Atlan - Minizyklus 06 Intrawelt Nr. 07
Im Hort der Drieten von Uwe Anton
Im Jahr 1825 Neuer Galaktischer Zeitrechnung...
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Atlan - Minizyklus 06 Intrawelt Nr. 07
Im Hort der Drieten von Uwe Anton
Im Jahr 1825 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht – befindet sich der relativ unsterbliche Arkonide auf einer verwegenen Mission. Atlan ist in die Intrawelt vorgestoßen, um ein Mittel gegen die unheimlichen Lordrichter zu finden: den Flammenstaub. Nach wie vor bedrohen diese mit ihren Truppen mehrere Galaxien. Gleich zu Beginn seiner Odyssee durch die gigantische Hohlwelt gerät der Arkonide an Peonu, einen Diener der Chaotarchen. Dieser raubt ihm einen Teil der Seele und kettet dadurch ihrer beider Schicksale aneinander. Peonu lässt den Arkoniden ziehen – er weiß, dass jener ihm fortan verpflichtet sein wird. Atlan durchreist weiterhin die Intrawelt auf der Suche nach dem Flammenstaub und lernt dabei fremde, exotische Völker kennen. Begleitet wird er mittlerweile von drei Individuen: dem Echsenwesen Jolo, dem vogelartigen ehemaligen Erzählsklaven Tuxit und der entfernt schneckenähnlichen Geschlechtswechslerin Albia. Und als sie in Todesgefahr gerät, bleibt nur noch eine Hoffnung: IM HORT DER DRIETEN …
Im Hort der Drieten
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide und sein Extrasinn machen eine Bestandsaufnahme ihrer Unzulänglichkeit. Albia - Die Hohe Frau erleidet schreckliche Qualen. Emball - Der Bajare führt Fremde zum Hort der Drieten. Eggober - Der Anstize hat nicht nur ein Ungezieferproblem. Peonu - Der Seelenhorter begibt sich auf die Jagd.
Prolog »Lauf nur«, flüsterte Peonu. »Es wird dir nichts nützen. Ich bekomme dich. Ich bekomme jeden, den ich haben will!« Er hatte wieder eine Fährte aufgenommen, und er wusste, der Bruggere konnte nicht entfliehen. Sein neues Opfer würde nicht nach sprödem rotem Holz schmecken, mit einer Prise von Zimt und scharfem Pfeffer wie der Kosmokratenknecht. Sehr delikat, wie Peonu sich entsann, wäre nicht der grässliche, wie Zinn kreischende Beigeschmack der weißen Schlieren gewesen, die den Unsterblichen umgeben hatten. Nein, dieses neue Opfer war fad, ließ sich nicht im Geringsten mit Atlan vergleichen. Fad und schwach wie ein Milchkaffee im Vergleich zu echtem K'amana, hätte der Arkonide wahrscheinlich ein vernichtendes Urteil gefällt. Peonu ließ den Blick durch die kleine Ortschaft schweifen, die er zum ersten Mal mit seiner Anwesenheit beehrte, und fragte sich, was er hier überhaupt wollte. Ortschaft war vielleicht zu viel gesagt: Es handelte sich um eine Zeltstadt der Bruggeren, die in Karaporum Arbeit gesucht und gefunden hatten. Sicher, die einzelnen Zelte waren schön herausgeputzt, die Wege zwischen ihnen breit und sauber gefegt, aber … eine Zeltstadt! Er hatte die Hauptstädte riesiger Sternenreiche gesehen, Metropolen, die ganze Planeten bedeckten und in denen über das Schicksal von Sonnensystemen entschieden wurde. Und nun war er in einer Zeltstadt. Er schritt gemächlich aus, folgte dem stämmigen Humanoiden, der in panischer
Flucht davonstob, sich dabei immer wieder umsah. Peonu hatte es nicht eilig, er war im Vorteil. Er konnte den Ort und den Zeitpunkt der Seelenübernahme bestimmen. Die Reaktion seines Opfers verwunderte ihn ein wenig. Eigentlich konnte der Bruggere nichts von der Gefahr ahnen, die ihm drohte. Es lief wohl instinktiv davon, vielleicht, weil er noch nie einen wie ihn gesehen hatte: groß, hager, mit Unter-, Mittelund Oberarmen und -beinen sowie Facettenaugen. Wie hätte er auch jemals einen sehen sollen? Peonu war der einzige Lutvenide, den es jemals in die Intrawelt verschlagen hatte, da war er sich sicher. Und mittlerweile war er wahrscheinlich auch der Letzte seiner Art im Universum. Andererseits … in der Intrawelt wimmelte es geradezu von Vertretern der unterschiedlichsten Spezies. Ihre Bewohner waren es gewohnt, immer wieder auf Wesen zu treffen, die ihnen fremdartiger vorkommen mussten, als sie es sich in ihren Träumen je hatten vorstellen können. Spürte der Bruggere etwa, was ihn erwartete? Peonu konnte es sich nicht vorstellen. Dank seiner Seelenhäppchen wusste er von dieser Spezies. Die Bruggeren und ihre drei Brudervölker waren schlichte Gesellen, brauchbare Arbeiter, mehr aber nicht. Einen Augenblick lang spielte Peonu mit dem Gedanken, die Verfolgung aufzugeben und den Bruggeren unbehelligt zu lassen. Viel versprach er sich sowieso nicht von diesem Opfer – und von seinen weiteren. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, wenn jemand imstande war, ihn dem Flammenstaub näher zu bringen, dann wohl das Seelenhäppchen Atlan mit dem wie Zinn kreischenden Bei-
4 geschmack. Doch seit der Begegnung mit dem Unsterblichen trieb ihn eine seltsame Unruhe. Während der letzten Tage war er ständig auf der Suche nach neuen Opfern gewesen, hatte er Informationen von da und dort entgegengenommen, das Netz seiner Seelenhäppchen weiter ausgebaut. Er musste langfristig denken. Sollte der Kosmokratenknecht scheitern, musste er auf andere Art und Weise weitermachen. Er beschleunigte seine Schritte. Zielsicher lief er durch die undurchdringliche Dunkelheit der Nacht. Seine Komplexaugen halfen ihm dabei nicht; zwar erlaubten sie ihm perfekte Rundumsicht, und er sah um einiges schärfer als die meisten anderen Wesen, doch undurchdringliche Finsternis blieb auch für ihn undurchdringlich. Während der Finsternis, die die Nacht auf der Intrawelt auszeichnete, bediente er sich mehrerer hunderttausend schwarzer, winzig kleiner Reflexionskörper in seinem Kopf, die den Schall einfingen, und ebenso vieler kleiner Riechknöpfe mit mikroskopisch kleinen Riechhärchen, die es ihm erlaubten, gelöste Duftmoleküle aufzufangen. All diese Sinnesorgane verrieten ihm, dass kein einziger anderer Bruggere unterwegs war. Es hatte fast den Anschein, als wüssten sie, dass es nicht ratsam war, in dieser Nacht die Zelte zu verlassen. Alle, bis auf den einen vor ihm. Mühelos schloss er zu ihm auf. Der Bruggere drehte sich um, schaute zu ihm zurück. Sein Brustkorb hob und senkte sich unnatürlich schnell. Die blau und schwarz gefärbten Haare des Brustfells, das der Humanoide stolz zur Schau trug, schienen sich kurz zu sträuben. Er konnte ihn nicht sehen, nur hören. Peonu wusste, dass sein Gang für andere Spezies bisweilen spaßig und seltsam anmutete. Die Gelenke über seinen Mittelbeinen funktionierten wie Scharniere und erlaubten dementsprechend nur Auf- und Abbewegungen, während die unteren als Kugelgelenke es ihm erlaubten, seine untersten Extremitätenausläufer in alle Richtungen zu drehen.
Uwe Anton Rasch hatte Peonu den Bruggeren mit drei, vier Sprüngen erreicht. Der Humanoide streckte in einer hilflosen Abwehrbewegung die Arme aus, unterschätzte jedoch – wie fast alle es taten – die zusätzliche Wendigkeit, die die Kugelgelenke sowohl Peonus Beinen wie auch seinen Armen verliehen. Bevor der Bruggere sich's versah, hatte Peonu seine kräftigen Arme zur Seite gedrückt. Die schmale, fast farblose Seele des Bruggeren leuchtete einen Moment lang hell auf, als der Humanoide spürte, wie ihm geschah. Peonu schleckte genüsslich mit der Zunge über die Brust des Humanoiden, doch die Seelenessenz schmeckte schal. War es möglich, dass der Kosmokratenknecht ihn verdorben hatte? Dass ihm nun jede Seele, die er aufschleckte, fad und schlaff schmeckte? Er ließ den Bruggeren los, und der Humanoide sank zu Boden. Auch wenn das im Vergleich zu Atlan nichts war, wenn mir jetzt noch mehrere Stunden lang der Geschmack von verdorbener Keesa auf der Zunge liegt, mahnte er sich, auch die kleinen Seelenopfer sollte ich nicht verachten. Sie führen ebenso ans Ziel. Wieso dachte er in letzter Zeit ständig an den Unsterblichen? Und mit der Erinnerung an ihn kam auch die an die Kosmokraten und Chaotarchen. Vielleicht werde ich irgendwann wieder zu ihnen zurückkehren können. Zu den Mächtigen, den Vollkommenen … Er träumte nun sehr oft von seiner Heimkehr in das Chaotarchenteam. Sein ganzes Trachten und Treiben schien darauf gerichtet zu sein. Alles andere war unwichtig. Und der Flammenstaub war das Mittel, mit dem er seine Ziele verwirklichen konnte. Der vor Angst erstarrte Bruggere sah ihn aus großen Augen an. Verschwommen konnte Peonu sich in ihnen erkennen. »Du bist weit herumgekommen«, flüsterte er. »Vielleicht wirst du mir nützlicher sein, als dein Geschmack vermuten lässt.« Und wieder musste er an den Arkoniden denken. Atlan, von den Kosmokraten berührt. Vielleicht bestand tatsächlich eine gewisse See-
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lenverwandtschaft zwischen ihm und dem Unsterblichen. Er spürte ihn fast über alle Distanzen hinweg. Der ultradünne Seelenfaden … Er war eigentlich derjenige, der diesen Faden in der Hand hielt und seinen Widerpart damit zu steuern vermochte. Allein die Tatsache, dass er diese Verbindung relativ deutlich fühlen konnte, war mehr als nur ungewöhnlich; bei keinem seiner bisherigen Opfer war ihm das jemals passiert. Misslaunig kratzte er sich an der Brust. Das sechsarmige Kristallsymbol juckte wieder. Seit Tagen plagte es ihn über alle Maßen. Wütend trat er nach dem Bruggeren. Etwas Unverständliches stammelnd, kroch dieser davon. Warum spürte er die eine Verbindung so deutlich? Und da war ein seltsames Ziehen und Zerren … kein glattes Gleiten wie bei den anderen Häppchen. Fast schien es ihm, als könne Atlan ihm einen zwar schwachen, aber dennoch spürbaren Widerstand entgegensetzen. Es war nicht viel, aber trotzdem unglaublich. Für Peonu war das eine absolut neue Erfahrung. Und er hatte das üble Gefühl, dass es dabei nicht bleiben würde.
1. So eine Driete, dachte ich, scheint tatsächlich wesentlich widerstandsfähiger zu sein als ihr männlicher Gegenpart. Albion wäre wohl schon längst tot, lobte der Logiksektor meine Entscheidung, den Breiten Mann quasi in letzter Sekunde gezwungen zu haben, eine Geschlechterwandlung vorzunehmen. Albia lebt. Die Frage ist nur, wie lange noch. Besorgt drehte ich mich wieder zu der Hohen Frau um. Ein pfeifendes und stampfendes Geräusch, das sie unablässig von sich gab, ließ mich das Schlimmste befürchten. »Sie ist sehr krank, muss Hilfe bekommen.« Der muntere Jolo plapperte schon seit
Stunden ununterbrochen vor sich hin. »Was du nicht sagst! Von allein hätte ich das gar nicht bemerkt!« Ich antwortete dem Echsenwesen lauter als gewollt. Jolo schlug einen Purzelbaum und blieb auf dem Bauch liegen, alle viere von sich gestreckt. »Du darfst nicht so brüllen! Sonst bekomme ich wieder Bauchglucksen, und dann geht es mir auch schlecht.« Ich seufzte leise. Die magenempfindliche Nervensäge zog wieder ein Gesicht, das einem das schlechte Gewissen förmlich aufzwang. »Tut mir Leid«, sagte ich. »Aber sie stöhnt laut genug, ich höre sie ebenfalls. Ich weiß, dass sie Hilfe braucht. Deshalb sitzen wir ja auch hier in der Gondel und sind auf dem Weg zur Parzelle Hüffen.« Seit drei Tagen, schier endlosen Stunden des Hoffens und Bangens, waren wir nun unterwegs. Wir hatten mehrmals im Gondelsystem umsteigen müssen und dabei sowohl Flach- als auch Hochstationen genutzt. Lange würde Albia nicht mehr durchhalten. Ich sah kurz zu Tuxit, der die Hohe Frau mit Wasser versorgte und ihre zuckenden Fühler sanft massierte. Trotz seines hohen Alters hatte der ehemalige Erzählsklave diese kräftezehrende Aufgabe übernommen, ohne zu murren. Er hob gerade Albias Hinterleib mit seinem kurzen, kräftigen Schnabel an, um sie etwas zu entlasten, und konnte sich deshalb nicht an unserer kleinen Diskussion beteiligen. Ich machte mir mehr Sorgen um Albia, als ich vor Jolo zugeben wollte. Trotz der Umwandlung zur wesentlich robusteren Seite ihres Ichs bangte ich weiterhin um ihr Leben. Wir mussten sie so schnell wie möglich zu ihren Artgenossen bringen. Wenn Albia die nötige Behandlung bekommen sollte, dann dort. Und vielleicht würde ich von den Drieten ja auch etwas mehr über die Entstehung der Intrawelt erfahren … »Oh weh, sie sieht immer schlimmer aus. Sie braucht dringend Hilfe!« Jolos Dauer-
6 wiederholung riss mich aus meinen Gedanken über die möglichen Erbauer der Intrawelt. Über sie hatte ich noch nichts in Erfahrung gebracht; sie waren gesichtslose Geisterwesen, die durch meinen Kopf wanderten und mich um den Schlaf brachten. Wie Schatten spukten sie in meinen Gedanken herum; niemand hatte sie je gesehen, niemand kannte sie, nicht einmal Namen oder Beschreibungen gab es, geschweige denn Informationen, ob sie überhaupt noch existierten. Handelte es sich um ein Volk – wie die verschollenen Rhoarxi Dwingeloos beispielsweise – oder mehrere, wie es sich bei den Erbauern der Sternenschwärme verhalten hatte? Oder gar um wenige Einzelpersonen, vergleichbar einem der Sieben Mächtigen? Man konnte dabei aus der Haut fahren … Der kleine Echsenmann hatte es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, mich minütlich über Albias schlechten Zustand zu informieren. Er ging mir einfach nur noch auf die Nerven. Wenn er keine Krankheitsberichte von sich gab, dann welche über den Zustand seines Magens. Allmählich konnte ich es nicht mehr ertragen. Ich atmete tief durch. »Sehr gut beobachtet, aber siehst du jemanden, der das noch nicht weiß?« Der Echsenmann hampelte vor mir herum und sah mich dann mit großen Kulleraugen an. »Wie meinst du das?« Er versucht schon wieder, dich zu manipulieren! Bleib hart und lass dich nicht wieder auf ein Wortgefecht mit dem Blubberbauch ein. Mein Extrasinn war schon sachlicher gewesen. Auch er war anscheinend nicht immun gegen Jolo. »Egal, vergiss es. Hol ihr noch mehr Wasser, sie verliert zu viel Flüssigkeit.« Sehr gut. Beschäftige ihn, dann hat er nicht mehr so viel Zeit für anderen Unsinn, pflichtete der Extrasinn mir bei. Er klang merklich erleichtert. Ich fragte mich allmählich, ob der Vorrat der Gondel an Wasser reichen würde. Albia hatte einen gewaltigen Bedarf, den Auch-
Uwe Anton loch, unser Maulspindler, wohl kaum eingeplant hatte. Jolo kehrte mit leeren Händen zurück und bestätigte meine Befürchtung. »Kaum noch welches da!« Ungeduldig winkte ich mit der Hand. »Hol es einfach, in Ordnung?« Er trollte sich, und ich sah wieder nach vorn zu dem Wesen mit den sechs Spinnenbeinen, die aus seinem runden grauen Oberkörper ragten. »Wann werden wir Hüffen erreichen?« Auchloch drehte sich nicht um, als er mir antwortete. Das musste er auch nicht. Auf seinem Oberkörper saß ein nahezu humanoider Kopf mit vier Facettenaugen, die ihm eine Rundumsicht erlaubten. »Man nähert sich der Boden-Gondelstation FCBM-272«, erwiderte er knurrend. »Sie liegt in der Parzelle Hüffen.« Ich erhob mich von der Driete und ließ den Blick durch das Gondelinnere gleiten. Das Fahrzeug war zigarrenförmig, etwa 15 Meter lang und fünfeinhalb breit beziehungsweise hoch. Es bot ein Mindestmaß an Komfort, auch wenn die Ausstattung vergleichsweise einfach gehalten war. Die Gondel bot Nassräume, einen Aufenthaltsraum, einen Schlafraum und eine Kochnische; wir konnten uns auf zwei Höhenebenen bewegen, die durch eine Treppe verbunden waren. Unter dem eben gebauten Boden der unteren Ebene befand sich ein für uns nicht zugänglicher flacher Hohlraum; darin waren wohl unter anderem die Wassertanks untergebracht, die die Vorräte für die verschiedensten Spezies bargen. Ich trat an eine der breiten Fensterfronten, durch die man atemberaubende Ausblicke auf die Intrawelt genießen konnte – sofern man schwindelfrei war. Obwohl wir uns nur noch wenige Kilometer über dem Boden der Intrawelt befinden konnten, versperrte mir eine dicke, rußig schwarze Wolkendecke die Sicht nach unten. Ich runzelte skeptisch die Stirn. »Hier scheint es im wahrsten Sinne des Wortes ins Nirgendwo zu gehen. Wie lange noch bis
Im Hort der Drieten zur Landung?« Doch der Maulspindler knurrte nur unwillig etwas, das ich trotz des Dhedeen auf meiner Schulter nicht verstand. »Auweia! Was für eine dichte schwarze Masse! Wir rasen direkt darauf zu … Ahhhh!« Jolo legte einen doppelten Rittberger hin und wuselte dann hinter mich. Unter uns in der Wolkendecke blitzte es auf. Geballte Energie entlud sich in geästelten Lichtzacken. »Sind wir in der Gondel sicher?« Auch diese Frage hätte ich mir sparen können. Auchloch reagierte nicht, knurrte nicht einmal in seiner üblich mürrischen Art. Wäre Jolo nur halb so schweigsam … was für eine Erholung wäre das für uns alle! Früher hättest du dich daran nicht gestört. Jedenfalls nicht so sehr. Liegt es daran, dass du nicht … vollständig bist? So schwer es mir fiel, ich ignorierte den Extrasinn und starrte in das Gewitter hinaus. In der Tat fühlte ich mich in der Gondel hilflos dem Treiben der Blitze ausgeliefert. Die feste Umklammerung meiner Beine durch einen geradezu panischen Jolo machte mir die Sache nicht unbedingt leichter. Ein greller Blitz schoss über uns hinweg und rüttelte die Gondel kräftig durch. »Wir werden alle sterben! In die Tiefe stürzen, zerquetscht und verkohlt …!« Jetzt tanzten die Blitze um uns herum, ließen die finstere Wolkendecke taghell aufglühen. »Haltet euch fest. Es ist gleich vorbei, wir müssen nur die Wolkendecke hinter uns lassen.« Ich hoffte, dass ich zuversichtlicher klang, als ich mich fühlte. In diesem fragilen Gefährt kam ich mir alles andere als gut aufgehoben vor. In der Nähe zischte und prasselte es laut. Ein Blitz hatte das Gondelseil getroffen und ließ kleine Elmsfeuer daran entlangtanzen. Plötzlich spürte ich etwas an meinem Bauch. Ich griff danach und schloss die Hand um eine von Jolos Pranken. »Was zu essen! – Ich brauche was zu essen! Sonst verliere ich noch den Verstand!« Ich durchwühlte meine Taschen, fand ein
7 Stück Dörrfleisch und gab es ihm. Er riss es mir aus der Hand, huschte in die hinterste Ecke der Gondel und schlang es in sich hinein. Ich schüttelte den Kopf. Die nächsten Magenprobleme des Echsenwesens waren vorprogrammiert. Langsam war das wirklich nicht mehr lustig. Tuxit kniete reglos und scheinbar unbeteiligt im allgemeinen Getümmel. Er hatte einen Arm um Albia gelegt, um sie zu beruhigen. Sie zitterte heftig, schien ihre Umgebung kaum zur Kenntnis zu nehmen. »Mehr! Ich brauche mehr!« Immer noch kauend, kam Jolo zurück und schob die Hand in meine Tasche. Ich zerrte sie wieder heraus. »Nein! Dir wird nur schlecht davon. Mach die Augen zu und denk an etwas anderes.« Ich hatte keine Lust, mich mit einer magenkranken Echse mit rollenden Augen kümmern zu müssen. Plötzlich kroch ungewohnte Angst in mir empor. Sie umfing mich wie eine harte Faust und erschwerte mir das Atmen. Jolo versucht, dich wieder zu beeinflussen!, warnte der Extrasinn. Seine Furcht ist buchstäblich ansteckend. Gib ihm noch was zu beißen. Sein Magenproblem ist das kleinere Übel. Ich griff in meine Tasche und suchte nach weiteren Happen für den gefräßigen Jolo, doch er hatte mich schon restlos geplündert. Er schaute mich an, und um ein Haar hätte mich heillose Verzweiflung übermannt. Im letzten Augenblick wandte ich den Blick ab und sah mit einem leichten Schwindelgefühl in die zuckenden Blitze. Lautes Grollen umdröhnte uns. So fühlt sich also die Angst vor einem Gewitter an. Wäre die aufkommende Übelkeit nicht gewesen, hätte ich lauthals gelacht. Jolos Gesichtsmanipulation riss mich mit, ließ mich in einen Strudel aus Licht und Donner fallen. Ich hatte das Gefühl, in die Tiefe zu stürzen. Die schmutzig schwarze Wolkenschicht kam näher und wollte mich verschlingen. Ein tiefes Brummen holte mich aus mei-
8 ner Welt, in der es kein Oben und Unten mehr gab. Beruhigend legten sich die Töne um meinen Kopf. Es wurde wieder klar in meinem Verstand. Ich nahm die Gondel wahr, die beunruhigend schaukelte. Plötzlich vernahm ich eine Melodie, langsam und melancholisch. Ich sah zu Tuxit, der immer noch dastand. Nur sein Federkragen schimmerte jetzt violett und war leicht aufgeplustert. Das Summen kam aus seiner Kehle; es war traurig und doch zugleich besänftigend. Jolo hatte mit seiner Raserei durch die Gondel aufgehört und saß still auf dem Boden. Nur sein Schwanz zuckte leicht hin und her. Ich nickte dem ehemaligen Sklaven zu. »Danke. Das war eine gute Idee.« Mit einem letzten Blitzen und Grollen verabschiedete sich die Wolkendecke von uns. Wir waren durch. Jetzt peitschte nur noch heftiger Regen um die Gondel, prasselte auf die Hülle. Ein Zittern ging durch Albias schneckenartigen Körper. Ihre Dehydrierung schritt viel zu schnell voran. Es war widersinnig. Draußen schüttete es aus Kübeln, und die Driete trocknete aus. Ich sah wieder hinaus. Die Sicht war schlecht, ich starrte in ein graues Wogen und Wabern. »Tut mir Leid, ich wollte das nicht. Aber wenn mich der kleine Hunger überkommt, habe ich mich nicht immer unter Kontrolle.« Mit seinen großen Kulleraugen blinzelte Jolo mich an. Wer konnte ihm schon ernsthaft böse sein? Zumindest, wenn er einen wieder manipulierte. Ich seufzte. »Tuxit hat uns geholfen. Sonst hätte ich dich wohl aus der Gondel geworfen.« »Das meinst du nicht ernst, oder?« Ich antwortete nicht. Ein letzter, verästelter Blitz erhellte die trübe Umgebung und einen Teil der Parzelle Hüffen. »Bei Arkon, was ist das?« Der Anblick, der sich mir bot, war so unglaublich, dass ich meinen Augen nicht zu trauen glaubte.
