehungsweise Befindlichkeiten von behinderten Menschen (5-1-2-2). Unter Ersteres fallen direkte Aussagen von Dritten im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung in Form von wörtlichen Zitaten, durch den Autor vermittelte Aussage bezüglich der Emotionen Dritter gegenüber Menschen mit Behinderung sowie die Perspektive des Autors selbst. Der zweite Aspekt beachtet die Emotionen der Personen mit Behinderung (wörtliche Zitate) und die der Person durch den Autor des Artikel, oder durch dritte Personen zugeschriebenen Emotionen. Es wurden also insgesamt sechs Dimensionen in zwei Kategorien unterschieden. Emotionen in Bezug auf Menschen mit Behinderung (5-1-2-1) Emotionen Dritter (wörtliches Zitat), durch den Autor vermittelte Emotionen Dritter, die Emotionen des Autors selbst.
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Emotionen behinderter Menschen (5-1-2-2) Emotionen der Person (wörtliches Zitat), durch den Autor vermittelte dem Menschen mit Behinderung zugeschriebene Emotionen von Dritten, Emotionen, die der Autor behinderten Menschen zuschreibt.
Kompetenzen/Erfolge (5-2) Der Code Kompetenzen und Erfolge versucht in Artikeln beschriebene Kompetenzen/Inkompetenzen oder Erfolge/Misserfolge festzuhalten. Die Einteilung innerhalb der beiden Dimensionen erfolgt in drei qualitativen Stufen von basal über alltäglich bis hin zu herausragend. Pro Text sind beliebig viele Codierungen möglich. Kompetenzen/Inkompetenzen (5-2-1) Beschreibt die Fähigkeiten oder Kompetenzen beziehungsweise Inkompetenzen, die eine Person hat. Basal bedeutet in der Dimension, dass im Text Dinge beschrieben werden, die im Wesentlichen einfache Fähigkeiten und Kompetenzen beziehungsweise deren Abwesenheit beschreiben. Es geht dabei in der Regel um die eigene Versorgung („kann selbstständig essen“, „kann sich waschen“, „kann sich anziehen“). Alltäglich bedeutet, dass Fähigkeiten oder Unfähigkeiten beschrieben werden, die für den größten Teil der Gesellschaft selbstverständlich sind („kann lesen und schreiben“, „kann Auto fahren“). Herausragend wird dann verwendet, wenn die Person Fähigkeiten und Kompetenzen aufweist, die weit über die des durchschnittlichen Menschen hinausgehen oder deren Abwesenheit durch den Autor betont wird („kann 8000 Bücher auswendig vortragen“, „ist Weltrekordhalter im Weitsprung“). Erfolg/Misserfolg, Scheitern (5-2-2) Im Gegensatz zu den Kompetenzen beschreiben Erfolge das Erreichen einer konkreten Zielvorstellung oder den Gewinn einer Auszeichnung. Einen Weltrekord aufstellen wäre eine herausragende Kompetenz, aber nach diesem Verständnis noch kein Erfolg, sofern es nicht das alleinige Ziel der Tätigkeit war. Bei den olympischen oder paralympischen Spielen zu gewinnen oder eine sehr gute Platzierung zu erreichen gilt als ein Erfolg. Eine direkte oder implizite Ziel-
Anhang
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vorgabe ist also für den Unterschied entscheidend. Erfolge haben oder scheitern kann man neben dem Sport auch in der Schule, beim Studium, im Beruf oder in der Wirtschaft. Basal beschreibt Erfolg oder Scheitern in sehr einfachen oder den Körper betreffenden Dimensionen („er macht kleine Fortschritte“, „sie hat die Aufnahme in die Förderschule geschafft“). Alltäglich beschreibt den Erfolg oder das Scheitern einer Person in möglichen und für viele erreichbare Dimensionen („sie schaffte den Realschulabschluss“, „er spielte im örtlichen Schachverein bei der Vereinsmeisterschaft“). Außergewöhnlich wird als Codierung verwendet, wenn es sich um für die meisten Personen nicht erreichbare Erfolge handelt oder über Misserfolge in außergewöhnlichen Bereichen berichtet wird („er gewann die Goldmedaille“).