Uwe Anton
2. »Du hast mir auch schon besser gedient!« Mürrisch trat Peonu dem Golscha gegen ein fragiles Bein. Das dürre Mischwesen aus Vogel und Insekt kreischte laut auf. Die drei linken Gliedmaßen des ovalen Körpers scharrten heftig über den Boden, die Schwanzfedern fächerten aus, und der Kopf auf dem langen Hals zuckte hin und her. »Was kann ich dafür, dass es nichts zu berichten gibt? Die du suchst, haben unsere Parzelle längst verlassen.« Peonus Laune verschlechterte sich weiter. »Wer sagt dir, dass ich jemanden suche? Dein unterbelichteter Verstand reicht dafür kaum aus. Hast du etwa mit anderen gesprochen? Am Ende gar mit einem GrünNomaden?« Knurrend hob der Seelenfresser die Hand. Er hatte keine Lust mehr auf diesen unnützen Strolch. Es gab bessere Quellen unter seinen Seelenhäppchen. »Nein, nein … Aber deine Fragen sind auf dieses Ziel gerichtet. Nie würde ich mit anderen reden, wenn du es nicht willst. Du weißt doch, ich bin dein treuer Diener. Alles für dich und nichts ohne deine Erlaubnis!« Der Golscha, dessen Namen Peonu längst vergessen hatte, winselte um sein unwürdiges Dasein. »Verschwinde und lass dich erst wieder blicken, wenn du Wichtiges zu erzählen hast.« »Ja, natürlich, was immer du sagst!« Hüpfend machte der Golscha sich davon. Proportional zu seinem Körper waren seine Beine überlang geraten; immerhin machten sie ihn damit zu einem guten, ausdauernden Läufer. Seltsamerweise war die Seelenessenz des Golscha durchaus ansprechend. Peonu wunderte sich, wie so ein seltsamer Vogel so gut schmecken konnte. Obwohl der Lutvenide es für unmöglich gehalten hätte, hatte seine Rastlosigkeit sich noch gesteigert. Seit einigen Tagen wanderte Peonu ruhelos umher. Er hatte seine Einsie-
Im Hort der Drieten delei aufgegeben, sie interessierte ihn nicht mehr. Die Parzelle Karaporum war ihm zu klein geworden. Hunger oder Not litt er nicht; die Seelenhäppchen gaben ihm alles, wonach er verlangte, er musste seine Wünsche nur äußern. Einige begleiteten ihn und besorgten ihm alles, wonach ihn gelüstete. Peonu fragte sich, wonach er wirklich auf der Suche war. Nach dem Flammenstaub, natürlich. Dem Flammenstaub, den Atlan ihm besorgen sollte. Atlan … War es ein Fehler gewesen, an dessen Seele zu lecken? Was hatte er sich mit ihm aufgehalst? Er war nicht nur ein einfaches Häppchen wie die anderen. Aber was er war … darüber war Peonu sich nicht ganz im Klaren. Auf jeden Fall etwas gänzlich Ungewohntes. Von den Kosmokraten berührt wie er, Peonu, von den Chaotarchen. Atlan war hinter den Materiequellen gewesen, er hinter den Materiesenken. So unterschiedlich sie auch waren, sosehr Peonu den Arkoniden auch verabscheute, irgendwie waren sie einander ähnlich. Einfach so zum Spaß zog Peonu den Seelenfaden straffer. Er bezweifelte allerdings, dass Atlan nun ebenso viel Spaß hatte. Peonu schaute sich um, und die dunkelgrauen bis schwarzen Teilchen, die etwa zehn Prozent der Gesamtoberfläche seines Gesichts ausmachten, gruppierten sich ohne sein Dazutun um und erzeugten ein Bild, das von seiner heillosen Überraschung kündete. Offensichtlich war seine Rastlosigkeit keineswegs ziellos gewesen war. Obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, seine Schritte bewusst gelenkt zu haben, wurde ihm plötzlich klar, dass die kleine Ortschaft, in der er soeben seine Beziehung mit dem Golscha vertieft hatte, sich in der Nähe der Gondelstation XACK-331 befand. Also doch. Er hatte gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen. Das war kein Zufall, konnte kein Zufall sein. Es hatte eine Bedeutung, musste eine haben. Nun gut. Die Zeichen waren eindeutig. Er
9 würde also diesem Atlan mit seiner hässlichen und widerlichen Präsenz folgen. Wenn es ihn so stark zu ihm zog, war er vielleicht tatsächlich ein Schlüssel zu seinem eigentlichen Ziel. Sein Vorgehen mochte gegen jede Vernunft sein, aber hatte ihn das je geschert? Oh ja, aber das war lange, lange her. Peonu war sich mit einem Mal sicher, dass Atlan tatsächlich ein Schlüssel zu seinem Schicksal war. Nur … welche Tür er öffnen würde, konnte er nicht sagen. Noch nicht.
* »Ich kann mich doch nicht um alles selbst kümmern!« Eggober fuchtelte mit seinen Lanken in der Luft herum. In seinem Baustellenabschnitt Corl 22 funktionierte fast nichts mehr reibungslos. Trotz der vielen Werkzeuge, die er unabhängig voneinander einsetzen konnte, schien er den Bajaren nicht zu beeindrucken. »Es fehlt an Transportmitteln«, erklärte der Humanoide mit stoischer Ruhe. »Wir wissen nicht, wohin mit dem Abraum.« »Muss ich mich als verantwortlicher Abschnittshauer mit solchen Kleinigkeiten herumschlagen?« Eggober tippte einige Daten in das Steuerelement seiner Schwarzbox. »Das kann nicht sein. Den Unterlagen zufolge gibt es hier genügend Loren. Du sieht jetzt noch einmal nach und verschonst mich mit solchen Details. Ich muss mich mit wichtigeren Dingen beschäftigen.« Der muskulöse Bajare zuckte leicht die Achseln. »In Ordnung. Wenn du meinst …« Er wandte sich um und ging, doch Eggober hatte das unangenehme Gefühl, dass er ihn bald wiedersehen würde. »Zu dumm, um eine Schaufel von einer Hacke unterscheiden zu können«, murmelte der Anstize. »Aber was soll ich tun? Heutzutage bekommt man nur noch unqualifiziertes Personal. Und dann diese Drieten … die sind schon so überqualifiziert, dass man sie als Fachidioten bezeichnen kann!«
10 Eggober seufzte schwer. Ganz klar, die ganz oben hatten sich verkalkuliert, und er musste das Elend nun ausbaden. Wie gern hätte er mit anderen seiner Art diese Aufgabe geteilt, doch es gab nicht mehr genug Anstizen. Welch eine Schande! Er musste die Arbeit von mindestens vier Angehörigen seines Volkes übernehmen. Er gab alles. Und selbst das reichte nicht immer. Mit fließenden Bewegungen kletterte er in seine Schwarzkammer. Und prallte zurück. Natürlich, genau das hatte er befürchtet! Die wenigen Augenblicke seiner Abwesenheit hatten genügt, um das Chaos zu vergrößern. Mit fliegenden Lanken gab er einen Befehl in den Rechner ein und konnte gerade noch verhindern, dass ein Bajarenkonvoi falsch umgeleitet wurde. Die besondere Problemzone in der künftigen Parzelle Corl war die Teilbaustelle Corl 22, für deren Fertigstellung ausgerechnet er als Abschnittshauer verantwortlich war. Er aktivierte eine Bildverbindung und zerrte an einem Mikrofon. »Banun, verehrter Driete, was sollen wir in Abschnitt 22 A/B unternehmen? Ich warte seit eineinhalb Zeiteinheiten auf Anweisungen.« Eggober drehte mit einem anderen Lanken eine Schraube seines Steuerelements fest. Hier muss unbedingt einiges erneuert werden. Wann war die letzte Wartung? Das ist auch schon einige Umschaltungen her. Es war zum Aus-dem-Hautpelz-Fahren. Er musste sich mit einer notdürftig reparierten Schwarzkammer herumschlagen. Als genügte das Chaos nicht, das die Drieten mit ihren wirren Anweisungen anrichteten! Nicht Banun, sondern ein anderer seines Volkes erschien im Bild. »Gedulde dich, Abschnittshauer. Banun ist mitten in einer Umwandlungsphase. Er kann dir im Moment nicht antworten.« »Was, schon wieder? Er hatte doch erst vor zwei Umschaltungen eine!« Oder waren es drei gewesen? Er wusste es nicht mehr. Er wusste nur eins. »Ich kann so nicht arbeiten! Das dauert alles viel zu lange. Die Baja-
Uwe Anton ren warten auf Anweisungen.« Eggober schluckte. Halt ein! So kannst du nicht mit einem Drieten reden. Sie sind die kreativen Köpfe der Intrawelt. Wo wären wir ohne sie? »Ich habe keine Erklärung dafür, aber derzeit sind wir alle über die Maßen nervös. Wir wechseln in der Tat beständig das Geschlecht …« Der Driete hielt kurz inne. Und dementsprechend unberechenbar verhaltet ihr euch!, dachte Eggober. Ihre in letzter Zeit ohnehin sehr allgemein gehaltenen Anweisungen brachten ihn schlichtweg zur Verzweiflung. »Wie dem auch sei, vielleicht kann ich dir ja weiterhelfen. Es handelt sich um Teilabschnitt 22 A/C?« »Nein, nein! Teilabschnitt 22 A/B!« Eggober griff nach seinem Mikrorechner. Eine einzige falsche Berechnung, eine ungenau angegebene Statik, und das während der letzten 45.000 Tage aufgebaute Hilfsgerüst würde in sich zusammenbrechen. An die Auswirkungen dieser Katastrophe für die Nachbarparzellen Hüffen, Dreiskolt, Abenau, Zieben und Näfelt wollte er nicht einmal denken. Aber was sollte er unternehmen? Die Ressourcen seines Volkes waren in diesem Teil der Intrawelt stark begrenzt. »Oh. Ah, ja. Wir warten doch lieber auf Banun. Das ist sein Spezialgebiet. Ich bin eher zuständig für die Anlage der …« »Ich verstehe. Er soll sich melden, so schnell es geht.« Eggober schaltete bereits auf einen anderen Kanal um. Er musste die Arbeiter koordinieren. Seine Lanken flogen über die Steuerkonsole der Schwarzkammer. Sie reparierten, regelten und kontrollierten alles, was in der Kammer möglich war. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, eine Pause einzulegen. Er fühlte sich schlapp, und sogar die künstlichen Lanken hatten schon Aussetzer. Vielleicht sollte er wieder einmal um Ablösung bitten? Doch sein Parzellenschneider Sobensten vertröstete ihn immer wieder. Er war für die gesamte Großbaustelle Corl zuständig und konnte seinem Abschnittshauer keine Ver-
Im Hort der Drieten tretung schicken. Es gab keine! Die allgemeine RessourcenKnappheit wurde immer deutlicher spürbar. Mit ihren hundert Lanken und der großen Beweglichkeit, die sie auch dreidimensional arbeiten ließ – und zwar gleichzeitig mit allen! –, waren die Anstizen prädestiniert für die Überwachung einer Großbaustelle. Fixiert auf ihre Aufgabe, waren sie zu fast unmöglicher Leistung bereit. Doch ungeachtet dessen fühlte Eggober sich krank, am Ende seiner Kraft. Er knickte seine Kunstlanken der Reihe nach ein und massierte mit ihren dreifingrigen Enden die natürlichen. Er hatte sie bunt eingefärbt, blau und schwarz, schwarz und weiß, grün und weiß und rot und weiß. In seiner Schwarzkammer blinkten mehrere Lampen. Mit einem Zischen fuhr Eggober aus seiner Box und flitzte auf allen Lanken zum Brennpunkt. »Was ist denn nun schon wieder?« Ein besonders großer Bajare baute sich vor Eggober auf. War das nicht der von vorhin? Sein leuchtend weißrotes Brustfell trug er stolz zur Schau. Wohl eher angeberisch und geckenhaft, befand Eggober. Dass es heftig regnete, schien ihn nicht im Geringsten zu stören. »Die Loren waren da, wie du gesagt hast, aber sie sind noch nicht entleert. Was sollen wir jetzt tun? Unsere Portion obendrauf schütten, damit ein paar von den Dingern zusammenbrechen?« Diese Arroganz, diese unerträgliche Arroganz der Bajaren – und das, obwohl sie zu keinerlei weiter reichenden Entscheidungen befugt waren, in dieser Hinsicht waren die Direktiven eindeutig. »Alles entladen, sofort! Ich werde ein Reparaturteam schicken. Wir brauchen jede Lore. Einen Ausfall können wir uns nicht leisten!« Zeitgleich mit seiner Anweisung gaben Eggobers Lanken die entsprechenden Befehle in das Steuerelement ein. »Dieser Dummbeutel von Loschka ist schuld. Er hat nicht auf mich gehört. Das al-
11 les wäre nicht …« Loschka? War das nicht ein anstizischer Name? Egal … »Genug! Dafür habe ich keine Zeit. Lass deine Leute den Schlamassel beseitigen. Bis zur Umschaltung müssen noch einige hundert Loren raus!« Trotz Multitasking und hundert Lanken hatte Eggober das Gefühl, seine Aufgabe nicht mehr bewältigen zu können. Allmählich befürchtete er, dass es bei all den Parzellen, die noch errichtet werden mussten, an ein Wunder grenzte, wenn die Intrawelt tatsächlich einmal zur Gänze fertig gestellt werden sollte. Allein der Gedanke daran ließ ihn, den Abschnittshauer der Parzelle Corl 22, schwindeln.
3. Ich hatte schon einiges gesehen, aber so etwas noch nicht. Ich war dabei, als der Turm zu Babel errichtet wurde. Ich hatte arkonidische Metropolen gesehen, die von den Maahks – oder anderen Gegnern – zerstört worden waren. Ich hatte auf der Erde Städte gesehen, die während dieses oder jenes Krieges, der aus diesen oder jenen Gründen geführt worden war, zerstört worden waren, bis auf die Grundmauern geschliffen oder zerbombt. Zuerst kämpften die Scheinwerfer der Gondel gegen nahezu undurchdringliche braune und graue Schlieren an, die aber langsam dünner und durchsichtiger wurden, als wir tiefer gingen. Dann starrte ich aus noch immer luftiger Höhe hinab auf eine überdimensionierte steinerne Wüste. So weit das Auge blickte, türmten sich Hunderte Meter hohe Schuttberge auf. Gesteinsbrocken, manche davon zwanzig oder mehr Meter hoch, bildeten schier unüberwindliche Hindernisse. Daneben und dazwischen konnte ich bei gewaltigen Schmelz- und Schredderwerken große Altmetallhaufen ausmachen. Fahrzeugkolonnen – Gleiter, Kettenraupen, hovercraftähnliche Schweber, Raupengleiter, sogar Laster mit Verbren-
12 nungsmotoren – bahnten sich einen Weg durch das vermeintliche Durcheinander. Endlos lange Schienenfahrzeuge dampften schlammige Kanäle entlang, riesige Bagger und Caterpillars ratterten auf holprigen Wegen. Der Anblick verschlug mir fast den Atem. Die Parzelle Hüffen war eine einzige Baustelle! Oder eine Müllhalde – so genau ließ sich das nicht ersehen. »Unglaublich!« Jolo hüpfte am Rand der Gondel auf und ab und schnatterte laut aus, was ich dachte. »Eine riesige Schutthalde! Ein Geröllfeld! Was für ein Chaos!« »Das kann doch nicht wahr sein …«, murmelte Tuxit mit belegter Stimme. Ich fuhr herum. »Ist etwas mit Albia?« Er schüttelte stumm den Kopf und wandte sich ab. Die Gondel ging tiefer, und ich konnte die Steinlandschaft mit berggroßen Erhebungen besser ausmachen. Fast die gesamte Region war mit Schutt und anderem Geröll bedeckt. Über allem lag – trotz des Regens – eine Staubwolke, die von den beladenen Kolonnen der mehr oder weniger eigenartigen Fortbewegungsmittel erzeugt wurde. Alles war in einem monochromen Grauton gehalten, nirgendwo gab es helle, leuchtende Farben. Bis auf eine Ausnahme: die flimmernde grüne Halbkugel des Hochenergieschirms, der die Station schützte. Trotzdem glaubte ich, auf das Gemälde eines genialen, aber stark depressiven Malers zu schauen. So viel Chaos und Geröll konnte nicht real sein. Langsam glitt die Gondel in das Stationsgebäude und dockte an. Ich machte durch die Scheiben das graue Material der Umwandung einer großen, aber fast leeren Halle aus. Jolo schien es kaum erwarten zu können, die Gondel zu verlassen; wahrscheinlich erhoffte er sich trotz der fürchterlichen Umgebung hier eine kleine Zwischenmahlzeit. Ich schüttelte den Kopf. »Wie lange arbeitet man hier schon? Da scheint kein Ende in Sicht zu sein.« Ich stützte Albia, als Tuxit
Uwe Anton die Hohe Frau vorsichtig mit dem Schnabel hochhob, doch auf ihm lastete der Großteil ihres Gewichts. Wir trugen sie aus der Gondel und setzten sie vorsichtig auf der Landeplattform ab. Ächzend sank sie zu Boden. »Ich glaube, seit mittlerweile 68.000 Tagen.« Als Tuxit diese ungeheuerliche Zahl aussprach, färbte seine ausgeprägte Halskrause sich grün. Ich fasste das als Ausdruck von Betroffenheit auf. Was brachte ihn dermaßen aus der Fassung? Wenn er diese Zahl kannte, musste er wissen, wie es um diese Baustelle bestellt war. Oder erschütterte genau das ihn so heftig? Angesichts der Hunderte Meter hohen Schuttberge, die sich vor uns auftürmten, verstand ich die Reaktion des Vogelwesens. Durch große Fenster der Halle sah ich Gesteinsbrocken, die zwanzig Meter und höher waren. Sie lagen einfach so in der Gegend herum. Wer soll das alles in Ordnung bringen? Welchem Plan folgt diese Parzelle? Unmittelbar hinter dem Energieschirm schob sich eine Kolonne riesiger Gefährte durch den Schlamm. Ich konnte keinen Anfang und kein Ende ausmachen. Der lange Lindwurm ratterte an uns vorbei in die Ferne, wo ich ein Hochgebirge zu erkennen glaubte. Ich verzog die Nase. Es war laut und ungemütlich, und die Luft stank nach den Nebenprodukten von Verbrennungsmotoren. Hinter dem Konvoi konnte ich einen zweiten erkennen, dessen Wagen leer waren. Er kam genau aus der Gegenrichtung und zog parallel an dem mit den gefüllten Loren vorbei. Ein leises Zischen hinter mir ließ mich herumfahren. Ich sah, wie sich das Schott der Gondel schloss. Im nächsten Augenblick stieg sie wieder empor. »Auchloch scheint es ja sehr eilig zu haben«, murmelte ich. »Was hat diese unziemliche Eile zu bedeuten?« »Er sieht zu, dass er Luft gewinnt.« Jolo hüpfte ein paarmal hoch, als wolle er die Gondel wieder herunterziehen. »Er hätte uns
Im Hort der Drieten wenigstens ein paar Tipps geben können, ehe er uns an diesem unwirtlichen Ort zurücklässt!« Da standen wir also ahnungslos in der Station FCBM-272, ohne dass Auchloch ein Sterbenswörtchen darüber verloren hatte, was uns draußen erwartete. Ich schaute zu dem meterhohen Zaun, der die Station zusätzlich zu dem Energieschirm sicherte. Beides war eher dazu gedacht, unwürdige Passagiere fern zu halten; wir hatten die Prozedur ja auch schon hinter uns bringen müssen. Ich bezweifelte nicht, dass die Tore sich öffnen würden, damit wir das Gelände verlassen konnten. »Und wohin jetzt?«, fragte Jolo. »Habt ihr eine Maulspindler-Station gesehen? Wir könnten dort um Auskunft bitten.« Ich beneidete das Echsenwesen um seinen Optimismus. Warum sollte der hier ansässige Gondelwächter gesprächiger sein als sein Kollege? »Eine gute Idee.« Ich nickte. »Geh ihn suchen. Er muss hier irgendwo sein. Kann nicht schwer sein, ihn zu finden.« Jolo lief unbefangen zu einer Kabine an der Rückwand der Halle los. Er schlich um sie herum und blieb vor etwas stehen, was ich für eine Tür hielt. Im nächsten Moment wurde sie aufgerissen, und der spinnenähnliche Körper eines Maulspindlers erschien in der Öffnung. Der Echsenmann plapperte sofort drauflos, doch der Gondelwächter machte eine abfällige Bewegung und knurrte etwas Unverständliches. Der Kleine würde mit dem mürrischen und mundfaulen Wächter trotz seiner besonderen Fähigkeit nicht fertig werden. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Langsam ging ich zu den beiden hinüber. »Wir brauchen Hilfe! Die Hohe Frau ist sehr krank, und wir kennen uns hier nicht aus.« Ich zeigte zu Albia, die noch immer auf der Plattform lag. Der Maulspindler zuckte zurück, und seine auffallend bunten Halsfalten blähten sich auf. »Zerdenweis empfiehlt euch, die Hohe
13 Frau schnell zu den anderen Drieten zu bringen. Man sorge dafür, dass sie gesund wird; das ist sehr wichtig. Eine gesunde Driete wäre in der jetzigen Situation mehr als erwünscht.« Immerhin, endlich mal eine Auskunft. Wir sind hier also richtig. Ich gab dem Extrasinn Recht. Hier hielten sich also tatsächlich Angehörige von Albias Volk auf. Wir hatten die Fahrt also nicht umsonst gemacht. »Ja, ja, das habe ich auch die ganze Zeit gesagt! Und wohin müssen wir gehen? Wo sind die Drieten?« Ich lächelte schwach; Jolo nervte endlich mal nicht mich, sondern einen anderen – falls man einen Maulspindler überhaupt nerven konnte. Stumm zeigte Zerdenweis auf die hohe Eingangstür der Halle und glitt dann in sein Wärterhäuschen zurück. Ich seufzte. Mehr würden wir aus ihm nicht herausbekommen. Wir waren genauso schlau wie zuvor. »Also los«, sagte ich. »Sehen wir uns die Baustelle mal an.«
* Kaum hatten wir einen Fuß nach draußen gesetzt, waren wir schon bis auf die Haut durchnässt. Der Regen war dunkel, fast schwarz, trug Staub- und Schlammpartikel mit sich. Und den üblen Geruch von Ruß, Abgasen und verbrennendem Öl. Besorgt sah ich nach Albia und Tuxit. Die Hohe Frau versuchte zwar, sich kriechend zu bewegen, doch die Tausende Lamellen an der hinteren Hälfte ihres Körpers bewegten sich kaum. Die langen Fühler an ihrer Stirn pendelten nicht mehr hin und her, sondern hingen schlaff herab. Sie musste von dem Vogelwesen mehr oder weniger getragen werden. Ich erkannte, dass der ehemalige Sklave leicht zitterte. Auch seiner Kraft waren Grenzen gesetzt. Ich lief zu ihm und stützte Albia. Sie war
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erschreckend leicht, hatte beträchtlich an Gewicht verloren. Wie lange würde sie noch durchhalten? Hinter uns flimmerte der Energieschirm. Die Strukturlücke, durch die wir ihn verlassen hatten, hatte sich wieder geschlossen. Ein Lastengleiter der geradezu endlosen Kolonne, die wir schon beim Anflug beobachtet hatten, scherte aus, hielt auf uns zu und stoppte. Ein groß gewachsener Humanoide sprang aus der Fahrerkabine. In einer anderen Umgebung hätte ich ihn für einen Modellathleten gehalten. Unter einer dünnen, offensichtlich aber sehr widerstandfähigen Arbeitsmontur konnte ich deutlich das Spiel seiner Muskeln ausmachen. Sie war an der Brust geöffnet und enthüllte dort eine rote und weiße Brustbehaarung. Neugierig sah das Wesen zu uns herüber. »O nein!«, quiekte Jolo und verzog das Gesicht, sodass ich unwillkürlich Abscheu empfand. »Bajaren! Ausgerechnet Bajaren!«
* Ich runzelte die Stirn. »Was ist mit diesen Bajaren?«, fragte ich das kleine Echsenwesen. Jolo schüttelte sich geradezu. »Sie sind ein arrogantes Pack und unfähig dazu. Buckeln nach oben und treten nach unten. Niemand kann sie ausstehen. Ihr Hochmut ist einfach nicht zu ertragen.« »Nun ja …« Ich lächelte schwach. Das mit der Arroganz war so eine Sache. Auch uns Arkoniden hatte man über Jahrtausende einen gewissen Hochmut nachgesagt – und warf ihn uns noch immer vor. Wir hatten einmal die halbe Galaxis oder mehr davon beherrscht, und der Vorwurf war von jenen gekommen, die nie Gelegenheit – oder Befähigung! – gehabt hatten, ein ähnlich großes Sternenreich zu errichten. Die Unterstellung von Arroganz ging oft Hand in Hand mit dem Neid der Versager. Daher war ich nicht gewillt, Jolos Behauptungen für bare Münze zu nehmen. »Weißt du mehr über diese Bajaren?«,
wandte ich mich an Tuxit. Das Vogelwesen hob müde den Kopf. »Es sind Wanderarbeiter, die in vielen Parzellen zum Einsatz gekommen sind. Sie stammen von den Socceren ab, einem Volk, das irgendwann von der Intrawelt verschwunden ist, zerrieben vom Mahlstein der Zeit. Vier Völker entwickelten sich aus den Ahnherren … die Bruggeren, die Juventer, die Rapider und eben die Bajaren.« »Und wie unterscheiden sich diese vier Völker?« »In der Färbung ihrer Brusthaare«, sagte Tuxit lapidar. »Die der Bruggeren sind blau und schwarz gefärbt, die der Juventer schwarz und weiß, die der Rapider grün und weiß und die der Bajaren rot und weiß. Ansonsten sind sie völlig identisch.« »Der Wettstreit!« Jolos Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. »Erzähle ihm von dem Wettstreit!« Tuxit bedachte das Echsenwesen mit einem Blick, den sogar ich deuten konnte. Die Bezeichnung »unfreundlich« wäre ein Euphemismus gewesen. »Darum ranken sich viele Legenden. Die Wirklichkeit sieht anders aus als das, was viele bis heute glauben. Nach dem Untergang der Socceren traten die vier Brudervölker zu einem Wettbewerb an, um zu entscheiden, welches sich als legitimer Nachfolger der erhabenen Ahnen bezeichnen konnte.« »Was war das für ein Wettstreit?« »Das hat mich nie sonderlich geschert. Fest steht nur, dass die Bajaren und Juventer ihre Aufgabe souverän erledigten, die Bruggeren den Erwartungen entsprechend, die Rapider aber kläglich scheiterten. Und das, obwohl sie so große Töne gespuckt hatten wie kein anderes ihrer Brudervölker. Den großen Sieg hatten sie für sich vorhergesagt, die Parzelle, in der sie lebten, schon zur Hauptstadt der Intrawelt erklärt. Doch ihr Scheitern war … schlichtweg entwürdigend.« »Das habe ich aber ganz anders gehört!« Jolo hüpfte auf und ab. »So war es nicht!«
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In Tuxits Blick wich die Unfreundlichkeit einem überwältigenden Mitleid. »Du hast viel gehört und weißt nur wenig, kleiner Echsenmann. Jedenfalls gingen die drei anderen Völker danach ihrer Wege, doch die Rapider verkrafteten nicht, dass sie sich als minderwertig erwiesen hatten, und verfolgten danach hauptsächlich die Bajaren, aber auch die anderen mit ihrem bedingungslosen Hass. Mit einer kaum zu überbietenden Hartnäckigkeit verleumdeten sie ihre Brüder, wo sie nur konnten. Fast wäre es zu einem Krieg in der Intrawelt gekommen. Die rotweiße Brustfärbung der Bajaren wurde für die Rapider zum Inbegriff des Abscheus.« Ich seufzte leise. Das schien eine Eigenschaft der humanoiden Völker nicht nur der Milchstraße, sondern auch Dwingeloos zu sein. Verheerende Kriege waren schon aus nichtigeren Anlässen als einer unterschiedlichen Brustfärbung geführt worden. »Und die grünweiße wahrscheinlich zum Inbegriff der Schönheit und des Erfolgs?« Tuxit antwortete nicht. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte, und wirkte plötzlich erschöpft, als übersteige dieser Bericht über solch einen Kinderkram seine Kraft. Oder zumindest aber sein Verständnis.