Eigenschaften (5-3) Die Einteilung erfolgt in das Grundraster des Bielefelder Inhaltlichen Kategoriensystems (IKS) (vgl. Angleitner/Ostendorf 1994; Angleitner/Ostendorf/John 1990; Henss 1998, 134; Henss 1995, 142). Eigenschaftsbeschreibungen der Person mit Behinderung durch ein Adjektiv (der optimistische XY), eine Substantivierung (der Optimistische), Umschreibungen (positiv denkend in die Zukunft schauen für optimistisch) oder vergleichbare Konstruktionen (der Optimismus von XY) werden in-vivo codiert, soweit sie noch nicht anderweitig erfasst wurden (zum Beispiel bei „der behinderte XY“ wäre das Adjektiv „behindert“ schon im Bereich Sprache codiert). Ausnahmen dabei bildeten die Bereiche Emotionsarten (Code 5-1-1) und Emotionen, innere Zustände und Reaktionsbereitschaft (Code 5-3-2a), hier sind Doppelcodierungen, also Überschneidungen mit den Eigenschaften möglich. Die nachfolgenden Erklärungen entsprechen im Wesentlichen den wörtlichen Beschreibungen der Autoren des IKS. Die eine Person mit Einschränkung oder Behinderung beschreibenden Adjektive wurden auf Basis der Untersuchung von Angleitner und Ostendorf den einzelnen Kategorien zugeordnet (vgl. Hager/Hasselhorn 1994a, Tabelle 5-1 im digitalen Anhang). Im Zweifelsfall, also bei nicht eindeutigen Vorgaben oder wenn das Adjektiv in der Liste nicht aufgeführt war, wurde anhand des Kontextes die am besten passende Kategorie gewählt.
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Dispositionsbegriffe (5-3-1) Dispositionsadjektive beschreiben Verhaltens- und Erlebensweisen, die im alltäglichen Sprachgebrauch als zeitlich überdauernd und als im Individuum begründet angesehen werden. Sie dienen meist der allgemeinen Beschreibung einer Person. Eine Abgrenzung ist vor allem gegenüber der Kategorie 5-3-2 notwendig, diese beschreibt kurzfristige Aspekte des Erlebens und Verhaltens. Das gleiche Adjektiv kann je nach Kontext unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden, zum Beispiel: nervös: „Du machst mich nervös“ (aktuell damit Kategorie 5-3-2) oder „Er ist ein nervöses Hemd“ (überdauernde Disposition und damit Kategorie 5-3-1). (a) Temperament und Charaktereigenschaften: Charaktereigenschaften der Person oder Beschreibungen ihres Temperaments werden hier kategorisiert. (b) Fähigkeiten und Talente: Bezieht sich das Adjektiv auf eine Fähigkeit oder ein Talent oder den Mangel daran, dann, wird des dieser Kategorie zugeschrieben, ansonsten (5-3-1a). Nicht dazu gehören Adjektive, die ausschließlich einfache körperliche Fähigkeiten bezeichnen, zum Beispiel „stark“. Temporäres Erleben und Verhalten (5-3-2) Viele Adjektive beschreiben Reaktionen von Personen, die zeitlich begrenzt sind. Darunter lassen sich Emotionen und Kognitionen, körperliche Symptome sowie Fertigkeiten und spezifische Verhaltensweisen subsumieren. Es kann sich also um „innere“ und „äußere“ Erscheinungen handeln. (a) Emotionen, innere Zustände und Reaktionsbereitschaft: Eigenschaften, die Emotionen oder innere Zustände beschreiben oder Interessen, Wünsche oder Bedürfnisse ausdrücken, sofern sie nicht körperlicher Art (5-3-2b) oder als Dispositionen (5-3-1) anzusehen sind, sollen dieser Kategorie zugeordnet werden. (b) Körperliche Symptome: Körperempfindungen und vegetative Beschwerden lassen sich hierunter zusammenfassen. Die Kategorie soll immer dann gewählt werden, wenn die Adjektive einen Bezug zur Körperlichkeit haben, auch wenn mit der Körperempfindung ein Gefühl der Lust oder der Unlust einhergeht. (c) Aktivitäten und Verhaltensweisen: Eigenschaften, die prinzipiell von außen beobachtbar sind. Adjektive dieser Kategorie bezeichnen kurzfristige oder momentane Verhaltensweisen oder deren Aspekte, zum Beispiel „zögernd“ oder „abwartend“.