* Die ganze Zeit über hatte der Bajare zu uns herübergeschaut, ohne sich von der Stelle zu rühren. Besser gesagt, er betrachtete stirnrunzelnd Albia und fragte sich wohl, ob es sich bei ihr tatsächlich um eine Driete handelte. Mittlerweile hatten einige weitere Lastenfahrzeuge angehalten. Die Fahrer waren ausgestiegen; einige wenige schauten zu uns herüber, die anderen beschäftigten sich mit ihren Ladungen. »Dann fragen wir eben nach«, schlug ich vor. »Die sehen aus, als würden sie sich hier auskennen.« »Einen Bajaren?«, flötete Jolo fassungslos. »Der wird nicht mal mit dir sprechen.« »Mit mir vielleicht nicht, aber deinem …
beeindruckenden Charme werden sie nicht widerstehen können, oder?« Jolo schaute zweifelnd drein. »Meinst du wirklich?« Ich lächelte. »Natürlich.« Die Miene des Echsenwesens hellte sich auf. Bevor ich noch etwas sagen konnte, lief er los. Vielleicht kommt er unter die Raupen eines dieser Lastenfahrzeuge, dann haben wir Ruhe vor ihm. Erstaunt wollte ich meinen Extrasinn ob dieser unqualifizierten Bemerkung tadeln, als Jolo schon wieder zurückkam. Schade! »Nichts zu machen. Wie ich gesagt habe, diese arroganten Soccerenabkömmlinge ignorieren mich. Der Widerling hat sich einfach umgedreht. Versuch du dein Glück, Atlan. Du hast ihre Größe.« Ungeduldig zappelte Jolo vor mir herum. Ich ließ Albia bei Tuxit zurück und watete durch den Schlamm, versank dabei einige Zentimeter in dem aufgeweichten Boden. Jolo schien keine Probleme mit dem Dreck zu haben, sich darin sogar wohl zu fühlen. »Da vorn, dieser große Kerl, der hat mich gar nicht beachtet.« Als ich mich den Bajaren näherte, sah ich, dass sie fleißig an der Arbeit waren. Mit einem Mal stand ich mitten in einem Gewimmel aus Humanoiden, die ächzend Geröll aus einem scheinbar defekten Gefährt schaufelten und es in ein anderes umluden. »Schneller, wir haben heute noch einiges zu tun!« Der Sprecher stand an eine Raupenkette gelehnt und fuhr sich mit der Hand über sein auffallend rotweißes Brustfell. Ich kam mir fast verloren vor. Jeder schien hier seinen festen Platz zu haben, seine Aufgabe in dem Durcheinander zu kennen. Und sie arbeiteten konzentriert und effizient. Nicht zuletzt deshalb hatten sie Jolo vielleicht nicht beachtet. Der Bajare stieß sich von der Raupenkette ab; die Hand verharrte dabei in seinem Brustfell. Im ersten Augenblick dachte ich,
16 er würde mich ansehen, doch dann stellte ich fest, dass er an mir vorbeischaute. Auch die anderen blickten auf einen Punkt hinter mir. Es war nicht mehr so laut, viele Maschinen waren abgeschaltet worden. Die ganze Trümmerwelt schien zu erstarren. Die Aufmerksamkeit der Bajaren galt eindeutig Tuxit und der Hohen Frau, vielleicht auch nur Albia allein. Ich musste diesen Augenblick nutzen. »Die Hohe Frau braucht Hilfe! Wer kann uns zu den Drieten bringen?« Das wirkte. Der Humanoide sah mich an. »Ich bin Emball, ein Bajare der Anstizen und Drieten. Ich muss darüber nachdenken, was ich für die Hohe Frau tun kann. Eigentlich haben wir für Extratouren keine Zeit.« Er kam mir nicht besonders arrogant vor. Sein Gesicht war absolut menschenähnlich und edel geschnitten, geradezu erhaben. Es strahlte allerdings ein gewisses Selbstvertrauen aus. Langsam setzte Emball sich in Bewegung. Fast ehrfürchtig blieb er bei Tuxit stehen und sah stumm zu Albia hinab. Jolo huschte hinter meine Beine und grinste mich an. »Mit dir spricht er also, Atlan …« »Wir kennen solche wie den da«, erklärte mir der Bajare, ohne das Echsenwesen anzusehen. »Da wir uns nicht gern manipulieren lassen, sehen wir sie nicht an.« Ich räusperte mich. »Natürlich verstehe ich, dass deine Arbeit sehr wichtig ist. Aber das ist die Hohe Frau auch. Sie braucht dringend Hilfe. Es könnte zu deinem Vorteil sein, wenn du ihr hilfst.« Ich wusste nicht, wie ich diese Ankündigung in die Tat umsetzen konnte, aber mir würde schon etwas einfallen. Vielleicht half ja die Aussicht auf eine Belobigung durch seinen Vorgesetzten. »Sicher, aber ich muss das mit den anderen abklären.« Hört er dir überhaupt zu?, fragte der Extrasinn. Schweiß perlte auf Albias gelblicher, grob geschuppter Haut und ließ sie aschfahl schimmern. Ihr breiter, froschähnlicher
Uwe Anton Mund war so weit geöffnet, dass ich sowohl ihre obere als auch untere durchgehende Zahnschneide sehen konnte. Es war zum Verzweifeln. So nah am Ziel, und jetzt musste ich abwarten, bis ein paar Arbeiter abgeklärt hatten, wie man der Hohen Frau helfen konnte! Die Bajaren diskutierten leise miteinander; sie standen so weit entfernt, dass ich trotz des Dhedeen kein Wort verstehen konnte. Ist auch besser so! Wer weiß, was für einen Unsinn sie reden! Die Hinweise des Extrasinns kamen mir immer merkwürdiger vor. Offensichtlich war Albia der absolute Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Bajaren. Immer wieder sahen sie zu ihr. Diese Hochachtung grenzte fast ans Religiöse. »Eine Driete, wahrhaftig …« »So sieht also eine Hohe Frau aus …« »Die Architekten der Intrawelt … sie haben alles geschaffen …« Diese und ähnliche Satzfragmente hörte ich heraus. Dann schoss plötzlich ein Lastengleiter auf Luftkissen auf uns zu. Das über zwanzig Meter lange Gefährt war rostrot lackiert. »Ich werde die Hohe Frau zum Hort bringen.« Emball trat auf Tuxit zu, dessen Halskragen sich aufplusterte und weiß färbte. Zischend wich er vor dem Bajaren zurück. »Was denn?« Jolo hüpfte dazwischen; sein Mut war zurückgekehrt. »Uns alle! Du musst uns alle mitnehmen!« Emball rieb sich gedankenverloren mit der Hand das Brustfell, offensichtlich eine Angewohnheit von ihm. »Das muss ich abklären.« Meine Geduld war zu Ende. Ich trat so nah zu dem Bajaren, dass ich die einzelnen Haare auf seiner Brust erkennen konnte. Sie leuchteten wirklich in einem prachtvollen Rot und Weiß. »Reden wir Klartext. Du handelst dir gewaltigen Ärger ein, wenn du uns nicht sofort zu diesem Hort bringst. Und wenn Albia es nicht schafft, weil ihr zu langsam wart, kriegt dein Vorgesetzter noch
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größeren Ärger.« Deutlicher ging es nicht mehr. Mit der Arroganz der Bajaren schien es wahrlich nicht weit hergeholt zu sein. Der Bajare war meiner dosiert eingesetzten arkonidischen Überheblichkeit und meinem Selbstbewusstsein jedenfalls mehr oder weniger wehrlos ausgesetzt. Wortlos stieg er in das Führerhaus des gerade eingetroffenen Luftkissengleiters und winkte uns hinein. Tuxit nickte mir zu; er hatte sich wieder beruhigt. Sein Gefühlsausbruch war eines der vielen Rätsel, die ich mit seiner Person verband.
4. Der Hovergleiter setzte sich schwerfällig in Bewegung. Auf Bequemlichkeit hatten die Konstrukteure keinen Wert gelegt. Wir wurden in der Fahrerkabine gewaltig durchgerüttelt. Das Gefährt schwebte zwar etwa einen halben Meter über dem Boden, reagierte aber auf jedes Schlagloch in der Piste, und davon gab es einige. Während meine Knochen bei jedem Ruck wütend protestierten, schien Jolo sich nicht daran zu stören. Er hopste bei jedem Schlagloch, das unser Fahrer traf, in die Höhe und quiekte vergnügt. Die ungemütliche Fahrt machte ihm nicht nur nichts aus, sondern offensichtlich sogar Spaß. Zuerst hielt sich Emball brav in der Kolonne der Gleiter, die ihre Fahrt ebenfalls wieder aufgenommen hatten, doch dann scherte er mutig aus. Ich bemerkte, dass er die grobe, bucklige Piste verließ, die den Luftkissenfahrzeugen als Spur diente. Mit rasantem Tempo schoss er über größere Gesteinsbrocken hinweg. Schon bald konnte ich das Ächzen des Antriebs nicht mehr vom Stöhnen der Hohen Frau unterscheiden. »Dem hast du es aber gegeben«, plärrte Jolo. »Und du hast ihn ganz wild gemacht. Wie der fährt …« »Pass auf, sonst gehst du uns noch verloren.« Das wilde Hüpfen der Echse machte
mich nervös. Na und? Ich schüttelte den Kopf. Irgendwann musste ich den Extrasinn in die Schranken weisen. Damit Albia nicht weiter austrocknete, hielt Tuxit mit dem Schnabel Tücher aus dem offenen Fenster. Sobald sie vom Regen durchnässt waren, holte er sie wieder herein und legte sie auf den Körper der Hohen Frau. Er versuchte darauf zu achten, dass sie nicht zu sehr durchgerüttelt wurde, doch die Strecke wurde noch schlechter, soweit das möglich war. Hier ist alles in einem katastrophalen Zustand. Wahrhaft eine Baustelle von gigantischen Ausmaßen … Ich konnte den Kopf gar nicht weit genug zurücklegen, um die Gipfel des Müllgebirges zu erkennen, die allerdings auch in der Dunst- und Staubwolke verschwanden. Sie streckten sich endlos in die Höhe, sicher waren einige Fünftausender darunter. Und dann glaubte ich – wieder einmal – meinen Augen nicht zu trauen. Als wir uns der Parzelle in der Gondel genähert hatten, hatte ich wegen der schlechten Sicht kaum eine Einschätzung der wahren Größenverhältnisse vornehmen können. Doch nun hielt der Hovergleiter auf eine gewaltige Anhebung zu, den Berg aller Berge, dessen Gipfel von den tief hängenden, dunklen Wolken eingehüllt wurde. Ich schätzte seine Höhe auf gut und gern zehn Kilometer. »Der Berg Bhinilyn«, kommentierte Emball. Eine Schutt- und Geröllhalde … Was für eine unglaubliche Menge Abraum hat sich hier angesammelt. Wie wollen sie die je abtragen? »Schaut mal, sie stocken den Berg auf!« Jolo hopste nicht mehr herum, sondern zeigte nach oben. Am Fuß des riesigen Schuttbergs machte ich eine weitere serpentinenartige Straße aus, auf der Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Lastenfahrzeuge nach oben strebten. Dorthin fuhren sie also, dort luden sie alles ab, dort wurde alles angehäuft
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…
nur einmal verfahren!« Wütend trat er gegen einen Stein, der klackernd von der Piste nach unten purzelte. »Hier stimmt was nicht. Hier gehört kein Abraum hin. Aber das kann ich ja überprüfen.« Zu meiner Überraschung zog er ein kleines Gerät aus der Tasche seiner Montur, das sich als Funkgerät entpuppte. Er drehte mir den Rücken zu, und ich konnte nur undeutlich hören, was er zu seinem Gesprächspartner sagte. Es klang allerdings nicht sehr nett. Ich sah zu Albia hinüber. Sie atmete schwer und zuckte schwach mit den Fühlern. Und ich hatte uns schon am Ziel gesehen. Momentan schien sich alles gegen uns verschworen zu haben. Emball drehte sich wieder zu mir um. »Sie kommen und räumen den Mist weg. Aber das wird dauern. Eine falsche Anweisung, hab ich doch gleich gesagt. Ich verfahre mich nicht!« Er lächelte zufrieden. »So viel Zeit haben wir nicht! Die Hohe Frau stirbt! Sie braucht dringend Wasser und ärztliche Hilfe.« Meine Worte wischten ihm die Selbstsicherheit aus dem Gesicht. Emball sah verwundert zu Albia. »Die Hilfe kommt, so schnell es geht. Die Hohe Frau sieht gar nicht so krank aus. Und … es gibt keinen anderen Weg. Nur diesen hier.« »Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen.« Ich legte den Kopf zurück und starrte in die schmutzig graue Wolkendecke. Einen Planeten für einen varganischen Kampfanzug, dachte ich mit gelinder Verzweiflung.
Ich wurde unsanft nach rechts gedrückt. Unser Fahrer war erneut ausgeschert, und nun klomm der Hovergleiter auf einer Nebenstrecke höher. Sie war für ihn gerade breit genug; ich wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn wir auf Gegenverkehr stießen. Außer uns schien diesen Weg jedoch kein weiteres Fahrzeug zu benutzen. Wahrscheinlich führte er nicht zu einem Abladeplatz, sondern zu einem anderen Ziel. Oder aber Emball hat ihn über Funk sperren lassen, damit wir schneller vorankommen. Wenn die Drieten wirklich so wichtig sind … Ich bemerkte, dass am Straßenrand Steine abbröckelten und in die Tiefe polterten. »Das ist aber eine spannende Fahrt.« Jolo hatte vor Aufregung gar keine Zeit, Angst zu bekommen. Vielleicht spielte er gerade mit dem Gedanken, sich zum Lastwagenfahrer umschulen zu lassen. Ich drehte mich gerade zu Albia um, um zu sehen, wie es ihr ging, als Emball plötzlich anhielt. Mit einem kräftigen Ruck blieb unser Gefährt stehen. Waren wir angekommen? »Was ist das für eine Bamsunkacke?« Vor uns endete die Straße an einem Geröllberg. Abraum, Schutt und Schotter erhoben sich und bildeten einen Hügel, nein, fast schon einen unüberschaubaren Berg. Ich konnte nur Vermutungen über seine Höhe treffen; es mochten fünfzig, aber auch fünfhundert Meter sein. Bevor ich eine Frage stellen konnte, sprang Emball hinaus. Ich seufzte und folgte ihm. »Hast du dich verfahren?«, krähte Jolo. Das war die falsche Frage zum falschen Zeitpunkt, doch der Echsenmann hatte dafür keinen Sinn. Der Kopf des Bajaren lief fast so rot an, wie seine Brustbehaarung schimmerte. »Ich verfahre mich nie! Ich kenne diese Gegend besser als unser Gemeinschaftshaus. Niemand kann behaupten, ich hätte mich auch
* »Nicht so schnell, sonst löst du eine Steinlawine aus!« »Keine Angst, ich schaff das schon!« Behände stieg Jolo die Geröllhalde empor. Er sollte nachzusehen, wie das Terrain dahinter beschaffen war. Mit den breiten Saugnäpfen an den Unterseiten der beiden
Im Hort der Drieten schmalen Fuß- und der wesentlich kürzeren, kräftigeren Handtatzen war er prädestiniert für diese Aufgabe, zumal sein schlanker Körper sich dank des Knorpelskeletts äußerst biegsam verwinden konnte. Er war der beste Kletterer von uns. Albia wimmerte leise auf. Tuxits Federkragen verfärbte sich grün und senkte sich traurig nach unten. Das Vogelwesen konnte nichts mehr für die Hohe Frau tun. Das letzte Wasser hatte er ihr schon gegeben. Allerdings half der stete Nieselregen ein wenig. Tröstend legte ich eine Hand zwischen ihre Fühler. »Es geht gleich weiter. Wir werden schnell eine Lösung finden. Ich habe den Eindruck, dass du für die Bajaren eine sehr wichtige Persönlichkeit bist. Sie werden alles tun, um dir zu helfen.« Wem wollte ich mit diesen Worten Mut machen? Ihr oder mir selbst? Mit einem Krachen und Poltern kam Jolo den Geröllberg wieder heruntergepoltert. »Dahinten schimmert es rot«, keuchte er, »als wäre da eine schimmernde Wand. Und dahinter habe ich einen Tunneleingang entdeckt.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Augen. Ich horchte auf. Eine schimmernde Wand? Wahrscheinlich ein Energieschirm. Endlich wieder Hochtechnologie, und wir saßen hier hinter einem Haufen Abraum fest! »Was befindet sich dort?«, wandte ich mich an Emball. »Kannst du nicht über Funk Auskünfte anfordern?« »Da liegt der Hort. Ich hab doch gesagt, wir sind fast da. Aber wir Bajaren sind dort nicht wohl gelitten.« Er zuckte die Achseln. »Weiß auch nicht, warum.« Das Eingeständnis war ihm unangenehm. Vielleicht, weil man euch als arrogantes Pack verleumdet hat?, dachte ich wütend. Und wir müssen die Suppe nun auslöffeln … Das wäre auch zu einfach gewesen, meldete sich der Extrasinn. Lass dich von Jolo hinaufführen. Und wenn ihr auf der anderen Seite jemandem begegnet, kann er bei Bedarf nachhelfen. Eine Weigerung wird er
19 nicht hinnehmen. Einen Moment lang hatte ich den Extrasinn im Verdacht, dass er Jolo loswerden wollte, doch in diesem Fall musste ich ihm Recht geben. Das war ein vernünftiger Rat und außerdem die einzige Option, die uns blieb, wenn wir nicht auf die Bajaren warten wollten. »Wir gehen gemeinsam, Jolo. Vielleicht finden wir dort Hilfe.« »Noch mal diese Tortur? Du weißt gar nicht, wie kräftezehrend diese Kletterei ist, Atlan. Allmählich macht sich ein unangenehmes Nagen in meinen Eingeweiden breit.« »Vielleicht gibt's da drüben etwas zu essen.« Er schaute skeptisch drein. Ich schloss die Augen, um seinen elenden Gesichtsausdruck nicht ertragen zu müssen. »Wenn du jetzt noch ein Wort über Nahrungsmittel, Hunger oder arme kleine Echsenwesen in grünen Shorts verlierst, weiß ich, was es heute Abend zu essen gibt.« »Was denn?«, fragte er zaghaft. »Echsenfilet. Wahlweise englisch, medium oder durch gegrillt. Ich beherrsche auch ein ausgezeichnetes Medium plus.« Er gab ein jämmerliches Quaken von sich, und ich öffnete die Augen wieder und wandte den Kopf von ihm ab. Emball kratzte seinen Brustpelz und lehnte sich gegen den Pritschenwagen. »Wollt ihr das wirklich wagen? Meine Leute sind bereits unterwegs, die bringen den Schutt dahin, wohin er gehört. Das dauert nur seine Zeit.« Ich schüttelte den Kopf. Er wollte offensichtlich nicht begreifen, dass es für Albia um Leben und Tod ging. Wahrscheinlich waren die Drieten für ihn so erhabene Wesen, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass auch sie sterblich waren. »So lange hält Albia nicht mehr durch. Wir gehen.« »Meinst du wirklich?«, winselte Jolo. »Ja«, knurrte ich nur.
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* Manchmal hätte ich dem Gefühlschamäleon am liebsten den Hals umgedreht, doch nun erwies es sich als wertvoller Helfer. Jolo erklomm die steile Geröllwand mit spielerischer Leichtigkeit; kein Wunder, die Saugnäpfe verliehen ihm die nötige Sicherheit. Aber er wartete, während ich mir die Finger wund scharrte, den Körper verdrehte wie selten zuvor und die Beine ausstreckte, um irgendeinen schmalen Vorsprung zu erreichen, auf dem ich Halt fand, damit ich mir die Finger an dem nächsten Stein über mir blutig kratzen konnte. Ich hatte Flotten der Maahks vernichtet, den Mikrokosmos besucht, Faktor 1 der Meister der Insel getötet und die Geburtsstätte von Superintelligenzen besucht. Und nun forderte ein simpler Berg aus Bauschutt meinem Körper Höchstleistungen ab. Während ich meinem Instinkt überließ, den sichersten Weg zu finden, fragte ich mich kurz, wo wir hier eigentlich gelandet waren. Dass es sich um eine Baustelle handelte, war nicht zu übersehen. Aber was wurde hier gebaut? Wohin ratterten die endlosen Kolonnen der Lastenschweber und gleiter, die mit vollen Ladungen in Richtung eines in der Ferne verschwimmenden Hochgebirges davonfuhren, während aus der anderen Richtung stets leere Wagen zurückkehrten? Denk an das Naheliegende, meinte der Extrasinn lapidar. Man baut das Innere der Intrawelt aus. Das riesige Gebilde ist schließlich keineswegs fertig gestellt, wie du selbst in der Außenansicht gesehen hast. Ich schnaubte. Darauf wäre ich allein nie gekommen. Ich konzentrierte mich wieder auf die Müllhalde, schaute nach oben, suchte nach einem vorstehenden Steinbrocken, den ich ergreifen konnte, um mich wieder einen halben Meter hochzuziehen. Jolo schien nicht das geringste Verständnis für meine Schwierigkeiten zu haben. Wie ein junger Hund be-
wegte er sich hinauf und wieder herab, stieg mehrmals an mir vorbei, legte dabei bestimmt die dreifache Strecke zurück, die ich bislang geschafft hatte. Aber er blieb in meiner Nähe, um mich notfalls festhalten zu können, falls ich den Halt verlieren sollte, half mir gelegentlich bei besonders schwierigen Passagen und erwähnte kein einziges Mal seinen nagenden Hunger. Dafür war ich dankbarer als für alles andere. Ich schaute nach oben und sah zwei Felsbrocken, die mein Gewicht wohl tragen würden, und dann nach unten in den Abgrund, der einfach nur bedrohlich wirkte, obwohl ich gerade einmal zehn, fünfzehn Meter überwunden hatte. Ich entschied mich für den linken Felsbrocken und tastete ihn ab. Meine Finger fanden Halt, und ich zog mich hoch. Im Unterbewusstsein registrierte ich, dass meine Armmuskulatur schmerzte wie lange nicht mehr. Ganz zu schweigen von der der Beine und des Rumpfs. War ich dermaßen außer Form? Nein. Aber du bist nicht mehr vollständig. Und das hast du bislang einfach ignoriert. Ich zerbiss einen Fluch, antwortete dem Extrasinn nicht und suchte mit einem Fuß nach neuem Halt. Mittlerweile hätte ich keinen Planeten mehr für einen varganischen Kampfanzug, sondern ein Sonnensystem für einen simplen Antigravprojektor gegeben. Das Knirschen war so leise, dass ich es eigentlich nicht zur Kenntnis genommen hätte. Nicht, wenn ich mich nicht mit Freihandklettern an einer steilen Felswand vergnügt hätte. Oder zumindest mit mehr oder weniger hilflosem Kraxeln auf einer ziemlich steilen Schutthalde. Aber ich lebte schon lange genug, um zu wissen, dass es nichts Gutes bedeutete. Ein daumennagelgroßer Stein fiel zehn Zentimeter vor meinem Gesicht hinab in die Tiefe. Ein zweiter folgte, und er war schon so groß wie eine Faust. Nun murmelte ich einen undruckbaren ar-
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konidischen Fluch. Drei, vier weitere Steine fielen an mir vorbei in die Tiefe, und jeder war größer als der zuvor. Aus dem Knirschen wurde ein Grollen, und plötzlich war ich in eine hellgraue Staubwolke gehüllt. Ich griff mit dem freien Arm um mich, suchte Halt, irgendeinen Halt, durchpflügte jedoch nur Luft. Wie aus weiter Ferne hörte ich Jolo irgendetwas schreien, doch ich verstand nicht, was er rief. Mein gesamtes Gewicht wurde von meinem rechten Arm getragen, von der rechten Hand, von fünf Fingern, und der Stein, den diese Finger umklammerten, neigte sich plötzlich, so stark, dass ich abzurutschen drohte. Der feine Staub brannte in meinen Augen, die Muskulatur meines rechten Arms schmerzte unerträglich, und das Blut meiner aufgerissenen Finger war plötzlich ganz glitschig. Jolo schrie noch immer etwas Unverständliches. Die graue Staubwolke, die mich umgab, wurde dunkler, immer dunkler, bis sie schließlich fast schwarz war. Und dann ganz schwarz. Ich verlor endgültig den Halt, schaute nach unten, sah den Abgrund. Und schrie auf. Die Schwärze schien sich auszudehnen, tiefer, undurchdringlicher zu werden. Ich sah hinab in die Leere, und meine Finger verloren endgültig den Halt. Ich stürzte, fiel in eine undurchdringliche, bodenlose Schwärze, und plötzlich war ich so müde, dass ich sie nur noch willkommen hieß.
5. Eggober raufte sich im Geiste die Lanken. Die Anweisungen der Orteten wurden immer verworrener und unverständlicher. Als wären sie sich ihrer selbst nicht mehr sicher! Das war in der Geschichte der Parzelle Hüffen noch nie vorgekommen. Der Anstize schwebte in seiner Schwarz-
kammer hoch in der Luft und blickte auf seine Baustelle hinab. Die noch nicht fertig errichtete Mittelstrebe 133 lag direkt unter ihm, ragte aus der Bodenwelt. Ihr galt sein ganzes Augenmerk. Sie war eine erste Abstützungsstrebe und das Herzstück einer Stützkonstruktion, über der einmal ein Mittelgebirge errichtet werden sollte. Schon jetzt war sie über einhundert Meter hoch, doch das war nichts im Vergleich zu der Größe, die die gesamte Konstruktion erreichen würde, sobald sie erst einmal fertig gestellt war. Noch in tausend Generationen würde man von diesem Bauwerk sprechen, und die Erbauer würden durch ihr Werk Unsterblichkeit erringen. Derzeit war die Stützkonstruktion jedoch unglaublicher Thermik und sehr starken Temperaturschwankungen ausgesetzt. Die Klimasteuerung für Corl 22 spielte komplett verrückt. Ein Ersatzaggregat, das er längst angefordert hatte, traf einfach nicht ein. Wie sollte er jemals die Deckplatten aufsetzen, zumal die Energie in allen Bereichen knapp war und kaum ausreichend Traktorstrahl-Projektoren für die Anpassung und Verbindungsarbeiten zur Verfügung standen? Eggober steuerte die Absicherung der Hilfsstütze 133 mit Elementen seiner KunstLanken. Im Prinzip musste er die Konstruktion einfach nur ausbalancieren, aber dabei durfte er sich nicht den geringsten Fehler erlauben. Stützende, drückende oder ziehende Traktorstrahlen hielten das riesige Gebilde im Gleichgewicht und sorgten dafür, dass es nicht unter seinem eigenen Gewicht zusammenbrach. Wenn er in seiner Aufmerksamkeit nur für einen einzigen Moment nachließ, wenn er einen Windstoß falsch berechnete, die Materialausdehnung oder- kontraktion aufgrund der Temperaturschwankungen nicht sofort ausglich … Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dann geschehen würde. Er ließ die Kammer tiefer sinken und erfasste in wenigen Sekunden, dass etwas nicht stimmte. Sofort stellte er über die Schwarzkammer eine Verbindung mit dem
22 bajarischen Vorarbeiter her. »Hodam«, fuhr er ihn an, »warum erfassen meine Instrumente Schwankungen im Mittelbereich? Hier sollte alles wie aus Fels gehauen stehen! Wir haben schließlich die Thermik und Temperatur in diesem Bereich völlig im Griff!« Der Bajare schaute auf einige Instrumente und dann ratlos drein. »Keine Ahnung. Ich habe dir eine Meldung geschickt. Wir haben genau nach Anweisung gearbeitet, an uns kann es nicht liegen.« Er kaute an einem Stück Deerun; der dunkelrote Saft der schmalen, harten Stange färbte seine Zunge und Lippen. Ihn schien der Zwischenfall nicht besonders zu beunruhigen. Natürlich muss ich mich jetzt um alles kümmern! Manchmal wäre ich gern auch nur ein Bajare, der Anweisungen ausführt. Eggober drückte einige Knöpfe in seiner Kammer und wartete. Der Bildschirm flimmerte kurz, dann erschien sein Parzellenschneider. »Wir haben hier ein unbekanntes Problem mit der Statik. Kannst du mir einen Mortan schicken, um die Ursache zu klären?« Sobensten hob einige Lanken. »Das hättest du vor einer Umschaltung beantragen müssen. Du weißt doch, dass es nur ganz wenige gibt. Ist es dringend?« »Natürlich«, erwiderte Eggober. »Sonst hätte ich keine Hilfe angefordert.« »Ich werde sehen, was ich tun kann.« Der Parzellenschneider unterbrach die Verbindung. Eggober ließ die Lanken kreisen. Die allgemeine Ressourcenknappheit griff auf elementare Dinge über. Wie sollten sie jemals fertig werden, wenn schon die Mortan knapp wurden? Eggober ließ sich Hodams Position anzeigen und setzte sich in Bewegung. Er fand den Bajaren in einer Bürobaracke am Rand der Verstrebung, wie er sich gerade mit mehreren Kollegen besprach. Aber die Leute machten auf ihn keinen sehr beschäftigten Eindruck. »Sitzt ihr nur herum und kaut Deerun?«, fuhr er den Vorarbeiter an.
Uwe Anton »Wir können im Moment nichts tun«, behauptete der Bajare patzig. »Die Unteren kommen mit dem Entladen der Loren nicht nach. Und dann hat es irgendeine Störung gegeben, Abraum wurde falsch abgekippt und blockiert die Straße zum …« »Dann helft ihnen, damit es schneller geht!« Fast hätte Hodam sich an dem Deerun verschluckt. Er spuckte aus. »Das ist wirklich nicht unsere Aufgabe. Wir müssen …« »Dann erteile ich dir jetzt eine offizielle Anweisung«, fuhr der Anstize ihm ins Wort. Eggober konnte nicht glauben, was er da hörte. »Und beeilt euch gefälligst! Nur leere Loren sind gute Loren!« »Natürlich … sofort.« Hodam warf ihm einen befremdlichen Blick zu, winkte den anderen und trollte sich. Ein akustisches Signal der Kammer kündete von einem eingehenden Gespräch. Er aktivierte die Holoverbindung, und das Gesicht des Parzellenschneiders erschien vor ihm. »Ein Mortan ist unterwegs. Wenn du ihn nicht mehr brauchst, erwarte ich unverzüglich die Freistellung. Er wird noch auf anderen Abschnitten benötigt.« Sobensten wartete seinen Dank nicht ab; er hatte auch keine Zeit. Wir haben alle keine Zeit mehr. Es ist eine Schande, dass es so weit kommen musste. Eggober ließ sich an seinen Lanken hinab. Er glaubte zu hören, dass die Mittelstrebe verdächtig knarrte. Ein weiteres Zeichen der Kammer wies ihn darauf hin, dass sich ein Passagiergleiter näherte. Eggober hielt auf den anvisierten Landeplatz zu und wollte es nicht so recht glauben, als ein Mortan ausstieg. So schnell war seine Anfrage bearbeitet worden? Manchmal geschahen noch Zeichen und Wunder. »Was kann ich für dich tun?« Die helle Stimme des Mortan riss den Anstizen aus seinen düsteren Betrachtungen. Mit blitzenden Augen sah der kleine Geselle zu ihm herauf. Sein gedrungener Körper war mit ei-
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nem Mehrzweck-Overall bekleidet, das kleine Gesicht mit der Stupsnase mit dichtem grauschwarzem Fell besetzt. Eggober wusste, dass der Mortan in den unzähligen Taschen seiner Montur wichtige und kostbare Messgeräte mit sich herumtrug. Mit den kleinen Armen und Beinen wirkte er fast kindlich, doch hinter der drolligen Fassade verbarg sich ein hochintelligenter Geist. »Die Mittelstrebe ist nicht stabil.« Er stöhnte leise vor sich hin. »Sie wurde genau nach Anweisung erbaut, aber irgendwas stimmt mit ihr nicht.« »Dann sehen wir sie uns doch mal an«, zirpte der Mortan fröhlich.
* Eggober klopfte mit einer Lanke an das Material. Ein leises Knirschen antwortete ihm. Der Mortan nickte. Rasch zog er eine kleine Konsole aus einer Tasche und bediente sie mit flinken Fingern. Dann ging er langsam um das Fundament der HohlkastenKonstruktion herum. Eggober kletterte ebenfalls hinunter; auf der knarrenden Mittelstrebe fühlte er sich nicht mehr sicher. Mit der Schwarzkammer sah er gleichzeitig nach Hodams Arbeitstrupp. Er wollte die Bajaren überwachen und, wenn nötig, ihnen Beine machen. Wenigstens die Automatik ist intakt. Wäre ja noch schlimmer, wenn ich mich um jeden Kleinkram selber kümmern musste. »Das habe ich befürchtet.« Der Mortan stand vor der Mitte des Fundaments und sah von seiner Messanzeige auf. Seine kleinen schwarzen Augen fixierten Eggober. »Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?« Der Anstize fürchtete sich vor der Antwort. Sein geballtes Zeitproblem wollte über ihm zusammenstürzen und ihn metertief begraben. »Ein starker Befall von Shiwons. Fast das gesamte Fundament ist betroffen.« Um Eggober wurde es sekundenlang schwarz, dann fing er sich wieder. Ein Shi-
wonbefall war das Schlimmste, was einem Abschnittshauer passieren konnte. Ihre Entfernung kostete viel Zeit, und dann war längst noch nicht sichergestellt, dass man sie überhaupt vollständig loswurde. Der Mortan wühlte in einer anderen Tasche. »Genau unter uns haben sie Gänge gegraben. Sie müssen schon eine große Sippe gegründet haben. Wir müssen drastisch und konsequent vorgehen.« Damit war der bröckelige Untergrund für die Hohlkasten-Konstruktion keine Basis mehr. Eggober brauchte kein Steuerelement, um sich auszurechnen, dass es hierbei um wenige Zeiteinheiten ging. »Diese verdammte Plage! Wozu gibt es die überhaupt? Unnütze Parasiten, das reine Elend für uns Abschnittshauer!« Aber wie waren die Shiwons zur Parzelle Hüffen gelangt? Eigentlich gab es sie nur auf den oberen Ebenen. Sie verfügten über eine höchst begrenzte Intelligenz, aber über einen umso stärker ausgeprägten Sippensinn. Ihre Vorfahren vermutete man unter den stummen Händen der Nomaden; zumindest das äußere Erscheinungsbild sprach für diese Theorie. Die Shiwons hatten sich perfekt der Umgebung in Hüffen angepasst. Sie lebten fast ausschließlich in Kolonien unter der Erde. Ihre kleinen, etwa zwanzig Zentimeter langen Körper waren völlig unbehaart. Nackt und blind, aber mit sehr guter Nase und vielen Tasttentakeln waren sie unnachahmliche Überlebenskünstler. Ihrer ursprünglichen Umgebung beraubt, schlugen sie sich fast ausschließlich auf Baustellen herum und beschäftigten ganze Fängertrupps. Ihre Anwesenheit verriet sich oft durch Fressspuren an Rohmaterialien, Kothaufen und … schlechter Statik an Baugerüsten. »Wir haben ein neues Mittel entwickelt. Es ist zwar noch in der Probephase, aber angesichts des Ausmaßes des Befalls kann ich es dir nur empfehlen.« Der Mortan wühlte in einer seiner hundert Taschen. Eggober verspürte einen Anflug von Hoffnung. In seiner Situation musste er nach
24 jedem Lanken greifen, der sich ihm bot, so schwach und zerbrechlich er auch war. Er wollte Herr der Lage bleiben, was auch immer er dafür tun musste. Der Anstize griff nach der Ampulle, die der Mortan ihm hinhielt. Eine klare Flüssigkeit schimmerte darin. »Ein künstliches Anti-Pheromon, eine Kombination aus zahlreichen Duftstoffen, einer Vielzahl ihrer natürlichen Feinde nachempfunden. Es müsste sie in kürzester Zeit vertreiben.« Der Mortan beugte sich zu Eggober. »Besonders gut geeignet für dringende Fälle«, flüsterte er verschwörerisch. Wieso pries der Mortan seine Neuentwicklung so übertrieben an? Er als Abschnittshauer hatte schließlich gar keine andere Wahl, als darauf zurückzugreifen. »Im günstigsten Falle räumt dir meine Neuentwicklung den gesamten Abschnitt frei. Eine kleine Menge genügt.« Der Mortan stopfte die anderen Geräte wieder in den Overall zurück. »Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir über das Ergebnis der Anwendung einen Bericht schicken würdest. Die Studien sind noch nicht abgeschlossen.« Grußlos kehrte der Mortan zu seinem Gleiter zurück; wahrscheinlich war sein Auftragsbuch bis zum Bersten gefüllt, und er müsste zu seinem nächsten Einsatz. »Vergiss nicht, ein paar Tropfen genügen!«, rief er noch und stieg dann ein. Eggober sah dem davonfliegenden Gefährt nach, aber nur kurz. Frohlockend schraubte er die Ampulle auf. Damit konnte er diesen widerlichen Biestern zeigen, wer hier auf diesem Abschnitt das Sagen hatte. Eggober wollte die Flüssigkeit vorsichtig auf den Boden träufeln – seine bunten Kunst-Lanken ließ er dabei außen vor, sie waren in ihrer Feinmotorik noch nicht so gut abgestimmt –, als er das Knirschen hörte. Seine oberen Sensoren erfassten einen Balken, der auf ihn zustürzte. Mit einem schnellen Sprung brachte er sich in Sicherheit. Neben ihm donnerte das Segment aus der Mittelstrebe zu Boden. Die Statik gab langsam den unsichtbaren Kräften
Uwe Anton aus dem Boden nach. Erschrocken sah Eggober, dass er fast den gesamten Inhalt der Ampulle vergossen hatte. Gleichzeitig stieg Wut in ihm hoch. Dann war er die Shiwons eben schneller los! Ihm war klar, dass ihm lediglich ein paar Zeiteinheiten blieben, um die ganze Konstruktion zu retten. Er schaltete eine Funkverbindung zu Hodam. »Komm mit deinen Leuten sofort her! Wir müssen hier Zusatzstreben einbauen! Und Beton in den Boden pumpen!« Diesmal reagierte der Bajare schnell. Als hätte er darauf gewartet, war er in kürzester Zeit mit seinem Trupp zur Stelle. Die Arbeiter waren mit Werkzeugen und Balken beladen. Eggober empfing sie mit etlichen Blinkund Akkustiksignalen der Schwarzkammer. Dann stellte er auf manuelle Bedienung um und rief die Meldungen ab. »In dem der Hüffen-Seite zugewandten Abschnitt des Tunnels befinden sich unbekannte Personen. Aber sie haben eine Driete dabei. Bitte um Anweisungen …« »In der Rohmaterial-Kammer kommt es zu einem vermehrten Einbruch von Shiwons. Bitte um Anweisungen …« »In den unteren Bauabschnitten von Corl 22 gibt es eine Massenpanik wegen Tausenden von Shiwons. Bitte um Anweisungen …« Eggober schlug auf die Automatik und raste mit der Kammer zur Rohmaterial-Lagerstätte.
* Wenn es möglich war, das Chaos noch zu vergrößern, war es hier geschehen. Zwischen Bergen von Sand, Zement und Eisenerzen, unter Paletten von Balken und Latten krochen Shiwons hervor und rannten den anwesenden Bajaren zwischen den Beinen hin und her. Es wurden immer mehr, ein grauer Strom der kleinen Schmarotzer ergoss sich durch die Lagerhalle.
Im Hort der Drieten Eggober hatte immer gewusst, dass es viele von den Biestern gab. Aber so viele? Schreiend kletterten einige Bajaren auf Container; andere traten wild um sich. Eigentlich waren Shiwons harmlose Allesfresser, die sich sogar von Erde und Geröll ernähren konnten, aber in solchen Mengen machten sie den Arbeitern Angst. »Sie laufen um ihr Leben!«, rief Eggober über einen Lautsprecher, um die Leute zu beruhigen. »Bald sind sie verschwunden, und hier kehren wieder Ruhe und Ordnung ein!« »Eggober! Was geht da vor?« Der Parzellenschneider Sobensten erschien auf seinem Hauptbildschirm. »Ich habe das Gefühl, dass ich in deinem Abschnitt zu einem Kontrollgang erscheinen muss.« Ausgerechnet jetzt! Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre es Eggober egal gewesen. Aber dieses Chaos würde ihm einen Tadel einbringen. »Ich habe alles unter Kontrolle, es handelt sich nur um eine kurzfristige Störung. Die Mühe kannst du dir sparen. Meine Lanken haben alles im Griff.« Eggober hoffte, ein paar Zeiteinheiten herausschlagen zu können. Mehr brauchte er nicht. »Na schön. Aber dir ist klar, dass ich deine Fortschritte besichtigen muss? In einer Umschaltung werde ich mich bei dir wieder melden.« Eine Umschaltung! Eggober war sicher, bis dahin das Shiwonproblem gelöst zu haben. Er musste unbedingt Banun an den Schirm kriegen, den Hauptarchitekten für den Bereich der Hohl-Konstruktion. Er schaltete eine Verbindung, doch der Schirm flimmerte nur, es kam kein Bild zustande. Ein Driete meldete sich mit fast unverständlichen Worten. »Ich muss Banun sprechen«, sagte Eggober. »Seine Umwandlung musste mittlerweile abgeschlossen sein. Ich brauche dringend neue Anweisungen von ihm!« Totalausfall der Optiken in den Hohlkam-
25 mern der Drieten. Er hörte nur eine verzerrte Stimme. »Wir wandeln uns ständig um! Ein unmöglicher Zustand, und wir wissen nicht, woran es liegt. In diesem Stadium sind wir nicht in der Lage, dir zu helfen. Am besten kommst du her und siehst selbst, wie es um uns steht.« Was war jetzt schon wieder geschehen? Wieso wurde es mit den Drieten immer schlimmer? Warum passierten diese seltsamen Dinge ausgerechnet in seinem Abschnitt? Lag das etwa an der Unfähigkeit der Bajaren? Er war einer der wenigen Abschnittshauer, die sie einsetzten. Um seine Lanken zu beschäftigen, schraubte Eggober die Konsole ab und lötete ein paar Kontakte zusammen. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Das sind zu viele Störungen auf einmal! Und wenn ich um Hilfe bitte, bekomme ich keine. Und was, fragte er sich mit Entsetzen, wenn das nicht der Höhepunkt der Schwierigkeiten, sondern erst ihr Anfang ist?
* Peonu blickte aus der Gondel hinaus auf das weite Grasland einer Parzelle, deren Name ihm entfallen war. Er war der einzige Passagier. Missmutig hob er den Kopf und schaute zu dem Maulspindler hinüber. Er hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, sich einen Teil von dessen Seele einzuverleiben, dann aber darauf verzichtet. Das seltsame Wesen hatte einen gewissen Eindruck auf ihn gemacht. Es schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben, aber auf eine abgeklärte, zufriedene Art und Weise. Da war nichts von Furcht oder Panik, nicht einmal von Niedergeschlagenheit. Seine Laune war noch immer so schlecht wie zu dem Zeitpunkt, da er die Gondel betreten hatte. Er war es nicht gewohnt, unter solchen Schwierigkeiten nach einer Spur zu suchen. Doch Atlans Fährte bereitete ihm ungeahnte Mühe. Die Verbindung zwischen ihm und seinem Opfer war instabil geworden. Er
26 spürte den Kosmokratenknecht zwar noch, aber dieses Rätsel bereitete ihm Kopfzerbrechen. Wollte er nicht irgendwann vielleicht eine böse Überraschung erleben, musste er es lösen. Also hatte er die ihn begleitenden Seelenhäppchen zurückgelassen und die nächste Gondelstation aufgesucht. Der Maulspindler, Abertack, hatte ihm kaum Schwierigkeiten bereitet und auf eine eingehende Prüfung seiner Ziele und Absichten verzichtet. So, wie Peonu den Hauch des Todes um das Spinnenwesen spürte, schien Abertack zu ahnen, dass er sich Peonu keinesfalls widersetzen konnte. Man konnte sagen, sie verstanden einander prächtig. Schon auf dem Weg zur Flachstation GEM-45 spürte Peonu den Seelenfaden des Arkoniden wieder deutlicher. Irgendwie hatte er geahnt, dass der Arkonide ihm Ärger machen würde. Aber er war diesen Aufwand wert, dieser Seelenhappen, davon war Peonu überzeugt. Er fragte sich, was mit dem Arkoniden geschehen war, als er den Seelenfaden angezogen hatte. Ein Unwetter zog auf. Peonu beachtete es nicht; er vertraute Abertacks Fähigkeiten genauso wie denen der Konstrukteure der Gondel. Hüffen, dachte er, Hüffen. Er würde umsteigen und zur Bodenstation FCBM-272 weiterfahren müssen. Dort würde er Atlan finden, davon war Peonu überzeugt. Dann konnte er pflücken. Wie eine reife Frucht würde er ihm in den Mund fallen. Oder er würde ihn weiterziehen lassen, weiter auf der Suche nach dem Flammenstaub. Genüsslich leckte Peonu sich die Lippen. Natürlich würde er ihn weiterziehen lassen. Aber allein die Vorstellung, dass Atlan ihm willenlos ausgeliefert war, hatte ihren Reiz. Das Gefühl nährte Peonus Hass und Hunger. Er bedauerte nur, dass er Atlan nicht wie seine letzten Opfer in der Nähe der Eremitage verscharren konnte.
Uwe Anton Noch nicht.