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3 Gesellschaftliche und soziale Aspekte (5-3-3) Adjektive, die nicht als nur dem Individuum zugehörig, sondern als soziales (Lern-)Produkt angesehen werden. (a) Rollen und Beziehungen: Adjektive, die auf eine Rolle der Person hinweisen, die eine Beziehung zwischen zwei Personen implizieren oder die sich auf die gesellschaftliche Position oder den sozialen Status beziehen, wie „brüderlich“, werden hierunter codiert. (b) Soziale Effekte: Die Begriffe beschreiben Reaktionen anderer Personen auf die Person mit Behinderung. Adjektive, mit denen der Effekt, die eine Person beim Kommunikator hinterlässt oder die Reaktionen anderer Personen gegenüber einer behinderten Person beschreiben, werden in dieser Kategorie codiert. Entscheidendes Kriterium ist die Bezugnahme auf mindestens eine andere Person (in dieser Untersuchung reicht der Autor des Artikels) zusätzlich zur Person mit Behinderung. (c) Reine Bewertungen: Diese Kategorie umfasst ausschließlich bewertende Feststellungen über Personen und deren Erleben und Verhalten. Dazu gehören persönliche, gesellschaftliche und moralische Werturteile, Beurteilungen, die eine wertende Bedeutung haben und in der Regel sehr global gehalten sind, wie zum Beispiel „angenehm“, „beachtlich“ oder „schlecht“. (d) Einstellungen und Weltanschauungen: Diese Adjektive beschreiben im Sozialisationsprozess erworbene Werte, Grundsätze und Normen einer Person und beinhalten Verhaltensimplikationen oder -intentionen. Beispiele wären „antiautoritär“ oder „religiös“. 4 Äußerliche Charakteristika, Erscheinungsbild (5-3-4) Alle den Körper oder die Erscheinung der Person bestimmenden Eigenschaften. (a) Körpermerkmale: Eigenschaftswörter, die die Anatomie und Konstitution der Person mit Behinderung beschreiben. Die Eigenschaften sind vergleichsweise stabil, wie zum Beispiel „dünn“, „kräftig“ oder „dick“. Als Zusatzkategorie (x) werden außerdem zeitlich stabile Beschreibungen von Körperteilen in vivo codiert. (b) Erscheinung und Aussehen. Adjektive, die über soziokulturelle Aspekte des Äußeren der Person Aussagen machen. Dabei geht es um das Auftreten, den Stil oder das Erscheinungsbild. Beispiele wären „chic“, „erotisch“ oder „schön“. Als
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Zusatzkategorie (z) werden außerdem Aspekte des Aussehens von Körperteilen codiert. 5 Begriffe von eingeschränkter Verwendbarkeit (5-3-5) Die Kategorie beschreibt Adjektive, die zwar genügend bekannt und persönlichkeitsrelevant, aber zur Beschreibung von Individuen eher ungewöhnlich sind. (a) Kontextspezifische Begriffe und Fachausdrücke: Adjektive, die nur in ganz spezifischen Kontexten benutzt werden, wie „kreditwürdig“ oder „wehrdienstfähig“. Auch Beschreibungen, die nur auf spezifische, kleine Bevölkerungsgruppen anwendbar sind oder die sexuelle Orientierungen der Person mit Einschränkung beschreiben (zum Beispiel homosexuell). Medizinische oder psychologische Fachausdrücke werden ebenfalls hierunter kategorisiert (mit Ausnahme der Adjektive oder Substative, die bereits mithilfe eines anderen Codes kategorisiert wurden). (b) Metaphorische, ungebräuchliche und altmodische Begriffe: Die Bedeutung für die Beschreibung der Persönlichkeit eines Menschen ist nicht direkt oder nur sehr schwer erkennbar. Metaphern aus dem Tierreich oder der Geschichte wären Teil dieser Kategorie. In der Regel sind die verwendeten Begrifflichkeiten ungebräuchlich und nicht dem zeitlichen Kontext entsprechend.
2.5
Sprache (6)
Bei der Betrachtung der Sprache gilt grundsätzlich für alle Kategorien, dass durch Klammern oder Anführungszeichen gekennzeichneten Eigen-, Vereinsoder Schulnamen nicht codiert werden. Ist nicht klar, ob es sich um einen Vereinsnamen, die Bezeichnung einer Gesellschaft oder sonstiges handelt, erfolgt eine Codierung (Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) Æ keine Codierung; „Werkstatt für behinderte Menschen“ Æ keine Codierung; Werkstatt für behinderte Menschen Æ Codierung bei Adjektivierung). Umschreibung der Einschränkung (6-1) Alle Begriffe oder sprachlichen Konstruktionen, die der Umschreibung der Einschränkung dienen, sich allerdings nicht direkt auf die Personenbezeichnung oder der durch Adjektive oder Substantive erfolgenden Charakterisierung der Person beziehen, werden in nachfolgenden Dimensionen codiert. Pro Text sind mehrere Codierungen möglich.