6. Die Schwärze nahm kein Ende. Ich fiel und fiel und fiel. Rasend schnell ging der Sturz. Ich wollte die Arme ausbreiten, um ihn zu verlangsamen, stellte jedoch fest, dass ich keinen Körper mehr hatte. Ein leuchtender Punkt hellte hoch über mir die Dunkelheit auf. Er schien schwerer zu sein als ich, fiel jedenfalls schneller, näherte sich mir rasant und verwandelte sich dabei in einen Strich, einen Faden, ein Tau. Als es mich erreicht hatte, hatte ich plötzlich wieder Arme. Ich streckte sie aus und umklammerte das Seil. Die Reibungshitze versengte die Haut meiner Handflächen. »Du bist nicht mehr vollständig und ich auch nicht.« Es dauerte einen Moment, bis ich die Stimme erkannte. Sie hatte zu mir gesprochen, war nicht in meinem Kopf erklungen. Das hatte mich kurz verwirrt. »Bist … du es?«, fragte ich zweifelnd. »Ja«, antwortete mein Extrasinn. Ich stöhnte leise auf. »Und du bist genauso betroffen wie ich?« »Ja. Wenn nicht sogar noch stärker. Ich weiß zumindest, was uns widerfahren ist, und denke darüber nach. Du scheinst es nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.« Peonu. Der mir einen Teil meiner Seele geraubt, mich unvollständig gemacht hatte. »Du lamentierst dann und wann darüber, reflektierst aber nicht. Was hat es zu bedeuten, dass du nicht mehr vollständig bist? Was für Folgen wird das haben? Jetzt, da du dich allein durch die Intrawelt schlägst … und später, wenn du Peonu vielleicht noch einmal begegnest? Du ignorierst diesen Raub. Du leidest nicht. Du benimmst dich wie immer. Du wirkst nicht verändert, obwohl dir etwas fehlt.« Doch, ich hatte mich verändert. Ich wusste selbst, dass ich nicht mehr meine volle Leistungsfähigkeit brachte. Bislang hatte ich alles einigermaßen im Griff. Ich spürte, dass
Im Hort der Drieten ich unvollständig war, ohne dass es mich beeinträchtigte. Zumindest erkannte ich nicht, wie es das tat. »Vielleicht hat Peonu dir genau jenen Teil gestohlen, der für die Selbstkritik verantwortlich zeichnet. Oder die Reflexionsfähigkeit.« Ich wollte nicht darüber nachdenken. »Benimmst du dich deshalb so … seltsam? Ziehst du deshalb immer wieder über Jolo her?«, fragte ich. »Auch ich bin nicht mehr vollständig. Ich tue jetzt Dinge, die ich vorher nie getan habe. Ja, Jolo geht mir auf die Nerven. Am Anfang war er ganz lustig, aber jetzt ist er zu einer rülpsenden, furzenden und unentwegt fressenden Karikatur verkommen, die ich einfach nicht mehr ertragen kann. Und ich frage mich, wie lange er noch leben wird.« Ich wusste, was der Extrasinn meinte. Ich dachte an Akanara, der uns in Omega Centauri ein Stück unseres Weges begleitet hatte. An Tamiljon, der mich durch die Obsidian-Welten geführt hatte. An Emion, der uns vor dem Zugriff der Lordrichter befreit hatte. Und an Gorgh-12, der wesentlich dazu beigetragen hatten, dass wir den Dunkelstern vernichten konnten. Sie alle waren für einen Abschnitt des Weges meine Begleiter gewesen. Und sie alle waren tot. Sinnlos gestorben, oder sie hatten ihr Leben geopfert, um uns zu retten. Nun ja, Tamiljon vielleicht nicht. Er war einfach nicht mehr bei uns. »Es gibt nichts Neues unter der Sonne«, murmelte ich. Plötzlich machte ich mir große Sorgen um Jolo. Sosehr die verfressene Echse in ihren grünen Flattershorts mir und uns allen auf die Nerven ging, ich mochte sie irgendwie gut leiden. »Du bist also auch betroffen«, murmelte ich. »Und du wirst vom Spötter zum gehässigen, zynischen Kommentator.« »Ich habe Angst, Atlan. Angst, was aus uns werden wird, seit Peonu uns unvollständig gemacht hat. Du bist nicht mehr der arkonidische Kronprinz und Admiral, den ich
27 kenne.« Ich hatte diese Angst ebenfalls. Dann prallte ich auf, stürzte auf die graue Masse, sank tief in sie ein, wurde umschlossen von ihr und …
* … schlug um mich und wachte auf. »Bist du verletzt?«, fragte Jolo. »Du bist abgestürzt! Ich konnte dich im letzten Augenblick festhalten!« Ich verabscheute das Echsenwesen in seinen grünen Schlabbershorts, das selbst seine Eltern und Geschwister verkaufen würde, um in den Genuss einer noch so einfachen Mahlzeit zu kommen wie einem Linsengericht, aber ich liebte es auch als Freund. Nicht als treuen, aber immerhin. Ich schüttelte mich, spürte dabei jeden Knochen im Leib. Mühsam streckte ich einen Arm aus, dann den anderen, dann die Beine. Gebrochen schien nichts zu sein. »Was ist passiert?« Die Worte kamen problemlos über meine Lippen. Also schien ich keine weitergehenden Schäden davongetragen zu haben. Ich richtete mich auf. »Du hast plötzlich laut geschrien und den Felsbrocken losgelassen, an dem du dich festgehalten hast. Es geschah furchtbar schnell. Du bist gestürzt, aber ich konnte dich gerade noch packen und festhalten.« Jolo strahlte über das ganze Gesicht, und ich hätte ihn am liebsten ergriffen und an meine Brust gedrückt. »Der Steinschlag …«, murmelte ich. Das Echsenwesen warf mir einen skeptischen Blick zu, und plötzlich befürchtete ich, den Verstand verloren zu haben. »Welcher Steinschlag?« Ich antwortete nicht darauf, schob mich hoch, bis ich kniete, und versuchte dann aufzustehen. Ich hatte nicht damit gerechnet, doch es gelang mir. »Kein Steinschlag«, murmelte ich. Wir sind unvollständig, wisperte der Extrasinn. Bislang haben wir nicht viel davon mitbekommen. Das war die erste Reaktion
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darauf. Wird das nun immer wieder passieren?, fragte ich lautlos. Muss ich damit rechnen, nun alle paar Stunden ohnmächtig zu werden? Nicht unbedingt. Wir haben Peonus Fähigkeiten nicht genau ergründen können; sie sind für uns völlig vage. Vielleicht hat er … sich dir gegenüber nur in Erinnerung bringen wollen. Vielleicht hat er die geistigen Zügel kurz angezogen. Wir wissen es nicht. Aber es könnte … jederzeit wieder geschehen? Das ist nicht auszuschließen. Ich musste mich plötzlich auf Jolo stützen; die Beine schienen mir den Dienst zu versagen. War es das, was mich erwartete? Würde ich von nun an immer wieder solch einen Anfall erleiden? Oder konnte Peonu mir jederzeit zeigen, dass er mich in seiner Gewalt hatte … mich besaß? Trübe Aussichten, nicht wahr, Kristallprinz? »Ja«, murmelte ich leise.
* Bevor ich mir weitere Gedanken über meinen Verlust machen konnte, geriet der Schuttberg vor uns plötzlich ins Vibrieren. Einzelne Brocken, manche tonnenschwer, lösten sich in der Ferne und stürzten hinab. »Weg hier! Der Abraum wird uns alle unter sich begraben!« Emball sprang geradezu in das Luftkissengefährt und wollte starten. »Warte!« Ich riss die Hand hoch. »Das ist kein normaler Erdrutsch! Spürst du die Vibrationen nicht?« Der Bajare sah mich fragend an, zögerte aber, das Fahrzeug anzulassen. Dann nickte er langsam. »Du hast Recht. Auf der anderen Seite arbeitet jemand mit schwerem Gerät.« Polternd rutschte weiterhin Schutt in die Tiefe, aber nicht willkürlich, sondern gezielt zur Seite weg, sodass wir nicht in Gefahr gerieten, darunter begraben zu werden. Auf der anderen Seite der Schutthalde wusste je-
mand ganz genau, was er tat. Im nächsten Moment brach die Schutthalde genau vor uns in sich zusammen, und ich machte undeutlich einen gewaltigen metallenen Arm von mindestens fünfzehn Metern Höhe aus, der von wirbelnden, dichten Staubwolken umhüllt wurde. Eine riesige Schaufelmaschine erfasste den Abraum und zerkleinerte ihn kurzerhand. Der Staub wirbelte meterhoch und reizte meinen Hals. Ich hustete und spuckte aus. »Unglaublich, die schicken tatsächlich eine Extraschicht.« Emball bekam den Mund kaum zu. Als der Bajare, der die Maschine bediente, uns erblickte, winkte er freudestrahlend. »Der Weg ist frei! Ihr könnt zu mir raufkommen, hier ist genug Platz für euch.« Wir hoben zuerst Albia auf das Führerhaus des Baggers, dann kletterte ich hinterher und half schließlich Tuxit hinauf. Jolo wuselte schon längst auf der Maschine herum. »Und weiter geht's.« Der Bajare bediente den Bagger mit bewundernswerter Sicherheit. Er rangierte wie der Teufel und brachte uns mit wenigen Drehungen wieder in Fahrtrichtung. »Ja, aber …« Emball sah uns ratlos hinterher. Ich winkte ihm, und er sprang ebenfalls auf das Führerhaus. »Deine Leute kommen schon eine Weile ohne dich klar. Und die Hohe Frau hat dir viel zu verdanken. Vielleicht bringt dir das eine Belobigung ein.« Emball schaute verwirrt drein, sagte aber nichts. Ich wandte mich an den Bajaren hinter dem Steuerknüppel. »Woher habt ihr gewusst, dass wir Hilfe brauchen?« »Wir überwachen den Funkverkehr«, antwortete er lapidar. »Wofür hältst du uns? Für Volltrottel?« Ich schwieg betroffen. Offensichtlich hatte ich mir in der Tat ein leicht falsches Bild von den Bajaren gemacht. Der riesige Bagger ruckelte langsam, aber
Im Hort der Drieten stetig die Serpentinen hinauf. Gegenverkehr hatten wir nicht mehr zu befürchten; er hätte ihn einfach überrollt. Schließlich machte ich den Tunneleingang aus, von dem Jolo berichtet hatte. Das rötliche Flimmern davor stammte tatsächlich von einem Energieschirm – einem Schirm, wie ich ihn bereits von den Bodenstationen des Gondelsystems kannte! Sollten wir es endlich geschafft haben?, dachte ich. Die Existenz von Hochtechnologie lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Wir sind auf der Spur der Erbauer der Intrawelt. Der Fahrer stoppte vor dem Eingang. »Ab hier musst ihr leider zu Fuß weitergehen. Es ist nicht mehr sehr weit. Das Befahren der Tunnelanlage mit Baugeräten ist leider ausdrücklich verboten.« Er zuckte bedauernd die Achseln. Ganz abgesehen davon hätte der Bagger sowieso nicht in den Tunnel gepasst. »Schon gut. Du hast uns sehr geholfen.« Mit einiger Mühe hob ich Albia von ihrem Sitz. Die Hohe Frau erweckte den Eindruck, als würde sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen. Tuxit tätschelte mit dem Schnabel behutsam ihren Kopf. »Es kann nicht mehr weit sein. Da vorn sieht es sehr ordentlich aus!« Jolo zeigte aufgeregt auf den Tunneleingang. Mit einer schwarzen, übel riechenden Wolke verabschiedete sich der Bajare samt Maschine von uns. Langsam tuckerte er am Tunnel vorbei, einer weiteren riesigen Abraumhalde entgegen. So unbeholfen die Bajaren manchmal wirkten, so gut organisiert schienen sie zu sein. Ich ging langsam auf den Energieschirm zu und spähte in den Tunnel. Die Innenwand des Stollens wirkte gläsern; an einigen Stellen sah ich Intarsien, bei denen es sich wohl um Schalteinheiten unbekannter Bauart handelte. Ich spürte, dass wir hier richtig waren. Solch ein gebündeltes Maß an Hochtechnologie musste etwas zu bedeuten haben. Und der Boden des Stollens war geräumt; hier
29 lag kein Schutt herum. Jemand sorgte hier für Ordnung. Meine Ohren dröhnten vom Lärm der Riesenbaustelle, das unentwegte Rauschen verstummte nur langsam. Ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich die seltsamen Intarsien in der Tunnelwand berühren würde. Aber noch versperrte der Energieschirm uns ja den Weg. Genau!, mahnte der Extrasinn. Freu dich nicht zu früh. Wir befinden uns noch immer in der Schuttparzelle. Jolos Ruf riss mich aus meinen Gedanken. »Seht doch! Diese merkwürdigen runden Dinger!« Wenige Zentimeter unter der Tunneldecke rasten schwarze, kugelförmige Objekte heran und verharrten am Eingang. Ich konnte nur raten, worum es sich dabei handelte, doch sie erinnerten mich frappierend an Holo-Kameras, die jede Bewegung unserer Gruppe zu verfolgen schienen. Der Extrasinn gab mir Recht. Irgendwo sitzt jemand und beobachtet euch. Ein Erbauer? Ein Pfleger? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich ging zu Tuxit, der Albia mit stoischer Selbstkasteiung trug. Gemeinsam hoben wir sie vorsichtig hoch, sodass die Kameras sie auf jeden Fall erfassen mussten. »Seht her«, rief ich, »hier ist eine Hohe Frau. Sie ist krank und muss zu ihren Artgenossen! Die Zeit drängt! Ich weiß nicht, wie lange sie noch leben wird!« Im nächsten Augenblick ertönte ein durchdringendes Sirenengeräusch. Das rote Flimmern des Energiefelds vergrößerte sich blitzschnell und umschloss uns; wir befanden uns nun in seinem Inneren. Bei mir stellte sich das merkwürdige Gefühl ein, dass etwas schief gegangen war. Es konnte nur eine Erklärung für das geben, was soeben geschehen war. Jemand hatte uns gefangen genommen.
7. Nachdem Eggober wieder ein Bild hatte,
30 schaltete er auf die Außensicht an der Station. Er konnte es nicht fassen. Der Konvoi lag still, bewegte sich weder vor noch zurück. Kein dröhnender Maschinenlärm drang zu ihm, und die Luft war unnatürlich klar. Zwischen den Loren und Containern lagen Bajaren und andere Helfer und schienen zu schlafen! Er hatte nicht die geringste Ahnung, was dort passiert war. Er war zu lange mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. Aber worum sollte er sich alles gleichzeitig kümmern? Eggober beschleunigte die Kammer und raste zur Station. Unterwegs meldete sich die Ortung aus dem Tunnel. »Wir haben die Eindringlinge festgesetzt und werden sie unter Beobachtung halten.« Eindringlinge? Irgendwie hatte Eggober sie aus seinen Gedanken verdrängt. Aber die Automatik wusste schon, was zu tun war. Manchmal ist sie ein Segen, die Automatik. Versagt fast nie, dachte er. Er setzte zwischen den Schlafenden auf. Zwei Bajaren lagen mit geschlossenen Augen im Lehm. Er war zwar kein Spezialist für das Mienenspiel der Humanoiden, doch ihr Gesichtsausdruck kam ihm merkwürdig vor, geradezu entrückt. Eggober rüttelte an einem der Bajaren, doch der Arbeiter rührte sich nicht. Zwischen den liegenden Gestalten huschten ab und zu ein paar Shiwons hin und her, verschwanden aber im Dunst, als sie ihn bemerkten. Ihr Piepsen war noch lange zu hören, und ein seltsamer Duft lag in der Luft. »Das darf nicht wahr sein! Kaum ist ein Problem gelöst, taucht das nächste auf.« In seiner Verzweiflung schlug Eggober mit ein paar Lanken einem besonders kräftigen Bajaren ins Gesicht. Das Wesen erwachte, schüttelte sich und sah Eggober aus trüben Augen an. »Wasnlos? Habgeradsoschöngschlafen … ufff …« Immerhin leben sie, dachte der Anstize. Aber ihr Zustand machte ihn nicht nur stut-
Uwe Anton zig, sondern erfüllte ihn mit Besorgnis. So hatte er die Bajaren noch nie erlebt. Ihm kam ein Gedanke, der ihm zuerst als zu abstrus erschien, als dass er ihn ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Aber dann … Zumindest bot er eine Erklärung für alles. Eine Verschwörung. Jemand will mich erledigen. Das ist ein Anschlag auf mein Amt und meine Person! »Wer hat euch diese Pause erlaubt? Mir steht die Arbeit bis über alle Lanken, und ihr macht es euch bequem! Nehmt euren Hintern hoch und geht wieder an die Arbeit!« Der Bajare lachte, als Eggober ihn am Arm zog. »Laschdas, ischbinkitschelig!« Es war zwecklos. Eggober blieb nur noch eine Möglichkeit. Er holte eine Injektionsspritze hervor und drückte sie dem Bajaren auf das Brustfell. Mit einem Aufschrei sprang der Arbeiter auf und hielt sich den Kopf. Er stöhnte und schüttelte sich erneut. »Sind das Schmerzen … da drinnen dröhnt ein ganzer Vorderlader!« Sein Klagen beeindruckte Eggober nicht im Geringsten. »Was ist hier überhaupt los? Allmählich verliere ich die Geduld. Solch ein Verhalten ist nicht zu entschuldigen! Die Shiwons haben sich endlich verzogen, und ihr hört einfach auf zu arbeiten!« Der Bajare machte ein verkniffenes Gesicht. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Plötzlich kamen die Viecher angerannt. So viele auf einem Haufen hab ich noch nie gesehen. Sie überrannten uns förmlich, der ganze Boden war mit ihnen bedeckt, überall ihre Leiber. Wir wollten uns auf den Maschinen in Sicherheit bringen. Dann wurde einem nach dem anderen schwindelig. Es roch merkwürdig, und wir konnten nicht mehr klar denken.« Eggober hatte während des Berichts drei weiteren Bajaren auf die Beine geholfen. Sie alle klagten über starke Kopfschmerzen und Übelkeit. »Du bist dir ganz sicher, dass ihr euch nicht heimlich ein paar Draan genehmigt habt? So sieht das nämlich für mich aus. Ihr habt einen Rausch von diesem verdammten
Im Hort der Drieten Zeug.« Der Bajare hob abwehrend die Hände. »So wahr ich Emball heiße, das wäre gegen meine Ehre. Niemals würde ich während der Arbeit Draan konsumieren.« Eggober war geneigt, ihm zu glauben. Der Bajare kam ihm nicht wie ein Lügner vor. Außerdem, so erinnerte er sich jetzt, kannte er Emball, hatte zumindest von ihm gehört. Er hatte einen guten Ruf und galt als zuverlässig. Damit war das Rätsel um den Zustand der Bajaren aber noch nicht geklärt. Hatte ihnen jemand etwas in ihre Mittagsration geschüttet? Eggober schnüffelte angestrengt. Sicher, ihm war bereits ein merkwürdiger Geruch aufgefallen, und hier roch es auch anders, nicht nach den Lastengleitern. Aber konnte ein bloßer Geruch so gestandene Kerle umhauen? Dahinter steckte mehr. Dieses neue Problem kam Eggober so gelegen wie Pelzläuse. Aber er hatte keine Zeit, ihm auf den Grund zu gehen, musste sich um andere Dinge kümmern. »Wie auch immer«, knurrte er, schon etwas besänftigt, »Schluss mit der Faulenzerei. Dir ist klar, dass ihr die Arbeit nachholen müsst? Wir hängen dem Plan sowieso hinterher. Wenn das so weitergeht, muss ich ein paar Sonderschichten anordnen.« Er fuchtelte mit den Lanken vor Emballs Gesicht herum. Emball schaute niedergeschlagen drein. »Tut mir Leid, ich würde ja gern helfen, aber mir geht's wirklich nicht gut. Ich schaffe keinen Handschlag mehr. Mir ist sauschlecht – und dann diese Hitze …« Dem Bajaren stand tatsächlich der Schweiß auf dem Gesicht. Eggober schaltete sich über die Kammer in die Klimakontrolle ein und stieß ein lautes Zischen aus. »Warum steht die Klimawandlung so hoch?« Er hatte sie erst gestern repariert, und jetzt war sie schon wieder defekt! Dahinter steckte mehr … Er veränderte mit Hilfe der Schwarzkammer einige Einstellungen. Sofort gerieten die
31 dunklen Wolken am verhangenen Himmel in Bewegung, und schwere Tropfen schlugen neben Eggober auf den Boden. Fluchend sprang Emball in den Schutz seines Lastengleiters. Zischend prallte der Wasserguss von dem Metall ab. »Verdammt! In dem Regen kann man Fleisch garen, so heiß ist der!« Aber die anderen Bajaren waren dem Regen hilflos ausgesetzt. Bevor sie schlimme Verbrühungen davontragen konnten, machte Eggober die Veränderung der Klimakontrolle wieder rückgängig. Es half alles nichts, er würde sich noch einmal die Hardware vornehmen müssen. Schlagartig wurde es empfindlich kälter. Eggober schaute misstrauisch in den Himmel. Erste Schneeflocken wirbelten durch die trübe Luft. Ihm wurde klar, dass er das Klima ohne eine langwierige Reparatur an der Hardware nicht mehr in die Lanken bekommen würde. Diese Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Schwarzkammer-Ausfalls. Zuerst die Shiwons, und jetzt musste er sich mit einem defekten Klimawandler herumärgern! Immerhin schien das Rieseln des Schnees die ohnmächtigen Bajaren wieder zu sich zu bringen. Immer mehr von ihnen regten sich, während sich sanft, aber beständig eine gnädige weiße Schicht auf die dreckige Welt der Schuttparzelle legte. Eggober versuchte, die neuerliche Veränderung rückgängig zu machen, doch der erhoffte Erfolg blieb ihm versagt. Nervös fuchtelte der Anstize mit seinen Lanken an den Bildschirmreglern herum. Aber was sollte er jetzt tun? Er konnte nicht schon wieder einen Mortan anfordern. Dann würde der Parzellenschneider seinen Kontrollgang auf diesen Tag vorziehen und feststellen, dass Eggober nicht mehr Herr der Lage war. Und Eggober wollte auf keinen Fall an seiner Aufgabe scheitern. Ein solcher Vorfall wäre einmalig in der Geschichte der Parzelle Hüffen. Nein, er musste es aus eigener Kraft schaffen. Lankenringend versuchte er, eine
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Verbindung zu den Drieten zu bekommen. Was er auf seinem Schirm erblickte, trug nicht gerade dazu bei, seinen Optimismus zu steigern.
* Diesmal sah er nicht einmal das Gesicht eines Drieten in Großaufnahme, sondern mehrere der seltsamen Wesen in der Totalen. Die Feuchtwesen krochen hektisch übereinander. Ihre Leiber und Gliedmaßen waren dermaßen ineinander verschränkt, dass Eggober nicht einmal sagen konnte, welcher Kopf, Arm oder Oberkörper zu welchem Drieten gehörte. War das etwa … sexuelle Ekstase? Paarten sie sich ungeniert, obwohl sie jederzeit damit rechnen mussten, beobachtet zu werden – wie nun von ihm? Aber nein, wahrscheinlich war dieses seltsame Verhalten nur ein Ausdruck ihrer Verwirrung. »Banun«, sagte er in der wohl sinnlosen Hoffnung, dass der Architekt ihn hören – und auch zur Kenntnis nehmen! – würde, »ich brauche dringend deine Hilfe. Der Klimawandler ist ausgefallen, und die Thermik wird der Statik an unserer Hohlkonstruktion nicht besonders zuträglich sein!« Eggober versuchte, ihn auszumachen, doch es gelang ihm nicht, und keiner der Drieten reagierte auf sein Ersuchen. »Wie kann ich die Mittelstrebe langfristig schützen? Banun, nur eine kurze Anweisung, dann hast du wieder deine Ruhe!« »Was soll dieses Geschrei?«, drang eine Stimme aus dem Lautsprecher, aber nicht die des Architekten. Dann kroch ein Driete vor die Kamera und starrte hinein. Dabei verdrehte er ständig seine großen Glupschaugen. »Wir befinden uns selbst in einer Notlage, und du denkst nur an deine Baustelle. Soviel ich weiß, benötigst du die Mittelstrebe für ein Gebirge. Lasst es einfach weg und setzt einen See hin. Der macht viel weniger Arbeit.«
Eggober riss einige Lanken in die Luft. Einen See? Nachdem sie seit Tausenden von Stunden an einem Stützpfeiler für ein Mittelgebirge arbeiteten? Waren die Drieten vollends verrückt geworden? »Wie stellt ihr euch das vor? In diesem Abschnitt sind die Vorbereitungen schon viel zu weit fortgeschritten. Bei unserer derzeitigen Ressourcenknappheit kann ich mir keinen kurzfristigen Umbau erlauben.« Zu allem Überfluss erschien Parzellenschneider Sobensten in diesem Moment auf einem anderen Schirm. »Eggober, wo bleibt die Freimeldung des Mortan? Ich habe dreiundzwanzig Anfragen für ihn, und es werden immer mehr.« »Der See wäre trotzdem eine nette Alternative zu dem protzigen Gebirge. Ich finde Berge sowieso überflüssig. Wer braucht die schon?« Schnell unterbrach Eggober die Verbindung mit dem Drieten; sein Parzellenschneider musste nicht noch mehr von seinen Problemen mitbekommen. »Das muss ich vergessen haben. Er ist längst weg. Sicher hat er bereits den nächsten Problemfall gelöst.« Sobensten hantierte mit seinen Linken an für Eggober nicht zu erkennenden Konsolen. »Ja, seine Freimeldung kam eben von Draggendu rein. Aber das kommt mir nicht noch einmal vor, Eggober! Es bleibt bei meinem Termin, nach einer Umschaltung werde ich bei dir nach dem Rechten sehen. Ich hoffe, es gibt gute Fortschritte in Corl 22!« Das Holo des Parzellenschneiders erlosch. Zurück blieb in Eggobers Innerem ein nagendes Gefühl. Er musste Sonderschichten anordnen, nur so konnte er das Zeitproblem wieder in den Griff bekommen. Und er brauchte genaue Instruktionen. Eigentlich nur eine einzige kleine Anweisung. Vielleicht würden sich die Drieten als kooperativer erweisen, wenn er persönlich bei ihnen erschien. Ja, genau, sie konnten ihn doch nicht einfach fortschicken! Er wollte gerade die Schwarzkammer beschleunigen, als laute Rufe erschallten. »Für dieses kalte Klima sind die Maschinen nicht
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geschaffen! Sie springen nicht mehr an.« Mit Entsetzen erkannte Eggober, dass der Konvoi sich noch immer nicht in Bewegung gesetzt hatte. Unter einer dünnen weißen Decke begraben, mutete er an wie ein riesiger weißer Wurm. Ein toter Wurm. »Ich bringe den Klimawandler in Ordnung«, sagte der Anstize. »Inzwischen werdet ihr die Lastengleiter beladen. Ob ihr Kopfschmerzen habt oder nicht … wenn ihr den Zeitplan nicht einhaltet, werde ich dafür sorgen, dass keiner von euch so schnell wieder eine Ration Draan bekommt.« Stöhnend taumelten die Bajaren durch den Schnee. Ihre weißroten Brustpelze bildeten einen starken Kontrast zum weißen Hintergrund. Nicht einmal bei der Kälte bedecken sie ihre Brust, dachte Eggober. Aber das muss ich nicht verstehen. Er gab Gas. Seine Zeiteinheiten schmolzen dahin.