Anhang
361
Schulangabe Die Beschreibung erfolgt unter Zuhilfenahme einer Schul- oder spezifischen Arbeitsstätte für Menschen mit Behinderung („die meisten Angeklagten besuchten eine Förderschule“). Entwicklungsverzögerung/Entwicklungsrückstand Die Einschränkung wird als Entwicklungsverzögerung oder als Entwicklungsrückstand bezüglich einer direkt genannten oder vorausgesetzten Vergleichsgruppe dargestellt („in der Entwicklung hängt er seinen Altersgenossen hinterher“). Normabweichung Der Autor beschreibt die Einschränkung mittels eines Normgruppenvergleiches („er hatte nur einen IQ von 50“). Syndrom/Krankheit Die Einschränkung wird durch den medizinischen Fachausdruck durch den Autor umschrieben („Sie hat das Down-Syndrom“). Strukturelle Einschränkung Die Einschränkung wird als strukturelle körperliche Einschränkung beschrieben („ihr fehlte der rechte Arm“). Funktionale Einschränkung Der Text beschreibt die Einschränkung als funktionale Limitierung des Geistes oder des Körpers („sein Geist und sein Körper sind zurückgeblieben“; würde es heißen „er ist zurückgeblieben“ gäbe es eine Codierung unter 6-2). Behinderungstermini Die Einschränkung wird durch den Behinderungsbegriff umschrieben („Gehörlosigkeit ist eine schwere Behinderung“). Handicap (unspezifisch) Der Begriff Handicap dient als Umschreibung der Einschränkung („sie muss lernen mit dem Handicap zu leben“). Der Begriff „Handicap“ wird dabei nicht näher erläutert. Prozent- oder Stufenangabe Die Einschränkung wird mit Prozent- oder Stufenangaben im Text veranschaulicht („er hat eine 50-prozentige Behinderung“).
362
Anhang
Personenbezeichnung ohne Behinderungsbegriff (6-2) Unterscheidung zwischen Autoren (6-2-1), Menschen mit Behinderung (6-2-2) oder dritten Personen (6-2-3). Interviews oder Zitate von Personen außerhalb des deutschen Sprachraums werden dem Autor zugeordnet. Bei allen Adjektivkonstruktionen werden auch alle ist (…) Konstruktionen codiert, z.B. ist gelähmt, ist autistisch etc. Politisch korrekt „Mit“- oder „im“-Konstruktionen, zum Beispiel „Mensch mit Down-Syndrom“, „Mann im Rollstuhl“, „Menschen mit Beeinträchtigungen“, „Menschen mit Handicap“ und Positivformulierungen wie „der Gebärdende“. „...“ Alle Begriffe in Anführungszeichen, die nicht der Kategorie Reminiszenzen zugeordnet werden können, werden hier codiert und in ein Positiv-negativ-Raster eingeteilt. Adjektivkonstruktionen Adjektivkonstruktionen wie zum Beispiel „der autistische Mann“, „die gehandicapte Frau“, „der zurückgebliebene Junge“ oder „das gelähmte Mädchen“. Hilfsmittelsubstantivierung Substantivkonstruktionen, wie zum Beispiel „der Rollstuhlfahrer“ oder „der Implantatträger“. Substantivierung Substantivierung der Einschränkung einer Person, zum Beispiel „der Gelähmte“, „der Autist“ oder „der Blinde“. Diskriminierung Bei den diskriminierenden Bezeichnungen wird ebenfalls zwischen Substantivierungen und Adjektivkonstruktionen unterschieden. Als diskriminierend wurden die Begrifflichkeiten eingestuft, die innerhalb der Fachwissenschaften, die sich primär mit Behinderung auseinandersetzen nicht mehr oder besser gesagt keinesfalls gebraucht werden. Substantivierung Diskriminierende Subjektbegriffe, wie „Krüppel“, „Monster“, „Idiot“ oder „Mongo“.
Anhang
363
Adjektivierung Adjektivische Verwendung diskriminierender Begrifflichkeiten, wie „das mongoloide Mädchen“ oder „der debile Mann“. Reminiszenzen Eine Codierung erfolgt bei einem Verweis auf altertümliche oder nicht mehr gebräuchliche Bezeichnungen, wie etwa „früher nannte man solche Personen mongoloid“.
Personenbezeichnung mit Behinderungsbegriff (6-3) Auch bei den Personenbezeichnungen mit Behinderungsbegriff wird zwischen Aussagen der Autoren (6-3-1), der Menschen mit Behinderung (6-3-2) und denen dritter Personen unterschieden (6-3-3). Kennzeichnend für diese Kategorie ist, dass der Begriff „Behinder(ung)“ in irgendeiner Form Verwendung findet Politisch korrekt „Mit“-Konstruktion als Personenbezeichnung, zum Beispiel „der Mensch mit Behinderung“. Adjektivierung Adjektivierung von Behinderung, zum Beispiel „die behinderte Frau“. Substantivierung Substantivierung zur Bezeichnung der Person, zum Beispiel „der Behinderte“. Schweregrad von Behinderung Der beschriebene Schweregrad wird in vivo, also aus dem Text heraus codiert, z.B. „schwer“, „absolut“, „sehr schwer“ etc.
Sprachliche Darstellung im Kontext Hilfsmittel (6-4) Sprachliche Konstrukte im Umgang mit Hilfsmitteln werden hier codiert. Im Wesentlichen erfolgt eine Gegenüberstellung der negativen Formulierung „an den Rollstuhl gefesselt“ im Gegensatz zur neutralen Formulierung „im Rollstuhl sitzen“.
364 2.6
Anhang
Unterstützung (7)
Hilfsmittel (7-1) Art des Hilfsmittels In-Vivo-Codierung der Hilfsmittel bei jeder Nennung. Grenzen/Ablehnung Codierung erfolgt, wenn Autor oder Nutzer die Grenzen oder die Ablehnung von Hilfsmitteln aus unterschiedlichen Gründen beschreiben.
Unterstützer/Unterstützter (7-2) Erfolgt eine Unterstützung einzelner Personen oder Gruppen von Menschen mit Behinderung im Sinne eines positiven Handlungsmusters (zum Beispiel karitativ), versucht dieser Code die unterstützende Person oder Gruppe und die begünstige Einzelperson oder Gruppe sowie deren Alter zu bestimmen. Person des Unterstützer (7-2-1) Konkrete Personen oder Gruppen, die Menschen mit Behinderung unterstützen, werden betrachtet. Hilfe an (7-2-2) Neben direkten materiellen oder finanziellen Hilfen für die Personen wird hier auch die Unterstützung von Forschung codiert. Einzelperson Die Unterstützung richtet sich an eine bestimmte Person. Diese muss nicht notwendigerweise namentlich erwähnt werden („Herr Meier bekam Hilfe von Super-Aid“). Spezifische Gruppe mit Projektnennung Sowohl die Gruppe als auch das Projekt werden im Artikel genannt. Die Gruppe kann dabei sowohl durch die Art oder Form der Einschränkung („die Gala dient der Unterstützung des Projekts ASDF für Kinder mit Down-Syndrom“) als auch durch eine Institution bestimmt sein („Die Schüler der Heine-Schule bekamen Geld für ihr JKL-Projekt“).
Anhang
365
Spezifische Gruppe ohne Projektnennung Es wird kein spezifisches Projekt genannt, der Leser erfährt aber den Personenkreis, der von der Unterstützung profitieren soll. Der Personenkreis kann dabei durch eine bestimmte Art von Behinderung oder Einschränkung definiert sein („die Gala dient autistischen Kindern“), aber auch durch eine Institution („damit wird den Schülern der Schule an der Steinbergstraße geholfen“). Unspezifische Gruppe mit Projektnennung Das Projekt, welches unterstützt werden soll, wird zwar genannt, die Gruppe oder der Adressatenkreis bleibt aber dem Leser verschlossen („damit wird die Organisation Quadropolli unterstützt“). Unspezifische Gruppe ohne Projektnennung Weder die Adressatengruppe noch das unterstützte Projekt werden genannt („Das Geld geht an behinderte Kinder“). Alter der Unterstützten (7-2-3) Kategorien analog zu Code 4-4.
3
Qualitative Orientierungsdimensionen
Klischeehafte Rollen Qualitative Einschätzung des Vorhandenseins klischeehafter Rollenvorstellungen (vgl. Kapitel III 3.1). Identifikation von Textbeispielen und erstellen von Textporträts.
Funktion der Artikel Identifizieren von Artikelfunktionen, wie zum Beispiel Hinweise auf Ungerechtigkeiten, Berichte über Widerstände von Menschen mit Behinderungen gegenüber bestimmten gesellschaftlichen oder politischen Entscheidungen sowie die Betrachtung von Forderungen und Wünschen. Diese Assoziationen hängen unmittelbar mit den Mechanismen der Printmedien zusammen.
366
Anhang
Mechanismen der Printmedien Qualitative Einschätzung der Zugehörigkeit des Artikels zu bestimmten Mechanismen der Presse (vgl. Kapitel III 3.2). Auffinden von Beispielartikeln.