* Als er den der Baustelle zugewandten Eingang des Versorgungstunnels passierte, fiel ihm auf, dass sich der Energieschirm ausgeweitet hatte. Er schenkte dem keine große Beachtung; er hatte sowieso keine Zeit, um zu warten, bis sein Berechtigungskode bestätigt wurde. Außerdem herrschte hier viel zu viel Betrieb. Aber wozu gab es die Verbindungsröhren für das gehobene Personal? Er raste weiter, ein kurzes Stück nur, und kam dabei am Rohmaterial-Lager vorbei. Hier lümmelten die Arbeiter genauso tatenlos herum. In dem ganzen Durcheinander von umgestürzten Paletten und ausgelaufenen Eimern bewegten sich gerade einmal eine Hand voll Leute und räumten auf. Wenn es in diesem Tempo weiterging, würde es ein umschaltungsverzehrendes Unterfangen werden. Und er hatte noch genau eine Umschaltung, bis Parzellenschneider Sobensten hier nach dem Rechten sehen würde.
Seine interne Liste der dringenden Angelegenheiten wurde immer länger. Aber den Bajaren konnte er später Beine machen, zuerst musste er die Drieten aufsuchen. Ein leichtes Schwindelgefühl breitete sich in Eggobers Zentralkörper aus. Einige seiner Lanken knickten ab und verweigerten ihm den Dienst. Nein, dachte er. Nur das nicht! Er durfte nicht schlappmachen. Sein Baustellenabschnitt würde planmäßig fertig gestellt werden, und wenn er dafür ein paar Lanken abwerfen musste! Das war seine geringste Sorge; immerhin hatte er schon einige Kunst-Lanken. Die Schwarzkammer strebte aufwärts, und dann stoppte Eggober abrupt die Fahrt. Er hatte den Eingang erreicht, der zum Bereich der Drieten führte. Er sah sich um. Der dunkle Gang vor ihm war feucht und roch nach Schimmel. Der Anstize stutzte. Diesen Zugang hatte er anders in Erinnerung, heller und sauberer. Aber niemand hatte mehr Zeit, nach den Drieten zu sehen, und es war durchaus möglich, dass sie in ihrem Hort verwahrlosten. Vielleicht war das der Grund für ihre fortwährende Umwandlung. Ihm wurde betroffen klar, dass er den Drieten viel früher hätte einen Besuch abstatten müssen. Aber die Zeit, die Zeit … Und nun half es nichts, Eggober musste den Tatsachen ins Auge blicken. Langsam ließ er die Schwarzkammer durch die dunkle Röhre gleiten. Er würde hier nicht freiwillig leben wollen. Die Drieten hatten zwar einen ganz anderen Metabolismus, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es ihnen in solch einer Umgebung gefiel. Was war mit ihnen geschehen, dass ihnen alles gleichgültig war? Ein stechender Geruch stieg in die Schwarzkammer und nistete sich sofort ein. Eggober stellte das Gebläse auf die Höchststufe, doch der Gestank wollte sich einfach nicht vertreiben lassen und blieb intensiv in den Ecken sitzen. Der Anstize erreichte einen dunklen, en-
34 gen Hohlraum. Im schummrigen Licht des Gewölbes konnte er die Drieten kaum ausmachen. Sie wälzten sich noch immer durcheinander, eine amorphe, nässende Masse, die zur Tunneldecke stank. Lautes Stöhnen, Seufzen und Jammern hallte ihm entgegen. Der Geräuschpegel stieg schnell ins Unerträgliche. In Verbindung mit dem Geruch und der schlechten Beleuchtung malte Eggober sich ein Bild des Grauens aus. Hatten die Drieten den Verstand verloren? Konnten sie keine Helligkeit mehr ertragen, wälzten sie sich in Dunkelheit durch ihre eigenen Exkremente? Seine Betroffenheit wurde stärker. Warum hatte Banun nie ein Sterbenswörtchen fallen lassen, wie schlimm es um die Drieten stand? Trotz all der Hetze und Eile wäre ihm sicher eine Lösung eingefallen! Sosehr Eggober sich auch anstrengte, er konnte den Breiten Mann in dem Gewimmel der Leiber vor ihm nicht entdecken. Oder war er inzwischen wieder eine Hohe Frau? Diese Umwandlungen und ihr Sinn und Zweck hatten sich ihm nie erschlossen. Er wusste, dass es so war, und das hatte ihm immer genügt. Was konnte er nur tun? Die Drieten krochen übereinander, völlig aufgedreht und wie in panischer Angst. Ihr Zustand ließ sich nur mehr mit absoluter Verwirrung umschreiben. Hilflos betrachtete Eggober ihr Treiben. In seiner Schwarzkammer piepste es. Noch völlig benommen von dem schlechten Zustand der Drieten, rief er das Signal ab. Ein Mortan – wohl der Mortan – sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Im seinem Blick lösten sich Unglauben und schieres Entsetzen ab. »Du hast eine Massenflucht sämtlicher Shiwons ausgelöst!«, krächzte er. »Hier geht es drunter und drüber. Die Arbeiter fallen reihenweise aus und sind nicht mehr einsatzfähig, jedenfalls für den Moment nicht. Wo bleibt dein Bericht? Es handelt sich wohl um eine kleine Nebenwirkung des Serums. Den Rest kannst du mir dann gleich zurückge-
Uwe Anton ben.« Eggobers Lanken erstarrten in der Bewegung. »Welchen Rest? Ich habe alles verbraucht.« »Was hast du? Hab ich dir nicht gesagt: Eine kleine Menge reicht? Die AntiPheromone beeinträchtigen eine Reihe von Spezies, darunter auch Bajaren. Du Unglückswurm, wie kannst du so etwas nur tun? Sobensten ist ganz aus den Lanken, er hat sämtliche Freischichten streichen lassen! Wenn er das erfährt …« »Es war ein Unfall«, hauchte Eggober. »Ich konnte es nicht verhindern. Der Parzellenschneider wird das verstehen …« Der Mortan beugte sich vor. »Du verstehst nicht. Wir haben ein illegales Mittel benutzt! Bei der richtigen, nämlich einer kleinen Dosierung wäre das gar nicht aufgefallen. Aber jetzt …« Eggober fühlte wieder den Schwindel in sich aufsteigen. Seine Lanken zuckten unkontrolliert. Er sah sein Vorhaben in Shiwons und verrückten Drieten versinken. Jetzt ging es nicht mehr nur um Corl 22, sondern um ganz Hüffen. Ich habe versagt. Ich werde der erste Anstize sein, der jemals versagt hat! »Aber ich kann schweigen«, fuhr der Mortan fort. »Wir werden diesen Vorfall nicht breittreten. Irgendwie kommt alles wieder ins Lot. Aber den Bericht hätte ich trotzdem gern.« Der Mortan hatte gut reden; er musste dem Parzellenschneider ja nicht Rede und Antwort stehen. Eggober widerstrebte es, Fakten zurückzuhalten; dadurch wurde auf lange Sicht alles nur schlimmer, und irgendwann kam es sowieso heraus. Er wollte den Mortan fragen, wie sie nun vorgehen sollten, als ein Holo des Parzellenschneiders erschien. Sobensten sah nicht gut aus. Seine Lanken hingen kreuz und quer an seinem Zentralkörper, und die dreigliedrigen Enden zuckten. »Eggober, ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht kannst du mir helfen.« Eine kurze Kunstpause, dann kam das dicke Ende. »Hast du vielleicht eine Erklärung für
Im Hort der Drieten diese seltsamen Ereignisse, die uns heimsuchen? Ich habe so etwas noch nie erlebt!« Eggober dachte an die Worte des Mortan und hob die Kunst-Lanken. »Nein, bei mir sieht es ebenfalls übel aus. Sogar die Drieten haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Eine furchtbare Sache.« Der Parzellenschneider wippte auf den Lanken. »Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die Bescherung von deinem Abschnitt ausgeht. Ich werde meine Besichtigung auf heute vorverlegen. Vielleicht hilft mir das bei der Ursachenbekämpfung.« »Natürlich, wie du meinst …« Wenn Eggober eben noch voller Hoffnung gewesen war, diesen Schlamassel einigermaßen heil zu überstehen, war jetzt selbst das kleinste Körnchen Optimismus dahin. Er war einfach nicht in der Lage, die zahlreichen Pannen und das Chaos vor Sobensten zu verbergen. Der Zeitplan war damit endgültig erledigt. »Wir halten die fremden Eindringlinge übrigens noch immer unter Beobachtung. Sie fallen in deinen Zuständigkeitsbereich. Was schlägst du vor? Sollen wir nach dem üblichen Verfahren vorgehen?« Die Eindringlinge! Er hatte sie ganz vergessen. Vielleicht waren sie die Ursache für das ganze Chaos! Und wenn nicht, konnte man es ja vielleicht so drehen. Wenn er sie Sobensten als Schuldige präsentierte, war er sauber aus der Sache raus. Das Wort eines Abschnittshauers gegen die Fremden … Ich kann dabei nur gewinnen! »Ich kümmere mich sofort darum und gebe dir Bescheid«, sagte er und unterbrach die Verbindung. Sofort schaltete er eine neue und erteilte Anweisungen. »Bringt die Fremden in den Hort. Ich werde sie mir persönlich ansehen.« Dann raste er los, um sich die Klimasteuerung anzusehen. Sobald er sie repariert hatte, würde er zum Hort zurückkehren. Es würde eine Weile dauern, bis die Fremden eintrafen.
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8. Auch wenn ich nicht mehr über eine Uhr verfügte, konnte ich dank des Extrasinns gut schätzen, wie lange wir schon von diesem Energiefeld festgehalten wurden. Selbst zehn Minuten wären zu lange gewesen. Albia wimmerte leise vor sich hin; jenseits des Energieschirms wurde der allgegenwärtige Nieselregen kurz von einem Wolkenbruch und dann sogar von einem Schneesturm abgelöst, doch hier in dem Tunnel gab es kein Wasser. Jedenfalls fanden wir keins, und ohne Wasser konnten wir nichts für sie tun. »Wieso sehen die nicht, wie schlecht es ihr geht? Warum kommt niemand? Außerdem wäre ein Happen nicht schlecht. Ich bin fast am Verhungern!« Jolo hopste um uns herum. Dabei achtete er sorgsam darauf, dem Schirm nicht zu nahe zu kommen. Die flirrende Energie strahlte eine tödliche Präsenz aus. Eine Berührung wäre sicherlich sehr unangenehm für ihn geworden. Ich schaute den Tunnel entlang. Es handelte sich um eine gut ausgebaute Straße zur Beförderung schwerer Lasten. Wahrscheinlich wurde sie normalerweise von den Lastenfahrzeugen benutzt. Ich fragte mich, wieso wir keine anderen Fahrzeuge in der Nähe gesehen hatten. Lag das an dem Erdrutsch, oder hielt man eine Driete hier für so wichtig, dass man den Tunnel für den anderen Verkehr gesperrt hatte, um unser Vorankommen nicht zu behindern? Aber warum dann der Energieschirm? Wohin führte der Tunnel überhaupt? Was sollte das flimmernde Feld schützen? Und vor wem? Und wenn eine Driete wirklich so wichtig war … warum reagierte man denn jetzt nicht auf den kritischen Zustand der Hohen Frau? »Ich verstehe das nicht.« Tuxit schüttelte den Kopf und ließ seinen Federkranz grün herabhängen. »Hier liegt einiges im Argen, aber diese Unterlassung … Offensichtlich nimmt man es hier mit dem Leben anderer nicht mehr so genau.«
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Ganz so schwarz wollte ich unsere Situation nicht sehen. »Wenn sie uns töten wollten, hätten sie es längst getan. Dahinter steckt etwas anderes.« »Ich bin fast tot vor Hunger. Wie nennst du das denn?«, protestierte Jolo. »Noch ein, zwei Stunden ohne Essen, und sie haben ihr erstes Opfer.« Ich runzelte die Stirn. »Du hast unsere restlichen Vorräte fast allein gefressen. Wir hätten eher Grund zum Jammern! Tuxit hat dir seine Rationen zugesteckt, er hungert länger, als du es dir vorstellen kannst.« Der gefräßige Echsenmann sah mit Unschuldsblick in die Runde. »Na, so was, solch einen Hunger habe ich ja gar nicht mehr. Aber in meinem Magen gluckert es wieder verdächtig.« Hoffentlich kamen wir bald aus diesem Energiegefängnis heraus. Ich hatte wenig Lust, in Jolos Verdauungsgasen zu ersticken. Bevor ich mir weitere Gedanken um die Luft im Energieschirm machen konnte, erklang ein kratzendes, surrendes Geräusch in den dunklen Tiefen des Tunnels.
* Jolo huschte hinter mich und lugte zwischen meinen Beinen hindurch. Ich kniff die Augen zusammen und machte in der Ferne zwei Lichtpunkte aus. Sie wurden schnell größer, verwandelten sich in Kreise, dann in Kegel. Langsam schälten sich zwei kugelförmige, jeweils etwa einen Meter große Gebilde aus dem schummrigen Licht. Aus ihren runden Zentralkörpern wuchsen Dutzende von Tentakeln, die in dreigliedrigen, fingerähnlichen Auswüchsen endeten. Sie erinnerten mich unwillkürlich an die Beschreibung der Anstizen aus Albions Erzählungen. Im Prinzip handelte es sich um stilisierte und überlebensgroße Ebenbilder dieser Wesen. Interessant, meinte der Extrasinn. Denke daran, wem die altarkonidischen Kampfro-
boter nachgebildet waren, und behalte es in Erinnerung. »Wieso haben sie uns nichts zu essen mitgebracht?« Jolo zog an meinem Hosenbein. »Oder siehst du etwas Essbares?« Ungeduldig schüttelte ich ihn ab. »Dein Hunger ist meine geringste Sorge. Hoffentlich können sie Albia helfen.« Der vordere der beiden Roboter glitt langsam an den Schirm heran, und ich rechnete schon damit, dass er bei der Berührung verglühen würde. Doch als die Tentakel das Feld berührten, erlosch die Hülle aus rotem Licht. »Folgen!« Die knarrende Stimme ließ mich zusammenfahren. Einer der Roboter hatte das Wort gesprochen, welcher, konnte ich nicht sagen. Ich bemerkte deutliche Spuren der Abnutzung an den beiden Kugeln. Sie schienen uralt zu sein – und ein wenig wacklig. Vielleicht würde sich das noch als hilfreich erweisen … »Die Anstizen haben die Kontrolle über die Schutz- und Sicherheitsmechanismen in dieser Parzelle. Am besten folgen wir ihren Robotern. Sie bringen uns vielleicht zu ihrem Anweiser.« Tuxit packte Albia mit dem Schnabel. Die Hohe Frau war zu keiner Bewegung mehr fähig. Ihre gelblich geschuppte Haut schien sich langsam vom Körper zu lösen. Wir folgten den Anstizen-Robotern tiefer in den Tunnel. Hoffentlich schaffen sie noch den Weg zurück. Sonst stehen wir allein in einem unübersichtlichem Tunnelsystem, und Jolo verhungert. Mein Extrasinn brachte die Sachlage ziemlich auf den Punkt. Die Roboter eierten vor uns her, und aus ihrem Innern klang jenes Kratzen, das ich vorhin schon bemerkt hatte. Die Maschinen hatten ihr Haltbarkeitsdatum eindeutig überschritten. Sie wankten eher auf den Tentakeln einher, als dass sie gingen. Wir hatten nur einige wenige Meter zurückgelegt, als wir auf ein klappriges, primitives Personen-Laufband stießen, das an der Tunnelwand entlang verlief und sich hol-
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pernd und ratternd in der Ferne verlor. Auch ihm merkte man deutlich den Zahn der Zeit an. »Besser schlecht gefahren als gut gelaufen«, murmelte ich trotzdem. Ich wollte Tuxit und Albia gerade auf das Band helfen, als der Angriff erfolgte.
* Es war ein Humanoide, ein Bajare, wie ich zu erkennen glaubte. Er kam mir bekannt vor, doch ganz sicher konnte ich mir bei den herrschenden Lichtbedingungen nicht sein. Zudem trug er eine Art Haube auf dem Kopf, die sein Gesicht bedeckte. Er tauchte aus dem Nichts auf, von hinten, musste den Weg genommen haben, den wir auch eingeschlagen hatten. Jolo quiekte erschrocken auf, als er ihn zur Seite stieß und sich auf Tuxit stürzte. Doch nicht das Vogelwesen war sein Ziel, sondern Albia. In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass der schwache Lichtreflex über seiner Hand von der Klinge eines Messers stammte, stürmte ich vorwärts. Die letzten drei Meter legte ich mit einem großen Sprung zurück. Ich erwischte den Bajaren an der Hüfte, riss ihn mit mir zur Seite, als er gerade zustoßen wollte. Scheppernd prallte die Klinge gegen das Metall des Laufbands. Die Hohe Frau hatte gar nicht mitbekommen, dass soeben ein Attentat auf ihr Leben verübt wurde; sie starrte aus halb geöffneten Augen ins Leere. Ein wuchtiger Tritt trieb mir die Luft aus den Lungen und warf mich auf den Rücken. Das war die einzige Chance, die der Bajare gehabt hatte, und er hatte sie nicht genutzt. Schmerz brandete von meiner Brustplatte tiefer in den Magenbereich und höher zum Herzen, doch ich konnte ihn aushalten. Der Bajare hatte mich als ernstzunehmenden Gegner erkannt, den es auszuschalten galt, bevor er an die Hohe Frau herankam, und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Langsam kam er auf mich zu, fuchtelte mit
dem Messer in der Luft. Er mochte vieles sein, aber er war definitiv kein erfahrener Kämpfer. Als er nahe genug heran war, traf ich mit einer doppelten Dagor-Beinschere gleichzeitig sein rechtes Knie und die Stelle, an der ich seine Hoden vermutete. Er schrie nicht auf, das muss ich ihm zugute halten; er stöhnte nur guttural und widmete seine gesamte Kraft der Aufgabe, das Messer nicht fallen zu lassen. Ich erhob mich langsam und machte einen Schritt auf den Bajaren zu. Er stieß mit dem Messer nach mir, doch ich wich leichtfüßig aus und stieß mit Zeige- und Mittelfinger nach einer Stelle unter dem Schlüsselbein, an der ich ein Nervenzentrum vermutete. Aber sein Schwung hatte ihn vorwärts taumeln lassen, sodass ich die gewünschte Stelle verfehlte. Ich streifte nur sein rotweißes Brustfell. Blitzschnell klammerte ich mit den Fingern in das dichte, harte Haar und zerrte daran. Der Bajare landete mit einem gellenden Schrei bäuchlings auf dem Boden. Sofort rappelte er sich wieder auf, wirbelte zu mir herum, sah mir in die Augen – und warf sich herum und gab Fersengeld. Er hatte erkannt, dass er keine Chance gegen mich hatte, und humpelte eher davon, als dass er lief. Ich verzichtete auf eine Verfolgung. Ich war nicht im Vollbesitz meiner Kräfte, dazu hatte er mich zu hart getroffen, und mir fehlte etwas. »Was hatte das zu bedeuten?«, fragte ich schwer atmend. »Die Bajaren verehren die Drieten – zumindest Albia – mit fast religiöser Bewunderung, und nun versucht einer, sie zu ermorden?« Jolo schwieg. Mit einer Antwort von ihm hatte ich aber sowieso nicht gerechnet. »Ich weiß es nicht«, sagte Tuxit schließlich. »Es ist mir ein Rätsel.« Kopfschüttelnd sah ich in Richtung Tunneleingang, in die der Bajare geflohen war. Erst dann bemerkte ich eine warme, klebrige Substanz an den Fingern, mit denen ich den Bajaren am Brustfell gepackt hatte. Ich hob
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die Hand und sah einen dunkelroten Schimmer. Aber es war kein Blut, sondern irgendein Farbstoff. Stirnrunzelnd rieb ich mit den Fingern der anderen Hand daran. Als ich sie wieder hob, schimmerten auch sie in dem dunklen Rot.
* Ich versuchte, das Gespräch auf die mögliche Ursache des Überfalls zu bringen, doch Tuxit schwieg beharrlich, und Jolo plapperte nur Unsinn. Ich fragte mich, wieso die Roboter nicht eingegriffen hatten, aber ihre Programmierung sah solch einen Zwischenfall wohl nicht vor. Sie schienen lediglich die Aufgabe zu haben, uns zu unserem Ziel zu geleiten. Schließlich bestiegen wir das Laufband. Um Jolo musste ich mich dabei nicht kümmern. Trotz seines quälenden Hungers war er ganz in seinem Element. »Lustig, wir bewegen uns, ohne uns zu bewegen!« Ich sah zu Tuxit hinüber. Sein grüner Kragen hing noch schlaffer als zuvor herab. Die Hohe Frau verlor immer mehr ihrer kostbaren Flüssigkeit. Sie hat so lange durchgehalten. Hoffentlich schafft sie noch die letzten Meter. Der eine Roboter stand vor uns auf dem Band, der andere hinter uns. Ihre Pseudopodien waren unentwegt in Bewegung. Ich konnte keine äußerlichen Sensoren für Wahrnehmungen und Ortungen erkennen. Wahrscheinlich befanden sie sich in dem zentralen Kugelkörper, der, gut geschützt von den Tentakeln, kaum auszumachen war. Leises Plätschern erklang, und ein Tropfen zerplatzte auf meiner Nase. Wir waren mehrere Kilometer weit in den künstlichen Berg gerollt, und allmählich änderte sich unsere Umgebung. Hier hatte man mit weit weniger Sorgfalt gearbeitet als am Tunnelrand. Die Tunnelwand war nicht mehr glasiert, sondern bestand aus nacktem Fels, und überall nässte und schimmelte es.
»Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind? Hier weist nichts mehr auf Hochtechnologie hin, alles ist primitiv und marode.« Ich wischte mir über das Gesicht. Die Tropfen von der Decke nahmen allmählich die Intensität eines Regenschauers an. Immerhin kam die Feuchtigkeit Albia zugute, die mittlerweile völlig reglos auf dem Laufband lag und nicht einmal mehr stöhnte. Ich stellte fest, dass auch die Luft schlechter wurde. Es roch nach uralten Folterverliesen, die man seit Jahrhunderten nicht mehr gelüftet hatte. Mit einem Ruck blieb das Band stehen; ein paar Meter vor uns endete es. Ich wäre fast über Jolo gestolpert, der mir um die Beine wuselte. War das etwa unser Ziel? Der Tunnel führte weiter, doch am Ende des Laufbands führte eine Treppe zu einem Quergang hinauf. Sie war allerdings so steil, dass wir Albia wohl kaum hinaufbekommen würden. Ich drehte mich zu den anderen um. »Das schaffen wir nicht. Albia wird das nicht durchstehen. Wir müssen umkehren und einen anderen Weg suchen, oder einer von uns muss allein hinauf und versuchen, Hilfe zu holen.« Ein Zittern lief durch Albias Körper. »Nein … weiter!« Verblüfft sah ich zu ihr hinüber. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass sie noch zusammenhängende Worte über die Lippen bringen konnte. »Wir müssen dort hinauf … es ist der einzige Weg.« Ihre Augen schimmerten fiebrig. Sie hatte mit letzter Kraft gesprochen; ihr Körper sank in sich zusammen und sonderte Unmengen von Schleim ab. Tuxit störte sich nicht an der nicht gerade angenehmen Substanz, wollte Albia wieder mit dem Schnabel nehmen. Ich schüttelte den Kopf. »Tragen wir sie zusammen dort hinauf.« Meine Kondition war zwar auch schon besser gewesen, doch ich hatte den Eindruck, Tuxit entlasten zu müssen. Ich fragte mich sowieso, woher das alte Vogelwesen die Kraft genommen hatte, um so lange durchzuhalten.