4 4.1
Codebaum Version 0.01 (Erste Version)
Themen Gesellschaft und Soziales Justiz Art des Verbrechens/Rechtsstreits MmB als Täter MmB als Opfer Behinderung als Folge von Verbrechen Urteilsbericht/Anklagebericht Kultur/Kunst MmB als Model MmB als Künstler MmB als Schauspieler Medizin Therapie Gentechnik PID Versorgung Politik Sport Technik Innovationen für MmB Innovationen von MmB Tourismus/Reise Wirtschaft Charakterisierung der Person Aussagen im Text über die Person von Dritten Innenperspektive Außenperspektive MmB negative Aussagen traditionelle Aussagen banalisierende Aussagen emanzipierte Aussagen Hilfsmittel emanzipiert traditionell Unterstützer oder Personen im Umfeld emanzipiert
Anhang neutral traditionell Aussagen im Kontext Stereotypen nach Nelson Der Unglückliche Über Behinderung definiert Unzufriedenstellendes Leben Der MmB als Belastung Unerträglichkeit Abhängigkeit Der Unangepasste Unfähigkeit der Person Selbstmitleid Tod als zu bevorzugendes Schicksal Euthanasietendenz Passivität Der Bösewicht wenig menschlich Gefährlichkeit "Supercripple" Triumph oder heroisches Scheitern Mut, Ausdauer, Entschlossenheit Bedauerns- und Bemitleidenswert Tragisches Schicksal Passiv Kindlich Mitleid Soziokulturelle Informationen Unterstützer Art der Unterstützung verbal finanziell praktisch Soziale Schicht Alter Kinder Jugendliche Erwachsene Alte Menschen Hilfe an Alter der Unterstützten Erwachsene Jugendliche Kinder Unterstützung für Forschung und Reha Einzelperson oder best. Einzelpersonen spez. Gruppe mit Projektnennung spez. Gruppe ohne Projektnennung unspezifische Gruppe Geschlecht der Unterstützten
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368 Soziokulturelle Informationen MmB Alter Säuglinge Kinder Jugendliche Erwachsene Alte Menschen Art d. Behinderung/Einschränkung (funktionaler Begriff) Mehrfachbehinderung Sinnesbehinderung physische Einschränkung kognitive Einschränkung Ausbildung Hochschulabschluss Fachhochschulabschluss Ausbildungsberuf ohne Ausbildung Berufstätigkeit beschriebener Schweregrad Familienstand Genese der Behinderung Geschlecht weiblich männlich Hilfsmittel Kinder Nein Ja Schulabschluss ohne Schulabschluss Hauptschulabschluss qualifizierter Hauptschulabschluss Mittlere Reife Hoch- oder Fachhochschulreife Soziale Schicht tägliche Versorgung Intensivbetreuung Assistenz Selbstständig Unterstützung Wahrnehmbarkeit der Einschränkung Behinderung Begriffsbezeichnung Adjektivierung diskriminierende Substantivierung Politisch korrekt Substantivierung nähere Umschreibung der Einschränkung Ja Nein
Anhang
369
Anhang
4.2
Version 3.01 (Endgültige Version)
Aussageebene Dritte MmB Themenkonkretisierung (2) Sport (2-1) Allgemeiner Sport Andere sportverwandte Themen Behindertensport Deaflympics Paralympics Special Olympics Sportler d. Jahres Katastrophen/Unfälle (2-2) Rettung MmB Opfer MmB Selbstmord MmB als Retter MmB als Verursacher Unfall einer Person mit Behinderung Verbrechen/Rechtsstreit (2-3) Rolle des beh. Menschen (2-3-1) MmB als Täter/Tatverdächtiger/Angeklagter MmB als Kläger/auch stellvertretend (Eltern) MmB als Opfer/Geschädigter MmB als Zeuge Mensch mit Behinderung als Verurteilter/Todesstrafe Bericht über Rechtstreit/Urteilsbericht Art des Verbrechens/Rechtsstreits (2-3-2) Betrug/Diebstahl […] Sexualdelikte keine Straftaten bauliche Veränderung […] Verkehrsdelikte Verständnis von Behinderung (3-1) Medizinisch-kausal Interaktional-funktional Gesellschaftlich bedingt Systemisch Gesellschaftlich konstruiert Handlungsmusterzusammenfassung (sozialer Ebene zuordenbar) Ausschluss/Verstecken
370 Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Hilfe/Einsatz (unspezifisch) Interaktion/Kontakt Karitativ Kompensation Medizinisch therapeutisch Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstige Handlungsmuster (3-2-1) (3-2-2) individual (extern) Ausschluss/Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Hilfe/Einsatz (unspezifisch) Interaktion/Kontakt Karitativ Spendenaufruf Kompensation Medizinisch therapeutisch Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstige Individual Eigenperspektive Ausschluss/Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch Hilfe/Einsatz (unspezifisch) Interaktion/Kontakt untereinander Karitativ Kompensation Medizinisch therapeutisch Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstige Systeme (Extern) Ausschluss/Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Exorzistisch
Anhang
Anhang Hilfe/Einsatz (unspezifisch) Interaktion/Kontakt Karitativ Spendenaufruf Kompensation Medizinisch therapeutisch Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Simulativ Sonstige Systeme Interessenvertretung/Selbsthilfe Ausschluss/Verstecken Interaktion/Kontakt Karitativ Kompensation Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Sonstige Makrosysteme/Gesellschaftliche Subsysteme Ausschluss/Verstecken Eingliederung Arbeitssystem Interaktion/Integration Kompensation Medizinisch Mitgestaltend/Legislativ Pädagogisch Rehabilitativ Sonstige Handlungsmuster ohne soziale Zuordnungsmöglichkeit (3-2-3) Auslesend/Verhindernd Möglichkeit zur ‚Auslese’ Kompensatorisch (Hilfsmittelspezifisch) Medizinisches Therapeutisch Rehabilitatives Person / Gruppe (4-1) KbPG SG MnkdP NnEP NeEP Informationen MmB Geschlecht (4-2) m w Art der funktionalen Einschränkung (4-3) AU Savant
371
372
Anhang B GH KE
MB PB SpE Alter (4-4) Embryo/Fötus Säugling Kind Jugendlicher Erwachsener Alter Familienstand (4-5) in einer Beziehung ledig verheiratet verwitwet geschieden Kinder (4-6) Beruf/Profession (4-7) Arbeiter auf Bauernhof Arbeitslos Arzt Aushilfskellner Auswieger [..] Vermessungstechniker Veteran Weltenbummler Werkstatt Wissenschaftler Emotionen (5-1) Emotionszusammenfassung (5-1-1) Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühl Unbehagensgefühle Leid/Mitleid Emotionen im Bezug auf Menschen mit Behinderung (5-1-2-1) Emotionen Dritter (wörtliches Zitat) Zugneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle Durch den Autor vermittelte Emotionen Dritter Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle
Anhang Emotionen des Autors Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle Emotionen behinderter Menschen (5-1-2-2) Emotionen der Personen (wörtliches Zitat) Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle Leid/Mitleid Durch den Autor vermittelte von Dritten zugeschriebene Emotione Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühl Unbehagensgefühle Leid/Mitleid Emotionen, die der Autor MmB zuschreibt Zuneigungsgefühle Abneigungsgefühle Wohlbefindlichkeitsgefühle Unbehagensgefühle Leid/Mitleid Kompetenzen/Erfolge (5-2) Kompetenzen (5-2-1) basal alltäglich herausragend Inkompetenzen (5-2-1) basal alltäglich herausragend Erfolg (5-2-2) basal alltäglich außergewöhnlich Scheitern (5-2-2) basal alltäglich außergewöhnlich Eigenschaften (5-3) Dispositionsbegriffe (5-3-1) Temperament/Charaktereigenschaften (a) aggressiv anhänglich aufrichtig ausdauernd beharrlich […]
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Anhang witzig zickig zielstrebig zurückhaltend zuverlässig Fähigkeiten/Talente (b) analytisch autark begabt belesen clever […] unselbstständig wehrlos weise wissbegierig überfordert Temporäres Erleben und Verhalten (5-3-2) Emotionen/innere Zustände (a) antriebslos aufgeregt aufmerksam ausgeglichen ausgelassen […] widerborstig wütend zornig zufrieden zuversichtlich körperliche Symptome (b) erschöpft gebrechlich gestorben gesund kaputt leblos tot nicht (mehr) gesund krank wach Aktivitäten und Verhaltensweisen (c) aktiv barsch bedenkenlos bewegungslos engagiert […] unagil vehement
Anhang wild wohltätig zärtlich Gesellschaftliche und soziale Aspekte (5-3-3) Rolle und Beziehung (a) abhängig eigenständig eingesperrt einsam gleichgültig […] mächtig männlich pflegebedürftig unabhängig weiblich Soziale Effekte (b) auffällig charmant eindrucksvoll faszinierend herzlich […] schillernd sympathisch unbequem unberechenbar verletzend Reine Evaluationen (c) absonderlich anders arm (dran) außergewöhnliche Menschen außerordentlich […] willenlos wohlhabend wortgewaltig wunderbar wundervoll Einstellungen und Weltanschauungen (d) realitätsnah äußere Charakteristika (5-3-4) Anatomie, Konstitution (a) abgemagert blond buckelig bullig dick […]