Im Hort der Drieten Ich sah zu den Robotern hinüber, doch sie standen nur stumm auf ihren Tentakeln da. Offenbar hatte ihr Auftrag gelautet, uns hierher zu bringen, und den hatten sie nun erfüllt. »Du gehst als Erster«, sagte ich zu Jolo. »Warne uns sofort, wenn dir etwas auffällt.« Unbeholfen klomm der Echsenmann die ersten Stufen hinauf. Das Treppensteigen fiel ihm schwer. Seine kurzen Beine waren dafür nicht geschaffen. »Und das alles mit leerem Magen!« Ich nahm Albia auf die Arme und begann mit dem Aufstieg. Ihr gering gewordenes Gewicht belastete mich kaum. Keuchend folgte mir Tuxit. Stufe um Stufe hinauf durch ein enges, dunkles Treppenhaus. Von den Leuchtgloben unter der Decke funktionierte vielleicht noch jeder fünfte. Ein leichter Schmerz zog sich durch meine Beinmuskulatur. Endlich war das Ende der Stiege in Sicht. Vor uns führten drei Gänge ebenerdig weiter. Wohin sollten wir uns wenden? Unsere beiden Bewacher hatten uns, wie ich es vermutet hatte, schon am Fuß der Treppe verlassen. »Der rechte Gang … es ist nicht …« Albias Stimme verlor sich in einem Flüstern. Ich runzelte die Stirn. Sie war noch nie in diesem Berg gewesen, und trotzdem kannte sie den Weg. War das ein angeborener Instinkt, wie ihn Zugvögel oder Fische hatten, die auf Tausende von Kilometern den Ort ihrer Geburt wiederfanden? Verfügte sie über verschüttete Erinnerungen, die angesichts der Nähe ihrer Artgenossen wieder erwachten? Wir werden es irgendwann erfahren. Doch das sind nicht die einzigen Fragen, die dich beschäftigen. Ich gab meinem Extrasinn Recht und tastete mich durch den fast dunklen Gang vorwärts. Mit Albia auf den Armen war das nicht ganz einfach. Behutsam schob ich die Füße vor, um Hindernisse frühzeitig entdecken zu können. Auch hier war die Beleuchtung größten-
39 teils ausgefallen. Zu dem modrigen Geruch gesellte sich ein weiterer, stechend scharfer. Jolo zog die Nickhaut über seine Kulleraugen. »Das riecht ja schlimmer, als wenn ich meinen Darm entleere.« Er drückte die Tatzen auf die beiden breiten Nasenlöcher seitlich von seiner langen, abgerundeten Schnauze mit der warzigen Oberfläche. Ein leichter Druck legte sich auf meinen Kopf. Eine Folge des stechenden Geruchs? Waren wir etwa schädlichen Gasen ausgesetzt? »Ich spüre die geistige Präsenz der Drieten«, sagte Tuxit in diesem Augenblick. »Wir sind ganz in ihrer Nähe.« Er schob den Kopf nach vorn, und der Federkragen schimmerte plötzlich bläulich. Der Druck auf meinen Kopf steigerte sich zu tosenden Schmerzen. Mir wurde klar, dass er von den mentalen Ausstrahlungen der Drieten stammte. Jolo sackte in sich zusammen und rutschte langsam die Wand herab, Tuxit hingegen hielt sich aufrecht. Ich kämpfte mich mit Albia ein paar Schritte vor, und aus dem unspezifischen Gefühl wurde ein Sturm, der mich umtoste. Ich befürchtete, dass er mich um den Verstand gebracht oder zumindest völlig handlungsunfähig gemacht hätte, wäre ich nicht mentalstabilisiert gewesen. Albias Artgenossen schien es nicht gut zu gehen. Der Sturm zerstob in einzelne Böen von Orkanstärke – in verzweifelte Hilferufe, die über mich hereinbrachen und meine Gedanken wegschwemmten. Ich machte noch ein paar Schritte und stand unvermittelt in einem Alptraum aus Dunkelheit, Feuchtigkeit, Moder, Gestank und Schleim.
* Vor mir lag ein großes, halbkugelförmiges Gewölbe. In einer Kuhle auf dem Boden wälzten sich in einer trüben, übel riechenden Lake die schleimigen Leiber von über einem Dutzend Drieten. Sie wimmelten über- und untereinander, waren unablässig in Bewe-
40 gung, wirkten dabei aber völlig desorientiert und ziellos. Sie schienen zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, und ihre Körper wandelten sich ständig um. Beim nächsten Schritt wäre ich fast ausgerutscht. Überall waren Kotablagerungen der Wesen. Mir wurde schwarz vor Augen, und die Luft blieb mir weg. Die Drieten gaben klagende Laute von sich, und die Wände der Höhle warfen sie hundertfach zurück. Ich verstand trotz des Dhedeen auf meiner Schulter aber kein einziges Wort. »Bring mich zur Lake …! Sie warten auf mich.« Ich hätte das Wispern fast nicht gehört. »Ich muss zu ihnen und sie befreien …« Albias Worte tanzten durch meinen Kopf, und ich konnte nicht sagen, ob sie sie ausgesprochen oder nur gedacht hatte. Ich betrachtete sie. Sie sah schrecklich aus. Ihre Haut hatte sich fast vollständig gelöst und hing in Fetzen vom Körper. Das Fleisch darunter war wund und hart. Der große Wasserverlust brachte sie um. »Willst … du das wirklich?«, flüsterte ich. »Bitte … schnell.« Sie wünschte es leise, aber bestimmt. Ich ging in die Knie und ließ sie in die Kuhle gleiten. Sie tauchte sofort unter, und im nächsten Moment konnte ich sie zwischen den anderen Leibern nicht mehr erkennen. Die anderen Drieten wimmelten um sie herum, dass die trübe Lake brodelte und mir die Sicht nahm. War Albia überhaupt noch zu helfen? Oder hatte sie sich diesen Ort zum Sterben ausgesucht? Ihre seltsamen Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Wie wollte sie die Drieten befreien? Oder hatte sie etwas ganz anderes gemeint? Voller Sorge blickte ich zu dem Gewimmel der Drietenleiber. Sie wirkten jedenfalls nicht so, als könnten sie Albia retten. »Du hast das Richtige getan«, hörte ich Tuxits Krächzen wie aus weiter Ferne. Abrupt wurde es still in der Höhle. Die mentalen Hilferufe der Drieten verstumm-
Uwe Anton ten. Ich konnte meinen keuchenden Atem hören. Und noch etwas. Ein leises Surren, das sich langsam über die Kuhle senkte. Ich schaute hoch, machte einen Würfel aus, schwarz und bedrohlich, der scheinbar von Feldstabilisatoren in der Luft gehalten wurde. An fünf der sechs Seiten war er geschlossen, wurde von Kontrollinstrumenten, Steuerungselementen für verlängerte Greifarme, Minibildschirmen, Mikrofonen und so weiter gefüllt, wie ich aus Albions Berichten wusste. An der sechsten, mir zugewandten Seite war er offen. In der unnatürlich anmutenden Ruhe konnte ich seine Aggregate hören. In der Würfelbox befand sich ein Anstize, ein schwarzer Ball mit einem Durchmesser von etwa sechzig Zentimetern, besetzt von kurzem, kräftigem Haar und als solcher fast nicht zu erkennen. Eine Vielzahl langer, kräftiger und teils weißgrauer, teils zweifarbiger Glieder umgab ihn; es mochten weit über hundert sein. »Was hast du getan? Dazu hattest du keine Befugnis!« Die Stimme kam aus dem Würfel. Der Anstize fuchtelte mit seinen Greifarmen, Lanken, wie sie in Albions Erzählungen genannt worden waren. Er war mit meinem Vorgehen offensichtlich nicht einverstanden. Die Würfelbox mit der Gestalt darin sackte tiefer. »Ich habe auch ohne dein eigenmächtiges Handeln schon genug Ärger! Aber ihr werdet meine Arbeit nicht mehr behindern!« Was immer der Anstize damit sagen wollte, es ging in einem markerschütternden Schrei unter, der mich buchstäblich von den Füßen riss. Ich taumelte, brach zusammen. Es wurde kurz schwarz um mich, während ein tausendfaches Stakkato von den Höhlenwänden zurückgeworfen wurde und auf mich einhämmerte.
9. Bin ich nur von unfähigen Lakaien umge-
Im Hort der Drieten ben?, fragte Eggober sich, als er die Bescherung sah. Ja, er hatte angeordnet, die Fremden in den Hort zu bringen, aber doch nicht, sie freizulassen. Warum hatten die Roboter sie einfach ziehen lassen? Die Wetterkontrolle hatte er nicht reparieren können, dafür hatte die Zeit nicht gereicht. Und auf dem Rückweg zum Hort hatte er zahllose Funksprüche abgeblockt. Die Hilfsstütze 133 war kaum mehr zu kontrollieren, und Parzellenschneider Sobensten hatte seine unmittelbar bevorstehende Ankunft angekündigt. Wie sollte ein Anstize das alles verkraften? Er wurde noch verrückt, verrückt, verrückt … Und dann dieser unerträgliche Schrei! Die Akustiksensoren übertrugen ihn ungefiltert. Eggober verlor einen Moment lang die Kontrolle über sich, und seine Schwarzkammer wäre fast in die Tiefe gestürzt. Mit den Kunst-Lanken bediente er hektisch die Kontrollen. Und nun hatten die Fremden die Driete in ihrer Begleitung zu den anderen gelassen! Aber sie hatte in der Versammlungslake nichts zu suchen; sie war eine Unbekannte! Was hatten die Fremden damit nur angerichtet? Hatten sie die Drieten vollends um den Verstand gebracht? Eigentlich hatte er die Eindringlinge ja dem Parzellenschneider als Sündenshiwons ausliefern wollen, doch durch ihr unberechenbares Verhalten hatten sie sich als zu große Gefahr für ihn erwiesen. Die Gelegenheit war günstig. Der fremde Humanoide mit den weißen Haaren kniete vor der Lake. Er hatte die beiden oberen Gliedmaßen über den Kopf gelegt. Er ist hilflos! Ich kann kurzen Prozess machen! Eggober erzitterte kurz in der Schwarzkammer; der schreckliche Schrei hatte seinen Gleichgewichtssinn angegriffen. Er brauchte zwei Versuche, bis er gefunden hatte, was er suchte. Seine Lanken umschlossen das kalte Material. Ich werde sie Sobensten trotzdem als Verursacher der ganzen Schäden präsentieren, dachte er. Und wenn sie nichts mehr sagen
41 können, ist das für mich umso besser! Er bremste die Schwarzkammer so heftig ab, dass er leicht gegen die Steuerkonsole torkelte. Bildschirme blitzten auf, Funksprüche von den Baustellen prasselten auf ihn ein. Fehlermeldungen, Anfragen, Forderungen …! Eggober brachte die Wortflut mit einem heftigen Schlag auf die Steuerung zum Schweigen. Was wollen sie von mir? Ich muss mich um Wichtigeres kümmern! Der Fremde hatte sich halb aufgerichtet und sprach mit einem Vogelwesen. Eine grüne Echse kniete etwas abseits und starrte in die Lake. Wer war dieser weißhaarige Humanoide? Ein Bajare jedenfalls nicht … Aber auf jeden Fall ein Störfaktor. Ein Störfaktor, der beseitigt werden musste! Mit zitternden Lanken griff er nach den Waffenkontrollen und drückte ab.
* Ein grünlicher Desintegratorstrahl hüllte die Höhle in fahles Licht. Instinktiv warf ich mich zu Boden. Jolo kreischte und sprang hinter einen meterhohen Kothaufen. Der Anstize in seiner Schwarzkammer schoss auf uns! Ich konnte mir nicht vorstellen, warum er uns ans Leben wollte, aber das war im Augenblick nebensächlich. Weitere Strahlen fauchten durch die Höhle, und ich hechtete vorwärts, warf mich neben Jolo. Wollte es zumindest. Mein Schwung reichte nicht ganz aus. Mit einem satten Geräusch spritzte der Drietenkot unter mir nach allen Seiten. Ich kämpfte gegen den Brechreiz an, rollte mich ab und kam endlich neben dem Echsenmann zu liegen. »Der Anstize ist verrückt geworden! Er schießt auf uns!« Jolos Stimme überschlug sich, als er das Offensichtliche feststellte. Die Situation überforderte ihn heillos. »Warum will er uns töten? Wir müssen ihn irgendwie zur Vernunft bringen!« Tuxit kauerte plötzlich neben uns. Mit verschleierten Augen sah er zu dem Wesen in der Wür-
42 felbox. So hatte ich mir den Kontakt mit intraweltlicher Hochtechnologie nicht vorgestellt. Aber der Anstize war ein miserabler Schütze. Er war im Umgang mit Waffen offensichtlich nicht geübt. Doch irgendwann würde er uns erwischen; wir waren unbewaffnet und hatten ihm kaum etwas entgegenzusetzen. Genau genommen rein gar nichts. »Wir müssen ihn von da oben herunterlocken und überwältigen!« Das war leichter gesagt als getan. Es wäre Selbstmord gewesen, ohne Feuerschutz unsere weiche, stinkende Deckung zu verlassen. Ein Zufallstreffer, und es war aus mit uns. »Die Drieten müssen uns helfen! Ihnen wird er nichts tun!« Jolos Idee war nicht schlecht, aber die schwerfälligen Wesen waren noch immer mit sich selbst beschäftigt und wälzten sich unvermindert aufgebracht durch die schäumende Lake. »Und was sollen wir jetzt tun?« Ungeduldig hob Jolo den Kopf aus der Deckung – und zog ihn sofort wieder zurück, als ein Desintegratorstrahl dicht neben ihm einschlug. Grüne Schwaden stiegen empor. Wir robbten ein Stück weiter in eine neue unsichere Deckung. »Ich muss ihn aus diesem Ding rausholen!«, keuchte ich. Ich hatte allerdings keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen wollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als meinem Instinkt und den Dagortechniken zu vertrauen. Wenn er so kämpft, wie er schießt, hast du eine Chance. Mit einem Schrei schoss der Anstize unmotiviert in die Höhe und feuerte wild um sich. Offensichtlich hatte er jetzt vollends die Kontrolle über sich verloren, wollte nur noch seine Aggressivität abreagieren. Es schien ihm sogar gleichgültig zu sein, dass er die Drieten in Gefahr brachte. Als die Würfelbox wieder etwas langsamer wurde und über uns hinwegflog, schnellte Tuxit mit unglaublicher Spannkraft in die Luft. Er krallte die Füße in Vorsprünge der Kammer, die nur noch ein, zwei Me-
Uwe Anton ter über uns schwebte, und hackte mit dem Schnabel mit voller Wucht auf kleine gläserne Vorsprünge der Würfelbox ein. Der Anstize mochte ein schlechter Schütze sein, mit seiner Kammer wusste er jedoch umzugehen. Als Tuxit sich vorbeugte, um weitere Gläser der Optiken zu zerstören, vollführte die Kammer eine rasche Drehung. Das Vogelwesen verlor den Halt und stürzte zu Boden. Erleichtert sah ich, dass Tuxit sich gekonnt abrollte. Er hat mehr zu verbergen, als wir ahnen, dachte ich. Mir war sofort klar, was unser geheimnisvoller Freund versucht hatte. Offensichtlich kannte Tuxit die Schwarzkammern, ihre Funktionsweise und ihre Schwachstellen genau. Mit seinen Schnabelhieben hatte er zwei Linsen der optischen Systeme der Kammer zerstört. »Jolo, du musst mir helfen!«, rief das Vogelwesen. »Wenn ich wieder springe, hältst du die anderen Linsen zu!« »Und du?«, plärrte der Echsenmann. Tuxit kam nicht dazu, ihm zu antworten. Als hätte der Anstize auf dieses Stichwort gewartet, setzte er die Kammer wieder in Bewegung. Offensichtlich wollte er uns den Rest geben. Der ehemalige Erzählsklave schnellte wieder empor. Mit seinen guten Reflexen hatte er den besten Absprungwinkel getroffen und saß nun auf der Luke. Auch Jolo sprang – mit einer Todesverachtung, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Zuerst glaubte ich, er würde die Würfelbox verfehlen, doch dann drehte er sich in der Luft und klammerte sich mit seinen Saugnapfbeinen daran fest. Er schaute einen Moment ratlos drein und legte die Hände dann auf das, was er für die optischen Erfassungsgeräte der Box hielt. Tuxit hackte derweil auf Vorsprünge der Box ein, die sich als Flugaggregate entpuppten, als die Schwarzkammer abrupt tiefer sank. Dass er so zielgenau vorging, konnte kein Zufallstreffer sein. Er musste die Anstizen oder zumindest ihre Schwarzkammern
Im Hort der Drieten sehr gut kennen. Die Box ruckte und prallte dann kaum einen halben Meter neben der Hortlake zu Boden. Ich konnte nicht sagen, wie schwer sie beschädigt war, setzte mich bereits in Bewegung, griff blindlings zu, bekam überraschend harte Tentakel zu fassen und zerrte daran. Ein schriller Schrei erklang in der Kammer, dann ließ der Widerstand nach, und ich stürzte zurück. Der Anstize landete auf mir. Das Wesen stieß ein zischendes Geräusch aus. Die Tentakel sahen zwar zerbrechlich aus, waren jedoch überraschend kräftig, und ich hatte nur zwei Arme. Der Anstize schlug mit allem auf mich ein, was er zur Verfügung hatte, und das war nicht gerade wenig. Zum Glück schlug er nicht zielgerichtet, sonst wäre es ein kurzer Kampf gewesen. Doch er war hochgradig aggressiv, und seine Schläge prasselten nur so auf mich ein. Wie sollte ich einen Gegner bekämpfen, der sich an meinen Oberkörper klammerte, über eine Unmenge Greifarme verfügte und keine offensichtlichen Schwachstellen hatte? Der schwarze Körper in der Mitte war zu sehr geschützt, ich konnte ihn nicht mit Schlägen eindecken. Und dann änderte der Anstize seine Taktik, griff in mein Gesicht. Er hatte erkannt, dass ich meinen Kopf nicht schützen konnte. Dreifingrige Glieder kamen meinen Augen gefährlich nah. Jetzt weiß er, wo er dich empfindlich treffen kann! Es wird Zeit, dass du ihn loswirst. Mein Extrasinn hatte gut reden, an ihm hing dieses Wesen mit seinen unzähligen Lanken auch nicht. Dann konzentrierte der Anstize sich auf meine Kehle, drückte mit einem blaugrünen Tentakel zu. In seinem Griff lag viel Kraft, und mir wurde klar, dass der Kampf für ihn tödlicher Ernst war. Vor meinen Augen tanzten bunte Kreise. Vergeblich zerrte ich an dem Wesen, versuchte, seine Tentakel von mir zu lösen. Erneut erklang ein hohes Zischen, dann ließ das Wesen los. Erschöpft rang ich nach Luft und sah, dass Tuxit über mir stand.
43 Er hatte den Anstizen von mir weggezogen. Mein Weggefährte musste eine empfindliche Stelle getroffen haben, denn der Angreifer lag mit erschlafften Lanken auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. »Ich habe ihn nur betäubt«, sagte das Vogelwesen fast entschuldigend. »Anstizen sind normalerweise harmlose Zeitgenossen. Irgendetwas muss ihn aus der Bahn geworfen haben.« Ich rieb mir den wunden Hals und hustete. »Danke.« Mühsam richtete ich mich auf. »Er hat eine Menge Zeug in seiner Kammer.« Jolo schnüffelte an einem flachen, ovalen Gerät, das er aus dem Würfel entwendet hatte. »Vielleicht können wir damit Hilfe rufen?« Ich hatte eine bessere Idee. »Ist die Würfelbox noch funktionsfähig? Tuxit, könntest du …?« »Achtung, da kommt noch einer!«, unterbrach Jolo mich und sprang in den Würfel. Ich fuhr herum und legte den Kopf zurück. Eine weitere Schwarzkammer schwebte, diesmal völlig lautlos, in sicherer Entfernung über der Hortlake. Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass wir an sie nicht so leicht herankommen würden. Außerdem schmerzte jeder Knochen in meinem Leib, und Tuxit schien sich ebenfalls nur mit Mühe auf den Beinen halten zu können. Vielleicht hatten wir eine letzte Chance. Wenn Jolo in der Kammer … Der Extrasinn lachte schallend. Das glaubst du nicht im Ernst! Ich atmete schwer aus. Nein, das glaubte ich nicht. Es war vorbei. Widerstand war zwecklos. Die Anstizen hatten uns nun letztlich erwischt.
10. Langsam schwebte die Würfelbox auf uns zu. Zweifellos hatten ihre Desintegratoren uns in der Zielerfassung. Der Anstize in der Kammer machte einen
44 vollkommen gelassenen Eindruck. Er wusste, dass er von uns nichts zu befürchten hatte, wenn er sich nicht irrational verhielt. »Ich habe beunruhigende Signale von Eggobers Kammer empfangen«, übersetzte mein Dhedeen. »Ich bin sofort aufgebrochen, wurde jedoch aufgehalten.« Mit aufmerksamen Blicken verfolgte ich den Anstizen. Er schien nicht über die Aggressivität seines Artgenossen zu verfügen. Um ihm unseren guten Willen zu zeigen, wies ich auf den Bewusstlosen. »Ich hoffe, wir haben ihn nicht ernsthaft verletzt. Aber er hat uns angegriffen, und wir mussten uns verteidigen.« Der Anstize schwebte in seiner Schwarzkammer näher. »Hat er etwa die Drieten in Gefahr gebracht?« »Das befürchte ich.« »Es ist meine, Schuld. Ich hätte erkennen müssen, dass Eggober überfordert war. Sein Abschnitt ist in einem sehr labilen Zustand. Ich bin Sobensten, der verantwortliche Parzellenschneider. Kann ich nach ihm sehen?« »Natürlich.« Der Anstize setzte die Box neben dem Bewusstlosen auf und koppelte sich mit einigen Tentakeln an die Eggobers an. Ein dumpfes Brummen erfüllte die Höhle. »Er nimmt über die Lanken Eggobers Informationen und Daten auf. Sollte der Anstize sterben, sind wenigstens seine Agenden gesichert.« Tuxit starrte in die Lake, als hätte er gar nicht gemerkt, dass er etwas gesagt hatte. Er war und blieb ein Rätsel; sein umfassendes Wissen über alle möglichen Dinge verblüffte mich immer wieder. Woher wusste er das alles? Nach einigen Minuten löste Sobensten die Lanken von denen Eggobers, stieg hastig aus seiner Schwarzkammer und kletterte in die seines Untergebenen. Geräuschvoll hantierte er in ihrem Innern. Jolo sah mich unschuldig an. »Ich habe nichts kaputtgemacht. Das Chaos da drin war schon. Ehrlich!« Dann tauchte der Anstize wieder auf. »Das war knapp. Ich habe die Hilfsstütze
Uwe Anton 133 im letzten Moment absichern können.« Er verstummte. »Ihr wisst nicht, wovon ich spreche, oder?« Wie kommt er nur auf diesen Gedanken? Wir sind schließlich erst einige Stunden in dieser Parzelle und haben die Zeit damit verbracht, eine todkranke Driete zu ihren Artgenossen zu schaffen und dabei von einem Durcheinander ins nächste zu schlittern. Im Gegensatz zum Extrasinn wollte ich höflich bleiben. »Wir sind noch nicht lange hier, und unser wichtigstes Anliegen war, die Hohe Frau zu retten.« Ich wies auf die Lake, in der Albia verschwunden war. »Ich weiß nicht, ob wir sie rechtzeitig herbringen konnten. Unsere Gruppe wurde von Eggober abgelenkt. Seitdem haben wir von Albia nichts mehr gesehen.« Der Parzellenschneider wippte auf seinen Lanken. »Es tut mir Leid, dass eure Reise so unangenehm enden musste. Ich habe von eurer Anwesenheit zu spät erfahren. Eggober hat sich um alles gekümmert. Mehr schlecht als recht, muss ich leider sagen.« »Ist Eggober etwa unter dieser Verantwortung zusammengebrochen? Ich …« Ein dumpfes Poltern ließ mich verstummen. Ich fuhr zum Eingang der Höhle herum und machte dort eine Gestalt aus, einen Bajaren. Genauer gesagt den, der uns in dem Tunnel überfallen hatte. Er trug noch immer die Haube, die sein Gesicht bedeckte, doch mein fotografisches Gedächtnis schloss jeden Zweifel aus. Als er bemerkte, dass ich auf ihn aufmerksam geworden war, drehte er sich schnell um und verschwand in dem Gang, aus dem er gekommen war. Sein Hinken verriet endgültig, dass es sich um ein und dieselbe Person gehandelt hatte. Die du kennst, stellte der Extrasinn fest. Ja. Diesmal, in der besseren Beleuchtung, hatte ich den Bajaren tatsächlich identifizieren können. Auch wenn er sein Gesicht verborgen hatte, sein Körperbau und Details der rotweißen Brustbehaarung hatten genügt.
Im Hort der Drieten Was hatte er hier zu suchen? Hatte er einen weiteren Anschlag auf Albia geplant, aber davon abgelassen, als er den Anstizen gesehen hatte? Oder wollte er sich nur überzeugen, dass sein Plan aufgegangen war? Denn eine Kleinigkeit, der ich zuvor keinen Wert beigemessen hatte, ließ mich nun genau daran glauben. »Was hat dieser Bajare hier verloren?«, fragte ich Sobensten. »Eigentlich nichts. Eggobers Arbeitsplan sieht zurzeit keinen Einsatz von Bajaren hier vor. Hier geschehen wahrlich seltsame Dinge.« »Wie dem auch sei, zum Glück ist niemand ernsthaft verletzt worden. Man kann aus der Geschichte nur lernen.« Tuxit sprach mit tiefer Stimme. Er stand noch immer an der Lake und beobachtete die Drieten, die nun endlich zur Ruhe gekommen waren. Nachdem dieser fürchterliche Schrei erklungen war, trieben sie langsam durch die Flüssigkeit. Ich gab dem Vogelwesen Recht. Es lag mir fern, mich über den Angriff zu beklagen. Der Anstize war der Belastung nicht mehr gewachsen gewesen, hatte in uns eine Gefahr gesehen und entsprechend gehandelt. Hätten wir nicht genauso reagiert? »Wir müssen Eggober wohl in ein Hospiz bringen«, sagte Sobensten. »Aber mit mir ist alles in Ordnung, Tuxit. Ich danke dir für deine Hilfe. Du hast uns gerettet.« Ich fuhr zusammen, als ich die Stimme vernahm. Ich kannte sie. Ich kannte auch das längliche Gesicht der Driete, die sich aus der Lake erhoben hatte, die großen, lidlosen Glupschaugen, in denen nun ein glückliches Strahlen lag, den halslosen Kopf, die beständig hin- und herpendelnden Fühler auf der Stirn, den breiten, froschähnlichen Mund und sogar die beiden Reihen faltiger Zitzen auf ihrer Brust. »Albia«, entfuhr es mir. »Du …« Ich verstummte. Sie sah gut aus, wie neugeboren, war völ-
45 lig wiederhergestellt. Nichts wies darauf hin, dass sie vor wenigen Minuten noch im Sterben gelegen hatte. Sie lachte hell. »Natürlich gilt mein Dank auch Atlan und Jolo. Ohne euch würde mein Kind nicht leben.« Und dann sah ich es. Eine kleine Ausgabe Albias, kaum größer als ihre Fühler, trieb zwischen ihr und den anderen Drieten, die sich nun schützend und fürsorglich um den Winzling drängten. »Du hast … ein Kind bekommen? Aber warum …?« Mir blieben die Worte im Hals stecken. Diese Strapazen, der lange Marsch und die Gefahren … all das hatte Albia ertragen, während sie ein Kind in sich trug? »Ich musste meine Aufgabe erfüllen und ihr eure. Jeder hat sein Bestes gegeben. Mehr konnte ich nicht verlangen. Und jetzt sind wir hier, ihr habt mein Vertrauen in euch nicht enttäuscht.« Das kleine Würmchen schwamm heran und lugte neugierig zu uns herüber. Ob es ahnte, welche Rolle wir in seinem noch sehr kurzen Leben gespielt hatten? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und schwieg lieber. Patenonkel Atlan!, höhnte stattdessen der Extrasinn.