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376 winzig zart zerbrechlich zierlich zwergenhaft Körperteile (x) Altersflecken Augen in tiefen Höhlen Armstummel […] verkrümmte Beine verkrüppelte Beine verkümmerte Beine Erscheinungsbild und Aussehen (b) abstoßend attraktiv auffällig aufgedunsen ausgezehrt [..] verwahrlost wunderschön wächsern zart zerbrechlich Körperteile (z) apathisch blickend aufgerissene Augen blickloses Gesicht […] Zähne wie Hauer klaffender Mund wache Augen Wunden Eingeschränkte Verwertbarkeit (5-3-5) Kontextspezifische Fachausdrücke (5a) lesbisch pädophil Metaphorisches Ungebräuchliches (5b) clown automatenhaft Elefantenmensch Bärfrau Märchenfigur Jeanne d'Arc Vogel Engel Elfen Muscheln Kinder hinter der Wand Bewertung der Eigenschaften
Anhang
Anhang Sympathie für den Träger der Eigenschaft äußerst sympathisch teilweise sympathisch neutral teilweise unsympathisch äußerst unsympathisch Soziale Erwünschtheit sehr erwünscht teilweise erwünscht neutral teilweise unerwünscht sehr unerwünscht Angenehmheit sehr angenehm teilweise angenehm neutral teilweise unangenehm unangenehm personale Erwünschtheit sehr erwünscht teilweise erwünscht neutral teilweise unerwünscht unerwünscht Genese der Einschränkung (5-4) Grund / Ursache (5-4-1) unklare/multifaktorielle Ursachen intern extern Zeitpunkt (5-4-2) postnatal perinatal pränatal Umschreibung der Einschränkung (6-1) Schulangabe Entwicklungsverzögerung/Entwicklungsrückstand Normabweichung Syndrom/Krankheit strukturelle Einschränkungen funktionale Einschränkungen Behinderungstermini Handicap (unspezifisch) Prozent-Stufenangaben Personenbezeichnung ohne Behinderungsbegriff (Autor) (6-2-1) Politisch korrekt ".." negativ positiv Adjektivierung ohne Beh. Begriff Hilfsmittelsubstantivierung
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378 Substantivierung ohne Beh.-Begriff diskriminierende unadäquate Bezeichnung diskriminierende Substantivierung diskriminierende Adjektivierung Reminiszenzen Personenbezeichnung ohne Behinderungsbegriff (MmB) (6-2-2) Politisch korrekt ".." negativ positiv Adjektivierung ohne Beh. Begriff Hilfsmittelsubstantivierung Substantivierung ohne Beh.-Begriff diskriminierende unadäquate Bezeichnung diskriminierende Substantivierung diskriminierende Adjektivierung Reminiszenzen Personenbezeichnung ohne Behinderungsbegriff (Dritte) (6-2-3) Politisch korrekt ".." negativ positiv Adjektivierung ohne Beh.-Begriff Hilfsmittelsubstantivierung Substantivierung ohne Beh.-Begriff diskriminierende unadäquate Bezeichnung diskriminierende Substantivierung diskriminierende Adjektivierung Reminiszenzen Sprache mit Behinderungsbegriff (Autor) (6-3-1) Heilpädagogisch (mit) Behinderungsbegriff Substantivierung Adjektivierung Sprache mit Behinderungsbegriff (MmB) (6-3-2) Heilpädagogisch (mit) Behinderungsbegriff Substantivierung Adjektivierung Sprache mit Behinderungsbegriff (Dritte) (6-3-3) Heilpädagogisch (mit) Behinderungsbegriff Substantivierung Adjektivierung Schweregrad (6-3-4) absolut allerschwerst alptraumhaft [..] stark total voll
Anhang
Anhang Darstellung der Hilfsmittel (6-4) negativ neutral postiv Hilfsmittel (7-1) Art der Hilfsmittel Akustische Signale, Sprachausgabe, Text zu Sprach-Software Alltagshilfsmittel (Zigarettenhalter, Einhanddosenöffner) Armflossen Atemgerät/Beatmungsgerät Aufzüge/Treppenlifte/elektr. Rampen […] Stützapparatur tragbare Computer Ultraschall oder Satellitenleitsysteme Vorleser / Informationsgeber / Begleiter Wahl / Währungsschablonen und sonstige Schablonen Grenzen von/Stigmatisierung durch/ Ablehnung von Hilfsmittel Risiko Probleme Ablehnung Grenzen d. Hilfsmittel Hilfsmittel stigmatisieren Informationen Unterstützte / Unterstützung (7-2) Unterstützter (7-2-1) unklar Staat Firma Gruppe Mehrere Einzelpersonen Einzelperson Hilfe an (7-2-2) unspezifische Gruppe mit Projektnennung Familie Forschung und Reha Einzelperson oder best. Einzelpersonen spez. Gruppe mit Projektnennung spez. Gruppe ohne Projektnennung unspezifische Gruppe ohne Projektnennung
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