* Ich bemühte mich, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Albia hatte mir einen Korb gegeben. Sie würde im Hort bleiben, bei den anderen Drieten. Unser gemeinsamer Weg endete hier und jetzt. »Aber … ich dachte, du könntest mir ein paar Dinge über den Flammenstaub erzählen. Oder vielleicht deine Artgenossen. Das wäre mir eine große Hilfe.« Wir saßen im Hort und versuchten, die hektische Aktivität um uns zu ignorieren. Die Drieten waren sehr agil geworden und hatten die Hilfe der Bajaren angefordert. Die Humanoiden säuberten die Höhle und reparierten die Beleuchtung. Mit jedem ihrer Handgriffe schwand der dunkle, triste,
46 schier entsetzliche Eindruck, den der Hort auf mich gemacht hatte, ein wenig mehr. Und wie gewohnt gingen die Bajaren sehr effektiv und gekonnt vor. Entschieden wedelte Albia mit den Fühlern. »Nein. Meine Bestimmung liegt hier. Endlich kann ich ihr folgen, und ich habe so viel zu lernen. Tausende Tage lang habe ich die Weiten der Intrawelt durchstreift, ohne zu wissen, dass es andere meiner Art gibt … oder dass ich eine Bestimmung habe. Ich wusste nicht, weshalb ich überhaupt lebte.« Sie sah Tuxit an. »Was auch immer dazu geführt hat, dass ich diese Bestimmung vergaß, meine Erinnerung erwachte, als ich deinen Geschichten und Legenden lauschte. Und mit der Erinnerung wurde die Selbstbefruchtung ausgelöst. Ich bemerkte eine Veränderung in mir und wusste bald, dass ein Kind in mir heranwuchs.« Mit jedem ihrer Worte wurde mir klarer, dass ich sie nicht umstimmen konnte. Sie hatte ihren Platz in der Intrawelt gefunden, und das wog mehr als mein Anliegen. Ich nickte ihr zu. »Nach dem Zusammentreffen mit den anderen Drieten weiß ich nun, was ich zu tun habe. Ich danke dir noch einmal für die erwiesene Freundschaft und bedauere, dir bei deiner Suche nach dem Flammenstaub nicht mehr helfen zu können. Aber so fern dir auch das Ziel deiner Suche erscheinen mag, Atlan, die Lösung liegt näher, als du glaubst …« »Was meinst du damit? Wissen deine Artgenossen vielleicht etwas über den Flammenstaub?« »Die anderen meiner Art danken euch, dass ihr mich hierher gebracht habt«, wich sie aus, »wünschen jedoch keinen weiteren Kontakt zu euch.« Das alte Lied: Die, die vielleicht etwas wussten, sagten nichts. Um wie viel einfacher wäre mein Leben, hätte es diese universelle Konstante nicht gegeben, die speziell für mich geschaffen worden zu sein schien. Ich hatte noch zahlreiche Fragen, etwa über das soziale Gefüge der Drieten und wa-
Uwe Anton rum ihr Volk derart klein geworden war. Und über Albias Bestimmung. Aber ich würde hier keine Antworten erhalten. »Ich akzeptiere deine Entscheidung.« Tuxit neigte den Kopf. Fast hatte es den Anschein, als verbeuge er sich vor Albia. »Du warst uns eine angenehme Begleiterin und wirst uns auf der weiteren Reise fehlen.« »Geht mir genauso!« Jolo leckte sich über das Gesicht. »Du hast mich immer gut versorgt. Deine leckeren Happen werde ich sicher vermissen.« Irgendwie kaufte ich dem Echsenmann seine Betroffenheit ab, auch wenn er wieder nur ans Essen dachte. »Meine besten Wünsche begleiten euch. Und ich möchte euch meine Dankbarkeit beweisen.« Sie wandte sich an den Parzellenschneider. »Ihr dürft euch Sobensten anschließen, der euch in die Bodenwelt bringen wird. Und zwar in das Hospiz, in das man Eggober wohl einliefern muss. Außerdem verpflichte ich ihn hiermit, euch zu berichten, was er und seinesgleichen über den Flammenstaub wissen. Dafür ist das Hospiz ohnehin der richtige Ort …« Damit verschwand sie zwischen den anderen Drieten. Verwirrt blickte ich ihr nach. Schon wieder so eine rätselhafte Andeutung … Fast hatte ich den Eindruck, als könne sie nicht über das sprechen, was sie wusste. Als würde etwas sie daran hindern. Aber mehr würde ich nicht erfahren. Mir war klar, dass das der endgültige Abschied gewesen war. Ich atmete tief aus und drehte mich zu dem Anstizen in seiner Schwarzkammer um. »Nun, Sobensten?« »So eine Driete«, sagte er bedächtig, »hat großen Einfluss bei uns. Ich habe ihre Worte vernommen, aber ich muss Vorbereitungen treffen …« Ich lachte innerlich auf. Wahrscheinlich Anweisungen einholen, dachte ich. »Da ist noch etwas«, sagte ich, als die Würfelbox langsam emporstieg. Ich berichtete ihm kurz von dem Angriff auf die Hohe Frau im Tunnel und von der roten Substanz, die an meiner Hand geklebt hatte, nachdem ich dem Täter ins Brustfell gepackt hatte.
Im Hort der Drieten
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»Deerun«, sagte Sobensten. »Die Bajaren kauen es unentwegt. Das Zeug schmeckt scheußlich, hat aber genau die gleiche Farbe wie ihr Brustfell. Die Socceren haben es schon konsumiert, und die Bajaren leiten daraus den Anspruch ab, die wahren legitimen Erben ihrer Vorfahren zu sein.« »Ja, genau, dieser ewige Zwist mit den Juventern, Bruggeren und Rapidern.« Ungeduldig sträubte der Anstize seine Lanken. »Ich habe ein fotografisches Gedächtnis«, kam ich zur Sache. »Und ich habe genau erkannt, dass das Brustfell des Bajaren, der uns angegriffen hat, in Wirklichkeit grünweiß war. Mit diesem Deerun hatte er es rotweiß gefärbt.« Sobensten schwieg einen Moment lang. »Du meinst …«, sagte er schließlich. Ich nickte. »Genau das meine ich.« »Ich werde es überprüfen.« »Noch etwas. Aufgrund meines unfehlbaren Gedächtnisses konnte ich den Angreifer« – ich vermied das Wort Bajare aus gutem Grund – »zweifelsfrei identifizieren.« »Wer war er?« »Der, der uns zum Tunnel gefahren hat«, sagte ich. »Emball.«
* Es sollte dauern, bis Sobensten zurückkehrte. Der Parzellenschneider hatte uns mitteilen lassen, dass er neben seinen Nachforschungen noch die Schwarzkammer seines Abschnittshauers reparieren musste, die mittlerweile abgeholt worden war. Wir stärkten uns derweil an wohlschmeckenden Brotlaiben, in die Früchte eingebacken waren. Die Bajaren hatten sie uns gebracht, und Jolo kaute glückselig seine vierte Portion. »Ob Sobensten uns wohl wirklich hilft?«, schmatzte er mit vollem Mund. »Die Drieten genießen in dieser Parzelle hohes Ansehen. Die Anstizen sind ihnen zur Hilfe verpflichtet.« Tuxit schob einige Brotrationen in eine seiner Taschen. Nachdenklich hörte ich ihm zu. Er wusste
viel, und sein Sklavendasein hatte ihn nicht zerstört. Immer wieder verblüffte er mich mit Fragmenten seiner Weisheit. Ein leises Surren hinter uns kündete von Sobenstens Ankunft. Der Anstize senkte sich in der Schwarzkammer zu uns herab. »Du hast Recht gehabt«, sagte er barsch. »Wir hatten schon lange den Verdacht, dass es in Eggobers Arbeitsbereich nicht mit rechten Dingen zugeht. Nachdem wir nun wussten, wonach wir zu suchen hatten, konnten wir zahlreiche Indizien zusammenstellen, die eine deutliche Sprache sprechen.« »Dann handelte es sich bei all den Zwischenfällen, die Eggober in den Wahnsinn trieben, um Sabotage?« »Ja. Emball war der Kopf einer fünften Kolonne, die die Hilfsstütze 133 entgegen den Anweisungen bewusst fehlerhaft konstruieren wollte. Emball und seine Leute haben auch Unmengen von Shiwons hier eingeschleppt. Sie haben dazu die Lastengleiter benutzt. Deshalb kam es immer wieder zu Störungen bei der Abfuhr des Abraums. Und sie haben sogar die Software der Klimasteuerung für Corl 22 mit einem Virus verseucht.« »Dann war Eggober praktisch nur ein unbeteiligtes Opfer?« »Genau. Diese fünfte Kolonne besteht aus so genannten Steffenen. Das sind abtrünnige Bajaren, die den hohen Anforderungen ihres Stammes nicht gewachsen waren und lieber zu den Rapidem übergelaufen sind, um dort Führungspositionen zu übernehmen, statt bei ihren eigenen Leuten niedere Arbeiten zu leisten. In der Parzelle Steffene gibt es einen Gutshof, in dem ihre rotweiße Brustbehaarung mit einem geheimen Verfahren unumkehrbar grünweiß gefärbt wird. Nur sie können sich mit einiger Aussicht auf Erfolg als Bajaren ausgeben. Echte Rapider wären zum einen der Aufgabe nicht gewachsen und würden zum anderen von den Bajaren sofort entlarvt werden.« Ich schüttelte den Kopf. »Rotweiße und grünweiße Brustbehaarung … Und das alles
48 nur, weil die Rapider die Bajaren schlecht machen wollten.« »Das eigentliche Ziel der Sabotage waren die Bajaren.«, bestätigte Sobensten. »Nach dem Zusammenbruch von Corl 22 und der Hilfsstütze hätten die Rapider aller Intrawelt verkünden können, wie unfähig die Bajaren sind. Beliebt sind sie ja aufgrund der ewigen üblen Nachrede eh nicht.« »Und habt ihr Emball festgenommen?« »Nein. Wir suchen noch nach ihm. Er ist wie vom Parzellenboden verschwunden.« Damit hatte ich gerechnet. Aber der Zwist zwischen Bajaren und Rapidem und Emballs Schicksal interessierten mich nicht besonders. Es gab Wichtigeres. »Wann brechen wir zu diesem Hospiz auf?« Sobensten wippte auf seinen Lanken. Ich hatte das bei ihm schön öfter beobachtet. Immer dann, wenn er einen folgenschweren Entschluss gefasst hat. »Wir können uns den Ausfall eines Abschnittshauers nicht leisten. Wir sind zu wenige, und die Arbeit wird immer mehr. Aber meine Zeit ist knapp bemessen. Die Bauabschnitte müssen überwacht werden, und die Bajaren brauchen Anweisungen.« Ich ahnte, worauf der Anstize hinauswollte. »Wenn ich die Kammer auf Automatik schalte, führt sie euch zum Hospiz. Dort weiß man, was zu tun ist.« Mir war klar, worauf er hinauswollte, doch damit war ich nicht einverstanden. »Albia hat dich verpflichtet, uns persönlich zu führen. Ich lege großen Wert darauf, dass du uns begleitest.« Wer garantierte uns die Antworten auf meine Fragen, wenn nicht ein Parzellenschneider? Der Anstize wippte stärker auf und ab. Er wand sich förmlich vor meinen Augen. »Ja, natürlich. Ich erinnere mich an die Worte der Hohen Frau.« Mich beschlich das Gefühl, dass Sobensten nicht begeistert von der Aussicht war, sich noch länger mit uns zu befassen. Am liebsten würde er uns so schnell wie möglich loswerden. Wir waren lästige Klötze an sei-
Uwe Anton nen Lanken. »Es geht nur um ein paar Fragen. Ich will dich nicht lange von deiner Arbeit abhalten. Die Drieten werden in deiner Abwesenheit alles Wichtige beaufsichtigen. Albia hat es versprochen.« Der Anstize wurde ruhiger. Die Erwähnung der Drieten ließ seine Zweifel abklingen. »Entschuldigt mein Zaudern«, sagte er schließlich. »Vor lauter Sorgen um die Baustelle vergesse ich die Höflichkeit. Dabei haben wir es euch zu verdanken, dass Corl 22 nicht im Chaos untergeht und die Drieten vielleicht wieder zu ihrem Wissen und ihrer Kultur zurückfinden.« Er schwieg einen Moment. »Also schön. Machen wir uns auf den Weg! Jede Zeiteinheit, die unnütz verrinnt, ist dem Bau abträglich.« Ich musste an die antiken Roboter denken, an das anfällige Laufband und die baufällige Tunnelröhre. Hier gab es noch sehr viel zu tun, und ich beneidete Sobensten wahrlich nicht um seinen Job. Aber vielleicht dachte der Anstize dasselbe von uns? Von dieser seltsamen Gruppe, die durch die Intrawelt wanderte, auf der Suche nach Antworten, die niemand kannte?
Epilog Als Peonu aus der Gondel auf die Plattform sprang, nahm er die Ahnung von Atlans Seelenfaden wahr. Hier hatte er gestanden, zusammen mit den anderen Schwächlingen der Gruppe. Das war sehr erfreulich. Die mehr oder weniger innige Verbindung, die – leider – zwischen ihnen bestand, war bei der Orientierung wirklich nicht besonders hilfreich gewesen. Er hatte lediglich einen ungefähren Richtungsvektor gefühlt und war auf detektivische Kleinarbeit angewiesen gewesen, um den Weg des Arkoniden zu verfolgen. Nebenbei hatte er das eine oder andere Seelenhäppchen aufgeschnappt. Man konnte ja nie wissen, wozu das gut war … Interessiert betrachtete er das Chaos, das
Im Hort der Drieten beim Verlassen der Station auf ihn eindrang. Es fühlte sich gut an, lag in seiner Natur. Er sog die schlechte Luft ein, ließ seinen Blick über die Arbeiter wandern, nahm das Gespinst aller möglichen Beziehungen wahr. Hier wurden Ränke geschmiedet. Zwar nur sehr, sehr bescheidene, aber trotzdem. Herrlich! Er betrat zum ersten Mal eine so genannte Schuttparzelle. Bislang hatte er stets seine Handlanger vorgeschickt. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Schon nach wenigen Schritten nahmen seine Riechhärchen die Präsenz eines Wesens wahr, das sich in der Nähe der Station verbarg, wohl in der aussichtslosen Hoffnung, sie irgendwie betreten zu können. Es roch nach Angst. Peonu erschnüffelte auch ein gewisses Maß an Verschlagenheit und Raffinesse, und das interessierte ihn. Der Humanoide floh, als er sich entdeckt wähnte, doch Peonu holte ihn mit wenigen Schritten ein, ergriff ihn und zerrte ihn herum. Und leckte genüsslich über sein Gesicht. Er schmeckte schal, nach grünen Grashalmen, zwischen denen weiße Würmer krochen. Nachdem das geklärt war, erwies der Humanoide sich gewohnt kooperativ. Er war ein Rapider namens Emball, der sich aus Gründen, die Peonu nicht im Geringsten interessierten, als Bajare ausgab. Doch sein Interesse wuchs, als er erfuhr, dass Emball den Kosmokratenknecht, die Hohe Frau und Jolo kannte. »Sie sind erst gestern hier eingetroffen. Sehr lästige Leute. Haben mich ständig von meinem Auf… vom Arbeiten abgehalten.« Peonu nickte mitfühlend. »Ja, sie können anstrengend sein. Erst gestern, sagst du? Ausgezeichnet. Wohin hast du sie gebracht?« »Zum Hort der Drieten. Na ja, nicht ganz, aber fast. So weit ich sie bringen durfte. Es wäre zu auffällig gewesen, wenn ich sie dann noch begleitet hätte. Jemand wäre aufmerksam geworden und hätte Fragen ge-
49 stellt.« Der verklärte Blick, mit dem Emball von den Drieten sprach, verwunderte Peonu. »Was ist denn an denen so besonders? Diese lahmen Schnecken sind nur träge und eigennützig.« Er dachte schaudernd an die behäbige Albia, die er nur aus Langeweile angeleckt hatte. Ein dürftiger Seelenhappen war sie gewesen. Emball schüttelte heftig den Kopf. »Aber die Drieten sind die Architekten unserer Welt … Ohne sie würde hier gar nichts sein!« Holla! Damit hatte er nicht gerechnet. Da hatte er mit seiner Auswahl an Seelenhäppchen ja eine glückliche Hand bewiesen. Vielleicht würde ihm diese Albia doch noch nützlich sein. Er wies Emball an, die Augen aufzuhalten, gab ihm einen Klaps auf die Schulter und hieß ihn dann, sich zu trollen. Den Weg zum Hort würde er auch ohne diesen Einfaltspinsel finden. Das Schuttgebirge hatte Peonu schnell erreicht. Einige Häppchen, die er quasi nebenbei erhaschte, gaben ihm so manche Hinweise. Die Spur war noch warm. Wie Peonu von den Häppchen erfahren hatte, war nach dem Chaos, das ein gewisser Eggober verursacht hatte, die energetische Abschirmung des Berges kurzfristig außer Betrieb gesetzt. Der Tunneleingang wurde lediglich von Holokameras bewacht. Mit wenigen geübten Handgriffen hatte er sie außer Betrieb gesetzt. Was für eine dürftige Technik, dachte er. Keine Herausforderung für mich. Wie sehr wünschte er sich doch einen ebenbürtigen Gegner, an dem er sich einmal wirklich messen konnte. Seine Fähigkeiten als Ganzes einsetzen und den Triumph des Sieges bis zum Letzten auskosten …
* Er sprang auf das altersschwache Laufband und witterte. Er schmeckte Albia, kam dem Hort der Drieten und damit auch ihr nä-
50 her. Aber … von Atlan keine Spur. Dabei hatte er ihr doch aufgetragen … Dann veränderte sich etwas. Die schlechte Luft wirkte plötzlich frischer. Der Geist der Erneuerung wehte durch die Tunnelröhre. Hatte etwa Atlan damit zu tun? Der Arkonide schien eine seltsame Wirkung auf seine Umwelt auszuüben. Diese Veränderungen waren Peonu nicht unbedingt genehm. Aus dem Hort drang ekelhaft reine Luft. Hell, strahlend beleuchtet und freundlich präsentierte sich der Hort der Drieten. Überall wuchsen Blumen, und ein kleiner Springbrunnen plätscherte eine fröhliche Weise. Alles war geordnet, auf dem Boden breitete sich das Muster einer Parzelle aus, um das sich einige Drieten geschart hatten und sich offensichtlich berieten. Das alles war so widerwärtig schön, dass Peonu es kaum ertragen konnte. Er schmeckte Albia, sah sie dann im Kreise ihrer Artgenossen, wie sie ruhig und ausgeglichen diskutierte und plante. Ein winziger Driete rieb sich Schutz suchend an ihr. Peonu musste lachen. Dann rief er sie. »Komm zu mir, Albia, oder ich nehme mir deine Artgenossen vor. Einen nach dem anderen. Und zum Schluss … Nun ja, da musst du sicher nicht lange überlegen. Ist das dein Bastard da neben dir auf dem Boden?« Die Drieten verstummten. Sie drehten sich zu ihm um, starrten ihn an, rückten zusammen. »Was willst du, Peonu? Hast du nicht genug Unheil über mein Leben gebracht?« Albia kroch langsam auf ihn zu. Sie wirkte ganz gelassen. Er sah vielsagend zu dem kleinen Bastard hinüber. Plötzlich interessierte ihn wirklich, wie er wohl schmecken würde. »Warum hast du nicht getan, was ich dir aufgetragen habe?« Peonu ignorierte das Raunen der anderen Drieten, kostete den Moment aus, so gut es ging. Manchmal hatte er den Eindruck, dass es sich nur dafür noch zu leben lohnte.
Uwe Anton Einen kurzen Augenblick dem grauen und tristen Dasein zu entkommen und in den Farben von Schmerz und Leid zu schwelgen … »Du bist umsonst gekommen. Atlan ist nicht mehr hier, und ich werde dir nie wieder gehorchen. Es ist vorbei. Geh jetzt!« Peonu war tatsächlich von Albias neuer Stärke angetan. Ihre Worte gaben ihm Hoffnung, dass sie wenigstens ein bisschen um ihr kleines Leben kämpfte. Dann hätte er auch seine Freude. »Du sagst es. Es ist vorbei. Ich hatte dir befohlen, auf Atlan Acht zu geben.« Er griff nach ihr, nach ihrem Seelenimprint, wollte ihr drohen, sie zu zerstören, ihr Schmerz zuzufügen, wenn sie nicht augenblicklich erzählte, was hier vor sich ging und warum sie entgegen seinen Anweisungen Atlan hatte gehen lassen. Um dann ihre Seele hervorzuziehen und Stück für Stück zu zerstören, zu fressen, sich einzuverleiben. Er griff nach ihr. Und griff ins Leere! Fassungslos versuchte Peonu es noch einmal, doch Albia war verschwunden. Er konnte sie nicht mehr riechen, nicht mehr schmecken. Wie war das möglich? »Geh, du Teufel! Hier gibt es nichts für dich zu holen!« Eine tiefe Stimme riss ihn aus seinem Hochgefühl. Jetzt war ihm klar, was geschehen war. Es war ihm klar, aber er verstand es nicht. Albia hatte sich umgewandelt. Sie war jetzt der Breite Mann. Und er hatte keine Kontrolle über ihn. Seine Seele war frei und unschuldig wie frischer Morgentau. Ein Schauder durchlief Peonu. Wie konnte das sein? Er konnte den Drieten nicht zwingen, weil er sein Geschlecht gewechselt hatte? Ein anderes Wesen, eine andere Seele? Seit wann war eine Seele – oder genauer gesagt die ÜBSEF-Konstante – geschlechtsabhängig? Nein, nicht wegen der Umwandlung selbst hatte er ins Leere gegriffen, sondern weil Albias Aura einen Moment lang verschwommen war!
Im Hort der Drieten
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Vermutete er zumindest. Genau konnte er es nicht sagen. Und er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. So etwas durfte er nicht dulden. Das durfte nicht einreißen. Albia war vielleicht schlau gewesen, aber nicht schlau genug. Er würde ihr Kind nehmen. Eine Mutter tat alles für ihr Kind. Dann hatte er sie. Doch bevor er dem Kleinen auch nur einen Schritt näher kommen konnte, hörte er das Surren der Roboter. Sie waren kugelähnlich und mit Waffen ausgestattet, von denen sie sofort Gebrauch machten. Nur seinem Jahrtausende währenden Training hatte er es zu verdanken, dass er den Desintegratorstrahlen ausweichen konnte. Die Drieten brachten sich in ihrer Lake in Sicherheit, und er schrie auf. Doch sein Zorn nutzte ihm nichts, er musste sich zurückziehen. Desintegratoren waren auch für ihn überzeugende Argumente. Er musste flüchten. Er, Peonu. Welche Schmach! »Ich komme wieder!«, rief er theatralisch, wenn auch nur, um sich einen einigermaßen
passablen Abgang zu verschaffen. »Das ist noch nicht vorbei!« Dann eilte er den langen Gang entlang, hinüber zur anderen Seite des Berges, wo er wieder Atlan schmeckte. Atlans widerlich saubere Seele. Doch der Arkonide interessierte ihn im Augenblick nicht mehr. Er hörte die Roboter hinter sich. Er musste ihnen entkommen, sie überlisten, vielleicht ein Versteck finden. Dann konnte er in aller Ruhe darüber nachdenken, wie er weiter verfahren sollte, um die Fährte des Arkoniden wieder aufzunehmen. Die Niederlage machte ihm nicht sonderlich zu schaffen. Atlan konnte vor ihm davonlaufen, sich verstecken, es kümmerte ihn nicht. Er hatte ja noch ein Ass im Ärmel. Früher oder später würde er ihn bekommen. Früher oder später bekam er alle. ENDE
ENDE
Die Architekten der Intrawelt von Horst Hoffmann Albia ist wieder bei ihrem Volk, und Peonu heftet sich hartnäckig an Atlans Fersen. Wie wird die Suche nach dem Flammenstaub weitergehen? Haben die Anstizen tatsächlich die Informationen, die Atlan benötigt?